d
eVf/72
JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE UND PÄDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh, Christ, Jahn,
F ii nft er Jahrgang.
Erster Band. Erstes Heft,
Oder der gansen Folge
Zwölfter Band. Erstes Heft.
L e i p z i g,
Druck giind Verlag von B. G. Teubner.
18 3 0.
Si qnid novisti rectius istis,
Cnndidus imperti; ei non, hia iitere mcnnm.
^^RzAiV^^
JÜL14V9/1
3
\(l-\-l
Inschriften.
Analyse critique du recueil d'inscriptio7is Grecques
et Latines de M. le cointe de Vidua, par M. LeUonne. Paris 1828.
46. S. 8.
,,v^ette Analyse se compose de la re'unioii de trois articles sur
la collectioii interessante d'insciiptions grecques et latines,
publie'es par M. le comte de Vidua, et iatitule'es: Insciiptio-
nes antiquae in Turcico ilinere collectae. Ces articles, qui
ont paru dans le Journal des Scwcms^ *) avaient pour objet de
faire ressortir l'utilite' de cette collection, en signalant les indi-
cations nouvelles dont-elte ienrichit la langue grecque et l'lii-
stoire. Je les reproduis avec des augmentations, mais sans
changer leur caractere priniitif, et j'y ai Joint la notice de plu-
sieurs inscriptions inedites, trouvees en diverses parties de la
Grece et de la Syrie , et qui m' out ete' connues depuis.^' In-
dem wir diese Worte, v/elchellerr L etro n ne gewisserraassen
als Vorwort seiner Analyse vorausschickt, hier mittheilen, glau-
ben wir um so mehr von einer Auseinandersetzung des Inhalts
und Zwecks dieser gelehrten Schrift absehen zu dürfen, als der
Verfasser in dem Obigen sich dariiber selbst hinlänglich aus-
gesprochen hat. Die Verdienste, welche II. Letronne sich um
alte Geschichte und Alterthümer erworben hat, wie auch seine
Methode, alte Inschriften zu erklären, sind allgemein bekannt,
und es wird daher zur Charakteristik und Würdigung dieser
Schrift hinreichend seyn, wenn wir versichern, dass wir in
vorliegender Schrift dieselben Eigenschaften wiederum anzuer-
kennen gehabt haben , durch welche ihr Verfasser sich bereits
eine Stelle unter den ersten Alterthumsforschern unserer Zeit
erworben und sich diesen iVamen aucli für die zukünftige Zeit
dauernd gesichert hat. Es sey genug, hier nur die vortreffliche
Erklärung, die Augustische Familie betreft'end, S, 32 — 33, wie
auch die gelungene Wiederherstellung einer in Syrien gefunde-
nen Inschrift S. 16 ff. heraus zu heben.
•) Im Augustheft 1827.
1*
4 Inschriften.
Die Sammlung interessanter Steinschriften , die das Publi-
cum den Bemühungen des Giai'en Carl Vidua verdankt, ist
jetzt wohl allgemein bekannt, und wir brauchen von der Wich-
tigkeit dieser Monumente, die wenigstens einem grossen Theiie
nach die Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher in Anspruch
nehmen, um so weniger hier zu reden, da wir in diesen Jahr-
biichern selbst (1828 Bd. 1 Heft 1 S. 30 ff.) sie in einer beson-
dern Recension ausführlich gewürdigt haben, und wenn Rec.
dabei in vielen Punkten der Erklärung und Wiederherstellung
der Inschriften mit Hrn. Letronne zusammengetroffen ist, wie die-
ses sich nun aus der Vergleichung beider Analysen ergiebt, so
glaubt Rec. seiner eigenen Arbeit Anerkennung versprechen
zu dürfen. Das Geschäft des Rec. bei gegenwärtiger Anzeige
kann kein anderes seyn, als bei einzelnen Inschriften die viel-
leicht von H. Letronne abweichende Erklärung des Rec. kurz
anzugeben oder eine nachträgliche Bemerkung hinzuzufügen,
wo der Herausgeber entweder zu kurz einen Gegenstand be-
handelt, oder die Eiklärung ganz von sich gewiesen hat. Be-
merkt mag noch werden, dass sich H. Letroune's Analyse bis
auf wenige Stellen auch wieder abgedruckt findet in Fe'russac
Bulletin des sciences historiques, 1829, Avril, S. 469 ff., so
dass demnach in Frankreich drei Abdrücke dieser Analyse vor-
handen sind. Wenn übrigens in gelehrten Blättern bemerkt
worden, weder die Analyse, noch die Inschriftensammlung
selbst sey auf dem Wege des Buchhandels zu haben, so müs-
sen wir diesem Gerücht aus eigner Erfahrung widersprechen,
trotzdem, dass H. Letronne S. 44 selbst angiebt, die Schrift
von\idua sey nicht käuflich zu haben, sondern scheine nur
vom Herausgeber an Freunde vertheilt worden zu seyn.
Von denen auf Tab. XIX und XX befindlichen, in Nubien
entdeckten beiden christlichen Inschriften, augenscheinlich aus
einer sehr späten Zeit behandelt 11. Letronne S. 14 die eine klei-
nere, und es trifft hier die Art und Weise, wie er sie herstellt,
vollkommen mit den Bemerkungen in unserer Recension S. 34
zusammen. Sie lautet also nach Letronne : *)
+— —
0&CTf\iNnNJTi\iNKJI ' 0 ^aog tav nvtvnätav Kai
nACltCjPKOCOTj/^N&A Tiäörjg öagaög, 6 tov &(x-
NATi^NKATAPnCACKAl vazov icaraQyo]6as xal
AzlHNKATAnATWAC äÖrjv auTajiarijöag
5 KAIZi\[HTi^KOCM]A[ Kai ^«7Jv t« j^döficj
*) Wir gtljcn die Inschrift selbst nach Vidua, da sie bei Letronne
nicht ganz genau (vcrgl. z. B. Zeile 14) niitgetheilt worden. Statt des
(O, Melches in gleicher Form und Grösse nicht vorhanden war, ist
überall ein umgekehrtes M gewählt worde«.
Letronne: Analyse critique du recueil d'inscriptions deM. de Vidua. 5
XAPICAMC-NOCJNJ xaQLöä^Bvog,' avcc-
HA TCOJS TUN W VXHN navöov rr^v ^vxr]V
THN^OVAHNCOTKOXC^lTilv dovh]v öov,
MQ-IAN^NKOAniCTi^N . . . Iv ii6l7ioi£ xäv
lOnPNABPAAMKAlICAK jtartgav'Aßgaa^i, xaVlöaäx^
KAIIAKi\jB^KOIMH&I Tial'laxüß- axoL^ij^trj
CQN^^HMAIX<XfAPMO (poQjio
T0ICZINzJIA+ v&l iZ 'IvÖLzrlcovos lA.
Die letztere Lücke Zeile 12 ist schwer auszufüllen , da sie
einen Ortsnamen zu enthalten scheint, und die Abschrift hier
ung^enau ist. Eben so schwierig ist es Z. 8 u. 9 einen Sinn aus
den Buchstaben KOXC^IMQIAN herauszubringen, und Le-
tronne hat sie daher ganz fallen lassen. Mit Gewisslieit wissen
wir aucli keine Ergänzung vorzuschlagen: doch ist es augen-
scheinlich, dass hier ein Participiiim verborgen liegen rauss wie
aal 'üHidviqv. Evang. Joann. XIII, 23 : v}v öl dvaxsifisvog elq Ix.
Tcov ^ad^7]tc5v avtCL» Iv tcj ii6?i7Tcp rov'hjöov, wenn aucli in
keinem figürlichen Sinne gebraucht. Näher liegt vielleicht noch
zu ergänzen xal (es müsste nämlich der Buchstabe K durch
%a\ erklärt werden, wie oft) dv^iiih'riv^ worauf eine Stelle der
Constitution, apostol. VIII, 41 (in Fabricii Cod. pseudepigraph.
vet. testam. S. 42t)) führt: xat ikaog zal 8v^BTt]g ysvö^^vog
icatard^r] sig xägav Bvösßäiv^ dvei^tvcov üg xoXtiov 'Aßgadii
%a.Vl(jadK %ai 'laxaß ^ixä TcdvTCOV xäv d%^ alcovog ivagiöri]-
öävtav xal tioitjöccvtcov ro ^ilri^a avtov, h>&a dn^öga oÖvvt}
aal Xvnri xal öttpay^ög- Lassen wir dieses dahin gestellt, so
ist aus der Anführung der drei Patriarchen schon klar, dass
diese Inschrift einer später« christlichen Zeit angehören muss^
da bekanntlich die frühere bei diesem Gleichniss nur des Abra-
ham gedenkt. Evang. Lucae XVI, 23, 24. Die Veranlassung
zu dieser Ansicht ist aber schon in der Verheissung Evang. Matth.
VllI, 11 : xai dvaakLd'^GovTai (xsvd 'Aßgad^ aal 'löaäx x«t
'la'Acoß ev ry ßaöiXBia täv ovgavcov, woraus die vollständige
Formel entstanden, IV Maccab.XIII, 16 (vgl. Euseb. negl avto-
xgdrogog koyiö^ov Hl, 10): ovrcog ydg na^övrag v^äg 'Aßga-
ccß nai 'löadx. xccl 'laxwß v7iods£,ovTai slg roV^g xölnovg avtcöv.
Wir lassen nun gleich die andere ausführlichere Inschrift
folgen.
O&CTmi NUNAT^NKnACHC
CAPKOCOTON& ANATONKAITAPFH
CACKAITfAiNAzJHNnA&ACIICKZ^
5 HNT0TK0CM0TXAPICACM(:N0C
ANAnATCONTHNWTXHNTHN . . 71
CIN . . . e . < . KOAnOCIAlBPAA]M
6 Inschriften.
KJIICJK[KAI]UK[f\[B]mTi\[0W TINON
^NTf^f^f\[KAO^^(^NTl\l^fA[ANAWV
10 T[\[(cNTAmjPAO/JHriCACKAIANA
MAP TITfAjNnAPA TTO TU APA X0^N
TAAOAN^PrONHKA TA^HANOI
ANANlCAf^^COCAFA&iAlNKAim
AANOCKAICTNXjmPHCONO TIO 2'
15 KOVICTINANwNi\tCZHC(^TAIKAI
XOTKAMAPTlC(^CTrAPMONOC
oecnACHCAMAPTiAceKTocrnA
PXHCJKO CrNHKAIHJHK^ 0 CTNH
CTFAPOIANAnJ TCHCTHNO TAG
K
£0 TAMHP^niCnAXi^PACQrTl
TACOXf\[NXn0 nAXMfPAC
KAIANACTACINKAICOITHN/IO
PANANAM(^nOM^NTii7nPKTfM
T^KT[^AriAi\[nmNTNKA(^H _
25 ^iCTOICOi^NACACTwwl'^NwNz^
TAHTHTHCZwHC^niTHCTHC
HM^PA : 0 : ANA HA TCON 0AP
— N
:A: AnOMAPTV . (^ :
Wag wir davon haben ausmitteln können , besteht in Fol-
gendem :
+ ^ + ß +
'O O'EOg räv Tivsvfidtav xal Ttdörjg
6aQx6g, 6 röv Q^ävarov aazagyr]-
ßag nal tov "Adrjv Ttccr/jöag xal t,co-
5 iqv TOV aoG^ov %aQi,6cc^Bvog,
uvänavöov xriv ipvirjv rrjv Ö[ovX7]v öov]
xokTCoig A[ßQau^]
xal ^löadx [■Kai] 'iax[cö/3]
In den folgenden Zeilen lässt sich wohl manches herausle-
sen, wie z. B Vs. 8 av ta rpcorl , 10 o8ri)»]6ag^ xal dva^ag-
Tijtav, TiQax&ivta oder raQax&BVva, 11 xazd dr] dvoiav ävig
ccq)t6Ecog dya^cov xal (pildvdgcoTiog (oder vielleicht (jptAo:i'0"p(o-
nag). 'Avig statt avzv ist aus JNikaiidros Alex. 419 bereits an-
gemerkt. Auch findet sich diese Form auf einer Inschrift aus
christliclier Zeit, von Rec. raitgetlieilt in der allgcm. Schulzei-
tung 1828 No. 91 S. 746. Von den folgenden Zeilen lässt sich
wieder einiges mit einiger Wahrscheinlichkeit herausbringen.
Letronne: Anaijse crUiquc du recueil d'inscrlptions de M. de Vidua. 7
— xat övyxcoQrjöov o,Tt ov-
15 x tövlv dv&QOJTcav^ ag ^^öbtcci xal
ovK a^ccQT^öH' 6v yccQ ^ovog
6 &s6g, ndörjg d^ccQtiag txtog, vna-
QX^f'9 ÖLTCKLOÖVVJ] Kai t?.E7]fl06VV1] '
6v yccQ bI dvänavöig xiig dovleias
20
xccl dvdöTccGiv xccl 6ol
gav dvcc7iE(i7io^EV ta narsQL xat rw
via xal T(p ccyia TtVBVfiari vvv xal ßfl
25 ilg TOi)g aiävag täv aiavav ....
td trr] t^g ^coj}g 87ii yijg'
'Hfisga : . : dvdnavöov q)ttQiiovQl
: d' : dno (laQtvQcav v&'.
Der Anfang dieser Inschrift ist, wie man sieht, der erstem
kleinern bis auf wenige Veränderungen ganz gleich. Wir be-
schränken uns auf folgende Bemerkungen über dieselbe. Vs.
1. Die bekannte christliche Formel A + Sl bedarf wohl kei-
ner Erklärung. Vs. 2. 3. Tidör^g Gagnog. Wir erinnern hier
an eine im Giornale Arcadico 1821 Tom. XI S. 232 mitgetheilte
Inschrift :
[ET. VERBVM. CARO. FACTVM. EST
Vs. 4. Dass IIAQACMC statt nat^Gag stehe, beweist die andre
Inschrift, auf welcher wir an dieser Stelle xatanaz'^öag finden.
Uebrigens muss wohl die Formel tov'Aiörjv Tcartjöccg auf das
bekannte Hinabsteigen Jesu in die Unterwelt {natdßaöig slg
"Aid7]v) und die dadurch kewirkte Erlösung der noch daselbst
des christlichen Heils bedürftigen Seelen bezogen werden.
Vgl. Münscher'sHandb. der christl. Dogmengeschichte, Th. IV
S. 410 ff. — Vs. 7. Hier muss dieselbe Ergänzung statt finden,
die in der kleinern Inschrift an derselben Stelle anzuwenden
seyn wird. — Vs. 15. In KAI am Ende der Zeile liegt viel-
leicht xal aft, so dass nämlich AI aus falscher Aussprache für
AEI stehe. Dass Vs. 24 dal geschrieben werde A^-H, trägt
nichts aus. — Vs. 18. Die Formel dixaioövvi] xal sleripioövvt}
findet sich Baruch V, 9. Bekannt ist , dass xai als Copula häu-
fig auf späteren Monumenten mittelst eines blossen x ausge-
drückt wird: selten ist diess der Fall bei der blossen Sylbe
xat mitten in einem Worte, wie hier in öixaioövvrj. Ueberse-
hen darf aber nicht werden, dass wo x so viel als xat auf un-
sern Inschriften bedeutet, jener Buchstabe mit einem verlänger-
ten Zuge des untern schrägen Striches dargestellt erscheint.
Dieser konnte freilich vom Abschreiber leicht übersehen wer-
den, und wo wir ein xal in x zu finden glauben , brauchen wir
8 Inschriften.
«ns wohl nicht überall an den Umstand zu binden, dass das k
dieses verlängerten Zuges entbehre , wie vielleicht Vs. 15. —
Vs. 25. So wunderlich und scheinbar verschieden auch unsre
Lesart von der Abschrift zu seyn scheint, so kann doch an der
Richtigkeit der vorgeschlagenen kein Zweifel seyn, die sich
auch bei genauer Analysirung der einzelnen Schriftziige auf
eine ungezwungene Art ergiebt. Die ganze Phrase ist aus dem
alten und neuen Testamente bekannt genug. Was hinter alcövav
folgt, liess sich nicht entziffern. Wahrscheinlich jedoch liegt
darin die Zahl der Jahre verborgen, die der Verstorbene, dem
die Grabschrift gilt, gelebt hatte, so dass dieselbe mit den
folgenden Worten rä errj zu verbinden seyn werden. Darauf
scheint die Angabe desjenigen Tages Vs. 27 gefolgt zu seyn,
an welchem jener gestorben, nämlich nach den christlichen
Wochentagen, die sich in diesem Falle, wie der unsrige ist,
häufig auf späten Inschriften finden. In dem Zeichen, welches
auf rjUEQCi folgt, liegt die Bezeichnung dieses Tages, und wenn
man eine Vermuthung wagen darf, so könnte der Sonntag ge-
meint seyn, indem das abgekürzte ijkiog oder hier vielmehr
i^Uov in seiner Form ^ , wie es Rec. in astronomischen Hand-
schriften oft gefunden und auch schon von Ducange Gloss. Gr.
App S. 16 abgebildet worden, leicht vom Abschreiber verkannt
werden konnte. Die einzige Bemerkung Ilrn. Letronne's über
diese Inschrift betrifft den Schluss , und wir setzen sie hieber,
da sie die wahrscheinlichste Erklärung enthält: „II est difficile
de savoir au juste ce que si;rnifie la ligature, ou la sigle de la
fin; je pense toutefois que c'est un T, auquel il manque le
trait superieur de gauche; dans ce cas, on lira q^ag^ov^l ^^
ccjto ^aQTVQCov T@ „Le 4 Pharmutbi, Tan 409 depuis les mar-
tyrs;'"" ce qui repond ä Tan 692 de notre ere."
Beide Inschriften hält Rec. fiir interessant und einer Avei-
tern Berücksichtigung werth. Sehr wichtig dürften sie für die
Feststellung der Aussprache des Griechischen seyn. So konnte,
um eins nur herauszuheben, TUAPXHC Vs. 17, 18 statt
T7Z^PXß/C geschrieben werden, weil beides in der Aussprache
der damaligen Zeit gleichlautete. Vielleicht würde ferner
auch eine eindringendere Untersuchung in das in denselben
ausgesprochene Dogmatische zur gänzlichen Wiederherstellung
der zweiten Inschrift fuhren und das Ergebniss liefern, dass
wir in derselben das Glaubensbekenntniss einer bestimmten
christlichen Secte vor uns haben.
Bei Wiederherstellung einer in der Kyprischen Salamis ge-
fundenen Inschrift S 26 (Tab. XXIX, 1) sind wir beide wie-
derum bis auf ein einziges Wort zusammengetroffen, und so
scharfsinnig und gelehrt auch die von Letronne aufgebrachte
Lesart 3tQovo)]X£v6avza seyn mag, so scheint sie doch noch ei-
Letronne: Analyse crhique du recueil d'inscriptions de M. dcVIdua. 9
nigen Zweifeln zu unterliegen, und wenn wir einstweilen unsere
Lesart aycsvo^EzsvöKVta festhalten (vgl. diellec. S. 35), so ge-
schieht dicss nicht aus eitler Vorliebe für das Eigene. Auf der
Inschrift, die ein Decret zu Ehren eines uns unbekannten Wohl-
thätcrs von Salamis enthält, werden mehrere Aeniter, die jeuer
bekleidet, und Ehreuprädicatc desselben augeführt, wie dyoga-
vo^r'jöavra. Von dieser Art niuss auch das fragliche Wort seyn.
Nun weist uns H. Letrouue allerdings aus einer von Burckhardt
in Syrien entdeckten Inschrift 7iQovo7]Tal nach und bildet davon
sprachgerecht ein den Wörterbüchern noch unbekanntes Wort
TCQOVoijxevco. Allein in jener Inschrift bedeutet TiQOVorjrrjg ei-
nen mit der Aufsicht oder Fürsorge für einen aufzuführenden
Bau Beauftragten *), also keine ständige Amtswürde, deren Be-
deutung sich unmittelbar aus dem Worte abnehmen Hesse.
W'enn daher das Amt und Geschäft dieser Conimission erwähnt
werden sollte, so musste, wenn sie verständlich werden sollte,
iiothwendig zu 7iQ0V07]T£v6avta ein Zusatz des Gegenstandes
vorhanden seyn, weichen jener Unbekannte befürsorgt hatte.
In der Syrischen Inschrift ersieht man aus dem vorhergehenden
Texte sogleich, was unter TTQOvoyzrjg zu verstehen sey und hier
verlangte niemand einen erklärenden Zusatz.
Die Ergänzung Letronne's S. 28 von Tab. XXX, 3 ist
scharfsinnig, aber zu willkührlich. Daire^en stimmen wir voll-
kommen bei S. 20 in Bezug auf Tab. XXXI, 4. Bei Erklärung
von Tab. XXXII, 1 haben wir beide uns wieder wechselseitig
begegnet: siehe Letr. S. 30 und die Rec. S, 35. Ob der Vor-
name des Julius Cordus, den wir von Letronne abweichend aus-
gemittelt haben, richtig gefunden sey, überlassen wir II. Le-
tronne's eigner Entscheidung. Dasselbe Zusammentreffen fin-
det statt bei Wiederherstellung von Tab XXXIII, 2 (auf Kypros
gefunden), mit Ausnahme einiger Punkte. Die auf Kypros ge-
fundene Inschrift wird von Letronne S. 33 IF. so gelesen:
'/dcpQodlrrj rrj IlatpiK
Fatov Ov^i^LÖLOv TtjQijTLVci **) KovdÖQaTOV,'
*) Die Inschrift lautet nach Letronne in kleiner Schrift: 'j^yn&fj
rv%rj' Tb itoivov rz/g Kcöfir]g kuI xov &iov ttjv ItQuv nalvßrjv tuticsv,
Sia OvXniov KalXiccvov OövJiQavtxov ytal 'A\_ßljaovtov KaXov'iov ßov-
Ibvzov, Kai NiyQtvov Ma^Qivov [nicht vielmehr Ma-nqivov ?J OvCnqa-
rtxov, nQovoTjzcov.
**) So giebt den Namen der Tribus wirklich der Stein statt
TsQSVTtva : es kommt diese Rechtschreibung wohl auf Rechnung des
mit den Namen der Römischen Tribus wenig bekannten Kyprischeu
Steinmetzen.
10 Inschriften.
•COV CCQXlSQSa,
Tov aal IlavTavxiccvdv Fatov
T)jQt]TiVCi
Ov^lXiölov Uavravxov viov,
Xi]öavTOs, Klavöia '/iTtcpagiov
TavxQov &vydr)]Q, i] clgpegna tav
icard KvTtQov ^Jr]pir]TQ6g veäv,
TOV eavtiig vlcotöv, evroiag
Die Inschrift gehörte nach Letronne wahrscheinh'ch als Base
zu einer Statue, welclie in dem Tempel der Paphischen
Venus aiifjestellt gewesen sein soll. Letronne's sonstige Be-
merkungen betreffen fast nur den Namen "'ATKpä.QLOv und sind
ohne Belang. Darum, glauben Mir, wird folgendes um so will-
koramner sein, als wir schon in der Rec. uns eine weitere Erör-
terung der Inschrift vorbehalten hatten. Zuerst setzen wir
das Familienstemma her, so weit sich dieses aus der Inschrift
ergiebt.
Teucer
Claudia Appharion
Gaius ümmidius Pantauclius
Gaius ümmidius Quadratus Tantaucliianus
Glücklicherweise kennen wir die hier genannten beiden Ura-
midier, Vater und Sohn, auch sonst noch aus der Geschich-
te, wodurch es möglich wird, das ungefähre Zeitalter der In-
schrift zu bestimmen. Denn an der Identität der Personen wird
nicht zu zweifeln sein. Erstens finden wir einen JS'umilius Qua-
dratns, anfangs unter den Freunden des Kaiser Iladrian, spä-
ter von ilim verfolg^t, bei Spartian. Hadr. 15, wo aber die rich-
tige Lesart IJmidiiim aus den besten Handschriften erst her-
gestellt werden muss: in der Ausgabe von Schrevelius steht
noch falsch Numilium. Ob man diesen Namen mit einem ein-
fachen oder doppelten m zu schreiben habe, bleibe daliinge-
stellt. Auf unserer Insclirift und auch auf andern ersclieint er
mit doppeltem m: allein die andere Form kann gleicltfalls aus
Inschriften nachgewiesen werden (siehe Reines. Inscr. VIII,
52), während jene jedoch häufiger ist. Vgl. Fea zu Ilorat.
*) Die Ilec. S. 36 tov ocQxtiQicog. Unsere weiteren Abweichungen
sind leQoäv statt vswv (auf dem Steine steht ITESIN), und zov f| avzrjg
(der Stein TONSATTHZ). Nach XAPlN steht auf dem Steine EH,
worin nach H. Letronne auch liegen könne t^[s tis havxriv.']
Letronne: Analyse cntiquedu recuell d'inscriptions de M. deVidua. 11
Serm. I, 1, 95. Dieser Quadralus ist wahrscheinlich derselbe,
welcher als Consul iteruin vom Spartian. vit. Iladrian. 1 ange-
führt wird. Später unter Commodus finden wir einen Quadra-
tns, welcher an der erfolglosen Verschwörung ^(^S^n diesen
Kaiser thätigen Antheil nahm und dabei das Leben einbüsste,
wie Lampridius Commod. 4 erzählt. Vgl. Dio Cass. LXXII, 4
und das. Ueimarus S. 1205. Obgleich nun freilich dieser Qua-
dratus uns in den Stellen, die seiner gedenken, nicht näher
bezeichnet wird, so treffen doch die Zeitverhältnisse zu gut
mit einander zusammen, als dass man nicht mit Casaubonus
geneigt seyn möchte, ihn für den Sohn jenes altern Umidius
Quadratus zu halten. Auf diesen jüngeren Quadratus muss
ferner wohl bezogen werden, was Capitolinus Vit. M. Aurel. 7
anführt, dass er der Schwestersohn des Antoninus Pius gewe-
sen sei : Bonorum malernorum partein Muminio Qi/adrato so-
rorisfilio {qiiia illajam mortua erat) tradidit. Denn dass da-
selbst der Name Mutiwiio unsicher sei, geht schon aus der Les-
art anderer Handschriften Mimimo liervor, woraus schon Ca-
saubonus Ntimidio oder Nnmio machen wollte. Sicher ist
Uinidio (oder Ummidio) zu verbessern. Durch diese Annahme
wird das obige Stemma vervollständigt, indem wir nun die Ael-
tcrn des Jüngern Quadratus näher kennen lernen. Auf diese
vornehme Verwandschaft übrigens scheint sich aucli der Aus-
druck bei Herodian I, 8 zu beziehen: Kodgarov viaviGKOV
evysvovg rivog nal tiXovö'lov. Ob der von Capitolinus Vit. Verl
(gegen das Ende) unter dem Namen Quadratus erwähnte scri-
ptor belli Parthici (vgl. aucli Vulcatii Vit. Avidii Cassü init.)
mit unserra derselbe sei, wagt Ref. nicht zu behaupten ; ja es
scheint eher zu bezweifeln zu sein. Eben so wenig kann be-
stimmt werden, ob der Volumnius Quadratus, an welchen drei
von Fronto geschriebene Briefe vorhanden sind (siehe Fronte
S. 209. 230 ed. Rom.), in den Kreis dieser Untersuchung ge-
liöre. Mai vermuthet, dass man beim Capitolin statt Mum-
mio oder Muninio vielmehr Voliunnio zu lesen habe.
Bei Wiederherstellung der von Rhodos und Chios mitge-
theilten Inschriften ist Rec. mit IL Letronne wiederum sehr
oft zusammengetroffen , was aber hier nicht weiter verglichen
zu werden braucht. Das merkwürdige Decret eines Proconsul,
Chios betreffend, und auch daselbst gefunden (Tab. XXXIX
bei Vidua), hatten wir in der Rec. unberührt gelassen , weil
eine Erklärung desselben auf zu ausführliche Untersuchungen
geführt haben würde. Durch IL Letronne's Bemühungen S.
38 ff. ist jetzt wenigstens eine Uebersicht des Sinns gewährt
worden, bedarf aber noch einer weitern sachlichen und sprach-
lichen Erörterung. Ob ngättuv Vs. 6 die richtige Ergänzung
sei, bezweifelt Rec, und es muss ausserdem bemerkt werden,
12 Inschriften.
dass in Vidiia's Abschrift TOT- H'-^IN steht , nicht TOT.n.
EIN, wie H. Letronne angiebt.
11. Letronne hat liier und da seiner Analyse einige Inschrif-
ten eingewebt, deren Mittlieilung er gelelirten Freunden ver-
dankt, und welche zum Theil ganz unbekannt bis jetzt waren.
Wir glauben sie unsern Lesern nicht entziehen zu dürfen, da
vorliegende Schrift wohl nicht allgemein verbreitet werden
dürfte.
S. 23. Zu Suedie, einem Dorfe der Tranchonitis, gefun-
den, und zwar an der Thür eines grossen ehemals mit Arcaden
versehenen Gebäudes.
ETOTER KTPIOTJTTOKPATOPOC
TnATEXONTOEIOTAIOV
HA TOPNEINO THIOAIETOKTIEM/iE TNEPFAETH -
PIOIEKAIUANTIKOEMSl . . .
EniEKOnO TNTi/d NBO VAETTpq iVcP TAHLAITAIH-
NjAlN
nPONOIAKTPIOTKTIUTOVJIONTZOT
Nach Letronne's wahrscheinlicher Ergänzung:
"Etovg E[v8sycatov rov]KVQiov avtoxgatoQOg laaiöagog]
[M. AvQ. 'Avrcovivov öißaörov, dvQ^]v7taT£vovrog 'lovUov
2JccTOQV8Lvov^ '^ Tcohg To üTiöfia 6vv aQyaöri^QLOig aal
Ttavrl aoößcp '
Itclökotcovvtcov ßovXevTcöv (pvlrig Altair^vcSv,
TCQOVola XVQLOV aQttTLÖtOV ^LOVVGioV [VTCatLHOv].
Die Inschrift sammt der Erbauung des Gebäudes fällt dem-
nach ins. J. 171 nach Chr. — S. 24. Gefunden zu Kanouat,
einem in der Nähe von Soueida gelegenen Dorfe, an einem Am-
phitheater.
ArAQHTTXHMAPKOTAUIOCATClACIKATPOV
nPOEJPO
CE0IAOTIMHCAI. . OlHrATKT. TATHUATPUI. . .
.... Tf\[N. zllMNElCTOKTICMATOIOEAP©ElAOTCf\[
^EIO rz/ . . . . AMAMVPIAXME TITXj^ CKAIKAAjaI C
Nach Letronne:
'Jyaxtrj tvxv ' MccQxog Ov^jiiog Av6lag UxavQov (*?) tcqos-
ägo ^ , , ,
S IqpiAorifuföaTO tfj yXvyivxatxi natQiSi [ccvriXca]
\j5ag zk] xäv idlav sig ro nviöncc xov dsatQOBidyg oj-
ÖELOV drjvccQLtt fivQLtt XM , EVTVxd^S J*«'' üDcXcSg.
Merkwürdig ist hier, wie auch Letronne bemerkt, die Be-
nennung eines Amphitheaters durch den Ausdruck adelov ^sa-
Letronne: Analyse critique du recueil d'inscriptlons de M. deVidaa. 13
TQOBidig. Uebrigens befindet sich über dieser Inschrift noch
folgende andere :
nOATKlOCKOTAPIElNOCTOr . . . JQAONKAITAC..,^
nach Letronne so zu lesen: Tloßhog Avxiog (statt Aavxiog
oder Aovxiog) Kovagcslvog rd rcivradlov xal rag ka^Tiadrjfpo-
Qiag VLxrjöag. Letztere Ergänzung dürfte wolil etwas gewagt
erscheinen ; auch Hess sich im Anfang leicht Uokvßiog in
JIOATKIOC finden. Bei dem darauf folgenden Eigennamen,
der in der That sehr auffallend ist, fiel uns ein, ob er nicht
falsch gelesen sei statt 0TATEIPHNOC. Jedoch ^väre es zu
kVihn., diese Lesart geltend machen zu wollen. — Endlich am
Schluss der Analyse finden wir als neue Zugabe noch folgende
auf Araorgos gefundene Inschrift mitgetheilt, S. 45:
MEIAHUISiN T£iN AMOPIONAiriAAHN KATOI-
KOTN
TSiN Ez10!b;EN APXOTZIBOTAH^HMSirNSiMH-
ZTPA
THrSiNKAIJEKAniSlTSlNEXONT. . . . EXAITHN
nPTTAN. . . H... SOTUr . ISJILHrHEAMENOTTa WH
5 0II:MA "A..1....0 T2JTPA TSlNOZEniWHQIUA
MENOT zIErAzJHNOTTOVnAPAMONOTEn . . .
KATA TON NOMON . . EnEIAFA&SlN ....
XOTANHPNEOU THHAIKIA JUTE . . . .
nPSlTHNKAI EN^OSOTATHNE ....
10 HMP.NAPXHNjAjIJKAinAPAzJTNA ....
@HN AIATTSinEPITOTTOTT ....
ENKAIEnEIKElA2JnAi:iA , , - ,
ZTEIMHT
rn .
Nach Letronne:
MBiXrjGicov rc5v 'A^OQyov AiyidXfjv xaroiTCovv-
rcov ado^Bv aQxovöt, ßovh], örjua, yvcofirj ötqu-
trjycov xal ÖBzccjigcorav, f;f67;T[töV tJs aal xiqv
7iQvtav[Lii\Tq[v^ i]lov6[ia]v, [e]L6r]yrjöa^Bvov rd ip^-
(piöfia nalxQoxXjov (?) Uzgazcövog- S7ci,7ljr]q)i,aa-
^Bvov da FaXrjvov tov Uagafiovov £;r[t TidOi]
natu tbv vö^iov, 'Enal 'AyccQ^oov ....
XOVt dvrjg väog rt] rj^ima dcd rs [ri^v] . . ,
stQcSzrjv aal avdo^otdtijv x. t. A.
Friedrich Osann.
14 Griechische Litteratur.
Griechische Litteratur.
Alcaei Mytilenaei Reliquiae. Collegit et annotatione in-
struxit Aug. Matthiae. Praeniissa est epistula ad V. Magnif. C.
G. L. Groäsmannuiu. Lipsiae 1827. Suiutibus Chr. Gull. Vugelii.
X und 78 S. 8.
J-ij der Einleitung de Alcaei vita et carminibus hat der Hr. Vf.
sich sehr kurz gefasst. IVIanche Punkte sind kaum berührt,
andre ganz übergangen, die einer sorgfältigen Erörterung wohl
werth wären. Darüber mit ihm rechten zu wollen würde abge-
schmackt seyn. Wenn ein Mann von so grossen Verdiensten
wie Hr. Matthiä in einer neuen Schrift, die wir zumal als
eine nicht sorgfältig vollendete Nebenarbeit betrachten müssen,
so viel nützliches und gutes leistet, als hier geschehen ist, so
hat der Reo. als solcher nur zu zeigen, was die Freunde der
Litteratur demselben von neuem schuldig geworden sind, und
die Kritik verwandelt sich auständigerweise in eine blosse Fort-
setzung der Arbeit.
Die Verhältnisse zwischen Alkäos und seinem Bruder An-
tiraenidas mit den Geschlechtern oder einem Theil derselben
und Pittakos mit den Bürgern, welche den wichtigsten Punkt
in der uns bekannten Geschichte von Mitylene ausmachen, sind
jetzo nach der Analogie andrer Griechischen Staaten im Allge-
meinen klar. Indessen reichen die von verschiedenen Seiten
über diesen Punkt gemachten Bemerkungen, wie Rec. glaubt,
nicht hin, um die wenigen Aeusserungen der alten Schriftstel-
ler in ihren wahren Zusammenhang zu bringen und sie selbst
hiernach zum Theil zu berichtigen. Hierüber werden wir da-
. her zuvörderst unsre Ansicht kürzlich auseinander setzen. Aus
Aristoteles, nach einer Stelle des Dichters selbst, undausTheo-
phrast bei Dionysios steht fest, dass der Demos oder die ÄcAig
in Vollzahl (ao/lAifg) den Pittakos, welcher schon früher in dem
Krieg mit den Athenern um Sigeura Heerführer der Mitylener
gewesen war, zum Aesymneten gemacht oder zum Tyrannos
(gesetzlich^ erwählt hatte gegen die Ausgewanderten mit Anti-
menidas und Alkäos an der Spitze, d. i. gegen die vertriebene
Adelspartliey. Bei der Kürze des Berichts kann der Ausdruck
jrpög Toug (pvya^as »icht gerade beweisen, dass das Volk sich
den Aesymneten erst gegeben habe, als der Adel schon ver-
trieben war: doch ist auch nicht an sich unglaublich oder un-
wahrscheinlich, dass im ersten Aufstand, welcher den Adel zu
weichen nöthigte, das Volk nur in Masse wirkte, und sich das
Haupt erst wählte, um sich im Besitz der genommenen Rechte
und Güter zu behaupten, indem von der verjagten Faction Au-
Alcaei ATytilcnaei Reliquiac. Edid. Matthiae. 15
griffe vorauszusehen waren. Die Aesymnetenwürde des Pitta-
kos hat schon Tittmann in den Griech. Staatsverfassungen
S. 442 richtig beurtheilt. Er denkt sie sich nemlich als aus
demokratischem Sinn hervorgegangen, da Pittakos von den
Bürgern oder dem Volk erwählt worden zum Kampf gegen die
Vertriebenen, als oligarchisch Gesinnte, und da er selbst aus
Thrazien, einem verachteten Lande, gewesen sey. Noch deut-
licher verräth sich das Verhältniss des Pittakos zur Gegenpar-
they durcli eines der Schimpfworte des Alkäos , w elcher ihn
^OifodoQTiidag nannte (fr. 6), nach der richtigen Auslegung des
Piutarch cog ddüt,ois td TCoXXd not (pavKoig rjöo^^vov övfiTCo^
TKig. Denn aaxoTtatQLgy wie er ihn auch schilt (fr. 5), bezeich-
nete vielleicht in Lesbos wegen einer Nachwirkung alter gynä-
kokratischer Verhältnisse, wovon wir auch bey der Sappha
eine Spur fanden (Jahrbücher Th. 6 S. 405), nicht so wie an-
derwärts allein und geradezu den Plebejer, sondern auch eine
Klasse von Vornehmen zweifelhafter Art, nemlich diejenigen,
welche sich in altadiiche Geschlechter eingeheyrathet hatten.
Pittakos war nach Duris bey Diogenes der Sohn eines Thrakers,
eines Thrakers, wie Suidas sagt, und einer Lesbischen Mutter,
vlog Ka'CHOv zal 'TgQadiov &Qax6g, also vielleicht Abkömmling
eines Thrakischen Stammvaters aus älterer Zeit, Kaikos, und
unmittelbar des Flyrrax, welcher darum nicht weniger selbst
Thraker genannt werden konnte, und hatte zur Frau dieSchwe-
ster desDrakon aus dem altfürstlichen Mitylenischen Geschlech-
te der Penthiliden, welches wegen 3Iisbrauchs der Gewalt von
Megakles und seinen Freunden unterdrückt worden war (Arist.
Pol. V, 8, 13 ed. Schneid.). Ein Epigramm des Kallimachos
lässt ihn selbst gegen ungleiche Heyrathen der Art sich erklä-
ren. Der Kampf zwischen ihm und den Gegnern kann gar
wohl (was Plehn bezweifelt) zehn Jahre, wie Diogenes sagt,
gedauert haben, obgleich wir nicht wissen, weder wohin die
Ausgewanderten sich geworfen , noch mit welchen Mitteln und
Bundesgenossen sie den Krieg geführt, noch auch, ob sie nicht
auch nach siegreich bewerkstelligter Rückkehr noch lange Zeit
hindurch die Fortdauer der Aesymnetie im Demos nöthig ge-
macht haben. Strabon sagt von Pittakos: slg x^v tc5v dvva-
0TBLCOV 'natälvGiv l%Qy]6axo rrj ^ovag^ia , nicht bloss also zu
blutigen Kämpfen, und hiermit stimmt der Ausdruck des Dioge-
nes wohl überein: 6 8& öexu ety} Karaöiav {t)]V dgi^jv) aal slg
Ta^LV dyaycov x6 noltxsv^a accxidato xi]V dgx^v aal dexa STts-
ßia akla. Dless anzunehmen ist auch Müller im Rheinischen
Museum I, 291 geneigt, indem er bemerkt, dassPittakosOlymp.
4t, 3 Aesymnet geworden sey und seine Würde Ol. 50, 1 nie-
dergelegt habe, worauf er Ol. 52, 3 starb. In dem Mahlweiber-
liedchen heisst Pittakos ^nyälag Mixvliqvag ßaödEvcov. Eine
neue Verfassung gab er nicht, aber Gesetze. Aristot. Pol. II,
16 Griechische Litteratur.
9, 9. Vgl. Plehn Lesbiac. p 88. Durch die Stellung des Pitta-
kos erleidet die Bestimmung, welche der Aesymnetie von
Wachsmuth Th. ] S. 280 gegeben wird, dass sie als giitli-
che Verniittlungsart von Seiten des herrschenden Standes aus-
gegangen sey, eine grosse Ausnahme.
INicht eben so deutlich sind andre Verhältnisse sowohl des
Dichters als des Pittakos zu andern Personen bey Diogenes und
Strabon. Wenn jener von Pittakos sagt: ovtog ^etk xav
'AXjicdov ysvö^Bvog dd£lg)(3v MikayxQov xa^Ells, tot' trjg Ae<3-
ßov rvgai'vov, so müssen wir aus den Worten des Alkäos selbst
fr. 7, MilayiQog aldcög ä^iog eig nökiv, schliessen, dass Me-
lanchros zu A^n Freunden des Alkäos gehörte (wesshalb auch
die zu fr. 0 angeführte Aenderung des Simson bey Strabon
MhyaKayvQcp in MEldy^ga sehr oberflächlich war). Es ist
aber nicht wahrscheinlich, dass des Alkäos Brikler, die mit
ihm den Pittakos bekämpften, ein andermal auf Seiten des Pit-
takos gegen einen Freund ihi'es Bruders gestanden haben soll-
ten. Und Melanchros, welchen Alkäos ehrt, muss doch zu den
Oligarchen gehört haben , welchen gerade die Parthey des
Pittakos, die auch die Brüder des Alkäos verfolgte, entgegen-
gesetzt war. Der Zeitangabe bei Suidas v. ÜLttaiidg, dass Me-
lanchros Ol. 42 von Pittakos getödtet worden sey, wagen wir
nicht zu trauen, da diese Olympiade, als die, wodurch dieBlü-
the des Pittakos bezeichnet wurde, wie wir aus Diogenes I, 70
sehn, bloss zur ungefähren Zeitbestimmung, wie oft gesche-
hen , beygefügt worden seyn kann. (Was bey Suidas vorher-
geht aarcc rijv 'OX.kß stimmt, auch von der Geburt verstanden,
nicht mit andern Angaben uberein.) Aber es ist sich auch
nicht zu verlassen auf Diogenes. Suidas hat nur: MsXayiQOV
xov rvgavvov Mitvl^vTjg dvells. Vielleicht ist die Sache von
ausziehenden Compilatoren ganz entstellt, und sind die Brüder
des Alkäos hier nicht an ihrem Ort. J. G. Schneider war
geneigt zu glauben, dass wir ,,alle die Unordnung und den völ-
ligen Mangel des Zusammenhangs, welcher so durchaus in der
Sammlung des Diogenes herrscht," einem abkürzenden Gram-
matiker zuschreiben sollten. S. Wolfs Analekt. St. 3 S. 247,
wo er gerade die Geschichte von Pittakos und Alkäos behan-
delt. Melanchros , der Freund des Alkäos , welchen Pittakos,
der Volksfreund, tödet, wird auf jeden Fall zu denken seyn
als ein Haupt der Optimaten, es sey als ein gewähltes, wie Ari-
stoteles Pol. V, 8, 3 sagt, dass dieOligarchieen Eva rivd üvqlov
STCi tag [lEylörag dg^dg erhoben, oder nicht, wie denn auch die
Oligarchie oft in Tyrannis übergieng (ib. V, 10, 4) oder sich
damit verband, wie in Euböa (Tittmann S. 405), in Rhodos
(Athen. X p. 444 s.). Will man aber diesen Zweifel gegen
Diogenes auf sich beruhen lassen, so wird man wohl thun, den
Alkäos selbst auch früher als einen Gegner des Melanchros
Alcaei Mytilenaei ReÜ^uIae. Edid. Matthiac. 17
und also zu der Zeit mit Pittakos , unter welchem er ja auch
hey Sigeon gefochten hatte, in dieser Beziehung übereinstim-
mend zu denken , so dass er den Melanchros erst in späterer
Zeit und ges^^n einen andern, etwa den Pittakos, aus gemeinem
Blute, gehalten, einen ehrfurchtsvverthen genannt hätte.
Wichtiger ist für uns die Stelle des Strabon XIII p. 617,
die wir ganz hersetzen müssen. 'EtvQavvr^Q^T] öl rj nökig aatä
rovg XQOvovs tovrovgvTtd nKuövav ötd ras Öi%o6t<x6iag' 'aal
To. öTaöLorLxa xalov^iEva xov ^Jl'uaiov nov^iiaxa mQi xovtav
IötIv av ÖE TOtg tvQccvvoig Kai 6 Uitraiidg kyevBro. ^AX^alog
lilv ovv o^oicog eXoidoQBito aal Tovza aal rolg aKloig^ MvqöL-
Ka xat MsyaXayvQcp xal Tolg KXEavaxtLdatg xal aXkoig tiöiv,
ovo' avTog xa&aQevav tcjv tolovtcov vsojrsQiößäv. Uittaxog
d' üg luv TYiv rcov öwaörsiav xarälvötv liQiqöato xy ^lovag-
lia, xai avxog xaxakvöag df aTtsdaxexrjV avxovoniav xf}%oKeL,
Die luterpunction eygrjöaxo xij (lovagxta xal avxog • xaxaXvöag
ÖS ccTtsdaxB, veranlasst durch die unbequeme Stellung des de,
haben wir abgeändert, da nach ihr xal avxog sich auf nichts
bezieht, während es dem Folgenden seinen rechten Nachdruck
giebt. Einen nennt noch fr. 70 neben dem Pittakos, den l)en-
iiomenes. Die Kleanaktiden dürfen nicht, wie in den Götting.
Anzeigen 1828 S. 32 vorgeschlagen wurde, wegen fr. 94 mit
Archäanaktiden, den Gründern von Sigeon, vertauscht werden,
schon darum nicht, weil die Aenderung jtsQl 'Jg^aiavaHXid <äv
in der dort angef. Stelle nicht angeht, Bey dem Bericht des
Strabon im Ganzen kommt es darauf an, zwischen Pittakos und
den andern bestimmter zu unterscheiden, als er in den Worten
evös xoig xvgävvoig xal 6 ÜLXxaxög eyivsxo gethan hat, obwohl
in den darauf folgenden (oftoicog sIolöoqsIxo) dessen Sache und
die der andern als eine ganz verschiedene richtig bezeichnet zu
seyn scheint. Aufklärung giebt uns Heraklides (s. fr. 2), wel-
cher von tyrannischen Gewalten [xvQavvixalg s^ovölaig) u. von
Myrsilos spricht, welche der Dichter unter dem Bilde von Stur-
mesnoth verstehe. MvgöUog yccQ 6 d^loviisvög Iöxl xal xv-
Qavvfurj xaxd MLXvXrjvalcov aysiQOnsvrj Gvöxaötg. Diese 6v-
6xa6ig ist nicht status tyrannicus^ sondern coitio^ und dass He-
raklides unter Tyrannen in Mehrzahl nur die vereinte Parthey
verstehe, während der eigentliche Tyrann immer monarchisch
ist, wird noch deutlicher durch die folgenden Worte (fr. 3),
wo er ein ähnliches Bild von herandringenden Wellen aus einer
andern Ode auf denselben Myrsilos mit seinen Freunden be-
zieht; denn er sagt: xd TcXalöxa xäv did xovg xvq dvvovg
Inaiövxcov xaxäv Tcskaycoig xaiiiäöiv alxaQBi. Ist es nun nicht
natürlich, dass wir unter diesen Tyrannen, den Freunden des
Myrsilos, eben die verstehen, welche Strabon nennt, Megala-
gyros und die Kleanaktiden und die einigen andern? Streng ge-
nommen reicht schon der blosse Plural Kleanaktiden zu dieser
Jalnb. f. Fhil. u. Fädag, Jahre. V lieJt 1. 2
18 Griechische Litteratur.
Erklärung hin: und wir sind daher nicht berechtigt in den
Worten STVQavv'i]&r] r] TiöXig vno TiXHovovvaehx als diebeyden,
Pittakos für sich und Myrsilos nebst Parthey, zu verstehen.
Dass Myrsilos an der Spitze gestanden habe und eigentlich Ty-
rannos gewesen sey, bestätigt uns das Wort, welches Pittakos
zu ihm gerade gesagt haben soll (Plutarch, Sept. Sap. conviv. 2 ;
Plehn in den Lesbiacis hat die Stelle nicht einmal angeführt):
von den wilden Thieren sey der Tyrannos , von den zahmen
der Schmeichler das schlimmste: und gewissermassen auch das
Triumphlied, welches Alkäos (fr. 4) iiber seinen Tod anstimmt.
Dieser Myrsilos muss zum Adel gehört haben, da die vom Volk
ausgehende Tyrannis sich nicht auf Verbündele stützte; und
auf ihn kann man bey der oben gemachte» Voraussetzung, dass
unter dem Adel selbst Trennungen bestanden haben, indem die
Brüder des Alkäos in dem Melanchros einen andern Optiraaten
als Tyrann unterdrücken halfen , sich mit Grund berufen. Mit
einer Faction der unter sich zerfallnen Vornehmen konnte aber
auch das Volk sich verbünden: es konnte diess auch einen ein-
zelnen Unzufriedenen aus der entzweyten Klasse sich zum An-
führer nehmen. Hiervon giebt ein Beyspiel ab , was Aristote-
les Pol. V, 5, 3 von Knidos erzählt. Der Ausdruck Tyrann in
weiterem Sinn darf uns nicht befremden. Vermutblich hatte
Alkäos selbst , so wie er fr. 5 den Aesymneten Pittakos, dessen
Wahl er dem Volk zum Vorwurf macht, unwillig rvQavvoii
nennt, auch von der Parthey des Myrsilos diesen gehässigen
Namen gebraucht, und ihn also das eine Epigramm auf die neun
Lyriker, welches überhaupt in des Dichters Partheyansicht ganz
eingeht, aus der Quelle selbst beybehalten:
xkI ^Icpog '^Ajcat'oio, rd itoXlaKig ai/ia tvQavvcov
iöTLBiöw , ndzQTjg &86^La qvo^evov.
Worin wir beyläufig auch auf die wiederholten blutigen Fehden
achten. Spätere Schriftsteller pflanzten dann den einmal von
den Vorgängern aufgenommenen Ausdruck fort, und setzen bey
noch grösserer Kürze die Sache noch mehr einem gänzlichem
Missverständniss aus. So, um von den ungelehrten Scholiasten
des Iloratius nichts zu sagen, Quinctilian, indem er sagt: ty-
ranjios insectatus est, wie man von Ilipponax oder dem Elea-
ten Zenon u. einigen andern Philosoplien mitllecbt sagen würde.
Auch der Ausdruck Neuerung von Alkäos, ovd' avxog aa&a'
QBvoT) tav tOLOVxcov vscoTSQLö iiav -, aufweichen Plehn p.
48 viel zuviel Gewicht legt, ist von Strabon übel gewählt und
nicht im eigentlichsten Sinn als rerum nuvahdarum Studium zu
verstellen , welcbes von den Bestrebungen der aristokratischen
Klasse zur Aufrechthaltung oder selbst zur Erweiterung ihrer
Reciite u. Ansprüche weniger gesagt wird. Strabon Iiatte ohne
Zweifeiden aus Aristoteles bekannten Umstand im Auge, dass
Alcael Mytllenaei Rellquiac. Edid. Matthiap. 19
Alkäos mit seinem Bruder an der Spitze des Adels stand, des-
sen Saclie er vermuthlich gerade gegen neue, wenn auch in der
Billigkeit noch so sehr begründete Forderungen des Volks ver-
focht, nahm aber die Saclie nicht genau nach ihrer Individualität.
Diese ganze Auseinandersetzung war nöthig, um den ein-
zigen Ausdruck zu berichtigen, welchen Herr Matthiä gleich
Eingangs gebraucht, dass Myrsilos, Megalagyros, die Klea-
naktiden, woiVir er aus Versehen schreibt Kleanaktidas, als
Tyrannen der Reibe nach {deiuceps) von Mitylene durch Alkäos
bekämpft Avorden seyen. Aber dieselbe Ansicht ist aus Strabon
auch übergegangen in die schon erwähnten scliätzbaren Schrif-
ten von Tittmann und von Plehn (Lesb. p. 46. 48. 92.),
Aviewohl dieser, indem er p. 171 „den Myrsilos, Megalagyros
und andre'' als Tyraimen um die 44te Olympiade setzt, fast
mit sich in Widerspruch gcrathen zu seyn scheint, da eine
ganze Reihe eigentlicher Tyrannen nicht auf einen solchen Zeit-
punkt beschränkt werden kann, sondern einen längeren Zeit-
raum erfordert. Nach derselben Ansicht äussert sicJi auch O.
Müller in dem schon erwähnten Aufsatz: ,, Mitylene war im-
merfort in Parthey en getheilt, aus deren Häuptern Tyrannen
wurden, wie Myrsilos, Megalagyros und die Kieanaktiden"
(und einige andre). Demnach stellt er eine Vermuthung über
die Zeit auf , wo einer von den Genannten, Myrsilos, Tyrann
geworden sey, wobey indess eine Verwechselung mit Pittakos,
als dem Ueberwinder des Phrynon, vorgegangen ist.
Die bekannte Grossmuth des Pittakos p. 2 not. 6' ist aucli
Ton Diodor erwähnt in den Excerpt. 1. VII — XI, in des Majo
Auctorum vet. nova coli. T. II p. 19: "Ort zal tov 7ton]rrjv ^Ak-
Kalov ax&QÖtarov avrov yEysvrjf-iävov vmI dcä rcov TioLy^iiatav
utiXQOtccTa IsXoiöoQtjüOTu kaßcov vTCoxsiQLOV dtpriKSV inLcp^Ey-
^d^Bvog cog övyyva^rj ti^ioiglag aiQEtcorsQa.
Als Quelle, woraus unsre Nachrichten über Alkäos geflos-
sen sind, ist ausser Aristoxenos, der p. 2 erwähnt wird, Ari-
stoteles tieqI 7C0iy]xav zu bemerken, aus dessen drittem Buch
Diogenes II, 4fJ die Fehde des Alkäos und Antimenidas gegen
Pittakos anführt.
Nicht erwähnt findet sich, dass Meleager Epigramme von
Alkäos in seinen Kranz aufgenommen hatte, 'Akzalov ts XdXrj-
&QOV Iv v^uvoTtoloig vuKiv&ov, wesshalb dieser auch im Ver-
zeichniss der Epigrammendichter bey Fabricius Vol. 4 aufge-
führt ist. Was den Kuustciiarakter des Dichters betrilft, so
ist noch zu bemerken die Aeusseruiig des Aristophanes Thesm.
161 über Ibykos , Anakreon and Alkäos , uQ^oviav lyv^iiGav,
i^LTQO^oQovv TS nal Ölex^cow' 'Io3i'LX(og , welchc drey dort
Aristophanes den Agathon wegen der Knabenliebe zusammen-
fassen lässt, obgleich der Ausdruck sich an die siimebezau-
bernde Darstellung und Musik hält. Des Ausdrucks disxkävt'
20 Griechische Litteratur.
*lG}VLXc5g sollte man sich erinnern bey Erklärung der Anaklasis
im loiüsclieii Vers, mit der Bemerkung des Triclia p. 38: dva-
oilaasva dl — tcuq' oöov 6 iv xoig rotot^rotg Qv%p.og dva^Xä-
xai TCQog to %avvov aal ^aKay,6v. Das Scholion zu dieser Stelle
unter den von Bekker aus dem Cod. llav. herausgegebenen zu
dieser Komödie ist zu wichtig, besonders auch durch den Än-
theil des Didtjmos ander Kritik des Alkäos, welchen wir dar-
aus zuerst ersehen, um es nicht ganz herzusetzen: 'Ev ivioig
Ö£ ^A%ai6q ykyQamai, nal xd TtakaiövsQa dvxiyqacpa ovxoag
SL^Bv. 'jQi(3toq)dvrjg ds iöxLV 6 ^EtaygdilJag 'yHaalog' mgl yaQ
yiakaiäv sötlv 6 Aoyog, 6 Öe ^Aiaiog vi^coxsQog. x6 Ö£ X^yö^evov
V7c6 zliöv^ov jiQog ylQiötofpdvrjv^ ort ov Övraxai ^AX^alov ^vrj-
[loVEveLV {ov yuQ E7Ce7tuXat,s, q^rjöl, xd 'Jkxaiov Öid xi]V ÖLaks-
scToi'), k£k}]Qr]xcci dvtiüQvg. xai Iv xco tcqo xovxov Öga^axL xoig
"OgvLöi (14 iO. fr. 53) naQcöörixat x6 ^^ogvi^eg xtveg de conea-
vcp xd öd TtXEQa^'' ovtcog „ogvi^eg xivsg ot ovÖlv f;^ov." Jtal kv
jL^fprj^iV (1227. fr. 14) ,,cjv^9 oürog 6 ^aio^isvog x6 [leya kqu-
zog.'"'' dlkaxov ds 6 zJidv^ög cpriGiv, rj ^ev yQa.(prj övvaxai ^iv
iivccif ovz dv Ö£ xovxov XOV ^IskOTtOLOV ^£^7Jrjxai, TidXiv x6
avxo Isyav ort ovx BnB7i6kai,s xd ^slrj^ [dXX\ wie wir zusetzen]
'Akuaiov xqv oct^agadov , ov ■aal Evnohg Iv XgvGcß Fsvel ^ik-
^VTjxai „ü3 'Axate iJtnEhcoxa nslonovvi'jöLS.^^ xL ös svxavd'a xi-
^UQcpdov , negl jioltjxov ovxog xov Köyov, Inder Stelle des
Quiuctilian zieht Herr M. mit Recht die Lesart zweier Hand-
schriften sed et lusit et vor, für welche sich auch Geel in der
Biblioth. Grit, nova III, 27ß (gegen Sarpe und Frotscher)
erklärt. Die Einwendung von Butt manu in den Add. wegen
des terap. praeter, ist gering.
Es werden citirt das erste Buch fr. 20, 22, 7J>, 81 , das 2te
fr. 80, 96, das 3te fr. 15, das 4te fr, 78, das 7te fr. 76, das
9te fr. 40, 80, und das lOte fr. 35: aber nicht wird ausdrück-
lich erwälint, ob nur zelui Bücher gebildet worden sind. Eine
ähnliche Anordnung wie bey den Liedern der Sappho nach
Versmassen fand wenigstens vorn herein nicht statt. Die erste
Ode des ersten Buchs war Alkäisch, die zweyte Sapphisch, wie
wir aus Ilephästion jr. Ttonmäxav 7 und seinem Scliol. p. 121
Gaisf. sehen; jene (fr. 20) einen Hymnus auf ApoUon, diese
(fr. 22) einen auf Hermes enthaltend. Alkäisch ist aucli fr. 81 6,
wenn diess sicher zum ersten Buch gehört. Aus demselben Buch
aber auch der sechzehnsylbige Choriarab fr, 70, und der Askle-
piadeische fr. 81. Strophisch sind auch die übrigen Fragmente
von Hymnen n. 24, 25, 54, vielleicht 71. Clioriamben kommen
vor aus B. 1, 7, 10; keine dagegen wo B. 2, 4, 0 citirt ist. Aber
was beweisen diese wenigen Beyspiele? Auch die Stelle des
Ilephästion thqI öTjpaicov p. 133 s., welche die Vereinigung ver-
schiedener Sylbenmaasse in demselben Buch bezeugt, entschei-
det doch nicht, ob diese gerade in allen statt gefunden habe
Alcaei Mytilenaci Reliquiao. Edld. Mattlilae. 21
In dieser Stelle ist übrigens auch das merkwürdig, dass Hcphä-
stion die nach der Aristophanischen Ausgabe erschienene y\ri-
starchische rrjv vvv nennt. Kai ^ähörcc ftwO^fv 6 dötsgiöxog
ttd^Eö&ai Bccv iTBQO^BXQOv 7] To ccößcz To st,ijg ' 6 Kai ^lällov inl
Tt5v TCOLrjficctcov räv ^ovoörgocpcxäv ytvttat, I^aTicpovg ts xal
'AvaxQSOvTog aal 'AlKaiov STtl Öh räv 'Al%aiov lÖlcjg xaxd filv
t^v'AQLÖtOq) 'VBIOV BKÖOÖiV döTBQiÖKOg BJll BTBQOllBTQiag ftl'O'STO
fi6v7]g ' xatd Öh xrjv vvv t))v 'AQtötagxBlov Kai btcI Ttoiri^iatav
fiBraßoXijg. Eine Lesart von Aristophanes ausser der eben er-
wähnten Emendation kommt fr. 59 vor; diese zwar zunächst aus
einer Abhandlunj^ tieqI rrjg divv^BV7]g öJCvrßA?;?, wo er gewalt-
sam, wie es scheint, iBicdg in xikvg verwandelte und dabey der
Auslegung des Dikäarchos widersprach. Diese Stelle so wie
Athen. XI p. 479 rf ist p. 5 beizufügen, wo Dikäarchs Schrift
TtBQL 'Akxaiov angeführt ist.
Ilr. Matthiä hat abgetheüt: 1) zfixodraöiaöriKa >cal tcoXb-
(iiHd fr. 1 — 10, wozu er nachher mit ilecht auch fr. VJ u. J)4 6
rechnet. Dass fr. 8 (mit 67) dahin gehöre, worin der Dichter
von der That seines Bruders im Babylonischen Dienst spricht,
ist dagegen sehr ungewiss, und fr. 4 konnte auch zu den Trink-
liedern gesetzt werden, obgleich der Inhalt patriotisch ist, so
wie fr. 5 zu diesen bestimmt gehört, da es nach Aristoteles bv
rivi rmv öxohcöv [ibIcov stand. Der kdßga^ fr. 61, welcher
^BXBCOQog schwimmt, extans supra suminas aquas, vel suspensus
et erectus animo insidias undique cavens, diente wahrscheinlich
auch zum Bilde politischer Lage und Haltung. Dann folgen
2y'T(iV0L fr. 17 — 26, wovon Rec. fr. 26 abzieht, und dafür
fr. 71 beyfügt , so wie Hr. Matthiä selbst weiter unten fr. 54
und 55- 3) UvßTtoöiaad fr. 27 — 29, denen, wie schon be-
merkt, fr. 4 und 5 beyzuzählen. Auch ziehen wir dahin fr. 26
mit 49, 50, 59, 60 und zwar als Skolien. Von Skolien des Al-
käos spricht Aristophanes Athen. XV p. 694 a: 'Atöov dr] ^oc
Gxohöv Ti, Xttßav 'Akxaiov %dva%QBOVxog. Doch ist diess nicht
nothwendig, obwohl es Athenäus so nimmt, allein von eigent-
lichen Skolien zu verstehn, sondern auch von den Liedern über-
haupt, wenn sie gleich denen des Simonides oder Aeschylus
(Nub. 1356) zum Wein gesungen wurden. 4) 'Egcoxixd fr. 40
bis 43, wozu noch fr. 37 gehört, auch fr. 69, wenn glcicii
diess nicht eigene Liebe enthielt, sondern den liebekranken
Sinn eines jungen Mädchens aussprach, es sey nun nach eigner
Erfindung, wie wahrscheinlich manche Liebeslieder von Alkman
für oder im Namen von Jungfrauen gedichtet waren, oder auch
als Nacliahmung eines Volkslieds. 5) Fragmenta iucertae se-
dis 44 — 94, obwohl die andern auch nicht alle certae sedis
sind. 6) Singula vocabula fr. 95 — 120, wozu eigentlich fr. 98,
Ö9, 105, 113, 114 nicht gehören. Die Zahl ist nicht ganz ge-
22 Griechische Litteratur.
nau, da fr. S, 15, 286, 59, 76, 81 und nach des Rec. Erklärung
auch fr. 70 eine doppeUe Nummer haben sollten.
\ ielleiclit würde man nach der Beschaffenheit dieser Frag-
mente am besten thun, ohne andre als untergeordnete Rück-
sicht auf den Inhalt, eine Ilauptabtheilung zu machen nach
Strophen und Liedern v.axa öTtj^ov, worauf man denn die un-
bestimmbaren Verstlieiie und einzelnen Wörter folgen liesse.
Wir wollen eine Sonderung dieser Art versuchen ohne "gerade
die Untersuchung bis in alle ihre kleinsten Theile zu verfolgen.
In die strophische Abtheilimg fallen zuvörderst die Brucli-
stücke Aer Hymnen. Auf ApoUon fr. 20, Alkäisch und zwar,
wie wir vorher schon angemerkt, nach dem Schol. des Ilephä-
Btion des ersten Buclis erster Ode Anfang : was um so weniger
hätte übersehn werden sollen, da der Ilerausg. jetzt diess Frag-
ment, welches Ilephästion selbst ohne den Verf. anführt, nur
zweifelhaft aufnimmt; und, wie wir nachher wahrscheinlich
machen werden , auf Athene fr. 54. Alkäisch waren ferner die
Hymnen auf Aphrodite fr. 25:
"AsLöov ccu^i täv L6xo?.7tov [co].
und auf Eros fr. 24, die drittehalb letzten Zeilen der Strophe,
welche nicht Ga is ford , sondern Porson emendirt u. abge-
theilt hat. Vgl. dessen Tracts and misc. Criticisms p. CHI.
/duvotcttov &mv
XQVöozo^a ZicpvQcp uLystöcc.
Auf Hermes Sapphisch fr. 22 (des In B. 2e Ode). Yon fr. 71,
was zu einem Hymnus auf Hephästos gehört zu haben scheint,
ist der erste Vers vielleicht Asklepiadeisch, der andre fängt
daktylisch an:
"iß(jT£ Q^säv ^ifjdev' 'Okv^TtLOV
Es versteht sich, dass was sonst zu den Hymnen gehört, nicht
getrennt werden dürfte. Suchen wir nun weiter zuerst Reste
Alkäischer Strophen auf, so finden wir (ausser 20, 24, 25, 54)
fast zwei ganze Strophen fr. 2 u. wieder 27, eine ganze fr. 29,
Theile fr. 3, 4, 7, 10, 11, loö, 3G, 41, 47 (nach dem Herausg.),
5ß, 75, wenn diess nicht, nach der Bemerkung eines früheren
Recens. , als Sapphisch ohne Aenderung von u8Qosl so lautete:
Noov ö' Eavrco
Ferner FO (der erste Vers mit fehlenden beyden ersten Sylben),
81 b, 82, 84 (nach der unten anzuführenden Emendation) , 89,
99, 115, 94 6, wo abzutheilen ist:
Alcnei Mytilcnaci Rcllquiac. Edid. Slatthiae. 23
OvÖBTta TIoGiiöäv
aXnvQov löTvcpi^L^s novtov
und 94 e. Diese Strophe scheint die vorherrschende gewesen
zn seyn, so wie sie es denn bey Iloratius , dem Römischen
Alkäos (Epist. 1, 19,32; II, 2, 99. cf. Od. 1,32), auch ist. Doch
beweist diess keineswegs, dass erst Alkäos sie erfunden habe,
wie der Ilerausg. p. 5 annimmt. jNichts sichrer als was Theon
sagt Progymn. p. 22 Camer.: "SIötteq 'AgiGzocpäviLov n ^ivQOV
%ai ZanepfKov v.a.l'AKy.ai'/iov üoi akXo 1%^ aklov ksyBrat^ ov%
ojg xovviov x(5v noLrjTcov fxovav 7] Ttgarov s^bvqovtcov xa [le-
xQa, dkV oxi avtoli Inl x6 nXuöxov tiQrjGuvxo. Eher könnte
man versucht seyn als eine Ausnahme von dieser Regel gelten
zu lassen, Avas Marius Victor. IV p. 2010 sagt: die Sapphische
Stroplie sey erfunden von Alkäos, aber nach der Dichterin ge-
nannt, weil sie sich derselben öfter bediente. Doch beruht
auch diess vermuthlich nur auf der leeren Voraussetzung, dass
Alkäos und Sappho die Anfänger, statt die Vollender der Les-
bischen Lyrik seyen, zumal da Hephästion anführt, es sey un-
gewiss, ob diese Strophe von Alkäos oder von der Dichterin
herrühre , also ein älteres Zeugniss in jenem Sinne nicht vor-
handen gewesen zu seyn scheint. Bey diesen beyden Dichtern
kam die Strophe vor, bey keinen früheren: es schien daher,
der eine oder der andre werde auch die Erfindung gemacht ha-
ben. Aeussert doch sogar Iloratius Od. I, 32, 5, All^äos habe
das Barbiton erfunden, welches Pindar selbst dem Terpander
schon beylegt. Wo Ilr. M. von dem Trochäus spricht, welchen
in der zweyten Stelle Alkäos duldet, p. 12, ist ein Skolion bey
Athenäus wohl nur zufällig diesem beygelegt. Den dritten und
den vierten Vers dieser Strophe hat Servius im Centimetr. p.
1818 u. 1825 als iamb. Alcaic. dim. hypercat. und Alcaic. Der
erste heisst der Alkäische elfsylbige bey Hephaest. c. 14 p. 80.
Von Sapphischem Metrum sind ausser fr. 22 auch fr. 15 6,
33, 86, so wie eines, das wir beyfügen werden. Eine Strophe
aus zwey zwölfsylbigen, einem fünfsylbigen logaödischen und
einem anapästisch logaödisclien Vers bildet der Verf. Nr. 50,
wie es scheint ein Skolion. Ein andres dürfte fr. 59 seyn, wo
auch der erste Vers überein kommt mit 'Ev (.ivgxov ükadl x6
^LCpog cpOQTiöoJ, der Schluss aber eigenthümlich aus einem trim.
dactyl. und einem dim. troch. catal. zusammengesetzt ist. Mit
dem letzten Vers jener bekannten Skolienform, löovöfxovg x
'Ad'i'jvag BTCoirjödxijv , ist fr. 60 verwandt, ea Ös tioxi]oic)v ^ —
zJevvo^Evei, TtaQLOäav. Ferner haben wir den logaödischen Al-
käischen zehnsylbigen Vers fr. 123 und bey Tricha p. 19:
xai xig in' iöyßxiaiöiv olxEig,
einen andern logaödischen, welcher bey Pindar Isthm. VII vor-
kommt, fr. 52:
24 Griechische Litteratur.
yaias xat viq)6svtog agava ^eöot,
tinter welchen wir auch fr. 06, ex ^s läöag «Ayeov, wenn so
mit Bloinf. (fr. 48) zu lesen ist, und fr. 78, d^^iöLv nsdüo-
Qov, wiewohl Sappho TiedavQog hat, unterbringen können ; und
den sogenannten enkomiologischen des Ilephästion, fr. 70:
7] q' tTL ^evvo^ivBi ta t' 'TQQaxrjo).
Dann sind die beyden Alkäischen zwölf sylbigen fr. 42 :
IÖtcXox', ayvd, fiSLliXüiieids Zlantpol.
und fr. 124:
üökncp ö' Idi^av^^ ayval Xdg irsg Kqovg).
Endlich der iambische zehnsylbige Alkäische nach Mar. Victo-
rin, p. 2591 [nam e trimetro lambico Archilochio iatnbicus pede
minor, quem elia?n decasyllabon vocant^ figiaatus est ab Alcaeo^
ufide et Alcaicus dicitur), und einer, weichen Servius im Cen-
tiraetr. p. 182') Alcaicum spondenin nennt, constantem penthe-
mimeri s-pondaica et duobus dactylis^ wie Carmen rellaxat tae-
dia pectoris. Ungewiss bleiben fr. 9, 51, 76 6, 77, 87, 94 d.
Die Vorstellung von der Manigfaltigkeit der von Alkäos
gebrauchten Strophenverse erweitert sich noch durch die Vei*-
gleichung der Oden des Iloratius im Allgemeinen. Sehr roerk-
wiirdig ist dessen Aeusserung in d.e.n Briefen I, 19, 27, dass Al-
cäus und Sappho Verse von Archilochus unverändert aufgenom-
men, aber in neue Verbindung untereinander gebracht haben.
Diess ist der Sinn jener Stelle, um welche Bentley grosses
Verdienst hat, obgleich er auf dem halben Weg des Richtigen
stehn geblieben ist, indem er, den lambendichter im Auge,
nur an den iambischen Senar denkt, welchen Alkäos u. Sappho
von ihm entlehnt haben sollen. Er hat sich dadurcli, dass die
alten Litteratoren den Archilochus , weil er schon unter den
larabographen angebracht war, nicht zugleich zu den Lyrikern
zählen, irre machen lassen; denn darauf beruft er sich. Und
doch konnte, wer die Gedichte des Archilochus in Händen hat-
te , wenn sogar wir aus dürftigen Nachrichten und Fragmenten
ihn als den grössten und fruchtbarsten Erfinder in der musika-
lisch-rhythmischen Kunst kennen lernen, über dem herrschen-
den Inhalt niemals den Reichthum der Versformen übersehen.
Auch Hr. Neue in den Fragmenten der Sappho p. 17 befolgt
Bentleys Erklärung, nt Archilochi pes iambus illorum poesi ad-
mixtus dicatur. Hierbey miiss zuerst sehr befremden, dass
keinem von beydem der iambische Triraeter von Grammatikern
heygelegt wird , auch nicht unter den Fragmenten beyder vor-
kommt; sondern nur der bracliykatalektische wird, ausser dem
iieunsylbigcn larab der Alkäischen Strophe, als Alkäisch ange-
führt, der kalalektische als Sax)pliisch (fr. 78), welcher zu-
Alcaei Mytilcnael Beliquiae. Edid. IWattliiae, 25
reicht, um Julians Bemerkung zu rechtfertigen, dass Sappho
Jamben ihren Hymnen angepasst habe. Auch die noch erhal-
tenen Epodenformen des Archilochus , die man unter seinem
Hauptvers, dem iambischen, mitverstehen kann, der iambisclie
Dimeter und die daktylische Penthemimeris finden sich eben so
Avenig bey den Lesbischen üiclitern. Aber sehen wir nun auf
den Zusammenhang. Iloratiiis rühmt sich , die Gattung der
lamben zuerst in Rom nachgebildet zu haben, und zwar in Syl-
henmass u. Geist, nicht nach dem besonderu Inhalt. Mit dem
Beyspiel der Lesbischen Dichter aber vertheidigt er, nicht, dass
er, um zuerst diess anzunehmen, den lainbiis eingeführt, son-
dern dass er sich einer von einem andern geschaffenen Form be-
dient habe, statt eine neue zu erfinden und darin liöheren Rubra
zu setzen. Wie sonderbar nun würde es seyn, jene Dichter
■wegen eines einzelnen Verses, den sie entlehnten, auszuzeich-
nen, da ein einfaches Sylbenmaass, wie den lambus, den Hexa-
meter, das elegische Distichon u. andre solche allgemeine und
gleichsam stehende Rhythmen unverändert beyzubehalten nicht
etwas Auffallendes, sondern das Gewöhnliche war. Wie viel
sonderbarer noch, gerade mit solchen Dichtern den Mangel ei-
gener Erfindung zu entschuldigen, die so manigfaltige eigene
Versformen hatten , dass darunter ein einzelner, wenn sie nur
den erborgt hätten, sich leicht, und namentlich der zwolfsyl-
hige lamb hinter dem neun-, dem zehn - und dem elfsylbigen
versteckte. Aber Horatius spricht ja auch ausdrücklich und
unverkennbar von einer Aufeinanderfolge von Versen:
Quod tiinui mutare niodos et carrainis artem:
Teniperat Archiloclii Musam pede uiascula Sappho,
Temperat Alcaeus, sed rebus et ordine dispar.
Sappho und Alkäos also mischten in ihre Lieder (indem pede
in noch weiterem Sinne collectiv genommen wird) Verse des
Archilochus von verschiedenem Rhythmus und verschiedener
Länge, die dieser in seinen Epoden, und warum nicht auch
sonst? gebrauclit hatte, ohne dass sie darum den in seinen
Poesieen vorherrschenden iambischen Geist oder die Folge und
die Verbindung der verschiedenen (daktylischen, choriambi-
schen, iambischen, asynartetischen) Verse untereinander nach-
ahmten und bey behielten. Dass auch die Epoden, von denen
nur zwey verschiedene Formen auf uns gekommen sind, ma-
nigfaltiger gewesen, müssen wir aus der Nachahmung des Ho-
ratius schliessen, der, indem er die Gattung aufnahm, modos
et carminis artem zu ändern sich scheute. Dass Alkäos und
Sappho nicht auch viele eigene Verse von andern Maassen und
mit manchen feineren Variationen und selbst andere Rhythmen
einführten, ist dabey nicht geläugnet; denn die Vergleichung
erstreckt sich nicht rückwärts auch auf das timui mutare mo-
26 Griechische Litteratur.
dos. Aber auf jeden Fall wird uns eine Vergleichung der dem
Archiloclius zugeschriebenen Versarten und der bey den Lesbi-
schen Dichtern vorkommenden zur Pflicht werden.
Von den Gedichten 'naxd Gxlyov stellen wir die elioriambi-
scheii voran. Unter diesen scheinen am zahlreichsten gewesen
zu seyn die in dem sechszehnsylbigen Vers, wovon auch He-
phästion sagt, dass darin, wie von der Sappho das ganze dritte
Buch, so von Alkäos viele Lieder gewesen seyen. Auch TricJia
merkt dessen häufigen Gebrauch bey Alkäos an p. 31 , und sagt
p. 49, dass diess Sylbenmaass auch Alkäisch wie Sapphisch ge-
nannt werde. Alkäisch nennt es Servius im Centimetr. p. 1824,
Archilochisch aber Diomedes p, 510. Bey Iloratius sind darin
nur I, 11; 18; IV, 10. Unter den Fragram. haben diesen Vers
N. 5, 28«, 30, 31, 32, 53, f)8, 79, 121 (ein Skolion wie2:t;V ^ot
Tclve. övv/jßa)^ und mit wenigen Sylben ergänzbar 85 und 94 c.
Einmal, fr. 79, finden wir in diesem Vers eine iambisclie Basis,
wenn nicht vielleicht toy yäg ausgesproclien wurde. Derselbe
Vers mit zwey kurzen Sylben anfangend (so wie auch der län-
gere choriambische Vers fr. 26, und der mit araphibrachischer
Katalexis Sapph. fr. 47) findet sich fr. 35, bey der Sappho fr.
22. Ausser diesem Vers aus drey Choriamben mit iam bischer
Katalexis gebrauchte Alkäos einen andern , um Kine Sylbe kür-
zeren, welchen Servius im Centimetr. p. 1823 erwähnt, wie In-
fandum tetigit sidera Carmen itiagiconim., den er aber unrich-
tig einen tetram. brachycat. Alcaic. nennt, da er als hyperkata-
lektisch zu bezeichnen ist (Elem. metr. p, 430, wo unser fr. ine.
125 angel'iihrt wird), und hierher gehört wahrscheinlich fr. 48,
wo vorn ein zweysylbiges Wort fehlt (auch vergleichen wir da-
mit den Vers unter den Sapphlschen fr. 42 , welcher sich von
dem zuletzt genannten nur durch die einsylbige Anakrusis un-
terscheidet, und von Hermann Elem. p. 432 zu den Choriam-
ben gezogen Avorden ist, da ihnHephästionlonisch maass),- fer-
ner den choriambisclien Tetrameter mit angehängtem lambus
fr. 26 (mit 49), vielleicht auch 44, und den sogenannten As-
klepiadeischen Vers aus zwey Choriamben mit zweysylbiger Ba-
sis u. Jambischer Katalexis, wovon Atil. Fortunat. p. 2700 sagt:
anle Asclepiadem eo tisi Alcaeus et Sappho, und Tricha p. 31
u. 49, dass Alkäos ihn viel gebraucht habe, fr. 8 mit 67, fer-
ner 12, und vielleicht 81 a:
[Kai] To3' tgyov ayi]6aiT0 rtä aoga.
Denn nicht nöthig ist es, einen sonst nicht vorkommenden cho-
riambischen Vers hier anzunehmen, da ApoUonius nur wegen
tsd citirend nicht Ursache hatte, den Vers auszuschreiben.
Prachtvoll schreitet der Rhythmus einher in dem zusammenge-
setzten Vers, woraus die erste Ode in unserer Ausgabe be-
steht, und der noch fr. 46 vorkommt. Choriambisch ist auch
Alcaei Mytilenaei Rcliquiiic, Etlul. Mattlilae. 2?
fr. 73, ?Gß, 91, 08. Nicht aber zählen wir daliin fr. 156, weil
von diesen von Hermann angcnomiueueu Clioriambeu
VLxäv
sonst keine Spur ist, und die Worte auch aus den ersten Ver-
sen der Alkäischen Strophe seyn können. In Ionischen Versen
bildete Alkäos nach Ilephästion ganze Lieder, und Tricha sagt
\t. 38 u. 51, dass nur er, Sappho und Alkraan ionische Tetra-
meter gemacht haben. Der, weichen wir fr. 69 haben, ist der
Anlaiig des von lloratius 111, 12 nachgebildeten Gedichts in De-
kapodieen oder Systemen von 10 Ionischen Füssen, wie üent-
ley zeigt und Böckh über die krit. ßehandhing der Find. Ge-
dicbte p. 15 u. 37 bestätigt. Ionisch ist auch fr. 92. Von ium-
bischen Tetrametern ist ein Beyspiel fr. 40: von daktylischen
Versen die Aeolischen Pentameter fr. 286;
ilQog av&e^oEvtog btccc'Cov eqxo^bvolo x. t. X.
(denn von HQatTJQa wurde der kurze Endvocal von der nächsten
Sylbe verschlungen u. es ist also der Anfang eines dritten Ver-
ses); und die verwandten Aeolischen Verse fr. 14:
d>VEQ ovtog 6 ^ccLVo^evog xo ^eya XQatog k. t. L
und fr. 37 der Tetrameter :
olvog, oj (pils. naZf aal aXdd'Ea,
luch der rein daktvlische Tetram«
so wie auch der rein daktylische Tetrameter fr. 34, wo zwey
Verse verbunden sind. Doch ist nicht zu übersehn, dass Ile-
phästion den Alkman hinsichtlich ganzer Strophen aus solchen
Versen auszeichnet. Dagegen scheint der auch von Archilo-
chus (fr. 82 u. 84 ed. Liebel. alt.) gebrauclite Asynartet, wel-
chen Horatius I, 4 mit einem iambischen trira. catal. abwechselt,
aus einem daktylischen Tetrameter und einem Ithyphallicus in
Reihen vorgekommen zu seyn, fr. 65:
^AQyaXhov mvia hutiov, aö^Etov, cc ^syav ddnVfjöL
Kaov d^7i%avia 6vv döbk^Eä.
Gaisf or d im Stobäus setzt die Trochäen zwischen beyde dak-
tylische Verse.
In einigen Fällen ist es nicht ganz leicht zu entscheiden,
ob ein Fragment dem Lyriker oder dem Komiker Alkäos ange-
höre , von dessen Stücken sogar jenem bey Suidas drey zuge-
schrieben sind. ^Jkzaiog ohne Zusatz wird von Hesychius v.
'Aöi^q)dyoL angeführt; nur aus Suidas und Ilarpokration sehn
wir, dass der Komiker zu verstehn ist. Der Antiatticista citirt
eben so p. 86 u. 104; doch lassen die Worte in der einen Stelle,
die Bemerkung hos^lküs in der andern keinen Zweifel. Für
28 Griechische Litteratur.
zweifelhaft aber erklärt M e i ii e k e Quaest. Seen. II p. 55, wel-
chem von heydea die Stellen bey Photius, die sich hier fr. 81,
104, 105 finden, gehört haben. Das erste nehmen wir unbe-
denklich nacliPorsons durchaus wahrscheinlicher Herstellung
(in seiner Ausg.) jia^nav d' ttvcpaö' sx d' akezo q)QBvag für den
ersten Vers der Alkäischen Strophe. Das falsche dsXbyszo, d'
ikiyixai hatte auch Wakefield Sylv. crit. F. 4 p. 205 in ffs-
yl£TO verändert. Was fr. 104 betrifft, ^stQ^öaL stcl tov dgiO^^i^-
6av, so würde das Sprichwort xvfxara (isrQelv dcni Lyriker, da
er Sprichwörter liebte, wohl zustehn: und vielleicht bezog sich
darauf die Glosse. In die Komödie verweist Hr. Matthiä mit
allem Grund fr. 88 (Blomf. 44), so wie auch den Ausdruck bey
Suidas und einem andern Grammatiker »Aa^cov, 6 dlcofisvog zu
fr. lOß; und llec. fügt hinzu fr. 118: 'AttucoI nlv ovv au xql-
övXXaßag [öLKVog)^ 'AXxalog da ddxy cpiqöl tav ölkvcov^
etwa auch fr. 38 notvlog.
Aber Aufmerksamkeit verdient auch eine alte Vermuthung
Cupers, welcher in einem von Fabricius in dem seinigen be-
nutzten Index zu den Scholien des ApoUonius Rhodius in zwey
Stellen dieser Scholien, in unsern Fragmenten N. 57 u. 58, ei-
nen Historiker Alcäus annimmt, cujus octavuyn Hbrinn laudat
Suidas in 2JKv&Lxai. Hr. Matthiä, welcher diese Stelle des
Suidas , Photius u. Ilarpokration fr. 1)0 hat , erwähnt nicht ein-
mal der Lesart des letzten tv nsvtrjKoötiJ oyÖöy, wofür die
bey den andern und Phavorinus haben tv rj. Jenes emendirte
D'Orville Vann. crit. p. 179 Iv TCSvry^KOörfj [(pdyj tov] oyöoov
[ßißXiov]^ ohne alle Wahrscheinlichkeit. Wohl kann man glau-
ben , dass Photius und Suidas , eben weil sie an den Lyriker
dachten, die Zahl veränderten. Aber 'angenommen , dass da-
rin bey Ilarpokration selbst geirrt sey, so fragt sich, ob in den
Sachen ein Grund für des verständigen Cupers Vermuthung sey,
der diese Zahl nicht kannte und wahrscheinlich von dem, was
in den Scholien des ApoUonius vorkommt, ausgicng, indem er
an einen Geschichtschreiber Alkäos dachte. Hier heisst es nun
(fr. 57), dass Alkäos und Kallimachos der Quelle Artakia bey
Kyzikos gedenken, und (fr. 58), dass Alkäos eben so wieAku-
silaos, als ob dieser der frühere wäre, den Ursprung derPhäa-
ken von den Tropfen des Uranos herleite. Diess letztere, was
Cuper nicht wissen konnte, hängt an einer unbedeutenden Lo-
calsage der Kerkyräer, die ihre Insel Sichel nannten und die-
sen Namen von der ^Sichel des Kronos erklärten , um Autoch-
thonen zu seyn, was ihnen die Homerische Poesie nicht zuge-
stand, und ist, wie aus einer zusammenhängenden Erörterung
der Phäakensage sich ergiebt, für den alten lyrischen Dichter
in derThat nicht wahrscheinlich. Was die Skythischen Schuhe
betrifft, so citirt dafür Ilarpokration vor dem Alkäos den Ly-
sias, Hesychius aber ohne jenen den Herraodoros bey Poleraon,
Alcaei IVIytllenael Reliquiac. Edul. Mattlilue. 29
aus welchem sich ergiebt, dass sie Tracht der Sklavinnen wa-
ren, während die Schulie der Ireyen Frauen vnoÖiq^axa ge-
nannt wurden. Die als von Ailiäos angeführten Worte scheinen
besonders nach dem allein bey Ilarpokration im Anfang vor-
kommenden 'na.l rljythmisch. Aber alsdann sind sie, obgleich
daktylisch, %ai Eav^i^ac; vTtoÖyödfievoL^ wenigstens elicr dem
Dichter der alten Komödie zuzuschreiben (wo denn in Iv jcev-
trjxoözy oydörj der Titel der Komödie stecken müsste), als dem
von Lesbos, wo man in jenen Zeiten von Scythen als Sklaven
und von Sklaventracht, wenn gewisse bestimmte Nachricliten
nicht einseitig sind , nicht sprechen konnte. Auch bey fr. 105,
oder dem Sprichwort Uctcivr] £t;wi, welches zwisclien diesen bey-
den Dichtern ungewiss war, mVissen wir nun an die dritte, pro-
saische Person denken. Pilaiie war durch schnellen Glücks-
wechsel berühmt , und nach Hellanikos von den Pelasgern ge-
knechtet n. von den Erythräern wieder befreyt worden. Sprich-
wörter gebraucht der Lyriker Alkäos häufig: ein antiquarischer
Grammatiker musste deren manche der Orte u. ihrer Geschichte
wegen anführen. Einen Alkäos, der den Grammatiker Isokra-
tes verspottete, führt Jacobs, wo er von dem Epigrammen-
dichter dieses Namens spricht, ausPoIybius XXXII,6 an. Man-
cher wird einwenden wollen , dieser Historiker oder Gramma-
tiker Alkäos sey darum nichts, weil 6 yQUfi^axLXog beygefügt
seyn müsste. So urtheilte Boeckh hinsichtlich eines Gram-
matikers Pindaros zu den Pindarischen Fragm. p. ß,j4 , wo er
zwar in der Vit. Hom. mit Recht den Dichter versteht, hinge-
gen eben so gewiss irrt, wenn er den Grammatiker ganz läug-
net oder in zwey Stellen in Pindarion verwandelt. Denn in Fa-
vorini Eclog. p. 318 und p. 431 ed. Dindoi'f ist noch zweymal
derselbe Pindaros schlechtweg citirt und dennoch der Gram-
matiker nicht zu verkennen. Wie es mit dem Grammatiker
'yi^xfialog stehn möge, der unter der diesen Eclogis vorange-
stellten Heihe von Grammatikern , daraus sie geschöpft seyen,
sich befindet, welcher aber in dem Verzeichniss aller Gram-
matiker bey Fabricius nicht genannt ist, wogegen denn wieder
der Pindaros, der in den Eclogis angeführt ist, in der vorste-
henden Liste fehlt, müssen wir für jetzt dahin gestellt seyn
lassen. In einer Stelle p. 3.")0, 33 könnte ein Name aus Miss-
verstand vermuthet seyn, wo nur eine sonst nicht vorkommen-
de, wenigstens in den Wörterbüchern fehlende Wortform an-
zunehmen ist. ninuQog ßoTQvg 6 «Ax^atog, olov o^cpah, 6
ßÖVQVg , OV 7t87t£LQOg.
Die Sprichwörter des Alkäos, da wir dieser erwähnt ha-
ben, hätten füglich zusammengestellt werden können , nemlich
tr. Z6,oivog yccQ dv&QcoTtOLg dlojitgov , wenn auch fr. 37, ol-
vog, o> (piks nui, aal dkdQea, den Liebesliedern, so wie 50,
XQriiiaz' dvi^Q, als Skoiion, den Trinkliedern bleiben sollte;
80 Griechische Litteratur.
dann fr. 45 (was Sophokles Col. 954 ausdriickt), 64, l| ovv%os
Tov kiovra, 85, Et x' slTtijg td&älsLg, fXKovöcag td %' ov %b-
Aotg, 02, nc'div d vg TtagoQiVSi, 113, ccl^ ZlxvQia^ 114, 6
Kgyjg räv %äla66av. Spricliwörtlich ist auch fr. 63, ix tov
'ip6q)0V totBVSLV, und vielleicht fr. 94 c/; und sprichwörtlich
geworden ist fr. 31, öäxtvkog d^sga.
Zum Ersatz für die ausgemusterten Stellen können wir ei-
nigre andere hinzufiigen. Scliol. Odyss. XI, 521: 'Hv ydg 6
Tt]Xs.(pog Mvöiag ßaötkBvg. 'Mii^Akzcdog ös ^y]6L rdy Ki]-
TBLOV dvxi Toü Mvöov. Cf. Sturz, ad Pherecyd. Frag'tn. 54
p. 205. Das Etyniol. Gud. p. 1(}2, 31: ^ul TilBiöroig edvaöös
Ä«org, 'j4X'Acdog: was aus einer Sapphischen Strophe genommen
ist. Einen logaödischen Vers führt T/icha de metris p. 19 ohne
den Namen an: doch lässt der Zusammenhang: vermuthen, dass
das Beyspiel aus keinem andern als Alkäos selbst gewählt sey.
'EötI ^ev STtiörji^iotata Iv rovxcp top iiixQcp, ag acd'Hq^aLötiav
q)r]6i^ TU TB tQi^BXfja dyMxdh]}ixa xd TiQog 8vö\ tioöI day.xvXi-
y,olg ^iav VfOvxa XQO'/jciVAi]v diTtoÖLCCv, cc '/.a.\'AX;uüy.d aalslxac,
ag TOV 'AXxaiov naxaxÖQcog avxoig XQyjöa^BVOV ^ olöv böxl t6
stal &b6v d^iBQiOig ßgoxotSi.
Worin d^sgiog für Bcpi^asgog gebraucht zu bemerken ist. He-
phästion p. 24 (43) bringt von diesem zeluisylbigen Alkäischen
Yers als Beyspiel bey, Avas fr. 123 unter den incertis steht, von
Gaisford aber p. 494, so wie aucli von ßlomfield , dem
Alkäos gegeben wird :
xat Tig BTi' B(5iDiTLal(5LV ol'/,tig.
Chöroboskos in Bekkers Anecdot. Gr. p. 1389 führt aus Alkäos,
während Sappho schrieb tov alvövvov^ den Dativ tco yAvövvi
von oiivÖvv an; denn so ist für "/.ivÖvva zu lesen, und auch von
Biomfield in den Zusätzen im Mus. crit. N. 8 p. 607 geschrie-
ben. Umgekehrt hat Alkäos für dyav fr. 103 die Form dyca-
a'og, welche auch in einer Delphischen Inschrift C. J. n. 1693
vorkommt. Vgl. Buttm. Gramm. I, 222. Endlich liat der Cod.
Amstelod. ap. Wassenbergh. Hom. II. I et II ad II, 129 folgen-
des: Tcp diTikaöiaö^cp BvavTiov i] TtuQBlXBi^Hg. bGxI Öl naQBk-
^.Bitl'Lg öxccv xäv diTclc/.öiat,oiisvcov öv^Kpävcov bv TtagaXBiTtrjxatf
olöv Böxi Tcagd t« 'Ak^aico t6 xdkiov dvxl xov zdkhov.
Diese Parellipsis ist übrigens bloss Sache der alten Ortho-
grapliie, welche die Cousonanten nicht verdoppelte, insbeson-
dere nicht die liquidas nach langen Vocalen, s. Sylloge Epigr.
Graecor. p. 294. In der ersten Ode der Sappho Vs 27 und 28
finden wir i^egBi, eöo fi'ir IfisggBi, bööo geschrieben. So ist
es nur Folge einer Nachlässigkeit im Epimerismos, dass Geor-
gios bey Eustathius (fr. 109) Tsgeav fi'ir TBigüov fand, welcher
dann nicht daran jdachte, dass 8 für bl stehe, sondern anstatt
f
Alcaei Mytilenaei Rellquiae, Etlld. Mattblae. Sl
ZU ändern, wie fr. 31 ctXsaig in siXBiaig \on Neueren längst ver-
bessert worden ist, eine andere Form annalim: scpavsQCOös ds
q}rj6l to s 'Jlxalog dncov tsqbcjv öi%a rovi. Auch das un-
bekannte Verbum Öico , bvqlökco, welches l'r. 87 von dem Etym.
M. auficestsellt wird, ist wohl, wenn anders die Stelle nicht
sonst verdorben war, nichts anders als dria. Daher scheint es
nicht einmal ausgemacht, ob Apollonios Dyskolos fr. 52 iogava
Ueöoi, oder ^dööoi durch die Analogie von o'lxol, TJv%oZ^ Me~
yaQot (fioxoi f. ^vicp , l%\foi d. i. liGoi f. f^o, Koen. ad Gregor.
p. 308, wo auch zu unserm Fragment Bast zu vergleichen ist)
richtig erklärt, und nicht vielmehr in der Urschrift idöco ver-
standen war, was Aeolisch sonst iiböv'C lautet. Eben so scheint
in den lamben des Simonides über die Weiber aus der aQxala
GTi^ttöia einiges stehen geblieben (wie es Aristarch zu Find.
Nem. I, 24 anmerkt u. im Pindar zuerst Böckh häufiger nach-
zuweisen verstanden bat), £ für st Vs. 4, avo nvlivöitai in xu-
Jitvösltat, Vs. 75, wo ßgaxsa in ßgcixsla^ zu ändern ist, ö für
ov, Vs. 12 AtTopydv, und für oj, Vs. 20 e^xTCsdog für l^Tcedäg,
Vs. 24 egyov, Vs. 30 kaiov^ statt sgycov und Icot'cov.
Unter den Fragmenten des Alkäos sind einige so sehr ver-
dorben, dass ohne Entdeckungen in Handschriften eine befrie-
digende Herstellung kaum zu holTen ist. Der Herausgeber sagt
in der Zuschrift: „de meo nihil fere addidi, vulnera autem, re-
liquiis illis ab ignorantia et negligentia librariorum inflicta nu-
davi magis et patefeci, quam sanavi. In quo illud tarnen, quae
Tua est aequitas, reputabis, plerumque ita laceras et omni nexu
solutas esse, ut aliorum poetarum, sie Alcaei quoque reliquias
seu fragmenta quae vulgo vocant, ut^ quae earum sententia fue-
rit vel quod consiliura, vix queas dispicere. Itaque, quid scribi
potuerit, saepius non adeo difficile est invenire, conjecturas,
quae solido aliquo fundamento constitutae veri speciem habeant,
proferre vi\ licet." Auch Rec. gesteht zum Emeiidiren, wenn
es an all dem sprachlichen, metrischen, paläographischen oder
sachliclien Halt fehlt, wodurch ein gewisser Grad von Evidenz
gesichert wird, fiir sich kein Belieben zu tragen, obgleich er
auch dem Spiel mit Conjecturen, wenn es anders gelehrt und
geistreich ist, keineswegs überhaupt seinen Reiz so wie grossen
Werth abspricht. Er kann daher auch seinerseits bey manchen
verzweifeitern Stellen, die hier vorliegen, keine Hülfe bringen.
Doch mag eine dieser Stellen, fr, 51, ein neues Beyspiel ab-
geben, wie durch Handschriften, selbst wenn sie uns nur einen
neuen Fehler darbieten, geholfen werden kann. Der Schol. zu
Find. Ol. I, 97 hat nach zvvey Breslauer Handschrr. in Bötklis
Ausgabe folgendes: ^AX-/,alog öl xaVJkx^äv Xi%ov (paölv tTiaiCO-
QBLG&ai ra TavtuXa' [6 ^Iv 'yihtaiog, wie Böckh zusetzt]
Kalö&ai jtuQ %S(paläg ^eyag äag . . . öL^ida Ki% og»
3^ Griechische Litteratur.
o dl 'AX^i^äv %. X. A. „In Cod. D est jcapa, neque is caag ha-
bere videtur." Nach einer zufälligen Mittheilung in einem Brie-
fe vom Prof. Passow liat der eine Codex nach ^syag eineLiicke
von vier Buchstaben, der andere beriihmte coäg ohne Lücke:
und Prof. Gerhard schrieb darüber an Ilec. von Breslau aus,
vernmtliUch auch nach eigener Ansicht, dass vielleicht an cj^og
2^i7ivkov zu denken seyn möchte, etwa aslTCd, nag ■HEfpakkv ftE-
yaq oügsog Z^LTrvkco kl^og. Allein die Beschaffenheit des Mythus
schliesst den Berg, wie mit der vollkommensten Bestimmtheit
zu versichern ist, aus, und die Conjectur soll uns nur bestäti-
gen, dass im Böckhischen Abdruck die Lücke unrichtig seya
mag. Wenn aber wirklicli das coag mit öt^lda zusammenhängt,
so erglebt sich mit grösster Wahrscheinlichkeit &Qa6v(.iCda:
denn ©P geht eben so wie 07, EI leicht in das runde a über —
wie denn biy Alkäos selbst fr. 8 ßa6ih]lov in ßaöLh'jCov^ fr. 15
lÖKokTiov in CO üokTtov^ bey Pindar IstM. II, 22 vel^' anäöais
in vä^a näöaig verdorben worden ist — und mit f^Qa6vy.i8ag,
wenn gleich diese Form statt des Pindarischen %Qa6v^r]8rig
sonst nicht vorkommt, stimmen wenigstens überein '/lycc^idrjg
und Avxouidat^ welche Schreibung Ilec. Kret. Kolonie in The-
ben S. 40 und Böckh C. I. I p. 441 vertheidigen. ©Qa6v^Ldr]g
im Etym. M. p. 165, 56 und bey Phavorinus ist nach dem Zu-
sammenhang und nach Philem. ed. Osann p. 30 und Zonaras
p. 333 verschrieben für @Qa6vinq8i8rig. 'Jkxi^L8ag bey Pind.
Nem. VI, 15 ist \on"JXKiy,og , wie EvQv^i8]]g Odyss. IX, 509
von EvQvyLog. Was aber die Construction angeht, so ist zu
entscheiden, ob, was uns das Wahrscheinlichere ist, d'gaöv^u-
8a der Nominativ sey, wie nach Gregorius de dial. Aeol. 25
6 'jQXvta, 6 'Tßgayöga, wie ßad^v^fjra , iQVöoialxu bey Pin-
dar und die Homerischen Wörter dieser Form, wo denn durch
diess Beywort des Steins das Homerische Aaag avaL8rig in ly-
rischem Charakter wohl nachgeahmt seyn würde; oder ob es
auf den Tantalos gehn möge mit ausgelassenem Jota des Dativs
(Koen. ad Gregor, p. 607).
Die Vermuthung des Herausgebers, welcher auch fr. 52"
yalag xal VL^ÖBvxog cogavä ^liöoi ohne alle Wahrscheinlich-
keit hierher bezieht, dass fr. 71 :
«öTS %Bäv nri8iv ' OXv^nicov
kvöai axiQ H%ev,
den Stein des Tantalos angehe, ist gewiss nicht gegründet.
Denn wenn gleich Euripides die Fabel von dem aufgehängten
Stein durch den Zusatz äkvGig, XQVötccig geschmückt hat, so
war doch bey dieser Fabel kein Grund die Festigkeit, womit
der Stein über dem Haupt des Tantalos angebracht sey, her-
vorzuheben , da es dabey nur auf die Leichtigkeit ankam , wo-
mit er beständig auf ihn herabzusinken drohte; und noch weni-
Alcael Mytilenaei Rcliquiac. Edid. Mattliiae. 83
ger würde der Grad dieser Festigkeit auf solche Art an vergeb-
licher Anstrengung aller Götter abgemessen worden seyn, in-
dem diese keinen Grund liatten in dieser Sache dem Willen des
Zeus zu widerstreben. Besser ist es daher wohl gewiss diese
Worte, als ein Bruchstück aus dem Hymnus an Ilephästos, auf
den Stuhl zu beziehen, worauf dieser die Here fesselte: dann
zeigt sich, warum die Götter in das Spiel gezogen sind. So
gewaltig wirkten des Hephästos magische Bande, dass ohne ihn
oder wider seinen Willen, wie des Hymnus wegen hinzugesetzt
ist, keiner der Götter die Here zu lösen vermochte. Wie er
aber selbst sie befreyt, war im Tempel derChalkiökos inSparta
vorgestellt. Paus. IH, 17, 3.
Bey fr. 3 können wir uns noch auf etwas raelir als wahr-
scheinliche Buchstabenverwandlung einlassen. Diese herrli-
chen verstümmelten Worte wurden von Hermann, wenn auch
nicht befriedigend ergänzt, doch richtig als die drey letzten
Zeilen der Alkäischen Strophe aufgefasst. Was Fulvio Or-
sini als Lesart einer Handschrift giebt und Gaisford be-
folgt, jtQOTEQCJvefxa., ist wahrscheinlich nur Conjektur des Rö-
mers selbst. Denn es war eine Eigenheit dieses so tüchtigen
und verdienten Gelehrten, und vielleicht war es nur Beschei-
denheit, dass er zuweilen seinen eigenen Scharfsinn den Hand-
schriften lieh; und es ist wenigstens sehr selten, dass diese
bey den alten Dichterstelleu falsche Conjecturen von solchem
Belang darbieten. Für eine solche wird auf jeden Fall die Les-
art gelten müssen. Denn was soll der frühere und der spätere
Wind? Es bedarf nur Eines Sturmes, um eine Welle nach der
andern in das Schiff zu treiben; und diess ist es, worauf es
ankommt. Dann widerstreitet auch Orl^st der Construction
nach in Gaisfords Versuch, welchen zugleich die unrhyth-
mische Stellung von ävtlov widerlegt :
To'ö' evTE xv^a rcS TCQorsQavs^a
6Ti%H, Ttagki^BL d' offtftt tcovov tcoXvv
ävxXov.
Wenn der Wind nicht zu brauchen ist, so bedürfen wir noth-
wendig, was Jacobs und Blomfield vorschlugen, x6 d' ccv
ySy rdd' avTS xvfia rä TiQorsQG). Gegen Heynes o^oötlxeI
bemerkt Blomfield in den Zusätzen mit Recht: „Atqui ofio-
6ti%Elv non valet proxime sequi, sed stmul ire ^ quod cum epi-
thetis UQOXBQcp et viov parum congruit." An viov zwar dachte
Heyne zum Heraklides nicht. Im Folgenden ist növav nolvv
«vtAov ungleich poetischer als növov tioIvv avrXi'iv; es stellt
den Tropus unmittelbarer unter Augen, während növov mit
avxXüv verbunden eben so todt ist wie nviia nagi^n novov
(«tatt «VtAov) ; und ist kräftiger, tlieils durch den Plural nidvcov,
tfaeils dadurch, dass ävxlijv dem avxkoQ (der Schöpfe), als dem
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. V. Heft 1. g
34 Griechische Litteratur.
Eingedrnngenen, eigentlich entgegengesetzt, und die Sache eine
andreist, wenn man auszuschöpfen hat, aber vielleicht mit der
Mühe abkommt, und wenn man bey hereinbrechendem Wasser,
das sich vielleicht niclit wird ausschöpfen lassen, dem Unter-
gang ausgesetzt ist. Die Endigung avtXrjv kann von einem üa-
vvissenden dem früher vorhandenen falschen 7to2.lr^v angepasst
worden seyn , dergleichen oft geschehen ist. Auch metrisch
fügt sich nach unserer Ergänzung nwv ccvtkov. Für VB0^ia6rix£('
hat nemlich Rec. eine von den bisherigen ganz verschiedene
Conjcctur, vecog 6(.icö ötii^t (xv^ia), ein Ausdruck, der bey So-
phokles Phil. 1218 vorkommt, vaag o^ov özeixav. Hierauf
eine Lücke von zwey Sylben, in welche das Wort fällt, das
ro'ö' ccvTS Kv^ua mit ta ngoTiga verband, und deren Entstehung
sich daraus erklärt, dass eine bereits sinnlose Gruppe von Buch-
staben, die auch in der Mitte mehrere einzelne (wegen der wie-
derholten ö) eingebüsst hat, vorausgieng. Es ist bekannt, wie
überhaupt unverständliche Worte oi't ausgelassen wurden, weil
man etwas sinnloses nicht hinsetzen wollte, und den leeren
Raum unterliess dann oft ein zweyter beyzubehalten, indem er
nicht mehr den Grund desselben vor Augen hatte. Das Wort,
welches am Schluss der letzten Zeile fehlt, konnte Heraklides
weglassen, wenn es der Sinn nicht eigentlich erforderte, da er
nicht desSylbenmaasses wegen anführte. Das Ganze erhält hier-
nach diese Gestalt:
ro'd' avts icv^a ta TTgoriga vsag
ä[i^i novav nokvv ävzXov [^8r].]
Dass nun diese Ergänzung im Wesentlichen die richtige sey,
geht auch aus dem hervor, was Heraklides erklärend hinzu-
fügt, und was, bisher falsch übersetzt, erst durch ein zwischea
vrjöLatTjg und &ala66EV£L eingeschobenes Komma Sinn erhält:
87t£l Hat vaog s^ißccCvei Tcaraxogcog Iv talg dkXrjyo-
QiaLg 6 V7j6LG)t)]g, ^aXaöösvsi, aal xa tiIhötu tc5v diä xovs
Tvgävvovg enexövTcov aaKcov (Alkäos tcovcov) mkayloig %bi-
[läöiv alüd^Si. Der Dichter auf dem Staatsschiff in Zeiten der
Fehde sieht die Wogen noch herankommen, die das Schiff ge-
fährden können, die es, da sie dicht geschaart herandringen,
alsbald gefährden müssen ; er fürchtet als noch bevorstehend
den Augenblick, welchen Theognis 671 unter manchen Beson-
derheiten schildert, wo er unter andern sagt:
ävilüv ö' ovx l&alovöLV vTtagßdXXeL
dl &äkaööci
diKpotigav roixav.
Statt ^vyev lassen sich mehre andre und vielleicht nachdrucks-
vollere Ausdrücke setzen: jenes gebraucht Pindar Wem. VII, 1:
Alcael Mytilenaei Reliqume. Edid. Matthiae. 35
tYgyEL 8s nor^ia t,v'ysv&' steqov etSQu, und Istlim. VII, 18: öo-
q)iag acorov cckqov nlvtalg Inkav qouIöi — i,vykv. Zu der
schlechten Emendation aus einer Ilecension von Elrasleys Hera-
kliden im CJassical .lourn. Vol. 8 p. 895, welche in den Eiern,
nietr. p. 688 dem Elnisley selbst beigelegt wird, beker/nt
sich Burg es ad Eiimen. 54J5. Dass übrigens zu diesen Ver-
sen die Worte bey dem Scliol. des Plndar Isthra. I, 52 Bezie-
hung haben, glaubt llec. nicht. Blomfields Meynung, dass
in dieser Strophe rQi'/,vnia vorgekommen sey, ist ganz unsi-
cher. Rec. nimmt an, was zu fr. oß auch Hr. Matthiä vor-
zieht, dass die Worte yei^oäva nal rQiyiviiiav ^ Tij (pvy]] von
Alkäos herrühren und von Aeschyhis Prom. 1051 aufgenommen
sind. So auch Boissonade ad Manass. IV, 1.
Auch fr. 9 ist in den Fehlern der Handschriften das Ur-
sprüngliche noch ziemlich bestimmt zu sehen. Bei Strabon
XIII p. 6(Mf, zu welcher Stelle hier die Tzschuckisclien Varian-
ten nicht fehlen sollten , lesen wir, dass Alkäos, nachdem er
bey der Niederlage des Pittakos durch Phrynon seinen Schild
eiugebüsst hatte, denen in seinem Hause fdurch einen Freund
Melaiiippos , an welchen das Lied gerichtet war, wie Herodot
sagt) melden liess: 'AKuaiog öäog ccqol (Paris 1, Moscov. 1
ccQei) tvd^a d' (Medic. 3, 4 ivd^äds, Iv&dd') ovx ccvtov rov
[Mose, ov^vrov. Escur. ov^i' tov aX. auch in Paris., Medic. 4
fehlt Tor, in Medic. 3 sind die Worte Ovy, avtov — '^rtijcoi,
als unverständlich, ganz weggelassen. Paris. 5 ov •antat rov
al.) aXrjKTOQiv (Paris., Medic. 4, Paris. 1 ccXvxtoqtjv. Ven 1 ccl-
vxTogiv) eg rXavxca^tdv IeqÖv {6v fügen mehrere Handschr.
und die Ausgg. vor Casaubon hinzu) Ixoefiaöav 'Attikoi. Nehmen
■wir hieraus diese Lesarten ^Al'Aaiog öcöog kqu eW« ö' ov%i x6v
akrjxroQlv eg z. r. A , so ergiebt sich mit leichter Aenderung,
die noch leichter ist, wenn das oV nach akyi'/itOQlv gestanden
haben sollte, und mit annehmbarem Sinn folgende Hersteilung;
'AX%aio g 6c5og, dgriv swea Ö' ovxr xdv dkKriJQa
Q ivov e g rX avaanov isQov B%QBf.ta6av 'yixxiaoi,
welche freilich noch nicht die Worte des Dichters selbst, aber
vielleicht die, welche Strabon daraus nahm und, was die letzten
beti'itft, daraus machte, darstellt. Das Asyndeton im letzten
Satz ist acht und schön, da er die Erklärung des vorhergehen-
den enthält. Beyspiele aus Pindar giebt Böckh über die krit.
Behandh der Pind. Ged. § 6 p. 13. Oft'enbar falsch ist ÜQOi
oder auch ägn, 6aog"AQhL. Das folgende gVrg« gehört Wes-
seling, welcher schrieb: ag et ivxia ö' ovx y avtov tov dks-
xxfjga eg Fkavaanov %. t- k. Dass dkBxxoglv weder von Ca-
s a u b o n als galea^ quae köcpov habebat^ ut gallinae suam Ao-
(pidvhabent, noch von Hn. Matthiä als eine Form von dk-
Ttjg , 7nmii7nentum corporis, richtig und wahrscheinlich erklärt
Sey, vyird man zugeben. Der Homerische Ausdruck ^ivdv, zu
36 GriechischeLitteratur.
welchem älitt^Qa als Prädicat so passend ist, dass auch Ca-
sauboii an dixt^QLOV^ Valckeiiär an aAa|9^Tj^9tov dachten,
liegt in den Buchstaben der Handschriften vor. Die Worte
selbst in ihrem Zusammenhang hat Ilerodot vor Augen: uvtö$
^h' (psvyav excpsvyei C^kxalos ödog), ra de ol onXa 'löxovöl
'u4&r]vaiOi [evtsa ö' ovxi)^ accl 6(psa ccvEXQS^aöav 71905 to '^&i]-
vcciov TÖ SV Zliyhico %. r- A. üebrigens beweist das Aufhängen
des Schildes im 'J'empel nicht, was Piehn Lesbiac. p. 170 fol-
gert, dass die Feinde des Alkäos Tapferkeit vorzüglich schätz-
ten, da man oft der Riistungen und Watten viele den Göttern
weihte. Höchstens könnte man dabey, wenn man etwa aus-
wählte, auf die ansehnliche Stelle, die er unter seinen Mitbür-
gern einnahm, Rücksicht genommen haben.
Wir fügen eine vierte Stelle hinzu, welche schon auf die
verschiedenste Weise erjiänzt worden ist, fr. 54, um sie durch
strengere diplomatische Behandlung sichrer herzustellen. Die
alte und vorzüglichste, am llande beschädigte Pariser Hand-
sclirift des Strabon , wornach De la Porte du Theil das
9e B. bey der Französischen Uebersetzung edirt hat, giebt die
Strophe in diesen Zeilen :
ÖS xcclsl KcoQcchov, Uycav "JöG* 'Jd^ava dnoXs
ccTio KoiQCoviag stilÖecov (sie) avco (sie) TiagoL^tv dutpi . .
KdQaXlco Ttora^a jiaQ oiffaiq. 'Evruv&a
Hieraus ist in der Leipz. Litt. Z. 1816 S. 1999 mit Verwerfung
der von Friedemann gebildeten Strophe folgendes gemacht:
"ylvaöö' 'Ad'ccvccLcc TioXe^adoxog,
ä stov KoQCOvüag TtedCcov yvag
ava 7täQov%hv d^q)ißaivsig
KcoQakico notäyico TtccQ o%%aig,
mit der Bemerkung: „Die Worte ava TtaQot&BV sind zu klar,
als dass man hierin eine Aenderung wagen könnte. Vielmehr
deuten sie auf eine alte Sage hin, nach der der Fluss ehemals
kein Wasser hatte, aber später, was man wahrscheinlich der
Minerva zuschrieb, damit versehen wurde'*'. Ohne den Fluss,
der kein Fluss war, und Minerva, welche Flüsse schafft, näher
zu priifen, müssen wir bemerken, dass schon wegen der Lesart
des Mose, Escur. sTtl öeov avrcö und des Vatic. ejti de sub-
nexo vav avva ab alia tamen manu und des Paris. 2 km dscjv
ava das ava nicht als an und für sich selbst sicher gelten
kann. Im 2n V. ist nov nach dieser Ergänzung, in Verbindung
mit KoQtovtlag niöicov yvag dfXfptßaivEig (wie KiXXav dfiqjißs'
ßr^nag)^ da das Walten und Schützen einer gnädigen Gottheit
als ein immerwährendes und unbeschränktes zu denken ist,
unpassend, so sehr es dem Buchstaben nach sich empfiehlt; et-
was geziert aber KoQavsiag Tisöiav yvag. Dass nach naQOi^iV
Alcael Mytilcnaci Reliquiac. Edid. Mattlilae. 37
im Mose, und Vatic. eine Lücke sey, ist nach aller Wahrschein-
lichkeit ein Versehen von Tzsc hucke, der seine Note nicht
nach TiaQOid'BV , sondern nach dfiq)L hätte setzen sollen. Was
p. 50 1. 2 in unserer Sammlung steht, ä^q)co, kann nur Druck-
fehler für d^(pi seyn. Ob ava das Ende des zweyten oder,
wie Rec. glaubt, den Anfang des dritten Verses ausmache,
würde eher in das Auge fallen, wenn nicht die Lücke am Ende
der zweyten Zeile durch das zweynial zuijesetzte sie auf zwey
Punkte reducirt wäre, die wir nun beliebig zu vermehren ha-
ben. Auf jeden Fall wird durch die Beschaffenheit dieses Tex-
tes dieConjectur auf einen Buchstaben, höchstens auf eine Sylbe
beschränkt: jedes grössere Einschiebsel würde allein schon
zum Beweise dienen, dass der dadurch bedingte Sinn der Stro-
phe falsch sey. Für 'jl&avala setzen wir nach der Handschrift
Aeolisch ^A^aväa^ Gregor, de dial. Aeol. 19. Oaxdag Sapph.
fr. 25 ed. Neue. Auf keinen Fall darf xoQOvelecg tni gelesen
und mit dem Tempel verbunden werden, da dieser nach Stra-
bon iv tä tiqo KoQCovsiaq tceÖlcö, nemlich ehe man von Alalko-
menä her nach Koronea kam (Pausan. IX, 34, 1), und, wie wir
auch aus der von Friedemann benutzten Stelle des Lavacr.
PalK 63 wissen, am Fluss stand :
^* '«l KoQavsLttS, Lva ot rsdvw^evov aXöog
nccl ßco^ol norci^a zelvz' ItcI KcoQaXia.
Die Nennung aber des Tempels ist hier, wo seine Stätte (ira
vierten Vers) feyerlich angegeben wird, so natürlich zu erwar-
ten, dass wir aus avoa mit dem vorhergehenden v mit guter Zu-
versicht vavw d. i. vaov bilden, zumal da sich in der bekann-
ten Inschrift von Kumä wirklich auch diess Digamma vorfindet
NATOli:, NATSl (S. oben Th. 6 S. S!)9). Hierdurch sind
wir nun genöthigt mit den Buchstaben EIlIAEj/^, mit welchen
das V zusammenhieng, den zweyten Vers ohne Beyhüife eines
fremden Wortes auszufüllen, und können es indem wir setzen
iTtl Xai'o, mit der bey den Aeolern üblichen Diäresis, oder um
auch das Digamma der Variante E;riÖ£i;wv zu wahren, snl kavtc),
und es tritt so deutlicher als durch die blosse Stellung ihres
Tempels am Ufer des Flusses die Itonische Göttin des Land-
baus zugleich und des Krieges hervor, hinwandelnd durch Ko-
roneas Saatflur vor ihrem Tempel am Koralios.
"Ava0ö' 'A9avda sroAa^aöoKog,
u nov KoQcovstocg btcI Xata
vavä TtccQOL&tv d^cpißaCvBig
KaQttUco nozdyico nccQ '6%\lraig,
Nicht ganz befriedigend ist das absolut gebrauchte äficpLßaiVBtg'.
aber es wird sich schwerlich in STtLÖsa ein Zeitwort finden
lassen, um alsdann «jKpt ander» ergänzen zu können. Der
38 Griechische Litterntur.
Heraus^, hält es nicht für glaublich, dass ein Lesbischer Dichter
die Göttin vonKoronea angerufen haben werde, und denkt sich
daher diese Strophe, so wie das was Strabon iiber die Lage
von Onchestos anführt (fr. 55) , in einem Hymnus auf ApoUon,
welcher des Gottes Zug oder auch die Reise der Opfernden
nach Delphi schilderte. Allein den Aeoler aller Orten gieug
die altthessalische Göttin, welche in Koronea die Göttin der
Pamböotien geworden war, sehr nahe an, und mit diesem ih-
ren Aeolischen Hauptsitz mochte auch ein Lesbischer Dichter
einen Hymnus an sie eröffnen. Eine Anrufung der Pallas wür-
de in dem Hymnus eines andern Gottes nicht Platz gefunden
haben, was auch sonst von ihr hätte erwähnt werden mögen.
Ein Hauptgegenstand , worauf die Kritik bey diesen Frag-
menten sich angewiesen sieht, ist der Dialekt. Ueber diesen
werden wir unsere Bemerkungen um so mehr im Zusammenhang
vortragen, als Hr. Matthiä darüber so wenig wie über die
Sylbenmaasse in der Einleitung gesprochen hat. Bekannt ist
es, dass die Schriftsteller, welche einzelne Worte gebrauchen,
durch den fremden Charakter auswärtiger Mundarten den Ton
und die Harmonie ihrer Prosa zu unterbrechen mcistentheils
vermieden haben. Beyspiele unsern Dichter betreffend geben
uns fr. 5 Plutarch , wenn er sagt : ^iya sjcaiviovTsg , cjötcsq
i(py} xov IliTTa'Aov 6 'Akzalog — für ^sy IjiciiVBvvtsg, wie zwar
auch bey Aristoteles in den Versen selbst geschrieben ist; fr.
63 Aristides in den Worten: fjt tov 'ipöcpov ro^Bvovtsg, wo si-
cher stand Tc5 ■^öcpca. Eben so gewiss ist es, dass auch in gan-
zen Versen der Aeolisraus, es sey von den citirenden Schrift-
stellern oder nach und nach von den Abschreibern, bey denen
nichts gewöhnlicher ist, als Fehler aus Verwechselung solcher
Dialektformen mit den gemeinen, mehr oder weniger abgestreift
und mit den bekannteren Formen vertauscht worden ist, so dass
wir, die wir am Urkundlichen mehr Freude finden, genöthigt
sind ihn nach Vergleichung und Analogie häufig wieder herzu-
stellen. Dass von den Aeolischen Dichtern manche reine gram-
matische Formen des Lesbisch - Aeolischen Dialekts nie ge-
braucht worden seyen, ist durchaus zu bezweifeln. Wohl aber
mögen unter den Beyspielen bey AppoUonius und andern Gram-
matikern manche dem Alkäos und der Sappho gehören, bey
weiclien diese niclit genannt sind. Was in Hinsicht des Dia-
lekts noch einer Berichtigung bedürfen möchte, wird aus der
folgenden Uebersicht, welche die geringen Ueberreste umfasst,
aber auf sie auch fast allein sich beschränkt, ziemlich bestimmt
hervorgehen.
Ueber Consonanten ist wenig zu bemerken. Da Alkäos
nach ausdrücklicher Bemerkung des Etymol. M. fr. 98 dxvdödr]-
(II statt ä;^fß'gj^j[ifc schrieb, und wir fr. 60 itaQiödav, Tcagiöda-
VI, naQiööov bey Athenäus finden, so wie bey der Sappho
Alcaei Mytilenae! Reliqulae. Edid. Matthiae. 29
vöSav, kxaGSa, (pQovzlödtjv fr. 4. 34, 37, so wird er auch fr.
2 und 27 Zdsvg, fr. 2 6Öddr]lov^ fr. 40 xco^dödovra gesetzt ha-
ben. In einem Lykurgischen Ausspruch bey Plutarch Vit^ Ly-
curg. 19 ftEööco für ^Eitco. Ueber das Aeolische xö und nd s.
Corp. Inscr, I p. 36. FVir ^i finden wir n fr. 2G in tisö' 'JidUa^
fr. 69 TisdsxoLöav, wie Sappli. fr. 19 jcsdsxeigy wesslialb auch
fr. 76 7tBde%ov zu schreiben ist, fr. 78 TCBÖäoQOV, und statt 6'^-
ftata fr. 41 schrieb Hermann mit Recht oitnaxa. Was Ilr.
Matthiä fr. 29 setzt ngo-^öi^oiitg ^ riihrt von Blomfield
und Gaisford her: denn Athenäus p. 430 hat icQoaöi'Oiiiyy
so wie fr. 31 ^ävofiEV^ und jener Dorismns ist eben so wenig
glUtig als fr. 53 und 67 Blomfield s ijv&ov, ^v^fg. Was wir
nicht bemerkt finden, ist, dass Alkäos in manchen Wörtern
^ für n gebraucht hat. Es wird fr. 102 aus dem Etym. ange-
führt, dass er den Alp IniaXog., nicht riTtiaXog oder iqTCiälrig,
riTiiöhriq, aus Eustathius aber, dass er xov IcpLükr^jv eTtcäXrrjV
xatd naXaidv TtagaörjixsloöiV genannt habe. Diess alte Zei-
chen weiset Böckh Explic. ad Find. p. 271 s. bey Ilesychius
nach) welcher sagt: MsöoJieQÖrjv, ^söocpsgö^p , tov (liöov tov
(sie) (pEQO^Bvov ■ t6 yccQ TtaXatov reo n uvxl xov cp bxqcövxo
TtQOön&svrsg x6 xi^g daövryjxog ör]^Biov. Wenn also Alkäos
oder vielmehr sein Abschreiber zu gewisser Zeit schrieb Iniäkxrjg-,
so sprach er ungefähr aus Icpidlrrig, und diess selbst ist e dia-
lecto, wxchi 'ETiLulxrig bey Ilerodot, wie Koen ad Gregor, p.
400 meynt, während (leöontQÖrjv nur päläographisch abweicht.
Daher erklärt sich denn, wie auf einer Lesbischen 3Iünze ste-
hen kann OITTAKOU, und die Aeolische Aspiration in ^Tjxtiv
(fr. 30),_ov'^£v, fipco, &ciöog (Corp. Inscr T. I p. 881) geht
diesem gj zur Seite. Zweifelhaft hingegen wird, ob nicht «fijrl,
was nach dem Etym. M. p. 94, 19 den Aeolern eigen , was in
mehreren corapositis erhalten und bey der Sappho fr. 2(f ur-
kundlich ist, mit dem Spiritus geschrieben gewesen und dalier
cc(iq)t bey Alkäos fr. 27 u. 54 ganz recht ist. Und wie? W^ar
etwa TtccQog fr. 94 d , wovon Ilerodianus p. 35 s. (nicht 34) be-
hauptet, dass es die erste Sylbe naxä didkE'/.xov verlängere,
\ielniehr q)äQOg'i Ohnehin ist eben so wenig enl yciQ x6 irägog
ovsLttQov iuvtlxai, wie xoTiaQog bey ausgelassenem Subject ver-
ständlich. Und ist niclit von diesem Aeolisch aspirirten jc aus
Zeiten, worin der Spiritus noch nicht beigefügt wurde, die
Form vieler Namen als IlsoöEvg, ITegöLg, UsQöscpovrj, TIdv
fiir 0dav und in vielen andern, vorzüglich des Peloponnesischen
Aeolismus, zu erklären, so nemlirh, dass man diess nur beybe-
halten, weil es nicht genau dieselbe Art von Aspiration als das
q) ausdrückte ohne dass es darum immer bloss n gelautet hätte*?
Aber zu welcher Zeit schrieb man denn n statt IlH'i
Was die Vocale betrifft , so steht 1) ä für i in ntd^a p.
40 Griechische Litteratur.
12 neben srtE^ö ^na.Q^Ak'KaiG) 8i%ag Aeyerort}, und wie es scheint
fr. 1 V. 4 in ccQUog für egnog. Zwar ist bey Hesychius die Glosse
verniuthlich zu dieser Stelle, agKog, ccQXEö^a, ßo^Qsia: aber
bezeichnender ist ohne Zweifel aQxog iöxvgco ßekevg vonBein-
»schienen gesagt, und so hatten Jani, Blomfield und Gais-
ford, nach Yalckenärs Emendation, wasllr Matthiä über-
geht, geschrieben. Damit stimmt auch überein Callim. fr. 142:
VLcpstov xal ßiliav tQv^ia. Allein lieber als zu ändern wür-
den wir (gegen Hesychius) a.Q'Kog für f'pxog selbst nehmen, da
bey den Aeolern der Spiritus oft wegfällt. Auch ist fr. 34
akXota für «AAore, wie Blomf. geschrieben hat, durch die
Sappho begründet, und daher auch fr. 50 öriTioxB wahrschein-
lich zu ändern. Hier zugleich al für u fr. 15, 41,D4c und
xtatvoj fr. 111. — 2) ä für ?] herrsclit in der ersten üeclination
so sehr, dass fr. 1 öziyr] in ötsya^ und fr. (iH yrjg in yäg, wie
auch bey der Sappho I, 10 steht, nothwendig zu ändern ist.
Denn so haben wir, ausser dem weiblichen Artikel und dem
Relativum, die durchgängig in ä vorkommen, fr. 2 iöTonsöaVy
27 xoQöa, 28« ä ö' äga %aXbnä, wo im Cod. A rj und laXin^
übergeschrieben ist , 31 2J£^ilag, HEcpaXäg^ 32 naboiöas
m^aläg, 42 äyvd , 49 rag ^j-KV^Lnäg (in dem Cod. R. Steph.
in TOig ^J'jcf'&ixorg verdorben), 51 %irp(xKäg, yatag, 56 Tigära,
65 «öaAqpfß, 67 IXicpavtivav kaßav — %Qv6oÖBraVy 69 öbl-
Kav , 73 avrä. So bei der Sappho oQyav fr. 29, aoiöäv
48, naläv öekävav '^ , [iOQq)äv '^ii, /uoV« 55, fiva^oövva 19,
ccßQOövvav 43, wornach fr. 23 zu schreiben ist öToAav, so
wie Neue fr. 45 (XQBTfjg und j} corrigirt hat. Auch im Mascul.
fr. 8 ^axairav, TcaXaiördv. Sodann ist fr. 11, wo Aristides
die Worte des Dichters frey behandelt, vermuthlich gewesen
tv öadoiia^h'oii und fr. 1 v. 5 ßeßla^Evai, wie Sapph. fr. 19
tXTtsnora^äva, fr. 81 dydöauo für dyrjöaLto und 90 vTCOÖaöd-
^Bvog, wie 73 TtaXafidöo^ai^ 66 kuOag und Sapph. fr. Z^e^STto-
vaGai\ ib. 76 (cf. 94) dyaTtdta, beiAlkäos fr. 27 Ttendyccöt, wo
in Einer Handschrift des Athenäus rj übergeschrieben ist, eine
andre nBTtrjyaöi giebt, eine dritte das alte bewahrt hat, eben
wie fr. 28 bey demselben neben ^eXiadeog auch (lEhtjÖBog ge-
funden wird. Unstreitig ist fr. 50 'Agiözödafiov der andern
Lesart 'jQL6t6d7]^ov vorzuziehen. Erhalten hat sich ausserdem
das Aeolische ä in Namen wie KvlXdva fr. 22, 'A&dva 54, so
wie öBXdva, "Aßa 76, und in verschiedenen Worten, wie im Pro-
nomen a^ftfg, a^^L , a^^ic3v , d^^eötv, dann avd^tÖBg tr.l^
axBl 28 a, ddaa 28 a, ^EhaÖBog 28 b, 34, dÖv 32, diisga und
la^LxaÖBa 31, d^EQioLg auch bey Tricha in dem oben angeführ-
ten Vers, TcavväkoTCBg 53, naxordtav 69, övväy 82, TBzgddcov
116; und hergestellt wurde es in dkd&Bcc 37. Vermuthlich
Mar es auch statt r; in dyiriiavia 65, in ijot 95, und in yavQiq^
6, wie Sapph. fr. 44 ÖQnaxag. — 3) ä für ä in död^svoL fr.
Alcaei Myülenaei Rellquiae. Edld. Matthiae. 41
29, iivvd^iEVog 48, und im Gen. des Femin. erster Declin., was
die Grammatiker Dorisch nennen, xccrtävl, 'KvXi'iväv Trjt'av
35, naöäv 69, wie Sapph. I, 25 %akh7iäv ^bqiixvüv. Auf Mün-
zen findet sich auch &EPMITJN neben &EPM1TSIN. Ver-
inuthiich stand fr. 11 veagtu;, aber xdkccv für 'nccXcov fr. 2 ist
doch wohl nur Irrtlium gewesen. — 4) £ für ä m xpfTOg, wie
fr. 14 für KQdzog zu schreiben ist. S. Buttmanns Gramm. I^
103, Anm. — 5) i] fürat. TiiqQag fr. 47, ^ TQQayirjcp , fivgöivtja
70, tETQaßaQi]Cov 83, k/jvo&ev 94c, nach einer Handschrift des
Athenäus auch o'^j^'to), und besonders im Infinitiv, vgl. Gregor,
de dial. Aeol. § 10, HTirjV fr. 41 und 50, wo die Grammatiker
atatftv gesetzt haben, Hr. Mattliiä aber das Richtige herstellt,
wie er auch fr. 4 und 29 bey jcLviiv und STiLtQtJtEiv hätte thun
sollen. Auch im Dativ ist zJsvvofiivr] wegen der Uebereinstim-
mung der Handschriften des Athenäus und des Hephästion fr. 60
u. 70 nicht wohl zu verwerfen. Auch haben fr. 1 die Hand-
schriften "^pjy {'(ir"jQSL. Die ;^apa IlirTccKSiog des Diogenes
I, 75 wird auch nirrdxijov, nicht TlLXtd'AiOV , wie Plutarch de
Herod. malign. schreibt, geheissen haben. — 6) ; für e. %vvl-
ai(5i und jf^aXuLai^ wie die Handschriften fr. 1 jenes alle, dieses
Eine geben und herzustellen ist. So 6i6g , xalxioiKog im La-
konischen. Vgl. Neue ad Sapph. fr. 5. Dann ig für og in
BvK%ig fr. 29, wo das Etym. M. angeführt ist. Besonders
kommt diese Form noch in vielen Eigennamen vor, als ÄeAjUtg,
®ct.^.VQig-, 06Q(XLg etc. — 7) ö für ä, 'j^ökaiGi fr. 2 für j^aAaöt,
yvocpaXlov (d. i, yvöcpaXov) 27, oviaig 72 (fr. 8 ist für dvlav
zu lesen ^lav) , xoyiiaig 76. Eine Mitylenische Inschrift bey
Paciaudi hat ötQOtayci. — 8) ö für tJ, oQavä fr. 27 , aber fr.
52 aQavä^ wo nicht zu ändern ist: wie denn Herodian in der
p. 71 angeführten Stelle beyde Formen bey Alkäos behauptet,
der auch, wie schon bemerkt, 7Ciät,co und jrta'^G) schrieb. Beyde
auch hat Sappho fr. 9 und I, 11 (vgl. Neue) und fr. 21. Für
das kurze ö möchte Buttmann Levilog. I, 32, Gramm. I, 100
Not. der Äeolischen Aussprache wegen schreiben ovgavcö. Eher
noch V. — i)) V für ä, Bvxxig fr. 29. — 10) v für ö, Maya-
XdyvQog ohne Zweifel nach den Versen selbst, hey Strabon in
der zu fr. 6 angeführten Stelle, wo nicht gegen die Handschrif-
ten MayaXayoQG) geschrieben seyn sollte. So dyvgig, nav^-
yvQig, o^rjyvQLg. Eustath. ad II. p. 631, 45- Bast ad Gregor.
p. 585. — 11) w für 00, fr. 6 aldäg für aldoog, und für ov,
KcoQdlLog für den Böotischen Fluss Kovgdkiog fr. 54, (wie
MüJöat, Imäöai, ßald Gramm. Leid, de dial. Aeol. 5, 11 (auf
Steinen ßoAAa), agavog), wiewohl hier auch die Lesart KvQaXla
zu beachten, da auch Sappho liXvvri und v.axiQvra hat, und
dasBöotischeov {KovQdkiog) doch wohl in langes v nicht we-
niger als in das kurze übergehii konnte, so wie umgekehrt ye-
42 Griechische Litteratur.
(pvQcc in ÖLq)OVQcc. Der Genitiv kommt so häufig vor — fr. 1
l6XVQ<^, v£W Atvö, 5 a;foAc3, 20 fieyaAö, 27 opavoj, 28 b tcj,
30 a^niXa, 32 jcarTcö, tg5 ;n;oAic5, 33 «Vj^t«, 41 rcj Sfnaico^
52 w'pavoj, 53 axfavä, 54 vaocä und KvquXico jrora^cJ, 67
Tc5 |tg)£og, fi8 atyto;^«, 81b ol'xo T£ jr£pöw, — dass auch 34
o^urE^of und (13 fx toü ■i\}6^)0V corrigirt werden müssen. Die
Form 8QXO^ivoio ist nur ia dem Aeoliscli daktylisclien Penta-
meter fr. 28 Ä.
Von Diphthongeii finden wir 12) ai fi'ir ä, %6Xai6i für
%aXä6i fr. 2, und so öiipaLö' 28 ß (wie wir nach der Lesart aller
Handschriften dl öti^aig, de diil'cag, mit Porson, welcher
nur falsch dti/^äö' emendirte, und mit Neue Sapph. p. 32, für
ÖL^ähey unserem Vf. schreiben; denn einen Infinitiv ö/i^atg,
welchen Bern h ardy Eratosth, p. laß hier annimmt, gab es
niclit), iiaiatiav fr. S, im Accusativ y,vXiivaig ^isydkatg^ tcolxL-
Xatg, TcXbiaiq 31, ovicag 72, wesshalb wohl auch fr. 33 zu
schreiben Tilezraig, und 90 Zlxvd'LKaig^ während fr. 54 und 68
der Casus ungewiss ist, im Nomin. xo^daig für ra^iag 76 (wie
^sXaig., TßAatg, Gregor, de dial. Aeol. § 24, dazu auch &6tti,g,
Choerobosc. ap. Bekk. Anecd. Gr. p. 1183) , so wie das Partici-
pium ziQvaig 27, 31, wogegen 47 steht mvrjöag und 66 Xaöag
(wenn nicht Xäöag). Der Genitiv fr. 31 im Cod. B. des Athe-
näus jcanuBcpakalg ist für sich allein mehr als verdäclitig. Nach
Priscian. p. 30 würden wir fr. 50 und 68 setzen (pcciöC. — 13)
£u für £0, ßf/lEUg fr. 1, [loxQ'Bvvtsg 2 , ajtaLVEVVTsg b , fiagtv-
QBvvtagm; doch aber auch jroTf'ovrat 35. — 14) ol für ou,
im Accus. TtaßödXoig fr. 3, aber ccjioXXviisvovg 80 , im Präsens
Indic. XQVTCTOLöi fr. 1, wonach das vorhergehende vsvovölv zu
ändern ist, im Partie Ttad'Oiöag 32, wie Sappho fr. 51 mdsxoL-
öav 69, TivEvoLöa 82. — 15) Statt Diphthongs die folgende
liquida verdoppelt, Avie deggSL fr. 75, ^evvoubvi] f r. 60 , 70
(wie dBVvdt,aLv) für ötvvo^svr], wie an beyden Orten in den
Handschriften steht. Gregor, dial. Aeol. 11. 20. Mitylenische
Inschrift bei Dodwell und Ilicliter tat ßoXkca u. s. w.
Andre Aeolische Eigenthümlichkeitcn sind noch ausser den
Pronominalformen die Endungen Öevöqbov fr. 30 (Gregor, dial.
Aeol. 13), ddsXq)Ea aösAgDEog 65, 81, rcog 81, eov 112, dXd&Ea
für aAr;{)£ta37; dann olöa p. 72, der Infinitiv ^£Öi;6i^?yiv 4, wel-
chen alle Handschriften geben, und Buttm. Gramm. II, 186
Anm. gut heisst, auch fr. 29; ferner das Digainma, welches in
fgrj^Lg fr. 119 Einmal gefunden wurde, dann in vavä fr. 54,
i^E&Evlii , und nach einer Lesart vermuthlich S^olvcp 28« (dann
also auch 29, 31, 36, 37). Wegen des Hiatus fr. 1 vno HQyov
zu schreiben (was der llec. Jen. L. 1816 Nr. 249 verlangt), wie
in der Eleischen Inschrift S^AFFOIS vorkommt , ist wegen ro
d' EQyov fr. 81 a nicht rathsam. Eben so wenig tc Feinijv ^1,
Alcan't Mytilcnaci Rellquiae. Edid. Matthiae. 4$
mit Blomfield und Ilerrnaun Elem. p. (189, da vorhergeht
ti t bItitIv. Also auch nicht a i^Btsga 31, welches M e h 1 li o r n
Anthol. lyric. ziilässt mit Rücksicht auf Schol. üioiiys. Gram-*
mat. in Bekkers Aiiecd. Gr. p. 777: ölya^^ia TiQOöTi&eaöLV ot
Mo'ulg SKaörij Xe^sl [ty] nag 7]^iv öaövvoiiivr], avrol iakovv-
T£S Ttäöav X£E.iV. et". Gramm. Leid. dial. Aeol. 7. Ausnalimeu
s. im Corp. Inscr. T. l p. 7] 9. Zantpol ist fr. 42 richti;?, wäh-
rend Sappho auch Wancpa schreibt. In T ist das Di^amma
übergegaDgen in EvQog fr. 86, oder vielmehr "Eupog fürEßgos,
wie aucli fr. 1 iöxayav zu schreiben ist. DieAeolisclie Accen-
tuation ist nicht leicht consequent durchzuführen. Hr. Mat-
thiä schreibt fr. 1 v,vccyLi8iq statt xvafildsg, nach den Regeln
der Grammatiker (Corp. I. 1. c), namentlich des llerodianus in
den Noten zum Gregor, p. 617, der auch fr. 107 hey"jQSvg in
gleicher Beziehung von Eustathius angeführt wird, fr. 33 nks-
xrag , nach den Handschriften, ^iQvaig 27 und 31 gegen die-
selben, wie Blomfiel d. Porson schrieb xtpi^a/g. Rec. hat
oben loXaiöi und di^aiöi, gezeichnet. Für kyav fr. 73 ist eyav
nach ApoUonius zu setzen , wie er auch von ^bööol fr. 52 an-
merkt (die Stelle jetzt in den Anecd. Gr. p. 588), dass es 'natcc
TO JIoXlxov eO'os den gravis habe. Für ^s&vöd'fjv, wie Koeii
fi\ 29 schrieb (denn nur durch Druckfehler ist es hier anders),
hat der Cod. Yen. selbst fied'vö&r^v. Aber theils unbestimm-
tere Ausdrücke der Grammatiker , wie des Leidnischen Etym.
M. zum Gregor, p. 60O %aiQov6i rfj ßaQBta tccöbl, theils beson-
dre Bestimmungen, wie des Arkadius p. 10 td Big vv hjyovta
ßaQvvBtai B^uLQ Btag nagd zolg AIoXbvöl^ (pOQ'Kvv, iiöXxvv,
yÖQTVV^XBKTVv, 6 TBKXcov , nöthigeu uns zur Einschränkung im
Anwenden. Die Präpositionen und Conjunctionen, welche die
gemeine Betonung behalten, und einige andre Ausnahmen führt
Böckh an.
Nach diesen nicht zu umgehenden Kleinigkeiten mögen zu
den obigen noch einige Bemerkungen zur Erklärung und Wür-
digung der Fragmente selbst folgen. Die geringen Zusätze,
welche Blomfield zu seiner Bearbeitung im Museum Crit.
N. VIll, 1826, p. 005 — 7 geliefert hat, werden wir dabey be-
rücksichtigen.
1. MaQ^aLQBi 8b ^iyag dö^og %aXK(p • Ttäöa d'"AQBi ^'yiQ'yj)
iCBx66[i7]xaL öxBya %. x. X. Den Gebrauch, Waffen und Rüstung
an den Wänden zum Schmuck aufzuhängen, lehren uns auch
mehrere Vasengemälde, worauf einzelne Beinschienen, Schilde,
Schwerdter als Zeichen von mehreren auf diese Art angebracht
erscheinen, namentlich auch das schon in den Monumenti ined.
tav. 143 abgebildete. Die Gräber von Canosa haben gezeigt,
dass auch die Wohnungen der Todten auf gleiche Weise ge-
schmückt wurden. Mit der Schilderung, dieAlkäos von seinem
44 Griechische Litteratur.
Hause in dieser Hinsicht giebt — denn sein eignes ist nach der
Anführung des Athenäus zu verstehen — ist eine altenglisclie
Halle nach jener Ballade zu vergleichen:
In an old hall hiing round Avith pikes and with bows,
Mith old bucklers and corslets that had borne many shrewd
blows.
Der letzte Vers aber enthält eine Aufforderung die Waffen her-
unterzunehmen oder wenigstens sich zum Kampfe gerüstet zu
halten, da einmal die Fehde unternommen sey: und hiermit
konnte sehr wohl ein schönes Ganze beschlossen seyn. Was
die Hauptsache ist, verliert durch die Kürze, womit es sich
dem prachtvoll ausgemalten Waffenvorrath anschiiesst, keines-
wegs an IVachdruck: und die Construction der Ode, wenn es
eine ganze ist, lässt sich mit mehr als einer Horazischen ver-
gleichen. Auf diess Lied passen also die Worte des Maximus
Tyrius Diss. 37 p. 439: xai Z^TtaQriätag ijysLQS xa Tvgraiov
^TtTj xal 'AQyBiovq xa TelsöilXTjg yi,ilYi xat Asößiovg rj 'Jlxaiov
(odrj. Einen ganz verschiedenen Sinn legte Jani in das Ge-
dicht: Scilicet fortitiidineni siunn laudetnque bellicam ita ex~
tollit^ ut suniftiam se in ea felicitatem suam ac gloriam positam
putare prodat : und zum letzten Vers : Non licet haec oblivisci^
per Xixory^xa^ pj'o, omnium maxime his spoliis mihi gloriandum.
puto^ summain meam in iis gloria?n pono. — Quoniam ante omnia
hoc munus suscepimus^ htiic muJieri nos ante omnia addiximus,
h. e. qiio7iiam bellatoiis munere et gloiia fiihil nobis in his ter-
ris piius aiit carius est. Zu diesem Missverständniss haben die
Worte des Athenäus Anlass gegeben, die sich indessen auch
mit der andern Auslegung des Ganzen vertragen. Die Vermu-
thung Leipz. L. Z. 1816 Nr. 15 und Elem. metr, p. 437, dass
ein andres Fragment (n. 46) zu diesen Versen gehöre, beruht
auf nichts weiter als der Uebereinstimmung des Sylbenmaasses,
Vs. 2 ktVKol Aogjot. Aristoph. Kan. 1016 Isvxokocpovs XQV(pa-
Kuag. Vs. 3 s. xäk-Kiai Öl naööäloig xQVTtroiötv TiEQixdptvav
lapjiQal xvciUiÖsg, verstehn wir nicht mit dem Herausgeber,
Jani u. a. hqvtixoIölv als Beywort des Accusativs naöödkoigy
occult OS., quatenus armis suspensis tegfintu?-, ita ut nullus
clavus nudus aut vacuussit^ sondern als das, was gerade ver-
misst wird, da unmöglich ^tva^töf g mit vivovöi ikocpoi) verbun-
den werden kann, als das Zeitwort, also xpvjrrotöt, wonach
denn freylich auch im vorhergehenden Vers vbvolöiv für vav-
ovöLV zu schreiben ist. Eben so auch der Jenaische Recensent
1827 N. 216, indem er emendirt %a66dlovg 'HQvnrovöi, ohne
zu bemerken, dass bloss der Accent zu ändern nöthig war. So
gchliessen sich die Participien TtegLUsifisvac und nachher ßsßXrj-
nivccL zum langen und vollen Satz verbunden sehr bequem an.
Ueber aQXog V. 4 s. oben. Schwieriger und noch nicht wahr-
Alcaei MytIIenaei Reliqulae. Edid. Matthiae. 45
scheinlich hergestellt ist V. 5. Durch %üaTai xb wird doch nur
eine nothdürfti^e Construction und ein etwas platter Ausdruck,
nach der Verbindung dieses Worts mit ßtßlrjfisvai, gewonnen;
denn Casaubons Conjectur ßsßkrjfiev a v^ occisorwn^ kann
nicht in Betracht kommen. Auch steht Aeolisch xeccro, um
nicht fr, 70 anzuführen, Theoer. XXIX, 3. Kynaööig ist auch
von Hesychius und Photius erklärt. Die Versabtiieilung, welche
der Ilerausg. annimmt , findet sich im Wesentlichen auch bey
dem Rec, aus weichem er zu V. 5 die Conjectur y.öXXaTai xe
anführt. Wir vermeiden dadurcli die Janischen Aenderungen
V. 2 LJiTCBLOi, V. 3 xdyd?,^ara, wo ausserdem der Artikel übel
steht., und d' av, V. (J wieder ö' av, was in so kleinem Raum
sich nicht angenelim wiederholt.
2. Aus dem 2n Vs. ohne den Namen afi^sg d' av x6 ^iööov
bey Apollon. de pronom. p. 379 (Evc. Voss. p. 428), wo noch
Ueöov gelesen wird. Im 4n ist Schows ndKcov über allen
Zweifel. Auch Weber zu den elegischen Dichtern der Hel-
lenen S. 572 drückt es in der Uebersetzung dieser Verse aus.
Wie matt dagegen xaldv lözoTceöav, und wie gezwungen eine
darnach gemodelte Construction! Ob aber für jcaQ ^iv ydg
ttvtkog lötoTcäduv 8^si zu setzen sey tceq, diess steht dahin, da
uvzXog l%Bi absolut gebraucht seyn könnte , etwa nach wirkli-
cher Schiffersprache, ähnlich wie xloveq i5ipo'ö' exovxsg und
syxog BöiB dt a^ov, worin schwerlich der Begriff des Eraporra-
gens liegt. Die Trennung der Präposition vom Accus, ist so er-
träglich wie vom Verbum.
4. Es war ein verkehrter Gedanke, wenn gleich selbst
Person ihm beygestimmt hat, auf welchen sich dann Gais-
f ord ad Hephaest. p. 336 verlassen haben wird, dass statt der
Worte :
Nvv XQ^ fi£xtv6d-r]V Ktti nva ytgog ßiav
yilvrjv BTCBtörj xdxö'ccvB MvQöikog,
wegen der Horazischen Od. I, 37:
Nunc est bibendum, nunc pede libero
Fulsanda tcllus ; nunc Saliaribus
Omare pulvinar deorum
Tempus erat daplbus, st>dalcs:
Alkäos geschrieben haben sollte:
Nvv %Qrj ^Bd-vö&rjv, xal x^ova Jtgog ßiav
naitjv, BTiBidij xdx&avs MvgöUog.
Angenommen, dass Horatius ausser dem Sylbenmaass und dem
Anfang Nunc est bibendum auch die folgenden Worte nicht
selbst erfunden habe, da doch von da an wenigstens keine ent-
fernte Aehnlichkeit mehr mit der Alkäischen Ode ist, so konnte
46 Griechische Litteratur.
ja gleich die folgende Strophe bey Alkäos mit Wiederholung
der Anfangsworte, oder eine vorhergehende so beginnen wie
die ersten anderthalb Verse im Lateinischen lauten. An zufäl-
lige Corruption ist nicht zu denken: wollte man aber annehmen,
dass bey Gelegenheit des Wetttrinkens die Worte des Alkäos
absichtlich verändert worden seyen, so steht tmLÖtj aät&av8
MvQ0'ilog entgegen, welches zum allgemeinen Gebrauch der
Strophe als Skolion dann ebenfalls hätte umgebildet werden
müssen. Das Wetttrinken schien ohne Zweifel dem Iloratius
nicht zur römischen Todtenfeyer einer feindlichen Königin
geeignet; ersetzteTanz und Saliarische Mahle, worunter nicht,
wie man allgemein erklärt liat, bloss epulae opiparue verstan-
den werden können. Vielmehr zeigt die Verbitidung mit pul-
tnnar deormn diesen Sinn an, dass jetzt der Zeitpunkt wäre,
•wo man dem Mars durch seine Salier selbst ein Dankfest feyern
sollte, ohne dass darum an eine wirkliche Aufforderung es zu
thun gedacht wird. Da nun die Mahle der Salier auf ihre
Tanzprocession folgten, so scheint es, dass auch in dem, was
vorher zu den Freunden aulfordernd gesagt ist, 7m?ic pede lihe-
ro pitlsa?ida tefü/s, die Vergleichung versteckt liegt, lasst uns
tanzen und trinken wie die Salier. Ucbrigens ist TtQog ßlav
zum Tanzen auch nicht der rechte Ausdruck, da es immer eine
von andern angewandte oder eine gegen sich selbst geübte Ge-
walt, nicht aber kräftig ausdrücken wird. Hingegen zu trinken
mit Gewalt nöthigte man sich gegenseitig durch das Gesetz des
Gelags.
5. Das falsche döxo^a findet sich in den Ausgaben, na-
mentlich bey Camerarius und Schneider; die Hand-
schriften aber haben alle c?%6/ltö, wie Göttling zu der Stelle
bemerkt.
0. Auch Suidas hat ^ocpodEQxiag. H. Stephanus Thes.
I, löll s. vertheidigt t,0(podoQ7tLag. Wegen der patronymischen
Form ^oq)odoQ7tLdag^ welche die richtigeist, s. Lobeck ad Ajac.
879. Aehnlich gebraucht Archilochus fr. 170 GVKOVQayLÖrjg.
Auch sind Mikirl8r}g und Plagipatida bey Plautus dieser Art.
Eine sonderbare Erklärung aber würde es seyn , welche die
Ausgaben, auch die neue, den Diogenes geben lassen, t,o(po8oQ-
TiLÖav cog älvivov. Man setze ahxvov, tinlecherhaft, und trage
diess Wort auch im Lexikon nach. Den Sinn des Alkäos hat
er nicht getroffen ; aber diese Bedeutung könnte wenigstens an
sich das Wort haben. Statt a;;aöv^roi/, welches in Prestels
Beyträgen zu Schneiders Wörterb. 1822 S. 1 erklärt wird, hat
Suidas ayaövgaGtov.
8. Die Worte ov q^rjöiv 'Alyiaiog BaßvXaviOig öv^^ce-^
lovvxa TsUöai ^syuv a&kov nal bjc növav avtovg Qvöaö^ai,
obgleich man Alkäische darunter erkennt, können nicht me-
trisch unterschieden werden, während die folgenden durch ä§
Alcaei Mytilenaei Reliquiac. Edid. Mattliiae. 47
cprj6i als des Dicliters eigene sich zu erkennen geben, und diese sind
allerdings Asklepiadeiscli, so wie sie von O. Miiller im Rhei-
nischen Museum I, 290 hergestellt und mit fr. ({7 trelFend ver-
bunden worden sind. Die Vermuthungen iiber den Krieg und
die Schlacht selbst, in welcher Antimenidas dem Nebukadnezar
gedient habe, so wie iiber den Charakter des Gedichts S. 296,
sind aller Aufmerksamkeit werth.
9. Die vergeblichen Coiijecturen Viber diese Stelle hat Bur-
ges ad Eumen.38I mit einer neuen recht luftigen oder fratzen-
haften vermehrt. Mit Hecht hat Hr. Matthiä, obgleich die
Worte '^Axato? öcoog oder öcog siclier sclicinen, das Scholion
zu 11. XXII, 332 nicht hierher bezogen, da man aus 6c5g nicht
sehen kann, ob Alkäos ßo'og und öaog contrahirte, wohl aber
aus aidäg fiir alÖovg (wie rag rvQivväg bey der Sappho) fr. 7,
wobey das Scholion passend angefiihrt ist. Die Nachahmung
des Iloratius relictanon bejie pai rimla ^ und die gleiche Aeus-
serung des Archilochus diirfen wohl, wie bekannt sie auch
seyen, in einer Ausgabe doch nicht übergangen werden.
11. Was die beyden Stellen des Aristides betrifft, so
scheint nur die zweyte(T. I p. 555Jebb.), wo der Dichter nicht
genannt ist, dessen eigene Worte, und fast nur und bis zuletzt
(mit Ausnahme besonders von ;^p7^ö^at övva(iBvoi) Alkäische
Ausdrücke zu enthalten , worin auch die Alkäische Strophe er-
kennbar ist, die andere aber T. II p. 207, wo er genannt ist,
bloss in prosaischer Umschreibung oder aus Worten des Rhe-
tors zu bestehn. Namentlich steht die Wendung c?AA' ävÖQSg
durch die Wiederholung in beyden Stellen als Alkäisch fest :
und darumhat Blomfield Unrecht, das folgende Fragment,
welches ohnehin choriambisch ist, mit dem gegenwärtigen zu
verbinden. Den Ausdruck vECOQca hat Piaton beybehalten wo
er auf diese Strophe anspielt.
12 Wohl ist nach den Stellen die Lesart avdgsg ydg no-
Ascog nvQyog dQYj'ioL ermittelt, obgleich TivQyoi ccQrjYoi an sich
nicht übel ist. Denn wenn nicht jeder Bürger ein Thurm ist,
so wird die Stadt doch auch nicht eigentlich durch einen ein-
zelnen Thurm geschützt. Noch anders Demosthenes bey dem
Schol. des Sophokles: avögeg yccQ no Isig %al ov rslxr] , oder
vielmehr Thukydides VII, 77, wie Valckenär Diatr. p. 217
bemerkt, wo auch die Stelle des Alkäos genau geschrieben
wie oben aus Canter angeführt ist.
13. Die Worte ov Titgäönu xd iniöYnia onXa sind gewiss
nicht, was schon Blomfield vermuthete, die des Alkäos,
welche Aeschylus vor Augen gehabt haben soll , sondern des
Scholiasten Erklärung der Aeschylischen ovÖ' iknonoid yiyvbxab
T« ö-^fiata, wie auch die Verbindung zeigt ov xitgäöuBL —
ovöa avxcc xad"' iavxd dvva^uv h%Bi.
14. Für £öVj^(j£v führt Blomfield in den Zusätzen (ovyiq
48 Griechische Litteratur.
aus Dobraei Collatio Aristoph. Vesp. p. 96 an , und eben so hat
der Schol. Cod. Rav. zu Thesmoph. 162 avi^Q ovrog x. t. A.
Also covEQ, nicht av^Qacp.
17. Die Worte xvkvol t6 ccQ(ia sind nicht von Alkäos, wie
Voss in den Mythol. Br. I, 159 und noch bestimmter in der
neuen. Ausg. I, 172 voraussetzt, sondern des Sophisten. In der
Emendation £q)rJKS für f(pr] xccl trifft Hr. M a 1 1 h i ä mit Jacobs
in den im selben Jalir erschienenen Lectt. Stobens. p. XVII
überein. Mit Schwanen fährt auch der ApoUon der Sappho
zum Helikon fr. 134.
21 — 23. In dem, was Menander '^Egfiov yovag nennt, war
gewiss das Wegtreiben der Rinder des Apollon und das Entwen-
den seines Köchers die Hauptsache. Allein die Art, wie dieses
Huratius I. 10 kurz andeutet, reicht keineswegs zu, um zu glau-
ben, dass man darnach d. i. nach einer ähnlichen Ode hätte sa-
gen können, Alkäos hahe'Eg^ov yovccg gesungen. Also hat er
entweder einen zvveyten Hymnus auf Hermes geschrieben, wel-
chen der Horazische Mercuri^ facunde nepos Atlantis nach-
ahmte, wenn Porphyrion bey diesem Recht hatte zu sagen:
Hymnus in Merciirium ab Alcaeo lyrico poeta — und XaiQS
KvkXavag 6 iiiSiig, Gs yccQ /iot, was allerdings auch Anfang
scJieint, ist mit jenem Anfang zu vergleichen, obwohl es auch
eine ähnliche Ode wie Hör. HI, 11 eingeleitet haben kann —
oder Horatius hat die Ausführung der Geburtslegende wegge-
lassen oder nur berührt, so wie er auch das Alkäische Prädi-
cat des Hermes, dass er Mundschenk sey, nicht ausdrückt.
Diess könnte übrigens so wie alle andere auch in dem Geburts-
hymnus selbst bloss in der Einleitung oder Anrede vorgekom-
men seyn. Es legte ihm diess auch Sappho bey, und Lucian
berührt es Charont. 1, D. D. 24. Vgl. Wiuckelm. Mon. ined. P.
I c, 16 n. 2. Von der durch Voss veranlassten Vorstellung,
dass der Verfasser des Homerischen Hymnus den des Alkäos
vor Augen gehabt habe, ist die, welche über jene Poesie, die
eine der wichtigsten ist, Rec. hat, sehr verschieden. Von fr.
22 führt Apollon. de synt. p. 92 ed. Bekk. die Worte KvXXävag
6 [isdEig an, und rechtfertigt gegen Apion die Form ^ed^^L wie
ol'xjyjut, welche in Buttmanns Gramm. I, 515 dem Sapphischen
(fiXrj^iy oiaXfj^ii beygefügt werden kann. Der dort erwähnte
Grammatiker 6 fiox^og kommt auch bey Schol. Aristoph. Pac.
178 vor. Des Cod. Flor, ög ^sdkig wie 6 (ieöcov bey Turnebus
sind aus der gleichen ünkenntniss dieserForm hervorgegangen.
In unsrer Ausgabe ist o zu corrigiren.
24. Die schöne Dichtung, dass Eros von Iris und Zephyros
erzeugt sey, was wir auch bey Nonnus XXXI, 110 wieder finden,
hat Plutarch so wenig als neuere Erklärer verstanden, wenn sie
nemlich an den Liebesgott dachten, da doch offenbar der kos-
mogonische oder der Eros der Natur verstanden ist, wie auch
Alcaei Mytilenaei Rcliqulae. Edid. Mattliiuc. 49
der Grammatiker im Etymol. Gud. bemerkt hat. Um so mehr
ist es wahrscheinlich, dass die Worte aus einem Hymnus her-
riihreii. Wenn ein goldgelockter Zephyr haucht ( ccB^icpVTOS
hey Nonnus) und in fruchtbarem Regen Iris aufgeht, dann er-
wacht Lebenstrieb und Wachsthum. Zephyr erscheint in glei-
chem Charakter in der Verbindung mit Chloris oder Flora, wel-
che in einem neuentdeckten Gemälde in Pompeji erkannt wor-
den ist. S. diese Jahrbb. Bd. 0 S. 473. Aehnlicli ist die Idee
des Eros, welche dem Sapphisclien Bilde zu Grund liegt, dass
er Sohn des Himmels u. der Aphrodite sey (Argum. Theoer. 13),
und vom Himmel herab komme in Purpurgewand (fr. 21 ed.
Neue). Wenigstens hält Ilec. es für wahrscheinlicher, dass
diess allegorisch, als dass es mit Beziehung auf ein etwaiges be-
kleidetes Terapelbild eigentlich zu nehmen sey. Die Bedeutung
der Iris, welche wir annehmen, bestätigt sich durch die Bilder
an dem altförmigen Grab des Hyakinthos, auf welchem die alte
Säule des Ämykläischen Gottes aufgerichtet war, bey Pausa-
nias in, 19,4. Denn da ist sie, Biris nach Lakonischer Form
genannt, neben Poseidon und Amphitrite, als dem allgemeinen
Element des Wassers, in Gesellschaft des Dionysos und derino,
der Demeter und des Pluton, welche bey de sie auch häufig
nebst den Hören bey der Scene des Raubes auf blühender Trift
begleitet (Welckers Zeitschrift für alte Kunst S. 83), und wir
dürfen nicht zweifeln, dass hinter dem Heros Hyakinthos selbst,
dem Sohn des Amyklas, d. i. dem Ämykläischen, welcher von
Apollon getödet in die mit dem Frühling zugleich (wie Philo-
stratos sagt) kommende Blume verwandelt wird, und welcher
Spenden in seinem Grab an den Hyakinthien des Apollon em-
pfängt, ein Dämon des Frühlingsregens, woher sich auch der
Name"T*ßxog, 'T'axtz^&og erklärt, versteckt ist, ein Dämon, der
dem Apollon erliegt, wie Kora von Pluton geraubt wird. Vgl,
Thiersch Epochen der bildenden Kunst I Not. 23. Selbst Ze-
phyros, welcher den Discos des Apollon auf den blühenden
Jüngling treibt, ist aus der allegorischen in die poetische Le-
gende hinübergenommen, sowie auch die jungfräulich gestor-
bene Schwester Polyböa, die mit dem Hyakinthos von den Mö-
ren, den Hören und den drey Göttinnen, welche mit der Kora
spielen, in den Himmel getragen wird, dem Begriffe des Heros
sich anschliesst.
25. Die Worte asiöov a^iiii xdv loxoXnov scheinen einen
Hymnus auf Aphrodite zu eröffnen. Sie wird loßl£q)ttQog von
Pindar, lo6xicpavog von Solon und in den Homerischen Hym-
nen HI, 176 ( Cod. Mose. ) und VI, 18 genannt. Sappho heisst
dem Alkäos fr. 42 loTcloKog.
Dagegen ist fr. 26 schwerlich ein Hymnus zu nennen, eher
ein Skolion. Herr Matt hiä schreibt: Kgovida ßaßLlrjog ys-
vog, Alav , tov uqlötov TtsÖ' ^AiiXXia. Chöroboskos ia den
Jahrh. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. V Heft 1. 4
50 Griechische Litteratur.
Aiiecd. Gr. p. 1183 erklärt /4l'av rov agißtov für den Accusativ,
wie @6av bey Hesiodus : ot- yccQ TtoiTjtccl ^stgco dovXsvovteg
noXkccv.ig 8id ttjv ävdyxrjv xov ^stqov Tcagaßaivovöi xov na-
vöva. Allein vielleicht erklärte er nur das Fragment unrichtig,
in welcliem xov auch das Relativ seyn kann, mit abgebrochner
oder schwebender Hede, wie die Metriker viele Verse anfüh-
ren. Hierauf leitet das bekannte Skollon: Tlal TeXa^icoi'og,
j4iav, alx^Tjxcc, ^ayovöt ös sg Tgolav uqiöxov ik^tlv
^avacSv (iez' 'AiiXkia, welches vielleicht nur eine Variation
war von dem des Alkäos. Mit diesem könnte fr. 4J) 'Axilkev, og
xag Uoiv&txäg (isÖBig verbunden gewesen seyn , da beyde He-
roen in so engem Verein stehen. Nur müssten dann diese Wor-
te, da die andern choriambisch sind, als unvollständig betrach-
tet werden. Eustathius könnte zusammengezogen haben. ^Ayil.-
Kev x&g IJiivQ'iitäg ^sÖEig ist choriambisch, so wie das
andere. Vielleicht setzte er auch ö zu , weil er das Partici-
pium (lEdalg (fr. 22) verkannte. Der Anfang eines Skolion, wel-
chen ßlomfield vergleicht, ist bey Athenäus selbst ein ganz
andrer,
27. Hier und in den folgenden Stücken sind jetzt aus der
Dindorfisclien Ausg. des Athenäus mehrere Lesarten nachzutra-
gen. Ohne Zweifel geht accßßalXs auf einen Freund , den das
Lied anredete, wieHoratius in der Nachahmung desselben 1,9
den Thaliarch. Vermuthlich ist, indem zu zdßßalXs xov %£i-
[icöva, dissolve fiigiis , drey Participien gehören, eines wie das
andre, das Schüren des Feuers, das Triuken und das Anlegen
der Hauptbinde, auf Erwärmung zu beziehen, was darum zu be-
merken ist, weil jemand an den Gebrauch denken könnte, bloss
des Trinkens wegen und um dem Rausch zu wehren den Kopf
zu umbinden , wie es den Bildern der Methe eigen ist. Zoeg.
Bassiril. tav. Tl not. 3. 4- Casaubons cc^(pLK£V8q)akov., schon
bey Ursinns, ein als Hauptwort ungeschicktes Compositum,
ist unbedenklich zu verwerfen, und zwischen d}iq)L u. yvocpaX-
kov, wie auch Porson Advers. p. 118 (103) und Dindorf
thun, eine Lücke zu setzen, für xl&sl^ XL'&Etg, oder da diess
schon in derselben Strophe vorkommt , lieber für ßakcov.
28 a. Die ganze Stelle des Proclus ad Hesiod. Op. et D.
584 setzt Wyttenbach unter die Fragmente des Plutarch aus
dem Commentar zu Hesiodus N. 33. Die letzten Worte, btibI
XBcpaXi^v »tat yovaxa UBigiog ai,BL, sollten von Herrn M. nicht
weggelassen seyn, da sie als Hesiodische und doch denen des
Alkäos angehängte noch mehr als die Auslassungen und Um-
stellungen von Worten die üble Art deutlich machen, wie Plut.
zuweilen aus dem Gedächtniss anführt. Denn diese Worte in
Choriamben zu zwingen , wie Hr. M e h l h o r n thut Anthol.
lyr. p. 84, scheint ein unrechtes Verfahren. Hier vermissen
Alcaei Mytilenaei Reliquiae. Edid. Mattlüac. 51
wir auch die Stelle des Gell. XVII, 11 , welche aus Plutarchs
Sjmpos. VII, 1, 2 geschöpft ist und daher auch den Vers
TeyyB nvsv^ovccs olV« • t6 yccQ aöXQOV TtSQit a^Xst ai^
den dort Plutarch ngoxsiQOV anaöi nennt, ehen so schreibt.
Eustathliis hat beyde Lesarten ad Odyss. IX oXvco Ttvevjxova
riyys und ad II. VII xäyyE TCVBvnovag o'ivcp. Auf die Hesiodi-
sclie von Alkäos nachgeahmte Stelle beziehen sich auch Aristo-
teles Problem. IV, 2f$ : ^la xi Iv xco &eq£l ot fisv ccvdgeg rixxov
övvavxai afpQo8iGicct,uv ^ ai Ö£ ywatjcgg fiä/lAov, na&ccTtEQ aal
6 TtOLTjXT^g XsysL 6711 xcp öKolv^Kp (f^Tt öxoAvuot» Ileiiislus ; eine
freye falsche Emendation bey Petit. Miscell. Obss. Ill, 14.):
Ma^^koxaxai ds yvvalxEg, dcpavQoxaxoi Ös xb avÖQsg, und Pli-
nius XXII, 43: Venerem stimnlare [scolyrnon) i7i vino , Hesiodo
et Alcaeo tesfibus : quißorente ea cicadas ciceiiiini cantus esse,
et midieres libidinis avidissitnas, virosque in coituni pigerrimos
scripsere, velut providenlia naturae hoc adjumento taue valen-r
tissimo. Wegen dieser Stelle hat Plinius den Alcäns unter den
Quellen des 22n B. aufgeführt. Der Vers beySuidas v. Tlyys:
ÖYva nvev^ova xEyys, (pilrjg Ö' an'Eyov Kvd'EQEirjg^ ist vermuth-
lich aus Pythagoreischen Gnomen, da aus Diogenes VIII, 9 u.
Diodor in den Excerpt. p. 555 als Pythagoreische Vorschrift be-
kannt ist: 'yiqjQodiöia %Ei[ic5vog TtoiELö&aL^ [lij Q'EQEog. Wunder-
lich genug also, dass Küster die Worte für Anakreontisch hielt
und Fischer darauf sie p. 461 unter die Fragmente des Ana-
kreon setzte, was schon von Friedemann de media syil. pen-
tam. p. 3(>1 und Meineke Quaestiones Menandr. p. 44 mis-
billigt worden ist.
29. Fiir ßv^ov geben Qvfiov auch H. Steph. u. Casaubon.
30. Die Schreibung der Handschriften ^TjdEV ist nicht zu
verwerfen. Böckh hätte davon Gebrauch machen können in
den Addend. ad C. I. Gr. T. I u. 12 p. 881. Als Aeolisch ist
ov&EV p. 724 bemerkt. Die tloraz, Ode I, 18, JSullam^ Fare^
Sacra ^ von welcher Göller eine Uebersetzung gegeben hat,
MExcccpgäöEig p. 61, scheint mehr als dem blossen Anfang nach
der Alkäischen nachgebildet worden zu seyn. Die iiwrdaces
sollicitudines und die Klage über schwere Kriegsarbeit und
Armuth, die der 5te Vs. erwähnt, sind BegritFe, welche den
Erfahrungen des Alkäos näher lagen als demlloratius nach sei-
nen Lebens - und Zeitverhältnissen. Vorziiglich aber ist von
den Bassarien auf eine Art die Rede, wie sie dem Römischen
Dichter für sich nicht hätte einfallen können. Diese Anspie-
lung auf sehr eigenthümliche Gebräuche würde zu gelehrt er-
scheinen, wenn sie nicht durch die Erinnerung an das Original
einen ganz andern Charakter erhielte. Diess ist so einleuch-
tend, dass man kaum Bedenken tragen darf, aus diesen Wor-
ten auf den Bassareus in Mitylene zu schliessen. Selbst die
4*
52 Griechische Littera tu r.
Wendung At^ ne quis modici transüiat munera Liberi^ für
Alkäisch zuhalten, können uns nicht einige lebhafte Auffor-
derungen dieses Dichters zum. Trinken abhalten; denn ohne
diese Wendung, welche den Angelpunkt des Gedichts ausmacht,
•wäre die Empfehlung des Trinkens in dem angefangenen Ton
doch zu einfach für ein Lied.
IJeberhaupt ist ein grosser Unterschied zu maclien zwi-
schen den Horazischen Nachahmungen desAlkäos. In der Ode
I, 3T, Nunc est bibendu7n^ ist gerade nur der Eingang, durch
Trinken den Tod eines gefürchteten Feindes zu feyern, nach-
geahmt: und höchstens die Worte Antehac nefas depromere
Caecubum Cellis ovitis könnten noch in dem Vorbild (fr. 4) An-
lass gefunden haben. Bey Ode I, 14 kann nicht einmal der An-
fang des Gedichts selbst als erborgt betrachtet werden; son-
dern nur die Vergleichung des bedrohten StaatsschifFs ist es,
welche bey Alkäos fr. 2 in ganz anderer Verbindung vorkommt.
Auch ist das Sylbenmaass verschieden. In der Uten und lOten
Ode des ersten Buchs (vgl. fr. 27. 21) möchte die Nachahmung
über den blossen Anfang und die einfache Anlage und das Syl-
benmaass hinausgegangen seyn. Dagegen scheint uns die ISte
Epode, obgleich sie bey Regen und Sturm zum Trinken einlädt,
mit der, woher fr. 27 ist, gar nichts gemein zu haben; aber
vermuthlich hatte sie ein anderes Griechisches Vorbild , worin
auf die schöne Stelle aus den Gnomen des Chiron ebenfalls das
Ganze hinauslief, Nachbildung nach Inhalt u. Sylbenmaass, und
bey veränderten Personen dennoch vermuthlich auch in man-
chen einzelnen Zügen ist Ode III, 12, Miserarum est, 7ieque
Amori dare ludian neque dulci, von der, welche anfieng fr. 69:
^E^B öuKav , s^a Tcaöäv xcoiordtav nedexoLöav. Denn, wie
man uns leicht zugeben wird, sobald man nur mit der nichts
geltenden üeberschrift ad Neobulen das Missverständniss weg-
geräumt hat, Neobule spricht und klagt selbst. Auch Voss
hat der Neobule das Lied in den Mund gelegt, und der sinn-
volle Vanderb o urg stimmte ihm darin bey mit der Bemer-
kung, dass die Farbe des Liedes offenbar Griechisch und das
Original allem Anschein nach von Alkäos gewesen sey. Durch
die Anrede tibi qualum — Neobule, welche zu dem Missver-
ständniss des ganzen Gedichts Anlass gegeben liat, drückt das
verliebte Kind gleichsam Mitleid mit sich selbst aus, und das
liebliche Lied gewinnt hierdurch an Zartheit und Naivlieit.
Neobule bedeutet hier: arme Neobule, theilnehmend, wie sonst
die namentliche Anrede oft etwas zärtliches einschliesst. Zu-
gleich wird dadurch das Gedicht ausdrücklich zum heimlichen
Selbstgeständniss, da es ohne die Anrede zweifelhaft bliebe,
ob Neobule ihr Leid nicht andern klagte. In solchem Selbst-
gespräch ist auch der ganz individuelle Zug patruae verbera
linguae gefälliger. Im Original nahm vielleicht die Falästra
Alcaei Mytilenae! Reliquiae. Edid. Matthme. 53
allein, von welcher auch das Leiden der Theokritischen Si-
mätha ausgien^, die Stelle des Campus und seiner WafFenübun-
gen nebst der Jagd ein. Nicht gleichgiiltig, selbst in Rücksicht
des vermutheten Vorbildes, achtet es Rec. zu bemerken, dass
nach seinem Gefiihl Bentley mit Recht am Schluss der zwey-
ten Strophe nur Semikolon setzt, während andre durch Punkt
trennen und est verstehn oder es Vs. 10 nach t'dem einschieben.
Denn dadurch verliert nicht bloss der Gedanke, indem die
Kunst des Reitens und das Uebrige vom Bad abhängig gemacht
wird, statt dass die Verkniipfung zufällig erscheinen sollte;
sondern auch das Ganze, welches in seinem raschen und unun-
terbrochenen Gang nur, wie ein lang gehaltner Schrey oder
Seufzer des Schmerzes und der Sehnsucht, einen einzigen Ge-
danken zu enthalten scheint, worin auch das Abgebrochene des
Schlusses seinen Grund hat, wird ein anderes.
31. Aus den Lesarten beyder Stellen, ti töv Xvivov ößsv-
vv^sv und Tt rov Kvxvov dfifievousv^ geJ^t eher hervor trt to
Jt.vxvov ^ivofiEv^ und diess bestätigt die von Herrn M. ange-
führte Nachahmung des Asklepiades kv^^ov iöslv ^evofxev. Das
unverständliche ut tcc, di xa im zweyten Vers, wovon Porsoii
sagt, qui velit et possit, corn'gat, dtra zu schreiben, nach
dem Vorschlag des Jen. Rec. 1806 N. 249, hat Dindorf mit
Recht für das Wahrscheinlichste gehalten: und das verkürzte
Jota darf uns nicht wundern, da Alkäos auch Kva^iöhq oder
avd^idsg fr. 1 gebraucht (vgl. Fhrynich. p. 171), so wfe Pin-
dar jcQ7}TCida^ was Dindorf anführt, und, wie Recens. hinzufügt,
akatösg Pyth. IX, 39, was auch in einem dem Pindar mit Un-
recht zugeschriebenen Bruchstück vorkommt (Böckh über die
krit. Behandl. der Pind. Gedichte S. 80). Die Vermuthung von
Mehl hörn Anthol. lyr. p. 101, aiQS xd noixtXa, M-ie die des
Toll ins, die er anführt, «tr' stil notxiXaL, fällt mit den an-
dern weg. Im 5ten Vs. kann Porsons Interpunction eyx^Eülg-
vaig ava xccl ovo nX^iaig KaniiB(paXag, welcher auch Dindorf
folgte, unmöglich richtig seyn: denn danach würde der Dich-
ter den Knaben, wie im folgenden Fragment die Salbe accxcc
rag Tiolkd na^oiöag xecpaXäg und xaxxä noXiä 6xri%£og, so
hier den Wein ihm auf den Kopf zu giessen heissen. Falsch
ist auch Blomfields Meynung in den Zusätzen, dass %d% üb-
(paXäg auf den Rand des Bechers gehe, und v.d>i jiBq)aX7)g il-
QV0ÖE Odyss. VIII, 84 heisse über da« Haupt, da die Bedeu-
tung vielmehr dieselbe ist wie in iBvaxo xdjc xecpuXTjg II. XVIII,
24, Od. XXIII, 156, XXIV, 316, auf. Vielleicht könnte xdx
XBcpaXäg., mit jiXEiatg verbunden, bedeuten hockher vom Kopf
oder über den Kopf her ; denn auf diese Art sehen wir einge-
schenkt auf verschiedenen Bildwerken. Nur gefällt uns die Um-
stellung von Ö' « in « ö', die wir dann auch vornehmen müs-
sen, nicht: und wir lassen daher lieber gelten, was Herr M.
5'i Griechische Litteratur.
vorschlägt, dass bey unverärulerter Construction, acacxstpalcig
ö' cc arsQCi täv etsgav y.vki'B, 'Sl^Bita ausdrücke pociiluni prae-
ceps trudat poculum^ indem %axd asfpaXrjs aTCrjXQ-E (über Hals
und Kopf) in einem Epigramm vorkommt. Dabey ist nicht zu
iibersehn, dass Cod. B ungetrennt giebt j{o:xx£g)ß:Aßtg. Mehl-
liorn sagt: Jani quid sit a^üv tx it£q)aläg non obscurum
esse puto.
32. Diess Bruchstück kann gar wohl den vorhergehende»
Versen sich angeschlossen haben. Rec. glaubt diess nicht bloss
wegen der Verwandschaft des Inlialts und desSylbeamaasses im
Allgemeinen; sondern in den Worten:
Oivov yccQ Usjxslag xal z/iog vtos ^aO'Licad £a
av&QcojioLöLV sdcoxB,
ist eine Saite angeschlagen, welche in einigen Worten des an-
dern Bruchstücks fortklingt. Dieses ist von Athenäus kurz und
ganz unmetrisch, von Plutarcli zwar vollständiger excerpirt,
doch so, dass man um alle wahrscheinlich Alkäischen Worte
heyzubehalten, und in der Folge derselben nichts zu ändern,
imr mit vielen Lücken Verse bilden kann; wir denken diese,
worin die ersten von Herrn M. emendirten Worte zweifelhaft
bleiben:
Kccd ÖE %svatB ^vqov
ccöv - %axa tag molXd 7ta% oi(3 ag
%E(paXäq - -
v.ai nattcj noliäi örijO^sog aii^i.
Durch Aenderung brachte Hr. Barker folgende Verse heraus:
yiVQOv zatcc tag noXXd ntt&oiöas
HEcpaläg [e^äg]
um tc5 TtoUcö ötdO'sog.
33. Statt jTsp^gTOJ, welches richtig und auch bey Athe-
näus in den Handschriften gegeben ist, schreibt der Herausg.
mit Casaubon und ürsinus, dem dieser oft folgt, ohne ihn
zu nennen, so wie mit Blomfield TCaQ&sta). Von der Stelle
desPollux sollten die letzten Worte, ovtov Öe aga nal öeAtVotg,
(Sappho und Alkäos) nicht weggelassen seyn. Auch war darin
lur dvrjTTcp zu schreiben dvi]rco. Dem Alkäos hingegen wür-
VRiajuiiiaLiivci '^^UA/Ll-rUt,-, U^t/VAUt,, UtAAWJ/W aia /icuiisi^ii aiiiuji-
ren. S. Koen ad Gregor, p. 5S8, welcher p. 610 dvvritco als
Aeolismus nicht auf die rechte Art erklärt. Dieser Hauptblume
der Kränze gedenken auch Theokrit VH, 03, wo S p o h n Lectt.
Theoer. Spec. 3 p. 11 mit Kecht das dvr}%iVOV der Ausgaben
gegen das handschriftliche dvjjvLVOV verwirft. Mosch. ÜI, 101,
\
Alcaei Mytilenaei Reliquiac. Edid. Matthiae. 55
Virg'. Ecl. II, 48, Colum. X, 314. Was aus Ursinus bemerkt
ist, av XI anaXaZ Ö&Qai ^ d. i. a^Tt' dnaXu ÖSQa, gehört der
Sapplio fr. 26.
34. Casaub. Conjectur ist c(Q7]Qvy}isvov nach einer Glosse
des Hesychius. Was er im Text giebt, ccQQtJTOV ftevog, ist aus
der Ed. pr.
35. Diese Worte gelin auf Kottabos, wie schon Iladr.
Junius Aniraad. p. 389 bemerkt Jiat. Kritias ap. Athen. XV
p.ßßGB Xaxdyav xö^a. üeber das Sicilische Wort Xdtah, sprach
Dikäarchos iv xa negl 'Alyiaiov^ Schol. Aristoph. Av. 1243.
37. Oivog^ o3 gjt'As nal, zßt akä^Ba. Mit geringer Aen-
derung ist die 1815 zu Alteuburg jsijedruckte, p.l> und 44 noch
besonders angeführte Prolusio de Theoer. carmine XXIX, wel-
che auch Kiessling in seiner Ausg. des Tlieokrit giebt, auf-
genommen. Zu dem, womit der Verf. den Einfall von W eb-
ner t (Jacobs, ad Tlieocr. ed. Goth.1808) mit den Griuidcn von
Thiersch, der seiner Meynung auch in den Act. Monac. T. I
p. 209 treu war, dass jenes Liebesgedicht in Aeolischer Mund-
art von Alkäos sey, widei'legt, fugt llec. nocli einen inneren,
aber sehr bestimmten Grund hinzu. In den Versen:
'Avdgäv xäv vjteQTjvoQscjv doxhig itvkuv
ffilsi d' äs ocs to]]S T^ov v^olov bx^iv du'
ist der Vorwurf enthalten , dass der Knabe es auf die Vorneli-
raen abgesehen habe. Diess passt nicht auf Alkäos, welcher
einen adlicheren Stand, als den, wozu er gehörte, wolil nicht
iiber sich erkannte. Aber überhaupt mag man diesen namen-
losen, eitlen und von einem Liebhaber zum andern flatternden
Jungen eher in der späten Hauptstadt als in der kräftigsten Zeit
der Lesbischen Republik denken. Wenigstens ist es schwer zu
glauben, dass von dem Dichter, welcher mit Leidenschaft wohl
in vielen Liedern den Lycos sang nigris ocuUs nigroque ciine
deconini^ diess schöne Haar und selbst naevus in articulo pueri
verewigt worden seyn würde, wenn der Knabe von jedem, der
nur sein roth Gesicht gelobt (pgO'og alvi6y^\ auf der Stelle ge-
wonnen worden wäre (raö' tv^vg Ttliov t] XQistrjg ayevsv cpl-
Aog), was nach dem, was vorhergeht, nicht als eine blosse
lieftige Uebertreibung verstanden werden kann. Uebrigens hat
das Gediclit vortreffliche Haltung, wenn gleich es nicht wie aus
Empfindung hervorgegangen aussieht, sondern eher einer Kunst-
übung in fremdem Vers und Mundart gleicht. Es dem Theo-
krit abzusprechen ist keine Ursache vorhanden, «nd das vor-
hergehende sicher Theokritische giebt eher einen Grund her,
es ihm zuzugestehen. Vielleicht hat er zu einem Alkäisclieu
Liebesgedicht, denn dass der Anfang ein solches und nicht ein
Trinklied verrathe, ist klar, ein Seitenstück im Sinne damali-
ger Sitten schreiben wollen. Diess lässt ausser der Mundart
56 Griechische Litte ratur.
selbst der gleiche Anfang vcrmutlien , wie wir diesen auch in
Ilorazischen Nachahmungen des Aikäos finden. Recens. meynt
nicht, wie Jacobs, II. Voss und Hermann in der Leipz.
Litter. Zeit. 1816 N. 15 annahmen, dass das kiystaL des ersten
Verses bey Tlieokrit auf den Anfang des Aikäos sich beziehe,
sondern es geht, wie aucli in einem Argument bemerkt und wie
von T hier seil stillschweigend angenommen wird, auf ein äl-
teres Spricliwort und ist von Aikäos, obgleich er es nicht aus-
driickt, aucli verstanden. Aber dasselbe Sprichwort im Anfang
zweyer Lieder an einen Knaben, welchem nach des Sprichworts
Sinn die Wahrheit gesagt wird , denn so ist es auch in dem Al-
käischen Lied vorauszusetzen, lässt sich nicht aus zufälliger
Uebercinstimmung erklären. Mit Recht bemerkt Schäfer,
dass Theok. Vs. 13 bey ayQiov oqtcbtov eine Stelle der Sappho
im Sinn hatte. Wollte man annehmen, da unmöglich in einer
Zeit, als die Alkäischen Lieder noch vorhanden waren, eines
unter die des Theokrlt übergelien konnte, dass erst in einer
späten Zeit, als die Sammlung von jenen verloren war, ein ein-
zeln erhaltenes Stück unter die Idyllien gesclirieben worden
sey, so ist nicht einmal wahrscheinlich, dass von einem Gram-
matiker oder Kritiker gerade dieses Lied des Aikäos vor andern
ganz angeführt worden wäre. Ilr. Matthiä nennt diejenigen,
welche der neuen Meynung Beyfall gegeben haben; es gehört
dazu auch Uoissonade in einer Anzeige von Chardon de la
Kochettes Melanges crit. im Journal de l'Empire 1812, 9 Apr.
p. 7, und , wie es scheint, auch Müller in den Doriern Th. 2
S. 21>7- Wir wollen dagegen auch andre namhaft machen, wel-
clie ihm selbst beygetreten sind, als Passow in der Jen. Lit.
Z. 1816 N. 14, Kiessling, Reinhold de genuiuis Theoer.
carminib. p. 69. Auch hatten früher schon Heinr. Voss in
den Heidelb. Jahrbb, 1811 S. 287 und Hermann zum Viger.
1813 p. 1)25 gt^gen die Vermuthung sich erklärt. Nachdem es
den Angriff bestanden, ist das Schol. zum Piaton um so schätz-
barer geworden.
41. In den Schollen zur Rhetorik finden sicli bey dieser
Stelle ausser der Erklärung in der angeblichen Antwort der
Sappho (fr. 61) die Lesarten aiO'' r^xBV und al ö' tJxsv.
46. Auch Zonaras p. SJ)3 hat das aus Suidas Angeführte.
48. Sowohl äl2.a als (ivvd^svog für fivvcofiivog billigt
auch Buttmann ad Schol. Odyss., jenes nach der Erklärung
des Scholiasten; die Form ^vvo^aL aber fällt weg.
49. 'AiiXKiv^ og rag I^avQ'Ljidg /uäöaig. Hauptstelle fiir
die Verehrung des Achilles in jenen Gegenden. Ueber die ge-
weihten Inseln Lenke und Borysthenis, am Ausfluss der Donau
und des Borysthenes , und über des Achilles Rennbahn , eine
lange schmale Erdzunge , weh he den gegenüber wohnenden
Tauroscythen den Namen der Achilleodroraiten abgegeben hat,
Alcaei Mytilenaei Reliqulae. Edid. Matthiae. 57
zu welchen sagenberülimten Orten nach Monumenten ein Tier-
ter Achillcischer in jenen Gegenden hinzukommen soll, ist äu-
sserst schätzbar die gründliclie und umfassende Untersuchung
des Staatsraths von Köhler in dem Memoire sur les isles et
la course consacrees a Achille dans le Pont Euxin im lüten Bde
der Me'moires de l'Acad. de St. Petersbourg 1821. Alle die
Orte standen, wie der Verf. p. 8 des besondern Abdrucks be-
merkt, unter den beyden Milesischen Kolonieen Istros und 01-
bia; Milesiscli also wäre dieser Achillesdienst gewesen. Alkäos
war einer der frühesten, welche diess Verhältniss erwähnen
konnten, da er nicht gar lange nach der Stiftung von Istros,
der ältesten Milesischen Kolonie dieser Gegenden, (gegen 650)
und gleichzeitig mit der von Olbia lebte. Aber der Vf. scheint
uns p. 26 den Dichter zu missverstehn , wenn er sagt, Alkäos
habe den Aufenthalt des Achilles im Pontus Euxinus gesungen,
gerade wie Eustathius, wo er unser Fragment anführt, von
Achilles als König von Scylhien spriclit. Diess war er aller-
dings in der Sage der Gegend; aber schwerlich wusste davon
Alkäos, Weitere Auslegung machte ihn dort alsdann zu einem
andern, von dem Thessalischen verschiedenen Acliilles ; und
liieraus, da es falsch ist, gieng ferner als eine neue vermit-
telnde Dichtung hervor, was Leo Diaconus IX, 6 p. 02 aus Ar-
rians Periplus anführt, obwohl es, wie Hase bemerkt, in des-
sen Peripl. Pont. p. 133 A — 135 B, wo er ausführlich von der
Religion des Achillestempels in Lenke handelt, nicht vorkommt,
dass der Sohn des Peleus ein Scythe aus der Stadt Myrmekion
am 3Iäotis gewesen und von da nacli Thessalien eingewandert
sey. Diess nun erklärt Köhler p. 82 für eine rohe Byzantini-
sche Fabel. Aber ist die Fabel in Aegina, dass von dort Pe-
leus nach Thessalien gezogen sey, weniger roh, oder übte nicht
nach unzähligen Beyspielen jeder Ort das Recht aus, vor den
entfernten Stamm - und Mythenverwandten sich das Majorat
beyzulegen und das Ziehen von sich ausgehen zu lassen, statt
umgekehrt, wie es der Wahrheit gemäss gewesen wäre? Nur
gehörten immer berühmte Dichter, klassische Sagen dazu, um
die Ortssage geltend zu maclien. Alkäos versteht vielmehr nur
ein göttliches Walten des Achilles oder Ileroendienst. Eben
so wenig können wir in dieser allgemeinen Erwähnung des He-
ros den geringsten Grund finden, die bey Lykophron vorkom-
mende Sage von Achilles und Iphigenia für viel älter zu halten.
Aber gerade in Hinsicht dieser Sage und dessen, womit sie auf
das engste zusammenhängt, der Achilleischen Rennbahn, hat
Rec. überhaupt andre Vorstellungen als die sind, wovon bey
diesen gelehrten und genauen Ausführungen ausgegangen wird.
Ihm ist die ganze Sage nichts als eine jener unfruchtbaren Na-
menslegenden, welche von einer Vergleichung der Lage (z. B.
einer Insel mit einer Sichel) ausgehend das Mythologische leicht
58 Griechische Litteratur,
und luftig zusammenfügen. Sobald die Erdzunge als eine Renn-
bahn bezeichnet war, konnte ihr das Prädicat der Achilleischen,
dort wo Achilles so sehr gefeyert war, um so weniger entgehn,
als dieser der erste der Kenner gewesen war. Aus dem Namen
der Achilleischen Rennbahn folgten dann verschiedene Erklä-
rungen, die p. 27 angeführt sind, und die etwas poetischere,
welche die Iphigenia, seine Nachbarin in Taurien, als seine
Atalanta in das Spiel zogen und dabey auch die Dichtung der
Tragiker benutzten, dass er dieser in Aulis von Agamemnon
zum Gemahl trügüch bestimmt worden war. Desshalb ist auch
nicht zu vermuthen, so wie wenigstens kein Grund oder Be-
weis des Gegentheils vorhanden zu seyn scheint, dass der un-
bewohnte Landstrich, dem allein der mythische Name Bedeu-
tung gegeben hat, eben so wie die Inseln, eigentlich den Cultus
des Achilles angehe, was der -Verf. annimmt (p. 8.25). Noch
bemerkt Rec. zu § 2 p. Iß, dass nicht Pindar und Euripides als
die ersten Zeugen für die Insel Lenke gelten können, da ja,
wie der Vf. zu p. 30 Not. 237 selbst anführt, schon nach Arkti-
nos Thetis dahin die Leiche des Achiileus vom Scheiterhaufen
entführte. Diess deutet aber auf Cultus des Achilles auf die-
ser Insel schon zu der Zeit, und es dürfte dadurch das, was
von Istros und Olbia angeführt worden, eine Einschränkung
erleiden.
53. Brunck nennt irrig Alkman statt Alkäos. Blom-
fields yäg für yaQ, wodurch, bey veränderter Verbindung,
die Anwendung der Stelle in den Vögeln leidet, mit seinem
Dorischen iJvO'ov sind sicher falsch , und die Herstellung des
Hotibius, welche Herr M. vorzieht, ist allerdings richtig.
In dem oben mitgetheiiten Scholion des Cod. Ravenn. : oQvtdES
TLVEg ÖS COKEaVCp TK ÖCC TCTEQCC.
61. Sophron b. Demetrius 156: sx rov ow^og ydg xov
Xkovta sygaxl-'BV. Aristänet. I, 4: ax räv ovvyciv xEV.\xa'iqo^Oii
xov "kkovxa,
65. Gefällig ist Gesners Abtheilung '^pj^aAsov mvia,
xaxdv a(5%EXOV. Die Göttinnen ÜETLa und 'j^fir^xavia, sagen die
Andrier den Athenern, seyen bey ihnen zu Hause. Herod. VIH,
111. Aehnliche Schwesterpaare stellt Blomf. Aeschyl. Sept.
343 zusammen. Das Sylbenmaass ist oben bestimmt worden.
70. Den ersten Vs. stellt Neue Sapph. p. 25 treffend her:
^ q' ezL zJsvvoixsvBL xa t' 'TqqcczjJco. Diese Form besteht
neben dem Aeolischen 'TggäÖLog nach der allgemeinen Analo-
gie von yllaxEtog^ Tlixxccxeiog u. s. av. Dadurch fällt die Ver-
muthung p. 43 über den Deinomenes weg. Der andre Vs. ge-
hört, wie Rec. nach den Worten und nach dem Horaöoteleuton
xccQ^EVa ka^TtQO. näar' iv ^VQöivrja glauben muss, nicht zu
jenem, sondern giebt, was bey Hephästion auch sonst verkannt
worden ist , ein zweytes Beispiel des Verses aus einem andern
Alcnei Mytilenaei Rellqulac. Edid. Matthiae. 59
Gedicht ab. Nach den blossen Worten w KSXQrjtaL (ilv nccl
'Ak^alog iv aöfiati, ov rj ccqxt^ versieht man sich zwar eines
doppelten Beyspiels nicht. Aber entweder wurde durch Inter-
punction oder Absatz im Schreiben xal ciXkaxov oder bloss xal
ergänzt, wie fr. 81 , oder ist die Lesart des Flor, av äö^aöLV
richtig, und ov rj ccQiri zu modiüciren. Hieriiber spricht auch
D'Orville bey Gaislord p. 348. Auf Tyrakia und die ganze
Stelle kommt D'Orville nochmals in den Sicul. p. 164 s. nach-
drücklich zu reden. B entl ey schreibt die Verse in einem der
Briefe p. 222 aus Versehen der Sappho zu.
73 — 76. Die erste Zeile, ia avta rovr^ l'yav övvoidcCf
wird der Sappho Avirklich, und zwar in derselben Schrift des
ApoUonius p. 324, und schon in den E.vc. Voss. p. 421 zuge-
schrieben, nur in veränderter Wortstellung (und mit der Be-
merkung: Alolslg ßagsag- sycav): Ö' Bfi' avtcc rovzo övvoiöa,
was hinsichtlich der metrischen Beliandlung solcher wegen
grammatischer Formen citirter Stellen zu bemerken ist. S.
Sapphonis fragm. ed. Neue n. 60. Denn dass diese Worte nur
zufällig übereinstimmten, wie die Erklärer zum Gregorius p.
249 und ausdrücklich der zu fr. 81 angeführte Rec. Jen. L. Z.
1810 N. 24 S. 1D3 angenommen, ist nicht sehr glaublich, und
die Abtheilung ccvEyycoöQt] aavtco, rour' lyco 6vvoi.8a falsch.
Die Redensart gebraucht auch Aristophanes Athen. III p. llOc:
oöa Gvvoid' ccma xaxa. In der dritten Stelle will derselbe
Reo.: d xov otvov savicß nä^nav uiQQU. Besser ist dieEmen-
dation in der letzten, nsdsxcov für ynrixav.
81 b. Den Genitiv otjca te %\q öco zieht mit Recht auch
Blorafield in den Zusätzen vor, mit Verwerfung von Bar-
kers 3t8Q6co im Classic. Journ. XXIII, 308.
85. Meineke Quaestiones Menandreae p. 44, wo auch
einige andre Bemerkungen zu Stellen des Alkäos vorkommen,
möchte schreiben:
AYx^ e'tTcyg %a ^skeig, dnov-
öatg tax' ^^ '^^ ^^^ ov&EXoig.
Oder was vorzuziehen ist:
jilx aXTCfig rcc&sXeig, 1^ %zv ä'/iovöaig ta xsv ov &8Xoig.
00. Dass Alkäos öev für ovdlv gebraucht habe, wie die
spätesten Griechen, glaubt dem Etymologen Blorafield in
den Zusätzen nicht mehr, und hat Recht darin. Auch Mehl-
horn Anthol. lyr. p. 101 verwarf es. Jener schreibt aaC n'
ovdsv ovÖEvog yivoiro. Falsche Lesarten haben nicht selten
die Grammatiker getäuscht.
91. 'AQxalog für 'AKTialog verschrieben findet sicli auch
bey dem fr. 94 angef. Schol. Nicandr. in Schneiders Cod. G.
Wegen der Eichelaahrung der Arkader ist zum Artemidor mit
60 Griechische Lltteratur.
Recht verwiesen auf das Orakel Herod. I, 66 und auf Galen,
de aliraentorum facultatibus II, 38. _
1}2. Das Sprichwort nccliv a vg TtaQOQivsi gebraucht Sim-
plicius Comment. in quat. Aristot. 1. de coelo Aid. fol. 35 Bz
'EtibI de Ttähv vg sygv^s nata tov /zeAwöov 'Alaaiov, nältv
avccyKT] ln\ %6v yQa^aaxLy,ov rovrov 7tQ0Kvi>ai, og xig [lezä
T^g yQv^ecog nal naKorjd^Btav tcoKIy^v Iv xolg Qi'j^aaöLV afKpaivsL.
Uebrigens ist nuQOQivBiv nicht in den Wörterbiichern.
94. Das, wie es hier steht, sinnlose Scholion des Nikan-
der konnte wohl nicht anders heissen als so: 'AXy,al6g q)7]6i,v
Qv zu streichen) rolg TtEgl 'ylgxaiavanridrjv aaza (für xßi) tov
TCQÖg 'Egv^QCiLOvg (wie Meineke bereits Quaest. Seen. II p.55
für 'EgvQ^Qalov gesetzt hat) nöXspiov g^avijvai xov 'AitökXcova
aad"' vTtvovg, iiovxa ^vQixrjg xXäva. Einen Krieg der Mity-
lener mit den Erythräern können wir aus diesen Worten, ob-
gleich er wahrscheinlich ist, nicht mit Sicherheit entnehmen,
da die Mitylenische Kolonie Sigeon von Archäanax nach Stra-
bon XIII p. 599 gegründet , und dort also der Name dieses Ge-
schlechts einheimisch war, die Erythräer aber gegen Sigeon
für sich oder auch als Dundesgenossen der Athener, ihrer
Stammverwandten, gestritten haben könnten.
99. Müller emendirt im Rhein. Mus. I, 4, 289 slg xcov
övoaciLÖtücov , wie Ilesiodus und Kallimachus XQf^novxa und
dexa decliniren.
117. Statt cüi UoXvda^av bey Bekker p. 1183 ra EvQvda-
fiav. Einer von beyden verwechselt.
Inceita. 122. Die Worte xakXixoQOV %Q'ov6g ovgiag &ov-
yatriQ würden wir auf keinen Fall dem Alkäos geben, obgleich
es auch Böckh im Corp. I. T. I p. 722 thut; weil ov für v als
Lesbischer Aeolismus nicht bekannt ist, und gerade das Wort
^ovyäx'y^Q, welches in diesem Dialekt eine einzige Ausnahme
machen würde, scheint zu beweisen, dassßentleys Meynung
nicht richtig gewesen ist. Da hingegen diess ov dem Böoti-
schen vorzüglich eigen ist und zugleich Ovgia als Böotisch für
die Homerische und Hesiodische T^tj^ feststeht, wie OvQUvg
ixw'TQLBvg (Creuzer. Meletem. P. 2 p. 17), so wie auch die la-
pygische Stadt 'Tglr} und OvQia geschrieben wird (Ilavercamp
de vet. et var. litt. ap. Gr. script. et usu p. 215) , so muss Rec.
noch immer lieber Korinna als irgend einen andern Dichter ver-
rauthen. Denn kein andrer wird so wie sie für den Böotischen
Dialekt angeführt, und sie hat, wie wir wissen, von den Töch-
tern des Orion aus Uria gesungen. Die Variante der Heidelb.
Handschr. BVQuag ändert nichts, da das unbekannte Wort leicht
in ein gemeines Bey wort übergehn konnte, eine Emendation,
welche zwar immer der ganz unglücklichen von Bentley d
'Pdu vorzuziehen, aber doch nicht gut ist, da die Beywörter
Alcaci Mytilenaei Rellquiae. Edid. Matthlac. 61
xaUiXOQoe und bvqslcc sich nicht allzuwohl neben einander ver-
tragen. Die Schreibung OvQia haben unterdessen Boissona-
de Lyric. Gr. p. 23 und 0. Müller in der Encyklopädie von
Ersch nnd Gruber Bd. 0 S. 2«0 angenommen.
Dem Alkäos gehört wahrscheinlicli , was unter den Frag-
menten der Sappho von Neue JN. 33 steht und auch von Gais-
ford Ilephaest. p. 404 ihr gegeben wurde, s. diese Jalirbb.
Bd. ß S. 418 f. Die Verse fr. 125, die Gaisford dem Alkäos
zuschreibt, hat Neue fr. 13(> ebenfalls der Sappho gegeben.
Auf die fr. 72 unserer Ausgabe stehenden Worte des Apollonius
de pronom. p. 381 folgt: tTtl Öe xrjs övvuq&qov naxtQCov
ccfiacav zal BvzskBöteQcc d^^8t£Q03v axiav, was vermuthlich
auch von Alkäos ist.
Unterlassen hat Hr. Matthiä, im Druck die Worte des
Dichters auszuzeichnen, während die Stellen andrer Dichter
gesperrt gedruckt sind, und ein Register zu geben. Im Index
scriptorum treffen viele Nummern der Fragmente nicht mit de-
nen im Buch überein. Auch ist p. 32 Dianae Aricinae zu lesen
für Arianae.
Ein neues Fragment der Sappho befindet sich in den Scho-
llen des Cod. ilav, zu den Thesmophoriazusen 400, wöt' häv
yk Tig TcXiKr} yvvri öri^pavov^ igav doxsl, wo zwey verschie-
dene Noten: NecorsQcov aal eganxciv rd 6T£q)avi^'xXo%ELv^ und
diese: Ilgög ro s^og ori iöxBfpavriTiXoxovv at Tcakaial (die
Mädchen alter Zeiten.) Zla%cpa avraÖQCc aiöticpavy^nkÖKOw,
wo cogäai^ Aeolisch für cSquIkl (wie wir oben fr. 54 'A&avau
fanden) und vielleicht 2^o:;r(5Dto avrt] {Xiyci) zu lesen ist, oder
auch avral dcogäat, obgleich diess Wort sonst nicht vorkommt.
Die zuerst in Glasgow im J. 1821 und dann in der Teub-
nerschen Ausgabe des Euripides gedruckten Schollen zum Rhe-
sus aus einer Vaticanischen Handschrift haben zu Vs, 5 diese
Notiz: 2Jt7]6 IxoQos Ö£ Tial 2JL^covid7]s 7CBVTa(pvXaxov (prj-
elv VTCOTLd^sö&ai ri^v vvKta, und zu Vs, 895 eine längere aber
sehr zerstörte neue Stelle von Pindar.
Bey dieser Gelegenheit wollen wir auch noch ein schönes
lyrisches Bruchstück, welches in keiner Sammlung von Frag-
menten erwähnt wird, seinem Verfasser zustellen. Lucian sagt
Pro imagg. 19: ^AXXd näg ETitjVSös noirjtrjg IvdonL^og tov
rXavxov ^ ovo 8 IIoXv d £v xsog ßCav qjrjöag dv atstva-
6d^ ac dv avxcp Ivavx Lag xdg ieIq ag^ ov8s öLÖd-
Qsov 'AXic^dvag rsxog', 'Ogäg OTtoioig avxov %'i.oig nxcc-
öE; ^dlkov dh aal avxäv exeIvcov d^ibivco dnicpyivE' oiaX ovts
avxog 6 rXavxog '^yavaKxrjöE xolg ecpogoig xäv d9k7]xc5v &£oig
dvxETtatvov^Evog ovxe ekeIvol i^fivvavxo t] xov rXav'Aov rj xov
7C0Li]xi^v cog dösßovvxcc TtEgl xov ETtULVOVj dklcc Evöoxi^ovv
a^tpco aal txiixävxo VTtö xav 'EXXi^vav 6 (ilv etiI xjj dXxy
6 riavaog, 6 81 xoiTjxijg inl ta rolg dXKoig aal In avza
62 Römische Litteratur.
tovTco [iccXiöra tgj aö^an. Der Dichter, welchen die Reizi-
sche Ausg. nicht kennt, war nicht Pindar, wie Lehmann
in der seinigen raeynt, sondern Simonides. Denn dieser Iiatte
ein Epinikion auf den Glaukos geschrieben. Quinctil XI, 2, 14.
Boeckh. fragra. Find, p. 558. Die Zeit des Karystiers Glaukos
hestimmt Siebeiis zu Pausanias VI, 10, 1, wo er dem Pindar
diess Epinikion irrig beylegt. Den Ausdruck 'JXxfiijvag xsnos
(wie Siegelindenkind) gebraucht auch Pindar. Bey diesem wi-
dersteht Herakles drey Göttern wirklich Ol. IX, 48, wenn gleich
hier tieferer Sinn urspriinglich zu Grund liegt:
Wie hätte dem
Dreyzacke die Keul' Herakles entgegen im Kampfe sonst ge-
schwungen,
Als bey Pylos gestellt auf ihn einstürmte Poseidon,
Einstürmt' auf ilin zugleich mit dem Silberhogen Apollon
Streitend, A'ides seihst den Stab nicht Hess unerhoben.
Wo er zur hohlen Gasse mit treibt hinfällige Leiber,
Todesheut'?
Verse des Simonides führt ohne den Namen auch Plutai'ch an
fr. 8 der Gaisfordischen Ausgabe.
F. G. Welcher.
Römische Litteratur.
1) C. Sallusti Crispi Opera Quae Stipersimt. Ad
fidem codd. manu scriptorum recensuit, cum selectis Cortii notis
suisque commentariis edidit et indicem accuratura adjecit Fride-
ricus Kritzius , phil. doctor, in Regio Gymnasio Erfurtensi su-
periorum ordinum praeceptor, Societatis Latinae Jenensis sodalls.
Vol. I. Catilinam continens. Lipsiae , sumptibus C. H. F. Hart-
manni MDCCCXXVIII. XXVI u, 328 S. in 8.
2) Dr. Friedrich Strass Progr. : Jahresbericht über das Königliche
Gymnasium zu Erfurt etc. Praeinittitur : De Caji Salliistit
Crispi t r agmentis^ aCaroloDebrossio in ordi^
nem digestis rerinnque gestarum conlexta nar~
r atione illustratis , Couiment atio. Scripsit Kritzius,
phil. doct. , in Regio Gymnasio Erfurtensi sup. ord. praec. etc. Er-
furt, 1829. 70 S. in 4., von S. 47 beginnen die Schulnachrichten.
[Ohne die Schulnachrichten ist dieses Progr. bei Fleischer in Leip-
zig verkäuflich, und enthält noch S. 47 und 48 einen Index frag-
mentorum de quibus in hoc libello dictum est , desgleichen ein Dedi-
cationsblatt an Carl Pas^ow und Friedrich Bellermann. ]
Sallustü Opera. Edid. Kritzius. 63
I) v^ollen wir diese neue, mit lobenswerthemFleisse verfasste,
Ausgabe desSallust nach ihrer wissenschaftlichen Tendenz kurz
bezeichnen, so diirfte sie eine grammatische zu nennen seyn.
Hr. Kritz wollte keinesweges für Gelehrte schreiben, wie er
in der Praefatio p. IX selbst gesteht, sondern für solche, die
erst tiefer in den Geist der rom. Sprache und Literatur eindrin-
gen wollen, mithin i'iir studirende Jünglinge, denen diese Aus-
gabe ein Wegweiser bei ihrer PrivatlectVire seyn soll. Von die-
sem Gesichtspuncte ausgehend nahm er Manches auf, was Vie-
len unnütz oder zu weitläufig scheinen mag. Ueber die Grund-
sätze einer solchen Ausgabe spricht sich der Ilerausg. in der
Vorrede genügend aus, so wie über das Verhältniss dieser zu
den von Ger lach u. Herzog verfassten. Beide werden nach
Verdienst gewürdigt, da jede ibre besondern Vorzüge hat und
jede eine andre Tendenz verfolgt, und wir sind überzeugt, dass
diese neue Ausg. durch jene keineswegs überflüssig geworden,
gondern eine wesentliche Ergänzung beider ist. Das Urtheil
über Corte's allzukühne, amputatorische Kritik unterschrei-
ben wir ganz, so wie wir nicht weniger über die beim Sallust
zu befolgende Rechtschreibung einverstanden sind, ja in der
Hauptansicht ganz übereinstimmen. Man vergl. unsre desfall-
sigen ßeraerkungen in Seebode's krit. Biblioth. 1828 Nr. 15 und
Forbiger's praefatio ad Lucret. p, X — XXllI. Was die Gestal-
tnng des Textes in dieser Ausgabe betriff't, so hat für selbige
der Herausg. zwar keine neuen llülfsmittel benutzt, aber doch
die vorhandnen mit Einsicht und im Ganzen mit tüchtiger gram-
matischer Beweisführung anzuwenden gesucht; und der Text
näliert sich im Allgemeinen dem Gerl ach'sch en in dem
Grade, als er sich von dem Corte'schen entfernt. Erst
beim Druck des letzten Bogens erliielt der Ilerausg. durch die
Humanität des Hrn. Ober-llegierungsr. Johannes Schulze
zwei schätzbare Collationen einer Dresdner und einer Meisner
Handschrift, deren Lesarten in einem dritten Bändchen, wel-
ches den gesaniraten, bisher bekannt gewordnen, kritischen
Apparat in leicht überschaulicher Uebersicht aufstellen wird,
zur Kunde des Publicums gelangen sollen. Da das Aufsuchen
der Varianten in den Ausgaben Corte's, Havercamp's und
Gerlach's äusserst mühsam ist, so darf Ref. im Voraus dem
Herausg. den Dank aller für dieses Fach sich interessirenden
Gelehrten versprechen, wenn er nach Besorgung des zweiten,
den lugurtha und die Fragmente enthaltenden Bändchens, sich
dieser Mühe unterzieht und solchergestalt einen Anhang zu al-
len vorhandnen Ausgaben des Sali, liefert. Wir machen zu dem
Ende noch auf eine Nachricht über eine Görlitzer und eine Wit-
tenberger Handschrift aufmerksam, welche Rector Anton in
der Leipz. L. Z. 1820 St. 258 S. 2057 gegeben hat. Noch ver-
64 Römische Litteratur.
breitet sich der Herausg. in der lesenswerthen Vorrede über
die Epistolas ad C. CaGsare?n de republica ordinafnla, welche
er für das Werk eines nachahmenden Rhetors hält; dabei wird
mit Recht Gerlach's Unsicherheit gerügt, der dieselben Vol.
I p. X und in der Vorrede zur kleinem Ausgabe dem Sallust zu
vindiciren schien und hinwiederum ibm (Vol. II P. I p. 14 IF.)
aus triftigen Gründen abspricht. Ilinsiclitlich der Namens-
schreibung entscheidet sich der Herausgeber aus zureichenden
Gründen für Salhtstius , wobei er reclit gut die Länge der An-
tepenuitima aus Horat. Od. 2, 2, 3 u. Sat. 1, 2, 48 S^S^n Her-
zog darthut. Vgl. auch Visconti Iconogr. Romaine T. I P. 2
p. 371 , wo das einfache l (Tab. XI Nr. 3 und 4) von Visconti
zwar bemerkt, aber das doppelte der wahren Rechtsclireibung
einer bessern Zeit zugewiesen wird. — Wenn wir die vorlie-
gende Ausgabe eine grammatische nannten, so soll damit nicht
so viel gesagt werden, als helfe sie dem ersten besten Bedürf-
nisse dieser Art in Bezug auf Anfänger ab; sondern wir woll-
ten durch jenen Ausdruck ihr Streben in rein wissenschaftlicher
Hinsicht bemerklich machen. Aus dem Bereich der höherii
sowohl als der niedern Grammatik ist Manches zur Sprache ge-
braclit worden, worauf der Grammatiker ex professo zu achten
und woraus er aucli wohl zu lernen hat. Einiges dieser Art
wird weiter unten angedeutet werden. Selbst die Kritik steht
in gewisser Hinsicht im Dienste des grammatischen Elementes.
Wir wollen des Herausg. eigenste Worte herausheben: „Varias
scripturas non attulimus omnes , neque opus erat, nisi ubi vel
editorura incuria vera lectio obscurata esset, vel omnino quo-
modo scribendum esset valde incertum videretur. Interdum ta-
nien etiam leviores scripturae varietates laudavimns, qiioe ali-
quam de rebus giamviaticis dissereiidi copiam prciebereid^ id
liaud inutile iis fore rati, qui quovis modo ad accuratiorera
grammaticae Cognitionen! excitaudi et adducendi sunt, quippe
a qua vel maxirae veteres recte intelligendi interpretandique ra-
tio pendeat. Incredibile est autem, quantopere isto nomine a
Sallustii editoribus, si ab uno Herzogio discesseris, peccatura
sit. Qui si saepius a me notati fuerunt' (was besonders Lange
und Müller widerfahren ist), „profectonon eo factum est,
quo eorum laudibus meritisve detraherem , sed quia res ipsa
flagitare videbatur, ut quae verae interpretationi obessent , non
amplius intempestiva indulgentia tolerarentur, sed ut falsa et
perversa exploderentur. " So wie wir einer Seits dieses Ver-
fahren nur billigen können, so scheint andrer Seits dieses gram-
matische Princip den Herausg. zu manchen Fehltritten verleitet
zu haben, da nämlich, wo es darauf ankam, gegen die Anfor-
derungen der gewöhnlichen Grammatik sich auf einen freiem
Standpunct des Sallustianischen Sprachgebrauchs zu erheben.
Wenigstens erklären wir uns aas diesem Umstände des Heraus-
Salliistu Opera. Edid. Kritzlus. 65
gebers Verfahreh, hier und daConjecturen in den Text zu stel-
len, was, je misslicher es überhaupt ist, einem Schriftsteller,
wie Sallust, selten erspriesslich seyn, ja nur Eintrag thun kann.
Die Vergangenheit hat uns zur Genüge gelehrt, dass eine ein-
seitige, wenn auch noch so elegante, Grammatik vielen Schrift-
stellern eine regelrechte Norm gegen das Zeugniss mehrerer
Handschriften aufgedrückt liat, von welcher sie erst die neuere
Zeit wieder losringen konnte, die tiefer in die Sprachgesetze
eindringend das wieder zu Gnaden brachte, was die frühere
Zeit als fehlerhaft verworfen hatte. Wir erinnern nur an Er-
nesti und seinen Cicero. Wenn heut zu Tage nach II er-
mann's Vorgange ein höheres Freiheitsprincip in der griechi-
schen Sprache und deren Grammatik geltend gemacht worden
ist, warum soll, unter ähnlichen Verhältnissen, die lateinische
zurückstehen*? Rec. lebt der Ueberzeugung, dass man nach und
nach die hier und da vorkommenden Sprachanomalien nicht
mehr mir nichts dir nichts verwerfen, sondern dieselben von
einem freiem Standptincte aus auf ein liöheres Gesetz, als das
zur Zeit noch geltende, zurückführen und so die von der Gram-
matik gesetzten engen Schranken erweitern wird, ohne dabei
in den bodenlosen Abgrund regelloser Willkühr zu fallen, noch
auch der Bequemlichkeit einer Sprachindolenz sich hinzugeben,
der Alles, wie es vorkommt, mundrecht ist. Mit dieser An-
sicht wollen wir jedoch keinesweges für die Dummheit der gu-
ten Abschreiber einen Deckmantel der christlichen Liebe su-
chen, und systematisch gut machen, was sie gedankenlos
schlimm gemacht liaben, sondern nur zu weiser Behutsamkeit
die nie Jemanden gereuet hat, wohlmeinend rathen. Wir he-
bea jetzt einige Stellen aus, die uns zu dieser Bemerkung veran-
lassten.
Cat. T, 4: Jatn primmn Juventus^ simnlac belli patiens
erat^ in castris per laboris us 71711 ?mliiiarn discebat. So
schreibt derHerausg. mit einig. MSS. u. Vegetius 1, 4, der diese
Stelle citirt, wo aber die MSS. noch andre Lesarten bieten. So
auch die Edit. pr. Paris 1470 u. einige neuere. Die meisten
Handschr. geben j^er laborem iisu, ^.ndre per laborein et usuni
und per laborem usum; Ven. ], 4, Barb. 3, Flor. 17: per la-
borem et usu. Aus letztrer Lesung sind unstreitig alle Varian-
ten entstanden; sie ist nicht nur die schwerere, sondern auch
die dem Constructionswechsel des S. entsprechende; z. E. Jug.
7^ 1: neque pervim^ neque insidiis opprtmi posse homi-
nem; auch hier suchen Handschriften alles regelrecht zu ma-
chen durch ihr eingeschwärztes per insidzas; eben so Jug.
23, 1: per vim aut dolis tentare. Vgl. ebendas. 22, 2:
ob easdem artes — , non penuria über or um in regnum
adoptatum. Liv. 29, 19, 4: Plus prope per seditionem
militwn, quam belle amissiim. Ebend. 5, 1, 7: Fatalis diix
Jahrb. f. Fhil. u . Pädag. Jahrg. V. Heft. 1 . 5
68 Rumische LItteratur.
ad excidium illius urhis servandaeque patriae. Mehrere
Beispiele dieser Art und Nach weisungen giebtRec. in Seebode's
Archiv 1825, II p. 374, denen noch beizufügen Hess zu Tacit.
Germ. 15, 1 und dessen Yariae lectt. et obss. in Taciti Germ.
I p. 20, Theod. Schraid in Schulz. 1829, II Nr. 8f> p. 289,
nebst Poppo's Thucyd. Vol. I p. 375. Die Absicht solcher Con-
structionsabwechslung liegt am Tage. DieSchrii'tsteller wollen
durch dieselbe zwei gegebne Vorstellungen dem Auffassungs-
vermögen der Leser abgesondert und daher in nicht zu überse-
hender Wichtigkeit darlegen, was sie sonst auch durch Wie-
derholung der Präpositionen, oder durch ein doppeltes et und
dergl. zu bewirken suchen. Uebrigens stimmen wir Ger-
lach's Meinung, dass S, die Schlaffheit seiner Zeitgenossen
dadurch habe persifliren wollen, vollkommen bei, ob wohl auch
er durch die recipirte Lesung per laborein usu das Wahre ver-
fehlt hat. Die Sache selbst erhält durch Jug. 85, 12 u. 13 das
erwünschteste Licht. Noch bemerken wir, dass auch ein Trier'-
scher Codex die Gerlach'sche Lesung giebt, die mit jenem
Herausg. Birnbaum im Cöllner Schulprogr. 1824 p. IV in.
Schutz nimmt. Rec. möchte auch vermuthen, dass bei simulac
belli patiens erat 2 Wolter ausgefallen seyen, wenn er die Va-,
rianten zum Diojuedes kennte, der p. 430 ed. Putsch, diese
Worte citirt ; denn unmöglich kann der Ausdruck belli die ver-
schiednen Lesarten in den MSS. des S. veranlasst haben. Wenn
Hr. Kritz im vorliegendenFalle mit denübrigenHerausgebern
des S., von denen keiner, so weit wir dieselben kennen, die
von uns gebilligte Lesung giebt, an dem schnellen Constru-
ctionswechsel Anstoss genommen zu haben scheint: so sehen
wir ihn in einem ähnlichen Irrthume Cat. 59, 2 befangen. Nam
uti planities erat int er sinistros in o litis et ab destra
riipis aspera octo cohortis in fronte constituit. Hier giebt
der Herausg. aus blosser Conjectur riipis asp. mit der Zweibr.
Ausgabe, verweisend auf Fragm. Historr. H, No. 12: inter
laeva moenium et dextrum flumen Turiam, und mehrere
andre St., die diesen Gebrauch, gleich rupein asperain, satt-
sam erhärten. Wäre diess die ursprüngliche Lesart , so ist in
der That nicht abzusehen, warum die meisten und besten
Codd. bei Haver camp, Ger lach und Pottier rupe aspera
geben, da man eher rupes asp. zu erwarten hätte, was nur äus-
serst wenige, bei Pottier gar keiner, bieten. Zwar sagt der^
Herausg., dass inter zwei Accusative verbundner Sätze erfor-
dere. Wohl wahr; aber wird nicht durch den Plural montes
die Verbindung zweier Subjecte gleichsam täuschend herbeige-
führt, wie wir sagen Its est inter nos statt inter te et ine?
Ausserdem trat, nach Sallustius lebhafter, scharf trennender
Darstellung, der Wechsel der Construction ein et ab destra
rupe aspera, welches gesagt ist wie dextra vox^ ut videbatur^
Sallustli Opera. Editl. Krltzius. GH
aures verherat, Plaut. Amph. 1, 1, 176. Noch andre Stellen
giebtWasse. Zudem scheint der Schriftsteller durch ab dextra
r. a. das Auslaufen der Ebne , oder die Ausdehnung derselben
von der rechten Seile her genau zu bezeichnen die Absicht
gehabt zu haben. Gerlach hat wohl ganz richtig gesehen,
wenn er den Satz so fasst : in isla planitie sinistra montes^
dextra rupes aspera erat. So wie hier das inter nur ein
Subject anomalisch zu verbinden scheint, eben so anomalisch
steht es anderwärts zwischen zwei Subjecten doppelt, wie
Horat. Sat. 1, 7, 11 und Epist. 1, 2, 12, wo Bentiey in unnö-
thige Conjecturen verfiel. Vgl. unsre Monographie der genann-
ten Epistel S. 20 und Hoff mann in diesen Jahrbb. 1828,11,
1 S. 49. — Nicht viel besser als eine Conjectur ist das Cat. 10,
2 aufgenommene ß//«s, welches nur der, sonst gute, Cod.Guelf.
5 bei Corte pro varia lectione aufweiset. Wer die Stelle im
Zusammenhange erwäget: Qni labores^ pericnla^ dubias atque
asperas res facile toleraverant , his otititn^ divitiae ^ optandae
aliis, oneri rniseriaeque fuere ., wird leicht eine Vergleichung
gewahren, die durch einen verschwiegenen Gegensatz nur leise
angedeutet wird. Der llerausg. ruft hier (ohne Grund) ver-
wundernd aus : Cur enim non his ipsis, qid pericvla et du-
bias res facile toleraverant^ otiiim et diviiiae optandae simt?
Mt si non sunt, quinam sunt hi alii? Nuni Romani^ an
quivis alii? Num 7neliores^ an pejores Romanis? Difßcidta-
iem sensit etiam Müllerus ^ haec annotans: ,^inteUigit niulti-
tiidinem; differt enim quod bonis optaiidian est^'"'- Jug. 61, 1.
Sed nihil his proficimus ; manet enim indefinit a et vaga ver-
bi notio , quo fit , ut non certa oppositio exsistat , quam au-
ctorem voluisse liquet. An den grosse?i Haufen zu denken
verbi^et Sinn und Zusammenhang, da S. dieses will: „Ruhe
und Reichthüraer, andern Völkern ein frommer Wunsch zur
Erreichung eines ungestörten Gli'icks , waren ihnen eine uner-
trägliche Last und eine Quelle des Unglücks." Ueber diese
elliptische Structur vgl. man Hess zu Tacit. Germ. 5, 5 und
dessen Var. Lectt. et Obss. in Tac. Germ. I p. 11, Rarash. Gr.
S. 310, nebst Jacob's Bemerkung zu unsrer St. in der Schulz.
1828 No. 137.
Nicht mehr annehmbar scheint uns die schon von Corte
vorgebrachte Conjectur per ignava Cat. 20,2, wo alle MSS.
neque ego per ignaviam aut vana ingenia incerta pro cer~
tis captarem lesen. Wenn der Herausg. dieselbe aufnehmen
zu müssen glaubte, weil hier das Abstractum für das Concre-
tum nicht stehen könne, da ja per ignaviam einen adverbialen
Satz bilde, wie immer; z.B. in den Ausdrücken: emori per
virlutem praestat u. ähnlichen : so müssen wir diesen Grund
für unzulänglich ei'klären. Der Zusatz aut vana ingenia zeigt
hinlänglich, wie das per igtiaviam zu nehmen sey, nämlich für:
5*
68 Römische Litteratur.
per ignavos homines, und nicht für: ignave captarem. Vgl.
Fragni. VI p. 1005 ed. Cort., p. 130 ed. Haverc. : Multaqiie
tum ductii ejus curata^ piimo per ignobilitatem^ deinde
per tfivi dia?n scr ip tor u m celebrata swit. — — XXXIX,
2: Hi magistratus, provincias aliaque omnia teuere; ipsi
innoxii^ florentes, sine 7uetii aetatem agere^ ceteros judiciis
terrere^ qni plebem in viagistratii placidius tractarent. Diese
'Conjectur qni statt der Lesung aller codd. quo beseitigt alle
Schwierigkeiten der Erklärung am glücklichsten, und doch
müssen wir gestehen, dass dieselbe durch keine unbedingte
Notliwendigkeit erheischt werde. Gut ist, was der Ilerausg.
gegen Corte, Gerlacli, Da hl und Herzog erinnert. Der
Sinn sey demnach: „Pauci illi potentes, ut ipsi suramara rerum
firmiter retinerent, nolebant alios apud plebem aliquid posse,
eoque ceteros patricios, qni plebis gratiam, placidius tractaiuio,
quaerere viderentur, judiciis vexabant, eosque a studio plebis
sibi conciliandae detcrrere conabantur." Da aber unter ceteros
nicht alle gemeint seyn können, sondern nur diejenigen Patri-
zier oder obrigkeitlichen Personen, welche in ibrer 3Iagistra-
tur ein solches gelindes Verfahren gegen das Volk zeigten, so
würde die Bestimmtheit des Gedankens den Indicativ tracta-
haut verlangen. Unstreitig wollte S. die Kunstgriffe der mäch-
tigen Aristokraten (/^ße/co/"?//« potentia crevil) schildern, durch
welche sich dieselben auf ihrer erklommenen furchtbaren Höhe
zu sichern suchten. Es liegt in der Natur tyrannischer Gewal-
ten, dem geraeinen Volkshaufen auf eine Zeitlang zu schmei-
cheln, um so mit grösserer Sicherheit ihm alle zukommenden
Volksrechte zu entreissen. Die furchtbare Hand solcher Em-
porkömmlinge trifft nun zunächst die neben ihnen stehenden,
aber an Macht Geringern {^ceteros judiciis terrere) , wodurch
diese eingeschüchtert werden sollen, mit strenger Gerechtigkeits-
liebe zu Froramen des allgemeinen Bessten das Volk zu regie-
ren. Das Volk selbst, so lange es in solcher Täuschung lebt,
preiset die Milde der segnenden Hand von oben, und so sieht
der Tyrann seinen Zweck erreicht. Ist diess der Ideengang,
welcher durch das vorhergehende Capitel bestätigt zu werden
scheint, so dürfte das quo^ welches sich auf ceteros bezieht,
nicht so ganz unsicher stehen. Nur darf nicht ausser Acht ge-
lassen werden, dass Sallust wegen seiner Gedankenkürze und
seiner raschen Gedrängtbeit häufig Zwischenglieder übergeht,
und so in grössern Umrissen zeichnet, wozu die einzelnen Par-
tieen sich von selbst ergeben. Der französische Uebersetzer
Beauzee hat nach unserm Dafürhalten die Stelle richtig also
gefasst: „inattaquables eux-memes, ils vivoient dans l'eclat,
Sans la moindre inquietude; ils eifrayoient seulement les autres
raagistrats par la rigueur de leurs jugements, afin de les forcer
ä teuir pendant leur magistrature uue couduite plus paisible
Sallustii Opera. Edid. Kritzius. CD
envers le penple." Noch gedenken wir einer der scliwie-
rigsten Steilen, wo Hr. Kr. abermals eine Conjectur Corte's
in den Text auCgenommen liat, Llil, 5: Sed postqua7n luxii al-
que desidia cicitas corrupla est, rw'stis magnüudirie sua im-
peratorum atqiie jnagistialmim vilia sustentaöat^ ac sicuti
effetae parentiun^ timltis tempeslalibus hatid sane quisquam
Romae viilute magims fuit. Auch diese Lesung effetae für
effeta wird von einer Art Schweri'älligkeit gedrückt, so geschickt
sie auch derllerausg. zu rechtfertigen sucht; daher Rec. es für
gerathener hält, der Auctorität der Handschriften den Vorzug
zugeben, und zur würdigern Erklärung des effeta ■parentum
die Sprachanalogie in Anspruch zu nehmen. Der Herausg. lässt
sich darüber also vernehmen: „Quum auctor enira dicere de-
buisset: «c, sicuti effetae nulla proles est, ita haud sa?ie
quisquam Romae viitiite magniis fnit^ sive nimio brevitatis
studio, sive, quod verius, negligentia quadam prioris membri
eampartera, in qua comparationis car-do versatur, omisit, quo
fit , ut posterius membrum ad prius relatum non bene cum eo
coire videatur; sed si tenueris , utrumque habere communem
generalem sententiam facultatis gignendi imminutae atque
amissae^ non est quod in nexu liaereas. Neque obstat, quod
effetae genit. quem dicunt subjectivus est, Romae loci raagis
potestatem habet; locus enim, ubi aiiquid fit, quodammodo
etiam eins rei caussa et origo est. Ceterum effetae parentum^
id quod Cortius jam monuit, dictum est pro effetae pareiitis^'-
etc. Wir fügen zu i^Qw vom Herausg. angeführten Erklärungs-
versuchen die sonderbare Conjectur Pottier's: «c, sicuti ef-
feta parens tum^ multis etc. und die Interpretation des gelehr-
ten Holländers Auto n de Rooy inSpicil. crit. (Dordracil771)
p. 15r „sie elf. parentum, m. t. etc. effeta talium vironem^
qui virtute sua patentes^ h. e. majores , adaequarant. Effeta
parentum , constructione graeca. vid. Vechn. Ileüenol. L. I P.
H c. 18. multis tempestatibuSj h. e. multis teraporibus , longa
annorum serie: sie infracap. 73: Post nmltas tempestates no-
vo horaiui'-'- etc. Hierbei können wir die Bemerkung nicht un-
terlassen, dass, so unzuverlässig auch Pottier als Kritiker
ist, der Herausg. doch von dessen Collation der Pariser Hand-
schriften Gebrauch gemacht, dessgleichen dass er auf die Be-
merkungen über einzelne Stellen des S. , die sich hier und da
zerstreut finden, mehr Rücksicht genommen haben möchte.
Auch in Birnbaums obeng. Progr, de locis aliquot Sallu-
stianis sind viel gute, obwohl nur gelegentlich geraachte, Be-
merkungen enthalten. Ausserdem dürfte die Bezugnahme auf
Sallustius Vorbild, denThucydides, hier am rechten Orte seyii,
wozu, hinsichtlich des Sprachgebrauchs, die Abhandlung in
Poppo's Thucydides Vol. 1 p. 372 — 381 beachtenswerthe
Fingerzeige enthält. Nachdem Rec. einige der wichtigsten kri-
70 Römische Litterat nr.
tisclien Stellen, in denen sich der Herausg, einem allzuraschen
Verbesserungssinne überlassen, herausgehoben hat, beleuchtet
er jetzt des Herausg. Verfahren mehr in exegetischer und gram-
matischer Flinsicht, wobei jedoch die kritische Behandlungs-
weise nicht ausgeschlossen werden kann. Cap. I, 1. Wegen
des Gebrauchs und der Stellung des Personalpronomens nach
den Wörtern cuper e^ velle, studere u. a. — qui sese student
yraestare veteris animalibus streitet der Verf. gegen F rot-
scher, Bei er, Görenz, Dahl U.A., indem er den Grund-
satz aufstellt : „legitima est euim Latinis verborura collocandorum
rsrtio, ut pronomen, si non singularem quandam vim habet, non
In principio enunciationis ponant, sed mediae oratioui commodo
loco inserant," verweisend auf Cic. pr. Sext. c. 45; de Fin. 2,
15,48; Nep. Eum. 8, 2, und Sallust. Cat. 5«, 4; 58, 18; Jug.
14,2; und weiter unten heisst es: Oraniuo autem pronomen in
Omnibus locis, qui nostri similes sunt, nonnisi vel perspicuita-
tis caussa^ vel ut oratio letiius suaviusque flueret positum vi-
detur.'-'' Der bessern Ordnung wegen hätte der Herausg. fol-
gende Punkte nach einander durchnehmen sollen: ]) Angabe
des Gebrauchs jener Personalpronomina nach obigen Verbis bei
gleichbleibendem Subjecte, und Feststellung des Unterschieds
zwischen den Constructionen : animi magnitudo principem se
esse viavult oder a. m. princeps esse 7navult; 2) Erörterung
des Falls, wenn das Pronomen vor das verbum ßnüum ^ wie
hier: sese siudeiit praestare , und 3) wenn es vor das verb.
inf. gestellt, wie Cic. Off. 2,120, 70: ille — gratum se videri stu-
det^ oder irgend einem andern Satzgliede angereiht werde. —
Hinsichtlich des In Punctes scheint der Gebrauch des Perso-
nalpr. allerdings einen grössern Nachdruck einzuschliessen,
sey es, um das Subject vor andern hervorzuheben, wie Frot-
scher behauptet (Obss. in Var. Loc. Vet. Latin. I p. ö) oder
den Gegenstand mehr vom wollenden Subjecte zu unterscheiden
und dadurch nachdrücklicher zu machen. Wenn daher Cicero
Offic. 1, 19, 65 denselben Gedanken mit den zwei verschiede-
nen Structuren darlegt, so hebt diess keineswegs den ursprüng-
lichen Unterschied auf, da vielmehr in solchen Fällen das Ge-
setz der Abwechslung in der Rede einzutreten scheint. Man
erwäge genau folgende Beispiele: Cic. in Catil. 3, 10: Non Uli
nullam esse rempublicam, sed in eß, quae esset, s e esse prin-
cipes, neque hanc urbem conflagrare^ sed se in hac urbe flo-
rere vohierunt. Tusc. 2, 26,64: Benefacta in luce se collo-
cari volunt. Ueber die zusammengezogne, mehr gräcisirende
Redeweise ist, ausser den vom Herausg. genannten, Kriiger
(Untersuchungen der lat. Spr. IIIsHeft) zu vergleichen. Dahin
gehört Cat. 54, 5: Cato — esse quam videri bonus inalebat.
Unhaltbar dürfte Ramshorn's (lat. Gr. S. 428) Meinung
seyn. 2) Der zweite Fall tritt meistens dann ein, wenn daa
Sallustä Opera, Edid. KrUzI^s. 71
verbum finitum früher steht als das verbum iiifinitum, wie hier
sese stude7it piaestare^ zumal bei den verbis dicendi. Dahin
gehören auch die von Görenz zu Cic. Acadd. 1, 2, 7 angegeb-
nen Beispiele. Vgl. deus. zu 2, 23 p. 135, zu Fin. 2, 22 p. 233,
Beier zu Off. 3, 5 p. 225. 3) Im dritten Falle findet sich das
Pronomen entweder unmittelbar vor dem Infinitiv (selten nach
demselben, wie Cat. 50, 4: iturum se dixerat) oder vor einem
dem Infinitiv vorhergehenden Worte, zu dem es als Erklärung
oder Gegensatz gehört , wenn nämlich das verbum finitum am
Ende einer Satzabtheilung steht; wie Cic. Off. 2, 22, 9: qui
vero populäres se esse volunt. Fin.2, 15, 48: hanc se tuus
Mpicurus ojnnino i^nor are dicit. Or. c. 25: non se par^
Cum solum, sed etiam elegmtteni vi der i volet. Beispiele,
wie Nep. Eum. 8,2: illa phalanx non parere se diicibus^ sed
imperare postulabat, heben wegen des zweiten nachfolgenden
Infinitivs die gegebne Regel nicht auf, so wenig als dieses —
se esse mavult quam videri Cic. Off. 1, 19, 65, wo das verb.
fin. zwischen zwei ihm zugehörige Infinitive tritt. Vgl. die
von Beier zu Cic. Offic. 1, 19, 65; 2, 20, ?0; 3, 4 p. 210 an-
geführten Stellen. Wenn Rec. solchergestalt nur die äussern
Spracherscheinungen auf gewisse canones zurückzuführen sucht,
so wie sie sich ihm beim aufmerksamen Beobachten in dieser
Allgemeinheit ergeben: so ist der innere Grund dem for-
schenden Denker leicht erklärbar, so wie derselbe innere
Sprachgrund, so bald er gefunden ist, alle vorkommenden Ab-
weichungen befriedigend zu lösen vermag, wie Cic. in Catil. 1,
2: Cupio me esse dementem etc., und Nep. Tim. 3, 4: [Ti-
moleon] maluit se diligi quam metui ; in welchen Beispielen
der zweite Canon gefährdet zu seyn scheint. Wir gestehen,
dass uns hier der Herausg. am wenigsten genüget hat ; desto
mehr aber hat er in der Vertheidigung und Erklärung des eget^
wo Q\n\^t, veget lesen, unsere Zustimmung. Oefters hat der-
selbe im Conflicte mit Gegnern die Verschiedenheit des Sinnes
mitgetheilt, was wir sehr billigen, da der Schüler durch ein
solches Verfahren auch zum Nachdenken über die Sache ver-
anlasst wird; wir wünschten, er hätte hier über die Worte:
animi imperio, corporis servitio magis ulimur, alterum nobis
cum dis etc. Beauzee's Ansicht (jLes Histoires de Scdluste
etc. Paris, chez Barbou 1787) p. 150 nicht übersehen: ^,Tou8
les traducteurs et les coramentateurs que j'ai vus , fönt dire a
Salluste, que Vesprit doit Commander et que le Corps dort
obe'ir. Cependant l'auteur vieut de dire que la nature a ren-
du les betes esclaves de leurs appetits, obedientia ventri: il
va ajouter que, par l'esprit, nous partieipons a la nature des
dieus ; et par le corps , a celle des betes : il a donc voulu dire
qua ce dernier egard noussorames comme les betes, obedientia;
et le sens du passage dont il s'agit est, que nous avo^ns plus
78^ ..iiÖ-ömische Litteratur.
d'empire sur notr^q'än^e et qiiß noiis dependons' davantage du
Corps. II ne faut rendre Salluste iiicpnsequeiit pour le rendre
orthodoxe." Wir glaubten diese Auslegung ihrer Sonderbar-
keit wegen den deutsclien Lesern nicht vorenthalten zu dürfen.
§ 0 hätte Jiam eine Erklärung erheischt, welches hier wie yccQ
einen Zwischengedankeii ergänzen lässt, ohngefähr: „jener
Streit ist nicht nöthig, denn u. s. w. S. die Schrittst, zu Ilorat.
Kpist. 1, 2, 38 p. 63. — 11,2: tum demtmi periculo atque
negotiis compertmn est in hello plininiu/n ingeyiium posse.
Die Ausleger sind getheilt in der Erklärung dieser Worte. Ilr,
Kr. nimmt periculmn im gewöhnlichen Sinne und ?iegotia als
res graviores eaeqiie miplicatiores. Uns scheint hier die grie-
chische Ausdrucksweise ^leru növcov xccl mvdvvav zum Grunde
zu liegen, \vie Cic. Off. 1, 19, C5: vis invejiitur ^ qui labori-
hus susceptis periciili s que aditis non quasi mercedem
rerum gestarinn desideret gloriam. Beispiele des griechisch.
Sprachgebrauchs giebt Bornemann zu Xenoph. Conviv. 4,
S5 p. 132, wo derselbe unsre Stelle ebenfalls dahin bezogen hat.
§4: Nam imperium facile his artibus reiinetw\ quibus iiii-
tio partum est. Schon Corte hatte his für iis aus Hand-
schriften aufgenommen; und ob wir wohl niclit läugnen, dass
jenes Dcmonstrativum in vielen dergleichen Fällen eine grössre
Bestimmtheit ausdrücke, so scheint uns doch der Herausg. die
Sache übertrieben zu liaben, indem er fast überall hie für is ge-
schrieben. Es ist bekannt, dass his in den besten Handschrif-
ten steht, wo iis zu lesen ist; daher in diesem Falle auch die
besten kein rechtes Ansehen haben. S. Wunder in diesea
Jahrb. 1827, III, 2S.174; Beier zuCic.Lael.22, 82, 3. Wenn
Hr. Kr. sagt: „Si quid igitur non prorsus vaga notione indefini-
teque est enunciatum, sed aliqua, etsi levi, significatione decla-
ratum, ita, ut quasi praesens intueri possimus, lieri potest, ut
pro is ponatur hic^ idque imprimis in eos locos cadit , ubi rela-
tivura cum deraonst. conjunctura reperitur" : so ist eines Theils
der diessfallsige Gebrauch des Schriftstellers zu ermitteln, an-
dern Theils aber auch der wohlbegründete Unterschied beider
Pronoraina (s. Weber's Uebungsschule I S. 2) fest zu halten.
Wer würde z. E. Cic. Offic. 2, 10, 37: Admiratione quadani
afßciuntur ii^ qui anteire ceteris vir tute patantur et cum
omni carere dedecore, tum vero iis vitiis, quibus alii non
facile possu/d obsistere, das Dempnstrativum hie für richtig er-
kennen*? Eine andre Bewandtniss hat es mit der vom Herausg.
angef. Stelle aus Cic. de Legg. 1, 9, 27: hu7ic locum satis in
his iibris^ q?ws legistis, expressit Scijno. — § 7: Quae ho-
inines arant^ navigant^ aedificant etc. ist zwar richtig erklärt,
aber das Hindeuten auf die poetische (oder griech.) Wendung
unterlassen worden. Vgl. Döring zu Horat. Od. 3, 16, 26. —
§9: qui aliquo negotio intentus. Hier ist der Ablativus, der
Salliistil Opera. Edid, KrUzius. Ti
SO vielen grammatisch unaxifiösbar schien, wesshalb man zu der
ungeräumtesten Vertauschung des Dat. und Ablat. oder der glei-
chen Bedeutung heider Casus seine Zuflucht nahm, recht gut
in seine waliren Rechte eingesetzt worden. „Ahlativus auteni
tum tantum potest cum dativo permutari," sagt der Herausg.,
„quura verbum ejtismodi est, ut possit et cum objecto tertii ca-
sus conjungi, et absolule \iOin ^ ea re per ablativum adjuncta,
qua id quod verbum significat efficitur. Igitwr intentus ^ quod
plerumque dativo objecti jungitur, quum etiam absolute usur-
petur, velutiCat. (>, 5; 1(5, 5; Jug. 40, 3; Caes. B. C. ], 58, liaud
incommode ablativum adjunctum liahebit ejus rei, qua quis in-
tentus fiat ; res autem, qua quis est intentus, non diversa est ab
ea, cid sive in quam intentus est. Similis usus est verhi im-
plicari, quod saepissime rem, in quam impllcamur, ablativo
adjunctum habet, Cic. OfF. 1, 32, 9"" u. a. Noch wird dieser
Sprachgebrauch durch memoriae und memoria piodi, durch
diffidere occasione treffend erläutert. Ausserdem werden in
diesem Capitel folgende grammatische Puucte erörtert: etiam-
tiim und etiam tum, etiam ttinc; in magna copia in der Be-
deutung eines Nebensatzes für: quum magna copia sit u.
ähnl. — 111,2 werden die Worte pr?'mMm quod facta dictis sunt
esaequanda auf die historische Treue bezogen, wie schon
Lange und Müller die Stelle fassten ; da aber hier haupt-
sächlich von der Darstellung der Grossthaten eines Volkes die
Rede ist, wie ja Hr. Kr. das Pulchrum est bene facere reipu-
hlicae selbst ganz richtig durch f actis egregiis de republica
mereri erklärt: so ist hier wohl an das Würdige und Gezie-
mende der Darstellung, nach welcher jede That in dem rechten
Lichte geschaut wird, zudenken, wobei ohnehin die histori-
sche Treue vorausgesetzt werden muss. Dass das Grossartige
und Pragmatische der Darstellung hier dem Sallust vorschweb-
te, lässt sich aus Cap. 8, 4 mit ziemlicher Gewissheit entneh-
men, wo er von der Gcschichtschreibung der Griechen sagt:
Ita eorum qui ea fecere virtus tanta habetur^ quantum ver-
bis eam potuere estollere. — § 3 : -fc'^o — sicuti pleriqjie —
studio ad rempublicam latus sum wird mit F rotscher
sehr richtig von der Begeisterung^ dem Staate zu dienen, ge-
nommen. Dagegen billigen wir nicht, dass Hr. Kr. nach dem
Vorgange jenes Gelehrten der Lesart §6 relicuis statt relicuo-
rum den Vorzug gegeben. Die Stelle heisst nach des Herausg.
Interpunction also: Q^uae tametsi animtis aspernabatur , inso-
le?is malarum artium, tameJi inter tanta vitia imbecilla aetas
anibitione corrupta tenebatur ; ac nie., quum ab relicuis ma-
lis moribus dissentirem., nihilo minus honoris cupido eade?n'
que quae ceteros fama atque^ invidia vexabat. Schon die
äussere Auctorität der MSS. spricht für relicuorum., welches im
Cregeiisatze zu ceteros steht; es lag ja in dem Zwecke der Dar-
71: Römische Litteratar.
Stellung, nicht blos von den übrigen Schlechtigkeiten, als : der
Habsucht, der Bestechung u. s. w. sich freizusprechen, sondern
sich von den Subjecten auszuscheiden, an denen jene Fehler
hafteten und mit denen doch Sallust ein gleiches Schicksal er-
fuhr, indem er mit jenen vjn seinen Zeitgenossen in eineClasse
geworfen wurde. Sagt Hr. Kr., dass dann wohl ceterorum er-
fordert werde, so ist diess ein schwacher Grund, da schon die
Abwechslung der Rede wegen des folgenden ceteros den Ge-
brauch von reliquorum gebot; auch folgt aus letzterem noch
nicht, dass die Jf^hjsucht nicht ein allgemeines, sondern nur ein
dem Sallust eigenthiimliches Uebel gewesen sey. Der verglei-
chende Ausdruck nihilo minus honoris cirpido schliesst die
andern Römer nicht gänzlich aus, und iiberdiess wollte ja Sal-
lust vorzugsweise den Fehler der Ehrsucht^ als einen weit ver-
zeihlichem und edlern, sich beimessen, quod tarnen vitium
propius virtutem erat^ wie es XI, 1 heisst. Dass Hr. Kr. ea-
denique quae schreibt, ist, so sicher auch dieser Sprachge-
brauch steht, nur eine Conjectur; denn auf die Schreibung ei-
niger wenigen codd. eademque ceteros ist d esshalb nicht viel
zu bauen, weil das e luid ae fast Viberall verwechselt wird.
Aus diesen Griinden halten wir die Vulgate hinlänglich gesi-
chert, falls man nur eadem zu dem folgenden fatna atque invi-
</m zieht, undnichtmit Wasse, Pottier u. A. an honoris
cupido durch ein Komma anschliesst; (was auch der Variante
relicuis ihr Daseyn gegeben) wogegen zu kämpfen derHerausg.
gänzlich ausser Acht gelassen hat. Den Sinn des Ganzen ent-
wickelt Frotscher ( 1, 1. p. 24 sqq.) übrigens ganz richtig,
und mit Recht hat Hr. Kr. die darauf Bezug habenden Worte
mitgetheilt. Gelegentlich wird die Schreibung malevoleniia^
wofür einige malivolentia ^ § 2 durch Etymologie und Analogie
sicher gestellt. Vgl. Heusiuger zu Cic. Off, 1,21,3; Grote-
fend Gr. H § 167 S. 182. Doch dürfte in andern Wörtern, wie
invalitiido^ das / nicht ganz verwerflich seyn, insofern selbige
von supinis stammen. S. Beier zu Cic. Laei. p. 197 ed. maj.
Mit welcher Gewandtheit Hr. Kr. die Auslegung handhabe und
überall das Bessre sich anzueignen strebe, möge die von vielen
Auslegern missverstandne Stelle XI, 3: Avaritia — neque co~
pia neque i?wpia, beweisen. Nachdem er Teller 's Ansicht
abgewiesen, giebt er diese Erklärung ab, die von der Lange'-
schen in etwas verschieden ist: ^^Copiafn reiero ad eas res,
quas quis jam comparavit, inopiam ad eas, quas adhuc sibi ac-
quirendas putat. Avaritiam enim minui debere putaveris, si
aut nuiltas opes jam collectas habeat, aut perpauca videat, quae
ad se rapere possit; sed neque copia rerum acquisitarum , qui-
bus acquiescere possit, neque inopia acquirendarum, qua deter-
reatur, minus potest; quippe omnino respuit, eoque summa
ejus turpitudo constat.^' Rec. wagt dennoch nicht, so gut auch
Salluetii Opera. Edld. Kritzius. 75
die Sache gefasst zu seyn scheint, die unhezweifelte Richtigkeit
der Erklärung zu unterschreiben, falls nicht etwa der Sinn ist,
wie in Democritus Ausspruche (Orell. Opusc. Graec. vet. sentent.
et mural. T. I p. 124 nr. 161): /Jirjviv.rig btiI näöiv avxTQänois
ri tov TtXovtov £md'V(iia. ^t] ict^]d^ti6a filv yäg xqvxsl^ xti]-
&sl6a öh ßaöavl^ei talg (pQovxiöLV ^ ccnoxrrj&elöa öh talg kv-
naiq. Vgl. Cic. Parad. 1, 1, 0. Diese Stelle mahnt den Reo.
auf eine, so viel ihm bewusst ist, von den Herausgebern des S.
noch niclit beachtete Parallele zu LIV, 5 aufmerksam zu ma-
chen. Es ist bekannt, wie häufig Plutarch aus latein. Schrift-
stellern schöpft. Was dort Sallust von Cato Uticensis sagt:
non divitiis cum divite — sed cum strenuo virtute — certabat^
findet sich in ähnlicher Wendung im Cato Major des Piutarch.
c. 10 (T. 2 p. 506 ed. Reiske): aXXa ßovXo^ai ^äkkov
TCSQL aQBtr^g toig aptörotg, ^* nsgl xQr]^ärc3V rolg nlovöiaxä-
totg a/xi^Aaö'&at, naX rolg cpikagyvQcozcctOLg Ttsgl fpiXaQyv-
Qiccg. — Nachdem wir den Herausg. nun durch die ersten Capi-
tel begleitet haben, brechen wir unsre Bemerkungen ab, die
nur der,fleissigen Bearbeitung unsre Aufmerksamkeit bezeugen
und trotz des hier und da vorgebrachten Widerspruchs den
Werth des Buchs nicht schmälern sollten Der Verf., der
überall sich als denkenden Forscher zeigt, wird gewiss mit der
Zeit selbst Vieles zurücknehmen, theils von dem, was wir nur
kurz beriihrten, theils von dem, was wir, bei der Reichhaltig-
keit des Buchs, unberührt lassen raussten. Reich ist das Werk
an grammatischen Bemerkungen, die nicht nur dem Studirenden
überhaupt, sondern auch dem eigentlichen Gelehrten von Nutzen
seyn werden; z. E. die Erörterung der Genitive des partic. fut.
pass. und eines Substant. bei esse, als auch andern Verbis
Cat. VI, 7 (Vgl. Herzog's Progr, Gera 1828: Inesi Obser-
vationum in nonnullos veterum scriptoru?n locos Partic. I p.
8 ff.); der Ausdrucksweise in amicis ßdelem esse IX, 2 (Vgl.
Günther zu Nep. Eum. 13, 2; Bei er zu Cic. Lael. p 65 und
68); des Gerundiums mit 2 Genitiven , als: copia exemplorum
eligendi potestas, wo Hr. Kr, (XXXI, 5 p. 145) der Erklärung
S t a 1 1 b a u ra s zu Rudd. II p. 246 beitritt (Vgl. Jen. L. Z. 1826
N. 132 S. 96). Zu XXXIII, 2 findet sich , gegen die Ansicht
aller Grammatiker, die Meinung ausgesprochen, dass nostri
und vestri nicht genitivi pluralis, sondern singularis nuraeri sind ;
denn, sagt er, „descendunt a neutro pronominum possessivo-
rum, ex qua diversa orlgine sensus discrimen inter nostri et
nostrum, vestri et vestrum clare patet. Intelligitur enim, in
partitione hunc genitivum singularis numeri poni non posse,
semperque dicendum esse nemo nostrum., niulti vestrum^ primus
nostrum etc., contra bene se habere memor nostri^ 1. e. ejus
quod nostrum est, sive couditionis nostrae; vel miserere no-
stri^ odium vestri^ similia, ubi etiam personalia pronomina poni
7^ Romische Litte ratur. ^,
possunt, sed hoc discrimine, ut pinralis personas ipsas signifi-
cet, siiigularis id qiiod personarum est; cf. Frag. ine. 17, 3:
si parricida vostri sum."' — XXXII, 1 wird ein Unterscliied
zwischen opt?imtim factimi und fcictu u. ähnl. geltend gemacht.
XXXIV, 2 über ?wn quo und no?i quod gegen Zurapt und
liamshorn. XXXV, 3 über et m der Bedeutung von etiam
bei Cicero, was zugegeben und durch euie elliptische Structur
erklärt wird. (Vgl. lacob: Epistola , qua Viro Ampi
Chr. Th. Bruch — gratulatur. Colon, ad Rhen. 1828.)
XXXVII vom Gebrauch des phisquamperf., wo man ein imperf.
erwartet. • (Vgl. Jahn zu Ovid. Met. 9, 102 ed. Gierig.;
Birnbaum a. o. O. p. V.) XL, 6 wird die Form accersere für
arcessere in Schutz genommen. (Vgl. jedoch, ausser den von
Ramshorn in den Jahrbb. 1827, ill, 4 p. 2 des Liter. Anz.
genannten, Bach zu Tib. p. 110; Dähne zu Nep. p. 171 und
Hieron. Lagomar sin ii notae graramaticae et critt. ad Po-
giani Epist, in Friedem. und Seebode's Mise. Critt. V, II P. III
p. 434 sqq.) XLIV, 5 über den Unterschied von quis sim und
qui sim (Vgl- auch Benecke in Seebode's Archiv 1824, IV
S. 703; Moser zu Cic. Rep. 2,3 p. 205). Ott bedurfte es
aber auch nicht vieler V^orte, sondern eines blossen Verwei-
sensauf die Grammatik, als IV, 1 zu animus ex multis mise-
riis — reqiiievit^ wo wegen der Bedeutung der Praepos. ea:
für post nur Zumpt § 300 zu nennen wai'. Genau genommen
liegt nicht einmal die Bedeutung post zunächst in jenen Wor-
ten, sondern es ist gesagt , wie Cic. luv. 2, 4: es lassitudine
dor?m're sensit; de Orat. 2, (51: clmtdicanti ex imlnere, und
pr. Arch. p. 1 : ex gravi niorbo recreari^ welche letztere Stelle
auch der Herausg. anführt; die übrigen gehören weniger
hierher. Dagegen vermissten wir anderwärts ungern die gram-
matischen Belege, z. E. LIV, 5: ita quo minus gloriani pete-
hat, eo magis [sc. gloriä] sequebatur; wo der Herausg. selbst
gesteht, dass die Abwechslung des Subjectes ohne ein Andeu-
tungswörtchen die vielfachen Interpolationen mit veranlasst ha-
be. S. Ochsn er zu Cic. Eclog. p. 284; Jacobs latein.
Blumenl. II S. 260; Dähne zu Nep. p. 129, und die zuHorat.
Epist. 1, 10, 34 p. 60 und in Seebode's N.Archiv 1826 H. 7 u.
8 S. 138 für diese Stelle gegebnen Nachweisungen. Schliess-
lich wünschen wir recht sehr, dass dieses nützliche Buch sich
bald in den Händen nicht nur der studirendeu Jünglinge, son-
dern auch ihrer Lehrer befinden möge.
II) Vorliegendes Progr. zeigt mit schlagenden Beispielen,
wie unzuverlässig de Brosses in Sammlung der Sallust, Frag-
mente in seinem so berühmt gewordenen Werke sey: Hi~
stoire de la Repnhliqiie romaine, dans le cours du septieme
siede; par Salluste : e?t partie traduit du latin sur Torigi-
?ial; en partie retablie et composee sur les fragmens^ qui
Cic. oratt. in Cntillnam et pro Sulla. Edid. KreLs, T7
sont Testes de ses Livres perdus, reinis en ordre dans leur
place veritable oii le plus vraisemblable (par Charles de Bros-
ses) III Tom. 4. äDijoii, chez Frantiii, 1777.) Oi't hat der-
selbe nicht einmal den lateinisclien Ansdruck verstanden, oft
Fragmente gewaltsam aus einander gerissen, oft ein und das-
selbe Fragment auf mehrere Gegenstände angewandt, oft Aus-
drücke für Salhistianisch genommen, die den citirenden Gram-
matikern angehören, und dergl, mehr. Daher sagt der Verf.
mit llecht (p. ß) : „Quo majore igitur diligentia et cautione De-
brosio agendum fuit, si operam suam SaUustii fragmentis na-
vatam non inanem et nugatoriam esse vellet, eo magis dolen-
dum est, quod taiita per totiiin opus levitate se gessit^ tcim-
qiie exiguain non modo veri sed ne ejus quldem, fjuod veri-
siniile esset^ cur am habuit^ ut prorsus ab eo, quod proposi-
tmti habebat, consilio abcrraret^ et totum paene fructum im-
mensi operis perderet.'-' Ein weites Feld bleibt also dem Bear-
beiter der Sallustianischen Fragmente zu deren Anordnung noch
übrig, wesslialb der Verf. bei seiner künftigen Ausgabe hin-
längliche Entschuldigung findet, den Weg der frühern Heraus-
geber zu verlassen, und durch hessre Zusammenstellung sich
den Dank des gelehrten Publicums zu erwerben. Der Verf. ent-
scheidet sich bestimmt für die Annahme von fünf Büchern;
weil die Zaiil des sechsten Buches daher entstanden sey, dass
man aus den unbestimmten Anführungen der Grammatiker ein
neues Buch geschaffen. Bahr, welchen der Verf. 6 Bücher
annehmen lässt, (^Geschichte der liömischen JAleratur S. 280)
sagt aber doch auch in der Anmerkung 1 S.281, dass das Ganze
wohl nur aus 5 Büchern bestanden habe. Möge Hr. Kritz
den zweiten Band seines Sallust mit der besser geordneten
Fragraentensammlung und dem verheissnen Index bald nach-
folgen lassen!
Obbarius.
M. Tullii Cicer onis Orationes in L. Catilinam IV.
et pro P. Sulla. Ex recensione Orelliana cum selecta le-
ctinniä diversitate cditinnum maxiine recentiorurn et pi-aemissis
, argumentis Paulli Manutii. lu usum scholarum curavit lounnes
Philippus Krebs. dessen bey Heyer. XXIV und 139 S. 1828.
\il. 8. (10 Gr.)
M. Tullii Cicero nis Orationes IV. in Lucium Ca-
tilinam. Mit erläuternden und kritischen Anmerkungen von
C. Benecke, Dr. Leipzig, bey Klein. VIII und 317 S. 1828. gr.
8. (1 Thlr. 8 Gr. Parthiepreis für Gymnasien 1 Thlr.)
Die emsige Beschäftigung mit den Schriften des Cicero,
die sich jetzt unter den deutschen Gelehrten zeigt, hat auch
7g Römische Litteratur.
zwey Ausgaben der viel^elesenen Catilinarischen Reden im ver-
gangenen Jahre an das Licht gefördert. Von den beyden Her-
ausgebern ist Hr. Prof. Krebs bereits seit Jahren durch eine
Reihe von nützlichen Schulbüchern und mit Umsicht besorgten
Schulausgaben dem philologischen Publicum hinlänglich be-
kannt, Hr. Prof. Ben ecke zu Posen dagegen tritt — wenn
wir einige kleine Aufsätze in Seebades kritischer Bibliothek
ausnehmen — hier zum ersten Male mit einer grössern philo-
logischen Arbeit auf. Wir wenden uns nun zuerst zu der, auch
früher erschienenen, Bearbeitung des Hrn. Krebs.
Der Titel dieser Ausgabe bezeichnet ihren Inhalt hinläng-
lich. Hr. Krebs wollte eine Schulausgabe ohne Wort- oder
Sacherklärungen geben, mit einem kritischen Apparate, der
vorzugsweise aus den Ausgaben der neuern Bearbeiter genom-
men wäre, der Text selbst sollte sich überall streng an die
Orellische Ausgabe anschliessen. Er verschweigt indess
dabey nicht, dass ihm die von 3Iatthiä aufgenommenen Les-
arten mitunter beyfallswürdiger erschienen. Nach diesen in
der Vorrede angegebenen Grundsätzen ist die Ausgabe angefer-
tigt worden. Der Text ist der Orelli'sche und nur in der
Setzung des Comma sowie in der Schreibung einiger Wörter
hat Hr. Krebs geändert. Unter dem Texte stehen nun die ver-
schiednen Lesarten, welche Beck, Döring, Weiske, Mor-
genstern, Matthiä, 3Iöbius und unter den altern Gelehr-
ten Lambinus, Guilelraius, Modius, Heumann, G ru-
ter und andre vorzogen, von denen die letztern jedoch nur bey
wichtigen Stellen angeführt sind. „lUa autem selecta lectionis
diversitate,'' sagt Hr. Krebs in der Vorrede, „ita utatur ma-
gister, ut in ea examinanda discipulorum ingenia acuat, men-
tem Ciceronis exploret , errores interpretum aperiat et refellat,
usitatam Ciceroni locutionem indaget et declaret." Es sind
diess also dieselben Grundsätze, nach welchen Hr. Krebs in
geiner Ausgabe der Ovidischen Fasti (m. s. Vorred. S. XIII IF. )
verfahren ist und über welche er auch im Osterprogramme des
Weilburger Gymnasiums vom J. 1826 S. 8 ff. gesprochen hat.
Rec. muss jedoch gestehen, wie er auch bereits in einer An-
zeige jener Ausg. weitläuftiger geäussert hat, *) dass ihm eine so
ausschliessliche Richtung der Anmerkungen auf Kritik in einer
Schulausgabe weniger zusagt und dass er sich in dieser Hin-
sicht mehr mit den Grundsätzen einverstanden erklären muss,
welche Hr. Matthiä in der Vorrede zu seiner Ausgabe Cice-
ronianischer Reden S. VII f. aufgestellt hat. Dass Ausgaben
mit Anmerkungen erklärenden Inhalts (wenn sie nur nicht nach
Art der weiland Büchling'scheu oder gewisser neuern Bearbei-
•) Jen. Allgem. Lit. Zeit. 1828 Nr. 115, 116.
CIc. orati. in Catilinam. Herausg-eg:. von Benecke. 79
tuiigen, die sicli diesen anschliessen, abgefasst sind) einen nicht
unbedeutenden Nutzen für Lernende liaben, glauben wir aller-
dings, dass aber unsre Secundaner aus den Besprechungen Viber
die Güte oder Verwerflichkeit einzelner Lesarten recht vielen
Nutzen schöpfen werden — daran unissen wir bey aller Hoch-
achtung gegen Hrn. Krebs doch zweifeln. Mit den Schülern
dieser Classe, in welclier dieCatiliiiarischen Reden gewöhnlich
gelesen werden, giebt es gewöhnlich so vielerley zu besprechen
und es ist auf so viele andre grammatische und exegetische
Gegenstände Rücksicht zu nehmen, dass die Zeit zu kritischen
Untersuchungen, für die auch gewiss die wenigsten dieser
Schüler weder geeignet, noch — wie man wolil offen gestehen
rauss — aufgelegt sind , schwerlich hinreichen dürfte, Dass
wir dabcy den Nutzen vernünftig getriebener Kritik in der er-
sten Classe einer geleinten Schule, die auch Hr. Matthiä a.
a. 0. empfiehlt und der noch neuerdings Hr. Thiersch {über
gelehrte Schule?i IH, 367) eine so kräftige Schutzrede gehalten
hat, nicht zu nahe treten wollen, glauben wir nicht erst ver-
sichern zu müssen.
Was nun iibrigens die Zugaben des Hrn. Krebs betrifft,
so hat derselbe eine kurze Uebersicht des Lebens und der
Schriften Cicero's (S. XV — XXIV) hinzugethan , sowie die In-
haltsanzeigen des P. Manutius zu jeder Rede. Eine besondre
Zierde erhält jedoch Äiess Büchlein durch die schön und herz-
lich geschriebene Zueignung an die HH. Friedemann und
Seebode, die wir um so weniger glauben übergehen zu dür-
fen, je mehr solche Dedicationsschriften durch vielfältigen
Missbrauch zu einer gemeinen Münze heruntergekommen
sind, welche w eder die Thüren der Grossen mehr öffnen, noch
als ausgezeichnete Ehrenbezeugungen gelten können. Dafür
haben wir liier die Denkmünze eines geistigen Bundes , der
schon lange zwischen drei Ehrenmännern besteht.
Wir wenden uns nun zu Nr. 11. Hr. Be necke erwähnt
in der Vorrede, dass er diese Ausgabe sowohl für Lehrer als
für Schüler bestimmt habe, damit der Lehrer in ihr die nöthi-
gen Hülfsmittel zur Erklärung dieser Reden fände und der Schü-
ler diese Ausgabe als einen belehrenden und passenden Leitfa-
den auch beym Privatstudium gebrauchen könne. Bey diesem
doppelten Zwecke war es das eifrige Bestreben des Hrn. Her-
ausgebers, Alles zusammenzustellen, was von altern und neuem
Erklärern für diese Reden beygcbracht worden ist. Er be-
merkt dabey (S. VI), dass er auch der Meinung mehrerer Ge-
lehrten beyträte, dass man sich in die Sacherklärungen nicht
zu weit einlassen dürfe, dass aber auf der andern Seite das
Zuwenig nicht minder tadelnswerth sey, zumahi da bey dem
jetzigen Standpuncte des Gymnasialunterrichts dem Unterrichte
in der eigentlichen Alterthumswissenschaft nur selten eine Stunde
80 Rumische Litteratur.
gewidmet wird. „Ohne im geringsten, setzt er hinzu, dem
gründlichen Studium der classisciien Sprachen des Aiterthuras
zu nahe treten zu wollen, so rauss ich doch die Vernachlässi-
gung dieses practischen Theiis der Alterthumskunde als einen
grossen Mangel in der jetzigen Gymnasialbildung ansehen, da
doch der grösste Tlieil unsrer Schüler bey dem Besuche gelelir-
ter Schulen nicht allein die Wissenschaft als solche, sondern
bey dem Studium derselben stets die sichere Begründung des
künftigen Berufslebens im Auge hat, zu dessen wahrer und um-
sichtiger Thätigkeit doch wahrlich jiicht einzig und allein die
Kenntniss der Spraclie hinreicht."- Das zweyte Augenmerk des
Hrn. B. war besonders auf die Sprache und ihre Eigenthüm-
lichkeiten sowohl in grammatischer als kritischer Hinsicht ge-
richtet, wo er durch die als Belege beygesetzten Citate den
Schüler zur Prüfung und zum Nachdenken einladen und auch
soviel als möglich den Scharfsinn desselben bey verdorbenen
Stellen zu üben bemüht gewesen ist.
Rec. erlaubt sicli hierzu einige Bemerkungen. Was zuvör-
derst den doppelten Zweck des Hrn. Herausgebers betrifft, dem
Bedürfnisse der Lehrer und der Schüler zugleich abhelfen zu
wollen, so gestehen wir, dass diess keine ganz leichte Aufgabe
sey. Wir müssen jedoch Hrn. Benecke bezeugen, dass es
ihm damit meistentheils recht gut gelungen sey, dass er dem
Lehrer das Nothwendige dargeboten hat und dass es fleissigen
Schülern meistentheils und oft selbst in solchen Stellen, wo
Rec. nicht mit Hrn. B. übereinstimmen kann, gelingen wird,
ihre Kenntnisse durch diese Anmerkungen auf eine recht er-
spriessliche Art zu erweitern. Was ferner die sachlichen An-
merkungen anbetrifft, so hat es uns gefreut, hier zu finden,
dass Hr. B. dieselben nicht ganz hat in den Hintergrund treten
lassen, sondern sie mit den sprachlichen auf eine Art verbun-
den, die jetzt von sachverständigen Richtern als zweckmässig
anerkannt worden ist *). Was aber die Vernachlässigung des
praktischen Unterriclits in der Alterthumskunde, welche der
Herausg. als einen grossen Mangel unsrer jetzigen Gymnasial-
bildung ansieht, anbetrifft, so kann Rec. sich mit demselben
hier nicht ganz einverstanden erklären. Verstehen wir nämlich
Hrn. B. recht, so wünscht derselbe einen systematischen Un-
terricht in den griechischen und römischen Alterthümern in be-
sondern Stunden, wie er sonst nach Nieuport's und anderer
Compendien ertheilt wurde. Auf den meisten preussischen
Gymnasien ist derselbe jetzt verschwunden, und wir glauben
') Um nicht zu weitläuftig zu werden, wollen wir hier nur auf
die von Hrn. Friedemann in seinen Parünesen J, 219 — 236 gemach-
ten Zusammenstellungen verweisen.
CIc. oratt. in CatiHnam. Hcrausgeg. von Benecke. - 81
nicht mit Unrecht. Denn die Lehrgegenstände gewinnen ein-
mahl durch Vereinfachung und zweytens kann von den Alter-
thümern, soviel fVir Schüler gehört, bequem bey dem Vortrage
der griechisclien und römischen Geschichte in einem besondern
Abrisse oder in einer Uebersiclit mitgenommen werden, voraus
gesetzt, dass, wie doch meistens der Fall ist, dem liistorischen
Unterrichte drey Stunden gewidmet werden. Eey der Erklä-
rung der Classiker wird sich dann Manches ergänzen und nach-
hohlen und das Ganze durch fleissige Wiederholung dem Ge-
dächtnisse fest einprägen lassen. Recens. ist nach dieser Me-
thode verfahren, und glaubt grade nicht Gegenstände von be-
sondrer Wichtigkeit übergangen zu haben: die Ausfüllung des
ganzen grossen Gebietes aber gehört der Universität an. Da
kann der Lehrer sich über Vieles ausführlicher verbreiten, was
ausser den Gränzen der Schulbildung liegt und oft (wie z. B.
viele Gegenstände des mit dem ganzen römischen Leben so ge-
nau verzweigten römischen Rechts) von den Schülern nicht ein-
mahl gehörig begriffen zu werden vermag. Allzu viel darf auch
Aem pr actis che Ji Nutzen nicht eingeräumt werden, was freylich
Manche und neuerdings der anonyme Verfasser einer pädagogi-
schen Schrift verlangten*): der Gymnasialunterricht soll aller-
dings den Schüler zum practischen Menschen bilden, aber man
soll ihm nicht immer die Rücksicht auf das bloss Nützliche und
Brauchbare als den höchsten Zweck vorhalten **). Dagegen
glauben wir — xim diess noch kürzlich zu bemerken — dass
von allen Nebenwissenschaften die Literaturgeschichte der Grie-
chen und Römer auf jeder Gelehrtenschule unentbehrlich sey,
worüber wir für jetzt nur auf Ilrn. ßaumgarten - Crusius
Briefe über Bildung in Gelehrtensch. S. 62 f. verweisen wollen.
Doch wir keliren zu Hrn. Benecke zurück. Seine sach-
lichen Anmerkungen sind mit vielem Fleisse ausgearbeitet und
mit dem off"enbaren Bestreben , durch dieselben dem Jünglinge
einen Theil des römischen Alterthuraes zu eröffnen. Aber das
Eine müssen wir dabey bemerken , dass manche derselben zu
lang sind oder auch zu bekannte Gegenstände behandeln. Wir
*) In der Broschüre : der Zeitgeist und die gelehrten Schulen (Ber-
lin, 1829) S. 29 — 35, womit Hr. Buch holz in einem starken Aus-
falle gegen luisre heutige philologische Bildung in seiner Neuen Mo-
natsschrift f. Deutschland WiS, X S. 221 f. übereinstimmt. Man s. da-
gegen K. L. Struve's gesammelte Reden Nr. X S. 221/.
**) LesensTverthe Bemerkungen hierüber finden sich in der Schrift
eines hannoverischen Schulmannes, der sich Kalokagathophilos
genannt hat: über einige Mängel des höhern Unterrichtswesens , besonders
im Königreiche Hannover. S. 90/.
Jährt), f. Phil. u. Fädag. Jahrg. V. Heft 1. Q
82 Romische Litter atuT.
rechnen dahin die Anmerkungen zu 1, 1, 3, über Tib. Gracchus;
zu 2, 4, über Saturninus; zu 5, 11, über dieComitien; zu 9, 24,
über die römischen Adler,- zu II, 6, 14, über Massilia ; zu 10, 23,
über die lecticae; zu IV, 7, 15, über die scribae bey den Alten;
zu 8, 17, über die Ansicht der Alten von Handwerken und me-
chanischen Künsten u. dgl. m. In allen solchen Stellen hat Hr.
Matthiae mit lobenswerther Kürze die nöthigen Nachweisun-
gen gegeben.
In Beziehung auf die sprachlichen Anmerkungen könnten
wir eine ganze Reihe derselben uahmhaft machen, wo der Her-
ausg. nützliche Bemerkungen beygebracht liat, wie über die
Infinitive des Perfects und des Präsens zu I, 3, 7; über die Ver-
bindung von ide7n mit dem Relativ zu I, 8, 19; über das Per-
fectum des Conjunctivs zu 9, 22; über die Wiederholung von
Präpositionen zu I, 13, 33 und zu III, ß, 15; über Verbindung
der Pronomina zu II, 5, 9 ; über die Construction von se iactare^
gloriuri u. a. zu II, 9, 20 ; über das Participium Futur. Pass. im
Sinne der Möglichkeit zu II, 13, 28; über den zu einem Posses-
siv Pronomen als Apposition gesetzten Genitiv zu IV, 3, 4, und
andre mehr, welche das Register naclnveiset. Hier und da
scheint uns der Herausg., wie verdienstlich auch sonst die An-
merkung ist, doch dem Schüler etwas zu viel zugerauthet zu
haben. So in den Anmerkk. über den Gebrauch des ?ne ipse u.
me ipsum zu I, 2, 5, oder der Construction des non modo non,
sed etiam zu I, 3, 8. Das sind Untersuchungen , die für einen
Schüler noch zu fern liegen. Uebrigens zeigt Hr. B. in seinen
Anmerkungen eine gute Bekanntschaft mit den Schriften des
Cicero und mit seinen Auslegern, deren häufige Anführung wir
keinesweges tadeln , ferner in den synonymischen Bestimmun-
gen Genauigkeit und in den Erläuterungen einzelner Wörter
Umsicht und Belesenheit. Auch ist es für Schüler recht nütz-
lich , dass viele Stellen nicht bloss citirt, sondern auch ganz
ausgeschrieben sind. Ungenaue Citate liaben wir nur in weni-
gen Steilen bemerkt. Dahin gehören S. 9 {Diojiys. Halte, de
Comp. Verb.), S. 78 (Cic.p.MU.)., S. 151 {Aeschin. gege?i Cte-
siphon.), S. 173 {Demosth. Phil. 1 und Isocrates: wo überall
die Capitelzahl oder Seitenangabe fehlt.). In den angeführten
Schriften und kleinern Abhandlungen zur Erläuterung mancher
sachlichen Gegenstände hat Hr. B. mitunter solche genannt, die
wohl schwerlich ein Schüler, oft kaum der Lehrer, sich zu ver-
schaffen im Stande ist. So wird S. 17 auf Baumgarten- Cru-
sius Abhandlung de Sacerdotibus Rom. verwiesen, S. 120 auf
Rubenius de re vestiaria und Hier. Bossiiis de lato clavo sena-
torum., S. 134 auf Schwarz erts Abhandlung de commissationi-
bus veterurn., auf de Paw Untersuchungen de alea veterum^
Barbegrac Traite du jeu u. a., auf S. lO« auf eine im J. 1749
erschienene Abhandl. von den Pantomimen , S. 225 auf Edm.
Cic. oratt. in Catllinara. Herausgcg'. von BenecVe. 83
Figrelii Monographie de statuis illustrium. Romanorum und S.
224 auf zwey Abhandlungen über die pulvinaria aus den ersten
Deceunien des achtzehnten Jahrhunderts. Solche Citate, die
dem fleissigen Schüler ganz unverständlich und unbrauchbar
sind, schrecken ihn nur ab und verleiden ihm die Lust an sei-
ner Arbeit. Gut wäre es freylich , wenn man bey solchen Ge-
legenheiten auf ein Handbuch römischer Älterthümer , das in
den Händen vieler Schüler vorausgesetzt werden könnte, zu
verweisen im Stande wäre. Aber eines solchen entbehren wir
noch, da Hrn. Creuzer's sachreiclier Abriss der römischen
Antiquitäten nicht für Schüler eingerichtet ist. Bis wir also
ein solches erhalten *), ist es gewiss am Nützlichsten, die wich-
tigsten Beweisstellen, wo es nöthig seyn sollte, ganz ausge-
druckt mitzuthcUen , auf solche Schriften aber, die theils un-
zugänglich , theils von neuern Bearbeitungen übertroffen sind,
gar nicht zu verweisen.
Nach dieser allgemeinen Charakteristik der Anmerkungen
des Hrn. Be necke wendet sich Rec. nun noch zu einigen ein-
zelnen Stellen der Catilinarischen Reden, um an ihnen die Be-
handlungsart des Hrn. Herausgebers darzuthun. Wir bemerk-
ten bereits , dass Hr. B. den Text nach einer genauen Recogni-
tion der bisher verglichenen handschriftlichen Hülfsraittel und
der altern Ausgaben, die noch immer eine genauere Verglei-
chung verdienen, zugeben und sich soviel als möglich an die
handschrifti. Lesarten zu halten bemüht gewesen ist. Wenn eg
nun auch gleich nicht in dem Plane des Herausg. lag, alle ab-
weichende Lesarten aufzuzählen , mit welchem Verfaliren wir
auch ganz einverstanden sind , so hat es uns doch befremdet,
der Orelli'schen Ausg. nirgends gedacht zu sehen, so wie
wir auch bey der vierten Catilinarischen Rede die Benutzung
Ton Herrn Wund er 's Vergleichung der Erfurter Handschrift
{Fariae Lect. p. XXI s. u. p. 34^.) vermissen. Beyde Schrif-
ten aber waren bereits lange vor Hrn. Ben ecke's Ausgabe er-
schienen und hätten wenigstens, wenn der Druck diess vielleicht
nicht anders gestattete, in einem Nachtrage kürzlich benutzt
werden können, üebrigens haben wir bey der Vergleichung
des Benecke'schen Textes mit dem Orelli'schen eine öftere Ue-
bereinstimmung bemerkt , was nur zur Empfehlung der vorlie-
genden Ausgabe dienen kann. So hat unter andern Herr B. in
Orat. II, 10, 23 seminarijim Catilinariuni ^ wie Hr. Orelli auch
hat, geschrieben; III, 1, 2 haben beyde deiecimus statt reieci-
*) Sollte nicht vielleicht Hr. Prof. Bahr die Ausarbeitungeines
solchen beabsichtigen? Seine in der Ersch-Griiber'echen Eiicyclopä-
die aus diesem Fache gelieferten Artikel zeugen von genauer Bekannt-
schaft und vielem Fleisse in Zusamjaenstellung des Wichtigsten.
6*
84 Römische Litteratar.
mus^ cap. S, 7 d ef ei ri statt referri^ 12,29 ht fecistis hinzuge-
setzt , IV, 3, C ist vestrae 7ne?ites inclinant statt se inclinaJit
von beyden geschrieben worden,
Orat. I, 1, 1: Ai/iil timor popiili^ fiihil conci/rsus bonorum
omnium^ nihil — moveruiit. Hr. B. giebt hier der von Gara-
toni gebilligten Lesart consensus bon. omn. fast den Voi'zug
sowolii der angefVilirten Paralielstellen als des Zusammenhan-
ges wegen, da Cicero wolil nicht leicht hätte sagen können,
dass das ängstliche Zusammenlaufen den Catilina zur Sinnesver-
änderung bewegt liätte, was aber wohl durch die einmiithige
Gesinnung aller Patrioten bewirkt werden konnte. Aber Ilec.
bleibt doch bey der gewöhnliclien Lesart, denn einraahl war es
dem Redner darum zu thun, hier ein Wort zu wählen, welches
eine Thatsache bezeichne, nicht bloss eineMeynung {consensio)
andeute, wie die dabey stehenden Worte praesidium^ vigiliae
u. s, w. anzeigen. Zweytens aber braucht ja coiicursus nicht
von einem ängstlichen Zusammenlaufen verstanden zu werden,
es ist vielmehr das gemeinsame Auftreten aller Patrioten, die
sich in der Nähe des Senats und des Consuls, wo sie für das
wahre Beste des Staats thätig seyn zu können glauben, zusam-
menziehen. So, von der Richtung auf einen Punkt, steht coii-
cursus auch Orat. in Pison. 22, 51: Q,uid dicain adveiitus 7neos?
quid effusiones homimirn ex oppidis ? quid coiicursus ex agris
patnnn familios cum coniugibus et liberis? Oder Epp. ad Attic.
V, 10: Tncredibilem in modum concursus fiunt ex agris ^ ex vi-
cis^ ex domibus omnibus. Am Schlüsse dieses Capitels §4 er-
klärt Hr. B. die Worte: non deest reipublicae consilium befrie-
digend und nimmt reipublicae als Genitiv. Cap. 2, 4: Num
unum diem — C Servilium praetor em mors a reipublicae poena
remorata est. Herr B. hat diese Lesart mehrerer alter Ausga-
ben aufgenommen, weil sie sich ihm nicht allein durch Leich-
tigkeit empfiehlt, sondern auch ganz vortrefflich den Sinn giebt,
den die Herausgeber vergeblich in die andre Lesart „hineinzu-
zwängen" suchen. Es würde uns zu weit führen, diese vielbe-
sprochene Stelle hier ausführlich durchzugehen, und wir wollen
daher nur kürzlich andeuten, dass wir der von 3Iatthiae ge-
gebenen Erklärung der Lesart 7nors ac reipublicae poena remo-
rata est noch immer beyziitreten geneigt sind. Die Worte 7nors
und poena scheinen uns hier für die rednerische Lebhaftigkeit
sehr zu passen, wenn wir uns Tod und Strafe als personificirt
denken, die den üebelthäter schnell ereilen, die nicht lange
auf sich warten lassen. Hr. B. will remorari hier zwar, auf
die Stelle pro leg. 3Ianil. 14, 40 gestützt, für devocare aliquem
ab instituto cursu nehmen, aber die Aehnlichkeit beyder Stel-
len ist wohl nur scheinbar und unsre Stelle wenigstens würde
durch diese Erklärung schwerlich an Kraft gewinnen. Herrn
Matthiae's Erklärung dagegen giebt der Stelle eine gewisse
Cic. oratt. in Catllinani. Herausgcg. von Renecke. 85
dichterische Lebhaftigkeit, indem der Tod hier als die selbst-
thätig wirkende Handlung dargestellt wird, obgleich es eigent-
lich Saturninus war , der durch seine Thaten und Handlungen
seinen Tod und die ihm gebührende Strafe nicht lange ausblei-
ben machte. Herr Matthiae hat bereits dazu die in sachli-
cher und sprachlicher Beziehung passende Steile aus Propert.
I, 19, 17 angeführt: uns scheint auch die Stelle Verr. I, 3, 7
hierher zu gehören: agunt eum praecipitem jwe/iae ciciitm Ro-
nianorum^ d. h. agitur proeceps ob poenas civibus Romanis
dandas. Vgl. Virgil. Aen. ¥1,542: hnc Her Elysium nobis:
at laeva mtdortwi Exercet poenas et ad impia Tartara mittit^
wo via für die Strafe steht, zu welcher der Wegführt. X, 204:
Hinc quoque quingentos in se Mezentiiis annat : Mezentiiis
steht hier als selbstständig wirkende Ursache, da er der logi-
schen Bestimmtheit nach nur der Grund, die Veranlassung seyu
kann. Wenn wir im Deutschen sagen: „der erfuordete Bruder
treibt ihn zur Rache" oder „der entlaubte Hain verscheucht
die lieblichen Sänger"" so findet hier dieselbe Art der Rede
Statt, die auch in verwandter Beziehung selbst dem lateini-
schen ruhigeren Ausdrucke nicht ganz fremd ist, wie aus
Beier's Anmerkung zu Cic. de Offic. I, 37,134 zu ersehen ist.
Die Worte reip. poena endlich erklärt der Herausg. mit Herrn
Matthiae durch poena a repifblica inßicta^ oder, was er vor-
zuziehen scheint, für „die Strafe, welche er um den Staat ver-
dient hatte." Der Genitiv lässt beyde Erklärungen zu: man
vgl. ausser den Matthiae'schen Anmerkungen zu n. St. und zur
Orat. p. leg. Manil. 15, 43 noch Bei er zu Cic. de Ofiic. H, 5^
16 und Heiurich zu Cic. Fragment. Oratt. p. 04 s. — Cap.
5, 12: Sin tu — esien's^ eshaurietur ex urbe tnorum comitum
magna et perniciosa sentina [reipublicae\ Unser Herausge-
ber ist hier der Ernesti'schen Ansicht gefolgt und hält rei^
publicae für unächt. Aber mit Recht sind Morgenstern,
Matthiae und Orelli für die Aechtheit dieses Wortes, von
denen der erstere gajiz richtig bemerkt, dass durch sentina co-
mitum tuorum nur der Ausimirf ('der schlechteste Theil) Dei-
ner Genossen bezeichnet seyn würde: dass aber Cicero sagen
wollte, der aus Deinen Genossen bestehende Ausunirf des Staa-
tes. Dass zwey Genitive in verschiedner Beziehung zu einem
Nomen ohne allen Anstoss gesetzt werden können , liat nach
Matthiae auch Hr. B. bemerkt (wozu man jetzt Haud's An-
merkung zu Wopkens Lect. Tfdlian. p. 123 ?iot. 143 vergleiclie),
lind eben so finden wir auch in der Stellung dt's Wortes reipii-
blicae nicht, dass dasselbe „ohne alle Haltung unerträglich nach-
hinkt?'' Der an den Schluss einer langem Rede gestellte Ge-
nitiv reipublicae giebt vielmehr dem Ganzen, namentlich nach
den Wörtern tuorum comitum. einen grössern Nachdruck, wenn
er auch für den ersten Augenblick gegen das Gesetz der Cou-
86 Römische Litteratur.
cinnität zu Verstössen scheint. Selbst die ruhigere Rede liebt
diese Stellung, wie Cic. de Offic. I, 13, 41: est autem infima
conditio et fortuna servorum. De Finib. V, 23, 67: quando
unam societatem esse volumus hominvm^ wie Görenz ganz
richtig schreibt. — Cap. 0, 13 : Quod privatarum rerum de-
decus non haeret infamiae tuae? Herr B. meynt, dass, wenn
in dieser Stelle etwas geändert werden sollte, er der Lesart in
fama tua den Vorzug geben würde, dass er aber die gewöhn-
liche Schreibart im Texte behalten habe wegen der ganz ähn-
lichen Stelle in Sueton. Oetav. C8: prima iuventa variorum de-
decoiimi infamiam suhiit. Aber auch die sonstige Erklärung
dieser Stelle, wie sie Garatoni, Beck und M atthiae (des-
sen zweyte Ausgabe bey dieser Stelle Hr. B. erst nach Vollen-
dung seiner Ausg. erhalten hat) geben, hat für uns alle Zwei-
fel über die Aechtheit des Wortes infamiae beseitigt. Auch
Orelli hat es beybehalten, nur <Mfle lässt er mit Matt hiae
aus. — Cap. 8, 20: Quae quiim ita sint^ Catilina^ dubilas^
si hie morari aequo animo non potes^ abire in aliquas terras
cet. Unser Herausg. hat die Lesart hie morari st. emori wie-
der zurückgerufen und wundert sich sehr, wie man dieselbe
einer andern verschrobenen hat nachsetzen können. Aber Reo.
muss sich auch zu denen bekennen , die , wie auch neuerdings
Orelli, emori vorziehen. Denn zuvörderst beziehen sich die
Worte quae qmim ita sint wohl nicht auf Cicero's ganze vor-
hergegangene Rede, wie Hr. B. meynt, sondern nur auf die
letzten Worte vom Anfange des achten Capitels an. „Das Va-
terland, so schloss Cicero in cap. 1, 18, verlangt deine Entfer-
nung, Catilina, du musst bey so grossen Verdachtsgründen
geiner Stimme folgen, auch wenn es nicht gewaltsam Hand an
dich legen sollte. Nun willst du aber zu Rom dich noch län-
ger aufhalten und hast dich erboten, entweder bey M. Lepidus
oder bey mir oder bey Marcellus in Gewahrsam zu bleiben.
Aber vergebens. Da du dich nun aber selbst zu einem solchen
Gewahrsam stellen willst, so ist diess ja der beste Beweis, wie
du eigentlich solltest in Ketten und Banden geworfen werden,
als ein zum völligen Tode bestimmter Verbrecher. Da du aber
eben diesen Tod [emori) fürchtest, so begreife ich nicht, wa-
rum du nicht Rom verlassen willst, wo dir derselbe doch fort-
während droht (§ 21). Ein Leben voll Schande und Verban-
nung würde dir, der du nicht den Muth hast zu sterben, leich-
ter zu ertragen seyn als hier in Rom die Todesstrafe." Bey
diesem Zusammenhange, der zu der aufgeregten Stimmung des
Redners recht gut passt, würde Cicero— freylich ohne es selbst
zu wollen — Catilina's eigne Worte auf eine sehr bittere Weise
parodiren, welche dieser bey Sallustius (cap. 20, 9) spricht:
norme emori per virtutem praesiat^ qnam vitam miseram at-
que inhonestam — per dedectis amittere^ was eine Zusammen-
Cic. oratt. in Catriinuiu. Herausg-eg;. Ton Benecke. St
Ziehung der Gedanken ist statt quam vitam miseram trahere
et paullo serius tarnen amittere. Dass einori aber soviel ist
als omnino mori und einen völligen Tod bezeichnet, beweisen
Stellen, wie Cic. ad divers. 11,15,3: Faveo Ctiiioni; Caesa-
rem honestiim esse cupio ; pro Pornpeio ernori possuin ; ferner
nahmentlich die Gegensätze, wie bey Cic. in Pison. 7, 15: huic
populo ita fuit libertas iuxta , nt ernori potius quam servire
praestaret^ und in den übrigen von Hrn. Do derlei n bey Ge-
legenheit seiner Bemerkungen über diess Wort in seinen Lat.
Synonymen Th. III S. 183 — 185 gesammelten Stellen. Mau
vgl. noch dazu Orat. pro Plane. 37, 90 und de Orat. I, 57,243.
Die von allen neuern Herausgebern gemissbilligte Lesart hie
morari ist um vieles kraftloser als die andre und gewiss, wie
Oreili bemerkt, aus dem falschverstandenen Worte ernori
entstanden, woher sich denn auch das hie erklärt, üebrigens
kann Rec. hierbey nicht die Bemerkung unterdrücken, dass in
einer für Schüler bestimmten Ausgabe es sich nicht gut aus-
nimmt^ wenn die Meynungen ausgezeichneter , Männer, eines
Graeve, Morgenstern, Wolf, Beck, Schütz, Mat-
thiae hier sowohl als an einigen andern Stellen als „lächer-
lich" oder „thöricht" oder als „matt und unpassend" be-
zeichnet werden. Wir wollen keinen blinden Autoritä.tsglau-
ben begründen , aber Ehrfurcht und Achtung gebührt den Ko-
ryphäen der Wissenschaft überall, selbst da^ wo sie geirrt ha-
ben, und am meisten da, wo ein aufwachsendes Geschlecht
durch die Nahmen dieser Männer und ihre segensreiche Wiik-
samkeit gekräftigt und gestärkt werden soll. Modeste et cir~
cumspecto iudicio (das waren schon Quinctilianus Worte ) de
iantis viris pronuntiandum est^ ne^ quod plerisque accidit^
damnent quae non intelligunt *).
Orat. il cap. 2, 4: Tongilitem mihi edusit^ quem arnare
in praetexia calumnia coeperat. Ueber mihi bemerkt Hr. B.:
„das Pronomen mihi steht sehr oft im Allgemeinen für den Sinn
überflüssig , vorzüglich im vertraulichen Gespräche , in scherz-
hafter oder ironischer Beziehung. Vgl. Burmann zu Virg. Aen.
V, 391." Allerdings steht dieser den Griechen sowohl als La-
teinern sehr gewöhnliche Dativ des Pronomens, um die Rede
gemüthlich oder familiär zu machen , aber auch — was beson-
ders zu merken ist, — um sie in nähere Beziehung auf die Per-
son zu setzen. Burmann's Anmerkung zum Virgiiius möchten
auch wohl wenige Schüler — und vielleicht nicht einmahl alle
Lehrer — im Stande seyn nachzuschlagen. Warum also nicht
lieber ein Paar recht bezeichnende Stellen mehr für die erstem,
wie aus Cic. ad div. IX, 2, ad Attic. I, 14, Orat. p. Rose. Amer.
•) X, 1, 26. Vgl. Hrn. Kiebs Programm vom J. 1820 S.31, Anui
88 Römisch eLitteratur.
46, 133. — Ferner hat Herr B. in dieser Stelle calumnia im
Texte stehen lassen und will es , bis anderweitige Hülfe gefun-
den wird, allenfalls durch „auf eine ränkevolle, schändliche
Art" oder „aus Chikane" erklären. Aber das Wort ist ge-
wiss verdorben und hätte wenigstens als verdächtig im Texte
bezeichnet werden sollen. Von allen Vermutliungen gefällt
uns keine besser, als die von Withof (^Aninerkk. über röm.
Schriftst. II J^ 44.), welche Herr B. nicht anführt, nähmiich
catamitum zu lesen, worüber auch Bei er zu Cic. Oratt. Ined.
p. 27(i gesprochen u. p. 112 selbst mehrere Verbesserungsvor-
schläge gemacht hat, die wir jedoch dem Withof'schen nicht
vorziehen möchten. Denn diese Vermuthung kommt sowohl
den Buchstaben des Worts calumnia näher und hat auch ähn-
liche Ciceronianische Stellen für sich. Uebrigens ist Bei er 's
Behandlungsart dieses Wortes musterhaft für die Behandlung
solcher Stellen , die man gewöhnlich schlüpfrige zu nennen
pflegt und deren uns der sei, C. C. Sprengel bey längerm
Leben gewiss noch eine ganze Menge aus den Alten Ttv^ xal Xa^
zusamjnengesucht haben würde *). — Cap. 6, 13: Quum hae~
sitaret^ quum tenGretm\ quaesivi^ quid dubitaret eo pi'oß-
cisci^ quo iam pridem pararat. So liat Hr. B. statt der Les-
art ;;a/flre^, welcher Heumann, Matthiae u. Orelli den
Vorzug geben. Allerdings Iiatte, wie unser Herausg. richtig
bemerkt, Catilina bereits die Anstalten zur Reise gemacht, aber
als ihn Cicero frug, weshalb er zu gehen zaudere, da dachte
Cicero nicht an das, was Catilina bereits gethan hatte, son-
dern dass er noch bis auf diesen Augenblick , also gleichzeitig
mit dem Zaudern, damit beschäftigt sey. Uns dünkt, dass
Matthiae sehr richtig zu unsrer Stelle bemerkt hat: „tem-
pus non convenit: non enim pararat Catil. ad Manlium pro-
ficisci, sed adhuc parabat.''^ Der Zusammenhang mit den
vorhergegangenen Worten fordert hier einen Conjunctiv (vgl.
Ramshorn's Lat. Gramm. § 195, H, 3, ß S. 621.), der übrigens,
wie Hr. B. selbst bemerkt und auch mit einigen Beyspielen be-
legt hat, in Zwischensätzen wohl mit dem Indicativ vertauscht
*) Wir meynen dieses ehemaligen Rectors zu Spandau Neue (je-
doch sehr bald vergessene) Kritik der classischen römischen Dichter (Ber-
lin, 1815) , wo S. 16 — 19 die leitenden Grundsätze angegeben sind.
Man vgl. über die Erklärung solcher Stellen die trefflichen Bemerkun-
gen des Doppel -Jubelgreises, C. D. Beck in seinen im J. 1801 er-
schienenen Obscrvatt. Crit. Exeget. p. Flu. FII, ferner Hrn. Friede-
inann's Rede de ludis liter. regund. p. 29 m. 30 und die HH. Gott-
hold und Passow in diesen Jahrbb. 1827, I, 4 S. 16 und 1828, I,[l
S. 41, so wie Hrn. Eichstädt im Vorworte zum Jenaer Lecttonscota-
logc für den IVinier 1828 S. 3 — 6.
Cic. oraii. in Catilinam. Heraußgeg'. von Bcncclte. 89
werden kann, wenn die Rede freyer sich bewegt oder wenn
der durch den Indicativ ausgedrückte Satz nur einen Begriff*
enthält, der auch vielleicht durcli ein Adjectivum oder Parti-
cipium hätte können ausgedrückt werden. Freylich niuss da-
bey stets eine ganz besondre Rücksicht auf den Zusammenhang
genommen werden, durch den die allgemeinen Bestimmungen
oft eigenthüraliche Nuancen erhalten, die unsrer deutschen
Sprache fremd sind. Man vgl. Ruhnken z. Rutil. Lup. p. 98,
Gernliard zu Cic. de Oi'fic. I, 20,90, Ochsner zu Olivet's
Eclog. Cic. S. 23, Hess zu Tacit. Germ. 45, 7, Kritz zu Sal-
lust Catil. 14,7 und 27, 4 und unsre Anführuugen in diesen
Jalirbb. 1828, III, 2 S. 131, wozu noch die gründlichen Aus-
einandersetzungen Wunder's in der Vorrede zu Var. Lectt.
cod. Erfurt, p. LXXXl und Iland's zu Wopl'cns Lect. Tul-
Hau. p. 203 Jiot. 39 verglichen werden müssen. Den dichteri-
schen Sprachgebrauch erläutern Burmann zu Lucan. I, 120,
Heusinger zu Ovid. Heroid. XV, 4, Jahn zu Horat. Sat. II,
3, IfiS und S c h m i d zu Horat. Ep. I, 16, 9. — Cap. 8, 18: ^n
tabulas novas ? errant , qui istas a Catilina exspectanl ; ?neo
heneßcio tabulae novae proferentur.^ verum auctionariae. Mit
Recht hat unser Herausg. das Wort novae an beyden Stellen im
Texte gelassen, welches auch Matthiae in der zvveyten Aus-
gabe wieder zurückgerufen hat. Die Worte selbst erklärt er
nach Bei er zu Cic. de Offic. II, 24, 84, dass Cicero sage, es
sollen zwar durch meine Veranstaltung neue Schuldbücher an-
gelegt werden, aber solche, welche, wenn nach gehaltenem
Verkaufe der zur Deckung der Schulden nothwendigen Güter
die Schulden getilgt sind, angelegt zu werden pflegen. Der-
selben Meynung ist auch Matthiae in der zweyten Ausgabe, und
Paldamus in seinen Observat. Crit. ad Propert. p. 267 tritt
ihr bey, ohne, wie es scheint, die veränderte Ansicht des be-
rühmten Grammatikers gekannt zu haben, dass in tiovus ein
Wortspiel liege. Derselbe Hr. Paldamus führt dazu die ähn-
liche Stelle aus Demosth. Philipp. I p, 43, 9 an: UyetaC n ocai-
vov, yevoiro yccg äv tt ■naivöxiQOV t] Maxsdcov dv;^Q'A&r]vaiovg
xata7ColE}ic5v. Dass ähnliche Wortspiele dem ernsten Demosthe-
nes selbst nicht fremd waren, hat Bremi in seinen Observ. ad
Demosth. Philipp, hinter Rauchenstein' s Abhandlung de canone
Oratt. Philipp. , p. 81 sq. bewiesen. Aus andern alten Schrift-
stellern hat ßoisso n ad e zu Nicet. Eiigeuian. T. II p. 195 sq.
dergleichen in Menge gesammelt, und auch in Cicero's Reden
sind sie nicht ganz ungewöhnlich. Vgl.Orat. in Verr. I, 46, 121:
Alii negabayit mirandum esse., ins tam 7iequam esse Verriiium.
II etiam frigidiores erant; sed., quia stomachabantur ., ridi-
culi videbantur esse^ quum sacerdotem essecrabantur., qui Ver~
rem tam nequam reliquisset. Andre Stellen s. m. in Savels
Programme de vindicandis M. Tullio Ciceroni orationibus quin-
00 Römische Litteratur.
que (Aachen, 1828) p. XIII. In den Briefen kommen dergleichen
begreiflicher Weise noch öfters vor, wie ad div. VII, 11 und
dazu riuschke in der Abhandlung de M. Annio Cimbrop. 27;
XVI, 10; ad Attic. I, 1(5, 2 u. a.
Rec. hatte sich auch aus den beyden folgenden Reden noch
einige Stellen ausgezeichnet, welche er bey dieser Gelegenheit
zu besprechen dachte. Doch ist er bereits weitläuftiger gewor-
den, als er selbst wollte, und sieht sich daher veranlasst hier
abzubrechen. In Bezug auf die neulich in der Allgem. Schul-
zeitung 182S, II Nr. 142, 147 und 155 von Hrn. Rud. Krebs
und einem Ungenannten behandelte Streitfrage über den Tag,
an welchem die erste Catilinarische Rede gehalten worden ist,
bemerkt Rec. noch, dass Ilr. Benecke auf S. 6 den 8 Novem-
ber als den Tag der Rede annimmt, wie auch Hr. Krebs — und,
wie wir glauben, mit Recht — bestimmt hatte.
In einem Anhange erwähnt Hr. B. noch (S. 316 f.) des Aus-
spruches des verstorbenen F. A. Wolf, dass eine der vier Ca-
tilinarischen Reden unächt sey und dass derselbe zugleich in
seinen Vorlesungen angedeutet habe „esse alteram e mediis
duabus'' *). Herr D. Cludius zu Lyck hat diess in seinem
Herbstprogr. vom J, 1826 (welches auch in Seebode's Neuem
Archive für Philol. 1827, IV S. 47 — 85 abgedruckt ist ) auf
die zweyte Catilinarische Rede bezogen, was jedoch unser Her-
ausgeber als ein Missverständniss bezeichnet. Denn er führt
eine Stelle aus einem Briefe Wolfs an Hrn. Eichstädt vom In
Aug. 1826 an , worin derselbe ausdrücklich die dritte Rede als
unächt bezeichnet. Auch Hr. Eichstädt hat sich späterhin
mehrmals darüber in seinen Vorlesungen ausgesprochen, und da-
durch den zu früh verstorbenen Subconrect. Beruh. Böhme
zu Gera zu einer besondern Abhandlung über diesen Gegen-
stand veranlasst. Die Abhandlung ist jedoch nicht ganz vollen-
det, Herrn Benecke aber zur Ansicht mitgetheilt worden.
Derselbe verspricht nun , wenn er zu einer sichern Ueberzeu-
gung gekommen seyn würde, eine besondre Abhandlung dar-
über abzufassen und dieselbe zugleich mit der Schrift des sei.
Böhme, wenn ihm diess gestattet werden sollte, dem Publikum
*) Hrn. Benecke ist entgangen, was Hr. Orelli am Schlüsse
der Oratt. Catilin. (Vol. II P. II p. 48.) schreibt: „F. A. Wolfius, cri-
ticorum sui teinporis princeps, dum Turici degit, amicis discipuUsquc
suis significavit, unara Catilinariam subditiciam sibi videri: quam inter
quattuor, ut per totam vitam i-I'qcov erat, nobis divinandam benigne
reliquit: faraam scilicet suam in re tarn ancipiti pcriciitaii nolebat.
Ego vero subi-idcns virura summum ita iocari vehementer laetatus sum."
Sollte nicht auch der verstorbene Bei er, unter dessen Nachlasse sich
ja auch ein Conimentar über die Catilinarien befindet (man s. Jahrbb.
1828, III, 4 S. 407.) , etwas über diesen Gegenstand geäussert haben ?
Clceronis orationcs selcctae. Edid. Bloch. 91
vorzulegen. Hr. Savels, der in dem oben angeführten Pro-
gramme mehrere der verdächtigsten Reden Cicero's in Scliutz
genommen hat, wird also hier vielleicht einen neuen Gegner
erhalten, dem sich aucli wohl Ilr. Paldamus anschliessen
möchte, der ebenfalls a. a. (). schreibt: „ceterum in quattuor
ilüs orationibus , quae sub Ciceronis nomine iactantur, eliam-
num multainsunt, linguae castimonia abhorrentia, quae notari
merentur , velut inquam p. igitiir crebrius positum. Alia alio
tempore proferam."
Das Aeussere beyder Ausgaben ist empfehlend, der Druck
reinlich und gut und auch der Preis nicht so hoch gestellt, als
dass man nicht hoffen könnte, sie in den Händen vieler Gymna-
siasten zu sehen. Dicss gilt von Hrn. Ben ecke's Ausgabe um
so mehr, da, wie bereits oben bemerkt ist, dieselbe auch Vie-
les erklärt, was Schillern, welche diese Reden selbst grade
nicht mehr lesen , von Nutzen seyn wird.
Cöln, 1829. Georg Jacob.
M. Tu im Ciceronis Orationes Selectae. Textura
recognovit et perpetiia eademque tiromiiu usibus praesertim ac-
commodata annotatione illustravit Dr. S. N. J. Bloch, ordinis
Danebrogici eqnes auratus , Professor ac scholae Roeskildensis
Catliedraliä Rector. Accedunt Excursus Critici. Volumen prius,
Orationes continens j)ro S. lioscio Amerino , i^ro hege Manilia et
quatuor in CaüUnam. Koppenhagen, bey Schubothe. 1828. VIII ii.
453 S. 8. 1 Thlr. 16 Gr. (Auch mit dem Kebentitel: M. Tüll.
Cicer onis Orationes pro Sext. lioscio Amerino
cet. Textum recognovit — annotatione illustravit Ä. iV. J. Bloch,
Aus Dänemark, dem „unserm Deutschlande literarisch zu-
geeigneten Königreiche" *), sind in der neuern Zeit die IIH.
Madvig und Bygorn - Kr arup als zwey verdiente Bearbei-
ter Ciceronianischer Werke hervorgegangen. Ihnen schliesst
sich Hr. Dr. Bloch, der neuerdings durch seine Revision der
Lehre von der Aussprache des Altgriechischen rühmlich bekannt
wurde, in der vorliegenden Ausgabe an. Derselbe hatte bereits
vor siebzehn Jahren eine Ausgabe der auf dem Titel genannten
Reden erscheinen lassen, welche jedoch in Deutschland weni-
ger bekannt geworden zu seyn scheint. Jetzt nun , zu einer
zweyten Bearbeitung aufgefordert , entschloss er sich, dieselbe
nicht ohne eine solche Ausstattung erscheinen zu lassen, wie sie
die trefflichen Vorarbeiten u. anderweitigen Forschungen über
*) Worte Bot t ige r's in seiner interessanten Uebersicht der Leip-
ziger Ostermesse vom J. 1829 iu der Beylage s. Allgem. Zeitung IS'r. 207.
92 Römische Litteratur.
diese Reden nöthig machen, und legt den Plan derselben in
der gut und leicht geschriebenen Vorrede seinen Lesern vor.
Herr Bloch nehmlich ist der Meynung, dass die bisherigen
Ausgaben von Weiske, Matthiä u. 0 tto, so wohlgcrathen
sie auch immer wären, doch dem Schüler bald zu viel bald zu
wenig darböten und dass es daher ein noch zu erringendes Ver-
dienst wäre, wenn jemand einen Commentar über die auf Schu-
len am meisten gelesenen Heden Cicero's in lateinischer Sprache
verfasste, in welchem (um seine eignen Worte p. II anzuführen)
quum omiiia , quae ad sefisu/n et verba pertmeient , quamqiiam
succincte, at plene ta?neti et perspiciie exponer entur^ tum recte
et suhtiliter iiiterpvetandi^ quo ßngi ad humanilatem mens iu~
venilis passet^ exemplum exstaret. Einen solchen Commentar
habe er sich nun bemüht anzufertigen und lege ihn jetzt zur
Beurtheilung vor.
Unser Ilerausg. hat besonders vier Puncte vor Augen ge-
habt. Einmahl eine fortlaufende Nachweisung des Gedanken-
zusammenhanges und die Erklärung der schwierigem Stellen,
zweytens , die für Schüler nöthige Erläuterung antiquarischer
Gegenstände, drittens, die Erläuterung der feinern Latinität
und des besondern Sprachgebrauches, und viertens endlich, die
Nachweisung rednerischer Schönheiten und Figuren. Hinsicht-
lich der anzuführenden Versciiiedenheit der Lesarten glaubte
Herr B. sparsam zu Werke gehen zu können und sich nur bey
dem wichtigsten aufhalten zu müssen, nachdem er den Text
selbst nach genauer Prüfung der besten Ausgaben eingerichtet,
manche unächte Zusätze aus demselben entfernt und für eine
sorgfältige Interpunction Sorge getragen hatte. Zur Abfassung
aller Anmerkungen hat sich derselbe fortwährend der lateini-
schen Sprache bedient, weil er nach Vorrede S. V diese so wie
einen lateinischen Vortrag als den sichersten Weg ansieht, um
Sprachkenntniss und Sprachfertigkeit bey der Jugend zu er-
reichen.
Bleiben wir nun zunächst bey diesem letzten Puncte ste-
hen, so können wir nicht läugnen, dass Hr. Bl. wohl gethan
hat, seine Anmerkk. in lateinischer Sprache abzufassen, da er
nicht für Tertianer u. Quartaner schrieb, denen lateinisch ab-
gefasste Anmerkungen nur in den wenigsten Fällen nützen, son-
dern für Secundaner oder Primaner , denen sich Hrn. Bloch's
Anmerkungen durch Deutlichkeit, Präcision und auch fast über-
all durch Reinheit des Styls empfehlen werden. Nur an weni-
gen Stellen haben wir Spuren des verrufenen Notenlateins ge-
funden. Dahin gehört der Gebrauch von textns und contextns
(wie S. 23 u. a. ().), wogegen erst neuerdings Friedemann
zu den Vit. Homin. Eloquent. Vol. II P. 1 p. 61 gewarnt hat,
ferner von adhibere st. ponere., wie S. 29, 62, 241, da ja doch
Hrn. Bl. wohl nicht unbekannt war, was Ruhnken in der Vor-
Clceronia orationea ßelectae. Edid. Bloch. Ö3
rede zu Schcller's Wörterb. p. IV und Herzog zu Caesar de
bell. Gall. I, 20 S. 51 erinnert haben, sowie von nempe ^ S. 25,
47, 160 u. a. Und doch hat der Ilerausg. auf S. 11)6 ganz rich-
tig den ähnlich falsclien Gebraucli von scilicct getadelt: m. vgl.
unsre Bemerkungen in diesen Jahrbb. 1828, III, 2 S 140 — 143.
Endlich findet sich auch zweymahl (S. 284 u. 296) das verru-
fene TO zur Heraushebung einzelner AusdrVicke. Die von Hrn.
Bl. vorgenommene Recognition des Textes ist besonnen u. sorg-
fältig mit Benutzung der vorhandenen gedruckten Hülfsmittel
(bey denen wir jedoch Wunder's T an'ae Lectioiies e cod. Er-
furt, enotatae vermissen) durchgeführt worden, wie wir noch
weiter unten an einigen Beyspielen zeiiren werden. Auch das
von ihm bey den einzehien Lesarten beobachtete Verfahren bil-
ligen wir, da der Herausg. durch die Erfahrung belehrt ist,
dass der Nutzen, den eine an einzelnen Stellen mit vorgeriick-
ten Schülern getriebene Kritik bringt, durch viefes Nachfragen
und Erörtern der verschiedenen Lesarten gewiss wieder aufge-
hoben wird. Wir wollen uns hier über diesen von uns oben
8.78 f. berührten Gegenstand nicht weiter verbreiten. Conjectu-
ren hat der Herausg. an einzelnen Stellen aufgenommen. So
schreibt er in der Rede pro Rose. Amer. 9, 24*) mit Schel-
ler: nemo erat^ qui non andere (sonst ardere) ovinia mallet^
quam videre in Sext. Roscii bonis iactantem se ac dominantem
T. Roscium. Aber Rec. glaubt doch, dass Schütz, Mat-
thiä und Orelli nicht mit Unrecht bey der alten Lesart ge-
blieben sind. Denn die Ameriner wollten lieber das ganze Be-
sitzthum in Feuer aufgehen sehen, als es in den Händen des T.
Roscius wissen. Und in dieser Stimmung der Stadt {itaque^ was
man hier nicht für also^ demgemäss zu nehmen braucht, son-
dern vielmehr für atque ita: vgl. Divin. in Caecil. 1, 2, De finib.
II, 10, 32 und das. Görenz u. Kritz zu Sallust. Catil. 14, 1.)
erlassen dieDecurionen ein Decret. Ebendas. 20, 57: sed si ego
hos bene ?wvi., lilerafn illam, cid vos usqiie eo inimici estis, ut
etiam Kalendas omnes oderitis (st. eos omnes od.^., ita vehemen-
ter ad Caput afßgeiit. Gewiss die beste Art , diese Stelle zu
schreiben. Eben so ist cap. 49, 144 mit Recht Lambin's Cou-
jectur: annulumque de digito suutn tibi tradidit aufgenommen.
Pro leg, Manil. 23, 68: videte, ne horum auctoritatibus illorum
orationi^ qzii disseniiu?it, respondere passe videamur. Statt we
steht num oder nt in vielen Handschriften, aber beydes geht
nicht an, weil, wie Ernesti und Matthiä schon bemerkt
haben, der Satz dadurch eine verneinende Bedeutung erhält,
die er nicht haben darf. Daher vermuthete bereits Orelli
*) Ungern vermisst man in dieser Ausgabe neben der Angabe der
Capitel die Angabe der Paragraphen.
94 Rumische Litteratur.
horumne; unser Ilerausg. hat ne aufgenommen und der Stelle
wenigstens einen guten Sinn gegeben. Catil. 1,8, 20: Quae
quum ita sint , Catilina, si \hic\ emori aequo animo non potes^
abire i?i aliquas terras. Dass wir emori der Lesart morari vor-
ziehen, haben wir bereits S. 86 geäussert. Ebend. §20: Ec-
quid attendis ? ecquid animadvertis horum silentium ? quies-
cunt, patiimtur^ tacent. Das Wort quiesciuit hat Hr. Bl, nach
der Vermuthung des Recensenten von Beck's Ausg. in der Jen.
Lit. Zeit. 1803 Nr. 154 aufgenommen und hält es, nahmentlich
wegen der folgenden Worte, für nothwendig. Die Conjectur
hat gewiss viel Wahrscheinliches, besonders wegen der in § 21
enthaltenen Worte, aber Rec. findet doch die Aufnahme der-
selben etwas bedenklich, wie auch Orelli, Matthiä und
Ben ecke gethan haben. Die Stelle giebt doch immer auch
ohne quiescunt einen guten Sinn, und wo diess der Fall ist, darf
der Ilerausg. nicht zu vorschnell mit der Aufnahme einer Con-
jectur seyn, wie geistvoll sie auch immer ausgedacht seyn mag.
An diesen Beyspielen mag es für jetzt genug seyn. Wir
kommen jetzt auf die exegetischen Anmerkungen, welche dem
Verf. theils selbst angehören, theüs aus denen der frühern
Herausgeber (s. Vorrede S. VI) entlehnt sind. Wir haben oben
die vierfache Tendenz derselben angegeben , wobey Niemand
läugnen wird , dass Herr Bl. diejenigen Gesichtspuncte in das
Auge gefasst habe, aufweiche es bey der Anfertigung einer
Schulausgabe ankömmt. Aber Rec. muss doch trotz dieser rich-
tigen Ansicht und des vielen Brauchbaren in den Anmerkungen
offen gestehen, dass der Herausgeber zuviel erläutert habe und
dass eben hierin die vorzüglichste Ausstellung liegt, welche er
gegen Hrn. Bl.'s Ausgabe zu machen habe. Derselbe scheint
übrigens eine solche Ausstellung geahndet zuhaben, da er in
der Vorrede S, IV derselben mit folgenden Worten entgegen-
zutreten sucht: ^^quamquam erunt fortasse^ qui in verbis ac
sententiis explicandis iusto copiosiores nos fuisse iudicent^ at~
que^ interdum^ quae per se satis clara videantur^ explicuisse:
quos rogatos velim , ut potius exstare aliquid concedant , quod
praeterire possit erectioris ingenii adolescens , quam a tardio-
ribus quidquam illustrationis frustra desiderari. u. s. w. " Wir
ehren des Verfassers gute Absicht, sind auch, weil die Anmer-
kungen lateinisch geschrieben worden, überzeugt, dass sie dem
Trägen im geringern Grade ein Ruhekissen für seine Faulheit
darbieten werden, aber wir müssen dennoch gestehen, dass
Herr Bl. zu viel und manches Unnöthige gegeben habe. Denn
wozu sollen Anmerkungen nützen, in welchen allgemein Ver-
ständliches erklärt wird, wie sanguine durch caedibus (p. 14),
inopia durch primaria signißcatione , est enim inops , qui alio-
rum caret auxilio et ope (S. 20), de amicorum senteiitia durch
amicis suadentibus (S. 27) , millo durch omitto (S. 48) , in al~
Ciceronis orationes eclcctac. Edld. Bloch. 95
tiorem locum pervenit durch honores et magistratus adipiscitur
(S. 98), cui bono durch in cuins conwiodum (S. 81), tantae pe~
cuniae durch tantipretii (S. 105). Oder wenn angegeben wird,
dass positam das Participium sey (S. 190), wenn quaerenda er-
klärt wird durch reqniicnda (S. 206), confumem durch argu-
mentis probem (S. 215), pat/llo ante durch niiper (S. 297), si
minus durch etsi non (S. 300), gloiiam esse putare?n durch pro
gloria habet em (S. SIT), fatalem durch fato constitutum (S.376),
voluntas durch benevolentia (S. 409) u. a. m. Wir wiederhohlea
nochmals, dass wir weit entfernt sind, die Anmerkungen des
Hrn. Bl. , die von Sprachkenntniss und Einsicht zeigen, mit ge-
wissen deutschen Anmerkk. des vorigen und Aa^ jetzigen Jahr-
hunderts vergleichen zu wollen , aber wir glauben auch die
Stimme und die Erfahrung geachteter deutscher Schulmänner
für uns zu haben, wie ganz neuerdings die des gelehrten Leip-
ziger Herausgebers der Tristien des Ovidius (Vorrede S. IX f.
und XV), dass man der studierenden Jugend keine Wohlthat
erzeige, wenn man dieselbe — selbst in der besten Absicht —
mit zu vielen Anmerkungen iiberhäuft, wie in der vorliegenden
Ausgabe geschehen ist. Auch darf dabey nicht übersehen wer-
den, dass selbst gute u. geschickte Schüler eine solche Menge
von Anmerkungen gar nicht einmahl lieben und dieselben nicht
allzugern lesen, wenn sie zu oft Bekanntes darin finden, eine
Eigenthümlichkeit, die dem jugendlichen Character wohl nicht
grade immer als Hochmuth augerechnet werden darf. Es gilt
diess nahmeutlich vom Privatgebrauche einer solchen Ausgabe:
im öffentl. Unterrichte wird der Lehrer seine Schüler schon
eher durch das zu beschäftigen wissen, was sie in der vorlie-
genden Ausgabe nicht finden. Dahin möchten wir nahmeutlich
noch manche grammatische Erörterungen u. Bemerkungen über
die feinere Latinität rechnen, die Hr. Bl. — nach den gegebe-
nen Proben zu schliessen — wohl im Stande gewesen wäre mit-
zutheilen: wir würden dafür gern die vielen Erörterungen und
Nachweisungen des Zusammenhanges vermisst haben, die Hr.
Bl. gar zu reichlich gespendet hat. In schwierigen Stellen ist
dem Schüler eine solche Nachhülfe wohl zu gönnen, nicht aber
so häufig, wie es von unserra Herausg. geschehen ist, da selbst
die besten Schüler hierdurch unstreitig verwöhnt werden, zu-
mahl wenn der Zusammenhang der Gedanken, wie in den mei-
sten Stellen der vorliegenden Reden, nicht allzuschwierig ist.
Endlich hat Hr. Bl. nach Vorrede S. III diese Ausgabe auch
für solche Freunde des Älterthums bestimmt, die nicht grade
zünftige Philologen sind. Das ist nun gewiss ein sehr löbliches
Unternehmen und alle Philologen müssen wünschen, dass ihre
Wissenschaft ein Gemeingut der gebildeten Stände werde und
wenigstens ein Theil jener heiligen Flamme, die einst nach der
Wiederherstellung der Wissenschaften auf ihren Altären so hell
96 Römische Litteratur.
und rein brannte, anf denselben sieb wieder entzünden möcbte.
Demi erst dann reihet sich , nach einem schönen Worte des
Hrn. von Raum er in seiner Vorrede zur üebersetzung De-
mosthenischer Reden, um die Meister des Aiterthums die un-
sterbliche Gemeinde. Aber mit Anmerkungen, wie die in der
vorliegenden Ausgabe sind, ist solchen Dilettanten , die denn
doch noch in der Regel mehr Latein verstehen als die Secunda-
iier unsrer Gymnasien, in der Regel wenig gedient, und nur
etwa die von Voss, Jacobs oder Wieland geschriebenen
Auslegungen diirften in unserra Vaterlande eine Ausnahme ma-
chen. Sonst wollen — nach unsrer Erfahrung wenigstens —
solche Dilettanten nur einen correcten, nett und schön gedruck-
ten Text, verlangen aber nicht nach den Anmerkungen eines
Gelehrten, die ihnen stets nach der Schule zu schmecken schei-
nen. Und selbst in England, wo die Philologie vielleicht nicht
grade am bliihendsten , aber doch so verbreitet und fruchtbar
ist, als sonst nirgends, dürften wohl nur wenige der classisch
gebildeten und reichen Bewohner die Anmerkungen in den Aus-
gaben lesen, die sie in ihren prächtigen Bibliotheken stehen
haben. Der grosse Pitt machte freylich, an der Spitze uner-
messlicher Staatsgeschäfte, oft in seinen Erhohlungsstunden
schwierige Stellen der Classiker zum Gegenstande der Unter-
haltung*). Aber er dürfte hierin wohl nur wenige Nachahmer
gefunden haben und noch finden.
Soviel im Allgemeinen über die vorliegende Ausgabe. Wir
glauben es unsern Lesern sowohl als dem Hrn. Herausg. selbst
schuldig zu seyn, noch einzelne Stellen einer genauem Betrach-
tung zu unterwerfen und wählen dazu oliiie langes Suchen die
Rede für den Manilischen Gesetzvorschlag.
Cap. 4, 9 : Usque in Hispariiam legatos ac literas misit ad
eos duces ^ quibuscimi tum bellum gerebamus. Hr. Bl. hat nachf
einigen Handschrr. , zu denen noch die Erfurter (S.84 Wund.)
zu fügen ist, ac literas geschrieben und dazu die Stelle aus
Plutarch, Sertor. 23 angeführt {tÜ^tibi da Ttgsößsig 6 Mc^gida-
T7]g £ig 'IßijQiav , ygä^^axa HiQxcoQici xal koyovg ü0^ut,ovTag).
Allerdings erhalten wir hierdurch einen guten Sinn, Matthiä
liat aber auch Recht, wenn er seinen Zweifel an der Aechtheit
dieser Worte dadurch begründet, dass zwey so bekannte Worte
wohl nicht leicht hätten falsch geschrieben und in Electanis
oder Electariis verwandelt werden können. — Cap. 5,11: HU
libertatem civium Roinanorum iinminutam non tulerunt: vos
vitam ereptam negligetis? Jus legationis verbo violatuni Uli
persecuti sunt; vos legatum^ omni supplicio interfectum, re~
*) Nach Bemerkk. Fr. v. Roth 's über die fortdauernde Abhängig-
keit unsrer Bildung von der classischcn Gelehrsamkeit, S. 13 Anm- 12.
Ciceronis oratlones selectae. Edid. Bloch. Ö7
Itnquetis? Unser Herausg. findet in diesen Worten eine un-
nütze Erweiterung der vorigen und ist daher nicht abgeneigt,
sie einem Grammatiker zuzuschreiben, der sich dadurch habe
die vorhergegangenen Gegensätze verdeutlichen wollen. Im
Texte hat er sie daher auch als unächt bezeichnet. Aber zu-
vörderst stehen diese Worte unangefochten in allen Iland-
schiiften und nur in den letzten Worten finden sich abweichen-
de Lesarten. Zvveytens scheint es uns ganz im Geist eines gu-
ten Redners bey diesem Beweggrunde, der auf der verletzten
Ehre und Würde des römischen Volkes beruht, länger zu ver-
weilen und grade diesen Beweggrund, der auf die Erwählung
des Pompejus einen so wesentlichen Einfluss haben konnte und
sollte, auf mannigfaltige Weise hin und her zu wenden. Cicero
handelt hier ganz nach seinen eignen, im Orator (cap. 40, 137)
ausgesprochenen Grundsätzen, wo er dem Redner vorschreibt,
ut saepe verset vmltis modis unani emidetnqtie rem et haereat
in eadem commoreturque sententia — ut^ quod dLvit^ iteret
— ut interrogando urgent. M. vgl. Auct. ad Ilerenn. IV, 42,
04 und cap. 45, 58 mit Matthias Entwurf einer Theorie des
tat. Styls S. 47. Aehnliche Stellen finden sich auch in der
abhandelnden Rede, wenn es dem Schriftsteller daran lag,
einzelne Dinge besonders hervorzuheben, worüber Beier in
diesen Jahrbüchern 1827, 1, 3 S. 27 und dann zu Cic. Lael. 16,
58 einige Stellen gesammelt hat. Man muss bey solchen und
ähnlichen Stellen stets bedenken, dass es Römer oder Griechen
waren, die schrieben , dass ihr Leben ja weit öffentlicher war
als das unsrige und dass die Gewohnheit der mündlichen Mit-
theilung auch ihren Schriften eine von der heutigen Literatur
ganz verschiedne Farbe nothwendig geben musste. Ilr. Bl. be-
hauptet ferner, dass in den angeführten Beyspielen noch nicht
die Rede von römischen Bürgern gewesen sey. Allerdings
wurden nur mercatores und navicularii genannt, aber aus einer
Vergleicliung der Stelle in Verr. V, 18, 46 und 58, 14Ü dürfte
doch wohl hervorgehen, dass unter diesen Kaufleuten römische
Bürger zu verstehen sind, aber keine Kleinhändler oder Krämer,
sondern mercatores fiariculares , die im eignen Schiffe die
Meere befahren. Vgl. Ileineccius Antiquit. Rom. Lib. IV, Tit.
7 § 1—4, p. (197—701 Haubold. Auch können ius legalionis
und legatiis füglich mit einander verglichen werden, was Hr.
Bl. für unstatthaft hält, wenn man sich die Worte so auflösst:
Uli persecuti sunt ius, quod est legatorum onmium^ verbo vio~
latum^ vos legatum [ipsum) — relinquetis. Endlich ist relin-
quetis^ wie Matthiä bereits dargethan hat, in einer Bedeu-
tung gebraucht, in der es wohl schwerlich von einem Abschrei-
ber würde gesetzt worden seyn, wie denn nach unserm Gefühle
überhaupt die ganze Stelle keine Spuren von der Hand eines
Abschreibers trägt. Ausser dieser Stelle hat Hr. Bl. auch noch
Jahrb. f. Fhil. u. Fädag. Jahrg. V. Heft. 1. ^
98 Römische Litteratnr.
verschledne andre , wie § 13, cap, 22, 64 — cap. 23, 68 (im
zweyteii Excursus zu dieser Rede S. 251 — 257) ; ferner Catil.
I, 5, 12 *) ; 6, 13 und 15; II, 2, 3; III, 9, 21 und andre mehr
als im Ganzen oder im Einzelnen unächt bezeichnet und dabey,
meistens aus innern Gründen, seine Meynung zu befestigen ge-
sucht **). Rec. erkennt den Scharfsinn des Hrn. Herausg.
willig an, aber er ist doch an vielen Stellen nicht iiberzeugt
worden. Die zweyte Catilinarische Rede hält derselbe nach
Vorrede S. VlII ebenfalls für unächt und tritt ganz den von
Hrn. Cludius geäusserten Ansichten bey; über die vierte Ca-
tilinarische Rede sollen wir Hrn. Bloch's Urtheil zu einer an-
dern Zeit vernehmen. Der Umfang dieser Blätter erlaubt uns
jetzt nicht weitläuftiger auf diese Untersuchungen einzugehen,
deren Beurtheilung also den künftigen Herausgebern dieser Reden
überlassen bleiben muss. Wir kehren jetzt zu derManilischenRede
zurück. Cap. 8, 20: In quornasiine estlaboranduin, ne forte ea
vobis^ quae dili^entissime pravideiida siait, contemnenda esse vi-
deaniur. Hr. Bl. hat hier die Conjectur Buttraann's ( Act.Societ.
Lat. Jenens. Vol. I p. 60) statt a vobis, quae aufgenommen, wie
auch vor ihm Matthiä, 3Iöbius und Orelli gethan hat-
ten. In demselben Capitel § 21 hat aber der Ilerausg. mit
Orelli die gewöhnliche Lesart in den Worten: atque ita^
Quirites^ ut hoc vos inteUigatis^ beybehalten und mit Recht be-
merkt, dass zu ita hinzugedacht werden müsste: opinor lauda-
tum a me LucuUum esse." Die Heumann'sche Conjectur
atque ita fore puto ist in der That unnöthig. — Cap. 9, 22 : ut
eorum (membrorura) collectio dispersa moerorqiie patrius cele-
ritatem persequendi retardaret. Die Conjectur dispersorum
*) Ueber diese Stelle können wir auch nach Hrn. Bloch's Aeus-
serungen nicht anders urtlieilen, als wir bereits oben S. 85 gethan ha-
ben. Denn nicht jede Wiedex'hohlung , die man etwa schon aus den
vorigen Worten ergänzen könnte, braucht deshalb gleich getilgt zu
werden. Aon dieser Art ist auch die Stelle bey Cic. de Orat. II, 18,75:
quuTfi Hannibal Carthagine cxpulsus Ephesum ad Antiochitm venerat exsut,
wo bis jetzt noch niemand an den äbulichen Begriffen expulsiis und
exsul Anstoss genommen hat. Und bey Lycurgus c. Leocrat. 17, 3 :
(jttdvot Öh d^qjoxiQcov nsQiysyovaoi , kuI tcov nolifimv Kai t(Öv evfi-
(lUXCOV, cos SKCCtSQCOV TZQOGrjy.S , TOVg fl£V evnQyBTovvTsg , Tovg 8s ixccxo-
(isvot viKcovTsg.) hatPinzger mit Unrecht das letzte Participium
verdächtig gemacht, wie Blume bereits richtig bemerkte.
") Denselben Gegenstand behandelt verrauthlich das von Hrn.
Dr. Bloch verfusste Programm: Spuria nonnuUa in Cic. orationibus ex
indiciis internis arguuntur. Acc. corollarium de lacuna in oratione pro
Sexl. Rose. Amerino. Roeskild 1837, 19 S. 4. Rec. hat dasselbe jedoch
nicht gesehen.
CIceronis oratlones selectae. Edld. ßIoc)i. 00
bey Goerenz zu Cic. de finib. III, 4, 15 hat unser Heransg.
mit Recht zurückgewiesen, wie auch Orelli und Matthiä
in der zweiten Ausgabe (was Hrn. Bl. entgangen ist) gethau
haben. Auch ist die auffallende Art des Ausdrucks durch die
Beyspiele bey Matthiä hinlänglich geschützt, von denen unser
Herausg. wohl eins oder das andre Iiätte anführen können. M.
vgl. noch Hand z. Wopkens Lect. Tullian. p. 342 not. 20L
Eben so riclitig ist auch § 23 geschrieben: ita naliones miiltue
atque magnae novo (jtiodam terrore ac metu concitabanlur.
Dass hier nicht errore (bey Hrn. Bl. steht fälschlich errori) ge-
lesen werden miisse, hat bereits Matthiä dargethan. Denn
nicht sowohl das IrrthVimliche jener weit verbreiteten Meynung,
als kämen die llöraer, um den Tempel zu plündern, will der
Redner hervorheben, als den neuen Schrecken und die neue
Furcht, welche die Bewohner jener Gegenden bey dieser Nach-
richt überfiel, da sie schon ohnehin (erat enim metus injectus
iis nationibus) die Annäherung römischer Truppen fürchteten.
Dagegen ist in de Orat. II, 42, 178 von Pearce, Müller und
Orelli mit Recht geschrieben: mit spe, aut timore ^ aut erro-
re^ mit aliqua permotione nientis st. terrore^ was einige Hand-
schriften haben. — Cap. 12, 33: An vero ignoratis — es Mi-
seno eius ipsius (M. Antonii) Liberos, qui cum praedonibus antea
bellum gesserat, a jjraedonibus esse sublatos. Hr. Bl. bemerkt
dazu: ,, Generatim autem orator /i'Äeros, ut saepe." Aber bey
einer historisch falschen Angabe hätte wohl für Schüler noch
etwas mehr vom Herausg. bemerkt werden müssen, wozu ihm
^chon die Anmerkungen Mannuzzi's und Matthiä's ähn-
Jiche Stellen an die Hand gaben, wie Catil. I, 2, 4: occisus est
cum libeiis M. Fulvius, consularis , da doch nur ein Sohn mit
dem Vater zugleich getödtet wurde, und der andre erst später
im Gefängnisse. In unsrer Stelle konnte den Redner zu die-
ser Amplification einmal die Absicht bestimmen, dem einen An-
tonius um des grössern Nachdrucks willen nicht ein Kind, son-
dern mehrere entgegenzusetzen und zweytens zugleich das
traurige Loos eines Vaters anzudeuten, dem die ganze Freude,
die er an seiner Nachkommenschaft hatte, durch Seeräuber auf
einmahl entrissen ward. Daher haben R e i s k e. und Di n d or f
^lucli in Deniosthenes Philipp. II p. (J8, 14 R. riclitig geschrie-
ben: cmovu Toug \i\v v^stSQOvg TtQoyovovg — ovk avaöxo^is-
vovg Tov Xoyov rovrov , rjvix rjk^sv 'AX£t,avdQos 6 rovrcov
TCQoyovog tibql xovtcov y.riQv'S,. Denn ausser dass auch Harpo-
crat. p. 10 Lips. xovxav st. xovxov lieset, so gewinnt auch die
ganze Rede, wenn der eine Alexander als Ahnherr dem Philip-
pus und den ihm ähnlichen Königen gegenüber gestellt wird.
Und eben so erwähnt Lycurgus c. Leocrat. 20, <> die ot tote
{^aöik^vovxsg^ wo nur der einzige Codrus gemeynt ist. Aber es
galt dem Redner diese historische Unrichtigkeit für den Au-
7*
100 Römische Litteratnr.
genbliclc weniger, als der rhetorische Gegensatz berühmter
Stamrafiirsten mit der jetzigen Verworfenheit des Leocrates.
Eine ähnliche Stelle aus des Lysias Epitaph, p. C9 R. haben
wir in unsern Anmerkungen zu Lucian. Toxar. p. 82 beriihrt. —
In demselben Cap tel (§34) hat Ilr. Bl. drucken lassen: Q,uis
enim unquam — tantos cursiis cojificere potuit^ quam celeriter^
Cn. Pompeio diice^ belli Impetus navigavit ? Aber in der An-
merkung äussert derselbe, dass ihm das Wort navigavit von
einem Abschreiber herzurühren schiene, der sich an dem fol-
genden navigandum niari versehen habe und dass Ernesti
daher diess mit Unrecht durch eine Annäherung an den dich-
terischen Sprachgebrauch entschuldigt hätte. Rec. kann diese
Ansicht nicht theilen. Denn Cicero hat solche dichterische
Anklänge von seinen Reden eben so wenig ausgeschlossen, als
manche unserer deutschen Schriftsteller Anspielungen auf Stel-
len aus Schiller's Gedichten, die ihnen gewiss oft ganz unwill-
kiihrlich entschlüpft sind *). Freylich lassen sich diese Remi-
niscenzen nicht überall im Cicero so gut nachweisen, als in
einzelnen aus den alten römischen Tragikern entlehnten Ver-
sen, worüber Naeke's Abhandlung de Duloresie Pacuvii ]^. 3
und Lange's Vindic. Trag. Roman, p.36 nachgesehen werden
können. Was nun unsre Stelle anbetrifft, so vergleiche man
nur cap. 8, 21: classis., quae ducibus Sertorianis ad Italiam
studio inflammato ra^eretur ^ p. Muren. 15,33: quum totius
belli impetus ad Cyzicenorum nioenia constitisset. Da ja nun
ferner bekannt ist, wie gern Cicero die Ausdrücke navis , nau-
fragium und ähnliche sowohl in seinen rhetorischen als philo-
sophischen Schriften (m. s. pro Coel. 21, 54, vgl. mit de Orat.
III, 36, 145 und andre Stellen in Vettori's Var. Lect. XVII,
22 und im S c h ü t z i s c h e n Index Latinitatis unter navis., nau-
fragium u. a. ) braucht , so darf es wohl nicht allzusehr be-
fremden, dass er den Sturm des Krieges „auf den Wellen ein-
hersegeln" lässt, um dadurch die Schnelligkeit anzuzeigen,
welche cap. 14, 140 noch ausführlicher characterisirt wird.
Die Stelle wird auf diese Art so mahlerisch, dass wir die
Schützische Conjectur evolavit unmöglich für ausreichend
halten können. Eine ähnliche Darstellung ist in der Rede pro
Plane. 2ü, 70: Quam enim Uli iudices, si iudices et non parri-
*) Wenn Luden z.B. gleich zu Anfang seiner deutschen Ge-
schichte von Deutschland sagt : „dieses Land in dieser Ausdehnung
gehört zu den schönsten Ländern, welche die Sonne begrüsst in ihrem
ewigen Laufe," so ist diess gerade nicht so sehr zu tadeln, wie in den
Heidelb. Jahrbücli. 1826, VI S. 564 geschah, obgleich wohl vielen
Lesern dabey die Stelle aus Schiller s Jungfrau von Orleans einge-
fallen ist.
CIceronis oratiuneä sciectac. Edid. Bloch. 101
cidae patriae nominandi sunt^ (^ravlorem potueruut reipublicac
inßigere securim^ quamquam illuin e civitate eiecerunt. Audi
hier hätte man wohl plaga, wie in der Rede pro Muren. 23, 48
erwarten können, aber der Redner zieht es vor, statt der Wunde
uns das fallende und tödtende Beil eines Henkers zu nennen.
Und ist niclit in derselben Rede fiir den Plancius cap. 10, 20
weit schöner gesagt: Minturnenses, quod C. Marium e civili
ferro et ex impiis manibiis eripuermif^ als civili errore, criiore,
ierrore, wie theils in den Handscliriften gelesen wird , theils
durch Conjectur vorgeschlagen ist, um den auffallenden Aus-
druck/e/"77/m civile zu entfernen? — Cap. 14, 41: Nunc de-
nique incipiunt credere, fuisse homines Roinaiios hac quoridam
abstinentia. Hier hätte wohl Hr. Bl. sollen contiiientia aus der
Erfurter und Turiner Handschrift aufnehmen, da auch sprach-
liche Rücksichten diess Wort erfordern, wie Wunder a.a.O.
p. LXV und Boeder lein in der Lat. Synonym. Th. III S. 325
gezeigt haben. Gleich darauf (§. 42) rauss wohl nach densel-
ben Handschriften geschrieben werden: vos, Quirites^ hoc ipso
es loco (st. in loco) saepe cognostis: vgl. 17, 52; 24, 70, und
Orelli und Wunder z. d. St. — Cap. 15, 43: Et quoniamauctori-
tas multum in bellis quoque administrandis atque imperio mili-
tari valet. So schreibt Hr. Bl. und die genannten Handschrif-
ten stimmen damit überein, nur rauss nach atque noch in aufge-
nommen werden, wie bereits Orelli getlian hat: m. s. Wun-
der a. a. 0. p. LXVIII und Beier in Pädag. Phil. Literat.
Blatt, zur Allg. Schulzeit. 1827, II Nr. 24. Eine ähnliche Be-
rücksichtigung hätten auch die genannten Handschriften bey
den folgenden Worten: quid socii de imperatoribus vestris (wo
jene ?iostris lesen, wie 13,38, und wofür auch die folgenden
Worte quum sciamus s^precheii), verdient, wie auch gleich dar-
auf: quam sciamus, homines — opinione non minus faniae^
quam aliqua certa ratione commoveri. Hier lesen beyde Hand-
schriften ratione certa (s. Wunder p. LXVllI) und die Turiner
opinione 7ion minus et fama, wodurch Schütz' ens Conjectur
{egregia nennt sie Orelli), die er bereits in seiner Ausgabe an-
geführt hatte, bestätigt wird.
Soviel über einzelne Stellen aus dieser Rede. Mehr mit-
zutheilen verbietet der unserer Anzeige gestattete Raum, so
wie wir uns auch jetzt über die den einzelnen Reden angehäng-
ten Excursus critici nicht weiter verbreiten können. Was die
angeführten Citate betrilft, so hat der Herausg. deren niclit zu
viele gegeben, wo er sie aber gegeben hat, sind sie passend
und liegen nicht ausserhalb der Sphäre des Schülers. Nur die
Anführung \on Scheffer de re vehicnl. (p. 20), von Lipsius de mit.
Rom. (p. 87 und 321) und von Zamoscy de Senat. Rom. (p.
235) dürfte woSil für Schüler unnütz seyn, da sie diese eben so
wenig nachsehen können, als die aus Appianus nach der Tot-
102 Disputatio
lius sehen Ausgabe (p. 87 u. 169) citierteii Stellen. Verweisun-
gen auf eine oder mehrere Grammatiken finden sich nicht in
dieser Ausgabe: es ist uns aber auch nicht bekannt, welche
ländliche oder örtliche Ilücksichten Hr. lil. hier zu nehmen für
gut fand.
Druck u. Papier in der vorliegenden Ausgabe sind lobens-
werth. Nur die Form Qv (st. %i) missfällt dem Auge des deut-
schen Lesers. Auch ist es befremdlich, alle griechisclien Wör-
ter ohne Accente gedruckt zu finden. An solclien fehlte es doch
wohl in der Schubothe'schen Druckerey nicht: oder wäre es
in Koppenhagen, wie inl J. 1809 in der Hauptstadt von Frank-
reich, wo ein so grosser Mangel an griechischer Sclirift war
und ein Setzer in dem Grade fehlte, dass Courier's Bearbeitung
der Xenophontischen Reitkunst nur langsam gedruckt werden
konnte*? *)
Hr. Bloch verspricht in der Vorrede ein zweytes Bänd-
chen, welches die Reden für deuArchias, Milo, Ligarius und
vielleicht noch eine oder die andre enthalten sollte. Wir wün-
schen seinem Unternehmen guten Fortgang und würden uns
freuen, wenn er trotz unsrer obigen Ausstellungen aus dieser
Anzeige wahrnähme, dass wir sein Buch mit Theilnahme an
seiner Arbeit durchgegangen hätten. Möclite er sich aber dann
doch entschliessen, statt einer der auf Schulen vielgelesenen
Reden etwa die für den Flancius oder Flaccus oder die fünfte
Verrinische zu wählen.
Cöln. Georg Jacob.
De grammaticis^ qui IvöTatMOi et Ivti'Kol dicti sunt.
(Ad explicanda quaedaiu Arlstarchi fragmenta.)
1. Äpollon. lex. Homer, p. 820 ^asiv-q , Xa^nqu' iv da 0 trjg 'iha-
6os (551)
i^rjzrjGav ncog tots tJ äsXrjvr} Svvcctoci qxxvai, (l. tpasivr] stvcti), ors zu
aazQK Xa^TiQu <paivtzai. b&sv o ÄQiazdQxog zovxo Xvcov cpriaL' qjauvrjv
ov zrjv Ttozs (opinor tots) Xot/niQccv , dlXu tr}V cpvaei Xa^nqäv mgnsQ
Kcd inl z^s ia&rjio^ zrjg NavaiHuag
(piqiv d' £6&r]za qpasiviqv (^, 74)
7]V 8ia To i^QvnäcQ'ai algrovg JcXvvovg nagano filmst, • aXXu d^Xov, cpr]-
ch, ozt (ins. jta/) ivzav&a UKoveziov zr^v cpvost Xunnqäv. Cf. schol.
h. 1. et i, 58.
•) M. s. Courier's Denkwürdigkeiten u. Briefe TA. // S. 24, Leips. Uebers.
de gramiiiatlcls ivßtaTiKotg et J.VTixoTg. 103
2. Schol. 1^,216 IIoQCpvQlov' öicc ti za i^coziau. Iv liiuvri cprjalv
"OfirjQos yaT£6vix^cii „^v&' evi n^v (pilötrjg, iv 8' i'fiEQOS.^' ZüzvQog
fisv ovv, inei nlriycöv a^ia ÖQcSaiv o? iQmvrfg, Anicov 8b, infi-Sr] Sscfiotg
ioixaai ^ai ßqöxoig ol iQcozsg xal zu tmv iqcövtmv Tta&rj. AQiGzccQxog 8:,
ort ccxQt zov 8sQfiazog 8üxv£lzcci zu igcoziKcc nä^rj , zrjKOvzcc (sie cniin
pro zlKzovza recte Leid, et schol. 9, 288) zovg igävzag kuI dno^vovza
Sia. zrjg azvxpBcog zcc fisXr]. Eadein leguntur schol. 9", 288.
3. Procl. ad Hesiod. Op. 97 tos (leg-, ncbg) cprjsiv , tfinviv iv zcß
ni&cp ri 'Einig' bgzi yaq zovto iv ävQQrörtoig. zovto 8b kocl Kö^uvog o
aQxi^oivoxöog zov ßaciktcog tiqovzbivbv. (prjolv ovv Agi'azdQXog, ozl tj (ibv
z(Sv nuKwv t/MBivBV ' 71 8b zäv Kya&MV i^rjX&Bv ' o&sv cc-AVQoXoyQvi.iev
Xiyovzss iliti^tiv kukÜ. ri yag iXnig Kandöv, ov &£cöv (leg. videtur ov8
4. Vid. iafra § 5.
Adverterunt me haec fragmenta, qnod videbantiir inter Aristar-
chea ad illud genua captiosariiiu quaestlonuiu pertinere, quod non
tarn ad gravem fructuosamque doctrinani quam ad vuiiam ostentandara
ecientiam vel ad venditandara ingeiiü subtiiitatera vel etiam ad carpcii-
duiu Optimum poetam inventum cultumque esse putaveris. Hoc quäle
fuerit, unde propagatum, quo studio retentum sit , quid deniqiie in
grammaticorum commeutariis valuerit, hac occasione accuratius iiiqui-
rere operae pretium visura est: et quamquara baud scio an non oninia
satis mihi illustrare contigerit, quantum nunc dare possum in Iionvuu
partem aequi lectores accipiant. Attigit haec quoque aliquot locis di-
vini operis, quo nos ad Horaericara lectionem instituit, WoUuis: sed
nee omnia ille, quae eodem spectant, vel composuit vel coir.pnrtavlt,
et, ut eius institutum ferehat, in magnis copiis parum dixit explicitc,
vix ut scientibus satis sit.
§ 1. Constat summi poetae aequalibus quique horum plura per
eecula vestigiis institerunt, rcligiosis hominibus, sed simplicibus et
poesis delectamentis helluantibus ne minimura quidem scrupuli inl<!cisse
antiquorum Deorura et mores et facinora, ad hominum similitudinern
tum benc cupientium, tum vero irasccntium atque invidentium. llis
igitur, nt hoc utar, nee lunonis incudes nee Vulcani reticula displice-
bant. Sed cum primum philosophari Graeci homines instituerent,
tum impia haec talia et scelesta esse duxerunt: qua religione non solos
philosophos, sed ipsos poetas , si quo novae doctrinae colore imbnti
essent, infectos esse Pindari exemplo edocemur. Tum igitur quidquid
ex hoc genere fabulae afferebant, eruditorum animos vehementer of-
fendit: praecipue tarnen Homerus et Hesiodus , qui et plurimum in
hominum ore versarentur quorumque fabulae non locorum quorundam
iinibus inclusae essent, sed totam Graeciam pervagarentur, pbiloso-
phorum invidia flagraverunt. TumXenoplxanes exstitit Colophonius '},
*) V. Paul de sillis Gracc. p. 15 — 17, Brandes quaest. Eleat. p. 67—70,
Jacobs Erziehung der Hellenen zur Sittlichkeit, Verm. Schriften 111 p. üi).
104 Disputatio
'OfjrjQaTcatrjg tmwTtzrjg^ qui adversus utrunique poetam multa scripsit
eorumque de dia narrationes graviter reprehendit :
TiavTU ^soig ccvi^rjuav "OfirjQog &' 'HaioSög ts,
ooaa TiaQ dv&Q(6noiai.v oveidsa kuI ipöyog scrt,
nXsTtrsiv [lOixBvsiv zs Kai dXXi^i.Qvg aTiarsvitv.
Tum Heraclitus veteres poetas insectabatur, severissimlä verbis usus*),
et alii. Ili oranes si ad prisci poetae rationes caecutientes acerba euiu
cum irrisione atque obiurgatione increpitarunt, quid niirum exstidsse
contra, qui vatein tanta gloria circumlatura , iramo tanta vulgo pietate
exceptum defendere conarentur et invidiosas crirainationes dilucre?
In quo plerique , viara a Theagene monstratam persecuti , ad allego-
riam confugerunt **) , alii aliis excusationibus usi sunt. IIuc accessit
quod Iloraericos versus ac narratione^ iara priniis temporibus par-
tim in communi vita (plenus exeraplorum est Diogenes) , partim in dis-
putationibus doctioribus vel serio \el ad orationis ornatum ubique ad-
Bciverunt: qua in re suo quisque ingenio in vitiipcrando ac defendendo
al)uteretur. Sic exarsit mature crirainantium et patrocinantiura conten-
tio , mutuo incensa certamine. Quotusquisquc enim fuerit , quem cri-
niina ista contemnere et multa in poesi non ad amussim expendenda esse
vel cupiditas vel artis infantia intelligere passa sit? Defensores qui-
dera tarn multos Iiabuit poeta tamque cupidos , ut certo ac proprio no-
mine OfirjQov inciivizcci **') dici mererentur, vocabulo, ut ego suspicor,
ad irrisionem invento. In qua re cum non tantum pbilosophi, sed me-
diocres liomines et rbapsodi praecipue, ncc docti nee ingeniosi, sibi
partes sumerent, iure nostro opinamur, iam tum pingues plurimas
fuisse defensiones, quales usque ad extremam aetatem fuisse cognovi-
mus. In mclioribus Socratici temporis laudatoribus, si Xenopbonti fi-
des est, Glaucus et Stesimbrotus fuerunt, quorum bodicque aliquot,
eed exiguas habcmus solutiones, Scbol. A, Goik O, 193. ^, 76. cf. Ari-
etot, poet. XXVI, 23. § 2. Ac prudentibus profecto opus fuit poetae
defensoribus. Etenim exortum erat novum genus reprebensorum , et
laudi quidem vatis illis vetustloribus periculosius. Ili enim non impie
eum cecinisse iactabant sed inepte: versum versui repugnare , senten-
tiam sententiae, non distingui vocabula siniiliter significantia, horrere
etribligine. Sophistas dico. Hi ad coarguendura nati liomines poetas
quoque traduxerunt: in quibus gloriolae suae abunde satisfacere pote-
rant. Simonidem ut ostendat in eodcm carmine sibi contraria dicere,
quam carpere instituat Protagoras , ex Piatonis dialogo p. 339, C no-
tissimum. Quod pro similium exemplo est. Euripidem in vocabnlo-
rnm minutiis Aescliylum coarguentem ad sopbistarum morem effinxit
comicus. Deniquc Aristoteles cocpiGzmovs iXiyxovg cnarrans non omisit
•) Diog. La. IX, 1.
") De his post Wolfium exposuit Lobeckius Agl. I p. 155 sqq.
*•*) Nitzscli praef. ad Plat. Ion. c. II.
de grammaticls ivazutiKoTg et IvtihoTs. 105
de üs dicere, qui Horaerum redarguerent, atque ut rellquia eorura ar-
gutiis, sie liis medicinam paravit, El. Sophist. IV, 8. Poet. XXVI *).
Verum ne omnia quidein rualo coiisilio ab ils excogitata sunt: scd cum
granimaticam doctrinam primi inchoarent, quippe qui rationeni potius
quam usum spectarent, multiä in Homeri canninibus ofTensi sunt, qui-
bus explicandis imperfecta ars non sufficerct. Ex quo genere equldera
puto illud fuisse, quod in imperativo (irjviv usiös &sü Protagoras vitu-
perasse traditur. Vid. Spengel ovvay. tbxv. p. 44. Cf. Herodian. schol.
II. r, 280.
Alterum genus hominum , qui ingenii ostentandi gratla res per-
sonasve ab Ilomero iictas invadercnt, ab eadem radice propagatum erat,
rhefores. Qui cum in laudando ac vituperando acumen artemque exer-
cerent (Cic. Brut. c. 12. Foss de Gorg. p. 43), saepe Homerica tractanda
eumserunt , et ita quidem nonnunquam ut quac ille laudasset ipsi exte-
nuarcnt, quae ille vituperasset, ut Cyclopera , Thersitera (cf. Gell.
XVII, 13), ipsi laudibus exaggerareut '*). Et vidit haec aetas qui utra-
*) Wolf p. CLXVIII. Liscovius, über die Aussprache des Griechi-
schen p. 196,
*') Certa res est, captiosas criminationes rhetorura eophistarumque
studiis maxime anctas ac celebratas esse. Uiide vocabula plura in hac re
propria ex rhetorica ac snpbistica arte depromta sunt. KKTTjyoQBiv , dno-
Xoyilo^^at. Sosibius 6 Ivxitiöq apud Athen, p. 494, d rourcoi' roivvv ov-
Tcog KctrrjyoQOVfMtvav rfj avaGXQOcpri xqt]G(X(i(voi dnolvofiiv xov noirjriqv.
Arati vita 111 ap. Buhl. JLvcpQÜvcoQ dvriyQäxpcns Tiqog rag xov Tja'tXov
KaxrjyoQiug. Schol. K, 274 oürog alla xs noXlcc ■Kaxrjyogei 'OfirJQOV. i, 60
TioXXol KctxTjyÖQOvv xov (XTitd'üvov. 2J, 22 Zcotlog ös rprjGiv äxonov —
ZrjvoScoQog Ö8 ccTcoXoyilxKi, et aliis locis. Cf. Aristot. rhetor. 1, 3, 3
ÖLHTjs ÖS x6 (ilv KaxTjyoglu, x6 Öt ccnoXoyia; v. II, 22. 7. 8. II, 23, 14.
rhet. AI. I, 1. Vll. Deinde tvaxaaig, ivaxaxiKoL Cf. Aristot. el. soph.
IX, 6 (a^ 8s xovx' e^ofisv , kkI xdg Xvasig 'ixofisv al ydg xovxcov iv-
cxdasig Ivasig sIgl). XV, 14. 15. XVll, 20. rhetor. II, 12, 17. II, 25. II,
26, 4. Dion. rhet. III, 17, 14. SiaßdkXsiv quoque et dtaßoXr] , quae haud
rara sunt in hac re , possint a rhetoribus duota videri , v. Spengel avvay.
rsxv. p. 95. 96: fortasse etiam iptysiv , v. Aristot. rhet. I, 3, 3. Sed de
hoc non pugnabo. De vocabnlis autcm Xvsiv, Xvaig res certissima. Haec
in scholiis frequentissima de dissolvendis quaestionil)us, unde 2Jco6ißtog 6
&uviJ,daxog Xvxi-nög apud Athenaeum: de dissolvendis -vero sophistarum
captionibus apud Aristotelem propria: o Xvsc xov aocpiaxinov Xöyov , rhe-
tor. 111,2, 13, et in libello de elenchis sophi^ticis in singulis capitibus in-
Tenies. Ceterum grammatici , quamquam rarius, etiara verbo sntXvsa&ui
utuntur. Unde iniXvziyioi apud Suid. s. Uoaalßiog. sniXvsa&Ki Seh. Di(m.
gr p. 730, 26. Sohol. Od. i, 106. Athen, p. 670 f. {7iQ6ßXr]/.ta iniXvcaad-txi).
Schol. Pind. Pyth. IV, 455. STtiXvsiv xö änoQOv Tzetz. exeg. II. p. 51.
Item activnm hniXvBLV seh. A, 1. Apud Athenaeum p. 669. d pro dno-
Xvs69ccL ^rjTTjGiv Casaubonus requirebat tn iXvta&ui. Neque tarnen neces-
earium: dnoXvsa&at dnogiav est schol. T, 271. dnoXvso&ai TiQoxdastg
Athen, p. 3S4. c. Quod videtur translatum ex dnoXvta&ai xtjv alziav
(Dion. rhet. VIII, 11) , dnoXvsaO'CiL SiaßoXdg ( Plat. Phaedr. 276. D). ~
To ^TjTovfisvov öiaXveiv est Athen, p. 408 f. öiaXvacci xov Xoyov de elen-
cho sophistico diluendo legimus ap. Aristotelem el. soph. XVI, 8. öialv-
caa&cci SiaXsuTiKovs Xöyovg Diog. La. II, 111.
100 Disputatio
que ratione adversus poetam piig-navit , et rhetorum artiGciis usus et
sophistarum argutiis , Zoiluni Ampliipolitanura, Ad illud genus perti-
nebat eius ipöyog 0{ii]Qov, ad hoc libri , qui apud Suidain dicuntiir,
TiuTCi T7)s TOv'OiM^QOv 7ioii]C)Scog XöyoL svvsa. Strab. lib. VI p.271, fal-
sura ficturaque esse demonstrans multos fluvios subter mare per ali-
quod spatium labi integros , plures affert , qui talibus fabulis fideai ha-
buerint: „'Alcptiov Ös, inquit^ Zcotlog 6 Qr^rcaQ sv t(p Tivtölcov lynco-
(ilw cpTqolv iY. TcVcSov QBtv, 0 xov OfiTjQOv ip^ycov OJg fiv&oyQUcpov^' i. e.
eiusmodi fabulam Zoilus propinat , is qui Homei'uni iit fabulosum poe-
tam vituperare ausus est. In quo miror, Wolfium sibi persuadere po-
tuisse (p. CXCII) ultima verba o t6v"0{i7]Qov iptycov cjg nv&oyQcccpoVf
in quibus vis sententiae est, ad marginem releganda esse. Recte Stra-
bonis locura intellexerat Hardio in Memor, Acad. Inscr. et Litt. T. VIH
p. 187 *). In mente habuit Strabo ipoyov '^OfiriQov , quae haud dubie
declamatio erat, a Suida inter Zoili scripta commemorata atque a no-
vem libris adversus Homerum secreta. Ex eadem declamatione puta-
verira desnmptura esse, quod Longinus servavit, IX, 14 rovq sk Kiq-
M7JS avocpoQßoviiivovg , ovs 0 Zcaikoq tcpr] xoiqiölu kXcc iovt cc: quod
habet colorem rhetoricum. En specimen fabulae, quam fabuloso poe-
tae exprobraverat. Novirnus praeterea oratiouem eius ad Horaeri re-
prehensionem pertinentem , cuius fragmentum servavit Schol. Plat. ad
Hipparch. p. 240 b. (p. 334 Be.) Zcoi'Aos iv xä sig UoXvcpTifiov iyxa-
fiio} „ovzco yccQ co^oyv6/xr]<iccv ol &£ol tcsqI zrjg tiixcogiag xavrrjg, coaxs
Ttccvxodsv Oövcatvg xswg oco^öfisvog xat xdg vavg d^^guiovg Ti^QtTtoiov-
(livog 7zsQi,c6q)&rj fXExd xrjv dguv vnb xi]g 'J&rjvdg." Hoc quantivis pretii
frustulum clarissirae patefacit , quid in illa declamatione effecerit: Cy-
clopis precibus (f, 528) ita Dcos immortales commotos esse , ut cum
antea ex sociis quidem complures Ülixes amisisset, sed navem adhuc
nullam , ab hoc demum tempore omnibus et amicis et navibus orbare-
tur: quod ipsum Polyphemus , Dis scilicet gratiosus , imprecatus erat:
Sos (iri OSvGaija titoXliiÖq^iov oi'iia&' Ixia&aL-
aXX si' ol (ioIq' sazt cpLkovg z' iSssiv kchI luto&at
oiKOv ivKTifitvov Kai hrjv ig naxgida yulav '
oips KccxcSg iX&oL, oXtaag uito nävxag sxaiQovg,
vrjos in' dXXozQLTjg , tv^ot S' iv m^iiaza oi'xoi.**)
*) „Strabon a remarque cette bevue comrae quelque chose de plaisant
dans un ecrivain, qui s'etoitmoque d'Homcre comme d'un conteur de fahles."
*') Ilae tarnen rhetorum nugae videntur adducere potuisse lepida my-
thologorum capita, ut vel serio Cyclopem pro pnidente hoinine vendita-
rent. Serv. ad Aen. III, iioii „Ilic (Polypheraus) vir prudentissimus fuit,
et ob hoc oculum in capite habnisse dicitur, i. e. iuxta certbrum, quia
prudentia plus videbat. Verum LUixes eum prudentia superavit et ob hoc
eum coecasse fingitur. " Louge aliter Ariätarcbus: vid. Apolloo. lex. Hom.
8. ud'SlliGTCOV.
de grammaticis iveruriKotg et XyriKolg. 107
Non concedo Wolfio , „quibus potissiraum in rebus Homerum allntra-
rit Zoilus, parum constare. " Mendacia fabularum In dedainatione
adversus poetam coniposita ludlßcatum esse snpra constitit. Qualia
vero in novem istos libros congesserit ridicula , ne hoc quidem latet.
Partim eniin excitaverat, quae in Deorum heroiimque laoribus, par-
tim quae in arte poetae, piirtini quae in oratione eins carpi posscnt.
Slngula l'ragmenta primi, sccundi, tertii generis recensebo. Apolli-
nem vituperavit, quod dicatur t-agitti» uuilos primuiu et canes adortus
esse: quasi vero tarn vehementer irasci deceat Deum , ut ne a bestiis
quidem abstineat , Ileraclid. alleg. Hom. c. 14. In illo, quod Achilles
dielt I, 203 ^mQozfQOv ös xj^ok^s, quod deineeps exercuit plurimos,
Pelidae bibacitatem perstrinxerat , Plut. quaest. conv. V, 4, 2. — De
arte poetae haec sunt, quae vel accurate perpensa iniucundas ridicu-
lasque imagines ante oculos constituere, vel sine ratione, vel advcr-
6US rationem ficta esse persuadere voluerat. X, 209
nal TOTE Stj XQ'"^^'^^ nuzrjQ itiraivs raXavTa^
iv d' STi&si 8vo K^QS xavrjXsyäos &ccvutoio'
yslä 8e tqv (ivQov 6 Ztatlog' no 8 anal yaq al fioiQui iv za7g
TtXäaziy^i. Ka&T] fisv a t t] a azrjHVi a i — W, 100
ipvxT] 81 v.axa xQ-ovog i^ilizs Kccnvos
ca^STO zsTQiyvlcc —
ZcotXog 8s tpriGLV ort aXX' 6 Kanvog avco q)£ q 8zai\ — E,7
nvQ 8ai£v ano xparo'g zs kccI äiicav
Zco'llog o EcpbGiog xcczrjYOQel zov zönov zovtov -nui fisficpszat zw Ttoirjry
ort Xiav ysXoicos nsnolrjKfv £h tcöv wficov zov ^io{x,i^8ovg Kaioixevov jivq.
iKivSvvsvas yaQ av v.aracpXsxQ'rjVD'.i o TJgcog. Sic argutari licebat in eo
versu, quem idoneus profecto iudex Virgilius supra modum admiratua
et identidem imitatus esse dicitur, Macrob. Sat. V, 13. — Sine ra-
tione fictum visum illud , quod in Ciconura impetu ( «, 60) ex singulis
navibus par socioruni numerus interiisse dicatur, „aignsg an ini-
T ay/tiörog. " — Rationi contrarium visum, quod Ä", 274 Ulixes
cum Diomede egressus ad Rhesum occidendum magnopere gaudeat ar-
dea a Minerva missa, de qua poeta: ovn i'Sov ocp^aX/j-olotv — aAAa
üXdy^avzog uKovaav. Hoc male linxisse poetam : etenim latere volen-
tibus alitis clangorem sinistrum omen esse. Similiter E, 20, ubi Idaeus
et Phegeus fratres in curru contra Diomedem pugnantes inducuntur.
Phegeus Diomedis hasta ictus caeditur: tum alter timore percussus a
curru se proripiens aufugit: 'KarrjyoQtl nal zovrov zov zonov ZcoTlog,
ort Xiav cpr]ai ysXoioag mnoirj-'isv o noirjzjjg zov ISaiov uTtoXinovzu zovg
imtovg -nal zb ccQfia (phvynv ri 8vv az o yaQ ficcXXov ItcI zolg
i Tino ig. — Denique grammatica reprehensio est ad J, 129 d' ks no-
&L Zjhvg 8(pai nöXtv ivtii'x^ov t^aXanä^aL' Zco'lXog öt o 'J^qjtnolirrjg
Kttl XQvCinnos o Exca'rKog aoXotm'Qeiv oi'ovzai zov noirjz^v , ccvtI tviKOV
nXri&vviiKä XQfjounevov ^rniazL' z6 yuQ öcSai, q^aöl, nXrj&vvziTiov (sc.
108 Disputatio
ex analogia). ayvoavSt db . . . . *). Hie igitur Zollus quamquam ineptas
pruposuit quaestiones, tarnen alioruin exeinpla secutus est, ut verissi-
me Wolfiura dlxisse arbiträr, „eiira niliil admodum praeter ceteros
peccavisse'^ *•). §3. Quantum vero iramodestiae ac potius impuden-
tiae bis tortuosarum quaestionum captatoribus posteriores grammatici
iure adscribi posse arbitrati sint, ex memorabili scholio Aristonici ap-
paret , T, 269 ad'srovvrai azixoi. 8' , ort, SiBOKivacfievoi ilolv vno tivoq
TcSv ßovXonivwv TZQÖßXrjfia tcoisIv. Attamen hi versus Aristotele anti-
quiores, immo quaestio ipsa versibus adbaerens iam Aristoteli tentata,
*) Quod unura restat in schol. P, 20 1 , pertinens ad &, 200 , non in-
telligo.
**) p. CXCII. Sed de bominis ingenio ac mnribus minime mibi cum
viro egregio conveiiit. Primum quod dicit „rabieni addidisse^', boc non
Tideo unde coUigi posdt nisi ex veterum admodum incerta persuasione,
qui phirimi fando homiuis niemoriam tenerent ac declamatorum exagge-
rationibus poUutam, quorum fideni disscntientes de taetra eins morte nar-
ratiunculae testantur, cf. Hartes, ad Fabric. I p. 5(»0. Porpbyrius qui-
deni, cui qnae in scboliis Homericis de eo tradita sunt debemus, eum
yvfivaalag avr/.a scripsisse ait: quamquam, ut mox apparcbit, ne boc qui-
dem accurate dictum arbitror. Ex vocabulis, quibus in poeta aggrediendo
usus est, yiloLwg, drÖTtcog , nibil asperius de boniine coUigi posse con-
tendo: nam haec \ulgata fuerunt in excitandis captiunculis. Quod »i quis
illud asperam eius orationem significare reponat , quod est in scitol. 2J, 22
de Acbitle laraentante „rd te ovzcog vniQmv&Hv yvvaiKcod^s' ovtcog ovv
UV ßägßciQog tIt&tj tnolrjafv^^ ne ea quidera nova eius loquendi ratio sed
proverbialis ; Aristo apud Sext. Empir. adv. Matbem, VH, 12 rovrovg yuQ
£^g TLt&ag av >ial naidaymyovg ■niTtniv. Addit deinde Wolfius illam ra-
biem profectam fuisse ,, ab acerbitate et pravitatc animi. " An cogitari
potest, pravitate animi qucmquam insectari priscum scriptorem, cuius nee
de vita nee de factis quidquam constaret? Quasi quis Iiodie mailvolus
in Ulphila carpendo sibi placere posset. Adnionet Wolfitis de Act. Testa-
ment! reprebonsionibus. At ne bae quidem a pravitate animi profectae,
sed a persuasione rationum. Quod vero in Sallustio, Cicerone, Virgilio
factum est si cui succurrat, id et fieri poterat instius et faiitum est par-
tim perversa imitatione partim studio civili et aemulatione artis. Jam ut
de Zoilo dicam quod sentio, non gravitcr reprebendit, sed (id quod frag-
menta ipsa demonstrant) irrisit, non Homerum , sed studia doctorum. In
eo si multi non inteliexerunt cavillatnrem, idem ei quod Piatoni accidit.
At, inquit, non uno eiusmodi contenlus fuit opuscuh), tria novimus Ho-
merica, novimus praeterea adversus Platonem eum atque Isocratem scri-
psisse. Hoc ideo factum, quod non animi causa scripsit, sed disciplinae.
Philosopbum fuisse Suidas tradit ,,qi^tcoq dh rjv xort qptildöoepog." Qualis
vero pbilosophus? Videlicct Cynicus. Aelian. V. H. XI, 10 iKCilHvo &e
Zatilog otiTos Kvcov QrjTOQixog: quo nomine quem aptius significari pu-
tabinms quam rbetorem , qui idem esset Cynicus.'' Et lege mibi Aelianum,
qualem eodem loco bominis habitum depingat: merum agnosces cynicum.
Ergo si Diogcni , ut censeo, et maxime Menippo similis erat Zoilus, anov-
doyflocog fuit, et dictorum scriptorumque eius idem cum illis color , idem
consiiium. — Novem eius libros adversus Homerum ipsos puto inscriptoa
fuisse 'OfirjQOfiäart^, ut Licinii über Ciceromastix: et vix aliter eius li-
ber, qui apud Servium bis non suo nomine, quod ignorasse videtur, sed
Virgiliomastix audit, Eclog. U, 22. Aen. V, 521. — Caeterum cur unum
etatuam Zoilum alias dicaui.
de grammatlcia iverariKotg et IvriKolg. 109
Poet. XXn, 22. Similis prorsus eiusdem graramatici observatio K,Z12
ort &£Xovzes ^rjtTjftcc nottlv (israyQocqiOVOi t6 T^fiiarixiov ovroag „xal
ßälsv ov8' i(päfj.aQTSv , aKcav d' T^fiägravs qpcords" (pro i] qoc hcI tyxog
afiagrsv, Ix — ). Certe Virgilioniixstlx talia ausus est: Serv. Eclog.
11,23 ,, Sane hunc versura male distiiif^iicns Virgilioniastix vitupcrat:
Lac mihi iion aestate iiovum, noii frigore : defit, i. e. semper mihi
deest. " De Aristonici obscrvatlonibus quidqiiid iudicaveris, demon-
strant tarnen grammaticorum de vetustis quae^tionum professoribus iu-
diciiim. Quo magis mirere, quidai una cum iuvale;<cente accurata
Alexandrinorum scientia diligentique poetarum interpretatione hi lusus
abiecti planequc exstincti sint. Quod tantum abest ut factum sit, ut
et Alexandriae retenti tractatiquc et postea Roraae aliisque studiorum
deversoriis gnaviter culti et ad ultima saecula propagati sint. Sed Graeci
quidem grammatici praestantiores , quaies Zenodutus, Aristophanes,
Aristarchus fuerunt , iieque videntur haec plcraque in commentarios
suos recepisse, neque istos artis nostrae conditores, quibus ex integris
atque iliibatis novae disciplinae fontibus picnam ac copiosam doctrinam
Iiaurtre licebat, quibus primum rudia et confusa exemplaria ordinanda,
distinguenda, perpolienda erant , minutiarum libido vel invadere vel
dclectare poterat: si quid autem se offerebat vere impeditum, ut nisi
captiosis artibus enodari posse non videretur , tum non hanc quasi gra-
tam ostentationis occasionem arripiebant, sed medicinam habebant, quae
ab acutuUs , omnia solvere paratis graniraaticis nunquam inventa esset,
eruditam ac simplicem — d&£tr]aiv. Illustre traditum exemplum est,
Aristarchum in dissolvendis quaestionibus , quae sibi inanes viderentur,
minime gloriolam quaesivisse. Quid enim responderit percontantibus,
cur in recensu navium a Boeotis potissimum poeta initlum ceperit, apud
scholiastam ad B, 494 legimus hoc modo : rj^Ktai öi ano Boiwtcöv xara
fiiv 'AQLOzaQxov ovh tu xivog jiaQtxTTjQrjascog . . . . Alterura scholion:
o Ss 'ÄQiGTCcQxög tpr]Gi, xaro: intcpoQav avrov xrjv ccQX^^ noiijaaod'ui'
B i y UQ Kdl an' aXkov a&vovg rjQ^azo, i'^r]zov(j,sv dv zijV
aizLCiv tijg UQX'fjS' Audin virum sobriura atque in melioribus ex-
quirendis occupatum, cum raolestos argutiarum scrutatores aspernatur
atque eludit'? Eiusdem generis exemplum praeterea est z^, 489. Narrat
ibi poeta, Antiphum, Priiimi filium, in proelio Aiacem hasta petiisse,
eam vero, cum ab Aiace aberraret, in Leuco, Ulixi socio (fratpog)
haesisse. Hie quaestio fuit, id quomodu fieri potuerit, cum ex ordine
exercitus Graeci constaret , Ithacenses baudquaquara stationem prope
Salaminios habuisse. Quidam solvunt pessime, hralgov non esse so-
cium, sed universe araicuiti; alii melius, in proelio ordinem exercitus
Gonfundi. Quid Ai'istarchus ? „ag 7totr]tfnov nagaizilzai'^ : talia in
poeta ne quaerenda quidem esse. Attamen haec non prorsus neglexe-
runt, si qua forte ad utilem observationem ansam praeberent. Sic
quod de aslijvri (pciSiv^ quidam sibi ineptum invenisse videbantur, hoc
poterat admonere doctiores , ut Aristarchum admonuit , ut de vi ac
potestate epithetorura perpetuoriim dicerent, Sic quas Aristonicus in
echolüs tangit quaestiones , quae paucae sunt ( iunt autem hae ei non
110 Disputatio
AristarcTii oranes, tarnen scholae Aristardieae) , aut ad verljorura pofe-
statcs clefinicndas receptae crant, ut A^^, ul»i sine dubio de significa-
tione voeabuli Ixoov exposiierat, aut ad lectionem expediendara vel con-
firmandam , -T, 379. /T, 447, aut ne poterant quidein in comnicatariis
praeteriri, qiiod explicatione necessario egent, ut de versu naQroyjjHSv
öl nlftov vv^, Tcöv 8vo (xotgcicov K, 252, et de Pylaeniene iV, 643, quae
sunt quidera quaestiones , sed graves et necessariae ac longe ab istis ar-
gntulis segregandae. Aliquoties etiam aliquid concedcrc debuisse com-
niuni studio infra appavebit. § 4. Priiuain attulimus causam, cur rem
per se inutilem, sed utiiiuin observationum sacpe indagatricem, nolue-
rint plane ex hominum memoria elabi. Sed efficaciores tarnen aliae
Causae erant atque partim decori ac dignitati litterarura minus accom-
niodatae. Accepimus in Alexandrino Museo aliisque locis ad pbiloso-
pliorum et rlietorura morem grammaticos quoque ambu4antes de rebus
suis disputationes instituisse. Strabo XVI p. 793 zwv Ös §aöiXficov fts-
Qog ^'ört Marl t6 MovßHOv, b%ov JifQi'mxtov Koci t^sÖQav. Quorum usum
ambulacrorum cum praeterca notum habemus , tum ex Vitruvio V, 11,
de palaestris dicente hoc modo: constituuntur autem in tribus portici-
buß exedrae spatiosae , in quibus philosophi, rhetores reliquique, qui
studiis delectantur , sedentes disputare possint. Rem docte iüustravit
Gronovius de Mus. Alex, in Tlies. Gron. T. VIH p. 2742. Hie igitur
quainquara in vegeta, qua plerique utebantur, memoria multiplicique
doctrina aliquante doctius quam bodie evadere poterat disputatio, atque,
-ut non uno loco apparet ex Gellio , re Vera evasit, ut nimis inique de
hoc genere existimari nolim, quamquara de rebus ad universam grara-
maticam pertinentibus colloqui poterant, libruin quoque secum ferebant
(Gell. III, 1. VI, 16) : attamen multae huius operosae docti'inae partes,
et solidissimae quidem, aut non poterant ibi tractari aut male. Vix
igitur dubitandum est, quin sine commentariorum bibliothecarumque
adiumento conversantes grammatici haud raro ad minutias lususque in-
genii delaberentur. Quid porro illi amiqna örjgiöcovtBs Movßfcov iv
TttXÜQcp in syssitio suo disceptaverint non accepi quidem : sed nescio
quomodo patulas aures admoventi quaestiuncularum susurrus adstrepat.
In conviviis enim eruditorum, quae apud utrumque populum frequen-
tissima erant, proponendarum solvendaruraque quaestionum pervulgatus
mos et quasi propria sedes fuit. Postquam enim ad epulandum vocati
edendi libidinem exuissent, bibendi induissent, tum mensis remotis *),
pocuHs ministratis, ad doctam garrulitatem sese accingcre: quippe ne-
que muti esse poterant , liomines praesertim Graeci , quos in litteris
quoque omnium loquacissimos esse Strabo professus est, neque diffici-
les iis et convivandi liilaritati parum aptae disputationes placebant (Flut.
Sympos. qu. 1, 1, raax. c. 3). Neutrum decere ex ipsis philosophorum
') Plut. Symp. II, 2 ciVTol jkq £TCL%£iQriGO[i£V ^rjTHV Zrav navßcöfisQ'K
SeiTtvovvTtg. 'Slg ovv ucprjQtd-i^aav al xQänf'Qai. — Alios locos nunc prae-
tereo. Sed apud Virgilinm Aencas fata sua rcginae enarrat , postquam pri-
ma quies cpulis mensueque rcmotae.
de gramraaticia ivßTCiTinotg et XvtikoI?. 111
echolis retulerant, in quibus de boni convivae virtntilms miiltus sertno
esse coiisueverat. Plut. Sj iiipos. qu. I, 1, 2 *). Cf. Cic. off. I, 37. Qiiare
si quis natura esset tristior atque ad seria iocose tractauda dilTiciliur,
abstinebat sese in convivaruiu coetu ab lioc genere iudicrae eruditiunis :
ut Isocratcs : qiii „ cum in couvivio a sodalibus oraretur , ut aliquid in
medium de eloquentiae suae foute profeiTet, bac venia deprecatus est:
Quae praesens, in(|uit, locus ac terapus exigit, ego non calleo ; quae
ego calleo, nee loco praesenti sunt apta nee tempori. " Sic rem nar-
rat Macrobius Saturn. V II, 1 , mutuatus a Plutarcho Syrapos. qu. 1, 1, 1.
Prudenter Isocrates: iure insipientes, qui aliter agerent, vituperati.
De eiusmodi intempcstive docto Gellius I, 2 „Erat ibidem nobiscum
simul adolescens pbilosopbiae sectator, disciplinae, ut ipse dicebat,
Stoicae , sed loquacior impendio et proniptior, Is plerumque in con~
viüio sermonibus, qui post epitlas haben solent, multa atque immodica
de pbilosopbiae doctrinis Intenipestive atque insubide dissercbat " et re-
liqua, quae apud ipsum Geilium legantur, vivide, ut solet, et lepide
referentera. (Cf. XV, 2.)
At quam frequentia per orania saecula eruditorum convivia fuerint,
non ex nostra consuetudine diiudicandum est , sed ex ipsorum usu ac
moribus pernoscendum. Nam et philosopbi auctorum disciplinae suae
nataies anniversaria epularum fcstivitate instaurabant, quod Epicurei
ex Epicuri testamento faciebant (Cic. fin. II, 31. Diog. La. X, 18) , alii
sponte, ut Socratis et Piatonis meraoriam quosdam coluisse lcgimu3
(Plut. qu, Symp. VIII , 1. Euseb. praep. ev. X, 3, cf. Rulinken. de Lon-
gin. § 8) et eiusdem scholae sectatores conventus epulasque agebant,
ut singulis mensibus Epicurei (Cic. Diog. 11. 11.), alii (Atben. V p, 186 a.
X p. 419 d), iuvenesque studiosi litterarum tum inter sese (Gell. XVIII,
2. XV, 2) tum apud magistros, quos cum maxime sectabantur (Gell. VI,
13, cf. II, 22. III, 19. XIX, 9) epulari solebant; et si Musarum sacra
fierent, quod e. g. Atbenis solenne fuisse ex Plutarchi Symposiacorum
libro ultimo tenemus, eadera festivitas ; denique reges, praetores (Plut.
Symp. IX, in.), patroni baud raro ad convivia litteratos clientes invita-
baut. *') Cf. Eschenbach de Syrapos. Sapient. § X sqq. Graves igitur
ac serias quaestiones ex laetis eiusmodi circulis exciudebant. Qualia
contra ad miseriut atque probaverint, ex Plutarcho , Macrobio, Athe-
-*) ^'7^*^'" ß^^'" ^v taXg StUTQißaig nsgl GvßnoviKCov v.aO'riyiövzcov , kuI
xiq a^tzrj ovfntörov , ■Kai neos ol'v(o XQrjöTtov. — Nöfiovg avfinoziKovs
scripserant Aristoteles, Speusippus, Xenocrates, Athen. I p. 3 f.
**) Potissfma recensui. Non desunt alia. Diog. La. II, 133 de Me-
nedemo: rjv öl noil cpiXvitoöoxog nal ötcc ro voccöösg zf/g ' EQirQiag itltLCO
Gvväycov cvfinoata, iv otg aal notrircov Kai fiovaiKciSv. V. alia Plut. Symp.
1, 10 in. II, 4 in. V, 2 in. V, 3 in. V, 5 in. Ilinc fliixit persuasio septem
enpientes non convenisse tantum, sed convivantes confabulatos esse. Plut.
Sol. c. 6; et 4: ysv^a&ai dl xal ßgz uXX^lmv tv zs jj£lq)otg ofiov Xtyovzai,
y.al TtccXiv iv KoQivQ'ca, UtQiüvdQov ovXXoyov viva uoivov uvzäv aal avfi-
noGiov HuzaGKSväGavzog.
112 Difiputatio
naco, Gelllo intelllgltur. Gellil quidem duas lepldas narratJunculas,
quibus haec convivandi ratio egregie illiistratiir, oratioiii meae Inclii-
dendas putavi. VI, 13 „Factitatum observatuinque hoc Atlienis est al>
iis, qui erant philosoplio Tauro iuncliores. Quuin domum suam nos
vocaret, ne omniiio, ut dicitur, iraniunes et asyniboli venirenius , con-
iectabamus ad coenulam non cupedias ciborum , sed argutias quaestio-
num. Unusquisque igitur nostrum commentiis paratiisque ibat quod
quaereret: eratque initium loquendi edundt flnls. Qiiaerebantur autera
non gravia nee reverenda, sed iv&vfirjfiara quaedam lepida et niinuta
et florentein vino animum lacessentia. Quäle hoc ferme est subtilita-
tis ludicrae quod dicam. Quaesitura est , quando moriens moreretur,
quum iam in morte esset, an tum etiam quum in vita foret: et quando
Borgens surgeret; quum iain staret, an tum ctiam quum sederet: et
qui artera disceret quando artifex fieret; quum iam esset, an tum quum
etiam non esset." XV'III, 2 Saturnalia Athenis agitabanius hi-
lare prorsura et modeste .... Conveniebamus autem ad eandem coe-
nam complusculi, qui Romani in Graeciam veneramus quique easdem
auditiones eosdemque doctores colebamus. Tum qui coenulam ordine
Buo curabat, praemium solvendae quaestionis ponebat librum veteris
scriptoris vel Graecum vel Latinum, et coronam e lauro plexara; toti-
demque res quaerebat, quot homines istic eramus, quumque eos onines
cxposuerat, rem locuraque dicendi sors dabat. ') Quaestio igitur so-
luta Corona et praeraio donabatur , non soluta autem tramittebatur ad
eura, qui sortito successerat : idque in orbera vice pari servabatur. Si
nemo dissolvebat quaestionis eins noraen, praemium ipsum et corona
deo, cuius id festum erat , dicabatur. Quaerebantur autem res huius-
niodi, aut sententia poetae veteris lepide obscura, aut historiae antiquio-
ris requisitio, aut decreti cuiuspiam ex philosophia perperam invulgati
purgatio , aut captionis sophisticae solutio , aut inopinati rariorisque
verbi indagatio, aut tempus item (?) in verbo perspicuo obscurissimum."
Ipsas quaestiones plus minus utiles qui cupit, is apud elegantem narra-
torem ipse cognoscat. Sed quas veterum poetarum sententias lepide
obscuras dixit, ex hoc genere plura Homerica apud Plutfirchum disce-
ptantur : cur Nausicaa non marina sed fluviali aqua sordidas luat vestes
(I, 9, a); cur Achilles ^coqÖvsqov pocula misceri iubeat, quod multis
bibacis visum est (V, 4); cur fir}lfai dylaöyiaQnoi (r} , X), cur ocXog
&sioio (I. 214) dixerit, haec prae aliis epitheta eligens; cur cum tot
liquida apud poetam commemorentur in oleo potissimum adiectivo vygöv
utatur (VI, 9) ; cum Paris se llelenam opesque redditurum promisisset,
ei a Menelao in singulari certamine victus fuerit (F, 71, 92, cf. 101),
postquam victus quidem esset sed non caesus, iustamne hanc Troiani
*) Macrob. VlI, 4 sortiamurque, si videtur, ut per ordlnera unusquis-
que proponat quam solvendam aestimet quaestionem. Flut. Symp. IX, 2, 1
f&ovq ds ovTog iv rolg MovCBiotg y:Xi]Qovg nfQicpsQsa&ai. xai zovg avlla-
Xovtas dllijlots nqoxHViiv q^tXoloya tv^tjfiara. —
de grarainaticia ivGTaTiTtotg et ?.vTiHoTg. 113
cxcusationcm pacti habuerint (l\, 13) *) ; dcniqiie utra manu Venus
a Diomede vulnerata fiierit ") (IX, 4). Comnieraoravi supra eimlas a
rcgibus ac noliilibus in litteratoriiin «j^ratiam apparatas. Ne ab Alexan-
dri quideiu conviviis doctao qiiacstioncs afiiir«se videntur. Apud Ptole-
inaeuin Heplntv-itionem IMiotius (p. 147, a. 3 Bc.) leg-orat, 8ia ji 6 noir].
rrjg Tttksiccöng tn.oirj'iE rfjt; XQorprjq räv ■ö'scöf SiciMOvovq (jU, fi2), nal riva
'AXf^Kvö^oc; 6 ßaniA£vg yal 'AQLGrOTflrjg i-ig rovro ilnov. Qiiae qulilcin
iilia occasione possunt a rege Honieri stiidiosissimo (v. Wolf pi'ol.
CLXXXIV, add. Hemsterh. Luc. dial. luort. XII, 3) prolata esse, sunt
tarnen convivali disputationi aptissima. Ad Ptolciuaeonim couvivia
pertinet narratio de quaestione a Coinano, regis pincerna, proposUa,
fragni. 3. Apiid IMutarclium (ne suav. qu. vivi p.) Epicurus suadet
»•Cgibus cpiXo^QVGQig , CTQarqymu 8iiiyrj(iuxa v.al rpoQziHäg ßcofioloxiaiS
fialkov V7iofi£VEiv iv rolg ov^inoaioig i] löyovg tcsqI fiovGiKcäv kuI not,'
rjtiyKÖv TK^oßkrjßüzwv. Macrobü narratio liaec est VII, 1, 12 (ex Plut.
II, 1, 12): „Cum regis libertus , ad novas divitias nuper erexit, phi-
lusophos ad conviviiini congregasset et irridendo eoritm minutulas quae-
slioncs sehe se velle dixisset, cur ex nigra et ex alba faba pulmcntura
unius coloris edatur, Aridices philosophus indigne fercns Tu nobis in-
quit abs^olvas, cur et de albis et nigris loris similes maculae gignan-
tur." Ilaec nos diicat narratio ad conditionem grammaticorum , qua
et ipsa factum est, ut haud facilepossint haec principum crepundiaal)ii-
cere. Scilicet reges ex quo Museis, mercedibus, lionoribus stiidia et
eruditos fovebant sustentabantqne, haud raro et doctos et doctrinam
sibi delectationi atque etiam ladil)rio esse voluerunt. Ipsi Ptolcniaei,
littei-arura studio tantopcre Uli laudati, ab liac noxa haudquaquani va-
carunt: vclut Diodorum Cronum dialecticum et Sosibinni gramniati-
cura bis derisui fuisse ex Diog. La. II, 111, Atlien. XI p. 493 s. cogno-
>imus. Postea cum liomam migrarent plnrirai atque nobiliura Roraa-
norum in domibus versarentur, pro rege uno multis regibus (sie enira
se dici volebant) serviebant, et saepe ne natis quidera, sed factis, sed
servitutis qua emerserant maculis conspersis.
§5. Satis, puto, caussarum cüllegimus , quibus quaestiunculae
jstae cultae celebrataeque sint. Roraanorum florente imperio praecl-
pue viguisse satis ex testimoniis, quibus usi sumus, apparet. Et plane
Imic rei consentaneum, quod iraperatorum Roraanorum temporibus hoc
quasi summuai et pr.iecipuum grammatici munuspostulatum atque effia-
gitatum esse invenimus, ut „omnes quaestiones possil dissolvere.'''^ Sic
Tiberium et alios iraperatores elusmodi problemata üs proposuisse le-
gimus, non ioco, quantum ex auctoribus intelligere licet, sed serio.
Suetonius de Tiberii studiis narrans (c. 70) „Maxime tarnen, inquit,
') cf. Porphyr, ad T, 276.457.
**) In scholiis similia mnlta, ut 0,328 noiog w/tog ßtßXiqTai; cet., et
Porpliyr. ib. ^v xovtoig zolg ittiai zotg tisqI zov Tivy.QOV ^rjTOVGt. noiav
XiiQdi r'cTQwzai. A,27i2, ubi Ao:amemno vulneratur: ;jj£?pa Trryv a^törj^äv.
>t«i ydg tv zcij iTrirarpioj uviGTnzai u'aovzl aycovloao&at. M, 395.
Jahrh. f. Phil. u. Puihi^. Jalirg. V. iirjc 1. ^
114 Diopntatio
curavit notitiam historiae fabularis «sque ad ineptias atqiie derisum.
Nam et grammaticos, quod geiius hominum praecipue, ut diximur:, ap-
petebat, eiusniodi ferc quaestionibus experiebatur : Qnae mater Hecu-
bae: Quod AcliÜIi uointii inter virgines fuisset: Quid Si reu es tantare
sint solitae." De Hadiiano Spartianus c. 20: „Apud Alexandiiani in
Sluseo uuiltas quacstiones professoribus proposuit et propositas ipse dis-
solvit." Iiiiperatorum vero suoruin studiu quid miium est servile lio-
minuin vulgus aeiuulatos esse? Juven. Sat. \II, 229
Sed vos saevas impoiiitc leges,
Ut praeceptori verborum regula constet,
Vt legat historias, auctores noverit omnes,
Tanquam uiigues digitosque suos : ut forte rogatu,«!.
Dum petit atit tberiuas aut Pboebi balnea, dicat
Nutiiceiii Ancbisae, nomen patriauique novercae
Aiicljimoli ; dicat quot Acestes vixcrit annos,
Quot Siculus Phrygibus vini donaverit urnas.
(Cf. Lucian. merc. cond. c. 11). Hinc acunien est epigrammatls , quod
de Valerie Catone Bibaculus scripsit, Sueton. ill. granim. c. 11
Catonis modo, Galle, Tusculanum
Tota creditor urbe venditabat.
Mirati sumus, unicum magistrum,
Suininum granimaticuni, optimum poetam,
Omnes solvcre posse quaestiones,
Unum difficile expedire noinen.
En cor Zenodoti, en iecur Cratetis.
Denique eadeni ratione Quintil. inst. or. I, 2 p. 28 Burm. „Grammati-
cus quoque de ratione loquendi edisserat, quaestiones explicet, historias
exponat, poemata enarret." Haec undique resonanf. Laudes sibi vi-
debatur praedicare nescio quis ineptus grammaticus deSatyro, cum scri-
beret (ap. Fhot. p. 151) ZätVQog 6 'JiJiaztxQxov yvcoQifiog ^r^rcc i>iaXitTO
öicc x6 ^r]Tr]Tiy.6v avTOv, et de Apollonio Dyscolo auctor vitae eius, qui
hoc cognomen excellentissimum granimaticuin reportasse dicit, ort iv
Tcts yviLvaoiaiq övökvzovg dnoQLug tltyiv ' i&os yaQ ijv rois aQXoct'oig
eocpolq il<s fvcc rönov owig^BO^cet. xai yv^vaaiag x^Q'-'^ atviyfiarcoöng
rtvag Kcd doaqjttg Xi^fig cf/xfiyyeo&ai , quamquani , si omnino noniinis
ratio a studiis repetenda erat, rectius dixisset, venisse ei hoc cogno-
men , quod homo gravis ac tristis ad iocos lususque litterarum cum
cohorte grammaticoruiii dcscendere fastidivit.
His postulatis ei respondere volebant grammatici, si magna pars
nihil inetuebat niagis quam ne quaestionibus non haberent paratas so-
lutioncs, si stndebant etiam subtiiiter atque argute, etiamsi perverse,
rcspondendo cominendare sese vel in gratiain opulentorum liorainum
insinuare, non laudubuntur quidem, sed apud aequos rerura humanarum
acstimatore» facilem liabebunt excusationem. Factum est ita : atque
haec lactantia vel alioquin parum doctos vel ingctüosos inflavit , tali
de grammaticis ivGratiKots et XvziKCig. 115
eruditione sulinixos. Gclliiis capite X libii octavi nunc dcpcrditi nai'-
raverat, iit epitoiue indicaf, ,,qnalis sibi fuerit in oppido Eleusine disce-
ptatio cum graiuuiatico qiiodaiii praestigioso, tempora verborum et me-
ditaineiita piieiilia igiioraiitc, icniotanim autcin quaestionum uliilas vt
foriiiidincs capiciulis impciitorum aiiiniis ostentante." ') Quid qiuul
etiaiu sui ostentaiidi gratia acroases faciebant publice, in quibus , ut
hoilie iiiusici solent tbeniata per vaiias tnodulationes ex tempore per-
sequentes poetaeque subitarii, extemporalcs puäccbant quaestionesV
Flut. Qu. Symp. 111, 1 : O iv 'Po'ögj gti'xov aiTTjauvti y^aftfiazivco
noioviisvü) dti^iv iv rrp ^ccctqü) nqordvaq
"E^Q fH vi'](iov &äaaov iXeyxi'OTS ^coovtcov
aSriXov u'ts 7t(X!^oiv iqjvßgiaev bi'zs ancov ■^aTo^^as**). Gell. XVI, 6: Re-
deuntes Graecia Brundusiura navera advertimuü. Ibi quispiam linguae
Latinae litterator Roma a Brundusinis accersitus cxperiundum scse vol-
go dabat; imus ad eum nos quoque oblectaraenti gratia .... Legebat
barbare insciteque Virgilii septimum : in quo libro hie versus est :
Centura lanigeras raactabat rite bidentcs :
et iiilebat rogare se, sl quis quid omniuni rerum vellet dicere. Tum e^-o
indocti liominlä cuniidentiam demiratuä Docesne inquam nos, magister,
cur bidentes dicantur? — liinc factum est ut eiusmodi quaestioncs
litteiati in docta adversaria referrent. Narrat Gellius (XIV', 6) „liomi-
nem in litterarum cultu non ignobilem magnamque aetatis partera in
libris versatum" sibi in Noctibus suis adornandis occupato librum gran-
di volumiiie obtulisse, iit inde peteret si quid memoria dignum inveni-
ret. Gloriabatur vero esse istum librum „omnigenis doctrinis prae-
scatentem atque ex multis et variis et remotis lectionibus sibi elabora-
tum." Gellius l'benter accepit: at pro auro carbones invenit: maxi-
miim enim partem collcgerat spinosas et miuutas quaestiones. Ivx iis
igitur, quae se ibi invenisse dicit, nonnulla band scio an magis Gellius
contemnat, quam fas sit grainmatico : invenit tameu et haec: quam ob
causam Tclemacbus cubans iunctim sibi cubantem Pisistratum non ma-
nu attigerit, sed pedis ictn excitarit (o, 45) ; quae nomina fucriut so-
ciorum Ulixis qui a Scylla rapti laceratique sunt; ex quinque operimen-
*) Qiii meminit quid „ovrag ypo'^^UKrixoJ'" significet apud Sexf. Em-
pir. adv. Gramm, c. 13 § 277, conredat mihi talium, quales hie Gellius de-
pingit, vanitate philosophurum t'astui cgregie subventura esse.
**) Conf. Plut. Syiiipos. Qu. IX, 5 in. ravta toj)s aXXovg anavtaq j}-
8iQvg iTioirjae, ^övov dh ygafi/xaTfudv "Tlav 6 QrjtcoQ ZoioTciq ogcÖv dno-
ciojTtoSvva nai ßaQvftvi.iovfiivov (ov tcccvv yciQ evrjiLi-QrjGiv iv rocig inideC-
^iCiv) - . Gel!. X\ III, 5 ,,PiUeo!is Jiiliano nuritiatui-, ärßyt'cocr/jv quendam,
non indoctum hoiniiiem, voce admodum scila et canora Ennii annales le-
gere ad populnm in theatro. Eauuis, iiiquit, auditum nescio quem isitnm
J<JnnJani:itam : hoc enim »e ille nomine appellari volebat." V. Casaub.
SuetoD. ill. gr. c. 2. — Cetcrum a ridicula auditorum cavillaiione ve-
teres quidem sophistae, [.lurimoium summa admiratione accepti, s,ibi ca-
vere potcrant, ut Gorgias u Chatrci-honte elutu", v, Foss. de Gorg. p. 27.
8*
116 Dioputatio
tis, quihiis Acliillis cliipeus moenitus est, quod factum ex auro est sum-
mum sit an raediuni, Y, 2G9. Hi ipui versus sunt quos supra notavi-
raus secundnm scholiastae sententiam fictos esse vnö rivog rcov ßovXo-
fiivcov nQoßXrjfia noulv. Quod vero ideni addit, id nunc ad rem no-
straiu facit. Dicit cnini: fVa bs fii] öoarj Xvatcoc ri hlQriv.ivui (leg. 17710-
Qiq-üBvai) v-al ÖLCi rouTo rj&itrj-KSvcit (prjai — Ergo si vel Aristarclio
(hie enini significatur) et illis temporibus aliqnando comnioduni visuni,
cavere invldiam quacstiones postulantiuni, quid postea et a niedlocribus
factum esse putabimus?
Ad idem Studium quaestionum pertinet quod in recentioribus non-
nullis commentariis invenimus explicationes atque observationes etiam
graves et utiles ita tarnen verbis concijji, ut formam iustae quaestionis
ac solutionis referant. Hoc quäle sit duobus exerapüs , uno Graeco,
altero Latino illustrabo. In Servii commentariis hoc feclt is, a quo
codex Guelferbytanus I adoinatus est. E. g. ad Aen. 111, 55 legitur
in commentariis vulgo : „Obtruncat, occidit intellige. Nam obtruncare
proprie est capite caedere." Sed in cod.Guelf. I additum : „Quomodo
obtruncat, cum sit hastis interemptus? Solvitur: quia veteres plerum-
que truncum pro unoquoque genere interemptum dixerunt, obtruncat
ideo est occidit." Item ad III, 70 in commentario legitur vulgo sie:
„Auster autem pro quovis vento." Sed Guelf. I: „Quomodo Auster
ex Thracia, cum lenis sit? Solvitur: Auster pro quolibet vento acci-
pimus. " *} Ex Graccis exemplum esto hoc: Ad llesiod. Theog.
139 — 143
yiivaro 8 av Kvy.Xconaq vnegßiov rjvoQ txovzag,
Bqovttjv t£ Zrsgönrjv t£ Kai "AQyrjv oßgifiöd^vfiov,
Ol Zrjvl ßoovTT]v r töoGav rev^dv zs neouvvov,
o't d^ TOI xä fiiv alXa ■O'fois ivaXiyxioi rjaav
in ed. Trincav. hoc scholion legitur: ol d^ zot] KqÜttjs avtl tovtov uk-
ZOV 6TIX0V TCaQCCtluSZCCt,
Ol 8 t^ u&c.vccTcov d'vrjrol xQÜcpiv av8i^evTES-
Tiäg yuQ Tovs ccvTovg &£oig ivaXiynlovg Xtysi y.al iv rm rav AevKimiiScSv
Kataloyo) vTto Anölkwvog ävuiQtia&at, noitl ; ^'H ort ov Ttüvrai: rovg fcx
TcJüv &£(av ycyovotag a&avuzovg tlvai cvfißaivfi, aj'g cprjaiv HaloSog.
Ev yuQ Tolg t^rjg F'rj^vovrjv 9vT]tbv ovxa XqvaäoQog livai 7jyti Ttal-
Sw 6 Ss XqvgÜcoq MaSovoijg iqv. IJojg öl aal uvxij rj MiSovau avai-
Qilzat v(p HQUKlsovg xai ö'ÖQ&Qog kvcov vit d&aväxcjv yavvTj&svxsg.
H ort xarct kuXIos kocI ^isysQ'og •öeotg svaXiyniot TjGav. Hoc non con-
tentus qui idem scholion scripsit in cod. Victoriano aperte ante verba
) Idem homo in fine gecundi libri quaestiones tertii colligere coepit:
„Incipiunt quaestiones Hbri tertii" (p. 17fi Lion.) : et si quaestiones dein-
ceps^ pr<ipositas ujspicios, invenies ex Servii commentariis excerpta sed ma-
gis in foiniam quaestionis redacta esse. Cf. ex eodem genere III, 203«
276'. 341. 3T9. IV, 399 (d. 38«) . 545. ö55. V, 410. 493. cet.
de gramniatlris iveTuriyoig et XvrivoTs. 117
nmg yccQ ccvrovg posuit ,,d7toQia," aiile verLa ^ ort „Xvaiq": item anle
verba nrng Ss xai avt)] „aTiogfu", ante 7] ort ,,XvGig.'^ v. Werfer Act.
phil. Mon. 11 p. 500. Sic igitur placebant sibi in nectendls nndis, ut
iion mirum sit quaedara inventa esise, quibus äolvendis se iiiipares pro-
fiterentur. Lege mihi hacc Servii:
Aen. IX, 3fi3: Sane sciendura est locnra hunc esse tinum de XII
(al. XIII) Virgilii sive per naturam «bscuris sive iiisolubilibus sivc eraen-
dandis sive sie relictls, ut a nobis per historiae antiqiiae ignoi'antiam li-
quide non Intelligantur. Ib. 412 : Sciendiim tanien locuin Imnc uiuiin
esse de bis, quos insolubiles diximus siipra. XII, 74 : Sciendura tarnen
est locum hunc unam esse de insohibilibus XII (aliquot codd. XIIIJ,
quae habent obscuritatera, licet a multis pro captu resolvantur ingenii.
— Quibus quid in Virgiliano carinvne pro excusatione fuerit , appaitt
ex V, 626 „Ergo constat quaestionem hanc unam esse de insnlnbilibus,
quas non dubium est emendaturum fuisse \ irgiiinm." Quod non fc-
cisset Virgilius in locis ad explicandumnisiargntias captanti non inipedi-
tis. Quare bis quoque in locis melius fecisset Servius , si , ut nonnun-
quam facit, superfluas quaestiones dixisset. E. g. 111,203 „ünde su-
perflua est quaestio eorum qui dicunt." III, 332. M, 140. Ex Grae-
cis, qui nobis servati sunt, coramentariis Homericos suos quaestionibus
et solntionibus undique non sine doctrina collectis refei'sit Porphyrius,
ut qui Scholia Horaerica cod. B (haec enim Porphyi-ii sunt paene
omnia) evoherit, \'j optiraum habcat exeraplum, qua ratione in hoc ge-
nere eruditi alioquin grammatici usi sint. Hoc in illis notablle , quod
apparet negotium dissolvendi ad artem redactum fuisse. Sunt enim
certae rationes dissolvendi, quae plerumque adhibcntur : et saepissirae
quidem solutio fit £h ngoacoTiov, tK Xi^^cog, in kkiqov, rona, i^&fi. Et
est haud dubie hoc artüicium vagura negotium regulis quibusdam ad-
stringendi, quo facilius fiat, *) antiquissiraum. Primum Aristoteles so-
pbistarum elenchis certa solvendi genera opposuit suisque norainibus
insignivit, quae legi merentur art. poet. XXVI. Deinde ne in Sosibio
quidem dubitandum est, quin certo quodara artificio et nomina, quibus
in dissolvendiä difficultatibus identidera uteretur , constituta habuerit,
quamquam fortasse ab iis , quae postca voluerunt, divcrsa. Kam in
fragmento ex eins opere, Athen, p. 493, d, postquam quaestionem posuit,
addit „TOVTCov TOi'vvv oVTcag HcczrjyoQOVfifvmv ri] avaarQOtpij iqriGÜ^svoi
dnoXvofisv rbv Ttor/jTi^v."' Fuit igitur rj avaazQocprj ex illis solvendi
rationibus, quas sole])at adhibere. Atque eins genus solvendi insigni-
tum fuisse apparet ibidem ex ratione, qua a Ptolemaeo elnsus est, qui
jpse in eo irridendo Lupta quadam soiutione , quam illc adhibere sole-
bat,^ usus est. —
*) Idem consillnra ae:nn?co in pracscriptis Servil, ut hominum nomi-
na non no^ninata poiicnda sint. Aen. IX, 302. Cf. I, 71. 171. Juvmalis
et Snetonii loci sin>ra alhiti ostendunt, horam nominnui scientiae Koma-
norum principes avidos fuisse.
118 Disputatio de grammaticis hözaziKolg et IvTi^oTg.
§ (i. Superest, ut Hbellos , quos quidera no\imiis , qui in solis
ditisolvendis quaestionihuä occupati erant, comraeraorenius, q>ii pro au-
ctorum iiigeniis haiul diibie plus minus spiuosi erant, nonnunquam quae-
stionuiu ac soiutionuin nomine ac forma nccessarias atque praeclaras
commentationes contincbant, cum aevo posteriore in ipsis coramenta-
riis explicationcs ita plerumque proponi videamu^, utincipiant ötd tl...,
Scripsit Aristoteles anoQr^fiaza. vel ^7]Trjij.ccTce vel noopkijiaxu OfirjQmcc.
l'lirvn. p. 225 ßaaiXLßaav 'AXKalöv (pccav zov KcoixaSonoiov Kai 'AQiozotiXriv
kv Tols 'OfiTjQi^olg dnoQT^ficiCiv iiQTjKhvcii. Rcliqua testimonia vid. ap.
Lobecliium et Nunnesium 1. 1. cf. Ruhnlt. de Longin. § 14. Saepis^ime
Aristotelis 'Oi^rjQiKU ^rjxi^fioiza a Porpliyrio in commentariis Iloraericis
afi'eruntuv \\t , si quidem ea genuina sunt, band contemnentla ex hoc
libro hodie exstent fragmenta. Sed equidem nondum potui mihi per-
suadere, iion subdititio libro usiim esse Porpliyrium. Tarn omnia ei
commemorata ieiuna sunt atque ab Aristolelis ingenio et doctrina alie-
iia. Denique cur a comraentatoribus lloraericis rcliquisque Homericas
quaestlones tractantibus, ut Plutarcho , hie über nunquam ad partes
vocatus, a solo Porpbyrio adscitus? Post Aristotelem commemorandae
lleraclidis Pontici Ivoti? 'OfirigiKc/i, Diog. La. V, 88. Specimina sunt
Schol. II. B, ()4y. r", 236. Deinceps comraemoretur illud volumen, in
quod teste Porpbjrio Ä^, 274 Alexandriae quaestiones propositae uiia
cum solutionibus relata sunt: de quo scite dictum est Wolfii p. CXCV".
Proximi sunt Zeno, Stoicae disciplinae auctor , et Athenodorus. Ille
ecvxpAt'OfiTjQLKäv TiQoßXrjfidzcov libros quinque, de quibus v. Menag. ad
Diog. VII, 4, Arati frater Athenodorus scripsit fwntra Zoilura. Arati
vit. 111 ap. Buhl. T. II p. 445: dÖilcpovg ö' taxs Avqtjv zs val KalXiö-
duv aal 'A9r]v6dwQOv , ov cpTjOiv Kv cp o av co q dvttyoäipcri. rrgog rüg zov
'Lwtlov ^azriyogiag, Fuit cum putarem Athenodori nomen pro Zeno-
doro reponendum esse Schol. ^,22, ubi Zoilus a Zenodoro refutatur.
Sed intellexi non necessarium esse: inimo verba , quae ibi sunt, acn
aiXas Gvv)',&r) zavza tcj t£ ßia declarant , hoc petitum esse e Zenodori
libro TtiQi zTJg 'OfiiqQov avirj&eioig (seh. Porphyr, ad Z, 356, cf. ad P,
2(i3 *). Tum iunior Zenodotus, cuius Xvai^ig OfirjgLKOöv anoQrjfioizojv
J*uid. commeraorat. Schol. Ap. B, 12. F, 23G. — Soterldas — an
Socratidas, Suid. Uctiicpiliq — maritus Paraphilae, scripsit t,r]zri6Sig
'Our]giyiäg, Suid. s. v. Vixit is igitur sub Kerone ; haec enim Paraphi-
lae aetas est (Phot. p. 119 b. Be). — Diogenes Tarsensis, ysyQacpajs
TTtQi noiTjZfucöv ^v^zrii-ittzcov , a Ivsiv STtiXitQti, D«f>g. La. VI, 81. — ■
llephaestio, qui Verl praeceptor fuit, xw/Uixcai' aTiogr/fiazcov kvofig et
ZQnyr/.dg XvGnq, Suid. — Dionysius Longinus , cuius UTrogrifiaza O^rj-
giMÜ Suidas commemoravit. Cf. Rulinken. de Long. §14: qui cum
putat quae de %ersibus quibusdam Homeri a Longino pro spurüs habi-
tis leguritur apud Eustath. p. 67, 20 et p. 106, 30 ex hoc libro fluxisse,
') Falsus Suidas, qui hoc opus adscribit Zenodoto Alexandrino. Idem
irrur lu^uiiiiib in t:iid. Leid, ud 2^, 356,
Ueber den Cod. Voss. 2 zu Xenoplions iVIeiuorabillcii. 119
mihi errave videtur. Haec enini rlietorica sunt et in lihro quodaiu
rlietorico positu fuisse vcri^imilius. Eiusdem Longini über a Suida
recensetur Ttgoßkrj/icita 0(.h'iqov xal Ivcftg tv ßißXiotg ß' : at is ego non
dubito quin cum priore unus idenique Über fuerit: sed cum utroque ti-
tulo liic über, sicut Aristotelis, circumferretur, Suidas deceptus est. —
Porphyrii ^rjtrjfiata 0/u.r}Qiyi(x: qui lil)ei' liodie exstat, sed quibusdani
quaestiouibus suppleri debet ex scboliis Homericis cod. B. Idcm Por-
pliyrius scripsit öiififtfura '^rjtr](iciTci , Siiid. — Pertinet quoque haud
dubie ad hoc genus scriptorum quod in schol. ad B, 308 comniemora-
tur zJiovvoiov (nescio cuius) anoqa: nam hoc vox significat. INicanoi'
in schol. A, 166: ovraij IvO^rjOsrai xb iv xtS xonat rivrco änoQOV. cf. Z,
326. K,2H. Tzetz. Ex. II. p. 51. Gell.' XVI, 3. — ' Herodiani tiqq-
räffft?, quanim solutiones scr ipsit Orus (^IvöitsTCQordGfcov zcov HQcodiavov,
Suid.), qui hominis studia cogiiovit facile concedet de abnormi orttio-
graphia, prosodia, similibus fuisse propositas. — Ex Latinis huc per-
tinet \alerius Probus, de quo Sueton. illustr. gr. 24: „Pauca et exigua
de quibusdani minutis quaestiunculis reliquit.''
His absolutis fragraenta ab initio posita circumspiciam. Ex bis
prima et quarta solutio in commentariis fuit, secunda et tertia ex con-
■viviorum colloquiis fluxerunt et vel Alexandrino illo Thesauro Quaestio-
num Graramaticarum vel discipulorum memoria servatae sunt. Utram-
que esse iocosam , facile apparet in Aristarcho (§ 3) : tertia facete ex
usu loquendi repetita, secunda ad acerham quaereutium irrisionem facta.
Regimoutii Prussorum.
Lehrs.
Zur Wür digung des sogenannten Codex Voss. 2.
in Ernestis Ausgabe der Xenopho?iiischen Memorahilien.
Hr. Prof. Bornemann hat in seiner grösseren Ausgahe der ge-
nannten Xenophontischen Schrift Zweifel , freilich nur Zweifel gegen
die bisherige Annahme geäussert , dass der sogenannte Voss. 2. eine
■wirkliche Handschrift sei. Ich nehme davon Veranlassung, die nach-
folgende Beschreibung des Cod. Monae. 495 (chartac. olim Augustan.,
nach IIai*dt sec. XV, in Quart) mitzutheilen.
In dieser Handschrift finden sich ausser Anderem von p. 124 an
einzelne Stücke aus Xenophon in folgender Ordnung: 1) Mcinorab. 1,1,
6—10. 2) Memor. 1, 1, 13—15. 3) Memor. 1, 2, 4—7. 4) Meraor.
1, 2, 23 u. 24, nebst § 19—21, 6q(Ö — intXaQ-ia^ni. 5) Memor. 1, 2,
30, xov 61 — XiO-oiq. 6) Memor. 1, 2, 32 , ilni nov — nöksmc. 7)
Memor. 1, 2, 42 — 44, xi tcxL vofiog — niQMei-g,. unter dem Titel niQl
vöfxov. 8) Memor. 1, 3, 2 — 14, tjvj^^zo — uwqoxÜtcov, mit Auslassung
Ton § 4, unter den Titeln thql 'Qvöicöv, nsQt dicciTTjS und nsgi acpQO^
Siaccov. 9) Memor. 1, 4, 8 — 18, yi]g — sntfiiXsto&KL , mit Auslassung
von § 16 und von /,"'' fii-vtoi — aviißovXsvfLV §18, unter dem Titel
»£^ örmiovqyov zov dv^QÜinov Kai zfjs itfiovoias avzov. 10) Meuior
120 Ueber den Cod. Voss. '£ zu Xenoplions Memorabilien.
1, 5, 1 — 4 und 2, 1, 21 — 33, cprjal yccQ — KSKTTJad^at, unter dem Titel
TitQt iYKQCCTslcig. 11) Memor. 4, 3, 3 — 18, sine (loi — nciQhay.ivce^ev,
unter dem Titel Ttiql tijg ttqo rifKav TiQOvolag. 12) Xenophons Hiero
ganz. 13) Memor. 2, 1, 20, Xsyei Si tiqv — %£oi. 14) Memor. 2,
3 ganz, unter dem Titel nEQi KÖiXtpözr}tog. 15) Memor. 2, 4, 1, ^-
v,ov6a — 8iaXsyo(.i£vov, dann §5 — 7, nolov allo Y-xiH-ia — i7ti(itXovzcci,
und c. 6, 1 — 39, cpilov ci£ ^rjrjrtov n^ärov filv oorig uQin — Xtyoifi
civ, mit Auslassung von § 15 — 17 , scoqwv — KQirößovlB , ort , von §
21 — 24, xa öl TtolffiiKU — KOtvcovovg tivai, und § 25 — 30, rtörfgov —■
Xiytiv, unter dem Titel nsQi q>il[ctg. 10) Oeconom. 4, 19. 17) Memor.
.2,7,13 — 14, cpaal — nQotL[icio^ai, unter dem Titel fivd'oi. 18)
Memor. 3, 13, 2 — 14, 7, aXXov 8s Xtyovtog — dvTSTi&fi C=>ic!j, mit Aus-
lassung von c. 13, 5, ;!fa(Jt6örf50i' — öäc5, und c. 14, 2 u.3, Xoyov —
o ZcoTtQCCTrjg, kkI, unter dem Titel ix. zcov dnofitrjuoviVfiaTo^v. 19)
Conviv. 2, 9 u. 10, Kai d Ucohq. — EiQr^a&cct. 20) Conviv. 2, 23 — 3,1,
ev cvfin. — lyfiQeiv. Hier haben vir also wirklich eine Handschrift,
die, Mie Ruhnken. ad Memor. 4, 3, 8 den Voss, 2 nennt, ein codex cx-
ccrptorum ist. Auf sie passt ferner die Beschrelliung , die Einesti von
dem Voss. 2 macht: posterioris cxcerpta in Ubro tertio desinunt. Denn
das Stück aus 13. 4, 3 ist nicht das letzte , sondern das Stück ans B. 3,
13 und 14, und die Lesarten aus B. 4, 0, 5 u. 10, die Herr Bornemann
dagegen anführt, Averden bei Ernesti und Schneider dem Voss. 1, nicht
dem Voss. 2 beigelegt. Sie enthält auch alle die Stellen, an denen
Ernesti in der fünften Ansg-abe Varianten aus dem MS. 2 anführt, und
die Herr Bornemann Praef. p. VII sq. zusammenstellt, ausgenommen
B. 1, 1, 20, wo aber auch nach Ernesti ovdinors nur die MSS. V oss.
Vindob, i. e. V'ossianus, Vindobonenses, nicht, wie es bei Schneider
heisst, libri Vossiani et Vindcb. haben; denn Ernesti nennt seinen3IS.
2 nirgends V'ossianus, was er ja auch nicht ist. Es fehlen ferner die
Stücke 1, 7, 5 und 2, 0, 21. An beiden Stellen sind aber weder von
Ernesti aus dem MS. 2, noch von Ruhnken aus dem codex exccrptorinn,
quem apud V. Ampi. Ger. Meermannum evolverlt , Varianten angeführt,
sondern allein von dem letzteren aus den Exe. Voss, und dem MS.
Leidens. Auch in den Varianten ist übrigens ZM'ischen dem MS. 2 bei
Ernesti und dem Monac. 495 eine grosse Uebereinstimniung. Ich hebe
nur folgende ans: B. 1, 1, 9 dd-tuLzu ; 1,1,14 dTcoXuo&aL; 1,2,20
!i'Qyovaiv ofiatg ano räv TtovrjQCov ccvQ'Qcöjtayv und zmv noirjziev o Xsyoov ;
1, 3, 2 T]vxSTO und zciyaO^u ; 1, 3, 0 vniQ zbv kÖqov und scpvXazzi ; 1,
4, 13 (welche Zahl bei Ilei-rn Bornemann ausgefallen ist) tv^cpvoav —
^ihv zbv — övvzä^avza — ioziv; 1.4, 14 dijcpoztQOV und § 12 zavzce^
1, 5, 2 (bei Herrn Bornemann aus Versehen 1, 0, 2) za^xielcc; 2, 1, 24
T] xi daovaag ausgelassen; 2,1,28 läQoöai; 2,1,30 tctvzijg; 2,1,33
aTtoXsinovztg. Auch der von Ruhnken und Ernesti angeführte Zusatz
zu B 4, 3, 8 findet sich fast ganz gleichlautend. Die Abweichungen
sind unbedeutend, und besteben zum Theil bloss in V ernieidnng von
Fehlern, die sich in dem Meernianniscben Exemplar finden. Am merk-
würdigsten scheinen mir die folgenden: 1, 2, 6 dnexofji^vog , nictb
M i 8 n c I 1 e n. 121
oi-nfxoiJLivovq; 1, 3, 11 ri aQ ol'ti, nicht ri av oi'fi; 1, 1, 9 Sniuöviov,
nicht dctipLovcov; 1, 3, 10 l)iipoKi'vSvvov, nicht i)iJpo<'ivÖvvov ; 1, 4, 9 rä
t)f vntQ^syf^i], nicht raöf to: vnsg/ifykQrj , Avie Herr Bornemann vcr-
muthet; 1, 3, 13 {>fär«t, nicht ^iäattnit; 2, 1, 25 ov tpoßog, fjrj as
aTrivyäyo), niclit depößcog /ntv ccnäym; 4, 3, 9 nr^ywzn, wie auch Ernesti
citirt, nicht TiTjyvoiTO, was ein Druckfehler hei Schneider ist. Es feh-
len ferner nicht die Worte &tovs &iQantvov6i 1, 4, 13 und xal —
affHTjrtov 2, 1, 28.
Tiihinffcn. Dr. Finclih.
Mise eilen.
J^s scheint in der That nothwendig', sich hei Zeiten gegen ein Unwe-
sen zu erltliiren, welches, aus guter Ahsicht hervorgegangen, deiuioch
den edelsten Sinnen des Geistes und Körpers, dem Geschmack und dem
Auge, gleich zuwider ist. Nachdem llr. Teuhner die zur neuen Aus-
gahe des Phito bestimmte Schrift dem Gutachten der Käufer unterwor-
fen und nach diesem Gutachten zurü(;kgenommen hatte, begegnete uns
dieselbe Schrift , Avelche wir für immer der Vergessenheit überlassen
glaubten, von neuem in der Anzeige von Jacobs AcUan: und kaum hat-
ten wir unsern Widerwillen überwunden und um der gewiss trefTlichen
Bearbeitung willen den Text, welclien wir in dieser Ausgabe niemals
lesen können, eben eingenommen, da erschienen uns dieselben Ge-
spenster wiederum in Thucydidis de hello Peloponjicsiaco libri oclo ad
optimorurn librorum Jidem edili cum varietate lectioiiis et editorum adno-
ialionihus. Frankof. a. M. Sumptibus librariae Broenneriae. lieber
den Geschmack soll man nicht streiten; nämlich weil man den Sieg
nicht erzwingen kann: allein dass vor dem Auge diese Schrift nicht
steht, sondern schwimmt, und dem Auge höchst schädlich u. schmerz-
haft wird, kann niemand leugnen. Wie anders ? Denn hier ist kein
Gesetz und keine Regel, weder in der Stellung der Buchstaben zu ein-
ander, noch in dem Verhältniss der starken und dünnen Striche. Vor-
herrschend ist die unangenehme und verkehrte Richtung von links nach
rechts : aber nicht einmal diese gleichmässig und stätig. Denn meh-
rere Buchstaben stehen ganz gerade, die Akzentzeichen aher neigen sich
von rechts nach links. Während nun z. B. der Nachen des v von wer
weiss welchem Sturme auf die linke Seite geworfen ist, ist der darauf
stehende Mast von einem entgegengesetzten VVindstoss rechtshin gebro-
chen. In dem Worte afia (S. 41, fi) machen die rüstig vorwärts stre-
henden Akzentzeichen neben dem rücklings gelehnten schwerfälligen
fi daneben den Eindruck vom fliegenden Strauss: ,,ich ivlU fliegen."
In KvQiv&icov (40, C) wundert man sich über das phlegmatische i, wel-
122 M i 9 c e 1 1 c n.
ches in der rüclilings gelehnten Gesellschaft steif und grade aufsteht,
vährend das v alle Miene macht, ihm ein Auge auszustossen. Das
(, weil e» Avidernatürlich da» starke Ende nach oben kehrt, sieht, um
die Wahrheit zu sagen , dem am ähnlichsten , Avas man hei uns einen
Plumpsack nennt: kurz man entdeckt an jedem Buchstahen eine Lä-
cherlichkeit, wie es hei einer Sache ohne Regel und Zweck nicht an-
ders sein kann. Und um dieser Chimäre willen soll man sich in Ge-
fahr setzen , sein Gesicht einzuhüssen ! Indessen es wird sich jedes
gesunde Auge dagegen sträuben , und es braucht Arol weder im Scherz
noch im Ernst ein mehreres darüber gesagt zu werden. Allein auf-
merksam darauf zu machen wurden wir veranlasst, weil die verdiente
Bröiuiersche Buchhandlung ein Corpus Scriptorum beabsichtigt, wel-
ches, mit diesen Lettern gedruckt, doch schwerlich für uns allein eine
verbotene Frucht bleiben würde. [Ein Philologe.]
Die in Paris hei Delalain erscheinende Sammlung der Juteurs La-
uns et Grecs , expliques en fran^ais , suivant la methode des Colleges, par
deux traductions , Vune Uttcrale et interlinealre ^ avec la construcllon du
laiin ou du grec dans l ordre naturcl des idees; Vautre conforme au gcnie
de la langue fran^aise, precedee du texte pur et accompagnee de noles ex-
pUcatives, d'upres les principes de MM. de Port-Royal, Dumarsais, Beauzee
et des plus grands maitres [ Jbb. X , 45J). ] , w eiche nach und nach alle
Griech. und Itöm. Classiker umfassen soll, ist bereits zu einem bedeu-
tenden Umfange angewachsen, und es sind bis jetzt erschienen: De-
mosthenis oratio pro Corona, übersetzt und erläutert von Beleze (8 Fr,
50 C), oratt. Olynthiacae von Frederic Prieur (jede 1 Fr. 50 C); Euri-
pidis Hecuba von Ph. Lcbas (4 Fr.); Aesopi XL fabnlac von Boidenger
(3 Fr. IbC); Ilomeri Ilias von Geruzez (Gesang 1 — 6. 13 Fr. 15 C);
Isocrates ad Demonicum von Boulenger (3 Fr. 15 C._) ; Luciani dialogi
mortuorum von Boulenger (6 Fr.), Charon von Gail (3 Fr.), Soninium
von Gail (3 Fr.); Piatonis Apologia Socratis von Mottet (o Fr. 50 C.) ;
Plutarchi Vita Marii v. Genouille (4 Fr. 50 C); Sophodis Oedipus Rex
von Geruzez (4 Fr.) ; Xenoph. Apologia Socratis von Beleze (2 Fr.) ,
Cyropaedia, lib. I, II, von Rhally (SFr. 50 C), respubl. Lacedaemo-
niorum von Gail (3 Fr.); Ciceronis orat. pro Ligario von Fred. Prieur
(1 Fr. 50 C.) , pro Marcello von Masselin (1 Fr. 50 C), pro Milone v.
Fremont (3 Fr.), in ditilinam I — IV von Kornmann (6 Fr.), in Ver-
rem de signis von Fremont (4 Fr. 50 C), in Verrem de Suppliciis von
Rene Pugin (4 Fr. 50 C); Cornelius Nepos von Masselin (3 Fr. 50 C);
Horatius von Masselin (Ars poetica l Fr. 50 C. , Epistolarum 1. I 2 Fr.
75 C, Odarum 1. I et II 2 Fr. 25 C, Satirarum L I 2 Fr. 25 C); Ovidii
selectae fabulae von Masselin (3 Fr. 50 C.) ; Persii satirae von Stinger
(1 Fr. 80 C); Phaedri fabulae von Bourgeois (1 Fr. 50 C.): Quintus
Curtius von Fremont (4 Fr.); Sallustii Catilina v. Masselin (3 Fr. 50 C.)
und Orationes selectae von Musselin und Rene Pugin (2 Fr. 75 C.) ; Ta-
citi orationes selectae von Delaistrc (4 Fr.); Virgilius von Fremont (Bii-
cülica 3 Fr., Georgica 4 Fr. , Aeneides 1. I, II et VI 7 Fr.). Dazu ge-
M i 8 c e I 1 c n. 123
börcn auch noch Selectae historiae e profanis scriptoribiis , 1. I et II,
hearbeitet von MasseUn (3 Fr.), Lhomondi Appendix de diis und Dpi-
tonie historiae sacrae , l)eaibcitet von Frcmont (jedes SFr. 75 C.) ; des-
eclbeii de viris illiistribiis iirbis Itoniae von F'n'mont (4 Fr. 50 C.) ; der
Catechisnius historicus minor, vt»ii fidal (3 Fr.) und Giraudeau's Car-
men Graecum de Ulysse, von Sotitra (4 Fr.).
In Paris bei Firmin Didot erpcheiiit aufs Neue die Collectlon des
Antenrs Lulins, jmblics et collationnes sur les manuncripts de Ja IJlbliothc-
que du Hoi , par F. G. Pottlcr (in gr. 8.), deren erste Serie in ü Bänden
Vir<2;ilius, Horatins, Catullii» et TibuUus , Fropertius, SaUnstius und
Caesar umfassen soll. Der erste Band des Virgil wurde am ISteu INov,
vor. J. ausjj^egeben und von 14 zu 14 Tuj^en sollte allemal ein neuer
Band fertig seyn. Der Subscriptionspr. für jeden Bd. ist 2 Fr. 25 Cent.
Bei Henri Didot in Paris ist vor kurzem ein Horatins erschienen,
der an Kleinheit nnd rsiedlichlteit der Lettern alles übertrifft, was bis
jetzt darin geleistet ist. Das Bändclien, welches sämmtliclic Werke
des Dichters enthält, hat nur einen Zoll Länge, und der Druck ist so
klein, dass man die Buchstaben mit blossem Auge oft nicht zu unter-
tscheiden vermag. Das Journ. gen. de la litt, de France räth den Be-
sitzern desselben, diesen Diamant nicht in ihrer Bibliothek aufzustel-
len, wo er leicht verloren gehen könne, sondern ihn in ein Schmuck-
kästchen zu ihren Kleinodien zu legen.
In Petersburg hat gegen das Ende des vor. Jahres der Staatsrath
und lütter Friedrich v. Jdelun^ einen J ersuch einer Literatur der Sans-
krit-Sprache herausgegeben, worin ersieh sowohl über die Benen-
nung, den Ursprung nnd das Alter, die Denkmäler u. Schrift derselben
verbreitet , als auch die über diese Sprache erschienenen Schriften und
die AHSgiil)en und Ucbersctzungen der Schriftdenkmäler aufzählt, eine
Vergleiclumg des Sanskrit mit andern Sprachen anstellt , überhaupt
alles nachweist, was von der Sanskrit - Literatur bis jetzt bekannt ge-
worden ist.
Zu den sonderbaren Nachrichten der Alten gehört, was Josephus
Antiquitt. 111, 18 und de hello Jud. über die Fische des Sees Geneza-
reth sagt, nebst der Bemerkung, dass Einige die Quelle von Caper-
naura für eine Ader des Nils gehalten hätten, weil sie oft Fische her-
ausbringe, welche dem Cor.'.cinus des Sees von Alexandrien gleichen.
Indess haben doch neuere Reisende Aehnliches beobachtet , und Ilas-
eelquist bemerkt geradezu als etwas Merkwürdiges, dass die Fische des
Genezareth dieselben sind, welche man im Nil findet, z, B. der Char-
inuth, Silurus, Boenni, Mulsil, Sparus galilaeus etc. — Auch die
von Josephus Antiqq. XIII, 15, 4 erwähnten Eichen Palästinas, deren
Vorhandenseyn oft geläugnet worden ist; hat Buckingham daselbst ge-
funden (vergl. Ethnograph. Archiv Bd. 11 S. 305.), und man darf da-
124 Schul- und Universitäts nach richten,
her weder das von Ileseklel 27, 6 erwähnte, aber missverstandene,
Eichthal länger in Zweifel ziehen , noch dem Ovidius es als Fehler an-
rechnen , wenn er Metaiu. XV', 396 Eichen in Faläätina erwähnt.
Der Verweis , welchen das Kön. Baierische Ministerium im Jahre
1828 dem Prof. Dr. Ilainer in Aniherg wegen seines Programms, Ob
(las Princip des Protestantismus oder des Katholicismus der Philosophie
mehr zusage, ertheilte und die an alle Stuclienanstalten erlassene Wei-
sung, sich künftig solcher polemischen Ohjecte in Scluilprograraraen
zu enthalten [s. Jhh. VI, 368.], hat den Professor der Theologie am
Lyceum zu Aschaffenhurg und Doctor der Pliilosophie lllig nicht ab-
gehalten, 182J) ein Programm Uebcr das J erhältniss der Vernunft zur
christlichen Offenbarung herauszugeben , worin er nicht allein behaup-
tet, dass der Vernunft bei der Bestimmung der positiven Lehren des
Cluistenthums kein positives Recht der Entscheidung zukomme , son-
dern auch, dass nur die Entscheidungen der Römisch- katholischen Kir-
che die richtige Erkenntnis» der positiven Lehren des Christcnthums ge-
ben, und dass alles freie Prüfen und Forschen in der heiligen Schrift,
ungeleltet von der katholischen Kirche, ungebührlich und verderblich
sey. Die Anmaassung der Vernunft [welche übrigens von dem Ver-
stände nicht geschieden ist, da auch d.is blosse Denk- und Combina-
tionsvermögen f'crnunft genannt wird ] , über das Christenthum unge-
bührlich zu forschen, hat von jeher die grössten Ketzereien in der Kir-
che erzeugt und grosses Unhell gestiftet, dessen traurige Folgen sich
besonders von den Zeiten der Reformation an offenbart haben. — Mehr
über den erbaulichen Inhalt berichtet der Hcsperus 1829 Nr. 289 ff.
Schul- und Umversitätsnachrichten, Beförderungen und
Ehrenbezeigungen.
-ÖERLTiv. Der wirkliche Geh. Ratli Freiherr twn Humboldt , welcher
im Dcc. vor. J. von seiner Reise nach dem Ural zurückkehrte, hat den
rothen Adlerorden Ir Classe mit Eichenlaub erhalten. Die Privatdocc.
Dr. Michclct und Dr. Heyse sind zu ausserordentlichen Professoren in
der Philosoph. Facultät ernannt worden. Die Kön. Biltliotluk hat vom
Könige in England den prächtig gedruckten Katalog der im Brittischen
Museum aufgestellten Bibliothek Georgs 111 {Catalogus bibliothccae re-
giue) in fünf Foliobänden zum Geschenk erlialtcn. Für dieselbe sind
auch aus dem Nachlass des Prof. Bilsching in Breslau eine Anzahl selte-
ner und schätzbarer Deutscher Handschriften angekauft worden.
FiiEYBURG im Breisgau. Der Prof. ordin. der Dogmatik, Dr. Lud-
wig Ruchegger hat auf die erhaltene Grossherz. Hessische Signatur als
Domkapitnlar bey dem neuerrichteten bischöflichen Sitz zu Mainz diese
Stelle abgeleiint, als ihm von der Badischen Regierung der Charakter
Beförderungen und Elirenbexeigiing'en. 125
als Geistlicher Rath mit einer Zulage von 400 Gulden crtlicilt worden
ist. Seine fixe Besoldung belauft sich jetzt auf IJOO Gulden. — Es
wird mit Bestimnitlieit versichert, dass an der Universität ein philologi-
sches Semiiiarium errichtet werden soll. Audi abgesehen von dieser
neuen A'ervoUkouimnuiig der alten Hochschule unter der Regierung des
jetzigen Grossherzogs Ludwig von Ijadeii, können die wahren Freunde
der höhern katholischen Leliranstalten des Landes nur wünschen , das
Seniinariiini möge recht bald ins Leben treten, und so erfolgreicli für
die kathol. Gymnasien und Lyceen würken, wie seine Schwesteranstalfc
in Heidelberg unter der Leitung des verdienstvollen Geheimen Raths
Creuzcr in Rücksicht der weltlichen Lehramtskandidaten gewürkt Jiat,
die jetzt nach und nach ausgehen, ßey der immer sichtbarer werden-
den Tendenz, den ganzen Unterricht an höhern Lehranstalten, nach
dem Vorbild des protestantischen Grossherzogthums, lediglich Geist-
lichen mit der Zeit wieder zu übergeben, darf man wenigstens keine
Rückschritte in dem gelehrten Bildungsgange befürchten, wenn den
Theologen in Freyburg, wie. jenen in Heidelberg, zweckmässige Ge-
legenheit verschalt wird , neben ihrem theolog. Brodstudium sich der
Philologie in ihrem ganzen Umfange zu widmen. Dann sollte aber
auch kein Candidat der Theologie oder Caplan zur Candidatenprüfung
für das Lehramt zugelassen werden , der sich nicht über sein pliilolog.
Absolutorium auszuweisen im Stande wäre, um dem schädlichen Wahne
vorzubeugen, als sey jeder Theolog als solcher auch schon für ein Lehr-
amt an Gelchrtenschulen geeignet.
Hannover. In der Rönigl. Verordnung vom 11 Sept. 1828 über
die Beförderung einer möglichst sorgfältigen Bildung der studierenden
Inländer ist verfügt worden, dass die im Königreich vorhandenen ge-
lehrten Schulen , nach vorgängiger sorgfältiger Untersuchung, in zwei
Classen , in Gymnasien und Frogymnasien , eingetheilt werden sollen.
Für die erstem sind Früfungscommissionen angeordnet, und es sollen
Maturitätsprüfungen in den Gang gebracht werden. Definitiv sind be-
reits als Gymncisien anerkannt: die Ritterakademie zu Lüneburg, das
Pädagogium zu Ilfeld und das Lyceum zu Hannover. Provisorisch
sind auch als Gymnasien angenommen worden: das Gymnas. in Göttin-
GE.\, das Andreanum und das Josephinum in Hildesheim, das Johan-
neum zu Lir.\EBiiRG , die hohe Schule zu Celle, die gelehrte Schule zu
Stade, die Doraschule in Vekden, das Gymnasium Carolinum und das
Raths -Gymnas. in Osnabrück , das Lyceum zu Airich. Ob jedoch
diese 10 Schulen alle Gymnasien bleiben werden, bleibt der weitern
Bestimmung vorbehalten.
Heidelberg. Für das Wintersemester 18|^, , dessen Eröffnung
auf den 2ß Octbr. angesetzt ist, enthält das Lectionsverzeichniss der
Universität (Verlag der akademischen Buchhandlung von Ch. Fr. Win-
ter) Namen, Rang und Titel von (iO Lehrern mit Angabe ihrer Unter-
richtsgegenstände, 4 Lektoren der neueren Sprachen und 8 Lehrer der
schönen Künste und Exercitien , der doppelten Buchhaltung und der
Rechnung für Kameralisten , Oekuuomen und Forstmänner nicht mit
126 Schul- und Universitätsnachrichten,
inbegriffen. Die theologische Facultät zählt 6 ordentliche Professo-
ren , welche 17, darunter 13 theologische, Vorlesungen angekündigt
haben. In der Juriritenrakultät haben sich ß ordcntl. Froff, , 2 ausser-
ordentliche u. 8 Privatdocenten zu (>0 Vorlesungen, Exaininatoricn und
Privatissinia erboten. Der Unterricht in der medicinischen Fakultät er-
streckt sich auf 40 Angaben mit 37iey Gegenständen , angekündigt von
8 ordentl. Professoren (1 als Prof. eineritus aufgeführt gibt keine Vor-
lesungen), 3 ausserordentl. und 2 Privatdocenten nebst dem dirigiren-
den Arzt der Irrenanstalt. Die angekündigten Vorlesungen, Exaniina-
torien und Privatissiiua in der philosophischen Fakultät unter 12 ordent-
lichen Professoren (von denen aber 2 gar keine Vorlesungen geben) in
Verbindung mit 4 Proff. der tlieologischen Fakultät, 4 ausserordentli-
chen Proff. und 8 Privatdocenten belaufen sich im Ganzen auf 80, von
denen (i zu den pliilosoph. "Wissenschaften gehören (darunter 4 mal Lo-
gik, wobey die erste Professur der Philosophie noch unl)esetzt ist),
14 zur Philologie und Alterthumskunde, fi zur Geschichte mit ihren
Hülfs- und Nebenwissenschaften, 13 zur Mathematik und Astronomie,
15 zur Naturkunde, 19 zu den Staats- u. Gewerbswissenschaften, und
^ die schönen Wissenschaften und Künste betreffen. Die Universität
bietet mithin durch ihre (iO Lehrer zu 193 wissenschaftlichen Vorlesun-
gen, Examinatorien und Privatissima in den verscliiedenen Zweigen dea
menschlischen Wissens und Könnens vielseitige Gelegenheit, Ausser-
dem gibt die Anzeige der Vorlesungen zuletzt noch Auskunft über die
Verwendung der zur Universität gehörigen Sammlungen, Anlagen und
Anstalten, über die Benutzung der Universitätsbibliothek und der mit
ihr verbundenen akademischen Leseanstalt, und zuletzt über den Wir-
kungskreis des Ephorats sammt der vortheilhaften Einrichtung eines
Logiscommissariats.
Hirscheerg. Das Programm, womit der Director Linge zu dem
Herbstexamen 1829 des Gjmnas. einlud, enthält als Abhandlung einige
Gedanken über den methodischen Unterricht in der alten Geographie auf
Gymnasien, vom Conrector Lucas, welche sich aber sehr im Allgemei-
nen und Allgewöhnlichen halten und über Methodik fast nichts enthal-
fen ausser dem, was der Schüler bei diesem Unterrichte thun soll.
Zum Andenken des am Iß Nov. 1827 gestorbenen Directors der Schule
Gottfr. Wilh. Körher feierte dieselbe am 21 Nov. 1828 den Jahrestag
seiner Beerdigung. Die bei dieser Gelegenheit vom Oberlehrer Balsam
in Latein. Sprache vorgetragene Memoria Kürbcri ist seitdem unter dem
Titel: De vita Godofr. Guil. Jioerberi Oratio, gedruckt erschienen, und
mit dem Brustbilde Körbers und einer Ansicht des Schulgebäudes be-
reichert worden.
Lemgo. Dem am 19 Mai 1820 gestorbenen Director des Gymnas.
in Soest, J. F. Reinert, ist zu Lemgo, wo er von 1797 — 1819 Pro-
rector und Kector des Gymnas. war, von seinen Schülern und Freun-
den im Frülijahr 1828 ein Denkmal errichtet worden, Melches am 2 Juni
desselb. Jahres eingeweiht wurde. Eine Beschreibung der dabei ange-
ordneten Gedächtnissfeier u. die Mittheilung der dabei gehaltenen Rede
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 127
findet man in dem Programm , womit der Rector //. A. Schicrenherg zu
den öffentlichen Prüfungen am 13 und 14 Apr. 1829 eingeladen hat. —
Aus den ebendaselbst mitgctheilten Sobuhiaebrichten ersieht man, dass
das riasige (städtische) Cymnasiiun noch vieler Verbesserungen bedarf,
und dass die 1819 von Seiten des Staats ibm gewordene Unterstützung
dasselbe zwar von seinem Untergang gerettet , aber nicht zur zeitge-
mässen Gestaltung erhoben hat. Noch besitzt die Anstalt kein Schul-
gebände, da das alte unbrauchbar geAvorden ist, und jeder Lehrer mus3
sich sein Schulzimraer in seiner eigenen AVohnung einrichten. Der Ge-
halt der Lehrer ist sehr gering (der zweite Lehrer hat jtährl. 400 Thlr.)
und doch muss jeder, den Rector eingeschlossen, wöchentlich 22 — 26
öffentliche Lehrstunden und ausserdem noch mehrere durch dasBcdürf-
niss der Schule unumgänglich nötbig gemachte Privatstunden halten.
Die fünf Classen der Schule, in welchen im Schuljahr 18|| 100
Schüler sassen, hatten bisher nur 5 Lehrer, und erst 1828 ist noch
ein Lehrer der Mathematik, der Lieutenant JF. Rötteken angestellt
worden, der aber bei einem jährlichen Gehalte von nur 100 Tblrn.
seine Kräfte nicht ganz der Schule widmen kann. Die übrigen Leh-
rer siitd: der Rector Schicrenherg, der Prorector Overbech, der Conr.
Dr. Brandes, der Subconr. Hunnäus u. der Quintus Nicländer. Lehrer
für neuere Sprachen fehlen noch ganz; doch ertheilen die übrigen Leh-
rer im Französischen, Englisclien und Italienischen Privatunterricht.
Unterricht wird ertheilt in der Griechischen, Lateinischen, Deutschen
und Hebräischen Sprache, in Religion, Geschichte, alter und neuer
Geographie, Alterthümern, Mathematik, Naturgeschichte, Schreiben,
Rechnen u. Singen. Doch ist der Unterricht im Deutschen, Geschichte
und Geographie sehr beschränkt. In dein Lehrbericlite ist auffallend,
dass in Prima Sophokles und Piaton gelesen wurden und zugleich
doch auch die schwerern Verbalformen und die Verba in ixi erst ein-
geübt werden mussten. Auch ist wohl der Abstand zu bedeutend, da
in Secunda nur Xenophons Anabasis u. Homers Odyssee gelesen werden.
Doch sind für das neue Schulj. 18|^ mehrere Verbesserungen im Lehr-
plan gemacht worden. Auch andere Verbesserungen des Gymnasiums
werden vorbereitet, oder sind bereits eingeleitet. Für die Quinta wird
ein öffentliches Lehrzimmer eingerichtet; seit Michaelis 1828 sind Abi-
turientenprüfungen eingeführt; der Prorector hat eine Gehaltszulage
von 50 Thlrn. erhalten. Das Einsammeln des Schulgeldes, welches für
I auf 12, für H auf 10, für HI auf 6, für IV auf 5, für V auf 4 Thaler
jährlich festgesetzt ist, ist den Lehrern entnommen, und wird von den
Stadtbehörden besorgt. Die von dem ehemaligen Rector Grcverus ge-
gründete Schulbibliothek, deren jährlicher Fond aus 30 Thlrn. und den
Beiträgen der in die beiden obern Classen neu aufgenommenen Schü-
ler besteht , ist bis zu etwa 2000 Bänden angewachsen.
Statistisches.
Baierbt. Das Königreich hatte im Schuljahr 18|| in seinen Lyceen
666, in den Gymn. 3048, in den Lat. Vorbereitungsschulen 22T6 Schüler.
328
GÖTTiNGEN. Auf der Uiilvers. befinden sich in diesem Winter 12ß3
Studierende, von denen 351 Tlicol., 513 Jurispr., 262 Medicin, 137 phi-
loäO|)h. Wissenschaften studieren. Unter iiinen bind 1()2 Landeskinder
und 501 Ausländer.
Makbiirg ziililte im Winter 18^| 330 Studenten, darunter 78 Aus-
länder; im Sommer 182!) 351 Stud. , worunter (»8 Ausländer.
Preussev. Die sechs Universitäten des Landes und die Akademie in
Münster wurden im Winter 18;j| von 6154 Studierenden besucht, von
denen 4960 Inländer und 1194 Ausländer waren, wovon 3015 zur theol.
(869 Katlioliken), 1639 zur Jurist., 692 zur medic. u. 808 zur piiih)sophi-
schen Facultät «^eliörten. Die 23 Gymnas. der Provinz Sachsen zäliiten
im Sommer 1H28 4063, im Winter 18|| 3944, im Sommer 1829 3993
Scliüler. Im Jalir 1828 wurden von ihnen 294 Zöglinge zur Universität
entlassen, von den 72 das Zeugniss I, 206 das Zeugniss II und 16 das
Zeugniss III erhalten hatten. Die 20 Gymn. der Prov. Schlesien zähl-
ten im Jahr 1828 284 Abiturienten, von denen 24 das Zeugniss ]Nr. I, 220
das Zeugniss Nr. II u. 40 das Zeugniss Nr. III erhielten. Bei der wis-
ßenschai'tl. Prüfungscommission Murdeu ausserdem 224 pro immatricu-
latione geprüft, von denen keiner das erste, 77 das zweite, 106 das
dritte Zeugniss erhielten, 33 für unreif erklärt und gänzlich abgewie-
sen wurden und 8 vor der Prüfung wieder zurücktraten. Von dersel-
ben Prüfungscommission wurden 1825 nur 40, 1826 65 u. 1827 111 In-
dividuen geprüft. Von sämmtlichen Gymnasien in Rheinpreussen wur-
den im J. 1828 180 junge Leute nach bestandener Abiturientenprüfung
zur Univers, entlassen. Der ganze Staat zählt gegenwärtig 109 Gymna-
sien: 12 in Ost- u. Westpreusscn, 17 in Brandenburg, 0 in Pommern,
20 in Schlesien, 3 in Posen, 23 in Sachsen, 10 in Westphalen und 18
in den Rheinprovinzen. Bei allen Gymnas. und Prüfungscomiuissionen
wurden im J. 1828 2057 Abiturienten (1821 nur 1139) geprüft, von denen
863 Theol., 627 Jurispr., 184 Medicin, 298 Philos. etc. studieren wollten.
WiiRZBURG zählte im Winter 18'|^ 625 Studenten, darunter 185
Ausländer.
Uj?sala hatte im Herbstsemester 1829 869 Studenten.
Angekommene Briefe.
Vom 27 Dec. Br. v. R. a. A. [m, Rec. Ist alles richtig angelangt.
Die angebotenen Recensionen werden sehr willkommen seyn. ] — Vom
28 Dec. Br. v. L. a. K — Vom 3 Jan. Br. v. O, a. lt. [ Ich danke für
die Anlage.] — Vom 4 Jan. Br, v. S'. a. IL [m. Rec. ] — Vom 6 Jan.
Br. V. /r. u.R. [Freundlichen Dank für die Anlage] — Vom 6 Jan.
Br. V. fV. a. M. [m, Rec] — Vom 8 Jan. Br. v. L. a. P. [m. Rec] —
Vom 15 Jan. Br. v. Ä'. a. D. [Freundlichen Dank für die Anlage. Ueber
die Anfrage Avelss ich vor der Hand gar keine Auskunft zu geben.] —
Vom 20 Jan. Br. v. R. a. C. [Herzlichen Dank für die Anlage.]
Inhalt
von des ersten Bandes erstem Hefte.
Leironne: Analyse critique du recueil d' inscriptions Grecque» et Latines
de M. le comte de Vidiia, — Vom Prof. Osann in Giesgen. S. 3 — 18
Aicaei Mytilenaei reliquiae. Collegit et annotat. instr. Matthiae. — Vom
Oberbibiiotliekar und Prof. Welcher in Bonn ü 62
Sallustii Opera quae supersunt. Recensuit etc.\
Kritzius. f Vom Prof, Olhariv» in
Kritzii Commcntatio de Sallustii fragmentis al Rudolstadt. 62 — 77
Debrossio in ordincm digestis. /
Ciceronis Orationes in Catilinam et pro Sulla. \
In usum 8ciiol. curavit Krebs. I Vom Oberlehrer Dr. Ja-
Ciceronis Orationes IV in Catilinam. Mit erkl.i cofr in Cöln. 77 — Ql
n. krit. Anmerk. von Benecke. )
Ciceronis Orationes selectae. Recogn. et annotationc illustravit Bloch. —
Von demselben. . . .91 — 102
De grammaticis, qui hararixol et Xvrr/.oi dicti sunt. Scripsit Lehrs Re-
gimontii Prussorum 102 — 119
Zur Würdigung des sogenannten Codex Voss 2. in Ernesti's Ausgabe der
Xenophontischen Mcmorabilien. Vom Dr. Finckh in Tübingen. 119 — 121
Misceiien. . \ . .121 — 124
Schul- Qnd Universitätenacbrichtea, Beförderangen und Ehrenbezeigungen. 124 — • 12S
I: nfe4
U
n
-'■«i^
'^m^^^:^^m^.^-T'2^mn:^-nm^T'.:^^^M^,m:m^MnMmmmmm^nmn^
^ISS^WWWWWWWWM^WWWWWWWWWWWWW
JAHRBUCHER
FÜR
PHILOLOGIE UND PÄDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh, Christ. Jahn.
Fü nfl er J ahrg a n g.
Erster Band. Zweites Heft.
Oder der ganzen Folge
Zwölfter Band. Zweites lieft.
L e i p z i g,
Druck und Verlas von B. G. Teubiier.
18 3 0.
Si qnid novisti rectius istis,
Candidas imperti; si non, his utere mccum.
Mythologie.
1) ar Stellung der griechischen Mythologie. Erster
Theil. Minleite nde Abhandlungen enthaltend. Von
Christian Hermann JVcisse, Doctor und ausserordentlicliem Professor
der Philosophie an der Universität zu Leipzig. 1828. Verlag von
Johann Amhrosius Barth. 8. Auch unter dem besondern Titel:
lieber den Begi'iff^ die B ehandlung und die
Quellen der Mythologie. Als Einleitung in die Darstel-
lung der griechischen Mythologie. Von etc.
1^ och ist die Mythologie, namentlich die griechische, wie die
Forscher derselben nur zu gut wissen, bloss dem Naraen nach
eine Wissenschaft, eine eigentliche wissenschaftliclie Beliand-
lung, Begründung, Austulirnng derselben ist noch nicht zu Tage
gefordert worden. Es sind nur liin und wieder Bruchstücke
gegeben, Vorarbeiten zum vollständigen Werke, unter denen
Otfr. Müllers Prolegoniena sm einer uiissenschafllichen My-
thologie (Göttingen 1S25) leicht die gediegenste sein dürfte.
Gar vielfältig tappt daher noch immer derMytholog bei seinen
Studien im Ungewissen und im Finstern; ein jeder folgt ge-
meinhin nur seiner eigenen ohnmassgeblichen Meinung. Diess
der Grund, warum jener Theil der Alterthumskunde noch so
sehr im Argen liegt, ja gewisser Massen in eine Art von Ver-
ruf gekommen ist.
Auf der andern Seite scheint die Mythologie eigentlich
noch keiner wissenschaftlichen Bearbeitung fähig, dafür reif
zu sein. Denn wo ist ein Feld des Iiistorischen Wissens, wo es
mannigfaltigere Ansichten , verschiedenartigere Meinungen
gäbe'? Indessen das ist nur scheinbar. Man gehe nur, ausge-
rüstet mit einer gründlichen und umfassenden Kenntnis« desAlter-
thums, namentlich des Mythologischen, und mit philosophisch-
critischem Geiste, kühn ans Werk, und bald wird sich das
Ganze zu einer Wissenschaft gestalten, die zu den interessan-
testen Theilen der Alterthumskunde gehören wird. Jetzt ist
sie, wie sie in den gewöhnlichen Handbüchern uns vorliegt,
nichts weiter denn ein chaotisches Aggregat, ohneCritik, oline
Sinn.
9*
132 Mythologie.
Vor Allem thut es noth, dass die Begriffe, welche in das
Mythologische einschlagen oder mit ihm in irgend einer Ver-
bindung stehn, gehörig nach ilirera Gehalte erforscht, von den
verwandten gesclüeden, scl'.arf begrenzt und ihre Verhältnisse
zu andern, nahen, bestimmt angegeben werden, damit man sich
endlich einmal klar bew usst werde, welchen Stoff man eigent-
lich vor sich habe, und was damit zu beginnen sei. Welcher
Freund dieser Wissenschaft wurde aus dem Grunde nicht mit
Freuden gelesen habe;i, dass ein Professor der Pbilosophie sich
an das schwierige Weik gewagt hat und eine Darstellung der
griechischen Mythologie zu geben Willens ist'? — Aber ivie
hat er es begonnen?
Erwartet man in dem Buche des Ilrn. W. eine vollständige
Entwickelung und Begiündung aller der Begriffe, welche die
griecliische Mythologie betreffen, so sieht man sich gleich von
vorn herein getäuscht. Es handelt dem zweiten [Neben-] Titel
zufolge bloss iiber den Begriff, die Bebandluiig und die Quellen
der Mythologie. Ja nicht einmal darüber zur Zufriedenheit,
selbst des Verfassers. Man höre, was er riicksichtlich dessen
in der Vorrede S. VII sagt: „Nichts desto weniger bekenne ich
in meinem Buche noch keinesweges Alles gegeben zu haben,
was in dein Zusammenhange eines vollendeten Systems zur voll-
ständigen Begiüiidiing dic'^es Begriffes [Mythologie] gehören
wiirde." Und S. XXXVII f.: ,, Willig erkenne ich an, dass
man in dieser [Arbeit], so sehr sie auch ihrer speculativen Hal-
tung nie untren zu werden strebt, eine vollkommen erschöpfende
und nifthodische Bestimmung derüegriife, deren inneres Leben
doch ihren eigentlichen Inhalt ausmacht, vermissen wird. Au-
sser dem Begrijj'e der Mythologie selbst ist diess insonderheit
der Fall hinsichtlich des Begriffes des Cultus, so wie auch der-
jenigen Begriii'e, welche die Principien des Verhältnisses der
Mythologie zur Kunst, zur Poesie und zur Wissenschaft, so-
wohl zu derjenigen, welche die mythischen Thatsachen aufbe-
wahrt, als auch insbesondere zn der , die die Mythologie er-
klärt und ihren Geist vollständig in sich aufnimmt, und welcJier
darum ebenso sehr, wie der Sagenwelt selbst, der Name 3Iy-
thologie zugeeignet wird, enthalten müssten. Am auffallend-
sten diirfte daher jener Mangel in der zweiten Hälfte der
Schrift hervortreten, von denjenigen Partien an, wo von dem
Verhältnisse des Cultus zur Sagendichtung gehandelt wird,
und sodann in der Abhandlung von den subjectiven Quellen.''
Ueberhaupt will der Verf. die gegenwärtige Schrift nur IVir eine
Vorarbeit zu einer kimftig streng systematischen Entwickelung
von Begriffen, die der lleligionsphilosophie ( ! ! ) angehören,
gelten lassen.
Das ist nun freilich sehr übel, und wenn man es auch dem
Verf. eines Theils wegen der Schwierigkeit (vgl. Vorrede S.
Weisse's Darstellung der griech. Mythologie. 133
IX und XXXVIIl) verzeihen wollte, so kann man es doch
nicht um der Sache selbst willen. Wie soll und kann die Dar-
stellung der griechischen IMythologie ausfallen, wenn der Verf.
selbst noch nicht mit sich über die ersten und hauptsächlich-
sten Begrille der Wissenschaft ins Reine gekommen ist'?
In der ziemlich hingen Vorrede (S. 111 — XXXIX) recht-
fertigt oder erklärt der Verf. näher die Einzelheiten des zwei-
ten 'l'itels: ]) den Ausdruck: über die Behandlung der Mytho-
logie ( diess bezieht sicli auf die erste Abhandlung des Wer-
kes); 2) die Worte: über die Quellen der Mythologie (der
Verf. verwahrt sich vor der Missdentung des Wortes Quellen);
;5) den ersten Tlieil des Titels: über den Begriff der Mytholo-
gie. Ueher diesen letzten Punct hat er sich sehr weitläuftig
ausgesprochen, wahrscheinlich weil er, als der Druck des 'Wer-
kes bereits vollendet war, selbst fühlen moclite, — was ihm auch
jeder Leser bekräftigen wird, — dass er in demselben keines-
wegs die Saclie klar und vollständig durchgeführt habe. Aber
auch liier gelingt es ihm nicht, trotz seines Bingens, Bichtiges
zu geben. So sagt er (S. VllI f.) unter anderm, was ihm My-
thologie sei. „Sie ist keinesweges,"^ meint er, „wofür sie frei-
lich von Vielen gehalten wird, ein unreiner Auswuclis der
ächten Religionsidee, etwa aus der Vermischung der letz-
tern mit dem sinnliclien und äussern Leben der Menschen zu-
fällig entstanden: in welchem Falle sie — auf ganz hi-
storische und empirisch psychologische Art zu erklären sein
würde; sondern sie ist eine der Religionsidee selbst (*?) ange-
hörende und ganz allein ('?) aus dieser erzeugte Gestalt; ein
inneres Moment dieser ('?) Idee oder vielmehr die Idee selbst f?).
in einer ihrer Potenzen : in so fern also keineswegs ('?) eine
äusserliche historische Erscheinung, sondern eine ewige Wesen-
heit (7), eine nothwendige ('?) Seite des unmittelbaren (?) Seins
der Gottheit selbst ('?), die auch geschichtlich, wenn auch in
ganz umgewandelten Gestalten und höhern Potenzen der Idee,
die unterdessen zum Durchbruch oder zur Offenbarung gelangt
sind, untergeordnet immer wiederkehren wivd. Was daher
auch von äusserem, sinnlichen und historischen Stoff in ihr
enthalten ist, so ist diess in ihr gegi-nwärtig nicht als ein der
göltliclien Idee, die ihrPrincip ausmacht ('?), fremdes und diese
verunreinigendes, sondern als ein in die Idee bereits aufge-
nommenes, durch sie umgebildetes und aus ihr wiederum her-
iisgebornes.''' Darum, meint er, gehöre die eigentliche Genesis
auch des wissenschaftlichen Begriffes der Mythologie in die
Wissenschaft von derselben Idee [ileligionsphilo>^ophie], die als
seiendes ('?) Wesen die Mythologie aus sich erzeugte."
Wir haben diese ganze Stelle hergesetzt, theils um unsere
Bemerkungen daran knüpfen zu können, und zu zeigen, auf wel-
chem unrechten Wege gleich von voru heceiu der Verf. ist,
134 Mythologie.
theils um den Lesern einen Vorschmack von dem Geiste und dem
Style des Werkes zu geben. Zuvörderst ist denn zu erinnern,
dass hier IMythologie in einer ganz falschen Bedeutung, näm-
lich fiir das (griechische) Ileligionssystem selbst genommen
■wird. Da soll dieselbe einAusfluss, eine historische Erschei-
nung der Religionsidee im Menschen sein. Weichen so ganz
falschen BegrilF, welche verkehrte Ansicht liat der V erf. von
der Sache, die er uns auseinandersetzen will! Um ihn davon
z!i überzeugen, nur wenige Worte. Das griechische Ueligions-
system besteht aus folgenden 3 Stiicken : 1) ans der ideellen
und practischen Dogmatik d. li. aus einer Summe von Lehren
Vlber das Wesen und die Eigenschaften derGötter, und über
ihre Verelirung (dufch Feste, Opfer, Gebete etc.); sie ist der
ursprünglichste und älteste Theil der griechischen Religion,
geflossen aus der allgemeinen Religionsidee der jMenschen und
aus Belehrung. 2) aus der Symbolik oder der Lehre von den
sichtbaren Zeichen, welche zu anschaulichen Bildern einzelner
Lehren der Dogmatik dienten. S) aus der Mythologie, insofern
sie religiös ist und ausdrücklich auf religiösem Grunde beruht.
Diese letztere nun, so wie auch die Symbolik, ist ausgegangen
aus jener Dogmatik, und basirt sich auf dieselbe, ist aber nicht
selbst diese Dogmatik. Sie kann wohl einzelne Lehren der-
selben aufbewahrt haben und uns vortragen; allein darum
darf sie noch nicht für Eins mit ihr gelten. Nächstdera ist
auch die Symbolik eine fruchtbare Mutter von Mythen. — Ael-
ter sind also Idee, Cultus und Symbol, späteren Ursprungs der
Mythus, welclier diese Stücke erläutert und ihren Grund nach-
zuweisen bestrebt ist. Wer sich von der Richtigkeit dieser
Sätze überzeugen will, lese des Recens. Darstellung des lindi-
schen Herakles- und Athenadienstes, oder die Bemerkungen
von Hock über den cretischen Zeus und die Kureten (Kreta Ir
Tii. S. 164:) oder die Prolegomena von Müller. So war erst,
um nocli ein und zwar ein recht schlagendes Beispiel anzufüh-
ren, die auifallende Sitte, das Fleisch der Opferthiere zu es-
sen, die Schenkelknochen aber, in Fett gewickelt, den Göttern
auf den Altären zu verbrennen ; später entstand daraus der
Mythus vom Prometheus, wie er den Zeus betrügt (Ilesiod.
Theog. 535 sqq.), in welcher Sage man deutlich den Versuch
erkennt, diese ungebührliche Sitte vor der Welt zu rechtferti-
gen. Und so unzählig Anderes. Ilr. W. hat sich wahrschein-
lich durch seine Philosophie, vielleicht selbst durch unsere
gewöhnlichen Handbücher über griechische Mythologie, denen
wir, Gott Lob! entwachsen sind, verführen lassen, Mythologie
für den Inbegriff der griechischen Religionslehre zu nehmen,
und so seinen ganzen mythologischen Studien und 'auch der vor-
liegenden Schritt eine falsche Richtung gegeben. Was er S.
51 f. — nicht ohne Anmassung und stolze Verachtung anders,
Weisse's Darstellung^ der griech. Mythologie. 135
d. li. historisch richtig, die Sache beurtheileiider Mythologcu
— für seine Annahme sagt, beruht auf ganz falschen Voraus-
setzungen.
Zweitens hat es den Anscliein, als ob der Verf. gar nicht
wüsste, dass keinesweges allen Mythen etwas Religiöses zum
Grunde liegt. Giebt es denn keine etymologischen, physischen,
moralischen, historischen, naturgeschiclitlichen'? Von einer
solchen Eintheilung der Mythen nämlich kein Wort im Buche.
Sind hm etwa dergleichen Sagen keine ächten Mythen^ Da
würde er gewaltig irren.
Drittens ist, nähmen wir auch griechische Mythologie —
fälschlicher Weise — mit dem Verf. in dem Sinne von grieclii-
scher Religion, dieselbe keineswegs so hoch zu stellen, als Hr.
W. will, wohl gar für Offenbarung zu nehmen. Wem dürfte
denn der Phallus- oder Priapusdienst eine reine Aeusserung,
kein Auswuchs der ächten Religionsitlec erscheinen'? Ist die
Verehrung des Herakles zu Lindus durch Verwünschungen statt
der Gebete nicht etwas Unedles*? ein wahrer Auswuchs, wenn
ihm auch die Idee der schuldigen Verehrung Gottes zum Grunde
lag'? 3Ian sieht, Hr. W. folgt hier den Fusstapfen Creuzers,
der in seiner Symbolik gar eine Gleichheit zwischen Griechen-
thum und Christenthum statuirt, und anderer Pansopliisten,
die die dunkle, unvollkommene, oft abgeschmackte Aeusserung
einer Idee für die Idee selbst erkennen und jene eben so hoch
achten als diese. Welch ein grosser, ja welch ein gefährlicher
Irrthura! Als ob das Handeln, was aus einer Idee hervorgeht,
ganz willkührlich, selbst gemein und schmutzig sein könnte,
und nicht vielmehr der Idee gemäss d. h. erhaben^ hehr sein
müsste. Gott, ein Geist, so// und darf nur als Geist angebetet
werden im Geiste; jede andere Verehrung ist schlecht, ist ver-
werflich, um so verwerflicher, je unedler die Gegenstände sind,
durch welche sich seine Verehrung kund giebt.
Von S. X an spricht sich der Verf. weitläuftig aus über das
Verhältniss der Ideen, auf denen seine Arbeit beruhe, zu dem
gegenwärtigen Stande der pliilosophischen Religionswissenschaft,
und über die Gründe, warum er in diesem ?iicht festen Boden
doch genug fand, um bei dem wichtigen und bedenklichen Ge-
schäft einer systematischen Deduction des Begriffes der 31y-
thologie darauf zu fussen. Jene weitläuftigere Auseinander-
setzung betrifft aber das Verhältniss zwischen AVissenschaft
(Philosophie), Kunst und Religion. Das Verhältniss dieser
Ideen, als der (angeblich) höchsten Thätigkeiten des meuiach-
lichen Geistes sucht er festzustellen, dabei einer neuen Piiilo-
sophie (der Ilegelschen) folgend, der er bei dieser Gelegen-
heit ein grosses Lob spendet, indem er S. XVI jene Lehre oder
Anlage des geistigen Systemes, nach welchem eben der Mensch
als die höchsten Potenzen seines Wirkens Wissenschaft, Kunst
136 Mythologie.
und Religion besitze, an und für sich einzig gross und wahrhaft
ewig und eine Entdeckung von unsterblichem Ruhme nennt.
Wir überlassen solcbes, so wie diesen ganzen Abschnitt, von
dem wir uns entweder gar keinen oder nur einen sehr entfern-
ten Gebrauch und Nutzen fiir die Mythologie — diess AVort im
rechten Sinne genommen — versehen, weil er dem Gebiete der
Philosophie anheimfällt, Philosophen von Profession zur Beur-
theiliing, von denen sich auch bereits einer — eben nicht zum
Vortheil jener Lehre — in einem besondern Werke: Ueber die
Hegeische Lehre oder absolutes Wissen und moderner Pan-
theismus (Leipz. bei Kollmaun 1828), darüber genügend ausge-
sprocJicn hat.
S. J — 37 folgt der Abschnitt über die Behandlung der My-
thologie. — Ueber das Interesse der Mythologie für Dichter
und bildende Künstler, für Gelehrte von Fach und für „jeden,
der vom Standpunctc der allgemeinen Bildung aus in die Wis-
senschaften hineinblickt." — Wenn es im Folgenden heisst:
„Die grosse Frage, welche den Mittelpunct alier wissenschaft-
lichen mytliologischen Untersuchungen ausmacht : ob die my-
thischen Dichtungen der Volker des Alterthums willkührliche
und leere Fabelei und Erdichtung seien und mithin (7) die Re-
ligion, der diese Dichtungen zum Grunde lagen, als blinder
Aberglatibe betrachtet werden müsse, oder ob unter dieser bun-
ten Hülle ein tiefer Kern lauterer und hoher Wahrheit verbor-
gen liege" etc. : so erhellt daraus wiederum und ganz augenschein-
lich , es hat Ilr. W. das Wesen der griechischen Mythologie
durchaus verkannt. Weiss er denn wirklich nicht, dass nicht
allen Sagen der Hellenen etwas Religiöses zum Grunde liegt'?
Weiss er nicht, dass unter dieser bunten Hülle nicht immer ein
tiefer Kern lauterer und hoher Wahrheit verborgen liege, son-
dern im Gegentheil oft nur ein auffallender Name, ähnlich
klingende, der Etymologie nach nicht einmal verwandte Wör-
ter (z. B. Xäag und Aaog), eine Sitte, die geographische Lage
eines Landes u. s. w.? Und wenn man alsdann den Schluss
liest: „Wenn die mythischen Dichtungen des Alterthums will-
kührliche und leere Fabelei sind, so muss auch die Religion,
der diese Dichtungen zum Grunde liegen, als blinder Aberglaube
betrachtet werden": wer erkennt darin nicht abermals das
Verkehrtein der Ansicht des Verfassers, der die Mythologie
älter denn die Religion, ja den Grund derselben sein lässt, wäh-
rend gerade der umgekehrte Fall statt findet? wer nicht aber-
mals das Beschränkte in der Annahme, die 31ythologie bestände
nur aus religiösen Mythen.
Der Verf. hegt nach S. 2 dieUeberzeugung, „einen Stand-
punct für die Wissenschaft der Mythologie gewonnen zu haben,
der, falls er sich als ein ächter bewähren sollte, dieselbe nicht
nur mit einzduea Ansichten, Erklärungen und Deutungen be-
Weisse's Darstellung der griech. Mythologie. IS?
reichern, sondern ihren gesamraten Inhalt in einem durchaus
veuen Lichte erscheinen lassen müsse." Wer sollte niclit neu-
gierig sein, denselben kennen zu lernen*? — Der Verf. hatte
das Wesentliche dieses Standpunctes schon in einer iri'ihern
Schrift auf mehrfache Weise angedeutet; aber da er «m der-
selben willen hart getadelt worden ist, so hält er es nicht für
überfliissig, hier noch einmal die allgemeinsten Principien sei-
ner Ansiclit und ihre EigenthiimlichkeitimGegensatze davon kürz-
lich darzulegen. Zuvor S.tJ die Frage, ob diemythologische For-
schung rein historischer und positiver, oder ob sie zugleich
philosophischer JNatur sei. — S. 5 f. : „Es giebt eine Wissen-
schaft, welche, obgleich auf liistorisch gegebenen Thatsaclien
fussend, und selbst diese auszumitteln und aufzuklären beru-
fen, doch in diesem ihrem Ge^^cliäfte durchaus vom Geiste der
eigentlichen Speculation durchdrungen sein muss , und also
gleichsam eine Brikke bildet zwischen Philosophie und eigent-
licher Historie." Eine solche Wissenschaft nun ist nach des
Verf. Ueberzeugung die Mythologie, und die mit ihr ein und
dasselbe (?) Gebiet der Erkeniitniss ausmacliende Urgescliich-
te ('?). — S. 9: „Jene geistigen Besitzthümer , welche in den
Mythen und (?) Sagen" [Wie unterscheiden sich diese Wörter'?]
„des Alterthunis niedergelegt und mit dem sinnlichen und facti-
schen Stoff ununterscheidbar verschmolzen sind, \üirden, wenn
sie von diesem Stoff geschieden werden könnten, offenbar keine
andern seyn, als dieselben, deren Aufbewahrung und selhst-
ständige Ausbildung ein Zeitalter fortgeschrittener Entwicke-
lung und höherer Steigerung der Geisteskräfte von der Philo-
sophie erwartet." — S. 10 f.: „Die Mythologie ist eine philo-
soijhische Wissenschaft, d. h. ihre Aufgabe ist, nicht die Leh-
ren anderer philosophischen W^issenschaften zu wiederholen,
und in das Gewand der poetischen Bilder und der Iiistorisclien
Thatsachen, die ihren äusseren Stoff ausmachen, einzukleiden;
sondern eine durchaus eigenthVimliche Seite der geistigen Idee
selbst aufzuzeigen, welche die Nothwendigkeit in sich trägt,
sich äusserlich zu gestalten, und auf die Art sich zu gestalten,
wie sie in den 31ylhen in der That sich gestaltet hat.'' — S.
11 f.: „Wir befinden uns hier auf einem Gebiete, wo die Phi-
losophie durch sich selbst anfängt, in ein Anderes, für uns zwar
in Poesie und in Geschichte überzugehen. — Wollte man den
Inhalt und das Wesen der Sagenwelt für die wissenschaftliche
Behandlung in Elemente zerlegen, das Unzertrennliche tren-
nen und sondern: so könnte man folgende drei Momente davon
unterscheiden: das Innere, Geistige, oder die Bedeutung ('?);
das rein Aeusserliche oder das historische Material; endlich
die eigenthümliche Art und Weise der Verkettung und Durch-
dringung beider: Poesie und Kunst. — Die wissenschaftliche
Bearbeitung der Mythologie würde daher nothweadig drei Sei-
138 M y t h o 1 o jr I e.
teil haben: eine pliilosopliisclie, eine liistorische und eine poe-
tisclie. Wegen der innern Einheit des Gegenstandes werden
aucli diese drei niclit in ihrem Gegensatze, sondern nur verei-
nigt und verschmolzen auftreten können. Daher ist für die My-
thologie eine eigene Methode zu erschaffen, die aus Elementen
der liistorischen Forschung, der poetischen Auffassung und Dar-
stellung und der philosophischen Speculation gemischt ist."
Diese letzten Grundsätze unterschreibt Recens., hat er den
Verf. richtig verstanden, als im Ganzen völlig richtig; nur bei
dem Worte Bedeutung stiess er an, und wie sehr würde er sich
freuen, wenn der Verf. dieselben auf das Specielle richtig ange-
wandt hätte; aber Hören wir ihn weiter!
S. ]5 Um auf den Gegenstand der mytliol. Wissenschaft
etwas näher einzugehen, und diejenige Ansicht, die er fVir die
einzig richtige hält, wenigsten« anzudeuten, hält der Verf. für
gut, das Verhältniss der griechischen Mythologie zu der orien-
talischen zu erörtern. — Die griechische Mytliologie zerfällt
in die Göttersage und in die Ileroensage [Es gab bei den Grie-
chen auch Sagen von Menschen: z.B. vomThamyris, Melam-
pus, Dädalus, Keleusetc. ; diese zu den Heroen zu zählen, ist
kein Grund vorhanden]. Die Göttersage der Kern der mytlio-
logischen Wissenschaft. — Der Verf. wendet sich jedoch hier
vorzugsweise zur Ileroensasre. (S. 16 ff.) — „In der Heroen-
sage finden wir die wahre ('?) Geschichte der Urzeit dargestellt,
der die jnythischen Religionen selbst ihre Entstehung verdanken.
INicht jedoch als erzähle diese Sage die besondern Begebenhei-
ten als solche, sondern sie fasst dasjenige, was wir den Geist
derselben zu nennen gewohnt sind, den allgemeinen weltge-
schichtlichen ('?) Hergang in seinen innersten ('?) Motiven und
seinen grossartig- bedeutungsvollen (?) als typisch sich anki'in-
digenden Ziigen auf und Viberliefert ihn eingekleidet in Bilder,
die als einfache und einzelne, jedoch, um das darin enthaltene
höhere Geistige anzudeuten, mit Wundern durcliwebte Historie
erscheinen. "
Hier ist der Verf. auf einem durchaus irrigen Wege, und
seine Demonstration mag ihm selbst noch so natiirlich und phi-
losophisch richtig erscheinen, sie ist nichts weniger den« wahr.
Sie zeigt sich in ihrer ganzen Verwerflichkeit in dem Beispiele
von der lo und Danae (S. 32 ff.), das nebst einem andern Frag-
mente Vlber die Zahl ihm bei einem Recens. seines Werkes iiber
Homer in den Blättern f. literar. Unterhaltung (182« Nr. 1-13,
1827 Nr. 1)9) nicht ohne Unrecht den, wenn auch etwas zu
derben, Tadel symbolischer Faselei und pseudophilosopliischer
Aufgeblasenheit zugezogen liat. Wir können die ganze Stelle
nicht liersetzen ; aber unsern Lesern zum Zeugniss und viel-
leicht auch zu einer Ergötzlichkeit , wie sich Hr. W. so verir-
lea konnte, wählen wir die Note *) S. 32 aus: „Was die Na-
Weisse's Darstellung der gricch. Mytliologie. 131)
niensverwandtscliaft der lo mit dem Stamme derlonier betrifit"
[liier stellt sich der Verf. de» schlechten Etymologen des Al-
tertliums zur Seite, welclie 'Ico und 'löviog in Verbimluiig brin-
gen.] ,,so erinnern wir dabei an die g:riechische Sitte, den
Enkel mit dem Namen des Grossvaters zu bezeichnen." [Wel-
clie Combination !] „lo ist gleichsam ('?) die Mutter der grie-
ciiischen Nation (d. h. sie driickt diejenige Richtung des Welt-
geistes aus, welche dieser Nation den Ursprung gab!!); die
Völkerschaft der lonier die Tochter des hellenischen Volkes,
also die Enkelin der lo, und sie trägt, wie den Namen, so auch
den Character dieser Grossmuttcr."
Wer von nusern Lesern kaim sich hierbei eines Lächelns
enthalten'? Sind das jene Erklärungen und Deutungen, mit de-
nen Ilr. W. die Mythologie bereichern wollte (S. 2), und die
ihren gesammten Inhalt in einem durchaus neuen Lichte sollten
erscheinen lassen'? Eigeutlich bedarf es gar keiner Widerlegung
dieser Sätze bei jedem unbefangenen Forscher der Mytliologie;
damit indessen Hr. W. sich nicht unwiderlegbar wähne: so
wollen wir hier Folgendes erinnern.
Schon der Satz ist falsch (S. Iß): „In der Heroensage fin-
den wir die «'«/«/ eGescliichte der Urzeit dargestellt." RVihren
denn nicht viele Sagen über die Heroen gar nicht aus der Ur-
zeit her'? Tragen nicht viele, ja die meisten derselben offen-
bar das Gepräge späterer Dichtung'? Und wenn nun der Verf.
sagt: „Die Heroensage fasst dasjenige, was w'w den Geist der
besondern Begebenheiten zu nennen gewohnt siud, den allge-
vieiuen, weltgeschichtlichen ('?) Hergang in seinen innersten ('?)
Motiven und seinen grossartig- bedeutungsvollen ('?), als typisch
sich ankündigenden ('?) Zügen auf," etc.: so ist das nichts, als
leere Träumerei, die in der Wirklichkeit keinen Anhalt, kei-
nen Grund findet. Wie kann man einen speciellen historischen
Gegenstand, ein geschichtliches Individuum allgemein fassen
und — man merke wohl! — ihn so erklären wollen, dass man
ihn wieder auf einen speciellen Gegenstand bezieht, den man
auch ert in seiner Allgemeinheit aufgefasst hat'? Das würde
eine Aehnlichkeit geben, eine Gleichheit der äussern 3Jerk-
naale, aber keinesweges eine Gleichheit der Dinge selbst nach
ihrem Innern Gehalte. Und wer heisst denn dem Verf. die lo
als gleichbedeutend mit dem Namen lonier, die Danae als
gleichbedeutend mit dem hellenischen Stamme der Danaer neh-
men *? Stützt sich diess nicht auf eine ganz falsche Etymologie*?
— Wer heisst ihm endlich sich einbilden, dass das Zeitalter,
in welchem jene Sagen erwuchsen, die historischen Begeben-
heiten im weltgeschichtlichen Sinne aufgefasst habe *? Gerade
umgekehrt! Durchaus speciell, ganz individuell, concret in
hohem Masse ist der Kern der meisten Mythen; nicht oder
nicht sehr abstract, sondern recht klavvor Augen liegend, keine
140 Mythologie.
tiefe Speculation erfordernd, selbst wenn die Sagen speculati-
ver Art sind. Das liegt auch in der Natur der Sache. Man
wird doch wahrlich nicht t'rüiier iiber historische Gegenstände
philosophirt haben, als man sie der Aufzeicliriung werth fand"?
Auf die Mythologie ist aber erst die Gescliichte gefolgt. 31aa
wird doch wahrlich niclit in so grauer Vorzeit so fein gesponnene
Abstractionen angestellt haben, als der Verf. annimmt, noch
dazu Vlber historische Dinge, welche um so grössere Schwierig-
keiten darbieten, je mannigfaltiger das Bild derselben ist, so
dass nur ein sehr gereifter philosophischer Verstand darüber
Betrachtungen anstellen kann ? Des Verf. Irrthum springt
hierdurch in die Augen.
Auch im Folgenden (S. 19 ff) ist manche falsche Behau-
ptung, wo er vom Unterschiede des Symbols und des Mythus
spricht. Die Ileimath des erstem soll der Orient, des letztem
Europa ('?) und vornehmlich Griechenland sein. Hatten, fra-
gen wir hier, die Hebräer, die Aegypter, die Inder keine My-
then*? — „Die Symbolvveisheit des Orients und die sie beglei-
tende Bilderwelt wurden auf Grieclienland übergetragen." —
Leichthingesprochen, aber wo die Beweise'! Wo ist denn der
Donnerkeil und Adler des Zeus, der Kukuk der Here, unzähli-
ges Andere zu geschweigen, hergenommen'? — S. 20: „Creu-
zers Werk darf, um es kurz zu sagen, für eine gründliche ('?)
und vielleicht ('?) erscljöpfende Bearbeitung der 31ythologie von
dem Standpuncte der Symbolik gelten." Der llecens. ist ande-
rer Meinung, und kennt dasselbe durch jahrelangen Gebrauch
nur als ein sehr mangelhaftes, der Berichtigung fast auf jeder
Seite bedürfendes Werk, — „f^d Angriffen Vossens auf die-
selbe [creuzersche Symbolik] liegt der richtige Instinct zum
Grunde, auf Wiedereinsetzung des historisclien Ele-
mentes in seine Rechte zu dringen." Der Recens. würde sich
schämen, das Wort Instinct von dem Manne zu gebrauchen,
der im Leben stets klar gedacht und wohl gewusst hat, was er
schrieb. — „Voss missverstand gänzlich die Forderung des
Geistes der Geschichte an die Mythologie und meinte durch
bloss äusserliche, zum Theil selbst ganz willkührlicbe, chrono-
logische und topographische Anordnung des todten Stoffes das-
jenige abzuthun, was nur durch Wiederbeseclung desselben
mit jenem Geiste, der ihn hervorbrachte, dem Geiste des hel-
lenischen Volks- und Geschichtslebens zu vollbringen ist."^
Hier hat der Verf. unbezweifelt das Verfahren des verstorbe-
nen Voss verkannt. Wohl wollte dieser Treffliche die griechi-
schen Mythen acht griechisch und mit griechischem Geiste auf-
gefasst und erklärt haben, aber nur auf historisch- critischera
Wege. — Wenn es S. 21 von Otfr. Müllers schätzbaren Unter-
suchungen heisst, sie wären bloss für einen Anfang dessen zu
halten ; was die creuzersche Symbolik zu leisten übrig liessj
Weisse's Darstellung der griecli. Mythologie. 141
denn auch sie setzten das historisclie Element der Mythologie
nur in die Ausniitteiuug der äussern Umstände und Verhältnisse,
unter denen der Mytluis entstand, keinesweges in die Ergriin-
dung seines geistig-welthistorischen Inhaltes: so wünschen wir
ihm, dem Hrn. Prof. Müller, und der mythologischen Wissen-
schaft dazu Glück, dass er diesen Irrpfad niclit eingeschlagen.
— S,22: ,, Es ist nicht genug," [iMuss schlechterdings heissen:
Es ist durchaus fehlerhaft] „eine mögliche Bedeutung aufs Ge-
radewohl oder aus einem der Sag^Miwelt fremden Zusammen-
hange aufzugreifen;" [Das merke sicli nur der Ilr, Verf. !J ,,es
gilt vielmehr, eine durcliaus individuell begrenzte, aber in die-
sen Schranken wahrhafter Selbstheit (?) die tiefsten (?) Gründe
und die höchsten (?) Gesetze alles (?) Daseins euthali^enden Be-
deutung aufzufinden." [So waren denn also die frühesten Hel-
lenen gleich tiefe oder noch grössere Denker als selbst ein
Plato!] „Eine solche (?) Bedeutung aber hat unfehlbar (?)
jede (?) ächte Sage, oder alle (?) Dichtung ist eitel nichtiger
Tand und lügenhaftes Blendwerk; es giebt zwischen beiden
Annahmen keine (?) mittlere." Was sagen zu dieser Alterna-
tive diejenigen unserer Leser, welche eine vertraute Bekannt-
schaft mit den Mythen der Hellenen gemacht haben? Haben
sie nicht gefunden, dass unter denselben auch manche fade,
läclierliche, oberfläcliliclie, lügenhafte sind? — S 23: „Pro-
saische Nüchternheit und verständiges Ilaisonnement aus Grün-
den mögen in Untersuchungen, die den practischen Zwe-
cken des äussern Lebens dienen, wohl angebracht sein; in der
Mythologie, die dichterisches Auffassen des dicliterisch Ge-
dachten etc. fordert, erregen sie den Verdacht des Stehen-
bleibens beim Aeusserlichen und mangelnder Fähigkeit zum
tiefern Verständniss.'-' Offenbar setzt hier der Verf. das histo-
risch-critische Verfahren viel zu sehr herab; ja, nach dem er-
sten Satze zu urtheilen, sollte man glauben, er lasse es gar
nicht dabei gelten. Als ob nicht ein ruhiges, besonnenes For-
schen, unterstützt und getragen von Phantasie und ästhetiscliera
Geiste, gerade am meisten, einzig und allein im Stande wäre,
den Kern des Mythus und sein Wesen zu ergründen! — „Die-
ses Eingehen in die Individualität und die innerste Eigenthüm-
liclikeit der einzelnen wird, namentlich was die griechi-
sche Mythologie betrifft, — stets (?) auf das geschichtliche (?)
Element sich beziehen, indem der Weltgeist nur als Geist der Ge-
schichte, und alsVolksgeist die individuelleGestalt annahm, die al-
lein in der Sagenwelt ausgedrückt sein kann. Auch die Götter der
Griechen in ihren besondern Characteren und ihrer mannigfal-
tigen Verkettung halten wir daher für Ausdrucksweisen welthi-
storischer (?) Ideen. In engerem, eigentlichem Sinne
aber für geschichtlich gelten darf uns die Welt der Heroen,
in deren Mythologie die wahre und ächte Philosophie der Ge-
142 Mythologie:
schichte, geschöpft aus der Änschauuuir der Urzeit, doch ty-
pisch für alle (*?) Zeiten, und eingehüllt ia räthselhafte, doch
jiiclit uneutzifferbare Bilder enthalten ist.^' Alan kann zu solclieii
Sätzen nur lächeln, um so mehr lächeln, mit je grösserer Be-
stimmtheit und Zuverlässigkeit sie vorgetragen werden, sie, die
schon im Kleinen das Gepräge der Unwalirheit an sich tragen.
Ist unter diesen Umständen eine erfreuliche Ausbeute für die
Wissenschaft der Mythologie aus der Darstellung zu erwarten,
die uns Hr. W. verspricht'? Er glaubt das im Ernst, und nicht
hloss für die Mythologie, auch für die Geschichte; denn er
sagt S. 37: „So nur eröffnet sich uns die Hoffnung, allmälig
eine vollständigere und inhaltreichere Geschichte des Alter-
thums hervorgehen zu sehen , als aus den bloss factischen Un-
tersuchungen je erwachsen kann." Hortes, ihr Geschichts-
forscher! — Eine neue Welt geht Euch auf, von der Ihr bei
Eurer Beschränktheit noch nichts geahnet habt.
Wir haben bis jetzt die einzelnen aufgestellten Behaup-
tungen des Hrn. W., wo es uns nöthig schien , mit unsern Be-
merkungen begleitet , theils unsern Lesern , theils , wenn er es
beherzigen will, dem Verf. selbst zu zeigen, wo derselbe ge-
fehlt. Es sollte uns freuen, wenn sie daraufhinleiteten, die
Mythologie je mehr und mehr zur wahren Wissenschaft zu er-
heben und vor Auswüchsen zu bewahren. Um uns nun bei un-
serer Beurtheilung nicht zu weit auszudehnen, können wir vom
folgenden Capitel über die Quellen nur den Hauptinhalt nach
den einzelnen §§ — denn dasselbe ist in §§ eingetheilt — an-
geben mit ganz kurzen Zwischenbemerkungen und Beifügung
von Fragezeichen da, wo wir anstiessen.
S. 39 — Ende. Von den Quellen der griechischen My-
thologie. §1. Die Älythologie ist, als das Element der Ver-
mittelung zwischen den historischen Erkenntnissen und der
Thätigkeit des Erkennens , die Quelle der Historie. § 3. Un-
terschied zwischen solchen Quellen iiberhaiipt, aus denen wir
die Erkenntniss schöpfen, und solchen, aus denen der Gegen-
stand dieser Erkenntniss selbst zu fliessen scheint (subjective —
objective Quelle). Diese Darstellung — man merke wohl! —
soll den Verf., seinen eigenen Worten zufolge, zur Beglaubi-
gung dienen für diejenigen, die etwa an seinem Berufe zu der
Vollführung des übernommenen Geschäftes zweifeln möchten.
A) Von den Quellen im objectiven Sinne. § 4. Die Natur
der griechisclien Sagen. Sie kündigen sich uns als Dichtung
an; doch erscheinen sie nicht als willkürliches Spiel , sondern
tragen das Gepräge der höchsten, intensivsten Geistesthäiigkeit
an sich. § 5, 0. Dieser Dichtungen Ursprung ist in der schöpfe-
rischen Thätigkeit der Poesie selbst zu suchen , doch mit Ein-
schränkung. Anni. Die Stelle des Herodot (H, 53) solle der
Tod aller äcliten Mythologie sein. Passt sie vielleicht niclit
Wcissc'a Darstellung der griecli. Mythologie. 143
in das System des Hrn. Vfs.'? Weiterhin (S, 228) weiss er
diess Urtheil zu beschränken. — §8. Der Geist der Sagen-
poesic ist ein anderer als der Geist der Kunstpoesie. §9. Je-
nen griechischen Mytlien wolint ein Geist inne, der dem Volke,
unter welchem jene Dichtung einst lebendig war, der Inbegriff
alles Göttlichen ('?) und Menschlichen ('?) als der Geist des
Universums {'i) galt, und der auch unsern Verstand , wenn wir
ilim begegnen, mit der Ahndung eines tiefen Geheimnisses (?)
erfüllt. § 10. Jene Thätigkeit, welche der Götter- und Sagen-
welt [Hier trennt der Verf. ein Mal, was er immer hätte tren-
nen sollen.] den Ursprung gab, ist in der That selbst schon
eine göttliche ('?) Poesie. § 11. Ueber Kunstpoesie. Anm. Ein
Mythus ist kein Kunstwerk. — Die Mythen haben in der That (!)
keine sterblichen Urheber, sondern müssen als die unmittel-
bare Manifestation eben der Gottheit gelten, von welcher sie
handeln! ! Die Sage vom delischen Apollo, wie er nach Delphi
wandert, erläutert; aber wie'? Man liöre: „Dieser Gegensatz
von Auftauchen aus den Wassern und schwankendem, die gött-
liche Bestimmung suchendem Umhertreiben^auf den Wogen ei-
nerseits und von unwandelbarem Feststehen auf den Säulen des
Weltalls, an dem Mittelpunct der Erde, wo die Mächte der
Tiefe in geistesschwangeren, ernsten Enthusiasmus gebähren-
den Dämpfen weissagend emporsteigen, bezeichnet uns [d.h.
dem Hrn. W.] diese Gottheit [Apollo] als das die Gegensätze und
sinnschweren Widersprüche liebende, und in ihnen lebendige
und Leben erzeugende Wesen, welches das Volk der Hellenen,
unter dem es seine Heimath wählte, zur organischen Gliederung
seiner Stämme und Staatenformen anregte und diese von ihm
geliebten und geleiteten Stämme einerseits auf der wogenden
Fluth des Völkergedränges leicht und sicher schwebend be-
wahrte, andrerseits etc.'"'' Die Leser mögen dem Recens. er-
lauben, hier abzubrechen ; er ist, des Ekels voll, nicht im Stan-
de, von diesen phantastischen Träumereien mehr abzuschrei-
ben. § 12. Die Sage darf zwar doch von einer Seite für einEr-
zeugniss menschlicher Thätigkeit gelten, allein nicht einzelner
Individuen, sondern des ganzen Volkes, unter welchen sie hei-
misch ist. § 13. Die Mythen sind Naturlaute, die gegenwärtige
und lebendige Anschauung wahrhafter geistiger ('?) Wesen-
heit (?). § 14. Die Geschichte jener Sagenbildung besteht in
der Art und Weise, wie jene freie Geistesthätigkeit (die Reli-
gion im Menschen) gegen den Druck der Sinnlichkeit anstre-
bend, sich Luft macht und zu einer jedes fremdartige Element
verschmähenden Formthätigkeit('?) sich abschloss. §15. Diese
Formthätigkeit (?) muss eine solche gewesen sein , in welcher
das Ewige und Höchste als freies Geschöpf der menschlichen
Geistesthätigkeit hervorzugehen scheint. § 16. „Näher und
immer näher kommen wir der Stelle, welche wir zu suchen aus-
144 Mythologie.
gezognen sind: der Stelle, wo jenes geistiffe Leben, das wir bis-
her nur als einen dunkeln unbestimmt dahin und dorthin im Ii-
«ern der GemVithswelt pulsirenden, auf ihrer Oberfläche aber
schnell verschwindenden oder abspringenden Punct ahnden
konnten, sich aufschiiesst und als reiche und kraftvolle Quelle
mächtig hervorströmt.''' — „Poesie und Gesang waren die Flü-
gel, auf denen der Geist, als er die Hülle der Naturnothwen-
digkeit abgestreift, sicli emporschwang und den Lichtströmen,
die aus dem Aelher ihm entgegenquollen, jauchzend zuflog."
§17. Eigenschaften dieser Urpoesie: die Aeusserungen dieser
Dichtungen, durch die Begeisterung dieses Augenblicks Jier-
vorgerufen, nehmen einzig die Gestalt an, die der Augenblick
ausfiillt und mit ihr verschwindet. § 18. Festzustellen ist die
Allgemeinheit der Sagenpoesie unter den Völkern, die Bildner
und Träger einer mythischen Religion sind, und das Fortbe-
stelien dieser Diclitung in fortgesetzter, das Gepräge einer un-
willkiilirlich zwingenden Nothwendigkeit tragenden Gewohn-
heit. § 19. Die Sagendichtung eine heilige Poesie, eine Reli-
gion von ('?) der Religion, eine heilige Sitte der Völker, die
nicht nur allen andern Sitten (?), sondern dem Princip der Sitte
selbst (•?) den Ursprung gab. §20. Die Totalität der Elemente,
welche die Urpoesie barg. § 21. Verhältniss der Mythendich-
tung zur eigentlichen Dichtkunst. Die Sagenpoesie episch, ly-
risch und dramatisch zugleich. § 22. Verhältniss der Sagen-
poesie zur Tonkunst und bildenden Kunst. § 23. Die Sagenpoe-
sie, geschichtlich als Keim [*? War das für die bildende Kunst
niclit vielmehr die Symbolik '?] und Anfang der Kunstwelt, ist
in der Idee das Eingehen derselben in eine höhere, jenseit der
Kunst selbst liegende Einheit ('?). §24. Daraus folgt, dass auf
ähnliche Weise, wie die Elemente der Kunstvvelt, auch das
Element der Speculation ausdrücklich in der Sagenwelt enthal-
ten ist. Weil aber beide Elemente (die Idee der Wahrheit und
der Schönheit) im Widerspruch (?) sind: so ist allein (?) die
vermittelnde Idee der Gottheit in der Sage die herrschende.
§ 25. Die Sagenpoesie ist eine gleich sehr speculative als künst-
lerische Thätigkeit. § 20. Verhältniss der künstlerischen
und speculativen Thätigkeit (wie Körper und Seele, Form und
Gestalt). § 27. Die Sagenpoesie ist nicht bloss Wissenschaft,
noch Kunst ; sie ist zugleich Religion. § 28. Die Sagenpoesie
ist, wenn nicht eine ideale Verklärung der gesaramten Ge-
schichte der Welt, doch ein von der Gottheit selbst gezeichne-
ter Umriss ihres Gehaltes und ihres Schicksales ( ! ! ). § 2!K
Das Zeitalter, in welchem die Sagenpoesie blühte, das heroi-
sche. §30. üebergang zum Folgenden. Nothwendigkeit, das
Verliältniss der Zeit der Sagenentstehung und des Volkes, wel-
ches vorzugsweise ihr Träger ist, zu vorangehenden und nach-
folgenden Perioden und zu andern Völkern der Weltgeschichte
Weisse's Darstellung der griech. Mythologie. 145
festzustellen. §31. Vorheroisches Zeitalter. §32. Das höch-
ste (?) und letzte (?) Resultat des Kampfes zwischen Geist und
Natur ist diejenige Weltanschauung (?), die wir Symbolik nen-
nen. § 33. Die Symbolik ist die unmittelbare Vorläiit'erin der
Sagendichtung. § J'4. Ilerocntlium und Sagenpoesie sind ans-
schliessendes ('?) Attribut der Volker Europa's ('?). § 35- Wie
die Sagenp. die einzige und ausschliessend ächte unmittelbare
(Quelle der Mythologie ist, so ist die Symbolik der morgenlän-
dischen Völker, insbesondere der Aegypter, die wesentliche ('?)
und nothwendige('?) Quelle der griechisciien Mythologie. § 3f>.
Das Bliithenalter des lleroenthums und der Sagendichtung dauert
so lange, bis der Geist, der in beiden lebt, eine objectiveForm
gefunden hat, in der er jenseit der genialen aber form- und
bewusstlosen Subjectivität der Individuen fortbestehen kann.
Staat, Cultus, Kunst sind diese negativen Formeinheiten. —
Fiir Griechenland bezeichnet den Zeitpunct jener ümbüdung
die Heraclidenwanderung [*? Viel zu friih!], eine Begebenheit,
deren eigentlicher Grund einzig (1) in dem von dem Geiste der
Geschichte selbst (?) entzündeten Drange, die heroischen Ge-
schlechter und Individuen durcli gemeinschaftliche Kriegstha-
ten und durch Eroberungen in objectiv bestehenden Staatskör-
pern zu vereinigen, zu suchen ist. [Zu dieser aussergeschicht-
lichen Idee des Ursprungs des Heraklidenznges hat sich meines
Wissens noch kein Historiker erhoben. Jeder verständige For-
scher wird sie als nichtig von sich weisen.]
B) Von den Quellen im subjectiven Sinne.
§ 37. Quelle der griechischen Mythologie im subjectiven
Sinne des Wortes ist Alles, was aus dem Alterthume von schrift-
lichen und bildlichen Denkmälern uns erhalten ist. Der Ziel-
punct dieser Untersuchung ist die Beantwortung der Frage, ob
und auf welche Weise in diesen Quellen die Thatsachen nie-
dergelegt sind , durch die wir eine vollständige Kenntniss der
Mythologie und die Einsicht in ihre Bedeutung erwarten kön-
nen. § 38. Literatur und Kunst, inwiefern sie Quellen der
Mythologie sind. § 39. Drei Perioden der griecliischen Litera-
tur und Kunst: die epische, die Periode der Kunst, die Periode
der Wissenschaft. §40. Die Gedichte des Ilomerus unter al-
len Quellen der Mythologie nicht nur die älteste, sondern auch
die reichste. § 41. Die cyclischen Gedichte vollendeten (?)
die Aufzeichnung der mythischen Thatsachen in zusammenhän-
gender Erzählung. § 42. Eigentirümlichkeit des zweiten
Zeitalters ist die Entwickelung und Ausbildung der Künste und
Wissenschaften. § 43. Die lyrische Poesie als Quelle des My-
thus. § 44. Diejenige Kunst, welche in ilirem Bereich den ei-
gentlichen Cyclus mythischer Darstellung unifasst , ist die bil-
dende. §45- Die dramatische Poesie, in welcher die Kunst-
literstur der Griechen ihren höchsten Gipfel erstieg, zeigt uns
Jahrb. }, fhil. u. l'ädag, Jahrg. V. Heft t. J0
146 Mythologie.
in ihren beiden Gattungen, der Tragödie und Komödie, die
mythische Welt vollkommen vermählt mit der geschichtlichen
Wirklichkeit. § 4(5. Die wissenschaftliche Literatur dieses
Zeitraumes, die liistorlsclie und philosopliische, so reich und
wichtig an sich, ist tur die Mytliologie doch von geringerer ('?)
Bedeutung. § 47. Das dritte Zeitalter der griechischen Lite-
ratur (in welche nunmehr auch die römische, als gewisser Ma-
ssen ein Ganzes mit jener bildend, eintritt), ist seinem allge-
meinen Charakter gemäss, auch für die Mythologie ein Zeital-
ter des Sammlens und Ordnens äusserlicher TJiatsaclien. Der
Geist der Mythologie ist bis auf sparsame Nachziige der kVinst-
lerischen Schöpfungskraft und Darstellung in dieser Periode
für gänzlich erloschen zu achten. —
Man sieht aus dieser Uebersicht, dass der Verf. in diesen
§§ Tür den Mythologen sehr interessante Dinge zur Sprache
gebracht hat; in den oft sehr ausführlichen Anmerkungen wer-
den sie noch weiter besprochen. Nur Schade, dass dieselben
falschen Ansichten immer wieder zum Vorschein kommen, an-
dere noch obendrein, und dass das Ganze in einem langsamen,
schwerfälligen, gedrückten, dunkeln, undeutschen (z. B, We-
senheit, Formthätigkeit), mitunter gezierten Style vorgetragen
ist, der für ein philosophisches Werk dieser Art ganz unpassend
ist, und der das Lesen und Verstehen des Buches gar sehr er-
schwert. Ilaben wir also den Verf. hier und da missverstan-
den, so hat er sich das selbst zuzuschreiben. Der Recens.,
welcher sich für den Fortgang der wissenschaftlichen Begrün-
dung und Ausbildung der Mythologie, die in vielem Betracht
so angenehm und nützlich ist, ungemein interessirt, würde dem
Hrn. W. freundschaftlichst rathen , bevor er die griechischen
Sagen nach seinen jetzigen Grundsätzen zu deuten fortführe,
eben diese Grundsätze einer nochmaligen strengen Prüfung zu
unterwerfen und dabei den Rath Anderer nicht zu verschmähen,
besonders nicht den jener nüchternen Forscher, auf welche
derselbe aus seinen hohen Sphären mit Hohn und Verachtung
herabschaut. Da er schon ein Mal wegen seiner Ansichten
harten Tadel erfahren hat, so würde er, sollte man glauben,
um so misstrauischer gegen sich werden und an seinem Systeme
verbessern, was zu verbessern ist. Seine Absicht, die Mytho-
logie zu einer wirklichen Wissenschaft zu erheben und bei der
Deutung der einzelnen Sagen auch das Speculative und Aesthe-
tische derselben gehörig würdigen zu lehren, erkennen wir als
ganz vortrefflich an, so wie wir auch unverholen gestehen,
dass wir seiner Darstellung über die objectiven Quellen der
Mythologie manche einzelne treffliche Belehrung verdanken.
Heffter.
Römische Litterat iir. 147
Römische Litteratur.
M. Tullii Cicer Ollis de Divinatione et de Fato
libriy cum omniuiu eruditoruiu annotatioiiibus , quas loannis
Daviifii editio ultima habet. Textiim dciiiio ad fidcm comphirium
codd. msstoram, edd. vett. aliorumque adjumentoi-uni recogiiovit,
Friderici Creuzeri et CaroU PhiUppi Kayscri suasque animadversio-
nes addidit Georg. Henr. Moser, pliil. Dr. et Gymn. Ulm. Rector.
Francofurti ad Moenum, ssumptibus et typis H. L. Broenneri. 1828.
XXVI u, 769 S. 8.
jtl.r, Prof. Moser gab sich, im Verein mit dem Firn. Geheim.
Rath Creuzer, seit 10 Jahren um die philosophischen Schrif-
ten Cicero's das nicht geringe doppelte Verdienst, sie nicht bloss
durch eine 31enge handschriftlicher Collationen selbst verbes-
sert zu bieten; sondern auch die Leistungen seiner Vorgänger
concentrirt, die stets schätzbaren Bemerkungen von Daves
aber vollständig wiederzugeben. Bloss darin trat Aenderung
in den Plan, dass bei de jNat. Deor. selbst nicht corrigirt, die
handschriftliclien Lesarten aber vollständig aufgeführt wurden;
bei de Legg., de Kep. und in vorliegender Ausgabe eine förm-
liche llecension veranstaltet, die Lesarten in letzterer aber
minder vollständig aufgeführt wurden. Wahrscheinlich Hess
Hr. Moser sich durch des zu früh vollendeten Prof. Bei er s
Vergleich mit dem Erbsenlesen abschrecken. Indess bei ern-
sten Dingen sind gerade Witzworte die schlechtesten, weil sie
nur halb passen, und die zweite Hälfte der Sache in ein gehäs-
siges Zwielicht stellen! Die Sache selbst bleibt höclist wich-
tig und berücksichtigungswerth , da sogar in der völlig sinnlo-
sen Lesart nur zu oft der Stoff zu Auffindung des Wahren ruht,
das sich dem Scharfsinn nicht selten erst dann enthüllt, nach-
dem eine Menge Vorgänger unbeaclitet vorübergingen. Und
von wie vieleuHandscluiften wollen wirnoch das versteckteWahre
in freyer offen liegender Lesart erwarten 1 Man achte nur darauf,
was wir den meisten zeither benutzten unmittelbar verdanken!
Wie unbedeutend sind im Ganzen die Verbesserungen, die aus
neuen Vergleichungen geraden Weges gewonnen werden! Selbst
das doppelte Dutzend der von Hrn. Moser in beiden vorliegen-
den Werken benutzten erspart uns alle weitern Belege. Nur
Combination vermag noch Bedeutendes zu leisten: diese aber
findet allein in den Abweichungen der Handschriften ihr F'eld
und ihren Spielraum. Auch fordert insbesondere der Umstand
auf, bei Collationen getreu alle handschriftlichen Abweichun-
gen anzugeben , dass bei neugebrauchten Vergleichungen der
Verdacht der üngenauigkeit, sind die Abweichungen (besonders
10*
148 Römische L i 1 1 e r a t u r.
Wortstellung betreffend) nicht vollständig angegeben, fast un-
vernieidlicli ist; dieser Verdacht aber niuss notliwendig die
Sicherheit des kritischen Urtheils selbst schwächen. Nicht
selten überliefen uns niissbehaglicheGefiilile, wenn, bei denWort-
iimstellungen unsrer Handschriften, wir die Moserschen stumm
fanden. Die geringste Wortumstellung ist beim kritischen ür-
theil wohl zu beachten: theils weil gerade hierin die Abschrei-
ber am meisten sündigen, theils weil zeither die Kritik diesen
so wichtigen Gegenstand nur zu sehr ausser Augen Hess. Jede
Textabweichung, bevor sie giündlich geprüft ist, bleibt wich-
tig.— Es gleicht überhaupt derKritiker dem Goldwäscher, der,
jemehr er goldhaltigen Sand wäscht, um so sichrer auf Aus-
beute rechnen darf; lässt auch, im Vergleich des vielen Geril-
les, nur wenig Goldstoff sich aussondern.
Nehmen wir jetzt auf Cicero's Werk de Divinatione von
Seiten der frühera Leistungen Rücksicht, so müssen wir es zu
den verwaistesten aller philosophischen Schriftwerke dieses
grossen Römers rechnen. Denn seit Daves, das ist, seit 1730,
gewann es durch liandschriftliche Hülfe wenig. Ernesti
bi achte ihm, neben seinem scharfen und richtigen kritischen
Uiüicil, das jedoch schon das hohe Alter abgestumpft hatte,
bloss die Lesarten einer VVolfenbüttler Handschrift zu, welche
dieser indess genauer benutzte, als es sonst seine Art war.
Hottinger nutzte bloss die 4 Collationen der Oxforder Aus-
gabe, die im Ganzen wenig Ausbeute liefern. Gleichwohl ist
gerade dieses Werk noch so beschaffen, dass in überaus vielen
Stellen sein Heil nur von guten Handschriften zu erwarten
steht. Die zeither benutzten scheinen alle Abkömmlinge eines
einzigen spatern Codex zu seyn, auch keine von ihnen zu einem
bedeuteiitlea Alter hinauf zu steigen. Die Ursache davon schrei-
ben wir tlieils dem Inhalte des Werkes selbst, das in dem lan-
gen Zeiträume superstitiösen Glaubens, und während der Herr-
schaft des Stoicismus, nur für einzelne lichte Köpfe Interesse
und Anziehkraft haben konnte: theils dem ausdrücklichen De-
crete des Kaisers Antoniuus Pius zu, welches diese 2 Bücher,
tcmiquam religioni apprime nosios, geradezu zu lesen verbot:
wenn es anders richtig ist, was Minutoli de tetnplis dissert.
V versichert.
MitHrn. Moser's Ausgabe scheint indess eine besonders
günstige Zeitperiode für dieses Ciceronische Werk zu beginnen:
denn unter 12 Nummern werden uns neu benutzte handschrift-
liche Collationen geboten; ausserdem noch die Vergleichiingen
der vorzüglichsten alten Ausgaben; wie sorglicher Gebrauch
aller zeitherigen Ilülfsmittel für Kritik und Interpretik: für wel-
ches Alles überdies noch die bekannte Genauigkeit des Hrn.
Herausgebers bürgt. Ja es werden auch nocli unbenutzte zu
spät eingegangene Collationen einer Augsburger und Wolfen-
Ciccr. de Divinatlonc et de Fato. Kdiil. Moser. 140
büttelsclien Handschrift, wie von Auggaben die der Ven 1507,
der Jiintinisclien und ersten Lanibiiiischen nachgetragen. JNiclit
weniger zahireicli sind die für das angeführte Fragment deFalo
gebrauchten Quellen nnd FUilfsmiKel, da, unter andern, eben-
falls 12 Ilandschrift-Collationen dafür genutzt sind; ausserdem
noch die Varianten von 2 Augsburger riaudschriften und des
Gud.2, nebst den Abweichungen der Ven. 1485, der Juntine
und Lamb. 1 zu kiinftigem Gebrauche (das Alles von pag. 705 —
753) angefügt sind. Vor letztern geht noch der Turnebisclie
Coiumentar zu de fato p. fj57 — 685 nebst 2 Excursen über fat.
YIl, 13 und über XII, 28 vorher: welchen von 51)9 — 701 Addi-
tamenta folgen. Das Ganze schliesst ein flelssig gearbeiteter
Indexp. 753— 769.
Sehen wir jetzt auf den Gewinn, welchen das Werk selbst
aus diesem so stattlichen Apparate zog, so ist das Geleistete
zwar alles Dankes werth, allein der reine Ertrag steht bei wei-
tem unter der Erwartung, welche eine solche Zurustung noth-
wendig erzeugen rausste. Die Ursache ruht hfervon grossen
Theils in der Unbedeutenheit der benutzten Handschrifteu
selbst, unter welchen sich auch nicht eine wirklich ausgezeichnete
findet: doch, sollen wir aufrichtig die Wahrheit, wie sie unsr
die Pflicht abfordert, gestehen, so müssen wir sie auch im
Herausgeber mit suchen. Reichere Ausbeute hätte allerdings
für Kritik, wie Interpretik, aus dem alten Stoffe und neueu Zu-
wachse gewonnen werden können, wenn überall scharfes , vom
Sprachgebrauche unterstütztes, Urtheil zullathe gezogen wor-
den wäre. Wir sind weit entfernt, mehr zu behaupten, als
mit unsrer festen üeberzeugung zusammen stimmt, zumal da
wir Hrn. Moser's unerraüdeten Eifer zu schätzen wissen : indes»
mag ein Beleuchten der ersten Capitel des Werkes selbst zum
Belege dienen.
Cap. I, 4 wird in den Worten Magnifica qtiaedam res, si
modo est ulla^ richtig quuedam^ statt quidem , für acht aner-
kannt: indess hätte est ^ \ or ulta^ durch 111 N. D. 27, 70, si
modo Ulli sunt, gestützt werden sollen. Der Grund der Um-
stellung des est spricht sich von selbst aus. — Gleich darauf
sind wir bei den Worten der Vulgate, quaeque projcime ad deo-
rum vim natura mortalis possit accedei e, noch nicht zufrieden
gestellt. Die Lesart proxima ist zu stehend in den Handschrif-
ten, dass wir nicht die Stelle von andrer Seite für verdorben
achten sollten. Konnte nämlich nicht Cic. quaque pr o.vima
ad deorum vim via nat. m. p. ac. gesehrieben haben'? schon
nach vim^ weit eher noch vor natura^ dessen gewöhnliche Ab-
kürzung na ist, (daher dies Wort so oft mit vera und nam ver-
wechselt wird), konnte via leicht ausfallen, Ueberdem ist
via pioxinia ad im tropischen Sinne in (Jiccio\s Geiste. II 011".
150 Römische Litteratiir.
12, 43: hanc viam ad laudem proximam^ et quasi compendta-
riam dicebat esse. Auch accedere ad — vid braucht dieser II
Fin. 14, 44. Endlich liebt er das Spiel mit gleichen Sylben
mehr als irgend ein Schriftsteller, vgl. Flacc. 42, 105: illam
vitae viam., IX Divv. Iß, 10: videntur vim virt litis teuere., Mil,
11,30: vi victa vis., Sext. 41,88: vi vim oblatam etc. Eben
darum halten wir auch mit Wunder bei Sext. 21, 48 ne vi-
deret victorem vivus inimicum, viviis {est: so wie dagegen uns
Orelli's gerade entgegengesetztes Urtheil bei I Tusc. 30,
'J3 über rate — ratio auffällt; denn sicher wählte dort Cic. den
Ausdruck ratis zu ratio absiclitlich. Dass durch unsre Vermu-
thung die Stelle selbst gewinnt, spricht sich von sich selbst
aus. Gewiss bleibt es indess , dass Cic. auch anderwärts ad
deos proa^ime accedere hmuclit: nur glauben wir , dass, sobald
er via schreiben wollte, er desswegen eben ad deorum vim und
niclit ad deos setzte; gerade wie ilin (das beherzige man wolil),
in der von Ilrn. Moser citirten Stelle V Fin. 15, 43 der Gedan-
ke an das nächstfolgende virtus bewog, vis hominis zu schrei-
ben, und wie er gleich absichtlich auch unten § 3 vi videretur
schrieb. Ausserdem kommt vis., so wie es in beiden Stellen
gebraucht ist, nicht vor. Ueber die Liebe Cicero's zu gleichen
Anlauten selbst sehe man übrigens die Stellen, welclie jüngst
Bei er zu Laei. 21, 79 u. 23, 88 aus fast unerschöpflicher
Quelle sammelte.
§2 stehen wir an, in der Stelle Geniem quide7n nidlam
Video, neque tarn humanam atqne doctam., neque tam iminanem
atque Barbar am., das statt des dritten tomque mit Daves
wieder aufgenommene zweite atqne zu billigen. Zwar kehrt
diese Partikel nicht selten in nächster Stellung wieder, I Orat.
48,210: Kpaminondam atque Hannibalem atque ejus ge-
iieris homines. vgl. daselbst 23, 105. 39,180. Allein, ausser
dass wir eine Stelle bei ähnlichem Gegensatze vermissen, sehen
wir selbst nicht ein, warum tamque nicht eben so gut von Ci-
cero's Hand kommen könne, als das in einer einzigen Hand-
schrift und alten Ausgabe gelesene, von den Abschreibern
(welche solche Constructionen der Gegensätze gern ängstlich
ausgleichen) weit leichter, und daher richtiger abzuleitende
atque! Ja dies um so mehr, da wir nicht wissen, ob hier nicht
Cic. daran dachte, dass auch non barbarae gentes zuweilen so
liandeln können, als wären sie immunes: dann wäre ja tamque
ganz an seiner Stelle! Was ist es endlich nöthig, das dritte
tamque zur Opposition zu ziehen , da diese das doppelte neque
bestimmt scheidet? Zudem pflegt überdies Cic, zwischen die-
sen beiden Adj. nicht atque., sondern in Hegel ac zu setzen:
man sehe, was wir zu 7, 12 bemerken werden. — Nächstdeni
gehören die W^orte ut ab idtimis auctoritatem repetam in Pa-
renthese, welche öfter nicht gehörig beachtet ist. So ist sie
Cicer. de Divinatione et de Fato. Edid. Moi^er. 151
z. B. gleich iiöthig zu dem kurz nachher Folgenden (non ex
artis — nominal i). Ausserdem wäre Chaldaei illi^ doch min-
der passend, zu rathen. Doch § 9 musste diese nicht, wie wir
in einem vor 24 Jahren geschriebenen, und von Hrn. M. benutz-
ten Programm behaupten, mit praesensio^ sondern nach disseri
geschlossen werden. § 12 musste ebenfalls qiiod faciebat
etiamPanaetius parenthesirt werden, um nicht auch reqnirens
auf diesen zu beziehen u. s. w. — Ueber die trajectiones und
motusque stellaru7n musste, kurz darauf, fiir unsere angenom-
mene Meinung noch angeführt werden: dass Cic. trajectiones
fi'ir cursus desshalb setzte, weil er den Augenblick des vor dem
im Zodiacus befindlichen Fixstern vorüberziehenden Planeten
damit zugleich ausdrücken wollte. Er bediente sich desswe-
gen des griechischen Ausdrucks: denn der Verfasser der unter
Aristoteles Namen gehenden Schrift ntol Koö^ov schreibt so-
gar c. 2: diaTtBQalvBTai Kvxkov öskrjvr] Iv ^j/vl xov Bavrrjg. Wo
nahmen aber je, wieHottinger will, die Chaldäerauf Stern-
schneuzen, und andre electrische Lufterscheinungen Rücksicht !
— Doch warum wurde eben desselben Conjectur in den kurz
darauf folgenden Worten, qieibiis notatis, quid quoque nola-
retui\ festgehalten*? da c^^^yMe, in dem Sinne, tvas für Jeden
damit angedeutet würde ^ so ganz in den Context passt? Denn
Jedem wird, nach der Chaldäer Satzung, dasselbe Schicksal
zu Theil, der in demselben Augenblicke der Constellation ge-
boren wurde. Eben darüber giesst ja Cic. unten II Divin. 44
seinen vollen Witz aus! Wir Messen früher uns ebenfalls zu
dem Glauben verleiten, als musste bei cuique ^ significatnm es-
set^ stehen: allein das ist ein Irrthum , da quibus nolatis für
quae qmnn notata essent gilt. Schützens Vermuthung aber,
die Stelle sei Glossem, ist ganz unhaltbar. — Bei lon^inqui-
iate tejuporum^ saecidis paene i?mumerabilibus, ergiebtsich von
selbst, dass der zweite Satz die lanß^e Zeitenfolge näher.> nicht
nach Jahren, sondern nach Menschenaltern, bestimmen soll,
und sicher denkt Cic, wie Roos bemerkt, an die 47 Myriaden
von Jahren, seit welchen der ägyptische Prahlgeist das Alter
dieser Kunst datirte. § 12 heisst es tempore inimenso, und §
25 sogar ab omni aeternitate repetita. — Wir übergehen Un-
bedeutenderes, um § 4 bei den Worten eorum decem interpre-
tes delectos e civitate esse voluerunt über die Doppellesart e
und ex unser Urtheil anzufügen, E Messt die Vulgate seit
G ruter, doch ex schützen gute Codd., auch zwei der unsern:
auch die stimmen dafür, welche et lesen. Schwer ist's be-
stimmt zu entscheiden, welches von beiden hier stellen muss.
Will Cic. e civitate für ex civibus genommen wissen, so dass sie
den Gegensatz von omiiem hanc ex Etruria scientiam adhibe-
bant (d. i. Etrrt.scis cxercendam committebaut) , wie wir glau-
ben, bilden, so muss ej^stehn, weil dann das Gewicht auf ci-
152 Römische Litteratur.
vitate fällt , und nicht auf der Praep. ruht. Soll hingegen e
civitate für ex utilitate civitatis stelin, so kennen wir keine
Stelle, wo Cic. so statt e republica schriebe; auch fiigt sich
diesem Sinne der Zusammenhang minder bequem. Wir ziehen
daher ex vor. — Vorher wurde noch zu den Worten uno fii-
refile^ altero somniante nicht glücklich mit Rath hoinine sup-
piirt; man denke sicli vielmehr das gleich vorhergehende
motu wiedei', i. e. animi motu furore , somnio occf/pato, impli-
cato. — Tiefer wurde mit Recht das von Hottinger aufge-
nommene si quae festgelialten: doch dabei bemerkt, dass si
qua lectio aeque proba sei. Wie kann es das, nach bereits rich-
tig erkanntem Unterschiede der beiden Formen!"? Si quae ist
dasselbe was quaecunque : si qua hat diesen Sinn nie. Hätte
Cic. hier letzteres setzen wollen, so wi'irde er damit Zweifel
ausgedrückt haben, ob je auffallende Träume von Einfluss auf
das Staatsbeste geachtet wurden; sich also in dem gleich dar-
auf angeführten Beispiele widersprechen. — Bei dem Nächst-
folgenden, Visa sunt — neglecta sunt, fällt uns auch jetzt noch
das letztere sunt widrig auf: das erstere würde zu si quae nur
Unkunde streichen: wie wenig nach Nee vero es nöthig, lehrt
unter andern I Off. 8, 25: Nee vero rei familiaris amplißcatio^
neniini nocens, vitiiperanda, sedfugienda semper injuria. Bei
unserer Stelle kommt noch der widrige Gleichlaut des Ausgangs
heider Sätze in Anschlag, welchen Cic. sonst ernstlich meidet.
— Cap. 3, 5 gaben die Worte vetere Academia et Peripateticis
consentientibus ohne ihre Schuld Anstoss ; die nichts anders
sagen sollen, als quum Peripatetici cum vetere yJcademia con-
sentirent^ oder neque Peripatetici dissentirent^ quippe qui cum
Academia^ a Piatone Socratico oriunda^ sentirent. So die
Stelle gefasst, darf sie nicht im geringsten auffallen: denn in
ihr herrscht über bekannte Dinge zusammengedrängter Begriff.
Ueberhaupt jedoch ist nicht zu läugnen, dass die ganze Stelle
eine Art geschichtlicher Verworrenheit an sich trägt, deren
Grund aufgesucht werden muss. Denn während Socrates und
Zeno, gleichsam wie geschichtliche Endpuncte, zusammenge-
stellt sind, dann die Conformität des Peripatos mit der alten
Academie versichert wird, findet ein neuer Rückblick auf Py-
thagoras und Democrit statt, um mit dem Allen Dicäarch und
Cratipp und besonders Panätius zu contrastiren. Doch eben
diese Contrastlrung ist Cicero's Hauptaugenmerk, indem er sich
durch dieser Männer Beispiel gegen den Vorwurf zu decken
sucht, dass er es wage, gegen die Behauptungen aller Philoso-
phen aufzutreten. Im Gesprächtone vermied er aber absieht-
lirh die historische Reihenlolge, wie er oft thut. — § 0 wurde
hei id nos ut in reliquis rebus faciamus mit Recht ul und rebus
festgehalten : doch musste bemerkt werden, dass Cic. in Regel
■ul so dem zu marquirendeu Pronomen nachstellt, und dann die
Cicer. de Divinatione et de Fato. Edid. Moser. 153
Absclireiber eben so in Resel dieses wi versetzen, oder wej?-
lassen. So wurde Mii. 28, HÜ per ?ne ut unum nur erst neulich
richtig umgestellt: dasselbe muss noch geschehen I N.D. G, 15:
me ut Cotta vidit. So muss ebenfalls, durch Combination des
Vat mit der Vulgate, II Pliil. 3, 5 eum tu ut occideies, we-
gen Nachdruck des Zusanimeiihauges, gelesen werden u.s. w. —
Zu Anfang des 4n Cap. wurde Ktenim desshalb nicht richtig
gefasst, weil die tiefer folgenden Worte faciendum videtur, ut
nicht als Nachsatz, den sie bilden, genommen wurden. Dieses
mit leichtem Gegensatze, statt Sed e/iim^ übergehende Etenim
wurde unten II, 69, in. riclitig begriffen. Dass aber bei Cic.
die Redeform facienduniy ut eigentlich dem Nachsatze ange-
hört, beweisen unter andern III Legg. 20,48: faclendum tibi
est^ ut, Orat. 38, 111: sed est facienduui^ ut ^ III Divv. ep. 8,
1: faciendum mihi pulavi^ ut etc. Somit gehört \ov faciendum
ein Kolon, und alle diese Beispiele sind nach der Norm des so
häufigen /c/c, ut zu erklären. Man iibersetze sonach: Indem
wir indess selbst untersuchen wollen^ was denti eigefitlich
über die l orsehungs-Gabe zu urtheilen sei — ; haben wir ^ wie
es scheint^ so zu verfahren^ dass etc. — Kurz darauf würden
wir in der Stelle libris, quos de natura deorum scripsimus, das
empfohlene perscripsinius kaum für Latein halten. Denn so
Aveiiig wir auch perscribere ad aliqiiem librurn tadeln, so
möchten wir docii nie einfach perscribere librum gutheissen ;
dagegen wohl conscribere. Auch darf man nur deneigentliümli-
chen Gebrauch des Verbums z. B. bei Wechseln und Obligatio-
nen kennen, um sich zu überzeugen, dass es immer im überge-
henden Begriffe steht. — Kurz darauf würden wir bei ^;^ eo
loco maxime imwdQV auf die Bedeutung von yuaestione, inateria
hinweisen, sondern es lieber in dem Fcdle besonders übersetzt
sehen ; wie Tuultis in locis I Verr. 35, 88. Selbst möchten wir
jetzt, auch ohne Präposition, I Flu. 20, 66 quo loco durch bei
^reichem Falle, welcher Gelegetiheit^ verstanden wissen. —
Zu Anfang des Cap. 5, 8 war alias saepe zu schützen, da Cic.
in Hegel umgestellt schreibt. Hier hat nämlich alias den Nach-
druck durch den Gegensatz von nuper , vgl. II Acadd. 3,9: et
alias saepe, et quondam. Doch unter unsern Codd. kennt der
Erlanger alias nicht: auch wird wirklich diese Partikel so
weggelassen V Tusc. 8, 22: et cum Jlntiocho saepe, et cum
Aristo nuper; I N.D. 21,51: idque quum saepe, tiimpau-
lo ante accidil. Wir können sie daher Ili Olf. 11, 47 nicht
billigen, wo sie die meisten Handschriften verwerfen: jiier in-
dess steht sie wohl sicher richtig. — hei Bicilur quidem istuc
scheint Hr. Moser zu zweifeln, ob quidem richtig vor istuc ste-
hen könne. Wohl stellt es so oft vor allen Pronora., Meiin sed
ilim folgt, und die Sache selbst oder die Zeit zu marquiren ist.
Bei vorausgehendem Verbum , wie hier, Orat. 25,85: adhibet
154 Römische Litteratur.
quidem hie siibtilis (orator). Nun braucht zwar etc. So
schrieb Or ein neulich richtig mit dem Vat.I Phil. 11 in.: Irasci
guidem vos mihi. Man übersetze hier: Es tvird allerdings
diess von Cotta behauptet, ja selbst öfter. — Kurz nachher
sind die Worte ne coimmmia jura inigrare videatur,, nach
Turnebus Bes(«erung, sicher richtig: denn cofnmuni jure ini~
grare ist kein Latein. Wie kann aber domo — 7nigrarat zum
Belege dienen, dass dieses Verb, mit dem einfachen Abi. rich-
tig stehe'?! — Zu Ende des Cap. können wir das bestrittene
Vera auf keine Weise dulden. Wir setzen für's vollständige
Urtheil die volle Stelle her: JEgo enim sie existimo^ si sint ea
gener a divinandi vera., de quibus accepimus , quaeque coli-
vius, esse deos; si dii sint, esse qui divinent. Wer Cic.
kennt, muss glauben, dass, schrieb er rer«, er auch in diesem
scharf folgernden Gegensatze si vere dii sint geschrieben haben
würde. Man vergleiche § 12: Si enim est verum — illud
quoque verum est. Er wollte aber, und konnte jenes hier
nicht setzen. Er wollte es nicht, weil er sint vorsetzte, und
diesem dadurch die Asseveration schon selbst beilegte: er
konnte es nicht setzen, theils schon wegen der scharfen Oppo-
sition, theils weil es divinandi das nöthige Gewicht raubt, und
dem strengen Folgerungs-Schlusse etwas ganz unnöthig Schlep-
pendes giebt. Oben § 5 herrscht ein ganz andres \ erhältniss,
ob es gleich auch dort Verdacht erwecken kann: denn da lässt
sich die Stelle übersetzen: Warum es wirklich eine wahrhafte
Vorhersehungsgabe gebe. Auch vermag keine der übrigen
Stellen es in der verhandelten zu schützen. — Cap. 6, 10 bil-
den die Worte Qtiortun neutrnm den Nachsatz, da die von si
quidem abhängigen Zwischensätze zur halben Parenthese ge-
hören; sie durften also nicht durch einen VoUpunct geschieden
werden. Quorum steht nämlich für Sedeorum, undcorrespon-
dirt mit dem vorhergehenden qtiidem. Eben so war kurz nach-
her Aamquum antiq. als Nachsatz zu behandeln; wie nur zu
oft falsch nam, wo es reine Nachsatz-Partikel ist, widerrecht-
licli das Vollsatzrecht sich anmasst. Hier ist es noch dazu el-
liptisch, statt nam ?io?i est^ cur praeter ceteras sentiam., ge-
setzt. Tiefer bemerkt Hr. Moser zu quod huic sermoni prae-
vertendum putes: Hoc sensu, ut sit i. q. praeferre, verbo prae-
vertendi non usus est Cicero. Warum nicht'? vgl. II Phil. 35,
88 : Sed incidi in tempus , quod iis rebus , in quas ingressa
est oratio, pr aevertendum est. — Doch wir wollen etwas
weitere Schritte machen , und minder Bedeutendes übergehen.
— § 12 wird zu den Worten aut extispicuni, aut monstra, aut
fulgura interpretantium bemerkt: movit me potissimum Goe-
reiizii non auctoritas, sed accurata disputatio: es wurde näm-
lich auf dieses Empfehlung extispicum, statt extis pecudum
aufgenommen. Was will iudess Hr. Moser durch auctoritas
Cicer. de DIvInatione et de Fato. Edid. Moser. 155
hier sagen? kennt er bei Gelehrten eine andere, als die sich
jedesmal auf gründliche Ansicht der Sache stützt'?! Görenz
ist iiidess hier gerade mit sich am wenigsten zufrieden. So
richtiges auch bleibt, dass extis pecudum tadelswürdig ist, so
niusste doch der wahre Grund, so nahe er auch liegt, davon
angegeben werden. Dieser ist, dass so hier pecudum vöUig
müssig stehen würde; wie es auch, zu exi« gesetzt, ohne Bei-
spiel ist. Der Beisatz pecudum liCmniQ nur dann gelten, wenn
sich hier eine Distinction denken liesse: etwa mit Rückblick
auf Vatin. 6, 14: non puerorum extis'i doch das würde fade
seyn. Dass diesen Grund FIr. M. nicht fasste, ergiebt sich aus
der Billigung des Schiit zis eben Aushülfmittels, der mit ha-
i'uspictim^ exta pecudum auf eigene Hand schrieb; wenngleich
der Einsatz für zu kühn erklärt wird. Exlispicum ist sicher
richtig; will man anders nicht exta allein lesen, so dass pecu-
dum für Glosse gälte; (denn auch darin hat Görenz nicht
Recht, dass exta iiiterpretari nicht vorkomme; es steht wirk-
licli so unten II, 12, 28: Alios enim alt'o more videmus exta
iiiterpretari:^ aber auch exta kennt keine Handschrift.
Ausserdem hätte aber derselbe auch noch Anderes berücksich-
tigen müssen. Denn man beachte die Stelle genauer, mit ex-
tispicumj aut monstra, aut fulgura interpretaiitium, um sich zu
fragen, ob es 3 Arten von Haruspizen gab , da doch das ganze
Alterthum ihrer nur zwei kennt : nämlich die gemeinen, welche
alltäglich zu Rom die Opfer besorgten, deren bekanntlich eine
bestimmte Zahl war, die, unter des summus aruspex Aufsicht,
einen besondern Verein (nicht coUegium) bildeten (denn wer
darf glauben, dass die Menge Haruspizen zu Rom ohne Auf-
sicht und besondere Behörden waren'? vielmehr lässt sich so
etwas schon von selbst denken ; dies bemerken wir nur vorü-
bergehend, wegen I, 41 pag. 303. Summus aruspex denke man
sich aber, wie summus decurio in den Municipien); und dann
die nur für ausserordentliche Fälle aus Etrurien dahin Berufe-
nen aus dem Range der Lucumonen. Letztre besorgten alles
auf Prodigien Bezug habende, durch consularische Edicte auf
Senatsbeschluss dazu aufgefordert. So viel lässt sich als be-
kannt vorausstellen; Anderes, die neuesten Untersuchungen
hierüber Berichtigende und Ergänzende, würde zu weit auslau-
fen. Genug, hier wird unter extispices die erstere Art von Aruspi-
cen, die andere unter mojistra interpretaiitium verstanden. Ist
nun das dritte aut acht, so muss es nothwendig auch noch eine
besondere dritte Art gegeben haben, die bloss die Wirkungen
des Blitzstrahls berücksichtigten ; wovon sich jedoch nirgends
auch nicht di^ geringste Spur zeigt. Vielmehr berücksichtig-
ten dieselben Aruspicen aus den Lucumonen beides, d.i. alle
übrige, für damalige Zeit wunderhafte Ereignisse, nebst den
verschiedenartigen Aeusserungen des Blitzes, gleichmässig, da-
156 Römische LItteratur.
her auch in eigens hielier geliöriger Stelle unten II, 11, 26:
estispicmn, eorumque qui ex fulgurihus osteiitisqiie (nicht t"e)
praedicerent^ gesagt wird. Es bleibt daher nichts übrig, als
atit in ac umzuwandeln: wie denn nicht selten beide Partikeln
vertauscht werden, vgl. III Verr. 9, 28; I Orat. 5, 18. Dagegen
hüte man sich , fulgtira etwa mit dem folgenden migurum in
Verbindung zu bringen; denn diese kümmerten sich nur um
fulgora; von denen dieses Wort bekanntlich \on fulgere, jenes
ahev \on fulge re ^ das nur auf den Blitzstrahl bezogen werden
darf, abzuleiten ist. — C. 7 musste statt et sigiiificationis
eventii anitnadversa et notata die frühere Lesart et in sig?iiß-
catione eventus zurückgerufen werden: denn der Sinn ist: cum
sigitificaret eveJitus, haec signa iia evenire soler e ^ und^ wäh-
rend der Erfolg die Andeiitun»; bestätigte, beachtet tind aufge-
merkt. Wenn aucli mehrere Handschriften ^/^ nicht haben, so
fiel es ja so oft im Begriffe des vmhrend aus, dass diess nicht
in Anschlag kommen darf; genug, dass es die bessern alle an-
erkennen. Dann rauss auch wahrscheinlich, wie wir schon oben
zu § 2 andeuteten, ac notata iür et mit einem Cod. von uns und
mit Nizolius gelesen werden, statt dass unser Erl, atque beut:
denn so, und nicht anders, schreibt Cic. bei Verbindung dieser
beiden Verba. ISicht bloss nämlich in der von Hrn. Moser ci-
tirten Stelle 33,72: eventis animadversa ac notata., sondern
auch I, 14, 25: aniinadvertendo ac tiotando; 18,34: obser-
vatis ac 7iotatis signis; I Orat. 29, 109: animadversa ac no-
tata. Wenn aber in erst angeführter Stelle dennoch aus dem
Gruude et geschrieben wurde, cum ac post vocabulura in a de-
sinens male sonat; so lässt sich das Cicero gar oft zu Schulden
kommen ! vgl, II Verr. § 4. 46. 94. 160. 187. — (ausser den schon
angeführten Stellen). — Die näclistfolgende Stelle ?iihil est
autem — possit klärt sich von selbst durch richtige Ueberse-
tzung auf: JSichls giebt es aber ^ tvas eine lange Zeilenfolge,
aufgefasst durch'' s Gedächt niss ., verbreitet durch schriftliche
Denkmäler, nicht zu bewirken u?id sich afizueigJien vermöchte.
— Doch wir gehen zu einer Stelle über, die ebenso viele als
verschiedene 3Ieinungen erzeugt hat, und erlauben uns, die
unsere ausführlich beizufügen. C. 9, 15 wurde geschrieben
Quis est, qui, ra?nmculos hoc videre , suspicari possit ? Ssd
inest mira vis in ranunculis., et natura quaedam significans ali-
quid etc. Betrachten wir zuerst die Lesarten, als den eigentli-
chen ürtheilsstoff, so scheinen die meisten Handschriften mire
vis et ranunculis natura., mit ihnen zwei der unsrigen, zu bie-
ten. Zu diesen gehört der Eliens., der eliam bessert: in re vis
hateben daher seinen Ursprung. Einzelne lesen noch in renis et,
mit einer von uns, woraus wahrscheinlich in rivis entstanden,
welchem die Vulgate folgt. Ausserdem beut noch einer der
unsern in granis et ramunculis., wo sichtbar das letztere Wort
Circr. de Dxvlnatione et de Fato. Edid. Moser. 157
dem erstereil angcpasst ist. Endlich versichert Vossius, es
finde sich auch in Ilandschr. gerinis. Sielit man diese Masse
von Lesarten und ihre Abweicliungen unter sich, so ist höchst
walirscheiuiicli, dass ein den Abschreibern unbekanntes Wort
sie bewirkte. Wer sollte aber in der Lesart gerinis niclit das
iirspriingliche , von Aratus in iibersetzter Stelle gebrauchte
yvQLvoig vermuthen*? das durch in gra/tis^ in renis unterstiitzt
wird, und zu dem sich überdies Cic, den Weg in voraus durch
das vorhergehende Deminutiv ranunculis gebahnt zu liabeii
scheint! Auch liegt das 7nire vis nicht weit davon ab, da gar
oft vis die Sylbe nis ^ und gegenseits, verschlang: wie denn
aucli aus diesen Abweichungen das zu inest richtig als noth-
wendig erkannte in gewonnen wird. Dagegen ist das folgende
ramincidis höchst wahrscheinlich willkiihrlich eingestellte
Glosse von jenem, dem auch Plin IX IL N. 54 das lateinische
Bürgerrecht zuerkennt. Man nelime sie weg, und lese nun:
Sed inest in gyrinis vis et natura quaedam. So bietet sich
überdies die bei Cic. so geläufige Wortverbindung vis et natura
von selbst dar, vgl. §12: Est enim vis et natura quaedam.
Jetzt sehe man noch die am meisten in sich haltbaren Conje-
cturen, unter welchen wir ravis etiam in ran. und die von Hrn.
31. in den Text genommene mira vis herausheben. Erstere
jedoch, welcher wir früher beipflichteten, hat zu poetischen
Anstrich: auch wird ravus^ wo es vorkommt, anders verdorben ;
etiam aber ist sicher von Nachhülfe. Mira vis würde uns dann
eher behagen, wenn das tief unten stehende quaedam dazwi-
schen stände: ob wir gleich auch so nicht begreifen würden,
wie grade diese Worte solchen Wirrwarr hätten veranlassen
können.
Noch fügen wir einige flüchtige Bemerkungen bei. § 27
raussteA^ecesse est enini umgestellt werden ; denn anders schreibt
Cic. nicht. §31 war oimies ad unum festzuhalten, was das
deutsche -.^/Ze mit einander bezeichnet, vgl. Lael. 25, 86 : 07nnes
ad unum id sentimus ; Xil Divv. ep. 14, 4: onerariae omnes ad
unam a nubis sunt exceptae. § 55 hätte, hei pedibus suis salvum
reveriisse ^ salvum eben so als domum gestrichen werden sol-
len. Auch ist wahrscheinlich das nächstfolgende inemoriae
proditnm est Glossem. §59 ist se vor tarnen silentium fieri jus-
sisse, eben so wie te zu streichen, da es das Gewicht von tarnen
raubt. Dagegen war bei tu te tua patria^ tua festzuhalten, nur
musste tnte in einem Worte geschrieben werden Sext. 14,32:
quos legatus^^— tute tibi legasti; II Phil. 40, 103: tute te in-
irospiee^ wie richtig Priscian liest,- Caecil.8, 27: sed tute tut
periculum fecisii. § GO ist sicher siupefacta zu lesen; denn
Cic. wollte unstreitig das Platonische (.il-&i]g mit ausdrücken.
Kurz darauf muss vor niultaque ein Colon stehen; denn quo
drückt die Platoaischen W orte xccl ivl Aoya aus. Dass ferner
158 Bomieche Litteratur.
§64Görenz, der etiam zu Divinare autem morientes zieht,
nicht widerlegt ist, besagt die riclitigeUebersetzutig derStelle:
dass aber wirklich auch Sterbende die Zukunft vorhersehn.
Denn so werden ja die Worte: nam et id ipsum vide7it — in-
Stare mortem^ richtig durch angefiihrtes Beispiel bestätigt.
In demselben § durfte ferner deinde vor deinccps nicht gestri-
chen werden. Es steht mit gleichem Rechte, als I Invent. 28,
43: deinde jiostremo , und II Herenn. 2, in. : deinde ad extre-
mum^ und unser sodann sofort entspricht ihm. Wird ja oft
auch deinde postea verbunden, IV Tusc 1,2, Mil. 24, 05:
und schreibt nicht auch sonst Cic. öfter so wie hier: III Legg.
2, 4- 11), 43. Eben so wenig war § 72 subito ex tempore, das
mit £v9^vg nagaxQrj^a gleiche Rechte hat, und durch Caecil.
17,57: repente e vestigio^ gestützt wird, verdäclitig zu machen.
^ IZ sind flore?itissima Samniliiim castra sicher ein Ver-
griff: denn Aas fortissima steht iiir fortissime defensa. Auch
möchten wir §77 bei tribus his horis^ das lebendig die Zeit-
kürze während so grossen Verlustes bezeichnende his nicht
missen, das überdies gewöhnlich die Zeit scharf marquirend
steht. I Orat. 37, 168: his paucis diebus , II Phil. 1, in.: his
annis viginti. Die Worte am Ende des §, atque in anines mare
influxerit^ welche unser Erl. nicht kennt, haben völlig das An-
sehn eines erläuternden Glossems. § 79 sollte tiim terrae ca~
vernis includutit^ tum geschrieben werden, da unser bald —
bald hier gilt. § 80 wird richtig bemerkt, dass eigentlich lim
in animis inesse divinam geschrieben werden müsse: doch
eben hieraus ergiebt sich auch, dass die Praep. an sich selbst
hiernnnützist. §87wirdmit Ho ttinger ohnealleNoth Quid
vero ? interpungirt, da quam quod für quam quod ad id attinet,
quod^ steht.
Doch wir übergehen so Vieles zu Bemerkende und der
Verrauthung sich mehrseitig Darbietende, um mit der viel ver-
handelten Stelle 41, 92, senatus — decrevit^ ut de principum
ßliis sex singulis Etruriae populis in disciplinajn traderentur,
zu schliessen, und zugleich über unsre veränderte Ansicht der-
selben Einiges anzufügen. Uns macht das Zahlwort sex sich
sehr verdächtig. Schon der Umstand, dass, wie bereits An-
dere richtig bemerkten, Cic. sicher seni geschrieben haben
würde; dann die harte Ellipse der ausgelassnen Praep. ex, und
der Doppelsinn, wenn man si7ig. JÜr. populis für den Dat.
nimmt, indem dadurch jedes Etrurische Volk seine eigne disci-
plina artis erhält, lässt hier Unrichtiges vermuthen. Nimmt
man noch hinzu, dass gerade das Zahlwort in der sicher aus
Cicero's Stelle geflossnen des Val. Max. I, 1 ein ganz anderes
ist, und an ganz andrer Stelle steht: sollte man da nicht zu der
Vermuthung sich berechtigt fühlen, dass der Glaube an die
Nothweudigkeit eines solchen Zahlworts bei Cic. aus eor, seXy
Cicer. de Oivinatione et de Fato. Edid. Moser. 159
bei Val. Max. aus de, decem gesclialfen habe 1 Diese Verrau-
thun^ wächst au innerem Gehalte, wenn man diesse Zahlen selbst
betrachtet. Wozu eine so grosse Zahl junger Luciimonen Sohne
dieser Dlsciplin gewidmet'? Und wie'? sollte dieselbe Anzahl
jährlicli statt haben, oder nur einmal für immer'? Im letztem
Falle bliebe ja die Zukunft uiiberiicksichtigt; im erstem waren
die Luciimonen in Etruriens Völkerschaften eben nicht so zahl-
reich, um ein so bedeutendes Seminar stets mit Soli neu zu lul-
len. Gesetzt dies war auch der Fall, wozu denn die so grosse
Zahl, da wahrscheinlish immer nur ein dergl. Aruspex aus je-
der Völkerschaft nach Rom ad prodigia interpretanda gefor-
dert wurde. Ueberhaupt endlich wozu war es nöthig, jedem
Volke Etruriens eine bestimmte Zahl dieser Wissenschaft sich
widmender Jünglinge abzufordern, da die Verordnung genügte,
dass jedes etrurische Volk diese Disciplin unter seinen Grossea
festhalten, und sie nicht bloss den niedern Classen eigen wer-
den lassen solle. Kommen wir mit diesen Vorbemerkungen zu
der Ciceronischen Stelle selbst, so scheint sich durch die V^er-
änderung des ses in ex Alles auf das natürlichste zu fügen.
Zu de principum filiis denke man sich vermöge des liäufig
partitiven Sinnes der Präp. de, certi quidam , qui vellent et
quos vellent, so dass quidam als ausgelassen zuzudenken, und,
im Geiste der Verordnung auf immer, supplire man semper
und fasse den Sinn des Ganzen so auf: Es sollten von den
Söhnen der Grossen aus allen den einzelnen Völkerschaften
Etruriens sich (jederzeit) tvelche der Erlernung der Haru-
spicen widmen, damit eine so tvichtige IVissenschaft nichts
wegen des niedrigen Ranges der sie Ausübenden, ihr reli-
giöses Ansehen verlieren, und %u niederem Lohne und Ge-
winne gemissbraucht iverden möchte. Hält man noch diese
Worte für Decretsworte selbst, wie sie ganz das Ansehen ha-
ben, dann genügen sie uns wenigstens so völlig, das wir ihnen
das Zahlwort nicht beigefügt wissen möchten.
Doch genug als Probe über den Anfang des Ciceronischen
Werks, wo noch das Gören zische Programm das Urtheil
oft regelte. Ueber das Fragment de fato fügen wir nichts wei-
ter hinzu, als dass der Streit, ob diese Schrift vollständig 1
oder 2 Bücher enthielt, durch den Zutritt zur Schützischen
Meinung abgethan wird, welche dahin entscheidet, dass
sich hierüber nichts Sichres bestimmen lasse. Wollten gleich
auch wir dieser Meinung beitreten, musste dann aber nicht in
der üeberschrift über singularis wegfallen? denn so tritt ja
Hr. M. in ähnlichen Widerspruch, als wie er Küh n er' n Schuld
giebt ! Zudem keimen wir auch nicht eine Handschrift , durch
deren Autorität sich etwa dieser Zusatz schützen liesse. Indess
liess sich der Entscheidung dieser nicht unwichtigen Frage weit
näher treten , wenn mau die Oecouomie dieser Ciceronischeii
160 Römische Litteratur.
Schrift selbst, und die Art der Behandlung des zu erörternden
Stoffes hätte schärfer ins Auge fassen wollen. Ohne hierüber
mit sich einverstanden zu seyn , lässt sich gar kein deutlicher
Begriü' über die von ilir vorhandnen üeberreste bilden. Denn
wie soll man es sich denken, dass Cicero die von den Stoikern
als Belege angefiihrten Beispiele, bei einem Hirtius, welcher
sicher kaum oberflächliclie Notiz von solclien pbilosophischen
Untersuchungen genommen, als bekannt liabe voraussetzen sol-
len, und können; so dass selbst die entferntesten Ilinweisungen
darauf, die uns darüber völlig im Ungewissen lassen, diesem
sich zu klaren Bevvusstseyn in die Seele hätten zurückrufen
lassen*?! Es mnss daher unserm Fragmente eine besondere
Entwickelung des Stoischen Fatnms, mit genauer Vorlegung
der in der Widerlegung so kurz abgefertigten Belege, vorausge-
gangen seyn: wie ja auch Cic. in allen seinen Philosophicis ge-
wohnt ist, die zu widerlegende Meinung ausführlich mit allen
Beweisen und Belegen vorauszuschicken. Dies lässt er in Ke-
gel durch Andre verhandeln: docli hierzu schien ihm Hirtius
nicht eben die passende Person zu seyn; ausserdem würde
auch dies Werk natürlich in 2 Bücher zerfallen. Daher glau-
ben wir vielmehr, dass dies hier Cic. selbst that: denn er lässt
es sich, wie es scheint, vom Hirtius selbst abfordern § 4: Ita
aiidiam te dispulantem , ut ea lego , quae scripsisti. Dahin
deuten wir auch die§l über sein Untersuchungs- Verfahren
gemachte Bemerkung, dass er die bei de Nat. Deor, und de
Divin. gebrauchte Weise habe aufgeben müssen: denn in diesen
nächst vorher geschriebenen Werken ist ja jene Methode streng
befolgt, gleichwie in de Finn. und in den Academicis. Eben
darum lässt er sich auch von Hirtius auf die in den Tusculanen
befolgte eigenthümliche Untersuchungs-Methode der Academi-
ker hinweisen, in welchen er in utrainque partein ipse dispu-
tarat, was § 4 nur mit andern Worten ausführlicher gesagt ist,
und was eigentlich durch die Griechische öxokrj bezeichnet
wird. Was daher vom 3n Cap. an folgt, gehört sicher, da es
zur Widerlegung des Stoischen Fatums dient, zum 2n Abschnitt
der Verhandlung. Dass Cicero für den ersten Abschnitt gröss-
tentheils dem Chrysippus folgte, deutet er nicht dunkel selbst
§7 an, wo er nach Widerlegung einiger vom Posidonius ge-
brauchter Beispiele, ad Chrysippi luqueos revertamnr anfiigt.
Dass aber nicht Hirtius die Stoische Meinung als Verfechter
vorgetragen haben kann, beweisen die bloss Griechischen Bei-
spiele: denn hätte er die Gegenmeiniing ausführlich verhan-
deln lassen, so würde er dem Begünstiger derselben auch aus
der Römischen Geschichte (wie er so gern überall thut, und
dadurch seine Verhandlungen eigentlich nationalisirt) seine
Belege haben entlehnen lassen. Darum wird es auch um so
glaubbarer, dass diese Meinung Cicero nach reiu Chrysippischeii
Ileiniäch: Animadvv. ad locos quosdam Quintllinni. 101
etc. Grundsätzen und Belegen vorher entwickelt hatte, die er
in dem noch vorhandncn Fragmente bestreitet. Es liess sicli,
mit stets genommener Rücksicht auf den uns gebliebnen Ue-
berrest von dieser Schrift, noch ungleich tiefer über diesen
Punct eingehn; allein das schon zu weit Auslaufende des be-
reits Bemerkten nöthigt uns hiermit abzubrechen. Aus dem
Texte selbst beriihren wir nur eine Stelle c. 3, (>, welche wir
so lesen: Q,täd aulein magmim^ ncuifragum illum lapsum in
7ivo? i^quaiiiquam huic {fuidem hie scribit praedictuni^ in aqua
esse pereund/wi :) we, hercule^ Icadii (/aidetn praedo?iis video
futum ullutn; nihil enim scribit praedictmn. Der Vordersatz
ist rein übergehend, während er seine Asseveration durch den
Gedanken selbst bezeichnet, quid magnmn — in rivo. Dadurch
wird der Satz mit quamqiuim zur Parenthese. Die zwei folgen-
den Sätze verrathen sich aber als Nachsatz durch das scharf-
gestellte Icadii und durch das die Opposition zu oben bildende
nihil. Dies Alles nehmen die Worte auf Quid mirum igitui\
von denen ?7j«'/7/w das vorstehende magnum erklärt, und igitur
für inquain gesetzt ist.
Dürfen wir noch mit einer wahrhaft gutgemeinten Bemer-
kung unser Gesammturtheil schliessen, so ist es diese. Herr
Moser ist noch zu sehr von seinen Collectaneen abhängig, und
steht daher zu wenig auf eigenem Fusse; wohin wir überhaupt
das auf eignen festen Resultaten beruhende Urtheilen rechnen.
Hierauf bezieht sich aller Tadel, welchen derselbe zcither von
selbstdenkenden Beurtheilern erfulir. Dass ihm nicht Urtheils-
schärfe abgeht, sondern dass diese nur der nöthigen Richtung
bedarf, verrathen nicht seltene überraschende Scharfblicke.
Erhielte ausserdem noch der meist reine Ausdruck mehr Con-
centririmg: so würde Hrn. Moser's rühmliche Wirksamkeit die
reine Achtung jedes Philologen begleiten. Dies verstatteten wir
uns bei einem ernst vorwärts strebenden Manne zu wünschen,
welcher schon desshalb öffentliche Anerkennung mit Recht ver-
dient, und sie auf angezeigtem Wege sich sicher aneignen muss;
auch überdiess gewiss edel genug denkt, um uns dies nicht als
Tadelsucht auszulegen. Papier, wie Reinheit und Fehlerfrei-
heit des Drucks sind, wie überliaupt bei den Moserschen Aus-
gaben, ausgezeichnet. GÖrenz,
AnimadversJrones ad locos quosdam Quintiliani
difficiliores. Scripsit Heinisch. (Im Prograinin des Köiiigl.
Preuss. katliol. Gymnasiums zu Glaiz. Breslau 1828. Gedruckt mit
Kupferschen Schriften. 22 S. 4.)
Seit langer Zeit hat Recens. keine kritische Schrift mil so
vielem Vergnügen und so grosser Befriedigung gelesen, als ge-
Jahrb.f. P/iil.u. Fädag. Jahrg. V Heft'i. 11
162 Bömisclie Littern tu r.
genwärtijre Bemerkungen über einige Stellen aus dem achten
Buche Qiiintilians. Der beliandelte Schriftsteller gehört zu de-
nen, welche vor vielen andern kritischer ilVilfe bedürfen. Al-
lein seit Spaldings gehaltreicher und verdienstvoller Arbeit
ist er, wenn man dasjenige, was für das zehnte Buch gesche-
hen ist, abrechnet, vei'hältnissraässig weniger, als viele andere
Schriftsteller , von den Gelehrten zum Gegenstande ihrer Be-
mühungen gemacht worden. Desto erfreulicher muss gegen-
wärtiger Beitrag zur Kritik Quintilians sein , da er alle diejeni-
gen Eigenschaften besitzt, welche einer Schrift dieser Art zum
Lobe u. zur Empfehlung gereichen. Man findet hier ein nüch-
ternes und besonnenes Urtheil, gleich weit entfernt von allzu
ängstlicher, sclavischer Anhänglichkeit an die Manuscripte, mit
welcher grade beim Quintilian am Wenigsten ausgerichtet wer-
den dürfte, wie von Kühnheit und Verwegenheit im Aendern;
eine tiefe und gründliche Kenntniss der Römersprache über-
haupt, so wie des Qnintilianischen Sprachgebrauchs ins Beson-
dere; eine klare, lichtvolle und sogar angenehme Darstellungs-
weise in einem reinen und angemessenen lateinischen Ausdruck.
Die behandelten Stellen gehören in der That zu den schwieri-
geren und sind raeistentheils solche, in denen S palding sich
selbst nicht genügt zu haben ausdrücklich bemerkt.
Es scheint nothwendig, der Beurtheilung der Verbesse-
rungsvorschläge des Herrn Heinisch die allgemeine Bemer-
kung voranzustellen, dass die Handschrr. des Quintilian über-
haupt auffallend verderbt und , zum Theil wenigstens, offenbar
von höchst unwissenden Abschreibern geschrieben sind. Hier-
aus ergiebt sich, dass dieConjecturalkritik beim Quintilian häu-
fig in Anwendung kommen muss und dass ein Verfahren, wel-
ches bei andern, weniger corrupten Schriftstellern zu kühn er-
scheinen würde, liier durch die Umstände gerechtfertigt Avird.
Dennoch aber muss man sich , soviel als nur immer möglich,
an die Handschriften halten.
Inst. Orat. VIll, prooera. § 29 u. 30: Namque hoc qui fe-
eerit^ ei res cfim nomiinbus suis occurrent. Sed opus est stu-
dio praecedente^ et acqiiisita facultate et quasi reposita. Nam-
que ista qnneretidi^ judicandi^ compara?idi a/ixietas ^ dum dis-
cimus^ adhibenda est ^ non dum dici/mis. Alioqui^ sicut qui
Patrimonium non pararunt^ subinde quaerunt: ita in oratione^
qui non satis laborarvnt. Si praeparata vis dicendi fuerit^
erunt in officio sie ut no7i ad requisita respondere, sed ut sem-
per se?isibus inhaerere videantur^ atque %it nmbra corpus sequi.
Die Worte von Alioqui an haben i^ea Auslegern vielfachen An-
stoss gegeben. Spalding vermisst bei quaertint die Benen-
nung dessen, was nun an die Stelle des patrimonium treten
soll, oder was sich diejenigen, die kein 2>(itrimonium haben,
au dessen Statt zu erwerben suchen j also etwa ein Wort wie
Heinisch: Animadvr. ad locos qnosdam Qulntillaiii. 103
vichim; ferner ist ilim die Unvollständigkeit des Gegensalze;?
anstössig, da den Worten subinde quaerunt nichts entspricht
und ita oline ein dazugehöriges Verbiim steht. Die Worte si
praeparota etc. ermangeln der Verbindung mit dem Vorigen u.
machen die Rede abgebrochen; zu eriiiit in officio felilt das
Subject, denn verba ist zu weit entfernt, als dass es i'iiglich
ergänzt werden könne. Daher verbesserte Spalding: Alioqui
• — no7i paraninl^ sab diem quaenmt victum: ita in oraiionc^
qui non salis laboravit ^ verba desiderabit. Sin praeparata di-
cendi vis — atque eos ut laiibra corpus sequi. Hr. II. läugnet
zwar nicht, dass durch diese Emendation die gerügten Mängel
beseitigt werden, unterwirft aber dennoch die Stelle einer neuen
PrVifung. Zuerst entschuldigt er den Mangel des Objects zu
qziaerimt^ indem er zeigt, dass durch subinde sehr gut ausge-
drückt werde: „ eorum , qui paratam non liabent rem familiä-
rem, quaerendi Studium crebro et per intervalla admodum exi-
gua repetitura." So steht subinde Quint. 8, 3, 58; 9, 3,27;
11, 3, 135. Mit Absiclit habe aber Quintilian zu subinde quae-
runt kein Object gesetzt, weil er diese Worte auch auf den
zweiten Theil des Satzes bezogen wissen wollte. Diese Bemer-
kung ist allerdings selir fein und richtig; wenn indessen Hr. H,
deswegen das Komma nach oratione tilgen will und meint, dass
dadurch die Rede concinner werde, so können wir ihm niclit
beitreten. Denn in oratione kann doch nicht zu laborarunt be-
zogen werden, da laborare hier die dem Redner notliwendigen
Vorbereitungen u. Uebungen bezeichnet, die er anstellen muss,
bevor er öffentlicli auftritt. Das laborare findet also nicht iu
der Rede selbst Statt n. die Worte werden daher richtig durch
ein Komma hinter oratione getrennt. Die Ellipse selbst aber,
nach welcher subinde quaerunt in den Nachsatz herübergezo-
gen werden muss, rechtfertigt Hr. H. geschickt durch Beispiele
aus dem Quintilian (5, 11, 26: neque ut laudanda^ quae pccii-
niain suajn pluribus largilur., ita., quae formam. 8,6,20: nam
prosa., ut mucr o nein pro gladio et tectum pro domo
recipiet: ita non ptippim pro Jiavi. 10, 1, 14: nee sicut de
intellectu animi recte dixerini video^ ita de visu oculoruin in-
t ellig o. 12, 11, 27: neque enim., si quis AcJnllis gloriam in
belticis consequi non polest, Ajacis aut Diomedis laudem asper-
nabitur: neque., qui Homer i non ^ Tyrtaei.)^ wiewohl er selbst
nicht läugnet, dass ohne diese Ellipse die Rede concinner sein
würde. Indessen dürfe mau nicht glauben, dassQuintilian, obgleich
er mit Recht wegen seiner Concinnität bewundert werde, niemals
kleine Nachlässigkeiten sich habe zu Schulden kommen lassen;
davon sei er so wenis frei, wie irgend ein anderer Schriftstel-
ler. Nachdem Ilr. II. die vulgnta auf diese Art vertheidigt hat,
befriedigt er sich jedoch selbst keinesweges dabei, sondern
Versucht eine Emendation, welche er mit folgenden Worten ein-
11*
164 Römische Littcratur.
fuhrt: „Sed \\t ea, quae jam sunt disputata, paucis comprehen-
daraus , liic locus talis mihi esse videtur, ut dicendi ratio pro-
bari quidein niinime possit, at excusari tarnen. Si quis igitur
pluriinorum librovum sequi auctoritatem , quam orationis cou-
cinnitati atque elegantiae consulere niaüt, hie certe in vulgata
poterit acquiescere, bonum aliquando Quintiiianum dormitasse
existimans. Sin auteni in eum viruni, cujus sermo tot tantisque
fulgeat virtutibus, talis negligentia cadere posse omnino non
videatui*: tum vide, num niea, qualiscunque sit, loci nostri
enieudatio calculum tuum ferat. — Totum liunc locum ita le-
gend um puto: Alioqiii^ siciit qni indrimonium non jicirariint^
siimtum in diem qiiaerimt^ ita in oratione qtii non satis labo-
ravit^ verba. At si praeparata dicendi vis fuerit^ erunt in of-
ficio {suo)^ non ut rei quaesita respondere^ sed iit semper se?i-
sibus inhaerere videantiir.'-'' Der erste von diesen beiden Sätzen
(oder nach der Vulgata die Worte Alioqvi — laboranint) scheint
durchaus keiner Emcndation zu bedürfen. Hrn. II. 's oben im
Auszuge mitgetheilte Vertheidigung der gewöhnlichen u. hand-
schriftlich beglaubigten Lesart, wie sie in der Spalding'schen
Ausgabe sich findet, scheint uns ganz genügend, und wir läug-
nen es gar nicht, dass wir zu denen gehören, die lieber der
Autorität der Handschriften (wenn auch nicht grade „pluri-
morum librorura", doch optimorum) folgen, als für die Con-
cinnität und Eleganz der Rede durch gewaltsame Emendatio-
nen sorgen wollen. Hat doch Hr. H. selbst nicht allein zugege-
ben , sondern sogar bewiesen, dass selbst des eleganten und
concinnen Qulntilians Stil nicht frei von kleinen Nachlässigkei-
ten ist. Sicherer ist es also auf jeden Fall, eine, wenn auch
nur erträgliche, handschriftl. Lesart im Text zu lassen, als eine
Conjectur, in der man sich ziemlich weit von den Zügen der
Handschriften entfernt, in denselben hereinzubringen. Gewiss
würde Herr n. selbst, wenn er als Editor verführe, dasselbe
Verfahren befolgen. Dazu kommt, dass in seiner Conjectur
sumtum quaerere ebenfalls der Entschuldigung bedarf, wie
ihm keinesweges entgangen. Laboravit hat er aus Turic. und
Anibr. 1 aulgenommen *), aus dem Grunde, weil Quintilian von
§ 28 an vom Redner durchgehends in der Einzahl spreche. Al-
lein dazwischen und zwar zunächst vor laboranint finden wir
discimus^ dicimus § 29, welche Worte, wiewohl in anderer
*) Hr. H. setzt zu den Autoritäten noch „Alniel. a pr. m." Allein
wie im Almel. steht, ersieht sich aus Spaltlings, hier wie an andern Stel-
len , etwas undeutlicher Variantenanf;;ibe nicht, da es bei ihm helsst:
„ Turic. Ambr. 1. laboravit cum Alm. a sec. manu laborarant.'-'- Hr. H.
hatdiess verstanden, als wenn es hiesse : cum Alm., qui tarnen a sec.
m. laborarant, ob mit Recht? bleibt unentschieden.
Heinisch: Aniniadw. iul locos quosdara Quintil'iani. 105
Fassung des Gedankens, tlocl« aiicli nichts Anderes als den
Redner bezeichnen. J)ass der Phir. lahorarunt also durchaus
unanstössig ist, scheint nicht bezweifelt werden zu können, wo-
hingegen der Singular laboiavü eine fast unerträgliche Härte
hervorbringen würde, da man nun aus dem Piur. quaenint sicli
quaerit ergänzen müsste. Diese Ellipse scheint uns weit weni-
ger Quintilians würdig, als die, wegen welcher man die Vnig.
tadelt. — Was nun den zweiten Satz (in der Vulg. die Worte
si pi aeparata — sequi) anbetrilft, so glauben wir allerdings
mit Ilrn, II., dass der Mangel des Subjects zu cnmt nicht wohl
ertragen werden könne, und stimmen ihm völlig bei, wenn er
den Substantiven Gebrauch von requisitum für unlateinisch er-
klärt. In der Stelle Cic. Acad. prior. 11, 24 § 77, welche Ges-
11 er im Thesaurus anführt, ist, wie Hr. H. bemerkt, post re-
qinsüuni das Verbum für reqvisituin est. Mit Recht hat also
Forcelli ni diese Stelle übergangen ; nichts destoweniger
theilt Scheller, der doch sonst den Forcellini zu benutzen
•wusste, Gesners Irrthuni. Selbst in dem Sallustischen Fragm.
bei Quint. 8, (J, 59 scheint in den Worten ad requisita natiirae
das Wort nicht als Substantiv zu stehn; es ist vielmehr wirk-
liches Participium und naturae der Dativ, „f/«s von der ISaiur
Erforderte.'-'- Uebrigens stehen dieselben Worte auch bei Spar-
tian. in Caracall. c. (>. Ilaben wir nun aber in dem ersten Satze
die Vulg. mit Reclit in Schutz genommen, so erliellt von selbst,
dass wir mit der Art, wie Ilr. IL die von ihm bemerkten Ue-
belstände zu heben bemüht ist, nicht einverstanden sein kön-
nen. Denn er hat in den vorigen Satz verba eingeschoben, so
dass es dann allerdings leicht au erunt ergäii :t werden könnte.
Aus requisita macht er rei quaesita und rechtfertigt den Singu-
lar re« durch Quint. 8, prooem. 2ß; 8, 3, 38; 3, 3, 1. An diesen
Singular stossen wir uns zwar nicht, aber was soll hier über-
haupt rei quaesita heissen*? Denn zu respondere kann es nicht
bezogen werden, da beiQuintilian verba respoJide?it soxi^l heisst
als V. in proinpta sunt, praesto sunt^ s. 1(>, 3, 9, Wollte man
also einen Dativ zu respondere in dieser Verbindung und Be-
deutung setzen, so könnte diess kein anderer sein, als dicenti
oder oratori. Verba rei q?iaesita kann nur heissen: für die
Sache gesuchte Worte., dann ist aber rei liöchst müssig gesetzt,
denn man kann natürlich für nichts Anderes Worte suchen, als
ehcn für die Sache., d. i. zum Ausdruck der Sachen. — Das
sie der Vulgr-S'telit nur in wenigen, minder guten Handschrif-
ten, die besten haben si. Hr. IL macht daraus suo ., scheint
aber selbst darüber zu zweifeln, da er es wieder in Klammern
gesetzt hat. Für das Pronomen spricht in der That nichts, als
dass die Lesarten si und sie unerklärlich sein würden, wenn
nicht etwas der Art ursprünglich im Text gestanden hätte. Oder
ist vielleicht si und sie aus einem compondio scribendi für sem-
1G6 RömiscLc Litteratur.
j!;er corrumpirt *? Letzteres wäre für den Sinn sehr angemessen.
Dass seniper gleich noch einmal folgt, wird den Leser Qiiinti«
lians nicht befremden. No/i ut hat Herr H. aus den besten
Handschrr. aufgenommen und vergleicht Quint. prooem. § 17;
1, 8, 14; 4, 2, 43; 5, 7, 82; Cic. de or. 1, 17 u. 46. 3Ian sehe
iioch Ilorat. Tursell. de partic. p. 490, ed. Schwarz. Die Ver-
dorbenheit der gewöhnlichen Lesart ist gar nicht zu verkennen,
doch lassen uns hier die Handschrr. niclit ohne Hülfe. Nach
Anleitung derselben glaubt ßec. schreiben zu müssen: sipraepa-
rala dicendi vis faerit ^ erit in officio .^ non ut quaesita respon-
dere^ sed ut semper seiisibus inhaeiere videattir otqtie, ut tmibra
corpus^ seq?ii. Die Wortstellung dice7idi vis ht aus Turic.^Fior.^
Guelf. angenommen worden; erit haben Goth. , Voss. 2, Vall.,
und im Turic. ist eine Abbreviatur, welche sowohl erunt^ als
auch erit bedeuten kann; ar^ fehlt im Turic, Flor., Ambr. 1;
quaesita für requisita hat die editio princeps von 1470 ; videa-
iur für vidcantur giebt Vall.* Vis dicendi ist hier s. v. a. copia
dicendi^ Fülle, Fertigkeit des Ausdrucks. ^^Hat man sich Re-
deferligkeit erivorben , so wird sie (immer) auf ihrem Posten
sein und zivar nicht so ^ dass sie erst^ icenn man sie suchte zu
Vieiisten ist^ soiidern dass sie stets an den Gedanken (^sensi-
bus., s. Quint. 8, 5, 2: sed consuetudo jam teniiit^ ut mente con~
cepta sensiis vocaremus) zu haften und ihnen ^ wie der Schat-
ten dem liürper^ zu folgen scheint.'"'' Ueber eos, welches Spal-
ding aus Turic. u. Flor, hinter Atque einschieben wollte, stim-
men wir ganz der Ansicht des Hrn. H. bei; „quum in libris",
sagt er, „locum variet, a glossatore quodarn profectum ideoque
rejiciendura videtur. " — VlIF, 2, 14. Diese offenbar corrupte
Stelle emendirt Hr. H. folgender Maassen: Quare 7icc sil tarn
longns [seil, sermo], ut eum prosequi non possit intentio: nee
trajectione ultra modum tarda in hyperbaton finis ejus dijfera-
tur. Diese Emendation scheint uns nichts zu wünschen übrig
zu lassen und empfiehlt sich besonders dadurch, dass sie sich
an die Züge der Handschrr, (Tur. , Guelf,, Alm.: nee traris-
jectiointra domuni hiperbato f. e. d.) möglichst treu anscliliesst.
In den Worten in hyperbaton bezeichnet in den Zweck, ein
Sprachgebrauch, welchen Hr. H. durch passende Beispiele gut
nachgewiesen. Den Sinn des ganzen Satzes giebt er so an: „qui
obscuritatera in sermonis contextu vitare vult, caveat, ne ea tau-
tum de causa, tit hyperbato possit uli^ finem sermonis dilferat.
Ipsum autem hyperbaton fit verborum trajectione, quae si ita
instituitur, ut justo pluribus rectus verborum ordo interpelletur,
ultra niodum tarda commode potest dici. Nam tardum fit, quod
longius justo est, cf. 1», 4, 125." — VIII, 3, 19 u. 20: Risi-
mus.^ etmerito^ m/per poet am., qui dixerat^
jnaetextam In dsia vmres roserc Camilli.
Heiiilscil : AnimadvT. ad locos quosdam Quiiitillaiü. IGH
At Virgilii miramur illud^ (Georg. I, 181.)
— ■ saepe exiguus rnus.
Nam epUJieton esiguus aptiim proprium effecit^ ne plus ex-
spectaretmts , et casus singularis viagis decuit et clausula ipsa
unius syllabae non usitata addidil gratiani. Hr. II. schlägt vor:
]Vam epiUielon exiguus^ aptuni ac proprium^ effecit etc. Die
raaiigeliial'teii Variaiiteuangabeii lassen freilich nicht erkennen,
wie weit der Vulgata zu trauen ist; an und für sich jedocli
steht derselben nichts im Wege. Nam epith. exiguus aptum
proprium effecit heisst: das FCpilheton exiguus hat das eigent-
liclie Wort (^/uus) passend gemacht. Bei dem ungenannten Dich-
ter, dessen Vers unmittelbar vorher angeführt wird, sind dio
mures lächerlich, weil sie nicht in den ganzen Ton der Rede
passen ; bei \ irgil liingegen ist ?nus als der eigentliche Aus-
druck passend. Es ist Alles klar, Avenn man bedeakt, dass
diese Beispiele den Satz § 18 quae humilia circa res juagiias^
apta circa minores videntur evhiiüern sollen. Vergl. 10,1,9:
Ömtna verba .... sunt alicubi optima; nam et humilibus in-
terim et vulgaribus opus et quae nitidiore in parte videntur
sordida^ tibi res poscit ^ proprie dicuntur. — VIII, 3, 22.
Diese höchst corrupte Stelle haben zwar schon Mehrere zu
eniendiren versucht, allein Herr II. wundert sich mit Recht,
dass alle Ausleger den Buclistaben o (intimo)^ welchen ausser
Turic. a pr, m. alle Mandschrr. darbieten, unbeachtet gelassen
haben. Er vermuthet, dass darin non verborgen liege, und
emendirt: Lfnde interim non gratis dictis decor : quäle est ille
apud M. Tullium Pusio. Den Sinn giebt er so an: ,,Ita fit, ut
verba etiam non grata, qiiippc quae ut humilia et vulgaria omni
careant suavitate, in oratione tarnen inlerdum deceant, 1. e.
proprie, apte dicantur." Vgl. 10,1,9; 2, 13; 11, l,ßO; 9,4,36.
Quäle hat Hr. II. aus dem Turic. a pr. m. und Flor, a pr. m. an-
genommen und hält diese Lesart für exquisiter als qualis ^ mit
Berufung auf 9, 3, 89: Quäle est apud Menandrum Oedipus
Thriasius. Wir zweifeln ebenfalls nicht, dass qiiale vom Quin-
tilian herrühre; allein, wenn wir auch diese Lesart gern ent-
schuldigen, so halten wir sie doch nicht für gewählter und bes-
ser a!s qualis^ vgl. Zumpt's Gramm. §372; Iluddimanni instit.
Tom. 2 p. 20 seq. ed. Stallbaum. Durch die angegebene Emen-
dation scheint uns zwar der an dieser Stelle erforderliche Sinn
im Ganzen ricirtig hergestellt zu sein, nur ist, wenn wir nicht
irren, der Ausdruck non gratis dictis selbst etwas ungelenk und
unangenehm. Interim ist nicht nöthig, da der ganze Abschnitt
§ 22 mit aliquando eingeführt ist. Dalier mochten wir aus der
Lesart des Turic. intini grati idictis dequo quäle lieber machen:
Vnde infimis ingratisque dictis decor : quäle etc. — VI II, ö, 29
scheint uns Hrn. H.'s Emcndation vollkommen genügend. Er
108 11 um Ische Litteriitur.
schreibt: Antonomasia.^ quae aliquid pro nomine ponit ^ poetis
ulroque modo frequentissima^ et per epitheton^ quia detracto
€0 , cui apponiliir valet pro nomine , Ty dides, Pe li des {es
kis quoque sunt praecipua: Divum pater atque honii-
num res) et es f actis ^ qiiibns persona sig?iatur. Zur Er-
klärung fügt er hinzu: „Praecipua i. e. ea, quae quis prae cae-
teris habet, eodem dicuntur modo, quo coinmunia ea , quae ad
omnes pertinent, cf. 5, 13, 21).'' Die Legarten einiger Iland-
KcJu'iiten: et es his, quae in quoque sunt praecipua und et es
his^ quae in quocunque sunt praecipua scheinen ihm mit Recht
aus Erklärungen entstanden zu sein. — Ibid. § 30: Oi atoribus
eliamsi rnrus ejus rei (der Antonomasie), nonm/llus tarnen
vsus. Nam ut Tydiden et Peliden non diserint^ ita dise-
Tunt im pium pro parricida : eve r sor e7n quoque Ca rtha-
ginis et Numantiae pro Scipione^ et Itomanae elo~
fjue ntiae principe7n pro Cicerone posuisse non duhitent.
Hier schreibt Hr. H. mit Recht mit Aldus und Campanus
impiuni et parricidam. ,,Nisienim", setzt er liinzu, „omnia
ine faliunt, oratores , qui hac usi sunt pronominationis specie,
de una tantum persona iocuti numerum adhibuerunt singulareiu.
Addi autera nomina, pro quibus haec fuerint posita, jam pro-
pterea mihi non opus esse vidctur, quod hoc antonomasiae ge-
liere non ccrta quaedam persona una semper eaderaque designa-
tur, sed aiia ab aiiis poterat indicari oratoribus.*"^ Im Folgen-
den billigt er die Conjectur des Francius posuisse no7i dubi-
iem , weil sie der Lesart der Handschrr. am nächsten kommt.
Wir liaben nichts dagegen; wenn er aber hei posuisse hinzu-
setzt: seil, eos ^ so miissea wir bemerken, dass uns liier diese
Auslassung des Pronom. der dritten Person sehr hart erscheint.
Warum sollen wir nicht annehmen , Quintilian spreche von sich
selbst: posuisse non dubitem^ wiirdeich keinen Anstand neh-
men zu setzen '? Denn. ^o\\ posuisse auf die Redner gehen, so
heisst dubitem zweifeln und die regelmässige Construction wäre
alsdann: quinposucrint^ no7i dubitem. Auch verschwindet nacli
obiger Annahme der Einwurf S p a I d i n g s : „Nam si ad posuisse
intelligas eos , scrihasque dubitem., quae tandem est somnolen-
tia obliviosi Fabii, qui se dubitare lieget, quin haec sint apud
oratores? Atqui quaerendum erat. " Herr H. bemerkt zwar,
dass die Worte Quintilians im § 43 hinlänglich zeigen, dass
diese beiden Ueispiele nirgends sich fänden. Allein erstens be-
weisen diess die Worte si dicas ganz und gar nicht, da ja Qiiin-
tilian dieselben von einem Ausdruck gebrauchen konnte, den
wirklich schon einmal ein Redner gewählt hatte; und zweitens
stehen §43 nicht beide Beispiele, sondern nur das eine, und
zwar nicht einmal genau mit denselben Worten. — VlII, 6,
41 u. 42: f eru/ntamen talis est ratio hujusce virtutis^ ut sine
appositis nuda sit et velut inco7/da oratio; oneretur ta7nen 7nul-
Heinisch: Ar.itnadvv. ad locos quosdiiiu Quintiliani. ICD
iis. nam fit longa et bnpediia . ut in quaestiojiibvs eam iudices
simüeni ogtnini totidern ILvas habevti ^ quot viilites quoque ^ in
quo et minieius est duplex^ nee duplum virlinn : quanqiiam non
singula niodo^ sed etiam plura veiba apponi solenl: ut,
Conjugio Anchisa J'cncris dignate superho.
Sed hoc qtioque modo flfio verha^ nni apposila^ neversmn qui-
dem decuerint. Keinem, der auch nur diese in Spaldin^'S
Text befindliche Vulgate liest, kann die Corruptel dieser Stelle
verborgen bleiben; liest man nun erst gar die Varianten durcli,
80 muss man über diese ganz sinnlosen Monstra von Lesarten
in der That erstaunen und beinahe an der Möglichkeit einer
glücklichen Emendation verzweifeln. Dem Emendationsversu-
ciie des llrn H. muss man das Lob des Scharl'sinns zugestehen;
er schreibt: verumtamen — oratio : ne tarnen ?miltis {juun fit
lofiga inte lim et impedita qnaestionibns) eam ßtigas similem
agyidni totidem Usus habenti^ qnot niilites^ quo et numerus est
duplex nee duplum virium. Aehniiche Ausdrucksarten weist er
aus Quint. 1, 8, 6; 10, 7, 22; 11, 1, 8ß nach. Die Parenthese
entschuldigt er dadurch, dass Quintilian, niclit weniger als
andre Schriftsteller, sich derselben mehrmals bediene. Die
Parenthese an sich ist nun zwar niclit anstössig, allein, so wie
sie liier steht, möchte sie schwerlich vom Quintilian lierrVih-
ren. „Mache die Rede", lässt Hr. H. den Schriftsteller sagen,
„nicht einem Heereszuge ähnlich, der eben soviel Trossknechte
als Streiter enthält, denn sie wird bisweilen lang u. verwickelt
durch Untersuchungen. '"'• Wenn die Rede nur bisweilen durch
üntersuchung^en lang u. verwickelt wird, so gilt also jene War-
nung nur für diese Fälle, da sie doch der Natur der Sache nach
als eine allgemeine Vorschrift betraclitet werden muss. Ueber-
diess ist von interim in den Handschriften keine deutliche Spur
und was Herr H. zur Rechtfertigung der Einschiebung dieses
Wortes beibringt S. 18, möchte nicht als genügend befuudea
werden: ,,Ut addatur interim^ vox Quintiliano admodum usi-
tata, sensus mihi videtur requirere. Facilior autem liaec tibi
videbitur conjectura, si consideraveris, literain ii finalem, quam
exhibent oplimi Codices in locan^ cocan , ad primam fortasse
pertinere illius vocis syllabam, reliquas autem ob similem cum
gequentibus formam intercidisse. Idem factum est VI, 3, 59:
interim inseri solet, ubi interim in cod. Alm. omissum est."
Ein sehr giückircher Fund scheint uns hingegen ^/.'^gs für ju-
dices oder jungas in den Handschriften zu sein. Den Ausdruck
fingere oralionem hat Herr H. hinlänglich durch beigebrachte
Parallelstellen, deren es indessen kaum bedurfte, gerechtfer-
tigt. Betrachten wir die Gestalt, welche die Stelle in den Hand-
schriften hat, so niuss man wohl zugeben, dass etwas Zuver-
lässiges sich schwetlich wird ausmittela lassen. Indessen er-
110 Rom i sehe Litteratur.
laubt sich Recens. hier auch seine Verinuthung vorzutragen, in
welcher er das von Hn. H. gefundene ^/z^^os beibehält: Verum-
iamen — oratio; ne tarnen^ multis quutn sit longa jam et im-
pedita quaestionibiis ^ eam ßngas sitnilem aginini totidern lixas
habenti^ quot milites ^ in quo numerus est duplex^ ?iec duplum
virium. Zur Erleichterung der Vergleichung mag hier die Stelle
in der Gestalt folgen, wie sie in den Handschriften erscheint:
Verumtamen — oratione tarnen inultis (^nani^ sit locan etiain
pedita quaestionibus eam jungas similem a. t. l. h. qui similiter
quod et mimerus e duplex n. d. virum. — Im Folgenden will
Hr. H. in den Worten sed hoc quoque modo das quoque nicht
als Coiijunction , sondern als Pronomen nehmen, und giebt den
Sinn folgendermaassen an: ,,Sed si quis haue Virgilii rationera
id agit, ut neque rem respiciat, quam velit exprimere, nequ«
verba eiigat apta, eaqueita, uti opus sit, collocet, sed quocun-
que modo duo verba uni apponat, id efiiciet , quod ne versum
quidem deceat. " Allein billig fragt man, was alsdann das hoc
vor quoque solle*? Das Wahre scheint S palding gefunden zu
haben, welcher emendirt: Sed hoc qziocunque tnodo seil, fuerit
\e[ feratur: „duo vero uni apposita"' etc.; nur dass raafi nicht
einmal quoque in quocunque umzuändern nöthig hat, da quo-
que dasselbe bedeuten kann, wie auch Hr. H. wollte; vero für
verba ist durch handschriftliche Bestätigung gesicliert. In dem
Virgilischen Verse sind zu ^-Inchisa zwar mehrere Worte (plura
verba) gesetzt, allein conjugio Veneria digjiate sziperbo ist im-
mer nur ein Epitheton; zwei Epitheta aber, zu einem Begriff
hinzugesetzt, will Quintilian selbst nicht im Verse billigen.
Dass man ihm dagegen die Stellen Virg. Aen. 4, 181 u. 3, 658
nicht hätte einwenden sollen, konnte schon die Beachtung der
unmittelbar folgenden Worte des lihetorikers lehren: ISecesse
est seniper ^ ut id^ quod est appositum^ si a proprio diviseris^
per se significet et faciat antonomasia7n. In den Worten vion-
stvtim horrendum^ ingens findet also im Sinne der Rhetorik kein
Epitheton Statt, da horrendum., ingeiis nicht für sich eine selbst-
ständiiie Bedeutung haben und keine Antonomasie bilden, wenn
man sie von monstrum trennt. — In der letzten Stelle VIII, 0,
43 Ui uns Herrn II.'s Meinung niclit ganz klar geworden, wir
enthalten uns daher eines ürtheils, wollen aber doch Hrn. II.'s
Conjectur mittheilen. Die unsrer iMeinung nach keiner Emen-
dation bedürftige Vulgata heisst: Sunt aulem., quibus non vi-
deatur hie omnino tropus^ quia nihil vertat. Necesse est sem-
per., ut id., quod est appositum, si a pioprio diviser is , per se
significet ei faciat antonomasiam. Nam si dicas Ille., qui
Numantium et Cart hagine?n ever tit., antonomasia est :
si adjeceris Scipio^ appositum, Non potest ergo non esse
junctum. d. h. es muss also nothwendig das Appositum mit dem
Proprium verbunden sein, wenn nämlicli ein Tropus entstehen
Griecbische Litte ra tu r. 171
soll. Hr. IL conjicirt: Necesse est semper^ qunm idem appo-
situm , st a projjrio diviseris , per se significot et facit antono-
Tnasiom. Nain — appositmn. Non potest ergo esse (sc. tro-
pus) sejuJirtnm.
Wir glauhen, dass unsere Leser mit uns wVinschen werden,
dass Herr HeiniscJi fortfahren tnöjre , seinen Scharfsinn und
seine Gelehrsamkeit dem Qiiintiiian zu widmen, einem Schrift-
steiler, der unter seineu bessernden Händen gewiss viel gewin-
nen kann und wird.
G. Pinzger,
Griechische Litteratur,
Thucy didi s De hello Peloponnesiaco Libri octo.
ad optiinorum llbroruiii fideiu , ex veteruni notationibus , recentio-
runi observationibus recensuit, argumentis et adnotatione perpetua
illustravit, Indices et tabiilas chronohtgicas adjecit atqiie de vita
Auctoris praefatus est Franciscus Goeller Dr. Pliilos. prof. Gymn.
Colon, ad Khen. Vol. I Über I — IV, Accessit Topographia Syra-
cusanim aeri incisa. Lipsiae in libraria Caroli Cnobloch. 1826.
Vol. II libri V — VIII. ibid. 1826. 8.
M2As war dem Freunde der Griechischen Geschichte eine will-
kommene Erscheinung, dass in unserer Zeit das Werk des
Tliucydides von melirern Gelelirten bearbeitet wurde. Herr
Poppe, Bekker und Gölier haben sich grosse Verdienste
um diesen Scluiftsteller erworben. Auch stand die Kritik und
die Interpretation dieses Geschichtschreibers selbst nach der
Düker sehen Ausgabe weiter zuriick, als diess z. B. bey He-
rodot der Fall war, wo Wcsseling und Valckenaer sich
ein unsterbliches Denkmahl gegründet haben. Es ist nun zu
hoffen, dass die Reihe endlich auch an Xenophoiis Hellenika
komme, wo zur Ausscheidung der Interpolationen noch wenig
bisher geleistet wurde. Hr. Poppo bearbeitet den Tluicydi-
des auf das griindlichste und liefert mannigfache Forschnngen,
die in das Studinm desselben einweihen. Hr. Bekker gab iu
zwey Ausgaben einen durch iVIss. sorgfältig berichtigten Text,
so dass der Gelehrte diese Rezension gerne znr Grundlage der
eigenen Arbeiten über diesen Autor wählt. Hr. Gölier ver-
suchte denselben mit einem kritischen und exegetischen Kom-
mentar in möglichster Kürze zu bearbeiten; der kritische Kom-
mentar sollte immer dem exegetischen vorangehen und diesen
172 Grlecliische Littcratur.
sorgfältig Ijegrüiidcn. Es war schwer, das geliörige Maass zu
treß'eii, und weder die Kritik noch die Interpretation allziiselir
auszudehnen, besonders da vielleicht kein anderer Griechischer
Historiker grössere Schwieris^keitea darbietet: denn bey ihm
trifft es zu, dass gerade der kürzeste Schriltsteller oft den läng-
sten Konnuentar erfordert. Auch rausste, was in kleinern Aus-
gaben liäiifig gefunden wird, dass manches Leichte erklärt,
manches Schwierige übergangen wird, mit allem Fleisse ver-
mieden werden. Ob nun Herr GöUer den Forderungen einer
solchen Ausgabe entsprochen , ob ihm die so schwierige Ver-
einigung historischer und kritischer Erklärung gelungen sey,
MÜl ich in dieser Rezension zu zeigen versuchen. Indessen
bin ich überzeugt, dass jeder billige Leser an dieser Ausgabe
sich erfreuen, und die Mannigfaltigkeit der Kenntnisse, womit
dieselbe ausgestattet ist, anerkennen wird. Denn sowohl für
denjenigen, der die historischen Dfia beleuchtet wünscht, als
auch für den Sprachforscher isi dieselbe wolil eingerichtet.
Und wer zuweilen hie und da besonders im ersten Bande die
Fülle philologischer Gelehrsamkeit allzu angehäuft glaubt, der
bedenke, dass die Eigeiithümiichkeit und die Schwierigkeit des
Stils manche gramraatikalisclie Erörterung erfordert, und dass
dadurch eine Interpretation angebahnt wurde, welche an Wahr-
heit die frühern Aufleger in manchem Stücke übertrifl't. Wer
einmahl diesen ungeschmeidigen Autor genügend erklären will,
der muss ausführlich und auf mancherley Weise das Verständ-
niss erzielen.
Ilr. Göller gibt eine Auswahl der bedeutendsten Varianten
theils aus den Handschriften, theils aus den Scholien und den
übrigen Schriftstellern, welche, wie Dionysius Halicarnassen-
sis in grosser Zahl Stellen aus Thucydides anführen. Auch die
Nachahmungen, welche andre Schriftsteller, wie Demosthenes,
DioCassiüs, Arrianus, Appianus, Heliodorus, Prokopius, Ari-
stides, Salustius, Tacitus haben, hat er sorgfältig gesammelt,
wodurch sowohl manche Schwierigkeit der Konstruction ent-
räthselt als auch das schiele Urtheil, das man zuweilen hört,
über den gezwungenen und rohen Stil sehr berichtigt wird. Es
gibt vielleicht kein Werk, das vollendeter wäre, und in ihm
ist mehr Studium der Sprache als in vielen andern Schriftstel-
lern des Alterthums. Seine Eigenthümlichkeit der Auffassung,
seine Philosophie in der Entwickelung der Gedanken, seine Kunst
der Darstellung lässt siel» am meisten mit Piudar vergleichen.
Eine Lebensbeschreibung des Thucydides ist beygefügt, in
welcher auch Herrn Dali Ima uns Behauptungen aul'genojnmen
wurden, dass Ilerodot seine Geschichte nicht in Olympia vorge-
lesen, dass Thucydides einer solchen niemahls Iiätte bey wohnen
können, dass er überhaupt den Ilerodot und sein Werk nicht
gekannt habe. lir. Göller führt dieselben ohne nähere Unter-
TImcydidis de bell. Pelop. libri. Reccns. GocIIcr. IIS
Rucluing beystimmeiul an. Aber die erste dieser Behauptungen
beruht auf keiner liistorisclien Grundlage, und die Annahme,
dass llerodots Geschichte in Olympia vorgelesen worden sey,
hat so wenig etwas AulTallendes , dass es vielmehr bei'remden
wiirde, wenn nicht öfter solche historische Stücke hey öffentl.
Gelegenheiten vorgelesen worden wären, wie auch Sciilosser
in der Universal histür. lieber sieht der alten Welt 1,2 S. 131
sagt. Die zweyte üehauptung, dass Thucydides einer solchen
"Versammlung nicht habe bey wohnen können, ist mit solcher
Subtilität aus chronologischen Angaben kombinirt, dass W es-
se lings Resultate mir doch glaubwiirdiger erscheinen. Die
letzte Behauptung, dass Thucydides iiberiiaupt das Werk des
Herodot niclit gekannt habe, wird so geführt, dass mehrere
Stellen bey Tiiucydides ganz unbegreiflich werden, wenn sie
wahr seyn sollte.
Jedes Buch hat ausführliche Inhaltsanzeigen. In der An-
zeige zum zweyten Buche ist eine Schilderung der Lage und
Grösse von Athen beygefü'jt; im sechsten Buche enthält die-
selbe zugleich eine Besclirekuing von Syrakus, worüber der
Verfasser auch ein besonderes Werk edirt hat. Die Anzeige
zum achten Buche, welche die Fortsetzung des Peloponnesi-
schen Krieges von der Niederlage der Athener in Sizilien bis
zur Schlacht von Cynossema begreift, ist aus Krügers Com-
luentationen zu Thucydides entlehnt.
Lib. I Cap. 1. ,&ovKvö[dr]g'^9'rjvaLog ^vvsyQa^iB röv nols-
fiov Tcov IJeXüTiovvrjOiav xal 'A%i]vaicov^ (6q hitoXi^riöav TtQog
d?.!irjkovg. llr. G. erklärt diese Worte mit Wyttenbach als an-
tiken Pleonasmus, wie es bey Ilerodot und Xenophon solche
umständliche Redensarten gebe. Ich kann aber nicht begrei-
fen, wie Thucydides gleich in den ersten Worten seines Wer-
kes einen Pleonasmus sicli erlaubt, wenn die Worte Iieissen
sollen : Th. hat den Krieg beschrieben der Pelopojviesier und
Athenienser^ tvie sie 7nit einander denselben geführt. Ich den-
ke vielmehr, dass diese Worte nicht pleonastisch sind, sondern
heissen: Ich beschrieb den Krieg der Peloponnesier und Athe-
ner gleich seit dem ersten Anfang desselben. Ich schrieb die
Begebenheiten nieder., so wie d. h. so bald sie sich ereigneten.
OJg, id., bezeichnet hier quam priyniirn., ich schiieb die Bege-
benheiten des Krieges auf, zur gleichen Zeit, da sie sich er-
eigneten. So sind wir nicht genöthigt, dem Thucydides, die-
sem abgesagteir Feinde alier Pleonasmen, gleich in seinen er-
sten Worten einen grundlosen Pleonasmus aufzubürden. — ort
a'ii^ät,ovxig tb ijöav ig avrov ßagoorf^Oi Ttagaönsvi} xrj Ttäöi].
llr. Schäfer liest 7}ößV aus Suidas , Photius, Zonaras, wel-
clie unsre Stelle um der Form 'tjiöav oder jjöav willen ani'ühren.
Bekker hat ebenfalls j}ößv. Auch scheint sg avtov nicht gut
in die Konstruction zu passen, wenn mau aK^ä^owEs ^](S(xv d. i.
X74 Griechische Litteratur.
TJxfitt^ov liest. Der Sinn ist: tpeil beyde Völker in der Blüthe
ihrer Stärke in diesen Krieg zogen. — Tclvrjötg yccQ avtiq ^s-
yLötrj dr] roig"EU.r]6cv lyivtxo aal fiEQEi ztvl xav ßagßdQCOV^
(6g ÖS UTcstv ^ %a\ ini TtXslörov dvQ^QcJTtav. G. hat diese drey
"Worte cog de elTtsiv in zwey Komma eingeschlossen, wodurch
die Beziehung zweideutig wird. IJekker hat nur Ein Komma
und zwar vor cog ös dntlv. In Tliuoydides ist es vorzViglich
Avichtig, nur wenige Interpunctionszeichen zu setzen, da in kei-
nem andern Schriftsteller das Auge und der Geist freyern Spiel-
raum haben iiiuss, um die richtige Verbindung der einzelnen
Theile der Sätze einzusehen: Bekker ging hierin musterhaft zu
Werke. Ausstreichen aller Interpunction ist oft der beste Cora-
mentar. — iy. b\ tiKp.y}Qi03V cbv inl /.laxQorarov Gkotiovvtl /ttot
mötfiJöaL ^vf-ißniv^L ov ^iyäXa vonit,co ytvia^aL. G. misbilligt
mit Recht die Erklärung von Krüger, dass (6v iur a stehe, und
von öKOTtEiv abhänge. Diese gezwungene Erklärung, die sich
logisch gar nicht reclitfertigen lässt, ist durch die einfache von
Hrn. Schäfer, zufolge der man Ix wieder bey äv ergänzt,
ganz abgewiesen. Auch im Lateinischen rauss zuweilen die Prä-
position zum Substantiv und zum nachfolgenden Kelativ gezo-
gen werden. So sagt Cicero: A rebus gerendis abstrahlt se-
iieclus? Qiiibi/s? an Hs ^ quae in juvenlute genmtur et viri-
bus? — Cap. 2. exaöTOL zrp' eaincov anokEiTiovrEg ßicct,6^evov
VTTo TLVcov dsi 7il£i6vroi'. G, wollte erst lieber vjio tcov ad
yiliiovav lesen, wie die Äldina des Dionysius hat. Aber der
Sinn ist nach unsrer Lesart noch etwas stärker: ^^ Sie wurden
vertrieben von jedem besten Anköinmling^ der stärker war.'"'-
v%6 räv du Ttluövcov heisst: sie wurden verdrängt von dem^
der jedes Mal der stärkere tvar. Also war kein Grund zu ei-
ner Aenderung, del hat die gleiche Bedeutung verbunden mit
dem Artikel oder Pronomen. Auch citirt der Schoiiast des Ari-
stides p. 19 so: /3ta^6,u£7;og vtio tlvov dtl nktiövcov. — t/Jv
yovv 'Atriycriv £X xov Im Tclslörov dtd x6 kETcroysav doxa-
öiaöxov ovöav äv&QCOTtoi äxovv ol avxoi du. Die alten Scho-
liasten verbanden 1% tov Inl nluörov und erklärten dvExa^Ev.
G. hingegen erklärt diese Wendung besser. Th. konnte lyc
xov — ilvac statt ovöav sagen, was das regelmässige war; er
konnte aber auch Ix xov — ovöav sagen, denn der Hegrilf ist
der gleiche und das Particip ist ein konstruirter Infinitiv. Wie
im Lateinischen der Unterschied oft kaum bemerkbar ist, wo
der Schriftsteller nach gewissen Verben den Infinitiv oder das
Particip setzt. — v.a\ TtagdÖEiyua toös xov köyov ovx iXdii-
öxöv iöri öid xdg ^Exoixiag eg xd cclla ^rj o^oicog av^rj&fjvai.
G. hat die Meinungen von Poppo, Lehner, Tafel ausführ-
lich dargestellt. Er selbst versteht als Subject zu av^rj&rjvai,
aus dem Vorigen xi'jv xs (diööaUav xat Boicoxiav UsXoTtovvi^-
Cov TE TU nolld — T^s TS äUr^s oöa i^v XQdxLöxa. Er verbia-
Tliucjdldiä de bell. Pclop. libri. Recens, Goellcr. 175
det lg xa, aX'ka mit öta raq \iitoiv.la.q und übersetzt das Ganze
so: Atque seiitcntiae a me p/oposilae hoc finnissijninn argu-
mentum esl^ ob tnigrationes in alias [oder vielmehr ceteras'\
terras relitpiam Graeciam non perinde auctam esse ^ quod qui
ex isla aut hello aut seditione ejcciderant^ polenlissimi quique
in Atticam iamquain sedes stabiles futuras se recipiebant. Ob-
gleich ich mich mit dieser Krkläriing eher als mit jeder andern
vertragen könnte, so scheint mir doch, dass in den Worten lg
xd äXla vielleicht das Snbject des Satzes ruhe. Denn es sollte
notliwendig ein Siihject im Satze stehen, da diejenigen, welche
man ergänzt, zn fern stehen und die jiächsten nicht passen.
"Wie weit leichter wird die Strnctur, wenn wir £g als ans der
letzten Sylbe von ^ixomiag entstanden betrachten und über-
setzen: der grösste Beiveis für das^ ums ich sage^ ist, dass
durch die Emivanderungen die übrigen Theile von Griechen-
land nicht auf gleiche ff eise wie Attika vergrössert wurden.
Attika vergrösserte sich durch alle Einwanderungen, während
in den übrigen Landschaften die friihern Einwohner von den
Einwanderern jedesmal verjagt wurden. — Cap. 15. ovÖ' av
avxol. Diese Znsammenstellung klingt unangenehm; Suidas
lässt av weg, und ich glaube mit Hecht. G. vertheidigt diese
Lesart. — Cap. 20. agTCBQ tovg Xc Aa^iÖaipioviav ßaückeag
^1] jxuc ipr](pG} TtfjogzL&iöd'ai eKaxEQov dlla Övolv. Allen alten
Zeugnissen zuwider sollen Avir nacli der Lehre von Hrn. Dahl-
mann nicht glauben, dass 'I'hucyd. hier stillschweigend den
Herodot berichtige. Ist es bloss zufällig, dass jene histo-
rischen Data, welche Thucydides in seinem W^erke berichtigt,
gerade in llerodots Geschichte stehen'? Wen konnte er fer-
ner im Auge haben, wenn er schreibt 1, 97: eygatpa ös dvxa
f Athens Kriege seit seiner Hegemonie in Persien, Aegypten,
Hellas) xal xrjv exßoX>]V xov loyov t7roirj6d^7]v , did xöÖs ort
xolg Tigö Euov anaöLV sxhjilg xovxo i]v xd lagiov %a\ rj xcc
JIQO xcov Mrjdixcüv 'EXky]Vf/.d tvvEx'iQiöav rj avxd xd Ah]dixa'
xovrav ös ögTisg aal rjtl'axo Iv xy '/ixxixij ^vyyQaq)fj 'Ekld-
rtxog, ßgayjag xe xcd xolg XQovoig ovk dxQLßojg ETCBfivijö&rj'i
Sind wir nicht genöthigt, hier an Herodot zn denken*? Zudem
waren ja beyde noch Zeitgenossen. Herodot erlebte das Ende
des Peloponnesischen Krieges. — Cap. 22. «AA' dg ixaxigcov
xig evvoLag fj p,vr/fX7]g syoi. G. hat EKnxsgav aufgenommen
statt EKaxEga , was sonst die meisten Mss. haben, weil Tli.
nicht so, sondern SKaxigoig geschrieben Ijütte. Ich denke,
dass beydes geschehen konnte. Auch Bekker liest a?g £xa-
XEga Ttg, wodurch die Konstruction einfacher wird. — oGoc
ÖS ßovXrjöovxai. xcov xs yEvo^uevcov x6 öacplg ökotcelv aal xäv
(lEkXovxav ÄOTf, av&ig xaxd xö dv&gcjTtEiov xotoviav xal
TcagauXriGlcov EöEö^at., cocpskt^a xgivEiv avxd dg^iovvxag E"t,£L.
G. stellt ausführlich die Erklärungen von Wytteubach,
ITO Griechische Litteratar.
Kisteraaker, Hermann, Poppo, Krüger, Lehner,
Tliiersch dar. Er fol;ü:t Poppos Uebersetzung: für das Ge-
hör wird vielleicht das Nichtfabelhafte dieser Begebenheiten
minder ergötzend scheinen: wenn aber Männer^ die das Ge~
schehene und das , hhis sich einst wieder nach dem Gange der
menschlichen Schicksale auf gleiche und. ähnliche Art ereignen
möchte , in Idareni Lichte betrachten wollen , diese Begeben-
heiten wid deren Erzählung für nützlich achten , so wird die-
ses ge?iügen — doch mit folgender Modifikation: quicunque
auteni volent veritatein eoruni^ quae evenerint ^ conniderare et
eoruni^ qtiae^ ut sunt res human ae ^ vel talia oninino vel siini-
lia sint eventura^ illos satis erit^ ea esse utitia^ judicare. Die
Ergänzung von xovrovg zu xob'Biv passt niclit gut z» ägxovv-
rcog e^SL; auch passt t6 öaq)lg ökojibli' nur aui" tav yEvoi.iivcov.,
liiclit auf xcöv jWfAAo'vrwvj der Art. rcov vor (.ii^^XÖvtcov sclieiat
anzuzeigen, dass tcov ^ellövrcov su'.)stanti\isch zu verstehen
sey, und dazu mnss ein Particip verstanden werden. Mir ge-
fällt am besten, wie Ilr. lieriaann in Opusciilis T. I p. 285
die Konstruction erläutert. Quod saepius Jit^ tit verbuni uuiit-
tatur repetendum e.v praecedentibus^ hie quoque factum est.
Plene haec sie dixisset: aal^ rcov ^itXkovrcjv tiotb avd'ig xata
rö avd'QCOTiSLOv totovtcov xal nagarcXriöicov eösö&ai ,«f AAdircov,
cocpih^a XQLVUV avtä, KQXovvTcog tt^u. Satis erit factum^ in-
quit^ si qui vel res qnae gestae sunt accurate considerare^ vel
ubi futura^ ut fieri solet^ eamdem aut simileni formani habe-
bunt ^ utilem judicare hunc Uhr um voluerint. Er sagt ungefähr
diesen Gedanken: „mir genügen jene Leser, welche die VVahr-
lieit in der Vergangenlieit aufsuchen, und meine Geschichte
für die Zukunft, wenn diese sich wieder eininalil äliaüch oder
gleich gestalten sollte, nützlich achten Mir genügt, wenn maa
findet, dass meine Geschichte über die Vergangenheit wahrhaft,
und für die Zukunft belehrend sey.^' Tliucydides spricht also
liier i\e\\ ge(loj)pelten Zweck der Geschichte aus, Erforschung
der Wahrheit in der Vergangenheit, und Belehrung für die Zu-
kunft zur besseren Ordnung der Umstände. Mir genügt der
Leser, der Wahrheit in der Vergangenheit, Belehrung für die
Zukunft in meiner Geschichte finden will. — II, 35. ojg nalov
inl toig iK rc5v tcoXI^cov d^a7troi.ievoLg dyoQSvsöQ'ai avtov. Dio-
nysius, sagt G,, fand in seiner Handschrift <les Tliucydides cog
%aX6v y\ da er diese Worte als creticus bezeichnet. Hr. Schä-
fer wollte ein Komma nach kuXov setzen, damit durch den star-
ken Acceut, der auf die letzte Sylbe von xalöv falle, der cre-
ticus wenigstens für das Ohr erreicht werde. G. aber glaubt,
dass der Sinn oder die Konstruction diess nicht gestatte. Diess
scheint mir unrichtig, denn diese zwey Worte bilden einen
vollständigen Satz. — 7; d6xr]0ig ukri^elag. G. tadelt mit Recht
die Erklärung des Scholiasten, dass t] d6xi]öig dXrj&Siag peri-
Thucydidis de bell. Pelop. libri. Rccens. Goeller. 177
phrastisch für dXijd'Sia stehe, er selbst erklärt certam persiia"
sionem excitare, verum esse aliquid. Ist nicht vielleicht rich-
tiger zu übersetzen: es hält schwer, da befriedigend zu spre-
chen, wo kaum auch nur der Scheiti der Wahrheit behauptet
werden kann'? — c. 37. %al övo[ia [lev dicc ro (i^ sg okiyovg
«AA' sg Jikdovag oIxhv dij^oxQatla nExXrjraL' ^STtött Ös xarä
[lev Tovg vofiovg Tigog rä Xöia öiäcpoQa %ä(3i x6 l'öov, jcara ös
rijv cc^lcoöLV^ cjg sicaöTog sv reo svöoKi^sly ovx dno (iSQovg to
siXslov eg td zoLvd ij dno dg^r^g ngoTi^ätav. Au dieser Steile
führt Hr. G. die Worte des Scholiasten unvollständig an, wel-
che so lauten: 'ETisidr) cpavkov do'Asl tJ drj^OKQaTia xal ogä tovg
Adücovag öB^vvvofisvovg inlrrj dQiötOKgaria , indyu kkyav
ort Tcj yCbv ovöiiaxi örj^OKQaria^ toj da sgycp dQLötoxQcctia s6tIv
^jticov 7] noXiTBia. Ilr. G. beachtete diese Worte weiter nicht.
Wenn wir aber auf dieses alte Zeugniss hören, so erhalten wir
eine ganz andere Erklärung für diese ganze Stelle. Die ge-
wöhnliche Erklärung ist: Die Verfassung unsers Staates ist
so glücklich^ dass wir fremde nicht beneiden , sondern dass
dieselbe eher ein Vorbild für andere ist, als dass wir andere
nachahmen. Ihr Nähme ist Demokratie, weil die Regierung
nicht von wenigen., sondern von der Mehrzahl geleitet wird;
vor den Gesetzen haben alle bey persönlichen Streitigkeiten
das gleiche Recht , und ivo es auf Auszeichnung ankommt,
wird jeder, worin er bewährt erscheint^ zu öffentlichen Ge-
schäften nicht sowohl nach einer besondern Klasse als nach
Tüchtigkeit hervorgehoben ! Die zweyte Erklärung ist nun fol-
gende : unser Staat ist eine Demokratie, doch nur dem Nah-
men nach, weil die Regierung nicht in den Händen einzel-
ner weniger liegt, sondern ein Gemeingut ist der ganzen
Nation, u?id weil die Gesetze allen in bürgerlichen Streitig-
Iceitefi gleiche Rechte getvähren: nach dem icahren Werthe
aber^ nach der wahren Geltung aber unsrer Verfassung wird
nur der, der sich am meisten auszeichnet, nicht um des Krb-
adels willen, sondern seiner Trefflichkeit wegen zur Staats-
verwaltung gezogen. — Wiewohl die Regierung der ganzen
Nation gehört, so wird doch nur der Tüchtigste zu der Verwal-
tung gezogen : unsre Verfassung ist also dem Worte nach eine
Demokratie, der Sache nach eine wahre Aristokratie. Nach
dem wahren Begriffe unserer Verfassung ist unser Staat eine
Aristokratie, und zwar in einem höhern Sinne des Wortes, als
sich dieselbe in Sparta kund thut. Sobald sich nehmlich der
einzelne Bürger durch irgend etwas auszeichnet, so wird er,
nicht, weil er zu einer privilegirten Klasse gehört, wie diess
in Sparta erforderlich ist, sondern um seines Verdienstes willen
zur Verwaltung des Staates gezogen. Auch ist keiner, der et-
was Tüchtiges im Staate leisten kann, um seiner Armuth wil-
len, wie diess in andern Aristokratien des Alterthums der Fall
Jahrb. f. tlUl. u, tüdag. Jalirg. V. Heft 'i. 12
178 Griechische Litterator.
war, ^geschmälert oder verkürzt, weil sein Werth nicht in Gold
und Silber schimmert. Jeder sieht leicht ein, dass diese Er-
klärung dem Charakter des Redners und dem Zusammenhang
weit angemessener sey. Perikles vergleicht den Atlieniensi-
schen Staat Stück für Stück mit Sparta, und findet jedes Mal,
dass Athen nicht nur das Gute von Sparta, sondern noch weit
höhere Vorzüge besitze. Um nun diese Erklärung in nnserm
Texte festzustellen, bedaif es keiner Veränderung. Ich be-
trachte nämlich v,axa b\ ttjv d^iaöiv als entsprechend dem
obigen övofia ^sv, aber jene Worte schliessen sich zunächst an
xara ^BV Tovg vofiovg an, welcher Satz die Erklärung enthält
von den Worten övo^a filv diä to [iri ig oUyovg dXX ig Ttldo-
vccg oixHV dr]^OiiQarLa asTiXrjrut. Dem Nahmen nach regiert
das Volk: denn gesetzlich ist zwar jeder Bürger dem andern
gleich gestellt, aber nach dem wahren Begriffe unserer Verfas-
sung wird nur der beste zur Verwaltung des Staates gezogen. —
c. 39. ovTE yccQ AaxedaL^ovLOL xad'' sxdöxovg , fiEtd nävxav
d' ig rriv yr^v ijfitäv öxQaxBvovöL. G. zieht die andre Lesart
v,a%' aavxovg vor. Auch die erste Lesart ist richtig, die La-
kedämonier ziehen nicht vereinzelt, als einzelnes Volk, sondern
bloss mit Beyhülfe aller übrigen Bundestruppen gegen uns zu
Felde. naixoL st Qa^v^ia ^üXXov rj növcov (iB?^sxy] %a\ inq
HBxd vo^av TO Ttkalov i] tqotccjv dvÖQBiag i^ikoifiBV tavdv-
VBVBiv-, nBQiylyvBxai rjfilv xolg xb ^akkovöLV dXyBtvoig fi^ tiqo-
xd^vBLV, aal ig avxä ikQovöi ^rj dxol^oxBQOvg xav dsl ^ox-
l^ovvxcov (palvBö^ai. Bekker und Krüger lesen idslo^iBV,
was G. mit den Worten bestreitet: nam neqtie otio^ ?iec sine
legibus sese agere dicit^ sed hoc : si otio potius quam laho-
rum ineditatione ^ si legum minus quam rnorum fortitudine
pericula subire vellemus. Aber da dieser Satz eine Schluss-
folgerung aus dem, was er im 39sten Capitel entwickelt hat,-
enthält, so glaube ich, dass der Indicativ iO^BXofiBv das rich-
tige sey. Jfetin wir also mehr sorglos als sorgenvoll, und
nicht sowohl, weil die Gesetze uns zur Tapferkeit zwingen,
sondern weil wir aus Grundsätzen tapfer sind, jede Gefahr
gerne bestehen, so haben wir den Vortheil vor defi Sparta-
riern voraus, dass etc. — Uebrigens nahm Blomfield statt
dxoXfioxsQOvg den Dativ dxoXnoxigoig auf. Hr. G. glaubt aber,
dass diese Unregelmässigkeit nicht ausgeglichen werden dVirfe,
da die Konstruction beide Kasus gestatte und die Schriftstel-
ler hierin mit grosser Freyheit zu Werke gehen. Tacitus lie-
fert hierin ganz entsprechende Beyspiele. — Cap. 40- xal xu
igaQBxyjV r^vavxLco^e&cc. Dass diese Stelle fehlerhaft ist, scheint
unzweifelhaft. Reisig konjlcirte dv 'i^vccvxicö^Bd'a. Eine
eben so leiclite Veränderung ist die, die erste Sylbe in i^vav-
tLco^Bxfa zu tilgen, da sie entstanden seyn kann aus der letzten
Silbe in dgarr/i/. Diese Vermuthung äussert auch G. Schon
Tlmcydldls de bell. Pelop, libri. Reccns. Goeller. 179
lange vorher kannte diese bessereLesart Schneider, wie sich
aus dem Lexico s. v. dvriccco er^iebt. „Bey Thiicyd. II, 40 dv-
tia^s^a statt BvavtLOV^Bd'a, discrepanms ^ wie Ilesychius in
7JvTi]6e bemerkt hat. Gewöhnlich steht i^vavtiwixEQ'a.'-'' — ßs-
ßatötSQog ÖS 6 ögaöag ti^v xägcv^ aörs ocptLko^ivrjvÖL evvoiag
c3 dedoKS 6c6t,Eiv' 6 ö' dvzo(pBiXc3v dfißkvvBQog^ sldag ovx eg
^ccQLV^ dk?J Ig ocpuKriyLa trjv dgExijV d:todä6c}V. Hr. G. kon-
struirt diese Worte so: cöözs 6c6t,Biv öl ivvoiag 6(pBilo^ivriv
VTi sxEivov^ w dedcoiiE. D. i. Beständiger in der Gesinnung
ist der Ji ohlthäter, damit er den schädigen Dank des Eni^
pfängers der Wohlthat für sei?i WohluwUen erhalte ; lässiger
der Verpflichtete, wohl tvissend^ er werde nicht als Gefällig-
keit^ sondern als Schuldigkeit den Piefist erwiedern.'''' — Die-
ser Gedanke ist unwahr und verkehrt. Denn ^vie kann man be-
haupten: dass, wer jemanden viele Wohlthaten erwiesen habe,
sorgfältig sich bemi'ihen müsse, die Freundschaft jenes Men-
schen fortdauernd zu besitzen, damit derselbe nicht den Dank
ihm verweigere*? Wir müssen also einen andern Gedanken iu
diesen Worten suchen. Ich folge der Erklärung des Scholia-
sten, welcher sagt: ^ övvTcc^ig ovtcog' äöxs 6q)£i,lo^svr]V
Gco^siv Bxslvov drjXovoTL^ a dt ivvolag öadaxE. G. führt diese
Erklärung auch an mit dem Beysatze: est alia huiiis loci inter-
pretandi ratio^ sed patdo difficilior , und gibt ihr folgende ¥tv-
klAvang: ßrmior in amicitia is , qni henejicium confert , ut is^
in quem beJievolentia ductus contulit , beneßcii inemor sit; qui
autem gratiam referre debet , hebetior est , quia seit , se noii
beneficium collocaturuin, sed rem debitam persoluturum. Aber
der Scholiast wollte vielmehr folgenden Gedanken. Wir ha-
ben, sagt Perikles, einen ganz andern Begriff von der Freund-
schaft als die" übrigen Menschen: denn nicht durch Wohlthaten,
die wir empfangen ^ sondern die wir erweisen, erwerben wir
uns Freunde. Der Wohlthäter ist gewisser, einen Freund zu
besitzen, weil der Empfänger derWohlthat sie wie eine Schuld
nicht vergessen kann ; der Empfänger ist ungewisser, ob er ei-
nen Freund besitze, weil er weiss, dass nicht, um sich jemand
zu verpflichten, sondern um eine Schuld abzutragen, er einen
Dienst erweist. Der ist der stärkere, der Wohlthaten übt,
denn er weiss, dass der, dem er sie aus Liebe erwiesen hat,
sie wie ein geborgtes Gut betrachtet, das er zurückzugeben
habe. Der Wohlthäter ist sicherer, dass er durch die Wohl-
that einen Freund sich gewinnt, der Empfänger hingegen kann
nicht darauf zählen, dass der Wohlthäter sein Freund sey, dass
er also mit dem Empfang der Wohlthat auch einen Freund ge-
wonnen habe. Und wir allein, fährt Perikles fort, erweisen
Wohlthaten nicht aus Bercchnuüg des Vortlieils, sondern in der
Ueberzeuguug, dass wir dadurclä freyer werden. Der ist näm-
lich der freyste Mann, der die meisten Wohlthaten erwiesen
VI*
180 Griechische Litteratur.
ond niemals solche empfangen hat. Der grösste Wohlthäter
ist der freyste Mann, er ist nirgends Schuldner, sondern die
^anze Welt ist ihm verschuldet. Alle sind gezwungen, ihm zu
helfen, ihn zu unterstiitzen. Die Tugend macht die Menschen
frey und stark. Der, welcher andern hilft, wird selbst stär-
ker (ßsßaLOtiQog), weil diese ihm helfen müssen ; der, welcher
sich helfen lässt, gewinnt dadurch nicht an Stärke, er wird
schwächer (a^ßkvzEQog), er verliert an Selbstständigkeit, weil
er seine Stärke dem Wohlthäter opfern muss. — Cap. 42. rc5v-
ds öh ovre TcXovta tig x^v tri, dnökavGiV TCQOtiiir^öag ffia-
laalo&T] ^ ovTE Ttevtag IXnidt, cog aäv en öuacpvyfav avTrjv
nkQvxriöBiEV dvaßo^jv rov dsivov inoi^öaxo. G. verwarf
die gewöhnliche Lesart ovts. nXovtov Tig xrjV bzl ditoXavöLV,
weil der Gegensatz nsvlag iXniöv sey, dem also nkovxcp ent-
sprechen miisse. Wenn aber nkovza einen adäquaten Gegen-
satz haben sollte, so müsste dieser jrgMa seyn, aber die Gegen-
sätze bestehen hier nicht im einzelnen Worte, sondern jiXovtov
T^v exL ccTtoXavöLV entspi'icht dem andern Glied nsvLag skniöi
dtg ndv an dLaq)V'yeav avtijv jikovxjjösts. Bekker hat den
Genitiv, — xccl av avxcß xä dfivvsöQ'ai, nal naO'slv ^läXXov r^yi]-
öd^EvoL 7] x(p EvdövTEg Gä^eöQ'aL, x6 ftfv alöxQov xov loyov
ecpvyov. Hr, G. erklärt diese Konstruction aus der Vermi-
schung zweyer Redensarten, so dass Th. entweder sagen sollte:
ev avxä xco d^vvEö&aL xal sta&clv [läkXov T^yrjöäfiEvoi, öj xa
ivöovvai 6(6t,EG>dai oder iv avxa d^vvo^EVOL aal na&övxEg
^äXXov rjyrjöd^EvoL ij EvdovtEg öd^söd'ai,^ so dass der Sinn die-
ser Stelle folgender ist: sie glaubten, dass sie eher durch
Kampf und Leiden als durch Feigheit ihr Leben fristen wer-
den. G. bestreitet hierauf die Bekkersche Lesart: ev avxa
t6 dfivv£6&ai aal na^Eiv fidXXov 7]yfj6d(iEV0L ij xo IvdovxEg
(j(o^£0ö"at d. i. sie schätzten es hölier, in der Schlacht sich
tapfer zu wehren und zu sterben, als durch Feigheit das Leben
zu erhalten. In dieser Konstruction nämlich entspricht EvöövxEg
dem d^vvEö&aif 6cöt,e6&ac dem jca&ELV. G. bestreitet diese
Lesart dadurch, dass (.läXXov nicht hqelxxov heissen könne.
Aber fiäXlov fjyelö^ai, heisst doch ?nalle^ praefene^ potius du-
cere. Beyde Erklärungen geben einen wiirdigen Gedanken,
doch scheint mir die letztere wegen des Folgenden besser zu
passen. — nal öt iXa%i6xov xaiQOv xvxrjg d^a dx^ij xrjg Öo^ijg
Hdkkov ij xov daovg dTcrjkldyrjöav. Diese Stelle hat G. mit kei-
nem Worte berührt, und doch gehört sie zu den schwierigen,
weil manchcrley Verbindung der Worte möglich ist. — C. 43.
dXyEiVoxtga yccQ dvögl ys qigövrj^a (%ovti ij Iv xa ^lExa xov
HaXuKLö^dijvccL nducjöLg. G. hat sv xco eingeklammert, und will
die Worte mit Stobaeus weglassen. Bekker schreibt ev xcp
und diess gibt einen guten Sinn: bei irgend einem Anlass^ ir-
gendwie. — Cap. 44. av JtoXvzQOJiots y^Q ^v^icpogals azCözav-
Thucydidis tle bell. Pclop. llbri. Recens. Goeller. 181
Tai tgacpEVTEg' t6 ö' ivtvxh^ o" av r^g EvirQSTCEördtrjg Xa-
%co6lv äöTiSQ OLÖE jiiEV Ttjg TsXivtrjgy Tj^slg Öe Ivrtrjg, xal otg
EVEvdai^ov^öai xe 6 ßlog o^oiag xal IvtElEvr^öat h,vvE}iE-
tQri%7j. G. erklärt die Stelle so: scitmt enim variis casibus se
invitaitsos^ jiotinsque fortunatos esse, quibus vel esüus hone-
stissim?is, uti his nunc^ vel luctus, utvobis^ cofttigü y et qnibus
sie est traducta vila , ut et in ea essent felices et in felicitate
decederent , d. h. ich will die Eltern der Gefallenen nicht be-
klagen, sondern vielmehr zur Freude stimmen; denn sie wissen
ja, dass das Leben viel üiiglVick bringt, und dass diejenigen
glücklicher sind, welche den Heldentod auch inderBlüthe der
Jahre, wie diese Gefallenen, oder die glorreichste Trauer, wie
ihr, durch den Heldentod der Kinder erlangt haben, und wer
glücklich gelebt und glücklich gestorben ist. Wie kann aber
Perikles diess zum Tröste der Eltern sagen! Er muss vielmehr,
wenn anders diess ein tröstender Gedanke seyn soll, diejenigen
glücklicher preisen, welche den ruhmvollsten Tod in der Jugend
oder den ruhmvollsten Schmerz gelitten haben, als diese, welche
in ruhigem aber ruhmlosen Glücke gelebt und gestorben sind.
Er muss, um die Eltern zu trösten, beweisen, dass die Gestor-
benen glücklicher seyen, als dieLebenden. — Hierauf erwähnt
G. beyläufig, dasPoppo die Erklärung Hermanns widerlegt
habe. Es lohnt sich aber der Mühe, die Worte Hermanns ge-
nauer zu betrachten, ad Vigerum p. 712: ^^Quin consiliam ora~
torisy verbitmque ^WE^stQ'^xh] ^ quo vitam ?^o/^ datam et con-
cessant^ sed actam et iraductain signißcari creber usns et
hiijns ipsius verbi et adjectivi övjinEtoog monere interpretes
jwterat, faciunt, ut xal in ■^\ ad quod (läkkov intelligemlum
est^ mntayidum. putem, quo facto sententia existet neque ine-
ptam tantologiam eo7itinens^ et ad coiisolandimn aptissima:-
sciunt enim^ variis se casibus in vita usos^ potiusqiie fortuua-
tos esse , qtäbus vel exitus konestissimus , uti kis mmc-^ vel
tucttts^ ut vobis , contigerit , qu a in qnibus sie traducta est
vüa^ ut in ea et essent felices^ et decederent. Rede itaque
schoUastes .- tovxE6rtv Iv Evdai^ovia aal i,7J6ca> aal teXev-
T^Gat."" Poppo widerspricht dieser Erklärung, weil man
nicht einsehen könne, warum diejenigen , denen der rühmlich-
ste Tod oder die glorreichste Trauer zugefallen, glücklicher
seyen als die, welche glücklich lebten und starben. Ich glaube,
dass jene Behauptung sich wohl begreifen lasse. Perikle« muss
zwey Klassen einander entgegen setzen. Wer das höchste
Glück auch nur durch seinen Tod oder durch seinen Schmerz
erkauff, ist doch glücklicher, als wer im Leben und im Tode
ein gleiches Maass von Glück geniesst. Wer nicht glücklicher
gelebt als gestorben, d. h. wessen Leben eben so wenig Epoche
machte als sein Sterben, dessen Glück lässt sich doch nicht
mit dem Glücke dessen vergleichen, d«r als Held gestorben ist
182 Griechische LItteratnr.
oder durch den Heldentod seines Sohnes den höchsten Ruhm
erlangt hat. Der Sinn ist also: Glücklicher sind dit-jenigen,
Avelche den ruhmvollsten Tod erlangt wie diese, den rulimvoü-
sten Schmerz wie ihr empfunden liaben , als diejenigen, btiy
welchen das Leben und der Tod in gleichem ruhmlosem Glücke
dahinfloss. Diese Konjectur empfiehlt sich durch ihre Einfach-
heit und Wahrlieit so, dass icli mich wundere, warum G, sie
nicht besser würdigte. — Cap. 4r>. rdf ydg ovk ovtcc aTtag
uco&Bv InaivHV j nal /io'Atg äv xad'' V7C8Qßoh]v ccQEtfjg ovx
ouoloL alX oUya %BiQovg XQcQ^sirjts. — G. erklärt jcaO"' vtisq-
ßok^v ccQSrfjg propter exindain virtutevi bey so ausserordent-
lichen Vorzügen, und bezieht diese Worte folglich auf die Ge-
storbenen. Ich beziehe sie lieber auf die Lebenden, die jenen
nacheifern, und übersetze: „auch wenn ihr ihre Verdienste
übertreffen werdet."
Ich gehe noch zu einer Stelle des siebenten Buches über
cap. 85. TclhlöTog yag drj qpo'vog ovrog xal ovö^vog akaööcov
rm> SV tg5 UixskLxä TtoXeixa tovra syBVBto. Tusaims und der
Scholiast korrigiren Iv tä 'ElliqvMä mokBfXCO. G. lobt unbe-
dingt diese Veränderung. Aber warum soll Thucydides nicht
sagen können: dieser letzte Verlust der Athener war noch der
grösste^ den sie seit zwey Jahren , da der Krieg in Sizilien ge-
führt wurde ^ erlitten? hingegen cap. 87 sagt er: ^vvBßrj xz
BQyov Tovro 'EXkrivi'nov tcöv xaxä tov tcoXs^ov tovöb fieyi-
Crov ByBVBTO, d. h. diese Niederlage war die grösste, welche
Hellenen in diesem ganzen Kriege, ja in der ganzen helleni-
schen Geschichte erlitten haben. Diese letzte Stelle beweisst
also nichts gegen die obige. — Endlich Lib. VIII, 5(). 'laviav
%s yaQ jiäöav '^^lovv diÖo69ai aal av&ig vi]6ovg tb rag iitu-
XBi^Bvag Kol äXla — vavg rjt,iOv luv ßaöLXia 7ioiBl6\fat aal
TcaQanKBiV t^v aavtcöv yrjv oTcr] äv xal oöatg äv ßovkrjxai,.
Hr. G. nimmt mit D ah 1 mann an, dass der sogenannte kimo-
uische Friede eine Erfindung eines betrügerischen Lobredners
von Athen sey. — Tissaphernes sucht den Vertrag mit den
Atheniensern noch zu verzögern , um sie erst noch mehr zu
schwächen. Er fordert von ihnen aber Bedingungen eines Ver-
trages, dass sie dem Könige ganz lonien und die dortigen In-
seln abtreten, und die Erbauung von Schiffen gestatten und die
Schifffahrt im Aegeischen Meere, wie und mit wie viel Schiffen
er wolle. Die Athener empört über diese Forderungen brechen
die Unterhandlungen ab. Diese drey Forderungen machten
die drey Ilauptstücke des sogenannten Kiraonischen Friedens
aus. Der König musste lonien zurückgeben, durfte in den grie-
chischen Landen keine Schiffe bauen, und in Vorderasien nir-
gends Schiffe auslaufen lassen. Wenn nun diese Stücke nicht
zwischen Athen und Persien ausgeiuacht gewesen wären, so
hätte die Persische Kroue die Athener nicht aufforileru können,
Leontücarm. Hermes, fragmentemendatuni etc. aRiglero etAxtio. 183
diese Artikel aufznliebeii , und die Athener wären nicht erbit-
tert worden, wenn sie nicht rechtlich auf diese Puncte sich
hätten stützen können. Wenn der Kimonische Friede niclit
existirt hätte, so hätte der König gethan, was ihm beliebte,
nicht erst um Erlaubniss gebeten, ein Schiff im Athenischen
Asien erbauen zu diirfen. Die Stelle des ersten Buches Cap.
112, wo Thucydides von Kimon spricht, ist kein Beweis gegen
die Existenz dieses Friedensschlusses. Denn in jener Digres-
sion durcheilt er kurz die Geschichte der Athener in jener
Zwischenzeit vom Ende des Persischen Krieges bis zu Anfang
des Peloponnesischen, mehr um die clironologischen Irrthüraer
des Hellanikus zu verbessern, als dass er alles dort erzählt
hätte. Er berichtigt dort mehr die fehlerhaften Einzelnheiten;
was riclitig ist in Hellanikus, beriihrt er nicht. Unsere Stelle
dagegen lehrt augenscheinlich, dass ein solcher Friedensschluss
existirt hat; denn ohne solche Friedensartikel hätte er die
Aufliebung solcher Puncte nicht veranlassen können ; denn es
sind keine Puncte, die man sonst fordert, es müssen Artikel
eines frühern Vertrages seyn.
Soweit meine Recension. Der erste Band dieser Ausgabe
enthält die vier ersten Bücher. Eine Karte ist beigelegt, wel-
che die Stadt Syrakus und die Belagerungsarbeiten der Syra-
kuser und Athenienser darstellt. Am Ende des zweyten Ban-
des, welcher die übrigen Bücher enthält, steht die Erläuterung
dieser Karte. Dann folgt eine chronologische Tafel aller Be-
gebenheiten des Peloponnesischen Krieges. Im zweyten Index
hat Hr. G. unter dem Artikel Thucydides viele Nachträge ge-
geben. Im vierten Index, dem grammatikalischen, stehen auch
grössere Excurse, z. B. über den Gebrauch des Artikels.
Diese Ausgabe ist gewiss für jüngere und ältere Leser die
lehrreichste, und leitet am besten zum Verständniss dieses
geistreichsten aller Hellenischen Geschichtschreiber.
Meye7\
1. Leontii carminis Hermesianactei fr agmentum
emendatum et Latinis versibus expressum a F. A. Riglero et C A,
M. Axtio. Coloniae ad Rhen. typis Bachemü, 1828. 31 S. 16.
2. Memoriara Jo. Aug. Ernestü etc. indicit God. Hcrmannus. Herine-
sianactis elegi. Lipsiae 1828. 16 S. 4.
Der Unterzeichnete, der schon seit einer Reihe von Jahren
hindurch seine vorzügliche Aufmerksamkeit denUeberbleibseln
der elegischen Poesie unter den Griechen zugewendet, hat vor
beinahe zwei Jahren die drei ausgezeichnetsten Dichter dieser
Gattung aus dem Alexandrinischen Zeitalter, den Philetas,
Hermesianax und Phanokles, zu bearbeiten unternommen. Die
erstere der oben stellenden Schriften iat ihm zugekommen , als
184 Griechische Litteratur,
das Manuscript seiner Ausgabe zum Drucke bereit lag, so dass
er noch einigen Gebrauch davon machen konnte , die letztere
dagegen hat er erst erhalten, als der Druck bereits begonnen
und eine Nachlese daraus fiir den Text des Ilermesianaktischen
Bruchstückes leider unmöglich war, so dass auf andre Weise
eine Benutzung desselben erzielt werden muss.
Die Herausgeber von Nr. 1 haben dem Griechischen Text
eine metrische Lateinische Liebersetzung gegeniiber gestellt und
unter beiden die Varianten verzeichnet, ohne sich weiter auf
exegetische Erklärungen einzulassen, die jedoch bei den viel-
fachen feinen Beziehungen, welche der Dicliter nimmt, vor
allen Dingen erwünscht gewesen wären. Auch wundern wir
uns, dass ein einzelner Vers des Hermesianax, der ausser dem
liier herausgegebenen Fragment nur allein noch vorlianden ist,
unberücksichtigt geblieben, und zwar nicht allein in Nr. 1, son-
dern auch in Nr. 2. Er steht bei Ael. Herodian. jieqI ^ov^qovs
U^Bog p. 16 ed. Dindorf :
dsQXÖnEVog JtQog av^ia, (lovf] ds ot ecpXaysto yXi]V.
mit offenbarer Beziehung auf denPoIyphemos, wie er vonTheo-
critos XI, 17 und Ovidius Met. XIII, 172 dargestellt wird. In
Nr. 1 ist noch das grössere Bruchstück des Phanokles ange-
hängt, ebenfalls mit Lateinischer Uebersetzung. Es ist auf-
fallend, dass diese Zugabe auf dem Titel der Schrift nicht be-
zeichnet ist. Auch hier fehlen ein Paar andre Disticha des
Phanokles, obgleich sie schon Ruhnkeuius in der FJpistola
critica aufgenommen hatte. Da es zu weit führen würde, alle
Verbesserungen und Aenderungen, welche in Nr. 1 vorgebracht
worden sind, umständlich zu beleuchten, so wollen wir viel-
mehr dasjenige hervorheben, was die Herausgeber Bigenthüm-
liches geleistet haben, und damit unser Urtheil in aller Kürze
vereinigen. Hermesian. Vs. 2 ist ohne allen Grund die Aen-
derung des Ruhnkeuius aufgenommen @q7]ö6k — TCi&ccQyj
wofür in dem besten Codex 0Qrj66av öreLkaaEVog iad'aQfjv, eine
weit exquisitere Lesart, und darum auch von Dindorf und
Hermann beibehalten. Ebenso grundlos ist nach Ruhn-
kens Vorgang Vs. 5 kifivr] in kl^ivrjg, dagegen Vs. 6 gvofisvi]
in £66v[iBV7]g verändert; in den Noten wird auch vorgeschla-
gen dvo^EVt]g. Die Veränderung des Nominativus in den Gen,
ist jedenfalls abzuweisen , und der etwas auffallende Gebrauch
des Wortes qvo^evtj ist bei einem Alexandrinischen Dichter
nicht so genau abzuwägen. — Warum Vs. 7 das handschrift-
liche 7<,i%aQii,(ov stillschweigend mit ai^agilEiv vertauscht wor-
den ist, können wir nicht begreifen. Vs. I) ist mit II gen nav-
delvovg geschrieben, während schon Heinrich das hand-
schriftliche TCavToiovg ganz richtig erklärt und daher auch
Hermann beibehalten hat. Vs. 17. ö'örs noKvv ^vöttjölv.
Leontü cann. Hermes, fragment, cmendatum etc. a Riglcro et Axtlo. 18&
üöTB gej^en alle Cotkl., worin tJte, und ausserdem TtoXv^vrjötiijöiv,
das sich sehr gut erklären lässt, wenn man darunter Ceres und
Proserpina versteht , wie sich aus dem Zusammenhange leicht
ergibt. Vs. 11) f. 'Pccqlov oQyicov ccTtsdov öiaitoi^aivovö]] Ar]-
^y'jTQa. Erstlich musste 'Püqlov mit einem spiritus lenis, oder
auch, wie Hermann hat drucken lassen, mit gar keinem Spi-
ritus geschrieben werden. V- Schol. ad Ilomeri Uiad. a, 50.
Und warum soll das gut erklärte Participium 8ianoLnvvov6a
herausgeschafft werden*? Unerklärlich bleibt also nur noch
6(iyiG3v ävi^oa, wofür man eher lesen könnte ogyi avä te^s-
vog. Dagegen erscheint uns Vs. 20 Atj^tJtqcc für Ai^^rjtQa sehr
gelungen, besser unstreitig, als das vom Ilec. in seine Ausgabe
aufgenommene Ar]^7]tQog. Vs. 21. Für das in allen Codd. ste-
hende Boicotöv wird vorgeschlagen TiTv/iarov, wofür auch Her-
mann zu stimmen scheint, indem er bemerkt: Mihi (jm'deni,
(pmin fiila^Qov vis aliter quam de sede Cumana intelligi
possit^ panini apte Boeotus dici videtur Hesiodns. Reqiiiri
hie Kvfialov anoTCQoXtnovxa ^sXa&gov novissiriii editores vi-
derunt. Wir glauben aber, dass dieses Bolcotov nicht als Be-
zeichnung des Geburtsortes von Hesiodos zu fassen ist , son-
dern als ein allgemein übliclies Prädicat, welches ihm von dem
Aufenthaltsorte gegeben ist, wo er sich Ann grössten lluhra er-
worben hat. Ueber das willkührliche Verfahren der Alten in
dieser Beziehung vergleiche man Welcker ad Alcm. p. 459,
Passow ad Theogn. 771 ed. Bekker. 1, Müllers Dorier 1 p. 122.
Hiernach dürfte man sich wohl schwerlich eine Aenderung er-
lauben, da nichts dem Sinne des Alterthums selbst Anstössiges
zum Vorschein kommt. Vs. 2S. EQäv^^ statt des weit richtigem
von Dalecamp verbesserten gKÖvo)^', welches allein der Stelle
eine tiefere Bedeutung leiht mit Rücksicht auf eine Hesiodi-
sche Stelle g^y. 631 sqq., darum auch von Hermann für die
wahre Emendation gehalten , während er die andere inulilem
nennt propter seqiientem versum. Vs. 37. Die Handschriften
geben noUcp und Ttolliä, wobei sich wegen des folgenden Acotoj
die Aenderung in noUa leicht ergibt , so dass eine aus dem
dunkeln Lotosholze verfertigte Flöte bezeichnet wird. Die
Herausgeber aber haben sich durch ein Anekdötchen irre ma-
chen lassen, welches den Mimnermos als einen Liebenden mit
grauen Haaren dargestellt hat, und mit Ruhnkenius tioXioq
geschrieben, welches sie Cß/z?fs Vlbersetzen. Solche Kritik streift
doch in das Gebfet der Mi?ilegtmgslcunst ^ obgleich wir beim
Lesen der Alten doch nur mit der Auslegung zu schaffen ha-
ben. Vs. 38 scheint jivrjfi(o^£\g den Herausgebern gar keinen
Anstoss erregt zu haben, indem sie frisch darauf los übersetzen
deperiens. Das Richtige aber haben zwei bedeutende Kritiker
ganz unabhängig von einander schon längst wiederhergestellt,
Her mann und Biorafield, nämlich jci^^W'&£iS , \. g. (poQ^Hu
186 Griechische Litteratur.
vinctus, nach der Erklärung des Schol. ad Aristoph. Eq. 1147.
— Vs.41 wird eraendirt nakklvaov ts göav, oder aucli aiXLVOV
aicit,av^ wovon uns keins recht zusagen will. Vs. 55. Die Her-
ausgeber haben die handschriftliche Lesart ^vqlov S'^gen die
Casaubonische Conjectur Ö^ Qiov in Schutz genommen und
ganz richtig Vlbersetzt sinefme, wodurch ein sehr feiner in dem
menscliliclien Gemüthe tief eingewurzelter Zug bezeichnet
wird, der den erotischen Dichtern des Alterthums gewiss nicht
entgangen ist. Ganz unniitz aber ist das Citat Plat. de legg.
p. 818, ed. Bekk. Denn dort findet man durchaus nichts hier-
her Gehöriges. AbTiZov ist falsch accentuirt , und zwar selbst
noch bei Hermann, anstatt y/£XTOv. v. Schol. Venet. ad Ho-
roeri Iliad. ^, 284. Vs. 59. In den Codd. ist die zweite Hälfte
des Verses verdorben ayeiQaL%HaQu8o^, woraus restitulrt wird:
yiQag Ö£ Qacogldi, dcöaev • . . Wir glauben aber mit Rücksicht
auf Athen. Xül p. 592 A richtiger zu einendiren yeQcov Ös (dsa-
gidog Bidog. Vs. CO. Die erste Hälfte des Pentameters wird so
liergestellt: wöcäv, covte xöiQLV . . . obgleich wohl mehr als so
viel ausgefallen seyn dürfte. — Warum Vs. 06 die Vulg, fie&s-
mv ö' ^Aq%. in fxB^^aTicov'AQx. verändert worden, ist schwer ein-
zusehen. — Vs. 13. Eine bessere und natürlichere Emendation
als die Ruhnkenische kann wohl schwerlich aufgebracht
werden: ytyväö^Sig , dtovöcc ^syav 7t.: darum auch von Her-
mann unbedenklich aufgenommen. Hr. R. u. A. haben daher
eine unzeitige Verbesserungssucht an den Tag gelegt, indem
sie in den Text gesetzt haben: yiyvcööKStg ' jcXeIbv ds [isyav 7i.
— Beiläufig wollen wir erinnern, dass Vs. T.}, 77 und ander-
wärts in der Cäsur bei darauf folgender Interpunction auf die
Endsylbe des Wortes der gravis statt des acutus gesetzt ist.
Vs. 81 ist ohne Grund vereint geschrieben TCEQiTiiXQa statt der
Vulg. mgl TCLKQCC. Die Präposition gehört zu dem folgenden
£ö(piy^azo. — Vs. 88 ist die Conjectur des Hemsterhusius,
ßjro/xaööd;u£a/ov aufgenommen, wofür die Codd. dTcoraöööfievov,
von Hermann ganz richtig erklärt distribuentem. Vs. 92 ist
mit Heinrich und II gen geschrieben £|£öd/3>;ö', obgleich
die Vulg. einen weit schönern und wahrhaft plastischen Sinn
gewährt, den Weber in seiner deutschen Uebersetzung mu-
sterhaft wiedergegeben hat : leichtere Sorgefi entband. sxTtovetv
ganz so wie das Lateinische elaborare, eniti. Der Rec. freut
sich von ganzem Herzen, dass auch Hermann diese Erklä-
rung also vertheidigt : ^'Et,S7c6v7]6E non mutaverini propter in-
solentius addita ex ßa&ei^^ ipf^ZfJS- Nam qunm ex profunda
■inente leviores curas elaborasse Socrates dicitur., m his eum
curis mentem suam.., alias iii rebus gravissiinis occupatafu., ex-
ercuisse significat poeta.'-'- Vs. 98, in den Handschriften ganz
sinnlos geschrieben, erscheint hier in dieser Gestalt: (pEvycov.,
t]Öv}iav)]s t t^sq)ÖQrj05 ßiov, wiewohl Person schon lange
Herineslanactiä elegl. Recens. Hermann. 187
vorher den Weg zur Wahrheit gezeigt hatte , da er die letzten
Worte emeudirte e^ 'E<pvQi]g l^ico. Die Herausgeber berich-
ten falsch, dass Porson die Vulg. ov8ayihov in ovÖ' dvLÖiv ver-
wandelt habe: er liat vielmehr diese verdorbene Lesart ganz
unberührt gelassen, und die dem Porson untergeschobene Con-
jectur riihrt von 11 gen her. Wir glauben das Ganze am
schicklichsten so zu verbessern: (pevycov, ovo' d7ik%cov Ih, Ecpv-
Qtjg aßlco. Die Lateinische üebersetzung gibt im Allgemeinen
ein treues Bild des Originals, könnte jedoch hier und da etwas
eleganter ausgefallen seyn.
Nun noch ein Paar Bemerkungen zu dem wunderschönen
Bruchstück des Phanokles. Vs.4 hätte Hermanns Conjectur
ad Orphica p. 78r> ovöe ot tjv nicht unberücksichtigt bleiben
sollen. Vs. 5 wird angemerkt : ^^ix7]l£dci5vsg 3Iscr. fieXiÖcövai
Paris et Leidens." Daraus scheint hervorzugehen, dass die
Herausgeber die G aisf ordisch e Ausgabe des Stobäos unbe-
nutzt gelassen haben, was doch unmöglich zu billigen ist; denn
die Lesart des Cod. B. V7i6 ipvirjv ist gar nicht erwähnt, der
doch unstreitig der Vorrang gebührt, cf. Schaefer ad Lamb.
Bos. Ellips. Gr. p. 50 sq., Thiersch Griech. Gramm. § 213. —
Es ist unbegreiflich, dass Vs. 8 ^e^^n alle Handschriften, wel-
che iviyKYi darbieten , sv^tjktj geschrieben ist. cf. Schaefer ad
Gregor. Corinth. p. 533. V. 21 ist ohne hiiilänglichen Grund
die Conjectur des lluhnkenius tlvovöl statt der Vulg. ötC-
^ovöi aufgenommen worden.
Indem wir uns nun zu Hermanns Programm wenden,
welches zum Theil durch die Erscheiimng von Nr. 1 veranlasst
worden seyn dürfte, wollen wir uns zum Voraus gegen den
Verdacht der Anmaassung schützen, als w andle es uns an , mit
einem Manne vor die Schranken zu treten, iiber den die Stimme
des Volkes längst ergangen isi: wir bezwecken hier weiter
nichts, als die Ergebnisse von Hermanns Untersuchungen in al-
ler Kürze niederzulegen, ohne das zu wiederholen, was bereits
oben gelegentlich vorgekommen ist, und erlauben uns, hier und
da unsre eignen Bemerkungen ohne Prunk und Unbescheiden-
heit vorzutragen. Es werden hauptsächlich zwei Umstände
hervorgehoben, die daran Schuld sind, dass noch so wenig
Stellen des Hermesianaktischen Bruchstücks bis jetzt geheilt
waren : Earum una in eo est posita, qiiod nonmdli ad ununi
aliquod vei'bu7n dictumve animum atlendentes totius oralionis
vitn sententiafünupie omnium complexuni 7iegligunt ; altera
autem cernitur in eo , qaod dicendi genera distinguere non
adsueti , earum vocum fornnilarumqiie usum et potestatetn
non respiciunt^ quae qaod pervulgatae sunt nihil villi conti-
nere putantur ^ et tarnen^ quia loco non sno sunt scriptae^
nee debent nee possnnt ferri. In den Text hat der Herausge-
ber nur diejenigen Verbesserungen aufgenommen, die keinem
188 Griechisclie Litteratur.
weitern Zweifel unterworfen sinil, und im übrigen die Lesarten
der Handschriften treu wiedergegeben. Vs. 3 wird vorge-
sclilagen dnsvd'ea X(^Qov, sive is ignorabilis intelligendns^ sive
ex quo nulla venu fama. Gewiss selir scharfsinnig. Weniger
gern möchten wir Vs. 8 k^avshööE statt s^avmELös unterschrei-
ben , da uns der Grund der Aenderung noch nicht schlagend
genug vorkommt. Vs. 9 sq. Vor allen Dingen stösst Flerm. in
7JÖB y.al an, cuius nt pcmllo ?ninor pravitas, elegantia non maior
est^ quam ülias iiiscriptioni Crissaeae iterum iterumque [cf.
Boeckhii Corp. Inscriptt. Gr. Vol. I p. 3, praef. p. XXII.] fru-
stia obtnisi y,ai rs. Wir glauben aber, dass sich hier rjdh xal
in andrer Hinsicht vertheidigen lasse, indem ijda als Verbin-
dungspartikel und jcat als Verstärkungspartikel zu alvoxdtov
zu fassen ist, wie wir auch sagen und sogar. Vielleicht diirfte
dadurch die Lesart der Codd. gerettet werden. Ilerm. verän-
dert die ganze Stelle: Kcokvtov % avi%i(5xov Izi 6q)Qv6iV oldij-
6avvu Sids, aal a. ß. v. x. — Zu Vs. 17 ist die Conjectur jto-
kvv yivöXYiGiv mit Unrecht den neuesten Herausgebern beige-
legt; sie riihrt ursprünglich von Ijlomfield Jier im Classical
Journal Vll p. 2rJ3. Vs. 29. ^ovöoTtoXäv, als Participium , so
dass ein ganz neuer Gedanke hervorgeht und rjdiötov daifiovcc
nicht auf Ilomeros zu beziehen ist, sondern auf Eros, der aller-
dings so bezeichnet werden kann: dulcissimum deoru?n Anio-
reni carniinibus colens. Hermann glaubt, dass dem Dichter
die hesiodische Stelle vorgeschwebt habe: '^d'"EQog, ög ndl-
Atörog Bv dO'avdtoiöi &£OiöiV. Da jedoch H. selbst das Verbum
(iovöotcoXbIv nicht anderswoher belegen kann, was freilich
nicht durchaus erforderlich ist, so bleibt es doch noch dahinge-
stellt, ob nicht etwa Hermesianax den Gedanken der Vulg.
ausdrücken wollte. Vs. 33 wird verbessert aXalev d' 'IxagioVy
und bemerkt : Libri BxXaLEV ö' 'Ixdgov. Mira socordia criti-
corum^ quorzan ?mllus hoc emendaverit. Wir glauben, mit
Recht, obgleich auch den Rec. in Einer Beziehung dieser Vor-
wurf trifft, der zwar die Stelle nicht unangefochten gelassen
(er schlug vor bkIulbv ö' 'Iuccqlov , per synizesin) , aber doch
noch nicht ins Reine gebracht hat. — Vs. 31. Den Ausdruck
TtoXia (nisi forte öxolico scripsit) KcoTcp scheint H. nicht richtig^
durch senili tibia erklärt zu haben ; denn ^oAtog bezieht sich
unstreitig auf die dunkle Farbe des Lotos. v. Theophrast IV,
3, p. 12ß cd. Scbn. cf. p. 127; Plin. H. N. XIII, 17, 32. Schön
ist övvB^avvEiV erklärt, quod libivinam ipse tibia cancns seque-
hatur. Vs. 39. Herrn, hat zuerst mit dem Rec. an der Form
riy%BE Anstoss genommen, indem sowohl «j^a>f co , als iy%BGi
ungebräuchlich ist, was keiner der früheren Herausgeber auch
nur berührt hat. Herm. schlägt vor : briypr] ö' 'EQ^ioßtov tov
«ft ßaQVV '}]d£ 0BQ£xk7]V E^'&pOV ^LÖrjÖag oV dvBTtS^^BV BTCf}.
Poenituit eum carminum^ qualia effuderit, quum semper stbi
Hermesianactis clegi. Recens. Hermann. 189
gravem Hermobium, i7iimicumque Phereclein odio persequere-
tur. Ys. 44. TfidXiov aLt,aov d' i^k^sv äitoTCQohinov. v. Ile-
sych. V. alt,a6v et al^dcav, Strab. XIII p. 928 i?. Gewiss eine
sehr gelungene Conjectur, wobei jedoch auch Vs. 43 mit L e n-
nep IJaQÖLavijV zu schreiben ist, falls nicht etwas Besseres
herausgebracht wird. Vs. 55 rd ö' o^ovqlov sYöids Ai^rov
{immo AsHtöv). Sollte aber Rigler das handschriftliche t6
liVQLOV nicht ganz richtig erklärt haben? — Vs. 59. Bcckxov
Tcal Tov (QOt' (warum nicht "ß^wr''?) avsysiQe SscagCdog, .
^yLacima quid contiimerit, plane i nee r tum: sed tarnen, opino/'
aut.^ cmnsmodi quid snspicatus est Ilgenius , arte ab love
accepta, ut tsxvoööq^a q^QSvl^ ti^v , aut de senectute , ut *)
y-al yiQano yccQ hgäv^ ntrunivis^ siinßnehexametri olGdafuil.'-''
— Vs. 62. y,al önaviov ^löog üxoj^evov ex, övvodav. Moscho-
pulus in Vita Eurip. öxv&Qcojiog da xo 7}Qog ijv xal diiBLÖrjg xal
(psvyav rag övvovötag' öQ^sv xal fiiöoyvvi^g töo^äöd'r]. Sinu-
reich gewiss, vielleicht aber weniger der Gedanke desDicliters.
— Vs. 69. ccvÖQa ds tov Kv&sgr^d^sv ^ öv s&Qs^ljavto. Mag
auch dadurch die Wortstellung eleganter ausfallen , so ist dar-
um doch die Vulg. nicht zu verwerfen, die vielleicht dem
Alexandrinischen Dichter noch eigenthiimlicher seyn möchte.
Vs. Hl wird jtaLÖEV&hra castigatum erklärt: ^^respicit enini
poeta poenam , qua affectus a Dionysio fuerat Pliiloxeniis:
u?ide nie xLVax^ELg, vehementer conunotus , agvyij, magjio cum
ejulalu per urbetn Colophoneni transiit^ quum se in patriam Cii-
thera reciperet.'-'- Uns scheint jedoch diese Erklärung zu weit
hergeholt zu seyn und die cogvy)] vielmehr auf das Jubelge-
schrei zu gehen, womit die Kolophonier den Philoxenos als ei-
nen so beriihmten Dichter in ihren Mauern empfangen haben.
Vs. 78. TQVO^evov für qvo^evov^ das uns jedoch durch foven-
tem leicht zu erklären scheint : Qrj^ata x. r. L QVOiiEvog be-
deutet ebensoviel als Qr](iccrcov xal Ttdörjg Xahijg '^gavog, so wie
oben Musäos xagirav TJgavog, Hesiodos :jtcc67]g iJQavog iöroQirig
genannt wird. — Vs.81. avy]i\\Y avtri^ qnos anhelans curadis-
putando de rebus amoris macilentos reddidit. avxr] iii]xLg lässt
sich aber recht gut erklären: gerade ihr Tief sinn, der sie am
meisten gegen die Einflüsse der Liebesraserei hätte schützen
sollen, hat sie verstrickt, so dass sie zuletzt ebenfalls dem Lie-
besgott unterliegen mussten. Vs. 84. fpQavöiitvoi statt cpmvo-
(isvov, wofür mau leichter cpatvo{i£Vov verbessern könnte. Vs.
95. Weil ö' in den Codd. fehlt, schlägt Herm. vor: avdga ds
KvQrjvalov söco no&og Eönaösv'Iö^ffiov ÖELVög. Vs.9C. dni%d-
vtjg, non quod Arislippus eam magna pecunia co?iduxerit, sed
*) Es kann wohl nur ein Druckfehler seyn, dass vor de sencctule u t
steht und vor xa2 ysi^aio) aut.
190 Griecliisclie Litteratur.
qiiod florida aetate difßcilis aditn fuit, de qua re scripittm apud
Athenaeum XIII p. 510, B^ C\ 585, B. — Vs. J)8. cpevycov ev-
li^ivav E^'EcpvQfjg 6qlc3V. Ungern sehen wir hier £/3ta} ver-
drängt.
Breslau, im December 1828. Dr. N. Bach.
Zwei Abhandlungen pliysicalischen und mathematischen Inhalts, Momit
zur Prüfung der Zöglinge des Cülnischen Real- Gymnasii einladet
der Direetor Dr. E. F. Ju^ust. Berlin 182!) in der Dietericischen
Buchdruckerei. 56 S. und S. 57 — 68 Schulnachrichten, 4.
Von den beiden in diesem Programme enthaltenen Abhand-
lungen müssen wir die erstere: JJeber einige isochrone Schwin-
gungen elastischer Federn Anderen zur Beurtheiiung iiberlas-
sen; unser Augenmerk war nur auf die zweite gerichtet: Zur
Kenntniss der geometrischen Methode der Alten. In besonde-
rer Beziehung auf die Platonische Stelle im Meno 22 d. [p. 87,
A^ HSt.J Sie enthält ausser einigen gehaltvollen Bemerkungen
über die Methode der griechischen Geometer *) einen neuen
Erklärungsversuch der vielbesprochenen mathematischen Stelle
in Plato's Meno. Dieselbe gründliche Kenntniss der griechi-
*) Der Verf. macht darauf aufmerksam, wie die Alten auf schwie-
rigem Wege manche Aufgabe rein geometrisch behandelten , wo wir
zwar mit bündigerer Kürze, aber freilich auch mit minderer Anschau-
lichkeit die algebraischen Gleichungen anwenden. Zweier Mittel vor-
züglich, bemerkt der Verf., bedienten sich die Alten, Ags nuQußäXlsiv
und des t£zQCiya)vi'C,n.v. Es wird erklärt, wie die bei Euklid so häufig
vorkommenden Ausdrücke nagaßctlitv xa^iov TtuQcc rrjv öo&tiauv yQcc(i-
fj,rjv iXltinov oder vnfgßäXXov xagtco tlvl (vorzüglich ii'Ssi ztrpaymfco)
zu verstehen sind. Jenen Aufgaben entsprechen nämlich Gleichungen,
wieA = bx — x''* oder bxTx'^, wo Aden gegebenen Flächenraum
und b die gegebene Grundlinie bezeichnet. Der Verf. behandelt meh-
rere Aufgaben, die er in die Sprache der alten Geometer einkleidet
und dann durch algebraische Gleichungen ausdrückt, Avobei hervorgeht,
dass viele solche Aufgaben der Alten theils reine , theils vermischte
Gleichungen des ZAveiten und höherer Grade enthalten. Auch die be-
kannten Gleichungen für die Kegelschnitte werden von dieser Seite be-
leuchtet. Das einzelne lese man bei dem Verf. selbst nach. Bei dem
zweiten Beisipiele, wo ein Druckfehler sich eingeschlichen hat, indem
esst. HF = x.sinq3 heissenmuss: IlJ = x.sinqp, konnte auf Euclid.
dat. prop. 57 hingewiesen werden , wo das gewählte Beispiel als Auf-
A
gäbe aufgestellt ist j es entspricht derselben die Gleichung x .
b . sin q>
August: Zur Kcnntniss der geometrischen Methode der Alten. 191
sehen Mathematik, durcli welche früher Moll weide die Un-
tersuchung über jene Stelle bedeutend gefördert hatte, tritt
dem Leser auch hier entgegen, und erregt bei ihm die Erwar-
tung, endlich einen genügenden Aufschluss über jene vielgedeu-
teten Worte zu erhalten, llec, der dem Gange der vom Verf.
angestellten Untersuchung mit besonderem Vergnügen folgte,
wurde jedoch durch das gegebne Resultat weniger befriedigt.
Denn die aufgestellteErklärung, obwohl sie alle früheren Versu-
che an inuerem Gehalte weit übertrifft, leidet an so manchen, zum
Theil vom Verf. selbst anerkannten, Schwierigkeiten, dass
Rec. die Sache durchaus nicht für erledigt ansehen kann. Da
aber der Versucli auch dieses vor vielen andern hierzu befähig-
ten Gelehrte?» dem Rec. misslungen scheint, so möchte dieser
sich nun fast zu Klügel's Meinung hinneigen, dass die Stelle
durch das Ausfallen mehrerer Worte verderbt, und mithin
keine vollkommen genügende Erklärung derselben zu erwar-
ten sei. Dieser Argwohn wird jedoch Rec. nicht abhalten, am
Schlüsse seiner Beurtheilung einige eigene Bemerkungen und
Vermuthungen dem Publicum mitzutheilen, welche er vorzüg-
lich der weiteren Prüfung des Verf. obiger Abhandlung vorle-
gen möchte.
Hr, Dr. August nimmt nicht, wie frühere Erklärer, eine
dreifache Fläche als gegeben an, sondern irgend einen andern
beliebigen Flächenraum, der als Dreieck in den Kreis eingetra-
gen werden solle. Es wird mithin das Adjectivum xQiycovov
von lOQiov getrennt und als adverbialische, nähere Bestimmung
zu IvraO'rjvaL gezogen. Grammatische Gründe sind einer sol-
chen Verbindung der Worte nicht entgegen. — Dass die Wort-
stellung sie fast geböte, wie der Verf. meint, kann Rec. nicht
zugeben; denn wenn der Verf. durch einige angeführte Bei-
spiele beweisen will, dassjdem Worte ^agtov die dazu gehörigen
Adjective vorausgeschickt wurden, so Hessen sich leicht andre
widersprechende Beispiele dagegen aufstellen, z. B. in den De-
finitionen bei Euclid I 6q. 15; 20; H 6q. I; und viele andre,
die sich beim Nachsuchen leicht finden Hessen; eher könnte
ein Grammatiker den vor XQLycovov fehlenden Artikel urgiren:
doch fasst man die Worte so: diese Fläche, welche eine drei-
seitigeist, dann ist der Artikel durchaus entbehrlich. — Gegen
jene Annahme des Verf. lässt sich also durchaus nichts ein-
wenden. Es ist der Combiuation eines jeden Erklärers über-
lassen, was für ein icöqlov er als gegeben annehmen will, wenn
er nur durch ein sich empfehlendes Resultat seine Annahme
rechtfertigt. Richtig hält der Verf. Ivrüvuv für gleichbedeu-
tend mit Eyygafpsiv, wie Euklid. Hb. IV 6q. y diesen Terjninus
bestimmt. Für diese fast von allen früheren Erklärern befolgte
Meinung spi'icht nicht nur die etymologische Bedeutung jenes
Wortes, sondern auch eine Stelle des Proclus p. 23, wo der
192 Griechische Litteratur.
Sinn der Worte ug jcvxlov IvTHvai rgt'yavov löoTtXsvQOV und
darauf dvvaröv yag slg avtov IvxHvai y,ai ^rj löoTtlevQOV deut-
lich in die Augen springt, weswegen der Verf. die neulich von
einem Gelelirten in diesen Jahrbb. IX p. 227 beigebraclite Deu-
tungen dieses Wortes mit Recht als unstatthaft und gekünstelt
zuriickweist. Auch sieht man leicht ein, waium Plato den
Kunstausdruck syyQäcpSLV gemieden habe und meiden musste,
nämlich weil dieser gewöhnlich von dem Einschreiben eines
der Gestalt nach gegebenen Dreiecks gebraucht wurde, wovon
an unsrer Stelle durchaus nicht die Rede seyn kann, wie schon
das Wort j^oj^iov, welches nicht Figur, sondern Flächenraura
bezeichnet, zeigt, nagarsivstv^ das schwierigste Wort in die-
ser Stelle, hält der Verf., wie früher Moll w ei d e, für gleich-
bedeutend mit nuQa^dXXuv^ welches bekanntlich heisst , eine
Figur alsParallelogram über einer gegebenen Linie construiren.
Da das Wort TCagaTSivBiv als mathematischer Kunstausdruck
nur noch einmal bei Plato de rep. VII p. 527 ^ (ot yscofistgac
tög Ttgccrtovzeg t£ aal ngä^sag avsaa Ttccvragtovg Xöyovg ttolov-
fiBVOL, Xsyovöi xErgayavi^aLV rs xal nagatuvaiv xal ngogtid's-
vai), sonst aber in den noch vorhandenen Ueberresten der grie-
chischen Litteratur nicht weiter vorkommt, so hat allerdings
die Vermuthung viel für sich, dass die Mathematiker später-
hin den Ausdruck Tiagarüvuv mit dem auch weit bezeichnen-
deren TCagaßdlXstv vertauscht haben mögen. Der Verf. bringt,
um diese Meinung zu unterstützen, noch zwei Gründe bei: 1)
weil es bei Plato 1. 1. neben rergaycovit,Siv stehe und dieses mit
TCagaßcckluv dies gemein habe, dass beide Ausdrücke gewisse
den Alten sehr geläufige Constructionen bezeichnen. 2) Der
Verf. hat glücklicherweise in einem noch ungedruckten Scholia-
sten eines Münchner Codex eine ausProcIus entlehnte Stelle ge-
funden, worin das Wort nagaxüvuv vorkommt und dort so
viel als nagaßäXkuv zu seyn scheint. Allerdings ist durch die-
sen Fund die bekannte Stelle im Proclus p. 109, ad Euklid elem.
I, 44, die zur Erklärung einiger andrer Ausdrücke in den Plato-
nischen Worten herbeigezogen zu werden pflegte, an einer lü-
ckenhaften Stelle glücklich emendirt, aber dass dadurch zu-
gleich die Identität jener beiden Ausdrücke unfehlbar nachge-
wiesen seyn sollte, dagegen hegt der Rec. seinerseits noch ei-
nigen Zweifel, und glaubt wenigstens, dass durch jene Stelle
eine weiter unten mitzutheilende Erklärung jenes Wortes, die
Rec. durch Combination aus dem Gebrauche ähnlicher Worte
bei den griech. Mathematikern sich gebildet hat, kaum wider-
legt werden könne. Da wir auf jeneStelle desProclus öfter werden
hinweisen müssen und mehrere nothwendige Verbesserungen des
griechischen Textes beiläufig werden beibringen können, so
wollen wir die ganze höchst wichtige Stelle des Proclus aus der
Aug^ust: Zur Kcnntnidä der gcoraetrisdicn Methode der Alten, 193
einzig'en, wohl wenigen zugänglichen, Baseler Ausgabe 1533
apud Joann. Hervagiuin hier beisclireiben.
'Eötl yccQ ccQXcc^a » (paölv ot TtSQi röv Eüdrj^ov ^) , xal
rrjg tav IIv%ayoQÜcov ^ovGrjq EVQ^fiara ravta, 7J t& itccQa-
ßoX)) xäv xcoQiov aal jj vTceQßoX)} xal fj '^kXsLipig. 'Aiio 8s
xovxcov 'aal oi vichrsQoi tu ovoj-iaza Aa'ßoVreg, y.Exrjyayov av~
xä aal InX tag acoviaäg liyo^ivttq yQa^i^ag, aal xovxcov xrjv
li£v nagaßoXtjV, xr]v Öa vjthQßoXyjV aakiöavxsg, xrjV de ikXii-
ipLV, aasivcov xcov Tiakaucbv aal Q'elcjv dvÖQäv Iv ImniÖip-)
aaxaygacpfj laoiav TtQÖg svd'aLav coQiö^uäv}jv xd dzo xovtcov
öyjaaivv^ava xcov ovo^dxav ogatvtav. "Otav ydg av'daiag
aaaBi^äv7]g x6 dod'lv %coQiov ndöy xy av&aia öv^TcaQaxaivr^-
xttv, x6xs TtaQaßdXXaiv ^) aaslvo ro %coqlov (paolv, öxav
1) Eudemiis schrieli eine Geschichte der Geometrie. Uehrij^eng
steht schon in der ed. Basil. das richtige niQi; hei Hrn. August, wo
der Anfang ahgedruckt ist, steht, ich weiss nicht ob durch eiuenDruck-
fehler oder oh aus dem Scholiasteu, naQU.
2) Man könnte leicht BTtiniScov vermuthen, wegen des sonst ge-
bräuchlichen inlniSov x^^Q^ov (vgl. Hero nsiyi rcöv t^<s yscofi. ovoi^täzmv
Argent. 1511 p. 40). Da aber gar niclit einleuchtet, wie den Kegel-
schnitten, die deich auch inimda xojqlu sind, ebne Flächen als ver-
schieden von jenen gegenüber gestellt werden können, so scheint die
ininsdog KccrayQacpT^ daraus erklärt werden zu müssen, weil die Alten
die Kegelschnitte immer an den Kegeln selbst betracliteten, woraus
dann wenigstens eine scheinbare VersclHcdenheit von den in der Plani-
metrie auf ebnem Blatte gezeichneten Figuren hervorgeht.
3) Die gesperrten , im griech. Texte fehlenden Sylben hat Hr.
Dr. August aus jenem Scholiasten hergestellt. Man sieht, wie durch
das Wiederkehren der Präposition nagd das Ausfallen jener Sylben ver-
anlasst werden konnte. Uebrigens seheint bei Proclus nicht naguni-
VTjTcci , sondern , wie auch Hr. August vermuthet , TtaQCirsivrjq gestan-
den zu haben , denn statt des darauf folgenden noirjO'ijq hat derselbe
Scholiast yivrjzai. Auch Franciscus Baroccius ed. Patav. 1560 p. 264
hat in seiner Uebersetzung das Activura : quiim enim proposita recta II-
nea oblatum spaliiim toti rcctae lineae coaptav eris, tum spattum illud
applicari diciait^ quum vero spatü longitudinem ipsa recta linea maio-
rem feceris, tum excedere, qiium autcm minorem, ita ut spatio descrlpto
aliqua extra sit rectae lineae pars , tum deßccre. Sehr auffällig ist in
obiger Stelle die neutrale Bedeutung des jtaQußällsiv, wofür mau Tta-
QdßullsGd-ai (^applicari Barocc.) erwarten sollte. Da im Proclus selbst
das Activum naQKteivrjs oder TiaQazeivi] rig vorzuziehen ist , könnte
man zwar i-Kslvo z6 x^^Q^ov für den acc. obiecti halten, es scheint je-
doch wie heim vSchoI. so audi bei Proclus xwqiov gleich anfangs das
Jahrb. f. PtUl. u. l'üdug. Jaltra, V Heß. i. y^
1Ö4 Griechische Litte ratur.
ÖS ^£tt,ov 7tOLrj6r]g rov %c3QiOV to (i^xog avv^g rijg wd'Siag^
TOTE VTtBQßdXksiV ^ öxav Öi bkaööov , ag rov xcoqlov yQatpsv-
Tog eival n rijg sv&elag BKtog "^), tote I^XeItzelv ^) accl ovrag
tv TW azra ßcßluo aal r^g vnEgßoXijg 6 EvxXEidrjg ^vrjuo-
VEVEi Kai trjg Ek^EL^scog. 'Evxav%a Öe xi)g 7taQaßo?.Pjg eÖetj-
%rj^ ToJ do^Evxi xQiycövcö naga xr^v 8o\fEL6av EV^Elav Xgov
a&sXcov TcagaßakEiV , Xva (i^ ^övov övöxaöiv exco^ev nagak-
krjXoygcc^liov tc5 öo&evxl XQiycövco löov *') , dkla xal nag'
Ev&Elav cagiö^EvrjV Ttagaßokyjv. Olov xgiycovov öoQEvxog^ xo
EfißaÖdv ''^) Exovxog dcoÖEKa nodcäv ^ EvQ^Eiag Öe axuEi^EVJjg, i^g
logische Siihject zu seyn. Die griechischen Mathematiker sind , wie
unten an einem andern Beispiele gezeigt werden soll, in ihrem Sprach-
gebrauche nicht grammatisch consequent und als Techniker im Ge-
brauch der Worte oft willkührlich. Weil fllfiTtnv und VTH-Qi^älXfiv
Neutra sind, so gebraucht man eben so nagcc^allsiv, weil die bezeich-
neten Saclien analog sind. Nachdem nämlich jene Ausdrücke, die ur-
sprünglich, wie Eudemus lehrt, von der Planimetrie entnommen Ova-
ren, zur Bezeichnung der drei Arten von Kegelschnitten angewendet
wurden, betrachtete man die 3 Wörter als coordinirte, während eigent-
lich TiaQixßolrj die jenen Benennungen der Kegelschnitte zum Grunde
liegende allgemeine Construction bezeichnet, wovon die iH^eiiptg und
vn£ijßoXt'] Unterarten sind. IIccQaßoXr] ist die Figur, wo eine reine tcu-
Qaßolrj möglich ist, Ö SvvKrai naQaßdXXsaO'ac , y'^ = px; die 'iXXsitpig
ist eine naQaßoXi] Ovv iXXsiipsi, oder o nccqaßißXr}(iivov iXXiinsi Tivl^
px^ . e / . . , , ?
y2 = px ; die vTiSQßoXrj ist eine naQctßoXr] ßvv vnsQßoX^, oder
a
o nccQdßißXrniivov vnsqßuXXsL tivi, y* = pxT . So glauben wir das
a
sprachliche Verhältnlss jener Benennungen festgestellt und zugleich ge-
zeigt zu haben, wie das 7ia(}aßäXXi.LV mit dem vnsQßuXXhiv durchaus
nicht in eine Klasse fällt. Jenes ist ein Activum anlegen, dieses ein
verb. Neutrum übertreffen, grösser seyn, nsQizrsviiv. Uebrigens glaubt
Reo. bemerkt zu haben, dass für den activen Gebrauch der Aorist na-
QCcßaXsiv , nicht itccQaßuXXstv üblich gewesen sei.
4) Beim Schol. heisst die entsprechende Stelle so : otav Af tXccS-
eov böTt TO YQaqpfv j^copiov avrrjg rrjg tv&siag, cog elvai [entweder ist
hier ein Adjectivum wie fiHov ausgefallen, oder statt tivai zu lesen
ti'K^iv , inferiorem esse.] to .«fv x'^Q^ov ivrög, trjv 8f £v&siav jzbqittiv-
siv jktÖs, ^X7.siniiv, a>g in der Bedeutung aatt kommt weiter unten
bei Produs nocJi einmal vor.
5) Im giiech. Texte steht falsch ixXsixftv.
6) Im Text steht i'ßov , vgl. unten den Schol. in Anmerk. 11.
7) Im Proclus steht hier und p. G4 fortwährend Bfißccööv, so dass
August: Zur Kcnntnisä der geomctrI.scIicn Metlindo «Icr Allen. 195
to ^irjaög l6ti XBtTdQcov Ttodcov, ro Xöov top xQiyävcp naga
t))v sv&slav nagaßäXloixsv , jjv^) Xaßovteg ro [irJKog oXco7>
Tfof rsträgcDv tioöcöv, ev ga ^sv nööav uvai du jcodäv ro
7r?.octog , ivcc reo rgiycSvco rö 7tagaXX7]l6yg(x[.i^iov Xöov ykvrirca.
Evgövxig yovv d xviol TiXäxog xgtcov TioÖcov, aal noirjöav-
x£g x6 ^rixog em x6 Ttläxog , xovxo di ogd^^g ovötjg rrjg bk-
nsL^svrjg ycovlag, st.o^iBV x6 icogiov. Toiovzov (.lav d)] xi to
Ttagaßa^EiV bötlv avco%BV vno xcov UvQayogeiav TCagaÖBdo-
(ih'ov. Tglcc öe lörlv Iv X(ß 7tgoßh]^axi zovxa xd öedofieva^
sv&sla, nag' tjv öel Ttagaßaluv , cog ohp avxov xov lagiov
yevBöifai nXEvgdv, xat xglycovov ^ co Xoov iivai del x6 naga-
ßakloijsvov, aal ycjvi'a , j} töi^v sivat ^) xrjv xov %cogiov ya-
viav. Kai dijiov näkuv , ag og^rig ^Iv ovö)jg xijg ycovlag,
rö TtagaßaXlö^uvov ^ Xcxgäycovov ij avego^urjaeg eörat, o^eiag
ÖS 7j dfißlslag, ij go^aßog x6 xcoglov ij gn^ßoEiöeg "Ort ys
HfjV ■Kai xr]V sv^slav ilvav öel 7CS7t£ga(j^dvt]v , (pavEQOv ov
ydg 8vvaxai nagd xiqv djisigov. "A^ia ovv xcp cpdvai, nagd
xrjv do&Eiöav sv^Siav nagaßaXilv ^ Ed/jXcoöev. oxi nal nsTtE-
gdv&ai uvdy'/,7i xijv Ev%Elav. Xgijxai Öa alg xrjV %axa6xEV]^v
xov 7tgoßlijf.iaxog xovrov xy övözdöEi xov 7tagaXXyiXoygäiiy.ov,
xov i'öoi» xcp do&EvxL rgiycova ' ov ydg xavröv TtagaßoXi] nal
(ivGxaöig' xal, cog aXTtopLEV dXXy, tJ '*.^) (iev oXov vcpiörrjöi
x6 xcogiov zal avxo xal rdg nXEvgdg aTtdöag, 7] ds^^) i.dav
s^ovöa TtXavgdv ÖEdofiEvrjv, nagd xaiJtrjv vq)L6t7]6L x6 icogiov^
der falsche Accent dieses Wortes in Passow's Lexicon darnach corrigirt
werden zu müssen scheint.
8) Im Texte ^ — svqousv ohne Sinn. Darauf steht zweimal
falsch TtciQaßalXflv, was Avohl nicht naQaßallsiv , sonAevn nccQaßaXnv
heissen muss.
9) Kaum ist wohl hier SsZ ausgefallen, da dieses aus dem vor-
hergehenden suppllrt werden kann.
10) Im Texte cog siito^bv uXlrj (lev.
11) Im Texte aTidaag , fiiccv 81- c'^oveu. Zu vergleichen ist mit
dieser Stelle das von Hrn. Aug. raitgetlieilte Stück des Schol. , wel-
ches auch einiger Eniendationen hedarf. "Elaßs öl (o Evy.Xft'Srjg) fig
TTiV iiaTaßxBVTjv Tüv TTQoßXrjfiaroQ tovtov tV/V avetaaiv xov TtiyQaXXrjXo-
ygccfifiov tou i'oov tw öo&ivTi rgiyoivco. ^Lnq)iQft 6s ri GVGxnOig rrjS
nctQaßnXfjg ^ Ott 7] fisv TtctQaßäXXsi iiövov [sc. to xcoqiov'\ tj 8f avctaaig
O^Or VCpiGT7]6l TO '^rOQl'ov [xS?] Kdl TKS nXBVQug aVTOV , fllK yßp TzXfV()K
[sc. intivri i. e. rj naQixßoXri'] x^fOfisvT] Trj 8f8o(iivrj ivffiia, TtsQiixovaa
rö inßcc8oVy zag Xomag itqayovGot TtXfVQuq, ovrs iXXsi'novan [iXXunov-
cag scliol. apud Aug.] kktu rrjv r/.raaiv, ovt' av TtcqtztivovGu \uv 7i£-
QixTEVovaag schol. apud Aug.] to x<^Q'ov vcp'crrjaiv.
13*
196 Griechische Litte ratur.
ovrs llXsiTtovöa aarä. njv socraöLV TccvTt]v , ovts vTrsgßaXXov-
ßaöov.
1 0 Lovtog olog erklärt der Verf. durch ö[ioiog, was
eben so wenig widerlegt oder bewiesen werden kann, als wenn
ein Anderer es durch 'löog erklärt. Mit Unrecht beruft sich
der Verf. auf Meno p. 82, C: ovxovv sl'r] äv tniovvov lagiov
Kai /.isl^ov xßl ilaxTov; denn das roiovxov bezeichnet dort
durchaus nicht mathematische Aehnlichkeit^ sondern es heisseu
jene Worte weiter nichts, als: ,,kann eine solche Figur, wie ich
liier eine zeiclme, nicht auch grösser oder kleiner seyn'?". Die
erste Bedenklichkeit aber erregt die Erklärung des Verf.s da-
durch, dass er in den Worten olov TCaQa r)]v Öo^Eiöav cnnov
2G}Qiov, avtov auf avxXog bezieht, was durchaus nicht zuläs-
sig ist. Der Verf., dies selbst fühlend, will daher fiir avrov
lieber ztixAov lesen, was eine sehr kühne Aenderung seyn würde.
Die ganze Stelle wird so übersetzt: ffie die Geometer oft ihre
Untersuchungen anstelle7i^ wenn man sie befragt^ z. B. über
Flächenraian , ob es angehe , dass in diesen Kreis dieses Flä-
chenstück als Kreis eingetragen werden könne. „ Ich weiss es
nicht., würde einer sagen., ob dies ein solches ist ; aber gleich-
wohl glaube ich eine gennsse f oraussetzung für diese Sache i?i
Bereitschaft zu haben. Jf erm nämlich dieses Flächenstürk ein
solches ist., dass ?nan, wenn man es an die gegebene Linie des-
selben (rf. /. des Kreises) anstreckt., ein solches Flächenstück %u-
rücklässt ., wie das angestreckte selbst ist: so scheint mir müsse
etuHis anderes statt finden., und etwas anderes, wenn es unmög-
lich ist., dass dies mit ihm geschieht. Unter einer geivissen Vor-
aussetzung ivill ich Dir also sagen , tvas in Bezug auf die Ein-
tragting desselben in den Kreis stattfindet., ob es möglich^
ob nicht.'"'-
la dieser Uebersetzung hat der Verf. , um nicht die von
Andern vorgeschlagene Aenderung naQaxdvav x o g , durch wel-
che wenigstens eine grammatische Schwierigkeit einigermaassen
beseitigt wird, aufnehmen zu müssen, einen bedeutenden Ver-
stoss gegen den Sprachgebrauch der Mathematiker sich erlaubt.
Wir brauchen den Verf., der den Gebrauch des IkXdTtuv und
VTtiQßäkluv bei den griech. Mathematikern vollkommen kennt,
12) Im Texte TawTTy und dann nsQisxover] , was wohl nicht nfQi£~
Xovat], sondern nach dem ehen citirten Scholiasten negitxovGa zu lesen
ist. Im ersteren Falle liiesse nfQitxtiv als Grundlinie dienen, im zwei-
ten , die Figur auf eine Linie basircn. Euclid gebraucht dieses Wort
nur von Seiten , die einen Winkel (17 ycavlcc niqitxo(i£vri vno xcöv nlsv-
Qcöv') einschliessen.
August: Zur Kenntniss clwr geometrischen Methode ilcr Alten. 197
nicht darauf aufmerksam zu raaclieu, ilass IXIhtiilv nicht durch
zurücklassen übersetzt und uitht auf ein in dem Accusative 7ca-
Qaxüvavxa liegendes Subject bezogen werden könne. Da die
Griechen nur x6 xaglov tlkiinhi xagia xivi sagen, so kann das
Subject zu iXliinhiv nur in dem otoi^, welches auf icoQiov zu-
rückweist, enthalten seyn. Der Verf. hätte also seiner ersten
Textesänderung eine zweite hinzufügen müssen, näinlich statt
iXXiinnv das Verbuin XsiTceLV vorschlagen sollen, welches auf
jene Weise vorkömmt bei Archimed. de sph. et cyl. I, 0 p. 75 J
1, 4 p. 71 ed. O.von.
Fassen wir nun die mathematische Seite der Erklärung ins
Auge, so erregt aucli diese noch manchen Zweifel an der Rich-
tigkeit der gegebenen Erklärung. Wir wollen den Lesern zu-
nächst die mathematische Figur mit Worten beschreiben, wor-
nach sich jeder dieselbe construiren kann. Der Verf. zeichnet
iu den Kreis ein gleichschenkliches Dreieck RUfV ^m^ v/elches
per hypoth. dem gegebenen fünfseitigen Flächenraume A an In-
halt gleich ist. Aus der Spitze des Dreiecks It wird auf die
Grundlinie desselben IIJV ein Perpendikel RT gefällt, wel-
ches bis an die Peripherie verläjiiiert einen Durchmesser RS
bildet und die Grundlinie in Tlialbirt. lieber dem Durchmes-
ser des Kreises wird mit der Höhe j^'i/einParallelogram RSXV
const^uirt, welches durch TU m zwei Parallelogramme /^TiL'^^''
und TSXU getheilt wird. Die Worte des Verf.s sind nun:
„Das in den gegebenen Kreis eingetragene Dreieck RUJi liabe
den Flächeninhalt der gegebenen Figur A^ und die gleichen
Schenkel Ätz und [//F; dann erhält man durch das aus R auf
L/r errichtete Perpendikel AT, wenn es bis S erweitert wird,
den Durchmesser ii^Ä; construirt man an diesem das Parallelo-
gramm RSXV ^ so erhält man ein llecliteck RTUV^ welches
dem Dreieck /if//f" gleich ist, also auch den Fläclieninlialt von
A hat. Dieses Rechteck ist aber so an den Durchmesser RS
angestreckt, dass ein Rechteck 7'ÄXL^ zurückbleibt, welches
dem angestreckten RTJJV ähnlich ist. Versuchen wir dies
dem Spraciigebrauclie des Euclides und der späteren Matlie-
matiker gemäss griechisch auszudrücken, so würde es lauten
müssen: bvvaxov soxai sls Öod^ävxa xvyckov Öoij'evxi, xoj(ji(p
'löov XQiycovov lyyQd}\)ai , £t x6 x^9^ov naoa'^älX^iv övvq-
öo^s&a Tiuoa xi]v öo^ilöav tov nvaXov öl(x[18xqov iXkslTtüv
EtÖBt, o^oicp avxa xa 7taQaihßh]^£vcp.^^
Wenn dei* Verf. hier das in der Aufgabe verlangte schon
als fertig hinstellt, so geht er, worin wir ihm ganz beistiinsnen,
von der Annahme aus, dass es an unsrer Stelle sich gar nicht
um die wirkliche Lösung jener Aufgabe handle, sondern, da
Socrates nur erklären wolle, was eine Hypothese sei, so sei
ein aus der damals bei den Griechen üblichen geometrischen
Analysis eutnommcues Beispiel hierzu vorzüglich geeignet. Das
1J>8 Griechische Litteratur.
Hauptsächlichste dieser analytischen Metliode, deren Erfin-
dung Plato und seinen Schülern zuji^eschrieben wird, bestand
aber darin, dass man die Aufgabe schon als gelöset betrachtete,
und aus den Relationen, die man in der Figur entdeckte, auf
die Methode und die Bedingungen der Auflösung zurVickschloss.
Kec. stellt niin aber die Frage auf, ob ein Mathematiker wohl
die Aehülichkeit jenes Parallelogramms für eine solche wesent-
liche Bedingung ausgeben werde, von deren Erfüllung die Mög-
lichkeit dessen, was in unsrer Aufgabe verlangt wurde, näm-
licSi einen Fläclienraum als Dreieck (ohne alle weitere Bestim-
mung) in den Kreis einzutragen, abliängig sei. Da Plato an
unsrer Stelle die Mathematiker gleichsam redend einfVilirt, so
muss der Satz einen wirklichen mathematischen Gehalt haben ;
eri muss die Ilypothesis auf ein allgemeines und wesentliches
Eiforderniss hinweisen, durch dessen Erfüllung die Möglich-
keit des in der Aufgabe Verlangten in jedem Faile bedingt ist.
Aber jene von dem Verf. in den Worten gefundne Hypothesis
entliält keine Bezieliung auf den quantitativen Flächenraum der
gegebnen Figur; sie würde vielmehr nur für die Aufgabe an-
wendbar seyn: ein Dreieck als ein gleichsclienkliclies mit ge-
gebner Grundlinie in den Kreis einzutragen, denn hier muss
immer die Bedingung statt finden d — x : h = li : x. Nach dem
Verf. würde also die Hypothese folgende seyn: das Dreieck
kann eingetragen werden, wenn es als ein gleichsclienkliclies
in den Kreis eingeschrieben werden kann. Wer aber die Pla-
tonischen Worte liest, bemerkt leicht, dass das dort aufge-
stellte Problem mathematisch nur dann einen Sinn hat , wenn
tlie Frage zum Grunde liegt: Ist die gegebne Fläche so beschaf-
fen, dass das daraus zu bildende Dreieck das maximum der in
den Kreis einschreibbaren Dreiecke nicht überschreitet, d. h.
dass es nicht grösser sei als das gleichseitige, oder, wenn die
Grundlinie des Dreiecks gegeben ist, nicht grösser als das gleich-
t<chenkliche. Auf diese Bedingung muss die Hypothesis hinfüh-
ren, und eben darum vermissten die früheren Erklärer eine An-
deutung des Durchmessers, weil in allen unsern Formeln für
diese Fälle die Relation der Seiten zu dem Durchmesser nicht
fehlen kann. Abgesehen also von jenen sprachlichen Scliwie-
rigkeiten, auch in mathematischer Hinsicht konnte uns die ge-
gebene Erklärung nicht genügen.
Wir wollen nun selbst noch einige Bemerkungen und Ver-
nuitliungen aufstellen, um durch deren Mittheilnng vielleicht
etwas zur endlichen Aufliellung und richtigen Deutung jener
Worte beizutragen. Es kommt vorzüglich darauf an, die Be-
deutung des Wortes Ttagarstrsiv aufzufinden. Wir wollen jetzt
einstweilen jene aus dem Scholiasten entnommene Notiz, die
wir weiter unten in den Kreis unsrer Untersucliung ziehen wer-
den, auf sich beruhen lassen und zunächst den bei den übri-
August: Zur Keiintniss der geometrischen Methode der Alten. 199
gen griechischen Mathematikern zu dieser Untersuchung sich
darbietenden Stoff näher beleuchten. Das zunächst zu verglei-
chende Wort nccQaßalHV nagä trjv doQ^slOccv sv^siav heisst
Überali (vgl. Euclid. eiern. I, 44,- 45; VI, 25; 27; 28; 2S); X,
18; 19; Lemma zu X, 17; Dat. 57; 58; 59; 61; 70; Theon.
ad Ptoiom. synt. lib. I p. 41 ed. Basil. 15S8) eine Figur als Pa-
rallelogramm über einer gegebnen Linie construiren, oder über-
haupt über einer gegebnen Linie ein Parallelogramm construi-
ren. Audi wenn es bei Archimedes de planorum aequilib. 11, 1
p. 35 Oxon. Iieisst: alica Ovo xagia TthQLB'io^i.va vnö xb ev^üa^
aal oQ^oycovlov acSvov to^dg-, cc Övvdi.ii&a naga xav do&elöav
svd'Biav Ttagaßa/iEiV (vergl. auch Eutociuai ad h. 1. p. 30),
hat das Wort keine andre Bedeutung, denn es liegt auch hier
der Gedanke eines zu construirenden Rechtecks zum Grunde,
insofern diese Worte weiter nichts enthalten, als eine den Ma-
thematikern ans der Gleichung für die Parabel y^=px leicht
verständliche Andeutung , dass unter jenen Flächen Parabelab-
schnitte zu verstehen seien. Und wenn zuweilen TCaQalkrjXö-
yga^^ov noch dabei steht, wie Euclid. VI, 25; 27 — tiO, so Ut
dies eben so wenig befremdend, als wenn derselbe Dat. 52— ö-'j;
61; 62 pleonastisch kiÖo^ dsöoijivov sXdei, sagt. Falsch aber
ist, wenn man meint, dass die Bezeichnung des Parallelen oder
Parallelogrammartigen hier in der Präposition Ttagd liege und
dass dies die wesentliche Bedeutung jener Präposition sei. IJagd
bezeichnet hier nur, dass die Figur sich längs der genau be~
grunzten Linie hindehnen, anlegen solle. In den meisten Fäl-
len ist es bei diesen Constructionen dem Geometer gar nicht
um die Parallelogramme zu thun, sondern gewöhnlich soll nur
durch das auf jene Weise gegebne Product die bestimmte Länge
der Linien bezeichnet oder gefunden werden. Daher wird zu-
weilen durch jene Froducte das gegenseitige Verhältniss meh-
rerer Linien unter einander angegeben, so z. B. bei Archimedes
de conoid. et sphaer. prop. III p. 203 Ox., wo nagayulo^fai statt
nagaßEßkrj^evov üvai steht. So auch bei Menechmus ad Ar-
chimed. de sph. et cyl. II, 2 p. 142; Pappus praef. ad Collect.
Math. p. XXVI ed. Camer. So wird auch durch andre compo-
sita, wie TtaguTCBTixcanivaL Archim. de conoid. et sph. prop. III p.
263; XXXI p. 306; p. 307; nageuTCiTirco de conoid. et sph. p.
262; nagBaßälla Euclid. elem. X, 21, zwar die Construction
von Parallelogrammen bezeichnet, aber eigentlich nur die be-
stimmte Länge,4er gegebnen Linie durch ein ab oder ax — \'^
angedeutet. Man vergl. aufmerksam Euclid. elem. I, 44 u, 45.
Nämlich prop. 44 gebraucht Euclid. nagaßakBiv ^ weil über die
gegebne bestimmte Länge einer begränzten Linie ein Parallelo-
gramm construirt werden soll; hingegen in der gegebnen Auf-
lösung u. prop. 42 gebraucht er statt dessen övöxy'jöaG^af,, und
in der Auflösung von prop. 45, welche övör/jöaö&at nagaKK.
200 Griechische Litteratur.
verlangt, wird wieder das TtagaßaKelv in Anwendung gebracht.
Ks lieisst also nicht schlechthin ein Parallelogramm construiren,
{sondern vielmehr: längs einer gegebenen begränzten Linie ein
Parallelogramm anlegen. Dasselbe sagt Proclns p. 103) in der
oben citirten Stelle, wo er von dem Unterschiede der ovötaöLg
lind Tcagaßol^ spricht, und als das Wesentliche der letzteren
bezeichnet, dass bei ihr die Figur construirt werde über der
ndöy xy ev^ücc^ dass tt}^ öeÖo^ivrjv Eü&giaf oAt;!' rov %co-
glov ysveöQ^ai, nlivQäv ^ darauf sagt er: ä^a ovv xa (pdvav
TcaQo. xijv ÖoQ^elöav TCagaßakBlv , Idi'iXaösv^ ort aal jcetts-
QCivQ'ai dvdy%i] xtjv sv&tlav*). Doch wir wollen auch I3ei-
spiele anfiihren, wo TCagä gebraucht ist, ohne dass von etwas
Parallelen die Rede ist, z. B. wenn Claud. Ptolomaeus nsyaX.
üvvx- lib. I p. 11 lin. ult. ed. Bas. 15S8 die Sehnen des Kreises
iv&Eiccg TtagaasiiiEvag ralg 7t£QLq)SQ£iaLg nennt, so heisst
dies nur, die längs des Bogens sich hindehnen, zu dem Bogen
gehören, und wenn Theon Alex, ad Ptolom. synt. lib. VI p. 361
sagt ogd'tjv ycoviav Ttag axi&ivai Ttgog xdg inifpavdag^ so ist
hier von Etwas parallelem keine Andeutung vorhanden. Man
wird nun auch die Ausdriicke fi'ir Parallellinien rj TiaQa &b6e(,
'}'QK^fi^ (Euclid. dat. 6q. 25, prop.28) u. das TCagällrjlog selbst
lichtig würdigen. Jenes heisst eigentlich eine Linie, die längs
der Richtung einer andern, dieses, die lä/igs einer andern sich
liindehnt.
Gehen wir nun zu TtaQaxuva über. Es ist an unsrer Stelle
von dem Einspannen des Dreieckes in den Kreis die Rede, wel-
ches Plato ivxHVHV nennt, was liegt nun wohl näher als dass
yiaQaxiivBiV {x6 %coQiov) Tiagä xrjv öo&slöav yga^fDjv so viel
sei als bvtblvslv t6 %OjQiov xglycovov Tcagcc xtjv äo^slöav ygafi-
^i]v , d. i über der gegebnen Linie, die zur Grundlinie dienen
soll, die Fläche als ein Dreieck in den Kreis einspannen*? Es
wäre mithin Ttugaxüva staiii st ccQtvxtiv a gesagt, wie wir oben
*) Aus dem bisherigen erhellt, dass «las, was ein Reo. von EnclI-
des ed. Cara. in Seehode's krit. Bibliothek 1828 Nr. 37 p. 292 beibringt,
indem er hehauptet, bei dem Aiisidruc.ke TzaQaßäXkso^ai jtixQci bleibe
unentschieden, ob die Seite des Parallelogramms der gegebnen Seite
genau gleich, oder ob sie grösser oder kleiner sein solle, unrichtig
tici. Jener Uec. durfte sich niclit irre machen lassen durch das oft da-
hei stehende imr-Q'^dXXov od. flXilnov ^jea^i/a», denn das dann zum Grun-
de liegende aTx oder a — x hat seine bestimmte Grösse. Die Anmer-
kung des Simson u. Camcrer, auf die sich jene Bemerkung jenes Rcc.
bezieht, ist uns nicht zur Hand. Wir zweifeln aber überliaupt , ob
die Griechen TrcQcyßäXXfa^at aTto sv&£ias gesagt haben, da wir dann
inur.er övtjTrjucco&ai u. ewtozätco gefunden haben, und aiiü' diesen Aus-
druck pasdt allein, was jener Rcc. von naQc.ßö'.XXbcQ'cii sagt.
August: Zur Kenntniss der geometrischen Methode der Alten. 201
an einigen Steilen TtagsußuV.ca u. nccQefiTCBTtrcixavcct statt Ttaga-
|3ß/LA(0, ;rßpaj<frö'9'o:t gesetzt fanden, Längs de/ gegahnen Linie
des Dreiecks in den lu eis spannen, so dass seine Seiten Sehnen
des Kreises werden. Wir könnten nns mit dieser Erklärung be-
gnügen, die eine nicht unpassende, Deutung der Stelle giebt;
doch wir wollen einen Schritt weitergehen, den man unmög-
lich i'iir einen Sprung halten wird. Wir sahen, dass Tiagaßu?-
AciV heisst, ein Parallelogramm über einer der Längenach be-
stimmten Linie construiren, wo dann das Parallelogramm sich
dergestalt über jener seiüer Grundlinie erhebt, dass die ganze
Fläche auf derselben ruht und jeder Punct in der oberen Paral-
lele seinen entsprechenden Punct in der Grundlinie hat. Wenn
juin statt des Parallelogramms Dreiecke über der gegebnen Li-
nie construirt werden, welches Itat dann hinsichtlich jenes Ru-
hens und Basirtseyns auf der Grundlinie mit jenem die meiste
Aehnlichkeit'? Ist es nicht das gleichschenkliche"? Dieses er-
hebt sich gleichmässig über der Lage der Grundlinie, und da
seine Spitze, gleichsam sein Schwerpnnct, sich über der Mitte
der Grundlinie liält, so ruht das gleichschenkliche Dreieck
recht eigentlich und augenscheinlich auf der ganzen Ausdeh-
nung seiner Basis, wälirend das stumpfvvinkliche mit seiner
Spitze über die Grundlinie hiuaushängt. Es kommt hinzu, dass
hei andern Dreiecken es willkührlich ist, welche Seite man als
Grundlinie annehmen will; bei dem gleichschenklichen ist die
Kasis constant, so dass bei diesem die Grundlinie als die fort-
währende Trägerin, an welche sich die Fläche anlegt, betrach-
tet werden kann. Giebt man nun aber etwas auf die Zusam-
menstellung des TtaQaTELVSLV mit xiXQayavit,uv an der Stelle
in Plato de rep. , so läugnen wir zwar nicht, dass dort neben
jenem Ausdrucke für das Product aus zwei gleichen Factoreu
naQaxhlvuv für Bezciclinung des Productes aus zwei ungleichen
Factoren zu nehmen , sehr beiialiswerlh erscheint (vergl. Plato
Theaetet. p. 141 .&' sq.); aber man wird auch zugeben, dass
Tiuijazbivuv in der von uns aufgestellten Bedeutung ein nicht
minder geläufiger Terminus seyn konnte, nämlich wenn ein Pro-
duct aus einem ganzen u. einem halben Factor bezeichnet wer-
den sollte. Das meiste Gewicht aber legen wir auf die in iin-
serm Texte gegebenen Worte nagd xtjv do&sl6av avTov
yQa^ia^v^ woraus erhellt, dass eine Linie gegeben sei, die
dem zu bildenden Dreiecke als Grundlinie dienen soll; somit
scheinen wir a«f ein gleichschenkliches hingewiesen zu seyn,
und das Pronomen Kurot; lässt zugleich vernmthen, dass auch
die gegebne Figur ein ])reiek sei. Blan sehe, wie sich min die
ganze Aufgabe gestaltet. Wir brauchen nun keine Relation des
Durchmessers mehr: denn giebt uns die Hypothesis eine liin-
•weisung auf das gleichschenkliche Dreieck mit gegebner Basis,
60 ist die Vergieichung mit dem maximum als Norm aufgeötellt.
202 Griecliische Litteratur.
Wir müssen mm auf jenen Schoüasteii zuriickkommen, der
nnsre Meinung gewiss nicht entkräften soll. Wenn nach ihm
Proclus sagt: otav TtaQareiVyg n d 6 y tij Bvd'sia , rors naga-
ßäkKsiv q)j}GLv ro %coqIov , örav ös ^£it,ov noirjör/g xb (iijy.os
rrjg Bvd^elag, rörs vn:EQßü?i.XsLV , orav ds slaööovy rors sk-
KsiTi^LV , SO sieht jedermann, dass in dem Worte TiagazHVUV
der Nachdruck auf dem :rßpa liegt, welches ausdrückt, dass
die gegebne Linie in ihrer ganzen ( ökrjv — näöav — jtSTtsga-
öfibvyjv Proclus) begränzten Ausdehnung zur Grundlinie genom-
men werden soll. Da nun TcagarEivco hier dem ^el^ov u. slaö-
6ov Tioiuv coordinirt ist, so schliesst man schon, dass das telvo
in naQaxEiva hier weiter nichts bezeichnen kann als den ganz
allseineinen Begriff fo/w^/?/?/e«, und dass es nur hier, weil von
Parallelogrammen die Ilede ist, ein Parallelogramm construiren
lieisst. Diese Vermuthung wird dadurch zur Gewissheit , dass
Proclus weiter unten den Unterschied von EKzaöcg^ övözaötg
und Tcagaßolf] auseinander setzt. Und zwar geht aus seinen
Worten ganz deutlich hervor, dass ExtaöLg sei der alige-
meine Ausdruck für das Entwerfen einer gegebenen Figur, die
Construction, övöTaöig, das Construiren einer Figur, die ei-
ner andern gegebnen in allen einzelnen Stücken gleich sei, 7ta-
Qaßokr] , das Construiren eines Parallelogramms über eine be-
stimmte Linie, welches einer andern Figur an Inhalt gleich sei.
Man könnte dalier eine SKtaöLg nugä riva yga^^rjv auch eine
Ttagccraöig nennen, wenigstens kann naguxELVCö an der obigen
Stelle des Proclus nach dem bisherigen nichts weiter heissen
als eine Figur (nur hier zufällig ein Parallelogramm) über einer
bestimmten Linie construiren. Da nun an unsrer Platonischen
Stelle nicht vom Construiren von Parallelogrammen die Ilede
ist, sondern vom Construiren eines Dreiecks, so könnten wir
hier unserm nagaxEiva die Dedeutung vindiciren: über der ge-
gebnen Linie ein Dreieck construiren; wir haben aber oben ge-
sehen, dass wegen des vorausgegangnen evxelvelv die Bedeu-
tung von rsLva spamien uns näher zum Ziele führt.
Nach der oben aufgestellten Bedeutung muss nun das näch-
ste Participium x6 TtagaxExapLEVov das gleiclischenkliche über
der gegebnen Basis eingetragene Dreieck seyn. Es hat uns in-
dess nicht gelingen wollen , auf diese Weise einen nur erträg-
lichen mathematischen Satz in den Worten zu finden. Es ist
daher an diesem durch die Abschreiber corrumpirten Worte
eine Kleinigkeit zu ändern. Es ist bekannt, wie wegen der fast
ganz gleichen Schriftzüge jrapa, ngog und andere mit uig an-
fangende Sylben sehr häufig verwechselt worden sind. Um die
vielen von andern vorgebrachten Beispiele zu übergehen, wol-
len wir imr ein einziges aus dem so vielmal abgedruckten Scho-
liasten des Sophocies beibringen, wo ad Ant. v. 47 statt des
August: Zur Kenntniss der geometrischen Methode der Alten. 203
'KQccyyiati augensclieinlicli TtQoqxuynati zu lesen ist; es erhellt
dies aus jener Stelle selbst und noch mehr aus dem schol, ad
V. 853 u. 872. An obiger Stelle lag die Verwechslung um so
näher, -weil erst nag aTelvavtog vorausgegangen war. 31an
lese also t6 tc Qogtsxcc^evov ^ das hinzngesparmte ^ d. i. das
bei jenem Einspannen des Dreiecks zu dem ursprünglichen hin-
zugekommene Stiick, für x6 iv reo nagatüviLV nQogtE&EL^ivov.
Lesen wir nun für jetzt nach der von uns früher vorge-
schlagenen graphisch leichten Emendation TtaQavsivavtog statt
^ciQCiXHvavxa^ so ist der Sinn: der Flächenraum des gegebnen
Dreiecks kann als ein Dreieck mit derselben Grundlinie in den
Kreis eingetragen werden, wenn derselbe so beschalFen ist, dass
er, wenn man iiber der gegebnen Linie ein gleichschenkliches
Dreieck in dem Kreise constrnivt, eines solchen Flächenstückes
ermangelt, wie das ist, welches bei jener mit ihm vorgenom-
menen Construction hinzugekommen ist. Wenn aber das Drei-
eck jene Umwandlung nicht zulässt (roi'TO Tta%BLv\ dann ist je-
nes nicht möglich. Wenn ^IJEC = AI)B, so ist es möglich ;
aber wenn z. B. die Höhe von ABC grösser ist als die von ADC,
dann ist das Verlangte unmöglich. *)
') Wegen des ■nagccrshavta. Avollen wir noch eine flüchtige Ver-
mutliung hinwerfen, die aber zu kühn ist, als dass wir nicht jene
Iciclite Acudcrung nciQotTsivavtog vorziehen sollten. Wie die giiechi-
sclien Mathematiker im Gehrauch der Worte von der grammatischen
Consequenz abweichen, haben wir oben Anmerk. 3 ad Proclum an ei-
nem Beispiele gezeigt. Etwas ähnliches findet statt hei dem Gehrauche
vnoTfivoo. Ursprünglich sagen sie tj yQoi^ixTj imortivBi vno 7itQtq)!:QSt(xv
(Euclid. 3, 2!)) , vno r^vtia y.v'xXov und vno rrjv ycoviuv (Euclid. VI,
4; 5; 6.), auch vno ^vo nltvQas (Archim. sph. et cyl. I, 22; 2.5; 30.),
dann statt dessen den Dativ rfj ycovia (Froclus p. 64); vorzüglich hänfig
den hlosen Accusativ vnoTsivovoa t6 rfirjficc 'avuIov (Ptolomacns p. 9j,
juoipav (il)id. p. 11), ttJv yrovictt (Euclid. I, 18; 19; 2(5; 47; II, 12).
Spruchlich richtig betrachten sie nun auch jenen Accusativ als Objecto-
204 Gricchisrlic Litteratur.
Nicht minderes Interesse als (He beiden obigen Abliaiullun-
gen gewähren die diesem Programme beigefügten Schulnachrich-
teii, iii denen über Zweck, Ziel und gegenwärtige Einriclitung
des Cohiischeii RealGymnasium in Berlin berichtet wird. Diese
Anistalt, ursprünglich hervorgegangen aus dan 3 unteren Klas-
sen des ehe.nals selbstständigen und nachher mit dem Berlini-
schen Gymnasium vereinigten Cölnischen Gymnasium, hat durch
die im vorigen Jahre nach Heranbildung jener überkommenen
Zöglinge möglich gewordene Begründung einer Prima nun das-
jenige Ziel ihrer Umwandlung und inneren Gestaltung erreicht,
welches ihren Begründern vorscljwebte. Da diese Anstalt, we-
nigstens in Preussen, die erste nach jenem neuen Plane gegrün-
dete ist, so wäre es zwar nicht unpassend, ihre Einrichtung so
wie die Wahl und Ausdehnung der einzelnen ünterrichtsgegen-
stände in den (j Klassen ausführlich mitzutheilen; wir müssen
uns aber begnügen, im Allgemeinen den Zweck derselben und
ihre Stellung zu den übrigen Schnlanstalten mit den eigenen
Worten des Verf.s anzugeben. „Die Idee eines llealgymnas,,
„zuerst am bestimmtesten und klarsten ausgesprochen in einer
„bekannten Schrift des würdigen Veteranen der hiesigen Schul-
„niänner, des Hrn. Prof Fischer, rausste sich immer mehr
„denjenigen, welchen die Sorge für die Jugendbildung am Iler-
„zen lag, empfelUen, je vielseitiger die Ansprüche wurden, die
„das Leben au die Schule machte, je mehr sich der Kreis der
accusativ und sagen ^ vnoTBtvofisvrj TtiQLrpsQEiu (Ptolora, p. 9), 77 ycovia
-vnotSiVETut (Proclus p. 64). Aber welch ein gewaltiger Sprung ist es,
wenn Ptoloraaeus im Iten Budie seiner (j.^y. awz, p. 8 die Sehnen 8v-
&Eias xTTOT^ivo^iii na nennt? Für naQcczsivco scheint nun zwar nacli dem
Obigen die activc Beileutang eines geometriselien Actes festznstehn: wie
aber wenn nach jener Analogie TiaQccvslveiv an unsrer Stelle mit neu-
traler Bedeutung von dem Breiecke gesagt wäre, welches in den Kreis
eingetragen mit seinen Seiten als Sehnen die dazu gehörigen Bogen
spannt, so dass TtaQccnivti xQiycovov na^ä yQafifirjv gesagt wäre für
Tiag uy.ttfisvov naQcc yqafitirjv Ttivsirals nltVQals rrjV TtcQicp&QSiccv,
wie y) tv&sla vtioteivsi, zr;v iiiQLCptqkiav offenbar durch ein v n ousifj^svr]
rsivti zrjv Tti;Qi(p8Q£iav aufzulösen ist? Dann läge die Conjectur nahe,
für nuQax&ivavtu zu lesen TiaQaxfivav ccvzu^ oder , Aveil ein Codex na-
Qatfivovra hat, TtaQaruvov avrcc iJdeiitfiv^ mit dem Sinne: wenn das
Dreieck von der Art ist, dass es, über der gegebnen Grundlinie einge-
tragen (so dass es mit seinen Seiten als Sehnen den Bogen spannt),
eines solchen Stückes gegenüber (auf der andern Seite) ermangelt, als
das (auf der einen Seite) hinzugekommene Stück ist. Man könnte dann
die in einem ähnlichen Zusammenhange stehenden Worte des Scholia •
sten oben Anmcrk. 4 , cos ro filv x(OQiov [f^i-Hov] ilvuL ivzog, ti]V Ss
tv9itav ■JicQiüQSViiv taxö s , damit vergleichen.
August: Zur Kcnntniss der geometrischen Methode der Alten. 205
„Wissenschaften vergrösserte, die in den akademischen Lclir-
„kreis gezogen wurden, je überzeugender dasIJeispiel der Nach-
„barstaaten durch die mit herrlicliem Erfolge gekrönte Wirk-
„samkeit der Central - und polytechnischen Scliulen zu uns re-
„dele und zur Nachahmung, zum Wetteifer aufforderte. Jener
„allgemeinen Grundidee angemessen , ist das Cölnische lleal-
„gymnasium bestimmt, dieselben Kenntnisse zu verbreiten, wel-
„che der Gegenstand des Unterrichts auf allen Vibrigen Gymna-
„sien sind, aber mit einer andern Vertheilnng; so dass bis in
„die höheren Klassen hinauf mehr noch, als es auf andern Gy-
„mnasien geschehen kann, fiir die zweckmässige Ausbildung de-
„rer gesorgt wird, die ihre Avissenschaftlichen Studien nicht
„auf einer Universität abschliessen können; dass aber auch den-
„jenigen, die dies beabsichtigen, Gelegenheit gegeben wird,
„sich in Hinsicht auf die Erlernung der alten Spraclien duzu
„vorzubereiten. Wenn also in den mittlem und untern Klassen
„der Unterricht in der latein. Sprache in Vergleich mit andern
„Gymnasien etwas zurücktritt, und dafür die mathematischen,
„naturwissenschaftlichen , geographischen u. liistorischen Wis-
„senschaften mehr Uebergewicht erhalten; so wird in den obe-
„ren Klassen denen, die sich für ein Universitätsstudium ent-
„schlossen und dazu als tüchtig schon in ihrer Schuilaui'baim
„bekundet haben, nicht nur im Lateinischen ein ausfüitrüche-
„ver, sondern auch in der griechischen Sprache ein genügender
„Unterricht ertheilt werden. In dieser Hinsicht darf also die
„Anstalt ihrer Idee nach nicht mit einer Bürgerschule verwecii-
„selt werden, und wie auch schon Fischer in der angeführten
„Schrift auf das überzeugendste durchführt, den übrigen Gy-
„mnasien nicht nachgesetzt werden , sondern sie behauptet ihre
„Stellung neben denselben. Sind es ja doch Gymnasialkennt-
„nisse, welche durch sie verbreitet werden, und ist es doch
„der Geist der Wissenschaftlichkeit, der in den Zöglingen der
„oberen Klassen erweckt und genährt werden soll.'''
Wenn man bedenkt, welche grosse Kluft unsre Gymnasien
imd Bürgerschulen trennt, wie in den ersteren der Unterricht,
fast ausschliesslich auf formelle Bildung berechnet und gröss-
tentheils abstract, nur den Gelehrten von Fach zu seinen künf-
tigen Universitäts- Studien vorbereitet, die letzteren dagt{:;an.
entweder zu wenig über den Elementarunterricht sich eriieben
oder bei flachem Mechanismus sich zu sehr von einer wissen-
schaftlichen Form entfernen ; dann wird man in einem Staate,
der nicht den Prunk glänzender Gelehrsamkeit einzelner Indi-
viduen oder einer besondern Gelehrtenkaste für das liöchste
aclitet, sondern durch sein ßürgerthum gross ist u. durch eine
regsame Industrie alle seine Kräfte zu entwickeln und zu stei-
gern sucht , sich über die Gründung einer Anstalt freuen , wo
206 Griechische Litterntur,
der Gescl'.Hftsmann und Iiöliere ,Biirgerstand eine für ihn geeig-
nete Bildung erhält, die ihm niciit allein IVir seinen Berui" eine
gedie^sene wissenscliaS'lliche Vorbereitung- gewährt, sondern ihn
auch der Vortheiie einer gelehrten Bildung theilliaftig macht.
Jene wird seinem Erfindnngsgciste INaiirung und Richtiujg ge-
ben, diese ihn fähi^ machen, in seinen etwaaigen Functionen
als Staatsbiirger u. Repräsentant gerecliten Ansprüchen zu ge-
nügen. Ob es angemessen und rathsam sei, aucli solche, die
sich einem Gelehrten -Berufe widmen wollen, in solchen An-
stalten heranzubilden, möchte zu bezweifeln seyn, wenigstens
spräche man mit einer Billigung jenes Vorschlags zugleich einen
harten Tadel aus gegen die bisherige FJinrichtung und Tendenz
wnsrer Gymnasien, welche bei den Ansprüchen, die jetzt an
ihre Zöglinge gemacht werden , durcliaus nicht noch mehr Un-
terrichtsfifegenstände aufnehmen oder diese in der Ausdehnung
betreiben können, dass bedeutende Fortschritte darin gemacht
werden könnten. Dass für künftige Mitglieder verwaltender
Behörden und auch für Mediciner solche Realgymnasien weit
geeigneter seyn würden, leuclitet ein. Einen vortlieiihaflen
Einfluss würden diese Anstalten aber auch auf alle übrigen Gy-
mnasien ausViben können, wenn einzelne Lehrer für diese auf
jenen gebildet würden. Es sind zwar auf manchen Gymnasien
einzelne Unterrichtsstunden für Naturwissenschaften eingerich-
tet, aber es fehlt an Lehrern, die frühzeitig zum eigenen An-
schauen der Natur gewölint, nicht blos zum Behuf eines ihnen
aufgedrängten Unterriclits aus einem systematischen Werke ei-
nige theoretische Kenntniss sicli aneignen, sondern practisch
jenes betrieben haben, und so nicht allein diesen Unterricht be-
leben , sondern auch und zwar %'orzüglich ausser den Lectionen
in Stunden, die zur körperlichen Erholung der Zöglinge be-
stimmtsind, eine Liebhaberei für Botanik, Mineralogie, jenen
einilössen könnten. Man weiss, wie auf preussischen Schulen
der raathcm. Unterricht sich gehoben hat, seitdem Männer,
uelche ex professo auf der Universität Mathematik studirten,
denselben leiten. Wären diese zugleich vorher auf einem sol-
chen Realgymnasio gebildet, so würde der mathematische Un-
terricht auf unsern Gymnasien nicht ein blos formelles Bildungs-
raittel bleiben. Fast scheint es nämlich, dass dei'selbe auf den
meisten Schulen zu abstract betrieben werde. Die trigonome-
trischen Formeln werden wie griech. Paradigmata eingeübt, ih-
rer Anwendung auf Ausmessung des Himmels u. der FJrde wird
kaum mit Worten flüchtig Erwälumng gethcMi, gef^chweige denn
ein wirklicher Versuch gemacht, in den wenigen physikalischen
Stunden wird oft nur die matliem. Seite der Physik behandelt,
und Formeln treten an die Stelle der sinnlichen Anschauung.
Wir scJiliessen mit dem Wunsche, dass der durch jene Anstalt
beabsichtigte Erfolg den Erwartungen entsprechen u. die Grün-
Pädagogik. 207
diin^ von wenigstens Einem solchen Gymnasium in jeder Provinz
zum Belnif des ersteren Zweckes höherer Volksbildung zur
Folge haben möge.
Pforta. Dr. C. n ex.
ädagogik.
1. Drei Schulreden, womit zur öfTentlirlicn Prüfung der Sclui-
1er des Gymnasiums zu Duisburg und zu einigen Abscliiedsredcn auf
den 20ten u. 21ten Septbr. 1824 einladet der Director Dr. Joli. Dun.
Schulze. Angehängt sind IVachrichten vom Gymnasium seit lbi3.
Duisburg, gedruckt bei den Erben Voss. 24 S. in 4.
2. Be7iierkuJigen über den JVerih der Alter ihtims-
studien a uf Gy mnasie n u n d höher n S c h n l au-
steilten. Ein Programm zur Einladung an (?) die ölTciitlielieii
Prüfungen und zur Feier der Prämienaustheilung an der Aargaui-
schen Kantonsschule, von i?. Rcnichenstcin, Professor, d. Z. Rector.
Aarau bei F. J. Beck. 1825. 46 S. in 8.
3. Verhältniss des Sprachunterrichts zu den übri-
gen Lehr geg enst änd en. Dargestellt von Franz Dorotheus
Gerlach. Einladungsschrift zur Rectoratsrede , welche von (vom)
Hrn. Prof. Peter Merian , zeitigem Rector der Univers., Montags
den löten Mai um 10 Uhr Morgens im Doctorsale des Münsters
wird gehalten werden. Basel, gedr. b. Aug. Wieland. 23 S. in 4.
4. Neunter Bericht an das Publikum über das Gy-
mnasium und die Realschule in Basel., nebst der
Rechenschaft über den Lehrcursus des verflossenen Schuljahres.
Eine Einladungsschrift zur Proniotionsfeierliclikcit am 24ten Mai
1825, von (vom) Prof. R. Ilanhart, Rector des Gymnasiums und
der Realschule. Basel, bei A. Wieland. 1825. 17 S. in 4.
l*-i.it nicht geringem Vergniigen haben wir die Stimmen dieser
Tier namhaften Mäiiner über Gegenstände von Bedeutung in dem
Erziehungs - und ünterrichtswesen vernommen und halten es
für Pflicht, Einiges davon für Andre wiederhallen zu lassen,
in deren Nähe^sie selbst nicht dringen dürften.
Nr. 1 enthält folgende 3 Reden: a) Die Erziehung auf
öffentlichen Schulen muss einen religiösen Charakter haben.,
wenn sie auf die menschlichen Verhältnisse ivahrhaft bildend
und veredelnd einivirken soll. So wenig der Geistliclie zum
blossen Prediger gemacht werden könne, so wenig dürfe der
208 P i'i (1 a g o g i k.
Schulmann bloss Lehrer sein: vielmehr müsse er seine Schiller
nn ein plliclitmässi^jes f^andeln in allen i3eziehnngen gewöhnen.
Wenn das geschehe, uirke die Schnie t'ieils mit der häuslichen
Erziehung zasararacn und befördere deren Erfolg, thoils wirke
sie ihr entgegen und helfe ihren Gebrechen ab. Daliiii wirke
die ganze Verfassung und Einrichtung der Schule, besonders
aber dann, wenn sie iiberall von lleügion ausgehe. Hecht gut
werden hierauf die Umrisse einer im Geiste der Religion wir-
kenden Schule gezeichnet. Besonders Ijervorgelioben zu^wer-
den verdient, dass die Lehrer in ihr nach immer höherer Voll-
kommenheit streben werden, ohne darum neuen Methoden nach
zu jagen, und dass es Lehrern u. Schillern Gewissenssache sein
wird, auch ohne äussere Antriebe in Allem ihre Püicht zu thun.
b) In der zweiten, am ISten October 1822 gehaltenen Rede
nimmt der Hr. Verf. von den besiegten Feinden des Staats Ver-
anlassung, V071 den Feinden zu reden, tvelche Lehrer und her-
nende in Schulen zu bekämpfen habest , Me/ischen , Irrthibfier
und Vorurtheile^ böse Begierden und Genwhnheiten ^ Verhält-
nisse, c) De scholariiin piiblicarum dignitate tiienda atque
aiigenda. Mit Reclit getadelt werden, qui dissolutam, quam
desolatam scholam malunt: vix enim fieri potest , quin schola
discipulis nimis referta mole sua ruat. Schleclite Disciplin und
Oherflächiichkeit müssen da einreissen. Gründlichkeit u. ern-
ste, jedoch mit Milde gemischte Disciplin lieben eine Schule.
Die Disciplin dürfe nicht Alles von Drohungen und Strafen er-
warten, sondern müsse daiiin arbeiten , dass die Jugend das
Gute um desselben selbst willen wolle. Lauge Ferien tülireii
Verwilderung der Jugend herbei und schaden dem Rufe einer
Anstalt. Bei den öfFentliclien PrVifungen müsse alle Täuschung
wegfallen. Das Publikum werde endlich das doch merken und
dann um so misstrauischer werden. Am meisten gewinne eine
Schule durch den guten Ruf ihrer Lehrer in Beziehung auf Ge-
lehrsamkeit, Lehrgeschicklichkeit, Gewissenhaftigkeit, treue
Fürsorge für ihre Schüler, gute Verwendung von Unterstützungs-
geldern , Einigkeit unter sich u. Bescheidenheit. Ins Besondre
aber können Schulbehörden viel zum guten Rufe der Schulen
beitragen, wenn sie gute Einrichtungen treffen, für die iiöthi-
gen Lehrmittel sorgen, dem erprobten Schulmanne so viel, als
möglich, freie Hand lassen, nicht lange Vacanzen dulden , de-
ren Nachtheile kurz, aber gründlich erörtert werden, und end-
lich nur tüchtige Lehrer erwählen. Mit Recht wird rühmend
anerkannt, was in diesen Beziehungen von Preussischen Schul-
behörden geschieht. Zuletzt wird noch berührt, wie durch
Ortsbehörden und Mitbürger das Ansehen und Gedeihen der
Schulen gefördert werden kann. Der Vortrag ist überall kräf-
tig und anziehend, der Lateinische besonders fliesend und von
acht antikem Colorit. Doch würden wir selbst nach Ernesti's
Rauchenstcüi : Ucbcr den Wcrth der Altcrtlmrasstudicn. 209
Beispiele doctrinae solidioris suhsidia S. 13 nicht billigen.
Von S. 17 — 24 folgen Schulnachrichlen. Wenn von der S. 2J)
nachgewiesenen Privatlectüre der Primaner nicht der eine diess,
ein andrer Anderes gelesen hat; so haben sie wirklich viel ge-
leistet. Die schrii'tlicheiiSeibstbeschäftignngen derselben nach
S. 20 u. 21 sind in der That sehr riihralich. So in Anspruch
genommen und geleitet müssen junge Leute trefflich vorschrei-
ten. Mit gutem Grunde ist S. 22 gewarnt gegen das Uhrentra-
gen, Taubenhalten, Schmetterlingsjagden, liäufiges Baden im
Sommer, reichliches Taschengeld, das Tabaksrauchen, Besu-
chen öfFenllicher Häuser, auffallende Miitzen und andre auffal-
lende Trachten.
In Nr. 2 sind viel wahre, kräftige und schöne Gedanken in
eine nicht selten sonderbare Sprache gekleidet. Zuerst wird
der Frage begegnet, wodurch denn die Alterthumsstudien an
und für sich einen so hohen Werth haben, dass man die Jugend
damit so viel Zeit verschwenden lassen kann. Das Beigebrachte
ist ganz zur Sache und verdient allen Beifall. Dann wird eben
so gehörig die Frage erörtert, ob nicht der endliche Gewinn an
Kenntniss von Sprachen, Völkern und Einrichtungen , welche
uns so fern stehen, für Manchen ein unbrauchbares, höchstens
zu einem aus der Mode gekommenen Citatenprunke dienliches
Wissen sei. Als uothwendigeGegei stände des Schulunterrichts
betrachtet der würdige Herr Verf. auch die Mathematik , die
Naturwissenschaften und Geschichte, über deren Beschaffen-
heit in den Schulen in der Kürze Treffliches vorgebracht und
dabei zugleich die Meinung zurückgewiesen wird, ob nicht ge-
lungene Uebersetzungen die Stelle der Werke der Alten vertre-
ten können. Ferner wird die Einwendung beleuolitet, dass
man wohl besser thue, sich mit Ausschliessung des Fremden
lediglich an das Studium der eigenen Sprache und Litteratur
zu halten. Das Billige darin, vornehmlich in Beziehung auf
Volksschulen, wird gern anerkannt, das üebertriebene zurück-
gewiesen. Dahin gehört auch das an ausschliessliche Klassici-
tät des Alterthums glaubende Vorurtheil und ihm gegenüber
die allzugrosse Befangenheit in romantischer, einseitiger Mo-
dernität, welche durch das Studium des Fremden ihren eigen-
thümlichen Charakter eiuzubüsen besorgt. Wir können uns
nicht enthalten, die schönen Trostworte, womit dieser Ab-
schnitt schlicsst, hier anzuführen. ^JFenneinsich als neu anhiln-
dendes Leben eine tvirklich schöpferische Urkraft hat ; so wird es
durch jene Alterthumsstudien nicht nur nicht erdrückt, son-
dern es wird durch sie gehoben, gestärkt und gebildet tver-
den}'- Hierauf wird gezeigt, wie es gegen die neuere Abstra-
ctionssucht, wodurch die poetische Production, die Lebendig-
keit und Natürlichkeit des Darstellungsvermögens leide und
Pomp und Schwulst gefördert werde, kein bessres Gegengift
Jahrh. fPliil. «, Pädafr. Jahr^.V. Heß '2. J4
210 Pädagogik.
gebe, als die Altertluimsstudien. Zuletzt kommt die Rede
noch auf jene bedenklichen Seelen, „die nur schüchtern um
sicli blicken, vielleicht aus Furcht, jeder neue Sonnenstrahl
miisse ilmen die Augen löschen, die aber doch fragen, ob nicht
dieses dem christliclien Elemente widerstrebende Ileidenthura
auch seinen Theil Schuld habe an dem Unglauben der Zeit,
und ob nicht, wie die frühem Christen die lieidnischen Götzen-
bilder zerschlugen und vergruben, so heut zu Tage die tief in
das Herz sich einfressenden, der Jugend so vertrauten Götzen
nur noch viel eher aus ihren Händen zu verbannen seien."
Nachdem diese Vajidale7ic1uislenfiage^ wie der Herr Verf. sie
treffend nennt, mit einem besondern Rückblick auf die in der
Hildesheimer krit. Biblioth. 1825 Hft. 1 S. 10 vorgekommene,
hieher gehörige Notiz und auf Steffens Schrift von der falschen
Theologie und dem wahren Glauben kurz, aber kräftig besei-
tigt worden, werden einige treffliche Bemerkungen, welche
wir des mangelnden Raumes wegen ungern nicht wörtlich wie-
derholen, aufgestellt, woraus sich ergiebt, dass die Studien des
Alterthums nicht ohne wohlthätigen Einfluss auf uusre religiöse
Bildung sind. Aus dem Ganzen wird am Ende der Schluss ge-
zogen, dass die Alterthumsstudien eine nothwendige Bedingung
zu höherer Bildung sind und so lange bleiben w erden , als man
nicht völlige Einseitigkeit will. Nicht leicht haben wir auf
einem so engen Räume so viel Gediegenes über diesen Gegen-
stand beisammen gefunden, und wir scheiden mit besonderer
Hochachtung von dem Hrn. Verf., welchem wir nur noch etwas
mehr Aufmerksamkeit auf den Vortrag wünschen. Zum Belege
dieses Wunsches führen wir an S. 1 Z. 5 v. u. an das Publi-
kum sprechen , S. 2 Z. 6 v. o. bisweilen Laut von sich geben^
S. 4 — Angriffe^ welche gegen denjenigen Theil des höhern
Schulunteirichts gerichtet sind, welcher das Studium des
Griechischen und Lateinischen ausmacht, S. 19 unten — trotz
des allgemeinen Wettlaufens (?) um Erwerb nnd epidemi-
schen Meditation auf Sammlung etc., S. 23 Z. T v. u. auf
die Gymnasien gehöre sich eine Uebersicht, S. 24 Z. 7 v. o.
Geschift, ausserhalb der Schweiz wohl nicht leicht verständ-
lich, S. 28 Z. 13 V. 0. zur Schwelle des Tempels zu gerei-
chen, S. 30 Z. 3 V. o. Minutiosenhämerei, S. 43 Z. 7 v. o.
das Studium der Geschichte — lehrt — und S. 44 o. Allein
sie lehrt uns ?iicht u. s. w. 3Ian sieht kaum, worauf dieses
sie zu beziehen ist, wenn nicht auf das S. 43 Z. 7 v. o. so weit
vorangegangene Geschichte , da doch die Beziehung auf Stu-
diu7n erforderlich, besser aber das Studium der Geschichte
zu wiederholen wäre. Das e des Dativs fehlt gewöhnlich.
In Nr. 3, welches gar keine Spur von dem Jahre seines Er-
scheinens enthält, wird der aufgestellte Gegenstand gründlich,
mit Unbefangenheit nnd Würde behandelt. Der geachtete Hr.
Gerlach : Vcrliältn. des Sprachunterrichts zu d. übrig-, Lehrgegenst. 211
Verf. gellt von dem in andrer Form erneuerten Streite über
Humanismus und Realismus aus und giebt ziemlich ausführlich
die Umstände an, welclie die Erscheinungen des Realismus,
besondre Schulen für allerlei Gewerbe, förderten. Hierauf
sollen die Ursaclien des Streites iiber öffentliche Erziehung
und ölfentlichen Unterricht angegeben werden: es wird aber in
der That imr eine angeführt — auf das Zuerst S. ß Z.3 folgt
kein Zweitens — und trefilich beleuchtet, dass nämlich von
Wenigen erkannt werde, wozu der Staat als solcher verpflich-
tet sei. Es wird hierbei erwiesen, dass in dem iirsprünglicheii
Wesen des Staates durchaus nur die Verpflichtung enthal-
ten sei^ für Erziehung und Bildung des Volks im Allgemei-
nen und für die besondere Bildung der Volhslehrer und
Beamten zu sorgen^ und gesetzt, man wollte für alle Gewerbe
Schulen vom Staate verlangen; so würde er seine Thätigkeit
ins Unendliche zersplittern müssen. Auch raüsste dann der
Staat ein Ausschliessungsrecht von Cl^w verschiednen Gewerbs-
thätigkeiten haben , woraus Eingriff in das persönliche Recht
hervorginge. Hierauf wird ganz richtig vestgestellt , was man
unter allgemeiner Bildung zu verstehen habe, und aus der
Natur des menschlichen Geistes die Grundbestandtheile des
öffentlichen Unterrichts hergeleitet. Die Hauptrichtungen der
Thätigkeit des Erkenntnissvermögens beziehen sich auf das
sinnlich Wahrnehmbare oder auf das nur im innersten 13ewusst-
sein Erkannte. Die allgemeine Bildung hat daher theils die
Aussenwelt oder die Natur theils die eigene innere Welt oder
den Menschen zum Gegenstande. So wie nun die Mathematik
die Grundlage des Unterrichts über die äussere Natur, so ist
es die Sprache für den über die innere und zugleich der An-
fangspunct alles Unterrichts. Durch sie nimmt das Kind den
ersten Antheil an der Denkweise seines Volks, wesshalb bis zum
ersten Lebensabschnitte (dem 7ten Jahre) das Vaterland Mit-
telpunct aller Erkeiintiiiss des Kindes werden muss. Nun nimmt
esTheil am öffentlichen Unterrichte, bei welchem die Richtung
auf das Innere vorherrschen soll. Mathematische Auffassung
der Naturerscheinungen. Die Kenntniss der Natur wird erwei-
tert bis zur allgemeinen Betrachtung der Erde und des gestirn-
ten Himmels. Zur Einführung in die eigene innere Welt tritt
nun gehörige Sprachbildung ein. In ihr vereinigen sich die bei-
den Hauptseiten aller höhern Wissenschaften , die philosophi-
sche und historische. (Letzteres können wir eben so wenig zu-
geben, als wenn Schelling die Geschichte das im Idealen aus-
drücken lässt, was die INatur im Realen, oder wenn Heinroth
sie gründet auf die Urtheilskraft, deren Object alles Gewor-
dene oder Vergangene sei. Die Geschichte sucht Erkenntniss
des Menschen und seines Geschlechts in der Vergangenheit,
wo beide als handelnde Objecte, als freie Naturerzeugnisse er-
14*
212 Pädagogik.
scheinen. Darin liegt das ganze Geheiraniss über das Wesen
der Geschichte.) Hierauf werde gewöhnlich der Volksunter-
riclit und mit der 2ten Lebensperiode , dem Uebergange des
Knaben zum Jünglinge, als vollendet betrachtet. Zwar will
der Hr. Verf. höher hinaus: das wird aber doch in der Wirk-
lichkeit nicht gehen. Nun steigt die allgemeine Bildung für
Lehrer und Beamte weiter. Die Kenntniss der Natur gewiimt
mehr Umfang und höhere Richtung. Die Erkenntniss der In-
nenwelt oder des 31enschlichen wird erweitert und gesteigert
durch die Entwickelung des Lebens der Hellenen, Ilömer und
Germanen (Mittelalter), deren wesentlich Eigenthümliches mit
wenigen, aber treffenden Zügen gezeichnet wird. Zu dieser
Erkenntniss führt die Geschiclite, ganz besonders aber, vor-
nehmlich in Beziehung auf die Hellenen und Ilömer, das Stu-
dium ihrer Sprachen und Schriftwerke. Treflliche Bemer-
kungen darüber und über die Nothwendigkeit dieses Studium.
Wir erinnern hiebei an das von uns Aufgestellte in der beson-
ders gedruckten Vorrede zu unserm Latein. Lesebuche. Kö-
Jiigsberg 1810. Die allseitige Behandlung der Alterthumswis-
scnschaft sei daher der Mittelpunct der geistigen Thätigkeit im
Sten Lebensabschnitte. Wenn der würdige Hr. Verf. will, dass
bis zum Uten oder 12ten Jahre des Knaben nur die Bildung
der Muttersprache betrieben und dann erst die alten Sprachen
angefangen werden; so stimmen wir seinen Gründen aus voller
Ueberzeugung bei, wenn schon wir glauben, dass dem die Ge-
wohnheit noch lange, wo nicht immer widerstreben wird. Die
Erhaltung des Sinnes für das Volksthümliche werde daneben
in dieser Periode gesichert durcli tieferes Eingehen in die Ge-
chichte unsres Volkes und durch gründlicheres Eindringen
in unsre Sprache und Litteratur.
Diess der kurze Abriss dieses lesenswerthen Aufsatzes,
welcher sich auch durch seine Form vortheilhaft auszeichnet,
woran wirblos zu missbilligen gefunden haben S.OZ.l imTexte
V. u. alle andern Geschöpfe für andre, S. 10 Z. 7 u. 8 v. u. vor indejn
nnd hinter durchdringt das fehlende Komma, S. 11 Z. 0 Zahl- nnd
Grössenlehre für Zahlen-, S. 15 Z. 2 — niemand wird für nnrd
Niemand. Ohfie das für dass S. 6 und Salust S. Iß halten wir
für Druckfehler.
Der achtbare Herr Verf. von Nr. 4 kündigt diesen Aufsatz
als eine Fortsetzung an von seinen früheren , nicht zu uns ge-
kommenen Bemerkungen über den Nutzen körperlicher üebun-
gen, deren höchsten Zweck er darin findet, dass das Göttliche
im Menschen, die Seele, dem, was von der Erde stammt, nicht
unterworfen, sondern der Herrschaft des Leibes entzogen wer-
de: der kranke Leib aber übe die drückendste Herrschaft aus.
Das den sittlichen Werth der Leibesübungen Bestimmende wird
hier auf folgende drei grosse Gesichtspuncte zurückgefülirt
Hanhart: Neunter Bericht über das Gyiunas. in Basel. 213
I) durch die Befreiung des Geistes von der Herrschaft des
Körpers entsieht im Gemiithe des Menschen jene heitere Le-
beyisansicht ^ welche ihn Alles im rechten Lichte erblicken^
beim Handeln ihn stets das richtige Maass finden lässt. Das
Erblicken im rechten Lichte gehört zwar in die Spliäre des
Vorstellungs- und Erkenntiiissverinögens und in so fern nicht
hieher. In M'ie fern aber das Sittliche auch eine theoretische
Seite hat, indem Begehrnisse und Handlungen aus Vorstellun-
gen und Erkenntnissen hervorgehen, kann allerdings auch das
Jirblicken im rechteii Lichte hier mit in Rede kommen. Das
Älitgetheilte bestätigt die Versiclicrung des Ilrn. Verf., dass er
seit mehr denn 20 Jahren eine Menge von Beobachtungen über
den Einfluss von Körperschwäche und Gesundheit auf die Gei-
stesstlmraiing der Kinder gemacht habe. Recht gut wird ge-
zeigt, wie durch auf Körperschwäclie beruhende Reizbarkeit der
Knabe in Gefahr komme, ein argwöhnischer Mensch, ein Men-
schenfeind zu werden. Als Beispiel wird angeführt Georg
Müller, welcher durcli seine aus Kränklichkeit herrührende
Stimmung, die er sein Thierlein nannte , oft zu liarten öflFentli-
cheii Urtheilcn über Andre verleitet wurde, Avodurch er sich
trübe Stunden zuzog. II) Die Gesimdheit^ welche wir in der
Jugend geniessen^ sagt Iselin^ begünstigt die Erwerbung der
Kinsichten unendlich mehr^ als' man sich insgemein vorstellt.
Der Herr Verf. versichert, oft mit Erstaunen die ungemeine
Schnelligkeit der intellectuellen Entwickelung bei Knaben be-
merkt zu haben, welche mit kräftiger Gesundheit aus dem häus-
lichen Kreise in die Schule kamen. Welcher Schulmann wird
nicht oft dieselbe Erfahrung gemacht haben? Hierauf wendet
sich der Hr. Verf. von dieser abermals das Vorstellungsvermö-
gen berührenden Seite zu dem eigentlich Sittlichen , dem Wil-
len, durch Aufstellung des Einwandes, dass die natürliche Leb-
haftigkeit solcher Knaben ihren Lehrern oft viel liebe Noth
mache, und das^s daher dieser Einwurf schon unter den Grie-
chen und Römern gegen den sittlichen Werth der Gymnastik
vorgebracht worden sei. Hingegen bemerkt er, diese Klagen
gehen nur von derUebertrelbung beiden körperlichen Uebungen
aus. Würden diese im rechten Maasse betrieben; so würden
sie dazu führen, die Jugend in Allein an das rechte Maass zu
gewöhnen und dadurch wohlthätig für die Sittlichkeit wirken.
So schön die einzelnen, hier vorgetragenen Gedanken sind; so
können wir bei aller Hochachtung, welche wir gegen den wür-
digen Herrn Verf. hegen, doch nicht umhin, zu bemerken,
dass diese beiden Hauptgesichtspuncte I und II, so wie sie hier
wörtlich ausgedrückt sind, sich nicht gehörig logisch zu einan-
der verhalten. Wir würden etwa gesagt haben: 1) die aus der
Gesundheit des Leibes hervorgehende Heiterkeit des Gemüths
erleichtert uns^ im Sittlichen das Rechte zu finden. II)
21^ Lexicographie.
ZwecJcmä'ssige Leibesübungen gewöhnen uns an das rechte
Maas in yillem. Oder noch lieber hätten wir I und 11 ia ei-
nem Abschnitte abgehandelt. 111) Der sittliche fVerth 'zweck-
mässig angeordneter und gemeinschaftlicher Leibesübungen
r^eigt sich besonders in dem Einflüsse derselben auf Chara-
kterbildung. Hier sind vortreffliche Gedanken kräftig und
schön ausgesprochen, Möchten sie doch dahin gelangen , wo
die Gewalt ist, eine verkannte gute Sache aus ihrer Verbannung
zurückzurufen und in ihre ehrenvolle Stellung wieder ein zu
setzen !
Beigefügt ist der Lehrcursus des Gymnasiums und der
Realschule vom Mai 1824 — 1825, über weiclien wir noch Eini-
ges zu sagen uns veranlasst fülilen. Das Griechisclie hat auf
Sexta (der obersten Klasse) wöchentlichß St, Gelesen wurdedas
Evangel. Marc. 1 — 15, aus dem 2ten Cursus von Jakobs Elementar-
buche die historischen und naturhistorischen Abschnitte, Ilom.üd.
IX, in Rosts Gramm dasNöthigste wiederholt und nach dessen
Anleitung aus dem Deutschen ins Griechische übersetzt. Auf
Quinta wurden 0 St. auf die Einübung der Paradigmen und die
Erklärung des Wichtigsten aus der Homerischen Formenlehre
verwandt und zur Analysellom. Od. IX bis Vs. 115 benutzt. Tiefer
hinab geht das Griechische nicht. Hienach steht das Griechi-
sche in Basel nicht hoch und wohl viel tiefer, als die Zeit for-
dert. Auch das Latein diirfte noch zu heben sein. Auf Sexta
wurden einige Bücher aus Julius Cäsar und in Gedikens Chre-
stomathie die Erzählungen ausLivius gelesen. Degegen kommt
das Französische auf den 4 obersten Klassen vor und hat auf
den beiden mittleren derselben sogar wöchentlich 6 St. Das
Deutsche dagegen ist spärlich bedacht, indem es in der 2ten
Klasse von unten wöchentlich 3 Stunden hat. Wie viel in den
übrigen Klassen, ist nicht zu ersehen. Nach den in Nr. 3 auf-
gestellten, gewiss richtigen Grundsätzen kann das unmöglich
gebilligt und selbst durch die Nähe Frankreichs nicht entschul-
digt werden. Nicht minder zurück steht die 3Iathematik. Erst
auf der 4ten Klasse von unten kommen Proportionsrechnungen
und Definitionen aus der Geometrie vor, in der 2ten von oben
die reine Arithmetik bis zu den Potenzenreihen , und auf der
ersten wird die Geometrie angefangen. Hoffentlich werden
die dortigen Schulbehörden das Ziel bald höher stecken.
Lyk in Ostpreussen, j. j j Jin'^enhevn
im Mai 1829. ^^- ^' ^' ^^osen/iei^Ti.
Lexicographie.
Thesaurus Graecae linguae ab Henrico Stephane
C o?is tructus. Post cditioaem Ansrlicam novls ailditamcnliä
Stepliani Thesaurus Linguae Graecac. EdUio rarlälna. 215
auctuni , ordiiicque alphalietico digcstum edidcrunt Carolus Bcnc-
dictus Hase, Institull rcgii Franciae socius, in Schola regia speciali
liii>ji;iiariiin orieiitaliuiii professor, in Bibllothccae regiae parte eodd«,
iiiss. coniplectente coiiscrvator adjunctus etc. etc., (i. Jt, Lud. de
Sinncr et Theobuldvs Fix. Pari.süs , excudebat Ambrosius Firini-
nus üidot, llegis chri^t!ani^sinli et Iiistituti regii Franciae typogra-
plius. Venit apnd Firmiuos Oidot fratres , via Jacob, nr. 24.
MDCCCXXX. kl. Fol.
U nter diesem Titel ist in Frankreicli eine neue Auflage der
Englischen Ausgabe des Griechischen Thesaurus von Ilenr.
Stcplianus angekVindigt [Jbb. X, S52], über welche uns so eben
ein ausl'ührlicher Prospectus niitgetheilt worden ist. Da Exem-
plare dieses, auch wissenschaftlich nicht ganz unwichtigen,
Prospectus in Deutschland nicht eben häufig verbreitet werden
möchten (in Leipzig wenigstens sind sie zur Zeit noch sehr rar),
das Werk selbst aber die Aufmerksamkeit manches Gelehrten
auf sich ziehen wird; — wäre es auch nur desshalb , weil die
jetzt nur noch fiir 50 Guineen käufliche Englische Ausgabe für
84 Thlr. [33f> Franken] geliefert werden soll; — so hofl"en wir
mehrern Lesern der Jalirbücher einen Dienst zu erweisen,
wenn wir ihnen aus dem vorliegenden Berichte das Wichtigste
mittheilen.
Der Prospectus ist in doppelter Gestalt ausgegeben wor-
den, Lateinisch (S2 S. 8) und Französisch (11 S. fol.). Beide
Exemplare sind dem wesentlichen Inhalte nach gleichlautend;
nur dass dem Französischen noch eine Lateinische Abhandlung
von Hrn. Fix de ratione et legibus, sceiindiim quas res pro-
sodica in nova thesaini linguae Graecae ediiione, quae Pa-
risiis prodiiura est^ tractanda nobis esse videtur ^ und dass
auf dem Titel desselben noch bemerkt ist, die neue Ausgabe
werde gearbeitet werden d' apres le plan soutnis u V Academie
des inscriptions le 29 Mai 1829, et approuve par sa Co?n~
niission. Der Lateinische hat im Ganzen eine etwas gelehrtere
Ausstattung erhalten, und scheint für das Ausland, besonders
für Deutschland berechnet zu seyn. Zu bedauern ist, dass bei
beiden eineHauptsache, eine Probe der Bearbeitung selbst fehlt,
weil sie besser als alles Raisonnement lehren würde, was man
von dem Buche zu erwarten habe. Der Druck wird, soviel sich
ersehen lässt, zwar etwas klein und compress, aber doch nicht
zu klein ausfallen; doch bleibt man über die Wahl der Grie-
chischen Typen in Zweifel, da sie erst ganz neu dazu geschnit-
ten werden sollen.
Die Herausgeber beginnen den Prospectus mit Aufzählung
der Gründe, welche sie zur Herausgabe des Werkes veranlasst
haben, und sehen sich dazu veranlasst durch die Seltenheit
und den hohen Preiss der beiden vorhandenen Ausgaben des
216 Lexicographie.
Steplianisclien Thesaurus ( auch die Englische Ausg. ist im
Buchhandel vergriffen), durch die Vorzüglichkeit und lleichlial-
tigkeit dieses über 10000 Wörter umfassenden Wörterbuchs *)
und durch die Bequemlichheit, welche für den Gebrauch
durch Einführung der alphabetischen Anordnung der Wörter
gewährt werden soll. Die Gründe, welche gegen die noch
neuerdings von Passow (^Ueber Ztveck und Anlage Griech.
Wörterb. S. 25 f.) und Hermann {Censura Thesauri Steph.^
in Opuscc. T. II p. 221) vorgezogene etymologische Anordnung
vorbringen und womit sie die alphabetische Ordnung rechtferti-
gen wollen, genügen freilich nicht, am wenigsten der, dass
durch Thiersch's Griech. Gramraat. § 132 — 141 und durch die
kleinen etymologischen Wörterbücher von ]\iz , Lutz und Rost
für dasBedürfniss des Unterrichts hinlänglich gesorgt sey; bes-
ser hätten sie sich auf die Bemerkung beschränkt, dass eine
streng etymologische Anordnung bei den noch so schwankenden
Principien und Ansichten rein unmöglich ist und zu vielen Irr-
thümern führt (wie der Stephan. Tliesaurus selbst beweisst,
vgl. Valckenaer Observatt. academ. XXIV p. 32 ed. Traj. 1808)
und dass die alphabetische Reihenfolge jedenfalls das Auf-
schlagen sehr erleichtert. Etymologische Zusammenstellung
soll nur soweit beibehalten werden, als es in Passows Lexicon
*) Bei dieser Gelegenheit wird folgendes TJrtheil über die übri-
gen vorzüglicheren Griechischen Wörterbücher abgegeben : „Scapulae
Lexicon, quantumvis adauctum editione Duncani Glasguensl, 1816, 2
voll, in 4., Oxonicnsi, 1820, in fol., etLondinensi, 1820, in fol., tanien
e Thesauro [Stephani] est excerptum , de qua re Stephanus ipse me-
rito est questus. Hederici Lexicon, etsi editio Londinensis, 1825, in 4.,
itenique Lipsiensis Passowii et Pinzgeri, 2 voll, in 8. , multls commen-
dentur dotibus, Thesauri vices tarnen nunquam poterit implere. J. G.
Schneider! Lexicon graeco-gerraanicum est multiplici doctrina refertus
über, praesertim in explanatione verborum quae ad historiani natura-
lem, physicen, aliasque disciplinas spectant. Lexici hujus praestantiae
tres editiones optimae sunt testes. Schneiderus tarnen erravit haud
pauca in disponendo ordine variarum significationum, neglexit particu-
las et praepositiones, Ihnites, quos sibi circunidederat, saepe est trans-
gressus, omninoque linguae graecae cxplicationem historicam minus
accurate quam par erat est persecutus. Quatuor harura partium unus
omnium optinie Passowius habuit rationem, primusque est e lexicogra-
phid qui notationem mensurae prosodicae vocabulorum addere magna
cum cura haud est dedignatus. Riemerus in etymologiis suis saepissi-
me verum vidit, quod praeoipuam libri sui dotem crcdinuis. Quae
alia sunt Lexica graeca Gallorum Germanorumque , Planchii , Rostii,
Keichenbachii , aliaque, utilia quidem sunt, in censum nostrum autem
%ix vcniunt, quippe quae tironibus tantum destinantur."
Stepliani Thesaurus Linguae Graecae. Editio Farlsina. 211
geschehen ist. Dagegen wird am Schlüsse ein Index etymo-
logicus angehängt. Von den Schriften und Abhandlungen,
welche im ersten und neunten Bande der Englisclien Ausgabe
abgedruckt worden sind, hal)cn die Herausgeber mit Recht be-
schlossen nur einige beizubehalten, andere in das Werk selbst
zu verarbeiten oder sie später besonders drucken zn lassen, die
rneisten ganz wegzulassen. Beibehalten sollen werden aus dem
ersten Bande: das Fac-simile des Doppeltitels der alten Aus-
gabe des Stephanus; Stephani admonitio de Thesauri sui Epi-
tonie, quae titulum Lexiti graeci novi praefert; die Epistola
dedicatoria et epigramraata duo de Thesauro; der Catalogus
auctorum graecorum, e quorura scriptis vocabula et loquendi
genera eoniraque expositiones petitae sunt; Henr. Stephani ad
lectorem Epistola s. Praefalio; die Excerpta ex Fabricii bi-
hlioth. Gr., bereichert mit Firmin Bidots Bemerkungen über die
von Stephanus vermeintlich zweimal gedruckte Ausg. des The-
saurus aus der Sehr,: Les chcmts de Tyrtee^ et autrcs oiwrages
(Paris 1826) p. 220 ff. Zu ihnen soll die vollständige Vitallen-
rici Stephani aus Maittaire's Stephanorum historia kommen, in
welcher zugleich die im Englischen Thesaurus abgedruckte
Epistola IL Stepliani a. IftCÖ edita de suae typographiae statu
etc. enthalten ist. Von allen Abhandlungen des 9n Bandes sol-
len nur die Themata verborum quorundam, quae magna e parte
vel sunt anomala, vel poetica, aut cerieejusmodi, utnonobviam
cuilibet habeant originem, wieder abgedruckt werden: mehrere
andere davon, z. B. Hermanns Abhandlung über «V, sind zu ei-
nem spätem Specialabdruck vorgeschlagen. Von den im In
Bande der Englischen Ausgabe alsLexicon vocum peregrinarura
zusammengestellten Aufsätzen sollen nur vielleicht Dahler's Ta-
bulae speciales am Schlüsse des Werkes abgedruckt, die übri-
gen bloss in ihrer Quintessenz benutzt werden, indem die Her-
ausgeber die Voces peregrinas gleich in die Reihe der übrigen
Wörter einrücken , selten auch vollständige Erörterungen der-
selben beifügen, sondern nur auf die Commentare etc. desshalb
verweisen wollen. Etienne Quatremere will ihnen da-
bei mit Rath und That an die Hand gehen. Dagegen wird
Eug. Burn ouf allen Griechischen Wörtern, deren Verwandt-
schaft mit dem Sanscrit oder Zend erwiesen ist, die radices
aus beiden Sprachen beifügen. Uebrigens soll der Druck gleich
mit dem Lexicon selbst (mit älcpn) beginnen, und die oben ge-
nannten Aufsätze sollen nebst der Vorrede der Herausgeber
erst später erscheinen.
Für die Bearbeitung der einzelnen Wörter im Lexicon selbst
haben die Heransgeber besonders die Vorschläge benutzt, wel-
che in Hermann's Censura in novam edit. Steph.Thes. (im Clas-
sical Journal 1818, tom. 18 Nr. 35 und in Hermanni Opuscc.
II p. 217 ff,), in Blomfield's Beurtheilung (im Quarterly Review
218 Lexicügrapliie.
1S20, tora. 22 nr. 44 p. S02 if.) und in Hülsemann's Recension
(in d. Jenaer Lit. Zeit. 1822 Nr. 223 fF.) gemacht worden sind.
Audi haben sie die Erwiederungen nicht unbeachtet gelassen,
welche gegen Hermann im Classical Journal t. 18 nr. 'Mi und t.
19 nr. 37, gegen Blomfield ebendaselbst t. 21 nr. 41 , t. 22 nr.
43 und von Barker im Aristarchus Anti-Blomfieldianus(London
1820), sowie auf Biomfields Erwiederung (im Quarterly Review
t 24 nr. 48) im Classical Journal t. 23 nr. 40 erschienen sind.
Andere Beurtheilungen, z. B. die magere Anzeige in den Hei-
delb. Jahrbb. 1824 nr. 14 S. 214 flf. , sind ihnen unbekannt ge-
blieben. Als Grundgesetz der neuen Bearbeitung haben sich
die Herausgg. festgestellt, die Worte desllenr. Stephanus Viber-
all unverändert und unabgekiirzt beizubehalten und nur seine
offenbaren Irrthümer durch kurze Einschaltungen zu berichti-
gen. Die an mehreren Orten zerstreutenAdditamenta des Ste-
phanus und der Englischen Herausgeber werden alle gehörigen
Ortes eingeschaltet und nebst denen der neuen Herausgeber
nur durch Zeichen vom Texte selbst geschieden. Neu aufge-
nommene Wörter, welche in der Originalausgabe nicht stellen,
werden mit Sternchen bezeichnet. Füllt ein Wort eine ganze
oder mehrere Seiten, so wird es nach Hermanns Ilathe (S.229)
als Columnentitel dariiber geschrieben. Im Buchstaben A wol-
len sie die zu grosse Ausdehnung der einzelnen Artikel kiirzen
und dieselben denen der andern Buchstaben conformer machen.
Ausserdem wollen sie im Texte der Englischen Ausgabe strei-
chen: alle unnütze Einschaltungen der Englischen Herausgeber,
welche bereits Hermann S. 221 und Blomfield S. 033 getadelt
haben; die falschen grammatischen und lexicaliscben Hegeln,
welche nach Befinden mit richtigem vertauscht werden sollen,
z. B. das über die z'iuslassung des äv beim Optativus potentialis
Beigebrachte, wo ßruncld» Anmerk. zu Eurip. Phoen. 1211 den
Bemerkk. Hermanns und rllmsleys zu Eurip. Medea und zu So-
phocl. Antig. (501 weichen wird; alle beiläufigen Bemerkungen
über Dinge, die nicht in den behandelten Artikel gehören oder
aus irgend einem Grunde völlig unnöthig sind; die wiederkeh-
renden Bemerkungen Viber denselben Gegenstand unter mehrern
Wörtern; die aus solchen Büchern entnommenen Anmerkungen,
welche in jedermanns Händen sind und wo das blosse Citat ge-
nügt ; die Verbesserungsvorschläge und Erörterungen gelegent-
lich angeführter Stellen ; die ohne Nutzen in zu grosser Zahl
angehäuften Beispiele; die von den Englischen Herausgebern
für die Rechtfertigung der Etymologien willkührlich gebildeten
Griechischen Wörter und andere verkehrte Einfälle derselben.
Lange Büchertitel werlen der Bequemlichkeit des Citirens we-
gen nach Passows Vorgang abgekürzt und desshalb am Ende
ein Index librorum adhibitorum angehängt. Als Citatc, die in
ihrem ganzen Umfange beizubehalten sind, werden erwähnt die
Stephan! Thesaurus Linguae Graccae. Edltio Parisina. 21!)
Citate aus seltenen und theuern Büchern, die aus den alten Grie-
cliisclieii Grammatikern und Lexicographen, die Noten der Ge-
lehrten, welche durchBeispiele iur eine zu hehaudelndelledensart
Belege ^eben oder sie vollständig erläutern, vgl. Ilermarju S.
230. Die Wörterbiicher zum Neuen Testamente sollen sorglal-
tig benutzt werden. Auch werden sie so weit als möglich die
einzelnen Citate im Thesaurus nachschlagen und besonders die
Verszahlen der Tragiker und Lyriker nach den neusten Aus-
gaben berichtigen, so wie alles das gehörigen Ortes einsclial-
ten, was in der Englischen Ausgabe über einzelne Wörter unter
andern bemerkt worden ist, z. B. über ayav unter äyaraKtico
etc. vgl. Hermann Cens. S. 237, Quart, llcv. t. 22 p. 3-13. l)a
die etymologische Anordnung in die alphabetische umgewandelt
wird, so werden natürlicli auch den einzelnen Wörtern ihre
Stammwörter und Bedeutung beigeiügt, wenn sie in der Engl.
Ausgabe fehlen. Als ganz neue Zusätze versprechen die Her-
ausgg. Nachträge aus Schriften und Comnientaren, welche von
den Engl. Herausgebern nicht benutzt worden sind; Einsclial-
tungen von Wörtern, die bei diesen fehlen (z. B. aus Boeckh's
Corpus Inscriptt), und von zweifelhaften Wortformen (vgl. Pas-
sow, Zweck u. Anl. Griech. Wörterb. S. 9 u. 37); paläographi-
sche Bemerkungen über Verwecliselung der Buchstaben, Sylben
und Wörter (aus Bast, Porson, Boissonade etc.) ; Nacliweisung
der Wörter und Sylben, in deren Zusammenstellung oder Wie-
derhohlung die Griechen einen besondern Wohlklang fanden
(besonders aus Courier'sCommentaren zumLongus undLucian);
Citate zu grammatischen Formen, welche nicht gehörig belegt
sind (z. B. zu tjyysXi^v^ iTCEöa, Öiw'^o)) ; genaueAngabe der Un-
terschiede einzelner Wörter und Constructionen nebst nöthigen
Belegen; Bemerkungen über die grammatische und rhetorische
Stellung einzelner Wörter im Satze (z.B. des Artikels nach Her-
mann z. Soph. Aj. 1007); endlich die Angabe der prosodischen
Länge und Kürze der Sylben und Wörter, zu Aveichem Zwecke
auch Passows tabulae prosodicae am Ende angehangen werden
sollen, lieber Einrichtung und Ausführung des letzten Punctes
spricht sich Hr. Fix in dem oben angeführten Aufsatze aus,
welcher meist den Passowschen Ansichten folgt und nur ein-
zelne kleine Berichtigungen derselben verspricht.
Gewiss werden viele durch die gegebenen Verheissungen
noch lange nicht die vielen Mängel der Englischen Ausgabe des
Thesaurus beseitigt sehen, und namentlich noch wünschen, dass
die, besonders in den spätem Buchstaben Iiäufig ordnungslose
Citatenmasse derselben einer sorgfältigen Revision unterworfen
werde. Indess wird schon durch das Versprochene sehr Vieles
und Wesentliches geleistet seyn, wenn die Verheissungen ge-
hörig erfüllt werden. Eine Bedenklichkeit desshalb entsteht
aber daher, dass zum Isteii April d. J. schon die erste Lieferung
220 Abhandlung.
des neuen Werkes ans^ej^eben werden soll, der aller drei Mo-
nat eine neue folgen wird. Das Canze soll aus 28 Lieferungen
bestehen, deren jede, auf Velin -Papier gedruckt, 12 Franken
kostet.
Ja h n.
Abhandlung.
lieber die Ansichten des Hrn. Dr. Bohertag in seinem Pro-
gramm: .i^Ueber den Unterricht in der Phi lo So-
phie auf Gymnasien.'''' Jirieg 1817.
Jciin Vorbercitungs- Unterricht auf Pliilosophie im engeren Sinne ist
zwar für die Königl. Preuss. Gymnasien höclister Anordnung zufolge
durchgegangen : dennoch möchte nach vieler Stimmen Meinung die
Einführung von Sitz und Stimme eben dieser Philoso[>hie auf Gymna-
sien nur im Lichte einer Konzession und eines etwa so zu nennenden
Interim'« erscheinen; wenn nicht in Ansehung der Einstimmung, Aus-
gleichung und Aussöhnung etwas strenger der Ueberzeugung nachge-
holfen wird. Absicht und Zweck des Verfassers vorstehenden Pro-
gram's kommen daher keineswegs zu spät, und verdienen die Aufmerk-
samkeit eines Jeden, der Grund hat, an der Sache der Gymnasialbil-
dung im Ganzen und Einzelnen regen Antheil zu nehmen.
Der Verf. sucht die Auflösung seines Problem'« von einem Stand-
punkte aus zu gewinnen, der zwei aus einander gehaltene (oder zu
haltende) Fäden endlich zusammen spinnen soll, damit die Opposition
gegen das Lehr-Object theils von Seiten der Universität, theils des
Gymnasiums selbst zum Schweigen gebracht werde: denn die höhere
oder wissenschaftliclie Bildung wird nun einmal dem Zeitgeiste zufolge
als ein Grundeigenthum betrachtet , das zw ischen Gymnasium und Uni-
versität aufs regelnlässigste vertheilt und aufs gewissenhafteste um-
grenzt werden muss. Daher nun die Absicht des Verfassers, einen
Mittelweg einzuschlagen, der zwischen thesis und antithesis sammt
deren Grenzpfälen mitten hindurch aufs Freie führe! daher die Grnnd-
basis einer Mediation«- Akte : „auf Philosophie so vorbereiten zu kön-
nen und zu müssen, dass der Unterricht einerseits nicht aus der Philo-
sophie schon selbst geschöpft sey , und also noch ausserhalb derselben
liege,- andererseits aber näher damit in Verbindung stehe, als jeder an-
derweitige Gymnasial- Unterricht, und nothwendig in dieser Beziehung
die Lücke zwischen Gymnasium und Universität ausfülle." Die Vorbe-
reitungs-Idee kann weder von der Universität zurückgewiesen, noch
von dem Gymnasium abgewiesen werden, indem sie sich durch ihren
Inhalt ausserhalb der Philosophie gegen das „veto" der Universität, so
wie durch eine höhere pliilosophische Form gegen die ausschliesscnde
Tripple- Allianz der Philologie, Mathematik und Geschichte auf dem
Ueber den Unterricht in der Pliilosopliie auf Gymnas. 221
Gyninagiuin zugleich waiTiict, und „nicht das Ansehen eines krankhaf-
ten Auswuchses gewinnt, sondern der Gipfel ist, in welchem alle Wege
der Gymnasialbildung zusammengehen" (Worte des Verl', aui Schlusso
der Abhandl.).
Die Abliandlung des Verf. theilt sich in eine Begründung des
Problem's als abhängig von der Möglichkeit eines vorbereitenden Un-
terrichts auf Philosophie (sammt den Untertheilen ausgeführt S. 5 — •
18), sodann in die Abfolge, dass dieser Unterricht dem Gymnasium zu-
stehe (S. IJ) — 22), und schliesslich in eine Polemik gegen philosophi-
sche Terminologie, gegen Elementar- Form entweder des ganzen Sy-
stems der Philosophie , oder insbesondere der Psychologie und Logik
als Inhalt des vorbereitenden Unterrichts (S. 22 — 28).
Zur Begründung und Entwickelung der Ilauptidee des vorberei-
tenden Unterrichts ausserhalb der Philosophie selbst führen nur einige
Prämissen wie S. 6: „die Frage über einen besonderen philosophischen
Unterricht auf Gymnasien und für dieselben hängt von der Betrachtung
der Möglichkeit des vorbereitenden Unterrichts in der Philosophie für
sich ab, und weist auf diese zurück." Die Idee dieses Unterrichts
schliesst sich durch die Möglichkeit auf, dass Philosophie in allen Ge-
hiethen des Erkennens (S. 7) ihre Anknüpfungspunkte findet , wesent-
lich von allen Gebiethen des niederen Erkennens als solchen ausgehen,
und durch die Regionen des unvollkommenen Erkennens hindurch auf
dem Wege der Negation eine VorsteHung von Philosophie erzeugen
könne, deren Inhalt sonach (S. 9) in „einer Erkenntniss des unvoll-
kommenen Erkennens als solchem" besteht, und als Anschauung des
nicht-philosophischen, unvollkommenen Erkennens die Anschauung des
vollkommenen im Uebergange leicht gewähren wird. Der Organismus
dieser Hauptaufgabe theilt sich nach Beantwortung einiger Zweifel
(S. 10 — 12) in drei Ilanptbeziehnngen : 1) in eine Beurtheilung der ge-
wöhnlichen Vorstellungen von Philosophie (wie sie im Gemüthe des
Schülers sich wohl möchten festgesetzt haben), 2) die Betrachtung des
niederen Erkennens als eines in sich unvollkommenen, 3) die Erweite-
rung der dadurch ausgebildeten \^)rstellung von Philosophie zu einer
alles wahrhaft Philosophische umfassenden. Die sogenannten gewöhn-
lichen Vorstellungen werden als falsche zur Konstruktion und Abson-
derung der -nächsten wahren vorbereitenden Vorstellung von Philoso-
phie benutzt, — der eigentliche Mittelpunkt aber, in der zweiten Haupt-
beziehnng (S. 15 — Iti) im Grundrisse vorgezeichnet, zergliedert die
Entstehung des niederen Erkennens in den blossen Formen efer Wiihr-
nehmung und Meinung od. Erfahrung , und deutet auf das Unterlegen
der Wahrnehmungen und Meinungen des Schülers aus allen Gebieten
(eine treffliche Gelegenheit, den ganzen Gewinn der Gymnasial-Bildung
zu sichten). Sodann ist die Unzulänglichkeit dieses empirischen Wis-
sens mit der Nothwendigkeit des höheren philosophischen (nach dem
Verf. : ,,des Wissens um das Wissen") im Gegensatze gegen Wahrneh-
mung und Erfahrung oder Meinung aufzuweisen , was sich leicht con-
sfrniren und zur Anschauung bringen lässt, (es kömmt freilich auf ,.das
222 Abhandlung.
Wie?" an, etwas aljznfertigcn ! — ) Das Mittel zur Erweiterung der
entwickelten Vorstellung von Philosophie als der schwierigsten Aufgabe
des 3n Theils (S. 17) liegt über dem einzelnen Standpunkte des Leh-
rers hinweg für den vorbereitenden Unterricht in „einer Beleuchtung
der entgegengesetzten philosophischen Systeme" (und also in der Ge-
schichte der Philosophie), diez>var einerseits den selbsteignen Gesichts-
punkt vom Vi'esen der Philosophie festhalten, damit nicht in Wider-
spruch treten, andrerseits aber auf die allgemeinere Vorstellung von
Philosophie hinarbeiten rauss, (ob sich diese Polemik auch nur zu
Gunsten der Sache mit dem Grenzpunkte des Verf. zur Vorbereitung
ausserhalb der Philosopliie verträgt 'i — Ist der Sinn des Verf bloss
auf Eklektizismus gerichtet ?)
Dies sind nun des Verf. Grundlinien einer ersten Weihe für den
vorbereitenden Unterricht in der Philosophie ! Dass nun diese Weihe
auf dem Gymnasium — und nicht auf der Universität empfangen wer-
den müsse, bestimmt der Verf. in der Abfolge seines Ideenganges (S.
18 — 22), nach welchem eben die vollständige Lösnng der Aufgabe in
Beziehung auf den Ort (Gymnasium oder Universität) mit der Natur des
festgesetzten Unterrichts so zusammenfallen muss , dass daraus erhelle,
wo die Vorbereitung hin geliöre. ,, Welchem von beiden, schliesst der
Verf., luuss sicli ergeben, wenn wir untersuchen, wie sich der Zweck
des Gymnasiums und der Universität einerseits zu den Voraussetzungen,
audrf!rseits zu dem Zwecke des Unterrichts in der Phil. , dessen Be-
stlmiBungeu sich uns näher ergeben haben, verhält." (S. 19) (Ob
diese beiden Fäden — oder — wie sie sich in der Konsequenz zusam-
men spinnen — das gibt freilich für den Verf. den Ausschlag.) Da
nun auf der höchsten Stufe des Gymnasiums theils eine grössere Masse
empirischer Kenntnisse theils eine höhere Entwicklungsstufe des Den-
kens als hinreichende Voraussetzungen der Realisierung aller drei
Theile des beschriebenen philosophischen Unterrichts ohne Zweifel
entgegenkommen, (in Beziehung auf den dritten Theil soll in einer
schon erweiterten Masse empirischer Kenntnisse von selbst auch —
die Geschichte?? — liegen) so ist damit (S. 21) sogleich die Frage
entschieden, ob der vorbereitende Unterricht in der Phil, niclit mehr
der Universität angehöre als dem Gymnasium, (also nach grammati-
scher Interpretation bleibt die absolute Berechtigung beider mit abfol-
gender Allsschliessung ausgeschlossen, und man erwartet noch für
ein: ,, nicht mehr — sondern" eine Entscheidung.) Für Einleitungen
in alle andere Gebiethe des Erkenncns ist die Univesfaität mehr der Ort,
aber die Einleitung in d. Phil, nnterscheidet sich von andern Einleitun-
gen: denn — wenn die Phil, der Mittelpunkt der akademischen Bildung
ist, 60 muss jede dieser entsprechende Einleitung an d. Phil, anknüpfen,
und findet in so fern auf der Universität ihren Ort: die Eialeit. in die
Phil, selbst aber muss, wie der Phil, so auch jeder akademischen Be-
handlung eines Avissenschaftlichen Gebiethes vorangehen , (dies soll
nun wahrscheinlich dem nervus probandi in Beziehung auf das Gym-
nasium das Uebcrgewicht geben?)
Ueber den Unterricht in der Philoeophie auf Gymnas. 223
Man kann die VoiLtTfltungs-Idce des Verf. sammt deren Glicdc-
rnng und Verzeic.hnun'»' entweder in ihrer Selbstständigkeit an und für
tsicli, oder als die venuittclnde Bedingung zur Entscheidung des frag-
lichen Prohleui's hetruchten : in der ersten Beziehung würde sie vou
der Kritik im A erhälUiisse zu nieluercn theils möglichen thcils Avirk-
lichcn Einleitnngcn in die Philosophie als eine besondere hinzukommen-
de angeselien werden, — und in der andern als diejenige , von deren
Cliarukteristik allein die Abfolge abhängig wäre: dies mochte aber
schwerlich zugegeben werden können, sobald man an die Einführung
des Lehr- Objekts eine strengere Begründung von Kothwendigkeit
mu(;ht, als diejenige ist, welche mit den Prämissen des Verf. zusam-
luenfäilt. Gegen den Standpunkt des Verf. in Beziehung auf Zusam-
luenstimmung dürfte Folgendes zu erinnern seyn:
1) Wie stimmt es zusammen, dass der Verf. von einer Möglickeit
der Vorbereitung auf Philosophie /ür sich ausgehen will, aber dennoch
sogleich in der Begründung in der Sphäre des Gymnasiums sich befin-
det, und von der Anknüpfung der Einleitung (die ja von jedem Orte
abstrahiren sollte) auf dem Gymnasium sogleich die Rede ist? — Es
kam also gleich anfangs darauf an, den Einwurf einer Transscendenz
vom Lehrobjekte abzulehnen, Avoraus aber keine Avirkliche nothwendige
Einführung des Lehrgegenstandes, sondern liöchstens ein ,,liquet" ab-
folgen kann, zufolge dessen das ganze Glied einer philosophischen Ein-
weihung nach dem Vertheilungstraktate der Bildung zwischen Gymna-
sium undUniversität heute eingeführt, und morgen wieder voniGymnasiura
abgeschnitten, und als WendepunctderUniversität überlassen Averden kann.
An der Möglichkeit hat man Avohl weniger gezAveifelt, als an der Nothwen-
digkeit, und diese ist im Standpunkte des Verf. nicht gegründet — oder
nicht herausgehoben. Kein Lehrobjekt darfin den Hallen des Gymnasiums
bloss als Titular-Objekt eine Stelle einnehmen, sondern muss nach gleicher
Anwartschaft aller übrigen Sitz und Stimme haben, — oder — es muss
scheiden. Das Gymnasium ist theils Vorbereitungsanstalt, theils nach
einem höheren Bildungszweck für sich bestehende, und zu dessen Er-
reichung abschliessende und abgeschlossene Anstalt: eine Deduktion
über die durch den Bildungszweck selbst bedingte oder nicht- bedingte
Anwartschaft der Philosophie im Cyclus der Lehrgegenstände kann
die Begründung des Verf. nicht genannt Averdenj da sich die Fäden
derselben in kein festes absolutes Resultat zusammenspinnen, sondern
nur in der Abfolge einseitig gegen die Transscendenz höcljstens einiges
terrain gewinnen wird. Der alte Humanismus als Träger der Gymna-
sial-Organisirung ist zwar etwas toleranter geworden gegen die ein-
greifende Konstruktion mittels der Mathematik, und gegen die An-
gchauungslehre der Welt und Menschheit aus der Geschichte (freilich
noch nicht in Locbel's Gesichtspunkte), aber damit ist auch das
Gleichgewicht ZAvischen allen Potenzen zur Erregung und Erregbarkeit
abgerundet und abgeschlossen, und das Ziel — der Maturität (man
neboie es suh- oder objectiv) ist nach innen und aussen zur Humanität
224 A b li a n d l u n g.
auf der Gymnaslalhank siclier abgesteckt. Das Widerstreben gegen
den Spiegel eigeiitlicher philosophischer Reflexion, worin sich Mensch
und Menschheit lilar anschauen, durch Beiordnung der Philosophie
auszugleichen, und also die Opposition innerhalb des Gymnasiums auf
Erwciterungs- Gedanken zu bringen, möchte des Verf. Begründung
Bchwerlicb gelungen seyn, da er nicht einmal seine basis „die Erkennt-
niss des unvollkommenen Erkennens" gehörig dazu authorisirt hat
(wie es vielleicht hätte geschehen können).
2) Wahrscheinlich legt der Verf. viel Gewicht auf das charakte-
ristische Merkmal seiner Vorbereitungsidee zur Einstimmung mit dem
Gymnasium, nehmlich „ausserhalb der Philosophie dennoch näher auf
die Philosophie vorzubereiten" und so einer eigentlich objektiven Ein-
leitung in das System den Weg abzuschneiden , wie ihn viele andere
tichon wirkliche Einleitungen verfolgen: im strengsten Sinne wird ein
solches „ausserhalb" zum Widerspruche, und kann sich auf seiner Linie
nicht halten, wo es bald in einem beschränkten ,, Innerhalb" sich ver-
liert. Dies könnte dem Verf. vorzüglich in dem Theile nachgewiesen
werden, der von der Erweiterung der Vorstellung von Philosophie mit-
tels der Geschichte der entgegengesetzten Systeme handelt : eine völli-
ge Einstimmung des Verf. mit sich selbst lässt sich hier schwerlich an-
erkennen, und — wäre auch der ganze Skrupel an sich so bedeutend
nicht, — so schadet er doch der Begründungsidee des Verf., da er
nicht rein gehoben ist, — und der Verf. sich auf einer kleinen Streife-
rei ins Gebiet innerhalb der Philosophie verliert.
Setzen wir den Streit bei Seite, und betrachten die Vorbereitungs-
idee des Verf. ausserhalb desselben in der Mitte unserer Gymnasien nach
vorausgesetzter Ueberweisung eines vorbereitenden philosophischen Un-
terrichts, — so ist freilich die Idee noch Grundriss, und vieles ist noch
abhängig von dessen weiterer Ausführung und Farbengebung. Dem-
nach muss hier die Frage entstehen : „Wie verhält sich die Grundidee
des Verf. in der Mitte des Gymnasiums innerhalb der übrigen Bildunge-
mittel des Untei-richts zum gemeinsamen Bildungszweck?" Hier wäre
vor Allem zu berücksichtigen, ob sich
3) die Idee des Verf. von ihrem Standpunkte der Erregung einer
Vorstellung von Philosophie und einer zu begründenden Erkenntniss
über das unvollkommene Erkennen des Schülers selbst in einer ange-
messenen Richtung zum Standpunkte der übrigen Lehrobjekte des
Gymnasiums und deren Rückwirkung auf das zu bildende Subjekt be-
finde? Ist es mit dem Standpunkte des Gleichgewichts aller Lehrobjekte
gegen einander verträglich , wenn die philosophische Erkenntniss mit-
tels der Kritik und Polemik über Wahrnehmung und Meinung hinaus
(diesen niederen Erkenntnissgründen den ganzen Bildungs- Gewinn
gleichsam einrcgistrirend) auf einem Kulminations- Punkte erscheinen
will, von dem aus sie sich Alles subordiniert, und nach dessen Höhe
nun der Schüler sein Augenmerk hinrichten soll? — Keinem Lehr-
objekte an eich gebührt auf der Schule der alleinseligmachende Glaube,
— ein jedes muss sich selbst in seinen Steigerungsgraden subordinieren,
lieber den Unterricht in der Fhllosopliie auf Gyranas. 225
aber in wechselseitiger Harmonie (obwohl im Gegensatze) dem andern
cuordiniercn, damit Uilduiig und Anstrengung der Kraft im Fleisse sich
eben so glcichraässig vertheile , und überall anreihe. Wollen die Fa-
liultütcn schon vor den Augen des Schülers mit einander streiten , und
bald in der Ideen -Fundgrube der Vorzeit, bald in der Construction des
Weltalls, oder in der welthistorischen Anschauung, oder endlich in
der Construction des Bewusstseyns des Wissens ihre Prä -Potenz gel-
tend machen , so stehen wir für die Bildung am Ende — aber nicht am
Anfange der nöthigen Gleich - und Einstimmung! — Sodann muss
eich doch das philosophische Wissen hier nur als das relativ höhere
über den Stufen der Wahrnehmung und Meinung des Schülers ankün-
digen; — Icann aber nicht für absolut geltendes Prärogativ neben einer
liöheren Potenz (deren doch die übrigen Lehrolijccte wohl auch fähig
sind) genommen oder angesehen werden. Hieraus dürfte Verwirrung
u. Zweideutigkeit im Bewusstseyn des Schülers mehr und näher denn —
Klarheit entstehen. Wofür soll denn der Schüler nun seine Maturität
nehmen? — Oder wird er sich denn dort beim Hinschauen nach der
Philosophie auf der Säule weniger auf der Stufe der Wahrnehmung
oder Meinung befinden ? — Und — ist denn Alles für den Schüler nur
bloss als Wahrnehmung und Meinung gewonnen, was er in der Gesetz-
mässigkeit oder Regelmässigkeit der Sprache oder in der Construction
der Mathematik als nothwendig gegründet fühlen muss ? — Oder —
was lässt sich hier für eine Auswahl treffen? — Denn mannichfaltig
sind ohne Zweifel die Aggregate , die sich aus der Sprache , aus den
Naturwissenschaften und aus der Geschichte zur Beziehung absetzen,
und von denen nun — per negationera der Extrakt der Philosophie ge-
wonnen werden soll. Eben diese Scheidekunst dürfte
4) für den reinen Denk- oder Reflexionsakt ohne weitere nähere
Beziehung auf ein zu unterscheidendes Object mit dem Standpuncte ei-
ner V orbereitung im Uebergange aus der Beschränkung in die Erweite-
rung in mancherlei Schwierigkeiten verwickeln ; und so leicht und ver-
ständlich dürfte sich hier aus der Anschauung des non- Phoenix die
Anschauung des Phoenix selbst nicht gewinnen lassen. Was der Verf.
leer oder unausgefüUt und verhüllt lässt, dürfte wohl gerade die ge-
genständliche factische Basis des Vorbereitungsunterrichts auf der Stufe
der inneren Wahrnehmungs- Form jenes ,,Nosce te ipsum" seyn , das
seit Plato und Aristoteles die Grundlage alles Philosophierens Und aller
Philosophie ausmachte, und sich von der empirischen bis zur Vernunft-
Form hinauf steigern lässt. Und — eine gegliederte Elementarlehre
des Geistes vom Standpuncte der Erfahrung aus, mit steier Beziehung
auf das Bewusstseyn festgehalten, muss auch wohl ein verschwistern-
des Band mit den übrigen Lehrobjecten so abgeben , dass sie als Glied
der Disjunction ins Coordinations - System hineintritt. I
5) Der Verf. scheut jeden eigentlich philosophischen Inhalt — •
ausser der Form der Erkenntniss selbst — jedes Anfliellen des philo-
sopliischen Gebieths nach einer näheren Abtheilung; aber er zieht in
den Standpunct der Erweiterung die Geschichte herein. Gewiss — wenn
Jahrb. f. Phil.u. Pädag. Jahrg. V Heft 2. J5
226 Abhandlung.
jenes widerstreitend ist , — so ist es auch dieses , — und über diesen
Punct Hesse sich viel sagen: ganz kann er nicht vermieden, aber aucli
noch weniger polemisierend ausgeglichen werden : die Einheit zwischen
dem Endlichen und Ewigen wird durch die Menschheit selbst zu sehr
auseinander gehalten , um je zur Anschauung des unverschleicrten Ant-
litzes gelangen zu können : doch muss der Wahrnehmungssinn des ge-
meinschaftlichen und einstimmigen Strehens und die selbstständig- un-
selbstständige Natur der Philosophie selbst für den Gedanken entschä-
digen, dass die Wahrheit immer wieder statt der Juno — zur Wolke
■Werde, Dass aber die Geschichte in einer schon erweiterten Masse em-
pirischer Kenntnisse von selbst liege, und als Bedingung der ersten
Vorbereitung entgegen komme, dürfte nur von einem geringen Schat-
tenrisse derselben sich verstehen lassen , und nur auf die Meinungen
der alten philosophischen Schriftsteller zu beziehen seyn ; die aber zu
einer Uebersicht zu vermischt und compliziert vorkommen. So muss
daher die Idee des Verf.s , ohne durch einen Inhalt eigentlich abge-
schlossen zu seyn, mehr als blosse Einladung zur Philosophie wie als
wirkliche Lelire erscheinen ; — in der einen Hinsicht zwar bestimmt,
den Trieb zu wecken; — jedoch — - ohne ihn in der anderen in einer
bestimmteren Sphäre zu befriedigen. Denn in der Unterlage als Be-
schränkung bleibt der Schüler auf der Stufe, wo er ist; und im Ueber-
gange zur Erweiterung erhebt sich wieder die philosophische Erkennt-
niss nur als reines Abstraktura der Nothwendigkeit des Wissens : das
Höchste soll als Form aus dem Niederen entstehen; aber worüber? —
Ueber eben dasselbe Niedere? — vermischt? — oder gesondert? —
Man muss
6} sehr bezweifeln, ob während der Construction solch eines nur
auf sich selbst beruhenden Begriffes von Philosophie die Reflexions-
kraft des Schülers damit gleichen Schritt halten wird ; — oder — ob
sie ihn überhaupt nur halten kann: denn — solch ein Abstraktum kann
sich eigentlich erst am Ende nach durchschrittener Laufbahn der Phi-
losophie aus ihr selbst absetzen ; — und in dieser Hinsicht würde die
Vorbereitungs-Idee des Verf.s über die Subjectivität des Schülers hin-
ausgehen — statt — sie zu gewinnen ! —
Der Verf. sucht seine Vorbereitungs-Idee polemisierend gegen je-
den Inhalt zu behaupten , den man etwa in der philosophischen Ter-
minologie, oder in der elementarischen Form der ganzen Philosophie,
oder in der Psychologie und Logik insbesondere, und also innerhalb
der Philosophie selbst — für Vorbereitung auf dieselbe innerhalb des
Gymnasiums halten und anerkennen Wollte. Widersprüche von allen
Seiten sollen diesen Inhalt verwerflich machen, die der Verf. seinerseits
rermieden haben will. Eine Polferaik läsSt oft noch einer Hyper- Po-
lemik einigen Spielraum zur Betrachtung: Ob man nicht vielleicht au»
seinem vermeintlichen Rechte das Unrecht Anderer allzu bereitwillig
deduciert habe? — oder — ob auch selbst bei dem Unrechte Anderer
dennoch unser eignes vermeintliches Recht nicht noch etwas schwan-
kend und unsicher sey? — Die Terminologie mmss sich «war abferti-
Ueber den Unterricht in der Philosophie auf Gymnas. 227
gen lassen; aber PhiIosoI»hie sowohl als Nicht -Philosophie wird sie
doch nicht ganz cntbelircn können (besonders wenn man die Kraft des
„Wortes" auf der Schule betrachtet): die Fdcmentarform einer Total-
Philosophie möchte wohl weniger aus dem Gegcngrunde des Verf.s
(weil nehnilich dabei „Zusammenhang und Nothwendigkeit" aufgege-
ben werden müssen) als wegen Schwierigkeiten anderer Art zu missbil-
ligen seyn ; denn es dürfte fraglich scyn: Wessen System der Total-
Fhllosophie (beim Mangel genauerer Vorschrift, so wie eines Systems
der Systeme?) eigentlich auf der Schule in Duodez- oder Sedezformat
repräsentirt Averden solle? da doch immer die Elementarform eines
Systems das System selbst voraussetzt , und — wir dabei die Wahl
doch wenigstens irgend eines der neueren oder neuesten Zeit hätten
oder voraussetzen müssen, um im Zusammenhange mit der philosophi-
schen Fakultät nicht gegen die Vorbereitung im Uebergange zu Ver-
stössen. — Wollen wir mit dem gehörnten Schlüsse des Verf.s gegen
Psychologie und Logik zu Felde ziehen, so haben sich weder diese,
noch irgend eine andere ^ orbereitungs -Idee (die des Verf.s ausgenom-
men) einer Kompetenz (nnd vielleicht die ganze Philosophie keiner Ba-
sis mehr) zu erfreuen. Der Verf. schliesst (S. 25) : Psychologie und
Logik sind untauglich zur Vorbereitung; denn entweder widersprechen
sie der Natur der Sache, oder dem Grenzpuncte des Gymnasiums: je-
nes — M'enn man sie theils für bloss empirisch u. propädeutisch hält —
denn — wie können sie dann zur Philosophie führen ? da sie Nicht-
Philosophie sind — dies — wenn sie die Basis aller Philosophie — —
oder wirkliche Theile der Philosophie sind; — denn dann sind sie
transscendent für die Schule und gehören der Akademie an. Keine In-
terpretation scheint aber hier den Verf. vor einem Widerspruche gegen
eich selbst in seiner Vorbereitungs- Idee zu retten: denn dieser ist ja
zur Hauptbasis vorgeschrieben, aus dem niederen, empirischen Erken-
nen, und also aus Nicht -Philosophie die Anschauung der Philosophie
oder des höheren Erkennens hervorzurufen. Und — der Idee des Verf.s
in ihrer Erweiterung müste ja ebenfalls der Eingang ins Gymnasium
verschlossen werden , — wodurch dann in so weit von der Psychologie
und Logik der Vorbereitungs- Idee des Verf.s der Krokodyllen- Schluss
zurückgegeben werden könnte. Aber freilich hätten sich dadurch we-
der Pbycholo^ie noch Loßik gegen den Verf. geltend gemacht, sondern
sich — ihr Recht und ihre Anwarthschaft nur — vorbehalten, in so
weit sie ihnen von dem Verf. nicht wären abgeschnitten worden , ohne
seine eigene Idee verläugnen ku müssen. Ein Näherrecht oder Vor-
recht beider Disciplinen zur Vorbereitung setzt anderweitige Prämissen
theils in ihrem Verhältnisse zur Philosophie selbst^ theils zur Einstim-
mung mit dem Gymnasial -Untei'richte voraus. Wir dürfen annehmen,
dass , wenn die Philosophie als ein in sich zurückgehender Kreis ge-
dacht werden kann, die Erkenntniss selbst zur Erkenntniss zu bringen,
Psychologie und Logik es nicht verschmähen, die homogenen data da-
zu in einer Analytik des Bcwusstseyns aufzuweisen, um in das stren--
-gere philosophische hinüber zu gelangen. Zwar ist nicht zu läugnen^
15*
228 Abhandlung.
dass Tieide Zweite des Wissens ihren alten — ■ und neuen Stil haben;
aber eutscblal'en können sie nie , weil sie der Geist in sich selbst träj>t
und sie mit ihm unvergänglich sind , — — und in die Fugen der inneren
Anscliaiiung so wie der Reflexion werden sie zur Vorbereitung des zu
erregenden und erweckenden Selbstbewusstseyns noch am sichersten u.
zuverlässigsten hinein passen : der wissenschaftliche Unterricht wird ih-
rer nie entbehren können; — (und man lässt sie gewöhnlich — zur
Vorderthür hinausgewiesen — zur Hinterthür wieder herein ) und —
selbst auf der Stufe der Wahrnehmung zeigen sie als philosophische
Aggregate eine nähere Verwandtschaft mit dem System der Wissen-
schaft und weniger unpassende Seiten , als anderweite Materialien zu-
fälliger oder heterogener Natur. Elementarisch verwebt und durch
einander bestimmt dürften sie (ohne gerade Lücken -Büsser zu seyn)
dennocli die Lücken manches nöthigen beizuordnenden Verständnis-
ses innerhalb sowohl als ausserhalb des Gymnasiums in einem Mit-
telpunctc aufhellen , den man eben nicht bloss für einen krankhaf-
ten Auswuchs philosophischer Ausbildung — wenn auch nicht für den
Gipfel der ganzen Bildung — anzusehen hätte ! — •
Die infallible Meinung des Verf.s in Begründung und Auflösung
des Problems war zu — bezweifeln ; — nicht das Verdienst des regen
Eifers und des Interesse' an Einstimmung gegen noch immer vorherr-
schende einseitige und engherzige Ansichten einer Gyranasialbildung,
tlie neben dem alten Humanismus keinen neuen anerkennen mag ! — •
Gleichwohl ist noch mancher Zweifel vorhanden, — der das Problem
drückt; — und theils in der Natur des Object's selbst liegt, das sich
nicht -^ gleich anderen umgrenzen — noch weniger in einer absoluten
Allform — aneignen lässt, — theils im Standpuncte, von dem aus es
In relativer Beziehung innerhalb des Gymnasiums dem Schüler erschei-
nen muss : spricht es hier nicht als gleich - und ebenmässig bedingt in
der Gegenwart an zum Ertrag oder Erfolg für die Gegenwart, so wird
sich gewiss die Mehrzahl der Schüler trotz der sublimsten Versicherun-
gen und Andeutungen in Hinsicht auf Philosophie gar leicht mit einem
„in posterum" zu trösten wiesen , das der Gleichgültigkeit wenigstens
für den Augenblick zum Vorwande dient, — wo stärker authorisierte
Objecte in das Triebwerk eingreifen! — Ist einem Lehr-Objecte das
Interesse grossentheils auf sich selbst angewiesen, — so ist ein un-
interessiertes Wohlgefallen nur in seltenen Fällen zugleich — auch ein
gewichtiges Interesse , Lehrer und Lernenden das schneidende Gefühl
zu ersparen: „hodie diem perdidi!" —
Heiligenstadt in Eichsfelde.
Dr. und Prof. Bernard Turin.
T u d e 6 f ä 1 I «. 229
Todesfälle.
aßen 25 März 1829 starb zu Siena iler I>r. Antonio Montuccl, als Italie-
nischer Sprachlehrer und Kenner der Chinesischen Sprache und Schrift
bekannt.
Den 8 Mai zu Mailand der Präfcct der Amhrnsianisclien Bibliothek
Pietro Mazzuchelll, geboren ebend. am 22 Juli 1762, durch viele Schrif-
ten , besonders durdi die Ausgabe der Johanneis des Flav. Cresconius
Corippus bekannt. Vgl. Blatt, f. liter. IJnterh. 1829 Nr. 300 S. 1199.
Den 28 Juni zu Cttrliarh der dasige erste Pfarrer und Kirchen-
und Schulrath Jo/irtnii Jdolph Theodor T arnhagen , geh. zu Corbach am
9 Juli 1753, besonders als Geschichtsforscher, zumal in der Geschichte
des Waldeckischen Landes, bekannt. Vgl. Jen. Lit. Zeit. 1829 Intel. Bl.
56. Hall. Lit. Zeit. Int. Bl. 105 S. 851.
Den 10 Septbr. zu Detmold der Fürstl. Lippische Archivrath Chrn.
Gottl. Clostermeter , geboren zu Regensburg am 17 Juni 1752, bekannt
durch seine Untersuchungen über die Gegend der Ilermannschlacht, über
den Eggesterstein etc.
Den 16 Octbr. zu Frankfurt a. M. der Schöff und Senator Johann
Karl von Fichard, genannt Batir von Eyscneck , geb. den 16 April 1773,
als Historiker, besonders in der Geschichte Frankfurts, sehr achtcns-
werth. Vgl. Hall. Lit. Zeit. 1829 Itit. BL 105.
Den 22 Octbr. zu Bamberg der pejisionierte Kreisschulrath Rtelf
geb. zu Würzburg 1774.
Den 23 Novbr. zu Halle an gänzlicher Entkräftung der Prof. der
Rechte, Dr. Joh. Christian Salchoio, geb. za Güstrow 1782.
Den 23 Novbr. zu Prcnzlau an einem wiederhohltea Schlagflusse
der Lehrer am Gymnasium, Auditor Arndt.
Den 25 Novbr. zu Padua der berühmte Naturforscher, Professor
Giuseppe Mansili, Spallanzani's Nachfolger, geb. am 7 März 1767.
Den 3 Decbr. zu Basel der Professor der Mathematik und Biblio-
thekar Dr. D. Huber.
Den 5 Decbr. zu Greifswald der Professor Dr. Rosenthal.
! Den 10 Decbr. zu Darmstadt der Grossherz. Hessische Professor u.
Director emerit. des Gymnasiums in Darmstadt , Dr. JoA. Georg Zim-
mermann, Ritter des Hessischen Civilverdienst- Ordens, 75 Jahr alt.
Vgl. Darmst. Schulzeit. 1829, H Nr. 154 S. 1265 fl.
Den 15 Decbj-. zu Pforta der emeritierte geistliche Inspector M.
John, im 74 Jahre.
Den 21 Decbr. zu Halle der Director der Frankeschen Stiftungen
und Professor der Philologie bei der Universität Johann August Jacobs,
41 Jahr alt.
Den 4 Jan. 1830 zu Berlin der Prof. Dr. Paul am Gymnasium zum
grauen Kloster, 34 J. alt.
230 Schul- und Universitätsnacliricht eu.
Den 13 Jan. starb zu Mannheim der Pfalzbaierische Hofrath und
Hofbibliothekar K. Th. von Traittcur, Mitglied der Kön. Baier. Akade-
mie der Wissenschaften , im 75 Jahre.
Den 20 Jan. zu Freiburg im Breisgau der emeritierte Professor der
Chemie Dr. Ignaz Menzinger, Grossherz. Badischer Hofrath und Ritter
des Zähringer Löwen- Ordens, im 82 Jahre.
Vor kurzem starb der liector Dr. Lünemann am Gymn. in Gottingen.
Schul- und Universitätsnachrichten, Beförderungen und
Elirenbezeigungen.
xliscHERsLEBEiv. Der Schulamtscandidat Dr. Joh. Lehmstcdt ist als drit-
ter CoUaborator am Gymnasium angestellt worden.
Berliv. Der Superintendent Marot ist zum Consistorialrathe und
Mitgliede des hiesigen Consistoriunis ernannt; der Prof. Dr. Böclch hat
das Prädicat eines geh. Regierungsrathes , der Oberlehrer Dr. Lange
am Frledrichwerderschen Gymnas. das Prädicat „Professor" erhalten.
Am Cölnischen Realgymnas. ist der Schulamtscand. Selkmann als Leh-
rer, an der städtischen Gewerbschule der Schulamtscand, Carl ffacher-
nagel als 5r Lehrer angestellt worden. Für die Kön. Sammlung von
Gypsabgüssen sind Abgüsse von den Gruppen des Castor u. PoUux und
des Fauno del cabrito in Madrid angekauft worden. Aus der von der
WittM'e des verstorbenen Hofraths und Professors Bach in Breslau für
eine jährliche Leibrente von 800 Thlrn. angekauften Gemäldesammlung
eind die beiden vorzüglichsten Gemälde, aus Raphaels Schule, dem
hiesigen Kön. Museum überwiesen , die übrigen an die Schlesische va-
terländische Gesellschaft in Breslau abgegeben worden.
Breslau. Die Univers, zählte am Schlüsse des Jahres 1829 1147
Studierende, ausser 107 Zöglingen der medicinisch- chirurgischen An-
stalt. Von den ersteren waren 276 evangelische und 265 kathol. Theo-
logen, 365 Juristen, 104 Mediciner, 5 Kameralisten und 132 Philolo-
gen und Philosophen. Der Privatdocent Dr. Bergmann ist zum ausser-
ordentl. Professor in der philos. Facultät ernannt worden.
Büdingen. Des Grossherzogs K. H. haben geruht , den bisheri-
gen ersten Lehrer am hies. Landesgymnasium , Dr. Georg Thudichutn,
mit einer jährl. Gehaltszulage von 140 Fl., zum Director zu ernennen,
dem Bibliothekar Dr. Ernst Schaumann eine jährl. Zulage von 100 FL,
dem Dr. G. F. Drescher von 150 FI., dem Dr. C. F. Rettig von 100 Fl.,
dem Lehrer der Französ. Sprache J. Gambs von 100 Fl. zu ertheilen,
und den Conrector am hies. Gymnasium, L. Weitzel, mit Beibehaltung
Beines vollen Gehaltes u. unter Bezeigung der allerhöchsten Zufrieden-
heit mit seinem mehr als 50jährigen Wirken, in den Ruhestand zu ver-
setzen. Die dessfallgigen höchsten Decrete wurden unter dem 17 Dec.
1829 vollzogen.
Bcfürdci'ungcn und Ebrenbezcig;uiigeu. 231
CÜLK. Das Jesuiter - G^ninusium soll nach einer hölicrit Verfü-
gung künftig iluä katholische, dus Karmeliter- Gymnasium das cvuiige-
Usche heisren.
i Elbeufeid. Am Gymnasium Ist die jährliche Besoldung des Di-
rectory Seclbach auf 1300, die de» Oberlehrers Dr. Ilantschkc (mit Aus-
schluss seiner freien Wohnung) auf 800, die des Lehrers Simon auf
700, die des Lehrers Cramer [s. jedoch Strai.sukd. ] auf 700 und die
des Lehrers Langinsicpcn auf 000 Thlr. für die Zukunft bestimmt wor-
den. Zum Uirector der neugegründeten höhern Bürgerschule [Jbb.
XI, 358.], welche zu Ostern dieses Jahres erölTnet werden soll, ist
der Professor Egen vom Gymn. in Soest mit einem Jahrgehalte von
1200 Tklrn. und freier Wohnung erwählt worden. Für die übrigen
Lehrstellen sind vorläufig der bisher. Lehrer am Gymnasium Dr. Förstc-
mann mit einer Besoldung von 700 Thlrn. , der Schulamtscandidat Heu-
ser mit 750 Thlrn., und die Hülfslehrer Kribben und Sarpcs mit je 300
Thlrn. Gehalt designiert. Noch wird ein Lehrer für den Unterricht
in den neuern Sprachen gesucht. Die Insjjection der sämmtlichen Ele-
mentarschulen in der Stadt ist dem Dr. JVilberg gegen eine jährliche
Besoldung von 1000 Thlrn. und eine persönliche Zulage von 800 Thlrn.
unter der Bedingung übertragen, dass er die von ihm bisher geführte
Privat- Lehranstalt auflöse.
Erfurt. Der Zeichenlehrer Eduard Dietrich vom Gymnasium in
Wittenberg ist in gleicher Eigenschaft an das hiesige Gymnasium ver-
setzt worden. Vgl. Jbb. XI, 118.
Flensburg. Unter dem Ti Decbr. 182!) ist der bisherige Collabo-
rator an der gelehrten Schule in Meldorf, Dr. Heinrich Christian Fried-
rich Prahm zum CoUaborator an der hiesigen gelehrten Schule ernannt
worden.
Fbeybitig im Breisgau. Zu den öffentlichen Ilerbstprüfungen auf
den 3 — -5 Septhr. 1829 schrieb der I'räfect Joseph Nikolaus Schmeisser
die dem Programm vorausgeschickte Abhandlung: De re tutelari Athe-
niensium. Observationes quaedam ex Demoslh. orationibus adversus Apho-
hum et Onetorem haustae. (Freyburg, gedr. bei Friedr. Wagner. 52 S. 8,
mit den in Deutscher Sprache beigegebenen Schulnachrichten 71 S.)
Zu der Latein. Abhandlung selbst hat Prof. Dr. Anton Baumstark Anmer-
kungen geschrieben, die unter dem Texte abgedruckt sind. Der Lehr-
plan des Gymnasiums (S. Jbb. VI, 250 f.) bleibt sich im Ganzen fort-
während gleich, d. h. er verfolgt der Sache und Stundenzahl der Un-
terrichtsgegenstände nach hauptsächlich die rein philologische Richtung,
die alles für Nebensache anzusehen scheint , was mit dem Lateinischen
und Gi-iechischen^icht in näherer Beziehung steht. Fragt man nach
dem Grunde dieser auffallenden Verschiedenheit von den übrigen katho-
lischen höheren Lehranstalten des Landes, so liegt er wolil weniger in
der eben nicht seltenen Meinung, als gebe es für die Erreichung desGy-
mnasialzweckd ausser dem Griechischen und Lateinischen kein Heil und
keinen Segen, sondern er liegt vielmehr in der Ueberzeugung, dass
bei einem ausgebreitetem Lehrkreis die nöthige humanistische Grund-
232 Schal- und Univ er sltä tsnachrichten^
bildnng innerhalb der Normalzeit von 6 Jahren für den Aufenthalt an
dem Gymnasium, von den ersten Elementen der classischen Sprachen
angefangen, nicht erreicht werden Itönne, und dass andererseits die
Abiturienten in dem philosophischen Curse der Universität, der nach
bestehenden gesetzlichen Vorschriften vor dem Beginn eines bestimm-
ten Fach- oder Brodstudiums ^absolviert seyn muss, noch Zeit und Ge-
legenheit genug hätten zur Erlangung von sogenannten Bealkenntnis-
sen. Es ist also nur Schein , wenn man glauben wollte , das Gyrana-
eium beabsichtige in seiner gelehrten Grundbildung eine sogenannte
Autokratie des class. Alterthums über die neue Zeit, und misskenne
das Verhältniss der neueren Cultur und Wissenschaft zum Alterthume
Roms u. Griechenlands. Von der Verlängerung der Studienjahre hängt
es mithin allein ab, ob sich die Anstalt den Forderungen der Zeit be-
freundeter zeigen und somit manchen Anfeindungen ausweichen könne,
ohne in einen verderblichen Eklekticismus ZAvischen Humanismus und
Realismus zu verfallen. Die bedeutende Frequenz selbst scheint einem
Verlängerungsvorschlag nicht ungünstig zu seyn. Es waren am Schlüsse
des Schuljahres bei den Prüfungen in der I oder untersten Ciasse 48, in
II 38, in III 33, in IV auch 33, in V 2fi und in VI 22, zusammen 200
Schüler vorhanden, worunter 84 geborne Freyburger, nämlich I 27,
II 23, III 16, IV 12, V 11 und VI 5. Im Studienjahr 18|f zählte das
Gymnasium bei den Herbstprüfungen seine höchste Frequenz mit 240
Schülern, 18^ J hingegen 207 Schüler und 4 sogenannte Gäste. Die
neue Einführung des Schulgeldes hat mithin auch in Freyburg nur un-
beträchtlichen Einfluss auf die Besuchszahl , um so mehr aber auf die
Besoldung des Lehrerpersonales, die gleich jener in Konstanz so er-
höht wurde, dass der Gymnasialpräf. Schmeisser zu seinen 1000 Gulden
noch 100 Gulden Zulage erhielt , der Prof. Schilling zu 596 Gldn. noch
250 Gulden , Prof. Weissgerher zu seinen 500 Gldn. ebenfalls 250 Gul-
den und die ProfF. Dr. Baumstark , Dr. Brügger , Ilaberer und Bilharz
zu ihren 500 Gldn. je 150 Gulden jährlich beziehen. An den übrigen
kathol. höheren Lehranstalten des Landes verlautet von einer Besol-
dungserhöhung aus der jährlichen Einnahme des Didaktrums bis jetzt
noch gar nichts. Durch die Beförderung des Prof. Bilharz in die III
des Lyceums zu Konstanz (S. Jbb. XI, 256) ist die erledigte unterste
Schule des Gymnasiums in den Herbstferien 1829 dem weltlichen Lehr-
amtscandidaten Ferdinand von Lamezan, gebürtig aus Mannheim, und
seit mehrern Jahren Hofmeister in Offenburg, mit der ungeschmäler-
ten Besoldung von 650 Gulden und mit dem Titel eines Professors pro-
visorisch übertragen worden. Er steht also für den Anfang besser als
die im verflossenen Schuljahre zu Gyranasiallehrstellen verwendeten
Kapläne. S. Jbb, X, 244, 248 u. 251. Dem Classenordinarius JFeiss-
gerber wurden auch die Französ. Lehrstunden abgenommen und dem
Universitätslector Jacquot nebst den Anftingsgründen der Naturgeschichte
in V und VI übertragen. — Sr. Königl. Hoheit der Grossherzog ha-
ben die beiden ausserordcntl. Proff. an der Universität, Dr. von Reich-
lin- Meldegg und Dr. f Fetzer, bei Veranlassung ihrer Vocation an die
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 233
neu zu errichtende katholisch theologische Facultät auf der Universität
GiESSKN, zu ordentlichen Professoren huldreichst zu ernennen geruht,
mit Belassung hei ihrer Facultät. S. Jbb. VI, 251 und X, 120.
GIESSEN. Die Universität zählt im jetzigen Winter 504 Studenten,
nämlich 98 Theologen, l!)ß Juristen, 98 Medianer, 47 Kameralisten,
41 Beflissene der Forstwissenschaften , 24 Philosophen u. Philologen,
welche bei 29 Professoren und 17 Privatdocenten Vorlesungen hören.
Jena. Die Universität zählte im Sommer 1829 619 Studenten,
von denen 272 Theologie , 205 die Rechte , 75 Medicin , 67 Philoso-
phie etc. studierten. Am 1 Aug. übernahm der geh. Hofr. Dr. Luden
das Prorectorat und trat es mit der Rede an : lieber die Wichtigkeit der
Universitätsjahre und über die Bestimmung des akademischen Lebens der
Studierenden. Zu gleicher Zeit erhielt die Universität neue, gedruckte
Statuten und einen neuen Curator in der Person des Oberappeliations-
gerichts- Präsidenten von Ziegesar, nachdem der Landesdirections-Prä-
eident von Motz von diesem Amte, nach fast lOjähriger Verwaltung des-
selben , abgetreten war. Vom geh. Hofr. Dr. Eichstiidt erschien zur
Ankündigung des Sommerprorectorats als Programm: Lud. Casp. Val~
ckenarii schola de Diis Graecorum (Jena b. Bran. 15 S. 4.) , zur Ankün-
digung des Winterprorectorats : David. Rithnkenii in Anliquitt. Romanas
lectionum academicarum XVI tnififTQOv (Jena b. Bran. 11 S. 4.) , wel-
ches de tempore apud Romanos handelt. Das Prooemium zur Ankündi-
gung der Somraervorlesungen enthält ein von Richard Porson in Latei-
nischen Distichen verfasstes Räthsel ; das zur Ankündigung der Winter-
vorlesungen vertheidigt das Studium des classischen Alterthums als all-
gemeines Bildungsmittel der Jugend gegen einige neuere Theologen,
■welche behaupteten , die Alten hätten es mit aller ihrer Moral nicht
weiter gebracht , als aus starken Bösewichtern massige und erträgliche
zu werden. Vgl. Jen. Lit. Zeit. 1829 Intel. Bl. 59.
Konstanz. Der geistliche Lehrer, Prof. u. Bibliothekar Lender,
welcher seit WiehVs Abgang auf die Stadtpfarrei Villingen provisori-
scher Vorstand des Lycenms war, ist dcflnitiv als Lycealpräfect ernannt
worden. S. Jbb. IX, 476. Der neue Lycealpräfect bezieht wie sein Vor-
gänger eine jährliche Besoldung von 1000 Gulden nebst freier Wohnung
im Lyceumsgebäude. Die Besoldung des für Physik und Mathematik
neuangestellten Prof. Joseph Lachmann ist bereits schon um 150 Gulden
erhöht worden. S. Jbb. XI, 256. Der Gehalt der übrigen Professoren,
welcher in der Regel 500 Gulden betragen hat, ist aus dem jährlichen
Zuwachs, welchen derLyceumsfond durch das neueingeführtcDidaktrum
erhält, der öffentlich ausgesprochenen Bestimmung eben dieser Ein-
nahme gemäss (S. Jbb. IX, 124.) im verflossenen Jahre um 150 Gul-
den, und der Gehalt des Prof. ßinz, welcher nach Äiffsers Tod nebst der
theoretischen auch practische Philosophie lehrt (S. Jbb. VII, 123 f.),
von 845 Gulden auf 935 jährlich erhöht worden. Mit dem Ende des
Schuljahres 18|^ hat das Lyceum auch einen Lehrer des Zeichnens u.
der Musik, wovon ersteres früher nur aushülfsweise und letztere gar
nicht gelehrt vürde, in llvn. Schmalholz , gebürtig aus Bonndorf, er-
231 Schul- und Unlversltätsnachrichten,
kalten , welcher zu einem Gehalt von 200 Gulden noch zwei Drittheile
des für die Maitrcs fallenden Didaktruinä Lezielit.
LiEGMTZ. Am Gymnasium ist der Schulamtscandidat Franz IIvo-
maika als 6r Lelirer aiigejiellt worden.
Magdeet-rg. Die durch den Abgang des Dr. Richter erledigte Col-
laboratorstelle am üomgyronas. ist dem Schulamtscandidaten Carl Ditt-
furth übertragen worden.
MiNDEX. Der Superintendent Romberg zu Petershagen ist zum
Consistorialrathe bei der hiesigen Regierung ernannt worden.
München. Die Universität zählt jetzt im Winter 1Ö-|# 1854 Stu-
denten, wovon 1662 Inländer und 192 Ausländer sind.
]Veisse. Der Kapellan Roller ist als Religionslehrer beim Gyron.
angestellt worden.
Keüruppin. Den Oberlehrern Krüger und Dr. Starke am Gymnas.
ist das Prädicat „Professor" beigelegt.
Rastatt. Nachdem der Mathematikus, Prof. Salomon Jos. Mayer,
bereits viermal nach einander, d. i. im vierten Jahre die Verbindlichkeit,
das Programm zu schreiben, welches sämmtlichen Lehrern , und nicht
dem Director allein, nach einer seit 1818 an dem Lyceura und eben nicht
gerade auch anderwärts herkömmlichen Ordnung der Anciennetät ab-
wechselnd obliegt, von sich ablehnte, so hat Prof. Franz Carl Gries-
Jiaber zu den öiTentlichen Prüfungen auf den 16 — 22 Septbr. im Schul-
jahr 18|| durch eine Abhandlung -über den rhetorischen Unterricht auf
Gelehrtenschulen (Rastatt gedruckt bei Job. Peter Birks, 26 S., mit den
Schulnachrichten 45 S. 4. Heidelberg in Commission bei Chr. Fr. AVin-
ter. 6 Gr.) eingeladen. Der Lehrplan der Anstalt blieb auch dieses Stu-
dienjahr im Ganzen unverändert, und die Frequenz des Lyceuras hat
nur um zwei abgenommen, indem zur Prüfungszeit in I (Principisten-
gchule) 20, in II (Infima) 24, in III (Grammatik) 17, in IV (Syntax)
24, in V (Poetik) 18, in VI (Rhetorik) 12, in VII (Logik) 22 und in
Vlil (Physik) 13, zusammen 150 wirkliche Schüler, darunter 44 Ra-
etatter, vorhanden waren; hingegen zählte das dem Lyceum beigege-
bene kathol. Schulpräparandeninstitut 112 Scliüler, also 14 mehr als
im nächstvorhergehenden Schuljahr, und seine Frequenz, die im Spät-
jahr 1809, d. i. im ersten Jahr seiner Versetzung von Baden nach Ra-
statt, in der ersten Abtheilung 14 und in der zweiten 6, zusammen 20
betragen hat, ist fortwährend im Steigen. (S. Jbb. IX, 127 u. VII, 236.)
In dem ebengenannten Studienjahr 1809 begann die Frequenz des Ly-
ceums mit 68 Schülern , und hatte sich allmählig bis zum Schuljahr
18||-, wo bei den Prüfungen im Herbste 224 Lyceisten vorhanden wa-
ren, mehr als verdreifacht. Seit diesem Jahre hat die Anzahl des Be-
suchs auf folgende Weise abgenommen: 18|^ zählte das Lyceum 194
Schüler, 18g|. 187, 185« 178 und 18f| 152. Die Abnahme der Fre-
quenz rührt mithin in Rastatt nicht von der neuen Einführung des Schul-
geldes her, die erst mit dem Schuljahr 18|,^- ins Leben trat; sie kann
auch nicht der früheren öffentlich erschienenen Abwehrung vom Stu-
dium der Rechtswissenschaft zugeschrieben wurden , da von den jähr-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 235
liehen ALiturientcn im Durchschnitt sich nicht mehr als 2 zur Jurispru-
denz zu wenden pflegen; sie liegt eben so wenig darin, dass seit eini-
gen Jahren von den Gymnasien zu Heidelberg, Bruchsal u. Offenburg,
und von dem Lyceum zu Mannheim sehr wenige Schüler in die phiio-
soph. Vorbercitungsclasse des Lyceums eintreten, weil diese auch in
früherer Anzahl den jährlichen Ausfall in der Schülerzahl bei weitem
nicht ausgefüllt hätten ; man darf sie endlich auch nicht darin suchen,
als seyen die Befähigungsforderungen seither gesteigert Avordcn : son-
dern sie ist eine Erscheinung , die seit einigen Jahren an allen höheren
Lehranstalten Badens bemerkbar ist und eine Hauptursache haben muss,
welche durch das ganze Land dieselbe Würkung hervorzubringen ver-
mag. Neben der UeberfüUung aller Lebensrichtungen des Studierten
dürften insbesondere die goldarraen Zeiten des Bürger- und Bauern-
standes wohl den meisten Einfluss dadurch ausüben, dass sich der Va-
ter ausser Stand glaubt, den nüthigen Kostenaufwand für die lange
Dauer der Studienzeit aufzubringen. Das wäre dann eine um so be-
trübtere "Wahrheit, als mancher vortrefTliche Kopf für die gelehrte Bil-
dung nothwendig verloren gehen müsste und das Mittelgut immer freie-
ren Boden zu seinem Fortkommen erhielte. Merkwürdig bleibt es da-
bei immerhin , dass der Anfang der Besuchsabnahme an dem Lyceura
gerade in das Jahr fällt, in welchem der geistliche und Ministerialrath
Dr. Philipp Joseph Brunner, Avelcher durch 17 Jahre landesherrlicher
Prüfungscommissär an beiden Anstalten und ihr Referent bei der katho-
lischen Kirchen- Section mit väterlicher Theilnahme gewesen ist, we-
gen anhaltender Kränklichkeit nicht mehr zu den Prüfungen kommen
konnte und bald darauf in Ruhestand versetzt wurde. Beide Anstalten,
welche der Verwendung dieses um das kathol. Schulwesen Badens hoch-
verdienten Geistlichen bei ihrer Verlegung nach Rastatt noch insbeson-
dere die Gründung von 20 Freitischen für Schulpräparanden und von 8
der Lehrerconferenz, unter Vorbehalt höherer Bestätigung, zur Ver-
gebung überlassenen Stipendien für Lyceisten , d. i. 4 zu 40 und 4 zu
50 Gulden, welche der Lyceurasfond alljährlich bezahlt, zu verdanken
haben, nahmen an seinen langen Leiden den innigsten und ungetheilte-
ßten Antheil, und als endlich sein Hintritt am 2 Novbr. 1829 (er war
geboren zu Philippsburg den 7 Mai 1759.) durch die Zeitung in einfa-
cher Anzeige bekannt wurde, so begiengen am 11 desselben Monats
das Lyceum und das Präparandeninstitnt in der Lyceumskirche die To-
denfeier mit einer Rede , worin der Director, Geistl. Rath Loreye , die
Verdienste des Entschlafenen um das Schulwesen überhaupt und um die
Rastatter Schulen insbesondere darstellte, und mit einem darauf fol-
genden feierlichen Seelenamte. Solch öfl^entliches Merkmal aufrichti-
ger und kindlicher Dankbarkeit war den Lehrern um so mehr Herzens-
bedürfniss , als sie bei den manchfaltigen Beweisen von seiner Huma-
nität und Geistesüberlegenheit, von seinem Schutz und von seiner För-
derung ihrer besseren Existenz sowie von seinem Eifer für alles Wahre,
Gute und Schöne gar wohl wissen, dass beide Aiistalten hauptsächlich
durch seine Oberleitung, welche die Leitung des liebenden, väterlichen
236 .Schul- und Unlversitätsnachrichten,
uml einsichtsvollen Freundes war, sich zu der öffentlichen Geltung;^ er-
hüben, deren sie sich neben ihren Schwesteranütalten bisher zu erfreuen
hatten. In der Beätiiumung und den Bedürfnissen der Gelehrtenschu-
len insbesondere sah er nicht etwa einen althergebrachten Maaasstab der
Brauchbarkeit für bestimmte Fächer, sondern die umfassende Vorbil-
dung für wissenschaftliche Lebensaufgabe; über Bildung und Stellung
des Lehrstandes kannte er kein Standesvorurthcii , sondern suchte den-
selben durch gründliche Fachbildung der Ehre und Belohnung würdig
zu machen, und förderte zuerst und allein das Studium der Philologie
unter weltlichen Lehramtscandidaten; die Gegenstände und die Methode
des Unterrichts sah er als Mittel zur Weckung und Ausbildung der gei-
stigen Kraft des Schülers an , und Zucht und Ordnung in den gelehr-
ten Bildungsanstalten mussten ihm von Humanität geleitet seyn, wenu
eie für Tugend und Wissenschaft erziehen sollten. Diese Grundsätze
seiner Wirksamkeit für die gelehrte Bildung hatten zur Folge, dass
Badens kathol. höhere Lehranstalten ihren früheren mönchischen Zu-
schnitt verloren und nach und nach in den Rang eintraten, welchen die
Protestant. Schwesteranstalten längst vor jenen voraus hatten; und sie
sind auch allein geeignet, den erfreulichen regen Eifer für die gute
Sache der gelehrten Bildung zu erhalten, in welchem bei aller sonsti-
gen Ungleichheit wohl alle Badischen Mittelschulen einander gleich sind,
und zuletzt eine weitere wünschenswerthe Gleichförmigkeit von selbst
herbeizuführen. — Der Mathematikus Sal. Jos. Mayer, welcher die
im Lyceumsgebäude durch Dambachers Anstellung in Carlsruhe freige-
wordene Wohnung erhalten und dafür die 30 Gulden jährlicher Logis-
con^olation Avieder verloren hat, steht jetzt auf eine Besoldung von 108a
Gulden in Competenzanschlag. S. Jbb. IX, 480. Der neu eingetretene
Professor Johann Evangelist Koch, gebürtig aus St. Georgen bei Frey-
hurg im Breisgau, hat zu seiner früheren Besoldung von 600 Gulden
bereits 100 Gulden Zulage erhalten.
Batibor. Für die Besoldung des kathol. Religionslehrers am
Gymnasium ist die Summe von fiOO Thlrn. jährlich bewilligt und auf
den kathol. Hauptschulfond der Provinz Schlesien angewiesen.
SALzwiäDifb. Beim Gymnasium ist der Subconrector Gliemann mit
dem Prädicate Conrector in die zweite , der Oberlehrer JFitte mit dem
Prädicate Subrector in die dritte, der Lehrer Bielefeldt mit dem Prä-
dicate Subconrector in die vierte, der Lehrer Heinzelmann in die sech-
ste Lehrerstelle aufgerückt und der Dr. Winkelmann als siebenter Leh-
rer angestellt worden.
Stralsund. Der Oberlehrer Dr. Johann Cramer vom Gymnasium
in EiBERFELD ist in gleicher Eigenschaft an das hiesige Gymnas. ver-
setzt. Vgl. Jbb. XI, 357,
Tauberbischofsheim. Das Pädagogium, dessen Errichtung mit
Angabe der Lehrerzahl und ihrer Besoldung , der Classen und des Un-
terrichtsstoffes in den Jahrbüchern VI, 261 f. angezeigt ist, hat am
Schlüsse seines ersten Schuljahres 18|| als Einladung zu den öffent-
lichen Prüfungen auf den 15 , 16 u. IT Septbr. ein Programm (Wert-
BÄfßrderungcn und Ehrenbezeigungen. 2S7
hcira , gedruckt beim Ilofbuchilrucker IIoll) licrausgcgeLen , welcliea
freilich nichts als ein Verzeichniss der Lehrgegenstiinde, der FrüCungs-
ordnung und der Schüler enthält, aber doch inimcrliin die Anstalt nä-
her kennen lehrt und den traurigen Beweis liefert, da^^s sie wieder mit
keiner der übrigen Badischen Mittelschulen ganz übereinstimmt. Sie
hat zwar wie einige andere Pädagogien des Landes drei Classen , gibt
aber ihrer ersten , d. i. untersten Classe zwei Abtheilungen und bedarf
niitliin im Ganzen vier Jahre zur V^ollendung der Schule, Sie befolgt
im Grunde das Classenlehrersystem, aber doch so, dass Prof. Weher,
Ordinarius in I , auch Mathematik in II und Griechische Sprache in III
gibt, Prof. Christoph}., Ordin. in II, auch Religion in I nebst Geschichte
und Geographie in I und 111 lehrt, und Prof. Kupferer, Ordin. in III,
den naturwissen^chaftlichen und Religionsunterricht in II u. III ertheilt.
Lehrer Steimer besorgt in allen 3 Classen den Franz. Sprachunterricht
nebst Zeichnung und Kalligraphie. Eine Mischung der Hauptlehrer an
einer Anstalt, die über die grammatikalische Stufe der Gclehrtenschu-
len nicht hinausgeht, bleibt immerhin auffallend, so gewöhnlich auch
solches Mischen sich an den meisten höhern Lehranstalten Badens findet.
Das Allerbeste , ein Turnus der Lehrer durch alle drei Classen ist an
dem Pädagogium schon darum unmöglich , weil gleich bei der Errich-
tung der weltliche Lehrer in die unterste St'hule verbannt wurde. Ne-
ben dem bezeichneten Uebelstand tritt noch ein anderer dadurch hervor,
dass die beiden Abtheilungen der ersten Classe , ungeachtet verschiede-
ner Lehrgegenstände, in sehr vielen und dabei auch in den hauptsäch-
lichsten, d. i. in den Latein. Sprachstunden combiniert werden müssen.
Dagegen gibt es freilich nur zweillauptmittel, entweder den Lehrkreis
weniger auszudehnen oder die Lehrerzahl zu vermehren. Man sollte
glauben, die Lehrer seyen unter solchen Verhältnissen mit Stunden
überhäuft , aber sie sind es eben so wenig als die Schüler , wenn man
bedenkt, dass die unterste Classe mit ihren zwei Abtheilungen im Gan-
zen nur 23 Schulstunden hat , darunter 17 sprachliche und 8 gemein-
schaftliche, d. h. solche Stunden, in welchen beide Abtheilungen den
nämlichen Unterricht erhalten , die zweite Classe 24 Schulstunden mit
16 sprachlichen, und die dritte 22 Schulstunden, darunter ebenfalls 16
sprachliche und 4 mit der zweiten Classe gemeinschaftliche. Zur ge-
sammten Stundenzahl kommen noch 8 für alle drei Classen in freier
Handzeichnung und Kalligraphie, denn der Musikunterricht liegt nicht
in der Errichtung der Anstalt und wird auch im Lectionsverzeichniss
nur nebenbei berührt. Der Lehrstoff selbst begreift in I, 1 u. 2 — III
Religion, Deutsche u. Lateinische Sprache, Arithmetik, Geschichten.
Geographie nebst Zeichnung und Kalligraphie , in I, 2 und in II u. III
Griech. und Französische Sprache, und in II u. III Naturwissenschaft
und Geometrie. In den beiden letzten Gegenständen geht das Päda-
gogium über seine ßegründungsvorschrift, welche nur Arithmetik und
Naturgeschichte verlangt. Die blose Forderung der Arithmetik dürfte
allerdings für ein Pädagogium, welches doch in den Lehrkreis der Gy-
mnasien und Lyceen eingreifen soll , zu einseitig eeyn ; hingegen die
2^ Schul- und Universl tätsnachr icliten,
Naturgesclii eilte als besonderer Lehrg^egenstand , und gar noch, wie e8
in Tauberbiscliofsheiiu geschieht , mit Technologie u. Naturlehre ver-
bunden , bleibt in den untersten Gyinnasialclassen (und mehr umfasst
das Pädagogium nicht^ in seiner Abgesondertbeit ein schädlicher Lehr-
gegenstand, und könnte die Lehrzeit gar wohl den Avöchentl. 2 Deut-
schen Sprachstunden in jeder Schule abtreten und dabei doch noch, be-
sonders bei dem geographischen Unterricht, eine ganz angemessene Be-
rücksichtigung finden. In dem classischen Sprachunterricbt bleibt zwar
die Anstalt innerhalb der beliebten herkömmlichen Grunzen der Gram-
matikalclasscn , d. h. sie sucht das Verstehen u. Sclireiben durch münd-
liche und schriftliche Uebersetzung*übungen unter Anleitung der Gram-
matik zu begründen; allein sie fehlt dabei, dass sie das Griechische,
gleich wie auch das Französische, nach dem Vorgange des Lyceums
zu Rastatt und des Gymnasiums zu Offenburg wenigstens um ein Jahr
zu früh anfängt, und somit auch die Anfänger mit Deutschen, Latei-
nischen, Griechischen u. Französischen Sprachformen auf einmal über-
ladet, dass weiter das aufgeführte Pensum des Latein. Sprachunterrichts
in II u. III für wöchentl. 7 Lchrstunden oflenbar übertrieben erscheint,
nichts von der üntereinandermengung der Autoren und von den dabei
prahlerisch angezeigten Stylübungen zu sagen , welche für Exercitia
widersinnig lauten , wo die Schüler erst in das Verstehen und Schrei-
ben der Sprache eingeführt werden sollen , dass endlich in II und III
ein verschwenderischer Aufwand von Autoren gemacht wird (es werden
neben Bruders Anhang Stücke aus Corn. Nepos, Jul. Caes. de hello
gallico, Sallust. bell. Jugurth,, Plinii Epistolae, Ovid. Tristia u. Cic.
ad Faiiiill. aufgezählt) , wo für beide Schulen so wie für die vorher-
gehende I eine zweckmässige Chrestomathie u. Anthologie , auch noch
durch eine bessere Auswahl, sich eignen würde. Dabei ist die Anlage
des geschichtlichen und geographischen Unterrichts ganz verfehlt. Es
werden einmal Bredow's alte Geschichte nebst dessen Tabellen in I, von
Breyers Geschichtswerk in II und Müllers Handbuch der Geschichte in
III als Lehrbücher aufgeführt , sodann kommt alte Geschichte in I u. 11
neben den Elementen der neueren Geographie vor, und zuletzt wird
in III mittlere und neuere Geschichte in ihren Hauptbegebenheiten ge-
lehrt , ohne dass selbst noch die Geographie vollendet ist. Solchem
historisch - geographischen Unwesen wäre leicht abgeholfen , wenn die
Anstalt im Sinne der Elementarbildung gelehrter Schulen in den ersten
2 oder auch 3 Jahren lediglich nur das ganze Gebiet der neueren Geo-
graphie durchwandern würde, ohne aber dasselbe in trockenes Namen-
register und Localitätenhaschen auf den Charten zu verwandeln, und
dann erst das letzte Jahr mit der Geschichte der Griechen und Römer,
verbunden mit alter Geographie, endigte; allein das Pädagog. scheint
unglücklicher Weise neben den Bedürfnissen der Grundbildung gelehr-
ter Schulen auch jenen der Bürgerschulen entsprechen zu wollen, und
da wundere man sich denn nicht , dass ein überall sichtbares Vielerlei-
lernen die zweckmässige Einrichtung stören musstc. Die Frequenz des
Pädagogiums, die für den Anfang beträchtlich ist, steht jener der Gy-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 239
mnaMen 7u Bruchsal, OfTcnhiirg nnd Donaueschingen im letzten Schul-
jahre ziemlich gleich, und beträgt im Ganzen 63, nämlich 24 in I, 1,
15 in I, 2, 10 in 11 und 14 in III, die 6 unterm Jahr Ausgetretenen
mitgerechnet. Von der Gesammtzahi sind nur 18 aus Tauberbibchofs-
heim gebürtig.
Ti'BiNCKN. Die Universität hat durch ein Statut vom 18 Jan. 1829
eine neue Verfassung erhalten. Anstatt des bisher halbjährlich aus der
Zahl der ordentlichen Professoren vom Senate geM ähltcn Rectors, dem
als Commissarius principis der Kanzler zur Seite stand, ist ein bestän-
diger, vom Könige zu ernennender Kanzler als Vorstand der gesamm-
ten Universität und des akademischen Senats eingeführt, der die Rechte
und Verbindlichkeiten eines Collegial-Directors hat. Dazu ist, mitBei-
hehaltunjr seiner Professur^ der bisherige Kanzler von Autenricth ge-
wählt •n»»rdcn. Sein Stellvertreter ist in Verhinderungsfällen ein Vice-
Kanzler (jetzt der Prof. C. G. Wächter'), der ebenfalls vom Könige aus
den ordentlichen Professoren, nach Vernehmung des akademischen Se-
nates über seine Person, aber nur auf je 3 Jahre ernannt wird. Der
akademische Senat, welcher aus allen wirklichen Professoren besteht,
ist nach wie vor die unter dem Ministerium stehende Collegial-Behörde
für alle die Universität im Aligemeinen betrefl'enden Berathungen, Be-
schlüsse und Berichte. Doch sind für die Detailgeschäfte zwei stehende
Ausschüsse bestellt worden, deren jeder unter dem Vorsitz des Kanz-
lers aus 6 Mitgliedern, je eins aus jeder Facultät, besteht, nämlich:
1) der Verwaltunge- Ausschuss, welcher die ökonomischen Angelegen-
heiten leitet und die Universitätsinstitute, besonders die Bibliothek, das
Zeicheninstitut u. die Reitbahn, und das Stiftungswesen beaufsichtigt;
2) die Disciplinar-Commission, welche die Strafgewalt über Studierende
in schwereren Fällen hat. In derselben hat der Stadt-Director Sitz u.
Stimme; im Verwaltungs- Ausschuss hat der Universitäts-Cassierer, dem
alle Universitäts - Cassen untergeordnet sind, ein berathendes Votum.
Die abgesonderte Verwaltung der Universitätspolizei ist aufgehoben, und
dieselbe mit der städtischen Polizei vereinigt und einem Stadt-Director
untergeben. Eigentliche Verbrechen bleiben den gewöhnlichen Gerich-
ten; alle bürgerliche und aussergerichtliche Jurisdiction der Universität
ist aufgehoben. Auch das wechselnde Decanat in den Facultäten ist
abgeschaft, und in jeder übernimmt für immer der Senior die Geschäfte
desselben. Die etatsmässige Zahl der Lehrer ist auf 30 ordentliche und
6 ausserordentl. Professoren festgesetzt. Der jährliche Etat der Univer-
sität ist auf 80,000 Fl. gestellt, wovon etwa 32,000 Fl. aus dem Uni-
versitätsvermögen fliessen. Davon werden 55,625 Fl. zu Besoldungen,
17,835 Fl. für die Institute, 6540 Fl. als Verwaltungskosten verwendet;
der Ueberschuss bildet einen Reservefond , aus dem die Belohnungen
der Privatdocenten , die ausserordentlichen Besoldungsznlagen und an-
dere ausserordentliche Ausgaben bestritten werden. In diesen Etat sind
nicht eingeschlossen die jetzt auch aus der Staatscasse bestrittenen Ko-
sten der beiden theolog. Seminarien , welche jährlich zMischen 'JO bis
100,000 Fl. betragen. Den Mitgliedern der evangelisch - theologischen
240
Facultät und einigen Mitgliedern der Juristen -FacuUät ist Antheil an
den Staatsdienst -Prüfungen übertragen, und es sind daher diese Prü-
fungen nach Tübingen verlegt worden. Die Bibliothek hat im J. 1829
einen ausserordentlichen Zuwachs von etwa 15,000 Bänden aus ehema-
ligen Klosterbibliotheken erhalten, und zählt jetzt 130 — 140,000 Bde.
Zum Bücherkaufen sind jährlich 4000 Fi. ausgesetzt. Dem sehr be-
deutenden Naturalien-Cabinet schenkte der Prof. Rapp eine bedeutende
Sammlung von, zum Theil sehr seltenen, Seethlnren, welche er im
Sommer 1828 an der Küste Norwegens gesammelt hatte, und der Ban-
quier von Ludwig vom Kap der guten Hoffnung (ein geborner Würtem-
herger) eine Sammlung Africanischer u. Asiatischer Thiere. Die Zahl
der Studenten betrug im Winter 18|Ä 862 (90 Ausländer , 222 prote-
stantische u. 171 kathol. Theologen, 91) Juristen, 136 Mediciner, Chi-
rurgen und Pharmaceuten, 46 Kameraiisten, 188 Philosophen), im
Sommer 876 (106 Ausl , 226 protest. und 182 kathol. Theologen, 97
Jur., 148 Medio, etc., 42 Kameral. und 187 Philos.).
WehiBUBG. Am Gymnasium ist der Professor Dr. Eichhof nach
langjähriger Wirksamkeit auf sein Ansuchen, mit Beibehaltung seines
vollen Gehaltes, in den Ruhestand versetzt worden.
Zur Recension sind versprochen:
Schmilihenners Methodik des Sprachunterrichtes. — Faber's Syn-
glosse, und der Synglosse Rechtfertigung. — Elsendecher : Ueber
das Bürgerrecht des alten Roms. — Hopfensach's Staatsrecht der
Unterthanen der Römer. — Grassmann's Raumlehre. — Molter''s
fassliche Darstellung der Lehre von der Buchstaben - Rechnung. —
Jneichen's Grundlehren der Algebra. — Ritt^nhausen's Anfangsgrün-
de der Elementar -Geometrie. — Diesierweg^s geometrische Aufga-
ben. — HahrCs Lehrbuch der Stereometrie — GriepenkerVs Lehr-
buch der Logik. — Mussmann: De logicae et dialecticae notione
hiätorica, und Grundlinien der Logik und Dialectik.
■ i-tifji\fi\H^
Inhalt
von des ersten Bandes zweitem Hefte.
JVeisse: Darstelinng der Griecbischeo Mythologie. — Vom Conrector
Ileffter in Brandenburg S. 131 — 146
Ciceronis de Divinatione et de Fato libri. Kecognovit el . . . animadvv.
adjec. Moser, — Vom Oberscliulrath und Oirector Gürens in
Schwerin .147 — 161
Ileinisch: Änimadvcrj«ione8 ad locos i^nosdam Qnintiliani difßciliores. ~
Vom Prorector Dr. Pinzger in Ratibor 161 — 111
Thocydidis de hello Peloponnesiaco libri. Beccns. et illust. Göller. —
Vom Dr. Meyer in Zürich. ....... 171 — 183
Leontü canninis Hermesianactei fragmentnm \
emendatum et Lat, verss. expressum a I Vom Oberlehrer Dr. Bach
Riglero et Axtio. l in Breslaa. 183 — 190
Hermann: Hcrmcsianactis elegi. /
August: Zwei Abhandlungen physikalischen nnd mathematischen Inhalts.
— Vom Adjunct Dr. JFex in Pforta 190 — 207
Schuhe: Drei Schulreden.
Rauchenstein : Bemerkungen über den Werth
d«r Alterthumsstadien auf Gymnasien.
\ \om Director Dr. Ro-
Gerlach: Verhältniss des Sprachunterrichts zu>
i tenheyn in Lyck. 207 — 214
den übrigen L«hrgegenständen.
Hanhart: Neunter Bericht über das Gymnasium^
in Basel,
rhesaarns lingaae Graecae ab H. Stepbano constructos. Edid. Hase,
Sinner et Fix. — Vom M. Jahn in Leipzig 214 — 220
LJeber die Ansichten des Herrn Dr. Bohertag in seinem Programm:
Ueber den Unterricht in der Philosophie auf Gymnasien. — Vom
Professor Dr. Turin in Heiligenstadt. 220 — 228
rbdesfalle . . 229 — 230
äojbal- und Universitätsnachrichten , Befürderongen und Ehrenbezeigungen. 230 — 210
JAHRBUCHER
FÜR
PHILOIiOGIE ündPJEDAGOGIK.
Eine kritische Zeitschrift
in Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh. Christ, Jahn.
Fünfter Jahrgang.
Erster Band. Drittes Heft.
Oder der ganzen Folge
Zwölfter Band. Drittes Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 3 0.
Si quid novisti rcctius istis,
Candidiis iinperti; si non, his iitere mecum.
Alte Litteratur.
Ferien Schriften von Karl Zell, Doctor der rhilosophie und
I'rofessor der alten Litteratur au der Universität zu Freiburg. Er-
ste Sammlung. Freiburg ini Breisgau. Dru(;k und Verlag von
Fried. Wagner. 182G. 20ß S. 8. Zweite Sammlung (aucli unter
dem Titel: D ar st ellnii ge?i aus dem Leben tind der
Litteratur der Römer). Ebendaselbst 1829. 224 S. 8.
Aras Alterthura zu einem Gegenstand einer lebendigen An-
schauung zu machen, Sprache, Verfassung, Sitten, Gebräuche
desselben in den rein menschlichen Gesichtspunct zu stellen,
die Erscheinungen der alten Zeit nicht bloss in ihrem Verhält-
nisse zur Reflexion, sondern auch in ihrer Wirkung aufGerühl
und Geraüth aufzufassen, Einzelnes nicht in seiner Vereinze-
lung sondern immer in seiner Verbindung mit dem Nahen und
Fernen zu betrachten, darum auch herabzusteigen in die nie-
dern Kreise des Volks , in den Verkehr des alltäglichen Trei-
bens, kurz das Altertlium so anzusehen und zu behandeln, wie
den Staat , indem wir eben leben, und die einzelnen Völker-
schaften desselben wie nachbarliche uns befreundete Familien,
ist eine Aufgabe, deren Lösung als die Uliithe und Frucht aller
Alterthumskunde gelten zu können scheint. In diesem Sinne
überschrieb Varro seine Römischen Alterthiimer das Leben des
liöniischen f^olkes , und so sollte das Leben der Alten eben in
den lebenvollsten 3Iomenten und Beziehungen erneuert werden.
Unsre leicht auflTassenden Nachbarn jenseits des Rheines haben
uns mit ihrer Gewandheit manches so aus dem Alterthum nä-
her gebracht, freilich oft nicht ohne Entstellung und Einsei-
tigkeit. Wenn diess unter den Deutschen weniger geschehen
ist, als man bei dem regsamen Fleisse unsrer Alterthumsfor-
scher, nnd nach dem Vorgange unsrer Winkelmann, Lessing,
Herder und Wieland erwarten , und bei dem fruchtbaren Ein-
flüsse solcher Behandlung wiinsclien sollte; so liegt der Grund
wohl weniger darin, dass die Verdienstlichkeit solclier Bemü-
hungen jetzt niclit anerkannt würde, als, dass gerade die tüch-
tigsten und tiefsten Kenner des Altcrthums dergleichen allge-
244 Alte Litte vatur.
meine und gemiUhliche Betraclitungen zurückzuhalten pflegen
entweder als Herzenssache, oder in der Meinung, es werde und
möge jeder sich selbst seine Ansicht bilden. Manche der Vor-
trefllicJisten zogen es vor , mehr noch durch das lebendige
Wort, als durch Scliriften ihre concretesten Anschauungen der
alten Welt mitzutheilen , und es ist unglaublich, wie viel z. B.
F. A. Wolf gerade auf diesem Wege zu einem innigeren Ver-
ständniss und Durchdringen des Alterthums gewirkt hat, und
vermöge einer gewissen geistigen Vererbung noch immer fort-
wirkt.
In dem angedeuteten Sinne sind die obengenannten Ferien-
schriften abgefasst, und mit Vergniigen folgt man dem geist-
vollen Verfasser, der, wie Göthe sich über ihn ausdrückt (S.
Kunst und Alterth.SB. 3 Heft S. 187) „die behandelten Gegen-
stände sich so anzueignen gewusst, und sie so lieiter vorzutragen
versteht, dass man sich dabei betindet, als hätte man üas selbst
schon so gedacht.''
In diesen Schriften, deren erste Sammlung den meisten
unsrer Leser wenigstens aus den Anzeigen in der Jen. Litt. Zeit.
1821 nr. 80, Scliulzeitung 1827, II nr. 22, Hall. Lit. Zeit. 1828,
IS. 123, Blätter für lit. Unterh. 1827 nr. 175 bekannt seyn
wird, sind kleine Aufsätze enthalten, die sich über mehrere
Gegenstände des Alterthums, Allgemeines und Besondres, Ent-
legeneres und Nahes, Ernstes und Heitres verbreiten. Ueberall
Lust und Liebe, frische lebendige Theilnahme, und so weit
sie sich nur gewinnen lässt, klare Anschauung aller Zustände
und Verhältnisse. Gelehrsamkeit wird weniger gezeigt, als
bewiesen; dass aus den Quellen geschöpft werde, davon zeigen
die jedem Aufsatz beigegebnen Anmerkungen, aus denen der
eigentliche Philolog manchen Vortheil ziehen kann. So er-
scheinen diese Schriften in Inhalt und Form als ein willkomm-
nes Seitenstück zu den populären Aufsätzen des vortrcfUichen
Thorlacius, und sind, wie diese, geeignet, auch Leser, die
nicht vom Handwerk sind, in das Innere eines versunkenen Le-
bens einzuführen, die alte Welt mit der neuen durch ein geisti-
ges Band zu verknüpfen, auch wohl dieser durch jene manchen
heilsamen llath und manche Belehrung zu gewähren.
Wir wollen jetzt die einzelnen Aufsätze näljer bezeichnen
und da und dort mit wenigen Bemerkungen und Zugaben be-
gleiten.
1) Die Wirthshänser de?' Allen. S. 3 — 52. Der doppelte
Zweck, den unsre Wirthshänser haben, fiir das Bediirfniss des
Fremden und die gesellige Unterhaltung der Einheimischen zu
sorgen, wurde bei den Alten auf anderen Wegen erreicht; für
die Fremden durch die Einrichtungen der öffentlichen und son-
dern Gastfreundschaft, und für die Einheimischen durch die
Leschen, Gymnasien, Bäder, die bürgerlichen und religiösen
Zells Fcrienschriften. 245
Feierlichkeiten etc. Daher waren in Griechenland und Rom
die Wirthshäuser verachtet, und dem Pöbel überlassen, und
irelan^s^ten erst unter den Kaisern zu einigem Ansehen bei den
Gebildeten, aber unter dem steten Widerspruch der Besseren,
und selbst der kaiserlichen Polizei -Edicte.
Diess ist der wesentliche Inhalt des ersten Aufsatzes, der
durch mancherlei Nachrichten und Beispiele aus dem Alterthume
erläutert ist, wozu hier einige kleine Nachträge folgen mögen.
So konnte bei der Fremdenbewirthung einer eigenen Fürsorge
der Griechen gedacht werden, die von Vitruv in einer merk-
würdigen, wie es scheint, wenig bekannten und beachteten
Stelle erwähnt wird. „Praeterea," heisst es II, c. 10, „dextra
ac sinistra domunculae constituuntnr habentes proprias ianuas,
triclinia, et cubicnla commoda, uti hospites ad^enientes non in
peristylia, sed in ea. liospi/alia reci[na\iinr. Nam quum fuerunt
Graeci dclicatiores et ab fortuna opnlentiores, Iiospitibus adve-
nientibus instruebant triclinia , cubicnla, cum peiui cellas, pri-
moque die ad coenam invitabant, postero mittebant pullos, ova,
olera, poma reliquasque res agrestes. Ideo pictores ea qnae
mittcbantnr hospitibus picturis imitantes xenia appellaverunt.
Ita patres familiarnm in hospitio non videbantnr esse peregre,
habentis secretam in his liospitalibus libertatem." Dergleichen
Gastzimmer (t,EVOJV£g) werden unter andern bei Enripides Ale.
V. 5.19 erwähnt. Die Ceer hatten auf Delos ein eignes Bewir-
thuiigshaus ^önaTOQLOV für ilire zu daw Panegyrien angekom-
menen Bürger und Gäste. Ilerodot. iV, 35. vergl, Bröndsted
Reisen 1 S. 49.
Die S. 19 aufgestellte Vermnthung, dass die Griechen ge-
mahlte Schilde an den Wirthshäusern geliabt, die sich auf eine
Stelle des Aristoteles Probl. X, 14 gründet, ist von dem Verf.
selbst durch eine sehr glückliclie Eiiiendation dieser Stelle in
den Noten S. 40 na^nvlcov st. 'AaTtqXlav beseitigt worden. Ob
es bei den Grieclien ausser dem Busch oder Kranz noch andre
Zeichen eines Wirthshauses gab, weiss ich nicht; bei den Rö-
mern wurde noch Leinwand ausgespannt, worauf die Nahmen
der Erfrischungen, Avohl auch der feilen Dirnen zu lesen waren,
vrgl. Juvenal. VIII, 167, VI, 123. In der ersten Stelle sind die
inscripta lintea mit den noch jetzt in Italien aushängenden Tep-
pichen von den Auslegern verglichen worden. — Dass bei den
Römern oft auch in der Nähe eines Landguts Schenken angelegt
wurden, erhellt aus Vari'o de R. R. I, 2: „Si ager secundum
viara et opportunus viatoribus locus, aedificandaetabernae diver-
soriae, quae tarnen quam\is sint fructuosae , nihüo magis sint
agricuiturae parte." vrgl.Martial. III, 58, wo der Schenkwirth
des Faustiuus gegen den seines Nachbars Bassinus gehalten
246 Alte Littcratur.
Non segniä albo pallet otio
Kec pcrilit oleum lubricus piilaestrita
Sed tendit avidis rete subdolum turdis
Tremulave captura linea trahlt piscera
Aut impeditam cassibus refert damam.
Zu verwundern ist, dass der Verf. niclit einer ArtWirthsIiänser
gedaclit hat, die um so mehr hier genannt seyn sollten, da sie
eine auffallende Aehnlichkeit mit unsern Kaffeeliäusera haben.
Diess sind die Therniopolien ^ wo man besonders Glühwein zu
trinken pflegte. Hier war es wohl , wo sich auch Leute von
feinerer Bildung zusammen zu finden pflegten. So .lehrt eine
Schilderung des Plautus im Curculio II, 3, 9:
Tum isti Graeci palliati oapite operto qui ambulant
Qui incedunt sufTarcinati cum libris cum sportulis
Constant, conferunt serraones inter sese drapetae;
Obstant, obsistuut, incedunt cum suis sententiis.
Quos sempcr videas libenter esse in thermopoliis.
Ubi quod sumpuere operto capitulo calidum bibunt
Tristes atque cbrioli incedunt —
Weitere Nachweisungen über diese Thermopolien giebtLipsins
Electa. I, 4. Einer ähnlichen Sitte bei den Rhodiern gedenkt
Athenaeus VIII p. 352.
Von dem Gedicht, das gewöhnlich Copa überschrieben
wird, liat der Verf. eine Ansicht genommen, die noch sehr be-
stritten werden kann. — Wie es scheint, sind ihm Ilgens
Aniniadversiones zu derselben unbekannt geblieben ; viele aber
werden geneigter seyn , mit diesem den Caupo als redend ein-
geführt zu denken. Den Florus aber unter Iladrian zum Verf.
des Gedichtes zu machen (S. 50) hindert weniger die Autori-
tät der alten Grammatiker, die es dem Virgil beilegen, als die
Eleganz des Ausdrucks, die es als ein Erzeugniss, wo nicht des
Virgil, doch des Augusteischen Zeitalters erscheinen lässt.
2. Ueber die Volkslieder der alten Griechen. S. 55 — 87.
Obwohl die ganze griechische Poesie Volkspoesie ist, so
gellt doch daneben das eigentliche Volkslied, so mannigfaltig,
als das menschliche Leben und die verschiedenen Beschäfti-
gungen und Stände der Menschen sind. Davon sind nur noch
wenige Töne zu uns herübergeklungen, von religiösen Volks-
liedern (Hymnen auf die Ilygiea, zu Ehren des Dionysus von
den Frauen in Elis gesungen), Liedern zu Ehren der Heroen.^
Könige zind Stammfürsten ( Lied der Erigone ), Liebesliedern
(Lied des Eriphanis, Kalyke), Hochzeillieder?i, Wiege7iliederny
Kinder lieder 71 (von der Schwalbe und Krähe), Skolieji religiösen,
moralischen, historischen, scherzhaften Inhaltes, — von Lie-
dern, die gewissen Beschäftigungen und Ständen eigenthümlich
Zells Ferienschriften. 247
8ind, nhdismä Schiffer-^ Weber-^ Müllerlieder^ dtis Bettlerlied
Eiresione, Bauernregeln in hieierioruiy Lityerses^ Hirtenlie-
der ^ aus denen sich die Kunst der bukolisclieii Poesie entwi-
ckelte. '•'' Ueberaii hat der Verf. einen Untersclned zwi-
schen höherer Poesie und Volkslied vorausgesetzt, sich aber
über diesen Unterschied nirgends deutlicher erklärt. Auch ist
denselben mit einiger Schärfe zu bestimmen wie überhaupt so
besonders bei dem Volke der Griechen schwierig, das durch
mid durch poetisch war, und seinen dichterischen Anstrich,
wenn ich mich so ausdrücken darf, in alle Verhältnisse des ge-
raeinen Lebens übertrug. Wo und wie hier die Grenze ziehen,
da selbst der kunstvollere Theil der Poesie wenigstens in der gu-
ten Zeit zum Eigenthura des Volkes ward. Ersangen sich nicht
geraeine Athenienser in Sicilien durch Euripideische Chöre die
Freiheit'? Und wofür erhielt jener Scliulmeister vom Alcibiades
die bekannte Züchtigung*? Volkspoesie soll ihrem Stoffe nach
aus den Umgebungen und dem Ideenkreise des Volks genorameii
seyn, aber auch in bewusstloser Richtung wieder zu dem Leben
und dem Verkehr des Volkes zurückführen; soll ihrer Form
nach einfach, naturkräftig, vor Allen sangbar seyn, so dass je-
der aus dem^ Volke meinen möchte, das komme von ihm. Dar-
um man auch bei volksthümlichcn Gesang so unbekümmert ist
um den Nahmen des meist unbekannten Verfertigers. Aber ist
dieses nicht so ziemlich der durchgängige Character der ge-
sammten griechischen Poesie, wenn man nicht etwa auf die
Poesien gewisser Kasten, wie die orphischen, oder einer gewis-
sen Schule, wie die alcxandrinische, sein Augenmerk richten
will. — Wie raisslich es demnach sey, hier classificiren zu
wollen, hat der Verf., wie es scheint, besonders bei Erwähnung
des Hymnus des Ariphron und des Aristoteles gefühlt, denen
er unter den Volksliedern, gewiss nicht ohne Widerspruch
andrer, eine Stelle einräumen zu können glaubte. Wie dem
auch sey, wir nehmen gern, was der sinnige Sammler und Ord-
ner dieser anmuthigen Feldblumen dargeboten hat, nicht ohne
dankbare Erinnerung an den ehrlichen und belesenen de la
Nauze, dessen Abhandlungen von den Liedern der alten Grie-
chen hinter Hagedorns Werken, wenn auch jetzt veraltet, bei
altern Lesern immer noch in gutem Andenken stehen werden.
— Wohl hätte noch eine Erwähnung verdient jener Tynnichus
derChalcidier, von dem es im Platonischen Ion so heisst: „dass
er nie irgend ein andres Gedicht gedichtet habe, dessen es
lohne zu erwähnen, aber einen Päon, Acn jedermann singe,
fast unter den Liedern das schönste, recht, wie er selbst sage,
ein Fund der Musen." Dieser Päan war in seiner Alterthüra-
lichkeit so theucr und ehrwürdig geworden, dass nach einer
Erzählung des Porphyrius de Abst. I, 18 sich Aescltylus sogar
scheute, ihn nachzusingen, wobei man uuwillkührlich an meh-
218 Alte Littcratur.
rere unsrer alten Kirchenlieder erinnert wird, wie denn der Ver-
fasser des Eins ist noth wohl mit jenem alten Hymnensänger
füglich verglichen werden kann.
Uehrigens bemerkt der Verf. mit Recht , dass dieser Ge-
genstand durch die vollständigere Kenntuiss der neugriechi-
schen Volkslieder, welche wir durch Fauriel, W.Müller, Iken,
Th. Kind u. a. erhalten haben, ein neues Interesse und eine
neue Bedeutsamkeit gewonnen habe.
3. Ueber die Sprüchwörter der alten Griechen. S. 93 — 124.
Die SprVichwörter und sprüchwörtlichen Redensarten der
Griechen sind hier unter sehr anziehende Gesichtspuncte ge-
stellt. In Ansehung des Inhaltes werden sie betrachtet als
Zeugnisse von der Griechen Denkart über religiöse Angelegen-
heiten, als praktische Lehrer der Tugend und Klugheit, als
Bemerkungen und Ansichten des griechischen Volkes über das
Leben und seine mannichfachen Verhältnisse besonders Viber
Erziehung, Freundschaft und Liebe. In Ansehung der Form
Avird das Charakteristische der griechischen Sprüchwörter theils
gesetzt in einen hervorstechenden Zug von Witz und Laune
verbunden mit einer ungemeinen Mannichfaltigkeit und Fülle
des Ausdrucks, theils in einen grossen Keichthum an Beobach-
tungen, Wahrnehmungen und Beziehungen, mit denen sie zu-
gleich sich über die Natur und das Leben , über die Sitten un-
ter allen Ständen, über Geschichte und Sagen verbreiten. Für
alle diese Beziehungen sind wohlgewählte und interessante Bei-
spiele mit kurzen Erläuterungen hinzugelugt. Ueber das Mehr
und Weniger lässt sich hier nicht rechten. Mit gutem Grunde
und nach dem Vorgange selbst des Plato (Menexen. 247) E legt
der Verf. besonders viel Werth auf diejenigen Sprüchwörter,
die das Maass empfehlen, und bemerkt, wie diese Grundansicht
alle Richtungen des griechischen Lebens und Denkens durch-
drang. Zu A^ni Mti^Iv ayav (das durch seine elliptische Kürze,
durch das prohibitive fitjÖlv, durch seinen hexametrischen Fall
gleiclisam ein Summariura griechischer Feinheit und Schärfe
genannt werden mag) hätte sich das bedeutungsvolle lalsncc
rä icald{Vla.t. Hipp, maj, extr. u. das. Heindorf) und wohl auch
des Chörilus vielgebrauchtes Wort (v. Näke Chor, fragra. IX
p. 169)
Fällt er stetig', so höhlt den Fels ein Tropfen des Wassers,
recht schicklich gesellt. Und wenn der Spruch „wird der Mensch
nicht durchgegerbt vom Schicksal, so kommt er nicht zu Ver-
stand,'-'- darum wohl aufgenommen wurde, weil „ihn unser Gö-
the gewürdi;it hat, seiner Lebensbeschreibung vorzusetzen,"
so hätten „die Kraniche des Ibykus'-'" einen ähnlichen Anspruch;
und erfahren wir aus dem Spruch wort, dass die Frösche der
lüäel Seriplius nicht quakten, wäre es wohl nicht minder inter-
Zclls Ferienschriften, 241)
essant gewesen aus derselben Quelle zu erfahren, dass man auf
der Insel Keos nichts vom Kalender wusste (vrgl. Böckh Berli-
ner Jahrbücher. 1827 S. IG).
Ungern vermisst mau Vibrigens gerade bei diesem Abschnitte
einige litterarische Nachweisung, die sonst allen übrigen Aui-
sätzen beigegeben ist. Der Verf. würde dadurch icranlasst
worden seyn, manches anders zu stellen, wie das S. 117 von
der griechischen Redlichkeit Gesagte, was nach alten Zeugnis-
gen bei Euripid. Ipliig. inTaur. v. {205, PolybiusL. VI, 54, Si-
lius Italiens XIV, 338, Auson. Ej>. XXI (wogegen man nur aus
grossem Älissverstand Ep. X anführt), besonders bei Cicero
pro Flacco c. 4 noch anders gefasst werden muss, als es in den
berichtigenden Erörterungen des zweiten Theils S. 40 ff, ge-
schehen ist. Cicero sagt: „testiraoniorum religionem et fidera
nunqua/n ista. natio cohiit. ünde illud est: Da mihi testimo-
nium niutmim\ num Gallorum, num Ilispanorum putatur'? To-
tum istudj Graecum est, ut etiam qui Graece nesciant, hoc qui-
bus verbis a Graecis dici soleat sciaut." In der That ein merk-
würdiges griechisches Sprüchwort !
4. Catulls Liehe. Die von CatuU an die Lesbia (Clodia)
gerichteten Liebesgedichte sind hier übersetzt, und aus ihrer
gegenwärtigen Zerstreuung nach Maassgabe ihres Inhalts näm-
lich der erst entstehenden, dann lioch beglückten , dann bitter
gestörten, und endlich wieder zur alten Glut angefachten Liebe
angeordnet, so dass der sich gleiclisam durchziehende und ver-
loren gegangene psychologische Faden der wechselnden Seelen-
zustände wieder gefunden ist, und sich wie von selbst ein klei-
ner nicht uninteressanter Roman von einem frischen, wenn auch
in Sinnlichkeit befangenen Leben gebildet hat. Auf solchem
synthetischen Wege wird das durch die Analyse der Interpreten
oft mehr erschwerte als geförderte Verstäiidniss zugleich gründ-
lich und heiter eröffnet, und man begreift nicht , warum über
ein solches Verfahren Herder (in der Adrastea IX S. 12) eine
so gräuilicheAnmerkung macht. Die üebersetzungen besonders
der lamben sind gefällig und leicht, nicht gerade nach strengen
Grundsätzen. Zu frei und lose scheint LXXV :
Achtung kann ich dir nie, Wohlwollen niemals dir schenli^en,
Lieben muss ich dich stets, wenn du auch alles vollbringst.
XCH: Grundlos scheinet der Spruch? So will ich anders ihn sagen.
CIV: Hiitt' ich das jemals gekonnt, nicht war so gross meine Liehe,
Nein ! ihr irret euch sehr, alle die solches gesagt.
„Sed tu cui^iTappoue omniamonstra facis,^'' oder wie man sonst
lesen möge.
5. JSaiae ein römischer Badeort. Schilderung des Orts
und seiner reizenden Umgebungen nach den Alten und neuen
250 Alte Littoratur.
Reisenden, vorziiglich des alten Bade- Lebens nnd Treibens,
das dem heutigen nicht unähnlicli ist, und wozu besonders Se-
neca im 5fistcn Briefe die meisten und individuellsten Züge leiht,
die freilich gegen die frommen Badeunterhaltungen des Caeci-
lius und Octavius in Ostia selir grell abstechen.
6. Aristoteles als Lehrer yllexajiders. Es werden hier
die bekannten Verhältnisse des Alexanders und Aristoteles
wieder erzählt, ohne dass irgend eine neue oder fruchtbare
Ansicht dem Gegenstande abgewonnen würde. Daher dieser
Aufsatz als der schwächste der ganzen Sammlung erscheint. So
sind die Briefe des Philipp an Aristoteles, und die zwischen
Aristoteles und Alexander angeblich gewechselten aus Gellius
und Plutarch oline alle Ahndung ihrer beinahe entschiedenen
Unächtheit als Zeugnisse liier aufgenommen. Hätte es doch
dem Verfasser gefallen, das vortreffliche Buch des St. Croix
{Examen Critique des anciens historieiis d' Alexajidre Le
Grand. 2e Ausg. Paris 1804) einzusehen , so würde er vieles
ganz anders gefasst, vielleicht den ganzen Aufsatz unterdrückt
haben. Zwar drückt sich St. Crcix S. 104 über den Brief des
Philipp noch zweifelhaft aus; wer wird aber glauben wollen,
dass Philipp gleich nach der Geburt seines Sohnes nach Athen
einen ihm schon damals feindlich gesinnten Staat sich gewen-
det, dass er den Aristoteles angegangen, da der Oheim bereits
den Lysimachus gewählt hatte; wer wird, einigermaassen ver-
traut mit dem Hergang der Verfälschungen im Alterthume, es
nicht viel glaublicher finden, dass ein späterer Sophist aus dem
bekannten dankbaren Worte des Alexander Viber Aristoteles
hinterher diesen Brief ausgesonnen habe. — vrgl. St. Croix S.
202. — Aus demselben S. 603 hätte der Verf. sich überzeugen
können, dass man dem Diogenes nicht nachsagen dürfe, Alexan-
der „habe fünfzehn Jahre gehabt,'-'- als Aristoteles sein Lehrer
ward, woselbst der deutsche Ausdruck ein missfälliger Latinis-
mus oder Gallicismus ist. Eben so zweideutig und schielend
ist es gesagt, wenn es S. 160 heisst: „Aristoteles zerriss zuerst
den Kranz der griechischen Musen,"- er, der grosse Verehrer
und Gesetzgeber der Poesie*? Desto ansprechender ist in In-
halt und Form der letzte Aufsatz dieser Sammlung:
7. lieber das Sittliche in der griechischen Volksreligion.
S. 1T7 — 206. Die Absicht desselben ist, zu zeigen, dass der
griechische Volkscultus, der ganz der Phantasie und den'Sinnen
anzugehören scheint, der wahren Religion und Sittlichkeit weit
weniger fremd gewesen sey, als man nach dem ersten Anblick
denken sollte. Dass die Götter gesteigerte Menschen waren,
brachte sie der Menschheit näher, hielt die Menschen in be-
stimmten Schranken der 31enschlichkeit frei von Verirrungen,
wohin leicht der asiatische Naturdienst führen konnte und wirk-
lich geführt hat. Als gesteigerte menschliche Naturen hatten
. Zclla Fcricnschriftea. 251
die griechischen Götter die ganze Sphäre der raenschliclien
Anlagen und Thätigkeiten in sich aufgenommen, demnacli auch
die sittliclien; darum sie auch als belohnend und bestrafend ge-
dacht werden. Werden die Götter nicht selten als Urheber
der Missethat dargestellt, so scheint dies mehr ein theoretischer
Satz über den Ursprung des Bösen, der keine praktisclie An-
wendung ündet, und es stehen ihm da wieder richtigere Vor-
stellungen, wie der berühmte Spruch in der Odyssee I, 32 — 34:
Wunder wie sehr doch klagen die Sterblichen wider die Götter!
Nur von uns sey Böses vermeinen sie ; aber sie selber
Schaffen durch Unverstand auch gegen Geschick sich das Elend.
neutralisirend entgegen. So hat der in den religiösen Meinun-
gen vorwaltende Fatalismus ebenfalls durch die Inconsequenz
der Griechen, die dem Schicksal den Willen der Götter entge-
gen setzen, und zugeben, dass vieles vom Schicksal Bestimmte
theils immer zum Theil verschuldet sey, theils durch sittliche
Kraft verschoben oder abgeändert werden könne, viel von sei-
nem lähmenden und zerstörenden Einfluss verloren. So
wirkte die Schicksals -Idee auf der tragischen Bühne der Grie-
chen, nicht paralysirend , sondern vielmehr erhebend auf die
Geister und Herzen der Zuscliauer. Endlich sind unter den
göttlichen Wesen mehrere, an welche bestimmte ethischcldeen
geknüpft sind, vor allen Zeus selbst in vielfältigen Beziehungen
als Ordner und Schützer der Staaten, Verfassungen, Familien,
der Gastfreundschaft, der Schutzflehenden; zu ihm gesellt sich
die jungfräuliche Athene, deren ganzer und lautrer Begriff dem
geistigen Wesen angehört. Als sittliche Mythen und Vergötte-
rungen werden noch lieraus?ehoben Hercules , Therais, Dike,
Nemesis. An den bedeutungsvollen Mythus der letzteren knüpft
der Verf. den schönen Schluss: „Ist es nicht, wie wenn auch
jetzt das Walten dieser Göttin, welche die Weltgeschichte
durchschreitet, sich offenbarte, da die Nachkommen der alten
Hellenen den Thron ihrer übermüthigen, alles Maass über-
schreitenden Zwingherren wanken sehen ! Mögen auch nun sie
Maass halten im Gefühle der Rache , Maass in der Freude des
Sieges, in ihren Wünschen und Forderungen. Dann wird wohl
Nemesis das Rad der menschlichen Schicksale, das sie in ihren
Händen hält, zu ihrer Rettung drehen. Und so wie ihre Ah-
nen in mancher heissen Schlacht Götter und verklärte Heroen
in den Reihen ihrer Vorkämpfer sahen, so mögen auch in die-
sem Kampfe der Verzweiflung sie führen und stärken alle die
schönsten menschlichen Gefühle und edelsten Gesinnungen, aus
welchen ihr Volk ehemals seine Götter schuf; mögen ihnen
voranstreiten die grossen Ileldenseelen ihrer Ahnen, auf dass
sie bei den Todten die Hülfe finden, welche ihnen die Leben-
den versagen.'-^
252 Alte Litte ratur.
In gleichem Sinne mit dem Verf. erklärt sich jetzt ein
Mann, dessen Nahmen ganz Deutschland mit Liebe und Vereh-
rnng nennt, ,.Viberzeugt, dass auch das Heidenthum mit seiner
„Idololatrie eine der nothwendigen Stufen bildete, auf denen
„Gott das menschliche Geschlecht zu der rechten Erkenntniss
„der Wahrheit leiten wollte; dass es bei allen seinem Irrthum
„dennoch im Besitze des Glaubens an einen eifrigen Gott war,
„der das Gute belolint, und die Missethat der Väter heimsucht
„an den Kindern; und dass es überhaupt kein Volk zu keiner
„Zeit gegeben habe, welchem Gott sein Angesicht so verborgen
„gehabt hätte, dass ihm die innere Offenbarung seines Wesens
„gänzlich erloschen sey.'-"' J.Jacobs verm. Schriften 3 Tli. p.
XXV f. Hoffentlich wird die Stimme eines so weisen , mit
eben so viel Ernst als Reife forschenden Mannes nicht über-
hört werden.
Die zweite Sammlung enthält blos zwei Abliandlungen,
die in den Kreis der Römischen Alterthumskunde gehören. Auf
den besondern Wunsch des Verlegers führt daher dieser zweite
Band den Nebentitel : Darstellungen aus dem Leben und der
Litteratur der Römer.
In dem ersten Aufsatze werden die Röniischeji Sprüchwör-
ter in äliulicliem Sinne behandelt, wie die griechischen in der
ersten Sammlung. „Ich würde rathen, schreibt Göthe an Schil-
ler (Briefwechsel Th. III S. 368) , sicli die Adagia des Erasraus
anzuschaffen, da die alten Sprüchwörter meist auf geographi-
schen, historischen, nationellenund individuellen Verhältnissen
ruhen, so enthalten sie einen grossen Schatz von reellem Stoff."
Göthe meint zunächst zu dichterischen besonders dramatischen
Bearbeitungen; umso mehr aber zu anziehenden Reflexionen
und innerlichen Anschauungen fremden Lebens, wie wir sie
hier wirklich finden. Vorausgeschickt wird die Bemerkung,
wie die Römer so viel ärmer an Sprüchwörtern seyen, als die
Griechen, was aus der verhältnissmässigen Mangelhaftigkeit
des Witzes und der Erfindungsgabe hergeleitet werden müsse,
üebrigens ist im Ganzen derselbe Gang wie bei den griechi-
schen Sprüchwörtern befolgt , wobei jedoch sehr zu billigen,
dass am Schlüsse wenigstens die Sprüchwörter im Original hin-
zugefügt worden sind. Jetzt nur einige wenige Einzelnheiten.
Der Verf. weiss sehr gut, wie vorsichtig man seyn müsse, um
die Ebenbürtigkeit eines Sprüchworts zu constatiren. Doch
möchte man bei einigen hier aufgenommenen zweifelliaft seyn.
Z. B. Nescis quid serus vesper vehat war nur die Ueberschrift
einer Varronischen Satyre (s. Macrob. Sat. II, 8. Geil. N. A.
XIII, II); jeden Falls muss das serus wegbleiben, das ausVIrg.
Georg. 4, 6 hinzugekommen. „Auch gute Schuldner werden böse
Zahler, wenn man sie nicht mahnt." Die Lateinischen Worte
fehlen, wie bei mehreren in dieser Nachbarschaft. Ohne Zwei-
Zells Ferienschriften. 25S
fei ist die Maxime des Wucherers Alpliius bei Columella I, 7, 2
zu versteilen: vel optima, nomina noti oppellnndo ina/a ficri ;
wobei es jedoch zweilclhalt bleibt, wie weit sie wirkiicli spriich-
wörtiich j,'e\vorden, ein Zweifel, der sich bei manchen Sprü-
chen wiederholt, wie z.B. bei dem des Stasinus (bei dem.
Alex. Strom. VI p. 4<>1, ed. Sylb.) des Cato (bei Livius XXXIV,
!>}, des Vespasian (bei Suet. Vesp. 23), obgleich auf den ersten
sich Ilerodot (I, 155 a.) und andre, auf den zweiten Cicero,
und auf den dritten Juvenal und Ammianus Marcellinus be-
ziehen.
Einige der angeführten Sprüchwörter haben eine etwas
ausführlichere Erläuterung erhalten. So die se?ies depo7itani^
graecafides ^ coeaae ponlißciales mit dem Küchenzettel eines
geistlichen Schmauses nach Macrobius ; ])olticeni premerc n.
erigere, worüber eine alte jetzt mitÜJirecht vergessene Schrilt:
Abhandl. von den Fingern, deren Verrichtung lauLsymbolische
Bedeutung, (Leipz. u Kisenach 1757) S. 9!) tt". "och mehr Aus-
kunft gegeben haben würde. Hin und wieder kann man mit
dem Verf. nicht übereinstimmen, z.B. wenn er la7ia caprina
bloss als einen nichtswürdigen Gegenstand erklärt. Das Sprüch-
wort kam wohl daher, weil es unentschieden war, ob die Ziege
Haare oder Wolle trägt, vrgl. Th, Schmidt zu llorat. Epp. I,
18, 15. Das Spruch wort de una fidelia duos imrietes dealbare
soll als von dem Falle hergenommen verstanden werden, wenn
ein Tüncher von der ihm zu einer bestimmten Arbeit hergegeb-
nen Farbe noch heimlicher und unredlicher Weise eine fremde
Wand anstreicht. Darauf führen weder die Fassung des Sprüch-
worts, noch die einzige Stelle wo es vorkommt, Cic. Epp. ad
Div. VII, 2y, wo es offenbar so viel ist, als mit Einem Mittel
mehrere Zwecke erreichen. Minimo provocare ist nicht durch
digito zu erklären, v, Heindorf zu llorat. Sat. I, 4, 14. Die
Massilischen Sitten hätten bei dem grellen Widerspruche der
Autoren eine gründlichere Erörterung verdient nach dem, was
Johannsen l et. Massiliae res et instituta. p. 72 sqq. u. Brück-
ner Uist. Rerum Massiliensium p. 44 sqq. darüber bemerkt und
verrauthet liaben , am wenigsten sollte die Stelle des Piautus
Cas. V, 4 zum JN achtheil der Massilier erklärt werden, wie
liier geschieht.
Der Verf. würde sich gewiss ein bedeutendes Verdienst um
die Litteratur erwerben, wenn er eine Sammlung der aitrömi-
schen Sprüchwörter seinem S. 87 gegebnen Versprechen ge-
mäss herausgeben wollte. Nur müsste mit strengerer Auswahl
verfahren werden. Denn z. B. alle von der Stirn , den Augen,
Händen etc. hergenommenen und hier mitgetheilten Ausdrücke
gehören so wenig zu den Sprüchwörteru , als Rechts- und
SStaatsvcrwaltungs - Formeln.
254 Alte Litteratnr.
Besondre Liebe und besondren Fleiss hat der Verf. dem
zweiten Aufsatze ^^über die Volkslieder der alten Römer'''' zuge-
wendet, und hier freie klare üebersicht des Ganzen mit tiefe-
rer Begriindung des Einzelnen vereiniget. So ärmlich im Gan-
zen die Römische Volkspoesie war, und so spärlich die Quellen
sind, aus denen eine intuitive Kenntniss derselben geschöpft
werden kann, so treu ist doch der Verf. beinViht gewesen, ein
so viel möglich vollständiges Bild des römischen Volksgesangea
aufzustellen, und alles zusammen zu fassen, was sich nach der
liier getroffenen Anordnung 1) aufdenCnltus bezieht oder 2)
Geschichte in poetischer Form enthält, oder 3) an bedeutende
allgemeine Verhältnisse und wiederkehrende Vorfälle des
menschlichen und gesellschaftlichen Lebens geknüpft ist, oder
endlich 4) einzelnen Ständen und Beschäftigungen angehört.
]) Lieder [axcmientd) der Salischen Priester. Einrich-
tung der Salier. Inhalt der Lieder. Lob der Götter und aus-
gezeichneter Menschen. Fragmente: die liturgischen Gesänge
der arvalischen Brüder; alte Gebetformeln bei Cato de 11. 11.,
Ambarvalien; Vergleicliungen aus der katholischen Kirche (be-
sonders in der Note), Seitenblick auf Zauberei, und Zauberlie-
der ; Volksgesang bei Erntefest und Weinlese, gewöhnlich
mit Scherz und herausfordernder Neckerei verbunden, und vor-
zugsweise fescenninisch genannt; daraus nach der bekannten
Stelle des Livius die ersten dramatischen Versuche der Römer
unter dem Einfluss Etrurischer Tänzer und Mimen. Die Sa-
tura, und die Atellanen, nationell und im Gegensatze des durch
Livius Andronicus (514 p. u. c) in Gang gebrachten künstlich
griechischen Drama; die Darstellung der Atellanen früher
durch Römische Jünglinge, später durch bürgerlich geehrte
Schauspieler. Im Ganzen werden die Atellanen für identisch
erkannt mit den Saturen oder Exodien, und sind, kleine äu-
sserliche Verschiedenheiten abgerechnet, als oscische Fescen-
ninen und Saturen anzusehen , wie die Saturen als Lateinische
oder Römische Atellanen. — Für Fortsetzung beider kann die
Commedia dell' Arte der neueren Italiener gelten. Triiimph-
lieder nach Art der Fescenninen, meist im trochaeischen Vers-
maass, in welchem die meisten Volkslieder abgclasst Avaren,
wie die ältesten christlichen Hymnen. Dergleiclien Verse meist
mit derbem Witze erwähnt von Livius bei dem Triumphe des
Cincinnatus (der nach einer beiläufigen Bemerkung durch gro-
ssen Missverstand zum Repräsentant des Republikanismus ge-
macht worden ist), des Dictator Aemilius, desCamillus, der
Consuln M. Valerius und Cornelius Cossus, Q. Fabius, Clau-
dius Nero, M. Livius, C. Manlius, bei der Ovation des Consul
Valerius Politus etc. Liv. 111,29; IV, 20; 53; V, 49; VII, 38;
X,30; XXVIII, 9; XXXIX, 7 ; XLV,43; vrgl. Appian. VIII,
m (nicht 76); Dionys. Hai. Arch. VII, 72. Bekannt sind die
Zells Ferienscbriften. 255
Spottverse bei den Triumphzügen der Caesarn, Suet Jiil. Caes.
4J); 51; Vespas. 19; Plin. II. N. XIX, 41 ; Vell. Pat. 11,(57;
Vopiscus in Aurel. c. 7. Später verlor sich luit den Triumphen
selbst, von denen nach einer Zählung des Onuphrius Panvinius
auf die Zeit bis August 300, von da bis Justinian (550 Jahre)
nur 80 kommen, jene Sitte immer nielir, wenn auch, wie noch
hätte bemerkt werden sollen, der militärische Uebermuth im-
mer mehr wuchs , der sich aber mehr in frechen Handlungen
als freien Scherzen Luft machte, vrgl. Eichstaedt praef. zu
Bernstein Versus Ludicri in Roraanorum Caesares priores olim
compositi (Hai. ISIO) p. XI sqq. Andre Spottlieder der Rö-
mer; occentare, pipulus, obvagulatio. Strafe der 12 Gesetzta-
feln. Einzelne Beispiele auf Sarmentus (Schol. Juv. V, 3) , auf
Jul. Caesar, Augustus, Tiberius , Nero, Domitian. Verglei-
chung des Pasquino und Masforio. Hier hätte, wenn nicht die
freilich noch bestrittene Stelle bei Cic. Philipp. I, 15, wo die
neueren Herausgeber populi versus dem concursus vorziehen,
doch das von Gellius N. A. XV, 4 angeführte Spottlied auf
Yeutidius Bassus angeführt werden sollen:
Concurrlte omnes augures haruspices !
Portentum inusitatum conflatum eüt recens,
Kam mulos qui fricabat, consul factus est.
wodurch gelegentlich zu bemerken eine von Ruhnkenius nicht
berührte Anspielung des Muretus Opp. F. I p. 588 ed Ruhuk.
ihr Licht erhält.
2. Historische Volkslieder. Hauptzeugniss des Cato , aus
dem erhellt, dass bei Gastmälern das Lob berühmter Männer
zur Flöte gesungen worden. Hierzu die Zeugnisse des Varro
bei Nonius s.x. Puerae, des Iloratius, Valerius Max., Quintilian.
Was aus Dionysius Hai. angeführt wird ist unbestimmt, eben so
zweifelhaft, wie die Gesänge abgesungen wurden, ob durch
einzelne Gäste der Reihe nach (nach Cato) , ob durch Sänger-
knaben (nach Varro), ob durch Gesammtchor der ganzen Ge-
sellschaft (nach Horaz). Vielleicht fanden nach den Umstän-
den alle drei Arten Statt. Eben so wurden sie wahrscheinlich
bald zur Lyra und Flöte, bald ohne Instrumentalbegleitung ge-
sungen. In den Leichenliedern (naeniae) war auch ein histori-
scher Inhalt. Einen Nachhall davon geben die Steinschriften,
von denen die in Versen abgefassten Grabschriften der Scipio-
nen merkwürdig sind. Die Thaten der triumphirenden Feld-
herren wurden in saturninischen Versen abgefasst, auf Tafeln
verzeichnet und auf das Capitol gestellt, v. Attilius Fortunat. p.
2679; Liv. XL, 52 (Hermann Elem. Doctr. metr. p. 610); XLI,
33. Ueber das Verhältniss dieser historischen Lieder zu der
Römischen Geschichte werden Niebuhrs und W. Schlegels An-
sichten mitgetheilt, und was der erstereüber ein grosses plebe-
256 AlteLitteratnr.
jisclies Nationalgedicht vermuthet, mit ähnlichen Gründen in
Zweifel gezogen, wie sie gleiclizeitig Blum in der Einleitung
zu Roms alter Geschichte S. 16 f. gegeben hat. Zum Schluss
wird noch das Saiva Roma aus Suet. Caligula c. 0, wir fVirchten
am unrechten Orte, erwähnt, da ein solcher durch ein glückli-
ches Ereigniss erzeugter Freuderuf doch dem Volksliede nicht
angehört.
3. Liebes- und ITochzeitlieder. Horat. Sat. T,5,15. Ständ-
chen bei Plaut. Cure. J, 2, 150 ganz in volksmässigem Ton
Riegel, ihr Riegel ich grüsse euch inniglich,
O ich lieb' und verehr euch und bitt flehentlich:
Gebt mir nach, Riegelein, folget dem liebenden, u. s. w.
Catulls Gesang auf die Hochzeit des Manlius und der Julia.
4. Soldatenlieder. Suet. Galba. c. 6. Poetische Bauerre-
geln (s. Festus s.v. Flatninns Camillus^ Hermaim 1. 1. p. 038),
Schiö- und Bettlerlieder (Schol. Horat. adEpp 1,17,48; Gesn.
Thes. s.v. celeiisina), Lieder beim Weben (TibuU. 11,1,66).
Auf die Frage, ob und wie viel dem Heime Platz[vergönnt wor-
den sey, ist nirgends Rücksicht genommen , wiewohl die Spu-
ren desselben zumal in dem gemeinen Volkslied nicht zu ver-
kennen sind. Ohne mit Kannegiesser (das erste Buch der
Odyssee), Thorlacius (Opuscul. T. IV), Vanderbourg (Les ödes
d'Horace praef. p. XI, sqq.) auf zufällige Reime allzuviel Werth
zulegen, können wir doch das Daseyn und den absichtlichen
Gebrauch desselben nicht schlechthin läugnen (vrgl. die Citate
und Beispiele bei Sauten zum Terentianus Maurus de Metris p.
197 ff.), am wenigsten Mie gesagt in dem hier behandelten Ge-
biet, wo z. B. einige der angeführten Soldatenlieder und Zau-
bersprüche dafür zeugen, vrgl. J. H. Voss zu Virgil. Eclog.
VIII, 80. Uebrigens mögen wohl noch da und dort Andeu-
tungen und Fragmente alter Römischer Volkslieder vorkom-
men, die später, wie diess in der neueren, nahmentlich
deutschen Litteratur der Fall ist, ins Künstliche verarbei-
tet wurden. Desgleichen könnte man besonders in den
Fasten des Ovid vermuthen, die von dem Verf. nicht genug be-
achtet scheinen. Der Lobgesang z. B. auf den Terminus II,
659 sqq. ; das Gespräch zwischen Jupiter und Numa III, 337
sqq. vrgl. mit Ärnobius adv. gent. V, 1; die Sage von der Anna
Perenna III, 60 sqq., bei deren Feste viel Alterthümliches (Fe-
scenninisches) aber auch modern dramatisches (v. 535) gesun-
gen wurde; die Sage vom Silen und dem Bienenschwarm IIF,
745 sqq. ; die Anrede des Flamen Quirinalis an die Robigo IV,
911 sqq. ; das Gebet des Hirten an die Paies IV, 747 tragen
nach des Ref. Gefühl die Zeichen an sich eines uralten früher
Koliersteins Grundrlss zur Geschickte der deutsch. Nationallittcratur. 257
schon poetisch bearbeiteten Stoffes, der nur dem verwöhnten
Gesclimack der damaligen Zeit nicht mehr zusagte.
Was andre Scliriflsteller, wie Appulejus, Petronius, selbst
christliche, wieLactantius, Arnobius u.A.Aehnliches bieten, was
in dem Schutte der Scholiasten und Grammatiker noch verbor-
gen liegt, wartet nur noch auf eine Wünschelruthe, die nie-
mand besser zu schlagen versteht, als der Verf. selbst, der
durch Fortsetzung dieser lehrreichen Unterhaltungen gewiss
den Wunsch vieler befriedigen wird.
A. G. Lange.
Deutsche Litteratur.
Grundriss zur Geschichte der Deutschen Natio-
nal-Litte rat tir. Zum Gebrauche auf gelehrten Schulen
entworfen von August Koberstein. Leipzig bei Vogel 1827. VIII
u. 300 S. 8.
-U'er unterzeichnete Recensent trägt nicht das mindesteBeden-
ken, nach vielfältiger Erwägung das vorliegende Handbuch der
Deutschen Litteratur -Geschiclite unter allen, die ihm bis jetzt
zu Gesichte gekommen sind, für das beste und zweckmässigste
zum Gebrauche auf Gymnasien gleich vorn lierein zu erklären.
Es wäre daher sehr wünschenswert!!, dass ein Mann, wie der
Verfasser dieses Grundrisses, Zeit und Mühe nicht sparen
möchte, um, wie zu Ende des Vorwortes angedeutet wird, eine
Sammlung von Musterstellen aus den vorzüglichsten Deutschen
Dichtern und Prosaikern alter und neuer Zeit, mit besonderer
Berücksichtigung des Entwickelungsganges unserer Sprache, zu
veranstalten. Erst durch eine solche Methode des Unterrich-
tes in der Muttersprache wird der alte und schlaffe Schlendrian,
womit bisher auf den meisten Gymnasien dieser Zweig betrie-
ben wurde, allmählig weichen und etwa nur noch das Erbtheil
unverbesserlicher Pedanten bleiben.
Der Verf. stellt in der Einleitung einen Unterschied fest
zwischen Litteratur der J)eufsche7i und der Deutschen JSatio-
nal- Litteratur'. erstere soll die Gesammtheit der von den Deut-
schen in Sprache und Schrift niedergelegten Geistesproducte
umfassen, ohne Rücksicht auf Form und Inhalt derselben;
letztere nur diejenigen schriftlichen Werke, welche auf künst-
lerischem Wege hervorgebracht, sowohl ihrer Form, wie ihrem
innern Wesen nach ein eigenthüralich Deutsches Gepräge an
Jahrb. f. Phil. n. Pädnff. Jahrg. V. Hejt 3. 1 7
258 Deutsche Littcratur.
sich tragen, wodurch sie eich von den litter arischen Erzeug-
nissen andrer Nationen unterscheiden. Wir zweifeln , ob sich
diese Unterscheidung folgerecht durchführen lässt. Denn
wenn wir finden, dass Hr. K. die Bibelübersetzung des ülfilas,
eine Menge andrer Althochdeutscher Uebersetzungen sowohl
geistlichen als weltlichen Inhalts, ja sogar die Glossen in sei-
nem Grundriss der Deutschen National -Litteratur- Geschichte
berücksichtigt hat; so entsteht doch eigentlich ein Wider-
spruch, wenn man seine Definition damit vergleicht, und wir
dürften uns geneigt fühlen zu glauben, als habe derVerf in den
ersten Perioden eine Ausnahme von der Regel machen und we-
gen der Beschränktheit der Litteratur-Quellen lieber alles mit
aufnehmen wollen, was auf die Nachwelt vererbt worden ist.
Wir können das an und für sich nur billigen, hätten aber ge-
wünscht, dass dieseAusdehnung der festgesetzten Grenzen nicht
ganz stillschweigend vorgenommen worden wäre.
Das Gesammtgebiet der Deutschen Litteratur- Geschichte
wird hier in sieben Perioden getheilt: l) Von den ältesten Zei-
ten bis auf Carl den Grossen; 2) Von Carl dem Grossen bis zur
Thronbesteigung der Hohenstaufen ; 3) Von der Thronbestei-
gung der Hohenstaufen bis in die Mitte des vierzehnten Jahr-
hunderts, oder bis zur Gründung der ersten Deutschen Univer-
sitäten; 4) Von da bis zur Reformation im Anfange des sech-
zehnten Jahrhunderts; 5) Von der Reformation bis auf Opitz;
6) Von Opitz bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts;
7) Von da bis auf die neueste Zeit. Gegen diese Eintheilung
Hesse sich einwenden, dass sie nicht ganz logisch durchgeführt
ist, und dass die vorzüglichsten Zeitabschnitte in der Entwicke-
lung der Deutschen Litteratur nicht scharf und bestimmt genug
bezeichnet sind. Denn wenn man erwägt, welchen Gang die
Sprache genommen hat, von der ersten bis zur zweiten Periode,
von der zweiten bis zur dritten, von der dritten bis zur vierten,
und hinwiederum in den nächstfolgenden, so entsteht ein völlig
ungleiches Verhältniss. Zwischen der Gothischen und Altdeut-
schen Sprache ist ein ausserordentlich grosser Unterschied,
nicht weniger zwischen der Altdeutschen und Mitteldeutschen
Sprache, aufweiche zunächst das Neulrochdeutsche folgt. Die-
sem selbst aber sind drei Perioden angewiesen, während es an
und für sich nur EineEntwickelungsstufe unsrer Sprache bildet.
Wir würden uns daher lieber so geholfen haben, dass wir die
Hauptentwickelungsstufen der Sprache zum Grunde gelegt und
diese wieder da, wo es nöthig schien, in Unterabtheilungen ge-
bracht hätten, ungefähr folgendergestalt:
L Die ersten Keime des geistigen Lebens unter den Ger-
manen.
II. Gothische Sprache.
III. Altdeutsche Sprache.
Kobersteins Grundriss zur Geschichte der deutsch. Nationallitteratur. 259
1) Ober- oder IIo cli deutsch •
2) Niederdeutsch.
IV. Mitteldeutsche Sprache.
(Hier erscheint die Hochdeutsche oder Schwäbische Mundart
als die herrschende in der Schriftsprache, und die wenii^en
Denkmale, die ins Niederdeutsche hinüberstreifen , verdienen
in einer Darstellung der Litteraturgeschichte kaum berücksich-
tigt zu werden. Vergl. J. Grimms deutsclie Gramm. I p 752
iF. Doch sind liier zvvei Abschnitte zu unterscheiden, die in
der Poesie hauptsächlich durch die ritterlichen Minnesänger
und durch die späteren Meistersänger unter der Pflege^ der
Handwerker sich trennen, beiHrn. K. diedritteu.viertePeriode),
V. Neuhochdeutsche Sprache.
1) Von Luther bis Opitz.
2) Von Opitz bis Klopstock.
3) Von Klopstock bis Göthe und seine Zeitgenossen.
Nach diesen Bemerkungen über die Anordnung und Ver-
theilung des Stoffes wollen wir nunmehr zur Betrachtung eii-
zelner Puncte fortschreiten, zum Theil um unser günstiges Ur-
theil über das Werk zu bekräftigen, zum Theil auch, um Eini-
ges zur Sprache zu bringen, wo wir andrer Meinung sein zu
müssen glaubten. Gleich im ersten Abschnitt der ersten Pe-
riode handelt der Verfasser mit musterhafter Gründlichkeit
über den Ursprung der Deutschen, ihren Culturzustand in den
ältesten Zeiten und ihre Poesie. Unter dem Texte eines jeden
Paragraphen sind die Quellen genau verzeichnet , wodurch dem
Lehrer, der sich prüfend von allem erst überzeugen will, bevor
er es nachspricht, ein unschätzbares litterarhistorisches Reper-
torium gegeben ist, wie es bisher wenigstens noch nicht vor-
handen war. Man könnte in dieser Hinsicht W a c h I e r s Lehr-
buch der politischen Geschichte (für Gymnasien und Vorlesun-
gen gewiss das bi'auchbarste unter allen, die es giebt) damit
vergleichen, und leicht auf die Verrauthung kommen, als ob
das erstere dem letzteren zum Vorbilde gedient habe. Die
Verwandtschaft der Germanen mit den Lidern, Persern und
Griechen geht aus den Sprachdenkmalen dieser Völker selbst
hervor, und es spricht dafür auch die in nordischen Sagen über-
lieferte Einwanderung Odins aus Asien. Die diesen Völker-
schaften gemeinschaftliche Buchstabenschrift zeigt sich bei den
Deutschen in den Runen. „Dieses Runenalphabet, sagt Hr. K.
S. 4, scheint Ulfilas dem in seiner Bibelübersetzung gebrauch-
ten zum Grunde gelegt, nicht aber ein ganz neues erfunden zu
haben, wie Griechische Schriftsteller des fünften und Lateini-
sche des 6ten und Uten Jahrh. berichten." Wir möchten die
Richtigkeit dieses Ausspruches in seiner vollen Ausdehnung be-
zweifeln, da das Alphabet des Ulfilas grösstentheils aus Grie-
chischen Buchstaben besteht, und nur ein kleinerer Theil des-
17*
2()0 Deutsche Litteratur.
Beiben auf die Runen zurückzuführen ist. Auch die äussere
Gestalt der meisten Buchstaben ist so beschaffen, ^vie die der
Griechisclien ; einige dagegen sehen ganz eigenthüralicli aus
»uid mögen aus dem Runenaiphabet entlehnt sein. Am wahr-
scheinlichsten ist es daher, dass Ulfilas, dessen Muttersprache
die Griecliische war, das Griecliische Alphabet in seiner Go-
thischen Bibelübersetzung zum Grunde legte und hier und da
die Runenschrift zu Hülfe nalim. — Der Vorwurf der Roheit
trifft unsre Altvordern keineswegs , nur darf auch der Grad ih-
rer Bildung nicht zu hoch angeschlagen werden. Volkspoesie
scheint seit uralter Zeit unter ihnen gelebt zu haben, wie aus
mehreren Stellen des Tacitus mit Sicherheit gefolgert werden
kann. Die Form dieser Poesie scheint allitterirend gewesen zu
sein, und ein Beispiel der Art Hesse sich in dem Hiidebrands-
liede nachweisen, das zwar der Sprache nach in eine spätere
Zeit, als die des Tacitus, fallen dürfte, aber die ursprüngliche
Form beibehalten hat. Die Barden werden mit Recht an die
Gallier verwiesen, und der deutsche banitus (Tacit. Germ. c.
3) wird als etwas mit jenen in gar keiner Verbindung stehen-
des erklärt. — Der zweite Abschnitt handelt von der Verbin-
dung der Deutschen mit i!iQi\ Römern, von der Völkerwande-
rung, vom Einfluss des Christenthums auf die Bildung der
Deutschen , und von den ältesten Denkmaien der Sprache. S.
11 ist unter den litterarischen Notizen nr. 2 noch nachzutragen:
Mva7igelü secimdum Mattliaeiim versio Francica saeculi IX., nee
iion Golhica saeculi IV quoad supercst. Ed. J. A. Schmeller.
Stuttg. 1828. 8. Mächst Ulfilas werden hierher gezogen als
Denkmale der Althoclideutschen Sprache aus vorcarolingisclier
Zeit die Uebersetzung des Isidorischen Tractats de nativitate
domini, der Regel des H. Benedictus von Kero, Beicht-Formeln
u. s. w., endlich auch die sogenannten Fränkischen Kirchenlie-
der, von denen bis jetzt nur vier herausgegeben sind, obgleich
Juni US (Vorrede zum Goth. Glossarium) deren noch 26 hatte,
die nun neuerdings, was S. 12 nachträglich zu bemerken ist,
in Oxford wieder aufgefunden worden sind, und hoffentlich
bald herausgegeben werden. S. Grimm in der Vorrede zum
2n Bde. der Deutschen Gramm. Zu den S. 13 angeführten Glos-
sen füge man ausser den von Graf f in der Diutiska abgedruck-
ten noch eine besondere Sammlung Iiinzu: AUhochdeutsc/ie
Glossen. Von H. Hoffmann. Nebst einer litt. Uebcrsicht alt-
hochdeutscher und angelsächsischer Glossen. Breslau 182({. 4.
Vergleiche Wiener Jahrbücher der Litteratur Bd. 41, Anzeigc-
tlatt S. 14 ff. — Das Fortleben der Poesie unter dem Volke
gibt sich kund aus einzelnen Nachrichten und aus Ansätzen zu
der eigenthümlich Deutschen Heldensage in Liedern, die aber
noch nicht aufgezeichnet wurden, wie das Hiklebrandslied,
Kuberstcins Grundrlss zur Gosclücbte der deutsch. Nutionallittcrcitur. 2G1
welches vielleicht Jahrhunderte früher gedichtet, als aufge-
schrieben ward.
Die zweite Periode zerfällt abermals in zwei Abschnitte.
1) Carls des Grossen Verdienste um die Bildung der Deutschen.
— Blüthe und Verfall der Kloster- und Doraschulen. — Ander-
weitige Begünstigungen für die Entwickelung des Deutschen
Geistes. 2) Denkmäler. Prosaische Werke. Nachrichten über
den Volksgesang. Auf uns gekommene Gedichte. Die meisten
Schriftwerke dieses Zeitraums sind geistlichen Inhalts. Zu den
Ausgaben von Willerams Uebersctzung und Auslegung des
Hohenliedes kommt jetzt noch die von II off mann hinzu, in
doppelten Texten aus der Breslauer und Leydencr Handschrift.
Breslau 1827. 8. Selbstständiger und freier , als die prosai-
sche Litteratur, gestaltete sich die poetische, worüber in vier
§§ (20—29) gehandelt wird. S. 24 Anm. 1 wird des Streites
erwähnt, der sich zwischen Grimm und A. W. Schlegel
wegen Erklärung der Worte memoriae manilavit bei Eginhart
Vita Caroli M. c. 2ü entsponnen hat. Hier ist wohl das Recht
unstreitig auf Schlegels Seite, der übersetzt: „er sorgte fiir die
Aufbewahrung der Lieder , übergab sie dem Gedächtniss der
Nachwelt." Dafür spricht nicht nur die Stelle des Poeta Saxo
über denselben Gegenstand [barbara mandavit carmiiia litterji-
lis) sondern sogar ein locus classicus bei Tacitus Germ. c. 2,
wo memoria in gleicher Bedeutung gebraucht ist. Hr. K. lässt
es unentschieden, ob das Bruchstück des Hildebrandsliedes zu
der von Carl dem Grossen veranstalteten Sammlung gehörte:
wir aber müssen gestehen, dass nach Grimms Erörterungen die
Sache wenigstens eine ausserordentliche Wahrscheinlichkeit
für sich hat.
Sowie das Hildebrandslied für die AUitterations-Poesie, so
ist das Ludwigslied das wichtigste Altdeutsche Denkmal für den
Reim , der erst später in der Volkspoesie als Organ dem Ge-
dächtniss zu Hülfe gekommen zu sein scheint. Die Beschrei-
bung der Form dieses Gedichtes scheint uns zu kurz und zu
unbestimmt ausgefallen zu sein: „Es ist strophisch und in Rei-
men abgefasst." Es hätte bemerkt werden sollen, dass die ein-
zelnen Strophen aus vier kleineren Zeilen (im Gegensatze zu
den grösseren, wie im epischen Vers des Gedichtes von der
Niebelungen Noth u. s. w.) bestehen, wovon sich jedesmal die
zwei ersteren und zwei letzteren reimen. Auch hätte nicht un-
erwähnt bleiben sollen, dass die Sprache des Ludwigsliedes
noch mehr Fränkisches Gepräge an sich trägt, als die des Ot-
fried, und nicht nur eine grosse Fülle des Wohllautes, sondern
auch Kraft des Ausdrucks und Lebendigkeit der Darstellung
enthält.
Die dritte Periode betrachtet in drei Abschnitten 1) die
äussern und innern Verhältnisse Deutschlands in ihrer Einwir-
262 Deutsche Litteratur.
kung auf die Entwickelung und den beginnenden Verfall der
Poesie, und die wissenschaftlichen Bildungsanstalten der Deut-
schen; 2) die epische Poesie; 3) die lyrische und didaktische
Poesie, endlich die Prosa. S. 39 wird nach der allgemeinen
Eintheilung des Deutschen epischen Sagenstoffes in einheimi-
schen und fremden der letztere ganz richtig wieder in zwei
Hauptmassen geschieden: a) die romantischen, b) die antiken
Ritter- und Heldendichtungen. Die romantischen epischen
Gedichte sind entweder auf Französischem oderEnglischera Bo-
den entsprungen und von dorther nach Deutschland gewandert.
Nach dieser durchaus logischen Eintheilung scheint es uns un-
logisch, wenn § 41 — 49 die gesammte epische Poesie unter sie-
ben Rubriken abgehandelt wird, welche weder als subordinirt,
noch als coordinirt zu rechtfertigen sind. — S. 44 Anra. 10 ist
unseres Bedünkens das trefflichste und volksthümlichste epische
Gedicht von der Niebelungen Noth zu kurz abgefertigt: „das
erste Gedicht in der auf uns gekommenen Gestalt aus dem An-
fange des ISten Jahrh. ist in der vierzeiligen [hätte auch ge-
nauer bezeichnet werden sollen im Gegensatze zu den kleine-
ren Zeilen, wie im Ludwigsliede] Strophe, das zweite [die
Klage] in kurzen Reimpaaren." Hierauf folgen die Ausgaben,
unter welchen die des Freiherrn Jos. von Lassberg 1821
erst in den Nachträgen angeführt wird, mit dem Zusätze; „Sie
ist ein Abdruck der ersten Hohen-Emser Handschrift." Sie ist
aber ein Abdruck von der zweiten (im Gegensatz zu der erste-
re« oder älteren, die sich jetzo in München befindet und der
Lachmannschen Ausgabe zum Grunde liegt) Hohen - Emser
Hnds. , gegenwärtig im Besitze des Freiherrn von Lassberg.
Vrgl. Lachmanns Ausg. Vorrede S. IV, C. Unter den Erläute-
rungsschriften über das Gedicht vermissen wir ungern eine
Verweisung auf A. W. Schlegels geistreiche Abhandlung im
deutschen Museum, die hoffentlich im dritten Bande seiner ver-
mischten Schriften eine Stelle finden wird. Schlegel hat zwar
selbst die Ansicht, dass Heinrich von Offerdingen Bearbeiter
der gegenwärtigen Gestalt sein dürfte, wieder aufgegeben; al-
lein die Schrift ist in andrer Hinsicht auch äusserst belehrend, so
dass sie wenigstens nicht der Vergessenheit übergeben werden
sollte. Auch kann noch auf Solgers nachgelassene Schrif-
ten Bd. 1 S. 124 verwiesen werden, wo er unser Gedicht sei-
ner Anlage nach über die Ilias gestellt wissen will. — Zu den
romantischen Gedichten des zwölften Jahrhunderts ist neuer-
lich hinzugekommen ein von W. Grimm herausgegebenes
Bruchstück: Grave Ruodolf. Göttingen 1828. 4- S. 48 Anm.
8 ist nachzutragen: Iwein der ritter mit dem lewefi getihtet
von dem he/n Hartman dienstman ze Ouive. Herausg. v. G. F.
Benecke und K. Lachmann. Berlin 1827. 8.
Koberstelns GruadriüS zur Gesvlüchte der deutsch. Natiouallittcrutur. 2Gä
In der Darstellung der lyrischen Poesie betrachtet der
Verf. mit J. Grimm die Lieder der Deutschen Meister- und Min-
nesänger «rsprxinglich als identisch, jedoch mit dem Unter-
schiede, dass diese meisterliche Kunst allerdings mit der Zeit
erstarrte und zu einer geistlosen Reimerei in den spc'ilereft
Meistersängerschulen herabsank. Ebenso wird mit vollem Recht
der Deutsche Meistergesang als ein edler Auswuchs aus dem
Volksgesang dargestellt durch Verfeinerung und weitere Aus-
bildung der Form des letztern, durch Erhebung des Standes
der Sänger und durch den in diesem Zeitalter iiberwiegenden
Hang zum subjectiven lyrischen Princip. Der Geist, welcher
diesen Poesien zum Grunde liegt, ist so original, trägt so durch-
aus den Stempel der Nationalität, dass selbst da, wo Nachah-
mungen statt gefunden haben mögen, diese erst in den Deut-
schen Volksgeist eingetaucht in ganz eigenthiimlicher Gestalt
ans Licht getreten sind. Nur ein einziges Beispiel. Der pro-
ven9alische Troubadour Peyrol (Raynouard Choix des poesies
originales des Troubadours V, 282) singt nach derüebersetzung
von Fr. Dietz also:
Rauben möcht' ich, oder mir
Stehlen einen Kiiss von ihr;
Sollte sie drum Streit erheben.
Wollt' ich ihr ihn wiedergeben.
Um wie viel gemüthlicher dagegen Walther von der Vogel weide
Ausg. von Lachmann S. 54, 7.
Si hat ein küssen, daz ist rot:
gewünnc ich daz für mincn munt,
so stüende ich üf von dirre nüt
und waere euch ieraer me gesunt.
swä si daz an ir wengel legt,
da waere ich gerne nahe bi :
ez smecket, so manz iendcr regt,
alsam ez vollez balsamen si.
daz gol si lihen mir:
swie dicke so siz wider wil, so gibe ichz ir.
Ebenso hat sich ja auch später in Italien der Minnesang ganz
eigenthümlich gestaltet, ohne dass an eine eigentliche Nachah-
mung gedacht werden darf. Man kann hieriiber noch verglei-
chen die Poesie der Troubadours von Fr. Diez. Zwickau 1827.
S. 255 ff. Die auf uns gekommenen Lieder der alten Meister-
sänger sind ihrem Inhalte nach in vier Classen getheilt: l) die
eigentlichen Minnelieder von vielseitigem Umfange. Hr. K.
macht die ganz richtige Bemerkung, dass man Einförmigkeit
diesen Gedichten nur vorwerfen könnte, wenn man davon ab-
sehe , dass es zu allen Zeiten, in denen ein wahrhaft
264 Deutsche Litteratur.
poetisches Leben herrschte, auch nicht an schlechten Dichtern
und namentlich nicht an zahlreichen Nacliahraern dessen ge-
fehlt hätte, was als vortrefflic \ anerkannt wurde. Der frucht-
barste und kunstreichste unter allen hierher gehörigen Minne-
sängern ist Walther von der Vogelweide, dessen Gedichte nun
auch in einer kritischen Ausgabe besonders erschienen sind :
Die gedickte Walthers von der Vogelweide. Hermisg. vo?i K.
Lachmami. Berlin 1827. 8. 2) Die religiösen lyrischen Ge-
dichte. S) Die an Fürsten und Edle gerichteten Lob- und Straf-
lieder, Klagelieder, endlich die aus jenen hervorgegangenen
politischen Lieder. 4) Moralische Lieder, Gleichnisse, Fabeln
undRäthsel. In der didaktische?! Poesie nimmt wohl den höch-
sten Rang Frigedanc ein, wahrscheinlich ein angenommener
Name, worüber A. W. Schlegel in seiner Berichtigung eini-
ger Missdeutungen S, 49 sich also äussert: „Möchten wir nur
mit der Kraft unserer Väter auch etwas von ihrer Freimüthig-
keit geerbt haben ! Der Freigedank, zum Beispiel, entspricht
seinem Namen vollkommen. Das Buch enthält zwar theologi-
sche Sprüche nach dem katholischen LehrbegriflF ; aber auch
Sinnsprüche voll philosophischen Tiefsinns ; aber auch Aeus-
serungen über die kirchlichen Missbräuche, deren Kühnheit in
Erstaunen setzen muss." Möge der dort zugleich in Anregung
gebrachte Wunsch einer kritischen Ausgabe recht bald in Er-
füllung gehen! — Die prosaischen Schriftwerke sind wie in
jedem Zeitalter, wo die Poesie das Leben des ganzen Volkes
durchdringt, hinter dieser in ihrer Entwickelung weit zurück-
geblieben. Bis jetzt sind nur bekannt geworden der Sachsen-
und Schwaben -Spiegel und die Predigten des Franciscaners
Berthold.
Der Grund, dass Hr. K. für den Zeitraum zwischen der
Mitte des 14ten und dem Anfange des Ißten Jahrhunderts ei-
nen Hauptabschnitt bestimmt hat, scheint hauptsächlich in dem
selbstständigern Hervortreten der Deutschen Prosa zu liegen.
„Manches, fügt der Verf. hinzu, was in den Verhältnissen die-
ser Zeit nachtheilig auf die Poesie wirken rausste, erwies sicli
als förderlich für die Ausbildung der Prosa." Das können wir
allerdings nicht bestreiten, denn es ist historisch ausgemacht:
dagegen glauben wir in diesem Factum noch keinen hinlängli-
chen Grund zur Festsetzung einer besondern Periode zu finden.
Die Deutsche Sprache dieses Zeitraums ist weder reines Mittel-
hochdeutsch, noch reines Neuhochdeutsch, wie es seit Luthers
Bibelübersetzung allmählig zu der Stufe der Ausbildung ge-
langte, die ihm seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhun-
derts zu Theil ward. Wer aber wird für die Vermittlungsstufe
aus der Poesie in die Prosa eine besondere Periode ansetzen
wollen? Wohl aber ist der Zeitpuuct entscheidend, wo die
Prosa ganz unabhängig von der Poesie zuerst selbstständig her-
Kobersteina Grundriss zur Geschichte der deutsch. Nationallitteratur. 2C5
vortritt. Und ia der Deutschen Sprache gerade ist Luthers Bi-
belübersetzung um so entscheidender, als man von da ab zuerst
anfieng, eine allgemein verständliche Schriftsprache einzufüh-
ren, während früher bald mehr bald weniger in den verschie-
denen Mundarten geschrieben ward. Wir dürfen es nur für
einen Gewinn ansehen, dass Lutlier, an der Grenze von Ober-
«nd Niederdeutschland geboren, erzogen und gebildet, die Ele-
mente dieser beiden Hauptmundarten auf eine äusserst glück-
liche Weise verschmolz und somit eine Hochdeutsche Schrift-
sprache begründete, die am leichtesten und am schnellsten all-
gemeine Geltung erhalten konnte. Nehmen wir noch hinzu,
dass Luthers Bibelübersetzung aus allen früheren dasjenige in
sich aufnahm , was nur irgend in die Volkssprache übergegan-
gen war und das Geniüth des Volkes lebhaft ergriffen hatte; so
erklärt sich der Einfluss , den sie auf die ganze Deutsche Spra-
che (katholische Schriftsteller nicht ausgenommen) geübt hat,
desto eher. — Die Litteratur der vierten Periode ist in fünf
Capitel eingetheilt: 1) Epische, 2) Lyrische, 3) Dramatische,
4) Didaktische Poesie, 5) Prosa: Denkmäler. Der Unterschied
der lyrischen Poesie dieses Zeitraums von der im vorigen wird
sehr charakteristisch so angegeben, dass an die Stelle der freien
Herzensergiessung und einer zwar durch Regeln umgrenzten,
aber in diesen sich mit Leichtigkeit und Anmuth bewegenden
Kunst, ein steifes, ceremoniöses Wesen und eine Reihe von
Satzungen trat , die bloss auf die äussere Form der Lieder sich
bezogen, deren genauere Beobachtung aber allein schon zu ei-
nem guten Liede hinreichend zu sein schien. „Die Nachahmung
von Tönen älterer berühmter Meister hinderte nicht, noch im-
mer neue zu erfinden, die in ihrer oft überweit getriebenen
Künstlichkeit u. Länge und dem geschmacklosen Bau ihrer ein-
zelnen Glieder die wahre Liederform vernichteten, wenn gleich
die alte Structur im Ganzen äusserlich beibehalten wurde."
Die epische Poesie war kaum noch ein Schatten der alten Volks-
dichtungen; die dramatische zeichnet sich durch nichts mehr,
als durch Rohheit in der Anlage und derben Witz aus ; die di-
daktische dagegen nimmt den ersten Platz ein, obgleich sie hin-
ter der früheren sehr zurückbleibt. Die Prosa liefert insonder-
lich Ritter- und Volksroraane, Chroniken, Predigten u. dgl.
In der fünften Periode wurden durch die Reformation die
Geister vielfach aufgeregt, wodurch die prosaische Litteratur
immer mehr ausgebildet und vervollkommnet wurde. Die Poe-
sie blieb dagegen zurück, die sich jetzt nur auf Kirchen - und
einige Volkslieder beschränkte. Die Gelehrten, wenn sie sich
in das Feld der Poesie verstiegen, dichteten aus Verachtung ge-
gen die Muttersprache Lateinisch. „Sie den altern, glänzen-
den Zeiten der Deutschen Poesie zuzuwenden und sie aufs neue
durch das Element der classischea Bildung zu beleben, fühlten
266 Deutsche Litteratur.
die protestantischen unter ihnen um so weniger Beruf in sich,
je mehr ihnen jene Zeiten und das, was in ihnen entstanden
war, als in Finsterniss u. Aberglauben gehiillt erscheinen rauss-
ten.'"' Yorurtheileauf beiden Seiten der streitenden lleligions-
parteien waren keiner Kunst mehr, als gerade der Poesie ab-
hold. Lobenswertli ist die unparteiische Darstellung aller Ver-
hältnisse, welche auf die Litteratur eingewirkt haben ; und der
Rec. glaubt aus inniger Ueberzeugung versichern zu dürfen,
dass Hr. K. weder den katholischen, noch den evangelischen
Glaubensgenossen irgend einen Anstoss erregen wird: durch
solches leidenschaftslose u. zugleich gründliche Streben dürfte
das religiöse Band der verschiedenen Confessionen immer enger
werden und wenigstens der Streit der Wissenschaft fremd blei-
ben, den die Theologen für sich hegen und pflegen mögen.
Die dramatische Poesie erscheint in Hans Sachs u. Jacob Ayrer
als die fruchtbarste dieses Zeitraums, die sich besonders durch
das Fastnachtsspiel auszeichneten.
Die sechste Periode zerfällt in vier Abschnitte. 1) Ungün-
stige Umstände für die Entwickelung der neuern Deutschen Lit-
teratur. Allgemeiner Charakter derselben in dieser Periode.
Wissenschaftliche Bestrebungen der Deutschen. 2) Vorberei-
tung des neuen Geschmacks in der Deutschen Poesie. — Die
erste Schlesische Dichterschule. — Poetische Litteratur wäh-
rend der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. 3) Die
zweite Schlesische Dichterschule; völlige Ausartung der Deut-
schen Poesie; Anzeichen eines bessern Geistes in derselben zu
Ende des Zeitraums. — Poetische Litteratur von der Mitte
des siebzehnten bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhun-
derts. 4) Prosaische Litteratur vom Anfange des siebzehnten
bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.
Durch die Erscheinung Friedrichs II erhielten Deutschlands
politische Verhältnisse eine andre Gestalt, deren Einfluss, so-
wie auf das geistige Leben überhaupt, also auch auf die Lit-
teratur in der siebenten Periode sehr bedeutend war, so wenig
auch der Deutsche Fürst zur Belebung der vaterländischen Poe-
sie aus einem tief eingewurzelten Vorurtheil beizutragen sich
geneigt fühlte. Mit desto freierem Geiste u. aus eignem Borne
schöpfend trat daher Klopstock auf, ein wahrer Fürst der neuem
Deutschen Poesie, gleich als wollte er seinem königl. Zeitgenos-
sen ein Gegengewicht bieten. Jetzt folgte Schlag auf Schlag
eine wunderbare Erscheinung in der Deutschen Litteratur auf
die andre, bis endlich Goethe gleichsam das Ideal des Deutscheu
Geistes aufstellte und Alles in sich vereinigte, was den unpar-
teiischen Kunstrichter des Auslandes mit der grössten Achtung
und Bewunderung erfüüen muss. Was in der classischen Phi-
lologie durch Holländischen Samralerfleiss, durch Englischen
Scharfsinn und durch Deutsche Genauigkeit geleistet war, das
Kobersteins Grundriää zur Geschichte der tieatdch. Nationallittcratur. 267
hat sich in Einem Geiste concentrirt, in Friedrich August Wolf,
der bei der tiefsinnigsten Gelehrsamkeit die Erhabenheit der
Ansichten verband, welclie Winckelmann zuerst ins Leben zu-
rückgerufen, und der gerade darum geeignet war, die Plillo-
logie aus ihrer Jangen Knechtschaft, worin sie namentlich durch
die Theologie gehalten wurde, endlich zu emancipiren.
Der ganze Zeitraum ist wieder in drei kleinere Abschnitte
gebracht, von denen der erste bis um das Jahr llfYO reicht, der
zweite von da bis 1795, der dritte endlich die neue Wendung
andeutet, welche die schöne Litteratur der Deutschen um das
Jahr 1795 nahm. S. 215 wird von Bodmer und Breitinger, als
den Gegnern des pedantischen Gottsched, gesagt, dass sie auf
Klarheit und Natürlichkeit in der Poesie und Prosa drangen,
das Studium der alten Classiker empfahlen und, wie Gottsched,
Achtung für die ältere vaterländische Poesie zu erwecken und
die Deutsche Litteratur durch üebersetzungen zu beleben such-
ten. Von Gottsched selbst aber ist kurz vorher nur bemerkt
worden, dass er auf die Dichter der ersten Schlesischen Schule
lobend hinwiess. Dadurch könnte also leicht eine grosse Zwei-
deutigkeit entstehen. Bodmers Hauptverdienst bestand aber in-
sonderlich darin, dass er das Gedicht von derNiebelungen-Noth
zuerst wieder ans Licht rief und die Manessische Sammlung der
Deutschen Minnelieder zuerst drucken Hess. — Als ein Bei-
spiel von der musterhaften Präcision und Bestimmtheit in der
Charakteristik der bedeutendsten Männer wollen wir das S. 221
gegebene hervorheben: „Friedrich Gottlieb Klopstock fühlte
zuerst die hohe Bestimmung der Poesie. Indem er Religion,
Vaterlandsliebe und Alles, was seine grosse und edle Seele be-
wegte und erfüllte, zu Trägern seiner Dichtungen machte, sich
gewissermaassen eine neue poetische Sprache und neue rhyth-
mische Formen schuf, gab er ihr nicht nur wieder einen ihrer
würdigen Gehalt, sondern er zog sie auch von der einseitigen
Nachahmung Französischer Vorbilder ab, und enthüllte ihre
Wege, aufweichen allein sie sich ihrem wahren Ziele nähern
konnte. Wenn er selbst dieses vielleicht niemals ganz erreichte
und sogar in der Wahl und Behandlung seiner Gegenstände, so
wie in den Formen, in die er sie kleidete, in manchen neuen
Irrthura verfiel, während er die Vorhandenen zu zerstören
suchte, so kann es doch niemals hoch genug angeschlagen wer-
den, dass sein Streben von Anfang an dahin gerichtet war , ein
Deutscher Dichter im vollen Sinne des Worts zu werden , und
dass der hohe Ernst, die edle Begeisterung und der würdige
Stolz, womit seine Dichtungen durchdrungen waren, die Deut-
schen zuerst wieder mit dem Gefühl ihrer Würde erfüllte." —
Es hätte vielleicht noch besonders hervorgehoben werden sol-
len, dass Klopstock ein unversöhnlicher Feind des Reimes war,
und diesen als etwas Barbarisches und als ein leeres Wortge-
26S Deutsche LUteratur.
klingel betrachtete. Dieses Vorurtheil hat denn auch bewirkt,
dass der grosse Mann das Wiederaufleben unsers National-Epos
von der INlebelungen-Noth nicht mit dem Enthusiasmus aufnahm,
den er sonst für alles Schöne und Grossartige fühlte, — Er,
der am ersten im Stande gewesen wäre, das poetische u. plian-
tasiereiche Leben des Deutschen Mittelalters in verjüngter Ge-
stalt hervortreten zulassen: wenigstens würde er dadurch weit
volksthümlicher geworden sein, als durch das Studium der kal-
ten nordischen Mythologie, die er an die Steile der Griechi-
schen einimpfen wollte.
Das mag genug sein zur Empfehlung dieses ausgezeichneten
gründlichen Buches, dessen Brauchbarkeit in den obern Classen
von Gymnasien der Rec. selbst durch eigne Erfahrung bewährt
gefunden hat, weshalb er dessen weitere Verbreitung aus gan-
zem Herzen wünscht.
Breslau, im Decbr. 1828. Dr. N. Bach.
1. Die D eutsche Litteratur von Wolf gang Menzel. Erstev
und zAveiter Tlieil. Stuttgart, bei Friiuckh 1828. 280 und 302 S.
gr. 12. 3 Thlr. 12 Gr.
2. lieber Unsinn titid Barbarei in der heutigen
Deutschen Litteratur. Ein gelegentliches Wort von Dr.
Th. Schacht, Professor der Geschichte zu Mainz. Mainz, hei
Kupferherg 1828. 193 S. 8.
Es ist an und für sich eine sehr erfreuliche Erscheinung,
dass in einem verhältnissmässig kurzen Zeitraum zur Darstellung
der Deutschen Litteraturgeschichte von verschiedenen Seiten
her eifrige und von warmer Liebe zeugende Versuche gemacht
worden sind, und der Eine entweder einen ganz eigenen, von
dem des Andern völlig verschiedenen Weg eingeschlagen, oder
die Ansichten des Andern berichtigt u. bestritten hat. Da nun
obendrein, wie es scheint, das Publicum an dergleichen For-
schungen den innigsten Antheil nimmt, so ist man zu der Ver-
muthung berechtigt, dass das Studium der vaterländischen Lit-
teratur sowohl auf Schulen als auch unter Gebildeten den Geist
der Nation lebendiger ergriffen hat, als je, und uns die heiter-
sten Aussichten in die Zukunft eröffnet. Für unsre Gymnasien,
wo vielleicht kein Zweig des Unterrichtes kärglicher bedacht
ist und pedantischer behandelt zu werden pflegt, als gerade
die Deutsche Sprache und Litteratur, ist durch Kobersteins
Grundriss der Deutschen National -Litteratur (Leipz. 1827) un-
gemein Erspriessliches und Gründliches geleistet worden, des-
sen zweckmässiger Gebrauch gewiss überall Gedeihen und Se-
gen um sich verbreiten wird. Zum Selbststudium dagegen und
Menzel und Schacht uher Deutsche Littcratur. 269
zur belebenden Anregung dürfte nicht leicht ein Ruch dringen-
der zu empfehlen sein , als Wachlers schon frülier erschie-
nene Vorlesungen über die Deutsche National -Lit(eratur. Die
Hoffnung zu einer zweckmässigen Chrestomathie aus allen Bil-
dungsstufen der Deutschen Sprachdenkmale scliimmert auch
nicht mehr in sehr weiter Ferne, die, ohne Engherzigkeit und
religiöse Parteilichkeit angelegt, ihres Zweckes gewiss nicht
verfelilen wird. Dann erst, wenn die eigne Anschauung den
Geist und das Gefühl des Lernenden lebendig ergreift und sein
Urthcil bedingt, und wenn sein innerer Sinn statt eines todtea
Gerippes das Dasein eines beseelten, in fortwährender Ent-
wickelung seiner Kräfte begriffenen organischen Körpers ver-
spürt, dann erst wird die begeisternde Liebe für das köstlich-
ste und unvcräusserlichste aller Nationalgüter kräftig erstarkea
und segensreiche Früchte tragen.
Die Verfasser der vorstehenden Schriften haben nicht den
engern Kreis der Sch;\len zunächst vor Augen gehabt, sondern
vielmehr das grössere Publicum, ziehen aber eben darum doch
die Aufmerksamkeit der Lehrenden auf sich, und üben also auch
auf die Lernenden wenigstens mittelbar einen grössern oder
geringern Einfluss. Die Schrift des Herrn Schacht ist erst
durch Ersciieinung der Men zelschen veranlasst worden, und
beobachtet durchweg eine polemische Richtung. Es scheint da-
her dem Ilecensenten am bequemsten, den Gang, welchen Hr.
Menzel eingeschlagen hat, nach Maassgabe der diesen Jahr-
büchern gezogenen Schranken Schritt für Schritt zu verfolgen,
dessen Behauptungen und Ansichten theilweise .hervorzuheben
und in Vergleich mit den Schachtschen Entgegnungen nach eig-
nem Urtheil zu beleuchten.
Der Inhalt des ersten Theiles erstreckt sich auf die Masse
der Litteratur, die Nationalität, den Einfluss der Schulgelehr-
samkeit und der fremden Litteratur, auf den litterarischen Ver-
kehr, auf die Religion, Philosophie, Geschichte, auf den Staat
und die Erziehung; der zweite Theil liefert Betrachtungen über
Natur, Kunst und Kritik. Wir haben also hier weniger eine
möglichst vollständige Darstellung der Deutschen Litteratur von
den frühesten Keimen ihrer allmähligen Entwickelung bis zu ih-
rer gegenwärtigen Gestaltung zu erwarten, als aphoristische
Räsonnements über den gegenwärtigen Standpunct derselben in
ihrem ganzen Umfange, wobei Hr. M. vomLeben ausgehen will,
um beständig darauf zurückzukommen. „An diesem Ariadnefa-
den hoffen wir in dem Labyrinth der Litteratur uns zurecht zu
finden. Indem wir uns im frischen Gefühl des Lebens über die
todte Welt der LitterJiur stellen, wird sie uns alle Geheimnisse
aufschliessen müssen, ohne uns in den Zauberschlaf zu wiegen.
Nur der Lebendige kann wie Dante dieSchattenwclt durchwan-
dern. Wir werden manchen Deutschen Professor darin finden.
270 Deutsche Litteratur.
der in Lleiernem Rock mit rückwärts gedrehtem Halse nach
dem grünen Leben zurückblickt, und nimmer aus der grauen
Theorie herauskann u. 8. w." (S. 11. 12) An diesen wenigen
Worten bemerkt man schon ein gewisses Haschen nach auffal-
lenden Redensarten, nach geistreich und sinnvoll sein sollenden
Witzeleien, nach naturphilosophischen Terminologien und der-
gleichen Sächelchen mehr, die erst im Verlaufe der Darstellung
manchmal unangenehm auffallen. Hr. Schacht, dessen Büch-
lein übrigens auch einen etwas zu hochtrabenden Titel trägt,
bemerkt hierüber gleichfalls S. 8 Folgendes: „Es regnet Sen-
tenzen und witzige Antithesen, occidentalische uhd orientali-
sche Bilder, und zwischendurchlassen sich orakelhafte, fast
endlose Reden vernehmen, wenn er die Augen schliesst und
das dissonirende Concert accompagnirt." Eine leicht fliessende
Gewandtlieit des Ausdrucks, ein gesunder und kernhafter Witz,
ein scharfer Blick in die Natur des fraglichen Gegenstandes ist
Hrn. S. keineswegs abzusprechen: aber in den Fehler, wel-
chen er seinem Gegner vorwirft, verfällt er nicht selten selbst.
Statt vieler stehe hier nur Ein Beispiel S. 120: „Wir wissen
nicht, wer älter ist, Görres oder Tieck. Ist es jener, so kann
er als Profet der künftigen Religion für den Täufer, und Tieck
für — dürfen wir das hohe Wort hier aussprechen? — für den
Heiland gelten." Solche Wortspiele mit dem Heiligsten eckein
einen nur an, und ihr Urheber scheint das Unschickliche selbst
gefühlt zu haben. Man lässt sich so etwas eher in dem Fing des
mündlichen Gejjprächs von der Zunge fahren; aber der schrift-
lichen Darstellung, wo man mit den Worten genauer ist, muss
es fremd bleiben. — Herr M. behauptet mit Recht, dass die
Litteratur das Leben nicht nur umfassender, sondern auch rei-
ner abspiegelt, als irgend ein anderes Denkmal, weil kein an-
deres Darstelluugsmittel den Umfang und die Tiefe der Sprache
darbietet. Auch das müssen wir Hrn. M. zugestehen, dass das
Leben als unbegrenzt über der begrenzten Sprache steht. Seine
Tiraden aber gegen die neue Litteratur, gegen die Schreiben-
den und Lesenden, so viel Wahres sie auch in gewisser Bezie-
hung enthalten mögen , sind doch im Allgemeinen übertrieben
und aus der Luft gegriffen: er greift die Schattenseiten auf und
schiebt die Lichtpartien in den Hintergrund, und das heisst nur
mit Einem Auge sehen , wie es sich für den ruhigen und beson-
nenen Forscher der Geisteserscheinungen nicht geziemt. AU'
diese Greuel nun, wie er sie darstellt, gibt Hr, M. der Erfin-
dung der Buchdruckerkunst Schuld, deren heilsame Wirkungen
nur einem excentrischen Gefühl und einer auf Kreuz- und Quer-
wege abgestreiften Einbildungskraft entgehen können. Hr. M.
zieht los auf die unzählige Masse der schon gedruckten Werke,
vergisst aber dabei, dass es nicht leicht irgend einen Zweig des
Wissens gibt , worüber nicht schon weiland die Griechen und
Menzel und Schacht über Deutsche Litteratur. 271
Griechlein ohne Buchdruckerlcunst mehr als Ein Buch geschrie-
ben hätten, selbst die edle Kochkunst nicht abgerechnet, wenn
es auch etwa noch keine Gravatianla u. dgl. gegeben haben sollte.
Wenn uns aber Hr. M. ein Volk aufweist, wo sich das Leben
herrliclier und glänzender entfaltet hat, als bei den alten Hel-
lenen, niagnus mibi erit Apollo. Wozu soll auch das bestän-
dige Schimpfen und Schreien: halte er sich lediglich an seinen
Gegenstand, und stelle die Sache ohne alle Tinten und Schmin-
ken so dar, wie sie sich dein ruhigen Beobachter von selbst zeigt.
Doch alle diese llasonnements lässt man sich noch gern gefallen;
aber wenn man erst sieht , wie keck Hr. M. auf die Verdienste
andrer achtungswerther Männer, welche vor ihm die Deutsche
Litteraturgeschichte behandelt haben (z. B. Wach 1er) herab-
blickt, um sich, den auserlesenen Propheten der unversiegba-
ren Weisheit, desto höher zu stellen; dann möchte man vor
Ungeduld platzen. Die Leser mögen selbst urtheilcn nach dem
S. 17 befindlichen Pröbchen: „das Bedürfniss nach einem üe-
berblick ist immer dringender geworden, je mehr uns die Bü-
cher von allen Seiten über den Kopf zu wachsen drohen. Man
hat desshalb schon längst jene periodische Litteratur zugerü-
stet, die als administrative Behörde die anarchischen Elemente
der schreibenden Welt bemeistern soll; diese nuraerirenden,
classificirenden, conscribirenden, judicirenden Bureaux sind
aber selbst von der Anarchie ergriffen und in das allgemeine
Chaos unaufhaltsam fortgerissen worden u. s. w." Doch lässt
er Lessing, Herdern und Schlegeln (welchem von den beiden
Brüdern? — oder nennt er etwa den Friedrich xar l^o^^v so?
Man sollte beinahe glauben, wenn man andre Stellen in Erwä-
gung zieht) Gerechtigkeit widerfahren, die er wenigstens nicht
unter seine Füsse gestellt hat. Hr. M. jedoch sitzt auf dem
Delphischen Dreifuss, von dem herab seine Weissagungen er-
tönen S. 19: „Im Gewülil des Lebens selbst, gegenüber so man-
nigfachen und dringenden Interessen und unwillkührlich davon
ergriffen, mögen wir zu einer Partei stehen; auf der Höhe der
Litteratur aber kann nur ein freier unparteiischer Blick in alle
Parteiansichten befriedigen}'' Und diese Befriedigung wird uns
Herr M. gewähren! ,, Grosses Unternehmen! (entgegnet S. 8
Hr. S.) und mit welcher Keckheit, mit welchem Selbstgefühle
tritt es auf! — Hoffentlich meint er es ernstlich; und gesetzt,
er erringe alsdann nur zur Hälfte das Ziel — das er sich vor-
gesteckt, — wir sind genügsamer Natur, wir wollen nicht halb
so viel Ansprüche an ihn machen als er in uns zu erregen dreist
genug ist. Himmel ! wie bunt sieht es aber in den zwei Bän-
den aus! u. 8. w. " —
Dass Hr. M. die Deutschen andern Nationen gegenüber im
praktischen Leben für unbehülflicher u. darum auch ihre Schrif-
ten für unpraktischer hält , ist weder eine neue, noch eine ganz
212 Deutsche Litter atur.
unriclitige Ansicht, obgleich sie noch vielfältigen Modificatio-
nen unterworfen ist. Auch eifert er mit Recht gegen die soge-
nannten Puristen und Wortsteiupler , die sich bei ihren Neue-
rungen an den innern Organismus der Sprache weiter nicht son-
derlich kehren , sondern die Sprache nach ihrem Gutdünken
modeln und radbrechen: dagegen preist er auch den wahren
Purismus, wie ihn schon Luther kräftig gehandhabt. — Dass
der Einfluss der Schulgelehrsamkeit auf die Litteratur sehr be-
deutend sein müsse, ist nicht in x'lbrede zu stellen: war er es
doch auch in Griechenland und Latium, und überall, wo Kunst
und Poesie nicht schon im Keime erstickt ist. Wenn aber Hr.
M. diesen Einfluss nur unter uns Deutschen so bedeutend finden
will, dagegen viel weniger unter den Engländern und Franzo-
sen, dann befindet er sich in einem ausgemachten Irrthum. In
England wird noch lieutzutag die Schulgelehrsamkeit mittelst
Birkenruthen bis aufs Blut eingebläut, während in Deutschland
die Lehrmethode doch wenigstens im Allgemeinen eine huma-
nere ist. Allein Herr M. construirt sich seine Ansichten über
Litteratur gewöhnlich so, wie sie gerade in seinen Kram pas-
sen: „Unsre Schriftsteller orakeln gar zu gern und suchen einen
gewissen Nimbus um sich zu verbreiten , und den Leser zu my-
stificiren, wie der Geistliclie den Laien, der Schulmeister seine
Schüler. In England und Frankreich befindet sich der Autor
gleichsam als Redner auf der Tribüne, und gibt sein Votum ab,
als in einer Gesellschaft gleicher und gebildeter Menschen. In
Deutschland predigt er und schulmeistert."' Was soll nun wohl
hiermit gesagt sein ? Hr. M. mystificirt sich und seine Leser
(falls ihm das letztere gelingt), und indem er ein Luftschloss
auf das andre b:;ut, vei'gisst er über der Schale den Kern, über
der Sauce den Fisch : einzelne Erscheinungen construirt er sich
in seinem Gehirn zu allgemein durchgreifenden Wahrheiten.
So sieht man jetzt nach Hrn. JM. kaum einen Theologen oder
Juristen,' nur theoretische, juridische Philologen. Weiss er
denn auch wirklich, welchen Unsinn er damit ausspricht? Wir
glauben schwerlich. Sonst würde er sich solcher unlogischen
Antithesen nicht bedient haben. Weiter: „Alle historischen
Wissenschaften werden durch die philologisch - critische Ge-
lehrsamkeit ungeniessbar gemacht." Das soll wohl ein Stich
auf Niebuhr und ähnliche Historiker des ersten Ranges sein.
Wenn aber Hrn. M.s Gaumen durch den Geuuss zu vieler Süs-
sigkeiten und Conditorwaaren verwöhnt ist, so gönne er doch
wenigstens uns Vibrigen an kernhaftes Brot und kräftiges Fleisch
Gewöhnten die verdaulichere Mahlzeit. Auch die classische
Philologie kriegt einen derben Hieb: „Man verschwendet ein
jahrelanges Studium, um die richtige Lesart eines alten Dich-
ters ausfindig zu machen, der oft besser gänzlich stillgeschwie-
gen hätte." Was für unnützes Gewäsch, wasfürHirugespinnste!
Menzel und Schacht über Deutsclie Litteratur. 273
Zei^e doch Ilr. M. den Mann, der Jahre lang nichts anderes
denkt und treibt, als das, was Er ihm unterschiebt. Gesetzt
aber auch, es gäbe einen solchen, wäre er der bürgerlichen Ge-
sellschaft nicht mehr werth, wenn er eine einzige Wahrheit
ans Licht fördert, als ein andrer, der Lügen auf Lügen, Trng-
hiider auf Trugbilder häuft? Hat ferner die Wortkritik nicht
gleiche Verehrer und Beförderer in England und Frankreich ge-
funden, wie in Deutschland'? Doch wir überschreiten schon die
Grenzen, um diese Seifenblasen platzen zu machen, windig
a priori, windig a posteriori.
Den Trieb zur Nachäfferei unter den Deutschen schildert
Hr. M. im Ganzen mit ziemlich richtigen Farben, und leitet da-
her den grossen Einfluss, welchen die fremde Litteratur von
jelier auf die unsrige geübt hat. Dadurch jedoch, dass sich
die Nachahmung nicht auf ein einziges, sondern auf mehrere
Völker erstreckt, erhält sich ein gewisses Gleichgewicht, das
den Schaden wieder gut macht. S. 4ß: „So hat die superfeine
Convenienz der Gailomanie an dem derben liumor der Anglo-
manie, die regelrechte Gräkomanie an dem ausschweifenden
Orientalismus, der flache Liberalismus an der mystischen Ro-
mantik sich aufreiben müssen, und diese wieder an jenen. ••'
Ilr. M. hält die sonst für musterhaft geltenden Vossischen Ue-
bersetzungen für nicht minder lächerlich, als die antiken Tragö-
dien der Franzosen, und scheint treue prosaische üebersetzun-
gen der Dichter vorzuziehen. Mag Voss auch immerhin, na-
mentlich in der Wortbildung, oft steif und ungelenk erscheinen,
so bleibt doch Herrn M.s Verglcichung übertrieben und fasel-
haft, und wird hoffentlich nicht so viel Gewicht haben, um die
ausserordentlichen Verdienste des unsterblichen Mannes um die
Muttersprache zu schmälern oder gar herabzusetzen. Rec. ver-
weist daher am liebsten auf A. W. Schlegels Beurtheilung in
seinen verni. Schriften I S. 74t ff. — In dem Aufsatze über den
litterarischen Verkehr halten gegründete und excentrische Aus-
sprüche gleichen Schritt.
Da die Religion die höchsten Interessen des Menschen be-
rührt , so macht Hr. M. billigerweise mit ihr den Anfang in sei-
nen Betrachtungen über die Religion. Wir müssen in sein Er-
staunen mit einstimmen, dass ein und dieselbe Nation mit glei-
cher Naturanlage, gleichen Schicksalen, gleicher Bildung u. auf
demselben engen Boden zusammengedrängt, sich in so durch-
aus verschiedene Kirchen, ohne Rücksicht auf Stand und Bil-
dung getrennt erhält; trösten uns aber mit dem Glauben, dass
der echt christlich religiöse Sinn über die Form erhaben ist u.
am allerwenigsten durch sie bedingt wird. Hz-. M. spriclit mit
gebührender Achtung über das Mittelalter, verschweigt aber
auch keineswegs die Schattenseiten desselben. Dagegen erhebt
sich Hr. Schacht auf eine durchaus nicht billigenswerthe Weise:
Jahrb. f. Phil. u. Pndair. Jabr^.X IJcft. 3. ^
274 Deutsche Lltteratnr.
er reisst nicht nur die Urtheile des Hrn. M. aus ihrem Zusam-
menhange heraus, und stutzt sie nach seinen Zwecken zu, son-
dern er verdreht und verfäisclit sogar seine Ausdriicke, aus
Katholicismus stempelt er Katholicisyn ^ aus Mysticismus My-
sticism, aus Protestantismus Protestantism u. s. w. Mag Hr. S.
solche fratzenhafte Formen für sich behalten, er schwärze sie
aber nicht in die Rede Andrer ein, die ihre Ohren davor ver-
stopfen. — Fernerhin stellt Hr. 31. den gegenwärtigen Zustand
der Christlichen Kirchen in Deutschland dar, freilich nicht ohne
grelle Farben und Uebertreibungen. Andere Schilderungen da-
gegen sind vortrefflich gelungen und aus freier, über aller Eng-
herzigkeit erhabener Ansicht entsprungen, wie z.B. S. 108 die
Anspielung auf die heroische Duldsamkeit Pius VII, als des Re-
präsentanten der katholischen Kirche: „Unheilbar verwundet
kann sie doch nicht sterben. Von einer Fülle innerer Ideen ge-
schwellt, findet sie nirgends Raum. An Herrschaft und Liebe
gewöhnt, findet sie keine Arme und keine Herzen, Wie der
alte König Lear ward sie Verstössen und musste betteln von den
kaiserlichen Schwiegersöhnen und ward misshandelt, geplün-
dert, gefangen, und sah die geliebte und verkannte Cordelia,
des Herzens tiefen Glauben, grausam gemordet. Jetzt hat man
sie endlich wieder befreit und ehrt ihr Alter und lässt sie wie-
der regieren unter einer falschen Vormundschaft. — MitLie!>e
soll sie regieren, und die Sklaven, die sich ihr zum Dienste auf-
drängen, kennen nur List u. Gewalt."- — S. 133 handelt FIr.
M. von den religiösen Erbauuiigsbüchern , womit Deutschland
ordentlich überschwemmt wird, und kommt sodann auch auf
die berüchtigten Stunden der Andacht^ als deren Verfasser
(ob mit Recht oder Unrecht, kann Rec. nicht entscheiden) er
Zschokke angibt: „Wie schleicht dies matte, süssliche Gift
einschläfernd in die Seelen und schmilzt Herzen und Nieren in
einen weichen Brei. Eine gleissnerische Sprache fliesst wie Ho-
nig von den Lippen u. s. w. '' So hyperbolisch dieses Urthcil
auch immer erscheinen mag, so enthält es doch manclies Wah-
re, und selbst die Dickleibigkeit dieser Andachtsstunden zeugt
von einem krankhaften Fiebergeschmack, Herr S. aber lehnt
sich heftig dagegen auf, und nennt es eine unartige Art ^ wo-
mit Rec. nicht einverstanden ist, und sich bei dieser Gelegen-
heit eines Platenschen Verses aus der verhängnissvollen Ga-
bel erinnert:
D'rum liest sie nur dich, statt Goethe und statt Jean Paul,
saalbadernder Ciauren,
Und blättert , anstatt in der Bibel , in euch , saalbadernde
Stunden der Andacht !
Herrn Menzels Träume von einer durch Vermittelnng des
Pietismus vorbereiteten Vereinigung aller Confessionen in Eine
Menzel und Schacht über Deutsche Litteratur. 275
grosse Christliche Kirche hat Hr. S. in ihr gcliöriges Licht ge-
stellt. —
In den gegenwärtigen Zustand der Philosophie sclieint Hr.
M. manclien richtigen Blick gethan zu haben, wiewohl Goer-
res zu hoch gestellt sein diirfte. Auf der andern Seite dage-
gen eifert Herr S. wieder zu leidenschaftlich gegen Goerres,
schildert ihn als einen aAAoxrpogaAAog, als einen wortschwVil-
stigen und verworrenen Scribenten, als einen Schwärmer u. s.w.
Hr. S. findet es ferner tadcinswerth , dass die philosophischen
Lehren eines Schulze, Koeppen, Krug, Fries, Her-
bart u. a. gar nicht beiücksichtigt worden sind. Es war aber
Hrn. M. nicht darum zu thun, sämmtliche im Gebiete der Deut-
schen Philosophie geschehenen Leistuniren umständlich zu er-
örtern , sondern ein treues Bild ihrer fortschreitenden Entwik-
kelung zu entwerfen und dabei nur der ersten Häupter (diess
natürlich subjectiv genommen) namentlich zu gedenken.
Im Allgemeinen nennt Hr. M. die Erinnerung der Zeiten
die Geschichte ^ und ordnet ihr die Archäologie und Philologie
unter, die er als Kunde der bildlichen und schriftlichen Denk-
mäler bezeichnet. Wie unpassend das von Heyne zuerst ein-
gefiilirte Wort Archäologie sei, um das Studium der bildenden
Kunst zu bezeichnen, wollen wir nicht weiter erörtern, da die
eigentliche Bedeutung und die Anwendung desselben bei Diony-
sios von Halikarnass klar in die Augen springt. Da aber die
Philologie als eine selbständige Wissenschaft zu betrachten ist,
so hätte Hr. M. sie auch nicht verkriippeln, und die Kunstge-
schichte von ihr trennen sollen. Warum hat er sich als acpiko-
Koyog nicht lieber an F. A. Wolfs Darstellung der Alterthums-
wissenschaft gehalten? Hr. M. selbst sagt: „Die Philologie hat
sich aber selbst zum Zweck gemacht. Sie hat das Studium der
alten und aller Sprachen um ihrer selbst willen, nicht blos we-
gen des zufälligen Inhalts, zu ihrem Gegenstand gemacht. Es
ist darin viel übertrieben worden, man hat den Sprachgelehr-
ten zu viel Einfluss eingeräumt, und nur zu oft über der Form
den Inhalt vernachlässigt u. s. w.'-'- Oder wähnt er etwa durch
eigne Auctorität das auf einen Felsen errichtete Gebäude umzu-
stürzen und die im Schweisse des Angesichts errungene Frei-
heit der Philologie aus den drückenden Fesseln der Theologie
und ähnlicher Disciplinen wieder unter ihr früheres Joch zu
beugen? Man sollte beinahe glauben; denn er schildert die
Philologen als eine stolze aristokratische Kaste, und hält ihren
Einfluss auf den Unterricht zum Theil für so verderblich, wie
den der äussern Gebräuche auf den Gottesdienst: wie dort die
wahre Andacht unter mechanischen Spielen untergegangen sei,
so hier das wahre Denken, die echte Bildung unter dem me-
chanischen Auswendiglernen blosser Formen. Den Hauptgrund
hiervon findet er darin , dass die Mehrzahl der Philologen bei
18*
276 Deutsche Litteratur.
Erklärung der alten Classiker vorzugsweise nur auf die Gram-
matik sehe, und den Geist, die Schönheit, den historischen,
philosophischen oder ästhetischen Inlialt jener Alten nur in
elenden Noten nehenhei beriihre. Als Beleg hierfiir verweist
er auf die Ausgaben. Wenn Ilr. M. keine besseren Philologen
als Lelirer der Jugend kennen gelernt liat, als solche, die den
Geist über der Form rein vergessen, so lässt sich sein Ingrimm
recht gut entschuldigen; denn seine eigne Bildung hätte ja da-
bei am meisten gelitten: es ist ihm beinahe ebenso ergangen,
wie einem Menschen, dem pietistisch schwärmerisclie Theolo-
gen den Kopf umnebelt, oder dessen gerechte Sache habsi'ich-
tigeJuristen verdreht, oder welchen quacksalbernde Acrzte zu
Tode curirt haben. Die Gebrechen der Einzelnen aber kön-
nen die Idee an und fiir sich nicht verdammen, welche einer
Wissenschaft ursprVuiglich zum Grunde liegt. Und was nun die
Ausgaben der alten Auetoren anlangt , so muss hier wie überall
das Gute vom Schlechten gesondert werden, Ilr. M. weiss aber
nicht, was er spricht, und er scheint die besseren Leistungen
der Philologen gar nicht zu kennen, sondern höchstens etwas
davon gehört zu haben. Er vermisst unter andern die Darstel-
lung der Schönheiten in den Schriften der Alten: als ob diese
nicht jeder gesunde Leser mittelst seines eignen Gefühls selbst
herausfinden könnte, und erst von Andern darauf gestossen wer-
den müsste! Lebt denn die Idee des Schönen nicht in unsrer
Seele, und bedürfen wir zum reinen Genuss desselben erst ei-
nes Andern, der es uns vorkaut und vorkostet*? Ganz anders
verhält es sich mit dem mündlichen Vortrag des Lehrers, der
den Sinn für Schönheit in dem Lernenden erst zu wecken und
zu beleben hat; und doch muss auch liier ein feiner Tact, ein
einziger Schlag, der den göttlichen Funken hervorlockt und in
der Seele Feuer fassen lässt, bei weitem mehr bewirken, als
alle weitläuftigen u. schwülstigen ästhetischen Expositionen. —
Eine wahre Infamie ist es, wenn Herr M. S. 197 behauptet:
,,IVlan hat in der neuesten Zeit in der Philologie ein bewährtes
Mittel gefunden, den politischen Verwirrungen der Jugend zu
begegnen. Man hat gefunden, dass niclits so sehr den Feuer-
eifer niederschlägt, und zu blindem Gehorsam gewöhnt, als
diese Philologie, die das beflügelte Genie an den Bücherschrank
kettet, und den Scharfsinn in die Grammatik, die Neuerungs-
sucht in Conjecturen ableitet."* Wenn ein gründliches und ge-
diegenes Studium, sei es in welcher Wissenschaft es wolle, al-
lerdings den phantastischen und schwärmerischenllirngebildea
einer über ilire Schranken liinaus irrenden Jugend am besten
begegnet; so kann in dem vorliegenden Fall die Philologie al-
lerdings als ein heilsames Mittel gegen alle Auswüchse einer ver-
drehten Phantasie betrachtet werden. Es würde nichts scha-
den, wenn die Philologie Hrn. M. seine Flügel etwas stutzen
Menzel und Schitcht über Deutsche Littcratur. 277
wollte, damit er liiiifiiliro nicht mehr gleicli Phacthon sich iti
eine Kcs;ion emporschwingen möchte, aus der er zuletzt doch
in die Tiefe liinabstiirzen nuiss. Hrn. Menzels unsinnige Ein-
theiiung der Geschichtsforscher in: 1) Protestanten und Libe-
ralen nebst den classischen Philologen ^ 2) Katholikert., Servi-
len^ Itoyalisten nebst den orieJitalischen PhilologeJi^ 3) die ge-
ringe ylnsahl derer, welche die Geschichte ?mparteiisch auf
dichterische Weise (d. h. wohl nach der Identitätsphilosophie
aus ihr construiren , was eben genelim ist) als ein Epos oder
gleichsam natur historisch als einen Organismus betrachten, ist
von Herrn S. gebührender Maassen abgefertigt worden S. 25.
„Wer von den Historikern orientalische Sprachen treibt, muss
schlecliterdings die zweite Cocarde aufstecken und als Katholik
und Serviler dienen, sich für die ideale Herrlichkeit des Mit-
telalters schlagen und bei der Erbsünde zu Tische gehen. Der
aufriclitigste Katholik, sobald er überzeugt ist, dass die Anbe-
ter des Mittelalters mit Visionen zu thun haben, rauss schlecli-
terdings unter die protestantische Zunft. Der Servile muss in
den Liberalen und dieser in jenen sich verwandeln, je nachdem
sie verschieden über das Dasein einer heiligen Urwelt denken.
Keiner kann seinem König anhängen und ein Freund der Monar-
chie bleiben , der zugleich Vorliebe für Studien des classischen
Alterthums hat." — DergleicJien Folgerungen dürfte leicht
Jeder aus Hrn. Menzels Darstellung zu ziehen sich gedrungen
fühlen, wenn er es mit Consequenz zu thun hat. Sowie aber
Hr. M. das Mittelalter in jedweder Hinsicht zu hoch stellt, so
lässt es Hr. S. wieder zu tief sinken; woraus sich die Einseitig-
keit der Auffassung an beiden Älännern leicht erklären lässt.
Medium tenuere beati. Gutes und Böses erscheint hier, wie in
jedem Zeitalter, neben einander, und Eins muss das Andre wie-
der ausgleichen. Hr. S. unterfängt sich sogar in wenigen Zü-
gen ein Portrait des Mittelalters nach seiner einseitigen Auffas-
sung also zu entwerfen: „Im Anfange ein roher wilder Bube,
hinlänglich dumm und gehorsam den Priestern; allmählig klii-
ger und von Zweifeln berührt; wegen Ungehorsams mit Bann-
ruthen gezüchtigt, doch trotzig und bald hie und da sich wider-
setzend wie ein freiheitlustiger Jüngling; zuletzt ein Mann, im
Besitz von Kenntniss, wovor die Priester erschrecken, und von
Kraft, die der Bannruthe spottet." — So geht es fort, und
es kommt dabei ein Bild heraus, das nur in Hrn. Schachts auf-
geregter Phantasie sich wieder abspiegelt, in der Wirklichkeit
nun und nimmermehr. Auch beliebt es Hrn. S. einzelne Fra-
gen über gewisse Puncte aufzustellen, die zum Theil äusserst
lächerlich erscheinen, wie z.B. Vielleicht tvareu die Frauen
im Mittelalter schöner als jetzt? Die Antwort hinein^ und
zwar aus keinem andern Grunde, als weil die erhaltenen Bild-
werke dieser Zeit nicht so schön sind, wie die heutigen. Was
278 Deutsche Litteratur.
müssen doch die Homerischen Göttinnen und Frauen für Wun-
dergestalten gewesen sein, wenn wir sie nach einem ^oavov be-
urtlieiien sollen! Auch die Schilderungen der Minnesänger führt
Hr, S. als Gegenbeweis an: darauf ist wohl mit weiter nichts als
mit der Bitte zu antworten, dass er diese zunächst etwas ge-
nauer ansehen und studieren möge. Das Ideal der reinsten und
schönsten Weibliciikeit ist nirgends mit solcher Tiefe aufgefasst
worden, als gerade in den Minneliedern, und hat sich in kei-
ner Zeit inniger mit der allgemeinen Denkungsart verschmolzen,
als im Mittelalter. Einzelne Beispiele entgegengesetzter Art
sind allerdings als Ausnahmen zu betrachten, stossen aber da-
rum die Regel selbst nicht um. Das Gold, wejm es in seiner
grössten Reinheit erscheinen soll, wirft auch Schlacken ab.
Selbst die erhabene Idee, welche den Kreuzzügen zum Grunde
lag, glaubt Hr. S. herabzuwürdigen, weil es (wie es ja in der
Natur jedes Krieges liegt) an einzelnen Zügen von Gemeinheit,
Neid, Grausamkeit, Habsucht, Unzucht u. s. w. nicht fehlt.
Was Hr. M. über den Staat beigebracht hat, wollen wir
hier unerörtert lassen. In der Erziehung aber geht er von zwei
Ilauptprincipien aus, das eine, wornach die Kinder fVir die ge-
genwärtig besiehenden Verhältnisse, das andere, wornach sie
zu höheren Idealen der Menschheit herangebildet werden sol-
len. Als Vertheidiger des ersteren werden angeführt Goethe,
Steffens und andere, des letzteren Fichte und J a hn. Hr.
M., der Alles gehörig einzucastiren versteht, bürdet die erstere
Ansicht demKatholicismus auf, die andere dem Protestantismus.
Uebertreibungen auf der einen wie auf der andern Seite müssen
gleich schädliche Wirkungen äussern; die Wahrheit liegt auch
hier wieder in der Mitte. Und wenn Hr. M. die ideale Ansicht
der Erziehung ganz in das Reich der Träume verweist, so muss
er wahrscheinlich selbst noch keinen rechten Begriff davon ha-
ben. Auch ist es unrichtig, dass er in Goethe lediglich einen
Vertheidiger der praktischen Ansicht erblickt: der Mann ver-
steht besser, als unser pädagogischer Kritikus das Ewige mit
dem Zeitlichen in Einklang zu bringen, und manche seiner pä-
dagogischen Aeusserungen hat gewiss eine tiefere Bedeutsam-
keit, als man auf den ersten Augenblick glauben sollte. Die
Ideale des Lebens regen sich nie kräftiger und edler in unsrer
Seele, als gerade in der Jugend? und wir sollten diesen einzi-
gen Funken, der vom Himmel stammt, nicht hegen und pfle-
gen, sondern schnöde genug sein, die Jugend bloss zum Genuss
der Gegenwart heranzubilden'? Ein reger, lebendiger Schwung
uach dem Höchsten muss stets in jugendlichen Seelen erhalten
werden: ihre nächsten Umgebungen bleiben ihnen dabei nicht
fremd, und gewinnen nun eine mehr als alltägliche Bedeutsam-
keit. Eine richtige Bemerkung ist es, dass einerseits nächst
den philologischen Studien der gründliclie Unterricht in der
Menzel und Schacht über Deutäcite Littcratur. 279
Geschichte, Geographie, Naturlehre und Matliematik ein gro-
sser Fortschritt der neueren ist, andrerseits aber auch die Ju-
gend unter der Last neuer Unterrichtsgegenstände zu sehr er-
drückt wird, so dass ihr kaum vergönnt ist, frei und ungehin-
dert aufzuathraen. Gymnastische Uebungen unter Aufsicht ei-
nes wissenschaftlichen u. besonnenen Lehrers scheinen ein drin-
gendes Bedürfniss zu sein , um dem Geiste mehr innere Leben-
digkeit und dem Körper mehr Kraft zu verleihen. Die Musik
und Gymnastik will auch Hr. M. in den Kreis des Unterrichtes
aufgenommen wissen , und meint, dass die erstere noch weit
entfernt sei, zu dem ihr gebVihrenden Rang unter den Mitteln
der Erziehung erhoben zu werden. Eilligerweise hätte fr hin-
zufiigen müssen nicht überall in Deutschland; denn im König-
reich Preussen gehört die Musik ausdrücklich zu den Unter-
richtsgegenständen; und Rec. kann versichern, dass man es we-
nigstens auf den katholischen Gymnasien Schlesiens theihveise
sehr weit gebracht hat. Hier ist übrigens dieses Bildungsmit-
tel schon ein altes, und das mit dem Leopoldinischen Gymna-
sium in Breslau verbundene Convictorium hat seit seiner Stif-
tung in dieser Beziehung Rühmliches geleistet. — Mit Recht
wird der unermessllche Wust von Kinderschriften als eine wahre
Sündfluth lüderlicher , von aussen gleissender, von innen hoh-
ler Fabricate geschildert, wogegen die Mährchen eine echte
Kinderpoesie genannt werden.
Das Capitel iiber Ktmst (Band 2 S. 45—292) wird mit dem
Ausspruche erötfnet, dass, so weit wir die Geschichte unseres
Volkes verfolgen könnten, ein tief poetischer Zug durch das-
selbe gehe. Die höchste Blüthe in der Kunst entfaltet die Poe-
sie^ die am tiefsten das menschliche Herz erschliesst und wie-
der am tiefsten wirkt: „Was keiner Kunst gelingt, das Inner-
ste des Menschen bis in die geheimsten Gedanken und Empfin-
dungen zu spiegeln, vermag allein die Poesie, und dies gibt ihr
die Macht über die menschliche Seele, der alle Völker gehul-
digt haben. — Völker wechseln, Staaten werden zertrümmert,
ein Glaube verdrängt den andern, Irrthnmwird, was einst als
Wahrheit gegolten, die Werke der bildenden Kunst zerfallen
in Staub, nur die Dichtungen überdauern die Stürme der Zeit
und glänzen noch nach Jahrtausenden im ersten Jngendschira-
mer u. s. w." In sojchen Schilderungen hat Hr. M. in der Re-
gel grosses Glück , und wir könnten deren mehrere hervorhe-
ben, wenn hier der Ort dazu wäre. Die Bemerkung Hrn. M.s,
dass der tief poetische Sinn unsers Volkes sich gerade da am
innigsten ins Leben selber verliert, wo uns die Denkmale feh-
len, fertigt Hr. S. auf eine höchst triviale Weise ab: „Wahr-
scheinlich lagen unsrc Altvordern gar zu anmuthig auf der Bä-
renhaut am Ileerde und beim Würfelspiel, und wer sich raufte
and auf Beute oder Blutrache auszog, that es allein nach sitt-
280 Deutsche Litteratur.'
liehen Motiven, oder mit vollendeter Durchführung des Plans
u. s. w." Als ob lediglich darin der poetische Sinn bestünde!
Hr. M. hat doch die üenkraale der älteren Poesie etwas besser
studirt als Hr. S., der wenig oder gar nichts davon zu verstehen
sclieint. Sowie man aus den historisch überlieferten Homeri-
schen Gesängen auf die ungefähre lieschatfenheit der vorhome-
rischen Poesie einen Schluss ziehen kann, so stellt uns ein ähn-
liches Verfahren im Nibelungenliede, im Heldenbuche u. a. zu
Gebote, ja wir haben sogar noch etwas voraus, indem das Hil-
debrandslied uns die älteste Form der Deutschen Poesie vor-
zeichnet. Und sollte sich nicht Jeder bald überzeugen, dass
Brunhild, die nordische Jungfrau, zu vergleichen der Helleni-
schen Hippodameia , uralt und echt Germanisch, uns ein Bild
der ältesten, noch heidnischen Poesie gewährt*? — Auch die
Aeusserung, dass die Deutschen im Mittelalter die ersten ge-
waltigen Züge der Innern Welt in der riesenhaften und ewigen
Steinschrift der Natur entworfen haben , ist von Hrn. S. nicht
nur missverstanden, sondern auch verdrelit worden, wenn er
S. 99 entgegnet, Hr. M. suche in den Strassburger und Cölner
Domen nicht die Kunstfertigkeit, den Verstand und Schönheits-
sinn der Steinmetzen, sondern eine Offenbarung der Natur, der
es beliebte, hier Dome, dort Felshörner und Gletscher entste-
hen zu lassen. Dass die lliesenbauten' des Mittelalters gerade
durch ihre ungeheure Kraft und Dauerhaftigkeit mit der Natur
gleichsam zu wetteifern scheinen und demnach als eine ganz
eigne Naturerscheinung gelten müssen, ergibt sich aus der Be-
trachtung des Ganzen, das uns ein Ebenbild von der organischen
Entwickelung der Pflanzenwelt gewährt. Wir verweisen dess-
halb nur auf ßoi sserees Darstellung des Doms zu Cola. Eben-
so falsch deutet Hr. S. die Ansichten über die Mittelhochdeut.
Poesie, von welcher er selbst so gut als gar nichts verstehen
mag. Indem Herr M. von A. W. Schlegels Unterscheidung
der classischen und romantischen Poesie ausgeht, setzt er für
die neuere Zeit im Wesentlichen drei Hauptschulen fest, die
antike, romantische und rnodenie. Der Geschmack für antike
Poesie äusserte sich bald nach dem dreissigjälirigen Krieg, wo
man auf das Mittelalter nur mitleidig herabsah. Den wohl-
thätigen Einflnss, welchen das Studium der Griechischen Dich-
ter auf die Deutsche Poesie übte, hat Hr. M. richtig erkannt,
aber auch die Cavicaturen einer blinden Nachalimerei mit hel-
len Farben gezeichnet: ,, Auf den steifen Äleisteigesang, der
das Mittelalter beschloss und schon die Römische und Griechi-
sche Terminologie aufgenommen, folgte die Schlesische Schule,
die gleich der damaligen Französischen und Holländischen, von
wo Opitz sie entlehnt, jenen seltsamen Parnass erschuf, da
Apollo in der Perücke mit der Geige das Concert der hochfri-
sirten Musen dirigirte. " Der Befreier aus den niedrigen Fes-
Menzel und Schacht über Deutsche LUtcratur. 281
sein dieser fratzenhaften Nachahincrei und der darauf folgen-
den Alongenperückcn- Poeterei war Klo p stock, dessen un-
sterbliche Verdienste von Hrn. M. gebülirend anerkannt wer-
den. Er hat den Ausdruck gereinigt und veredelt, und wenn
er in Behandlung der Form das Meiste nur vorbereitet hat, so
behauptet er doch seine grosse Bedentnng darin, dass er zuerst
der antiken Welt zwei Ideen entlehnte, die der damaligen Deut-
schen Poesie gänzlich abhanden gekommen waren, Vaterland
und Keligion. An J. 11. Voss dagegen versündigt sich Hr. M.
auf eine gröbliche Weise. Es ist ein Leichtes , den Leu zu
zausehi, wenn er sich zum ewigen Schlafe gelegt hat. A. W.
Schlegels gegriindete Ausstellungen au Vossens Ueber-
setzungen hat Hr. M ., wie man bald sieht, zum Grunde gelegt,
aber auf eine etwas maliliöse Art gesteigert und verzerrt.
Wahr ist also Schachts Tadel S. IIG. Von Lessings Schrif-
ten wird mit Recht gesagt, dass sie den Geist Griechischer
Klarheit athmen, und dass er selbst scharf, keck tind ein wenig
grausam in der Litteratur aufgeräumt habe, wie Napoleon in
der Politik. Ob aber Wieland den antiken Geist so rein er-
fasst und dargestellt habe, wie sich's Hr. M, denkt, müssen wir
seiir bezweifeln. Ein klarer Fluss der Rede macht noch nicht
das Antike aus. Wohl aber eigneten sich Herder, Göthe,
Schiller, die Brüder Schlegel in höherem Grade die
Vorzüge der Griechen an, und tranken aus dem reinen Quell
des Griechischen Lebens. „Dürfen wir eine Vergleichung wa-
gen, so ist Herder unser Plalo, Göthe unser Homer, Schiller
unser Sophocles. — Fühlt ihr nicht die sanfte Ionische Luft,
wenn ihr seinen (Göthes) Wilhelm Meister, seinen Tasso, seine
Iphigenie lest "? Die spiegelhafte Klarheit seiner Sprache, die
Unmittelbarkeit seiner INaturanschauung ist seit Homer noch
von keinem wieder erreicht worden." — In der näheren Beur-
theiluug von Göthe zeigt sich Hr. M. etwas zu keck und abspre-
chend. Hr. S. lehnt sich daher mit begründetem Recht heftig
gegen ihn auf, und sucht dessen Urtheile in einem wohigelun-
genen Dialog nach Gebühr abzufertigen. Den Kotzebue da-
gegen diirfte Hr. M. ziemlich riclitig gescliildert haben: „Gö-
the spielte mit der noch vorhandenen Unschuld des Jahrhun-
derts, wie sein Faust mit Gretchen, Kotzebue aber behandelte
sie wie eine Kupplerin die Novize und konnte sie nur betlecken,
ohne sie zu geniessen. Was seiner sclimutzigen Leidenschaft
unerreichbar war, das riss doch sein Neid herunter." Dass
unter den Lyrikern Bürger und llölty gleichsam abgedankt
werden, ist wolil nur eine Grille des Hrn. M. , und Hr. S. er-
wiedert mit Recht, dass nur favorisirteRecruten an ihren Platz
gehoben werden. Den immergrünen Lorbeerkranz , der auf
Biirgers Scheitel blüht, wird nicht leicht Jemand herabzurei-
ssen die Macht haben. Dagegen zieht auch Hr. S. auf eine
282 Deutsche Litteratur.
allzuparteüsclie Weise gegen Tieck los. Wenn doch in der
Kritik die persöiilicljen Neigungen einer objectiven Auffassung
nicht immer gleich vorgreifen wollten ! Den tief gesunkenen Zu-
stand der dramatischen Poesie in neuester Zeit haben beide
Kritiker richtig eingesehen. Hr. S. erwartet ein Heil fiir sie in
der dereinstigen Restauration des gänzlich verrückten Verhält-
nisses zwischen Ton- und Dichtkunst. — Gegen die heutige
Rritik hat Hr. M. manche wahre und begründete Ausstellungen
beigebracht.
«reslau im 3Iärz 1829. Dr. N. Bach.
1. J oh. Evangelist Kaindl: Die teutsche Sprache aus ih-
ren W ur zen^ mit Paragraphen über den Ursprung der Spra-
chen. Sulzbach. B. 1, 1815. LXIV u. 408 S. B. 2, 1823. IV ii. 724
S. B. 3, 1823. 678 S. B. 4, 1824. 526 S. B. 5 (Register) 1826.
251 S. 8.
2. lieber die Sprache, i jidelberg 1828. 360 S. 8. Rede
dass ich dich sehe !
Wenn, wie man schon öfter bemerkt hat, viele Bücher nur
darum ihres Zweckes verfehlen, weil die Verfasser sich die
Gattung von Lesern , für die sie schreiben wollten, entweder
gar nicht vergegenwärtigt, oder sie bald wieder aus den Augen
verloren hatten, so trösten sich wol nur wenige Schriftsteller
scheinbar so leicht wie der Verf. von Nr. 2 der S. 176 geradezu
räth, „wo möglich kein Deutsches Buch zu lesen, das seinige
natürlich nicht ausgenommen, welches, wie er sagt, so gut oder
schlecht als jedes andere für die Wenigen geschrieben wurde,
die jeden in ihr Fach schlagenden Druckbogen pflichtmässig
durchlaufen, um wie man zu sagen pflegt mit der Zeit fortzii-
gehn, d. h. in Deutschland mit dem Buchhandel." Vielleicht
hätte er sich doch weniger leicht getröstet, wenn er bedacht
hätte, dass Viele ihrer Pflicht schon genug gethan zu liabcn
glauben, vielleicht auch gethan haben, wenn sie eine flüchtige
Bekanntschaft mit den meisten neuesten Erscheinungen im Buch-
laden oder in der Litteraturzeitung machen.
Das erste Werk macht offenbar Anspruch auf eine genauere
Bekanntschaft; schon sein Umfang macht eine vollständige Be-
urtheilung in diesen Jahrbb. kaum möglich, doch lässt es sich
auch in einer kurzen Anzeige so kennbar machen, dass jeder
Leser weiss, was er darin zu suchen habe, und ob das Gefun-
dene ihn befriedigen werde. Der Vrf., Benediktiner und ehe-
maliger Archifar der Abtey Prifling, (seine andern Schriften
sind in Meusels Gel. Dl. verzeichnet) ist vor der Herausgabe
des fünften Theiies gestorben, diess hat aber seinem Werke
Kaindl : die teutschc Sprache aus ihren Würzen. 283
nicht geschadet, da der Verleger, J. E. v. Seidel, nun diesen
letzten Theil wie schon vorher den zweiten mit einer anprei-
senden Vorrede verseilen hat. Vor dem ersten Bande befin-
den sich die Paragraphen über den Ursprung der Sprachen,
welche für die Beurtheilung und den Gebrauch des Ganzen sehr
wichtig sind. Die Sprache des Vrl'.s selbst hat eine altertliVim-
liche Färbung, die besonders nach grösserer Regelmässigkeit
der Bildungen strebt, und manche neue und erneute Wörter,
z. B. gegliedet und doch Gliederung, stufengängig, sprichet,
Vorstand, Aussprache nach dem Verschiese (nuance), weder —
weder, Uebergabe (tradition), Verlurst, Gestabe, hier und dar,
bei nahem, sich auskennen u. s. w.
§ 1. Sprache ist die Hörbarmachung des Gedachten durch
gegliedete Laute — die Sprache ist das Eigenthum des Men-
schen. § 2. VoJi der Aussprache. Sprechen hat den geschärf-
ten Begriff von Brechen und heischet Anstrengung ; vollendete
und gesunde Werkzeuge sind unerlässlich. Mangel an tiichti-
gen Werkzeugen und an zureichender Anstrengung hat Abspan-
nung, Weichheit und Spielarten in die Sprache gebracht. Die
Ursprache ist kraftvoll und lebhaft, ihr Sanftes ist geistig ohne
matt, fliessend und nicht schleicliend; flau, nicht schlaff. *)
Die gelindesten Sprecharten werden es in dem Gesänge und
im Schwünge der Dichtkunst nie so hoch bringen als es die
Hebräische Spr. mit ihren stridulis vocibus (Hieronymus) ge-
bracht hat. — Die Gliederung ist der Sprache wesentlich: im-
mer darf sie die Milde nicht darstellen. Die Kiirze der Grund-
laute hat ihr Abschnellendes: sie scliürzet die Sprache und er-
leichteret den Lauf. Wahre Ueberladung durch den Andrang
der Konsonanten hat eine unverdorbene Sprache nicht. Wie
lahm wird die Aussprache des Teutschen, wenn das h , wie
viele wollen, sprachwidrig liier und dar ausgestossen wird!
§ 3. Die erste Sprache ist das Werk des Schöpfers, nicht
Menschenerfindung. Träumen, dass der Schöpfer dem geselli-
gen Geschöpfe das unverschieblichsteBedürfniss, den Gebrauch
der Sprache, vorenthalten habe, ist eine die Schöpfung enteh-
rende Ansicht. Eine Sprache zu machen muss man zum voraus
im Besitz einer Sprache sein. Alle andern Verrichtungen des
Lebens würden über dem Sprachgeschäfte aufgehöret haben.
Erfand der Mensch seine Sprache zur Lust , so lohnte es sich
der Mühe nicht, erfand er sie als BedVirfniss , so würde dieses
*) Denn flau hat (vgl. Th. 3 S. 193 IT.) den BegiifF: schlängelnd,
schweifend, hin und wiederziehend , lireuzend, webend, schwebend,
schwankend, wogend, zickzackrutschcnd, wankend, waschend, schwem-
mend, sich unitliuend, faltig, beAvcgcnd, (linderst) in tieferer Stufe
1) matt, 2) laulicht, 3) schaal (ausgeraucht, ausgeilogcn u. s. w.).
284 Deutsche Littcratur.
die Ideen überraschet und erdrücket haben. Vielleiclit ffab es
ohne Dasein der Sprache keinen Begriff von einer Sprache. §
4. Ursprung der ander» Sprachen. Die Gescliichte der Spra-
chen überzeugt, dass alle aus einer herkommen und keine in
«1er Hauptsache sich dem menschlichen Geiste verdanke. Die
Kinderlaute zeugen nur, dass sie als Kunstwörter der Ammen-
schaft sich mit den Menschenstämraen fortgewälzt und mehr
oder weniger verbildet haben. § 5. Ursprung der Teutschen
Sprache. Auch sie ist kein Menschenmachwerk ,• der Teutsche,
der gebildet war, eh' er noch ward, nahm die Würzen seiner
Sprache aus der Ursprache — rückher ansprechende Beweise
zeigen einen göttlichen mittel- oder unmittelbaren Ursprung
der Teutschen Sprache. § 6. Begriff des unmittelbaren göttlichen
Ursprtmgs der Sprache. Nach der Sündfluth war in die 150 Jahre
nur eine Sprache, darnach entstunden mehrere, auch die beim
Thurnbau zu Babel entsprungenen sind göttlichen Ursprungs;
weder vernichtete der Schöpfer sein Werk, die ürspraclie,
weder schuff er neue Sprachen (Genesis 11,7). Die Warzen
blieben, die von diesen hervorgehenden Formen blieben, aber
Gott mischte «e?/e Formen zu den alten, mischte, Avechselte,
verwischte einige Stäben z. B. u^ l^ t., ?, selbst in einigen Wür-
zen, die er diesem oder jenem Menschenstamme zu seiner
Sprache beschied u. s. w. (Dass nur Sprachverwirrung, nicht
Uneinigkeit der Baulustigen den Bau zerstöret, thut der Vrf.
dui'ch sieben Gründe, und durcli Aegyptische und Griechische
Berichte dar.) §7. Begriff des mittelbar göttlichen Ursprunges.
Die erste Sprache und die ersten B'ormen erhielten sich nicht
immer ureinfacli, unzählbare Ursachen wirkten progressife Ab-
weichungen. Drehungen, Zusätze, Abrisse, Kürzungen, AVech-
sel verwandter Stäben vorzügl. der Grundlaute mitteilen bald
neue Spielarten von Sprachen aus. Die Würzen litten nichts im
Wesen, die Formen litten wie die Farben vom Verschiese lei-
den, so folgte eine zweite Klasse von Sprachen aus 31issstal-
tungen (die Griechische und Lateinische z. B. *)) und endlich
*) Zur Demüthigung der Philologen möge hier Fluche' s Lr-
theil über ille Griech. und Lat. Sprache (aus sr. Mecanique des langueu
1751) stehen , welches d. Vrf. wie das Urtheil aller sr Gewährsniäiinei-
zu unterschreiben scheint: „Beide haben ihr Aufkommen von land-
flüchtigem Gesmde und Seeräubern, ihr Zunehmen von Wilden. Kauf-
leute aus Phönizien, Verlaufene aus Phrygien , Macedonien , lUyrien,
Galater, Scythen, Verscheuchte, Rotten entwichener oder verbannter
haben den Urgrund, den guten Boden der Gr. Spr. überkieset, erste-
cket, und den geschlachtcn Stamm einmal über das andre in die Wette
misspfropfet. Die Lat. Spr. haben die Urabrier, die Gallier, die Sabi-
lier, die lletrusker zusammengestoppelt. Zuwuchs erhielt dieses Latein
KalncII: die teutsclie Sprache aus ihren Würzen. 285
gar Afterspraclieii aus Afterspraclicn ganz ohne Wurzenspur,
ohne riclitige Progression, oliiie lleiclihaltigkeit (so die Fran-
zösische u. a ). Dennoch ist ihnen auch in der Entwürdigung ein
mittelbar gottlicher Ursprung nicht abzustreiten. § S. Unmit-
telbar göttlicher Ursprung der Tcutschen Sprache. Selbst die
Verehrer der Teutschen Spr. haben sie aus andern Sprachen
hervorgehen lassen, Wakius hat sie (1713) meist aus dem
Celtischen oder Clialdäischen — das liaierische vom Syrischen
abgeleitet, 0. Frank aus dem Persisclien, andre aus der Scy-
then- und Slafensprache, ja Einige entblödeten sich nicht, sie
aus dem Griech. und Latein, herzuleiten, freilich hat sie einige
Aehniichkeit mit allen. Dass die erste Sprache einzig dieHe-
hräische ist kann fiir ausgemacht gelten vrgl. Thomassin.
Gloss. Ilebr. (! !) — auch die Teutsche ist unmittelbar göttli-
chen Ursprunges, weil sie mit ihr ebenbürtig ist, auf der Linie
stehet, die identischen Würzen besitzt und nur durcli das Zu-
fällige der Formen einen Unterschied begreiflich werden lasset.
§ J). Sprachiv?irzen. Die Spraclnvurzen sind Urwörter, unab-
geleitet, Erstlinge der Sprachschöpfung, Schlüssel und Ur-
sprung vollkommener Formen, in welche sie sich kleiden, in
welchen sie lel)en und weben. Ein Sprachwurz ist ein wörtli-
cher., zmtheilburer., fruchtbarer AusdrucJc einer verbandlosen
Ansicht der Seele. Die Würzen gewähren die Würde der Spra-
che, gründen den Bau der Sprache, entdecken den Gehalt ihrer
Wörter und sind das Mittel, die Reinheit d. Spr. zusicheren.
Man siehet die Noth wendigkeit der Würzen und tvas eine Spra-
che ohne Wurzefi ist. § 10. Von den Würzen der Hebräischen
Sprache. Jede Hebr. Würz ist ein aus drei Stäben bestehendes
Urwort; in der Bibel sind sie nicht alle enthalten. Es ist zu
vermuthen, dass die Fürsehung die individuellen Würzen der
ersten Sprache erhalten habe, deren einige schon in Formen
anderer Sprachen aufgefunden worden sind. So könnte die
Teutsche Spr. auf die Hebr. zurückwirken, so könnten radices
inusitatae verificiret werden. § 11. Von den Würzen der Teut-
schen Sprache. Jedes untheilbare Nebenwort dieser Sprache
ist eine Würz. Jedes Teutsche Wort rechtfertigt sich, wenn
es eine Teutsche Würz ansprechen kann. Wie es aber auch
untheilbare Nebenwörter, die nur Nachgevräg oder Spielwur-
zen sind, gibet, so muss sich der Scharfblick des Sprachfor-
schers entdecken, damit sie auf die Urwurz zurückgewiesen
werden. Aus nicht primitifen Zeitwörtern entspringen die
nicht primitifen Würzen, aus primitifen Nebenwörtern ent-
unter der pflegenden Hand der Kanipaner und Samniten, d. i. von eben
80 ungeschlifTenen Lcufen , die nirgend eine Stupfe von Witz und Wie«-
Ben nach sich gelassen haben.^' S. 22. 23.
286 Deutsche Litteratur.
springen nicht priraitife Nehenwörter , deren einige, wiefern
dem fer?'^ den priinidfen Eintrag thun. — Die Würzen der
Ilebr, Spr. sind auch die Würzen d. Teutschen , dieselbe Urge-
ßtalt, Untheilbarkeit, Bedeutung haben sie in beiden Sprachen
z. B. AfF, Arm, Nack. Zu Babel Avurden keine neuen Sprachen
geschaffen, also müssen die Teutschen Würzen die einzigen und
ersten Würzen, die identischen W. der Ilebr. Spr. sein. Der-
gleichen identische Teutsch-Hebräische Würzen sind so viele
aufgedeckt, dass IIoiFiiung daist, noch meliere Eroberungen
zu machen. § 12. Von der Wortforschung und AbleituJig. Die
Entdeckung der Gesetze, nach welchen eine Sprache gemi-
schet worden, ist der erste Gegenstand des Sprachforschers.
§ 13. Von den Formen aus den tFur%en. Formen hat d. Teut-
sche Spr. so viele als Theile der Rede. Diese Formen sind vol-
lendete — vorübergehende Bruchstücke aus den Würzen, wel-
che weder selbstständig sind , weder vorübergehend (z. B. an
von d. W. ßÄw, aus v. d. W. aufs?) Steigerungen der Neben-,
Bey- und Progressionen der Zeitwörter ; Bezüge bestehend in
Geschlechts- und Empfindungswörtern etc. §14. Von der
Hochteutscken Sprache. Darunter verstellt man jene T. Spr.
die ihren 1) Urstaben., 2) Ifrwurzen, 3) Urformen und 4) de?i
Urgesetzen der Anwendung dieser Stoffe unverrückt anhanget,
kurz jene T. Spr., welche aus der Sprachverwirrung zu Babel
gegeben worden ist. Dass sich d. T. Spr. dermal auf ihrer
höclistenStuffe befinde, ist durch die einander widerspreclienden
Teutschen niclit entschieden. Stände sie aber dermal auf der
höchsten Stulle ihrer Reinheit, so würde sie sich bei dem Be-
nehmen d. Teutschen nicht darauf erhalten können. Wer au
ihr mit Aufsehen arbeiten will, fraget nicht nach dem Geltesten
sondern nacli dem Neueste)^ nach Mustcrti , nicht nach Grün-
r/ew, und giebet sich Gesetze aus iMandarten, Dichtern , Kunst-
Mörtern, Launen, spätteren Sprachen. Man glaubet an eine
ewige Perfektibüüät , an einen Zeitgeist der Sprache und
freuet sich einer ephemerischen Spraclie. Eine solche Be-
handlung mag zu den Sprachen der zweiten und dritten Klasse
passen, d. Teutsche ist dadurch verloren. (Hier folgen ganz
verschiedenartige Zeugnisse neben einander.) Bei der Menge
der Dialekten und dem Streben in einer Dämmerung, von der
ein erwachter Wanderer nicht weiss, ob sie dem Morgen oder
dem Abende angehöre, ist für die Sprache nichts zu erwarten,
als eine steigende Zahl der an ihr zu Rittern werdenden
Teutschlinge, so lange man die Würzen nicht zu Leitfaden ha-
ben kann. Die T. Spr. hat indessen die trefflichsten Schrift-
steller, in deren Werken sich das Hochteutsche, mit dem Mund-
artigen verquicket , so gut ausnimmt , als das Urgriechische in
den 31eisterstücken der Alten, die es so geschmackvoll mit dem
Mundartigen zu verbinden wussten. — Zuletzt bittet d. Vrf.
Kaindl : die teutsclic Sprache aus ihren Würzen. 281
die Leser sich an seinein Orthographe nicht zu stossen — er
bringe nicht alle Würzen der T. Spr. vor, doch nehme er zweck-
mässig viele auf, und jede sei ein Beitrag."
Diese Zusammenstellung ist woi hinreichend, um die An-
sicht d. Vf.s und somit den Ceist des Buches zu bezeichnen.
Ueber die Meinung von dem unmittelbaren göttlichen Ursprung
der Sprache lässt sich freilich mit Niemand rechten, weil liier
kein Beweis möglich ist. Unterz. scheint es jedoch nur ein
Missvei'stand der göttl. Weisheit oder der göttl. Allmacht, zu
behaupten, Gott habe dem Menschen bei der Schöpfung gleich
eine vollkommen ausgebildete Spr. geben miissen ; ihm ist eine
solche nicht denkbar, ohne eine gleichzeitige vollkommene
Ausbildung der geistigen Fähigkeiten des Menschen, und so
fällt diese Meinung mit der Meinung derer zusammen, welche
die ersten Menschen für hochgebildet in jeder Hinsicht halten
und glauben die wildesten Völker jeder Zeit, denen jede Spur
von Veredlung fehlt, wären nur nach und nach so herabge-
sunken. Anders aber ist es mit dem Tliurmbau zu iiabel , der
hier eine so grosse Rolle spielt: die dortige Sprachverwirrung
hat in die Ansicht des Vrf.s eine Verwirrung gebracht, die
man bedauern muss , da neben dieser n. a. Seltsamkeiten viel
Richtiges und Treffendes liegt.
Was das Wörterbuch selbst anbetrifft, so möchte man
manches anders wünschen. Dem Vrf. scheint eine eigentliche
Kenntniss der Deutschen 3Iundarten, namentl. des Niederdeut-
schen ganz abgegangen zu sein, woher denn manches Sonder-
bare kommt; dann hatte er auch die alte Deutsche Spraclie zu
wenig inne, oder versäumte doch die Anwendung, und so finden
sich in den zahlreichen Ableitungen aus den Würzen die ver-
schiedenartigsten Bildungen der Reihe nach neben einander ge-
stellt, ohne irgend eine Andeutung ob eine oder die andre Form
wirklich vorhanden sei, entweder in einer Mundart oder im
Altdeutschen. Dagegen geht dem Verf. das Ansehn seiner Ge-
währsmänner über alles, alles beweist und belegt er mit ihnen,
daher auf einer Seite derselbe Name (z. B. Balder) mehrmals
vorkommt. Das Ganze, besonders aber der erste Theil, leidet
an unerträglicher Weitschweifigkeit, das Wortregister — was
freilich dem Vrf. nicht zur Last fällt — hätte weit zweckmäs-
siger eingerichtet sein können; aber am nachtheiligsten ist es
der freien Forschung offenbar gewesen , dass der Vrf. sich
gänzlich von dem Klange und der Bedeutung der Hebräischen
Würzen hat leiten und bestimmen lassen. Freilich sagt J. G.
Gru her in d. Vorr. zur allg. Teutschen Synonymik 3 A. S X:
„3Ian kennt das Streben, alle Sprachen auf Eine Ursprache und
besondere Sprachen auf ihre Stammsprache zurückzuführen.
Wer nicht mit Peter Franz Joseph Müller den sonderbaren Ge-
danken hegt, dass die teutsche Sprache die Ursprache sei (die
288 Deutsche Litteratur.
Ursprache. Düsseldorf. 1815) der wird bei dieser auf den Stamm
zurückzugehen suchen. Man hat auf das Ccltische^ das G^iie-
chische, tlas Persische, zuletzt auf d. Sanskrit zurückgewie-
sen, *) allein es felilt noch gar viel, dass man einstimmig ge-
worden wäre. Es ist gewiss lieilsara, dass man alle Wege ver-
folgt, Aväre es auch nur um zu sehen, wie weit und wohin sie
führen, allein vor Voreiligkeit warnt mit Recht Grimm in der
Vorr. zum 2. Thl. d. Teutsch. Gramm." Wir stimmen ihm
vollkommen bei und fügen nur hinzu, dass es eben desswegen
räthlicher scheint, solche Vermuthungen nicht gleich in grö-
ssern Werken durchzuführen und dem Geist der Deutschen Spr,
Gewalt anzuthun. J. Ge. Wakius, der vor mehr als 1(!)0 Jahren
(1113) behauptete, das Baiersche sei Syrisch, hat dafür nur
den Namen eines Baierschen Idioten davongetragen (s. Fulde
German. Wurzclworte S. 26) und doch hatte er wahrscheinlicli
eben so viel Recht, als sein Landsmann Kaindl. Verlassen
wir die Vorstellung, dass die Ursprache göttliclie Eingebung
und somit voUk-ommen gewesen sei, so ist offenbar, dass die-
selbe jetzt in Deutschland so wenig zu finden sei als in Indien,
oder in JudUa, wenn man nicht etwa das Mittel des weisen
Psammetichus (nach Herodot II, 2) aufs Neue anwenden wollte.
Verwandtscliaft der einzelnen Sprachen mag man nachweisen,
die Ursprache aber möchte für uns eben so verborgen sein als
die Lage des Paradieses, welches man auch in allen Weltthei-
len, in Schweden und unter dem Nordpol so gut wie inKasche-
mir gesucht hat, und wenn Postel (Gull. Postellus Barento-
nius) diese Ehre des Nordpols durch astronomische und histo-
rische Gründe darthut , so möchte wol keinem Sprachforscher
etwas Aehnliches beschieden sein. Hat man doch die Abstam-
mung des Menschengeschlechts von Einem Paare auch bezwei-
felt, warum will man nicht mehrere Ursprachen nebeneinander
bestehen lassen, ü\e für 7ins gewiss Ursprachen sind*?
Der Verf. behandelt in den 4 Bänden 344 Würzen, wor-
aus hervorzugehen scheint, dass er unter Würz etwas andres
versteht als Fulde, der doch 2^ — 3000 Wurzeln in jeder Spra-
che annahm (German. Wurzelw. S. 41). Daher nennt er sie
auch Urwurzen, schreibt sie aber zum Theil ganz wie in der
gewöhnlichen Sprache. Es sind folgende :
Ir Band: Ab, ach, acht, ad, ad, älb, äff, äff, ahm, ahn,
ahn, ahr, all, alt, am, am, anis, and, ant, arg, arm, as, asp,
auch, auf, aug, aufs. — 2r Bd. : haar, bah, bahn, bahr, ball,
ball, bang, bann, band, barm, harr, bass, bass, batt, bau,
bauw, baus, bes, bey, beü, bei], beifs, berg, bieg, biet, bili,
*) Gruber kannte also damals — die Vorr. ist vom 18. April, doch
wol 1826 — imser Werk noch nicht.
Kaindl : die teutsche Sprache aus ihren Würzen. 289
blaoli, blach, bland, blau, blaiiw, blind, blöd, blöd, bloss,
bohr, boU, bos bös, boss, brach, brau w., breit, buhl, buho,
bunt, butt, däh, dahl, dämm, dämm, dau v, dau, v, dau v, —
deck, dehn, deih, denk, derb, dick, doli, dorr, drang, dreh,
dumm, dünn, durra (od, dürr), dürr, dus, eb, eck, eh, eich,
eid, eif, eig, ei, ey, eil, eisch, eit, eil, eil, end, eng, (Nachw.
V. eck,) err, ess, ert. — 3r Bd. : fad, iah, fahl, fahr, fahr,
falg, fall, färb, fass, faul, fech, fig, fehl, fehl, fehl, feig,
feil, fein, feiss (vulgo feist,) fett, ferr, feuch(t), flach, flau,v,
foch, fohr, folg, frey, freis, fremd, frod, fromm, fromm
fromm, früh, fug, fühl, fut, fürt, gach, gahr, gall, geh, gehr,
geil, gell gelb, gess, geud, giess, giil, glahn, glas, glatt, gam,
grab, gram, gramm, gramm, grau w., gut, hach, hach, had,
haft, hag, hahl, hahl, halb, hall, hall, hamm, härm, hart,
has, hass, heb, hehr, heil, heim, hell, hend, heu (d. i. heuw),
hinn, hoch, hohl, höhn, huhn, hutt, jähr, jamra, irr, kahl,
hahr, kämm, kas, katz, keb, kehr, kann, keusch, komm. —
^v Bd.: lad, lahm, lau v, leb, leer, lieb, mach, mag, mah,
mahl, mahn, mahr, mall, mann, raarr, raascli, raass, manch,
meh, misch, raiss, mitt, raohr, muh, mumm, rauth, nah, nack,
nah, nähr, nall, narr, nasch, nass, nehm, neid, neig, neiss,
nenn, nes, neu v, iiicd, nied, nug (genug), ob, od, oh, ohi,
ohn, ohr, paar, pur, q, — rad, rag, rahm, ralin, raub, rauch,
rauh rauv rauch roh, reg, reib, reif, rein, reis, reiss, röhr,
roth, ruh, rubra, rühr, saal, saal, sag, sah, sah!, saram, satt,
sauf, saug, saus, schaam, schab, schach , schad, schau v.,
scheel, scheh, schemra, schieb, schuh, schutt, seh, sehn, sehr,
seig, seira, seit, sieb, sieb, siech, sied, siel, sitt, söhn, such,
taub, taug, thau, tlieil, thum, thuv, tod, toll, toss (doss), umm,
vall, wach, wahn, wall, weh, weid, weih, weil, weis,
weiss, weit, wes, wied, wohn, wonn, wuhn, wuth, zab, zag,
zau V, zier. —
Die Behandlung der einzelnen Würzen ist, wie schon ge-
sagt, ganz gleiclimässig, aber sie kann, der Fruchtbarkeit der
einzelnen gemäss, nicht gleich umfassend sein. Am bezeich-
nendsten für das Werk sind wol diejenigen, von denen mehrere
gleichlautende vorhanden sind, z. B. die dreifache Würz dau,
fromm, fehl, und die hier angeführten zwiefachen.
Das Durchnehmen jeder einzelnen würde natürlich ein
Buch hervorbringen: um des Beispiels wegen, wie der Vrf.
durchgehends verfährt, möge die318 Würz thum (eine der kür-
zesten) hier stehn. Sie hat (Th. 4 S.43üff.) den Begriff: voll-
ständig, ganz, mit Ein- und Zugehöre, umfassend, fertig, ge-
rundet, frey, betragend, begreifend, summatus, consummatus,
gyrus, complexus, Bereich, in Räume gebracht, in sich haltend,
gross. Die Hebr. Würz ist D»n, perfectus, linitus est, defecit,
Jahrb. j. Fhil. u. Fädag. Jahrg. V. Heß 3. 19
290 Deutsche Littoratur.
consumtus est , complexus, absolutus est, integer factus est.
Guarin. JVeitenmier.
Nebenvvort : thumra, thummer, tliummest.
Beiwort: d. d. d. thumme, thummere, thummste.
Erstes scliwebes Hauptwort: Die TJiumme, Thuramheit,
Erstes klcbes Hauptwort: Die Thumme, Thummun^.
Zeitw.Tliummen, magnificarc, Notker bei Fulda 2Ö7, woTuom-
lieit raagiiificeiitia und tuomeu niagnificare gelesen wird und
ein (sie) Fingerzeig giebet, dass der Umlaut ü nicht Statt ha-
ben darf. Von Thumm ist das Bruchstück thuni, wovon thüm-
lich das ü wie andere mit lieh geendete annimmt. Davon schrei-
bet Schottel u. s. w. u. s. w. Denn das folgende sind nur Ci-
tate. Aber, fragt man, wo sind denn alle jene Formen '? und
sind sie nicht vorhanden, wozu dient die immer wiederholte
Herzählung ^ Ich enthalte midi jeder weitern Anmerkung.
Diess ist so im letzten Theile, im ersten ist alles noch weit
breiterund seltsamer, w. z. B. S. 47, wo die Namen Achatesund
Achedoros als Belege für die Bedeutung der Würz „ach"- Was-
ser angeführt sind und die ganze Stelle daselbst. So heisst es
S. 63: „Vgl. ßcÄ/er belgisch, pone, a tergo Lateinisch. Spate
hallet es aucli für Teutsch obschon selten geworden S. 6, und
für Sachsisch S. lö. Äther, Achter, und das Altpers. Achter
s. Fulda S. 326. 27." Wie ist es möglich, so viel Worte zu ver-
lieren*? achter die niederdeutsche Form für after, nach, hinter,
sollte einem Spracliforscher wol bekannt sein, da es ja nach
der Regel (ft in c'it) verändert ist, so Lucht, Schacht für Luft
u- s. w. und Lachter für Klafter ist selbst in die Schriftsprache
übergegangen. So sind viele Gewährsmänner Beispiele und
Beweise, die nichts oder nur das Gegentheil beweisen, Sprüch-
wörter, Bibelstellen u.s. w., bei denen man in ein gerechtes Er-
staunen geräth: das hat das Buch vertheuert und fast unbrauch-
bar gemacht ; ein Auszug wäre weit zweckmässiger gewesen,
jetzt kann es nur denen dienen, die geneigt sind, Schritt vor
Schritt zu folgen und nach andern Quellen und mit eigner
Ueberlegung alles Dargebotene zu sichten, und das Gute aufzu-
bewahren, das Falsche zu berichtigen oder zu streichen. Dem
eigentlichen Sprachforscher möchte es nur sehr wenig Ausbeute
geben. Schade dass der gelehrte und denkende Vrf. manche
neuere Werke entweder nicht gekannt, oder verschmäht liat.
Warum d. jetzige Verleger auf dem umgedruckten Titelblatt des
ersten Bandes den Wahlspruch: „Willst du den Geist des Va-
terlandes bilden, so bilde seine Sprache" weggelassen hat, kann
Unterzeichneter sich nicht erklären.
Eine Schrift ganz andrer Art ist die zweite. Sie enthält
folgende Abtheilungen. S. 1— 36: lieber den Rhythmus ; S.
37 — 182: üeber die Sprachreiniger in drei Paragraphen; S.
185—246: Wodurch bildet sich eine Sprache; S. 248— 320:
Ueber dio Sprache. 291
Die Rückschritte der Poesie, und endl. — SCO: Stylübungen;
Einfälle, Anekdoten meist politischen Inhalts.
Untz. müsste viele Seiten absclireiben, wenn er alles Wah-
re, Treifende, Scharfsinnige, Witzige, was in den drei letzten
Abschnitten enthalten ist, anfiihren sollte: der Vrf. scheint in
seinem Eifer für Vaterland, Recht, OefFcntlichkeit, Freiheit oft zu
weit zu gehen, aber es ist ein schöner Eifer ; er scheint oft zu
strenge, ja ungerecht gegen manche Erscheinungen voriger und
jetziger Zeit in Dentschland, aber seine Strenge, seine Ungerech-
tigkeit selbst scheinen aus Vaterlandsliebe entsprungen zu sein,
und dabei ist das Ganze in einem reinen und kräftigen Deutsch
geschrieben. Alles das ist anders im zweiten Abschnitte „rf/e
Sprachreiniger '■'•^ der Seitenzahl nach dem bedeutendsten des
ganzen Buches ; man sollte es für ein früheres , unreiferes Er-
zeugniss d. Vfs lialten. Zwar fehlt es auch nicht an guten,
gelungenen, namentl. witzigen Stellen (z. B. S. 21 J, 224: ff.) ; al-
lein hiei*, wo es gilt, gründlich, nicht bloss witzig zu sein, sieht
man zu deutlich, dass der Vrf. nicht auf festem Boden steht,
dassersich zu wenig mit seinem Stolfe vertraut gemacht hat (was
den Staat anbetrifft überlasse ich andern). Spottet er über die
Deutschen wie die Königin Christine über die Gelehrten , dass
sie zwar alle Regeln wüssten, aber sie durchaus nicht anzuwen-
den verstünden, so hat er hier durch sein eignes Beispiel seine
Gelehrsamkeit und Deutschheit glänzend erwiesen. So lange
er vom Allgemeinen spricht, hat seine Rede die vorhin erwähn-
ten Eigenschaften, sobald er sich zum Einzelnen und Besondern
herablässt , ist er verloren, und man weiss nicht, täuscht er
sich selbst, oder will er seine Leser täuschen. Das Verderb-
niss der Deutschen — 7iicht abgestorbenen sondern kräftig le-
benden und treibenden — Sprache durch Einmischung fremd-
artiger Bestandtheile ist vielleicht die einzigste Erscheinung in
der Geschichte aller Sprachen; die Verblendung der hellsehend-
sten Männer, der gelehrtesten Sprachforscher, unsre Sprache,
statt zu helfen, oder gar um zu helfen, immer tiefer hinabzu-
stossen ins Verderben, wird der klügern Nachwelt unbegreiflich
scheinen; der Freund ist verderblicher als der Feind, und die
arme, verlassene Sprache darf keinen andern Wahlspruch ha-
ben als den: „Gott behüte mich nur vor meinen Freunden, mit
meinen Feinden will ich schon fertig werden."
Da das natürliche Gefiihl für Wahrheit, Schönheit und
Schicklichkeit die Deutschen hier so ganz verlassen zu haben
scheint, so sollten doch zahlreiche Schriften und Schriftchen
über diesen Gegenstand ihnen endlich die Augen geöffnet ha-
ben: keineswegs. Die Anstrengungen der Jahre 1813 u. 1814
haben gänzliche Erschöpfung und Gefühllosigkeit zur Folge ge-
habt, und die Reinheit der Deutschen Spr. ist im Frieden tiefer
gesunken als je. Und das ist der Hauptvorwurf, den wir der
19*
292 Deutsche LItteratur.
vorliegenden Abhandl. machen müssen, dass dem Vrf. das Un-
Avesen der letzten Jahre unbekannt zu sein scheint, dass er mit
Campe's Wörterbuch in der Hand und einigen Bemerkungen dar-
über, den bösen Geist gebannt zu liaben wähnt, der dreissig
Jahre später in Deutschland umgeht! ,,So weit waren wir
gekommen,'-'' sagt Campe am Schiiiss der Vorr. zu s. Verdeut-
schungswörterb., „dass wenigstens Aa^fiinfle Wort, dessen wir
uns bedienten, ein undeutsches war.'''' Guter Campe! Begeiste-
rung war nicht deine Sache, aber du glaubtest, man würde der
Vernunft^ dem gesunden, schlichten Mensdienverslande Ge-
hör und Ehre geben ! Jetzt ist das alles noch weit ärger. Wie
alles Unkraut wuchert auch dieses ins Unendliche; aus allen
Weltgegenden strömen ellenlange Ungeheuer für kurze Deutsche
Wörter zusammen, und das um des beliebten Grundsatzes der
Verständlichkeit, der Kürze und des Wohlklanges willen! Es
gibt kein so mmothiges, übelldingendes^ftilschgebildetes^ un-
sinniges Fremdwort, das nicht zu irgend einer Zeit gebraucht
worden ist, gebraucht wird, oder gebraucht werden wird, wenn
dem Uebel nicht gründlich gesteuert wird.
Wodurch ihm gesteuert werden solle? ob der einzelne
Schriftsteller durch seine Stimme viel vermöge? Scliwerlich.
Es gibt nur zwei Wege, auf denen der Zweck erreicht werden
könnte, die aber am besten vereinigt würden: von unten oder
von oben, d. h. durch die Schule oder durch den Staat. Ob-
gleich der Vrf. dem Schulstande nicht besonders hold zu sein
scheint, so entschiede sich Uiiterz., wenn nur eins sein könnte,
doch für die Schule: denn da sich bei den Menschen am Ende
doch mehr durch Lehre und Beispiel ausrichten lässt als durch
Befehl, so möchten auch wol hier die Lehrer mehr ausrichten
als die Gewalthaber. Aber wo soll wiederum das Beispiel her-
kommen bei den meisten Lehrern, die ihrerseits auf alle dergl.
Bemühungen herabschauen als aid Minutien? Unterz., der
sich seit vielen Jahren in Nebenstunden — denn wer könnte fort-
dauernd in dem Wust herumwühlen — mit diesem Gegenstande
beschäftigt hat, hält dafür, dass zwei Werke hier gewiss Nu-
tzen bringen würden: 1) eine Geschichte dieses Unwesens von
der frühesten Zeit an (der Tannhuser ist nicht der einzige,
welcher Französ. Wörter brauchte) mit allen Vor- und Rück-
schritten, den wiederholten Siegen des Unsinns über den Ver-
stand. 2) eine Zusammenstellung des Unraths , wie er jetzt in
Büchern namentl. in Zeitschriften vorhanden ist, einmal nach
den Gegenständen, denen die Wörter angeliören, dann nach
den Redetheilen und einzelnen Wortbildungen, wobei am mei-
sten auf die Missgeburten, auf die Thorheiten und die Bequem-
lichkeit hingewiesen werden müsste, und wo mancher Unschul-
dige z. B. auch unser Vrf. erst inne werden würde, wovon
eigentl, die Bede ist. Verdeutschungswörterbücher, wie wir sie
Uobcr die Sprache.
big jetzt haben, Campe und den wackern Oerlel ausgenom-
men, die immer auf das Thörigte und das Bessere zugleich hin-
weisen, schaden mehr als sie nützen.
Mehr als einzelne Schriltsteller wiirden Gesellschaften
nützen können, die sich doch vaterländische nennen, und die
gelehrten Zeitungen. Aber die eine Gesellschaft ( die Säch-
sisch-Thüringische) hat ja selber ein Pracsidium, einen Präsi-
denten und Vicepräsidenten, einen Secretair, eine Generalver-
sammlung, Locale und Termine, und das alles in einer Anzeige
von 5 Zeilen! eine andre hat eine liistorische Section, die eine
Zeitschrift Westphalia Iierausgibt für vaterländische Cultur.
Das arme VVestfalia! Bildung getraut man sich doch nicht ihm
anzubieten, cuUivirt wird es also ! Wenn das nicht Spielereien
sind, ganz'unwürdig ernsthafter Männer, Spielereien, die de-
nen der Spracligesellschaften des 17ten Jahrb. nicht bloss
gleiclikommen, so frageich, was sind denn Spielereien*? Dass
die Zeitschriften, sie mögen nun critische Institute, paedago-
gische, politische oder Luxusartikel etc. sein, der wahre Tum-
melplatz aller undeutschen Schlechtigkeiten sind, braucht
nicht erwiesen zu werden — keine aber ist so spasshaft conse-
quent als die eine (Leipziger). Die sagt an melirern Orten:
„wir sind gerade keine Puristen, aber wir halten noch etwas
auf Sprachreinheit: der Vrf. hat zu viele fremde //'o/te (die
Form /för/er scheint die Zeitung gar nicht zu kennen) gebraucht
u. s. w. — und dabei laufen in der eigenen Arbeit so viele
Fremdlinge mit unter, dass man gleich sieht, der Mann will
spassen. Gegen solchen Unfug, gegen Lebende^ die sich recht-
fertigen oder bessern können, muss rücksichtslos die Wahrheit
ausgesprochen werden, nicht gegen todte Löwen allein, wie
auch der Vrf. zumTheil gethanhat. Der Freiberr v. Gagern
wird schwerlich darauf achten , wenn man ihm das abschenl.
Deutsch nicbt nur in seinem Einsiedler, sondern gar in seiner Deut-
schen Geschichte bemerklich macht, aber fiir andre ists ein
Beispiel. So verdient der Ilofr. Luden den strengsten Tadel,
dass er die Handscbrift des Herz. Bernbard, die ihm zur Durch-
sicht anvertraut war, so undeutsch abdrucken liess. O der
Schande, dass ein edler Deutscher Herzog, den die Verhält-
nisse gezwungen, lange Jahre unter anders redenden Menschen
zu leben, nun in Deutschland selbst reden muss, wie (nach den
Proben in Radloffs Mustersaal) Deutsche Bauern in Nordameri-
ka! Was soll aus unsrer Sprache werden (um von tausenden
nicht das Scblimmste anzufübreii), wenn man sich nun auch ei-
nen hint geben darf statt eines Winkes*? und das einem Ge-
schichtschreiber der Deutschen noch kein hint ist zur Äen-
derung?
Gehn wir bei diesem Stande der Sachen auf die Abhand-
lung unsers Vrf.s über, so kann sie uns nur lau, flach und un-
294 Deutsche Litterntur.
befriedigend erscheinen. Audi Campen scheint er nicht
hinlänglich gelesen zu haben, Kolbe's Schriften über die
lleiiiigung derD. Spr. scheint er gar nicht zu kennen, nur des-
sen Wortreichtliura führt er mehreremale an , aber — es mag
blosser Zufall sein — alle angefiihrten Stellen sind aus dem er-
sten Bande. Desto häufiger führt er Hamanns Schriften an,
man sieht ganz deutlich, dass Hamanns Tiefsinn seinen Geist
befruchtet hat; viele Gedanken, auch der Wahlspruch: rede,
dass ich dich sehe, sind aus Hamann entlehnt.
,, Man hat es uns Deutschen zum Vorwurf gemacht, Klei-
nigkeiten mit grosser Breite und Wichtigkeit abzuliandeln; mau
hätte uns billig dagegen anrechnen sollen, dass wir die wichtig-
sten Dinge mit desto grösserm Leichtsinn abzufertigen ver-
stchn. — Diess letztere Schicksal ist unter andern der Sache
der Sprachreinigung zu Theil geworden, wie sehr auch, wenn
irgend etwas, die Sprache des Volkes als Sache des Volkes be-
herzigt zu werden verdient. — Wie ihrem treuen Beförderer
(Campe) ging es der ganzen Unternehmung, die den Lustig-
niachern vielmehr als den Scliriftstellern und Lesern in unserm
nicht sowol an Lächerlichkeiten als an Sinn für die grössern
derselben etwas dürftigen Volke besonders zu "Statten kam.
Der Spott ist eine vortreffl. Sache selbst gegen die beste, weil
er am Ende doch nur, was ihr fremdartiges und verderbliches
beigemischt wurde, trifft und schlägt, und Uebertreibungeii
eines Fehlers, gleichviel ob scherzliaft oder ernsthaft gemeint,
gehören in beiden Fällen zu den kürzesten Wegen ihn los zu
werden. Aber mit der guten Laune ist es doch nicht gethan,
so lange sie uns nicht zur bessern Einsicht führt, und wo man
nicht damit anfing zu wissen, worüber man lachte, muss man
wenigstens damit zu endigen verstehen. — Es bedarf dann
auch keiner Entschuldigung des Versuchs zu zeigen: unter wel-
chen Umständen die Natur der Dinge das Ableiten eines Wor-
tes aus den eignen Sprachquellen gebieterisch verlangt, uÄter
welchen andern hingegen dieBeseitigung des fremden oder fremd-
artigen überflüssig und sogar unzweckmässig sein würde, und
worin die Missgriffe, die unsre Sprachreiniger dem Spotte preis
geben, bestehen." — Wer wird nicht begierig, nach solchen
Worten in der Einleitung (S. 3!)~41) seinen Versuch zu lesen
„wenn er auch imr das Wesentlichere seines Gegenstandes be-
rühren und ihn somit keineswegs erschöpfen wird." ?
Im ersten Abschnitte, der sich im Allgemeinen hält, geht
der Vrf. an Hamanns und Campens Hand gut, er spricht
über das Wesen der Sprache überhaupt (Gemeinverständlich-
keit), über den Zusammenhang zwischen Denk- und Sprachver-
mögen („Unsre Macht ist Wissen und unser Wissen Sprache'"''),
über Reinheit einer Sprache („das fremde Almosen bereichert
uns nicht, uns bereichert nur, was wir erwerben. Erwerben
Ucbcr die Sprache. SD5
aber, wenn von dieser geistigen Münze die Rede ist, heisst
Ausprägen, alles Umschreiben ist blosses Arbeitsgeräuscli."),
vergleicht treliend abgeleitete mit nrspri'inglichen Sprachen,
führt Leibnitzens bekannten Ausspruch an, geht dann auf un-
sre neuen Scliolastiker über, gegen die er sich auf das stärkste
äussert: S. (>5 „Wer eitel oder unverschämt genug ist, seinen
Zeitgenossen das Erlernen einer ganz neuen selbsterfundnen
Sprache zuzumuthen, einzig und allein um ihn und seine Sclirif-
ten zu verstehen, der soll erfahren, dass er nirgends auf einen
Blödsinn rechnen darf, der solchen Anmaassnngen sich fügt.'^''
Und docli haben Iiunderte von Blödsinnigen sich gefügt, an-
drer zu gescliweigen, selbst Schiller, wie der Vrf. wohl wissen
konnte, und aucli Hamann hat auf diesen, ja auf einen grössern
Blödsinn gerechnet, und der Vrf. liest ihn eifrig! Dann geht
er auf den Einfluss über, den gewisse Fremdwörter auf das
öfFentl. Leben der Deutschen gehabt: hier ist er auf seinem
eigentlichen Felde und spricht scharf und walir über den Schutz,
den man höheren Orts gewissen beliebten Fremdlingen (z. B.
Souverainetät) hat angedeihen lassen. Die ganze Stelle, beson-
ders der Scliluss (S. 74 — '18) ist sehr lesens- und beherzigens-
werth; als Probe gebe ich den Anfang: „AVas von Aussen her
der Faust zu unterwerfen oder im Gedächtniss aufzuspeichern
war, das haben wir gehabt und haben es zum Theil nocli jetzt.
In Waffen und Büchern thaten wir es Allen gleich und nicht
Wenigen zuvor, aber ein geheimer Fluch Hess uns neben den
Rohesten zu immer tiefrer Unbedeutsamkeit hinsinken, keine
von allen Blüthen wurde zur Frucht, wir bewahrten die Schätze
des Wissens wie der Entmannte seinen Harem und ein umge-
kehrtes Midaswunder zauberte auch das edelste Metall in un-
sern Händen zu Blei u. s. w."
Im zweiten Paragraphen geht der Verf. zum Einzelnen
über, spricht über die drei Stufen vonSprachreinigkeit, welche
Campe angibt, von denen aber keine erreichbar sei; meint,
dass die unentbehrlichen fremden Ausdrücke einen höhern
Werth haben durch eine vorzugsweise beslimmte ^ kenntliche
oder umfassende Bezeichnung ihres Gegenstandes, und führt
nach diesen drei Eigenschaften eine Anzahl Wörter an, welche
nicht füglich Deutsch gegeben werden könnten. Der Vrf. ver-
gisst dabei nur, dass kein verständiger Mann je^^es, auch ein
schlechtes Deutsches Wort einem fremden, das als eingebürgert
gelten kann, wie Karawane, Paradies, Admiral, und vollends
den Parteinaraen Geusen, Hugenotten u. s. w. vorziehen wird.
Es ist ferner nicht ganz redlich (wie die Gegner der Reinheit)
durch den Spott über eine schlechte Uebersetzung die Unmög-
lichkeit der Uebersetzung selbst zu zeigen. Würde sonst nicht
die schülerhafte Uebertragung eines ganz unbedeutenden Wer-
kes für die Unübersetzbarkeit des Werkchens selbst Zeugniss
296 Deutsche Litteratur.
ablegen? Wenn also z. B. Elektricität durch ' Blitzstoff ver-
deutscht werden soll, so braucht man gar nicht auf die abge-
leiteten und zusammengesetzten Wörter überzugehen, um die
ünstatthaftigkeit dieser Verdeutschung zu zeigen. „Eine Am-
phibie ist nach Trapp ein kaltrothblütiges, nach Berend ein
kaltblütiges Lungenthier.'-'' Gut, das sind Erklärungen, keine
üebersetzungen, wo bleibt nun der Spott*? wer in aller Welt
■würde sein Gedicht Rasegesang stattDithyrambus überschreiben *?
Neptunisten und Vulkanisten ist ungeschickt übersetzt durch
Wasser- und Feuergesinnte, aber wer versteht die fremden
Ausdrücke ohne Erklärung richtig*? Freilich erleichtert eine
allgeraeineKunstsprache den Verkehr ausserordentlich, und diese
Kunstwörter könnten wie Bilder und Noten und gleiche Buch-
staben ein umfassendes Band knüpfen, aber wo ist hier der
Anlang, wo das Ende, als in einer Universallangue statt der
Deutschen Sprache'? JVir sollen andern Völkern die Erlernung
unsrer Sprache erleichtern und sie darum zu einem Kauder-
welsch machen , dessen Kenntniss am Ende keiner mehr der
Mühe werth hält ! Es ist ein herrlicher Grundsatz, dass kein
Wort einer gewissen Sprache dem entsprechenden einer andern
ganz gleichzusetzen sei, und wir haben wirklich einen hüb-
schen Anfang gemacht, desswegen alle diese unentbehrlichen
Fremdwörter herüberzuziehen. Ausser Kaiser, Sultan, Zaar,
Imperator (Empereur einige Jahre lang) haben wir auch duc's,
diica's, dogen, dukes und Herzoge, wir haben eine Ethik, eine
Moral und eine Sittenlehre, deren Unterschied von der neuesten
Schule sehr scharfsinnig aus einander gesetzt ist, und die sich
ungefähr unterscheiden wie Sauce, Jus und Brühe, wir haben
Aufseher die meist wenig, Inspectoren die schon mehr bedeu-
ten, und Ephoren die über alles wegsehen ; wollte man den
Ephorus noch erhöhen, so raüsste man ihn wahrscheinl. in's
Türkische oder auch in's Indische übersetzen (ein Pascha des
Cultus und der Scienzien müsste sich nicht übel ausnehmen).
Darauf gründet sich ein herrlicher Vorschlag, diesen Grund-
satz ins Unendliche auszudehnen und so mit unbegreiflicher
Kürze z. B. die Könige von Europa zu benennen, nämlich den
King, den Roi, den Re, rey, konge u. s. w. Denn unsre blöd-
sinnigen Nachbarn wissen zwar auch, dass ein Deutscher und
ein Französ. Herzog z. B. himmelweit verschieden sind, sie be-
halten aber doch duc für beide, und mit ihnen ist nichts an-
zufangen.
Es ist freilich wahr: „die fremden Ausdrücke bezeichnen
nur den Gegenstand ohne ihn zu erklären — manche wissen-
schaftl. Irrthümer sind mit gewissen Ausdrücken zusammenhän-
gend — oft bezahlen wir die Verbannung eines Missklanges
mit der Einbürgerung eines Vorurtheils und was darauf der Vrf.
(S. i)7) sagt, aber daraus sollte nur gefolgert werden, dass wir
Ücber die Sprache. 297
die fremden Ausdrücke Deutsch wiedergeben, nicht wie sonst
geschah, silbeuwcise übersetzen sollen, obgleich bekanntlich
eine Menjre Deutsclier buchstäblich übersetzter Wörter jetzt
ganz zweilcllos gebraucht werden — falsch ist also, dass viele
fremde Wörter, weil sie eine umfassefidere Bedeutsamkeit hät-
ten. Deutsch gar nicbt wiedergegeben werden könnten (immer
mit einem und demselben Worte'? nein, aber wozu soll das'?):
so physisch, Politik, politisch, moralisch, philosopbisch, 31ü-
ßik, Humanität u. s. w. , über welcbcs letztere der Vf. sich be-
sonders verbreitet, ohne das, was Campe schon darüber ge-
sagt, zu beachten, — ihm liegt mehr daran, den Werth der
Silbe thwn durch einen glänzenden Witz in Preussenthum und
Anhalt -Cöthenthum ins Licht zu setzen, statt sich bei andei-n
Gewährsmännern zu belehren. Es bleibt von so vielen Wör-
tern nach unsrer IMeinung nur der Gebrauch übrig, den der
W itz von einem doppelsinnigen oder weitschichtigen Worte ma-
chen kann, und der wiegt wahrlich den JSachtheil nicht auf.
Wenn es kürzlich in derZeitung hiess, ein gewisser König habe
in seinem ^Appartement eine Audienz gegeben, so werden sich
Einige gewundert, Andre sich gel'rcuet haben, dass es ihm
nicht ergangen, wie einst Heinrich III an demselben Orte, aber
wer wollte desswegen dieses schöne Wort für unentbehrlich
halten*? *).
S. 107 spricht der Vf. von Klangähnlichkeit und freut sich,
dass man Deutsch weder Iluraanita^' noch Ilumaiüte ausspreche.
S. 111 meint er, wir könnten von der Wirkung, welche der
grosse Vorrath Persischer, Phönizischer , Aegyptischer u. a.
Ausdrücke, die im Griechischen \o\\i.ommG\\ ^ auf ein Griechi-
sches Ohr hervorbrachte, gar nicht urtheilen. (!'?) S. 112
ganz richtig, dass die Spuren des Unterrichts, den ein Volk
dem andern ertheilte, in den Sprachen die Bildungsgeschichte
unsres Welttheils beurkunde: wir wissen aber nicht, wie er die
wenigen Ausdrücke: Gneis, Späth, Quarz u.a., die unter den
unzähligen auf in u. it (worunter auch ein W ernerit) ganz ver-
schwinden, ein Deutsches Gewand nennen kann, in das Wer-
ner seine Lehren und Entdeckungen kleidete **j ; in ganz an-
*) Eigentlich, glaube ich, war grosser Hof im Appartement, und
das ist um so mehr zu bewundern , da doch sonst umgekehrt die Ap-
partements im Hofe sind.
") Dieser Aussipruch liefert übrigens wieder einen Beweis, wie der
^erf. seine Lehren und Entdeckungen vorträgt. Es Ist allerdings wahr,
dass auch Französ. Mineralogen seit Werner aus der Deutschen Spra-
che vorläufig eine bedeutende Anzahl von Benennungen entlehnt haben,
die dem Geist der Französ. Sprache schnurstraks entgegen sind , aber
es ist die Frage, ob sie das nicht zum Theil auch ohne Werner gethan
298 Deutsche Litteratur.
derm Sinne könnte man diess von Olcens Naturgeschichte sa-
gen, deren Kunstausdrücke freilich nicht in die andern Sprachen
übergehen werden. Eben so sonderbar meint der Vf. S. 112:
„Schifffahrt und mancherlei Gewerbe verdankten Engländern
U.Niederländern mit ihrer Vervollkommnung aucli mehrere ih-
rer Benennungen. "• Wir rathen ihm, was Schifffahrt anbetrifft,
nur Rödings Wörterh. der Marine nacbzusehen, wo ihm man-
ches klarer werden wird. Die Niederländer, d. h. Niederdeut-
sche, d. h. Deutsche können hier keine eigene Klasse ausma-
chen, und wenn Deutsche, Holländer, Dänen und Schweden
beinahe dieselbe Schiffersprache haben, so weiss aus der Ge-
haben würden , wenig'stens sind die angeführten drei Beispiele sehr un-
glücklich geMÜhlt, denn Späth u. Quarz wie Gleite und wol noch an-
dre, sind, Avcnn das Dict. de l'Acad. (die 4te Ausg. von 17()2 liegt vor
mir) Recht hat, schon lange vor Werner (geh, 1749) in die Französ.
Sprache übergegangen. Aber gerade hier zeigt sich recht deutlich der
Unterschied zMischen Deutschen u. Französisichen Gelehrten , der Deut-
sche nimmt alles Fremde ohne Untersuchung, ohne Versuch zum Ue-
bersetzen , ohne allen Widerwillen auf, der Franzose nur vorläufig ;
ja während noch im Jahre 1824 Französ, Gelehrte sich bemühten, ein-
heimische Wörter für die eingedrungnen Kie*eischiefer, Klingstein, Ka-
nelstein, Kohlenblende und Hernkohlenblende u. s. av. zu bilden (man
vgl. d. Dict, des sciences naturelles vol. XXIV unter diesen Wörtern),
übersetzten schon 1804 Deutsche Gelehrte flink u. m ohlgeniuth aus dem
Französ. Kohlenblende durch — Authracit und fügten das Deutsche
AVort nur beiläufig hinzu (vergl. Hauy Mineral, übers, v. Karsten und
Weiss 1804 — 10. IV. 8., wo sich in der Vorr. manche hiehergehörige
Ergötzlichkeiten finden). Wenn aber in jenem Dict. um der M'issen-
schaftlichen Vollständigkeit Milien hunderte von Wörtern, wie Käutz-
lein, Kalblleischlachs, Klosterwenzel, Karpfenhering u, s. w., auch aus
den andern Sprachen verzeichnet sind, so wird es keinem einfallen,
dieselben für eingebürgert zu halten. Es ist also viel zu früh, Avenn
auch Raymond (in s. Dict. des termes appropries aux arts et aux scien-
ces etc. Par. 1824.) viele ganz unfranzösische Wörter , ja Avahre Wort-
ungeheuer als mots dejii consacres par l'usage ansieht, und diesen frei-
lich grossen Vorrath rühmend eine richesse de la langue des sciences et
des arts nennt u. Avahrscheinlich für eine nothwendige Bereichrung sei-
ner Sprache hält, laquelle, gräce ä la double puissance de Louis XIV
et de Port Royal est dcvenue et resicra la langue des peuples et des
cours de I'Europe ! — nämlich durch die nunmehrige Universalität,
nach Avelcher die gute Deutsche Sprache schon so lange strebt. Der
Raum verbietet, hier di'e Deutschen Wörter, meist naturwissenschaft-
liche, welche Raymond aufgenommen hat, mitzutheüen, unter den
übrigen findet sich ausser Kirscbwasser, Kötschwasser , Schnapan u.
8. w. auch — Tugendbund !
Ueber die Sprache. 29!>
schichte jedes Kind, wer sie müsse gehildet haben ; einem Hoch-
deutschen Binnenländer mag freilich manches Niederdeutsche
Holländisch vorkommen. — Dass die Russische Spraclie (S. 1 13)
raelir Deutsche Wörter aufgenommen, als die Deutsche Wörter
aus allen andern Sprachen zusammen, glauben wir ihm, ohne
Beweis wenigstens, nicht, obgleich wir von der lluss. Sprache
gar nichts verstehen. In dem folgenden stimmen wir meist bei,
Avenn nur die Kegeln in der Anwendung nicht gar zu viele Aus-
nahmen zuliessen; sehr wahr sagt der Verf. in Campens Geist:
(S. 120) „Die erste und wichtigste von allen Oeft'entlichkeiten
und die jeder andern zum Grunde liegt, ist eine verständliche
Sprache; und wie jede andre Oeffentliclikeit nicht nur indem
sie das Gute bekannt macht, sondern auch, und noch mehr in-
dem sie das Böse aufdeckt, ihre Wohlthätigkeit bewährt, so
ist eine Sprache um so höher zu schätzen, je unverhüllter sie
auch die hinfällige Lüge in ihrer ganzen Blosse darstellt, wie
die nackte Wahrheit in ibrer ganzen Kraft."
Im dritten Paragr. zieht der Vf. gegen die Sjnaclv einiger
zu Felde, aber er versteht unter diesem Namen hier auch alle
die Sprachlehrer, welche strenge llegelmässigkeit in die Spra-
che einführen und desshalb manches ändern wollten. Er lässt
seinem Witz freien Lauf, dafür lässt ihn die Wahrheit desto
öfter im Stiche. Die beiden vorigen Abschnitte haben darstellen
sollen den aus dem Zweck der Sprache hervorgehenden Grund-
satz, zufolge dessen so wenig immer der eigne als ein fremder,
wohl abei? jedesmahl der verständlichere Ausdruck den Vorzug
verdient, (S. 122) „die Wahl ist Sache der Beurtheilung, nicht
selten auch des Geschmacks." Freilich wohl, wenn nur der
Geschmack in Deutschland geläutert und das Urtheil überhaupt
vorhanden wäre. Es scheint ein eigner Fluch auf den Deutschen
Sprachforschern zu liegen, dass jeder auf irgend eine Weise
die Bahn des Gewöhnlichen verlässt und mancherlei Seltsam-
keiten nachhängt; wir wollen das hier Getadelte: die Neue-
rungen, die Wiedereinführung wirklich veralteter Formen, die
wunderliclien Schreibungen (jeder nennt die seine leider Recht-
Schreibung) nicht in Scliutz nelimen, doch hätte manches hier
mit mehr Behutsamkeit aufgestellt werden sollen, was freilich
nur an üf^r Hand der Geschichte möglich war, mit der sich
aber der Vf. nicht gern befasst. Dagegen wird hier ein Sprach-
gebrauch als unumschränkter Herrscher auf den Thron gesetzt,
der oft weit füglicher Sprachmissbrauch heissen sollte. Die
Spöttereien über das neu gebildete Grossthat (S. 148) legen we-
nigstens keine tiefe Sprachforschung an den Tag, aber der Ver-
stand möchte Einem still stehen, wenn der Vf. (S. 151 ff.) sagt:
„Achten wir daher den Sprachgebrauch, wenn er, des blossen
Klanges wegen^ um das Nämliche auszudrücken, sich nach Um-
ständen verschiedner Formen bedient; achten wir ihn selbst
300 Deutsche Litferatur.
da, wo er mit seinen Machtsprüchen die geiüohnliclien Bedin-
gungen des Wohllautes zti verletze7i scheint , und war' es auch
nur ein Gefühl, von dem wir uns nicht Rechenschaft zu geben
vermögen, das in beiden Fällen ihm zur Seite und unsern Grün-
den gegenüber steht'*' u. s. w. — dann: „Es gibt z. ß. durch-
aus keine allgemein gültige Klangregel für die JNamen der Län-
der und ihrer Bewohner, oder für die Bihlung der von Städte-
namen abgeleiteten Beiwörter. Die vaterländischen Benennun-
gen müssen wir uns schon gefallen lassen, wie sie sind, — das
Bedürfniss ist noch gebieterischer als der Lehrer — aber wie
soll es mit den ausländischen gehalten werden. Soll für diese
der Klang der fremden Sprache die Regel abgeben, soll es der
unsrer eignen'? Für jenen stimmen Reisebeschreiber u. IJeber-
setzer, für diesen unsre Sprachreiniger u. s. w." Die Verwun-
derung weiss wahrlich nicht, wo sie in diesem und den folgen-
den Sätzen all' ihre Fragezeichen setzen soll! Gott sei's ge-
klagt, wenn ?/«s/"e Reisebeschreiber und uns/ e Vehersetzer in
Sachen der Sprache irgend eine Stimme haben sollten (erst neu-
lich hat uns einer mit einem duca von Lorena beschenkt); nur
dann wäre das möglich, wenn die Uebersetzerei nicht mehr als
Handwerk betrieben würde, sondern Jeder, der sich damit be-
fassen wollte, durch eine vollgültige Prüfung erweisen raüsste,
dass er seiner Muttersprache irenigstens erträglich mächtig
wäre. Sehen wir auf die Bildung der Einwohnernamen, was
hat liier, wo die einfachste Biidungsregel obwaltet, die Klang-
regel, wie sie der Verf. nennt, zu thun*? *) Unwissenlieit,
Nachlässigkeit und barbarische Gelelirsamkeit haben freilich
die einfache Regel getrübt und eine Menge Missgeburten er-
zeugt, aber sollen jene drei Grazien nun als Sprachgebrauch
aufgestellt werden? Wer, wie unser Verf. innerhalb weniger
Zeilen (S. 242) Aiheni ens - er und Demosthen nebeneinander
stellt, dem muss man es wol zu gute halten, dass er Italiener,
Venetianer, Florentiner, Genuesen (oder r?) als unabänder-
lichen Sprachgebrauch ansieht, da doch schon vor beinahe drei
Jahrhunderten Neapler, Genuer, Venediger, Meviker, wie
Lutherer, Benedikter u. s. w. in Gebrauch waren, und wenn man
damals auch wol Frankreicher, Dänemärkcr u. s. w. scJirieb,
so lag doch wieder eine wirkliche Regel zum Grunde (wie bei
Oeslreicher u. Märker, vgl. aber Schotte, Schottländer, Finne,
Finnländer). Gerade hier hat der Unsinn von jeher bis auf den
heutigen Tag das 3Ieiste zu 3Iarkte gebracht , man vergl. nur
') Die Regel hcisst: die Namen der Völkerst«mme endigen sich
durchaus auf c, die der (von Ländern, Städten u. s. w.) abgeleiteten
£inwohnernanien auf er, nur wenige zum Theil scheinbare Ausnah-
men gibt es.
Ucbcr die Sprache. 301
Porameraner, Ernestinisch, Albertinisch , Carolinura, Leopol-
dinisch-Caroliiiisclie Akademie zu Bonn (!) *), Therinopyläiscli,
Atlienäer (!), Ciceroniaiiisch, Augusteisch, liaslerisch, iMatliii-
dinische Güter; man hat jetzt einen Baden statt eines Badeners,
wie man vielleicht bald einen 3Iann oder Carls haben wird statt
eines Mannheimers oder eines CarlsruJiers, man hat espagno-
lirende Poeten und einen Baiern'schen Kreis, so dass, wenn der
Zug nach derselben Weltgegend fortgeht, wir bald auch Böh-
mensche Musikanten, Mährensche Briider, Pole!)Sche Pferde
u. s.w. haben werden. Auch CJirist und Christenthura bleiben
nicht unangetastet; die Ersch- Grubersche Encvklop. will uns
überreden, wir mVissten eigentlich Christianer heissen und ge-
wisse — Philosophen haben sich wirklich schon das üngethüm
Christianismus aus Frankreich geholt. Lasst uns nur erst diese
offenbaren Unrichtigkeiten ausscheiden, und wir werden schon
endlich darauf kommen, dass es aucli Perse, Inde, Arabe hei-
Bsen müsse, so gut als Parse, Jude, Schwabe u. s. w. Italiener
nennt man die heutigen, Italer und Italioten die sonstigen Be-
wohner von Italien. Keins ist richtig: es kann nur lauten Itale
oder Italier. Noch auffallender ist der Missbrauch bei den Na-
men der alten Deutschen Stämme. Welche Regel leitet die raei-
ßten Schriftsteller 1 keine als des Verf.s unselige Klangregel.
Ich nehme eine Karte des alten Deutschlands (zu Wilhelms Feld-
zügen des Drusus), wo freilich mehrere Sprachen friedlich ne-
ben einander stellen und auch Grösere (sie) und Kleinere Chau-
ken sich finden (der Vf. sagt vielleicht auch das kleinere Asien*?)»
warum sind da Bataver, Brukterer, Mattiaker u. s. w. und doch
Fosen, Frisen, Katten u. s. w. '? Die nocli übrigen Namen hät-
ten doch lehren mögen, dass es auch Variuen, Angrivaren u. s w.
heissen musste, so wie die Namen Franken, Sachsen (Franco-
nes, Saxones, in der vollem Aussprache Frankon) schon längst
die Semnonen, Nuithonen, Teutonen in Semnen, Nuithen, Teu-
ten hätten verdeutschen sollen. Die vielleicljt nicht zum besten
gegründete Erklärung der Cherusci durch Härzker hätte wol
nicht den allgemeinen Beifall gefunden, wenn man den Namen
richtiger in Cherusken umgesetzt hätte.
Eben so ungründlich ist der Verf. S. 152 und geht dann
zu den vorgeschlagenen Unterscheidungen zwischen den von
Städtenamen abgeleiteten Beiwörtern auf isch und auf er über,
was er unglücklicher Weise durch blosses Witzeln entscheiden
will, daher die merkwürdige Stelle S. 154. Wir haben ein
Augsburgisches Glaubensbekenntnis u. einen Heidelberger Ka-
') Sind denn die Anstalten von Frauen gestiftet? pflanzen sich
unsre Fürstenhäuser wie bei jenem alten Volke durch den weiblichen
Stamm fort?
302 Deutsche Litterat ur.
techismiis — und wieder Sclilesisclie Leinwand u. Holländische
Butter! Träumt der Vei'fasser'? Eingeschlafen ist er wenig-
stens! Wer liat je einen Volksnamen zum Eigenschaftswort
gemacht und gesagt ein Franzoser Bauer, ein Russes Pferd?
(Schweizer Käse möchte die einzige scheinbare Ausnahme sein).
Und so gibt der Verf. bis zu Ende manchfaltigen Grund
zum Tadel, den wir um so weniger zurückhalten dürfen, da er
selbst mit seinem Tadel gegen Fürsten und Scliriftsteller gleich
freigebig ist. So bekämpft er auch (um mich kunst- u. schul-
gerecht auszudrücken) die Antiessisten oder Sigmatophagen und
meint, ohne das s könne man Schönheit, Gefühl — von Schön-
heitgefühl nicht unterscheiden! (S. 159.) Wie hat der Mann
etwas über llliythmus schreiben können? Kann er Rathhaus
unterscheiden, warum nicht Rathherr, und Wagenräder, Stadt-
thor u. s. w. S. 107 nimmt er sich Radioff, Luden und Kolbe
zum Ziele seines Tadels. Wir haben uns mit den Bestrebungen
RadloflFs nie befreunden können. Luden gehört nicht zu den
Sprachlehrern — aber einem Kolbe gegenüber geziemte es un/-
serm Verf. nicht, sich das Ansehn eines Apollo decidens zu ge-
ben, wie es in einer frühern ähnlichen Schrift heisst; sein Ta-
del trifft nur Kleinigkeiten und sein Lob tönt etwas vornehm. *)
Die Art, wie er einige von Kolbe gebrauchte Wörter ins Lächer-
liche zieht, erinnert ganz an die Weise, wie W. Menzel in sei-
ner frühern Streitschrift S^^^n Voss und dessen Homerische
Sprache zu Felde zog, dafür hätte er billig erst die Nachlässig-
keiten in seiner eignen Darstellung tilgen sollen, deren Ver-
zeichniss wir jederzeit nachzuliefern erbötig sind.
Unterzeichneter glaubte vorauszusehen, dass dieses Buch
sich manche Freunde erwerben werde, um so weniger durfte
•) S. 136: Kolbe, ein in vieler Hinsicht verdienstvoller Sprach-
lehrer— . S. 142: ,,Nel)enwort sagt Kolbe" (für Umstandswort), „denn
nicht einmal über die Benennung ihrer Werkzeuge sind sie einig bei dem
Babylonischen Bau unsrer armen Sprache" — . S. 155: Kolbe Vorwort
— Verhiiltnisswort sagt Campe — und es scheint besser u. s, w. , wo-
zu so bekannte Sachen? Hat Kolbe diese Wörter geprägt? Der Verf.
sagt gar Grundwort und grundwörtlich, und findet das nicht besonders.
Wir wollen Kolbe's Jetztzeit nicht vertheidigen, aber was ist (S, KiO)
nn der verschütteten Arbeit , was an Graitsalen auszusetzen , wenn der
Verf. nicht etwa alle Wörter auf sal, Trübsal, Scheusal, Gransul u.a. w.
für gleichbedeutend hält? Und das gCAvagte Vorling und Endung wage
nun IViemand zu tadeln, seitdem ein Sprachlehrer (Mnrray- Wagener)
die Deutsche Sprache aus Urlingen, Afterlingen, Ableitungen, Zeit-
wortlingen , Samsetzlingen , Gedrittsamsetzlingen , Aftersarasetzlingen
u. a. Setzlingen bestehen lässt, die hoffentlich in unserm Deutschen
Boden nicht Wurzel schlagen werden!
Französieclie Littcratur. 80S
er das Falsclie verdecl<eii. Der Sache der Sprachreinigung ist
mit Schriften nicht gedient, die weder kalt nocli warm sind
und ans denen sich ein Jeder Ueweise für seinen Glauhen her-
holen kann. Denn nirgend denkt der Dentsche so Avenig und
so ungern als in Sachen der Sprache, wo es nämlicli Reinheit
und SchönSieit derselben gilt, daher die vielen tollen u. lächer-
lichen Erscheinungen, wie sie die Geschichte keines andern Vol-
kes aufzuweisen hat, daher die Unwissenheit in den ersten Ge-
setzen der Redekunst und das Schreien gegen die Lehrer deg
Rechten. Als Luther auftrat, sprachen auch ganz kluge Leute:
das ist Gebrauch der ganzen Welt, und der wiil's anders haben!
Luther aber kelirte sich nicht an den Ganzcweltsgebrauch und
wir dauken's üim heute noch. Aus jener Verwirrung aller Dinge
ist es erklärlich, wie die Thorheiten barbarischer Jahrhunderte
ungestraft, ja unbemerkt wieder aufgewärmt werden können, so
z. B. die, einem Buche zwei Titel zu geben, einen kurzen frem-
den und einen langen erklärenden Deutschen, wovon Unterz.
schon eine hübsche Sanmilung hat. Da gibt es Proceres, das
ist u. s, w. , Dianassologie, d. i. u. s. w. und endlich gar eine
Legographologie, d.i. u. s. w. Nun, Unterzeichneter hofft ea
noch zu erleben , dass Kinder mit Legologien statt der Fibeln
in die Schule laufen , dass Pedant und Archipedant zu wirkli-
chen Titeln für Scholarchen werden und dass man in Deutschen
Resideuzien (wie die Behörden irgendwo schreiben) Comites
oder Societaeten für Impurification Deutscher Sprache nieder-
setzt. Der Himmel gebe sein Gedeihen !
H. Lindner.
Französische Litteratur.
[Fortsetz, der in d. Jbb. Bd. IX S. 411 — 430 begonnenen Beurtheilung.]
7) Vollständiger Atisztig d. französischen Sprach-
lehre^ vom Abbe Mo=/n, oder: Neue ti. leichtere Art^
französisch zu lernen ^tc. Vierte, «ragearb. und verm,
Auflage. Stuttgart und Tübingen 1827, bei Cotta. X, 378 u. 188 S.
gr. 8. 16 Gr.
8) Ausführliche Grammatik der französ. Sprache
für D euts che^ zum Sdiulgebrauch. Von M. J.Frings, ord.
Lehrer der französ. Spr. am Berliner Gymn. zum grauen Kloster.
Zweite Auflage. Berlin 1828, bei Maurer. XVI, ü24 und 45 S,
gr. 8. 1 Thlr.
304 Französische Lltteratur.
Jlr. Abbe Blozin in Stuttgart hat den unbestreitbaren Ruhm,
dass er für eine zweckmässigere Methode des Französ. Sprach-
studiums in Deutschland bedeutend gewirkt hat, und er muss
desshalb immer unter den ersten Französischen Grammatikern
genannt werden. Auch das vorliegende Werk (Nr. H) , das be-
reits in mehrjnals wiederholten Ausgaben erschienen ist, hat
das Seinige dazu beigetragen, die Achtung, welche der Verf.
geniesst, noch zu steigern. Rec. beschränkt sicli, da er das
IJuch als bereits weit verbreitet vermuthen darf, auf eine kurze
Berichtserstattung, und erlaubt sich dann, am Schlüsse auf
Manches *) hinzudeuten, was er als mangelhaft glaubt bezeich-
nen zu miissen und was wol in der Folge zu ändern sein dürfte.
Das Werk beginnt mit der Lehre von der Aussprache. Dann
folgen, wie gewöhnlicli, Abschnitte über die Interpunction,
die Artikel, die Haupt-, Bei-, Für-, Zeit-, Neben-, Vor-,
Bindewörter u. Interjectionen. Angehängt sind leichte Gesprä-
che über gewöhnliche Vorfälle im gemeinen Leben und zweck-
mässige Wörtersaramlungen. Wenn wir nun voraussetzen dür-
fen, dass unsere Leser aus dieser Mittheilung des Inhaltes schon
selbst ersehen , wie nach unsern im Eingange dieses Aufsatzes
aufgestellten begründeten Anfoderungen an jede Franz. Sprach-
lehre die Anordnung systematischer sein müsste: so haben wir
doch auch noch in Bezug auf die Ausführung des Einzelen zu
erinnern, dass sich Ilr. Mozin — was ihm^ als geboriiem Fran-
zosen, zwar leicht zu verzeihen, aber an seinem Buche als
schädliche Unvollkommenheit zu rügen ist — bald zu weitläu-
fig, bald zu hirz ausgedrückt hat. \n jenen Fehler verfällt er
gewöhnlich bei Stellen, welche dem Deutschen an und für sich
schon klar, in diesen bei Gegenständen, welche — während sie
für den gebornen Franzosen auch nicht die mindeste Schwie-
rigkeit haben mögen — dem Deutschen fremd und verwickelt
erscheinen. Zu den aus solchen Rücksichten verfehlten Stel-
len rechnen wir unter .andern die von den zueignenden und zei-
genden Fürwörtern, sowie von den regelmässigen und Hilfs-
*) Hier und da dürften Aenderungenjefct um so nötliiger sein, als
Hr. M. , vie er zum e,rs\cn Male mit seiner Sprachlehre hervortrat, fast
keinen andern Nebenbuhler hatte, als den geschmaok- und planlosen
Meidinger. Da aber dieser beinahe ganz vom Schauphitze ver-
sclnvunden ist und andere rüstigere Forscher, wie der leider zu früh
verstorbene Hirzel, Schaffer, Kirchhof, Frings, Bona-
font, Saigey u. A. an seine Stelle getreten sind: so muss natür-
lich lir, M. die durch solchen überall wünschenswerthen Wetteifer ge-
steigerten Foderungen nicht unberücksichtigt lassen. Eben darum Avird
aber auch unser unten ausgesprochener theihveiser Tadel mit dem oben
ertheilten Lobe nicht im Widerspruche stehn.
Mozin: Jfouvelle graiuinalre allemande-fran9iuse. 305
Zeitwörtern handelnden Abschnitte, ferner das dem Deutschen
niclit klar genug zu niacliende Capitel von der Stellung der con-
struirten Fürwörter und von den unregelmässigen Zeitwörtern,
bei deren Behandlung sich llr. M. den Vorwuri" der ünvoUstäri-
digkeit zugezogen hat. Wie leicht hätte er l'Vir eine hier sehr
wünsclienswertjie grössere Ausluhrlichkeit durch Weglassung
manches uuuötliigen Beispieles Raum gewinnen können! Drit-
tens müssen wir es rügen, dass sich die T'orm des Vortrages
niclit immer gleich geblieben ist, indem Hr. iM. zuweilen seine
Hegeln in einer unter solchen Umgebungen höchst unpassenden
/.•«/ecÄeZ/icÄew Form darstellt; z.B. S. 38 Nr. 127: ,, Der Leh-
rer: Was für Zeichen gibt es nocli ausser den Accenten*? Der
Schüler: Das Auslassungszeichen oder den Apostroph, die Ce-
dille, die Trennpuncte, das Einscliliessungszeichen oder die
Klammern, das Anlührungszeichen, den Bindestrich, den Ge-
dankenstricli und das Theilungszeichen. Der Lehrer : Erkläre
diese Ausdrücke und gib Beispiele u. s. f." PJhen so S. 3(5 u. a.
a. O. Der einlache Lehrstyl würde diese Regeln weit besser
kleiden, und Hr. M. Avird doch den Französischen Sprachleh-
rern an unsern Schulen soviel zutrauen, dass sie sich selbst die
bei der llepetition der Regeln nöthigen Fragen bilden *). Vier-
tens darf hier nicht unbemerkt bleiben, dass Ilr. M. , wie Hr.
Rammstein (der \f. von Nr. 6, den wir desshalb ebenfalls
tadelten) seine Regeln Deutsch ii. Französisch vorgetragen und
im J)eiitschen xlusdrucke nocli viel zu bessern hat. Die zur Er-
läuterung der Regeln aufgeführten Beispiele sai^enfiiNßens dem
Gesclimacke der gebildeten Deutschen Jugend schwerlich alle
zu unJ bedürfen desshalb eine genaue Revision. Vergl. S. 324
Nr. 2 und anderwärts. Das Lihaltsverzeichniss endlich ist sehr
mangelhaft und muss, wenn es brauchbar werden soll, noch
bedeutend vervollständigt werden.
Gleichsam in pare?ithesi gedenken wir liier noch einer an-
dern, uns ebenfalls zur Beurtheilung zugesandten Schrift des-
selben Verfassers:
Nouvelle grammaire allemafide -fra?ig aise^ conte-
nant dans les deux langucs les regles de la langue alleiiiaude etc.
Ouvrage particitlierement destinc ä la jeuncssc fran^aisc, par Abbe
Mozin. Troisieine tdition. Stuttgart u. Tübingen 1827, Lei Cotta.
512 S. gr. 8. 1 Thlr.
Das Euch hat uns im Ganzen wolil angesprochen, theilt aber
mit dem vorhergehenden fast alle Mängel, und übertrifft es nur
') Vermögen sie das nicht, so ist ihnen zu empfehlen: Neue fran-
zösische Sprachlehre, von L. D. Laves, Prof. der franz. Spr, zu Jena.
4tc Aufl. 1822. Jena, b. Schmid. Vgl. unsere Reo. dieses Buches in der
Jen. Allg. L. Z. 1826 Nr. 192.
Jahi/). f. Phil. 11. P.idnff. Jahre. V. Tieft .1. 20
306 Franz öslsclic Litteratur.
etwa darin, dass es am rechten Platze^ d. h. wo es für den
Franzosen nötliijo; scheint, M'eitläufiger in seinen Regeln ist. Im
Kinzeien ist uns besonders anfgefallen die zu schlecht verhehlte
Vorliebe des Hrn. M. für seine Muttersprache, die ihn gegen
die Deutsche Sprache ungerecht werden lässt. Wenn er z. B.
in seiner Vorerinnerung sagt: „La langue fran^aise ou le goüt
national ne coniporterait pas les lon^ueurs du Doii Carlos de
Schiller:" so vergisst er offenbar, dass nicht der Deutsche^
sondern der Franzose solche longiieurs liebt. Wenigstens ist
dem Rec. noch keine Sprache vorgekommen, welche so sehr
hohle und nichtssagende Phrasen — ein lierrliches Hilfsmittel
für den seichten Lebemann! — begünstigte, als gerade die
Französische ^ wälirend sich die Deutsche nicht durch weit-
schweifiges Wortgepränge , sondern durch körnigen und ge-
dankenvollen Vortrag auszeichnet. Namentlich in der drama-
tischen Dichtkunst dürfen auch die bessten Französisclien Poe-
ten einem Schiller nicht zur Seite treten; schon iiire gänz-
liche Nichtachtung des Kostüms macht dem Deutschen Denker
die gelungensten Stellen — lächerlich. Diese Erscheinungen
können schwerlich aulFallender dargestellt werden , als diess
in einem von dem Rec. in der Jen. Allg. Lit. Zeit. 1827 Nr. 174
empfohlenen Buche: Sechs Tragödieen von P. Corfieille., J.
Racine tind Voltaire^ für höhere Classen der Gymnasien be-
arbeitet von C. H. Hänle. Giessen, b. Heyer 1827 geschehen
ist. Hänle hat hier immer nur der langen Rede kurzen Sinn
abdrucken lassen und die widerlichen Verstösse gegen die Sit-
ten des Alterthums ausgemärzt. Einer Aenderung bedarf fer-
ner die Lehre von der Aussprache. Kein Deutscher wird sich
befriedigt fühlen, wenn er sein c durch tse^ sein seh durch
ess-tse-hd bezeichnet findet; oder, wenn er lehren hört: C
avant ä, e, i, ö, y se prononce comme ts ou t(;; oder, wenn er
liest: Dans les autres mots le j a le son de l'y fran^ais, comme
dans ja (yä) oui; Jahr (yäre) annee etc. Ist es bei solchen An-
weisungen möglich, dass der Franzose richtig Deutsch sprechen
lernt? Hr. M. wird übrigens hieraus selbst entnehmen können,
wie schwierig es sei, für den Laut der Buchstaben einer frem-
den Sprache vollkommen entsprechende Zeichen zu finden, und
wie Unrecht er desshalb hatte, Acn Prof. Holder in Stutt-
gart über falsche Tonbczeichnungen in dessen Franz. Gramma-
tik ziemlich derb lierzunehmen. Wir schliessen übrigens un-
sere Bemerkungen über dieses Buch , indem wir den Verf. noch
besonders auf eine sorgfältigere Auswahl der Beispiele aufmerk-
sam machen, die oft zu schwer, oft zu leicht und sehr häufig
geschmacklos sind.
Nr. 8. Rec. spricht seine innige Ueberzeugung aus, wenn
er diese Frings'sche Grammatik als das Werk eines den-
kenden und eignen vernünftigen Forschungen Gehör gebenden
Frings : Ausführl. Grammatik der Franzos. Sprache. S07
Spraclilchrcrs hierdurch enipfielilt. Der Verf. hat sich ohne
Zweifel vor dem Beginne seiner Arbeit mit den Erfordernissen
einer guten Franz. Grammatik vertraut gemacht, viele Zeit auf
die Vorbereitung zu diesem Werke und rühmlichen Fieiss auf
die Ausarbeitung desselben verwandt. Zwar entspricht auch
seine Anordmmg unseren darüber ausgesprochenen Ansichten
nicht, denn er reiht die einzelen Materien folgender Maassen
aneinander: 1) Von der Aussprache; II) Von den orthographi-
scJicn Zeiclien ; III) Von den Redetheilen und ihrer Syntax;
IV) Von dem Zeitworte; V) Vom Artikel; VI) Von der Wort-
fügung; VII) Von dem Ilauptworte; VUI) Von dem Eigen-
schaftsworte; IX) Von den Fürwörtern; X) Von den unbe-
stimmt persönlichen Eigenschaftswörtern; XI) Von den unre-
gelmässigen Zeitwörtern; XII) Von der Uebereinstimraung des
Zeitwortes mit seinem Subjecte; XIII) Von den unpersönlichen
Zeitwörtern; XIV) Von den Hilfszeitwörtern avoir und e7re;
XV) Vom Gebrauche der 3Iodi und Zeiten; XVI) Von der Re-
gierung der Zeitwörter; XVII) Von den Nebenwörtern; XVIII)
Von der Verneinung ne; XIX) Von den Bindewörtern; XX)
Von den Präpositionen; XXI) Von den sinnverwandten Wör-
tern und sonstigen (!) Schwierigkeiten; — zwar haben wir
noch Manches an der Ausführung des Einzelen zu rügen und
sprechen uns darüber hier öffentlich und freimüthig aus; allein
dieser offene Tadel einiger Puncte soll dem Vf. nur einen Bei-
trag zur künftigen grösseren Vervollkommnung seines Buches
liefern und mit dazu dienen, unserem vorhin ertheilten Lobe
um so mehr Werth zu geben. Bei genauem Durchgehen dieser
Franz. Spraclilehre fanden wir nämlich, dass die Anordmmg
nicht allein des ganzen Buches , sondern auch der einzelen Ma-
terien oft verfehlt; dass der Vortrag hier und da zu loeit-
schweifig^ dann wieder nicht vollständig genug und mitunter
vndeutsch ist; dass der Beispiele im Ganzen zu viele und un-
ter der Menge auch verwerfliche sind; dass der gegen andere
Sprachforscher erhobene Tadel nicht immer gerecht^ wohl
aber stets am unrechten Orte angebracht ist, und dass endlich
die Regeln nicht immer conseqiient u. sicher genug sind. Wenn
Rec. sagte, die Anordnung auch der einzelen Materien sei zu-
weilen verfelilt: so weisst er u. a. namentlich auf die S. Tß §
82 ff. enthaltenen Bemerkungen über die besondere Anwendung
des Artikels hin. Hr. F. spricht nämlich (§ 32) von dem ausser-
ordentlichen Gebrauche des bestimmten Artikels; (§33) von
der Weglassung des Artikels; (§ 34) von der Weglassung des
unbestimmten Artikels; (§ 35) von der Weglassung des Artikels
und der Präpositionen; (§36) von der Weglassung des Thei-
lungsartikeis. Rec. hätte so geordnet: §. Der Gebrauch dieser
Artikel (im Vorhergehenden ist davon die Rede) stimmt im
Französischen nicht in allen Fällen mit demjenigen überein,
20*
308 Französische Litteratur.
velclien man im Deiilsclien davon zu maclien pflegt, sondern
I) der bestinimle Artikel sieht oder fehlt zuweilen, wo er im
l)eutsclien vermisst oder gesetzt wird. A) Er lindet sich — ;
B) Er fehlt (hier folgen die einzelenFälle). II) Dar unbestimmte
Artikel u. s. f, (auf gleiche Welse behandelt). — Dahin gehört
auch, dass Ilr. F. das Zeitwort so weit voranstellt, dass es die
Schüler lernen miissen , ehe sie die nöthigen Vorkenntnisse da-
zu besitzen; — dass er S. 05 eine für die Stellung der Wörter
hochwichtige Regel in einer Anmerkung abfertigt, was die Un-
annehmlichkeit mit sich fiihrt, dass Aehnliches wiederholt ei-
wälint werden rausste, z. B. S. 72; — dass er sclion S. 128
(§ 45) die Lehre von der Inversion oder Wortversetzung mit-
tlieilt; — dass er S, 149 Regeln über die Bildung der Haupt-
wörter aus der Einheit in die jMehrlieit folgen lässt, nachdem
er zuvor (von S. 135 an) die Regeln über das Gesclileclit der
Hauptwörter aufgestellt hatte: ein Verfahren, welches er auch
S. 159 IF. beim Eigeaschaltsworte beobachtet u. s. f. — Wcn--
den wir uns zu der Rüge der Weitschweifigkeit: so finden wir
diese u. a. bestätigt in der Lelire von den grossen Buchstaben
(S. 24 u. 25). llec. schreibt den ziemlich grossen § nicht ab,
sondern setzt dem Hrn. Vf. nur hielier, wie er etwa die Sache
dargestellt haben würde: „§. Die grossen Buchstaben werden
im Französischen gebraucht 1) zu Anfang eines Satzes und Ver-
ses (was Hr. F. gar nicht angibt); 2) bei Eigennamen; 3) bei
den Namen der Wissenschaften, Künste, Handwerke, Würden,
wenn sie das Hauptsubject des Satzes ausmaclien; 4) bei Bü-
chertiteln (ebenfalls von Hrn. F. überselien ).'■'" Befremdend
war es uns hier, unter Nr. 1 die Eigennamen, und unter |Sr. 3
noch einmal besonders die Namen der Völker aufgeführt zu fin-
den. Aehnliche Weitschweifigkeit begegnete uns S. 67 in der
Anmerkung; S. 80 Auig. XXII; S. 92, wo die Declination der
Ländernamen unnöthig war; S. 208, wo uns die förmliclie De-
clination Monsieur mon oncle, Monsieur le Conseiller u. dgl. m.
nicht an ihrem Orte scheint u, s. w. — UnvoUständigkeit ist
zwar selten, angetrolfen haben wir sie aber dennoch; z. B. S.
24 (§ 13), wo die trockene Aufzählung der Scheidezeichen nic'it
hinreichte (wesshalb wir den Verf. für künftige Verbesserung
auf Saigey's unten benrtheiltes Werk S. 18 if. verweisen), und
S. 69, wo kein Pluralis von dem unbestimmten ylrtikel angege-
ben wird, wiewohl sich später (S. 81 b.) einer findet. — Un-
deutsche Ausdrücke und Wendungen stehn u. a. Vorrede, S. II:
„alle halbe Jahriiunderte;" S. 416, Z. 2 ; S. 4ü8, Anmerkung,
welche wörtlich so lautet: ., Was soll dieser Satz liier'? Er
kann docli wol nicht zur Unterstützung der angeführten Regel
dienen'? Denn uppreiidre ^ lehren, regiert sowol im Deutschen,
wie im Französischen dei» Dativ, wenn ein Hauptwort daran i'
folgt. Mau sagt: er lehrt mir (nicht mich) die Kunst.''
Frings : Ausführl. Grammatik der Franzüä. Sprache. 301)
Ausserdem trifft dieser Tadel melirere Beispiele. — Dass Aus-
fälle j?ej;eu andere Grammatiker in einem Schulbuche ganz am
unrechten Oi'te sind, haben wir oben bei der Bcurtheihing von
Nr. 3 zu zeigen versucht; Ilr. F. ist aber iiberdiess selbst mit
der Siache noch nicht im Klaren , Mcnn er S. V ff. und S. 407 ff.
gegen Kirchliof, Ilirzel u. a. zu Felde zieht, indem liier
nicht sein lläsonnement, sondern die Autorität raustergiltiger
Frauzös. Classiker entscheiden kann ! Dass Herr F. dabei mit
einer gewissen, niclit wohl stehenden Anmaassung, worVibcr
sich bereits Beck's Repertorium von 1827 Bd. IV S. 293 hin-
länglich ausgesprociien hat, verfahren ist, liel uns unangenelmi
auf; doch sei hier zur Steuer der Wahrheit bemerkt, dass der
Schluss seiner Vorrede wieder in dieser Hinsicht mit dem Vf.
aussöhnt. — Nocli erwähnten wir unpassender Beispiele. Vgl.
u. a. S. 06, II, 13; S. (57, IV, 1: „Die Menschen essen die Tliie-
re, und die Würmer fressen die Mensclicn ;*•' das. 10: „Wir
lieben jetzt mehr die lebenden Bilder, als die bildenden Leben-
den;" S. 79, XXI: „Die Könige haben lange Arme;" S. 89,
XXXII, 1 : „ Die guten Bücher sind wie die Statistik der Wis-
senschaften, die guten Lehrer sind die lebenden Orakel der-
selben;" das. 4: „Die schlechten Lehrer und die schlechten
Bücher sind eine gewöhnliche Pest u. s. f.;" S 101, XLIII, 1:
„Die Schneidergesellen haben den Sieg über die Schustergesel-
len davon getragen;" S. 113, LllI; S. 142, LXXI, 2 ; S. 183,
CIV, 1 u. s. f. Micht selten ist aucli hier der Deutsche Aiisdruck
verfehlt; vgl. u. a. S.68, V, 7: „Der Engländer sticht die Schön-
heiten und der Franzose die Gebrechen;" S. 76, XVI: „Jetzt
trinke ich lieber Bouillon;'" S. 176, CI, 1: „Er hat nur einen
einzigen Sohn, welcher aber luit all seinem Gelde ein armer
Kerl ist'-'- u. s. f. — Inconsequenz endlich und Unsicherheit in
den Regeln fand Reo. S. 26 bei der Lelire vom Artikel; S. 31
bei der Lehre von den Modis ; S. 33 bei der vom Numerus;
S. 236 bei der Bestimmung des Gebrauches von le qnel und la
(juelle ^ sowie (S. 255 ff.) von aiilrui\ S. 335 bei der Lehre vom
Gebrauche der Hilfszeitwörter avoir und etre u. s. f.
Das 45 Seiten einnehmende Register ist sehr gut und
brauchbar; dennoch wird der eigne Gebrauch Herrn F. noch
manche Nachträge an die Hand geben, so wie er auch das 3
Seiten betragende Druckfehlerverzeichniss noch vervollständi-
gen muss.
Rec. hat bisher lediglich von Französischen Grammati-
ken gesprochen, will aber dieses Mal auch noch einige an-
dere llüßbächcr für die Erlernung jener Sjyruche berühren,
nämlich:
SlO Franzöalache Littcratur.
9) Handbuch der neueren französischen Sprache
und Litterat ur^ zum Gebrauche für höhere Schulanstiilten
elc. Von K. Ad. Menzel , kön. preuss. Consistorial - und Schulrathe.
Breslau 1827, bei Goschorsky. IV u. 30ö S. gr. 8. 1 Thlr.
10) Erklärende französische Lehr stunden., oder in-
teressante Stücke zum Uebersctzen aus dem Deutschen ins Franzö-
sische etc. Von C. Saigey, Lehrer an d, kön. Landschule zu Meissen.
Meissen 1827, bei Gödsche. VIII u. 469 S. 8. 1 Thlr. 8 Gr.
11) Die Kinderinsel. Eine Uebungsschrift zum Uebersetzen
aus dem Deutschen in das Französische. Aus dem Französischen
der Frau von Genlis ins Deutsche übersetzt und mit unterj;^elegter
Phraseologie herausgegeben von M. Joh. Ekkenstcin, öffentlicher(ni)
Lehrer der franz. Spr. und Litt, am Gymn. in Zittau. Görlitz 1827,
bei Zobel. VIII u. 110 S. 8. 6 Gr.
Von Französischen Lesebüchern verlangt der Rec, wenn
er sie fiir nützlich erklären soll, dass ihr StoiF 1) für die Clas-
se, welcher das Buch gewidmet ist, passend, 2) aus Französi-
schen Classikern entlehnt sei, und 3) Religion und Sittlichkeit
nicht verletze. Die Beifügung von Anmerkungen hält er ' nicht
grade für ?iöthig ^ aber doch für lobenswerth und nützlich., in-
dem den Französischen Sprachlehrern dadurch eine gewiss er-
wünschte Unterstützung bei Erklärung und Benutzung des Stof-
fes gewährt wird. Ein Wörterverzeichfiiss ist , bei der Wohl-
feilheit einiger Producta "der Art, entbehrlich.
Nr. 9, für höhere Classen von Gymnasien berechnet, ent-
spricht diesen von 1 bis 3 gemachten Forderungen. — Im Vor-
worte bemerkt der Verf., dass man in den meisten Gymnasien
über die Schwierigkeit klage, den Schülern der oberen Classen
lebendigen, dauernde Theilnahme am Unterrichte in der Franz.
Sprache einzuflössen. Er gibt zwar zu, dass die Schuld oft an
der Behandlung liegen möge, auch zuweilen an der Stellung
dieses Unterrichtes gegen die übrigen Lehrfächer; als gewöhn-
lichen Grund aber gibt er, im Einverständnisse mit anderen
sachkundigen Beobachtern, den 3Iangel eines der Deutschen Ju-
gend ganz zusagenden Lehrstoffes an , indem selbst das werth-
voUe Handbuch von Ideler u. Nolte theils für einen mehr-
jährigen Cursus nicht ausreiche, theils sich auf einen Zeitraum
der Littcratur beschränke, über dessen Ideenkreis das gegen-
wärtige Geschlecht weit hinaus sei, dessen meiste Erzeugnisse
daher Deutsche des neunzehnten Jahrhundertes, zumal Jüng-
linge, nicht befriedigen könnten. Rec. muss gestehen, dass er
die schlaffe Theilnahme der Schüler am Französ. Sprachunter-
richte nicht sowohl in dem von Hrn. C. R. Menzel zuletzt, son-
dern vielmehr meistens in den beiden von ihm zuerst angeführ-
ten Umständen (der Behandlung und Stellung dieses Unterrich-
Mcnzel's Handbuch der Franz. Sprache und Litteratur. 311
tes) begründet gefunden hat. Denn abgesehen davon, dass
Frankreich auch seine Classiker besitzt, die noch nicht veraltet,
über deren Ideenkreis wir noch nicht hinaus sind *); abgese-
hen davon, dass es an brauchbaren Lesebüchern für die höhe-
ren Classen **) eben nicht fehlt: so springt es doch wol in die
Augen, dass ein Lehrfach, welches als Nebensache von Neben-
lehrern in Nebensiimden betrieben zu werden pflegt, nur von
wenigen, ganz vorzüglichen Schülern mit Achtung und Liebe
umfasst werden kann ***). Eine tüchtigere Beschäftigung un-
serer Gymnasiasten mit der Französischen Sprache wird nie an-
ders, als durch Wegräumung dieser Hindernisse erreicht wer-
den können, und wir freuen uns, dass man bereits an vielen
Orten daraufhinwirkt. Ist nun aber auch Rec. hierin mit dem
Herausg. nicht ganz einig: so muss er doch dem Buche selbst
sein besstes Lob spenden, und er nennt, statt aller weiteren
Empfehlung, die in demselben enthaltenen, sinnig ausgewähl-
ten Stücke.
Aus des geistreichen Friedrich Ancillon (geb. zu Berlin, d.
SO Apr. 1766) Serjnons (Berlin, 1818) wird der Sermon sur le
jubile se'culaire de la monarchie prussienne, und aus desselben
Tableaus des revolutions dti Systeme politique de VEurope de-
puis lafin du quinzieme siede (Paris, 1806) die Geschichte der
lleformation in Deutschland mitgetiieilt. Dann folgt vieles In-
teressante aus der Deutschen Französin Anne Germaine v. Stael
(geb. 1765, st. 1817) Werke über Deutschland; aus des begei-
sterten Frangois Auguste Vicomte de Chateaubriand (geb. 1769
zu Combourg in der Bretagne) Märtyrer und dem Itineraire de
Paris ä Jerusalem; ferner aus des Historikers Charles Lacre-
teile aus Metz Geschichte von Frankreich (6 Bde., Paris 1812) ;
aus Henri Jominis Histoire critique et niilitaire des carapagnes
de la revolution (15 Bde., Paris 1820); aus Napoleon Buona-
parte's Dictaten auf St. Helena an General Montholon ; weiter
aus des unermüdlichen Grafen Las Cases (geb. 1763) Memo-
*) Dafür zeugt schon der Umstand, dass die wiederholten, auch
ia Deutschland veranstalteten Aus^gaben der ersten Französischen Classi-
ker so reichliche Unterstützung finden.
**) Rec. führt hier u. a. an: Ilänles sechs Tragödieen von Corneille
u. s. w. dessen, 1826; Dess. vier Schauspiele von Meliere. Das. 1827;
Mittler'« lecture instriictive ; Wolff''s Lesebuch W. Auch wird ein verstän-
diger Lehrer den Schülern die Werke der Franz. Classiker selbst in die
Hände geben können.
'") Eine wahrhaft schreckliche Schihlcrung von dem Zustande
des Franz. Spriichunterriclitcs auf manchen Gymnasien las Rec, in der
AUg. Sclmlzeitung von 1825 Nr. 50 S. 391 ff.
312 Franzüäiäclic Llttcratur.
rial de St. Ilt'Iene (Bd. 7); aus des ausdruclcsvollen, Rec. möcTi-
te sagen, epischen Sc'gur d. J. (geb. IISO) Ilistoire de Napoleon
et de la grande ainitfe pendant l'annt^e 1812 (Paris, 1814J ; aus
dem 2ten ßaiide der Memoires ou Souvenirs et Anecdotes des
Gral'eu Se'gtir d. Aelt. (geb. 1753) ; aus dem ersten Theile der
Soirees de St. Pctersbourg, ou entretiens sur le gouvernemeut
temporel de la providence des Grafen Joseph de Maislre (geb.
1753, st, 1825); aucli ist der sclireibsclige Piiblicist de Piadt
(geb. 1759) nicJit vergessen. — Es kann niclit fehlen, dass
diese schöne Sammlung , in der Hand eines gelehrten und ge-
wissenhaften Lehrers, grossen Nutzen stifte. Dieser wird ohne
Zweifel noch bedeutender sein, wenn es Hrn. M. bei einer neuen
Auilage gefallen sollte, passende Anmerkungen, etwa nach Art
von Müller' s oben erwähnter Lecture instructive, hinzuzu-
fügen.
Nr. 10 u. 11 sollen zur Vervollkommnung der Jugend (sie
sind mehr für Anfänger berechnet) im Uebersetzen aus dem
Deutschen ins Französische dienen. Auch an solche Hilfsbü-
cher macht Rec. die Forderung, dass sie 1) der Fassungskraft
der Schüler entsprechen,. 2) in religiöser und moralischer Hin-
sicht durchaus rein, und 3) mit echt Französischen Phrasen be-
gleitet sind. Beide anzuzeigenden Bücher sind nach ähnlichen
Grundsätzen bearbeitet, und verdienen desshalb Empfehlung.
Der Inhalt von Nr. 10 geht aus dem oben mitgetheilten Ti-
tel des Buches nicht deutlich hervor; wir legen ihn desshalb,
da die Arbeit bekannt und gebraucht zu werden verdient, vor
Allem vollständig dar. Zuerst werden vorläufige Anweisiingen
mitgetheilt. Diese enthalten (S. 10) Mittheilungen über die
Eigenschaften des Styls, über Deutlichkeit und Angemessenheit
desselben, über die Construction (S. 13), über den Gebrauch
der Interpunctionszeichen (S. 18), über die Stellung der Ad-
jectifs vor oder nach den Hauptwörtern (S. 25), über die Ue-
bereinstimmung des Bei- und Zeitwortes mit dem Hauptworte
(S. 32) , über die Präpositionen de (S, 41) und u (S. 43). Nun
folgt der Haupttheil des Buches , welcher Jt3 Deutsche Aufga-
ben zum Uebersetzen ins Französische (S. SßiT.) darbietet, de-
nen sich von S. 291 an 42 Deutsche Briefe zu gleichem Behnfe
anschliessen. Den Beschluss macht (S. 350 IT.) noch manches
Wissenswürdige aus der Französ. Grammatik, in 125 §§. —
Systematisch lässt sich nun freilich diese Anordnung nicht nen-
nen; man weiss namentlich nicht, was man unter der Aufschrift
der letzten Abtheilung zu suchen und zu erwarten hat; allein
Rec. muss gestehen, dass die gründliche und meistentheils an-
ziehende Behandlung des Stoffes und der Scharfblick des Vf.s,
der ihn wirklich solche Gegenstände auswählen Hess, welche
gar manche Schwierigkeit zu verursachen pflegen, mit jener —
künftig leicht zu verwischenden — Unbequemlichkeit wieder
Die Kindcrinsel d. Fr. v. Gcnlis, ins Deutsdic übcid. von Ekkcnstein. 313
aussöhnen. Dass sich Vibrigens an einem solchen Buche, wel-
ches so verschiedenartii^e und dabei schwierige Abschnitte der
Grammatik behandelt, in Zukunft noch Manches werde bessern
lassen, wird der Vrf. selbst nicht in Abrede stellen. Unseres
Erachteiis gehört nämlich das Philosophiren iiber Gegenstände,
die noch über die Fassungskrai't des SchVilers gehii, nicht hie-
her, zumal, wenn sie seine Eegriüe verwirren könnten. So ra-
then wir nicht, Schillern Grundsätze einzuprägen, wie: Es gibt
Fälle, wo das Genie, die Einbildungskraft, das Gefühl sich
nicht als niedrige Sclaven (!) an gewisse Gesetze der Gramma-
tik binden dürfen (S. 10). JIr. S. wird hoffentlich selbst bei
dem Uebersetzen seiner Uebungsauigabcn der Einbildungskraft
und dem Gefühle, denen überhaupt beim Schul-Sprachstudiura
keine Stimme gebührt , keinen Spielraum lassen wollen! Eben
so hätte er die Bemerkung unterdrücken sollen, dass die Fran-
zosen das Komma weit seltener, wie z. B. die Deutschen ge-
brauchten, welche durcli dasselbe Wörter, die genau zusam-
mengehörten, zu trennen püegten (S. 18). Den Beweis für
diese Anschuldigung bleibt iir, S. schuldig! Ueberhaupt halten
seine Vorschriften über den Gebrauch des Komma die Probe
nicht. Er sagt: 1) Das Komma wird gebraucht, um dieGlieder
eines Satzes abzntheilen, welche man, ohne dem grammati-
schen Sinne zu schaden, von demselben absondern kann ; z. B.
„Lc temps, qui detruit tout, semble accroitre mes maux." 2)
Sobald sich aber dieses Glied nicht ohne gewaltsame Zerrei-
ssung des Sinnes von dem Ganzen trennen Hesse, muss das Kom-
ma nothwendig vermieden werden; z. B. „Le temps qui nous a
fui ne reviendra jamais.'-'" Wo soll in diesen Beispielen der über-
feine Unterschied liegen'? Uns scheint es wenigstens, als ob
eben so gut im zweiten Beispiele, wie im ersten, der Zwischen-
satz ohne Verletzung des Sinnes vom Hauptsatze getrennt wer-
den könne. — Aehnliche Verbesserungen empfehlen wir dem
Vrf. namentlicli in den §§, wo er von den Synonymen und der
Ableitung der Wörter handelt. Bei der genaueren Bestimmung
der sinnverwandten Wörter wird er die neuste Auflage des J)i-
ctionnaire de C Acudemie^ bei der Wortbildungslehre dieLaleini'
sehe Spraclie besser zn Hülfe nelimen müssen! Gänzlich zu
streichen sind 1) das in der Nachschrift enthaltene Eigenlob;
2) die häufigen Ausfälle auf andere Französische Sprachforscher.
Jenes ziemt überhaupt, dieses mindestens in einem Schulbuche
nicht.
Nr. 11 ist eine Uebersetzung der von der fruchtbaren
Schriftstellerin, Gräfin Gejilis^ zum Frommen der Jugend aus-
gearbeiteten und wegen ihres nnanstössigen Inhaltes von dem
Rec. bereits anderwärts empfohlenen Erzählung: L'üe des en^
funs. Es war kein ungliicklicher Gedanke des Ilrn. E., dieses
Scliriftchen ins Deutsche zu übersetzen und durch untergelegte
314 Geschichte der Philosophie.
Phrasen zur Ueb ertragung ins Französische geeignet zu machen.
Da aber die Anscliaffuug des aucli in Leipzig bei Sühring er-
schienenen Franz. 0/•/^'^/^«Zs jedem Schiller frei steht: so kann
Reo. das Buch nur zum Pr/t'ß^gebrauche empfehlen, indem Un-
terschieif in Schulen fast gar nicht zu vermeiden ist. Solchen
aber, die sich privatim im Uebersetzen in das Französische
üben wollen, wird Hr. E. einen grossen Gefallen erzeigen, wenn
er bei einer neuen Ausgabe in den Anmerkungen grammatische
Nachweisungen gibt , zu welchem Behufe ihm namentlich die
Sprachlehren von Frings, Plirzel, Kirchhof, Mozin und
S c h a f f e r empfohlen seien.
jE. Schaumann.
Geschichte der Philosophie.
Philos ophiae Chrysippeae fimdamenta in notionum
dispositione posita (;) e fragmentis restitiilt Chrislianus Petersen,
ph. Dr. — Ilambiirgi, ex oft". LanghofF. Venditur Aituiiue apiid
C. Buscli. 1827. XXII und 354 S. 8. 2 Thlr.
Ueber die Entstehung des vorliegenden Buches, welches, von
dem Vrf. seinen trefflichen Lehrern von Berger in Kiel und
Böckh in Berlin zugeeignet, keinen unbedeutenden Beitrag
zur besseren Einsicht in die Lehren der Stoa giebt, führt Ref.
zuvörderst aus der Vorrede dasjenige an, was zu wissen nöthig
ist, um das Werk aus dem richtigen Gesichtspuncte zu beur-
theilen. Der Vrf. machte auf Böckh's Rath die Lehre des Stoi-
kers Chrysipp zum Gegenstande einer genaueren Untersuchung;
durch Tiedemann, Tennemann und Krug nicht befrie-
digt unterzog er sich, unterstiitzt durch die Schätze der Ber-
liner Bibliothek, der miihevollen Arbeit, die in den Alten zer-
streuten Fragmente der zahlreichen Chrysippischen Bücher zu
sammeln. Als er darnach über die Anordnung jener rudis in-
digestaque moles nachdachte, fand er in dem von Diogenes
Laertius uns erhaltenen Katalog der Chrysippischen Bücher
eine Reihenfolge, deren Princip nach seiner Vermuthung aus
der Anordnung des Chrysippischen Systems selbst hergenom-
men sein musste; und indem er so jenen Katalog als die Quelle
ansah, aus welcher die Kenntniss des dem Chrysippi.schen Sy-
steme zum Grunde liegenden Eintheilungsprincips gescliöpft
werden könnte, fand er namentlich in den Titeln der logischen
Schriften Chrysipps den Aristotelischen Kategorien ähnliche
Petersen : Fhilosophiue Chrysippeae fundamenta. 315
Begriffe bei der ßestimmung der Urtlieilsgattungen angewandt.
Diese Entdeckung brachte ilin auf die Verrauthung, dass viel-
leicht die Stoiker ähnliche Kategorien gehabt haben möchten.
Mit dieser Vermuthung ging er an das Studium des Simplicius
und fand dieselbe in dessen Commeiitar zu Aristoteles de categ.
vollkommen bestätigt. Da der Vrf, indess weder in Berlin,
noch auch später in Kiel die Commentare des Dexippus und Por-
phvrius, auf deren Brauclibarkeit zu seinem Zweck ihn Fabricii
Bibl. aufmerksam gemacht hatte, erhalten konnte, so verzwei-
felte er ♦) fast an der möglichen Vereinigung seiner mehr auf
indirecten Zeugnissen beruhenden Hypothese mit der vom Se-
neca gegebenen Stoischen Eintheilung der Dinge. Doch durch
Wort und That von Brand is unterstützt und so ermuthigt
übergab er im Sommer 1825 die Abhandlung über die Stoischen,
besonders Chrysippischen, Kategorien, welche den Isteii
Ilaupttheil des vorliegenden Werkes ausmacht, der philosophi-
schen Facultät in Kiel und erwarb sich dadurch denDoctorgrad;
indess ward ilim auf seinen Wunsch verstattet, die Herausgabe
seines Werks zu unterlassen, bis er dem Ganzen die ihm mög-
liche Vollendung gegeben haben würde. Und so legt der Vrf.
jetzt, nachdem er durch fortgesetztes Studium das Verhältniss
zwischen jener Eintheilung der Dinge und den Kategorien ge-
funden, das Wesen beider genauer erkannt und zugleich ihre
Anwendung eingesehen hat, die Resultate seiner Forschungen
dem Publicum vor.
Was die Behandlung des Stoffes betrifft, so erklärt der
Vf., Böckhs Phüolaos sich zum Vorbilde genommen zu haben,
doch nicht ohne Abweichungen, wo der Gegenstand es zu for-
dernschien. Dass er aus weniger allgemein zugänglichen Schrift-
stellern die Beweisstellen vollständig abdrucken liess und zwar
die Griechischen mit einer als Commentar dienenden Lateini-
schen Uebersetzung kann nach unserm Dafürhalten, obgleich
der Umfang des Buches dadurch ziemlich erweitert ward , nur
lobenswerth erscheinen; jeder Leser ist dadurch in den Stand
gesetzt, dem Vrf. auf dem Wege seiner Untersuchung ohne
Aufenthalt zu folgen und braucht nicht erst einen grossen Bii-
chervorrath zusammenzutragen, dagegen manchem, dessen Ver-
hältnisse dieses nicht gestatten, ohne vollständige Mittheilung
solcher Stellen ein eigentliches Studium des Buchs ganz unmög-
lich sein würde.
Dem Buciie sind 4 indices angefügt, deren erster den nach
des Vrf.s Ansicht in ein System gebrachten Katalog der Chry-
') Obwohl mit Unrecht; denn bedeutende neue Belehrungen
durfte er auf meinem Standpuncte von Dex. und Porpli. schwerlich er-
warten.
olO GeacliicLte der Philosophie.
tiippisclien Scliriften aus Diogenes enthält, weil derselbe im
Büclie vielfältig zu llathe gezogen ist; der 2te nennt die im
Buche behandelten Stellen alter Schriftsteller , doch mit Aus-
nahme der bloss citirten ; der 3te die abgeliandelten Gegen-
stände in alphabetischer Ordnung; der 4te einzelne im Buclie
erklärte Begriffe und Wörter ans der Stoischen Piiilosophie, die
besonderer Beachtung werth sind.
Da das Buch bisher weniger bekannt geworden zu sein
scheint, als es verdient, so halten wir es fiir unser flauptge-
schäft zunächst Viber das Dargebotene anstuhrlicli zu berichten
und nur gelegentlich einige Bemerkungen beizufiigen.
In der Einleitung (S. 1 — *.I5) giebt der Vri*. eine kurze Ge-
schichte der von den früheren Griechischen PJiilosophen ange-
nommenen liöchsten Begriffsgattungen. Obgleich nun diese,
streng genommen, nicht in eine Darstellung der Clirysippischen
Lelire gehört, so trägt es doch zur richtigen Würdigung dessen,
was dieser zweite Gründer der Stoa geleistet hat, bei, wenn
man sich zuvor die Grundlagen der früheren Systeme vor Au-
gen stellt. Die Eleaten nun nennt der Vrf. als Erlinder der
Dialektik alsDisputirkunst, welche von diesen zu denSopliisten
überging, aber in deren Gebrauche in Blendwerk ausartete.
Die Logik als Denklehre verdankt ihren Ursprung den Pytha-
goreern, ihre Fortbildung aber nächst Sokrates dem Piaton,
welcher sie jedoch Dialektik nannte, und cum ad disjnitationes
adhibuit^ tum jusLa discipUniw forma ind^itam philosophiue
fundamentiun reddidit. Wenn der Vrf. aber fortfährt: haue
logices dignitatem ab Aristotele rursus neglectam
tStoici es magna saltem parte restituerunt vel potltis justis
finibus ciicumsciipsenmt^ so erkennt Ref. zwar, dass weder
im Buche des Vrf.s , noch liier der Ox't ist, die verschiedenen
Behandlungsarten der Logik zu würdigen; muss sich aber doch
gegen des Vrfs Ansicht erklären, inwiefern in jenem ürtheile
ein Vorwurf für die Logik des Aristoteles liegen soll. Nach
der Verschiedenheit der Art, wie man schon im Altertlunne den
Begriff der Logik fasste, musste auch die Annahme der höch-
sten Begriffsgattungen, welche der Vrf. mit Aristoteles Katego-
rien nennt, ganz verschieden ausfallen ; die Eleaten hatten ia
dieser Beziehung nur das 6V; von den Pythagoreern hingegen
hat Aristoteles zwei von einander abweichende Ansichten auf-
bewahrt, welche der Vrf. S. 4 ff. näher betrachtet. Das Be-
grÜJizte und lJnhegrän%te , deren Verhältniss zu dem Geraden
und Ungeraden Krug (Gesch. der alten Phil. S. fto) unent-
schieden lässt, nimmt der Vrf. als mit den letzteren beiden Be-
griffen parallelisirt und zwar mit Böckh im Philolaos so, dass
das Begränzte zugleich das Gerade ist, wie es auch später
Reinliold in seinem Beitrage %ur Erläuterung der Pythago-
rischen Metaphysik verstanden hat. Der Vrf. stützt sich mit
Petersen : rhilosophiae Clirysippeae fiindamcnta. Sl'^f
Recht Ijauptsäclilich auf Aristoteles Phys. 3 u. 4, wo ausdrück-
lich gesajtt wild tü cl^eiQOV uvai ro ägtiov ; nicht richtig ci-
tirt scheint dagegen Wetaph. 13,«, ed. Brand, p. 2ü3 ; viel-
leiclit meinte der Vrf. c. 8 p. 2S0, obgleicli auch diese Stelle
nicht ganz beweisend zu sein scheint. Der Vrf. beruft sich au-
sserdem nocli auf die zweite vom Aristoteles erhaltene Pytha-
gmischciiegriHstafel, in deren Ordnung das jiegag Acm anugov^
das %BQLrz6v dem ägriov entspreche, und hätte ausserdem
jjocli Met. 1,7, Brand, p. 27 iu ähnlicher Beziehung anführen
können. — Stellen, wodurcli grammatisch die Beziehung des
TO y.8V aJif das Letzte, das to ds auf das frühere erwiesen wird,
hat der Vrf. hier nicht angeführt; Ref. nennt als analog aus
Aristoteles nur Poet. 2 fin. ; ibid. c. 5 s. fin. , wo tJ f^ilv ydg auf
das eben vorhergehende ravzTjg {rrjg rgccyadlag) geht, nachher
aber bei tJ Ös der Deutlichkeit wegen noch sogar das entferntere
tnoTioua hinzugefügt wird. Ebenso c. 11 init. tov ^sv
Tov öL Vgl. ausser den vom Vrf. S. 72 Not. *) angeführten
Stellen noch Ilerodot. 2, 11 med. S. 7 — 1« sind dem Piaton ge-
widmet; der Vrf. zeigt, dass jene Begriffe des Begränzten und
Unbegränzten, die den Pythagoreern zur Unterscheidung der
Dinge dienten, von Piaton zur Grundlage der Dialektik gemacht
seien, und zwar als in der ovöia sich vereinigend , deren alria
dann in die Gottheit gesetzt wird. Dieser Gegenstand war
auch schon von T rend eleu b ur g in der vom Vrf. hier ange-
führten Schrift de Platoids Ideis et Niimeris behandelt wor-
den, womit jetzt nocli Petersens Beurtheilung dieser Schrift
im Rheinischen Museum .lahrg. 2 II. 4 nebst Brandis' eben
daselbst abgedruckter Abhandlung über die Plafouische Zalden-
lehre zu vrgl. ist. — Nachdem der Vrf. dann S. 10 — 10 von
den 10 bekannten Kategorien des Aristoteles gehandelt und na-
mentlich ihre ursprüngliche Verwandtschaft mit den Pythago-
rischen, zugleich aber ihre Verschiedenheit von jenen und den
Platonischen Gattungsbegriffen nachgewiesen liat, da nämlich
Aristoteles sie nur als Prädicamente vom Subject betrachtet,
geht er S. 17 zu den Stoischen Kategorien über, die freilich
von den Stoikern selbst, soweit unsere Quellen erkennen las-
sen, nicht Kategorien, sondern ra ysvtxw'raT« genannt werden;
diese sind folgende 4: vjcoKBLfisvov [siibsüafinn), Ttoiov^qnale)^
Jtdg iiov (a/iquo modo sc habc?is) , itQog ti nag b^ov [allquo
viodo ad cdiqtiid relatimi). Welchen Antheil schon Zenon an
dieser Kategorienlehre habe, lässt der Vrf. bei dem 31angel
an zuverlässigen Zeugnissen unentschieden , zeigt indess, dass
sie ihre Schärfe und Vollkommenheit hauptsächlich dem Cliry-
sipp verdanke. — Naclidem die Geschichte der Kategorien bis
dahin fortgeführt ist, wo der Vrf. länger zu verweilen gedenkt,
untersucht er zuvor S. 23 — 35 noch, in welchem Theile der
Logik die Kategorieulehre von Chrysipp abgehandelt sei. Er
818 Geschichte der Philosophie.
findet sie in dem Auszüge der Chrysippischen Logik, welchen
uns Diogenes aus dem Diokles von Magnesia aufbewahrt hat,
im 3ten Theile, welcher negl oqcov v.a\ ysvwv oial ddcov han-
delt; und zählt nach Anleitung des Diogenischen Katalogs die
einzelnen auf diesen Abschnitt sich beziehenden Bücher Chry-
sipps auf, verschiebt aber die Untersuchung Viber alle Theile
der Logik und deren gegenseitiges Verhältniss fVir eine künftige
Arbeit über das ganze System und alle Fragmente des Chry-
sipp. Möge dieselbe bald erscheinen können ! — Mit folgen-
den Worten giebt nun der Vrf, den Plan seines Werkes an :
Testat soliim^ ut dissertationem disponam^ quod opfime ad libro-
runi Chrysippeorum seriem ßeri potest^ ex quibns qiiinti^ sexti
et septimi argumentum persequendum mihi proposui. Itaque
quatuor consiituo partes^ quarum prima de notionum ge?ieribus
seu eategoriis^ secunda de rerum divisione^ tertia de contrariis
disseret, quarta deiiique^ cujusiiam. momenti quaeque harum
partium in philosophia Stoica fiierit^ illiistrabit. In dem Isten
Cap. des Isten Theils de simwiis notionum generibus untersucht
der Vrf. S. 36 — 43, quae summa 7iotiommn genera Stoici po-
suerint. Es sind die 4 sclion oben angegebenen, deren Ge-
währsmänner Plotin und Simplicins sind. Zwar nennt Plotin
(Ennead. VF, 1, 25) die Stoiker nicht ?iamentlich als Urheber
jener Kategorien; allein wenn jemand zweifeln wollte, ob
tias, was er nach der Beurtheilnng der Aristotelischen Katego-
rien iiQoq xovg tsTtagag riQ'ivtag nal tBXQccxcög dicaQovvtas
sagt, auf die Stoiker gehe, so würde dieser Zweifel durch Ver-
gleichung dieser Stelle mit der des Simplicins leicht gehoben
werden; dieser sagt nämlich ausdrücklich: ot Ös 2jTmiC0L dg
iKärtova övörsklsiv d^toijöL xov täv ngcörcov ysvc5v agt^iiov
xkI tiva Bv TOig iXäzToöiv VTtrjXXccy^sva TtaQcckafißavovöL'
ytOLOVVXKL yUQ XTjV XO^tjV £tg XEXXCCQK , £tg VTlOnd^SVa Xal 710LK
xal nag sxovxa ^tal Tcgög xi nag e%ovxa. Das Dasein dieser Ka-
tegorien im System der Stoiker ist demnach allem Zweifel ent-
nommen durch das gewichtige Zeugriiss des Simplicins, den
auch Trendelenburg (de Plat. Id. et Num. p. 28) omnium
interpretum et diligentissifnum et antiquae philosophiae peri-
lissimum nennt. Wir halten die Entdeckung dieser bisher
nicht beachteten Kategorien für einen sehr schätzbaren Beitrag
zum richtigeren Verständniss nicht nur der Logik, sondern
auch des ganzen Systems der Stoiker. — Auf eine eigentliche
Definition, welche eben wegen der Natur dieser allgemeinsten
Begrilfe niclit überliefert sein kann *), mit Recht verzichtend,
sucht nun der Vrf. aus dem gegenseitigen Verhältnisse, sowie
aus den inneren Diifereuzen und Bestandtheilen der einzelnen
•) Vrgl. die in der Note S. 43 angeführten Worte des Sirapliclus,
Petersen : Pliilosophiiie Chrysippeae fiindamenta. i S19
Kategorien die Bedeutung einer jeden, zuvörderst S. 4^3 — 03
die des Substrats, v7tox£i(.iBVOV^ zu entwickeln. Es wFird ein
zwiefaches Substrat genannt, wofür man niclit »inpassend die
Namen JreUsuhstrat und />/w^sul)slrat wählen dürfte. Jenes
ist der allgemeine, qualitativ noch unbestimmte UrstolF, in
welchem jedoch die Qualitäten des zweiten , welches das Sub-
strat der einzelnen, in der organisirten Welt neben einander
exsistirenden, individuellen Dinge ist, schon wurzeln, so dass
diese Qualitäten, aus jenem entsprossen, in diesem sich zwiefach
gestalten, nämlich theils als unwesentliche, welche an den ein-
zelnen Dingen sich zwar finden, aber ebenso gut fehlen kön-
nen, oluie dadurch dessen Wesen zu zerstören, wie z. B. am
Eisen die Wärme, an der Wolle die Weisse; theils als wesent-
liche, welche mit dem eigenthümliclien Sein des individuellen
Dinges innigst verwebt gleichsam einen Theil des Substrats
selbst ausmachen und sich von demselben nicht absondern kön-
nen, ohne zugleich das Wesen des Dinges selbst zu vernichten,
z. B. die Wärme des Feuers, die Weisse des Schnee's. Diesem
materiellen, aus Qualitäten bestehenden oder zusammengesetz-
ten, aber dennoch von ihnen zu unterscheidenden Substrat
kommt nach der Lehre der Stoiker ausschliesslich das Sein zu.
Jedoch unterscheiden sie ein zwiefaches Element des Substrats,
ein leidendes und ein wirkendes; daher der Plural vTtoxsi^Bva'y
das leidende ist die v^r] im engern Sinne, auch ovöia genannt,
an sich unsichtbar *) und der Zunahme und Abnahme unfähig,
also der Masse nach beharrend (stetig), wohl aber der Verän-
derung der Theile unterworfen, welche durch einen unmittel-
baren Uebergang aus dem einen in den andern die Form wech-
seln. Das wirkende Princip aber ist der ordnende Verstand
der Gottheit {&e6g, Xoyog), welcher als aXriov^ obwohl conse-
quenter Weise körperlich, den Grund alles Seins (sowohl seiner
selbst^ als der IJinge, daher ort, und a'irtov) in sich schliesst;
desshalb wird t6 öv genannt, welches auch als ein sich hin
und her bewegender, d. h. seine eigne Kraft erhöhender und
senkender Hauch (nvsv^a), der in der ovöla die Veränderung
erzeugt, beschrieben wird. In dem Substrat also wechseln die
Theile der ovöia durch die Kraft des bei diesem Wechsel be-
harrenden ov **), Die ovöia und das 6v machen als coordinirte
Bestandtheile gemeinschaftlich den Begriff des vjioxsifiivov
aus, sowohl des ursprünglichen, nur gedachten, als auch des
*) Könnte indess atSiog, welches freilich auch Plutarch (S. 51
oben) für unsichtbar zu nehmen scheüit, hier niclit vielleicht ewig be-
deuten ?
") Man könnte das ov daher gleichsam das Substrat des Substrats
nennen.
320 Geschichte dev Philosophie.
späteren , erapirisclien. — Nachdem der Vrf. aus Stellen des
Simplicius, des Plotiii, des Diogenes, des Stobäus und anderer
diese von Wy ttenbach's ÄJeinunj; abweichenden Resultate
gewonnen hat, gelit er noch zur Erklärung einer Plutarchi^cheii
Stelle über, in welclier er eine von Amiot und Wyttcnbach
jiicht gut ergänzte Lücke scharisinnig und glücklich ausfüllt.
Da demnach alle sinnlich walirnehrnbare Körper, als aus dem
Sein und dem Seiejidenhesiehend^ Substrate sind, so wird nun
S. 55 ff. von den 3 in der Eintheilung der Korper sich darbie-
tenden Arten der Substrate geliandelt; sie sind 1) eva/xävcc^
einige^ deren Einlieit in einem Lebensprincip liegt, wie Thiere
und Pflanzen; 2) td ex öwanto^ivcov, ziisammengefiigte^ wel-
che zwar bloss äusserlich verbunden sind, deren einzelne Theile
aber doch nur in Bezug auf die Einheit des Ganzen exsistiren,
wie Gebäude ; 3) ra £X öieörwrcor, zusammengesetzte^ eine
aus gesonderten Individuen gebildete Gesammtheit, z. B. eine
Heerde. Die Unterarten und näheren Bestimmungen , welche
nebst den Ilauptarten S. C3 in einer vollständigen Tabelle dar-
gestellt werden, können wir hier füglich übergelien ; dass aber
und wie aucli die ßöco^ara und unter diesen besonders Zeit
und Kaum zu den Substraten gezählt werden, davon ist uns der
Yrf., zwar auf S. 145 etc. verweisend, den historischen Beweis
schuldig geblieben , obgleich w ir die Wahrscheinlichkeit des
von ihm liypothetiscli Vorgetragenen nicht eben gänzlich leug-
nen wollen. — S. ßi — 100 wird das noiov und die noiötrjg ab-
gehandelt. Nacli dem Obigen gab es theih noiä, die nur rm-
ssey/«t7i «//. den Substraten waren, theils solche, die einen Theil
der Substrate selbst ausmachten ; demnach kann Materie oline
Qualitäten, jedoch können nicht umgekehrt Qualitäten ohne Ma-
terie sein, wonach das substrative Dasein als das beharrende
von dem qualitativen, welches als Form an jenem w echselt, un-
terschieden wird. Um die Qualität auch von den folgenden
beiden Kategorien zu unterscheiden, führt der Vrf. eine Stelle
aus Simplicius an, in welcher nach einigen Stoikern 3 Bedeu-
tungen des TCOLov aus einander gesetzt werden, von denen je-
desmal die frühere weitere die folgende engere in sichschliesst.
Darnach bedeutet jcctü?-» 1) jedes, was ein Unterscheidungsmerk-
mal hat, sei es im Zustande der Ruhe, oder in der Bewegung,
z. U. der Verständige, der die Hand Ausstreckende, der Lau-
fende; 2) mit Ausschluss der Bewegung nur das, was im ruhi-
gen Zustande ein Unterscheidungsmerkmal hat, z. B. der Ver-
ständige, der zum Kampfe bereit Stehende; 3) nur das, was im
eigentlichen Siniie im ruhigen Zustande ist, d. h. was ein
dauerndes Unterscheidungsmerkmal hat, z.B. der Grammati-
ker, der Verständige. Dies letzte noiöv bezeichnet wahre Ei-
genschaften und entspricht genau der Ttoioxrjg, unabhängig von
augenblicklicher Thätigkeit, so dass z.B. ein Gemüse- oder
Petersen : Philosophlac Chrysippeae fiindamenta. 321
Weinlicbhaber im Besitze dieser Qualität aiicjj dann bleibt,
wann er jene Dinge nicht gerade geniesst. Wenn daher von
der Troiözrjg als einer öxi-öig noiov die Rede ist, so ist dieses
Ste eigentliche jrotdi^ zu verstehen; auch werden jene beiden
ersten Uedentungen des tiolov von den meisten nicht mit ange-
nommen, sondern viehnehr unter die folgenden Kategoiien be-
l'asst.
Jedoch selbst nicht von jedem concreten noiöv in der 3ten
Bedeutung gescliieht die Äbstraction einer noioTiqq als einer
dauernden und ircsentlichen Beschaffenheit eines Dinges. Es
findet sich diese nur bei den einigen Snbatraten^ und zwar als
ein t'Ktöv (etwas, das sie haben), welches aber den znsammen-
^efiiglcn und zusanimen^''(?sei!';^c// Substraten, die kein gei,>-tiges
Kinlieitsprincij) haben , abgesprochen wird; voi» ihnen gelten
dagegen die beiden ersten Bedeutungen des Ttoiöv. Wie nun
dem Grammatiker z. B. wegen seiner Wissenschaft und Uebung
ein dauerndes Unterscheidungsmerkmal zukommt, so findet
dies wegen der Uebung und der Zusammenwirkung (der ein-
zelnen Glieder) zu einem Zwecke zwar auch bei einem Chor
Statt, daher beide nach der 3ten Bedeutung jTOia sind; allein
als einem zusammengesetzten Substrat wird dem Chore die
noiöxYjq abgesprochen, weil in ihm keine st^ig ist und er dem-
nach kein sy.xov hat. Diese beiden AusdrVicke werden von der
3rotor?;g, jedoch in verschiedenem Sinne, gebraucht; sie sind
correlative Begriffe und daher unzertrennlicli , wie ov und
ovöla ; denn a'^ig heisst die 7toi.6rr]g als geisti^-^es Einheitsprin-
cip, der Materie entgegengesetzt und dieselbe gleiclisam zu-
saiumenhaltend und beherrschend; IxtoV dagegen als Theil
der Materie und von jenem Princip gleichsam beJierrscht. —
S. 72 — 84 untersucht der Verf. das Verliältniss der Qualitäten
zur Gottheit oder dem 6'?^, zum menschlichen Erkenntnissver-
mögen , zur löea und zu andern Ausdriicken , welche fiir die
Qualität gebraucht werden, wovon wir das Kesuilat mit des
Vrf.s eigenen Worten S. 83, 84 angeben: Utjam omnia in hrei:G
contraham: (jualitates quatenus in mente exsistunt^ iinagina-
tiones {cpavzäö^axa) sunt, eaedem a Deo profectae nmndum
ejusque partes permeantes voca/itur potentiae (dvvdfisis).
Imaginationes illae a 7nejde divina co7iceptae et creatae md-
lo alio nomine distinguuntur ^ in hominum vero a?ii7nis repe-
titae efflciunt notiones (kvvo'^aaza) seu ideas ; eodem modo
potentiae in tmioersum acceptae Deo originem debentes sunt
rationes seminales {löyoi öTCSQ^azLZoi), in singiilis autem re-
bus spectatae^ casus {nzoaßng) vocantur. Rationes rzirsus se-
minales atque imaginationes in Deo sedem habentes mona-
duni jiomine comprehendi, casus denique et ideas ad homines
pertinentes in appellativorum et generalium notione qualium
Jahrb. f. Phil. u. I'ädag. Jahrg. V Heft. 3. 21
322 Geschichte der Philosophie.
{ysvLXcc Jtoid) conveniiG supra jam dixi. — Iliiisiclitllch des
Ünterscliiedes der iiielirereii Substraten gemeinschaftlicliea und
der den Individuen eigenthiimlichen Qualitäten drückt der Vrf.
das Ergebniss seiner Untersuchung^ S. 8!) so aus: Essenliae
igitur diffcreiitia^ ex ente orta, est qualitas , pe?' se non se-
pa/abUis , sed quae notione coniprehensa in proprietatern
exit ; yuod(jne igitur siibstratiim unitum unam principeni ha-
bet (jualitatem^ a qua conlinetur ut uiium^ quippe quae ideam
expiimat^ proprietatern tarnen sibi adjunctam habeat^ qua
subsiratum singulare ab omnibus eandem ideam sertmntibus
distinguatur. Ad haue notionem seu ideam efficiendam nee
tempus nee ulla vis externa confert ; sua enim ipsius poten-
tia, quam talitatem vocant ^ qualitates servantur et propa-
gantur. Hac igit?ir ratione quaeque res habet qualitatem^
in qua notio seu qualitas communis a proprietale distinguen-
da est, quarum lüraque qualitatis nomine iusigiiitur. — Ei-
nige Qualitäten ferner erleiden keine Zunahme und Abnahme
lind werden daher ^la^thöuo, (Lagen) genannt, deren Wesen in
der Vollkommenheit der Form bestellt; andere dagegen sind
der Zunahme und Abnahme fähig und heissen £^£tg(llaltungen)
im engern Sinne, ilir Wesen in der Dauer der Form ofTenba-
rend. Beide sind trotz ihrer Verschiedenheit doch unzertrenn-
licli verkniipft, welches besonders dadurch klar wird, dass als
Beispiel der öta&£ötg die Tugend erscheint, als Beispiel der
f'lig die Kunst; virtus enim cum perfecta sit scientia {lni6Tri~
[17])^ nec augeri nee minui polest; sed in quoque tetnpori&
vwmento fastigium {tiXog tcüI to jitaAtöra) nacta est; quae
si exercetur vcl aliquid agit^ etiamsi nondum ad summuni
illud fastigimn perve?ierit ^ artem efjicit, nunc vehe?nentius
intensam^ nunc Inxius remissain ideoque temporis continni-
täte conspicuam. S. 04- Daher setzt auch die Kunst eine blo-
sse Fähigheit oder Tüchtigkeit voraus, die Tugend hingegen
einen aus dieser Fähigkeit (fx cpvöios^) hervorgegangenen Fort-
schritt in der Kunst, die dann auf die höchste Spitze gehoben
Tugend wird; vrgl. S. 96. Eine Tabelle, welche die verschie-
denen Benennungen und Verhältnisse der Qualitäten anschau-
lich macht, beschliesst den Abschnitt. — S. 101 — 125 das ÄOJg
i%ov. Schon S. 44 IF. war die Unterscheidung der Qualitäten
in solche, welche einen Theil des Substrats ausmachen, und in
solche, die an dem Substrat sich nur befinden, angegeben;
auch war S. 05 etc. gezeigt, dass von den 3 Bedeutungen des
3roi6v nur die letzte die eigentliche Qualität als Beschaffenheit
oder dauernd eigenthiimlichen Zustand begründe; hier wird
nun, was dort nur angedeutet werden konnte, ausführlicher
dargethan, dass nämlich das tkxxs e%ov sich auf vorübergehende
Zustände und auf äusseriiche, unwesentliche Bestimmungen
Petersen : Philosoplilac Chrysippeae fiindanicnta. 323
(AfFectioiien) der weseiitliclicn Qualitäten dos Substrats bezie-
he; den Zusamnicnhaiii? dieser 3 Kategorien drückt der Vrf.
S 102 mit l'oigeiidea Worten aus: Omnia et ipsa subsirula
aliquo modo se habere rede dicunhir, siibstratis enini cetera
nituntiü\ Sita tarnen quaeque ralione; siibstrata enim si ali-
quo modo se habent^ qualia sunt, qualia rursus cum setnper
alio modo se habeant^ propter motnin iis insitiim efjiciunt
proprie aliquo modo se habentia , quae eo tarnen a qualibus
differunt, qiiod in s?ibstratis esse recte dicuntur^ cum qualia
sint ipsa substrata vel eorum partes. — Das Wesen des ncoi^
l^iov (des Sichverlialtens) wird vorzüglich durch die S. 104 etc.
niitgetheilte Auseinandersetzung des Simj)licius klar, welcher
davon den Ausdruck öxköns braucht und diesen von der t^tj so
unterscheidet, dass ö^sötg der von aussen her besiinmite Zu-
stand ist, die 8t,tg dagegen die durch ihr inneres Princip [Övva-
fiig) bestehende Beschaffenheit, welche das eigentliche, wahre
Wesen des Substrats ausmacht, an welchem aber die ausser-
wesenllichen 6j(^e6£Lg wechseln. Eine f'^tg ist demnach z. B. die
Gesundheit an sich., und eine öiiöig würde irgend eine be-
stimmte Art des Befindens, also eine Affection der £|tg, sein.
Jedoch ist eine langanhaitende öxiöig durch diese ihre Dauer,
in wiefern 'dieselbe von aussen her bewirkt wird, noch keine
i'^tg, sondern«dies würde sie erst sein , wenn sie den Grund ih-
res so beschaffenen Zustandes in sich selbst trüge, so dass
also nicht in der grösseren oder geringeren Zeitdauer, sondern
in dem Princip und Wesen der Unterschied der Kategorie der
Qualität und der Affection begründet ist. — Diese Ste Katego-
rie uml'asst die meisten Aristotelischen, nämlich das ^roTE, nov^
iCELöd'aL, ex^LV, TtoiHV uud Tcdöx^n'', ihr Inhalt wird S. 121 vom
Vrf. so angegeben: Itaque ut totam categoriam obiter ad~
umbreni : quae aliquo modo se habent^ aui differentiam indi^
cant aut conditionem. Quae conditione aliqua ntutitur , aut
affecti (sie! man lese affecta) sunt aliquo modo aut moven-
tur ; quae motionem habent., aut efficiurd aut patiujitur., quae
affectionem., aut habe^it aut habentur vel sila sunt. Quae
secundum differentiam su?it , spectantnr aut corporis ralione
habita aut incorporei, quae ex corporis differentia cernuntur^
aut quanto aut quali diff'erunt., quae ex incorporei differen-
tia^ aut alicubi sunt aut aliquando. Die Tabelle S. 125 ist,
weil der Vrf. über die Unterabtheilungen nicht die erforderli-
chen Zeugnisse fand, sehr lückenhaft. — S. 126 — 144 das
TCQog riTCcag i%ov. Bei dieser Kategorie der Relation wird gleich
anfangs eine von den Stoikern gemachte Unterscheidung in ein
ytQog XI und ein ngög ti nag sxov angeführt ; das XQog xi ist
die einfache Beziehung und rotg xaü-' avxä entgegengesetzt, z.
B. das Süsse und das Bittere ; das Ä^og xl nag exov ist nicht
21*
32-4 Geschichte der Philosophie.
an sich da, weil es iiiclit (von dem Subjecte, dessen Atlribnt
es ist) abgelöst werden kann; nach dem Unterscljiede aber
(xara ^lacpogäv) ist es da, weil es durch ein charakteristisclies
Merkmal erkannt wird; was also Ttgög n genannt wird, das
leidet in Bezug auf das, zu dem es in Verhältniss stellt, keine
Veränderung, ohne dass zugleich das ihm zum Grunde liegende
Princip verändert wird. Das ngög xi Ticog i%ov dagegen ist roig
^ara ötKqpo()ai' (demjenigen, welches durch ein charakteristi-
sches Merkmal erkannt wird) entgegengesetzt; was sich auf
eme geirlsse Heise zu einem andern verhält^ kann weder an
sich, noch nach einem Unterscheidungsmerkmal da sein , weil
es durch eine blosse ö;^f6tg (vorVibergehenden, unwesentlichen
Zustand) in diesem Verhältniss steht. Dieses Verhältniss kann,
weil es bloss äusscrlich ist, aufgehoben werden, ohne dass die
einzelnen Verhältnissglieder darauf an und iur sich eine Ver-
änderung erleiden, z. B. der Vater hört bei den Tode des
Sohnes zwar auf Vater zu sein, aber er bleibt, die Aufhebung
dieses Verhältnisses abgerechnet, was er war; dieses Ver-
hältniss also beruhte auf einem bloss äusseren Zustand, nicht
auf einer Eigenschaft oder Eigenlhümlichkeit , wie bei dem
Siissen oder Bitteren, dessen Verhältniss zu dem schmeckenden
Subjecte nicht verändert werden kann, M'enn nicht zugleich
das Wesen (der wesentliche Character, die a^tg, tvovöa dia(po-
gä) des Siissen oder Bitteren sich verändert. — Wegen der
tjnterabtheilungen und ferneren Bestimmungen dieser 2 Arten
der Relation verweisen wir auf des Vrf.s eigene Erörterung und
auf die Tabelle, womit dieser erste Theii des Werkes sich
schliesst.
Der 2te Haupttheil des Werkes von S. 145—180 enthält in
5 Capiteln die Eintheilimg der Dinge. Bei den Kategorien
kam es nicht darauf an, ob etwas ist oder nicht ist ^ sondern
je nachdem jede Sache anders gedacht und aufgefasst wurde,
gehörte sie zu einer andern Kategorie, daher in ctmctis {cate-
goriis) et corporalia et incorporalia reperiuntur et qiiae sunt
et quae exsistunt tantum vel subsistunt. Bei der Eintheilung
der Dinge hingegen kommt das vorzüglich in Betracht, ob et-
was ist oder Jiicht^ tmd tvie es ist. Nach Seneca (epist. 58)
wird die Eintheilung der Dinge kurz so angegeben: „obenan
steht (als höchste Gattung) das Etwas *), welches entweder
*) Sehr beachtenswerth zur Wiilerlegiing der Gegner der Stoa
ist in Bezug auf das xl , was Trendelenburg in der Recension
dieses Werkes in den Berl. Jahrb. 1827 S. 1738 und 49 bemerkt; er
nimmt es als fragend, wo dann ein Setzen und Kicht- Setzen , ein ow
und fiT} ov zugelassen wird. Analog findet er tlieils die nrsprüngli<^li
retcrsen : Pliilosophiac Clirysippcae fundaniciita. 325
ist oder nicht ist; das Seiende ist entweder Körper oder uii-
körperlich ; das Aörpertiche ferner entweder beseelt oder un-
beseelt; das Beseelte ist entweder Thier oder Pflanze; das
Thier endlicli entweder sterblich oder unsterblich.'''' Das Prin-
cip dieser Eintheiiunj? ist die Jiöhere oder niedere Stufe der
Vollkommenheit, welche ein I>in^ in der Natur einnimmt.
Naclidem der Vrf. darauf S. 147 — 150 sich noch üher einige
Stellen des Plotin, Sextus Emp. und Alexander Aplirod. in Be-
ziehung auf die des Seneca und auf das daraus gezogene Resul-
tat erklärt hat, wobei auch S. 39 etc. zu vrgl. ist, setzt er liin-
zu: Si ad i)rincipium divisionis et gradationem ?'edimus^ hoc
non - ens , quod fiullani habet differe?itia?n., infirtmm ^radum
obtinere videt?ir in rerum natura; deinde incorporalia sequi
arbitror., tum ex corporalibiis ina7iimum, tum ex animanti-
hus plantas., tum ex animalibus irrationale ^ ex ratiotialibus
denique homines, ut ultimum et sianmum locimi occupent
DU. Bei Unterscheidung des Seienden und Niclitseienden (Cap.
II S. 151 — 159) bemerkt der Vrf. zuerst, dass der bei derEin-
theilung der Dinge jenem (dem 6V, ens) zum Grunde liegende
Begriff durchaus nicht zu verwechseln sei mit dem Begriffe je-
nes 6V, welches nach dem Vorigen mit der ovöia zusammen
den Begriff der Kategorie des Substrats ausmacht; und fährt
dann fort: Kntis igitur latissimo sensu accepti et non-
entis discrimen eo nititiir.^ quod hoc in mente tantum repe-
rilur., illud vero extra mentem etiam in rerum natura; qua-
re si non - ens et ipsum in rerum natura esse dicitur., quia
in afiimo versatur., illud ens quasi bis reperitur cum in men-
te., tum in eo., unde animo conceptum est. Zum firj ov rech-
nen die Stoiker nach einer Piutarchischen Stelle (bei welcher der
Vf. S. 152 einen, wie es Ref. scheint, gliickliclieren Verbesse-
rungsversuch macht, als Wyttenbach) auch das Universum (rd
3rav), weil es als ungeordnet und unendlich die Unterschiede
der Kategorien nicht zulasse; von diesem, dem 6vv asvcß uiiEi-
Qov^ unterscheidet sich aber das Ga?ise , t6 olov ^ als xcoglg
xov UBVov itööfiov, die begrenzte und geordnete Welt, welche
für das 6v selbst gilt; dennoch aber nennen sie auch dieses ein
[lij ov, weil es in dem nicht seienden Universum enthalten ist.
(S. 157 s, fin.) Was nun von dem Universum gilt, dass es ein
Nicht- Seiendes ist, weil es als blosses Erzeugniss der Specu-
latioQ, als leeres Gedankending kern wirkliches, reales Dasein
cigenthüralich fragenden Benennungen der 3 letzten stoischen Katego-
rien, theils besonders den Aristotelischen Ausdruck xb zi icri und xo
rl Tjv tlvai , -weichen er schon in der oben angeführten Schrift S. 40
in der Kürze , ausführlich aber in der vortrefflichen Abhandlung ioi
Rhein. Mus. Jahrg. 2 Heft 4 besonders S. 467 — 83 erläutert.
326 Geschichte der Philosophie.
hat, das gilt auch von den einzelnen non-entibus, welche Viher-
diess oft aus einer Verirrung des Gedankens hervorgehen, wo-
durch sie sich eben von den übrigen (den wahren) Gedanken
unterscheiden, die sich auf Wirklichkeit gründen. Von allem,
was sonst noch unter dem (X)] ov befasst ist, unterscheidet sich
das Universum durch seinen Umfang, welcher selbst das ov
mit einschliesst; daher Simpiicius den Stoikern vorwerfen
konnte, dass sie aus dem Nicht- Seienden das Seiende ableite-
ten.— Das 3te Cap. (S. 150— 165) handelt über den Unter-
schied des Körpers und des Unkörperlichen. liörper hiessen
nach dem Vorhergehenden bei den Stoikern nicht nur üie Sub-
strate und deren Materie, sondern selbst jenes geistige Princip,
welclics die Materie durchdringend und zusammenhaltend ei-
gentlich die Substrate bildet; die gesamraten Eigenschaften
(Qualitäten) der Körper sind demnach selbst Körper. Daher
nehmen die Stoiker bei so grosser Ausdehnung des BegriiFes
Körper mehrere Arten von Körpern an, deren jeder ein eigen-
thümlicher Begriff zum Grunde liegt; die einzigen in der Natur
erscheinenden, wahrnehmbaren Körper sind die Substrate, auf
welche allein die von Diogenes angegebene Definition nach den
3 Ausdehnungen im Räume, wozu von andern noch der Begriff
der Undurchdringlichkeit gefügt wird, passt. Alle andern Arten
der Körper finden sich nur au diesen Substraten, den örEQSolg,
und werden bloss gedacht. Als allgemeine, alle Arten umfas-
sende, Definition ist folgende zu betrachten: alles^ was Beile-
gung U7id Thätigheit hervorbringt oder an sich erleidet^ ist Aar-
per. Da aber demnach nicht bloss die Bewegung, sondern auch
der Zustand der Ruhe (mauere) dem Körper zukommt, so kann
man kurz sagen: corpus est., quodcunque motionis et 7najisionis
pariiceps est. — Seiendes ist der Körper in zwiefachem Sinne,
nämlich als Gegensatz theils des Nicht-Seienden, tlieils des Un-
körperlichen, welches zwar kein Nicht-Seie7ides., aber auch kein
afi sich Seiendes ist, sondern nur am Seienden oder an Körpern
sich befindet. Vom (körperlich) Seienden allein gilt der Aus-
druck £iv«t, vom Unkörperlichen aber nur vcpiördvaL und
VTcaQxsiv^ welche Ausdrücke, vom Verf. durch subsistere und
exsistere übersetzt, nach S.lfiO sich so unterscheiden, dass der
erste das bloss in der Vorstellung Seiende, das Gedachte, z. B.
die vergangene und zukünftige Zeit, bezeichnet, der letzte
{vTtÜQxeLv) dagegen das gegenwärtig Vorhandene, z.B. die ge-
genwärtige Zeit. Eine ausdriickiiclie Definition des Unkörper-
lichen hat der Vrf. nicht gefunden, sondern dieselbe nur aus
den Gegensätzen und aus einzelnen Andeutungen sich bilden
können; Sextus sagt: döoo^ara ovtE nouiv ri Tticpvxev ovre
xäoiuv; dieses den äusseren Sinnen entzogene Unkörperliche
inuss nun aber nicht mit dem Nicht- Seienden verwechselt wer-
Petersen : Philosopliiac Chrysippeae runiUiniciita. 32'?
den, welclies kein anderes Dasein hat, als das dnrch falsches
Denken ihm gegebene, dag^egen das Unkörperliche keineswegs
auf irrigen Gedanken beruht, sondern vieiinelir an dem Seien-
den, zu welchem es gehört, gedacht werden niuss. Bevor nun
der Vrf. zum 4ten Cap., in welchem er von der Unterabtheilnng
des Unkörperlichen handelt, übergeht, führt er noch aus Sextua
die 4 Et'öj; döco^aTCOv auf, nämlich XbktÖv, xsvoV, tOTtov und
2q6vov; den von der Zeit gebrauchten Ausdruck nad'' avtö Tt
voovfiBvov, per se co^itotum^ versteht der Vrf. mit Recht von
der Objectivität der Zeit und bezieht ihn zugleich auch noch
auf den Raum; wobei wir jedoch fragen müssen, wie sich
diese au sich gewiss richtige Ansicht von Zeit und Raum zu
der oben gegebenen Definition des IJnkörperlichen, als des
nicht an sich Seienden, sondern nur am Seienden sich befin-
denden verhalte. Zwar, wenn man das Wort root;^u£i'ovpresst,
ist allerdings ein an sich Gedachtes noch kein «« sich Seie?ides^
allein dann ist wieder nicht abzusehen, warum jener Ausdruck
bloss von der Zeit gebraucht und vom Vrf. ausserdem nur
noch dem Ramne^ nicht auch dem JVorle und dem Leeren
beigelegt ist; in Rücksicht des Leeren fiihlt der Vrf. dies
selbst, wagt aber nicht zu entscheiden, sowie er auch über
das vom Chrysipp dem Unkörperlichen beigelegte Prädicat
aTCSigov nicht aufs Reine gekommen zu sein bekennt; des Vrf.s
Vorschlag, dasselbe von den verschiedenen Arten des Unkör-
perlichen mverschiedenerBedentmig, zu fassen, kaunRec. nicht
billigen. — In der von S. Iß.'j bis 175 jetzt folgenden weite-
ren Auseinandersetzung über die incorporea, welche entweder
subsistiren oder exsistiren, unterscheidet nun der Vrf. weiter
die an sich e.vsistirenden (Zeit und Raum) von den an andern
oder nach einem Unterscheidungsmerkmal cxsistirendeii; je-
nen, welche uukörperliche Substrate der Körper genannt wer-
den, sei die Theilung ins Unendliche eigen, gleichwie der kör-
perlichen Substraten. Den Raum definirt Clirysipp als das-
jenige, was von dem Seienden eingenommen ist oder eiiigenora-
inen werden kann. Das Leere dagegen ist das, was vom Seien-
den eingenommen werden haim^ aber nicht eingenommen wird
und überall nur subsistirt und nichts ist; dem Räume ist es
darin ähnlich, dass es von dem Seienden eingenommen wer-
den kann, der Zeit darin, dass es für nach allen Seiten un-
begränzt gehalten wird , von beiden aber unterscheidet es sich
dadurch, dass es nicht als an sich seiend gedacht wird. —
Im öten Cap. , welches von der Unterabtheilnng der Körper
handelt, vergleicht der Vrf. die schon oben mitgetheilte Ein-
theilung des Seneca mit der bei Cic. de off. 2, 3 § 11 sich fin-
denden. Grösstentheils übereinstimmend weichen beide Rö-
mer vorzüglich nur darin von einander ab, dass Seneca bei
328 Geschichte der Philosophie.
der Eintlicilung von der Pflanzennatur ausgeht, Cicero da-
gejueii von der thierisclien Seele. Cicero hat überdiess 1 Ein-
tlieilungsjilied mehr, als Seneca, da dieser die animalia nur
in mortaiia und immortalia (zu welchen Seneca, hierin abwei-
chend von der Lehre der Stoiker, auch wohl die Menschen
rechnet) eintheilt, Cicero dagegen die Thiere zuerst in ver-
nunl'tlose und vernunftbegabte, die letzten aber wieder in
Götter und Menschen scheidet. Eine Tabelle stellt die Ein-
theilung vollständig dar und in einer kurzen Beurtheilung S.
im ff. weiset der Vrf. auf das Verhältniss derselben zu i\iti\
Kategorien Iiin. Hieran schliesst sich bis S. 180 eine Erör-
terung über die Gewohnheit der Stoiker bei Eiiitheilungen zu
2 einander entgegengesetzten Gliedern bald noch ein 3tes Jiin-
zuzul'ügen, welclies in jenen 2 nicht Enthaltenes bezeichnet,
bald auch noch ein 4tes, welches das zusammen enthält, was
in den beiden ersten Gliedern in jedem einzelnen gesondert
erscheint. — Ein Beispiel, welches alle 4 Glieder enthält,
giebt der Vrf. S. 180 aus Sextus : twv (pavtccGicov at (xiv ilöiv
a.Xri%H£, at Öh ipsvöeig^ at ös dk'r^QsLS aal xI^bvöhSi cct de ovrs
CK/lj^Ttsrg ovTS xpsvöalg.
Zum völligen Verständniss der Kategorien und der Ein-
theilungen ist die Kenntniss der Gegensätze, auf welchen die
ganze Eintheilung beruht, durchaus unentbehrlich; dcsshalb
widmet der Vrf. ihnen den Sten Ilaupttheil seiner Schrift in
5 Capp. , S. 181 — 215. Das Iste Cap. handelt de contrario-
runi definitione et gefiertbus. Die einzige Quelle ist fiir diese
ganze Lehre Simplicius zu den Kateg. des Aristoteles; vom
Aristoteles also, an den sich nach Simplicius' Zeugniss die
Stoiker in diesem Puncte ziemlicli nahe anschlössen, musste
ausgegangen werden. Was Aristoteles avTiHBi^Bva (opposita,
Gegensatz) nannte, das liiess bei den Stoikern Ivavxia (con-
traria, Gegentheil); auf diese ausdriickliche Behauptung des
Simplicius gestiitzt legt der Vrf. , in Ermangelung von Stellen
aus den Stoikern selbst, die von Aristoteles in den Kateg. c. 8
(Lewald) gegebene Aufzählung der einzelnen Arten der Gegen-
sätze zum Grunde; die Stelle lautet so: kiyi.tai ÖE eteqov aze-
Qa dvTLnelGd'ai, tsxgaxäg ij ag tä ngog n t] c<5g td Ivavxia ij
ag öxsgrjöig xal et,ig rj ag xaxäfpaöLg xal dnöcpaöig. 'AvxlzbI-
tai de exaöxov rav xolovxcov^ cog xvTtca slnelv, cog ^ev xd ngög
Ti-, olov x6 ÖLTtldöiov TW ^|tttö£t ' ojg Öb xd ivavxia, olov x6
aanov x(ö dyad-c5 ' ag dh xd %axd CxegiqßLV aal e^iv , olor' xv-
(pXöxrjg aal oipLg' cog Öa %axdq)aöi,g aal dTtocpaCig, olov nd^rj-
%ai, ov üd&rjxaL. Die liier befolgte Ordnung der Arten der
Gegensätze, die dem Vrf. auffallend schien, ist von ihm in der
gesonderten Behandlung so umgeändert worden, dass er den
relativen Gegensatz (xd JtQog xl dvxLneluBva) ^ der bei Aristo-
Petersen: Plülosophiae Chrysippeae fundamcnta. 829
teles voranstellt, ans Ende setzt. Diese Anordnung-, meint der
Vrf., müsse auch im Syctcm der Stoiker gewesen sein, so dass
die 4 Arten der Gegensätze in ircseu und Reihenfolge den 4
Kategorien entsprächen. Ob durcli diese Verinntliung des Vi'.s
mehr, als ein äusserer, un\ves;cii(li(her Scliematismus gewon-
nen werde und ob sie sich iiberhaiipt historisch begriinden
lasse, uagen wir um so wcnii:;er zu behaupten, da sich die Ka-
tegorien in Bezug auf die Gegensätze so durchkreuzen , dass
jede Art der Entgegensetzung sich, wenn niclit auf alle, so
doch auf die meisten Kategorien bezieht. Es Iiandelt dem-
nach das 2te Cap. de simplicitcr coidraviis; die Ivavria deii-
nirt Aristoteles als zä n?^H6xov a.'n.Liovxa Iv %a avta yivn,
und dieser Definition des Gegentheils bedienten sich auch die
Stoiker, obgleich sie dieselbe, wie Aristoteles selbst, nicht
ganz befriedigend fanden. Ueber die Unterarten der Gegen-
theile hat der ;Vrf. folgende Resultate gewonnen: contrario-
111711 primum geims^ eoi um, quae nos nunc abstracta vocanms,
qualilates amplectüur et affectiones atque actiones , quormii
posteriores utraeque aliquo modo sc hahenlin et ad aliquid
relata sigmßca?e vide?itur substaiitivoi um formis expressa etc.
S. 189; Beispiele sind: sapientia und insipientia, effusio und
infusio. Die 2te Unterart umfasst praedicatiofws et praedi-
cuta, quae jam minus sunt abstracta ex nostro loquendiusu;
huc igitur refere?ida simt non solum saper e et desipere, sed
etia?n sapit et desipit atque non tantum aliquo modo se haben-
iia, sed etiam aliquo modo relata^ cujusmodi est effundere et
infundere , effundit aliquis et infundit. — Tertio loco adver-
hia proprie contraria su7it, e. g. sapienter et insipienter, quae
^£66ti]TSg vocantur fortasse ^ quia quodammodo in ?nedio ver-
santur inter abstracta et co7icrcta, minus e/ii/n per se cogi-
tari possimt, quam qualitates et affectio7ies et actiones , 7iiagis
tame7i, qua7n praedicatio7ies (Infinitive) et praedicata (verb.
fin.). — Eine 4te Unterart wären die Definitionen der con-
trären Begriffe ; allein diese, nach Chrysipp gar nicht als Ge-
frensätze zu betrachten, sind wenigstens nur dann solche, wann
in jeder derselben die einzelnen Worte eiiiander genau ent-
sprechen. — Cap. 3 Habitus et pricatio. Die 6T£Q7]tixd wer-
den von Chrysipp nach Aristoteles definirt als oöa dvacQsl
7iaQ£^u(paivovTa trjv tov B%SiV (pvöLV^ ov^ dnläq, ßAA' orav
lyifpatv]] x6 TtscpVKog xat ors TiscpvHBV. Diese Aufhebung des
Habens {(5TEQ7]6ig) bezieht der Vrf. zunächst und besonders auf
die 2te Kategorie, weil aus den Qualitäten, als den friiher
seienden, erst die Handlungen hervorgehen, z. B. die Blind-
heit bezeichne zuerst den Mangel derjenigen Qualität oder na-
tiirlichen Kraft, vermöge welclier wir sehen; dann aber auch
die Aufhebung der Thätigkeit des jSehens. — Vier Arten
330 Geschichte der Philosophie.
der Gegensätze in Rücksiclit des Habens und Nichthabens wer-
den dann anfi^eführt: 1) quae <?o, quod secundinn indolevi
suam iialuraleni habere debent , destituta sunt; 2) quae
eo carent^ quod es more habeant oportet; 3) quae officium
relinqmi.ut ^ quo fungipar est; 4) quod out totu7n aut ex parte
caret facultate aliqua. (S. 190.) Von den einfachen Gegen-
sätzen unterscheiden sich diese auf das Haben oder INicht-
haben sich beziehenden dadurch, dass sie nicht, wie jene,
theils verschiedeneii Substraten zukommen, theils ebenden-
selben zugleich, sondern dass sie sich in denselben Subsitraten
zwar finden, aber beide nacheinander, nicht beide zu gleicher
Zeit (S. 204). — Cap. 4 affirmatio et ?iegatio. Die Bejahung
und Verneinung beziehen sich eigentlich weniger auf die ein-
zelnen Begriffe, als auf Urtheile (und Sätze), von denen im-
mer das eine wahr, das andere falsch ist; jedoch wird die
Negation auch bei einzelnen Begriffen angewendet, wie aus
Simplicius erhellt (S. 206 ff.). Eine Definition finden wir aus
den Stoikern nicht angefülirt; doch untersclieidet der Vrf. S.
208 die Negation von der im vorigen Cap. behandelten Priva-
tion mit folgenden Worten: privative opposita ut contradicto-
ria ad idem sustratinn utraque pertinertt , diver so auteni tem-
pore, ut Visus et caecitas^ sedet et noji sedet ; illa vero jnaesen-
iiam et absentiam indicant^haec verieifalsi discrimen constiluunt.
— Cap. 5 contraria ad aliquid lelata. Ueber diese Art der Ge-
gensätze fand der Vrf. beim Simplicius nichts EigenthVimiiches
aus den Stoikern erwähnt, und schloss daraus, dass sie hierin
vom Aristoteles sich nicht entfernt liätten,- die hieher gehö-
rige Stelle des Aristoteles theilt der Vrf. S. 209 u. folg. mit;
Beispiele relativer Gegensätze sind: die Hälfte — das Dop-
pelte, Vater — Sohn, rechts — links u. dgl. ra. S. 215 lie-
fert der Vrf. noch eine Tabelle der Gegensätze, in welcher
einiges hypothetisch Ergänzte eingeklammert ist.
Bis hieher sind wir dem Vrf. auf seiner historischen Wan-
derung durch die Triimmer der Stoa gefolgt; wir haben ge-
sehen, wie mancher schöne Fund seine mühsame Forschung
belohnte und wie treffend der Vrf. meist das Gefundene an-
zuwenden wusste, um Licht für Finsterniss, Einsicht für Irr-
thura an die Stelle zu setzen ; und schienen uns auch die
Combinationen hie und da zu wenig historisch begründet oder
die Vermuthungen des Vrf.s zu kühn zu sein , so müssen wir
doch lobend anerkennen, dass er nach kleinen Abschweifungen
vom historischen Wege stets wieder auf denselben zurück-
kehrte und im Ganzen dieser einzig richtigen Weise der For-
schung über Gegenstände der Ueberlieferung treu geblieben
ist. Weniger lässt sich dies von dem nun folgenden Haupt-
Petersen: Philosopliiac Clirysippeae fundamcnta. 331
tlieile, namentlich von S. 210—291 sagen; er führt die Ucher-
schi'ift: doctrina de categoiiis, de dicisione et opposüione
e tolitis philosopkiae disposilione piobata et firviata^ und soll
zeigen, wie von den Stoikern die 4 Kategorien als höchste Be-
griit'sgattiingen in allen Theilen der Philosophie zu Einthei-
hingen, Uuterabtheilinigen und De{initionen angewendet seien.
Der Vrf. sucht den Gebrauch, den die Stoiker und vor allen
Chrysipp, welcher nach des Vrf.s Meinung eben durch diese
Stiitze der sclion wankenden Stoa wieder aufhalf, so von den
Kategorien gemacht liaben sollen, an Beispielen von auf uns
gekommenen Eintheilungen und Definitionen aus Diogenes,
Cicero, Seneca u. a. darzulegen; und unverkennbar ist der
grosse Scharfsinn, mit welchem er diese von ihm zuerst auf-
gefasste Idee bis ins Einzelne durchzufiihren suclit; vieles ist
in dieser grösstentheils hypothetischen Untersuchung ohne
Zweifel sehr treifend und wird des Beifalls der Kenner nicht
entbehren; allein ebenso natürlich ist es, dass der erste Ur-
heber einer Hypothese in der Feststellung und Durchführung
derselben bisweilen die Gränzen der ganz unbefangenen For-
schung überschreitet und mitunter eine Bestätigung für seine
Behauptung in einer Stelle zu finden^ meint, in welcher der
ganz Unbefangene nichts weniger wahrnimmt, als eine Spur
der Kategorien. Dies liegt in der Natur der Sache und wir
sind weit entfernt, dem Vrf. , der so viele dankenswerthe Ga-
ben in seinem Buche gespendet hat, daraus, dass ihm dies
bisweilen begegnet zu sein scheint , einen Vorwurf zu machen ;
auch zweil'eln wir nicht, dass der Vrf., wenn ihm einst nach
langem Harren eine ihm so sehr wüuschenswerthe glückliche
Müsse geschenkt sein wird, die ihn in den Stand setzt, die
versprochene Bearbeitung der Chrysippischen Fragmente zu
liefern , selbst manche seiner Vermuthungen berichtigen oder
aufgeben werde. Einer ins Einzelne eingehenden Anführung
und Beurtheilung der vom Vrf. in diesem 4ten Theile aufge-
führten Resultate enthalten wir uns aber hier mit grösserem
Hechte, da eine solche Nachprüfung, wenn sie rechter Art
sein soll, Gegenstand eines eigenen Buches sein müsste, zu
dessen Ausarbeitung es dem lief, jetzt wenigstens an Müsse
fehlt. Einzelne wohl zu beachtende Andeutungen und
Winke hat schon Trendelenburg in der mehrmals angeführten
Rec. gegeben. V/ir bemerken nur noch, dass künftig keiner,
der sich mit dem Studium der Quellen der Stoischen Philo-
sophie beschäftigt, des Vrf.s Buch wird entbehren können
und dass es namentlich auch den Freunden des Cicero , denen
es um ein gründliches Verständniss des Inhalts der philoso-
phischen Schriften desselben zu thun ist, die reichste Aus-
beute verspriclit; selbst gelehrte Juristen dürften für das Stu-
S32 Gescliichtc der Philosophie.
diiira des Röin. Hechts in der genaueren Begründung der Stoi-
sclien Dialectik manche Belehrung finden.
Der Stil des Vrt's ist im Ganzen zu loben; hat er biswei-
len Ausdrücke und Wendungen gewälilt, die sich aus dem
herrschenden Sprachgebrauclie des goldenen Zeitalters schwer-
lich möchten rechtfertigen lassen, so wollen wir desshalb
nicht mit ihm rechten; ein Buch, wie das vorliegende, hat
nach unserer Meinung seine Aufgabe in llVicksicht des Aus-
drucks gelös't, wenn es seinen gewiclitigen Sachinhalt in einer
leicht verständlichen und grammatisch reinen Sprache dar-
stellt; höhere Anforderungen muss man an den Bearbeiter
eines Gegenstandes aus der alten Philosophie, welche Viberhanpt,
namentlich im Ausdruck einzelner den Römern nicht geläufiger
Begrifl"e, für die Latinität grosse Schwierigkeiten darbietet,
nicht machen — und diesen hat der Vrf. genügt; wo hingegen
jene Schranken ihn nicht hemmten, wie in der Vorrede und
in dem letzten Abschnitte des 4ten Theils, der einen kurzen
Abriss des Chrysippischen Systems giebt, da zeigt er, dass
seinem Stile eine freiere Bewegung keineswegs mangele. Mit
der Berichtigung weniger Einzelnlieiten, wie einiger nicht
überall ganz genauer Uebersetznugen Griechischer Stellen,
wollen wir die schon lange genug in Anspruch genommene
Geduld unserer Leser nicht länger auf die Probe stellen, weil
jeder, den der Gang seiner Studien zu des Vrf.s Werke hin-
führt, diese Kleinigkeiten leicht selbst bemerken wird. Druck
und Papier sind gut; ausser den hinten verzeichneten Druck-
fehlern finden sich keine, die nicht als solche gleich in die
Augen fallen; am schlimmsten sind in der Vorr. S. IX Z. 4
V. u. texto für textu^ S. 42 Z. 10 aliquod für aliquid , S. 224
Z. 2 V. u. orationes für orationis, S. 249 Z. 2 formuni iür for-
mam. — S. XVIII der Vorr. citirt der Vrf. Petr. Nieulcmd
dissert. de Miiso?no Bf/fo ^mstelod. 1783; ed. sec. 1819;
allein eine 2te Ausg. dieses AVerkes exsistirt , soviel dem Ref.
bekannt ist, nicht; verrauthlich schwebte demYrLPeeiiJfunijjs
Werk : C. Musonii Riifi reliquiae et apophthegmata , Harleini
1822 vor, welches vor den von Peerlkamp mit Anmerkungen
begleiteten Fragmenten des Musculus jene Dissert. INieulands
wiederholt.
Meldorf im Juli 1829.
H. C. F. Prahm.
Abhandlung. 333
Abhandlung.
Der Zusammenhang der lutemischen und griechischen Sprache
mit dem Sanskrit , 7iach^ewiesen bei der Erklärung des
ff' ort es Ju]j iter.
§ 1. ilci den Forschungen über römische Sprache, Sitte «nd Glau-
ben hat man bisher mehr ausznmitteln gesucht, was diellönier anders-
woher aufgenommen , als was ihnen eigenthünilicli gewesen und bei
ihnen ausgebildet Morden sey. Diese Richtung ist von den Ivoniern
selbst angegeben und verfolgt worden. Denn bei den Uömern hatte
sich die Sage von frühern llinwanderungen griechischer Colonien er-
halten, griechische A ölkerschaften wolinten in ihrer INähe und die Rö-
mer selbst nnissten die höhere Bildung der Griechen anerkennen. In-
dem sie nun zugleich in Sprache, Sitte und Götterglauben vielfältige
Aehnlichlteit mit den Griechen fanden, bildeten sie, und nielir noch die
spätem Alterthumsforscher, die Ansicht aus, dass der grössere Theil
der römischen Sprache aus der griechischen entlehnt und nur etwa mit
einem Zusatz altitalischer Wörter versetzt sey, dass die meisten römi-
schen Götter durch Griechen nach Italien gebracht u. dort nur in man-
chen Stücken nationalisirt worden seyen. Dieser Ansicht ist in der neu-
sten Zeit von einer Seite her entgegengearbeitet worden, von wo man
es am wenigsten hätte erwarten sollen. Man fand in Ländern, weit ent-
fernt von Hellas und Latium, an den Ufern des Ganges, Sprachen,
welche der römischen und griechischen Sprache eben so ähnlich waren
als beide einander selbst. Und bei der Erforschung der ältesten Bibel-
übersetzungen deutscher u. slavischer Zunge entdeckte man, dass auch
die germanischen und slavischen Sprachen jenen vor Alters nicht so
fremd waren , als sie es heute zu seyn scheinen. Man fing daher an,
die griechische und römische Sprache als Schwestern zu betrachten,
welche eine weit verbreitete Verwandtschaft haben, von einer Mutter-
sprache zu verschiedenen Zeiten ausgegangen sind und die erhaltene
Mitgift nach dem verschiedenen Einflüsse, welchen Wanderungen, Cli-
ma und Lebensart ausüben raussten, umgestaltet haben. Unter allen
europäischen und asiatischen Zweigen dieses Sprachstanimes zeichnet
sich die heilige Sprache der Hindus, die Sanskritsprache, nicht blos
durch ihre reiche Litteratur , sondern mehr noch durch einen ausser-
ordentlichen Reichthura an Formen oder Flexionen u. Conseqnenz und
Alter derselben aus. Die letztere Erscheinung kann man sich auf fol-
gende Weise erklären. Die Hindus kamen aus Nordwest nach dem in-
dischen Delta, bildeten dort, nur wenig dem Andränge oder Einflüsse
neuer Völker ausgesetzt, den mitgebrachten Sprachschatz nach seiner
ursprünglichen Vielseitigkeit aus und bewahrten die alten Formen um
Bo treuer, je mehr bald der zur Herrschaft sich emporarbeitenden Prie-
334 Abhandlung..
sterkastc daran lag, den Sinn des Volkes auf die Erhaltung der uher-
lieferten Formen in allen Lebensverhältnissen zu lenlten. Derselbe Sinn,
das Alterthuni treu aufzubewahren , war auch den Römern eigen , wie
sich aus ilxrer ganzen Staatsverfassung erweisen lässt, und dieselbe An-
hänglichkeit an alte Formen zeigt sich in der ganzen latein. Sprachbil-
dung. Denn das Volk der Lateiner, von welchem sich die nächst an-
grenzenden Jtaler nur dialektisch mögen unterschieden haben, hat zwar
auf seinen Avciten Wanderungen aus Asien nach Italien manche Wort-
stämme lind manche Flexionen verloren, aber doch dasjenige, was es
mit nach Italien brachte, so buchstäblich aufbewahrt, dass es mit dem
Sanskrit auf das Ueberraschendste übereinstimmt. Die Hellenen, scheint
es, haben vor ihrer Wanderung aus Asien mit den Hindus in näherer
Berührung gestanden und trennten sidi später als die Lateiner von dem
gemeinschaftlichen Sprachstamme. Denn im ganzen Sprachenbau fin-
det sich zwischen der griechischen und Sanskritsprache die meiste Ue-
hereinstimmung. Allein die Hellenen, deren Freiheit im Denken und
Schaffen Mir in jeder Kunst und Wissenschaft bewundern, zeigten die-
selbe auch in der Sprachbildung und in der Verwendung des empfange-
nen Sprachschatzes ihrem eigenthünilichen Geiste geiijäss, und zeichnen
sich auch in dieser Rücksicht vor den Völkern desselben Sprachstammes
vorthcilhaft aus. Man muss nämlich folgendes beachten: deif sinnliche
Mensch, welcher die sich ihm darbietenden Verhältnisse noch nicht un-
ter allgemeine Begriffe zu fassen versteht , bildet zu ihrer Bezeichnung
eine grössere Anzahl grammatisclier Foi-men , als logisch nötliig sind.
Diese Formen gehn daher ihren Begriffen nach häufig in einander über
und lassen sich nicht scharf abgrenzen. An diesem Mangel wird jede
ungebildete Sprache leiden, und eben so auch jene Ursprache, als de-
ren Zweige die lateinische, griechische und Sanskritsprache, von wel-
chen wir hier reden, wie auch noch viele andere, zu betrachten sind.
Während nun die andern Sprachen unseres Stammes jene ungeordnete
Klasse von Formen mehr oder weniger l)eibehielten , haben die Helle-
nen nach allgemeinen Begriffen dieselben vereinfacht und die dadurch
überflüssig gewordenen Formen entweder ganz aufgegeben oder die-
selben zur Bezeichnung von Verhältnissen verwendet, die der sinnliche
Mensch übersieht und erst der Denker entdeckt. Daher haben die La-
teiner ältere, das Sanskrit reichere und consequenter durchgebildete
Formen; die Griechen sind diejenigen, welche an scharfer Bezeich-
nung der Gedanken beide übertreffen.
Diese Ansichten dringen sich jedem auf, welcher das Sanskrit mit
dem Griechischen und Lateinischen vergleicht. Jede solche Verglei-
chung, wenn sie zu sichern Resultaten führen soll, muss sich eben so-
wohl auf die Wörter als auf die Formen oder Flexionen erstrecken.
Will man nämlich untersuchen , ob Sprachen mit einander verwandt
sind , so muss man ihre Wörter zusammenstellen , und vorzüglich sol-
che, welche Begriffe bezeichnen , die den sprachbildenden Menschen
wegen ihrer Nothwendigkeit zur Verständigung im gewöhnlichen Men-
Jupiter. 335
schenlebcn die niiclisten waren , z. R. die Worter für ilie Glieder des
iiicnschliolicii Körpers, für Ik-zciclinuii}^ der Familienverwiindtschiift und
der ersten Elemente des physischen Lehens. \ oiziijijJith wird diese
^erwandtschiit't hewiesen durch l ehcrelnstiniinunf;; der Wur/.elwörter,
welche man fuidct, nachdem man von den in der llede gehrauchten
Wörtern alle AVortblldungssuflixe trennt. Doch kann hei diesen Zu-
sanimenstellnngen immer noch zufällige Klangsähnlichkeit täusclien;
manches Wort wird auch durch Handel oder andere Umstände über
viele Sprachen verbreitet. Die Verwandtschaft zweier oder mehrerer
Sprachen muss daher noch von einer andern Seite her hewiesen wer-
den, nämlich durch die Uebereinstinimung in Formen und Flexionen,
weil diese das Element jeder Sprache ausmachen und sich in derselben
behaupten, wenn auch ihr Vorratli an Wörtern durch den Einüuss frem-
der Sprachen mannichfaltigen Veränderiingen unterworfen ist.
So viel glaubte ich dieser Abhandlung über den Namen Jupiter^
woran sich noch die Erklärung einiger verwandten Götternamen schlie-
ssen wird, vorausschicken zu müssen, um meine Leser auf den Stand-
punkt zu stellen, von welchem aus ich die Verwandtschaft der griechi-
schen und lateinischen Sprache mit dem Sanskrit betrachte.
§ 2. Die Alten leiteten Jupiter von jiivuns pater her. Cic. nat. deor.
II § 64: Seil ipse Jupiter id est juvans pater, quem conversis casi-
bus appcllamus a juvando Jovem. Doch diese Erklärung ist unstattliaft:
denn es giebt Aveder im Lateinischen noch im Griechischen Composita,
deren erster Theil die Wurzel eines Verbums , der zweite ein unverän-
dertes Substantiv wäre.
§ 3. Die Endung j)j7er findet sich noch in einigen andern Wörtern,
wie Marspiter, Diespiter ^ und ist offenbar so viel, wie pater, inderai
man auch Jupater (Euguhin. tab. VIII, 24), Mars pater, Salurnus pa-
ter u. s. w. sagte und diess jjater mehr oder weniger den übrigen Göt-
tern beilegte. Es wäre möglich , dass piter aus pater entstanden wäre,
durch einen Uebergang des a in i , wie bei facio efficio , cado cecidi.
Allein wird auch gewöhnlich Marspiter , Diespiter geschrieben , so sind
es doch eigentlich zwei Worte, beide im Nominativ; und die gewöhn-
lichen Regeln der Composition sind also hier in Bezug auf die Umwan-
delung des a in /nicht ganz anwendbar. Vielmehr macht eine Ver-
gleichung der übrigen lateinischen und griechischen Verwandtschaftsna-
luen mit dem Sanskrit es wahrscheinlicher, dass jenes piter eine uralte,
neben jener auf o gebräuchliche Form war, die sich bei den Lateinern
im heiligen Gebrauche erhalten.
§ 4, Eine Zusammenstellung der vorzüglichsten Verwandtschafts-
namen wird diess erläutern.
a) sanscr. raätri*), Mutter, nom. matä, accus, mataram, locat. ma-
*) ri ist einfacher Vokal, der bei einfacher Verlängerung in är, bei
doppelter in är übergeht; um diess sanskritische ri von dem Consonanten
336 A b h a n tl l n n g.
tarl, nom. pliir. mataras. rf, dor. narrjQ, acc. fiatiQa, dat. u. locat. fiK-
TiQt, noii!. plur. fiarfQsg. matcr, matrcm, inutri, matres.
Anni. Um zu ül)erselien, wie diess Wort, so wie auch die sub 6.
c. f?. etc. folgenden in den verschiedenen Sprachen dem Stamme und der
Form nach genau zusammenhängen, niuäs man wissen «) dass im Sans-
lirit ein grosser Theil der Wörter, welche die Familienglitder bezeich-
nen, auf tri oder ri endigen; diese angegebnen Endungen aber nicht
den Nominativ, sondern eine absolute Form des Substantivs bezeich-
nen, aus welcher erst der Nominativ, so wie die übrigen Casus gebil-
det werden. Da man im Lateinischen und Griechischen solche absolute
Formen nicht hat, so inuss m.an nicht sowohl diese, als die Nominative
mit einander vergleichen, ß} Der sanskritisolie Nominativ mätä ist ent-
etanden mit Wegfall eines r am Ende u. lautet eigentlich mutar. y) Die
absolute Endung tri wird im Sanskrit auch in einer andern Flexion an-
gewendet, die dem Griechischen und Lateinischen genau entspricht.
Man bildet nämlich von allen Verben, durch Anhängung der Silbe tri
oder mit Eiuschiebung eines Bindevolials itri , W^ürter, welche theila
als nomina gebraucht werden, um eine Thätiglteit zu Iiezeichnen, theils
als participia, um mit asmi, asi, d. i. sura, es, verbuni'!(;n, das Futurum
auszudrücken: Von der Wurzel du, geben, ilatri, Geber, nomin. data
(eigentlich datar'), der Geber, dntasmi, ich werde geben, i, gehen,
aetri Geher, jitdsch verbinden, joktri der Verbinder — -. Dieselbe An-
hängesilbe finden wir im Griechischen , freilich gleich in der Nomina-
tivforra, öoti]^, 0vvtJq, ccottiq, 'QcoatiJQ, oder auch Formen in con , vi-
xäzooQy (liXfzag, qtjtcoq. — Im Lateinischen findet sich dieselbe Flexion,
oft, wie im Sanskrit, mit vorgesetztem /, doch unter verschiedenen
Nominativsgestalten: selten ter , vielleicht rasier von rädere, cuUer von
colere; gewöhnlich tor oder itor , domitor, victor, scriptor, und turiis,
oder ittirus, a, um, mit dem Sanskrit übereinstimmend, als Participiura
futuri activi, domiturus, victurus, scripturus sum. — Wir finden dem-
nach diese Sanskritendung dem griechischen tjq und coq , dem lateini-
schen er, or und urus entsprechend.
b) bhrairi, Bruder, frater. Dasselbe Wort in gjoar^p und cpQccrcoQ,
Stammsgenosse, u. (pgccrga, cpgcngi], Volksstamm. Durch das den Grie-
chen eigenthümliche dd^Xcpög, der leibliche Bruder, wurde cpoccr^Q aus
seiner ursprünglichen Bedeutung verdrängt; man nahm es umfassender
für den Verwandten überhaupt und, als die Verwandtschaft wuchs, für
äen Stammsgenossen; w'w sich auch bei uns die Genossen einer Sipp-
schaft Bruder , die Ilaloren und Postillone ihre Genossen ScJiiL'C!p;cr zu
nennen pflegen, und im Dorisclien die Stammsgcnossenschalt ttÜtqcc ge-
nannt wurde. Doch finden sich auch im Griechischen Spuren , dasä
cpQUTi^Q den Bruder bedeutet. Buttmann Mytholog. II p. 328.
r zu unterscheiden, ist es in Ermangelung von Sanskritlypen im Texte
überall mit einem Funkte versehen.
Jupiter. 337
c) suasrlf Schwester. Im Giiechlschcn ist dicss Wort durch aStXqiiq
verdrängt; lateinisch soror statt sosor. Wo näiulich im Sanskrit sua^
ilndcn wir im Lateinischen zuweilen so; Sanskritwurzel siiap schlafen
sop (ire). sanskr. suan schallen son (are) ; das s in der Mitte hat sich in
r verwandelt, wie man larcs^ Papirius, ero statt lases, Papisius, eso
sagte; die Xominativsendung or ist 4 er, y erklärt. Uehrigens scheint
auch hier die ursprüngliche Form tri gelautet zu hahen , wenigstens
zeigt sich das t im germanischen Sprachstarame. Goth. svistar. angel-
sächs. awustor. fränk. svesier. preuss. schostro.
d) sanscr. duhitri Tochter, nom. Qvyutrio. h wurde nämlich ira
Sansltrit stärker ausgesprochen als das lateinische h oder der griech.
Spiritus asper. Daher macht es im Sanskrit mit einem andern Conso-
nanten Position u. wird in den verwandten Sprachen gewöhnlich durch
einen stärkern Gaumiaut vertreten : sanscr. nom. mahän, gross, iityag,
magnus. sanscr. Äa«, tödten, ^aivco (^not. i-Hctv-ov^ , hh, lecken, llng
(ere), Ui'x^^iv), mih, harnen, mjng- (ere). Im Lateinischen wurde ea
durch filia verdrängt.
e) daewri Schwager, Säi'jQ, levir. Das v fehlt ira Griechischen j
denn wo im Sanskrit und Latein zwischen zwei Vokalen ein v steht,
wird dasselbe im Griechischen ausgelassen, sanscr. navas, a, am, neii ;
novlis, a, um; vfog, a, ov. sanscr. navam, neun', novem, sv-vsa. sanscr.
avis, das Schaaf, ovis, oig. sanscr. nom. naus , gen. navas, das Schiff,
lat. navis, navis, gr, vavg gen. väög. Im lateinischen Icvir hat sich das
V erhalten , d aber ist in l übergegangen , Avic dingua lingua, dacrima
lacrima, Capitodium Capltoliiim , 'Oövaoivg Ulixes, odor oöcodivai olor.
Die ursprüngliche Form mag Zeiger gewesen seyn ; diess ging vielleicht
nach der Analogie des anklingenden vir in levir über.
f) sanscr. vri Mann, ccvi^q. a ist im Griechischen vorgesetzt. Denn
wir wissen aus der Vergleichung griechischer Wörter mit den verwand-
ten Sprachen , dass im Griechischen oft Vokale vor Wörter, die mit
Consonanten anfangen, gesetzt werden, ohne dass die Bedeutung mo-
dificirt würde oder ein durchgreifender euphonischer Grund angeführt
werden könnte: ßavQog, afioivQog; iiiV^ca, oxtlXco ; <)t;oo,ua;, oövQOfiai;
ßlrjXQog, cißXrjXQvg. Die Vergleichung mit den verwandten Sprachen
zeigt, dass die kürzern Formen oft die ursprünglichen sind. cf. sanscr.
nom. bhrns , die Braue, Augenbraue, 6(pQvg^ sanscr. danschträ (von
dans beissen), lat. dcns, Zahn, oöovg, döovroj, aeol. föovs Eben so
ist an das ursprüngliche vtjq ein a vorgesetzt, wie aus dem deutschen
und persischen jVarr erhellt. — Im Latein, ist dicss Wort durch vir
verdrängt, Mas mit dem sanskritischen u/r, der Held, der edle brave
Mann, zusammenhängt, auch im Latein vorzugsweise in gutem Sinne
gebraucht.
g) sanscr. nüplri Enkel, ncpos, nepotis. Diese abweichende lateini-
sche Endung entstand, indem r ausfiel und das Zeichen des Nominativs
das t verdrängte, das in den übrigen Casus wieder hervortritt. Aehn-
Jakrb.f. Pliil.u. Pädag. Jahrg. V Heft 3. 22
338 Abhandlung.
licli ist zu erlilären sacerJos, dessen zweiter Theil das nomen agens
dutor von dare ausdrückt.
h) stiasuras *) noiii. Schwager, skvqos, socer. Im lateinischen socer
ist Sita in so übergegangen, vergl. c; statt des zAveiten s' aber steht im
Griechischen k, im Lateinischen c. Wo nämlich im Sanskrit ein pala-
tales s steht, ist im Griechischen sehr häufig x, im Latein, c oder g,
im Deutschen s, vergl. dasa, d'jKor, dccem , zehn, cf. Schlegel Ind.
Bibl. I p. 322. Der Anfang des Wortes kyivQog erscheint freilich ab-
weichender. Das Wort hiess eigentlich cqotxi^^og, das ö verlor sich
und von qp blieb blos eine starke Aspiration übrig. Dieselben Conso-
nanten finden wir abgeworfen in dem Pronomen rellexivum ov, ol, ?,
das ursprünglich acpov, Gcpol, cqpa (öqDt hat sich auch ei'haltcn und wird
fälschlich für einen abgekürzten Akkusativ Plur. ausgegeben) lautete.
Vergl. Abhandlungen der Berl. Ak. bist. phil. Classe 1824 p. 5. Da-
her kam es auch, dass diese Formen o^, ol, t beim Homer mit dem
scharfen Hauche, dem digamma aeolicuiu ausgesprochen wurden und
selbst in der spätem attischen Prosa alle Eigenschaften eines mit einem
Consonanten anfangenden Wortes hatten. Denn man sagte ov ol, nicht
ovx o'i , und das v icpsluvOTDiov konnte wegbleiben, cf. Buttm. ausf.
gr. Sprachl. § 72 Anm. b. Dass aber unser skvqos auf dieselbe Weise
entstanden, erkennt man an dem digamma aeolicum, Avelches diese
Wort ebenfalls bei Homer hat. II. y, 172:
didotög TS [toi iaat, cpiXs tHVQS, Ssnög ts.
Eben so ist ein s zu Anfang des Wortes weggelassen in (vergl. auch
Nr. 9 a und b)
i) snuschä f die Schwiegertochter, wog, nurus, die Schnur.
k) putis nomin. der Herr, Gemahl, itoGig ursprünglich nörig, davon
jiorvia und Ttozva die Herrin, Gebieterin, wie im Sanskrit patni die
Herrin. Buttmann ausf. gr. Gramm. § 04 Anm. 2 hat schon damit jyo-
tis, potens verglichen.
§ 5. Sehen wir an diesen Beispielen , wie die einfachsten Farai-
lienwörter der Griechen u. Lateiner mit dem Sanskrit übereinstimmen,
und das Sanskrit gerade oft die ältesten, ursprünglichsten Formen ent-
hält, so wei'den meine Leser um so eher darauf eingehen, wenn ich
auch unsere Form piter in genaue Verbindung mit dem Sanskrit setze.
Im Sanskrit heisst der Vater pitri, nomin. jn'tä (eigentlich p/<ar),
accus, piiaram etc. Dasselbe Wort mit i in der ersten Silbe findet sich
in zunächst damit verwandten Sprachen desPali, Lawi, Multani und
im Bengalischen. In den vom Sanskrit westlich gelegenen Sprachen
findet sich durchgängig a od. e. Zend. fedrio. Persisch peder. Griech.
nccf^Q. Lat. pater, und in den germanischen Sprachen mit / oder v an-
fangend : Angelsächs. faeder. Alemannisch faier. Althochdeutsch futur.
Neuhochdeutsch Vater.
*) Man hat im Sanskrit ein, doppeltes s, das palatale und das dentale;
d.i« palatale ist im Tevte s'. das andere ohne Ai)zeichen gedruckt.
Jupiter. Si*i';i
Entweder waren also in den Ursitzen dieser V»"ilker zwei Formen
mit z und a vorhanden, die gicli einzeln bei den verschiedenen Stäm-
men erhielten , während die Lateiner heide Formen brauchten; oder
die urüprünglichc Form hatte i und erhielt sich unverändert im Sans-
krit, jenes ursprüngliche i aber ging bei den westlichen Völkern in a
über nach Analogie der übrigen Vcrwandtscliaftswörter, die mit a an-
fangen, und nur die Lateiner bewahrten in der heiligen Sprache, avo
alte Formen am meisten sich erhalten, und in dem abgeleiteten vilri-
cus , eine Art von Täter, Stiefvater (/) ist wie in den germanischen Spra-
chen in V übergegangen) noch Reste der ursprünglichen Form.
§ ß. Auch die Erläuterung des ersten Theiles des Wortes Jupiter
bringen wir mit dem Sanskrit in A crbindung und machen vorerst auf
folgende Ziisammenstellnng aufmerksam:
Im Sanskrit bedeuten folgende Worte a) den Tag: dltnas , raasc.,
dtnum, neutr. , diwas , masc. und ucutr. , dju, iieutr. Adverbia sind:
duvä und djus (cf. Schlegel Ind. Uibl. I p. 3()o) am Tage , adja an die-
sem Tage (das vorgesetzte a ist Pronomen , wie in hoäic , ö^ftSQov,
heute. Bopp. gramra. § fi85.)
b) Den Himmel und die Luft: obiges dju, neutr, diw, f. (nomin.
djaus), diivam, neutr. Dieselbe Bedeutung findet sich in vielen Ablei-
tungen und Zusammensetzungen , z. B. diwjas, a, am, himmlisch.
c) Gott dcwas, masc, dewatas., raasc. der Gott, dcwatä, fem. die
Göttin, dctvaticum , neutr. die Göttlichkeit.
Anm. 1. Es leuchtet ein, dass alle diese Wörter von einer Wur-
zel herkommen. Die indischen Grammatiker, die bei ihren Etymolo-
gien mehr auf die grammatische F«»rm als auf den Zusammenhang der
Bedeutungen sehen , leiten diw f. Himmel von der Wurzel diw spielen
ab. Doch ist diese Ableitung unstatthaft, weil zwischen den Bedeutun-
gen dieser Wörter kein Zusammenhang statt findet. Es kommen viel-
mehr alle a, b, o angegebnen Wörter von einer Wurzel her, die sich
im Sanskrit zwar als Verbura verloren, aber in Ableitungen erhalten
hat; nämlich in djutis, f. das Licht, der Glanz, welches Wort vermit-
telst des Suffixes tis, das in Form und Bedeutung dem griechischen Ver-
balsuffix Gtc, Tfiiiaic;, nga^tg, und dem lateinischen tio, sectio, actio, ent-
spricht, von einer Wurzel dju = diw leuchten, glänzen herkommen muss.
Zwar leiten die indischen Grammatiker jenes djutis Licht, Glanz vermit-
telst eines Suffix, is, von djut ab, was ebenfalls leuchten, glänzen be-
deutet, allein dann müsste diess Wort djötis lauten, wie man von buth
•wissen, 6o(/u's die Wissenschaft, bildet, cf. Bopp. gramm. p. 292. Mit
diesem dju = diw sind die Wurzeln djut und dschjtif, beides leuchten,
glänzen, verwandt.
Anm. 2. Dieser Begriff dju = diw leuchten, glänzen erklärt leicht
den Zusammenhang der obigen Bedeutungen. Denn der in sinnlicher
Anschauung befangene Mensch identificirt den Tag oder das Tageslicht
und den am Tage erscheinenden oder auch den Tag gleichsam erschaf-
fenden Himmel sammt der Luft, und bezeichnet sie von der Seite , von
welcher sie seinen Sinnen sich darstellen, von ihrem Glänze. Diesen
22*
340 Abhandlung.
Begriff, den Himmel sammt seinen wunderbaren Wcchselerschelnun-
gen , fasste man als ein tliätiges , höheres Wesen oder Avenijj;stens als
den Sitz der höhern Geister auf, daher dann deivas die Gottheit.
Anm. 3. Um den Zusammenhang der Wörter sub c mit jjenen snb
a und b zu übersehen, miiss man Tiissen, dass , wenn im Sanskrit zur
Bildung eines Noraens a, oder mit dem Nominativzeichen, as, an eine
Wurzel angefügt wird, ein kurzer Vokal der Wurzel sich verlängert
und zwar i im Sanskrit regelmässig in e, so dass aus diiv nach Anfü-
gung des as obiges dcwas entsteht.
Anm. 4. Wir haben oben dju = diw aufgestellt; warum diese For-
men gleich stehen und wie jene obigen Formen sub a, b, c genau zu-
sammenhängen , ersieht man noch besser , wenn man weiss , dass im
Sanskrit, wenn auf i oder u ein Vokal folgt, i entweder in j oder in ij,
und u entweder in w oder in uw übergeht. Diese Verwandelung der
Vokale i und u fand auch im Lateinischen Statt, wenn auch die Regel
nicht so streng, wie im Sanskr. beobachtet wurde ; was wir hier gleich
weiter erläutern und beweisen wollen, weil wir unten wiederhohlt dar-
auf zurückkommen.
a) u ging bei den Lateinern vor einem Vokal über in r; In tenuia,
Virg. Georg. I, 347: Tenuia nee lanae per coeliim vellera ferri; in
solvo entstanden aus se und luo (cf. dissolulsse, solutus, silva und silua):
oder u wird aufgelöst in uv : von pluit yluvia, impluvium. \on fluere
ßuvius, fluvidus. von luo pellüvlum, diluvium, mulluvlum. von exuo cxuviue.
Und zwar Ist diess aus u entstandene uv allemahl kurz, ausgenommen
in fluvidus.
P) * geht über in j in artete, fludorum^ ahiete. Virg. Aen. II, 492:
lahat äriete crebro Janua. Georg. 1,582: Flüviorum rex Eridanus cantpos-
que per omnes. Aen. 11,16: sectaque intexunt äbiete costas. So sind Jnijus,
ejus, cujus aus dem ius entsanden, was den übrigen Adjectivpronoraen
angefügt wird , pejor, major aus dem ior des Comparativs. — Eine Zer-
dehnung des t in ij kenne ich Im Lateinischen nicht.
§ 7. Da In den verwandten Sprachen vorzüglich diejenigen Wör-
ter übereinstimmen , welche Begriffe bezeichnen , die den ersten Men-
schen schon eigen seyn müssen , wie Himmel und Krde , Wasser und
Land, Tag und Nacht, Mensch und Thier, so kann es nicht befrem-
den, dass wir die Wurzel diw = dju mit ihren Ableitungen (cf. 6, a. b. c.)
auch in den verwandten Sprachen wiederfinden, die wir hier zu ver-
gleichen beabsichtigen , Im Griechischen und Lateinischen. Das Grie-
chische hat indess, wie in vielen andern Fällen, die alten Formen M'e-
niger treu aufbewahrt, als das Lateinische:
a) Durch das Wort T^fcsga verlor sich unser Stamm diw = dju In der
Bedeutung Tag', nur Macrobius Saturn. I, 15 erwähnt: Cretenscs Jia
TTjv rifiiQav vocant, und svöiog mittäglich, z6 IvSiov cibus interdianus,
auch die Mittagsruhe, zeigen diese Bedeutung.
b) Durch das Wort ovtyuvoq verlor es sich in der Bedeutung Himmel
und erhielt sich nur in tvdios, himmlisch, unter freiem Ilhnmcl, und
Jupiter. Sit
in Zsvg vsi und einigen ähnlichen Redensarten, obwohl diese schon
mit c in genauer Verbindung stehen.
c) In desto verschiedneren Formen erscheint unsre Wurzel in der
Bedeutung Gott. Siög. 0s<x. Onog, a, ov. Siog, a, ov. aiog (cf. Et.
M. 714 1. 32: ccno rcöv eidöv rovzfoxi rmv f)f(ov). Glog =: &t6g. KQrjrss
cf. Hcsych. 9. V. und s. v. cIoq ibiqiio intcrpretes; Zsvg, accus. Zsvv^
Aesclirio apud Athen. VIII p. ö35, D. cf. interpr. ad Ilesjch. s. v. Voca-
tivus. Zsv. Genit. ^log, dat. ^iT, accus, z/m. Ren. Zrjvog dorisch Zavög
etc. Zag, ZciVTog arjfiaivBi dh rov dia Anecd. Bckk. p. 1181. Zäv schol.
ad Ilom. II. 8,\. cavl-nixig apud Hesych. Oeocpili^g.- 2^svg aeolisch,
Gregor. Corinth. ed. Schaef. p. 061. ^evg apud Hesych. s. v. ^sog =
01:6g apud Hesych. s. v. zlivvvcog = /liowaog Etyiu, M. p.250 1. 28').
Der Zusammenhang der Formen sub c und ihre Ableitung von der
Wurzel diw oder diu ist leicht zu übersehen.
§ 8. Das Latein stmirat in Form u. Bedeutung ganz mit dem Sansk.
übercin. Denn in jubar der Strahlenglanz (cf. 10) "), und in dives der
Glänzende, Strahlende, d. i. der Reiche, hat sich nicht blos die ur-
sprüngliche Bedeutung der Wurzel diiD = dju leuchten, glänzen (s. 6 An-
merk. 1) erhalten ; wir finden auch alle 6 a, b, c angeg. Bedeutungen.
a) Tag, dies, m. f. dius erhalten in nudiiis tcrtius d. i. 7JMnc diics tcr-
tius. dina erhalten in nundinae , statt novcndinae. adjcct. dius, cf. dium
fulgur Festus s. v. adverb. diii, interdiu, dius, intevdius. adj. diurnus.
diarium das Tägliche, Tagesarbeit, dianus in quotidiamis , meridiuniis,
interdiantts. dialis consul, Consul einen Tag lang, und in novcndialis, me-
ridialis. Weggefallen ist das i in h'iduum, tvidtmm. (Durch viele Re-
densarten , in denen der Begriff des Tags mit dem der Zeit zusammen-
fällt , wie : damnosa quid non imminnit dies, viultus dies, dies mutat.
gewöhnte man sich den Begriff der Zeit mit jenem Worte zu verbinden^
') Etj'm. M. I. I.: ^svvvaog 6 ^lovvaog. 'AvaKQtcov TloXXci 8' igt-
ßgofiov zJfvvvcov — Tov rQanhvrog f/g £ yivirai Jsövvcog ( ovTca yuQ
2Jäfiioi TTQocpfQovai) ■nai cwaigiaei ^ivvvaog , cog &s6doTog ©tvdovog.
svioi ÖS (nach dem cod. Fariss. 2(»(>7 , cf. Bast, ad Gregor. Cor. p. 882.)
avzov dtvvvGov ovofxä^sG&ai cpaaiv , snnidi^ ißaailsvas Nvoiqg. yiaxa
y aQ TTjv T (OV Iv ddiv cp cavrjv dfiTfos o ß ce a iXsv g. Nicht ösvvog,
sonst müsste ja der Name ^svvdvvaog lauten , sondern Ssvog musste das
indische Wort lauten, und lautet wirklich so; denn es ist das fi, c erwähnte
Sanskritwort dewas göttlich, welches den indischen Königen als Ehrentitel
beigelegt Avird , wie das lateinische diviis den römischen Kaisern. Ueber
die Bedeutung des ganzen Wortes ^löwGog cf. Bast. 1. 1. und Interpr. ad
Etyra. M. I. 1.
*') jubar der Strahlenglanz , der Morgenstern wird von den Alten von
juha, die Mähne, abgeleitet: steUa quae in summo habet diffusum himen,
ut leo in capite jnbam. Es kommt aber offenbar vom Stamme dju leuch-
ten, glänzen , und heisst eigentlich nach Anfügung der Endung ar (cf. 6
Anm. 3, «) djuvar. v ging häufig in 6 über, wie jeder aus Inschriften
weiss; so in diesem Worte, so in dubiiis, entstanden aus duo , eigentlich
duvius. Vcrgl. auch im Texte bonus, bellus u.s. w. statt duonus, duellus.
342 Abhandlung.
in diu, diumus, diutinus, diuturnus, dluturnitas, und mit Wegfall des i
in d M dum.)
b) Himmel, dtum, sub dto, sub dtum rapere und sub divum , sub
divo , dialis Iiiraniliecli.
c) Gott, divus, diva. dius, a, um. divlnus, divinitas, divine, divinitus.
deus, dea. noni. plur. dl, dativ, dis. dialts, dius.
§ 9. Alle die Wörter, die wir unter § 0, 7 u. 8 angegeben, kom-
men von der von uns 0, Anm. 1 aufgestellten Wurzel diw = dju (die
als Verbahvurzel glänzen, leuchten, als SubstantivAVurzel Glanz, Licht
bedeutet) ber. Von derselben Wurzel ist der Name Jupiter abzuleiten,
welcher eigentlich Djupiter lauten sollte.
a) An die Wurzel diu ist nämlich iiiter angehangen und wir erhal-
ten den Begriff Licht-, Tag-, Himmels-, Gottvater. Dass das d in diesem
vielgebrauchten Worte weggefallen, kann um so weniger auffallen, da
d vor j sich nicht leicht aussprechen lässt. Dasselbe d fiel vor i aus
in Diana , wofür bei Varro de re rustica I, 37 Jana steht und in jubar,
was eigentlich djubar lauten müsste. Wie hier, Avenn i vor einem Ao-
kal in j übergangen , d Avegfiel, so fiel d auch weg, wenn u vor einem
Vokal in v oder b übergegangen , cf. 6 Anm. 3, a. Aus duonus, duellus
entstand bonus, bellus , aus ducllum, Duilius, duilis, duis : bellum, Bilius,
bilis, bis.
b) Dass ebenso in dem Worte Jupiter ein d zu Anfang weggefallen,
eieht man unbezweifelt daraus, dass sich diess d in den andern Formen,
die zu diesem Worte gehören, wirklich findet. Aus dem Stamme dju
nämlich bildete man auch einen Nominativ durch Anfügung der Nomi-
nativsendung is. Indem nun, nach der oben 6 Anm. 3, a angeführten
Regel, das radikale u in uv überging, entstand Nominativ Djnvis, Ge-
nitiv Dj vis, Dativ Dju vi oder weil man in alter Zeit, wie die Inschrif-
ten ausweisen, statt t gewöhnlich o schrieb, Djovis, Djovis, Djovi,
Djovem, Djove, welcher Olaut im Namen des heiligsten Gottes sich
leicht unverändert erhielt. Doch findet sich auch u auf den Eugubi-
nischen Tafeln, Juvepatre Tab. VII, 5; VIII, 7, 17, 22, 2ß. Auch hier
fiel zwar das d zu Anfang meist weg, eben so wie bei Jupiter (cf. a) ;
allein, dass es zur ältesten Form gehörte, bestätigt Varro de ling. lat.
V, 20 ed. Spengel: — magis ostendit antiquius Jovis nomen: nam
olim Djovis et Dispiter dictus, idem dies pater. Ebendas. 25: — quum
Dialis a Jove sit; Diovis enim. Dieselbe Form auf folgender alten
Inschrift: f'cdiovei patrei gentciles Juliei. vergl. Gazzetta di Milano 12,
Giugno 1826, abgedr. Inscript. Orell. tom. 1 n. 1287. Dasselbe wird
bestätigt durch Gellins V, 12: In antiquis spectionibus nomina haec Deo-
rum inesse animadvertimus , Dijovis et Vedijovis *).
*) Dijovis und Vcdijovls steht in der 'Gronovschen Ausgabe; doch ist
ohne Zweifel Diovis und Fediovis zu schreiben. Die Formen , Dijovis und
T'edijovis, sind entstanden durch unverständiges Zusammenschmelzen von
Dies und Jupiter und können nur von Abschreibern , nicht von Gellius her-
rülircn, der bei der Untersuchung über diese Wörter gewiss die besten
Jupiter. 34S
c) Von demselben Staniiue diu konnte man den Nominativ dui-cli An-
i'iigunj^ des bIo8un s bilden, und so entstand Diits und T edius ^ welche
l'oriuen man nach der zweiten Deklination flektirte. So Vcdius, i, bei
Martian. Ca[)eUa. Jenes Dius hat sich crlialten in der Redensart Mc
dhs ßdius bei lietheuerungen. Zwar erklärt diess Aelius bei Varro de
1. lit. Y, 20 mit me djovis ßlius und andere nach ihm stellten es mit mc-
Ilvnulcs zusammen. Allein da der Genitiv Dius statt Jovis und das
Wort ßdius statt ßlius sich sonst nirgends findet, so ist man berechtigt,
jenes dius für den INoniin. zu halten: „mich soll der Gott der Treue."
i"«/««« ist genauere Bestimmung , nachgesetzt wie: FAicius , Stator etc.
Diess wird dadurch bestätigt, dasa man auch pur Dium ßdium sagte,
Plaut. Asin. I, 1, 8 :
Per dium fidium quaeris jurato mihi.
§ y. Die Erklärung von Jupiter durch Djupilcr wird dadurch be-
stätigt , dass man denselben Gott Diespiter oder auch Dispiler nannte,
was ganz gleichbedeutend mit Jwj>/ter ist. Man könnte zweifelhaft seyn,
ob man Diespiter für den Genitiv halten soll, wie dies allerdings als Ge-
nitiv vorkommt, cf. V irg. Georg. I, 208 : Libra dies somnique pares übt
feccrit horas. Gell. IX, 14 u. Macrobius Saturn. 1,15 hat es allerdings
so genommen: Jovem Romani Dicspitrem appellant ut diei patrem. Al-
lein zur Zeit des Macrobius konnte wohl Diespiter, als eine ausser Ge-
brauch gekommene Formel, für ein Wort gehalten und blos am Ende
ilektirt werden. Betrachten wir aber die Nebenform Dispiter, dcüglei-
chen Marspiter, Saturnuspater , so sehen wir, dass auch Dies Nominativ
und, wie caelus und ovQavög, zur 6'ottheit erhoben ist. Den Zusam-
menhang der Formen, Jupiter und Diespiter, ersieht man auch aus den
verschiedenen Bedeutungen des Wortes dialis. Der Priester des Jupi-
ter hiess flamen dialis; Cicero brauchte dasselbe Wort in der Bedeu-
tung einen Tag lang, Macrob. Saturn. VII, 3 : Tullius in coiisulem , qui
uno tantum die consulatum peregit, solent, inquit, esse flamines diales ;
modo consules diales habemus. Die::ien)e Bedeutung in novendialis und
incridialis , und in der Bedeutung himmlisch braucht Apul. Metam. VI
p. 179 ed. Wechel. : aquila alticulmiiiis diales vius deserit. — Man
sieht nun auch leicht ein, wie sub jove unter freien Himmel bedeuten
kann, und wie die Alten vom Jupiter folgende Definitionen geben konn-
ten: Cic. de nat. deor. II, G5: Hunc (^Jovem') Ennius nuncupat, ita dicensi
Adspicc hoc sublime candens, quem invocant omnes Jovem.
planiusque alio loco idem:
Cni, quod in me est, cxsccrabor hoc, quod lucet, quidquid est.
hunc etiam augures nostri , cum dicunt , Jove fulgentc , tonante : dicunt
Hülfsmlttel erforscht und wirklich die antiqnae spcctiones vor Augen hatte,
in welchen er nur die von »ms etymologisch und diplomatisch beglaubigten
Formen , Diovis und Fediovis , vor Augen haben konnte.
344 Abhandlung.
enim coelo fulgente , tonante. Virg. Georg-. II, 419: Et jam matiirls me-
tuendus Jupiter uvis. Enniiis bei Varro de I. lat. V, 19: Istic est is Jupi-
ter, quem dico^ quem Graeci vocant Aerem, qui ventus est et nubes , in-
ber postea, atque ex imbre frigus , ventus post fit , aer denuo.
§ 10. Was ist der Vedius oder T'ediovls? (fälschlich führt man
auch eine Form Vejiipiter an.) Die Silbe ve verneint nicht geradszti,
sondern bezeichnet einen unzureichenden Grad: vesanus, vccors, licht
recht gescheid, vegrandis nicht gross genug, vepallidus nicht die rechte
Art von Blässe. So drückt es mit der Wurzel diu einen unzureichen-
den Grad des Glanzes aus : Vedius nicht die rechte Art von Glanz, Him-
mel, Tag, der Gott des trüben Wetters, oder Jupiter in dieser Gestalt,
wie man den Jupiter humidus, hibernus, pluvius, malus nannte , Ilor.
od. 1,22,19: Quod latus mundi neiulae malusque Jupiter urget:
Stat. Theb. X, 3(58: Sic tibi nocturnum tonitru malus aethera frungit
Jupiter. Und wie man den Jupiter als obersten Gott zum Beherrscher
aller Theile der Welt gemacht hatte und er Olympicus, acquoreits, Sty-
gius, niger hiess, so konnte man iiin als Gott der Unterwelt am kürze-
sten Vedius nennen. Daher die JNotiz des Martian. Capeila a. c. c. 20
extr. : Vedius, id est Pluton, quem etiam Ditem T'ejovemque dixere.
§ 11. Nach der von uns aufgestellten Erklärung und Ableitung
lässt sich auch die Schreibung des Wortes Jupiter leicht bestimmen.
In den Inschriften findet sich Jupiter und Juppiter (cf. Jahrb. f. Philol.
u. Pädag. 1827 Bd. I lieft 4 S. 95.), so dass unserra Urtheil die Ent-
scheidung anheim gestellt ist. Wir sahen, der Stamm djü wuchs bei
Hinzufügung eines Vokals in djuv oder djov. s. 6 Anra. 4, k und 9, b;
wo kein A'okal folgt, findet keine Zerdehnung des ü in uv statt und
die ursprüngliche Länge des u bleibt unverändert und Jupiter ist daher
etymologisch das einzig Richtige; eben so juglans, Varro 1. lat. IV, 21:
haec glans optima et maxima a Jove et glande juglans est appellata.
Diesen Wechsel Aesjü und juo sehen wir auch in der Wurzel jü. In-
dem an diese Wurzel Jü die Verbalendung are angehangen wurde, ent-
stand ji/rare, bei Anfügung von cujidus blieb jü imverändert: jücundus;
denn cMHfZws ist angefügt wie bei /«cwnrfi/s, iracundus, verecundus. Die
Schreibart Juppiter entstand , indem man Jupiter bald aus juvans patcr,
bald aus Jovis pater entstanden u.juv vor p inj«;) übergegangen dachte.
Da wir diese verkehrte Erklärung von Jupiter schon in der ältesten Zeit
finden (s. oben 2.), so ist es wohl möglich, dass schon bei den Rö-
mern die falsche Schreibung Juppiter mehr und mehr gewöhnlich Avur-
de. — Von einer ursprünglichen Kürze Jupiter, welche man wegen
des Genitivs , Jcivis, annahm, und von einer willkührlichen Verlänge-
rung des Ju durch die Dichter, kann nicht die Rede seyn, da Avir oben
6 Anna, 4, a die Kürze in Jövis erklärt haben.
§12. Wenn wir demnacli behaupten, dass Jupiter der Tages-,
Himmels-, Sonnengott sey, so stimmt diess ganz mit dem übrigen Göt-
terglauben der Römer und der alten Völker zusammen. Denn die Spu-
ren der waltenden Gottheit , die sich in der ganzen Natur offenbaren,
vermochte der Mensch nicht sofort unter einem Begriffe znsammenzu-
Janus, Dluna, Juno. 845
fassen; Tielraehr glaubte er zu jeder Erscheinung' der Natur ein beson-
deres "VVesen annehmen zu niüsscn, das jene Erscheinung liervorhringe.
So sahen wir bereits (§ () Anm. 2), kamen die Menschen darauf, den
Tag, den Himmel, die Sonne, als eine Gottheit zu verehren und sehr
natürlich als die oberste höchste Gottlieit, weil diese Naturkraft die ge-
waltigste uuter allen zu seyn schien. War aber auch Jupiter ursprüng-
lich zugleich Sonnengott, was auch der Beiname Lucetius (nach Serv.
Aen. IX, 570 in der lingua Osca in Gebrauch) anzeigt und Macrob. Sa-
turn. 1, 23 weitläufig beweist, so verehrte man doch bald in ihm nur
den obersten und mächtigsten Gott, den Schöpfer und Erhalter Him-
mels und der Erde, den IJeschützer der einzelnen Menschen, wie der
ganzen Staaten, den Führer und Berather des ganzen Menschenge-
schlechts. Denn bei fortgesetzter Beobachtung der Natur musstcn die
Menschen wahrnehmen, dass alle Naturkräfte durcli einander bedingt
sind, auf einen Zweck hinwirken und eine der andern untergeordnet ist.
Sie wurden auf den Begriff eines Wesens geleitet, das alle andere mäch-
tig und gew altig beherrsche. Sofort einen vovg des Anaxagoras , eine
Weltseele aufzustellen, würde ein Sprung in der menschlichen Entwi-
ckelung gcMesen seyn. Es war naturgemäss , einer der sclion ange-
nommenen Gottheiten die Herrschaft über die andern einr^mäumen,
und zwar derjenigen Naturkraft, welche die gewaltigste zu seyn schien.
So ward Jupiter Vater der Götter und Menschen , Schöpfer und f]rlial-
ter des Weltalls und sein AVesen in eben dem Grade vergeistigt als die
Menschen an geistiger Bildung zunahmen; der ursprüngliche Begriff
der Naturerscheinung trat zurück, wenn sich auch in Sprache und Denk-
art die deutlichsten Spuren davon erhielten.
§ 13. Es mag hier vergönnt seyn, eine Untersuchung über die
Namen Janus, Juno und Diana anzufügen , weil diese Wörter von der-
selben Wurzel herzuleiten sind, die wir zur Erklärung des Wortea
Jupiter aufgefunden haben und weil dieselben gegenseitig Licht über
einander verbreiten. Wir haben dieses zuerst etymologisch zu er-
weisen.
a) Es ist oben § 9 a gezeigt, wie die Wörter, w^elche vom Stam-
me rftu, leucfiten, glänzen, herkommen, bald, wenn i inj übergegangen,
das d zu Anfange wegwerfen , bald das i bald das u auslassen. Das u
vom Stamme diu pflegt besonders da wegzufallen, wo Suffixe hinzutre-
ten, die ebenfalls mit lokalen anfangen. Ein solches Suffixum ist
onus. Es findet sich dieses in vielen andern Worten, z, B. humanus,
Tomanus, Marianus, Sullanus , vorzüglich ist es in Götternamen ge-
bräuchlich, Siloanus (von silva') der Gott des Waldes , Volcanus der
Gott des Feuers (von t;oZ/f« Feuer , was im Latin verloren gegangen
ist, sich aber im sanskritischen w?/ca , i. das Feuer, erhalten hat. Das
Sanskrit, ulka verhält sich zum lat. volca , volcanus wie das sanskrit.
vlva, Uterus, zum lat. volva s. vulva. vgl. Schlegel, Ind. Bibl, Bd. I p.
320). So wird von mcdius medianus gebildet. AVie man nun von diu
bei der Anfügung von alis bildete dialis und u ganz ausliess , so ent-
stand, indem man anua anfügte, dianus, was eich in inlcrdianus, quoii-
S46 Abhandlung.
dianus, meridianus erhalten hat. Dasselbe ist erhalten in Diana, (nach
iler urspriinglirliea Bedeutung' von r/i«, leuchten, glänzen'), die Leuch-
tendc, Giüiizeude, wolüi- mit Wegfall des i und Erhaltung des u, wie
hei biduum , dudtim (siehe § 8, a}, auch Duana gesagt wurde. Isidor.
VII, 11. Indem man ferner i wie j sprach, entstand mit Wegfall des d
(vrgl. 9, a) Jana, was Varro de re rustica I, 37 für luna braucht, als
den hei den Landleuten gewöhnlichen Ausdruck. Es ist demnach kei-
nem Zweifel unterworfen , dass auch das Maskulinum Janus für Dja-
tius steht und der Leuchtende, Glänzende, dasselbe, was Djovis oder
Jupiter bedeutet.
b) Statt des Suffixes anus, brauchte man auch nus, indem man a
ausliess , ungefähr, wie man statt Lucina (von i«c(ere) herkommend)
mit Weglassung des i Lucna oder Lusna (vrgl. Lanzi Saggio di lingua
Etrusca I p.161), endlich Luna sagte. Diess nus an unser Stammwort
diu angehangen, erhielt nun djunus oder junus (nach § 9, a leuchtend,
glänzend), aus welchem Worte Juno gebildet ist. Man hat zwar mit
dem Worte Juno das griechische Zavco zusammengestellt, allein abge-
sehen davon, dass ich für Zavco keinen Beleg weiss, halte ich es für
nöthig, jedes lateinische Wort zunächst, wenn es möglich ist, aus der
latein. Sprache zu erklären. Gerade das Wort Juno ist einer ganzen
Classe lateinischer Wörter analog gebildet. Denn die Lateiner bilden
oft von Adjectiven oder Substantiven neue nomina appellativa oder
propria, die eine Verstärkung des Begriffs enthalten, durch Anfügung
der Endung an, deren Nominativ o lautet: catus, schlau, Cato, Schlau-
kopf; nasus , die Nase, Nasoj cicer, die Erbse, Cicero ^ verber , die
Geissei, verbcro, der die Geissei verdient oder oft empfangen hat; ne-
bulae , tencbrae, Düsterheit, Finsterniss, nebulo , tenebrio , Finsterling,
Betrüger; epulae , Schmaus, epulo, ein Schmauser. So \'on jumis,
leuchtend, Juno, der Leuchter oder als Femininum die Glänzende, die
Leuchtcrin.
§ 14. Etymologisch wäre somit bewiesen, dass Jupiter, Diespiler,
Djovis und Janus, sowie anderseits Diana, Jana, Duana und Juno nur
-verscliiedene Namen derselben Gottheiten sind ; es ist noch übrig, kurz
nachzuweisen, dass auch nach dem altitalischen Glauben jene Na-
men den Sonnengott, diese die Mondgöttin bezeichneten.
Es darf uns dabei nicht irre machen, dass die Kömer in späte-
rer Zeit geAvöhnlich diese Gottheiten trennten, ja dass sie dieselben
oft neben einander in iliren Gebeten erwähnen. Denn die Zahl der
alten Götter wurde auf die verschiedenartigste Weise vermehrt und
der Olymp mit einer Menge von Gottheiten angefüllt, die sich ihren
Begriffen nach gar nicht scheiden lassen. Wenn, wie wir bei dem
Gotte Jupiter sahen , neue Jdeen mit einem Namen verknüpft wurden,
so schuf man neue Götter für die schon früher einmal unter die Götter
versetzte Naturerscheinung, oder nahm anderswoher Götter auf, die
jene Naturerscheinung bezeichnen sollten. Oft war es aucli gesche-
hen, dass man denselben Gott unter verschiedenen Namen in benach-
barten Tempeln verehrt hatte und wenn mau die Namen, die in dem
Janus, Diana, Juno. 3H
Mumie des Volks leicht verderLt und verdreht wurden, nicht melir ver-
stand , so etellte man sie sofort als besondere neben einander auf.
Unter allen Naturerscheinungen gab es liciue, Avelclie den Menschen so
mächtig ergreilen und ihm seine Abhängigkeit von einem mächtigern
Wesen so lebhaft fühlbar machen konnte , als die Sonne mit iliren er-
blindenden Stralilen, mit ilirem Einlluss auf Himmel und Erde, Tag
und Nacht, Sommer und Winter. Dazu dann der Mond mit seinem
magischen , freundlichen Lichte am blauen liimmelsgezelt , in seinen
verschiedenen Gestalten, mit seinem scheinbaren Einlhisse auf die
ganze Natur der Frauen. Der Dienst dieser beiden Gottheiten war
unter den mannigfaltigsten Gestalten und Namen über die ganze Erde
verbreitet, und es kann daher nicht befremden , auch bei dem Lateiner
mehrere Namen für diese mächtigen Gottheiten anzutreffen^
Der Sonnengott war Djovis, Diespitcr und Jupiter; zu Cicero'»
Zeit verstand man die Bedeutung dieser Namen so wenig als die Be-
deutung des Janus. Doch dadurch, dass man unter jenen Namen bald
nur den obersten Gott verstand, scheint bewirkt Morden zu seyn, dass
man bei dem Namen Janus die Idee des Sonnengottes länger festhielt.
Denn dass Janus ursprünglich ganz gleicli!>edeutend mit Djovis Mar,
eieht man daraus , dass nur diese beiden Götter regelmässig den Bei-
namen pater erhalten, während die andern männlichen Gottheiten nur
zuweilen so genannt werden (cf. Marini Atti p. 3ßß. Orell. Inscript.
tom. I Nr. 1583.); dass Janus nach Tuscischer Lehre den Himmel be-
deutet (Lyd. de mens, p. 57) , und dass er in den tiltcn Gedichten det"
Salier Deorum deus genannt Mird, Macrob. Saturn. I, {). Dass man
alierden Janus vorzüglich als Sonnengott verehrte, geht daraus her-
vor, dass auf seiner Statue geMÖhnllch die Zahl 305 angebracht war
(Macrob. a. a. O.), und dass schon Numa 2 Janusstatuen weihte, jede
mit der Zahl 355 versehen (die Tagesberechnung nach dem alten Jahre},
Plin. 34, 7. Wenn ferner Janus als bifrons oder quadrifrons mit Schlüs-
eel und Ruthe dargestellt, als Oeffner und Schliesser des Himmels
Patulcius und Clusius genannt und als Gott des Eing-anjrs und Ausffansfs
und so vielleicht auch als Gott der Durchgänge *) verehrt wird, so fin-
*) Buttmann Mythol. II p. 80 nimmt an , dass jamis der DurcTigang
und janua die Thüre von ire herzuleiten seien, und dass die Römer Megen
zufälliger Uebereinstimmung der Wörter den Gott Janus auch zum Gott
der Thüren gemacht hätten. Wäre eine solche Verbindung der Ideen auch
denkbar, so trage ich doch Bedenken, jene Ableitung Ja7iMS und janua von
ir , die von Cicero schon aufgestellt ist, für richtig zu halten, da im Latein
ein solches radikales i, wenn ein a folgt, immer in e ültergcht. Man ver-
gleiche die Flexion von ire und is, ea, id. Es scheint diese nothwendige
Umwandlung des i in e auch schon Cornificius gekannt zu haben, wie Ma-
crobius Saturn, a. a. O. berichtet: Cornificius etijmorum libro tertio, Ci-
cero, inquit , non Janum sed Eanum nominat ab eundo. Es ist
vielmehr walirscheinlirh, dms janus und janua die Thür auf dieselbe Weise
zu erklären ist, wie wir oben 13 a Janus erklärt haben und dass diese
Worte ebenfalls eigentlich der Erleuchter bedeuten. Denn nicht bloss die
848 Abhttndiung.
den sich in allen diesen Vorstellungen ille mannigfaltigsten Beziehun-
gen auf den Tages-, Himmels- oder Sonnengott. Als Sonnengott fasste
ihn auch IVigidins j s. Macrob. a. a. O. : pronuntiavit Nigidius ^poUinem
Jamim esse Dianamque Janam. Wie sehr man hei diesem Gotte alle
Eigenschaften des Jupiter auflasste , sieht man auch aus einem Aus-
spruch eines alten Augur ehendaselhst: Marcus Messala per annos quin-
quaginta et qitinquc augur de Jano ila incipit: Qui cimcta fingit eadem-
que regit, iiqtiae tcrraeque vim ac natitram gravem atque pronam in pro-
fundum dilabentem, ignis atque aqua e levem, immensum in sublime fugien-
tem, copidavit circumdato coelo : quae vis codi maxima duns vis dispures
coUigavit. Auch verliert sich der Dienst des Janus in ein hohes Alter-
thum, so dass man sich nicht wundern kann , Avenn später andere Göt-
ter ihn verdrängten. Denn gcAvöhnlich wurde er als ein sehr alter
Gott verehrt, der schon zur Zeit des Romulus seine Tempel hatte und
stets zu Anfang der Gebete seiner gedacht. Und andere, die in der
Götterlehre Reste alter Geschichten finden wollten, machten den Janua
zum ältesten König Latiums, der Ackerbau und mildere Sitten gelehrt,
ein goldenes Zeitalter bereitet und dem fabelhaften Saturnas einen Zu-
fluchtsort gewährt habe.
§. 15. Jene leuchtenden Körper, Sonne und Mond, stehen in so
klaren Verhältnissen zu einander, dass nichts näher lag, als sie entwe-
der als Geschwister oder als Gatten zu betrachten oder auch beides zu
vereinigen. So wurde J?mo die Leuchtende, die Mondgöttin, als Schwe-
ster und Gattin des Jupiter verehrt ; Diana steht freilich nicht als solche
da, wohl aber als Schwester des Sonnengottes Apollo. Hiebei ist zu
beachten, dass, als Jupiter zum obersten Gott erhoben M'ordcn war und
nicht mehr gerade als Sonnengott verehrt wurde, auch die Idee seiner
Gattin und Schwester Juno eine Umwandlung erleiden musste; auch
ilire Verehrung wurde von der Naturerscheinung des Mondes getrennt,
und die Gattin des Jupiter wurde Mitbeherrscherin des Himmels und
der Erde, oder ihr auch die an den Himmel angrenzende Luft als Herr-
scherkreis angewiesen. Die Idee des Mondes verlor sich um so mehr,
je lebendiger sich dieselbe bei den Namen Diana erhielt. Allein auch
unter dem Namen des Janus erhielt sich der Sonnendienst nicht, seine Ver-
ehrung verfiel, wenn auch durch alte Namen, Feste und Gebräuche
Bein Andenken erhalten wurde; sein Name wurde verdrängt durch ei-
nen andern, der auch in Griechenland allgemein verehrt Avurde, durch
den Namen des Apollo , dessen Dienst um so leichter um sich griff,
ersten W^ohnungeu der Menschen wurden nur durch das Licht, das durch
die Thüre hereinfällt, erleuchtet, sondern die römischen Hänser waren
überhaupt so gebaut, dass die Stuben ihr meistes Licht durch die Tbiiren
empfingen, wie jeder weiss, der Herkulannm besucht hat.^ Wenn ich so-
nach von Buttmann in der Etymologie des Wortes abweiche , so bin ich
doch ganz mit Buttmann darüber einverstanden , wie Janus zum Gott des
Friedens oder Kriegs gemacht worden scy und was weiter damit zusammen-
hängt, und habe daher dieses in meiner Abhandlung ganz übergangen.
Ueber die 28te Ode im Itcn Buche des iloraz. 349
als er die Diana in Elircn , als Iteiisclie Schwester nehen sich bestehen
li(!ss. Ucbcrf^eheii wir alle liiider der jaj^enden, durch B'lur und Wald
dahin ziehenden Diana, mcIcIjc lateiniische Dichter vielleicht aus der
^griechischen Mytholoj;;ie entlehnten; in dein Aechtröinischen finden wir,
dass Juno dieselbe Cröttin Avie Diana ist, indem sie ihr dieselben Be-
schäftig unfj^en, dieselben Beinamen geben, welche Diana hat. Wegen
des Einflusses des Mondes aul' das Aveibliehe Geschlecht ist sie Göttin
desselben in seinen eigenthümüchsten A erhältnissen , die Göttin der
Jungfrauen, der Ncuvermäiilten , der Gebärenden; sie führt die Bei-
namen iVonitöa, Jugalls, Cinxia, und die vom Monde entlehnten Namen
Lucina := Luna und Lucifera trug man auf die Hülfe über, welche sie
den Gebärenden leistete , wovon sie auch Sospiti oder Sispita genannt
wurde. So ruft bei l'lautns Aulul. IV, 7, 11 eine Gebärende aus: Jjt-
no Lucina tuam fidcm. Dasselbe gilt von der Diana, Cie. nat. deor. II
§ 68 u. (jy : Dianam autem et Lunam candcm esse putant. — Luna a
luccndo diclo est ; eadeni est enim Luna. itaque , ut apud Graecos Dianam
eamque Lucifcram, sie apud nostros Junoncm Lucinam in pariendo invo-
cant. Diana dicta, quia noctu quasi diem efficeret. Adhibelur autem ad
partus, quod ii malurescunt uiil Septem nonnunquam aut plerumquc novem.
lunae cursibus. Diese Gemeinschaft erkennt auch Macrobius an Sat. I,
15 : jure Junoni addixerunt Calendas, lunam ac Junoncm eandem piitantes,
nnd CatuU 34, 13 an die Diana :
Tu Lucina dolentlbus
Juno dicta puerperis :
Tu potens Trivia et notlio es
Dicta luraine Luna.
Max Schmidt.
Conrector am Gymnas. in Zeitz.
Ueber die 28te Ode im Itefi Buche des Horaz.
Die 28te Ode im Iten Buche des Horaz ist einem Scheinkranken
vergleichbar, um dessen Lager Aerzte und Nichtärzte versammelt dem
Grunde und dem Heilmittel des Uebels vergeblich nachsinnen und zu-
letzt auf die sonderbarsten Einfälle gerathen.
„Der Körper des Archytas liegt unbegraben am Ufer." Dies ist
die Voraussetzung aller bisherigen Erklärer. Nun aber treten sie aus
einander in zwei Meinungen. Auf der einen Seite sagt man: „Ein
Schiffer findet und erkennt den Todten. Daran knüpfen sich Betrach-
tungen über das allgemeine Loos der Sterblichkeit. Zuletzt fleht der
Schatten des Archytas seine Gebeine zu begraben." So die altern Er-
klärer •), und auch die neuern alle, bis auf Einen, indem sie nur darin
*) Acren imd Porphyrie wörtlich übereinstimmend: inducitur corpus
350 Abhandlung.
von einander abweichen , ob jene allgemeinen Betrachtungen ilem
Schiffer «iler dem Archytas in den Mund zu legen seyen. Auf die an-
dere Seite tritt kühn der Eine, welcher meint „der Dichter selbst , al-
lein sprechend, den unbegrabcnen Archytas im Geiste sehend, rede
ihn an, pliilosophire, lege zuletzt um seine Bestattung Fürbitte ein bei
einem etwa dahin kommenden Schiffer."
Erstlich: die Allen gemeinsame Voi-aussetznng: „Archytas liegt
Unbegraben", ist nicht sehr wahrscheinlich an sicli selbst. Archytas,
der grosi-e Philosoph und Mathematiker , zugleich Staatsmann und
Feldherr *) , unbestattet am vielbeschifften Ufer des Calabiischen Vor-
gebirgä unfern seiner Heimath Tarent ! **) Ohnstreitig also vor kurzem
angeschwommen, und eben jetzt zuerst von einem Schiffer erkannt?
Der Fall ist möglich. Aber als blosse Hypothese, um der Erklärung
willen angenommen, ist er allzu unwahrscheinlich. Denn dass der be-
rühmte Pythagorecr in unserer Ode gemeint ist, und nicht irgend etAva
ein anderer jüngerer Ar(;hytas, von dem niemand etwas weiss, sieht
man ja aus der hinzugefügten deutlichen Bezeichnung. *")
Wie vereinigt sich nun mit der Annahme , dass jener der verun-
glückte Unbegrabene sey, die Kluft von vier Jahrliunderten zwischen
Archytas und Horaz ? — „Es ist, sagt man , offenbar ein griechi-
sches Original, nach welchem unser Dichter arbeitete ; das Colorit der
Rede, der Gedankengang selbst zeigt dies." f) Zum Beweise vergleicht
man griechische Worte und Redensarten. Eben so gut konnte man
die ganze Ode in das Griechische übersetzen. In der That findet sich
gerade in diesem Gedichte wenig oder keine Spur griicisirender Spra-
che , und keineswee-s mehr als in den anerkannt dem Horaz eigen-
naufragi Archijtae Tarenttni in Ultus cxpulsum conqucri de injuria sua et
liefere a praetereuntibus scpulturam.
*) Diog. Laert. 1. VIII c. 4 : 'AQyvza? — Tagavtlvog — TIv&ayoQLHos
— inrÜKig xcov noliTcov iavQaT/iyr^GE. Vgl. ebendas. Plato's Brief an Ar-
chytas und Strabo 1. VI c, 3.
**) Matinus mons yipnliae , Acron ad h. 1. v. 3; M. promontorinm Ap.,
Porphyr, ilt., nelunüc h Äpnliciis int Mcitesten Sinne ; wozu die Selbstver-
gleichung des Apulischen Dichters mit der Matinisthen Biene (Od.4, 2, 27)
und das Wiedcrleuchten der Flammen des Apulischen Gefildes an den Kü-
hen des Matinus (Lucan. !), 185) verführen konnte. Riilitiger Acron ad
Od. 4, 2, 27 : saltus Calabriae, und Porphyr, ib. : mons Cal., Schnl. Criici.
zu unsrer Stelle: mons Jpnliue — sec. uHos vicus Calabriae, nchnilich im
BÜdlichen Theile des alten Calabrien, unfern der Sallentiiiii^ciieii (laj)ygi-
sclicn) Spitze, wo jetzt Matina liegt, s. z. B. die ('harte von Italien, Wei-
mar 180«, östlich von Tarent. Vgl. Epod. 16, 28, wo die Matinischen
Gipfel und der Po (als die am weitesten getrennten Puncte Italiens) einander
entgegengesetzt werden.
***) Doch sah Rodeille hier einen jungem Archytas !
■J-) Poinsinet de Slvry (dessen fixe Idee ist, dass Horaz nur Uebersetzer
sey), und neuerlich besonders Mitscherlich.
Uelier die 28te Ode iui Iten Buche des Iloraz. 351
tliiimlichen Oden. Auch kommt es, wo die Frag-e dem Ursprünge und
dem Zwecke des Ganzen f?iit, nicht auf einzelnes dem Gricc^hisclien
Naclij^ebildctes an , M-as dem oi-ig-inalen niclitgriecliisclien Gedichte zur
Einklcidiinj.; der Gedanken dienen konnte. Ueberdem spricht in unse-
rer Ode der Venusische Wahl luid das Vorgebir<?e Matinum für den
Venusiichen Diditc^r '), der si(-h anderwärts der Matinischen Biene ver-
gleicht, nicht aber für einen griechischen , von jenem nur nachgeahm-
ten Urheber. Zu der Anrede an Archytas konnte auch der römische
Dichter seinen Grund haben, und dazu in einem örtlichen oder anderen
Umstände die Veranlassung finden. War jener aber einmal angere-
det, so war es natürlich, dass hier gleichartige Beispiele der Sterblich-
keit, also nicht Ancus und Tullus (wie anderwärts hei Iloraz), sondern
Titlionus, Tantahis, Minos, Pythagoras, also dass griechische Götterge-
iiossen und Weise, nicht römische Könige gewählt wurden. Auch in
anderen Oden, die sicli als ursprünglich Horazische erweisen, wird
durch griechischer Heroen Beispiel derselbe Gedanke ausgeführt. *')
Doch gesetzt auch , die Ode wäre ursprünglich griechisch , gäbe
dies ein Recht zu der Hypothese vom unbegrabenen Archytas 'i Woher
weiss oder vermuthet man, dass der berühmte Mann in den Wellen um-
gekommen sey? Kein Alter siigt es, obwohl man eben vornehmlich
die gewaltsameren Todesarten grosser Männer häufig berichtet findet.
Selbst spätere Sammler, wie Diogenes Laertius , wissen nichts davon,
ein Schweigen, das schon Zweifel gegen die Allgemeinheit dieser älte-
ren Erklärung unserer Ode erregen kann. — „Aber die Scholiasten
des Horatius , Acron und Porphyrio sagen es." — Dies hat nur dann
Gewicht, Avenn keine Gegengründe da sind. Sogar, wo diese fehlen,
ist doch die liistorische Autorität der Scholiasten von geringerem Wer-
the in denjenigen Dingen, welche, in dem Texte selbst scheinbar be-
gründet und nicht gleichgültig, sondern nothwendig sind für eine
gewisse Erklärung; daher es dann nur Wiedergebungen des Textes
sind nach der Ansicht des Scholiasten, ohne Hinzufügung eines neuen
zufälligen Umstandes. Auch ist es bekannte Scholiastensitte, als That-
sachc zu geben, was eben nur aus der Stelle selbst herausgedichtet
wird. Acron und Porphyrio stimmen überein, weil der eine wörtlich
dem andern nachschreibt. Aber selbst bei ihnen beiden findet sich
auch ein Rest alter entgegengesetzter richtigerer Erklärung: Acron
und Porph. zu v. 2: Archytas sepulhis est ad Promontorium Matinum,
und Schol. Cruq. ib. : Matinus mens ApuUae juxta quem sepultus est Ar-
chytas. Verstand man dieses ältere Schollon von der späteren Bestat-
tung, so trug man diesen Sinn hinein, nur um es in Einklang mit jener
Hypothese zu bringen. Die Grabmähler grosser Männer legte man
*) Porphyrio ad v. 2(5: T enusia — patria poetae, unde silvas
l'enusinaa pro quihusUbct posuit.
") Od. 2, 14, 8; 2, 18, 37; 4, 7 extr.
352 Abhandlung.
nach dem Vorbilde der Heroengräber gern auf fernhinschauende Vor-
gebirge.
„Aber auch bei Horaz sagt es ja erst der Schiffer, dann Archytas
selbst ausdrüclili(;h, dass er unbegraben daliege." — Nein ! Der Schif-
fer sagt nur pulveris exigui munera te cohibent Archyta, Nun erklären
zwar Mehrere *) diese AVorte so : „Die Versagung wenigen Staubes
hält dich fest diesseit des Styx." Aber es ist docli wunderlich und al-
len Grundsätzen widerstreitend, so in die Stelle hineinzutragen, was
nicht hier stellt, nehmlich das citra Stygcm nwA das ncgaium zu MunuSy
hingegen Avegzuerklären, was gesagt ist, nehmlich „dich umfängt eine
Gabe geringen Staubes." Man beruft sich auf elliptische Kürze der
Rede, die solches dulde, "wie ira gemeinen Leben, auch in neuern
Sprachen **) : so hier : cohibet te munus seil, negatum, wie man sagen
könnte : retinet te viaticum (sc. speratum) ; retinet itincris apparatns (sc.
tibi cnrandus). Aber dies ist doch nur dann der Fall, wo der Grund
des Weilens ein innerer (subjectiver) ist, nehmlich ein Vermissen, Sor-
gen oder Hoffen, das in dem Zurückhalten und Fesseln liegt, nicht aber
eine äussere (objective) Nothwendigkeit, wie hier bei dem angeblichen
Verweilen des Schattens, wo es nicht auf des Archytas Willen ankam,
zu harren oder zur Ruhe einzugehn. Hier kann selbst der Dichter
nicht sagen, das Begräbniss fessele den Schatten, den vielmehr nur die
Versagung des Begräbnisses fesselt, so wenig als jemand z. B. sagen
könnte, Gesundheit halte den fest an einem Orte , den Krankheit fest-
hält. Selbst das Wox't cohibere kann dies Festgehaltenwerden und Ge-
fesseltseyn durch einen begehrten Gegenstand nicht bedeuten. Auch
ist es misslich , solche religiöse Vorstellungen , Avie die vom Harren
diesseit des Styx, andersher in Stellen, die sie nicht bestimmt andeu-
ten, hineinzutragen. Man würde hier gar nicht auf diese erkünstelte
Erklärung gefallen seyn, wenn nicht die drei flüchtigen Würfe Sandca
auf unbestattete Gebeine am Ende der Ode dazu verfülirt hätten, hier
anfangs die geringe Gabe Sandes eben so zu verstehn. Aber wie dann,
wenn auch dieses Ende missverstanden ist? Davon nachher. Auf je-
den Fall ist es natürlicher, wie die Ode nicht rückwärts, sondern vor-
wärts gedichtet ist und gelesen M'ird, so das Ende lieber aus dem An-
fang, als den Anfang aus dem Ende zu erklären. Was aber das te co~
Jiibent pulveris munera betrifft, wozu bedarf es da noch vieler Worte
von jener willkührlichen und sprachwidrigen Erklärung, da sie be-
reits von den Scholiasten und von vielen der Neueren verschmäht Avird,
ohngeachtet auch sie insgesammt den Archytas hier unbegraben He-
eren sehn.
*) Dacier, Vanderbourg, Doering.
'*) Dacier, Vandeibourg. Letzterer (ed. Horat. Paris 1812 T. I p. 350)
vergleicht doch nur die französische Phrase: il a etö retenu par ses cqiü-
pages. Mit entsprechenden lateinischen Redensarten bin ich selbst den Geg-
nern zu Hülfe gekommen.
Uebcr die 28te Ode im Itcn Buche dea Horaz. 853
Man hilft sich auf andre Art : pulverts exigui munera te cohibent
lielsse soviel als pulveris exigua pars, exiguum spatium ie tenet. Nelim-
lich munus, fitgog, diene zur blossen Umschreibung, und cohibet, tx^i,
narsxsi^ bedeute überhaupt den beschränkten Raum, also die kleine
Strecke auf dem Sande, die der Körper einnimmt" *). Angebliche
Gräcismen sollen eine Bedeutung möglich machen, die man hier zu lin-
den voraus beschlossen hatte. — Wo wäre denn vmnus bloss umschrei-
bend gebraucht? Ueberall bezeichnet es entweder eine Gabe oder
ein Geschäft. Warum führte man fitgog , was munus nicht bedeutet,
an, und nicht vielmehr y^Qcig , nfii^ , was ganz entsprechend , eben
60 wie munus, von den denTodten erwiesenen Ehren gebraucht Avird ").
Auch cohibet drückt vielmehr die Umschliessung und Bedeckung dea
Begrabenen aus als die Umfassung des engen Raums der Fläche, wo
der Körper liegt *"). Der exiguus pulvis aber nöthigt weder an den
Wurf einer Hand voll Staubes noch an die Kleinheit des von einem
Körper bedeckten Raumes auf dem Sande zu denken, da Redensarten
wie diese : „Avenig Staub deckt ihn" , zumahl im Gegensatze vormali-
ger Grösse im Leben, oft und in allen Sprachen von den Begrabenen
gebraucht werden f). Der Zusammenhang aber und der Sinn der
Stelle ist entscheidend gegen das offene Daliegen, und für das Grab.
Denn auch der lebende Körper nimmt ja nicht grössern Raum ein ; und
wie absurd wären die gleichen Worte an den lebenden z. B. schlafen-
den Archytas gerichtet : „Dich den himmelumfassenden Weisen um-
spannt hier ein kleiner Raum auf dem Sande!" Nein, nicht des mensch-
lichen Körpers Kleinheit, nur des Grabes Schranken und Bedeckung
bilden den richtigen Gegensatz.
Die Bestätigung davon liegt auch im Folgenden. Der SchüTer
') Jani, Vanderb. u. A., besonders aber Mitscherlich und leicht hier-
überhingehend F. A. Wolf (vermischte Schriften und Aufsätze, Halle 1802
S. 435) : „Wie nur wenig Spannen lang ist deine Stätte."
") lliad. Ifi, 674 : TaQ%vaov6i — zvfißars gti^Xtj rs* ro yuQyigas iorl
9av6vToav. Busti munus Lucan. 8, 741; exsequiariim munus Cic. pro
Chient 28; feralia munera Ovid. Trist. 3,4,81; corpora terrae mandc-
mus . . . decorate supremis muneribus Virg. Aen. 11, 25.
***) Occoecatum cohibet (terra semen) Cic. de Senect. I, 51 ; ova cohi-
bent vitellum Hör. Sat. 1, 4, 14 ; Scyllam caecis cohibet spelunca latebris
Virg. Aen. 3, 424 ; imis venti cohibentur in antris Ov. Met. 15, 346. cf. l4,
224. — KaT£%£i nivSuQov a.8s Kovig Antipater Sidon. 79 (Brnn^k.
'Anal, n p. 27); Avoovit] gis Alßvaaav l'jjEi KOVig Antipater Thessalonic.
60 (Br. Anal. II p. 124), in Avclchen beiden Stellen von Begrabenen die
Rede ist.
t) Simmias Theb. 1 (Brunck. Anal. I p. 168) : toV ö6 . . . tov tgayi-
xrjg Movarjg dazfQix zvfißog ix^i v.a.1 yrjg oXiyov fisQog. — Antipater Sidon.
6J> CBr. Anal. II p. 25): oUya KQvnzto zov xrikiKOV , von Begrabenen. —
MitscherJich führt diese Stellen für seine Deutung an, welcher sie doch ge-
radezu widersprechen.
Jahrb. f. Phil. u. Pädag, Jahrg. V. Heft 3. 23
354 Abhandlung.
fügt zu den Worten: „IVichtä hilft dir nun der hohe Flug deines Gei-
stes" nur den Ausruf hinzu: dein Loos war zu sterben (moriture), nicht
aber ein Wort der sonst so gewöhnliclien Klage über das schnöde Loos
unbestatteter Gebeine , wie man doch in jenem Falle hier erwarten
musste. Auch nachher werden nicht für das Unglück des Unbegraben-
seyns Beispiele, wie etwa die des Polydorus, Polynices, Ajax, Palinu-
rus, sondern für das Loos der Sterblichlieit werden die dem Archytas
entsprechenden Beispiele aufgezählt. Die ganze Ode hätte müssen
einen andern Gang nehmen, wenn Archytas unbegraben und wenn dies
wesentlich wäre für den Inhalt und Zweck der Ode. — „Aber" (wirft
man aberraahls ein) „am Ende der Ode wird doch des Archytas Be-
stattung gefordert." — Daher haben Einige, welche in den ersten
Versen den vom Sande bedeckten Archytas richtig erkannten, nun ge-
meint, der bereits flüchtig Begrabene fordere von jedem Vorbeikom-
menden neue Würfe Sandes *). Aber weder liegt jene flüchtige Be-
stattung in dem CO hibent exigui pulveris munera ^ noch stimmt die
Bitte „um ein Theilchen Sandes für das Gebein und MTifteoraöene Haupt''
(\s. 24) und das ängstliche Flehn mit Fluch und Drohung ülierein mit
der blossen Wiederholung der Gabe einer Hand voll Erde. Diese war
nur ein Zeichen der Ehre und Liebe , da hingegen für die Ruhe des
Todten schon ein Wurf Sandes, eine Scholle auf das Haupt gelegt,
gnügte *'). „Der Gegenstand des Flehens ist aber doch Bestattung!"
— Allerdings; aber auch des Archytas Bestattung? Es kommt dar-
auf an, wer der dort Sprechende ist, der um ein wenig Staub für sein
Gebein fleht.
Dies führt uns auf den zweiten Punct, wo nicht Uebereinstim-
mung, sondern Verschiedenheit der Ansichten obwaltet, nehralich auf
die Frage, von den redenden Personen und ihrem Wechsel. Wie dort
Allen bei gleiclier Hypothese gemeinsame Schwicrigkeiteu sich entge-
genstellten, so zeigen sich hier bei jedem neu versuchten AusAvege neue
eigenthümliche Hindernisse. Soll der SchifTcr nur die sechs ersten
Verse, und Archytas ihm antwortend das Uebrige sprechen, wie ver-
muthlich die Scholiasten und wie die meisten Neueren wollen? ***)
^'•
•) z. B. Landinus in coram. ad vs 3 (ed. Basil. p. 778): „Citat Ar-
chytam . . • qui in littore scpultus majorem a navigantibus sepulturam pe-
teret."
") S. Antig. Sophocl. 245: &(iij}ug ßißr]-A.t . . v.6viv naiv vag,
vgl. v. 429 und bes. v. 25ß : Istit^ ö', uyog tpivyovtoq äg , tntjv -^övig,
wo d. Scholiast: ov •>iciTu ßd&og zB&ciufiivog rjv , all' cJg t;i;st iTtißsßXrj-
[ihr] rjv iq afißog (tas t'^si' d. i. sogleich und ohne viel Umstände). So
Aelian Var. Hist. V, 14: vofiog AtziKog... uTa(pM .. nccvrcog iJiißälXsiv
yrjv i. e. auf jeden Fall etwas Erde, wenn auch nur venig und flüchtig
(wie schon Kühn ad h. 1. richtig erklärt). — Vgl. die v. Älitscherl. zu un-
srer Ode v. 24 u. 36 citirten Stellen: Zonas Epigr. i): i^v^oav oev KSqjuXijg
inccfiT^aofiai. Statins Theb. 10, 427: angusti date pulocrts haustus.
*") Bentley, Jani, Wolf, Mitsch., Voss u. s. w., und dieAelteren, z.B.
Lnbinas in seiner Paraphrase.
Ucber die 28te Ode im Iten Buche des Iloraz. 355
Eine Andeutung, dass mit v. 7 eine andere Person eintrete, findet sieh
in den Worten des Textes nicht. — Man antwortet: „es bedurfte nicht
solcher Andeutung; dafür inusste in der ursprünglichen Hand:schrift
ein vorgesetztes Zeichen sich finden." Aber dass wirklich hier ein
solches in den MSS. sich finde, wird nirgends bezeugt. Und auch
dann, wenn einige MSS. eine beigesetzte Linie oder etwas dergleichen
darböten, wäre dies immer nur für Erzeugniss eines Erklärers oder
Abschreibers zu halten, wenn innere Gründe entgegenstehen. Warum
nimmt man das Eintreten einer Antwort an, da, wo eine schon begon-
nene Betrachtung nur fortgesetzt wird? Dass ein Schiffer sich im ei-
gentlichen Sinne „wundere", wenn selbst ein Archytas habe sterben
müssen, und dass dieser, antwortend, ihn eines bessern belehre, wäre
weder verständig erdacht, noch ist es in den Worten enthalten. Viel-
mehr sagt der Sprechende, wer er auch sey, in zusammenhängender
Rede: Dich, o Archytas, schützte nicht vor dem Tode, dass du schon
im Leben dich zum Himmel aufschwangst; auch den Tithonus, Tanta-
lus, Minos , Pythagoras schützte dies nicht. Es wird also der in den
ersten Versen ausgesprochene Gedanke in dem 7ten und folgenden
Versen nur wiederholt und weiter ausgeführt. Zwar sagt man, „es sey
doch hier (zwischen vs. 6 und 7) ein Mangel enger Verknüpfung und
gleichraässigen Fortgangs ; es sey eine Lücke, ein Sprung bemerkbar."
— Allein die Rede ist ja selbst äusserlich nicht unverbunden (occtd/t
et Pelopis genitor) ; und der Sprung ist nicht grösser als er seyn
muss, wo von dem Nahen zu den Entfernten, von dem gemeinen Sterb-
lichen zu den Heroen übergegangen wird. — „Aber eben diese Steige-
rung von Archytas zu den Heroen und zu Pythagoras ist einem Wech-
sel der Rede ganz angemessen, da der Antwortende gern, sey es zur
Bestätigung oder zur Widerlegung oder überhaupt zur Fortführung
des Zweigesprächs, den Gang zum Gewichtvoileren und Höheren
nimmt"*). Allerdings. Doch dieses beweiset noch nicht, dass ein
Wechsel wirklich da ist. Denn auch die fortgehende Rede Eines Spre-
chenden erhebt sich gern zu dem grössern und wirksamem Beispiele,
zumahl im lyrischen Gesang der Alten , wo der pindarische Uebergang
zu den Heroen herkömmlich und selbst bei Horaz in den ihm offenbar
eigenthümlichen Oden fast stehende Form ist.
Dass aber Archytas von v. 7 an nicht redet, und dass ohnstreitig
also der von Anfang Sprechende fortfährt, zeigt auch (v. 14) das : judi-
ce te non sordidus auctor. Es ist kein vernünftiger Grund da , wes-
wegen Archytas, der Pythagoreer, einen Andern Zeugniss für Pythago-
ras ablegen lassen sollte, zumahl einen vorbeifahrenden Schiffer oder
Kaufmann, den man deswegen wohl gar selbst zum Pythagoreer, oder
wenigstens zum Landsmann des Archytas macht, und dem man klüg-
lich eine mittlere Bildung berechnet, niedrig und hoch genug, dass
man zu ihm sagen könne : ,, Pythagoras ein Bürge des Wahren, selbst
nach deinem, des Halbgebildeten, Urtheile !" Aber dieses vel te ju-
') Wolf a. 0., Vanderbourg.
23
S56 Abhandlung.
dlce ') liegt nicht im Texte, und es wäre an sich prosaisch und un-
passend. Auch dann , wenn man in dem te jiidicc nichts Anderes er-
kennt, als den Zusatz: „Pythagoras, ein Mann, von dem du doch ge-
stehn wirst, er war ein tiefdringender Forscher" **) , ist dieser Zusatz
doch matt und müssig, da er nicht durch den Gegensatz eines Zweifels
begründet wird. Wollte man darin eine absichtliche Andeutung fin-
den, dass jeder, wer es auch sey, des Pythagoras Worte hochachte;
so würde man in den Text hineinkünsteln, was nicht darin ist, und waa
hier nicht an seinem Orte wäre. Daher dürfen Avir uns nicht wun-
dern, wenn die Conjectur judice me "*) von Einigen mit offenen Ar-
men aufgenommen wurde, ohngeachtet sie gegen alle Handschriften,
und obendrein nicht nur gegen den Sprachgebrauch, auf jeden Fall
wenigstens höchst prosaisch, sondern, genauer besehen , auch gegen
den Sinn dieser Stelle ist. Denn die Bekräftigung: mea quidem sen-
tentia, wäre nicht nur ebenfalls leer und bedeutungslos wegen man-
gelnder Andeutung eines ZM'eifels an des Pythagoras Wahrhaftigkeit,
sondern sie wäre eben durch eine solche in ihr liegende Andeutung
sogar sinnentkräftend und störend. Dagegen wendet sich sehr natür-
lich die Anrede bei Erwähnung des Pythagoras an den von Anfang
apostrophirten Archytas zurück, als an denjenigen , der gleichsam sei-
nes grossen Lehrers Worte mitspreche, und ihn durch sein lobendes
IJrtheil erhöhe, ohne dass dadurch jener nachtheilige Eindruck ge-
macht würde. — Matt aber wären in des Philosophen Munde die
Gemeinplätze von dem Loose der Sterblichkeit, wozu es nicht der An-
nahme bedurfte, dass ein Archytas hier spreche. Aus diesen Gründen
ist es off'enbar, dass Archytas hier (vs. 7 — 20) nicht redet.
Die andere Ansicht von dem Wechsel der Personen ist die , \ro
der von Anfang Sprechende, also der vermeinte Schiffer, auch alle
jene Beispiele und Philosopheme (vs. 7 — 20) selbst spricht, mit wieder-
holter Apostrophirung des Archytas f). Dadurch wird freilich das judjce
te gerettet, aber neue SchAvierigkeiten treten ein. Erstlich ist nicht
zu läugnen, dass die Durchführung des allgemeinen Satzes durch die
Beispiele von Heroen und Philosophen in dem Munde eines Schiffers
oder Kaufmanns etwas gelehrt klingt, und zu lang ist für einen Mann,
der, laut des Endes der Ode, Eil hat. Ein zweiter wichtigerer Gegen-
grund liegt in vs. 21. Hier zeigt der Uebergang in dem „Auch mich
begrub der Sturm in den Wellen" deutlich, dass derselbe 3Iann, der
bishieher redete, auch diese zwei Verse (vs. 21, 22) fortspricht, da er
') S. Mitschcriich ad h. I.
") mit Wolf a. O.
*'*) Conjectur des Anonymus bei Cuninghaiu ad h. I., gebilligt von Jani
u. A.
f) So ohnstreitig Ueinslus, wie seine Conjectur ic quoque zeigt (bei
Bentley ad v. 21).
Uelicr lUe -8to Ode im Iten Uuchc des Iloraz. 857
liier in dem me quoqne olTeii])ar nur die Anwendung der vorhergehen-
den Sentenz auf den vorliegenden Fall macht. Aber der Selüfl'er kann,
wenn er der Finder des todten Arclivtas ist, nicht sagen: auch mich
begrub der Sturm in den Wellen. Was blieb übrig als zu lesen: Te
<7Mür/uc etc. '^ *) Allein nicht nur Ist dies abcrmahls gegen alle MSS.,
sondern CS ist auch sonderbar, dem Schiller, und nicht vielmehr dem
Verunglückten, sagen zu lassen, wo und wie dieser umgekommen.
Obendrein entsteht so eine ganz müssige Wiederholung dessen was,
gemäss der auch dieser Conjectur zu Grunde liegenden Ansicht, schon
in den ersten Versen enthalten war, nehmlich dass Archytas umgekom-
men sey. Die nochmalige Anrede durfte nicht so leer seyn , ohne ab-
surd zu werden. Spricht hingegen diese Worte (j/ie qiioquc etc.) der
Umgekommene selbst zu dem Schifl'er , so liegt allerdings in der Er-
wähnung der Art des Untergangs, ebenso wie in der vorhergehenden
Aciisserung: „das gierige Meer ist der Schiffer Verderben", einiges Ge-
wicht, nehmlich ein Bewegungsgrund für den Schiffer dem Verunglück-
ten den Dienst zu leisten, dessen er selbst einst bedürfen kann. Also
Archytas (der, wie wir oben sahen, nicht das te judice , also nicht das
Bisherige sprach) müsste bei me quoquo zu sprechen beginnen "). Aber
das ist, wie schon bemerkt, unAvahrscheinüch , da die Verbindung der
Worte und des Sinnes hier vielmehr für das Fortgchn der llede Einer
Person entscheidet. Soll der Schatten hier unerwartet seine Stimme
erheben, so darf er wenigstens nicht damit beginnen, dass er mit gro-
ssem Pathos erzählt, was der Andere schon weiss und selbst gesagt
hat. Wollte man aber den Schiffer hier nochmals eintreten und die
Worte Te quoque etc., nehmlich nur dieses Distichon (vs. 21, 22), spre-
chen lassen ***), so verlöhre man ausser der wahren Lesart obendrein
allen Grund solcher Wiederholung und zerrisse alle Verbindung mit
dem Vorhergehenden, wie mit dem Folgenden.
In jedem Falle lassen die Erklärer alles Uebrige , von den Wor-
ten an „Aber du , o Schiffer" (vs. 23) , den Archytas sprechen. Also,
wo dieser auch seine Rede beginne, sey es erst hier, oder bei den
Worten: „Auch mich begrub der Sturm in den Wogen", oder schon
bei jenen: „Auch des Pelops Erzeuger starb", immer werden die letzten
Reden, das ängstliche Flehn um eine Handvoll Sandes, und die schwe-
ren Verwünschungen im Verweigerungsfalle, dem Archytas in den Mund
gelegt, und diese eben sind , w cnn auch übrigens natürlich und poe-
tisch, doch eines Philosophen , zumahl in der Dichtung, unwürdig.
Ueberhaupt erscheint der antwortende Geist des Archytas, wie ein
Deus ex machina, künstlich und gewaltsam zu Hülfe gerufen, und die
Schwierigkeiten nur mehrend, die er lösen sollte. Hierzu kommt
') mit Heinsius a. 0.
") Hcrzllcb in seiner Uebersetznng und d. Anm. dazn.
'") Dies legt Wt)lf als mögliche Meinung dem Hoinsius unter.
S58 Abhandlung.
selbst der äussere Mangel an symmetrischer Form des Zwiegesprächs.
Der Wechsel nur zweier ungleich langer Reden , nach der gewöhnli-
chen Abtheilung , denn eine andere von besserem Ebenmaass ist nicht
möglich, einer kurzen Anrede und einer langen Antwort, ist Aveder der
gewohnten Weise der Dichter, namentlich des Horaz, gemäss , noch an
sich schön , oder auch nur zu dramatischer Belebung gnügend. An-
derwärts zwar würde der Wechsel ungleicher Rede an sich keinen
Zweifel begründen , wenn ihn alles Uebrige bestätigte. Hier aber
fragt man sich natürlich: warum hat der Dichter, wenn er den wah-
ren Dialog verschmähte , nicht vorgezogen , das Ganze Einer Person
in den Mund zu legen? — Oder hat er es vielleicht gethan?
Wirklich ist schon der Versuch gemacht worden , solche Einheit
der Form unserer Ode zu vindicircn ; aber der V'ersuch scheiterte an
der alten Voraussetzung , dass Archytas der Verunglückte sey. Bei
dieser Voraussetzung giib es nur zwei mögliche Wege, die Rede ohne
Wechsel durcli das Ganze durchzuführen. Der eine wäre anzuneh-
men, dass Archytas es scy, der von Anfang bis Ende spreche, erst sich
selbst anredend, dann zum Scliiffer Hebend: eine Annahme, welche
(anderer Einwürfe nicht zu erwähnen) sich weder mit dem te judice
noch mit dem dann überjlüssigen me quoque etc. verträgt; daher diesen
Weg einzuschlagen niemanden auch nur eingefallen zu seyh scheint. —
Den andern möglichen Weg nahm der Erklärer, welcher hier nicht
,,eine wunderbar dramatische Ode" (wie er sie nennt) nach der Ansicht
der bisherigen Erklärer , sondern von Anfang bis Ende die Rede vnd
die Empfindungen des Dichters fand *). Schon glaubte ich, da ich diese
Worte las , hier einen Vorgänger meiner eigenen Ansicht zu finden,
als iclisah, dass Alles auf eine Fürbitte um Bestattung des Archytas
hinauslief! Wir verAveüen hier nicht bei Fragen , die sich leicht dar-
bieten, z. B. woher dies ängstliche Flehn, mit Verheissung und Dro-
hung und mit Bitten um nur drei flüchtige Würfe Staubes , ganz im
Tone eines für sich selbst und für seiner Seele Heil Flehenden , wenn
es eine blosse Fürbitte gilt? Erklärt man mit jenem Ausleger den stei-
genden Affect (vs. 30 IT.) dadurch, dass der redende Dichter sehe oder
sich denke, wie der Schiffer schon achtlos vorbeisegeln will, so bestä-
tigt dies eben die natürliche Annahme des für sich selbst heftig beweg-
ten Geniüthes. Und wie kann der Dichter dann sagen : ,, nicht unge-
rächet werde ich bleiben, wenn du mich verlassest" (prccibiis non lin-
quar inultis), was keineswegs so viel heissen kann als „die Versclimä-
hung meiner Fürbitte wird aa dir gerächet werden"? *') Endlich, wie
*) D. Atifsafz: „Ueber Hör. 28te Ode d. 1 B," , unterzeichnet H, in
der Z<it»ichrift: Philosophische Blicke auf Wissenschaften und Menschen-
Iclx'H — hf;b. V. J. L. F. Hoinzelmiinn und L. D. Voss. Halle bei Hem-
merde u. Scluvetsdike 178«), Bd. 1 St. 1, S. I*i0 — 127, besonders S. 124 f.
(s. dagegen F. A. Wolf in d. vermischten Schriften u. Aufs. a. O.)
'*) So istOdyss. X, 73 das /^jj rot rt. &B(üv fiijvtfiu y^vco/iai der Bitte
des Elpenor für sich ura Bestattung, nicht einer Fürbitte hinzugefügt.
liebt!!- die 28le Ode im Iton Buche des Ilora/,. 85U
kommt der Dichter dazu, den Tod ten anzureden , und zu 8a<;cn ,, wu
jener am Ufer liegt, wenn der Dichter gelbst lern ist? ist er aber nahe
und äielit das Gebein, vor deniäelben stehend (wie die Scene dann zu
denken wäre), was hindert ihn , c» selbst zu bestatten? Wir wieder-
holen nicht die Gründe der oben erwiesenen Unwahrscheinlichkeit der
auf falschen Erklärungen von vs, 2 u. 3 beruhenden llypctthescn , dass
Archytas hier unbcgraben liege , und dass Horaz nach einem griechi-
üchen Originale dichte. Das Eine gnügt schon zur Widerlegung der
Fürbitte des Dichters , dass zwar die Lesart der MSS. judice t e
durch die Annahme der fortlaufenden Rede des Dichters gerettet wird,
dafür aber bei Annahme der Fürbitte die Conjectur te quoque, für wel-
che ausser dem nichts spriclit '), trotz aller MSS. aufgenommen werden
muss ! Incidit in Scyllam, qui vnlt vitare Char^bdim.
Und was soll nun, abgesehen von den Schwierigkeiten im Einzel-
nen, und wie man immer die redenden Personen ordnen möge, der
Inhalt und der Zweck der ganzen Ode seyn ? Ist der Gegenstand ein
geschichtlicher, besonderer, nehmlich das Bcgräbniss und die Ehre des
Archytas, so frage ich nochmahls, wie kommt Horaz dazu?'*) und
Ist er ein allgemeiner, z. li. die Sterblichkeit der Menschen, die Pflicht
der Todtenbcstattung, was ist dazu die Veranlassung, ohne welche
jene Gemeinplätze frostig seyn würden , und die in der Ode selbst au-
gedeutet seyn, nicht aber auf eine willkührliche und unwahrscheinliche
Weise hineingetragen werden müssten? "*) Und wo i»t die Einheit
des Gedankens? War die heilige Pflicht der Todtenbcstattung der (Ge-
genstand des Dichters, warum denn soviel vom Loose der Sterblich-
keit? und sollte die Nothwendigkeit des Sterbens besungen v erden,
wozu dann das Beispiel des unhegrabenen Archytas , und wozu da*
Flehn um Bestattung ?
Der Ausweg also? Es wird dessen gar nicht erst bedürfen, und
es wird Einheit des Sinnes zugleich mit der Einheit fortgehender Rede
und mit den sämmtlichcn beglaubigten Lesarten recht wohl, ja noth-
wendig bestehen, wenn man nur die selbstgeschaffene Hauptschwierig-
keit wegräumt, die Hypothese aller Erklärer, welche eben sowohl an
sich, wie wir oben sahen, unhaltbar ist, als sie durch die Widersprü-
che im Einzelnen widerlegt wird. Also: nicht unbegraben ist Archy-
tas ,• nein, wohlbestaltet ist er am Matinischen Vorgebirge, unfern Ta-
rent, wie wir gesehen haben. Schon dadurch fällt alles zusammen,
was man auf so morschem Grunde baute. Warum aber wird jener
zuerst angeredet? vreil seine Grabstätte, sein Grabmahl vor Av gen oder
*) Wie Hr. H. a. O. selbst ausdrücklich eingesteht S. 124, wo er dies
Te nur wigea seiner Ansticht des Zusanuuenhangs aufnimmt.
") Daher Cruquius lieber einen Astrologen Tarutius (aus Cic, Div. U,
47) und Baxter gar den Brutus unter der Kappe des Archytas erblicken!
*'*) Etwa wegen der unbegrabencn Todten des Bürgerkriegs ! Se Du-
hamel. S. Vanderbours 1. 1. S. 150.
360 Abhandlung.
in der Nähe des Sprechenden war, und weil so der gleichsam sichthare
Archytas sich als Beispiel darbot des allgemeinen Looses der Sterbli-
chen, das auch derer wartet , die sich schon im Leben über das Irdi-
sche erheben. Gleichgültig ist es also, wie lange schon Archytas hier
in seinem Grabe ruhet, und es bedarf nicht erst eines griechischen Ori-
gitials. — Aber wer ist der von Anfang bis Ende Sprechende und fle-
hentlich um eine Handvoll Sandes Bittende? Ohne Zweifel liegt ein
wirklicher Vorfall zu Grunde, wie in mehreren Gedichten des Horaz.
Es spricht nach des Dichters Vorstellung ein Schiffbrüchiger, wer er
auch sey, ein in den Wellen Umgekommener und an das Calabrische
Ufer Ausgeworfener, dessen Schicksal, aus Avas immer für einem
Grunde, dem Horaz wichtig genug war, ihn zu so theilnahmvoller
Dichtung zu veranlassen. Der Schatten redet den unfern im Grabe ru-
henden Archytas an, durch sein und Anderer Beispiel sich tröstend wegen
des Todes, und zuletzt bittet er irgend einen etwa Vorheischiff enden um
Bestattung seiner Gebeine. Dies ist das Wesentliche in der Vorstellung
des Dichters nach unserer Ansicht, und wir könnten dabei stehn blei-
ben, da auch dieses, in seiner Allgemeinheit und geschichtlichen Un-
bestimmtheit, doch schon genügen kann, als eine poetische Idee, de-
ren Ausführung unabhängig ist von der Veranlassung, so dass es nicht
erst einer genauem Kunde dieser letztern bedarf zur Deutlichkeit des
Gedankenganges und zur dichterischen Wirkung der Ode.
Sollen wir, um den Grund zu finden, weshalb eben dort und
nicht anderswo die Scene unserer Ode ist, die möglichen Fälle zählen,
z. B. dass Horaz durch den Tod , den einer seiner Freunde an jener
Küste, unfern dem gewöhnlichen gefahrvollen Seewege zwischen Brun-
dusium und Griechenland, gefunden hatte ; oder auch dass er nur durch
den Gedanken grosser Gefahr, in welcher ein dort zur See gegangener
Freund schwebte, wie zur Ode an das Schiff, das den Virgil trug,
60 hier zu der kühneren Vorstellung des über dem Gebeine schweben-
den, redenden Schattens veranlasst war; oder endlich, dass Horaz
selbst einst unbedeckte Gebeine von Schiffbrüchigen sah in jener Ge-
gend, unfern seinem öfters wiedergesehenen Heimathlande Apulien,
eey es auf dem bei Tarent gelegenen Gute seines Freundes Septimius,
von dem er singt *} : „ Scheiden von meinem Tibur mich die Parzen,
Bo will ich zu den Fluren gehn, die einst Phalantus beherrschte — je-
ner Winkel lacht mir vor allen, — dort benetzest du mit deiner Thräne
einst die Asche des befreundeten Sängers" — oder vielleicht im Ver-
folg jener Brundusischen Reise , die durch des Antonius Ankunft in Ta-
rent veranlasst war"), oder schon in den Zeiten seines Kriegsdienstes
und seiner Studien in Griechenland "*) — kurz bei irgend einem Be-
*) Od. 2, 6, 10 sqq.
*♦) Serm. I, 5. Vgl. Dio Cass. 1. 48extr. S. Mitscherl. ed. Hör. p.
cxxn.
*♦*) Horat. Epist. 2, 2, 42—50; Hör. vita Suet. und dio Vita e mss.
Blandd. bei Cruq. (b, Mitscherl. p. CLXUj).
Uebcr die 28te Ode im Itcn Buche des Iloraz. 861
suche jener Gegend, wozu viel Raum ist in den Lücken der Lchcns-
heschreibungen des Iloraz. D.iher auch mehrere Erklärer unserer Ode
den Iloraz dortliin reisen lassen, aber nur um dort vom Ertrinken des
Arcliytas zu hören!
Lassen wir das Spiel der Möglichkeiten, und wagen die scheinbar
kühnere, aber in der That einfachere und näher liegende Vermuthung:
Horaz, der von sich sagt: „Ich weis, vms Iladria's schwarze Ihicht ist,
und Avas der Lipyx sündigt'', und: „Tibur — sey das Ziel mir, müdem
des Meeres und der JFoge^'^ *), Iloraz selbst ist der einst auf einer
Fahrt an jener Küste durch Sturm Gefährdete. Wie er anderwärts auf
einer jener Ueberfahrten seine Rettung besingt aus den Gefahren, die
der Sabinische Wolf, die der verhängnissvolle Baum ihm brachte und
einst auch die Sicilische See am Vorgebirge Palinurus, auf einer eben-
falls sonst nicht erwähnten der Zeit nach unbestimmbaren Seefahrt *'),
so versetzt er hier dichtend sicli zurück in jene Lage, wo er, den Un-
tergang des Fahrzeugs fürchtend, schon im Geiste seine Gebeine am
nahen Gestade liegen sah, und als Scliatten sie umschwebend, auf das
vor Augen liegende Grab des Archytas schauet und zuerst diesen an-
redet, um von ihm und den diesem verwandten grossen Beispielen
Trost zu entlehnen, nachher aber irgend einen Schiffer um Bestattung
für sich anzuilehn. Wie Horaz dort, wo er nach der Gefahr, die ihm
der fallende Baum brachte, von sich als dem Geretteten spricht, doch
sich im Geiste schon in den Orcus versetzt und dessen Gestalten uns
vorführt "*) , so war es eine natürliche und zugleich dichterisch kühne
nnd würkungvolle Wendung, das als wirklich darzustellen, Avas sich
der Phantasie in der Stunde der Gefahr aufdrängte. So wie diese V'or-
stellung, sich schon todt, ja schon im Grabe zu denken, bei mancher-
lei Veranlassungen nicht selten ist in der Poesie und im Leben , eben
so ist die Wendung, Personen anzureden, die bloss vermöge der Ein-
bildungskraft gegenwärtig sind, das gemeinsame oft ausgeübte Recht
nicht nur der Dichter, sondern auch jedes bewegten Gemüthes. Man
wird nicht etwa einwenden, dass Horaz, weil er nicht Pythagoreer
war, nicht so zu Archytas gesprochen haben Avürde ; denn eben darum
hält er sich nicht an die besondere Lehre der Seelenwanderung, son-
dern an die allgemeinere der Seelenfortdauer, und auch das te judice
in dem Munde des Nichtpythagoreers ist nun um so weniger müssig f).
') Od. 2, 6, 7: lassiis maris — . Od. 3, 27, 18: ego quid sit ater II a-
driae sinus novi (i. e. expertus sum).
••) Od. I, 22. cf. 1, 34; 2, 13; Od. 3, 4,28. In der letzten Stelle, die
des Horaz Land- und Seegefahren umfasst , steht das Erwähnte zugleich
iür das gleichartige Kichterwähnte, wie z.B. für die Sabinische Gefahr,
BD für die Adriatische.
"*) Od. 2, 13, 21 sqq.
f) Sanadon vermisst in der angeblichen Rede des Archytas den äch-
ten Pythagoreism. — Nach Torrentius soll gar Spott über die Pythago-
reer (wegen Hör. Serm. 2, 6, 63; Epod. 15, 21), der Zweck der Rede
eeyn!
362 Schul- und Unlversltütsnachrichten,
Audi sieht man nun , dass der Dichter die vom Grabe des Ärchytas
veranlassten Beispiele geistig grosser liininielan gestiegener Sterblicher
leichter stillschweigend auf sich anAvenden konnte , als andere ihm
gelbst fremdartigere oder von keinem örtlichen Anlass dargebotene Bei-
spiele. Nun auch Averden wir bei dem Matinischen Ufer und den Ve-
nusischen Wäldern uns nicht nach einem griechischen Originale um-
sehn, so wenig als bei der ortgemässen Anrufung des Tarentischen
Neptun. Mit dem innern Werthe der poetischen Erfindung und des
durch seine Wahrheit ergreifenden selbsteigenen Gefühlausdrucks ver-
bindet sich nun die Einheit sowohl der Form der ganzen Ode als des
Inhalts der einzelnen Theile in allseitiger , ohne sprachwidrige Erklä-
rung und ohne Verletzung handschriftlicher Lesarten sich bewähren-
der Uebereinstimmung.
Leipzig 1829. B. G. Weislie.
Schul- und Uiiiversitätsnachrichten , Beförderung eii und
Ehrenbezeigungen.
xSerli!«. Die Universität zählt in jetzigem Winter 1909 Studenten,
worunter 579 Ausländer und 269 Berliner. Von ihnen gehören 025 zur
theolog., 712 zur Jurist. , 308 zur mcdic, 2ß4 zur philosophischen Fa-
cultät. Dem geh. Medicinalrathe Dr. Klug ist in seiner Eigenschaft
als ausserordentlicher Professor bei der Universität eine Besoldung von
400 Thlrn. , dem ausserord. Professor der medic. Facultät Dr. Jüngken
eine Besoldung von 300 Thlrn. ausgesetzt Avorden. Von der Akademie
der Wissenschaften sind die Professoren Horkel, Klug und Kunth zu
einheimischen ordentlichen und der Baron von Poisson in Paris zum
auswärtigen ordentlichen, der Professor von Jacqidn in Wien a]»er zum
Ehren - Blitgliede ernannt Avorden, Der Lehrer Ferdinand ßerger hat
das Prädicat eines Professors der Kön. Akademie der Künste erhalten.
Die Vorsteher des Brittischen Museums in London haben dem Preuss.
Gesandten daselbs: für zAvei Königl. Preuss. Universitäten zAvei Pracht-
exemplare des grossen Katalogs der geographischen und typographi-
schen Sammlung übersandt, die einen Theil der im Jahre 1823 vom
Könige in England dem Museum geschenkten Bibliothek bildet. Vgl.
Jbb. XII, 124.
Bo\N. Die Universität zählt diesen Winter 988 Studenten, von
denen 143 Ausländer sind , 100 zur evang.- und 309 zur kathol. -theo-
log., 22fi zur Jurist., Iü8 zur medic, 238 zur philosoph. Facultät ge-
hören , und 47 nicht immatriculiert sind. Die 1804 in Bombay unter
dem Vorsitze des berühmten Sir James Mackinlosh gestiftete literarische
Socictät, deren Thätigkeit durch 3 Quartbände Abhandlungen sich be-
Avährt hat , hat den Prof. von Schlegel zum auswärtigen Mitgliede er-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. S03
nannt. Ein Schreiben des Gouverneurs von Bomhay, Sir John Malcolm,
vom 3 Juli 1821) benachrichtigt den Prof. v. Schlegel von dieser Ernen-
nung. Ebenderselbe hat an Schlegel eine Sendung von Manuscripten
u. Asiatischen Antiquitäten geschickt. Der geh. Medicinalrath und l'rof.
von jralther hat einen Ruf nach München erbalten und angenonuiuin.
Breslau. Der bisher. CoUaborator GuUmann ist zum achten Col-
legcn am St. Elisabeth-Gymnas. ernannt, dem Oberlehrer Dr. JVksowa
am kathol. Gyranas. das Directorat des Gjmnas. in Leobscultz über-
tragen worden.
Hannover. Das Kön. Cabinets- Ministerium hat die Errichtung
eines OberschulcoHegiums beschlossen, welchem die Leitung aller ho-
hem Schulanstalten des Königreichs anvertraut werden , und Avelclies
seinen Sitz in Hannover haben soll. Zum Director desselben und zum
Generalinspector der höhern Schulanstalten ist der Consistorial - und
Schulrath Dr. Kohlrausch in Müivster berufen >vorden , welcher diesem
Rufe folgen wird und um seine Entlassung aus Künigl. Preuss. Staats-
dienste nachgesucht hat.
Hildburghause?!. Der Schulrath und Professor am Gymnasium
Heinr. jnih. Friedr. Klein ist zum Hofprediger iu Eiseneerg und zum
Kirchenrathe ernannt worden.
Königsberg. Der ausserordentl, Professor Dr. Gchser ist zum or-
dentlichen Professor in der theolog. Facultät befördert worden,
Lowes. Das philosophische CoUcgium ist aufgehoben Avorden;
doch sollen die Vorlesungen noch bis zu Ende des akademischen Jah-
res 1830 fortdauern.
Macdebitig. Dem Propste Dr. Roetger ist bei seiner am 31 Jan.
begangenen Jubelfeier für seine Ehegattinn im Falle seines frühern Ab-
lebens eine Pension von 400 Thlrn. jährlich verheissen.
MirNCHEN zählt jetzt 1854 Studenten, von denen 192 Ausländer
Bind, 443 für Theologie, 405 für Jurisprud. , 248 für Medic. , 48 für
Pharmaceutik, 10 für Kameral- und 640 für allgemeine Wissenschaften
eingeschrieben sind und von 51 Professoren , 15 Hunorardocenten und
25 Privatdocenten unterrichtet werden.
Paris. Durch eine Kön. Ordonanz vom 11 Nov. 1829 ist die von
Ludwig XVIII gestiftete Urkundenschule (Ecole royale des Chartes) be-
stätigt und am 2 Jan. d. J. eröffnet worden. Sie lehrt ihre Zöglinge
zuerst in einem jährigen Eleraentarcursus, welclier im Kön. Archiv ge-
halten wird, die Urkunden der verschiedenen Zeiten entziflern und le-
sen. Dann folgt ein zMeiter zweijähriger Cursus auf der Kön. Biblio-
thek für Französ. Diplomatik und Paläographie. In demselben werden
den Zöglingen die verschiedenen Mundarten des Mittelalters erklärt und
ihnen Anweisung zur Kritik der geschriebenen Denkmäler jener Zeit
gegeben, so wie dazu, die Aechtheit derselben zu erkennen. Die
Zahl der Kön. Pensionszöglinge ist auf 6, höchstens 8 angesetzt, de-
ren jeder 800 Fr. jährlich erhält. Keiner darf bei seiner Aufnahme
unter 18 Jahr alt und niuss Baccalaureus (Magister) seyn. Alle Jahre
kommt in der Kön. Druckerei ein Band Urkunden, welche die Zöglinge
364 Schul- und Uni ver sltäts nachr ichten,
übersetzt haben , mit g'er^-enüberstehender Uebersctzung' heraus. Die
Saiuiulung erscheint unter dem Titel: Bibliothek der Kbnigl. Urkunden-
Schule. Alle darin aufzunehmenden Stücke müssen zuvörderst einer
Commisision vorgelej^t werden, welche aus dem beständigen Secretair
und zwei Mitgliedern der Akademie der Inschriften, zwei Bibliotheka-
ren der Kön. Bibliothek und dem Archivar des Reichs besteht. Wäh-
rend der Studienzeit nehmen die Zöglinge an den Arbeiten der Manu-
ecripten- Kammer der K. Bibliothek, so wie an dem K, Archiv Theil,
und haben sich in dieser Hinsicht nach allen den Vorschriften zu rich-
ten , wie die bei diesen Behörden Angestellten. Die sämmtlichen Zög-
linge der Urkunden -Schule können sich um die Aufnahme unter die K.
Zöglinge bewerben. Die Entscheidung über ihre Zulassung hängt von
der oben genannten Comraission ab, die eine doppelte Liste von Be-
werbern , zuerst für den Monat November 1830, und späterhin bei Ge-
legenheit eines jeden Wechsels der Kön. Pensionäre einreichen muss.
Ausser der „Bibliothek der Urkunden- Schule" erscheint in der Kön.
Druckerei alljährlich und auf ähnliche Weise, unter der Leitung der
oben genannten Commission , ein Band Französ. Urkunden, in chrono-
logischer Ordnung und mit kritischen Bemerkungen. Diese Sammlung
wird den Titel „Bibliothek der Französ. Geschichte" führen. Von
dem zur Beförderung der Wissenschaften und Künste im Budjet festge-
setzten Quantum werden 3000 Fr. zur Belohnung für diejenigen Zög-
linge bestimmt, deren Arbeiten sich am meisten in jenen Sammlungen
auszeichnen. Die Akademie der Inschriften schlägt dazu vor. Nach
den vollendeten zwei Studienjahren werden die Zöglinge der Diploma-
tik aufs neue von den Richtern für den ersten Cursus geprüft. Dieje-
nigen, welche diese Prüfung bestellen, erhalten von dem Minister
Staats- Secretair das Patent eines Paläographen- Archivars (archiviste
paleograpbe) und werden bei der Erledigung der Hälfte der Stellen in
den öffentlichen Bibliotheken (der Kön. Bibliothek in Paris ausgenom-
men), den Archiven des Reichs und den versclüedenen wissenschaftli-
chen Anstalten vorzugsweise berücksichtigt. Der Minister Staats -Se-
cretair des Innern hat den Befehl, das nöthige Reglement für die Disci-
plin und Stiidienordnung in der Urkunden- Schule zu entAverfen, nach-
dem er zuvor das Gutachten der Akademie der Inschriften eingeholt
hat. — Laut der Nachrichten in der Gazette de Tinstruction publique
vom 25 Octbr. 1829 ist am 5 Nov. die neugegründete Handlungs- und
Industrieschule eröffnet worden. Besondere Lehrstühle an derselben
sind erriclitet: 1) für die auf den Handel bezügliche Gesetzgebung,
2) für die auf den Handel angewandte Mathematik , 3) für die Fran-
zösische Literatur , 4) für Geschichte , Geographie und Statistik, 5) für
die Chemie in ihrer Anwendung auf Gewerbe, 6 — 9) für Englische,
Spanische , Italienische und Neugriechische Sprache.
PuEirssEiv. An die Kön. wissenscliaftlichen Prüfungscommissionen
des Königreichs hat der Staatsministcr Frcilierr von Altenstein unter dem
26. Octbr. 1829 folgende Verfügung erlassen: „Um zu verhindern, dass
CS den Schulanits - Candidaten , welche von einer Königl. Wissenschaft-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 365
liehen Prüfungä-Commission in der Prüfung pro fiicultate docendi kein
genügendes Zeugniss erluilten hiiben, oder auf eine Zeit lang als un-
tüchtig zurücligcv. icscn Mcrden müssen , nicht Avie hercits geschehen
ist, durch Verschweigung dieses Uinstandes gelinge, hei einer andern
Kön. wissenschaftlichen l'rüfiings-Commission sogleich wieder zugelas-
sen zu Averden, und von dieser das versagte Zeugniss zu erhalten, wird
sänimtlichen Königl. Prüfungs - Coinniissionen liicrdurch Folgendes zur
Pflicht gemacht : 1) Die Kön. Avissenscliaftl. Prüfungs - Coniiuission hat
künftig von jedem Falle, wo sie einen Schulamts -Candidaten als noch
untüchtig zu einer Anstellung an einem Gjmnas. und an einer höhern
Bürgerschule zurückgewiesen hat, den übrigen Königl. wissenschaftl.
Prüfungs- Comraissionen sofort Mittheilung zu machen, und denselben,
ausser dem vollständigen Namen und Geburtsort des Zurüc-kgewiesenen,
die Bemerkung, auf Avelche bestimmte Zeit ihm das erforderliche Zeug-
niss versagt worden, so Avie eine Uebersicht der Prüfungs -Resultate
in den einzelnen Fächern, nicht minder die etAva obwaltenden Beden-
ken gegen sein Verhalten in sittlicher Hinsicht beizufügen. 2) Es ist
keiner, der auf eine bestimmte Zeit zurückgcAviesen worden, vor Ab-
lauf derselben zu einer neuen Prüfung zuzulassen. 3) Schulamts-Can-
didaten , die zwar nicht auf eine bestimmte Zeit zurückgcAviesen Avor-
den, aber doch in der ersten Prüfung ein so ungünstiges Zeugniss er-
halten haben, dass sie in keinem Lehrgegenstande zum Unterrichte in
den mittlem Classen eines Gymnae. oder einer höhern Bürgerschule für
fähig erklärt Avorden , dürfen nicht vor Ablauf von zAvei Jahren zu ei-
ner neuen Prüfung zugelassen werden. 4) Bei der Aviederholten Prü-
fung ist auf grössere Reife und Tüchtigkeit in den Disciplinen, in Avel-
chen es dem Geprüften bei dem ersten Examen an der nöthigen Kennt-
niss und Geschicklichkeit gefehlt hat, ganz besonders zu achten. 5)
Sollte, wider Erwarten , der Fall eintreten, dass Ausstellungen gegen
die Moralität des Geprüften die Ursache des ZurückAveisens gCAvesen,
so ist ihm das Prüfungs -Zeugniss , auch wenn er die erforderlichen
Kenntnisse zeigen sollte, doch nur unter der Bedingung zu ertheilen,
dass er die zuverlässigsten Zeugnisse seines Wohlverhaltens beigebracht
hat, Avobei es nicht genügt, dass sie in allgemeinen und verneinenden
Ausdrücken, z.B. dass nichts Widriges bekannt sey, abgefasst sind,
fiondern auf eine so specielle Abfassung gehalten Averden muss, dass
sich aus ihnen die Wahrscheinlichkeit der erfolgten Besserung schöpfen
lässt. Es Avird dabei immer ZAveckmässig seyn, die Ansichten der Kön.
■wissenschaftl. Prüfungs - Commission , welche jene Ausstellungen ge-
macht hat, vorerst zu vernehmen. — Zu Mitgliedern der wissenschaft-
lichen Prüfungs-Commission für das Jahr 1830 sind ernannt : in Berlin
der DIrector Dr. Köpke für das Fach der Geschichte und Geographie,
der Schulrath Otto Schulz für das der Mathematik u. Physik, der Prof.
H. Ritter für das der Philosophie und Pädagogik, der Prof. Lachmann
für Philologie, der Consistorialrath Brescius für Theologie und Ile-
hräisch ; in Breslau der Consistorialrath Menzel für Gesch. u. Geogr.,
der Prof. Dr. Scholz für Math, und Physik, der Prof. Dr. Braniss für
366 Schul- und Univ ersitutsnachrichten,
Philos. u. Pädag. , der Oberlehrer Dr. Bach für Philol., der Consisto-
rialrath' Don Cöln für Theol. u. Hebr. ; in Kömcseeec der Prof. Lobeck
für Piniol., der Prof. Bessel für Mathem. u. Physik, der Prof. Schubert
für Gesch. u. Geogr., der Director Gotthold für Philos. u. Pädagogik,
der Prof. Olshausen für Theol. u. Hebr.; in Haile der Prof. Voigtcl
für Gesch. urd Geogr., der Prof. Meier für Philol., der Prof. Scherk
für Mathem. u. Physik, der Prof. Gruber für Philos. u. Pädagog., der
Prof. Guericke für Theol. u. Hebr.; in Bonn der Prof. Diestenvcg für
Mathem. u. Physik, der Prof. Heinrich für Philol., der Prof. JJlndisch-
mann für Philos. u. Pädag. , der Prof. Label für Gesch. ii. Geogr., der
Oberconsistorialrath Augusti für Theol. u. Hebr.; in Mi.\ster der Con-
Eistorialrath Kohlrausch für Gesch. u. Geographie, der Prof. Grauert für
Philol., der Director Nadermann für PJiilos. u. Pädag., der Dr. Bau-
viann für Math. u. Physik, der Consistoriairath SchmülUng für Theol.
u. Hebr. — Sr. Maj. der König haben dem wirklichen Oberconsisto-
rialrathe Dr. Ehrenberg in Berlin den rothcn Adlerordcn 2r Classe ver-
liehen ; denselben 3r Classe aber dem geheimen Oberregierungsrathe
Uhden, dem geh. Medicinalrathe Dr. Klug, dem Consistorialrathe Dr.
Brescius, den Professoren Mitscherlich u. Enke und dem Director Spil~
lecke in Berlin, dem Prof. Lobeck in Königsberg, dem Consistorial-
rathe Bibbeck inERFiT.T, und dem Regierungs- und Schiilrathe JFciss
in Mersebi RG. Der Prof. Dr. Stein in Berlin hat in Folge seiner Stif-
tung am Gymnasium zum grauen Kloster [Jbb, XI, 357.] den rothea
Adlerorden 3r Classe nebst einem allergiiädlgsten Handschreiben und
der Conrector ffenzcl zu Landsberg a. d. W. den rothen Adlerorden 4r
Classe erhalten. Zur Unterstützung von liofFnungsvolIen und hülfsbe-
dürftigen Söhnen verstorbener Geistlichen und Schullehrer ist für das
Jahr 1830 die Summe von 5000 Thlrn. , zur Einrichtung einer Profes-
soren-Wittwen- und Waisen- Casse bei der Universität in Königsberg
ein jährlicher Zusciuiss von 1000 Thlrn. ans Staatsfonds bewilligt. Zur
Unterstützung solcher Individuen , die aus dem Judenthnme zum Chri-
stenthume übergegangen sind , hat der König aufs Neue die Summe
von 1000 Thlrn. bewilligt; das zoologische Museum in Berlin hat ei-
nen ausserordentlichen Zuschuss von 1327 Thlrn. aus Staatsfonds er-
halten. Für das Gymnasium in Coesfeld ist ein mathematisch -physi-
kalischer Apparat von den Mechanikern Gebrüder Müller in Berlin für
343 Thlr. angekauft worden. Dem Dr. Beinhold Dielz, welcher schon
eeit zwei Jahren auf einer wissenschaftlichen Reise durch Deutschland
und Italien begriffen ist , um für die von ihm zu veranstaltende Aus-
gabe der Griech. Aerzte Handschriften zu vergleichen, wird zu glei-'
chem Zwecke nun au«;h mit weiterer Unterstützung von Seiten des Mi-
nisteriums der Unterrichtsangelegenheiten nach Spanien reisen, um be-
sonders die Kön. Bibliothek in Madrid und die von St. Lorenzo im Es-
curial zu benutzen. Unerwartet nämlich hat er in einem Codex der
Bibliotheca Braydensis zu Mailand einen Catalog der Griechischen, La-
teinischen , Spanischen und Orientalischen Handschrr. im Escurial ge-
funden, aus welchem hervorgeht, dass dort noch vorhanden sind:
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 3Glf
1) das für verloren gehaltene Buch des llippokrates negl IßdofiuScop,
von welchem Dietz schon in einer Venediger Handschrift Bruchstücke
fand; 2) Soramis von Ephesns ; 3) Mcandri duo Ubri epidemicoritm; 4)
Dionysü Cassü Uticensis Ubri X de a^ricuUura, also die von Plinius er-
wähnte Gricch. Uebersetzung des Puiiischcn Mago. Seine Rückreise
wird Dietz über Paris, England und Leyden nehmen, um auch dort
die vorhandenen Handschrr. für seine Zwecke zu benutzen. Der Pri-
vatdocent Dr. Kaufmann bei der philosoph. Facultät in Bo\n erhielt
eine ausserordentliche Unterstützung von 100 Thlrn. , der Collaborator
Kreuscr am Jesuiter- Gymnasium in Cöiiv von 100 Thlrn., der Lelirer
Oehme am Gymnas. in Erflrt von 50 Thlrn., der Rector JölherUng
aa NiiUENBiRG von 100 Thlrn. Eine Gehaltszulage von 200 Thlrn. er-
hielt der Prof. Dr. ScJilechtendal an der UnIvers. in Berlin, von je 100
Thlrn. die Proff. Dr. Purkinje, Ahegg und Ganpp an der Univers, in
Breslau, der Prof. Hünefeld an der Univers, in Greifswald, der Leh-
rer Dr. Merlecker am Gyranas. in Gumeixnex, der Pastor und Lehrer
JVolterstorff am Gymnas. in Salzwedel, von 30 Thlrn. der Gesangleh-
rer Menzel am Gymnas. in Lyck , von 200 Thlrn. der Professor Kiselen
in Halle und von 400 Thlrn. nebst dem Prädicat „Consistorialrath" der
Prof. Dr. Tholuck daselbst. Als Remuneration wurden ertheilt je 100
Thlr. den Pro/T. Bütticher , Wendt und Yxem , und 25 Thlr. dem Fran-
zösischen Sprachlehrer Rosenau am Friedrich- Wilhelms- Gymnas. in
Berlin, 100 Thlr. dem Prof. Dr. Dietz in Boan, 50 Thlr. dem Prof.
Dr. Wissowa am kathol. Gymnas. in Breslau, 50 Thlr. dem Director
Reuscher in Cottbus, 50 Thlr. dem Collaborator Sauppe am Gymnas.
in Eislkbex, 100 Tlilr. dem ausserord. Prof. Dr. Pelt in Greifswald,
50 Thlr. dem Oberlehrer Dr. Stern am Gymnas. in Heiligexstadt, 50
Thlr. dem Director Jrnold zu Kömgsbeug in der Keumark, 50 Thlr.
dem Lehrer Dr. Jfßrner am Gymnas. in Liegmtz , 300 Thlr. dem Con-
sistorial- und Schulf^the Mohnicke in Stralsund, 100 Thlr. dem Pre-
diger und Lehrer Lambrechts am Gymnas. in Wesel; als Gratification
200 Thlr. dem Prof. Dr. Casper bei der Univers, in Berlin, 50 Thlr.
dem Oberlehrer Dr. Kapp am Gyranas. in Minden, 100 Thlr. dem Su-
perintendenten Nagel in Hirscuberg für den Unterricht in der Religion
und dem Hebräischen im Gymnas., und je 50 Thlr. den Oberlehrern
Ender und Balsam, dem Conrector Lucas und dem SchulcoUegen Paul
ebendaselbst. — Durch eine Kön. Cabinetsordre vom 12 Nov. vor. J.
ist bestimmt worden, dass der Militairstand nicht allein den bis jetzt
nur berechtigten altverheuratheten, sondern auch im Falle nachgewie-
eener Bedürftigkeit sämmtlichen im activen Dienste sich befindenden
neuverheuratheten Soldaten des stehenden Heeres vom Feldwebel ab-
M'ärts, mit Einschluss der Invaliden- und Garnison- Compagnieen und
der servisberechtigten Festungs-Unterheamten, das Benefiz des freien
Schulunterrichts für ihre Kinder gewähren soll. Für die Universitäten,
Kirchen, Schulen und milden Stiftungen im Preussischen Staate wer-
den jährlich über 2 Millionen Thlr. aus den Kön. Cassen ausgegeben;
die Universitäten erhalten davon 360,000 Thlr. Die Universität ILille,
welche bis 1799 nur 18,116 Thlr. jährlich erhielt, erhält jetzt 60,586
Thlr. Die Universität Breslau bekommt 67,056 Thlr, , darunter 56,700
Thlr., welche auf ehemalige geistliche Güter in Schlesien angewiesen
sind; die Universität Fkankfurt bezog nur 12,648 Thlr. Die Univers.
KüMGSBERG, M eiche früher nur 6920 Thlr. erhob, erhält jetzt 59,422
Thlr. und erhebt aus liönigl. Cassen 49,350 Thlr, Der Universität in
Berlin sind jährlich 84,190 Thlr. zugewiesen und für alle wissenschaft-
lichen Anstalten in Berlin 171,500 Thlr. bewilligt.
Stuttgart. Der bisher. Bibliothekar an der Kön. Privatbiblioth.
Moser ist zum Oberbibliothekar der öfFentl. Bibliothek mit dem Titel
und Range eines Oberstudienrathes , der Bibliothekar StüUn zum Auf-
seher des Münz-Medaillen-undKunstcabinets mit dem Titel und Bange
eines Gymnasialprofessors ernannt worden.
Tilsit. Das Gymnasium verlor im Schuljahr 18|| (im Mai
1829) durch den Tod den Gesanglehrer Cantor Herfords nach lan-
ger Krankheit. Seine Unterrichtsstunden hatte schon seit längerer
Zeit der Hülfslehrer und Pauperinspector Gisevius übernommen.
Unter tiem 9 Januar 1829 wurde der Schulamtscandldat Heinr. Dörk,
ein ehemaliger Zögling der Schule, mit einem jährlichen Gehalte
von 300 Thlrn. als Hülfslehrer angestellt. In dem genannten Schul-
jahr wurde ferner der Bau des neuen Schulgebäudes (das alte ging
durch Brand zu Grunde) vollendet und dasselbe am 19 Octbr. 1829
bezogen.
Angekommene Briefe.
Vom Januar Br. v. P. a. G. [Freundlichen Dank. Was an mir
liegt, soll für schnelle Gewährung gethan werden. Für das Frü-
here habe ich noch keine passende Gelegenheit gefunden.] — Vom
19 Jan. Br. v. F. a. P. [ Ist bereits erfüllt. ] — Vom 25 Jan. Br.
V. F. a. M. [Herzlichen Dank für die Anlage. Der V^unsch wird
in beiderlei Hinsicht wahrscheinlich bald erfüllt werden.] — Vom
Februar. Packet von L. a. D. [m. Rec] — Vom 3 Febr. Br. v.
R. a. L. [Kann zur Zeit noch nicht gewährt werden.] — Vom
4 Febr. Br. v. L. a. JB. [Ich wüsstc nicht, in welchen Puncten es
den Jahrbüchern bis jetzt nachtheilig geworden wäre, Anonymität
und Pseudonymität nicht zugelassen zu haben.] — Vom 10 Febr.
Br. v. B. a. B. [Ist alles richtig eingegangen, wie Sie jetzt wohl
schon aus meinem Briefe wissen.] — Vom 12 Febr. Br. v. IL a. D.
[m. Rec] — Vom 18 Febr. Br. v. M. a. J. [m. Rec] — Vom
20 Febr. Br. v. C. a. R. [Die Recension wird willkommen seyn:
wegen des übrigen nächstens.]
I n h a 1 1;
von des ersten Bandes drittem Hefte.
Zell: Ferienschriften. — Vom Professor Dr, Lange in Schulpforti. S. 243 — 257
Koberstein: Grundriss zar Geschichte der Deutschen National - Littcra-
tar. — Vom Oberlehrer Dr. Bach in, Breslau. . . .257 — 268
denzel; die Deutsche Litteratnr. \ .
Schacht: Ueber Unsinn und Barbarei in der > Von demselben. 268 — 282
heutigen Deutschen Litteratur. /
iaindl: Die Deutsche Sprache aus ihren \ Vom Herzogl. Biblio-
Wurzen. 5 thekar u. Gymnasiallehrer
Jeher die Sprache. J Lindner in Dessao, 282 — 303
\Iozin: Vollständiger Auszug der Französischen
Sprachlehre,
üosi'n; Nouvelle grammaire allemande-fran-
9aise.
''rings : Ausführl. Grammatik der Franzosi- f Vom Bibliothekar u.
sehen Sprache. > Gymnasiallehrer Dr,
jlfefisel: Handbpcb der neuem Franz. Sprache| Schaumann in Büdingen. 303 — 314
I i ,. und Litteratur.
•aigey: Erklärende Franz. Lehrstunden.
*on GenKs : Die Kinderinsel , fibersetzt von
Ecleenstein.
ktersenr Philosophiae Chrysippeae fnndamenta. — Vom CoUaborator
Dr. Prahm in Flensburg 314 — 832
er Zusammenhang der Lateinischen 'und Griechischen Sprache mit dem
Sanskrit, nachgewiesen bei der Erklärung des Wortes Jupiter.
Vom Conrector Schmidt in Zeitz 833 — 319
eher die 28te Ode im Iten Buche des Horaz. Vom Professor JFeiske in
Leipzig 349 — 362
cknl- und Universitatsnaclu-ichten , Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 362 — 368
[iimHwmMiliiHii
XS^^^S^2S^^S^^2MS3i^\
^^s^^g^^^g^^^^#^^^^^^^^^s^^^a^^im^^^^^s^_
JAHRBÜCHER
FÜR
PHILOLOGIE undPJEDAGOGIK,
Eine kritische Zeitschrift
m Verbindung mit einem Verein von Gelehrten
herausgegeben
von
M. Joh, Christ. Jahn.
Fünfter Jahrgang.
Erster Band. Viertes Heft.
Oder der ganzen Folge
Zwölfter Band. Viertes Heft.
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
18 3 0.
Si quid novisti rcctius istis,
CandHliis impcrti; si non, his utere niecuin.
Griechische Schriftsteller.
I) Des Demostheiies Philippische Reden. Uebersetzt,
erläutert und mit einigen Abliandiun(>;en begleitet, von Dr. Albert
Gerhard Becker. Neuer Bearbtitung erster Tlieil. Halle, bey Job.
Christ. Hendel u. Sohn. 1824. [L\ll u. 24}) S. 8.] Zweiter Theil.
Nebst der Litei-atur der Philipiiischen Keden. ibid. 1826*. [ IV und
bey fortgesetzter Paginirung des In Bandes von S. 250 bis 584. 8.]
II) ]) emostheni s Philippicae. In usum scholaruin iterum
edidit Immanuel Bekkerus. Apposita est lectio Reiskiana. Berolini,
typis et impensis G. Rciraeri. A. 1825. [80 S. gr. 8.]
III) Demosthenis Philippicae. 'EA'iAii Carolus Au gmtus Ra-
diger. Pars prior. Lipsiae , libraria Weidraannia. G. Reimer. A.
MDCCCXXIX. Auch unter dem Titel: Dem. Phil, prima.,
Olynth, tres, et de pace. Textum ad I. Bekkeri editiones
recognovit, selectas aliorum suasque notas subiecit, coranientarium
historieum scripsit, varietatein lectionis ex aliquot coflicibns eno-
tatam et indices adiecit C. A. Rüdiger, Phil. Dr. Gyranasii Friberg.
Rector. Editio altera emendatior. [WI u. 239 S. 8.]
i^r. I. Herr A. G. Reck er hat auf den Wunsch der Verlags-
handhing., nachdem die erste Uehersetzung: Auserlesene Re-
den des Dernosth. u/id Aesch. erster Theil. Halle 1797. schon
längst vergriffen war, die Uebersetzung sämuitliclier Philipp.
Reden des Dem., so viele der Dionysische Kanon kennt, folg-
lich auch die als unächt angefochtenen in diesen zwey Bänden
herausgegeben. Von einem Manne, der mit der Attischen Be-
redsamkeit überhaupt so wolil bekannt, und durch langes Stu-
dium mit Demosthenes so genau vertraut ist, wie Hr. B-, Hess
sich auch nach der Jacohs'schen Bearbeitung etwas Treffli-
ches erwarten. Auch haben namentlicli solche, welche durch
Umstände gehindert sind, aus dem Original mit dem Redner be-
kannt zu werden, dem Studium des achtungswerthen Gelehrten
einen namhaften Ersatz zu verdanken. Und gerade wenn sich
Hr. B. eine solche Klasse von Lesern dachte, muss es llec. sehr
24*
312 Griechische Schriftsteller.
billigen, dass dem Ganzen eine üebersetzung der Plutarchi-
seilen Biographie des Dem. mit hinreichenden historischen An-
nieikungen (von S. XIII bis S. LXII.) vorangestellt worden ist.
Willkommen werden diesen Lesern ebeni'alls die ausführlicliea
Eiuleituiigen seyn. Die zahlreichen Anmerkungen zu den Reden
geben historisclie Erläuterungen über einzelne Stellen, Recht-
fertigungen der üebersetzung und liäuüg kritische Erörterun-
gen von Lesarten. Bedeutender als die kritischen sind wohl
die erklärenden Anmerkungen, und das riciitige Verständniss
mancher Stelle hat aucii Hr. B. zuerst eröffnet. Die beygeiiig-
ten kritischen Abhandlungen wird Bec. einzeln beriihren.
Von dem VVerthe der ganzen Bearbeitung auch für den Ge-
lehrten zeugt der vielfältige Gebrauch, den Bremi, Vömel,
Rüdiger von Beckers Arbeit gemacht haben. Ueber den
Charakter der üebersetzung glaubt sich Recens. so erklären zu
müssen: sie sey meistens sinngetreu, schliesse sich ziemlich an
das Original an, entferne sich aber hin und wieder ohne Noth
von demselben auf Kosten der Kraft und Biindigkeit des Aus-
druckes, habe ebenfalls wieder Härten und JN'achahmung der
griech. Wortstellung, die die übrigens lliesscnde Rede etwas
stören; an manchen Stellen endlich scheine auch der Ton der
Rede niclit völlig treu. INiclits desto weniger sind eine Menge
Schwierigkeiten vom Verf. überwunden und im Ganzen ist des
Dem. Cliarakter nicht verfehlt worden. Auch kann die Viber-
raschende und plötzlich tief wirkende Kürze des Ausdruckes
nicht immer übertragen werden, und ein anderer Zug des Red-
ners ist oft sehr schwer in der rednerischen röm. Sprache, ge-
scliweige denn in der unsern darzustellen, wir meinen die ei-
genthümliche Gewalt und Fülle der Perioden, die auch dem
Alterthum so bewunderungswürdig vorkam, wie Cicero bezeugt
de Or. I, Ol, 2f>] : tunlum est adsecutus^ ut una conliimatione
verborum^ id qnod eins scripta declarant, binae ei contentiones
vocis et remissiones coidinerentur. Und doch machen diese ei-
nen Ilauptcharakter des Dem. aus, z. B. in der amplificirten jte-
Qiodog TErpaxojAog, da nämlich, wenn der Gedanke in der l'ro-
tasis seinen Aufschwung erreicht zu haben und in der Apodosis
vollendet zu seyn scheint, unerwartet in der gleichen Periode
eine neue Spannung und Senkung eintritt; so dass der Zuhörer
im Erstaunen vor der üebermacht dahingerissen wird, zugleich
aber ihm der Eindruck zurückbleibt, als ob auch die reichste
Form der Fülle die innere Bewegung des Redners und die Tiefe
seiner Ergriffenheit nocli nicht völlig erschöpfe. Auf der an-
dern Seite hat es an vielen Stellen den Anschein, als ob der
Redner mit Gewalt den Strom seines Innern dämme, wodurch
er eine Haltung gewinnt, die ihm die Herrschaft über die Ge-
müther der Zuhörer utifehlbarer sichert, als der volle Erguss
des Stromes seiner Gefühle. Dieses Alles bringt aber eine Prä-
Des Demostlicncs Plillipi>. Reden, übersetzt von Becker. 373
cision und ein Vollgewicht des Ansdruckes ii. der Stellung Iier-
vor, weiches schwer zu übersetzen ist, so dass es Anerkennung
verdient, wenn auch nur annähernd den Forderungen Geniige
geschieht, welche Cicero in der Vorr. zu seiner Uebersetzung
des Demosth. und Aeschin. über den Ehrenkranz selbst an sich
stellt, de opt. gen. die. § 23: qnorum ego oraliones si, ul spero^
ita expressero^ tnrhitibus utens cor um omnibns^ id est., seil-
te ntiis , et earuni figuris^ et rerum ordine^ verba persegue/is
eatemts , ut ea non abhorreant a more nostro : {quae si e Groe-
cis omina conversa non erunt^ tarnen tit generis eiusdem sinf.,
elaboravimus:) eilt regula ^ ad quam eoruni diiigantur ora-
tiones , qui Aiticc volent dicere.
Mit Uebergehung nun dessen , was von den oben genann-
ten Herausgebern der Reden seither entweder gebilligt oder
berichtigt worden ist, so wie auch derjenigen verbesserungs-
fähigen Stellen der Uebersetzung, die auf altern seither ver-
besserten Lesarten beruhen , will Rec. aus der 1 Philipp. Rede
eine Reihe noch unberührter Pnnkte abhandeln, aus denen sich
ein Urtheil über den Werth vorliegender Arbeit wird entneh-
men lassen.
Vorher noch aber einige Bemerkungen zu Beckers Einlei-
tung in die I Pliil. — S. 6 hätten unter den Staaten, die sich
gegen Athen empörten und den Bundesgenosseiikrieg führten,
auch die Rhodicr erwähnt werden sollen, um so mehr, da Hr.
B. die Rede über die Freiheit der Rhodier citirt. — S. 8 über
die Verhandlungen wegen Amphipolis und über die politischen
Geheimnisse, so wie S. 14 über die Lage der Dinge in Thessa-
lien und die Art, wie Pliiiipp sich dort einmischte, findet man
jetzt mehrern Aufschluss in Vömels Prolegomenen. — S. 23
in der Note findet es Ilr. B. befremdend, dass der beiden nach
Diodor XVI, 35 von den mit Athen verbündeten Phokern über
Philipp erfochtenen Siege von Demosth. keine Erwähnung ge-
schieht, selbst da nicht, wo der Redner dnrch Erwähnung so
grosser Vortheile über einen bisher noch nie besiegten Gegner
den Muth seiner Mitbürger nicht wenig hätte erhölien können,
wie Phil. I p. 42 Rsk. (§ 8 Bkk.). Dagegen glaubt Rec, dass
wenigstens der Zweck der ganzen I Phil, eine solche Erwäh-
nung nicht erforderte. Demosthenes will die Athener aufmerk-
sam machen, dass durch die zweckwidrige Führung des Krie-
ges die Lage der Dinge gefährlich geworden sey, und schlägt
darum einen Plan vor, wie die Athener mit eigenen und verhält-
lüssmässig kleinen Mitteln den Krieg nachdrücklich führen könn-
ten. Dass Philipp schwer zu bekriegen sey, giebt Demosth. §4
selbst zu; allein, dass es möglich sey, den König zu schlagen,
würde wohl niemand in Zweifel gezogen haben. Vielmehr will
Dem. den Krieg in grossen Schlachten durchaus nicht geführt
wissen (§23: ort ovk tvi vvv fj^lv JtoQLöaöd'ai dvva^Lv tyv
374 Griechische Schriftsteller.
IxEtVö TCdQata^Ofisvrjv)^ sondern er dringt auf den kleinen
Krieg. Denn nur durch diesen, wenn er anhaltend \ind ver-
ständig an Philipps Grenzen geführt werde, könne man den
König im Zaum halten. Und für diesen Plan des Dem. würden
diePhoker, trotz ihrer zwey Siege, wegen ihrer letzten grossen
Niederlage unter Onoraarchos (Diod. 1. 1.) kein geeignetes Bey- '
spiel abgegeben haben. — Sowolil in dieser Einleitung indi-
rect, als auch anderswo S. 108 direct erklärt sich Herr B. zu
Gunsten der Einheit der I Phil., welche auch durch Bremi's
Untersuchung in den philol. Beytr. ausser Zweifel gesetzt, und
Ton allen seitherigen Herausgebern angenommen worden ist, so
dass sich Rec. wunderte, in W a c h s m u t h s hellen. AlterthiimS'
künde Ir Theil 2te Abth. (1828) S. 344 die Anmerkung zu fin-
den: „Ich sondere mit Dionysios v. Halikarnass den 2ten Theil
,,der sogenannten ersten, als spätere, für sich gehaltene Rede."
S. 34 der Beckerschen üebers. § 5 Bkk. fasst B. die Worte
ag xaksTiov TtoXs^Elv eötlv 'Ad'rjvaioig sxovGi xoöavTa Itclzuii-
CpLara rrjg avrov xagag agrjuov ovra övu^äxcov als directes
Selbstgespräch Philipps und liest avtov als Ortspartikel, so
wie auch SQtj^og g>v. Allein es ist diess oratio obliqua und so
zu übersetzen: dass es schwer sey zu hriefi^en mit den Athe-
nern., die so viele seinem eigene?i Lande drohende Festungen
haben ^ unihrend er selbst entblösst sey von Bundesgenossen.
Ueber die Lesarten s. Bremi und Rüdiger. — S. 3.'> (§ 7
Bkk.) lesen wir mit einem Tropus, der auch im Deutschen wun-
derlich klingt u. gewiss in Athen wenig Bey fall erhalten hätte:
wenn ihr a uf euch selbst fu ssend aufhören iverdet. Was
hinderte, die kräftigen ujid einfachen Worte: t^v v[ic5v avrcöv
i&El^örjtB ysvBö&ai aal navörjö^s, so zu geben : ive?i?i ihr euch
selbst lüollt angehören und davon ablassen'}: — ibid. § 8 in den
Worten: ^i-q yug cog &Eä vo/tii^st' Bxsiva rcc nagövra TCSTtrjys-
vm Ttgäyficittt d&avuza, welche B. übersetzt: den/i glaubet ja
nicht , dass bey Jenem das Glück wie bey einem Gott auf ewige
Zeiten bestehe, ist der bildliche Ausdruck 7iS7i7]yBvai, aufgege-
ben, welcher wenigstens mit/es^ sey7i hätte können ausgedrückt
werden, welches gerade durch die Erinnerung an die Neben-
idee von fest machen nicht unpassend wäre. — Wie einfach
lauten nicht eben dort die Worte: y,al av:av&' ööa TtBQ xal iv
ccXkoig TLöLV dvQQCOTtOLg iVL, ravTU xdv roig ftgr' bkhvov xq^
vonit,SLV avelvai, die last wörtlich hätten übertragen werden
können , und die bey Hrn. B. so heis?e.i : Atich kann 7nan wohl
a?mehmen, dass die, welche ihm ergeben sind, überall mit an~
dem MeJischeJi gleiche Gefühle hegen. Ueberhaupt glaubt Rec.
bemerkt zu haben, dass Hr. B. nicht selten den einfachen und
eben darum so einnehmenden Ton verfehlt habe, den nach Ci-
cero die in ihrer Gewalt haben müssen, qui Attice loqui volent,
und wofür derselbe gerade den Dem. als unerreichtes Äluster
Des Demostlicncs Plilllpp. Reden , übersetzt von Becker, 375
nennt. Z. B. S. 3ß § 11 : xccl yciQ av ovtog (o ^ilinnög) tl
nä%i]y Hr. B. : denn gesetzt, dieser sollte dahitifahr e n.
In der Anmerk. S. 64 entsclnihligt Hr. B. wohl nur zum Scherz
seine Uebersetzung mit der viel grellem lleiske's, aus der wir
der Belustigung lialber ein Stück entlehnen: „Ist Philippos todt*?
„Ich dachte, was mich bisse. Der Teufel wird ihn nicht gleich
,^liohien. Er ist noch nicht Willens zu sterben. Aber krank,
„todtkrank mag er wohl seyn. Ihr Thoren, was ist denn euch
„daran gelegen, er mag am Leben oder todt seyn, so ist das
„/^lles für euch gleicli viel. Mit seinem Ilintritt seyd ihr nicht
„um ein Haar gebessert. Denn sollte ihm gleich etwas raenscli-
„liches begegnen, so werdet ihr nicht lange warten, sondern
„euch bald einen neuen Philipp drechseln.'' Mitten in seiner
scurrilsten Laune hat doch Reiske an av n nä\frj nicht Hand
gelegt. Redet auch Demosth. oft wegwerfend von Philipp und
nennt er ihn auch schlechtweg av^Qcanog^ so behält er doch
überall sein ög/nvoV, ja er zieht lieber, wo es Ereignisse gilt,
die von höherer als menschlicher Macht abhängen, nach Grie-
chischer Art den ernsthaften Euphemismus vor, 7cä6%uv tl,
«. d. gl. Schwerlich auch hätten rohe Ausdriicke über solche
Dinge bey dem Athenischen Volke Glück gemacht. — S. 38
§ 14. Verunglückt ist die Construction : auch möge niemand
glauben , dass , wenn es anfänglich den Schein gewinnt , als
wolle ichy indem eine neue Art von Kriegsrüstung von ?mr
vorgeschlagen zu seyn scheint y hierdurch die Ausführung un-
seres Vorhabens verzögern. Warum nicht wo möglich so bün-
dig wie im Griechischen, wo es 1| Zeilen sind'? Auch glaube
keiner^ wenn es ihm gleich atifangs dünkt ^ ich schlage eine
neue Rüstung vor^ dass ich geflissentlich die Sachen auf^
schiebe. — Ibid. § 15: oifiat Tolvvv eyco ravta kiyeiv l';f£iv.
Hr. B, : Nun denke ich diess durch meine Vorschläge bewirken
zu können. Weder dem Worte noch dem Zusammenhang nach
richtig. Demosth. will sagen, dass er glaube den rechten Vor-
schlag machen zu können, — S. 39 § 17: 8üyc(Q iKslvco tovro
iv xy yvtSarj TtaQaöTijvai. Nun muss aber in seiner Seele
der Gedanke festgehalten werdefi. Ohne Noth und zum Scha-
den der Deutlichkeit ist die Verbindungspartikel verändert wor-
den. — S. 40 § 20 : änavt' iXattco vo^it,ovxis tlvai xov Ösov-
rog. Hr. B.: indem ihr erachtetet, das Ganze entspr e che
nicht de?n Bedarf., und deswegen — das Grössle bestimm-
tet, aber — nicht das Kleinste thatet. änavta heisst nicht das
Ganze. Der Sinn ist: in der Meinung, dass Alles, tras nur
immer einer vorschlug, geringer sey, als die Sache erfordere.
— Ibid. und füget hernach hinzu, wenn zu gering es euch be-
dünken sollte. Dem Deutschen Ohr missfällt der iambische
Ausgang und der Zwang in der Wortstellung. Wie kurz ferner
das Griechische äv tXdzta (paivritai. Die Schärfe des Modus
376 Griechische Schriftsteller.
würde Rec. hier lieber aufgeben und den Hinblick auf die Zu-
kunft mit da7in ausdrücken : wenn es sich dcmn als zu gering
zeigt. — Ibid. Die Athener sollen 50i) Bürger absenden, die
eine bestimmte Zeit im Felde seyen, keine lange zwar, aA/l'
oGov KV doH]j xaAüJg ^sx^iv, ex Öiadox^g a^l^loig. Herr B.:
sondern wie es euch nach der Zahl derer , tvelche sie ablösen
können^ dienlich zu seyn scheint. B. tilgt also das Comma nach
U%uv u. verbindet Ik ÖLad. <xXL mit doxij. Allein Ix öiad. steht
offenbar adverbialiscli, ist zu verbinden mit GxQaxBvo^kvovq.,
d. h. eine Abtheilung von 500 Mann soll dienen, so lang es euch
gut scheint, und abgelöst werden. — S. 42 § 23: ov xoivvv
VTtSQoyxov avT))v (^triv dvvafXLv). B. : und deshalb sey das
Heer kein übermässig angeschwelltes, lieber: massenhaftes.
Ibid. Aus Mangel an Löhnung verlassen die Miethtruppen den
Krieg der Stadt und laufen des Unterhaltes wegen diesem oder
jenem Krieg zu, o öl GxQatrjyog axolovQü. B. : der Feld-
herr folgt. Der komischen Färbung der Stelle wäre angemes-
sener: der Feldherr hintendrein. — Sehr gut getroll'en ist
S. 34 § 25 jene mimetische Schilderung der schwatzhalten
Athener, nur ist von dem Schwatzhaften ^la /J'i ov% ruiug ys
in Beckers FJy nein nur etwa jenes Staunen über die Unwissen-
heit des Fragenden ausgedrückt. Das Zungenfertige mangelt,
ist aber auch schwer zu geben. Und bald nachher, wo die Be-
setzung der zahlreichen Kriegsämter beliandelt wird, entspricht
der Ausdruck Bildarbeiter für ot 7C?LdxxovxBS xovg %)]kivovg dem
Demosthenischen Spotte nicht. Rec. wünschte: toie die, tvelche
die Lehmbilder formen , auf den Markt macht ihr die Taxiar-
cheTi und PhylarcheTi., nicht zum Kriege. — Olnie Noth ist
auch S, 44 § 29 von dem Griechischen: TiQOöJiOQiüxai xä Xoi~
nd avxo x6 öxgdxsvncc dno xov noke^ov, abgewichen worden:
dass das Uebrige dtirch den Krieg sich finden werde. — S. 45
§ 31; 7] xov xu^äva siitxsLQEi, oder den fVi?iter gebraucht^
könnte einen auf den Einfall bringen, xov %u^äva als Object
zu fassen, während es doch Zeitbestimmung ist, und zu iTti-
%BiQH etwa TtgdyfiaöL gedacht werden muss. — S. 4ß § 32:
TCQog avxf] xr] %(OQa xcu %Qog xoig x<av i^nogiav öxu^aöc grf-
öiag i<5xai. Hr. B. : kan7i in der Nähe des Landes und nahe
bey der Mündung der Hafen leicht vom Heere Gebrauch ge-
macht werden. Weder die Uebersetzung noch die Anmerkung
befriedigt. Ohne eine Aenderung vorzunehmen, versteht Rec.
zu (jaStws förat aus dem Vorigen als Subject tJ dvvcc^ig. Die
gute Jahreszeit hindurch wird die Macht in der Nähe des Lan-
des und der Häfen leicht sich aufhalten. Die scheinbare Härte
dieser Subjcctsergänzung verschwindet vö!li;r, wenn man be-
denkt, dass der Satz xrjv ö' cogav — töxai den Gegensatz ent-
hält von dem vorigen vTtaQxu d' v^ilv %uiiabicp ^\v %Qrj6d^aL
ry övvä^SL — nccv&' VTcdgx&L, wo jj dvva^ig auch den Haupt-
Des Demostlicncs Philipp. Reden , übersetzt von Beclicr. Z'it
punkt bildet, indem Dem. zuerst einen für die Macht geeigne-
ten Winteraufentlialt zeigt, dann eben so einen für den Som-
mer. So fasst die Stelle, wie Uec. jetzt bemerkt, aucli llVi-
diger in seiner zweiten Ausgabe. — S. 48 § 35 zerschneidet
Herr B. oline Grund die freilich lange, aber ausserordentlich
energische Periode von xalroL xt Ör) jrors — TlotiSatuv. Denn
während er vor üg a toöavra zur Fortsetzung für das Deutsche
seiir wolilthätig einschiebt i^'es^e, ?vclc/ie etc., hätten wir bey
roi)g d' aTtoötolovg nicht eine neue Periode erwartet Warum
dagegen, sondern einlach die Fortsetzung mit: dass dagc^eti.
Ibid.: ev ös xolg rou Ttols^ov, 15.: in den Gesetzen des Krie-
ges. Es muss aber heissen: in den Angelegenheiten des Kiie-
ges., wie der Zusammenhang beweist. — S. 49 § SX In den
Worten clg Ö£ xov ^ictu^v %q6vov Öwä^iEig bringt Mr. B. durch
das Wort Selbst die inzwischen aufgebotenen Ileercshaiifen
eine Hebung liervor, die unserm Gefühle nach dein zwar in-
nerlich bittern, äusserlicli aber ruhig die Erfolge aufzählenden
Tone der Rede zuwider ist. — Ibid.: Er hingegen schreitet
%u solchem Frevel., doss er den Buböern bereits solche Briefe
sendet, vßgig ist hier nicht Frevel , sondern der Uebernmth.,
der an dem Barbaren die. Atliener allerdings empören soll. —
§ S8: aA/l' 'iGcog ovx 'ij^scc azovuv. akX' d fi£V, o(5a av xtg
VTCSQßyj xä Xoycp , Iva (.nj Ivmjöj], aal xa TtQccy^axa vtibq-
ßijösraL., ösl TiQog rj8ovy]v drj^rjyoQSLV , %. x. X. Es ist offen-
bar des Redners Absicht, einen Gedanken folgender Art aus-
zusprechen: Wenn das Unangenehme der Sache zugleich mit
der Nichterwälmuug im Wort auch in der Wirklichkeit ver-
schwindet, so muss man die Saclie von der angenehmen Seite
vorstellen; bringt aber die angenehme Behandlung durch die
Rede der Sache Schaden, so muss man auch das Unangenehme
mit dem Worte berühren. Hr. B. übersetzt obige Worte: Frei-
lich inöchte nur das , ivas Mancher iti der Rede übergeht , um
nicht missfällig zu werden , auch in der Wirklichkeit verschwin-
den: dann n. s. w. Diese Ucbcrsetzung tadelt Rüdiger in
der zweiten Ausgabe woltl mit Unrecht, indem er übersetzt:
ivenn das., was man übergeht., auch überhingehi soll., so muss
man u. s. w. Die Frage ist, ob Ttgäyi^iata hier wie xßipo'g, der
günstige Zeitpunkt, oder als schwierige Lage und unglückliche
Ereignisse gcfasst werden soll. Der Gedanke ist aber nicht et-
wa: wenn man beabsichtigt, dass die im Wort übergangene
gute Gelegenheit, sich der Dinge zu bcmäclitigen , auch in der
Wirklichkeit ungenutzt vorbejstreichen soll, so braucht mau
nur nach Gefallen zu reden; sondern Dem. will sagen: wenn
das Wort die wundersame Kraft hat, auch Schlimmes gut zu
machen. Und offenbar waltete hier bey dem Redner die Vor-
stellung von der Schwierigkeit der Ttgäyfiata vor, vergl. nur
die Worte tva ^7} IvTir^öy., und im Folgenden oöu av ?} övG-
3*8 Griechische Schriftsteller.
XBQtj- Das Futur. vjtsgß^ösraL ^ welches vielleicht Rüdij^ern
zu seiner Ansicht hestimmte, drückt nichts ans als: wenn er
schon voraus weiss, dass diess eifjtreffen wird. Nur dass er
dieses Fntur. vernachlässigte, kann an B. getadelt werden. Da-
gegen in den Worten sl d' tj zav Xöyav %(XQig, äv fj firj ngoöi^-
5coi;öa, egya ^tj^ia yiyvhxat , uIöxqov %. x. k. , wo Hr. B. über-
setzt: Wenn aber die schmeichebide Rede^ die der Sache nicht
angemessen^ JS achtheil bringt, o dann ist es entehrend^ hat
dadurch, dass iQya zu TCQOötJKOVöa gezogen wurde, die Kraft
des Gedankens sehr verloren. Der Zusammenhang lehrt übcr-
diess, dass egya den loyotg entgegengesetzt sey. — Als Bey-
spiel einer trefflich gelungenen Stelle führen wir an S. 50 § 4« H".:
„Wie aber Barbaren faustkämpfen, so krieget ihr gegen Philip-
„pos. Ist einer von jenen getroffen, stets greift er nach derwun-
„den Stelle. Fällt der Schlag anderwärts, dort sind die Hände.
„Dem Streiche vorbeugen , oder den Gegner ins Auge fassen,
„das versteht, das will er nicht. So ihr. Hört ihr, Philippos
„sey im Cherrlionesos , ihr beschliesst: dorthin soll Hülfe ge-
„sandt werden ! Heisstes: in Pylai, dorthin! Und wenn noch
„anders wo, so lauft ihr neben ihm her oben und unten; ja, ihr
„macht eure Feldzüge unter seiner Anführung." — S. 55 am
Schluss der Rede: ö^cog tnl tä Gvvoiösiv Vfilv iav TtQa^rjXB
ravta mTiBlöQ^ca , Xeyuv atgodfiai. Hr. B.: will ich dennoch
f ort fahr en^ solchen llath zu geben^ der meiner Ue-
berzeugung nach dann ^ wenn ihr ihm folget^ euch nützet.
Dem. will aber sagen, trotz der wahrscheinlich schlechten An-
erkennung seines guten Rathes ziehe er dennoch der Schönred-
nerey die Sprache der Wahrheit vor, indem er sich für diesen
Fall, wo er so wenig den Zuhörern Angenehmes vorbringen
konnte, entschuldigt. In Hrn. B.s Uebersetzung aber wird mau
eine Erklärung des Redners über sein künftiges Verfahren fin-
den , welches Dem. nicht gab. Doch um nicht gar ausführlich
zu werden, will Rec. mehr oder minder wichtige Bemerkungen
über einzelne Stellen ferner nicht mittheilen, nur glaubt er
nach mehrjähriger Vertrautheit mit dieser Arbeit Hrn. Be-
ckers versichern zu können, dass in den meisten Reden das
gleiche Maass von Mängeln sowohl als von Vorzügen zu finden
sey, wie in dieser I Phil., die Rec. blos aus zufälligen Ursa-
chen vorzugsweise hier durchgangen hat.
Eine sinngetreuere Darstellung also ist in manchen Stellen
noch möglich, eben so ein engeres Anschliessen ans Original,
ohne darum ins Steife zu verfallen. Ein sorgfältigeres Wieder-
geben manches bildlichen Ausdruckes und eine zartere Behand-
lung manchen Tones wird Hrn. B. bey seiner Liebe zum Red-
ner und bey seinem Studium desselben nicht schwer fallen in
einer dritten Bearbeitung, die das Buch verdient und ohne
Zweifel erhalten wird, üebrigens hat auch so ein künftiger
Des Demosthenes Philipp. Reden, übers, v. Becker. S79
Uebersetzer ohne Zweifel so viel Ursache zur Dankbarkeit ge-
gen Ihn. B., wie dieser ehrenwerthe Mann sie gegen seine Vor-
gänger ausspriclit.
Einen ganz besondern Werth verschaffen dem Buche die
historischen Einleitungen und die Zugabe von mehrern For-
schungen aus dem Gebiete der höliern Kritik. Erstere sind
durchweg aus den Quellen gescliöpft und grossen Thcils mit
solcher Klarheit veri'asst, dass der Leser daraus eine höchst le-
bendige Ansicht der Verhältnisse gewinnt, in welchen die Rede
gehalten wurde. Den critischen Untersuchungen ist accjirate
Saclikenntniss, Umsicht und milde Behandlung abweichender
Ansichten in hohem Grade eigen. Der erste Band enthält ne-
ben dem schon Genannten die 3 Olynth, und die 11. vom Frie-
den sammt Einleitungen und Anmerkungen, iiberdiess noch eine
Abhandlung über die Stellung der Olynthischen Reden, deren
Resultat bei Hrn. B. niciit zu Gunsten des Dionysius ausfällt.
Doch diese will Rec. jetzt für eiimial übergehen, da er sich
neulich (in Bremi's Ausgabe der Philippischen Reden) in seiner
zweiten Bearbeitung diese Frage über die wesentlichsten Ein-
wendungen, die Hr. B. gegen Dionysius macht, ziemlich ausführ-
lich erklärt liat. Der zweite Band enthält den Rest der Philip-
pischen Reden wieder mit Einleitungen und Anmerkungen.
Eingeschaltet sind dann auch Untersuchungen über den Verf.
der Rede tcsqI 'AXovvriGov , über die Aechtheit der IV Phil.,
und über die muthmassliche Zeit ihrer Aufnahme in den Ka-
non, und über die Aechtheit des Philippischen Briefsund der
darüber gehaltenen Rede selbst.
Als Probe möge hier die Untersuchung über den Verfasser
der Rede %b.qI 'AIovv, gelten, von welcher Rec. die Beweisfüh-
rung Hrn. B.s in ihren Hauptmomenten durchgehen und gele-
gentlich beleuchten will. Zwar hat schon Rüdiger de ca-
none Philipp, p. 11 sq. sehr wahrscheinlich gemacht, dass diese
Rede dem Ilegesippos gehöre; allein Hrn. B.s Untersuchung
bringt eben dieses Resultat fast zur völligen Gewissheit.
Bei der Erörterung der äussern Zeugnisse unterscheidet
Hr. B. zuvörderst richtig zwischen dem Gewicht, welches einem
Dionysius und Libanius beygelegt werden muss, und dem unbe-
deutendem, welches den zahlreichen spätem Rhetoren, Scho-
liasten und Le.vicographen zukommt, die hierin nur von den
früliern abhängig waren. Wie entschieden übrigens auch von
diesen die Denkendem über die Unähnlichkeit dieser Rede mit
Demosthenes sonstigem Charakter überzeugt waren, zeigt das
Urtheil des Photius Bibl. p. 1(99 sq., der zwar zugiebt, dass sie
in Form und Styl den übrigen Reden des Dem. ungleich sey, es
aber für möglich hält , dass Dem. einen verschiedenen Gegen-
stand auch verschieden behandelt habe, und unsere Rede auch
als ein aXdzzco^ax^s ^rjnoöd^evtmjg (pvöBog dastehen könne, eine
380 Griechische Schriftsteller.
Ansicht, die nur auf der höchsten Oberfläche stehen bleibt.
Die Hauptfrage aber, worauf es ankommt, ist, ob, wer sie dem
Dem. absprach und dem Ilegesippus zuwies, diess nur aus In-
nern oder auch aus äussern Gründen gethan habe. In dieser
Beziehung handelt es sich zunächst um die Aussage zweier
Männer, des Dionysius und Libanius, und dann ferner um die
Frage, ob auch sie sich auf äussere glaubwürdige Zeugnisse
stützten. Libanius nun in der vTtö&sötg entscheidet sich meist
mit iimern Gründen für Ilegesippus, und bemerkt unter andern:
VTtCOTtTtVOV ÖS Xal OL TlQSößvzSQOL TGV kÖyoV COg OV TOV Qt'jTOQOg
(des Dem.). Da nun aber Dionysius über die Rede keinen Ver-
dacht äussert, so folgert Hr. B. , dass Libanius mit dem Aus-
druck nQ^ößvrsQOi nicht auf Kritiker der Augusteischen Zeit,
sondern auf frühere, namentlich Kritiker der Alexandrinischen
Schule hinziele. Diess suclit Hr. B. wahrscheinlicli zu machen
mit zwei Gründen. 1) Hegesippus sey ein so wenig gekannter
Redner gewesen, dass Dionysius seiner gar nicht erwähne;
man könne also auch nicht annehmen, dass erst in Dionys^ius
Zeitalter die Ansicht über Hegesippus als Verfasser aufgekom-
men sey. 2) Eine Bekanntschaft aber des Libanius mit ünn
Alexandrinern sey zu folgern, weil er der Rede den Titel Ttgog
r)jv iitiöroXriv rrjv Oikinnov wieder geben will, welchen der
Alexandriner Kallimachus erst in den unpassendem mgl AXov-
mjöov geändert hatte.
In Beziehung auf das Letztere bemerken wir, dass zwar
eine Bekanntschaft des Libanius mit Kallimachus nicht unmög-
lich ist, aber auch wegen der Verbesserung der Ueberschrift
iiiclit notliwendig gefolgert werden rauss, weil Libanius eine
solche Notiz auch erst aus Dionysius entheben konnte, welcher
yt£Qi ÖELV. p. Oüi Rsk. sagt ov STtiyQccqpEi, Kci?JJ[xa%og tc^qVAXov-
V)]öov. Dabey wird nicht geläugnet, dass auch Libanius aus
alten Quellen schöpfte , wie z. B. die Notiz , dass nicht Dem.
sondern Hegesippus den Kalüppus anklagte. Wenn aber in
dem erstem Argumente Ilr. B. andeutet, die Notiz des Liba-
nius, dass die Rede deswegen dem Hegesippus beygelegt werde,
weil dieser in solchem Styl geschrieben habe, sey wohl einem
Alexandrinischen Kritiker entnommen, zumal da Dionysius den
Hegesipp nicht nenne; so rauss Reo. bemerken, dass freilich
Libanius sagt: %icpaQaxaöl yk tlvbs (tov loyov) ovta 'Hyr]~
öLTtTtov xal (XTCo rfjg löeag xäv Xöyav aal dno täv ngayua-
x(OVy aber nach iÖkag räv köycov auch hinzusetzt : toiavti} ydg
y,ilQi]xcu^ woraus hervorgeht, dass Hegesipps Reden noch
zu Libanius Zeiten existirten, dass also nicht nolhwendig nur
vor Dionysius, sondern auch nach ihm , wiewohl sclion vor Li-
banius, Kritiker auf den Gedanken kommen konnten, die fiag-
liche Rede dem Ilegesippus beyzulegen. Ueberhaupt aber
glaubt Reo., dass diese Ansicht erst nach Dionysius zu Ansehen
Des Dcniosthenes Philipp. Reden, übersetzt von Bcclfcr. 381
gelangt sey iiiul dass sie die Alexandriner nicht aufgebracht
Italien, und zwar aus folguiulem Grunde. An drey Stellen, die
Ilr. B. aniührt, spricht Dionysius von unserer Rede. Dass auf
die erste, ep. ad Amm, p. 137, vvo die Rede sclilechtweg als
Demosthenisch aufgeführt wird, llr. B. kein Gewicht legt, liat
seinen triftigen Grund, den Rüdiger de canorie ganz deutlich
entwickelt hat. Aber an den zwcy iibrigen Stellen p. J)81 u.
!)Ü4, wo Dionysius mit sicherem, scharfem Tacte das Abwei-
chende von dem Geist und Charakter des Deniosth., das diese
Rede einzig habe, beschreibt, wo es einem diinkt, es sollte
ihm auf der Zunge schweben, sie sey aber auch nicht von De-
mosthenes; da bemerkt er sogar, sie liabe durchaus den Cha-
rakter des Lysias. Wie wäre es nun möglich , dass Dionysius,
wenn er eine Ilindeutung auf den Ilegesippus gefunden J)ätte
bey den Alexandrinern; und die kannte er ja, und bey einem
so auffallenden Umstände, der mit seinem Gefühle so willkom-
men übereinstimmte, würde sie ihm unmöglicli entgangen seyn^
— wie hätte Dionysius eine solche Notiz der Alexandriner
nicht benutzen sollen'? Mögen nun dem Dionysius des Ilegesip-
pus Reden verborgen , oder mögen sie ihm der Beachtung un-
vverth erschienen seyn, weil sie nicht kanonisch und nicht mu-
stergültig waren, und mögen sie dann erst wieder zwischen
Dionysius und Libanius Zeit gelesen worden seyn ; genug,
der Wink über üegesipp scheint nicht von den Alexandrinern
hergerührt zu haben.
Somit fallen denn aber auch nach des Rec. ürtheil die
directen äussern Beweise weg und reduciren sich auf innere,
die aber, besonders im Munde des Libanius um so mehr Ge-
wicht erhalten, da er historische Quellen benutzte, die uns un-
zugänglich sind, und wahrscheinlich auch den Styl des Ilege-
sipp aus eigener Anschauung kannte. Von den Innern Gründen
führt Hr. B. zuerst folgende historische aus: p. 77 Rsk. sagt
der Redner, er sey als Gesandter wegen Ilalonnesus bey Phi-
lipp gewesen. In dieser Angelegenheit aber war schwerlich je
Dem. bey Philipp, dagegen aber Hegesippus. Dem. f. leg. p.447.
p. 82 sq. fällt die milde Erwähnung des Philokrates auf, dessen
Dem. überall nur mit Bitterkeit gedenkt, wie de f. leg. p. 310
u. a. ; und besonders noch der Umstand, dass der Redner ein
dem Philokrateischen entgegeuiresetztes Decret vorgeschlagen
haben will, was einmal Dem. nicht gethan haben kann. Min-
der verdächtig scheint uns, was Hrn. B. sehr befremdete, die
Behauptung des Redners, dass Macedonien früher unter Athens
Botmässigkeit gestanden habe. Denn Olynth. III p. 35 sagt
Dem. auch rund: v7Ci]xovE da 6 ravTTqv ri^v xcoQccv bxcov ßccöc-
Aeug. Die Stelle endlich p. 87, wo die Anklage des Kalippus
berührt wird, den nach Libanius nicht Dem. sondern Hegesipp
anklagte, ist allerdings entscheidend.
382 Griechische Schriftsteller.
In der zweyten Gattung von innern Griuiden, betreffend
die Darstellung und Ausdruck, billiffin wir sehr die Behutsam-
keit Hrn. B.s, dass er auf die häufig missbrauchte Manier, ein-
zelne Ausdriicke und Worte fiir dem Vrf. fremd zu erklären,
nicht sehr viel giebt. Solche haben erst, wenn man anderwei-
tig hinlänglich i'iberzeugt ist, eine secundäre Beweiskraft. Dass
dagegen Hr. B. nacli Anleitung der alten Kritiker einerseits mat-
tere Stellen und ungeschickte Tropen (wenigstens wie den am
J*^nde der Hede) , anderseits das Auseinanderfallende, Schlaffe
und Untaktisclie in der Anordnung der Gedankenmasse vergli-
chen mit der sonstigen Meisterschaft des Dem. für seine Ansicht
geltend macht, geschieht mit gutem Erfolge und überzeugend.
Einen Zweifel könnte man noch erheben, wenn man sieht,
dass in unserer Rede die Phrasis eine Rolle spielt, ob man die
Insel annehmen oder zurücknehmen \vo\\e^ und aus Aesch.Ctes.
p. 475 eifährt, dass gerade dem Dem. der Gebrauch dieser
Phrase zugeschrieben wird. Hr. B. antwortet auf den Zweifel
mit einer Stelle aus dem Briefe Philipps p. Iß2: oi Q^TOQsg
^cc^ßcn'BLV }dv ovy, iXav^ dTtolaßdv Öl övvsßovlsvoiK Und —
fügt Rec. hinzu — der Zweifel ist um so ungegründeter, da ja
gerade die Art u. Form der Wiederannahme der Gegenstand der
Unterhandlung war, folglich jeder nicht philippisirende Redner
auf das dnolaßelv u. ^rj kaßuv Alles zu stellen gezwungen war.
Die sparsamen Notizen des Alterthums endlich über He-
gesipp, die Hr. B, am Ende der Untersuchung zusammengestellt
hat, zeigen, dass dieser Redner völlig die Person sey, der man
unsere Rede zuschreiben könne.
Uebrigens hat Hr. B. diese wegen des Inhalts wichtige
Rede zu frey übersetzt und einige Male den Sinn verfehlt.
Z. B. p.79pr. Rsk.: kqjsöL^ov trjv Tiag v^oiv ysvouBvrjv yvcööiv
tag mvTov TiOLOviisvog^ übersetzt er (in folgender Gedanken-
verbindung: die abgeschlossenen Verträge über Judicatur beid-
seitiger Angehöriger würden gültig seyn, nicht, nachdem sie
von der Athenischen Behörde rechtskräftig erklärt, sondern
wenn sie an den Philipp gelangt) und euer Krkenntniss vo?i ihm
bestätigt worden sey. Es muss aber heissen: ivodurch er die
von Euch ausgegangene Erlie7intniss erst noch an sich appel-
label macht. — p. 81 R. : oi (isv Tigsößsig avtol^ cov aatEtpBv-
ÖBXO t6 i)r'icpL6pia, öt dnSiCQLVSöd'S ttvtolg dvccyiyvcjöKOVTEg,
H. B. : Die Gesandten , denen das verfälschte Volksdekret vor-
gelesen tvurde. — p. 82 sind die Worte jtal r^v dUaia in der
Uebers. weggelassen. — p. 87 pr. : dkXd Kai ^Jtgog KaQÖLavovg
— iTttörUkst — ag dal v^dg diadixdt,s6\rai TtQog KagdLavoyg.
B.: Er fordert sogar in Beziehung auf die Betvohner von Rar-
dia — dass — diese Klagen einer gerichtlichen Untersuchung
UJiterworfen iverden miissten ; wo es heissen sollte: aber sogar
mit den Kardianer7i , fordert er im Briefe., — dass ihr Frocess
Demostlicnis Flillippicac. Ed. Bckkcr. 33S
fuhren mnsaet mit den Kardianern^ u. s. w. In der Wiederho-
lung drückt t^ich die Indignation ans.
Noch gianbt llec. hinzuiiigen zn müssen, dass er mit Hrn.
B. über die Unächtlieit der iV Phil, vollkommen einverstanden
ist. Höchst interessant ist die dieser Untersuchung angehängte
Abliandinng über den Alexandrinischen Kanon. Nicht minder
muss man mit Hrn. B. einverstanden seyn über die Aechtlieitdes
Brief esPhiiipps und über die walirscheinlicheUnächtlieit der dazu
gezogenen Rede. Letztere zwar liätte nach den von Rüdiger de
canone p. 21 entwickelten nnd von Hrn. B. selbst nocli vermehr-
ten Gründen bestimmter>können ausgesproclien werden.
Sehr schätzbar endlich ist die angehängte 25 Seiten starke
Literatur der Pliiiippisclien Reden sowohl wegen der Vollstän-
digkeit bis auf die Erscheinung des zweiten Bandes der Ueber-
setzung, als auch wegen der beygefügten kurzen und treffenden
ürtheile. Das Ganze beschliesst ein brauchbares Sachregister.
N. II. Bekanntlich hatte schon 181ß Herr Immanuel
Bekker eine Schulausgabe der ächten 8 Philippischen Reden
sammt.den vno^iöuc; des Libanius und ebendesselben Leben
des Dem. besorgt, den Text zum Theil nach Reiske's und
Augers Hülfsmitteln, zum Theil nach neuern codd. verbes-
sert und die Abweichungen der Reiskeschen Lesart unten am
Rande angeführt. Schon in dieser Ausgabe war Vieles für den
Text geschehen, noch mehr aber in der 1824 erfolgten Aus-
gabe des ganzen Demosthenes. Wer diese zweyte Bearbeitung
mit jener ersten sorgfältig verglich , der wird wohl gestehen,
dass er in eben dem Maasse, in welchem der Text durch die
zweyte Bearbeitung vor der ersten gewonnen hat, auch selbst
an Einsicht in die Kritik und Sprache des Demosthenes zuge-
nommen habe. Aus den reichlichen Varianten konnte man sich
jetzt von Vielem überzeugen; und wenn schon mancher Zweifel
übrig blieb und man häufig einige Worte mehr von Hrn. Bekker
hätte wünschen mögen, so war es doch höchst anziehend und
belehrend, den Fortschritten der Kritik eines so ausgezeichne-
ten Mannes zu folgen. Mit der Hoffimng auf älinlichen Ge-
winn griff nun auch Rec. nach der zweyten Schulausgabe, die
1825 erschienen ist, und in ihrer Einrichtung, auch in der Auf-
einanderfolge der Reden ganz der ersten gleicht. Begreiflich
konnte man nach der grossen Ausgabe nicht mehr sehr viele
wesentliche Veränderungen erwarten ; indess hat docii Hr. B.
an mehreren Stellen, als Rec. vernnithet hätte, die Lesart der
Hauptausgabe wieder verlassen und ist zur Lesart der ersten
Schulausgabe zurückgekehrt. Lange bemühte sich Rec. um-
sonst, die Gründe, die Hrn. B. zu solchen Rückschreiten bewe-
gen konnten, zu erforschen. Endlich gerieth er auf den Ein-
fall, dass manche Lesart von I (so will Rec. die erste Schulausg.
nennen, die zweyte III, die grosse Ausg. II) ganz unabsicht-
S84 Griechische Schriftsteller.
lieh in III stehen g^eblieben sey. Ueber diesen Einfall nun
muss sich Rec. mit Gründen aus einander setzen, um so viel
mehr, als die Täuschung, in der Rec. anfangs befangen war,
auch Andere verleiten könnte, und liüdigern wirklich verlei-
tet hat, indem, wie es scheint, dies:er Gelehrte dafür hielt,
III sey durchweg als eine nachträgliche Verbesserung der Les-
arten von II, gleichsam von letzter Hand anzusehen. Und bei
der verdienten Aufmerksamkeit, mit der man Rekkers Ausgaben
aufnimmt, ist eine solche Täuschung sehr verzeihlich. Rec.
erklärt sich die scheinbaren Rückfälle zur alten Lesart einfach
so. I hat niclit in der alten Gestalt wieder abgedruckt werden
sollen, sondern mit Verbesserungen von II, wie es recht und
hillig war. Daher Mohl 11 die Grundlage von III. Der Ab-
druck geschah aber nicht unmittelbar von II, sondern von I, in
M eiche Ausgabe die Verbesserungen von II eingetragen wur-
den. Daneben blieb aber auch unabsichtlich manche Lesart
voni stehen, einige \ie!leicht mit Absicht. Ob nun Hr. R. selbst
die Bearbeitung von III eigenhändig besorgt habe, oder ob sie
einem Andern übertragen worden sey, mag Rec. nicht entschei-
den. Letzteres ist ihm aber wegen Ilrn. R.s sonstiger Genauig-
keit wahrscheinlich. Dass nun die Recension des Textes von
II die Grundlage auch von III ausmache, wird Jeder schnell ein-
sehen. Seine Vermuthung aber will Rec. auf folgende Art mit Rei-
spielen aus der I Phil, und den drey Olynth. Reden rechtfertigen.
A) Solche Lesarten von I, die in II verworfen worden, in III
aber, wie es scheint, mit Recht wiederhergestellt sind.
p. 49 Rsk. extr. TCoUrag v^srsgovg (pxsr ayav I und III. Da-
gegen II s^cov. Mit Recht bemerkt Rüdiger , eicov passe nicht
auf TtoKUag^ auch scheinen die Schreiber von cod. 2] u. 2\ wel-
che ^xav haben, durch das bald folgende £;^cov sich haben ir-
ren zu lassen. Eben so mit Recht p. 50 Rsk., § 35 Bkk. ist
ro6avxi]v von I und III in Klammern eingeschlossen. In II ist
es ohne Klammern, wiewohl es IIV nicht haben. Die Härte
der Auslassung verschwindet völlig durch das darauf folgende
ÖGrjv. — p. 25 R pr. ist 'Elly^vLKCöv in II eingeklammert, mit
Recht aber nicht in I und III.
B) Solche Lesarten, die I und III gemeinschaftlich haben,nicht
aber II, über die sich für und wider streiten lässt, so
dass Rec. für jetzt ihren Vorzug unentschieden lassen will,
p. 2ß R., § 28 B. I u. III 'AyLcplnolig kccv ^(p&rj, II 'Jficp. av A.
Beides lässi sich rechtfertigen. In II aber ist äv ohne Variante.
Ist dieses somit aus Handschriften, so ist wohl aav unabsicht-
lich in III übergegangen. — p. S6 R. pr. tovtav l u. III. täv
vvv II. Nach Bekk. hat ersteres nur cod. T. Rec. stimmt
liüdigern eher bey, tojv wv sehe einer Glosse ähnlich. Da-
zu gesellt sich bei Rec. der Zweifel, ob Bekk. hier seine Va-
rianten auch richtig angegeben habe. Denn cod. a ( von wel-
Demosthcniä Pliilipiilcac. EA. Bekkcr. 385
cliem unten) bcy Riul. hat tovtcov. — p. 47 Rsk., § 28 B. tov-
ro 07] xal %£Qavä I u. IIT. So liat aucli Diiidorf, niQuiva
hat II, und kann vertheidigt werden. — p. 50 11., ^ 37 Hz iv
oöo) ravxa iiillsTCii I u. II, wie cod. E darbietet; aber jugAAatE
IL Letzteres möchte doch Reo. vorziehn. Denn cod. Z' zeigt
sich auf der gleichen pag. pr. als einen sehr unzeitigen Lieb-
haber dieser passivischen Ausdrucksweise in big a roöavt'
dvaXiö'KtxB, wo 2^ hat dvaliöKStai, welches wegen der folgen-
den AccHsative durchaus verwerflich ist. — p. 52 R. extr. tcoZ
di) jiQoöoQ^Lov^sd^a I u. III, Ttoi ovv TtQ. uacli 2J II, wo freilich
schwer zu entscheiden ist.
C) Solche Stellen in III, deren Lesarten denen in II nach-
zusetzen sind.
In Liban. vnöd'. ad Ol. II ist es gar auffallend, dass oluBiav in
I u. 111 steht, welches bloss cod. T hat, während II mit Recht
iÖiav aus allen codd. mit Ausnahme von T- — In der vnö^. zu
Ol. III p. 28 R. pr. ists nur Druckfehler in III, dass in den Wor-
ten Toi) niv (ii) Tcc oIkhu TtQosö&ai TCOLOvvvat cpQovriöa jenes
ybi] nach ^Iv ausgefallen ist. — p. 20 R. § 8 Bkk. in den Wor-
ten tJ naQiXdcov — 8BL'E,äxa ij (og ovx dXr]&^ y,. x. X. ist in U
nach öii^äxco das i] gestrichen mit cod. 2J, und offenbar richtig.
Denn bliebe rj nach öiih,ttxco^ so wiirden wenigstens der äussern
Form nach 3 Disjunctivglieder als von gleichem Werthe darge-
stellt, welches nicht möglich ist. Denn das erste Glied wg —
Aeyai ist den beyden folgenden entgegengesetzt. In solchen
Fällen aber erweist sich die Giite des cod. 2 und die Interpo-
lation der Flickwörter in der Familie von Tßuv. Nun aber
ist in I ^* bey behalten, auch wiederum in III; in letzterra,
glauben wir zuversichtlich, wider Hrn. Bkk.s Willen. — p. 21
R., § 12 B. ÖBiKvvvai I u. III, in II aber dsixvvsLV ohne An-
zeige von Varianten. Letzteres also fand Hr. B. , muss man
schliessen, in den MSS. allen, üeber die Richtigkeit der Les-
art selbst siehe Riidiger. — p. 23, §. 18 I u. III ovdavcov,
II aber ovdsvcov^ ohne Zweifel nach codd. — Ibid. § 25 das
erste Mal, in II 6 XQOVog änag 8uXrilv%iv ovxog nach MSS.
und energischer; dagegen I u. III änag 6 %q. 8. 6. — p. 29, §4
yevo^svov I u. III. Viel besser ybyvojXEvov in II, welches au-
sser Talle codd. bey Bkk. haben — p 37 pr. I u, III ^Etadcoöi,
II fieradidcööi, welches B. aus allen codd. aufnahm , ausser T,
welcher allein den Aor. hat. — p. 43, § 12 ovdh öidovxav
Vfiiv rav iCccLQav 'J{ig)i7ioXiv , so haben I u. III, in II ist mit
cod. 2J v[iiv getilgt. Rüdiger bemerkt dabey: „codicum au-
ctoritate, ni fallor, permotus bene revocavit." Allein vfxlv ist
zwar nicht durchaus verdaramlich; fasst man aber didövai in
der Bedeutung f/^rbieten , so ergiebt sich mit Auslassung von
viilv der gar passende Sinn: nicht einmal^ tcenn die Umstände
j4mphip. darböten (allgemein : nehme es, wer es kann), könn-
Jahrb. J. Phil. u. Pädag. Jahrg. V. Heft 4. 25
386 Griechische Schriftsteller.
tet ihr es in Empfang nehmen. — Ibid. §29 lu.III jtQOöTtOQisl,
II nach allen Bekkersclieii MSS. TtQOöJtOQiBitaL. — p. 48, § 32
oft xoivvv riii&i Tuvt Iv^vfioviiävovg pii] ßoTjd'Eiatg noXeuslv
I u. III. In 11 ist fj^äg wegi^elassen. Nämlich codd. Fv haben
V[iäg tavT , 2J und T weder i]nccg noch vfiäg. Schwerlich
konnte Hr. B. es in III wiederherstellen wollen. — p. 52, § 43
V718Q tov tificoQrjöaöd'ca ^ikmitov. So I n. III. II hat statt
VTiBQ ohne Variante jcepi, so dass man wohl annehmen niuss,
letzteres sey Lesart der MSS. Mit Recht hält sich daruju
auch Uli d i g e r über tjjrtp in III auf. — Ibid. avtov üolvGy,
In II ist nach cod. 2J avxov weggelassen. I u. III behalten es
bey. Wie es hineingesetzt worden sey, ist leichter zu erklären,
als wie weggelassen. — p. 54, § 49 syco d' o'io^ai ^iv I u. III.
Ohne Anzeige von Var, olpLai in II, so dass vermuthlich auch
hier unabsichtlich oloy^ai aus I sich in III fortgeerbt hat.
Rec. glaubt, dass zur Rechtfertigung seiner Vermuthung
diese Beispiele hinreichen. Die Brauchbarkeit für Schulen
wird darum dieser Ausgabe nicht abgesprochen, obgleich man
auch dem Schüler den bessten Text gönnen soll; wohl aber der
Werth für den Gelehrten in so fern, als man bey den wenig-
sten Abweichungen der zweyten Schulausgabe von der Ilaupt-
ausgabe auf eine veränderte Ansicht Hrn. B.s schiiessen zu
müssen scheint , wenn man nicht Hrn. B, mit seinem in der
Ilauptausgabe wohl durchgefülirten Verfahren , den Text auf
diplomatischen Grund zu stellen, in Widerspruch treten lassen
will, oder gar glauben, was wenigstens Rec. nicht kann, Hr. B.
erkläre faktisch seine Variantensammlung in der Hauptansgabe
für unzuverlässig. — Rec. sieht diese Schulausgabe mehr für
ein Unternehmen des Verlegers, als Hrn. Bekkers an. Schü-
lern nun wäre mit besserm Papier und grössern Lettern auch
besser gedient gewesen, so wie man in einer Schulausgabe reich-
lichere Interpunctionen wünschen muss.
N. III. Die erste Philippische, die dreyOlynthischen und
die Rede vom Frieden sind schon 1819 von Herrn Rüdiger
herausgegeben worden, und dieser Gelelirte hat sich dadurch
zuerst in Deutschland das Verdienst erworben , angehenden
Lesern die erste Bekanntschaft mit dem für den Anfang nicht
leichten Redner auf eine belehrende Weise zu erleichtern; zu-
gleich aber hat er seine Arbeit so ausgefübrt, dass auch der
gelehrtere Kenner vielfachen Nutzen daraus zog. Das Ver-
dienst dieser Bearbeitung erweist sich auch aus dem Bedürf-
niss dieser zweyten Ausgabe, die nicht nur vermehrt, sondern
auch eine ganz und gar neue Bearbeitung ist. Sie enthält die
gleichen Reden, welche die erste Ausgabe, voran steht die Le-
bensgeschichte des Dem. von Libanius mit ausführlichem Cora-
mentar. Vor den einzelnen Reden befinden sich ebendesselben
vno%i0ELgi dann die nötliigeu Prolegoinenen und das Argumen-
Dcmo9tlienis Philipp Icno. Ed. Rüdig-er. 38
tum jeder Rede. Auf eine l)illi;2:enswerthe Weise hat Hr. R.
die ausiührlichen historischen Erläuterungen in einem ahg^eson-
derten Comnientar folgen Jassen, und dabei A. G. Beckers
Arbeiten und Vom eis Programme benutzt. Hierauf fol;;t die
"Varietas lectionis. Einen Dresdner und Gothaer Codex liat R.
selber vergliclien. Die Varianten von 4 Miincliner Handschrif-
ten, welche Hr. R. der Mittheilnng Hrn. Karl Schäfer'^
verdankt, y^ ^^ g, ^ genannt, lieferten eine Nachlese, da sie
schon sämmtlich von Reiske benutzt worden waren. Endlich
verdankt R. noch Hrn. Fr. Tliiersch die Vergleichung zweier
Pariser Handschriften, die er ^ und ß benennt, und von denen
a sehr merkwürdig ist. Schade, dass derselbe niclit genau be-
sclu'ieben, oder vielleicht Hrn. R. eine Resclireibung nicht mit-
getheilt wurde. Denn wenn Hr. R. praef. p. VH bemerkt, a
stimme mit Bekkers cod. 2^ meistens Viberein, so mangelt fiir
Rec. nur noch das Zeugniss des übereinstimmenden Aeussern,
um die Identität desselben mit cod. Z, vollkommen auszuspre-
clien, welcher nachdem GebraucJi, den 1mm. Bekker davon
machte, die höchste Wichtigkeit für die Feststellung des Tex-
tes erhalten hat. Durch die Wahrscheinlichkeit dieser Identi-
tät aber besitzen wir eine ControUe über die Genauigkeit, mit
welcher Imm. Bekker diesen codex verglich. Mach der Prü-
fung, die Rec. so weit er konnte angestellt hat, ergiebt sich
das Resultat zu Gunsten der Genauigkeit Bekkers.
Weit und in den meisten sowohl wichtigen als unwichtigen,
sowie auch in bloss sonderbaren Varianten stimmen a, ""d H
überein. Hingegen sind in der Vergleichung, « genannt, ver-
muthlich aus Flüchtigkeit eine Menge Varianten nicht ange-
führt, die in der Vergleichung Z' sich finden. Umgekehrt ent-
hält auch f{ eine Anzahl Varianten, die sich in 21 finden mögen,
die aber Bkk. nicht angegeben hat. Sie theilen sich in solche,
die Bkk. absichtlich nicht notirt haben mag, und in solche, die
ihm entgangen seyn können. Zu den ersten zählen wir , dass
a (od. .Z') das vf^JE^K. häufig anbringt, und zwar sowohl vor
Interpunctionen, wie Ol. I § 13 7]<5%i.vri6zv, Phil. I §34 f^ä/la^av,
5(at, § 50 vßQLKEV, aal; als auch an unpassenden Stellen, wie
Ol. II § 5 (pT]6Biav HBvrjV, § 10 ccvexcänösv aal, § 12 eqovölv
HÖvov, Phil. I § 3 dxovovöLv xal^ § 3fi sÖo^ev nal. — Hinge-
gen unverhofft Ol. III § 29 hat u 'rjvir]xe^ wo Bekker aus Zi
o]v^r]itBv notirt. Phil. I § 39 ist ohne Zweifel in c^ u.2; die Les-
art d^iäösiE tig dv. — Absichtlich übergangen mag auch seyn
Ol. I § 15 ourojg y,a\^ wie a h^*« — Bemerkenswerth ist dann,
dass cc den Hiatus vermeidet. Phil. I § 24 £ör' dQ%ciV ^ § 37
olaiV ovöai , § 50 xavt el'öwftcv, und ihn wieder zulässt Phil.
25*
388 Griechische Schriftsteller.
I § 7 v}i8TBQa avrav, § 46 nccvta oöcc. — Wir rechnen auch
zu dem absichtlich von Bkk. Uebergangenen Ol. I § 10 vnsQSte-
[isvcov (wenn es bey Rüdiger nicht Sclireib- oder Druckfehler
ist); das häufige av statt sccv Phil. I §§ 41, 43, 50, während
Bkkr. gerade unter Andern aus U av schrieb, wo vulg. sav
steht § 50. — Da man annehmen darf, dass 21 alle diese Ei-
genthiimlichkeiten häufiger hat, als sie in cc notirt sind, und
auch diese Minutien zur Charakteristik eines cod. gehören, so
liätte sie wohl Hr. Bkkr. bey der Beschreibung des cod. kurz
anmerken mögen.
Entgangen scheinen dagegen Hrn. Bkkr. folgende Lesarten,
die a ''^t- ö'- '^ § 15 avra^ (Bkk. eavrä). § 23 zolg vor &boIs
lässt a weg. Ol. HI § 2 hat « tceqI tov riva tLiicoQrjöBrccL rig
%a\ öv (ov bey Rüd. ist Druckfehler) tqotcov l^sörai öxoTtüv.
§17 fehlt tZöt bey cc i" Oittvag bIöc; eben so yaQ in %al yag
§ 21. Phil. I §12. cod. a dtoixtjöEdd's (fut. cum. aV), eben so
§ 18 oQ^rjöBTB , wo Bkk. aus U nichts notirt. § 19. a oto^aij
Bkkr. ohne Var. oly-ai. ibid. « jigo ös tovtcov, vulg. aber jiQog
Öl rovTOis ohne Var. bey B. §38. statt sTtLötokal hat ^ BJttöto-
Irjg dvdyvciöLS- ibid. lässt a weg avögsg ^A^r^valoL. § 50. Zu
Tolg TTgay^ttöL bemerkt R. ^^ngccy^aCi d. a-"" Allein ohne Zwei-
fel auch tolg. De pace § 11 ovörjg vor daivötrjrog lässt a weg.
Dass Lesarten Hrn. Bkkr. entgangen sind, ist besonders da
gewiss, wo er eine Lesart aus cod. F notirt hat (der mit 2J am
häufigsten übereinstimmt), nicht aber aus 2J^ wo aber eine sol-
che aus cc notirt ist, Ol. H § 26 vvv cc (wiei^; aus 2^ ist nichts
notirt, Bkk. hat im Text vvvl). Ol. III § 32 ß?iäßr] räv. a
(und F) ßkdßr] 7J täv ^ welche Lesart merkwürdig ist. §33
XTi]öT]6&£ hat a {"^yo F xtrjöaLö&s). Phil. I § 14 xal ^rj ngote-
Qov. nach Bkk. sollte man denken 2 habe aal nicht. Dagegen
hat es bey ihm F^ und Rüd. «. Ob aber ibid. « wirklich habe,
wie es in Rüdigers Varr. steht, ä^elsiav nal Qu^v^lav (wel-
ches F in yg. hat,) scheint uns zweifelhaft.
So unvollkommen und partiell wir nun auch diese Unter-
suchung führen konnten, so haben wir doch dadurch dieUeber-
zeugung gewonnen, dass sich zwar an Hrn. Bekkers Verglei-
chung allerdings Mängel entdecken lassen, die aber bey der
ausserordentlichen Ausdehnung der Arbeit auch fast unaus-
weichlich sind, dass dagegen, verhältnissmässig sehr wenige
Fälle ausgenommen, das Variantenverzeichniss desselben die
höchste Glaubwürdigkeit verdiene. Beyläufig bemerkt Rec,
dass, was sich zwar von selbst versteht, aber doch neuerlich
in Zweifel gestellt worden ist, ob, wenn ßekker die Lesart ei-
Dcinostlicniä Plülippicac. Ed. Rüdiger. 389
ner Handsclirift niclit besonders angemerkt liabe , sich anneh-
men lasse, die Handschrift stimme mit der Lesart des Textes
überein, dies Ilec. nach seiner bey eben dieser Gelegenheit ge-
raachten Beobachtung bejahen muss.
Wir kehren zu Hrn. Rüdiger zurück. Einen vortheil-
haften Begriff von seiner Arbeit giebt die Ansprucljlosigkeit,
mit welclier er Berichtigungen und tadelnde Bemerkungen, die
in Bezug auf die erste Ausgabe gemacht worden waren, annahm,
beherzigte und zum wirklichen Vortheil seines Buches ver-
wandte, so dass diese Ausgabe vor der vorigen bedeutende Vor-
züge besitzt. Zwey Dinge wünschte aber Ilec. auch jetzt noch
an Hrn. 11. s Arbeit anders. Erstens zeigt zwar H. R. wohl das
Bestreben, nur nach vorgenommener Prüfung über das Ge-
wicht der Varianten sich für diese oder jene Lesart zu ent-
scheiden, und häufig muss auch Rec. mit ihm übereinstimmen,
aber durcligreifende und feste Grundsätze und ein gelhstständi-
ges Verfahren in der Kritik haben wir nicht in dem Maasse ge-
funden, wie man es von einem Herausgeber verlangt, der nicht
sich (wie man nach dem Titel und einer Aeusserung in der Vor-
rede vermuthen würde) mit wenigen Ausnahmen an eine gege-
bene Recension bindet, sondern in der Constituirung des Textes
sich freier bewegen will. Beyspiele dieser schwankenden Be-
handlung der Kritik werden sich unten einige ergeben.
Zweitens scheint uns im Commentar nicht immer die
rechte Auswahl der zu erörternden Dinge getroffen. Hr. R.
bestimmt seine Ausgabe zunächst für Jünglinge. Aber diese,
wenn sie den Dem. nicht bloss übersetzen , sondern auch ver-
stehen wollen, müssen einen ziemlichen Grad von geistiger
Reife besitzen und dürfen auch in der Sprache nicht Anfänger
seyn. Im Commentar aber finden wir Bemerkungen Viber Ge-
genstände, deren Kenntniss wir bey Schülern voraussetzen,
sonst würden wir uns schlechterdings nicht getrauen, mit ihnen
den Dem. zu lesen. So S. 20 über d&v^7]tE0v: „Graeci eam
„rem, e qua indignatio oritur , casu dativo, praepositione btiü
„vel adjecta vel omissa, comprehendunt." S. 39: „x«^' txa-
„öTOv: xara significat aliquid fieri s///^?//a^i/«.^'- S. 26: ^^litei-
^^örjXEQ est concedentis aliquid ad voluntatem alius: quandoqui-
^^dem.'"'- (Hier, nämlich Phil. I § ö Bkk. nicht einmal richtig;
sondern es giebt liier einen Grund an, dessen Anerkennung als
zuverlässig vorausgesetzt wird.) S. 28: ,^ol 7iQ0£?ii]^vd'F.v —
„quemadmodum adverbia ^oci, utjroi), ovdafxov, 3Iatth. Gr. §
7,324, ita adverbia gradus struuntur cum genit.''* Nun kommt
erst noch eine Anzahl von Stellen, und endlich dieVglchg. von
ywo amentiae es progressus. Zufällig schlagen wir auf S. 94:
„vjr evi/oiag — övözf]. praepos. V7i6 notionera praesidii vel
„impediraenti aliciijus rei exprimit, cfr. Soph. Antig. 221"«. s.w.
Wozu solche Anmerkungen und für wen^ — Wenn man
390 Griechische Schriftsteller.
nicht über grammatische Gegenstände eigenthümliche Ansfiih-
ruiigeii geben will, so genügt dem Privatstudium eine Hinwei-
suiig auf eine gangbare Grammatik, und fiir den öffentlichen
Unterricht sind solche Theile des Commentars eben auch nicht
erspriesslich. Zum Vortheil des zweiten Bandes wiinschen wir,
dassHr. R. in diesen Bemerkungen etwas Richtiges finden möge.
Um nun unsere allgemeinen Urtheile zu begründen, wollen
wir ins Einzelne eintreten, indem wir die Stellen nach Rüdi-
gers Seitenzahl und nach Bekkers §§ citiren *),
Phil. I S. 19, § 1. Ueber TCQovti&sro wird Rüd. jetzt
Bremi vergleichen. — S. 20, § 1. tot' äv avtös Itibiqoj^yiv.
Von Bkk.s codd. schiebt nur T ein y,a\ vor avxog ein. (JNicht
nur FH, lassen es weg, wie Rüd. sagt, wahrscheinlich vom Auge
getäuscht, indem er um 2 Zeilen in der Bekkerschen Ausgabe
zu weit hinaufblickte, wo „xal, om. i'lS'" sich auf eine Stelle
des Libanins bezieht), xw ist also schon darum verdächtig,
weil die übrigen zur interpolirenden Familie von T gehörenden
Geschwister ßuv es nicht haben. Hr. Rüd. sagt zur Vertheidi-
gung des jtal: „sensus suadet et convenit modestiae oratoris,''
und füiirt an, dass das exordium p. 1418, 5 ■aal habe. Allein
an unserer Stelle beweisen die codd., und es kommt nur dar-
auf an, zu zeigen, dass avrog auch ohne xkI einen passenden
Sinn gebe, was allerdings der Fall ist. Wenn nämlich Dem.
sagt: xocl avrog, so stellt er sich den andern Rednern darin
gleich, dass er auch seine Meinung sagen wolle. Ohne xat
drückt auTOg aus, dass er seine Meinung der der Andern entge-
gensetze. Und da er dieses gegenwärtig nicht thut, sondern
den ganzen Fall nur in der Hypothesis setzt, so kann ihm
bey dieser Ausdrucksweise der Vorwurf von Anmaassung
um so weniger gelten. — S. 21, § 2. Rüd. verthei-
digt 6vvh^ovX^vov. Allein FE haben Cvvi^ovlivöav ^
eben so der zuTßu gehörige cod. u, und v övvBßovkevov ex
corr. Uns scheint övvsßovksvöav , welches Bkk. aufnahm,
darum besser, weil es auf den Sinn führt: „wenn sie auch nur
einmal Besseres gerathen hätten." — Dass Rüd. btcbl tot ys d
in Schutz nimmt, können wir nicht missbilligen. — Ibid. § 3.
iTiSixa Iv9v^7]r80v aal nag' äXXcov dxovovöi, aal tolg sIöoölv
avTolg «va^tjLtvj^öxo^evoig, t^Ukt^v ic. t. A. Rüd. übersetzt:
•) Rüdiger theilt jede Rede in Capitel ein und jedes Capitel
in besondere Paragraphen. Wir haben gegen die Art, -wie er dieses
durchführt, nichts einzuwenden, finden aber die Verglcichung mit
andern Ausgaben, namentlich der Bekkerschen, dadurch etwas er-
schwert. Wir wünschen daher, Hr. R. möchte zwar seine Cnpitelein-
theilung behalten, dagegen sich, Avie Bremi und Vömel thaten,
an die Bekkerschen Paragraphen anschliessen.
Dcmostlicniä Fliiliiiplcac. Ed. Rüdiger. 391
lllud considerandum, quod et ab aliis audiistis et ipsi in memo-
riain revocantes tiostis , mit der Bcmerkuii,!^: „INoii adseiitior
Krügero verteati: vef ^ qni ipsi iiostis ^ reiiiiniscimim." Allein
entgegengesetzt sind offenbar dxovovöL und dvccfiLfivrjöno^bVOig^
ferner nag dXlav dem avTotg^ endlich die st'öoTEg den zu dem
dxovovöi zu denkenden ol fi^ HÖöteg. — S. 23, § 3. Zur Er-
läuterung des Par.illelismus nennt Riid. neben raehrern richti-
gem auch das Beispiel Cic. de Or. I, 3, 10 (nicht 5, 10): seien-
tia et pervesligadone. In jeder Hinsicht gäbe Cicero unzählige
passendere, dort ist i'iberdiess von Orelli mit Recht die alte
Lesart scientiae pervestigatioue wieder eingefiihrt worden. —
S. 24, § 4. x6 nh'j^og v^g vvv vnaQxovö^jg Öwd^eag. vvv fehlt
in FIJ. Riid. vertlieidigt es. Allein bey Betrachtung des Zu-
sammenhangs wird man ßnden, dass wenn vvv in den Ausgaben
fehlte, man selbst eher geneigt wäre, es zu ergänzen, nicht
aber, wenn es da wäre, es hinauszuwerfen. Somit kann man
sich denken, dass TSluv, oder ihre gemeinsame Quelle, es er-
gänzten, und es ist nicht wahrscheinlich, dass die Schreiber
von FU es als Viberfliissig verwarfen, Rec. glaubt überhaupt,
dass man Bkks Kritik in Absicht auf Auslassungen gegriindet
auf F2J und 2J weitaus in den meisten Fällen folgen diirfe.
Es lässt sich denken, dass den Rhetoren manches nicht glatt
und voll genug schien; so namentlich die Uebergänge, wo des-
wegen die Ausfüllpartikeln am reichliclisten eingeschoben wur-
den, wie auch Hr. R. selbst irgendwo bemerkt. Scheint auch
manche Auslassung härter, so mag sie darum des Dem. Cha-
rakter nicht fremd seyn. — Ibid. stellt Rüd, sein „idem B."
so, dass man glauben könnte, Bkk. habe 'A&rjvaioig eörlv ge-
schrieben. Denn vgl. S.27: „O^eAj/. R. ex uno Bav. dedit £^£^7/,
idem B." — S. 25, § 5. Uebcr slÖBV (Bkk. I und Brenii haben
oldev nach TSivw) bemerkt Rüd. nichts, üebrigens halten wir
siöev ebenfalls für richtig. — S. 2«, § G. Warum Hr. R, die
Worte xal 7iQ06E%iiv xov vovv rovroig t&tlovöLV dnavtsg lie-
ber einen versum senaiiutn nennt, als einen Daktyl. Hexameter,
sehen wir nicht ein. — S. 27, § 7. Dass die Worte övvskovti ö'
ankäg sItibiv einen guten Sinn geben, und dass an ihnen nichts
zu rütteln wäre, wenn die MSS. keine Variante darböten, un-
terliegt keinem Zweifel. Allein slnsiv fehlt unter Anderm in
F2J. Dass es absichtlich ergänzt werden konnte, ist einleuch-
tend, dass es absichtlich ausgelassen wurde, minder. Da nun
aber die Worte övveXovtl ö' dnXäg den guten Sinn geben: es
in einfachem Ausdrucke zusammenzufasseti, so ist nicht zu
zweifeln, dass Bkk. ütchv mit Recht wegliess. — S. 28, § 8.
aXXoig XLöCv hat Hr.R. missverstanden, wenn er erklärt : quippe
qtti nolint se subiicere Philippo , und hinzufügt: „IN am per tXg
tangit, quos non nominare vult"^ (nämlich die Athener). Dem.
bezeichnet vielmehr die allgemeine Eigenschaft der Menschen,
392 Griechische Schriftsteller.
dass sie die entweder hassen oder fiircliten , die sie iiber sich
sehen, und er will sagen, was sich bey allen übrigen Menschen
findet, warum sollte diess niclit auch bey denen seyn, die dem
Pliilippos entweder untertlian oder mit ihm verbunden sind. —
S. 29, § 9 leitet Rüd. uöskysia wohl richtig von Q^elyco ab. —
Ibid. xal ovx oloör' löriv. Mit F2J liess Bkk. r weg. Mit Un-
recht vertlieidigt es Rüd. Beide Formeln sind in Gebrauch,
nur mit t£ viel häufiger, als ohne rs. Um so viel natürlicher ist
also die Vermuthung, dass es ergänzt wurde. Uebrigens passt
olog ohne ts hier viel besser. Dem. sagt mit einer uns bekann-
ten Formel: PliUipp ist nicht der Mafin , dass er itn Besits des-
sen , toas er in seine Geivalt gebracht hat , ruhig dabey bleibe,
u. s. w. — S. 31, § 10. Wir billigen das Bedenken Rüdigers,
die Worte Tiaxa rrjv dyoQCcv in Klammern einzuschliessen. —
S. 32, § 11. Ueber xai xoi %a\ xovto, an welcher Formel auch
Schäfer zu Cor. p. 2(58 1. 15 ohne Grund Anstoss nahm,
bringt Rüd. die richtige Erklärung bey aus Fritsche's quaest.
Lucian. p. 32. — S. 33, §12. Für oncaq ßovliö^e bieten einige
MSS. önaq av ßovlri6%z, welches Schäfer empfiehlt, Rüd.
sucht ihn zu widerlegen, indem er bemerkt: „at non de consi-
lio capto, sed de re praesente agitur." Wie kann man aber
in ojTüjg äv ßovXrjö&s an ein consilium captum erinnert werden*?
Einige Male haben wir Hrn. R. in der Beurtheilung der modi
und tempora schwankend angetroffen. Uebrigens halten wir
hier eine Aenderung für unnöthig. Ibid. über xaigäv wird ver-
wiesen auf de f. leg. 327, 25- Es soll lieissen de cor. u. s. w. —
S. 35, § 15. Eine sehr richtige Erklärung giebt Hr. R. von den
Worten: ro da utgäy^ia xov ilhy%ov däöu. — S. 3(>, §16. Ueber
die imiaycayol tQiiqQBig handelt am besten Vömel p. 172 ff.
— S. 37, § 18. Ueber das Vielbesprochene sl ^-q Ttoiriöair äv
toijto hätten wir in dieser Ausgabe eine Anmerkung erwartet.
— S. 38, § 19. Rüd. erklärt sich die STtLötohiiaiovg dvvccfisis
wie Vömel, welcher letztere auch den Irrthum Reiske's
und Beck er 's berichtigt, welche in den folgenden Worten
«/lA' 7] tijs TtoXecog iGrai unrichtig eine jroAirtxiy dvva^ig zu fin-
den glaubten. Rec. erklärt den Sinn des Ganzen so: es sollten
nicht Truppe?! seyn., die bloss durch Briefe 7nit dem Staat %u-
sammenhängen., sondern die in des Staates unmittelbarer Lei-
tung ständen. — S. 39, § 20. £&£/l?f(J£t, welches Dindorf
aufnahm, billigt auch Hr. R. mit Recht, wiewohl seine Note
nicht ganz deutlich ist, und er im Texte iQ^ilriöiTS. behalten
hat. — S. 42, § 24. et ö' ii&Qoi. Rüd. : „innuit Alexandrum
Pheraeorum tyrannnm , qui classem Atheniensium vicerat."
Der mag auch darunter gemeynt seyn, aber noch näher Phi-
lipp, wie Vömel annimmt. Am bessten also, man fasse es
allgemein, wie es auch gesprochen ist. — S. 34, § 25. äönsQ
tjcomag rav öTQatrjyoviiivcov. Rüd. macht hier keine Bemer-
Demosthcnis Plulippicac. Ed. Rüdiger. 893
kunj, Rcc. aLer berührt die Stelle, weil Vömel aniiott. p.
184 sagt: .^öTQatrjyovpievav \nanici\mü imperatonan. cf. § 47."
Allein auch au der letztern Stelle hat man nicht Anführer zu
verstehen. 6TQaTA]yBiöQaL im activen Sinne kommt hey Dem.
iiiclit vor. Es ist vielmelir neutr. Pass. Die Art und Weise der
Anführung und das durch dieselbe Bewirkte sollen sie als Au-
genzeugen betrachten. — S. 43, § 2b". Wenn Rüd. sagt: „de-
ceni electi erant xa^iaQyoi {xäiiq continebat 128 vires: centu-
riones)", so veranlasst er hier eine unrichtige Nebenidee, td^ni
ist hier nicht als (/enturie, sondern als Contingent der tribus,
deren Anführer hier der Ta|tap;j;os ist, zufassen, wie xb xe-
Tccy^evov. vid. Schneid, lex. s. v. — S. 45, § 28. Bkk. streicht
nicht nur GtQaxtvo^BVOLg, wie llüd. sagt, sondern auch das
TOig vor demselben, und mit Unrecht behält es Rüd. bey. Zu
den Gründen, die Engelhardt anführt, bemerkt Rec. noch,
dass Demosth. bey Erwälinung der 90 Talente gar nicht an die
öxgaxevö^svoi allein denkt, sondern an die ganze Macht. Das
Schiffsvolk bekam öixr^QtöiOV^ dagegen vermuthlich keinen ut-
ööog. Unten aber § 2i) heisst es mit Recht, si da xig olaxai
Hi'KQo.v dcpoQfirjv 6LXi]QlöL0v xolg öxQaxiäxaig vtcuqxslv, weil
man sich verwundern musste, warum er den Soldaten bloss öt-
TtjQEöLOV reichen wollte; dass er es aber den Ruderern, dar-
über verwunderte man sich natürlich nicht. — Uebrigens se-
tzen F2J in dieser letztern Stelle ilvat nach dq^OQ^rjv hinein,
welches nicht zu vei'achten ist. Fehlt stvat, so möchte man
To vor CLxrjQBöiov erwarten. Nimmt man es auf, so giebt es
den guten Sinn: wenn einer glaubt , es sey eine kleine Hülfe^
dass ferpßegungsgelder für die Krieger vorhanden seyen. —
Ibid. iQ'qiiaxa eher für einen Nora, als Accus, zu halten, macht
doch der Verlauf der Construction räthlich. — Ibid. § 29. Rüd.
vertheidigt TtQOöTtOQulxat. Warum TtQognoQul besser sey, zei-
gen Bremi und Vömel. Bkk. 's codd. scheinen alle das Letz-
tere zu Ilaben , und schwerlich hätte hier ein Abschreiber das
Med. ins Act. verwandelt. Hrn. Rüd. imponirte hier, wie es
scheint, dass Bekker in der zweiten Schulausgabe das Med.
wieder hat. — S. 4ff, § 29. lyco öviinUcov 8^Ekovx7]g. Hier
zeigt sich recht die ausglättende Hand der Abschreiber oder
auch der Rhetoren, denen dieser Uebergang ohne Partikel zu
schroff war, weswegen man ocaya und eya Ös als Varianten fin-
det. Die Erinnerung an die Lebendigkeit des Vortrags, und
diese Rücksicht auf die vnoxQLöLg nahmen ja die Redner in ih-
ren Schriften immer, zeigt deutlich, dass eine Uebergangspar-
tikel hier am unrechten Orte wäre. Mit Zeichen des Zweifels
nimmt das Volk des Redners Vorschlag auf. 31it Nachdruck
setzt Dem. hinzu, fyco öv^nUcav x. x. X. — S. 47, § 30. Ijret-
dav d tJCLXELQoxovijxe xccg yvd^ag, a av v^iv agiöxr] %£iQO'
rov^öaxE. Hier sind mehrere unnötliige Aeuderungen versuclit
394 Griechische Schriftsteller,
worden. Mit Recht bemerkt Brerai, a()f0K7; sey liier empha-
tisch. Dem. will nicht geradezu sagen, meine Meinung ist die
beste, sondern, wenn es zum Stimmen kommt, so stimmet zu
dem, was euch ernstlich gefällt, damit ihr nicht nur mit Brie-
fen krieget. Er setzt also voraus, dass eine solche Diesem oder
Jenem zu Gefallen lebende Abstimmung nur einen Missivenkrieg
veranlassen werde. Darum zieht aber auch Rec. die Lesart der
codd. FZl lUQOXovriGEri. vor: das tverdet ihr (hoflFentlicli) be-
schliessen^ so dass dieses eher als HofFnung , denn als Befehl
ausgedrückt wird. Jeder iibrigens, der Volksgemeinden beob-
achtet hat, weiss, dass beym offenen Handmehr häufig eher,
wer gesprochen hat, als was er gesprochen, berücksichtigt
wird. — S. 51, §35 will Rüd. zu toiovtov ox^ov supplireu
noLOvvttg. Warum denn nicht noults, ein mit aimliöKSrs
paralleles Verb, fin.*? — S. 52 § 36. Ttors aal nagcc rov xai
TL Xaßovva xL du tiolhv. Statt rt Xaßövra hat cod. 2J tiva Aa/3.
Diese Lesart ist wohl der Prüfung werth. Dem. kann mit dem
Plural die einzelnen Posten bezeichnen, die die betreffende Ma-
gistratsperson von Diesem oder Jenem zu erheben hatte. —
Ibid. Eine dem ersten Anblicke nach sonderbare Vermuthung
glaubt Rec. nicht zurückhalten zu müssen. In den Worten: jtat
yLhxd tavxa eßßatvELV xovg fiexoiKovg sdo^s accl Tot;g xcoglg
olxovvxag , ux avxovg naliv avxs^ßi,ßd^eLV, £ix' tv oöcj xavxcc
{isklsxe, nQoanöXcolBv jc. t. A. , schiebt cod. 2/ vor dvxE^ßißd-
t,uv noch ein atV hinein, so dass ein Comraa nach avxovg Jid-
7\.tv zu setzen und zu diesen Worten l^ißaivtiv zu denken wäre.
Schon diese Häufung paralleler und ^c^ew das Ende immer kür-
zerer Glieder macht einen guten rhetoiischen Effect. Rec. ver-
muthet nämlich, dvxsfißißd^SLV konnte ein technischer Ausdruck
der Seeleute seyn, gebraucht von der Bemannung der Schiffe
durch Sklaven. Bey Thuc. VII, 13 heisst es, dass Einige av-
ögaTioda '^ TKxaQi%d dvxs^ißißdöaL vtceq öcpcov nüGavxEg xovg
TQLTjQagxovg die Genauigkeit der Seetaktik verderbten. (Wie
sie ilykkar. Sklaven erhielten, zeigt Thuc. VI, 62.) Zwar bey
Thuc. heisst es vtcsq 6q)c5v^ allein dieser Begriff kann schon in
ccvxl liegen, seil, eavxäv. Auch konnte es der häufige Gebrauch
mit sich bringen, dass der Begriff öovAot hinzugedacht wurde.
Der Sinn wäre dann einfach, Andere, statt ihrer, einsteigen
lassen, nämlich dovXovg. — S. 54, § 37 ist die gewöhnliche
Lesart ot — naLQol ov ixEVOvöi, xrjv i^^axegav ßgaövxrjxa. Nur
T u. yQ. F bey Bkk. haben dvafiivovöi. Diess zieht Rüd. vor,
und belegt mit Beyspielen dessen sprachliche Richtigkeit. An
dieser wird Niemand zweifeln. Allein auch ^evsiv kommt be-
kanntlich so vor, wiewohl minder häufig. Und man weiss, wie
oft die codd. Präpositionen an Verben hinzusetzten, ^svovöt,
war darum ohne Zweifel beyzubehalten. — S. 56, § 40 hat
Rüd. statt Bekkers ev daovtt aus FZ! mit Recht aufgenommen
Dcmosthenis Pliilippicae. Ed. Rüdig-cr. 31)5
elg deov ti. Ebenso hätte aber ibid. Berücksichtigung verdient
die Lesart iu H ■aav naxäi,yq. — S. <)1 , § 46. ov yaQ tör/v,
ovjC eötlv Bva avdga av 8vv)]%Yivai. So schreibt mit llsk, Hr.
Itüd. ohne Bemerkung. Bkk. iiess av weg nach E und vieil. T.
Schäfer vertheidlgt es: „subaudi ctiamsi velit.'"'- Uns scheint
die entschiedene Ausdrucksweise fiir av nicht giinstig. — Ibid.
rjyijrai hat auch cod. oc, während man nacli Bkk. 's Varr. ver-
muthen sollte, 2J habe TjztiJTaL. lliul. iibrigens entscheidet sich
mit Recht iur Ersteres. — 8. C2, § 47. Söts ^j] %. r. 1. hat
allein 27, und auch hier zeigt sich die Trefflichkeit dieser Hand-
schrift, Denn in dem ov yaQ — Ö£fc der Uebrigen ist erleich-
ternde Interpolation unverkennbar. — Ibid. TiQoq Ö£ Toi^g 1%'
%QOV(i. llüd.: „£;^^9ol quanquam ab iis, qui jroAefitot dicuntur,
ditferunt, tarnen scriptores lioc discrimen non ubique observant.
Quum vero Dem. rem iorensein, ad quam iypQoi et ayQOVitfi<5\5ai
pertinet, opponat rei bellicae, videtur consulto his vocibus usus
esse." Aber eben um des Gegensatzes willen sollte Dem. eher
noXsi-ilovs sagen, weil er ja den Kampf gegen die Ankläger dem
Kampfe ge;;eii die Feinde entgegenstellt. Hätte Hr. II. nur an
dem ersten Theile seiner Anmerkung festgehalten, dass die
Schriftsteller häufig ex^Qol statt tcoU^lol gebrauchen. Denn
Ersteres kann statt Letzterem gesagt werden, da es von wei-
term Umfang der Bedeutung ist, nicht aber umgekehrt, es wäre
denn unter sehr bestimmten Bedingungen. — S. 63, § 48. rag
sroAtrat'ag diaönäv hat Rüd. nicht richtig erklärt. S. Brerai. —
Wir gehen nun zu den Olynthisclien Reden iiber, bey de-
nen Hr. Rüd. die Stellung des Dionysius befolgt und in den Pro-
legomenen mit den Hauptgründen vertheidigt. Olynth. I (vulg.II)
S. 90, § 4. Die Worte tovtcov ovxt vvv OQä xov hklqov tov Ag-
ysLV erklärt Rüd. mit „hae enira structurae: aaLQOv tovtcov et
TtaiQOV tov XsysLV tavta sunt confusa"; nach unserm Urtheil
am ungezwungensten. — S. 93 § 7. Ueber TiQoöXaiißccvav be-
merkt Rüd.: „mediara quidem formam exspectaveris , sed notio,
quae illa expriraitur, in ipso verbo inest." Allein Rec. begreift
nicht, wie Jemand liier das Med. erwarten wollte. Denn diess
hiesse ati sich ziehe??. Das Act. aber heisst hi?izunehmend , zu
Hülfe nehmend, welches hier allein richtig ist. — Mit Recht
übrigens hält Rüd. ibid. avtov bey Bkk. für Druckfehler. —
S. 97, § 12 vertheidigt Rüd. £toip,6tata gut gegen Schäfer,
eben so S. 98, § 13 (iBtaßoXr]v gegen Reiske. — Ibid. § 14.
olov [rj MaxBÖüviKi] dvva^ic;) VTirJQ^s tcoO"' v^lv — TtQog Okvv-
Q'iovg' Ttdhv av ngog IJotidaiav ^OXw^loig IrpavY] ti tovxo
övva^cpOTEQOv. Da Hr. R. in der Note die Worte 'OXvv&toig
ecpävrj ti citirt , um über rt eine Bemerkung zu machen , so
könnte man schliessen, Rüd. verbinde 'OXvv&ioig mit Icpdvrj.
Aus seiner Anmerkung erhellet darüber nichts Weiteres. Rec.
glaubt aber, dass 'Okvv&loLg, wie die Constructionsparallele
396 Griechische Schriftsteller.
VTtrJQ^ev vpuv angiebt, ein dat. comra. sey. Und wiederum für
die Olynthier schien etwas Bedeutendes dieses Beides zvsam-
men. Denn offenbar kam es niclit darauf an, ob es den Olyn-
thiern so schien, sondern Viberhaupt Allen, welche dem Kriege
zusahen. — Ibid. vvvl Ö£ Qixrakoig voöovGi v.ai öraGiät^ovöi
xcd rsTaQay^BVoig. So edirt Riid., während Bkk. mit F^ vo~
6ov6i strich. In jedem Fall hätte aber voöovöl in Klammern
sollen eingeschlossen werden, denn es ist hier wirklicli eine
Ueberladung. Nur dann wäre es am rechten Ort, wenn auf
den unruhigen Zustand der Thessaler ein Nachdruck sollte ge-
legt werden, welches hier nicht der Fall ist. In der Stelle
Pliil. III § 12, wo es von Thilipp heisst nvv&avBöd'aL yccQ av-
Tovg {rovg 0Brtalovg) o5s voöovöl xal öraöta^otiöt , hat 7^0-
<Jot}(jt in Philipps Munde fast einen ironischen Anstrich. Leicht
ist auch zu erkennen, dass eben aus dieser Parallelstelle vo-
CovCi in Ol. I eingeflickt worden ist. Dass Ulpian es anerkennt,
beweist nur, wie alt die Corruptel ist, und eben so das hohe
Alter der Recension i^Z", welche darum von der höchsten Wich-
tigkeit u. Glaubwürdigkeit sind. — S. 99, § 16 hätte zu xoTcro-
liivoi citirt werden können de Cor. § 145. — S. 101, § 18. d
ÖB rig Ccoq)Qcov rj öiTiaiog aXXaq. Da öäcpQoav den speciellern,
liier aber dixaioig den allgemeinem Begriff enthält, so nehmen
wir an äkkog keinen Anstoss: oder sonst ein rechtschaffener
Mann. — S. 103, § 20. d ds ri TtratöSiB vulg. Bkk. aber nach
guten Handschrr.: bI Ob xi ntaiGBi. Letzteres vertheidigt auch
Rüd., aber auf eine Art, die Rec nicht billigen kann, „nam
dicit: si paidliim impegerit^i non impingeret'-'' Weder das FJine
noch das Andere ist richtig übersetzt. bI nxaiöBv ist nicht si
itnpegerit^ diess wäre ^V nxaiörj^ noch auch bI nxatöBLB si im-
pingeret. Uebrigens drücken die Lateiner unser bI tcxcclöbl seq.
fut. geradezu auch mit si impinget aus. Siehe Ellendt de form,
condit. p. 24. — Ibid. tot' ccKQißcjg avtov xovx Bi,Bxa6%ri6B-
xai. Nach Bkk.'s Varr. zu schliessen, hat der einzige cod. T
stdvxa statt avxov, und Rec. kann avxov unmöglich für Erfin-
dung eines Abschreibers halten, während ndvxa es eher seyn
Avird. Wir billigen es darum nicht, dass Hr. R. xavxa Tcavt
in den Text aufnahm. — S. 104, § 21. xkag ^Iv av IggofiBvog
{] xig. So Bkk., wie es scheint, nach allen seinen mss., wäh-
rend dagegen an andern Stellen einige mss., jedoch die schlech-
tem, und niemals 2J, lesen XB log. Auch die von Buttmann
im index ad Midianam angef. Stelle fals. leg. § 32fi hat xeag
ohne Bekkersche Variante. Rüd. giebt zwar hier £ög, sonst
aber scheint er geneigt, wie Buttmann durchweg zu conjicireu
TEüJg, ac3g. Bey Bkk. aber finden wir die beiden Partikeln ver-
bunden an keiner Stelle, dagegen an unserer und fals. leg. XBoag
ohne Var. Dazu kommt noch die übersehene Stelle Lept. § 91:
TOTE ft£V, TgCög rOV XQÖJIOV tOVXOV BVO^O&BXOVV, TOlg ^Iv VTiaQ-
Dcmosthcnis Philippicac. Ed. Rüdiger. Sü?
^ovöi vofioig IxQävto^ denn durch diese richtige Interpunktion,
die auch Bkk. liat, fällt der Anstoss und der Aenderungsver-
such Wolfs weg, welcher nach ivo^io&irovv ein Kolon setzte
und das Komma vor rtag wegliess. llec. glaubt drmnach bey
dieser Beschairenheit der Stelleu, dass man den lonismus zwar
als eine Eigenthümlichkeit zu benieikeu, nicht aber zu ändern
habe. — S. lOO, § 22. rj iHiivcp. I)a Bekker sonst überall
schreibt ^' xatV« u. s. w., hier aber nicht, so möchte Rüd. hier
lieber ^ 'asivco. llec. aber glaubt, dass in clausula sich Bkk. 's
Lesart wohl ertragen lasse. — S. lOS, § 25. Richtig bezieht
li'\n\. TCÖöov xqÖvov auf den ganzen Au)phii). Krieg. — S. IIW,
§ 27 hätte Hr. R. zur Erklärung der Worte tl ninQav,xaL xolg
ccXXoLg nicht verweisen sollen auf seine Note zu cap. 21, rjfjLiV
ÖS TtiTiQccxTai ^ au welcher Stelle er richtig ijatv als Dat. conim.
erklärt. Dadurch könnte man auf die Meinung gerathen, tolg
aXXoKi sey auch hier Dat. coinm., wel-clies unrichtig \>i. Denn
zolg cikkoig steht statt vtio tcjv äXlcov, wie schon der Gegen-
satz dv }ij] nuQ viiäv — vixäg'^ij rd ösovta^ und der Zusam-
menhang lehrt. — S. 113, § 2i>. nal ot ßoTjöö^evot ol rgia-
aööLOi. ot vor xq. lässt Riid. weg. ZI hat es, und mit ihm Bkk.
Wir glauben, es mochte eher wegfallen als hinzugesetzt wer-
den, und es scheint um so unentbehrlicher, als Dem. eine be-
stimmte Abtheilung der Symmorien bezeichnet. Hr. R. fiilirt
als Grund der Weglassung an, dass niQi 2Jvvrcc^. p. 172 an der
Parallelstelle ot ebenfalls fehle. Allein dort lässt 2^ auch rgia-
xoöioL weg, und Rec. glaubt, mit Recht, et tgtaKÖöLoi als
hestiramte Abtheilung mit dem Artikel finden wir auch de cor.
§ 171. — S. 114, § 31. Ttolkä ßäkriov. Herr R. hat noU.ä^
welches Bkk. nach FU verwarf, behalten mit dem Grunde:
„quum nullam reWeo causam, cur quis addiderit, retinui." Al-
lein erstlich haben es nur die interpolirenden TSlnv ^ und zwei-
tens ist /3£ATtov durch seine Stellung emphatisch genug. — Ol.
II (vulg. III) S. 125, § 10. Was Hr. R. zu Gunsten von na&i-
ßrare bemerkt, verglichen mit dem, was auch ßremi dafür
anführt, giebt völlige Sicherheit über die vulg. und beweist,
dass Bkk.'s Conjectur nicht nöthig ist. Ibid. Dass zwey Obolen
zu Demosth. Zeit das niedrigste Theatergeld war, beweist die
Stelle de cor. § 28: av dvotv oßoXolv. — S. 126, § 12. tov
vor Tia^ELV lässt Bkk. mit 2J weg. Riid. vertheidigt es. Allein
selten führt wohl Dem. einen erklärenden Infinitivsatz nach ei-
nem Pronomen toJto mit dem Artikel ein. Z. B. § 7 dieser
llede: tovro — aq)OQfiEiv^ fehlt er. Diesen Gebrauch hat auch
Leloup raissverstanden zu Isoer. Evag. cap. 3: H xal xovto
dvvrjöovtat^ xovg dya&ovg dvögag tvloyslv. So Evag. cap. 6:
xavxriv d(poQ^7)v — dfivvsödaL x. x. L — S. 128, § 14. ij tieqI
tov dv ygdcpBi öiaTCQd^aöQai. So schreibt Rüd. Dagegen Bkk.
äv ygatpfj. Rüd. bemerkt: ^^dv ygdcpEi decreta quaedam iunuit,
3Ö8 Griechische Schriftsteller.
Scliaefero recte moneiite. " Schäfer sagt aber nichts von kv.
Er stellt nur die Lesarten fQccq^ei, und äv 'yQccq)r] einander ge-
geniiber. Sielit man Bkk.'s Varr. an, so kann man ygäipu ohne
äv wolii für acht halten, und erklären wie Schäfer, clv aber
mit ygacpu aul'zunelimen lässt sicli kaum rechtfertigen, einer-
seits weil av post relat. c. ind. praes. überhaupt sehr unwahr-
scheinlich ist, anderseits weil es auf keiner deutlichen Auctori-
tät beruht. Wir lesen übrigens nicht äv ygdcpy, sondern wie
viele mss. haben äv yQacpy^ und können an der Verallgemeine-
rung keinen Anstoss nehmen : oder wenn die Volksbeschlüsse
von selbst Ar oft hätteti^ das durchzusetzen^ worüber' immer sie
verfasst seyn sollten. — S. 120, § Iß. ov^ ovg, 8t itolBinq-
GauVy irolficog GcÖ6uv vnL6%vov^i%'a^ ovxoi vvv Ttols^ovvtat;
llüd. nimmt lleislce's allerdings sehr gefällige Conjectur no-
KeaijQHBv in den Tevt auf (wiewohl ihm sclion Schäfer ge-
rathen liatte, wenigstens das auf codd. sich stützende nols(i7]-
6£uv vorzuzielien) , weil „et öcoöslv et jiole^ovvrai requirunt
notionem invasionis'-'-, und bemerkt gegen Scliäfer, die Äacto-
rität der Handschriften scheine ihm hier sehr verdächtig. Wir
wollen sehn. Angenommen, Tcolsfirjöaisv sey die ursprüngliche
Lesart (wie sie es auch wahrscheinlich ist und Bkk.'s codd. zu
liaben scheinen), so begreift man leicht, wie bkbIvg) in dem in-
terpolirenden T eine aus dunkelm Bedürfniss herrührende Zu-
that ist. Andere mss. haben TCoXs^i^öeLSV und setzen dann mei-
stens hinzu anBivog. Und es ist klar, dass tccXs^tjöslev eine er-
leichternde Aenderung war im Sinne von Reiske's 7iols^t]QEiEv,
welcher dann auch Ixslvog zur Verdeutlichung beygefügt wurde.
Aufs mindeste sind Ixslvog und sxsivcp Auslegungen, je nach-
dem man — öeiBV od. — öauv festhalten wollte. Somit kann
also das Eine von Beiden nicht verdächtig seyn. Die schwie-
rigere Lesart, die also die Aenderungsversuche veranlasste.
noksfirjöauv zeigt sich aber auch dem Zusammenhang nach als
die bessere. In ihr ist nämlich eine aXi^a^, die durch jede
Aenderung verwischt wird. Nämlich: „Ihr verspracht sie zu
retten, d. i. sicher zu stellen, wenn sie nur einmal Krieg füh-
ren würden, d. i. selbstangefangcnen. Jetzt aber wollt ihr sie
nicht retten, da sie sogar mit Krieg sind überzogen worden."
Dass diess richtig sey, zeigt sich daraus, dass die Athener im-
mer geschrieen hatten : EKTtokeficoöcct dsl tovg dv^QcoTiovg. Und
da die Olyuthier einwenden konnten, ein Krieg mit ihrem Nach-
bar sey ihnen gel'ährlich, versprechen jene, sie schon aufrecht
zu erhalten, wenn sie zum Kriege kämen. — S. 130, § 17 hät-
ten wir über xöts eine Anmerkung erwartet. — S. 137, § 27.
ccQCi ye o^OLog rj TtagaTtlrjölag ; schreibt Rüd., während Bkk.
statt 7] ein xal hat, nach allen seinen codd. ausser T. Rüd. be-
ruft sich darauf, dass de f. leg. p. 439 Bkk. ij in der gleichen
Formel behalten hat. Allein dort schweigen seine mss. Also
Dcinostlieniä Fhilippicac. Ed. llüdigcr. 899
folgte ihnen Bkk„ an beiden Stellen mit Recht. — Ibid. artog
Vfitv — tcc Tigccy^ar' sx^l; — olg tu filv ukXa öiaTtöi — e^ov
ö' rjfitv %a\ xa rj^sriQ' avrcjv iXHV %. t X. Statt olg giebt V
allein %al^ weiches Rüd. aui'iiinunt, indem er sagt; „oig est
error ex scribendi coinpendio enatiis." Allein o'iq ist allein rich-
tig. Dem. sagt: Wie sind jetzt euere Sachen bestellt'? Euch,
denen — doch ich verschweige das Andere, so viel ich auch
sagen könnte, — (Allein bey einer so grossen Ruhe, und da
die Lakedämonier vernichtet sind, die 'J'iiebaner unthätig, von
den IJebrigen sich keiner uns zu widersetzen wagt,) aber da es
uns möglich ist u. s. w. OlFcnbar bezieht sich olg auf das vor-
ausgegangene Vjtiiv, dann folgen die Zwischensätze, deren Ende
mit 6s. nach i'S,6v angedeutet ist, welches Rekker nicht liätte
einklammern sollen ; und oig wird von ii,6v regiert. Wie häu-
fig, geht die Construction von der zweiten Person zur ersten
über, daher tJ^uTv nach der Parenthesis. — S. 140. äyazäv-
Tsg lav ^ExaÖLÖoööt Qsoquicöv vfXiv rj ßotdta ns^xl-'aöiv ovxoi.
^exadäöL hat bey Bkk. allein cod. T. Er selbst hat in der gro-
ssen Ausgabe ^eradidcööi^ nur in der Schulausgabe nexadäöi,.
Dass Rüd. auf diese nicht liätte achten sollen, haben wir oben
gezeigt. Und nicht nur wegen äusserer Auctorität ist das Prä-
sens vorzuziehen, sondern auch wegen innerer Gründe. Die
d'sagtiid wurden regelmässig ausgetheilt, die Uebersendung
des Bischen erbeuteten Kuhfleisches war ein Extrafall. Mit
Recht steht also beym Letztern 7ce^xl^(o6n>. Deutlich erweist
sich auch hier der Character des ausglättenden T, dem es zu
rauh schien, dass einmal das Praes. , dann der Aor. stehe. —
S. 143, § 33. Lieber a;royröi''ro:g haben wir unsere Ansicht aus-
gesprochen im Programm obsvv. in Dem. de Cor. Turici, typ.
ürell. Füssi. 1829 p. 40. — Ibid. Rüd. vertheidigt vticcqxoo
mit Recht. Leicht ist es zu sehen, wie daraus die übrigen
Varr. entstanden sind.
Ueber Ol. III (vulg. I) nur eine einzige Bemerkung. Dort
nämlich § 25 sagt Dem.: „Ihr habt die Wahl zwischen einem
Krieg an Philipps Gränzen oder einem in unserm Lande. Dauern
die Olynthier aus, so werdet ihr den Krieg dort führen aal ttjv
ixslvov 'naTiäg tcolijösxs, ri^v vTtccQxovöav nal xtjv oly,iiav xav-
rrjv aÖECjg xaQTtovfisvoi. Nimmt aber Philipp Olynth ein, wer
wird ihn hindern, hieher zu kommen'?" Seit Ilieron. Wolf
haben die Ausleger die W^orte xrjv vnäQyovöav — xavxtjv auf
Makedonien bezogen. Rec. kann nicht beystimraen. Erstlich
fällt auf der Ausdruck xavxijv, wo man eher lytdvrjv erwartete
(weswegen auch Reiske avxa vorschlug), und dann adaag.
Ferner setzt Dem. den Schrecknissen des Krieges in Attika ent-
gegen den glücklichen und ruhigen Genuss des heimathlichen
Landes, der dann möglich sey, wenn man den Krieg in Fein-
des Land führe. Endlich in der Schlüssrede braucht er als
400 Griechische Schriftsteller.
Hauptmotiv für die Reichen, dass sie beystenern, um den Krieg
in der Ferne zu führen, gerade die gleichen Worte: 'iva — ^iagä
avaliGyiovtfg xä koma ■xagrcavtcci, ddecjg. Dieses Alles hestimmt
«US, die Worte rrjv vnccQiovöav x. r. A. auf Attika zu beziehen.
üeber die Kede vom Frieden hätten wir nur Weniges zu
bemerken; und die Bearbeitung dieser Rede scheint uns wirk-
lich sehr gelungen. Nur einen Punkt wollen wir erörtern. S.
194, § 24. aA/l' cog oi'ts Tigä^o^sv ovdev ccvd^iov '^uäv avxäv
out' iözai Ttöleixog^ vovv OB d6t,o{XEv Ttäöiv txsiv xal xä dUata
Xiyuv , Tovx' oiiiai dslv tiolbiv. So liest Bkk. mit cod. 27
und yg. F. Die Uebrigen bey Bkk. haben 8Bit,uv st. Öbl TtoiEiv.
ÖBit,£tv erklärten alle Ausleger für unstatthaft, Hr. Rüd. aber
glaubt eine Erklärung gefunden zu haben, wodurch öett,Bi,v ge-
rettet werde. Er macht nämlich tovxo zum Subjekt, und über-
setzt: jjuto , rem ipsani ostensuram esse ^ s. ostensum iri^ rios
neque etc. Diess geht tur ag ovxs Ttga^o^ev ovÖsv dvd^iov und
auch für our' böxul jiöXsfiog wohl an, nicht aber für vovv ÖS
ö6t,o^Ev TtdöLV ixsiv aal x. X. Denn was gäbe das für einen
Sinn: Die Umstände werdeu beweisen^ dass tvir Allen schei-
nen ii^erden Verstand s?/ haben'* Es müsste jaheissen: dass
wir wirklich f erstand haben. Das Ganze fuhrt darauf hin, dass
Dem. hier von den Athenern Handlungen fordert, die zur Folge
haben, dass man nichts Unwürdiges thue, kein Krieg sey, da-
gegen sicli die Ueberzeugung verbreite, die Athener liätten mit
Verstand gehandelt. Und die einfachste Art, dieses auszu-
drücken, war ÖEtv %Q{.ixv. Diess halten wir also mit Engei-
hardt für richtig, und diess entspricht dann auch am besten
dem vorausgegangenen v.iXi.vBig. Und mit Unrecht, glauben wir,
sagt Hr. Ilüd. praef VI, indem er gerade dieses Beyspiel ösiv Ttoi-
£iV als Beweis braucht, codicem 2^manum sapere eraendatricem.
Doch wir glauben hinlänglich gezeigt zu haben, mit wel-
cher Aufmerksamkeit wir Herrn Rüdigers Buch lasen, und
zweifeln nicht, dass er unsere Theilnahme an seinen Bemühun-
gen, das gründlichere Verständniss des trefflichen Redners zu
befördern, anerkennen wird. Druck und Papier sind übrigens
zu loben, minder die Correctheit des Druckes. Eine geringe
Zahl von Fehlern sind in den Erraten bemerkt. Wir fügen noch
hinzu: S. 13 de sojisullo. Ibid. Igblv, lies Icöxlv. S. 36 not.statt
«(/ 2; 2 disimus lies «r/ 2; 1 d. S. 42. navxaxol liest nicht j3,
sondern or. S. 49 lies v^äv st. V'näv, S. 74 'naxtaXXaydg.^ S. 82
^ori^iav^ S. 89 zweymal tuV st. av ^ S. 1{)8 BTttlovtcov'^t. sAn;-,
S. 111 Irj^axa lies hj^^iaxa. S. 12ß st. nadövxBg lies na&Biv.
S. 142 Dinys. Hai. S. l.'jS st. dvBiXovxa lies dvsUovxo. S. 171
condidioni. S. 192 st. ag ovg lies ag OVK. S. 221 ist ohne Zwei-
fel zu lesen dvdyvaöig st. dvdyco<5ig- Eben so S. 225 sollte es
heissen a. VTtuQ^dvxcov st. a. jcQOVTiaQ^dvxcov.
Aarau. Rauchenstein.
Eöiuische Litteratur. 401
Römische Litteratur.
Publii Ovidii Naso7iis libri Tristium. Zum Schiilge-
biaucli herausgegeben und mit crkliirenden Annierliungeu und ei-
nem Namen -Register versclicn. Zweite ganz neu gearbeitete Auf-
lage. Leipzig, bei E. B. Schwickert. 1829. W I u. 216 S. 8. 16 Gr.
v^bschou bei dem rege» Streben unserer Zeit die humanisti-
schen Studien auch durch zweckraässigereHüIfsmittei u. Schul-
bücher zu befördern besonders das Facli der Schulausgaben
derjenigen Römischen und Griechischen klassischen Schriften,
welche an den liöhern Lehranstalten gewöhnlich gelesen wer-
den, ungemein bereichert worden ist; so erheben sich doch
noch häufig Klagen, dass es an solchen Ausgaben, welche die-
sem Zwecke völlig entsprechen, noch immer mangele. Mögen
nun auch diese Klagen zum Theil von solchen Schulmännern ge-
fuhrt werden, welche über die Eigenschaften, welche eine
gute Schulausgabe haben rauss, selber nicht gehörig im Klaren
sind oder doch ganz eigene Ansichten davon haben; so lässt
sich doch nicht läugnen, dass es unter der Menge Ausgaben,
welche sich für den Schulgebrauch oder in usura studiosae iu-
ventutis ankündigen, nicht wenige giebt, welche dieser Bestim-
mung nicht genügen können. Denn während einige neben dem
Leichtern und Fasslichern auch die schwierigsten und ausführ-
lichsten kritischen Erörterungen mit fast diplomatischer Ge-
nauigkeit, und weitläufige mit einer reichen Litteratur ausge-
stattete Untersuchungen über einzelne Punkte der Grammatik
und andere Gegenstände der Alterthumswissenschaften aller
Art, welche der Gymnasialschüler noch nicht verarbeiten kann,
und die das raschere Fortschreiten in der Lektüre der Klassiker
aufhalten, zum Schulgebrauche bieten, giebt es andere, die
nicht mit der Gründlichkeit u, der Strenge, welche der jetzige
Standpunkt der Wissenschaft erfordert, gearbeitet sind; und
wieder andere sind zu diesem Zwecke nicht geeignet, weil sie,
namentlich in grammatischer und lexikalischer Hinsicht^ alles
erklären. Letztere sind denn, obgleich sie unter der unwissen-
den Jugend die meisten Käufer finden, dem Schulzwecke eher
hinderlich als förderlich , indem sie statt die Stelbstthätigkeit
des Schülers anzuregen und Nachhülfe zu leisten, demselben
fast allen Stoff zum eigenen und selbständigen Studium und zur
Uebung und Erprobung seiner Geisteskräfte vorwegnehmen.
Indessen gicbt es doch auch viele, besonders mehrere neuere
Erscheinungen dieser Art, welche ein eifriges Bestreben beur-
kunden, die Idee eines wohleingerichteten Schulbuches zu ver-
wirklichen; so wie auch schon einige Ausgaben vorhanden sind,
welche sich durch ihre Zweckraäissigkeit zum Schulgebrauche
Jahrb. f. Phil. u. Pädag. Jahrg. V Heft. 4. 26
402 Römische Litteratur.
besonders empfehlen. Unter diesen gebührt nach des Referen-
ten Dafürhalten der vorliegenden Ansg. der Tristien des Ovi-
dius , obgleich sich der Hr. Flerausgeber nicht genannt hat, ein
ehrenvoller Platz, anch noch aus dem Grunde, weil in der Vor-
rede zu derselben so belehrende Ansichten über die zweckmässi-
ge Einrichtung eines solchen Schulbuches ausgesprochen sind.
Veranlassung zu dieser Arbeit war, dass die Ausgabe der
Klaggesänge des Ovidius unter dem Titel : Des Publius Ovidius
Naso libri Tristium mit zweckmässigen Anmerkungen u. einem
doppelten Register zum Gebrauch für Schulen [v. Dr. Fr. Eberh.
Boyseu ], welche 1793 erschienen, vergriffen war und der Ver-
leger, weil das Buch sein Publikum gefunden i hatte, und seit
dem Erscheinen desselben auch keine zweite Ausgabe von die-
ser Einrichtung erschienen war, eine neue Auflage desselben
veranstalten wollte. Der Herr Herausg. fand aber nöthig, um
dem Buche eine dem heutigen Stande der Philologie angemes
sene Einrichtung zu geben, „dasselbe ganz umzuarbeiten, und
konnte dasselbe daher von seinem alten Material ausser dem
aufs neue revidirten Texte und etwa zwei oder drei Anmerkun-
gen durchaus nichts behalten; so dass dasselbe eben so gut
eine neue Ausgabe heissen könnte, welches aber den Titel ei-
ner neuen Auflage darum erhalten, weil Boysens Bearbeitung
sein Entstehen veranlasst und die allgemeine Einrichtung vorge-
schrieben, nach welcher es gemacht wurde/*^ Das Buch ist
für solche Gymnasial -Schüler bestimmt, ,, welche mit den ge-
wöhnlichen Regeln der Lateinischen Syntax bekannt sind und
nur hin und wieder noch der festern Begründung derselben be-
dürfen, und welche ferner von der Prosodik und Metrik des
elegischen Metrums das Nöthigste begriffen haben, so dass sie
schon hin und wieder in die höhere Grammatik eingeführt und
zur Anffassung der Latein. Dichtersprache hingeleitet werden
können." Die Anmerkk. schrieb derHgb. Deutsch, hauptsächlich
„weil diese Schüler die Lateinischen oft nur mit Mühe verste-
hen und sie daher in den meisten Fällen ungelesen lassen. "
Ueber innere Einrichtung des Buches spricht der Hr. Herausg.
in der Vorrede ausführlich, wovon folgendes das Hauptsäch-
lichste ist. ,,Der Text wurde sorgfältig revidirt und in einer
nicht unbedeutenden Anzahl von Stellen verändert. Es wurden
hierbei zwei Klassen von Fehlern des Textes unterschieden:
solche, bei welchen die aus den Handschrr. bekannt gemachten
Varianten zwar anzudeuten scheinen, dass die Worte, wie sie
im Texte stehen, kaum so von Ovid geschrieben worden sind,
welche aber doch nicht gerade gagen den Zusammenhang und
gegen die Denk- u. Spracligesetze des Dicliters und seiner Zeit
Verstössen — also etwas geben, dessen sich der Dichter, wenn
er so geschrieben hätte, wenigstens nicht zu schämen brauchte;
und solche, durch welche Zusammenhang, Denkweise und
Fublü Ovidii Nasonis libri Ti-istiuni. 40S
Sprachgebrauch des Dicliters und seiner Zeit verletzt werden.
Die Fehler der erstem Art schaden in Ausj?aben für den Sc!iul-
gebraiicli nur wenig und können im Ovid häufig auch nicht mit
gehöriger Evidenz nachgewiesen werden, da ilire Verbesserung
nur von den llandsciiriften abiiängt und diese hier ziemlich
schlecht verglichen sind. Sie sind daher auch nur du verbes-
sert, wo sich die Aenderung aus dem Anseilen und dtv Zusam-
nienstimmung der bessern Handschriften als sicher ergab und,
um fiir jeden, der den kritischen Apparat ansieht und kennt,
evident zu seyn, keiner weitern Erörterung bedurfte. — —
Vorzügliche Sorgfalt aber ist auf Verbesserung der Fehler der
zweiten Art verwendet, um sie wo möglich alle zu berichti-
gen."- „Besondere Aufmerksamkeit wurde auf die Inter-
punktion des Textes verwendet und durch sie auf das leichtere
Verständniss hinzuwirken gesucht. " — Den einzelnen Ge-
dichten sind kurze Einleitungen vorausgeschickt, welche „nur
den Hauptinhalt der Gedichte angeben, zugleich aber auch die
nähern veranlassenden Umstände zur Abfassung derselben und
die nöthigen geschichtlichen Data hinzusetzen, wo diese nöthig
werden. Sie sollen den Schiller nur auf den Standpunkt stellen,
von welchem aus er das Gedicht zu betrachten hat. " — ,iöie
beigegebene Erklärung ist zunächst und fast ausschliesslich für
Schüler des angegebenen Kreises bestimmt und soll theüs an-
regen und aufmerksam machen auf Schwierigkeiten und Eigen-
heiten, die man sonst leicht zu übersehen pflegt, theils aushel-
fen und unterstützen in Fällen, deren genügende Erklärung der
Schüler durch eigenes Nachdenken und durch den Voriath sei-
nes Wissens sich nicht geben kann, theils endlich sein Wissen
selbst fördern und bereichern in den Punkten, welche diesen
Jahren und diesen Klassen am nächsten liegen." In der
Sacherklärung hat der Herr Herausg. den Weg eingeschlagen,
,,so weit als möglich alles zu geben, was der Schüler zum Ver-
ständnisse der einzelnen Stellen braucht, und dem Lefirer nichts
als das Nachfragen zu überlassen, ob sich jener mit dem Nö-
thigen gehörig bekannt gemacht habe. Um dem Schü-
ler übrigens die Sache nicht zu bequejn zu machen, wurden
diese Sacherklärungen nicht gleich am gehörigen Orte gegeben,
sondern der Mehrzahl nach in ein besonderes Namen- Register
zusammengestellt, und die Mittheilungen, soweit diess bei Ge-
genständen der Art geschehen kann, auch so eingekleidet, dass
er bei dem Gegebenen dennoch das eigene Nachdenken anwen-
den muss und nicht einen reinen Gedächtnisskram darin fin-
det.'' Die Anmerkungen verbreiten sich vorzüglich ülber
Grammatik und Sprachgebrauch, und zwar so, dass sie all-
mählig vom Leichtern zum Scliwerern fortgehen. Darum ist im
Anfange über vieles nur angefragt oder doch nur auf die Gram-
matik (von Zumpt u. Ramshorn) verwiesen j später folgen mehr
26*
404 Rü mische Litteratur.
eigene und ausführliche Erörterungen, jedoch mit beständiger
Zurückweisung auf das Frühere. — Häufig ist auch auf Pros-
odik und Metrik und auf das Abweichende und Eigenthüni-
iche des Dichtersprachgebrauchs aufmerksam gemacht, bald
durch Nachweisungen vouParalleistellen, bald durch besondere
Erörterungen. " Dies wäre nun im kurzen Auszuge der
Plan, nach welchem der Hr. Herausg. dieses Buch gearbeitet
hat; und kann dasselbe nach des Ref. Meinung zum Beweise
dienen, dass er mit der Idee eines solchen Schulbuches und
mit seiner Aufgabe in ihrem ganzen Umfange genau bekannt ge-
wesen sei. In wie fern er nun dieses Ziel erreicht hat, wollen
wir nun zu zeigen versuchen.
Was nun die Textesverbesserung, den ersten Theil dieser
Arbeit betrifft ; so ist es dem Hrn. Herausg. wohl an 40 Stellen
gelungen, die Urschrift des Dichters wieder herzustellen u. gegen
weitere Aenderungen zu sichern , und lässt sich mit Gewissheit
behaupten , dass diese Ausgabe vor allen vorhandenen in Rück-
sicht auf Korrektheit des Textes den Vorzug verdient; obgleich
wir übrigens auch hier nocli bei weitem nicht überall die ur-
sprüngliche Schreibung finden, und die Kritik des Hrn. Herausg.
an mancher Stelle das Rechte nicht getroffen hat. Um dieses Ur-
theii zu begründen, wollen wir von jeder Art eine Anzahl Stel-
len näher beleuchten und , was unsern Lesern eine viel klarere
Einsicht in das hier Geleistete giebt, dieselben nicht aus dem
ganzen Werke überhaupt, sondern aus einem u. demselben Buche
dieser Gedichte hernehmen ; und hierzu wählen wir das fünfte.
L. V, 1, C9 lesen Burmann, Oberlin, Platz, Klein u. andere:
At mala sunt, fateor: quis tc mala sumere cogit?
In dieser Ausgabe finden wir nach stmt ein Punkt, wie auch
die alten Drucken haben, z. B. die Venu., und lesen:
„At mala sunt. — Fateor. Quis te m. s. c.
unstreitig die richtige Schreibung dieser Stelle. „Doch (sich
selbst einwerfend) meine Gedichte sind schlecht. — (Worauf
er erwiedert:) Ich gestehe das zu, erkenne das an. (Aber) wer
nöthigt dich dieselben in die Hände zu nehmen ?^^ Für diese
Schreibung spricht noch besonders die Part, at und die Sprach-
weise des Dichters; Epist. Her. XIX, 77, 78:
„At cito mutata est iactati forma profundi.*^^ —
Tempore, cum properas^ saepe minore venis.
ibid. III, 20, 21:
„Sed data sum , quia danda fui.^^ — Tot noctibus ahsum,
Nee repetor , etc.
Da8. Vs. 79,80 lesen wir bei denselben Editoren:
Cur scribam, docui: cur mittam, quaeritis, istoB?
Vobiscum cupiam quoUbet esse modo.
Fublii Ovittii Nuäunlä librl Tristiuiii. 4ü5
In unserer Ausgabe ist erstens Vs. T9 mit den alten Ausj^aben
das Fragezeichen weggelassen, und qiiaeritis ganz riclitig nicht
als Frage, sondern als Bedingung genommen. Mag auch die
Frage Statt haben können; so ist doch der affirmative Sinn
weit bescheidener, weit richtiger; auch muss auf die Manier
des Dichters Rücksicht genommen werden. Zu vergl. Trist, I,
11, 25; H, 201 ; III, 5, 23, 24; Epist. Her. VI, 123, 124. Und
Vs. 80 ist statt cnpiani, was Heinse, welcher bekanntlich eine
ordentliche Sucht hatte, den Conjuiiktiv, wo derselbe nur zu-
lässig war, einzuführen, aus dem einzigen Cod. Jan. zuerst auf-
genommen hat, hier mit allen übrigen alten Schriften cnpio
wiederhergestellt, und wird ganz richtig bemerkt: „Der Con-
junktiv ist sehr anstössig, weil der Wunsch, der in demselben
enthalten seyn soll [wie I, 1, 16 continga/n], schon in der Be-
deutung des Wortes liegt." V, 2, 13, 14 lesen wir in der
neuen Ausgabe;
Paene decem totis aluit Paeaiitiu» anni3
Pesiiferum tumido viilniis ab angue datum,
WO nach dem Vorgange Heinse's bei Burm., Oberl. , Platz utid
Klein virus ab angue datum steht. Die hier aufgenommene Les-
art ist nicht allein der Sache angemessener, sondern hat auch
das Ansehen der alten Schriften (denn nur zwei Handschriften
bei Heinse haben virus) für sich, und eben so auch den Sprach-
gebrauch des Dichters , indem virus darc in diesem Sinne un-
seres Wissens beim Ovidius nirgend , hingegen vulnus dare in
den Metam. allein fünfmal vorkommt. Für dieselbe Lesart
spricht endlich das Verbura aluit. Virg. Aen. IV, 1, 2:
At rcgina gravi tarn diidum saticia ciira
Vvlnns alit venis, etc. Zu vergl. Metam. X, 49.
Veranlassung zu dieser Variante haben oline Zweifel die Worte
datum ab angue gegeben, zu welchen das Wort virus dem der
Sprache minderMächtigeu w ohl leicht passender scheinen konnte.
V, 4, 47, 48 lesen wir hier mit den meisten alten Schriften ;
Plcna tot ac tantis r eferetur gratta factis,
nee sin et ille tuos litus arare boves.
wo Heinse referetur in seinen Lieblings-Modus, denConjunktiv,
umwandelte, das Verbum siuet aber, welches doch mit dem
Verbum referetttr offenbar in gleichem Verhältnisse zum Satze
steht, unverändert Hess; Platz und Klein aher referetur wieder
herstellten , dagegen einen neuen Fehler einführten, indem sie
sinet in sinit veränderten. V, 7, 2S lesen wir bei Oberi., Platz,
Klein u. a. nach Burmann:
Atque utinam vivat, scd non moriatur iu Ulis —
in dieser Ausgabe ist die Lesart der Handschriften und alten
Editionen et iion wieder hergestellt. Der Sinn ist: .,() dass er
406 Rumische Litteratur,
unter ihnen lebe nicht aber" und bekanntlich heisst nicht aber
in diesem Sinne entweder non oder et non^ und damit war die
alte Lesart et non gegen Burmann's Coiijektur hinlänglich ge-
rechtfertigt. Der Herr Herausg. zeigt noch zum üebermaasse,
dass sed non kaum sprachlich richtig sei: „Denn sed [verwandt
mit der Präposition se und gebildet aus se und dem d paragogi-
cum. s. Cour. Schneid. Elementarlehre. S. 144 ] hebt nur einen
Theil von dem Begriife des Satzes oder Wortes, dem es entge-
gensteht, auf, eben so wie unser sondern^ d. h. sondere ab da-
von. Daher wird es gebraucht, wenn man angeben will, dass
das vorhergehende Wort oder der vorhergehende Satz nicht ia
seiner vollen Geltung zu nehmen sei, sondern dessen Bedeutung
erst richtig stehe, wenn man die mit sed folgende Einschrän-
kung oder Ausnahme liinzufiigt. Das nach sed folgende Wort
rauss demnach etwas bezeichnen, was in der Bedeutung des vor-
hergehenden mit enthalten seyn kann, z. B. vivat sed non aegro-
tet; hier aber wird vinat durch das lolgende moriatur gauz
aufgelioben. — " V, 7, 53, 54 schreiben lieinse, Burmann,
Klein, Platz u. and.:
17/ius in hoc populo nemo est, qui forte Latine
Quaelib et e medlo reddcre vcrba queat —
die vorliegende Ausgabe giebt quamlibet, wofiir die Handsclirr.
und alten Editionen sprechen, und noch mehr der Sinn: denn
mit qnaelibet lieisst die Stelle: „ , welcher alle Wörter,
wie sie vorkommen, welche es auch immer seyn mögen, spre-
chen könnte"; hingegen m\i quamlibet: „ , welcher La-
teinische Wörter reden könnte, selbst die allergewöhnlichsten",
was nur einzig der Gedanke des Dichters seyn kann. Zu vergl.
Trist. I, 2, lOL V, 8, 5 lesen Platz u. Klein mit Burmann:
Nee mala fc rcddunt miiem placidumve iacenti —
Diese Ausgabe giebt placidumqiie '. und wenn auch die Bemer-
kung des Hrn. Herausg. : ,,placidi/mve \iasfii eben so wenig, als
wenn wir müde oder sauft statt milde U7id sajift sagen wollten"
allzustreng ist; so lässt sich doch, wenn man in Betracht zielit,
dass fast alle Mss. und &\i^ fia\ssahe.\\ placidiimqiie liaben, an
der lliclitigkeit dieser Schreibung nicht zweifeln. V, 8, 30 hat
er mit Platz die Klammern weggelassen, und die Richtigkeit
des Gcdaukens und des Zusammenhanges dieses so vielfach an-
gefochtenen Verses mit dem Verhergehenden so klar gezeigt,
dass derselbe gewiss ^agnn alle weitere Angriffe siclier stehen
wird. — V, 14, 22 lesen wir bei Klein, Platz, Oberl. und
andern mitBurraann:
ü't laudem prohilas irrcprchcnsa tulit —
WO das Verbum tulit eine blosse Conjektur und von der Lesart
aller alten Schriften so verschieden ist, dass es keine Wahr-
Publii 0\idii Nasoniü libri Tristiuiu. 407
scheinliclikeit für siel» hat. Der Hr. Ilerausg. hat fi/ü richtig
wieder lievgestollt. Auch liat er stall laude/n^ was ebenfalls
keine Auctorität des Altertliiinis fiir sich hat, sondern aus der
Variante Inndcin gebildet ist, mit zweien Ilandsichriften sein-
per geschrieben, wclclics aber, wenn es auch einen richtigen
Sinn enthält, docli noch weiterer Uegrimdung bedarf. Wenn
wir nun über diese Stellen der Kritik des Hrn. Ilerausg. bei-
stimmen; so können wir folgende Verbesserungsversuche des-
selben niclit gut heissen.
V, 5, 32 billist Ref. die vom Hrn. Herausgeber in Schutz
genommene Conjektur Witthof 's ( Consilio f. aethera, Ponte,
tuuni) nicht: denn wenn dieVulgata {^Consilium f. cetera paene
Tneinii) einen matten Sinn giebt; so ist des Matten in diesen
Gedichten so viel, dass uns dieses nicht wohl zu Conjekturen
berechtigt; und wenn dieselbe Vulgata der Absicht des Dich-
ters u. den folgenden Versen widersprechen soll, so sieht Ref.
das nicht ab, und ist vielmehr der 31eiiiung, dass sie fiir den
Zusammenhang passend sey: „Sieh, wie die Luft den Rauch
von meinem Opfer nach Italien und befreimdeten Orten sendet
(20, 30)! Also der Dampf, der dem Feuer entsteigt, zeigt Mit-
gefiihl für meine Leiden j (während) alles übrige meine Wünsche
flieht. [Ja oder Äo] (zur Bestätigung jenes Satzes, ganz in der
Manier des Ovidius; zu vgl. II, 105 ff.) mit Absichten trennte
sich die Flamme der feindlichen Brüder, als sie gemeinschaft-
lich opferten etc. ^' V, 6, 36 schreibt der Hr. Herausgeber:
Isto , quod reris, grandiua illud erit —
WO Burmann, Oberlin, Klein u. Platz quo lesen: was in gram-
matischer Hinsicht wenigstens vorzuziehen ist, wogegen sich
jene Lesart (quo) kaum als sprachlich richtig erweisen lässt.
Aber, da an dieser Stelle die alten Schriften, mit Ausnahme
einer einzigen Handschrift bei Heinse, qiiereris statt reris^ wie
jetzt gewöhnlich edirt wird, haben, und da reris ohnehin hier
nicht sehr deutlich ist, und dazu noch von Heinse herstammt,
der dieses Verbum bekanntlich wohl an hundert Stellen im Ovi-
dius ohne gehörige Gründe entweder aufgenommen oder doch
vorgeschlagen; so würde Ref. ohne alles Bedenken auch das
alte (juereris wieder hergestellt haben. Zu vergl. Epist. Her.
XX, 24. — V, 9, 25 ist die Anmerkung über qiioque nach ei-
nem nicht betonten Worte zwar belehrend; wird aber hier
ganz überflüssig, wenn wir die rechte Lesart wieder herstel-
len: denn es muss statt se quoque , was eine ganz unnötliige
Conjektur von Heinse ist, gelesen werden nunc quoque. Eben
80 raüsste das. Vs. 35 s% non statt des Lieblingsausdrucks Hein-
se's nisi si geschrieben werden , wodurch wieder eine Note ge-
spart worden wäre. — V, 12, 59, wo hier iion tarnen geneuert
ist, würde Ref. mit den alten Schriften und den neuern Ausga-
408 Römische Litteratur.
ben nee tarnen wieder herstellen, was auch für den Sinn pas-
sender ist: „Ich habe verlernt; und doch kam meine
Muse ."• Auch durfte in diesem Zusammenhange nach
Vs. 58 kein Punkt gesetzt werden. — V, 13, 9 würde Ref. es
nicht gewagt haben, mit nur zweien Handschriften quid statt
gut zu schreiben und die ganze Stelle Vs. 9 — 12 zum Fragesatz
umzugestalten^ indem der Satz affirmativ mit qtii ^ wie der Hr.
Herausg. auch anerkennt, nur in anderer Form denselben Sinn
giebt. Wenn aber die einfache Aussage matter ist; so werden
wir das wohl den Dichter selbst müssen verantworten lassen,
der ja in diesen Gedichten so oft matt und wässerig wird, ab-
gesehen von seinen ennüyanten Sujets. — Noch minder gelun-
gen scheint Ref. des Hrn. Herausg. Bemühen V, 14, 23, 24 den
Text festzustellen und zu erklären. Er schreibt:
Par eadem nostra nunc est sibt facta ruina :
Coitsplcuum virtus hie tua j'onat opus ! —
An dieser Stelle nahm unseres Wissens zuerst Heinse Anstoss,
welcher, wenn auch Inder Vulgata die verdorbene Lesart fand:
Par ea de nostra nunc est tibi facta ruina —
doch die der Venu, und der älteren Ausgaben : Par eadem ri'
n. e. tibi f. r. , kannte und dieselbe durch die meisten Hand-
schriften bestätigt fand; aber, weil er darin keinen Sinn finden
konnte, aus zweien unbedeutenden Handschriften sibi aufnahm
und edirte:
Par eadem nostra nunc est sibi facta ruina.
Conspicuum virtus hie tua ponat opus.
Burmann wagte hier eine Parforce-Kur und schlug vor;
Par veterum nostra si nunc tibi fama ruina —
[Allein wo bleiben hier die Grundzüge der Handschriften?];
traute aber dieser Kur so wenig, dass er noch eine zweite Con-
jektur in den Kauf gab:
Parta tibi nobtra si nunc est fama ruina.
Der Hr. Herausg. giebt, wie wir sehen, die Worte der Heinse*-
schen Ausgabe, nur mit geänderter Interpunktion; und erklärt
die Stelle auf folgende Weise: „eadem (nämlich probitas) nunc
nostra ruina (cum ruina mea irruerit), facta est sibi par. In
der Zeit des Glückes war deine Redlichkeit untadelhaft; aber
auch im Unglück blieb dieselbe sich gleich: darum setze sich
deine Tugend hier ( d. h. entweder i/J dieser Lage oder viel-
leicht auch in diesem Gedichte) ein leuchtendes Denkmal."
Wobei es auffallend ist, dass es ihm wie den frühern FJditoren
entgangen ist, dass der ganze Zusammenhang an dieser Stelle
eine Ermahnung fordert (zu vergl. unten Vs. 43, 45) , so wie
auch, dass er über das hie so wenig im Klaren ist, dass er
Fublü Ovidii Nasonis libri Tr'iätiuni. 409
meint , es könne „entweder in dieser La^'e oder vielleicht auch
in diesem Gedichte" heissen. Die Lesart der alten Ausgaben
und fast aller Handschriften ist unverdorben und giebt einen
80wohl an und fi'ir sich als auch in Rücksicht auf den ganzen
Zusammenhang richtigen Sinn: „nunc nosträ ruinä (cum nos
(ego) cecidimus) tibi par (iino) eadem (sc. ruina) facta, parta
est. — Jetzt ist dir durch meinen Sturz ein gleicher (ja) der-
selhige bereitet — ; hie igitur (in hac ruina nostra) tua se vir-
tus ostendat^ conspicuum fidei ac probitatis opus edat (oder was
mit Rücksicht auf conspicuum gebraucht ist), ponat." Nur
könnte das ^ar eadem Anstoss finden, was Cic. zwar auch ne-
ben einander stellt, aber durch et verbindet, pro Mur. c, 9:
pari et eadem in laude pono. Allein die rhetorische Ne-
beneinanderstellung ohne Verbindungs- Partikel leidet bei dem
rhetorischen Charakter unsers Dichters keine Schwierigkeit,
zumal da eine Steigerung darin enthalten ist, und dürfte sich,
wenn man suchen wollte, durch ähnliche Beispiele wohl erhär-
ten lassen; ist aber auch durch die Richtigkeit des Gedankens
schon sattsam begründet, üeber ruina zu vergl. I, 6, 5, wo in
dieser Ausgabe ruina nicht richtig durch Verlust des Vermö-
gens erklärt ist. — Das. lesen wir Vs. 30 so interpungirt:
Quae maneat stabili, cum fugit illa pede.
Uns scheint die Interpunktion der Vulgata richtiger: cum fugit
illa^ pede. — V, 14, 33, 34 liest Burmann:
Ut tempus numcres, per saecula nulla tacetufj
Et loca miranlurf qua patet orbis iter.
Piat^ und Klein:
Et loca, mirantur^ qua patet orhis iter.
Hier lesen wir:
Ut tempus numeres , per sccula nulla tacelur
Et loca: mirantur, qua patet orbis iter.
Durch welche Interpunktion alle Concinnität des Satzes zerstört
wird, und wahrlich auch aller Sinn; oder ist es etwa ein rich-
tiger Gedanke: Ut tempus numeres, per nulla secula tacetur et
loca. Die Platzische und Kleinsche Interpunktion ist gewiss
viel richtiger; aber einen weit schöneren Sinn und eine freiere
Bewegung des Gedankens enthält die Burmann'sche: „Zählst
du die Zeiten, kein Jahrhundert schweigt (von solcher Tugend);
und aller Orten, so weit der Erdkreis reicht, wird sie bewun-
derf-': für welches Letztere der Dichter kühn und poetisch sagt:
„und alle Orte — bewundern sie." üeber loca mirantur zu
vergl. Tr. III, 10, ß9.
Uebrigens will es Referenten scheinen, dass der Ilr, Her-
ausgeber sich bei seiner Textesverbesserung auch nicht streng
410 Rü mische Litteratur.
^eiuigf an seiner Aufgabe und dem in der Vorrede entworfenen
Plane gehalten, und, vielleicht weil er in diesem Stiicke seine
Stärke fühlte, manche Stelle seiner Kritik unterzogen hat, wel-
che ausser der Grenze dieses Buches lag; so wie IJef. auch iiber-
haupt sehr bezweifeln möchte, ob die häufigen kritischen An-
merkungen, deren doch einige, um gehörig verstanden zu wer-
den, schon gründlichere Sprachkenntnisse und eine geübtere
Denkkraft erheischen, als man sie beim Quartaner und Tertia-
ner voraussetzen darf, bei allen Schulmännern Beifall finden
werden. Nach unserer unmaassgeblichen Meinung wäre es, den
Zweck eines Schulbuches streng ins Auge gefasst, wie fasslich
und selbst bildend auch die Kritik des Hrn. Herausg. ist, rath-
samer gewesen, blos an den leichteren Stellen, wo der Knabe,
für den das Buch bestimmt ist, der Kritik leicht folgen kann,
kritische Anmerkungen zu geben, an den Stellen, an welchen
der jetzt gewöhnliche Text einen ziemlich richtigen Sinn bie-
tet, alle Kritik wegzulassen , und an solchen schwierigen Stel-
len, wo für die Interpretation der Weg noch nicht geebnet war,
die neue Lesart lieber ohne alle kritische Bemerkungen mit ei-
ner gründlichen Interpretation aufzunehmen, besonders wenn
das Buch, wie der Ilr. Hrgb. laut Vorrede zu wollen scheint, auch
zur Privatlektüre der genannten Klassen gebraucht werden soll.
In Rücksicht der Interpunktion verdient die Ansicht des
Hrn. Herausg. , dass sie viel zum leichtern Verständnisse der
Schriften beitrage, vollen Beifall. Besonders beachtungswerth
aber scheint lief, die Bemerkung des Hrn. Herausg., dass die
manchfaltigen Verkettungen der Sätze bei den Alten häufig in
die Nothwendigkeit versetzen, das Kolon und Semi- Kolon in
verschiedener Geltung zu gebrauchen: ein Umstand, den die-
jenigen nichtgehörig zu berücksicl»tigen scheinen , welche in
der Interpunktion überall eine strenge Kegel befolgt wissen wol-
len. Allerdings soll man sowohl seine eigenen Schriften , als
aucli die der Alten, welche man aufs neue edirt, nach einer
bestimmten Norm interpungiren, und den verschiedenen Schrift-
zeichen so viel als möglich überall die Bedeutung lassen, welche
sie einmal haben. Allein wie oft gebietet nicht bei der kleinen
Anzahl von Schriftzeichen schon blos der grössere Umfang ei-
nes Satzes, andere Zeichen anzuwenden, als man bei einem
kleineren Satze von derselben Form gebrauchen würde? Wie
oft ist das Schriftzeichen, welches man eben brauclien rausste,
z. B. ein Semi -Kolon, in demselben Satze schon gebraucht, um
ein anderes Verhältniss, was auch in der Regel mit einem Seini-
Kolon angedeutet wird, zu bezeichnen*? Wie oft erfordert nicht
die Affektsprache wegen ihrer mehr abgebrochenen Sätze und
Gedanken und ihrer kühnern Verbindung derselben selbst vor
denselben Bindewörtern andeie Schriftzeichen, als die einfache
Erzählung'? Der feineren jNüancirung derselben Satzformen noch
Fublü Ovidii NasonU Ilbri Trlstiuiu. 411
nicht zu gedenken. Was nun die hier eingeführte Interpunktion
betrifft; so liat die bessernde Hand des Hrn. Herausg. auch in
diesem Stiicke zum leichtern Verständnisse dieser Gedichte viel
beigetragen, und liier und dort auch durch eiue neue Interpun-
ktion den Sinn des Dichters wieder hergestellt. Wie sehr die-
selbe aber von liurmann, Platz und Klein abweiche, beweisen
folgende Beispiele aus der ersten Elegie des ersten Buches, wel-
che denn auch zugleich einigermassen zum Belege des eben Ge-
sagten dienen können. Nach Vs. 9 steht hier ein Semi- Kolon,
wo Klein und Burm. ein Punkt haben; nach Vs. 11 ein Komma,
wo in den andern Ausgaben ein Kolon steht; nach Vs. 15 hat
diese Ausgabe mit Platz ein Kolon, Klein und Burm. ein Punkt;
nach Vs. 25 ein Kolon, Klein ein Punkt und Platz ein Komma;
nach Vs. 53 ein Komma, Klein und Platz ein Semi-Kolon; nach
Vs. 102 ein Semi-Kolon, wo Klein u. Platz mit Burm. ein Punkt
haben; nach Vs. 106 ein Semi-Kolon, wo Klein und Platz ein
Komma haben. Nur scheint er uns in der engern Verkettung
der Sätze zuweilen etwas zu weit gegangen zu seyn ; besonders
möchte das Komma am Ende des Distichons an vielen Stellen
wohl wenig Beifall finden. Zwar ist nicht zu läugnen, dass in
diesen Gedichten, wieOvid sich in den Tristien überhaupt mehr
gehen lässt, der Fall häufiger vorkommt, dass das Distichon
den Gedanken nicht allein nicht schliesst, sondern nicht ein-
mal den geringsten Ruhepunkt gewährt; allein wir stossen in
dieser Ausgabe auf einige Stellen, wo der Sinn eine Art von
Ruhepunkt, wenigstens einen grösseren, als wir gewöhnlich
durch das Komma anzudeuten pflegen, bietet, der Hr. Herausg.
denselben aber durch Einführung eines Kommas gewissermassen
verwischt, auf jeden Fall das Lesen der Stellen sehr erschwe-
ret hat. Z. B. V, 11, 24; HI, 13, 8; III, 10, 22; IV, 10, 118;
III, 7, 34; II, 534, 234. So musste auch V, 1 nach Vs. 24 ein
Komma stellen, I, 1 nach Vs, 48 ein Punkt, und das. nach Vs.
51 ein Komma, gerade wie nach Vs. 11.
In den grammatischen Anmerkungen, der Hauptsache die-
ses Buches, hat der Hr. Herausg. sein Ziel, einen Commentar
für den oben bemeideten Schülerkreis zu liefern, im Ganzen
gut im Auge belialten. Die Stellen, welche zur Erläuterung
der in Frage stehenden dienen sollen, werden, wenn es Stellen
der Tristien selbst sind, nicht wörtlich angeführt, sondern es
wird nur darauf verwiesen, lief, billigt diese Art, obgleich
sich noch neulich ein Schulmann in einer Vorrede zu einem
ähnlichen Buche gegen dieselbe erklärt hat; woher denn auch
sein Commentar all das Schlimme an sich hat, was die entge-
gengesetzte Weise nothwendig mit sich führt: dass das Buch
ohne Noth voluminöser und theurer geworden, dass die Stellen,
weil sie aus ihrem Zusammenhange gerissen sind, nicht über-
all, wenn man sie nicht noch obendrein in loco selbst nach-
412 RömiäcIiG Litteratur.
schlägt, gehörig verständlich sind, dass der Sprachgebrauch
des Dichters seltner beachtet worden ist, und hauptsächlich,
dass der Trägheit und Bequemlichkeit des Schülers Vorschub
geleistet wird. lieber die Anmerkungen selbst bemerkt Ref.,
dass der Herr Ilerausg. besondern Fleiss verwendet hat, den
Dichter durch sich selbst zu eiklären, was beim Ovid beson-
ders zu empfehlen, und auch thunlicher, als bei irgend einem
andern Schriftsteller ist, weil derselbe seine Wörter und seine
Gedanken und deren Formen so liäufig wiederhohlt. So wird
z. B. IV, 1, 2 auf III, 14, 27 und dort weiter auf I, 11, 35 und
III, 1, 17 verwiesen; I, 5, 3 i'iber attonibis auf I, 3, 12; I, 5, 29
und 111,5,8, und so an hundert andern Stellen. Die Regeln,
welche der Schüler in seiner Grammatik finden kann , werden
selten auch nur im Auszuge wiederhohlt; sondern es werden
nur die Paragraphen der Grammatik angegeben, wo der Schü-
ler sie bei seiner Vorbereitung nachschlagen muss. So I, 1, 50
über den aoristischen Gebrauch des Infinitivs Perfecti bei Dich-
tern, I, 6, 20 über den Dativ bei comes, IV, 2, 5 über den Ac-
cusativ Collum, 111,6, 12 über escepto, V, 3,40 über Pen-
theos, u. s. a. a. 0. An schwierigem Stellen wird häufig durch
eine blose Frage auf die Schwierigkeit aufmerksam gemacht,
und dann auf die Grammatik oder woher der Schüler sich die-
selbe sonst erklären kann, verwiesen. Z. B. 1, 1, 43: „ist e^o
nicht überflüssig*? Vergl. I, 3, 39; 41; 85; 1, 11,9"; I, l, 126:
„muss nicht statt eras esses stehen? Ramshorn'g 193,3, 6";
1, 2, 56: „muss nicht st. et non hier nee stehen*? Zumpt § 334'';
I, 5, 6: ^^oi'et nach gewöhnlichem Dichtergebrauch st. esset, ob-
schon an und für sich zwischen beiden Worten ein Unterschied
ist, welcher*?"-; 111,5,7: „verbinde 7neo mc\\i mit fletu, son-
dern mit os. Wie ist das möglich*?"; 11,244: „musste der Dich-
ter nicht 7iec erudiunt tiuriis schreiben?" Diejenigen Gegen-
stände endlich, welche der Schüler sich nicht wohl aus eigenen
Mitteln erklären kann, werden meist mit Rücksicht auf die Fas-
sungskraft desselben erläutert. Gern möchten wir auch hier-
von einige Beispiele, deren fast jedes Blatt enthält, anführen.
Da uns aber der Raum dieses nicht gestattet; so wollen wir nur
auf ein Paar, welche uns vorzüglich gelungen scheinen, verwei-
sen. III, 5, 21, 22; III, 9, 23; II, 78; V, 7, 28. Auch werden
liier und dort Bemerkungen über Gegenstände aus der höhern
Grammatik , welche noch nicht gehörig erörtert sind, gemacht,
welche selbst dem Lehrer willkommen sind, z. B. über das tem-
pus praesens, über die Casus des Infinitivs, über die Frage, ob
der Singular oder der Plural poetischer sei, und wann, über
die Redeweise cupio esse noeens, licet mihi esse diserto.
Allein wie zweckmässig und vortrefflich diese grammati-
schen Anmerkungen der Form nach, und wie bündig u. gründ-
lich dieselben im Ganzen dem Inhalte nach sind; so dürfen wir
I'iiltlii Ovidii Nasonis libri Tristinni. 413
doch nicht verschweigen, dass uns hei einer wiederhohlten
sorgfältigen Durchlesung des Coranieritars manche Stelle aufge-
stossen ist, worüber wir nicht beistimmen können. Und der
Zweck dieser Anzeige gebietet uns, deren wenigstens die eine
oder die andere anzuführen; und unsere abweichende Meinung
so viel als möglich zu begründen, erheischt sowohl derselbige
Zweck dieser Beurtheilung, als auch die Achtung, welche wir
dem Hrn. Herausg. schuldig sind. Wir wollen uns hierbei am
zweiten Buche halten. II, 20, 27:
Hie, precor, exemplis tua nunc, tnilisslme Caesar,
Fiat ab ingenio molUor ira meo.
verbindet der Ilr. Herausg. ira ab ingenio meo [der Zorn von
meinem Dichter geiste her] ^ und bemerkt, die Verbindung wioZ-
lior fiat ab ingenio meo [ro«, durch nieineii Dichter geist werde
der Zorn gelinder] sei zum Zusammenhange der Stelle unpas-
send. Nach des Ref. Meinung ist letztere Erklärung, wie der-
selben in den Worten nichts im Wege steht, so auch für den
Zusammenhang ganz passend. Um dieses zu finden, rauss man
einige Verse zurückgehen. „Vielleicht wird die Muse den Zorn,
den sie erregte, auch wieder stillen; denn Gedichte besänftigen
oft grosse Götter (Vs. 21, 22). Ja Cäsar selbst Hess zur Ehre
der Ops (um ihre Huld zu erflehen) Lieder singen; auch Hess
er (zu demselben Zwecke) dem Apollo Lieder singen (Vs. 23
bis 2(»). Nach diese?i Beispielen [dass Götter durch Lieder
besänftigt wurden, was der Dichter gleichsam als nothwendige
Folge unterstellt] lass auch du^ sanßtnüthigster Cäsar ^ dich
jetzt durch mein Lied^ mein Gedicht (das zweite Buch der
Tristien, Avelches an Augustus in dieser Absicht gerichtet ist)
besä?iftigen, was nun poetisch ausgedrückt ist, werde jetzt dein
Zorn durch meinen Dichtergeist milder^ gelinder.''^ Ja wenn
man die zwei vorhergehenden Stellen (Vs. 21,22 u. 23 bis 26)
fest ins Auge fasst; so findet man, dass bei der Verbindung
ira ab ingenio meo eine auffallende Lücke im Gedanken ent-
steht, indem man die Erwähnung des Mittels, wodurch Cäsar
sich soll besänftigen lassen, was nicht allein, weil der Dichter
ein besonderes Gewicht darauf legen musste, sondern auch der
Begriff" Lied durch den ganzen Satz durchklingt, musa Vs. 21,
carmina Vs. 22 , carmina dicere Vs. 24, {carmina) dici Vs. 25,
nicht wohl fehlen darf, vermisst. Dazu nehme man auch noch,
dass diese Construktion viel einfacher und natürlicher ist, als
die Verbindung ira ab ingenio meo. — II, 77 — 80 schreibt
der Hr. Herausg. :
Ah ferus et nobis nimium crudeliter hostiSf
Delicias legit qui tibi cunque meas,
Carmina ne nostris quoqiie te venerantia Ubri$
Judicio possent candidiorc legi.
414 Römische Litteratur.
und bemerkt: „das handschriftliche possiJit würde nnr richtig
seyn, wenn in der Stelle eine zur Zeit des Schreibens noch
fortdauernde Folge enthalten wäre." Ref. kann nicht beistim-
men. Denn erstens steht ja nichts im Wege, die Stelle so zu
nehmen, dass darin eine zur Zeit des Schreibens noch fort-
dauernde Handlung enthalten sei. Epist. Her. XX, 50:
iVec quemquam (reprehendo) , qui vir, possit ut esse, fuit.
Und selbst wenn ut possi?tt als eine vom historischen Perfekt
abhängige Absicht genommen werden müsste; so würde lief, es
doch nicht wagen, possint ohne Handschrr. in possent zu ver-
ändern, da ja üvidius, so wie in andern Stiicken, also auch in
diesem Punkte sich die auffallendsten Freiheiten und Abwei-
chungen vom gewöhnlichen Sprachgebrauche erlaubt hat. Epist.
Her. VIII, 89, 90:
Parva mea sine matre fui , pater arma fercbat,
Et duo cum vivant, orba duobus eram.
ibid. XVI, 2'J7, 278:
Hoc mihi (nam repeto)^ fore ut a coeleste sagiita
Figur, erat verax vaticinata soror.
Zu vgl. ibid. XV, 0, 4; XVllI, 12. Darum kann Ref. dem Hrn.
Uerausg. auch Viber die angezogene Stelle, Trist. III, 4, 21, 22:
Quid fuit, nt tutas agilaret Daedaliis alus,
Icarus immensas nomine signet aquas —
nicht beistimmen, wenn er in der Verschiedenheit der Tempora
einen Unterschied des Sinnes finden will und bemerkt: „Nach
agitaret sollte man freilich anch signaret erwarten ; allein weil
das er bezeichnet ttit't seinein Namen unermessliche Fluthen ein
fortbestehender Erfolg war, indem der Name Ikarisches Meer
auch noch zu Ovids Zeit vorhanden war; so Hess sich hier auch
das Präsens setzen, was bei agitare nicht anging." Uns scheint
das Präsens signet ohne allen Unterschied des Sinnes mit poe-
tischer Freiheit gebraucht zu seyn, welche der Vers hier for-
derte und der Sprachgebrauch dem Poeten gestattete; gewiss
stimmt diese Annalime mehr mit der Manier des Ovid; und eine
ganz ähnliche Stelle findet sich Epist. Her. XXI, 227, 228:
Scd tarnen adspic er es vellem, prout ipse rogabas.
Et discas sponsae languida membra tuac.
Dass dergleichen Freitheiten im Gebrauche der Tempora auch
hei andern Schriftstellern vorkommen, haben Krüger in seiner
gelehrten Abhandlung über diesen Gegenstand und andere zur
Genüge dargethan. — II, 104, 106:
Cur imprudenti cognita culpa mihi?
Inscius Aclacon vidit sine veste Dianam:
Praeda fuit canibus non minus ille suis.
heisst es in der Anmerkung: non minus ^ sc. quatn ego. Der
Piiblü Ovidii Niisonis lihii Tri^stiuiu. 415
Salz ist etwas schief ausgedrückt. Dem ersten Anscheine nacli
nämlich ist die Vergleichung folgende: Kr irurde nicht rninder
seinen Hunden zur Beute ^ als ich dir zur Beute ward. Allein
die Vergleichung ist vielmehr diese: AV wurde durch seine
Umrissenheit (inscius) nicht minder seinen Hunden zur Beute^
wie ich wegen meiner IJnvorsichligkeiL (impnulens) Strafe er-
leide!'^ Gewiss falsch und gegen den Sprachgebrauch des Dich-
ters. Die Stelle Vs. 105, lOli wird blos zur Bestätigung des
Satzes Vs. 104 angeführt (zu vergl. unsere Bemerkung oben zu
V, 5, 32), und non minus heisst, ohne allen Vergleich mit dem
Schicksale des Dichter s^ nichts desto weiiiger., demioch.
Der Sinn ist: „Warum habe ich, da ich ohne Vorsatz und Ab-
sicht etwas gesehen hatte, darum Schuld auf mich geladen, bin
ich darum für schuldig gehalten worden'? (Auch) Aktäon sah
unversehends ohne Schuld die entblösste Diana, und nichts de-
sto weniger., dennoch ( licet inscius oder wenn man nach dem
C'omparativ minus doch ein quam haben will, quam si non ne-
scius vidisset) ward er zur Strafe seinen eigenen Hunden zur
Beute." Dieser Sprachgebrauch, oder vielmehr diese Gedan-
kenform kommt übrigens bei unserm Dichter oftmals vor. Trist.
V, 6 heisst es vom Orestes :
Nee procid a vero est, quod vcl pnlsarit amicum:
Mctnsit in ofßciis non vilmis ille suis.
Eben so num minus. Epist. Her. XVH, 229, 230:
Omnia Medeae fallax promisit Jason,
Pulsa est Aesonia num minus illa domo?
7a\ vergl. das. XI, 17, 18. — II, 169 wird über sie bei der Bitte
bemerkt: „iVo bezieht sich auf ein nachfolgendes iit—. Alleij«
auch hier ist es sehr gewöhnlicli, dass das iit des Nachsatzes
fehlt und die ursprüngliche grammatische Verbindung aufge-
lioben ist." Ref. ist der Meinung, dass hierbei an ein ut nicht
zu denken sei, und eben so wenig au eine aufgehobene ursprüng-
liche grammatische Verbindung; vielmehr sjc in dieser Verbin-
dung sich immer auf die Bitte, den Optativ oder Imperativ, be-
ziehe, und einen daher entnommenen Conditional - Satz ver-
trete, z. B. Parce, precor ., sie (sc. si peperceris) te deus ad-
iuvet. Dass nun der Satztheii, wozu dass/o gehört, der Bitte
vorhergeht, liegt im Charakter der alten Sprachen. — 11^370:
Et solet hie (Meiiander) pueris virginibusque legi —
ist nicht zu tadeln, dass der Knabe auf den Dativ aufmerksam
gemacht wird; allein Ref. kann es nicht billigen, dass der Hr.
Herausg., nachdem er bemerkt hat, dass die Worte pueris vir-
gitiihusque legi wohl heissen könnten: er luird den Knaben und
Mädchen gelesen (vorgelese/i), dann hinzufügt, wahr s c hein-
lich stehe aber der Dativ hier auf Griechische Weise, da kein
Zweifel seyn kann, dass der Sinn sey: und doch wird dersel-
4l6 Römische Litterat iir.
he von Knaben und Jungfrauen gelesen. Auch würde Ref. hier
einzuwenden haben, wenn die Worte auf Griechische ff eise so
gemeint wären, dass dieser Dativ eine Nachahmung des Griechi-
schen Sprachgebrauches sey. — Die mythologischen, geogra-
plnschen und historischen Erläuterungen sind, wie oben gemel-
det ist, von den grammatischen u. kritischen Anmerkungen ge-
sondert und in ein Namen-Register zusammengestellt; und nach
des Ref. Dafürhalten ist dieser Theil des Buches vorzüglich ge-
lungen. Mag der IJr. Herausg. auch in den Namen -Registern
seines Vorgängers , Miller's , Seidels , Gierig's, Dorn Seiffen's
und anderer ein reiches Material dazu vorgefunden haben; so
hat er dasselbe doch ganz selbstständig für seinen Zweck ver-
arbeitet, und beweist jedes Blatt, dass er diesem Gegenstande
den unermüdetsten Fleiss gewidmet hat. Diese Erklärungen
sind so eingerichtet, dass die Sache wo möglich in ihrem Zu-
sammenhang erzählt wird, und die Erläuterungen der betreffen-
den Stellen künstlich hineinverflochten sind. Als Beispiel und
zum Beweise der vorzüglichen Zweckmässigkeit derselben wol-
len wir die Artikel Musae und Parcae anführen:
Musae [Movöai,) ., die Göttinnen der Musik, des Gesanges
und Tanzes , überhaupt der Dichtkunst (im Sinne der Alten),
neun Töchter des Jupiter, welche ihm Mnemosyne (Mvi]^o6vvr])
in Pierien , einer Landschaft Macedoniens, gebar. [KakkLOTtrj-,
KXiico {Ch'o), EvtBQTiT], Mt^Ttoaevri-, Tsgipixogr], 'Egard., Uo-
Xv^via (Polyht/mnia)^ Ougavia^ ©äXsLa {Thalia). — vgl. Voss
z. Virg. Ecl. 3, 84 und 8, 13] I, 7, 21. H, 3, 121. III, 7, 9. IV,
1, 88. V, 7, 55. Sie heissen daher ttovem sorores V, 12, 45.,
oder bloss sorores IV, 1, 29., und zwar doctae II, 13-, weil die-
ses überhaupt ein eigenthümliehes Prädicat der Dichter und der
Dichtkunst ist. Gierig z. Metam. V, 25.5. Von Pierien heissen
sie Pier ides'{ncBQidBg). 111,2,3. IV, 1,28. 9,16. V, 1,34. 3,10.
Ihr Vorsteher ist Apollo (s. ApoUo.\ und ihr gewöhnlicher Auf-
enthaltsort inBöotien [Aonien: daher ^07«2fle sorores IV, 10,39.]
auf dem Berge Helicon. [Metam. V, 255. Cß3. s. Helicon.] Dort
ist der Musenquell, die Hippocrene, welche das Musenross Pe-
gastis hervorstampfte. [Metam. V, 256- s. Gorgo.] Daher Pe-
gasidcs undae III, 7, 15. Das Wasser dieser Quelle begeisterte
zur Dichtkunst. Sie sind die Urheberinnen der Gedichte, I, 7,
21., und ihr PJinfluss führt die Menschen zur Dichtkunst. IV, 1.,
29. 10, 20. Die Dichter sind ihre Priester [sacerdotes., III, 2, 3.]
und verwalten ihre Ileiligthümer (sacra). Daher erkläre Pieri-
dum sacris manum imponere IV, 1, 28. Gute Dichter werden
von den Musen geschätzt und geliebt [daher ist Ovids Haus Mu-
sis accepta II, 121 ], weilen in ihrem Chor [V, 3, 10* III, 7, 6.
Pieridum mora., das Verweilen bei den Musen, V, 1, 34.] auf
dem Helicon [IV, 10, 120.] , und trinken aus der Hippocrene.
Daher erkläre Pegasidas ad undas deducere^ zur Dichtkunst
Publii Ovidli Nasonis llbri Trlätlum. 417
führen, III, t, 15. Jede der Musen hat ihr ei^^enes Geschäft
und übt eine besondere Kunst, ohne dass die Verschiedenlieit
ihres Wirkens von den Dichtern immer scliarf beaclitet nird.
So nennt Ovid die Calliope und Thalia als die Musen seiner
Liebesgedichte, obschon die erstere ei^entlicli die lAIuse des
epischen Gesanges und die letztere die Muse der Coniödie ist.
II, 508. IV, 10, 5ß. V, 9, 31. Für Ovid, welcher wegen seiner
Gedichte relegirt ward, Avurden sie verderbliche Gottheitc^n
[II, 13. II, 41J6. ] und scliützten ihn nicht vor Augusts Zorn.
III, 2, 3. Daher hasst und verwünscht er sie, und flieht ihren
Umgang [I, 7. 21. Y, 7, 32. IV, 1«, 2Ö.]; kehrt aber doch zu
ihnen zurück und dichtet aufs Neue [III, 7, S). IV, 1, 88.]; denn
sie trösten ihn [IV, 10, 117.], erleiciitern sein Unglück [IV, 1,
19.], begleiten ihn ins Exil [IV, 1, 50.], versetzen ihn von da
auf den Ilelicon [IV, 10, 120], und gehen ihm in den Gedich-
ten Waifen gegen seine Feinde [IV, 9, 10.]. — Das Wort Mtisa
steht oft metonymisch für Dichtkunst und Gedicht. II, 3. 21.
313. 355. III, 2, 0. V, 1, 20. II, 304. 490. IV, 1, 19. 9, 31. 10,
117. V, 7, 28. 9, 26. 12, 60. Eben so Pierides III, 7, 0. V, 7,
32. Calliope II, 568. Thalia IV, 10, 50. V, 9, 31.
Parcae [Molgai]^ die drei Schicksalsgöttinnen Clotho
(üCAO'&cJ, die Spinnerin), Lachesis (^Aäi^iSig^ die das Lebens-
loos bestimmende), und Atropos (^'ArQOTtos, die Unwandelbare),
[riesiod. Theog, 218. Scut. Ikrc 258.] drei Schwestern, und.
daher, sorores V, 3, 17. Sie sagten jedem Menschen vor der
Geburt sein Schicksal vorher [fata cecinertint) ^ legten seineu
Lebensfaden an, spannen ihn u. rissen ihn in der Todesstunde
ab, und bestimmten so das Geschick jedes Menschen, in wei-
terer Ausdehnung auch das aller Wesen und der ganzen Welt.
Das von ihnen vorausverkündigte Geschick hiess fatiiin (das
Verkündigte), und war unabänderlich und unabwendbar. V, 3
Not. 5. Daher sind sie dominae fati V, 3, 17, und spinnen Fä-
den, welche zum Verhängni^iis werden müssen {fatalia sfnniina).
V, 3, 25- — [Die Adjectiva auf lis bezeichnen nämlich das,
was — werden wird, soll, oder muss. Sie stammen zunächst
von Verbis, und werden vom Futurum gebildet (daher ihre Be-
deutung), und zwar in der ersten Conjugation auf äbilis, in der
zweiten auf eb^lis, in der dritten auf tlis^ in der vierten auf
ibtlis. Doch werden sie auch von Substantiven gemacht und
endigen sich dann auf älis und ilis. Ihre Bedeutung ist stets
activ. Daher /a/a//s, was Fatum seyn (bringen) wird, wie le-
talis, was Tod seyn (bringen) wird etc.] — Weil jenes /a^z^m
imabändevlich war, so ward es auch zu einer über die Götter
erhabenen Macht, zu einer höchsten Gottheit erhoben, s. Fa-
tum. Aus ihm entstand die, ebenfalls bisweilen personificirte,
necessilas (die Nothwendigkeit = das was nicht anders ist oder
wird: gebildet von necesse^ weches aus nee esse eiitstaudeii
Jahrb. f. Phil. u. Päilag. Jahrg. V. Heft 4. 27
418 Römische Litteratur.
ist). — Weil alle drei Farcen vereint das Schicksal bestimm-
ten und alle drei nur Eins waren, so steht auch der Singular
Parca für Parcae nach gewöhnlichem Dichtergebrauch. V, 3,
14. vgl. I, 10 Not. 2. Auch wird bisweilen eine einzelne, be-
sonders Clotho und Lachesis, namentlich für alle gesetzt; so
Lachesis V, 10, 45. Durch den gesponnenen Lebensfaden be-
stimmten sie die Länge oder Kürze des menschlichen Lebens
[daher erkläre V, 10, 45.], und durch das vorausbestimrate Ge-
schick ward jeder Lebensfaden entweder ein glücklicher oder
unglütkiiclier. IV, 1, 03 m. Not. 23. V, 13, 24 m. Not. 8. War
das Geschick eines 3Tenschen böse, so war die Farce bei seiner
Geburt finster (^mibila) gewesen, so wie man umgekehrt von dem
Glücklichen sagte, ein Gott habe ihm bei seiner Geburt zuge-
lächelt. V, 3, 14. Vgl. Mitscherlich zu Horat. Od. IV, 3, 1.
Diejenigen, welche das Buch besitzen und noch ein Faar
andere Beispiele zur näheren Früfung und Würdigung derselben
einsehen möchten, möchte Ref. ausser der gründlichen Abhand-
lung über die Geographie des Po?iius auf die Artikel Apollo,
Troia^ Hector und Ponius verweisen.
Ueber die Einleitungen in die einzelnen Gedichte hat Ref.
nichts zu bemerken, als dass sie ganz nach dem oben angege-
benen Flaue, gegen welchen sich wohl nichts einwenden lässt,
eingerichtet sind.
Hiermit schliesst Ref. seine Beurtheilung dieses Buches, und
wenn dasselbe nach den aufgestellten Bemerkungen auch seine
Mängel hat; so enthält es neben einer zweckmässigen Anlage
des Gediegenen und Guten so viel, dass jene Ausstellungen vor
demselben fast ganz verschwinden; so wie dieselben seinen
Werth in Vergleich mit den übrigen Ausgaben dieser Gedichte
nicht verringern, indem jene an den meisten Stellen nichts. besse-
res bieten. Und daher verdient diese Ausgabe für den Schulge-
brauch, wofür sie bestimmt ist, besonders empfohlen zu werden.
Den ungenannten Hrn. Hsg. aber schätzen wir als einen einsichts-
vollen und gelehrten Schulmann; und wird derselbe sich gewiss
noch neuen vorzüglichen Dank von Seiten der Schulmänner er-
werben, wenn er sein Vorhaben, wovon er in der Vorrede zu
dieser Ausgabe meldet, noch das eine und andere Buch auf
ähnliche Weise zu bearbeiten, ausführen wird ; und möchte Ref.
sehr wünschen, dass seine Wahl zuerst auf die Metamorphosen
fallen möge, da einerseits der Hr. Herausg. ein so gründliches
Studium dieses Dichters bewiesen hat, andrerseits es an einer
zweckmässigen Ausgabe derselben für den Schulgebrauch noch
gänzlich mangelt.
Fapier, Format und das Typographische sind lobenswerth,
und der Druck ist, was an einem Schulbuche besonders von ho-
hem Werthe ist, sehr korrekt ; bei sorgfältiger Durchlesung des
Geographie und Statistik. 419
ganzen Buches ist uns ausser den zwei unbedeutenden Druckfeh-
lern, welche der Ilr. Herausg. selbst in der Vorrede schon kor-
rigirt hat, nichts Fehlerhaftes aufgestossen, als S 5!) im Texte
cimdilns st. candidus u. S. 147 in der UeberschriCt VIII. Eleg. V
st. V. Eleg. VIII und ein Paar andere Kleinigkeiten dieser Art.
V. Loers in Trier.
Geographie und Statistik.
Neue allgemeine Geographische und Statistische
J^phemeriden. Redigirt von dem Professor Dr. G. Hassel.
8. Weimar, im Verlage des Landes -Industrie- Comptoirs. XXI,
XXII u. XXXIII Bd. 1827. XXIV, XXV u. XXM ßd. 1828. Jeder
Band aus 15 Heften zu 2 Bogen bestehend und also , ohne Titel-
blatt, Inhaltsverzeichniss und Register, 480 S. enthaltend. (Der
Prelss jedes Bandes ist 3 Thlr. Conv. oder 5 Fl. 21 kr. Rhein.)
"ie neuen allgemeinen geogr. und staust. Ephem. — vor dem J. 1820
nur neue allgem. geogr. Ephem. genannt — bestehen nun bereits seit
nicht weniger als 26 Jahren , und haben sich selbst während der un-
günstigsten Zeitläufte, unter den drückendsten Verhältnissen ohne die
geringste Störung zu behaupten gewusst ; auch dabey sich nicht ge-
iiüthigt gesehen, zu irgend einer Umgestaltung des ihnen zu Grunde
liegenden Planes, zu einer wesentlichen Abänderung der Innern Einrich-
tung zu schreiten. Schon ^iese lange, und Rez. darf wohl sagen
ruhmvolle Existenz ist ohne'Zweifel der sicherste Beweis von dem gro-
ssen Werthe, von der immer mehr gesteigerten Gediegenheit dieser
Zeitschrift , welche von ihrer Gründung an so viel zur Verbreitung der
Geographie — einer gegenMiirtig so fleissig kultivirten Hülfswissen-
echaft — beigetragen hat, und noch jetzt mit dem rastlosesten Eifer
beizutragen fortfährt. Denn fortdauernd behauptet sie den Ruhm, dasa
sie immer das Neueste und Wissenswürdigste aus dem Gebiete der Geogr.
und Statistik darbringe und, um alle neue Entdeckungen und ein-
getretenen Veränderungen in den aussereuropälschen Erdtheilen so
schleunig als möglich mittheilen zu können, die berühmtesten aus-
ländischen Journale und Annalen , besonders Englische und Französi-
sche, sorgfältig benutze, auch dabey nicht ermangle, jedes Mahl die
Quelle, aus welcher sie schöpfte, gewissenhaft anzugeben und bey
solchen Neuigkeiten, die einiges Bedenken erregen, sachgemässe kri-
tische Beleuchtungen und Berichtigungen hinzuzufügen.
Bey dem so langjährigen Bestehen dieser höchst gemeinnützigen
Zeitschrift, die füglich in den Händen jedes Geographen von Profession
seyn sollte, darf Rez. wohl mit Fug uj\d Recht annehmen, dasa deren
27*
420 Geographie und Statistik.
innere Einrichtung längst zienalich allgemein bekannt seyn werde. Er
braucht deuinach, und zwar bloss der Vollständigkeit wegen, nur zu
erinnern, dass von derselben jährlich 3 Bände jeder zu 15 Heften von
11 bis 2 Bogen erscheinen, dass jeder Heft gewöhnlich in 4 Rubriken
— Abhandlungen , Rezensionen von Bächern und Landcharten , ver-
mischte Nachrichten und Novellistik zerfalle , und dass zuweilen auch
Charten beigegeben Averden. Ohne Mcitcre Lobpreisungen — da die
nähere Angabe des Inhalts schon von selbst auf die Reichhaltigkeit die-
ser Zeitschrift an sich, und insbesondere auf den gediegenen Wertli der
meisten Aufsätze aufmerksam machen wird, — darf Rez. sofort zur Beur-
theilung selbst übergehen, indem er dabey noch bemerkt, dass er es
hier natürlich nur mit den Abhandlungen, und allenfalls noch mit den
Rubriken i ermischte Nachrichten und Novellistik, in so fern sie von
grosserm Umfang u. von ausgezeichnetem Interesse sind, zu thun habe.
X\I Band. A) Abhandlungen: 1. Untersuchungen über die verschie~
denen Nationen Asiens nach ihrer Abstammung. Aus einem ungedruck-
ten Schwedischen Werke des Hrn. Dr. Palmblad. Diese ausfübrli-
che, und dabey manches Neue und Beachtenswerthe in der Zusammen-
titellung der so verschiedenartigen und docli, wenigstens grossen Theils,
noch so wenig bekannten Völkerschaften Asiens darbietende Uebersicht,
offenbar die Frucht eines vieljährigen Studiums der Asiatischen Litera-
tur, ist leider nur die Fortsetzung der im vorhergehenden Bande be-
gonnenen Abhandlung. Da nun aber dort bloss der Anfang derselben
zu finden ist, und solche daber durch nicht weniger als 9 Hefte dieses
Bandes fortläuft, so ist es wohl nöthig , insoweit als es die Beurthei-
lung des Ganzen erheischt, darauf zurückzugehen. Der Verf. theilt
nämlich sämmtlichc Völker Asiens, indem er die Tschudischen Familien
von der Mongolischen Rasse trennt, unter 4 Rassen (V'arietas), Kaukasi-
sche, Mongolische, Tschudische und Malavische , und diese wieder in
mehrere Familien (Famllia) und Stämmw (Stirps) ein. Von der I)
Kaukasischen Rasse ist nun im 20ten Bande A) nur die erste, die Kaukasi-
sche Familie , zu welcher die Georgier , Lesghier , Midschegen und
Tscherkassen mit den Abäsen gerechnet werden, und von der ziveyten
B) der IndogermanischenFamilie, der erste Stamm die eigentlichen Hindus,
(wobey jedoch die Parias, als Ueberbleibsel eines alten zu einer andern
Rasse, oder wenigstens einer andern Familie gehörigen Volks nicht in
Betracht gezogen >verden) abgehandelt, und der vorliegende Band be-
ginnt nun mit den übrigen Stämmen dieser Familie. Zu dieser rech-
net er ausserdem folgende Stämme: 2) Afghanen, 3) nördliche .Meder
oder Arier, 4) südliche 3Ieder oder Assyrer mit den Kurden und Jesi-
diern, 5) Perser mit den Beludschen , Luren und Sabäern, 6) Ossiten
und 7) Armenier. — C) Semitische Familie mit den Stämmen: 1) Ara-
mäer und zwar Chaldäer und Syrer (Miironiten), 2) Canaaniter mit den
Hel)räern, und 3) Araber. — D) Türkische Familie. Sehr richtig be-
merkt dabey der Verf. , dass man diese weitverbreitete Familie zwar
gewöbnlich mit dem Nahmen Tatar (früher gar Tartar} bezeichne,
dass aber diese Benennung ehen^als gar zu vieldeutig gewesen sey, in-
Neue geographisch« und statistische Ephemerlden. 421
dem man sie ohne Unterschied sowohl Mongolischen als Türkischen
Horden — (er hätte auch die Miintschuren in Cliina liinzureclincn sol-
len, die von Reisenden jetzt noch hiinfig Tataren genannt werden) —
angeschrieben liabe, und dass diese so lange hcstandene Verwirrung
daher entstanden sey, dass man im Mittelalter den Völkern, welche
von Dschingis- Khan's Ahköinniüngen heherrscht wurden, ohne auf
ihre Abstammung zu acliten , d(^n IValinu-n Tatar gab, m enn gleich die
Fürsten und ein grosser Theil ibrer Unt»;rtlianen von Mongolischer
Abkunft, der Kern ibrer Unterthaiien und Heere aber ächte Türken Ma-
ren. Er tritt nun der Meinung EIpbinstonc's und anderer neuen Eth-
nographen hey , verwirft sonacli die Benennung Tatar als unpassend,
indem er darthut, dass die altern Cbinesischen Schriftsteller mit dem
Nahmen Ta-ia, oder Ta-la-öl einige Mongolische Zweige bezeichnet
haben, — (dasselbe behauptet auch bekanntlich Timkowsky in seiner
Reise nach China) — und legt dafür der ganzen Familie den Nahmen
Türken bey. Rez. sollte jedoch meinen, dass der Vorschlag derjeni-
gen, welche zur Unterscheidung von den* eigentlichen Türken, obschon
solche ursprünglich und am richtigsten Osmanen heissen, die ganze Fa-
milie mit dem Kollektivnabmen Türken belegen wollen, vorzuziehen
seyn möcbte. — Der Vi-f. sondert nun diese Familie in 3 grosse Ab-
theilungen ab, nähmlich a) ächte Türken, zu m eichen 1) die Osmanen^
2) die Titrkomanncn oder Truchmencn, 3) die Usbecken, — (da diese
aber, wie der Verf. selbst zugesteht , schon Mongolische Züge aufwei-
sen, wie kommen sie zur Klasse der ächten Türken?) — 4) Karakal-
2>aken, ^) Sibirische Türken oAer Tataren, alsTuralinzcn, Tobolskische
Tataren, Tuva- Tataren , und Toneskische Tataren gerechnet werden,
weil sie alle nur Zweige desselben Stammes seyn sollen. Der Vrf.
führt zwar dieBukharen nicht besonders auf, da er aber bey der jetzi-
gen Ileimath der Usbecken berichtet, dass solche jetzt über die Reiche
Balk, Khuresm, Bukhara und Ferganah (wohl lüchtiger Kokand) herr-
schen , so zählt er sie offenbwr den Usbecken bey. Rez. sollte aber
doch dafür halten, dass die Bukharen als ein für sich bestehender
Ilauptstamm der Türken betrachtet werden müssten , da ihre Körper-
hildung nichts Mongolisches aufweiset, und vorzüglich auch, weil sie
ihre eigene Sprache reden und auf einer höhern Stufe des, Kultur ste-
hen. — b) Unächte Türken. Zu diesen gehören: l) dieNogaier (schon
von ziemlich Mongolischer Gestalt) mit den Basianen und Kumyken,
2) die Baschkiren , 3) die Meschtscheräken , 4) die Kirgisen , 5) die
Tschulymer. — c) Fremde Stämme, bey welchen nichts als die Sprache
Türkisch ist. Als solche sind anzusehen: 1) die Tubinzen (Tubaler),
2) die Tele -Uten, 3) die Barabinzen, 4) die Tschuwaschen und 5) die
schwi\clien Süd- Sibirischen Stämme der Kuzinkischen Tataren, der
Katschinzen, Jarinzen , Bochtinzen , Kaidinaren, Batiren, Saganier
und Birjns.
11) Die Monp;olische Rasse (deren Zahl hier nur zu 260 Mill. an-
geschlagen wird, was wohl zu wenig seyn dürfte). Diese wird in fol-
gende Familien zerlegt: A) die Mongolische Familie, mit 1) den ei-
422 Geographie und Statistik.
gentliclien Mongolen, 2) den Ocleten oder Kalmüken, und 3) Buriäten.
B) Die Japanische Familie mit 1) den Japanesen, 2^ den Lieu-Kieu-
Insulanern, und 3^ den Koreanern. (Sollten letztere nicht eher zu
den Chinesen zu rechnen seyn? wenigstens ist TirakoMsky dieser Mei-
nung.^ — C^ Monosyllabitische Familie mit IJ denThibetanern, 2) den
Chinesen, und 3) den Indo - Chinesen, zu welchen Anamiten (hier Viet-
namen^ Siamescn , Birmanen und Peguer gezählt werden. — III)
Tschudischc Rasse mit folgenden Familien : A) Die Tinigusische mit 1)
den Mantschu und 2) den eigentlichen Tungusen mit 9 Stämmen. B^
Die Kurilische Familie, nur aus einem Stamme bestehend. C) Nordost-
Asiatische Familie , zu welcher 1) Kamtschadalen , 2) Koriäken , 3)
Tschuktschen mit den Aleuten und 4J Jukagiren gezählt Merden. DJ
Samojedische Familie, Melche wiederum in 2 Klassen unterschieden wird:
ächte Saraojeden ( worunter der Vrf. Motoren , Koibalen , Kara-
gassen, Kamajüren, Taigi, Mokassen , die Tomskischen Ostiaken, die
Gänse - Ostiaken, Kurassen, Tawzi, Turukhanische Samojeden , Juru-
aen und Khassowo versteht} und unächte Saviojeden, Avohin er die So-
joten und Jeniscier (d. i. Jeniseiische OstiakenJ rechnet. D) Finnische
Familie mit nachstehenden Unterabtheilungen: a) Germanisirte Stämme:
1) Finnländer, 2j Esthen , 3) Kareier, 4} Olinesische Finnen und 5)
Lappen ; h) Wolgische Finnen mit 1) den Mordwinen, 2) Mokschanen,
und 3) Tscheremessen; c) Permier mit den Wotiäken und Syränen, d)
Wogulen, e) Magyaren (Ungern) und f) Obische Ostjäken. — IV)
Malatjische Rasse , deren Anzahl in Asien nur auf 24 Mill. Köpfe ge-
echätzt wird. Diese Rasse wird, aus Mangel an nähern Nachrichten
über die verschiedenen Dialekte derselben, nur nach ihren dermahligen
Wohnsitzen unterschieden. Der Vrf. spricht daher nur von deuMalaya-
Malayen (auf der Halbinsel Malakka,) den Sumatra-, den Java-, den
Borneo-, den Celebcs-Malayen, von den M. auf den kleinen Sunda-
Inseln, den Molucken-, den Suluh-, den Magindanas- und den Philip-
pinen - Maiayen. Rez. darf hier nur bemerken , dass auch die Dayaks
auf Borneo den Maiayen beygezählt werden. Den Beschluss machen
die Papuas, die er ebenfalls der Neger- Rasse zutheilt. Es ist nicht
in Abrede zu stellen, dass dieser Aufsatz mit vielem Scharfsinn entwor-
fen ist, und von einer grossen Belesenheit zeigt. Denn auf jeder Seite
>vird das Gesagte mit einer Menge Citaten bewiesen, die aus den be-
währtesten Quellen entlehnt sind. Die vorzüglichsten darunter sind:
Elphinstone, von Hammer, Reineggs, Klaprotli, Jones, Malcolm, Oli-
vier, Gardonne, Kinneir, Chardin, Morier, Seetzen, Blumenbach, de
Witte, Tavernier, Meiners, Marsden, Hassel, Adelung, Raffles, Forrest,
Dampier. Zwar wird man bey der Mongolischen Rasse die verschie-
denen Bergvölker Hinter -Indiens vermissen, über Avelche uns die Brit-
tischen Journale immer mehr schätzbare Notizen bringen, allein zu der
Zeit wo diese Skizze ausgearbeitet wurde , waren wohl von den wenig-
sten kaum die Nahmen bekannt. Mehr möchte es auffallen , dass der
Vrf. aus den Tschudischcn Familien eine eigene Rasse gebildet hat.
Doch stellt der Vrf. zur Rechtfertigung dieser Trennung Gründe auf.
Neue gcograpLietche und etciticitische Dpheiucrlden. 423
die allerdings belierzigenswertli sind. Er sagt nähmlidi bey der Ge-
stalt dieser Rasse : „dit! ächten Tschudischen Stümine liahen mehrere
Züge mit den Mongolen gemeinsam , nühmlich gelbe oder gelbbraune
Farbe, grosse, nnförmiiche Köiife und Ohren, kleine und schmale Au-
gen, hohe Kinnbacken und krumme Beine ohne Waden. Diese Aehn-
lichkeit der Körpcrbildung hat Blumenbach und nach ihm einige
andere Physiologen verleitet, die Polarrasse nur als ein Glied von dem
grossen Mongolischen Volkskörper zu betrachten. Dennoch haben sie
die Malayen als eine besondere Rasse angesehen , obgleich diese eben
8o viele , wenn nicht mehrere physische Kennzeichen haben , durch
welche sie mit der Mongolischen übereinstimmen. Wenn man aber
von der andern Seite die natürlichen Kennzeichen , welche der Tschu-
dischen Rasse eigen sind, ins Auge fasst, so möchte man in ihnen leicht
eine eigenthümliche Form erkennen." Zu diesen rechnet er nun den
zwergartigen IVuchs , der gewöhnlich nur 4 Fuss und einige Zoll aus-
macht, den Umstand, dass die meisten Stämme dunkel- oder hellrothes
Haar, und daneben bleichblaue oder graugelbe Augen, und bleichgelbe
oder braune Gesichtsfarbe haben, und die Thatsachen , dass ihr Haar-
und Bartwuchs noch schwächer als bey den Mongolen ist, dass die
dünnen Härchen grob und steif wie Lichtdogte um den Kopf herum-
hängen; dass die Kinnladen noch stärker hervorschiessen, weshalb die
Wangen noch hohler und eingefallener erscheinen; dass der Mund fast
ohne Lippen und das Kinn, lang und spitz, der Form nach einer Halle
ähnlich, gerade das Gegentheil gegen die vollen Lippen und das kurze
Kinn der Kalmyken zeigt, und dass endlich in denGebehrden und Stel-
lungen, in dem trüben und düstern Blick und dem stupiden Gesicht
dieser Stämme ein gewisser thierischer Ausdruck liegt. Wenn man
nun aber auch, von diesen allerdings bedeutenden Abweichungen über-
führt, diese Polar-Stämme als eine besondere Rasse betrachten will,
60 hat der Vrf. doch unrecht gehandelt, diesen verkrüppelten Horden
aus dem Grunde, weil die Russen alle nordöstliche Völker, folglich
auch die Tungusen damit zu bezeichnen pflegen , die wohlgestalteten
und einen beträchtlich höhern Wuchs habenden Mantschuren , von de-
ren Gestalt er selbst berichtet, dass man bisweilen unter ihnen Gestal-
ten mit hellblauen Augen, geraden oder schöngebogenen Adlernasen,
braunem Haar, dickem und strotzendem Bart, in der That Griechen
ähnlicher als Tungusen, antreffe , beyzuzählen. Und eben so wenig
passt obige Schilderung auf die Ungarn, wenn auch der Hauptbestand-
theil ihrer Sprache wirklich vmverkennbar Finnisch seyn sollte. Aber
in dergleichen Widersprüche verwickelt man sich nur zu leicht, wenn
man die Völker, unter denen wohl die Mehrzahl nicht mehr aus Ur-
völkern, sondern aus Mischlingsvölkern besteht, in Rassen unterschei-
den , vind in Familien einzwängen will. — 2. Ueher die Temperatur
der verschiedenen Theile der heissen Zone am Meeresspiegel, von A. de
Humboldt. CAus den Annales de Chimie et de Physique par Gay-
Lussac et Arago. T. XXXHI Sept. 1826. ) Dieser für den Physiker
höchst interessante Aufsatz beschäftigt sich vernehmlich mit der Ver-
244 Geographie und Statistik.
glcichiing des Therinometcrstandes zu Havannali, Rio Janeiro, Makao
und Kalkutta, ist aber nicht füglich eines Auszugs fähig. Als ilir Re-
sultiit gilt, dass das Klima zu Havannali viel wärmer ist, als das von
Makao und Rio Janeiro, luid dass auch in Makao der Winter weit käl-
ter erscheine, als in ersterer Stadt. — 3. ISachrichtcn über Assam,
(^Aus den Nonvelles Annalcs des Voyages. Octbr. 182().} Dieser Be-
richt beschreibt ausführlich die Eroberung dieses Reichs durch die
Truppen des s. g. Gross-Moguls i. J. 1063. Er ist aus der Schrift:
HedikuL as Sefa, d. h. Garten der Reinheit, gezogen und liefert zugleich
einen kurzen Abriss jenes bisher so wenig bekannten Landes von sei-
nem damahligen Zustande. Obgleich Manches davon noch auf die Ge-
genwart passen mag, so verdient doch wohl das Uebrige verschiedener
Berichtigung. Da dieses Land nun ein Schutzstaat der Britten gewor-
den ist, so dürfen wir wohl mit Zuversicht einer baldigen und umfas-
senden, BeschreÜJung desselben entgegensehen, und darum AvillRez. von
jener meist veralteten Skizze hier weiter nichts mittheilcn. — 4. Nach~
richlcn über die Ueberbleibsel einiger allen Tempel tu IVone in der Prov.
Neni'ir. (Ebenfalls aus den Annales des voyages. Octbr. 1826.^ Diese
Beschreibung ist ein nicht unerheblicher Beytrag zur nähern Kunde
des Innern von Vorder -Indien , und darum dankenswerth. Die Prov.
IVt'mär ist ein enges von den Bergreihen Vindijah und Satpurah einge-
schlossenes Thal, in welchem die Nerbuddah ihre Quelle hat, und
liegt in W. von Gundwana und Bhagwana. Sie ist seit Ende des 18ten
Jahrh. durch 25jährige Anarchie fast ganz verwüstet worden. Die
alte befestigte Hauptstadt Bidjaghed ist schon seit 50 Jahren völlig ver-
lassen und die heutige Hauptstadt Kerghend hat von ihren 5000 Häu-
sern, die sie noch vor etwa 20 Jahren besass, kaum noch 800 übrig.
Wone zählte sonst 2000 IL, worunter jetzt etwa noch 70 bewohnte
eich belinden. Nur die Tempel stehen noch , die allein diesen Ort in-
teressant machen; aber von den 1)9, die einstens hier in der Umgegend
gestanden haben sollen, sind nur noch 8 grosse und 4 kleine übrig, die
indess sehr gut erhalten sind, und aus dem grauesten Alterthume ab-
stammen. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass sie zu der Zeit, wo
hier noch die Djain- Sekte herrschte, erbaut worden seyn mögen.
Uebrigens schweigt der Bericht über die dermahlige politische Verfas-
sung dieses Distrikts ganz, und man erfährt nicht einmahl, ob er noch
jetzt den Mahratten gehöre. — 5. Reise von Philadelphia nach Balti-
viore. O^Ji Dr. T. Bromme in Dresden.^ Dieser kurze, aber sehr
nettgerathcne Reisebericht ertheilt besonders über das so rasche Auf-
blühen Baltimoi'e's , über die Anlage und die Bauart dieser wichtigen
Stadt ausführliche Auskunft , und beschreibt auch die auf dem Wege
dahin liegenden Städte, als Chester, Wilmington , Christiana- Bridge,
Elkton, Charlestown, Havre de Grace, Harford, Abington, und Joppa
kürzlich. Baltimore ist unter allen Städten Nord-Amerika's am schnell~
stcn aufgeblüht. Vor einigen uud 50 Jahren zählte sie erst 75 Häuser
und 350 Einw., und gegenwärtig 5 Märkte mit schönen Hallen, 39 Kir-
chen und Bethäuser aller Rellgionspartheycu, mehrere Hospitäler, 2
Neue geographische und L'iatistische Ephcmcriden. 425
Theater, 9,800 lIs. und 70,000 E. DicUntcrrichtsanstalten, für welche
mit grossem Eifer gesorgt Averden soll, bestehen in der Universität und
dem Baltimore- College, in einem medizinischen Kolleffium und einer
üflentlichen Bibliothek von 14,000 Bänden. — ß) J erviischte ISach-'
richten: 1) Die Flau, ein Birmanischer Folksaiamm (Aus dem Engl.).
Dieser Volksstamm bewohnt den an der Grenze von Siam und Laos lie-
genden üistr. Thaumpe, (dessen gleiehnahmigc Hauptst. etwa 5000
Einw. zählt,) und unterscheidet sich dur(;h Sprache , Gesichtszüge und
Charakter von den Birmanen, Siamescn und allen benachbarten Völ-
kern. Am nächsten stehen sie den Chinesen , deren Tracht sie auch
angenommen haben; doch tätuiren sie sich wie dieLaoesen. Uebrigens
sind sie lebhafte, aber eijifache Menschen, die sich einzig mit dem
Ackerbau und dem Handel beschäftigen und den Krieg verabscheuen.
Ihre Religion ist die Buddhistische. — 2) Die Brillen am Nordpole,
Handelt von Parry's Plane, über Spitzbergen gerade auf den Pol los-
zusteuern, dessen Ausführung bekanntlich leider ebenfalls keine genü-
genden Resultate gebracht ha( — 3) Tod des (Brittischen) Reisenden
Moorcroft. (Aus dem Globe.) Nach dieser Kachricht ist der kühne
Reisende auf seiner Tour nach Samarkand in Turkestan zwischen Khul-
lum und Andkhy gestorben. — 4) Beschreibung der Stadt Aracan. (Aus
den Nouv. Annal. d. Voyag. 182f).) Diese im letzten Frieden von Bir-
man an die Brittische Ost -Ind. Komp. abgetretene, berühmte Stadt
liegt in einer viereckigen , von 500 F, hohen Hügeln umgürteten , und
von mehrern Bächen oderNullah's, Armen des grossen Flusses Mohutte,
bewässerten Thalebene. Ihre Häuser, deren Zahl sich auf 19,000 be-
läuft, sind durchgängig elende, nur 1 Stockwerk hohe, aus Bambusrohr
oder Holz errichtete, mit Stroh oder Rasen bedeckte Hütten , die der
Ueberscinvemmungen Avegen auf Pfahlwerk ruhen , aber ziemlich re-
gelmässig aneinander gereiht sind. Die einzigen steinernen Gebäude
sind das alte mit 4faclien, über 20 F. hohen Mauern umgebene Fort,
und mehrere Pagoden. Die Zahl der Einwohner wurde sonst auf 95,000
geschätzt. Gegenwärtig steigt aber die der EingeUohrnen kaum auf
20,000 ; wovon ein grosser Theil Priester sind. Die nahen Hügel sind
mit mehr als ÖO Pagoden bedeckt, deren vergoldete .Spitzen einen
sonderbaren Anblick gewähren. — ^') Etwas über die Z Archipel- Inseln
Hydra , Spezzia und Poro , welche sich für unabhängig erklärt haben,
(Aus dem Journ. des Voyag. 182fi.) Nicht viel Neues. Hydra werden
20,000 (offenbar zu wenig), Spezzia 7 — 8,000 und Poro 3000 E. gege-
ben. — ()) Der Nord-Holländische Kanal. (Aus der Handl. Zeit. 1826.)
Dieser sehr wichtige Kanal geht aus dem Vorhaven Amsterdams, durcli-
schneidet ganz Nord-Holland in einer Länge von 12 Ml. und endet sich
in den grossen Seehaven bey Niewe-Diep. Er enthält 5 grosse Schleu-
sen mit sehr vielen Brücken, hat eine völlig hinreichende Breite und
Tiefe für die grössten Seeschiffe, und gewährt der Stadt Amsterdam
eine unmittelbare Verbindung mit demTexel, ohne der stürmischen
Südersee und des seichten Paropus zu bedürfen. Da er grösstenthella
durch einen schwimmenden Morastgrund geführt werden musste, so
426 Geographie und Statistik.
hat sein Bau über 90 Mill. Gulden Holland, gekostet. — 7) Uebcr ei-
nen in i^ör/t/iif's Columbus März 1827 enthaltenen Avfsatz: Neit-Uarmony,
eine der merkwürdigsten Anstalten auf Erden. .$.256 — 2G9. Diese eben
so freyinüthige als gebaitvoUe Würdigung des genannten Aufsatzes
hat, M'ie man aus den Anfangsbucbstabcn der Unterscbrift BHZS. ab-
nehmen darf, den Herzog Bernhard zu S. Weimar- Eisenarli zum Ver-
fasser, welcher auf seiner Reise durch die Vereinigten Staaten bekannt-
lich sowohl NcAv-Harmony als auch Economy besuchte und beyde Eta-
blissements einer sorgfältigen Prüfung würdigte. Wir erfahren aus
dieser Berichtigung, dass die vom Würtemberger Rapp zuerst in der
Kähe von Pittsburgh gegründete jNiederhissung Harmony schon seit
mehreren Jahi-en an einen Hrn. Ziegler aus Zelionopolis verkauft wor-
den ist, aber sich schon im Verfall beßndet; dass Rapp hierauf mit sei-
nen Leuten eine neue Niederlassung im Staate Illinois, am Flusse Wa-
basch gegründet , nni. New-llarmony genannt, dass er aber auch diese
wieder vor einigen Jahren an einen gewissen Owen und zwar lediglich
der ungesunden Luftwegen verkauft, und seitdem eine dritte Nieder-
lassung, die Stadt Economy, ebenfalls in der Nachbarschaft von Pitts-
burgh angelegt habe , Avciche sich auch bereits in einem sehr blühen-
den Zustande befindet. Neu-Harmony wird seitdem von den Anhängern
des Hrn. Owen, die aber, wenigstens zum Theil, aus Schwärmern,
Missvergnügten und Vagabunden bestehen, l)ewohnt und nach eigenen,
von den Rapp'schen abweichenden Grundsätzen , so wie mit Vernach-
lässigung aller positiven Religionen verwaltet. Höchst bemerkenswerth
ist die Antwort, die dieser Owen dem hohen Referenten gab, als der-
selbe gegen ihn äusserte, dass er glaube, er werde für seine grossen
Bemühungen sich belohnt finden , Avenn die nach seinem System erzo-
genen Knaben in die Gesellschaft träten. Diese Antwort lautet : „Da
sind Sie im Irrthum , denn nicht nur werde ich in Kurzem den Clia-
rakter aller dieser verschiedenartig gesinnten Menschen ändern, Avelche
hier wohnen, sondern unser Beyspiel wird so auf die V. St. wirken,
dass in Zeil von 5 bis (i Jahren es in denselben keine Präsidenten , keinen
Mongress, keine Minister, keine Armee, keine Marine^ keine Geistlichen,
und keine Kavflente mehr geben wird. Die Städte werden verlassen da-
stehen, die Reichen werden ihre Güter hingeben und das f olk sich aufs
Land in Gemeinden von 1,000 bis 2,000 Personen vertheilen. Das goldene
Zeitalter, von dem die alten Dichter geträumt haben , wird tvieder erste-
hen u. s. w.^'' Das heisst doch Schwärraerey und Eigendünkel! — ■
8) Grösse und Bevölkerung IFest - Indiens im J. 182fi. Hayti zählt auf
1385 DM. 935,335 Farbige und Neger ; die Brittischen Inseln auf 688
Dm. 723,147 K. wor. 98,605 Weisse und freye Farbige; die Spanischen
Inseln auf 2746^ DM. 1,163,980 K. wor. 726,548 Weisse , 70,220 freye
Farbige; die Französischen Inseln auf 59y\{^^ DM. 207,683 K. wor.
22,6()9 Weisse und 19,667 freye Farbige; die Dänischen Inseln auf 8,4^*^
D>1- 41,317 K. wor. 3,223 Weisse und 2,955 freye Farbige; die Me-
dcrländischen Inseln auf 35j\po- O^^^- 32,240 K. (im Werke steht durch
«inen Error in calculo nur 17,463, welches bloss die Zahl der Neger
Neue geographische und statistische Ephemeridcn. 421
ist), wor. 14,782 Weisse und frcye Farhige und 17,462 Neger ; und die
Schwedische Insel auf 1| QM. 8,210 E., Mor. 2,380 Weisse und Ireye
Farbige. Ganz West-lnilicn enthielt demnach auf 4,y2fi^i^'if DM.
3,111,913 (nicht wie hier steht bloss 3,097,137) Menschen, wor. 1,890,394
Weisse und /rej/c Farbige und Neger. — 9) lieber das Binnenland von
Afrika und den Joliba oder Niger. (Von Merczes de Drumniond.) Das
Resultat dieser auf die Aussage mehieier unterrichteten Neger , die
aber aus verschiedenen Landschaften des Innern Afrika abstarainen, ge-
etiitzten scharfsinnigen Untersuchung ist, duss derKiger in seinem oberu
Laufe durch das Land Banibarra bis zu seinem Eintritt in das Reich
Haussa den Nahmen Joliba oder Juliba führe, dass er von da bia
nach Hugara und dem See Caduna den anwohnenden Völkern unter
ebendemselben, mehr abe» noch unter dem ]Nahmen Gülby bekannt
sey, dass er dann sich nach S.W. wende, den Nahmen Kuara (die
Ware der neuern Charten) annehme, und sich in den Busen von Benin
ausmünde. Da nun in diesem Busen dieMündungen von nicht weniger
als lö Strömen gefunden Averden, welche Formosa, Benin, Fluss der
Galeerensklaven, Arme, Narren, Sanguma, Non, Odi, Feiana, S. Ni-
colas, Meias , S. Barthelemy , der neue Calabar , Bandi (oder Boni),
der neue Calabar und der Königsfluss (dessen Ausfluss allein 7 — 8 MI.
Breite hat) genannt werden , so steht zu vermuthen , dass diess alles
nur Arme eines und desselben Stromes sind. Indess nimmt Ilodgson
(der Freund Belzoni's) nur 7 Mündungen (Formosa, Sklavenfl., Arme,
Boni, der alte ued neue Calabar und der Königsfl.) dee Nigers an. —
10) Endliche Jvf Schlüsse über la Pcyrouse Schicksal.. (Aus Französ.
Zeit.) Nach diesen Berichten ist ein Theil der Schiffsmannschaft dieses
unglücklichen Seefahrers durch Zufall auf der Insel Malikolo (unfern
Neu-Seeland) aufgefunden und auch bereits von Kalkutta ein Schiff
zur Untersuchung abgesendet worden.
XXII Band. A) Abhandlungen : 1. Die Brillen auf Hinter- Indien.
Dieser sehr interessante, vom verstorbenen Dr. Hassel mit geübter
Feder entworfene Aufsatz beginnt mit einer gedrängten Uebersicht der
jetzigen Macht der Ost-Indischen Kompagnie, überblickt hierauf den
Anwachs des mächtigen Reichs Birman, entwickelt dann die Veranlassun-
gen des Kriegs der Britten mit den Birmanen, und geht endlich zu der aus
den neuesten Englischen Berichten geschöpften Beschreibung der neuea
Brittischen Erwerbungen über. Diese bestehen : 1) in der Prov. Arra-
kan in N.W. , an der Grenze von Bengalen == 415 g. DM. Dieses
Land ist aber jetzt so verwüstet und entvölkert, dass es nur noch 8
Städte enthält und kaum 150,000 E. zählt ; doch hat es einen höchst
fruchtbaren Boden und einen Reichthum an trefflichem, den Britten so
unentbehrlichem Thekholze. 2) Der Prov. Martaban ira S. von Bir-
man an der Gränze von Siam = 5(56 DM. mit nur 60,000 E. 3) Der
Prov, Tenasserira im S. von voriger, ebenfalls an Siam gränzend, (aus
den 3 Distr. li, Tawai undMergui bestehend) = 740 DM. mit gar nur
40,000 E. und 4) dem Mergui- Archipel = 40 DM. mit nur 400 E.
Alle diese Gebietstheile sind demnach aufs äusserste entvölkert , aber
428 Gcograpliie und Statistik.
sie besitzen einen sehr üppigen Boden und werden bey Sicherheit des
Eigenthums sich bald wieder mit Menschen füllen. Auch enthalten
sie grosse Wälder von Thekholze. Diesen neuen Erwerbungen sind
nun noch die altern Besitzungen in diesem Theile Ost -Indiens ange-
reiht. Selbige sind: 1) Die Prinz- Wales -Insel = 71 D^I. 20,000 E.
2) Das Gebiet von Malakka = 4 DM. 15,000 E. und "S) die Insel Sin-
kapore = 4^ DM. 30,000 E. Säramtliche Gebletstheile enthalten
demnach 1137 DM. und 265,000 E. — 2. Nachrichten über das eigent-
liche liorneo. (Aus den Nouv. Annal. des Voyages 1820.) Ebenfalls
ein sehr willkommener Beytrag zur nähern Kunde der grössten, aber
auch zugleich unbekanntesten Insel Süd -Indiens (so möchte nähmricli
Rez. die von Ost-Indien meist so abgelegenen Indischen Inseln benen-
nen). Das eigentliche Borneo ist bekanntlich ein Theil der Nordwest-
küste der Insel, welche im N. an die Besitzungen des Sultans von Su-
luh, im S. an die der Oberherrlichkeit der Niederländer unterworfenen
Gebiete, im O. aber an das noch ganz unerforschte Innere gränzt.
Dieser Küstenstrich hat eine Länge von 700 (Engl,?^ Ml. und eine
Breite von 100 — 150. Alle Felsenarten der verschiedenen Theile der
Insel gehören zu den Urgebirgen , und nirgends findet man Berge von
Trappbildung, weshalb es auf Borneo keine Vulkane geben soll. Aber
gehören die an Vulkanen so reichen Cordilleren der Anden in Süd-
Amerika nicht auch zu den Urgebirgen? Das Innere wird von äusserst
rohen und blutdürstigen Volksstämraen bewohnt, welche alle Vergnü-
gen daran finden , Fremden den Kopf abzuschlagen, und den grössten
Stolz darin setzen, eine Menge Schädel zu besitzen. Sie fuhren hier
zwar sehr verschiedene Nahmen, als Dasum , Kayan , Murat, Tatao,
Suluk, Badjao, lUanuni, Kadayan, Bysains, Kalamut, Tatong, Kyad-
jao, Dayak, Kanawit und MeLindo, alle wurden aber bisher unter dem
Kollektivnahraen Eidahanen (Dayaks oder Biadschuer) begriffen. Da
aber einige darunter etwas Menschlichkeit, sogar einige Neigung für
die Gewohnheiten des gewerbsamen Lebens zeigen, so ist es doch viel-
leicht der Fall, dass sie verschiedenen Urvölkern angehören können.
Die hier ansässigen Malayen sollen , obgleich die herrschende Nation,
nur den lOten Theil der Bevölkerung ausmachen. Die ^ erfassung ist
ganz Malayisch und der Sultan, der den Titel Radah mit dem Bey-
worte : jandgi per touan, d. h. derjenige, der Herr ist, führt, herrscht
als ein kleiner Despot. Der Handel ist bey dem grossen Ueichthum
des Landes sehr wichtig, wird aber jetzt vornehmlich mit Sinkapore
getrieben, wohin im J. 1824 etwa 90 Schiffe (Pros) giengen. Der
Vrf. glatibt, dass gegenwärtig Europäische Schiffe die gleichnahmigc
Hauptstadt mit vollkommener Sicherheit besuchen könnten, und fordert
die Uritten zu Anlegung einer Kolonie auf der hieher gehörigen Insel
Labuan auf. — 3. lieber die Population Frankreichs im Jahr 1827 und
über die Zunahme der Bevölkerung in den 5 leisten Jahren. Dieser aus
den von der Regierung bekannt gemachten offiziellen Tabellen bear-
beitete Auszug thut dar, dass in diesem Ileiche die Zunahme der Volks-
menge dieselben raschen Fortschritte macht, als im N. u. W. Europa's,
Neue geographische und statisli^cho Ephcnierldcn. 420
denn sie betragt auf die 5 Jahre 1822 bis mit 1820 nicht weniger ala
1,380,137 Indiv. Hey dieser so hütnUJitlichcn Vermehrung tritt aber
der aulTüllige Umstand ein, dass im Ganzen alle die Ucpiirtemcnts, ia
V ehlien die Puiuilation am meisten zugenommen hat, gerade auch die-
jenigen s^ind , MO bereits ein relatives IJebergewicht statt hatte, und
dass sie im Allgemeinen in ;soleben Provinzen stationär geblieben ist,
wo auf den ersten Blick es scheinen möchte, dass die günstigsten Ver-
hiiltnisse zur Zunahme statt hätten. l'nter den üept. , worin der
stärkste Anwaclis eingetreten ist, sterbt natiirlicli das der Seine oben
an. Denn liier ist er von 821,7flJ> auf l,(>13,o'J3 K. gestiegen. Hierauf
kommen das Dept. Ober- Rhein (von 37(MW- "»f ^<>8,741) ; das Dept.
Mosel (von 37i>,i)28 auf 409,155) , das Dept. Ardeche (von 304,339 auf
328,419) , das Dept. Aisne (von 459,006 auf 489,550) , das Dept. Loire
(von 345,524 auf 309,289), das Dept. Meurthe (von 379,985 auf 403,038),
das Dpt. Nord (von 905,704 auf 902,048), das Dpt. Unter -Rhein (von
502,038 auf 535,407 K.) etc. Der Zuwachs der einzelnen Prov. ist nun
in Tabellenforra und zwar in abnehmenden Verhältnissen mit Beifü-
gung der Volkszahl von d. J. 1822 u. 1820 vor Augen gestellt worden.
Den Beschluss macht darin das Dept. Ober-Vienne, wo der Zuwadis in
den 5 Jahren nur 4,021 S. betrug. Zu beklagen ist nur, dass die 2
Dep. Loir eher u. Tarn-Garonne darin übersehen worden sind. Der
Werth dieser Tabelle erhöht sieh noch durch Hinzusetzung des Flä-
chengehalts der Depart. nach Hectaren , und der Dichtheit der Bevöl-
kerung nach dem Maassstabe von 1000 Hectaren. Vielleicht würde ea
aber für den Deutschen Leser zweckmässiger gewesen seyn , Avenn der
Flächenraura nach geogr. GM. angegeben, und die Stärke der Seelen-
zahl nach diesem Maassstabe ausgeworfen Avorden Aväre. Doch lehrt
diese Tabelle eben so gut, Avie ungleichmässig auch in Frankreich die
Volksmasse vertheilt ist. Denn Avährend auf 1000 Hectaren im Dpt.
Seine 22,210, im D. Norden 1,050, im D. Rhone 1,540 , im D. Unter-
Rhein 1,270, im D. Nieder-Seine 1,150, im D. Ober-Rhein 1,060, und
im D. Finisterre 1,030 Menschen Avobnen , fallen auf gleichen Raum
im D. Lozere nur 200, im D. Nieder-Alpen 200, im D. Corsica 180, u.
im D. Ober-Alpen 100 K. — Beygegeben ist 1) eine aus dem Alnianac
royal v. J. 1827 ausgezogene alphabetisch geordnete Tabelle der 86
Depart., in welcher der Flächengehalt nach geogr. DM. und Bevölke-
rung derselben, ingleichen die Volkszahl der Departemental- Haupt-
städte niedergelegt ist. Leider ist aber dabey nur zum Thcil die neue-
ste Zählung benutzt Avorden, Avas jedoch diesem Staatshandbuche von
jeher hat zum Vorwurf gemacht Averden müssen. 2) Eine ebenfalls
alphabetisch geordnete Tabelle der neuesten Volkszahl aller Orte, die
über 10,000 EinAV, enthalten. Diese Tabelle erregt beym ersten An-
blick gerechtes Erstaunen, indem in selbiger nicht Aveniger als 00 un-
erhebliche Orte , zum Theil nur Marktil. und Dörfer, und ausserdem
noch 11 Städte von 4 bis höchstens 8,000 E. aufgestellt worden sind.
Dieses Räthsel wird aber in einer beygesetzten Anmerkung gelöset.
Die Französischen Statistiker pflegen nähmlich häufig Alles, was zu
430
Geographie und Statistik.
den verschiedenen Parochlen ausserhalb der Mauern liegt, oder zur
IJannweite gehört, zur Stadt zu rechnen, und so hekommen Orte, die
an sich kaum 1 — 300 11s. enthalten, oft eine sehr bedeutende Volks-
zahl. Dergleichen Orte sind in der Tabelle mit einem Stern bezeich-
net ; doch hat Hez. dieses Zeichen noch bey Chateau-Dun , Epernay,
Fismes , Josselin, Mont- Richard, u. S. Jean-Beverlay vermisst, und
dagegen ist es bey Castres (denn diese Stadt zählte bereits im J. 1802
in 2,700 Hs. 15,386 E.) aus Versehen hinzugekommen. Aufiiillig ist ea
dabey nur, dass alle diese Orte, mit Ausnahme des einzigen Aramits
(im Dpt. Gard) nur in 6 Dpt. zu suchen sind. Denn von den übrigen
70 kommen 15 auf Dordogne, 10 auf Eure-Loir, 1 auf FiniS|terre, 2 auf
Loir-Cher, 11 auf lUe-Vilaine, 10 auf Marne und 21 auf Älorbihan.
Wie geht es nun zu , dass in andern noch stärker bevölkerten Prov.,
als Norden, Nieder- Seine, Manche etc. keine solchen Orte zu finden
sind? Endlich hat Rez. darin noch die Städte Autun, Beaune, Mor-
laix, Sens, S. Servan , Thiers, Verdun, Ville Franche (D. Aveyron)
und Ville neuve d' Agen — alles Orte, die im J. 1816 mehr als oder
doch nahe an 10,000 E. zählten, — vermisst. Rez. glaubt mehreren
Lesern einen Gefallen zu tliun, Avenn er die Volkszahl der 40 grössten
Städte Frankreichs nach ihrer Rangordnung hier beyfügt.
Paris 890,431 E.
Lyon
Marseille .
Bordeaux
Roucn
Nantes
Lille . .
Toulouse .
Strasburg .
Metz . .
Amiens
Orleans
Caen .
Rheims
NImes
Uennes
Montpellier
Toulon
S. Etienne
145,675 -
115,943 -
93,549 -
90,000 -
71,739 -
69,860 -
69,731 -
49,708 -
45,247 -
41,107 -
40,340 -
38,161 -
38,046 -
37,816 -
37,579 -
35,123 -
30,798 -
30,615 -
Angers .... 29,978
Versailles .... 29,791 E.
Avignon .... 29,407 -
Clermont .... 28,995 -
Nancy 28,445 -
Brest 26,655 -
Troyes 25,587 -
Montauban . . . 25,466 -
Dünkirchen . . . 25,417 -
Limoges .... 24,992 -
Dijon 23,845 -
Aix 23,132 -
Airas 22,173 -
Grenoble .... 22,149 -
Tours 21,928 -
Poitiers .... 21,317 -
rOrient .... 21,294 -
Ilavre 20,768 -
Douay 19,880 -
Arles 19.869 -
Valenclennes . . . 19,841 -
Der Vollständigkeit halber muss Rez. noch hinzufügen, dass in obiger
Tabelle Vannes mit 28,320 und Blois mit 24,511 E. angesetzt worden
sind. Da aber erstere im J. 1816 erst 10,605 und letztere nur 13,054
K. zählte, so sind bey beyden wahrscheinlich auch die Umgebungen
mitgerechnet Avorden. — 4. Detaillirte Folksliste den Gr. Herzogth.
Mecklenburg - Schwerin vom J. 1826. Sie betrug in den 24 Präpositu-
ren 430,927 K., wor. 3,058 Juden, und hatte sich mithin in einem Jahre
Nene gcograpliSsclie und £tat!st!e«die Ephcmcriden. 431
um 13,05fi vRiinclu t. Im J. 1803 fand man erst 288,853 , f(»Iglich bo-
trügt der ZiiM'at-hs auf 23 Jahre n'ulit Avcnigtjr als 142,(>74. Diese ra-
sche Zimahme in einem Lande, wo noch die Leibeigenschaft herrscht,
die Güter gesclüossen sind , und der Mensch nocli zum Theil an seine
Scholle gebunden ist, verdient gerechte Verwunderung. (Ueberdicsa
ist die Zahl der Städte im Vcrhältniss zum Fiächenraum ziemlich ge-
ringe, denn auf 5.| Q^L kommt erst eine Stadt.) Unter den vornehm-
sten Städten hatten Rostock 2,282 IJ. 17,398 E. , Schwerin 1,018 H.
12,1T9 E.; Wismar 1.205 IL, 8,088 E. , Giistrow 8fi0 H. 8,015 E., und
Parchim 607 Jl. 5,111 E. — 5. Deluillirie Folksliste des Gr. Uerzo^th.
Sachsen-JFvimar für ISW. Auch hier ist die Bevölkerung im, wenn
auch nicht so raschen. Steigen begriffen. Der Census vom J. 1815
gah 104,377 und der vom J. 182() 221,(554, also in 11 Jahren einen Zu-
wachs von 27,277 K. Von der letztern Zählung kommen 140,120 auf
die Prov. Weimar mit ihren 4 Stadtger. und 15 Amtsbezirken, und
72,534 auf die Prov. Eisenach mit 1 Satdtger. , 0 Amtsbezirken und 2
Patrimonialämtern. Die Ilptst. Weimar zählte 000 H. 0,711 E., Eisenach
1,331 H. 8,106 E. und Jena 744 H. 5,166 E. — 6. Nachricht von den
Minen in Brasilien, durch den Hrn. Menezes de Drammond (zu Rio Ja-
neiro. (Aus dem Journ. des Voyages.) Dieser sowohl für den Stati-
stiker als für den Mineralogen gleich wichtige Aufsatz, der jedoch le-
diglich die Prov. Minas Geraes ins Auge fasst, erzählt zuerst in der
Kürze die Auffindung und Gründung dieser Kolonie, deckt dann frey-
müthig die unverzeihlichen Fehler und Missgriffe der Regierung auf,
welche den sonst so blühenden Berghau dort seit dem J. 1808 in so tie-
fen Verfall brachten , fügt dann eine kurze Skizze dieser Landschaft
bey und beschreibt endlich die verschiedenen Methoden, durcli welche
beym fast gänzlichen Mangel an metallurgischen Kenntnissen die Ge-
winnung des Goldes bisher besorgt wurde. Das Gouvern. Minas Ge-
raes hat eine Ausdehnung von 300 Franz. Ml. von S. nach N. und von
260 von O. nach W. und zählt jetzt über 1 Mill. E. Die Menschen-
masse besteht aus Weissen, die hier zahlreicher als in den übrigen
Prov. sind , aus Negern , zivilisirten Indianern und gemischten Rassen
von allen Farben, hier Metis genannt. Es ist in 5 Distr. zerlegt und
begreift ausser der Hauptst., die jetzt Oiro Preto heisst, 15 Städte und
Villas und 117 Dörfer und Weiler. — 7. Der Cauca und seine Umge-
gend. ( Eine geographische Skizze von C. M. Roding. ) Ebenfalls
ein sehr schätzbarer Bey trag zur nähern Kunde von Süd -Amerika.
Der sehr beträchtliche Fluss Cauca, der Hauptzufluss des mächtigen
Magdalena , giebt bekanntlich jetzt einem der 12 Departem. Kolum-
biens den Nahmen, welches mit Isemo den nordwestlichsten Theil die-
ses Freystaats ausmacht, indem es nicht bloss das Thal des obern
Cauca sondern auch einen beträchtlichen Theil der Westküste zwischen
dem Golf St. Michael und dem Flusse Patia , so wie einen Strich der
Nordküste zwischen den Mündungen der Flüsse Atrato und Zinu in sich
schliesst. Es enthält 4,690 DM., ist aber, bis auf den Thalkessel Ton
Popayan in dem obern Theil des Patin , noch fast eine menschenleere
432 Geographie und StatUtlk.
Wüste. Denn sie zählt Icaiim 193,000Ehnv., wovon auf das 3,240niVI.
grosse Choco nur 22,000 lioniraen. Das Dept. ist eins der goldreich-
sten Länder der Erde. Denn der Caiica .und mehrere seiner Neben-
gCAvässer ilicssen im eigentlichen Sinne über Goldsand, und der Thon,
der zu Popayan zu Töpfen genommen ^vird, ist sclnver von Gold.
Aber die Freilassung der Neger hat den fast gänzlichen Stillstand
der Bergwerke und Goldwäschereyen zur Folge gehabt, weil wegen
Mangel an Händen ein Freyneger täglich 3 Realen (;=: 22 Qx. Conv.)
Tagelohn begehrt. Bey dem fruchtbarsten Boden fehlt es häufig an
Lebensmitteln, und diese sind, wegen des äusserst beschwerlichen
Transports so theuer, dass ein Fass Mehl aus den Verein. Staaten von
]V, A. in Chaco 64 bis 94 Piaster zu stehen kommt. Diess gilt dort
auch von andern Bedürfnissen, z. B. vom Eisen, von dem der Ztr. 40 P.
zu kosten pflegt. Uebrigens ist es Schade , dass der Vrf. die neuere
Eintheilung des Dept. in 4 Distr. nicht berücksichtigt, und die Topo-
graphie ganz bey Seite gestellt hat. — 8. Ueber die äussere Bildung
von Japan. (^Aus dem Krusenstern'schen Atlasse der Südsee. Th. II
Nr. XXVI, mitgctheilt von dem Hrn. Kollegienrathe v. PfeifTer zu Pe-
tersburg.) Dieser Auszug aus einem kostspieligen Atlasse, der wohl
nicht in Jedermanns Hände kommen möchte, wird gewiss Jedem will-
kommen seyn , den das so streng in sich zurückgezogene Japan in-
teressirt. Er dient vornehmlich zur Erläuterung der Krusenstern'schen
Charte von diesem Inselstriche, und stellt bey jedem irgend merkwürdi-
gen Punkte der Küsten sämmtlicher Inseln mit 2 verschiedenen Japani-
schen Charten scharfsinnige Vergleichungen an. Dieser Vergleichung
der Krusenstern'schen Arbeit mit den Japanischen Originalcharten , die
sich jetzt in Europa befinden, geht eine kui'ze Beschreibung voraus.
Alle diese Japanischen Charten führen einen Titel, der zugleich eine
statistische Uebersicht des Reichs giebt, und der mit den Worten be-
ginnt: „Generalcharte von Japan mit den Gränzen der 66 von Fürsten
regierten Provinzen , die in ihren Provinzen eine monarchische Gewalt
ausüben, jedoch zugleich einem souverainen Monarchen unterworfen
sind etc." Weiterhin wird gesagt, dass der grosse Monarch von Japan
nach seiner Grösse und Macht den Titel Selbstherrscher unter dem Mond
führe, und dass er die Fürsten wechseln und nach Gutdünken strafen
könne. Ueber den Inhalt der Erläuterung selbst muss Rez. einige
kleine Bemerkungen machen. Bey der Angabe der Ausdehnung der
Ilauptinsel Nipon muss entweder eine Irrung oder ein Druckfehler sich
eingeschlichen haben. Denn von dieser lieisst es S. 360: sie hat in
der Richtung N.O. und S.W. eine Ausdehnung von mehr als 100 M.
(Milles), ihre Breite variirt zwischen 50 und 150 M. Sollte es nun
statt 100 etwa 1000 heissen? Aber diese Zahl möchte wiederum um
Vieles zu hoch seyn. Denn nach den Charten, die Rez. besitzt, be-
trägt die Ausdehnung von S.W. nach N.O. 170 g. M. oder 600 Milles
(60 auf einen Grad). Dann wird aus Versehen die Prov. Jetsingo 2
Mahl angeführt, und zwar das erste Mahl im W. der Halbinsel Noto,
zwischen Wakusa und Kuga, und das zweite Mahl weiter nördlich zwi-
Neue gcograplileche und statistische Ephemeridcn. 433
eclien Jetsiu und Dewa, wo sie auch wirklich hing-ehört. Freilich ist
zu niissbilligen, dass zum Längcnmaasse bald Lieucs bald Millcs (doch
wohl 60 1 Grad ? ) gebraucht worden sind , weil diese Abwechslung
nur zu leicht zu Irrungen führen kann. — 9. Beitrag zu der Hydro-
graphie von Hailij. (Von T. Jiromme zu Dresden.) Dieses vielleicht zu
sehr ins Detail gehende Gemähide sämtlicher GcAvässer, selbst der
unbedeutendsten, die wohl nur für sehr wenige Liebhaber der Geo-
graphie einiges Interesse halten hönncn, beschäftigt sich nur mit dem
vormahls Französischen Antheil der Insel. Der Artibonite bleibt der
wichtigste Fluss St. Domingo s. — B) f ermischte Nachrichten: 1) Ilc-
gulirung der gutsherrlichen und bauerlichen Verhältnisse in Pommern.
Bis zum Schlüsse des J. 182G waren in 2,022 Dörfern und Städten neben
den eigentlichen Regulirnngen aucii Geraeinhutstheilungen , Aufhe-
bungen von Servituten und Dienstablösnngen anhängig gemacht wor-
den, wovon noch 770 obwalteten. 8,056 Bauerfamilien hatten, nach
geschehener Abfindung ihrer Gutsherren, 848,880 Morgen Land zum
freyen , eigenthümlichen Besitz erhalten , deren Werth auf 3,064,000
Rthlr. angeschlagen wurde. Auch waren bis dahi^ 2,014,000 Natural-
dienste abgelöset , wofür die betreffenden Gutsherren 11,278,400 Thlr.
Ersatz erhalten hatten. Ueberhaupt waren schon mehr als 3 Mili.
Morgen Land ganz ausser Gemeinschaft gesetzt, und von allen Ser-
vituten befreyt. — 2) Staatsvertrag zuuschen Hannover und der freyen
Stadt Bremen. Dieser betrifft die Abtretung von 75 Morgen Land an
der Weser und Geeste zur Anlegung eines nenen Havens für Schiffe
von 120 Lasten an die Stadt Bremen gegen die Summe von 35,000
Rthlr. Dieser Haven soll mit den nöthigen Etablissements versehen
werden und den Nahmen Bremerhaven empfangen. — 3. Malte Bruun.
Nekrolog. (\. G. v. Ekendahl. ) Diese Biographie des um die Geo-
graphie so verdienten Dänischen Gelehrten scheint mit aller Unpar-
theillchkeit verabfasst zu seyn. — 4. IN^eue Eintheilung des Staats Chile.
Dieser zerfällt jetzt in folgende 8 Provinzen: 1) Coquimbo (= 1503
□M. 30,000 E.) mit der Hst. Ciudad de Serena. 2) Aconcagua (= 422
DM. 100,000 E.) mit der Hst. Ciudad de Felipe. 3) S. Jago ( = 400
DM. 180,000 E.) mit der Hst. gl. N. 4) Colchagua (= 383 DM.
130,000 E.) mit der Hst. Villa de Curlio. 5) Maule (= 189 DM.
50,000 E.) mit der HSt. Villa de Canqnenea. 6) Conception (== 246
DM. 70,000 E ) mit der HSt. gl. N. 7) Valdivia C= 35 DM. 7000 E.)
mit der IlSt. gl. N. S) Chiloe C= 172^ D^. 35,000 E.) mit der HSt.
Castro. Der ganze Staat enthält also nur 3,348| DM. und 602,000 E.
— 5. JiJinige authentische Nachrichten über Paraguay. ( Auszüge aus
Rengger und Longchamp Essai historique sur la revolution de Para-
guay etc.^ Dieser Staat begreift ausser dem eigentlichen Paraguay,
dessen Umfang auf 10,000 D Leguas berechnet werden kann , noch
seit Vertreibung der Jesuiten den wenig beträchtlichem ("?) Distrikt
zwischen dem Parana in Uruguay. ( Doch wohl nur der schmale
Landstrich in N.O. des Sees Ybera, zwischen Brasilien und Entre
Rios?^ Die Population ist noch immer so gering, dass sie schwer-
Jahrb. f. Fliil. u. Fädag. Jahr. V. Heft 4. 28
434 Geograplile und Statistik.
lieh ilher 200,000 Seelen steigen kann. (Also wäre die neuere Angabe
von 000,000 K. um ^ /u hoch , was allerdings sehr glaubhaft ist , weil
das Land um das J. 1790 kaum 97,000 Menschen auizuweisen hatte.)
Unter dieser Summe machen die Weissen -j^ , die Indianer jL und die
Schwarzen , Mestizen und Mulatten j^ aus. Die Indianer sind zMar
frey, können aber zu keinem Amte gelangen, und eben so wenig die
Farbigen. — C. Veber die Erscheinung der zineyten Hälfte des von
Krusenstern' sehen Atlasses vnd dessen Inhalt, Mitgctheilt vom Hrn.
K.R. von Pfeiffer. Dieser Aufsatz setzt den Werth dieses Atlasses,
die grossen \ erdienste seines Verf. in ein helles Licht , und schliesst
mit einer kurzen Skizze der darin aufgenommenen Inseln des Oest-
lichen Ozeans. — 7. Areal und Folksnienge von Schireden im J. 1825.
Schweden an sich enthält 18fil,2'^ DM. 947,341 E. Göthaland 1051,80
DM. I,fi08,293 E. und Norrland 4243,^« DM. 19(»,238 E. Hierzu die
4 grossen Landseen = 166,^5 DM. In Summa = 7927,-/^^^ DM. und
2,751,878 E. (Durch einen Druckfehler stehen hier 7837, '^o DM.
und 2,751,582 E. ) Das Menschenkapital ist also auch im nördlichen
Schweden im Steigen, und hat sich in 15 Jahren (im J. 1810 zählte
es erst 2,337,851 K.) um 414,027 Ind. vermehrt. Die IlSt. Stockholm
hatte 77,258 E. — 8. Details über Capilän Fraiiklins Expedition. Der
Hauptzweck derselben war bekanntlich die Auffindung eines fahrbaren
Durchganges westlich von der Mündung des Mackcnzie - Stroms nach der
Behringsstrasse. Allein sie musste, nachdem sie fast den 150*^ WL.
erreicht, und mehr als die Hälfte des Wegs zum Eiskap zurückgorfegt
hatte, wegen der zu weit vorgerückten Jahreszeit, ohne das Ziel er-
reicht zu haben , wieder umkehren. — Diesem Bande ist eine sehr
instruktive lilhographirte Charte von der Behringsstrasse und dem
nordöstlichen Theile Sibiriens beigelegt. Sie führt den Titel : Das
Eismeer, die Behringsstrasse und ein Theil des Oestlichen Ozeans, mit
den. Küsten des Landes der Tschiiktschen und Nord- Amerika" s. In Mer-
cator's Projektion, nach einem Russischen Original. 1827; und reicht
von (>0'> bis 77» 30' n. Br. und vom löO» bis 200" ö. L. Auch sind
auf derselben einige der neuern Seereisen angedeutet.
XXIII Band. A) Abhandlungen: 1. Philadelphia. Eine geogra-
phisch - statistische Skizze , von T. Brome in Dresden. Bey dieser
im Ganzen gut gerathenen Beschreibung ist, wenn man nicht über
den Handel, den Werth der Aus- und Einfuhr ganz genaue Details
verlangt , kein bemerkenswerthcr Umstand ausser Acht gelassen , ob-
echon Rez. darin nichts Neues gefunden hat: was man aber auch von
einer so häufig besuchten und beschriebenen Stadt nicht anders er-
warten darf. Doch hätte Rez, gewünscht, dass die einzelnen Gegen-
stände etwas sorgfältiger geschieden , und in besondern Rubriken (An-
lage, Bauart, merkwürdige öffentliche Gebäude, Kirchen, Wohlthä-
tigkeitsanstalten , Bildungs- Institute , Gewerbe, Handel etc.) abge-
theilt worden wären. Philadelphia ist jetzt in 20 Wards abgetheilt,
enthält 5 öifentliche Plätze, 32 Hauptstrassen, die durch 900 zwey-
armige Laternen erleuchtet werden , 59 Kirchen und Bethäuser, 17300
Neue geographische und statistische Ephcmeriden. 435
Häuser und loß,280 Einwohner. — 2. Ansichten des Archipelx. (Aus
der Reise des Arztes Bignon , gemacht auf der Corvette Bayaderc 1826,
Journ. des voyag. 1820.) Dieses ziemlich flüchtig aher iu einem hlü-
henden Styl niedeigeschriehenc Bruchstück thcilt im Ganzen nur über
die Kykladen Milo u. Syra, so wie über Smyrna interessante Notizen
mit, Milo ist nicht mehr jene produktenreiche und von blühender
Vegetation strotzende Insel, wie sie Tournefort schildert; vielmehr
ist ihr Anblick wild und traurig, und weder Bergenocli Thälcr ken-
nen einige Kultur. Wegen ihrer Arniuth ist sie indess der Habgier
der Osnianen entgangen , und daher der Zufluchtsort einer Menge un-
glücklicher Hellenen vorzüglich aus Kandia geworden, denen es ge-
lang, sich der Wuth ihrer Unterdrücker zu entziehen. Höchst nie-
derschlagend ist aher die Schilderung von dem schrecklichen Elend,
dem diese Unglücklichen hier Preis gegeben sind. Der Hauptort der
Insel, Castro, klebt an dem höchsten Giplel eines spitzgehauenen Fel-
senbergs, dessen steiler Abhang mühsam zu erklettern ist, und ist ein
Chaos kleiner schlecht aussehender Häuser, die terrassenweise hinauf-
gebaut sind. Die Insel umfasst jetzt gegen 5000 Einw. — Syra wird
von 5 bis 6C00 kathol. Hellenen bewohnt. Ein Firman des Grossherrn
beschützt sie gegen die Bedrückungen der Türken, und diesen haben
sie als Belohnung für die Neutralität erhalten, welche sie sich zur Zeit
des Insurrektionskrieges zum Gesetz gemacht hahen , weshalb sie aher
von den andern Hellenen wie Verräther hehandelt werden. Diese
Verhältnisse haben sie genöthigt, sich alles Handels zu enthalten, und
darum wird gegenwärtig der ganze übrigens lebhafte Handel von
Fremden getrieben, denen auch die Waarenlager gehören. Auch hie-
her haben sich eine Menge Hellenen geflüchtet, welche der Verwü-
stung der andern Inseln entkommen sind. Diese haben sich am Ab-
hänge eines wilden Felsens elende zum Theil in die Erde gegrabene
Hütten errichtet, in welchen die Unglücklichen, halb nackt, von Al-
lem beraubt, ihr jammervolles Daseyn hinschleppen, aber auch hier
nicht gegen die Ueberfälle der Albanesischen Seeräuber geschützt sind.
Das alte Syros galt einst für eine der fruchtbarsten der Kykladen,
jetzt bringt sie aber kaum soviel hervor, als zur Erhaltung ihrer Be-
wohner nöthig ist. — 3. JVeite Eintheilung des Herzogilnims Braun-
schweig. ( Vom Hrn, Pastor Cannabich. ) Dieser Staat hat also eine
abermahlige Abänderung in seiner Innern Vertheilung, Verwaltung er-
fahren, die jedoch, wie Rez. mit Vergnügen bemerkt hat, um Meles
gleichförmiger als die vorige (in 0 Distr, von sehr verschiedenem Um-
fange, und in 2 St.idt- und 19 Kreisgerichte) getrofTeu worden ist.
Nach der neuen Eintheilung zerfällt der Staat ebenfalls in 6 jedoch
an Grösse nun ziemlich gleiche Distr,, die zusammen 2 Stadtgerichte
(und 22 Kreisämter in sich fassen , nähmlich 1) D. Braunschweig
lli DM. 5T,8Ü0 E.), 2) D. Wolfenbüttcl (10^ DM. 45,100 E.), 3) D.
Helmstädt (151 gji_ 41,0fl0E.), 4) D. Gandersheim (11^ □M.3(),((C0 E.),
5) D. Ilolzmindeu ( ISf DM. 37,300 E.) und 6) D, Blankeisburg (10^
DM. 23,000 E.). Späterhin ist die Preussische Enciave Kalvörde vom
28*
436 Geographie und Statistik,
Kr. A. Vorsfelde getrennt und 7AI einem besondern Kreisamte erhoLen
worden , so dass die Zahl der Kr. A. nnn auf 23 steigt. Das Herzog-
thum zählt also jetzt auf 73 [JM. 240,200 Indiv. — 4. Sitten tind Ge-
bräuche der Einwohner von Neu - Seeland. Von R. S. Lesson. (Aus dem
Journ. des Voyages.) Ein trefflich gerathnes in einem körnigen Styl
verabfasstcs Geniählde dieses so interessanten Inselvolks , das gewiss
Jeder mit Vergnügen lesen wird. Rez. bekennt ofTen , dass ihm das-
selbe unter allen bisherigen Schilderungen der Keu- Seeländer am
meisten befriedigt habe. Zum Beweis dieser Behauptung kann er sich
nicht enthalten, hier wenigstens einige Stellen zur Beurtheilung ein-
zurücken: „Die Neu-Seeländer haben viele Achnlichkeit mit den alten
Spartanern; das Leben i^t ihnen gleichgültig, und sie trotzen dem
Tode mit Muth, ja ich möchte sagen, selbst mit Grösse. Alle ihre
Gedanken sind auf den Kampf gerichtet; der Krieg allein macht das
einzige Vergnügen ihres Lebens , und schon von der frühesten Jugend
an sucht man die Phantasie der Kinder durch die Erzählung der Tha-
ten ihrer Aeltern oder Verwandten zu entflammen und in ihren Herzen
den unauslöschlichen Durst nach Kampf und Gefahr zu erzeugen.
Früh schon weiss der kleine Knabe seine Würde zu schätzen ; er weiss,
dass keine Frau das Recht hat, Hand an ihn zu legen, und dass er
seine Mutter schlagen kann , ohne dass sie sich auch nur beklagen
darf, dass es ihm als Vorspiel des Schreckens, das er am Tage des
Gefechts unter den feindlichen Stämmen verbreiten soll, erlaubt ist,
seine Sklaven zu miisshandcln. Sonderbar ist es nach alledem , dass
der Adel des Kindes von der Mutter herrührt, und dass es um so hö-
her geschätzt wird, von je höhcrem Range die Mutter war," Dann
sagt er von der Anthropophagie: ,,Die entsetzlichste Sitte der N. S. ist
ihre Menschenfresserey , der kein Volk so offen und auf eine so empö-
rende Weise ergeben ist , wie sie. Diese rohen Menschen geniessen
voll Rachsucht und Blutgier das noch zuckende Fleisch der unter ihren
Streichen gefallenen Feinde mit dem lebhaftesten Vergnügen. Durch
diesen fürchterlichen Gebrauch haben sie am Menschenfleischc Ge-
schmack gefunden , und sie sehen die Gelegenheiten , wo sie diesen
abscheulichen Appetit befriedigen können , als glückliche Festtage
an" etc. — 5. Die Insel Sardinien. Vom Hrn. Dr. Aug. Hörschelraann.
Dieser Aufsatz ist ein Auszug aus dem grössern Werke des Verf. ( Ge-
schichte, Geographie und Statistik der Insel Sardinien , nach Miniaut
und Marmora bearbeitet) und beschränkt sich fast lediglich auf eine
Uebersicht der von Mimaut beschriebenen Kantone , nach der veralte-
ten Eintheihing in die 4 Provinzen: Cagliari, Arborea, Logodori und
Galluva. Hr. D. Hörscheluiann nennt diese zwar die natürlichste und
gebräuchlichste; doch mag Rez. diese Behauptung keinesweges unter-
schreiben, denn er glaubt, dass gegenwärtig die neue Eintheilung in
10 Provinzen die gebräuchlidiste seyn werde. Doch konnte von der-
selben noch kein Gebrauch gemacht werden, weil wir ihre Gränzennocli
nicht kennen. Aufgefallen ist es Rez. , dass der Verf. hier von der
Hauptstadt Cagliari nichts weiter bemerkt, als dass zwar Azuni der-
Neue geographische und statiätiäche Ephcmcrlden. 437
selben S5,000 und Cossu 25,000 E. gegeben habe, dass sie deren aber
gegenwärtig nicht mehr als 21,000 enthalte, da er dodi von selbiger
in seinem oben angezogenen Werke auss iVIiniaiit so viel interessante
topographische IVotizcn mittheilt. Uebrigena ist Mimauts Schätznng
wohl zu geringe, da eine offizielle Zählung die Volkszalil von Cagliari
zu 21,356 E. bestimmt. Die Beschreibung der einzelnen Kantone ge-
währt, zumahl in Bezug ihrer Produkte, und ihres stärkern oder ge-
ringern Anbaus, eine befriedigende Uebcrsicht. — 7. Tagebuch einer
Heise auf dem Flusse Sanloun. (Aus d. Nouv. Annal. des Voyages. )
Dieser vielleicht für Deutsche Leser etwas zu ausführliche Reisebericht
ist, allem Vermuthen nach nur ein Vorläufer grösserer und umfassen-
derer Beschreibungen der noch so wenig gekannten Prov. Martaban
in Tenasserim, und darum gewiss willkommen. Der Sanloun oder
Suluan , auch Martaban , bildet nun die nördliche Gränze der Britti-
schen Prov. Martaban gegen Birman. Wir erfahren aus diesem Be-
richte, dass dieser Strom sehr wahrscheinlich in der Ilochgebirgskette
im N. von Laos entspringt, und zwischen der Ilauptkette der Zentral-
gebirge und einer andern niedrigem fliesst, dass er im Ganzen nur
30 gMl. weit schiffbar ist, und dass seine sehr fruchtbaren, dabey
oft mit pittoresken Felsenraassen besetzten Ufer sehr schwach und
meist von Kariunern bewohnt sind. Sonderbar ist es, dass in diesem
Berichte der Stadt Martaban , bey welcher der Fluss doch seine Mün-
dung findet , weiter gar nicht gedacht wird; denn er beginnt mit den
Worten: „Die mit der Untersuchung dieses Flusses beauftragten Engli-
schen Offiziere verliessen am 20 März 1826 Rangoun und gingen strom-
aufwärts. Sie passirten bey zwey ebenen, mit Kräutern bedeckten
Felsen vorbey, die über der Einmündung des Ghyein liegen. An die-
ser Stelle ist der Sanloun i Ml. breit." etc. — 7. Die Französischen
Colonien am Senegal. (^Aus dem Journ. des Voyag. 1827.) Mit Recht
sagt der Redakteur in einer Kote , dass diess die erste vollständige
geogr. Statist. Beschreibung sey, die wir von diesen Kolonien besitzen,
und desshalb als ein wesentlicher Beytrag zur Erdkunde von Afrika
willkommen seyn Averde. Sie ist aus den an diis Marine-Ministerium
abgestatteten offiziellen Berichten gezogen und straft die Behauptun-
gen der Englischen Zeitungen, dass die Französischen Niederlassun-
gen sich in einem noch traurigem Zustande befänden , als die Britti-
schen, offenbar Lügen. Diese Niederlassungen bestehen; 1) in der
Senegalinsel S. Louis, welche jetzt urbar gemacht ist, und wo diegleich-
nahmige Hauptstadt von 217 aus Backsteinen gebauten Häusern und
572 der Regierung gehörigen Magazinen besteht. Das Gouvern, gl. N.
befasst ausserdem die Inseln Babaghe, Safal und Gheber und die am
Senegal liegenden Etablissements Bakel und Bakana, und zählt zus.
10,305 Menschen (220 Weisse, 642 freye Mulatten, 1475 freye Neger
und 7,968 Negersklaven. ) 2) dem Gouvern. Goree , welches die Insel
d. N. , die Magdaleneninseln und das Komptoir in Albreda in sich
schliesst, und 5825 M. (40 Weisse, 713 freye Mulatten, 743 freye
Neger, und 4,329 Negersklaven) enthält. Von der Hptst. Goree wird
488 Geographie und Statistik.
weiter nichts gesagt , als ilass eine Kaserne für 200 M. ihr einziges
üiTentliches Gehäude sey. Ausserdem verdienen auch noch die neuen
seit 1821 von der Regierung errichteten IViederlassungcn und Pflan-
zungen für den Ackerbau im Lande Wallo oder Hnwal Erwähnung.
Diese liegen am linken Ufer des Senegal und liiihen sich sclion so
vermehrt, dass eine Eintheilnng des Gebiets in 4 Kantone nötliig ge-
worden ist. Doch wird leider nicht bemerkt, ob diese Pflanzungen
von Weissen oder von freyen Negern besorgt werden; indessen ist das
letztere am wahrscheinlichsten. — 8. Uebcr die auf Befehl der Brittl-
ichen Regierung zur Untersuchung der Küsten Siid-/i7nerika''s und zur
Erforschung der Magellanischen Meerenge von den Capitünen King imd
Slokcs unternommene Expedition. ( Ans der London Litcrary Gazette
1827.) Die Resultate dieser Erforschung der von ihrer Entdeckung
bis auf unsere Zeiten wegen ihrer grossen Gefährlichkeit in so üblem
Ruf stehenden Magellanischen Meerenge sind: 1) dass aUe in dersel-
ben in Menge vorhandenen Buchten und Bayen bloss als Löcher oder
Lücken der steilen, gewöhnlich über 1000, oft 2 — 3000 Fuss per-
pendikulär aus dem Meere^ emporsteigenden Küste anzusehen sind,
welche schon wegen ihrer zu grossen, 50 — 60 Fäden betragenden
Tiefe keinen Ankerplatz darbieten; 2,) dass die Annäherung an diese
furchtbaren Küsten für grosse Fahrzeuge höchst sclnvierig und mit
grosser Gefahr verbunden ist, weil auf tiefe Windstille öfters ganz
unerwartet heftiger Sturm folgt; 3) dass die im westlichen Theile der
Meerenge gewöhnlich herrschenden heftigen Westwinde, die so häufig
stattfindenden dichten Nebel, und das durch die häufigen und starken
Regengüsse erzeugte ungesunde Klima die Fahrt durch diese Meerenge
noch mehr erscliAveren ; und 4) dass aus diesen Gründen die Fahrt
um das Kap Hörn herum durchaus immerdar den Vorzug verdienen
werde. Die Britten fanden an diesen Küsten 2 verschiedene Men-
schenrassen , Patagonier und Pescheräs oder Feuerländer. Letztere
beschränken sich nicht bloss auf das Feuerland , sondern wurden auch,
wiewohl in geringer Zahl , am nördlichen Ufer in dem weiten Striche
zwischen den Kaps Negro und Victory gesehen. Die Patagonier stell-
ten sich zu Pferde allerdings als ein sehr grosser Menschenschlag dar;
allein diese Täuschung verschwand ganz und gar, als sie von den
Pferden gestiegen waren. Dieser sonderbare Umstand erklärte sich
dadurch, dass ihr Oberkörper unverhältnissmässig hoch, aber ihre
Füsse ungewöhnlich kurz sind, wesshalb sie, wenn sie sitzen, in der
That ein riesenniässiges Ansehen haben. Ihr gewöhnliches Maass war
5 F. 8 — 10 Z. und nur die Längsten unter allen hielten 6 F. 1^ Z.
Nach der Meinung der Britten — die von ilmen während des häufigen
Verkehrs stets auf das freundschaftlichste aufgenommen und behan-
delt wurden, — gehören sie zum Stamme der Pampas- Indianer , mit
denen sie auch einen lebhaften Verkehr unterhalten. Die Feuerländer
feind ein weit erbärmlicherer und hässlicherer Schlag als die Patago-
nier, und kaum 5.| F. lang. Weder bey Männern noch bey Frauen
wurde eine Spur von Kraft oder Thätigkeit wahrgenommen. Ihre
Neue g-eograpliisclic und statistische Ephciuerlcleii. 439
Nahrung besteht bloss in Austern , Mnscheln , Scliiilthleren , Von^el-
eyern , in den Beeren einiger Sträuehcr und in einer am Meeresiufer
wachsenden Wurzel. Auch zeigten sie kein Gefiilil von Dankbarkeit.
Nur der zwisclien dem St. Ilicronynius- Kanal und deiu Kaj» (>allant
liegende Theil der Küste Patagoniens gewährt den Anblick einer rei-
zenden Landscliaft. — B) Jcrvilfichle Nachrichten: 1) Englische Be-
sitznahme der Insel Fernando Pao. (Aus den New-Tiines.) Diese ii M.
lange und 4 breite Insel ist eine der Gninea-Inseln, liegt in der Bucht
von Biafara, nahe an der Küste, und hat in der Mitte 2 gegen 2000 F.
hohe Berge, ein mildes, Mcniger ungesundes Klima, einen frucht-
baren durch Bäche gut bewässerten, stark bewaldeten Boden, einen
gchönen llaven in einem geräumigen Bay (bey welchem der Ilaupt-
ort angelegt wird), und eine Bevölkerung von ein paar 1000 In-
dividuen, die sich den Negern nähern, und wahrscheinlich ein Misch-
lingsvölkchen ausmachen, das bey aller Rohheit ziemlich gutartig
ist. — 2) Capitän Beechey's Entdeckungsreise. Das von demselben be-
fehligte Schiff The Blossom verliess zu Ende Oktbr. 1825 Valparaiso,
wurde, als es die Oster-Insel erreichte, feindselig von den Einge-
bohrnen empfangen, dass zerschbigene Köpfe davon die Folge waren,
besuchte darauf die Pitcairn's- Insel, wo die unter der Leitung des
Patriarchen John Adams lebende Bevölkerung auf (50 Personen ange-
wachsen war, und schon Besorgniss erregte, dass die Produkte unzu-
reichend für ihren Unterhalt werden würden , langte hierauf bey den
reizenden Gurabiers - Inseln an, wo es die feindseligen Angriffe der
zahlreichen Insulaner einige Mahl durch Kanonenschüsse und Muske-
tensalven zurückweisen musste. Hierauf gieng es über Taiti nach
Owaihi, wo jetzt die Missionaire die Eingebohrnen , aber, wie es
scheinen möchte, nicht sonderlich zu deren Vortheil, zu bekehren
suchen, und von da na(;h der Awatoka-Bay auf Kamtschatka, mo es,
seltsam genug, Briefe und Päcktchen aus England erhielt, von denen
einer über Land durch Russland gewandert, und ein anderer durch
Baron Wrangel von Süd- Amerika gebracht war, und setzte dann seine
Reise nach dem Kotzebue-Sund fort, avo es überwinterte. — 3) Neuere
Bevölkerung der Ionischen Inseln. Diese hat sich seit dem J. 1814, also
unter Brittischer Oberherrlichkeit, bedeutend vermindert. Denn in
jenem Jahre zählte mau 218,211 , im J 1825 aber nur 175 378 Köpfe.
Davon lebten auf Korfu 48,737, auf Paxo 3,970, auf Zante 40,0ß3,
auf Kephalonia 48,857, auf Theaki 8,200, auf St. Maura 17,425, und
auf Kerigo 8,146. — 4) Statistische Nachrichte7i über den Mexiko - Staat
Durango. Er enthält auf 7,638.^ DM. 177,400 Einw. in Ciudade ( die
Hptst. Durango von 1350 II. m. 13,890 E.) , 4 Villas , 110 Ortschaften,
120 Meyereyen , 300 Viehhöfen, 60 Pfarreyen, 15 Missionen und 5
Presidios , und ist in 4 Distrikte und 15 Alcaldias abgetheilt. Das
Bergwerk-Revier d. N. fzu welchem aber auch Chihuahua und So-
nora-Sinulva gehören) liefert im Durchschnitte jährlich 400,000 Mark
Silber. — 5. Biographische Notiz über Belzoni. (Von Depping,
aus dem Annuaire necrologique de 1826.) Die hier recht gut geschil-
440 Geographie und Statistik.
derten sonderbaren Schicksale des kühnen, mit einer ungewöhnlichen
Körijcrstärke begabten Reisenden Bclzoni werden auch denjenigen in-
teressiren , der an dessen Plänen und Vorhaben weiter keinen Antheil
nahm. Sein so sehr abgehärteter Körper musste doch endlich in
seinen besten Jahren , — er war kaum 45 Jahr alt — einer Dysenterie
unterliegen. — 6) Statistische Notizen über die Brittischen Inseln. Sehr
interessant und reich an Daten und Zahlen. Im J. 1820 zählte man
4,253,4i(» Familien , von denen sich l,lü8,18ß mit dem Ackerbau,
1,(»77,8S0 mit Fabriken und Gewerben beschäftigten , und 1,317,344
nicht produzirende Familien waren. Die Volkszalil bestand , ausser
320,000 Militär und 30,000 Matrosen , aus 20,874,159 Köpfen, wovon
11,2()1,477 auf das eigentliche England , 717,438 auf Wales, 2,003,456
auf Scho^thind, und 6,801,828 auf Irrland kamen. — 7) Ueber die
Inseln Guernsey und Jersey. Diese beyden Normannischen Inseln ha-
ben seit einigen Jahren für den Handel eine grosse Wichtigkeit er-
langt , und die Zahl ihrer Bewohner hat sich besonders durch Znfluss
aus England auf eine ausserordentliche Weise vermehrt. Guernsey
enthält nur 8000 Engl. Morgen Land, aber 24,000 E., deren Grund-
eigenthum zu 3,531,740 Pf. StrI, angeschlagen wird. Die hiesigen
Pächter leben schon bey Bearbeitung eines Gütchens von 15 — 20
Morgen im Wohlstand. Die etwas grössere Insel Jersey befasst 34,000
E. , wovon 15,000 in der Hptst. S. Stellien leben. Sie besitzen Ki'L
Schifle von 17,979 Tonnen Gehalt, und handeln mit Afrika, Nord-
und Süd -Amerika. Trotz der sehr starken Bevölkerung sind Bettler
eehr selten. — S) Statistische Nachrichten über Columbia. Der Frey-r
Staat ist in 12 Depart. , 37 Prov. , und 236 Kantone getheilt, worin
man 95 Ciudaden , 154 Villas , 1340 Kirchsp. und 846 Filiale oder
kleinere Dörfer zählt. Ohne die unabhängigen Indianer , deren Zahl
("wohl zu niedrig) auf 204,000 K. angeschlagen wird, beträgt die Be-
völkerung an 2,800,000 Ind. Im J. 1821 zählte man erst 2,644,600.
Die Weltgeistlichkeit besteht aus 2 Erz- und 6 Bischöffen , 84 Präben-
tariern , 892 Pfarrern etc. , überhaupt aus 1694 Personen. Es beste-
hen 57 Mannsklöster mit 945 Mönchen und 432 Novizen , und 33
Frauenklöster mit 750 Nonnen und 1456 Novizen. — 9) Ueber Capt.
Franklin^s Jeriv eilen in den Polargegenden. (Aus dem Liverpool Mer-
cury.) Abermahls neue Notizen über die Erforschung der Nordküste
von Amerika. Auf dem weiten Strich zwischen der Mackenziemün-
dung und dem 150*^ W. L. fand man keinen tiefen Einschnitt in der
Küste, man bemerkte aber, dass sie sich allmählig bis 70^,3' Br. zog,
wo sie sich nach W. zu wenden schien. Auf dem weitesten Punkte
geiner Reise war Franklin nur noch 30 g. M. vom Schiffe Blossom
entfernt. — 10) Capitän Parry^s Zurückkunft. An der Fehlschlagung
dieser Expedition soll, nach dem Globe and traveller, die wenige
Sorgfalt auf die Ausrüstung schuld seyn , indem sogar Mangel an Le-
bensmitteln statt fand. — 11) Weitere Nachrichten über Capt. Parry''s
Expedition. (Aus der Literary- Gazette.) Ein lebhaftes Gemähide
von den Ungeheuern Beschwerlichkeiten , und von den muthvollen
Neue geographische und statistische Ephcmeridcn. 441
Anstrengungen der Mannschaft hey sehr knapp zugemessenen Mund-
pnrtioncn. Die höchste Breite, zu welcher der llccla gehmgtc, war
81*^, (»' , und mittelst der Schlittenhoote drang man noch einen Grad
und 39 Minuten weiter vor. — • 12) FAwas über die Insel Macao und
Schiiia überhaupt. (Aus den Annal. des Voyag.) Die (den Purtugiesen
gehörige) Halbinsel hat etwa ö Engl. M. n= 11 g. M. im Umfange,
und gewährt nur einen nackten, traurigen Anhlick. Die Bevölkerung
steigt indess auf 45,000 Ind., wovon 40,000 Cliinesen u. 5000 Portugiesen
Mestizen und Britten. Die Stadt ist mit einer grossen Anzahl Chinesi-
scher Tempel , und 14 kathol. Kirchen , wohey etwa 100 Geistliche,
angefüllt. Auch die Britten besitzen hier ein Bethaus, das der Ost-
Indischen Kompagnie gehört. — Kanton fasst, mit Einschluss derauf
dem Flusse oder in Booten lebenden Familien etwa 800,000 Einw.,
und erstreckt sich 1 g. Ml. längs dem einen, und ^ M. längs dem an-
dern entgegengesetzten Ufer des Flusses. Ungeachtet des unbeschreib-
lich grossen Gewirrs herrscbt doch überall die beste Ordnung. Die
der Ostindischen Komp. zugehörigen Comptoire sind sehr weitläuftig,
aber alle auf den Raum von | Egl. Ml. längs dem Flusse zusammen-
gedrängt. In einem der ältesten Tempel auf der Insel Ilainau, der
von 100 Priestern bedient wird, sahen die Missionarien 13 grosse
Sauen , die mit der grössten Sorgfalt verpflegt wurden , und unter de-
nen einige 80 Jahr alt seyn sollten. Der innere Zustand von China
soll so kläglich und so bewegt seyn , dass nur eine durchgreifende
Revolution die Lage der Dinge anders gestalten könne. — 13. Neueste
Bevölkerung der Schweiz. Diese ist nach der Schweizer Scale (1,687,900)
nach Usteri und Meyer 1820 (1,783,231) , nach den statist. Umrissen
182» (1,855,300) und nach BernouUi's Schweizerarchiv 1827 (1,978,000
K.^ dargestellt. Nach dem letztern kommen auf die einzelnen Kan-
tone, und zwar auf Bern 350,000, Zürich 218,<!00, Waadt 170,000,
Aargau 150,000, St. Gallen 144,000, Luzern 116,000, Tessin 102,000,
Graubünden 88,000, Freyburg 84,000, Thurgau 81,000, Wallis 70,000,
Basel 54,000, Solothurn 53,000, Appenzell 52,500, Genf 52,500,
Neuenburg 51,500, Schwyz 32,000, Schaflliausen 30,000, Glarus
28,000, UnterAvalden 24,000, Zug 14,500 und Uri 13,000 Köpfe. Diese
Summen mögen im Ganzen richtig seyn; doch glaubt Rez., dass Bern,
welches schon imJ, 1823 347,182 8. zählte, mit 355,000, und Aargau,
bey dem im J. 1825 der Census bereits 150,461 K. gab, mit 154,000
hätte angesetzt werden sollen. — 14. Verhandlungen der geograjihi-
schen Gesellschaft zu Paris. Dieser Auszug meldet allerhand interes-
eante Neuigkeiten. Die Brittische Kolonie Sinkapore zählte im J.
1827 bereits 13,150 E. , worunter nur 87 gebohrne Europäer. Die
Einfuhr stieg im J. 1826 auf 6,863,581 , und die Ausfuhr auf 6,422,845
Dollar. Sinkapore ist die erste Kolonie , wo man wagte , das alte
Kolonialsystem bey Seite zu stellen , und die Erfahrung der unum-
gchränkten Handelsfreyheit zu machen. Und das Resultat davon ist,
dass eine ganz wüste Insel in wenig Jahren sich mit einer ansehnlichen
Bevölkerung anfüllte und zu einem der thütigsten Märkte des Orients,
442 Geographie und Statistik.
zur ]VIederIag-e des Handels mit dem Chinesischen Indien ("sollte wohl
richtiger heissen: mit den üher die Indischen Inseln verhreiteten Chi-
nesen) und den Malayen aufblühte. Zugleich ist diese Insel der Nie-
derlagsort aller auf diese Länder Bezug habenden wissenschaftlichen
Neuigkeiten geworden, und unter allen Journalen Indiens ist der
Singapore- Clironicie der merkwürdigste durch die Belehrungen, die
er enthält. — Kolumbien begreift 32t» Kantone und 8G Nonnenklöster.
Die Bevölkerung bestand in 2,857,347 S., wovon 103,8!)2 Sklaven. (Zur
Berichtigung der Angaben in No. 8.) — Die Stadt Tombnktu gehörte
anfangs der heidnischen Völkerschaft der Kohhlans , heutzutage ist sie
im Besitz der Fellans, von der Sekte der Mohamedaner. Die Tua-
riks bilden eine dritte Rasse und eine vierte ist die der Kcntos, deren
Ursprung man in Bamhara sucht. — 15. Nekrolog der im J. 182G
i^crstorbciten geographischen und statistischen Schriftsteller. Er hegrciffc
18 Sterbefälle. — Ifi. Ileguliriinn- und Organisation des Erzbisthnms
Freyburg. Es uraschliesst die hischöflichen Sprengel Mainz, Fulda,
Rottenburg und Limburg , in allem 1871 Pfarreyen mit 1,079,172 E.
Davon kommen auf den eigentlichen Sprengel des Erzbischofs (Bad(;ii
und beyde Ilohenzollern) 843 Pf. und 783,708 E. , auf Mainz (Gross-
hcrzogthum Hessen) 166 Pf. 157,792 E. , auf Fulda (Kurhessen und
S. Weimar) 84 Pf. und 112,362 E. ; auf Rottenburg ( AVürtemberg)
645 Pf. 462,857 E., und auf Limburg (Nassau und Frankfurt) 133 Pf.
und 165,453 E. Wahrscheinlich kommen auch noi^h die Katholiken
in den Fstth. Lichtenberg , Birkenfeld und Meisenheim dazu. — 17.
Ueber die Deutschen in Italien. Diese sehr flüchtig hingeworfene Notiz
handelt nur von der Sette Communi , deren 40,000 E. immer noch
unter sich Altdänisch und Friesisch sprechen sollen, und übergeht die
dreyzehn Gemeinden , die doch auch von Deutschen Abkömmlin-
gen hewohnt werden, ganz mit Stillschweigen. Fast sollte aber
Rez. glauben, dass diese haben gemeint werden sollen. Denn
nur diese liegen, wie hier angegeben ist, in der Delegaz. Verona u.
enthalten 40 — 50,000 E. Die 7 Gemeinden dagegen liegen im Um-
fange der Delegaz. Vicenza, und machen nur 20 — 30,000 K. aus.
Doch ist das hier genannte Asiago wirklich der Hauptort der Siehen
Gemeinden. Der etwas über 20C0 F. über der Meeresfläche liegende
Bergstrich, auf welchem diese Gemeinden liegen, soll, weil auf dem-
selben die Kälte 8 Monate lang vorherrscht, bloss Gerste hervorbrin-
gen. Sollte aber unter dem 47*^ n. Br. eine Seehöhe von 2000 F.
schon einem so rauhen Klima unterworfen seyn ? — Diesem Bande
sind 2 statistische Uebcrsichten heygelegt, von welchen die eine Eu-
ropa , die andere Amerika gewidmet ist. Die erstere darf Rez. mit
Stillsclnveigen übergehen, weil dem 26ten Bd. auch eine solche für
das J. 1828 beygefügt ist, von der Aveiter unten die Rede seyn -wird.
Hier braucht also Rez. nur von der let/.tern einen gedrängten Auszug
zu gehen, indem er die Rubriken: Menschenrassen, Einkünfte, Aus-
gaben, Staatsschuld, Kriegsmacht und aiarine unberücksichtigt lässt.
Bcyden Amerika'a wird ein Areal von 676,761, ^ ^ [^M. und eine Bc-
Neue geop;raplüsclic und gtatlsliechc Ephemcriden. 443
volkcrung von 40,048,844 S. Cnühml. 15,129,521 Weisse, 17,408,8ß5
Indianer und freye FarMge und 7,421,471 Ne^er und Mestizen, Skla-
ven) zugetheilt. Davon kommen A) auf die einlieimischcn Staaten,
und ZM-ar 1) auf Arankanicn (das aber Hez. lieber den wilden Ländern
l.eyf,-ercdinet haben würde) 4703, ^o QM. 450,000 E. 2) Bolivia 15,000
DM. I,0a0,000 E. 3) Brasilien 13!>,8(i0 DVI- 5,30(5,418 E. 4) Cliile
3348,3 0 n>I. «02,000 E. 5) Columbia 57,306 D-^l. 2,800,000 E. ii)
llayti 1385 □>!. y?5,335E. 7) IMexic» 7«>,2t2, 2^ DM. «,824,528 E.
8) kittel-Aiuerika »«Ol, ^0 Qm. I,i37,3(j2 E. 9) Nord-Amerik. Union
113,802,3 6 DM. 12,27«,782 E. 10) Para<,-uay «913 DM. «00,000 E.
11) Peru 24,4fil DM. I,5fi3,839 E. und 12) Plata 49,99« D>I. 2,024,995
E. IJ) auf die tvHdcn Länder und zAvar auf 1) Pata-i^nnien 20,81« DM.
150,000 E. 2) Fenerland 1522 DM. 2000 E. 3) Falkland 31« DM.
50 E. CO 4) Moskitoküste 589ß22 □>!. 300,000 E. D) auf die Europäi-
schen hflonlen und zwar auf 1) der Dritten 112,239,^0 ^M. 2,183,940
E. 2) der Dänen 80*« D-M. 41,317 E. 3) der Franzosen 5901,20
DM. 223,580 E. 4) der ISiederländer 725 lO DM. 74,508 E. 5) der
Küssen 24,000 DM. 50,000 E. «) der Schweden 1,^^ DM. 8,210 E.
7) der Spanier 274«, ^0 DM. 1,163,980 E. E) auf die unabhängigen
Indianer 800,000 K.
XXIV Band. A) Abhandlungen: 1) Uebcr die Aufschlüsse und
Erläuterungen , welche aus dem Reiseberichte der liritten Denham und
Clapperton für das richtige Verständniss der Arabischen Erdbeschreiber
und des Leo über das Innere von Afrika zu gewinnen sind. Von J. F.
W. Heilin^er. Diese mit eben so vieler Belesenheit und Sachkenntniss
als Scharfsinn angestellte Vergleicliung der neuern Entdeckungen mit
den Angaben der altern Ceographen wird wohl jeder, der sich gern
mit dem Innern von Afrika beschäftigt, mit Verlangen in die Hand
nehmen, und nicht unbefriedigt bey Seite legen. Sie ist jedoch kei-
nes Auszugs fällig, und Rez. darf daher nur bemerken, dass im Gan-
zen die altern Beschreibungen und Angaben keinesweges auf Mähr-
chen beruhen , sondern sich vielmehr meist recht gut mit der Gegen-
wart vereinigen zu lassen, zumalil wenn auf die in diesen Gegenden
seit jener Zeit eingetretenen politischen Veränderungen gehörige Rück-
sicht genommen wird. So giebt z. B. der Verf. selbst über das von
Edrisi und Abulfeda beschriebene Reich Tokrun befriedigende Aus-
kunft. Den Beschluss dieses sehr unterrichtenden Aufsatzes macht
eine kurze Uebersicht alles dessen, was wir bis jetzt über den Niger
oder Joliba wissen. Und Rez. kann nicht umhin, da dieser räthsel-
hafte Strom die Aufmerksamkeit des ganzen gelehrten Europa seit so
langer Zeit fortdauernd beschäftigt, daraus das Wesentlichste in ge-
drängter Kürze mitzutheilen : P]r hat, nach Laing, seine Quellen im
Lande Kissi, etwa unter 9", 15' n, Br. u. 10^, 12' w. L. von Greenwich (also
fast ura einen vollen Grad südlicher, als die ältorn Charten zeigen,) er
fliesst hiernächst durch die Länder Sangara, Firia, Balia und Manding,
dann durch das Reich Banibara, und bey dessen Ilptst. Sego vorbey,
bis zur Gränzstadt Siüa. Von da läuft er, schon gewöhnlicher Gülbi
44# Geographie und Statistik.
genannt, bcy Schenni (Jenne) vorbey und bildet weiterliin in Verei-
nigung^ mit dem Nimma und Miniana den Landsce Dibbi, Avorauf er
eich in mehrere Arme zertheilt, die sich erst bey Kabra, unfern
Torabuktu wieder vereinigen. Von da durchströmt er die sumpfige
IViedernng des Reichs Schinbala und scheint nun unterhalb Zabirmeh
bey Kabi in das Reich llaussa zu treten und seinen bisherigen Nahmen
mit den von Kuara (Kworra oder Kwolla) zu vertauschen, und von
da seinen Lauf auf Ja-uri Bussa ( wo Mungo Park sclieiterte und um-
kam ) , auf Nafi oder Kifa und Raka oder Laka zu nehmen, wo seine
SchilTbarkeit aufhören (oder unterbrochen werden) soll. Kach der
Angabe des Sultans von Haussa, Bello ( derselbe , der späterhin Laing
bey Tombuktu ermorden Hess ) , soll der Strom von hier seinen Lauf
weiter auf Kotunfauda und nach einem langen Zwischenräume in dem
Süden von Kano, Zegzeg und Bauscherr auf Koraraffa (Kornorfa),
welches Bowdich Kwollaraba nennt, nehmen. Wohin aber nun sein
Lauf weiter gehe, ist noch immer ungewiss. Nach einer Zeichnung
des Sultans Bello soll er Aegypten erreichen und den Nil bilden, nach
dessen mündlicher mehrmahls wiederholter Erzählung gegen Clapper-
ton aber bey Funda ins Weltmeer sich ergiessen , vorher aber ver-
schiedene Tagereisen lang mit der Meeresküste parallel laufen. Die-
ses Funda sucht der Verf. nun in Akra, und folgert, dass es gar nicht
unwahrscheinlich sey, dass der Niger endlich auf der Sklavenküste
von Guinea zwischen den Flüssen Volta und Forniosa seinen Ausfluss
finde , weil dieser ganze sich über 8 Längengrade erstreckende Kü-
stenstrich aus niedrigem, stark bewässertem, zum Theil sumpfigem
Boden besteht , dessen zahlreiche Wasserläufe den vorhandenen,
freylich mangelhaften Nachrichten zu Folge , unter sich in einer un-
unterbrochenen Verbindung stehen sollen. Der Leser vergleiche da-
mit, was beym 21ten Bande im Abschnitte: „Ueber das Binnenland
von Afrika u. den Joliba od t Niger ," gesagt worden ist. — 2. Nene
IS'iederlassung zu Western - Port in Australien. (Ans Asiatic Journal.)
Dem Aufblühen dieser im J. 1820 auf der in der Nähe der Bass-Strasse
liegenden Insel Philipp gegründeten und Western-Port genannten Nie-
derlassung scheinen mehrere Hindernisse , Avorunter ein meist mora-
stiger Boden und der Mangel an süssem Wasser oben an stehen,
entgegen zu treten. Die ganze Gegend ist sehr sorgfältig beschrie-
ben. — 3. Bemerkungen über einige f'ülkerstümme des Austral. Ozeans,
(Von Dr. Garnot, Chirurgen des Schiffs Coquille. Aus dem Journ.
des Voyag.) Obschon sich diese Bemerkungen nur auf die Bewohner
der Inseln Taiti , Neu-Irrland und Waigiu beschränken, so bieten sie
doch sehr schätzbare Schilderungen dar. Die Tuitier haben sich durch
die Bemühungen der Missionarien sehr geändert, und die christliche
Religion , zu der sie sich jetzt sämmtlich bekennen , hat viele ihrer
rohen und grausamen Gebräuche gemildert. Sie zeigten sich durch-
gängig als gutraüthige, gefällige und dienstfertige Menschen. Alle
lesen und schreiben jetzt geläufig in Folge des gegenseitigen Unter-
lichts, aber ihr Verstand ist noch nicht so weit entwickelt, dass sie
Neue geograplilsclie und statiätisclie Ephemcridcn. 445
das, was sie losen und sdirciben , auch gehörig verstehen, wozu
freylich ihre sch(»n abgeschh)üsene, keiner Fortbildung fähige Sprache
das Ihrige hcjträgt. Im Handel ist aber noch immer grosse Vorsicht
iiöthig, und der Hang zum Stehleu und Betrügen ist nocli nicht aus-
gerottet; und eben so wenig beym weiblichen Geschlechte der grosse
Hang zur Wollust, obschon es sich aus Furcht vor den Missionaren,
die auch in diesem Punkte strenge Autsicht führen, öffentlich sehr
zurückhaltend gegen Fremde zu benehmen weiss. (Sehr niederschla-
gend ist die bey diesem Gegenstande vom Redakteur des Journ. des V.
gemaclitu Schilderung von der grossen moralischen Verdorbenheit
mehrerer Missionaren auf der Küste von Afrika, besonders zu Sierra
Leona im Lande Kissi und am Rio Pougas , die durch glaubwürdige
Belege bestätigt werden sollen.) Die Neu- Irrländer gehören zur
Rasse der Australneger, und stehen, obgleich sie ihre Speisen ko-
chen und braten, noch auf einer so niedrigen Stufe der Kultur, dasa
sie nicht einmahl ihre Sehamthcile bedecken. Gegen ihre Weiber
sind sie so eifersüchtig, dass Niemand vom Schiffe ein weibliches
Wesen zu sehen bekam. Uebrigens benahmen sie sich nicht feind-
selig. — Die Bewohner von Weigiu sind von angenehmem Gesichts-
zügen, weniger schwarz , als die Neu-Irrländer, auch viel kultivirter,
und scheinen ein Gemisch von Papuas und Australindiern zu seyn.
Sie sind von schlankem , fast zärtlichem Körperhau , die mittlere
Grösse war 4 F. 6 — 9Z. und nur ein Einziger hielt 5F. 2Z, Auch sie
verbergen ihre Frauen den Augen der Fremden. — 4. Ueber den Gegen-
stand und Nutzen der Statistik. (Aus d. Revue encyclopedique, Sptbr. 1827.)
Eine zwar mit strenger Konsequenz sehr verständig und überzeugend
durchgeführte Behandlung , die aber uns Deutschen nichts Neues dar-
bietet. Mit Recht sagt daher der Redakteur zum Schlüsse derselben :
„Wir haben die Abhandlung bloss in unsere N. G. und St. Ephera.
eingetragen, um daraus den Gang zu beurtheilen, den die Statistik
als Wissenschaft bisher in Frankreich genommen hat. Was der Verf.
vorträgt, ist in Deutschland längst theoretisch und praktisch abge-
macht, und er macht im Grunde nur darauf aufmerksam, wie die
Statistik in seinem Vatei-lande auf Deutsche Weise behandelt Averden
muss." Allein der Hr. Red. urtheilt hier wohl etwas zu günstig von
seinen Landsleuten , wenn er vom iirahtischcn Abgemachtseyn spricht.
Freylich weiss bey uns Jedermann recht gut den schwankenden Werth
der Zahlen zu schätzen, und jeder Geograph weiss z. B. , dass in der
]<leinsten Stadt die wahre Volkszahl kaum einen Tag lang dieselbe
bleibt: dennoch M'ird er, im Fall er ein grösseres geograph. Werk
schreibt, keinen Augenblick anstehen, so viel als möglich die volle
Summe irgend einer Volkszählung, und Avenn solche auch bereits vor
10 — 20 Jahren statt fand , beyzusetzen , statt sich runder Summen
zu bedienen. — 5. Illinois. Nach den Papieren der General- Land-
messer bearbeitet von T. Bromme. Dieser Abriss ist rein geographisch,
ohne alle Berücksichtigung statistischer Daten, dennoch ein wesent-
licher Beitrag zur nähern Kenntniss dieser bis jetzt noch so unvoll-
446 Geographie und Statistik.
ständig gekannten Landschaft, die einem raschen Annjlühen entgegen
eilt. Ueber die Grunzen der 19 Countys — Rez. kann sicli hey einem
Staate, in welchem man keinen Gebnrtsadel kennt, unmöglich des
ganz unpassenden Ausdrucks Grafschaft hedienen , — den Umfang des
reservirten Militärbezirks, über die neuangelcgten Städte (doch ohrte
alle topographische Notizen) und über die zahlreichen Flüsse giebt
er sehr genügende Auskunft. — 6. ytusflucht nach Slam. (Aus Asiatic
Journal.) Ebenfalls ein höchst willkommener Reisebericht, der über
das Fürstenth. Ligor und über den südwestlichsten Strich des Reichs
Siam nähere Kui.de bringt, und mithin über einen Theil dieser terra
incognita seltenes Licht verbreitet. Er ist von 2 ßrittischen Beamten
entworfen, die um der Auswechslung der Gefangenen willen (die
Siamesen sollen nähmllch, sclion als die Prov. Martaban inTenassex-im
an die Dritten abgetreten waren, noch einen Einfall in solche gemacht,
und eine Menge Einwohner als Gefangene mit fortgeschleppt haben,
die die Britten nun als ihre Unterthanen zurückforderten) nach Siam
gesendet wurden, Ihre erste Reise dahin traten sie von Ligor aus zu
Lande an. Aber das Misstrauen der Siamesischen Regierung gestattete
ihnen nur bis zum Dorfe Pathia , etwa unter 11^, 10' n. Br. , fortzu-
setzen, dort inussten sie ein Boot hesteigen, welches sie in 4 Tagen
nach Bangkok brachte. Das Fstth. Ligor wird von einem Malayischea
Sultan beherrscht, der zwar von Siam abhängig Ut, aber übrigens
unumschränkt gebietet , und Gewalt über Leben und Tod ausübt. Die
Zahl der waffenfähigen Männer beträgt kaum 12,000. Die gleichnah-
mige Hauptstadt liegt 2 Stunden oberhalb der Mündung des Flusses
Tha-wung, hat lauter hölzerne Gebäude — ( selbst der fürstl. Pallast
ist aus Brettern erbaut und mit Ziegeln gedeckt) — viele meist in
Ruinen liegende steinerne Tempel und Pyramiden, und nur noch
5000 E. Auf dem Wege nach Bangkok passirten sie viele zum Theil
bedeutende Flüsse, und unter andern die Städte Chhainga (3 — 4000
E.), Suwy (2000 E.), und Choomphon (8000 E.). Auf einer 2teu
Reise von Mergui aus den breiten und tiefen Fluss Pak-cham hinauf
nach Chhoomphon, die den Zweck hatte, 109 Siamesische Gefangene
zu überbringen, wurden sie, obschon die Bedeckung nur in 38 Bir-
manen bestand , bey letzterer Stad*^^ von einem 8000 M. starken Corps
zurückgoviesen. Eine dritte Reise wurde ohne Bedeckung von Mar-
taban aus auf dem Fl. Uttaran unternommen , der bis zur Gränze ge-
gen Siam schiffbar ist. Dicf^e Reise ging über die Siamesischen Städte
Menamnoi, Ban-chiom (5000 E.) , Pakphrek (8000E.), Batphri
(10,000 E.) und Ban-chhang (4000 E.) , nach Mekhlong (12,000 E. ),
an der Mündung des schiffbaren Flusses gl. jV. , wo der Britte Leal
siih nach Bangkok einschiffte. Alle diese Theile Slams waren ziem-
lich gut angebaut und wohlbevölkert. Aller Wahrscheinlichkeit nach
ist dieser interessante Bericht nur ein Vorläufer wichtigerer und um-
fassenderer Reisewerke. Denn die Regierung von Siam, die nun-
mehr eine unmittelbare Gränznachbarin der Britten geworden ist, wird
den letztern bald ihr Reich öffnen müssen, — T. Die Entstehung des
Neue g;cogriH}hisclic und statistische Epheracriilcn. 447
Staats Missitri. (Nach Lcm is C. Bccli's Ga/c^tteer of thc States Illinois
and Missouri 1827. Mitj^ctlicilt von C. M. llödin^. ) Dieser mit vie-
ler Unisiolit und Belesenheit niederf^eschriebene Aufsatz ist bloss
his^torisch und liandelt zugleich auch von Louisiana; docli sind am
Ende die ISahnien der 28 County's, in >veK;he gegenwärtig der neue
Staat Mistiuri ahgethcilt ist, mit iliren Ilauptorten angeführt. — 8.
y/r«. Die jetzige Hauptstadt der Birmanen. (Aus dem in der Lite-
rary-Gazelte abgedruckten Briefe eines Ilrittlsclien Offiziers.) Diese
Skizze enthält wenig mehr als eine kurze S<-hiliiernng des königl.
Residenzi)allustes, der Vorstellung des Hrittischen Gesandten, des
weissen Elephanten , und verschiedener ilt)ireste. Selbst des so be-
rühmten Tempels Schognnga-prah wird mit keiner Sylbe gedacht. —
1). Die Insel Ling-^a in der Meerenge von Snnda. ( Beschreibung dei*-
selben und ihrer Bewohner von van Angelbeck, aus dem Journal des
V oyages.) Abermahls ein dankeswcrther Beitrag zur nähern Kunde
von Süd- Indien ( — der Rez. versteht unter Süd-Indien nähmlich
eänniiliiche Ost-Indische Inseln — ) , nach welchen alle bisherige Be-
schreibungen dieser bis jetzt nur oberflächlich gekannten Insel zu be-
richtigen und zu vermehren sind. Diese Insel , bisher gewöhnlich
Pulo Lingen genannt,) bildet mit mehreren benachbarten kleinern
Eylande^i einen besondern unabhängigen Staat, und ist noch eine
Ilauptbesitzung- der unabhängigen und unvermischtcn Malayen. Die
Residenz des Sultans heisst nicht, wie unsere bisherigen Handbücher
besagten, Penobang, sondern Kwerla-Dai. Trotz der unbeschränkten
Macht desselben werden hier alle Rcgierungsangelegenheiten öffent-
lich verhandelt , und selbst der Geringste »einer Unterthanen darf sich
unmittelbar an das Staatsoberhaupt wenden. Uebrigens herrscht hier das
ganze Malayische Lehnswesen in seiner vollen Ausdehnung. Diese Insel
sowohl als die das von derselben abhängige Gebiet Madar ausmachen-
den Eylande sind ein Hauptsitz der Malajischen Seeräubei-. Es ist
zu beklagen, dass in dieser so belehrenden Skizze gar nichts über den
Flächenraum , die Bevölkerung der Insel etc. gesagt ist. — 10. JJehcr
die Volksmenge des Königreichs der Niederlande. (Nach Quetelet in
der Revue encyclop. 1827, docli berichtigt und fortgeführt.) Dieser
mit grosser Sachkenntniss entworfene Aufsatz legt mit schlagenden
Gründen deutlich vor Augen , dass die Bevölkerung der das heutige
Königreich der Kiederlande bildenden Provinzen fortw älirend , selbst
während der unglücklichen Periode vom J. 1789 bis 1813 im Steigen
gewesen sey , und dass daher JIr. von Lichiensiern , welcher die Volks-
zahl für das J. 1819 auf 4,894,530 Ind. herabsetzen wollte, sich stark
verrechnet habe. Denn nach den offizieJlon, mit möglichster Sorg-
falt angestellfcen Zähinngen betrug das Menschenkapital im J. 1824
bereits 5,934,530 K., so dass folglich auf 1 DM. deren 4!)61 kamen.
Davon besass Antwerpen 318,893, Nord- Brabant 321,917, Süd-Bra-
bant 489,()02, Drenthe 52.383 , Ost-Flandern «81,489, West-Flandern
557,871, Friesland 199,335, Gelderland 280,820, Groningen 133,800,
llennegau 538,050, Nord-Holland 388,425 , Süd-Holland 432,054, Lira-
44S Geographie und Statistik.
bürg 317,387, Liittich 327,161, Luxemburg 287,78ß, Namur 187,411,
Overyssel 158,399 , Utrecht 115,042 und Zeeland 127,659 E. Die am
stärksten bevölkerte Prov. ist Nord-Holland, and die am schwächsten
bewolinte Drenthe. In dieser fallen nur 1404 , in jener aber 8927 K.
auf 1 g. riM. Welch eine ungleichmässige Vertheilung der Men-
ßchenmasse ! Im J. 1825 >var die Volkszahl auf 6,059,506, und im J.
1826 anf 6,116,935 K. gestiegen, und dennoch klagt man hier noch
nicht über Uebervölkerung ! — 11. Die Insel Ko-sima, oder der
kleinste Vulkan der Erde. (Aus den Nouv, Annal. des Voyages 1828.
V. AlaprotÄ mitgetheilt.) Diese kleine zu Japan gehörige, im O. von
Nipon liegende Insel wurde bekanntlich im J. 1805 vom Russ. Kapitän
V. Krusenstern auf seiner Reise um die Welt umschifft , aber von dem-
selben weiter nicht sonderlich beachtet. Desto ausführlicher spricht
sich in diesen Annalen der D, Tllesius (der dieselbe Reise als Natur-
forscher mitgemacht hatte) darüber aus. Nach dessen Beschreibung
ist diess Eyland von sehr geringem Umfange , ganz kahl und unfrucht-
bar, und der V^ulkan mit seinem eingestürzten Krater so niedrig, das3
D. Tilesius von der Spitze des Mastes in die Solfataren und selbst in
den Krater hinein schauen konnte, obwohl er beständig raucht. —
B) Vermischte Nachrichten. 1) Bevölkerung des Brittischen Nord-
jimerika. Rez. verbindet diese Tabelle sogleich mit einer andern im
folg. Bd. mitgetheilten Uebersicht, damit der Leser die zum Theil
sehr bedeutenden Abweichungen besser überschauen könne:
1) Gouv. Quebec 6800 DM. J. 1824. 622,628 E. J. 1825 430,679 E.
2) - York . . 4700
-
280,567 -
- - 157,541 -
3) - Neu - Braun-
schweig . . . 1350
- J.1822.
45,800 -
- - 72,923 -
4) - Neuschottland 675
- - 1819.
78,345 -
-1827123,811 -
5) - Prinz Eduard 99
-
8000 -
-1825 28,757 -
6) - Cap. Breton mit
Anticosti, Magdale-
nen-1 232
-
3350 -
- - 16,000 -
7) - Neu-Fundland 652
- J.1805.
24,922 -
- - 63,644 -
14,508 DM. .
1,063,612 E.
893,355 E.
Hierzu kommen aber noch: 1) die Hudsonbusenländer = 23,500
DM. 2) Labrador =: 24,500 DM, und 3) das Westliche Binnenland
= 47,450, in Summa 95,450 DM. , in welchem ausgedehnten Land-
strichen eben nur 800 Europäer leben. Die Zahl der im Umfange des
Brittischen Nord -Amerika herumschweifenden freyen Indianer wird
auf 180,300 Ind. geschätzt. — 2, Die Russischen Kolonien auf der Nord-
westküste von Amerika. ( Aus der Biene des Nordens.) Säramtliche
Kolonien befinden sich in einem sehr erfreulichen Zustande. Russen,
Aleuten und Kreolen leben im Frieden und im guten Einverständniss
mit den wilden Völkerschaften. Auch wird die Verbindung mit Kali-
fornien immer lebhafter. Mit dem Distr. Atka (soll wohl heissen
Sitka ?) zählten alle Niederlassungen , ohne die Bussen, Li den J. 1823
Neue geographische nnd gtatistlsche Ephcmerlden. 449
nni! 1824 : 9729 Einw. (553 Kreolen und 9156 Aleuten). In der Kolo-
nie Ross wird schon Ackerbau und Viehzucht mit Erfolg- getrieben. —
3. Das Thal von lia^ne. (Aus den Annal. des Voyag.) Enthält die
Schilderung von der im J. 1818 erfolgten schrecklichen Verwüstung
dieses reizenden, von der Dranse durchflossenen, im Schweizer-Kant.
Wallis liegenden Thaies Bagne , welches von 3000 Menschen bewohnt
wurde, die durch die ganze Schweiz wegen ihrer Frugalität, ihrer
Kraft und ihres Verstandes berühmt waren. — 4. Die Padries von
Menangkabu auf Sumatra. (Aus Asiatic Journ.) Die Padries machen
nach dieser Schilderung einen besondern Volksstamm aus , der von den
Eingebohrnen Bangsa (die Hptstadt von Lintow) oder Norinchi ge-
nanntwird, weil die beiden Hauptbezirke, aus denen er ursprünglich
abstammt, also heissen. ( Rez. kannte sie bisher nur als eine eifrige
moslcmimische Sekte, welche, unter dem Vorwande den Islam auszu-
breiten, einen grossen Theil von Sumatra verwüstete, und ihrer
Herrschaft unterwarf.) Auf welche hinterlistige und grausame Weise
es nun einem Häuptling derselben, dem Tuanku (d. i. Herr) von Passa-
man, gelang, sich zum Oberherrn des ganzen Stammes und des gröss-
ten Theils vom Reiche Menangkubo aufzuwerfen , muss man im Werke
selbst nachlesen. Hier nur soviel, dass der letzte Sprössling, der
Herrscher von M. (deren eigentlicher Titel Maha Raja de Raja ist),
um dem Tode zu entgehen, zu den Niederländern floh, und von die-
sen späterhin in Suruwassa (einem Distr. von Menangkabo mit der
Hptst. Paggar-Rugung) wieder eingesetzt wurde. — 5. Volkszalil der
Kaukasus- Provinzen. (Aus KlaproMa tabb. duCaucase. ) Hr. Klap-
rothhiit in seinem ebengenannten Werke versucht, die Stärke der so
zahlreichen Gebirgsvölker abzuschätzen , denn an einen wirklichen
Volks -Census ist natürlich bey diesen rohen Räuberstäraraen noch
nicht zu denken, obschon die meisten, wenigstens dem Nahmen nach,
sich der Oberherrlichkeit Russlands unterworfen haben. Dass nun
alle Volksschätzungen , selbst in zivilisirten Staaten , wo allerhand
Wege und Mittel zu Gebote stehen , über den wahren Bevölkerungs-
stand sich zu unterrichten , immer willkührlich bleiben , ist eine längst
ausgemachte Sache. Um so willkührlicher müssen also Schätzungen
von so unkultivirten Völkerschaften erscheinen, worunter sogar viele
sind, in deren Mitte sich kein Fremder ohne Gefahr ausgeplündert,
oder gar als Sklave verkauft zu werden , wagen darf. Indessen musg
der Statistiker dem Hrn. Klaproth für seine Mühe doch Dank wissen;
denn er hat doch Zahlen erhalten , wenn sie auch durch Nichts als
richtig beurkundet werden, und nur wahrscheinlich genannt wer-
den dürfen. Das Resultat dieser Abschätzung ist nun folgendes :
Die Zahl der Familien im ganzen Kaukasuslande, mit Ausnahme der
Lasen , die hier nicht mit aufgezählt sind , auch mit Ausnahme der
in manchen Distrikten häufigen Armenier, Russen und Juden, Avird
zn 527,887 angenommen , und die Stärke jeder Familie im Durch-
schnitt zu 4^ Köpfe gerechnet, welches demnach zusammen 2,375,487
Ind. giebt. Von jener Familienzahl kommen nun auf die Tscberkessen
Jahrb. f. Phil, u, Fädag. Jahrg. V Heft. 4. 29
450 Geographie und Statistik.
51,530 , auf die Awchasen ( Abassen ) 53,898 , auf die Nogaier 9,480,
auf die Osseten 33,915 , auf die Midzhegen (Kisten) 35,850, auf die
Lesgbier 138,700, auf die Turkmannen 79,914, und auf die Grusier
(Georgien) 125,000. — 6. Aufnahme von Neu -Fundland. (Nach der
Handl. Zeit.) Diese Kolonie, die älteste der Britten , die von jeher
für unfruchtbar gehalten wurde, ist unter der Aufsicht des jetzigen
Statthalters ein Ackerland geworden : seine Bemühungen hatten die
Folge , dass die Wälder überall von Kornfeldern verdrängt wurden etc.
Diess bezweifelt der Red. in einer Note , und beweisst aus Anspach
history of New-Foundland 1819 , dass diese Insel nur Hafer zur Reife
bringe, und dass selbst die Kartoffel häufig durch eintretenden Frost
leide. Diess mag nun bisher allerdings nur zu wahr gewesen seyn.
Allein die geographische Lage zwischen 46 und 52** n. Br. war gewiss
nicht sowohl die Ursache des rauhen Klima's, als vielmehr die aus-
gedehnten Waldungen und die häufigen Moräste. Wenn daher die
Waldungen gelichtet worden sind , so ist sonder Zweifel das Klimn
auch milder und dem Ackerbau günstiger geworden. Und dass dem
wirklich also seyn möge, beweisst schon die sehr bedeutende Zu-
nahme der Volksmenge. Denn im J. 1805 wurden erst 24,922, im J.
1825 aber 63,644 £inw. gezählt. In 20 Jahren also ein Zuwachs von
88,722 S. ! — 7. Veher die Goldgruben auf der Malacca - HalbinseL
(Aus dem Malacca Observer.} Wenig sichere Nachrichten. Nach
dem Tagebuche eines Brittischen Kaufmanns ist das Dorf Jelley im
Innern des Gebiets Pahang am Flusse Braugh der Ort, wo der Han-
del mit Gold statt findet. Um aber von da zu den Gruben selbst zu
gelangen , muss man noch den genannten Fluss einen Monat lang hin-
auf rudern. (Aber die Halbinsel Malakka hält ja in ihrer grössteu
Breite kaum 50 g. Ml. Wie ist da eine so lange Fahrt möglich'^) —
8. Reissend zunehmende Bevölkerung der Vereinigten Staaten. ( Aus
einem Nord - Amerikanischen Werke : Cincinnati von Drake in Mans-
field.) Es handelt vornehmlich vom Staate Ohio und legt das schnelle
Aufblühen desselben vor Augen. Er hatte nähmlich im J. 1790 erst
3000, J. 1800 42,000, J. 1810 230,760, J. 1820: 581,434, und im J.
1826 gegen 800,000 E. , wovon 130,460 Mannspers. über 18 Jahr und
4723 Neger. Die Militz begreift 110,000 eingeschriebene Mannschaft.
Der neue Ohio-Kanal, welcher diesen Fluss mit dem Erie-See ver-
bindet, hat eine Länge von 320 Engl, ML, wovon 1185 F. Schleusen-
werk. Das steuerpflichtige Eigenthum wird auf 60 Mill. Dollar ge-
schätzt. Die schön und regelmässig gebaute Stadt Cincinnati , erst
im J, 1788 gegründet, und im J. 1810 nur 2320 E. enthaltend, um-
Bchliesst im J, 1826: 1 Gerichtshaus , 1 Gefängniss, 1 Irrenhaus, 1
Ho:>pital , 1 Bank , 1 Assekuranzanstalt , 1 mediz, Kolleg. , 1 Kolleg,
für Literatur, 1 latein. Schule, eine Menge anderer Unterrichtsan-
stalten, 2 Museen, 1 Lesezimmer, 1 gesetzlich constituirte Leihbi-
bliothek, 1 Akademie der schönen Künste, 1 Theater, Kirchen für
Presbyterianer, Methodititen , Baptisten, Episkopalen, der Brüder-
gemeinde und Katholiken, 2500 Haus, und 16,230 £., wor. 28 Geistl.
Neue geographische und sfatistlache Ephemerlden. 451
34 Advolcaten, 35 Aerztc und 3000 Gewerbe treibende, die für 1,850,000
Rthlr. Waaren verfertigten. Es ersclieinen hier nicht weniger als 9
Zeitungen. — 9. Die Quellen des Irawaddi. Zwcy Brittisehe Offiziere
wurden kurz nadi dem Frieden mit den Birmanen abgesendet, um
die noch unbekannten Quellen dieses Stroms aufzusuchen. Sie gien-
gen von Seddya aus nach O. , drangen mit den grössten Beschwerlich-
keiten, denen ein Tlieil ihrer Begleitung unterlag, über die hohen
Schneeberge von Laugtan in die Landsch. Khamti ein, die von einem
eigenen Rajah beherrscht wird , konnten aber vom Hauptdorfe aus
nur noch 12 Engl. Ml. weiter bis zum Strome selbst gelangen, vmd
ihn nicht bis zu seiner Quelle verfolgen. Sie überzeugten sich indess,
dass die Aussage der Eingebohrnen, dass er aus vielen kleinen Flüs-
sen entstünde, die von hohen, mit ewigem Schnee bedeckten Ber-
gen herab kämen, vollkommen richtig seyn müsse, indem er ganz
das Ansehen hatte , als sey er nichts weiter als ein Bergstrom. Denn
ungeachtet des unaufhörlichen Regens war er doch noch durchwatbar,
und obgleich erst durch 2 Nebenflüsse vergrössert, doch nicht breiter
als 80 Yards oder 240 Fuss. Es ist mithin klar, dass der Irawaddy
nicht der Sanpo oder Thibetanische Fluss seyn kann. Kach den, an
Ort und Stelle eingesammelten, Nachrichten fliesst kein bedeutender
Fluss östlich vom Irawaddy , und die Gegend , nach der Gränze von
China zu , ist sehr rauh und unwegsam. Auch ist kein Raum zwi-
schen dem Irawaddy und dem Lukiang für irgend einen bedeutenden
Fluss. Es soll daher nicht unwahrscheinlich seyn , dass nicht bloss
der Irawaddy , sondern auch der Lukiang und der Brahmaputra aus
verschiedenen Seiten der Gruppe von Schneebergen entspringen, wel-
che alle Verbindung mit dem Norden durchaus abschneiden. Ist diess
gegründet , so niuss der Sanpo also nach O. und mithin nach China
fliessen. — 10. Amerikanische Alterlhümer. ( Aus dem Globe nach
Warden.) Handelt von den verschiedenen Ueberresten aus der Vor-
zeit , die seit so vielen Jahrh. in den dichten Wäldern der Neuen Welt
verborgen blieben. Diese zerfallen : 1) in Festungswerke , 2) Erd-
aufwürfe ( Tumuli ) , 3) parallele ErdM'älle , 4) unterirdische Mauern
von Erde und Ziegeln, 5) künstliche Höhlen oder Brunnen, 6) Fel-
sen mit Inschriften, 7) Götzenbilder, 8) Muscheln aus andern Län-
dern , und 9) Mumien. — 11. Ausflucht auf der Küste von Arrakan.
(Aus dem Asiat. Journ.) Freylich nur flüchtige Berichte, ^ie aber
doch manche schätzbare Notizen darbringen. Sie betreffen vornehm-
lich die grossen Küsteninseln Cheduba und Ramri. Die erste ist ein
reizendes Land , und enthält im Innern einige Vulkane. Die beyden
vornehmsten darunter liegen auf der Spitze eines Bergs, etwa | Engl.
Ml. von einander. Der Diaraeter des einen Kraters beträgt 300 Fuss.
Anbau und Bevölkerung dieser fruchtbaren Insel machen schon jetzt
rasche Fortschritte. Sie hat bereits 2300 Hs. und 11 — 12,000 E.,
meist Mugs, die Taback, rothen Pfeffer und Baumwolle, Zuckerrohr,
Hanf und Reiss bauen. Die gleichnahm. Hauptst. der Insel Ramri
erhebt sich schnell zu grösserer Volksmenge und bedeutendem Handel»
29*
452 Geographie und Statistik.
und fasst jetzt schon 8000 E. — 12. Ucber die Thomaschristen auf
Hindostan, (Aus Asiat. Journ. ) Dieser Aufsatz ertheilt Aufschluss
über den Verfall dieser christlichen Sekte. Die Zahl der Mitglieder
derselben soll sich gegenwärtig auf 70,000 belaufen. Das gegenwär-
tig zu Cuttayum eingerichtete unter dem Schutz des Brittischen Resi-
denten stehende Kollegium für junge Leute dieser Kirche, die sich
dem Priesterstande widmen wollen, lässt hoffen, dass ihr Glanz und
die Einfachheit und Schönheit ihrer ursprünglichen Lehre wieder her-
zustellen sey. — 13. Arktische Landexpedition. (Aus Asiat. Journ. )
Dieser Bericht erstattet besonders nähere Auskunft über denjenigen Theil
derFriinklinschen Expedition, welcbe unter dem Lieut. Kendal von der
Mündung des Mackenzie aus sich nach O. wendete, und deren Zweck
war, die Küsten zwischen dem Mackenzie und Kupferminenfluss zu
untersuchen. Wir erfahren aber aus demselben nur, dass die Küsten-
fabrt in offene See sie durch die Delphin- und Union - Strassen in die
INähe des Kaps Barrow und 2^ östl. vom Kupferminenfluss brachte,
und dass sie auf der Küste überall Treibholz, oft in einer Höhe von
10 bis 12 F. fand. — 14, Reise des Professors Eichwald auf dem Ka~
spischen Meere und im Kaukasus. Dieser Auszug aus einem der ge-
haltvollsten Reiseberichte bringt mancherley interessante Neuigkeiten
und Bemerkungen, von welchen Rez. natürlich nur einige wenige hier
nahmhaft machen darf. Das ewige Feuer auf der Halbinsel Abscheron
wird nicht mehr von Parsen oder Gebern, sondern von Hindus (18
Familien stark) unterhalten, welche diesen Platz für einen heiligen
"Wallfahrtsort erachten , hier als Märtyrer ihrer Religion nur von ve-
getabilischer Nahrung leben und den ganzen Tag mit Beten zubrin-
gen. Das Feuer selbst wird von Wasserstoffgas unterhalten, das aus
den Spalten eines Muschelkalksteins hervordringt. In einer Entfer-
nung von |- Ml. befinden sich die reichhaltigen Naphtagruben , und in
deren Nähe die ergiebigen Salzseen , von welchen beyden die Krone
95,000 R. S. jährliche Einkünfte hat. Im Hintergrunde des Balcha-
nischen Busens , auf der Ostseite des Kaspischen Meeres, fand man das
Flussbette eines ehedem sehr grossen Stroms, das hier mit einemMalile
2 — 3 Faden Tiefe und über 400 Faden Breite hatte, und das nichts
anders als das verlassene Bette des Amu-Darja (Oxus) seyn kann.
Die Fischerey zu Sallian am Ausfiuss des Kur hat die Krone an einen
Indier aus Astrakhan für 63,000 R. S. jährl. verpachtet. Neu - Scha-
niachie ist jetzt ganz verlassen; aber Alt - Schamachie wird jetzt
nach Europ. Art ausgebaut , und soll zur 2ten Gouvernementsstadt er-
hoben werden. Am Flusse Kotscbkar ist Magneteisenstein nicht sel-
ten , und der Berg Daschkan besteht fast ganz aus solchen Geschieben.
Von der vormahls so blühenden Stadt Schamkohr ist nur noch ein sehr
hober und eben so kunstvoll gebauter Minaret übrig: Tiflis verdankt
sowohl Ursprung als Nahmen ihren trefflichen Schwefelquellen. Sie
igt durch Sorge des Generals Jermoloff stark verschönert worden, und
h^t Grusier, Tataren, Russen und einige Perser zu Bewohnern. —
15, Statistische Uebersieht der Oesterreich. Prov. Tyrol. v. J. 1825. Der
Neue geographische und etatlätische Ephemeriden. 453
Kreis Imst hat 88,210, der Kr. Schwaz 124,746, der Kr. Brunnecken
98,243, der Kr. Botzen 163,339, der Kr. Trient 166,806 , der Kr. Ro-
veredo 99,143 u. der Kr. Bregenz 89,597, die ganze Prov. also 770,084
Einw. Innsbruck zählt 10,767, Trient 11,747, Botzcn 7084 u. Rove-
redo 5862 Einw. — 16. lieber die Madep;assen auf der Ostkünte in der
ISähe der Marien- Insel. (Aus Asiat. Journ ) Diese mit aller Unparthey-
lichkeit entworfene Skizze gilt vornehiulich den Bewohnern der Provinz
Anoso. Diese theilen sich in 3 verschiedene Kasten, nähmlich in die
der Rohandriiins , d. i. Führer, in die der Luhavuliita, d. i. freye Män-
ner, und in die der Sklaven. Die Führer regieren wie kleine Despo-
ten, und nirgends ist vielleicht eine so wohl gegründete moralische
Tyranney zu finden. Und doch gründet sich ihre Autorität weder auf
Neigung noch auf Gewalt. Denn von ihren Untergebenen heimlich ver-
wünscht, und ohne eine Macht sich Gehorsam zu erzwingen, ruht ihre
ganze Herrschaft nur auf der Gewohnheit , und diese ist so fest ge-
gründet, dass kaum ein Beyspiel gefunden wird, wo das Volk sein Joch
abzuwerfen gesucht hätte. Die Privilegien , welche sie geniessen , so
lächerlich sie uns vorkommen müssen, sind es gleichwohl allein, wo-
durch ihre Macht in der öffentlichen Meinung gesichert steht. Ein
Führer ist ein von seinen Untergebenen so verschiedenes Wesen, dass
seine Augen, sein Mund und seine Glieder ganz andere Nahmen führen
als bey den andern Madegassen. Nur sie haben das Recht , ein Thier
Äu tödten , nur sie das Privilegium die Schreibekunst zu üben und Klei-
der zu tragen. Doch haben sie vor kurzer Zeit das letztere Vorrecht
aufgegeben. Neben diesen selbst erfundenen Unterscheidungen findet
aber auch noch eine andere statt, die wirklich ist — der Aussatz : diess
schmachvolle Zeichen ist nehmlich nur in der Familie der Rohandrians
erblich und verschont die übrigen Madegassen. Diese Führer waren
ursprünglich Fremde und zwar Araber, die sich vor nicht gar zu lan-
ger Zeit hier niedergelassen haben ; doch unterscheiden sie sich gegen-
wärtig in Folge des Einflusses des Klimas und der Vermischung der
Rassen nur noch wenig von den übrigen Kasten. Die freyen Leute
wohnen in Dörfern vereinigt, die eine einzige Familie bilden, an de-
ren Spitze der Aelteste steht. Ganz ihrer natürlichen Rechte beraubt,
haben sie weiter kein Privilegium als ihren Tyrannen zu wählen. Alle
Kasten zeichnen sich durch ihre übermässige Liebe zu starken Geträn-
ken aus , die sie vor der Zeit ins Grab stürzen. — Diesem Band ist
ein Kärtchen : „Ungefähre Lage der Länder zwischen Für u. Burnu, '
beygegeben, welches zur Versinnlichung der 2ten Abhandlung dient,
und auch den See Tschat mit seinen 2 Zuflüssen Gambara und Schari
darstellt.
XXV Band. A) Abhandlungen: 1. Bemerkungen über die Tatari-
schen Stämme und Geographie von Usbeck - Turkestan. (Vom Hrn. Prof.
Hoffmann zu Jena.) Dieser höchst interessante und instruktive Auf-
satz ist ein Auszug aus dem ersten Abschnitt von William Erskine Me-
moirs of Zehir- Eddin Muhammed Baber, Emperor of Hindostan, wei-
cherden Leser in Stand setzen soll, dem Selbstbiographen indem Ge-
451 Geographie und Statistik.
mählde seiner Thaten mit leichter Mühe folgen zn. können. Da nun
diese freye Tatarey (die , wie auch der Verf. will und ausführlich mit
triftigen Gründen auseinander setzt, viel richtiger und passender Tur-
kestaii genannt werden sollte) uns immer noch nicht vollkommen, er-
schlossen ist, und jede Gabe, welche unsere so unvollständige Kennt-
ni?s dieses so schwer zugänglichen Landes erweitern kann, uns höchst
willkommen seyn muss, so sind wir dem Hrn. Prof. Ho ff mann für
seine trefflich gelungene Arbeit herzlichen Dank schuldig. Es thut
Rez. sehr leid , dass ihn der beschränkte Raum der Jahrbb. verbietet,
den Lesern derselben hier eine vollständige Uebersicht davon mitzu-
theilen : er muss sich daher damit begnügen, zu berichten, dass der
Verf. unter dem Nahmen Usbeck- Turkestan den südlichen (grössern)
Theil der freyen Tatarey, und zwar die Flussgebiete des Amu u. Sirr
begreife , und dass er diesen Aveiten Landstrich in folgende Prov, ab-
theile: A) Länder südlich vom Amu: 1) Badakhschan, 2) Balkh, 3)
Khwarism (Khiewa) und 4) die Wüsten der Turkomanen; B) Länder
nördlich vom Amu: 5) Khutlan , 6) Karatigin, 1) Hissar oder Dsche-
ghanian , 8) Kesch mit Einschluss von Karschi u. Khosur, und 9) das
Thal von Soghd oder Bokharah und Samarkand; C) Länder längs des
Thaies des Sirr : 10) Ferghana oder Kokand, 11) Taschkend , 12) üra-
tippa oder Uschruschna, 13) die Wüste Ghus, 14) Hak und 15) das
eigentliche Turkestan. Dabey kann Rez. aber doch nicht umhin, denn
der Gegenstand ist gar zu M'ichtig, über die hier eben so belehrende
als berichtigende Darstellung des Gebirgssystems in diesem Theile Hoch-
Asiens das Nöthige in gedrängter Kürze vorzulegen. Mit der natür-
lichen, hohen (jetzt uns so ziemlich bekannten) Scheidewand zwischen
Süd- und Mittel -Asien, dem Himalaya, dem Hindukusch und Paro-
pamisus läuft höher im N. , fast parallel, eine andere sehr ansehnliche
Gebirgsreihe bis in die INähe von Ladak , und nimmt dahin eine nord-
westliche Richtung, um sich hier mit den Gebirgen von Kaschmir, ei-
nem Theile des Hindukusch, in Verbindung zu setzen; und dieser mäch-
tige Gebirgszug wird hier Mus - Tagh (Mustag) genannt. Von der Ge-
gend, wo er mit den andern eben genannten Gebirgen zusammenläuft,
setzt er sich in eine nördliche Richtung um und nimmt den Nahmen
Belut-Tagh, oder Belur an, indem er nun Usbeck - Turkestan von der
Chinesischen Prov. Kaschgan scheidet. Vom Belut läuft höher im N.
wiederum ein hohes Schneegebirge, das Jsfera benannt wird, von O.
nach W. , die Wasserscheide zwischen den Strömen Amu und Sirr bil-
dend , fort und dieses sondert sich im Meridian von Khodsend aber-
mahls in 3 oder 4 Nebenzweige ab , die in der Richtuug von S. nach
N. Ala-Tagh, Kesch, Kura-Tagh und Uritippa genannt werden , alle
aber weiter nach W. zu, in der Nähe des Aral- und Kaspischen See's,
in blosse Sandhügel übergehen, und am Ende in den Sandsteppen sich
verlieren. Wenn man nun einen Blick auf die altern Karten werfen
will, so wird man bald finden, welche gräuliche Nahmenverwechsliing
in Betreff dieser Gebirge herrscht- Die Landkartenzeichner werden
dalier wohl thun , wenn sie diese Abhandlung sorgfältig studlren und
Neue g(iogruphische und ütutistisclie L'pbeaicrldeu. 455
dann das Gefundene auch in Anwendung bringen , damit endlich cin-
niabl Einigkeit in der IVonaenklatur eintrete und das Studium der Geo-
graphie in diesen ohnehin noch in tiefes Dunkel gehüllten Theilen von
Asien nicht noch mehr erschwert M'erde. So sehr nun Rez. die Be-
stimmung und Bezeichnung dieser verschiedenen Gebirgszüge billigen
muss , so wenig mag er vor der Hand die in diesem Aufsatze ausge-
sprochene Behauptung, dass der Mus - Tagh von geringerer Ilühe als
der Himalaya sey, unterschreiben. Denn der Mus -Tagh liegt dem
Kern von Mittel -Asien um Vieles näher als der Himalaya, der sich
schon am Rande der südlichen Abdachung hinerstreckt. Es ist dem-
zufolge wenigstens nicht unwahrscheinlich, dass der erstere den letz-
tern noch an Höhe übertrelTen könne, und die Zukunft wird doch auch
einmahl dieses Räthsel lösen! — 2. Historisch- geographische Notiz
über den Fluss Syr (Sirr) oder Sihun. Von Locrechine. (Aus d. Annal.
des Voyag.) Ebenfalls eine scharfsinnige Abhandlung, die ihr Scherf-
lein zur nähern Hunde von Tnrkestan beyträgt. Nachdem der Verf.
alle ältere und neuere Schriftsteller, die über diesen merkwürdigen
Strom gesprochen, angeführt und erläutert hat, beweist er mit schla-
genden Gründen, dass 1) der Aral-See noch zu den Zeiten Alexanders
des Grossen mit demK&spischen See zusammengehangen haben müsse;
2) dass die 2 beträchtlichen Nebenflüsse des Sirr, welche Ptolemäus
beschreibt , der Bascatis und Dymus , so wie auch der in Russischen
Beschreibungen von diesem Erdstriche vorkommende Kinderlyk jetzt
gar nicht mehr existire, sondern dass vielmehr deren Betten vom Flug-
sande ausgefüllt worden sind. Der Sirr entspringt nach den wahrschein-
lichsten Vermuthungen zw. 42 u. 43^ n. Br. in den Gebirgen Kaschgar-
Dawan , einem Zweige des Thian-chan (d. i. die himmlischen Berge,
so wird hier ein Thell des Belut-Tagh genennt), strömt bis Kokand
nach SW. , wendet sich von da nach NW. bis unterhalb Kodschand.
Von da läuft er nach N. , richtet sich in den Umgebungen der Stadt
Turkestan nach W. und theilt sich jenseits Akmetschet in 2 Arme, von
denen der nördliche grössere den Nahmen Sirr beybehält und etwa un-
ter 46^, und der südliche, Kuwan-Darja genannt, unter 44^, 52' n.
Br. , beyde aber in nordwestl. Richtung sich in den Aral-See ausmün-
den. Ein erst in den Jahren 1760 — 1770 entstandener Arm des Kuwan,
Janghy genannt, ist in neuerer Zeit wieder ausgetrocknet. Nur im obern
Theile seines Laufs vor dem Eintritt in die Wüste Kura-Kura, em-
pfängt er zahlreiche Zuflüsse. Bey diesem Strome tritt in Ansehung
seiner Zunahme an Wassermenge ein umgekehrtes Verhältniss ein. Denn
er ist im obern Theile viel breiter und tiefer als im untern. Die Ur-
sachen davon sind, weil er dann ganz trockne Sandwüsten durchläuft,
ohne weitere Nebenflüsse zu empfangen unü überdiess noch durch zahl-
reiche Kanäle geschwächt M'ird, die man zum Bewässern der Felder
anfe ihm abgeleitet hat. Erst in der Mitte des Sommers und zu Anfange
des Winters tritt er aus seinen Ufern. In der Nähe seiner sehr mora-
stigen, 4 — 5 g. M. breiten Mündung bildet er eine Art von Seen, die
mit Schilf bedeckt sind. Der Bericht schliesst mit einer Aufzählung
456 Geographie und Statistik.
der an den Ufern des Sirr liegenden Ruinen alter zerstörter Städte,
so wie mit der Versicherung , dass der auf allen altern Karten (der
Verf. hätte füglich sagen können: selbst auf vielen der neuesten) ein-
getragene Flusa Kizil-Darja ebenfalls längst nicht mehr exisiire; dasa
er aber in der Vorzeit entweder in dem alten Bette des Jangliy- Armes,
oder in einem 4^ g. M. südl. vom Janghy gelegenen ausgetrockneten
Flussbette geflossen haben könne. — 3. Die Florida's. (Aus Quarterly
Amei-icun Review u. Revue Britannique.) Dieser Aufsatz ist bestimmt,
eine genauere Kenntniss von der NaturbeschafTenheit dieser gegenwär-
tig die Aufmerksamkeit so vieler Auswanderer auf sich ziehenden Land-
schaften zu verbreiten und die prahlerischen Uebertreibungen von den
Vorzügen derselben zu beschränken und zu berichtigen, Djis Resultat
dieser Schilderung ist kürzlich dieses: Die beyden Florida's sind Ave-
niger fruchtbar als Louisiana und die Ufer des Missisippi; auch ist
hier weder die Flora noch die Fauna so reich und raannichfaltig als im
Innern des Kontinents: dann ist das Klima schon sehr warm und die
Luft in allen niedern Strichen während des hcissen Sommers ungesund ;
aber ihr Boden eignet sich vorzüglich zur Kultur des Zuckerrohrs, das
hier weit ergiebiger als in den andern Staaten seyn soll, der Baum-
wolle, der Weintraube und des Orangebaums. Aus der Beschreibung
selbst hebt Rez. folgende Kotizen aus. Der grösste Theil der Spanier
hat Florida verlassen und sich nach Cuba gewendet, und die Semino-
len sind auf einen Winkel an der Gränze von Georgien zurückgedrängt
worden. Es wird jetzt in Ost- West- und Süd- oder Mittel -Florida
unterschieden. Vom erstem ist S. Augustin , vom zweyten Pensacola
und vom dritten Talahassee die Hauptstadt. Letztere, erst im J. 1822
gegründet, zählte im J. 1825 schon 120 Häuser und 800 Einw,, worun-
ter mehrere Kaufleute, und ist der Sitz einer patriotischen Gesellschaft.
Auch Pensacola ist ala Marine - Station und als ein mit Garnison beleg-
ter Waflenplatz im raschen Waclisen (der Herzog Bernhard von S. Wei-
mar nennt ihn aber den verfallensten und hässlichsten Ort der sämmt-
lichen V. St.), und eben so das neue Etablissement St. Joseph. Nur St.
Augustin hat, als sonstiger Sitz der Spanischen Regierung und Militär-
Station, mehr aber noch durch den Wegzug der Spanischen Familien
bedeutend verlohren , wird aber bald wieder grössere Wichtigkeit er-
reichen. Uebrigens giebt der Bericht über die gegenwärtige Stärke
der Bevölkerung keine Auskunft. — 4. Die Cap - f erdischen Inseln.
(Von T. Bromme.) Diese gutgerathene Skizze ist ziemlich vollständig
und ausführlich, zumahl in Angabe der Buchten und Ankerplätze und
in Beschreibung der Küsten; doch hat Rez. in derselben nicht viel
Neues gefunden. Auch darf man sich nicht nacli neuern statistischen
Daten umsehen. Der Flächenraura wird wie gewöhnlich auf 78^ [UM.
und die Bevölkerung ganz oberflächlich auf 40,000 K. geschätzt, von
welchen 12,000 auf S. Jago, 3000 auf Mayo, 5000 auf Fuego, 3000 auf
Brava u. 5000 auf S. Nicolas wohnen sollen. Der Ueberrest von 12,000
S. kommt auf die 2 übrigen bewohnten Eylande S. Antonio und Bona-
vista , bey denen die Volkszahl nicht angemerkt ist. Nur die 2 Inseln
Neue geographische und statistische Ephemeridcn. 451
Jago und Fuego eind königlich, die übrigen aber h'ingst das Eigen-
thum einiger Portugiesischen Familien von hohem Adel. — 5. Das
alte und neue Jerusalem, historisch und topographisch bearbeitet von Dr.
G. von Ekendahl. (Vorzüglich nach Berggren's Ilesor i Oesterländcre.)
Diese Skizze beschäftigt sich vornehmlich mit der Geschichte dieser so
häuflg eroberten und verwüsteten Stadt, in welcher kein benierkens-
werther Moment übei-gangen worden zu seyn scheint. Desto kürzer
und dürftiger ist aber die Beschreibung der heutigen Stadt. Sie füllt
nähmlich nur 6 S. und ist dabey so flüchtig, dass nicht einmabl der
Kirche des heil. Grabes und ihrer Vertheilung unter die verschiedenen
christl. Religionspartheyen mit einem Worte gedacht wird. Jerusalem
enthält jetzt 11 Moskeen, 20 christl. Kirchen mit 12 Klöstern, 3 Syn-
agogen und nach den zuverlässigsten Berechnungen 20,000 E., worun-
ter 2,500 Griechen, 2000 Katholiken , 500 Armenier, Syrier u. Kopten
und 3 bis 4000 Juden. — B) Vermischte Nachrichten: 1) lieber den
projcktirten Chesapeake - Ohio - Kanal. (Aus Amerikanischen Blättern.)
]\ach einem Berichte des Präsidenten der V. St. von N. A. soll dieser
projektirte Kanal wirklich zur Ausführung kommen. Er wird vonPitts-
burgh am Ohio bis nach Georgetown am Ausflüsse des Potomak in die
Chesapeake - Bay reichen , eine Länge von 1,693,078 Par. F. = 341|^
Engl. = 74 geogr. Ml. erhalten, und diese Strecke soll mit Einrech-
nung alles Aufenthalts durch die Schleusen in 188 St., also in 7 — 8 Ta-
gen zurückgelegt werden können. Dieser Kanal muss die ganze Stelle
der blauen Berge durchschneiden, und insbesondere die Back-bone-
Mountain , an welchen sich die Quellen des Potomack und Casselmann
befinden, in einer Höhe von 2,754 F. übersteigen. Diess geschieht
tlieils durch 398 Schleusen, die den Kanal nach u. nach auf eine Höhe
Ton 1898 F. erheben, theils durch eine unterirdische, 20,041 F. lange
Passage, die 856 F. unter dem höchsten Bergrücken hinführt. Er soll
48 F. Breite an seiner Oberfläche, 23 F. Breite am Boden, 5 F. Was-
sertiefe und 9 F. breite Fusspfade erhalten. Die Kosten dieses Unge-
heuern Werks sind zu 54,269,500 Gulden veranschlagt worden. Seine
Bestimmung ist, den Waarentransport, der bisher auf den Atlantischen
Ozeane, dem Missisippi und Ohio geschehen musste, um 4 bis 500 g.
M. abzukürzen. — 2) Kpt. Beechy's Expedition. (Aus der Literary-
Gazette.) Ist eine Fortsetzung des Reiseberichts und beschreibt den
Aufenthalt des Blossom zu S. Francisco und Monterey (in Kalifornien),
dann auf der Sandwichs - Insel Oahu (die die königliche Residenzstadt
Honoruru mit einer sehr sichern Bucht enthält,) und zuletzt in Makao.
Rez. erwähnt aus demselben nur, dass die auf den Sandwichs - Inseln
in Menge sich aufhaltenden Nord - Amerikaner zum Nachtbeil der Brit-
ten immer mehr Einfluss zu gewinnen trachten. Diess war so weit ge-
gangen, dass sie die Amerikanischen Sterne und Streifen an die Stelle
der Brittischen Unionsllaggc gestellt hatten , was indess von dem Britti-
schen Konsul nicht geduldet wurde. — 3. Nachrichten aus Cuba. (Aus
den Annal. des Voyages.) Sie beschränken sich auf Beschreibung der
Stalaktiten - Grotten von Yumari bey Matanzas. — 4. Notizen aus
458 Geogrupbic und Statistik.
Siam im J. 1827. (Aus Asiat. Journ.) Diese aus dem Journal eines
Brittisclien Kaufmanns, der sich geraume Zeit zu Bang-liok aufgehalten
hatte, gezogenen Notizen sind sehr interessant und berichten über diesa
merkwürdige Land manches Keue. Der König ist so misstrauisch ge-
gen die Britten, und so sehr in Besorgniss eines baldigen Angriffs, dass
er an der Mündung des Menang 2 grosse Forts zu Paknam u. Pakklaat
hat erbauen , und jedes mit 200 Kanonen besetzen lassen. Auch soll
die Mündung des Stroms grossen Seeschiffen unzugänglich gemacht
werden. Die Siamesen sind höchst abergläubisch und leichtgläubig,
sehr feig, dem Lügen und der niedrigsten List sehr ergeben, dabey
aber doch sehr ehrlich, so dass Diebstähle unter ihnen sehr selten sind,
still und zufrieden , Feinde von Zänkereyen u. Schlägereyen, und sehr
höflich und bescheiden. Löbliche Züge ihres Charakters sind ausser-
dem ihre ausgezeichnete Liebe zu ihren Kindern , auf deren Erziehung
sie grosse Sorgfalt verwenden (es giebt selbst unter den Culies nur we-
nige, die nicht lesen und schreiben können), und ihre Ehrfurcht vor
dem Alter. Die jährlichen Einkünfte des Reichs schätzt man auf 2^
Mill. Tikals (ä 18 Gr. 6 Pf, Conv.), die zur Besoldung der Regierungs-
diener und zur Erhaltung der Prinzen, deren Zahl sich überhaupt auf
2000 belaufen soll, fast ganz verwendet werden. Die Bevölkerung soll
sich auf 5 Mill. belaufen, und zwar auf 3^ Mill. Siamesen, Laosesen
U.S.W, und 1^ Mill. Chinesen, die durch das ganze Reich zerstreut
sind , und vieler Vorrechte geniessen. Das Klima wird ausserordent-
lich schön und gesund genannt. — 5. Zahl der Methodisten in Eng-
land und Wales im J. 1826. Sie betrug 207,192 K., wovon allein 50,976
in York und 20,776 in Lancashire. — 6. Die Birmanische Prov. Bas-
sein. (Aus Asiat. Journ.) Sie liegt am Bengalischen Meerbusen , ent-
hält 422 g. OM. , besteht meist aus sehr fruchtbaren Niederungen, die
aber aus Mangel an Kultur jetzt grösstentheils mit lungle und Wäldern
bedeckt sind, und wird von den beyden grossen Armen des Irawaddy
bewässert. Die Bevölkerung ist jetzt äusserst schwach und das Land
zählt höchstens noch 160,000 Menschen , wovon etwa 10,000 Birmanen
und Talier , und 60,000 Karianen und Kyens. Vormahls umfasste sie
32 Stadtbezirke, jetzt ist aber deren Zahl auf 8 gesunken. Die Haupt-
stadt gl. N. hatte früher 30,000 E. , jetzt fasst sie kaum noch 3000. —
7. Folksmenge von Böhmen und Mähren im J. 1827. Sie stieg im er-
stem auf 3,736,840, und im letztern auf 1,990,464 K. — 8. Zmvachs
der Volksmenge Irelands seit dem ITten Jahrh. (Aus Moore State of Ire-
land.) Die Seelenzahl bestand im J. 1827 aus 7,490,000, aber im J.
1695 nur a. 1,034,102, im J. 1731 a. 2,010,261, im J. 1788 a. 4,010,000
und im J. 1821 a. 6,801,827 K. — 9. Nachrichten von dem verstorbe-
nen Moorcroft. (Aus Asiat. Journ.) Sehr lesenswerth, aber keines Aus-
zugs fähig. Von Kaschmir, wo der unglückliche Reisende durch die
Kabalen des Ranjeet Singh's, des Oberhaupts derSciks, fast ein gan-
zes Jahr lang aufgehalten wurde , heisst es: „Das Land ist von Natur
das fruchtbarste und schönste der Welt; das Klima herrlich — die Ein-
wohner gewiss das geistreichste Volk in Asien. Die Natur hat es fast
Neue geographische und stajlistii^chc Ephcmcrldcn. 459
mit allen Erzeugnissen heschcnkt; iiher der Druck , den raubsüclitige
Gewalthaber seit 80 Jahren gegen die Einw. üben , hat es ins Elend
gestürzt und es bietet jetzt ein Bild des Hungers und der Verwüstung
dar, das anzusehen empörend ist." — 10) Grünzvertrag zwischen
llussland und Fersten. (Aus dem Journ. de St. Petersburg.) Bekannt-
lich hat llussland durch denselben die beyden Khanate Eriwan und
]\achitschewan, und ausserdem noch einen beträchtlichen Landstrich
südlich von der Kur -Mündung bis zum Küstenflusse Astaran gewon-
nen. — 11) Ermordung des Major Laing und des Hauptmann Clapper-
ton. — Einnahme von Tombuklu durch die FcUatahs. Dieser Aul'satz
theilt aus dem Globe die der Akademie der Wissenschaften zu Paris
vorgelegten Aktenstücke über jene traurigen und höchst bekhi/^enswer-
Ihen Ereignisse mit, die aber schon aus andern öfl'entlichen Blättern
hinlänglich bekannt sind. Wir wissen nähmlich nur , dass zwar Laiiig
in der Nähe von Tombuktu wirklich von den Fellatahs ermordet wor-
den, Clapperton hingegen zu Sakkatu eines natürlichen Todes gestor-
ben ist. — lli) Etwas über den jetzigen Zustand des Britlischen Reichs.
(Von Merrit. Aus dem Quarterly Journal of science.) Dieses mit gro-
sser Sachkenntniss und Gewandheit angestellte Räsonnement soll die
Vorzüge des Brittischen Reichs vor allen übrigen Staaten in ein helles
Licht setzen , und dieses gelingt ihm in den meisten Stücken gar nicht
übel. Wenn er aber hin und wieder etwas übertreibt, so muss man es
dem Patriotismus des Verf. zu Gute halten. Die meisten dieser Trug-
schlüsse und irrigen Behauptungen hat nun auch der Red. in beyge-
fügten Noten gerügt und berichtigt. Dennoch sind solche mancher Zu-
sätze fähig. So fehlt bey den Niederlanden unter den Städten des 2ten
Ranges nicht bloss Antwerpen , sondern auch Gent , und bey Italien,
auch unter den Städten des 2ten Ranges: Palermo, Messina und Bo-
logna. — 13) Das Oesterreichische und Preussische Deutschland. Diese
interessante Vergleichung der zwey Hauptmassen des Deutschen Bundes
legt vor Augen, dass in beyden die Bevölkerung ziemlich gleichmässig
sich vermehrt habe. Denn die Oesterreichischen Bundesländer zählten
im J. 1816 9,386,470 und im J. 1826 10,655,324, die Preussischen da-
gegen im J. 1816 8,187,215 und im J. 1826 9,302,020 Einw. Der zehn-
jährige Zuwachs beträgt mithin bey Oesterreich 1,268,854 u. bey Preu-
ssen 1,114,805 S. — 14) Detaillirte Volksliste der Schweiz, Ende 1827.
(Aus Nouv. Ann. des Voyag.) Nach dieser hatte die Eidgenossenschaft
2037,030 E. und zwar 1,218,110 Reform. , 817,110 Kathol. u. 1810 Ju-
den. Von den letzten leben allein 1700 im Kant. Aargau , der Ueber-
rest in den K. Genf und Bern. — 15) Neue Organisation des Russi'
sehen Gouvern. Bessarabien. Es ist nun in folgende 6 Kreise zerlegt:
Akierman, Bender, Bielzy, Czrimm , Ismail und Kischenew. Letzte-
res ist die Hauptstadt derProv. geblieben, der Sitz des General- Gou-
verneurs von Neu-Reussen und Bessarabien, so wie des Provinzial-
Conseil, das aus 7 Mitgliedern besteht. Die hiesigen Bauern, nur mit
Ausnahme der Zigeuner , sind keine Leibeigenen der Guthsherren , ja
die Russischen Gutlisbesitzer dürfen Leibeigene nur als Hausgesinde mit
460 Geographie und Statistik.
fiich führen , nicht aber laiidäässig machen. (Wenigstens ein Anfang
zur Verbesserung der Lage der Russischen Landleute !) — 16) Ermor-
dung des Major Laing und Cupitän Clapperton. (^Aus Literary- Gazette.)
Äähcre Nachrichten über das unglückliche Schicksal dieser so unter-
nelmienden Männer. — 17) Capitän Clapperton' s Tod. (Aus derselben
Zeitung). Nach Aussage dessen Dieners, Nahnicns Lander, der über
Badagry , wo er, auf Anstiften der Portugiesen, beynahe vergiftet
worden wäre, zurückkehrte, ist sein unglücklicher Gebieter nicht er-
mordet worden, sondern am ISten April 1827 zu Sakkatu an der Ruhr
gestorben. — 18) Reisende in Afrika. (Auch aus der Liter. -Gazette.)
Bietet allerhand Betrachtungen über die Wahrheit obiger niederschla-
genden Kleidungen dar, und bemerkt zum Eingange, dass von Dickson,
seit seinem tiefern Eindringen in das Land, keine Nachrichten vorhan-
den sind. — 19) Der Archipel von Siam. (Journ. des Voyag.) Dieser
liegt im Meerbusen von Siam, vor der Mündung des Menam , unter
13**, 12' n. Br., und besteht aus 2 grössern (Ko - Sichang u. Ko-Kramb)
lind mehrern ganz kleinen Eylanden. Auf Ko-Kramb findet man eine
nicht essbare Art von Ignamen , die eine so ungeheuere Knollenwur-
zel hat, dass einige von einem Umfange von 10 F. u. von einer SchAvere
von 474 Pf. gefunden wurden. — 20) Der Staat S. Cruz de la Sierra.
Diese, aus den 2 Distr. Misquez und Chiquitos bestehende, 7,000 OM.
grosse Landschaft hat sich trotz ihrer äusserst geringen, meist in India-
nern bestehenden Bevölkerung nicht dem Staate Bolivia angeschlossen,
sondern vielmehr eine eigene, ganz unabhängige Regierung begrün-
det. — 21) Tod des jungen Mungo Park, Sohn des berühmten Reisen-
den dieses Nahmens. Auch dieser junge Mann, der die Reise nach
Afrika angetreten hatte , um sichere Naclwichten über den Tod seines
Vaters einzuziehen , ist ebenfalls ein Opfer seines Muthes , vielleicht
aber richtiger seiner Unvorsichtigkeit geworden. Er bestieg nähmiich
zu Akimbo , dem ernstlichen Abrathen des Königs zum Trotze, einen
Fetischbaum und wurde wahrscheinlich von den Fetischpriestern, wel-
che den Zweifel für ihre Älacht und ihr Ansehen fürchteten , vergif-
tet. — Diesem Bande ist ein recht nett und sauber lithographirter
Plan von Jerusalem beygelegt. —
XXVI Band. A) Abhandlungen: 1. Mexico'' s Seehandel im. J. 1825.
(Auszug aus der amtlichen Darstellung desselben, betitelt: Balanza ge-
neral del comercio maritimo por los puertos de la Republica mexicana
el en Ano 1825; und mitgetheilt von L. M. Röding Dr.) Das Resultat
dieser auf sehr ausführliche und specielle Angaben sich stützenden
Bilanz ist für den jungen Freystaat nichts weniger als erfreulich. Denn
in sämmtlichen Häven übersteigt der Werth der Einfulir den der Aus-
fuhr M'eit, und gleichwohl bestand die letztere grösstentheils (nicht
weniger als 3,538,653 Piaster) in Silber, und der Werth aller übrigen
ausgeführten Waaren betrug dagegen nur 1,161,945 Pstr. Der Werth
der ganzen Einfuhr belief sich dagegen auf 19,360,175 Pstr. Ein trau-
riger Beweis, wie sehr während der Revolution der Anbau dieses von
der Natur so reich ausgestatteten Landes gesunken seyn müsse ! Wenn
Neue geographische und statistische Ephcmcritlcii. 461
diese so ganz unverliältnissniässlge Bilanz noch mehrere Jalire andauern
sollte, was wird wohl der Erfolg seyn? — 2. Uehcr die Leichenstaüt
Petra; von den Herrn Charl. Leonh. Irby und Jam. Mangles, Com-
mandeurs der königl. Marine. (Bruchstück einer nur als Manuskript für
Freunde in geringer Zahl von Exemplaren gedruckten Reisebeschrei-
hung.) Dieses Bruchstück, welches die ausführliche Beschreihung der
zahlreichen sehr schenswerthen Ruinen einer der merkwürdigsten Städte
der Vorzeit enthält, muss jedem Altcrtliumsforscher höchst willkommen
seyn, und die Redaktion der allgera. G. u. St. Ephem. verdient vollen
Dank, dass sie diese Skizze zur weitern Verbreitung aufgenommen hat.
Leider kann Rez. daraus nichts mittheilen, als dass die Verff. versichern,
dass die beyden alten Geographen, Plinius und Strabo, in Beschrei-
hung der Lage der Stadt nicht nur mit sich , sondern auch ganz mit
der Wirklichkeit übereinstimmen, und dass sie ■\rirklich ein freyer Platz
{Area) im Innern eines Bergs sey, der sich zu Dämmen erhebt und von
Einsenkungen durchschnitten ist. Die Beschreibung dieser sowohl in
Ansehung ihrer Anlage als Bauart einzigen Stadt des grauen Alterthums
wird bald die verlangenden Blicke vieler Reiselustigen auf diese Fel-
senhöhle richten. — 3. Die Insel Bali. (Nach J. Olivier's Land - en
Zeetogten enNederlands Indie. 1827.) Abermahls ein wesentlicher Bey-
trag zu nähern Kunde von Süd -Indien, und um so schätzbarer, da er
eine noch so wenig bekannte Insel beschreibt. Sie zählt in ihren 7
Furstenthümern (Badong, Boliling, Dyanjar, Karang-Asam, Klong-
koug, Manggoei und Tabanun) nicht weniger als 985,000 Menschen,
und darunter 129,000 wehrhafte Männer. (Unsere bisherigen Handbü-
cher theilten ihr aber gewöhnlich nur 100,000 E. zu , und betrachten
diese als Abkömmlinge bald von Malayen bald von Hindus.) Nach dem
Verf. stammt die heutige Bevölkerung, mit Ausnahme der Chinesen,
Buginesen und andre Ausländer, die sich längs der Küste niederge-
lassen haben , aller Wahrscheinlichkeit nach von Java ab , und zwar
von Flüchtlingen , welche zur Zeit der mohammedanischen Verfolgung
hieher sich gewendet haben. Ihre Religion ist ursprünglich die des
Brahma, scheint aber sehr ausgeartet zu seyn. Sie theilen sich in 4
Kasten , in die der Priester (deren Ansehen hier ungemein gross ist),
die der Fürsten , die des Mittel - und die des Bauernstandes. Wenn
«in Fürst stirbt, so lassen sich dessen Lieblingsweiber, die er sich selbt
auswählt, mit dessen Leichnam verbrennen. Ein Hauptnahrungszweig
der Einwohner war sonst der Sklavenhandel ; seitdem aber dieser ab-
geschafft worden, sind mehrere Distr. , besonders das Gebiet Boliling,
dem grössten Elende , ja dem Hungertode ausgesetzt. Der Verf. er-
zählt in einer Note, dass er auf einer Reise, wo das Schiff dicht an
der Küste von Andaman hinfuhr, längs dem Strande mehrere umge-
brachte Kinder liegen sah. Nach der Landung wird nach den Ursachen
dieser Erscheinung geforscht, worauf der Vorsteher des Orts antwor-
tet: „Ach mein Herr, wir können unsern Kindern nichts zu essen ge-
ben, und da ist es besser, sie sogleich zu tödten." Er schliesst diese
Note mit den allerdings sehr beherzigenswertben Worten : „Sonst wur-
4ß2 Geographie und Statistik,
den die Kinder verkauft, und nun werden sie ums Leben g-ebracht!
Ihr Menschenfreunde, die ihr den Sklavenhandel abgeschafft habt,
fronet euch nicht allein über die allerdings grossen Vortheile, die ihr
dadurcli bewirkt habt, sondern sorget auch, die sehr grossen Nach-
theile abzustellen, welche daraus entstanden sind." — 4. Der Kai-
serlich Schinesische Kalender. (Von Klapproth in den Nouv. Annal. des
Voyag.) Dieser Auszug aus dem genannten Kalender, der jährlich zu
Peking 4 Mahl erscheint, ist sehr instruktiv, und für alle, welche sich
einen richtigen und vollständigen Ueberblick von der Verfassung und
der Verwaltung des sogen, himmlischen Reichs verschaffen wollen , eine
dankenswerthe Mittheilung. Ein aberniahliger Auszug aus demselben
würde gar zu trocken und unverständlich seyn. Rez. beschränkt sich
desshalb darauf, eine Ansicht des Verf. einiger Berichtigung zu unter-
werfen. Es heisst nähmlich S. 172: „Es erscheint einem Europäer
überraschend, dass in Schina der Staat seine Aufmerksamkeit nicht auf
die Religion richtet; diess geschieht, weil man sie in diesem Lande
als die Privatangelegenheit der Menschen betrachtet, in ivelche die Re-
gierung kein Recht hat, sich zu mischen. Die Herrscher von Schina
sind nicht der Meinung gewesen, dass die Religion ein Mittel sey, sich
das Volk unterwürfig zu machen; denn sie wussten wohl, dass, wenn
man die Unterthanen durch religiösen Glauben beherrschen will, die
Priester nothwendig in Theilnahme der Autorität treten, und endlich
der Regent sowohl als sein Volk unter ihr Joch fallen. Der Glaube,
welcher den Beherrscher von Schina auf den Thron erhält, ist der
Glaube an die Institutionen und Regierungs- Grundsätze des Reiches."
Wäre diese Behauptung ganz gegründet, so würde sich der vorige Kai-
ser keine so strenge Verfolgung der Christen erlaubt haben. Uebrigens
besoldet der Kaiser seine Diener nicht eben reichlich. Denn nach der
beygegebenen Tabelle hat ein Tsiangkiun (gleich unserra General en
Chef) an Besoldung, Feuerungs- Tafel- und Bureaux- Geldern nur
605/Jl/ly, und ein Yeou-Ky (so viel als Obrist) 235j%<lf^ Unzen Sil-
ber zu beziehen. Die Einrichtung des Militärs und dessen Stärke stimmt
fast ganz mit Timkowsky überein. — 5. Nachricht über die Norwest-
hüste von Borneo. (Auszug aus dem Singapore-Chronicle.) Schon wie-
der ein sehr willkommener ßeytrag zur Kenntniss der Hauptinsel Süd-
Indiens. Wir erfahren aus demselben mit Zuverlässigkeit, dass die
Kiederländische Regierung schon seit dem J. 1812 *) mit den Sultanen
von Sambas, Mompawa, Pontianak u. Matan Verträge abgeschlossen hat,
kraft welcher deren Häven unter die unmittelbai*e Aufsicht der Nieder-
länder gestellt werden , genannte Sultane mit keiner andern Europäi-
schen oder Amerikanischen Regierung Handelsverbindungen eingehen
und sich verbindlich machen, die Seeräuberey zu unterdrücken, wo-
gegen ihnen ein monatliches Donativ zugesichert worden ist; und dass
genannte Regierung mit den Malaya - oder Daya - Fürsten des Innern
dahin sich vereinigt habe, dass ihre Besitzungen von den Holländern
*) mnss wohl heissen 1815.
Neue geograp1ii6che und statktische Epliemerlden. 463
verwaltet und die Einkünfte gleicliförinig gethcilt werden sollten. Uie-
ses neue 1\iederländiäclie Gebiet soll fast den dritten Tlieil der ganzen
Insel in sich fusncii (was wohl übcrtrichen ist). Aber die Bevölkerung
etcigt schwerlich über -100,000 Seelen, wovon die Diiya's (wolil richti-
ger Dayaks) etwa die Ilälfte ausmachen. Auch die hiesigen Ujaya's
bctzcn ihren Stolz auf den Besitz von Menschenschädeln, und ein Mann
von grossem Ansehen hat oft 50 bis (JO derselben auf seinen Grundstü-
cken aufgehängt. Ein junger Mann kann niclit eher heiratlien , als bia
er sich dazu durch von ihm selbst abgeschnittene Köpfe qualidzirt hat,
und der Leichnam irgend einer Person von Rang kann nicht eher be-
erdigt werden , bis ein frischer Kopf von einem seiner nächsten Ver-
wandten aufgetrieben wird. Audi in dieseiu Theile der Insel wohnen
viele Chinesen (etwa 125,000). Das Gebiet umschliesst die Diamant->
gruben von Landak. — 6. Detaillirte lolksliste der Preussischen Mo-
narchie, Ende 1825, verglichen mit der von 1819 und 1827. (Vom Hrn.
Fastor Cannabich.^ Ein willkommner ßeytrag zur Statistik dieses so
rasch wieder aufblühenden Staats, der durchaus aus amtlichen Quellen
geschöpft worden seyn muss. Die Liste giebt nicht bloss die Seelen-
zahl der Kegierungs - Bezirke , sondern auch der einzelnen Kreise an,
und ihr Werth erhöht sich durch Beysetzung des Areals. Indessen sind
dem Rez. bey einigen Reg. -Bezirken kleine Bedenklichkeiten aufge-
stossen. Wie kommt es nähmlich, dass mehrern derselben andere Sum-
men gegeben worden sind , als man beyra Zusammenzug der Bevölke-
rung der Kreise erhält? So hat der Reg. -Bez. Erfurt in der Tabelle
268,130, wenn man aber die Zahlen der einzelnen Kreise addirt, nur
263,8ü3; so hat der Reg. -Bez. Stralsund im ersten Falle 145,221, im
zweyten aber 156,164 ; so hat der Reg. Bez. Merseburg im ersten Falle
nur 565,097, im zweyten aber 583,280 Einw. Das letztere Facit hat
indessen sein Daseyn offenbar nur einem Druckfehler zu verdanken.
Denn der Kreis Sangerhausen, der im J. 1819 erst 43,795 S. zählte,
hat hier nicht weniger als 64,166 erhalten. Ist nun das dem ganzen
Reg. Bez. gegebene Facit richtig, so muss sich die Volkszahl für den
genannten Kreis auf 45,983 Köpfe reduziren , was wohl als sicher an-
zunehmen ist. Einen grössern Stein des Anstosses hat jedoch Rez. beym
Reg. Bez. Magdeburg (der, beyläufig gesagt, im ersten Falle 527,545,
im letztern Falle 527,207 E. erhalten hat,) gefunden. Bekanntlich ist
im J. 1820 der Kreis Osterwick aufgelöset, und dagegen die dazu ge-
hörige St. -Hsch. Wernigerode, zu einem eigenen Kreis erhoben,
der Ueberrest des Kr. aber mit etwa 16000 E. zu den Krr. Halberstadt
und Oschersleben geschlagen worden. Trotz dieser bedeutenden Ver-
grösserung hat der Kreis Halberstadt, der im J. 1819 schon 38,751 E.
hatte, für das J. 1825 nur 43,719, und der Kreis Oschersleben, der im
J. 1819 in seinen alten Umfange 32,719 M. umfasste , für das J, 1825
gar nur 28,416 E., also 4303 weniger erhalten. Die 3 alten Kr. Hal-
herstadt, Oschersleben und Osterwick hatten im J. 1819 102,839, und
die 3 neuen Kr. Halberstadt , Oschersleben und Wernigerode haben für
daa J. 1825 nur 86,802 E., mithin 16,037 K. weniger erhalten. Wie
464
Geographie und StatUtik.
g^eht das zu? Angenommen, dass gerade in diesen 3 Kreisen in den 6
Jahren die Bevölkerung keine Fortschritte gemacht hahe, ohgleich sol-
che in allen übrigen Kreisen ohne Ausnahme bedeutend gestiegen ist,
so ist es doch höchst unwahrscheinlich , dass sie auf einem so kleinen
Flächenraurae (alle 3 Kr. enthalten nur 23,io DM.) um mehr als 16000
Seelen gefallen scyn könne, und folglich muss bey Angabe der Bevölke-
rungssurame dieses Reg. -Bezirks ein Irrthum von vielleicht 20,000 K.
zu Grunde liegen. Die zum Schlüsse beygefügte Rekapitulation mit
Angabe des Menschenkapitals in den J. 1819, 1825 und 1827 veranlasst
interessante Bemerkungen. Insonderheit geht daraus hervor, dass (im
Gegensatz von Frankreich) in Preusseö die Menschenmenge in den
schwächer bewohnten Provinzen eine um Vieles stärkere Vermehrung
erfahren habe als in den dichter bevölkerten , und dass diess auch ins-
besondere im Ganzen bey der Osthälfte im Verhältniss zur Westhälfte
•wahrzunehmen sey. Zum Beweis dieser für Preussen allerdings er-
freulichen Thatsache, welche die Behauptung der bewährtesten Stati-
stiker , dass 171 Regel nur in solchen Ländern , wo noch genug Raum
für eine stärkere Bevölkerung vorhanden ist, die Zunahme des Men-
echenkapitals besonders rasche Fortschritte mache, bestätigt, hat Rez.
die nachstehende Tabelle über die Bevölkerung der einzelnen Reg.-Be-
zirke von den J. 1819 u. 1827 ausgezogen, und zugleich den 8jährigen
Ueberschuss derselben dabey berechnet.
Regierungs - Bezirke.
Areal.
Volksmenge ]
Vermehrung
1819
1827
seit 1825.
A) Osthälfte.
1) Königsberg . .
405,70
591,402
702,109
110,707
2) Gumbinnen .
297, 7
417,462
498,440
80,976
3) Danzig . .
150,8 9
265,279
325,868
52,396
4) Marienwerder
315, 6
367,701
446,709
79,008
5) Posen . . ,
327,4 3
605,134
720,112
114,978
6) Bromberg
211, 1
279,239
331,025
51,791
7) Stettin
233,13
340,536
409,992
69,456
8) Köslin . .
258,4 9
254,870
312,710
57,840
9) Stralsund
75,4 8
133,528
147,356
13,728
10) Potsdam .
370,6 3
744,051
855,670
111,619
11) Frankfurt . .
352,0 1
595,366
•) 661,333
65,967
12) Magdeburg .
204,7 8
504,910
539,807
34,897
13) Merseburg ,
186,2 9
526,787
581,059
54,272
14) Erfurt . .
64,2 5
247,513
275,374
27,861
15) Breslau . ,
244,4 8
833,991
935,194
101,203
16) Liegnitz
251,24
666,641
•♦) 751,154
84,513
17) Oppeln .
247,6 3
563,206
679,601
116,395
4196,8
7,937,616
9,173,513
1,235,997
*) Nach Abzug des Hoyerswerda'schen Kr. , der im J. 1821 zu Liegnitz
geschlagen wurde.
") Mit Einschluss des Ton Frankfurt erhaltenen Kr. Hoyerswerda.
Neue geographische und statistische Ephcineridcn.
405
Reglerungs - Bezirke.
B) JVesthälfic:
1) Münster . . .
2) Minden ....
3) Arnsberg
4) Düsseldorf .
5) Köln ....
6) Aachen . . . '
7) Koblenz . . .
83 Trier ....
Hierzu die Osthälfte .
Summa
Areal.
Volksmenge.
Vermelirung
1819
1827
seit 1825.
132,16
360,564
388,898
28,344
93/1
345,553
382,108
36,455
138,^^3
378,262
439,706
61,444
98,9 0
614,976
675,358
60,382
74,5 9
351,067
377,451
26,384
76,41
320,004
344,311
24,307
109,4 3
371,367
409,207
37,840
120,9 9
314,835
367,318
52,483
844,6 2
3,056,628
3,384,357
327,729
4,196,8
7,937,616
9,173,513
1,235,897
5,040/0
10,994,244
12,557,870
1,563,626
Man ersieht hieraus , dass in der Westhälfte nur die 2 Reg. Be-
zirke Düsseldorf und Arnsberg eine besonders starke Vermehrung auf-
zuweisen haben, woran oiTenbar der immer mehr steigende Fabrik-
fleiss den meisten Antheil hat; und dass sich in der Osthälfte die Men-
gchenmasse in Vcrhältniss zur Westhälfte um 383,000 Ind. mehr er-
höht habe. — 7. Die Birmanische Provinz Bassein. (Aus Asiat. Journ.)
Ein nicht zu verachtender ßeitrag zur Kunde von Birman , doch ist
das Wesentlichste davon schon unter den vermischten Nachrichten des
25ten Bds. enthalten , imd auch verschiedenes anderes daraus mitge-
theilt worden. — 8. Einige Data zu ff'ürtembergs Statistik für das J.
1827. (Aus dem Würtemberg. Hof- und Staats-Handbuche.) Auch
diese gewähren eine genaue Uebersicht über die Grösse und Bevölke-
rung der Kreise und Ober-Aemter und auch, da zugleich das Areal
heygesetzt ist, über die grössere und geringere Dichtheit der Volks-
masse. Das grösste Ober-Amt ist Freudenstadt mit 10,1^ QM., das
kleinste: Kannstadt von 1^ D M. Letzteres bildet zugleich, wenn
man das Weichbild der Hauptstadt nicht in Anschlag bringt, den be-
Vülkertsten Strich des Reichs, denn es umfasst 21,568 E. (Diese
Dichtheit wird in Deutschland nur allein vom Preussischen Kr. Elber-
.feld (=5,70 □ jl. 82,788 E.) in etwas übertroffen; doch begreift die-
ser 2 volkreiche Städte: Elberfeld und Barmen.) Das am dünnsten
bevölkerte Ob.A. ist Münsingen (auf 10 DM. nur 18,863 E.) Nach
dieser Tabelle enthält nun 1) den Neckar-Kr. 61,^» DM. 426,879 E.
2) der Schwarzwald. Kr. 87,80 Qm. 405,081 E. 3) der Jaxt-Kr. 99,««
DM. 347,362 E. und 4) der Donau-Kr. 112,8» □ m. 356,081 E. Das
Königr. also 361,80 Qm. „„d 1,535,403 E. in 132 St. 1,200 Mkfl. und
Pfarrd. und 6,834 andern Orten. — Beygegeben ist eine Volksliste der
säniratlichen Städte nach der Stärke der Bevölkerung geordnet. Stutt-
gart hat 24,661 , Lira 11,888, Reutlingen 9,877 , Heilbronn 7,332 und
Tübingen 7,107 E. Ulm gehört demnach zu den wenigen Städten
Deutschlands, die bis jetzt noch nicht wieder zu ihrem früheren Be-
Jahrb. /. Phil. u. Pädag. Jahrg. V. Heft 4. 30
466 Geographie und Statistik.
Völkerungsstand gelangt sind. Denn bekanntlich zählte sie zu Ende
des vorigen Jahrh. über 15,000 und noch im J. 1806 : 14,225 Bewohner.
Unter den hier aufgeführten 132 Städten hat Rez. jedoch 4 Orte,
nähmlich Albeck, Jaxtberg, Lorch und Ochsenheim, vergeblich ge-
sucht. Sind diese denn, wegen ihrer Unbedeutsarakeit, zu Marktflecken
degradirt worden? — 9. Der Distrikt Sattarah auf Dekan. (Aus Asiat.
Journ.) Dieser Aufsatz ist, wie aus mehreren Anzeigen hervorgeht,
ein vom Brittischen Rentbeamten (Collector) des Distr. an seine Obern
abgestatteter Bericht über die Beschaffenheit desselben. Aber dieser
Distr., da er mit dem von den Britten im J. 1817 erst neugegründeten
Mahratten Fürstenth. d. N. nicht Eins seyn kann, ist noch so Avenig
bekannt, und der Verf. gibt über dessen Lage und dessen übrige poli-
tische Verhältnisse so unzureichende Auskunft, dass Rez., wie er offen
bekennt, nicht gewusst hätte, wo er ihn suchen sollte, wenn nicht die
westlichen Ghauts und der Fluss Bhema (Bhima, ein bedeutender
Nebenfl. des Histna) als seine Gränzen bezeichnet worden wären. Er
muss demnach einen Tlieil des westlichen Mahratten-Staats und insbe-
sondere des Gebiets des vormaligen Paischwa (also einen Theil der al-
ten Prov. Bejapur) und vielleicht selbst dessen sonstige Residenz Punah
in sich schliessen. Die Einwohner sind grössten Theils Mahratten und
theilen sich in 2 Kasten (wohl richtiger Geschlechter) Kunbis und Ma-
walli's. Interessant ist, Avas der Vrf. über die verschiedenen Götzen-
bilder, die hier vorzugsweise verehrt werden, und über die Eintheiiung
des Bezirks in Mozehs und Turruf's erzählt. — 10. Reise auf dem
Kaiscrkanalc Schind's. (Ausgezogen aus den ungedruckten Papieren des
Reisenden Giacomo Zappi.) Dieser Zappi (welcher früher bey der
Neapolitanischen Revolution eine Rolle spielte,) wurde, unter dem Vor-
wand einer Mission an den kathol. Bischof zu Peking, vom Brittischen
General-Gouverneur von Ost-Indien nach China gesendet, um den mo-
ralischen und politischen Zustand dieses jetzt von Faktionen zerrissenen
Reichs zu erforschen, und dem Berichte, in welchem er die Resultate
seiner Nachforschungen niedergelegt hat, verdankt dieser Auszug sei-
nen Ursprung. Wer nun Barrow's und Staunton's Reise nach China
gelesen hat, wird zwar in geographischer und topographischer Hin-
sicht darin nicht viel Neues finden, desto grösseres Interesse wird aber
die Schilderung des heutigen Zustandes China's für ihn haben. Eine
allgemeine Verschwörung soll nähmlich schon seit langer Zeit gegen
die Herrschaft der Mandschu , (die hier sonderbarer W^eise Mantschu-
Tartaren genannt werden,) bestehen , die dahin arbeitet , den Erben
der entthronten Dynastie Ming, der von den meisten Chinesen abgöttisch
verehrt werden soll, wieder auf den Thron seiner Vorfahren zu setzen.
Die zahlreichen Verschwornen sind in viele geheime Gesellschaften,
eine Art Freymaurerey bildend, vereinigt, welche sich über die mei-
sten Provinzen des Reichs verbreiten , ja selbst bis in den entlegend-
sten Winkel, bis nach Kaschgar sich erstrecken, und dabey verschie-
dene Nahmen führen, (z. B. in Set-schuen : Nenapher, in Quang-tong :
Kiang-si- Triade, in Koei-scheu: San-ho-huy etc.: gegen welche
Neue geographische und statistische Ephcmeridcn. 40*7
Nahmen sich jedoch der Kinwand machen h'isst, dass die Chinesen in
ihrer Sprache kein R hesitzen} ahor gleichen Zweck vor Augen ha-
ben. Sdion soll der Thron der Mandschu so schwankend seyn, dass
eich der Geist der Insuhoi'dination selbst in die Verwaltung eingeschli-
chen hat, und selbst viele Mandarinen Mitglieder des Vereins gewor-
den sind. Ja eine Menge Unzufriedener hat sich bereits in die schwer
zugängliehen Gebirge des Innern zurückgezogen und unternimmt nun
von da aus, sicher vor den Verfolgungen der Mandschu's, häufige
Raubzüge in das ebene Land. Der jetzige Thronprätendent , der von
Beinen Anhängern auf das freigebigste mit üonativgeldern unterstützt
wird, heisst Kih-ming, doch wird der Ort, wo er sich verborgen hält,
nicht genannt. Man sollte zwar glauben, dass die bekannte Feigheit
der Chinesen, und ihre Untauglichkeit zum Kriege sie abhalten sollte,
eich in solche gefährliche , kühnen Muth und selbst Todesverachtung
voraussetzende Verbindungen einzulassen; allein der Vrf. behauptet,
dass gerade ihre Fehler, nähmlich ihre Apathie, ihr Mangel an geisti-
gem Aufschwung und Heroismus, welche den fremden Eroberern die
Thür öffneten, ihre natürliche Verschmitztheit, ihre Geduld, ihr lang-
müthiger Groll, ihreA'erschwiegenheit, ihre krummen und lichtscheuen
Neigungen sie ganz besonders zu Verschwörungen geeignet machen
und dass der Chinese sich bloss für die Wiedervergeltung aufspare ;
denn darin verstehe er zu exzelliren und zu diesem Ehrenschritt be-
reite er sich ganz im Geheimen und mit List und Falschheit, seine lieb-
Bten Gehülfen , vor. Der Bericht schliesst zwar mit der Erzählung
von der Dämpfung des Aufslandes zu Formosa und in der Frov. Quang-
tong, doch wird darum die Hoffnung auf einen glücklichen Erfolg die-
ser schon so weit gediehenen Verschwörung nicht aufgegeben. Der
Vrf. gesteht in Ansehung seiner seihst ein, dass bey diesem Stande der
Dinge, und besonders wegen des religiösen Charakters , den er beklei-
det habe, seine Anwesenheit zu Peking nicht ohne Gefahr gewesen
sey, versichert aber, dass er, weil die Chinesen sich von einem Mann
nur nach seiner Korpulenz eine vortheilhafte Vorstellung zu machen
pflegen, die ihm wiederfahrene Berücksichtigung und Schonung nur
seiner trohlbelelbtheit zu verdanken gehabt habe. Die Zahl der Ein-
•wohner dieses Reichs schlägt übrigens der Vrf. auf 260 Mill. an, was
wohl nicht übertrieben ist. Neu war auch Rez. , was Zappi über die
Mandschurische Sprache sagt. Seine eigenen Worte sind : ,,Die Spra-
che dieser Eroberer verdient nicht weniger Beachtung, als diejenige
der Schinesen. Es giebt keine ihr ähnliche in der Welt. In dem Va-
terlande der Mandschu's , d.h. in den weiten Ländern gegen Norden
von der grossen Mauer findet man Spuren einer alten Zivilisation. Die
Mandschu-Sprache niuss den Sprach- und Alterthumsforschern im All-
gemeinen viel zu denken geben. Sie ist äusserst reich. Ein einziges
Wort ist hinreichend , um eine ganze Phrase anszudrücken ; sie hat
verschiedene Worte, um dasselbe Individuum mit verschiedenen Quali-
täten zu bezeichnen etc." Zum Beweis führt er nun an, dass es zur
Bezeichnung der verschiedenen Rassen und Eigenschaften des Hundes,
SO*
468 Geographie und Statistik.
obächon sich für denselben unter allen Hausthieren die wenif^sten Be-
nennungen vorfinden, 14 verschiedene Nahmen gebe. Rez. übergeht
übrigens die vom Redakteur sowohl zum Eingange als beim Schlüsse
dieser Abhandlung deutlich ausgesprochene Meinung , dass die Eng-
länder im Stillen dai'auf sinnen, sich in die politischen Unruhen zu mi-
schen, als unwesentlich mit Stillschweigen. — 11. Neue Eintheilung
von Hellas. (Nebst einer Charte. Vom Redakteur.) Dieser recht zur
Zeit erscheinende Aufsatz liefert einen wichtigen Beweis , dass die
Redaktion dieser Zeitschrift den neuen politischen Veränderungen fort-
dauernd volle Aufmerksamkeit widme, und nicht säume, von solchen
sofort die Leser in Kenntniss zu setzen, auch zugleich die nöthigen
statistischen Notizen hinzuzufügen. Hier wird nun die neue noch be-
stehende Eintheilung der Halbinsel Morea und den vor der Hand dazu
gehörigen Eylande in 13 Departements vorgelegt und zugleich auch
durch eine beygefügte recht brav und nett ausgearbeitete Charte ver-
sinnlicht. Das Festland ist in 7 Depart. : (^Argolis , Achaja, Elis, Ar-
kadia. Ober- undNieder-Messenien, und Lakonia,) und die Inseln in 6
(Nord-, Ost- und West- Sporaden, und Nord-, Zentral- und Süd-Iiykla-
den) abgetheilt. Dem ganzen Staate sind hier nur 486^^ GM. und
790,500 E. gegeben, wovon 402,4 5 Q jvi. und (500,000 E. auf den Pe-
loponnes und 83,^^ [I]i\I. nnd 106,500 E. auf die Inseln kommen.
Doch möchten beyde Ansätze et^vas zu niedrig seyn. Denn bey den
Inseln ist bloss das Areal der bewohnten, nicht aber das der unbeAvohn-
ten (z. B. Skiato, Drorai, Agiostrati, Lipso, Antiparos, Delos,) in An-
schlag gebracht worden, und bey der Volkszahl haben offenbar einige
Eylande zu geringe Ansätze erhalten, z.B. Hydra nur 20,000 , Tine
nur 15,800 und Syra gar nur 1000 E.; allein schon vor der Revolution
zählte Hydra an 25,000, Tine 23,800 und Syra 5,000 E., und auf allett
3 Inseln hat sich diese Zahl dnrch eine Menge Griechisclier Familien,
die sich von Kandia, Skio, Ipsara, zum Theil auch vom festen Lande
liieher gewendet haben, sehr vermehrt. Freylich besitzen wir noch
von keiner Insel genauere V olkszählungen, und die Zukunft wird auch
hierüber nähere Data bringen. Juf der Charte hätte der Maasstab
nicht vergessen werden sollen. Auch scheinen manche Eylande, wenn
man sie mit andern Charten vergleicht, einen zu grossen Umfang er-
halten zu haben. So ist hier Koluri (= 1,**^ QM.) noch einmahl so
gross als Egina (= 2,'-** DM.) niedergelegt. Dasselbe gilt auch von
den Inseln Skarpantho , Kaso , Stazida. — 12. Historisch- genealogi-
scher Ueberblick der mächtigsten Herrscher Asiens und des nördlichen
Afrika's im J. 1828. (Vom Hrn. Prof. D. Iloffmann zu Jena, aus dem
Nouv. Journ. Asiatique bearbeitet.) Der Hr. Vrf. stellt im Eingänge
die allerdings nur zu gegründete Behauptung auf, dass man in London,
Paris oder Petersburg leben müsse, wenn man in der Ausführung einer
solchen sclieinbar unbedeutenden Uebersicht stets die neuesten und zu-
verlässigsten Materialien auftreiben wolle , und meint desshalb, dass
es den Lesern dieser Zeitschrift nur angenehm seyn könne, von Zeit
zu Zeit die Resultate vorgelegt zu erhalten, welche das genannte Jour-
Nene geographische und statistische Ephenieriden. 4G9
nal zur allgemeinen Kcnntniss hringt. Und hierin wird demselLen ge-
wiss Jeder gern hcjiifliditen und für seine Absicht Dank wissen. Die
Staaten, deren Herrscher hier aufgezählt worden, sind folgende: l)
Osiuanischcs Ileich (mit Aegypten , Bagdad, Moldau und Wallachey
und die Vasallen Tripolis, Tunis, Algier, Mokka, Jemen und Sennaar.)
2) Maroko, 3) Abessinien, 4) Mus^kat, 5) Persien, 6) Afghanistan, 7)
Beludschistan, 8) Balkh, 9) Bokhava, 10) Khokand, 11) IJadukschan,
12) liliwarism, 13) Indien (die Nahmen der Brittischen , ISiedcrländi-
echee. Französischen und Spanischen Gouverneure :} 14) Indische Staa-
ten, Avclche von England abhängen (Oiide, Ilydcrabad, Delhi, Guzera-
te, Malwah, Satarah, Nagpur, ISopal,, Bundelkund, Maisur, Ti-avan-
kor , Karnatik und Assam,) 15) Scindiah , (warum nicht lieber nach
dem Nahmen der Hauptstadt Udsein?) Hi) Selk» (wohl besser Lahor),
17) Sindhy, 18) Nepal, 19) Birman mit Kassai und Pcgu, 20) Cochin-
clüna, 21) Sumatra, die 3 Tounko's Passaman, Norinchi und Allalian-
pandschuny, 22) Schina, 23) Japan. Man sieht, dass diese Ueber-
siclit noch keinesweges vollständig genannt werden dürfe. Denn es
fehlen noch der König von Siam, die Herrscher von Thibet, mehrere
Brittische Vasallen in Ost-Indien, besonders die Rahjahs der Hasbuten,
Dschaten, und Rohillas, der Sultan von Suluh und andere Süd-Indiens.
— 13. Die Falklands-Inseln im Südmeerc. ( Eine geographische Skizze
von Hrn. D. Itöding zu Hamburg.) Diese Skizze bietet zwar im Gan-
zen nicht viel Neues dar, ist aber dennoch nicht ohne Werth , da sie
nach JFeddell die Umrisse der 2 Hauptinseln (Ost- und VVest-Falkland)
mit ihren Buchten und Einschnitten sehr genau beschr«;ibt. Das Min-
derbekannte beschränkt sich auf folgende Notizen : die Gruppe besteht
ausser den genannten 2 grossen Inseln noch etwa aus 90 kleinen Ey-
landen, und liegt unter 51«— 52",45' s. Br. und 3150,55' — 320",19'
L. und enthält nur etwa 157 i^ g. [Zl^i. Das Klima scheint jetzt viel
milder geworden zu seyn , als es die ersten Entdecker fanden ; es ist
sicher weit angenehmer, als das von Neu-Fundland , ja selbst als das
nöi-dliche Deutschland. Die Witterung ist einförmig und der Ueber-
gang der Jahreszeiten kaum bemerkbar. Aber in Folge der frühern
Erkältung des Bodens durch die grosse Masse von Treibeis, die aber
jetzt diese Gruppe verschonen , ist hier der Baumwuchs noch sehr sel-
ten, und nur in den geschützten Thälern der grossem Inseln wachsen
einzelne Weiden, Birken etc. Die grössern Inseln haben dafür grosse
Torfmoore, bedeutende Flüsse, zum Theil mit schönen Wasserfällen,
gutes Trinkwasser, und hohes Schilf. Viele Gemüse, als Kartoffeln,
Sellerie, Sauerampfer etc. kommen leicht fort, und das Meer ist sehr
fischreich. Die Inseln eignen sich daher gegenwärtig ganz zu einer
Europäischen Niederlassung, welche aber bis jetzt hier nicht mehr zu
finden ist. Denn die von den Franzosen gegründete Kolonie Port-
Louis wurde im J.1767 für 60,000 Fr. an die Spanier abgetreten, welche
feie aber wieder veröden Hessen , und die im J. 1765 von den Englän-
dern gegründete Kolonie Port-Egmont wurde im J. 1770 von den Spa-
niern mit Gewalt vertrieben, weshalb bald ein Krieg ausgebrochen
470 Geographie und Statistik.
wäre ; doch kam durch Frankreichs Vermittlung ein Vertrag zu Stande,
wodurch den Britten die westliche, den Spaniern aber die östliche
Falklands-Insel zugetheilt wurde, ohne dass jedoch heyde Mächte von
ihrem Rechte Gebrauch gemacht hätten. Im J. 1820 erklärte die Re-
publik la Plata die Gruppe für ihr Eigenthum , hat aber auch noch
kein Etablissement versucht. — B) Vermischte Nachrichten: 1) lieber
KlaprotK's Memoire sur les Sources du Brahmaputra et de V Iraouaddy,
(Aus dem Asiat. Journ. 1828.) Betrifft die Streitigkeit des Hrn. Klap-
roth mit den Kalkuttai'schen Geographen über die Quelle der genann-
ten 2 Ströme. Ersterer behauptet uähmlich , dass der Sampu oder
der grosse Fluss von Thibet und der Irawaddy ein und derselbe Fluss
seyen, was von den letztern bestritten wird. Dass nun der erstere sich
geirrt haben werde, ist schon aus einer im voi-hergeh. Bande enthalte-
nen Notiz hervorgegangen. — 2) Das Land der Chirokec oder Tschero~
Kcsen. (V. T. Bromme.) Es liegt unter 38*^ n. Br., zwischen den Staa-
ten Tenessee , Alabama, Georgia und Nord -Karolina und besteht im
N. aus Bergen und Hügeln, im S. aus ausgedehnten und fruchtbaren
Ebenen, theils mit den schönsten Waldungen bedeckt, tlieils ausge-
dehnte herrliche Weiden darbietend. Die Nation macht täglich grö-
ssere Fortschritte in der Zivilisation, besitzt eine bedeutende Anzahl
Dörfer mit gut unterhaltenen Obstgürten umgeben, und unter sich durch
Strassen und Kommunalwege verbunden, und treibt, neben der starken
Viehzucht, jetzt auch eifrig den Anbau von Waizen, Mais, Kartoffeln,
Gemüsen, Taback, Indigo und Baumwolle. Mehrere haben schon an-
gefangen , ihre selbst gebaute Baumwolle auf Booten den Tennessee
und Missisippi herab nach Neu-Orleans zu schaffen. Die Nation zählte
im J. 1825, ausser 230 Weissen, 13,563 eingebohrne Bürger und 1277
Negersklaven. Das Volk hat sich im J. 1827 eine nach dem Muster
der V. St. entworfene Konstitution gegeben. — 3) Der Attaran-Fluss.
(Aus Calc. Gov. Gaz.) Dieser Fluss der Brittischen Prov. Martaban,
der nach diesem Bericht genau untersucht wurde, wird bald wegen der
in seiner Nähe liegenden und trefflichen Wälder von Teakholz von
grosser Wichtigkeit werden. Er läuft von SO. nach NW. , ist bey
seinem Ausfluss tief und breit, und ergiesst sich mit den Flüssen San-
luen und Geyn zugleich bey Moal-Mein in den Bengalischen Meerbu-
sen. — 4. Vergleichende Statistik der periodischen Presse. (Aus Journ.
des Voyag.) Ein lesenswerther Ueberblick , der zu manchen lehrrei-
chen Resultaten führt, und dabey darthut, dass die periodische Presse
hauptsächlich in den V, St. von Nord- Amerika den grössten Zuwachs
erhalten habe. Im J. 1810 wurden 359 , im J. 1825 schon 598, im J.
1827 bereits 8-10 Journale und Zeitungen gedruckt. Die Stadt Colnm-
bus (mit 1600 E.) hat gerade so viel Zeitungen als Rom , nähmlich 3.
— 5. A'^eueste Nachrichten über den grossen Bären- See. Dieser von
Franklin aufgefundene See liegt im nördlichsten Theile N. Amerika's,
hat mit Einschluss der Buchten etwa 520 Engl. (104 g.) Ml. im Um-
fange, und wird durch die Vereinigung von 5 grossen Armen oder Bu-
Sen gebildet. Unter den Flüssen, die er empfängt , heisst der grösste
Neue gcopraphlsche und statlstiäche EphcDicrlilcn. S?!
Dease. Der Bärcnsee - Fiuss führt das überfliissig'c Wasser dem Ma-
ckenzie zu. Das Wasser ist sehr hell und von unhckannter Tiefe, (mit
45 Faden fand man nalie am Ufer der Mac-Tavisch-Bay nocli keinen
Grund. Er ist sehr llschreich , und seine Ufer sind zum Tlieil mit
echönen Waldungen bedeckt. — 6) Neue Ansicdlung auf den Kelliiif^-
hlands. Diese neu aufgefundene Gruppe liegt unter 13*^ s. Br. und
98^ ö. L. und besteht aus einer sichelförmigen Kette niedriger, mit
Kokospalmen bedeckter Eylande. Auf einem derselben hat der Eng-
lische Capt, Boss bey einem guten Ilaven eine kleine Kiederlassung
gegründet, die den Zweck hat, den vorbeysegelnden SchilTen einen
Erfrischungsort zu gewäliren. — 7) Etivas über Madagaskar. (Aus
der Sidney-Gaz.) Allerdings höchst merkwürdige Notizen über diese so
wichtige Insel, nur Schade, dass der Vrf. dieses Vorberichts so karg mit
Nahmen gcAvesen ist. Ein Capt. Barness , dem von den Malayen sein
ihm selbst zugehöriges Schiff geraubt worden, (wo? wird nicht ge-
sagt,) wendet sich auf seiner Rückkehr ins Vaterland nach der Insel
St. Moritz, und hier wird ihm, auf höhere Veranlassung, der gefahr-
volle Auftrag, in das Innere von Madagaskar vorzudringen, und über
die Aussichten , welche diess Land den Brittischen Ilandelsunterneh-
mungen gewähren könne , genaue Erkundigung einzuziehen. Zu-
nächst besucht er denjenigen Theil der Insel, wo die Eingebohrnen
einen Ochsenhandel mit den Sechellen zu treiben pflegen, (der Nähme
dieses Theils wird nicht angeführt,) und erhält nach vielen Schwie-
rigkeiten vom Häuptling die Erlaubniss, nach der Residenz des Raha-
ma, Königs der ganzen Insel, die fast 500 Engl. M. von da im Innern
liegt, reiben zu können , und gelangt auch , nach Besiegung ungemei-
ner Beschwerlichkeiten und Hindernisse, glücklich daselbst an. Diese
Residenz, der er aber wiederum keinen Nahmen gicbt, soll einen be-
trächtlichen Umfang haben und viele Spuren Arabischen Ursprungs an
sich tragen. Und der König Rahama wird als ein Fürst von grossen
Talenten und grosser Maclit geschildert, eine starke Bevölkerung mit
ganz despotischer Gewalt beherrschend. Bald Averden wir also nähere
Nachrichten und Bestätigungen über diese Entdeckungen erwarten dür-
fen. — 8) Die Kolonie Liberia. (Aus denNational-Intelligenzer.) Be-
kanntlich haben die Nord-Amerikaner vor einigen Jahren, dem Bey-
spiele der Britten folgend , um sich nach und nach der Ueberzahl der
Schwarcen zu entledigen , die in manchen Distrikten anfangen soll
lästig zu werden, auf der Küste von Guinea beym Kap Mesurado ein
Stück Land an sich gebrticht, und daselbst eine Kolonie für Schwarze
gegründet, die nun nach vorliegendem Bericht sich in einem gedeihli-
chen Zustande befinden soll, gleichwohl erst 1200 Indiv. zählt. Man-
che Kolonisten sollen sich schon durch Handel mit den Eingebohrnen
ein Vermögen von 3 bis 5,000 Thlr. erworben haben. — 9) Brittische
NiederlasHwigen auf dem Eylande Ascension. Die Britten haben vor ei-
nigen Jahren auf dieser, als ein ganz dürrer, wasserloser, von der
Sonne verbrannter Felsen berüchtigten Insel eine kleine Niederlassung,
als Erfrischungsstation für ihre in diesen Gewässern kreuzenden Schiffe
472
Geographie und Statistik.
gegründet, welche aus 60 Seeeoldaten mit deren Weibern und EIndera
und einigen freyen Negerfamilien besteht. Der Ort heissc Regent-
schaftsplatz; er wird durch ein kleines Fort und eine Batterie , welche
beyde 14 Kanonen enthalten, beschützt, enthält Magazine, Werkstätte
und die nöthigen Wohnungen, und ist mit niehreren Frnchtgärten um-
geben , die fleissig bearbeitet werden. Obschon Regen nur selten
fällt, so ist doch der 8(i3 Meter hohe Gipfel des Felsens stets mit einem
feuchten Aebel umhüllt, der die Vegetation frisch erhält, und 3 klei-
nen Bächen den Ursprung giebt , welche , in Bassins geleitet , so viel
Wasser liefern , als die Garnison für sich und die anlangenden Schiffe
bedarf. Man unterhält starke Schweine- und Geflügelzucht, und ei-
nen lebhaft(;n Schildkrötenfang. — 10) Erwiederung des Redakteurs der
N. A. G. und St. Eph. auf einen Angriff in den Nouv. Ann. des J oy. 1828.
Septhr. S. 301. Diese eben so ruhige und besonnene als klare und
triftige Erwiederung weisst die allerdings unverdienten Angriffe des
Hrn. Klaproth zurück, der es übel genonmien hatte, dass von der Re-
daktion dieser Zeitschr. dem Aufsatz der Brittischen Geographen, wor-
in Klaproth's Idee, dass der Thibetnische grosse Fluss weiter unten
den Irawaddy bilde, widerlegt wird , mit allen darin enthaltenen Zu-
rechtweisungen einen Platz eingeräumt worden war, und in dieser ge-
reizten Stimmung derselben bittere, und Bez. will nur sagen ungegrün-
dete Vorwürfe und Anschuldigungen macht. — Den Beschluss dieses
Bandes macht eine statistische Tabelle der sämmilichen Staaten Europa's
für 1828, von welcher Rez., da solche natürlich die neuesten Data
darbietet, die Rubriken: Areal, Volksmenge, Staatseinkünfte unA StaatS'
Schuld ausheben will.
Nahmen der
Staaten.
Areal In
geogr.
DM.
Volks-
menge.
Staatsein-
künfte
in Guide:
Staatsschuld,
in Gulden.
1) Anh. Bernburg
2) - Dessau
3) - Köthen
4) Baden
5) Baiern . .
6} Braunschweig
7) Bremen
8) Britt. Reich
9) Dänemark
10) Frankfurt a.M.
11) Frankreich
12) Hamburg
13) Hannover .
14) Hessen
15^ - Homburg
IC) HohenzolLHe-
chingen .
15,
7S
16,
29
15,
06
279,
54
1,477,
2 6
70,
37
3,
2 1
5,556,
08
2,465,
50
4,
32
10,086,
73
7,
10
695,
07
185,
^,
84
5,
la
38,900
57,500
39,900
1,141,727
3,881,000
244,200
57,800
22,297,621
1,984,665
52,200
32,058,741
137,700
1,568,300
738,900
21,350
14,900
450,000
710,000
230,000
9,381,280
30,078,869
2,376,934
400,000
571,828,160
10,200,000
760,000
353,446,871
1,500,000
11,700,000
5,878,641
180,000
600,000
500,000
1,600,000
15,981,000
111,005,644
3,500,000
3,000,000
8,067,300,000
100,000,000
8,000,000
1,416,712,600
13,500,000
30,000,000
13,973,625
450,000
120,000 —
Neue geographische und statistische Ephemcriden. 473
Nahmen der
Areal in
Volks-
Staatsein-
Staatsschuld.
Staaten.
geogr.
DM.
menge.
künfte in
Gulden.
in Gulden.
17) Hz. Sigmaring.
18,2 5
38,000
300,000
500,000
18) Innien .
47,1'i
175,398
1,414,000
—
19) Kirchenstaat
.811,»"
2,483,940
10,000,000
250,000,000
20) Krakau .
23,-» -i
107,934
333,120
—
21) Kiir-llessen
208, y<^
602,7JÖ0
4,500,000
1,950,000
22) Lichtenstein
O 45
5,800
1,200,000
—
23) Lipp.-Detmold
20,"^
76,788
490,009
700,000
2i) Lucca .
VJ/'^
145,000
720,000
1,500,000
25) Lüheck" .
6,7 5
46,303
400,000
3,000,000
26) St. Marino
1,0 6
7,000
30,000
—
27) Mekl.Schwerin
223 8 8
435,091
2,300,000
9,500,000
28) - Strehlitz
3oii3
79,400
500,000
500,000?
29) Modena .
98,74
379,000
1,500,000
1,000,000
30) Nassau
82,7 0
340,206
1,810,000
5,000,000
Ziy Kiederlande
1,190,5 6
6,115,935
49,901,894
1,400,240,000
32) Oesterrcich
12,147,6 0
32,200,717
130,000,000
700,000,000
33) Oldenburg
114,80
235,200
1,500,000
—
Zi) Osmanenstaat
10,005,2 4
9,476,000
25,000,000
80,000.000
3.5) Parma . .
103,9 2
437,400
1,500,000
5,000,000
30) Portugal .
1,722,18
3,013,950
18,036,459
135,009,000
37) Preussen .
5,054,6 7
12,415,652
75,000,000
288,000,000
38) Reussält. Lin.
6,84
24,100
140,000
5,000,000
39) - jung. Lin.
21,1«
57,090
400,000
1,200,000
40) Russland .
75,154,6 9
47,0T ,100
130,000,000
500,000,000
41) Sachsen
271,3 3
1,404,528
11,000,000
32,000,000
42) - Altenbrg.
23,4 4
108,000
600,000
824,100
43) - Koburg
47,8 8
145,500
900.000
3,000.000
44) - Meining.
41,72
130,500
750,000
2,500,000
45) - Weimar
65,8 2
225,947
1,875,000
6,296,000
40) Sardinien .
1,363,81
4,333,905
21,852,000
60,000,000
47) Schaumb.Lipp.
9,75
25,500
215,000
300,000
48) Scliw.RudoIst.
19,10
56,9!>2
325,000
269,803
49) - Sondersh.
16,««
48,106
300,000
400,000
50) Schweden .
13,734,15
3,801,714
17,558,592
43,168,031
51) Schweiz
690,3 1
2,037,030
63,773
60,696
52) Sizilien
1,947,4 0
7,414,717
31,483,712
210,000,000
53) Spanien
8,446,9 0
13,651,172
66,300,000
576,107,655
54) Toskana .
395,3 6
1,300,530
5,500,000
45,000,000
55) Waldeck .
21 6 0
54,000
400,000
1,200,000
56) Würtcmberg
359^2 0
1,535,403
8,357,046
27,356,917
57) Bcntink oder
Kuiphauscn
1,20
2,900
175,000
150,000
Total ! 155,480,0 a 1 216,670,396 1 1,623,871,351 1 14,183,555,131
474 Geographie und Statistik.
Bey diciser Tabelle hat izidessen Rez. noch einige Kleinigifeitea
zu erinnern. Erstlich ist hier das Fürstenthum (oder der Schweizer-
Kant. Keuenburg) 2 Mahl in Anschlag gebracht worden, das eine Mahl
bey Preussen, das andere Mahl bey der Schweiz; dann findet man bey
Kassau erst die Volkszahl von 1825 (337,326 K.) , wofür Rez. die von
1827 supplirt hat; ferner sind in der Tabelle bey Toskana weder Ein-
künfte noch Staatsschuld angesetzt, was daher Rez. aus dem Hassel'-
schen geneal. histor. Statist. Almanache nachgetragen hat; endlich sind
in der Tabelle bey jedem Staate die Einwohner auch nach ihren Reli-
gionen angegeben worden, so dass die Volksmasse Europa's sich in
117,050,7(>(i Kathol., 48,472,759 Evangel., 46,845,498 Griechen, 3,129,500
Mosleminen und 1,873,500 Juden theilen soll; doch beruhen diese An-
gaben bey den meisten Staaten auf blossen Schätzungen, und daher
können solche nicht auf völlige Genauigkeit Anspruch machen. Auch
niuss Rez. noch bemerken, dass bey Russland die aus den vormahligeu
Reichen Kasan und Astrakhan entstandenen Gouvern. hier nicht in An-
schlag gebracht, sondern an Asien überwiesen worden sind.
Diess wäre nun aus vorliegenden 6 Bänden das Merkwürdigste,
welches Rez. demjenigen Theile der Leser, welcher diese so reichhal-
tige Zeitschrift nicht selbst halten oder lesen kann, nach seiner Ueber-
zeugung nicht vorenthalten durfte. Jedoch würde man sich sehr ir-
ren, wenn man glauben wollte, in dieser Beurtheihing alles Bemcr-
kenswerthe und Neue aufgenommen zu finden. Rez. durfte den Raum
der Jahrb. nicht überschreiten und so musste er viele neue Notizen
zumahl aus der so reichen Rubrik: Novellistik unbeachtet lassen.
Mit Vergnügen wird man endlich gewahr werden, dass Rez., eini-
ge kleine Erinnerungen und Bedenklichkeiten abgerechnet, gar keine
erheblichen Ausstellungen zu machen hatte.
Eben so muss Rez. auch in Hinsicht der in diesen Bänden in gro-
sser Zahl aufgenommenen Rezensionen gcograph. und Statist. Schriften
und Landcliarten gestehen, dass darin wenigstens in so weit, als ihm
die beurtheilten Schriften bekannt sind, ohne Ausnahme strenge Un-
partheylichkeit vorwalte, und dass jedes gehaltvolle Werk nach Ver-
dienst gewürdigt worden sey.
Papier und Druck sind fortdauernd von gleicher Trefflichkeit ge-
blieben, mithin noch immer gleich lobenswerth. Auch die Druck-
Korrektur ist, wie gewöhnlich, mit ausgezeichneter Sorgfalt behan-
delt, so dass Druckfehler eine ziemliche Seltenheit sind.
Möge das fortdauernd seinen liohen Ruhm behauptende geograph.
Institut mit gewohntem Eifer fortfahren, durch diese so belehrende
Zeitschrift das Publikum von allen neuen Entdeckungen und Verände-
rungen in dem jetzt so wcitläuftigen Gebiet der Geographie und Sta-
tibtik auf so gründliche und befriedigende Weise inKenntniss zu setzen.
Orlamünda.
Dr. Jl. Weisse.
Scbul- u. Univcrsltätsnaclir. , lieftirdcrr. u. Ehrcnl)ezclg. 475
Schul- und Umversitätsnachrichten, Beförderungen und
Ehrenbez eigungen.
Altona. Der dritte und vierte Lehrer am Gyinnasliim Dr. P. S. Frand-
scn und Georg Christian Friedrich Ohrt haben den Titel „Professor" im
Range eines ausserordeatl. Professors der Universität Kiel, der fran-
zös. Sprachlehrer Antoine Amand Fidcle liopsy denselben Titel mit
dem Hange Nr. 1 in der 8n Classe der Rangordnung erhalten.
AscHAFFEiVBiiRG. Vermöge allerhöchster Entschliessung vom 31
Oct. v.J. wurde das k. Gymnasium daselbst dem neuen Schulplane gemäss
provisorisch organisirt. — Demnach wurde die IVe oder dialektische
Klasse dem Ilector und Prof. Mittermayer , die Ille oder rhetorische
Klasse dem Prof. JFolfg. Hochcder, die He dem Dr. und Prof. Troll und
die le oder historische dem Prof. Heilmaicr übertragen. Die Interims-
klasse mit dem Rektorate der lateinischen Schule wurde dem Prof.
JFickenmayer, der obere Kursus dem OöerZcArcr JFcigand, der mittlere
dem Prüceptor Gerhard und der untere dem Prüceptor Ilurtmann anver-
traut. — Der Mathematikus Prof. Reuter und der Religionslehrer Prof,
Breunig haben ihre Lehrobjekte wie bisher in den Gymnasial-Klassen
zu besorgen. — Zu Scholarcben wurden ernannt : der Pfarrer und
Prof. der Theologie Anderlohr , der rechtskundige Magistratsrath Hcss-
ler und von Seite der Gemeindebevollmächtigten der Kreisgerichts-
rath Kurz. — Die Gehalte für das gesammte Lehrpersonale werden
aus dem Gymnasiumsfond bestritten, indem sich die Stadt gleich vor-
aus erklärte, wohl die äussere Aufsicht, aber nicht die pecuniäre Für-
sorge auf sich zu nehmen. Weit entfernt also , freudigere Aussicht
zu gewinnen, hat der Lehrstand bei solcher Ueberlastung vielmehr das
Schlimmste zu befürchten, dass ihm nämlich der ohnediess karg zuge-
theilte Gehalt nicht mehr zur gehörigen Zeit wird verabfolgt werden
können. Quien haga aplicaciones,
Con SU pan se lo corna.
Baiern. Der neue Schnlplan, der unter'm 8ten Febr. 1829 die
Genehmigung des Königes erhalten hat , ist nun nach einem Befehle
des k, Ministerium vom 'in Nov. provisorisch in Ausführung gebracht.
Die Scholarchate sind constituirt, Präceptoren geprüft, die Lateinischen
Stadtschulen von den Gymnasien getrennt, die Rectoratsverweser für
jene ernannt, von den Rectoren die Schulstatuten für beide Anstalten
entworfen, und der Unterricht in der Hebräischen Sprache auch an ka-
tholischen Gymnasien begonnen. Man sieht daher ^ wenn die Quellen
für die erhöhten Ausgaben hinreichend werden ausgemittelt seyn, der
definitiven Organisation entgegen. — Dass das Publikum die Vortheile
der Bildung, welche nach diesem Plane den Söhnen des Baierischen
Vaterlandes angeboten ist, sey es bessei-e Begründung der Gymnasial-
Bildung, oder Bildung zu einem höheren bürgerlichen Berufe nach
dem Bedürfnisse des constitutionellen Staates, zu würdigen verstehe,
476 Schul- und Universitätsnachrichten,
ergibt sicli theils aus der Bereitwilligkeit , mit welcher mehre Städte,
die bisher keine Lateinische Schule, oder nur unvollständige V'orberei-
tungsklassen hatten , sich für die Errichtung vollständiger Lat. Stadt-
schulen erklärt, und bereits angefangen haben, die Unterhaltungsniit-
tel nachzuweisen, theils aus dem Andränge zu den unteren Cursen der
Lateinischen Schulen in Städten , in welchen Gymnasien sind. Diese
Thatsachen sprechen kräftiger für die Zweckmässigkeit des neuen
Schulplans, als verschiedene Ki'itiken in den öffentlichen Blättern gc^en
dieselbe sich geäussert haben. Aus der Verzögerung der definitiven
Organisation wollen Einige auf Unentschlosscnheit des Königes schlie-
ßsen; doch wer den beharrlichen Charakter des Königes, und die er-
probte Klugkeit Seines Ministerium kennt, kann in dieser Zögerung
nur die weiseste Vorsicht sehen, die bei einer solchen Umwälzung
der Dinge vonnöthen ist, damit der Unterricht nicht der Gefahr einer
Stockung oder Verwirrung ausgesetzt werde.
Bamberg. Durch ein allerhöchstes Reskript vom 22 April v. J. wurde
der Religionslehrer Hcinr. Emmerling zum ersten Inspector des Schul-
lehrer Seminariuras dahier ernannt und die dadurch erledigte Stelle
dem Kaplan Mich. Pennerlein prov. übertragen. Ferner wurde der
Prof. der III Klasse Jos. Fehlner zur Stadtpfarrei Rotz befördert. Die
übrigen Lehrer rückten prov. in die erledigten Stellen ein. Das vorge-
schriebene Programm fertigte der Prof. der Theologie yi. Gengier zwar
mit dialektischer Schärfe, aber im Geiste des finstern Dogmatismus.
Der Titel ist: „Das Glaubens-Princip. der griecli. Kirche, im Verglei-
che mit der römisch-katholischen Kirche und andern religiösen Denk-
weisen (?) unserer Zeit." Schade, dass der Vrf., welcher sein Talent
für philosoph. Foi'schungen durch eine Abhandlung über das Verhält-
niss der Philosophie zur Theologie beurkundet hat, schon so frühe für
das päpstliche System gewonnen ward. Es ist auffallend, dass in die-
sem Jahre bes. yiele Lycealprofcssoren Verräther an der Wahrheit ge-
worden. Man erinnere sich nur an die seichten Sudeleien eines HHg
vmd JVirlh , welche die grösste Geistesarmuth beurkunden. — Wie
man vernimmt, sind auch hier einige Veränderungen im Lehrpersonale
eingetreten. Rektor des Gymnasiums blieb zur Freude aller Freunde
der Humanität der würdige Dr. Steinruck, zugleich Lehrer der Mathe-
matik. Die IVe Klasse wurde dem Prof. Mühlich, die Ille dem Prof.
Ilabcrsack, die Ile dem Prof. Mayer, zugleich Rektor der Stadtschule,
die le dem Prof. Edler von Mender verliehen. Die Interimslilasse
wurde dem Oberlehrer Haut und die übrigen Abtheilungen den Präce-
ptoren Kober, Fischler, Junglcib und Jakob übertragen. Die definitive
Besetzung soll demnächst erfolgen. — Zum Scholarchate wurde er-
nannt: der Pfarrer König, der Bürgermeister Dr. Bayl und der Medi-
zinalrath Weigand. Da das Rectorat der Lat. Schule prov. versehen
wird , so soll der ausgezeichnete und gelehrte Prof. Arnold von Mün-
nerstadt hierher berufen werden. Man arbeitet sehr daran , das be-
kannte Aufseessischo Seminar wieder einzurichten. — Die Regierung
des Obermainkreises ergriff mit Liebe luid Eifer die Gelegenheit, wel-
Beförderungen und Ehrcnbzeigungen. 417
che ihr der neue Schulplan zu segensreicher Wirksamkeit hot, indesa
andere Regierungen , der Erhebung des Lchrstandes ahhold , durch
alle möglichen Umtriehe das Gedeihen der Anstalten zu hemmen su-
chen. — Ueberhatipt aber wäre zu wünschen, dass man allerhöchsten
Ortes solchen Subjecten, Avelchc sich durch ihre Ausschweirungcn
oder Unwissenheit die öffentliche Veraditung zugezogen, die Aulnahmc
in den höhern Lehrstand verweigerte ; Avas bei der Eile , mit welcher
mau die Organisation betrieb, leider nicht geschah.
DÄNEMARK. Ira Herbst 182!) sind von den gelehrten Schulen des
Landes folgende Programme geliefert worden : von der Rothscuilbeb
Kathedralschule eine Abliandlung über die Laute und ihre Bezeichnung
in der alten Gricch. Sprache, vom Dr. Besch ; in Helsingör eine Ue-
hersetzung und Erklärung von Aratus Gedichten und dem ersten Buche
der Metamorphosen des Ovid , vom Prof. Mcisling; zu Slagelse eine
analytische Behandlung der Platonischen Körper, vom Adjunct Ander-
sen', von der Ode\seer Kathedralschule Plato's Etyphron , übersetzt
und mit einer Einleitung begleitet; von der Kathedralschule zu Ny-
KiÖBiNG eine Abhandlung über die Kampfspiele beim Grabe des Anchi-
ses nach Virgil, von Ludiv. Berg', von der Kathedralschule zu Uipew
Jon Jonsen Terchelsens Leben , vom Oberlehrer Hansen ; zu Hoiisens
eine Uebersetzung des 9u Gesanges der Odyssee im Versmaasse des
Originals, vom Prof. JForm , herausgegeben vom Rector Dorph. Ana
den Programmen der Universität zu Kopenhageiv sind zu beachten:
Nachrichten von einer ira Jahre 1827 in der alten Stadt Acre auf Si-
cilien gefundenen Kupferblatte mit einer Griech. Inschrift [ein Decret
der Einwohner, dem Kaiser Marc Aurel eine Statue zu errichten], von
niorJacius; und Madvig''s Abhandlung über einige Fragmente eines
vorgeblichen alten Latein. Grammatikers Luc. Cäcilius Minutianus
Apulejus über die Orthographie, aufgefunden und herausgegeben von
Mai in Rom. ")
DoBPAT. Die Universität zählte ira Winter 18|§ 647 Studenten,
darunter II Ausländer, 84 Theologen, 80 Juristen, 227 Mediciner,
256 Philosophen.
DuisEUKG. Zum Director des Gymnasiums ist der bisher. Oberleh-
rer am Gymn. in Hamm, Rector Schulze ernannt worden.
Helsingfors. Die seit dem 10 Dec. 1828 in Anwendung gebrach-
ten Statuten der K. Alexanders-Universität in Finnland sind im J. 1829
gedruckt erschienen, und zur allgemeinen Kunde gebracht. Aus ihnen
heben wir folgendes aus. Die Universität steht unter der Oberaufsicht
eines Kanzlers und das Corpus aller ordentlichen Professoren führt den
Namen Consistorium. Dieses Consistorium wählt aus seiner Mitte den
Rector, jedesmal auf drei, und den Prorector, jedesmal auf ein Jahr:
beide bestäti<2:t der Kanzler. Dasselbe hat das Vorschlaffsrecht zurße-
*) Von dieser letzten Schrift, welche diese Fragmente des Apulejus für
eine Erdichtung des J 5 Jahrb. n. Chr. erklärt, folgt nächstens eine Beur-
tlieilung in den Jahrbüchern.
478 Schul- und Universitätsnachrichten,
Setzung der erledigten Profcssuren , und der Stellen des Secretairs,
der Adjunctcn , des Sjndicus , der Lectoren und Exercitienmeister.
Die Professoren ernennt der Kaiser, die übrigen derKanzler. Die Stu-
denten sind, wie bei der alten Verfassung, zur Beaufsicbtigung ihres
sittlichen Verhaltens in Abtheilungen getbeilt, deren jede einen Pro-
fessor zum Insiiector und einen Adjuncten oder Docenten zum Curator
hat; die nähere Einrichtung stellt das Consistorium fest. Die theolo-
gische Facultät besteht aus 4 ordentlichen Professoren und 2 Adjuncten,
die juristische aus 3 ordentlichen Professoren und 2 Adjuncten , die
medicinische aus 3 ord. Proff. und 4 Adjuncten, die philosophische
aus 11 ord. Proff. [für Philosophie, Mathematik, Physik, Astronomie,
Chemie, Naturgeschichte, Geschichte, Dichtkunst luid Beredtsamkeit,
Griechische Literatur, Orientalische Literatur und Literärgeschichte],
1 ausserord. Prof. für russische Literatur und 7 Adjuncten. Jeder Pro-
fessor liesst wöchentlich 4 Stunden öffentlich , ausserdem privatim auf
Verlangen der Studenten. Die Lesetermine dauern vom 15 Sept. bis
15 Deceniber und vom 15 Jan. bis 15 Juni. Kein Lehrer darf die Gren-
zen seines besondern Fachs überschreiten, ist aber in der Einrichtung
seiner Vorträge nicht beschränkt. Die Fakultäten ertheilen die Grade
eines Candidaten, Licentiaten und Doctors, die philosophische auch die
eines Magisters ; die theologische Doctorwürde giebt auch der Kaiser.
Hinsichtlich der Jurisdiction der Universität entscheidet der Kector für
eich über Dienstvergehen der Unterbedienten, über geringere Versehen
der Studenten und deren Schuldsachen ; der Universitütsgericlitshof (der
aus 3 Proff. und 2 Adjj. der Jurist. Facultät besteht _) über Civil-
etreitigkeiten der Stiulenten und Graduierten ; das Consistorium über
Dienstfehler der Beamten und über die innern ökonomischen Angele-
genheiten der Universität, doch ohne das Recht, Zeugen eidlich zu ver-
nehmen; die Studien- und Disciplincommission (welche aus dem Rector
und 4 Proff., von denen 3 Abtheilungsinspectoren seyn müssen , be-
ßtehtj über grössere Disciplinarvergehungen der Studenten und Gra-
duierten und über Unlleiss der ersteren. Die Einkünfte der Universi-
tät bestehen in dem Genüsse gewisser Pastorate (Praebende^ und
Ackerhöfe (heraraanj, in Renten aus andern Höfen, Zehntgetraidc aus
dem Kronraagazin, einigen haaren Zuschüssen aus drei Stiftungen etc.
Der jährliche Gehalt eines theologischen Professors besteht aus 244
Silberrubeln 10 Cop. haar, 1248 Ruh. 48 Cop. in sonstigen Emolumen-
ten und den Einkünften eines Pastorats ,• auch jeder theolog. Adjunct
hat ein Pastorat. Jeder andere Professor erhält einen hemman, 333^-
Rubel haar und 1164 Rubel in Emolunienten. Fünfundzwanzigjährige
Dienstzeit mit GOjährigem Alter verbunden giebt Anspruch auf vollem
Gehalt als Pension.
KopExuACEN. An des verstorbenen Nyerup Stelle ist der Profes«
sor Rask Universitätsbihliothekar geworden.
Petersburg. Durch eine Kaiserl. Verordnung vom 30 Jan. (11
Fehr.^ 1830 sind für die Akademie der Wissenschaften mehrere neue
Bestimmungen gegeben worden. Der Etat derselben ist auf 200,100
Beförderungen und Elirenbcz eigungen. 479
Rubel festgesetzt. Sie soll aus 21 ordentlichen Akiidenilkeri beste-
hen , von denen jedei- einen Jalirgehalt von 500(^ Uuliuln u ul na«;h
20jähr. Dienste von 1000 Uub. Zulage bezieht, und die auf lolgende
Weise vertheilt scyn müssen: l) in der luathemat. Klasse: 2 lir reine
Mathematik, 1 für angeAvandte Mathematik, 2 für Astronomie, 1 Cur
Geographie und Nautik ; IIJ in der natiirMissenschaftl. Klasse: 2 für
Physik, 1 für allgemeine Cliemie, 1 für Technologie und angewandte
Chemie, 2 für Zoologie, 1 für Botanik, 1 für Mineralogie, 1 für ver-
gleichende Anatomie und Physiologie; 111^ in der histor.-pollt. Classe:
1 für StaatsM'irthschaft und Statistik, 1 für die russische Geschichte und
Alterthümer , 2 für Gricch. und Rom. Alterthümer, 2 für Asiatische
Geschichte und Literatur. Die Zahl der Adjuncten ist von 20 auf 10
beschränkt, und sie sollen künftig nur für diejenigen AVissenschaften
gewählt werden, für welche sie als nötliig und nützlich erkannt wer-
den. Die Eleven der Akademie werden als überflüssig anerkannt und
hören auf. Der Aufseher des Museums Avird, da er vielerlei praktische
Kenntnisse besitzen muss, nicht aus der Mitte der Akademiker gewählt.
Rostock. Am 10 Dec. feierte die Universität , wie gewohnlich,
den Geburtstag des Grossherzogs durch eine öfTentliche Rede des Pro-
fessors der Beredtsamkeit Fr. V. Fritzsche , welche die Verdienste des
Grossherzogs um die Universität seit dem Antritte seiner Regierung (d.
24 Apr. 1785) auseinander setzte. Sie ist später gedruckt worden unter
dem Titel: Oratio die natali Friderici Francisci, Magni ducis Megalo-
politani, X mens. Decemb. 1821) in auditorio acad. maximo habita a
Franc. Vülcra. Fritzschio, eloq. et poes. prof. Rostoch. literis Adlerianis.
20. S, 4. Ausser dass vor kurzem bei der Universität ein philologi-
sches Seminar unter der Direction des genannten Prof. Fritzsche errichtet
worden ist, so wurde an diesem Geburtstage zum erstenmale eine phi-
lologische Preisaufgabe (de Lenaeorum , Anthesteriorum et Dionysio-
rura apud Graecos rationibusj für die Studirenden aufgegeben, die
künftig alle Jahre wiederholt werden soll, und für welche der Preis
(6 Friedrichsd'or) allemal zum Geburtstage des Grossherzogs ertheilt
werden soll. Preiswähler sind allemal die Decane der vier Facultäten
und der Director des philologischen Seminars; die gekrönten Preis-
schriften sollen gedruckt werden.
Angekommene Briefe.
Vom 24 Nov. 1829. [erst im März 1830 eingegangen ] Br. v. H.
a. A. [besondere Antwort folgt. Einstweilen herzlichen Dank.] —
Vom 22 Dec. 1829. [Erst im Apr. 1830 eingegangen] Br. v. D. a. G.
[Danke herzlich. Soweit als möglich Averde ich es beachten.] — Vom
2 Jan. Br. v. i\ a. D. [Herzlichen Dank.] — Vom 10 Jan. Br. v.
M. a. Z. [Sind richtig angelaugt und zum Theil schon gedruckt.] —
Vom 20 Jan. Br. v. R. a. C. [Freundlichen Dank für die Anlage.
Das Andere brieflich.] — Vom 4 Febr. Br. v. 0. a, Z. [Ist alles
richtig.] — Vom 4 Febr. Br. v. G. a. JF. [Ich habe es sofort be-
480
<
sorgt.] — Vom 17 Febr. Br. v. K. a. Z. [Einstweilen herzlichen
Dank.] — Vom 18 Febr. Br. v. ß. a. B. [Ich hoffe Sie zu überzeu-
gen , tlass der Drang der Umstände es nicht anders erlaubte.] — Vom
22 Febr. Br. v. IV. a. B. [m. Recc] — Vom 25 Febr. Br. v. 0. a.
C [Die Anlage ist sehr willkommen.] — Vom 27 Febr. Br. v. V. a.
iV. [Danke herzlich; bitte um Fortsetzung.] — A'om 3 März. Br. v.
S. a. C. [Freundlichen Dank, dem möglichst schnelle Gewährung fol-
gen soll.] — Vom 6 März. Br. v. W. a. G. [Den Dank wünsche ich
durch Erfüllung des Wunsches auszusprechen. ] — Vom 6 März.
Br. V. P. a. F. [ist alles richtig.] — Vom 9 März. Br. v. P. a.
Z. [ Freundlichen Dank für die Anlage. ] — Vom 27 März.
Br. V, F. a. M. [Danke freundlich für die Anlage.] — Vom 28 März.
Br. V. W. a. H. [Herzlichen Dank für die Anlage. Sobald als mög-
lich werde ich dem Wunsche genügen.] — Vom 2 Apr. Br. v. /f. a. O.
[m. Recc, folgt Antwort.] — Vom 3 Apr. Br. v. B. a. S. [Danke
herzlich. Kächstens folgt die Coli, zurück.] — Vom 4 Apr. Br. v.
M. a. Z. [Folgt besondere Antwort.] — Vom 5 Apr. Br. v. //. a.
Z. [Sobald als möglich werde ich Beiträge zu liefern suchen.] —
Vom 6 Apr. Br. v. M. a. C. [Folgt nächstens Erklärung.] — Vom
6 Apr. Br. v. M. a. C [Die von mir nicht verschuldete Versäumniss
ist beseitigt. Das Anerbieten halte ich nicht für nöthig.] — Vom 7
Apr. Br. v. S. a. K. [War schon geschehen, bevor das Sehr, geschrie-
ben ist.] — Vom 8 Apr. Br. v. W. a. M. [m. Rec. u. Progr.] —
Vom 9 Apr. Br. v. Ä. a. Z. — Vom 12 Apr. Br. v. J. a. C. — Vom
14 Apr. Br. v. S. a. D. [m. Rec] — Vom 15 Apr. Br. v. St. a. D.
''An dem Willen bitte ich nicht zu zweifeln ; nur an Zeit und Möglich-
Iteit.] — Vom 16 Apr. Br. v. K. a. H. [folgt Antwort.] — Vom 16
Apr. Br. v. D. a. S. [Für die Anlage bin ich dankbar verbunden. Wün-
schenswerth würde noch die Mittheilung der zwei ersten Abtheilungen
der Geschichte des Gymnas. bleiben.] — Vom 17 Apr. Br. v. A. a.
G. [m. Rec] — Vom 17 Apr. Br. v. O. a. R. [Inlage ist besorgt.]
— Vom 23 Apr. Br. v. CA. a. D. [Rec. ist richtig eingegangen.] —
Dru ckfehler.
Jahrbb. XII. S. 19 Z. 12 l. 88 st. 48.
- 19 - 27 1. Mai st. Majo.
- 19 - 37 — 48 der Satz : Nicht erwähnt findet sich etc.
ist zu tilgen.
- 49 - 16 1. allarförmigen st. altförmigen.
- 49 - 29 ist Frühlings zu streichen, und ebenso die vor-
hergehenden Worte mit dem Frühling
zugleich (wie Philostratos sagt) kommende.
- 317 - 4 1. Phys. 3. 4. st. Phys. 3 u. 4.
- 317 - 11 l. des tÖ ös st. das x6 ös.
- 317 - 11 l. Frühern st. frühere.
- 327 - 15 v. u. 1. den st. der.
- 330 - 21 l. substralum et. sustratum.
- 331 - 13 v.u. i. mit desto grösserem st. mit grosserem.
Inhalt
von des ersten Bandes viertem Hefte.
)e8 Demosthenes PLilippische Reden, übersetzt \
und erläuteil von Becker. ' I
[Temosthenis Pbilippicae. In us. «cbol. e(Iid.( ^'^"* ProfeBsor Rm-
^ jLjr l chenftcin in Aaraa. S. 371 — 400
)emostbeni8 PhSlippicae. Edidit Rüdiger. }
)vidii libri Tristiom. Znm Schalgebranch herausgegeben. Leipz. b.
Schnickert — Vom Gymnasiallehrer Loers in Trier. . . 401 — 419
*iene allg. geograph. u. statistische Ephemeriden. liedigirt von Hassel.
— Vom Dr. JVeise in Orlaraünde. ...... 419 —
Schal- und Universitatsnachricaten , Beförderungen und Ehrenbezeigungen-
ai -f
mii'fWWmWWWrWmn
PA Jahrbücher für Philologie und
3 Paedagogik
N64.
Bd. 12
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY