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Full text of "Jahrbücher für Philologie und Paedagogik"

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d 


eVf/72 


JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  UND  PÄDAGOGIK. 


Eine   kritische   Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

M.  Joh,  Christ,  Jahn, 


F  ii  nft  er    Jahrgang. 


Erster  Band.     Erstes   Heft, 

Oder  der  gansen  Folge 

Zwölfter    Band.       Erstes    Heft. 


L  e  i  p  z  i  g, 

Druck  giind    Verlag  von    B.  G.  Teubner. 
18     3     0. 


Si   qnid  novisti  rectius  istis, 
Cnndidus  imperti;    ei  non,  hia  iitere  mcnnm. 


^^RzAiV^^ 


JÜL14V9/1 


3 


\(l-\-l 


Inschriften. 


Analyse  critique  du  recueil  d'inscriptio7is  Grecques 
et  Latines  de  M.  le  cointe  de  Vidua,  par  M.  LeUonne.  Paris  1828. 
46.      S.  8. 

,,v^ette  Analyse  se  compose  de  la  re'unioii  de  trois  articles  sur 
la  collectioii  interessante  d'insciiptions  grecques  et  latines, 
publie'es  par  M.  le  comte  de  Vidua,  et  iatitule'es:  Insciiptio- 
nes  antiquae  in  Turcico  ilinere  collectae.  Ces  articles,  qui 
ont  paru  dans  le  Journal  des  Scwcms^  *)  avaient  pour  objet  de 
faire  ressortir  l'utilite'  de  cette  collection,  en  signalant  les  indi- 
cations  nouvelles  dont-elte  ienrichit  la  langue  grecque  et  l'lii- 
stoire.  Je  les  reproduis  avec  des  augmentations,  mais  sans 
changer  leur  caractere  priniitif,  et  j'y  ai  Joint  la  notice  de  plu- 
sieurs  inscriptions  inedites,  trouvees  en  diverses  parties  de  la 
Grece  et  de  la  Syrie ,  et  qui  m'  out  ete'  connues  depuis.^'  In- 
dem wir  diese  Worte,  v/elchellerr  L  etro  n  ne  gewisserraassen 
als  Vorwort  seiner  Analyse  vorausschickt,  hier  mittheilen,  glau- 
ben wir  um  so  mehr  von  einer  Auseinandersetzung  des  Inhalts 
und  Zwecks  dieser  gelehrten  Schrift  absehen  zu  dürfen,  als  der 
Verfasser  in  dem  Obigen  sich  dariiber  selbst  hinlänglich  aus- 
gesprochen hat.  Die  Verdienste,  welche  II.  Letronne  sich  um 
alte  Geschichte  und  Alterthümer  erworben  hat,  wie  auch  seine 
Methode,  alte  Inschriften  zu  erklären,  sind  allgemein  bekannt, 
und  es  wird  daher  zur  Charakteristik  und  Würdigung  dieser 
Schrift  hinreichend  seyn,  wenn  wir  versichern,  dass  wir  in 
vorliegender  Schrift  dieselben  Eigenschaften  wiederum  anzuer- 
kennen gehabt  haben  ,  durch  welche  ihr  Verfasser  sich  bereits 
eine  Stelle  unter  den  ersten  Alterthumsforschern  unserer  Zeit 
erworben  und  sich  diesen  iVamen  aucli  für  die  zukünftige  Zeit 
dauernd  gesichert  hat.  Es  sey  genug,  hier  nur  die  vortreffliche 
Erklärung,  die  Augustische  Familie  betreft'end,  S,  32  —  33,  wie 
auch  die  gelungene  Wiederherstellung  einer  in  Syrien  gefunde- 
nen Inschrift  S.  16  ff.  heraus  zu  heben. 


•)  Im  Augustheft  1827. 

1* 


4  Inschriften. 

Die  Sammlung  interessanter  Steinschriften ,  die  das  Publi- 
cum den  Bemühungen  des  Giai'en  Carl  Vidua  verdankt,  ist 
jetzt  wohl  allgemein  bekannt,  und  wir  brauchen  von  der  Wich- 
tigkeit dieser  Monumente,  die  wenigstens  einem  grossen  Theiie 
nach  die  Aufmerksamkeit  der  Alterthumsforscher  in  Anspruch 
nehmen,  um  so  weniger  hier  zu  reden,  da  wir  in  diesen  Jahr- 
biichern  selbst  (1828  Bd.  1  Heft  1  S.  30  ff.)  sie  in  einer  beson- 
dern Recension  ausführlich  gewürdigt  haben,  und  wenn  Rec. 
dabei  in  vielen  Punkten  der  Erklärung  und  Wiederherstellung 
der  Inschriften  mit  Hrn.  Letronne  zusammengetroffen  ist,  wie  die- 
ses sich  nun  aus  der  Vergleichung  beider  Analysen  ergiebt,  so 
glaubt  Rec.  seiner  eigenen  Arbeit  Anerkennung  versprechen 
zu  dürfen.  Das  Geschäft  des  Rec.  bei  gegenwärtiger  Anzeige 
kann  kein  anderes  seyn,  als  bei  einzelnen  Inschriften  die  viel- 
leicht von  H.  Letronne  abweichende  Erklärung  des  Rec.  kurz 
anzugeben  oder  eine  nachträgliche  Bemerkung  hinzuzufügen, 
wo  der  Herausgeber  entweder  zu  kurz  einen  Gegenstand  be- 
handelt, oder  die  Eiklärung  ganz  von  sich  gewiesen  hat.  Be- 
merkt mag  noch  werden,  dass  sich  H.  Letroune's  Analyse  bis 
auf  wenige  Stellen  auch  wieder  abgedruckt  findet  in  Fe'russac 
Bulletin  des  sciences  historiques,  1829,  Avril,  S.  469  ff.,  so 
dass  demnach  in  Frankreich  drei  Abdrücke  dieser  Analyse  vor- 
handen sind.  Wenn  übrigens  in  gelehrten  Blättern  bemerkt 
worden,  weder  die  Analyse,  noch  die  Inschriftensammlung 
selbst  sey  auf  dem  Wege  des  Buchhandels  zu  haben,  so  müs- 
sen wir  diesem  Gerücht  aus  eigner  Erfahrung  widersprechen, 
trotzdem,  dass  H.  Letronne  S.  44  selbst  angiebt,  die  Schrift 
von\idua  sey  nicht  käuflich  zu  haben,  sondern  scheine  nur 
vom  Herausgeber  an  Freunde  vertheilt  worden  zu  seyn. 

Von  denen  auf  Tab.  XIX  und  XX  befindlichen,  in  Nubien 
entdeckten  beiden  christlichen  Inschriften,  augenscheinlich  aus 
einer  sehr  späten  Zeit  behandelt  11.  Letronne  S.  14  die  eine  klei- 
nere, und  es  trifft  hier  die  Art  und  Weise,  wie  er  sie  herstellt, 
vollkommen  mit  den  Bemerkungen  in  unserer  Recension  S.  34 
zusammen.     Sie  lautet  also  nach  Letronne  :  *) 

+—  — 

0&CTf\iNnNJTi\iNKJI      '  0  ^aog  tav  nvtvnätav  Kai 

nACltCjPKOCOTj/^N&A    Tiäörjg  öagaög,  6  tov  &(x- 

NATi^NKATAPnCACKAl  vazov  icaraQyo]6as  xal 

AzlHNKATAnATWAC         äÖrjv  auTajiarijöag 

5  KAIZi\[HTi^KOCM]A[  Kai  ^«7Jv  t«  j^döficj 


*)  Wir  gtljcn  die  Inschrift  selbst  nach  Vidua,  da  sie  bei  Letronne 
nicht  ganz  genau  (vcrgl.  z.  B.  Zeile  14)  niitgetheilt  worden.  Statt  des 
(O,  Melches  in  gleicher  Form  und  Grösse  nicht  vorhanden  war,  ist 
überall  ein  umgekehrtes  M  gewählt  worde«. 


Letronne:  Analyse  critique  du  recueil  d'inscriptions  deM.  de  Vidua.     5 

XAPICAMC-NOCJNJ  xaQLöä^Bvog,'  avcc- 

HA TCOJS  TUN  W VXHN         navöov  rr^v  ^vxr]V 

THN^OVAHNCOTKOXC^lTilv  dovh]v  öov, 

MQ-IAN^NKOAniCTi^N       .  .  .  Iv  ii6l7ioi£  xäv 
lOnPNABPAAMKAlICAK        jtartgav'Aßgaa^i,    xaVlöaäx^ 
KAIIAKi\jB^KOIMH&I         Tial'laxüß-  axoL^ij^trj 

CQN^^HMAIX<XfAPMO        (poQjio  

T0ICZINzJIA+  v&l  iZ  'IvÖLzrlcovos  lA. 

Die  letztere  Lücke  Zeile  12  ist  schwer  auszufüllen  ,  da  sie 
einen  Ortsnamen  zu  enthalten  scheint,  und  die  Abschrift  hier 
ung^enau  ist.  Eben  so  schwierig  ist  es  Z.  8  u.  9  einen  Sinn  aus 
den  Buchstaben  KOXC^IMQIAN  herauszubringen,  und  Le- 
tronne hat  sie  daher  ganz  fallen  lassen.  Mit  Gewisslieit  wissen 
wir  aucli  keine  Ergänzung  vorzuschlagen:  doch  ist  es  augen- 
scheinlich, dass  hier  ein  Participiiim  verborgen  liegen  rauss  wie 
aal  'üHidviqv.  Evang.  Joann.  XIII,  23  :  v}v  öl  dvaxsifisvog  elq  Ix. 
Tcov  ^ad^7]tc5v  avtCL»  Iv  tcj  ii6?i7Tcp  rov'hjöov,  wenn  aucli  in 
keinem  figürlichen  Sinne  gebraucht.  Näher  liegt  vielleicht  noch 
zu  ergänzen  xal  (es  müsste  nämlich  der  Buchstabe  K  durch 
%a\  erklärt  werden,  wie  oft)  dv^iiih'riv^  worauf  eine  Stelle  der 
Constitution,  apostol.  VIII,  41  (in  Fabricii  Cod.  pseudepigraph. 
vet.  testam.  S.  42t))  führt:  xat  ikaog  zal  8v^BTt]g  ysvö^^vog 
icatard^r]  sig  xägav  Bvösßäiv^  dvei^tvcov  üg  xoXtiov  'Aßgadii 
%a.Vl(jadK  %ai  'laxaß  ^ixä  TcdvTCOV  xäv  d%^  alcovog  ivagiöri]- 
öävtav  xal  tioitjöccvtcov  ro  ^ilri^a  avtov,  h>&a  dn^öga  oÖvvt} 
aal  Xvnri  xal  öttpay^ög-  Lassen  wir  dieses  dahin  gestellt,  so 
ist  aus  der  Anführung  der  drei  Patriarchen  schon  klar,  dass 
diese  Inschrift  einer  später«  christlichen  Zeit  angehören  muss^ 
da  bekanntlich  die  frühere  bei  diesem  Gleichniss  nur  des  Abra- 
ham gedenkt.  Evang.  Lucae  XVI,  23,  24.  Die  Veranlassung 
zu  dieser  Ansicht  ist  aber  schon  in  der  Verheissung  Evang.  Matth. 
VllI,  11  :  xai  dvaakLd'^GovTai  (xsvd  'Aßgad^  aal  'löaäx  x«t 
'la'Acoß  ev  ry  ßaöiXBia  täv  ovgavcov,  woraus  die  vollständige 
Formel  entstanden,  IV  Maccab.XIII,  16  (vgl.  Euseb.  negl  avto- 
xgdrogog  koyiö^ov  Hl,  10):  ovrcog  ydg  na^övrag  v^äg  'Aßga- 
ccß  nai  'löadx.  xccl  'laxwß  v7iods£,ovTai  slg  roV^g  xölnovg  avtcöv. 
Wir  lassen  nun  gleich  die  andere  ausführlichere  Inschrift 
folgen. 

O&CTmi  NUNAT^NKnACHC 
CAPKOCOTON&  ANATONKAITAPFH 
CACKAITfAiNAzJHNnA&ACIICKZ^ 
5      HNT0TK0CM0TXAPICACM(:N0C 

ANAnATCONTHNWTXHNTHN .  .  71 
CIN  . .  .  e  .  <  .   KOAnOCIAlBPAA]M 


6  Inschriften. 

KJIICJK[KAI]UK[f\[B]mTi\[0W  TINON 
^NTf^f^f\[KAO^^(^NTl\l^fA[ANAWV 
10     T[\[(cNTAmjPAO/JHriCACKAIANA 
MAP  TITfAjNnAPA  TTO  TU  APA  X0^N 
TAAOAN^PrONHKA  TA^HANOI 

ANANlCAf^^COCAFA&iAlNKAim 
AANOCKAICTNXjmPHCONO  TIO  2' 

15     KOVICTINANwNi\tCZHC(^TAIKAI 
XOTKAMAPTlC(^CTrAPMONOC 

oecnACHCAMAPTiAceKTocrnA 

PXHCJKO  CrNHKAIHJHK^  0  CTNH 
CTFAPOIANAnJ  TCHCTHNO  TAG 

K  

£0      TAMHP^niCnAXi^PACQrTl 
TACOXf\[NXn0     nAXMfPAC 
KAIANACTACINKAICOITHN/IO 
PANANAM(^nOM^NTii7nPKTfM 
T^KT[^AriAi\[nmNTNKA(^H       _ 

25     ^iCTOICOi^NACACTwwl'^NwNz^ 
TAHTHTHCZwHC^niTHCTHC 

HM^PA  :  0 :  ANA  HA  TCON     0AP 
—  N 

:A:  AnOMAPTV  .  (^  : 

Wag  wir  davon  haben  ausmitteln  können ,  besteht  in  Fol- 
gendem : 

+  ^  +  ß  + 

'O  O'EOg  räv  Tivsvfidtav  xal  Ttdörjg 
6aQx6g,  6  röv  Q^ävarov  aazagyr]- 
ßag  nal  tov  "Adrjv  Ttccr/jöag  xal  t,co- 
5        iqv  TOV  aoG^ov  %aQi,6cc^Bvog, 

uvänavöov  xriv  ipvirjv  rrjv  Ö[ovX7]v  öov] 

xokTCoig  A[ßQau^] 

xal  ^löadx  [■Kai]  'iax[cö/3] 

In  den  folgenden  Zeilen  lässt  sich  wohl  manches  herausle- 
sen, wie  z.  B  Vs.  8  av  ta  rpcorl ,  10  o8ri)»]6ag^  xal  dva^ag- 
Tijtav,  TiQax&ivta  oder  raQax&BVva,  11  xazd  dr]  dvoiav  ävig 
ccq)t6Ecog  dya^cov  xal  (pildvdgcoTiog  (oder  vielleicht  (jptAo:i'0"p(o- 
nag).  'Avig  statt  avzv  ist  aus  JNikaiidros  Alex.  419  bereits  an- 
gemerkt. Auch  findet  sich  diese  Form  auf  einer  Inschrift  aus 
christliclier  Zeit,  von  Rec.  raitgetlieilt  in  der  allgcm.  Schulzei- 
tung 1828  No.  91  S.  746.  Von  den  folgenden  Zeilen  lässt  sich 
wieder  einiges  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  herausbringen. 


Letronne:  Anaijse  crUiquc  du  recueil  d'inscrlptions  de  M.  de  Vidua.    7 

—  xat  övyxcoQrjöov  o,Tt  ov- 

15     x  tövlv  dv&QOJTcav^  ag  ^^öbtcci  xal 
ovK  a^ccQT^öH'  6v  yccQ  ^ovog 
6  &s6g,  ndörjg  d^ccQtiag  txtog,  vna- 

QX^f'9    ÖLTCKLOÖVVJ]    Kai    t?.E7]fl06VV1]  ' 

6v  yccQ  bI  dvänavöig  xiig  dovleias 
20 

xccl  dvdöTccGiv  xccl  6ol 

gav  dvcc7iE(i7io^EV  ta  narsQL  xat  rw 
via  xal  T(p   ccyia  TtVBVfiari  vvv  xal  ßfl 
25     ilg  TOi)g  aiävag  täv  aiavav  .... 
td  trr]  t^g  ^coj}g  87ii  yijg' 
'Hfisga  :  .  :  dvdnavöov     q)ttQiiovQl 
:  d'  :  dno  (laQtvQcav  v&'. 

Der  Anfang  dieser  Inschrift  ist,  wie  man  sieht,  der  erstem 
kleinern  bis  auf  wenige  Veränderungen  ganz  gleich.  Wir  be- 
schränken uns  auf  folgende  Bemerkungen  über  dieselbe.  Vs. 
1.  Die  bekannte  christliche  Formel  A  +  Sl  bedarf  wohl  kei- 
ner Erklärung.  Vs.  2.  3.  Tidör^g  Gagnog.  Wir  erinnern  hier 
an  eine  im  Giornale  Arcadico  1821  Tom.  XI  S.  232  mitgetheilte 
Inschrift : 


[ET.  VERBVM.  CARO.  FACTVM.  EST 

Vs.  4.  Dass  IIAQACMC  statt  nat^Gag  stehe,  beweist  die  andre 
Inschrift,  auf  welcher  wir  an  dieser  Stelle  xatanaz'^öag  finden. 
Uebrigens  muss  wohl  die  Formel  tov'Aiörjv  Tcartjöccg  auf  das 
bekannte  Hinabsteigen  Jesu  in  die  Unterwelt  {natdßaöig  slg 
"Aid7]v)  und  die  dadurch  kewirkte  Erlösung  der  noch  daselbst 
des  christlichen  Heils  bedürftigen  Seelen  bezogen  werden. 
Vgl.  Münscher'sHandb.  der  christl.  Dogmengeschichte,  Th.  IV 
S.  410  ff.  —  Vs.  7.  Hier  muss  dieselbe  Ergänzung  statt  finden, 
die  in  der  kleinern  Inschrift  an  derselben  Stelle  anzuwenden 
seyn  wird.  —  Vs.  15.  In  KAI  am  Ende  der  Zeile  liegt  viel- 
leicht xal  aft,  so  dass  nämlich  AI  aus  falscher  Aussprache  für 
AEI  stehe.  Dass  Vs.  24  dal  geschrieben  werde  A^-H,  trägt 
nichts  aus.  —  Vs.  18.  Die  Formel  dixaioövvi]  xal  sleripioövvt} 
findet  sich  Baruch  V,  9.  Bekannt  ist ,  dass  xai  als  Copula  häu- 
fig auf  späteren  Monumenten  mittelst  eines  blossen  x  ausge- 
drückt wird:  selten  ist  diess  der  Fall  bei  der  blossen  Sylbe 
xat  mitten  in  einem  Worte,  wie  hier  in  öixaioövvrj.  Ueberse- 
hen  darf  aber  nicht  werden,  dass  wo  x  so  viel  als  xat  auf  un- 
sern  Inschriften  bedeutet,  jener  Buchstabe  mit  einem  verlänger- 
ten Zuge  des  untern  schrägen  Striches  dargestellt  erscheint. 
Dieser  konnte  freilich  vom  Abschreiber  leicht  übersehen  wer- 
den, und  wo  wir  ein  xal  in  x  zu  finden  glauben ,   brauchen  wir 


8  Inschriften. 

«ns  wohl  nicht  überall  an  den  Umstand  zu  binden,  dass  das  k 
dieses  verlängerten  Zuges  entbehre ,  wie  vielleicht  Vs.  15.  — 
Vs.  25.  So  wunderlich  und  scheinbar  verschieden  auch  unsre 
Lesart  von  der  Abschrift  zu  seyn  scheint,  so  kann  doch  an  der 
Richtigkeit  der  vorgeschlagenen  kein  Zweifel  seyn,  die  sich 
auch  bei  genauer  Analysirung  der  einzelnen  Schriftziige  auf 
eine  ungezwungene  Art  ergiebt.  Die  ganze  Phrase  ist  aus  dem 
alten  und  neuen  Testamente  bekannt  genug.  Was  hinter  alcövav 
folgt,  liess  sich  nicht  entziffern.  Wahrscheinlich  jedoch  liegt 
darin  die  Zahl  der  Jahre  verborgen,  die  der  Verstorbene,  dem 
die  Grabschrift  gilt,  gelebt  hatte,  so  dass  dieselbe  mit  den 
folgenden  Worten  rä  errj  zu  verbinden  seyn  werden.  Darauf 
scheint  die  Angabe  desjenigen  Tages  Vs.  27  gefolgt  zu  seyn, 
an  welchem  jener  gestorben,  nämlich  nach  den  christlichen 
Wochentagen,  die  sich  in  diesem  Falle,  wie  der  unsrige  ist, 
häufig  auf  späten  Inschriften  finden.  In  dem  Zeichen,  welches 
auf  rjUEQCi  folgt,  liegt  die  Bezeichnung  dieses  Tages,  und  wenn 
man  eine  Vermuthung  wagen  darf,  so  könnte  der  Sonntag  ge- 
meint seyn,  indem  das  abgekürzte  ijkiog  oder  hier  vielmehr 
i^Uov  in  seiner  Form  ^  ,  wie  es  Rec.  in  astronomischen  Hand- 
schriften oft  gefunden  und  auch  schon  von  Ducange  Gloss.  Gr. 
App  S.  16  abgebildet  worden,  leicht  vom  Abschreiber  verkannt 
werden  konnte.  Die  einzige  Bemerkung  Ilrn.  Letronne's  über 
diese  Inschrift  betrifft  den  Schluss  ,  und  wir  setzen  sie  hieber, 
da  sie  die  wahrscheinlichste  Erklärung  enthält:  „II  est  difficile 
de  savoir  au  juste  ce  que  si;rnifie  la  ligature,  ou  la  sigle  de  la 
fin;  je  pense  toutefois  que  c'est  un  T,  auquel  il  manque  le 
trait  superieur  de  gauche;  dans  ce  cas,  on  lira  q^ag^ov^l  ^^ 
ccjto  ^aQTVQCov  T@  „Le  4  Pharmutbi,  Tan  409  depuis  les  mar- 
tyrs;'""  ce  qui  repond  ä  Tan  692  de  notre  ere." 

Beide  Inschriften  hält  Rec.  fiir  interessant  und  einer  Avei- 
tern  Berücksichtigung  werth.  Sehr  wichtig  dürften  sie  für  die 
Feststellung  der  Aussprache  des  Griechischen  seyn.  So  konnte, 
um  eins  nur  herauszuheben,  TUAPXHC  Vs.  17,  18  statt 
T7Z^PXß/C  geschrieben  werden,  weil  beides  in  der  Aussprache 
der  damaligen  Zeit  gleichlautete.  Vielleicht  würde  ferner 
auch  eine  eindringendere  Untersuchung  in  das  in  denselben 
ausgesprochene  Dogmatische  zur  gänzlichen  Wiederherstellung 
der  zweiten  Inschrift  fuhren  und  das  Ergebniss  liefern,  dass 
wir  in  derselben  das  Glaubensbekenntniss  einer  bestimmten 
christlichen  Secte  vor  uns  haben. 

Bei  Wiederherstellung  einer  in  der  Kyprischen  Salamis  ge- 
fundenen Inschrift  S  26  (Tab.  XXIX,  1)  sind  wir  beide  wie- 
derum bis  auf  ein  einziges  Wort  zusammengetroffen,  und  so 
scharfsinnig  und  gelehrt  auch  die  von  Letronne  aufgebrachte 
Lesart  3tQovo)]X£v6avza  seyn  mag,  so  scheint  sie  doch  noch  ei- 


Letronne:  Analyse  crhique  du  recueil  d'inscriptions  de  M.  dcVIdua.     9 

nigen  Zweifeln  zu  unterliegen,  und  wenn  wir  einstweilen  unsere 
Lesart  aycsvo^EzsvöKVta  festhalten  (vgl.  diellec.  S.  35),  so  ge- 
schieht dicss  nicht  aus  eitler  Vorliebe  für  das  Eigene.  Auf  der 
Inschrift,  die  ein  Decret  zu  Ehren  eines  uns  unbekannten  Wohl- 
thätcrs  von  Salamis  enthält,  werden  mehrere  Aeniter,  die  jeuer 
bekleidet,  und  Ehreuprädicatc  desselben  augeführt,  wie  dyoga- 
vo^r'jöavra.  Von  dieser  Art  niuss  auch  das  fragliche  Wort  seyn. 
Nun  weist  uns  H.  Letrouue  allerdings  aus  einer  von  Burckhardt 
in  Syrien  entdeckten  Inschrift  7iQovo7]Tal  nach  und  bildet  davon 
sprachgerecht  ein  den  Wörterbüchern  noch  unbekanntes  Wort 
TCQOVoijxevco.  Allein  in  jener  Inschrift  bedeutet  TiQOVorjrrjg  ei- 
nen mit  der  Aufsicht  oder  Fürsorge  für  einen  aufzuführenden 
Bau  Beauftragten  *),  also  keine  ständige  Amtswürde,  deren  Be- 
deutung sich  unmittelbar  aus  dem  Worte  abnehmen  Hesse. 
W'enn  daher  das  Amt  und  Geschäft  dieser  Conimission  erwähnt 
werden  sollte,  so  musste,  wenn  sie  verständlich  werden  sollte, 
iiothwendig  zu  7iQ0V07]T£v6avta  ein  Zusatz  des  Gegenstandes 
vorhanden  seyn,  weichen  jener  Unbekannte  befürsorgt  hatte. 
In  der  Syrischen  Inschrift  ersieht  man  aus  dem  vorhergehenden 
Texte  sogleich,  was  unter  TTQOvoyzrjg  zu  verstehen  sey  und  hier 
verlangte  niemand  einen  erklärenden  Zusatz. 

Die  Ergänzung  Letronne's  S.  28  von  Tab.  XXX,  3  ist 
scharfsinnig,  aber  zu  willkührlich.  Daire^en  stimmen  wir  voll- 
kommen bei  S.  20  in  Bezug  auf  Tab.  XXXI,  4.  Bei  Erklärung 
von  Tab.  XXXII,  1  haben  wir  beide  uns  wieder  wechselseitig 
begegnet:  siehe  Letr.  S.  30  und  die  Rec.  S,  35.  Ob  der  Vor- 
name des  Julius  Cordus,  den  wir  von  Letronne  abweichend  aus- 
gemittelt  haben,  richtig  gefunden  sey,  überlassen  wir  II.  Le- 
tronne's eigner  Entscheidung.  Dasselbe  Zusammentreffen  fin- 
det statt  bei  Wiederherstellung  von  Tab  XXXIII,  2  (auf  Kypros 
gefunden),  mit  Ausnahme  einiger  Punkte.  Die  auf  Kypros  ge- 
fundene Inschrift  wird  von  Letronne  S.  33  IF.  so  gelesen: 

'/dcpQodlrrj  rrj  IlatpiK 
Fatov  Ov^i^LÖLOv  TtjQijTLVci  **)  KovdÖQaTOV,' 


*)  Die  Inschrift  lautet  nach  Letronne  in  kleiner  Schrift:  'j^yn&fj 
rv%rj'  Tb  itoivov  rz/g  Kcöfir]g  kuI  xov  &iov  ttjv  ItQuv  nalvßrjv  tuticsv, 
Sia  OvXniov  KalXiccvov  OövJiQavtxov  ytal  'A\_ßljaovtov  KaXov'iov  ßov- 
Ibvzov,  Kai  NiyQtvov  Ma^Qivov  [nicht  vielmehr  Ma-nqivov  ?J  OvCnqa- 
rtxov,  nQovoTjzcov. 

**)  So  giebt  den  Namen  der  Tribus  wirklich  der  Stein  statt 
TsQSVTtva :  es  kommt  diese  Rechtschreibung  wohl  auf  Rechnung  des 
mit  den  Namen  der  Römischen  Tribus  wenig  bekannten  Kyprischeu 
Steinmetzen. 


10  Inschriften. 

•COV    CCQXlSQSa, 

Tov  aal  IlavTavxiccvdv  Fatov 

T)jQt]TiVCi 

Ov^lXiölov  Uavravxov  viov, 

Xi]öavTOs,  Klavöia  '/iTtcpagiov 
TavxQov  &vydr)]Q,  i]  clgpegna  tav 
icard  KvTtQov  ^Jr]pir]TQ6g  veäv, 
TOV  eavtiig  vlcotöv,  evroiag 

Die  Inschrift  gehörte  nach  Letronne  wahrscheinh'ch  als  Base 
zu  einer  Statue,  welclie  in  dem  Tempel  der  Paphischen 
Venus  aiifjestellt  gewesen  sein  soll.  Letronne's  sonstige  Be- 
merkungen betreffen  fast  nur  den  Namen  "'ATKpä.QLOv  und  sind 
ohne  Belang.  Darum,  glauben  Mir,  wird  folgendes  um  so  will- 
koramner  sein,  als  wir  schon  in  der  Rec.  uns  eine  weitere  Erör- 
terung der  Inschrift  vorbehalten  hatten.  Zuerst  setzen  wir 
das  Familienstemma  her,  so  weit  sich  dieses  aus  der  Inschrift 
ergiebt. 

Teucer 

Claudia  Appharion 

Gaius  ümmidius  Pantauclius 

Gaius  ümmidius  Quadratus  Tantaucliianus 

Glücklicherweise  kennen  wir  die  hier  genannten  beiden  Ura- 
midier,  Vater  und  Sohn,  auch  sonst  noch  aus  der  Geschich- 
te, wodurch  es  möglich  wird,  das  ungefähre  Zeitalter  der  In- 
schrift zu  bestimmen.  Denn  an  der  Identität  der  Personen  wird 
nicht  zu  zweifeln  sein.  Erstens  finden  wir  einen  JS'umilius  Qua- 
dratns,  anfangs  unter  den  Freunden  des  Kaiser  Iladrian,  spä- 
ter von  ilim  verfolg^t,  bei  Spartian.  Hadr.  15,  wo  aber  die  rich- 
tige Lesart  IJmidiiim  aus  den  besten  Handschriften  erst  her- 
gestellt werden  muss:  in  der  Ausgabe  von  Schrevelius  steht 
noch  falsch  Numilium.  Ob  man  diesen  Namen  mit  einem  ein- 
fachen oder  doppelten  m  zu  schreiben  habe,  bleibe  daliinge- 
stellt.  Auf  unserer  Insclirift  und  auch  auf  andern  ersclieint  er 
mit  doppeltem  m:  allein  die  andere  Form  kann  gleicltfalls  aus 
Inschriften  nachgewiesen  werden  (siehe  Reines.  Inscr.  VIII, 
52),   während  jene  jedoch  häufiger  ist.      Vgl.  Fea  zu  Ilorat. 


*)  Die  Ilec.  S.  36  tov  ocQxtiQicog.  Unsere  weiteren  Abweichungen 
sind  leQoäv  statt  vswv  (auf  dem  Steine  steht  ITESIN),  und  zov  f|  avzrjg 
(der  Stein  TONSATTHZ).  Nach  XAPlN  steht  auf  dem  Steine  EH, 
worin  nach  H.  Letronne  auch  liegen  könne  t^[s  tis  havxriv.'] 


Letronne:  Analyse  cntiquedu  recuell  d'inscriptions  de  M.  deVidua.    11 

Serm.  I,  1,  95.  Dieser  Quadralus  ist  wahrscheinlich  derselbe, 
welcher  als  Consul  iteruin  vom  Spartian.  vit.  Iladrian.  1  ange- 
führt wird.  Später  unter  Commodus  finden  wir  einen  Quadra- 
tns,  welcher  an  der  erfolglosen  Verschwörung  ^(^S^n  diesen 
Kaiser  thätigen  Antheil  nahm  und  dabei  das  Leben  einbüsste, 
wie  Lampridius  Commod.  4  erzählt.  Vgl.  Dio  Cass.  LXXII,  4 
und  das.  Ueimarus  S.  1205.  Obgleich  nun  freilich  dieser  Qua- 
dratus  uns  in  den  Stellen,  die  seiner  gedenken,  nicht  näher 
bezeichnet  wird,  so  treffen  doch  die  Zeitverhältnisse  zu  gut 
mit  einander  zusammen,  als  dass  man  nicht  mit  Casaubonus 
geneigt  seyn  möchte,  ihn  für  den  Sohn  jenes  altern  Umidius 
Quadratus  zu  halten.  Auf  diesen  jüngeren  Quadratus  muss 
ferner  wohl  bezogen  werden,  was  Capitolinus  Vit.  M.  Aurel.  7 
anführt,  dass  er  der  Schwestersohn  des  Antoninus  Pius  gewe- 
sen sei :  Bonorum  malernorum  partein  Muminio  Qi/adrato  so- 
rorisfilio  {qiiia  illajam  mortua  erat)  tradidit.  Denn  dass  da- 
selbst der  Name  Mutiwiio  unsicher  sei,  geht  schon  aus  der  Les- 
art anderer  Handschriften  Mimimo  liervor,  woraus  schon  Ca- 
saubonus Ntimidio  oder  Nnmio  machen  wollte.  Sicher  ist 
Uinidio  (oder  Ummidio)  zu  verbessern.  Durch  diese  Annahme 
wird  das  obige  Stemma  vervollständigt,  indem  wir  nun  die  Ael- 
tcrn  des  Jüngern  Quadratus  näher  kennen  lernen.  Auf  diese 
vornehme  Verwandschaft  übrigens  scheint  sich  aucli  der  Aus- 
druck bei  Herodian  I,  8  zu  beziehen:  Kodgarov  viaviGKOV 
evysvovg  rivog  nal  tiXovö'lov.  Ob  der  von  Capitolinus  Vit.  Verl 
(gegen  das  Ende)  unter  dem  Namen  Quadratus  erwähnte  scri- 
ptor  belli  Parthici  (vgl.  aucli  Vulcatii  Vit.  Avidii  Cassü  init.) 
mit  unserra  derselbe  sei,  wagt  Ref.  nicht  zu  behaupten ;  ja  es 
scheint  eher  zu  bezweifeln  zu  sein.  Eben  so  wenig  kann  be- 
stimmt werden,  ob  der  Volumnius  Quadratus,  an  welchen  drei 
von  Fronto  geschriebene  Briefe  vorhanden  sind  (siehe  Fronte 
S.  209.  230  ed.  Rom.),  in  den  Kreis  dieser  Untersuchung  ge- 
liöre.  Mai  vermuthet,  dass  man  beim  Capitolin  statt  Mum- 
mio  oder  Muninio  vielmehr  Voliunnio  zu  lesen  habe. 

Bei  Wiederherstellung  der  von  Rhodos  und  Chios  mitge- 
theilten  Inschriften  ist  Rec.  mit  IL  Letronne  wiederum  sehr 
oft  zusammengetroffen  ,  was  aber  hier  nicht  weiter  verglichen 
zu  werden  braucht.  Das  merkwürdige  Decret  eines  Proconsul, 
Chios  betreffend,  und  auch  daselbst  gefunden  (Tab.  XXXIX 
bei  Vidua),  hatten  wir  in  der  Rec.  unberührt  gelassen ,  weil 
eine  Erklärung  desselben  auf  zu  ausführliche  Untersuchungen 
geführt  haben  würde.  Durch  IL  Letronne's  Bemühungen  S. 
38  ff.  ist  jetzt  wenigstens  eine  Uebersicht  des  Sinns  gewährt 
worden,  bedarf  aber  noch  einer  weitern  sachlichen  und  sprach- 
lichen Erörterung.  Ob  ngättuv  Vs.  6  die  richtige  Ergänzung 
sei,  bezweifelt  Rec,  und  es  muss  ausserdem  bemerkt  werden, 


12  Inschriften. 

dass  in Vidiia's  Abschrift  TOT- H'-^IN  steht ,  nicht  TOT.n. 
EIN,  wie  H.  Letronne  angiebt. 

11.  Letronne  hat  liier  und  da  seiner  Analyse  einige  Inschrif- 
ten eingewebt,  deren  Mittlieilung  er  gelelirten  Freunden  ver- 
dankt, und  welche  zum  Theil  ganz  unbekannt  bis  jetzt  waren. 
Wir  glauben  sie  unsern  Lesern  nicht  entziehen  zu  dürfen,  da 
vorliegende  Schrift  wohl  nicht  allgemein  verbreitet  werden 
dürfte. 

S.  23.  Zu  Suedie,  einem  Dorfe  der  Tranchonitis,  gefun- 
den, und  zwar  an  der  Thür  eines  grossen  ehemals  mit  Arcaden 
versehenen  Gebäudes. 

ETOTER KTPIOTJTTOKPATOPOC 

TnATEXONTOEIOTAIOV 

HA  TOPNEINO  THIOAIETOKTIEM/iE  TNEPFAETH  - 

PIOIEKAIUANTIKOEMSl . . . 
EniEKOnO  TNTi/d  NBO  VAETTpq  iVcP  TAHLAITAIH- 

NjAlN 
nPONOIAKTPIOTKTIUTOVJIONTZOT 

Nach  Letronne's  wahrscheinlicher  Ergänzung: 

"Etovg  E[v8sycatov  rov]KVQiov  avtoxgatoQOg  laaiöagog] 
[M.  AvQ.  'Avrcovivov  öißaörov,  dvQ^]v7taT£vovrog  'lovUov 
2JccTOQV8Lvov^   '^   Tcohg  To   üTiöfia   6vv   aQyaöri^QLOig  aal 

Ttavrl  aoößcp ' 
Itclökotcovvtcov  ßovXevTcöv  (pvlrig  Altair^vcSv, 

TCQOVola    XVQLOV    aQttTLÖtOV    ^LOVVGioV    [VTCatLHOv]. 

Die  Inschrift  sammt  der  Erbauung  des  Gebäudes  fällt  dem- 
nach ins.  J.  171  nach  Chr.  —  S.  24.  Gefunden  zu  Kanouat, 
einem  in  der  Nähe  von  Soueida  gelegenen  Dorfe,  an  einem  Am- 
phitheater. 

ArAQHTTXHMAPKOTAUIOCATClACIKATPOV 

nPOEJPO 
CE0IAOTIMHCAI. .  OlHrATKT.  TATHUATPUI. . . 
....  Tf\[N.  zllMNElCTOKTICMATOIOEAP©ElAOTCf\[ 
^EIO  rz/ . . . .  AMAMVPIAXME  TITXj^  CKAIKAAjaI  C 

Nach  Letronne: 

'Jyaxtrj  tvxv '  MccQxog  Ov^jiiog  Av6lag  UxavQov  (*?)  tcqos- 

ägo     ^  ,       ,        , 

S  IqpiAorifuföaTO  tfj  yXvyivxatxi  natQiSi  [ccvriXca] 
\j5ag  zk]  xäv  idlav  sig  ro  nviöncc  xov  dsatQOBidyg  oj- 

ÖELOV  drjvccQLtt  fivQLtt  XM ,  EVTVxd^S  J*«''  üDcXcSg. 

Merkwürdig  ist  hier,  wie  auch  Letronne  bemerkt,  die  Be- 
nennung eines  Amphitheaters  durch  den  Ausdruck  adelov  ^sa- 


Letronne:  Analyse  critique  du  recueil  d'inscriptlons  de  M.  deVidaa.  13 

TQOBidig.  Uebrigens  befindet  sich  über  dieser  Inschrift  noch 
folgende  andere  : 

nOATKlOCKOTAPIElNOCTOr . . .  JQAONKAITAC..,^ 

nach  Letronne  so  zu  lesen:  Tloßhog  Avxiog  (statt  Aavxiog 
oder  Aovxiog)  Kovagcslvog  rd  rcivradlov  xal  rag  ka^Tiadrjfpo- 
Qiag  VLxrjöag.  Letztere  Ergänzung  dürfte  wolil  etwas  gewagt 
erscheinen  ;  auch  Hess  sich  im  Anfang  leicht  Uokvßiog  in 
JIOATKIOC  finden.  Bei  dem  darauf  folgenden  Eigennamen, 
der  in  der  That  sehr  auffallend  ist,  fiel  uns  ein,  ob  er  nicht 
falsch  gelesen  sei  statt  0TATEIPHNOC.  Jedoch  ^väre  es  zu 
kVihn.,  diese  Lesart  geltend  machen  zu  wollen.  —  Endlich  am 
Schluss  der  Analyse  finden  wir  als  neue  Zugabe  noch  folgende 
auf  Araorgos  gefundene  Inschrift  mitgetheilt,  S.  45: 

MEIAHUISiN  T£iN  AMOPIONAiriAAHN  KATOI- 

KOTN 
TSiN  Ez10!b;EN  APXOTZIBOTAH^HMSirNSiMH- 

ZTPA 
THrSiNKAIJEKAniSlTSlNEXONT. . . .  EXAITHN 
nPTTAN. . .  H... SOTUr .  ISJILHrHEAMENOTTa  WH 
5       0II:MA  "A..1....0  T2JTPA  TSlNOZEniWHQIUA 
MENOT zIErAzJHNOTTOVnAPAMONOTEn .  .  . 
KATA  TON  NOMON  .  .  EnEIAFA&SlN  .... 
XOTANHPNEOU  THHAIKIA  JUTE  .  .  .  . 
nPSlTHNKAI  EN^OSOTATHNE  .... 
10     HMP.NAPXHNjAjIJKAinAPAzJTNA  .... 
@HN AIATTSinEPITOTTOTT  .... 
ENKAIEnEIKElA2JnAi:iA  ,  ,  -  , 
ZTEIMHT 

rn . 

Nach  Letronne: 

MBiXrjGicov  rc5v  'A^OQyov  AiyidXfjv  xaroiTCovv- 
rcov  ado^Bv  aQxovöt,  ßovh],  örjua,  yvcofirj  ötqu- 
trjycov  xal  ÖBzccjigcorav,  f;f67;T[töV  tJs  aal  xiqv 
7iQvtav[Lii\Tq[v^  i]lov6[ia]v,  [e]L6r]yrjöa^Bvov  rd  ip^- 
(piöfia  nalxQoxXjov  (?)  Uzgazcövog-  S7ci,7ljr]q)i,aa- 
^Bvov  da  FaXrjvov  tov  Uagafiovov  £;r[t  TidOi] 
natu  tbv  vö^iov,  'Enal  'AyccQ^oov  .... 
XOVt  dvrjg  väog  rt]  rj^ima  dcd  rs  [ri^v]  .  .  , 
stQcSzrjv  aal  avdo^otdtijv  x.  t.  A. 

Friedrich  Osann. 


14  Griechische    Litteratur. 

Griechische   Litteratur. 


Alcaei  Mytilenaei  Reliquiae.  Collegit  et  annotatione  in- 
struxit  Aug.  Matthiae.  Praeniissa  est  epistula  ad  V.  Magnif.  C. 
G.  L.  Groäsmannuiu.  Lipsiae  1827.  Suiutibus  Chr.  Gull.  Vugelii. 
X  und  78  S.  8. 

J-ij  der  Einleitung  de  Alcaei  vita  et  carminibus  hat  der  Hr.  Vf. 
sich  sehr  kurz  gefasst.  IVIanche  Punkte  sind  kaum  berührt, 
andre  ganz  übergangen,  die  einer  sorgfältigen  Erörterung  wohl 
werth  wären.  Darüber  mit  ihm  rechten  zu  wollen  würde  abge- 
schmackt seyn.  Wenn  ein  Mann  von  so  grossen  Verdiensten 
wie  Hr.  Matthiä  in  einer  neuen  Schrift,  die  wir  zumal  als 
eine  nicht  sorgfältig  vollendete  Nebenarbeit  betrachten  müssen, 
so  viel  nützliches  und  gutes  leistet,  als  hier  geschehen  ist,  so 
hat  der  Reo.  als  solcher  nur  zu  zeigen,  was  die  Freunde  der 
Litteratur  demselben  von  neuem  schuldig  geworden  sind,  und 
die  Kritik  verwandelt  sich  auständigerweise  in  eine  blosse  Fort- 
setzung der  Arbeit. 

Die  Verhältnisse  zwischen  Alkäos  und  seinem  Bruder  An- 
tiraenidas  mit  den  Geschlechtern  oder  einem  Theil  derselben 
und  Pittakos  mit  den  Bürgern,  welche  den  wichtigsten  Punkt 
in  der  uns  bekannten  Geschichte  von  Mitylene  ausmachen,  sind 
jetzo  nach  der  Analogie  andrer  Griechischen  Staaten  im  Allge- 
meinen klar.  Indessen  reichen  die  von  verschiedenen  Seiten 
über  diesen  Punkt  gemachten  Bemerkungen,  wie  Rec.  glaubt, 
nicht  hin,  um  die  wenigen  Aeusserungen  der  alten  Schriftstel- 
ler in  ihren  wahren  Zusammenhang  zu  bringen  und  sie  selbst 
hiernach  zum  Theil  zu  berichtigen.  Hierüber  werden  wir  da- 
.  her  zuvörderst  unsre  Ansicht  kürzlich  auseinander  setzen.  Aus 
Aristoteles,  nach  einer  Stelle  des  Dichters  selbst,  undausTheo- 
phrast  bei  Dionysios  steht  fest,  dass  der  Demos  oder  die  ÄcAig 
in  Vollzahl  (ao/lAifg)  den  Pittakos,  welcher  schon  früher  in  dem 
Krieg  mit  den  Athenern  um  Sigeura  Heerführer  der  Mitylener 
gewesen  war,  zum  Aesymneten  gemacht  oder  zum  Tyrannos 
(gesetzlich^  erwählt  hatte  gegen  die  Ausgewanderten  mit  Anti- 
menidas  und  Alkäos  an  der  Spitze,  d.  i.  gegen  die  vertriebene 
Adelspartliey.  Bei  der  Kürze  des  Berichts  kann  der  Ausdruck 
jrpög  Toug  (pvya^as  »icht  gerade  beweisen,  dass  das  Volk  sich 
den  Aesymneten  erst  gegeben  habe,  als  der  Adel  schon  ver- 
trieben war:  doch  ist  auch  nicht  an  sich  unglaublich  oder  un- 
wahrscheinlich, dass  im  ersten  Aufstand,  welcher  den  Adel  zu 
weichen  nöthigte,  das  Volk  nur  in  Masse  wirkte,  und  sich  das 
Haupt  erst  wählte,  um  sich  im  Besitz  der  genommenen  Rechte 
und  Güter  zu  behaupten,   indem  von  der  verjagten  Faction  Au- 


Alcaei  ATytilcnaei  Reliquiac.    Edid.  Matthiae.  15 

griffe  vorauszusehen  waren.  Die  Aesymnetenwürde  des  Pitta- 
kos  hat  schon  Tittmann  in  den  Griech.  Staatsverfassungen 
S.  442  richtig  beurtheilt.  Er  denkt  sie  sich  nemlich  als  aus 
demokratischem  Sinn  hervorgegangen,  da  Pittakos  von  den 
Bürgern  oder  dem  Volk  erwählt  worden  zum  Kampf  gegen  die 
Vertriebenen,  als  oligarchisch  Gesinnte,  und  da  er  selbst  aus 
Thrazien,  einem  verachteten  Lande,  gewesen  sey.  Noch  deut- 
licher verräth  sich  das  Verhältniss  des  Pittakos  zur  Gegenpar- 
they  durcli  eines  der  Schimpfworte  des  Alkäos ,  w  elcher  ihn 
^OifodoQTiidag  nannte  (fr.  6),  nach  der  richtigen  Auslegung  des 
Piutarch  cog  ddüt,ois  td  TCoXXd  not  (pavKoig  rjöo^^vov  övfiTCo^ 
TKig.  Denn  aaxoTtatQLgy  wie  er  ihn  auch  schilt  (fr.  5),  bezeich- 
nete vielleicht  in  Lesbos  wegen  einer  Nachwirkung  alter  gynä- 
kokratischer  Verhältnisse,  wovon  wir  auch  bey  der  Sappha 
eine  Spur  fanden  (Jahrbücher  Th.  6  S.  405),  nicht  so  wie  an- 
derwärts allein  und  geradezu  den  Plebejer,  sondern  auch  eine 
Klasse  von  Vornehmen  zweifelhafter  Art,  nemlich  diejenigen, 
welche  sich  in  altadiiche  Geschlechter  eingeheyrathet  hatten. 
Pittakos  war  nach  Duris  bey  Diogenes  der  Sohn  eines  Thrakers, 
eines  Thrakers,  wie  Suidas  sagt,  und  einer  Lesbischen  Mutter, 
vlog  Ka'CHOv  zal  'TgQadiov  &Qax6g,  also  vielleicht  Abkömmling 
eines  Thrakischen  Stammvaters  aus  älterer  Zeit,  Kaikos,  und 
unmittelbar  des  Flyrrax,  welcher  darum  nicht  weniger  selbst 
Thraker  genannt  werden  konnte,  und  hatte  zur  Frau  dieSchwe- 
ster  desDrakon  aus  dem  altfürstlichen  Mitylenischen  Geschlech- 
te der  Penthiliden,  welches  wegen  3Iisbrauchs  der  Gewalt  von 
Megakles  und  seinen  Freunden  unterdrückt  worden  war  (Arist. 
Pol.  V,  8,  13  ed.  Schneid.).  Ein  Epigramm  des  Kallimachos 
lässt  ihn  selbst  gegen  ungleiche  Heyrathen  der  Art  sich  erklä- 
ren. Der  Kampf  zwischen  ihm  und  den  Gegnern  kann  gar 
wohl  (was  Plehn  bezweifelt)  zehn  Jahre,  wie  Diogenes  sagt, 
gedauert  haben,  obgleich  wir  nicht  wissen,  weder  wohin  die 
Ausgewanderten  sich  geworfen  ,  noch  mit  welchen  Mitteln  und 
Bundesgenossen  sie  den  Krieg  geführt,  noch  auch,  ob  sie  nicht 
auch  nach  siegreich  bewerkstelligter  Rückkehr  noch  lange  Zeit 
hindurch  die  Fortdauer  der  Aesymnetie  im  Demos  nöthig  ge- 
macht haben.  Strabon  sagt  von  Pittakos:  slg  x^v  tc5v  dvva- 
0TBLCOV  'natälvGiv  l%Qy]6axo  rrj  ^ovag^ia ,  nicht  bloss  also  zu 
blutigen  Kämpfen,  und  hiermit  stimmt  der  Ausdruck  des  Dioge- 
nes wohl  überein:  6  8&  öexu  ety}  Karaöiav  {t)]V  dgi^jv)  aal  slg 
Ta^LV  dyaycov  x6  noltxsv^a  accxidato  xi]V  dgx^v  aal  dexa  STts- 
ßia  akla.  Dless  anzunehmen  ist  auch  Müller  im  Rheinischen 
Museum  I,  291  geneigt,  indem  er  bemerkt,  dassPittakosOlymp. 
4t,  3  Aesymnet  geworden  sey  und  seine  Würde  Ol.  50,  1  nie- 
dergelegt habe,  worauf  er  Ol.  52,  3  starb.  In  dem  Mahlweiber- 
liedchen  heisst  Pittakos  ^nyälag  Mixvliqvag  ßaödEvcov.  Eine 
neue  Verfassung  gab  er  nicht,   aber  Gesetze.     Aristot.  Pol.  II, 


16  Griechische   Litteratur. 

9,  9.  Vgl.  Plehn  Lesbiac.  p  88.  Durch  die  Stellung  des  Pitta- 
kos  erleidet  die  Bestimmung,  welche  der  Aesymnetie  von 
Wachsmuth  Th.  ]  S.  280  gegeben  wird,  dass  sie  als  giitli- 
che  Verniittlungsart  von  Seiten  des  herrschenden  Standes  aus- 
gegangen sey,  eine  grosse  Ausnahme. 

INicht  eben  so  deutlich  sind  andre  Verhältnisse  sowohl  des 
Dichters  als  des  Pittakos  zu  andern  Personen  bey  Diogenes  und 
Strabon.  Wenn  jener  von  Pittakos  sagt:  ovtog  ^etk  xav 
'AXjicdov  ysvö^Bvog  dd£lg)(3v  MikayxQov  xa^Ells,  tot'  trjg  Ae<3- 
ßov  rvgai'vov,  so  müssen  wir  aus  den  Worten  des  Alkäos  selbst 
fr.  7,  MilayiQog  aldcög  ä^iog  eig  nökiv,  schliessen,  dass  Me- 
lanchros  zu  A^n  Freunden  des  Alkäos  gehörte  (wesshalb  auch 
die  zu  fr.  0  angeführte  Aenderung  des  Simson  bey  Strabon 
MhyaKayvQcp  in  MEldy^ga  sehr  oberflächlich  war).  Es  ist 
aber  nicht  wahrscheinlich,  dass  des  Alkäos  Brikler,  die  mit 
ihm  den  Pittakos  bekämpften,  ein  andermal  auf  Seiten  des  Pit- 
takos gegen  einen  Freund  ihi'es  Bruders  gestanden  haben  soll- 
ten. Und  Melanchros,  welchen  Alkäos  ehrt,  muss  doch  zu  den 
Oligarchen  gehört  haben  ,  welchen  gerade  die  Parthey  des 
Pittakos,  die  auch  die  Brüder  des  Alkäos  verfolgte,  entgegen- 
gesetzt war.  Der  Zeitangabe  bei  Suidas  v.  ÜLttaiidg,  dass  Me- 
lanchros Ol.  42  von  Pittakos  getödtet  worden  sey,  wagen  wir 
nicht  zu  trauen,  da  diese  Olympiade,  als  die,  wodurch  dieBlü- 
the  des  Pittakos  bezeichnet  wurde,  wie  wir  aus  Diogenes  I,  70 
sehn,  bloss  zur  ungefähren  Zeitbestimmung,  wie  oft  gesche- 
hen ,  beygefügt  worden  seyn  kann.  (Was  bey  Suidas  vorher- 
geht aarcc  rijv  'OX.kß  stimmt,  auch  von  der  Geburt  verstanden, 
nicht  mit  andern  Angaben  uberein.)  Aber  es  ist  sich  auch 
nicht  zu  verlassen  auf  Diogenes.  Suidas  hat  nur:  MsXayiQOV 
xov  rvgavvov  Mitvl^vTjg  dvells.  Vielleicht  ist  die  Sache  von 
ausziehenden  Compilatoren  ganz  entstellt,  und  sind  die  Brüder 
des  Alkäos  hier  nicht  an  ihrem  Ort.  J.  G.  Schneider  war 
geneigt  zu  glauben,  dass  wir  ,,alle  die  Unordnung  und  den  völ- 
ligen Mangel  des  Zusammenhangs,  welcher  so  durchaus  in  der 
Sammlung  des  Diogenes  herrscht,"  einem  abkürzenden  Gram- 
matiker zuschreiben  sollten.  S.  Wolfs  Analekt.  St.  3  S.  247, 
wo  er  gerade  die  Geschichte  von  Pittakos  und  Alkäos  behan- 
delt. Melanchros ,  der  Freund  des  Alkäos ,  welchen  Pittakos, 
der  Volksfreund,  tödet,  wird  auf  jeden  Fall  zu  denken  seyn 
als  ein  Haupt  der  Optimaten,  es  sey  als  ein  gewähltes,  wie  Ari- 
stoteles Pol.  V,  8,  3  sagt,  dass  dieOligarchieen  Eva  rivd  üvqlov 
STCi  tag  [lEylörag  dg^dg  erhoben,  oder  nicht,  wie  denn  auch  die 
Oligarchie  oft  in  Tyrannis  übergieng  (ib.  V,  10,  4)  oder  sich 
damit  verband,  wie  in  Euböa  (Tittmann  S.  405),  in  Rhodos 
(Athen.  X  p.  444  s.).  Will  man  aber  diesen  Zweifel  gegen 
Diogenes  auf  sich  beruhen  lassen,  so  wird  man  wohl  thun,  den 
Alkäos  selbst  auch  früher  als   einen  Gegner  des  Melanchros 


Alcaei  Mytilenaei  ReÜ^uIae.   Edid.  Matthiac.  17 

und  also  zu  der  Zeit  mit  Pittakos ,  unter  welchem  er  ja  auch 
hey  Sigeon  gefochten  hatte,  in  dieser  Beziehung  übereinstim- 
mend zu  denken ,  so  dass  er  den  Melanchros  erst  in  späterer 
Zeit  und  ges^^n  einen  andern,  etwa  den  Pittakos,  aus  gemeinem 
Blute,  gehalten,  einen  ehrfurchtsvverthen  genannt  hätte. 

Wichtiger  ist  für  uns  die  Stelle  des  Strabon  XIII  p.  617, 
die  wir  ganz  hersetzen  müssen.    'EtvQavvr^Q^T]  öl  rj  nökig  aatä 
rovg  XQOvovs  tovrovgvTtd  nKuövav  ötd  ras  Öi%o6t<x6iag'  'aal 
To.  öTaöLorLxa  xalov^iEva  xov  ^Jl'uaiov  nov^iiaxa  mQi  xovtav 
IötIv   av  ÖE  TOtg  tvQccvvoig  Kai  6  Uitraiidg  kyevBro.  ^AX^alog 
lilv  ovv  o^oicog  eXoidoQBito  aal  Tovza  aal  rolg  aKloig^  MvqöL- 
Ka  xat  MsyaXayvQcp  xal  Tolg  KXEavaxtLdatg  xal  aXkoig  tiöiv, 
ovo'  avTog  xa&aQevav  tcjv  tolovtcov  vsojrsQiößäv.    Uittaxog 
d'  üg  luv  TYiv  rcov  öwaörsiav  xarälvötv  liQiqöato  xy  ^lovag- 
lia,  xai  avxog  xaxakvöag  df  aTtsdaxexrjV  avxovoniav  xf}%oKeL, 
Die  luterpunction  eygrjöaxo  xij  (lovagxta  xal  avxog  •  xaxaXvöag 
ÖS  ccTtsdaxB,   veranlasst  durch  die  unbequeme  Stellung  des  de, 
haben  wir  abgeändert,    da  nach  ihr  xal  avxog  sich  auf  nichts 
bezieht,  während  es  dem  Folgenden  seinen  rechten  Nachdruck 
giebt.     Einen  nennt  noch  fr.  70  neben  dem  Pittakos,  den  l)en- 
iiomenes.     Die  Kleanaktiden  dürfen  nicht,  wie  in  den  Götting. 
Anzeigen  1828  S.  32  vorgeschlagen  wurde,    wegen  fr.  94  mit 
Archäanaktiden,  den  Gründern  von  Sigeon,  vertauscht  werden, 
schon  darum  nicht,  weil  die  Aenderung  jtsQl  'Jg^aiavaHXid <äv 
in  der  dort  angef.  Stelle  nicht  angeht,     Bey  dem  Bericht  des 
Strabon  im  Ganzen  kommt  es  darauf  an,  zwischen  Pittakos  und 
den  andern  bestimmter  zu  unterscheiden,    als  er  in  den  Worten 
evös  xoig  xvgävvoig  xal  6  ÜLXxaxög  eyivsxo  gethan  hat,  obwohl 
in  den  darauf  folgenden  (oftoicog  sIolöoqsIxo)  dessen  Sache  und 
die  der  andern  als  eine  ganz  verschiedene  richtig  bezeichnet  zu 
seyn  scheint.     Aufklärung  giebt  uns  Heraklides  (s.  fr.  2),   wel- 
cher von  tyrannischen  Gewalten  [xvQavvixalg  s^ovölaig)  u.  von 
Myrsilos  spricht,  welche  der  Dichter  unter  dem  Bilde  von  Stur- 
mesnoth  verstehe.      MvgöUog  yccQ  6  d^loviisvög  Iöxl  xal  xv- 
Qavvfurj  xaxd  MLXvXrjvalcov  aysiQOnsvrj  Gvöxaötg.       Diese  6v- 
6xa6ig  ist  nicht  status  tyrannicus^   sondern  coitio^  und  dass  He- 
raklides unter  Tyrannen  in  Mehrzahl  nur  die  vereinte  Parthey 
verstehe,   während  der  eigentliche  Tyrann  immer  monarchisch 
ist,    wird  noch  deutlicher  durch  die  folgenden  Worte  (fr.  3), 
wo  er  ein  ähnliches  Bild  von  herandringenden  Wellen  aus  einer 
andern  Ode  auf  denselben  Myrsilos  mit  seinen  Freunden  be- 
zieht;  denn  er  sagt:    xd  TcXalöxa  xäv  did  xovg  xvq  dvvovg 
Inaiövxcov  xaxäv  Tcskaycoig  xaiiiäöiv  alxaQBi.     Ist  es  nun  nicht 
natürlich,    dass  wir  unter  diesen  Tyrannen,    den  Freunden  des 
Myrsilos,  eben  die  verstehen,    welche  Strabon  nennt,  Megala- 
gyros  und  die  Kleanaktiden  und  die  einigen  andern?  Streng  ge- 
nommen reicht  schon  der  blosse  Plural  Kleanaktiden  zu  dieser 

Jalnb.  f.  Fhil.  u.  Fädag,  Jahre.  V  lieJt  1.  2 


18  Griechische    Litteratur. 

Erklärung  hin:  und  wir  sind  daher  nicht  berechtigt  in  den 
Worten STVQavv'i]&r]  r]  TiöXig  vno  TiXHovovvaehx  als  diebeyden, 
Pittakos  für  sich  und  Myrsilos  nebst  Parthey,  zu  verstehen. 
Dass  Myrsilos  an  der  Spitze  gestanden  habe  und  eigentlich  Ty- 
rannos  gewesen  sey,  bestätigt  uns  das  Wort,  welches  Pittakos 
zu  ihm  gerade  gesagt  haben  soll  (Plutarch,  Sept.  Sap.  conviv.  2 ; 
Plehn  in  den  Lesbiacis  hat  die  Stelle  nicht  einmal  angeführt): 
von  den  wilden  Thieren  sey  der  Tyrannos ,  von  den  zahmen 
der  Schmeichler  das  schlimmste:  und  gewissermassen  auch  das 
Triumphlied,  welches  Alkäos  (fr.  4)  iiber  seinen  Tod  anstimmt. 
Dieser  Myrsilos  muss  zum  Adel  gehört  haben,  da  die  vom  Volk 
ausgehende  Tyrannis  sich  nicht  auf  Verbündele  stützte;  und 
auf  ihn  kann  man  bey  der  oben  gemachte»  Voraussetzung,  dass 
unter  dem  Adel  selbst  Trennungen  bestanden  haben,  indem  die 
Brüder  des  Alkäos  in  dem  Melanchros  einen  andern  Optiraaten 
als  Tyrann  unterdrücken  halfen ,  sich  mit  Grund  berufen.  Mit 
einer  Faction  der  unter  sich  zerfallnen  Vornehmen  konnte  aber 
auch  das  Volk  sich  verbünden:  es  konnte  diess  auch  einen  ein- 
zelnen Unzufriedenen  aus  der  entzweyten  Klasse  sich  zum  An- 
führer nehmen.  Hiervon  giebt  ein  Beyspiel  ab ,  was  Aristote- 
les Pol.  V,  5,  3  von  Knidos  erzählt.  Der  Ausdruck  Tyrann  in 
weiterem  Sinn  darf  uns  nicht  befremden.  Vermutblich  hatte 
Alkäos  selbst ,  so  wie  er  fr.  5  den  Aesymneten  Pittakos,  dessen 
Wahl  er  dem  Volk  zum  Vorwurf  macht,  unwillig  rvQavvoii 
nennt,  auch  von  der  Parthey  des  Myrsilos  diesen  gehässigen 
Namen  gebraucht,  und  ihn  also  das  eine  Epigramm  auf  die  neun 
Lyriker,  welches  überhaupt  in  des  Dichters  Partheyansicht  ganz 
eingeht,  aus  der  Quelle  selbst  beybehalten: 

xkI  ^Icpog  '^Ajcat'oio,  rd  itoXlaKig  ai/ia  tvQavvcov 
iöTLBiöw ,  ndzQTjg  &86^La  qvo^evov. 

Worin  wir  beyläufig  auch  auf  die  wiederholten  blutigen  Fehden 
achten.  Spätere  Schriftsteller  pflanzten  dann  den  einmal  von 
den  Vorgängern  aufgenommenen  Ausdruck  fort,  und  setzen  bey 
noch  grösserer  Kürze  die  Sache  noch  mehr  einem  gänzlichem 
Missverständniss  aus.  So,  um  von  den  ungelehrten  Scholiasten 
des  Iloratius  nichts  zu  sagen,  Quinctilian,  indem  er  sagt:  ty- 
ranjios  insectatus  est,  wie  man  von  Ilipponax  oder  dem  Elea- 
ten  Zenon  u.  einigen  andern  Philosoplien  mitllecbt  sagen  würde. 
Auch  der  Ausdruck  Neuerung  von  Alkäos,  ovd'  avxog  aa&a' 
QBvoT)  tav  tOLOVxcov  vscoTSQLö  iiav  -,  aufweichen  Plehn  p. 
48  viel  zuviel  Gewicht  legt,  ist  von  Strabon  übel  gewählt  und 
nicht  im  eigentlichsten  Sinn  als  rerum  nuvahdarum  Studium  zu 
verstellen ,  welcbes  von  den  Bestrebungen  der  aristokratischen 
Klasse  zur  Aufrechthaltung  oder  selbst  zur  Erweiterung  ihrer 
Reciite  u.  Ansprüche  weniger  gesagt  wird.  Strabon  Iiatte  ohne 
Zweifeiden  aus  Aristoteles  bekannten  Umstand  im  Auge,    dass 


Alcael  Mytllenaei  Rellquiac.   Edid.  Matthiap.  19 

Alkäos  mit  seinem  Bruder  an  der  Spitze  des  Adels  stand,  des- 
sen Saclie  er  vermuthlich  gerade  gegen  neue,  wenn  auch  in  der 
Billigkeit  noch  so  sehr  begründete  Forderungen  des  Volks  ver- 
focht, nahm  aber  die  Saclie  nicht  genau  nach  ihrer  Individualität. 

Diese  ganze  Auseinandersetzung  war  nöthig,  um  den  ein- 
zigen Ausdruck  zu  berichtigen,  welchen  Herr  Matthiä  gleich 
Eingangs  gebraucht,  dass  Myrsilos,  Megalagyros,  die  Klea- 
naktiden,  woiVir  er  aus  Versehen  schreibt  Kleanaktidas,  als 
Tyrannen  der  Reibe  nach  {deiuceps)  von  Mitylene  durch  Alkäos 
bekämpft  Avorden  seyen.  Aber  dieselbe  Ansicht  ist  aus  Strabon 
auch  übergegangen  in  die  schon  erwähnten  scliätzbaren  Schrif- 
ten von  Tittmann  und  von  Plehn  (Lesb.  p.  46.  48.  92.), 
Aviewohl  dieser,  indem  er  p.  171  „den  Myrsilos,  Megalagyros 
und  andre''  als  Tyraimen  um  die  44te  Olympiade  setzt,  fast 
mit  sich  in  Widerspruch  gcrathen  zu  seyn  scheint,  da  eine 
ganze  Reihe  eigentlicher  Tyrannen  nicht  auf  einen  solchen  Zeit- 
punkt beschränkt  werden  kann,  sondern  einen  längeren  Zeit- 
raum erfordert.  Nach  derselben  Ansicht  äussert  sicJi  auch  O. 
Müller  in  dem  schon  erwähnten  Aufsatz:  ,, Mitylene  war  im- 
merfort in  Parthey en  getheilt,  aus  deren  Häuptern  Tyrannen 
wurden,  wie  Myrsilos,  Megalagyros  und  die  Kieanaktiden" 
(und  einige  andre).  Demnach  stellt  er  eine  Vermuthung  über 
die  Zeit  auf ,  wo  einer  von  den  Genannten,  Myrsilos,  Tyrann 
geworden  sey,  wobey  indess  eine  Verwechselung  mit  Pittakos, 
als  dem  Ueberwinder  des  Phrynon,  vorgegangen  ist. 

Die  bekannte  Grossmuth  des  Pittakos  p.  2  not.  6' ist  aucli 
Ton  Diodor  erwähnt  in  den  Excerpt.  1.  VII  —  XI,  in  des  Majo 
Auctorum  vet.  nova  coli.  T.  II  p.  19:  "Ort  zal  tov  7ton]rrjv  ^Ak- 
Kalov  ax&QÖtarov  avrov  yEysvrjf-iävov  vmI  dcä  rcov  TioLy^iiatav 
utiXQOtccTa  IsXoiöoQtjüOTu  kaßcov  vTCoxsiQLOV  dtpriKSV  inLcp^Ey- 
^d^Bvog  cog  övyyva^rj  ti^ioiglag  aiQEtcorsQa. 

Als  Quelle,  woraus  unsre  Nachrichten  über  Alkäos  geflos- 
sen sind,  ist  ausser  Aristoxenos,  der  p.  2  erwähnt  wird,  Ari- 
stoteles tieqI  7C0iy]xav  zu  bemerken,  aus  dessen  drittem  Buch 
Diogenes  II,  4fJ  die  Fehde  des  Alkäos  und  Antimenidas  gegen 
Pittakos  anführt. 

Nicht  erwähnt  findet  sich,  dass  Meleager  Epigramme  von 
Alkäos  in  seinen  Kranz  aufgenommen  hatte,  'Akzalov  ts  XdXrj- 
&QOV  Iv  v^uvoTtoloig  vuKiv&ov,  wesshalb  dieser  auch  im  Ver- 
zeichniss  der  Epigrammendichter  bey  Fabricius  Vol.  4  aufge- 
führt ist.  Was  den  Kuustciiarakter  des  Dichters  betrilft,  so 
ist  noch  zu  bemerken  die  Aeusseruiig  des  Aristophanes  Thesm. 
161  über  Ibykos ,  Anakreon  and  Alkäos  ,  uQ^oviav  lyv^iiGav, 
i^LTQO^oQovv  TS  nal  Ölex^cow'  'Io3i'LX(og ,  welchc  drey  dort 
Aristophanes  den  Agathon  wegen  der  Knabenliebe  zusammen- 
fassen lässt,  obgleich  der  Ausdruck  sich  an  die  siimebezau- 
bernde  Darstellung  und  Musik  hält.     Des  Ausdrucks  disxkävt' 


20  Griechische    Litteratur. 

*lG}VLXc5g  sollte  man  sich  erinnern  bey  Erklärung  der  Anaklasis 
im  loiüsclieii  Vers,  mit  der  Bemerkung  des  Triclia  p.  38:  dva- 
oilaasva  dl  —  tcuq'  oöov  6  iv  xoig  rotot^rotg  Qv%p.og  dva^Xä- 
xai  TCQog  to  %avvov  aal  ^aKay,6v.  Das  Scholion  zu  dieser  Stelle 
unter  den  von  Bekker  aus  dem  Cod.  llav.  herausgegebenen  zu 
dieser  Komödie  ist  zu  wichtig,  besonders  auch  durch  den  Än- 
theil  des  Didtjmos  ander  Kritik  des  Alkäos,  welchen  wir  dar- 
aus zuerst  ersehen,  um  es  nicht  ganz  herzusetzen:  'Ev  ivioig 
Ö£  ^A%ai6q  ykyQamai,  nal  xd  TtakaiövsQa  dvxiyqacpa  ovxoag 
SL^Bv.  'jQi(3toq)dvrjg  ds  iöxLV  6  ^EtaygdilJag  'yHaalog'  mgl  yaQ 
yiakaiäv  sötlv  6  Aoyog,  6  Öe  ^Aiaiog  vi^coxsQog.  x6  Ö£  X^yö^evov 
V7c6  zliöv^ov  jiQog  ylQiötofpdvrjv^  ort  ov  Övraxai  ^AX^alov  ^vrj- 
[loVEveLV  {ov  yuQ  E7Ce7tuXat,s,  q^rjöl,  xd  'Jkxaiov  Öid  xi]V  ÖLaks- 
scToi'),  k£k}]Qr]xcci  dvtiüQvg.  xai  Iv  xco  tcqo  xovxov  Öga^axL  xoig 
"OgvLöi  (14 iO.  fr.  53)  naQcöörixat  x6  ^^ogvi^eg  xtveg  de  conea- 
vcp  xd  öd  TtXEQa^''  ovtcog  „ogvi^eg  xivsg  ot  ovÖlv  f;^ov."  Jtal  kv 
jL^fprj^iV  (1227.  fr.  14)  ,,cjv^9  oürog  6  ^aio^isvog  x6  [leya  kqu- 
zog.'"''  dlkaxov  ds  6  zJidv^ög  cpriGiv,  rj  ^ev  yQa.(prj  övvaxai  ^iv 
iivccif  ovz  dv  Ö£  xovxov  XOV  ^IskOTtOLOV  ^£^7Jrjxai,  TidXiv  x6 
avxo  Isyav  ort  ovx  BnB7i6kai,s  xd  ^slrj^  [dXX\  wie  wir  zusetzen] 
'Akuaiov  xqv  oct^agadov ,  ov  ■aal  Evnohg  Iv  XgvGcß  Fsvel  ^ik- 
^VTjxai  „ü3  'Axate  iJtnEhcoxa  nslonovvi'jöLS.^^  xL  ös  svxavd'a  xi- 
^UQcpdov ,  negl  jioltjxov  ovxog  xov  Köyov,  Inder  Stelle  des 
Quiuctilian  zieht  Herr  M.  mit  Recht  die  Lesart  zweier  Hand- 
schriften sed  et  lusit  et  vor,  für  welche  sich  auch  Geel  in  der 
Biblioth.  Grit,  nova  III,  27ß  (gegen  Sarpe  und  Frotscher) 
erklärt.  Die  Einwendung  von  Butt  manu  in  den  Add.  wegen 
des  terap.  praeter,  ist  gering. 

Es  werden  citirt  das  erste  Buch  fr.  20,  22,  7J>,  81 ,  das  2te 
fr.  80,  96,  das  3te  fr.  15,  das  4te  fr,  78,  das  7te  fr.  76,  das 
9te  fr.  40,  80,  und  das  lOte  fr.  35:  aber  nicht  wird  ausdrück- 
lich erwälint,  ob  nur  zelui  Bücher  gebildet  worden  sind.  Eine 
ähnliche  Anordnung  wie  bey  den  Liedern  der  Sappho  nach 
Versmassen  fand  wenigstens  vorn  herein  nicht  statt.  Die  erste 
Ode  des  ersten  Buchs  war  Alkäisch,  die  zweyte  Sapphisch,  wie 
wir  aus  Ilephästion  jr.  Ttonmäxav  7  und  seinem  Scliol.  p.  121 
Gaisf.  sehen;  jene  (fr.  20)  einen  Hymnus  auf  ApoUon,  diese 
(fr.  22)  einen  auf  Hermes  enthaltend.  Alkäisch  ist  aucli  fr.  81  6, 
wenn  diess  sicher  zum  ersten  Buch  gehört.  Aus  demselben  Buch 
aber  auch  der  sechzehnsylbige  Choriarab  fr,  70,  und  der  Askle- 
piadeische  fr. 81.  Strophisch  sind  auch  die  übrigen  Fragmente 
von  Hymnen  n.  24,  25,  54,  vielleicht  71.  Clioriamben  kommen 
vor  aus  B.  1,  7,  10;  keine  dagegen  wo  B.  2,  4,  0  citirt  ist.  Aber 
was  beweisen  diese  wenigen  Beyspiele?  Auch  die  Stelle  des 
Ilephästion  thqI  öTjpaicov  p.  133  s.,  welche  die  Vereinigung  ver- 
schiedener Sylbenmaasse  in  demselben  Buch  bezeugt,  entschei- 
det doch  nicht,   ob  diese  gerade  in  allen  statt  gefunden  habe 


Alcaei  Mytilenaci  Reliquiao.  Edld.  Mattlilae.  21 

In  dieser  Stelle  ist  übrigens  auch  das  merkwürdig,  dass  Hcphä- 
stion  die  nach  der  Aristophanischen  Ausgabe  erschienene  y\ri- 
starchische  rrjv  vvv  nennt.  Kai  ^ähörcc  ftwO^fv  6  dötsgiöxog 
ttd^Eö&ai  Bccv  iTBQO^BXQOv  7]  To  ccößcz  To  st,ijg '  6  Kai  ^lällov  inl 
Tt5v  TCOLrjficctcov  räv  ^ovoörgocpcxäv  ytvttat,  I^aTicpovg  ts  xal 
'AvaxQSOvTog  aal  'AlKaiov  STtl  Öh  räv  'Al%aiov  lÖlcjg  xaxd  filv 

t^v'AQLÖtOq)  'VBIOV  BKÖOÖiV  döTBQiÖKOg  BJll  BTBQOllBTQiag  ftl'O'STO 

fi6v7]g '  xatd  Öh  xrjv  vvv  t))v  'AQtötagxBlov  Kai  btcI  Ttoiri^iatav 
fiBraßoXijg.  Eine  Lesart  von  Aristophanes  ausser  der  eben  er- 
wähnten Emendation  kommt  fr.  59  vor;  diese  zwar  zunächst  aus 
einer  Abhandlunj^  tieqI  rrjg  divv^BV7]g  öJCvrßA?;?,  wo  er  gewalt- 
sam, wie  es  scheint,  iBicdg  in  xikvg  verwandelte  und  dabey  der 
Auslegung  des  Dikäarchos  widersprach.  Diese  Stelle  so  wie 
Athen.  XI  p.  479 rf  ist  p.  5  beizufügen,  wo  Dikäarchs  Schrift 
TtBQL  'Akxaiov  angeführt  ist. 

Ilr.  Matthiä  hat  abgetheüt:  1)  zfixodraöiaöriKa  >cal  tcoXb- 
(iiHd  fr.  1  — 10,  wozu  er  nachher  mit  ilecht  auch  fr.  VJ  u.  J)4  6 
rechnet.  Dass  fr.  8  (mit  67)  dahin  gehöre,  worin  der  Dichter 
von  der  That  seines  Bruders  im  Babylonischen  Dienst  spricht, 
ist  dagegen  sehr  ungewiss,  und  fr.  4  konnte  auch  zu  den  Trink- 
liedern gesetzt  werden,  obgleich  der  Inhalt  patriotisch  ist,  so 
wie  fr.  5  zu  diesen  bestimmt  gehört,  da  es  nach  Aristoteles  bv 
rivi  rmv  öxohcöv  [ibIcov  stand.  Der  kdßga^  fr.  61,  welcher 
^BXBCOQog  schwimmt,  extans  supra  suminas  aquas,  vel  suspensus 
et  erectus  animo  insidias  undique  cavens,  diente  wahrscheinlich 
auch  zum  Bilde  politischer  Lage  und  Haltung.  Dann  folgen 
2y'T(iV0L  fr.  17  —  26,  wovon  Rec.  fr.  26  abzieht,  und  dafür 
fr.  71  beyfügt ,  so  wie  Hr.  Matthiä  selbst  weiter  unten  fr.  54 
und  55-  3)  UvßTtoöiaad  fr.  27  —  29,  denen,  wie  schon  be- 
merkt,  fr.  4  und  5  beyzuzählen.  Auch  ziehen  wir  dahin  fr.  26 
mit  49,  50,  59,  60  und  zwar  als  Skolien.  Von  Skolien  des  Al- 
käos  spricht  Aristophanes  Athen.  XV  p.  694  a:  'Atöov  dr]  ^oc 
Gxohöv  Ti,  Xttßav  'Akxaiov  %dva%QBOVxog.  Doch  ist  diess  nicht 
nothwendig,  obwohl  es  Athenäus  so  nimmt,  allein  von  eigent- 
lichen Skolien  zu  verstehn,  sondern  auch  von  den  Liedern  über- 
haupt, wenn  sie  gleich  denen  des  Simonides  oder  Aeschylus 
(Nub.  1356)  zum  Wein  gesungen  wurden.  4)  'Egcoxixd  fr.  40 
bis  43,  wozu  noch  fr.  37  gehört,  auch  fr.  69,  wenn  glcicii 
diess  nicht  eigene  Liebe  enthielt,  sondern  den  liebekranken 
Sinn  eines  jungen  Mädchens  aussprach,  es  sey  nun  nach  eigner 
Erfindung,  wie  wahrscheinlich  manche  Liebeslieder  von  Alkman 
für  oder  im  Namen  von  Jungfrauen  gedichtet  waren,  oder  auch 
als  Nacliahmung  eines  Volkslieds.  5)  Fragmenta  iucertae  se- 
dis  44  —  94,  obwohl  die  andern  auch  nicht  alle  certae  sedis 
sind.  6)  Singula  vocabula  fr.  95  — 120,  wozu  eigentlich  fr.  98, 
Ö9,  105,  113, 114  nicht  gehören.     Die  Zahl  ist  nicht  ganz  ge- 


22  Griechische   Litteratur. 

nau,  da  fr.  S,  15,  286,  59,  76,  81  und  nach  des  Rec.  Erklärung 
auch  fr.  70  eine  doppeUe  Nummer  haben  sollten. 

\  ielleiclit  würde  man  nach  der  Beschaffenheit  dieser  Frag- 
mente am  besten  thun,  ohne  andre  als  untergeordnete  Rück- 
sicht auf  den  Inhalt,  eine  Ilauptabtheilung  zu  machen  nach 
Strophen  und  Liedern  v.axa  öTtj^ov,  worauf  man  denn  die  un- 
bestimmbaren Verstlieiie  und  einzelnen  Wörter  folgen  liesse. 
Wir  wollen  eine  Sonderung  dieser  Art  versuchen  ohne  "gerade 
die  Untersuchung  bis  in  alle  ihre  kleinsten  Theile  zu  verfolgen. 

In  die  strophische  Abtheilimg  fallen  zuvörderst  die  Brucli- 
stücke  Aer  Hymnen.  Auf  ApoUon  fr.  20,  Alkäisch  und  zwar, 
wie  wir  vorher  schon  angemerkt,  nach  dem  Schol.  des  Ilephä- 
Btion  des  ersten  Buclis  erster  Ode  Anfang :  was  um  so  weniger 
hätte  übersehn  werden  sollen,  da  der  Ilerausg.  jetzt  diess  Frag- 
ment,  welches  Ilephästion  selbst  ohne  den  Verf.  anführt,  nur 
zweifelhaft  aufnimmt;  und,  wie  wir  nachher  wahrscheinlich 
machen  werden ,  auf  Athene  fr.  54.  Alkäisch  waren  ferner  die 
Hymnen  auf  Aphrodite  fr.  25: 

"AsLöov  ccu^i  täv  L6xo?.7tov  [co]. 

und  auf  Eros  fr.  24,  die  drittehalb  letzten  Zeilen  der  Strophe, 
welche  nicht  Ga  is  ford  ,  sondern  Porson  emendirt  u.  abge- 
theilt  hat.     Vgl.  dessen  Tracts  and  misc.  Criticisms  p.  CHI. 

/duvotcttov  &mv 

XQVöozo^a  ZicpvQcp  uLystöcc. 

Auf  Hermes  Sapphisch  fr.  22  (des  In  B.  2e  Ode).  Yon  fr.  71, 
was  zu  einem  Hymnus  auf  Hephästos  gehört  zu  haben  scheint, 
ist  der  erste  Vers  vielleicht  Asklepiadeisch,  der  andre  fängt 
daktylisch  an: 

"iß(jT£  Q^säv  ^ifjdev'  'Okv^TtLOV 

Es  versteht  sich,  dass  was  sonst  zu  den  Hymnen  gehört,  nicht 
getrennt  werden  dürfte.  Suchen  wir  nun  weiter  zuerst  Reste 
Alkäischer  Strophen  auf,  so  finden  wir  (ausser  20,  24,  25,  54) 
fast  zwei  ganze  Strophen  fr.  2  u.  wieder  27,  eine  ganze  fr.  29, 
Theile  fr.  3,  4,  7,  10,  11,  loö,  3G,  41,  47  (nach  dem  Herausg.), 
5ß,  75,  wenn  diess  nicht,  nach  der  Bemerkung  eines  früheren 
Recens. ,   als  Sapphisch  ohne  Aenderung  von  u8Qosl  so  lautete: 

Noov  ö'  Eavrco 

Ferner  FO  (der  erste  Vers  mit  fehlenden  beyden  ersten  Sylben), 
81  b,  82,  84  (nach  der  unten  anzuführenden  Emendation) ,  89, 
99,  115,  94  6,  wo  abzutheilen  ist: 


Alcnei  Mytilcnaci  Rcllquiac.    Edid.  Slatthiae.  23 

OvÖBTta  TIoGiiöäv 
aXnvQov  löTvcpi^L^s  novtov 

und  94  e.  Diese  Strophe  scheint  die  vorherrschende  gewesen 
zn  seyn,  so  wie  sie  es  denn  bey  Iloratius ,  dem  Römischen 
Alkäos  (Epist.  1, 19,32;  II,  2,  99.  cf.  Od.  1,32),  auch  ist.  Doch 
beweist  diess  keineswegs,  dass  erst  Alkäos  sie  erfunden  habe, 
wie  der  Ilerausg.  p.  5  annimmt.  jNichts  sichrer  als  was  Theon 
sagt  Progymn.  p.  22  Camer.:  "SIötteq  'AgiGzocpäviLov  n  ^ivQOV 
%ai  ZanepfKov  v.a.l'AKy.ai'/iov  üoi  akXo  1%^  aklov  ksyBrat^  ov% 
ojg  xovviov  x(5v  noLrjTcov  fxovav  7]  Ttgarov  s^bvqovtcov  xa  [le- 
xQa,  dkV  oxi  avtoli  Inl  x6  nXuöxov  tiQrjGuvxo.  Eher  könnte 
man  versucht  seyn  als  eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  gelten 
zu  lassen,  Avas  Marius  Victor.  IV  p.  2010  sagt:  die  Sapphische 
Stroplie  sey  erfunden  von  Alkäos,  aber  nach  der  Dichterin  ge- 
nannt, weil  sie  sich  derselben  öfter  bediente.  Doch  beruht 
auch  diess  vermuthlich  nur  auf  der  leeren  Voraussetzung,  dass 
Alkäos  und  Sappho  die  Anfänger,  statt  die  Vollender  der  Les- 
bischen Lyrik  seyen,  zumal  da  Hephästion  anführt,  es  sey  un- 
gewiss, ob  diese  Strophe  von  Alkäos  oder  von  der  Dichterin 
herrühre ,  also  ein  älteres  Zeugniss  in  jenem  Sinne  nicht  vor- 
handen gewesen  zu  seyn  scheint.  Bey  diesen  beyden  Dichtern 
kam  die  Strophe  vor,  bey  keinen  früheren:  es  schien  daher, 
der  eine  oder  der  andre  werde  auch  die  Erfindung  gemacht  ha- 
ben. Aeussert  doch  sogar  Iloratius  Od.  I,  32,  5,  All^äos  habe 
das  Barbiton  erfunden,  welches  Pindar  selbst  dem  Terpander 
schon  beylegt.  Wo  Ilr.  M.  von  dem  Trochäus  spricht,  welchen 
in  der  zweyten  Stelle  Alkäos  duldet,  p.  12,  ist  ein  Skolion  bey 
Athenäus  wohl  nur  zufällig  diesem  beygelegt.  Den  dritten  und 
den  vierten  Vers  dieser  Strophe  hat  Servius  im  Centimetr.  p. 
1818  u.  1825  als  iamb.  Alcaic.  dim.  hypercat.  und  Alcaic.  Der 
erste  heisst  der  Alkäische  elfsylbige  bey  Hephaest.  c.  14  p.  80. 
Von  Sapphischem  Metrum  sind  ausser  fr.  22  auch  fr.  15  6, 
33,  86,  so  wie  eines,  das  wir  beyfügen  werden.  Eine  Strophe 
aus  zwey  zwölfsylbigen,  einem  fünfsylbigen  logaödischen  und 
einem  anapästisch  logaödisclien  Vers  bildet  der  Verf.  Nr.  50, 
wie  es  scheint  ein  Skolion.  Ein  andres  dürfte  fr.  59  seyn,  wo 
auch  der  erste  Vers  überein  kommt  mit  'Ev  (.ivgxov  ükadl  x6 
^LCpog  cpOQTiöoJ,  der  Schluss  aber  eigenthümlich  aus  einem  trim. 
dactyl.  und  einem  dim.  troch.  catal.  zusammengesetzt  ist.  Mit 
dem  letzten  Vers  jener  bekannten  Skolienform,  löovöfxovg  x 
'Ad'i'jvag  BTCoirjödxijv ,  ist  fr.  60  verwandt,  ea  Ös  tioxi]oic)v  ^  — 
zJevvo^Evei,  TtaQLOäav.  Ferner  haben  wir  den  logaödischen  Al- 
käischen zehnsylbigen  Vers  fr.  123  und  bey  Tricha  p.  19: 

xai  xig  in'  iöyßxiaiöiv  olxEig, 
einen  andern  logaödischen,  welcher  bey  Pindar  Isthm.  VII  vor- 
kommt, fr.  52: 


24  Griechische   Litteratur. 

yaias  xat  viq)6svtog  agava  ^eöot, 

tinter  welchen  wir  auch  fr.  06,  ex  ^s  läöag  «Ayeov,  wenn  so 
mit  Bloinf.  (fr.  48)  zu  lesen  ist,  und  fr.  78,  d^^iöLv  nsdüo- 
Qov,  wiewohl  Sappho  TiedavQog  hat,  unterbringen  können  ;  und 
den  sogenannten  enkomiologischen  des  Ilephästion,  fr.  70: 

7]  q'  tTL  ^evvo^ivBi  ta  t'  'TQQaxrjo). 

Dann  sind  die  beyden  Alkäischen  zwölf sylbigen  fr.  42 : 

IÖtcXox',  ayvd,  fiSLliXüiieids  Zlantpol. 
und  fr.  124: 

üökncp  ö'  Idi^av^^  ayval  Xdg irsg  Kqovg). 

Endlich  der  iambische  zehnsylbige  Alkäische  nach  Mar.  Victo- 
rin, p.  2591  [nam  e  trimetro  lambico  Archilochio  iatnbicus  pede 
minor,  quem  elia?n  decasyllabon  vocant^  figiaatus  est  ab  Alcaeo^ 
ufide  et  Alcaicus  dicitur),  und  einer,  weichen  Servius  im  Cen- 
tiraetr.  p.  182')  Alcaicum  spondenin  nennt,  constantem  penthe- 
mimeri  s-pondaica  et  duobus  dactylis^  wie  Carmen  rellaxat  tae- 
dia  pectoris.     Ungewiss  bleiben  fr.  9,  51,  76  6,  77,  87,  94  d. 

Die  Vorstellung  von  der  Manigfaltigkeit  der  von  Alkäos 
gebrauchten  Strophenverse  erweitert  sich  noch  durch  die  Vei*- 
gleichung  der  Oden  des  Iloratius  im  Allgemeinen.  Sehr  roerk- 
wiirdig  ist  dessen  Aeusserung  in  d.e.n  Briefen  I,  19,  27,  dass  Al- 
cäus  und  Sappho  Verse  von  Archilochus  unverändert  aufgenom- 
men, aber  in  neue  Verbindung  untereinander  gebracht  haben. 
Diess  ist  der  Sinn  jener  Stelle,  um  welche  Bentley  grosses 
Verdienst  hat,  obgleich  er  auf  dem  halben  Weg  des  Richtigen 
stehn  geblieben  ist,  indem  er,  den  lambendichter  im  Auge, 
nur  an  den  iambischen  Senar  denkt,  welchen  Alkäos  u.  Sappho 
von  ihm  entlehnt  haben  sollen.  Er  hat  sich  dadurcli,  dass  die 
alten  Litteratoren  den  Archilochus ,  weil  er  schon  unter  den 
larabographen  angebracht  war,  nicht  zugleich  zu  den  Lyrikern 
zählen,  irre  machen  lassen;  denn  darauf  beruft  er  sich.  Und 
doch  konnte,  wer  die  Gedichte  des  Archilochus  in  Händen  hat- 
te ,  wenn  sogar  wir  aus  dürftigen  Nachrichten  und  Fragmenten 
ihn  als  den  grössten  und  fruchtbarsten  Erfinder  in  der  musika- 
lisch-rhythmischen Kunst  kennen  lernen,  über  dem  herrschen- 
den Inhalt  niemals  den  Reichthum  der  Versformen  übersehen. 
Auch  Hr.  Neue  in  den  Fragmenten  der  Sappho  p.  17  befolgt 
Bentleys  Erklärung,  nt  Archilochi  pes  iambus  illorum  poesi  ad- 
mixtus  dicatur.  Hierbey  miiss  zuerst  sehr  befremden,  dass 
keinem  von  beydem  der  iambische  Triraeter  von  Grammatikern 
heygelegt  wird ,  auch  nicht  unter  den  Fragmenten  beyder  vor- 
kommt; sondern  nur  der  bracliykatalektische  wird,  ausser  dem 
iieunsylbigcn  larab  der  Alkäischen  Strophe,  als  Alkäisch  ange- 
führt,  der  kalalektische  als  Sax)pliisch  (fr.  78),   welcher  zu- 


Alcaei  Mytilcnael  Beliquiae.  Edid.  IWattliiae,  25 

reicht,  um  Julians  Bemerkung  zu  rechtfertigen,  dass  Sappho 
Jamben  ihren  Hymnen  angepasst  habe.  Auch  die  noch  erhal- 
tenen Epodenformen  des  Archilochus ,  die  man  unter  seinem 
Hauptvers,  dem  iambischen,  mitverstehen  kann,  der  iambisclie 
Dimeter  und  die  daktylische  Penthemimeris  finden  sich  eben  so 
Avenig  bey  den  Lesbischen  üiclitern.  Aber  sehen  wir  nun  auf 
den  Zusammenhang.  Iloratiiis  rühmt  sich ,  die  Gattung  der 
lamben  zuerst  in  Rom  nachgebildet  zu  haben,  und  zwar  in  Syl- 
henmass  u.  Geist,  nicht  nach  dem  besonderu  Inhalt.  Mit  dem 
Beyspiel  der  Lesbischen  Dichter  aber  vertheidigt  er,  nicht,  dass 
er,  um  zuerst  diess  anzunehmen,  den  lainbiis  eingeführt,  son- 
dern dass  er  sich  einer  von  einem  andern  geschaffenen  Form  be- 
dient habe,  statt  eine  neue  zu  erfinden  und  darin  liöheren  Rubra 
zu  setzen.  Wie  sonderbar  nun  würde  es  seyn,  jene  Dichter 
■wegen  eines  einzelnen  Verses,  den  sie  entlehnten,  auszuzeich- 
nen, da  ein  einfaches  Sylbenmaass,  wie  den  lambus,  den  Hexa- 
meter, das  elegische  Distichon  u.  andre  solche  allgemeine  und 
gleichsam  stehende  Rhythmen  unverändert  beyzubehalten  nicht 
etwas  Auffallendes,  sondern  das  Gewöhnliche  war.  Wie  viel 
sonderbarer  noch,  gerade  mit  solchen  Dichtern  den  Mangel  ei- 
gener Erfindung  zu  entschuldigen,  die  so  manigfaltige  eigene 
Versformen  hatten ,  dass  darunter  ein  einzelner,  wenn  sie  nur 
den  erborgt  hätten,  sich  leicht,  und  namentlich  der  zwolfsyl- 
hige  lamb  hinter  dem  neun-,  dem  zehn  -  und  dem  elfsylbigen 
versteckte.  Aber  Horatius  spricht  ja  auch  ausdrücklich  und 
unverkennbar  von  einer  Aufeinanderfolge  von  Versen: 

Quod  tiinui  mutare  niodos  et  carrainis  artem: 
Teniperat  Archiloclii  Musam  pede  uiascula  Sappho, 
Temperat  Alcaeus,   sed  rebus  et  ordine  dispar. 

Sappho  und  Alkäos  also  mischten  in  ihre  Lieder  (indem  pede 
in  noch  weiterem  Sinne  collectiv  genommen  wird)  Verse  des 
Archilochus  von  verschiedenem  Rhythmus  und  verschiedener 
Länge,  die  dieser  in  seinen  Epoden,  und  warum  nicht  auch 
sonst?  gebrauclit  hatte,  ohne  dass  sie  darum  den  in  seinen 
Poesieen  vorherrschenden  iambischen  Geist  oder  die  Folge  und 
die  Verbindung  der  verschiedenen  (daktylischen,  choriambi- 
schen, iambischen,  asynartetischen)  Verse  untereinander  nach- 
ahmten und  bey  behielten.  Dass  auch  die  Epoden,  von  denen 
nur  zwey  verschiedene  Formen  auf  uns  gekommen  sind,  ma- 
nigfaltiger  gewesen,  müssen  wir  aus  der  Nachahmung  des  Ho- 
ratius schliessen,  der,  indem  er  die  Gattung  aufnahm,  modos 
et  carminis  artem  zu  ändern  sich  scheute.  Dass  Alkäos  und 
Sappho  nicht  auch  viele  eigene  Verse  von  andern  Maassen  und 
mit  manchen  feineren  Variationen  und  selbst  andere  Rhythmen 
einführten,  ist  dabey  nicht  geläugnet;  denn  die  Vergleichung 
erstreckt  sich  nicht  rückwärts  auch  auf  das  timui  mutare  mo- 


26  Griechische    Litteratur. 

dos.  Aber  auf  jeden  Fall  wird  uns  eine  Vergleichung  der  dem 
Archiloclius  zugeschriebenen  Versarten  und  der  bey  den  Lesbi- 
schen  Dichtern  vorkommenden  zur  Pflicht  werden. 

Von  den  Gedichten  'naxd  Gxlyov  stellen  wir  die  elioriambi- 
scheii  voran.  Unter  diesen  scheinen  am  zahlreichsten  gewesen 
zu  seyn  die  in  dem  sechszehnsylbigen  Vers,  wovon  auch  He- 
phästion sagt,  dass  darin,  wie  von  der  Sappho  das  ganze  dritte 
Buch,  so  von  Alkäos  viele  Lieder  gewesen  seyen.  Auch  TricJia 
merkt  dessen  häufigen  Gebrauch  bey  Alkäos  an  p.  31 ,  und  sagt 
p.  49,  dass  diess  Sylbenmaass  auch  Alkäisch  wie  Sapphisch  ge- 
nannt werde.  Alkäisch  nennt  es  Servius  im  Centimetr.  p.  1824, 
Archilochisch  aber  Diomedes  p,  510.  Bey  Iloratius  sind  darin 
nur  I,  11;  18;  IV,  10.  Unter  den  Fragram.  haben  diesen  Vers 
N.  5,  28«,  30,  31,  32,  53,  f)8,  79,  121  (ein  Skolion  wie2:t;V  ^ot 
Tclve.  övv/jßa)^  und  mit  wenigen  Sylben  ergänzbar  85  und  94  c. 
Einmal,  fr.  79,  finden  wir  in  diesem  Vers  eine  iambisclie  Basis, 
wenn  nicht  vielleicht  toy  yäg  ausgesproclien  wurde.  Derselbe 
Vers  mit  zwey  kurzen  Sylben  anfangend  (so  wie  auch  der  län- 
gere choriambische  Vers  fr.  26,  und  der  mit  araphibrachischer 
Katalexis  Sapph.  fr.  47)  findet  sich  fr.  35,  bey  der  Sappho  fr. 
22.  Ausser  diesem  Vers  aus  drey  Choriamben  mit  iam bischer 
Katalexis  gebrauchte  Alkäos  einen  andern ,  um  Kine  Sylbe  kür- 
zeren, welchen  Servius  im  Centimetr.  p.  1823  erwähnt,  wie  In- 
fandum  tetigit  sidera  Carmen  itiagiconim.,  den  er  aber  unrich- 
tig einen  tetram.  brachycat.  Alcaic.  nennt,  da  er  als  hyperkata- 
lektisch  zu  bezeichnen  ist  (Elem.  metr.  p,  430,  wo  unser  fr.  ine. 
125  angel'iihrt  wird),  und  hierher  gehört  wahrscheinlich  fr.  48, 
wo  vorn  ein  zweysylbiges  Wort  fehlt  (auch  vergleichen  wir  da- 
mit den  Vers  unter  den  Sapphlschen  fr.  42 ,  welcher  sich  von 
dem  zuletzt  genannten  nur  durch  die  einsylbige  Anakrusis  un- 
terscheidet, und  von  Hermann  Elem.  p.  432  zu  den  Choriam- 
ben gezogen  Avorden  ist,  da  ihnHephästionlonisch  maass),-  fer- 
ner den  choriambisclien  Tetrameter  mit  angehängtem  lambus 
fr.  26  (mit  49),  vielleicht  auch  44,  und  den  sogenannten  As- 
klepiadeischen  Vers  aus  zwey  Choriamben  mit  zweysylbiger  Ba- 
sis u.  Jambischer  Katalexis,  wovon  Atil.  Fortunat.  p.  2700  sagt: 
anle  Asclepiadem  eo  tisi  Alcaeus  et  Sappho,  und  Tricha  p.  31 
u.  49,  dass  Alkäos  ihn  viel  gebraucht  habe,  fr.  8  mit  67,  fer- 
ner 12,  und  vielleicht  81  a: 

[Kai]  To3'  tgyov  ayi]6aiT0  rtä  aoga. 

Denn  nicht  nöthig  ist  es,  einen  sonst  nicht  vorkommenden  cho- 
riambischen Vers  hier  anzunehmen,  da  ApoUonius  nur  wegen 
tsd  citirend  nicht  Ursache  hatte,  den  Vers  auszuschreiben. 
Prachtvoll  schreitet  der  Rhythmus  einher  in  dem  zusammenge- 
setzten Vers,  woraus  die  erste  Ode  in  unserer  Ausgabe  be- 
steht, und  der  noch  fr.  46  vorkommt.     Choriambisch  ist  auch 


Alcaei  Mytilenaei  Rcliquiiic,  Etlul.  Mattlilae.  2? 

fr.  73,  ?Gß,  91,  08.  Nicht  aber  zählen  wir  daliin  fr.  156,  weil 
von  diesen  von  Hermann  angcnomiueueu  Clioriambeu 

VLxäv 

sonst  keine  Spur  ist,  und  die  Worte  auch  aus  den  ersten  Ver- 
sen der  Alkäischen  Strophe  seyn  können.  In  Ionischen  Versen 
bildete  Alkäos  nach  Ilephästion  ganze  Lieder,  und  Tricha  sagt 
\t.  38  u.  51,  dass  nur  er,  Sappho  und  Alkraan  ionische  Tetra- 
meter gemacht  haben.  Der,  weichen  wir  fr.  69  haben,  ist  der 
Anlaiig  des  von  lloratius  111,  12  nachgebildeten  Gedichts  in  De- 
kapodieen  oder  Systemen  von  10  Ionischen  Füssen,  wie  üent- 
ley  zeigt  und  Böckh  über  die  krit.  ßehandhing  der  Find.  Ge- 
dicbte  p.  15  u.  37  bestätigt.  Ionisch  ist  auch  fr.  92.  Von  ium- 
bischen  Tetrametern  ist  ein  Beyspiel  fr.  40:  von  daktylischen 
Versen  die  Aeolischen  Pentameter  fr.  286; 

ilQog  av&e^oEvtog  btccc'Cov  eqxo^bvolo  x.  t.  X. 

(denn  von  HQatTJQa  wurde  der  kurze  Endvocal  von  der  nächsten 
Sylbe  verschlungen  u.  es  ist  also  der  Anfang  eines  dritten  Ver- 
ses); und  die  verwandten  Aeolischen  Verse  fr.  14: 

d>VEQ  ovtog  6  ^ccLVo^evog  xo  ^eya  XQatog  k.  t.  L 

und  fr.  37  der  Tetrameter : 


olvog,  oj  (pils.  naZf  aal  aXdd'Ea, 
luch  der  rein  daktvlische  Tetram« 


so  wie  auch  der  rein  daktylische  Tetrameter  fr.  34,  wo  zwey 
Verse  verbunden  sind.  Doch  ist  nicht  zu  übersehn,  dass  Ile- 
phästion  den  Alkman  hinsichtlich  ganzer  Strophen  aus  solchen 
Versen  auszeichnet.  Dagegen  scheint  der  auch  von  Archilo- 
chus  (fr.  82  u.  84  ed.  Liebel.  alt.)  gebrauclite  Asynartet,  wel- 
chen Horatius  I,  4  mit  einem  iambischen  trira.  catal.  abwechselt, 
aus  einem  daktylischen  Tetrameter  und  einem  Ithyphallicus  in 
Reihen  vorgekommen  zu  seyn,  fr.  65: 

^AQyaXhov  mvia  hutiov,  aö^Etov,  cc  ^syav  ddnVfjöL 
Kaov  d^7i%avia  6vv  döbk^Eä. 

Gaisf  or  d  im  Stobäus  setzt  die  Trochäen  zwischen  beyde  dak- 
tylische Verse. 

In  einigen  Fällen  ist  es  nicht  ganz  leicht  zu  entscheiden, 
ob  ein  Fragment  dem  Lyriker  oder  dem  Komiker  Alkäos  ange- 
höre ,  von  dessen  Stücken  sogar  jenem  bey  Suidas  drey  zuge- 
schrieben sind.  ^Jkzaiog  ohne  Zusatz  wird  von  Hesychius  v. 
'Aöi^q)dyoL  angeführt;  nur  aus  Suidas  und  Ilarpokration  sehn 
wir,  dass  der  Komiker  zu  verstehn  ist.  Der  Antiatticista  citirt 
eben  so  p.  86  u.  104;  doch  lassen  die  Worte  in  der  einen  Stelle, 
die  Bemerkung  hos^lküs  in  der  andern  keinen  Zweifel.     Für 


28  Griechische    Litteratur. 

zweifelhaft  aber  erklärt  M  e  i  ii  e  k  e  Quaest.  Seen.  II  p.  55,  wel- 
chem von  heydea  die  Stellen  bey  Photius,  die  sich  hier  fr.  81, 
104,  105  finden,  gehört  haben.  Das  erste  nehmen  wir  unbe- 
denklich nacliPorsons  durchaus  wahrscheinlicher  Herstellung 
(in  seiner  Ausg.)  jia^nav  d'  ttvcpaö'  sx  d'  akezo  q)QBvag  für  den 
ersten  Vers  der  Alkäischen  Strophe.  Das  falsche  dsXbyszo,  d' 
ikiyixai  hatte  auch  Wakefield  Sylv.  crit.  F.  4  p.  205  in  ffs- 
yl£TO  verändert.  Was  fr.  104  betrifft,  ^stQ^öaL  stcl  tov  dgiO^^i^- 
6av,  so  würde  das  Sprichwort  xvfxara  (isrQelv  dcni  Lyriker,  da 
er  Sprichwörter  liebte,  wohl  zustehn:  und  vielleicht  bezog  sich 
darauf  die  Glosse.  In  die  Komödie  verweist  Hr.  Matthiä  mit 
allem  Grund  fr.  88  (Blomf.  44),  so  wie  auch  den  Ausdruck  bey 
Suidas  und  einem  andern  Grammatiker  »Aa^cov,  6  dlcofisvog  zu 
fr.  lOß;  und  llec.  fügt  hinzu  fr.  118:  'AttucoI  nlv  ovv  au  xql- 
övXXaßag  [öLKVog)^  'AXxalog  da  ddxy  cpiqöl  tav  ölkvcov^ 
etwa  auch  fr.  38  notvlog. 

Aber  Aufmerksamkeit  verdient  auch  eine  alte  Vermuthung 
Cupers,  welcher  in  einem  von  Fabricius  in  dem  seinigen  be- 
nutzten Index  zu  den  Scholien  des  ApoUonius  Rhodius  in  zwey 
Stellen  dieser  Scholien,  in  unsern  Fragmenten  N.  57  u.  58,  ei- 
nen Historiker  Alcäus  annimmt,  cujus  octavuyn  Hbrinn  laudat 
Suidas  in  2JKv&Lxai.  Hr.  Matthiä,  welcher  diese  Stelle  des 
Suidas ,  Photius  u.  Ilarpokration  fr.  1)0  hat ,  erwähnt  nicht  ein- 
mal der  Lesart  des  letzten  tv  nsvtrjKoötiJ  oyÖöy,  wofür  die 
bey  den  andern  und  Phavorinus  haben  tv  rj.  Jenes  emendirte 
D'Orville  Vann.  crit.  p.  179  Iv  TCSvry^KOörfj  [(pdyj  tov]  oyöoov 
[ßißXiov]^  ohne  alle  Wahrscheinlichkeit.  Wohl  kann  man  glau- 
ben ,  dass  Photius  und  Suidas  ,  eben  weil  sie  an  den  Lyriker 
dachten,  die  Zahl  veränderten.  Aber 'angenommen  ,  dass  da- 
rin bey  Ilarpokration  selbst  geirrt  sey,  so  fragt  sich,  ob  in  den 
Sachen  ein  Grund  für  des  verständigen  Cupers  Vermuthung  sey, 
der  diese  Zahl  nicht  kannte  und  wahrscheinlich  von  dem,  was 
in  den  Scholien  des  ApoUonius  vorkommt,  ausgicng,  indem  er 
an  einen  Geschichtschreiber  Alkäos  dachte.  Hier  heisst  es  nun 
(fr.  57),  dass  Alkäos  und  Kallimachos  der  Quelle  Artakia  bey 
Kyzikos  gedenken,  und  (fr.  58),  dass  Alkäos  eben  so  wieAku- 
silaos,  als  ob  dieser  der  frühere  wäre,  den  Ursprung  derPhäa- 
ken  von  den  Tropfen  des  Uranos  herleite.  Diess  letztere,  was 
Cuper  nicht  wissen  konnte,  hängt  an  einer  unbedeutenden  Lo- 
calsage  der  Kerkyräer,  die  ihre  Insel  Sichel  nannten  und  die- 
sen Namen  von  der  ^Sichel  des  Kronos  erklärten ,  um  Autoch- 
thonen  zu  seyn,  was  ihnen  die  Homerische  Poesie  nicht  zuge- 
stand, und  ist,  wie  aus  einer  zusammenhängenden  Erörterung 
der  Phäakensage  sich  ergiebt,  für  den  alten  lyrischen  Dichter 
in  derThat  nicht  wahrscheinlich.  Was  die  Skythischen  Schuhe 
betrifft,  so  citirt  dafür  Ilarpokration  vor  dem  Alkäos  den  Ly- 
sias,  Hesychius  aber  ohne  jenen  den  Herraodoros  bey  Poleraon, 


Alcaei  IVIytllenael  Reliquiac.    Edul.  Mattlilue.  29 

aus  welchem  sich  ergiebt,  dass  sie  Tracht  der  Sklavinnen  wa- 
ren, während  die  Schulie  der  Ireyen  Frauen  vnoÖiq^axa  ge- 
nannt wurden.  Die  als  von  Ailiäos  angeführten  Worte  scheinen 
besonders  nach  dem  allein  bey  Ilarpokration  im  Anfang  vor- 
kommenden 'na.l  rljythmisch.  Aber  alsdann  sind  sie,  obgleich 
daktylisch,  %ai  Eav^i^ac;  vTtoÖyödfievoL^  wenigstens  elicr  dem 
Dichter  der  alten  Komödie  zuzuschreiben  (wo  denn  in  Iv  jcev- 
trjxoözy  oydörj  der  Titel  der  Komödie  stecken  müsste),  als  dem 
von  Lesbos,  wo  man  in  jenen  Zeiten  von  Scythen  als  Sklaven 
und  von  Sklaventracht,  wenn  gewisse  bestimmte  Nachricliten 
nicht  einseitig  sind ,  nicht  sprechen  konnte.  Auch  bey  fr.  105, 
oder  dem  Sprichwort  Uctcivr]  £t;wi,  welches  zwisclien  diesen  bey- 
den  Dichtern  ungewiss  war,  mVissen  wir  nun  an  die  dritte,  pro- 
saische Person  denken.  Pilaiie  war  durch  schnellen  Glücks- 
wechsel  berühmt ,  und  nach  Hellanikos  von  den  Pelasgern  ge- 
knechtet n.  von  den  Erythräern  wieder  befreyt  worden.  Sprich- 
wörter gebraucht  der  Lyriker  Alkäos  häufig:  ein  antiquarischer 
Grammatiker  musste  deren  manche  der  Orte  u.  ihrer  Geschichte 
wegen  anführen.  Einen  Alkäos,  der  den  Grammatiker  Isokra- 
tes  verspottete,  führt  Jacobs,  wo  er  von  dem  Epigrammen- 
dichter dieses  Namens  spricht,  ausPoIybius  XXXII,6  an.  Man- 
cher wird  einwenden  wollen ,  dieser  Historiker  oder  Gramma- 
tiker Alkäos  sey  darum  nichts,  weil  6  yQUfi^axLXog  beygefügt 
seyn  müsste.  So  urtheilte  Boeckh  hinsichtlich  eines  Gram- 
matikers Pindaros  zu  den  Pindarischen  Fragm.  p.  ß,j4 ,  wo  er 
zwar  in  der  Vit.  Hom.  mit  Recht  den  Dichter  versteht,  hinge- 
gen eben  so  gewiss  irrt,  wenn  er  den  Grammatiker  ganz  läug- 
net  oder  in  zwey  Stellen  in  Pindarion  verwandelt.  Denn  in  Fa- 
vorini  Eclog.  p.  318  und  p.  431  ed.  Dindoi'f  ist  noch  zweymal 
derselbe  Pindaros  schlechtweg  citirt  und  dennoch  der  Gram- 
matiker nicht  zu  verkennen.  Wie  es  mit  dem  Grammatiker 
'yi^xfialog  stehn  möge,  der  unter  der  diesen  Eclogis  vorange- 
stellten Heihe  von  Grammatikern ,  daraus  sie  geschöpft  seyen, 
sich  befindet,  welcher  aber  in  dem  Verzeichniss  aller  Gram- 
matiker bey  Fabricius  nicht  genannt  ist,  wogegen  denn  wieder 
der  Pindaros,  der  in  den  Eclogis  angeführt  ist,  in  der  vorste- 
henden Liste  fehlt,  müssen  wir  für  jetzt  dahin  gestellt  seyn 
lassen.  In  einer  Stelle  p.  3.")0,  33  könnte  ein  Name  aus  Miss- 
verstand vermuthet  seyn,  wo  nur  eine  sonst  nicht  vorkommen- 
de, wenigstens  in  den  Wörterbüchern  fehlende  Wortform  an- 
zunehmen ist.     ninuQog  ßoTQvg  6  «Ax^atog,    olov   o^cpah,  6 

ßÖVQVg  ,     OV  7t87t£LQOg. 

Die  Sprichwörter  des  Alkäos,  da  wir  dieser  erwähnt  ha- 
ben, hätten  füglich  zusammengestellt  werden  können ,  nemlich 
tr.  Z6,oivog  yccQ  dv&QcoTtOLg  dlojitgov ,  wenn  auch  fr.  37,  ol- 
vog,  o>  (piks  nui,  aal  dkdQea,  den  Liebesliedern,  so  wie  50, 
XQriiiaz'  dvi^Q,    als  Skoiion,  den  Trinkliedern  bleiben  sollte; 


80  Griechische    Litteratur. 

dann  fr.  45  (was  Sophokles  Col.  954  ausdriickt),  64,  l|  ovv%os 
Tov  kiovra,  85,  Et  x'  slTtijg  td&älsLg,  fXKovöcag  td  %'  ov  %b- 
Aotg,  02,  nc'div  d  vg  TtagoQiVSi,  113,  ccl^  ZlxvQia^  114,  6 
Kgyjg  räv  %äla66av.  Spricliwörtlich  ist  auch  fr.  63,  ix  tov 
'ip6q)0V  totBVSLV,  und  vielleicht  fr.  94  c/;  und  sprichwörtlich 
geworden  ist  fr.  31,    öäxtvkog  d^sga. 

Zum  Ersatz  für  die  ausgemusterten  Stellen  können  wir  ei- 
nigre  andere  hinzufiigen.  Scliol.  Odyss.  XI,  521:  'Hv  ydg  6 
Tt]Xs.(pog  Mvöiag  ßaötkBvg.  'Mii^Akzcdog  ös  ^y]6L  rdy  Ki]- 
TBLOV  dvxi  Toü  Mvöov.  Cf.  Sturz,  ad  Pherecyd.  Frag'tn.  54 
p.  205.  Das  Etyniol.  Gud.  p.  1(}2,  31:  ^ul  TilBiöroig  edvaöös 
Ä«org,  'j4X'Acdog:  was  aus  einer  Sapphischen  Strophe  genommen 
ist.  Einen  logaödischen  Vers  führt  T/icha  de  metris  p.  19  ohne 
den  Namen  an:  doch  lässt  der  Zusammenhang:  vermuthen,  dass 
das  Beyspiel  aus  keinem  andern  als  Alkäos  selbst  gewählt  sey. 
'EötI  ^ev  STtiörji^iotata  Iv  rovxcp  top  iiixQcp,  ag  acd'Hq^aLötiav 
q)r]6i^  TU  TB  tQi^BXfja  dyMxdh]}ixa  xd  TiQog  8vö\  tioöI  day.xvXi- 
y,olg  ^iav  VfOvxa  XQO'/jciVAi]v  diTtoÖLCCv,  cc  '/.a.\'AX;uüy.d  aalslxac, 
ag  TOV  'AXxaiov  naxaxÖQcog  avxoig  XQyjöa^BVOV  ^  olöv  böxl  t6 

stal  &b6v  d^iBQiOig  ßgoxotSi. 

Worin  d^sgiog  für  Bcpi^asgog  gebraucht  zu  bemerken  ist.  He- 
phästion p.  24  (43)  bringt  von  diesem  zeluisylbigen  Alkäischen 
Yers  als  Beyspiel  bey,  Avas  fr.  123  unter  den  incertis  steht,  von 
Gaisford  aber  p.  494,  so  wie  aucli  von  ßlomfield ,  dem 
Alkäos  gegeben  wird : 

xat  Tig  BTi'  B(5iDiTLal(5LV  ol'/,tig. 

Chöroboskos  in  Bekkers  Anecdot.  Gr.  p.  1389  führt  aus  Alkäos, 
während  Sappho  schrieb  tov  alvövvov^  den  Dativ  tco  yAvövvi 
von  oiivÖvv  an;  denn  so  ist  für  "/.ivÖvva  zu  lesen,  und  auch  von 
Biomfield  in  den  Zusätzen  im  Mus.  crit.  N.  8  p.  607  geschrie- 
ben. Umgekehrt  hat  Alkäos  für  dyav  fr.  103  die  Form  dyca- 
a'og,  welche  auch  in  einer  Delphischen  Inschrift  C.  J.  n.  1693 
vorkommt.  Vgl.  Buttm.  Gramm.  I,  222.  Endlich  liat  der  Cod. 
Amstelod.  ap.  Wassenbergh.  Hom.  II.  I  et  II  ad  II,  129  folgen- 
des:  Tcp  diTikaöiaö^cp  BvavTiov  i]  TtuQBlXBi^Hg.  bGxI  Öl  naQBk- 
^.Bitl'Lg  öxccv  xäv  diTclc/.öiat,oiisvcov  öv^Kpävcov  bv  TtagaXBiTtrjxatf 
olöv  Böxi  Tcagd  t«  'Ak^aico  t6  xdkiov  dvxl  xov  zdkhov. 

Diese  Parellipsis  ist  übrigens  bloss  Sache  der  alten  Ortho- 
grapliie,  welche  die  Cousonanten  nicht  verdoppelte,  insbeson- 
dere nicht  die  liquidas  nach  langen  Vocalen,  s.  Sylloge  Epigr. 
Graecor.  p.  294.  In  der  ersten  Ode  der  Sappho  Vs  27  und  28 
finden  wir  i^egBi,  eöo  fi'ir  IfisggBi,  bööo  geschrieben.  So  ist 
es  nur  Folge  einer  Nachlässigkeit  im  Epimerismos,  dass  Geor- 
gios  bey  Eustathius  (fr.  109)  Tsgeav  fi'ir  TBigüov  fand,  welcher 
dann  nicht  daran  jdachte,    dass  8  für  bl  stehe,  sondern  anstatt 


f 


Alcaei  Mytilenaei  Rellquiae,  Etlld.  Mattblae.  Sl 

ZU  ändern,  wie  fr.  31  ctXsaig  in  siXBiaig  \on  Neueren  längst  ver- 
bessert worden  ist,  eine  andere  Form  annalim:  scpavsQCOös  ds 
q}rj6l  to  s  'Jlxalog  dncov  tsqbcjv  öi%a  rovi.  Auch  das  un- 
bekannte Verbum  Öico ,  bvqlökco,  welches  l'r.  87  von  dem  Etym. 
M.  auficestsellt  wird,  ist  wohl,  wenn  anders  die  Stelle  nicht 
sonst  verdorben  war,  nichts  anders  als  dria.  Daher  scheint  es 
nicht  einmal  ausgemacht,  ob  Apollonios  Dyskolos  fr.  52  iogava 
Ueöoi,  oder  ^dööoi  durch  die  Analogie  von  o'lxol,  TJv%oZ^  Me~ 
yaQot  (fioxoi  f.  ^vicp ,  l%\foi  d.  i.  liGoi  f.  f^o,  Koen.  ad  Gregor. 
p.  308,  wo  auch  zu  unserm  Fragment  Bast  zu  vergleichen  ist) 
richtig  erklärt,  und  nicht  vielmehr  in  der  Urschrift  idöco  ver- 
standen war,  was  Aeolisch  sonst  iiböv'C  lautet.  Eben  so  scheint 
in  den  lamben  des  Simonides  über  die  Weiber  aus  der  aQxala 
GTi^ttöia  einiges  stehen  geblieben  (wie  es  Aristarch  zu  Find. 
Nem.  I,  24  anmerkt  u.  im  Pindar  zuerst  Böckh  häufiger  nach- 
zuweisen verstanden  bat),  £  für  st  Vs.  4,  avo  nvlivöitai  in  xu- 
Jitvösltat,  Vs.  75,  wo  ßgaxsa  in  ßgcixsla^  zu  ändern  ist,  ö  für 
ov,  Vs.  12  AtTopydv,  und  für  oj,  Vs.  20  e^xTCsdog  für  l^Tcedäg, 
Vs.  24  egyov,  Vs.  30  kaiov^   statt  sgycov  und  Icot'cov. 

Unter  den  Fragmenten  des  Alkäos  sind  einige  so  sehr  ver- 
dorben, dass  ohne  Entdeckungen  in  Handschriften  eine  befrie- 
digende Herstellung  kaum  zu  holTen  ist.  Der  Herausgeber  sagt 
in  der  Zuschrift:  „de  meo  nihil  fere  addidi,  vulnera  autem,  re- 
liquiis  illis  ab  ignorantia  et  negligentia  librariorum  inflicta  nu- 
davi  magis  et  patefeci,  quam  sanavi.  In  quo  illud  tarnen,  quae 
Tua  est  aequitas,  reputabis,  plerumque  ita  laceras  et  omni  nexu 
solutas  esse,  ut  aliorum  poetarum,  sie  Alcaei  quoque  reliquias 
seu  fragmenta  quae  vulgo  vocant,  ut^  quae  earum  sententia  fue- 
rit  vel  quod  consiliura,  vix  queas  dispicere.  Itaque,  quid  scribi 
potuerit,  saepius  non  adeo  difficile  est  invenire,  conjecturas, 
quae  solido  aliquo  fundamento  constitutae  veri  speciem  habeant, 
proferre  vi\  licet."  Auch  Rec.  gesteht  zum  Emeiidiren,  wenn 
es  an  all  dem  sprachlichen,  metrischen,  paläographischen  oder 
sachliclien  Halt  fehlt,  wodurch  ein  gewisser  Grad  von  Evidenz 
gesichert  wird,  fiir  sich  kein  Belieben  zu  tragen,  obgleich  er 
auch  dem  Spiel  mit  Conjecturen,  wenn  es  anders  gelehrt  und 
geistreich  ist,  keineswegs  überhaupt  seinen  Reiz  so  wie  grossen 
Werth  abspricht.  Er  kann  daher  auch  seinerseits  bey  manchen 
verzweifeitern  Stellen,  die  hier  vorliegen,  keine  Hülfe  bringen. 
Doch  mag  eine  dieser  Stellen,  fr,  51,  ein  neues  Beyspiel  ab- 
geben, wie  durch  Handschriften,  selbst  wenn  sie  uns  nur  einen 
neuen  Fehler  darbieten,  geholfen  werden  kann.  Der  Schol.  zu 
Find.  Ol.  I,  97  hat  nach  zvvey  Breslauer  Handschrr.  in  Bötklis 
Ausgabe  folgendes:  ^AX-/,alog  öl  xaVJkx^äv  Xi%ov  (paölv  tTiaiCO- 
QBLG&ai  ra  TavtuXa'  [6  ^Iv  'yihtaiog,  wie  Böckh  zusetzt] 
Kalö&ai  jtuQ  %S(paläg  ^eyag  äag  .  . .  öL^ida  Ki% og» 


3^  Griechische   Litteratur. 

o  dl  'AX^i^äv  %.  X.  A.  „In  Cod.  D  est  jcapa,  neque  is  caag  ha- 
bere videtur."  Nach  einer  zufälligen  Mittheilung  in  einem  Brie- 
fe vom  Prof.  Passow  liat  der  eine  Codex  nach  ^syag  eineLiicke 
von  vier  Buchstaben,  der  andere  beriihmte  coäg  ohne  Lücke: 
und  Prof.  Gerhard  schrieb  darüber  an  Ilec.  von  Breslau  aus, 
vernmtliUch  auch  nach  eigener  Ansicht,  dass  vielleicht  an  cj^og 
2^i7ivkov  zu  denken  seyn  möchte,  etwa  aslTCd,  nag  ■HEfpakkv  ftE- 
yaq  oügsog  Z^LTrvkco  kl^og.  Allein  die  Beschaffenheit  des  Mythus 
schliesst  den  Berg,  wie  mit  der  vollkommensten  Bestimmtheit 
zu  versichern  ist,  aus,  und  die  Conjectur  soll  uns  nur  bestäti- 
gen, dass  im  Böckhischen  Abdruck  die  Lücke  unrichtig  seya 
mag.  Wenn  aber  wirklicli  das  coag  mit  öt^lda  zusammenhängt, 
so  erglebt  sich  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  &Qa6v(.iCda: 
denn  ©P  geht  eben  so  wie  07,  EI  leicht  in  das  runde  a  über  — 
wie  denn  biy  Alkäos  selbst  fr.  8  ßa6ih]lov  in  ßaöLh'jCov^  fr.  15 
lÖKokTiov  in  CO  üokTtov^  bey  Pindar  IstM.  II,  22  vel^'  anäöais 
in  vä^a  näöaig  verdorben  worden  ist  —  und  mit  f^Qa6vy.i8ag, 
wenn  gleich  diese  Form  statt  des  Pindarischen  %Qa6v^r]8rig 
sonst  nicht  vorkommt,  stimmen  wenigstens  überein  '/lycc^idrjg 
und  Avxouidat^  welche  Schreibung  Ilec.  Kret.  Kolonie  in  The- 
ben S.  40  und  Böckh  C.  I.  I  p.  441  vertheidigen.  ©Qa6v^Ldr]g 
im  Etym.  M.  p.  165,  56  und  bey  Phavorinus  ist  nach  dem  Zu- 
sammenhang und  nach  Philem.  ed.  Osann  p.  30  und  Zonaras 
p.  333  verschrieben  für  @Qa6vinq8i8rig.  'Jkxi^L8ag  bey  Pind. 
Nem.  VI,  15  ist  \on"JXKiy,og ,  wie  EvQv^i8]]g  Odyss.  IX,  509 
von  EvQvyLog.  Was  aber  die  Construction  angeht,  so  ist  zu 
entscheiden,  ob,  was  uns  das  Wahrscheinlichere  ist,  d'gaöv^u- 
8a  der  Nominativ  sey,  wie  nach  Gregorius  de  dial.  Aeol.  25 
6  'jQXvta,  6  'Tßgayöga,  wie  ßad^v^fjra ,  iQVöoialxu  bey  Pin- 
dar und  die  Homerischen  Wörter  dieser  Form,  wo  denn  durch 
diess  Beywort  des  Steins  das  Homerische  Aaag  avaL8rig  in  ly- 
rischem Charakter  wohl  nachgeahmt  seyn  würde;  oder  ob  es 
auf  den  Tantalos  gehn  möge  mit  ausgelassenem  Jota  des  Dativs 
(Koen.  ad  Gregor,  p.  607). 

Die  Vermuthung  des  Herausgebers,  welcher  auch  fr.  52" 
yalag  xal  VL^ÖBvxog  cogavä  ^liöoi  ohne  alle  Wahrscheinlich- 
keit hierher  bezieht,  dass  fr.  71 : 

«öTS  %Bäv  nri8iv  '  OXv^nicov 

kvöai  axiQ  H%ev, 

den  Stein  des  Tantalos  angehe,  ist  gewiss  nicht  gegründet. 
Denn  wenn  gleich  Euripides  die  Fabel  von  dem  aufgehängten 
Stein  durch  den  Zusatz  äkvGig,  XQVötccig  geschmückt  hat,  so 
war  doch  bey  dieser  Fabel  kein  Grund  die  Festigkeit,  womit 
der  Stein  über  dem  Haupt  des  Tantalos  angebracht  sey,  her- 
vorzuheben ,  da  es  dabey  nur  auf  die  Leichtigkeit  ankam  ,  wo- 
mit er  beständig  auf  ihn  herabzusinken  drohte;  und  noch  weni- 


Alcael  Mytilenaei  Rcliquiac.  Edid.  Mattliiae.  83 

ger  würde  der  Grad  dieser  Festigkeit  auf  solche  Art  an  vergeb- 
licher Anstrengung  aller  Götter  abgemessen  worden  seyn,  in- 
dem diese  keinen  Grund  liatten  in  dieser  Sache  dem  Willen  des 
Zeus  zu  widerstreben.  Besser  ist  es  daher  wohl  gewiss  diese 
Worte,  als  ein  Bruchstück  aus  dem  Hymnus  an  Ilephästos,  auf 
den  Stuhl  zu  beziehen,  worauf  dieser  die  Here  fesselte:  dann 
zeigt  sich,  warum  die  Götter  in  das  Spiel  gezogen  sind.  So 
gewaltig  wirkten  des  Hephästos  magische  Bande,  dass  ohne  ihn 
oder  wider  seinen  Willen,  wie  des  Hymnus  wegen  hinzugesetzt 
ist,  keiner  der  Götter  die  Here  zu  lösen  vermochte.  Wie  er 
aber  selbst  sie  befreyt,  war  im  Tempel  derChalkiökos  inSparta 
vorgestellt.  Paus.  IH,  17,  3. 

Bey  fr.  3  können  wir  uns  noch  auf  etwas  raelir  als  wahr- 
scheinliche Buchstabenverwandlung  einlassen.  Diese  herrli- 
chen verstümmelten  Worte  wurden  von  Hermann,  wenn  auch 
nicht  befriedigend  ergänzt,  doch  richtig  als  die  drey  letzten 
Zeilen  der  Alkäischen  Strophe  aufgefasst.  Was  Fulvio  Or- 
sini  als  Lesart  einer  Handschrift  giebt  und  Gaisford  be- 
folgt, jtQOTEQCJvefxa.,  ist  wahrscheinlich  nur  Conjektur  des  Rö- 
mers selbst.  Denn  es  war  eine  Eigenheit  dieses  so  tüchtigen 
und  verdienten  Gelehrten,  und  vielleicht  war  es  nur  Beschei- 
denheit, dass  er  zuweilen  seinen  eigenen  Scharfsinn  den  Hand- 
schriften lieh;  und  es  ist  wenigstens  sehr  selten,  dass  diese 
bey  den  alten  Dichterstelleu  falsche  Conjecturen  von  solchem 
Belang  darbieten.  Für  eine  solche  wird  auf  jeden  Fall  die  Les- 
art gelten  müssen.  Denn  was  soll  der  frühere  und  der  spätere 
Wind?  Es  bedarf  nur  Eines  Sturmes,  um  eine  Welle  nach  der 
andern  in  das  Schiff  zu  treiben;  und  diess  ist  es,  worauf  es 
ankommt.  Dann  widerstreitet  auch  Orl^st  der  Construction 
nach  in  Gaisfords  Versuch,  welchen  zugleich  die  unrhyth- 
mische Stellung  von  ävtlov  widerlegt : 

To'ö'  evTE  xv^a  rcS  TCQorsQavs^a 
6Ti%H,  Ttagki^BL  d'  offtftt  tcovov  tcoXvv 
ävxXov. 

Wenn  der  Wind  nicht  zu  brauchen  ist,  so  bedürfen  wir  noth- 
wendig,  was  Jacobs  und  Blomfield  vorschlugen,  x6  d'  ccv 
ySy  rdd'  avTS  xvfia  rä  TiQorsQG).  Gegen  Heynes  o^oötlxeI 
bemerkt  Blomfield  in  den  Zusätzen  mit  Recht:  „Atqui  ofio- 
6ti%Elv  non  valet  proxime  sequi,  sed  stmul  ire  ^  quod  cum  epi- 
thetis  UQOXBQcp  et  viov  parum  congruit."  An  viov  zwar  dachte 
Heyne  zum  Heraklides  nicht.  Im  Folgenden  ist  növav  nolvv 
«vtAov  ungleich  poetischer  als  növov  tioIvv  avrXi'iv;  es  stellt 
den  Tropus  unmittelbarer  unter  Augen,  während  növov  mit 
avxXüv  verbunden  eben  so  todt  ist  wie  nviia  nagi^n  novov 
(«tatt  «VtAov)  ;  und  ist  kräftiger,  tlieils  durch  den  Plural  nidvcov, 
tfaeils  dadurch,  dass  ävxlijv  dem  avxkoQ  (der  Schöpfe),  als  dem 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  V.  Heft  1.  g 


34  Griechische  Litteratur. 

Eingedrnngenen,  eigentlich  entgegengesetzt,  und  die  Sache  eine 
andreist,  wenn  man  auszuschöpfen  hat,  aber  vielleicht  mit  der 
Mühe  abkommt,  und  wenn  man  bey  hereinbrechendem  Wasser, 
das  sich  vielleicht  niclit  wird  ausschöpfen  lassen,  dem  Unter- 
gang ausgesetzt  ist.  Die  Endigung  avtXrjv  kann  von  einem  üa- 
vvissenden  dem  früher  vorhandenen  falschen  7to2.lr^v  angepasst 
worden  seyn ,  dergleichen  oft  geschehen  ist.  Auch  metrisch 
fügt  sich  nach  unserer  Ergänzung  nwv  ccvtkov.  Für  VB0^ia6rix£(' 
hat  nemlich  Rec.  eine  von  den  bisherigen  ganz  verschiedene 
Conjcctur,  vecog  6(.icö  ötii^t  (xv^ia),  ein  Ausdruck,  der  bey  So- 
phokles Phil.  1218  vorkommt,  vaag  o^ov  özeixav.  Hierauf 
eine  Lücke  von  zwey  Sylben,  in  welche  das  Wort  fällt,  das 
ro'ö'  ccvTS  Kv^ua  mit  ta  ngoTiga  verband,  und  deren  Entstehung 
sich  daraus  erklärt,  dass  eine  bereits  sinnlose  Gruppe  von  Buch- 
staben, die  auch  in  der  Mitte  mehrere  einzelne  (wegen  der  wie- 
derholten ö)  eingebüsst  hat,  vorausgieng.  Es  ist  bekannt,  wie 
überhaupt  unverständliche  Worte  oi't  ausgelassen  wurden,  weil 
man  etwas  sinnloses  nicht  hinsetzen  wollte,  und  den  leeren 
Raum  unterliess  dann  oft  ein  zweyter  beyzubehalten,  indem  er 
nicht  mehr  den  Grund  desselben  vor  Augen  hatte.  Das  Wort, 
welches  am  Schluss  der  letzten  Zeile  fehlt,  konnte  Heraklides 
weglassen,  wenn  es  der  Sinn  nicht  eigentlich  erforderte,  da  er 
nicht  desSylbenmaasses  wegen  anführte.  Das  Ganze  erhält  hier- 
nach diese  Gestalt: 

ro'd'  avts  icv^a  ta  TTgoriga  vsag 

ä[i^i  novav  nokvv  ävzXov  [^8r].] 

Dass  nun  diese  Ergänzung  im  Wesentlichen  die  richtige  sey, 
geht  auch  aus  dem  hervor,  was  Heraklides  erklärend  hinzu- 
fügt, und  was,  bisher  falsch  übersetzt,  erst  durch  ein  zwischea 
vrjöLatTjg  und  &ala66EV£L  eingeschobenes  Komma  Sinn  erhält: 
87t£l  Hat  vaog  s^ißccCvei  Tcaraxogcog  Iv  talg  dkXrjyo- 
QiaLg  6  V7j6LG)t)]g,  ^aXaöösvsi,  aal  xa  tiIhötu  tc5v  diä  xovs 
Tvgävvovg  enexövTcov  aaKcov  (Alkäos  tcovcov)  mkayloig  %bi- 
[läöiv  alüd^Si.  Der  Dichter  auf  dem  Staatsschiff  in  Zeiten  der 
Fehde  sieht  die  Wogen  noch  herankommen,  die  das  Schiff  ge- 
fährden können,  die  es,  da  sie  dicht  geschaart  herandringen, 
alsbald  gefährden  müssen ;  er  fürchtet  als  noch  bevorstehend 
den  Augenblick,  welchen  Theognis  671  unter  manchen  Beson- 
derheiten schildert,  wo  er  unter  andern  sagt: 

ävilüv  ö'  ovx  l&alovöLV  vTtagßdXXeL 
dl  &äkaööci 
diKpotigav  roixav. 

Statt  ^vyev  lassen  sich  mehre  andre  und  vielleicht  nachdrucks- 
vollere Ausdrücke  setzen:  jenes  gebraucht  Pindar  Wem.  VII,  1: 


Alcael  Mytilenaei  Reliqume.  Edid.  Matthiae.  35 

tYgyEL  8s  nor^ia  t,v'ysv&'  steqov  etSQu,  und  Istlim.  VII,  18:  öo- 
q)iag  acorov  cckqov  nlvtalg  Inkav  qouIöi  —  i,vykv.  Zu  der 
schlechten  Emendation  aus  einer  Ilecension  von  Elrasleys  Hera- 
kliden  im  CJassical  .lourn.  Vol.  8  p.  895,  welche  in  den  Eiern, 
nietr.  p.  688  dem  Elnisley  selbst  beigelegt  wird,  beker/nt 
sich  Burg  es  ad  Eiimen.  54J5.  Dass  übrigens  zu  diesen  Ver- 
sen die  Worte  bey  dem  Scliol.  des  Plndar  Isthra.  I,  52  Bezie- 
hung haben,  glaubt  llec.  nicht.  Blomfields  Meynung,  dass 
in  dieser  Strophe  rQi'/,vnia  vorgekommen  sey,  ist  ganz  unsi- 
cher. Rec.  nimmt  an,  was  zu  fr.  oß  auch  Hr.  Matthiä  vor- 
zieht, dass  die  Worte  yei^oäva  nal  rQiyiviiiav  ^  Tij  (pvy]]  von 
Alkäos  herrühren  und  von  Aeschyhis  Prom.  1051  aufgenommen 
sind.     So  auch  Boissonade  ad  Manass.  IV,  1. 

Auch  fr.  9  ist  in  den  Fehlern  der  Handschriften  das  Ur- 
sprüngliche noch  ziemlich  bestimmt  zu  sehen.  Bei  Strabon 
XIII  p.  6(Mf,  zu  welcher  Stelle  hier  die  Tzschuckisclien  Varian- 
ten nicht  fehlen  sollten ,  lesen  wir,  dass  Alkäos,  nachdem  er 
bey  der  Niederlage  des  Pittakos  durch  Phrynon  seinen  Schild 
eiugebüsst  hatte,  denen  in  seinem  Hause  fdurch  einen  Freund 
Melaiiippos  ,  an  welchen  das  Lied  gerichtet  war,  wie  Herodot 
sagt)  melden  liess:  'AKuaiog  öäog  ccqol  (Paris  1,  Moscov.  1 
ccQei)  tvd^a  d'  (Medic.  3,  4  ivd^äds,  Iv&dd')  ovx  ccvtov  rov 
[Mose,  ov^vrov.  Escur.  ov^i'  tov  aX.  auch  in  Paris.,  Medic.  4 
fehlt  Tor,  in  Medic.  3  sind  die  Worte  Ovy,  avtov  —  '^rtijcoi, 
als  unverständlich,  ganz  weggelassen.  Paris.  5  ov  •antat  rov 
al.)  aXrjKTOQiv  (Paris.,  Medic.  4,  Paris.  1  ccXvxtoqtjv.  Ven  1  ccl- 
vxTogiv)  eg  rXavxca^tdv  IeqÖv  {6v  fügen  mehrere  Handschr. 
und  die  Ausgg.  vor  Casaubon  hinzu)  Ixoefiaöav  'Attikoi.  Nehmen 
■wir  hieraus  diese  Lesarten  ^Al'Aaiog  öcöog  kqu  eW«  ö'  ov%i  x6v 
akrjxroQlv  eg  z.  r.  A  ,  so  ergiebt  sich  mit  leichter  Aenderung, 
die  noch  leichter  ist,  wenn  das  oV  nach  akyi'/itOQlv  gestanden 
haben  sollte,  und  mit  annehmbarem  Sinn  folgende  Hersteilung; 
'AX%aio  g  6c5og,  dgriv  swea  Ö'  ovxr  xdv  dkKriJQa 
Q  ivov  e  g  rX  avaanov  isQov  B%QBf.ta6av  'yixxiaoi, 
welche  freilich  noch  nicht  die  Worte  des  Dichters  selbst,  aber 
vielleicht  die,  welche  Strabon  daraus  nahm  und,  was  die  letzten 
beti'itft,  daraus  machte,  darstellt.  Das  Asyndeton  im  letzten 
Satz  ist  acht  und  schön,  da  er  die  Erklärung  des  vorhergehen- 
den enthält.  Beyspiele  aus  Pindar  giebt  Böckh  über  die  krit. 
Behandh  der  Pind.  Ged.  §  6  p.  13.  Oft'enbar  falsch  ist  ÜQOi 
oder  auch  ägn,  6aog"AQhL.  Das  folgende  gVrg«  gehört  Wes- 
seling,  welcher  schrieb:  ag  et  ivxia  ö'  ovx  y  avtov  tov  dks- 
xxfjga  eg  Fkavaanov  %.  t-  k.  Dass  dkBxxoglv  weder  von  Ca- 
s  a  u  b  o  n  als  galea^  quae  köcpov  habebat^  ut  gallinae  suam  Ao- 
(pidvhabent,  noch  von  Hn.  Matthiä  als  eine  Form  von  dk- 
Ttjg  ,  7nmii7nentum  corporis,  richtig  und  wahrscheinlich  erklärt 
Sey,  vyird  man  zugeben.     Der  Homerische  Ausdruck  ^ivdv,    zu 


36  GriechischeLitteratur. 

welchem  älitt^Qa  als  Prädicat  so  passend  ist,  dass  auch  Ca- 
sauboii  an  dixt^QLOV^  Valckeiiär  an  aAa|9^Tj^9tov  dachten, 
liegt  in  den  Buchstaben  der  Handschriften  vor.  Die  Worte 
selbst  in  ihrem  Zusammenhang  hat  Ilerodot  vor  Augen:  uvtö$ 
^h'  (psvyav  excpsvyei  C^kxalos  ödog),  ra  de  ol  onXa  'löxovöl 
'u4&r]vaiOi  [evtsa  ö'  ovxi)^  accl  6(psa  ccvEXQS^aöav  71905  to  '^&i]- 
vcciov  TÖ  SV  Zliyhico  %.  r-  A.  üebrigens  beweist  das  Aufhängen 
des  Schildes  im  'J'empel  nicht,  was  Piehn  Lesbiac.  p.  170  fol- 
gert, dass  die  Feinde  des  Alkäos  Tapferkeit  vorzüglich  schätz- 
ten, da  man  oft  der  Riistungen  und  Watten  viele  den  Göttern 
weihte.  Höchstens  könnte  man  dabey,  wenn  man  etwa  aus- 
wählte, auf  die  ansehnliche  Stelle,  die  er  unter  seinen  Mitbür- 
gern einnahm,  Rücksicht  genommen  haben. 

Wir  fügen  eine  vierte  Stelle  hinzu,  welche  schon  auf  die 
verschiedenste  Weise  erjiänzt  worden  ist,  fr.  54,  um  sie  durch 
strengere  diplomatische  Behandlung  sichrer  herzustellen.  Die 
alte  und  vorzüglichste,  am  llande  beschädigte  Pariser  Hand- 
sclirift  des  Strabon ,  wornach  De  la  Porte  du  Theil  das 
9e  B.  bey  der  Französischen  Uebersetzung  edirt  hat,  giebt  die 
Strophe  in  diesen  Zeilen : 

ÖS  xcclsl  KcoQcchov,  Uycav  "JöG*  'Jd^ava  dnoXs 

ccTio  KoiQCoviag  stilÖecov  (sie)  avco  (sie)  TiagoL^tv  dutpi  .  . 
KdQaXlco  Ttora^a  jiaQ    oiffaiq.   'Evruv&a 

Hieraus  ist  in  der  Leipz.  Litt.  Z.  1816  S.  1999  mit  Verwerfung 
der  von  Friedemann  gebildeten  Strophe  folgendes  gemacht: 

"ylvaöö'  'Ad'ccvccLcc  TioXe^adoxog, 
ä  stov  KoQCOvüag  TtedCcov  yvag 
ava  7täQov%hv  d^q)ißaivsig 

KcoQakico  notäyico  TtccQ   o%%aig, 

mit  der  Bemerkung:  „Die  Worte  ava  TtaQot&BV  sind  zu  klar, 
als  dass  man  hierin  eine  Aenderung  wagen  könnte.  Vielmehr 
deuten  sie  auf  eine  alte  Sage  hin,  nach  der  der  Fluss  ehemals 
kein  Wasser  hatte,  aber  später,  was  man  wahrscheinlich  der 
Minerva  zuschrieb,  damit  versehen  wurde'*'.  Ohne  den  Fluss, 
der  kein  Fluss  war,  und  Minerva,  welche  Flüsse  schafft,  näher 
zu  priifen,  müssen  wir  bemerken,  dass  schon  wegen  der  Lesart 
des  Mose,  Escur.  sTtl  öeov  avrcö  und  des  Vatic.  ejti  de  sub- 
nexo  vav  avva  ab  alia  tamen  manu  und  des  Paris.  2  km  dscjv 
ava  das  ava  nicht  als  an  und  für  sich  selbst  sicher  gelten 
kann.  Im  2n  V.  ist  nov  nach  dieser  Ergänzung,  in  Verbindung 
mit  KoQtovtlag  niöicov  yvag  dfXfptßaivEig  (wie  KiXXav  dfiqjißs' 
ßr^nag)^  da  das  Walten  und  Schützen  einer  gnädigen  Gottheit 
als  ein  immerwährendes  und  unbeschränktes  zu  denken  ist, 
unpassend,  so  sehr  es  dem  Buchstaben  nach  sich  empfiehlt;  et- 
was geziert  aber  KoQavsiag  Tisöiav  yvag.     Dass  nach  naQOi^iV 


Alcael  Mytilcnaci  Reliquiac.  Edid.   Mattlilae.  37 

im  Mose,  und  Vatic.  eine  Lücke  sey,  ist  nach  aller  Wahrschein- 
lichkeit ein  Versehen  von  Tzsc hucke,  der  seine  Note  nicht 
nach  TiaQOid'BV ,  sondern  nach  dfiq)L  hätte  setzen  sollen.  Was 
p.  50  1.  2  in  unserer  Sammlung  steht,  ä^q)co,  kann  nur  Druck- 
fehler für  d^(pi  seyn.  Ob  ava  das  Ende  des  zweyten  oder, 
wie  Rec.  glaubt,  den  Anfang  des  dritten  Verses  ausmache, 
würde  eher  in  das  Auge  fallen,  wenn  nicht  die  Lücke  am  Ende 
der  zweyten  Zeile  durch  das  zweynial  zuijesetzte  sie  auf  zwey 
Punkte  reducirt  wäre,  die  wir  nun  beliebig  zu  vermehren  ha- 
ben. Auf  jeden  Fall  wird  durch  die  Beschaffenheit  dieses  Tex- 
tes dieConjectur  auf  einen  Buchstaben,  höchstens  auf  eine  Sylbe 
beschränkt:  jedes  grössere  Einschiebsel  würde  allein  schon 
zum  Beweise  dienen,  dass  der  dadurch  bedingte  Sinn  der  Stro- 
phe falsch  sey.  Für 'jl&avala  setzen  wir  nach  der  Handschrift 
Aeolisch  ^A^aväa^  Gregor,  de  dial.  Aeol.  19.  Oaxdag  Sapph. 
fr.  25  ed.  Neue.  Auf  keinen  Fall  darf  xoQOvelecg  tni  gelesen 
und  mit  dem  Tempel  verbunden  werden,  da  dieser  nach  Stra- 
bon  iv  tä  tiqo  KoQCovsiaq  tceÖlcö,  nemlich  ehe  man  von  Alalko- 
menä  her  nach  Koronea  kam  (Pausan.  IX,  34,  1),  und,  wie  wir 
auch  aus  der  von  Friedemann  benutzten  Stelle  des  Lavacr. 
PalK  63  wissen,  am  Fluss  stand  : 

^*  '«l  KoQavsLttS,  Lva  ot  rsdvw^evov  aXöog 
nccl  ßco^ol  norci^a  zelvz'  ItcI  KcoQaXia. 

Die  Nennung  aber  des  Tempels  ist  hier,  wo  seine  Stätte  (ira 
vierten  Vers)  feyerlich  angegeben  wird,  so  natürlich  zu  erwar- 
ten, dass  wir  aus  avoa  mit  dem  vorhergehenden  v  mit  guter  Zu- 
versicht vavw  d.  i.  vaov  bilden,  zumal  da  sich  in  der  bekann- 
ten Inschrift  von  Kumä  wirklich  auch  diess  Digamma  vorfindet 
NATOli:,  NATSl  (S.  oben  Th.  6  S.  S!)9).  Hierdurch  sind 
wir  nun  genöthigt  mit  den  Buchstaben  EIlIAEj/^,  mit  welchen 
das  V  zusammenhieng,  den  zweyten  Vers  ohne  Beyhüife  eines 
fremden  Wortes  auszufüllen,  und  können  es  indem  wir  setzen 
iTtl  Xai'o,  mit  der  bey  den  Aeolern  üblichen  Diäresis,  oder  um 
auch  das  Digamma  der  Variante  E;riÖ£i;wv  zu  wahren,  snl  kavtc), 
und  es  tritt  so  deutlicher  als  durch  die  blosse  Stellung  ihres 
Tempels  am  Ufer  des  Flusses  die  Itonische  Göttin  des  Land- 
baus zugleich  und  des  Krieges  hervor,  hinwandelnd  durch  Ko- 
roneas  Saatflur  vor  ihrem  Tempel  am  Koralios. 

"Ava0ö'  'A9avda  sroAa^aöoKog, 
u  nov  KoQcovstocg  btcI  Xata 
vavä  TtccQOL&tv  d^cpißaCvBig 

KaQttUco  nozdyico  nccQ    '6%\lraig, 

Nicht  ganz  befriedigend  ist  das  absolut  gebrauchte  äficpLßaiVBtg'. 
aber  es  wird  sich  schwerlich  in  STtLÖsa  ein  Zeitwort  finden 
lassen,    um  alsdann   «jKpt  ander»   ergänzen  zu  können.     Der 


38  Griechische  Litterntur. 

Heraus^,  hält  es  nicht  für  glaublich,  dass  ein  Lesbischer  Dichter 
die  Göttin  vonKoronea  angerufen  haben  werde,  und  denkt  sich 
daher  diese  Strophe,  so  wie  das  was  Strabon  iiber  die  Lage 
von  Onchestos  anführt  (fr.  55) ,  in  einem  Hymnus  auf  ApoUon, 
welcher  des  Gottes  Zug  oder  auch  die  Reise  der  Opfernden 
nach  Delphi  schilderte.  Allein  den  Aeoler  aller  Orten  gieug 
die  altthessalische  Göttin,  welche  in  Koronea  die  Göttin  der 
Pamböotien  geworden  war,  sehr  nahe  an,  und  mit  diesem  ih- 
ren Aeolischen  Hauptsitz  mochte  auch  ein  Lesbischer  Dichter 
einen  Hymnus  an  sie  eröffnen.  Eine  Anrufung  der  Pallas  wür- 
de in  dem  Hymnus  eines  andern  Gottes  nicht  Platz  gefunden 
haben,  was  auch  sonst  von  ihr  hätte  erwähnt  werden  mögen. 

Ein  Hauptgegenstand ,  worauf  die  Kritik  bey  diesen  Frag- 
menten sich  angewiesen  sieht,  ist  der  Dialekt.  Ueber  diesen 
werden  wir  unsere  Bemerkungen  um  so  mehr  im  Zusammenhang 
vortragen,  als  Hr.  Matthiä  darüber  so  wenig  wie  über  die 
Sylbenmaasse  in  der  Einleitung  gesprochen  hat.  Bekannt  ist 
es,  dass  die  Schriftsteller,  welche  einzelne  Worte  gebrauchen, 
durch  den  fremden  Charakter  auswärtiger  Mundarten  den  Ton 
und  die  Harmonie  ihrer  Prosa  zu  unterbrechen  mcistentheils 
vermieden  haben.  Beyspiele  unsern  Dichter  betreffend  geben 
uns  fr.  5  Plutarch ,  wenn  er  sagt :  ^iya  sjcaiviovTsg ,  cjötcsq 
i(py}  xov  IliTTa'Aov  6  'Akzalog  —  für  ^sy  IjiciiVBvvtsg,  wie  zwar 
auch  bey  Aristoteles  in  den  Versen  selbst  geschrieben  ist;  fr. 
63  Aristides  in  den  Worten:  fjt  tov  'ipöcpov  ro^Bvovtsg,  wo  si- 
cher stand  Tc5  ■^öcpca.  Eben  so  gewiss  ist  es,  dass  auch  in  gan- 
zen Versen  der  Aeolisraus,  es  sey  von  den  citirenden  Schrift- 
stellern oder  nach  und  nach  von  den  Abschreibern,  bey  denen 
nichts  gewöhnlicher  ist,  als  Fehler  aus  Verwechselung  solcher 
Dialektformen  mit  den  gemeinen,  mehr  oder  weniger  abgestreift 
und  mit  den  bekannteren  Formen  vertauscht  worden  ist,  so  dass 
wir,  die  wir  am  Urkundlichen  mehr  Freude  finden,  genöthigt 
sind  ihn  nach  Vergleichung  und  Analogie  häufig  wieder  herzu- 
stellen. Dass  von  den  Aeolischen  Dichtern  manche  reine  gram- 
matische Formen  des  Lesbisch  -  Aeolischen  Dialekts  nie  ge- 
braucht worden  seyen,  ist  durchaus  zu  bezweifeln.  Wohl  aber 
mögen  unter  den  Beyspielen  bey  AppoUonius  und  andern  Gram- 
matikern manche  dem  Alkäos  und  der  Sappho  gehören,  bey 
weiclien  diese  niclit  genannt  sind.  Was  in  Hinsicht  des  Dia- 
lekts noch  einer  Berichtigung  bedürfen  möchte,  wird  aus  der 
folgenden  Uebersicht,  welche  die  geringen  Ueberreste  umfasst, 
aber  auf  sie  auch  fast  allein  sich  beschränkt,  ziemlich  bestimmt 
hervorgehen. 

Ueber  Consonanten  ist  wenig  zu  bemerken.  Da  Alkäos 
nach  ausdrücklicher  Bemerkung  des  Etymol.  M.  fr.  98  dxvdödr]- 
(II  statt  ä;^fß'gj^j[ifc  schrieb,  und  wir  fr.  60  itaQiödav,  Tcagiöda- 
VI,   naQiööov   bey  Athenäus  finden,    so  wie  bey   der  Sappho 


Alcaei  Mytilenae!  Reliqulae.  Edid.  Matthiae.  29 

vöSav,  kxaGSa,  (pQovzlödtjv  fr.  4.  34,  37,  so  wird  er  auch  fr. 
2  und  27  Zdsvg,  fr.  2  6Öddr]lov^  fr.  40  xco^dödovra  gesetzt  ha- 
ben. In  einem  Lykurgischen  Ausspruch  bey  Plutarch  Vit^  Ly- 
curg.  19  ftEööco  für  ^Eitco.  Ueber  das  Aeolische  xö  und  nd  s. 
Corp.  Inscr,  I  p.  36.  FVir  ^i  finden  wir  n  fr.  2G  in  tisö'  'JidUa^ 
fr.  69  TisdsxoLöav,  wie  Sappli.  fr.  19  jcsdsxeigy  wesslialb  auch 
fr.  76  7tBde%ov  zu  schreiben  ist,  fr.  78  TCBÖäoQOV,  und  statt  6'^- 
ftata  fr.  41  schrieb  Hermann  mit  Recht  oitnaxa.  Was  Ilr. 
Matthiä  fr.  29  setzt  ngo-^öi^oiitg ^  riihrt  von  Blomfield 
und  Gaisford  her:  denn  Athenäus  p.  430  hat  icQoaöi'Oiiiyy 
so  wie  fr.  31  ^ävofiEV^  und  jener  Dorismns  ist  eben  so  wenig 
glUtig  als  fr.  53  und  67  Blomfield s  ijv&ov,  ^v^fg.  Was  wir 
nicht  bemerkt  finden,  ist,  dass  Alkäos  in  manchen  Wörtern 
^  für  n  gebraucht  hat.  Es  wird  fr.  102  aus  dem  Etym.  ange- 
führt, dass  er  den  Alp  IniaXog.,  nicht  riTtiaXog  oder  iqTCiälrig, 
riTiiöhriq,  aus  Eustathius  aber,  dass  er  xov  IcpLükr^jv  eTtcäXrrjV 
xatd  naXaidv  TtagaörjixsloöiV  genannt  habe.  Diess  alte  Zei- 
chen weiset  Böckh  Explic.  ad  Find.  p.  271  s.  bey  Ilesychius 
nach)  welcher  sagt:  MsöoJieQÖrjv,  ^söocpsgö^p ,  tov  (liöov  tov 
(sie)  (pEQO^Bvov  ■  t6  yccQ  TtaXatov  reo  n  uvxl  xov  cp  bxqcövxo 
TtQOön&svrsg  x6  xi^g  daövryjxog  ör]^Biov.  Wenn  also  Alkäos 
oder  vielmehr  sein  Abschreiber  zu  gewisser  Zeit  schrieb  Iniäkxrjg-, 
so  sprach  er  ungefähr  aus  Icpidlrrig,  und  diess  selbst  ist  e  dia- 
lecto,  wxchi 'ETiLulxrig  bey  Ilerodot,  wie  Koen  ad  Gregor,  p. 
400  meynt,  während  (leöontQÖrjv  nur  päläographisch  abweicht. 
Daher  erklärt  sich  denn,  wie  auf  einer  Lesbischen  3Iünze  ste- 
hen kann  OITTAKOU,  und  die  Aeolische  Aspiration  in  ^Tjxtiv 
(fr.  30),_ov'^£v,  fipco,  &ciöog  (Corp.  Inscr  T.  I  p.  881)  geht 
diesem  gj  zur  Seite.  Zweifelhaft  hingegen  wird,  ob  nicht  «fijrl, 
was  nach  dem  Etym.  M.  p.  94,  19  den  Aeolern  eigen ,  was  in 
mehreren  corapositis  erhalten  und  bey  der  Sappho  fr.  2(f  ur- 
kundlich ist,  mit  dem  Spiritus  geschrieben  gewesen  und  dalier 
cc(iq)t  bey  Alkäos  fr.  27  u.  54  ganz  recht  ist.  Und  wie?  W^ar 
etwa  TtccQog  fr.  94  d  ,  wovon  Ilerodianus  p.  35  s.  (nicht  34)  be- 
hauptet, dass  es  die  erste  Sylbe  naxä  didkE'/.xov  verlängere, 
\ielniehr  q)äQOg'i  Ohnehin  ist  eben  so  wenig  enl  yciQ  x6  irägog 
ovsLttQov  iuvtlxai,  wie  xoTiaQog  bey  ausgelassenem  Subject  ver- 
ständlich. Und  ist  niclit  von  diesem  Aeolisch  aspirirten  jc  aus 
Zeiten,  worin  der  Spiritus  noch  nicht  beigefügt  wurde,  die 
Form  vieler  Namen  als  IlsoöEvg,  ITegöLg,  UsQöscpovrj,  TIdv 
fiir  0dav  und  in  vielen  andern,  vorzüglich  des  Peloponnesischen 
Aeolismus,  zu  erklären,  so  nemlirh,  dass  man  diess  nur  beybe- 
halten,  weil  es  nicht  genau  dieselbe  Art  von  Aspiration  als  das 
q)  ausdrückte  ohne  dass  es  darum  immer  bloss  n  gelautet  hätte*? 
Aber  zu  welcher  Zeit  schrieb  man  denn  n  statt  IlH'i 

Was  die  Vocale  betrifft ,   so  steht  1)  ä  für  i  in  ntd^a  p. 


40  Griechische  Litteratur. 

12  neben  srtE^ö  ^na.Q^Ak'KaiG)  8i%ag  Aeyerort},  und  wie  es  scheint 
fr.  1  V.  4  in  ccQUog  für  egnog.  Zwar  ist  bey  Hesychius  die  Glosse 
verniuthlich  zu  dieser  Stelle,  agKog,  ccQXEö^a,  ßo^Qsia:  aber 
bezeichnender  ist  ohne  Zweifel  aQxog  iöxvgco  ßekevg  vonBein- 
»schienen  gesagt,  und  so  hatten  Jani,  Blomfield  und  Gais- 
ford,  nach  Yalckenärs  Emendation,  wasllr  Matthiä  über- 
geht, geschrieben.  Damit  stimmt  auch  überein  Callim.  fr.  142: 
VLcpstov  xal  ßiliav  tQv^ia.  Allein  lieber  als  zu  ändern  wür- 
den wir  (gegen  Hesychius)  a.Q'Kog  für  f'pxog  selbst  nehmen,  da 
bey  den  Aeolern  der  Spiritus  oft  wegfällt.  Auch  ist  fr.  34 
akXota  für  «AAore,  wie  Blomf.  geschrieben  hat,  durch  die 
Sappho  begründet,  und  daher  auch  fr.  50  öriTioxB  wahrschein- 
lich zu  ändern.  Hier  zugleich  al  für  u  fr.  15,  41,D4c  und 
xtatvoj  fr.  111. —  2)  ä  für  ?]  herrsclit  in  der  ersten  üeclination 
so  sehr,  dass  fr.  1  öziyr]  in  ötsya^  und  fr.  (iH  yrjg  in  yäg,  wie 
auch  bey  der  Sappho  I,  10  steht,  nothwendig  zu  ändern  ist. 
Denn  so  haben  wir,  ausser  dem  weiblichen  Artikel  und  dem 
Relativum,  die  durchgängig  in  ä  vorkommen,  fr.  2  iöTonsöaVy 
27  xoQöa,  28«  ä  ö'  äga  %aXbnä,  wo  im  Cod.  A  rj  und  laXin^ 
übergeschrieben  ist  ,  31  2J£^ilag,  HEcpaXäg^  32  naboiöas 
m^aläg,  42  äyvd ,  49  rag  ^j-KV^Lnäg  (in  dem  Cod.  R.  Steph. 
in  TOig  ^J'jcf'&ixorg  verdorben),  51  %irp(xKäg,  yatag,  56  Tigära, 
65  «öaAqpfß,  67  IXicpavtivav  kaßav  —  %Qv6oÖBraVy  69  öbl- 
Kav ,  73  avrä.  So  bei  der  Sappho  oQyav  fr.  29,  aoiöäv 
48,  naläv  öekävav '^ ,  [iOQq)äv  '^ii,  /uoV«  55,  fiva^oövva  19, 
ccßQOövvav  43,  wornach  fr.  23  zu  schreiben  ist  öToAav,  so 
wie  Neue  fr.  45  (XQBTfjg  und  j}  corrigirt  hat.  Auch  im  Mascul. 
fr.  8  ^axairav,  TcaXaiördv.  Sodann  ist  fr.  11,  wo  Aristides 
die  Worte  des  Dichters  frey  behandelt,  vermuthlich  gewesen 
tv  öadoiia^h'oii  und  fr.  1  v.  5  ßeßla^Evai,  wie  Sapph.  fr.  19 
tXTtsnora^äva,  fr.  81  dydöauo  für  dyrjöaLto  und  90  vTCOÖaöd- 
^Bvog,  wie  73  TtaXafidöo^ai^  66  kuOag  und  Sapph.  fr.  Z^e^STto- 
vaGai\  ib.  76  (cf.  94)  dyaTtdta,  beiAlkäos  fr.  27  Ttendyccöt,  wo 
in  Einer  Handschrift  des  Athenäus  rj  übergeschrieben  ist,  eine 
andre  nBTtrjyaöi  giebt,  eine  dritte  das  alte  bewahrt  hat,  eben 
wie  fr.  28  bey  demselben  neben  ^eXiadeog  auch  (lEhtjÖBog  ge- 
funden wird.  Unstreitig  ist  fr.  50  'Agiözödafiov  der  andern 
Lesart  'jQL6t6d7]^ov  vorzuziehen.  Erhalten  hat  sich  ausserdem 
das  Aeolische  ä  in  Namen  wie  KvlXdva  fr.  22,  'A&dva  54,  so 
wie  öBXdva,  "Aßa  76,  und  in  verschiedenen  Worten,  wie  im  Pro- 
nomen a^ftfg,  a^^L ,  a^^ic3v ,  d^^eötv,  dann  avd^tÖBg  tr.l^ 
axBl  28  a,  ddaa  28  a,  ^EhaÖBog  28  b,  34,  dÖv  32,  diisga  und 
la^LxaÖBa  31,  d^EQioLg  auch  bey  Tricha  in  dem  oben  angeführ- 
ten Vers,  TcavväkoTCBg  53,  naxordtav  69,  övväy  82,  TBzgddcov 
116;  und  hergestellt  wurde  es  in  dkd&Bcc  37.  Vermuthlich 
Mar  es  auch  statt  r;  in  dyiriiavia  65,  in  ijot  95,  und  in  yavQiq^ 
6,  wie  Sapph.  fr.  44  ÖQnaxag.   —    3)  ä  für  ä  in  död^svoL  fr. 


Alcaei  Myülenaei  Rellquiae.  Edld.  Matthiae.  41 

29,  iivvd^iEVog  48,  und  im  Gen.  des  Femin.  erster  Declin.,  was 
die  Grammatiker  Dorisch  nennen,  xccrtävl,  'KvXi'iväv  Trjt'av 
35,  naöäv  69,  wie  Sapph.  I,  25  %akh7iäv  ^bqiixvüv.  Auf  Mün- 
zen findet  sich  auch  &EPMITJN  neben  &EPM1TSIN.  Ver- 
inuthiich  stand  fr.  11  veagtu;,  aber  xdkccv  für  'nccXcov  fr.  2  ist 
doch  wohl  nur  Irrtlium  gewesen.  —  4)  £  für  ä  m  xpfTOg,  wie 
fr.  14  für  KQdzog  zu  schreiben  ist.  S.  Buttmanns  Gramm.  I^ 
103,  Anm. —  5)  i]  fürat.  TiiqQag  fr.  47,  ^  TQQayirjcp ,  fivgöivtja 
70,  tETQaßaQi]Cov  83,  k/jvo&ev  94c,  nach  einer  Handschrift  des 
Athenäus  auch  o'^j^'to),  und  besonders  im  Infinitiv,  vgl.  Gregor, 
de  dial.  Aeol.  §  10,  HTirjV  fr.  41  und  50,  wo  die  Grammatiker 
atatftv  gesetzt  haben,  Hr.  Mattliiä  aber  das  Richtige  herstellt, 
wie  er  auch  fr.  4  und  29  bey  jcLviiv  und  STiLtQtJtEiv  hätte  thun 
sollen.  Auch  im  Dativ  ist  zJsvvofiivr]  wegen  der  Uebereinstim- 
mung  der  Handschriften  des  Athenäus  und  des  Hephästion  fr.  60 
u.  70  nicht  wohl  zu  verwerfen.  Auch  haben  fr.  1  die  Hand- 
schriften "^pjy  {'(ir"jQSL.  Die  ;^apa  IlirTccKSiog  des  Diogenes 
I,  75  wird  auch  nirrdxijov,  nicht  TlLXtd'AiOV ,  wie  Plutarch  de 
Herod.  malign.  schreibt,  geheissen  haben.  —  6)  ;  für  e.  %vvl- 
ai(5i  und  jf^aXuLai^  wie  die  Handschriften  fr.  1  jenes  alle,  dieses 
Eine  geben  und  herzustellen  ist.  So  6i6g ,  xalxioiKog  im  La- 
konischen. Vgl.  Neue  ad  Sapph.  fr.  5.  Dann  ig  für  og  in 
BvK%ig  fr.  29,  wo  das  Etym.  M.  angeführt  ist.  Besonders 
kommt  diese  Form  noch  in  vielen  Eigennamen  vor,  als  ÄeAjUtg, 
®ct.^.VQig-,  06Q(XLg  etc.  —  7)  ö  für  ä,  'j^ökaiGi  fr.  2  für  j^aAaöt, 
yvocpaXlov  (d.  i,  yvöcpaXov)  27,  oviaig  72  (fr.  8  ist  für  dvlav 
zu  lesen  ^lav) ,  xoyiiaig  76.  Eine  Mitylenische  Inschrift  bey 
Paciaudi  hat  ötQOtayci.  —  8)  ö  für  tJ,  oQavä  fr.  27 ,  aber  fr. 
52  aQavä^  wo  nicht  zu  ändern  ist:  wie  denn  Herodian  in  der 
p.  71  angeführten  Stelle  beyde  Formen  bey  Alkäos  behauptet, 
der  auch,  wie  schon  bemerkt,  7Ciät,co  und  jrta'^G)  schrieb.  Beyde 
auch  hat  Sappho  fr.  9  und  I,  11  (vgl.  Neue)  und  fr.  21.  Für 
das  kurze  ö  möchte  Buttmann  Levilog.  I,  32,  Gramm.  I,  100 
Not.  der  Äeolischen  Aussprache  wegen  schreiben  ovgavcö.  Eher 
noch  V.  —  i))  V  für  ä,  Bvxxig  fr.  29.  —  10)  v  für  ö,  Maya- 
XdyvQog  ohne  Zweifel  nach  den  Versen  selbst,  hey  Strabon  in 
der  zu  fr.  6  angeführten  Stelle,  wo  nicht  gegen  die  Handschrif- 
ten MayaXayoQG)  geschrieben  seyn  sollte.  So  dyvgig,  nav^- 
yvQig,  o^rjyvQLg.   Eustath.  ad  II.  p.  631,  45-     Bast  ad  Gregor. 

p.  585.  —  11)  w  für  00,  fr.  6  aldäg  für  aldoog,  und  für  ov, 
KcoQdlLog  für  den  Böotischen  Fluss  Kovgdkiog  fr.  54,  (wie 
MüJöat,  Imäöai,  ßald  Gramm.  Leid,  de  dial.  Aeol.  5,  11  (auf 
Steinen  ßoAAa),  agavog),  wiewohl  hier  auch  die  Lesart  KvQaXla 
zu  beachten,  da  auch  Sappho  liXvvri  und  v.axiQvra  hat,  und 
dasBöotischeov  {KovQdkiog)  doch  wohl  in  langes  v  nicht  we- 
niger als  in  das  kurze  übergehii  konnte,  so  wie  umgekehrt  ye- 


42  Griechische    Litteratur. 

(pvQcc  in  ÖLq)OVQcc.  Der  Genitiv  kommt  so  häufig  vor  —  fr.  1 
l6XVQ<^,  v£W  Atvö,  5  a;foAc3,  20  fieyaAö,  27  opavoj,  28  b  tcj, 
30  a^niXa,  32  jcarTcö,  tg5  ;n;oAic5,  33  «Vj^t«,  41  rcj  Sfnaico^ 
52  w'pavoj,  53  axfavä,  54  vaocä  und  KvquXico  jrora^cJ,  67 
Tc5  |tg)£og,  fi8  atyto;^«,  81b  ol'xo  T£  jr£pöw, —  dass  auch  34 
o^urE^of  und  (13  fx  toü  ■i\}6^)0V  corrigirt  werden  müssen.  Die 
Form  8QXO^ivoio  ist  nur  ia  dem  Aeoliscli  daktylisclien  Penta- 
meter fr.  28  Ä. 

Von  Diphthongeii  finden  wir  12)  ai  fi'ir  ä,  %6Xai6i  für 
%aXä6i  fr.  2,  und  so  öiipaLö'  28  ß  (wie  wir  nach  der  Lesart  aller 
Handschriften  dl  öti^aig,  de  diil'cag,  mit  Porson,  welcher 
nur  falsch  dti/^äö'  emendirte,  und  mit  Neue  Sapph.  p.  32,  für 
ÖL^ähey  unserem  Vf.  schreiben;  denn  einen  Infinitiv  ö/i^atg, 
welchen  Bern  h  ardy  Eratosth,  p.  laß  hier  annimmt,  gab  es 
niclit),  iiaiatiav  fr.  S,  im  Accusativ  y,vXiivaig  ^isydkatg^  tcolxL- 
Xatg,  TcXbiaiq  31,  ovicag  72,  wesshalb  wohl  auch  fr.  33  zu 
schreiben  Tilezraig,  und  90  Zlxvd'LKaig^  während  fr.  54  und  68 
der  Casus  ungewiss  ist,  im  Nomin.  xo^daig  für  ra^iag  76  (wie 
^sXaig.,  TßAatg,  Gregor,  de  dial.  Aeol.  §  24,  dazu  auch  &6tti,g, 
Choerobosc.  ap.  Bekk.  Anecd.  Gr.  p.  1183) ,  so  wie  das  Partici- 
pium  ziQvaig  27,  31,  wogegen  47  steht  mvrjöag  und  66  Xaöag 
(wenn  nicht  Xäöag).  Der  Genitiv  fr.  31  im  Cod.  B.  des  Athe- 
näus  jcanuBcpakalg  ist  für  sich  allein  mehr  als  verdäclitig.  Nach 
Priscian.  p.  30  würden  wir  fr.  50  und  68  setzen  (pcciöC.  —  13) 
£u  für  £0,  ßf/lEUg  fr.  1,    [loxQ'Bvvtsg  2 ,   ajtaLVEVVTsg  b ,    fiagtv- 

QBvvtagm;  doch  aber  auch  jroTf'ovrat  35.  —  14)  ol  für  ou, 
im  Accus.  TtaßödXoig  fr.  3,  aber  ccjioXXviisvovg  80 ,  im  Präsens 
Indic.  XQVTCTOLöi  fr.  1,  wonach  das  vorhergehende  vsvovölv  zu 
ändern  ist,  im  Partie  Ttad'Oiöag  32,  wie  Sappho  fr.  51  mdsxoL- 
öav  69,  TivEvoLöa  82.  —  15)  Statt  Diphthongs  die  folgende 
liquida  verdoppelt,  Avie  deggSL  fr.  75,  ^evvoubvi]  f r.  60 ,  70 
(wie  dBVvdt,aLv)  für  ötvvo^svr],  wie  an  beyden  Orten  in  den 
Handschriften  steht.  Gregor,  dial.  Aeol.  11.  20.  Mitylenische 
Inschrift  bei  Dodwell  und  Ilicliter  tat  ßoXkca  u.  s.  w. 

Andre  Aeolische  Eigenthümlichkeitcn  sind  noch  ausser  den 
Pronominalformen  die  Endungen  Öevöqbov  fr.  30  (Gregor,  dial. 
Aeol.  13),  ddsXq)Ea  aösAgDEog  65,  81,  rcog  81,  eov  112,  dXd&Ea 
für  aAr;{)£ta37;  dann  olöa  p.  72,  der  Infinitiv  ^£Öi;6i^?yiv  4,  wel- 
chen alle  Handschriften  geben,  und  Buttm.  Gramm.  II,  186 
Anm.  gut  heisst,  auch  fr.  29;  ferner  das  Digainma,  welches  in 
fgrj^Lg  fr.  119  Einmal  gefunden  wurde,  dann  in  vavä  fr.  54, 
i^E&Evlii  ,  und  nach  einer  Lesart  vermuthlich  S^olvcp  28«  (dann 
also  auch  29,  31,  36,  37).  Wegen  des  Hiatus  fr.  1  vno  HQyov 
zu  schreiben  (was  der  llec.  Jen.  L.  1816  Nr.  249  verlangt),  wie 
in  der  Eleischen  Inschrift  S^AFFOIS  vorkommt ,  ist  wegen  ro 
d'  EQyov  fr.  81  a  nicht  rathsam.     Eben  so  wenig  tc  Feinijv  ^1, 


Alcan't  Mytilcnaci  Rellquiae.  Edid.  Matthiae.  4$ 

mit  Blomfield  und  Ilerrnaun  Elem.  p.  (189,  da  vorhergeht 
ti  t  bItitIv.  Also  auch  nicht  a  i^Btsga  31,  welches  M  e  h  1  li  o  r  n 
Anthol.  lyric.  ziilässt  mit  Rücksicht  auf  Schol.  üioiiys.  Gram-* 
mat.  in  Bekkers  Aiiecd.  Gr.  p.  777:  ölya^^ia  TiQOöTi&eaöLV  ot 
Mo'ulg  SKaörij  Xe^sl  [ty]  nag  7]^iv  öaövvoiiivr],  avrol  iakovv- 
T£S  Ttäöav  X£E.iV.  et".  Gramm.  Leid.  dial.  Aeol.  7.  Ausnalimeu 
s.  im  Corp.  Inscr.  T.  l  p.  7] 9.  Zantpol  ist  fr.  42  richti;?,  wäh- 
rend Sappho  auch  Wancpa  schreibt.  In  T  ist  das  Di^amma 
übergegaDgen  in  EvQog  fr.  86,  oder  vielmehr "Eupog  fürEßgos, 
wie  aucli  fr.  1  iöxayav  zu  schreiben  ist.  DieAeolisclie  Accen- 
tuation  ist  nicht  leicht  consequent  durchzuführen.  Hr.  Mat- 
thiä  schreibt  fr.  1  v,vccyLi8iq  statt  xvafildsg,  nach  den  Regeln 
der  Grammatiker  (Corp.  I.  1.  c),  namentlich  des  llerodianus  in 
den  Noten  zum  Gregor,  p.  617,  der  auch  fr.  107  hey"jQSvg  in 
gleicher  Beziehung  von  Eustathius  angeführt  wird,  fr.  33  nks- 
xrag  ,  nach  den  Handschriften,  ^iQvaig  27  und  31  gegen  die- 
selben, wie  Blomfiel  d.  Porson  schrieb  xtpi^a/g.  Rec.  hat 
oben  loXaiöi  und  di^aiöi,  gezeichnet.  Für  kyav  fr.  73  ist  eyav 
nach  ApoUonius  zu  setzen ,  wie  er  auch  von  ^bööol  fr.  52  an- 
merkt (die  Stelle  jetzt  in  den  Anecd.  Gr.  p.  588),  dass  es  'natcc 
TO  JIoXlxov  eO'os  den  gravis  habe.  Für  ^s&vöd'fjv,  wie  Koeii 
fi\  29  schrieb  (denn  nur  durch  Druckfehler  ist  es  hier  anders), 
hat  der  Cod.  Yen.  selbst  fied'vö&r^v.  Aber  theils  unbestimm- 
tere Ausdrücke  der  Grammatiker ,  wie  des  Leidnischen  Etym. 
M.  zum  Gregor,  p.  60O  %aiQov6i  rfj  ßaQBta  tccöbl,  theils  beson- 
dre Bestimmungen,  wie  des  Arkadius  p.  10  td  Big  vv  hjyovta 
ßaQvvBtai  B^uLQ Btag  nagd  zolg  AIoXbvöl^  (pOQ'Kvv,  iiöXxvv, 
yÖQTVV^XBKTVv,  6  TBKXcov ,  nöthigeu  uns  zur  Einschränkung  im 
Anwenden.  Die  Präpositionen  und  Conjunctionen,  welche  die 
gemeine  Betonung  behalten,  und  einige  andre  Ausnahmen  führt 
Böckh  an. 

Nach  diesen  nicht  zu  umgehenden  Kleinigkeiten  mögen  zu 
den  obigen  noch  einige  Bemerkungen  zur  Erklärung  und  Wür- 
digung der  Fragmente  selbst  folgen.  Die  geringen  Zusätze, 
welche  Blomfield  zu  seiner  Bearbeitung  im  Museum  Crit. 
N.  VIll,  1826,  p.  005 — 7  geliefert  hat,  werden  wir  dabey  be- 
rücksichtigen. 

1.  MaQ^aLQBi  8b  ^iyag  dö^og  %aXK(p  •  Ttäöa  d'"AQBi  ^'yiQ'yj) 
iCBx66[i7]xaL  öxBya  %.  x.  X.  Den  Gebrauch,  Waffen  und  Rüstung 
an  den  Wänden  zum  Schmuck  aufzuhängen,  lehren  uns  auch 
mehrere  Vasengemälde,  worauf  einzelne  Beinschienen,  Schilde, 
Schwerdter  als  Zeichen  von  mehreren  auf  diese  Art  angebracht 
erscheinen,  namentlich  auch  das  schon  in  den  Monumenti  ined. 
tav.  143  abgebildete.  Die  Gräber  von  Canosa  haben  gezeigt, 
dass  auch  die  Wohnungen  der  Todten  auf  gleiche  Weise  ge- 
schmückt wurden.     Mit  der  Schilderung,  dieAlkäos  von  seinem 


44  Griechische    Litteratur. 

Hause  in  dieser  Hinsicht  giebt  —  denn  sein  eignes  ist  nach  der 
Anführung  des  Athenäus  zu  verstehen  —  ist  eine  altenglisclie 
Halle  nach  jener  Ballade  zu  vergleichen: 

In  an  old  hall  hiing  round  Avith  pikes  and  with  bows, 
Mith   old  bucklers   and  corslets    that   had    borne    many    shrewd 

blows. 

Der  letzte  Vers  aber  enthält  eine  Aufforderung  die  Waffen  her- 
unterzunehmen oder  wenigstens  sich  zum  Kampfe  gerüstet  zu 
halten,  da  einmal  die  Fehde  unternommen  sey:  und  hiermit 
konnte  sehr  wohl  ein  schönes  Ganze  beschlossen  seyn.  Was 
die  Hauptsache  ist,  verliert  durch  die  Kürze,  womit  es  sich 
dem  prachtvoll  ausgemalten  Waffenvorrath  anschiiesst,  keines- 
wegs an  IVachdruck:  und  die  Construction  der  Ode,  wenn  es 
eine  ganze  ist,  lässt  sich  mit  mehr  als  einer  Horazischen  ver- 
gleichen. Auf  diess  Lied  passen  also  die  Worte  des  Maximus 
Tyrius  Diss.  37  p.  439:  xai  Z^TtaQriätag  ijysLQS  xa  Tvgraiov 
^TtTj  xal  'AQyBiovq  xa  TelsöilXTjg  yi,ilYi  xat  Asößiovg  rj  'Jlxaiov 
(odrj.  Einen  ganz  verschiedenen  Sinn  legte  Jani  in  das  Ge- 
dicht: Scilicet  fortitiidineni  siunn  laudetnque  bellicam  ita  ex~ 
tollit^  ut  suniftiam  se  in  ea  felicitatem  suam  ac  gloriam  positam 
putare  prodat :  und  zum  letzten  Vers  :  Non  licet  haec  oblivisci^ 
per  Xixory^xa^  pj'o,  omnium  maxime  his  spoliis  mihi  gloriandum. 
puto^  summain  meam  in  iis  gloria?n  pono.  —  Quoniam  ante  omnia 
hoc  munus  suscepimus^  htiic  muJieri  nos  ante  omnia  addiximus, 
h.  e.  qiio7iiam  bellatoiis  munere  et  gloiia  fiihil  nobis  in  his  ter- 
ris  piius  aiit  carius  est.  Zu  diesem  Missverständniss  haben  die 
Worte  des  Athenäus  Anlass  gegeben,  die  sich  indessen  auch 
mit  der  andern  Auslegung  des  Ganzen  vertragen.  Die  Vermu- 
thung  Leipz.  L.  Z.  1816  Nr.  15  und  Elem.  metr,  p.  437,  dass 
ein  andres  Fragment  (n.  46)  zu  diesen  Versen  gehöre,  beruht 
auf  nichts  weiter  als  der  Uebereinstimmung  des  Sylbenmaasses, 
Vs.  2  ktVKol  Aogjot.  Aristoph.  Kan.  1016  Isvxokocpovs  XQV(pa- 
Kuag.  Vs.  3  s.  xäk-Kiai  Öl  naööäloig  xQVTtroiötv  TiEQixdptvav 
lapjiQal  xvciUiÖsg,  verstehn  wir  nicht  mit  dem  Herausgeber, 
Jani  u.  a.  hqvtixoIölv  als  Beywort  des  Accusativs  naöödkoigy 
occult  OS.,  quatenus  armis  suspensis  tegfintu?-,  ita  ut  nullus 
clavus  nudus  aut  vacuussit^  sondern  als  das,  was  gerade  ver- 
misst  wird,  da  unmöglich  ^tva^töf  g  mit  vivovöi  ikocpoi)  verbun- 
den werden  kann,  als  das  Zeitwort,  also  xpvjrrotöt,  wonach 
denn  freylich  auch  im  vorhergehenden  Vers  vbvolöiv  für  vav- 
ovöLV  zu  schreiben  ist.  Eben  so  auch  der  Jenaische  Recensent 
1827  N.  216,  indem  er  emendirt  %a66dlovg  'HQvnrovöi,  ohne 
zu  bemerken,  dass  bloss  der  Accent  zu  ändern  nöthig  war.  So 
gchliessen  sich  die  Participien  TtegLUsifisvac  und  nachher  ßsßXrj- 
nivccL  zum  langen  und  vollen  Satz  verbunden  sehr  bequem  an. 
Ueber  aQXog  V.  4  s.  oben.     Schwieriger  und  noch  nicht  wahr- 


Alcaei  MytIIenaei  Reliqulae.   Edid.  Matthiae.  45 

scheinlich  hergestellt  ist  V.  5.  Durch  %üaTai  xb  wird  doch  nur 
eine  nothdürfti^e  Construction  und  ein  etwas  platter  Ausdruck, 
nach  der  Verbindung  dieses  Worts  mit  ßtßlrjfisvai,  gewonnen; 
denn  Casaubons  Conjectur  ßsßkrjfiev  a  v^  occisorwn^  kann 
nicht  in  Betracht  kommen.  Auch  steht  Aeolisch  xeccro,  um 
nicht  fr,  70  anzuführen,  Theoer.  XXIX,  3.  Kynaööig  ist  auch 
von  Hesychius  und  Photius  erklärt.  Die  Versabtiieilung,  welche 
der  Ilerausg.  annimmt ,  findet  sich  im  Wesentlichen  auch  bey 
dem  Rec,  aus  weichem  er  zu  V.  5  die  Conjectur  y.öXXaTai  xe 
anführt.  Wir  vermeiden  dadurcli  die  Janischen  Aenderungen 
V.  2  LJiTCBLOi,  V.  3  xdyd?,^ara,  wo  ausserdem  der  Artikel  übel 
steht.,  und  d'  av,  V.  (J  wieder  ö'  av,  was  in  so  kleinem  Raum 
sich  nicht  angenelim  wiederholt. 

2.  Aus  dem  2n  Vs.  ohne  den  Namen  afi^sg  d'  av  x6  ^iööov 
bey  Apollon.  de  pronom.  p.  379  (Evc.  Voss.  p.  428),  wo  noch 
Ueöov  gelesen  wird.  Im  4n  ist  Schows  ndKcov  über  allen 
Zweifel.  Auch  Weber  zu  den  elegischen  Dichtern  der  Hel- 
lenen S.  572  drückt  es  in  der  Uebersetzung  dieser  Verse  aus. 
Wie  matt  dagegen  xaldv  lözoTceöav,  und  wie  gezwungen  eine 
darnach  gemodelte  Construction!  Ob  aber  für  jcaQ  ^iv  ydg 
ttvtkog  lötoTcäduv  8^si  zu  setzen  sey  tceq,  diess  steht  dahin,  da 
uvzXog  l%Bi  absolut  gebraucht  seyn  könnte  ,  etwa  nach  wirkli- 
cher Schiffersprache,  ähnlich  wie  xloveq  i5ipo'ö'  exovxsg  und 
syxog  BöiB  dt  a^ov,  worin  schwerlich  der  Begriff  des  Eraporra- 
gens  liegt.  Die  Trennung  der  Präposition  vom  Accus,  ist  so  er- 
träglich wie  vom  Verbum. 

4.  Es  war  ein  verkehrter  Gedanke,  wenn  gleich  selbst 
Person  ihm  beygestimmt  hat,  auf  welchen  sich  dann  Gais- 
f  ord  ad  Hephaest.  p.  336  verlassen  haben  wird,  dass  statt  der 
Worte : 

Nvv  XQ^  fi£xtv6d-r]V  Ktti  nva  ytgog  ßiav 
yilvrjv  BTCBtörj  xdxö'ccvB  MvQöikog, 

wegen  der  Horazischen  Od.  I,  37: 

Nunc  est  bibendum,   nunc  pede   libero 
Fulsanda  tcllus ;   nunc   Saliaribus 
Omare  pulvinar  deorum 

Tempus  erat  daplbus,  st>dalcs: 

Alkäos  geschrieben  haben  sollte: 

Nvv  %Qrj  ^Bd-vö&rjv,  xal  x^ova  Jtgog  ßiav 
naitjv,  BTiBidij  xdx&avs  MvgöUog. 

Angenommen,  dass  Horatius  ausser  dem  Sylbenmaass  und  dem 
Anfang  Nunc  est  bibendum  auch  die  folgenden  Worte  nicht 
selbst  erfunden  habe,  da  doch  von  da  an  wenigstens  keine  ent- 
fernte Aehnlichkeit  mehr  mit  der  Alkäischen  Ode  ist,  so  konnte 


46  Griechische  Litteratur. 

ja  gleich  die  folgende  Strophe  bey  Alkäos  mit  Wiederholung 
der  Anfangsworte,  oder  eine  vorhergehende  so  beginnen  wie 
die  ersten  anderthalb  Verse  im  Lateinischen  lauten.  An  zufäl- 
lige Corruption  ist  nicht  zu  denken:  wollte  man  aber  annehmen, 
dass  bey  Gelegenheit  des  Wetttrinkens  die  Worte  des  Alkäos 
absichtlich  verändert  worden  seyen,  so  steht  tmLÖtj  aät&av8 
MvQ0'ilog  entgegen,  welches  zum  allgemeinen  Gebrauch  der 
Strophe  als  Skolion  dann  ebenfalls  hätte  umgebildet  werden 
müssen.  Das  Wetttrinken  schien  ohne  Zweifel  dem  Iloratius 
nicht  zur  römischen  Todtenfeyer  einer  feindlichen  Königin 
geeignet;  ersetzteTanz  und  Saliarische  Mahle,  worunter  nicht, 
wie  man  allgemein  erklärt  liat,  bloss  epulae  opiparue  verstan- 
den werden  können.  Vielmehr  zeigt  die  Verbitidung  mit  pul- 
tnnar  deormn  diesen  Sinn  an,  dass  jetzt  der  Zeitpunkt  wäre, 
•wo  man  dem  Mars  durch  seine  Salier  selbst  ein  Dankfest  feyern 
sollte,  ohne  dass  darum  an  eine  wirkliche  Aufforderung  es  zu 
thun  gedacht  wird.  Da  nun  die  Mahle  der  Salier  auf  ihre 
Tanzprocession  folgten,  so  scheint  es,  dass  auch  in  dem,  was 
vorher  zu  den  Freunden  aulfordernd  gesagt  ist,  7m?ic  pede  lihe- 
ro  pitlsa?ida  tefü/s,  die  Vergleichung  versteckt  liegt,  lasst  uns 
tanzen  und  trinken  wie  die  Salier.  Ucbrigens  ist  TtQog  ßlav 
zum  Tanzen  auch  nicht  der  rechte  Ausdruck,  da  es  immer  eine 
von  andern  angewandte  oder  eine  gegen  sich  selbst  geübte  Ge- 
walt, nicht  aber  kräftig  ausdrücken  wird.  Hingegen  zu  trinken 
mit  Gewalt  nöthigte  man  sich  gegenseitig  durch  das  Gesetz  des 
Gelags. 

5.  Das  falsche  döxo^a  findet  sich  in  den  Ausgaben,  na- 
mentlich bey  Camerarius  und  Schneider;  die  Hand- 
schriften aber  haben  alle  c?%6/ltö,  wie  Göttling  zu  der  Stelle 
bemerkt. 

0.  Auch  Suidas  hat  ^ocpodEQxiag.  H.  Stephanus  Thes. 
I,  löll  s.  vertheidigt  t,0(podoQ7tLag.  Wegen  der  patronymischen 
Form  ^oq)odoQ7tLdag^  welche  die  richtigeist,  s.  Lobeck  ad  Ajac. 
879.  Aehnlich  gebraucht  Archilochus  fr.  170  GVKOVQayLÖrjg. 
Auch  sind  Mikirl8r}g  und  Plagipatida  bey  Plautus  dieser  Art. 
Eine  sonderbare  Erklärung  aber  würde  es  seyn ,  welche  die 
Ausgaben,  auch  die  neue,  den  Diogenes  geben  lassen,  t,o(po8oQ- 
TiLÖav  cog  älvivov.  Man  setze  ahxvov,  tinlecherhaft,  und  trage 
diess  Wort  auch  im  Lexikon  nach.  Den  Sinn  des  Alkäos  hat 
er  nicht  getroffen ;  aber  diese  Bedeutung  könnte  wenigstens  an 
sich  das  Wort  haben.  Statt  a;;aöv^roi/,  welches  in  Prestels 
Beyträgen  zu  Schneiders  Wörterb.  1822  S.  1  erklärt  wird,  hat 
Suidas  ayaövgaGtov. 

8.  Die  Worte  ov  q^rjöiv  'Alyiaiog  BaßvXaviOig  öv^^ce-^ 
lovvxa  TsUöai  ^syuv  a&kov  nal  bjc  növav  avtovg  Qvöaö^ai, 
obgleich  man  Alkäische  darunter  erkennt,  können  nicht  me- 
trisch unterschieden  werden,    während  die  folgenden  durch  ä§ 


Alcaei  Mytilenaei  Reliquiac.  Edid.  Mattliiae.  47 

cprj6i  als  des  Dicliters  eigene  sich  zu  erkennen  geben,  und  diese  sind 
allerdings  Asklepiadeiscli,  so  wie  sie  von  O.  Miiller  im  Rhei- 
nischen Museum  I,  290  hergestellt  und  mit  fr.  ({7  trelFend  ver- 
bunden worden  sind.  Die  Vermuthungen  iiber  den  Krieg  und 
die  Schlacht  selbst,  in  welcher  Antimenidas  dem  Nebukadnezar 
gedient  habe,  so  wie  iiber  den  Charakter  des  Gedichts  S.  296, 
sind  aller  Aufmerksamkeit  werth. 

9.  Die  vergeblichen  Coiijecturen  Viber  diese  Stelle  hat  Bur- 
ges  ad  Eumen.38I  mit  einer  neuen  recht  luftigen  oder  fratzen- 
haften vermehrt.  Mit  Hecht  hat  Hr.  Matthiä,  obgleich  die 
Worte '^Axato?  öcoog  oder  öcog  siclier  sclicinen,  das  Scholion 
zu  11.  XXII,  332  nicht  hierher  bezogen,  da  man  aus  6c5g  nicht 
sehen  kann,  ob  Alkäos  ßo'og  und  öaog  contrahirte,  wohl  aber 
aus  aidäg  fiir  alÖovg  (wie  rag  rvQivväg  bey  der  Sappho)  fr.  7, 
wobey  das  Scholion  passend  angefiihrt  ist.  Die  Nachahmung 
des  Iloratius  relictanon  bejie  pai rimla  ^  und  die  gleiche  Aeus- 
serung  des  Archilochus  diirfen  wohl,  wie  bekannt  sie  auch 
seyen,  in  einer  Ausgabe  doch  nicht  übergangen  werden. 

11.  Was  die  beyden  Stellen  des  Aristides  betrifft,  so 
scheint  nur  die  zweyte(T.  I  p.  555Jebb.),  wo  der  Dichter  nicht 
genannt  ist,  dessen  eigene  Worte,  und  fast  nur  und  bis  zuletzt 
(mit  Ausnahme  besonders  von  ;^p7^ö^at  övva(iBvoi)  Alkäische 
Ausdrücke  zu  enthalten ,  worin  auch  die  Alkäische  Strophe  er- 
kennbar ist,  die  andere  aber  T.  II  p.  207,  wo  er  genannt  ist, 
bloss  in  prosaischer  Umschreibung  oder  aus  Worten  des  Rhe- 
tors  zu  bestehn.  Namentlich  steht  die  Wendung  c?AA'  ävÖQSg 
durch  die  Wiederholung  in  beyden  Stellen  als  Alkäisch  fest : 
und  darumhat  Blomfield  Unrecht,  das  folgende  Fragment, 
welches  ohnehin  choriambisch  ist,  mit  dem  gegenwärtigen  zu 
verbinden.  Den  Ausdruck  vECOQca  hat  Piaton  beybehalten  wo 
er  auf  diese  Strophe  anspielt. 

12  Wohl  ist  nach  den  Stellen  die  Lesart  avdgsg  ydg  no- 
Ascog  nvQyog  dQYj'ioL  ermittelt,  obgleich  TivQyoi  ccQrjYoi  an  sich 
nicht  übel  ist.  Denn  wenn  nicht  jeder  Bürger  ein  Thurm  ist, 
so  wird  die  Stadt  doch  auch  nicht  eigentlich  durch  einen  ein- 
zelnen Thurm  geschützt.  Noch  anders  Demosthenes  bey  dem 
Schol.  des  Sophokles:  avögeg  yccQ  no Isig  %al  ov  rslxr] ,  oder 
vielmehr  Thukydides  VII,  77,  wie  Valckenär  Diatr.  p.  217 
bemerkt,  wo  auch  die  Stelle  des  Alkäos  genau  geschrieben 
wie  oben  aus  Canter  angeführt  ist. 

13.  Die  Worte  ov  Titgäönu  xd  iniöYnia  onXa  sind  gewiss 
nicht,  was  schon  Blomfield  vermuthete,  die  des  Alkäos, 
welche  Aeschylus  vor  Augen  gehabt  haben  soll ,  sondern  des 
Scholiasten  Erklärung  der  Aeschylischen  ovÖ'  iknonoid  yiyvbxab 
T«  ö-^fiata,  wie  auch  die  Verbindung  zeigt  ov  xitgäöuBL  — 
ovöa  avxcc  xad"'  iavxd  dvva^uv  h%Bi. 

14.  Für  £öVj^(j£v  führt  Blomfield  in  den  Zusätzen  (ovyiq 


48  Griechische  Litteratur. 

aus  Dobraei  Collatio  Aristoph.  Vesp.  p.  96  an ,  und  eben  so  hat 
der  Schol.  Cod.  Rav.  zu  Thesmoph.  162  avi^Q  ovrog  x.  t.  A. 
Also  covEQ,  nicht  av^Qacp. 

17.  Die  Worte  xvkvol  t6  ccQ(ia  sind  nicht  von  Alkäos,  wie 
Voss  in  den  Mythol.  Br.  I,  159  und  noch  bestimmter  in  der 
neuen. Ausg.  I,  172  voraussetzt,  sondern  des  Sophisten.  In  der 
Emendation  £q)rJKS  für  f(pr]  xccl  trifft  Hr.  M  a  1 1  h  i  ä  mit  Jacobs 
in  den  im  selben  Jalir  erschienenen  Lectt.  Stobens.  p.  XVII 
überein.  Mit  Schwanen  fährt  auch  der  ApoUon  der  Sappho 
zum  Helikon  fr.  134. 

21 — 23.  In  dem,  was  Menander  '^Egfiov  yovag  nennt,  war 
gewiss  das  Wegtreiben  der  Rinder  des  Apollon  und  das  Entwen- 
den seines  Köchers  die  Hauptsache.  Allein  die  Art,  wie  dieses 
Huratius  I.  10  kurz  andeutet,  reicht  keineswegs  zu,  um  zu  glau- 
ben, dass  man  darnach  d.  i.  nach  einer  ähnlichen  Ode  hätte  sa- 
gen  können,  Alkäos  hahe'Eg^ov  yovccg  gesungen.  Also  hat  er 
entweder  einen  zvveyten  Hymnus  auf  Hermes  geschrieben,  wel- 
chen der  Horazische  Mercuri^  facunde  nepos  Atlantis  nach- 
ahmte, wenn  Porphyrion  bey  diesem  Recht  hatte  zu  sagen: 
Hymnus  in  Merciirium  ab  Alcaeo  lyrico  poeta  —  und  XaiQS 
KvkXavag  6  iiiSiig,  Gs  yccQ  /iot,  was  allerdings  auch  Anfang 
scJieint,  ist  mit  jenem  Anfang  zu  vergleichen,  obwohl  es  auch 
eine  ähnliche  Ode  wie  Hör.  HI,  11  eingeleitet  haben  kann  — 
oder  Horatius  hat  die  Ausführung  der  Geburtslegende  wegge- 
lassen oder  nur  berührt,  so  wie  er  auch  das  Alkäische  Prädi- 
cat  des  Hermes,  dass  er  Mundschenk  sey,  nicht  ausdrückt. 
Diess  könnte  übrigens  so  wie  alle  andere  auch  in  dem  Geburts- 
hymnus selbst  bloss  in  der  Einleitung  oder  Anrede  vorgekom- 
men seyn.  Es  legte  ihm  diess  auch  Sappho  bey,  und  Lucian 
berührt  es  Charont.  1,  D.  D.  24.  Vgl.  Wiuckelm.  Mon.  ined.  P. 
I  c,  16  n.  2.  Von  der  durch  Voss  veranlassten  Vorstellung, 
dass  der  Verfasser  des  Homerischen  Hymnus  den  des  Alkäos 
vor  Augen  gehabt  habe,  ist  die,  welche  über  jene  Poesie,  die 
eine  der  wichtigsten  ist,  Rec.  hat,  sehr  verschieden.  Von  fr. 
22  führt  Apollon.  de  synt.  p.  92  ed.  Bekk.  die  Worte  KvXXävag 
6  [isdEig  an,  und  rechtfertigt  gegen  Apion  die  Form  ^ed^^L  wie 
ol'xjyjut,  welche  in  Buttmanns  Gramm.  I,  515  dem  Sapphischen 
(fiXrj^iy  oiaXfj^ii  beygefügt  werden  kann.  Der  dort  erwähnte 
Grammatiker  6  fiox^og  kommt  auch  bey  Schol.  Aristoph.  Pac. 
178  vor.  Des  Cod.  Flor,  ög  ^sdkig  wie  6  (ieöcov  bey  Turnebus 
sind  aus  der  gleichen  ünkenntniss  dieserForm  hervorgegangen. 
In  unsrer  Ausgabe  ist  o  zu  corrigiren. 

24.  Die  schöne  Dichtung,  dass  Eros  von  Iris  und  Zephyros 
erzeugt  sey,  was  wir  auch  bey  Nonnus  XXXI,  110  wieder  finden, 
hat  Plutarch  so  wenig  als  neuere  Erklärer  verstanden,  wenn  sie 
nemlich  an  den  Liebesgott  dachten,  da  doch  offenbar  der  kos- 
mogonische  oder  der  Eros  der  Natur  verstanden  ist,  wie  auch 


Alcaei  Mytilenaei  Rcliqulae.    Edid.  Mattliiuc.  49 

der  Grammatiker  im  Etymol.  Gud.  bemerkt  hat.  Um  so  mehr 
ist  es  wahrscheinlich,  dass  die  Worte  aus  einem  Hymnus  her- 
riihreii.  Wenn  ein  goldgelockter  Zephyr  haucht  (  ccB^icpVTOS 
hey  Nonnus)  und  in  fruchtbarem  Regen  Iris  aufgeht,  dann  er- 
wacht Lebenstrieb  und  Wachsthum.  Zephyr  erscheint  in  glei- 
chem Charakter  in  der  Verbindung  mit  Chloris  oder  Flora,  wel- 
che in  einem  neuentdeckten  Gemälde  in  Pompeji  erkannt  wor- 
den ist.  S.  diese  Jahrbb.  Bd.  0  S.  473.  Aehnlicli  ist  die  Idee 
des  Eros,  welche  dem  Sapphisclien  Bilde  zu  Grund  liegt,  dass 
er  Sohn  des  Himmels  u.  der  Aphrodite  sey  (Argum.  Theoer.  13), 
und  vom  Himmel  herab  komme  in  Purpurgewand  (fr.  21  ed. 
Neue).  Wenigstens  hält  Ilec.  es  für  wahrscheinlicher,  dass 
diess  allegorisch,  als  dass  es  mit  Beziehung  auf  ein  etwaiges  be- 
kleidetes Terapelbild  eigentlich  zu  nehmen  sey.  Die  Bedeutung 
der  Iris,  welche  wir  annehmen,  bestätigt  sich  durch  die  Bilder 
an  dem  altförmigen  Grab  des  Hyakinthos,  auf  welchem  die  alte 
Säule  des  Ämykläischen  Gottes  aufgerichtet  war,  bey  Pausa- 
nias  in,  19,4.  Denn  da  ist  sie,  Biris  nach  Lakonischer  Form 
genannt,  neben  Poseidon  und  Amphitrite,  als  dem  allgemeinen 
Element  des  Wassers,  in  Gesellschaft  des  Dionysos  und  derino, 
der  Demeter  und  des  Pluton,  welche  bey  de  sie  auch  häufig 
nebst  den  Hören  bey  der  Scene  des  Raubes  auf  blühender  Trift 
begleitet  (Welckers  Zeitschrift  für  alte  Kunst  S.  83),  und  wir 
dürfen  nicht  zweifeln,  dass  hinter  dem  Heros  Hyakinthos  selbst, 
dem  Sohn  des  Amyklas,  d.  i.  dem  Ämykläischen,  welcher  von 
Apollon  getödet  in  die  mit  dem  Frühling  zugleich  (wie  Philo- 
stratos  sagt)  kommende  Blume  verwandelt  wird,  und  welcher 
Spenden  in  seinem  Grab  an  den  Hyakinthien  des  Apollon  em- 
pfängt, ein  Dämon  des  Frühlingsregens,  woher  sich  auch  der 
Name"T*ßxog, 'T'axtz^&og  erklärt,  versteckt  ist,  ein  Dämon,  der 
dem  Apollon  erliegt,  wie  Kora  von  Pluton  geraubt  wird.  Vgl, 
Thiersch  Epochen  der  bildenden  Kunst  I  Not.  23.  Selbst  Ze- 
phyros,  welcher  den  Discos  des  Apollon  auf  den  blühenden 
Jüngling  treibt,  ist  aus  der  allegorischen  in  die  poetische  Le- 
gende hinübergenommen,  sowie  auch  die  jungfräulich  gestor- 
bene Schwester  Polyböa,  die  mit  dem  Hyakinthos  von  den  Mö- 
ren,  den  Hören  und  den  drey  Göttinnen,  welche  mit  der  Kora 
spielen,  in  den  Himmel  getragen  wird,  dem  Begriffe  des  Heros 
sich  anschliesst. 

25.  Die  Worte  asiöov  a^iiii  xdv  loxoXnov  scheinen  einen 
Hymnus  auf  Aphrodite  zu  eröffnen.  Sie  wird  loßl£q)ttQog  von 
Pindar,  lo6xicpavog  von  Solon  und  in  den  Homerischen  Hym- 
nen HI,  176  (  Cod.  Mose. )  und  VI,  18  genannt.  Sappho  heisst 
dem  Alkäos  fr.  42  loTcloKog. 

Dagegen  ist  fr.  26  schwerlich  ein  Hymnus  zu  nennen,  eher 
ein  Skolion.  Herr  Matt hiä  schreibt:  Kgovida  ßaßLlrjog  ys- 
vog,  Alav ,   tov  uqlötov  TtsÖ'  ^AiiXXia.     Chöroboskos  ia  den 

Jahrh.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  V  Heft  1.  4 


50  Griechische   Litteratur. 

Aiiecd.  Gr.  p.  1183  erklärt  /4l'av  rov  agißtov  für  den  Accusativ, 

wie  @6av  bey  Hesiodus :  ot-  yccQ  TtoiTjtccl  ^stgco  dovXsvovteg 
noXkccv.ig  8id  ttjv  ävdyxrjv  xov  ^stqov  Tcagaßaivovöi  xov  na- 
vöva.  Allein  vielleicht  erklärte  er  nur  das  Fragment  unrichtig, 
in  welcliem  xov  auch  das  Relativ  seyn  kann,  mit  abgebrochner 
oder  schwebender  Hede,  wie  die  Metriker  viele  Verse  anfüh- 
ren. Hierauf  leitet  das  bekannte  Skollon:  Tlal  TeXa^icoi'og, 
j4iav,  alx^Tjxcc,  ^ayovöt  ös  sg  Tgolav  uqiöxov  ik^tlv 
^avacSv  (iez'  'AiiXkia,  welches  vielleicht  nur  eine  Variation 
war  von  dem  des  Alkäos.  Mit  diesem  könnte  fr.  4J)  'Axilkev,  og 
xag  Uoiv&txäg  (isÖBig  verbunden  gewesen  seyn ,  da  beyde  He- 
roen in  so  engem  Verein  stehen.  Nur  müssten  dann  diese  Wor- 
te, da  die  andern  choriambisch  sind,  als  unvollständig  betrach- 
tet werden.  Eustathius  könnte  zusammengezogen  haben.    ^Ayil.- 

Kev x&g  IJiivQ'iitäg  ^sÖEig  ist  choriambisch,  so  wie  das 

andere.  Vielleicht  setzte  er  auch  ö  zu ,  weil  er  das  Partici- 
pium  (lEdalg  (fr.  22)  verkannte.  Der  Anfang  eines  Skolion,  wel- 
chen ßlomfield  vergleicht,  ist  bey  Athenäus  selbst  ein  ganz 
andrer, 

27.  Hier  und  in  den  folgenden  Stücken  sind  jetzt  aus  der 
Dindorfisclien  Ausg.  des  Athenäus  mehrere  Lesarten  nachzutra- 
gen. Ohne  Zweifel  geht  accßßalXs  auf  einen  Freund  ,  den  das 
Lied  anredete,  wieHoratius  in  der  Nachahmung  desselben  1,9 
den  Thaliarch.  Vermuthlich  ist,  indem  zu  zdßßalXs  xov  %£i- 
[icöva,  dissolve  fiigiis ,  drey  Participien  gehören,  eines  wie  das 
andre,  das  Schüren  des  Feuers,  das  Triuken  und  das  Anlegen 
der  Hauptbinde,  auf  Erwärmung  zu  beziehen,  was  darum  zu  be- 
merken ist,  weil  jemand  an  den  Gebrauch  denken  könnte,  bloss 
des  Trinkens  wegen  und  um  dem  Rausch  zu  wehren  den  Kopf 
zu  umbinden ,  wie  es  den  Bildern  der  Methe  eigen  ist.  Zoeg. 
Bassiril.  tav.  Tl  not.  3.  4-  Casaubons  cc^(pLK£V8q)akov.,  schon 
bey  Ursinns,  ein  als  Hauptwort  ungeschicktes  Compositum, 
ist  unbedenklich  zu  verwerfen,  und  zwischen  d}iq)L  u.  yvocpaX- 
kov,  wie  auch  Porson  Advers.  p.  118  (103)  und  Dindorf 
thun,  eine  Lücke  zu  setzen,  für  xl&sl^  XL'&Etg,  oder  da  diess 
schon  in  derselben  Strophe  vorkommt ,  lieber  für  ßakcov. 

28  a.  Die  ganze  Stelle  des  Proclus  ad  Hesiod.  Op.  et  D. 
584  setzt  Wyttenbach  unter  die  Fragmente  des  Plutarch  aus 
dem  Commentar  zu  Hesiodus  N.  33.  Die  letzten  Worte,  btibI 
XBcpaXi^v  »tat  yovaxa  UBigiog  ai,BL,  sollten  von  Herrn  M.  nicht 
weggelassen  seyn,  da  sie  als  Hesiodische  und  doch  denen  des 
Alkäos  angehängte  noch  mehr  als  die  Auslassungen  und  Um- 
stellungen von  Worten  die  üble  Art  deutlich  machen,  wie  Plut. 
zuweilen  aus  dem  Gedächtniss  anführt.  Denn  diese  Worte  in 
Choriamben  zu  zwingen ,  wie  Hr.  M  e  h  l  h  o  r  n  thut  Anthol. 
lyr.  p.  84,   scheint  ein  unrechtes  Verfahren.    Hier  vermissen 


Alcaei  Mytilenaei  Reliquiae.   Edid.  Mattlüac.  51 

wir  auch  die  Stelle  des  Gell.  XVII,  11 ,   welche  aus  Plutarchs 
Sjmpos.  VII,  1,  2  geschöpft  ist  und  daher  auch  den  Vers 

TeyyB  nvsv^ovccs  olV«  •  t6  yccQ  aöXQOV  TtSQit a^Xst ai^ 

den  dort  Plutarch  ngoxsiQOV  anaöi  nennt,  ehen  so  schreibt. 
Eustathliis  hat  beyde  Lesarten  ad  Odyss.  IX  oXvco  Ttvevjxova 
riyys  und  ad  II.  VII  xäyyE  TCVBvnovag  o'ivcp.  Auf  die  Hesiodi- 
sclie  von  Alkäos  nachgeahmte  Stelle  beziehen  sich  auch  Aristo- 
teles Problem.  IV,  2f$ :  ^la  xi  Iv  xco  &eq£l  ot  fisv  ccvdgeg  rixxov 
övvavxai  afpQo8iGicct,uv  ^  ai  Ö£  ywatjcgg  fiä/lAov,  na&ccTtEQ  aal 
6  TtOLTjXT^g  XsysL  6711  xcp  öKolv^Kp  (f^Tt  öxoAvuot»  Ileiiislus ;  eine 
freye  falsche  Emendation  bey  Petit.  Miscell.  Obss.  Ill,  14.): 
Ma^^koxaxai  ds  yvvalxEg,  dcpavQoxaxoi  Ös  xb  avÖQsg,  und  Pli- 
nius  XXII,  43:  Venerem  stimnlare  [scolyrnon)  i7i  vino ,  Hesiodo 
et  Alcaeo  tesfibus :  quißorente  ea  cicadas  ciceiiiini  cantus  esse, 
et  midieres  libidinis  avidissitnas,  virosque  in  coituni  pigerrimos 
scripsere,  velut  providenlia  naturae  hoc  adjumento  taue  valen-r 
tissimo.  Wegen  dieser  Stelle  hat  Plinius  den  Alcäns  unter  den 
Quellen  des  22n  B.  aufgeführt.  Der  Vers  beySuidas  v.  Tlyys: 
ÖYva  nvev^ova  xEyys,  (pilrjg  Ö'  an'Eyov  Kvd'EQEirjg^  ist  vermuth- 
lich  aus  Pythagoreischen  Gnomen,  da  aus  Diogenes  VIII,  9  u. 
Diodor  in  den  Excerpt.  p.  555  als  Pythagoreische  Vorschrift  be- 
kannt ist:  'yiqjQodiöia  %Ei[ic5vog  TtoiELö&aL^  [lij  Q'EQEog.  Wunder- 
lich genug  also,  dass  Küster  die  Worte  für  Anakreontisch  hielt 
und  Fischer  darauf  sie  p.  461  unter  die  Fragmente  des  Ana- 
kreon  setzte,  was  schon  von  Friedemann  de  media  syil.  pen- 
tam.  p.  3(>1  und  Meineke  Quaestiones  Menandr.  p.  44  mis- 
billigt  worden  ist. 

29.  Fiir  ßv^ov  geben  Qvfiov  auch  H.  Steph.  u.  Casaubon. 

30.  Die  Schreibung  der  Handschriften  ^TjdEV  ist  nicht  zu 
verwerfen.  Böckh  hätte  davon  Gebrauch  machen  können  in 
den  Addend.  ad  C.  I.  Gr.  T.  I  u.  12  p.  881.  Als  Aeolisch  ist 
ov&EV  p.  724  bemerkt.  Die  tloraz,  Ode  I,  18,  JSullam^  Fare^ 
Sacra ^  von  welcher  Göller  eine  Uebersetzung  gegeben  hat, 
MExcccpgäöEig  p.  61,  scheint  mehr  als  dem  blossen  Anfang  nach 
der  Alkäischen  nachgebildet  worden  zu  seyn.  Die  iiwrdaces 
sollicitudines  und  die  Klage  über  schwere  Kriegsarbeit  und 
Armuth,  die  der  5te  Vs.  erwähnt,  sind  BegritFe,  welche  den 
Erfahrungen  des  Alkäos  näher  lagen  als  demlloratius  nach  sei- 
nen Lebens  -  und  Zeitverhältnissen.  Vorziiglich  aber  ist  von 
den  Bassarien  auf  eine  Art  die  Rede,  wie  sie  dem  Römischen 
Dichter  für  sich  nicht  hätte  einfallen  können.  Diese  Anspie- 
lung auf  sehr  eigenthümliche  Gebräuche  würde  zu  gelehrt  er- 
scheinen, wenn  sie  nicht  durch  die  Erinnerung  an  das  Original 
einen  ganz  andern  Charakter  erhielte.  Diess  ist  so  einleuch- 
tend, dass  man  kaum  Bedenken  tragen  darf,  aus  diesen  Wor- 
ten auf  den  Bassareus  in  Mitylene  zu  schliessen.     Selbst  die 

4* 


52  Griechische    Littera tu r. 

Wendung  At^  ne  quis  modici  transüiat  munera  Liberi^  für 
Alkäisch  zuhalten,  können  uns  nicht  einige  lebhafte  Auffor- 
derungen dieses  Dichters  zum.  Trinken  abhalten;  denn  ohne 
diese  Wendung,  welche  den  Angelpunkt  des  Gedichts  ausmacht, 
•wäre  die  Empfehlung  des  Trinkens  in  dem  angefangenen  Ton 
doch  zu  einfach  für  ein  Lied. 

IJeberhaupt  ist  ein  grosser  Unterschied  zu  maclien  zwi- 
schen den  Horazischen  Nachahmungen  desAlkäos.  In  der  Ode 
I,  3T,  Nunc  est  bibendu7n^  ist  gerade  nur  der  Eingang,  durch 
Trinken  den  Tod  eines  gefürchteten  Feindes  zu  feyern,  nach- 
geahmt: und  höchstens  die  Worte  Antehac  nefas  depromere 
Caecubum  Cellis  ovitis  könnten  noch  in  dem  Vorbild  (fr.  4)  An- 
lass  gefunden  haben.  Bey  Ode  I,  14  kann  nicht  einmal  der  An- 
fang des  Gedichts  selbst  als  erborgt  betrachtet  werden;  son- 
dern nur  die  Vergleichung  des  bedrohten  StaatsschifFs  ist  es, 
welche  bey  Alkäos  fr.  2  in  ganz  anderer  Verbindung  vorkommt. 
Auch  ist  das  Sylbenmaass  verschieden.  In  der  Uten  und  lOten 
Ode  des  ersten  Buchs  (vgl.  fr.  27.  21)  möchte  die  Nachahmung 
über  den  blossen  Anfang  und  die  einfache  Anlage  und  das  Syl- 
benmaass hinausgegangen  seyn.  Dagegen  scheint  uns  die  ISte 
Epode,  obgleich  sie  bey  Regen  und  Sturm  zum  Trinken  einlädt, 
mit  der,  woher  fr.  27  ist,  gar  nichts  gemein  zu  haben;  aber 
vermuthlich  hatte  sie  ein  anderes  Griechisches  Vorbild ,  worin 
auf  die  schöne  Stelle  aus  den  Gnomen  des  Chiron  ebenfalls  das 
Ganze  hinauslief,  Nachbildung  nach  Inhalt  u.  Sylbenmaass,  und 
bey  veränderten  Personen  dennoch  vermuthlich  auch  in  man- 
chen einzelnen  Zügen  ist  Ode  III,  12,  Miserarum  est,  7ieque 
Amori  dare  ludian  neque  dulci,  von  der,  welche  anfieng  fr.  69: 
^E^B  öuKav ,  s^a  Tcaöäv  xcoiordtav  nedexoLöav.  Denn,  wie 
man  uns  leicht  zugeben  wird,  sobald  man  nur  mit  der  nichts 
geltenden  üeberschrift  ad  Neobulen  das  Missverständniss  weg- 
geräumt hat,  Neobule  spricht  und  klagt  selbst.  Auch  Voss 
hat  der  Neobule  das  Lied  in  den  Mund  gelegt,  und  der  sinn- 
volle Vanderb  o  urg  stimmte  ihm  darin  bey  mit  der  Bemer- 
kung, dass  die  Farbe  des  Liedes  offenbar  Griechisch  und  das 
Original  allem  Anschein  nach  von  Alkäos  gewesen  sey.  Durch 
die  Anrede  tibi  qualum  —  Neobule,  welche  zu  dem  Missver- 
ständniss des  ganzen  Gedichts  Anlass  gegeben  liat,  drückt  das 
verliebte  Kind  gleichsam  Mitleid  mit  sich  selbst  aus,  und  das 
liebliche  Lied  gewinnt  hierdurch  an  Zartheit  und  Naivlieit. 
Neobule  bedeutet  hier:  arme  Neobule,  theilnehmend,  wie  sonst 
die  namentliche  Anrede  oft  etwas  zärtliches  einschliesst.  Zu- 
gleich wird  dadurch  das  Gedicht  ausdrücklich  zum  heimlichen 
Selbstgeständniss,  da  es  ohne  die  Anrede  zweifelhaft  bliebe, 
ob  Neobule  ihr  Leid  nicht  andern  klagte.  In  solchem  Selbst- 
gespräch ist  auch  der  ganz  individuelle  Zug  patruae  verbera 
linguae  gefälliger.     Im   Original  nahm  vielleicht  die  Falästra 


Alcaei  Mytilenae!  Reliquiae.    Edid.  Matthme.  53 

allein,  von  welcher  auch  das  Leiden  der  Theokritischen  Si- 
mätha  ausgien^,  die  Stelle  des  Campus  und  seiner  WafFenübun- 
gen  nebst  der  Jagd  ein.  Nicht  gleichgiiltig,  selbst  in  Rücksicht 
des  vermutheten  Vorbildes,  achtet  es  Rec.  zu  bemerken,  dass 
nach  seinem  Gefiihl  Bentley  mit  Recht  am  Schluss  der  zwey- 
ten  Strophe  nur  Semikolon  setzt,  während  andre  durch  Punkt 
trennen  und  est  verstehn  oder  es  Vs.  10  nach  t'dem  einschieben. 
Denn  dadurch  verliert  nicht  bloss  der  Gedanke,  indem  die 
Kunst  des  Reitens  und  das  Uebrige  vom  Bad  abhängig  gemacht 
wird,  statt  dass  die  Verkniipfung  zufällig  erscheinen  sollte; 
sondern  auch  das  Ganze,  welches  in  seinem  raschen  und  unun- 
terbrochenen Gang  nur,  wie  ein  lang  gehaltner  Schrey  oder 
Seufzer  des  Schmerzes  und  der  Sehnsucht,  einen  einzigen  Ge- 
danken zu  enthalten  scheint,  worin  auch  das  Abgebrochene  des 
Schlusses  seinen  Grund  hat,  wird  ein  anderes. 

31.     Aus  den  Lesarten  beyder  Stellen,  ti  töv  Xvivov  ößsv- 
vv^sv  und  Tt  rov  Kvxvov  dfifievousv^   geJ^t  eher  hervor  trt  to 
Jt.vxvov  ^ivofiEv^  und  diess  bestätigt  die  von  Herrn  M.   ange- 
führte Nachahmung  des  Asklepiades  kv^^ov  iöslv  ^evofxev.    Das 
unverständliche  ut  tcc,  di  xa  im  zweyten  Vers,  wovon  Porsoii 
sagt,    qui  velit  et  possit,    corn'gat,    dtra  zu  schreiben,   nach 
dem  Vorschlag  des  Jen.  Rec.  1806  N.  249,  hat  Dindorf  mit 
Recht  für  das  Wahrscheinlichste  gehalten:    und  das  verkürzte 
Jota  darf  uns  nicht  wundern,    da  Alkäos  auch  Kva^iöhq  oder 
avd^idsg  fr.  1   gebraucht  (vgl.  Fhrynich.  p.  171),    so  wfe  Pin- 
dar  jcQ7}TCida^  was  Dindorf  anführt,  und,  wie  Recens.  hinzufügt, 
akatösg  Pyth.  IX,  39,  was  auch  in  einem  dem  Pindar  mit  Un- 
recht zugeschriebenen  Bruchstück  vorkommt  (Böckh  über  die 
krit.  Behandl.  der  Pind.  Gedichte  S.  80).    Die  Vermuthung  von 
Mehl  hörn  Anthol.  lyr.  p.  101,  aiQS  xd  noixtXa,  M-ie  die  des 
Toll  ins,  die  er  anführt,  «tr'  stil  notxiXaL,  fällt  mit  den  an- 
dern weg.    Im  5ten  Vs.  kann  Porsons  Interpunction  eyx^Eülg- 
vaig  ava  xccl  ovo  nX^iaig  KaniiB(paXag,  welcher  auch  Dindorf 
folgte,  unmöglich  richtig  seyn:    denn  danach  würde  der  Dich- 
ter den  Knaben,   wie  im  folgenden  Fragment  die  Salbe  accxcc 
rag  Tiolkd  na^oiöag  xecpaXäg  und  xaxxä  noXiä  6xri%£og,    so 
hier  den  Wein  ihm  auf  den  Kopf  zu   giessen  heissen.     Falsch 
ist  auch  Blomfields  Meynung  in  den  Zusätzen,  dass  %d%  üb- 
(paXäg  auf  den  Rand  des  Bechers  gehe,    und  v.d>i  jiBq)aX7)g  il- 
QV0ÖE  Odyss.  VIII,  84  heisse  über  da«  Haupt,    da   die  Bedeu- 
tung vielmehr  dieselbe  ist  wie  in  iBvaxo  xdjc  xecpuXTjg  II.  XVIII, 
24,  Od.  XXIII,  156,   XXIV,  316,  auf.     Vielleicht  könnte  xdx 
XBcpaXäg.,  mit  jiXEiatg  verbunden,  bedeuten  hockher  vom  Kopf 
oder  über  den  Kopf  her ;  denn  auf  diese  Art  sehen  wir  einge- 
schenkt auf  verschiedenen  Bildwerken.    Nur  gefällt  uns  die  Um- 
stellung von  Ö'  «  in  «  ö',  die  wir  dann  auch  vornehmen  müs- 
sen, nicht:  und  wir  lassen  daher  lieber  gelten,  was  Herr  M. 


5'i  Griechische    Litteratur. 

vorschlägt,  dass  bey  unverärulerter  Construction,  acacxstpalcig 
ö'  cc  arsQCi  täv  etsgav  y.vki'B,  'Sl^Bita  ausdrücke  pociiluni  prae- 
ceps  trudat  poculum^  indem  %axd  asfpaXrjs  aTCrjXQ-E  (über  Hals 
und  Kopf)  in  einem  Epigramm  vorkommt.  Dabey  ist  nicht  zu 
iibersehn,  dass  Cod.  B  ungetrennt  giebt  j{o:xx£g)ß:Aßtg.  Mehl- 
liorn  sagt:  Jani  quid  sit  a^üv  tx  it£q)aläg  non  obscurum 
esse  puto. 

32.  Diess  Bruchstück  kann  gar  wohl  den  vorhergehende» 
Versen  sich  angeschlossen  haben.  Rec.  glaubt  diess  nicht  bloss 
wegen  der  Verwandschaft  des  Inlialts  und  desSylbeamaasses  im 
Allgemeinen;  sondern  in  den  Worten: 

Oivov  yccQ  Usjxslag  xal  z/iog  vtos  ^aO'Licad £a 
av&QcojioLöLV  sdcoxB, 

ist  eine  Saite  angeschlagen,  welche  in  einigen  Worten  des  an- 
dern Bruchstücks  fortklingt.  Dieses  ist  von  Athenäus  kurz  und 
ganz  unmetrisch,  von  Plutarcli  zwar  vollständiger  excerpirt, 
doch  so,  dass  man  um  alle  wahrscheinlich  Alkäischen  Worte 
heyzubehalten,  und  in  der  Folge  derselben  nichts  zu  ändern, 
imr  mit  vielen  Lücken  Verse  bilden  kann;  wir  denken  diese, 
worin  die  ersten  von  Herrn  M.  emendirten  Worte  zweifelhaft 
bleiben: 

Kccd  ÖE  %svatB ^vqov 

ccöv  -  %axa  tag  molXd  7ta% oi(3 ag 

%E(paXäq  -   - 
v.ai  nattcj  noliäi  örijO^sog  aii^i. 

Durch  Aenderung  brachte  Hr.  Barker  folgende  Verse  heraus: 

yiVQOv  zatcc  tag  noXXd  ntt&oiöas 

HEcpaläg  [e^äg] 
um  tc5  TtoUcö  ötdO'sog. 

33.  Statt  jTsp^gTOJ,  welches  richtig  und  auch  bey  Athe- 
näus in  den  Handschriften  gegeben  ist,  schreibt  der  Herausg. 
mit  Casaubon  und  ürsinus,  dem  dieser  oft  folgt,  ohne  ihn 
zu  nennen,  so  wie  mit  Blomfield  TCaQ&sta).  Von  der  Stelle 
desPollux  sollten  die  letzten  Worte,  ovtov  Öe  aga  nal  öeAtVotg, 
(Sappho  und  Alkäos)  nicht  weggelassen  seyn.  Auch  war  darin 
lur  dvrjTTcp  zu  schreiben  dvi]rco.     Dem  Alkäos  hingegen  wür- 


VRiajuiiiaLiivci     '^^UA/Ll-rUt,-,     U^t/VAUt,,     UtAAWJ/W    aia     /icuiisi^ii    aiiiuji- 

ren.  S.  Koen  ad  Gregor,  p.  5S8,  welcher  p.  610  dvvritco  als 
Aeolismus  nicht  auf  die  rechte  Art  erklärt.  Dieser  Hauptblume 
der  Kränze  gedenken  auch  Theokrit  VH,  03,  wo  S  p  o  h  n  Lectt. 
Theoer.  Spec.  3  p.  11  mit  Kecht  das  dvr}%iVOV  der  Ausgaben 
gegen  das  handschriftliche  dvjjvLVOV  verwirft.    Mosch.  ÜI,  101, 


\ 


Alcaei  Mytilenaei  Reliquiac.  Edid.  Matthiae.  55 

Virg'.  Ecl.  II,  48,  Colum.  X,  314.  Was  aus  Ursinus  bemerkt 
ist,  av  XI  anaXaZ  Ö&Qai ^  d.  i.  a^Tt'  dnaXu  ÖSQa,  gehört  der 
Sapplio  fr.  26. 

34.  Casaub.  Conjectur  ist  c(Q7]Qvy}isvov  nach  einer  Glosse 
des  Hesychius.  Was  er  im  Text  giebt,  ccQQtJTOV  ftevog,  ist  aus 
der  Ed.  pr. 

35.  Diese  Worte  gelin  auf  Kottabos,  wie  schon  Iladr. 
Junius  Aniraad.  p.  389  bemerkt  Jiat.  Kritias  ap.  Athen.  XV 
p.ßßGB  Xaxdyav  xö^a.  üeber  das  Sicilische  Wort  Xdtah,  sprach 
Dikäarchos  iv  xa  negl  'Alyiaiov^  Schol.  Aristoph.  Av.  1243. 

37.  Oivog^  o3  gjt'As  nal,  zßt  akä^Ba.  Mit  geringer  Aen- 
derung  ist  die  1815  zu  Alteuburg  jsijedruckte,  p.l>  und  44  noch 
besonders  angeführte  Prolusio  de  Theoer.  carmine  XXIX,  wel- 
che auch  Kiessling  in  seiner  Ausg.  des  Tlieokrit  giebt,  auf- 
genommen. Zu  dem,  womit  der  Verf.  den  Einfall  von  W  eb- 
ner t  (Jacobs,  ad  Tlieocr.  ed.  Goth.1808)  mit  den  Griuidcn  von 
Thiersch,  der  seiner  Meynung  auch  in  den  Act.  Monac.  T.  I 
p.  209  treu  war,  dass  jenes  Liebesgedicht  in  Aeolischer  Mund- 
art von  Alkäos  sey,  widei'legt,  fugt  llec.  nocli  einen  inneren, 
aber  sehr  bestimmten  Grund  hinzu.     In  den  Versen: 

'Avdgäv  xäv  vjteQTjvoQscjv  doxhig  itvkuv 
ffilsi  d'  äs  ocs  to]]S  T^ov  v^olov  bx^iv  du' 

ist  der  Vorwurf  enthalten ,  dass  der  Knabe  es  auf  die  Vorneli- 
raen  abgesehen  habe.  Diess  passt  nicht  auf  Alkäos,  welcher 
einen  adlicheren  Stand,  als  den,  wozu  er  gehörte,  wolil  nicht 
iiber  sich  erkannte.  Aber  überhaupt  mag  man  diesen  namen- 
losen, eitlen  und  von  einem  Liebhaber  zum  andern  flatternden 
Jungen  eher  in  der  späten  Hauptstadt  als  in  der  kräftigsten  Zeit 
der  Lesbischen  Republik  denken.  Wenigstens  ist  es  schwer  zu 
glauben,  dass  von  dem  Dichter,  welcher  mit  Leidenschaft  wohl 
in  vielen  Liedern  den  Lycos  sang  nigris  ocuUs  nigroque  ciine 
deconini^  diess  schöne  Haar  und  selbst  naevus  in  articulo  pueri 
verewigt  worden  seyn  würde,  wenn  der  Knabe  von  jedem,  der 
nur  sein  roth  Gesicht  gelobt  (pgO'og  alvi6y^\  auf  der  Stelle  ge- 
wonnen worden  wäre  (raö'  tv^vg  Ttliov  t]  XQistrjg  ayevsv  cpl- 
Aog),  was  nach  dem,  was  vorhergeht,  nicht  als  eine  blosse 
lieftige  Uebertreibung  verstanden  werden  kann.  Uebrigens  hat 
das  Gediclit  vortreffliche  Haltung,  wenn  gleich  es  nicht  wie  aus 
Empfindung  hervorgegangen  aussieht,  sondern  eher  einer  Kunst- 
übung in  fremdem  Vers  und  Mundart  gleicht.  Es  dem  Theo- 
krit  abzusprechen  ist  keine  Ursache  vorhanden,  «nd  das  vor- 
hergehende sicher  Theokritische  giebt  eher  einen  Grund  her, 
es  ihm  zuzugestehen.  Vielleicht  hat  er  zu  einem  Alkäisclieu 
Liebesgedicht,  denn  dass  der  Anfang  ein  solches  und  nicht  ein 
Trinklied  verrathe,  ist  klar,  ein  Seitenstück  im  Sinne  damali- 
ger Sitten  schreiben  wollen.     Diess  lässt  ausser  der  Mundart 


56  Griechische    Litte ratur. 

selbst  der  gleiche  Anfang  vcrmutlien ,   wie  wir  diesen  auch  in 
Ilorazischen  Nachahmungen  des  Aikäos  finden.     Recens.  meynt 
nicht,    wie  Jacobs,  II.  Voss  und  Hermann  in  der  Leipz. 
Litter.  Zeit.  1816  N.  15  annahmen,  dass  das  kiystaL  des  ersten 
Verses  bey  Tlieokrit  auf  den  Anfang  des  Aikäos  sich  beziehe, 
sondern  es  geht,  wie  aucli  in  einem  Argument  bemerkt  und  wie 
von  T  hier  seil  stillschweigend  angenommen  wird,  auf  ein  äl- 
teres Spricliwort  und  ist  von  Aikäos,  obgleich  er  es  nicht  aus- 
driickt,  aucli  verstanden.    Aber  dasselbe  Sprichwort  im  Anfang 
zweyer  Lieder  an  einen  Knaben,  welchem  nach  des  Sprichworts 
Sinn  die  Wahrheit  gesagt  wird ,  denn  so  ist  es  auch  in  dem  Al- 
käischen Lied  vorauszusetzen,    lässt  sich  nicht  aus  zufälliger 
Uebercinstimmung  erklären.      Mit  Recht  bemerkt  Schäfer, 
dass  Theok.  Vs.  13  bey  ayQiov  oqtcbtov  eine  Stelle  der  Sappho 
im  Sinn  hatte.     Wollte  man  annehmen,  da  unmöglich  in  einer 
Zeit,    als  die  Alkäischen  Lieder  noch  vorhanden  waren,    eines 
unter  die  des  Theokrlt  übergelien   konnte,    dass  erst  in  einer 
späten  Zeit,  als  die  Sammlung  von  jenen  verloren  war,  ein  ein- 
zeln erhaltenes  Stück  unter  die  Idyllien  gesclirieben  worden 
sey,  so  ist  nicht  einmal  wahrscheinlich,  dass  von  einem  Gram- 
matiker oder  Kritiker  gerade  dieses  Lied  des  Aikäos  vor  andern 
ganz  angeführt  worden  wäre.     Ilr.  Matthiä  nennt  diejenigen, 
welche  der  neuen  Meynung  Beyfall  gegeben  haben;    es  gehört 
dazu  auch  Uoissonade  in  einer  Anzeige  von  Chardon  de  la 
Kochettes  Melanges  crit.  im  Journal  de  l'Empire  1812,  9  Apr. 
p.  7,  und  ,  wie  es  scheint,  auch  Müller  in  den  Doriern  Th.  2 
S.  21>7-    Wir  wollen  dagegen  auch  andre  namhaft  machen,  wel- 
clie  ihm  selbst  beygetreten  sind,  als  Passow  in  der  Jen.  Lit. 
Z.  1816  N.  14,  Kiessling,  Reinhold  de  genuiuis  Theoer. 
carminib.  p.  69.     Auch  hatten  früher  schon  Heinr.  Voss  in 
den  Heidelb.  Jahrbb,  1811  S.  287  und  Hermann  zum  Viger. 
1813  p.  1)25  gt^gen  die  Vermuthung  sich  erklärt.     Nachdem  es 
den  Angriff  bestanden,  ist  das  Schol.  zum  Piaton  um  so  schätz- 
barer geworden. 

41.  In  den  Schollen  zur  Rhetorik  finden  sicli  bey  dieser 
Stelle  ausser  der  Erklärung  in  der  angeblichen  Antwort  der 
Sappho  (fr.  61)  die  Lesarten   aiO''  r^xBV  und  al  ö'  tJxsv. 

46.     Auch  Zonaras  p.  SJ)3  hat  das  aus  Suidas  Angeführte. 

48.  Sowohl  äl2.a  als  (ivvd^svog  für  fivvcofiivog  billigt 
auch  Buttmann  ad  Schol.  Odyss.,  jenes  nach  der  Erklärung 
des  Scholiasten;  die  Form  ^vvo^aL  aber  fällt  weg. 

49.  'AiiXKiv^  og  rag  I^avQ'Ljidg  /uäöaig.  Hauptstelle  fiir 
die  Verehrung  des  Achilles  in  jenen  Gegenden.  Ueber  die  ge- 
weihten Inseln  Lenke  und  Borysthenis,  am  Ausfluss  der  Donau 
und  des  Borysthenes ,  und  über  des  Achilles  Rennbahn ,  eine 
lange  schmale  Erdzunge ,  weh  he  den  gegenüber  wohnenden 
Tauroscythen  den  Namen  der  Achilleodroraiten  abgegeben  hat, 


Alcaei  Mytilenaei  Reliqulae.  Edid.  Matthiae.  57 

zu  welchen  sagenberülimten  Orten  nach  Monumenten  ein  Tier- 
ter  Achillcischer  in  jenen  Gegenden  hinzukommen  soll,  ist  äu- 
sserst schätzbar  die  gründliclie  und  umfassende  Untersuchung 
des  Staatsraths  von  Köhler  in  dem  Memoire  sur  les  isles  et 
la  course  consacrees  a  Achille  dans  le  Pont  Euxin  im  lüten  Bde 
der  Me'moires  de  l'Acad.  de  St.  Petersbourg  1821.  Alle  die 
Orte  standen,  wie  der  Verf.  p.  8  des  besondern  Abdrucks  be- 
merkt, unter  den  beyden  Milesischen  Kolonieen  Istros  und  01- 
bia;  Milesiscli  also  wäre  dieser  Achillesdienst  gewesen.  Alkäos 
war  einer  der  frühesten,  welche  diess  Verhältniss  erwähnen 
konnten,  da  er  nicht  gar  lange  nach  der  Stiftung  von  Istros, 
der  ältesten  Milesischen  Kolonie  dieser  Gegenden,  (gegen  650) 
und  gleichzeitig  mit  der  von  Olbia  lebte.  Aber  der  Vf.  scheint 
uns  p.  26  den  Dichter  zu  missverstehn ,  wenn  er  sagt,  Alkäos 
habe  den  Aufenthalt  des  Achilles  im  Pontus  Euxinus  gesungen, 
gerade  wie  Eustathius,  wo  er  unser  Fragment  anführt,  von 
Achilles  als  König  von  Scylhien  spriclit.  Diess  war  er  aller- 
dings in  der  Sage  der  Gegend;  aber  schwerlich  wusste  davon 
Alkäos,  Weitere  Auslegung  machte  ihn  dort  alsdann  zu  einem 
andern,  von  dem  Thessalischen  verschiedenen  Acliilles ;  und 
liieraus,  da  es  falsch  ist,  gieng  ferner  als  eine  neue  vermit- 
telnde Dichtung  hervor,  was  Leo  Diaconus  IX,  6  p.  02  aus  Ar- 
rians  Periplus  anführt,  obwohl  es,  wie  Hase  bemerkt,  in  des- 
sen Peripl.  Pont.  p.  133  A  —  135  B,  wo  er  ausführlich  von  der 
Religion  des  Achillestempels  in  Lenke  handelt,  nicht  vorkommt, 
dass  der  Sohn  des  Peleus  ein  Scythe  aus  der  Stadt  Myrmekion 
am  3Iäotis  gewesen  und  von  da  nacli  Thessalien  eingewandert 
sey.  Diess  nun  erklärt  Köhler  p.  82  für  eine  rohe  Byzantini- 
sche Fabel.  Aber  ist  die  Fabel  in  Aegina,  dass  von  dort  Pe- 
leus  nach  Thessalien  gezogen  sey,  weniger  roh,  oder  übte  nicht 
nach  unzähligen  Beyspielen  jeder  Ort  das  Recht  aus,  vor  den 
entfernten  Stamm  -  und  Mythenverwandten  sich  das  Majorat 
beyzulegen  und  das  Ziehen  von  sich  ausgehen  zu  lassen,  statt 
umgekehrt,  wie  es  der  Wahrheit  gemäss  gewesen  wäre?  Nur 
gehörten  immer  berühmte  Dichter,  klassische  Sagen  dazu,  um 
die  Ortssage  geltend  zu  maclien.  Alkäos  versteht  vielmehr  nur 
ein  göttliches  Walten  des  Achilles  oder  Ileroendienst.  Eben 
so  wenig  können  wir  in  dieser  allgemeinen  Erwähnung  des  He- 
ros den  geringsten  Grund  finden,  die  bey  Lykophron  vorkom- 
mende Sage  von  Achilles  und  Iphigenia  für  viel  älter  zu  halten. 
Aber  gerade  in  Hinsicht  dieser  Sage  und  dessen,  womit  sie  auf 
das  engste  zusammenhängt,  der  Achilleischen  Rennbahn,  hat 
Rec.  überhaupt  andre  Vorstellungen  als  die  sind,  wovon  bey 
diesen  gelehrten  und  genauen  Ausführungen  ausgegangen  wird. 
Ihm  ist  die  ganze  Sage  nichts  als  eine  jener  unfruchtbaren  Na- 
menslegenden, welche  von  einer  Vergleichung  der  Lage  (z.  B. 
einer  Insel  mit  einer  Sichel)  ausgehend  das  Mythologische  leicht 


58  Griechische    Litteratur, 

und  luftig  zusammenfügen.  Sobald  die  Erdzunge  als  eine  Renn- 
bahn bezeichnet  war,  konnte  ihr  das  Prädicat  der  Achilleischen, 
dort  wo  Achilles  so  sehr  gefeyert  war,  um  so  weniger  entgehn, 
als  dieser  der  erste  der  Kenner  gewesen  war.  Aus  dem  Namen 
der  Achilleischen  Rennbahn  folgten  dann  verschiedene  Erklä- 
rungen, die  p.  27  angeführt  sind,  und  die  etwas  poetischere, 
welche  die  Iphigenia,  seine  Nachbarin  in  Taurien,  als  seine 
Atalanta  in  das  Spiel  zogen  und  dabey  auch  die  Dichtung  der 
Tragiker  benutzten,  dass  er  dieser  in  Aulis  von  Agamemnon 
zum  Gemahl  trügüch  bestimmt  worden  war.  Desshalb  ist  auch 
nicht  zu  vermuthen,  so  wie  wenigstens  kein  Grund  oder  Be- 
weis des  Gegentheils  vorhanden  zu  seyn  scheint,  dass  der  un- 
bewohnte Landstrich,  dem  allein  der  mythische  Name  Bedeu- 
tung gegeben  hat,  eben  so  wie  die  Inseln,  eigentlich  den  Cultus 
des  Achilles  angehe,  was  der -Verf.  annimmt  (p.  8.25).  Noch 
bemerkt  Rec.  zu  §  2  p.  Iß,  dass  nicht  Pindar  und  Euripides  als 
die  ersten  Zeugen  für  die  Insel  Lenke  gelten  können,  da  ja, 
wie  der  Vf.  zu  p.  30  Not.  237  selbst  anführt,  schon  nach  Arkti- 
nos  Thetis  dahin  die  Leiche  des  Achiileus  vom  Scheiterhaufen 
entführte.  Diess  deutet  aber  auf  Cultus  des  Achilles  auf  die- 
ser Insel  schon  zu  der  Zeit,  und  es  dürfte  dadurch  das,  was 
von  Istros  und  Olbia  angeführt  worden,  eine  Einschränkung 
erleiden. 

53.  Brunck  nennt  irrig  Alkman  statt  Alkäos.  Blom- 
fields  yäg  für  yaQ,  wodurch,  bey  veränderter  Verbindung, 
die  Anwendung  der  Stelle  in  den  Vögeln  leidet,  mit  seinem 
Dorischen  iJvO'ov  sind  sicher  falsch ,  und  die  Herstellung  des 
Hotibius,  welche  Herr  M.  vorzieht,  ist  allerdings  richtig. 
In  dem  oben  mitgetheiiten  Scholion  des  Cod.  Ravenn. :  oQvtdES 

TLVEg    ÖS    COKEaVCp   TK  ÖCC  TCTEQCC. 

61.  Sophron  b.  Demetrius  156:  sx  rov  ow^og  ydg  xov 
Xkovta  sygaxl-'BV.  Aristänet.  I,  4:  ax  räv  ovvyciv  xEV.\xa'iqo^Oii 
xov  "kkovxa, 

65.  Gefällig  ist  Gesners  Abtheilung '^pj^aAsov  mvia, 
xaxdv  a(5%EXOV.  Die  Göttinnen  ÜETLa  und 'j^fir^xavia,  sagen  die 
Andrier  den  Athenern,  seyen  bey  ihnen  zu  Hause.  Herod.  VIH, 
111.  Aehnliche  Schwesterpaare  stellt  Blomf.  Aeschyl.  Sept. 
343  zusammen.     Das  Sylbenmaass  ist  oben   bestimmt  worden. 

70.  Den  ersten  Vs.  stellt  Neue  Sapph.  p.  25  treffend  her: 
^  q'  ezL  zJsvvoixsvBL  xa  t'  'TqqcczjJco.  Diese  Form  besteht 
neben  dem  Aeolischen  'TggäÖLog  nach  der  allgemeinen  Analo- 
gie von  yllaxEtog^  Tlixxccxeiog  u.  s.  av.  Dadurch  fällt  die  Ver- 
muthung  p.  43  über  den  Deinomenes  weg.  Der  andre  Vs.  ge- 
hört, wie  Rec.  nach  den  Worten  und  nach  dem  Horaöoteleuton 
xccQ^EVa  ka^TtQO.  näar'  iv  ^VQöivrja  glauben  muss,  nicht  zu 
jenem,  sondern  giebt,  was  bey  Hephästion  auch  sonst  verkannt 
worden  ist ,   ein  zweytes  Beispiel  des  Verses  aus  einem  andern 


Alcnei  Mytilenaei  Rellqulac.    Edid.  Matthiae.  59 

Gedicht  ab.  Nach  den  blossen  Worten  w  KSXQrjtaL  (ilv  nccl 
'Ak^alog  iv  aöfiati,  ov  rj  ccqxt^  versieht  man  sich  zwar  eines 
doppelten  Beyspiels  nicht.  Aber  entweder  wurde  durch  Inter- 
punction  oder  Absatz  im  Schreiben  xal  ciXkaxov  oder  bloss  xal 
ergänzt,  wie  fr.  81 ,  oder  ist  die  Lesart  des  Flor,  av  äö^aöLV 
richtig,  und  ov  rj  ccQiri  zu  modiüciren.  Hieriiber  spricht  auch 
D'Orville  bey  Gaislord  p.  348.  Auf  Tyrakia  und  die  ganze 
Stelle  kommt  D'Orville  nochmals  in  den  Sicul.  p.  164  s.  nach- 
drücklich zu  reden.  B  entl  ey  schreibt  die  Verse  in  einem  der 
Briefe  p.  222  aus  Versehen  der  Sappho  zu. 

73  —  76.  Die  erste  Zeile,  ia  avta  rovr^  l'yav  övvoidcCf 
wird  der  Sappho  Avirklich,  und  zwar  in  derselben  Schrift  des 
ApoUonius  p.  324,  und  schon  in  den  E.vc.  Voss.  p.  421  zuge- 
schrieben, nur  in  veränderter  Wortstellung  (und  mit  der  Be- 
merkung: Alolslg  ßagsag-  sycav):  Ö'  Bfi'  avtcc  rovzo  övvoiöa, 
was  hinsichtlich  der  metrischen  Beliandlung  solcher  wegen 
grammatischer  Formen  citirter  Stellen  zu  bemerken  ist.  S. 
Sapphonis  fragm.  ed.  Neue  n.  60.  Denn  dass  diese  Worte  nur 
zufällig  übereinstimmten,  wie  die  Erklärer  zum  Gregorius  p. 
249  und  ausdrücklich  der  zu  fr.  81  angeführte  Rec.  Jen.  L.  Z. 
1810  N.  24  S.  1D3  angenommen,  ist  nicht  sehr  glaublich,  und 
die  Abtheilung  ccvEyycoöQt]  aavtco,  rour'  lyco  6vvoi.8a  falsch. 
Die  Redensart  gebraucht  auch  Aristophanes  Athen.  III  p.  llOc: 
oöa  Gvvoid'  ccma  xaxa.  In  der  dritten  Stelle  will  derselbe 
Reo.:  d  xov  otvov  savicß  nä^nav  uiQQU.  Besser  ist  dieEmen- 
dation  in  der  letzten,  nsdsxcov  für  ynrixav. 

81  b.  Den  Genitiv  otjca  te  %\q  öco  zieht  mit  Recht  auch 
Blorafield  in  den  Zusätzen  vor,  mit  Verwerfung  von  Bar- 
kers 3t8Q6co  im  Classic.  Journ.  XXIII,  308. 

85.  Meineke  Quaestiones  Menandreae  p.  44,  wo  auch 
einige  andre  Bemerkungen  zu  Stellen  des  Alkäos  vorkommen, 
möchte  schreiben: 

AYx^  e'tTcyg  %a  ^skeig,  dnov- 
öatg  tax'  ^^  '^^  ^^^  ov&EXoig. 
Oder  was  vorzuziehen  ist: 

jilx  aXTCfig  rcc&sXeig,  1^  %zv  ä'/iovöaig  ta  xsv  ov  &8Xoig. 

00.  Dass  Alkäos  öev  für  ovdlv  gebraucht  habe,  wie  die 
spätesten  Griechen,  glaubt  dem  Etymologen  Blorafield  in 
den  Zusätzen  nicht  mehr,  und  hat  Recht  darin.  Auch  Mehl- 
horn  Anthol.  lyr.  p.  101  verwarf  es.  Jener  schreibt  aaC  n' 
ovdsv  ovÖEvog  yivoiro.  Falsche  Lesarten  haben  nicht  selten 
die  Grammatiker  getäuscht. 

91.  'AQxalog  für  'AKTialog  verschrieben  findet  sicli  auch 
bey  dem  fr.  94  angef.  Schol.  Nicandr.  in  Schneiders  Cod.  G. 
Wegen  der  Eichelaahrung  der  Arkader  ist  zum  Artemidor  mit 


60  Griechische    Lltteratur. 

Recht  verwiesen  auf  das  Orakel  Herod.  I,  66  und  auf  Galen, 
de  aliraentorum  facultatibus  II,  38.  _ 

1}2.  Das  Sprichwort  nccliv  a  vg  TtaQOQivsi  gebraucht  Sim- 
plicius  Comment.  in  quat.  Aristot.  1.  de  coelo  Aid.  fol.  35  Bz 
'EtibI  de  Ttähv  vg  sygv^s  nata  tov  /zeAwöov  'Alaaiov,  nältv 
avccyKT]  ln\  %6v  yQa^aaxLy,ov  rovrov  7tQ0Kvi>ai,  og  xig  [lezä 
T^g  yQv^ecog  nal  naKorjd^Btav  tcoKIy^v  Iv  xolg  Qi'j^aaöLV  afKpaivsL. 
Uebrigens  ist  nuQOQivBiv  nicht  in  den  Wörterbiichern. 

94.  Das,  wie  es  hier  steht,  sinnlose  Scholion  des  Nikan- 
der  konnte  wohl  nicht  anders  heissen  als  so:  'AXy,al6g  q)7]6i,v 
Qv  zu  streichen)  rolg  TtEgl  'ylgxaiavanridrjv  aaza  (für  xßi)  tov 
TCQÖg  'Egv^QCiLOvg  (wie  Meineke  bereits  Quaest.  Seen.  II  p.55 
für  'EgvQ^Qalov  gesetzt  hat)  nöXspiov  g^avijvai  xov  'AitökXcova 
aad"'  vTtvovg,  iiovxa  ^vQixrjg  xXäva.  Einen  Krieg  der  Mity- 
lener  mit  den  Erythräern  können  wir  aus  diesen  Worten,  ob- 
gleich er  wahrscheinlich  ist,  nicht  mit  Sicherheit  entnehmen, 
da  die  Mitylenische  Kolonie  Sigeon  von  Archäanax  nach  Stra- 
bon  XIII  p.  599  gegründet ,  und  dort  also  der  Name  dieses  Ge- 
schlechts einheimisch  war,  die  Erythräer  aber  gegen  Sigeon 
für  sich  oder  auch  als  Dundesgenossen  der  Athener,  ihrer 
Stammverwandten,    gestritten  haben  könnten. 

99.  Müller  emendirt  im  Rhein.  Mus.  I,  4,  289  slg  xcov 
övoaciLÖtücov ,  wie  Ilesiodus  und  Kallimachus  XQf^novxa  und 
dexa  decliniren. 

117.  Statt  cüi  UoXvda^av  bey  Bekker  p.  1183  ra  EvQvda- 
fiav.     Einer  von  beyden  verwechselt. 

Inceita.  122.  Die  Worte  xakXixoQOV  %Q'ov6g  ovgiag  &ov- 
yatriQ  würden  wir  auf  keinen  Fall  dem  Alkäos  geben,  obgleich 
es  auch  Böckh  im  Corp.  I.  T.  I  p.  722  thut;  weil  ov  für  v  als 
Lesbischer  Aeolismus  nicht  bekannt  ist,  und  gerade  das  Wort 
^ovyäx'y^Q,  welches  in  diesem  Dialekt  eine  einzige  Ausnahme 
machen  würde,  scheint  zu  beweisen,  dassßentleys  Meynung 
nicht  richtig  gewesen  ist.  Da  hingegen  diess  ov  dem  Böoti- 
schen  vorzüglich  eigen  ist  und  zugleich  Ovgia  als  Böotisch  für 
die  Homerische  und  Hesiodische  T^tj^  feststeht,  wie  OvQUvg 
ixw'TQLBvg  (Creuzer.  Meletem.  P.  2  p.  17),  so  wie  auch  die  la- 
pygische  Stadt  'Tglr}  und  OvQia  geschrieben  wird  (Ilavercamp 
de  vet.  et  var.  litt.  ap.  Gr.  script.  et  usu  p.  215) ,  so  muss  Rec. 
noch  immer  lieber  Korinna  als  irgend  einen  andern  Dichter  ver- 
rauthen.  Denn  kein  andrer  wird  so  wie  sie  für  den  Böotischen 
Dialekt  angeführt,  und  sie  hat,  wie  wir  wissen,  von  den  Töch- 
tern des  Orion  aus  Uria  gesungen.  Die  Variante  der  Heidelb. 
Handschr.  BVQuag  ändert  nichts,  da  das  unbekannte  Wort  leicht 
in  ein  gemeines  Bey  wort  übergehn  konnte,  eine  Emendation, 
welche  zwar  immer  der  ganz  unglücklichen  von  Bentley  d 
'Pdu  vorzuziehen,  aber  doch  nicht  gut  ist,  da  die  Beywörter 


Alcaci  Mytilenaei  Rellquiae.  Edid.  Matthlac.  61 

xaUiXOQoe  und  bvqslcc  sich  nicht  allzuwohl  neben  einander  ver- 
tragen. Die  Schreibung  OvQia  haben  unterdessen  Boissona- 
de  Lyric.  Gr.  p.  23  und  0.  Müller  in  der  Encyklopädie  von 
Ersch  nnd  Gruber  Bd.  0  S.  2«0  angenommen. 

Dem  Alkäos  gehört  wahrscheinlicli ,  was  unter  den  Frag- 
menten der  Sappho  von  Neue  JN.  33  steht  und  auch  von  Gais- 
ford  Ilephaest.  p.  404  ihr  gegeben  wurde,  s.  diese  Jalirbb. 
Bd.  ß  S.  418  f.  Die  Verse  fr.  125,  die  Gaisford  dem  Alkäos 
zuschreibt,  hat  Neue  fr.  13(>  ebenfalls  der  Sappho  gegeben. 
Auf  die  fr.  72  unserer  Ausgabe  stehenden  Worte  des  Apollonius 
de  pronom.  p.  381  folgt:  tTtl  Öe  xrjs  övvuq&qov  naxtQCov 
ccfiacav  zal  BvzskBöteQcc  d^^8t£Q03v  axiav,  was  vermuthlich 
auch  von  Alkäos  ist. 

Unterlassen  hat  Hr.  Matthiä,  im  Druck  die  Worte  des 
Dichters  auszuzeichnen,  während  die  Stellen  andrer  Dichter 
gesperrt  gedruckt  sind,  und  ein  Register  zu  geben.  Im  Index 
scriptorum  treffen  viele  Nummern  der  Fragmente  nicht  mit  de- 
nen im  Buch  überein.  Auch  ist  p.  32  Dianae  Aricinae  zu  lesen 
für  Arianae. 

Ein  neues  Fragment  der  Sappho  befindet  sich  in  den  Scho- 
llen des  Cod.  ilav,  zu  den  Thesmophoriazusen  400,  wöt'  häv 
yk  Tig  TcXiKr}  yvvri  öri^pavov^  igav  doxsl,  wo  zwey  verschie- 
dene Noten:  NecorsQcov  aal  eganxciv  rd  6T£q)avi^'xXo%ELv^  und 
diese:  Ilgög  ro  s^og  ori  iöxBfpavriTiXoxovv  at  Tcakaial  (die 
Mädchen  alter  Zeiten.)  Zla%cpa  avraÖQCc  aiöticpavy^nkÖKOw, 
wo  cogäai^  Aeolisch  für  cSquIkl  (wie  wir  oben  fr.  54  'A&avau 
fanden)  und  vielleicht  2^o:;r(5Dto  avrt]  {Xiyci)  zu  lesen  ist,  oder 
auch  avral  dcogäat,   obgleich  diess  Wort  sonst  nicht  vorkommt. 

Die  zuerst  in  Glasgow  im  J.  1821  und  dann  in  der  Teub- 
nerschen  Ausgabe  des  Euripides  gedruckten  Schollen  zum  Rhe- 
sus aus  einer  Vaticanischen  Handschrift  haben  zu  Vs,  5  diese 
Notiz:  2Jt7]6 IxoQos  Ö£  Tial  2JL^covid7]s  7CBVTa(pvXaxov  (prj- 
elv  VTCOTLd^sö&ai  ri^v  vvKta,  und  zu  Vs,  895  eine  längere  aber 
sehr  zerstörte  neue  Stelle  von  Pindar. 

Bey  dieser  Gelegenheit  wollen  wir  auch  noch  ein  schönes 
lyrisches  Bruchstück,  welches  in  keiner  Sammlung  von  Frag- 
menten erwähnt  wird,  seinem  Verfasser  zustellen.  Lucian  sagt 
Pro  imagg.  19:  ^AXXd  näg  ETitjVSös  noirjtrjg  IvdonL^og  tov 
rXavxov  ^  ovo  8  IIoXv  d  £v  xsog  ßCav  qjrjöag  dv  atstva- 
6d^ ac  dv  avxcp  Ivavx Lag  xdg  ieIq  ag^  ov8s  öLÖd- 
Qsov  'AXic^dvag  rsxog',  'Ogäg  OTtoioig  avxov  %'i.oig  nxcc- 
öE;  ^dlkov  dh  aal  avxäv  exeIvcov  d^ibivco  dnicpyivE'  oiaX  ovts 
avxog  6  rXavxog  '^yavaKxrjöE  xolg  ecpogoig  xäv  d9k7]xc5v  &£oig 
dvxETtatvov^Evog  ovxe  ekeIvol  i^fivvavxo  t]  xov  rXav'Aov  rj  xov 
7C0Li]xi^v  cog  dösßovvxcc  TtEgl  xov  ETtULVOVj  dklcc  Evöoxi^ovv 
a^tpco  aal  txiixävxo  VTtö  xav  'EXXi^vav  6  (ilv  etiI  xjj  dXxy 
6  riavaog,    6  81  xoiTjxijg  inl  ta  rolg  dXKoig  aal  In    avza 


62  Römische    Litteratur. 

tovTco  [iccXiöra  tgj  aö^an.  Der  Dichter,  welchen  die  Reizi- 
sche  Ausg.  nicht  kennt,  war  nicht  Pindar,  wie  Lehmann 
in  der  seinigen  raeynt,  sondern  Simonides.  Denn  dieser  Iiatte 
ein  Epinikion  auf  den  Glaukos  geschrieben.  Quinctil  XI,  2,  14. 
Boeckh.  fragra.  Find,  p.  558.  Die  Zeit  des  Karystiers  Glaukos 
hestimmt  Siebeiis  zu  Pausanias  VI,  10,  1,  wo  er  dem  Pindar 
diess  Epinikion  irrig  beylegt.  Den  Ausdruck  'JXxfiijvag  xsnos 
(wie  Siegelindenkind)  gebraucht  auch  Pindar.  Bey  diesem  wi- 
dersteht Herakles  drey  Göttern  wirklich  Ol.  IX,  48,  wenn  gleich 
hier  tieferer  Sinn  urspriinglich  zu  Grund  liegt: 

Wie   hätte   dem 
Dreyzacke   die  Keul'    Herakles   entgegen    im    Kampfe   sonst   ge- 
schwungen, 
Als   bey  Pylos   gestellt  auf   ihn   einstürmte  Poseidon, 
Einstürmt'   auf  ilin   zugleich   mit   dem   Silberhogen   Apollon 
Streitend,   A'ides    seihst  den    Stab  nicht   Hess   unerhoben. 
Wo   er   zur  hohlen   Gasse  mit  treibt  hinfällige  Leiber, 
Todesheut'? 

Verse  des  Simonides  führt  ohne  den  Namen  auch  Plutai'ch  an 
fr.  8  der  Gaisfordischen  Ausgabe. 

F.   G.   Welcher. 


Römische    Litteratur. 


1)  C.  Sallusti  Crispi  Opera  Quae  Stipersimt.  Ad 
fidem  codd.  manu  scriptorum  recensuit,  cum  selectis  Cortii  notis 
suisque  commentariis  edidit  et  indicem  accuratura  adjecit  Fride- 
ricus  Kritzius ,  phil.  doctor,  in  Regio  Gymnasio  Erfurtensi  su- 
periorum  ordinum  praeceptor,  Societatis  Latinae  Jenensis  sodalls. 
Vol.  I.  Catilinam  continens.  Lipsiae ,  sumptibus  C.  H.  F.  Hart- 
manni  MDCCCXXVIII.    XXVI  u,  328  S.  in  8. 

2)  Dr.  Friedrich  Strass  Progr. :  Jahresbericht  über  das  Königliche 
Gymnasium  zu  Erfurt  etc.  Praeinittitur :  De  Caji  Salliistit 
Crispi  t r agmentis^  aCaroloDebrossio  in  ordi^ 
nem  digestis  rerinnque  gestarum  conlexta  nar~ 
r  atione  illustratis ,  Couiment  atio.  Scripsit  Kritzius, 
phil.  doct. ,  in  Regio  Gymnasio  Erfurtensi  sup.  ord.  praec.  etc.  Er- 
furt, 1829.  70  S.  in  4.,  von  S.  47  beginnen  die  Schulnachrichten. 
[Ohne  die  Schulnachrichten  ist  dieses  Progr.  bei  Fleischer  in  Leip- 
zig verkäuflich,  und  enthält  noch  S.  47  und  48  einen  Index  frag- 
mentorum  de  quibus  in  hoc  libello  dictum  est ,  desgleichen  ein  Dedi- 
cationsblatt  an  Carl  Pas^ow  und  Friedrich  Bellermann.  ] 


Sallustü  Opera.     Edid.  Kritzius.  63 

I)  v^ollen  wir  diese  neue,  mit  lobenswerthemFleisse  verfasste, 
Ausgabe  desSallust  nach  ihrer  wissenschaftlichen  Tendenz  kurz 
bezeichnen,  so  diirfte  sie  eine  grammatische  zu  nennen  seyn. 
Hr.  Kritz  wollte  keinesweges  für  Gelehrte  schreiben,  wie  er 
in  der  Praefatio  p.  IX  selbst  gesteht,  sondern  für  solche,  die 
erst  tiefer  in  den  Geist  der  rom.  Sprache  und  Literatur  eindrin- 
gen wollen,  mithin  i'iir  studirende  Jünglinge,  denen  diese  Aus- 
gabe ein  Wegweiser  bei  ihrer  PrivatlectVire  seyn  soll.  Von  die- 
sem Gesichtspuncte  ausgehend  nahm  er  Manches  auf,  was  Vie- 
len unnütz  oder  zu  weitläufig  scheinen  mag.  Ueber  die  Grund- 
sätze einer  solchen  Ausgabe  spricht  sich  der  Ilerausg.  in  der 
Vorrede  genügend  aus,  so  wie  über  das  Verhältniss  dieser  zu 
den  von  Ger  lach  u.  Herzog  verfassten.  Beide  werden  nach 
Verdienst  gewürdigt,  da  jede  ibre  besondern  Vorzüge  hat  und 
jede  eine  andre  Tendenz  verfolgt,  und  wir  sind  überzeugt,  dass 
diese  neue  Ausg.  durch  jene  keineswegs  überflüssig  geworden, 
gondern  eine  wesentliche  Ergänzung  beider  ist.  Das  Urtheil 
über  Corte's  allzukühne,  amputatorische  Kritik  unterschrei- 
ben wir  ganz,  so  wie  wir  nicht  weniger  über  die  beim  Sallust 
zu  befolgende  Rechtschreibung  einverstanden  sind,  ja  in  der 
Hauptansicht  ganz  übereinstimmen.  Man  vergl.  unsre  desfall- 
sigen  ßeraerkungen  in  Seebode's  krit.  Biblioth.  1828  Nr.  15  und 
Forbiger's  praefatio  ad  Lucret.  p,  X  —  XXllI.  Was  die  Gestal- 
tnng  des  Textes  in  dieser  Ausgabe  betriff't,  so  hat  für  selbige 
der  Herausg.  zwar  keine  neuen  llülfsmittel  benutzt,  aber  doch 
die  vorhandnen  mit  Einsicht  und  im  Ganzen  mit  tüchtiger  gram- 
matischer Beweisführung  anzuwenden  gesucht;  und  der  Text 
näliert  sich  im  Allgemeinen  dem  Gerl ach'sch en  in  dem 
Grade,  als  er  sich  von  dem  Corte'schen  entfernt.  Erst 
beim  Druck  des  letzten  Bogens  erliielt  der  Ilerausg.  durch  die 
Humanität  des  Hrn.  Ober-llegierungsr.  Johannes  Schulze 
zwei  schätzbare  Collationen  einer  Dresdner  und  einer  Meisner 
Handschrift,  deren  Lesarten  in  einem  dritten  Bändchen,  wel- 
ches den  gesaniraten,  bisher  bekannt  gewordnen,  kritischen 
Apparat  in  leicht  überschaulicher  Uebersicht  aufstellen  wird, 
zur  Kunde  des  Publicums  gelangen  sollen.  Da  das  Aufsuchen 
der  Varianten  in  den  Ausgaben  Corte's,  Havercamp's  und 
Gerlach's  äusserst  mühsam  ist,  so  darf  Ref.  im  Voraus  dem 
Herausg.  den  Dank  aller  für  dieses  Fach  sich  interessirenden 
Gelehrten  versprechen,  wenn  er  nach  Besorgung  des  zweiten, 
den  lugurtha  und  die  Fragmente  enthaltenden  Bändchens,  sich 
dieser  Mühe  unterzieht  und  solchergestalt  einen  Anhang  zu  al- 
len vorhandnen  Ausgaben  des  Sali,  liefert.  Wir  machen  zu  dem 
Ende  noch  auf  eine  Nachricht  über  eine  Görlitzer  und  eine  Wit- 
tenberger Handschrift  aufmerksam,  welche  Rector  Anton  in 
der  Leipz.  L.  Z.  1820  St.  258  S.  2057  gegeben  hat.     Noch  ver- 


64  Römische    Litteratur. 

breitet  sich  der  Herausg.  in  der  lesenswerthen  Vorrede  über 
die  Epistolas  ad  C.  CaGsare?n  de  republica  ordinafnla,  welche 
er  für  das  Werk  eines  nachahmenden  Rhetors  hält;  dabei  wird 
mit  Recht  Gerlach's  Unsicherheit  gerügt,  der  dieselben  Vol. 
I  p.  X  und  in  der  Vorrede  zur  kleinem  Ausgabe  dem  Sallust  zu 
vindiciren  schien  und  hinwiederum  ibm  (Vol.  II  P.  I  p.  14  IF.) 
aus  triftigen  Gründen  abspricht.  Ilinsiclitlich  der  Namens- 
schreibung entscheidet  sich  der  Herausgeber  aus  zureichenden 
Gründen  für  Salhtstius ,  wobei  er  reclit  gut  die  Länge  der  An- 
tepenuitima  aus  Horat.  Od.  2,  2,  3  u.  Sat.  1,  2,  48  S^S^n  Her- 
zog darthut.  Vgl.  auch  Visconti  Iconogr.  Romaine  T.  I  P.  2 
p.  371 ,  wo  das  einfache  l  (Tab.  XI  Nr.  3  und  4)  von  Visconti 
zwar  bemerkt,  aber  das  doppelte  der  wahren  Rechtsclireibung 
einer  bessern  Zeit  zugewiesen  wird.  —  Wenn  wir  die  vorlie- 
gende Ausgabe  eine  grammatische  nannten,  so  soll  damit  nicht 
so  viel  gesagt  werden,  als  helfe  sie  dem  ersten  besten  Bedürf- 
nisse dieser  Art  in  Bezug  auf  Anfänger  ab;  sondern  wir  woll- 
ten durch  jenen  Ausdruck  ihr  Streben  in  rein  wissenschaftlicher 
Hinsicht  bemerklich  machen.  Aus  dem  Bereich  der  höherii 
sowohl  als  der  niedern  Grammatik  ist  Manches  zur  Sprache  ge- 
braclit  worden,  worauf  der  Grammatiker  ex  professo  zu  achten 
und  woraus  er  aucli  wohl  zu  lernen  hat.  Einiges  dieser  Art 
wird  weiter  unten  angedeutet  werden.  Selbst  die  Kritik  steht 
in  gewisser  Hinsicht  im  Dienste  des  grammatischen  Elementes. 
Wir  wollen  des  Herausg.  eigenste  Worte  herausheben:  „Varias 
scripturas  non  attulimus  omnes ,  neque  opus  erat,  nisi  ubi  vel 
editorura  incuria  vera  lectio  obscurata  esset,  vel  omnino  quo- 
modo  scribendum  esset  valde  incertum  videretur.  Interdum  ta- 
nien  etiam  leviores  scripturae  varietates  laudavimns,  qiioe  ali- 
quam  de  rebus  giamviaticis  dissereiidi  copiam  prciebereid^  id 
liaud  inutile  iis  fore  rati,  qui  quovis  modo  ad  accuratiorera 
grammaticae  Cognitionen!  excitaudi  et  adducendi  sunt,  quippe 
a  qua  vel  maxirae  veteres  recte  intelligendi  interpretandique  ra- 
tio pendeat.  Incredibile  est  autem,  quantopere  isto  nomine  a 
Sallustii  editoribus,  si  ab  uno  Herzogio  discesseris,  peccatura 
sit.  Qui  si  saepius  a  me  notati  fuerunt'  (was  besonders  Lange 
und  Müller  widerfahren  ist),  „profectonon  eo  factum  est, 
quo  eorum  laudibus  meritisve  detraherem ,  sed  quia  res  ipsa 
flagitare  videbatur,  ut  quae  verae  interpretationi  obessent ,  non 
amplius  intempestiva  indulgentia  tolerarentur,  sed  ut  falsa  et 
perversa  exploderentur. "  So  wie  wir  einer  Seits  dieses  Ver- 
fahren nur  billigen  können,  so  scheint  andrer  Seits  dieses  gram- 
matische Princip  den  Herausg.  zu  manchen  Fehltritten  verleitet 
zu  haben,  da  nämlich,  wo  es  darauf  ankam,  gegen  die  Anfor- 
derungen der  gewöhnlichen  Grammatik  sich  auf  einen  freiem 
Standpunct  des  Sallustianischen  Sprachgebrauchs  zu  erheben. 
Wenigstens  erklären  wir  uns  aas  diesem  Umstände  des  Heraus- 


Salliistu  Opera.     Edid.   Kritzlus.  65 

gebers  Verfahreh,  hier  und  daConjecturen  in  den  Text  zu  stel- 
len, was,  je  misslicher  es  überhaupt  ist,  einem  Schriftsteller, 
wie  Sallust,  selten  erspriesslich  seyn,  ja  nur  Eintrag  thun  kann. 
Die  Vergangenheit  hat  uns  zur  Genüge  gelehrt,  dass  eine  ein- 
seitige, wenn  auch  noch  so  elegante,  Grammatik  vielen  Schrift- 
stellern eine  regelrechte  Norm  gegen  das  Zeugniss  mehrerer 
Handschriften  aufgedrückt  liat,  von  welcher  sie  erst  die  neuere 
Zeit  wieder  losringen  konnte,  die  tiefer  in  die  Sprachgesetze 
eindringend  das  wieder  zu  Gnaden  brachte,  was  die  frühere 
Zeit  als  fehlerhaft  verworfen  hatte.  Wir  erinnern  nur  an  Er- 
nesti  und  seinen  Cicero.  Wenn  heut  zu  Tage  nach  II er- 
mann's  Vorgange  ein  höheres  Freiheitsprincip  in  der  griechi- 
schen Sprache  und  deren  Grammatik  geltend  gemacht  worden 
ist,  warum  soll,  unter  ähnlichen  Verhältnissen,  die  lateinische 
zurückstehen*?  Rec.  lebt  der  Ueberzeugung,  dass  man  nach  und 
nach  die  hier  und  da  vorkommenden  Sprachanomalien  nicht 
mehr  mir  nichts  dir  nichts  verwerfen,  sondern  dieselben  von 
einem  freiem  Standptincte  aus  auf  ein  liöheres  Gesetz,  als  das 
zur  Zeit  noch  geltende,  zurückführen  und  so  die  von  der  Gram- 
matik gesetzten  engen  Schranken  erweitern  wird,  ohne  dabei 
in  den  bodenlosen  Abgrund  regelloser  Willkühr  zu  fallen,  noch 
auch  der  Bequemlichkeit  einer  Sprachindolenz  sich  hinzugeben, 
der  Alles,  wie  es  vorkommt,  mundrecht  ist.  Mit  dieser  An- 
sicht wollen  wir  jedoch  keinesweges  für  die  Dummheit  der  gu- 
ten Abschreiber  einen  Deckmantel  der  christlichen  Liebe  su- 
chen, und  systematisch  gut  machen,  was  sie  gedankenlos 
schlimm  gemacht  liaben,  sondern  nur  zu  weiser  Behutsamkeit 
die  nie  Jemanden  gereuet  hat,  wohlmeinend  rathen.  Wir  he- 
bea  jetzt  einige  Stellen  aus,  die  uns  zu  dieser  Bemerkung  veran- 
lassten. 

Cat.  T,  4:  Jatn  primmn  Juventus^  simnlac  belli  patiens 
erat^  in  castris  per  laboris  us 71711  ?mliiiarn  discebat.  So 
schreibt  derHerausg.  mit  einig.  MSS.  u.  Vegetius  1,  4,  der  diese 
Stelle  citirt,  wo  aber  die  MSS.  noch  andre  Lesarten  bieten.  So 
auch  die  Edit.  pr.  Paris  1470  u.  einige  neuere.  Die  meisten 
Handschr.  geben  j^er  laborem  iisu,  ^.ndre  per  laborein  et  usuni 
und  per  laborem  usum;  Ven.  ],  4,  Barb.  3,  Flor.  17:  per  la- 
borem et  usu.  Aus  letztrer  Lesung  sind  unstreitig  alle  Varian- 
ten entstanden;  sie  ist  nicht  nur  die  schwerere,  sondern  auch 
die  dem  Constructionswechsel  des  S.  entsprechende;  z.  E.  Jug. 
7^  1:  neque  pervim^  neque  insidiis  opprtmi  posse  homi- 
nem;  auch  hier  suchen  Handschriften  alles  regelrecht  zu  ma- 
chen durch  ihr  eingeschwärztes  per  insidzas;  eben  so  Jug. 
23,  1:  per  vim  aut  dolis  tentare.  Vgl.  ebendas.  22,  2: 
ob  easdem  artes  — ,  non  penuria  über or um  in  regnum 
adoptatum.  Liv.  29,  19,  4:  Plus  prope  per  seditionem 
militwn,  quam  belle  amissiim.     Ebend.  5, 1,  7:    Fatalis  diix 

Jahrb.  f.  Fhil.  u .  Pädag.  Jahrg.  V.  Heft.  1 .  5 


68  Rumische  LItteratur. 

ad  excidium  illius  urhis  servandaeque  patriae.  Mehrere 
Beispiele  dieser  Art  und  Nach  weisungen  giebtRec.  in  Seebode's 
Archiv  1825,  II  p.  374,  denen  noch  beizufügen  Hess  zu  Tacit. 
Germ.  15,  1  und  dessen  Yariae  lectt.  et  obss.  in  Taciti  Germ. 
I  p.  20,  Theod.  Schraid  in  Schulz.  1829,  II  Nr.  8f>  p.  289, 
nebst  Poppo's  Thucyd.  Vol.  I  p.  375.  Die  Absicht  solcher  Con- 
structionsabwechslung  liegt  am  Tage.  DieSchrii'tsteller  wollen 
durch  dieselbe  zwei  gegebne  Vorstellungen  dem  Auffassungs- 
vermögen der  Leser  abgesondert  und  daher  in  nicht  zu  überse- 
hender Wichtigkeit  darlegen,  was  sie  sonst  auch  durch  Wie- 
derholung der  Präpositionen,  oder  durch  ein  doppeltes  et  und 
dergl.  zu  bewirken  suchen.  Uebrigens  stimmen  wir  Ger- 
lach's  Meinung,  dass  S,  die  Schlaffheit  seiner  Zeitgenossen 
dadurch  habe  persifliren  wollen,  vollkommen  bei,  ob  wohl  auch 
er  durch  die  recipirte  Lesung  per  laborein  usu  das  Wahre  ver- 
fehlt hat.  Die  Sache  selbst  erhält  durch  Jug.  85,  12  u.  13  das 
erwünschteste  Licht.  Noch  bemerken  wir,  dass  auch  ein  Trier'- 
scher  Codex  die  Gerlach'sche  Lesung  giebt,  die  mit  jenem 
Herausg.  Birnbaum  im  Cöllner  Schulprogr.  1824  p.  IV  in. 
Schutz  nimmt.  Rec.  möchte  auch  vermuthen,  dass  bei  simulac 
belli patiens  erat  2  Wolter  ausgefallen  seyen,  wenn  er  die  Va-, 
rianten  zum  Diojuedes  kennte,  der  p.  430  ed.  Putsch,  diese 
Worte  citirt ;  denn  unmöglich  kann  der  Ausdruck  belli  die  ver- 
schiednen  Lesarten  in  den  MSS.  des  S.  veranlasst  haben.  Wenn 
Hr.  Kritz  im  vorliegendenFalle  mit  denübrigenHerausgebern 
des  S.,  von  denen  keiner,  so  weit  wir  dieselben  kennen,  die 
von  uns  gebilligte  Lesung  giebt,  an  dem  schnellen  Constru- 
ctionswechsel  Anstoss  genommen  zu  haben  scheint:  so  sehen 
wir  ihn  in  einem  ähnlichen  Irrthume  Cat.  59,  2  befangen.  Nam 
uti  planities  erat  int  er  sinistros  in  o  litis  et  ab  destra 
riipis  aspera  octo  cohortis  in  fronte  constituit.  Hier  giebt 
der  Herausg.  aus  blosser  Conjectur  riipis  asp.  mit  der  Zweibr. 
Ausgabe,  verweisend  auf  Fragm.  Historr.  H,  No.  12:  inter 
laeva  moenium  et  dextrum  flumen  Turiam,  und  mehrere 
andre  St.,  die  diesen  Gebrauch,  gleich  rupein  asperain,  satt- 
sam erhärten.  Wäre  diess  die  ursprüngliche  Lesart ,  so  ist  in 
der  That  nicht  abzusehen,  warum  die  meisten  und  besten 
Codd.  bei  Haver  camp,  Ger  lach  und  Pottier  rupe  aspera 
geben,  da  man  eher  rupes  asp.  zu  erwarten  hätte,  was  nur  äus- 
serst wenige,  bei  Pottier  gar  keiner,  bieten.  Zwar  sagt  der^ 
Herausg.,  dass  inter  zwei  Accusative  verbundner  Sätze  erfor- 
dere. Wohl  wahr;  aber  wird  nicht  durch  den  Plural  montes 
die  Verbindung  zweier  Subjecte  gleichsam  täuschend  herbeige- 
führt, wie  wir  sagen  Its  est  inter  nos  statt  inter  te  et  ine? 
Ausserdem  trat,  nach  Sallustius  lebhafter,  scharf  trennender 
Darstellung,  der  Wechsel  der  Construction  ein  et  ab  destra 
rupe  aspera,  welches  gesagt  ist  wie  dextra  vox^  ut  videbatur^ 


Sallustli  Opera.     Editl.  Krltzius.  GH 

aures  verherat,  Plaut.  Amph.  1,  1,  176.  Noch  andre  Stellen 
giebtWasse.  Zudem  scheint  der  Schriftsteller  durch  ab  dextra 
r.  a.  das  Auslaufen  der  Ebne ,  oder  die  Ausdehnung  derselben 
von  der  rechten  Seile  her  genau  zu  bezeichnen  die  Absicht 
gehabt  zu  haben.  Gerlach  hat  wohl  ganz  richtig  gesehen, 
wenn  er  den  Satz  so  fasst :  in  isla  planitie  sinistra  montes^ 
dextra  rupes  aspera  erat.  So  wie  hier  das  inter  nur  ein 
Subject  anomalisch  zu  verbinden  scheint,  eben  so  anomalisch 
steht  es  anderwärts  zwischen  zwei  Subjecten  doppelt,  wie 
Horat.  Sat.  1,  7,  11  und  Epist.  1,  2,  12,  wo  Bentiey  in  unnö- 
thige  Conjecturen  verfiel.  Vgl.  unsre  Monographie  der  genann- 
ten Epistel  S.  20  und   Hoff  mann  in  diesen  Jahrbb.  1828,11, 

1  S.  49.  —  Nicht  viel  besser  als  eine  Conjectur  ist  das  Cat.  10, 

2  aufgenommene  ß//«s,  welches  nur  der,  sonst  gute,  Cod.Guelf. 
5  bei  Corte  pro  varia  lectione  aufweiset.  Wer  die  Stelle  im 
Zusammenhange  erwäget:  Qni  labores^  pericnla^  dubias  atque 
asperas  res  facile  toleraverant ,  his  otititn^  divitiae  ^  optandae 
aliis,  oneri  rniseriaeque  fuere .,  wird  leicht  eine  Vergleichung 
gewahren,  die  durch  einen  verschwiegenen  Gegensatz  nur  leise 
angedeutet  wird.  Der  llerausg.  ruft  hier  (ohne  Grund)  ver- 
wundernd aus :  Cur  enim  non  his  ipsis,  qid  pericvla  et  du- 
bias res  facile  toleraverant^  otiiim  et  diviiiae  optandae  simt? 
Mt  si  non  sunt,  quinam  sunt  hi  alii?  Nuni  Romani^  an 
quivis  alii?  Num  7neliores^  an  pejores  Romanis?  Difßcidta- 
iem  sensit  etiam  Müllerus  ^  haec  annotans:  ,^inteUigit  niulti- 
tiidinem;  differt  enim  quod  bonis  optaiidian  est^'"'-  Jug.  61,  1. 
Sed  nihil  his  proficimus ;  manet  enim  indefinit a  et  vaga  ver- 
bi  notio ,  quo  fit ,  ut  non  certa  oppositio  exsistat ,  quam  au- 
ctorem  voluisse  liquet.  An  den  grosse?i  Haufen  zu  denken 
verbi^et  Sinn  und  Zusammenhang,  da  S.  dieses  will:  „Ruhe 
und  Reichthüraer,  andern  Völkern  ein  frommer  Wunsch  zur 
Erreichung  eines  ungestörten  Gli'icks ,  waren  ihnen  eine  uner- 
trägliche Last  und  eine  Quelle  des  Unglücks."  Ueber  diese 
elliptische  Structur  vgl.  man  Hess  zu  Tacit.  Germ.  5,  5  und 
dessen  Var.  Lectt.  et  Obss.  in  Tac.  Germ.  I  p.  11,  Rarash.  Gr. 
S.  310,  nebst  Jacob's  Bemerkung  zu  unsrer  St.  in  der  Schulz. 
1828  No.  137. 

Nicht  mehr  annehmbar  scheint  uns  die  schon  von  Corte 
vorgebrachte  Conjectur  per  ignava  Cat.  20,2,  wo  alle  MSS. 
neque  ego  per  ignaviam  aut  vana  ingenia  incerta  pro  cer~ 
tis  captarem  lesen.  Wenn  der  Herausg.  dieselbe  aufnehmen 
zu  müssen  glaubte,  weil  hier  das  Abstractum  für  das  Concre- 
tum  nicht  stehen  könne,  da  ja  per  ignaviam  einen  adverbialen 
Satz  bilde,  wie  immer;  z.B.  in  den  Ausdrücken:  emori  per 
virlutem  praestat  u.  ähnlichen :  so  müssen  wir  diesen  Grund 
für  unzulänglich  ei'klären.  Der  Zusatz  aut  vana  ingenia  zeigt 
hinlänglich,  wie  das  per  igtiaviam  zu  nehmen  sey,  nämlich  für: 

5* 


68  Römische    Litteratur. 

per  ignavos  homines,  und  nicht  für:  ignave  captarem.  Vgl. 
Fragni.  VI  p.  1005  ed.  Cort.,  p.  130  ed.  Haverc. :  Multaqiie 
tum  ductii  ejus  curata^  piimo  per  ignobilitatem^  deinde 
per  tfivi dia?n  scr ip tor u m  celebrata  swit.  —  —  XXXIX, 
2:  Hi  magistratus,  provincias  aliaque  omnia  teuere;  ipsi 
innoxii^  florentes,  sine  7uetii  aetatem  agere^  ceteros  judiciis 
terrere^  qni  plebem  in  viagistratii  placidius  tractarent.  Diese 
'Conjectur  qni  statt  der  Lesung  aller  codd.  quo  beseitigt  alle 
Schwierigkeiten  der  Erklärung  am  glücklichsten,  und  doch 
müssen  wir  gestehen,  dass  dieselbe  durch  keine  unbedingte 
Notliwendigkeit  erheischt  werde.  Gut  ist,  was  der  Ilerausg. 
gegen  Corte,  Gerlacli,  Da  hl  und  Herzog  erinnert.  Der 
Sinn  sey  demnach:  „Pauci  illi  potentes,  ut  ipsi  suramara  rerum 
firmiter  retinerent,  nolebant  alios  apud  plebem  aliquid  posse, 
eoque  ceteros  patricios,  qni  plebis  gratiam,  placidius  tractaiuio, 
quaerere  viderentur,  judiciis  vexabant,  eosque  a  studio  plebis 
sibi  conciliandae  detcrrere  conabantur."  Da  aber  unter  ceteros 
nicht  alle  gemeint  seyn  können,  sondern  nur  diejenigen  Patri- 
zier oder  obrigkeitlichen  Personen,  welche  in  ibrer  3Iagistra- 
tur  ein  solches  gelindes  Verfahren  gegen  das  Volk  zeigten,  so 
würde  die  Bestimmtheit  des  Gedankens  den  Indicativ  tracta- 
haut  verlangen.  Unstreitig  wollte  S.  die  Kunstgriffe  der  mäch- 
tigen Aristokraten  (/^ße/co/"?//«  potentia  crevil)  schildern,  durch 
welche  sich  dieselben  auf  ihrer  erklommenen  furchtbaren  Höhe 
zu  sichern  suchten.  Es  liegt  in  der  Natur  tyrannischer  Gewal- 
ten, dem  geraeinen  Volkshaufen  auf  eine  Zeitlang  zu  schmei- 
cheln, um  so  mit  grösserer  Sicherheit  ihm  alle  zukommenden 
Volksrechte  zu  entreissen.  Die  furchtbare  Hand  solcher  Em- 
porkömmlinge trifft  nun  zunächst  die  neben  ihnen  stehenden, 
aber  an  Macht  Geringern  {^ceteros  judiciis  terrere)  ,  wodurch 
diese  eingeschüchtert  werden  sollen,  mit  strenger  Gerechtigkeits- 
liebe zu  Froramen  des  allgemeinen  Bessten  das  Volk  zu  regie- 
ren. Das  Volk  selbst,  so  lange  es  in  solcher  Täuschung  lebt, 
preiset  die  Milde  der  segnenden  Hand  von  oben,  und  so  sieht 
der  Tyrann  seinen  Zweck  erreicht.  Ist  diess  der  Ideengang, 
welcher  durch  das  vorhergehende  Capitel  bestätigt  zu  werden 
scheint,  so  dürfte  das  quo^  welches  sich  auf  ceteros  bezieht, 
nicht  so  ganz  unsicher  stehen.  Nur  darf  nicht  ausser  Acht  ge- 
lassen werden,  dass  Sallust  wegen  seiner  Gedankenkürze  und 
seiner  raschen  Gedrängtbeit  häufig  Zwischenglieder  übergeht, 
und  so  in  grössern  Umrissen  zeichnet,  wozu  die  einzelnen  Par- 
tieen  sich  von  selbst  ergeben.  Der  französische  Uebersetzer 
Beauzee  hat  nach  unserm  Dafürhalten  die  Stelle  richtig  also 
gefasst:  „inattaquables  eux-memes,  ils  vivoient  dans  l'eclat, 
Sans  la  moindre  inquietude;  ils  eifrayoient  seulement  les  autres 
raagistrats  par  la  rigueur  de  leurs  jugements,  afin  de  les  forcer 
ä  teuir  pendant  leur  magistrature  uue  couduite  plus  paisible 


Sallustii  Opera.      Edid.  Kritzius.  CD 

envers  le  penple." Noch  gedenken  wir  einer  der  scliwie- 

rigsten  Steilen,  wo  Hr.  Kr.  abermals  eine  Conjectur  Corte's 
in  den  Text  auCgenommen  liat,  Llil,  5:  Sed  postqua7n  luxii  al- 
que  desidia  cicitas  corrupla  est,  rw'stis  magnüudirie  sua  im- 
peratorum  atqiie  jnagistialmim  vilia  sustentaöat^  ac  sicuti 
effetae  parentiun^  timltis  tempeslalibus  hatid  sane  quisquam 
Romae  viilute  magims  fuit.  Auch  diese  Lesung  effetae  für 
effeta  wird  von  einer  Art  Schweri'älligkeit  gedrückt,  so  geschickt 
sie  auch  derllerausg.  zu  rechtfertigen  sucht;  daher Rec.  es  für 
gerathener  hält,  der  Auctorität  der  Handschriften  den  Vorzug 
zugeben,  und  zur  würdigern  Erklärung  des  effeta  ■parentum 
die  Sprachanalogie  in  Anspruch  zu  nehmen.  Der  Herausg.  lässt 
sich  darüber  also  vernehmen:  „Quum  auctor  enira  dicere  de- 
buisset:  «c,  sicuti  effetae  nulla  proles  est,  ita  haud  sa?ie 
quisquam  Romae  viitiite  magniis  fnit^  sive  nimio  brevitatis 
studio,  sive,  quod  verius,  negligentia  quadam  prioris  membri 
eampartera,  in  qua  comparationis  car-do  versatur,  omisit,  quo 
fit ,  ut  posterius  membrum  ad  prius  relatum  non  bene  cum  eo 
coire  videatur;  sed  si  tenueris ,  utrumque  habere  communem 
generalem  sententiam  facultatis  gignendi  imminutae  atque 
amissae^  non  est  quod  in  nexu  liaereas.  Neque  obstat,  quod 
effetae  genit.  quem  dicunt  subjectivus  est,  Romae  loci  raagis 
potestatem  habet;  locus  enim,  ubi  aiiquid  fit,  quodammodo 
etiam  eins  rei  caussa  et  origo  est.  Ceterum  effetae  parentum^ 
id  quod  Cortius  jam  monuit,  dictum  est  pro  effetae  pareiitis^'- 
etc.  Wir  fügen  zu  i^Qw  vom  Herausg.  angeführten  Erklärungs- 
versuchen die  sonderbare  Conjectur  Pottier's:  «c,  sicuti  ef- 
feta parens  tum^  multis  etc.  und  die  Interpretation  des  gelehr- 
ten Holländers  Auto  n  de  Rooy  inSpicil.  crit.  (Dordracil771) 
p.  15r  „sie  elf.  parentum,  m.  t.  etc.  effeta  talium  vironem^ 
qui  virtute  sua  patentes^  h.  e.  majores ,  adaequarant.  Effeta 
parentum ,  constructione  graeca.  vid.  Vechn.  Ileüenol.  L.  I  P. 
H  c.  18.  multis  tempestatibuSj  h.  e.  multis  teraporibus ,  longa 
annorum  serie:  sie  infracap.  73:  Post  nmltas  tempestates  no- 
vo horaiui'-'-  etc.  Hierbei  können  wir  die  Bemerkung  nicht  un- 
terlassen, dass,  so  unzuverlässig  auch  Pottier  als  Kritiker 
ist,  der  Herausg.  doch  von  dessen  Collation  der  Pariser  Hand- 
schriften Gebrauch  gemacht,  dessgleichen  dass  er  auf  die  Be- 
merkungen über  einzelne  Stellen  des  S. ,  die  sich  hier  und  da 
zerstreut  finden,  mehr  Rücksicht  genommen  haben  möchte. 
Auch  in  Birnbaums  obeng.  Progr,  de  locis  aliquot  Sallu- 
stianis  sind  viel  gute,  obwohl  nur  gelegentlich  geraachte,  Be- 
merkungen enthalten.  Ausserdem  dürfte  die  Bezugnahme  auf 
Sallustius  Vorbild,  denThucydides,  hier  am  rechten  Orte  seyii, 
wozu,  hinsichtlich  des  Sprachgebrauchs,  die  Abhandlung  in 
Poppo's  Thucydides  Vol.  1  p.  372  —  381  beachtenswerthe 
Fingerzeige  enthält.     Nachdem  Rec.  einige  der  wichtigsten  kri- 


70  Römische   Litterat nr. 

tisclien  Stellen,  in  denen  sich  der  Herausg,  einem  allzuraschen 
Verbesserungssinne  überlassen,  herausgehoben  hat,  beleuchtet 
er  jetzt  des  Herausg.  Verfahren  mehr  in  exegetischer  und  gram- 
matischer Flinsicht,    wobei  jedoch   die  kritische  Behandlungs- 
weise  nicht  ausgeschlossen  werden  kann.     Cap.  I,  1.     Wegen 
des  Gebrauchs  und  der  Stellung  des  Personalpronomens  nach 
den  Wörtern  cuper e^  velle,  studere  u.  a.  —   qui  sese  student 
yraestare  veteris  animalibus  streitet  der  Verf.   gegen  F rot- 
scher, Bei  er,  Görenz,  Dahl  U.A.,   indem  er  den  Grund- 
satz aufstellt :  „legitima  est  euim  Latinis  verborura  collocandorum 
rsrtio,  ut  pronomen,   si  non  singularem  quandam  vim  habet,  non 
In  principio  enunciationis  ponant,  sed  mediae  oratioui  commodo 
loco  inserant,"   verweisend  auf  Cic.  pr.  Sext.  c.  45;  de  Fin.  2, 
15,48;   Nep.  Eum.  8,  2,    und  Sallust.  Cat.  5«,  4;  58, 18;   Jug. 
14,2;  und  weiter  unten  heisst  es:  Oraniuo  autem  pronomen  in 
Omnibus  locis,  qui  nostri  similes  sunt,    nonnisi  vel  perspicuita- 
tis  caussa^  vel  ut  oratio  letiius  suaviusque  flueret  positum  vi- 
detur.'-''     Der  bessern  Ordnung  wegen   hätte  der  Herausg.  fol- 
gende Punkte  nach  einander  durchnehmen  sollen:   ])  Angabe 
des  Gebrauchs  jener  Personalpronomina  nach  obigen  Verbis  bei 
gleichbleibendem  Subjecte,    und  Feststellung  des  Unterschieds 
zwischen  den  Constructionen :    animi  magnitudo  principem  se 
esse  viavult  oder  a.  m.  princeps  esse  7navult;  2) Erörterung 
des  Falls,    wenn  das  Pronomen  vor  das  verbum  ßnüum ^    wie 
hier:   sese  siudeiit  praestare ,    und  3)  wenn  es  vor  das  verb. 
inf.  gestellt,  wie  Cic.  Off.  2,120,  70:  ille  —  gratum  se  videri  stu- 
det^  oder  irgend  einem  andern  Satzgliede  angereiht  werde.   — 
Hinsichtlich  des  In  Punctes  scheint  der  Gebrauch  des  Perso- 
nalpr.    allerdings    einen   grössern   Nachdruck    einzuschliessen, 
sey  es,  um  das  Subject  vor  andern  hervorzuheben,  wie  Frot- 
scher  behauptet  (Obss.  in  Var.  Loc.  Vet.  Latin.  I  p.  ö)  oder 
den  Gegenstand  mehr  vom  wollenden  Subjecte  zu  unterscheiden 
und  dadurch  nachdrücklicher  zu  machen.     Wenn  daher  Cicero 
Offic.  1,  19,  65  denselben  Gedanken  mit  den  zwei  verschiede- 
nen Structuren  darlegt,  so  hebt  diess  keineswegs  den  ursprüng- 
lichen Unterschied  auf,   da  vielmehr  in  solchen  Fällen  das  Ge- 
setz der  Abwechslung  in  der  Rede  einzutreten  scheint.      Man 
erwäge  genau  folgende  Beispiele:  Cic.  in  Catil.  3,  10:  Non  Uli 
nullam  esse  rempublicam,  sed  in  eß,  quae  esset,  s  e  esse  prin- 
cipes,  neque  hanc  urbem  conflagrare^  sed  se  in  hac  urbe  flo- 
rere  vohierunt.     Tusc.  2,  26,64:  Benefacta  in  luce  se  collo- 
cari  volunt.     Ueber  die  zusammengezogne,   mehr  gräcisirende 
Redeweise  ist,   ausser  den  vom  Herausg.  genannten,   Kriiger 
(Untersuchungen  der  lat.  Spr.  IIIsHeft)  zu  vergleichen.     Dahin 
gehört  Cat.  54,  5:    Cato  —  esse    quam    videri  bonus  inalebat. 
Unhaltbar  dürfte  Ramshorn's    (lat.  Gr.  S.  428)  Meinung 
seyn.     2)  Der  zweite  Fall  tritt  meistens  dann  ein,   wenn  daa 


Sallustä  Opera,     Edid.  KrUzI^s.  71 

verbum  finitum  früher  steht  als  das  verbum  iiifinitum,  wie  hier 
sese  stude7it  piaestare^  zumal  bei  den  verbis  dicendi.  Dahin 
gehören  auch  die  von  Görenz  zu  Cic.  Acadd.  1,  2,  7  angegeb- 
nen Beispiele.  Vgl.  deus.  zu  2,  23  p.  135,  zu  Fin.  2,  22  p.  233, 
Beier  zu  Off.  3,  5  p.  225.  3)  Im  dritten  Falle  findet  sich  das 
Pronomen  entweder  unmittelbar  vor  dem  Infinitiv  (selten  nach 
demselben,  wie  Cat.  50,  4:  iturum  se  dixerat)  oder  vor  einem 
dem  Infinitiv  vorhergehenden  Worte,  zu  dem  es  als  Erklärung 
oder  Gegensatz  gehört ,  wenn  nämlich  das  verbum  finitum  am 
Ende  einer  Satzabtheilung  steht;  wie  Cic.  Off.  2,  22,  9:  qui 
vero  populäres  se  esse  volunt.  Fin.2, 15, 48:  hanc  se  tuus 
Mpicurus  ojnnino  i^nor are  dicit.  Or.  c.  25:  non  se  par^ 
Cum  solum,  sed  etiam  elegmtteni  vi  der  i  volet.  Beispiele, 
wie  Nep.  Eum.  8,2:  illa  phalanx  non  parere  se  diicibus^  sed 
imperare  postulabat,  heben  wegen  des  zweiten  nachfolgenden 
Infinitivs  die  gegebne  Regel  nicht  auf,  so  wenig  als  dieses  — 
se  esse  mavult  quam  videri  Cic.  Off.  1,  19,  65,  wo  das  verb. 
fin.  zwischen  zwei  ihm  zugehörige  Infinitive  tritt.  Vgl.  die 
von  Beier  zu  Cic.  Offic.  1,  19,  65;  2,  20,  ?0;  3,  4  p.  210  an- 
geführten Stellen.  Wenn  Rec.  solchergestalt  nur  die  äussern 
Spracherscheinungen  auf  gewisse  canones  zurückzuführen  sucht, 
so  wie  sie  sich  ihm  beim  aufmerksamen  Beobachten  in  dieser 
Allgemeinheit  ergeben:  so  ist  der  innere  Grund  dem  for- 
schenden Denker  leicht  erklärbar,  so  wie  derselbe  innere 
Sprachgrund,  so  bald  er  gefunden  ist,  alle  vorkommenden  Ab- 
weichungen befriedigend  zu  lösen  vermag,  wie  Cic.  in  Catil.  1, 
2:  Cupio  me  esse  dementem  etc.,  und  Nep.  Tim.  3,  4:  [Ti- 
moleon]  maluit  se  diligi  quam  metui ;  in  welchen  Beispielen 
der  zweite  Canon  gefährdet  zu  seyn  scheint.  Wir  gestehen, 
dass  uns  hier  der  Herausg.  am  wenigsten  genüget  hat ;  desto 
mehr  aber  hat  er  in  der  Vertheidigung  und  Erklärung  des  eget^ 
wo  Q\n\^t,  veget  lesen,  unsere  Zustimmung.  Oefters  hat  der- 
selbe im  Conflicte  mit  Gegnern  die  Verschiedenheit  des  Sinnes 
mitgetheilt,  was  wir  sehr  billigen,  da  der  Schüler  durch  ein 
solches  Verfahren  auch  zum  Nachdenken  über  die  Sache  ver- 
anlasst wird;  wir  wünschten,  er  hätte  hier  über  die  Worte: 
animi  imperio,  corporis  servitio  magis  ulimur,  alterum  nobis 
cum  dis  etc.  Beauzee's  Ansicht  (jLes  Histoires  de  Scdluste 
etc.  Paris,  chez  Barbou  1787)  p.  150  nicht  übersehen:  ^,Tou8 
les  traducteurs  et  les  coramentateurs  que  j'ai  vus ,  fönt  dire  a 
Salluste,  que  Vesprit  doit  Commander  et  que  le  Corps  dort 
obe'ir.  Cependant  l'auteur  vieut  de  dire  que  la  nature  a  ren- 
du  les  betes  esclaves  de  leurs  appetits,  obedientia  ventri:  il 
va  ajouter  que,  par  l'esprit,  nous  partieipons  a  la  nature  des 
dieus ;  et  par  le  corps ,  a  celle  des  betes  :  il  a  donc  voulu  dire 
qua  ce  dernier  egard  noussorames  comme  les  betes,  obedientia; 
et  le  sens  du   passage  dont  il  s'agit  est,   que  nous  avo^ns  plus 


78^  ..iiÖ-ömische    Litteratur. 

d'empire  sur  notr^q'än^e  et  qiiß  noiis  dependons' davantage  du 
Corps.  II  ne  faut  rendre  Salluste  iiicpnsequeiit  pour  le  rendre 
orthodoxe."  Wir  glaubten  diese  Auslegung  ihrer  Sonderbar- 
keit wegen  den  deutsclien  Lesern  nicht  vorenthalten  zu  dürfen. 
§  0  hätte  Jiam  eine  Erklärung  erheischt,  welches  hier  wie  yccQ 
einen  Zwischengedankeii  ergänzen  lässt,  ohngefähr:  „jener 
Streit  ist  nicht  nöthig,  denn  u.  s.  w.  S.  die  Schrittst,  zu  Ilorat. 
Kpist.  1,  2,  38  p.  63.  —  11,2:  tum  demtmi  periculo  atque 
negotiis  compertmn  est  in  hello  plininiu/n  ingeyiium  posse. 
Die  Ausleger  sind  getheilt  in  der  Erklärung  dieser  Worte.  Ilr, 
Kr.  nimmt  periculmn  im  gewöhnlichen  Sinne  und  ?iegotia  als 
res  graviores  eaeqiie  miplicatiores.  Uns  scheint  hier  die  grie- 
chische Ausdrucksweise  ^leru  növcov  xccl  mvdvvav  zum  Grunde 
zu  liegen,  \vie  Cic.  Off.  1, 19,  C5:  vis  invejiitur  ^  qui  labori- 
hus  susceptis  periciili  s  que  aditis  non  quasi  mercedem 
rerum  gestarinn  desideret  gloriam.  Beispiele  des  griechisch. 
Sprachgebrauchs  giebt  Bornemann  zu  Xenoph.  Conviv.  4, 
S5  p.  132,  wo  derselbe  unsre  Stelle  ebenfalls  dahin  bezogen  hat. 
§4:  Nam  imperium  facile  his  artibus  reiinetw\  quibus  iiii- 
tio  partum  est.  Schon  Corte  hatte  his  für  iis  aus  Hand- 
schriften aufgenommen;  und  ob  wir  wohl  niclit  läugnen,  dass 
jenes  Dcmonstrativum  in  vielen  dergleichen  Fällen  eine  grössre 
Bestimmtheit  ausdrücke,  so  scheint  uns  doch  der  Herausg.  die 
Sache  übertrieben  zu  liaben,  indem  er  fast  überall  hie  für  is  ge- 
schrieben. Es  ist  bekannt,  dass  his  in  den  besten  Handschrif- 
ten steht,  wo  iis  zu  lesen  ist;  daher  in  diesem  Falle  auch  die 
besten  kein  rechtes  Ansehen  haben.  S.  Wunder  in  diesea 
Jahrb.  1827,  III,  2S.174;  Beier  zuCic.Lael.22,  82,  3.  Wenn 
Hr.  Kr.  sagt:  „Si  quid  igitur  non  prorsus  vaga  notione  indefini- 
teque  est  enunciatum,  sed  aliqua,  etsi  levi,  significatione  decla- 
ratum,  ita,  ut  quasi  praesens  intueri  possimus,  lieri  potest,  ut 
pro  is  ponatur  hic^  idque  imprimis  in  eos  locos  cadit ,  ubi  rela- 
tivura  cum  deraonst.  conjunctura  reperitur" :  so  ist  eines  Theils 
der  diessfallsige  Gebrauch  des  Schriftstellers  zu  ermitteln,  an- 
dern Theils  aber  auch  der  wohlbegründete  Unterschied  beider 
Pronoraina  (s.  Weber's  Uebungsschule  I  S.  2)  fest  zu  halten. 
Wer  würde  z.  E.  Cic.  Offic.  2,  10,  37:  Admiratione  quadani 
afßciuntur  ii^  qui  anteire  ceteris  vir  tute  patantur  et  cum 
omni  carere  dedecore,  tum  vero  iis  vitiis,  quibus  alii  non 
facile  possu/d  obsistere,  das  Dempnstrativum  hie  für  richtig  er- 
kennen*? Eine  andre  Bewandtniss  hat  es  mit  der  vom  Herausg. 
angef.  Stelle  aus  Cic.  de  Legg.  1,  9,  27:  hu7ic  locum  satis  in 
his  iibris^  q?ws  legistis,  expressit  Scijno.  —  §  7:  Quae  ho- 
inines  arant^  navigant^  aedificant  etc.  ist  zwar  richtig  erklärt, 
aber  das  Hindeuten  auf  die  poetische  (oder  griech.)  Wendung 
unterlassen  worden.  Vgl.  Döring  zu  Horat.  Od.  3, 16,  26.  — 
§9:  qui  aliquo  negotio  intentus.     Hier  ist  der  Ablativus,  der 


Salliistil  Opera.     Edid,  KrUzius.  Ti 

SO  vielen  grammatisch  unaxifiösbar  schien,  wesshalb  man  zu  der 
ungeräumtesten  Vertauschung  des  Dat.  und  Ablat.  oder  der  glei- 
chen Bedeutung  heider  Casus  seine  Zuflucht  nahm,  recht  gut 
in  seine  waliren  Rechte  eingesetzt  worden.  „Ahlativus  auteni 
tum  tantum  potest  cum  dativo  permutari,"  sagt  der  Herausg., 
„quura  verbum  ejtismodi  est,  ut  possit  et  cum  objecto  tertii  ca- 
sus conjungi,  et  absolule  \iOin  ^  ea  re  per  ablativum  adjuncta, 
qua  id  quod  verbum  significat  efficitur.  Igitwr  intentus  ^  quod 
plerumque  dativo  objecti  jungitur,  quum  etiam  absolute  usur- 
petur,  velutiCat.  (>,  5;  1(5,  5;  Jug.  40,  3;  Caes.  B.  C.  ],  58,  liaud 
incommode  ablativum  adjunctum  liahebit  ejus  rei,  qua  quis  in- 
tentus  fiat ;  res  autem,  qua  quis  est  intentus,  non  diversa  est  ab 
ea,  cid  sive  in  quam  intentus  est.  Similis  usus  est  verhi  im- 
plicari,  quod  saepissime  rem,  in  quam  impllcamur,  ablativo 
adjunctum  habet,  Cic.  OfF.  1,  32,  9""  u.  a.  Noch  wird  dieser 
Sprachgebrauch  durch  memoriae  und  memoria  piodi,  durch 
diffidere  occasione  treffend  erläutert.  Ausserdem  werden  in 
diesem  Capitel  folgende  grammatische  Puucte  erörtert:  etiam- 
tiim  und  etiam  tum,  etiam  ttinc;  in  magna  copia  in  der  Be- 
deutung eines  Nebensatzes  für:  quum  magna  copia  sit  u. 
ähnl.  — 111,2  werden  die  Worte pr?'mMm  quod  facta  dictis  sunt 
esaequanda  auf  die  historische  Treue  bezogen,  wie  schon 
Lange  und  Müller  die  Stelle  fassten ;  da  aber  hier  haupt- 
sächlich von  der  Darstellung  der  Grossthaten  eines  Volkes  die 
Rede  ist,  wie  ja  Hr.  Kr.  das  Pulchrum  est  bene  facere  reipu- 
hlicae  selbst  ganz  richtig  durch  f actis  egregiis  de  republica 
mereri  erklärt:  so  ist  hier  wohl  an  das  Würdige  und  Gezie- 
mende der  Darstellung,  nach  welcher  jede  That  in  dem  rechten 
Lichte  geschaut  wird,  zudenken,  wobei  ohnehin  die  histori- 
sche Treue  vorausgesetzt  werden  muss.  Dass  das  Grossartige 
und  Pragmatische  der  Darstellung  hier  dem  Sallust  vorschweb- 
te, lässt  sich  aus  Cap.  8,  4  mit  ziemlicher  Gewissheit  entneh- 
men, wo  er  von  der  Gcschichtschreibung  der  Griechen  sagt: 
Ita  eorum  qui  ea  fecere  virtus  tanta  habetur^  quantum  ver- 
bis  eam  potuere  estollere.  —  §  3 :  -fc'^o  —  sicuti  pleriqjie  — 
studio  ad  rempublicam  latus  sum  wird  mit  F rotscher 
sehr  richtig  von  der  Begeisterung^  dem  Staate  zu  dienen,  ge- 
nommen. Dagegen  billigen  wir  nicht,  dass  Hr.  Kr.  nach  dem 
Vorgange  jenes  Gelehrten  der  Lesart  §6  relicuis  statt  relicuo- 
rum  den  Vorzug  gegeben.  Die  Stelle  heisst  nach  des  Herausg. 
Interpunction  also:  Q^uae  tametsi  animtis  aspernabatur ,  inso- 
le?is  malarum  artium,  tameJi  inter  tanta  vitia  imbecilla  aetas 
anibitione  corrupta  tenebatur ;  ac  nie.,  quum  ab  relicuis  ma- 
lis  moribus  dissentirem.,  nihilo  minus  honoris  cupido  eade?n' 
que  quae  ceteros  fama  atque^  invidia  vexabat.  Schon  die 
äussere  Auctorität  der  MSS.  spricht  für  relicuorum.,  welches  im 
Cregeiisatze  zu  ceteros  steht;  es  lag  ja  in  dem  Zwecke  der  Dar- 


71:  Römische    Litteratar. 

Stellung,  nicht  blos  von  den  übrigen  Schlechtigkeiten,  als :  der 
Habsucht,  der  Bestechung  u.  s.  w.  sich  freizusprechen,  sondern 
sich  von  den  Subjecten  auszuscheiden,  an  denen  jene  Fehler 
hafteten  und  mit  denen  doch  Sallust  ein  gleiches  Schicksal  er- 
fuhr, indem  er  mit  jenen  vjn  seinen  Zeitgenossen  in  eineClasse 
geworfen  wurde.  Sagt  Hr.  Kr.,  dass  dann  wohl  ceterorum  er- 
fordert werde,  so  ist  diess  ein  schwacher  Grund,  da  schon  die 
Abwechslung  der  Rede  wegen  des  folgenden  ceteros  den  Ge- 
brauch von  reliquorum  gebot;  auch  folgt  aus  letzterem  noch 
nicht,  dass  die  Jf^hjsucht  nicht  ein  allgemeines,  sondern  nur  ein 
dem  Sallust  eigenthiimliches  Uebel  gewesen  sey.  Der  verglei- 
chende Ausdruck  nihilo  minus  honoris  cirpido  schliesst  die 
andern  Römer  nicht  gänzlich  aus,  und  iiberdiess  wollte  ja  Sal- 
lust vorzugsweise  den  Fehler  der  Ehrsucht^  als  einen  weit  ver- 
zeihlichem und  edlern,  sich  beimessen,  quod  tarnen  vitium 
propius  virtutem  erat^  wie  es  XI,  1  heisst.  Dass  Hr.  Kr.  ea- 
denique  quae  schreibt,  ist,  so  sicher  auch  dieser  Sprachge- 
brauch steht,  nur  eine  Conjectur;  denn  auf  die  Schreibung  ei- 
niger wenigen  codd.  eademque  ceteros  ist  d esshalb  nicht  viel 
zu  bauen,  weil  das  e  luid  ae  fast  Viberall  verwechselt  wird. 
Aus  diesen  Griinden  halten  wir  die  Vulgate  hinlänglich  gesi- 
chert, falls  man  nur  eadem  zu  dem  folgenden  fatna  atque  invi- 
</m  zieht,  undnichtmit  Wasse,  Pottier  u.  A.  an  honoris 
cupido  durch  ein  Komma  anschliesst;  (was  auch  der  Variante 
relicuis  ihr  Daseyn  gegeben)  wogegen  zu  kämpfen  derHerausg. 
gänzlich  ausser  Acht  gelassen  hat.  Den  Sinn  des  Ganzen  ent- 
wickelt Frotscher  ( 1,  1.  p.  24  sqq.)  übrigens  ganz  richtig, 
und  mit  Recht  hat  Hr.  Kr.  die  darauf  Bezug  habenden  Worte 
mitgetheilt.  Gelegentlich  wird  die  Schreibung  malevoleniia^ 
wofür  einige  malivolentia  ^  §  2  durch  Etymologie  und  Analogie 
sicher  gestellt.  Vgl.  Heusiuger  zu  Cic.  Off,  1,21,3;  Grote- 
fend  Gr.  H  §  167  S.  182.  Doch  dürfte  in  andern  Wörtern,  wie 
invalitiido^  das  /  nicht  ganz  verwerflich  seyn,  insofern  selbige 
von  supinis  stammen.  S.  Beier  zu  Cic.  Laei.  p.  197  ed.  maj. 
Mit  welcher  Gewandtheit  Hr.  Kr.  die  Auslegung  handhabe  und 
überall  das  Bessre  sich  anzueignen  strebe,  möge  die  von  vielen 
Auslegern  missverstandne  Stelle  XI,  3:  Avaritia  —  neque  co~ 
pia  neque  i?wpia,  beweisen.  Nachdem  er  Teller 's  Ansicht 
abgewiesen,  giebt  er  diese  Erklärung  ab,  die  von  der  Lange'- 
schen  in  etwas  verschieden  ist:  ^^Copiafn  reiero  ad  eas  res, 
quas  quis  jam  comparavit,  inopiam  ad  eas,  quas  adhuc  sibi  ac- 
quirendas  putat.  Avaritiam  enim  minui  debere  putaveris,  si 
aut  nuiltas  opes  jam  collectas  habeat,  aut  perpauca  videat,  quae 
ad  se  rapere  possit;  sed  neque  copia  rerum  acquisitarum  ,  qui- 
bus  acquiescere  possit,  neque  inopia  acquirendarum,  qua  deter- 
reatur,  minus  potest;  quippe  omnino  respuit,  eoque  summa 
ejus  turpitudo  constat.^'     Rec.  wagt  dennoch  nicht,  so  gut  auch 


Salluetii  Opera.     Edld.  Kritzius.  75 

die  Sache  gefasst  zu  seyn  scheint,  die  unhezweifelte  Richtigkeit 
der  Erklärung  zu  unterschreiben,  falls  nicht  etwa  der  Sinn  ist, 
wie  in  Democritus  Ausspruche  (Orell.  Opusc.  Graec.  vet.  sentent. 
et  mural.  T.  I  p.  124  nr.  161):  /Jirjviv.rig  btiI  näöiv  avxTQänois 
ri  tov  TtXovtov  £md'V(iia.  ^t]  ict^]d^ti6a  filv  yäg  xqvxsl^  xti]- 
&sl6a  öh  ßaöavl^ei  talg  (pQovxiöLV  ^  ccnoxrrj&elöa  öh  talg  kv- 
naiq.  Vgl.  Cic.  Parad.  1, 1,  0.  Diese  Stelle  mahnt  den  Reo. 
auf  eine,  so  viel  ihm  bewusst  ist,  von  den  Herausgebern  des  S. 
noch  niclit  beachtete  Parallele  zu  LIV,  5  aufmerksam  zu  ma- 
chen. Es  ist  bekannt,  wie  häufig  Plutarch  aus  latein.  Schrift- 
stellern schöpft.  Was  dort  Sallust  von  Cato  Uticensis  sagt: 
non  divitiis  cum  divite  —  sed  cum  strenuo  virtute  —  certabat^ 
findet  sich  in  ähnlicher  Wendung  im  Cato  Major  des  Piutarch. 

c.  10  (T.  2  p.  506  ed.  Reiske): aXXa  ßovXo^ai   ^äkkov 

TCSQL  aQBtr^g  toig  aptörotg,  ^*  nsgl  xQr]^ärc3V  rolg  nlovöiaxä- 
totg  a/xi^Aaö'&at,  naX  rolg  cpikagyvQcozcctOLg  Ttsgl  fpiXaQyv- 
Qiccg.  —  Nachdem  wir  den  Herausg.  nun  durch  die  ersten  Capi- 
tel  begleitet  haben,  brechen  wir  unsre  Bemerkungen  ab,  die 
nur  der,fleissigen  Bearbeitung  unsre  Aufmerksamkeit  bezeugen 
und  trotz  des  hier  und  da  vorgebrachten  Widerspruchs  den 
Werth  des  Buchs  nicht  schmälern  sollten  Der  Verf.,  der 
überall  sich  als  denkenden  Forscher  zeigt,  wird  gewiss  mit  der 
Zeit  selbst  Vieles  zurücknehmen,  theils  von  dem,  was  wir  nur 
kurz  beriihrten,  theils  von  dem,  was  wir,  bei  der  Reichhaltig- 
keit des  Buchs,  unberührt  lassen  raussten.  Reich  ist  das  Werk 
an  grammatischen  Bemerkungen,  die  nicht  nur  dem  Studirenden 
überhaupt,  sondern  auch  dem  eigentlichen  Gelehrten  von  Nutzen 
seyn  werden;  z.  E.  die  Erörterung  der  Genitive  des  partic.  fut. 
pass.  und  eines  Substant.  bei  esse,  als  auch  andern  Verbis 
Cat.  VI,  7  (Vgl.  Herzog's  Progr,  Gera  1828:  Inesi  Obser- 
vationum  in  nonnullos  veterum  scriptoru?n  locos  Partic.  I  p. 
8  ff.);  der  Ausdrucksweise  in  amicis  ßdelem  esse  IX,  2  (Vgl. 
Günther  zu  Nep.  Eum.  13,  2;  Bei  er  zu  Cic.  Lael.  p  65  und 
68);  des  Gerundiums  mit  2  Genitiven  ,  als:  copia  exemplorum 
eligendi  potestas,  wo  Hr.  Kr,  (XXXI,  5  p.  145)  der  Erklärung 
S  t a  1 1  b  a u  ra  s  zu  Rudd.  II  p.  246  beitritt  (Vgl.  Jen.  L.  Z.  1826 
N.  132  S.  96).  Zu  XXXIII,  2  findet  sich ,  gegen  die  Ansicht 
aller  Grammatiker,  die  Meinung  ausgesprochen,  dass  nostri 
und  vestri  nicht  genitivi  pluralis,  sondern singularis  nuraeri  sind ; 
denn,  sagt  er,  „descendunt  a  neutro  pronominum  possessivo- 
rum,  ex  qua  diversa  orlgine  sensus  discrimen  inter  nostri  et 
nostrum,  vestri  et  vestrum  clare  patet.  Intelligitur  enim,  in 
partitione  hunc  genitivum  singularis  numeri  poni  non  posse, 
semperque  dicendum  esse  nemo  nostrum.,  niulti  vestrum^  primus 
nostrum  etc.,  contra  bene  se  habere  memor  nostri^  1.  e.  ejus 
quod  nostrum  est,  sive  couditionis  nostrae;  vel  miserere  no- 
stri^ odium  vestri^  similia,  ubi  etiam  personalia  pronomina  poni 


7^  Romische     Litte  ratur.  ^, 

possunt,  sed  hoc  discrimine,  ut  pinralis  personas  ipsas  signifi- 
cet,  siiigularis  id  qiiod  personarum  est;  cf.  Frag.  ine.  17,  3: 
si  parricida  vostri  sum."'  —  XXXII,  1  wird  ein  Unterscliied 
zwischen  opt?imtim  factimi  und  fcictu  u.  ähnl.  geltend  gemacht. 
XXXIV,  2  über  ?wn  quo  und  no?i  quod  gegen  Zurapt  und 
liamshorn.  XXXV,  3  über  et  m  der  Bedeutung  von  etiam 
bei  Cicero,  was  zugegeben  und  durch  euie  elliptische  Structur 

erklärt  wird.     (Vgl.  lacob:    Epistola ,   qua  Viro  Ampi 

Chr.  Th.  Bruch  —  gratulatur.  Colon,  ad  Rhen.  1828.) 
XXXVII  vom  Gebrauch  des  phisquamperf.,  wo  man  ein  imperf. 
erwartet.  •  (Vgl.  Jahn  zu  Ovid.  Met.  9,  102  ed.  Gierig.; 
Birnbaum  a.  o.  O.  p.  V.)  XL,  6  wird  die  Form  accersere  für 
arcessere  in  Schutz  genommen.  (Vgl.  jedoch,  ausser  den  von 
Ramshorn  in  den  Jahrbb.  1827,  ill,  4  p.  2  des  Liter.  Anz. 
genannten,  Bach  zu  Tib.  p.  110;  Dähne  zu  Nep.  p.  171  und 
Hieron.  Lagomar  sin  ii  notae  graramaticae  et  critt.  ad  Po- 
giani  Epist,  in  Friedem.  und  Seebode's  Mise.  Critt.  V,  II  P.  III 
p.  434  sqq.)  XLIV,  5  über  den  Unterschied  von  quis  sim  und 
qui  sim  (Vgl-  auch  Benecke  in  Seebode's  Archiv  1824,  IV 
S.  703;  Moser  zu  Cic.  Rep.  2,3  p.  205).  Ott  bedurfte  es 
aber  auch  nicht  vieler  V^orte,  sondern  eines  blossen  Verwei- 
sensauf die  Grammatik,  als  IV,  1  zu  animus  ex  multis  mise- 
riis  —  reqiiievit^  wo  wegen  der  Bedeutung  der  Praepos.  ea: 
für  post  nur  Zumpt  §  300  zu  nennen  wai'.  Genau  genommen 
liegt  nicht  einmal  die  Bedeutung  post  zunächst  in  jenen  Wor- 
ten, sondern  es  ist  gesagt ,  wie  Cic.  luv.  2,  4:  es  lassitudine 
dor?m're  sensit;  de  Orat.  2,  (51:  clmtdicanti  ex  imlnere,  und 
pr.  Arch.  p.  1 :  ex  gravi  niorbo  recreari^  welche  letztere  Stelle 
auch  der  Herausg.  anführt;  die  übrigen  gehören  weniger 
hierher.  Dagegen  vermissten  wir  anderwärts  ungern  die  gram- 
matischen Belege,  z.  E.  LIV,  5:  ita  quo  minus  gloriani  pete- 
hat, eo  magis  [sc.  gloriä]  sequebatur;  wo  der  Herausg.  selbst 
gesteht,  dass  die  Abwechslung  des  Subjectes  ohne  ein  Andeu- 
tungswörtchen  die  vielfachen  Interpolationen  mit  veranlasst  ha- 
be. S.  Ochsn  er  zu  Cic.  Eclog.  p.  284;  Jacobs  latein. 
Blumenl.  II  S.  260;  Dähne  zu  Nep.  p.  129,  und  die  zuHorat. 
Epist.  1,  10,  34  p.  60  und  in  Seebode's  N.Archiv  1826  H.  7  u. 
8  S.  138  für  diese  Stelle  gegebnen  Nachweisungen.  Schliess- 
lich wünschen  wir  recht  sehr,  dass  dieses  nützliche  Buch  sich 
bald  in  den  Händen  nicht  nur  der  studirendeu  Jünglinge,  son- 
dern auch  ihrer  Lehrer  befinden  möge. 

II)  Vorliegendes  Progr.  zeigt  mit  schlagenden  Beispielen, 
wie  unzuverlässig  de  Brosses  in  Sammlung  der  Sallust,  Frag- 
mente in  seinem  so  berühmt  gewordenen  Werke  sey:  Hi~ 
stoire  de  la  Repnhliqiie  romaine,  dans  le  cours  du  septieme 
siede;  par  Salluste  :  e?t  partie  traduit  du  latin  sur  Torigi- 
?ial;    en  partie  retablie   et    composee  sur  les  fragmens^    qui 


Cic.  oratt.  in  Cntillnam  et  pro  Sulla.     Edid.  KreLs,  T7 

sont  Testes  de  ses  Livres  perdus,  reinis  en  ordre  dans  leur 
place  veritable  oii  le  plus  vraisemblable  (par  Charles  de  Bros- 
ses)  III  Tom.  4.  äDijoii,  chez  Frantiii,  1777.)  Oi't  hat  der- 
selbe nicht  einmal  den  lateinisclien  Ansdruck  verstanden,  oft 
Fragmente  gewaltsam  aus  einander  gerissen,  oft  ein  und  das- 
selbe Fragment  auf  mehrere  Gegenstände  angewandt,  oft  Aus- 
drücke für  Salhistianisch  genommen,  die  den  citirenden  Gram- 
matikern angehören,  und  dergl,  mehr.  Daher  sagt  der  Verf. 
mit  llecht  (p.  ß) :  „Quo  majore  igitur  diligentia  et  cautione  De- 
brosio  agendum  fuit,  si  operam  suam  SaUustii  fragmentis  na- 
vatam  non  inanem  et  nugatoriam  esse  vellet,  eo  magis  dolen- 
dum  est,  quod  taiita  per  totiiin  opus  levitate  se  gessit^  tcim- 
qiie  exiguain  non  modo  veri  sed  ne  ejus  quldem,  fjuod  veri- 
siniile  esset^  cur  am  habuit^  ut  prorsus  ab  eo,  quod  proposi- 
tmti  habebat,  consilio  abcrraret^  et  totum  paene  fructum  im- 
mensi  operis  perderet.'-'  Ein  weites  Feld  bleibt  also  dem  Bear- 
beiter der  Sallustianischen  Fragmente  zu  deren  Anordnung  noch 
übrig,  wesslialb  der  Verf.  bei  seiner  künftigen  Ausgabe  hin- 
längliche Entschuldigung  findet,  den  Weg  der  frühern  Heraus- 
geber zu  verlassen,  und  durch  hessre  Zusammenstellung  sich 
den  Dank  des  gelehrten  Publicums  zu  erwerben.  Der  Verf.  ent- 
scheidet sich  bestimmt  für  die  Annahme  von  fünf  Büchern; 
weil  die  Zaiil  des  sechsten  Buches  daher  entstanden  sey,  dass 
man  aus  den  unbestimmten  Anführungen  der  Grammatiker  ein 
neues  Buch  geschaffen.  Bahr,  welchen  der  Verf.  6  Bücher 
annehmen  lässt,  (^Geschichte  der  liömischen  JAleratur  S.  280) 
sagt  aber  doch  auch  in  der  Anmerkung  1  S.281,  dass  das  Ganze 
wohl  nur  aus  5  Büchern  bestanden  habe.  Möge  Hr.  Kritz 
den  zweiten  Band  seines  Sallust  mit  der  besser  geordneten 
Fragraentensammlung  und  dem  verheissnen  Index  bald  nach- 
folgen lassen! 

Obbarius. 


M.  Tullii  Cicer  onis  Orationes  in  L.  Catilinam  IV. 
et  pro  P.  Sulla.  Ex  recensione  Orelliana  cum  selecta  le- 
ctinniä  diversitate  cditinnum  maxiine  recentiorurn  et  pi-aemissis 
,  argumentis  Paulli  Manutii.  lu  usum  scholarum  curavit  lounnes 
Philippus  Krebs.  dessen  bey  Heyer.  XXIV  und  139  S.  1828. 
\il.  8.  (10  Gr.) 

M.  Tullii  Cicero nis  Orationes  IV.  in  Lucium  Ca- 
tilinam. Mit  erläuternden  und  kritischen  Anmerkungen  von 
C.  Benecke,  Dr.  Leipzig,  bey  Klein.  VIII  und  317  S.  1828.  gr. 
8.  (1  Thlr.   8    Gr.   Parthiepreis  für  Gymnasien  1   Thlr.) 

Die  emsige  Beschäftigung  mit  den  Schriften  des  Cicero, 
die  sich  jetzt  unter  den  deutschen  Gelehrten  zeigt,   hat  auch 


7g  Römische    Litteratur. 

zwey  Ausgaben  der  viel^elesenen  Catilinarischen Reden  im  ver- 
gangenen Jahre  an  das  Licht  gefördert.  Von  den  beyden Her- 
ausgebern ist  Hr.  Prof.  Krebs  bereits  seit  Jahren  durch  eine 
Reihe  von  nützlichen  Schulbüchern  und  mit  Umsicht  besorgten 
Schulausgaben  dem  philologischen  Publicum  hinlänglich  be- 
kannt, Hr.  Prof.  Ben  ecke  zu  Posen  dagegen  tritt  —  wenn 
wir  einige  kleine  Aufsätze  in  Seebades  kritischer  Bibliothek 
ausnehmen  —  hier  zum  ersten  Male  mit  einer  grössern  philo- 
logischen Arbeit  auf.  Wir  wenden  uns  nun  zuerst  zu  der,  auch 
früher  erschienenen,  Bearbeitung  des  Hrn.  Krebs. 

Der  Titel  dieser  Ausgabe  bezeichnet  ihren  Inhalt  hinläng- 
lich. Hr.  Krebs  wollte  eine  Schulausgabe  ohne  Wort-  oder 
Sacherklärungen  geben,  mit  einem  kritischen  Apparate,  der 
vorzugsweise  aus  den  Ausgaben  der  neuern  Bearbeiter  genom- 
men wäre,  der  Text  selbst  sollte  sich  überall  streng  an  die 
Orellische  Ausgabe  anschliessen.  Er  verschweigt  indess 
dabey  nicht,  dass  ihm  die  von  3Iatthiä  aufgenommenen  Les- 
arten mitunter  beyfallswürdiger  erschienen.  Nach  diesen  in 
der  Vorrede  angegebenen  Grundsätzen  ist  die  Ausgabe  angefer- 
tigt worden.  Der  Text  ist  der  Orelli'sche  und  nur  in  der 
Setzung  des  Comma  sowie  in  der  Schreibung  einiger  Wörter 
hat  Hr.  Krebs  geändert.  Unter  dem  Texte  stehen  nun  die  ver- 
schiednen  Lesarten,  welche  Beck,  Döring,  Weiske,  Mor- 
genstern, Matthiä,  3Iöbius  und  unter  den  altern  Gelehr- 
ten Lambinus,  Guilelraius,  Modius,  Heumann,  G ru- 
ter und  andre  vorzogen,  von  denen  die  letztern  jedoch  nur  bey 
wichtigen  Stellen  angeführt  sind.  „lUa  autem  selecta  lectionis 
diversitate,''  sagt  Hr.  Krebs  in  der  Vorrede,  „ita  utatur  ma- 
gister,  ut  in  ea  examinanda  discipulorum  ingenia  acuat,  men- 
tem  Ciceronis  exploret ,  errores  interpretum  aperiat  et  refellat, 
usitatam  Ciceroni  locutionem  indaget  et  declaret."  Es  sind 
diess  also  dieselben  Grundsätze,  nach  welchen  Hr.  Krebs  in 
geiner  Ausgabe  der  Ovidischen  Fasti  (m.  s.  Vorred.  S.  XIII IF. ) 
verfahren  ist  und  über  welche  er  auch  im  Osterprogramme  des 
Weilburger  Gymnasiums  vom  J.  1826  S.  8  ff.  gesprochen  hat. 
Rec.  muss  jedoch  gestehen,  wie  er  auch  bereits  in  einer  An- 
zeige jener  Ausg.  weitläuftiger  geäussert  hat,  *)  dass  ihm  eine  so 
ausschliessliche  Richtung  der  Anmerkungen  auf  Kritik  in  einer 
Schulausgabe  weniger  zusagt  und  dass  er  sich  in  dieser  Hin- 
sicht mehr  mit  den  Grundsätzen  einverstanden  erklären  muss, 
welche  Hr.  Matthiä  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  Cice- 
ronianischer  Reden  S.  VII  f.  aufgestellt  hat.  Dass  Ausgaben 
mit  Anmerkungen  erklärenden  Inhalts  (wenn  sie  nur  nicht  nach 
Art  der  weiland  Büchling'scheu  oder  gewisser  neuern  Bearbei- 


•)  Jen.  Allgem.  Lit.  Zeit.  1828  Nr.  115,  116. 


CIc.  orati.  in  Catilinam.     Herausg-eg:.  von  Benecke.  79 

tuiigen,  die  sicli  diesen  anschliessen,  abgefasst  sind)  einen  nicht 
unbedeutenden  Nutzen  für  Lernende  liaben,  glauben  wir  aller- 
dings, dass  aber  unsre  Secundaner  aus  den  Besprechungen  Viber 
die  Güte  oder  Verwerflichkeit  einzelner  Lesarten  recht  vielen 
Nutzen  schöpfen  werden  —  daran  unissen  wir  bey  aller  Hoch- 
achtung gegen  Hrn.  Krebs  doch  zweifeln.  Mit  den  Schülern 
dieser  Classe,  in  welclier  dieCatiliiiarischen  Reden  gewöhnlich 
gelesen  werden,  giebt  es  gewöhnlich  so  vielerley  zu  besprechen 
und  es  ist  auf  so  viele  andre  grammatische  und  exegetische 
Gegenstände  Rücksicht  zu  nehmen,  dass  die  Zeit  zu  kritischen 
Untersuchungen,  für  die  auch  gewiss  die  wenigsten  dieser 
Schüler  weder  geeignet,  noch  —  wie  man  wolil  offen  gestehen 
rauss  —  aufgelegt  sind ,  schwerlich  hinreichen  dürfte,  Dass 
wir  dabcy  den  Nutzen  vernünftig  getriebener  Kritik  in  der  er- 
sten Classe  einer  geleinten  Schule,  die  auch  Hr.  Matthiä  a. 
a.  0.  empfiehlt  und  der  noch  neuerdings  Hr.  Thiersch  {über 
gelehrte  Schule?i  IH,  367)  eine  so  kräftige  Schutzrede  gehalten 
hat,  nicht  zu  nahe  treten  wollen,  glauben  wir  nicht  erst  ver- 
sichern zu  müssen. 

Was  nun  iibrigens  die  Zugaben  des  Hrn.  Krebs  betrifft, 
so  hat  derselbe  eine  kurze  Uebersicht  des  Lebens  und  der 
Schriften  Cicero's  (S.  XV  —  XXIV)  hinzugethan  ,  sowie  die  In- 
haltsanzeigen des  P.  Manutius  zu  jeder  Rede.  Eine  besondre 
Zierde  erhält  jedoch  Äiess  Büchlein  durch  die  schön  und  herz- 
lich geschriebene  Zueignung  an  die  HH.  Friedemann  und 
Seebode,  die  wir  um  so  weniger  glauben  übergehen  zu  dür- 
fen, je  mehr  solche  Dedicationsschriften  durch  vielfältigen 
Missbrauch  zu  einer  gemeinen  Münze  heruntergekommen 
sind,  welche  w  eder  die  Thüren  der  Grossen  mehr  öffnen,  noch 
als  ausgezeichnete  Ehrenbezeugungen  gelten  können.  Dafür 
haben  wir  liier  die  Denkmünze  eines  geistigen  Bundes ,  der 
schon  lange  zwischen  drei  Ehrenmännern  besteht. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  Nr.  11.  Hr.  Be  necke  erwähnt 
in  der  Vorrede,  dass  er  diese  Ausgabe  sowohl  für  Lehrer  als 
für  Schüler  bestimmt  habe,  damit  der  Lehrer  in  ihr  die  nöthi- 
gen  Hülfsmittel  zur  Erklärung  dieser  Reden  fände  und  der  Schü- 
ler diese  Ausgabe  als  einen  belehrenden  und  passenden  Leitfa- 
den auch  beym  Privatstudium  gebrauchen  könne.  Bey  diesem 
doppelten  Zwecke  war  es  das  eifrige  Bestreben  des  Hrn.  Her- 
ausgebers, Alles  zusammenzustellen,  was  von  altern  und  neuem 
Erklärern  für  diese  Reden  beygcbracht  worden  ist.  Er  be- 
merkt dabey  (S.  VI),  dass  er  auch  der  Meinung  mehrerer  Ge- 
lehrten beyträte,  dass  man  sich  in  die  Sacherklärungen  nicht 
zu  weit  einlassen  dürfe,  dass  aber  auf  der  andern  Seite  das 
Zuwenig  nicht  minder  tadelnswerth  sey,  zumahi  da  bey  dem 
jetzigen  Standpuncte  des  Gymnasialunterrichts  dem  Unterrichte 
in  der  eigentlichen  Alterthumswissenschaft  nur  selten  eine  Stunde 


80  Rumische    Litteratur. 

gewidmet  wird.  „Ohne  im  geringsten,  setzt  er  hinzu,  dem 
gründlichen  Studium  der  classisciien  Sprachen  des  Aiterthuras 
zu  nahe  treten  zu  wollen,  so  rauss  ich  doch  die  Vernachlässi- 
gung dieses  practischen  Theiis  der  Alterthumskunde  als  einen 
grossen  Mangel  in  der  jetzigen  Gymnasialbildung  ansehen,  da 
doch  der  grösste  Tlieil  unsrer  Schüler  bey  dem  Besuche  gelelir- 
ter  Schulen  nicht  allein  die  Wissenschaft  als  solche,  sondern 
bey  dem  Studium  derselben  stets  die  sichere  Begründung  des 
künftigen  Berufslebens  im  Auge  hat,  zu  dessen  wahrer  und  um- 
sichtiger Thätigkeit  doch  wahrlich  jiicht  einzig  und  allein  die 
Kenntniss  der  Spraclie  hinreicht."-  Das  zweyte  Augenmerk  des 
Hrn.  B.  war  besonders  auf  die  Sprache  und  ihre  Eigenthüm- 
lichkeiten  sowohl  in  grammatischer  als  kritischer  Hinsicht  ge- 
richtet, wo  er  durch  die  als  Belege  beygesetzten  Citate  den 
Schüler  zur  Prüfung  und  zum  Nachdenken  einladen  und  auch 
soviel  als  möglich  den  Scharfsinn  desselben  bey  verdorbenen 
Stellen  zu  üben  bemüht  gewesen  ist. 

Rec.  erlaubt  sicli  hierzu  einige  Bemerkungen.  Was  zuvör- 
derst den  doppelten  Zweck  des  Hrn.  Herausgebers  betrifft,  dem 
Bedürfnisse  der  Lehrer  und  der  Schüler  zugleich  abhelfen  zu 
wollen,  so  gestehen  wir,  dass  diess  keine  ganz  leichte  Aufgabe 
sey.  Wir  müssen  jedoch  Hrn.  Benecke  bezeugen,  dass  es 
ihm  damit  meistentheils  recht  gut  gelungen  sey,  dass  er  dem 
Lehrer  das  Nothwendige  dargeboten  hat  und  dass  es  fleissigen 
Schülern  meistentheils  und  oft  selbst  in  solchen  Stellen,  wo 
Rec.  nicht  mit  Hrn.  B.  übereinstimmen  kann,  gelingen  wird, 
ihre  Kenntnisse  durch  diese  Anmerkungen  auf  eine  recht  er- 
spriessliche  Art  zu  erweitern.  Was  ferner  die  sachlichen  An- 
merkungen anbetrifft,  so  hat  es  uns  gefreut,  hier  zu  finden, 
dass  Hr.  B.  dieselben  nicht  ganz  hat  in  den  Hintergrund  treten 
lassen,  sondern  sie  mit  den  sprachlichen  auf  eine  Art  verbun- 
den, die  jetzt  von  sachverständigen  Richtern  als  zweckmässig 
anerkannt  worden  ist  *).  Was  aber  die  Vernachlässigung  des 
praktischen  Unterriclits  in  der  Alterthumskunde,  welche  der 
Herausg.  als  einen  grossen  Mangel  unsrer  jetzigen  Gymnasial- 
bildung ansieht,  anbetrifft,  so  kann  Rec.  sich  mit  demselben 
hier  nicht  ganz  einverstanden  erklären.  Verstehen  wir  nämlich 
Hrn.  B.  recht,  so  wünscht  derselbe  einen  systematischen  Un- 
terricht in  den  griechischen  und  römischen  Alterthümern  in  be- 
sondern Stunden,  wie  er  sonst  nach  Nieuport's  und  anderer 
Compendien  ertheilt  wurde.  Auf  den  meisten  preussischen 
Gymnasien  ist  derselbe  jetzt  verschwunden,  und   wir  glauben 


')  Um  nicht  zu  weitläuftig  zu  werden,  wollen  wir  hier  nur  auf 
die  von  Hrn.  Friedemann  in  seinen  Parünesen  J,  219 — 236  gemach- 
ten Zusammenstellungen  verweisen. 


CIc.  oratt.  in  CatiHnam.    Hcrausgeg.  von  Benecke.  -  81 

nicht  mit  Unrecht.  Denn  die  Lehrgegenstände  gewinnen  ein- 
mahl  durch  Vereinfachung  und  zweytens  kann  von  den  Alter- 
thümern,  soviel  fVir  Schüler  gehört,  bequem  bey  dem  Vortrage 
der  griechisclien  und  römischen  Geschichte  in  einem  besondern 
Abrisse  oder  in  einer  Uebersiclit  mitgenommen  werden,  voraus 
gesetzt,  dass,  wie  doch  meistens  der  Fall  ist,  dem  liistorischen 
Unterrichte  drey  Stunden  gewidmet  werden.  Eey  der  Erklä- 
rung der  Classiker  wird  sich  dann  Manches  ergänzen  und  nach- 
hohlen und  das  Ganze  durch  fleissige  Wiederholung  dem  Ge- 
dächtnisse fest  einprägen  lassen.  Recens.  ist  nach  dieser  Me- 
thode verfahren,  und  glaubt  grade  nicht  Gegenstände  von  be- 
sondrer Wichtigkeit  übergangen  zu  haben:  die  Ausfüllung  des 
ganzen  grossen  Gebietes  aber  gehört  der  Universität  an.  Da 
kann  der  Lehrer  sich  über  Vieles  ausführlicher  verbreiten,  was 
ausser  den  Gränzen  der  Schulbildung  liegt  und  oft  (wie  z.  B. 
viele  Gegenstände  des  mit  dem  ganzen  römischen  Leben  so  ge- 
nau verzweigten  römischen  Rechts)  von  den  Schülern  nicht  ein- 
mahl gehörig  begriffen  zu  werden  vermag.  Allzu  viel  darf  auch 
Aem  pr  actis  che  Ji  Nutzen  nicht  eingeräumt  werden,  was  freylich 
Manche  und  neuerdings  der  anonyme  Verfasser  einer  pädagogi- 
schen Schrift  verlangten*):  der  Gymnasialunterricht  soll  aller- 
dings den  Schüler  zum  practischen  Menschen  bilden,  aber  man 
soll  ihm  nicht  immer  die  Rücksicht  auf  das  bloss  Nützliche  und 
Brauchbare  als  den  höchsten  Zweck  vorhalten  **).  Dagegen 
glauben  wir  —  xim  diess  noch  kürzlich  zu  bemerken  —  dass 
von  allen  Nebenwissenschaften  die  Literaturgeschichte  der  Grie- 
chen und  Römer  auf  jeder  Gelehrtenschule  unentbehrlich  sey, 
worüber  wir  für  jetzt  nur  auf  Ilrn.  ßaumgarten  -  Crusius 
Briefe  über  Bildung  in  Gelehrtensch.  S.  62  f.  verweisen  wollen. 

Doch  wir  keliren  zu  Hrn.  Benecke  zurück.  Seine  sach- 
lichen Anmerkungen  sind  mit  vielem  Fleisse  ausgearbeitet  und 
mit  dem  off"enbaren  Bestreben ,  durch  dieselben  dem  Jünglinge 
einen  Theil  des  römischen  Alterthuraes  zu  eröffnen.  Aber  das 
Eine  müssen  wir  dabey  bemerken ,  dass  manche  derselben  zu 
lang  sind  oder  auch  zu  bekannte  Gegenstände  behandeln.     Wir 


*)  In  der  Broschüre :  der  Zeitgeist  und  die  gelehrten  Schulen  (Ber- 
lin, 1829)  S.  29  —  35,  womit  Hr.  Buch  holz  in  einem  starken  Aus- 
falle gegen  luisre  heutige  philologische  Bildung  in  seiner  Neuen  Mo- 
natsschrift f.  Deutschland  WiS,  X  S.  221  f.  übereinstimmt.  Man  s.  da- 
gegen K.  L.  Struve's  gesammelte  Reden  Nr.  X  S.  221/. 

**)  LesensTverthe  Bemerkungen  hierüber  finden  sich  in  der  Schrift 
eines  hannoverischen  Schulmannes,  der  sich  Kalokagathophilos 
genannt  hat:  über  einige  Mängel  des  höhern  Unterrichtswesens ,  besonders 
im  Königreiche  Hannover.  S.  90/. 

Jährt),  f.  Phil.  u.  Fädag.  Jahrg.  V.  Heft  1.  Q 


82  Romische   Litter atuT. 

rechnen  dahin  die  Anmerkungen  zu  1, 1,  3,  über  Tib.  Gracchus; 
zu  2,  4,  über  Saturninus;  zu  5, 11,  über  dieComitien;  zu  9,  24, 
über  die  römischen  Adler,-  zu  II,  6, 14,  über  Massilia ;  zu  10,  23, 
über  die  lecticae;  zu  IV,  7, 15,  über  die  scribae  bey  den  Alten; 
zu  8,  17,  über  die  Ansicht  der  Alten  von  Handwerken  und  me- 
chanischen Künsten  u.  dgl.  m.  In  allen  solchen  Stellen  hat  Hr. 
Matthiae  mit  lobenswerther Kürze  die  nöthigen  Nachweisun- 
gen gegeben. 

In  Beziehung  auf  die  sprachlichen  Anmerkungen  könnten 
wir  eine  ganze  Reihe  derselben  uahmhaft  machen,  wo  der  Her- 
ausg.  nützliche  Bemerkungen  beygebracht  liat,  wie  über  die 
Infinitive  des  Perfects  und  des  Präsens  zu  I,  3,  7;  über  die  Ver- 
bindung von  ide7n  mit  dem  Relativ  zu  I,  8,  19;  über  das  Per- 
fectum  des  Conjunctivs  zu  9,  22;  über  die  Wiederholung  von 
Präpositionen  zu  I,  13,  33  und  zu  III,  ß,  15;  über  Verbindung 
der  Pronomina  zu  II,  5,  9 ;  über  die  Construction  von  se  iactare^ 
gloriuri  u.  a.  zu  II,  9,  20 ;  über  das  Participium  Futur.  Pass.  im 
Sinne  der  Möglichkeit  zu  II,  13,  28;  über  den  zu  einem  Posses- 
siv Pronomen  als  Apposition  gesetzten  Genitiv  zu  IV,  3,  4,  und 
andre  mehr,  welche  das  Register  naclnveiset.  Hier  und  da 
scheint  uns  der  Herausg.,  wie  verdienstlich  auch  sonst  die  An- 
merkung ist,  doch  dem  Schüler  etwas  zu  viel  zugerauthet  zu 
haben.  So  in  den  Anmerkk.  über  den  Gebrauch  des  ?ne  ipse  u. 
me  ipsum  zu  I,  2,  5,  oder  der  Construction  des  non  modo  non, 
sed  etiam  zu  I,  3,  8.  Das  sind  Untersuchungen ,  die  für  einen 
Schüler  noch  zu  fern  liegen.  Uebrigens  zeigt  Hr.  B.  in  seinen 
Anmerkungen  eine  gute  Bekanntschaft  mit  den  Schriften  des 
Cicero  und  mit  seinen  Auslegern,  deren  häufige  Anführung  wir 
keinesweges  tadeln ,  ferner  in  den  synonymischen  Bestimmun- 
gen Genauigkeit  und  in  den  Erläuterungen  einzelner  Wörter 
Umsicht  und  Belesenheit.  Auch  ist  es  für  Schüler  recht  nütz- 
lich ,  dass  viele  Stellen  nicht  bloss  citirt,  sondern  auch  ganz 
ausgeschrieben  sind.  Ungenaue  Citate  liaben  wir  nur  in  weni- 
gen Steilen  bemerkt.  Dahin  gehören  S.  9  {Diojiys.  Halte,  de 
Comp.  Verb.),  S.  78  (Cic.p.MU.).,  S.  151  {Aeschin.  gege?i  Cte- 
siphon.),  S.  173  {Demosth.  Phil.  1  und  Isocrates:  wo  überall 
die  Capitelzahl  oder  Seitenangabe  fehlt.).  In  den  angeführten 
Schriften  und  kleinern  Abhandlungen  zur  Erläuterung  mancher 
sachlichen  Gegenstände  hat  Hr.  B.  mitunter  solche  genannt,  die 
wohl  schwerlich  ein  Schüler,  oft  kaum  der  Lehrer,  sich  zu  ver- 
schaffen im  Stande  ist.  So  wird  S.  17  auf  Baumgarten-  Cru- 
sius  Abhandlung  de  Sacerdotibus  Rom.  verwiesen,  S.  120  auf 
Rubenius  de  re  vestiaria  und  Hier.  Bossiiis  de  lato  clavo  sena- 
torum.,  S.  134  auf  Schwarz  erts  Abhandlung  de  commissationi- 
bus  veterurn.,  auf  de  Paw  Untersuchungen  de  alea  veterum^ 
Barbegrac  Traite  du  jeu  u.  a.,  auf  S.  lO«  auf  eine  im  J.  1749 
erschienene  Abhandl.  von  den  Pantomimen ,    S.  225  auf  Edm. 


Cic.  oratt.  in  Catllinara.     Herausgcg'.  von  BenecVe.  83 

Figrelii  Monographie  de  statuis  illustrium.  Romanorum  und  S. 
224  auf  zwey  Abhandlungen  über  die pulvinaria  aus  den  ersten 
Deceunien  des  achtzehnten  Jahrhunderts.  Solche  Citate,  die 
dem  fleissigen  Schüler  ganz  unverständlich  und  unbrauchbar 
sind,  schrecken  ihn  nur  ab  und  verleiden  ihm  die  Lust  an  sei- 
ner Arbeit.  Gut  wäre  es  freylich ,  wenn  man  bey  solchen  Ge- 
legenheiten auf  ein  Handbuch  römischer  Älterthümer ,  das  in 
den  Händen  vieler  Schüler  vorausgesetzt  werden  könnte,  zu 
verweisen  im  Stande  wäre.  Aber  eines  solchen  entbehren  wir 
noch,  da  Hrn.  Creuzer's  sachreiclier  Abriss  der  römischen 
Antiquitäten  nicht  für  Schüler  eingerichtet  ist.  Bis  wir  also 
ein  solches  erhalten  *),  ist  es  gewiss  am  Nützlichsten,  die  wich- 
tigsten Beweisstellen,  wo  es  nöthig  seyn  sollte,  ganz  ausge- 
druckt mitzuthcUen ,  auf  solche  Schriften  aber,  die  theils  un- 
zugänglich ,  theils  von  neuern  Bearbeitungen  übertroffen  sind, 
gar  nicht  zu  verweisen. 

Nach  dieser  allgemeinen  Charakteristik  der  Anmerkungen 
des  Hrn.  Be necke  wendet  sich  Rec.  nun  noch  zu  einigen  ein- 
zelnen Stellen  der  Catilinarischen  Reden,  um  an  ihnen  die  Be- 
handlungsart des  Hrn.  Herausgebers  darzuthun.  Wir  bemerk- 
ten bereits  ,  dass  Hr.  B.  den  Text  nach  einer  genauen  Recogni- 
tion  der  bisher  verglichenen  handschriftlichen  Hülfsraittel  und 
der  altern  Ausgaben,  die  noch  immer  eine  genauere  Verglei- 
chung  verdienen,  zugeben  und  sich  soviel  als  möglich  an  die 
handschrifti.  Lesarten  zu  halten  bemüht  gewesen  ist.  Wenn  eg 
nun  auch  gleich  nicht  in  dem  Plane  des  Herausg.  lag,  alle  ab- 
weichende Lesarten  aufzuzählen ,  mit  welchem  Verfaliren  wir 
auch  ganz  einverstanden  sind ,  so  hat  es  uns  doch  befremdet, 
der  Orelli'schen  Ausg.  nirgends  gedacht  zu  sehen,  so  wie 
wir  auch  bey  der  vierten  Catilinarischen  Rede  die  Benutzung 
Ton  Herrn  Wund  er 's  Vergleichung  der  Erfurter  Handschrift 
{Fariae  Lect.  p.  XXI s.  u.  p.  34^.)  vermissen.  Beyde  Schrif- 
ten aber  waren  bereits  lange  vor  Hrn.  Ben  ecke's  Ausgabe  er- 
schienen und  hätten  wenigstens,  wenn  der  Druck  diess  vielleicht 
nicht  anders  gestattete,  in  einem  Nachtrage  kürzlich  benutzt 
werden  können,  üebrigens  haben  wir  bey  der  Vergleichung 
des  Benecke'schen  Textes  mit  dem  Orelli'schen  eine  öftere  Ue- 
bereinstimmung  bemerkt ,  was  nur  zur  Empfehlung  der  vorlie- 
genden Ausgabe  dienen  kann.  So  hat  unter  andern  Herr  B.  in 
Orat.  II,  10,  23  seminarijim  Catilinariuni ^  wie  Hr.  Orelli  auch 
hat,  geschrieben;  III,  1,  2  haben  beyde  deiecimus  statt  reieci- 


*)  Sollte  nicht  vielleicht  Hr.  Prof.  Bahr  die  Ausarbeitungeines 
solchen  beabsichtigen?  Seine  in  der  Ersch-Griiber'echen  Eiicyclopä- 
die  aus  diesem  Fache  gelieferten  Artikel  zeugen  von  genauer  Bekannt- 
schaft und  vielem  Fleisse  in  Zusamjaenstellung  des  Wichtigsten. 

6* 


84  Römische     Litteratar. 

mus^  cap.  S,  7  d ef ei  ri  statt  referri^  12,29  ht  fecistis  hinzuge- 
setzt ,  IV,  3,  C  ist  vestrae  7ne?ites  inclinant  statt  se  inclinaJit 
von  beyden  geschrieben  worden, 

Orat.  I,  1,  1:  Ai/iil  timor  popiili^  fiihil  conci/rsus  bonorum 
omnium^  nihil —  moveruiit.  Hr.  B.  giebt  hier  der  von  Gara- 
toni  gebilligten  Lesart  consensus  bon.  omn.  fast  den  Voi'zug 
sowolii  der  angefVilirten  Paralielstellen  als  des  Zusammenhan- 
ges wegen,  da  Cicero  wolil  nicht  leicht  hätte  sagen  können, 
dass  das  ängstliche  Zusammenlaufen  den  Catilina  zur  Sinnesver- 
änderung bewegt  liätte,  was  aber  wohl  durch  die  einmiithige 
Gesinnung  aller  Patrioten  bewirkt  werden  konnte.  Aber  Ilec. 
bleibt  doch  bey  der  gewöhnliclien  Lesart,  denn  einraahl  war  es 
dem  Redner  darum  zu  thun,  hier  ein  Wort  zu  wählen,  welches 
eine  Thatsache  bezeichne,  nicht  bloss  eineMeynung  {consensio) 
andeute,  wie  die  dabey  stehenden  Worte  praesidium^  vigiliae 
u.  s,  w.  anzeigen.  Zweytens  aber  braucht  ja  coiicursus  nicht 
von  einem  ängstlichen  Zusammenlaufen  verstanden  zu  werden, 
es  ist  vielmehr  das  gemeinsame  Auftreten  aller  Patrioten,  die 
sich  in  der  Nähe  des  Senats  und  des  Consuls,  wo  sie  für  das 
wahre  Beste  des  Staats  thätig  seyn  zu  können  glauben,  zusam- 
menziehen. So,  von  der  Richtung  auf  einen  Punkt,  steht  coii- 
cursus auch  Orat.  in  Pison.  22,  51:  Q,uid  dicain  adveiitus  7neos? 
quid  effusiones  homimirn  ex  oppidis  ?  quid  coiicursus  ex  agris 
patnnn  familios  cum  coniugibus  et  liberis?  Oder  Epp.  ad  Attic. 
V,  10:  Tncredibilem  in  modum  concursus  fiunt  ex  agris  ^  ex  vi- 
cis^  ex  domibus  omnibus.  Am  Schlüsse  dieses  Capitels  §4  er- 
klärt Hr.  B.  die  Worte:  non  deest  reipublicae  consilium  befrie- 
digend und  nimmt  reipublicae  als  Genitiv.  Cap.  2,  4:  Num 
unum  diem  —  C  Servilium  praetor em  mors  a  reipublicae  poena 
remorata  est.  Herr  B.  hat  diese  Lesart  mehrerer  alter  Ausga- 
ben aufgenommen,  weil  sie  sich  ihm  nicht  allein  durch  Leich- 
tigkeit empfiehlt,  sondern  auch  ganz  vortrefflich  den  Sinn  giebt, 
den  die  Herausgeber  vergeblich  in  die  andre  Lesart  „hineinzu- 
zwängen" suchen.  Es  würde  uns  zu  weit  führen,  diese  vielbe- 
sprochene Stelle  hier  ausführlich  durchzugehen,  und  wir  wollen 
daher  nur  kürzlich  andeuten,  dass  wir  der  von  3Iatthiae  ge- 
gebenen Erklärung  der  Lesart  7nors  ac  reipublicae  poena  remo- 
rata est  noch  immer  beyziitreten  geneigt  sind.  Die  Worte  7nors 
und  poena  scheinen  uns  hier  für  die  rednerische  Lebhaftigkeit 
sehr  zu  passen,  wenn  wir  uns  Tod  und  Strafe  als  personificirt 
denken,  die  den  üebelthäter  schnell  ereilen,  die  nicht  lange 
auf  sich  warten  lassen.  Hr.  B.  will  remorari  hier  zwar,  auf 
die  Stelle  pro  leg.  3Ianil.  14,  40  gestützt,  für  devocare  aliquem 
ab  instituto  cursu  nehmen,  aber  die  Aehnlichkeit  beyder  Stel- 
len ist  wohl  nur  scheinbar  und  unsre  Stelle  wenigstens  würde 
durch  diese  Erklärung  schwerlich  an  Kraft  gewinnen.  Herrn 
Matthiae's  Erklärung  dagegen  giebt  der  Stelle  eine  gewisse 


Cic.  oratt.  in  Catllinani.    Herausgcg.  von  Renecke.  85 

dichterische  Lebhaftigkeit,  indem  der  Tod  hier  als  die  selbst- 
thätig  wirkende  Handlung  dargestellt  wird,   obgleich  es  eigent- 
lich Saturninus  war ,   der  durch  seine  Thaten  und  Handlungen 
seinen  Tod  und  die  ihm  gebührende  Strafe  nicht  lange  ausblei- 
ben machte.     Herr  Matthiae  hat  bereits  dazu  die  in  sachli- 
cher und  sprachlicher  Beziehung  passende  Steile  aus  Propert. 
I,  19,  17  angeführt:    uns  scheint  auch  die  Stelle  Verr.  I,  3,  7 
hierher  zu  gehören:  agunt  eum  praecipitem  jwe/iae  ciciitm  Ro- 
nianorum^    d.  h.    agitur  proeceps  ob  poenas   civibus  Romanis 
dandas.     Vgl.  Virgil.  Aen.  ¥1,542:   hnc  Her  Elysium  nobis: 
at  laeva  mtdortwi  Exercet  poenas  et  ad  impia    Tartara  mittit^ 
wo  via  für  die  Strafe  steht,  zu  welcher  der  Wegführt.    X,  204: 
Hinc  quoque    quingentos  in   se  Mezentiiis  annat :     Mezentiiis 
steht  hier  als  selbstständig  wirkende  Ursache,    da  er  der  logi- 
schen Bestimmtheit  nach  nur  der  Grund,  die  Veranlassung  seyu 
kann.     Wenn  wir  im  Deutschen  sagen:  „der  erfuordete  Bruder 
treibt  ihn  zur  Rache"  oder    „der  entlaubte  Hain  verscheucht 
die  lieblichen  Sänger""    so  findet  hier  dieselbe  Art  der  Rede 
Statt,    die  auch  in  verwandter  Beziehung  selbst  dem  lateini- 
schen ruhigeren   Ausdrucke  nicht   ganz   fremd  ist,     wie   aus 
Beier's  Anmerkung  zu  Cic.  de  Offic.  I,  37,134  zu  ersehen  ist. 
Die  Worte  reip.  poena  endlich  erklärt  der  Herausg.  mit  Herrn 
Matthiae  durch  poena  a  repifblica  inßicta^  oder,  was  er  vor- 
zuziehen scheint,  für  „die  Strafe,  welche  er  um  den  Staat  ver- 
dient hatte."     Der  Genitiv  lässt  beyde  Erklärungen  zu:    man 
vgl.  ausser  den  Matthiae'schen  Anmerkungen  zu  n.  St.  und  zur 
Orat.  p.  leg.  Manil.  15,  43  noch  Bei  er  zu  Cic.  de  Ofiic.  H,  5^ 
16  und  Heiurich  zu  Cic.  Fragment.  Oratt.  p.  04  s.  —     Cap. 
5,  12:  Sin  tu —  esien's^  eshaurietur  ex  urbe  tnorum  comitum 
magna  et  perniciosa  sentina  [reipublicae\     Unser  Herausge- 
ber ist  hier  der  Ernesti'schen  Ansicht  gefolgt  und  hält  rei^ 
publicae  für  unächt.      Aber  mit  Recht  sind  Morgenstern, 
Matthiae  und  Orelli  für  die  Aechtheit  dieses  Wortes,  von 
denen  der  erstere  gajiz  richtig  bemerkt,  dass  durch  sentina  co- 
mitum tuorum  nur  der  Ausimirf  ('der  schlechteste  Theil)  Dei- 
ner Genossen  bezeichnet  seyn  würde:    dass  aber  Cicero  sagen 
wollte,  der  aus  Deinen  Genossen  bestehende  Ausunirf  des  Staa- 
tes.    Dass  zwey  Genitive  in  verschiedner  Beziehung  zu  einem 
Nomen  ohne  allen  Anstoss  gesetzt  werden  können ,   liat  nach 
Matthiae  auch  Hr.  B.  bemerkt  (wozu  man  jetzt  Haud's   An- 
merkung zu  Wopkens  Lect.  Tfdlian.  p.  123  ?iot.  143  vergleiclie), 
lind  eben  so  finden  wir  auch  in  der  Stellung  dt's  Wortes  reipii- 
blicae  nicht,  dass  dasselbe  „ohne  alle  Haltung  unerträglich  nach- 
hinkt?''    Der  an  den  Schluss  einer  langem  Rede  gestellte  Ge- 
nitiv reipublicae  giebt  vielmehr  dem  Ganzen,  namentlich  nach 
den  Wörtern  tuorum  comitum.  einen  grössern  Nachdruck,  wenn 
er  auch  für  den  ersten  Augenblick  gegen  das  Gesetz  der  Cou- 


86  Römische   Litteratur. 

cinnität  zu  Verstössen  scheint.     Selbst  die  ruhigere  Rede  liebt 
diese  Stellung,    wie  Cic.  de  Offic.  I,  13,  41:   est  autem  infima 
conditio  et  fortuna  servorum.     De  Finib.  V,  23,  67:    quando 
unam  societatem  esse  volumus   hominvm^    wie  Görenz  ganz 
richtig  schreibt.  —     Cap.  0, 13 :    Quod  privatarum  rerum  de- 
decus  non  haeret  infamiae  tuae?     Herr  B.  meynt,  dass,  wenn 
in  dieser  Stelle  etwas  geändert  werden  sollte,  er  der  Lesart  in 
fama  tua  den  Vorzug  geben  würde,   dass  er  aber  die  gewöhn- 
liche Schreibart  im  Texte  behalten  habe  wegen  der  ganz  ähn- 
lichen Stelle  in  Sueton.  Oetav.  C8:  prima  iuventa  variorum  de- 
decoiimi  infamiam  suhiit.     Aber  auch  die  sonstige  Erklärung 
dieser  Stelle,  wie  sie  Garatoni,  Beck  und  M  atthiae  (des- 
sen zweyte  Ausgabe  bey  dieser  Stelle  Hr.  B.  erst  nach  Vollen- 
dung seiner  Ausg.  erhalten  hat)  geben,  hat  für  uns  alle  Zwei- 
fel über  die  Aechtheit  des  Wortes  infamiae  beseitigt.      Auch 
Orelli  hat  es  beybehalten,  nur  <Mfle  lässt  er  mit  Matt hiae 
aus.  —     Cap.  8,  20:    Quae  quiim  ita  sint^    Catilina^   dubilas^ 
si  hie  morari  aequo  animo  non  potes^  abire  in  aliquas  terras 
cet.     Unser  Herausg.  hat  die  Lesart  hie  morari  st.  emori  wie- 
der zurückgerufen  und  wundert  sich  sehr,    wie  man  dieselbe 
einer  andern  verschrobenen  hat  nachsetzen  können.    Aber  Reo. 
muss  sich  auch  zu  denen  bekennen ,  die ,  wie  auch  neuerdings 
Orelli,  emori  vorziehen.     Denn  zuvörderst  beziehen  sich  die 
Worte  quae  qmim  ita  sint   wohl  nicht  auf  Cicero's  ganze  vor- 
hergegangene Rede,    wie  Hr.  B.  meynt,  sondern  nur  auf  die 
letzten  Worte  vom  Anfange  des  achten  Capitels  an.     „Das  Va- 
terland, so  schloss  Cicero  in  cap.  1,  18,  verlangt  deine  Entfer- 
nung,   Catilina,    du  musst  bey  so  grossen  Verdachtsgründen 
geiner  Stimme  folgen,   auch  wenn  es  nicht  gewaltsam  Hand  an 
dich  legen  sollte.     Nun  willst  du  aber  zu  Rom  dich  noch  län- 
ger aufhalten  und  hast  dich  erboten,  entweder  bey  M.  Lepidus 
oder  bey  mir  oder  bey  Marcellus  in  Gewahrsam  zu  bleiben. 
Aber  vergebens.     Da  du  dich  nun  aber  selbst  zu  einem  solchen 
Gewahrsam  stellen  willst,  so  ist  diess  ja  der  beste  Beweis,  wie 
du  eigentlich  solltest  in  Ketten  und  Banden  geworfen  werden, 
als  ein  zum  völligen  Tode  bestimmter  Verbrecher.     Da  du  aber 
eben  diesen  Tod  [emori)  fürchtest,  so  begreife  ich  nicht,  wa- 
rum du  nicht  Rom  verlassen  willst,  wo  dir  derselbe  doch  fort- 
während droht  (§  21).     Ein  Leben  voll  Schande  und  Verban- 
nung würde  dir,  der  du  nicht  den  Muth  hast  zu  sterben,  leich- 
ter zu  ertragen  seyn  als  hier  in  Rom  die  Todesstrafe."     Bey 
diesem  Zusammenhange,  der  zu  der  aufgeregten  Stimmung  des 
Redners  recht  gut  passt,  würde  Cicero—  freylich  ohne  es  selbst 
zu  wollen  —  Catilina's  eigne  Worte  auf  eine  sehr  bittere  Weise 
parodiren,    welche  dieser  bey  Sallustius  (cap.  20,  9)  spricht: 
norme  emori  per  virtutem  praesiat^  qnam  vitam  miseram  at- 
que  inhonestam — per  dedectis  amittere^  was  eine  Zusammen- 


Cic.  oratt.  in  Catriinuiu.     Herausg-eg;.  Ton  Benecke.  St 

Ziehung  der  Gedanken  ist  statt  quam  vitam  miseram  trahere 
et  paullo  serius  tarnen  amittere.  Dass  einori  aber  soviel  ist 
als  omnino  mori  und  einen  völligen  Tod  bezeichnet,  beweisen 
Stellen,  wie  Cic.  ad  divers.  11,15,3:  Faveo  Ctiiioni;  Caesa- 
rem  honestiim  esse  cupio ;  pro  Pornpeio  ernori  possuin ;  ferner 
nahmentlich  die  Gegensätze,  wie  bey  Cic.  in  Pison.  7,  15:  huic 
populo  ita  fuit  libertas  iuxta ,  nt  ernori  potius  quam  servire 
praestaret^  und  in  den  übrigen  von  Hrn.  Do  derlei  n  bey  Ge- 
legenheit seiner  Bemerkungen  über  diess  Wort  in  seinen  Lat. 
Synonymen  Th.  III  S.  183  — 185  gesammelten  Stellen.  Mau 
vgl.  noch  dazu  Orat.  pro  Plane.  37,  90  und  de  Orat.  I,  57,243. 
Die  von  allen  neuern  Herausgebern  gemissbilligte  Lesart  hie 
morari  ist  um  vieles  kraftloser  als  die  andre  und  gewiss,  wie 
Oreili  bemerkt,  aus  dem  falschverstandenen  Worte  ernori 
entstanden,  woher  sich  denn  auch  das  hie  erklärt,  üebrigens 
kann  Rec.  hierbey  nicht  die  Bemerkung  unterdrücken,  dass  in 
einer  für  Schüler  bestimmten  Ausgabe  es  sich  nicht  gut  aus- 
nimmt^ wenn  die  Meynungen  ausgezeichneter , Männer,  eines 
Graeve,  Morgenstern,  Wolf,  Beck,  Schütz,  Mat- 
thiae  hier  sowohl  als  an  einigen  andern  Stellen  als  „lächer- 
lich" oder  „thöricht"  oder  als  „matt  und  unpassend"  be- 
zeichnet werden.  Wir  wollen  keinen  blinden  Autoritä.tsglau- 
ben  begründen ,  aber  Ehrfurcht  und  Achtung  gebührt  den  Ko- 
ryphäen der  Wissenschaft  überall,  selbst  da^  wo  sie  geirrt  ha- 
ben, und  am  meisten  da,  wo  ein  aufwachsendes  Geschlecht 
durch  die  Nahmen  dieser  Männer  und  ihre  segensreiche  Wiik- 
samkeit  gekräftigt  und  gestärkt  werden  soll.  Modeste  et  cir~ 
cumspecto  iudicio  (das  waren  schon  Quinctilianus  Worte )  de 
iantis  viris  pronuntiandum  est^  ne^  quod  plerisque  accidit^ 
damnent  quae  non  intelligunt  *). 

Orat.  il  cap.  2,  4:  Tongilitem  mihi  edusit^  quem  arnare 
in  praetexia  calumnia  coeperat.  Ueber  mihi  bemerkt  Hr.  B.: 
„das  Pronomen  mihi  steht  sehr  oft  im  Allgemeinen  für  den  Sinn 
überflüssig ,  vorzüglich  im  vertraulichen  Gespräche ,  in  scherz- 
hafter oder  ironischer  Beziehung.  Vgl.  Burmann  zu  Virg.  Aen. 
V,  391."  Allerdings  steht  dieser  den  Griechen  sowohl  als  La- 
teinern sehr  gewöhnliche  Dativ  des  Pronomens,  um  die  Rede 
gemüthlich  oder  familiär  zu  machen ,  aber  auch  —  was  beson- 
ders zu  merken  ist,  —  um  sie  in  nähere  Beziehung  auf  die  Per- 
son zu  setzen.  Burmann's  Anmerkung  zum  Virgiiius  möchten 
auch  wohl  wenige  Schüler  —  und  vielleicht  nicht  einmahl  alle 
Lehrer  —  im  Stande  seyn  nachzuschlagen.  Warum  also  nicht 
lieber  ein  Paar  recht  bezeichnende  Stellen  mehr  für  die  erstem, 
wie  aus  Cic.  ad  div.  IX,  2,  ad  Attic.  I,  14,  Orat.  p.  Rose.  Amer. 


•)  X,  1,  26.  Vgl.  Hrn.  Kiebs  Programm  vom  J.  1820  S.31,  Anui 


88  Römisch  eLitteratur. 

46, 133.  —  Ferner  hat  Herr  B.  in  dieser  Stelle  calumnia  im 
Texte  stehen  lassen  und  will  es ,  bis  anderweitige  Hülfe  gefun- 
den wird,  allenfalls  durch  „auf  eine  ränkevolle,  schändliche 
Art"  oder  „aus  Chikane"  erklären.  Aber  das  Wort  ist  ge- 
wiss verdorben  und  hätte  wenigstens  als  verdächtig  im  Texte 
bezeichnet  werden  sollen.  Von  allen  Vermutliungen  gefällt 
uns  keine  besser,  als  die  von  Withof  (^Aninerkk.  über  röm. 
Schriftst.  II J^  44.),  welche  Herr  B.  nicht  anführt,  nähmiich 
catamitum  zu  lesen,  worüber  auch  Bei  er  zu  Cic.  Oratt.  Ined. 
p.  27(i  gesprochen  u.  p.  112  selbst  mehrere  Verbesserungsvor- 
schläge gemacht  hat,  die  wir  jedoch  dem  Withof'schen  nicht 
vorziehen  möchten.  Denn  diese  Vermuthung  kommt  sowohl 
den  Buchstaben  des  Worts  calumnia  näher  und  hat  auch  ähn- 
liche Ciceronianische  Stellen  für  sich.  Uebrigens  ist  Bei  er 's 
Behandlungsart  dieses  Wortes  musterhaft  für  die  Behandlung 
solcher  Stellen ,  die  man  gewöhnlich  schlüpfrige  zu  nennen 
pflegt  und  deren  uns  der  sei,  C.  C.  Sprengel  bey  längerm 
Leben  gewiss  noch  eine  ganze  Menge  aus  den  Alten  Ttv^  xal  Xa^ 
zusamjnengesucht  haben  würde  *).  —  Cap.  6,  13:  Quum  hae~ 
sitaret^  quum  tenGretm\  quaesivi^  quid  dubitaret  eo  pi'oß- 
cisci^  quo  iam  pridem  pararat.  So  liat  Hr.  B.  statt  der  Les- 
art ;;a/flre^,  welcher  Heumann,  Matthiae  u.  Orelli  den 
Vorzug  geben.  Allerdings  Iiatte,  wie  unser  Herausg.  richtig 
bemerkt,  Catilina  bereits  die  Anstalten  zur  Reise  gemacht,  aber 
als  ihn  Cicero  frug,  weshalb  er  zu  gehen  zaudere,  da  dachte 
Cicero  nicht  an  das,  was  Catilina  bereits  gethan  hatte,  son- 
dern dass  er  noch  bis  auf  diesen  Augenblick  ,  also  gleichzeitig 
mit  dem  Zaudern,  damit  beschäftigt  sey.  Uns  dünkt,  dass 
Matthiae  sehr  richtig  zu  unsrer  Stelle  bemerkt  hat:  „tem- 
pus  non  convenit:  non  enim  pararat  Catil.  ad  Manlium  pro- 
ficisci,  sed  adhuc  parabat.''^  Der  Zusammenhang  mit  den 
vorhergegangenen  Worten  fordert  hier  einen  Conjunctiv  (vgl. 
Ramshorn's  Lat.  Gramm.  §  195,  H,  3,  ß  S.  621.),  der  übrigens, 
wie  Hr.  B.  selbst  bemerkt  und  auch  mit  einigen  Beyspielen  be- 
legt hat,  in  Zwischensätzen  wohl  mit  dem  Indicativ  vertauscht 


*)  Wir  meynen  dieses  ehemaligen  Rectors  zu  Spandau  Neue  (je- 
doch sehr  bald  vergessene)  Kritik  der  classischen  römischen  Dichter  (Ber- 
lin, 1815) ,  wo  S.  16  —  19  die  leitenden  Grundsätze  angegeben  sind. 
Man  vgl.  über  die  Erklärung  solcher  Stellen  die  trefflichen  Bemerkun- 
gen des  Doppel -Jubelgreises,  C.  D.  Beck  in  seinen  im  J.  1801  er- 
schienenen Obscrvatt.  Crit.  Exeget.  p.  Flu.  FII,  ferner  Hrn.  Friede- 
inann's  Rede  de  ludis  liter.  regund.  p.  29  m.  30  und  die  HH.  Gott- 
hold und  Passow  in  diesen  Jahrbb.  1827,  I,  4  S.  16  und  1828,  I,[l 
S.  41,  so  wie  Hrn.  Eichstädt  im  Vorworte  zum  Jenaer  Lecttonscota- 
logc  für  den  IVinier  1828  S.  3  —  6. 


Cic.  oraii.  in  Catilinam.     Heraußgeg'.  von  Bcncclte.  89 

werden  kann,  wenn  die  Rede  freyer  sich  bewegt  oder  wenn 
der  durch  den  Indicativ  ausgedrückte  Satz  nur  einen  Begriff* 
enthält,  der  auch  vielleicht  durcli  ein  Adjectivum  oder  Parti- 
cipium  hätte  können  ausgedrückt  werden.  Freylich  niuss  da- 
bey  stets  eine  ganz  besondre  Rücksicht  auf  den  Zusammenhang 
genommen  werden,  durch  den  die  allgemeinen  Bestimmungen 
oft  eigenthüraliche  Nuancen  erhalten,  die  unsrer  deutschen 
Sprache  fremd  sind.  Man  vgl.  Ruhnken  z.  Rutil.  Lup.  p.  98, 
Gernliard  zu  Cic.  de  Oi'fic.  I,  20,90,  Ochsner  zu  Olivet's 
Eclog.  Cic.  S.  23,  Hess  zu  Tacit.  Germ.  45,  7,  Kritz  zu  Sal- 
lust  Catil.  14,7  und  27,  4  und  unsre  Anführuugen  in  diesen 
Jalirbb.  1828,  III,  2  S.  131,  wozu  noch  die  gründlichen  Aus- 
einandersetzungen Wunder's  in  der  Vorrede  zu  Var.  Lectt. 
cod.  Erfurt,  p.  LXXXl  und  Iland's  zu  Wopl'cns  Lect.  Tul- 
Hau.  p.  203  Jiot.  39  verglichen  werden  müssen.  Den  dichteri- 
schen Sprachgebrauch  erläutern  Burmann  zu  Lucan.  I,  120, 
Heusinger  zu  Ovid.  Heroid.  XV,  4,  Jahn  zu  Horat.  Sat.  II, 
3,  IfiS  und  S  c  h  m  i  d  zu  Horat.  Ep.  I,  16,  9.  —  Cap.  8, 18:  ^n 
tabulas  novas  ?  errant ,  qui  istas  a  Catilina  exspectanl ;  ?neo 
heneßcio  tabulae  novae  proferentur.^  verum  auctionariae.  Mit 
Recht  hat  unser  Herausg.  das  Wort  novae  an  beyden  Stellen  im 
Texte  gelassen,  welches  auch  Matthiae  in  der  zvveyten  Aus- 
gabe wieder  zurückgerufen  hat.  Die  Worte  selbst  erklärt  er 
nach  Bei  er  zu  Cic.  de  Offic.  II,  24,  84,  dass  Cicero  sage,  es 
sollen  zwar  durch  meine  Veranstaltung  neue  Schuldbücher  an- 
gelegt werden,  aber  solche,  welche,  wenn  nach  gehaltenem 
Verkaufe  der  zur  Deckung  der  Schulden  nothwendigen  Güter 
die  Schulden  getilgt  sind,  angelegt  zu  werden  pflegen.  Der- 
selben Meynung  ist  auch  Matthiae  in  der  zweyten  Ausgabe,  und 
Paldamus  in  seinen  Observat.  Crit.  ad  Propert.  p.  267  tritt 
ihr  bey,  ohne,  wie  es  scheint,  die  veränderte  Ansicht  des  be- 
rühmten Grammatikers  gekannt  zu  haben,  dass  in  tiovus  ein 
Wortspiel  liege.  Derselbe  Hr.  Paldamus  führt  dazu  die  ähn- 
liche Stelle  aus  Demosth.  Philipp.  I  p,  43,  9  an:  UyetaC  n  ocai- 
vov,  yevoiro  yccg  äv  tt  ■naivöxiQOV  t]  Maxsdcov  dv;^Q'A&r]vaiovg 
xata7ColE}ic5v.  Dass  ähnliche  Wortspiele  dem  ernsten  Demosthe- 
nes  selbst  nicht  fremd  waren,  hat  Bremi  in  seinen  Observ.  ad 
Demosth.  Philipp,  hinter  Rauchenstein' s  Abhandlung  de  canone 
Oratt.  Philipp. ,  p.  81  sq.  bewiesen.  Aus  andern  alten  Schrift- 
stellern hat  ßoisso  n  ad  e  zu  Nicet.  Eiigeuian.  T.  II  p.  195  sq. 
dergleichen  in  Menge  gesammelt,  und  auch  in  Cicero's  Reden 
sind  sie  nicht  ganz  ungewöhnlich.  Vgl.Orat.  in  Verr.  I,  46, 121: 
Alii  negabayit  mirandum  esse.,  ins  tam  7iequam  esse  Verriiium. 
II  etiam  frigidiores  erant;  sed.,  quia  stomachabantur .,  ridi- 
culi  videbantur  esse^  quum  sacerdotem  essecrabantur.,  qui  Ver~ 
rem  tam  nequam  reliquisset.  Andre  Stellen  s.  m.  in  Savels 
Programme  de  vindicandis  M.  Tullio  Ciceroni  orationibus  quin- 


00  Römische    Litteratur. 

que  (Aachen,  1828)  p.  XIII.  In  den  Briefen  kommen  dergleichen 
begreiflicher  Weise  noch  öfters  vor,  wie  ad  div.  VII,  11  und 
dazu  riuschke  in  der  Abhandlung  de  M.  Annio  Cimbrop.  27; 
XVI,  10;  ad  Attic.  I,  1(5,  2  u.  a. 

Rec.  hatte  sich  auch  aus  den  beyden  folgenden  Reden  noch 
einige  Stellen  ausgezeichnet,  welche  er  bey  dieser  Gelegenheit 
zu  besprechen  dachte.  Doch  ist  er  bereits  weitläuftiger  gewor- 
den, als  er  selbst  wollte,  und  sieht  sich  daher  veranlasst  hier 
abzubrechen.  In  Bezug  auf  die  neulich  in  der  Allgem.  Schul- 
zeitung 182S,  II  Nr.  142,  147  und  155  von  Hrn.  Rud.  Krebs 
und  einem  Ungenannten  behandelte  Streitfrage  über  den  Tag, 
an  welchem  die  erste  Catilinarische  Rede  gehalten  worden  ist, 
bemerkt  Rec.  noch,  dass  Ilr.  Benecke  auf  S.  6  den  8  Novem- 
ber als  den  Tag  der  Rede  annimmt,  wie  auch  Hr.  Krebs  —  und, 
wie  wir  glauben,   mit  Recht —  bestimmt  hatte. 

In  einem  Anhange  erwähnt  Hr.  B.  noch  (S.  316  f.)  des  Aus- 
spruches des  verstorbenen  F.  A.  Wolf,  dass  eine  der  vier  Ca- 
tilinarischen  Reden  unächt  sey  und  dass  derselbe  zugleich  in 
seinen  Vorlesungen  angedeutet  habe  „esse  alteram  e  mediis 
duabus''  *).  Herr  D.  Cludius  zu  Lyck  hat  diess  in  seinem 
Herbstprogr.  vom  J,  1826  (welches  auch  in  Seebode's  Neuem 
Archive  für  Philol.  1827,  IV  S.  47  —  85  abgedruckt  ist )  auf 
die  zweyte  Catilinarische  Rede  bezogen,  was  jedoch  unser  Her- 
ausgeber als  ein  Missverständniss  bezeichnet.  Denn  er  führt 
eine  Stelle  aus  einem  Briefe  Wolfs  an  Hrn.  Eichstädt  vom  In 
Aug.  1826  an ,  worin  derselbe  ausdrücklich  die  dritte  Rede  als 
unächt  bezeichnet.  Auch  Hr.  Eichstädt  hat  sich  späterhin 
mehrmals  darüber  in  seinen  Vorlesungen  ausgesprochen,  und  da- 
durch den  zu  früh  verstorbenen  Subconrect.  Beruh.  Böhme 
zu  Gera  zu  einer  besondern  Abhandlung  über  diesen  Gegen- 
stand veranlasst.  Die  Abhandlung  ist  jedoch  nicht  ganz  vollen- 
det, Herrn  Benecke  aber  zur  Ansicht  mitgetheilt  worden. 
Derselbe  verspricht  nun ,  wenn  er  zu  einer  sichern  Ueberzeu- 
gung  gekommen  seyn  würde,  eine  besondre  Abhandlung  dar- 
über abzufassen  und  dieselbe  zugleich  mit  der  Schrift  des  sei. 
Böhme,  wenn  ihm  diess  gestattet  werden  sollte,  dem  Publikum 

*)  Hrn.  Benecke  ist  entgangen,  was  Hr.  Orelli  am  Schlüsse 
der  Oratt.  Catilin.  (Vol.  II  P.  II  p.  48.)  schreibt:  „F.  A.  Wolfius,  cri- 
ticorum  sui  teinporis  princeps,  dum  Turici  degit,  amicis  discipuUsquc 
suis  significavit,  unara  Catilinariam  subditiciam  sibi  videri:  quam  inter 
quattuor,  ut  per  totam  vitam  i-I'qcov  erat,  nobis  divinandam  benigne 
reliquit:  faraam  scilicet  suam  in  re  tarn  ancipiti  pcriciitaii  nolebat. 
Ego  vero  subi-idcns  virura  summum  ita  iocari  vehementer  laetatus  sum." 
Sollte  nicht  auch  der  verstorbene  Bei  er,  unter  dessen  Nachlasse  sich 
ja  auch  ein  Conimentar  über  die  Catilinarien  befindet  (man  s.  Jahrbb. 
1828,  III,  4  S.  407.) ,    etwas  über  diesen  Gegenstand  geäussert  haben  ? 


Clceronis  orationcs  selcctae.    Edid.  Bloch.  91 

vorzulegen.  Hr.  Savels,  der  in  dem  oben  angeführten  Pro- 
gramme mehrere  der  verdächtigsten  Reden  Cicero's  in  Scliutz 
genommen  hat,  wird  also  hier  vielleicht  einen  neuen  Gegner 
erhalten,  dem  sich  aucli  wohl  Ilr.  Paldamus  anschliessen 
möchte,  der  ebenfalls  a.  a.  ().  schreibt:  „ceterum  in  quattuor 
ilüs  orationibus ,  quae  sub  Ciceronis  nomine  iactantur,  eliam- 
num  multainsunt,  linguae  castimonia  abhorrentia,  quae  notari 
merentur ,  velut  inquam  p.  igitiir  crebrius  positum.  Alia  alio 
tempore  proferam." 

Das  Aeussere  beyder  Ausgaben  ist  empfehlend,  der  Druck 
reinlich  und  gut  und  auch  der  Preis  nicht  so  hoch  gestellt,  als 
dass  man  nicht  hoffen  könnte,  sie  in  den  Händen  vieler  Gymna- 
siasten zu  sehen.  Dicss  gilt  von  Hrn.  Ben  ecke's  Ausgabe  um 
so  mehr,  da,  wie  bereits  oben  bemerkt  ist,  dieselbe  auch  Vie- 
les erklärt,  was  Schillern,  welche  diese  Reden  selbst  grade 
nicht  mehr  lesen ,  von  Nutzen  seyn  wird. 

Cöln,  1829.  Georg   Jacob. 


M.  Tu  im  Ciceronis  Orationes  Selectae.  Textura 
recognovit  et  perpetiia  eademque  tiromiiu  usibus  praesertim  ac- 
commodata  annotatione  illustravit  Dr.  S.  N.  J.  Bloch,  ordinis 
Danebrogici  eqnes  auratus ,  Professor  ac  scholae  Roeskildensis 
Catliedraliä  Rector.  Accedunt  Excursus  Critici.  Volumen  prius, 
Orationes  continens  j)ro  S.  lioscio  Amerino ,  i^ro  hege  Manilia  et 
quatuor  in  CaüUnam.  Koppenhagen,  bey  Schubothe.  1828.  VIII  ii. 
453  S.  8.  1  Thlr.  16  Gr.  (Auch  mit  dem  Kebentitel:  M.  Tüll. 
Cicer onis  Orationes  pro  Sext.  lioscio  Amerino 
cet.      Textum  recognovit  —  annotatione  illustravit  Ä.  iV.  J.  Bloch, 

Aus  Dänemark,  dem  „unserm  Deutschlande  literarisch  zu- 
geeigneten Königreiche"  *),  sind  in  der  neuern  Zeit  die  IIH. 
Madvig  und  Bygorn  -  Kr  arup  als  zwey  verdiente  Bearbei- 
ter Ciceronianischer  Werke  hervorgegangen.  Ihnen  schliesst 
sich  Hr.  Dr.  Bloch,  der  neuerdings  durch  seine  Revision  der 
Lehre  von  der  Aussprache  des  Altgriechischen  rühmlich  bekannt 
wurde,  in  der  vorliegenden  Ausgabe  an.  Derselbe  hatte  bereits 
vor  siebzehn  Jahren  eine  Ausgabe  der  auf  dem  Titel  genannten 
Reden  erscheinen  lassen,  welche  jedoch  in  Deutschland  weni- 
ger bekannt  geworden  zu  seyn  scheint.  Jetzt  nun ,  zu  einer 
zweyten  Bearbeitung  aufgefordert ,  entschloss  er  sich,  dieselbe 
nicht  ohne  eine  solche  Ausstattung  erscheinen  zu  lassen,  wie  sie 
die  trefflichen  Vorarbeiten  u.  anderweitigen  Forschungen  über 


*)   Worte  Bot  t  ige  r's  in  seiner  interessanten  Uebersicht  der  Leip- 
ziger Ostermesse  vom  J.  1829  iu  der  Beylage  s.  Allgem.  Zeitung  IS'r.  207. 


92  Römische    Litteratur. 

diese  Reden  nöthig  machen,  und  legt  den  Plan  derselben  in 
der  gut  und  leicht  geschriebenen  Vorrede  seinen  Lesern  vor. 
Herr  Bloch  nehmlich  ist  der  Meynung,  dass  die  bisherigen 
Ausgaben  von  Weiske,  Matthiä  u.  0 tto,  so  wohlgcrathen 
sie  auch  immer  wären,  doch  dem  Schüler  bald  zu  viel  bald  zu 
wenig  darböten  und  dass  es  daher  ein  noch  zu  erringendes  Ver- 
dienst wäre,  wenn  jemand  einen  Commentar  über  die  auf  Schu- 
len am  meisten  gelesenen  Heden  Cicero's  in  lateinischer  Sprache 
verfasste,  in  welchem  (um  seine  eignen  Worte  p.  II  anzuführen) 
quum  omiiia ,  quae  ad  sefisu/n  et  verba  pertmeient ,  quamqiiam 
succincte,  at  plene  ta?neti  et  perspiciie  exponer entur^  tum  recte 
et  suhtiliter  iiiterpvetandi^  quo  ßngi  ad  humanilatem  mens  iu~ 
venilis  passet^  exemplum  exstaret.  Einen  solchen  Commentar 
habe  er  sich  nun  bemüht  anzufertigen  und  lege  ihn  jetzt  zur 
Beurtheilung  vor. 

Unser  Ilerausg.  hat  besonders  vier  Puncte  vor  Augen  ge- 
habt. Einmahl  eine  fortlaufende  Nachweisung  des  Gedanken- 
zusammenhanges und  die  Erklärung  der  schwierigem  Stellen, 
zweytens  ,  die  für  Schüler  nöthige  Erläuterung  antiquarischer 
Gegenstände,  drittens,  die  Erläuterung  der  feinern  Latinität 
und  des  besondern  Sprachgebrauches,  und  viertens  endlich,  die 
Nachweisung  rednerischer  Schönheiten  und  Figuren.  Hinsicht- 
lich der  anzuführenden  Versciiiedenheit  der  Lesarten  glaubte 
Herr  B.  sparsam  zu  Werke  gehen  zu  können  und  sich  nur  bey 
dem  wichtigsten  aufhalten  zu  müssen,  nachdem  er  den  Text 
selbst  nach  genauer  Prüfung  der  besten  Ausgaben  eingerichtet, 
manche  unächte  Zusätze  aus  demselben  entfernt  und  für  eine 
sorgfältige  Interpunction  Sorge  getragen  hatte.  Zur  Abfassung 
aller  Anmerkungen  hat  sich  derselbe  fortwährend  der  lateini- 
schen Sprache  bedient,  weil  er  nach  Vorrede  S.  V  diese  so  wie 
einen  lateinischen  Vortrag  als  den  sichersten  Weg  ansieht,  um 
Sprachkenntniss  und  Sprachfertigkeit  bey  der  Jugend  zu  er- 
reichen. 

Bleiben  wir  nun  zunächst  bey  diesem  letzten  Puncte  ste- 
hen, so  können  wir  nicht  läugnen,  dass  Hr.  Bl.  wohl  gethan 
hat,  seine  Anmerkk.  in  lateinischer  Sprache  abzufassen,  da  er 
nicht  für  Tertianer  u.  Quartaner  schrieb,  denen  lateinisch  ab- 
gefasste  Anmerkungen  nur  in  den  wenigsten  Fällen  nützen,  son- 
dern für  Secundaner  oder  Primaner ,  denen  sich  Hrn.  Bloch's 
Anmerkungen  durch  Deutlichkeit,  Präcision  und  auch  fast  über- 
all durch  Reinheit  des  Styls  empfehlen  werden.  Nur  an  weni- 
gen Stellen  haben  wir  Spuren  des  verrufenen  Notenlateins  ge- 
funden. Dahin  gehört  der  Gebrauch  von  textns  und  contextns 
(wie  S.  23  u.  a.  ().),  wogegen  erst  neuerdings  Friedemann 
zu  den  Vit.  Homin.  Eloquent.  Vol.  II  P.  1  p.  61  gewarnt  hat, 
ferner  von  adhibere  st.  ponere.,  wie  S.  29,  62,  241,  da  ja  doch 
Hrn.  Bl.  wohl  nicht  unbekannt  war,  was  Ruhnken  in  der  Vor- 


Clceronia  orationea  ßelectae.     Edid.  Bloch.  Ö3 

rede  zu  Schcller's  Wörterb.  p.  IV  und  Herzog  zu  Caesar  de 
bell.  Gall.  I,  20  S.  51  erinnert  haben,  sowie  von  nempe ^  S.  25, 
47,  160  u.  a.  Und  doch  hat  der  Ilerausg.  auf  S.  11)6  ganz  rich- 
tig den  ähnlich  falsclien  Gebraucli  von  scilicct  getadelt:  m.  vgl. 
unsre  Bemerkungen  in  diesen  Jahrbb.  1828,  III,  2  S  140  — 143. 
Endlich  findet  sich  auch  zweymahl  (S.  284  u.  296)  das  verru- 
fene TO  zur  Heraushebung  einzelner  AusdrVicke.  Die  von  Hrn. 
Bl.  vorgenommene  Recognition  des  Textes  ist  besonnen  u.  sorg- 
fältig mit  Benutzung  der  vorhandenen  gedruckten  Hülfsmittel 
(bey  denen  wir  jedoch  Wunder's  T  an'ae  Lectioiies  e  cod.  Er- 
furt, enotatae  vermissen)  durchgeführt  worden,  wie  wir  noch 
weiter  unten  an  einigen  Beyspielen  zeiiren  werden.  Auch  das 
von  ihm  bey  den  einzehien  Lesarten  beobachtete  Verfahren  bil- 
ligen wir,  da  der  Herausg.  durch  die  Erfahrung  belehrt  ist, 
dass  der  Nutzen,  den  eine  an  einzelnen  Stellen  mit  vorgeriick- 
ten  Schülern  getriebene  Kritik  bringt,  durch  viefes  Nachfragen 
und  Erörtern  der  verschiedenen  Lesarten  gewiss  wieder  aufge- 
hoben wird.  Wir  wollen  uns  hier  über  diesen  von  uns  oben 
8.78  f.  berührten  Gegenstand  nicht  weiter  verbreiten.  Conjectu- 
ren  hat  der  Herausg.  an  einzelnen  Stellen  aufgenommen.  So 
schreibt  er  in  der  Rede  pro  Rose.  Amer.  9,  24*)  mit  Schel- 
ler: nemo  erat^  qui  non  andere  (sonst  ardere)  ovinia  mallet^ 
quam  videre  in  Sext.  Roscii  bonis  iactantem  se  ac  dominantem 
T.  Roscium.  Aber  Rec.  glaubt  doch,  dass  Schütz,  Mat- 
thiä  und  Orelli  nicht  mit  Unrecht  bey  der  alten  Lesart  ge- 
blieben sind.  Denn  die  Ameriner  wollten  lieber  das  ganze  Be- 
sitzthum  in  Feuer  aufgehen  sehen,  als  es  in  den  Händen  des  T. 
Roscius  wissen.  Und  in  dieser  Stimmung  der  Stadt  {itaque^  was 
man  hier  nicht  für  also^  demgemäss  zu  nehmen  braucht,  son- 
dern vielmehr  für  atque  ita:  vgl.  Divin.  in  Caecil.  1,  2,  De  finib. 
II,  10,  32  und  das.  Görenz  u.  Kritz  zu  Sallust.  Catil.  14,  1.) 
erlassen  dieDecurionen  ein  Decret.  Ebendas.  20,  57:  sed  si  ego 
hos  bene  ?wvi.,  lilerafn  illam,  cid  vos  usqiie  eo  inimici  estis,  ut 
etiam  Kalendas  omnes  oderitis  (st.  eos  omnes  od.^.,  ita  vehemen- 
ter ad  Caput  afßgeiit.  Gewiss  die  beste  Art ,  diese  Stelle  zu 
schreiben.  Eben  so  ist  cap.  49,  144  mit  Recht  Lambin's  Cou- 
jectur:  annulumque  de  digito  suutn  tibi  tradidit  aufgenommen. 
Pro  leg,  Manil.  23,  68:  videte,  ne  horum  auctoritatibus  illorum 
orationi^  qzii  disseniiu?it,  respondere passe  videamur.  Statt  we 
steht  num  oder  nt  in  vielen  Handschriften,  aber  beydes  geht 
nicht  an,  weil,  wie  Ernesti  und  Matthiä  schon  bemerkt 
haben,  der  Satz  dadurch  eine  verneinende  Bedeutung  erhält, 
die  er  nicht  haben  darf.     Daher  vermuthete  bereits  Orelli 


*)  Ungern  vermisst  man  in  dieser  Ausgabe  neben  der  Angabe  der 
Capitel  die  Angabe  der  Paragraphen. 


94  Rumische   Litteratur. 

horumne;  unser  Ilerausg.  hat  ne  aufgenommen  und  der  Stelle 
wenigstens  einen  guten  Sinn  gegeben.  Catil.  1,8,  20:  Quae 
quum  ita  sint ,  Catilina,  si  \hic\  emori  aequo  animo  non  potes^ 
abire  i?i  aliquas  terras.  Dass  wir  emori  der  Lesart  morari  vor- 
ziehen, haben  wir  bereits  S.  86  geäussert.  Ebend.  §20:  Ec- 
quid  attendis  ?  ecquid  animadvertis  horum  silentium  ?  quies- 
cunt,  patiimtur^  tacent.  Das  Wort  quiesciuit  hat  Hr.  Bl,  nach 
der  Vermuthung  des  Recensenten  von  Beck's  Ausg.  in  der  Jen. 
Lit.  Zeit.  1803  Nr.  154  aufgenommen  und  hält  es,  nahmentlich 
wegen  der  folgenden  Worte,  für  nothwendig.  Die  Conjectur 
hat  gewiss  viel  Wahrscheinliches,  besonders  wegen  der  in  §  21 
enthaltenen  Worte,  aber  Rec.  findet  doch  die  Aufnahme  der- 
selben etwas  bedenklich,  wie  auch  Orelli,  Matthiä  und 
Ben  ecke  gethan  haben.  Die  Stelle  giebt  doch  immer  auch 
ohne  quiescunt  einen  guten  Sinn,  und  wo  diess  der  Fall  ist,  darf 
der  Ilerausg.  nicht  zu  vorschnell  mit  der  Aufnahme  einer  Con- 
jectur seyn,  wie  geistvoll  sie  auch  immer  ausgedacht  seyn  mag. 
An  diesen  Beyspielen  mag  es  für  jetzt  genug  seyn.  Wir 
kommen  jetzt  auf  die  exegetischen  Anmerkungen,  welche  dem 
Verf.  theils  selbst  angehören,  theüs  aus  denen  der  frühern 
Herausgeber  (s.  Vorrede  S.  VI)  entlehnt  sind.  Wir  haben  oben 
die  vierfache  Tendenz  derselben  angegeben ,  wobey  Niemand 
läugnen  wird ,  dass  Herr  Bl.  diejenigen  Gesichtspuncte  in  das 
Auge  gefasst  habe,  aufweiche  es  bey  der  Anfertigung  einer 
Schulausgabe  ankömmt.  Aber  Rec.  muss  doch  trotz  dieser  rich- 
tigen Ansicht  und  des  vielen  Brauchbaren  in  den  Anmerkungen 
offen  gestehen,  dass  der  Herausgeber  zuviel  erläutert  habe  und 
dass  eben  hierin  die  vorzüglichste  Ausstellung  liegt,  welche  er 
gegen  Hrn.  Bl.'s  Ausgabe  zu  machen  habe.  Derselbe  scheint 
übrigens  eine  solche  Ausstellung  geahndet  zuhaben,  da  er  in 
der  Vorrede  S,  IV  derselben  mit  folgenden  Worten  entgegen- 
zutreten sucht:  ^^quamquam  erunt  fortasse^  qui  in  verbis  ac 
sententiis  explicandis  iusto  copiosiores  nos  fuisse  iudicent^  at~ 
que^  interdum^  quae  per  se  satis  clara  videantur^  explicuisse: 
quos  rogatos  velim ,  ut  potius  exstare  aliquid  concedant ,  quod 
praeterire  possit  erectioris  ingenii  adolescens ,  quam  a  tardio- 
ribus  quidquam  illustrationis  frustra  desiderari.  u.  s.  w. "  Wir 
ehren  des  Verfassers  gute  Absicht,  sind  auch,  weil  die  Anmer- 
kungen lateinisch  geschrieben  worden,  überzeugt,  dass  sie  dem 
Trägen  im  geringern  Grade  ein  Ruhekissen  für  seine  Faulheit 
darbieten  werden,  aber  wir  müssen  dennoch  gestehen,  dass 
Herr  Bl.  zu  viel  und  manches  Unnöthige  gegeben  habe.  Denn 
wozu  sollen  Anmerkungen  nützen,  in  welchen  allgemein  Ver- 
ständliches erklärt  wird,  wie  sanguine  durch  caedibus  (p.  14), 
inopia  durch  primaria  signißcatione ,  est  enim  inops ,  qui  alio- 
rum  caret  auxilio  et  ope  (S.  20),  de  amicorum  senteiitia  durch 
amicis  suadentibus  (S.  27) ,    millo  durch  omitto  (S.  48) ,  in  al~ 


Ciceronis  orationes  eclcctac.    Edld.  Bloch.  95 

tiorem  locum  pervenit  durch  honores  et  magistratus  adipiscitur 
(S.  98),  cui  bono  durch  in  cuins  conwiodum  (S.  81),  tantae  pe~ 
cuniae  durch  tantipretii  (S.  105).    Oder  wenn  angegeben  wird, 
dass  positam  das  Participium  sey  (S.  190),  wenn  quaerenda  er- 
klärt wird  durch  reqniicnda  (S.  206),  confumem  durch  argu- 
mentis  probem  (S.  215),   pat/llo  ante  durch  niiper  (S.  297),    si 
minus  durch  etsi  non  (S.  300),  gloiiam  esse  putare?n  durch  pro 
gloria  habet  em  (S.  SIT),  fatalem  durch  fato  constitutum  (S.376), 
voluntas  durch  benevolentia  (S.  409)  u.  a.  m.     Wir  wiederhohlea 
nochmals,  dass  wir  weit  entfernt  sind,    die  Anmerkungen  des 
Hrn.  Bl. ,  die  von  Sprachkenntniss  und  Einsicht  zeigen,  mit  ge- 
wissen deutschen  Anmerkk.  des  vorigen  und  Aa^  jetzigen  Jahr- 
hunderts vergleichen   zu  wollen ,    aber   wir  glauben  auch   die 
Stimme  und  die  Erfahrung  geachteter  deutscher  Schulmänner 
für  uns  zu  haben,  wie  ganz  neuerdings  die  des  gelehrten  Leip- 
ziger Herausgebers  der  Tristien  des  Ovidius  (Vorrede  S.  IX  f. 
und  XV),   dass  man  der  studierenden  Jugend  keine  Wohlthat 
erzeige,  wenn  man  dieselbe  —  selbst  in  der  besten  Absicht  — 
mit  zu  vielen  Anmerkungen  iiberhäuft,  wie  in  der  vorliegenden 
Ausgabe  geschehen  ist.     Auch  darf  dabey  nicht  übersehen  wer- 
den, dass  selbst  gute  u.  geschickte  Schüler  eine  solche  Menge 
von  Anmerkungen  gar  nicht  einmahl  lieben  und  dieselben  nicht 
allzugern  lesen,   wenn  sie  zu  oft  Bekanntes  darin  finden,    eine 
Eigenthümlichkeit,  die  dem  jugendlichen  Character  wohl  nicht 
grade  immer  als  Hochmuth  augerechnet  werden  darf.     Es  gilt 
diess  nahmeutlich  vom  Privatgebrauche  einer  solchen  Ausgabe: 
im  öffentl.  Unterrichte  wird   der  Lehrer  seine  Schüler  schon 
eher  durch  das  zu  beschäftigen  wissen,    was  sie  in  der  vorlie- 
genden Ausgabe  nicht  finden.     Dahin  möchten  wir  nahmeutlich 
noch  manche  grammatische  Erörterungen  u.  Bemerkungen  über 
die  feinere  Latinität  rechnen,  die  Hr.  Bl.  —  nach  den  gegebe- 
nen Proben  zu  schliessen  —  wohl  im  Stande  gewesen  wäre  mit- 
zutheilen:  wir  würden  dafür  gern  die  vielen  Erörterungen  und 
Nachweisungen  des  Zusammenhanges  vermisst  haben,  die  Hr. 
Bl.  gar  zu  reichlich  gespendet  hat.     In  schwierigen  Stellen  ist 
dem  Schüler  eine  solche  Nachhülfe  wohl  zu  gönnen,  nicht  aber 
so  häufig,   wie  es  von  unserra  Herausg.  geschehen  ist,  da  selbst 
die  besten  Schüler  hierdurch  unstreitig  verwöhnt  werden,  zu- 
mahl  wenn  der  Zusammenhang  der  Gedanken,  wie  in  den  mei- 
sten Stellen  der  vorliegenden  Reden,    nicht  allzuschwierig  ist. 
Endlich  hat  Hr.  Bl.  nach  Vorrede  S.  III  diese  Ausgabe  auch 
für  solche  Freunde  des  Älterthums  bestimmt,    die  nicht  grade 
zünftige  Philologen  sind.     Das  ist  nun  gewiss  ein  sehr  löbliches 
Unternehmen  und  alle  Philologen  müssen  wünschen,  dass  ihre 
Wissenschaft  ein  Gemeingut  der  gebildeten  Stände  werde  und 
wenigstens  ein  Theil  jener  heiligen  Flamme,  die  einst  nach  der 
Wiederherstellung  der  Wissenschaften  auf  ihren  Altären  so  hell 


96  Römische    Litteratur. 

und  rein  brannte,  anf  denselben  sieb  wieder  entzünden  möcbte. 
Demi  erst  dann  reihet  sich ,  nach  einem  schönen  Worte  des 
Hrn.  von  Raum  er  in  seiner  Vorrede  zur  üebersetzung  De- 
mosthenischer  Reden,  um  die  Meister  des  Aiterthums  die  un- 
sterbliche Gemeinde.  Aber  mit  Anmerkungen,  wie  die  in  der 
vorliegenden  Ausgabe  sind,  ist  solchen  Dilettanten ,  die  denn 
doch  noch  in  der  Regel  mehr  Latein  verstehen  als  die  Secunda- 
iier  unsrer  Gymnasien,  in  der  Regel  wenig  gedient,  und  nur 
etwa  die  von  Voss,  Jacobs  oder  Wieland  geschriebenen 
Auslegungen  diirften  in  unserra  Vaterlande  eine  Ausnahme  ma- 
chen. Sonst  wollen  —  nach  unsrer  Erfahrung  wenigstens  — 
solche  Dilettanten  nur  einen  correcten,  nett  und  schön  gedruck- 
ten Text,  verlangen  aber  nicht  nach  den  Anmerkungen  eines 
Gelehrten,  die  ihnen  stets  nach  der  Schule  zu  schmecken  schei- 
nen. Und  selbst  in  England,  wo  die  Philologie  vielleicht  nicht 
grade  am  bliihendsten ,  aber  doch  so  verbreitet  und  fruchtbar 
ist,  als  sonst  nirgends,  dürften  wohl  nur  wenige  der  classisch 
gebildeten  und  reichen  Bewohner  die  Anmerkungen  in  den  Aus- 
gaben lesen,  die  sie  in  ihren  prächtigen  Bibliotheken  stehen 
haben.  Der  grosse  Pitt  machte  freylich,  an  der  Spitze  uner- 
messlicher  Staatsgeschäfte,  oft  in  seinen  Erhohlungsstunden 
schwierige  Stellen  der  Classiker  zum  Gegenstande  der  Unter- 
haltung*). Aber  er  dürfte  hierin  wohl  nur  wenige  Nachahmer 
gefunden  haben  und  noch  finden. 

Soviel  im  Allgemeinen  über  die  vorliegende  Ausgabe.  Wir 
glauben  es  unsern  Lesern  sowohl  als  dem  Hrn.  Herausg.  selbst 
schuldig  zu  seyn,  noch  einzelne  Stellen  einer  genauem  Betrach- 
tung zu  unterwerfen  und  wählen  dazu  oliiie  langes  Suchen  die 
Rede  für  den  Manilischen  Gesetzvorschlag. 

Cap.  4,  9 :  Usque  in  Hispariiam  legatos  ac  literas  misit  ad 
eos  duces  ^  quibuscimi  tum  bellum  gerebamus.  Hr.  Bl.  hat  nachf 
einigen  Handschrr. ,  zu  denen  noch  die  Erfurter  (S.84  Wund.) 
zu  fügen  ist,  ac  literas  geschrieben  und  dazu  die  Stelle  aus 
Plutarch,  Sertor.  23  angeführt  {tÜ^tibi  da  Ttgsößsig  6  Mc^gida- 
T7]g  £ig  'IßijQiav ,  ygä^^axa  HiQxcoQici  xal  koyovg  ü0^ut,ovTag). 
Allerdings  erhalten  wir  hierdurch  einen  guten  Sinn,  Matthiä 
liat  aber  auch  Recht,  wenn  er  seinen  Zweifel  an  der  Aechtheit 
dieser  Worte  dadurch  begründet,  dass  zwey  so  bekannte  Worte 
wohl  nicht  leicht  hätten  falsch  geschrieben  und  in  Electanis 
oder  Electariis  verwandelt  werden  können.  —  Cap.  5,11:  HU 
libertatem  civium  Roinanorum  iinminutam  non  tulerunt:  vos 
vitam  ereptam  negligetis?  Jus  legationis  verbo  violatuni  Uli 
persecuti  sunt;   vos  legatum^  omni  supplicio  interfectum,  re~ 


*)  Nach  Bemerkk.  Fr.  v.  Roth 's  über  die  fortdauernde  Abhängig- 
keit unsrer  Bildung  von  der  classischcn  Gelehrsamkeit,  S.  13  Anm- 12. 


Ciceronis  oratlones  selectae.     Edid.  Bloch.  Ö7 

Itnquetis?  Unser  Herausg.  findet  in  diesen  Worten  eine  un- 
nütze Erweiterung  der  vorigen  und  ist  daher  nicht  abgeneigt, 
sie  einem  Grammatiker  zuzuschreiben,  der  sich  dadurch  habe 
die  vorhergegangenen  Gegensätze  verdeutlichen  wollen.  Im 
Texte  hat  er  sie  daher  auch  als  unächt  bezeichnet.  Aber  zu- 
vörderst stehen  diese  Worte  unangefochten  in  allen  Iland- 
schiiften  und  nur  in  den  letzten  Worten  finden  sich  abweichen- 
de Lesarten.  Zvveytens  scheint  es  uns  ganz  im  Geist  eines  gu- 
ten Redners  bey  diesem  Beweggrunde,  der  auf  der  verletzten 
Ehre  und  Würde  des  römischen  Volkes  beruht,  länger  zu  ver- 
weilen und  grade  diesen  Beweggrund,  der  auf  die  Erwählung 
des  Pompejus  einen  so  wesentlichen  Einfluss  haben  konnte  und 
sollte,  auf  mannigfaltige  Weise  hin  und  her  zu  wenden.  Cicero 
handelt  hier  ganz  nach  seinen  eignen,  im  Orator  (cap.  40,  137) 
ausgesprochenen  Grundsätzen,  wo  er  dem  Redner  vorschreibt, 
ut  saepe  verset  vmltis  modis  unani  emidetnqtie  rem  et  haereat 
in  eadem  commoreturque  sententia  —  ut^  quod  dLvit^  iteret 
—  ut  interrogando  urgent.  M.  vgl.  Auct.  ad  Ilerenn.  IV,  42, 
04  und  cap.  45,  58  mit  Matthias  Entwurf  einer  Theorie  des 
tat.  Styls  S.  47.  Aehnliche  Stellen  finden  sich  auch  in  der 
abhandelnden  Rede,  wenn  es  dem  Schriftsteller  daran  lag, 
einzelne  Dinge  besonders  hervorzuheben,  worüber  Beier  in 
diesen  Jahrbüchern  1827, 1,  3  S.  27  und  dann  zu  Cic.  Lael.  16, 
58  einige  Stellen  gesammelt  hat.  Man  muss  bey  solchen  und 
ähnlichen  Stellen  stets  bedenken,  dass  es  Römer  oder  Griechen 
waren,  die  schrieben ,  dass  ihr  Leben  ja  weit  öffentlicher  war 
als  das  unsrige  und  dass  die  Gewohnheit  der  mündlichen  Mit- 
theilung auch  ihren  Schriften  eine  von  der  heutigen  Literatur 
ganz  verschiedne  Farbe  nothwendig  geben  musste.  Ilr.  Bl.  be- 
hauptet ferner,  dass  in  den  angeführten  Beyspielen  noch  nicht 
die  Rede  von  römischen  Bürgern  gewesen  sey.  Allerdings 
wurden  nur  mercatores  und  navicularii  genannt,  aber  aus  einer 
Vergleicliung  der  Stelle  in  Verr.  V,  18,  46  und  58,  14Ü  dürfte 
doch  wohl  hervorgehen,  dass  unter  diesen  Kaufleuten  römische 
Bürger  zu  verstehen  sind,  aber  keine  Kleinhändler  oder  Krämer, 
sondern  mercatores  fiariculares ,  die  im  eignen  Schiffe  die 
Meere  befahren.  Vgl.  Ileineccius  Antiquit.  Rom.  Lib.  IV,  Tit. 
7  §  1—4,  p.  (197—701  Haubold.  Auch  können  ius  legalionis 
und  legatiis  füglich  mit  einander  verglichen  werden,  was  Hr. 
Bl.  für  unstatthaft  hält,  wenn  man  sich  die  Worte  so  auflösst: 
Uli persecuti  sunt  ius,  quod  est  legatorum  onmium^  verbo  vio~ 
latum^  vos  legatum  [ipsum)  —  relinquetis.  Endlich  ist  relin- 
quetis^  wie  Matthiä  bereits  dargethan  hat,  in  einer  Bedeu- 
tung gebraucht,  in  der  es  wohl  schwerlich  von  einem  Abschrei- 
ber würde  gesetzt  worden  seyn,  wie  denn  nach  unserm  Gefühle 
überhaupt  die  ganze  Stelle  keine  Spuren  von  der  Hand  eines 
Abschreibers  trägt.     Ausser  dieser  Stelle  hat  Hr.  Bl.  auch  noch 

Jahrb.  f.  Fhil.  u.  Fädag.  Jahrg.  V.  Heft.  1.  ^ 


98  Römische   Litteratnr. 

verschledne  andre ,    wie  §  13,  cap,  22,  64  —  cap.  23,  68  (im 

zweyteii  Excursus  zu  dieser  Rede  S.  251 — 257) ;  ferner  Catil. 
I,  5,  12  *) ;  6,  13  und  15;  II,  2,  3;  III,  9,  21  und  andre  mehr 
als  im  Ganzen  oder  im  Einzelnen  unächt  bezeichnet  und  dabey, 
meistens  aus  innern  Gründen,  seine  Meynung  zu  befestigen  ge- 
sucht **).  Rec.  erkennt  den  Scharfsinn  des  Hrn.  Herausg. 
willig  an,  aber  er  ist  doch  an  vielen  Stellen  nicht  iiberzeugt 
worden.  Die  zweyte  Catilinarische  Rede  hält  derselbe  nach 
Vorrede  S.  VlII  ebenfalls  für  unächt  und  tritt  ganz  den  von 
Hrn.  Cludius  geäusserten  Ansichten  bey;  über  die  vierte  Ca- 
tilinarische Rede  sollen  wir  Hrn.  Bloch's  Urtheil  zu  einer  an- 
dern Zeit  vernehmen.  Der  Umfang  dieser  Blätter  erlaubt  uns 
jetzt  nicht  weitläuftiger  auf  diese  Untersuchungen  einzugehen, 
deren  Beurtheilung  also  den  künftigen  Herausgebern  dieser  Reden 
überlassen  bleiben  muss.  Wir  kehren  jetzt  zu  derManilischenRede 
zurück.  Cap. 8,  20:  In  quornasiine  estlaboranduin,  ne forte ea 
vobis^  quae  dili^entissime pravideiida  siait,  contemnenda  esse  vi- 
deaniur.  Hr.  Bl.  hat  hier  die  Conjectur  Buttraann's  (  Act.Societ. 
Lat.  Jenens.  Vol.  I  p.  60)  statt  a  vobis,  quae  aufgenommen,  wie 
auch  vor  ihm  Matthiä,  3Iöbius  und  Orelli  gethan  hat- 
ten. In  demselben  Capitel  §  21  hat  aber  der  Ilerausg.  mit 
Orelli  die  gewöhnliche  Lesart  in  den  Worten:  atque  ita^ 
Quirites^  ut  hoc  vos  inteUigatis^  beybehalten  und  mit  Recht  be- 
merkt, dass  zu  ita  hinzugedacht  werden  müsste:  opinor  lauda- 
tum  a  me  LucuUum  esse."  Die  Heumann'sche  Conjectur 
atque  ita  fore  puto  ist  in  der  That  unnöthig.  —  Cap.  9,  22 :  ut 
eorum  (membrorura)  collectio  dispersa  moerorqiie  patrius  cele- 
ritatem  persequendi  retardaret.     Die  Conjectur    dispersorum 


*)  Ueber  diese  Stelle  können  wir  auch  nach  Hrn.  Bloch's  Aeus- 
serungen  nicht  anders  urtlieilen,  als  wir  bereits  oben  S.  85  gethan  ha- 
ben. Denn  nicht  jede  Wiedex'hohlung ,  die  man  etwa  schon  aus  den 
vorigen  Worten  ergänzen  könnte,  braucht  deshalb  gleich  getilgt  zu 
werden.  Aon  dieser  Art  ist  auch  die  Stelle  bey  Cic.  de  Orat.  II,  18,75: 
quuTfi  Hannibal  Carthagine  cxpulsus  Ephesum  ad  Antiochitm  venerat  exsut, 
wo  bis  jetzt  noch  niemand  an  den  äbulichen  Begriffen  expulsiis  und 
exsul  Anstoss  genommen  hat.  Und  bey  Lycurgus  c.  Leocrat.  17,  3 : 
(jttdvot  Öh  d^qjoxiQcov  nsQiysyovaoi ,  kuI  tcov  nolifimv  Kai  t(Öv  evfi- 
(lUXCOV,  cos  SKCCtSQCOV  TZQOGrjy.S  ,  TOVg  fl£V  evnQyBTovvTsg ,  Tovg  8s  ixccxo- 
(isvot  viKcovTsg.)  hatPinzger  mit  Unrecht  das  letzte  Participium 
verdächtig  gemacht,  wie  Blume   bereits  richtig  bemerkte. 

")  Denselben  Gegenstand  behandelt  verrauthlich  das  von  Hrn. 
Dr.  Bloch  verfusste  Programm:  Spuria  nonnuUa  in  Cic.  orationibus  ex 
indiciis  internis  arguuntur.  Acc.  corollarium  de  lacuna  in  oratione  pro 
Sexl.  Rose.  Amerino.  Roeskild  1837, 19  S.  4.  Rec.  hat  dasselbe  jedoch 
nicht  gesehen. 


CIceronis  oratlones  selectae.     Edld.  ßIoc)i.  00 

bey  Goerenz  zu  Cic.  de  finib.  III,  4,  15  hat  unser  Heransg. 
mit  Recht  zurückgewiesen,   wie   auch  Orelli  und  Matthiä 
in  der  zweiten  Ausgabe  (was  Hrn.  Bl.   entgangen  ist)  gethau 
haben.     Auch  ist  die  auffallende  Art  des  Ausdrucks  durch  die 
Beyspiele  bey  Matthiä  hinlänglich  geschützt,    von  denen  unser 
Herausg.  wohl  eins  oder  das  andre  Iiätte  anführen  können.     M. 
vgl.   noch  Hand    z.  Wopkens  Lect.  Tullian.  p.  342  not.  20L 
Eben  so  riclitig  ist  auch  §  23  geschrieben:  ita  naliones  miiltue 
atque  magnae  novo    (jtiodam    terrore   ac   metu   concitabanlur. 
Dass  hier  nicht  errore  (bey  Hrn.  Bl.  steht  fälschlich  errori)  ge- 
lesen werden  miisse,   hat  bereits  Matthiä  dargethan.     Denn 
nicht  sowohl  das  IrrthVimliche  jener  weit  verbreiteten  Meynung, 
als  kämen  die  llöraer,    um  den  Tempel  zu  plündern,    will  der 
Redner  hervorheben,    als   den  neuen  Schrecken  und  die  neue 
Furcht,  welche  die  Bewohner  jener  Gegenden  bey  dieser  Nach- 
richt überfiel,  da  sie  schon  ohnehin  (erat  enim  metus  injectus 
iis  nationibus)  die  Annäherung  römischer  Truppen  fürchteten. 
Dagegen  ist  in  de  Orat.  II,  42,  178  von  Pearce,  Müller  und 
Orelli  mit  Recht  geschrieben:  mit  spe,  aut  timore ^  aut  erro- 
re^ mit  aliqua  permotione  nientis  st.  terrore^   was  einige  Hand- 
schriften haben.  —  Cap.  12,  33:    An  vero  ignoratis  —  es  Mi- 
seno  eius  ipsius  (M.  Antonii)  Liberos,  qui  cum  praedonibus  antea 
bellum  gesserat,  a  jjraedonibus  esse  sublatos.     Hr.  Bl.  bemerkt 
dazu:  ,, Generatim  autem  orator /i'Äeros,    ut  saepe."      Aber  bey 
einer  historisch  falschen  Angabe  hätte  wohl  für  Schüler  noch 
etwas  mehr  vom  Herausg.  bemerkt  werden  müssen,    wozu  ihm 
^chon  die  Anmerkungen  Mannuzzi's  und  Matthiä's  ähn- 
Jiche  Stellen  an  die  Hand  gaben,  wie  Catil.  I,  2,  4:    occisus  est 
cum  libeiis  M.  Fulvius,  consularis ,    da  doch  nur  ein  Sohn  mit 
dem  Vater  zugleich  getödtet  wurde,   und  der  andre  erst  später 
im  Gefängnisse.         In  unsrer  Stelle  konnte  den  Redner  zu  die- 
ser Amplification  einmal  die  Absicht  bestimmen,  dem  einen  An- 
tonius um  des  grössern  Nachdrucks  willen  nicht  ein  Kind,   son- 
dern mehrere  entgegenzusetzen   und    zweytens    zugleich    das 
traurige  Loos  eines  Vaters  anzudeuten,  dem  die  ganze  Freude, 
die  er  an  seiner  Nachkommenschaft  hatte,  durch  Seeräuber  auf 
einmahl  entrissen  ward.     Daher  haben  R e i  s k  e.  und  Di n  d  or f 
^lucli  in  Deniosthenes  Philipp.  II  p.  (J8,  14  R.  riclitig  geschrie- 
ben: cmovu  Toug  \i\v  v^stSQOvg  TtQoyovovg  —  ovk  avaöxo^is- 
vovg  Tov  Xoyov  rovrov ,    rjvix   rjk^sv  'AX£t,avdQos  6   rovrcov 
TCQoyovog  tibql  xovtcov  y.riQv'S,.     Denn  ausser  dass  auch  Harpo- 
crat.  p.  10  Lips.  xovxav  st.  xovxov  lieset,  so  gewinnt  auch  die 
ganze  Rede,  wenn  der  eine  Alexander  als  Ahnherr  dem  Philip- 
pus  und  den  ihm  ähnlichen  Königen  gegenüber  gestellt  wird. 
Und  eben  so  erwähnt  Lycurgus  c.  Leocrat.  20,  <>  die  ot  tote 
{^aöik^vovxsg^  wo  nur  der  einzige  Codrus  gemeynt  ist.     Aber  es 
galt  dem  Redner  diese  historische  Unrichtigkeit  für  den  Au- 

7* 


100  Römische    Litteratnr. 

genbliclc  weniger,  als  der  rhetorische  Gegensatz  berühmter 
Stamrafiirsten  mit  der  jetzigen  Verworfenheit  des  Leocrates. 
Eine  ähnliche  Stelle  aus  des  Lysias  Epitaph,  p.  C9  R.  haben 
wir  in  unsern  Anmerkungen  zu  Lucian.  Toxar.  p.  82  beriihrt.  — 
In  demselben  Cap  tel  (§34)  hat  Ilr.  Bl.  drucken  lassen:  Q,uis 
enim  unquam  —  tantos  cursiis  cojificere  potuit^  quam  celeriter^ 
Cn.  Pompeio  diice^  belli  Impetus  navigavit  ?  Aber  in  der  An- 
merkung äussert  derselbe,  dass  ihm  das  Wort  navigavit  von 
einem  Abschreiber  herzurühren  schiene,  der  sich  an  dem  fol- 
genden navigandum  niari  versehen  habe  und  dass  Ernesti 
daher  diess  mit  Unrecht  durch  eine  Annäherung  an  den  dich- 
terischen Sprachgebrauch  entschuldigt  hätte.  Rec.  kann  diese 
Ansicht  nicht  theilen.  Denn  Cicero  hat  solche  dichterische 
Anklänge  von  seinen  Reden  eben  so  wenig  ausgeschlossen,  als 
manche  unserer  deutschen  Schriftsteller  Anspielungen  auf  Stel- 
len aus  Schiller's  Gedichten,  die  ihnen  gewiss  oft  ganz  unwill- 
kiihrlich  entschlüpft  sind  *).  Freylich  lassen  sich  diese  Remi- 
niscenzen  nicht  überall  im  Cicero  so  gut  nachweisen,  als  in 
einzelnen  aus  den  alten  römischen  Tragikern  entlehnten  Ver- 
sen, worüber  Naeke's  Abhandlung  de  Duloresie  Pacuvii  ]^.  3 
und  Lange's  Vindic.  Trag.  Roman,  p.36  nachgesehen  werden 
können.  Was  nun  unsre  Stelle  anbetrifft,  so  vergleiche  man 
nur  cap.  8,  21:  classis.,  quae  ducibus  Sertorianis  ad  Italiam 
studio  inflammato  ra^eretur  ^  p.  Muren.  15,33:  quum  totius 
belli  impetus  ad  Cyzicenorum  nioenia  constitisset.  Da  ja  nun 
ferner  bekannt  ist,  wie  gern  Cicero  die  Ausdrücke  navis ,  nau- 
fragium  und  ähnliche  sowohl  in  seinen  rhetorischen  als  philo- 
sophischen Schriften  (m.  s.  pro  Coel.  21,  54,  vgl.  mit  de  Orat. 
III,  36,  145  und  andre  Stellen  in  Vettori's  Var.  Lect.  XVII, 
22  und  im  S  c  h  ü  t  z  i  s  c  h  e  n  Index  Latinitatis  unter  navis.,  nau- 
fragium  u.  a.  )  braucht ,  so  darf  es  wohl  nicht  allzusehr  be- 
fremden, dass  er  den  Sturm  des  Krieges  „auf  den  Wellen  ein- 
hersegeln"  lässt,  um  dadurch  die  Schnelligkeit  anzuzeigen, 
welche  cap.  14,  140  noch  ausführlicher  characterisirt  wird. 
Die  Stelle  wird  auf  diese  Art  so  mahlerisch,  dass  wir  die 
Schützische  Conjectur  evolavit  unmöglich  für  ausreichend 
halten  können.  Eine  ähnliche  Darstellung  ist  in  der  Rede  pro 
Plane.  2ü,  70:  Quam  enim  Uli  iudices,   si  iudices  et  non  parri- 


*)  Wenn  Luden  z.B.  gleich  zu  Anfang  seiner  deutschen  Ge- 
schichte von  Deutschland  sagt :  „dieses  Land  in  dieser  Ausdehnung 
gehört  zu  den  schönsten  Ländern,  welche  die  Sonne  begrüsst  in  ihrem 
ewigen  Laufe,"  so  ist  diess  gerade  nicht  so  sehr  zu  tadeln,  wie  in  den 
Heidelb.  Jahrbücli.  1826,  VI  S.  564  geschah,  obgleich  wohl  vielen 
Lesern  dabey  die  Stelle  aus  Schiller  s  Jungfrau  von  Orleans  einge- 
fallen ist. 


CIceronis  oratiuneä  sciectac.     Edid.  Bloch.  101 

cidae  patriae  nominandi  sunt^  (^ravlorem  potueruut  reipublicac 
inßigere  securim^  quamquam  illuin  e  civitate  eiecerunt.      Audi 
hier  hätte  man  wohl  plaga,  wie  in  der  Rede  pro  Muren.  23,  48 
erwarten  können,  aber  der  Redner  zieht  es  vor,  statt  der  Wunde 
uns  das  fallende  und  tödtende  Beil  eines  Henkers  zu  nennen. 
Und  ist  niclit  in  derselben  Rede  fiir  den  Plancius  cap.  10,  20 
weit  schöner  gesagt:   Minturnenses,   quod  C.  Marium  e  civili 
ferro  et  ex  impiis  manibiis  eripuermif^  als  civili  errore,  criiore, 
ierrore,    wie  theils  in  den  Handscliriften  gelesen  wird ,    theils 
durch  Conjectur  vorgeschlagen  ist,   um  den  auffallenden  Aus- 
druck/e/"77/m  civile  zu  entfernen?  —  Cap.  14,  41:    Nunc  de- 
nique  incipiunt  credere,  fuisse  homines  Roinaiios  hac  quoridam 
abstinentia.     Hier  hätte  wohl  Hr.  Bl.  sollen  contiiientia  aus  der 
Erfurter  und  Turiner  Handschrift  aufnehmen,  da  auch  sprach- 
liche Rücksichten  diess  Wort  erfordern,  wie  Wunder  a.a.O. 
p.  LXV  und  Boeder  lein  in  der  Lat.  Synonym.  Th.  III  S.  325 
gezeigt  haben.     Gleich  darauf  (§.  42)  rauss  wohl  nach  densel- 
ben Handschriften  geschrieben  werden:  vos,  Quirites^  hoc  ipso 
es  loco  (st.  in  loco)  saepe  cognostis:  vgl.  17,  52;  24,  70,    und 
Orelli  und  Wunder  z.  d.  St.  —  Cap.  15,  43:  Et  quoniamauctori- 
tas  multum  in  bellis  quoque  administrandis  atque  imperio  mili- 
tari valet.     So  schreibt  Hr.  Bl.  und  die  genannten  Handschrif- 
ten stimmen  damit  überein,  nur  rauss  nach  atque  noch  in  aufge- 
nommen werden,  wie  bereits  Orelli  getlian  hat:  m.  s.  Wun- 
der a.  a.  0.  p.  LXVIII   und   Beier    in  Pädag.  Phil.  Literat. 
Blatt,  zur  Allg.  Schulzeit.  1827,  II  Nr.  24.     Eine  ähnliche  Be- 
rücksichtigung  hätten  auch  die  genannten  Handschriften   bey 
den  folgenden  Worten:  quid  socii de  imperatoribus  vestris  (wo 
jene  ?iostris  lesen,  wie  13,38,    und  wofür  auch  die  folgenden 
Worte  quum  sciamus  s^precheii),  verdient,  wie  auch  gleich  dar- 
auf:   quam  sciamus,    homines  —  opinione  non    minus  faniae^ 
quam  aliqua  certa  ratione  commoveri.     Hier  lesen  beyde Hand- 
schriften ratione  certa  (s.  Wunder  p.  LXVllI)  und  die  Turiner 
opinione  7ion  minus  et fama,    wodurch  Schütz' ens  Conjectur 
{egregia  nennt  sie  Orelli),  die  er  bereits  in  seiner  Ausgabe  an- 
geführt hatte,  bestätigt  wird. 

Soviel  über  einzelne  Stellen  aus  dieser  Rede.  Mehr  mit- 
zutheilen  verbietet  der  unserer  Anzeige  gestattete  Raum,  so 
wie  wir  uns  auch  jetzt  über  die  den  einzelnen  Reden  angehäng- 
ten Excursus  critici  nicht  weiter  verbreiten  können.  Was  die 
angeführten  Citate  betrilft,  so  hat  der  Herausg.  deren  niclit  zu 
viele  gegeben,  wo  er  sie  aber  gegeben  hat,  sind  sie  passend 
und  liegen  nicht  ausserhalb  der  Sphäre  des  Schülers.  Nur  die 
Anführung  \on  Scheffer  de  re  vehicnl.  (p.  20),  von  Lipsius  de  mit. 
Rom.  (p.  87  und  321)  und  von  Zamoscy  de  Senat.  Rom.  (p. 
235)  dürfte  woSil  für  Schüler  unnütz  seyn,  da  sie  diese  eben  so 
wenig  nachsehen  können,    als  die  aus  Appianus  nach  der   Tot- 


102  Disputatio 

lius  sehen  Ausgabe  (p.  87  u.  169)  citierteii  Stellen.  Verweisun- 
gen auf  eine  oder  mehrere  Grammatiken  finden  sich  nicht  in 
dieser  Ausgabe:  es  ist  uns  aber  auch  nicht  bekannt,  welche 
ländliche  oder  örtliche  Ilücksichten  Hr.  lil.  hier  zu  nehmen  für 
gut  fand. 

Druck  u.  Papier  in  der  vorliegenden  Ausgabe  sind  lobens- 
werth.  Nur  die  Form  Qv  (st.  %i)  missfällt  dem  Auge  des  deut- 
schen Lesers.  Auch  ist  es  befremdlich,  alle  griechisclien  Wör- 
ter ohne  Accente  gedruckt  zu  finden.  An  solclien  fehlte  es  doch 
wohl  in  der  Schubothe'schen  Druckerey  nicht:  oder  wäre  es 
in  Koppenhagen,  wie  inl  J.  1809  in  der  Hauptstadt  von  Frank- 
reich, wo  ein  so  grosser  Mangel  an  griechischer  Sclirift  war 
und  ein  Setzer  in  dem  Grade  fehlte,  dass  Courier's  Bearbeitung 
der  Xenophontischen  Reitkunst  nur  langsam  gedruckt  werden 
konnte*?  *) 

Hr.  Bloch  verspricht  in  der  Vorrede  ein  zweytes  Bänd- 
chen, welches  die  Reden  für  deuArchias,  Milo,  Ligarius  und 
vielleicht  noch  eine  oder  die  andre  enthalten  sollte.  Wir  wün- 
schen seinem  Unternehmen  guten  Fortgang  und  würden  uns 
freuen,  wenn  er  trotz  unsrer  obigen  Ausstellungen  aus  dieser 
Anzeige  wahrnähme,  dass  wir  sein  Buch  mit  Theilnahme  an 
seiner  Arbeit  durchgegangen  hätten.  Möclite  er  sich  aber  dann 
doch  entschliessen,  statt  einer  der  auf  Schulen  vielgelesenen 
Reden  etwa  die  für  den  Flancius  oder  Flaccus  oder  die  fünfte 
Verrinische  zu  wählen. 

Cöln.  Georg  Jacob. 


De  grammaticis^    qui  IvöTatMOi  et  Ivti'Kol  dicti  sunt. 
(Ad  explicanda  quaedaiu  Arlstarchi  fragmenta.) 

1.  Äpollon.  lex.  Homer,  p.  820  ^asiv-q ,  Xa^nqu'  iv  da  0  trjg  'iha- 
6os  (551) 

i^rjzrjGav  ncog  tots  tJ  äsXrjvr}  Svvcctoci  qxxvai,  (l.  tpasivr]  stvcti),  ors  zu 
aazQK  Xa^TiQu  <paivtzai.  b&sv  o  ÄQiazdQxog  zovxo  Xvcov  cpriaL'  qjauvrjv 
ov  zrjv  Ttozs  (opinor  tots)  Xot/niQccv ,  dlXu  tr}V  cpvaei  Xa^nqäv  mgnsQ 
Kcd  inl  z^s  ia&rjio^  zrjg  NavaiHuag 

(piqiv  d'  £6&r]za  qpasiviqv  (^,  74) 

7]V  8ia  To  i^QvnäcQ'ai  algrovg  JcXvvovg  nagano filmst,  •  aXXu  d^Xov,  cpr]- 
ch,  ozt  (ins.  jta/)  ivzav&a  UKoveziov  zr^v  cpvost  Xunnqäv.  Cf.  schol. 
h.  1.  et  i,  58. 


•)  M.  s.  Courier's  Denkwürdigkeiten  u.  Briefe  TA.  //  S.  24,  Leips.  Uebers. 


de  gramiiiatlcls  ivßtaTiKotg  et  J.VTixoTg.  103 

2.  Schol.  1^,216  IIoQCpvQlov'  öicc  ti  za  i^coziau.  Iv  liiuvri  cprjalv 
"OfirjQos  yaT£6vix^cii  „^v&'  evi  n^v  (pilötrjg,  iv  8'  i'fiEQOS.^'  ZüzvQog 
fisv  ovv,  inei  nlriycöv  a^ia  ÖQcSaiv  o?  iQmvrfg,  Anicov  8b,  infi-Sr]  Sscfiotg 
ioixaai  ^ai  ßqöxoig  ol  iQcozsg  xal  zu  tmv  iqcövtmv  Tta&rj.  AQiGzccQxog  8:, 
ort  ccxQt  zov  8sQfiazog  8üxv£lzcci  zu  igcoziKcc  nä^rj ,  zrjKOvzcc  (sie  cniin 
pro  zlKzovza  recte  Leid,  et  schol.  9,  288)  zovg  igävzag  kuI  dno^vovza 
Sia.  zrjg  azvxpBcog  zcc  fisXr].    Eadein  leguntur  schol.  9",  288. 

3.  Procl.  ad  Hesiod.  Op.  97  tos  (leg-,  ncbg)  cprjsiv ,  tfinviv  iv  zcß 
ni&cp  ri  'Einig'  bgzi  yaq  zovto  iv  ävQQrörtoig.  zovto  8b  kocl  Kö^uvog  o 
aQxi^oivoxöog  zov  ßaciktcog  tiqovzbivbv.  (prjolv  ovv  Agi'azdQXog,  ozl  tj  (ibv 
z(Sv  nuKwv  t/MBivBV '  71  8b  zäv  Kya&MV  i^rjX&Bv '  o&sv  cc-AVQoXoyQvi.iev 
Xiyovzss  iliti^tiv  kukÜ.  ri  yag  iXnig  Kandöv,  ov  &£cöv  (leg.  videtur  ov8 

4.  Vid.  iafra  §  5. 

Adverterunt  me  haec  fragmenta,  qnod  videbantiir  inter  Aristar- 
chea  ad  illud  genua  captiosariiiu  quaestlonuiu  pertinere,  quod  non 
tarn  ad  gravem  fructuosamque  doctrinani  quam  ad  vuiiam  ostentandara 
ecientiam  vel  ad  venditandara  ingeiiü  subtiiitatera  vel  etiam  ad  carpcii- 
duiu  Optimum  poetam  inventum  cultumque  esse  putaveris.  Hoc  quäle 
fuerit,  unde  propagatum,  quo  studio  retentum  sit ,  quid  deniqiie  in 
grammaticorum  commeutariis  valuerit,  hac  occasione  accuratius  iiiqui- 
rere  operae  pretium  visura  est:  et  quamquara  baud  scio  an  non  oninia 
satis  mihi  illustrare  contigerit,  quantum  nunc  dare  possum  in  Iionvuu 
partem  aequi  lectores  accipiant.  Attigit  haec  quoque  aliquot  locis  di- 
vini  operis,  quo  nos  ad  Horaericara  lectionem  instituit,  WoUuis:  sed 
nee  omnia  ille,  quae  eodem  spectant,  vel  composuit  vel  coir.pnrtavlt, 
et,  ut  eius  institutum  ferehat,  in  magnis  copiis  parum  dixit  explicitc, 
vix  ut  scientibus  satis  sit. 

§  1.  Constat  summi  poetae  aequalibus  quique  horum  plura  per 
eecula  vestigiis  institerunt,  rcligiosis  hominibus,  sed  simplicibus  et 
poesis  delectamentis  helluantibus  ne  minimura  quidem  scrupuli  inl<!cisse 
antiquorum  Deorura  et  mores  et  facinora,  ad  hominum  similitudinern 
tum  benc  cupientium,  tum  vero  irasccntium  atque  invidentium.  llis 
igitur,  nt  hoc  utar,  nee  lunonis  incudes  nee  Vulcani  reticula  displice- 
bant.  Sed  cum  primum  philosophari  Graeci  homines  instituerent, 
tum  impia  haec  talia  et  scelesta  esse  duxerunt:  qua  religione  non  solos 
philosophos,  sed  ipsos  poetas ,  si  quo  novae  doctrinae  colore  imbnti 
essent,  infectos  esse  Pindari  exemplo  edocemur.  Tum  igitur  quidquid 
ex  hoc  genere  fabulae  afferebant,  eruditorum  animos  vehementer  of- 
fendit:  praecipue  tarnen  Homerus  et  Hesiodus ,  qui  et  plurimum  in 
hominum  ore  versarentur  quorumque  fabulae  non  locorum  quorundam 
iinibus  inclusae  essent,  sed  totam  Graeciam  pervagarentur,  pbiloso- 
phorum  invidia  flagraverunt.      TumXenoplxanes  exstitit  Colophonius  '}, 


*)  V.  Paul  de  sillis  Gracc.  p.  15  — 17,  Brandes  quaest.  Eleat.  p.  67—70, 
Jacobs  Erziehung  der  Hellenen  zur  Sittlichkeit,  Verm.  Schriften  111  p.  üi). 


104  Disputatio 

'OfjrjQaTcatrjg  tmwTtzrjg^  qui  adversus  utrunique  poetam  multa  scripsit 
eorumque  de  dia  narrationes  graviter  reprehendit : 

TiavTU  ^soig  ccvi^rjuav  "OfirjQog  &'  'HaioSög  ts, 
ooaa  TiaQ  dv&Q(6noiai.v  oveidsa  kuI  ipöyog  scrt, 
nXsTtrsiv  [lOixBvsiv  zs  Kai  dXXi^i.Qvg  aTiarsvitv. 

Tum  Heraclitus  veteres  poetas  insectabatur,  severissimlä  verbis  usus*), 
et  alii.  Ili  oranes  si  ad  prisci  poetae  rationes  caecutientes  acerba  euiu 
cum  irrisione  atque  obiurgatione  increpitarunt,  quid  niirum  exstidsse 
contra,  qui  vatein  tanta  gloria  circumlatura ,  iramo  tanta  vulgo  pietate 
exceptum  defendere  conarentur  et  invidiosas  crirainationes  dilucre? 
In  quo  plerique ,  viara  a  Theagene  monstratam  persecuti ,  ad  allego- 
riam  confugerunt  **) ,  alii  aliis  excusationibus  usi  sunt.  IIuc  accessit 
quod  Iloraericos  versus  ac  narratione^  iara  priniis  temporibus  par- 
tim in  communi  vita  (plenus  exeraplorum  est  Diogenes) ,  partim  in  dis- 
putationibus  doctioribus  vel  serio  \el  ad  orationis  ornatum  ubique  ad- 
Bciverunt:  qua  in  re  suo  quisque  ingenio  in  vitiipcrando  ac  defendendo 
al)uteretur.  Sic  exarsit  mature  crirainantium  et  patrocinantiura  conten- 
tio  ,  mutuo  incensa  certamine.  Quotusquisquc  enim  fuerit ,  quem  cri- 
niina  ista  contemnere  et  multa  in  poesi  non  ad  amussim  expendenda  esse 
vel  cupiditas  vel  artis  infantia  intelligere  passa  sit?  Defensores  qui- 
dera  tarn  multos  Iiabuit  poeta  tamque  cupidos  ,  ut  certo  ac  proprio  no- 
mine OfirjQov  inciivizcci  **')  dici  mererentur,  vocabulo,  ut  ego  suspicor, 
ad  irrisionem  invento.  In  qua  re  cum  non  tantum  pbilosophi,  sed  me- 
diocres  liomines  et  rbapsodi  praecipue,  ncc  docti  nee  ingeniosi,  sibi 
partes  sumerent,  iure  nostro  opinamur,  iam  tum  pingues  plurimas 
fuisse  defensiones,  quales  usque  ad  extremam  aetatem  fuisse  cognovi- 
mus.  In  mclioribus  Socratici  temporis  laudatoribus,  si  Xenopbonti  fi- 
des  est,  Glaucus  et  Stesimbrotus  fuerunt,  quorum  bodicque  aliquot, 
eed  exiguas  habcmus  solutiones,  Scbol.  A,  Goik  O,  193.  ^,  76.  cf.  Ari- 
etot, poet.  XXVI,  23.  §  2.  Ac  prudentibus  profecto  opus  fuit  poetae 
defensoribus.  Etenim  exortum  erat  novum  genus  reprebensorum ,  et 
laudi  quidem  vatis  illis  vetustloribus  periculosius.  Ili  enim  non  impie 
eum  cecinisse  iactabant  sed  inepte:  versum  versui  repugnare ,  senten- 
tiam  sententiae,  non  distingui  vocabula  siniiliter  significantia,  horrere 
etribligine.  Sophistas  dico.  Hi  ad  coarguendura  nati  liomines  poetas 
quoque  traduxerunt:  in  quibus  gloriolae  suae  abunde  satisfacere  pote- 
rant.  Simonidem  ut  ostendat  in  eodcm  carmine  sibi  contraria  dicere, 
quam  carpere  instituat  Protagoras ,  ex  Piatonis  dialogo  p.  339,  C  no- 
tissimum.  Quod  pro  similium  exemplo  est.  Euripidem  in  vocabnlo- 
rnm  minutiis  Aescliylum  coarguentem  ad  sopbistarum  morem  effinxit 
comicus.    Deniquc  Aristoteles  cocpiGzmovs  iXiyxovg  cnarrans  non  omisit 


•)  Diog.  La.  IX,  1. 
")  De  his  post  Wolfium  exposuit  Lobeckius  Agl.  I  p.  155  sqq. 
*•*)  Nitzscli  praef.  ad  Plat.  Ion.  c.  II. 


de  grammaticls  ivazutiKoTg  et  IvtihoTs.  105 

de  üs  dicere,  qui  Horaerum  redarguerent,  atque  ut  rellquia  eorura  ar- 
gutiis,  sie  liis  medicinam  paravit,  El.  Sophist.  IV,  8.  Poet.  XXVI  *). 
Verum  ne  omnia  quidein  rualo  coiisilio  ab  ils  excogitata  sunt:  scd  cum 
granimaticam  doctrinam  primi  inchoarent,  quippe  qui  rationeni  potius 
quam  usum  spectarent,  multiä  in  Homeri  canninibus  ofTensi  sunt,  qui- 
bus  explicandis  imperfecta  ars  non  sufficerct.  Ex  quo  genere  equldera 
puto  illud  fuisse,  quod  in  imperativo  (irjviv  usiös  &sü  Protagoras  vitu- 
perasse  traditur.  Vid.  Spengel  ovvay.  tbxv.  p.  44.  Cf.  Herodian.  schol. 
II.  r,  280. 

Alterum  genus  hominum ,  qui  ingenii  ostentandi  gratla  res  per- 
sonasve  ab  Ilomero  iictas  invadercnt,  ab  eadem  radice  propagatum  erat, 
rhefores.  Qui  cum  in  laudando  ac  vituperando  acumen  artemque  exer- 
cerent  (Cic.  Brut.  c.  12.  Foss  de  Gorg.  p.  43),  saepe  Homerica  tractanda 
eumserunt ,  et  ita  quidem  nonnunquam  ut  quac  ille  laudasset  ipsi  exte- 
nuarcnt,  quae  ille  vituperasset,  ut  Cyclopera ,  Thersitera  (cf.  Gell. 
XVII,  13),  ipsi  laudibus  exaggerareut  '*).     Et  vidit  haec  aetas  qui  utra- 


*)  Wolf  p.  CLXVIII.  Liscovius,  über  die  Aussprache  des  Griechi- 
schen p.  196, 

*')  Certa  res  est,  captiosas  criminationes  rhetorura  eophistarumque 
studiis  maxime  anctas  ac  celebratas  esse.  Uiide  vocabula  plura  in  hac  re 
propria  ex  rhetorica  ac  snpbistica  arte  depromta  sunt.  KKTTjyoQBiv ,  dno- 
Xoyilo^^at.  Sosibius  6  Ivxitiöq  apud  Athen,  p.  494, d  rourcoi'  roivvv  ov- 
Tcog  KctrrjyoQOVfMtvav  rfj  avaGXQOcpri  xqt]G(X(i(voi  dnolvofiiv  xov  noirjriqv. 
Arati  vita  111  ap.  Buhl.  JLvcpQÜvcoQ  dvriyQäxpcns  Tiqog  rag  xov  Tja'tXov 
KaxrjyoQiug.  Schol.  K,  274  oürog  alla  xs  noXlcc  ■Kaxrjyogei  'OfirJQOV.  i,  60 
TioXXol  KctxTjyÖQOvv  xov  (XTitd'üvov.  2J,  22  Zcotlog  ös  rprjGiv  äxonov  — 
ZrjvoScoQog  Ö8  ccTcoXoyilxKi,  et  aliis  locis.  Cf.  Aristot.  rhetor.  1,  3,  3 
ÖLHTjs  ÖS  x6  (ilv  KaxTjyoglu,  x6  Öt  ccnoXoyia;  v.  II,  22.  7.  8.  II,  23,  14. 
rhet.  AI.  I,  1.  Vll.  Deinde  tvaxaaig,  ivaxaxiKoL  Cf.  Aristot.  el.  soph. 
IX,  6  (a^  8s  xovx'  e^ofisv ,  kkI  xdg  Xvasig  'ixofisv  al  ydg  xovxcov  iv- 
cxdasig  Ivasig  sIgl).  XV,  14.  15.  XVll,  20.  rhetor.  II,  12,  17.  II,  25.  II, 
26,  4.  Dion.  rhet.  III,  17,  14.  SiaßdkXsiv  quoque  et  dtaßoXr] ,  quae  haud 
rara  sunt  in  hac  re ,  possint  a  rhetoribus  duota  videri ,  v.  Spengel  avvay. 
rsxv.  p.  95.  96:  fortasse  etiam  iptysiv  ,  v.  Aristot.  rhet.  I,  3,  3.  Sed  de 
hoc  non  pugnabo.  De  vocabnlis  autcm  Xvsiv,  Xvaig  res  certissima.  Haec 
in  scholiis  frequentissima  de  dissolvendis  quaestionil)us,  unde  2Jco6ißtog  6 
&uviJ,daxog  Xvxi-nög  apud  Athenaeum:  de  dissolvendis  -vero  sophistarum 
captionibus  apud  Aristotelem  propria:  o  Xvsc  xov  aocpiaxinov  Xöyov ,  rhe- 
tor. 111,2,  13,  et  in  libello  de  elenchis  sophi^ticis  in  singulis  capitibus  in- 
Tenies.  Ceterum  grammatici ,  quamquam  rarius,  etiara  verbo  sntXvsa&ui 
utuntur.  Unde  iniXvziyioi  apud  Suid.  s.  Uoaalßiog.  sniXvsa&Ki  Seh.  Di(m. 
gr  p.  730,  26.  Sohol.  Od.  i,  106.  Athen,  p.  670  f.  {7iQ6ßXr]/.ta  iniXvcaad-txi). 
Schol.  Pind.  Pyth.  IV,  455.  STtiXvsiv  xö  änoQOv  Tzetz.  exeg.  II.  p.  51. 
Item  activnm  hniXvBLV  seh.  A,  1.  Apud  Athenaeum  p.  669.  d  pro  dno- 
Xvs69ccL  ^rjTTjGiv  Casaubonus  requirebat  tn  iXvta&ui.  Neque  tarnen  neces- 
earium:  dnoXvsa&at  dnogiav  est  schol.  T,  271.  dnoXvso&ai  TiQoxdastg 
Athen,  p.  3S4.  c.  Quod  videtur  translatum  ex  dnoXvta&ai  xtjv  alziav 
(Dion.  rhet.  VIII,  11)  ,  dnoXvsaO'CiL  SiaßoXdg  (  Plat.  Phaedr.  276.  D).  ~ 
To  ^TjTovfisvov  öiaXveiv  est  Athen,  p.  408  f.  öiaXvacci  xov  Xoyov  de  elen- 
cho  sophistico  diluendo  legimus  ap.  Aristotelem  el.  soph.  XVI,  8.  öialv- 
caa&cci  SiaXsuTiKovs  Xöyovg  Diog.  La.  II,  111. 


100  Disputatio 

que  ratione  adversus  poetam  piig-navit ,  et  rhetorum  artiGciis  usus  et 
sophistarum  argutiis ,  Zoiluni  Ampliipolitanura,  Ad  illud  genus  perti- 
nebat  eius  ipöyog  0{ii]Qov,  ad  hoc  libri ,  qui  apud  Suidain  dicuntiir, 
TiuTCi  T7)s  TOv'OiM^QOv  7ioii]C)Scog  XöyoL  svvsa.  Strab.  lib.  VI  p.271,  fal- 
sura  ficturaque  esse  demonstrans  multos  fluvios  subter  mare  per  ali- 
quod  spatium  labi  integros  ,  plures  affert ,  qui  talibus  fabulis  fideai  ha- 
buerint:  „'Alcptiov  Ös,  inquit^  Zcotlog  6  Qr^rcaQ  sv  t(p  Tivtölcov  lynco- 
(ilw  cpTqolv  iY.  TcVcSov  QBtv,  0  xov  OfiTjQOv  ip^ycov  OJg  fiv&oyQUcpov^'  i.  e. 
eiusmodi  fabulam  Zoilus  propinat ,  is  qui  Homei'uni  iit  fabulosum  poe- 
tam vituperare  ausus  est.  In  quo  miror,  Wolfium  sibi  persuadere  po- 
tuisse  (p.  CXCII)  ultima  verba  o  t6v"0{i7]Qov  iptycov  cjg  nv&oyQcccpoVf 
in  quibus  vis  sententiae  est,  ad  marginem  releganda  esse.  Recte  Stra- 
bonis  locura  intellexerat  Hardio  in  Memor,  Acad.  Inscr.  et  Litt.  T.  VIH 
p.  187  *).  In  mente  habuit  Strabo  ipoyov  '^OfiriQov  ,  quae  haud  dubie 
declamatio  erat,  a  Suida  inter  Zoili  scripta  commemorata  atque  a  no- 
vem  libris  adversus  Homerum  secreta.  Ex  eadem  declamatione  puta- 
verira  desnmptura  esse,  quod  Longinus  servavit,  IX,  14  rovq  sk  Kiq- 
M7JS  avocpoQßoviiivovg ,  ovs  0  Zcaikoq  tcpr]  xoiqiölu  kXcc  iovt  cc:  quod 
habet  colorem  rhetoricum.  En  specimen  fabulae,  quam  fabuloso  poe- 
tae  exprobraverat.  Novirnus  praeterea  oratiouem  eius  ad  Horaeri  re- 
prehensionem  pertinentem ,  cuius  fragmentum  servavit  Schol.  Plat.  ad 
Hipparch.  p.  240  b.  (p.  334  Be.)  Zcoi'Aos  iv  xä  sig  UoXvcpTifiov  iyxa- 
fiio}  „ovzco  yccQ  co^oyv6/xr]<iccv  ol  &£ol  tcsqI  zrjg  tiixcogiag  xavrrjg,  coaxs 
Ttccvxodsv  Oövcatvg  xswg  oco^öfisvog  xat  xdg  vavg  d^^guiovg  Ti^QtTtoiov- 
(livog  7zsQi,c6q)&rj  fXExd  xrjv  dguv  vnb  xi]g  'J&rjvdg."  Hoc  quantivis  pretii 
frustulum  clarissirae  patefacit ,  quid  in  illa  declamatione  effecerit:  Cy- 
clopis  precibus  (f,  528)  ita  Dcos  immortales  commotos  esse ,  ut  cum 
antea  ex  sociis  quidem  complures  Ülixes  amisisset,  sed  navem  adhuc 
nullam ,  ab  hoc  demum  tempore  omnibus  et  amicis  et  navibus  orbare- 
tur:  quod  ipsum  Polyphemus ,  Dis  scilicet  gratiosus ,  imprecatus  erat: 

Sos  (iri    OSvGaija  titoXliiÖq^iov  oi'iia&'  Ixia&aL- 
aXX    si'  ol  (ioIq'  sazt   cpLkovg  z'   iSssiv  kchI  luto&at 
oiKOv   ivKTifitvov  Kai  hrjv  ig  naxgida  yulav ' 
oips   KccxcSg   iX&oL,    oXtaag  uito  nävxag  sxaiQovg, 
vrjos  in'  dXXozQLTjg ,  tv^ot  S'  iv  m^iiaza  oi'xoi.**) 


*)  „Strabon  a  remarque  cette  bevue  comrae  quelque  chose  de  plaisant 
dans  un  ecrivain,  qui  s'etoitmoque  d'Homcre  comme  d'un  conteur  de  fahles." 

*')  Ilae  tarnen  rhetorum  nugae  videntur  adducere  potuisse  lepida  my- 
thologorum  capita,  ut  vel  serio  Cyclopem  pro  pnidente  hoinine  vendita- 
rent.  Serv.  ad  Aen.  III,  iioii  „Ilic  (Polypheraus)  vir  prudentissimus  fuit, 
et  ob  hoc  oculum  in  capite  habnisse  dicitur,  i.  e.  iuxta  certbrum,  quia 
prudentia  plus  videbat.  Verum  LUixes  eum  prudentia  superavit  et  ob  hoc 
eum  coecasse  fingitur. "    Louge  aliter  Ariätarcbus:  vid.  Apolloo.  lex.  Hom. 

8.    ud'SlliGTCOV. 


de  grammaticis  iveruriKotg  et  XyriKolg.  107 

Non  concedo  Wolfio ,  „quibus  potissiraum  in  rebus  Homerum  allntra- 
rit  Zoilus,  parum  constare. "  Mendacia  fabularum  In  dedainatione 
adversus  poetam  coniposita  ludlßcatum  esse  snpra  constitit.  Qualia 
vero  in  novem  istos  libros  congesserit  ridicula ,  ne  hoc  quidem  latet. 
Partim  eniin  excitaverat,  quae  in  Deorum  heroiimque  laoribus,  par- 
tim quae  in  arte  poetae,  piirtini  quae  in  oratione  eins  carpi  posscnt. 
Slngula  l'ragmenta  primi,  sccundi,  tertii  generis  recensebo.  Apolli- 
nem  vituperavit,  quod  dicatur  t-agitti»  uuilos  primuiu  et  canes  adortus 
esse:  quasi  vero  tarn  vehementer  irasci  deceat  Deum ,  ut  ne  a  bestiis 
quidem  abstineat ,  Ileraclid.  alleg.  Hom.  c.  14.  In  illo,  quod  Achilles 
dielt  I,  203  ^mQozfQOv  ös  xj^ok^s,  quod  deineeps  exercuit  plurimos, 
Pelidae  bibacitatem  perstrinxerat ,  Plut.  quaest.  conv.  V,  4,  2.  —  De 
arte  poetae  haec  sunt,  quae  vel  accurate  perpensa  iniucundas  ridicu- 
lasque  imagines  ante  oculos  constituere,  vel  sine  ratione,  vel  advcr- 
6US  rationem  ficta  esse  persuadere  voluerat.   X,  209 

nal  TOTE  Stj  XQ'"^^'^^  nuzrjQ  itiraivs   raXavTa^ 
iv  d'  STi&si  8vo   K^QS  xavrjXsyäos  &ccvutoio' 

yslä  8e  tqv  (ivQov  6  Ztatlog'  no  8  anal  yaq  al  fioiQui  iv  za7g 
TtXäaziy^i.  Ka&T]  fisv  a  t  t]  a  azrjHVi  a  i  —   W,  100 

ipvxT]  81  v.axa  xQ-ovog  i^ilizs  Kccnvos 
ca^STO  zsTQiyvlcc  — 

ZcotXog  8s  tpriGLV  ort  aXX'  6  Kanvog  avco   q)£  q  8zai\ —  E,7 

nvQ   8ai£v  ano  xparo'g  zs  kccI  äiicav 

Zco'llog  o  EcpbGiog  xcczrjYOQel  zov  zönov  zovtov  -nui  fisficpszat  zw  Ttoirjry 
ort  Xiav  ysXoicos  nsnolrjKfv  £h  tcöv  wficov  zov  ^io{x,i^8ovg  Kaioixevov  jivq. 
iKivSvvsvas  yaQ  av  v.aracpXsxQ'rjVD'.i  o  TJgcog.  Sic  argutari  licebat  in  eo 
versu,  quem  idoneus  profecto  iudex  Virgilius  supra  modum  admiratua 
et  identidem  imitatus  esse  dicitur,  Macrob.  Sat.  V,  13.  —  Sine  ra- 
tione fictum  visum  illud ,  quod  in  Ciconura  impetu  ( «,  60)  ex  singulis 
navibus  par  socioruni  numerus  interiisse  dicatur,  „aignsg  an  ini- 
T  ay/tiörog.  "  —  Rationi  contrarium  visum,  quod  Ä",  274  Ulixes 
cum  Diomede  egressus  ad  Rhesum  occidendum  magnopere  gaudeat  ar- 
dea  a  Minerva  missa,  de  qua  poeta:  ovn  i'Sov  ocp^aX/j-olotv  —  aAAa 
üXdy^avzog  uKovaav.  Hoc  male  linxisse  poetam :  etenim  latere  volen- 
tibus  alitis  clangorem  sinistrum  omen  esse.  Similiter  E,  20,  ubi  Idaeus 
et  Phegeus  fratres  in  curru  contra  Diomedem  pugnantes  inducuntur. 
Phegeus  Diomedis  hasta  ictus  caeditur:  tum  alter  timore  percussus  a 
curru  se  proripiens  aufugit:  'KarrjyoQtl  nal  zovrov  zov  zonov  ZcoTlog, 
ort  Xiav  cpr]ai  ysXoioag mnoirj-'isv  o  noirjzjjg  zov  ISaiov  uTtoXinovzu  zovg 
imtovg  -nal  zb  ccQfia  (phvynv  ri  8vv  az  o  yaQ  ficcXXov  ItcI  zolg 
i Tino  ig.  —  Denique  grammatica  reprehensio  est  ad  J,  129  d' ks  no- 
&L  Zjhvg  8(pai  nöXtv  ivtii'x^ov  t^aXanä^aL'  Zco'lXog  öt  o  'J^qjtnolirrjg 
Kttl  XQvCinnos  o  Exca'rKog  aoXotm'Qeiv  oi'ovzai  zov  noirjz^v ,  ccvtI  tviKOV 
nXri&vviiKä  XQfjounevov  ^rniazL'  z6  yuQ  öcSai,  q^aöl,  nXrj&vvziTiov  (sc. 


108  Disputatio 

ex  analogia).  ayvoavSt  db  .  .  .  .  *).  Hie  igitur  Zollus  quamquam  ineptas 
pruposuit  quaestiones,  tarnen  alioruin  exeinpla  secutus  est,  ut  verissi- 
me  Wolfiura  dlxisse  arbiträr,  „eiira  niliil  admodum  praeter  ceteros 
peccavisse'^  *•).  §3.  Quantum  vero  iramodestiae  ac  potius  impuden- 
tiae  bis  tortuosarum  quaestionum  captatoribus  posteriores  grammatici 
iure  adscribi  posse  arbitrati  sint,  ex  memorabili  scholio  Aristonici  ap- 
paret ,  T,  269  ad'srovvrai  azixoi.  8' ,  ort,  SiBOKivacfievoi  ilolv  vno  tivoq 
TcSv  ßovXonivwv  TZQÖßXrjfia  tcoisIv.  Attamen  hi  versus  Aristotele  anti- 
quiores,  immo  quaestio  ipsa  versibus  adbaerens  iam  Aristoteli  tentata, 


*)  Quod  unura  restat  in  schol.  P,  20 1 ,  pertinens  ad  &,  200 ,  non  in- 
telligo. 

**)  p.  CXCII.     Sed  de  bominis  ingenio  ac  mnribus  minime  mibi  cum 
viro  egregio  conveiiit.     Primum  quod    dicit   „rabieni  addidisse^',  boc  non 
Tideo    unde  coUigi    posdt    nisi  ex    veterum  admodum  incerta  persuasione, 
qui  phirimi  fando  homiuis   niemoriam  tenerent  ac    declamatorum  exagge- 
rationibus  poUutam,  quorum  fideni  disscntientes  de  taetra  eins  morte  nar- 
ratiunculae  testantur,    cf.  Hartes,  ad    Fabric.  I    p.  5(»0.     Porpbyrius   qui- 
deni,    cui  qnae   in  scboliis  Homericis    de   eo    tradita   sunt  debemus,    eum 
yvfivaalag  avr/.a  scripsisse  ait:  quamquam,  ut  mox  apparcbit,  ne  boc  qui- 
dem  accurate  dictum  arbitror.     Ex  vocabulis,  quibus  in  poeta  aggrediendo 
usus  est,    yiloLwg,    drÖTtcog ,    nibil  asperius  de  boniine  coUigi  posse   con- 
tendo:  nam  haec  \ulgata  fuerunt  in  excitandis  captiunculis.     Quod  »i  quis 
illud  asperam  eius  orationem  significare  reponat ,  quod  est  in  scitol.  2J,  22 
de  Acbitle  laraentante  „rd  te  ovzcog  vniQmv&Hv  yvvaiKcod^s'  ovtcog  ovv 
UV  ßägßciQog  tIt&tj  tnolrjafv^^  ne  ea  quidera  nova  eius  loquendi  ratio  sed 
proverbialis ;  Aristo  apud  Sext.  Empir.  adv.  Matbem,  VH,  12  rovrovg  yuQ 
£^g  TLt&ag  av  >ial  naidaymyovg  ■niTtniv.     Addit  deinde  Wolfius  illam  ra- 
biem   profectam  fuisse  ,,  ab  acerbitate  et  pravitatc   animi. "      An   cogitari 
potest,  pravitate  animi  qucmquam  insectari  priscum  scriptorem,  cuius  nee 
de   vita    nee   de   factis  quidquam    constaret?     Quasi   quis  Iiodie  mailvolus 
in  Ulphila  carpendo  sibi  placere  posset.     Adnionet  Wolfitis  de  Act.  Testa- 
ment! reprebonsionibus.     At   ne  bae  quidem  a    pravitate  animi    profectae, 
sed  a  persuasione  rationum.     Quod  vero    in  Sallustio,   Cicerone,   Virgilio 
factum  est  si  cui  succurrat,    id  et  fieri  poterat  instius  et  faiitum  est  par- 
tim perversa  imitatione  partim  studio  civili  et  aemulatione  artis.     Jam  ut 
de  Zoilo  dicam  quod  sentio,  non  gravitcr  reprebendit,  sed  (id  quod  frag- 
menta  ipsa  demonstrant)  irrisit,  non  Homerum ,  sed  studia  doctorum.     In 
eo  si  multi  non   inteliexerunt  cavillatnrem,   idem  ei  quod   Piatoni  accidit. 
At,  inquit,    non  uno  eiusmodi  contenlus  fuit  opuscuh),    tria  novimus  Ho- 
merica,  novimus  praeterea  adversus  Platonem   eum   atque  Isocratem  scri- 
psisse.     Hoc  ideo  factum,  quod  non  animi  causa  scripsit,    sed  disciplinae. 
Philosopbum  fuisse  Suidas  tradit  ,,qi^tcoq  dh  rjv  xort  qptildöoepog."     Qualis 
vero    pbilosophus?     Videlicct  Cynicus.     Aelian.  V.  H.  XI,  10   iKCilHvo  &e 
Zatilog  otiTos  Kvcov  QrjTOQixog:   quo  nomine   quem  aptius  significari  pu- 
tabinms  quam  rbetorem ,  qui  idem  esset  Cynicus.''    Et  lege  mibi  Aelianum, 
qualem  eodem  loco  bominis  habitum  depingat:  merum  agnosces  cynicum. 
Ergo  si  Diogcni ,  ut  censeo,  et  maxime  Menippo  similis  erat  Zoilus,  anov- 
doyflocog  fuit,  et  dictorum  scriptorumque  eius  idem  cum  illis  color ,  idem 
consiiium.  —     Novem  eius  libros  adversus  Homerum  ipsos  puto  inscriptoa 
fuisse  'OfirjQOfiäart^,     ut  Licinii  über  Ciceromastix:  et  vix  aliter  eius  li- 
ber,  qui  apud  Servium  bis  non  suo  nomine,   quod  ignorasse  videtur,  sed 
Virgiliomastix  audit,  Eclog.  U,  22.  Aen.  V,  521.  —     Caeterum  cur  unum 
etatuam  Zoilum  alias  dicaui. 


de  grammatlcia  iverariKotg  et  IvriKolg.  109 

Poet.  XXn,  22.  Similis  prorsus  eiusdem  graramatici  observatio  K,Z12 
ort  &£Xovzes  ^rjtTjftcc  nottlv  (israyQocqiOVOi  t6  T^fiiarixiov  ovroag  „xal 
ßälsv  ov8'  i(päfj.aQTSv ,  aKcav  d'  T^fiägravs  qpcords"  (pro  i]  qoc  hcI  tyxog 
afiagrsv,  Ix  — ).  Certe  Virgilioniixstlx  talia  ausus  est:  Serv.  Eclog. 
11,23  ,, Sane  hunc  versura  male  distiiif^iicns  Virgilioniastix  vitupcrat: 
Lac  mihi  iion  aestate  iiovum,  noii  frigore :  defit,  i.  e.  semper  mihi 
deest. "  De  Aristonici  obscrvatlonibus  quidqiiid  iudicaveris,  demon- 
strant  tarnen  grammaticorum  de  vetustis  quae^tionum  professoribus  iu- 
diciiim.  Quo  magis  mirere,  quidai  una  cum  iuvale;<cente  accurata 
Alexandrinorum  scientia  diligentique  poetarum  interpretatione  hi  lusus 
abiecti  planequc  exstincti  sint.  Quod  tantum  abest  ut  factum  sit,  ut 
et  Alexandriae  retenti  tractatiquc  et  postea  Roraae  aliisque  studiorum 
deversoriis  gnaviter  culti  et  ad  ultima  saecula  propagati  sint.  Sed  Graeci 
quidem  grammatici  praestantiores ,  quaies  Zenodutus,  Aristophanes, 
Aristarchus  fuerunt ,  iieque  videntur  haec  plcraque  in  commentarios 
suos  recepisse,  neque  istos  artis  nostrae  conditores,  quibus  ex  integris 
atque  iliibatis  novae  disciplinae  fontibus  picnam  ac  copiosam  doctrinam 
Iiaurtre  licebat,  quibus  primum  rudia  et  confusa  exemplaria  ordinanda, 
distinguenda,  perpolienda  erant ,  minutiarum  libido  vel  invadere  vel 
dclectare  poterat:  si  quid  autem  se  offerebat  vere  impeditum,  ut  nisi 
captiosis  artibus  enodari  posse  non  videretur ,  tum  non  hanc  quasi  gra- 
tam  ostentationis  occasionem  arripiebant,  sed  medicinam  habebant,  quae 
ab  acutuUs  ,  omnia  solvere  paratis  graniraaticis  nunquam  inventa  esset, 
eruditam  ac  simplicem  —  d&£tr]aiv.  Illustre  traditum  exemplum  est, 
Aristarchum  in  dissolvendis  quaestionibus ,  quae  sibi  inanes  viderentur, 
minime  gloriolam  quaesivisse.  Quid  enim  responderit  percontantibus, 
cur  in  recensu  navium  a  Boeotis  potissimum  poeta  initlum  ceperit,  apud 
scholiastam  ad  B,  494  legimus  hoc  modo :  rj^Ktai  öi  ano  Boiwtcöv  xara 
fiiv  'AQLOzaQxov  ovh  tu  xivog  jiaQtxTTjQrjascog .  .  .  .  Alterura  scholion: 
o  Ss  'ÄQiGTCcQxög  tpr]Gi,  xaro:  intcpoQav  avrov  xrjv  ccQX^^  noiijaaod'ui' 
B  i  y  UQ  Kdl  an'  aXkov  a&vovg  rjQ^azo,  i'^r]zov(j,sv  dv  zijV 
aizLCiv  tijg  UQX'fjS'  Audin  virum  sobriura  atque  in  melioribus  ex- 
quirendis  occupatum,  cum  raolestos  argutiarum  scrutatores  aspernatur 
atque  eludit'?  Eiusdem  generis  exemplum  praeterea  est  z^, 489.  Narrat 
ibi  poeta,  Antiphum,  Priiimi  filium,  in  proelio  Aiacem  hasta  petiisse, 
eam  vero,  cum  ab  Aiace  aberraret,  in  Leuco,  Ulixi  socio  (fratpog) 
haesisse.  Hie  quaestio  fuit,  id  quomodu  fieri  potuerit,  cum  ex  ordine 
exercitus  Graeci  constaret ,  Ithacenses  baudquaquara  stationem  prope 
Salaminios  habuisse.  Quidam  solvunt  pessime,  hralgov  non  esse  so- 
cium,  sed  universe  araicuiti;  alii  melius,  in  proelio  ordinem  exercitus 
Gonfundi.  Quid  Ai'istarchus ?  „ag  7totr]tfnov  nagaizilzai'^ :  talia  in 
poeta  ne  quaerenda  quidem  esse.  Attamen  haec  non  prorsus  neglexe- 
runt,  si  qua  forte  ad  utilem  observationem  ansam  praeberent.  Sic 
quod  de  aslijvri  (pciSiv^  quidam  sibi  ineptum  invenisse  videbantur,  hoc 
poterat  admonere  doctiores ,  ut  Aristarchum  admonuit ,  ut  de  vi  ac 
potestate  epithetorura  perpetuoriim  dicerent,  Sic  quas  Aristonicus  in 
echolüs  tangit  quaestiones ,  quae  paucae  sunt  ( iunt  autem  hae  ei  non 


110  Disputatio 

AristarcTii  oranes,  tarnen  scholae  Aristardieae)  ,  aut  ad  verljorura  pofe- 
statcs  clefinicndas  receptae  crant,  ut  A^^,  ul»i  sine  dubio  de  significa- 
tione  voeabuli  Ixoov  exposiierat,  aut  ad  lectionem  expediendara  vel  con- 
firmandam ,  -T,  379.  /T,  447,  aut  ne  poterant  quidein  in  comnicatariis 
praeteriri,  qiiod  explicatione  necessario  egent,  ut  de  versu  naQroyjjHSv 
öl  nlftov  vv^,  Tcöv  8vo  (xotgcicov  K,  252,  et  de  Pylaeniene  iV,  643,  quae 
sunt  quidera  quaestiones  ,  sed  graves  et  necessariae  ac  longe  ab  istis  ar- 
gntulis  segregandae.  Aliquoties  etiam  aliquid  concedcrc  debuisse  com- 
niuni  studio  infra  appavebit.  §  4.  Priiuain  attulimus  causam,  cur  rem 
per  se  inutilem,  sed  utiiiuin  observationum  sacpe  indagatricem,  nolue- 
rint  plane  ex  hominum  memoria  elabi.  Sed  efficaciores  tarnen  aliae 
Causae  erant  atque  partim  decori  ac  dignitati  litterarura  minus  accom- 
niodatae.  Accepimus  in  Alexandrino  Museo  aliisque  locis  ad  pbiloso- 
pliorum  et  rlietorura  morem  grammaticos  quoque  ambu4antes  de  rebus 
suis  disputationes  instituisse.  Strabo  XVI  p.  793  zwv  Ös  §aöiXficov  fts- 
Qog  ^'ört  Marl  t6  MovßHOv,  b%ov  JifQi'mxtov  Koci  t^sÖQav.  Quorum  usum 
ambulacrorum  cum  praeterca  notum  habemus ,  tum  ex  Vitruvio  V,  11, 
de  palaestris  dicente  hoc  modo:  constituuntur  autem  in  tribus  portici- 
buß  exedrae  spatiosae ,  in  quibus  philosophi,  rhetores  reliquique,  qui 
studiis  delectantur ,  sedentes  disputare  possint.  Rem  docte  iüustravit 
Gronovius  de  Mus.  Alex,  in  Tlies.  Gron.  T.  VIH  p.  2742.  Hie  igitur 
quainquara  in  vegeta,  qua  plerique  utebantur,  memoria  multiplicique 
doctrina  aliquante  doctius  quam  bodie  evadere  poterat  disputatio,  atque, 
-ut  non  uno  loco  apparet  ex  Gellio ,  re  Vera  evasit,  ut  nimis  inique  de 
hoc  genere  existimari  nolim,  quamquara  de  rebus  ad  universam  grara- 
maticam  pertinentibus  colloqui  poterant,  libruin  quoque  secum  ferebant 
(Gell.  III,  1.  VI,  16) :  attamen  multae  huius  operosae  docti'inae  partes, 
et  solidissimae  quidem,  aut  non  poterant  ibi  tractari  aut  male.  Vix 
igitur  dubitandum  est,  quin  sine  commentariorum  bibliothecarumque 
adiumento  conversantes  grammatici  haud  raro  ad  minutias  lususque  in- 
genii  delaberentur.  Quid  porro  illi  amiqna  örjgiöcovtBs  Movßfcov  iv 
TttXÜQcp  in  syssitio  suo  disceptaverint  non  accepi  quidem :  sed  nescio 
quomodo  patulas  aures  admoventi  quaestiuncularum  susurrus  adstrepat. 
In  conviviis  enim  eruditorum,  quae  apud  utrumque  populum  frequen- 
tissima  erant,  proponendarum  solvendaruraque  quaestionum  pervulgatus 
mos  et  quasi  propria  sedes  fuit.  Postquam  enim  ad  epulandum  vocati 
edendi  libidinem  exuissent,  bibendi  induissent,  tum  mensis  remotis  *), 
pocuHs  ministratis,  ad  doctam  garrulitatem  sese  accingcre:  quippe  ne- 
que  muti  esse  poterant ,  liomines  praesertim  Graeci ,  quos  in  litteris 
quoque  omnium  loquacissimos  esse  Strabo  professus  est,  neque  diffici- 
les  iis  et  convivandi  liilaritati  parum  aptae  disputationes  placebant  (Flut. 
Sympos.  qu.  1, 1,  raax.  c.  3).      Neutrum  decere  ex  ipsis  philosophorum 


')  Plut.  Symp.  II,  2  ciVTol  jkq  £TCL%£iQriGO[i£V  ^rjTHV  Zrav  navßcöfisQ'K 
SeiTtvovvTtg.  'Slg  ovv  ucprjQtd-i^aav  al  xQänf'Qai.  —  Alios  locos  nunc  prae- 
tereo.  Sed  apud  Virgilinm  Aencas  fata  sua  rcginae  enarrat ,  postquam  pri- 
ma quies  cpulis  mensueque  rcmotae. 


de  gramraaticia  ivßTCiTinotg  et  XvtikoI?.  111 

echolis  retulerant,  in  quibus  de  boni  convivae  virtntilms  miiltus  sertno 
esse  coiisueverat.  Plut.  Sj  iiipos.  qu.  I,  1,  2  *).  Cf.  Cic.  off.  I,  37.  Qiiare 
si  quis  natura  esset  tristior  atque  ad  seria  iocose  tractauda  dilTiciliur, 
abstinebat  sese  in  convivaruiu  coetu  ab  lioc  genere  iudicrae  eruditiunis : 
ut  Isocratcs :  qiii  „  cum  in  couvivio  a  sodalibus  oraretur ,  ut  aliquid  in 
medium  de  eloquentiae  suae  foute  profeiTet,  bac  venia  deprecatus  est: 
Quae  praesens,  in(|uit,  locus  ac  terapus  exigit,  ego  non  calleo ;  quae 
ego  calleo,  nee  loco  praesenti  sunt  apta  nee  tempori. "  Sic  rem  nar- 
rat  Macrobius  Saturn.  V II,  1 ,  mutuatus  a  Plutarcho  Syrapos.  qu.  1, 1, 1. 
Prudenter  Isocrates:  iure  insipientes,  qui  aliter  agerent,  vituperati. 
De  eiusmodi  intempcstive  docto  Gellius  I,  2  „Erat  ibidem  nobiscum 
simul  adolescens  pbilosopbiae  sectator,  disciplinae,  ut  ipse  dicebat, 
Stoicae ,  sed  loquacior  impendio  et  proniptior,  Is  plerumque  in  con~ 
viüio  sermonibus,  qui  post  epitlas  haben  solent,  multa  atque  immodica 
de  pbilosopbiae  doctrinis  Intenipestive  atque  insubide  dissercbat "  et  re- 
liqua,  quae  apud  ipsum  Geilium  legantur,  vivide,  ut  solet,  et  lepide 
referentera.   (Cf.  XV,  2.) 

At  quam  frequentia  per  orania  saecula  eruditorum  convivia  fuerint, 
non  ex  nostra  consuetudine  diiudicandum  est ,  sed  ex  ipsorum  usu  ac 
moribus  pernoscendum.  Nam  et  philosopbi  auctorum  disciplinae  suae 
nataies  anniversaria  epularum  fcstivitate  instaurabant,  quod  Epicurei 
ex  Epicuri  testamento  faciebant  (Cic.  fin.  II,  31.  Diog.  La.  X,  18) ,  alii 
sponte,  ut  Socratis  et  Piatonis  meraoriam  quosdam  coluisse  lcgimu3 
(Plut.  qu,  Symp.  VIII ,  1.  Euseb.  praep.  ev.  X,  3,  cf.  Rulinken.  de  Lon- 
gin. §  8)  et  eiusdem  scholae  sectatores  conventus  epulasque  agebant, 
ut  singulis  mensibus  Epicurei  (Cic.  Diog.  11.  11.),  alii  (Atben.  V  p,  186  a. 
X  p.  419  d),  iuvenesque  studiosi  litterarum  tum  inter  sese  (Gell.  XVIII, 
2.  XV,  2)  tum  apud  magistros,  quos  cum  maxime  sectabantur  (Gell.  VI, 
13,  cf.  II,  22.  III,  19.  XIX,  9)  epulari  solebant;  et  si  Musarum  sacra 
fierent,  quod  e.  g.  Atbenis  solenne  fuisse  ex  Plutarchi  Symposiacorum 
libro  ultimo  tenemus,  eadera  festivitas ;  denique  reges,  praetores  (Plut. 
Symp.  IX,  in.),  patroni  baud  raro  ad  convivia  litteratos  clientes  invita- 
baut.  *')  Cf.  Eschenbach  de  Syrapos.  Sapient.  §  X  sqq.  Graves  igitur 
ac  serias  quaestiones  ex  laetis  eiusmodi  circulis  exciudebant.  Qualia 
contra  ad miseriut  atque  probaverint,  ex  Plutarcho  ,    Macrobio,    Athe- 


-*)  ^'7^*^'"  ß^^'"  ^v  taXg  StUTQißaig  nsgl  GvßnoviKCov  v.aO'riyiövzcov ,  kuI 
xiq  a^tzrj  ovfntörov ,  ■Kai  neos  ol'v(o  XQrjöTtov.  —  Nöfiovg  avfinoziKovs 
scripserant  Aristoteles,  Speusippus,  Xenocrates,  Athen.  I  p.  3  f. 

**)  Potissfma  recensui.  Non  desunt  alia.  Diog.  La.  II,  133  de  Me- 
nedemo:  rjv  öl  noil  cpiXvitoöoxog  nal  ötcc  ro  voccöösg  zf/g  ' EQirQiag  itltLCO 
Gvväycov  cvfinoata,  iv  otg  aal  notrircov  Kai  fiovaiKciSv.  V.  alia  Plut.  Symp. 
1,  10  in.  II,  4  in.  V,  2  in.  V,  3  in.  V,  5  in.  Ilinc  fliixit  persuasio  septem 
enpientes  non  convenisse  tantum,  sed  convivantes  confabulatos  esse.  Plut. 
Sol.  c.  6;  et  4:  ysv^a&ai  dl  xal  ßgz  uXX^lmv  tv  zs  jj£lq)otg  ofiov  Xtyovzai, 
y.al  TtccXiv  iv  KoQivQ'ca,  UtQiüvdQov  ovXXoyov  viva  uoivov  uvzäv  aal  avfi- 
noGiov  HuzaGKSväGavzog. 


112  Difiputatio 

naco,  Gelllo  intelllgltur.  Gellil  quidem  duas  lepldas  narratJunculas, 
quibus  haec  convivandi  ratio  egregie  illiistratiir,  oratioiii  meae  Inclii- 
dendas  putavi.  VI,  13  „Factitatum  observatuinque  hoc  Atlienis  est  al> 
iis,  qui  erant  philosoplio  Tauro  iuncliores.  Quuin  domum  suam  nos 
vocaret,  ne  omniiio,  ut  dicitur,  iraniunes  et  asyniboli  venirenius  ,  con- 
iectabamus  ad  coenulam  non  cupedias  ciborum ,  sed  argutias  quaestio- 
num.  Unusquisque  igitur  nostrum  commentiis  paratiisque  ibat  quod 
quaereret:  eratque  initium  loquendi  edundt  flnls.  Qiiaerebantur  autera 
non  gravia  nee  reverenda,  sed  iv&vfirjfiara  quaedam  lepida  et  niinuta 
et  florentein  vino  animum  lacessentia.  Quäle  hoc  ferme  est  subtilita- 
tis  ludicrae  quod  dicam.  Quaesitura  est ,  quando  moriens  moreretur, 
quum  iam  in  morte  esset,  an  tum  etiam  quum  in  vita  foret:  et  quando 
Borgens  surgeret;  quum  iain  staret,  an  tum  ctiam  quum  sederet:  et 
qui  artera  disceret  quando  artifex  fieret;   quum  iam  esset,    an  tum  quum 

etiam  non  esset." XV'III,  2   Saturnalia  Athenis  agitabanius  hi- 

lare  prorsura  et  modeste  ....  Conveniebamus  autem  ad  eandem  coe- 
nam  complusculi,  qui  Romani  in  Graeciam  veneramus  quique  easdem 
auditiones  eosdemque  doctores  colebamus.  Tum  qui  coenulam  ordine 
Buo  curabat,  praemium  solvendae  quaestionis  ponebat  librum  veteris 
scriptoris  vel  Graecum  vel  Latinum,  et  coronam  e  lauro  plexara;  toti- 
demque  res  quaerebat,  quot  homines  istic  eramus,  quumque  eos  onines 
cxposuerat,  rem  locuraque  dicendi  sors  dabat.  ')  Quaestio  igitur  so- 
luta  Corona  et  praeraio  donabatur ,  non  soluta  autem  tramittebatur  ad 
eura,  qui  sortito  successerat :  idque  in  orbera  vice  pari  servabatur.  Si 
nemo  dissolvebat  quaestionis  eins  noraen,  praemium  ipsum  et  corona 
deo,  cuius  id  festum  erat ,  dicabatur.  Quaerebantur  autem  res  huius- 
niodi,  aut  sententia  poetae  veteris  lepide  obscura,  aut  historiae  antiquio- 
ris  requisitio,  aut  decreti  cuiuspiam  ex  philosophia  perperam  invulgati 
purgatio ,  aut  captionis  sophisticae  solutio ,  aut  inopinati  rariorisque 
verbi  indagatio,  aut  tempus  item  (?)  in  verbo  perspicuo  obscurissimum." 
Ipsas  quaestiones  plus  minus  utiles  qui  cupit,  is  apud  elegantem  narra- 
torem  ipse  cognoscat.  Sed  quas  veterum  poetarum  sententias  lepide 
obscuras  dixit,  ex  hoc  genere  plura  Homerica  apud  Plutfirchum  disce- 
ptantur :  cur  Nausicaa  non  marina  sed  fluviali  aqua  sordidas  luat  vestes 
(I,  9,  a);  cur  Achilles  ^coqÖvsqov  pocula  misceri  iubeat,  quod  multis 
bibacis  visum  est  (V,  4);  cur  fir}lfai  dylaöyiaQnoi  (r} ,  X),  cur  ocXog 
&sioio  (I.  214)  dixerit,  haec  prae  aliis  epitheta  eligens;  cur  cum  tot 
liquida  apud  poetam  commemorentur  in  oleo  potissimum  adiectivo  vygöv 
utatur  (VI,  9)  ;  cum  Paris  se  llelenam  opesque  redditurum  promisisset, 
ei  a  Menelao  in  singulari  certamine  victus  fuerit  (F,  71,  92,  cf.  101), 
postquam  victus  quidem  esset  sed   non  caesus,    iustamne  hanc  Troiani 


*)  Macrob.  VlI,  4  sortiamurque,  si  videtur,   ut  per  ordlnera  unusquis- 
que proponat  quam  solvendam  aestimet  quaestionem.     Flut.  Symp.  IX,  2,  1 

f&ovq   ds  ovTog  iv  rolg  MovCBiotg  y:Xi]Qovg  nfQicpsQsa&ai.  xai  zovg  avlla- 
Xovtas  dllijlots  nqoxHViiv  q^tXoloya  tv^tjfiara.  — 


de  grarainaticia  ivGTaTiTtotg  et  ?.vTiHoTg.  113 

cxcusationcm  pacti  habuerint  (l\,  13)  *) ;  dcniqiie  utra  manu  Venus 
a  Diomede  vulnerata  fiierit  ")  (IX,  4).  Comnieraoravi  supra  eimlas  a 
rcgibus  ac  noliilibus  in  litteratoriiin  «j^ratiam  apparatas.  Ne  ab  Alexan- 
dri  quideiu  conviviis  doctao  qiiacstioncs  afiiir«se  videntur.  Apud  Ptole- 
inaeuin  Heplntv-itionem  IMiotius  (p.  147,  a.  3  Bc.)  leg-orat,  8ia  ji  6  noir]. 
rrjg  Tttksiccöng  tn.oirj'iE  rfjt;  XQorprjq  räv  ■ö'scöf  SiciMOvovq  (jU,  fi2),  nal  riva 
'AXf^Kvö^oc;  6  ßaniA£vg  yal  'AQLGrOTflrjg  i-ig  rovro  ilnov.  Qiiae  qulilcin 
iilia  occasione  possunt  a  rege  Honieri  stiidiosissimo  (v.  Wolf  pi'ol. 
CLXXXIV,  add.  Hemsterh.  Luc.  dial.  luort.  XII,  3)  prolata  esse,  sunt 
tarnen  convivali  disputationi  aptissima.  Ad  Ptolciuaeonim  couvivia 
pertinet  narratio  de  quaestione  a  Coinano,  regis  pincerna,  proposUa, 
fragni.  3.  Apiid  IMutarclium  (ne  suav.  qu.  vivi  p.)  Epicurus  suadet 
»•Cgibus  cpiXo^QVGQig ,  CTQarqymu  8iiiyrj(iuxa  v.al  rpoQziHäg  ßcofioloxiaiS 
fialkov  V7iofi£VEiv  iv  rolg  ov^inoaioig  i]  löyovg  tcsqI  fiovGiKcäv  kuI  not,' 
rjtiyKÖv  TK^oßkrjßüzwv.  Macrobü  narratio  liaec  est  VII,  1,  12  (ex  Plut. 
II,  1,  12):  „Cum  regis  libertus ,  ad  novas  divitias  nuper  erexit,  phi- 
lusophos  ad  conviviiini  congregasset  et  irridendo  eoritm  minutulas  quae- 
slioncs  sehe  se  velle  dixisset,  cur  ex  nigra  et  ex  alba  faba  pulmcntura 
unius  coloris  edatur,  Aridices  philosophus  indigne  fercns  Tu  nobis  in- 
quit  abs^olvas,  cur  et  de  albis  et  nigris  loris  similes  maculae  gignan- 
tur."  Ilaec  nos  diicat  narratio  ad  conditionem  grammaticorum ,  qua 
et  ipsa  factum  est,  ut  haud  facilepossint  haec  principum  crepundiaal)ii- 
cere.  Scilicet  reges  ex  quo  Museis,  mercedibus,  lionoribus  stiidia  et 
eruditos  fovebant  sustentabantqne,  haud  raro  et  doctos  et  doctrinam 
sibi  delectationi  atque  etiam  ladil)rio  esse  voluerunt.  Ipsi  Ptolcniaei, 
littei-arura  studio  tantopcre  Uli  laudati,  ab  liac  noxa  haudquaquani  va- 
carunt:  vclut  Diodorum  Cronum  dialecticum  et  Sosibinni  gramniati- 
cura  bis  derisui  fuisse  ex  Diog.  La.  II,  111,  Atlien.  XI  p.  493  s.  cogno- 
>imus.  Postea  cum  liomam  migrarent  plnrirai  atque  nobiliura  Roraa- 
norum  in  domibus  versarentur,  pro  rege  uno  multis  regibus  (sie  enira 
se  dici  volebant)  serviebant,  et  saepe  ne  natis  quidera,  sed  factis,  sed 
servitutis  qua  emerserant  maculis  conspersis. 

§5.  Satis,  puto,  caussarum  cüllegimus ,  quibus  quaestiunculae 
jstae  cultae  celebrataeque  sint.  Roraanorum  florente  imperio  praecl- 
pue  viguisse  satis  ex  testimoniis,  quibus  usi  sumus,  apparet.  Et  plane 
Imic  rei  consentaneum,  quod  iraperatorum  Roraanorum  temporibus  hoc 
quasi  summuai  et  pr.iecipuum  grammatici  munuspostulatum  atque  effia- 
gitatum  esse  invenimus,  ut  „omnes  quaestiones  possil  dissolvere.'''^  Sic 
Tiberium  et  alios  iraperatores  elusmodi  problemata  üs  proposuisse  le- 
gimus,  non  ioco,  quantum  ex  auctoribus  intelligere  licet,  sed  serio. 
Suetonius  de  Tiberii  studiis  narrans  (c.  70)     „Maxime  tarnen,    inquit, 


')  cf.  Porphyr,  ad  T,  276.457. 

**)  In  scholiis  similia  mnlta,  ut  0,328  noiog  w/tog  ßtßXiqTai;  cet.,  et 
Porpliyr.  ib.  ^v  xovtoig  zolg  ittiai  zotg  tisqI  zov  Tivy.QOV  ^rjTOVGt.  noiav 
XiiQdi  r'cTQwzai.  A,27i2,  ubi  Ao:amemno  vulneratur:  ;jj£?pa  Trryv  a^törj^äv. 
>t«i  ydg   tv  zcij  iTrirarpioj  uviGTnzai  u'aovzl  aycovloao&at.  M,  395. 

Jahrh.  f.  Phil.  u.  Puihi^.  Jalirg.  V.  iirjc  1.  ^ 


114  Diopntatio 

curavit  notitiam  historiae  fabularis  «sque  ad  ineptias  atqiie  derisum. 
Nam  et  grammaticos,  quod  geiius  hominum  praecipue,  ut  diximur:,  ap- 
petebat,  eiusniodi  ferc  quaestionibus  experiebatur :  Qnae  mater  Hecu- 
bae:  Quod  AcliÜIi  uointii  inter  virgines  fuisset:  Quid  Si  reu  es  tantare 
sint  solitae."  De  Hadiiano  Spartianus  c.  20:  „Apud  Alexandiiani  in 
Sluseo  uuiltas  quacstiones  professoribus  proposuit  et  propositas  ipse  dis- 
solvit."  Iiiiperatorum  vero  suoruin  studiu  quid  miium  est  servile  lio- 
minuin  vulgus  aeiuulatos  esse?  Juven.  Sat.  \II,  229 

Sed  vos  saevas  impoiiitc  leges, 
Ut  praeceptori  verborum  regula  constet, 
Vt  legat  historias,   auctores  noverit  omnes, 
Tanquam  uiigues  digitosque  suos :   ut  forte  rogatu,«!. 
Dum  petit  atit  tberiuas  aut  Pboebi  balnea,  dicat 
Nutiiceiii  Ancbisae,  nomen   patriauique    novercae 
Aiicljimoli ;    dicat    quot  Acestes   vixcrit   annos, 
Quot    Siculus   Phrygibus   vini  donaverit  urnas. 

(Cf.  Lucian.  merc.  cond.  c.  11).  Hinc  acunien  est  epigrammatls ,  quod 
de  Valerie  Catone  Bibaculus  scripsit,   Sueton.  ill.  granim.  c.  11 

Catonis  modo,  Galle,  Tusculanum 
Tota   creditor  urbe  venditabat. 
Mirati  sumus,   unicum   magistrum, 
Suininum   granimaticuni,  optimum  poetam, 
Omnes   solvcre   posse   quaestiones, 
Unum   difficile   expedire   noinen. 
En  cor  Zenodoti,   en  iecur  Cratetis. 

Denique  eadeni  ratione  Quintil.  inst.  or.  I,  2  p.  28  Burm.  „Grammati- 
cus  quoque  de  ratione  loquendi  edisserat,  quaestiones  explicet,  historias 
exponat,  poemata  enarret."  Haec  undique  resonanf.  Laudes  sibi  vi- 
debatur  praedicare  nescio  quis  ineptus  grammaticus  deSatyro,  cum  scri- 
beret  (ap.  Fhot.  p.  151)  ZätVQog  6  'JiJiaztxQxov  yvcoQifiog  ^r^rcc  i>iaXitTO 
öicc  x6  ^r]Tr]Tiy.6v  avTOv,  et  de  Apollonio  Dyscolo  auctor  vitae  eius,  qui 
hoc  cognomen  excellentissimum  granimaticuin  reportasse  dicit,  ort  iv 
Tcts  yviLvaoiaiq  övökvzovg  dnoQLug  tltyiv  '  i&os  yaQ  ijv  rois  aQXoct'oig 
eocpolq  il<s  fvcc  rönov  owig^BO^cet.  xai  yv^vaaiag  x^Q'-'^  atviyfiarcoöng 
rtvag  Kcd  doaqjttg  Xi^fig  cf/xfiyyeo&ai ,  quamquani ,  si  omnino  noniinis 
ratio  a  studiis  repetenda  erat,  rectius  dixisset,  venisse  ei  hoc  cogno- 
men ,  quod  homo  gravis  ac  tristis  ad  iocos  lususque  litterarum  cum 
cohorte  grammaticoruiii  dcscendere  fastidivit. 

His  postulatis  ei  respondere  volebant  grammatici,  si  magna  pars 
nihil  inetuebat  niagis  quam  ne  quaestionibus  non  haberent  paratas  so- 
lutioncs,  si  stndebant  etiam  subtiiiter  atque  argute,  etiamsi  perverse, 
rcspondendo  cominendare  sese  vel  in  gratiain  opulentorum  liorainum 
insinuare,  non  laudubuntur  quidem,  sed  apud  aequos  rerura  humanarum 
acstimatore»  facilem  liabebunt  excusationem.  Factum  est  ita :  atque 
haec  lactantia  vel  alioquin  parum  doctos  vel  ingctüosos  inflavit ,    tali 


de  grammaticis  ivGratiKots  et  XvziKCig.  115 

eruditione  sulinixos.  Gclliiis  capite  X  libii  octavi  nunc  dcpcrditi  nai'- 
raverat,  iit  epitoiue  indicaf,  ,,qnalis  sibi  fuerit  in  oppido  Eleusine  disce- 
ptatio  cum  graiuuiatico  qiiodaiii  praestigioso,  tempora  verborum  et  me- 
ditaineiita  piieiilia  igiioraiitc,  icniotanim  autcin  quaestionum  uliilas  vt 
foriiiidincs  capiciulis  impciitorum  aiiiniis  ostentante."  ')  Quid  qiuul 
etiaiu  sui  ostentaiidi  gratia  acroases  faciebant  publice,  in  quibus ,  ut 
hoilie  iiiusici  solent  tbeniata  per  vaiias  tnodulationes  ex  tempore  per- 
sequentes  poetaeque  subitarii,  extemporalcs  puäccbant  quaestionesV 
Flut.  Qu.  Symp.  111,  1 :  O  iv  'Po'ögj  gti'xov  aiTTjauvti  y^aftfiazivco 
noioviisvü)  dti^iv  iv  rrp  ^ccctqü)  nqordvaq 

"E^Q  fH  vi'](iov  &äaaov  iXeyxi'OTS  ^coovtcov 
aSriXov  u'ts  7t(X!^oiv  iqjvßgiaev  bi'zs  ancov  ■^aTo^^as**).  Gell.  XVI,  6:  Re- 
deuntes  Graecia  Brundusiura  navera  advertimuü.  Ibi  quispiam  linguae 
Latinae  litterator  Roma  a  Brundusinis  accersitus  cxperiundum  scse  vol- 
go  dabat;  imus  ad  eum  nos  quoque  oblectaraenti  gratia  ....  Legebat 
barbare    insciteque  Virgilii  septimum :   in  quo  libro  hie  versus  est : 

Centura  lanigeras  raactabat  rite  bidentcs : 

et  iiilebat  rogare  se,  sl  quis  quid  omniuni  rerum  vellet  dicere.  Tum  e^-o 
indocti  liominlä  cuniidentiam  demiratuä  Docesne  inquam  nos,  magister, 
cur  bidentes  dicantur?  —  liinc  factum  est  ut  eiusmodi  quaestioncs 
litteiati  in  docta  adversaria  referrent.  Narrat  Gellius  (XIV',  6)  „liomi- 
nem  in  litterarum  cultu  non  ignobilem  magnamque  aetatis  partera  in 
libris  versatum"  sibi  in  Noctibus  suis  adornandis  occupato  librum  gran- 
di  volumiiie  obtulisse,  iit  inde  peteret  si  quid  memoria  dignum  inveni- 
ret.  Gloriabatur  vero  esse  istum  librum  „omnigenis  doctrinis  prae- 
scatentem  atque  ex  multis  et  variis  et  remotis  lectionibus  sibi  elabora- 
tum."  Gellius  l'benter  accepit:  at  pro  auro  carbones  invenit:  maxi- 
miim  enim  partem  collcgerat  spinosas  et  miuutas  quaestiones.  Ivx  iis 
igitur,  quae  se  ibi  invenisse  dicit,  nonnulla  band  scio  an  magis  Gellius 
contemnat,  quam  fas  sit  grainmatico  :  invenit  tameu  et  haec:  quam  ob 
causam  Tclemacbus  cubans  iunctim  sibi  cubantem  Pisistratum  non  ma- 
nu attigerit,  sed  pedis  ictn  excitarit  (o,  45)  ;  quae  nomina  fucriut  so- 
ciorum  Ulixis  qui  a Scylla  rapti  laceratique  sunt;  ex  quinque  operimen- 


*)  Qiii  meminit  quid  „ovrag  ypo'^^UKrixoJ'"  significet  apud  Sexf.  Em- 
pir.  adv.  Gramm,  c.  13  §  277,  conredat  mihi  talium,  quales  hie  Gellius  de- 
pingit,  vanitate  philosophurum  t'astui  cgregie  subventura  esse. 

**)  Conf.  Plut.  Syiiipos.  Qu.  IX,  5  in.  ravta  toj)s  aXXovg  anavtaq  j}- 
8iQvg  iTioirjae,  ^övov  dh  ygafi/xaTfudv  "Tlav  6  QrjtcoQ  ZoioTciq  ogcÖv  dno- 
ciojTtoSvva  nai  ßaQvftvi.iovfiivov  (ov  tcccvv  yciQ  evrjiLi-QrjGiv  iv  rocig  inideC- 
^iCiv)  -  .  Gel!.  X\  III,  5  ,,PiUeo!is  Jiiliano  nuritiatui-,  ärßyt'cocr/jv  quendam, 
non  indoctum  hoiniiiem,  voce  admodum  scila  et  canora  Ennii  annales  le- 
gere ad  populnm  in  theatro.  Eauuis,  iiiquit,  auditum  nescio  quem  isitnm 
J<JnnJani:itam :  hoc  enim  »e  ille  nomine  appellari  volebat."  V.  Casaub. 
SuetoD.  ill.  gr.  c.  2.  —  Cetcrum  a  ridicula  auditorum  cavillaiione  ve- 
teres  quidem  sophistae,  [.lurimoium  summa  admiratione  accepti,  s,ibi  ca- 
vere  potcrant,  ut  Gorgias  u  Chatrci-honte  elutu",  v,  Foss.  de  Gorg.  p.  27. 

8* 


116  Dioputatio 

tis,  quihiis  Acliillis  cliipeus  moenitus  est,  quod  factum  ex  auro  est  sum- 
mum  sit  an  raediuni,  Y,  2G9.  Hi  ipui  versus  sunt  quos  supra  notavi- 
raus  secundnm  scholiastae  sententiam  fictos  esse  vnö  rivog  rcov  ßovXo- 
fiivcov  nQoßXrjfia  noulv.  Quod  vero  ideni  addit,  id  nunc  ad  rem  no- 
straiu  facit.  Dicit  cnini:  fVa  bs  fii]  öoarj  Xvatcoc  ri  hlQriv.ivui  (leg.  17710- 
Qiq-üBvai)  v-al  ÖLCi  rouTo  rj&itrj-KSvcit  (prjai  —  Ergo  si  vel  Aristarclio 
(hie  enini  significatur)  et  illis  temporibus  aliqnando  comnioduni  visuni, 
cavere  invldiam  quacstiones  postulantiuni,  quid  postea  et  a  niedlocribus 
factum  esse  putabimus? 

Ad  idem  Studium  quaestionum  pertinet  quod  in  recentioribus  non- 
nullis  commentariis  invenimus  explicationes  atque  observationes  etiam 
graves  et  utiles  ita  tarnen  verbis  concijji,  ut  formam  iustae  quaestionis 
ac  solutionis  referant.  Hoc  quäle  sit  duobus  exerapüs ,  uno  Graeco, 
altero  Latino  illustrabo.  In  Servii  commentariis  hoc  feclt  is,  a  quo 
codex  Guelferbytanus  I  adoinatus  est.  E.  g.  ad  Aen.  111,  55  legitur 
in  commentariis  vulgo  :  „Obtruncat,  occidit  intellige.  Nam  obtruncare 
proprie  est  capite  caedere."  Sed  in  cod.Guelf.  I  additum  :  „Quomodo 
obtruncat,  cum  sit  hastis  interemptus?  Solvitur:  quia  veteres  plerum- 
que  truncum  pro  unoquoque  genere  interemptum  dixerunt,  obtruncat 
ideo  est  occidit."  Item  ad  III,  70  in  commentario  legitur  vulgo  sie: 
„Auster  autem  pro  quovis  vento."  Sed  Guelf.  I:  „Quomodo  Auster 
ex  Thracia,  cum  lenis  sit?  Solvitur:  Auster  pro  quolibet  vento  acci- 
pimus. "  *}  Ex  Graccis  exemplum  esto  hoc:  Ad  llesiod.  Theog. 
139  —  143 

yiivaro  8   av  Kvy.Xconaq  vnegßiov  rjvoQ   txovzag, 
Bqovttjv  t£  Zrsgönrjv  t£  Kai  "AQyrjv  oßgifiöd^vfiov, 
Ol  Zrjvl  ßoovTT]v  r   töoGav  rev^dv  zs  neouvvov, 
o't  d^  TOI  xä  fiiv  alXa  ■O'fois  ivaXiyxioi  rjaav 

in  ed.  Trincav.  hoc  scholion  legitur:   ol  d^  zot]  KqÜttjs  avtl  tovtov  uk- 

ZOV    6TIX0V  TCaQCCtluSZCCt, 

Ol  8    t^  u&c.vccTcov  d'vrjrol  xQÜcpiv  av8i^evTES- 

Tiäg  yuQ  Tovs  ccvTovg  &£oig  ivaXiynlovg  Xtysi  y.al  iv  rm  rav  AevKimiiScSv 
Kataloyo)  vTto  Anölkwvog  ävuiQtia&at,  noitl ;  ^'H  ort  ov  Ttüvrai:  rovg  fcx 
TcJüv  &£(av  ycyovotag  a&avuzovg  tlvai  cvfißaivfi,  aj'g  cprjaiv  HaloSog. 
Ev  yuQ  Tolg  t^rjg  F'rj^vovrjv  9vT]tbv  ovxa  XqvaäoQog  livai  7jyti  Ttal- 
Sw  6  Ss  XqvgÜcoq  MaSovoijg  iqv.  IJojg  öl  aal  uvxij  rj  MiSovau  avai- 
Qilzat  v(p  HQUKlsovg  xai  ö'ÖQ&Qog  kvcov  vit  d&aväxcjv  yavvTj&svxsg. 
H  ort  xarct  kuXIos  kocI  ^isysQ'og  •öeotg  svaXiyniot  TjGav.  Hoc  non  con- 
tentus    qui  idem  scholion  scripsit  in  cod.  Victoriano   aperte  ante  verba 


)  Idem  homo  in  fine  gecundi  libri  quaestiones  tertii  colligere  coepit: 
„Incipiunt  quaestiones  Hbri  tertii"  (p.  17fi  Lion.) :  et  si  quaestiones  dein- 
ceps^  pr<ipositas  ujspicios,  invenies  ex  Servii  commentariis  excerpta  sed  ma- 
gis  in  foiniam  quaestionis  redacta  esse.  Cf.  ex  eodem  genere  III,  203« 
276'.  341.  3T9.  IV,  399  (d.  38«) .  545.  ö55.  V,  410.  493.  cet. 


de  gramniatlris   iveTuriyoig  et  XvrivoTs.  117 

nmg  yccQ  ccvrovg  posuit  ,,d7toQia,"  aiile  verLa  ^  ort  „Xvaiq":  item  anle 
verba  nrng  Ss  xai  avt)]  „aTiogfu",  ante  7]  ort  ,,XvGig.'^  v.  Werfer  Act. 
phil.  Mon.  11  p.  500.  Sic  igitur  placebant  sibi  in  nectendls  nndis,  ut 
iion  mirum  sit  quaedara  inventa  esise,  quibus  äolvendis  se  iiiipares  pro- 
fiterentur.      Lege  mihi  hacc  Servii: 

Aen.  IX,  3fi3:  Sane  sciendura  est  locnra  hunc  esse  tinum  de  XII 
(al.  XIII)  Virgilii  sive  per  naturam  «bscuris  sive  iiisolubilibus  sivc  eraen- 
dandis  sive  sie  relictls,  ut  a  nobis  per  historiae  antiqiiae  ignoi'antiam  li- 
quide non  Intelligantur.  Ib.  412  :  Sciendiim  tanien  locuin  Imnc  uiuiin 
esse  de  bis,  quos  insolubiles  diximus  siipra.  XII,  74  :  Sciendura  tarnen 
est  locum  hunc  unam  esse  de  insohibilibus  XII  (aliquot  codd.  XIIIJ, 
quae  habent  obscuritatera,  licet  a  multis  pro  captu  resolvantur  ingenii. 
—  Quibus  quid  in  Virgiliano  carinvne  pro  excusatione  fuerit ,  appaitt 
ex  V,  626  „Ergo  constat  quaestionem  hanc  unam  esse  de  insnlnbilibus, 
quas  non  dubium  est  emendaturum  fuisse  \  irgiiinm."  Quod  non  fc- 
cisset  Virgilius  in  locis  ad  explicandumnisiargntias  captanti  non  inipedi- 
tis.  Quare  bis  quoque  in  locis  melius  fecisset  Servius  ,  si ,  ut  nonnun- 
quam  facit,  superfluas  quaestiones  dixisset.  E.  g.  111,203  „ünde  su- 
perflua  est  quaestio  eorum  qui  dicunt."  III,  332.  M,  140.  Ex  Grae- 
cis,  qui  nobis  servati  sunt,  coramentariis  Homericos  suos  quaestionibus 
et  solntionibus  undique  non  sine  doctrina  collectis  refei'sit  Porphyrius, 
ut  qui  Scholia  Horaerica  cod.  B  (haec  enim  Porphyi-ii  sunt  paene 
omnia)  evoherit,  \'j  optiraum  habcat  exeraplum,  qua  ratione  in  hoc  ge- 
nere  eruditi  alioquin  grammatici  usi  sint.  Hoc  in  illis  notablle  ,  quod 
apparet  negotium  dissolvendi  ad  artem  redactum  fuisse.  Sunt  enim 
certae  rationes  dissolvendi,  quae  plerumque  adhibcntur :  et  saepissirae 
quidem  solutio  fit  £h  ngoacoTiov,  tK  Xi^^cog,  in  kkiqov,  rona,  i^&fi.  Et 
est  haud  dubie  hoc  artüicium  vagura  negotium  regulis  quibusdam  ad- 
stringendi,  quo  facilius  fiat,  *)  antiquissiraum.  Primum  Aristoteles  so- 
pbistarum  elenchis  certa  solvendi  genera  opposuit  suisque  norainibus 
insignivit,  quae  legi  merentur  art.  poet.  XXVI.  Deinde  ne  in  Sosibio 
quidem  dubitandum  est,  quin  certo  quodara  artificio  et  nomina,  quibus 
in  dissolvendiä  difficultatibus  identidera  uteretur ,  constituta  habuerit, 
quamquam  fortasse  ab  iis ,  quae  postca  voluerunt,  divcrsa.  Kam  in 
fragmento  ex  eins  opere,  Athen,  p.  493,  d,  postquam  quaestionem  posuit, 
addit  „TOVTCov  TOi'vvv  oVTcag  HcczrjyoQOVfifvmv  ri]  avaarQOtpij  iqriGÜ^svoi 
dnoXvofisv  rbv  Ttor/jTi^v."'  Fuit  igitur  rj  avaazQocprj  ex  illis  solvendi 
rationibus,  quas  sole])at  adhibere.  Atque  eins  genus  solvendi  insigni- 
tum  fuisse  apparet  ibidem  ex  ratione,  qua  a  Ptolemaeo  elnsus  est,  qui 
jpse  in  eo  irridendo  Lupta  quadam  soiutione ,  quam  illc  adhibere  sole- 
bat,^  usus  est.  — 


*)  Idem  consillnra  ae:nn?co  in  pracscriptis  Servil,  ut  hominum  nomi- 
na non  no^ninata  poiicnda  sint.  Aen.  IX,  302.  Cf.  I,  71.  171.  Juvmalis 
et  Snetonii  loci  sin>ra  alhiti  ostendunt,  horam  nominnui  scientiae  Koma- 
norum  principes  avidos  fuisse. 


118  Disputatio  de  grammaticis  hözaziKolg  et  IvTi^oTg. 

§  (i.      Superest,  ut  Hbellos ,    quos  quidera  no\imiis ,    qui  in  solis 
ditisolvendis  quaestionihuä  occupati  erant,   comraeraorenius,  q>ii  pro  au- 
ctorum  iiigeniis  haiul  diibie  plus  minus  spiuosi  erant,   nonnunquam  quae- 
stionuiu   ac  soiutionuin   nomine  ac  forma  nccessarias  atque    praeclaras 
commentationes   contincbant,    cum  aevo  posteriore    in  ipsis   coramenta- 
riis  explicationcs  ita  plerumque  proponi  videamu^,   utincipiant  ötd  tl..., 
Scripsit  Aristoteles  anoQr^fiaza.  vel   ^7]Trjij.ccTce  vel  noopkijiaxu  OfirjQmcc. 
l'lirvn.  p.  225  ßaaiXLßaav  'AXKalöv  (pccav  zov  KcoixaSonoiov  Kai  'AQiozotiXriv 
kv  Tols  'OfiTjQi^olg  dnoQT^ficiCiv  iiQTjKhvcii.     Rcliqua  testimonia  vid.  ap. 
Lobecliium  et  Nunnesium  1.  1.  cf.  Ruhnlt.  de  Longin.  §  14.      Saepis^ime 
Aristotelis  'Oi^rjQiKU   ^rjxi^fioiza  a  Porpliyrio  in   commentariis  Iloraericis 
afi'eruntuv  \\t ,    si  quidem  ea  genuina  sunt,    band  contemnentla  ex  hoc 
libro  hodie  exstent  fragmenta.      Sed  equidem   nondum  potui  mihi   per- 
suadere,   iion  subdititio  libro  usiim  esse  Porpliyrium.       Tarn    omnia  ei 
commemorata  ieiuna  sunt  atque  ab  Aristolelis  ingenio  et   doctrina  alie- 
iia.      Denique  cur  a  comraentatoribus  lloraericis  rcliquisque  Homericas 
quaestlones  tractantibus,   ut  Plutarcho  ,    hie  über  nunquam   ad    partes 
vocatus,   a  solo  Porpbyrio  adscitus?    Post  Aristotelem  commemorandae 
lleraclidis  Pontici  Ivoti?  'OfirigiKc/i,     Diog.  La.  V,  88.      Specimina    sunt 
Schol.  II.  B,  ()4y.    r",  236.      Deinceps  comraemoretur  illud  volumen,    in 
quod    teste  Porpbjrio  Ä^,  274      Alexandriae   quaestiones  propositae  uiia 
cum  solutionibus  relata  sunt:  de  quo  scite    dictum   est  Wolfii  p.  CXCV". 
Proximi  sunt  Zeno,    Stoicae  disciplinae  auctor ,    et  Athenodorus.      Ille 
ecvxpAt'OfiTjQLKäv  TiQoßXrjfidzcov  libros  quinque,    de  quibus  v.  Menag.  ad 
Diog.  VII,  4,      Arati  frater  Athenodorus  scripsit   fwntra  Zoilura.      Arati 
vit.  111  ap.  Buhl.  T.  II  p.  445:   dÖilcpovg  ö'   taxs  Avqtjv  zs  val  KalXiö- 
duv  aal  'A9r]v6dwQOv ,     ov   cpTjOiv  Kv cp o av co q    dvttyoäipcri.  rrgog  rüg    zov 
'Lwtlov  ^azriyogiag,      Fuit   cum  putarem  Athenodori   nomen    pro  Zeno- 
doro  reponendum  esse  Schol.  ^,22,    ubi  Zoilus  a  Zenodoro   refutatur. 
Sed  intellexi  non  necessarium  esse:    inimo   verba ,    quae  ibi  sunt,    acn 
aiXas  Gvv)',&r)  zavza  tcj  t£  ßia  declarant ,    hoc  petitum  esse  e  Zenodori 
libro  TtiQi   zTJg  'OfiiqQov   avirj&eioig  (seh.  Porphyr,  ad  Z,  356,  cf.  ad  P, 
2(i3  *).      Tum  iunior  Zenodotus,    cuius    Xvai^ig    OfirjgLKOöv  anoQrjfioizojv 
J*uid.  commeraorat.      Schol.   Ap.    B,  12.    F,  23G.    —     Soterldas  —   an 
Socratidas,    Suid.    Uctiicpiliq   —    maritus  Paraphilae,    scripsit    t,r]zri6Sig 
'Our]giyiäg,   Suid.  s.  v.      Vixit  is  igitur  sub  Kerone  ;   haec  enim  Paraphi- 
lae aetas  est  (Phot.  p.  119  b.  Be).    —    Diogenes  Tarsensis,    ysyQacpajs 
TTtQi  noiTjZfucöv   ^v^zrii-ittzcov ,    a  Ivsiv  STtiXitQti,    D«f>g.   La.  VI,  81.    — ■ 
llephaestio,    qui  Verl  praeceptor  fuit,    xw/Uixcai'  aTiogr/fiazcov  kvofig  et 
ZQnyr/.dg  XvGnq,   Suid.   —  Dionysius  Longinus ,    cuius   UTrogrifiaza  O^rj- 
giMÜ   Suidas  commemoravit.      Cf.  Rulinken.   de  Long.    §14:    qui  cum 
putat  quae  de  %ersibus  quibusdam  Homeri  a  Longino  pro   spurüs   habi- 
tis  leguritur  apud  Eustath.  p.  67,  20  et  p.  106,  30  ex  hoc  libro  fluxisse, 


')  Falsus  Suidas,  qui  hoc  opus  adscribit  Zenodoto  Alexandrino.   Idem 
irrur  lu^uiiiiib  in  t:iid.  Leid,  ud  2^,  356, 


Ueber  den  Cod.  Voss.  2  zu  Xenoplions  iVIeiuorabillcii.         119 

mihi  errave  videtur.  Haec  enini  rlietorica  sunt  et  in  lihro  quodaiu 
rlietorico  positu  fuisse  vcri^imilius.  Eiusdem  Longini  über  a  Suida 
recensetur  Ttgoßkrj/icita  0(.h'iqov  xal  Ivcftg  tv  ßißXiotg  ß'  :  at  is  ego  non 
dubito  quin  cum  priore  unus  idenique  Über  fuerit:  sed  cum  utroque  ti- 
tulo  liic  über,  sicut  Aristotelis,  circumferretur,  Suidas  deceptus  est.  — 
Porphyrii  ^rjtrjfiata  0/u.r}Qiyi(x:  qui  lil)ei' liodie  exstat,  sed  quibusdani 
quaestiouibus  suppleri  debet  ex  scboliis  Homericis  cod.  B.  Idcm  Por- 
pliyrius  scripsit  öiififtfura  '^rjtr](iciTci ,  Siiid.  —  Pertinet  quoque  haud 
dubie  ad  hoc  genus  scriptorum  quod  in  schol.  ad  B,  308  comniemora- 
tur  zJiovvoiov  (nescio  cuius)  anoqa:  nam  hoc  vox  significat.  INicanoi' 
in  schol.  A,  166:  ovraij  IvO^rjOsrai  xb  iv  xtS  xonat  rivrco  änoQOV.  cf.  Z, 
326.  K,2H.  Tzetz.  Ex.  II.  p.  51.  Gell.' XVI,  3.  —  '  Herodiani  tiqq- 
räffft?,  quanim  solutiones  scr ipsit  Orus  (^IvöitsTCQordGfcov  zcov  HQcodiavov, 
Suid.),  qui  hominis  studia  cogiiovit  facile  concedet  de  abnormi  orttio- 
graphia,  prosodia,  similibus  fuisse  propositas.  —  Ex  Latinis  huc  per- 
tinet \alerius  Probus,  de  quo  Sueton.  illustr.  gr.  24:  „Pauca  et  exigua 
de  quibusdani  minutis  quaestiunculis  reliquit.'' 

His  absolutis  fragraenta  ab  initio  posita  circumspiciam.  Ex  bis 
prima  et  quarta  solutio  in  commentariis  fuit,  secunda  et  tertia  ex  con- 
■viviorum  colloquiis  fluxerunt  et  vel  Alexandrino  illo  Thesauro  Quaestio- 
num  Graramaticarum  vel  discipulorum  memoria  servatae  sunt.  Utram- 
que  esse  iocosam ,  facile  apparet  in  Aristarcho  (§  3) :  tertia  facete  ex 
usu  loquendi  repetita,  secunda  ad  acerham  quaereutium  irrisionem  facta. 

Regimoutii  Prussorum. 

Lehrs. 


Zur  Wür  digung  des  sogenannten   Codex    Voss.  2. 
in  Ernestis  Ausgabe  der  Xenopho?iiischen  Memorahilien. 

Hr.  Prof.  Bornemann  hat  in  seiner  grösseren  Ausgahe  der  ge- 
nannten Xenophontischen  Schrift  Zweifel ,  freilich  nur  Zweifel  gegen 
die  bisherige  Annahme  geäussert ,  dass  der  sogenannte  Voss.  2.  eine 
■wirkliche  Handschrift  sei.  Ich  nehme  davon  Veranlassung,  die  nach- 
folgende Beschreibung  des  Cod.  Monae.  495  (chartac.  olim  Augustan., 
nach  IIai*dt  sec.  XV,  in  Quart)  mitzutheilen. 

In  dieser  Handschrift  finden  sich  ausser  Anderem  von  p.  124  an 
einzelne  Stücke  aus  Xenophon  in  folgender  Ordnung:  1)  Mcinorab.  1,1, 
6—10.  2)  Memor.  1,  1,  13—15.  3)  Memor.  1,  2,  4—7.  4)  Meraor. 
1,  2,  23  u.  24,  nebst  §  19—21,  6q(Ö  —  intXaQ-ia^ni.  5)  Memor.  1,  2, 
30,  xov  61  —  XiO-oiq.  6)  Memor.  1,  2,  32  ,  ilni  nov  —  nöksmc.  7) 
Memor.  1,  2,  42  —  44,  xi  tcxL  vofiog  —  niQMei-g,.  unter  dem  Titel  niQl 
vöfxov.  8)  Memor.  1,  3,  2 — 14,  tjvj^^zo  —  uwqoxÜtcov,  mit  Auslassung 
Ton  §  4,  unter  den  Titeln  thql  'Qvöicöv,  nsQt  dicciTTjS  und  nsgi  acpQO^ 
Siaccov.  9)  Memor.  1,  4,  8  —  18,  yi]g  —  sntfiiXsto&KL ,  mit  Auslassung 
von  §  16  und  von  /,"''  fii-vtoi  —  aviißovXsvfLV  §18,  unter  dem  Titel 
»£^  örmiovqyov  zov  dv^QÜinov  Kai  zfjs  itfiovoias  avzov.      10)  Meuior 


120         Ueber  den  Cod.  Voss.  '£  zu  Xenoplions  Memorabilien. 

1,  5,  1 — 4  und  2,  1,  21 — 33,  cprjal  yccQ  —  KSKTTJad^at,  unter  dem  Titel 
TitQt  iYKQCCTslcig.  11)  Memor.  4,  3,  3 — 18,  sine  (loi  —  nciQhay.ivce^ev, 
unter  dem  Titel  Ttiql  tijg  ttqo  rifKav  TiQOvolag.  12)  Xenophons  Hiero 
ganz.  13)  Memor.  2,  1,  20,  Xsyei  Si  tiqv — %£oi.  14)  Memor.  2, 
3  ganz,  unter  dem  Titel  nEQi  KÖiXtpözr}tog.  15)  Memor.  2,  4,  1,  ^- 
v,ov6a  —  8iaXsyo(.i£vov,  dann  §5 — 7,  nolov  allo  Y-xiH-ia  —  i7ti(itXovzcci, 
und  c.  6,  1 — 39,  cpilov  ci£  ^rjrjrtov  n^ärov  filv  oorig  uQin  —  Xtyoifi 
civ,  mit  Auslassung  von  §  15 — 17  ,  scoqwv  —  KQirößovlB  ,  ort ,  von  § 
21 — 24,  xa  öl  TtolffiiKU  —  KOtvcovovg  tivai,  und  §  25 — 30,  rtörfgov  —■ 
Xiytiv,  unter  dem  Titel  nsQi  q>il[ctg.  10)  Oeconom.  4,  19.  17)  Memor. 
.2,7,13  —  14,  cpaal —  nQotL[icio^ai,  unter  dem  Titel  fivd'oi.  18) 
Memor.  3,  13,  2 — 14,  7,  aXXov  8s  Xtyovtog —  dvTSTi&fi  C=>ic!j,  mit  Aus- 
lassung von  c.  13,  5,  ;!fa(Jt6örf50i'  —  öäc5,  und  c.  14,  2  u.3,  Xoyov  — 
o  ZcoTtQCCTrjg,  kkI,  unter  dem  Titel  ix.  zcov  dnofitrjuoviVfiaTo^v.  19) 
Conviv.  2,  9  u.  10,  Kai  d  Ucohq.  —  EiQr^a&cct.  20)  Conviv.  2,  23 — 3,1, 
ev  cvfin.  —  lyfiQeiv.  Hier  haben  vir  also  wirklich  eine  Handschrift, 
die,  Mie  Ruhnken.  ad  Memor.  4,  3,  8  den  Voss,  2  nennt,  ein  codex  cx- 
ccrptorum  ist.  Auf  sie  passt  ferner  die  Beschrelliung ,  die  Einesti  von 
dem  Voss.  2  macht:  posterioris  cxcerpta  in  Ubro  tertio  desinunt.  Denn 
das  Stück  aus  13.  4,  3  ist  nicht  das  letzte ,  sondern  das  Stück  ans  B.  3, 
13  und  14,  und  die  Lesarten  aus  B.  4,  0,  5  u.  10,  die  Herr  Bornemann 
dagegen  anführt,  Averden  bei  Ernesti  und  Schneider  dem  Voss.  1,  nicht 
dem  Voss.  2  beigelegt.  Sie  enthält  auch  alle  die  Stellen,  an  denen 
Ernesti  in  der  fünften  Ansg-abe  Varianten  aus  dem  MS.  2  anführt,  und 
die  Herr  Bornemann  Praef.  p.  VII  sq.  zusammenstellt,  ausgenommen 
B.  1,  1,  20,  wo  aber  auch  nach  Ernesti  ovdinors  nur  die  MSS.  V  oss. 
Vindob,  i.  e.  V'ossianus,  Vindobonenses,  nicht,  wie  es  bei  Schneider 
heisst,  libri  Vossiani  et  Vindcb.  haben;  denn  Ernesti  nennt  seinen3IS. 
2  nirgends  V'ossianus,  was  er  ja  auch  nicht  ist.  Es  fehlen  ferner  die 
Stücke  1,  7,  5  und  2,  0,  21.  An  beiden  Stellen  sind  aber  weder  von 
Ernesti  aus  dem  MS.  2,  noch  von  Ruhnken  aus  dem  codex  exccrptorinn, 
quem  apud  V.  Ampi.  Ger.  Meermannum  evolverlt ,  Varianten  angeführt, 
sondern  allein  von  dem  letzteren  aus  den  Exe.  Voss,  und  dem  MS. 
Leidens.  Auch  in  den  Varianten  ist  übrigens  ZM'ischen  dem  MS.  2  bei 
Ernesti  und  dem  Monac.  495  eine  grosse  Uebereinstimniung.  Ich  hebe 
nur  folgende  ans:  B.  1,  1,  9  dd-tuLzu  ;  1,1,14  dTcoXuo&aL;  1,2,20 
!i'Qyovaiv  ofiatg  ano  räv  TtovrjQCov  ccvQ'Qcöjtayv  und  zmv  noirjziev  o  Xsyoov ; 
1,  3,  2  T]vxSTO  und  zciyaO^u  ;  1,  3,  0  vniQ  zbv  kÖqov  und  scpvXazzi ;  1, 
4,  13  (welche  Zahl  bei  Ilei-rn  Bornemann  ausgefallen  ist)  tv^cpvoav  — 
^ihv  zbv  —  övvzä^avza  —  ioziv;  1.4,  14  dijcpoztQOV  und  §  12  zavzce^ 
1,  5,  2  (bei  Herrn  Bornemann  aus  Versehen  1,  0,  2)  za^xielcc;  2,  1,  24 
T]  xi  daovaag  ausgelassen;  2,1,28  läQoöai;  2,1,30  tctvzijg;  2,1,33 
aTtoXsinovztg.  Auch  der  von  Ruhnken  und  Ernesti  angeführte  Zusatz 
zu  B  4,  3,  8  findet  sich  fast  ganz  gleichlautend.  Die  Abweichungen 
sind  unbedeutend,  und  besteben  zum  Theil  bloss  in  V  ernieidnng  von 
Fehlern,  die  sich  in  dem  Meernianniscben  Exemplar  finden.  Am  merk- 
würdigsten   scheinen   mir  die    folgenden:     1,  2,  6  dnexofji^vog ,     nictb 


M  i  8   n  c  I  1  e  n.  121 

oi-nfxoiJLivovq;  1,  3,  11  ri  aQ  ol'ti,  nicht  ri  av  oi'fi;  1,  1,  9  Sniuöviov, 
nicht  dctipLovcov;  1,  3,  10  l)iipoKi'vSvvov,  nicht  i)iJpo<'ivÖvvov  ;  1,  4,  9  rä 
t)f  vntQ^syf^i],  nicht  raöf  to:  vnsg/ifykQrj ,  Avie  Herr  Bornemann  vcr- 
muthet;  1,  3,  13  {>fär«t,  nicht  ^iäattnit;  2,  1,  25  ov  tpoßog,  fjrj  as 
aTrivyäyo),  niclit  depößcog  /ntv  ccnäym;  4,  3,  9  nr^ywzn,  wie  auch  Ernesti 
citirt,  nicht  TiTjyvoiTO,  was  ein  Druckfehler  hei  Schneider  ist.  Es  feh- 
len ferner  nicht  die  Worte  &tovs  &iQantvov6i  1,  4,  13  und  xal  — 
affHTjrtov   2,  1,  28. 

Tiihinffcn.  Dr.   Finclih. 


Mise     eilen. 


J^s  scheint  in  der  That  nothwendig',  sich  hei  Zeiten  gegen  ein  Unwe- 
sen zu  erltliiren,  welches,  aus  guter  Ahsicht  hervorgegangen,  deiuioch 
den  edelsten  Sinnen  des  Geistes  und  Körpers,  dem  Geschmack  und  dem 
Auge,  gleich  zuwider  ist.  Nachdem  llr.  Teuhner  die  zur  neuen  Aus- 
gahe  des  Phito  bestimmte  Schrift  dem  Gutachten  der  Käufer  unterwor- 
fen und  nach  diesem  Gutachten  zurü(;kgenommen  hatte,  begegnete  uns 
dieselbe  Schrift ,  Avelche  wir  für  immer  der  Vergessenheit  überlassen 
glaubten,  von  neuem  in  der  Anzeige  von  Jacobs  AcUan:  und  kaum  hat- 
ten wir  unsern  Widerwillen  überwunden  und  um  der  gewiss  trefTlichen 
Bearbeitung  willen  den  Text,  welclien  wir  in  dieser  Ausgabe  niemals 
lesen  können,  eben  eingenommen,  da  erschienen  uns  dieselben  Ge- 
spenster wiederum  in  Thucydidis  de  hello  Peloponjicsiaco  libri  oclo  ad 
optimorurn  librorum  Jidem  edili  cum  varietate  lectioiiis  et  editorum  adno- 
ialionihus.  Frankof.  a.  M.  Sumptibus  librariae  Broenneriae.  lieber 
den  Geschmack  soll  man  nicht  streiten;  nämlich  weil  man  den  Sieg 
nicht  erzwingen  kann:  allein  dass  vor  dem  Auge  diese  Schrift  nicht 
steht,  sondern  schwimmt,  und  dem  Auge  höchst  schädlich  u.  schmerz- 
haft wird,  kann  niemand  leugnen.  Wie  anders  ?  Denn  hier  ist  kein 
Gesetz  und  keine  Regel,  weder  in  der  Stellung  der  Buchstaben  zu  ein- 
ander, noch  in  dem  Verhältniss  der  starken  und  dünnen  Striche.  Vor- 
herrschend ist  die  unangenehme  und  verkehrte  Richtung  von  links  nach 
rechts  :  aber  nicht  einmal  diese  gleichmässig  und  stätig.  Denn  meh- 
rere Buchstaben  stehen  ganz  gerade,  die  Akzentzeichen  aher  neigen  sich 
von  rechts  nach  links.  Während  nun  z.  B.  der  Nachen  des  v  von  wer 
weiss  welchem  Sturme  auf  die  linke  Seite  geworfen  ist,  ist  der  darauf 
stehende  Mast  von  einem  entgegengesetzten  VVindstoss  rechtshin  gebro- 
chen. In  dem  Worte  afia  (S.  41,  fi)  machen  die  rüstig  vorwärts  stre- 
henden  Akzentzeichen  neben  dem  rücklings  gelehnten  schwerfälligen 
fi  daneben  den  Eindruck  vom  fliegenden  Strauss:  ,,ich  ivlU  fliegen." 
In  KvQiv&icov  (40,  C)  wundert  man  sich  über  das  phlegmatische  i,  wel- 


122  M  i  9  c  e  1   1  c  n. 

ches  in  der  rüclilings  gelehnten  Gesellschaft  steif  und  grade  aufsteht, 
vährend  das  v  alle  Miene  macht,  ihm  ein  Auge  auszustossen.  Das 
(,  weil  e»  Avidernatürlich  da»  starke  Ende  nach  oben  kehrt,  sieht,  um 
die  Wahrheit  zu  sagen ,  dem  am  ähnlichsten ,  Avas  man  hei  uns  einen 
Plumpsack  nennt:  kurz  man  entdeckt  an  jedem  Buchstahen  eine  Lä- 
cherlichkeit, wie  es  hei  einer  Sache  ohne  Regel  und  Zweck  nicht  an- 
ders sein  kann.  Und  um  dieser  Chimäre  willen  soll  man  sich  in  Ge- 
fahr setzen ,  sein  Gesicht  einzuhüssen !  Indessen  es  wird  sich  jedes 
gesunde  Auge  dagegen  sträuben ,  und  es  braucht  Arol  weder  im  Scherz 
noch  im  Ernst  ein  mehreres  darüber  gesagt  zu  werden.  Allein  auf- 
merksam darauf  zu  machen  wurden  wir  veranlasst,  weil  die  verdiente 
Bröiuiersche  Buchhandlung  ein  Corpus  Scriptorum  beabsichtigt,  wel- 
ches, mit  diesen  Lettern  gedruckt,  doch  schwerlich  für  uns  allein  eine 
verbotene  Frucht  bleiben  würde.  [Ein  Philologe.] 


Die  in  Paris  hei  Delalain  erscheinende  Sammlung  der  Juteurs  La- 
uns  et  Grecs ,  expliques  en  fran^ais ,  suivant  la  methode  des  Colleges,  par 
deux  traductions ,  Vune  Uttcrale  et  interlinealre  ^  avec  la  construcllon  du 
laiin  ou  du  grec  dans  l  ordre  naturcl  des  idees;  Vautre  conforme  au  gcnie 
de  la  langue  fran^aise,  precedee  du  texte  pur  et  accompagnee  de  noles  ex- 
pUcatives,  d'upres  les  principes  de  MM.  de  Port-Royal,  Dumarsais,  Beauzee 
et  des  plus  grands  maitres  [  Jbb.  X ,  45J).  ] ,  w  eiche  nach  und  nach  alle 
Griech.  und  Itöm.  Classiker  umfassen  soll,  ist  bereits  zu  einem  bedeu- 
tenden Umfange  angewachsen,  und  es  sind  bis  jetzt  erschienen:  De- 
mosthenis  oratio  pro  Corona,  übersetzt  und  erläutert  von  Beleze  (8  Fr, 
50  C),  oratt.  Olynthiacae  von  Frederic  Prieur  (jede  1  Fr.  50  C);  Euri- 
pidis  Hecuba  von  Ph.  Lcbas  (4  Fr.);  Aesopi  XL  fabnlac  von  Boidenger 
(3  Fr.  IbC);  Ilomeri  Ilias  von  Geruzez  (Gesang  1  —  6.  13  Fr.  15  C); 
Isocrates  ad  Demonicum  von  Boulenger  (3  Fr.  15  C._) ;  Luciani  dialogi 
mortuorum  von  Boulenger  (6  Fr.),  Charon  von  Gail  (3  Fr.),  Soninium 
von  Gail  (3  Fr.);  Piatonis  Apologia  Socratis  von  Mottet  (o  Fr.  50  C.)  ; 
Plutarchi  Vita  Marii  v.  Genouille  (4  Fr.  50  C);  Sophodis  Oedipus  Rex 
von  Geruzez  (4  Fr.) ;  Xenoph.  Apologia  Socratis  von  Beleze  (2  Fr.) , 
Cyropaedia,  lib.  I,  II,  von  Rhally  (SFr.  50  C),  respubl.  Lacedaemo- 
niorum  von  Gail  (3  Fr.);  Ciceronis  orat.  pro  Ligario  von  Fred.  Prieur 
(1  Fr.  50  C.) ,  pro  Marcello  von  Masselin  (1  Fr.  50  C),  pro  Milone  v. 
Fremont  (3  Fr.),  in  ditilinam  I  —  IV  von  Kornmann  (6  Fr.),  in  Ver- 
rem  de  signis  von  Fremont  (4  Fr.  50  C),  in  Verrem  de  Suppliciis  von 
Rene  Pugin  (4  Fr.  50  C);  Cornelius  Nepos  von  Masselin  (3  Fr.  50  C); 
Horatius  von  Masselin  (Ars  poetica  l  Fr.  50  C. ,  Epistolarum  1.  I  2  Fr. 
75  C,  Odarum  1.  I  et  II  2  Fr.  25  C,  Satirarum  L  I  2  Fr.  25  C);  Ovidii 
selectae  fabulae  von  Masselin  (3  Fr.  50  C.) ;  Persii  satirae  von  Stinger 
(1  Fr.  80  C);  Phaedri  fabulae  von  Bourgeois  (1  Fr.  50  C.):  Quintus 
Curtius  von  Fremont  (4  Fr.);  Sallustii  Catilina  v.  Masselin  (3  Fr.  50 C.) 
und  Orationes  selectae  von  Musselin  und  Rene  Pugin  (2  Fr.  75  C.) ;  Ta- 
citi  orationes  selectae  von  Delaistrc  (4  Fr.);  Virgilius  von  Fremont  (Bii- 
cülica  3  Fr.,  Georgica  4  Fr. ,  Aeneides  1.  I,  II  et  VI  7  Fr.).     Dazu  ge- 


M  i  8  c  e  I  1  c  n.  123 

börcn  auch  noch  Selectae  historiae  e  profanis  scriptoribiis ,  1.  I  et  II, 
hearbeitet  von  MasseUn  (3  Fr.),  Lhomondi  Appendix  de  diis  und  Dpi- 
tonie  historiae  sacrae ,  l)eaibcitet  von  Frcmont  (jedes  SFr.  75  C.) ;  des- 
eclbeii  de  viris  illiistribiis  iirbis  Itoniae  von  F'n'mont  (4  Fr.  50  C.)  ;  der 
Catechisnius  historicus  minor,  vt»ii  fidal  (3  Fr.)  und  Giraudeau's  Car- 
men Graecum  de  Ulysse,    von  Sotitra  (4  Fr.). 


In  Paris  bei  Firmin  Didot  erpcheiiit  aufs  Neue  die  Collectlon  des 
Antenrs  Lulins,  jmblics  et  collationnes  sur  les  manuncripts  de  Ja  IJlbliothc- 
que  du  Hoi ,  par  F.  G.  Pottlcr  (in  gr.  8.),  deren  erste  Serie  in  ü  Bänden 
Vir<2;ilius,  Horatins,  Catullii»  et  TibuUus ,  Fropertius,  SaUnstius  und 
Caesar  umfassen  soll.  Der  erste  Band  des  Virgil  wurde  am  ISteu  INov, 
vor.  J.  ausjj^egeben  und  von  14  zu  14  Tuj^en  sollte  allemal  ein  neuer 
Band  fertig  seyn.      Der  Subscriptionspr.  für  jeden  Bd.  ist  2  Fr.  25  Cent. 


Bei  Henri  Didot  in  Paris  ist  vor  kurzem  ein  Horatins  erschienen, 
der  an  Kleinheit  nnd  rsiedlichlteit  der  Lettern  alles  übertrifft,  was  bis 
jetzt  darin  geleistet  ist.  Das  Bändclien,  welches  sämmtliclic  Werke 
des  Dichters  enthält,  hat  nur  einen  Zoll  Länge,  und  der  Druck  ist  so 
klein,  dass  man  die  Buchstaben  mit  blossem  Auge  oft  nicht  zu  unter- 
tscheiden  vermag.  Das  Journ.  gen.  de  la  litt,  de  France  räth  den  Be- 
sitzern desselben,  diesen  Diamant  nicht  in  ihrer  Bibliothek  aufzustel- 
len, wo  er  leicht  verloren  gehen  könne,  sondern  ihn  in  ein  Schmuck- 
kästchen zu  ihren  Kleinodien   zu  legen. 


In  Petersburg  hat  gegen  das  Ende  des  vor.  Jahres  der  Staatsrath 
und  lütter  Friedrich  v.  Jdelun^  einen  J  ersuch  einer  Literatur  der  Sans- 
krit-Sprache  herausgegeben,  worin  ersieh  sowohl  über  die  Benen- 
nung, den  Ursprung  nnd  das  Alter,  die  Denkmäler  u.  Schrift  derselben 
verbreitet ,  als  auch  die  über  diese  Sprache  erschienenen  Schriften  und 
die  AHSgiil)en  und  Ucbersctzungen  der  Schriftdenkmäler  aufzählt,  eine 
Vergleiclumg  des  Sanskrit  mit  andern  Sprachen  anstellt  ,  überhaupt 
alles  nachweist,  was  von  der  Sanskrit  -  Literatur  bis  jetzt  bekannt  ge- 
worden ist. 


Zu  den  sonderbaren  Nachrichten  der  Alten  gehört,  was  Josephus 
Antiquitt.  111,  18  und  de  hello  Jud.  über  die  Fische  des  Sees  Geneza- 
reth  sagt,  nebst  der  Bemerkung,  dass  Einige  die  Quelle  von  Caper- 
naura  für  eine  Ader  des  Nils  gehalten  hätten,  weil  sie  oft  Fische  her- 
ausbringe, welche  dem  Cor.'.cinus  des  Sees  von  Alexandrien  gleichen. 
Indess  haben  doch  neuere  Reisende  Aehnliches  beobachtet ,  und  Ilas- 
eelquist  bemerkt  geradezu  als  etwas  Merkwürdiges,  dass  die  Fische  des 
Genezareth  dieselben  sind,  welche  man  im  Nil  findet,  z,  B.  der  Char- 
inuth,  Silurus,  Boenni,  Mulsil,  Sparus  galilaeus  etc.  —  Auch  die 
von  Josephus  Antiqq.  XIII,  15,  4  erwähnten  Eichen  Palästinas,  deren 
Vorhandenseyn  oft  geläugnet  worden  ist;  hat  Buckingham  daselbst  ge- 
funden (vergl.  Ethnograph.  Archiv  Bd.  11  S.  305.),  und  man  darf  da- 


124  Schul-  und   Universitäts  nach  richten, 

her  weder  das  von  Ileseklel  27,  6  erwähnte,  aber  missverstandene, 
Eichthal  länger  in  Zweifel  ziehen ,  noch  dem  Ovidius  es  als  Fehler  an- 
rechnen ,   wenn  er  Metaiu.  XV',  396  Eichen  in  Faläätina  erwähnt. 


Der  Verweis ,  welchen  das  Kön.  Baierische  Ministerium  im  Jahre 
1828  dem  Prof.  Dr.  Ilainer  in  Aniherg  wegen  seines  Programms,  Ob 
(las  Princip  des  Protestantismus  oder  des  Katholicismus  der  Philosophie 
mehr  zusage,  ertheilte  und  die  an  alle  Stuclienanstalten  erlassene  Wei- 
sung, sich  künftig  solcher  polemischen  Ohjecte  in  Scluilprograraraen 
zu  enthalten  [s.  Jhh.  VI,  368.],  hat  den  Professor  der  Theologie  am 
Lyceum  zu  Aschaffenhurg  und  Doctor  der  Pliilosophie  lllig  nicht  ab- 
gehalten,  182J)  ein  Programm  Uebcr  das  J  erhältniss  der  Vernunft  zur 
christlichen  Offenbarung  herauszugeben  ,  worin  er  nicht  allein  behaup- 
tet, dass  der  Vernunft  bei  der  Bestimmung  der  positiven  Lehren  des 
Cluistenthums  kein  positives  Recht  der  Entscheidung  zukomme ,  son- 
dern auch,  dass  nur  die  Entscheidungen  der  Römisch- katholischen  Kir- 
che die  richtige  Erkenntnis»  der  positiven  Lehren  des  Christcnthums  ge- 
ben,  und  dass  alles  freie  Prüfen  und  Forschen  in  der  heiligen  Schrift, 
ungeleltet  von  der  katholischen  Kirche,  ungebührlich  und  verderblich 
sey.  Die  Anmaassung  der  Vernunft  [welche  übrigens  von  dem  Ver- 
stände nicht  geschieden  ist,  da  auch  d.is  blosse  Denk-  und  Combina- 
tionsvermögen  f'crnunft  genannt  wird  ] ,  über  das  Christenthum  unge- 
bührlich zu  forschen,  hat  von  jeher  die  grössten  Ketzereien  in  der  Kir- 
che erzeugt  und  grosses  Unhell  gestiftet,  dessen  traurige  Folgen  sich 
besonders  von  den  Zeiten  der  Reformation  an  offenbart  haben.  —  Mehr 
über  den  erbaulichen  Inhalt  berichtet  der  Hcsperus  1829  Nr.  289  ff. 


Schul-  und  Umversitätsnachrichten,    Beförderungen  und 
Ehrenbezeigungen. 

-ÖERLTiv.  Der  wirkliche  Geh.  Ratli  Freiherr  twn  Humboldt ,  welcher 
im  Dcc.  vor.  J.  von  seiner  Reise  nach  dem  Ural  zurückkehrte,  hat  den 
rothen  Adlerorden  Ir  Classe  mit  Eichenlaub  erhalten.  Die  Privatdocc. 
Dr.  Michclct  und  Dr.  Heyse  sind  zu  ausserordentlichen  Professoren  in 
der  Philosoph.  Facultät  ernannt  worden.  Die  Kön.  Biltliotluk  hat  vom 
Könige  in  England  den  prächtig  gedruckten  Katalog  der  im  Brittischen 
Museum  aufgestellten  Bibliothek  Georgs  111  {Catalogus  bibliothccae  re- 
giue)  in  fünf  Foliobänden  zum  Geschenk  erlialtcn.  Für  dieselbe  sind 
auch  aus  dem  Nachlass  des  Prof.  Bilsching  in  Breslau  eine  Anzahl  selte- 
ner und  schätzbarer  Deutscher  Handschriften  angekauft  worden. 

FiiEYBURG  im  Breisgau.  Der  Prof.  ordin.  der  Dogmatik,  Dr.  Lud- 
wig Ruchegger  hat  auf  die  erhaltene  Grossherz.  Hessische  Signatur  als 
Domkapitnlar  bey  dem  neuerrichteten  bischöflichen  Sitz  zu  Mainz  diese 
Stelle  abgeleiint,  als  ihm  von  der  Badischen  Regierung  der  Charakter 


Beförderungen  und  Elirenbexeigiing'en.  125 

als  Geistlicher  Rath  mit  einer  Zulage  von  400  Gulden  crtlicilt  worden 
ist.      Seine  fixe  Besoldung  belauft  sich  jetzt  auf  IJOO  Gulden.  —      Es 
wird  mit  Bestimnitlieit  versichert,  dass  an  der  Universität  ein  philologi- 
sches  Semiiiarium  errichtet   werden    soll.       Audi   abgesehen  von   dieser 
neuen  A'ervoUkouimnuiig  der  alten  Hochschule  unter  der  Regierung  des 
jetzigen  Grossherzogs  Ludwig  von  Ijadeii,   können  die  wahren  Freunde 
der  höhern  katholischen  Leliranstalten  des  Landes   nur  wünschen ,    das 
Seniinariiini  möge  recht  bald  ins  Leben  treten,    und  so  erfolgreicli  für 
die  kathol.  Gymnasien  und  Lyceen  würken,   wie  seine  Schwesteranstalfc 
in   Heidelberg   unter  der  Leitung  des  verdienstvollen  Geheimen  Raths 
Creuzcr  in  Rücksicht   der  weltlichen  Lehramtskandidaten   gewürkt  Jiat, 
die  jetzt  nach  und  nach  ausgehen,      ßey  der  immer  sichtbarer  werden- 
den Tendenz,    den  ganzen  Unterricht  an  höhern  Lehranstalten,    nach 
dem   Vorbild  des  protestantischen    Grossherzogthums,   lediglich   Geist- 
lichen mit  der  Zeit  wieder  zu   übergeben,    darf  man  wenigstens  keine 
Rückschritte   in  dem  gelehrten  Bildungsgange  befürchten,     wenn  den 
Theologen   in  Freyburg,  wie. jenen  in  Heidelberg,   zweckmässige  Ge- 
legenheit verschalt  wird  ,     neben  ihrem  theolog.  Brodstudium   sich  der 
Philologie   in   ihrem  ganzen   Umfange    zu  widmen.      Dann   sollte  aber 
auch  kein  Candidat  der  Theologie  oder  Caplan  zur  Candidatenprüfung 
für  das  Lehramt  zugelassen  werden ,   der  sich  nicht  über  sein  pliilolog. 
Absolutorium  auszuweisen  im  Stande  wäre,   um  dem  schädlichen  Wahne 
vorzubeugen,  als  sey  jeder  Theolog  als  solcher  auch  schon  für  ein  Lehr- 
amt an  Gelchrtenschulen  geeignet. 

Hannover.  In  der  Rönigl.  Verordnung  vom  11  Sept.  1828  über 
die  Beförderung  einer  möglichst  sorgfältigen  Bildung  der  studierenden 
Inländer  ist  verfügt  worden,  dass  die  im  Königreich  vorhandenen  ge- 
lehrten Schulen ,  nach  vorgängiger  sorgfältiger  Untersuchung,  in  zwei 
Classen ,  in  Gymnasien  und  Frogymnasien ,  eingetheilt  werden  sollen. 
Für  die  erstem  sind  Früfungscommissionen  angeordnet,  und  es  sollen 
Maturitätsprüfungen  in  den  Gang  gebracht  werden.  Definitiv  sind  be- 
reits als  Gymncisien  anerkannt:  die  Ritterakademie  zu  Lüneburg,  das 
Pädagogium  zu  Ilfeld  und  das  Lyceum  zu  Hannover.  Provisorisch 
sind  auch  als  Gymnasien  angenommen  worden:  das  Gymnas.  in  Göttin- 
GE.\,  das  Andreanum  und  das  Josephinum  in  Hildesheim,  das  Johan- 
neum  zu  Lir.\EBiiRG ,  die  hohe  Schule  zu  Celle,  die  gelehrte  Schule  zu 
Stade,  die  Doraschule  in  Vekden,  das  Gymnasium  Carolinum  und  das 
Raths -Gymnas.  in  Osnabrück  ,  das  Lyceum  zu  Airich.  Ob  jedoch 
diese  10  Schulen  alle  Gymnasien  bleiben  werden,  bleibt  der  weitern 
Bestimmung  vorbehalten. 

Heidelberg.  Für  das  Wintersemester  18|^,  ,  dessen  Eröffnung 
auf  den  2ß  Octbr.  angesetzt  ist,  enthält  das  Lectionsverzeichniss  der 
Universität  (Verlag  der  akademischen  Buchhandlung  von  Ch.  Fr.  Win- 
ter) Namen,  Rang  und  Titel  von  (iO  Lehrern  mit  Angabe  ihrer  Unter- 
richtsgegenstände, 4  Lektoren  der  neueren  Sprachen  und  8  Lehrer  der 
schönen  Künste  und  Exercitien ,  der  doppelten  Buchhaltung  und  der 
Rechnung  für  Kameralisten  ,    Oekuuomen  und  Forstmänner  nicht  mit 


126  Schul-  und    Universitätsnachrichten, 

inbegriffen.  Die  theologische  Facultät  zählt  6  ordentliche  Professo- 
ren ,  welche  17,  darunter  13  theologische,  Vorlesungen  angekündigt 
haben.  In  der  Juriritenrakultät  haben  sich  ß  ordcntl.  Froff, ,  2  ausser- 
ordentliche u.  8  Privatdocenten  zu  (>0  Vorlesungen,  Exaininatoricn  und 
Privatissinia  erboten.  Der  Unterricht  in  der  medicinischen  Fakultät  er- 
streckt sich  auf  40  Angaben  mit  37iey  Gegenständen ,  angekündigt  von 
8  ordentl.  Professoren  (1  als  Prof.  eineritus  aufgeführt  gibt  keine  Vor- 
lesungen), 3  ausserordentl.  und  2  Privatdocenten  nebst  dem  dirigiren- 
den  Arzt  der  Irrenanstalt.  Die  angekündigten  Vorlesungen,  Exaniina- 
torien  und  Privatissiiua  in  der  philosophischen  Fakultät  unter  12  ordent- 
lichen Professoren  (von  denen  aber  2  gar  keine  Vorlesungen  geben)  in 
Verbindung  mit  4  Proff.  der  tlieologischen  Fakultät,  4  ausserordentli- 
chen Proff.  und  8  Privatdocenten  belaufen  sich  im  Ganzen  auf  80,  von 
denen  (i  zu  den  pliilosoph.  "Wissenschaften  gehören  (darunter  4  mal  Lo- 
gik,   wobey   die  erste  Professur    der  Philosophie  noch  unl)esetzt  ist), 

14  zur  Philologie  und  Alterthumskunde,  fi  zur  Geschichte  mit  ihren 
Hülfs-  und  Nebenwissenschaften,   13  zur  Mathematik  und  Astronomie, 

15  zur  Naturkunde,  19  zu  den  Staats-  u.  Gewerbswissenschaften,  und 
^  die  schönen  Wissenschaften  und  Künste  betreffen.  Die  Universität 
bietet  mithin  durch  ihre  (iO  Lehrer  zu  193  wissenschaftlichen  Vorlesun- 
gen,  Examinatorien  und  Privatissima  in  den  verscliiedenen  Zweigen  dea 
menschlischen  Wissens  und  Könnens  vielseitige  Gelegenheit,  Ausser- 
dem gibt  die  Anzeige  der  Vorlesungen  zuletzt  noch  Auskunft  über  die 
Verwendung  der  zur  Universität  gehörigen  Sammlungen,  Anlagen  und 
Anstalten,  über  die  Benutzung  der  Universitätsbibliothek  und  der  mit 
ihr  verbundenen  akademischen  Leseanstalt,  und  zuletzt  über  den  Wir- 
kungskreis des  Ephorats  sammt  der  vortheilhaften  Einrichtung  eines 
Logiscommissariats. 

Hirscheerg.  Das  Programm,  womit  der  Director  Linge  zu  dem 
Herbstexamen  1829  des  Gjmnas.  einlud,  enthält  als  Abhandlung  einige 
Gedanken  über  den  methodischen  Unterricht  in  der  alten  Geographie  auf 
Gymnasien,  vom  Conrector  Lucas,  welche  sich  aber  sehr  im  Allgemei- 
nen und  Allgewöhnlichen  halten  und  über  Methodik  fast  nichts  enthal- 
fen ausser  dem,  was  der  Schüler  bei  diesem  Unterrichte  thun  soll. 
Zum  Andenken  des  am  Iß  Nov.  1827  gestorbenen  Directors  der  Schule 
Gottfr.  Wilh.  Körher  feierte  dieselbe  am  21  Nov.  1828  den  Jahrestag 
seiner  Beerdigung.  Die  bei  dieser  Gelegenheit  vom  Oberlehrer  Balsam 
in  Latein.  Sprache  vorgetragene  Memoria  Kürbcri  ist  seitdem  unter  dem 
Titel:  De  vita  Godofr.  Guil.  Jioerberi  Oratio,  gedruckt  erschienen,  und 
mit  dem  Brustbilde  Körbers  und  einer  Ansicht  des  Schulgebäudes  be- 
reichert worden. 

Lemgo.  Dem  am  19  Mai  1820  gestorbenen  Director  des  Gymnas. 
in  Soest,  J.  F.  Reinert,  ist  zu  Lemgo,  wo  er  von  1797 — 1819  Pro- 
rector  und  Kector  des  Gymnas.  war,  von  seinen  Schülern  und  Freun- 
den im  Frülijahr  1828  ein  Denkmal  errichtet  worden,  Melches  am  2  Juni 
desselb.  Jahres  eingeweiht  wurde.  Eine  Beschreibung  der  dabei  ange- 
ordneten Gedächtnissfeier  u.  die  Mittheilung  der  dabei  gehaltenen  Rede 


Beförderungen   und    Ehrenbezeigungen.  127 

findet  man  in  dem  Programm ,  womit  der  Rector  //.  A.  Schicrenherg  zu 
den  öffentlichen  Prüfungen  am  13  und  14  Apr.  1829  eingeladen  hat.  — 
Aus  den  ebendaselbst  mitgctheilten  Sobuhiaebrichten  ersieht  man,  dass 
das  riasige  (städtische)  Cymnasiiun  noch  vieler  Verbesserungen  bedarf, 
und  dass  die  1819  von  Seiten  des  Staats  ibm  gewordene  Unterstützung 
dasselbe  zwar  von  seinem  Untergang  gerettet ,  aber  nicht  zur  zeitge- 
mässen  Gestaltung  erhoben  hat.  Noch  besitzt  die  Anstalt  kein  Schul- 
gebände,  da  das  alte  unbrauchbar  geAvorden  ist,  und  jeder  Lehrer  mus3 
sich  sein  Schulzimraer  in  seiner  eigenen  AVohnung  einrichten.  Der  Ge- 
halt der  Lehrer  ist  sehr  gering  (der  zweite  Lehrer  hat  jtährl.  400  Thlr.) 
und  doch  muss  jeder,  den  Rector  eingeschlossen,  wöchentlich  22  —  26 
öffentliche  Lehrstunden  und  ausserdem  noch  mehrere  durch  dasBcdürf- 
niss  der  Schule  unumgänglich  nötbig  gemachte  Privatstunden  halten. 
Die  fünf  Classen  der  Schule,  in  welchen  im  Schuljahr  18||  100 
Schüler  sassen,  hatten  bisher  nur  5  Lehrer,  und  erst  1828  ist  noch 
ein  Lehrer  der  Mathematik,  der  Lieutenant  JF.  Rötteken  angestellt 
worden,  der  aber  bei  einem  jährlichen  Gehalte  von  nur  100  Tblrn. 
seine  Kräfte  nicht  ganz  der  Schule  widmen  kann.  Die  übrigen  Leh- 
rer siitd:  der  Rector  Schicrenherg,  der  Prorector  Overbech,  der  Conr. 
Dr.  Brandes,  der  Subconr.  Hunnäus  u.  der  Quintus  Nicländer.  Lehrer 
für  neuere  Sprachen  fehlen  noch  ganz;  doch  ertheilen  die  übrigen  Leh- 
rer im  Französischen,  Englisclien  und  Italienischen  Privatunterricht. 
Unterricht  wird  ertheilt  in  der  Griechischen,  Lateinischen,  Deutschen 
und  Hebräischen  Sprache,  in  Religion,  Geschichte,  alter  und  neuer 
Geographie,  Alterthümern,  Mathematik,  Naturgeschichte,  Schreiben, 
Rechnen  u.  Singen.  Doch  ist  der  Unterricht  im  Deutschen,  Geschichte 
und  Geographie  sehr  beschränkt.  In  dein  Lehrbericlite  ist  auffallend, 
dass  in  Prima  Sophokles  und  Piaton  gelesen  wurden  und  zugleich 
doch  auch  die  schwerern  Verbalformen  und  die  Verba  in  ixi  erst  ein- 
geübt werden  mussten.  Auch  ist  wohl  der  Abstand  zu  bedeutend,  da 
in  Secunda  nur  Xenophons  Anabasis  u.  Homers  Odyssee  gelesen  werden. 
Doch  sind  für  das  neue  Schulj.  18|^  mehrere  Verbesserungen  im  Lehr- 
plan gemacht  worden.  Auch  andere  Verbesserungen  des  Gymnasiums 
werden  vorbereitet,  oder  sind  bereits  eingeleitet.  Für  die  Quinta  wird 
ein  öffentliches  Lehrzimmer  eingerichtet;  seit  Michaelis  1828  sind  Abi- 
turientenprüfungen eingeführt;  der  Prorector  hat  eine  Gehaltszulage 
von  50  Thlrn.  erhalten.  Das  Einsammeln  des  Schulgeldes,  welches  für 
I  auf  12,  für  H  auf  10,  für  HI  auf  6,  für  IV  auf  5,  für  V  auf  4  Thaler 
jährlich  festgesetzt  ist,  ist  den  Lehrern  entnommen,  und  wird  von  den 
Stadtbehörden  besorgt.  Die  von  dem  ehemaligen  Rector  Grcverus  ge- 
gründete Schulbibliothek,  deren  jährlicher  Fond  aus  30  Thlrn.  und  den 
Beiträgen  der  in  die  beiden  obern  Classen  neu  aufgenommenen  Schü- 
ler besteht ,  ist  bis  zu  etwa  2000  Bänden  angewachsen. 


Statistisches. 

Baierbt.   Das  Königreich  hatte  im  Schuljahr  18||  in  seinen  Lyceen 
666,  in  den  Gymn.  3048,  in  den  Lat.  Vorbereitungsschulen  22T6  Schüler. 


328 

GÖTTiNGEN.  Auf  der  Uiilvers.  befinden  sich  in  diesem  Winter  12ß3 
Studierende,  von  denen  351  Tlicol.,  513  Jurispr.,  262  Medicin,  137  phi- 
loäO|)h.  Wissenschaften  studieren.  Unter  iiinen  bind  1()2  Landeskinder 
und  501  Ausländer. 

Makbiirg  ziililte  im  Winter  18^|  330  Studenten,  darunter  78  Aus- 
länder;   im  Sommer  182!)  351  Stud. ,   worunter  (»8  Ausländer. 

Preussev.  Die  sechs  Universitäten  des  Landes  und  die  Akademie  in 
Münster  wurden  im  Winter  18;j|  von  6154  Studierenden  besucht,  von 
denen  4960  Inländer  und  1194  Ausländer  waren,  wovon  3015  zur  theol. 
(869  Katlioliken),  1639  zur  Jurist.,  692  zur  medic.  u.  808  zur  piiih)sophi- 
schen  Facultät  «^eliörten.  Die  23  Gymnas.  der  Provinz  Sachsen  zäliiten 
im  Sommer  1H28  4063,  im  Winter  18||  3944,  im  Sommer  1829  3993 
Scliüler.  Im  Jalir  1828  wurden  von  ihnen  294  Zöglinge  zur  Universität 
entlassen,  von  den  72  das  Zeugniss  I,  206  das  Zeugniss  II  und  16  das 
Zeugniss  III  erhalten  hatten.  Die  20  Gymn.  der  Prov.  Schlesien  zähl- 
ten im  Jahr  1828  284  Abiturienten,  von  denen  24  das  Zeugniss  ]Nr.  I,  220 
das  Zeugniss  Nr.  II  u.  40  das  Zeugniss  Nr.  III  erhielten.  Bei  der  wis- 
ßenschai'tl.  Prüfungscommission  Murdeu  ausserdem  224  pro  immatricu- 
latione  geprüft,  von  denen  keiner  das  erste,  77  das  zweite,  106  das 
dritte  Zeugniss  erhielten,  33  für  unreif  erklärt  und  gänzlich  abgewie- 
sen wurden  und  8  vor  der  Prüfung  wieder  zurücktraten.  Von  dersel- 
ben Prüfungscommission  wurden  1825  nur  40,  1826  65  u.  1827  111  In- 
dividuen geprüft.  Von  sämmtlichen  Gymnasien  in  Rheinpreussen  wur- 
den im  J.  1828  180  junge  Leute  nach  bestandener  Abiturientenprüfung 
zur  Univers,  entlassen.  Der  ganze  Staat  zählt  gegenwärtig  109  Gymna- 
sien: 12  in  Ost-  u.  Westpreusscn,  17  in  Brandenburg,  0  in  Pommern, 
20  in  Schlesien,  3  in  Posen,  23  in  Sachsen,  10  in  Westphalen  und  18 
in  den  Rheinprovinzen.  Bei  allen  Gymnas.  und  Prüfungscomiuissionen 
wurden  im  J.  1828  2057  Abiturienten  (1821  nur  1139)  geprüft,  von  denen 
863  Theol.,  627  Jurispr.,  184  Medicin,  298  Philos.  etc.  studieren  wollten. 

WiiRZBURG  zählte  im  Winter  18'|^  625  Studenten,  darunter  185 
Ausländer. 

Uj?sala  hatte  im  Herbstsemester  1829  869  Studenten. 


Angekommene    Briefe. 

Vom  27  Dec.  Br.  v.  R.  a.  A.  [m,  Rec.  Ist  alles  richtig  angelangt. 
Die  angebotenen  Recensionen  werden  sehr  willkommen  seyn.  ]  —  Vom 
28  Dec.  Br.  v.  L.  a.  K  —  Vom  3  Jan.  Br.  v.  O,  a.  lt.  [  Ich  danke  für 
die  Anlage.]  —  Vom  4  Jan.  Br,  v.  S'.  a.  IL  [m.  Rec.  ]  —  Vom  6  Jan. 
Br.  V.  /r.  u.R.  [Freundlichen  Dank  für  die  Anlage]  —  Vom  6  Jan. 
Br.  V.  fV.  a.  M.  [m,  Rec]  —  Vom  8  Jan.  Br.  v.  L.  a.  P.  [m.  Rec] — 
Vom  15  Jan.  Br.  v.  Ä'.  a.  D.  [Freundlichen  Dank  für  die  Anlage.  Ueber 
die  Anfrage  Avelss  ich  vor  der  Hand  gar  keine  Auskunft  zu  geben.]  — 
Vom  20  Jan.  Br.  v.  R.  a.  C.   [Herzlichen  Dank  für  die  Anlage.] 


Inhalt 

von  des  ersten  Bandes  erstem  Hefte. 

Leironne:  Analyse  critique  du  recueil  d'  inscriptions  Grecque»  et  Latines 

de  M.  le  comte  de  Vidiia,  —  Vom  Prof.  Osann  in  Giesgen.      S.        3  —     18 
Aicaei  Mytilenaei  reliquiae.  Collegit  et  annotat.  instr.  Matthiae.  —  Vom 

Oberbibiiotliekar  und  Prof.   Welcher  in  Bonn ü  62 

Sallustii  Opera  quae  supersunt.     Recensuit  etc.\ 

Kritzius.  f  Vom  Prof,   Olhariv»  in 

Kritzii  Commcntatio   de  Sallustii    fragmentis  al         Rudolstadt.  62  —    77 

Debrossio  in  ordincm  digestis.  / 

Ciceronis  Orationes  in  Catilinam   et  pro  Sulla.  \ 

In  usum  8ciiol.  curavit  Krebs.  I  Vom  Oberlehrer  Dr.  Ja- 

Ciceronis  Orationes  IV  in  Catilinam.    Mit  erkl.i         cofr  in  Cöln.  77  —    Ql 

n.  krit.  Anmerk.  von  Benecke.  ) 

Ciceronis  Orationes  selectae.    Recogn.  et  annotationc  illustravit  Bloch.  — 

Von   demselben. .         .         .91  —  102 

De  grammaticis,  qui  hararixol  et  Xvrr/.oi  dicti  sunt.     Scripsit  Lehrs  Re- 

gimontii  Prussorum 102  —  119 

Zur  Würdigung  des  sogenannten  Codex  Voss  2.  in  Ernesti's  Ausgabe  der 

Xenophontischen  Mcmorabilien.    Vom  Dr.  Finckh  in  Tübingen.  119  —  121 

Misceiien.     .       \        . .121  —  124 

Schul-  Qnd  Universitätenacbrichtea,  Beförderangen  und  Ehrenbezeigungen.    124  — •  12S 


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JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  UND  PÄDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

M.   Joh,  Christ.  Jahn. 


Fü nfl  er    J ahrg a n g. 


Erster   Band.      Zweites    Heft. 

Oder  der  ganzen   Folge 

Zwölfter    Band.       Zweites    lieft. 


L  e  i  p  z  i  g, 

Druck    und    Verlas   von    B.  G.  Teubiier. 


18     3     0. 


Si  qnid  novisti  rectius  istis, 
Candidas  imperti;    si  non,  his  utere  mccum. 


Mythologie. 


1) ar Stellung  der  griechischen  Mythologie.  Erster 
Theil.  Minleite nde  Abhandlungen  enthaltend.  Von 
Christian  Hermann  JVcisse,  Doctor  und  ausserordentlicliem  Professor 
der  Philosophie  an  der  Universität  zu  Leipzig.  1828.  Verlag  von 
Johann  Amhrosius  Barth.  8.  Auch  unter  dem  besondern  Titel: 
lieber  den  Begi'iff^  die  B ehandlung  und  die 
Quellen  der  Mythologie.  Als  Einleitung  in  die  Darstel- 
lung der  griechischen  Mythologie.      Von  etc. 

1^  och  ist  die  Mythologie,  namentlich  die  griechische,  wie  die 
Forscher  derselben  nur  zu  gut  wissen,  bloss  dem  Naraen  nach 
eine  Wissenschaft,  eine  eigentliche  wissenschaftliclie  Beliand- 
lung,  Begründung,  Austulirnng  derselben  ist  noch  nicht  zu  Tage 
gefordert  worden.  Es  sind  nur  liin  und  wieder  Bruchstücke 
gegeben,  Vorarbeiten  zum  vollständigen  Werke,  unter  denen 
Otfr.  Müllers  Prolegoniena  sm  einer  uiissenschafllichen  My- 
thologie (Göttingen  1S25)  leicht  die  gediegenste  sein  dürfte. 
Gar  vielfältig  tappt  daher  noch  immer  derMytholog  bei  seinen 
Studien  im  Ungewissen  und  im  Finstern;  ein  jeder  folgt  ge- 
meinhin nur  seiner  eigenen  ohnmassgeblichen  Meinung.  Diess 
der  Grund,  warum  jener  Theil  der  Alterthumskunde  noch  so 
sehr  im  Argen  liegt,  ja  gewisser  Massen  in  eine  Art  von  Ver- 
ruf gekommen  ist. 

Auf  der  andern  Seite  scheint  die  Mythologie  eigentlich 
noch  keiner  wissenschaftlichen  Bearbeitung  fähig,  dafür  reif 
zu  sein.  Denn  wo  ist  ein  Feld  des  Iiistorischen  Wissens,  wo  es 
mannigfaltigere  Ansichten  ,  verschiedenartigere  Meinungen 
gäbe'?  Indessen  das  ist  nur  scheinbar.  Man  gehe  nur,  ausge- 
rüstet mit  einer  gründlichen  und  umfassenden  Kenntnis«  desAlter- 
thums,  namentlich  des  Mythologischen,  und  mit  philosophisch- 
critischem  Geiste,  kühn  ans  Werk,  und  bald  wird  sich  das 
Ganze  zu  einer  Wissenschaft  gestalten,  die  zu  den  interessan- 
testen Theilen  der  Alterthumskunde  gehören  wird.  Jetzt  ist 
sie,  wie  sie  in  den  gewöhnlichen  Handbüchern  uns  vorliegt, 
nichts  weiter  denn  ein  chaotisches  Aggregat,  ohneCritik,  oline 
Sinn. 

9* 


132  Mythologie. 

Vor  Allem  thut  es  noth,  dass  die  Begriffe,  welche  in  das 
Mythologische  einschlagen  oder  mit  ihm  in  irgend  einer  Ver- 
bindung stehn,  gehörig  nach  ilirera  Gehalte  erforscht,  von  den 
verwandten  gesclüeden,  scl'.arf  begrenzt  und  ihre  Verhältnisse 
zu  andern,  nahen,  bestimmt  angegeben  werden,  damit  man  sich 
endlich  einmal  klar  bew  usst  werde,  welchen  Stoff  man  eigent- 
lich vor  sich  habe,  und  was  damit  zu  beginnen  sei.  Welcher 
Freund  dieser  Wissenschaft  wurde  aus  dem  Grunde  nicht  mit 
Freuden  gelesen  habe;i,  dass  ein  Professor  der  Pbilosophie  sich 
an  das  schwierige  Weik  gewagt  hat  und  eine  Darstellung  der 
griechischen  Mythologie  zu  geben  Willens  ist'?  —  Aber  ivie 
hat  er  es  begonnen? 

Erwartet  man  in  dem  Buche  des  Ilrn.  W.  eine  vollständige 
Entwickelung  und  Begiündung  aller  der  Begriffe,  welche  die 
griecliische  Mythologie  betreffen,  so  sieht  man  sich  gleich  von 
vorn  herein  getäuscht.  Es  handelt  dem  zweiten  [Neben-]  Titel 
zufolge  bloss  iiber  den  Begriff,  die  Bebandluiig  und  die  Quellen 
der  Mythologie.  Ja  nicht  einmal  darüber  zur  Zufriedenheit, 
selbst  des  Verfassers.  Man  höre,  was  er  riicksichtlich  dessen 
in  der  Vorrede  S.  VII  sagt:  „Nichts  desto  weniger  bekenne  ich 
in  meinem  Buche  noch  keinesweges  Alles  gegeben  zu  haben, 
was  in  dein  Zusammenhange  eines  vollendeten  Systems  zur  voll- 
ständigen Begiüiidiing  dic'^es  Begriffes  [Mythologie]  gehören 
wiirde."  Und  S.  XXXVII  f.:  ,, Willig  erkenne  ich  an,  dass 
man  in  dieser  [Arbeit],  so  sehr  sie  auch  ihrer  speculativen  Hal- 
tung nie  untren  zu  werden  strebt,  eine  vollkommen  erschöpfende 
und  nifthodische  Bestimmung  derüegriife,  deren  inneres  Leben 
doch  ihren  eigentlichen  Inhalt  ausmacht,  vermissen  wird.  Au- 
sser dem  Begrijj'e  der  Mythologie  selbst  ist  diess  insonderheit 
der  Fall  hinsichtlich  des  Begriffes  des  Cultus,  so  wie  auch  der- 
jenigen Begriii'e,  welche  die  Principien  des  Verhältnisses  der 
Mythologie  zur  Kunst,  zur  Poesie  und  zur  Wissenschaft,  so- 
wohl zu  derjenigen,  welche  die  mythischen  Thatsachen  aufbe- 
wahrt, als  auch  insbesondere  zn  der ,  die  die  Mythologie  er- 
klärt und  ihren  Geist  vollständig  in  sich  aufnimmt,  und  welcJier 
darum  ebenso  sehr,  wie  der  Sagenwelt  selbst,  der  Name  3Iy- 
thologie  zugeeignet  wird,  enthalten  müssten.  Am  auffallend- 
sten diirfte  daher  jener  Mangel  in  der  zweiten  Hälfte  der 
Schrift  hervortreten,  von  denjenigen  Partien  an,  wo  von  dem 
Verhältnisse  des  Cultus  zur  Sagendichtung  gehandelt  wird, 
und  sodann  in  der  Abhandlung  von  den  subjectiven  Quellen.'' 
Ueberhaupt  will  der  Verf.  die  gegenwärtige  Schrift  nur  IVir  eine 
Vorarbeit  zu  einer  kimftig  streng  systematischen  Entwickelung 
von  Begriffen,  die  der  lleligionsphilosophie  ( ! !  )  angehören, 
gelten  lassen. 

Das  ist  nun  freilich  sehr  übel,  und  wenn  man  es  auch  dem 
Verf.  eines  Theils   wegen  der  Schwierigkeit  (vgl.  Vorrede  S. 


Weisse's  Darstellung  der  griech.  Mythologie.  133 

IX  und  XXXVIIl)  verzeihen  wollte,  so  kann  man  es  doch 
nicht  um  der  Sache  selbst  willen.  Wie  soll  und  kann  die  Dar- 
stellung der  griechischen  IMythologie  ausfallen,  wenn  der  Verf. 
selbst  noch  nicht  mit  sich  über  die  ersten  und  hauptsächlich- 
sten Begrille  der  Wissenschaft  ins  Reine  gekommen  ist'? 

In  der  ziemlich  hingen  Vorrede  (S.  111  —  XXXIX)  recht- 
fertigt oder  erklärt  der  Verf.  näher  die  Einzelheiten  des  zwei- 
ten 'l'itels:  ])  den  Ausdruck:  über  die  Behandlung  der  Mytho- 
logie (  diess  bezieht  sicli  auf  die  erste  Abhandlung  des  Wer- 
kes); 2)  die  Worte:  über  die  Quellen  der  Mythologie  (der 
Verf.  verwahrt  sich  vor  der  Missdentung  des  Wortes  Quellen); 
;5)  den  ersten  Tlieil  des  Titels:  über  den  Begriff  der  Mytholo- 
gie. Ueher  diesen  letzten  Punct  hat  er  sich  sehr  weitläuftig 
ausgesprochen,  wahrscheinlich  weil  er,  als  der  Druck  des 'Wer- 
kes bereits  vollendet  war,  selbst  fühlen  moclite, —  was  ihm  auch 
jeder  Leser  bekräftigen  wird,  —  dass  er  in  demselben  keines- 
wegs die  Saclie  klar  und  vollständig  durchgeführt  habe.  Aber 
auch  liier  gelingt  es  ihm  nicht,  trotz  seines  Bingens,  Bichtiges 
zu  geben.  So  sagt  er  (S.  VllI  f.)  unter  anderm,  was  ihm  My- 
thologie sei.  „Sie  ist  keinesweges,"^  meint  er,  „wofür  sie  frei- 
lich von  Vielen  gehalten  wird,  ein  unreiner  Auswuclis  der 
ächten  Religionsidee,  etwa  aus  der  Vermischung  der  letz- 
tern mit  dem  sinnliclien  und  äussern  Leben  der  Menschen  zu- 
fällig entstanden:  in  welchem  Falle  sie  — auf  ganz  hi- 
storische und  empirisch  psychologische  Art  zu  erklären  sein 
würde;  sondern  sie  ist  eine  der  Religionsidee  selbst  (*?)  ange- 
hörende und  ganz  allein  ('?)  aus  dieser  erzeugte  Gestalt;  ein 
inneres  Moment  dieser  ('?)  Idee  oder  vielmehr  die  Idee  selbst  f?). 
in  einer  ihrer  Potenzen  :  in  so  fern  also  keineswegs  ('?)  eine 
äusserliche  historische  Erscheinung,  sondern  eine  ewige  Wesen- 
heit (7),  eine  nothwendige  ('?)  Seite  des  unmittelbaren  (?)  Seins 
der  Gottheit  selbst  ('?),  die  auch  geschichtlich,  wenn  auch  in 
ganz  umgewandelten  Gestalten  und  höhern  Potenzen  der  Idee, 
die  unterdessen  zum  Durchbruch  oder  zur  Offenbarung  gelangt 
sind,  untergeordnet  immer  wiederkehren  wivd.  Was  daher 
auch  von  äusserem,  sinnlichen  und  historischen  Stoff  in  ihr 
enthalten  ist,  so  ist  diess  in  ihr  gegi-nwärtig  nicht  als  ein  der 
göltliclien  Idee,  die  ihrPrincip  ausmacht  ('?),  fremdes  und  diese 
verunreinigendes,  sondern  als  ein  in  die  Idee  bereits  aufge- 
nommenes, durch  sie  umgebildetes  und  aus  ihr  wiederum  her- 
iisgebornes.'''  Darum,  meint  er,  gehöre  die  eigentliche  Genesis 
auch  des  wissenschaftlichen  Begriffes  der  Mythologie  in  die 
Wissenschaft  von  derselben  Idee  [ileligionsphilo>^ophie],  die  als 
seiendes  ('?)  Wesen  die  Mythologie  aus  sich  erzeugte." 

Wir  haben  diese  ganze  Stelle  hergesetzt,  theils  um  unsere 
Bemerkungen  daran  knüpfen  zu  können,  und  zu  zeigen,  auf  wel- 
chem unrechten  Wege  gleich  von  voru  heceiu   der  Verf.   ist, 


134  Mythologie. 

theils  um  den  Lesern  einen  Vorschmack  von  dem  Geiste  und  dem 
Style  des  Werkes  zu  geben.     Zuvörderst  ist  denn  zu  erinnern, 
dass  hier  IMythologie  in  einer  ganz  falschen  Bedeutung,    näm- 
lich fiir    das  (griechische)  Ileligionssystem   selbst    genommen 
■wird.     Da  soll  dieselbe  einAusfluss,    eine  historische  Erschei- 
nung der  Religionsidee  im  Menschen  sein.      Weichen  so  ganz 
falschen  BegrilF,   welche  verkehrte  Ansicht  liat  der  V  erf.  von 
der  Sache,    die  er  uns  auseinandersetzen  will!     Um  ihn  davon 
z!i  überzeugen,    nur  wenige  Worte.    Das  griechische  Ueligions- 
system  besteht  aus  folgenden  3  Stiicken  :    1)  ans  der  ideellen 
und  practischen  Dogmatik  d.  li.  aus   einer  Summe  von  Lehren 
Vlber  das  Wesen  und  die  Eigenschaften   derGötter,   und  über 
ihre  Verelirung  (dufch  Feste,  Opfer,  Gebete  etc.);   sie  ist  der 
ursprünglichste  und  älteste  Theil    der    griechischen  Religion, 
geflossen  aus  der  allgemeinen  Religionsidee  der  jMenschen  und 
aus  Belehrung.     2)  aus  der  Symbolik  oder  der  Lehre  von  den 
sichtbaren  Zeichen,  welche  zu  anschaulichen  Bildern  einzelner 
Lehren  der  Dogmatik  dienten.     S)  aus  der  Mythologie,  insofern 
sie  religiös  ist  und  ausdrücklich  auf  religiösem  Grunde  beruht. 
Diese  letztere  nun,  so  wie  auch  die  Symbolik,  ist  ausgegangen 
aus  jener  Dogmatik,  und  basirt  sich  auf  dieselbe,  ist  aber  nicht 
selbst  diese  Dogmatik.      Sie  kann  wohl  einzelne  Lehren  der- 
selben aufbewahrt  haben   und   uns   vortragen;     allein   darum 
darf  sie  noch  nicht  für  Eins  mit  ihr  gelten.       Nächstdera  ist 
auch  die  Symbolik  eine  fruchtbare  Mutter  von  Mythen.  —  Ael- 
ter  sind  also  Idee,  Cultus  und  Symbol,   späteren  Ursprungs  der 
Mythus,   welclier  diese  Stücke  erläutert  und  ihren  Grund  nach- 
zuweisen bestrebt  ist.     Wer  sich  von   der   Richtigkeit  dieser 
Sätze  überzeugen  will,  lese  des  Recens.  Darstellung  des  lindi- 
schen Herakles-    und   Athenadienstes,    oder   die  Bemerkungen 
von  Hock  über  den  cretischen  Zeus  und  die  Kureten  (Kreta  Ir 
Tii.  S.  164:)  oder  die  Prolegomena  von  Müller.      So  war  erst, 
um  nocli  ein  und  zwar  ein  recht  schlagendes  Beispiel  anzufüh- 
ren, die  auifallende  Sitte,    das  Fleisch   der  Opferthiere  zu  es- 
sen, die  Schenkelknochen  aber,  in  Fett  gewickelt,  den  Göttern 
auf  den  Altären  zu  verbrennen ;    später  entstand    daraus    der 
Mythus  vom  Prometheus,    wie   er  den  Zeus   betrügt  (Ilesiod. 
Theog.  535  sqq.),   in  welcher  Sage  man  deutlich  den  Versuch 
erkennt,  diese  ungebührliche  Sitte  vor  der  Welt  zu  rechtferti- 
gen.    Und  so  unzählig  Anderes.     Ilr.  W.  hat  sich  wahrschein- 
lich durch  seine  Philosophie,    vielleicht  selbst  durch   unsere 
gewöhnlichen  Handbücher  über  griechische  Mythologie,    denen 
wir,  Gott  Lob!  entwachsen  sind,  verführen  lassen,  Mythologie 
für  den  Inbegriff  der  griechischen  Religionslehre  zu  nehmen, 
und  so  seinen  ganzen  mythologischen  Studien  und 'auch  der  vor- 
liegenden Schritt  eine  falsche  Richtung  gegeben.     Was  er  S. 
51  f.  —  nicht  ohne  Anmassung  und  stolze  Verachtung  anders, 


Weisse's  Darstellung^  der  griech.  Mythologie.  135 

d.  li.  historisch  richtig,  die  Sache  beurtheileiider  Mythologcu 
—  für  seine  Annahme  sagt,  beruht  auf  ganz  falschen  Voraus- 
setzungen. 

Zweitens  hat  es  den  Anscliein,  als  ob  der  Verf.  gar  nicht 
wüsste,  dass  keinesweges  allen  Mythen  etwas  Religiöses  zum 
Grunde  liegt.  Giebt  es  denn  keine  etymologischen,  physischen, 
moralischen,  historischen,  naturgeschiclitlichen'?  Von  einer 
solchen  Eintheilung  der  Mythen  nämlich  kein  Wort  im  Buche. 
Sind  hm  etwa  dergleichen  Sagen  keine  ächten  Mythen^  Da 
würde  er  gewaltig  irren. 

Drittens  ist,  nähmen  wir  auch  griechische  Mythologie  — 
fälschlicher  Weise  —  mit  dem  Verf.  in  dem  Sinne  von  grieclii- 
scher  Religion,  dieselbe  keineswegs  so  hoch  zu  stellen,  als  Hr. 
W.  will,  wohl  gar  für  Offenbarung  zu  nehmen.  Wem  dürfte 
denn  der  Phallus-  oder  Priapusdienst  eine  reine  Aeusserung, 
kein  Auswuchs  der  ächten  Religionsitlec  erscheinen'?  Ist  die 
Verehrung  des  Herakles  zu  Lindus  durch  Verwünschungen  statt 
der  Gebete  nicht  etwas  Unedles*?  ein  wahrer  Auswuchs,  wenn 
ihm  auch  die  Idee  der  schuldigen  Verehrung  Gottes  zum  Grunde 
lag'?  3Ian  sieht,  Hr.  W.  folgt  hier  den  Fusstapfen  Creuzers, 
der  in  seiner  Symbolik  gar  eine  Gleichheit  zwischen  Griechen- 
thum  und  Christenthum  statuirt,  und  anderer  Pansopliisten, 
die  die  dunkle,  unvollkommene,  oft  abgeschmackte  Aeusserung 
einer  Idee  für  die  Idee  selbst  erkennen  und  jene  eben  so  hoch 
achten  als  diese.  Welch  ein  grosser,  ja  welch  ein  gefährlicher 
Irrthura!  Als  ob  das  Handeln,  was  aus  einer  Idee  hervorgeht, 
ganz  willkührlich,  selbst  gemein  und  schmutzig  sein  könnte, 
und  nicht  vielmehr  der  Idee  gemäss  d.  h.  erhaben^  hehr  sein 
müsste.  Gott,  ein  Geist,  so// und  darf  nur  als  Geist  angebetet 
werden  im  Geiste;  jede  andere  Verehrung  ist  schlecht,  ist  ver- 
werflich, um  so  verwerflicher,  je  unedler  die  Gegenstände  sind, 
durch  welche  sich  seine  Verehrung  kund  giebt. 

Von  S.  X  an  spricht  sich  der  Verf.  weitläuftig  aus  über  das 
Verhältniss  der  Ideen,  auf  denen  seine  Arbeit  beruhe,  zu  dem 
gegenwärtigen  Stande  der  pliilosophischen  Religionswissenschaft, 
und  über  die  Gründe,  warum  er  in  diesem  ?iicht  festen  Boden 
doch  genug  fand,  um  bei  dem  wichtigen  und  bedenklichen  Ge- 
schäft einer  systematischen  Deduction  des  Begriffes  der  31y- 
thologie  darauf  zu  fussen.  Jene  weitläuftigere  Auseinander- 
setzung betrifft  aber  das  Verhältniss  zwischen  AVissenschaft 
(Philosophie),  Kunst  und  Religion.  Das  Verhältniss  dieser 
Ideen,  als  der  (angeblich)  höchsten  Thätigkeiten  des  meuiach- 
lichen  Geistes  sucht  er  festzustellen,  dabei  einer  neuen  Piiilo- 
sophie  (der  Ilegelschen)  folgend,  der  er  bei  dieser  Gelegen- 
heit ein  grosses  Lob  spendet,  indem  er  S.  XVI  jene  Lehre  oder 
Anlage  des  geistigen  Systemes,  nach  welchem  eben  der  Mensch 
als  die  höchsten  Potenzen  seines  Wirkens  Wissenschaft,  Kunst 


136  Mythologie. 

und  Religion  besitze,  an  und  für  sich  einzig  gross  und  wahrhaft 
ewig  und  eine  Entdeckung  von  unsterblichem  Ruhme  nennt. 
Wir  überlassen  solcbes,  so  wie  diesen  ganzen  Abschnitt,  von 
dem  wir  uns  entweder  gar  keinen  oder  nur  einen  sehr  entfern- 
ten Gebrauch  und  Nutzen  fiir  die  Mythologie  —  diess  AVort  im 
rechten  Sinne  genommen  —  versehen,  weil  er  dem  Gebiete  der 
Philosophie  anheimfällt,  Philosophen  von  Profession  zur  Beur- 
theiliing,  von  denen  sich  auch  bereits  einer  —  eben  nicht  zum 
Vortheil  jener  Lehre  —  in  einem  besondern  Werke:  Ueber  die 
Hegeische  Lehre  oder  absolutes  Wissen  und  moderner  Pan- 
theismus (Leipz.  bei  Kollmaun  1828),  darüber  genügend  ausge- 
sprocJicn  hat. 

S.  J — 37  folgt  der  Abschnitt  über  die  Behandlung  der  My- 
thologie. —  Ueber  das  Interesse  der  Mythologie  für  Dichter 
und  bildende  Künstler,  für  Gelehrte  von  Fach  und  für  „jeden, 
der  vom  Standpunctc  der  allgemeinen  Bildung  aus  in  die  Wis- 
senschaften hineinblickt."  —  Wenn  es  im  Folgenden  heisst: 
„Die  grosse  Frage,  welche  den  Mittelpunct  alier  wissenschaft- 
lichen mytliologischen  Untersuchungen  ausmacht :  ob  die  my- 
thischen Dichtungen  der  Volker  des  Alterthums  willkührliche 
und  leere  Fabelei  und  Erdichtung  seien  und  mithin  (7)  die  Re- 
ligion, der  diese  Dichtungen  zum  Grunde  lagen,  als  blinder 
Aberglatibe  betrachtet  werden  müsse,  oder  ob  unter  dieser  bun- 
ten Hülle  ein  tiefer  Kern  lauterer  und  hoher  Wahrheit  verbor- 
gen liege"  etc. :  so  erhellt  daraus  wiederum  und  ganz  augenschein- 
lich ,  es  hat  Ilr.  W.  das  Wesen  der  griechischen  Mythologie 
durchaus  verkannt.  Weiss  er  denn  wirklich  nicht,  dass  nicht 
allen  Sagen  der  Hellenen  etwas  Religiöses  zum  Grunde  liegt'? 
Weiss  er  nicht,  dass  unter  dieser  bunten  Hülle  nicht  immer  ein 
tiefer  Kern  lauterer  und  hoher  Wahrheit  verborgen  liege,  son- 
dern im  Gegentheil  oft  nur  ein  auffallender  Name,  ähnlich 
klingende,  der  Etymologie  nach  nicht  einmal  verwandte  Wör- 
ter (z.  B.  Xäag  und  Aaog),  eine  Sitte,  die  geographische  Lage 
eines  Landes  u.  s.  w.?  Und  wenn  man  alsdann  den  Schluss 
liest:  „Wenn  die  mythischen  Dichtungen  des  Alterthums  will- 
kührliche und  leere  Fabelei  sind,  so  muss  auch  die  Religion, 
der  diese  Dichtungen  zum  Grunde  liegen,  als  blinder  Aberglaube 
betrachtet  werden":  wer  erkennt  darin  nicht  abermals  das 
Verkehrtein  der  Ansicht  des  Verfassers,  der  die  Mythologie 
älter  denn  die  Religion,  ja  den  Grund  derselben  sein  lässt,  wäh- 
rend gerade  der  umgekehrte  Fall  statt  findet?  wer  nicht  aber- 
mals das  Beschränkte  in  der  Annahme,  die  31ythologie  bestände 
nur  aus  religiösen  Mythen. 

Der  Verf.  hegt  nach  S.  2  dieUeberzeugung,  „einen  Stand- 
punct  für  die  Wissenschaft  der  Mythologie  gewonnen  zu  haben, 
der,  falls  er  sich  als  ein  ächter  bewähren  sollte,  dieselbe  nicht 
nur  mit  einzduea  Ansichten,  Erklärungen  und  Deutungen  be- 


Weisse's  Darstellung  der  griech.  Mythologie.  IS? 

reichern,  sondern  ihren  gesamraten  Inhalt  in  einem  durchaus 
veuen  Lichte  erscheinen  lassen  müsse."  Wer  sollte  niclit  neu- 
gierig sein,  denselben  kennen  zu  lernen*?  —  Der  Verf.  hatte 
das  Wesentliche  dieses  Standpunctes  schon  in  einer  iri'ihern 
Schrift  auf  mehrfache  Weise  angedeutet;  aber  da  er  «m  der- 
selben willen  hart  getadelt  worden  ist,  so  hält  er  es  nicht  für 
überfliissig,  hier  noch  einmal  die  allgemeinsten  Principien  sei- 
ner Ansiclit  und  ihre  EigenthiimlichkeitimGegensatze  davon  kürz- 
lich darzulegen.  Zuvor  S.tJ die  Frage,  ob  diemythologische  For- 
schung rein  historischer  und  positiver,  oder  ob  sie  zugleich 
philosophischer  JNatur  sei.  —  S.  5  f. :  „Es  giebt  eine  Wissen- 
schaft, welche,  obgleich  auf  liistorisch  gegebenen  Thatsaclien 
fussend,  und  selbst  diese  auszumitteln  und  aufzuklären  beru- 
fen, doch  in  diesem  ihrem  Ge^^cliäfte  durchaus  vom  Geiste  der 
eigentlichen  Speculation  durchdrungen  sein  muss ,  und  also 
gleichsam  eine  Brikke  bildet  zwischen  Philosophie  und  eigent- 
licher Historie."  Eine  solche  Wissenschaft  nun  ist  nach  des 
Verf.  Ueberzeugung  die  Mythologie,  und  die  mit  ihr  ein  und 
dasselbe  (?)  Gebiet  der  Erkeniitniss  ausmacliende  Urgescliich- 
te  ('?).  —  S.  9:  „Jene  geistigen  Besitzthümer ,  welche  in  den 
Mythen  und  (?)  Sagen"  [Wie  unterscheiden  sich  diese  Wörter'?] 
„des  Alterthunis  niedergelegt  und  mit  dem  sinnlichen  und  facti- 
schen  Stoff  ununterscheidbar  verschmolzen  sind,  \üirden,  wenn 
sie  von  diesem  Stoff  geschieden  werden  könnten,  offenbar  keine 
andern  seyn,  als  dieselben,  deren  Aufbewahrung  und  selhst- 
ständige  Ausbildung  ein  Zeitalter  fortgeschrittener  Entwicke- 
lung  und  höherer  Steigerung  der  Geisteskräfte  von  der  Philo- 
sophie erwartet."  —  S.  10  f.:  „Die  Mythologie  ist  eine  philo- 
soijhische  Wissenschaft,  d.  h.  ihre  Aufgabe  ist,  nicht  die  Leh- 
ren anderer  philosophischen  W^issenschaften  zu  wiederholen, 
und  in  das  Gewand  der  poetischen  Bilder  und  der  Iiistorisclien 
Thatsachen,  die  ihren  äusseren  Stoff  ausmachen,  einzukleiden; 
sondern  eine  durchaus  eigenthVimliche  Seite  der  geistigen  Idee 
selbst  aufzuzeigen,  welche  die  Nothwendigkeit  in  sich  trägt, 
sich  äusserlich  zu  gestalten,  und  auf  die  Art  sich  zu  gestalten, 
wie  sie  in  den  31ylhen  in  der  That  sich  gestaltet  hat.''  —  S. 
11  f.:  „Wir  befinden  uns  hier  auf  einem  Gebiete,  wo  die  Phi- 
losophie durch  sich  selbst  anfängt,  in  ein  Anderes,  für  uns  zwar 
in  Poesie  und  in  Geschichte  überzugehen.  —  Wollte  man  den 
Inhalt  und  das  Wesen  der  Sagenwelt  für  die  wissenschaftliche 
Behandlung  in  Elemente  zerlegen,  das  Unzertrennliche  tren- 
nen und  sondern:  so  könnte  man  folgende  drei  Momente  davon 
unterscheiden:  das  Innere,  Geistige,  oder  die  Bedeutung  ('?); 
das  rein  Aeusserliche  oder  das  historische  Material;  endlich 
die  eigenthümliche  Art  und  Weise  der  Verkettung  und  Durch- 
dringung beider:  Poesie  und  Kunst.  —  Die  wissenschaftliche 
Bearbeitung  der  Mythologie  würde  daher  nothweadig  drei  Sei- 


138  M  y   t  h  o  1  o  jr  I  e. 

teil  haben:  eine  pliilosopliisclie,  eine  liistorische  und  eine  poe- 
tisclie.  Wegen  der  innern  Einheit  des  Gegenstandes  werden 
aucli  diese  drei  niclit  in  ihrem  Gegensatze,  sondern  nur  verei- 
nigt und  verschmolzen  auftreten  können.  Daher  ist  für  die  My- 
thologie eine  eigene  Methode  zu  erschaffen,  die  aus  Elementen 
der  liistorischen  Forschung,  der  poetischen  Auffassung  und  Dar- 
stellung und  der  philosophischen  Speculation  gemischt  ist." 

Diese  letzten  Grundsätze  unterschreibt  Recens.,  hat  er  den 
Verf.  richtig  verstanden,  als  im  Ganzen  völlig  richtig;  nur  bei 
dem  Worte  Bedeutung  stiess  er  an,  und  wie  sehr  würde  er  sich 
freuen,  wenn  der  Verf.  dieselben  auf  das  Specielle  richtig  ange- 
wandt hätte;  aber Hören  wir  ihn  weiter! 

S.  ]5  Um  auf  den  Gegenstand  der  mytliol.  Wissenschaft 
etwas  näher  einzugehen,  und  diejenige  Ansicht,  die  er  fVir  die 
einzig  richtige  hält,  wenigsten«  anzudeuten,  hält  der  Verf.  für 
gut,  das  Verhältniss  der  griechischen  Mythologie  zu  der  orien- 
talischen zu  erörtern.  —  Die  griechische  Mytliologie  zerfällt 
in  die  Göttersage  und  in  die  Ileroensage  [Es  gab  bei  den  Grie- 
chen auch  Sagen  von  Menschen:  z.B.  vomThamyris,  Melam- 
pus,  Dädalus,  Keleusetc. ;  diese  zu  den  Heroen  zu  zählen,  ist 
kein  Grund  vorhanden].  Die  Göttersage  der  Kern  der  mytlio- 
logischen  Wissenschaft.  —  Der  Verf.  wendet  sich  jedoch  hier 
vorzugsweise  zur  Ileroensasre.  (S.  16  ff.)  —  „In  der  Heroen- 
sage  finden  wir  die  wahre  ('?)  Geschichte  der  Urzeit  dargestellt, 
der  die  jnythischen  Religionen  selbst  ihre  Entstehung  verdanken. 
INicht  jedoch  als  erzähle  diese  Sage  die  besondern  Begebenhei- 
ten als  solche,  sondern  sie  fasst  dasjenige,  was  wir  den  Geist 
derselben  zu  nennen  gewohnt  sind,  den  allgemeinen  weltge- 
schichtlichen ('?)  Hergang  in  seinen  innersten  ('?)  Motiven  und 
seinen  grossartig- bedeutungsvollen  (?)  als  typisch  sich  anki'in- 
digenden  Ziigen  auf  und  Viberliefert  ihn  eingekleidet  in  Bilder, 
die  als  einfache  und  einzelne,  jedoch,  um  das  darin  enthaltene 
höhere  Geistige  anzudeuten,  mit  Wundern  durcliwebte  Historie 
erscheinen. " 

Hier  ist  der  Verf.  auf  einem  durchaus  irrigen  Wege,  und 
seine  Demonstration  mag  ihm  selbst  noch  so  natiirlich  und  phi- 
losophisch richtig  erscheinen,  sie  ist  nichts  weniger  den«  wahr. 
Sie  zeigt  sich  in  ihrer  ganzen  Verwerflichkeit  in  dem  Beispiele 
von  der  lo  und  Danae  (S.  32  ff.),  das  nebst  einem  andern  Frag- 
mente Vlber  die  Zahl  ihm  bei  einem  Recens.  seines  Werkes  iiber 
Homer  in  den  Blättern  f.  literar.  Unterhaltung  (182«  Nr.  1-13, 
1827  Nr.  1)9)  nicht  ohne  Unrecht  den,  wenn  auch  etwas  zu 
derben,  Tadel  symbolischer  Faselei  und  pseudophilosopliischer 
Aufgeblasenheit  zugezogen  liat.  Wir  können  die  ganze  Stelle 
nicht  liersetzen ;  aber  unsern  Lesern  zum  Zeugniss  und  viel- 
leicht auch  zu  einer  Ergötzlichkeit ,  wie  sich  Hr.  W.  so  verir- 
lea  konnte,    wählen  wir  die  Note  *)  S.  32  aus:   „Was  die  Na- 


Weisse's  Darstellung  der  gricch.  Mytliologie.  131) 

niensverwandtscliaft  der  lo  mit  dem  Stamme  derlonier  betrifit" 
[liier  stellt  sich  der  Verf.  de»  schlechten  Etymologen  des  Al- 
tertliums  zur  Seite,  welclie  'Ico  und  'löviog  in  Verbimluiig  brin- 
gen.] ,,so  erinnern  wir  dabei  an  die  g:riechische  Sitte,  den 
Enkel  mit  dem  Namen  des  Grossvaters  zu  bezeichnen."  [Wel- 
clie Combination !]  „lo  ist  gleichsam  ('?)  die  Mutter  der  grie- 
ciiischen  Nation  (d.  h.  sie  driickt  diejenige  Richtung  des  Welt- 
geistes aus,  welche  dieser  Nation  den  Ursprung  gab!!);  die 
Völkerschaft  der  lonier  die  Tochter  des  hellenischen  Volkes, 
also  die  Enkelin  der  lo,  und  sie  trägt,  wie  den  Namen,  so  auch 
den  Character  dieser  Grossmuttcr." 

Wer  von  nusern  Lesern  kaim  sich  hierbei  eines  Lächelns 
enthalten'?  Sind  das  jene  Erklärungen  und  Deutungen,  mit  de- 
nen Ilr.  W.  die  Mythologie  bereichern  wollte  (S.  2),  und  die 
ihren  gesammten  Inhalt  in  einem  durchaus  neuen  Lichte  sollten 
erscheinen  lassen'?  Eigeutlich  bedarf  es  gar  keiner  Widerlegung 
dieser  Sätze  bei  jedem  unbefangenen  Forscher  der  Mytliologie; 
damit  indessen  Hr.  W.  sich  nicht  unwiderlegbar  wähne:  so 
wollen  wir  hier  Folgendes  erinnern. 

Schon  der  Satz  ist  falsch  (S.  Iß):  „In  der  Heroensage  fin- 
den wir  die  «'«/«/ eGescliichte  der  Urzeit  dargestellt."  RVihren 
denn  nicht  viele  Sagen  über  die  Heroen  gar  nicht  aus  der  Ur- 
zeit her'?  Tragen  nicht  viele,  ja  die  meisten  derselben  offen- 
bar das  Gepräge  späterer  Dichtung'?  Und  wenn  nun  der  Verf. 
sagt:  „Die  Heroensage  fasst  dasjenige,  was  w'w  den  Geist  der 
besondern  Begebenheiten  zu  nennen  gewohnt  siud,  den  allge- 
vieiuen,  weltgeschichtlichen  ('?)  Hergang  in  seinen  innersten  ('?) 
Motiven  und  seinen  grossartig- bedeutungsvollen  ('?),  als  typisch 
sich  ankündigenden  ('?)  Zügen  auf,"  etc.:  so  ist  das  nichts,  als 
leere  Träumerei,  die  in  der  Wirklichkeit  keinen  Anhalt,  kei- 
nen Grund  findet.  Wie  kann  man  einen  speciellen  historischen 
Gegenstand,  ein  geschichtliches  Individuum  allgemein  fassen 
und  —  man  merke  wohl!  —  ihn  so  erklären  wollen,  dass  man 
ihn  wieder  auf  einen  speciellen  Gegenstand  bezieht,  den  man 
auch  ert  in  seiner  Allgemeinheit  aufgefasst  hat'?  Das  würde 
eine  Aehnlichkeit  geben,  eine  Gleichheit  der  äussern  3Jerk- 
naale,  aber  keinesweges  eine  Gleichheit  der  Dinge  selbst  nach 
ihrem  Innern  Gehalte.  Und  wer  heisst  denn  dem  Verf.  die  lo 
als  gleichbedeutend  mit  dem  Namen  lonier,  die  Danae  als 
gleichbedeutend  mit  dem  hellenischen  Stamme  der  Danaer  neh- 
men *?  Stützt  sich  diess  nicht  auf  eine  ganz  falsche  Etymologie*? 
—  Wer  heisst  ihm  endlich  sich  einbilden,  dass  das  Zeitalter, 
in  welchem  jene  Sagen  erwuchsen,  die  historischen  Begeben- 
heiten im  weltgeschichtlichen  Sinne  aufgefasst  habe *?  Gerade 
umgekehrt!  Durchaus  speciell,  ganz  individuell,  concret  in 
hohem  Masse  ist  der  Kern  der  meisten  Mythen;  nicht  oder 
nicht  sehr  abstract,  sondern  recht klavvor Augen  liegend,  keine 


140  Mythologie. 

tiefe  Speculation  erfordernd,  selbst  wenn  die  Sagen  speculati- 
ver  Art  sind.  Das  liegt  auch  in  der  Natur  der  Sache.  Man 
wird  doch  wahrlich  nicht  t'rüiier  iiber  historische  Gegenstände 
philosophirt  haben,  als  man  sie  der  Aufzeicliriung  werth  fand"? 
Auf  die  Mythologie  ist  aber  erst  die  Gescliichte  gefolgt.  31aa 
wird  doch  wahrlich  niclit  in  so  grauer  Vorzeit  so  fein  gesponnene 
Abstractionen  angestellt  haben,  als  der  Verf.  annimmt,  noch 
dazu  Vlber  historische  Dinge,  welche  um  so  grössere  Schwierig- 
keiten darbieten,  je  mannigfaltiger  das  Bild  derselben  ist,  so 
dass  nur  ein  sehr  gereifter  philosophischer  Verstand  darüber 
Betrachtungen  anstellen  kann  ?  Des  Verf.  Irrthum  springt 
hierdurch  in  die  Augen. 

Auch  im  Folgenden  (S.  19  ff)  ist  manche  falsche  Behau- 
ptung, wo  er  vom  Unterschiede  des  Symbols  und  des  Mythus 
spricht.  Die  Ileimath  des  erstem  soll  der  Orient,  des  letztem 
Europa  ('?)  und  vornehmlich  Griechenland  sein.  Hatten,  fra- 
gen wir  hier,  die  Hebräer,  die  Aegypter,  die  Inder  keine  My- 
then*? —  „Die  Symbolvveisheit  des  Orients  und  die  sie  beglei- 
tende Bilderwelt  wurden  auf  Grieclienland  übergetragen."  — 
Leichthingesprochen,  aber  wo  die  Beweise'!  Wo  ist  denn  der 
Donnerkeil  und  Adler  des  Zeus,  der  Kukuk  der  Here,  unzähli- 
ges Andere  zu  geschweigen,  hergenommen'?  —  S.  20:  „Creu- 
zers  Werk  darf,  um  es  kurz  zu  sagen,  für  eine  gründliche  ('?) 
und  vielleicht  ('?)  erscljöpfende  Bearbeitung  der  31ythologie  von 
dem  Standpuncte  der  Symbolik  gelten."  Der  llecens.  ist  ande- 
rer Meinung,  und  kennt  dasselbe  durch  jahrelangen  Gebrauch 
nur  als  ein  sehr  mangelhaftes,  der  Berichtigung  fast  auf  jeder 
Seite  bedürfendes  Werk,  —  „f^d  Angriffen  Vossens  auf  die- 
selbe [creuzersche  Symbolik]  liegt  der  richtige  Instinct  zum 
Grunde, auf  Wiedereinsetzung  des  historisclien  Ele- 
mentes in  seine  Rechte  zu  dringen."  Der  Recens.  würde  sich 
schämen,  das  Wort  Instinct  von  dem  Manne  zu  gebrauchen, 
der  im  Leben  stets  klar  gedacht  und  wohl  gewusst  hat,  was  er 
schrieb.  —  „Voss  missverstand  gänzlich  die  Forderung  des 
Geistes  der  Geschichte  an  die  Mythologie  und  meinte  durch 
bloss  äusserliche,  zum  Theil  selbst  ganz  willkührlicbe,  chrono- 
logische und  topographische  Anordnung  des  todten  Stoffes  das- 
jenige abzuthun,  was  nur  durch  Wiederbeseclung  desselben 
mit  jenem  Geiste,  der  ihn  hervorbrachte,  dem  Geiste  des  hel- 
lenischen Volks-  und  Geschichtslebens  zu  vollbringen  ist."^ 
Hier  hat  der  Verf.  unbezweifelt  das  Verfahren  des  verstorbe- 
nen Voss  verkannt.  Wohl  wollte  dieser  Treffliche  die  griechi- 
schen Mythen  acht  griechisch  und  mit  griechischem  Geiste  auf- 
gefasst  und  erklärt  haben,  aber  nur  auf  historisch- critischera 
Wege.  —  Wenn  es  S.  21  von  Otfr.  Müllers  schätzbaren  Unter- 
suchungen heisst,  sie  wären  bloss  für  einen  Anfang  dessen  zu 
halten ;   was  die  creuzersche  Symbolik  zu  leisten  übrig  liessj 


Weisse's  Darstellung  der  griecli.  Mythologie.  141 

denn  auch  sie  setzten  das  historisclie  Element  der  Mythologie 
nur  in  die  Ausniitteiuug  der  äussern  Umstände  und  Verhältnisse, 
unter  denen  der  Mytluis  entstand,  keinesweges  in  die  Ergriin- 
dung  seines  geistig-welthistorischen  Inhaltes:  so  wünschen  wir 
ihm,  dem  Hrn.  Prof.  Müller,  und  der  mythologischen  Wissen- 
schaft dazu  Glück,  dass  er  diesen  Irrpfad  niclit  eingeschlagen. 
—  S,22:  ,, Es  ist  nicht  genug,"  [iMuss  schlechterdings  heissen: 
Es  ist  durchaus  fehlerhaft]  „eine  mögliche  Bedeutung  aufs  Ge- 
radewohl oder  aus  einem  der  Sag^Miwelt  fremden  Zusammen- 
hange aufzugreifen;"  [Das  merke  sicli  nur  der  Ilr,  Verf.  !J  ,,es 
gilt  vielmehr,  eine  durcliaus  individuell  begrenzte,  aber  in  die- 
sen Schranken  wahrhafter  Selbstheit  (?)  die  tiefsten  (?)  Gründe 
und  die  höchsten  (?)  Gesetze  alles  (?)  Daseins  euthali^enden  Be- 
deutung aufzufinden."  [So  waren  denn  also  die  frühesten  Hel- 
lenen gleich  tiefe  oder  noch  grössere  Denker  als  selbst  ein 
Plato!]  „Eine  solche  (?)  Bedeutung  aber  hat  unfehlbar  (?) 
jede  (?)  ächte  Sage,  oder  alle  (?)  Dichtung  ist  eitel  nichtiger 
Tand  und  lügenhaftes  Blendwerk;  es  giebt  zwischen  beiden 
Annahmen  keine  (?)  mittlere."  Was  sagen  zu  dieser  Alterna- 
tive diejenigen  unserer  Leser,  welche  eine  vertraute  Bekannt- 
schaft mit  den  Mythen  der  Hellenen  gemacht  haben?  Haben 
sie  nicht  gefunden,  dass  unter  denselben  auch  manche  fade, 
läclierliche,  oberfläcliliclie,  lügenhafte  sind?  —  S  23:  „Pro- 
saische Nüchternheit  und  verständiges  Ilaisonnement  aus  Grün- 
den   mögen  in  Untersuchungen,  die  den  practischen  Zwe- 
cken des  äussern  Lebens  dienen,  wohl  angebracht  sein;  in  der 
Mythologie,  die  dichterisches  Auffassen  des  dicliterisch  Ge- 
dachten etc.  fordert,  erregen  sie  den  Verdacht  des  Stehen- 
bleibens beim  Aeusserlichen  und  mangelnder  Fähigkeit  zum 
tiefern  Verständniss.'-'  Offenbar  setzt  hier  der  Verf.  das  histo- 
risch-critische  Verfahren  viel  zu  sehr  herab;  ja,  nach  dem  er- 
sten Satze  zu  urtheilen,  sollte  man  glauben,  er  lasse  es  gar 
nicht  dabei  gelten.  Als  ob  nicht  ein  ruhiges,  besonnenes  For- 
schen, unterstützt  und  getragen  von  Phantasie  und  ästhetiscliera 
Geiste,  gerade  am  meisten,  einzig  und  allein  im  Stande  wäre, 
den  Kern  des  Mythus  und  sein  Wesen  zu  ergründen!  —  „Die- 
ses Eingehen  in  die  Individualität  und  die  innerste  Eigenthüm- 
liclikeit  der  einzelnen wird,  namentlich  was  die  griechi- 
sche Mythologie  betrifft,  —  stets  (?)  auf  das  geschichtliche  (?) 
Element  sich  beziehen,  indem  der  Weltgeist  nur  als  Geist  der  Ge- 
schichte, und  alsVolksgeist  die  individuelleGestalt  annahm,  die  al- 
lein in  der  Sagenwelt  ausgedrückt  sein  kann.  Auch  die  Götter  der 
Griechen  in  ihren  besondern  Characteren  und  ihrer  mannigfal- 
tigen Verkettung  halten  wir  daher  für  Ausdrucksweisen  welthi- 
storischer (?)  Ideen. In  engerem,  eigentlichem  Sinne 

aber  für  geschichtlich  gelten  darf  uns  die  Welt  der  Heroen, 
in  deren  Mythologie  die  wahre  und  ächte  Philosophie  der  Ge- 


142  Mythologie: 

schichte,  geschöpft  aus  der  Änschauuuir  der  Urzeit,  doch  ty- 
pisch für  alle  (*?)  Zeiten,  und  eingehüllt  ia  räthselhafte,  doch 
jiiclit  uneutzifferbare  Bilder  enthalten  ist.^'  Alan  kann  zu  solclieii 
Sätzen  nur  lächeln,  um  so  mehr  lächeln,  mit  je  grösserer  Be- 
stimmtheit und  Zuverlässigkeit  sie  vorgetragen  werden,  sie,  die 
schon  im  Kleinen  das  Gepräge  der  Unwalirheit  an  sich  tragen. 
Ist  unter  diesen  Umständen  eine  erfreuliche  Ausbeute  für  die 
Wissenschaft  der  Mythologie  aus  der  Darstellung  zu  erwarten, 
die  uns  Hr.  W.  verspricht'?  Er  glaubt  das  im  Ernst,  und  nicht 
hloss  für  die  Mythologie,  auch  für  die  Geschichte;  denn  er 
sagt  S.  37:  „So  nur  eröffnet  sich  uns  die  Hoffnung,  allmälig 
eine  vollständigere  und  inhaltreichere  Geschichte  des  Alter- 
thums  hervorgehen  zu  sehen ,  als  aus  den  bloss  factischen  Un- 
tersuchungen je  erwachsen  kann."  Hortes,  ihr  Geschichts- 
forscher! —  Eine  neue  Welt  geht  Euch  auf,  von  der  Ihr  bei 
Eurer  Beschränktheit  noch  nichts  geahnet  habt. 

Wir  haben  bis  jetzt  die  einzelnen  aufgestellten  Behaup- 
tungen des  Hrn.  W.,  wo  es  uns  nöthig  schien ,  mit  unsern  Be- 
merkungen begleitet ,  theils  unsern  Lesern ,  theils ,  wenn  er  es 
beherzigen  will,  dem  Verf.  selbst  zu  zeigen,  wo  derselbe  ge- 
fehlt. Es  sollte  uns  freuen,  wenn  sie  daraufhinleiteten,  die 
Mythologie  je  mehr  und  mehr  zur  wahren  Wissenschaft  zu  er- 
heben und  vor  Auswüchsen  zu  bewahren.  Um  uns  nun  bei  un- 
serer Beurtheilung  nicht  zu  weit  auszudehnen,  können  wir  vom 
folgenden  Capitel  über  die  Quellen  nur  den  Hauptinhalt  nach 
den  einzelnen  §§  —  denn  dasselbe  ist  in  §§  eingetheilt  —  an- 
geben mit  ganz  kurzen  Zwischenbemerkungen  und  Beifügung 
von  Fragezeichen  da,  wo  wir  anstiessen. 

S.  39  —  Ende.  Von  den  Quellen  der  griechischen  My- 
thologie. §1.  Die  Älythologie  ist,  als  das  Element  der  Ver- 
mittelung  zwischen  den  historischen  Erkenntnissen  und  der 
Thätigkeit  des  Erkennens ,  die  Quelle  der  Historie.  §  3.  Un- 
terschied zwischen  solchen  Quellen  iiberhaiipt,  aus  denen  wir 
die  Erkenntniss  schöpfen,  und  solchen,  aus  denen  der  Gegen- 
stand dieser  Erkenntniss  selbst  zu  fliessen  scheint  (subjective  — 
objective  Quelle).  Diese  Darstellung  —  man  merke  wohl!  — 
soll  den  Verf.,  seinen  eigenen  Worten  zufolge,  zur  Beglaubi- 
gung dienen  für  diejenigen,  die  etwa  an  seinem  Berufe  zu  der 
Vollführung  des  übernommenen  Geschäftes  zweifeln  möchten. 

A)  Von  den  Quellen  im  objectiven  Sinne.  §  4.  Die  Natur 
der  griechisclien  Sagen.  Sie  kündigen  sich  uns  als  Dichtung 
an;  doch  erscheinen  sie  nicht  als  willkürliches  Spiel ,  sondern 
tragen  das  Gepräge  der  höchsten,  intensivsten  Geistesthäiigkeit 
an  sich.  §  5,  0.  Dieser  Dichtungen  Ursprung  ist  in  der  schöpfe- 
rischen Thätigkeit  der  Poesie  selbst  zu  suchen  ,  doch  mit  Ein- 
schränkung. Anni.  Die  Stelle  des  Herodot  (H,  53)  solle  der 
Tod  aller  äcliten  Mythologie  sein.     Passt  sie  vielleicht  niclit 


Wcissc'a  Darstellung  der  griecli.  Mythologie.  143 

in  das  System  des  Hrn.  Vfs.'?  Weiterhin  (S,  228)  weiss  er 
diess  Urtheil  zu  beschränken.  —  §8.  Der  Geist  der  Sagen- 
poesic  ist  ein  anderer  als  der  Geist  der  Kunstpoesie.  §9.  Je- 
nen griechischen  Mytlien  wolint  ein  Geist  inne,  der  dem  Volke, 
unter  welchem  jene  Dichtung  einst  lebendig  war,  der  Inbegriff 
alles  Göttlichen  ('?)  und  Menschlichen  ('?)  als  der  Geist  des 
Universums  {'i)  galt,  und  der  auch  unsern  Verstand ,  wenn  wir 
ilim  begegnen,  mit  der  Ahndung  eines  tiefen  Geheimnisses  (?) 
erfüllt.  §  10.  Jene  Thätigkeit,  welche  der  Götter-  und  Sagen- 
welt [Hier  trennt  der  Verf.  ein  Mal,  was  er  immer  hätte  tren- 
nen sollen.]  den  Ursprung  gab,  ist  in  der  That  selbst  schon 
eine  göttliche  ('?)  Poesie.  §  11.  Ueber  Kunstpoesie.  Anm.  Ein 
Mythus  ist  kein  Kunstwerk.  — Die  Mythen  haben  in  der  That  (!) 
keine  sterblichen  Urheber,  sondern  müssen  als  die  unmittel- 
bare Manifestation  eben  der  Gottheit  gelten,  von  welcher  sie 
handeln! !  Die  Sage  vom  delischen  Apollo,  wie  er  nach  Delphi 
wandert,  erläutert;  aber  wie'?  Man  liöre:  „Dieser  Gegensatz 
von  Auftauchen  aus  den  Wassern  und  schwankendem,  die  gött- 
liche Bestimmung  suchendem  Umhertreiben^auf  den  Wogen  ei- 
nerseits und  von  unwandelbarem  Feststehen  auf  den  Säulen  des 
Weltalls,  an  dem  Mittelpunct  der  Erde,  wo  die  Mächte  der 
Tiefe  in  geistesschwangeren,  ernsten  Enthusiasmus  gebähren- 
den  Dämpfen  weissagend  emporsteigen,  bezeichnet  uns  [d.h. 
dem  Hrn.  W.]  diese  Gottheit  [Apollo]  als  das  die  Gegensätze  und 
sinnschweren  Widersprüche  liebende,  und  in  ihnen  lebendige 
und  Leben  erzeugende  Wesen,  welches  das  Volk  der  Hellenen, 
unter  dem  es  seine  Heimath  wählte,  zur  organischen  Gliederung 
seiner  Stämme  und  Staatenformen  anregte  und  diese  von  ihm 
geliebten  und  geleiteten  Stämme  einerseits  auf  der  wogenden 
Fluth  des  Völkergedränges  leicht  und  sicher  schwebend  be- 
wahrte, andrerseits  etc.'"''  Die  Leser  mögen  dem  Recens.  er- 
lauben, hier  abzubrechen  ;  er  ist,  des  Ekels  voll,  nicht  im  Stan- 
de, von  diesen  phantastischen  Träumereien  mehr  abzuschrei- 
ben. §  12.  Die  Sage  darf  zwar  doch  von  einer  Seite  für  einEr- 
zeugniss  menschlicher  Thätigkeit  gelten,  allein  nicht  einzelner 
Individuen,  sondern  des  ganzen  Volkes,  unter  welchen  sie  hei- 
misch ist.  §  13.  Die  Mythen  sind  Naturlaute,  die  gegenwärtige 
und  lebendige  Anschauung  wahrhafter  geistiger  ('?)  Wesen- 
heit (?).  §  14.  Die  Geschichte  jener  Sagenbildung  besteht  in 
der  Art  und  Weise,  wie  jene  freie  Geistesthätigkeit  (die  Reli- 
gion im  Menschen)  gegen  den  Druck  der  Sinnlichkeit  anstre- 
bend, sich  Luft  macht  und  zu  einer  jedes  fremdartige  Element 
verschmähenden  Formthätigkeit('?)  sich  abschloss.  §15.  Diese 
Formthätigkeit  (?)  muss  eine  solche  gewesen  sein ,  in  welcher 
das  Ewige  und  Höchste  als  freies  Geschöpf  der  menschlichen 
Geistesthätigkeit  hervorzugehen  scheint.  §  16.  „Näher  und 
immer  näher  kommen  wir  der  Stelle,  welche  wir  zu  suchen  aus- 


144  Mythologie. 

gezognen  sind:  der  Stelle,  wo  jenes  geistiffe  Leben,  das  wir  bis- 
her nur  als  einen  dunkeln  unbestimmt  dahin  und  dorthin  im  Ii- 
«ern  der  GemVithswelt  pulsirenden,   auf  ihrer  Oberfläche  aber 
schnell    verschwindenden   oder    abspringenden   Punct    ahnden 
konnten,  sich  aufschiiesst  und  als  reiche  und  kraftvolle  Quelle 
mächtig  hervorströmt.'''  —   „Poesie  und  Gesang  waren  die  Flü- 
gel, auf  denen  der  Geist,    als  er  die  Hülle   der  Naturnothwen- 
digkeit  abgestreift,   sicli  emporschwang  und  den  Lichtströmen, 
die  aus  dem  Aelher  ihm  entgegenquollen,    jauchzend  zuflog." 
§17.  Eigenschaften  dieser  Urpoesie:    die  Aeusserungen  dieser 
Dichtungen,    durch  die  Begeisterung  dieses  Augenblicks  Jier- 
vorgerufen,  nehmen  einzig  die  Gestalt  an,    die  der  Augenblick 
ausfiillt  und  mit  ihr  verschwindet.     §  18.  Festzustellen  ist  die 
Allgemeinheit  der  Sagenpoesie  unter  den  Völkern,    die  Bildner 
und  Träger  einer  mythischen  Religion  sind,    und   das  Fortbe- 
stelien  dieser  Diclitung  in  fortgesetzter,    das  Gepräge  einer  un- 
willkiilirlich   zwingenden  Nothwendigkeit    tragenden  Gewohn- 
heit.    §  19.  Die  Sagendichtung  eine  heilige  Poesie,   eine  Reli- 
gion von  ('?)  der  Religion,    eine  heilige  Sitte  der  Völker,    die 
nicht  nur  allen  andern  Sitten  (?),  sondern  dem  Princip  der  Sitte 
selbst  (•?)  den  Ursprung  gab.     §20.  Die  Totalität  der  Elemente, 
welche  die  Urpoesie  barg.     §  21.  Verhältniss  der  Mythendich- 
tung zur  eigentlichen  Dichtkunst.     Die  Sagenpoesie  episch,  ly- 
risch und  dramatisch  zugleich.     §  22.  Verhältniss  der  Sagen- 
poesie zur  Tonkunst  und  bildenden  Kunst.     §  23.  Die  Sagenpoe- 
sie, geschichtlich  als  Keim  [*?  War  das  für  die  bildende  Kunst 
niclit  vielmehr  die  Symbolik  '?]  und  Anfang  der  Kunstwelt,    ist 
in  der  Idee  das  Eingehen  derselben  in  eine  höhere,  jenseit  der 
Kunst  selbst  liegende  Einheit  ('?).     §24.  Daraus  folgt,  dass  auf 
ähnliche  Weise,    wie   die  Elemente  der  Kunstvvelt,    auch  das 
Element  der  Speculation  ausdrücklich  in  der  Sagenwelt  enthal- 
ten ist.     Weil  aber  beide  Elemente  (die  Idee  der  Wahrheit  und 
der  Schönheit)  im  Widerspruch  (?)  sind:    so  ist  allein  (?)  die 
vermittelnde  Idee  der   Gottheit  in  der  Sage  die  herrschende. 
§  25.  Die  Sagenpoesie  ist  eine  gleich  sehr  speculative  als  künst- 
lerische   Thätigkeit.       §  20.    Verhältniss    der    künstlerischen 
und  speculativen  Thätigkeit  (wie  Körper  und  Seele,  Form  und 
Gestalt).     §  27.  Die  Sagenpoesie  ist  nicht   bloss  Wissenschaft, 
noch  Kunst ;   sie  ist  zugleich  Religion.     §  28.  Die  Sagenpoesie 
ist,    wenn   nicht  eine  ideale  Verklärung  der   gesaramten  Ge- 
schichte der  Welt,  doch  ein  von  der  Gottheit  selbst  gezeichne- 
ter Umriss  ihres  Gehaltes  und   ihres  Schicksales  (  ! ! ).     §  2!K 
Das  Zeitalter,    in  welchem  die  Sagenpoesie  blühte,    das  heroi- 
sche.    §30.  üebergang  zum  Folgenden.     Nothwendigkeit,  das 
Verliältniss  der  Zeit  der  Sagenentstehung  und  des  Volkes,  wel- 
ches vorzugsweise  ihr  Träger  ist,    zu  vorangehenden  und  nach- 
folgenden Perioden  und  zu  andern  Völkern  der  Weltgeschichte 


Weisse's  Darstellung  der  griech.  Mythologie.  145 

festzustellen.  §31.  Vorheroisches  Zeitalter.  §32.  Das  höch- 
ste (?)  und  letzte  (?)  Resultat  des  Kampfes  zwischen  Geist  und 
Natur  ist  diejenige  Weltanschauung  (?),  die  wir  Symbolik  nen- 
nen. §  33.  Die  Symbolik  ist  die  unmittelbare  Vorläiit'erin  der 
Sagendichtung.  §  J'4.  Ilerocntlium  und  Sagenpoesie  sind  ans- 
schliessendes  ('?)  Attribut  der  Volker  Europa's  ('?).  §  35-  Wie 
die  Sagenp.  die  einzige  und  ausschliessend  ächte  unmittelbare 
(Quelle  der  Mythologie  ist,  so  ist  die  Symbolik  der  morgenlän- 
dischen Völker,  insbesondere  der  Aegypter,  die  wesentliche  ('?) 
und  nothwendige('?)  Quelle  der  griechisciien  Mythologie.  §  3f>. 
Das  Bliithenalter  des  lleroenthums  und  der  Sagendichtung  dauert 
so  lange,  bis  der  Geist,  der  in  beiden  lebt,  eine  objectiveForm 
gefunden  hat,  in  der  er  jenseit  der  genialen  aber  form-  und 
bewusstlosen  Subjectivität  der  Individuen  fortbestehen  kann. 
Staat,  Cultus,  Kunst  sind  diese  negativen  Formeinheiten.  — 
Fiir  Griechenland  bezeichnet  den  Zeitpunct  jener  ümbüdung 
die  Heraclidenwanderung  [*?  Viel  zu  friih!],  eine  Begebenheit, 
deren  eigentlicher  Grund  einzig  (1)  in  dem  von  dem  Geiste  der 
Geschichte  selbst  (?)  entzündeten  Drange,  die  heroischen  Ge- 
schlechter und  Individuen  durcli  gemeinschaftliche  Kriegstha- 
ten  und  durch  Eroberungen  in  objectiv  bestehenden  Staatskör- 
pern zu  vereinigen,  zu  suchen  ist.  [Zu  dieser  aussergeschicht- 
lichen  Idee  des  Ursprungs  des  Heraklidenznges  hat  sich  meines 
Wissens  noch  kein  Historiker  erhoben.  Jeder  verständige  For- 
scher wird  sie  als  nichtig  von  sich  weisen.] 

B)  Von  den  Quellen  im  subjectiven  Sinne. 
§  37.  Quelle  der  griechischen  Mythologie  im  subjectiven 
Sinne  des  Wortes  ist  Alles,  was  aus  dem  Alterthume  von  schrift- 
lichen und  bildlichen  Denkmälern  uns  erhalten  ist.  Der  Ziel- 
punct  dieser  Untersuchung  ist  die  Beantwortung  der  Frage,  ob 
und  auf  welche  Weise  in  diesen  Quellen  die  Thatsachen  nie- 
dergelegt sind  ,  durch  die  wir  eine  vollständige  Kenntniss  der 
Mythologie  und  die  Einsicht  in  ihre  Bedeutung  erwarten  kön- 
nen. §  38.  Literatur  und  Kunst,  inwiefern  sie  Quellen  der 
Mythologie  sind.  §  39.  Drei  Perioden  der  griecliischen  Litera- 
tur und  Kunst:  die  epische,  die  Periode  der  Kunst,  die  Periode 
der  Wissenschaft.  §40.  Die  Gedichte  des  Ilomerus  unter  al- 
len Quellen  der  Mythologie  nicht  nur  die  älteste,  sondern  auch 
die  reichste.  §  41.  Die  cyclischen  Gedichte  vollendeten  (?) 
die  Aufzeichnung  der  mythischen  Thatsachen  in  zusammenhän- 
gender Erzählung.  §  42.  Eigentirümlichkeit  des  zweiten 
Zeitalters  ist  die  Entwickelung  und  Ausbildung  der  Künste  und 
Wissenschaften.  §  43.  Die  lyrische  Poesie  als  Quelle  des  My- 
thus. §  44.  Diejenige  Kunst,  welche  in  ilirem  Bereich  den  ei- 
gentlichen Cyclus  mythischer  Darstellung  unifasst ,  ist  die  bil- 
dende. §45-  Die  dramatische  Poesie,  in  welcher  die  Kunst- 
literstur  der  Griechen  ihren  höchsten  Gipfel  erstieg,    zeigt  uns 

Jahrb.  },  fhil.  u.  l'ädag,  Jahrg.  V.  Heft  t.  J0 


146  Mythologie. 

in  ihren  beiden  Gattungen,  der  Tragödie  und  Komödie,  die 
mythische  Welt  vollkommen  vermählt  mit  der  geschichtlichen 
Wirklichkeit.  §  4(5.  Die  wissenschaftliche  Literatur  dieses 
Zeitraumes,  die  liistorlsclie  und  philosopliische,  so  reich  und 
wichtig  an  sich,  ist  tur  die  Mytliologie  doch  von  geringerer  ('?) 
Bedeutung.  §  47.  Das  dritte  Zeitalter  der  griechischen  Lite- 
ratur (in  welche  nunmehr  auch  die  römische,  als  gewisser  Ma- 
ssen ein  Ganzes  mit  jener  bildend,  eintritt),  ist  seinem  allge- 
meinen Charakter  gemäss,  auch  für  die  Mythologie  ein  Zeital- 
ter des  Sammlens  und  Ordnens  äusserlicher  TJiatsaclien.  Der 
Geist  der  Mythologie  ist  bis  auf  sparsame  Nachziige  der  kVinst- 
lerischen  Schöpfungskraft  und  Darstellung  in  dieser  Periode 
für  gänzlich  erloschen  zu  achten.  — 

Man  sieht  aus  dieser  Uebersicht,  dass  der  Verf.  in  diesen 
§§  Tür  den  Mythologen  sehr  interessante  Dinge  zur  Sprache 
gebracht  hat;  in  den  oft  sehr  ausführlichen  Anmerkungen  wer- 
den sie  noch  weiter  besprochen.  Nur  Schade,  dass  dieselben 
falschen  Ansichten  immer  wieder  zum  Vorschein  kommen,  an- 
dere noch  obendrein,  und  dass  das  Ganze  in  einem  langsamen, 
schwerfälligen,  gedrückten,  dunkeln,  undeutschen  (z.  B,  We- 
senheit, Formthätigkeit),  mitunter  gezierten  Style  vorgetragen 
ist,  der  für  ein  philosophisches  Werk  dieser  Art  ganz  unpassend 
ist,  und  der  das  Lesen  und  Verstehen  des  Buches  gar  sehr  er- 
schwert. Ilaben  wir  also  den  Verf.  hier  und  da  missverstan- 
den, so  hat  er  sich  das  selbst  zuzuschreiben.  Der  Recens., 
welcher  sich  für  den  Fortgang  der  wissenschaftlichen  Begrün- 
dung und  Ausbildung  der  Mythologie,  die  in  vielem  Betracht 
so  angenehm  und  nützlich  ist,  ungemein  interessirt,  würde  dem 
Hrn.  W.  freundschaftlichst  rathen  ,  bevor  er  die  griechischen 
Sagen  nach  seinen  jetzigen  Grundsätzen  zu  deuten  fortführe, 
eben  diese  Grundsätze  einer  nochmaligen  strengen  Prüfung  zu 
unterwerfen  und  dabei  den  Rath  Anderer  nicht  zu  verschmähen, 
besonders  nicht  den  jener  nüchternen  Forscher,  auf  welche 
derselbe  aus  seinen  hohen  Sphären  mit  Hohn  und  Verachtung 
herabschaut.  Da  er  schon  ein  Mal  wegen  seiner  Ansichten 
harten  Tadel  erfahren  hat,  so  würde  er,  sollte  man  glauben, 
um  so  misstrauischer  gegen  sich  werden  und  an  seinem  Systeme 
verbessern,  was  zu  verbessern  ist.  Seine  Absicht,  die  Mytho- 
logie zu  einer  wirklichen  Wissenschaft  zu  erheben  und  bei  der 
Deutung  der  einzelnen  Sagen  auch  das  Speculative  und  Aesthe- 
tische  derselben  gehörig  würdigen  zu  lehren,  erkennen  wir  als 
ganz  vortrefflich  an,  so  wie  wir  auch  unverholen  gestehen, 
dass  wir  seiner  Darstellung  über  die  objectiven  Quellen  der 
Mythologie  manche  einzelne  treffliche  Belehrung  verdanken. 

Heffter. 


Römische    Litterat iir.  147 

Römische    Litteratur. 


M.  Tullii  Cicer Ollis  de  Divinatione  et  de  Fato 
libriy  cum  omniuiu  eruditoruiu  annotatioiiibus ,  quas  loannis 
Daviifii  editio  ultima  habet.  Textiim  dciiiio  ad  fidcm  comphirium 
codd.  msstoram,  edd.  vett.  aliorumque  adjumentoi-uni  recogiiovit, 
Friderici  Creuzeri  et  CaroU  PhiUppi  Kayscri  suasque  animadversio- 
nes  addidit  Georg.  Henr.  Moser,  pliil.  Dr.  et  Gymn.  Ulm.  Rector. 
Francofurti  ad  Moenum,  ssumptibus  et  typis  H.  L.  Broenneri.  1828. 
XXVI  u,  769  S.  8. 

jtl.r,  Prof.  Moser  gab  sich,  im  Verein  mit  dem  Firn.  Geheim. 
Rath  Creuzer,  seit  10  Jahren  um  die  philosophischen  Schrif- 
ten Cicero's  das  nicht  geringe  doppelte  Verdienst,  sie  nicht  bloss 
durch  eine  31enge  handschriftlicher  Collationen  selbst  verbes- 
sert zu  bieten;    sondern  auch  die  Leistungen  seiner  Vorgänger 
concentrirt,     die  stets  schätzbaren  Bemerkungen  von    Daves 
aber  vollständig  wiederzugeben.      Bloss  darin  trat  Aenderung 
in  den  Plan,    dass  bei  de  jNat.  Deor.  selbst  nicht  corrigirt,    die 
handschriftliclien Lesarten  aber  vollständig  aufgeführt  wurden; 
bei  de  Legg.,  de  Kep.  und  in  vorliegender  Ausgabe  eine  förm- 
liche llecension  veranstaltet,    die  Lesarten  in  letzterer   aber 
minder  vollständig  aufgeführt  wurden.     Wahrscheinlich  Hess 
Hr.  Moser  sich  durch  des  zu  früh  vollendeten  Prof.  Bei  er  s 
Vergleich  mit  dem  Erbsenlesen  abschrecken.     Indess  bei   ern- 
sten Dingen  sind  gerade  Witzworte  die  schlechtesten,    weil  sie 
nur  halb  passen,  und  die  zweite  Hälfte  der  Sache  in  ein  gehäs- 
siges Zwielicht  stellen!     Die  Sache  selbst  bleibt  höclist  wich- 
tig und  berücksichtigungswerth ,    da  sogar  in  der  völlig  sinnlo- 
sen Lesart  nur  zu  oft  der  Stoff  zu  Auffindung  des  Wahren  ruht, 
das  sich  dem  Scharfsinn  nicht  selten  erst  dann  enthüllt,   nach- 
dem   eine  Menge  Vorgänger  unbeaclitet  vorübergingen.      Und 
von  wie  vieleuHandscluiften  wollen  wirnoch  das  versteckteWahre 
in  freyer  offen  liegender  Lesart  erwarten  1  Man  achte  nur  darauf, 
was  wir  den  meisten  zeither  benutzten  unmittelbar  verdanken! 
Wie  unbedeutend  sind  im  Ganzen  die  Verbesserungen,  die  aus 
neuen  Vergleichungen  geraden  Weges  gewonnen  werden!  Selbst 
das  doppelte  Dutzend  der  von  Hrn.  Moser  in  beiden  vorliegen- 
den Werken   benutzten    erspart  uns  alle  weitern  Belege.     Nur 
Combination  vermag  noch  Bedeutendes  zu  leisten:    diese   aber 
findet  allein  in   den  Abweichungen  der  Handschriften  ihr  F'eld 
und  ihren  Spielraum.     Auch  fordert  insbesondere  der  Umstand 
auf,    bei  Collationen  getreu  alle  handschriftlichen  Abweichun- 
gen anzugeben ,    dass   bei  neugebrauchten  Vergleichungen  der 
Verdacht  der  üngenauigkeit,  sind  die  Abweichungen  (besonders 

10* 


148  Römische    L  i  1 1  e  r  a  t  u  r. 

Wortstellung  betreffend)  nicht  vollständig  angegeben,  fast  un- 
vernieidlicli  ist;  dieser  Verdacht  aber  niuss  notliwendig  die 
Sicherheit  des  kritischen  Urtheils  selbst  schwächen.  Nicht 
selten  überliefen  uns  niissbehaglicheGefiilile,  wenn,  bei  denWort- 
iimstellungen  unsrer  Handschriften,  wir  die  Moserschen  stumm 
fanden.  Die  geringste  Wortumstellung  ist  beim  kritischen  ür- 
theil  wohl  zu  beachten:  theils  weil  gerade  hierin  die  Abschrei- 
ber am  meisten  sündigen,  theils  weil  zeither  die  Kritik  diesen 
so  wichtigen  Gegenstand  nur  zu  sehr  ausser  Augen  Hess.  Jede 
Textabweichung,  bevor  sie  giündlich  geprüft  ist,  bleibt  wich- 
tig.—  Es  gleicht  überhaupt  derKritiker  dem  Goldwäscher,  der, 
jemehr  er  goldhaltigen  Sand  wäscht,  um  so  sichrer  auf  Aus- 
beute rechnen  darf;  lässt  auch,  im  Vergleich  des  vielen  Geril- 
les,  nur  wenig  Goldstoff  sich  aussondern. 

Nehmen  wir  jetzt  auf  Cicero's  Werk  de  Divinatione  von 
Seiten  der  frühera  Leistungen  Rücksicht,  so  müssen  wir  es  zu 
den  verwaistesten  aller  philosophischen  Schriftwerke  dieses 
grossen  Römers  rechnen.  Denn  seit  Daves,  das  ist,  seit  1730, 
gewann  es  durch  liandschriftliche  Hülfe  wenig.  Ernesti 
bi achte  ihm,  neben  seinem  scharfen  und  richtigen  kritischen 
Uiüicil,  das  jedoch  schon  das  hohe  Alter  abgestumpft  hatte, 
bloss  die  Lesarten  einer  VVolfenbüttler  Handschrift  zu,  welche 
dieser  indess  genauer  benutzte,  als  es  sonst  seine  Art  war. 
Hottinger  nutzte  bloss  die  4  Collationen  der  Oxforder  Aus- 
gabe, die  im  Ganzen  wenig  Ausbeute  liefern.  Gleichwohl  ist 
gerade  dieses  Werk  noch  so  beschaffen,  dass  in  überaus  vielen 
Stellen  sein  Heil  nur  von  guten  Handschriften  zu  erwarten 
steht.  Die  zeither  benutzten  scheinen  alle  Abkömmlinge  eines 
einzigen  spatern  Codex  zu  seyn,  auch  keine  von  ihnen  zu  einem 
bedeuteiitlea  Alter  hinauf  zu  steigen.  Die  Ursache  davon  schrei- 
ben wir  tlieils  dem  Inhalte  des  Werkes  selbst,  das  in  dem  lan- 
gen Zeiträume  superstitiösen  Glaubens,  und  während  der  Herr- 
schaft des  Stoicismus,  nur  für  einzelne  lichte  Köpfe  Interesse 
und  Anziehkraft  haben  konnte:  theils  dem  ausdrücklichen  De- 
crete  des  Kaisers  Antoniuus  Pius  zu,  welches  diese  2  Bücher, 
tcmiquam  religioni  apprime  nosios,  geradezu  zu  lesen  verbot: 
wenn  es  anders  richtig  ist,  was  Minutoli  de  tetnplis  dissert. 
V  versichert. 

MitHrn.  Moser's  Ausgabe  scheint  indess  eine  besonders 
günstige  Zeitperiode  für  dieses  Ciceronische  Werk  zu  beginnen: 
denn  unter  12  Nummern  werden  uns  neu  benutzte  handschrift- 
liche Collationen  geboten;  ausserdem  noch  die  Vergleichiingen 
der  vorzüglichsten  alten  Ausgaben;  wie  sorglicher  Gebrauch 
aller  zeitherigen  Ilülfsmittel  für  Kritik  und  Interpretik:  für  wel- 
ches Alles  überdies  noch  die  bekannte  Genauigkeit  des  Hrn. 
Herausgebers  bürgt.  Ja  es  werden  auch  nocli  unbenutzte  zu 
spät  eingegangene  Collationen  einer  Augsburger  und  Wolfen- 


Ciccr.  de  Divinatlonc  et  de  Fato.   Kdiil.  Moser.  140 

büttelsclien  Handschrift,  wie  von  Auggaben  die  der  Ven  1507, 
der  Jiintinisclien  und  ersten  Lanibiiiischen  nachgetragen.  JNiclit 
weniger  zahireicli  sind  die  für  das  angeführte  Fragment  deFalo 
gebrauchten  Quellen  nnd  FUilfsmiKel,  da,  unter  andern,  eben- 
falls 12  Ilandschrift-Collationen  dafür  genutzt  sind;  ausserdem 
noch  die  Varianten  von  2  Augsburger  riaudschriften  und  des 
Gud.2,  nebst  den  Abweichungen  der  Ven.  1485,  der  Juntine 
und  Lamb.  1  zu  kiinftigem  Gebrauche  (das  Alles  von  pag.  705 — 
753)  angefügt  sind.  Vor  letztern  geht  noch  der  Turnebisclie 
Coiumentar  zu  de  fato  p.  fj57  —  685  nebst  2  Excursen  über  fat. 
YIl,  13  und  über  XII,  28  vorher:  welchen  von  51)9  —  701  Addi- 
tamenta  folgen.  Das  Ganze  schliesst  ein  flelssig  gearbeiteter 
Indexp.  753— 769. 

Sehen  wir  jetzt  auf  den  Gewinn,  welchen  das  Werk  selbst 
aus  diesem  so  stattlichen  Apparate  zog,  so  ist  das  Geleistete 
zwar  alles  Dankes  werth,  allein  der  reine  Ertrag  steht  bei  wei- 
tem unter  der  Erwartung,  welche  eine  solche  Zurustung  noth- 
wendig  erzeugen  rausste.  Die  Ursache  ruht  hfervon  grossen 
Theils  in  der  Unbedeutenheit  der  benutzten  Handschrifteu 
selbst,  unter  welchen  sich  auch  nicht  eine  wirklich  ausgezeichnete 
findet:  doch,  sollen  wir  aufrichtig  die  Wahrheit,  wie  sie  unsr 
die  Pflicht  abfordert,  gestehen,  so  müssen  wir  sie  auch  im 
Herausgeber  mit  suchen.  Reichere  Ausbeute  hätte  allerdings 
für  Kritik,  wie  Interpretik,  aus  dem  alten  Stoffe  und  neueu  Zu- 
wachse gewonnen  werden  können,  wenn  überall  scharfes  ,  vom 
Sprachgebrauche  unterstütztes,  Urtheil  zullathe  gezogen  wor- 
den wäre.  Wir  sind  weit  entfernt,  mehr  zu  behaupten,  als 
mit  unsrer  festen  üeberzeugung  zusammen  stimmt,  zumal  da 
wir  Hrn.  Moser's  unerraüdeten  Eifer  zu  schätzen  wissen :  indes» 
mag  ein  Beleuchten  der  ersten  Capitel  des  Werkes  selbst  zum 
Belege  dienen. 

Cap.  I,  4  wird  in  den  Worten  Magnifica  qtiaedam  res,  si 
modo  est  ulla^  richtig  quuedam^  statt  quidem  ,  für  acht  aner- 
kannt: indess  hätte  est  ^  \ or  ulta^  durch  111  N.  D.  27,  70,  si 
modo  Ulli  sunt,  gestützt  werden  sollen.  Der  Grund  der  Um- 
stellung des  est  spricht  sich  von  selbst  aus.  —  Gleich  darauf 
sind  wir  bei  den  Worten  der  Vulgate,  quaeque  projcime  ad  deo- 
rum  vim  natura  mortalis  possit  accedei e,  noch  nicht  zufrieden 
gestellt.  Die  Lesart  proxima  ist  zu  stehend  in  den  Handschrif- 
ten, dass  wir  nicht  die  Stelle  von  andrer  Seite  für  verdorben 
achten  sollten.  Konnte  nämlich  nicht  Cic.  quaque  pr o.vima 
ad  deorum  vim  via  nat.  m.  p.  ac.  gesehrieben  haben'?  schon 
nach  vim^  weit  eher  noch  vor  natura^  dessen  gewöhnliche  Ab- 
kürzung na  ist,  (daher  dies  Wort  so  oft  mit  vera  und  nam  ver- 
wechselt wird),  konnte  via  leicht  ausfallen,  Ueberdem  ist 
via  pioxinia  ad  im  tropischen  Sinne  in  (Jiccio\s  Geiste.  II  011". 


150  Römische    Litteratiir. 

12,  43:  hanc  viam  ad  laudem  proximam^  et  quasi  compendta- 
riam  dicebat  esse.  Auch  accedere  ad  —  vid  braucht  dieser  II 
Fin.  14,  44.  Endlich  liebt  er  das  Spiel  mit  gleichen  Sylben 
mehr  als  irgend  ein  Schriftsteller,  vgl.  Flacc.  42,  105:  illam 
vitae  viam.,  IX  Divv.  Iß,  10:  videntur  vim  virt litis  teuere.,  Mil, 
11,30:  vi  victa  vis.,  Sext.  41,88:  vi  vim  oblatam  etc.  Eben 
darum  halten  wir  auch  mit  Wunder  bei  Sext.  21,  48  ne  vi- 
deret  victorem  vivus  inimicum,  viviis  {est:  so  wie  dagegen  uns 
Orelli's  gerade  entgegengesetztes  Urtheil  bei  I  Tusc.  30, 
'J3  über  rate  —  ratio  auffällt;  denn  sicher  wählte  dort  Cic.  den 
Ausdruck  ratis  zu  ratio  absiclitlich.  Dass  durch  unsre  Vermu- 
thung  die  Stelle  selbst  gewinnt,  spricht  sich  von  sich  selbst 
aus.  Gewiss  bleibt  es  indess ,  dass  Cic.  auch  anderwärts  ad 
deos proa^ime  accedere  hmuclit:  nur  glauben  wir ,  dass,  sobald 
er  via  schreiben  wollte,  er  desswegen  eben  ad  deorum  vim  und 
niclit  ad  deos  setzte;  gerade  wie  ilin  (das  beherzige  man  wolil), 
in  der  von  Ilrn.  Moser  citirten  Stelle  V  Fin.  15,  43  der  Gedan- 
ke an  das  nächstfolgende  virtus  bewog,  vis  hominis  zu  schrei- 
ben, und  wie  er  gleich  absichtlich  auch  unten  §  3  vi  videretur 
schrieb.  Ausserdem  kommt  vis.,  so  wie  es  in  beiden  Stellen 
gebraucht  ist,  nicht  vor.  Ueber  die  Liebe  Cicero's  zu  gleichen 
Anlauten  selbst  sehe  man  übrigens  die  Stellen,  welclie  jüngst 
Bei  er  zu  Laei.  21,  79  u.  23,  88  aus  fast  unerschöpflicher 
Quelle  sammelte. 

§2  stehen  wir  an,  in  der  Stelle  Geniem  quide7n  nidlam 
Video,  neque  tarn  humanam  atqne  doctam.,  neque  tam  iminanem 
atque  Barbar  am.,  das  statt  des  dritten  tomque  mit  Daves 
wieder  aufgenommene  zweite  atqne  zu  billigen.  Zwar  kehrt 
diese  Partikel  nicht  selten  in  nächster  Stellung  wieder,  I  Orat. 
48,210:  Kpaminondam  atque  Hannibalem  atque  ejus  ge- 
iieris  homines.  vgl.  daselbst  23,  105.  39,180.  Allein,  ausser 
dass  wir  eine  Stelle  bei  ähnlichem  Gegensatze  vermissen,  sehen 
wir  selbst  nicht  ein,  warum  tamque  nicht  eben  so  gut  von  Ci- 
cero's Hand  kommen  könne,  als  das  in  einer  einzigen  Hand- 
schrift und  alten  Ausgabe  gelesene,  von  den  Abschreibern 
(welche  solche  Constructionen  der  Gegensätze  gern  ängstlich 
ausgleichen)  weit  leichter,  und  daher  richtiger  abzuleitende 
atque!  Ja  dies  um  so  mehr,  da  wir  nicht  wissen,  ob  hier  nicht 
Cic.  daran  dachte,  dass  auch  non  barbarae  gentes  zuweilen  so 
liandeln  können,  als  wären  sie  immunes:  dann  wäre  ja  tamque 
ganz  an  seiner  Stelle!  Was  ist  es  endlich  nöthig,  das  dritte 
tamque  zur  Opposition  zu  ziehen  ,  da  diese  das  doppelte  neque 
bestimmt  scheidet?  Zudem  pflegt  überdies  Cic,  zwischen  die- 
sen beiden  Adj.  nicht  atque.,  sondern  in  Hegel  ac  zu  setzen: 
man  sehe,  was  wir  zu  7,  12  bemerken  werden.  —  Nächstdeni 
gehören  die  W^orte  ut  ab  idtimis  auctoritatem  repetam  in  Pa- 
renthese, welche  öfter  nicht  gehörig  beachtet  ist.      So  ist  sie 


Cicer.  de  Divinatione  et  de  Fato.    Edid.  Moi^er.  151 

z.  B.  gleich  iiöthig  zu  dem  kurz  nachher  Folgenden  (non  ex 
artis  —  nominal i).  Ausserdem  wäre  Chaldaei  illi^  doch  min- 
der passend,  zu  rathen.  Doch  §  9  musste  diese  nicht,  wie  wir 
in  einem  vor  24  Jahren  geschriebenen,  und  von  Hrn.  M.  benutz- 
ten Programm  behaupten,  mit  praesensio^  sondern  nach  disseri 
geschlossen  werden.  §  12  musste  ebenfalls  qiiod  faciebat 
etiamPanaetius  parenthesirt  werden,  um  nicht  auch  reqnirens 
auf  diesen  zu  beziehen  u.  s.  w.  —  Ueber  die  trajectiones  und 
motusque  stellaru7n  musste,  kurz  darauf,  fiir  unsere  angenom- 
mene Meinung  noch  angeführt  werden:  dass  Cic.  trajectiones 
fi'ir  cursus  desshalb  setzte,  weil  er  den  Augenblick  des  vor  dem 
im  Zodiacus  befindlichen  Fixstern  vorüberziehenden  Planeten 
damit  zugleich  ausdrücken  wollte.  Er  bediente  sich  desswe- 
gen  des  griechischen  Ausdrucks:  denn  der  Verfasser  der  unter 
Aristoteles  Namen  gehenden  Schrift  ntol  Koö^ov  schreibt  so- 
gar c.  2:  diaTtBQalvBTai  Kvxkov  öskrjvr]  Iv  ^j/vl  xov  Bavrrjg.  Wo 
nahmen  aber  je,  wieHottinger  will,  die  Chaldäerauf  Stern- 
schneuzen, und  andre  electrische  Lufterscheinungen  Rücksicht ! 
—  Doch  warum  wurde  eben  desselben  Conjectur  in  den  kurz 
darauf  folgenden  Worten,  qieibiis  notatis,  quid  quoque  nola- 
retui\  festgehalten*?  da  c^^^yMe,  in  dem  Sinne,  tvas  für  Jeden 
damit  angedeutet  würde ^  so  ganz  in  den  Context  passt?  Denn 
Jedem  wird,  nach  der  Chaldäer  Satzung,  dasselbe  Schicksal 
zu  Theil,  der  in  demselben  Augenblicke  der  Constellation  ge- 
boren wurde.  Eben  darüber  giesst  ja  Cic.  unten  II  Divin.  44 
seinen  vollen  Witz  aus!  Wir  Messen  früher  uns  ebenfalls  zu 
dem  Glauben  verleiten,  als  musste  bei  cuique  ^  significatnm  es- 
set^ stehen:  allein  das  ist  ein  Irrthum  ,  da  quibus  nolatis  für 
quae  qmnn  notata  essent  gilt.  Schützens  Vermuthung  aber, 
die  Stelle  sei  Glossem,  ist  ganz  unhaltbar.  —  Bei  lon^inqui- 
iate  tejuporum^  saecidis  paene  i?mumerabilibus,  ergiebtsich  von 
selbst,  dass  der  zweite  Satz  die  lanß^e  Zeitenfolge  näher.>  nicht 
nach  Jahren,  sondern  nach  Menschenaltern,  bestimmen  soll, 
und  sicher  denkt  Cic,  wie  Roos  bemerkt,  an  die 47 Myriaden 
von  Jahren,  seit  welchen  der  ägyptische  Prahlgeist  das  Alter 
dieser  Kunst  datirte.  §  12  heisst  es  tempore  inimenso,  und  § 
25  sogar  ab  omni  aeternitate  repetita.  —  Wir  übergehen  Un- 
bedeutenderes, um  §  4  bei  den  Worten  eorum  decem  interpre- 
tes  delectos  e  civitate  esse  voluerunt  über  die  Doppellesart  e 
und  ex  unser  Urtheil  anzufügen,  E  Messt  die  Vulgate  seit 
G ruter,  doch  ex  schützen  gute  Codd.,  auch  zwei  der  unsern: 
auch  die  stimmen  dafür,  welche  et  lesen.  Schwer  ist's  be- 
stimmt zu  entscheiden,  welches  von  beiden  hier  stellen  muss. 
Will  Cic.  e  civitate  für  ex  civibus  genommen  wissen,  so  dass  sie 
den  Gegensatz  von  omiiem  hanc  ex  Etruria  scientiam  adhibe- 
bant  (d.  i.  Etrrt.scis  cxercendam  committebaut)  ,  wie  wir  glau- 
ben, bilden,  so  muss  ej^stehn,  weil  dann  das  Gewicht  auf  ci- 


152  Römische    Litteratur. 

vitate  fällt ,  und  nicht  auf  der  Praep.  ruht.  Soll  hingegen  e 
civitate  für  ex  utilitate  civitatis  stelin,  so  kennen  wir  keine 
Stelle,  wo  Cic.  so  statt  e  republica  schriebe;  auch  fiigt  sich 
diesem  Sinne  der  Zusammenhang  minder  bequem.  Wir  ziehen 
daher  ex  vor.  —  Vorher  wurde  noch  zu  den  Worten  uno  fii- 
refile^  altero  somniante  nicht  glücklich  mit  Rath  hoinine  sup- 
piirt;  man  denke  sicli  vielmehr  das  gleich  vorhergehende 
motu  wiedei',  i.  e.  animi  motu  furore ,  somnio  occf/pato,  impli- 
cato.  —  Tiefer  wurde  mit  Recht  das  von  Hottinger  aufge- 
nommene si  quae  festgelialten:  doch  dabei  bemerkt,  dass  si 
qua  lectio  aeque  proba  sei.  Wie  kann  es  das,  nach  bereits  rich- 
tig erkanntem  Unterschiede  der  beiden  Formen!"?  Si  quae  ist 
dasselbe  was  quaecunque :  si  qua  hat  diesen  Sinn  nie.  Hätte 
Cic.  hier  letzteres  setzen  wollen,  so  wi'irde  er  damit  Zweifel 
ausgedrückt  haben,  ob  je  auffallende  Träume  von  Einfluss  auf 
das  Staatsbeste  geachtet  wurden;  sich  also  in  dem  gleich  dar- 
auf angeführten  Beispiele  widersprechen.  —  Bei  dem  Nächst- 
folgenden, Visa  sunt  —  neglecta  sunt,  fällt  uns  auch  jetzt  noch 
das  letztere  sunt  widrig  auf:  das  erstere  würde  zu  si  quae  nur 
Unkunde  streichen:  wie  wenig  nach  Nee  vero  es  nöthig,  lehrt 
unter  andern  I  Off.  8,  25:  Nee  vero  rei  familiaris  amplißcatio^ 
neniini  nocens,  vitiiperanda,  sedfugienda  semper  injuria.  Bei 
unserer  Stelle  kommt  noch  der  widrige  Gleichlaut  des  Ausgangs 
heider  Sätze  in  Anschlag,  welchen  Cic.  sonst  ernstlich  meidet. 
—  Cap.  3,  5  gaben  die  Worte  vetere  Academia  et  Peripateticis 
consentientibus  ohne  ihre  Schuld  Anstoss ;  die  nichts  anders 
sagen  sollen,  als  quum  Peripatetici  cum  vetere  yJcademia  con- 
sentirent^  oder  neque  Peripatetici  dissentirent^  quippe  qui  cum 
Academia^  a  Piatone  Socratico  oriunda^  sentirent.  So  die 
Stelle  gefasst,  darf  sie  nicht  im  geringsten  auffallen:  denn  in 
ihr  herrscht  über  bekannte  Dinge  zusammengedrängter  Begriff. 
Ueberhaupt  jedoch  ist  nicht  zu  läugnen,  dass  die  ganze  Stelle 
eine  Art  geschichtlicher  Verworrenheit  an  sich  trägt,  deren 
Grund  aufgesucht  werden  muss.  Denn  während  Socrates  und 
Zeno,  gleichsam  wie  geschichtliche  Endpuncte,  zusammenge- 
stellt sind,  dann  die  Conformität  des  Peripatos  mit  der  alten 
Academie  versichert  wird,  findet  ein  neuer  Rückblick  auf  Py- 
thagoras  und  Democrit  statt,  um  mit  dem  Allen  Dicäarch  und 
Cratipp  und  besonders  Panätius  zu  contrastiren.  Doch  eben 
diese  Contrastlrung  ist  Cicero's  Hauptaugenmerk,  indem  er  sich 
durch  dieser  Männer  Beispiel  gegen  den  Vorwurf  zu  decken 
sucht,  dass  er  es  wage,  gegen  die  Behauptungen  aller  Philoso- 
phen aufzutreten.  Im  Gesprächtone  vermied  er  aber  absieht- 
lirh  die  historische Reihenlolge,  wie  er  oft  thut.  —  §  0  wurde 
hei  id  nos  ut  in  reliquis  rebus  faciamus  mit  Recht  ul  und  rebus 
festgehalten  :  doch  musste  bemerkt  werden,  dass  Cic.  in  Regel 
■ul  so  dem  zu  marquirendeu  Pronomen  nachstellt,   und  dann  die 


Cicer.  de  Divinatione  et  de  Fato.   Edid.  Moser.  153 

Absclireiber  eben  so  in  Resel  dieses  wi  versetzen,  oder  wej?- 
lassen.  So  wurde  Mii.  28,  HÜ  per  ?ne  ut  unum  nur  erst  neulich 
richtig  umgestellt:  dasselbe  muss  noch  geschehen  I  N.D.  G,  15: 
me  ut  Cotta  vidit.  So  muss  ebenfalls,  durch  Combination  des 
Vat  mit  der  Vulgate,  II  Pliil.  3,  5  eum  tu  ut  occideies,  we- 
gen Nachdruck  des  Zusanimeiihauges,  gelesen  werden  u.s.  w. — 
Zu  Anfang  des  4n  Cap.  wurde  Ktenim  desshalb  nicht  richtig 
gefasst,  weil  die  tiefer  folgenden  Worte  faciendum  videtur,  ut 
nicht  als  Nachsatz,  den  sie  bilden,  genommen  wurden.  Dieses 
mit  leichtem  Gegensatze,  statt  Sed  e/iim^  übergehende  Etenim 
wurde  unten  II,  69,  in.  riclitig  begriffen.  Dass  aber  bei  Cic. 
die  Redeform  facienduniy  ut  eigentlich  dem  Nachsatze  ange- 
hört, beweisen  unter  andern  III  Legg.  20,48:  faclendum  tibi 
est^  ut,  Orat.  38,  111:  sed  est  facienduui^  ut  ^  III  Divv.  ep.  8, 
1:  faciendum  mihi  pulavi^  ut  etc.  Somit  gehört  \ov  faciendum 
ein  Kolon,  und  alle  diese  Beispiele  sind  nach  der  Norm  des  so 
häufigen /c/c,  ut  zu  erklären.  Man  iibersetze  sonach:  Indem 
wir  indess  selbst  untersuchen  wollen^  was  denti  eigefitlich 
über  die  l  orsehungs-Gabe  zu  urtheilen  sei  —  ;  haben  wir  ^  wie 
es  scheint^  so  zu  verfahren^  dass  etc.  —  Kurz  darauf  würden 
wir  in  der  Stelle  libris,  quos  de  natura  deorum  scripsimus,  das 
empfohlene  perscripsinius  kaum  für  Latein  halten.  Denn  so 
Aveiiig  wir  auch  perscribere  ad  aliqiiem  librurn  tadeln,  so 
möchten  wir  docii  nie  einfach  perscribere  librum  gutheissen ; 
dagegen  wohl  conscribere.  Auch  darf  man  nur  deneigentliümli- 
chen  Gebrauch  des  Verbums  z.  B.  bei  Wechseln  und  Obligatio- 
nen kennen,  um  sich  zu  überzeugen,  dass  es  immer  im  überge- 
henden Begriffe  steht.  —  Kurz  darauf  würden  wir  bei  ^;^  eo 
loco  maxime  imwdQV  auf  die  Bedeutung  von  yuaestione,  inateria 
hinweisen,  sondern  es  lieber  in  dem  Fcdle  besonders  übersetzt 
sehen  ;  wie  Tuultis  in  locis  I  Verr.  35,  88.  Selbst  möchten  wir 
jetzt,  auch  ohne  Präposition,  I  Flu.  20,  66  quo  loco  durch  bei 
^reichem  Falle,  welcher  Gelegetiheit^  verstanden  wissen.  — 
Zu  Anfang  des  Cap.  5,  8  war  alias  saepe  zu  schützen,  da  Cic. 
in  Hegel  umgestellt  schreibt.  Hier  hat  nämlich  alias  den  Nach- 
druck durch  den  Gegensatz  von  nuper ,  vgl.  II  Acadd.  3,9:  et 
alias  saepe,  et  quondam.  Doch  unter  unsern  Codd.  kennt  der 
Erlanger  alias  nicht:  auch  wird  wirklich  diese  Partikel  so 
weggelassen  V  Tusc.  8,  22:  et  cum  Jlntiocho  saepe,  et  cum 
Aristo  nuper;  I  N.D.  21,51:  idque  quum  saepe,  tiimpau- 
lo  ante  accidil.  Wir  können  sie  daher  Ili  Olf.  11,  47  nicht 
billigen,  wo  sie  die  meisten  Handschriften  verwerfen:  jiier  in- 
dess steht  sie  wohl  sicher  richtig.  —  hei  Bicilur  quidem  istuc 
scheint  Hr.  Moser  zu  zweifeln,  ob  quidem  richtig  vor  istuc  ste- 
hen könne.  Wohl  stellt  es  so  oft  vor  allen  Pronora.,  Meiin  sed 
ilim  folgt,  und  die  Sache  selbst  oder  die  Zeit  zu  marquiren  ist. 
Bei  vorausgehendem  Verbum ,  wie  hier,  Orat.  25,85:  adhibet 


154  Römische    Litteratur. 

quidem  hie  siibtilis  (orator).  Nun  braucht  zwar  etc.  So 
schrieb  Or  ein  neulich  richtig  mit  dem  Vat.I  Phil.  11  in.:  Irasci 
guidem  vos  mihi.  Man  übersetze  hier:  Es  tvird  allerdings 
diess  von  Cotta  behauptet,  ja  selbst  öfter.  —  Kurz  nachher 
sind  die  Worte  ne  coimmmia  jura  inigrare  videatur,,  nach 
Turnebus  Bes(«erung,  sicher  richtig:  denn  cofnmuni jure  ini~ 
grare  ist  kein  Latein.  Wie  kann  aber  domo  —  7nigrarat  zum 
Belege  dienen,  dass  dieses  Verb,  mit  dem  einfachen  Abi.  rich- 
tig stehe'?!  —  Zu  Ende  des  Cap.  können  wir  das  bestrittene 
Vera  auf  keine  Weise  dulden.  Wir  setzen  für's  vollständige 
Urtheil  die  volle  Stelle  her:  JEgo  enim  sie  existimo^  si  sint  ea 
gener a  divinandi  vera.,  de  quibus  accepimus ,  quaeque  coli- 
vius,  esse  deos;  si  dii  sint,  esse  qui  divinent.  Wer  Cic. 
kennt,  muss  glauben,  dass,  schrieb  er  rer«,  er  auch  in  diesem 
scharf  folgernden  Gegensatze  si  vere  dii  sint  geschrieben  haben 
würde.  Man  vergleiche  §  12:  Si  enim  est  verum  —  illud 
quoque  verum  est.  Er  wollte  aber,  und  konnte  jenes  hier 
nicht  setzen.  Er  wollte  es  nicht,  weil  er  sint  vorsetzte,  und 
diesem  dadurch  die  Asseveration  schon  selbst  beilegte:  er 
konnte  es  nicht  setzen,  theils  schon  wegen  der  scharfen  Oppo- 
sition, theils  weil  es  divinandi  das  nöthige  Gewicht  raubt,  und 
dem  strengen  Folgerungs-Schlusse  etwas  ganz  unnöthig  Schlep- 
pendes giebt.  Oben  §  5  herrscht  ein  ganz  andres  \  erhältniss, 
ob  es  gleich  auch  dort  Verdacht  erwecken  kann:  denn  da  lässt 
sich  die  Stelle  übersetzen:  Warum  es  wirklich  eine  wahrhafte 
Vorhersehungsgabe  gebe.  Auch  vermag  keine  der  übrigen 
Stellen  es  in  der  verhandelten  zu  schützen.  —  Cap.  6,  10  bil- 
den die  Worte  Qtiortun  neutrnm  den  Nachsatz,  da  die  von  si 
quidem  abhängigen  Zwischensätze  zur  halben  Parenthese  ge- 
hören; sie  durften  also  nicht  durch  einen  VoUpunct  geschieden 
werden.  Quorum  steht  nämlich  für  Sedeorum,  undcorrespon- 
dirt  mit  dem  vorhergehenden  qtiidem.  Eben  so  war  kurz  nach- 
her Aamquum  antiq.  als  Nachsatz  zu  behandeln;  wie  nur  zu 
oft  falsch  nam,  wo  es  reine  Nachsatz-Partikel  ist,  widerrecht- 
licli  das  Vollsatzrecht  sich  anmasst.  Hier  ist  es  noch  dazu  el- 
liptisch, statt  nam  ?io?i  est^  cur  praeter  ceteras  sentiam.,  ge- 
setzt. Tiefer  bemerkt  Hr.  Moser  zu  quod  huic  sermoni  prae- 
vertendum  putes:  Hoc  sensu,  ut  sit  i.  q.  praeferre,  verbo  prae- 
vertendi  non  usus  est  Cicero.  Warum  nicht'?  vgl.  II  Phil.  35, 
88 :  Sed  incidi  in  tempus  ,  quod  iis  rebus ,  in  quas  ingressa 
est  oratio,  pr aevertendum  est.  —  Doch  wir  wollen  etwas 
weitere  Schritte  machen  ,  und  minder  Bedeutendes  übergehen. 
—  §  12  wird  zu  den  Worten  aut  extispicuni,  aut  monstra,  aut 
fulgura  interpretantium  bemerkt:  movit  me  potissimum  Goe- 
reiizii  non  auctoritas,  sed  accurata  disputatio:  es  wurde  näm- 
lich auf  dieses  Empfehlung  extispicum,  statt  extis  pecudum 
aufgenommen.     Was  will  iudess  Hr.  Moser   durch  auctoritas 


Cicer.  de  DIvInatione  et  de  Fato.     Edid.  Moser.  155 

hier  sagen?  kennt  er  bei  Gelehrten  eine  andere,  als  die  sich 
jedesmal  auf  gründliche  Ansicht  der  Sache  stützt'?!  Görenz 
ist  iiidess  hier  gerade  mit  sich  am  wenigsten  zufrieden.  So 
richtiges  auch  bleibt,  dass  extis pecudum  tadelswürdig  ist,  so 
niusste  doch  der  wahre  Grund,  so  nahe  er  auch  liegt,  davon 
angegeben  werden.  Dieser  ist,  dass  so  hier  pecudum  vöUig 
müssig  stehen  würde;  wie  es  auch,  zu  exi«  gesetzt,  ohne  Bei- 
spiel ist.  Der  Beisatz  pecudum  liCmniQ  nur  dann  gelten,  wenn 
sich  hier  eine  Distinction  denken  liesse:  etwa  mit  Rückblick 
auf  Vatin.  6,  14:  non  puerorum  extis'i  doch  das  würde  fade 
seyn.  Dass  diesen  Grund  FIr.  M.  nicht  fasste,  ergiebt  sich  aus 
der  Billigung  des  Schiit  zis  eben  Aushülfmittels,  der  mit  ha- 
i'uspictim^  exta  pecudum  auf  eigene  Hand  schrieb;  wenngleich 
der  Einsatz  für  zu  kühn  erklärt  wird.  Exlispicum  ist  sicher 
richtig;  will  man  anders  nicht  exta  allein  lesen,  so  dass  pecu- 
dum für  Glosse  gälte;  (denn  auch  darin  hat  Görenz  nicht 
Recht,  dass  exta  iiiterpretari  nicht  vorkomme;  es  steht  wirk- 
licli  so  unten  II,  12,  28:  Alios  enim  alt'o  more  videmus  exta 
iiiterpretari:^  aber  auch  exta  kennt  keine  Handschrift. 
Ausserdem  hätte  aber  derselbe  auch  noch  Anderes  berücksich- 
tigen müssen.  Denn  man  beachte  die  Stelle  genauer,  mit  ex- 
tispicumj  aut  monstra,  aut  fulgura  interpretaiitium,  um  sich  zu 
fragen,  ob  es  3  Arten  von  Haruspizen  gab ,  da  doch  das  ganze 
Alterthum  ihrer  nur  zwei  kennt :  nämlich  die  gemeinen,  welche 
alltäglich  zu  Rom  die  Opfer  besorgten,  deren  bekanntlich  eine 
bestimmte  Zahl  war,  die,  unter  des  summus  aruspex  Aufsicht, 
einen  besondern  Verein  (nicht  coUegium)  bildeten  (denn  wer 
darf  glauben,  dass  die  Menge  Haruspizen  zu  Rom  ohne  Auf- 
sicht und  besondere  Behörden  waren'?  vielmehr  lässt  sich  so 
etwas  schon  von  selbst  denken ;  dies  bemerken  wir  nur  vorü- 
bergehend, wegen  I,  41  pag.  303.  Summus  aruspex  denke  man 
sich  aber,  wie  summus  decurio  in  den  Municipien);  und  dann 
die  nur  für  ausserordentliche  Fälle  aus  Etrurien  dahin  Berufe- 
nen aus  dem  Range  der  Lucumonen.  Letztre  besorgten  alles 
auf  Prodigien  Bezug  habende,  durch  consularische  Edicte  auf 
Senatsbeschluss  dazu  aufgefordert.  So  viel  lässt  sich  als  be- 
kannt vorausstellen;  Anderes,  die  neuesten  Untersuchungen 
hierüber  Berichtigende  und  Ergänzende,  würde  zu  weit  auslau- 
fen. Genug,  hier  wird  unter  extispices  die  erstere  Art  von  Aruspi- 
cen,  die  andere  unter  mojistra  interpretaiitium  verstanden.  Ist 
nun  das  dritte  aut  acht,  so  muss  es  nothwendig  auch  noch  eine 
besondere  dritte  Art  gegeben  haben,  die  bloss  die  Wirkungen 
des  Blitzstrahls  berücksichtigten ;  wovon  sich  jedoch  nirgends 
auch  nicht  di^  geringste  Spur  zeigt.  Vielmehr  berücksichtig- 
ten dieselben  Aruspicen  aus  den  Lucumonen  beides,  d.i.  alle 
übrige,  für  damalige  Zeit  wunderhafte  Ereignisse,  nebst  den 
verschiedenartigen  Aeusserungen  des  Blitzes,  gleichmässig,  da- 


156  Römische     LItteratur. 

her  auch  in  eigens  hielier  geliöriger  Stelle  unten  II,  11,  26: 
estispicmn,  eorumque  qui  ex  fulgurihus  osteiitisqiie  (nicht  t"e) 
praedicerent^  gesagt  wird.  Es  bleibt  daher  nichts  übrig,  als 
atit  in  ac  umzuwandeln:  wie  denn  nicht  selten  beide  Partikeln 
vertauscht  werden,  vgl.  III  Verr.  9,  28;  I  Orat.  5,  18.  Dagegen 
hüte  man  sich ,  fulgtira  etwa  mit  dem  folgenden  migurum  in 
Verbindung  zu  bringen;  denn  diese  kümmerten  sich  nur  um 
fulgora;  von  denen  dieses  Wort  bekanntlich  \on  fulgere,  jenes 
ahev  \on  fulge re ^  das  nur  auf  den  Blitzstrahl  bezogen  werden 
darf,  abzuleiten  ist.  —  C.  7  musste  statt  et  sigiiificationis 
eventii  anitnadversa  et  notata  die  frühere  Lesart  et  in  sig?iiß- 
catione  eventus  zurückgerufen  werden:  denn  der  Sinn  ist:  cum 
sigitificaret  eveJitus,  haec  signa  iia  evenire  soler e  ^  und^  wäh- 
rend der  Erfolg  die  Andeiitun»;  bestätigte,  beachtet  tind  aufge- 
merkt. Wenn  aucli  mehrere  Handschriften  ^/^  nicht  haben,  so 
fiel  es  ja  so  oft  im  Begriffe  des  vmhrend  aus,  dass  diess  nicht 
in  Anschlag  kommen  darf;  genug,  dass  es  die  bessern  alle  an- 
erkennen. Dann  rauss  auch  wahrscheinlich,  wie  wir  schon  oben 
zu  §  2  andeuteten,  ac  notata  iür  et  mit  einem  Cod.  von  uns  und 
mit  Nizolius  gelesen  werden,  statt  dass  unser  Erl,  atque  beut: 
denn  so,  und  nicht  anders,  schreibt  Cic.  bei  Verbindung  dieser 
beiden  Verba.  ISicht  bloss  nämlich  in  der  von  Hrn.  Moser  ci- 
tirten  Stelle  33,72:  eventis  animadversa  ac  notata.,  sondern 
auch  I,  14,  25:  aniinadvertendo  ac  tiotando;  18,34:  obser- 
vatis  ac  7iotatis  signis;  I  Orat.  29,  109:  animadversa  ac  no- 
tata. Wenn  aber  in  erst  angeführter  Stelle  dennoch  aus  dem 
Gruude  et  geschrieben  wurde,  cum  ac  post  vocabulura  in  a  de- 
sinens  male  sonat;  so  lässt  sich  das  Cicero  gar  oft  zu  Schulden 
kommen  !  vgl,  II  Verr.  §  4. 46.  94. 160. 187.  —  (ausser  den  schon 
angeführten  Stellen).  —  Die  näclistfolgende  Stelle  ?iihil  est 
autem  —  possit  klärt  sich  von  selbst  durch  richtige  Ueberse- 
tzung  auf:  JSichls  giebt  es  aber ^  tvas  eine  lange  Zeilenfolge, 
aufgefasst  durch'' s  Gedächt niss .,  verbreitet  durch  schriftliche 
Denkmäler,  nicht  zu  bewirken  u?id  sich  afizueigJien  vermöchte. 
—  Doch  wir  gehen  zu  einer  Stelle  über,  die  ebenso  viele  als 
verschiedene  3Ieinungen  erzeugt  hat,  und  erlauben  uns,  die 
unsere  ausführlich  beizufügen.  C.  9,  15  wurde  geschrieben 
Quis  est,  qui,  ra?nmculos  hoc  videre ,  suspicari  possit  ?  Ssd 
inest  mira  vis  in  ranunculis.,  et  natura  quaedam  significans  ali- 
quid etc.  Betrachten  wir  zuerst  die  Lesarten,  als  den  eigentli- 
chen ürtheilsstoff,  so  scheinen  die  meisten  Handschriften  mire 
vis  et  ranunculis  natura.,  mit  ihnen  zwei  der  unsrigen,  zu  bie- 
ten. Zu  diesen  gehört  der  Eliens.,  der  eliam  bessert:  in  re  vis 
hateben  daher  seinen  Ursprung.  Einzelne  lesen  noch  in  renis  et, 
mit  einer  von  uns,  woraus  wahrscheinlich  in  rivis  entstanden, 
welchem  die  Vulgate  folgt.  Ausserdem  beut  noch  einer  der 
unsern  in  granis  et  ramunculis.,   wo  sichtbar  das  letztere  Wort 


Circr.  de  Dxvlnatione  et  de  Fato.     Edid.  Moser.  157 

dem  erstereil  angcpasst  ist.  Endlich  versichert  Vossius,  es 
finde  sich  auch  in  Ilandschr.  gerinis.  Sielit  man  diese  Masse 
von  Lesarten  und  ihre  Abweicliungen  unter  sich,  so  ist  höchst 
walirscheiuiicli,  dass  ein  den  Abschreibern  unbekanntes  Wort 
sie  bewirkte.  Wer  sollte  aber  in  der  Lesart  gerinis  niclit  das 
iirspriingliche ,  von  Aratus  in  iibersetzter  Stelle  gebrauchte 
yvQLvoig  vermuthen*?  das  durch  in  gra/tis^  in  renis  unterstiitzt 
wird,  und  zu  dem  sich  überdies  Cic,  den  Weg  in  voraus  durch 
das  vorhergehende  Deminutiv  ranunculis  gebahnt  zu  liabeii 
scheint!  Auch  liegt  das  7nire  vis  nicht  weit  davon  ab,  da  gar 
oft  vis  die  Sylbe  nis ^  und  gegenseits,  verschlang:  wie  denn 
aucli  aus  diesen  Abweichungen  das  zu  inest  richtig  als  noth- 
wendig  erkannte  in  gewonnen  wird.  Dagegen  ist  das  folgende 
ramincidis  höchst  wahrscheinlich  willkiihrlich  eingestellte 
Glosse  von  jenem,  dem  auch  Plin  IX  IL  N.  54  das  lateinische 
Bürgerrecht  zuerkennt.  Man  nelime  sie  weg,  und  lese  nun: 
Sed  inest  in  gyrinis  vis  et  natura  quaedam.  So  bietet  sich 
überdies  die  bei  Cic.  so  geläufige  Wortverbindung  vis  et  natura 
von  selbst  dar,  vgl.  §12:  Est  enim  vis  et  natura  quaedam. 
Jetzt  sehe  man  noch  die  am  meisten  in  sich  haltbaren  Conje- 
cturen,  unter  welchen  wir  ravis  etiam  in  ran.  und  die  von  Hrn. 
31.  in  den  Text  genommene  mira  vis  herausheben.  Erstere 
jedoch,  welcher  wir  früher  beipflichteten,  hat  zu  poetischen 
Anstrich:  auch  wird  ravus^  wo  es  vorkommt,  anders  verdorben  ; 
etiam  aber  ist  sicher  von  Nachhülfe.  Mira  vis  würde  uns  dann 
eher  behagen,  wenn  das  tief  unten  stehende  quaedam  dazwi- 
schen stände:  ob  wir  gleich  auch  so  nicht  begreifen  würden, 
wie  grade  diese  Worte  solchen  Wirrwarr  hätten  veranlassen 
können. 

Noch  fügen  wir  einige  flüchtige  Bemerkungen  bei.  §  27 
raussteA^ecesse  est  enini  umgestellt  werden ;  denn  anders  schreibt 
Cic.  nicht.  §31  war  oimies  ad  unum  festzuhalten,  was  das 
deutsche  -.^/Ze  mit  einander  bezeichnet,  vgl.  Lael.  25, 86  :  07nnes 
ad  unum  id  sentimus ;  Xil  Divv.  ep.  14,  4:  onerariae  omnes  ad 
unam  a  nubis  sunt  exceptae.  §  55  hätte,  hei  pedibus  suis  salvum 
reveriisse ^  salvum  eben  so  als  domum  gestrichen  werden  sol- 
len. Auch  ist  wahrscheinlich  das  nächstfolgende  inemoriae 
proditnm  est  Glossem.  §59  ist  se  vor  tarnen  silentium  fieri  jus- 
sisse,  eben  so  wie  te  zu  streichen,  da  es  das  Gewicht  von  tarnen 
raubt.  Dagegen  war  bei  tu  te  tua  patria^  tua  festzuhalten,  nur 
musste  tnte  in  einem  Worte  geschrieben  werden  Sext.  14,32: 
quos  legatus^^—  tute  tibi  legasti;  II  Phil.  40,  103:  tute  te  in- 
irospiee^  wie  richtig  Priscian  liest,-  Caecil.8,  27:  sed  tute  tut 
periculum  fecisii.  §  GO  ist  sicher  siupefacta  zu  lesen;  denn 
Cic.  wollte  unstreitig  das  Platonische  (.il-&i]g  mit  ausdrücken. 
Kurz  darauf  muss  vor  niultaque  ein  Colon  stehen;  denn  quo 
drückt  die  Platoaischen  W  orte  xccl  ivl  Aoya  aus.      Dass  ferner 


158  Bomieche     Litteratur. 

§64Görenz,  der  etiam  zu  Divinare  autem  morientes  zieht, 
nicht  widerlegt  ist,  besagt  die  riclitigeUebersetzutig  derStelle: 
dass  aber  wirklich  auch  Sterbende  die  Zukunft  vorhersehn. 
Denn  so  werden  ja  die  Worte:  nam  et  id  ipsum  vide7it  —  in- 
Stare  mortem^  richtig  durch  angefiihrtes  Beispiel  bestätigt. 
In  demselben  §  durfte  ferner  deinde  vor  deinccps  nicht  gestri- 
chen werden.  Es  steht  mit  gleichem  Rechte,  als  I  Invent.  28, 
43:  deinde jiostremo ,  und  II  Herenn.  2,  in. :  deinde  ad  extre- 
mum^  und  unser  sodann  sofort  entspricht  ihm.  Wird  ja  oft 
auch  deinde  postea  verbunden,  IV  Tusc  1,2,  Mil.  24,  05: 
und  schreibt  nicht  auch  sonst  Cic.  öfter  so  wie  hier:  III  Legg. 
2,  4-  11),  43.  Eben  so  wenig  war  §  72  subito  ex  tempore,  das 
mit  £v9^vg  nagaxQrj^a  gleiche  Rechte  hat,  und  durch  Caecil. 
17,57:  repente  e  vestigio^  gestützt  wird,  verdäclitig  zu  machen. 
^  IZ  sind  flore?itissima  Samniliiim  castra  sicher  ein  Ver- 
griff: denn  Aas  fortissima  steht  iiir  fortissime  defensa.  Auch 
möchten  wir  §77  bei  tribus  his  horis^  das  lebendig  die  Zeit- 
kürze während  so  grossen  Verlustes  bezeichnende  his  nicht 
missen,  das  überdies  gewöhnlich  die  Zeit  scharf  marquirend 
steht.  I  Orat.  37,  168:  his  paucis  diebus ,  II  Phil.  1,  in.:  his 
annis  viginti.  Die  Worte  am  Ende  des  §,  atque  in  anines  mare 
influxerit^  welche  unser  Erl.  nicht  kennt,  haben  völlig  das  An- 
sehn eines  erläuternden  Glossems.  §  79  sollte  tiim  terrae  ca~ 
vernis  includutit^  tum  geschrieben  werden,  da  unser  bald  — 
bald  hier  gilt.  §  80  wird  richtig  bemerkt,  dass  eigentlich  lim 
in  animis  inesse  divinam  geschrieben  werden  müsse:  doch 
eben  hieraus  ergiebt  sich  auch,  dass  die  Praep.  an  sich  selbst 
hiernnnützist.  §87wirdmit  Ho ttinger  ohnealleNoth  Quid 
vero  ?  interpungirt,  da  quam  quod  für  quam  quod  ad  id  attinet, 
quod^  steht. 

Doch  wir  übergehen  so  Vieles  zu  Bemerkende  und  der 
Verrauthung  sich  mehrseitig  Darbietende,  um  mit  der  viel  ver- 
handelten Stelle  41,  92,  senatus  —  decrevit^  ut  de  principum 
ßliis  sex  singulis  Etruriae  populis  in  disciplinajn  traderentur, 
zu  schliessen,  und  zugleich  über  unsre  veränderte  Ansicht  der- 
selben Einiges  anzufügen.  Uns  macht  das  Zahlwort  sex  sich 
sehr  verdächtig.  Schon  der  Umstand,  dass,  wie  bereits  An- 
dere richtig  bemerkten,  Cic.  sicher  seni  geschrieben  haben 
würde;  dann  die  harte  Ellipse  der  ausgelassnen  Praep.  ex,  und 
der  Doppelsinn,  wenn  man  si7ig.  JÜr.  populis  für  den  Dat. 
nimmt,  indem  dadurch  jedes  Etrurische  Volk  seine  eigne  disci- 
plina  artis  erhält,  lässt  hier  Unrichtiges  vermuthen.  Nimmt 
man  noch  hinzu,  dass  gerade  das  Zahlwort  in  der  sicher  aus 
Cicero's  Stelle  geflossnen  des  Val.  Max.  I,  1  ein  ganz  anderes 
ist,  und  an  ganz  andrer  Stelle  steht:  sollte  man  da  nicht  zu  der 
Vermuthung  sich  berechtigt  fühlen,  dass  der  Glaube  an  die 
Nothweudigkeit  eines  solchen  Zahlworts  bei  Cic.  aus  eor,  seXy 


Cicer.  de  Oivinatione  et  de  Fato.     Edid.  Moser.  159 

bei  Val.  Max.  aus  de,  decem  gesclialfen  habe  1  Diese  Verrau- 
thun^  wächst  au  innerem  Gehalte,  wenn  man  diesse  Zahlen  selbst 
betrachtet.  Wozu  eine  so  grosse  Zahl  junger  Luciimonen  Sohne 
dieser  Dlsciplin  gewidmet'?  Und  wie'?  sollte  dieselbe  Anzahl 
jährlicli  statt  haben,  oder  nur  einmal  für  immer'?  Im  letztem 
Falle  bliebe  ja  die  Zukunft  uiiberiicksichtigt;  im  erstem  waren 
die  Luciimonen  in  Etruriens  Völkerschaften  eben  nicht  so  zahl- 
reich, um  ein  so  bedeutendes  Seminar  stets  mit  Soli  neu  zu  lul- 
len. Gesetzt  dies  war  auch  der  Fall,  wozu  denn  die  so  grosse 
Zahl,  da  wahrscheinlish  immer  nur  ein  dergl.  Aruspex  aus  je- 
der Völkerschaft  nach  Rom  ad  prodigia  interpretanda  gefor- 
dert wurde.  Ueberhaupt  endlich  wozu  war  es  nöthig,  jedem 
Volke  Etruriens  eine  bestimmte  Zahl  dieser  Wissenschaft  sich 
widmender  Jünglinge  abzufordern,  da  die  Verordnung  genügte, 
dass  jedes  etrurische  Volk  diese  Disciplin  unter  seinen  Grossea 
festhalten,  und  sie  nicht  bloss  den  niedern  Classen  eigen  wer- 
den lassen  solle.  Kommen  wir  mit  diesen  Vorbemerkungen  zu 
der  Ciceronischen  Stelle  selbst,  so  scheint  sich  durch  die  V^er- 
änderung  des  ses  in  ex  Alles  auf  das  natürlichste  zu  fügen. 
Zu  de  principum  filiis  denke  man  sich  vermöge  des  liäufig 
partitiven  Sinnes  der  Präp.  de,  certi  quidam  ,  qui  vellent  et 
quos  vellent,  so  dass  quidam  als  ausgelassen  zuzudenken,  und, 
im  Geiste  der  Verordnung  auf  immer,  supplire  man  semper 
und  fasse  den  Sinn  des  Ganzen  so  auf:  Es  sollten  von  den 
Söhnen  der  Grossen  aus  allen  den  einzelnen  Völkerschaften 
Etruriens  sich  (jederzeit)  tvelche  der  Erlernung  der  Haru- 
spicen  widmen,  damit  eine  so  tvichtige  IVissenschaft  nichts 
wegen  des  niedrigen  Ranges  der  sie  Ausübenden,  ihr  reli- 
giöses Ansehen  verlieren,  und  %u  niederem  Lohne  und  Ge- 
winne gemissbraucht  iverden  möchte.  Hält  man  noch  diese 
Worte  für  Decretsworte  selbst,  wie  sie  ganz  das  Ansehen  ha- 
ben, dann  genügen  sie  uns  wenigstens  so  völlig,  das  wir  ihnen 
das  Zahlwort  nicht  beigefügt  wissen  möchten. 

Doch  genug  als  Probe  über  den  Anfang  des  Ciceronischen 
Werks,  wo  noch  das  Gören  zische  Programm  das  Urtheil 
oft  regelte.  Ueber  das  Fragment  de  fato  fügen  wir  nichts  wei- 
ter hinzu,  als  dass  der  Streit,  ob  diese  Schrift  vollständig  1 
oder  2 Bücher  enthielt,  durch  den  Zutritt  zur  Schützischen 
Meinung  abgethan  wird,  welche  dahin  entscheidet,  dass 
sich  hierüber  nichts  Sichres  bestimmen  lasse.  Wollten  gleich 
auch  wir  dieser  Meinung  beitreten,  musste  dann  aber  nicht  in 
der  üeberschrift  über  singularis  wegfallen?  denn  so  tritt  ja 
Hr.  M.  in  ähnlichen  Widerspruch,  als  wie  er  Küh  n  er'  n  Schuld 
giebt !  Zudem  keimen  wir  auch  nicht  eine  Handschrift ,  durch 
deren  Autorität  sich  etwa  dieser  Zusatz  schützen  liesse.  Indess 
liess  sich  der  Entscheidung  dieser  nicht  unwichtigen  Frage  weit 
näher  treten ,   wenn  mau  die  Oecouomie  dieser  Ciceronischeii 


160  Römische    Litteratur. 

Schrift  selbst,  und  die  Art  der  Behandlung  des  zu  erörternden 
Stoffes  hätte  schärfer  ins  Auge  fassen  wollen.  Ohne  hierüber 
mit  sich  einverstanden  zu  seyn  ,  lässt  sich  gar  kein  deutlicher 
Begriü' über  die  von  ilir  vorhandnen  üeberreste  bilden.  Denn 
wie  soll  man  es  sich  denken,  dass  Cicero  die  von  den  Stoikern 
als  Belege  angefiihrten  Beispiele,  bei  einem  Hirtius,  welcher 
sicher  kaum  oberflächliclie  Notiz  von  solclien  pbilosophischen 
Untersuchungen  genommen,  als  bekannt  liabe  voraussetzen  sol- 
len, und  können;  so  dass  selbst  die  entferntesten  Ilinweisungen 
darauf,  die  uns  darüber  völlig  im  Ungewissen  lassen,  diesem 
sich  zu  klaren  Bevvusstseyn  in  die  Seele  hätten  zurückrufen 
lassen*?!  Es  mnss  daher  unserm  Fragmente  eine  besondere 
Entwickelung  des  Stoischen  Fatnms,  mit  genauer  Vorlegung 
der  in  der  Widerlegung  so  kurz  abgefertigten  Belege,  vorausge- 
gangen seyn:  wie  ja  auch  Cic.  in  allen  seinen  Philosophicis  ge- 
wohnt ist,  die  zu  widerlegende  Meinung  ausführlich  mit  allen 
Beweisen  und  Belegen  vorauszuschicken.  Dies  lässt  er  in  Ke- 
gel durch  Andre  verhandeln:  docli  hierzu  schien  ihm  Hirtius 
nicht  eben  die  passende  Person  zu  seyn;  ausserdem  würde 
auch  dies  Werk  natürlich  in  2  Bücher  zerfallen.  Daher  glau- 
ben wir  vielmehr,  dass  dies  hier  Cic.  selbst  that:  denn  er  lässt 
es  sich,  wie  es  scheint,  vom  Hirtius  selbst  abfordern  §  4:  Ita 
aiidiam  te  dispulantem ,  ut  ea  lego ,  quae  scripsisti.  Dahin 
deuten  wir  auch  die§l  über  sein  Untersuchungs- Verfahren 
gemachte  Bemerkung,  dass  er  die  bei  de  Nat.  Deor,  und  de 
Divin.  gebrauchte  Weise  habe  aufgeben  müssen:  denn  in  diesen 
nächst  vorher  geschriebenen  Werken  ist  ja  jene  Methode  streng 
befolgt,  gleichwie  in  de  Finn.  und  in  den  Academicis.  Eben 
darum  lässt  er  sich  auch  von  Hirtius  auf  die  in  den  Tusculanen 
befolgte  eigenthümliche  Untersuchungs-Methode  der  Academi- 
ker  hinweisen,  in  welchen  er  in  utrainque  partein  ipse  dispu- 
tarat,  was  §  4  nur  mit  andern  Worten  ausführlicher  gesagt  ist, 
und  was  eigentlich  durch  die  Griechische  öxokrj  bezeichnet 
wird.  Was  daher  vom  3n  Cap.  an  folgt,  gehört  sicher,  da  es 
zur  Widerlegung  des  Stoischen  Fatums  dient,  zum  2n  Abschnitt 
der  Verhandlung.  Dass  Cicero  für  den  ersten  Abschnitt  gröss- 
tentheils  dem  Chrysippus  folgte,  deutet  er  nicht  dunkel  selbst 
§7  an,  wo  er  nach  Widerlegung  einiger  vom  Posidonius  ge- 
brauchter Beispiele,  ad  Chrysippi  luqueos  revertamnr  anfiigt. 
Dass  aber  nicht  Hirtius  die  Stoische  Meinung  als  Verfechter 
vorgetragen  haben  kann,  beweisen  die  bloss  Griechischen  Bei- 
spiele: denn  hätte  er  die  Gegenmeiniing  ausführlich  verhan- 
deln lassen,  so  würde  er  dem  Begünstiger  derselben  auch  aus 
der  Römischen  Geschichte  (wie  er  so  gern  überall  thut,  und 
dadurch  seine  Verhandlungen  eigentlich  nationalisirt)  seine 
Belege  haben  entlehnen  lassen.  Darum  wird  es  auch  um  so 
glaubbarer,  dass  diese  Meinung  Cicero  nach  reiu  Chrysippischeii 


Ileiniäch:  Animadvv.  ad  locos  quosdam  Quintllinni.  101 

etc.  Grundsätzen  und  Belegen  vorher  entwickelt  hatte,  die  er 
in  dem  noch  vorhandncn  Fragmente  bestreitet.  Es  liess  sicli, 
mit  stets  genommener  Rücksicht  auf  den  uns  gebliebnen  Ue- 
berrest  von  dieser  Schrift,  noch  ungleich  tiefer  über  diesen 
Punct  eingehn;  allein  das  schon  zu  weit  Auslaufende  des  be- 
reits Bemerkten  nöthigt  uns  hiermit  abzubrechen.  Aus  dem 
Texte  selbst  beriihren  wir  nur  eine  Stelle  c.  3,  (>,  welche  wir 
so  lesen:  Q,täd  aulein  magmim^  ncuifragum  illum  lapsum  in 
7ivo?  i^quaiiiquam  huic  {fuidem  hie  scribit praedictuni^  in  aqua 
esse  pereund/wi :)  we,  hercule^  Icadii  (/aidetn  praedo?iis  video 
futum  ullutn;  nihil  enim  scribit  praedictmn.  Der  Vordersatz 
ist  rein  übergehend,  während  er  seine  Asseveration  durch  den 
Gedanken  selbst  bezeichnet,  quid  magnmn  —  in  rivo.  Dadurch 
wird  der  Satz  mit  quamqiuim  zur  Parenthese.  Die  zwei  folgen- 
den Sätze  verrathen  sich  aber  als  Nachsatz  durch  das  scharf- 
gestellte Icadii  und  durch  das  die  Opposition  zu  oben  bildende 
nihil.  Dies  Alles  nehmen  die  Worte  auf  Quid  mirum  igitui\ 
von  denen  ?7j«'/7/w  das  vorstehende  magnum  erklärt,  und  igitur 
für  inquain  gesetzt  ist. 

Dürfen  wir  noch  mit  einer  wahrhaft  gutgemeinten  Bemer- 
kung unser  Gesammturtheil  schliessen,  so  ist  es  diese.  Herr 
Moser  ist  noch  zu  sehr  von  seinen  Collectaneen  abhängig,  und 
steht  daher  zu  wenig  auf  eigenem  Fusse;  wohin  wir  überhaupt 
das  auf  eignen  festen  Resultaten  beruhende  Urtheilen  rechnen. 
Hierauf  bezieht  sich  aller  Tadel,  welchen  derselbe  zcither  von 
selbstdenkenden  Beurtheilern  erfulir.  Dass  ihm  nicht  Urtheils- 
schärfe  abgeht,  sondern  dass  diese  nur  der  nöthigen  Richtung 
bedarf,  verrathen  nicht  seltene  überraschende  Scharfblicke. 
Erhielte  ausserdem  noch  der  meist  reine  Ausdruck  mehr  Con- 
centririmg:  so  würde  Hrn.  Moser's  rühmliche  Wirksamkeit  die 
reine  Achtung  jedes  Philologen  begleiten.  Dies  verstatteten  wir 
uns  bei  einem  ernst  vorwärts  strebenden  Manne  zu  wünschen, 
welcher  schon  desshalb  öffentliche  Anerkennung  mit  Recht  ver- 
dient, und  sie  auf  angezeigtem  Wege  sich  sicher  aneignen  muss; 
auch  überdiess  gewiss  edel  genug  denkt,  um  uns  dies  nicht  als 
Tadelsucht  auszulegen.  Papier,  wie  Reinheit  und  Fehlerfrei- 
heit des  Drucks  sind,  wie  überliaupt  bei  den  Moserschen  Aus- 
gaben, ausgezeichnet.  GÖrenz, 


AnimadversJrones  ad  locos  quosdam  Quintiliani 
difficiliores.  Scripsit  Heinisch.  (Im  Prograinin  des  Köiiigl. 
Preuss.  katliol.  Gymnasiums  zu  Glaiz.  Breslau  1828.  Gedruckt  mit 
Kupferschen  Schriften.   22  S.  4.) 

Seit  langer  Zeit  hat  Recens.  keine  kritische  Schrift  mil  so 
vielem  Vergnügen  und  so  grosser  Befriedigung  gelesen,    als  ge- 

Jahrb.f.  P/iil.u.  Fädag.  Jahrg.  V    Heft'i.  11 


162  Bömisclie    Littern  tu  r. 

genwärtijre  Bemerkungen  über  einige  Stellen  aus  dem  achten 
Buche  Qiiintilians.  Der  beliandelte  Schriftsteller  gehört  zu  de- 
nen, welche  vor  vielen  andern  kritischer  ilVilfe  bedürfen.  Al- 
lein seit  Spaldings  gehaltreicher  und  verdienstvoller  Arbeit 
ist  er,  wenn  man  dasjenige,  was  für  das  zehnte  Buch  gesche- 
hen ist,  abrechnet,  vei'hältnissraässig  weniger,  als  viele  andere 
Schriftsteller ,  von  den  Gelehrten  zum  Gegenstande  ihrer  Be- 
mühungen gemacht  worden.  Desto  erfreulicher  muss  gegen- 
wärtiger Beitrag  zur  Kritik  Quintilians  sein  ,  da  er  alle  diejeni- 
gen Eigenschaften  besitzt,  welche  einer  Schrift  dieser  Art  zum 
Lobe  u.  zur  Empfehlung  gereichen.  Man  findet  hier  ein  nüch- 
ternes und  besonnenes  Urtheil,  gleich  weit  entfernt  von  allzu 
ängstlicher,  sclavischer  Anhänglichkeit  an  die  Manuscripte,  mit 
welcher  grade  beim  Quintilian  am  Wenigsten  ausgerichtet  wer- 
den dürfte,  wie  von  Kühnheit  und  Verwegenheit  im  Aendern; 
eine  tiefe  und  gründliche  Kenntniss  der  Römersprache  über- 
haupt, so  wie  des  Qnintilianischen  Sprachgebrauchs  ins  Beson- 
dere; eine  klare,  lichtvolle  und  sogar  angenehme  Darstellungs- 
weise in  einem  reinen  und  angemessenen  lateinischen  Ausdruck. 
Die  behandelten  Stellen  gehören  in  der  That  zu  den  schwieri- 
geren und  sind  raeistentheils  solche,  in  denen  S palding  sich 
selbst  nicht  genügt  zu  haben  ausdrücklich  bemerkt. 

Es  scheint  nothwendig,  der  Beurtheilung  der  Verbesse- 
rungsvorschläge des  Herrn  Heinisch  die  allgemeine  Bemer- 
kung voranzustellen,  dass  die  Handschrr.  des  Quintilian  über- 
haupt auffallend  verderbt  und  ,  zum  Theil  wenigstens,  offenbar 
von  höchst  unwissenden  Abschreibern  geschrieben  sind.  Hier- 
aus ergiebt  sich,  dass  dieConjecturalkritik  beim  Quintilian  häu- 
fig in  Anwendung  kommen  muss  und  dass  ein  Verfahren,  wel- 
ches bei  andern,  weniger  corrupten  Schriftstellern  zu  kühn  er- 
scheinen würde,  liier  durch  die  Umstände  gerechtfertigt  Avird. 
Dennoch  aber  muss  man  sich ,  soviel  als  nur  immer  möglich, 
an  die  Handschriften  halten. 

Inst.  Orat.  VIll,  prooera.  §  29  u.  30:  Namque  hoc  qui  fe- 
eerit^  ei  res  cfim  nomiinbus  suis  occurrent.  Sed  opus  est  stu- 
dio praecedente^  et  acqiiisita  facultate  et  quasi  reposita.  Nam- 
que ista  qnneretidi^  judicandi^  compara?idi  a/ixietas  ^  dum  dis- 
cimus^  adhibenda  est ^  non  dum  dici/mis.  Alioqui^  sicut  qui 
Patrimonium  non  pararunt^  subinde  quaerunt:  ita  in  oratione^ 
qui  non  satis  laborarvnt.  Si  praeparata  vis  dicendi  fuerit^ 
erunt  in  officio  sie  ut  no7i  ad  requisita  respondere,  sed  ut  sem- 
per  se?isibus  inhaerere  videantur^  atque  %it  nmbra  corpus  sequi. 
Die  Worte  von  Alioqui  an  haben  i^ea  Auslegern  vielfachen  An- 
stoss  gegeben.  Spalding  vermisst  bei  quaertint  die  Benen- 
nung dessen,  was  nun  an  die  Stelle  des  patrimonium  treten 
soll,  oder  was  sich  diejenigen,  die  kein  2>(itrimonium  haben, 
au  dessen  Statt  zu  erwerben  suchen  j    also  etwa  ein  Wort  wie 


Heinisch:  Animadvr.  ad  locos  qnosdam  Qulntillaiii.  103 

vichim;  ferner  ist  ilim  die  Unvollständigkeit  des  Gegensalze;? 
anstössig,  da  den  Worten  subinde  quaerunt  nichts  entspricht 
und  ita  oline  ein  dazugehöriges  Verbiim  steht.  Die  Worte  si 
praeparota  etc.  ermangeln  der  Verbindung  mit  dem  Vorigen  u. 
machen  die  Rede  abgebrochen;  zu  eriiiit  in  officio  felilt  das 
Subject,  denn  verba  ist  zu  weit  entfernt,  als  dass  es  i'iiglich 
ergänzt  werden  könne.  Daher  verbesserte  Spalding:  Alioqui 
• —  no7i  paraninl^  sab  diem  quaenmt  victum:  ita  in  oraiionc^ 
qui  non  salis  laboravit  ^  verba  desiderabit.  Sin  praeparata  di- 
cendi  vis  —  atque  eos  ut  laiibra  corpus  sequi.  Hr.  II.  läugnet 
zwar  nicht,  dass  durch  diese  Emendation  die  gerügten  Mängel 
beseitigt  werden,  unterwirft  aber  dennoch  die  Stelle  einer  neuen 
PrVifung.  Zuerst  entschuldigt  er  den  Mangel  des  Objects  zu 
qziaerimt^  indem  er  zeigt,  dass  durch  subinde  sehr  gut  ausge- 
drückt werde:  „  eorum ,  qui  paratam  non  liabent  rem  familiä- 
rem, quaerendi  Studium  crebro  et  per  intervalla  admodum  exi- 
gua  repetitura."  So  steht  subinde  Quint.  8,  3,  58;  9,  3,27; 
11,  3,  135.  Mit  Absiclit  habe  aber  Quintilian  zu  subinde  quae- 
runt kein  Object  gesetzt,  weil  er  diese  Worte  auch  auf  den 
zweiten  Theil  des  Satzes  bezogen  wissen  wollte.  Diese  Bemer- 
kung ist  allerdings  selir  fein  und  richtig;  wenn  indessen  Hr.  H, 
deswegen  das  Komma  nach  oratione  tilgen  will  und  meint,  dass 
dadurch  die  Rede  concinner  werde,  so  können  wir  ihm  niclit 
beitreten.  Denn  in  oratione  kann  doch  nicht  zu  laborarunt  be- 
zogen werden,  da  laborare  hier  die  dem  Redner  notliwendigen 
Vorbereitungen  u.  Uebungen  bezeichnet,  die  er  anstellen  muss, 
bevor  er  öffentlicli  auftritt.  Das  laborare  findet  also  nicht  iu 
der  Rede  selbst  Statt  n.  die  Worte  werden  daher  richtig  durch 
ein  Komma  hinter  oratione  getrennt.  Die  Ellipse  selbst  aber, 
nach  welcher  subinde  quaerunt  in  den  Nachsatz  herübergezo- 
gen werden  muss,  rechtfertigt  Hr.  H.  geschickt  durch  Beispiele 
aus  dem  Quintilian  (5,  11,  26:  neque  ut  laudanda^  quae  pccii- 
niain  suajn  pluribus  largilur.,  ita.,  quae  formam.  8,6,20:  nam 
prosa.,  ut  mucr o nein  pro  gladio  et  tectum  pro  domo 
recipiet:  ita  non  ptippim  pro  Jiavi.  10,  1,  14:  nee  sicut  de 
intellectu  animi  recte  dixerini  video^  ita  de  visu  oculoruin  in- 
t ellig o.  12,  11,  27:  neque  enim.,  si  quis  AcJnllis  gloriam  in 
belticis  consequi  non  polest,  Ajacis  aut  Diomedis  laudem  asper- 
nabitur:  neque.,  qui  Homer i  non  ^  Tyrtaei.)^  wiewohl  er  selbst 
nicht  läugnet,  dass  ohne  diese  Ellipse  die  Rede  concinner  sein 
würde.  Indessen  dürfe  mau  nicht  glauben,  dassQuintilian,  obgleich 
er  mit  Recht  wegen  seiner  Concinnität  bewundert  werde,  niemals 
kleine  Nachlässigkeiten  sich  habe  zu  Schulden  kommen  lassen; 
davon  sei  er  so  wenis  frei,  wie  irgend  ein  anderer  Schriftstel- 
ler. Nachdem  Ilr.  II.  die  vulgnta  auf  diese  Art  vertheidigt  hat, 
befriedigt  er  sich  jedoch  selbst  keinesweges  dabei,  sondern 
Versucht  eine  Emendation,  welche  er  mit  folgenden  Worten  ein- 

11* 


164  Römische    Littcratur. 

fuhrt:  „Sed  \\t  ea,  quae  jam  sunt  disputata,  paucis  comprehen- 
daraus ,  liic  locus  talis   mihi  esse  videtur,    ut  dicendi  ratio  pro- 
bari  quidein  niinime  possit,    at  excusari  tarnen.     Si  quis  igitur 
pluriinorum  librovum  sequi  auctoritatem ,    quam  orationis  cou- 
cinnitati  atque  elegantiae  consulere  niaüt,  hie  certe  in  vulgata 
poterit  acquiescere,    bonum   aliquando  Quintiiianum  dormitasse 
existimans.     Sin  auteni  in  eum  viruni,  cujus  sermo  tot  tantisque 
fulgeat  virtutibus,    talis  negligentia  cadere  posse  omnino  non 
videatui*:    tum  vide,    num  niea,    qualiscunque  sit,    loci  nostri 
enieudatio  calculum  tuum  ferat.  —     Totum  liunc  locum  ita  le- 
gend um  puto:   Alioqiii^    siciit  qni  indrimonium  non  jicirariint^ 
siimtum  in  diem  qiiaerimt^  ita  in  oratione  qtii  non  satis  labo- 
ravit^  verba.     At  si  praeparata  dicendi  vis  fuerit^  erunt  in  of- 
ficio {suo)^  non  ut  rei  quaesita  respondere^  sed  iit  semper  se?i- 
sibus  inhaerere  videantiir.'-''    Der  erste  von  diesen  beiden  Sätzen 
(oder  nach  der  Vulgata  die  Worte  Alioqvi — laboranint)  scheint 
durchaus  keiner  Emcndation  zu  bedürfen.     Hrn.  II. 's  oben  im 
Auszuge  mitgetheilte  Vertheidigung  der  gewöhnlichen  u.  hand- 
schriftlich beglaubigten  Lesart,    wie  sie  in  der  Spalding'schen 
Ausgabe  sich  findet,  scheint  uns  ganz  genügend,  und  wir  läug- 
nen  es  gar  nicht,  dass  wir  zu  denen  gehören,    die  lieber  der 
Autorität  der  Handschriften  (wenn  auch   nicht  grade   „pluri- 
morum  librorura",  doch  optimorum)  folgen,    als  für  die  Con- 
cinnität  und  Eleganz  der  Rede  durch  gewaltsame  Emendatio- 
nen  sorgen  wollen.     Hat  doch  Hr.  H.  selbst  nicht  allein  zugege- 
ben ,    sondern  sogar  bewiesen,   dass  selbst  des  eleganten  und 
concinnen  Qulntilians  Stil  nicht  frei  von  kleinen  Nachlässigkei- 
ten ist.     Sicherer  ist  es  also  auf  jeden  Fall,  eine,  wenn  auch 
nur  erträgliche,  handschriftl.  Lesart  im  Text  zu  lassen,  als  eine 
Conjectur,    in  der  man  sich  ziemlich  weit  von  den  Zügen  der 
Handschriften  entfernt,  in  denselben  hereinzubringen.    Gewiss 
würde  Herr  n.  selbst,  wenn  er  als  Editor  verführe,    dasselbe 
Verfahren  befolgen.      Dazu  kommt,     dass  in  seiner  Conjectur 
sumtum  quaerere  ebenfalls  der  Entschuldigung   bedarf,    wie 
ihm  keinesweges  entgangen.     Laboravit  hat  er  aus  Turic.  und 
Anibr.  1  aulgenommen  *),  aus  dem  Grunde,  weil  Quintilian  von 
§  28  an  vom  Redner  durchgehends  in  der  Einzahl  spreche.    Al- 
lein dazwischen  und  zwar  zunächst  vor  laboranint  finden  wir 
discimus^    dicimus  §  29,    welche  Worte,    wiewohl  in  anderer 


*)  Hr.  H.  setzt  zu  den  Autoritäten  noch  „Alniel.  a  pr.  m."  Allein 
wie  im  Almel.  steht,  ersieht  sich  aus  Spaltlings,  hier  wie  an  andern  Stel- 
len ,  etwas  undeutlicher  Variantenanf;;ibe  nicht,  da  es  bei  ihm  helsst: 
„  Turic.  Ambr.  1.  laboravit  cum  Alm.  a  sec.  manu  laborarant.'-'-  Hr.  H. 
hatdiess  verstanden,  als  wenn  es  hiesse :  cum  Alm.,  qui  tarnen  a  sec. 
m.  laborarant,  ob  mit  Recht?  bleibt  unentschieden. 


Heinisch:  Aniniadw.  iul  locos  quosdara  Quintil'iani.  105 

Fassung  des  Gedankens,  tlocl«  aiicli  nichts  Anderes  als  den 
Redner  bezeichnen.  J)ass  der  Phir.  lahorarunt  also  durchaus 
unanstössig  ist,  scheint  nicht  bezweifelt  werden  zu  können,  wo- 
hingegen der  Singular  laboiavü  eine  fast  unerträgliche  Härte 
hervorbringen  würde,  da  man  nun  aus  dem  Piur.  quaenint  sicli 
quaerit  ergänzen  müsste.  Diese  Ellipse  scheint  uns  weit  weni- 
ger Quintilians  würdig,  als  die,  wegen  welcher  man  die  Vnig. 
tadelt.  —  Was  nun  den  zweiten  Satz  (in  der  Vulg.  die  Worte 
si  pi aeparata  —  sequi)  anbetrilft,  so  glauben  wir  allerdings 
mit  Ilrn,  II.,  dass  der  Mangel  des  Subjects  zu  cnmt  nicht  wohl 
ertragen  werden  könne,  und  stimmen  ihm  völlig  bei,  wenn  er 
den  Substantiven  Gebrauch  von  requisitum  für  unlateinisch  er- 
klärt. In  der  Stelle  Cic.  Acad.  prior.  11,  24  §  77,  welche  Ges- 
11  er  im  Thesaurus  anführt,  ist,  wie  Hr.  H.  bemerkt,  post  re- 
qinsüuni  das  Verbum  für  reqvisituin  est.  Mit  Recht  hat  also 
Forcelli  ni  diese  Stelle  übergangen  ;  nichts  destoweniger 
theilt  Scheller,  der  doch  sonst  den  Forcellini  zu  benutzen 
•wusste,  Gesners  Irrthuni.  Selbst  in  dem  Sallustischen  Fragm. 
bei  Quint.  8,  (J,  59  scheint  in  den  Worten  ad  requisita  natiirae 
das  Wort  nicht  als  Substantiv  zu  stehn;  es  ist  vielmehr  wirk- 
liches Participium  und  naturae  der  Dativ,  „f/«s  von  der  ISaiur 
Erforderte.'-'-  Uebrigens  stehen  dieselben  Worte  auch  bei  Spar- 
tian.  in  Caracall.  c.  (>.  Ilaben  wir  nun  aber  in  dem  ersten  Satze 
die  Vulg.  mit  Reclit  in  Schutz  genommen,  so  erliellt  von  selbst, 
dass  wir  mit  der  Art,  wie  Ilr.  IL  die  von  ihm  bemerkten  Ue- 
belstände  zu  heben  bemüht  ist,  nicht  einverstanden  sein  kön- 
nen. Denn  er  hat  in  den  vorigen  Satz  verba  eingeschoben,  so 
dass  es  dann  allerdings  leicht  au  erunt  ergäii  :t  werden  könnte. 
Aus  requisita  macht  er  rei  quaesita  und  rechtfertigt  den  Singu- 
lar re«  durch  Quint.  8,  prooem.  2ß;  8,  3,  38;  3,  3, 1.  An  diesen 
Singular  stossen  wir  uns  zwar  nicht,  aber  was  soll  hier  über- 
haupt rei  quaesita  heissen*?  Denn  zu  respondere  kann  es  nicht 
bezogen  werden,  da  beiQuintilian  verba  respoJide?it  soxi^l  heisst 
als  V.  in  proinpta  sunt,  praesto  sunt^  s.  1(>,  3,  9,  Wollte  man 
also  einen  Dativ  zu  respondere  in  dieser  Verbindung  und  Be- 
deutung setzen,  so  könnte  diess  kein  anderer  sein,  als  dicenti 
oder  oratori.  Verba  rei  q?iaesita  kann  nur  heissen:  für  die 
Sache  gesuchte  Worte.,  dann  ist  aber  rei  liöchst  müssig  gesetzt, 
denn  man  kann  natürlich  für  nichts  Anderes  Worte  suchen,  als 
ehcn  für  die  Sache.,  d.  i.  zum  Ausdruck  der  Sachen.  —  Das 
sie  der  Vulgr-S'telit  nur  in  wenigen,  minder  guten  Handschrif- 
ten, die  besten  haben  si.  Hr.  IL  macht  daraus  suo .,  scheint 
aber  selbst  darüber  zu  zweifeln,  da  er  es  wieder  in  Klammern 
gesetzt  hat.  Für  das  Pronomen  spricht  in  der  That  nichts,  als 
dass  die  Lesarten  si  und  sie  unerklärlich  sein  würden,  wenn 
nicht  etwas  der  Art  ursprünglich  im  Text  gestanden  hätte.  Oder 
ist  vielleicht  si  und  sie  aus  einem  compondio  scribendi  für  sem- 


1G6  RömiscLc   Litteratur. 

j!;er  corrumpirt *?  Letzteres  wäre  für  den  Sinn  sehr  angemessen. 
Dass  seniper  gleich  noch  einmal  folgt,  wird  den  Leser  Qiiinti« 
lians  nicht  befremden.  No/i  ut  hat  Herr  H.  aus  den  besten 
Handschrr.  aufgenommen  und  vergleicht  Quint.  prooem.  §  17; 
1,  8,  14;  4,  2,  43;  5,  7,  82;  Cic.  de  or.  1,  17  u.  46.  3Ian  sehe 
iioch  Ilorat.  Tursell.  de  partic.  p.  490,  ed.  Schwarz.  Die  Ver- 
dorbenheit der  gewöhnlichen  Lesart  ist  gar  nicht  zu  verkennen, 
doch  lassen  uns  hier  die  Handschrr.  niclit  ohne  Hülfe.  Nach 
Anleitung  derselben  glaubt  ßec.  schreiben  zu  müssen:  sipraepa- 
rala  dicendi  vis  faerit ^  erit  in  officio  .^  non  ut  quaesita  respon- 
dere^  sed  ut  semper  seiisibus  inhaeiere  videattir  otqtie,  ut  tmibra 
corpus^  seq?ii.  Die  Wortstellung  dice7idi  vis  ht  aus  Turic.^Fior.^ 
Guelf.  angenommen  worden;  erit  haben  Goth. ,  Voss.  2,  Vall., 
und  im  Turic.  ist  eine  Abbreviatur,  welche  sowohl  erunt^  als 
auch  erit  bedeuten  kann;  ar^  fehlt  im  Turic,  Flor.,  Ambr.  1; 
quaesita  für  requisita  hat  die  editio  princeps  von  1470 ;  videa- 
iur  für  vidcantur  giebt  Vall.*  Vis  dicendi  ist  hier  s.  v.  a.  copia 
dicendi^  Fülle,  Fertigkeit  des  Ausdrucks.  ^^Hat  man  sich  Re- 
deferligkeit  erivorben ,  so  wird  sie  (immer)  auf  ihrem  Posten 
sein  und  zivar  nicht  so ^  dass  sie  erst^  icenn  man  sie  suchte  zu 
Vieiisten  ist^  soiidern  dass  sie  stets  an  den  Gedanken  (^sensi- 
bus.,  s.  Quint.  8,  5,  2:  sed  consuetudo  jam  teniiit^  ut  mente  con~ 
cepta  sensiis  vocaremus)  zu  haften  und  ihnen  ^  wie  der  Schat- 
ten dem  liürper^  zu  folgen  scheint.'"''  Ueber  eos,  welches  Spal- 
ding  aus  Turic.  u.  Flor,  hinter  Atque  einschieben  wollte,  stim- 
men wir  ganz  der  Ansicht  des  Hrn.  H.  bei;  „quum  in  libris", 
sagt  er,  „locum  variet,  a  glossatore  quodarn  profectum  ideoque 
rejiciendura  videtur. "  —  VlIF,  2,  14.  Diese  offenbar  corrupte 
Stelle  emendirt  Hr.  H.  folgender  Maassen:  Quare  7icc  sil  tarn 
longns  [seil,  sermo],  ut  eum  prosequi  non  possit  intentio:  nee 
trajectione  ultra  modum  tarda  in  hyperbaton  finis  ejus  dijfera- 
tur.  Diese  Emendation  scheint  uns  nichts  zu  wünschen  übrig 
zu  lassen  und  empfiehlt  sich  besonders  dadurch,  dass  sie  sich 
an  die  Züge  der  Handschrr,  (Tur. ,  Guelf,,  Alm.:  nee  traris- 
jectiointra  domuni  hiperbato  f.  e.  d.)  möglichst  treu  anscliliesst. 
In  den  Worten  in  hyperbaton  bezeichnet  in  den  Zweck,  ein 
Sprachgebrauch,  welchen  Hr.  H.  durch  passende  Beispiele  gut 
nachgewiesen.  Den  Sinn  des  ganzen  Satzes  giebt  er  so  an:  „qui 
obscuritatera  in  sermonis  contextu  vitare  vult,  caveat,  ne  ea  tau- 
tum  de  causa,  tit  hyperbato possit  uli^  finem  sermonis  dilferat. 
Ipsum  autem  hyperbaton  fit  verborum  trajectione,  quae  si  ita 
instituitur,  ut  justo  pluribus  rectus  verborum  ordo  interpelletur, 
ultra  niodum  tarda  commode  potest  dici.  Nam  tardum  fit,  quod 
longius  justo  est,  cf.  1»,  4,  125."  —  VIII,  3,  19  u.  20:  Risi- 
mus.^  etmerito^  m/per  poet am.,  qui  dixerat^ 

jnaetextam  In  dsia  vmres  roserc  Camilli. 


Heiiilscil :  AnimadvT.  ad  locos  quosdam  Quiiitillaiü.  IGH 

At  Virgilii  miramur  illud^  (Georg.  I,  181.) 

— ■  saepe  exiguus  rnus. 

Nam  epUJieton  esiguus  aptiim  proprium  effecit^  ne  plus  ex- 
spectaretmts ,  et  casus  singularis  viagis  decuit  et  clausula  ipsa 
unius  syllabae  non  usitata  addidil  gratiani.  Hr.  II.  schlägt  vor: 
]Vam  epiUielon  exiguus^  aptuni  ac  proprium^  effecit  etc.  Die 
raaiigeliial'teii  Variaiiteuangabeii  lassen  freilich  nicht  erkennen, 
wie  weit  der  Vulgata  zu  trauen  ist;  an  und  für  sich  jedocli 
steht  derselben  nichts  im  Wege.  Nam  epith.  exiguus  aptum 
proprium  effecit  heisst:  das  FCpilheton  exiguus  hat  das  eigent- 
liclie  Wort  (^/uus)  passend  gemacht.  Bei  dem  ungenannten  Dich- 
ter, dessen  Vers  unmittelbar  vorher  angeführt  wird,  sind  dio 
mures  lächerlich,  weil  sie  nicht  in  den  ganzen  Ton  der  Rede 
passen ;  bei  \  irgil  liingegen  ist  ?nus  als  der  eigentliche  Aus- 
druck passend.  Es  ist  Alles  klar,  Avenn  man  bedeakt,  dass 
diese  Beispiele  den  Satz  §  18  quae  humilia  circa  res  juagiias^ 
apta  circa  minores  videntur  evhiiüern  sollen.  Vergl.  10,1,9: 
Ömtna  verba  ....  sunt  alicubi  optima;  nam  et  humilibus  in- 
terim  et  vulgaribus  opus  et  quae  nitidiore  in  parte  videntur 
sordida^  tibi  res  poscit ^  proprie  dicuntur.  —  VIII,  3,  22. 
Diese  höchst  corrupte  Stelle  haben  zwar  schon  Mehrere  zu 
eniendiren  versucht,  allein  Herr  II.  wundert  sich  mit  Recht, 
dass  alle  Ausleger  den  Buclistaben  o  (intimo)^  welchen  ausser 
Turic.  a  pr,  m.  alle  Mandschrr.  darbieten,  unbeachtet  gelassen 
haben.  Er  vermuthet,  dass  darin  non  verborgen  liege,  und 
emendirt:  Lfnde  interim  non  gratis  dictis  decor  :  quäle  est  ille 
apud  M.  Tullium  Pusio.  Den  Sinn  giebt  er  so  an:  ,,Ita  fit,  ut 
verba  etiam  non  grata,  qiiippc  quae  ut  humilia  et  vulgaria  omni 
careant  suavitate,  in  oratione  tarnen  inlerdum  deceant,  1.  e. 
proprie,  apte  dicantur."  Vgl.  10,1,9;  2,  13;  11,  l,ßO;  9,4,36. 
Quäle  hat  Hr.  II.  aus  dem  Turic.  a  pr.  m.  und  Flor,  a  pr.  m.  an- 
genommen und  hält  diese  Lesart  für  exquisiter  als  qualis  ^  mit 
Berufung  auf  9,  3,  89:  Quäle  est  apud  Menandrum  Oedipus 
Thriasius.  Wir  zweifeln  ebenfalls  nicht,  dass  qiiale  vom  Quin- 
tilian  herrühre;  allein,  wenn  wir  auch  diese  Lesart  gern  ent- 
schuldigen, so  halten  wir  sie  doch  nicht  für  gewählter  und  bes- 
ser a!s  qualis^  vgl.  Zumpt's  Gramm.  §372;  Iluddimanni  instit. 
Tom.  2  p.  20  seq.  ed.  Stallbaum.  Durch  die  angegebene  Emen- 
dation  scheint  uns  zwar  der  an  dieser  Stelle  erforderliche  Sinn 
im  Ganzen  ricirtig  hergestellt  zu  sein,  nur  ist,  wenn  wir  nicht 
irren,  der  Ausdruck  non  gratis  dictis  selbst  etwas  ungelenk  und 
unangenehm.  Interim  ist  nicht  nöthig,  da  der  ganze  Abschnitt 
§  22  mit  aliquando  eingeführt  ist.  Dalier  mochten  wir  aus  der 
Lesart  des  Turic.  intini  grati  idictis  dequo  quäle  lieber  machen: 
Vnde  infimis  ingratisque  dictis  decor  :  quäle  etc.  —  VI II,  ö,  29 
scheint  uns  Hrn.  H.'s  Emcndation  vollkommen  genügend.     Er 


108  11  um  Ische    Litteriitur. 

schreibt:  Antonomasia.^  quae  aliquid  pro  nomine ponit ^  poetis 
ulroque  modo  frequentissima^  et  per  epitheton^  quia  detracto 
€0 ,  cui  apponiliir  valet  pro  nomine ,  Ty  dides,  Pe li  des  {es 
kis  quoque  sunt  praecipua:  Divum  pater  atque  honii- 
num  res)  et  es  f actis ^  qiiibns  persona  sig?iatur.  Zur  Er- 
klärung fügt  er  hinzu:  „Praecipua  i.  e.  ea,  quae  quis  prae  cae- 
teris  habet,  eodem  dicuntur  modo,  quo  coinmunia  ea ,  quae  ad 
omnes  pertinent,  cf.  5,  13,  21).''  Die  Legarten  einiger  Iland- 
KcJu'iiten:  et  es  his,  quae  in  quoque  sunt  praecipua  und  et  es 
his^  quae  in  quocunque  sunt  praecipua  scheinen  ihm  mit  Recht 
aus  Erklärungen  entstanden  zu  sein.  —  Ibid.  §  30:  Oi  atoribus 
eliamsi  rnrus  ejus  rei  (der  Antonomasie),  nonm/llus  tarnen 
vsus.  Nam  ut  Tydiden  et  Peliden  non  diserint^  ita  dise- 
Tunt  im pium  pro  parricida :  eve r sor e7n  quoque  Ca rtha- 
ginis  et  Numantiae  pro  Scipione^  et  Itomanae  elo~ 
fjue ntiae  principe7n  pro  Cicerone  posuisse  non  duhitent. 
Hier  schreibt  Hr.  H.  mit  Recht  mit  Aldus  und  Campanus 
impiuni  et  parricidam.  ,,Nisienim",  setzt  er  liinzu,  „omnia 
ine  faliunt,  oratores ,  qui  hac  usi  sunt  pronominationis  specie, 
de  una  tantum  persona  iocuti  numerum  adhibuerunt  singulareiu. 
Addi  autera  nomina,  pro  quibus  haec  fuerint  posita,  jam  pro- 
pterea  mihi  non  opus  esse  vidctur,  quod  hoc  antonomasiae  ge- 
liere non  ccrta  quaedam  persona  una  semper  eaderaque  designa- 
tur,  sed  aiia  ab  aiiis  poterat  indicari  oratoribus.*"^  Im  Folgen- 
den billigt  er  die  Conjectur  des  Francius  posuisse  no7i  dubi- 
iem ,  weil  sie  der  Lesart  der  Handschrr.  am  nächsten  kommt. 
Wir  liaben  nichts  dagegen;  wenn  er  aber  hei  posuisse  hinzu- 
setzt: seil,  eos ^  so  miissea  wir  bemerken,  dass  uns  liier  diese 
Auslassung  des  Pronom.  der  dritten  Person  sehr  hart  erscheint. 
Warum  sollen  wir  nicht  annehmen  ,  Quintilian  spreche  von  sich 
selbst:  posuisse  non  dubitem^  wiirdeich  keinen  Anstand  neh- 
men zu  setzen '?  Denn.  ^o\\  posuisse  auf  die  Redner  gehen,  so 
heisst  dubitem  zweifeln  und  die  regelmässige  Construction  wäre 
alsdann:  quinposucrint^  no7i  dubitem.  Auch  verschwindet  nacli 
obiger  Annahme  der  Einwurf  S  p  a  I  d  i  n  g  s :  „Nam  si  ad  posuisse 
intelligas  eos ,  scrihasque  dubitem.,  quae  tandem  est  somnolen- 
tia  obliviosi  Fabii,  qui  se  dubitare  lieget,  quin  haec  sint  apud 
oratores?  Atqui  quaerendum  erat.  "  Herr  H.  bemerkt  zwar, 
dass  die  Worte  Quintilians  im  §  43  hinlänglich  zeigen,  dass 
diese  beiden  Ueispiele  nirgends  sich  fänden.  Allein  erstens  be- 
weisen diess  die  Worte  si  dicas  ganz  und  gar  nicht,  da  ja  Qiiin- 
tilian  dieselben  von  einem  Ausdruck  gebrauchen  konnte,  den 
wirklich  schon  einmal  ein  Redner  gewählt  hatte;  und  zweitens 
stehen  §43  nicht  beide  Beispiele,  sondern  nur  das  eine,  und 
zwar  nicht  einmal  genau  mit  denselben  Worten.  —  VlII,  6, 
41  u.  42:  f  eru/ntamen  talis  est  ratio  hujusce  virtutis^  ut  sine 
appositis  nuda  sit  et  velut  inco7/da  oratio;  oneretur  ta7nen  7nul- 


Heinisch:   Ar.itnadvv.  ad  locos  quosdiiiu  Quintiliani.  ICD 

iis.  nam  fit  longa  et  bnpediia .  ut  in  quaestiojiibvs  eam  iudices 
simüeni  ogtnini  totidern  ILvas  habevti  ^  quot  viilites  quoque  ^  in 
quo  et  minieius  est  duplex^  nee  duplum  virlinn  :  quanqiiam  non 
singula  niodo^  sed  etiam  plura  veiba  apponi  solenl:  ut, 

Conjugio  Anchisa    J'cncris   dignate  superho. 

Sed  hoc  qtioque  modo  flfio  verha^  nni  apposila^  neversmn  qui- 
dem  decuerint.  Keinem,  der  auch  nur  diese  in  Spaldin^'S 
Text  befindliche  Vulgate  liest,  kann  die  Corruptel  dieser  Stelle 
verborgen  bleiben;  liest  man  nun  erst  gar  die  Varianten  durcli, 
80  muss  man  über  diese  ganz  sinnlosen  Monstra  von  Lesarten 
in  der  That  erstaunen  und  beinahe  an  der  Möglichkeit  einer 
glücklichen  Emendation  verzweifeln.  Dem  Emendationsversu- 
ciie  des  llrn  H.  muss  man  das  Lob  des  Scharl'sinns  zugestehen; 
er  schreibt:  verumtamen  —  oratio :  ne  tarnen  ?miltis  {juun  fit 
lofiga  inte  lim  et  impedita  qnaestionibns)  eam  ßtigas  similem 
agyidni  totidem  Usus  habenti^  qnot  niilites^  quo  et  numerus  est 
duplex  nee  duplum  virium.  Aehniiche  Ausdrucksarten  weist  er 
aus  Quint.  1,  8,  6;  10,  7,  22;  11,  1,  8ß  nach.  Die  Parenthese 
entschuldigt  er  dadurch,  dass  Quintilian,  niclit  weniger  als 
andre  Schriftsteller,  sich  derselben  mehrmals  bediene.  Die 
Parenthese  an  sich  ist  nun  zwar  niclit  anstössig,  allein,  so  wie 
sie  liier  steht,  möchte  sie  schwerlich  vom  Quintilian  lierrVih- 
ren.  „Mache  die  Rede",  lässt  Hr.  H.  den  Schriftsteller  sagen, 
„nicht  einem  Heereszuge  ähnlich,  der  eben  soviel  Trossknechte 
als  Streiter  enthält,  denn  sie  wird  bisweilen  lang  u.  verwickelt 
durch  Untersuchungen. '"'•  Wenn  die  Rede  nur  bisweilen  durch 
üntersuchung^en  lang  u.  verwickelt  wird,  so  gilt  also  jene  War- 
nung nur  für  diese  Fälle,  da  sie  doch  der  Natur  der  Sache  nach 
als  eine  allgemeine  Vorschrift  betraclitet  werden  muss.  Ueber- 
diess  ist  von  interim  in  den  Handschriften  keine  deutliche  Spur 
und  was  Herr  H.  zur  Rechtfertigung  der  Einschiebung  dieses 
Wortes  beibringt  S.  18,  möchte  nicht  als  genügend  befuudea 
werden:  ,,Ut  addatur  interim^  vox  Quintiliano  admodum  usi- 
tata,  sensus  mihi  videtur  requirere.  Facilior  autem  liaec  tibi 
videbitur  conjectura,  si  consideraveris,  literain  ii  finalem,  quam 
exhibent  oplimi  Codices  in  locan^  cocan ,  ad  primam  fortasse 
pertinere  illius  vocis  syllabam,  reliquas  autem  ob  similem  cum 
gequentibus  formam  intercidisse.  Idem  factum  est  VI,  3,  59: 
interim  inseri  solet,  ubi  interim  in  cod.  Alm.  omissum  est." 
Ein  sehr  giückircher  Fund  scheint  uns  hingegen  ^/.'^gs  für  ju- 
dices  oder  jungas  in  den  Handschriften  zu  sein.  Den  Ausdruck 
fingere  oralionem  hat  Herr  H.  hinlänglich  durch  beigebrachte 
Parallelstellen,  deren  es  indessen  kaum  bedurfte,  gerechtfer- 
tigt. Betrachten  wir  die  Gestalt,  welche  die  Stelle  in  den  Hand- 
schriften hat,  so  niuss  man  wohl  zugeben,  dass  etwas  Zuver- 
lässiges sich  schwetlich  wird  ausmittela  lassen.     Indessen  er- 


110  Rom i sehe    Litteratur. 

laubt  sich  Recens.  hier  auch  seine  Verinuthung  vorzutragen,  in 
welcher  er  das  von  Hn.  H.  gefundene ^/z^^os  beibehält:  Verum- 
iamen —  oratio;  ne  tarnen^  multis  quutn  sit  longa  jam  et  im- 
pedita  quaestionibiis  ^  eam  ßngas  sitnilem  aginini  totidern  lixas 
habenti^  quot  milites  ^  in  quo  numerus  est  duplex^  ?iec  duplum 
virium.  Zur  Erleichterung  der  Vergleichung  mag  hier  die  Stelle 
in  der  Gestalt  folgen,  wie  sie  in  den  Handschriften  erscheint: 
Verumtamen  —  oratione  tarnen  inultis  (^nani^  sit  locan  etiain 
pedita  quaestionibus  eam  jungas  similem  a.  t.  l.  h.  qui  similiter 
quod  et  mimerus  e  duplex  n.  d.  virum.  —  Im  Folgenden  will 
Hr.  H.  in  den  Worten  sed  hoc  quoque  modo  das  quoque  nicht 
als  Coiijunction ,  sondern  als  Pronomen  nehmen,  und  giebt  den 
Sinn  folgendermaassen  an:  ,,Sed  si  quis  haue  Virgilii  rationera 
id  agit,  ut  neque  rem  respiciat,  quam  velit  exprimere,  nequ« 
verba  eiigat  apta,  eaqueita,  uti  opus  sit,  collocet,  sed  quocun- 
que  modo  duo  verba  uni  apponat,  id  efiiciet ,  quod  ne  versum 
quidem  deceat. "  Allein  billig  fragt  man,  was  alsdann  das  hoc 
vor  quoque  solle*?  Das  Wahre  scheint  S  palding  gefunden  zu 
haben,  welcher  emendirt:  Sed  hoc  qziocunque  tnodo  seil,  fuerit 
\e[  feratur:  „duo  vero  uni  apposita"'  etc.;  nur  dass  raafi  nicht 
einmal  quoque  in  quocunque  umzuändern  nöthig  hat,  da  quo- 
que dasselbe  bedeuten  kann,  wie  auch  Hr.  H.  wollte;  vero  für 
verba  ist  durch  handschriftliche  Bestätigung  gesicliert.  In  dem 
Virgilischen  Verse  sind  zu  ^-Inchisa  zwar  mehrere  Worte  (plura 
verba)  gesetzt,  allein  conjugio  Veneria  digjiate  sziperbo  ist  im- 
mer nur  ein  Epitheton;  zwei  Epitheta  aber,  zu  einem  Begriff 
hinzugesetzt,  will  Quintilian  selbst  nicht  im  Verse  billigen. 
Dass  man  ihm  dagegen  die  Stellen  Virg.  Aen.  4,  181  u.  3,  658 
nicht  hätte  einwenden  sollen,  konnte  schon  die  Beachtung  der 
unmittelbar  folgenden  Worte  des  lihetorikers  lehren:  ISecesse 
est  seniper  ^  ut  id^  quod  est  appositum^  si  a  proprio  diviseris^ 
per  se  significet  et  faciat  antonomasia7n.  In  den  Worten  vion- 
stvtim  horrendum^  ingens  findet  also  im  Sinne  der  Rhetorik  kein 
Epitheton  Statt,  da  horrendum.,  ingeiis  nicht  für  sich  eine  selbst- 
ständiiie  Bedeutung  haben  und  keine  Antonomasie  bilden,  wenn 
man  sie  von  monstrum  trennt.  —  In  der  letzten  Stelle  VIII,  0, 
43  Ui  uns  Herrn  II.'s  Meinung  niclit  ganz  klar  geworden,  wir 
enthalten  uns  daher  eines  ürtheils,  wollen  aber  doch  Hrn.  II.'s 
Conjectur  mittheilen.  Die  unsrer  iMeinung  nach  keiner  Emen- 
dation  bedürftige  Vulgata  heisst:  Sunt  aulem.,  quibus  non  vi- 
deatur  hie  omnino  tropus^  quia  nihil  vertat.  Necesse  est  sem- 
per.,  ut  id.,  quod  est  appositum,  si  a  pioprio  diviser is ,  per  se 
significet  ei  faciat  antonomasiam.  Nam  si  dicas  Ille.,  qui 
Numantium  et  Cart hagine?n  ever tit.,  antonomasia  est : 
si  adjeceris  Scipio^  appositum,  Non  potest  ergo  non  esse 
junctum.  d.  h.  es  muss  also  nothwendig  das  Appositum  mit  dem 
Proprium  verbunden  sein,  wenn  nämlicli  ein  Tropus  entstehen 


Griecbische   Litte ra tu r.  171 

soll.  Hr.  IL  conjicirt:  Necesse  est  semper^  qunm  idem  appo- 
situm ,  st  a  projjrio  diviseris ,  per  se  significot  et  facit  antono- 
Tnasiom.  Nain  —  appositmn.  Non  potest  ergo  esse  (sc.  tro- 
pus)  sejuJirtnm. 

Wir  glauhen,  dass  unsere  Leser  mit  uns  wVinschen  werden, 
dass  Herr  HeiniscJi  fortfahren  tnöjre ,  seinen  Scharfsinn  und 
seine  Gelehrsamkeit  dem  Qiiintiiian  zu  widmen,  einem  Schrift- 
steiler, der  unter  seineu  bessernden  Händen  gewiss  viel  gewin- 
nen kann  und  wird. 

G.  Pinzger, 


Griechische   Litteratur, 


Thucy didi s  De  hello  Peloponnesiaco  Libri  octo. 
ad  optiinorum  llbroruiii  fideiu ,  ex  veteruni  notationibus  ,  recentio- 
runi  observationibus  recensuit,  argumentis  et  adnotatione  perpetua 
illustravit,  Indices  et  tabiilas  chronohtgicas  adjecit  atqiie  de  vita 
Auctoris  praefatus  est  Franciscus  Goeller  Dr.  Pliilos.  prof.  Gymn. 
Colon,  ad  Khen.  Vol.  I  Über  I — IV,  Accessit  Topographia  Syra- 
cusanim  aeri  incisa.  Lipsiae  in  libraria  Caroli  Cnobloch.  1826. 
Vol.  II  libri  V  —  VIII.  ibid.  1826.   8. 

M2As  war  dem  Freunde  der  Griechischen  Geschichte  eine  will- 
kommene Erscheinung,  dass  in  unserer  Zeit  das  Werk  des 
Tliucydides  von  melirern  Gelelirten  bearbeitet  wurde.  Herr 
Poppe,  Bekker  und  Gölier  haben  sich  grosse  Verdienste 
um  diesen  Scluiftsteller  erworben.  Auch  stand  die  Kritik  und 
die  Interpretation  dieses  Geschichtschreibers  selbst  nach  der 
Düker  sehen  Ausgabe  weiter  zuriick,  als  diess  z.  B.  bey  He- 
rodot  der  Fall  war,  wo  Wcsseling  und  Valckenaer  sich 
ein  unsterbliches  Denkmahl  gegründet  haben.  Es  ist  nun  zu 
hoffen,  dass  die  Reihe  endlich  auch  an  Xenophoiis  Hellenika 
komme,  wo  zur  Ausscheidung  der  Interpolationen  noch  wenig 
bisher  geleistet  wurde.  Hr.  Poppo  bearbeitet  den  Tluicydi- 
des  auf  das  griindlichste  und  liefert  mannigfache  Forschnngen, 
die  in  das  Studinm  desselben  einweihen.  Hr.  Bekker  gab  iu 
zwey  Ausgaben  einen  durch  iVIss.  sorgfältig  berichtigten  Text, 
so  dass  der  Gelehrte  diese  Rezension  gerne  znr  Grundlage  der 
eigenen  Arbeiten  über  diesen  Autor  wählt.  Hr.  Gölier  ver- 
suchte denselben  mit  einem  kritischen  und  exegetischen  Kom- 
mentar in  möglichster  Kürze  zu  bearbeiten;  der  kritische  Kom- 
mentar sollte  immer  dem  exegetischen  vorangehen  und  diesen 


172  Grlecliische   Littcratur. 

sorgfältig  Ijegrüiidcn.  Es  war  schwer,  das  geliörige  Maass  zu 
treß'eii,  und  weder  die  Kritik  noch  die  Interpretation  allziiselir 
auszudehnen,  besonders  da  vielleicht  kein  anderer  Griechischer 
Historiker  grössere  Schwieris^keitea  darbietet:  denn  bey  ihm 
trifft  es  zu,  dass  gerade  der  kürzeste  Schriltsteller  oft  den  läng- 
sten Konnuentar  erfordert.  Auch  rausste,  was  in  kleinern  Aus- 
gaben liäiifig  gefunden  wird,  dass  manches  Leichte  erklärt, 
manches  Schwierige  übergangen  wird,  mit  allem  Fleisse  ver- 
mieden werden.  Ob  nun  Herr  GöUer  den  Forderungen  einer 
solchen  Ausgabe  entsprochen ,  ob  ihm  die  so  schwierige  Ver- 
einigung historischer  und  kritischer  Erklärung  gelungen  sey, 
MÜl  ich  in  dieser  Rezension  zu  zeigen  versuchen.  Indessen 
bin  ich  überzeugt,  dass  jeder  billige  Leser  an  dieser  Ausgabe 
sich  erfreuen,  und  die  Mannigfaltigkeit  der  Kenntnisse,  womit 
dieselbe  ausgestattet  ist,  anerkennen  wird.  Denn  sowohl  für 
denjenigen,  der  die  historischen  Dfia  beleuchtet  wünscht,  als 
auch  für  den  Sprachforscher  isi  dieselbe  wolil  eingerichtet. 
Und  wer  zuweilen  hie  und  da  besonders  im  ersten  Bande  die 
Fülle  philologischer  Gelehrsamkeit  allzu  angehäuft  glaubt,  der 
bedenke,  dass  die  Eigeiithümiichkeit  und  die  Schwierigkeit  des 
Stils  manche  gramraatikalisclie  Erörterung  erfordert,  und  dass 
dadurch  eine  Interpretation  angebahnt  wurde,  welche  an  Wahr- 
heit die  frühern  Aufleger  in  manchem  Stücke  übertrifl't.  Wer 
einmahl  diesen  ungeschmeidigen  Autor  genügend  erklären  will, 
der  muss  ausführlich  und  auf  mancherley  Weise  das  Verständ- 
niss  erzielen. 

Ilr.  Göller  gibt  eine  Auswahl  der  bedeutendsten  Varianten 
theils  aus  den  Handschriften,  theils  aus  den  Scholien  und  den 
übrigen  Schriftstellern,  welche,  wie  Dionysius  Halicarnassen- 
sis  in  grosser  Zahl  Stellen  aus  Thucydides  anführen.  Auch  die 
Nachahmungen,  welche  andre  Schriftsteller,  wie  Demosthenes, 
DioCassiüs,  Arrianus,  Appianus,  Heliodorus,  Prokopius,  Ari- 
stides,  Salustius,  Tacitus  haben,  hat  er  sorgfältig  gesammelt, 
wodurch  sowohl  manche  Schwierigkeit  der  Konstruction  ent- 
räthselt  als  auch  das  schiele  Urtheil,  das  man  zuweilen  hört, 
über  den  gezwungenen  und  rohen  Stil  sehr  berichtigt  wird.  Es 
gibt  vielleicht  kein  Werk,  das  vollendeter  wäre,  und  in  ihm 
ist  mehr  Studium  der  Sprache  als  in  vielen  andern  Schriftstel- 
lern des  Alterthums.  Seine  Eigenthümlichkeit  der  Auffassung, 
seine  Philosophie  in  der  Entwickelung  der  Gedanken,  seine  Kunst 
der  Darstellung  lässt  siel»  am  meisten  mit  Piudar  vergleichen. 

Eine  Lebensbeschreibung  des  Thucydides  ist  beygefügt,  in 
welcher  auch  Herrn  Dali  Ima  uns  Behauptungen  aul'genojnmen 
wurden,  dass  Ilerodot  seine  Geschichte  nicht  in  Olympia  vorge- 
lesen, dass  Thucydides  einer  solchen  niemahls  Iiätte  bey  wohnen 
können,  dass  er  überhaupt  den  Ilerodot  und  sein  Werk  nicht 
gekannt  habe.     lir.  Göller  führt  dieselben  ohne  nähere  Unter- 


TImcydidis  de  bell.  Pelop.  libri.    Reccns.  GocIIcr.  IIS 

Rucluing  beystimmeiul  an.  Aber  die  erste  dieser  Behauptungen 
beruht  auf  keiner  liistorisclien  Grundlage,  und  die  Annahme, 
dass  llerodots  Geschichte  in  Olympia  vorgelesen  worden  sey, 
hat  so  wenig  etwas  AulTallendes ,  dass  es  vielmehr  bei'remden 
wiirde,  wenn  nicht  öfter  solche  historische  Stücke  hey  öffentl. 
Gelegenheiten  vorgelesen  worden  wären,  wie  auch  Sciilosser 
in  der  Universal  histür.  lieber  sieht  der  alten  Welt  1,2  S.  131 
sagt.  Die  zweyte  üehauptung,  dass  Thucydides  einer  solchen 
"Versammlung  nicht  habe  bey wohnen  können,  ist  mit  solcher 
Subtilität  aus  chronologischen  Angaben  kombinirt,  dass  W  es- 
se lings  Resultate  mir  doch  glaubwiirdiger  erscheinen.  Die 
letzte  Behauptung,  dass  Thucydides  iiberiiaupt  das  Werk  des 
Herodot  niclit  gekannt  habe,  wird  so  geführt,  dass  mehrere 
Stellen  bey  Tiiucydides  ganz  unbegreiflich  werden,  wenn  sie 
wahr  seyn  sollte. 

Jedes  Buch  hat  ausführliche  Inhaltsanzeigen.  In  der  An- 
zeige zum  zweyten  Buche  ist  eine  Schilderung  der  Lage  und 
Grösse  von  Athen  beygefü'jt;  im  sechsten  Buche  enthält  die- 
selbe zugleich  eine  Besclirekuing  von  Syrakus,  worüber  der 
Verfasser  auch  ein  besonderes  Werk  edirt  hat.  Die  Anzeige 
zum  achten  Buche,  welche  die  Fortsetzung  des  Peloponnesi- 
schen  Krieges  von  der  Niederlage  der  Athener  in  Sizilien  bis 
zur  Schlacht  von  Cynossema  begreift,  ist  aus  Krügers  Com- 
luentationen  zu  Thucydides  entlehnt. 

Lib.  I  Cap.  1.  ,&ovKvö[dr]g'^9'rjvaLog  ^vvsyQa^iB  röv  nols- 
fiov  Tcov  IJeXüTiovvrjOiav  xal  'A%i]vaicov^  (6q  hitoXi^riöav  TtQog 
d?.!irjkovg.  llr.  G.  erklärt  diese  Worte  mit  Wyttenbach  als  an- 
tiken Pleonasmus,  wie  es  bey  Ilerodot  und  Xenophon  solche 
umständliche  Redensarten  gebe.  Ich  kann  aber  nicht  begrei- 
fen, wie  Thucydides  gleich  in  den  ersten  Worten  seines  Wer- 
kes einen  Pleonasmus  sicli  erlaubt,  wenn  die  Worte  Iieissen 
sollen :  Th.  hat  den  Krieg  beschrieben  der  Pelopojviesier  und 
Athenienser^  tvie  sie  7nit  einander  denselben  geführt.  Ich  den- 
ke vielmehr,  dass  diese  Worte  nicht  pleonastisch  sind,  sondern 
heissen:  Ich  beschrieb  den  Krieg  der  Peloponnesier  und  Athe- 
ner gleich  seit  dem  ersten  Anfang  desselben.  Ich  schrieb  die 
Begebenheiten  nieder.,  so  wie  d.  h.  so  bald  sie  sich  ereigneten. 
OJg,  id.,  bezeichnet  hier  quam  priyniirn.,  ich  schiieb  die  Bege- 
benheiten des  Krieges  auf,  zur  gleichen  Zeit,  da  sie  sich  er- 
eigneten. So  sind  wir  nicht  genöthigt,  dem  Thucydides,  die- 
sem abgesagteir Feinde  alier  Pleonasmen,  gleich  in  seinen  er- 
sten Worten  einen  grundlosen  Pleonasmus  aufzubürden.  —  ort 
a'ii^ät,ovxig  tb  ijöav  ig  avrov  ßagoorf^Oi  Ttagaönsvi}  xrj  Ttäöi]. 
llr.  Schäfer  liest  7}ößV  aus  Suidas ,  Photius,  Zonaras,  wel- 
clie  unsre  Stelle  um  der  Form  'tjiöav  oder  jjöav  willen  ani'ühren. 
Bekker  hat  ebenfalls  j}ößv.  Auch  scheint  sg  avtov  nicht  gut 
in  die  Konstruction  zu  passen,  wenn  mau  aK^ä^owEs  ^](S(xv  d.  i. 


X74  Griechische    Litteratur. 

TJxfitt^ov  liest.  Der  Sinn  ist:  tpeil  beyde  Völker  in  der  Blüthe 
ihrer  Stärke  in  diesen  Krieg  zogen.  —  Tclvrjötg  yccQ  avtiq  ^s- 
yLötrj  dr]  roig"EU.r]6cv  lyivtxo  aal  fiEQEi  ztvl  xav  ßagßdQCOV^ 
(6g  ÖS  UTcstv  ^  %a\  ini  TtXslörov  dvQ^QcJTtav.  G.  hat  diese  drey 
"Worte  cog  de  elTtsiv  in  zwey  Komma  eingeschlossen,  wodurch 
die  Beziehung  zweideutig  wird.  IJekker  hat  nur  Ein  Komma 
und  zwar  vor  cog  ös  dntlv.  In  Tliuoydides  ist  es  vorzViglich 
Avichtig,  nur  wenige  Interpunctionszeichen  zu  setzen,  da  in  kei- 
nem andern  Schriftsteller  das  Auge  und  der  Geist  freyern  Spiel- 
raum haben  iiiuss,  um  die  richtige  Verbindung  der  einzelnen 
Theile  der  Sätze  einzusehen:  Bekker  ging  hierin  musterhaft  zu 
Werke.  Ausstreichen  aller  Interpunction  ist  oft  der  beste  Cora- 
mentar.  —  iy.  b\  tiKp.y}Qi03V  cbv  inl  /.laxQorarov  Gkotiovvtl  /ttot 
mötfiJöaL  ^vf-ißniv^L  ov  ^iyäXa  vonit,co  ytvia^aL.  G.  misbilligt 
mit  Recht  die  Erklärung  von  Krüger,  dass  (6v  iur  a  stehe,  und 
von  öKOTtEiv  abhänge.  Diese  gezwungene  Erklärung,  die  sich 
logisch  gar  nicht  reclitfertigen  lässt,  ist  durch  die  einfache  von 
Hrn.  Schäfer,  zufolge  der  man  Ix  wieder  bey  äv  ergänzt, 
ganz  abgewiesen.  Auch  im  Lateinischen  rauss  zuweilen  die  Prä- 
position zum  Substantiv  und  zum  nachfolgenden  Kelativ  gezo- 
gen werden.  So  sagt  Cicero:  A  rebus  gerendis  abstrahlt  se- 
iieclus?  Qiiibi/s?  an  Hs  ^  quae  in  juvenlute  genmtur  et  viri- 
bus? —  Cap.  2.  exaöTOL  zrp'  eaincov  anokEiTiovrEg  ßicct,6^evov 
VTTo  TLVcov  dsi  7il£i6vroi'.  G,  wollte  erst  lieber  vjio  tcov  ad 
yiliiovav  lesen,  wie  die  Äldina  des  Dionysius  hat.  Aber  der 
Sinn  ist  nach  unsrer  Lesart  noch  etwas  stärker:  ^^  Sie  wurden 
vertrieben  von  jedem  besten  Anköinmling^  der  stärker  war.'"'- 
v%6  räv  du  Ttluövcov  heisst:  sie  wurden  verdrängt  von  dem^ 
der  jedes  Mal  der  stärkere  tvar.  Also  war  kein  Grund  zu  ei- 
ner Aenderung,  del  hat  die  gleiche  Bedeutung  verbunden  mit 
dem  Artikel  oder  Pronomen.  Auch  citirt  der  Schoiiast  des  Ari- 
stides  p.  19  so:  /3ta^6,u£7;og  vtio  tlvov  dtl  nktiövcov.  —  t/Jv 
yovv  'Atriycriv  £X  xov  Im  Tclslörov  dtd  x6  kETcroysav  doxa- 
öiaöxov  ovöav  äv&QCOTtoi  äxovv  ol  avxoi  du.  Die  alten  Scho- 
liasten  verbanden  1%  tov  Inl  nluörov  und  erklärten  dvExa^Ev. 
G.  hingegen  erklärt  diese  Wendung  besser.  Th.  konnte  lyc 
xov  —  ilvac  statt  ovöav  sagen,  was  das  regelmässige  war;  er 
konnte  aber  auch  Ix  xov  —  ovöav  sagen,  denn  der  Hegrilf  ist 
der  gleiche  und  das  Particip  ist  ein  konstruirter  Infinitiv.  Wie 
im  Lateinischen  der  Unterschied  oft  kaum  bemerkbar  ist,  wo 
der  Schriftsteller  nach  gewissen  Verben  den  Infinitiv  oder  das 
Particip  setzt.  —  v.a\  TtagdÖEiyua  toös  xov  köyov  ovx  iXdii- 
öxöv  iöri  öid  xdg  ^Exoixiag  eg  xd  cclla  ^rj  o^oicog  av^rj&fjvai. 
G.  hat  die  Meinungen  von  Poppo,  Lehner,  Tafel  ausführ- 
lich dargestellt.  Er  selbst  versteht  als  Subject  zu  av^rj&rjvai, 
aus  dem  Vorigen  xi'jv  xs  (diööaUav  xat  Boicoxiav  UsXoTtovvi^- 
Cov  TE  TU  nolld  —  T^s  TS  äUr^s  oöa  i^v  XQdxLöxa.     Er  verbia- 


Tliucjdldiä  de  bell.  Pclop.  libri.    Recens,  Goellcr.  175 

det  lg  xa,  aX'ka  mit  öta  raq  \iitoiv.la.q  und  übersetzt  das  Ganze 
so:    Atque  seiitcntiae  a  me  p/oposilae  hoc  finnissijninn  argu- 
mentum esl^    ob  tnigrationes  in  alias  [oder  vielmehr  ceteras'\ 
terras  relitpiam  Graeciam  non  perinde  auctam  esse  ^  quod  qui 
ex  isla  aut  hello  aut  seditione  ejcciderant^  polenlissimi  quique 
in  Atticam  iamquain  sedes  stabiles  futuras  se  recipiebant.    Ob- 
gleich ich  mich  mit  dieser  Krkläriing  eher  als  mit  jeder  andern 
vertragen  könnte,  so  scheint  mir  doch,  dass  in  den  Worten  lg 
xd  äXla  vielleicht  das  Snbject  des  Satzes  ruhe.     Denn  es  sollte 
notliwendig  ein  Siihject  im  Satze  stehen,  da  diejenigen,  welche 
man  ergänzt,    zn  fern  stehen  und   die  jiächsten  nicht  passen. 
"Wie  weit  leichter  wird  die  Strnctur,    wenn  wir  £g  als  ans  der 
letzten  Sylbe  von   ^ixomiag  entstanden   betrachten  und  über- 
setzen: der  grösste  Beiveis  für  das^  ums  ich  sage^  ist,  dass 
durch  die  Emivanderungen  die  übrigen  Theile  von  Griechen- 
land nicht  auf  gleiche    ff  eise  wie  Attika  vergrössert  wurden. 
Attika  vergrösserte  sich  durch  alle  Einwanderungen,    während 
in  den  übrigen  Landschaften   die  friihern  Einwohner  von  den 
Einwanderern  jedesmal  verjagt  wurden.  —     Cap.  15.  ovÖ'   av 
avxol.      Diese  Znsammenstellung  klingt  unangenehm;     Suidas 
lässt  av  weg,    und  ich  glaube  mit  Hecht.     G.  vertheidigt  diese 
Lesart.  —      Cap.  20.    agTCBQ  tovg  Xc  Aa^iÖaipioviav  ßaückeag 
^1]  jxuc  ipr](pG}  TtfjogzL&iöd'ai  eKaxEQov  dlla  Övolv.    Allen  alten 
Zeugnissen  zuwider  sollen  Avir  nacli  der  Lehre  von  Hrn.  Dahl- 
mann   nicht  glauben,    dass  'I'hucyd.  hier  stillschweigend  den 
Herodot  berichtige.      Ist  es   bloss  zufällig,     dass  jene   histo- 
rischen Data,    welche  Thucydides  in  seinem  W^erke  berichtigt, 
gerade  in  llerodots  Geschichte  stehen'?     Wen  konnte  er  fer- 
ner im  Auge  haben,    wenn  er  schreibt  1,  97:    eygatpa  ös  dvxa 
f  Athens  Kriege  seit  seiner  Hegemonie  in  Persien,    Aegypten, 
Hellas)  xal  xrjv  exßoX>]V  xov  loyov  t7roirj6d^7]v ,  did  xöÖs  ort 
xolg  Tigö  Euov  anaöLV  sxhjilg  xovxo  i]v  xd  lagiov  %a\  rj  xcc 
JIQO  xcov  Mrjdixcüv  'EXky]Vf/.d  tvvEx'iQiöav  rj  avxd  xd  Ah]dixa' 
xovrav  ös  ögTisg  aal    rjtl'axo  Iv   xy  '/ixxixij  ^vyyQaq)fj  'Ekld- 
rtxog,  ßgayjag  xe  xcd  xolg  XQovoig  ovk  dxQLßojg  ETCBfivijö&rj'i 
Sind  wir  nicht  genöthigt,  hier  an  Herodot  zn  denken*?     Zudem 
waren  ja  beyde  noch  Zeitgenossen.     Herodot  erlebte  das  Ende 
des  Peloponnesischen  Krieges.  —    Cap.  22.   «AA'  dg  ixaxigcov 
xig  evvoLag    fj  p,vr/fX7]g    syoi.      G.  hat  EKnxsgav  aufgenommen 
statt  EKaxEga ,    was  sonst  die  meisten  Mss.  haben,    weil  Tli. 
nicht  so,    sondern   SKaxigoig  geschrieben  Ijütte.       Ich  denke, 
dass  beydes  geschehen  konnte.     Auch  Bekker  liest  a?g  £xa- 
XEga   Ttg,  wodurch   die  Konstruction  einfacher  wird.   —      oGoc 
ÖS  ßovXrjöovxai.  xcov  xs  yEvo^uevcov  x6  öacplg  ökotcelv  aal  xäv 
(lEkXovxav  ÄOTf,     av&ig  xaxd   xö  dv&gcjTtEiov   xotoviav  xal 
TcagauXriGlcov  EöEö^at.,  cocpskt^a  xgivEiv  avxd  dg^iovvxag  E"t,£L. 
G.   stellt  ausführlich    die  Erklärungen  von    Wytteubach, 


ITO  Griechische  Litteratar. 

Kisteraaker,  Hermann,  Poppo,  Krüger,  Lehner, 
Tliiersch  dar.  Er  fol;ü:t  Poppos  Uebersetzung:  für  das  Ge- 
hör wird  vielleicht  das  Nichtfabelhafte  dieser  Begebenheiten 
minder  ergötzend  scheinen:  wenn  aber  Männer^  die  das  Ge~ 
schehene  und  das ,  hhis  sich  einst  wieder  nach  dem  Gange  der 
menschlichen  Schicksale  auf  gleiche  und.  ähnliche  Art  ereignen 
möchte ,  in  Idareni  Lichte  betrachten  wollen ,  diese  Begeben- 
heiten wid  deren  Erzählung  für  nützlich  achten ,  so  wird  die- 
ses ge?iügen  —  doch  mit  folgender  Modifikation:  quicunque 
auteni  volent  veritatein  eoruni^  quae  evenerint  ^  conniderare  et 
eoruni^  qtiae^  ut  sunt  res  human ae  ^  vel  talia  oninino  vel  siini- 
lia  sint  eventura^  illos  satis  erit^  ea  esse  utitia^  judicare.  Die 
Ergänzung  von  xovrovg  zu  xob'Biv  passt  niclit  gut  z»  ägxovv- 
rcog  e^SL;  auch  passt  t6  öaq)lg  ökojibli'  nur  aui"  tav  yEvoi.iivcov., 
liiclit  auf  xcöv  jWfAAo'vrwvj  der  Art.  rcov  vor  (.ii^^XÖvtcov  sclieiat 
anzuzeigen,  dass  tcov  ^ellövrcov  su'.)stanti\isch  zu  verstehen 
sey,  und  dazu  mnss  ein  Particip  verstanden  werden.  Mir  ge- 
fällt am  besten,  wie  Ilr.  lieriaann  in  Opusciilis  T.  I  p.  285 
die  Konstruction  erläutert.  Quod  saepius  Jit^  tit  verbuni  uuiit- 
tatur  repetendum  e.v  praecedentibus^  hie  quoque  factum  est. 
Plene  haec  sie  dixisset:  aal^  rcov  ^itXkovrcjv  tiotb  avd'ig  xata 
rö  avd'QCOTiSLOv  totovtcov  xal  nagarcXriöicov  eösö&ai  ,«f  AAdircov, 
cocpih^a  XQLVUV  avtä,  KQXovvTcog  tt^u.  Satis  erit  factum^  in- 
quit^  si  qui  vel  res  qnae  gestae  sunt  accurate  considerare^  vel 
ubi  futura^  ut  fieri  solet^  eamdem  aut  simileni  formani  habe- 
bunt ^  utilem  judicare  hunc  Uhr  um  voluerint.  Er  sagt  ungefähr 
diesen  Gedanken:  „mir  genügen  jene  Leser,  welche  die  VVahr- 
lieit  in  der  Vergangenlieit  aufsuchen,  und  meine  Geschichte 
für  die  Zukunft,  wenn  diese  sich  wieder  eininalil  äliaüch  oder 
gleich  gestalten  sollte,  nützlich  achten  Mir  genügt,  wenn  maa 
findet,  dass  meine  Geschichte  über  die  Vergangenheit  wahrhaft, 
und  für  die  Zukunft  belehrend  sey.^'  Tliucydides  spricht  also 
liier  i\e\\  ge(loj)pelten  Zweck  der  Geschichte  aus,  Erforschung 
der  Wahrheit  in  der  Vergangenheit,  und  Belehrung  für  die  Zu- 
kunft zur  besseren  Ordnung  der  Umstände.  Mir  genügt  der 
Leser,  der  Wahrheit  in  der  Vergangenheit,  Belehrung  für  die 
Zukunft  in  meiner  Geschichte  finden  will.  —  II,  35.  ojg  nalov 
inl  toig  iK  rc5v  tcoXI^cov  d^a7troi.ievoLg  dyoQSvsöQ'ai  avtov.  Dio- 
nysius,  sagt  G,,  fand  in  seiner  Handschrift  <les  Tliucydides  cog 
%aX6v  y\  da  er  diese  Worte  als  creticus  bezeichnet.  Hr.  Schä- 
fer wollte  ein  Komma  nach  kuXov  setzen,  damit  durch  den  star- 
ken Acceut,  der  auf  die  letzte  Sylbe  von  xalöv  falle,  der  cre- 
ticus wenigstens  für  das  Ohr  erreicht  werde.  G.  aber  glaubt, 
dass  der  Sinn  oder  die  Konstruction  diess  nicht  gestatte.  Diess 
scheint  mir  unrichtig,  denn  diese  zwey  Worte  bilden  einen 
vollständigen  Satz.  —  7;  d6xr]0ig  ukri^elag.  G.  tadelt  mit  Recht 
die  Erklärung  des  Scholiasten,   dass  t]  d6xi]öig  dXrj&Siag  peri- 


Thucydidis  de  bell.  Pelop.  libri.   Rccens.  Goeller.  177 

phrastisch  für  dXijd'Sia  stehe,  er  selbst  erklärt  certam  persiia" 
sionem  excitare,  verum  esse  aliquid.  Ist  nicht  vielleicht  rich- 
tiger zu  übersetzen:  es  hält  schwer,  da  befriedigend  zu  spre- 
chen, wo  kaum  auch  nur  der  Scheiti  der  Wahrheit  behauptet 
werden  kann'?  —  c.  37.  %al  övo[ia  [lev  dicc  ro  (i^  sg  okiyovg 
«AA'  sg  Jikdovag  oIxhv  dij^oxQatla  nExXrjraL'  ^STtött  Ös  xarä 
[lev  Tovg  vofiovg  Tigog  rä  Xöia  öiäcpoQa  %ä(3i  x6  l'öov,  jcara  ös 
rijv  cc^lcoöLV^  cjg  sicaöTog  sv  reo  svöoKi^sly  ovx  dno  (iSQovg  to 
siXslov  eg  td  zoLvd  ij  dno  dg^r^g  ngoTi^ätav.  Au  dieser  Steile 
führt  Hr.  G.  die  Worte  des  Scholiasten  unvollständig  an,  wel- 
che so  lauten:  'ETisidr)  cpavkov  do'Asl  tJ  drj^OKQaTia  xal  ogä  tovg 
Adücovag  öB^vvvofisvovg  inlrrj  dQiötOKgaria ,  indyu  kkyav 
ort  Tcj  yCbv  ovöiiaxi  örj^OKQaria^  toj  da  sgycp  dQLötoxQcctia  s6tIv 
^jticov  7]  noXiTBia.  Ilr.  G.  beachtete  diese  Worte  weiter  nicht. 
Wenn  wir  aber  auf  dieses  alte  Zeugniss  hören,  so  erhalten  wir 
eine  ganz  andere  Erklärung  für  diese  ganze  Stelle.  Die  ge- 
wöhnliche Erklärung  ist:  Die  Verfassung  unsers  Staates  ist 
so  glücklich^  dass  wir  fremde  nicht  beneiden ,  sondern  dass 
dieselbe  eher  ein  Vorbild  für  andere  ist,  als  dass  wir  andere 
nachahmen.  Ihr  Nähme  ist  Demokratie,  weil  die  Regierung 
nicht  von  wenigen.,  sondern  von  der  Mehrzahl  geleitet  wird; 
vor  den  Gesetzen  haben  alle  bey  persönlichen  Streitigkeiten 
das  gleiche  Recht ,  und  ivo  es  auf  Auszeichnung  ankommt, 
wird  jeder,  worin  er  bewährt  erscheint^  zu  öffentlichen  Ge- 
schäften nicht  sowohl  nach  einer  besondern  Klasse  als  nach 
Tüchtigkeit  hervorgehoben  !  Die  zweyte  Erklärung  ist  nun  fol- 
gende :  unser  Staat  ist  eine  Demokratie,  doch  nur  dem  Nah- 
men nach,  weil  die  Regierung  nicht  in  den  Händen  einzel- 
ner weniger  liegt,  sondern  ein  Gemeingut  ist  der  ganzen 
Nation,  u?id  weil  die  Gesetze  allen  in  bürgerlichen  Streitig- 
Iceitefi  gleiche  Rechte  getvähren:  nach  dem  icahren  Werthe 
aber^  nach  der  wahren  Geltung  aber  unsrer  Verfassung  wird 
nur  der,  der  sich  am  meisten  auszeichnet,  nicht  um  des  Krb- 
adels  willen,  sondern  seiner  Trefflichkeit  wegen  zur  Staats- 
verwaltung gezogen.  —  Wiewohl  die  Regierung  der  ganzen 
Nation  gehört,  so  wird  doch  nur  der  Tüchtigste  zu  der  Verwal- 
tung gezogen :  unsre  Verfassung  ist  also  dem  Worte  nach  eine 
Demokratie,  der  Sache  nach  eine  wahre  Aristokratie.  Nach 
dem  wahren  Begriffe  unserer  Verfassung  ist  unser  Staat  eine 
Aristokratie,  und  zwar  in  einem  höhern  Sinne  des  Wortes,  als 
sich  dieselbe  in  Sparta  kund  thut.  Sobald  sich  nehmlich  der 
einzelne  Bürger  durch  irgend  etwas  auszeichnet,  so  wird  er, 
nicht,  weil  er  zu  einer  privilegirten  Klasse  gehört,  wie  diess 
in  Sparta  erforderlich  ist,  sondern  um  seines  Verdienstes  willen 
zur  Verwaltung  des  Staates  gezogen.  Auch  ist  keiner,  der  et- 
was Tüchtiges  im  Staate  leisten  kann,  um  seiner  Armuth  wil- 
len, wie  diess  in  andern  Aristokratien  des  Alterthums  der  Fall 

Jahrb.  f.  tlUl.  u,  tüdag.  Jalirg.  V.  Heft  'i.  12 


178  Griechische    Litterator. 

war,  ^geschmälert  oder  verkürzt,  weil  sein  Werth  nicht  in  Gold 
und  Silber  schimmert.  Jeder  sieht  leicht  ein,  dass  diese  Er- 
klärung dem  Charakter  des  Redners  und  dem  Zusammenhang 
weit  angemessener  sey.  Perikles  vergleicht  den  Atlieniensi- 
schen  Staat  Stück  für  Stück  mit  Sparta,  und  findet  jedes  Mal, 
dass  Athen  nicht  nur  das  Gute  von  Sparta,  sondern  noch  weit 
höhere  Vorzüge  besitze.  Um  nun  diese  Erklärung  in  nnserm 
Texte  festzustellen,  bedaif  es  keiner  Veränderung.  Ich  be- 
trachte nämlich  v,axa  b\  ttjv  d^iaöiv  als  entsprechend  dem 
obigen  övofia  ^sv,  aber  jene  Worte  schliessen  sich  zunächst  an 
xara  ^BV  Tovg  vofiovg  an,  welcher  Satz  die  Erklärung  enthält 
von  den  Worten  övo^a  filv  diä  to  [iri  ig  oUyovg  dXX  ig  Ttldo- 
vccg  oixHV  dr]^OiiQarLa  asTiXrjrut.  Dem  Nahmen  nach  regiert 
das  Volk:  denn  gesetzlich  ist  zwar  jeder  Bürger  dem  andern 
gleich  gestellt,  aber  nach  dem  wahren  Begriffe  unserer  Verfas- 
sung wird  nur  der  beste  zur  Verwaltung  des  Staates  gezogen. — 
c.  39.  ovTE  yccQ  AaxedaL^ovLOL  xad''  sxdöxovg ,  fiEtd  nävxav 
d'  ig  rriv  yr^v  ijfitäv  öxQaxBvovöL.  G.  zieht  die  andre  Lesart 
v,a%'  aavxovg  vor.  Auch  die  erste  Lesart  ist  richtig,  die  La- 
kedämonier  ziehen  nicht  vereinzelt,  als  einzelnes  Volk,  sondern 
bloss  mit  Beyhülfe  aller  übrigen  Bundestruppen  gegen  uns  zu 
Felde.  naixoL  st  Qa^v^ia  ^üXXov  rj  növcov  (iB?^sxy]  %a\  inq 
HBxd  vo^av  TO  Ttkalov  i]  tqotccjv  dvÖQBiag  i^ikoifiBV  tavdv- 
VBVBiv-,  nBQiylyvBxai  rjfilv  xolg  xb  ^akkovöLV  dXyBtvoig  fi^  tiqo- 
xd^vBLV,  aal  ig  avxä  ikQovöi  ^rj  dxol^oxBQOvg  xav  dsl  ^ox- 
l^ovvxcov  (palvBö^ai.  Bekker  und  Krüger  lesen  idslo^iBV, 
was  G.  mit  den  Worten  bestreitet:  nam  neqtie  otio^  ?iec  sine 
legibus  sese  agere  dicit^  sed  hoc :  si  otio  potius  quam  laho- 
rum  ineditatione  ^  si  legum  minus  quam  rnorum  fortitudine 
pericula  subire  vellemus.  Aber  da  dieser  Satz  eine  Schluss- 
folgerung aus  dem,  was  er  im  39sten  Capitel  entwickelt  hat,- 
enthält,  so  glaube  ich,  dass  der  Indicativ  iO^BXofiBv  das  rich- 
tige sey.  Jfetin  wir  also  mehr  sorglos  als  sorgenvoll,  und 
nicht  sowohl,  weil  die  Gesetze  uns  zur  Tapferkeit  zwingen, 
sondern  weil  wir  aus  Grundsätzen  tapfer  sind,  jede  Gefahr 
gerne  bestehen,  so  haben  wir  den  Vortheil  vor  defi  Sparta- 
riern voraus,  dass  etc.  —  Uebrigens  nahm  Blomfield  statt 
dxoXfioxsQOvg  den  Dativ  dxoXnoxigoig  auf.  Hr.  G.  glaubt  aber, 
dass  diese  Unregelmässigkeit  nicht  ausgeglichen  werden  dVirfe, 
da  die  Konstruction  beide  Kasus  gestatte  und  die  Schriftstel- 
ler hierin  mit  grosser  Freyheit  zu  Werke  gehen.  Tacitus  lie- 
fert hierin  ganz  entsprechende  Beyspiele.  —  Cap.  40-  xal  xu 
igaQBxyjV  r^vavxLco^e&cc.  Dass  diese  Stelle  fehlerhaft  ist,  scheint 
unzweifelhaft.  Reisig  konjlcirte  dv  'i^vccvxicö^Bd'a.  Eine 
eben  so  leiclite  Veränderung  ist  die,  die  erste  Sylbe  in  i^vav- 
tLco^Bxfa  zu  tilgen,  da  sie  entstanden  seyn  kann  aus  der  letzten 
Silbe  in  dgarr/i/.     Diese  Vermuthung  äussert  auch  G.     Schon 


Tlmcydldls  de  bell.  Pelop,  libri.    Reccns.  Goeller.  179 

lange  vorher  kannte  diese  bessereLesart  Schneider,  wie  sich 
aus  dem  Lexico  s.  v.  dvriccco  er^iebt.  „Bey  Thiicyd.  II,  40  dv- 
tia^s^a  statt  BvavtLOV^Bd'a,  discrepanms  ^  wie  Ilesychius  in 
7JvTi]6e  bemerkt  hat.  Gewöhnlich  steht  i^vavtiwixEQ'a.'-''  —  ßs- 
ßatötSQog  ÖS  6  ögaöag  ti^v  xägcv^  aörs  ocptLko^ivrjvÖL  evvoiag 
c3  dedoKS  6c6t,Eiv'  6  ö'  dvzo(pBiXc3v  dfißkvvBQog^  sldag  ovx  eg 
^ccQLV^  dk?J  Ig  ocpuKriyLa  trjv  dgExijV  d:todä6c}V.  Hr.  G.  kon- 
struirt  diese  Worte  so:  cöözs  6c6t,Biv  öl  ivvoiag  6(pBilo^ivriv 
VTi  sxEivov^  w  dedcoiiE.  D.  i.  Beständiger  in  der  Gesinnung 
ist  der  Ji  ohlthäter,  damit  er  den  schädigen  Dank  des  Eni^ 
pfängers  der  Wohlthat  für  sei?i  WohluwUen  erhalte ;  lässiger 
der  Verpflichtete,  wohl  tvissend^  er  werde  nicht  als  Gefällig- 
keit^ sondern  als  Schuldigkeit  den  Piefist  erwiedern.''''  —  Die- 
ser Gedanke  ist  unwahr  und  verkehrt.  Denn  ^vie  kann  man  be- 
haupten: dass,  wer  jemanden  viele  Wohlthaten  erwiesen  habe, 
sorgfältig  sich  bemi'ihen  müsse,  die  Freundschaft  jenes  Men- 
schen fortdauernd  zu  besitzen,  damit  derselbe  nicht  den  Dank 
ihm  verweigere*?  Wir  müssen  also  einen  andern  Gedanken  iu 
diesen  Worten  suchen.  Ich  folge  der  Erklärung  des  Scholia- 
sten,  welcher  sagt:  ^  övvTcc^ig  ovtcog'  äöxs  6q)£i,lo^svr]V 
Gco^siv  Bxslvov  drjXovoTL^  a  dt  ivvolag  öadaxE.  G.  führt  diese 
Erklärung  auch  an  mit  dem  Beysatze:  est  alia  huiiis  loci  inter- 
pretandi  ratio^  sed  patdo  difficilior ,  und  gibt  ihr  folgende  ¥tv- 
klAvang:  ßrmior  in  amicitia  is ,  qni  henejicium  confert ,  ut  is^ 
in  quem  beJievolentia  ductus  contulit ,  beneßcii  inemor  sit;  qui 
autem  gratiam  referre  debet ,  hebetior  est ,  quia  seit ,  se  noii 
beneficium  collocaturuin,  sed  rem  debitam  persoluturum.  Aber 
der  Scholiast  wollte  vielmehr  folgenden  Gedanken.  Wir  ha- 
ben, sagt  Perikles,  einen  ganz  andern  Begriff  von  der  Freund- 
schaft als  die"  übrigen  Menschen:  denn  nicht  durch  Wohlthaten, 
die  wir  empfangen ^  sondern  die  wir  erweisen,  erwerben  wir 
uns  Freunde.  Der  Wohlthäter  ist  gewisser,  einen  Freund  zu 
besitzen,  weil  der  Empfänger  derWohlthat  sie  wie  eine  Schuld 
nicht  vergessen  kann ;  der  Empfänger  ist  ungewisser,  ob  er  ei- 
nen Freund  besitze,  weil  er  weiss,  dass  nicht,  um  sich  jemand 
zu  verpflichten,  sondern  um  eine  Schuld  abzutragen,  er  einen 
Dienst  erweist.  Der  ist  der  stärkere,  der  Wohlthaten  übt, 
denn  er  weiss,  dass  der,  dem  er  sie  aus  Liebe  erwiesen  hat, 
sie  wie  ein  geborgtes  Gut  betrachtet,  das  er  zurückzugeben 
habe.  Der  Wohlthäter  ist  sicherer,  dass  er  durch  die  Wohl- 
that  einen  Freund  sich  gewinnt,  der  Empfänger  hingegen  kann 
nicht  darauf  zählen,  dass  der  Wohlthäter  sein  Freund  sey,  dass 
er  also  mit  dem  Empfang  der  Wohlthat  auch  einen  Freund  ge- 
wonnen habe.  Und  wir  allein,  fährt  Perikles  fort,  erweisen 
Wohlthaten  nicht  aus  Bercchnuüg  des  Vortlieils,  sondern  in  der 
Ueberzeuguug,  dass  wir  dadurclä  freyer  werden.  Der  ist  näm- 
lich der  freyste  Mann,    der  die  meisten  Wohlthaten  erwiesen 

VI* 


180  Griechische    Litteratur. 

ond  niemals  solche  empfangen  hat.      Der  grösste  Wohlthäter 
ist  der  freyste  Mann,    er  ist  nirgends  Schuldner,    sondern  die 
^anze  Welt  ist  ihm  verschuldet.     Alle  sind  gezwungen,  ihm  zu 
helfen,  ihn  zu  unterstiitzen.     Die  Tugend  macht  die  Menschen 
frey  und  stark.     Der,  welcher  andern  hilft,    wird  selbst  stär- 
ker (ßsßaLOtiQog),  weil  diese  ihm  helfen  müssen  ;  der,  welcher 
sich  helfen  lässt,    gewinnt  dadurch  nicht  an  Stärke,    er  wird 
schwächer  (a^ßkvzEQog),  er  verliert  an  Selbstständigkeit,   weil 
er  seine  Stärke  dem  Wohlthäter  opfern  muss.  —  Cap.  42.  rc5v- 
ds  öh  ovre  TcXovta   tig   x^v    tri,  dnökavGiV  TCQOtiiir^öag  ffia- 
laalo&T]  ^    ovTE  Ttevtag  IXnidt,    cog  aäv  en   öuacpvyfav    avTrjv 
nkQvxriöBiEV  dvaßo^jv  rov    dsivov    inoi^öaxo.        G.    verwarf 
die  gewöhnliche  Lesart  ovts.  nXovtov  Tig  xrjV  bzl  ditoXavöLV, 
weil  der  Gegensatz  nsvlag  iXniöv  sey,    dem  also  nkovxcp  ent- 
sprechen miisse.     Wenn  aber  nkovza  einen  adäquaten  Gegen- 
satz haben  sollte,  so  müsste  dieser  jrgMa  seyn,  aber  die  Gegen- 
sätze bestehen  hier  nicht  im  einzelnen  Worte,  sondern  jiXovtov 
T^v  exL  ccTtoXavöLV  entspi'icht  dem  andern  Glied  nsvLag  skniöi 
dtg  ndv  an  dLaq)V'yeav  avtijv  jikovxjjösts.     Bekker    hat  den 
Genitiv,  —  xccl  av  avxcß  xä  dfivvsöQ'ai,  nal  naO'slv  ^läXXov  r^yi]- 
öd^EvoL  7]  x(p  EvdövTEg  Gä^eöQ'aL,    x6  ftfv  alöxQov  xov  loyov 
ecpvyov.      Hr,  G.  erklärt    diese  Konstruction    aus   der  Vermi- 
schung zweyer  Redensarten,  so  dass  Th.  entweder  sagen  sollte: 
ev  avxä  xco  d^vvEö&aL  xal  sta&clv  [läkXov  T^yrjöäfiEvoi,  öj  xa 
ivöovvai  6(6t,EG>dai    oder   iv  avxa  d^vvo^EVOL  aal   na&övxEg 
^äXXov  rjyrjöd^EvoL  ij  EvdovtEg  öd^söd'ai,^  so  dass  der  Sinn  die- 
ser Stelle  folgender  ist:    sie   glaubten,    dass  sie   eher  durch 
Kampf  und  Leiden  als  durch  Feigheit  ihr  Leben  fristen  wer- 
den.     G.  bestreitet  hierauf  die  Bekkersche  Lesart:    ev  avxa 
t6  dfivv£6&ai  aal  na^Eiv    fidXXov  7]yfj6d(iEV0L  ij  xo  IvdovxEg 
(j(o^£0ö"at  d.  i.   sie  schätzten  es  hölier,    in  der  Schlacht  sich 
tapfer  zu  wehren  und  zu  sterben,  als  durch  Feigheit  das  Leben 
zu  erhalten.   In  dieser  Konstruction  nämlich  entspricht  EvöövxEg 
dem  d^vvEö&aif    6cöt,e6&ac  dem  jca&ELV.      G.   bestreitet  diese 
Lesart  dadurch,    dass   (.läXXov  nicht   hqelxxov  heissen  könne. 
Aber  fiäXlov  fjyelö^ai,  heisst  doch  ?nalle^  praefene^  potius  du- 
cere.      Beyde   Erklärungen    geben    einen  wiirdigen  Gedanken, 
doch  scheint  mir  die  letztere  wegen  des  Folgenden  besser  zu 
passen.  —  nal  öt  iXa%i6xov  xaiQOv  xvxrjg  d^a  dx^ij  xrjg  Öo^ijg 
Hdkkov  ij  xov  daovg  dTcrjkldyrjöav.     Diese  Stelle  hat  G.  mit  kei- 
nem Worte  berührt,   und  doch  gehört  sie  zu  den  schwierigen, 
weil  manchcrley  Verbindung  der  Worte  möglich  ist.  —  C.  43. 
dXyEiVoxtga  yccQ  dvögl  ys  qigövrj^a  (%ovti  ij  Iv  xa   ^lExa   xov 
HaXuKLö^dijvccL  nducjöLg.     G.  hat  sv  xco  eingeklammert,  und  will 
die  Worte  mit  Stobaeus  weglassen.     Bekker  schreibt  ev  xcp 
und  diess  gibt  einen  guten  Sinn:  bei  irgend  einem  Anlass^  ir- 
gendwie. —  Cap.  44.  av  JtoXvzQOJiots  y^Q  ^v^icpogals  azCözav- 


Thucydidis  tle  bell.  Pclop.  llbri.  Recens.  Goeller.  181 

Tai  tgacpEVTEg'  t6  ö'  ivtvxh^  o"  av  r^g  EvirQSTCEördtrjg  Xa- 
%co6lv  äöTiSQ  OLÖE  jiiEV  Ttjg  TsXivtrjgy  Tj^slg  Öe  Ivrtrjg,  xal  otg 
EVEvdai^ov^öai  xe  6  ßlog  o^oiag  xal  IvtElEvr^öat  h,vvE}iE- 
tQri%7j.  G.  erklärt  die  Stelle  so:  scitmt  enim  variis  casibus  se 
invitaitsos^  jiotinsque fortunatos  esse,  quibus  vel  esüus  hone- 
stissim?is,  uti  his  nunc^  vel  luctus,  utvobis^  cofttigü  y  et  qnibus 
sie  est  traducta  vila ,  ut  et  in  ea  essent  felices  et  in  felicitate 
decederent ,  d.  h.  ich  will  die  Eltern  der  Gefallenen  nicht  be- 
klagen, sondern  vielmehr  zur  Freude  stimmen;  denn  sie  wissen 
ja,  dass  das  Leben  viel  üiiglVick  bringt,  und  dass  diejenigen 
glücklicher  sind,  welche  den  Heldentod  auch  inderBlüthe  der 
Jahre,  wie  diese  Gefallenen,  oder  die  glorreichste  Trauer,  wie 
ihr,  durch  den  Heldentod  der  Kinder  erlangt  haben,  und  wer 
glücklich  gelebt  und  glücklich  gestorben  ist.  Wie  kann  aber 
Perikles  diess  zum  Tröste  der  Eltern  sagen!  Er  muss  vielmehr, 
wenn  anders  diess  ein  tröstender  Gedanke  seyn  soll,  diejenigen 
glücklicher  preisen,  welche  den  ruhmvollsten  Tod  in  der  Jugend 
oder  den  ruhmvollsten  Schmerz  gelitten  haben,  als  diese,  welche 
in  ruhigem  aber  ruhmlosen  Glücke  gelebt  und  gestorben  sind. 
Er  muss,  um  die  Eltern  zu  trösten,  beweisen,  dass  die  Gestor- 
benen glücklicher  seyen,  als  dieLebenden. —  Hierauf  erwähnt 
G.  beyläufig,  dasPoppo  die  Erklärung  Hermanns  widerlegt 
habe.  Es  lohnt  sich  aber  der  Mühe,  die  Worte  Hermanns  ge- 
nauer zu  betrachten,  ad  Vigerum  p.  712:  ^^Quin  consiliam  ora~ 
torisy  verbitmque  ^WE^stQ'^xh]  ^  quo  vitam  ?^o/^  datam  et  con- 
cessant^  sed  actam  et  iraductain  signißcari  creber  usns  et 
hiijns  ipsius  verbi  et  adjectivi  övjinEtoog  monere  interpretes 
jwterat,  faciunt,  ut  xal  in  ■^\  ad  quod  (läkkov  intelligemlum 
est^  mntayidum.  putem,  quo  facto  sententia  existet  neque  ine- 
ptam  tantologiam  eo7itinens^  et  ad  coiisolandimn  aptissima:- 
sciunt  enim^  variis  se  casibus  in  vita  usos^  potiusqiie  fortuua- 
tos  esse ,  qtäbus  vel  exitus  konestissimus ,  uti  kis  mmc-^  vel 
tucttts^  ut  vobis ,  contigerit ,  qu  a  in  qnibus  sie  traducta  est 
vüa^  ut  in  ea  et  essent  felices^  et  decederent.  Rede  itaque 
schoUastes .-  tovxE6rtv  Iv  Evdai^ovia  aal  i,7J6ca>  aal  teXev- 
T^Gat.""  Poppo  widerspricht  dieser  Erklärung,  weil  man 
nicht  einsehen  könne,  warum  diejenigen ,  denen  der  rühmlich- 
ste Tod  oder  die  glorreichste  Trauer  zugefallen,  glücklicher 
seyen  als  die,  welche  glücklich  lebten  und  starben.  Ich  glaube, 
dass  jene  Behauptung  sich  wohl  begreifen  lasse.  Perikle«  muss 
zwey  Klassen  einander  entgegen  setzen.  Wer  das  höchste 
Glück  auch  nur  durch  seinen  Tod  oder  durch  seinen  Schmerz 
erkauff,  ist  doch  glücklicher,  als  wer  im  Leben  und  im  Tode 
ein  gleiches  Maass  von  Glück  geniesst.  Wer  nicht  glücklicher 
gelebt  als  gestorben,  d.  h.  wessen  Leben  eben  so  wenig  Epoche 
machte  als  sein  Sterben,  dessen  Glück  lässt  sich  doch  nicht 
mit  dem  Glücke  dessen  vergleichen,  d«r  als  Held  gestorben  ist 


182  Griechische   LItteratnr. 

oder  durch  den  Heldentod  seines  Sohnes  den  höchsten  Ruhm 
erlangt  hat.  Der  Sinn  ist  also:  Glücklicher  sind  dit-jenigen, 
Avelche  den  ruhmvollsten  Tod  erlangt  wie  diese,  den  rulimvoü- 
sten  Schmerz  wie  ihr  empfunden  liaben ,  als  diejenigen,  btiy 
welchen  das  Leben  und  der  Tod  in  gleichem  ruhmlosem  Glücke 
dahinfloss.  Diese  Konjectur  empfiehlt  sich  durch  ihre  Einfach- 
heit und  Wahrlieit  so,  dass  icli  mich  wundere,  warum  G,  sie 
nicht  besser  würdigte.  —  Cap.  4r>.  rdf  ydg  ovk  ovtcc  aTtag 
uco&Bv  InaivHV j  nal  /io'Atg  äv  xad''  V7C8Qßoh]v  ccQEtfjg  ovx 
ouoloL  alX  oUya  %BiQovg  XQcQ^sirjts.  —  G.  erklärt  jcaO"'  vtisq- 
ßok^v  ccQSrfjg  propter  exindain  virtutevi  bey  so  ausserordent- 
lichen Vorzügen,  und  bezieht  diese  Worte  folglich  auf  die  Ge- 
storbenen. Ich  beziehe  sie  lieber  auf  die  Lebenden,  die  jenen 
nacheifern,  und  übersetze:  „auch  wenn  ihr  ihre  Verdienste 
übertreffen  werdet." 

Ich  gehe  noch  zu  einer  Stelle  des  siebenten  Buches  über 
cap.  85.  TclhlöTog  yag  drj  qpo'vog  ovrog  xal  ovö^vog  akaööcov 
rm>  SV  tg5  UixskLxä  TtoXeixa  tovra  syBVBto.  Tusaims  und  der 
Scholiast  korrigiren  Iv  tä  'ElliqvMä  mokBfXCO.  G.  lobt  unbe- 
dingt diese  Veränderung.  Aber  warum  soll  Thucydides  nicht 
sagen  können:  dieser  letzte  Verlust  der  Athener  war  noch  der 
grösste^  den  sie  seit  zwey  Jahren ,  da  der  Krieg  in  Sizilien  ge- 
führt wurde ^  erlitten?  hingegen  cap.  87  sagt  er:  ^vvBßrj  xz 
BQyov  Tovro  'EXkrivi'nov  tcöv  xaxä  tov  tcoXs^ov  tovöb  fieyi- 
Crov  ByBVBTO,  d.  h.  diese  Niederlage  war  die  grösste,  welche 
Hellenen  in  diesem  ganzen  Kriege,  ja  in  der  ganzen  helleni- 
schen Geschichte  erlitten  haben.  Diese  letzte  Stelle  beweisst 
also  nichts  gegen  die  obige.  —  Endlich  Lib.  VIII,  5().  'laviav 
%s  yaQ  jiäöav  '^^lovv  diÖo69ai  aal  av&ig  vi]6ovg  tb  rag  iitu- 
XBi^Bvag  Kol  äXla  —  vavg  rjt,iOv  luv  ßaöLXia  7ioiBl6\fat  aal 
TcaQanKBiV  t^v  aavtcöv  yrjv  oTcr]  äv  xal  oöatg  äv  ßovkrjxai,. 
Hr.  G.  nimmt  mit  D ah  1  mann  an,  dass  der  sogenannte  kimo- 
uische  Friede  eine  Erfindung  eines  betrügerischen  Lobredners 
von  Athen  sey.  —  Tissaphernes  sucht  den  Vertrag  mit  den 
Atheniensern  noch  zu  verzögern ,  um  sie  erst  noch  mehr  zu 
schwächen.  Er  fordert  von  ihnen  aber  Bedingungen  eines  Ver- 
trages, dass  sie  dem  Könige  ganz  lonien  und  die  dortigen  In- 
seln abtreten,  und  die  Erbauung  von  Schiffen  gestatten  und  die 
Schifffahrt  im  Aegeischen  Meere,  wie  und  mit  wie  viel  Schiffen 
er  wolle.  Die  Athener  empört  über  diese  Forderungen  brechen 
die  Unterhandlungen  ab.  Diese  drey  Forderungen  machten 
die  drey  Ilauptstücke  des  sogenannten  Kiraonischen  Friedens 
aus.  Der  König  musste  lonien  zurückgeben,  durfte  in  den  grie- 
chischen Landen  keine  Schiffe  bauen,  und  in  Vorderasien  nir- 
gends Schiffe  auslaufen  lassen.  Wenn  nun  diese  Stücke  nicht 
zwischen  Athen  und  Persien  ausgeiuacht  gewesen  wären,  so 
hätte  die  Persische  Kroue  die  Athener  nicht  aufforileru  können, 


Leontücarm.  Hermes,  fragmentemendatuni  etc.  aRiglero  etAxtio.  183 

diese  Artikel  aufznliebeii ,  und  die  Athener  wären  nicht  erbit- 
tert worden,  wenn  sie  nicht  rechtlich  auf  diese  Puncte  sich 
hätten  stützen  können.  Wenn  der  Kimonische  Friede  niclit 
existirt  hätte,  so  hätte  der  König  gethan,  was  ihm  beliebte, 
nicht  erst  um  Erlaubniss  gebeten,  ein  Schiff  im  Athenischen 
Asien  erbauen  zu  diirfen.  Die  Stelle  des  ersten  Buches  Cap. 
112,  wo  Thucydides  von  Kimon  spricht,  ist  kein  Beweis  gegen 
die  Existenz  dieses  Friedensschlusses.  Denn  in  jener  Digres- 
sion  durcheilt  er  kurz  die  Geschichte  der  Athener  in  jener 
Zwischenzeit  vom  Ende  des  Persischen  Krieges  bis  zu  Anfang 
des  Peloponnesischen,  mehr  um  die  clironologischen  Irrthüraer 
des  Hellanikus  zu  verbessern,  als  dass  er  alles  dort  erzählt 
hätte.  Er  berichtigt  dort  mehr  die  fehlerhaften  Einzelnheiten; 
was  riclitig  ist  in  Hellanikus,  beriihrt  er  nicht.  Unsere  Stelle 
dagegen  lehrt  augenscheinlich,  dass  ein  solcher  Friedensschluss 
existirt  hat;  denn  ohne  solche  Friedensartikel  hätte  er  die 
Aufliebung  solcher  Puncte  nicht  veranlassen  können ;  denn  es 
sind  keine  Puncte,  die  man  sonst  fordert,  es  müssen  Artikel 
eines  frühern  Vertrages  seyn. 

Soweit  meine  Recension.  Der  erste  Band  dieser  Ausgabe 
enthält  die  vier  ersten  Bücher.  Eine  Karte  ist  beigelegt,  wel- 
che die  Stadt  Syrakus  und  die  Belagerungsarbeiten  der  Syra- 
kuser  und  Athenienser  darstellt.  Am  Ende  des  zweyten  Ban- 
des, welcher  die  übrigen  Bücher  enthält,  steht  die  Erläuterung 
dieser  Karte.  Dann  folgt  eine  chronologische  Tafel  aller  Be- 
gebenheiten des  Peloponnesischen  Krieges.  Im  zweyten  Index 
hat  Hr.  G.  unter  dem  Artikel  Thucydides  viele  Nachträge  ge- 
geben. Im  vierten  Index,  dem  grammatikalischen,  stehen  auch 
grössere  Excurse,  z.  B.  über  den  Gebrauch  des  Artikels. 

Diese  Ausgabe  ist  gewiss  für  jüngere  und  ältere  Leser  die 
lehrreichste,  und  leitet  am  besten  zum  Verständniss  dieses 
geistreichsten  aller  Hellenischen  Geschichtschreiber. 

Meye7\ 


1.  Leontii  carminis  Hermesianactei  fr agmentum 

emendatum  et  Latinis  versibus   expressum  a  F.  A.  Riglero  et  C  A, 
M.  Axtio.     Coloniae  ad  Rhen.  typis  Bachemü,  1828.     31  S.     16. 

2.  Memoriara  Jo.  Aug.  Ernestü  etc.  indicit  God.  Hcrmannus.     Herine- 
sianactis  elegi.     Lipsiae  1828.     16  S.     4. 

Der  Unterzeichnete,  der  schon  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
hindurch  seine  vorzügliche  Aufmerksamkeit  denUeberbleibseln 
der  elegischen  Poesie  unter  den  Griechen  zugewendet,  hat  vor 
beinahe  zwei  Jahren  die  drei  ausgezeichnetsten  Dichter  dieser 
Gattung  aus  dem  Alexandrinischen  Zeitalter,  den  Philetas, 
Hermesianax  und  Phanokles,  zu  bearbeiten  unternommen.  Die 
erstere  der  oben  stellenden  Schriften  iat  ihm  zugekommen ,   als 


184  Griechische    Litteratur, 

das  Manuscript  seiner  Ausgabe  zum  Drucke  bereit  lag,  so  dass 
er  noch  einigen  Gebrauch  davon  machen  konnte ,  die  letztere 
dagegen  hat  er  erst  erhalten,  als  der  Druck  bereits  begonnen 
und  eine  Nachlese  daraus  fiir  den  Text  des  Ilermesianaktischen 
Bruchstückes  leider  unmöglich  war,  so  dass  auf  andre  Weise 
eine  Benutzung  desselben  erzielt  werden  muss. 

Die  Herausgeber  von  Nr.  1  haben  dem  Griechischen  Text 
eine  metrische  Lateinische  Liebersetzung  gegeniiber  gestellt  und 
unter  beiden  die  Varianten  verzeichnet,  ohne  sich  weiter  auf 
exegetische  Erklärungen  einzulassen,  die  jedoch  bei  den  viel- 
fachen feinen  Beziehungen,  welche  der  Dicliter  nimmt,  vor 
allen  Dingen  erwünscht  gewesen  wären.  Auch  wundern  wir 
uns,  dass  ein  einzelner  Vers  des  Hermesianax,  der  ausser  dem 
liier  herausgegebenen  Fragment  nur  allein  noch  vorlianden  ist, 
unberücksichtigt  geblieben,  und  zwar  nicht  allein  in  Nr.  1,  son- 
dern auch  in  Nr.  2.  Er  steht  bei  Ael.  Herodian.  jieqI  ^ov^qovs 
U^Bog  p.  16  ed.  Dindorf : 

dsQXÖnEVog  JtQog  av^ia,  (lovf]  ds  ot  ecpXaysto  yXi]V. 

mit  offenbarer  Beziehung  auf  denPoIyphemos,  wie  er  vonTheo- 
critos  XI,  17  und  Ovidius  Met.  XIII,  172  dargestellt  wird.  In 
Nr.  1  ist  noch  das  grössere  Bruchstück  des  Phanokles  ange- 
hängt, ebenfalls  mit  Lateinischer  Uebersetzung.  Es  ist  auf- 
fallend, dass  diese  Zugabe  auf  dem  Titel  der  Schrift  nicht  be- 
zeichnet ist.  Auch  hier  fehlen  ein  Paar  andre  Disticha  des 
Phanokles,  obgleich  sie  schon  Ruhnkeuius  in  der  FJpistola 
critica  aufgenommen  hatte.  Da  es  zu  weit  führen  würde,  alle 
Verbesserungen  und  Aenderungen,  welche  in  Nr.  1  vorgebracht 
worden  sind,  umständlich  zu  beleuchten,  so  wollen  wir  viel- 
mehr dasjenige  hervorheben,  was  die  Herausgeber  Bigenthüm- 
liches  geleistet  haben,  und  damit  unser  Urtheil  in  aller  Kürze 
vereinigen.  Hermesian.  Vs.  2  ist  ohne  allen  Grund  die  Aen- 
derung  des  Ruhnkeuius  aufgenommen  @q7]ö6k  — TCi&ccQyj 
wofür  in  dem  besten  Codex  0Qrj66av  öreLkaaEVog  iad'aQfjv,  eine 
weit  exquisitere  Lesart,  und  darum  auch  von  Dindorf  und 
Hermann  beibehalten.  Ebenso  grundlos  ist  nach  Ruhn- 
kens  Vorgang  Vs.  5  kifivr]  in  kl^ivrjg,  dagegen  Vs.  6  gvofisvi] 
in  £66v[iBV7]g  verändert;  in  den  Noten  wird  auch  vorgeschla- 
gen dvo^EVt]g.  Die  Veränderung  des  Nominativus  in  den  Gen, 
ist  jedenfalls  abzuweisen ,  und  der  etwas  auffallende  Gebrauch 
des  Wortes  qvo^evtj  ist  bei  einem  Alexandrinischen  Dichter 
nicht  so  genau  abzuwägen.  —  Warum  Vs.  7  das  handschrift- 
liche 7<,i%aQii,(ov  stillschweigend  mit  ai^agilEiv  vertauscht  wor- 
den ist,  können  wir  nicht  begreifen.  Vs.  I)  ist  mit  II gen  nav- 
delvovg  geschrieben,  während  schon  Heinrich  das  hand- 
schriftliche TCavToiovg  ganz  richtig  erklärt  und  daher  auch 
Hermann  beibehalten   hat.      Vs.  17.   ö'örs  noKvv  ^vöttjölv. 


Leontü  cann.  Hermes,  fragment,  cmendatum  etc.  a  Riglcro  et  Axtlo.  18& 

üöTB  gej^en  alle  Cotkl.,  worin  tJte,  und  ausserdem  TtoXv^vrjötiijöiv, 
das  sich  sehr  gut  erklären  lässt,  wenn  man  darunter  Ceres  und 
Proserpina  versteht ,  wie  sich  aus  dem  Zusammenhange  leicht 
ergibt.  Vs.  11)  f.  'Pccqlov  oQyicov  ccTtsdov  öiaitoi^aivovö]]  Ar]- 
^y'jTQa.  Erstlich  musste  'Püqlov  mit  einem  spiritus  lenis,  oder 
auch,  wie  Hermann  hat  drucken  lassen,  mit  gar  keinem  Spi- 
ritus geschrieben  werden.  V-  Schol.  ad  Ilomeri  Uiad.  a,  50. 
Und  warum  soll  das  gut  erklärte  Participium  8ianoLnvvov6a 
herausgeschafft  werden*?  Unerklärlich  bleibt  also  nur  noch 
6(iyiG3v  ävi^oa,  wofür  man  eher  lesen  könnte  ogyi  avä  te^s- 
vog.  Dagegen  erscheint  uns  Vs.  20  Atj^tJtqcc  für  Ai^^rjtQa  sehr 
gelungen,  besser  unstreitig,  als  das  vom  Ilec.  in  seine  Ausgabe 
aufgenommene  Ar]^7]tQog.  Vs.  21.  Für  das  in  allen  Codd.  ste- 
hende Boicotöv  wird  vorgeschlagen  TiTv/iarov,  wofür  auch  Her- 
mann zu  stimmen  scheint,  indem  er  bemerkt:  Mihi  (jm'deni, 
(pmin  fiila^Qov  vis  aliter  quam  de  sede  Cumana  intelligi 
possit^  panini  apte  Boeotus  dici  videtur  Hesiodns.  Reqiiiri 
hie  Kvfialov  anoTCQoXtnovxa  ^sXa&gov  novissiriii  editores  vi- 
derunt.  Wir  glauben  aber,  dass  dieses  Bolcotov  nicht  als  Be- 
zeichnung des  Geburtsortes  von  Hesiodos  zu  fassen  ist ,  son- 
dern als  ein  allgemein  übliclies  Prädicat,  welches  ihm  von  dem 
Aufenthaltsorte  gegeben  ist,  wo  er  sich  Ann  grössten  lluhra  er- 
worben hat.  Ueber  das  willkührliche  Verfahren  der  Alten  in 
dieser  Beziehung  vergleiche  man  Welcker  ad  Alcm.  p.  459, 
Passow  ad  Theogn.  771  ed.  Bekker.  1,  Müllers  Dorier  1  p.  122. 
Hiernach  dürfte  man  sich  wohl  schwerlich  eine  Aenderung  er- 
lauben, da  nichts  dem  Sinne  des  Alterthums  selbst  Anstössiges 
zum  Vorschein  kommt.  Vs.  2S.  EQäv^^  statt  des  weit  richtigem 
von  Dalecamp  verbesserten  gKÖvo)^',  welches  allein  der  Stelle 
eine  tiefere  Bedeutung  leiht  mit  Rücksicht  auf  eine  Hesiodi- 
sche  Stelle  g^y.  631  sqq.,  darum  auch  von  Hermann  für  die 
wahre  Emendation  gehalten ,  während  er  die  andere  inulilem 
nennt  propter  seqiientem  versum.  Vs.  37.  Die  Handschriften 
geben  noUcp  und  Ttolliä,  wobei  sich  wegen  des  folgenden  Acotoj 
die  Aenderung  in  noUa  leicht  ergibt ,  so  dass  eine  aus  dem 
dunkeln  Lotosholze  verfertigte  Flöte  bezeichnet  wird.  Die 
Herausgeber  aber  haben  sich  durch  ein  Anekdötchen  irre  ma- 
chen lassen,  welches  den  Mimnermos  als  einen  Liebenden  mit 
grauen  Haaren  dargestellt  hat,  und  mit  Ruhnkenius  tioXioq 
geschrieben,  welches  sie  Cß/z?fs  Vlbersetzen.  Solche  Kritik  streift 
doch  in  das  Gebfet  der  Mi?ilegtmgslcunst  ^  obgleich  wir  beim 
Lesen  der  Alten  doch  nur  mit  der  Auslegung  zu  schaffen  ha- 
ben. Vs.  38  scheint  jivrjfi(o^£\g  den  Herausgebern  gar  keinen 
Anstoss  erregt  zu  haben,  indem  sie  frisch  darauf  los  übersetzen 
deperiens.  Das  Richtige  aber  haben  zwei  bedeutende  Kritiker 
ganz  unabhängig  von  einander  schon  längst  wiederhergestellt, 
Her  mann  und  Biorafield,  nämlich  jci^^W'&£iS ,  \.  g.  (poQ^Hu 


186  Griechische    Litteratur. 

vinctus,  nach  der  Erklärung  des  Schol.  ad  Aristoph.  Eq.  1147. 

—  Vs.41  wird  eraendirt  nakklvaov  ts  göav,  oder  aucli  aiXLVOV 
aicit,av^  wovon  uns  keins  recht  zusagen  will.  Vs.  55.  Die  Her- 
ausgeber haben  die  handschriftliche  Lesart  ^vqlov  S'^gen  die 
Casaubonische  Conjectur  Ö^  Qiov  in  Schutz  genommen  und 
ganz  richtig  Vlbersetzt  sinefme,  wodurch  ein  sehr  feiner  in  dem 
menscliliclien  Gemüthe  tief  eingewurzelter  Zug  bezeichnet 
wird,  der  den  erotischen  Dichtern  des  Alterthums  gewiss  nicht 
entgangen  ist.  Ganz  unniitz  aber  ist  das  Citat  Plat.  de  legg. 
p.  818,  ed.  Bekk.  Denn  dort  findet  man  durchaus  nichts  hier- 
her Gehöriges.  AbTiZov  ist  falsch  accentuirt  ,  und  zwar  selbst 
noch  bei  Hermann,  anstatt  y/£XTOv.  v.  Schol.  Venet.  ad  Ho- 
roeri  Iliad.  ^,  284.  Vs.  59.  In  den  Codd.  ist  die  zweite  Hälfte 
des  Verses  verdorben  ayeiQaL%HaQu8o^,  woraus  restitulrt  wird: 
yiQag  Ö£  Qacogldi,  dcöaev  •  .  .  Wir  glauben  aber  mit  Rücksicht 
auf  Athen.  Xül  p.  592  A  richtiger  zu  einendiren  yeQcov  Ös  (dsa- 
gidog  Bidog.  Vs.  CO.  Die  erste  Hälfte  des  Pentameters  wird  so 
liergestellt:  wöcäv,  covte  xöiQLV  .  .  .  obgleich  wohl  mehr  als  so 
viel  ausgefallen  seyn  dürfte.  —  Warum  Vs.  06  die  Vulg,  fie&s- 
mv  ö'  ^Aq%.  in  fxB^^aTicov'AQx.  verändert  worden,  ist  schwer  ein- 
zusehen. —  Vs.  13.  Eine  bessere  und  natürlichere  Emendation 
als  die  Ruhnkenische  kann  wohl  schwerlich  aufgebracht 
werden:  ytyväö^Sig ,  dtovöcc  ^syav  7t.:  darum  auch  von  Her- 
mann unbedenklich  aufgenommen.  Hr.  R.  u.  A.  haben  daher 
eine  unzeitige  Verbesserungssucht  an  den  Tag  gelegt,  indem 
sie  in  den  Text  gesetzt  haben:    yiyvcööKStg  '  jcXeIbv  ds  [isyav  7i. 

—  Beiläufig  wollen  wir  erinnern,  dass  Vs.  T.},  77  und  ander- 
wärts in  der  Cäsur  bei  darauf  folgender  Interpunction  auf  die 
Endsylbe  des  Wortes  der  gravis  statt  des  acutus  gesetzt  ist. 
Vs.  81  ist  ohne  Grund  vereint  geschrieben  TCEQiTiiXQa  statt  der 
Vulg.  mgl  TCLKQCC.  Die  Präposition  gehört  zu  dem  folgenden 
£ö(piy^azo.  —  Vs.  88  ist  die  Conjectur  des  Hemsterhusius, 
ßjro/xaööd;u£a/ov  aufgenommen,  wofür  die  Codd.  dTcoraöööfievov, 
von  Hermann  ganz  richtig  erklärt  distribuentem.  Vs.  92  ist 
mit  Heinrich  und  II gen  geschrieben  £|£öd/3>;ö',  obgleich 
die  Vulg.  einen  weit  schönern  und  wahrhaft  plastischen  Sinn 
gewährt,  den  Weber  in  seiner  deutschen  Uebersetzung  mu- 
sterhaft wiedergegeben  hat :  leichtere  Sorgefi  entband.  sxTtovetv 
ganz  so  wie  das  Lateinische  elaborare,  eniti.  Der  Rec.  freut 
sich  von  ganzem  Herzen,  dass  auch  Hermann  diese  Erklä- 
rung also  vertheidigt :  ^'Et,S7c6v7]6E  non  mutaverini  propter  in- 
solentius  addita  ex  ßa&ei^^  ipf^ZfJS-  Nam  qunm  ex  profunda 
■inente  leviores  curas  elaborasse  Socrates  dicitur.,  m  his  eum 
curis  mentem  suam..,  alias  iii  rebus  gravissiinis  occupatafu.,  ex- 
ercuisse  significat  poeta.'-'-  Vs.  98,  in  den  Handschriften  ganz 
sinnlos  geschrieben,  erscheint  hier  in  dieser  Gestalt:  (pEvycov., 
t]Öv}iav)]s  t    t^sq)ÖQrj05  ßiov,    wiewohl  Person   schon    lange 


Herineslanactiä  elegl.  Recens.  Hermann.  187 

vorher  den  Weg  zur  Wahrheit  gezeigt  hatte ,  da  er  die  letzten 
Worte  emeudirte  e^  'E<pvQi]g  l^ico.  Die  Herausgeber  berich- 
ten falsch,  dass  Porson  die  Vulg.  ov8ayihov  in  ovÖ'  dvLÖiv  ver- 
wandelt habe:  er  liat  vielmehr  diese  verdorbene  Lesart  ganz 
unberührt  gelassen,  und  die  dem  Porson  untergeschobene  Con- 
jectur  riihrt  von  11  gen  her.  Wir  glauben  das  Ganze  am 
schicklichsten  so  zu  verbessern:  (pevycov,  ovo'  d7ik%cov  Ih,  Ecpv- 
Qtjg  aßlco.  Die  Lateinische  üebersetzung  gibt  im  Allgemeinen 
ein  treues  Bild  des  Originals,  könnte  jedoch  hier  und  da  etwas 
eleganter  ausgefallen  seyn. 

Nun  noch  ein  Paar  Bemerkungen  zu  dem  wunderschönen 
Bruchstück  des Phanokles.  Vs.4  hätte  Hermanns  Conjectur 
ad  Orphica  p.  78r>  ovöe  ot  tjv  nicht  unberücksichtigt  bleiben 
sollen.  Vs.  5  wird  angemerkt :  ^^ix7]l£dci5vsg  3Iscr.  fieXiÖcövai 
Paris  et  Leidens."  Daraus  scheint  hervorzugehen,  dass  die 
Herausgeber  die  G  aisf  ordisch  e  Ausgabe  des  Stobäos  unbe- 
nutzt gelassen  haben,  was  doch  unmöglich  zu  billigen  ist;  denn 
die  Lesart  des  Cod.  B.  V7i6  ipvirjv  ist  gar  nicht  erwähnt,  der 
doch  unstreitig  der  Vorrang  gebührt,  cf.  Schaefer  ad  Lamb. 
Bos.  Ellips.  Gr.  p.  50  sq.,  Thiersch  Griech.  Gramm.  §  213.  — 
Es  ist  unbegreiflich,  dass  Vs.  8  ^e^^n  alle  Handschriften,  wel- 
che iviyKYi  darbieten  ,  sv^tjktj  geschrieben  ist.  cf.  Schaefer  ad 
Gregor.  Corinth.  p.  533.  V.  21  ist  ohne  hiiilänglichen  Grund 
die  Conjectur  des  lluhnkenius  tlvovöl  statt  der  Vulg.  ötC- 
^ovöi  aufgenommen  worden. 

Indem  wir  uns  nun  zu  Hermanns  Programm  wenden, 
welches  zum  Theil  durch  die  Erscheiimng  von  Nr.  1  veranlasst 
worden  seyn  dürfte,  wollen  wir  uns  zum  Voraus  gegen  den 
Verdacht  der  Anmaassung  schützen,  als  w  andle  es  uns  an ,  mit 
einem  Manne  vor  die  Schranken  zu  treten,  iiber  den  die  Stimme 
des  Volkes  längst  ergangen  isi:  wir  bezwecken  hier  weiter 
nichts,  als  die  Ergebnisse  von  Hermanns  Untersuchungen  in  al- 
ler Kürze  niederzulegen,  ohne  das  zu  wiederholen,  was  bereits 
oben  gelegentlich  vorgekommen  ist,  und  erlauben  uns,  hier  und 
da  unsre  eignen  Bemerkungen  ohne  Prunk  und  Unbescheiden- 
heit  vorzutragen.  Es  werden  hauptsächlich  zwei  Umstände 
hervorgehoben,  die  daran  Schuld  sind,  dass  noch  so  wenig 
Stellen  des  Hermesianaktischen  Bruchstücks  bis  jetzt  geheilt 
waren :  Earum  una  in  eo  est  posita,  qiiod  nonmdli  ad  ununi 
aliquod  vei'bu7n  dictumve  animum  atlendentes  totius  oralionis 
vitn  sententiafünupie  omnium  complexuni  7iegligunt ;  altera 
autem  cernitur  in  eo ,  qaod  dicendi  genera  distinguere  non 
adsueti ,  earum  vocum  fornnilarumqiie  usum  et  potestatetn 
non  respiciunt^  quae  qaod  pervulgatae  sunt  nihil  villi  conti- 
nere  putantur ^  et  tarnen^  quia  loco  non  sno  sunt  scriptae^ 
nee  debent  nee  possnnt  ferri.  In  den  Text  hat  der  Herausge- 
ber nur  diejenigen  Verbesserungen  aufgenommen,   die  keinem 


188  Griechisclie    Litteratur. 

weitern  Zweifel  unterworfen  sinil,  und  im  übrigen  die  Lesarten 
der  Handschriften  treu  wiedergegeben.  Vs.  3  wird  vorge- 
sclilagen  dnsvd'ea  X(^Qov,  sive  is  ignorabilis  intelligendns^  sive 
ex  quo  nulla  venu  fama.  Gewiss  selir  scharfsinnig.  Weniger 
gern  möchten  wir  Vs.  8  k^avshööE  statt  s^avmELös  unterschrei- 
ben ,  da  uns  der  Grund  der  Aenderung  noch  nicht  schlagend 
genug  vorkommt.  Vs.  9  sq.  Vor  allen  Dingen  stösst  Flerm.  in 
7JÖB  y.al  an,  cuius  nt  pcmllo  ?ninor  pravitas,  elegantia  non  maior 
est^  quam  ülias  iiiscriptioni  Crissaeae  iterum  iterumque  [cf. 
Boeckhii  Corp.  Inscriptt.  Gr.  Vol.  I  p.  3,  praef.  p.  XXII.]  fru- 
stia  obtnisi  y,ai  rs.  Wir  glauben  aber,  dass  sich  hier  rjdh  xal 
in  andrer  Hinsicht  vertheidigen  lasse,  indem  ijda  als  Verbin- 
dungspartikel und  jcat  als  Verstärkungspartikel  zu  alvoxdtov 
zu  fassen  ist,  wie  wir  auch  sagen  und  sogar.  Vielleicht  diirfte 
dadurch  die  Lesart  der  Codd.  gerettet  werden.  Ilerm.  verän- 
dert die  ganze  Stelle:  Kcokvtov  %  avi%i(5xov  Izi  6q)Qv6iV  oldij- 
6avvu  Sids,  aal  a.  ß.  v.  x.  —  Zu  Vs.  17  ist  die  Conjectur  jto- 
kvv  yivöXYiGiv  mit  Unrecht  den  neuesten  Herausgebern  beige- 
legt; sie  riihrt  ursprünglich  von  Ijlomfield  Jier  im  Classical 
Journal  Vll  p.  2rJ3.  Vs.  29.  ^ovöoTtoXäv,  als  Participium  ,  so 
dass  ein  ganz  neuer  Gedanke  hervorgeht  und  rjdiötov  daifiovcc 
nicht  auf  Ilomeros  zu  beziehen  ist,  sondern  auf  Eros,  der  aller- 
dings so  bezeichnet  werden  kann:  dulcissimum  deoru?n  Anio- 
reni  carniinibus  colens.  Hermann  glaubt,  dass  dem  Dichter 
die  hesiodische  Stelle  vorgeschwebt  habe:  '^d'"EQog,  ög  ndl- 
Atörog  Bv  dO'avdtoiöi  &£OiöiV.  Da  jedoch  H.  selbst  das  Verbum 
(iovöotcoXbIv  nicht  anderswoher  belegen  kann,  was  freilich 
nicht  durchaus  erforderlich  ist,  so  bleibt  es  doch  noch  dahinge- 
stellt, ob  nicht  etwa  Hermesianax  den  Gedanken  der  Vulg. 
ausdrücken  wollte.  Vs.  33  wird  verbessert  aXalev  d'  'IxagioVy 
und  bemerkt :  Libri  BxXaLEV  ö'  'Ixdgov.  Mira  socordia  criti- 
corum^  quorzan  ?mllus  hoc  emendaverit.  Wir  glauben,  mit 
Recht,  obgleich  auch  den  Rec.  in  Einer  Beziehung  dieser  Vor- 
wurf trifft,  der  zwar  die  Stelle  nicht  unangefochten  gelassen 
(er  schlug  vor  bkIulbv  ö'  'Iuccqlov  ,  per  synizesin)  ,  aber  doch 
noch  nicht  ins  Reine  gebracht  hat.  —  Vs.  31.  Den  Ausdruck 
TtoXia  (nisi  forte  öxolico  scripsit)  KcoTcp  scheint  H.  nicht  richtig^ 
durch  senili  tibia  erklärt  zu  haben ;  denn  ^oAtog  bezieht  sich 
unstreitig  auf  die  dunkle  Farbe  des  Lotos.  v.  Theophrast  IV, 
3,  p.  12ß  cd.  Scbn.  cf.  p.  127;  Plin.  H.  N.  XIII,  17,  32.  Schön 
ist  övvB^avvEiV  erklärt,  quod  libivinam  ipse  tibia  cancns  seque- 
hatur.  Vs.  39.  Herrn,  hat  zuerst  mit  dem  Rec.  an  der  Form 
riy%BE  Anstoss  genommen,  indem  sowohl  «j^a>f co ,  als  iy%BGi 
ungebräuchlich  ist,  was  keiner  der  früheren  Herausgeber  auch 
nur  berührt  hat.     Herm.  schlägt  vor :    briypr]  ö'  'EQ^ioßtov  tov 

«ft    ßaQVV    '}]d£    0BQ£xk7]V   E^'&pOV    ^LÖrjÖag    oV     dvBTtS^^BV    BTCf}. 

Poenituit  eum  carminum^  qualia  effuderit,   quum  semper  stbi 


Hermesianactis  clegi.     Recens.  Hermann.  189 

gravem  Hermobium,  i7iimicumque  Phereclein  odio  persequere- 
tur.  Ys.  44.  TfidXiov  aLt,aov  d'  i^k^sv  äitoTCQohinov.  v.  Ile- 
sych.  V.  alt,a6v  et  al^dcav,  Strab.  XIII  p.  928  i?.  Gewiss  eine 
sehr  gelungene  Conjectur,  wobei  jedoch  auch  Vs.  43  mit  L  e  n- 
nep  IJaQÖLavijV  zu  schreiben  ist,  falls  nicht  etwas  Besseres 
herausgebracht  wird.  Vs.  55  rd  ö'  o^ovqlov  sYöids  Ai^rov 
{immo  AsHtöv).  Sollte  aber  Rigler  das  handschriftliche  t6 
liVQLOV  nicht  ganz  richtig  erklärt  haben?  —  Vs.  59.  Bcckxov 
Tcal  Tov  (QOt'  (warum  nicht "ß^wr''?)  avsysiQe  SscagCdog,  . 
^yLacima  quid  contiimerit,  plane  i nee r tum:  sed  tarnen,  opino/' 
aut.^  cmnsmodi  quid  snspicatus  est  Ilgenius ,  arte  ab  love 
accepta,  ut  tsxvoööq^a  q^QSvl^  ti^v ,  aut  de  senectute ,  ut  *) 
y-al  yiQano  yccQ  hgäv^  ntrunivis^  siinßnehexametri  olGdafuil.'-'' 

—  Vs.  62.  y,al  önaviov  ^löog  üxoj^evov  ex,  övvodav.  Moscho- 
pulus  in  Vita  Eurip.  öxv&Qcojiog  da  xo  7}Qog  ijv  xal  diiBLÖrjg  xal 
(psvyav  rag  övvovötag'  öQ^sv  xal  fiiöoyvvi^g  töo^äöd'r].  Sinu- 
reich  gewiss,  vielleicht  aber  weniger  der  Gedanke  desDicliters. 

—  Vs.  69.  ccvÖQa  ds  tov  Kv&sgr^d^sv ^  öv  s&Qs^ljavto.  Mag 
auch  dadurch  die  Wortstellung  eleganter  ausfallen ,  so  ist  dar- 
um doch  die  Vulg.  nicht  zu  verwerfen,  die  vielleicht  dem 
Alexandrinischen  Dichter  noch  eigenthiimlicher  seyn  möchte. 
Vs.  Hl  wird  jtaLÖEV&hra  castigatum  erklärt:  ^^respicit  enini 
poeta  poenam ,  qua  affectus  a  Dionysio  fuerat  Pliiloxeniis: 
u?ide  nie  xLVax^ELg,  vehementer  conunotus ,  agvyij,  magjio  cum 
ejulalu  per  urbetn  Colophoneni  transiit^  quum  se  in  patriam  Cii- 
thera  reciperet.'-'-  Uns  scheint  jedoch  diese  Erklärung  zu  weit 
hergeholt  zu  seyn  und  die  cogvy)]  vielmehr  auf  das  Jubelge- 
schrei zu  gehen,  womit  die  Kolophonier  den  Philoxenos  als  ei- 
nen so  beriihmten  Dichter  in  ihren  Mauern  empfangen  haben. 
Vs.  78.  TQVO^evov  für  qvo^evov^  das  uns  jedoch  durch  foven- 
tem  leicht  zu  erklären  scheint :  Qrj^ata  x.  r.  L  QVOiiEvog  be- 
deutet ebensoviel  als  Qr](iccrcov  xal  Ttdörjg  Xahijg  '^gavog,  so  wie 
oben  Musäos  xagirav  TJgavog,  Hesiodos  :jtcc67]g  iJQavog  iöroQirig 
genannt  wird.  —  Vs.81.  avy]i\\Y  avtri^  qnos  anhelans  curadis- 
putando  de  rebus  amoris  macilentos  reddidit.  avxr]  iii]xLg  lässt 
sich  aber  recht  gut  erklären:  gerade  ihr  Tief  sinn,  der  sie  am 
meisten  gegen  die  Einflüsse  der  Liebesraserei  hätte  schützen 
sollen,  hat  sie  verstrickt,  so  dass  sie  zuletzt  ebenfalls  dem  Lie- 
besgott unterliegen  mussten.  Vs.  84.  fpQavöiitvoi  statt  cpmvo- 
(isvov,  wofür  mau  leichter  cpatvo{i£Vov  verbessern  könnte.  Vs. 
95.  Weil  ö'  in  den  Codd.  fehlt,  schlägt  Herm.  vor:  avdga  ds 
KvQrjvalov  söco  no&og  Eönaösv'Iö^ffiov  ÖELVög.  Vs.9C.  dni%d- 
vtjg,  non  quod  Arislippus  eam  magna  pecunia  co?iduxerit,    sed 


*)  Es  kann  wohl  nur  ein  Druckfehler  seyn,  dass  vor  de  sencctule  u  t 
steht  und  vor  xa2  ysi^aio)  aut. 


190  Griecliisclie   Litteratur. 

qiiod  florida  aetate  difßcilis  aditn  fuit,  de  qua  re  scripittm  apud 
Athenaeum  XIII  p.  510,  B^  C\  585,  B.  —  Vs.  J)8.  cpevycov  ev- 
li^ivav  E^'EcpvQfjg  6qlc3V.  Ungern  sehen  wir  hier  £/3ta}  ver- 
drängt. 

Breslau,  im  December  1828.  Dr.  N.  Bach. 


Zwei  Abhandlungen  pliysicalischen  und  mathematischen  Inhalts,  Momit 
zur  Prüfung  der  Zöglinge  des  Cülnischen  Real- Gymnasii  einladet 
der  Direetor  Dr.  E.  F.  Ju^ust.  Berlin  182!)  in  der  Dietericischen 
Buchdruckerei.    56  S.  und  S.  57 — 68  Schulnachrichten,    4. 

Von  den  beiden  in  diesem  Programme  enthaltenen  Abhand- 
lungen müssen  wir  die  erstere:  JJeber  einige  isochrone  Schwin- 
gungen elastischer  Federn  Anderen  zur  Beurtheiiung  iiberlas- 
sen;  unser  Augenmerk  war  nur  auf  die  zweite  gerichtet:  Zur 
Kenntniss  der  geometrischen  Methode  der  Alten.  In  besonde- 
rer Beziehung  auf  die  Platonische  Stelle  im  Meno  22  d.  [p.  87, 
A^  HSt.J  Sie  enthält  ausser  einigen  gehaltvollen  Bemerkungen 
über  die  Methode  der  griechischen  Geometer  *)  einen  neuen 
Erklärungsversuch  der  vielbesprochenen  mathematischen  Stelle 
in  Plato's  Meno.     Dieselbe  gründliche  Kenntniss   der  griechi- 


*)  Der  Verf.  macht  darauf  aufmerksam,  wie  die  Alten  auf  schwie- 
rigem Wege  manche  Aufgabe  rein  geometrisch  behandelten ,  wo  wir 
zwar  mit  bündigerer  Kürze,  aber  freilich  auch  mit  minderer  Anschau- 
lichkeit die  algebraischen  Gleichungen  anwenden.  Zweier  Mittel  vor- 
züglich, bemerkt  der  Verf.,  bedienten  sich  die  Alten,  Ags  nuQußäXlsiv 
und  des  t£zQCiya)vi'C,n.v.  Es  wird  erklärt,  wie  die  bei  Euklid  so  häufig 
vorkommenden  Ausdrücke  nagaßctlitv  xa^iov  TtuQcc  rrjv  öo&tiauv  yQcc(i- 
fj,rjv  iXltinov  oder  vnfgßäXXov  xagtco  tlvl  (vorzüglich  ii'Ssi  ztrpaymfco) 
zu  verstehen  sind.  Jenen  Aufgaben  entsprechen  nämlich  Gleichungen, 
wieA  =  bx — x''*  oder  bxTx'^,  wo  Aden  gegebenen  Flächenraum 
und  b  die  gegebene  Grundlinie  bezeichnet.  Der  Verf.  behandelt  meh- 
rere Aufgaben,  die  er  in  die  Sprache  der  alten  Geometer  einkleidet 
und  dann  durch  algebraische  Gleichungen  ausdrückt,  Avobei  hervorgeht, 
dass  viele  solche  Aufgaben  der  Alten  theils  reine  ,  theils  vermischte 
Gleichungen  des  ZAveiten  und  höherer  Grade  enthalten.  Auch  die  be- 
kannten Gleichungen  für  die  Kegelschnitte  werden  von  dieser  Seite  be- 
leuchtet. Das  einzelne  lese  man  bei  dem  Verf.  selbst  nach.  Bei  dem 
zweiten  Beisipiele,  wo  ein  Druckfehler  sich  eingeschlichen  hat,  indem 
esst.  HF  =  x.sinq3  heissenmuss:  IlJ  =  x.sinqp,  konnte  auf  Euclid. 
dat.  prop.  57  hingewiesen  werden ,    wo  das  gewählte  Beispiel  als  Auf- 

A 

gäbe  aufgestellt  ist  j  es  entspricht  derselben  die  Gleichung  x . 

b .  sin  q> 


August:  Zur  Kcnntniss  der  geometrischen  Methode  der  Alten.   191 

sehen  Mathematik,  durcli  welche  früher  Moll  weide  die  Un- 
tersuchung über  jene  Stelle  bedeutend  gefördert  hatte,  tritt 
dem  Leser  auch  hier  entgegen,  und  erregt  bei  ihm  die  Erwar- 
tung, endlich  einen  genügenden  Aufschluss  über  jene  vielgedeu- 
teten Worte  zu  erhalten,  llec,  der  dem  Gange  der  vom  Verf. 
angestellten  Untersuchung  mit  besonderem  Vergnügen  folgte, 
wurde  jedoch  durch  das  gegebne  Resultat  weniger  befriedigt. 
Denn  die  aufgestellteErklärung,  obwohl  sie  alle  früheren  Versu- 
che an  inuerem  Gehalte  weit  übertrifft,  leidet  an  so  manchen,  zum 
Theil  vom  Verf.  selbst  anerkannten,  Schwierigkeiten,  dass 
Rec.  die  Sache  durchaus  nicht  für  erledigt  ansehen  kann.  Da 
aber  der  Versucli  auch  dieses  vor  vielen  andern  hierzu  befähig- 
ten Gelehrte?»  dem  Rec.  misslungen  scheint,  so  möchte  dieser 
sich  nun  fast  zu  Klügel's  Meinung  hinneigen,  dass  die  Stelle 
durch  das  Ausfallen  mehrerer  Worte  verderbt,  und  mithin 
keine  vollkommen  genügende  Erklärung  derselben  zu  erwar- 
ten sei.  Dieser  Argwohn  wird  jedoch  Rec.  nicht  abhalten,  am 
Schlüsse  seiner  Beurtheilung  einige  eigene  Bemerkungen  und 
Vermuthungen  dem  Publicum  mitzutheilen,  welche  er  vorzüg- 
lich der  weiteren  Prüfung  des  Verf.  obiger  Abhandlung  vorle- 
gen möchte. 

Hr,  Dr.  August  nimmt  nicht,  wie  frühere  Erklärer,  eine 
dreifache  Fläche  als  gegeben  an,  sondern  irgend  einen  andern 
beliebigen  Flächenraum,  der  als  Dreieck  in  den  Kreis  eingetra- 
gen werden  solle.  Es  wird  mithin  das  Adjectivum  xQiycovov 
von  lOQiov  getrennt  und  als  adverbialische,  nähere  Bestimmung 
zu  IvraO'rjvaL  gezogen.  Grammatische  Gründe  sind  einer  sol- 
chen Verbindung  der  Worte  nicht  entgegen.  —  Dass  die  Wort- 
stellung sie  fast  geböte,  wie  der  Verf.  meint,  kann  Rec.  nicht 
zugeben;  denn  wenn  der  Verf.  durch  einige  angeführte  Bei- 
spiele beweisen  will,  dassjdem  Worte  ^agtov  die  dazu  gehörigen 
Adjective  vorausgeschickt  wurden,  so  Hessen  sich  leicht  andre 
widersprechende  Beispiele  dagegen  aufstellen,  z.  B.  in  den  De- 
finitionen bei  Euclid  I  6q.  15;  20;  H  6q.  I;  und  viele  andre, 
die  sich  beim  Nachsuchen  leicht  finden  Hessen;  eher  könnte 
ein  Grammatiker  den  vor  XQLycovov  fehlenden  Artikel  urgiren: 
doch  fasst  man  die  Worte  so:  diese  Fläche,  welche  eine  drei- 
seitigeist, dann  ist  der  Artikel  durchaus  entbehrlich.  —  Gegen 
jene  Annahme  des  Verf.  lässt  sich  also  durchaus  nichts  ein- 
wenden. Es  ist  der  Combiuation  eines  jeden  Erklärers  über- 
lassen, was  für  ein  icöqlov  er  als  gegeben  annehmen  will,  wenn 
er  nur  durch  ein  sich  empfehlendes  Resultat  seine  Annahme 
rechtfertigt.  Richtig  hält  der  Verf.  Ivrüvuv  für  gleichbedeu- 
tend mit  Eyygafpsiv,  wie  Euklid.  Hb.  IV  6q.  y  diesen  Terjninus 
bestimmt.  Für  diese  fast  von  allen  früheren  Erklärern  befolgte 
Meinung  spi'icht  nicht  nur  die  etymologische  Bedeutung  jenes 
Wortes,    sondern  auch  eine  Stelle  des  Proclus  p.  23,  wo  der 


192  Griechische    Litteratur. 

Sinn  der  Worte  ug  jcvxlov  IvTHvai  rgt'yavov  löoTtXsvQOV  und 
darauf  dvvaröv  yag  slg  avtov  IvxHvai  y,ai  ^rj  löoTtlevQOV  deut- 
lich in  die  Augen  springt,  weswegen  der  Verf.  die  neulich  von 
einem  Gelelirten  in  diesen  Jahrbb.  IX  p.  227  beigebraclite  Deu- 
tungen dieses  Wortes  mit  Recht  als  unstatthaft  und  gekünstelt 
zuriickweist.  Auch  sieht  man  leicht  ein,  waium  Plato  den 
Kunstausdruck  syyQäcpSLV  gemieden  habe  und  meiden  musste, 
nämlich  weil  dieser  gewöhnlich  von  dem  Einschreiben  eines 
der  Gestalt  nach  gegebenen  Dreiecks  gebraucht  wurde,  wovon 
an  unsrer  Stelle  durchaus  nicht  die  Rede  seyn  kann,  wie  schon 
das  Wort  j^oj^iov,  welches  nicht  Figur,  sondern  Flächenraura 
bezeichnet,  zeigt,  nagarsivstv^  das  schwierigste  Wort  in  die- 
ser Stelle,  hält  der  Verf.,  wie  früher  Moll  w  ei  d  e,  für  gleich- 
bedeutend mit  nuQa^dXXuv^  welches  bekanntlich  heisst ,  eine 
Figur  alsParallelogram  über  einer  gegebenen  Linie  construiren. 
Da  das  Wort  TCagaTSivBiv  als  mathematischer  Kunstausdruck 
nur  noch  einmal  bei  Plato  de  rep.  VII  p.  527  ^  (ot  yscofistgac 
tög  Ttgccrtovzeg  t£  aal  ngä^sag  avsaa  Ttccvragtovg  Xöyovg  ttolov- 
fiBVOL,  Xsyovöi  xErgayavi^aLV  rs  xal  nagatuvaiv  xal  ngogtid's- 
vai),  sonst  aber  in  den  noch  vorhandenen  Ueberresten  der  grie- 
chischen Litteratur  nicht  weiter  vorkommt,  so  hat  allerdings 
die  Vermuthung  viel  für  sich,  dass  die  Mathematiker  später- 
hin den  Ausdruck  Tiagarüvuv  mit  dem  auch  weit  bezeichnen- 
deren TCagaßdlXstv  vertauscht  haben  mögen.  Der  Verf.  bringt, 
um  diese  Meinung  zu  unterstützen,  noch  zwei  Gründe  bei:  1) 
weil  es  bei  Plato  1. 1.  neben  rergaycovit,Siv  stehe  und  dieses  mit 
TCagaßcckluv  dies  gemein  habe,  dass  beide  Ausdrücke  gewisse 
den  Alten  sehr  geläufige  Constructionen  bezeichnen.  2)  Der 
Verf.  hat  glücklicherweise  in  einem  noch  ungedruckten  Scholia- 
sten  eines  Münchner  Codex  eine  ausProcIus  entlehnte  Stelle  ge- 
funden, worin  das  Wort  nagaxüvuv  vorkommt  und  dort  so 
viel  als  nagaßäXkuv  zu  seyn  scheint.  Allerdings  ist  durch  die- 
sen Fund  die  bekannte  Stelle  im  Proclus  p.  109,  ad  Euklid  elem. 
I,  44,  die  zur  Erklärung  einiger  andrer  Ausdrücke  in  den  Plato- 
nischen Worten  herbeigezogen  zu  werden  pflegte,  an  einer  lü- 
ckenhaften Stelle  glücklich  emendirt,  aber  dass  dadurch  zu- 
gleich die  Identität  jener  beiden  Ausdrücke  unfehlbar  nachge- 
wiesen seyn  sollte,  dagegen  hegt  der  Rec.  seinerseits  noch  ei- 
nigen Zweifel,  und  glaubt  wenigstens,  dass  durch  jene  Stelle 
eine  weiter  unten  mitzutheilende  Erklärung  jenes  Wortes,  die 
Rec.  durch  Combination  aus  dem  Gebrauche  ähnlicher  Worte 
bei  den  griech.  Mathematikern  sich  gebildet  hat,  kaum  wider- 
legt werden  könne.  Da  wir  auf  jeneStelle  desProclus  öfter  werden 
hinweisen  müssen  und  mehrere  nothwendige  Verbesserungen  des 
griechischen  Textes  beiläufig  werden  beibringen  können,  so 
wollen  wir  die  ganze  höchst  wichtige  Stelle  des  Proclus  aus  der 


Aug^ust:   Zur  Kcnntnidä  der  gcoraetrisdicn  Methode  der  Alten,   193 

einzig'en,   wohl  wenigen  zugänglichen,   Baseler  Ausgabe  1533 
apud  Joann.  Hervagiuin  hier  beisclireiben. 

'Eötl  yccQ  ccQXcc^a »  (paölv  ot  TtSQi  röv  Eüdrj^ov  ^)  ,  xal 
rrjg  tav  IIv%ayoQÜcov  ^ovGrjq  EVQ^fiara  ravta,  7J  t&  itccQa- 
ßoX))  xäv  xcoQiov  aal  jj  vTceQßoX)}  xal  fj  '^kXsLipig.  'Aiio  8s 
xovxcov  'aal  oi  vichrsQoi  tu  ovoj-iaza  Aa'ßoVreg,  y.Exrjyayov  av~ 
xä  aal  InX  tag  acoviaäg  liyo^ivttq  yQa^i^ag,  aal  xovxcov  xrjv 
li£v  nagaßoXtjV,  xr]v  Öa  vjthQßoXyjV  aakiöavxsg,  xrjV  de  ikXii- 
ipLV,  aasivcov  xcov  Tiakaucbv  aal  Q'elcjv  dvÖQäv  Iv  ImniÖip-) 
aaxaygacpfj  laoiav  TtQÖg  svd'aLav  coQiö^uäv}jv  xd  dzo  xovtcov 
öyjaaivv^ava  xcov  ovo^dxav  ogatvtav.  "Otav  ydg  av'daiag 
aaaBi^äv7]g  x6  dod'lv  %coQiov  ndöy  xy  av&aia  öv^TcaQaxaivr^- 
xttv,   x6xs   TtaQaßdXXaiv  ^)  aaslvo  ro  %coqlov  (paolv,    öxav 


1)  Eudemiis  schrieli  eine  Geschichte  der  Geometrie.  Uehrij^eng 
steht  schon  in  der  ed.  Basil.  das  richtige  niQi;  hei  Hrn.  August,  wo 
der  Anfang  ahgedruckt  ist,  steht,  ich  weiss  nicht  ob  durch  eiuenDruck- 
fehler  oder  oh  aus  dem  Scholiasteu,  naQU. 

2)  Man  könnte  leicht  BTtiniScov  vermuthen,  wegen  des  sonst  ge- 
bräuchlichen inlniSov  x^^Q^ov  (vgl.  Hero  nsiyi  rcöv  t^<s  yscofi.  ovoi^täzmv 
Argent.  1511  p.  40).  Da  aber  gar  niclit  einleuchtet,  wie  den  Kegel- 
schnitten, die  deich  auch  inimda  xojqlu  sind,  ebne  Flächen  als  ver- 
schieden von  jenen  gegenüber  gestellt  werden  können,  so  scheint  die 
ininsdog  KccrayQacpT^  daraus  erklärt  werden  zu  müssen,  weil  die  Alten 
die  Kegelschnitte  immer  an  den  Kegeln  selbst  betracliteten,  woraus 
dann  wenigstens  eine  scheinbare  VersclHcdenheit  von  den  in  der  Plani- 
metrie auf  ebnem  Blatte  gezeichneten  Figuren  hervorgeht. 

3)  Die  gesperrten ,  im  griech.  Texte  fehlenden  Sylben  hat  Hr. 
Dr.  August  aus  jenem  Scholiasten  hergestellt.  Man  sieht,  wie  durch 
das  Wiederkehren  der  Präposition  nagd  das  Ausfallen  jener  Sylben  ver- 
anlasst werden  konnte.  Uebrigens  seheint  bei  Proclus  nicht  naguni- 
VTjTcci ,  sondern ,  wie  auch  Hr.  August  vermuthet ,  TtaQCirsivrjq  gestan- 
den zu  haben ,  denn  statt  des  darauf  folgenden  noirjO'ijq  hat  derselbe 
Scholiast  yivrjzai.  Auch  Franciscus  Baroccius  ed.  Patav.  1560  p.  264 
hat  in  seiner  Uebersetzung  das  Activura :  quiim  enim  proposita  recta  II- 
nea  oblatum  spaliiim  toti  rcctae  lineae  coaptav  eris,  tum  spattum  illud 
applicari  diciait^  quum  vero  spatü  longitudinem  ipsa  recta  linea  maio- 
rem  feceris,  tum  excedere,  qiium  autcm  minorem,  ita  ut  spatio  descrlpto 
aliqua  extra  sit  rectae  lineae  pars ,  tum  deßccre.  Sehr  auffällig  ist  in 
obiger  Stelle  die  neutrale  Bedeutung  des  jtaQußällsiv,  wofür  mau  Tta- 
QdßullsGd-ai  (^applicari  Barocc.)  erwarten  sollte.  Da  im  Proclus  selbst 
das  Activum  naQKteivrjs  oder  TiaQazeivi]  rig  vorzuziehen  ist ,  könnte 
man  zwar  i-Kslvo  z6  x^^Q^ov  für  den  acc.  obiecti  halten,  es  scheint  je- 
doch wie   heim  vSchoI.   so  audi  bei  Proclus  xwqiov  gleich  anfangs  das 

Jahrb.  f.  PtUl.  u.  l'üdug.  Jaltra,  V  Heß.  i.  y^ 


1Ö4  Griechische   Litte ratur. 

ÖS  ^£tt,ov  7tOLrj6r]g  rov  %c3QiOV  to  (i^xog  avv^g  rijg  wd'Siag^ 
TOTE  VTtBQßdXksiV  ^  öxav  Öi  bkaööov ,  ag  rov  xcoqlov  yQatpsv- 
Tog  eival  n  rijg  sv&elag  BKtog  "^),  tote  I^XeItzelv  ^)  accl  ovrag 
tv  TW  azra  ßcßluo  aal  r^g  vnEgßoXijg  6  EvxXEidrjg  ^vrjuo- 
VEVEi  Kai  trjg  Ek^EL^scog.  'Evxav%a  Öe  xi)g  7taQaßo?.Pjg  eÖetj- 
%rj^  ToJ  do^Evxi  xQiycövcö  naga  xr^v  8o\fEL6av  EV^Elav  Xgov 
a&sXcov  TcagaßakEiV ,  Xva  (i^  ^övov  övöxaöiv  exco^ev  nagak- 
krjXoygcc^liov  tc5  öo&evxl  XQiycövco  löov  *') ,  dkla  xal  nag' 
Ev&Elav  cagiö^EvrjV  Ttagaßokyjv.  Olov  xgiycovov  öoQEvxog^  xo 
EfißaÖdv ''^)  Exovxog  dcoÖEKa  nodcäv  ^  EvQ^Eiag  Öe  axuEi^EVJjg,  i^g 


logische  Siihject  zu  seyn.  Die  griechischen  Mathematiker  sind  ,  wie 
unten  an  einem  andern  Beispiele  gezeigt  werden  soll,  in  ihrem  Sprach- 
gebrauche nicht  grammatisch  consequent  und  als  Techniker  im  Ge- 
brauch der  Worte  oft  willkührlich.  Weil  fllfiTtnv  und  VTH-Qi^älXfiv 
Neutra  sind,  so  gebraucht  man  eben  so  nagcc^allsiv,  weil  die  bezeich- 
neten Saclien  analog  sind.  Nachdem  nämlich  jene  Ausdrücke,  die  ur- 
sprünglich, wie  Eudemus  lehrt,  von  der  Planimetrie  entnommen  Ova- 
ren, zur  Bezeichnung  der  drei  Arten  von  Kegelschnitten  angewendet 
wurden,  betrachtete  man  die  3  Wörter  als  coordinirte,  während  eigent- 
lich TiaQixßolrj  die  jenen  Benennungen  der  Kegelschnitte  zum  Grunde 
liegende  allgemeine  Construction  bezeichnet,  wovon  die  iH^eiiptg  und 
vn£ijßoXt']  Unterarten  sind.  IIccQaßoXr]  ist  die  Figur,  wo  eine  reine  tcu- 
Qaßolrj  möglich  ist,  Ö  SvvKrai  naQaßdXXsaO'ac ,  y'^  =  px;  die  'iXXsitpig 
ist  eine   naQaßoXi]   Ovv  iXXsiipsi,    oder   o  nccqaßißXr}(iivov  iXXiinsi  Tivl^ 

px^  .        e  /    .  .  ,        ,         ? 

y2  =  px ;   die  vTiSQßoXrj  ist  eine  naQctßoXr]  ßvv  vnsQßoX^,   oder 

a 

o  nccQdßißXrniivov  vnsqßuXXsL  tivi,  y*  =  pxT .     So  glauben  wir  das 

a 

sprachliche  Verhältnlss  jener  Benennungen  festgestellt  und  zugleich  ge- 
zeigt zu  haben,  wie  das  7ia(}aßäXXi.LV  mit  dem  vnsQßuXXhiv  durchaus 
nicht  in  eine  Klasse  fällt.  Jenes  ist  ein  Activum  anlegen,  dieses  ein 
verb.  Neutrum  übertreffen,  grösser  seyn,  nsQizrsviiv.  Uebrigens  glaubt 
Reo.  bemerkt  zu  haben,  dass  für  den  activen  Gebrauch  der  Aorist  na- 
QCcßaXsiv ,   nicht  itccQaßuXXstv  üblich  gewesen  sei. 

4)  Beim  Schol.  heisst  die  entsprechende  Stelle  so :  otav  Af  tXccS- 
eov  böTt  TO  YQaqpfv  j^copiov  avrrjg  rrjg  tv&siag,  cog  elvai  [entweder  ist 
hier  ein  Adjectivum  wie  fiHov  ausgefallen,  oder  statt  tivai  zu  lesen 
ti'K^iv ,  inferiorem  esse.]  to  .«fv  x'^Q^ov  ivrög,  trjv  8f  £v&siav  jzbqittiv- 
siv  jktÖs,  ^X7.siniiv,  a>g  in  der  Bedeutung  aatt  kommt  weiter  unten 
bei  Produs   nocJi  einmal  vor. 

5)  Im  giiech.  Texte  steht  falsch  ixXsixftv. 

6)  Im  Text  steht  i'ßov ,  vgl.  unten  den  Schol.  in  Anmerk.  11. 

7)  Im  Proclus  steht  hier  und  p.  G4  fortwährend  Bfißccööv,   so  dass 


August:   Zur  Kcnntnisä  der  geomctrI.scIicn  Metlindo  «Icr  Allen.   195 

to  ^irjaög  l6ti  XBtTdQcov  Ttodcov,  ro  Xöov  top  xQiyävcp  naga 
t))v  sv&slav  nagaßäXloixsv ,  jjv^)  Xaßovteg  ro  [irJKog  oXco7> 
Tfof  rsträgcDv  tioöcöv,  ev ga ^sv  nööav  uvai  du  jcodäv  ro 
7r?.octog ,  ivcc  reo  rgiycSvco  rö  7tagaXX7]l6yg(x[.i^iov  Xöov  ykvrirca. 
Evgövxig  yovv  d  xviol  TiXäxog  xgtcov  TioÖcov,  aal  noirjöav- 
x£g  x6  ^rixog  em  x6  Ttläxog ,  xovxo  di  ogd^^g  ovötjg  rrjg  bk- 
nsL^svrjg  ycovlag,  st.o^iBV  x6  icogiov.  Toiovzov  (.lav  d)]  xi  to 
Ttagaßa^EiV  bötlv  avco%BV  vno  xcov  UvQayogeiav  TCagaÖBdo- 
(ih'ov.  Tglcc  öe  lörlv  Iv  X(ß  7tgoßh]^axi  zovxa  xd  öedofieva^ 
sv&sla,  nag'  tjv  öel  Ttagaßaluv ,  cog  ohp  avxov  xov  lagiov 
yevBöifai  nXEvgdv,  xat  xglycovov ^  co  Xoov  iivai  del  x6  naga- 
ßakloijsvov,  aal  ycjvi'a ,  j}  töi^v  sivat  ^)  xrjv  xov  %cogiov  ya- 
viav.  Kai  dijiov  näkuv ,  ag  og^rig  ^Iv  ovö)jg  xijg  ycovlag, 
rö  TtagaßaXlö^uvov  ^  Xcxgäycovov  ij  avego^urjaeg  eörat,  o^eiag 
ÖS  7j  dfißlslag,  ij  go^aßog  x6  xcoglov  ij  gn^ßoEiöeg  "Ort  ys 
HfjV  ■Kai  xr]V  sv^slav  ilvav  öel  7CS7t£ga(j^dvt]v ,  (pavEQOv  ov 
ydg  8vvaxai  nagd  xiqv  djisigov.  "A^ia  ovv  xcp  cpdvai,  nagd 
xrjv  do&Eiöav  sv^Siav  nagaßaXilv  ^  Ed/jXcoöev.  oxi  nal  nsTtE- 
gdv&ai  uvdy'/,7i  xijv  Ev%Elav.  Xgijxai  Öa  alg  xrjV  %axa6xEV]^v 
xov  7tgoßlijf.iaxog  xovrov  xy  övözdöEi  xov  7tagaXXyiXoygäiiy.ov, 
xov  i'öoi»  xcp  do&EvxL  rgiycova '  ov  ydg  xavröv  TtagaßoXi]  nal 
(ivGxaöig'  xal,  cog  aXTtopLEV  dXXy,  tJ '*.^)  (iev  oXov  vcpiörrjöi 
x6  xcogiov  zal  avxo  xal  rdg  nXEvgdg  aTtdöag,  7]  ds^^)  i.dav 
s^ovöa  TtXavgdv  ÖEdofiEvrjv,  nagd  xaiJtrjv  vq)L6t7]6L  x6  icogiov^ 


der  falsche  Accent  dieses  Wortes  in  Passow's  Lexicon  darnach  corrigirt 
werden  zu  müssen  scheint. 

8)  Im  Texte  ^  —  svqousv  ohne  Sinn.  Darauf  steht  zweimal 
falsch  TtciQaßalXflv,  was  Avohl  nicht  naQaßallsiv ,  sonAevn  nccQaßaXnv 
heissen  muss. 

9)  Kaum  ist  wohl  hier  SsZ  ausgefallen,  da  dieses  aus  dem  vor- 
hergehenden suppllrt  werden  kann. 

10)  Im  Texte  cog  siito^bv  uXlrj  (lev. 

11)  Im  Texte  aTidaag ,  fiiccv  81-  c'^oveu.  Zu  vergleichen  ist  mit 
dieser  Stelle  das  von  Hrn.  Aug.  raitgetlieilte  Stück  des  Schol. ,  wel- 
ches auch  einiger  Eniendationen  hedarf.  "Elaßs  öl  (o  Evy.Xft'Srjg)  fig 
TTiV  iiaTaßxBVTjv  Tüv  TTQoßXrjfiaroQ  tovtov  tV/V  avetaaiv  xov  TtiyQaXXrjXo- 
ygccfifiov  tou  i'oov  tw  öo&ivTi  rgiyoivco.  ^Lnq)iQft  6s  ri  GVGxnOig  rrjS 
nctQaßnXfjg ^   Ott  7]  fisv  TtctQaßäXXsi  iiövov  [sc.  to  xcoqiov'\    tj  8f  avctaaig 

O^Or   VCpiGT7]6l    TO   '^rOQl'ov    [xS?]   Kdl  TKS  nXBVQug    aVTOV  ,     fllK  yßp   TzXfV()K 

[sc.  intivri  i.  e.  rj  naQixßoXri']  x^fOfisvT]  Trj  8f8o(iivrj  ivffiia,  TtsQiixovaa 
rö  inßcc8oVy  zag  Xomag  itqayovGot  TtXfVQuq,  ovrs  iXXsi'novan  [iXXunov- 
cag  scliol.  apud  Aug.]  kktu  rrjv  r/.raaiv,  ovt'  av  TtcqtztivovGu  \uv  7i£- 
QixTEVovaag  schol.  apud  Aug.]   to  x<^Q'ov  vcp'crrjaiv. 

13* 


196  Griechische    Litte ratur. 

ovrs  llXsiTtovöa  aarä.  njv  socraöLV  TccvTt]v ,  ovts  vTrsgßaXXov- 

ßaöov. 

1 0  Lovtog  olog  erklärt  der  Verf.  durch  ö[ioiog,  was 
eben  so  wenig  widerlegt  oder  bewiesen  werden  kann,  als  wenn 
ein  Anderer  es  durch  'löog  erklärt.  Mit  Unrecht  beruft  sich 
der  Verf.  auf  Meno  p.  82,  C:  ovxovv  sl'r]  äv  tniovvov  lagiov 
Kai  /.isl^ov  xßl  ilaxTov;  denn  das  roiovxov  bezeichnet  dort 
durchaus  nicht  mathematische  Aehnlichkeit^  sondern  es  heisseu 
jene  Worte  weiter  nichts,  als:  ,,kann  eine  solche  Figur,  wie  ich 
liier  eine  zeiclme,  nicht  auch  grösser  oder  kleiner  seyn'?".  Die 
erste  Bedenklichkeit  aber  erregt  die  Erklärung  des  Verf.s  da- 
durch, dass  er  in  den  Worten  olov  TCaQa  r)]v  Öo^Eiöav  cnnov 
2G}Qiov,  avtov  auf  avxXog  bezieht,  was  durchaus  nicht  zuläs- 
sig ist.  Der  Verf.,  dies  selbst  fühlend,  will  daher  fiir  avrov 
lieber  ztixAov  lesen,  was  eine  sehr  kühne  Aenderung  seyn  würde. 
Die  ganze  Stelle  wird  so  übersetzt:  ffie  die  Geometer  oft  ihre 
Untersuchungen  anstelle7i^  wenn  man  sie  befragt^  z.  B.  über 
Flächenraian ,  ob  es  angehe ,  dass  in  diesen  Kreis  dieses  Flä- 
chenstück als  Kreis  eingetragen  werden  könne.  „  Ich  weiss  es 
nicht.,  würde  einer  sagen.,  ob  dies  ein  solches  ist ;  aber  gleich- 
wohl glaube  ich  eine  gennsse  f  oraussetzung  für  diese  Sache  i?i 
Bereitschaft  zu  haben.  Jf  erm  nämlich  dieses  Flächenstürk  ein 
solches  ist.,  dass  ?nan,  wenn  man  es  an  die  gegebene  Linie  des- 
selben (rf.  /.  des  Kreises)  anstreckt.,  ein  solches  Flächenstück  %u- 
rücklässt .,  wie  das  angestreckte  selbst  ist:  so  scheint  mir  müsse 
etuHis  anderes  statt  finden.,  und  etwas  anderes,  wenn  es  unmög- 
lich ist.,  dass  dies  mit  ihm  geschieht.  Unter  einer  geivissen  Vor- 
aussetzung ivill  ich  Dir  also  sagen ,  tvas  in  Bezug  auf  die  Ein- 
tragting  desselben  in  den  Kreis  stattfindet.,  ob  es  möglich^ 
ob  nicht.'"'- 

la  dieser  Uebersetzung  hat  der  Verf. ,  um  nicht  die  von 
Andern  vorgeschlagene  Aenderung  naQaxdvav x  o  g ,  durch  wel- 
che wenigstens  eine  grammatische  Schwierigkeit  einigermaassen 
beseitigt  wird,  aufnehmen  zu  müssen,  einen  bedeutenden  Ver- 
stoss gegen  den  Sprachgebrauch  der  Mathematiker  sich  erlaubt. 
Wir  brauchen  den  Verf.,  der  den  Gebrauch  des  IkXdTtuv  und 
VTtiQßäkluv  bei  den  griech.  Mathematikern  vollkommen  kennt, 


12)  Im  Texte  TawTTy  und  dann  nsQisxover] ,  was  wohl  nicht  nfQi£~ 
Xovat],  sondern  nach  dem  ehen  citirten  Scholiasten  negitxovGa  zu  lesen 
ist.  Im  ersteren  Falle  liiesse  nfQitxtiv  als  Grundlinie  dienen,  im  zwei- 
ten ,  die  Figur  auf  eine  Linie  basircn.  Euclid  gebraucht  dieses  Wort 
nur  von  Seiten ,  die  einen  Winkel  (17  ycavlcc  niqitxo(i£vri  vno  xcöv  nlsv- 
Qcöv')  einschliessen. 


August:   Zur  Kenntniss  clwr  geometrischen  Methode  ilcr  Alten.   197 

nicht  darauf  aufmerksam  zu  raaclieu,  ilass  IXIhtiilv  nicht  durch 
zurücklassen  übersetzt  und  uitht  auf  ein  in  dem  Accusative  7ca- 
Qaxüvavxa  liegendes  Subject  bezogen  werden  könne.  Da  die 
Griechen  nur  x6  xaglov  tlkiinhi  xagia  xivi  sagen,  so  kann  das 
Subject  zu  iXliinhiv  nur  in  dem  otoi^,  welches  auf  icoQiov  zu- 
rückweist, enthalten  seyn.  Der  Verf.  hätte  also  seiner  ersten 
Textesänderung  eine  zweite  hinzufügen  müssen,  näinlich  statt 
iXXiinnv  das  Verbuin  XsiTceLV  vorschlagen  sollen,  welches  auf 
jene  Weise  vorkömmt  bei  Archimed.  de  sph.  et  cyl.  I,  0  p.  75  J 
1,  4  p.  71  ed.  O.von. 

Fassen  wir  nun  die  mathematische  Seite  der  Erklärung  ins 
Auge,  so  erregt  aucli  diese  noch  manchen  Zweifel  an  der  Rich- 
tigkeit der  gegebenen  Erklärung.  Wir  wollen  den  Lesern  zu- 
nächst die  mathematische  Figur  mit  Worten  beschreiben,  wor- 
nach  sich  jeder  dieselbe  construiren  kann.  Der  Verf.  zeichnet 
iu  den  Kreis  ein  gleichschenkliches  Dreieck  RUfV  ^m^  v/elches 
per  hypoth.  dem  gegebenen  fünfseitigen  Flächenraume  A  an  In- 
halt gleich  ist.  Aus  der  Spitze  des  Dreiecks  It  wird  auf  die 
Grundlinie  desselben  IIJV  ein  Perpendikel  RT  gefällt,  wel- 
ches bis  an  die  Peripherie  verläjiiiert  einen  Durchmesser  RS 
bildet  und  die  Grundlinie  in  Tlialbirt.  lieber  dem  Durchmes- 
ser des  Kreises  wird  mit  der  Höhe  j^'i/einParallelogram  RSXV 
const^uirt,  welches  durch  TU  m  zwei  Parallelogramme /^TiL'^^'' 
und  TSXU  getheilt  wird.  Die  Worte  des  Verf.s  sind  nun: 
„Das  in  den  gegebenen  Kreis  eingetragene  Dreieck  RUJi  liabe 
den  Flächeninhalt  der  gegebenen  Figur  A^  und  die  gleichen 
Schenkel  Ätz  und  [//F;  dann  erhält  man  durch  das  aus  R  auf 
L/r errichtete  Perpendikel  AT,  wenn  es  bis  S  erweitert  wird, 
den  Durchmesser  ii^Ä;  construirt  man  an  diesem  das  Parallelo- 
gramm RSXV ^  so  erhält  man  ein  llecliteck  RTUV^  welches 
dem  Dreieck  /if//f" gleich  ist,  also  auch  den  Fläclieninlialt  von 
A  hat.  Dieses  Rechteck  ist  aber  so  an  den  Durchmesser  RS 
angestreckt,  dass  ein  Rechteck  7'ÄXL^  zurückbleibt,  welches 
dem  angestreckten  RTJJV  ähnlich  ist.  Versuchen  wir  dies 
dem  Spraciigebrauclie  des  Euclides  und  der  späteren  Matlie- 
matiker  gemäss  griechisch  auszudrücken,  so  würde  es  lauten 
müssen:  bvvaxov  soxai  sls  Öod^ävxa  xvyckov  Öoij'evxi,  xoj(ji(p 
'löov  XQiycovov  lyyQd}\)ai ,  £t  x6  x^9^ov  naoa'^älX^iv  övvq- 
öo^s&a  Tiuoa  xi]v  öo^ilöav  tov  nvaXov  öl(x[18xqov  iXkslTtüv 
EtÖBt,  o^oicp  avxa  xa  7taQaihßh]^£vcp.^^ 

Wenn  dei*  Verf.  hier  das  in  der  Aufgabe  verlangte  schon 
als  fertig  hinstellt,  so  geht  er,  worin  wir  ihm  ganz  beistiinsnen, 
von  der  Annahme  aus,  dass  es  an  unsrer  Stelle  sich  gar  nicht 
um  die  wirkliche  Lösung  jener  Aufgabe  handle,  sondern,  da 
Socrates  nur  erklären  wolle,  was  eine  Hypothese  sei,  so  sei 
ein  aus  der  damals  bei  den  Griechen  üblichen  geometrischen 
Analysis  eutnommcues  Beispiel  hierzu  vorzüglich  geeignet.    Das 


1J>8  Griechische    Litteratur. 

Hauptsächlichste  dieser  analytischen  Metliode,    deren  Erfin- 
dung Plato  und  seinen  Schülern  zuji^eschrieben  wird,    bestand 
aber  darin,  dass  man  die  Aufgabe  schon  als  gelöset  betrachtete, 
und  aus  den  Relationen,    die  man  in  der  Figur  entdeckte,    auf 
die  Methode  und  die  Bedingungen  der  Auflösung  zurVickschloss. 
Kec.  stellt  niin  aber  die  Frage  auf,  ob  ein  Mathematiker  wohl 
die  Aehülichkeit  jenes  Parallelogramms  für  eine  solche  wesent- 
liche Bedingung  ausgeben  werde,  von  deren  Erfüllung  die  Mög- 
lichkeit dessen,    was  in  unsrer  Aufgabe  verlangt  wurde,  näm- 
licSi  einen  Fläclienraum  als  Dreieck  (ohne  alle  weitere  Bestim- 
mung)  in  den  Kreis  einzutragen,  abliängig  sei.      Da  Plato  an 
unsrer  Stelle  die  Mathematiker  gleichsam  redend  einfVilirt,  so 
muss  der  Satz  einen  wirklichen  mathematischen  Gehalt  haben  ; 
eri  muss  die  Ilypothesis   auf  ein  allgemeines  und  wesentliches 
Eiforderniss  hinweisen,    durch  dessen  Erfüllung  die  Möglich- 
keit des  in  der  Aufgabe  Verlangten  in  jedem  Faile  bedingt  ist. 
Aber  jene   von  dem  Verf.  in  den  Worten  gefundne  Hypothesis 
entliält  keine  Bezieliung  auf  den  quantitativen  Flächenraum  der 
gegebnen  Figur;    sie  würde  vielmehr   nur  für  die  Aufgabe  an- 
wendbar seyn:    ein  Dreieck  als  ein  gleichsclienkliclies  mit  ge- 
gebner Grundlinie  in  den  Kreis  einzutragen,    denn  hier  muss 
immer  die  Bedingung  statt  finden  d  —  x  :  h  =  li  :  x.     Nach  dem 
Verf.  würde  also  die  Hypothese  folgende  seyn:    das  Dreieck 
kann  eingetragen  werden,    wenn  es  als  ein  gleichsclienkliclies 
in  den  Kreis  eingeschrieben  werden  kann.     Wer  aber  die  Pla- 
tonischen Worte  liest,    bemerkt  leicht,    dass  das  dort  aufge- 
stellte Problem  mathematisch  nur  dann  einen  Sinn  hat ,  wenn 
tlie  Frage  zum  Grunde  liegt:  Ist  die  gegebne  Fläche  so  beschaf- 
fen, dass  das  daraus  zu  bildende  Dreieck  das  maximum  der  in 
den  Kreis  einschreibbaren  Dreiecke  nicht  überschreitet,  d.  h. 
dass  es  nicht  grösser  sei  als  das  gleichseitige,  oder,  wenn  die 
Grundlinie  des  Dreiecks  gegeben  ist,  nicht  grösser  als  das  gleich- 
t<chenkliche.    Auf  diese  Bedingung  muss  die  Hypothesis  hinfüh- 
ren, und  eben  darum  vermissten  die  früheren  Erklärer  eine  An- 
deutung des  Durchmessers,    weil  in  allen  unsern  Formeln  für 
diese  Fälle  die  Relation  der  Seiten  zu  dem  Durchmesser  nicht 
fehlen  kann.     Abgesehen  also  von  jenen  sprachlichen  Scliwie- 
rigkeiten,  auch  in  mathematischer  Hinsicht  konnte  uns  die  ge- 
gebene Erklärung  nicht  genügen. 

Wir  wollen  nun  selbst  noch  einige  Bemerkungen  und  Ver- 
nuitliungen  aufstellen,  um  durch  deren  Mittheilnng  vielleicht 
etwas  zur  endlichen  Aufliellung  und  richtigen  Deutung  jener 
Worte  beizutragen.  Es  kommt  vorzüglich  darauf  an,  die  Be- 
deutung des  Wortes  Ttagarstrsiv  aufzufinden.  Wir  wollen  jetzt 
einstweilen  jene  aus  dem  Scholiasten  entnommene  Notiz,  die 
wir  weiter  unten  in  den  Kreis  unsrer  Untersucliung  ziehen  wer- 
den,   auf  sich  beruhen  lassen  und  zunächst  den  bei  den  übri- 


August:  Zur  Keiintniss  der  geometrischen  Methode  der  Alten.  199 

gen  griechischen  Mathematikern  zu  dieser  Untersuchung  sich 
darbietenden  Stoff  näher  beleuchten.  Das  zunächst  zu  verglei- 
chende Wort  nccQaßalHV  nagä  trjv  doQ^slOccv  sv^siav  heisst 
Überali  (vgl.  Euclid.  eiern.  I,  44,-  45;  VI,  25;  27;  28;  2S);  X, 
18;  19;  Lemma  zu  X,  17;  Dat.  57;  58;  59;  61;  70;  Theon. 
ad  Ptoiom.  synt.  lib.  I  p.  41  ed.  Basil.  15S8)  eine  Figur  als  Pa- 
rallelogramm über  einer  gegebnen  Linie  construiren,  oder  über- 
haupt über  einer  gegebnen  Linie  ein  Parallelogramm  construi- 
ren. Audi  wenn  es  bei  Archimedes  de  planorum  aequilib.  11,  1 
p.  35  Oxon.  Iieisst:  alica  Ovo  xagia  TthQLB'io^i.va  vnö  xb  ev^üa^ 
aal  oQ^oycovlov  acSvov  to^dg-,  cc  Övvdi.ii&a  naga  xav  do&elöav 
svd'Biav  Ttagaßa/iEiV  (vergl.  auch  Eutociuai  ad  h.  1.  p.  30), 
hat  das  Wort  keine  andre  Bedeutung,  denn  es  liegt  auch  hier 
der  Gedanke  eines  zu  construirenden  Rechtecks  zum  Grunde, 
insofern  diese  Worte  weiter  nichts  enthalten,  als  eine  den  Ma- 
thematikern ans  der  Gleichung  für  die  Parabel  y^=px  leicht 
verständliche  Andeutung  ,  dass  unter  jenen  Flächen  Parabelab- 
schnitte zu  verstehen  seien.  Und  wenn  zuweilen  TCaQalkrjXö- 
yga^^ov  noch  dabei  steht,  wie  Euclid.  VI,  25;  27  —  tiO,  so  Ut 
dies  eben  so  wenig  befremdend,  als  wenn  derselbe  Dat.  52— ö-'j; 
61;  62  pleonastisch  kiÖo^  dsöoijivov  sXdei,  sagt.  Falsch  aber 
ist,  wenn  man  meint,  dass  die  Bezeichnung  des  Parallelen  oder 
Parallelogrammartigen  hier  in  der  Präposition  Ttagd  liege  und 
dass  dies  die  wesentliche  Bedeutung  jener  Präposition  sei.  IJagd 
bezeichnet  hier  nur,  dass  die  Figur  sich  längs  der  genau  be~ 
grunzten  Linie  hindehnen,  anlegen  solle.  In  den  meisten  Fäl- 
len ist  es  bei  diesen  Constructionen  dem  Geometer  gar  nicht 
um  die  Parallelogramme  zu  thun,  sondern  gewöhnlich  soll  nur 
durch  das  auf  jene  Weise  gegebne  Product  die  bestimmte  Länge 
der  Linien  bezeichnet  oder  gefunden  werden.  Daher  wird  zu- 
weilen durch  jene  Froducte  das  gegenseitige  Verhältniss  meh- 
rerer Linien  unter  einander  angegeben,  so  z.  B.  bei  Archimedes 
de  conoid.  et  sphaer.  prop.  III  p.  203  Ox.,  wo  nagayulo^fai  statt 
nagaßEßkrj^evov  üvai  steht.  So  auch  bei  Menechmus  ad  Ar- 
chimed.  de  sph.  et  cyl.  II,  2  p.  142;  Pappus  praef.  ad  Collect. 
Math.  p.  XXVI  ed.  Camer.  So  wird  auch  durch  andre  compo- 
sita,  wie  TtaguTCBTixcanivaL  Archim.  de  conoid.  et  sph.  prop.  III  p. 
263;  XXXI  p.  306;  p.  307;  nageuTCiTirco  de  conoid.  et  sph.  p. 
262;  nagBaßälla  Euclid.  elem.  X,  21,  zwar  die  Construction 
von  Parallelogrammen  bezeichnet,  aber  eigentlich  nur  die  be- 
stimmte Länge,4er  gegebnen  Linie  durch  ein  ab  oder  ax  —  \'^ 
angedeutet.  Man  vergl.  aufmerksam  Euclid.  elem.  I,  44  u,  45. 
Nämlich  prop.  44  gebraucht  Euclid.  nagaßakBiv ^  weil  über  die 
gegebne  bestimmte  Länge  einer  begränzten  Linie  ein  Parallelo- 
gramm construirt  werden  soll;  hingegen  in  der  gegebnen  Auf- 
lösung u.  prop.  42  gebraucht  er  statt  dessen  övöxy'jöaG^af,,  und 
in  der  Auflösung  von  prop.  45,   welche  övör/jöaö&at  nagaKK. 


200  Griechische   Litteratur. 

verlangt,  wird  wieder  das  TtagaßaKelv  in  Anwendung  gebracht. 
Ks  lieisst  also  nicht  schlechthin  ein  Parallelogramm  construiren, 
{sondern  vielmehr:    längs  einer  gegebenen  begränzten  Linie  ein 
Parallelogramm  anlegen.      Dasselbe  sagt  Proclns  p.  103)  in  der 
oben  citirten  Stelle,  wo  er  von  dem  Unterschiede  der  ovötaöLg 
lind  Tcagaßol^  spricht,  und  als  das  Wesentliche  der  letzteren 
bezeichnet,  dass  bei  ihr  die  Figur  construirt  werde  über  der 
ndöy  xy  ev^ücc^  dass  tt}^  öeÖo^ivrjv  Eü&giaf  oAt;!'  rov  %co- 
glov  ysveöQ^ai,  nlivQäv ^    darauf  sagt  er:    ä^a  ovv   xa  (pdvav 
TcaQo.  xijv  ÖoQ^elöav  TCagaßakBlv ,    Idi'iXaösv^   ort   aal   jcetts- 
QCivQ'ai  dvdy%i]  xtjv  sv&tlav*).     Doch  wir  wollen  auch  I3ei- 
spiele  anfiihren,  wo  TCagä  gebraucht  ist,  ohne  dass  von  etwas 
Parallelen  die  Rede  ist,    z.  B.  wenn  Claud.  Ptolomaeus  nsyaX. 
üvvx-  lib.  I  p.  11  lin.  ult.  ed.  Bas.  15S8  die  Sehnen  des  Kreises 
iv&Eiccg  TtagaasiiiEvag  ralg  7t£QLq)SQ£iaLg  nennt,  so  heisst 
dies  nur,  die  längs  des  Bogens  sich  hindehnen,  zu  dem  Bogen 
gehören,  und  wenn  Theon  Alex,  ad  Ptolom.  synt.  lib.  VI  p. 361 
sagt  ogd'tjv  ycoviav  Ttag axi&ivai  Ttgog  xdg  inifpavdag^  so  ist 
hier  von  Etwas  parallelem  keine  Andeutung  vorhanden.     Man 
wird  nun  auch  die  Ausdriicke  fi'ir  Parallellinien  rj  TiaQa  &b6e(, 
'}'QK^fi^  (Euclid.  dat.  6q.  25,  prop.28)  u.  das  TCagällrjlog  selbst 
lichtig  würdigen.     Jenes  heisst  eigentlich  eine  Linie,  die  längs 
der  Richtung  einer  andern,  dieses,  die  lä/igs  einer  andern  sich 
liindehnt. 

Gehen  wir  nun  zu  TtaQaxuva  über.  Es  ist  an  unsrer  Stelle 
von  dem  Einspannen  des  Dreieckes  in  den  Kreis  die  Rede,  wel- 
ches Plato  ivxHVHV  nennt,  was  liegt  nun  wohl  näher  als  dass 
yiaQaxiivBiV  {x6  %coQiov)  Tiagä  xrjv  öo&slöav  yga^fDjv  so  viel 
sei  als  bvtblvslv  t6  %OjQiov  xglycovov  Tcagcc  xtjv  äo^slöav  ygafi- 
^i]v ,  d.  i  über  der  gegebnen  Linie,  die  zur  Grundlinie  dienen 
soll,  die  Fläche  als  ein  Dreieck  in  den  Kreis  einspannen*?  Es 
wäre  mithin  Ttugaxüva  staiii  st ccQtvxtiv a  gesagt,  wie  wir  oben 


*)  Aus  dem  bisherigen  erhellt,  dass  «las,  was  ein  Reo.  von  EnclI- 
des  ed.  Cara.  in  Seehode's  krit.  Bibliothek  1828  Nr.  37  p.  292  beibringt, 
indem  er  hehauptet,  bei  dem  Aiisidruc.ke  TzaQaßäXkso^ai  jtixQci  bleibe 
unentschieden,  ob  die  Seite  des  Parallelogramms  der  gegebnen  Seite 
genau  gleich,  oder  ob  sie  grösser  oder  kleiner  sein  solle,  unrichtig 
tici.  Jener  Uec.  durfte  sich  niclit  irre  machen  lassen  durch  das  oft  da- 
hei  stehende  imr-Q'^dXXov  od.  flXilnov  ^jea^i/a»,  denn  das  dann  zum  Grun- 
de liegende  aTx  oder  a  —  x  hat  seine  bestimmte  Grösse.  Die  Anmer- 
kung des  Simson  u.  Camcrer,  auf  die  sich  jene  Bemerkung  jenes  Rcc. 
bezieht,  ist  uns  nicht  zur  Hand.  Wir  zweifeln  aber  überliaupt ,  ob 
die  Griechen  TrcQcyßäXXfa^at  aTto  sv&£ias  gesagt  haben,  da  wir  dann 
inur.er  övtjTrjucco&ai  u.  ewtozätco  gefunden  haben,  und  aiiü'  diesen  Aus- 
druck pasdt  allein,  was  jener  Rcc.  von  naQc.ßö'.XXbcQ'cii  sagt. 


August:  Zur  Kenntniss  der  geometrischen  Methode  der  Alten.  201 

an  einigen  Steilen  TtagsußuV.ca  u.  nccQefiTCBTtrcixavcct  statt  Ttaga- 
|3ß/LA(0,  ;rßpaj<frö'9'o:t  gesetzt  fanden,  Längs  de/  gegahnen  Linie 
des  Dreiecks  in  den  lu  eis  spannen,  so  dass  seine  Seiten  Sehnen 
des  Kreises  werden.    Wir  könnten  nns  mit  dieser  Erklärung  be- 
gnügen,    die  eine  nicht  unpassende, Deutung  der  Stelle  giebt; 
doch  wir  wollen  einen  Schritt  weitergehen,  den  man  unmög- 
lich i'iir  einen  Sprung  halten  wird.     Wir  sahen,  dass  Tiagaßu?- 
AciV  heisst,   ein  Parallelogramm  über  einer  der  Längenach  be- 
stimmten Linie  construiren,    wo  dann  das  Parallelogramm  sich 
dergestalt  über  jener  seiüer  Grundlinie  erhebt,    dass  die  ganze 
Fläche  auf  derselben  ruht  und  jeder  Punct  in  der  oberen  Paral- 
lele seinen  entsprechenden  Punct  in  der  Grundlinie  hat.     Wenn 
juin  statt  des  Parallelogramms  Dreiecke  über  der  gegebnen  Li- 
nie construirt  werden,  welches  Itat  dann  hinsichtlich  jenes  Ru- 
hens und  Basirtseyns  auf  der  Grundlinie  mit  jenem  die  meiste 
Aehnlichkeit'?     Ist  es  nicht  das  gleichschenkliche"?     Dieses  er- 
hebt sich  gleichmässig  über  der  Lage  der  Grundlinie,    und  da 
seine  Spitze,  gleichsam  sein  Schwerpnnct,  sich  über  der  Mitte 
der  Grundlinie   liält,     so  ruht   das  gleichschenkliche  Dreieck 
recht  eigentlich  und  augenscheinlich  auf  der  ganzen  Ausdeh- 
nung  seiner  Basis,    wälirend   das  stumpfvvinkliche    mit  seiner 
Spitze  über  die  Grundlinie  hiuaushängt.    Es  kommt  hinzu,  dass 
hei  andern  Dreiecken  es  willkührlich  ist,  welche  Seite  man  als 
Grundlinie  annehmen  will;  bei  dem  gleichschenklichen  ist  die 
Kasis  constant,  so  dass  bei  diesem  die  Grundlinie  als  die  fort- 
währende Trägerin,  an  welche  sich  die  Fläche  anlegt,  betrach- 
tet werden  kann.     Giebt  man  nun  aber  etwas  auf  die  Zusam- 
menstellung  des  TtaQaTELVSLV  mit  xiXQayavit,uv  an  der  Stelle 
in  Plato  de  rep. ,    so  läugnen  wir  zwar  nicht,  dass  dort  neben 
jenem  Ausdrucke  für  das  Product  aus  zwei  gleichen  Factoreu 
naQaxhlvuv  für  Bezciclinung  des  Productes  aus  zwei  ungleichen 
Factoren  zu  nehmen ,  sehr  beiialiswerlh  erscheint  (vergl.  Plato 
Theaetet.  p.  141  .&'  sq.);   aber  man  wird  auch  zugeben,    dass 
Tiuijazbivuv  in  der  von  uns  aufgestellten  Bedeutung  ein  nicht 
minder  geläufiger  Terminus  seyn  konnte,  nämlich  wenn  ein  Pro- 
duct aus  einem  ganzen  u.  einem  halben  Factor  bezeichnet  wer- 
den sollte.     Das  meiste  Gewicht  aber  legen  wir  auf  die  in  iin- 
serm   Texte   gegebenen   Worte   nagd   xtjv   do&sl6av   avTov 
yQa^ia^v^    woraus  erhellt,    dass  eine  Linie  gegeben  sei,    die 
dem  zu  bildenden  Dreiecke  als  Grundlinie  dienen  soll;    somit 
scheinen  wir  a«f  ein  gleichschenkliches  hingewiesen  zu  seyn, 
und  das  Pronomen  Kurot;  lässt  zugleich  vernmthen,  dass  auch 
die  gegebne  Figur  ein  ])reiek  sei.     Blan  sehe,  wie  sich  min  die 
ganze  Aufgabe  gestaltet.     Wir  brauchen  nun  keine  Relation  des 
Durchmessers  mehr:    denn  giebt  uns  die  Hypothesis  eine  liin- 
•weisung  auf  das  gleichschenkliche  Dreieck  mit  gegebner  Basis, 
60  ist  die  Vergieichung  mit  dem  maximum  als  Norm  aufgeötellt. 


202  Griecliische    Litteratur. 

Wir  müssen  mm  auf  jenen  Schoüasteii  zuriickkommen,  der 
nnsre  Meinung  gewiss  nicht  entkräften  soll.  Wenn  nach  ihm 
Proclus  sagt:  otav  TtaQareiVyg  n d 6 y  tij  Bvd'sia ,  rors  naga- 
ßäkKsiv  q)j}GLv  ro  %coqIov ,  örav  ös  ^£it,ov  noirjör/g  xb  (iijy.os 
rrjg  Bvd^elag,  rörs  vn:EQßü?i.XsLV ,  orav  ds  slaööovy  rors  sk- 
KsiTi^LV ,  SO  sieht  jedermann,  dass  in  dem  Worte  TiagazHVUV 
der  Nachdruck  auf  dem  :rßpa  liegt,  welches  ausdrückt,  dass 
die  gegebne  Linie  in  ihrer  ganzen  (  ökrjv  —  näöav  —  jtSTtsga- 
öfibvyjv  Proclus)  begränzten  Ausdehnung  zur  Grundlinie  genom- 
men werden  soll.  Da  nun  TcagarEivco  hier  dem  ^el^ov  u.  slaö- 
6ov  Tioiuv  coordinirt  ist,  so  schliesst  man  schon,  dass  das  telvo 
in  naQaxEiva  hier  weiter  nichts  bezeichnen  kann  als  den  ganz 
allseineinen  Begriff  fo/w^/?/?/e«,  und  dass  es  nur  hier,  weil  von 
Parallelogrammen  die  Ilede  ist,  ein  Parallelogramm  construiren 
lieisst.  Diese  Vermuthung  wird  dadurch  zur  Gewissheit ,  dass 
Proclus  weiter  unten  den  Unterschied  von  EKzaöcg^  övözaötg 
und  Tcagaßolf]  auseinander  setzt.  Und  zwar  geht  aus  seinen 
Worten  ganz  deutlich  hervor,  dass  ExtaöLg  sei  der  alige- 
meine Ausdruck  für  das  Entwerfen  einer  gegebenen  Figur,  die 
Construction,  övöTaöig,  das  Construiren  einer  Figur,  die  ei- 
ner andern  gegebnen  in  allen  einzelnen  Stücken  gleich  sei,  7ta- 
Qaßokr] ,  das  Construiren  eines  Parallelogramms  über  eine  be- 
stimmte Linie,  welches  einer  andern  Figur  an  Inhalt  gleich  sei. 
Man  könnte  dalier  eine  SKtaöLg  nugä  riva  yga^^rjv  auch  eine 
Ttagccraöig  nennen,  wenigstens  kann  naguxELVCö  an  der  obigen 
Stelle  des  Proclus  nach  dem  bisherigen  nichts  weiter  heissen 
als  eine  Figur  (nur  hier  zufällig  ein  Parallelogramm)  über  einer 
bestimmten  Linie  construiren.  Da  nun  an  unsrer  Platonischen 
Stelle  nicht  vom  Construiren  von  Parallelogrammen  die  Ilede 
ist,  sondern  vom  Construiren  eines  Dreiecks,  so  könnten  wir 
hier  unserm  nagaxEiva  die  Dedeutung  vindiciren:  über  der  ge- 
gebnen Linie  ein  Dreieck  construiren;  wir  haben  aber  oben  ge- 
sehen, dass  wegen  des  vorausgegangnen  evxelvelv  die  Bedeu- 
tung von  rsLva  spamien  uns  näher  zum  Ziele  führt. 

Nach  der  oben  aufgestellten  Bedeutung  muss  nun  das  näch- 
ste Participium  x6  TtagaxExapLEVov  das  gleiclischenkliche  über 
der  gegebnen  Basis  eingetragene  Dreieck  seyn.  Es  hat  uns  in- 
dess  nicht  gelingen  wollen ,  auf  diese  Weise  einen  nur  erträg- 
lichen mathematischen  Satz  in  den  Worten  zu  finden.  Es  ist 
daher  an  diesem  durch  die  Abschreiber  corrumpirten  Worte 
eine  Kleinigkeit  zu  ändern.  Es  ist  bekannt,  wie  wegen  der  fast 
ganz  gleichen  Schriftzüge  jrapa,  ngog  und  andere  mit  uig  an- 
fangende Sylben  sehr  häufig  verwechselt  worden  sind.  Um  die 
vielen  von  andern  vorgebrachten  Beispiele  zu  übergehen,  wol- 
len wir  imr  ein  einziges  aus  dem  so  vielmal  abgedruckten  Scho- 
liasten  des  Sophocies  beibringen,    wo  ad  Ant.  v.  47  statt  des 


August:  Zur  Kenntniss  der  geometrischen  Methode  der  Alten.   203 

'KQccyyiati  augensclieinlicli  TtQoqxuynati  zu  lesen  ist;  es  erhellt 
dies  aus  jener  Stelle  selbst  und  noch  mehr  aus  dem  schol,  ad 
V.  853  u.  872.  An  obiger  Stelle  lag  die  Verwechslung  um  so 
näher,  -weil  erst  nag aTelvavtog  vorausgegangen  war.  31an 
lese  also  t6  tc  Qogtsxcc^evov ^  das  hinzngesparmte ^  d.  i.  das 
bei  jenem  Einspannen  des  Dreiecks  zu  dem  ursprünglichen  hin- 
zugekommene Stiick,  für  x6  iv  reo  nagatüviLV  nQogtE&EL^ivov. 

Lesen  wir  nun  für  jetzt  nach  der  von  uns  früher  vorge- 
schlagenen graphisch  leichten  Emendation  TtaQavsivavtog  statt 
^ciQCiXHvavxa^  so  ist  der  Sinn:  der  Flächenraum  des  gegebnen 
Dreiecks  kann  als  ein  Dreieck  mit  derselben  Grundlinie  in  den 
Kreis  eingetragen  werden,  wenn  derselbe  so  beschalFen  ist,  dass 
er,  wenn  man  iiber  der  gegebnen  Linie  ein  gleichschenkliches 
Dreieck  in  dem  Kreise  constrnivt,  eines  solchen  Flächenstückes 
ermangelt,  wie  das  ist,  welches  bei  jener  mit  ihm  vorgenom- 
menen Construction  hinzugekommen  ist.  Wenn  aber  das  Drei- 
eck jene  Umwandlung  nicht  zulässt  (roi'TO  Tta%BLv\  dann  ist  je- 
nes nicht  möglich.  Wenn  ^IJEC  =  AI)B,  so  ist  es  möglich  ; 
aber  wenn  z.  B.  die  Höhe  von  ABC  grösser  ist  als  die  von  ADC, 
dann  ist  das  Verlangte  unmöglich.  *) 


')  Wegen  des  ■nagccrshavta.  Avollen  wir  noch  eine  flüchtige  Ver- 
mutliung  hinwerfen,  die  aber  zu  kühn  ist,  als  dass  wir  nicht  jene 
Iciclite  Acudcrung  nciQotTsivavtog  vorziehen  sollten.  Wie  die  giiechi- 
sclien  Mathematiker  im  Gehrauch  der  Worte  von  der  grammatischen 
Consequenz  abweichen,  haben  wir  oben  Anmerk.  3  ad  Proclum  an  ei- 
nem Beispiele  gezeigt.  Etwas  ähnliches  findet  statt  hei  dem  Gehrauche 
vnoTfivoo.  Ursprünglich  sagen  sie  tj  yQoi^ixTj  imortivBi  vno  7itQtq)!:QSt(xv 
(Euclid.  3,  2!)) ,  vno  r^vtia  y.v'xXov  und  vno  rrjv  ycoviuv  (Euclid.  VI, 
4;  5;  6.),  auch  vno  ^vo  nltvQas  (Archim.  sph.  et  cyl.  I,  22;  2.5;  30.), 
dann  statt  dessen  den  Dativ  rfj  ycovia  (Froclus  p.  64);  vorzüglich  hänfig 
den  hlosen  Accusativ  vnoTsivovoa  t6  rfirjficc  'avuIov  (Ptolomacns  p.  9j, 
juoipav  (il)id.  p.  11),  ttJv  yrovictt  (Euclid.  I,  18;  19;  2(5;  47;  II,  12). 
Spruchlich  richtig  betrachten  sie  nun  auch  jenen  Accusativ  als  Objecto- 


204  Gricchisrlic    Litteratur. 

Nicht  minderes  Interesse  als  (He  beiden  obigen  Abliaiullun- 
gen  gewähren  die  diesem  Programme  beigefügten  Schulnachrich- 
teii,  iii  denen  über  Zweck,  Ziel  und  gegenwärtige  Einriclitung 
des  Cohiischeii  RealGymnasium  in  Berlin  berichtet  wird.  Diese 
Anistalt,  ursprünglich  hervorgegangen  aus  dan  3  unteren  Klas- 
sen des  ehe.nals  selbstständigen  und  nachher  mit  dem  Berlini- 
schen Gymnasium  vereinigten  Cölnischen  Gymnasium,  hat  durch 
die  im  vorigen  Jahre  nach  Heranbildung  jener  überkommenen 
Zöglinge  möglich  gewordene  Begründung  einer  Prima  nun  das- 
jenige Ziel  ihrer  Umwandlung  und  inneren  Gestaltung  erreicht, 
welches  ihren  Begründern  vorscljwebte.  Da  diese  Anstalt,  we- 
nigstens in  Preussen,  die  erste  nach  jenem  neuen  Plane  gegrün- 
dete ist,  so  wäre  es  zwar  nicht  unpassend,  ihre  Einrichtung  so 
wie  die  Wahl  und  Ausdehnung  der  einzelnen  ünterrichtsgegen- 
stände  in  den  (j  Klassen  ausführlich  mitzutheilen;  wir  müssen 
uns  aber  begnügen,  im  Allgemeinen  den  Zweck  derselben  und 
ihre  Stellung  zu  den  übrigen  Schnlanstalten  mit  den  eigenen 
Worten  des  Verf.s  anzugeben.  „Die  Idee  eines  llealgymnas,, 
„zuerst  am  bestimmtesten  und  klarsten  ausgesprochen  in  einer 
„bekannten  Schrift  des  würdigen  Veteranen  der  hiesigen  Schul- 
„niänner,  des  Hrn.  Prof  Fischer,  rausste  sich  immer  mehr 
„denjenigen,  welchen  die  Sorge  für  die  Jugendbildung  am  Iler- 
„zen  lag,  empfelUen,  je  vielseitiger  die  Ansprüche  wurden,  die 
„das  Leben  au  die  Schule  machte,  je  mehr  sich  der  Kreis  der 


accusativ  und  sagen  ^  vnoTBtvofisvrj  TtiQLrpsQEiu  (Ptolora,  p.  9),  77  ycovia 
-vnotSiVETut  (Proclus  p.  64).  Aber  welch  ein  gewaltiger  Sprung  ist  es, 
wenn  Ptoloraaeus  im  Iten  Budie  seiner  (j.^y.  awz,  p.  8  die  Sehnen  8v- 
&Eias  xTTOT^ivo^iii  na  nennt?  Für  naQcczsivco  scheint  nun  zwar  nacli  dem 
Obigen  die  activc  Beileutang  eines  geometriselien  Actes  festznstehn:  wie 
aber  wenn  nach  jener  Analogie  TiaQccvslveiv  an  unsrer  Stelle  mit  neu- 
traler Bedeutung  von  dem  Breiecke  gesagt  wäre,  welches  in  den  Kreis 
eingetragen  mit  seinen  Seiten  als  Sehnen  die  dazu  gehörigen  Bogen 
spannt,  so  dass  TtaQccnivti  xQiycovov  na^ä  yQafifirjv  gesagt  wäre  für 
Tiag  uy.ttfisvov  naQcc  yqafitirjv  Ttivsirals  nltVQals  rrjV  TtcQicp&QSiccv, 
wie  y)  tv&sla  vtioteivsi,  zr;v  iiiQLCptqkiav  offenbar  durch  ein  v  n  ousifj^svr] 
rsivti  zrjv  Tti;Qi(p8Q£iav  aufzulösen  ist?  Dann  läge  die  Conjectur  nahe, 
für  nuQax&ivavtu  zu  lesen  TiaQaxfivav  ccvzu^  oder ,  Aveil  ein  Codex  na- 
Qatfivovra  hat,  TtaQaruvov  avrcc  iJdeiitfiv^  mit  dem  Sinne:  wenn  das 
Dreieck  von  der  Art  ist,  dass  es,  über  der  gegebnen  Grundlinie  einge- 
tragen (so  dass  es  mit  seinen  Seiten  als  Sehnen  den  Bogen  spannt), 
eines  solchen  Stückes  gegenüber  (auf  der  andern  Seite)  ermangelt,  als 
das  (auf  der  einen  Seite)  hinzugekommene  Stück  ist.  Man  könnte  dann 
die  in  einem  ähnlichen  Zusammenhange  stehenden  Worte  des  Scholia  • 
sten  oben  Anmcrk.  4  ,  cos  ro  filv  x(OQiov  [f^i-Hov]  ilvuL  ivzog,  ti]V  Ss 
tv9itav  ■JicQiüQSViiv  taxö  s ,   damit  vergleichen. 


August:  Zur  Kcnntniss  der  geometrischen  Methode  der  Alten.  205 

„Wissenschaften  vergrösserte,  die  in  den  akademischen  Lclir- 
„kreis  gezogen  wurden,  je  überzeugender  dasIJeispiel  der  Nach- 
„barstaaten  durch  die  mit  herrlicliem  Erfolge  gekrönte  Wirk- 
„samkeit  der  Central  -  und  polytechnischen  Scliulen  zu  uns  re- 
„dele  und  zur  Nachahmung,  zum  Wetteifer  aufforderte.  Jener 
„allgemeinen  Grundidee  angemessen  ,  ist  das  Cölnische  lleal- 
„gymnasium  bestimmt,  dieselben  Kenntnisse  zu  verbreiten,  wel- 
„che  der  Gegenstand  des  Unterrichts  auf  allen  Vibrigen  Gymna- 
„sien  sind,  aber  mit  einer  andern  Vertheilnng;  so  dass  bis  in 
„die  höheren  Klassen  hinauf  mehr  noch,  als  es  auf  andern  Gy- 
„mnasien  geschehen  kann,  fiir  die  zweckmässige  Ausbildung  de- 
„rer  gesorgt  wird,  die  ihre  Avissenschaftlichen  Studien  nicht 
„auf  einer  Universität  abschliessen  können;  dass  aber  auch  den- 
„jenigen,  die  dies  beabsichtigen,  Gelegenheit  gegeben  wird, 
„sich  in  Hinsicht  auf  die  Erlernung  der  alten  Spraclien  duzu 
„vorzubereiten.  Wenn  also  in  den  mittlem  und  untern  Klassen 
„der  Unterricht  in  der  latein.  Sprache  in  Vergleich  mit  andern 
„Gymnasien  etwas  zurücktritt,  und  dafür  die  mathematischen, 
„naturwissenschaftlichen ,  geographischen  u.  liistorischen  Wis- 
„senschaften  mehr  Uebergewicht  erhalten;  so  wird  in  den  obe- 
„ren  Klassen  denen,  die  sich  für  ein  Universitätsstudium  ent- 
„schlossen  und  dazu  als  tüchtig  schon  in  ihrer  Schuilaui'baim 
„bekundet  haben,  nicht  nur  im  Lateinischen  ein  ausfüitrüche- 
„ver,  sondern  auch  in  der  griechischen  Sprache  ein  genügender 
„Unterricht  ertheilt  werden.  In  dieser  Hinsicht  darf  also  die 
„Anstalt  ihrer  Idee  nach  nicht  mit  einer  Bürgerschule  verwecii- 
„selt  werden,  und  wie  auch  schon  Fischer  in  der  angeführten 
„Schrift  auf  das  überzeugendste  durchführt,  den  übrigen  Gy- 
„mnasien  nicht  nachgesetzt  werden ,  sondern  sie  behauptet  ihre 
„Stellung  neben  denselben.  Sind  es  ja  doch  Gymnasialkennt- 
„nisse,  welche  durch  sie  verbreitet  werden,  und  ist  es  doch 
„der  Geist  der  Wissenschaftlichkeit,  der  in  den  Zöglingen  der 
„oberen  Klassen  erweckt  und  genährt  werden  soll.''' 

Wenn  man  bedenkt,  welche  grosse  Kluft  unsre  Gymnasien 
imd  Bürgerschulen  trennt,  wie  in  den  ersteren  der  Unterricht, 
fast  ausschliesslich  auf  formelle  Bildung  berechnet  und  gröss- 
tentheils  abstract,  nur  den  Gelehrten  von  Fach  zu  seinen  künf- 
tigen Universitäts- Studien  vorbereitet,  die  letzteren  dagt{:;an. 
entweder  zu  wenig  über  den  Elementarunterricht  sich  eriieben 
oder  bei  flachem  Mechanismus  sich  zu  sehr  von  einer  wissen- 
schaftlichen Form  entfernen ;  dann  wird  man  in  einem  Staate, 
der  nicht  den  Prunk  glänzender  Gelehrsamkeit  einzelner  Indi- 
viduen oder  einer  besondern  Gelehrtenkaste  für  das  liöchste 
aclitet,  sondern  durch  sein  ßürgerthum  gross  ist  u.  durch  eine 
regsame  Industrie  alle  seine  Kräfte  zu  entwickeln  und  zu  stei- 
gern sucht ,  sich  über  die  Gründung  einer  Anstalt  freuen ,  wo 


206  Griechische    Litterntur, 

der  Gescl'.Hftsmann  und  Iiöliere  ,Biirgerstand  eine  für  ihn  geeig- 
nete Bildung  erhält,  die  ihm  niciit  allein  IVir  seinen  Berui"  eine 
gedie^sene  wissenscliaS'lliche  Vorbereitung-  gewährt,  sondern  ihn 
auch  der  Vortheiie  einer  gelehrten  Bildung  theilliaftig  macht. 
Jene  wird  seinem  Erfindnngsgciste  INaiirung  und  Richtiujg  ge- 
ben,  diese  ihn  fähi^  machen,  in  seinen  etwaaigen  Functionen 
als  Staatsbiirger  u.  Repräsentant  gerecliten  Ansprüchen  zu  ge- 
nügen. Ob  es  angemessen  und  rathsam  sei,  aucli  solche,  die 
sich  einem  Gelehrten -Berufe  widmen  wollen,  in  solchen  An- 
stalten heranzubilden,  möchte  zu  bezweifeln  seyn,  wenigstens 
spräche  man  mit  einer  Billigung  jenes  Vorschlags  zugleich  einen 
harten  Tadel  aus  gegen  die  bisherige  FJinrichtung  und  Tendenz 
wnsrer  Gymnasien,  welche  bei  den  Ansprüchen,  die  jetzt  an 
ihre  Zöglinge  gemacht  werden ,  durcliaus  nicht  noch  mehr  Un- 
terrichtsfifegenstände  aufnehmen  oder  diese  in  der  Ausdehnung 
betreiben  können,  dass  bedeutende  Fortschritte  darin  gemacht 
werden  könnten.  Dass  für  künftige  Mitglieder  verwaltender 
Behörden  und  auch  für  Mediciner  solche  Realgymnasien  weit 
geeigneter  seyn  würden,  leuclitet  ein.  Einen  vortlieiihaflen 
Einfluss  würden  diese  Anstalten  aber  auch  auf  alle  übrigen  Gy- 
mnasien ausViben  können,  wenn  einzelne  Lehrer  für  diese  auf 
jenen  gebildet  würden.  Es  sind  zwar  auf  manchen  Gymnasien 
einzelne  Unterrichtsstunden  für  Naturwissenschaften  eingerich- 
tet, aber  es  fehlt  an  Lehrern,  die  frühzeitig  zum  eigenen  An- 
schauen der  Natur  gewölint,  nicht  blos  zum  Behuf  eines  ihnen 
aufgedrängten  Unterriclits  aus  einem  systematischen  Werke  ei- 
nige theoretische  Kenntniss  sicli  aneignen,  sondern  practisch 
jenes  betrieben  haben,  und  so  nicht  allein  diesen  Unterricht  be- 
leben ,  sondern  auch  und  zwar  %'orzüglich  ausser  den  Lectionen 
in  Stunden,  die  zur  körperlichen  Erholung  der  Zöglinge  be- 
stimmtsind, eine  Liebhaberei  für  Botanik,  Mineralogie,  jenen 
einilössen  könnten.  Man  weiss,  wie  auf  preussischen  Schulen 
der  raathcm.  Unterricht  sich  gehoben  hat,  seitdem  Männer, 
uelche  ex  professo  auf  der  Universität  Mathematik  studirten, 
denselben  leiten.  Wären  diese  zugleich  vorher  auf  einem  sol- 
chen Realgymnasio  gebildet,  so  würde  der  mathematische  Un- 
terricht auf  unsern  Gymnasien  nicht  ein  blos  formelles  Bildungs- 
raittel  bleiben.  Fast  scheint  es  nämlich,  dass  dei'selbe  auf  den 
meisten  Schulen  zu  abstract  betrieben  werde.  Die  trigonome- 
trischen Formeln  werden  wie  griech.  Paradigmata  eingeübt,  ih- 
rer Anwendung  auf  Ausmessung  des  Himmels  u.  der  FJrde  wird 
kaum  mit  Worten  flüchtig  Erwälumng  gethcMi,  gef^chweige  denn 
ein  wirklicher  Versuch  gemacht,  in  den  wenigen  physikalischen 
Stunden  wird  oft  nur  die  matliem.  Seite  der  Physik  behandelt, 
und  Formeln  treten  an  die  Stelle  der  sinnlichen  Anschauung. 
Wir  scJiliessen  mit  dem  Wunsche,  dass  der  durch  jene  Anstalt 
beabsichtigte  Erfolg  den  Erwartungen  entsprechen  u.  die  Grün- 


Pädagogik.  207 

diin^  von  wenigstens  Einem  solchen  Gymnasium  in  jeder  Provinz 
zum  Belnif  des  ersteren  Zweckes  höherer  Volksbildung  zur 
Folge  haben  möge. 

Pforta.  Dr.   C.    n  ex. 


ädagogik. 


1.  Drei  Schulreden,  womit  zur  öfTentlirlicn  Prüfung  der  Sclui- 

1er  des  Gymnasiums  zu  Duisburg  und  zu  einigen  Abscliiedsredcn  auf 
den  20ten  u.  21ten  Septbr.  1824  einladet  der  Director  Dr.  Joli.  Dun. 
Schulze.  Angehängt  sind  IVachrichten  vom  Gymnasium  seit  lbi3. 
Duisburg,  gedruckt  bei  den  Erben  Voss.  24  S.  in  4. 

2.  Be7iierkuJigen  über  den   JVerih  der  Alter ihtims- 

studien  a uf  Gy  mnasie n  u n d  höher  n  S c h n l  au- 
steilten. Ein  Programm  zur  Einladung  an  (?)  die  ölTciitlielieii 
Prüfungen  und  zur  Feier  der  Prämienaustheilung  an  der  Aargaui- 
schen Kantonsschule,  von  i?.  Rcnichenstcin,  Professor,  d.  Z.  Rector. 
Aarau  bei  F.  J.  Beck.  1825.  46  S.  in  8. 

3.  Verhältniss  des  Sprachunterrichts  zu  den  übri- 
gen Lehr  geg  enst  änd  en.  Dargestellt  von  Franz  Dorotheus 
Gerlach.  Einladungsschrift  zur  Rectoratsrede ,  welche  von  (vom) 
Hrn.  Prof.  Peter  Merian ,  zeitigem  Rector  der  Univers.,  Montags 
den  löten  Mai  um  10  Uhr  Morgens  im  Doctorsale  des  Münsters 
wird  gehalten  werden.      Basel,  gedr.  b.  Aug.  Wieland.   23  S.  in  4. 

4.  Neunter  Bericht  an  das  Publikum  über  das  Gy- 

mnasium und  die  Realschule  in  Basel.,  nebst  der 
Rechenschaft  über  den  Lehrcursus  des  verflossenen  Schuljahres. 
Eine  Einladungsschrift  zur  Proniotionsfeierliclikcit  am  24ten  Mai 
1825,  von  (vom)  Prof.  R.  Ilanhart,  Rector  des  Gymnasiums  und 
der  Realschule.      Basel,   bei  A.  Wieland.   1825.   17  S.  in  4. 

l*-i.it  nicht  geringem  Vergniigen  haben  wir  die  Stimmen  dieser 
Tier  namhaften  Mäiiner  über  Gegenstände  von  Bedeutung  in  dem 
Erziehungs  -  und  ünterrichtswesen  vernommen  und  halten  es 
für  Pflicht,  Einiges  davon  für  Andre  wiederhallen  zu  lassen, 
in  deren  Nähe^sie  selbst  nicht  dringen  dürften. 

Nr.  1  enthält  folgende  3  Reden:  a)  Die  Erziehung  auf 
öffentlichen  Schulen  muss  einen  religiösen  Charakter  haben., 
wenn  sie  auf  die  menschlichen  Verhältnisse  ivahrhaft  bildend 
und  veredelnd  einivirken  soll.  So  wenig  der  Geistliclie  zum 
blossen  Prediger  gemacht  werden  könne,   so  wenig  dürfe  der 


208  P  i'i  (1  a  g  o  g  i  k. 

Schulmann  bloss  Lehrer  sein:  vielmehr  müsse  er  seine  Schiller 
nn  ein  plliclitmässi^jes  f^andeln  in  allen  i3eziehnngen  gewöhnen. 
Wenn  das  geschehe,  uirke  die  Schnie  t'ieils  mit  der  häuslichen 
Erziehung  zasararacn  und  befördere  deren  Erfolg,  thoils  wirke 
sie  ihr  entgegen  und  helfe  ihren  Gebrechen  ab.  Daliiii  wirke 
die  ganze  Verfassung  und  Einrichtung  der  Schule,  besonders 
aber  dann,  wenn  sie  iiberall  von  lleügion  ausgehe.  Hecht  gut 
werden  hierauf  die  Umrisse  einer  im  Geiste  der  Religion  wir- 
kenden Schule  gezeichnet.  Besonders  Ijervorgelioben  zu^wer- 
den  verdient,  dass  die  Lehrer  in  ihr  nach  immer  höherer  Voll- 
kommenheit streben  werden,  ohne  darum  neuen  Methoden  nach 
zu  jagen,  und  dass  es  Lehrern  u.  Schillern  Gewissenssache  sein 
wird,  auch  ohne  äussere  Antriebe  in  Allem  ihre  Püicht  zu  thun. 
b)  In  der  zweiten,  am  ISten  October  1822  gehaltenen  Rede 
nimmt  der  Hr.  Verf.  von  den  besiegten  Feinden  des  Staats  Ver- 
anlassung, V071  den  Feinden  zu  reden,  tvelche  Lehrer  und  her- 
nende  in  Schulen  zu  bekämpfen  habest ,  Me/ischen ,  Irrthibfier 
und  Vorurtheile^  böse  Begierden  und  Genwhnheiten ^  Verhält- 
nisse, c)  De  scholariiin  piiblicarum  dignitate  tiienda  atque 
aiigenda.  Mit  Reclit  getadelt  werden,  qui  dissolutam,  quam 
desolatam  scholam  malunt:  vix  enim  fieri  potest ,  quin  schola 
discipulis  nimis  referta  mole  sua  ruat.  Schleclite  Disciplin  und 
Oherflächiichkeit  müssen  da  einreissen.  Gründlichkeit  u.  ern- 
ste, jedoch  mit  Milde  gemischte  Disciplin  lieben  eine  Schule. 
Die  Disciplin  dürfe  nicht  Alles  von  Drohungen  und  Strafen  er- 
warten, sondern  müsse  daiiin  arbeiten ,  dass  die  Jugend  das 
Gute  um  desselben  selbst  willen  wolle.  Lauge  Ferien  tülireii 
Verwilderung  der  Jugend  herbei  und  schaden  dem  Rufe  einer 
Anstalt.  Bei  den  öfFentliclien  PrVifungen  müsse  alle  Täuschung 
wegfallen.  Das  Publikum  werde  endlich  das  doch  merken  und 
dann  um  so  misstrauischer  werden.  Am  meisten  gewinne  eine 
Schule  durch  den  guten  Ruf  ihrer  Lehrer  in  Beziehung  auf  Ge- 
lehrsamkeit, Lehrgeschicklichkeit,  Gewissenhaftigkeit,  treue 
Fürsorge  für  ihre  Schüler,  gute  Verwendung  von  Unterstützungs- 
geldern ,  Einigkeit  unter  sich  u.  Bescheidenheit.  Ins  Besondre 
aber  können  Schulbehörden  viel  zum  guten  Rufe  der  Schulen 
beitragen,  wenn  sie  gute  Einrichtungen  treffen,  für  die  iiöthi- 
gen  Lehrmittel  sorgen,  dem  erprobten  Schulmanne  so  viel,  als 
möglich,  freie  Hand  lassen,  nicht  lange  Vacanzen  dulden ,  de- 
ren Nachtheile  kurz,  aber  gründlich  erörtert  werden,  und  end- 
lich nur  tüchtige  Lehrer  erwählen.  Mit  Recht  wird  rühmend 
anerkannt,  was  in  diesen  Beziehungen  von  Preussischen  Schul- 
behörden geschieht.  Zuletzt  wird  noch  berührt,  wie  durch 
Ortsbehörden  und  Mitbürger  das  Ansehen  und  Gedeihen  der 
Schulen  gefördert  werden  kann.  Der  Vortrag  ist  überall  kräf- 
tig und  anziehend,  der  Lateinische  besonders  fliesend  und  von 
acht  antikem  Colorit.   Doch  würden  wir  selbst  nach  Ernesti's 


Rauchenstcüi :  Ucbcr  den  Wcrth  der  Altcrtlmrasstudicn.      209 

Beispiele  doctrinae  solidioris  suhsidia  S.  13  nicht  billigen. 
Von  S.  17 — 24  folgen  Schulnachrichlen.  Wenn  von  der  S.  2J) 
nachgewiesenen  Privatlectüre  der  Primaner  nicht  der  eine  diess, 
ein  andrer  Anderes  gelesen  hat;  so  haben  sie  wirklich  viel  ge- 
leistet. Die  schrii'tlicheiiSeibstbeschäftignngen  derselben  nach 
S.  20  u.  21  sind  in  der  That  sehr  riihralich.  So  in  Anspruch 
genommen  und  geleitet  müssen  junge  Leute  trefflich  vorschrei- 
ten. Mit  gutem  Grunde  ist  S.  22  gewarnt  gegen  das  Uhrentra- 
gen, Taubenhalten,  Schmetterlingsjagden,  liäufiges  Baden  im 
Sommer,  reichliches  Taschengeld,  das  Tabaksrauchen,  Besu- 
chen öfFenllicher  Häuser,  auffallende  Miitzen  und  andre  auffal- 
lende Trachten. 

In  Nr.  2  sind  viel  wahre,  kräftige  und  schöne  Gedanken  in 
eine  nicht  selten  sonderbare  Sprache  gekleidet.  Zuerst  wird 
der  Frage  begegnet,  wodurch  denn  die  Alterthumsstudien  an 
und  für  sich  einen  so  hohen  Werth  haben,  dass  man  die  Jugend 
damit  so  viel  Zeit  verschwenden  lassen  kann.  Das  Beigebrachte 
ist  ganz  zur  Sache  und  verdient  allen  Beifall.  Dann  wird  eben 
so  gehörig  die  Frage  erörtert,  ob  nicht  der  endliche  Gewinn  an 
Kenntniss  von  Sprachen,  Völkern  und  Einrichtungen ,  welche 
uns  so  fern  stehen,  für  Manchen  ein  unbrauchbares,  höchstens 
zu  einem  aus  der  Mode  gekommenen  Citatenprunke  dienliches 
Wissen  sei.  Als  uothwendigeGegei  stände  des  Schulunterrichts 
betrachtet  der  würdige  Herr  Verf.  auch  die  Mathematik  ,  die 
Naturwissenschaften  und  Geschichte,  über  deren  Beschaffen- 
heit in  den  Schulen  in  der  Kürze  Treffliches  vorgebracht  und 
dabei  zugleich  die  Meinung  zurückgewiesen  wird,  ob  nicht  ge- 
lungene Uebersetzungen  die  Stelle  der  Werke  der  Alten  vertre- 
ten können.  Ferner  wird  die  Einwendung  beleuolitet,  dass 
man  wohl  besser  thue,  sich  mit  Ausschliessung  des  Fremden 
lediglich  an  das  Studium  der  eigenen  Sprache  und  Litteratur 
zu  halten.  Das  Billige  darin,  vornehmlich  in  Beziehung  auf 
Volksschulen,  wird  gern  anerkannt,  das  üebertriebene  zurück- 
gewiesen. Dahin  gehört  auch  das  an  ausschliessliche  Klassici- 
tät  des  Alterthums  glaubende  Vorurtheil  und  ihm  gegenüber 
die  allzugrosse  Befangenheit  in  romantischer,  einseitiger  Mo- 
dernität, welche  durch  das  Studium  des  Fremden  ihren  eigen- 
thümlichen  Charakter  eiuzubüsen  besorgt.  Wir  können  uns 
nicht  enthalten,  die  schönen  Trostworte,  womit  dieser  Ab- 
schnitt schlicsst,  hier  anzuführen.  ^JFenneinsich  als  neu  anhiln- 
dendes  Leben  eine  tvirklich  schöpferische  Urkraft  hat ;  so  wird  es 
durch  jene  Alterthumsstudien  nicht  nur  nicht  erdrückt,  son- 
dern es  wird  durch  sie  gehoben,  gestärkt  und  gebildet  tver- 
den}'-  Hierauf  wird  gezeigt,  wie  es  gegen  die  neuere  Abstra- 
ctionssucht,  wodurch  die  poetische  Production,  die  Lebendig- 
keit und  Natürlichkeit  des  Darstellungsvermögens  leide  und 
Pomp  und  Schwulst  gefördert  werde,   kein  bessres  Gegengift 

Jahrh.   fPliil.  «,   Pädafr.  Jahr^.V.  Heß  '2.  J4 


210  Pädagogik. 

gebe,  als  die  Altertluimsstudien.  Zuletzt  kommt  die  Rede 
noch  auf  jene  bedenklichen  Seelen,  „die  nur  schüchtern  um 
sicli  blicken,  vielleicht  aus  Furcht,  jeder  neue  Sonnenstrahl 
miisse  ilmen  die  Augen  löschen,  die  aber  doch  fragen,  ob  nicht 
dieses  dem  christliclien  Elemente  widerstrebende  Ileidenthura 
auch  seinen  Theil  Schuld  habe  an  dem  Unglauben  der  Zeit, 
und  ob  nicht,  wie  die  frühem  Christen  die  lieidnischen  Götzen- 
bilder zerschlugen  und  vergruben,  so  heut  zu  Tage  die  tief  in 
das  Herz  sich  einfressenden,  der  Jugend  so  vertrauten  Götzen 
nur  noch  viel  eher  aus  ihren  Händen  zu  verbannen  seien." 
Nachdem  diese  Vajidale7ic1uislenfiage^  wie  der  Herr  Verf.  sie 
treffend  nennt,  mit  einem  besondern  Rückblick  auf  die  in  der 
Hildesheimer  krit.  Biblioth.  1825  Hft.  1  S.  10  vorgekommene, 
hieher  gehörige  Notiz  und  auf  Steffens  Schrift  von  der  falschen 
Theologie  und  dem  wahren  Glauben  kurz,  aber  kräftig  besei- 
tigt worden,  werden  einige  treffliche  Bemerkungen,  welche 
wir  des  mangelnden  Raumes  wegen  ungern  nicht  wörtlich  wie- 
derholen, aufgestellt,  woraus  sich  ergiebt,  dass  die  Studien  des 
Alterthums  nicht  ohne  wohlthätigen  Einfluss  auf  uusre  religiöse 
Bildung  sind.  Aus  dem  Ganzen  wird  am  Ende  der  Schluss  ge- 
zogen, dass  die  Alterthumsstudien  eine  nothwendige  Bedingung 
zu  höherer  Bildung  sind  und  so  lange  bleiben  w  erden ,  als  man 
nicht  völlige  Einseitigkeit  will.  Nicht  leicht  haben  wir  auf 
einem  so  engen  Räume  so  viel  Gediegenes  über  diesen  Gegen- 
stand beisammen  gefunden,  und  wir  scheiden  mit  besonderer 
Hochachtung  von  dem  Hrn.  Verf.,  welchem  wir  nur  noch  etwas 
mehr  Aufmerksamkeit  auf  den  Vortrag  wünschen.  Zum  Belege 
dieses  Wunsches  führen  wir  an  S.  1  Z.  5  v.  u.  an  das  Publi- 
kum sprechen ,  S.  2  Z.  6  v.  o.  bisweilen  Laut  von  sich  geben^ 
S.  4  —  Angriffe^  welche  gegen  denjenigen  Theil  des  höhern 
Schulunteirichts  gerichtet  sind,  welcher  das  Studium  des 
Griechischen  und  Lateinischen  ausmacht,  S.  19  unten  —  trotz 
des  allgemeinen  Wettlaufens  (?)  um  Erwerb  nnd  epidemi- 
schen Meditation  auf  Sammlung  etc.,  S.  23  Z.  T  v.  u.  auf 
die  Gymnasien  gehöre  sich  eine  Uebersicht,  S.  24  Z.  7  v.  o. 
Geschift,  ausserhalb  der  Schweiz  wohl  nicht  leicht  verständ- 
lich, S.  28  Z.  13  V.  0.  zur  Schwelle  des  Tempels  zu  gerei- 
chen, S.  30  Z.  3  V.  o.  Minutiosenhämerei,  S.  43  Z.  7  v.  o. 
das  Studium  der  Geschichte  —  lehrt  —  und  S.  44  o.  Allein 
sie  lehrt  uns  ?iicht  u.  s.  w.  3Ian  sieht  kaum,  worauf  dieses 
sie  zu  beziehen  ist,  wenn  nicht  auf  das  S.  43  Z.  7  v.  o.  so  weit 
vorangegangene  Geschichte ,  da  doch  die  Beziehung  auf  Stu- 
diu7n  erforderlich,  besser  aber  das  Studium  der  Geschichte 
zu  wiederholen  wäre.     Das  e  des  Dativs  fehlt  gewöhnlich. 

In  Nr.  3,  welches  gar  keine  Spur  von  dem  Jahre  seines  Er- 
scheinens enthält,  wird  der  aufgestellte  Gegenstand  gründlich, 
mit  Unbefangenheit  nnd  Würde  behandelt.     Der  geachtete  Hr. 


Gerlach :  Vcrliältn.  des  Sprachunterrichts  zu  d.  übrig-,  Lehrgegenst.    211 

Verf.  gellt  von  dem  in  andrer  Form  erneuerten  Streite  über 
Humanismus  und  Realismus  aus  und  giebt  ziemlich  ausführlich 
die  Umstände  an,  welclie  die  Erscheinungen  des  Realismus, 
besondre  Schulen  für  allerlei  Gewerbe,  förderten.  Hierauf 
sollen  die  Ursaclien  des  Streites  iiber  öffentliche  Erziehung 
und  ölfentlichen  Unterricht  angegeben  werden:  es  wird  aber  in 
der  That  imr  eine  angeführt  —  auf  das  Zuerst  S.  ß  Z.3  folgt 
kein  Zweitens  —  und  trefilich  beleuchtet,  dass  nämlich  von 
Wenigen  erkannt  werde,  wozu  der  Staat  als  solcher  verpflich- 
tet sei.  Es  wird  hierbei  erwiesen,  dass  in  dem  iirsprünglicheii 
Wesen  des  Staates  durchaus  nur  die  Verpflichtung  enthal- 
ten sei^  für  Erziehung  und  Bildung  des  Volks  im  Allgemei- 
nen und  für  die  besondere  Bildung  der  Volhslehrer  und 
Beamten  zu  sorgen^  und  gesetzt,  man  wollte  für  alle  Gewerbe 
Schulen  vom  Staate  verlangen;  so  würde  er  seine  Thätigkeit 
ins  Unendliche  zersplittern  müssen.  Auch  raüsste  dann  der 
Staat  ein  Ausschliessungsrecht  von  Cl^w  verschiednen  Gewerbs- 
thätigkeiten  haben ,  woraus  Eingriff  in  das  persönliche  Recht 
hervorginge.  Hierauf  wird  ganz  richtig  vestgestellt ,  was  man 
unter  allgemeiner  Bildung  zu  verstehen  habe,  und  aus  der 
Natur  des  menschlichen  Geistes  die  Grundbestandtheile  des 
öffentlichen  Unterrichts  hergeleitet.  Die  Hauptrichtungen  der 
Thätigkeit  des  Erkenntnissvermögens  beziehen  sich  auf  das 
sinnlich  Wahrnehmbare  oder  auf  das  nur  im  innersten  13ewusst- 
sein  Erkannte.  Die  allgemeine  Bildung  hat  daher  theils  die 
Aussenwelt  oder  die  Natur  theils  die  eigene  innere  Welt  oder 
den  Menschen  zum  Gegenstande.  So  wie  nun  die  Mathematik 
die  Grundlage  des  Unterrichts  über  die  äussere  Natur,  so  ist 
es  die  Sprache  für  den  über  die  innere  und  zugleich  der  An- 
fangspunct  alles  Unterrichts.  Durch  sie  nimmt  das  Kind  den 
ersten  Antheil  an  der  Denkweise  seines  Volks,  wesshalb  bis  zum 
ersten  Lebensabschnitte  (dem  7ten  Jahre)  das  Vaterland  Mit- 
telpunct  aller  Erkeiintiiiss  des  Kindes  werden  muss.  Nun  nimmt 
esTheil  am  öffentlichen  Unterrichte,  bei  welchem  die  Richtung 
auf  das  Innere  vorherrschen  soll.  Mathematische  Auffassung 
der  Naturerscheinungen.  Die  Kenntniss  der  Natur  wird  erwei- 
tert bis  zur  allgemeinen  Betrachtung  der  Erde  und  des  gestirn- 
ten Himmels.  Zur  Einführung  in  die  eigene  innere  Welt  tritt 
nun  gehörige  Sprachbildung  ein.  In  ihr  vereinigen  sich  die  bei- 
den Hauptseiten  aller  höhern  Wissenschaften ,  die  philosophi- 
sche und  historische.  (Letzteres  können  wir  eben  so  wenig  zu- 
geben, als  wenn  Schelling  die  Geschichte  das  im  Idealen  aus- 
drücken lässt,  was  die  INatur  im  Realen,  oder  wenn  Heinroth 
sie  gründet  auf  die  Urtheilskraft,  deren  Object  alles  Gewor- 
dene oder  Vergangene  sei.  Die  Geschichte  sucht  Erkenntniss 
des  Menschen  und  seines  Geschlechts  in  der  Vergangenheit, 
wo  beide  als  handelnde  Objecte,    als  freie  Naturerzeugnisse  er- 

14* 


212  Pädagogik. 

scheinen.  Darin  liegt  das  ganze  Geheiraniss  über  das  Wesen 
der  Geschichte.)  Hierauf  werde  gewöhnlich  der  Volksunter- 
riclit  und  mit  der  2ten  Lebensperiode ,  dem  Uebergange  des 
Knaben  zum  Jünglinge,  als  vollendet  betrachtet.  Zwar  will 
der  Hr.  Verf.  höher  hinaus:  das  wird  aber  doch  in  der  Wirk- 
lichkeit nicht  gehen.  Nun  steigt  die  allgemeine  Bildung  für 
Lehrer  und  Beamte  weiter.  Die  Kenntniss  der  Natur  gewiimt 
mehr  Umfang  und  höhere  Richtung.  Die  Erkenntniss  der  In- 
nenwelt oder  des  31enschlichen  wird  erweitert  und  gesteigert 
durch  die  Entwickelung  des  Lebens  der  Hellenen,  Ilömer  und 
Germanen  (Mittelalter),  deren  wesentlich  Eigenthümliches  mit 
wenigen,  aber  treffenden  Zügen  gezeichnet  wird.  Zu  dieser 
Erkenntniss  führt  die  Geschiclite,  ganz  besonders  aber,  vor- 
nehmlich in  Beziehung  auf  die  Hellenen  und  Ilömer,  das  Stu- 
dium ihrer  Sprachen  und  Schriftwerke.  Treflliche  Bemer- 
kungen darüber  und  über  die  Nothwendigkeit  dieses  Studium. 
Wir  erinnern  hiebei  an  das  von  uns  Aufgestellte  in  der  beson- 
ders gedruckten  Vorrede  zu  unserm  Latein.  Lesebuche.  Kö- 
Jiigsberg  1810.  Die  allseitige  Behandlung  der  Alterthumswis- 
scnschaft  sei  daher  der  Mittelpunct  der  geistigen  Thätigkeit  im 
Sten  Lebensabschnitte.  Wenn  der  würdige  Hr.  Verf.  will,  dass 
bis  zum  Uten  oder  12ten  Jahre  des  Knaben  nur  die  Bildung 
der  Muttersprache  betrieben  und  dann  erst  die  alten  Sprachen 
angefangen  werden;  so  stimmen  wir  seinen  Gründen  aus  voller 
Ueberzeugung  bei,  wenn  schon  wir  glauben,  dass  dem  die  Ge- 
wohnheit noch  lange,  wo  nicht  immer  widerstreben  wird.  Die 
Erhaltung  des  Sinnes  für  das  Volksthümliche  werde  daneben 
in  dieser  Periode  gesichert  durcli  tieferes  Eingehen  in  die  Ge- 
chichte  unsres  Volkes  und  durch  gründlicheres  Eindringen 
in  unsre  Sprache  und  Litteratur. 

Diess  der  kurze  Abriss  dieses  lesenswerthen  Aufsatzes, 
welcher  sich  auch  durch  seine  Form  vortheilhaft  auszeichnet, 
woran  wirblos  zu  missbilligen  gefunden  haben  S.OZ.l  imTexte 
V.  u.  alle  andern  Geschöpfe  für  andre,  S.  10  Z.  7  u.  8  v.  u.  vor  indejn 
nnd  hinter  durchdringt  das  fehlende  Komma,  S.  11 Z.  0  Zahl-  nnd 
Grössenlehre  für  Zahlen-,  S.  15  Z.  2  —  niemand  wird  für  nnrd 
Niemand.  Ohfie  das  für  dass  S.  6  und  Salust  S.  Iß  halten  wir 
für  Druckfehler. 

Der  achtbare  Herr  Verf.  von  Nr.  4  kündigt  diesen  Aufsatz 
als  eine  Fortsetzung  an  von  seinen  früheren ,  nicht  zu  uns  ge- 
kommenen Bemerkungen  über  den  Nutzen  körperlicher  üebun- 
gen,  deren  höchsten  Zweck  er  darin  findet,  dass  das  Göttliche 
im  Menschen,  die  Seele,  dem,  was  von  der  Erde  stammt,  nicht 
unterworfen,  sondern  der  Herrschaft  des  Leibes  entzogen  wer- 
de: der  kranke  Leib  aber  übe  die  drückendste  Herrschaft  aus. 
Das  den  sittlichen  Werth  der  Leibesübungen  Bestimmende  wird 
hier  auf  folgende   drei    grosse  Gesichtspuncte   zurückgefülirt 


Hanhart:   Neunter  Bericht  über  das  Gyiunas.  in  Basel.       213 

I)  durch  die  Befreiung  des  Geistes  von  der  Herrschaft  des 
Körpers  entsieht  im  Gemiithe  des  Menschen  jene  heitere  Le- 
beyisansicht  ^  welche  ihn  Alles  im  rechten  Lichte  erblicken^ 
beim  Handeln  ihn  stets  das  richtige  Maass  finden  lässt.  Das 
Erblicken  im  rechten  Lichte  gehört  zwar  in  die  Spliäre  des 
Vorstellungs-  und  Erkenntiiissverinögens  und  in  so  fern  nicht 
hieher.  In  M'ie  fern  aber  das  Sittliche  auch  eine  theoretische 
Seite  hat,  indem  Begehrnisse  und  Handlungen  aus  Vorstellun- 
gen und  Erkenntnissen  hervorgehen,  kann  allerdings  auch  das 
Jirblicken  im  rechteii  Lichte  hier  mit  in  Rede  kommen.  Das 
Älitgetheilte  bestätigt  die  Versiclicrung  des  Ilrn.  Verf.,  dass  er 
seit  mehr  denn  20  Jahren  eine  Menge  von  Beobachtungen  über 
den  Einfluss  von  Körperschwäche  und  Gesundheit  auf  die  Gei- 
stesstlmraiing  der  Kinder  gemacht  habe.  Recht  gut  wird  ge- 
zeigt, wie  durch  auf  Körperschwäclie  beruhende  Reizbarkeit  der 
Knabe  in  Gefahr  komme,  ein  argwöhnischer  Mensch,  ein  Men- 
schenfeind zu  werden.  Als  Beispiel  wird  angeführt  Georg 
Müller,  welcher  durcli  seine  aus  Kränklichkeit  herrührende 
Stimmung,  die  er  sein  Thierlein  nannte ,  oft  zu  liarten  öflFentli- 
cheii  Urtheilcn  über  Andre  verleitet  wurde,  Avodurch  er  sich 
trübe  Stunden  zuzog.  II)  Die  Gesimdheit^  welche  wir  in  der 
Jugend  geniessen^  sagt  Iselin^  begünstigt  die  Erwerbung  der 
Kinsichten  unendlich  mehr^  als'  man  sich  insgemein  vorstellt. 
Der  Herr  Verf.  versichert,  oft  mit  Erstaunen  die  ungemeine 
Schnelligkeit  der  intellectuellen  Entwickelung  bei  Knaben  be- 
merkt zu  haben,  welche  mit  kräftiger  Gesundheit  aus  dem  häus- 
lichen Kreise  in  die  Schule  kamen.  Welcher  Schulmann  wird 
nicht  oft  dieselbe  Erfahrung  gemacht  haben?  Hierauf  wendet 
sich  der  Hr.  Verf.  von  dieser  abermals  das  Vorstellungsvermö- 
gen berührenden  Seite  zu  dem  eigentlich  Sittlichen  ,  dem  Wil- 
len, durch  Aufstellung  des  Einwandes,  dass  die  natürliche  Leb- 
haftigkeit solcher  Knaben  ihren  Lehrern  oft  viel  liebe  Noth 
mache,  und  das^s  daher  dieser  Einwurf  schon  unter  den  Grie- 
chen und  Römern  gegen  den  sittlichen  Werth  der  Gymnastik 
vorgebracht  worden  sei.  Hingegen  bemerkt  er,  diese  Klagen 
gehen  nur  von  derUebertrelbung  beiden  körperlichen Uebungen 
aus.  Würden  diese  im  rechten  Maasse  betrieben;  so  würden 
sie  dazu  führen,  die  Jugend  in  Allein  an  das  rechte  Maass  zu 
gewöhnen  und  dadurch  wohlthätig  für  die  Sittlichkeit  wirken. 
So  schön  die  einzelnen,  hier  vorgetragenen  Gedanken  sind;  so 
können  wir  bei  aller  Hochachtung,  welche  wir  gegen  den  wür- 
digen Herrn  Verf.  hegen,  doch  nicht  umhin,  zu  bemerken, 
dass  diese  beiden  Hauptgesichtspuncte  I  und  II,  so  wie  sie  hier 
wörtlich  ausgedrückt  sind,  sich  nicht  gehörig  logisch  zu  einan- 
der verhalten.  Wir  würden  etwa  gesagt  haben:  1)  die  aus  der 
Gesundheit  des  Leibes  hervorgehende  Heiterkeit  des  Gemüths 
erleichtert  uns^     im   Sittlichen  das   Rechte    zu  finden.      II) 


21^  Lexicographie. 

ZwecJcmä'ssige  Leibesübungen  gewöhnen  uns  an  das  rechte 
Maas  in  yillem.  Oder  noch  lieber  hätten  wir  I  und  11  ia  ei- 
nem Abschnitte  abgehandelt.  111)  Der  sittliche  fVerth  'zweck- 
mässig angeordneter  und  gemeinschaftlicher  Leibesübungen 
r^eigt  sich  besonders  in  dem  Einflüsse  derselben  auf  Chara- 
kterbildung. Hier  sind  vortreffliche  Gedanken  kräftig  und 
schön  ausgesprochen,  Möchten  sie  doch  dahin  gelangen ,  wo 
die  Gewalt  ist,  eine  verkannte  gute  Sache  aus  ihrer  Verbannung 
zurückzurufen  und  in  ihre  ehrenvolle  Stellung  wieder  ein  zu 
setzen ! 

Beigefügt  ist  der  Lehrcursus  des  Gymnasiums  und  der 
Realschule  vom  Mai  1824 — 1825,  über  weiclien  wir  noch  Eini- 
ges zu  sagen  uns  veranlasst  fülilen.  Das  Griechisclie  hat  auf 
Sexta  (der  obersten  Klasse)  wöchentlichß  St,  Gelesen  wurdedas 
Evangel.  Marc.  1 — 15,  aus  dem  2ten  Cursus  von  Jakobs  Elementar- 
buche die  historischen  und  naturhistorischen  Abschnitte,  Ilom.üd. 
IX,  in  Rosts  Gramm  dasNöthigste  wiederholt  und  nach  dessen 
Anleitung  aus  dem  Deutschen  ins  Griechische  übersetzt.  Auf 
Quinta  wurden  0  St.  auf  die  Einübung  der  Paradigmen  und  die 
Erklärung  des  Wichtigsten  aus  der  Homerischen  Formenlehre 
verwandt  und  zur  Analysellom.  Od.  IX  bis  Vs.  115  benutzt.  Tiefer 
hinab  geht  das  Griechische  nicht.  Hienach  steht  das  Griechi- 
sche in  Basel  nicht  hoch  und  wohl  viel  tiefer,  als  die  Zeit  for- 
dert. Auch  das  Latein  diirfte  noch  zu  heben  sein.  Auf  Sexta 
wurden  einige  Bücher  aus  Julius  Cäsar  und  in  Gedikens  Chre- 
stomathie die  Erzählungen  ausLivius  gelesen.  Degegen  kommt 
das  Französische  auf  den  4  obersten  Klassen  vor  und  hat  auf 
den  beiden  mittleren  derselben  sogar  wöchentlich  6  St.  Das 
Deutsche  dagegen  ist  spärlich  bedacht,  indem  es  in  der  2ten 
Klasse  von  unten  wöchentlich  3  Stunden  hat.  Wie  viel  in  den 
übrigen  Klassen,  ist  nicht  zu  ersehen.  Nach  den  in  Nr.  3  auf- 
gestellten, gewiss  richtigen  Grundsätzen  kann  das  unmöglich 
gebilligt  und  selbst  durch  die  Nähe  Frankreichs  nicht  entschul- 
digt werden.  Nicht  minder  zurück  steht  die  3Iathematik.  Erst 
auf  der  4ten  Klasse  von  unten  kommen  Proportionsrechnungen 
und  Definitionen  aus  der  Geometrie  vor,  in  der  2ten  von  oben 
die  reine  Arithmetik  bis  zu  den  Potenzenreihen ,  und  auf  der 
ersten  wird  die  Geometrie  angefangen.  Hoffentlich  werden 
die  dortigen  Schulbehörden  das  Ziel  bald  höher  stecken. 

Lyk  in  Ostpreussen,  j.       j    j     Jin'^enhevn 

im  Mai  1829.  ^^-  ^'  ^'  ^^osen/iei^Ti. 


Lexicographie. 

Thesaurus  Graecae  linguae  ab  Henrico  Stephane 
C  o?is  tructus.       Post  cditioaem    Ansrlicam    novls   ailditamcnliä 


Stepliani  Thesaurus  Linguae  Graecac.    EdUio  rarlälna.       215 

auctuni ,  ordiiicque  alphalietico  digcstum  edidcrunt  Carolus  Bcnc- 
dictus  Hase,  Institull  rcgii  Franciae  socius,  in  Schola  regia  speciali 
liii>ji;iiariiin  orieiitaliuiii  professor,  in  Bibllothccae  regiae  parte  eodd«, 
iiiss.  coniplectente  coiiscrvator  adjunctus  etc.  etc.,  (i.  Jt,  Lud.  de 
Sinncr  et  Theobuldvs  Fix.  Pari.süs  ,  excudebat  Ambrosius  Firini- 
nus  üidot,  llegis  chri^t!ani^sinli  et  Iiistituti  regii  Franciae  typogra- 
plius.  Venit  apnd  Firmiuos  Oidot  fratres ,  via  Jacob,  nr.  24. 
MDCCCXXX.   kl.  Fol. 

U  nter  diesem  Titel  ist  in  Frankreicli  eine  neue  Auflage  der 
Englischen  Ausgabe  des  Griechischen  Thesaurus  von  Ilenr. 
Stcplianus  angekVindigt  [Jbb.  X,  S52],  über  welche  uns  so  eben 
ein  ausl'ührlicher  Prospectus  niitgetheilt  worden  ist.  Da  Exem- 
plare dieses,  auch  wissenschaftlich  nicht  ganz  unwichtigen, 
Prospectus  in  Deutschland  nicht  eben  häufig  verbreitet  werden 
möchten  (in  Leipzig  wenigstens  sind  sie  zur  Zeit  noch  sehr  rar), 
das  Werk  selbst  aber  die  Aufmerksamkeit  manches  Gelehrten 
auf  sich  ziehen  wird;  —  wäre  es  auch  nur  desshalb ,  weil  die 
jetzt  nur  noch  fiir  50  Guineen  käufliche  Englische  Ausgabe  für 
84  Thlr.  [33f>  Franken]  geliefert  werden  soll;  —  so  hofl"en  wir 
mehrern  Lesern  der  Jalirbücher  einen  Dienst  zu  erweisen, 
wenn  wir  ihnen  aus  dem  vorliegenden  Berichte  das  Wichtigste 
mittheilen. 

Der  Prospectus  ist  in  doppelter  Gestalt  ausgegeben  wor- 
den, Lateinisch  (S2  S.  8)  und  Französisch  (11  S.  fol.).  Beide 
Exemplare  sind  dem  wesentlichen  Inhalte  nach  gleichlautend; 
nur  dass  dem  Französischen  noch  eine  Lateinische  Abhandlung 
von  Hrn.  Fix  de  ratione  et  legibus,  sceiindiim  quas  res  pro- 
sodica  in  nova  thesaini  linguae  Graecae  ediiione,  quae  Pa- 
risiis prodiiura  est^  tractanda  nobis  esse  videtur  ^  und  dass 
auf  dem  Titel  desselben  noch  bemerkt  ist,  die  neue  Ausgabe 
werde  gearbeitet  werden  d' apres  le  plan  soutnis  u  V  Academie 
des  inscriptions  le  29  Mai  1829,  et  approuve  par  sa  Co?n~ 
niission.  Der  Lateinische  hat  im  Ganzen  eine  etwas  gelehrtere 
Ausstattung  erhalten,  und  scheint  für  das  Ausland,  besonders 
für  Deutschland  berechnet  zu  seyn.  Zu  bedauern  ist,  dass  bei 
beiden  eineHauptsache,  eine  Probe  der  Bearbeitung  selbst  fehlt, 
weil  sie  besser  als  alles  Raisonnement  lehren  würde,  was  man 
von  dem  Buche  zu  erwarten  habe.  Der  Druck  wird,  soviel  sich 
ersehen  lässt,  zwar  etwas  klein  und  compress,  aber  doch  nicht 
zu  klein  ausfallen;  doch  bleibt  man  über  die  Wahl  der  Grie- 
chischen Typen  in  Zweifel,  da  sie  erst  ganz  neu  dazu  geschnit- 
ten werden  sollen. 

Die  Herausgeber  beginnen  den  Prospectus  mit  Aufzählung 
der  Gründe,  welche  sie  zur  Herausgabe  des  Werkes  veranlasst 
haben,  und  sehen  sich  dazu  veranlasst  durch  die  Seltenheit 
und  den  hohen  Preiss  der  beiden  vorhandenen  Ausgaben  des 


216  Lexicographie. 

Steplianisclien  Thesaurus  ( auch  die  Englische  Ausg.  ist  im 
Buchhandel  vergriffen),  durch  die  Vorzüglichkeit  und  lleichlial- 
tigkeit  dieses  über  10000  Wörter  umfassenden  Wörterbuchs  *) 
und  durch  die  Bequemlichheit,  welche  für  den  Gebrauch 
durch  Einführung  der  alphabetischen  Anordnung  der  Wörter 
gewährt  werden  soll.  Die  Gründe,  welche  gegen  die  noch 
neuerdings  von  Passow  (^Ueber  Ztveck  und  Anlage  Griech. 
Wörterb.  S.  25  f.)  und  Hermann  {Censura  Thesauri  Steph.^ 
in  Opuscc.  T.  II  p.  221)  vorgezogene  etymologische  Anordnung 
vorbringen  und  womit  sie  die  alphabetische  Ordnung  rechtferti- 
gen wollen,  genügen  freilich  nicht,  am  wenigsten  der,  dass 
durch  Thiersch's  Griech.  Gramraat.  §  132 — 141  und  durch  die 
kleinen  etymologischen  Wörterbücher  von  ]\iz ,  Lutz  und  Rost 
für  dasBedürfniss  des  Unterrichts  hinlänglich  gesorgt  sey;  bes- 
ser hätten  sie  sich  auf  die  Bemerkung  beschränkt,  dass  eine 
streng  etymologische  Anordnung  bei  den  noch  so  schwankenden 
Principien  und  Ansichten  rein  unmöglich  ist  und  zu  vielen  Irr- 
thümern  führt  (wie  der  Stephan.  Tliesaurus  selbst  beweisst, 
vgl.  Valckenaer  Observatt.  academ.  XXIV  p.  32  ed.  Traj.  1808) 
und  dass  die  alphabetische  Reihenfolge  jedenfalls  das  Auf- 
schlagen sehr  erleichtert.  Etymologische  Zusammenstellung 
soll  nur  soweit  beibehalten  werden,   als  es  in  Passows  Lexicon 


*)  Bei  dieser  Gelegenheit  wird  folgendes  TJrtheil  über  die  übri- 
gen vorzüglicheren  Griechischen  Wörterbücher  abgegeben :  „Scapulae 
Lexicon,  quantumvis  adauctum  editione  Duncani  Glasguensl,  1816,  2 
voll,  in  4.,  Oxonicnsi,  1820,  in  fol.,  etLondinensi,  1820,  in  fol.,  tanien 
e  Thesauro  [Stephani]  est  excerptum ,  de  qua  re  Stephanus  ipse  me- 
rito  est  questus.  Hederici  Lexicon,  etsi  editio  Londinensis,  1825,  in  4., 
itenique  Lipsiensis  Passowii  et  Pinzgeri,  2  voll,  in  8. ,  multls  commen- 
dentur  dotibus,  Thesauri  vices  tarnen  nunquam  poterit  implere.  J.  G. 
Schneider!  Lexicon  graeco-gerraanicum  est  multiplici  doctrina  refertus 
über,  praesertim  in  explanatione  verborum  quae  ad  historiani  natura- 
lem, physicen,  aliasque  disciplinas  spectant.  Lexici  hujus  praestantiae 
tres  editiones  optimae  sunt  testes.  Schneiderus  tarnen  erravit  haud 
pauca  in  disponendo  ordine  variarum  significationum,  neglexit  particu- 
las  et  praepositiones,  Ihnites,  quos  sibi  circunidederat,  saepe  est  trans- 
gressus,  omninoque  linguae  graecae  cxplicationem  historicam  minus 
accurate  quam  par  erat  est  persecutus.  Quatuor  harura  partium  unus 
omnium  optinie  Passowius  habuit  rationem,  primusque  est  e  lexicogra- 
phid  qui  notationem  mensurae  prosodicae  vocabulorum  addere  magna 
cum  cura  haud  est  dedignatus.  Riemerus  in  etymologiis  suis  saepissi- 
me  verum  vidit,  quod  praeoipuam  libri  sui  dotem  crcdinuis.  Quae 
alia  sunt  Lexica  graeca  Gallorum  Germanorumque ,  Planchii ,  Rostii, 
Keichenbachii ,  aliaque,  utilia  quidem  sunt,  in  censum  nostrum  autem 
%ix  vcniunt,  quippe  quae  tironibus  tantum  destinantur." 


Stepliani  Thesaurus  Linguae  Graecae.  Editio  Farlsina.       211 

geschehen  ist.      Dagegen  wird  am  Schlüsse  ein   Index  etymo- 
logicus  angehängt.       Von    den  Schriften   und   Abhandlungen, 
welche  im  ersten  und   neunten  Bande  der  Englisclien  Ausgabe 
abgedruckt  worden  sind,  hal)cn  die  Herausgeber  mit  Recht  be- 
schlossen nur  einige  beizubehalten,   andere  in  das  Werk  selbst 
zu  verarbeiten  oder  sie  später  besonders  drucken  zn  lassen,  die 
rneisten  ganz  wegzulassen.     Beibehalten  sollen  werden  aus  dem 
ersten  Bande:    das  Fac-simile  des  Doppeltitels  der  alten  Aus- 
gabe des  Stephanus;   Stephani  admonitio  de  Thesauri  sui  Epi- 
tonie,    quae  titulum  Lexiti  graeci  novi  praefert;    die  Epistola 
dedicatoria  et  epigramraata  duo  de  Thesauro;    der  Catalogus 
auctorum  graecorum,    e  quorura   scriptis  vocabula  et  loquendi 
genera  eoniraque  expositiones  petitae  sunt;    Henr.  Stephani  ad 
lectorem  Epistola  s.  Praefalio;     die  Excerpta  ex  Fabricii  bi- 
hlioth.  Gr.,  bereichert  mit  Firmin  Bidots  Bemerkungen  über  die 
von  Stephanus  vermeintlich  zweimal  gedruckte  Ausg.  des  The- 
saurus aus  der  Sehr,:  Les  chcmts  de  Tyrtee^  et  autrcs  oiwrages 
(Paris  1826)  p.  220  ff.     Zu  ihnen  soll  die  vollständige  Vitallen- 
rici  Stephani  aus  Maittaire's  Stephanorum  historia  kommen,  in 
welcher    zugleich   die    im  Englischen  Thesaurus  abgedruckte 
Epistola  IL  Stepliani  a.  IftCÖ  edita  de  suae  typographiae  statu 
etc.  enthalten  ist.     Von  allen  Abhandlungen  des  9n  Bandes  sol- 
len nur  die  Themata  verborum  quorundam,  quae  magna  e  parte 
vel  sunt  anomala,  vel  poetica,  aut  cerieejusmodi,  utnonobviam 
cuilibet  habeant  originem,  wieder  abgedruckt  werden:  mehrere 
andere  davon,  z.  B.  Hermanns  Abhandlung  über  «V,  sind  zu  ei- 
nem  spätem    Specialabdruck   vorgeschlagen.      Von  den  im  In 
Bande  der  Englischen  Ausgabe  alsLexicon  vocum  peregrinarura 
zusammengestellten  Aufsätzen  sollen  nur  vielleicht  Dahler's  Ta- 
bulae  speciales  am  Schlüsse  des  Werkes  abgedruckt,    die  übri- 
gen bloss  in  ihrer  Quintessenz  benutzt  werden,  indem  die  Her- 
ausgeber die  Voces  peregrinas  gleich  in  die  Reihe  der  übrigen 
Wörter  einrücken ,    selten  auch  vollständige  Erörterungen  der- 
selben beifügen,  sondern  nur  auf  die  Commentare  etc.  desshalb 
verweisen  wollen.      Etienne    Quatremere    will  ihnen  da- 
bei mit  Rath  und  That  an  die  Hand  gehen.      Dagegen   wird 
Eug.   Burn  ouf  allen  Griechischen  Wörtern,  deren  Verwandt- 
schaft mit  dem  Sanscrit  oder  Zend  erwiesen  ist,    die  radices 
aus  beiden  Sprachen  beifügen.     Uebrigens  soll  der  Druck  gleich 
mit  dem  Lexicon  selbst  (mit  älcpn)  beginnen,  und  die  oben  ge- 
nannten Aufsätze  sollen  nebst  der  Vorrede   der  Herausgeber 
erst  später  erscheinen. 

Für  die  Bearbeitung  der  einzelnen  Wörter  im  Lexicon  selbst 
haben  die  Heransgeber  besonders  die  Vorschläge  benutzt,  wel- 
che in  Hermann's  Censura  in  novam  edit.  Steph.Thes.  (im  Clas- 
sical  Journal  1818,  tom.  18  Nr.  35  und  in  Hermanni  Opuscc. 
II  p.  217  ff,),  in  Blomfield's  Beurtheilung  (im  Quarterly  Review 


218  Lexicügrapliie. 

1S20,  tora.  22  nr.  44  p.  S02  if.)  und  in  Hülsemann's  Recension 
(in  d.  Jenaer  Lit.  Zeit.  1822  Nr.  223  fF.)  gemacht  worden  sind. 
Audi  haben  sie  die  Erwiederungen  nicht  unbeachtet  gelassen, 
welche  gegen  Hermann  im  Classical  Journal  t.  18  nr.  'Mi  und  t. 
19  nr.  37,  gegen  Blomfield  ebendaselbst  t.  21  nr.  41  ,  t.  22  nr. 
43  und  von  Barker  im  Aristarchus  Anti-Blomfieldianus(London 
1820),  sowie  auf  Biomfields  Erwiederung  (im  Quarterly  Review 
t  24  nr.  48)  im  Classical  Journal  t.  23  nr.  40  erschienen  sind. 
Andere  Beurtheilungen,  z.  B.  die  magere  Anzeige  in  den  Hei- 
delb.  Jahrbb.  1824  nr.  14  S.  214  flf. ,  sind  ihnen  unbekannt  ge- 
blieben. Als  Grundgesetz  der  neuen  Bearbeitung  haben  sich 
die  Herausgg.  festgestellt,  die  Worte  desllenr.  Stephanus  Viber- 
all  unverändert  und  unabgekiirzt  beizubehalten  und  nur  seine 
offenbaren  Irrthümer  durch  kurze  Einschaltungen  zu  berichti- 
gen. Die  an  mehreren  Orten  zerstreutenAdditamenta  des  Ste- 
phanus  und  der  Englischen  Herausgeber  werden  alle  gehörigen 
Ortes  eingeschaltet  und  nebst  denen  der  neuen  Herausgeber 
nur  durch  Zeichen  vom  Texte  selbst  geschieden.  Neu  aufge- 
nommene Wörter,  welche  in  der  Originalausgabe  nicht  stellen, 
werden  mit  Sternchen  bezeichnet.  Füllt  ein  Wort  eine  ganze 
oder  mehrere  Seiten,  so  wird  es  nach  Hermanns  Ilathe  (S.229) 
als  Columnentitel  dariiber  geschrieben.  Im  Buchstaben  A  wol- 
len sie  die  zu  grosse  Ausdehnung  der  einzelnen  Artikel  kiirzen 
und  dieselben  denen  der  andern  Buchstaben  conformer  machen. 
Ausserdem  wollen  sie  im  Texte  der  Englischen  Ausgabe  strei- 
chen:  alle  unnütze  Einschaltungen  der  Englischen  Herausgeber, 
welche  bereits  Hermann  S.  221  und  Blomfield  S.  033  getadelt 
haben;  die  falschen  grammatischen  und  lexicaliscben  Hegeln, 
welche  nach  Befinden  mit  richtigem  vertauscht  werden  sollen, 
z.  B.  das  über  die  z'iuslassung  des  äv  beim  Optativus  potentialis 
Beigebrachte,  wo  ßruncld»  Anmerk.  zu  Eurip.  Phoen.  1211  den 
Bemerkk.  Hermanns  und  rllmsleys  zu  Eurip.  Medea  und  zu  So- 
phocl.  Antig.  (501  weichen  wird;  alle  beiläufigen  Bemerkungen 
über  Dinge,  die  nicht  in  den  behandelten  Artikel  gehören  oder 
aus  irgend  einem  Grunde  völlig  unnöthig  sind;  die  wiederkeh- 
renden Bemerkungen  Viber  denselben  Gegenstand  unter  mehrern 
Wörtern;  die  aus  solchen  Büchern  entnommenen  Anmerkungen, 
welche  in  jedermanns  Händen  sind  und  wo  das  blosse  Citat  ge- 
nügt ;  die  Verbesserungsvorschläge  und  Erörterungen  gelegent- 
lich angeführter  Stellen ;  die  ohne  Nutzen  in  zu  grosser  Zahl 
angehäuften  Beispiele;  die  von  den  Englischen  Herausgebern 
für  die  Rechtfertigung  der  Etymologien  willkührlich  gebildeten 
Griechischen  Wörter  und  andere  verkehrte  Einfälle  derselben. 
Lange  Büchertitel  werlen  der  Bequemlichkeit  des  Citirens  we- 
gen nach  Passows  Vorgang  abgekürzt  und  desshalb  am  Ende 
ein  Index  librorum  adhibitorum  angehängt.  Als  Citatc,  die  in 
ihrem  ganzen  Umfange  beizubehalten  sind,  werden  erwähnt  die 


Stephan!  Thesaurus  Linguae  Graccae.    Edltio  Parisina.        21!) 

Citate  aus  seltenen  und  theuern Büchern,  die  aus  den  alten  Grie- 
cliisclieii  Grammatikern  und  Lexicographen,  die  Noten  der  Ge- 
lehrten, welche  durchBeispiele  iur  eine  zu  hehaudelndelledensart 
Belege  ^eben  oder  sie  vollständig  erläutern,  vgl.  Ilermarju  S. 
230.  Die  Wörterbiicher  zum  Neuen  Testamente  sollen  sorglal- 
tig  benutzt  werden.  Auch  werden  sie  so  weit  als  möglich  die 
einzelnen  Citate  im  Thesaurus  nachschlagen  und  besonders  die 
Verszahlen  der  Tragiker  und  Lyriker  nach  den  neusten  Aus- 
gaben berichtigen,  so  wie  alles  das  gehörigen  Ortes  einsclial- 
ten,  was  in  der  Englischen  Ausgabe  über  einzelne  Wörter  unter 
andern  bemerkt  worden  ist,  z.  B.  über  ayav  unter  äyaraKtico 
etc.  vgl.  Hermann  Cens.  S.  237,  Quart,  llcv.  t.  22  p.  3-13.  l)a 
die  etymologische  Anordnung  in  die  alphabetische  umgewandelt 
wird,  so  werden  natürlicli  auch  den  einzelnen  Wörtern  ihre 
Stammwörter  und  Bedeutung  beigeiügt,  wenn  sie  in  der  Engl. 
Ausgabe  fehlen.  Als  ganz  neue  Zusätze  versprechen  die  Her- 
ausgg.  Nachträge  aus  Schriften  und  Comnientaren,  welche  von 
den  Engl.  Herausgebern  nicht  benutzt  worden  sind;  Einsclial- 
tungen  von  Wörtern,  die  bei  diesen  fehlen  (z.  B.  aus  Boeckh's 
Corpus  Inscriptt),  und  von  zweifelhaften  Wortformen  (vgl.  Pas- 
sow,  Zweck  u.  Anl.  Griech.  Wörterb.  S.  9  u.  37);  paläographi- 
sche  Bemerkungen  über  Verwecliselung  der  Buchstaben,  Sylben 
und  Wörter  (aus  Bast,  Porson,  Boissonade  etc.)  ;  Nacliweisung 
der  Wörter  und  Sylben,  in  deren  Zusammenstellung  oder  Wie- 
derhohlung  die  Griechen  einen  besondern  Wohlklang  fanden 
(besonders  aus  Courier'sCommentaren  zumLongus  undLucian); 
Citate  zu  grammatischen  Formen,  welche  nicht  gehörig  belegt 
sind  (z.  B.  zu  tjyysXi^v^  iTCEöa,  Öiw'^o)) ;  genaueAngabe  der  Un- 
terschiede einzelner  Wörter  und  Constructionen  nebst  nöthigen 
Belegen;  Bemerkungen  über  die  grammatische  und  rhetorische 
Stellung  einzelner  Wörter  im  Satze  (z.B.  des  Artikels  nach  Her- 
mann z.  Soph.  Aj.  1007);  endlich  die  Angabe  der  prosodischen 
Länge  und  Kürze  der  Sylben  und  Wörter,  zu  Aveichem  Zwecke 
auch  Passows  tabulae  prosodicae  am  Ende  angehangen  werden 
sollen,  lieber  Einrichtung  und  Ausführung  des  letzten  Punctes 
spricht  sich  Hr.  Fix  in  dem  oben  angeführten  Aufsatze  aus, 
welcher  meist  den  Passowschen  Ansichten  folgt  und  nur  ein- 
zelne kleine  Berichtigungen  derselben  verspricht. 

Gewiss  werden  viele  durch  die  gegebenen  Verheissungen 
noch  lange  nicht  die  vielen  Mängel  der  Englischen  Ausgabe  des 
Thesaurus  beseitigt  sehen,  und  namentlich  noch  wünschen,  dass 
die,  besonders  in  den  spätem  Buchstaben  Iiäufig  ordnungslose 
Citatenmasse  derselben  einer  sorgfältigen  Revision  unterworfen 
werde.  Indess  wird  schon  durch  das  Versprochene  sehr  Vieles 
und  Wesentliches  geleistet  seyn,  wenn  die  Verheissungen  ge- 
hörig erfüllt  werden.  Eine  Bedenklichkeit  desshalb  entsteht 
aber  daher,  dass  zum  Isteii  April  d.  J.  schon  die  erste  Lieferung 


220  Abhandlung. 

des  neuen  Werkes  ans^ej^eben  werden  soll,  der  aller  drei  Mo- 
nat eine  neue  folgen  wird.  Das  Canze  soll  aus  28  Lieferungen 
bestehen,  deren  jede,  auf  Velin -Papier  gedruckt,  12  Franken 
kostet. 

Ja  h  n. 


Abhandlung. 


lieber  die  Ansichten  des  Hrn.  Dr.  Bohertag  in  seinem  Pro- 
gramm: .i^Ueber  den  Unterricht  in  der  Phi lo So- 
phie auf  Gymnasien.''''     Jirieg  1817. 

Jciin  Vorbercitungs- Unterricht  auf  Pliilosophie  im  engeren  Sinne  ist 
zwar  für  die  Königl.  Preuss.  Gymnasien  höclister  Anordnung  zufolge 
durchgegangen :  dennoch  möchte  nach  vieler  Stimmen  Meinung  die 
Einführung  von  Sitz  und  Stimme  eben  dieser  Philoso[>hie  auf  Gymna- 
sien nur  im  Lichte  einer  Konzession  und  eines  etwa  so  zu  nennenden 
Interim'«  erscheinen;  wenn  nicht  in  Ansehung  der  Einstimmung,  Aus- 
gleichung und  Aussöhnung  etwas  strenger  der  Ueberzeugung  nachge- 
holfen wird.  Absicht  und  Zweck  des  Verfassers  vorstehenden  Pro- 
gram's  kommen  daher  keineswegs  zu  spät,  und  verdienen  die  Aufmerk- 
samkeit eines  Jeden,  der  Grund  hat,  an  der  Sache  der  Gymnasialbil- 
dung im  Ganzen  und  Einzelnen  regen  Antheil  zu  nehmen. 

Der  Verf.  sucht  die  Auflösung  seines  Problem'«  von  einem  Stand- 
punkte aus  zu  gewinnen,  der  zwei  aus  einander  gehaltene  (oder  zu 
haltende)  Fäden  endlich  zusammen  spinnen  soll,  damit  die  Opposition 
gegen  das  Lehr-Object  theils  von  Seiten  der  Universität,  theils  des 
Gymnasiums  selbst  zum  Schweigen  gebracht  werde:  denn  die  höhere 
oder  wissenschaftliclie  Bildung  wird  nun  einmal  dem  Zeitgeiste  zufolge 
als  ein  Grundeigenthum  betrachtet ,  das  zw  ischen  Gymnasium  und  Uni- 
versität aufs  regelnlässigste  vertheilt  und  aufs  gewissenhafteste  um- 
grenzt werden  muss.  Daher  nun  die  Absicht  des  Verfassers,  einen 
Mittelweg  einzuschlagen,  der  zwischen  thesis  und  antithesis  sammt 
deren  Grenzpfälen  mitten  hindurch  aufs  Freie  führe!  daher  die  Grnnd- 
basis  einer  Mediation«- Akte  :  „auf  Philosophie  so  vorbereiten  zu  kön- 
nen und  zu  müssen,  dass  der  Unterricht  einerseits  nicht  aus  der  Philo- 
sophie schon  selbst  geschöpft  sey ,  und  also  noch  ausserhalb  derselben 
liege,-  andererseits  aber  näher  damit  in  Verbindung  stehe,  als  jeder  an- 
derweitige Gymnasial-  Unterricht,  und  nothwendig  in  dieser  Beziehung 
die  Lücke  zwischen  Gymnasium  und  Universität  ausfülle."  Die  Vorbe- 
reitungs-Idee kann  weder  von  der  Universität  zurückgewiesen,  noch 
von  dem  Gymnasium  abgewiesen  werden,  indem  sie  sich  durch  ihren 
Inhalt  ausserhalb  der  Philosophie  gegen  das  „veto"  der  Universität,  so 
wie  durch  eine  höhere  pliilosophische  Form  gegen  die  ausschliesscnde 
Tripple- Allianz  der  Philologie,   Mathematik  und  Geschichte  auf  dem 


Ueber  den  Unterricht  in  der  Pliilosopliie  auf  Gymnas.  221 

Gyninagiuin  zugleich  waiTiict,  und  „nicht  das  Ansehen  eines  krankhaf- 
ten Auswuchses  gewinnt,  sondern  der  Gipfel  ist,  in  welchem  alle  Wege 
der  Gymnasialbildung  zusammengehen"  (Worte  des  Verl',  aui  Schlusso 
der  Abhandl.). 

Die  Abliandlung  des  Verf.  theilt  sich  in  eine  Begründung  des 
Problem's  als  abhängig  von  der  Möglichkeit  eines  vorbereitenden  Un- 
terrichts auf  Philosophie  (sammt  den  Untertheilen  ausgeführt  S.  5 — • 
18),  sodann  in  die  Abfolge,  dass  dieser  Unterricht  dem  Gymnasium  zu- 
stehe (S.  IJ) — 22),  und  schliesslich  in  eine  Polemik  gegen  philosophi- 
sche Terminologie,  gegen  Elementar- Form  entweder  des  ganzen  Sy- 
stems der  Philosophie ,  oder  insbesondere  der  Psychologie  und  Logik 
als  Inhalt  des  vorbereitenden  Unterrichts  (S.  22 — 28). 

Zur  Begründung  und  Entwickelung  der  Ilauptidee  des  vorberei- 
tenden Unterrichts  ausserhalb  der  Philosophie  selbst  führen  nur  einige 
Prämissen  wie  S.  6:  „die  Frage  über  einen  besonderen  philosophischen 
Unterricht  auf  Gymnasien  und  für  dieselben  hängt  von  der  Betrachtung 
der  Möglichkeit  des  vorbereitenden  Unterrichts  in  der  Philosophie  für 
sich  ab,  und  weist  auf  diese  zurück."  Die  Idee  dieses  Unterrichts 
schliesst  sich  durch  die  Möglichkeit  auf,  dass  Philosophie  in  allen  Ge- 
hiethen  des  Erkennens  (S.  7)  ihre  Anknüpfungspunkte  findet ,  wesent- 
lich von  allen  Gebiethen  des  niederen  Erkennens  als  solchen  ausgehen, 
und  durch  die  Regionen  des  unvollkommenen  Erkennens  hindurch  auf 
dem  Wege  der  Negation  eine  VorsteHung  von  Philosophie  erzeugen 
könne,  deren  Inhalt  sonach  (S.  9)  in  „einer  Erkenntniss  des  unvoll- 
kommenen Erkennens  als  solchem"  besteht,  und  als  Anschauung  des 
nicht-philosophischen,  unvollkommenen  Erkennens  die  Anschauung  des 
vollkommenen  im  Uebergange  leicht  gewähren  wird.  Der  Organismus 
dieser  Hauptaufgabe  theilt  sich  nach  Beantwortung  einiger  Zweifel 
(S.  10 — 12)  in  drei  Ilanptbeziehnngen  :  1)  in  eine  Beurtheilung  der  ge- 
wöhnlichen Vorstellungen  von  Philosophie  (wie  sie  im  Gemüthe  des 
Schülers  sich  wohl  möchten  festgesetzt  haben),  2)  die  Betrachtung  des 
niederen  Erkennens  als  eines  in  sich  unvollkommenen,  3)  die  Erweite- 
rung der  dadurch  ausgebildeten  \^)rstellung  von  Philosophie  zu  einer 
alles  wahrhaft  Philosophische  umfassenden.  Die  sogenannten  gewöhn- 
lichen Vorstellungen  werden  als  falsche  zur  Konstruktion  und  Abson- 
derung der  -nächsten  wahren  vorbereitenden  Vorstellung  von  Philoso- 
phie benutzt,  —  der  eigentliche  Mittelpunkt  aber,  in  der  zweiten  Haupt- 
beziehnng  (S.  15  —  Iti)  im  Grundrisse  vorgezeichnet,  zergliedert  die 
Entstehung  des  niederen  Erkennens  in  den  blossen  Formen  efer  Wiihr- 
nehmung  und  Meinung  od.  Erfahrung ,  und  deutet  auf  das  Unterlegen 
der  Wahrnehmungen  und  Meinungen  des  Schülers  aus  allen  Gebieten 
(eine  treffliche  Gelegenheit,  den  ganzen  Gewinn  der  Gymnasial-Bildung 
zu  sichten).  Sodann  ist  die  Unzulänglichkeit  dieses  empirischen  Wis- 
sens mit  der  Nothwendigkeit  des  höheren  philosophischen  (nach  dem 
Verf. :  ,,des  Wissens  um  das  Wissen")  im  Gegensatze  gegen  Wahrneh- 
mung und  Erfahrung  oder  Meinung  aufzuweisen ,  was  sich  leicht  con- 
sfrniren  und  zur  Anschauung  bringen  lässt,  (es  kömmt  freilich  auf  ,.das 


222  Abhandlung. 

Wie?"  an,  etwas  aljznfertigcn !  — )  Das  Mittel  zur  Erweiterung  der 
entwickelten  Vorstellung  von  Philosophie  als  der  schwierigsten  Aufgabe 
des  3n  Theils  (S.  17)  liegt  über  dem  einzelnen  Standpunkte  des  Leh- 
rers hinweg  für  den  vorbereitenden  Unterricht  in  „einer  Beleuchtung 
der  entgegengesetzten  philosophischen  Systeme"  (und  also  in  der  Ge- 
schichte der  Philosophie),  diez>var  einerseits  den  selbsteignen  Gesichts- 
punkt vom  Vi'esen  der  Philosophie  festhalten,  damit  nicht  in  Wider- 
spruch treten,  andrerseits  aber  auf  die  allgemeinere  Vorstellung  von 
Philosophie  hinarbeiten  rauss,  (ob  sich  diese  Polemik  auch  nur  zu 
Gunsten  der  Sache  mit  dem  Grenzpunkte  des  Verf.  zur  Vorbereitung 
ausserhalb  der  Philosopliie  verträgt  'i  —  Ist  der  Sinn  des  Verf  bloss 
auf  Eklektizismus  gerichtet  ?) 

Dies  sind  nun  des  Verf.  Grundlinien  einer  ersten  Weihe  für  den 
vorbereitenden  Unterricht  in  der  Philosophie !  Dass  nun  diese  Weihe 
auf  dem  Gymnasium  —  und  nicht  auf  der  Universität  empfangen  wer- 
den müsse,  bestimmt  der  Verf.  in  der  Abfolge  seines  Ideenganges  (S. 
18 — 22),  nach  welchem  eben  die  vollständige  Lösnng  der  Aufgabe  in 
Beziehung  auf  den  Ort  (Gymnasium  oder  Universität)  mit  der  Natur  des 
festgesetzten  Unterrichts  so  zusammenfallen  muss ,  dass  daraus  erhelle, 
wo  die  Vorbereitung  hin  geliöre.  ,, Welchem  von  beiden,  schliesst  der 
Verf.,  luuss  sicli  ergeben,  wenn  wir  untersuchen,  wie  sich  der  Zweck 
des  Gymnasiums  und  der  Universität  einerseits  zu  den  Voraussetzungen, 
audrf!rseits  zu  dem  Zwecke  des  Unterrichts  in  der  Phil. ,  dessen  Be- 
stlmiBungeu  sich  uns  näher  ergeben  haben,  verhält."  (S.  19)  (Ob 
diese  beiden  Fäden  —  oder  —  wie  sie  sich  in  der  Konsequenz  zusam- 
men spinnen  —  das  gibt  freilich  für  den  Verf.  den  Ausschlag.)  Da 
nun  auf  der  höchsten  Stufe  des  Gymnasiums  theils  eine  grössere  Masse 
empirischer  Kenntnisse  theils  eine  höhere  Entwicklungsstufe  des  Den- 
kens als  hinreichende  Voraussetzungen  der  Realisierung  aller  drei 
Theile  des  beschriebenen  philosophischen  Unterrichts  ohne  Zweifel 
entgegenkommen,  (in  Beziehung  auf  den  dritten  Theil  soll  in  einer 
schon  erweiterten  Masse  empirischer  Kenntnisse  von  selbst  auch  — 
die  Geschichte?? —  liegen)  so  ist  damit  (S.  21)  sogleich  die  Frage 
entschieden,  ob  der  vorbereitende  Unterricht  in  der  Phil,  niclit  mehr 
der  Universität  angehöre  als  dem  Gymnasium,  (also  nach  grammati- 
scher Interpretation  bleibt  die  absolute  Berechtigung  beider  mit  abfol- 
gender Allsschliessung  ausgeschlossen,  und  man  erwartet  noch  für 
ein:  ,, nicht  mehr —  sondern"  eine  Entscheidung.)  Für  Einleitungen 
in  alle  andere  Gebiethe  des  Erkenncns  ist  die  Univesfaität  mehr  der  Ort, 
aber  die  Einleitung  in  d.  Phil,  nnterscheidet  sich  von  andern  Einleitun- 
gen: denn  —  wenn  die  Phil,  der  Mittelpunkt  der  akademischen  Bildung 
ist,  60  muss  jede  dieser  entsprechende  Einleitung  an  d.  Phil,  anknüpfen, 
und  findet  in  so  fern  auf  der  Universität  ihren  Ort:  die  Eialeit.  in  die 
Phil,  selbst  aber  muss,  wie  der  Phil,  so  auch  jeder  akademischen  Be- 
handlung eines  Avissenschaftlichen  Gebiethes  vorangehen ,  (dies  soll 
nun  wahrscheinlich  dem  nervus  probandi  in  Beziehung  auf  das  Gym- 
nasium das  Uebcrgewicht  geben?) 


Ueber  den  Unterricht  in  der  Philoeophie  auf  Gymnas.        223 

Man  kann  die  VoiLtTfltungs-Idce  des  Verf.  sammt  deren  Glicdc- 
rnng  und  Verzeic.hnun'»'  entweder  in  ihrer  Selbstständigkeit  an  und  für 
tsicli,  oder  als  die  venuittclnde  Bedingung  zur  Entscheidung  des  frag- 
lichen Prohleui's  hetruchten :  in  der  ersten  Beziehung  würde  sie  vou 
der  Kritik  im  A  erhälUiisse  zu  nieluercn  theils  möglichen  thcils  Avirk- 
lichcn  Einleitnngcn  in  die  Philosophie  als  eine  besondere  hinzukommen- 
de angeselien  werden,  —  und  in  der  andern  als  diejenige  ,  von  deren 
Cliarukteristik  allein  die  Abfolge  abhängig  wäre:  dies  mochte  aber 
schwerlich  zugegeben  werden  können,  sobald  man  an  die  Einführung 
des  Lehr- Objekts  eine  strengere  Begründung  von  Kothwendigkeit 
mu(;ht,  als  diejenige  ist,  welche  mit  den  Prämissen  des  Verf.  zusam- 
luenfäilt.  Gegen  den  Standpunkt  des  Verf.  in  Beziehung  auf  Zusam- 
luenstimmung  dürfte  Folgendes  zu  erinnern  seyn: 

1)  Wie  stimmt  es  zusammen,  dass  der  Verf.  von  einer  Möglickeit 
der  Vorbereitung  auf  Philosophie /ür  sich  ausgehen  will,  aber  dennoch 
sogleich  in  der  Begründung  in  der  Sphäre  des  Gymnasiums  sich  befin- 
det, und  von  der  Anknüpfung  der  Einleitung  (die  ja  von  jedem  Orte 
abstrahiren  sollte)  auf  dem  Gymnasium  sogleich  die  Rede  ist?  —  Es 
kam  also  gleich  anfangs  darauf  an,  den  Einwurf  einer  Transscendenz 
vom  Lehrobjekte  abzulehnen,  Avoraus  aber  keine  Avirkliche  nothwendige 
Einführung  des  Lehrgegenstandes,  sondern  liöchstens  ein  ,,liquet"  ab- 
folgen  kann,  zufolge  dessen  das  ganze  Glied  einer  philosophischen  Ein- 
weihung nach  dem  Vertheilungstraktate  der  Bildung  zwischen  Gymna- 
sium undUniversität  heute  eingeführt,  und  morgen  wieder  voniGymnasiura 
abgeschnitten,  und  als  WendepunctderUniversität  überlassen  Averden  kann. 
An  der  Möglichkeit  hat  man  Avohl  weniger  gezAveifelt,  als  an  der  Nothwen- 
digkeit,  und  diese  ist  im  Standpunkte  des  Verf.  nicht  gegründet —  oder 
nicht  herausgehoben.  Kein  Lehrobjekt  darfin  den  Hallen  des  Gymnasiums 
bloss  als  Titular-Objekt  eine  Stelle  einnehmen,  sondern  muss  nach  gleicher 
Anwartschaft  aller  übrigen  Sitz  und  Stimme  haben,  —  oder  —  es  muss 
scheiden.  Das  Gymnasium  ist  theils  Vorbereitungsanstalt,  theils  nach 
einem  höheren  Bildungszweck  für  sich  bestehende,  und  zu  dessen  Er- 
reichung abschliessende  und  abgeschlossene  Anstalt:  eine  Deduktion 
über  die  durch  den  Bildungszweck  selbst  bedingte  oder  nicht- bedingte 
Anwartschaft  der  Philosophie  im  Cyclus  der  Lehrgegenstände  kann 
die  Begründung  des  Verf.  nicht  genannt  Averdenj  da  sich  die  Fäden 
derselben  in  kein  festes  absolutes  Resultat  zusammenspinnen,  sondern 
nur  in  der  Abfolge  einseitig  gegen  die  Transscendenz  höcljstens  einiges 
terrain  gewinnen  wird.  Der  alte  Humanismus  als  Träger  der  Gymna- 
sial-Organisirung  ist  zwar  etwas  toleranter  geworden  gegen  die  ein- 
greifende Konstruktion  mittels  der  Mathematik,  und  gegen  die  An- 
gchauungslehre  der  Welt  und  Menschheit  aus  der  Geschichte  (freilich 
noch  nicht  in  Locbel's  Gesichtspunkte),  aber  damit  ist  auch  das 
Gleichgewicht  ZAvischen  allen  Potenzen  zur  Erregung  und  Erregbarkeit 
abgerundet  und  abgeschlossen,  und  das  Ziel —  der  Maturität  (man 
neboie  es  suh-  oder  objectiv)  ist  nach  innen  und  aussen  zur  Humanität 


224  A  b  li  a  n  d  l  u   n  g. 

auf  der  Gymnaslalhank  siclier  abgesteckt.  Das  Widerstreben  gegen 
den  Spiegel  eigeiitlicher  philosophischer  Reflexion,  worin  sich  Mensch 
und  Menschheit  lilar  anschauen,  durch  Beiordnung  der  Philosophie 
auszugleichen,  und  also  die  Opposition  innerhalb  des  Gymnasiums  auf 
Erwciterungs- Gedanken  zu  bringen,  möchte  des  Verf.  Begründung 
Bchwerlicb  gelungen  seyn,  da  er  nicht  einmal  seine  basis  „die  Erkennt- 
niss  des  unvollkommenen  Erkennens"  gehörig  dazu  authorisirt  hat 
(wie  es  vielleicht  hätte  geschehen  können). 

2)  Wahrscheinlich  legt  der  Verf.  viel  Gewicht  auf  das  charakte- 
ristische Merkmal  seiner  Vorbereitungsidee  zur  Einstimmung  mit  dem 
Gymnasium,  nehmlich  „ausserhalb  der  Philosophie  dennoch  näher  auf 
die  Philosophie  vorzubereiten"  und  so  einer  eigentlich  objektiven  Ein- 
leitung in  das  System  den  Weg  abzuschneiden ,  wie  ihn  viele  andere 
tichon  wirkliche  Einleitungen  verfolgen:  im  strengsten  Sinne  wird  ein 
solches  „ausserhalb"  zum  Widerspruche,  und  kann  sich  auf  seiner  Linie 
nicht  halten,  wo  es  bald  in  einem  beschränkten  ,, Innerhalb"  sich  ver- 
liert. Dies  könnte  dem  Verf.  vorzüglich  in  dem  Theile  nachgewiesen 
werden,  der  von  der  Erweiterung  der  Vorstellung  von  Philosophie  mit- 
tels der  Geschichte  der  entgegengesetzten  Systeme  handelt :  eine  völli- 
ge Einstimmung  des  Verf.  mit  sich  selbst  lässt  sich  hier  schwerlich  an- 
erkennen, und  —  wäre  auch  der  ganze  Skrupel  an  sich  so  bedeutend 
nicht, —  so  schadet  er  doch  der  Begründungsidee  des  Verf.,  da  er 
nicht  rein  gehoben  ist,  —  und  der  Verf.  sich  auf  einer  kleinen  Streife- 
rei ins  Gebiet  innerhalb  der  Philosophie  verliert. 

Setzen  wir  den  Streit  bei  Seite,  und  betrachten  die  Vorbereitungs- 
idee des  Verf.  ausserhalb  desselben  in  der  Mitte  unserer  Gymnasien  nach 
vorausgesetzter  Ueberweisung  eines  vorbereitenden  philosophischen  Un- 
terrichts, —  so  ist  freilich  die  Idee  noch  Grundriss,  und  vieles  ist  noch 
abhängig  von  dessen  weiterer  Ausführung  und  Farbengebung.  Dem- 
nach muss  hier  die  Frage  entstehen :  „Wie  verhält  sich  die  Grundidee 
des  Verf.  in  der  Mitte  des  Gymnasiums  innerhalb  der  übrigen  Bildunge- 
mittel des  Untei-richts  zum  gemeinsamen  Bildungszweck?"  Hier  wäre 
vor  Allem  zu  berücksichtigen,   ob  sich 

3)  die  Idee  des  Verf.  von  ihrem  Standpunkte  der  Erregung  einer 
Vorstellung  von  Philosophie  und  einer  zu  begründenden  Erkenntniss 
über  das  unvollkommene  Erkennen  des  Schülers  selbst  in  einer  ange- 
messenen Richtung  zum  Standpunkte  der  übrigen  Lehrobjekte  des 
Gymnasiums  und  deren  Rückwirkung  auf  das  zu  bildende  Subjekt  be- 
finde? Ist  es  mit  dem  Standpunkte  des  Gleichgewichts  aller  Lehrobjekte 
gegen  einander  verträglich ,  wenn  die  philosophische  Erkenntniss  mit- 
tels der  Kritik  und  Polemik  über  Wahrnehmung  und  Meinung  hinaus 
(diesen  niederen  Erkenntnissgründen  den  ganzen  Bildungs- Gewinn 
gleichsam  einrcgistrirend)  auf  einem  Kulminations- Punkte  erscheinen 
will,  von  dem  aus  sie  sich  Alles  subordiniert,  und  nach  dessen  Höhe 
nun  der  Schüler  sein  Augenmerk  hinrichten  soll?  —  Keinem  Lehr- 
objekte an  eich  gebührt  auf  der  Schule  der  alleinseligmachende  Glaube, 
—  ein  jedes  muss  sich  selbst  in  seinen  Steigerungsgraden  subordinieren, 


lieber  den  Unterricht  in  der  Fhllosopliie  auf  Gyranas.        225 

aber  in  wechselseitiger  Harmonie  (obwohl  im  Gegensatze)  dem  andern 
cuordiniercn,  damit  Uilduiig  und  Anstrengung  der  Kraft  im  Fleisse  sich 
eben  so  glcichraässig  vertheile ,  und  überall  anreihe.  Wollen  die  Fa- 
liultütcn  schon  vor  den  Augen  des  Schülers  mit  einander  streiten ,  und 
bald  in  der  Ideen -Fundgrube  der  Vorzeit,  bald  in  der  Construction  des 
Weltalls,  oder  in  der  welthistorischen  Anschauung,  oder  endlich  in 
der  Construction  des  Bewusstseyns  des  Wissens  ihre  Prä -Potenz  gel- 
tend machen ,  so  stehen  wir  für  die  Bildung  am  Ende  —  aber  nicht  am 
Anfange  der  nöthigen  Gleich  -  und  Einstimmung!  —  Sodann  muss 
eich  doch  das  philosophische  Wissen  hier  nur  als  das  relativ  höhere 
über  den  Stufen  der  Wahrnehmung  und  Meinung  des  Schülers  ankün- 
digen; —  Icann  aber  nicht  für  absolut  geltendes  Prärogativ  neben  einer 
liöheren  Potenz  (deren  doch  die  übrigen  Lehrolijccte  wohl  auch  fähig 
sind)  genommen  oder  angesehen  werden.  Hieraus  dürfte  Verwirrung 
u.  Zweideutigkeit  im  Bewusstseyn  des  Schülers  mehr  und  näher  denn  — 
Klarheit  entstehen.  Wofür  soll  denn  der  Schüler  nun  seine  Maturität 
nehmen?  —  Oder  wird  er  sich  denn  dort  beim  Hinschauen  nach  der 
Philosophie  auf  der  Säule  weniger  auf  der  Stufe  der  Wahrnehmung 
oder  Meinung  befinden  ?  —  Und  —  ist  denn  Alles  für  den  Schüler  nur 
bloss  als  Wahrnehmung  und  Meinung  gewonnen,  was  er  in  der  Gesetz- 
mässigkeit oder  Regelmässigkeit  der  Sprache  oder  in  der  Construction 
der  Mathematik  als  nothwendig  gegründet  fühlen  muss  ?  —  Oder  — 
was  lässt  sich  hier  für  eine  Auswahl  treffen?  —  Denn  mannichfaltig 
sind  ohne  Zweifel  die  Aggregate ,  die  sich  aus  der  Sprache ,  aus  den 
Naturwissenschaften  und  aus  der  Geschichte  zur  Beziehung  absetzen, 
und  von  denen  nun  —  per  negationera  der  Extrakt  der  Philosophie  ge- 
wonnen werden  soll.      Eben  diese  Scheidekunst  dürfte 

4)  für  den  reinen  Denk-  oder  Reflexionsakt  ohne  weitere  nähere 
Beziehung  auf  ein  zu  unterscheidendes  Object  mit  dem  Standpuncte  ei- 
ner V  orbereitung  im  Uebergange  aus  der  Beschränkung  in  die  Erweite- 
rung in  mancherlei  Schwierigkeiten  verwickeln ;  und  so  leicht  und  ver- 
ständlich dürfte  sich  hier  aus  der  Anschauung  des  non- Phoenix  die 
Anschauung  des  Phoenix  selbst  nicht  gewinnen  lassen.  Was  der  Verf. 
leer  oder  unausgefüUt  und  verhüllt  lässt,  dürfte  wohl  gerade  die  ge- 
genständliche factische  Basis  des  Vorbereitungsunterrichts  auf  der  Stufe 
der  inneren  Wahrnehmungs- Form  jenes  ,,Nosce  te  ipsum"  seyn ,  das 
seit  Plato  und  Aristoteles  die  Grundlage  alles  Philosophierens  Und  aller 
Philosophie  ausmachte,  und  sich  von  der  empirischen  bis  zur  Vernunft- 
Form  hinauf  steigern  lässt.  Und  —  eine  gegliederte  Elementarlehre 
des  Geistes  vom  Standpuncte  der  Erfahrung  aus,  mit  steier  Beziehung 
auf  das  Bewusstseyn  festgehalten,  muss  auch  wohl  ein  verschwistern- 
des  Band  mit  den  übrigen  Lehrobjecten  so  abgeben ,  dass  sie  als  Glied 
der  Disjunction  ins  Coordinations  -  System  hineintritt.  I 

5)  Der  Verf.  scheut  jeden  eigentlich  philosophischen  Inhalt  — • 
ausser  der  Form  der  Erkenntniss  selbst  —  jedes  Anfliellen  des  philo- 
sopliischen  Gebieths  nach  einer  näheren  Abtheilung;  aber  er  zieht  in 
den  Standpunct  der  Erweiterung  die  Geschichte  herein.    Gewiss  —  wenn 

Jahrb.  f.  Phil.u.  Pädag.  Jahrg.  V    Heft  2.  J5 


226  Abhandlung. 

jenes  widerstreitend  ist ,  —  so  ist  es  auch  dieses ,  —  und  über  diesen 
Punct  Hesse  sich  viel  sagen:  ganz  kann  er  nicht  vermieden,  aber  aucli 
noch  weniger  polemisierend  ausgeglichen  werden  :  die  Einheit  zwischen 
dem  Endlichen  und  Ewigen  wird  durch  die  Menschheit  selbst  zu  sehr 
auseinander  gehalten ,  um  je  zur  Anschauung  des  unverschleicrten  Ant- 
litzes gelangen  zu  können :  doch  muss  der  Wahrnehmungssinn  des  ge- 
meinschaftlichen und  einstimmigen  Strehens  und  die  selbstständig- un- 
selbstständige  Natur  der  Philosophie  selbst  für  den  Gedanken  entschä- 
digen, dass  die  Wahrheit  immer  wieder  statt  der  Juno  —  zur  Wolke 
■Werde,  Dass  aber  die  Geschichte  in  einer  schon  erweiterten  Masse  em- 
pirischer Kenntnisse  von  selbst  liege,  und  als  Bedingung  der  ersten 
Vorbereitung  entgegen  komme,  dürfte  nur  von  einem  geringen  Schat- 
tenrisse derselben  sich  verstehen  lassen ,  und  nur  auf  die  Meinungen 
der  alten  philosophischen  Schriftsteller  zu  beziehen  seyn  ;  die  aber  zu 
einer  Uebersicht  zu  vermischt  und  compliziert  vorkommen.  So  muss 
daher  die  Idee  des  Verf.s ,  ohne  durch  einen  Inhalt  eigentlich  abge- 
schlossen zu  seyn,  mehr  als  blosse  Einladung  zur  Philosophie  wie  als 
wirkliche  Lelire  erscheinen ;  —  in  der  einen  Hinsicht  zwar  bestimmt, 
den  Trieb  zu  wecken;  —  jedoch  — -  ohne  ihn  in  der  anderen  in  einer 
bestimmteren  Sphäre  zu  befriedigen.  Denn  in  der  Unterlage  als  Be- 
schränkung bleibt  der  Schüler  auf  der  Stufe,  wo  er  ist;  und  im  Ueber- 
gange  zur  Erweiterung  erhebt  sich  wieder  die  philosophische  Erkennt- 
niss  nur  als  reines  Abstraktura  der  Nothwendigkeit  des  Wissens :  das 
Höchste  soll  als  Form  aus  dem  Niederen  entstehen;  aber  worüber?  — 
Ueber  eben  dasselbe  Niedere?  —  vermischt?  —  oder  gesondert?  — 
Man  muss 

6}  sehr  bezweifeln,  ob  während  der  Construction  solch  eines  nur 
auf  sich  selbst  beruhenden  Begriffes  von  Philosophie  die  Reflexions- 
kraft des  Schülers  damit  gleichen  Schritt  halten  wird ;  —  oder  —  ob 
sie  ihn  überhaupt  nur  halten  kann:  denn  —  solch  ein Abstraktum  kann 
sich  eigentlich  erst  am  Ende  nach  durchschrittener  Laufbahn  der  Phi- 
losophie aus  ihr  selbst  absetzen ;  —  und  in  dieser  Hinsicht  würde  die 
Vorbereitungs-Idee  des  Verf.s  über  die  Subjectivität  des  Schülers  hin- 
ausgehen —  statt  —  sie  zu  gewinnen !    — 

Der  Verf.  sucht  seine  Vorbereitungs-Idee  polemisierend  gegen  je- 
den Inhalt  zu  behaupten ,  den  man  etwa  in  der  philosophischen  Ter- 
minologie, oder  in  der  elementarischen  Form  der  ganzen  Philosophie, 
oder  in  der  Psychologie  und  Logik  insbesondere,  und  also  innerhalb 
der  Philosophie  selbst  —  für  Vorbereitung  auf  dieselbe  innerhalb  des 
Gymnasiums  halten  und  anerkennen  Wollte.  Widersprüche  von  allen 
Seiten  sollen  diesen  Inhalt  verwerflich  machen,  die  der  Verf.  seinerseits 
rermieden  haben  will.  Eine  Polferaik  läsSt  oft  noch  einer  Hyper- Po- 
lemik einigen  Spielraum  zur  Betrachtung:  Ob  man  nicht  vielleicht  au» 
seinem  vermeintlichen  Rechte  das  Unrecht  Anderer  allzu  bereitwillig 
deduciert  habe?  —  oder  —  ob  auch  selbst  bei  dem  Unrechte  Anderer 
dennoch  unser  eignes  vermeintliches  Recht  nicht  noch  etwas  schwan- 
kend und  unsicher  sey?  —     Die  Terminologie  mmss  sich  «war  abferti- 


Ueber  den  Unterricht  in  der  Philosophie  auf  Gymnas.         227 

gen  lassen;  aber  PhiIosoI»hie  sowohl  als  Nicht -Philosophie  wird  sie 
doch  nicht  ganz  cntbelircn  können  (besonders  wenn  man  die  Kraft  des 
„Wortes"  auf  der  Schule  betrachtet):  die  Fdcmentarform  einer  Total- 
Philosophie  möchte  wohl  weniger  aus  dem  Gegcngrunde  des  Verf.s 
(weil  nehnilich  dabei  „Zusammenhang  und  Nothwendigkeit"  aufgege- 
ben werden  müssen)  als  wegen  Schwierigkeiten  anderer  Art  zu  missbil- 
ligen seyn ;  denn  es  dürfte  fraglich  scyn:  Wessen  System  der  Total- 
Fhllosophie  (beim  Mangel  genauerer  Vorschrift,  so  wie  eines  Systems 
der  Systeme?)  eigentlich  auf  der  Schule  in  Duodez-  oder  Sedezformat 
repräsentirt  Averden  solle?  da  doch  immer  die  Elementarform  eines 
Systems  das  System  selbst  voraussetzt ,  und  —  wir  dabei  die  Wahl 
doch  wenigstens  irgend  eines  der  neueren  oder  neuesten  Zeit  hätten 
oder  voraussetzen  müssen,  um  im  Zusammenhange  mit  der  philosophi- 
schen Fakultät  nicht  gegen  die  Vorbereitung  im  Uebergange  zu  Ver- 
stössen. —  Wollen  wir  mit  dem  gehörnten  Schlüsse  des  Verf.s  gegen 
Psychologie  und  Logik  zu  Felde  ziehen,  so  haben  sich  weder  diese, 
noch  irgend  eine  andere  ^  orbereitungs -Idee  (die  des  Verf.s  ausgenom- 
men) einer  Kompetenz  (nnd  vielleicht  die  ganze  Philosophie  keiner  Ba- 
sis mehr)  zu  erfreuen.  Der  Verf.  schliesst  (S.  25) :  Psychologie  und 
Logik  sind  untauglich  zur  Vorbereitung;  denn  entweder  widersprechen 
sie  der  Natur  der  Sache,  oder  dem  Grenzpuncte  des  Gymnasiums:  je- 
nes —  M'enn  man  sie  theils  für  bloss  empirisch  u.  propädeutisch  hält  — 
denn  —  wie  können  sie  dann  zur  Philosophie  führen  ?  da  sie  Nicht- 
Philosophie sind  —  dies  —  wenn  sie  die  Basis  aller  Philosophie  — — 
oder  wirkliche  Theile  der  Philosophie  sind;  —  denn  dann  sind  sie 
transscendent  für  die  Schule  und  gehören  der  Akademie  an.  Keine  In- 
terpretation scheint  aber  hier  den  Verf.  vor  einem  Widerspruche  gegen 
eich  selbst  in  seiner  Vorbereitungs- Idee  zu  retten:  denn  dieser  ist  ja 
zur  Hauptbasis  vorgeschrieben,  aus  dem  niederen,  empirischen  Erken- 
nen, und  also  aus  Nicht -Philosophie  die  Anschauung  der  Philosophie 
oder  des  höheren  Erkennens  hervorzurufen.  Und  —  der  Idee  des  Verf.s 
in  ihrer  Erweiterung  müste  ja  ebenfalls  der  Eingang  ins  Gymnasium 
verschlossen  werden ,  —  wodurch  dann  in  so  weit  von  der  Psychologie 
und  Logik  der  Vorbereitungs- Idee  des  Verf.s  der  Krokodyllen- Schluss 
zurückgegeben  werden  könnte.  Aber  freilich  hätten  sich  dadurch  we- 
der Pbycholo^ie  noch  Loßik  gegen  den  Verf.  geltend  gemacht,  sondern 
sich  —  ihr  Recht  und  ihre  Anwarthschaft  nur  —  vorbehalten,  in  so 
weit  sie  ihnen  von  dem  Verf.  nicht  wären  abgeschnitten  worden  ,  ohne 
seine  eigene  Idee  verläugnen  ku  müssen.  Ein  Näherrecht  oder  Vor- 
recht beider  Disciplinen  zur  Vorbereitung  setzt  anderweitige  Prämissen 
theils  in  ihrem  Verhältnisse  zur  Philosophie  selbst^  theils  zur  Einstim- 
mung mit  dem  Gymnasial -Untei'richte  voraus.  Wir  dürfen  annehmen, 
dass  ,  wenn  die  Philosophie  als  ein  in  sich  zurückgehender  Kreis  ge- 
dacht werden  kann,  die  Erkenntniss  selbst  zur  Erkenntniss  zu  bringen, 
Psychologie  und  Logik  es  nicht  verschmähen,  die  homogenen  data  da- 
zu in  einer  Analytik  des  Bcwusstseyns  aufzuweisen,  um  in  das  stren-- 
-gere  philosophische  hinüber  zu  gelangen.     Zwar  ist  nicht  zu  läugnen^ 

15* 


228  Abhandlung. 

dass  Tieide  Zweite  des  Wissens  ihren  alten — ■  und  neuen  Stil  haben; 
aber  eutscblal'en  können  sie  nie ,  weil  sie  der  Geist  in  sich  selbst  träj>t 
und  sie  mit  ihm  unvergänglich  sind ,  — —  und  in  die  Fugen  der  inneren 
Anscliaiiung  so  wie  der  Reflexion  werden  sie  zur  Vorbereitung  des  zu 
erregenden  und  erweckenden  Selbstbewusstseyns  noch  am  sichersten  u. 
zuverlässigsten  hinein  passen :  der  wissenschaftliche  Unterricht  wird  ih- 
rer nie  entbehren  können;  —  (und  man  lässt  sie  gewöhnlich  —  zur 
Vorderthür  hinausgewiesen  —  zur  Hinterthür  wieder  herein )  und  — 
selbst  auf  der  Stufe  der  Wahrnehmung  zeigen  sie  als  philosophische 
Aggregate  eine  nähere  Verwandtschaft  mit  dem  System  der  Wissen- 
schaft und  weniger  unpassende  Seiten  ,  als  anderweite  Materialien  zu- 
fälliger oder  heterogener  Natur.  Elementarisch  verwebt  und  durch 
einander  bestimmt  dürften  sie  (ohne  gerade  Lücken -Büsser  zu  seyn) 
dennocli  die  Lücken  manches  nöthigen  beizuordnenden  Verständnis- 
ses innerhalb  sowohl  als  ausserhalb  des  Gymnasiums  in  einem  Mit- 
telpunctc  aufhellen ,  den  man  eben  nicht  bloss  für  einen  krankhaf- 
ten Auswuchs  philosophischer  Ausbildung  —  wenn  auch  nicht  für  den 
Gipfel  der  ganzen  Bildung  —  anzusehen  hätte !  — • 

Die  infallible  Meinung  des  Verf.s  in  Begründung  und  Auflösung 
des  Problems  war  zu  —  bezweifeln ;  —  nicht  das  Verdienst  des  regen 
Eifers  und  des  Interesse'  an  Einstimmung  gegen  noch  immer  vorherr- 
schende einseitige  und  engherzige  Ansichten  einer  Gyranasialbildung, 
tlie  neben  dem  alten  Humanismus  keinen  neuen  anerkennen  mag !  — • 
Gleichwohl  ist  noch  mancher  Zweifel  vorhanden,  —  der  das  Problem 
drückt;  —  und  theils  in  der  Natur  des  Object's  selbst  liegt,  das  sich 
nicht  -^  gleich  anderen  umgrenzen  —  noch  weniger  in  einer  absoluten 
Allform  —  aneignen  lässt, —  theils  im  Standpuncte,  von  dem  aus  es 
In  relativer  Beziehung  innerhalb  des  Gymnasiums  dem  Schüler  erschei- 
nen muss :  spricht  es  hier  nicht  als  gleich  -  und  ebenmässig  bedingt  in 
der  Gegenwart  an  zum  Ertrag  oder  Erfolg  für  die  Gegenwart,  so  wird 
sich  gewiss  die  Mehrzahl  der  Schüler  trotz  der  sublimsten  Versicherun- 
gen und  Andeutungen  in  Hinsicht  auf  Philosophie  gar  leicht  mit  einem 
„in  posterum"  zu  trösten  wiesen ,  das  der  Gleichgültigkeit  wenigstens 
für  den  Augenblick  zum  Vorwande  dient,  —  wo  stärker  authorisierte 
Objecte  in  das  Triebwerk  eingreifen!  —  Ist  einem  Lehr-Objecte  das 
Interesse  grossentheils  auf  sich  selbst  angewiesen,  —  so  ist  ein  un- 
interessiertes Wohlgefallen  nur  in  seltenen  Fällen  zugleich  —  auch  ein 
gewichtiges  Interesse ,  Lehrer  und  Lernenden  das  schneidende  Gefühl 
zu  ersparen:  „hodie  diem  perdidi!"  — 

Heiligenstadt  in  Eichsfelde. 

Dr.  und  Prof.  Bernard   Turin. 


T  u  d  e  6  f  ä  1  I  «.  229 

Todesfälle. 


aßen  25  März  1829  starb  zu  Siena  iler  I>r.  Antonio  Montuccl,  als  Italie- 
nischer Sprachlehrer  und  Kenner  der  Chinesischen  Sprache  und  Schrift 
bekannt. 

Den  8  Mai  zu  Mailand  der  Präfcct  der  Amhrnsianisclien  Bibliothek 
Pietro  Mazzuchelll,  geboren  ebend.  am  22  Juli  1762,  durch  viele  Schrif- 
ten ,  besonders  durdi  die  Ausgabe  der  Johanneis  des  Flav.  Cresconius 
Corippus  bekannt.    Vgl.  Blatt,  f.  liter.  IJnterh.  1829  Nr.  300  S.  1199. 

Den  28  Juni  zu  Cttrliarh  der  dasige  erste  Pfarrer  und  Kirchen- 
und  Schulrath  Jo/irtnii  Jdolph  Theodor  T  arnhagen ,  geh.  zu  Corbach  am 
9  Juli  1753,  besonders  als  Geschichtsforscher,  zumal  in  der  Geschichte 
des  Waldeckischen  Landes,  bekannt.  Vgl.  Jen.  Lit.  Zeit.  1829  Intel.  Bl. 
56.    Hall.  Lit.  Zeit.  Int.  Bl.  105  S.  851. 

Den  10  Septbr.  zu  Detmold  der  Fürstl.  Lippische  Archivrath  Chrn. 
Gottl.  Clostermeter ,  geboren  zu  Regensburg  am  17  Juni  1752,  bekannt 
durch  seine  Untersuchungen  über  die  Gegend  der  Ilermannschlacht,  über 
den  Eggesterstein  etc. 

Den  16  Octbr.  zu  Frankfurt  a.  M.  der  Schöff  und  Senator  Johann 
Karl  von  Fichard,  genannt  Batir  von  Eyscneck ,  geb.  den  16  April  1773, 
als  Historiker,  besonders  in  der  Geschichte  Frankfurts,  sehr  achtcns- 
werth.   Vgl.  Hall.  Lit.  Zeit.  1829  Itit.  BL  105. 

Den  22  Octbr.  zu  Bamberg  der  pejisionierte  Kreisschulrath  Rtelf 
geb.  zu  Würzburg  1774. 

Den  23  Novbr.  zu  Halle  an  gänzlicher  Entkräftung  der  Prof.  der 
Rechte,  Dr.  Joh.  Christian  Salchoio,   geb.  za  Güstrow  1782. 

Den  23  Novbr.  zu  Prcnzlau  an  einem  wiederhohltea  Schlagflusse 
der  Lehrer  am  Gymnasium,  Auditor  Arndt. 

Den  25  Novbr.  zu  Padua  der  berühmte  Naturforscher,  Professor 
Giuseppe  Mansili,  Spallanzani's  Nachfolger,    geb.  am  7  März  1767. 

Den  3  Decbr.  zu  Basel  der  Professor  der  Mathematik  und  Biblio- 
thekar Dr.  D.  Huber. 

Den  5  Decbr.  zu  Greifswald  der  Professor  Dr.  Rosenthal. 
!       Den  10  Decbr.  zu  Darmstadt  der  Grossherz.  Hessische  Professor  u. 
Director  emerit.  des  Gymnasiums  in  Darmstadt ,  Dr.   JoA.  Georg  Zim- 
mermann,   Ritter  des  Hessischen  Civilverdienst- Ordens,    75  Jahr  alt. 
Vgl.  Darmst.  Schulzeit.  1829,  H  Nr.  154  S.  1265  fl. 

Den  15  Decbj-.  zu  Pforta  der  emeritierte  geistliche  Inspector  M. 
John,  im  74  Jahre. 

Den  21  Decbr.  zu  Halle  der  Director  der  Frankeschen  Stiftungen 
und  Professor  der  Philologie  bei  der  Universität  Johann  August  Jacobs, 
41  Jahr  alt. 

Den  4  Jan.  1830  zu  Berlin  der  Prof.  Dr.  Paul  am  Gymnasium  zum 
grauen  Kloster,  34  J.  alt. 


230  Schul-  und  Universitätsnacliricht  eu. 

Den  13  Jan.  starb  zu  Mannheim  der  Pfalzbaierische  Hofrath  und 
Hofbibliothekar  K.  Th.  von  Traittcur,  Mitglied  der  Kön.  Baier.  Akade- 
mie der  Wissenschaften  ,   im  75  Jahre. 

Den  20  Jan.  zu  Freiburg  im  Breisgau  der  emeritierte  Professor  der 
Chemie  Dr.  Ignaz  Menzinger,  Grossherz.  Badischer  Hofrath  und  Ritter 
des  Zähringer  Löwen- Ordens,    im  82  Jahre. 

Vor  kurzem  starb  der  liector  Dr.  Lünemann  am  Gymn.  in  Gottingen. 


Schul-  und  Universitätsnachrichten,   Beförderungen  und 
Elirenbezeigungen. 

xliscHERsLEBEiv.     Der  Schulamtscandidat  Dr.  Joh.  Lehmstcdt  ist  als  drit- 
ter CoUaborator  am  Gymnasium  angestellt  worden. 

Berliv.  Der  Superintendent  Marot  ist  zum  Consistorialrathe  und 
Mitgliede  des  hiesigen  Consistoriunis  ernannt;  der  Prof.  Dr.  Böclch  hat 
das  Prädicat  eines  geh.  Regierungsrathes ,  der  Oberlehrer  Dr.  Lange 
am  Frledrichwerderschen  Gymnas.  das  Prädicat  „Professor"  erhalten. 
Am  Cölnischen  Realgymnas.  ist  der  Schulamtscand.  Selkmann  als  Leh- 
rer, an  der  städtischen  Gewerbschule  der  Schulamtscand,  Carl  ffacher- 
nagel  als  5r  Lehrer  angestellt  worden.  Für  die  Kön.  Sammlung  von 
Gypsabgüssen  sind  Abgüsse  von  den  Gruppen  des  Castor  u.  PoUux  und 
des  Fauno  del  cabrito  in  Madrid  angekauft  worden.  Aus  der  von  der 
WittM'e  des  verstorbenen  Hofraths  und  Professors  Bach  in  Breslau  für 
eine  jährliche  Leibrente  von  800  Thlrn.  angekauften  Gemäldesammlung 
eind  die  beiden  vorzüglichsten  Gemälde,  aus  Raphaels  Schule,  dem 
hiesigen  Kön.  Museum  überwiesen ,  die  übrigen  an  die  Schlesische  va- 
terländische Gesellschaft  in  Breslau  abgegeben  worden. 

Breslau.  Die  Univers,  zählte  am  Schlüsse  des  Jahres  1829  1147 
Studierende,  ausser  107  Zöglingen  der  medicinisch- chirurgischen  An- 
stalt. Von  den  ersteren  waren  276  evangelische  und  265  kathol.  Theo- 
logen,  365  Juristen,  104  Mediciner,  5  Kameralisten  und  132  Philolo- 
gen und  Philosophen.  Der  Privatdocent  Dr.  Bergmann  ist  zum  ausser- 
ordentl.   Professor  in  der  philos.  Facultät   ernannt  worden. 

Büdingen.  Des  Grossherzogs  K.  H.  haben  geruht ,  den  bisheri- 
gen ersten  Lehrer  am  hies.  Landesgymnasium ,  Dr.  Georg  Thudichutn, 
mit  einer  jährl.  Gehaltszulage  von  140  Fl.,  zum  Director  zu  ernennen, 
dem  Bibliothekar  Dr.  Ernst  Schaumann  eine  jährl.  Zulage  von  100  FL, 
dem  Dr.  G.  F.  Drescher  von  150  FI.,  dem  Dr.  C.  F.  Rettig  von  100  Fl., 
dem  Lehrer  der  Französ.  Sprache  J.  Gambs  von  100  Fl.  zu  ertheilen, 
und  den  Conrector  am  hies.  Gymnasium,  L.  Weitzel,  mit  Beibehaltung 
Beines  vollen  Gehaltes  u.  unter  Bezeigung  der  allerhöchsten  Zufrieden- 
heit mit  seinem  mehr  als  50jährigen  Wirken,  in  den  Ruhestand  zu  ver- 
setzen. Die  dessfallgigen  höchsten  Decrete  wurden  unter  dem  17  Dec. 
1829  vollzogen. 


Bcfürdci'ungcn  und  Ebrenbezcig;uiigeu.         231 

CÜLK.  Das  Jesuiter  -  G^ninusium  soll  nach  einer  hölicrit  Verfü- 
gung künftig  iluä  katholische,  dus  Karmeliter- Gymnasium  das  cvuiige- 
Usche  heisren. 

i  Elbeufeid.     Am  Gymnasium  Ist  die  jährliche  Besoldung  des  Di- 

rectory Seclbach  auf  1300,  die  de»  Oberlehrers  Dr.  Ilantschkc  (mit  Aus- 
schluss seiner  freien  Wohnung)  auf  800,  die  des  Lehrers  Simon  auf 
700,  die  des  Lehrers  Cramer  [s.  jedoch  Strai.sukd. ]  auf  700  und  die 
des  Lehrers  Langinsicpcn  auf  000  Thlr.  für  die  Zukunft  bestimmt  wor- 
den. Zum  Uirector  der  neugegründeten  höhern  Bürgerschule  [Jbb. 
XI,  358.],  welche  zu  Ostern  dieses  Jahres  erölTnet  werden  soll,  ist 
der  Professor  Egen  vom  Gymn.  in  Soest  mit  einem  Jahrgehalte  von 
1200  Tklrn.  und  freier  Wohnung  erwählt  worden.  Für  die  übrigen 
Lehrstellen  sind  vorläufig  der  bisher.  Lehrer  am  Gymnasium  Dr.  Förstc- 
mann  mit  einer  Besoldung  von  700  Thlrn. ,  der  Schulamtscandidat  Heu- 
ser mit  750  Thlrn.,  und  die  Hülfslehrer  Kribben  und  Sarpcs  mit  je  300 
Thlrn.  Gehalt  designiert.  Noch  wird  ein  Lehrer  für  den  Unterricht 
in  den  neuern  Sprachen  gesucht.  Die  Insjjection  der  sämmtlichen  Ele- 
mentarschulen in  der  Stadt  ist  dem  Dr.  JVilberg  gegen  eine  jährliche 
Besoldung  von  1000  Thlrn.  und  eine  persönliche  Zulage  von  800  Thlrn. 
unter  der  Bedingung  übertragen,  dass  er  die  von  ihm  bisher  geführte 
Privat-  Lehranstalt  auflöse. 

Erfurt.  Der  Zeichenlehrer  Eduard  Dietrich  vom  Gymnasium  in 
Wittenberg  ist  in  gleicher  Eigenschaft  an  das  hiesige  Gymnasium  ver- 
setzt worden.     Vgl.  Jbb.  XI,  118. 

Flensburg.  Unter  dem  Ti  Decbr.  182!)  ist  der  bisherige  Collabo- 
rator  an  der  gelehrten  Schule  in  Meldorf,  Dr.  Heinrich  Christian  Fried- 
rich Prahm  zum  CoUaborator  an  der  hiesigen  gelehrten  Schule  ernannt 
worden. 

Fbeybitig  im  Breisgau.  Zu  den  öffentlichen  Ilerbstprüfungen  auf 
den  3  — -5  Septhr.  1829  schrieb  der  I'räfect  Joseph  Nikolaus  Schmeisser 
die  dem  Programm  vorausgeschickte  Abhandlung:  De  re  tutelari  Athe- 
niensium.  Observationes  quaedam  ex  Demoslh.  orationibus  adversus  Apho- 
hum  et  Onetorem  haustae.  (Freyburg,  gedr.  bei  Friedr.  Wagner.  52  S.  8, 
mit  den  in  Deutscher  Sprache  beigegebenen  Schulnachrichten  71  S.) 
Zu  der  Latein.  Abhandlung  selbst  hat  Prof.  Dr.  Anton  Baumstark  Anmer- 
kungen geschrieben,  die  unter  dem  Texte  abgedruckt  sind.  Der  Lehr- 
plan des  Gymnasiums  (S.  Jbb.  VI,  250  f.)  bleibt  sich  im  Ganzen  fort- 
während gleich,  d.  h.  er  verfolgt  der  Sache  und  Stundenzahl  der  Un- 
terrichtsgegenstände nach  hauptsächlich  die  rein  philologische  Richtung, 
die  alles  für  Nebensache  anzusehen  scheint ,  was  mit  dem  Lateinischen 
und  Gi-iechischen^icht  in  näherer  Beziehung  steht.  Fragt  man  nach 
dem  Grunde  dieser  auffallenden  Verschiedenheit  von  den  übrigen  katho- 
lischen höheren  Lehranstalten  des  Landes,  so  liegt  er  wolil  weniger  in 
der  eben  nicht  seltenen  Meinung,  als  gebe  es  für  die  Erreichung  desGy- 
mnasialzweckd  ausser  dem  Griechischen  und  Lateinischen  kein  Heil  und 
keinen  Segen,  sondern  er  liegt  vielmehr  in  der  Ueberzeugung,  dass 
bei  einem  ausgebreitetem  Lehrkreis  die  nöthige  humanistische  Grund- 


232  Schal-  und  Univ  er  sltä  tsnachrichten^ 

bildnng  innerhalb  der  Normalzeit  von  6  Jahren  für  den  Aufenthalt  an 
dem  Gymnasium,  von  den  ersten  Elementen  der  classischen  Sprachen 
angefangen,  nicht  erreicht  werden  Itönne,  und  dass  andererseits  die 
Abiturienten  in  dem  philosophischen  Curse  der  Universität,  der  nach 
bestehenden  gesetzlichen  Vorschriften  vor  dem  Beginn  eines  bestimm- 
ten Fach-  oder  Brodstudiums ^absolviert  seyn  muss,  noch  Zeit  und  Ge- 
legenheit genug  hätten  zur  Erlangung  von  sogenannten  Bealkenntnis- 
sen.  Es  ist  also  nur  Schein ,  wenn  man  glauben  wollte ,  das  Gyrana- 
eium  beabsichtige  in  seiner  gelehrten  Grundbildung  eine  sogenannte 
Autokratie  des  class.  Alterthums  über  die  neue  Zeit,  und  misskenne 
das  Verhältniss  der  neueren  Cultur  und  Wissenschaft  zum  Alterthume 
Roms  u.  Griechenlands.  Von  der  Verlängerung  der  Studienjahre  hängt 
es  mithin  allein  ab,  ob  sich  die  Anstalt  den  Forderungen  der  Zeit  be- 
freundeter zeigen  und  somit  manchen  Anfeindungen  ausweichen  könne, 
ohne  in  einen  verderblichen  Eklekticismus  ZAvischen  Humanismus  und 
Realismus  zu  verfallen.  Die  bedeutende  Frequenz  selbst  scheint  einem 
Verlängerungsvorschlag  nicht  ungünstig  zu  seyn.  Es  waren  am  Schlüsse 
des  Schuljahres  bei  den  Prüfungen  in  der  I  oder  untersten  Ciasse  48,  in 
II  38,  in  III  33,  in  IV  auch  33,  in  V  2fi  und  in  VI  22,  zusammen  200 
Schüler  vorhanden,  worunter  84  geborne  Freyburger,  nämlich  I  27, 
II  23,  III  16,  IV  12,  V  11  und  VI  5.  Im  Studienjahr  18|f  zählte  das 
Gymnasium  bei  den  Herbstprüfungen  seine  höchste  Frequenz  mit  240 
Schülern,  18^ J  hingegen  207  Schüler  und  4  sogenannte  Gäste.  Die 
neue  Einführung  des  Schulgeldes  hat  mithin  auch  in  Freyburg  nur  un- 
beträchtlichen Einfluss  auf  die  Besuchszahl ,  um  so  mehr  aber  auf  die 
Besoldung  des  Lehrerpersonales,  die  gleich  jener  in  Konstanz  so  er- 
höht wurde,  dass  der  Gymnasialpräf.  Schmeisser  zu  seinen  1000  Gulden 
noch  100  Gulden  Zulage  erhielt ,  der  Prof.  Schilling  zu  596  Gldn.  noch 
250  Gulden ,  Prof.  Weissgerher  zu  seinen  500  Gldn.  ebenfalls  250  Gul- 
den und  die  ProfF.  Dr.  Baumstark ,  Dr.  Brügger ,  Ilaberer  und  Bilharz 
zu  ihren  500  Gldn.  je  150  Gulden  jährlich  beziehen.  An  den  übrigen 
kathol.  höheren  Lehranstalten  des  Landes  verlautet  von  einer  Besol- 
dungserhöhung aus  der  jährlichen  Einnahme  des  Didaktrums  bis  jetzt 
noch  gar  nichts.  Durch  die  Beförderung  des  Prof.  Bilharz  in  die  III 
des  Lyceums  zu  Konstanz  (S.  Jbb.  XI,  256)  ist  die  erledigte  unterste 
Schule  des  Gymnasiums  in  den  Herbstferien  1829  dem  weltlichen  Lehr- 
amtscandidaten  Ferdinand  von  Lamezan,  gebürtig  aus  Mannheim,  und 
seit  mehrern  Jahren  Hofmeister  in  Offenburg,  mit  der  ungeschmäler- 
ten Besoldung  von  650  Gulden  und  mit  dem  Titel  eines  Professors  pro- 
visorisch übertragen  worden.  Er  steht  also  für  den  Anfang  besser  als 
die  im  verflossenen  Schuljahre  zu  Gyranasiallehrstellen  verwendeten 
Kapläne.  S.  Jbb,  X,  244,  248  u.  251.  Dem  Classenordinarius  JFeiss- 
gerber  wurden  auch  die  Französ.  Lehrstunden  abgenommen  und  dem 
Universitätslector  Jacquot  nebst  den  Anftingsgründen  der  Naturgeschichte 
in  V  und  VI  übertragen.  —  Sr.  Königl.  Hoheit  der  Grossherzog  ha- 
ben die  beiden  ausserordcntl.  Proff.  an  der  Universität,  Dr.  von  Reich- 
lin- Meldegg  und  Dr.  f Fetzer,  bei  Veranlassung  ihrer  Vocation  an  die 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  233 

neu  zu  errichtende  katholisch  theologische  Facultät  auf  der  Universität 
GiESSKN,  zu  ordentlichen  Professoren  huldreichst  zu  ernennen  geruht, 
mit  Belassung  hei  ihrer  Facultät.    S.  Jbb.  VI,  251  und  X,  120. 

GIESSEN.  Die  Universität  zählt  im  jetzigen  Winter  504  Studenten, 
nämlich  98  Theologen,  l!)ß  Juristen,  98  Medianer,  47  Kameralisten, 
41  Beflissene  der  Forstwissenschaften  ,  24  Philosophen  u.  Philologen, 
welche  bei  29  Professoren   und  17  Privatdocenten  Vorlesungen  hören. 

Jena.  Die  Universität  zählte  im  Sommer  1829  619  Studenten, 
von  denen  272  Theologie ,  205  die  Rechte ,  75  Medicin ,  67  Philoso- 
phie etc.  studierten.  Am  1  Aug.  übernahm  der  geh.  Hofr.  Dr.  Luden 
das  Prorectorat  und  trat  es  mit  der  Rede  an :  lieber  die  Wichtigkeit  der 
Universitätsjahre  und  über  die  Bestimmung  des  akademischen  Lebens  der 
Studierenden.  Zu  gleicher  Zeit  erhielt  die  Universität  neue,  gedruckte 
Statuten  und  einen  neuen  Curator  in  der  Person  des  Oberappeliations- 
gerichts- Präsidenten  von  Ziegesar,  nachdem  der  Landesdirections-Prä- 
eident  von  Motz  von  diesem  Amte,  nach  fast  lOjähriger  Verwaltung  des- 
selben ,  abgetreten  war.  Vom  geh.  Hofr.  Dr.  Eichstiidt  erschien  zur 
Ankündigung  des  Sommerprorectorats  als  Programm:  Lud.  Casp.  Val~ 
ckenarii  schola  de  Diis  Graecorum  (Jena  b.  Bran.  15  S.  4.)  ,  zur  Ankün- 
digung des  Winterprorectorats :  David.  Rithnkenii  in  Anliquitt.  Romanas 
lectionum  academicarum  XVI  tnififTQOv  (Jena  b.  Bran.  11  S.  4.) ,  wel- 
ches de  tempore  apud  Romanos  handelt.  Das  Prooemium  zur  Ankündi- 
gung der  Somraervorlesungen  enthält  ein  von  Richard  Porson  in  Latei- 
nischen Distichen  verfasstes  Räthsel ;  das  zur  Ankündigung  der  Winter- 
vorlesungen vertheidigt  das  Studium  des  classischen  Alterthums  als  all- 
gemeines Bildungsmittel  der  Jugend  gegen  einige  neuere  Theologen, 
■welche  behaupteten ,  die  Alten  hätten  es  mit  aller  ihrer  Moral  nicht 
weiter  gebracht ,  als  aus  starken  Bösewichtern  massige  und  erträgliche 
zu  werden.    Vgl.  Jen.  Lit.  Zeit.  1829  Intel.  Bl.  59. 

Konstanz.  Der  geistliche  Lehrer,  Prof.  u.  Bibliothekar  Lender, 
welcher  seit  WiehVs  Abgang  auf  die  Stadtpfarrei  Villingen  provisori- 
scher Vorstand  des  Lycenms  war,  ist  dcflnitiv  als  Lycealpräfect  ernannt 
worden.  S.  Jbb.  IX,  476.  Der  neue  Lycealpräfect  bezieht  wie  sein  Vor- 
gänger eine  jährliche  Besoldung  von  1000  Gulden  nebst  freier  Wohnung 
im  Lyceumsgebäude.  Die  Besoldung  des  für  Physik  und  Mathematik 
neuangestellten  Prof.  Joseph  Lachmann  ist  bereits  schon  um  150  Gulden 
erhöht  worden.  S.  Jbb.  XI,  256.  Der  Gehalt  der  übrigen  Professoren, 
welcher  in  der  Regel  500  Gulden  betragen  hat,  ist  aus  dem  jährlichen 
Zuwachs,  welchen  derLyceumsfond  durch  das  neueingeführtcDidaktrum 
erhält,  der  öffentlich  ausgesprochenen  Bestimmung  eben  dieser  Ein- 
nahme gemäss  (S.  Jbb.  IX,  124.)  im  verflossenen  Jahre  um  150  Gul- 
den, und  der  Gehalt  des  Prof.  ßinz,  welcher  nach  Äiffsers  Tod  nebst  der 
theoretischen  auch  practische  Philosophie  lehrt  (S.  Jbb.  VII,  123  f.), 
von  845  Gulden  auf  935  jährlich  erhöht  worden.  Mit  dem  Ende  des 
Schuljahres  18|^  hat  das  Lyceum  auch  einen  Lehrer  des  Zeichnens  u. 
der  Musik,  wovon  ersteres  früher  nur  aushülfsweise  und  letztere  gar 
nicht  gelehrt  vürde,  in  llvn.  Schmalholz ,  gebürtig  aus  Bonndorf,  er- 


231  Schul-  und  Unlversltätsnachrichten, 

kalten ,  welcher  zu  einem  Gehalt  von  200  Gulden  noch  zwei  Drittheile 
des  für  die  Maitrcs  fallenden  Didaktruinä  Lezielit. 

LiEGMTZ.  Am  Gymnasium  ist  der  Schulamtscandidat  Franz  IIvo- 
maika  als  6r  Lelirer  aiigejiellt  worden. 

Magdeet-rg.  Die  durch  den  Abgang  des  Dr.  Richter  erledigte  Col- 
laboratorstelle  am  üomgyronas.  ist  dem  Schulamtscandidaten  Carl  Ditt- 
furth  übertragen  worden. 

MiNDEX.  Der  Superintendent  Romberg  zu  Petershagen  ist  zum 
Consistorialrathe  bei  der  hiesigen  Regierung  ernannt  worden. 

München.  Die  Universität  zählt  jetzt  im  Winter  1Ö-|#  1854  Stu- 
denten, wovon  1662  Inländer  und  192  Ausländer  sind. 

]Veisse.  Der  Kapellan  Roller  ist  als  Religionslehrer  beim  Gyron. 
angestellt  worden. 

Keüruppin.  Den  Oberlehrern  Krüger  und  Dr.  Starke  am  Gymnas. 
ist  das  Prädicat  „Professor"  beigelegt. 

Rastatt.  Nachdem  der  Mathematikus,  Prof.  Salomon  Jos.  Mayer, 
bereits  viermal  nach  einander,  d.  i.  im  vierten  Jahre  die  Verbindlichkeit, 
das  Programm  zu  schreiben,  welches  sämmtlichen  Lehrern ,  und  nicht 
dem  Director  allein,  nach  einer  seit  1818  an  dem  Lyceura  und  eben  nicht 
gerade  auch  anderwärts  herkömmlichen  Ordnung  der  Anciennetät  ab- 
wechselnd obliegt,  von  sich  ablehnte,  so  hat  Prof.  Franz  Carl  Gries- 
Jiaber  zu  den  öiTentlichen  Prüfungen  auf  den  16  —  22  Septbr.  im  Schul- 
jahr 18||  durch  eine  Abhandlung  -über  den  rhetorischen  Unterricht  auf 
Gelehrtenschulen  (Rastatt  gedruckt  bei  Job.  Peter  Birks,  26  S.,  mit  den 
Schulnachrichten  45  S.  4.  Heidelberg  in  Commission  bei  Chr.  Fr.  AVin- 
ter.  6  Gr.)  eingeladen.  Der  Lehrplan  der  Anstalt  blieb  auch  dieses  Stu- 
dienjahr im  Ganzen  unverändert,  und  die  Frequenz  des  Lyceuras  hat 
nur  um  zwei  abgenommen,  indem  zur  Prüfungszeit  in  I  (Principisten- 
gchule)  20,  in  II  (Infima)  24,  in  III  (Grammatik)  17,  in  IV  (Syntax) 
24,  in  V  (Poetik)  18,  in  VI  (Rhetorik)  12,  in  VII  (Logik)  22  und  in 
Vlil  (Physik)  13,  zusammen  150  wirkliche  Schüler,  darunter  44  Ra- 
etatter,  vorhanden  waren;  hingegen  zählte  das  dem  Lyceum  beigege- 
bene kathol.  Schulpräparandeninstitut  112  Scliüler,  also  14  mehr  als 
im  nächstvorhergehenden  Schuljahr,  und  seine  Frequenz,  die  im  Spät- 
jahr 1809,  d.  i.  im  ersten  Jahr  seiner  Versetzung  von  Baden  nach  Ra- 
statt, in  der  ersten  Abtheilung  14  und  in  der  zweiten  6,  zusammen  20 
betragen  hat,  ist  fortwährend  im  Steigen.  (S.  Jbb.  IX,  127  u.  VII, 236.) 
In  dem  ebengenannten  Studienjahr  1809  begann  die  Frequenz  des  Ly- 
ceums  mit  68  Schülern  ,  und  hatte  sich  allmählig  bis  zum  Schuljahr 
18||-,  wo  bei  den  Prüfungen  im  Herbste  224  Lyceisten  vorhanden  wa- 
ren, mehr  als  verdreifacht.  Seit  diesem  Jahre  hat  die  Anzahl  des  Be- 
suchs auf  folgende  Weise  abgenommen:  18|^  zählte  das  Lyceum  194 
Schüler,  18g|.  187,  185«  178  und  18f|  152.  Die  Abnahme  der  Fre- 
quenz rührt  mithin  in  Rastatt  nicht  von  der  neuen  Einführung  des  Schul- 
geldes her,  die  erst  mit  dem  Schuljahr  18|,^-  ins  Leben  trat;  sie  kann 
auch  nicht  der  früheren  öffentlich  erschienenen  Abwehrung  vom  Stu- 
dium der  Rechtswissenschaft  zugeschrieben  wurden ,  da  von  den  jähr- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  235 

liehen  ALiturientcn  im  Durchschnitt  sich  nicht  mehr  als  2  zur  Jurispru- 
denz zu  wenden  pflegen;  sie  liegt  eben  so  wenig  darin,  dass  seit  eini- 
gen Jahren  von  den  Gymnasien  zu  Heidelberg,  Bruchsal  u.  Offenburg, 
und  von  dem  Lyceum  zu  Mannheim  sehr  wenige  Schüler  in  die  phiio- 
soph.  Vorbercitungsclasse  des  Lyceums  eintreten,  weil  diese  auch  in 
früherer  Anzahl  den  jährlichen  Ausfall  in  der  Schülerzahl  bei  weitem 
nicht  ausgefüllt  hätten ;  man  darf  sie  endlich  auch  nicht  darin  suchen, 
als  seyen  die  Befähigungsforderungen  seither  gesteigert  Avordcn :  son- 
dern sie  ist  eine  Erscheinung ,  die  seit  einigen  Jahren  an  allen  höheren 
Lehranstalten  Badens  bemerkbar  ist  und  eine  Hauptursache  haben  muss, 
welche  durch  das  ganze  Land  dieselbe  Würkung  hervorzubringen  ver- 
mag. Neben  der  UeberfüUung  aller  Lebensrichtungen  des  Studierten 
dürften  insbesondere  die  goldarraen  Zeiten  des  Bürger-  und  Bauern- 
standes wohl  den  meisten  Einfluss  dadurch  ausüben,  dass  sich  der  Va- 
ter ausser  Stand  glaubt,  den  nüthigen  Kostenaufwand  für  die  lange 
Dauer  der  Studienzeit  aufzubringen.  Das  wäre  dann  eine  um  so  be- 
trübtere  "Wahrheit,  als  mancher  vortrefTliche  Kopf  für  die  gelehrte  Bil- 
dung nothwendig  verloren  gehen  müsste  und  das  Mittelgut  immer  freie- 
ren Boden  zu  seinem  Fortkommen  erhielte.  Merkwürdig  bleibt  es  da- 
bei immerhin ,  dass  der  Anfang  der  Besuchsabnahme  an  dem  Lyceura 
gerade  in  das  Jahr  fällt,  in  welchem  der  geistliche  und  Ministerialrath 
Dr.  Philipp  Joseph  Brunner,  Avelcher  durch  17  Jahre  landesherrlicher 
Prüfungscommissär  an  beiden  Anstalten  und  ihr  Referent  bei  der  katho- 
lischen Kirchen- Section  mit  väterlicher  Theilnahme  gewesen  ist,  we- 
gen anhaltender  Kränklichkeit  nicht  mehr  zu  den  Prüfungen  kommen 
konnte  und  bald  darauf  in  Ruhestand  versetzt  wurde.  Beide  Anstalten, 
welche  der  Verwendung  dieses  um  das  kathol.  Schulwesen  Badens  hoch- 
verdienten Geistlichen  bei  ihrer  Verlegung  nach  Rastatt  noch  insbeson- 
dere die  Gründung  von  20  Freitischen  für  Schulpräparanden  und  von  8 
der  Lehrerconferenz,  unter  Vorbehalt  höherer  Bestätigung,  zur  Ver- 
gebung überlassenen  Stipendien  für  Lyceisten  ,  d.  i.  4  zu  40  und  4  zu 
50  Gulden,  welche  der  Lyceurasfond  alljährlich  bezahlt,  zu  verdanken 
haben,  nahmen  an  seinen  langen  Leiden  den  innigsten  und  ungetheilte- 
ßten  Antheil,  und  als  endlich  sein  Hintritt  am  2  Novbr.  1829  (er  war 
geboren  zu  Philippsburg  den  7  Mai  1759.)  durch  die  Zeitung  in  einfa- 
cher Anzeige  bekannt  wurde,  so  begiengen  am  11  desselben  Monats 
das  Lyceum  und  das  Präparandeninstitnt  in  der  Lyceumskirche  die  To- 
denfeier  mit  einer  Rede ,  worin  der  Director,  Geistl.  Rath  Loreye ,  die 
Verdienste  des  Entschlafenen  um  das  Schulwesen  überhaupt  und  um  die 
Rastatter  Schulen  insbesondere  darstellte,  und  mit  einem  darauf  fol- 
genden feierlichen  Seelenamte.  Solch  öfl^entliches  Merkmal  aufrichti- 
ger und  kindlicher  Dankbarkeit  war  den  Lehrern  um  so  mehr  Herzens- 
bedürfniss  ,  als  sie  bei  den  manchfaltigen  Beweisen  von  seiner  Huma- 
nität und  Geistesüberlegenheit,  von  seinem  Schutz  und  von  seiner  För- 
derung ihrer  besseren  Existenz  sowie  von  seinem  Eifer  für  alles  Wahre, 
Gute  und  Schöne  gar  wohl  wissen,  dass  beide  Aiistalten  hauptsächlich 
durch  seine  Oberleitung,  welche  die  Leitung  des  liebenden,  väterlichen 


236  .Schul-  und   Unlversitätsnachrichten, 

uml  einsichtsvollen  Freundes  war,  sich  zu  der  öffentlichen  Geltung;^  er- 
hüben, deren  sie  sich  neben  ihren  Schwesteranütalten  bisher  zu  erfreuen 
hatten.  In  der  Beätiiumung  und  den  Bedürfnissen  der  Gelehrtenschu- 
len insbesondere  sah  er  nicht  etwa  einen  althergebrachten  Maaasstab  der 
Brauchbarkeit  für  bestimmte  Fächer,  sondern  die  umfassende  Vorbil- 
dung für  wissenschaftliche  Lebensaufgabe;  über  Bildung  und  Stellung 
des  Lehrstandes  kannte  er  kein  Standesvorurthcii ,  sondern  suchte  den- 
selben durch  gründliche  Fachbildung  der  Ehre  und  Belohnung  würdig 
zu  machen,  und  förderte  zuerst  und  allein  das  Studium  der  Philologie 
unter  weltlichen  Lehramtscandidaten;  die  Gegenstände  und  die  Methode 
des  Unterrichts  sah  er  als  Mittel  zur  Weckung  und  Ausbildung  der  gei- 
stigen Kraft  des  Schülers  an ,  und  Zucht  und  Ordnung  in  den  gelehr- 
ten Bildungsanstalten  mussten  ihm  von  Humanität  geleitet  seyn,  wenu 
eie  für  Tugend  und  Wissenschaft  erziehen  sollten.  Diese  Grundsätze 
seiner  Wirksamkeit  für  die  gelehrte  Bildung  hatten  zur  Folge,  dass 
Badens  kathol.  höhere  Lehranstalten  ihren  früheren  mönchischen  Zu- 
schnitt verloren  und  nach  und  nach  in  den  Rang  eintraten,  welchen  die 
Protestant.  Schwesteranstalten  längst  vor  jenen  voraus  hatten;  und  sie 
sind  auch  allein  geeignet,  den  erfreulichen  regen  Eifer  für  die  gute 
Sache  der  gelehrten  Bildung  zu  erhalten,  in  welchem  bei  aller  sonsti- 
gen Ungleichheit  wohl  alle  Badischen  Mittelschulen  einander  gleich  sind, 
und  zuletzt  eine  weitere  wünschenswerthe  Gleichförmigkeit  von  selbst 
herbeizuführen.  —  Der  Mathematikus  Sal.  Jos.  Mayer,  welcher  die 
im  Lyceumsgebäude  durch  Dambachers  Anstellung  in  Carlsruhe  freige- 
wordene Wohnung  erhalten  und  dafür  die  30  Gulden  jährlicher  Logis- 
con^olation  Avieder  verloren  hat,  steht  jetzt  auf  eine  Besoldung  von  108a 
Gulden  in  Competenzanschlag.  S.  Jbb.  IX,  480.  Der  neu  eingetretene 
Professor  Johann  Evangelist  Koch,  gebürtig  aus  St.  Georgen  bei  Frey- 
hurg  im  Breisgau,  hat  zu  seiner  früheren  Besoldung  von  600  Gulden 
bereits  100  Gulden  Zulage  erhalten. 

Batibor.  Für  die  Besoldung  des  kathol.  Religionslehrers  am 
Gymnasium  ist  die  Summe  von  fiOO  Thlrn.  jährlich  bewilligt  und  auf 
den  kathol.  Hauptschulfond  der  Provinz  Schlesien  angewiesen. 

SALzwiäDifb.  Beim  Gymnasium  ist  der  Subconrector  Gliemann  mit 
dem  Prädicate  Conrector  in  die  zweite ,  der  Oberlehrer  JFitte  mit  dem 
Prädicate  Subrector  in  die  dritte,  der  Lehrer  Bielefeldt  mit  dem  Prä- 
dicate Subconrector  in  die  vierte,  der  Lehrer  Heinzelmann  in  die  sech- 
ste Lehrerstelle  aufgerückt  und  der  Dr.  Winkelmann  als  siebenter  Leh- 
rer angestellt  worden. 

Stralsund.  Der  Oberlehrer  Dr.  Johann  Cramer  vom  Gymnasium 
in  EiBERFELD  ist  in  gleicher  Eigenschaft  an  das  hiesige  Gymnas.  ver- 
setzt.   Vgl.  Jbb.  XI,  357, 

Tauberbischofsheim.  Das  Pädagogium,  dessen  Errichtung  mit 
Angabe  der  Lehrerzahl  und  ihrer  Besoldung ,  der  Classen  und  des  Un- 
terrichtsstoffes in  den  Jahrbüchern  VI,  261  f.  angezeigt  ist,  hat  am 
Schlüsse  seines  ersten  Schuljahres  18||  als  Einladung  zu  den  öffent- 
lichen Prüfungen  auf  den  15 ,  16  u.  IT  Septbr.  ein  Programm  (Wert- 


BÄfßrderungcn  und  Ehrenbezeigungen.  2S7 

hcira ,  gedruckt  beim  Ilofbuchilrucker  IIoll)  licrausgcgeLen ,  welcliea 
freilich  nichts  als  ein  Verzeichniss  der  Lehrgegenstiinde,  der  FrüCungs- 
ordnung  und  der  Schüler  enthält,  aber  doch  inimcrliin  die  Anstalt  nä- 
her kennen  lehrt  und  den  traurigen  Beweis  liefert,  da^^s  sie  wieder  mit 
keiner  der  übrigen  Badischen  Mittelschulen  ganz  übereinstimmt.  Sie 
hat  zwar  wie  einige  andere  Pädagogien  des  Landes  drei  Classen ,  gibt 
aber  ihrer  ersten  ,  d.  i.  untersten  Classe  zwei  Abtheilungen  und  bedarf 
niitliin  im  Ganzen  vier  Jahre  zur  V^ollendung  der  Schule,  Sie  befolgt 
im  Grunde  das  Classenlehrersystem,  aber  doch  so,  dass  Prof.  Weher, 
Ordinarius  in  I ,  auch  Mathematik  in  II  und  Griechische  Sprache  in  III 
gibt,  Prof.  Christoph}.,  Ordin.  in  II,  auch  Religion  in  I  nebst  Geschichte 
und  Geographie  in  I  und  111  lehrt,  und  Prof.  Kupferer,  Ordin.  in  III, 
den  naturwissen^chaftlichen  und  Religionsunterricht  in  II  u.  III  ertheilt. 
Lehrer  Steimer  besorgt  in  allen  3  Classen  den  Franz.  Sprachunterricht 
nebst  Zeichnung  und  Kalligraphie.  Eine  Mischung  der  Hauptlehrer  an 
einer  Anstalt,  die  über  die  grammatikalische  Stufe  der  Gclehrtenschu- 
len  nicht  hinausgeht,  bleibt  immerhin  auffallend,  so  gewöhnlich  auch 
solches  Mischen  sich  an  den  meisten  höhern  Lehranstalten  Badens  findet. 
Das  Allerbeste ,  ein  Turnus  der  Lehrer  durch  alle  drei  Classen  ist  an 
dem  Pädagogium  schon  darum  unmöglich ,  weil  gleich  bei  der  Errich- 
tung der  weltliche  Lehrer  in  die  unterste  St'hule  verbannt  wurde.  Ne- 
ben dem  bezeichneten  Uebelstand  tritt  noch  ein  anderer  dadurch  hervor, 
dass  die  beiden  Abtheilungen  der  ersten  Classe ,  ungeachtet  verschiede- 
ner Lehrgegenstände,  in  sehr  vielen  und  dabei  auch  in  den  hauptsäch- 
lichsten, d.  i.  in  den  Latein.  Sprachstunden  combiniert  werden  müssen. 
Dagegen  gibt  es  freilich  nur  zweillauptmittel,  entweder  den  Lehrkreis 
weniger  auszudehnen  oder  die  Lehrerzahl  zu  vermehren.  Man  sollte 
glauben,  die  Lehrer  seyen  unter  solchen  Verhältnissen  mit  Stunden 
überhäuft ,  aber  sie  sind  es  eben  so  wenig  als  die  Schüler ,  wenn  man 
bedenkt,  dass  die  unterste  Classe  mit  ihren  zwei  Abtheilungen  im  Gan- 
zen nur  23  Schulstunden  hat ,  darunter  17  sprachliche  und  8  gemein- 
schaftliche, d.  h.  solche  Stunden,  in  welchen  beide  Abtheilungen  den 
nämlichen  Unterricht  erhalten ,  die  zweite  Classe  24  Schulstunden  mit 
16  sprachlichen,  und  die  dritte  22  Schulstunden,  darunter  ebenfalls  16 
sprachliche  und  4  mit  der  zweiten  Classe  gemeinschaftliche.  Zur  ge- 
sammten  Stundenzahl  kommen  noch  8  für  alle  drei  Classen  in  freier 
Handzeichnung  und  Kalligraphie,  denn  der  Musikunterricht  liegt  nicht 
in  der  Errichtung  der  Anstalt  und  wird  auch  im  Lectionsverzeichniss 
nur  nebenbei  berührt.  Der  Lehrstoff  selbst  begreift  in  I,  1  u.  2  —  III 
Religion,  Deutsche  u.  Lateinische  Sprache,  Arithmetik,  Geschichten. 
Geographie  nebst  Zeichnung  und  Kalligraphie ,  in  I,  2  und  in  II  u.  III 
Griech.  und  Französische  Sprache,  und  in  II  u.  III  Naturwissenschaft 
und  Geometrie.  In  den  beiden  letzten  Gegenständen  geht  das  Päda- 
gogium über  seine  ßegründungsvorschrift,  welche  nur  Arithmetik  und 
Naturgeschichte  verlangt.  Die  blose  Forderung  der  Arithmetik  dürfte 
allerdings  für  ein  Pädagogium,  welches  doch  in  den  Lehrkreis  der  Gy- 
mnasien und  Lyceen  eingreifen  soll ,   zu  einseitig  eeyn ;    hingegen  die 


2^  Schul-  und  Universl tätsnachr icliten, 

Naturgesclii eilte  als  besonderer  Lehrg^egenstand ,  und  gar  noch,  wie  e8 
in  Tauberbiscliofsheiiu  geschieht ,  mit  Technologie  u.  Naturlehre  ver- 
bunden ,  bleibt  in  den  untersten  Gyinnasialclassen  (und  mehr  umfasst 
das  Pädagogium  nicht^  in  seiner  Abgesondertbeit  ein  schädlicher  Lehr- 
gegenstand,  und  könnte  die  Lehrzeit  gar  wohl  den  Avöchentl.  2  Deut- 
schen Sprachstunden  in  jeder  Schule  abtreten  und  dabei  doch  noch,  be- 
sonders bei  dem  geographischen  Unterricht,  eine  ganz  angemessene  Be- 
rücksichtigung finden.  In  dem  classischen  Sprachunterricbt  bleibt  zwar 
die  Anstalt  innerhalb  der  beliebten  herkömmlichen  Grunzen  der  Gram- 
matikalclasscn ,  d.  h.  sie  sucht  das  Verstehen  u.  Sclireiben  durch  münd- 
liche und  schriftliche  Uebersetzung*übungen  unter  Anleitung  der  Gram- 
matik zu  begründen;  allein  sie  fehlt  dabei,  dass  sie  das  Griechische, 
gleich  wie  auch  das  Französische,  nach  dem  Vorgange  des  Lyceums 
zu  Rastatt  und  des  Gymnasiums  zu  Offenburg  wenigstens  um  ein  Jahr 
zu  früh  anfängt,  und  somit  auch  die  Anfänger  mit  Deutschen,  Latei- 
nischen, Griechischen  u.  Französischen  Sprachformen  auf  einmal  über- 
ladet, dass  weiter  das  aufgeführte  Pensum  des  Latein.  Sprachunterrichts 
in  II  u.  III  für  wöchentl.  7  Lchrstunden  oflenbar  übertrieben  erscheint, 
nichts  von  der  üntereinandermengung  der  Autoren  und  von  den  dabei 
prahlerisch  angezeigten  Stylübungen  zu  sagen ,  welche  für  Exercitia 
widersinnig  lauten ,  wo  die  Schüler  erst  in  das  Verstehen  und  Schrei- 
ben der  Sprache  eingeführt  werden  sollen ,  dass  endlich  in  II  und  III 
ein  verschwenderischer  Aufwand  von  Autoren  gemacht  wird  (es  werden 
neben  Bruders  Anhang  Stücke  aus  Corn.  Nepos,  Jul.  Caes.  de  hello 
gallico,  Sallust.  bell.  Jugurth,,  Plinii  Epistolae,  Ovid.  Tristia  u.  Cic. 
ad  Faiiiill.  aufgezählt) ,  wo  für  beide  Schulen  so  wie  für  die  vorher- 
gehende I  eine  zweckmässige  Chrestomathie  u.  Anthologie ,  auch  noch 
durch  eine  bessere  Auswahl,  sich  eignen  würde.  Dabei  ist  die  Anlage 
des  geschichtlichen  und  geographischen  Unterrichts  ganz  verfehlt.  Es 
werden  einmal  Bredow's  alte  Geschichte  nebst  dessen  Tabellen  in  I,  von 
Breyers  Geschichtswerk  in  II  und  Müllers  Handbuch  der  Geschichte  in 
III  als  Lehrbücher  aufgeführt ,  sodann  kommt  alte  Geschichte  in  I  u.  11 
neben  den  Elementen  der  neueren  Geographie  vor,  und  zuletzt  wird 
in  III  mittlere  und  neuere  Geschichte  in  ihren  Hauptbegebenheiten  ge- 
lehrt ,  ohne  dass  selbst  noch  die  Geographie  vollendet  ist.  Solchem 
historisch  -  geographischen  Unwesen  wäre  leicht  abgeholfen ,  wenn  die 
Anstalt  im  Sinne  der  Elementarbildung  gelehrter  Schulen  in  den  ersten 
2  oder  auch  3  Jahren  lediglich  nur  das  ganze  Gebiet  der  neueren  Geo- 
graphie durchwandern  würde,  ohne  aber  dasselbe  in  trockenes  Namen- 
register und  Localitätenhaschen  auf  den  Charten  zu  verwandeln,  und 
dann  erst  das  letzte  Jahr  mit  der  Geschichte  der  Griechen  und  Römer, 
verbunden  mit  alter  Geographie,  endigte;  allein  das  Pädagog.  scheint 
unglücklicher  Weise  neben  den  Bedürfnissen  der  Grundbildung  gelehr- 
ter Schulen  auch  jenen  der  Bürgerschulen  entsprechen  zu  wollen,  und 
da  wundere  man  sich  denn  nicht ,  dass  ein  überall  sichtbares  Vielerlei- 
lernen  die  zweckmässige  Einrichtung  stören  musstc.  Die  Frequenz  des 
Pädagogiums,   die  für  den  Anfang  beträchtlich  ist,  steht  jener  der  Gy- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  239 

mnaMen  7u  Bruchsal,  OfTcnhiirg  nnd  Donaueschingen  im  letzten  Schul- 
jahre ziemlich  gleich,  und  beträgt  im  Ganzen  63,  nämlich  24  in  I,  1, 
15  in  I,  2,  10  in  11  und  14  in  III,  die  6  unterm  Jahr  Ausgetretenen 
mitgerechnet.  Von  der  Gesammtzahi  sind  nur  18  aus  Tauberbibchofs- 
heim  gebürtig. 

Ti'BiNCKN.  Die  Universität  hat  durch  ein  Statut  vom  18  Jan.  1829 
eine  neue  Verfassung  erhalten.  Anstatt  des  bisher  halbjährlich  aus  der 
Zahl  der  ordentlichen  Professoren  vom  Senate  geM  ähltcn  Rectors,  dem 
als  Commissarius  principis  der  Kanzler  zur  Seite  stand,  ist  ein  bestän- 
diger, vom  Könige  zu  ernennender  Kanzler  als  Vorstand  der  gesamm- 
ten  Universität  und  des  akademischen  Senats  eingeführt,  der  die  Rechte 
und  Verbindlichkeiten  eines  Collegial-Directors  hat.  Dazu  ist,  mitBei- 
hehaltunjr  seiner  Professur^  der  bisherige  Kanzler  von  Autenricth  ge- 
wählt •n»»rdcn.  Sein  Stellvertreter  ist  in  Verhinderungsfällen  ein  Vice- 
Kanzler  (jetzt  der  Prof.  C.  G.  Wächter'),  der  ebenfalls  vom  Könige  aus 
den  ordentlichen  Professoren,  nach  Vernehmung  des  akademischen  Se- 
nates über  seine  Person,  aber  nur  auf  je  3  Jahre  ernannt  wird.  Der 
akademische  Senat,  welcher  aus  allen  wirklichen  Professoren  besteht, 
ist  nach  wie  vor  die  unter  dem  Ministerium  stehende  Collegial-Behörde 
für  alle  die  Universität  im  Aligemeinen  betrefl'enden  Berathungen,  Be- 
schlüsse und  Berichte.  Doch  sind  für  die  Detailgeschäfte  zwei  stehende 
Ausschüsse  bestellt  worden,  deren  jeder  unter  dem  Vorsitz  des  Kanz- 
lers aus  6  Mitgliedern,  je  eins  aus  jeder  Facultät,  besteht,   nämlich: 

1)  der  Verwaltunge- Ausschuss,  welcher  die  ökonomischen  Angelegen- 
heiten leitet  und  die  Universitätsinstitute,  besonders  die  Bibliothek,  das 
Zeicheninstitut  u.  die  Reitbahn,   und  das  Stiftungswesen  beaufsichtigt; 

2)  die  Disciplinar-Commission,  welche  die  Strafgewalt  über  Studierende 
in  schwereren  Fällen  hat.  In  derselben  hat  der  Stadt-Director  Sitz  u. 
Stimme;  im  Verwaltungs- Ausschuss  hat  der  Universitäts-Cassierer,  dem 
alle  Universitäts - Cassen  untergeordnet  sind,  ein  berathendes  Votum. 
Die  abgesonderte  Verwaltung  der  Universitätspolizei  ist  aufgehoben,  und 
dieselbe  mit  der  städtischen  Polizei  vereinigt  und  einem  Stadt-Director 
untergeben.  Eigentliche  Verbrechen  bleiben  den  gewöhnlichen  Gerich- 
ten; alle  bürgerliche  und  aussergerichtliche  Jurisdiction  der  Universität 
ist  aufgehoben.  Auch  das  wechselnde  Decanat  in  den  Facultäten  ist 
abgeschaft,  und  in  jeder  übernimmt  für  immer  der  Senior  die  Geschäfte 
desselben.  Die  etatsmässige  Zahl  der  Lehrer  ist  auf  30  ordentliche  und 
6  ausserordentl.  Professoren  festgesetzt.  Der  jährliche  Etat  der  Univer- 
sität ist  auf  80,000  Fl.  gestellt,  wovon  etwa  32,000  Fl.  aus  dem  Uni- 
versitätsvermögen  fliessen.  Davon  werden  55,625  Fl.  zu  Besoldungen, 
17,835  Fl.  für  die  Institute,  6540  Fl.  als  Verwaltungskosten  verwendet; 
der  Ueberschuss  bildet  einen  Reservefond ,  aus  dem  die  Belohnungen 
der  Privatdocenten  ,  die  ausserordentlichen  Besoldungsznlagen  und  an- 
dere ausserordentliche  Ausgaben  bestritten  werden.  In  diesen  Etat  sind 
nicht  eingeschlossen  die  jetzt  auch  aus  der  Staatscasse  bestrittenen  Ko- 
sten der  beiden  theolog.  Seminarien ,  welche  jährlich  zMischen  'JO  bis 
100,000  Fl.  betragen.     Den  Mitgliedern  der  evangelisch  -  theologischen 


240 

Facultät  und  einigen  Mitgliedern  der  Juristen -FacuUät  ist  Antheil  an 
den  Staatsdienst -Prüfungen  übertragen,  und  es  sind  daher  diese  Prü- 
fungen nach  Tübingen  verlegt  worden.  Die  Bibliothek  hat  im  J.  1829 
einen  ausserordentlichen  Zuwachs  von  etwa  15,000  Bänden  aus  ehema- 
ligen Klosterbibliotheken  erhalten,  und  zählt  jetzt  130 — 140,000  Bde. 
Zum  Bücherkaufen  sind  jährlich  4000  Fi.  ausgesetzt.  Dem  sehr  be- 
deutenden Naturalien-Cabinet  schenkte  der  Prof.  Rapp  eine  bedeutende 
Sammlung  von,  zum  Theil  sehr  seltenen,  Seethlnren,  welche  er  im 
Sommer  1828  an  der  Küste  Norwegens  gesammelt  hatte,  und  der  Ban- 
quier  von  Ludwig  vom  Kap  der  guten  Hoffnung  (ein  geborner  Würtem- 
herger)  eine  Sammlung  Africanischer  u.  Asiatischer  Thiere.  Die  Zahl 
der  Studenten  betrug  im  Winter  18|Ä  862  (90  Ausländer ,  222  prote- 
stantische u.  171  kathol.  Theologen,  91)  Juristen,  136  Mediciner,  Chi- 
rurgen und  Pharmaceuten,  46  Kameraiisten,  188  Philosophen),  im 
Sommer  876  (106  Ausl  ,  226  protest.  und  182  kathol.  Theologen,  97 
Jur.,  148  Medio,  etc.,  42  Kameral.  und  187  Philos.). 

WehiBUBG.  Am  Gymnasium  ist  der  Professor  Dr.  Eichhof  nach 
langjähriger  Wirksamkeit  auf  sein  Ansuchen,  mit  Beibehaltung  seines 
vollen  Gehaltes,  in  den  Ruhestand  versetzt  worden. 


Zur  Recension  sind    versprochen: 

Schmilihenners  Methodik  des  Sprachunterrichtes.  —  Faber's  Syn- 
glosse,  und  der  Synglosse  Rechtfertigung.  —  Elsendecher :  Ueber 
das  Bürgerrecht  des  alten  Roms.  —  Hopfensach's  Staatsrecht  der 
Unterthanen  der  Römer.  —  Grassmann's  Raumlehre.  —  Molter''s 
fassliche  Darstellung  der  Lehre  von  der  Buchstaben  -  Rechnung.  — 
Jneichen's  Grundlehren  der  Algebra.  —  Ritt^nhausen's  Anfangsgrün- 
de der  Elementar -Geometrie.  —  Diesierweg^s  geometrische  Aufga- 
ben. —  HahrCs  Lehrbuch  der  Stereometrie  —  GriepenkerVs  Lehr- 
buch der  Logik.  —  Mussmann:  De  logicae  et  dialecticae  notione 
hiätorica,  und  Grundlinien  der  Logik  und  Dialectik. 


■  i-tifji\fi\H^ 


Inhalt 

von  des  ersten  Bandes  zweitem  Hefte. 

JVeisse:  Darstelinng  der  Griecbischeo   Mythologie.   —    Vom   Conrector 

Ileffter  in  Brandenburg S.    131  —  146 

Ciceronis  de  Divinatione  et  de  Fato  libri.  Kecognovit  el  . . .  animadvv. 
adjec.  Moser,  —  Vom  Oberscliulrath  und  Oirector  Gürens  in 
Schwerin .147  —  161 

Ileinisch:  Änimadvcrj«ione8  ad  locos  i^nosdam  Qnintiliani  difßciliores.  ~ 

Vom  Prorector  Dr.  Pinzger  in  Ratibor 161  —  111 

Thocydidis  de  hello  Peloponnesiaco  libri.     Beccns.  et  illust.  Göller.    — 

Vom  Dr.  Meyer  in  Zürich.         .......    171  —  183 

Leontü   canninis    Hermesianactei  fragmentnm  \ 

emendatum   et  Lat,  verss.  expressum  a  I  Vom  Oberlehrer  Dr.  Bach 

Riglero  et  Axtio.  l     in  Breslaa.  183  —  190 

Hermann:  Hcrmcsianactis  elegi.  / 

August:  Zwei  Abhandlungen  physikalischen  nnd  mathematischen  Inhalts. 

—  Vom  Adjunct  Dr.  JFex  in  Pforta 190  —  207 

Schuhe:  Drei  Schulreden. 

Rauchenstein :  Bemerkungen  über  den  Werth 

d«r  Alterthumsstadien  auf  Gymnasien. 

\    \om  Director  Dr.  Ro- 
Gerlach:   Verhältniss  des  Sprachunterrichts  zu> 

i       tenheyn  in  Lyck.         207  —  214 
den  übrigen  L«hrgegenständen. 

Hanhart:  Neunter  Bericht  über  das  Gymnasium^ 

in  Basel, 
rhesaarns  lingaae  Graecae   ab  H.   Stepbano  constructos.     Edid.   Hase, 

Sinner  et  Fix.  —    Vom  M.  Jahn  in  Leipzig 214  —  220 

LJeber  die  Ansichten   des   Herrn   Dr.  Bohertag  in    seinem   Programm: 

Ueber  den  Unterricht  in  der  Philosophie  auf  Gymnasien.  —  Vom 

Professor  Dr.  Turin  in  Heiligenstadt. 220  —  228 

rbdesfalle    .        . 229  —  230 

äojbal-  und  Universitätsnachrichten ,  Befürderongen  und  Ehrenbezeigungen.    230  —  210 


JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOIiOGIE  ündPJEDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 


von 


M.  Joh.  Christ,  Jahn. 


Fünfter    Jahrgang. 


Erster  Band.       Drittes   Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 
Zwölfter    Band.       Drittes    Heft. 

Leipzig, 

Druck  und   Verlag  von  B.  G.  Teubner. 
18     3     0. 


Si   quid  novisti  rcctius  istis, 
Candidiis  iinperti;    si  non,  his  iitere  mecum. 


Alte     Litteratur. 


Ferien  Schriften  von  Karl  Zell,  Doctor  der  rhilosophie  und 
I'rofessor  der  alten  Litteratur  au  der  Universität  zu  Freiburg.  Er- 
ste Sammlung.  Freiburg  ini  Breisgau.  Dru(;k  und  Verlag  von 
Fried.  Wagner.  182G.  20ß  S.  8.  Zweite  Sammlung  (aucli  unter 
dem  Titel:  D ar st ellnii ge?i  aus  dem  Leben  tind  der 
Litteratur  der  Römer).     Ebendaselbst  1829.  224  S.   8. 

Aras  Alterthura  zu  einem  Gegenstand  einer  lebendigen  An- 
schauung zu  machen,  Sprache,  Verfassung,  Sitten,  Gebräuche 
desselben  in  den  rein  menschlichen  Gesichtspunct  zu  stellen, 
die  Erscheinungen  der  alten  Zeit  nicht  bloss  in  ihrem  Verhält- 
nisse zur  Reflexion,  sondern  auch  in  ihrer  Wirkung  aufGerühl 
und  Geraüth  aufzufassen,  Einzelnes  nicht  in  seiner  Vereinze- 
lung sondern  immer  in  seiner  Verbindung  mit  dem  Nahen  und 
Fernen  zu  betrachten,  darum  auch  herabzusteigen  in  die  nie- 
dern  Kreise  des  Volks ,  in  den  Verkehr  des  alltäglichen  Trei- 
bens, kurz  das  Altertlium  so  anzusehen  und  zu  behandeln,  wie 
den  Staat ,  indem  wir  eben  leben,  und  die  einzelnen  Völker- 
schaften desselben  wie  nachbarliche  uns  befreundete  Familien, 
ist  eine  Aufgabe,  deren  Lösung  als  die  Uliithe  und  Frucht  aller 
Alterthumskunde  gelten  zu  können  scheint.  In  diesem  Sinne 
überschrieb  Varro  seine  Römischen  Alterthiimer  das  Leben  des 
liöniischen  f^olkes ,  und  so  sollte  das  Leben  der  Alten  eben  in 
den  lebenvollsten  3Iomenten  und  Beziehungen  erneuert  werden. 
Unsre  leicht  auflTassenden  Nachbarn  jenseits  des  Rheines  haben 
uns  mit  ihrer  Gewandheit  manches  so  aus  dem  Alterthum  nä- 
her gebracht,  freilich  oft  nicht  ohne  Entstellung  und  Einsei- 
tigkeit. Wenn  diess  unter  den  Deutschen  weniger  geschehen 
ist,  als  man  bei  dem  regsamen  Fleisse  unsrer  Alterthumsfor- 
scher,  nnd  nach  dem  Vorgange  unsrer  Winkelmann,  Lessing, 
Herder  und  Wieland  erwarten ,  und  bei  dem  fruchtbaren  Ein- 
flüsse solcher  Behandlung  wiinsclien  sollte;  so  liegt  der  Grund 
wohl  weniger  darin,  dass  die  Verdienstlichkeit  solclier  Bemü- 
hungen jetzt  niclit  anerkannt  würde,  als,  dass  gerade  die  tüch- 
tigsten und  tiefsten  Kenner  des  Altcrthums   dergleichen  allge- 


244  Alte     Litte  vatur. 

meine  und  gemiUhliche  Betraclitungen  zurückzuhalten  pflegen 
entweder  als  Herzenssache,  oder  in  der  Meinung,  es  werde  und 
möge  jeder  sich  selbst  seine  Ansicht  bilden.  Manche  der  Vor- 
trefllicJisten  zogen  es  vor ,  mehr  noch  durch  das  lebendige 
Wort,  als  durch  Scliriften  ihre  concretesten  Anschauungen  der 
alten  Welt  mitzutheilen  ,  und  es  ist  unglaublich,  wie  viel  z.  B. 
F.  A.  Wolf  gerade  auf  diesem  Wege  zu  einem  innigeren  Ver- 
ständniss  und  Durchdringen  des  Alterthums  gewirkt  hat,  und 
vermöge  einer  gewissen  geistigen  Vererbung  noch  immer  fort- 
wirkt. 

In  dem  angedeuteten  Sinne  sind  die  obengenannten  Ferien- 
schriften abgefasst,  und  mit  Vergniigen  folgt  man  dem  geist- 
vollen Verfasser,  der,  wie  Göthe  sich  über  ihn  ausdrückt  (S. 
Kunst  und  Alterth.SB.  3  Heft  S.  187)  „die  behandelten  Gegen- 
stände sich  so  anzueignen  gewusst,  und  sie  so  lieiter  vorzutragen 
versteht,  dass  man  sich  dabei  betindet,  als  hätte  man  üas  selbst 
schon  so  gedacht.'' 

In  diesen  Schriften,  deren  erste  Sammlung  den  meisten 
unsrer  Leser  wenigstens  aus  den  Anzeigen  in  der  Jen.  Litt.  Zeit. 
1821  nr.  80,  Scliulzeitung  1827,  II  nr.  22,  Hall.  Lit.  Zeit.  1828, 
IS.  123,  Blätter  für  lit.  Unterh.  1827  nr.  175  bekannt  seyn 
wird,  sind  kleine  Aufsätze  enthalten,  die  sich  über  mehrere 
Gegenstände  des  Alterthums,  Allgemeines  und  Besondres,  Ent- 
legeneres und  Nahes,  Ernstes  und  Heitres  verbreiten.  Ueberall 
Lust  und  Liebe,  frische  lebendige  Theilnahme,  und  so  weit 
sie  sich  nur  gewinnen  lässt,  klare  Anschauung  aller  Zustände 
und  Verhältnisse.  Gelehrsamkeit  wird  weniger  gezeigt,  als 
bewiesen;  dass  aus  den  Quellen  geschöpft  werde,  davon  zeigen 
die  jedem  Aufsatz  beigegebnen  Anmerkungen,  aus  denen  der 
eigentliche  Philolog  manchen  Vortheil  ziehen  kann.  So  er- 
scheinen diese  Schriften  in  Inhalt  und  Form  als  ein  willkomm- 
nes  Seitenstück  zu  den  populären  Aufsätzen  des  vortrcfUichen 
Thorlacius,  und  sind,  wie  diese,  geeignet,  auch  Leser,  die 
nicht  vom  Handwerk  sind,  in  das  Innere  eines  versunkenen  Le- 
bens einzuführen,  die  alte  Welt  mit  der  neuen  durch  ein  geisti- 
ges Band  zu  verknüpfen,  auch  wohl  dieser  durch  jene  manchen 
heilsamen  llath  und  manche  Belehrung  zu  gewähren. 

Wir  wollen  jetzt  die  einzelnen  Aufsätze  näljer  bezeichnen 
und  da  und  dort  mit  wenigen  Bemerkungen  und  Zugaben  be- 
gleiten. 

1)  Die  Wirthshänser  de?'  Allen.  S.  3 — 52.  Der  doppelte 
Zweck,  den  unsre  Wirthshänser  haben,  fiir  das  Bediirfniss  des 
Fremden  und  die  gesellige  Unterhaltung  der  Einheimischen  zu 
sorgen,  wurde  bei  den  Alten  auf  anderen  Wegen  erreicht;  für 
die  Fremden  durch  die  Einrichtungen  der  öffentlichen  und  son- 
dern Gastfreundschaft,  und  für  die  Einheimischen  durch  die 
Leschen,  Gymnasien,  Bäder,    die  bürgerlichen  und  religiösen 


Zells    Fcrienschriften.  245 

Feierlichkeiten  etc.  Daher  waren  in  Griechenland  und  Rom 
die  Wirthshäuser  verachtet,  und  dem  Pöbel  überlassen,  und 
irelan^s^ten  erst  unter  den  Kaisern  zu  einigem  Ansehen  bei  den 
Gebildeten,  aber  unter  dem  steten  Widerspruch  der  Besseren, 
und  selbst  der  kaiserlichen  Polizei -Edicte. 

Diess  ist  der  wesentliche  Inhalt  des  ersten  Aufsatzes,  der 
durch  mancherlei  Nachrichten  und  Beispiele  aus  dem  Alterthume 
erläutert  ist,  wozu  hier  einige  kleine  Nachträge  folgen  mögen. 
So  konnte  bei  der  Fremdenbewirthung  einer  eigenen  Fürsorge 
der  Griechen  gedacht  werden,  die  von  Vitruv  in  einer  merk- 
würdigen, wie  es  scheint,  wenig  bekannten  und  beachteten 
Stelle  erwähnt  wird.  „Praeterea,"  heisst  es  II,  c.  10,  „dextra 
ac  sinistra  domunculae  constituuntnr  habentes  proprias  ianuas, 
triclinia,  et  cubicnla  commoda,  uti  hospites  ad^enientes  non  in 
peristylia,  sed  in  ea.  liospi/alia  reci[na\iinr.  Nam  quum  fuerunt 
Graeci  dclicatiores  et  ab  fortuna  opnlentiores,  Iiospitibus  adve- 
nientibus  instruebant  triclinia  ,  cubicnla,  cum  peiui  cellas,  pri- 
moque  die  ad  coenam  invitabant,  postero  mittebant  pullos,  ova, 
olera,  poma  reliquasque  res  agrestes.  Ideo  pictores  ea  qnae 
mittcbantnr  hospitibus  picturis  imitantes  xenia  appellaverunt. 
Ita  patres  familiarnm  in  hospitio  non  videbantnr  esse  peregre, 
habentis  secretam  in  his  liospitalibus  libertatem."  Dergleichen 
Gastzimmer  (t,EVOJV£g)  werden  unter  andern  bei  Enripides  Ale. 
V.  5.19  erwähnt.  Die  Ceer  hatten  auf  Delos  ein  eignes  Bewir- 
thuiigshaus  ^önaTOQLOV  für  ilire  zu  daw  Panegyrien  angekom- 
menen Bürger  und  Gäste.  Ilerodot.  iV,  35.  vergl,  Bröndsted 
Reisen  1  S.  49. 

Die  S.  19  aufgestellte  Vermnthung,  dass  die  Griechen  ge- 
mahlte Schilde  an  den  Wirthshäusern  geliabt,  die  sich  auf  eine 
Stelle  des  Aristoteles  Probl.  X,  14  gründet,  ist  von  dem  Verf. 
selbst  durch  eine  sehr  glückliclie  Eiiiendation  dieser  Stelle  in 
den  Noten  S.  40  na^nvlcov  st.  'AaTtqXlav  beseitigt  worden.  Ob 
es  bei  den  Grieclien  ausser  dem  Busch  oder  Kranz  noch  andre 
Zeichen  eines  Wirthshauses  gab,  weiss  ich  nicht;  bei  den  Rö- 
mern wurde  noch  Leinwand  ausgespannt,  worauf  die  Nahmen 
der  Erfrischungen,  Avohl  auch  der  feilen  Dirnen  zu  lesen  waren, 
vrgl.  Juvenal.  VIII,  167,  VI,  123.  In  der  ersten  Stelle  sind  die 
inscripta  lintea  mit  den  noch  jetzt  in  Italien  aushängenden  Tep- 
pichen von  den  Auslegern  verglichen  worden.  —  Dass  bei  den 
Römern  oft  auch  in  der  Nähe  eines  Landguts  Schenken  angelegt 
wurden,  erhellt  aus  Vari'o  de  R.  R.  I,  2:  „Si  ager  secundum 
viara  et  opportunus  viatoribus  locus,  aedificandaetabernae  diver- 
soriae,  quae  tarnen  quam\is  sint  fructuosae ,  nihüo  magis  sint 
agricuiturae  parte."  vrgl.Martial.  III,  58,  wo  der  Schenkwirth 
des  Faustiuus  gegen  den  seines  Nachbars  Bassinus  gehalten 


246  Alte     Littcratur. 

Non  segniä  albo  pallet  otio 
Kec  pcrilit  oleum  lubricus   piilaestrita 
Sed  tendit  avidis  rete   subdolum  turdis 
Tremulave  captura   linea  trahlt  piscera 
Aut  impeditam   cassibus   refert  damam. 

Zu  verwundern  ist,  dass  der  Verf.  niclit  einer  ArtWirthsIiänser 
gedaclit  hat,  die  um  so  mehr  hier  genannt  seyn  sollten,  da  sie 
eine  auffallende  Aehnlichkeit  mit  unsern  Kaffeeliäusera  haben. 
Diess  sind  die  Therniopolien ^  wo  man  besonders  Glühwein  zu 
trinken  pflegte.  Hier  war  es  wohl ,  wo  sich  auch  Leute  von 
feinerer  Bildung  zusammen  zu  finden  pflegten.  So  .lehrt  eine 
Schilderung  des  Plautus  im  Curculio  II,  3,  9: 

Tum  isti  Graeci  palliati  oapite  operto  qui  ambulant 
Qui  incedunt  sufTarcinati  cum  libris  cum  sportulis 
Constant,    conferunt  serraones  inter  sese  drapetae; 
Obstant,   obsistuut,  incedunt  cum  suis  sententiis. 
Quos  sempcr  videas  libenter  esse  in  thermopoliis. 
Ubi  quod  sumpuere  operto  capitulo  calidum  bibunt 
Tristes  atque  cbrioli  incedunt  — 

Weitere  Nachweisungen  über  diese  Thermopolien  giebtLipsins 
Electa.  I,  4.  Einer  ähnlichen  Sitte  bei  den  Rhodiern  gedenkt 
Athenaeus  VIII  p.  352. 

Von  dem  Gedicht,  das  gewöhnlich  Copa  überschrieben 
wird,  liat  der  Verf.  eine  Ansicht  genommen,  die  noch  sehr  be- 
stritten werden  kann.  —  Wie  es  scheint,  sind  ihm  Ilgens 
Aniniadversiones  zu  derselben  unbekannt  geblieben ;  viele  aber 
werden  geneigter  seyn ,  mit  diesem  den  Caupo  als  redend  ein- 
geführt zu  denken.  Den  Florus  aber  unter  Iladrian  zum  Verf. 
des  Gedichtes  zu  machen  (S.  50)  hindert  weniger  die  Autori- 
tät der  alten  Grammatiker,  die  es  dem  Virgil  beilegen,  als  die 
Eleganz  des  Ausdrucks,  die  es  als  ein  Erzeugniss,  wo  nicht  des 
Virgil,  doch  des  Augusteischen  Zeitalters  erscheinen  lässt. 
2.    Ueber  die  Volkslieder  der  alten  Griechen.  S.  55 — 87. 

Obwohl  die  ganze  griechische  Poesie  Volkspoesie  ist,  so 
gellt  doch  daneben  das  eigentliche  Volkslied,  so  mannigfaltig, 
als  das  menschliche  Leben  und  die  verschiedenen  Beschäfti- 
gungen und  Stände  der  Menschen  sind.  Davon  sind  nur  noch 
wenige  Töne  zu  uns  herübergeklungen,  von  religiösen  Volks- 
liedern (Hymnen  auf  die  Ilygiea,  zu  Ehren  des  Dionysus  von 
den  Frauen  in  Elis  gesungen),  Liedern  zu  Ehren  der  Heroen.^ 
Könige  zind  Stammfürsten  ( Lied  der  Erigone ),  Liebesliedern 
(Lied  des  Eriphanis,  Kalyke),  Hochzeillieder?i,  Wiege7iliederny 
Kinder lieder 71  (von  der  Schwalbe  und  Krähe),  Skolieji  religiösen, 
moralischen,  historischen,  scherzhaften  Inhaltes,  —  von  Lie- 
dern, die  gewissen  Beschäftigungen  und  Ständen  eigenthümlich 


Zells  Ferienschriften.  247 

8ind,  nhdismä  Schiffer-^  Weber-^  Müllerlieder^  dtis  Bettlerlied 
Eiresione,  Bauernregeln  in  hieierioruiy  Lityerses^  Hirtenlie- 
der ^  aus  denen  sich  die  Kunst  der  bukolisclieii  Poesie  entwi- 
ckelte. '•''  Ueberaii  hat  der  Verf.  einen  Untersclned  zwi- 
schen höherer  Poesie  und  Volkslied  vorausgesetzt,  sich  aber 
über  diesen  Unterschied  nirgends  deutlicher  erklärt.  Auch  ist 
denselben  mit  einiger  Schärfe  zu  bestimmen  wie  überhaupt  so 
besonders  bei  dem  Volke  der  Griechen  schwierig,  das  durch 
mid  durch  poetisch  war,  und  seinen  dichterischen  Anstrich, 
wenn  ich  mich  so  ausdrücken  darf,  in  alle  Verhältnisse  des  ge- 
raeinen Lebens  übertrug.  Wo  und  wie  hier  die  Grenze  ziehen, 
da  selbst  der  kunstvollere  Theil  der  Poesie  wenigstens  in  der  gu- 
ten Zeit  zum  Eigenthura  des  Volkes  ward.  Ersangen  sich  nicht 
geraeine  Athenienser  in  Sicilien  durch  Euripideische  Chöre  die 
Freiheit'?  Und  wofür  erhielt  jener  Scliulmeister  vom  Alcibiades 
die  bekannte  Züchtigung*?  Volkspoesie  soll  ihrem  Stoffe  nach 
aus  den  Umgebungen  und  dem  Ideenkreise  des  Volks  genorameii 
seyn,  aber  auch  in  bewusstloser  Richtung  wieder  zu  dem  Leben 
und  dem  Verkehr  des  Volkes  zurückführen;  soll  ihrer  Form 
nach  einfach,  naturkräftig,  vor  Allen  sangbar  seyn,  so  dass  je- 
der aus  dem^  Volke  meinen  möchte,  das  komme  von  ihm.  Dar- 
um man  auch  bei  volksthümlichcn  Gesang  so  unbekümmert  ist 
um  den  Nahmen  des  meist  unbekannten  Verfertigers.  Aber  ist 
dieses  nicht  so  ziemlich  der  durchgängige  Character  der  ge- 
sammten  griechischen  Poesie,  wenn  man  nicht  etwa  auf  die 
Poesien  gewisser  Kasten,  wie  die  orphischen,  oder  einer  gewis- 
sen Schule,  wie  die  alcxandrinische,  sein  Augenmerk  richten 
will.  —  Wie  raisslich  es  demnach  sey,  hier  classificiren  zu 
wollen,  hat  der  Verf.,  wie  es  scheint,  besonders  bei  Erwähnung 
des  Hymnus  des  Ariphron  und  des  Aristoteles  gefühlt,  denen 
er  unter  den  Volksliedern,  gewiss  nicht  ohne  Widerspruch 
andrer,  eine  Stelle  einräumen  zu  können  glaubte.  Wie  dem 
auch  sey,  wir  nehmen  gern,  was  der  sinnige  Sammler  und  Ord- 
ner dieser  anmuthigen  Feldblumen  dargeboten  hat,  nicht  ohne 
dankbare  Erinnerung  an  den  ehrlichen  und  belesenen  de  la 
Nauze,  dessen  Abhandlungen  von  den  Liedern  der  alten  Grie- 
chen hinter  Hagedorns  Werken,  wenn  auch  jetzt  veraltet,  bei 
altern  Lesern  immer  noch  in  gutem  Andenken  stehen  werden. 
—  Wohl  hätte  noch  eine  Erwähnung  verdient  jener  Tynnichus 
derChalcidier,  von  dem  es  im  Platonischen  Ion  so  heisst:  „dass 
er  nie  irgend  ein  andres  Gedicht  gedichtet  habe,  dessen  es 
lohne  zu  erwähnen,  aber  einen  Päon,  Acn  jedermann  singe, 
fast  unter  den  Liedern  das  schönste,  recht,  wie  er  selbst  sage, 
ein  Fund  der  Musen."  Dieser  Päan  war  in  seiner  Alterthüra- 
lichkeit  so  theucr  und  ehrwürdig  geworden,  dass  nach  einer 
Erzählung  des  Porphyrius  de  Abst.  I,  18  sich  Aescltylus  sogar 
scheute,  ihn  nachzusingen,   wobei  man  uuwillkührlich  an  meh- 


218  Alte     Littcratur. 

rere  unsrer  alten  Kirchenlieder  erinnert  wird,  wie  denn  der  Ver- 
fasser des  Eins  ist  noth  wohl  mit  jenem  alten  Hymnensänger 
füglich  verglichen  werden  kann. 

Uehrigens  bemerkt  der  Verf.  mit  Recht ,  dass  dieser  Ge- 
genstand durch  die  vollständigere  Kenntuiss  der  neugriechi- 
schen Volkslieder,  welche  wir  durch  Fauriel,  W.Müller,  Iken, 
Th.  Kind  u.  a.  erhalten  haben,  ein  neues  Interesse  und  eine 
neue  Bedeutsamkeit  gewonnen  habe. 

3.   Ueber  die  Sprüchwörter  der  alten  Griechen.  S.  93 — 124. 

Die  SprVichwörter  und  sprüchwörtlichen  Redensarten  der 
Griechen  sind  hier  unter  sehr  anziehende  Gesichtspuncte  ge- 
stellt. In  Ansehung  des  Inhaltes  werden  sie  betrachtet  als 
Zeugnisse  von  der  Griechen  Denkart  über  religiöse  Angelegen- 
heiten, als  praktische  Lehrer  der  Tugend  und  Klugheit,  als 
Bemerkungen  und  Ansichten  des  griechischen  Volkes  über  das 
Leben  und  seine  mannichfachen  Verhältnisse  besonders  Viber 
Erziehung,  Freundschaft  und  Liebe.  In  Ansehung  der  Form 
Avird  das  Charakteristische  der  griechischen  Sprüchwörter  theils 
gesetzt  in  einen  hervorstechenden  Zug  von  Witz  und  Laune 
verbunden  mit  einer  ungemeinen  Mannichfaltigkeit  und  Fülle 
des  Ausdrucks,  theils  in  einen  grossen  Keichthum  an  Beobach- 
tungen, Wahrnehmungen  und  Beziehungen,  mit  denen  sie  zu- 
gleich sich  über  die  Natur  und  das  Leben ,  über  die  Sitten  un- 
ter allen  Ständen,  über  Geschichte  und  Sagen  verbreiten.  Für 
alle  diese  Beziehungen  sind  wohlgewählte  und  interessante  Bei- 
spiele mit  kurzen  Erläuterungen  hinzugelugt.  Ueber  das  Mehr 
und  Weniger  lässt  sich  hier  nicht  rechten.  Mit  gutem  Grunde 
und  nach  dem  Vorgange  selbst  des  Plato  (Menexen.  247)  E  legt 
der  Verf.  besonders  viel  Werth  auf  diejenigen  Sprüchwörter, 
die  das  Maass  empfehlen,  und  bemerkt,  wie  diese  Grundansicht 
alle  Richtungen  des  griechischen  Lebens  und  Denkens  durch- 
drang. Zu  A^ni  Mti^Iv  ayav  (das  durch  seine  elliptische  Kürze, 
durch  das  prohibitive  fitjÖlv,  durch  seinen  hexametrischen  Fall 
gleiclisam  ein  Summariura  griechischer  Feinheit  und  Schärfe 
genannt  werden  mag)  hätte  sich  das  bedeutungsvolle  lalsncc 
rä  icald{Vla.t.  Hipp,  maj,  extr.  u.  das.  Heindorf)  und  wohl  auch 
des  Chörilus  vielgebrauchtes  Wort  (v.  Näke  Chor,  fragra.  IX 
p.  169) 

Fällt  er  stetig',  so  höhlt  den  Fels  ein  Tropfen  des  Wassers, 

recht  schicklich  gesellt.  Und  wenn  der  Spruch  „wird  der  Mensch 
nicht  durchgegerbt  vom  Schicksal,  so  kommt  er  nicht  zu  Ver- 
stand,'-'-  darum  wohl  aufgenommen  wurde,  weil  „ihn  unser  Gö- 
the  gewürdi;it  hat,  seiner  Lebensbeschreibung  vorzusetzen," 
so  hätten  „die Kraniche  des  Ibykus'-'"  einen  ähnlichen  Anspruch; 
und  erfahren  wir  aus  dem  Spruch  wort,  dass  die  Frösche  der 
lüäel  Seriplius  nicht  quakten,  wäre  es  wohl  nicht  minder  inter- 


Zclls   Ferienschriften,  241) 

essant  gewesen  aus  derselben  Quelle  zu  erfahren,  dass  man  auf 
der  Insel  Keos  nichts  vom  Kalender  wusste  (vrgl.  Böckh  Berli- 
ner Jahrbücher.  1827  S.  IG). 

Ungern  vermisst  mau  Vibrigens  gerade  bei  diesem  Abschnitte 
einige  litterarische  Nachweisung,  die  sonst  allen  übrigen  Aui- 
sätzen  beigegeben  ist.  Der  Verf.  würde  dadurch  icranlasst 
worden  seyn,  manches  anders  zu  stellen,  wie  das  S.  117  von 
der  griechischen  Redlichkeit  Gesagte,  was  nach  alten  Zeugnis- 
gen bei  Euripid.  Ipliig.  inTaur.  v.  {205,  PolybiusL.  VI,  54,  Si- 
lius  Italiens  XIV,  338,  Auson.  Ej>.  XXI  (wogegen  man  nur  aus 
grossem  Älissverstand  Ep.  X  anführt),  besonders  bei  Cicero 
pro  Flacco  c.  4  noch  anders  gefasst  werden  muss,  als  es  in  den 
berichtigenden  Erörterungen  des  zweiten  Theils  S.  40  ff,  ge- 
schehen ist.  Cicero  sagt:  „testiraoniorum  religionem  et  fidera 
nunqua/n  ista.  natio  cohiit.  ünde  illud  est:  Da  mihi  testimo- 
nium  niutmim\  num  Gallorum,  num  Ilispanorum  putatur'?  To- 
tum  istudj Graecum  est,  ut  etiam  qui  Graece  nesciant,  hoc  qui- 
bus  verbis  a  Graecis  dici  soleat  sciaut."  In  der  That  ein  merk- 
würdiges griechisches  Sprüchwort  ! 

4.  Catulls  Liehe.  Die  von  CatuU  an  die  Lesbia  (Clodia) 
gerichteten  Liebesgedichte  sind  hier  übersetzt,  und  aus  ihrer 
gegenwärtigen  Zerstreuung  nach  Maassgabe  ihres  Inhalts  näm- 
lich der  erst  entstehenden,  dann  lioch  beglückten  ,  dann  bitter 
gestörten,  und  endlich  wieder  zur  alten  Glut  angefachten  Liebe 
angeordnet,  so  dass  der  sich  gleiclisam  durchziehende  und  ver- 
loren gegangene  psychologische  Faden  der  wechselnden  Seelen- 
zustände  wieder  gefunden  ist,  und  sich  wie  von  selbst  ein  klei- 
ner nicht  uninteressanter  Roman  von  einem  frischen,  wenn  auch 
in  Sinnlichkeit  befangenen  Leben  gebildet  hat.  Auf  solchem 
synthetischen  Wege  wird  das  durch  die  Analyse  der  Interpreten 
oft  mehr  erschwerte  als  geförderte  Verstäiidniss  zugleich  gründ- 
lich und  heiter  eröffnet,  und  man  begreift  nicht ,  warum  über 
ein  solches  Verfahren  Herder  (in  der  Adrastea  IX  S.  12)  eine 
so  gräuilicheAnmerkung  macht.  Die  üebersetzungen  besonders 
der  lamben  sind  gefällig  und  leicht,  nicht  gerade  nach  strengen 
Grundsätzen.     Zu  frei  und  lose  scheint  LXXV : 

Achtung  kann  ich  dir  nie,   Wohlwollen  niemals  dir  schenli^en, 
Lieben  muss  ich  dich  stets,   wenn  du  auch  alles  vollbringst. 

XCH:  Grundlos  scheinet  der  Spruch?    So  will  ich  anders  ihn  sagen. 

CIV:    Hiitt'  ich  das  jemals  gekonnt,   nicht  war  so  gross  meine  Liehe, 
Nein !   ihr  irret  euch  sehr,  alle  die  solches  gesagt. 

„Sed  tu  cui^iTappoue  omniamonstra  facis,^''  oder  wie  man  sonst 
lesen  möge. 

5.  JSaiae  ein  römischer  Badeort.  Schilderung  des  Orts 
und  seiner  reizenden  Umgebungen  nach  den  Alten  und  neuen 


250  Alte     Littoratur. 

Reisenden,  vorziiglich  des  alten  Bade- Lebens  nnd  Treibens, 
das  dem  heutigen  nicht  unähnlicli  ist,  und  wozu  besonders  Se- 
neca  im  5fistcn  Briefe  die  meisten  und  individuellsten  Züge  leiht, 
die  freilich  gegen  die  frommen  Badeunterhaltungen  des  Caeci- 
lius  und  Octavius  in  Ostia  selir  grell  abstechen. 

6.  Aristoteles  als  Lehrer  yllexajiders.  Es  werden  hier 
die  bekannten  Verhältnisse  des  Alexanders  und  Aristoteles 
wieder  erzählt,  ohne  dass  irgend  eine  neue  oder  fruchtbare 
Ansicht  dem  Gegenstande  abgewonnen  würde.  Daher  dieser 
Aufsatz  als  der  schwächste  der  ganzen  Sammlung  erscheint.  So 
sind  die  Briefe  des  Philipp  an  Aristoteles,  und  die  zwischen 
Aristoteles  und  Alexander  angeblich  gewechselten  aus  Gellius 
und  Plutarch  oline  alle  Ahndung  ihrer  beinahe  entschiedenen 
Unächtheit  als  Zeugnisse  liier  aufgenommen.  Hätte  es  doch 
dem  Verfasser  gefallen,  das  vortreffliche  Buch  des  St.  Croix 
{Examen  Critique  des  anciens  historieiis  d'  Alexajidre  Le 
Grand.  2e  Ausg.  Paris  1804)  einzusehen ,  so  würde  er  vieles 
ganz  anders  gefasst,  vielleicht  den  ganzen  Aufsatz  unterdrückt 
haben.  Zwar  drückt  sich  St.  Crcix  S.  104  über  den  Brief  des 
Philipp  noch  zweifelhaft  aus;  wer  wird  aber  glauben  wollen, 
dass  Philipp  gleich  nach  der  Geburt  seines  Sohnes  nach  Athen 
einen  ihm  schon  damals  feindlich  gesinnten  Staat  sich  gewen- 
det, dass  er  den  Aristoteles  angegangen,  da  der  Oheim  bereits 
den  Lysimachus  gewählt  hatte;  wer  wird,  einigermaassen  ver- 
traut mit  dem  Hergang  der  Verfälschungen  im  Alterthume,  es 
nicht  viel  glaublicher  finden,  dass  ein  späterer  Sophist  aus  dem 
bekannten  dankbaren  Worte  des  Alexander  Viber  Aristoteles 
hinterher  diesen  Brief  ausgesonnen  habe.  —  vrgl.  St.  Croix  S. 
202.  —  Aus  demselben  S.  603  hätte  der  Verf.  sich  überzeugen 
können,  dass  man  dem  Diogenes  nicht  nachsagen  dürfe,  Alexan- 
der „habe  fünfzehn  Jahre  gehabt,'-'-  als  Aristoteles  sein  Lehrer 
ward,  woselbst  der  deutsche  Ausdruck  ein  missfälliger  Latinis- 
mus oder  Gallicismus  ist.  Eben  so  zweideutig  und  schielend 
ist  es  gesagt,  wenn  es  S.  160  heisst:  „Aristoteles  zerriss  zuerst 
den  Kranz  der  griechischen  Musen,"-  er,  der  grosse  Verehrer 
und  Gesetzgeber  der  Poesie*?  Desto  ansprechender  ist  in  In- 
halt und  Form  der  letzte  Aufsatz  dieser  Sammlung: 

7.  lieber  das  Sittliche  in  der  griechischen  Volksreligion. 
S.  1T7 — 206.  Die  Absicht  desselben  ist,  zu  zeigen,  dass  der 
griechische  Volkscultus,  der  ganz  der  Phantasie  und  den'Sinnen 
anzugehören  scheint,  der  wahren  Religion  und  Sittlichkeit  weit 
weniger  fremd  gewesen  sey,  als  man  nach  dem  ersten  Anblick 
denken  sollte.  Dass  die  Götter  gesteigerte  Menschen  waren, 
brachte  sie  der  Menschheit  näher,  hielt  die  Menschen  in  be- 
stimmten Schranken  der  31enschlichkeit  frei  von  Verirrungen, 
wohin  leicht  der  asiatische  Naturdienst  führen  konnte  und  wirk- 
lich geführt  hat.     Als  gesteigerte  menschliche  Naturen  hatten 


.  Zclla  Fcricnschriftea.  251 

die  griechischen  Götter  die  ganze  Sphäre  der  raenschliclien 
Anlagen  und  Thätigkeiten  in  sich  aufgenommen,  demnacli  auch 
die  sittliclien;  darum  sie  auch  als  belohnend  und  bestrafend  ge- 
dacht werden.  Werden  die  Götter  nicht  selten  als  Urheber 
der  Missethat  dargestellt,  so  scheint  dies  mehr  ein  theoretischer 
Satz  über  den  Ursprung  des  Bösen,  der  keine  praktisclie  An- 
wendung ündet,  und  es  stehen  ihm  da  wieder  richtigere  Vor- 
stellungen, wie  der  berühmte  Spruch  in  der  Odyssee  I,  32  —  34: 

Wunder  wie  sehr   doch  klagen  die  Sterblichen  wider  die  Götter! 
Nur  von  uns  sey  Böses  vermeinen  sie ;   aber  sie  selber 
Schaffen  durch  Unverstand  auch  gegen  Geschick  sich  das  Elend. 

neutralisirend  entgegen.  So  hat  der  in  den  religiösen  Meinun- 
gen vorwaltende  Fatalismus  ebenfalls  durch  die  Inconsequenz 
der  Griechen,  die  dem  Schicksal  den  Willen  der  Götter  entge- 
gen setzen,  und  zugeben,  dass  vieles  vom  Schicksal  Bestimmte 
theils  immer  zum  Theil  verschuldet  sey,  theils  durch  sittliche 
Kraft  verschoben  oder  abgeändert  werden  könne,  viel  von  sei- 
nem lähmenden  und  zerstörenden  Einfluss  verloren.  So 
wirkte  die  Schicksals -Idee  auf  der  tragischen  Bühne  der  Grie- 
chen, nicht  paralysirend ,  sondern  vielmehr  erhebend  auf  die 
Geister  und  Herzen  der  Zuscliauer.  Endlich  sind  unter  den 
göttlichen  Wesen  mehrere,  an  welche  bestimmte  ethischcldeen 
geknüpft  sind,  vor  allen  Zeus  selbst  in  vielfältigen  Beziehungen 
als  Ordner  und  Schützer  der  Staaten,  Verfassungen,  Familien, 
der  Gastfreundschaft,  der  Schutzflehenden;  zu  ihm  gesellt  sich 
die  jungfräuliche  Athene,  deren  ganzer  und  lautrer  Begriff  dem 
geistigen  Wesen  angehört.  Als  sittliche  Mythen  und  Vergötte- 
rungen werden  noch  lieraus?ehoben  Hercules ,  Therais,  Dike, 
Nemesis.  An  den  bedeutungsvollen  Mythus  der  letzteren  knüpft 
der  Verf.  den  schönen  Schluss:  „Ist  es  nicht,  wie  wenn  auch 
jetzt  das  Walten  dieser  Göttin,  welche  die  Weltgeschichte 
durchschreitet,  sich  offenbarte,  da  die  Nachkommen  der  alten 
Hellenen  den  Thron  ihrer  übermüthigen,  alles  Maass  über- 
schreitenden Zwingherren  wanken  sehen !  Mögen  auch  nun  sie 
Maass  halten  im  Gefühle  der  Rache ,  Maass  in  der  Freude  des 
Sieges,  in  ihren  Wünschen  und  Forderungen.  Dann  wird  wohl 
Nemesis  das  Rad  der  menschlichen  Schicksale,  das  sie  in  ihren 
Händen  hält,  zu  ihrer  Rettung  drehen.  Und  so  wie  ihre  Ah- 
nen in  mancher  heissen  Schlacht  Götter  und  verklärte  Heroen 
in  den  Reihen  ihrer  Vorkämpfer  sahen,  so  mögen  auch  in  die- 
sem Kampfe  der  Verzweiflung  sie  führen  und  stärken  alle  die 
schönsten  menschlichen  Gefühle  und  edelsten  Gesinnungen,  aus 
welchen  ihr  Volk  ehemals  seine  Götter  schuf;  mögen  ihnen 
voranstreiten  die  grossen  Ileldenseelen  ihrer  Ahnen,  auf  dass 
sie  bei  den  Todten  die  Hülfe  finden,  welche  ihnen  die  Leben- 
den versagen.'-^ 


252  Alte      Litte  ratur. 

In  gleichem  Sinne  mit  dem  Verf.  erklärt  sich  jetzt  ein 
Mann,  dessen  Nahmen  ganz  Deutschland  mit  Liebe  und  Vereh- 
rnng  nennt,  ,.Viberzeugt,  dass  auch  das  Heidenthum  mit  seiner 
„Idololatrie  eine  der  nothwendigen  Stufen  bildete,  auf  denen 
„Gott  das  menschliche  Geschlecht  zu  der  rechten  Erkenntniss 
„der  Wahrheit  leiten  wollte;  dass  es  bei  allen  seinem  Irrthum 
„dennoch  im  Besitze  des  Glaubens  an  einen  eifrigen  Gott  war, 
„der  das  Gute  belolint,  und  die  Missethat  der  Väter  heimsucht 
„an  den  Kindern;  und  dass  es  überhaupt  kein  Volk  zu  keiner 
„Zeit  gegeben  habe,  welchem  Gott  sein  Angesicht  so  verborgen 
„gehabt  hätte,  dass  ihm  die  innere  Offenbarung  seines  Wesens 
„gänzlich  erloschen  sey.'-"'  J.Jacobs  verm.  Schriften  3  Tli.  p. 
XXV  f.  Hoffentlich  wird  die  Stimme  eines  so  weisen ,  mit 
eben  so  viel  Ernst  als  Reife  forschenden  Mannes  nicht  über- 
hört werden. 

Die  zweite  Sammlung  enthält  blos  zwei  Abliandlungen, 
die  in  den  Kreis  der  Römischen  Alterthumskunde  gehören.  Auf 
den  besondern  Wunsch  des  Verlegers  führt  daher  dieser  zweite 
Band  den  Nebentitel :  Darstellungen  aus  dem  Leben  und  der 
Litteratur  der  Römer. 

In  dem  ersten  Aufsatze  werden  die  Röniischeji  Sprüchwör- 
ter in  äliulicliem  Sinne  behandelt,  wie  die  griechischen  in  der 
ersten  Sammlung.  „Ich  würde  rathen,  schreibt  Göthe  an  Schil- 
ler (Briefwechsel  Th.  III  S.  368)  ,  sicli  die  Adagia  des  Erasraus 
anzuschaffen,  da  die  alten  Sprüchwörter  meist  auf  geographi- 
schen, historischen,  nationellenund  individuellen  Verhältnissen 
ruhen,  so  enthalten  sie  einen  grossen  Schatz  von  reellem  Stoff." 
Göthe  meint  zunächst  zu  dichterischen  besonders  dramatischen 
Bearbeitungen;  umso  mehr  aber  zu  anziehenden  Reflexionen 
und  innerlichen  Anschauungen  fremden  Lebens,  wie  wir  sie 
hier  wirklich  finden.  Vorausgeschickt  wird  die  Bemerkung, 
wie  die  Römer  so  viel  ärmer  an  Sprüchwörtern  seyen,  als  die 
Griechen,  was  aus  der  verhältnissmässigen  Mangelhaftigkeit 
des  Witzes  und  der  Erfindungsgabe  hergeleitet  werden  müsse, 
üebrigens  ist  im  Ganzen  derselbe  Gang  wie  bei  den  griechi- 
schen Sprüchwörtern  befolgt ,  wobei  jedoch  sehr  zu  billigen, 
dass  am  Schlüsse  wenigstens  die  Sprüchwörter  im  Original  hin- 
zugefügt worden  sind.  Jetzt  nur  einige  wenige  Einzelnheiten. 
Der  Verf.  weiss  sehr  gut,  wie  vorsichtig  man  seyn  müsse,  um 
die  Ebenbürtigkeit  eines  Sprüchworts  zu  constatiren.  Doch 
möchte  man  bei  einigen  hier  aufgenommenen  zweifelliaft  seyn. 
Z.  B.  Nescis  quid  serus  vesper  vehat  war  nur  die  Ueberschrift 
einer  Varronischen  Satyre  (s.  Macrob.  Sat.  II,  8.  Geil.  N.  A. 
XIII,  II);  jeden  Falls  muss  das  serus  wegbleiben,  das  ausVIrg. 
Georg.  4,  6  hinzugekommen.  „Auch  gute  Schuldner  werden  böse 
Zahler,  wenn  man  sie  nicht  mahnt."  Die  Lateinischen  Worte 
fehlen,  wie  bei  mehreren  in  dieser  Nachbarschaft.     Ohne  Zwei- 


Zells  Ferienschriften.  25S 

fei  ist  die  Maxime  des  Wucherers  Alpliius  bei  Columella  I,  7,  2 
zu  versteilen:  vel  optima,  nomina  noti  oppellnndo  ina/a  ficri ; 
wobei  es  jedoch  zweilclhalt  bleibt,  wie  weit  sie  wirkiicli  spriich- 
wörtiich  j,'e\vorden,  ein  Zweifel,  der  sich  bei  manchen  Sprü- 
chen wiederholt,  wie  z.B.  bei  dem  des  Stasinus  (bei  dem. 
Alex.  Strom.  VI  p.  4<>1,  ed.  Sylb.)  des  Cato  (bei  Livius  XXXIV, 
!>},  des  Vespasian  (bei  Suet.  Vesp.  23),  obgleich  auf  den  ersten 
sich  Ilerodot  (I,  155  a.)  und  andre,  auf  den  zweiten  Cicero, 
und  auf  den  dritten  Juvenal  und  Ammianus  Marcellinus  be- 
ziehen. 

Einige  der  angeführten  Sprüchwörter  haben  eine  etwas 
ausführlichere  Erläuterung  erhalten.  So  die  se?ies  depo7itani^ 
graecafides  ^  coeaae  ponlißciales  mit  dem  Küchenzettel  eines 
geistlichen  Schmauses  nach  Macrobius ;  ])olticeni  premerc  n. 
erigere,  worüber  eine  alte  jetzt  mitÜJirecht  vergessene  Schrilt: 
Abhandl.  von  den  Fingern,  deren  Verrichtung  lauLsymbolische 
Bedeutung,  (Leipz.  u  Kisenach  1757)  S.  9!)  tt".  "och  mehr  Aus- 
kunft gegeben  haben  würde.  Hin  und  wieder  kann  man  mit 
dem  Verf.  nicht  übereinstimmen,  z.B.  wenn  er  la7ia  caprina 
bloss  als  einen  nichtswürdigen  Gegenstand  erklärt.  Das  Sprüch- 
wort kam  wohl  daher,  weil  es  unentschieden  war,  ob  die  Ziege 
Haare  oder  Wolle  trägt,  vrgl.  Th,  Schmidt  zu  llorat.  Epp.  I, 
18,  15.  Das  Spruch  wort  de  una  fidelia  duos  imrietes  dealbare 
soll  als  von  dem  Falle  hergenommen  verstanden  werden,  wenn 
ein  Tüncher  von  der  ihm  zu  einer  bestimmten  Arbeit  hergegeb- 
nen Farbe  noch  heimlicher  und  unredlicher  Weise  eine  fremde 
Wand  anstreicht.  Darauf  führen  weder  die  Fassung  des  Sprüch- 
worts, noch  die  einzige  Stelle  wo  es  vorkommt,  Cic.  Epp.  ad 
Div.  VII,  2y,  wo  es  offenbar  so  viel  ist,  als  mit  Einem  Mittel 
mehrere  Zwecke  erreichen.  Minimo  provocare  ist  nicht  durch 
digito  zu  erklären,  v,  Heindorf  zu  llorat.  Sat.  I,  4,  14.  Die 
Massilischen  Sitten  hätten  bei  dem  grellen  Widerspruche  der 
Autoren  eine  gründlichere  Erörterung  verdient  nach  dem,  was 
Johannsen  l  et.  Massiliae  res  et  instituta.  p.  72  sqq.  u.  Brück- 
ner Uist.  Rerum  Massiliensium  p.  44  sqq.  darüber  bemerkt  und 
verrauthet  liaben  ,  am  wenigsten  sollte  die  Stelle  des  Piautus 
Cas.  V,  4  zum  JN achtheil  der  Massilier  erklärt  werden,  wie 
liier  geschieht. 

Der  Verf.  würde  sich  gewiss  ein  bedeutendes  Verdienst  um 
die  Litteratur  erwerben,  wenn  er  eine  Sammlung  der  aitrömi- 
schen  Sprüchwörter  seinem  S.  87  gegebnen  Versprechen  ge- 
mäss herausgeben  wollte.  Nur  müsste  mit  strengerer  Auswahl 
verfahren  werden.  Denn  z.  B.  alle  von  der  Stirn  ,  den  Augen, 
Händen  etc.  hergenommenen  und  hier  mitgetheilten  Ausdrücke 
gehören  so  wenig  zu  den  Sprüchwörteru ,  als  Rechts-  und 
SStaatsvcrwaltungs  -  Formeln. 


254  Alte     Litteratnr. 

Besondre  Liebe  und  besondren  Fleiss  hat  der  Verf.  dem 
zweiten  Aufsatze  ^^über  die  Volkslieder  der  alten  Römer''''  zuge- 
wendet, und  hier  freie  klare  üebersicht  des  Ganzen  mit  tiefe- 
rer Begriindung  des  Einzelnen  vereiniget.  So  ärmlich  im  Gan- 
zen die  Römische  Volkspoesie  war,  und  so  spärlich  die  Quellen 
sind,  aus  denen  eine  intuitive  Kenntniss  derselben  geschöpft 
werden  kann,  so  treu  ist  doch  der  Verf.  beinViht  gewesen,  ein 
so  viel  möglich  vollständiges  Bild  des  römischen  Volksgesangea 
aufzustellen,  und  alles  zusammen  zu  fassen,  was  sich  nach  der 
liier  getroffenen  Anordnung  1)  aufdenCnltus  bezieht  oder  2) 
Geschichte  in  poetischer  Form  enthält,  oder  3)  an  bedeutende 
allgemeine  Verhältnisse  und  wiederkehrende  Vorfälle  des 
menschlichen  und  gesellschaftlichen  Lebens  geknüpft  ist,  oder 
endlich  4)  einzelnen  Ständen  und  Beschäftigungen  angehört. 

])  Lieder  [axcmientd)  der  Salischen  Priester.  Einrich- 
tung der  Salier.  Inhalt  der  Lieder.  Lob  der  Götter  und  aus- 
gezeichneter Menschen.  Fragmente:  die  liturgischen  Gesänge 
der  arvalischen  Brüder;  alte  Gebetformeln  bei  Cato  de  11.  11., 
Ambarvalien;  Vergleicliungen  aus  der  katholischen  Kirche  (be- 
sonders in  der  Note),  Seitenblick  auf  Zauberei,  und  Zauberlie- 
der ;  Volksgesang  bei  Erntefest  und  Weinlese,  gewöhnlich 
mit  Scherz  und  herausfordernder  Neckerei  verbunden,  und  vor- 
zugsweise fescenninisch  genannt;  daraus  nach  der  bekannten 
Stelle  des  Livius  die  ersten  dramatischen  Versuche  der  Römer 
unter  dem  Einfluss  Etrurischer  Tänzer  und  Mimen.  Die  Sa- 
tura,  und  die  Atellanen,  nationell  und  im  Gegensatze  des  durch 
Livius  Andronicus  (514  p.  u.  c)  in  Gang  gebrachten  künstlich 
griechischen  Drama;  die  Darstellung  der  Atellanen  früher 
durch  Römische  Jünglinge,  später  durch  bürgerlich  geehrte 
Schauspieler.  Im  Ganzen  werden  die  Atellanen  für  identisch 
erkannt  mit  den  Saturen  oder  Exodien,  und  sind,  kleine  äu- 
sserliche  Verschiedenheiten  abgerechnet,  als  oscische  Fescen- 
ninen  und  Saturen  anzusehen  ,  wie  die  Saturen  als  Lateinische 
oder  Römische  Atellanen.  —  Für  Fortsetzung  beider  kann  die 
Commedia  dell'  Arte  der  neueren  Italiener  gelten.  Triiimph- 
lieder  nach  Art  der  Fescenninen,  meist  im  trochaeischen  Vers- 
maass,  in  welchem  die  meisten  Volkslieder  abgclasst  Avaren, 
wie  die  ältesten  christlichen  Hymnen.  Dergleiclien  Verse  meist 
mit  derbem  Witze  erwähnt  von  Livius  bei  dem  Triumphe  des 
Cincinnatus  (der  nach  einer  beiläufigen  Bemerkung  durch  gro- 
ssen Missverstand  zum  Repräsentant  des  Republikanismus  ge- 
macht worden  ist),  des  Dictator  Aemilius,  desCamillus,  der 
Consuln  M.  Valerius  und  Cornelius  Cossus,  Q.  Fabius,  Clau- 
dius Nero,  M.  Livius,  C.  Manlius,  bei  der  Ovation  des  Consul 
Valerius  Politus  etc.  Liv.  111,29;  IV,  20;  53;  V,  49;  VII,  38; 
X,30;  XXVIII,  9;  XXXIX,  7  ;  XLV,43;  vrgl.  Appian.  VIII, 
m  (nicht  76);  Dionys.  Hai.  Arch.  VII,  72.      Bekannt  sind  die 


Zells  Ferienscbriften.  255 

Spottverse  bei  den  Triumphzügen  der  Caesarn,  Suet  Jiil.  Caes. 
4J);  51;  Vespas.  19;  Plin.  II.  N.  XIX,  41 ;  Vell.  Pat.  11,(57; 
Vopiscus  in  Aurel.  c.  7.  Später  verlor  sich  luit  den  Triumphen 
selbst,  von  denen  nach  einer  Zählung  des  Onuphrius  Panvinius 
auf  die  Zeit  bis  August  300,  von  da  bis  Justinian  (550  Jahre) 
nur  80  kommen,  jene  Sitte  immer  nielir,  wenn  auch,  wie  noch 
hätte  bemerkt  werden  sollen,  der  militärische  Uebermuth  im- 
mer mehr  wuchs ,  der  sich  aber  mehr  in  frechen  Handlungen 
als  freien  Scherzen  Luft  machte,  vrgl.  Eichstaedt  praef.  zu 
Bernstein  Versus  Ludicri  in  Roraanorum  Caesares  priores  olim 
compositi  (Hai.  ISIO)  p.  XI  sqq.  Andre  Spottlieder  der  Rö- 
mer; occentare,  pipulus,  obvagulatio.  Strafe  der  12  Gesetzta- 
feln. Einzelne  Beispiele  auf  Sarmentus  (Schol.  Juv.  V,  3) ,  auf 
Jul.  Caesar,  Augustus,  Tiberius ,  Nero,  Domitian.  Verglei- 
chung  des  Pasquino  und  Masforio.  Hier  hätte,  wenn  nicht  die 
freilich  noch  bestrittene  Stelle  bei  Cic.  Philipp.  I,  15,  wo  die 
neueren  Herausgeber  populi  versus  dem  concursus  vorziehen, 
doch  das  von  Gellius  N.  A.  XV,  4  angeführte  Spottlied  auf 
Yeutidius  Bassus  angeführt  werden  sollen: 

Concurrlte   omnes  augures  haruspices ! 
Portentum  inusitatum  conflatum  eüt  recens, 
Kam  mulos  qui  fricabat,  consul  factus  est. 

wodurch  gelegentlich  zu  bemerken  eine  von  Ruhnkenius  nicht 
berührte  Anspielung  des  Muretus  Opp.  F.  I  p.  588  ed  Ruhuk. 
ihr  Licht  erhält. 

2.  Historische  Volkslieder.  Hauptzeugniss  des  Cato ,  aus 
dem  erhellt,  dass  bei  Gastmälern  das  Lob  berühmter  Männer 
zur  Flöte  gesungen  worden.  Hierzu  die  Zeugnisse  des  Varro 
bei  Nonius  s.x.  Puerae,  des  Iloratius,  Valerius  Max.,  Quintilian. 
Was  aus  Dionysius  Hai.  angeführt  wird  ist  unbestimmt,  eben  so 
zweifelhaft,  wie  die  Gesänge  abgesungen  wurden,  ob  durch 
einzelne  Gäste  der  Reihe  nach  (nach  Cato) ,  ob  durch  Sänger- 
knaben (nach  Varro),  ob  durch  Gesammtchor  der  ganzen  Ge- 
sellschaft (nach  Horaz).  Vielleicht  fanden  nach  den  Umstän- 
den alle  drei  Arten  Statt.  Eben  so  wurden  sie  wahrscheinlich 
bald  zur  Lyra  und  Flöte,  bald  ohne  Instrumentalbegleitung  ge- 
sungen. In  den  Leichenliedern  (naeniae)  war  auch  ein  histori- 
scher Inhalt.  Einen  Nachhall  davon  geben  die  Steinschriften, 
von  denen  die  in  Versen  abgefassten  Grabschriften  der  Scipio- 
nen  merkwürdig  sind.  Die  Thaten  der  triumphirenden  Feld- 
herren wurden  in  saturninischen  Versen  abgefasst,  auf  Tafeln 
verzeichnet  und  auf  das  Capitol  gestellt,  v.  Attilius  Fortunat.  p. 
2679;  Liv.  XL,  52  (Hermann  Elem.  Doctr.  metr.  p.  610);  XLI, 
33.  Ueber  das  Verhältniss  dieser  historischen  Lieder  zu  der 
Römischen  Geschichte  werden  Niebuhrs  und  W.  Schlegels  An- 
sichten mitgetheilt,  und  was  der  erstereüber  ein  grosses  plebe- 


256  AlteLitteratnr. 

jisclies  Nationalgedicht  vermuthet,  mit  ähnlichen  Gründen  in 
Zweifel  gezogen,  wie  sie  gleiclizeitig  Blum  in  der  Einleitung 
zu  Roms  alter  Geschichte  S.  16  f.  gegeben  hat.  Zum  Schluss 
wird  noch  das  Saiva  Roma  aus  Suet.  Caligula  c.  0,  wir  fVirchten 
am  unrechten  Orte,  erwähnt,  da  ein  solcher  durch  ein  glückli- 
ches Ereigniss  erzeugter  Freuderuf  doch  dem  Volksliede  nicht 
angehört. 

3.  Liebes- und  ITochzeitlieder.  Horat.  Sat.  T,5,15.  Ständ- 
chen bei  Plaut.  Cure.  J,  2,  150  ganz  in  volksmässigem  Ton 

Riegel,  ihr  Riegel  ich    grüsse   euch   inniglich, 

O   ich    lieb'   und  verehr   euch   und  bitt  flehentlich: 

Gebt  mir   nach,  Riegelein,   folget  dem  liebenden,     u.  s.  w. 

Catulls  Gesang  auf  die  Hochzeit  des  Manlius  und  der  Julia. 

4.  Soldatenlieder.  Suet.  Galba.  c.  6.  Poetische  Bauerre- 
geln (s.  Festus  s.v.  Flatninns  Camillus^  Hermaim  1.  1.  p.  038), 
Schiö-  und  Bettlerlieder  (Schol.  Horat.  adEpp  1,17,48;  Gesn. 
Thes.  s.v.  celeiisina),  Lieder  beim  Weben  (TibuU.  11,1,66). 

Auf  die  Frage,  ob  und  wie  viel  dem  Heime  Platz[vergönnt  wor- 
den sey,  ist  nirgends  Rücksicht  genommen ,  wiewohl  die  Spu- 
ren desselben  zumal  in  dem  gemeinen  Volkslied  nicht  zu  ver- 
kennen sind.  Ohne  mit  Kannegiesser  (das  erste  Buch  der 
Odyssee),  Thorlacius  (Opuscul.  T.  IV),  Vanderbourg  (Les  ödes 
d'Horace  praef.  p.  XI,  sqq.)  auf  zufällige  Reime  allzuviel  Werth 
zulegen,  können  wir  doch  das  Daseyn  und  den  absichtlichen 
Gebrauch  desselben  nicht  schlechthin  läugnen  (vrgl.  die  Citate 
und  Beispiele  bei  Sauten  zum  Terentianus  Maurus  de  Metris  p. 
197  ff.),  am  wenigsten  Mie  gesagt  in  dem  hier  behandelten  Ge- 
biet, wo  z.  B.  einige  der  angeführten  Soldatenlieder  und  Zau- 
bersprüche dafür  zeugen,  vrgl.  J.  H.  Voss  zu  Virgil.  Eclog. 
VIII,  80.  Uebrigens  mögen  wohl  noch  da  und  dort  Andeu- 
tungen und  Fragmente  alter  Römischer  Volkslieder  vorkom- 
men, die  später,  wie  diess  in  der  neueren,  nahmentlich 
deutschen  Litteratur  der  Fall  ist,  ins  Künstliche  verarbei- 
tet wurden.  Desgleichen  könnte  man  besonders  in  den 
Fasten  des  Ovid  vermuthen,  die  von  dem  Verf.  nicht  genug  be- 
achtet scheinen.  Der  Lobgesang  z.  B.  auf  den  Terminus  II, 
659  sqq. ;  das  Gespräch  zwischen  Jupiter  und  Numa  III,  337 
sqq.  vrgl.  mit  Ärnobius  adv.  gent.  V,  1;  die  Sage  von  der  Anna 
Perenna  III,  60  sqq.,  bei  deren  Feste  viel  Alterthümliches  (Fe- 
scenninisches)  aber  auch  modern  dramatisches  (v.  535)  gesun- 
gen wurde;  die  Sage  vom  Silen  und  dem  Bienenschwarm  IIF, 
745  sqq. ;  die  Anrede  des  Flamen  Quirinalis  an  die  Robigo  IV, 
911  sqq. ;  das  Gebet  des  Hirten  an  die  Paies  IV,  747  tragen 
nach  des  Ref.  Gefühl  die  Zeichen  an  sich  eines  uralten  früher 


Koliersteins  Grundrlss  zur  Geschickte  der  deutsch.  Nationallittcratur.  257 

schon  poetisch  bearbeiteten  Stoffes,   der  nur  dem  verwöhnten 
Gesclimack  der  damaligen  Zeit  nicht  mehr  zusagte. 

Was  andre  Scliriflsteller,  wie  Appulejus,  Petronius,  selbst 
christliche,  wieLactantius,  Arnobius  u.A.Aehnliches  bieten,  was 
in  dem  Schutte  der  Scholiasten  und  Grammatiker  noch  verbor- 
gen liegt,  wartet  nur  noch  auf  eine  Wünschelruthe,  die  nie- 
mand besser  zu  schlagen  versteht,  als  der  Verf.  selbst,  der 
durch  Fortsetzung  dieser  lehrreichen  Unterhaltungen  gewiss 
den  Wunsch  vieler  befriedigen  wird. 

A.  G.  Lange. 


Deutsche    Litteratur. 


Grundriss  zur  Geschichte  der  Deutschen  Natio- 
nal-Litte  rat  tir.  Zum  Gebrauche  auf  gelehrten  Schulen 
entworfen  von  August  Koberstein.  Leipzig  bei  Vogel  1827.  VIII 
u.  300  S.    8. 

-U'er  unterzeichnete  Recensent  trägt  nicht  das  mindesteBeden- 
ken,  nach  vielfältiger  Erwägung  das  vorliegende  Handbuch  der 
Deutschen  Litteratur -Geschiclite  unter  allen,  die  ihm  bis  jetzt 
zu  Gesichte  gekommen  sind,  für  das  beste  und  zweckmässigste 
zum  Gebrauche  auf  Gymnasien  gleich  vorn  lierein  zu  erklären. 
Es  wäre  daher  sehr  wünschenswert!!,  dass  ein  Mann,  wie  der 
Verfasser  dieses  Grundrisses,  Zeit  und  Mühe  nicht  sparen 
möchte,  um,  wie  zu  Ende  des  Vorwortes  angedeutet  wird,  eine 
Sammlung  von  Musterstellen  aus  den  vorzüglichsten  Deutschen 
Dichtern  und  Prosaikern  alter  und  neuer  Zeit,  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  Entwickelungsganges  unserer  Sprache,  zu 
veranstalten.  Erst  durch  eine  solche  Methode  des  Unterrich- 
tes in  der  Muttersprache  wird  der  alte  und  schlaffe  Schlendrian, 
womit  bisher  auf  den  meisten  Gymnasien  dieser  Zweig  betrie- 
ben wurde,  allmählig  weichen  und  etwa  nur  noch  das  Erbtheil 
unverbesserlicher  Pedanten  bleiben. 

Der  Verf.  stellt  in  der  Einleitung  einen  Unterschied  fest 
zwischen  Litteratur  der  J)eufsche7i  und  der  Deutschen  JSatio- 
nal- Litteratur'.  erstere  soll  die  Gesammtheit  der  von  den  Deut- 
schen in  Sprache  und  Schrift  niedergelegten  Geistesproducte 
umfassen,  ohne  Rücksicht  auf  Form  und  Inhalt  derselben; 
letztere  nur  diejenigen  schriftlichen  Werke,  welche  auf  künst- 
lerischem Wege  hervorgebracht,  sowohl  ihrer  Form,  wie  ihrem 
innern  Wesen  nach  ein    eigenthüralich  Deutsches  Gepräge  an 

Jahrb.  f.  Phil.  n.  Pädnff.  Jahrg.  V.  Hejt  3.  1  7 


258  Deutsche   Littcratur. 

sich  tragen,  wodurch  sie  eich  von  den  litter  arischen  Erzeug- 
nissen andrer  Nationen  unterscheiden.  Wir  zweifeln ,  ob  sich 
diese  Unterscheidung  folgerecht  durchführen  lässt.  Denn 
wenn  wir  finden,  dass  Hr.  K.  die  Bibelübersetzung  des  ülfilas, 
eine  Menge  andrer  Althochdeutscher  Uebersetzungen  sowohl 
geistlichen  als  weltlichen  Inhalts,  ja  sogar  die  Glossen  in  sei- 
nem Grundriss  der  Deutschen  National -Litteratur- Geschichte 
berücksichtigt  hat;  so  entsteht  doch  eigentlich  ein  Wider- 
spruch, wenn  man  seine  Definition  damit  vergleicht,  und  wir 
dürften  uns  geneigt  fühlen  zu  glauben,  als  habe  derVerf  in  den 
ersten  Perioden  eine  Ausnahme  von  der  Regel  machen  und  we- 
gen der  Beschränktheit  der  Litteratur-Quellen  lieber  alles  mit 
aufnehmen  wollen,  was  auf  die  Nachwelt  vererbt  worden  ist. 
Wir  können  das  an  und  für  sich  nur  billigen,  hätten  aber  ge- 
wünscht, dass  dieseAusdehnung  der  festgesetzten  Grenzen  nicht 
ganz  stillschweigend  vorgenommen  worden  wäre. 

Das  Gesammtgebiet  der  Deutschen  Litteratur- Geschichte 
wird  hier  in  sieben  Perioden  getheilt:  l)  Von  den  ältesten  Zei- 
ten bis  auf  Carl  den  Grossen;  2)  Von  Carl  dem  Grossen  bis  zur 
Thronbesteigung  der  Hohenstaufen ;  3)  Von  der  Thronbestei- 
gung der  Hohenstaufen  bis  in  die  Mitte  des  vierzehnten  Jahr- 
hunderts, oder  bis  zur  Gründung  der  ersten  Deutschen  Univer- 
sitäten; 4)  Von  da  bis  zur  Reformation  im  Anfange  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts;    5)  Von  der  Reformation  bis  auf  Opitz; 

6)  Von  Opitz  bis  gegen  die  Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts; 

7)  Von  da  bis  auf  die  neueste  Zeit.  Gegen  diese  Eintheilung 
Hesse  sich  einwenden,  dass  sie  nicht  ganz  logisch  durchgeführt 
ist,  und  dass  die  vorzüglichsten  Zeitabschnitte  in  der  Entwicke- 
lung  der  Deutschen  Litteratur  nicht  scharf  und  bestimmt  genug 
bezeichnet  sind.  Denn  wenn  man  erwägt,  welchen  Gang  die 
Sprache  genommen  hat,  von  der  ersten  bis  zur  zweiten  Periode, 
von  der  zweiten  bis  zur  dritten,  von  der  dritten  bis  zur  vierten, 
und  hinwiederum  in  den  nächstfolgenden,  so  entsteht  ein  völlig 
ungleiches  Verhältniss.  Zwischen  der  Gothischen  und  Altdeut- 
schen Sprache  ist  ein  ausserordentlich  grosser  Unterschied, 
nicht  weniger  zwischen  der  Altdeutschen  und  Mitteldeutschen 
Sprache,  aufweiche  zunächst  das  Neulrochdeutsche  folgt.  Die- 
sem selbst  aber  sind  drei  Perioden  angewiesen,  während  es  an 
und  für  sich  nur  EineEntwickelungsstufe  unsrer  Sprache  bildet. 
Wir  würden  uns  daher  lieber  so  geholfen  haben,  dass  wir  die 
Hauptentwickelungsstufen  der  Sprache  zum  Grunde  gelegt  und 
diese  wieder  da,  wo  es  nöthig  schien,  in  Unterabtheilungen  ge- 
bracht hätten,  ungefähr  folgendergestalt: 

L  Die  ersten  Keime  des  geistigen  Lebens  unter  den  Ger- 
manen. 

II.  Gothische  Sprache. 

III.  Altdeutsche  Sprache. 


Kobersteins  Grundriss  zur  Geschichte  der  deutsch.  Nationallitteratur.  259 

1)  Ober-  oder  IIo cli deutsch • 

2)  Niederdeutsch. 

IV.  Mitteldeutsche  Sprache. 

(Hier  erscheint  die  Hochdeutsche  oder  Schwäbische  Mundart 
als  die  herrschende  in  der  Schriftsprache,  und  die  wenii^en 
Denkmale,  die  ins  Niederdeutsche  hinüberstreifen  ,  verdienen 
in  einer  Darstellung  der  Litteraturgeschichte  kaum  berücksich- 
tigt zu  werden.  Vergl.  J.  Grimms  deutsclie  Gramm.  I  p  752 
iF.  Doch  sind  liier  zvvei  Abschnitte  zu  unterscheiden,  die  in 
der  Poesie  hauptsächlich  durch  die  ritterlichen  Minnesänger 
und  durch  die  späteren  Meistersänger  unter  der  Pflege^  der 
Handwerker  sich  trennen,  beiHrn.  K.  diedritteu.viertePeriode), 

V.  Neuhochdeutsche  Sprache. 

1)  Von  Luther  bis  Opitz. 

2)  Von  Opitz  bis  Klopstock. 

3)  Von  Klopstock  bis  Göthe  und  seine  Zeitgenossen. 
Nach  diesen  Bemerkungen  über  die  Anordnung  und  Ver- 

theilung  des  Stoffes  wollen  wir  nunmehr  zur  Betrachtung  eii- 
zelner  Puncte  fortschreiten,  zum  Theil  um  unser  günstiges  Ur- 
theil  über  das  Werk  zu  bekräftigen,  zum  Theil  auch,  um  Eini- 
ges zur  Sprache  zu  bringen,  wo  wir  andrer  Meinung  sein  zu 
müssen  glaubten.  Gleich  im  ersten  Abschnitt  der  ersten  Pe- 
riode handelt  der  Verfasser  mit  musterhafter  Gründlichkeit 
über  den  Ursprung  der  Deutschen,  ihren  Culturzustand  in  den 
ältesten  Zeiten  und  ihre  Poesie.  Unter  dem  Texte  eines  jeden 
Paragraphen  sind  die  Quellen  genau  verzeichnet ,  wodurch  dem 
Lehrer,  der  sich  prüfend  von  allem  erst  überzeugen  will,  bevor 
er  es  nachspricht,  ein  unschätzbares  litterarhistorisches  Reper- 
torium  gegeben  ist,  wie  es  bisher  wenigstens  noch  nicht  vor- 
handen war.  Man  könnte  in  dieser  Hinsicht  W  a  c  h  I  e  r  s  Lehr- 
buch der  politischen  Geschichte  (für  Gymnasien  und  Vorlesun- 
gen gewiss  das  bi'auchbarste  unter  allen,  die  es  giebt)  damit 
vergleichen,  und  leicht  auf  die  Verrauthung  kommen,  als  ob 
das  erstere  dem  letzteren  zum  Vorbilde  gedient  habe.  Die 
Verwandtschaft  der  Germanen  mit  den  Lidern,  Persern  und 
Griechen  geht  aus  den  Sprachdenkmalen  dieser  Völker  selbst 
hervor,  und  es  spricht  dafür  auch  die  in  nordischen  Sagen  über- 
lieferte Einwanderung  Odins  aus  Asien.  Die  diesen  Völker- 
schaften gemeinschaftliche  Buchstabenschrift  zeigt  sich  bei  den 
Deutschen  in  den  Runen.  „Dieses  Runenalphabet,  sagt  Hr.  K. 
S.  4,  scheint  Ulfilas  dem  in  seiner  Bibelübersetzung  gebrauch- 
ten zum  Grunde  gelegt,  nicht  aber  ein  ganz  neues  erfunden  zu 
haben,  wie  Griechische  Schriftsteller  des  fünften  und  Lateini- 
sche des  6ten  und  Uten  Jahrh.  berichten."  Wir  möchten  die 
Richtigkeit  dieses  Ausspruches  in  seiner  vollen  Ausdehnung  be- 
zweifeln, da  das  Alphabet  des  Ulfilas  grösstentheils  aus  Grie- 
chischen Buchstaben  besteht,  und  nur  ein  kleinerer  Theil  des- 

17* 


2()0  Deutsche    Litteratur. 

Beiben  auf  die  Runen  zurückzuführen  ist.  Auch  die  äussere 
Gestalt  der  meisten  Buchstaben  ist  so  beschaffen,  ^vie  die  der 
Griechisclien  ;  einige  dagegen  sehen  ganz  eigenthüralicli  aus 
»uid  mögen  aus  dem  Runenaiphabet  entlehnt  sein.  Am  wahr- 
scheinlichsten ist  es  daher,  dass  Ulfilas,  dessen  Muttersprache 
die  Griecliische  war,  das  Griecliische  Alphabet  in  seiner  Go- 
thischen  Bibelübersetzung  zum  Grunde  legte  und  hier  und  da 
die  Runenschrift  zu  Hülfe  nalim.  —  Der  Vorwurf  der  Roheit 
trifft  unsre  Altvordern  keineswegs ,  nur  darf  auch  der  Grad  ih- 
rer Bildung  nicht  zu  hoch  angeschlagen  werden.  Volkspoesie 
scheint  seit  uralter  Zeit  unter  ihnen  gelebt  zu  haben,  wie  aus 
mehreren  Stellen  des  Tacitus  mit  Sicherheit  gefolgert  werden 
kann.  Die  Form  dieser  Poesie  scheint  allitterirend  gewesen  zu 
sein,  und  ein  Beispiel  der  Art  Hesse  sich  in  dem  Hiidebrands- 
liede  nachweisen,  das  zwar  der  Sprache  nach  in  eine  spätere 
Zeit,  als  die  des  Tacitus,  fallen  dürfte,  aber  die  ursprüngliche 
Form  beibehalten  hat.  Die  Barden  werden  mit  Recht  an  die 
Gallier  verwiesen,  und  der  deutsche  banitus  (Tacit.  Germ.  c. 
3)  wird  als  etwas  mit  jenen  in  gar  keiner  Verbindung  stehen- 
des erklärt.  —  Der  zweite  Abschnitt  handelt  von  der  Verbin- 
dung der  Deutschen  mit  i!iQi\  Römern,  von  der  Völkerwande- 
rung, vom  Einfluss  des  Christenthums  auf  die  Bildung  der 
Deutschen ,  und  von  den  ältesten  Denkmaien  der  Sprache.  S. 
11  ist  unter  den  litterarischen  Notizen  nr.  2  noch  nachzutragen: 
Mva7igelü  secimdum  Mattliaeiim  versio  Francica  saeculi  IX.,  nee 
iion  Golhica  saeculi  IV  quoad  supercst.  Ed.  J.  A.  Schmeller. 
Stuttg.  1828.  8.  Mächst  Ulfilas  werden  hierher  gezogen  als 
Denkmale  der  Althoclideutschen  Sprache  aus  vorcarolingisclier 
Zeit  die  Uebersetzung  des  Isidorischen  Tractats  de  nativitate 
domini,  der  Regel  des  H.  Benedictus  von  Kero,  Beicht-Formeln 
u.  s.  w.,  endlich  auch  die  sogenannten  Fränkischen  Kirchenlie- 
der, von  denen  bis  jetzt  nur  vier  herausgegeben  sind,  obgleich 
Juni  US  (Vorrede  zum  Goth.  Glossarium)  deren  noch  26  hatte, 
die  nun  neuerdings,  was  S.  12  nachträglich  zu  bemerken  ist, 
in  Oxford  wieder  aufgefunden  worden  sind,  und  hoffentlich 
bald  herausgegeben  werden.  S.  Grimm  in  der  Vorrede  zum 
2n  Bde.  der  Deutschen  Gramm.  Zu  den  S.  13  angeführten  Glos- 
sen füge  man  ausser  den  von  Graf  f  in  der  Diutiska  abgedruck- 
ten noch  eine  besondere  Sammlung  Iiinzu:  AUhochdeutsc/ie 
Glossen.  Von  H.  Hoffmann.  Nebst  einer  litt.  Uebcrsicht  alt- 
hochdeutscher und  angelsächsischer  Glossen.  Breslau  182({.  4. 
Vergleiche  Wiener  Jahrbücher  der  Litteratur  Bd.  41,  Anzeigc- 
tlatt  S.  14  ff.  —  Das  Fortleben  der  Poesie  unter  dem  Volke 
gibt  sich  kund  aus  einzelnen  Nachrichten  und  aus  Ansätzen  zu 
der  eigenthümlich  Deutschen  Heldensage  in  Liedern,  die  aber 
noch  nicht  aufgezeichnet  wurden,    wie   das  Hiklebrandslied, 


Kuberstcins  Grundrlss  zur  Gosclücbte  der  deutsch.  Nutionallittcrcitur.    2G1 

welches  vielleicht  Jahrhunderte  früher  gedichtet,  als  aufge- 
schrieben ward. 

Die  zweite  Periode  zerfällt  abermals  in  zwei  Abschnitte. 
1)  Carls  des  Grossen  Verdienste  um  die  Bildung  der  Deutschen. 
—  Blüthe  und  Verfall  der  Kloster-  und  Doraschulen.  —  Ander- 
weitige Begünstigungen  für  die  Entwickelung  des  Deutschen 
Geistes.  2)  Denkmäler.  Prosaische  Werke.  Nachrichten  über 
den  Volksgesang.  Auf  uns  gekommene  Gedichte.  Die  meisten 
Schriftwerke  dieses  Zeitraums  sind  geistlichen  Inhalts.  Zu  den 
Ausgaben  von  Willerams  Uebersctzung  und  Auslegung  des 
Hohenliedes  kommt  jetzt  noch  die  von  II  off  mann  hinzu,  in 
doppelten  Texten  aus  der  Breslauer  und  Leydencr  Handschrift. 
Breslau  1827.  8.  Selbstständiger  und  freier ,  als  die  prosai- 
sche Litteratur,  gestaltete  sich  die  poetische,  worüber  in  vier 
§§  (20—29)  gehandelt  wird.  S.  24  Anm.  1  wird  des  Streites 
erwähnt,  der  sich  zwischen  Grimm  und  A.  W.  Schlegel 
wegen  Erklärung  der  Worte  memoriae  manilavit  bei  Eginhart 
Vita  Caroli  M.  c.  2ü  entsponnen  hat.  Hier  ist  wohl  das  Recht 
unstreitig  auf  Schlegels  Seite,  der  übersetzt:  „er  sorgte  fiir  die 
Aufbewahrung  der  Lieder ,  übergab  sie  dem  Gedächtniss  der 
Nachwelt."  Dafür  spricht  nicht  nur  die  Stelle  des  Poeta  Saxo 
über  denselben  Gegenstand  [barbara  mandavit  carmiiia  litterji- 
lis)  sondern  sogar  ein  locus  classicus  bei  Tacitus  Germ.  c.  2, 
wo  memoria  in  gleicher  Bedeutung  gebraucht  ist.  Hr.  K.  lässt 
es  unentschieden,  ob  das  Bruchstück  des  Hildebrandsliedes  zu 
der  von  Carl  dem  Grossen  veranstalteten  Sammlung  gehörte: 
wir  aber  müssen  gestehen,  dass  nach  Grimms  Erörterungen  die 
Sache  wenigstens  eine  ausserordentliche  Wahrscheinlichkeit 
für  sich   hat. 

Sowie  das  Hildebrandslied  für  die  AUitterations-Poesie,  so 
ist  das  Ludwigslied  das  wichtigste  Altdeutsche  Denkmal  für  den 
Reim ,  der  erst  später  in  der  Volkspoesie  als  Organ  dem  Ge- 
dächtniss zu  Hülfe  gekommen  zu  sein  scheint.  Die  Beschrei- 
bung der  Form  dieses  Gedichtes  scheint  uns  zu  kurz  und  zu 
unbestimmt  ausgefallen  zu  sein:  „Es  ist  strophisch  und  in  Rei- 
men abgefasst."  Es  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  die  ein- 
zelnen Strophen  aus  vier  kleineren  Zeilen  (im  Gegensatze  zu 
den  grösseren,  wie  im  epischen  Vers  des  Gedichtes  von  der 
Niebelungen  Noth  u.  s.  w.)  bestehen,  wovon  sich  jedesmal  die 
zwei  ersteren  und  zwei  letzteren  reimen.  Auch  hätte  nicht  un- 
erwähnt bleiben  sollen,  dass  die  Sprache  des  Ludwigsliedes 
noch  mehr  Fränkisches  Gepräge  an  sich  trägt,  als  die  des  Ot- 
fried,  und  nicht  nur  eine  grosse  Fülle  des  Wohllautes,  sondern 
auch  Kraft  des  Ausdrucks  und  Lebendigkeit  der  Darstellung 
enthält. 

Die  dritte  Periode  betrachtet  in  drei  Abschnitten  1)  die 
äussern  und  innern  Verhältnisse  Deutschlands  in  ihrer  Einwir- 


262  Deutsche    Litteratur. 

kung  auf  die  Entwickelung  und  den  beginnenden  Verfall  der 
Poesie,  und  die  wissenschaftlichen  Bildungsanstalten  der  Deut- 
schen; 2)  die  epische  Poesie;  3)  die  lyrische  und  didaktische 
Poesie,  endlich  die  Prosa.  S.  39  wird  nach  der  allgemeinen 
Eintheilung  des  Deutschen  epischen  Sagenstoffes  in  einheimi- 
schen und  fremden  der  letztere  ganz  richtig  wieder  in  zwei 
Hauptmassen  geschieden:  a)  die  romantischen,  b)  die  antiken 
Ritter-  und  Heldendichtungen.  Die  romantischen  epischen 
Gedichte  sind  entweder  auf  Französischem  oderEnglischera  Bo- 
den entsprungen  und  von  dorther  nach  Deutschland  gewandert. 
Nach  dieser  durchaus  logischen  Eintheilung  scheint  es  uns  un- 
logisch, wenn  §  41 — 49  die  gesammte  epische  Poesie  unter  sie- 
ben Rubriken  abgehandelt  wird,  welche  weder  als  subordinirt, 
noch  als  coordinirt  zu  rechtfertigen  sind.  —  S.  44  Anra.  10  ist 
unseres  Bedünkens  das  trefflichste  und  volksthümlichste  epische 
Gedicht  von  der  Niebelungen  Noth  zu  kurz  abgefertigt:  „das 
erste  Gedicht  in  der  auf  uns  gekommenen  Gestalt  aus  dem  An- 
fange des  ISten  Jahrh.  ist  in  der  vierzeiligen  [hätte  auch  ge- 
nauer bezeichnet  werden  sollen  im  Gegensatze  zu  den  kleine- 
ren Zeilen,  wie  im  Ludwigsliede]  Strophe,  das  zweite  [die 
Klage]  in  kurzen  Reimpaaren."  Hierauf  folgen  die  Ausgaben, 
unter  welchen  die  des  Freiherrn  Jos.  von  Lassberg  1821 
erst  in  den  Nachträgen  angeführt  wird,  mit  dem  Zusätze;  „Sie 
ist  ein  Abdruck  der  ersten  Hohen-Emser  Handschrift."  Sie  ist 
aber  ein  Abdruck  von  der  zweiten  (im  Gegensatz  zu  der  erste- 
re«  oder  älteren,  die  sich  jetzo  in  München  befindet  und  der 
Lachmannschen  Ausgabe  zum  Grunde  liegt)  Hohen  -  Emser 
Hnds. ,  gegenwärtig  im  Besitze  des  Freiherrn  von  Lassberg. 
Vrgl.  Lachmanns  Ausg.  Vorrede  S.  IV,  C.  Unter  den  Erläute- 
rungsschriften über  das  Gedicht  vermissen  wir  ungern  eine 
Verweisung  auf  A.  W.  Schlegels  geistreiche  Abhandlung  im 
deutschen  Museum,  die  hoffentlich  im  dritten  Bande  seiner  ver- 
mischten Schriften  eine  Stelle  finden  wird.  Schlegel  hat  zwar 
selbst  die  Ansicht,  dass  Heinrich  von  Offerdingen  Bearbeiter 
der  gegenwärtigen  Gestalt  sein  dürfte,  wieder  aufgegeben;  al- 
lein die  Schrift  ist  in  andrer  Hinsicht  auch  äusserst  belehrend,  so 
dass  sie  wenigstens  nicht  der  Vergessenheit  übergeben  werden 
sollte.  Auch  kann  noch  auf  Solgers  nachgelassene  Schrif- 
ten Bd.  1  S.  124  verwiesen  werden,  wo  er  unser  Gedicht  sei- 
ner Anlage  nach  über  die  Ilias  gestellt  wissen  will.  —  Zu  den 
romantischen  Gedichten  des  zwölften  Jahrhunderts  ist  neuer- 
lich hinzugekommen  ein  von  W.  Grimm  herausgegebenes 
Bruchstück:  Grave  Ruodolf.  Göttingen  1828.  4-  S.  48  Anm. 
8  ist  nachzutragen:  Iwein  der  ritter  mit  dem  lewefi  getihtet 
von  dem  he/n  Hartman  dienstman  ze  Ouive.  Herausg.  v.  G.  F. 
Benecke  und  K.  Lachmann.  Berlin  1827.  8. 


Koberstelns  GruadriüS  zur  Gesvlüchte  der  deutsch.  Natiouallittcrutur.  2Gä 

In  der  Darstellung  der  lyrischen  Poesie  betrachtet  der 
Verf.  mit  J.  Grimm  die  Lieder  der  Deutschen  Meister-  und  Min- 
nesänger «rsprxinglich  als  identisch,  jedoch  mit  dem  Unter- 
schiede, dass  diese  meisterliche  Kunst  allerdings  mit  der  Zeit 
erstarrte  und  zu  einer  geistlosen  Reimerei  in  den  spc'ilereft 
Meistersängerschulen  herabsank.  Ebenso  wird  mit  vollem  Recht 
der  Deutsche  Meistergesang  als  ein  edler  Auswuchs  aus  dem 
Volksgesang  dargestellt  durch  Verfeinerung  und  weitere  Aus- 
bildung der  Form  des  letztern,  durch  Erhebung  des  Standes 
der  Sänger  und  durch  den  in  diesem  Zeitalter  iiberwiegenden 
Hang  zum  subjectiven  lyrischen  Princip.  Der  Geist,  welcher 
diesen  Poesien  zum  Grunde  liegt,  ist  so  original,  trägt  so  durch- 
aus den  Stempel  der  Nationalität,  dass  selbst  da,  wo  Nachah- 
mungen statt  gefunden  haben  mögen,  diese  erst  in  den  Deut- 
schen Volksgeist  eingetaucht  in  ganz  eigenthiimlicher  Gestalt 
ans  Licht  getreten  sind.  Nur  ein  einziges  Beispiel.  Der  pro- 
ven9alische  Troubadour  Peyrol  (Raynouard  Choix  des  poesies 
originales  des  Troubadours  V,  282)  singt  nach  derüebersetzung 
von  Fr.  Dietz  also: 

Rauben  möcht'   ich,   oder  mir 
Stehlen   einen   Kiiss   von  ihr; 
Sollte  sie  drum   Streit  erheben. 
Wollt'   ich  ihr   ihn  wiedergeben. 

Um  wie  viel  gemüthlicher  dagegen  Walther  von  der  Vogel  weide 
Ausg.  von  Lachmann  S.  54,  7. 

Si  hat  ein  küssen,   daz  ist  rot: 

gewünnc  ich   daz  für  mincn  munt, 

so   stüende  ich   üf  von   dirre  nüt 

und  waere   euch  ieraer  me   gesunt. 

swä  si   daz   an  ir  wengel   legt, 

da  waere  ich   gerne  nahe  bi : 

ez   smecket,  so   manz   iendcr  regt, 

alsam  ez  vollez  balsamen  si. 

daz  gol  si  lihen  mir: 

swie  dicke  so  siz   wider  wil,  so  gibe  ichz  ir. 

Ebenso  hat  sich  ja  auch  später  in  Italien  der  Minnesang  ganz 
eigenthümlich  gestaltet,  ohne  dass  an  eine  eigentliche  Nachah- 
mung gedacht  werden  darf.  Man  kann  hieriiber  noch  verglei- 
chen die  Poesie  der  Troubadours  von  Fr.  Diez.  Zwickau  1827. 
S.  255  ff.  Die  auf  uns  gekommenen  Lieder  der  alten  Meister- 
sänger sind  ihrem  Inhalte  nach  in  vier  Classen  getheilt:  l)  die 
eigentlichen  Minnelieder  von  vielseitigem  Umfange.  Hr.  K. 
macht  die  ganz  richtige  Bemerkung,  dass  man  Einförmigkeit 
diesen  Gedichten  nur  vorwerfen  könnte,  wenn  man  davon  ab- 
sehe ,     dass    es   zu    allen    Zeiten,    in    denen  ein   wahrhaft 


264  Deutsche    Litteratur. 

poetisches  Leben  herrschte,  auch  nicht  an  schlechten  Dichtern 
und  namentlich  nicht  an  zahlreichen  Nacliahraern  dessen  ge- 
fehlt hätte,  was  als  vortrefflic  \  anerkannt  wurde.  Der  frucht- 
barste und  kunstreichste  unter  allen  hierher  gehörigen  Minne- 
sängern ist  Walther  von  der  Vogelweide,  dessen  Gedichte  nun 
auch  in  einer  kritischen  Ausgabe  besonders  erschienen  sind : 
Die  gedickte  Walthers  von  der  Vogelweide.  Hermisg.  vo?i  K. 
Lachmami.  Berlin  1827.  8.  2)  Die  religiösen  lyrischen  Ge- 
dichte. S)  Die  an  Fürsten  und  Edle  gerichteten  Lob-  und  Straf- 
lieder, Klagelieder,  endlich  die  aus  jenen  hervorgegangenen 
politischen  Lieder.  4)  Moralische  Lieder,  Gleichnisse,  Fabeln 
undRäthsel.  In  der  didaktische?!  Poesie  nimmt  wohl  den  höch- 
sten Rang  Frigedanc  ein,  wahrscheinlich  ein  angenommener 
Name,  worüber  A.  W.  Schlegel  in  seiner  Berichtigung  eini- 
ger Missdeutungen  S,  49  sich  also  äussert:  „Möchten  wir  nur 
mit  der  Kraft  unserer  Väter  auch  etwas  von  ihrer  Freimüthig- 
keit  geerbt  haben !  Der  Freigedank,  zum  Beispiel,  entspricht 
seinem  Namen  vollkommen.  Das  Buch  enthält  zwar  theologi- 
sche Sprüche  nach  dem  katholischen  LehrbegriflF ;  aber  auch 
Sinnsprüche  voll  philosophischen  Tiefsinns ;  aber  auch  Aeus- 
serungen  über  die  kirchlichen  Missbräuche,  deren  Kühnheit  in 
Erstaunen  setzen  muss."  Möge  der  dort  zugleich  in  Anregung 
gebrachte  Wunsch  einer  kritischen  Ausgabe  recht  bald  in  Er- 
füllung gehen!  —  Die  prosaischen  Schriftwerke  sind  wie  in 
jedem  Zeitalter,  wo  die  Poesie  das  Leben  des  ganzen  Volkes 
durchdringt,  hinter  dieser  in  ihrer  Entwickelung  weit  zurück- 
geblieben. Bis  jetzt  sind  nur  bekannt  geworden  der  Sachsen- 
und  Schwaben -Spiegel  und  die  Predigten  des  Franciscaners 
Berthold. 

Der  Grund,  dass  Hr.  K.  für  den  Zeitraum  zwischen  der 
Mitte  des  14ten  und  dem  Anfange  des  Ißten  Jahrhunderts  ei- 
nen Hauptabschnitt  bestimmt  hat,  scheint  hauptsächlich  in  dem 
selbstständigern  Hervortreten  der  Deutschen  Prosa  zu  liegen. 
„Manches,  fügt  der  Verf.  hinzu,  was  in  den  Verhältnissen  die- 
ser Zeit  nachtheilig  auf  die  Poesie  wirken  rausste,  erwies  sicli 
als  förderlich  für  die  Ausbildung  der  Prosa."  Das  können  wir 
allerdings  nicht  bestreiten,  denn  es  ist  historisch  ausgemacht: 
dagegen  glauben  wir  in  diesem  Factum  noch  keinen  hinlängli- 
chen Grund  zur  Festsetzung  einer  besondern  Periode  zu  finden. 
Die  Deutsche  Sprache  dieses  Zeitraums  ist  weder  reines  Mittel- 
hochdeutsch, noch  reines  Neuhochdeutsch,  wie  es  seit  Luthers 
Bibelübersetzung  allmählig  zu  der  Stufe  der  Ausbildung  ge- 
langte, die  ihm  seit  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhun- 
derts zu  Theil  ward.  Wer  aber  wird  für  die  Vermittlungsstufe 
aus  der  Poesie  in  die  Prosa  eine  besondere  Periode  ansetzen 
wollen?  Wohl  aber  ist  der  Zeitpuuct  entscheidend,  wo  die 
Prosa  ganz  unabhängig  von  der  Poesie  zuerst  selbstständig  her- 


Kobersteina  Grundriss  zur  Geschichte  der  deutsch.  Nationallitteratur.  2C5 

vortritt.  Und  ia  der  Deutschen  Sprache  gerade  ist  Luthers  Bi- 
belübersetzung um  so  entscheidender,  als  man  von  da  ab  zuerst 
anfieng,  eine  allgemein  verständliche  Schriftsprache  einzufüh- 
ren, während  früher  bald  mehr  bald  weniger  in  den  verschie- 
denen Mundarten  geschrieben  ward.  Wir  dürfen  es  nur  für 
einen  Gewinn  ansehen,  dass  Lutlier,  an  der  Grenze  von  Ober- 
«nd  Niederdeutschland  geboren,  erzogen  und  gebildet,  die  Ele- 
mente dieser  beiden  Hauptmundarten  auf  eine  äusserst  glück- 
liche Weise  verschmolz  und  somit  eine  Hochdeutsche  Schrift- 
sprache begründete,  die  am  leichtesten  und  am  schnellsten  all- 
gemeine Geltung  erhalten  konnte.  Nehmen  wir  noch  hinzu, 
dass  Luthers  Bibelübersetzung  aus  allen  früheren  dasjenige  in 
sich  aufnahm ,  was  nur  irgend  in  die  Volkssprache  übergegan- 
gen war  und  das  Geniüth  des  Volkes  lebhaft  ergriffen  hatte;  so 
erklärt  sich  der  Einfluss ,  den  sie  auf  die  ganze  Deutsche  Spra- 
che (katholische  Schriftsteller  nicht  ausgenommen)  geübt  hat, 
desto  eher.  —  Die  Litteratur  der  vierten  Periode  ist  in  fünf 
Capitel  eingetheilt:  1)  Epische,  2)  Lyrische,  3)  Dramatische, 
4)  Didaktische  Poesie,  5)  Prosa:  Denkmäler.  Der  Unterschied 
der  lyrischen  Poesie  dieses  Zeitraums  von  der  im  vorigen  wird 
sehr  charakteristisch  so  angegeben,  dass  an  die  Stelle  der  freien 
Herzensergiessung  und  einer  zwar  durch  Regeln  umgrenzten, 
aber  in  diesen  sich  mit  Leichtigkeit  und  Anmuth  bewegenden 
Kunst,  ein  steifes,  ceremoniöses  Wesen  und  eine  Reihe  von 
Satzungen  trat ,  die  bloss  auf  die  äussere  Form  der  Lieder  sich 
bezogen,  deren  genauere  Beobachtung  aber  allein  schon  zu  ei- 
nem guten  Liede  hinreichend  zu  sein  schien.  „Die  Nachahmung 
von  Tönen  älterer  berühmter  Meister  hinderte  nicht,  noch  im- 
mer neue  zu  erfinden,  die  in  ihrer  oft  überweit  getriebenen 
Künstlichkeit  u.  Länge  und  dem  geschmacklosen  Bau  ihrer  ein- 
zelnen Glieder  die  wahre  Liederform  vernichteten,  wenn  gleich 
die  alte  Structur  im  Ganzen  äusserlich  beibehalten  wurde." 
Die  epische  Poesie  war  kaum  noch  ein  Schatten  der  alten  Volks- 
dichtungen; die  dramatische  zeichnet  sich  durch  nichts  mehr, 
als  durch  Rohheit  in  der  Anlage  und  derben  Witz  aus  ;  die  di- 
daktische dagegen  nimmt  den  ersten  Platz  ein,  obgleich  sie  hin- 
ter der  früheren  sehr  zurückbleibt.  Die  Prosa  liefert  insonder- 
lich Ritter-  und  Volksroraane,  Chroniken,  Predigten  u.  dgl. 

In  der  fünften  Periode  wurden  durch  die  Reformation  die 
Geister  vielfach  aufgeregt,  wodurch  die  prosaische  Litteratur 
immer  mehr  ausgebildet  und  vervollkommnet  wurde.  Die  Poe- 
sie blieb  dagegen  zurück,  die  sich  jetzt  nur  auf  Kirchen  -  und 
einige  Volkslieder  beschränkte.  Die  Gelehrten,  wenn  sie  sich 
in  das  Feld  der  Poesie  verstiegen,  dichteten  aus  Verachtung  ge- 
gen die  Muttersprache  Lateinisch.  „Sie  den  altern,  glänzen- 
den Zeiten  der  Deutschen  Poesie  zuzuwenden  und  sie  aufs  neue 
durch  das  Element  der  classischea  Bildung  zu  beleben,  fühlten 


266  Deutsche    Litteratur. 

die  protestantischen  unter  ihnen  um  so  weniger  Beruf  in  sich, 
je  mehr  ihnen  jene  Zeiten  und  das,  was  in  ihnen  entstanden 
war,  als  in  Finsterniss  u.  Aberglauben  gehiillt  erscheinen  rauss- 
ten.'"'  Yorurtheileauf  beiden  Seiten  der  streitenden  lleligions- 
parteien  waren  keiner  Kunst  mehr,  als  gerade  der  Poesie  ab- 
hold. Lobenswertli  ist  die  unparteiische  Darstellung  aller  Ver- 
hältnisse, welche  auf  die  Litteratur  eingewirkt  haben ;  und  der 
Rec.  glaubt  aus  inniger  Ueberzeugung  versichern  zu  dürfen, 
dass  Hr.  K.  weder  den  katholischen,  noch  den  evangelischen 
Glaubensgenossen  irgend  einen  Anstoss  erregen  wird:  durch 
solches  leidenschaftslose  u.  zugleich  gründliche  Streben  dürfte 
das  religiöse  Band  der  verschiedenen  Confessionen  immer  enger 
werden  und  wenigstens  der  Streit  der  Wissenschaft  fremd  blei- 
ben, den  die  Theologen  für  sich  hegen  und  pflegen  mögen. 
Die  dramatische  Poesie  erscheint  in  Hans  Sachs  u.  Jacob  Ayrer 
als  die  fruchtbarste  dieses  Zeitraums,  die  sich  besonders  durch 
das  Fastnachtsspiel  auszeichneten. 

Die  sechste  Periode  zerfällt  in  vier  Abschnitte.  1)  Ungün- 
stige Umstände  für  die  Entwickelung  der  neuern  Deutschen  Lit- 
teratur. Allgemeiner  Charakter  derselben  in  dieser  Periode. 
Wissenschaftliche  Bestrebungen  der  Deutschen.  2)  Vorberei- 
tung des  neuen  Geschmacks  in  der  Deutschen  Poesie.  —  Die 
erste  Schlesische  Dichterschule.  —  Poetische  Litteratur  wäh- 
rend der  ersten  Hälfte  des  siebzehnten  Jahrhunderts.  3)  Die 
zweite  Schlesische  Dichterschule;  völlige  Ausartung  der  Deut- 
schen Poesie;  Anzeichen  eines  bessern  Geistes  in  derselben  zu 
Ende  des  Zeitraums.  —  Poetische  Litteratur  von  der  Mitte 
des  siebzehnten  bis  gegen  die  Mitte  des  achtzehnten  Jahrhun- 
derts. 4)  Prosaische  Litteratur  vom  Anfange  des  siebzehnten 
bis  gegen  die  Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts. 

Durch  die  Erscheinung  Friedrichs  II  erhielten  Deutschlands 
politische  Verhältnisse  eine  andre  Gestalt,  deren  Einfluss,  so- 
wie auf  das  geistige  Leben  überhaupt,  also  auch  auf  die  Lit- 
teratur in  der  siebenten  Periode  sehr  bedeutend  war,  so  wenig 
auch  der  Deutsche  Fürst  zur  Belebung  der  vaterländischen  Poe- 
sie aus  einem  tief  eingewurzelten  Vorurtheil  beizutragen  sich 
geneigt  fühlte.  Mit  desto  freierem  Geiste  u.  aus  eignem  Borne 
schöpfend  trat  daher  Klopstock  auf,  ein  wahrer  Fürst  der  neuem 
Deutschen  Poesie,  gleich  als  wollte  er  seinem  königl.  Zeitgenos- 
sen ein  Gegengewicht  bieten.  Jetzt  folgte  Schlag  auf  Schlag 
eine  wunderbare  Erscheinung  in  der  Deutschen  Litteratur  auf 
die  andre,  bis  endlich  Goethe  gleichsam  das  Ideal  des  Deutscheu 
Geistes  aufstellte  und  Alles  in  sich  vereinigte,  was  den  unpar- 
teiischen Kunstrichter  des  Auslandes  mit  der  grössten  Achtung 
und  Bewunderung  erfüüen  muss.  Was  in  der  classischen  Phi- 
lologie durch  Holländischen  Samralerfleiss,  durch  Englischen 
Scharfsinn  und  durch  Deutsche  Genauigkeit  geleistet  war,  das 


Kobersteins  Grundriää  zur  Geschichte  der  tieatdch.  Nationallittcratur.  267 

hat  sich  in  Einem  Geiste  concentrirt,  in  Friedrich  August  Wolf, 
der  bei  der  tiefsinnigsten  Gelehrsamkeit  die  Erhabenheit  der 
Ansichten  verband,  welclie  Winckelmann  zuerst  ins  Leben  zu- 
rückgerufen, und  der  gerade  darum  geeignet  war,  die  Plillo- 
logie  aus  ihrer  Jangen  Knechtschaft,  worin  sie  namentlich  durch 
die  Theologie  gehalten  wurde,  endlich  zu  emancipiren. 

Der  ganze  Zeitraum  ist  wieder  in  drei  kleinere  Abschnitte 
gebracht,  von  denen  der  erste  bis  um  das  Jahr  llfYO  reicht,  der 
zweite  von  da  bis  1795,  der  dritte  endlich  die  neue  Wendung 
andeutet,  welche  die  schöne  Litteratur  der  Deutschen  um  das 
Jahr  1795  nahm.  S.  215  wird  von  Bodmer  und  Breitinger,  als 
den  Gegnern  des  pedantischen  Gottsched,  gesagt,  dass  sie  auf 
Klarheit  und  Natürlichkeit  in  der  Poesie  und  Prosa  drangen, 
das  Studium  der  alten  Classiker  empfahlen  und,  wie  Gottsched, 
Achtung  für  die  ältere  vaterländische  Poesie  zu  erwecken  und 
die  Deutsche  Litteratur  durch  üebersetzungen  zu  beleben  such- 
ten. Von  Gottsched  selbst  aber  ist  kurz  vorher  nur  bemerkt 
worden,  dass  er  auf  die  Dichter  der  ersten  Schlesischen  Schule 
lobend  hinwiess.  Dadurch  könnte  also  leicht  eine  grosse  Zwei- 
deutigkeit entstehen.  Bodmers  Hauptverdienst  bestand  aber  in- 
sonderlich  darin,  dass  er  das  Gedicht  von  derNiebelungen-Noth 
zuerst  wieder  ans  Licht  rief  und  die  Manessische  Sammlung  der 
Deutschen  Minnelieder  zuerst  drucken  Hess.  —  Als  ein  Bei- 
spiel von  der  musterhaften  Präcision  und  Bestimmtheit  in  der 
Charakteristik  der  bedeutendsten  Männer  wollen  wir  das  S.  221 
gegebene  hervorheben:  „Friedrich  Gottlieb  Klopstock  fühlte 
zuerst  die  hohe  Bestimmung  der  Poesie.  Indem  er  Religion, 
Vaterlandsliebe  und  Alles,  was  seine  grosse  und  edle  Seele  be- 
wegte und  erfüllte,  zu  Trägern  seiner  Dichtungen  machte,  sich 
gewissermaassen  eine  neue  poetische  Sprache  und  neue  rhyth- 
mische Formen  schuf,  gab  er  ihr  nicht  nur  wieder  einen  ihrer 
würdigen  Gehalt,  sondern  er  zog  sie  auch  von  der  einseitigen 
Nachahmung  Französischer  Vorbilder  ab,  und  enthüllte  ihre 
Wege,  aufweichen  allein  sie  sich  ihrem  wahren  Ziele  nähern 
konnte.  Wenn  er  selbst  dieses  vielleicht  niemals  ganz  erreichte 
und  sogar  in  der  Wahl  und  Behandlung  seiner  Gegenstände,  so 
wie  in  den  Formen,  in  die  er  sie  kleidete,  in  manchen  neuen 
Irrthura  verfiel,  während  er  die  Vorhandenen  zu  zerstören 
suchte,  so  kann  es  doch  niemals  hoch  genug  angeschlagen  wer- 
den, dass  sein  Streben  von  Anfang  an  dahin  gerichtet  war  ,  ein 
Deutscher  Dichter  im  vollen  Sinne  des  Worts  zu  werden ,  und 
dass  der  hohe  Ernst,  die  edle  Begeisterung  und  der  würdige 
Stolz,  womit  seine  Dichtungen  durchdrungen  waren,  die  Deut- 
schen zuerst  wieder  mit  dem  Gefühl  ihrer  Würde  erfüllte."  — 
Es  hätte  vielleicht  noch  besonders  hervorgehoben  werden  sol- 
len, dass  Klopstock  ein  unversöhnlicher  Feind  des  Reimes  war, 
und  diesen  als  etwas  Barbarisches  und  als  ein  leeres  Wortge- 


26S  Deutsche  LUteratur. 

klingel  betrachtete.  Dieses  Vorurtheil  hat  denn  auch  bewirkt, 
dass  der  grosse  Mann  das  Wiederaufleben  unsers  National-Epos 
von  der  INlebelungen-Noth  nicht  mit  dem  Enthusiasmus  aufnahm, 
den  er  sonst  für  alles  Schöne  und  Grossartige  fühlte, —  Er, 
der  am  ersten  im  Stande  gewesen  wäre,  das  poetische  u.  plian- 
tasiereiche  Leben  des  Deutschen  Mittelalters  in  verjüngter  Ge- 
stalt hervortreten  zulassen:  wenigstens  würde  er  dadurch  weit 
volksthümlicher  geworden  sein,  als  durch  das  Studium  der  kal- 
ten nordischen  Mythologie,  die  er  an  die  Steile  der  Griechi- 
schen einimpfen  wollte. 

Das  mag  genug  sein  zur  Empfehlung  dieses  ausgezeichneten 
gründlichen  Buches,  dessen  Brauchbarkeit  in  den  obern  Classen 
von  Gymnasien  der  Rec.  selbst  durch  eigne  Erfahrung  bewährt 
gefunden  hat,  weshalb  er  dessen  weitere  Verbreitung  aus  gan- 
zem Herzen  wünscht. 

Breslau,  im  Decbr.  1828.  Dr.  N.  Bach. 


1.  Die  D  eutsche  Litteratur  von  Wolf  gang  Menzel.  Erstev 
und  zAveiter  Tlieil.  Stuttgart,  bei  Friiuckh  1828.  280  und  302  S. 
gr.  12.  3  Thlr.  12  Gr. 

2.  lieber  Unsinn  titid  Barbarei  in  der  heutigen 
Deutschen  Litteratur.  Ein  gelegentliches  Wort  von  Dr. 
Th.  Schacht,  Professor  der  Geschichte  zu  Mainz.  Mainz,  hei 
Kupferherg  1828.  193  S.  8. 

Es  ist  an  und  für  sich  eine  sehr  erfreuliche  Erscheinung, 
dass  in  einem  verhältnissmässig  kurzen  Zeitraum  zur  Darstellung 
der  Deutschen  Litteraturgeschichte  von  verschiedenen  Seiten 
her  eifrige  und  von  warmer  Liebe  zeugende  Versuche  gemacht 
worden  sind,  und  der  Eine  entweder  einen  ganz  eigenen,  von 
dem  des  Andern  völlig  verschiedenen  Weg  eingeschlagen,  oder 
die  Ansichten  des  Andern  berichtigt  u.  bestritten  hat.  Da  nun 
obendrein,  wie  es  scheint,  das  Publicum  an  dergleichen  For- 
schungen den  innigsten  Antheil  nimmt,  so  ist  man  zu  der  Ver- 
muthung  berechtigt,  dass  das  Studium  der  vaterländischen  Lit- 
teratur sowohl  auf  Schulen  als  auch  unter  Gebildeten  den  Geist 
der  Nation  lebendiger  ergriffen  hat,  als  je,  und  uns  die  heiter- 
sten Aussichten  in  die  Zukunft  eröffnet.  Für  unsre  Gymnasien, 
wo  vielleicht  kein  Zweig  des  Unterrichtes  kärglicher  bedacht 
ist  und  pedantischer  behandelt  zu  werden  pflegt,  als  gerade 
die  Deutsche  Sprache  und  Litteratur,  ist  durch  Kobersteins 
Grundriss  der  Deutschen  National -Litteratur  (Leipz.  1827)  un- 
gemein Erspriessliches  und  Gründliches  geleistet  worden,  des- 
sen zweckmässiger  Gebrauch  gewiss  überall  Gedeihen  und  Se- 
gen um  sich  verbreiten  wird.     Zum  Selbststudium  dagegen  und 


Menzel  und  Schacht  uher  Deutsche  Littcratur.  269 

zur  belebenden  Anregung  dürfte  nicht  leicht  ein  Ruch  dringen- 
der zu  empfehlen  sein ,  als  Wachlers  schon  frülier  erschie- 
nene Vorlesungen  über  die  Deutsche  National -Lit(eratur.  Die 
Hoffnung  zu  einer  zweckmässigen  Chrestomathie  aus  allen  Bil- 
dungsstufen der  Deutschen  Sprachdenkmale  scliimmert  auch 
nicht  mehr  in  sehr  weiter  Ferne,  die,  ohne  Engherzigkeit  und 
religiöse  Parteilichkeit  angelegt,  ihres  Zweckes  gewiss  nicht 
verfelilen  wird.  Dann  erst,  wenn  die  eigne  Anschauung  den 
Geist  und  das  Gefühl  des  Lernenden  lebendig  ergreift  und  sein 
Urthcil  bedingt,  und  wenn  sein  innerer  Sinn  statt  eines  todtea 
Gerippes  das  Dasein  eines  beseelten,  in  fortwährender  Ent- 
wickelung  seiner  Kräfte  begriffenen  organischen  Körpers  ver- 
spürt, dann  erst  wird  die  begeisternde  Liebe  für  das  köstlich- 
ste und  unvcräusserlichste  aller  Nationalgüter  kräftig  erstarkea 
und  segensreiche  Früchte  tragen. 

Die  Verfasser  der  vorstehenden  Schriften  haben  nicht  den 
engern  Kreis  der  Sch;\len  zunächst  vor  Augen  gehabt,  sondern 
vielmehr  das  grössere  Publicum,  ziehen  aber  eben  darum  doch 
die  Aufmerksamkeit  der  Lehrenden  auf  sich,  und  üben  also  auch 
auf  die  Lernenden  wenigstens  mittelbar  einen  grössern  oder 
geringern  Einfluss.  Die  Schrift  des  Herrn  Schacht  ist  erst 
durch Ersciieinung  der  Men zelschen  veranlasst  worden,  und 
beobachtet  durchweg  eine  polemische  Richtung.  Es  scheint  da- 
her dem  Ilecensenten  am  bequemsten,  den  Gang,  welchen  Hr. 
Menzel  eingeschlagen  hat,  nach  Maassgabe  der  diesen  Jahr- 
büchern gezogenen  Schranken  Schritt  für  Schritt  zu  verfolgen, 
dessen  Behauptungen  und  Ansichten  theilweise  .hervorzuheben 
und  in  Vergleich  mit  den  Schachtschen  Entgegnungen  nach  eig- 
nem Urtheil  zu  beleuchten. 

Der  Inhalt  des  ersten  Theiles  erstreckt  sich  auf  die  Masse 
der  Litteratur,  die  Nationalität,  den  Einfluss  der  Schulgelehr- 
samkeit und  der  fremden  Litteratur,  auf  den  litterarischen  Ver- 
kehr, auf  die  Religion,  Philosophie,  Geschichte,  auf  den  Staat 
und  die  Erziehung;  der  zweite  Theil  liefert  Betrachtungen  über 
Natur,  Kunst  und  Kritik.  Wir  haben  also  hier  weniger  eine 
möglichst  vollständige  Darstellung  der  Deutschen  Litteratur  von 
den  frühesten  Keimen  ihrer  allmähligen  Entwickelung  bis  zu  ih- 
rer gegenwärtigen  Gestaltung  zu  erwarten,  als  aphoristische 
Räsonnements  über  den  gegenwärtigen  Standpunct  derselben  in 
ihrem  ganzen  Umfange,  wobei  Hr.  M.  vomLeben  ausgehen  will, 
um  beständig  darauf  zurückzukommen.  „An  diesem  Ariadnefa- 
den hoffen  wir  in  dem  Labyrinth  der  Litteratur  uns  zurecht  zu 
finden.  Indem  wir  uns  im  frischen  Gefühl  des  Lebens  über  die 
todte  Welt  der  LitterJiur  stellen,  wird  sie  uns  alle  Geheimnisse 
aufschliessen  müssen,  ohne  uns  in  den  Zauberschlaf  zu  wiegen. 
Nur  der  Lebendige  kann  wie  Dante  dieSchattenwclt  durchwan- 
dern.    Wir  werden  manchen  Deutschen  Professor  darin  finden. 


270  Deutsche    Litteratur. 

der  in  Lleiernem  Rock  mit  rückwärts  gedrehtem  Halse  nach 
dem  grünen  Leben  zurückblickt,  und  nimmer  aus  der  grauen 
Theorie  herauskann  u.  8.  w."  (S.  11.  12)  An  diesen  wenigen 
Worten  bemerkt  man  schon  ein  gewisses  Haschen  nach  auffal- 
lenden Redensarten,  nach  geistreich  und  sinnvoll  sein  sollenden 
Witzeleien,  nach  naturphilosophischen  Terminologien  und  der- 
gleichen Sächelchen  mehr,  die  erst  im  Verlaufe  der  Darstellung 
manchmal  unangenehm  auffallen.  Hr.  Schacht,  dessen  Büch- 
lein übrigens  auch  einen  etwas  zu  hochtrabenden  Titel  trägt, 
bemerkt  hierüber  gleichfalls  S.  8  Folgendes:  „Es  regnet  Sen- 
tenzen und  witzige  Antithesen,  occidentalische  uhd  orientali- 
sche Bilder,  und  zwischendurchlassen  sich  orakelhafte,  fast 
endlose  Reden  vernehmen,  wenn  er  die  Augen  schliesst  und 
das  dissonirende  Concert  accompagnirt."  Eine  leicht  fliessende 
Gewandtlieit  des  Ausdrucks,  ein  gesunder  und  kernhafter  Witz, 
ein  scharfer  Blick  in  die  Natur  des  fraglichen  Gegenstandes  ist 
Hrn.  S.  keineswegs  abzusprechen:  aber  in  den  Fehler,  wel- 
chen er  seinem  Gegner  vorwirft,  verfällt  er  nicht  selten  selbst. 
Statt  vieler  stehe  hier  nur  Ein  Beispiel  S.  120:  „Wir  wissen 
nicht,  wer  älter  ist,  Görres  oder  Tieck.  Ist  es  jener,  so  kann 
er  als  Profet  der  künftigen  Religion  für  den  Täufer,  und  Tieck 
für —  dürfen  wir  das  hohe  Wort  hier  aussprechen?  —  für  den 
Heiland  gelten."  Solche  Wortspiele  mit  dem  Heiligsten  eckein 
einen  nur  an,  und  ihr  Urheber  scheint  das  Unschickliche  selbst 
gefühlt  zu  haben.  Man  lässt  sich  so  etwas  eher  in  dem  Fing  des 
mündlichen  Gejjprächs  von  der  Zunge  fahren;  aber  der  schrift- 
lichen Darstellung,  wo  man  mit  den  Worten  genauer  ist,  muss 
es  fremd  bleiben.  —  Herr  M.  behauptet  mit  Recht,  dass  die 
Litteratur  das  Leben  nicht  nur  umfassender,  sondern  auch  rei- 
ner abspiegelt,  als  irgend  ein  anderes  Denkmal,  weil  kein  an- 
deres Darstelluugsmittel  den  Umfang  und  die  Tiefe  der  Sprache 
darbietet.  Auch  das  müssen  wir  Hrn.  M.  zugestehen,  dass  das 
Leben  als  unbegrenzt  über  der  begrenzten  Sprache  steht.  Seine 
Tiraden  aber  gegen  die  neue  Litteratur,  gegen  die  Schreiben- 
den und  Lesenden,  so  viel  Wahres  sie  auch  in  gewisser  Bezie- 
hung enthalten  mögen ,  sind  doch  im  Allgemeinen  übertrieben 
und  aus  der  Luft  gegriffen:  er  greift  die  Schattenseiten  auf  und 
schiebt  die  Lichtpartien  in  den  Hintergrund,  und  das  heisst  nur 
mit  Einem  Auge  sehen ,  wie  es  sich  für  den  ruhigen  und  beson- 
nenen Forscher  der  Geisteserscheinungen  nicht  geziemt.  AU' 
diese  Greuel  nun,  wie  er  sie  darstellt,  gibt  Hr,  M.  der  Erfin- 
dung der  Buchdruckerkunst  Schuld,  deren  heilsame  Wirkungen 
nur  einem  excentrischen  Gefühl  und  einer  auf  Kreuz-  und  Quer- 
wege abgestreiften  Einbildungskraft  entgehen  können.  Hr.  M. 
zieht  los  auf  die  unzählige  Masse  der  schon  gedruckten  Werke, 
vergisst  aber  dabei,  dass  es  nicht  leicht  irgend  einen  Zweig  des 
Wissens  gibt ,  worüber  nicht  schon  weiland  die  Griechen  und 


Menzel  und  Schacht  über  Deutsche  Litteratur.  271 

Griechlein  ohne  Buchdruckerlcunst  mehr  als  Ein  Buch  geschrie- 
ben hätten,  selbst  die  edle  Kochkunst  nicht  abgerechnet,  wenn 
es  auch  etwa  noch  keine  Gravatianla  u.  dgl.  gegeben  haben  sollte. 
Wenn  uns  aber  Hr.  M.  ein  Volk  aufweist,  wo  sich  das  Leben 
herrliclier  und  glänzender  entfaltet  hat,  als  bei  den  alten  Hel- 
lenen, niagnus  mibi  erit  Apollo.  Wozu  soll  auch  das  bestän- 
dige Schimpfen  und  Schreien:  halte  er  sich  lediglich  an  seinen 
Gegenstand,  und  stelle  die  Sache  ohne  alle  Tinten  und  Schmin- 
ken so  dar,  wie  sie  sich  dein  ruhigen  Beobachter  von  selbst  zeigt. 
Doch  alle  diese llasonnements  lässt  man  sich  noch  gern  gefallen; 
aber  wenn  man  erst  sieht ,  wie  keck  Hr.  M.  auf  die  Verdienste 
andrer  achtungswerther  Männer,  welche  vor  ihm  die  Deutsche 
Litteraturgeschichte  behandelt  haben  (z.  B.  Wach  1er)  herab- 
blickt, um  sich,  den  auserlesenen  Propheten  der  unversiegba- 
ren Weisheit,  desto  höher  zu  stellen;  dann  möchte  man  vor 
Ungeduld  platzen.  Die  Leser  mögen  selbst  urtheilcn  nach  dem 
S.  17  befindlichen  Pröbchen:  „das  Bedürfniss  nach  einem  üe- 
berblick  ist  immer  dringender  geworden,  je  mehr  uns  die  Bü- 
cher von  allen  Seiten  über  den  Kopf  zu  wachsen  drohen.  Man 
hat  desshalb  schon  längst  jene  periodische  Litteratur  zugerü- 
stet, die  als  administrative  Behörde  die  anarchischen  Elemente 
der  schreibenden  Welt  bemeistern  soll;  diese  nuraerirenden, 
classificirenden,  conscribirenden,  judicirenden  Bureaux  sind 
aber  selbst  von  der  Anarchie  ergriffen  und  in  das  allgemeine 
Chaos  unaufhaltsam  fortgerissen  worden  u.  s.  w."  Doch  lässt 
er  Lessing,  Herdern  und  Schlegeln  (welchem  von  den  beiden 
Brüdern?  —  oder  nennt  er  etwa  den  Friedrich  xar  l^o^^v  so? 
Man  sollte  beinahe  glauben,  wenn  man  andre  Stellen  in  Erwä- 
gung zieht)  Gerechtigkeit  widerfahren,  die  er  wenigstens  nicht 
unter  seine  Füsse  gestellt  hat.  Hr.  M.  jedoch  sitzt  auf  dem 
Delphischen  Dreifuss,  von  dem  herab  seine  Weissagungen  er- 
tönen S.  19:  „Im  Gewülil  des  Lebens  selbst,  gegenüber  so  man- 
nigfachen und  dringenden  Interessen  und  unwillkührlich  davon 
ergriffen,  mögen  wir  zu  einer  Partei  stehen;  auf  der  Höhe  der 
Litteratur  aber  kann  nur  ein  freier  unparteiischer  Blick  in  alle 
Parteiansichten  befriedigen}''  Und  diese  Befriedigung  wird  uns 
Herr  M.  gewähren!  ,, Grosses  Unternehmen!  (entgegnet  S.  8 
Hr.  S.)  und  mit  welcher  Keckheit,  mit  welchem  Selbstgefühle 
tritt  es  auf!  —  Hoffentlich  meint  er  es  ernstlich;  und  gesetzt, 
er  erringe  alsdann  nur  zur  Hälfte  das  Ziel  —  das  er  sich  vor- 
gesteckt, —  wir  sind  genügsamer  Natur,  wir  wollen  nicht  halb 
so  viel  Ansprüche  an  ihn  machen  als  er  in  uns  zu  erregen  dreist 
genug  ist.  Himmel !  wie  bunt  sieht  es  aber  in  den  zwei  Bän- 
den aus!  u.  8.  w. "  — 

Dass  Hr.  M.  die  Deutschen  andern  Nationen  gegenüber  im 
praktischen  Leben  für  unbehülflicher  u.  darum  auch  ihre  Schrif- 
ten für  unpraktischer  hält ,  ist  weder  eine  neue,  noch  eine  ganz 


212  Deutsche   Litter atur. 

unriclitige  Ansicht,  obgleich  sie  noch  vielfältigen  Modificatio- 
nen  unterworfen  ist.     Auch  eifert  er  mit  Recht  gegen  die  soge- 
nannten Puristen  und  Wortsteiupler ,   die  sich  bei  ihren  Neue- 
rungen an  den  innern  Organismus  der  Sprache  weiter  nicht  son- 
derlich kehren ,    sondern  die  Sprache  nach  ihrem  Gutdünken 
modeln  und  radbrechen:    dagegen  preist  er  auch  den  wahren 
Purismus,  wie  ihn  schon  Luther  kräftig  gehandhabt.  —     Dass 
der  Einfluss  der  Schulgelehrsamkeit  auf  die  Litteratur  sehr  be- 
deutend sein  müsse,   ist  nicht  in  x'lbrede  zu  stellen:  war  er  es 
doch  auch  in  Griechenland  und  Latium,  und  überall,  wo  Kunst 
und  Poesie  nicht  schon  im  Keime  erstickt  ist.     Wenn  aber  Hr. 
M.  diesen  Einfluss  nur  unter  uns  Deutschen  so  bedeutend  finden 
will,  dagegen  viel  weniger  unter  den  Engländern  und  Franzo- 
sen, dann  befindet  er  sich  in  einem  ausgemachten  Irrthum.    In 
England  wird  noch  lieutzutag  die  Schulgelehrsamkeit  mittelst 
Birkenruthen  bis  aufs  Blut  eingebläut,  während  in  Deutschland 
die  Lehrmethode  doch  wenigstens  im  Allgemeinen  eine  huma- 
nere ist.     Allein  Herr  M.  construirt  sich  seine  Ansichten  über 
Litteratur  gewöhnlich  so,   wie  sie  gerade  in  seinen  Kram  pas- 
sen: „Unsre  Schriftsteller  orakeln  gar  zu  gern  und  suchen  einen 
gewissen  Nimbus  um  sich  zu  verbreiten ,  und  den  Leser  zu  my- 
stificiren,  wie  der  Geistliclie  den  Laien,  der  Schulmeister  seine 
Schüler.     In  England  und  Frankreich  befindet  sich  der  Autor 
gleichsam  als  Redner  auf  der  Tribüne,  und  gibt  sein  Votum  ab, 
als  in  einer  Gesellschaft  gleicher  und  gebildeter  Menschen.     In 
Deutschland  predigt  er  und  schulmeistert."'    Was  soll  nun  wohl 
hiermit  gesagt  sein  ?     Hr.  M.  mystificirt  sich  und  seine  Leser 
(falls  ihm  das  letztere  gelingt),  und  indem  er  ein  Luftschloss 
auf  das  andre  b:;ut,  vei'gisst  er  über  der  Schale  den  Kern,  über 
der  Sauce  den  Fisch :  einzelne  Erscheinungen  construirt  er  sich 
in  seinem  Gehirn  zu   allgemein  durchgreifenden  Wahrheiten. 
So  sieht  man  jetzt  nach  Hrn.  JM.  kaum  einen  Theologen  oder 
Juristen,'   nur  theoretische,  juridische  Philologen.     Weiss  er 
denn  auch  wirklich,  welchen  Unsinn  er  damit  ausspricht?  Wir 
glauben  schwerlich.     Sonst  würde  er  sich  solcher  unlogischen 
Antithesen  nicht  bedient  haben.     Weiter:   „Alle  historischen 
Wissenschaften  werden  durch  die  philologisch  -  critische  Ge- 
lehrsamkeit ungeniessbar  gemacht."     Das  soll  wohl  ein  Stich 
auf  Niebuhr  und  ähnliche  Historiker  des  ersten  Ranges  sein. 
Wenn  aber  Hrn.  M.s  Gaumen  durch  den  Geuuss  zu  vieler  Süs- 
sigkeiten  und  Conditorwaaren  verwöhnt  ist,   so  gönne  er  doch 
wenigstens  uns  Vibrigen  an  kernhaftes  Brot  und  kräftiges  Fleisch 
Gewöhnten  die  verdaulichere  Mahlzeit.     Auch  die  classische 
Philologie  kriegt  einen  derben  Hieb:   „Man  verschwendet  ein 
jahrelanges  Studium,   um  die  richtige  Lesart  eines  alten  Dich- 
ters ausfindig  zu  machen,  der  oft  besser  gänzlich  stillgeschwie- 
gen hätte."  Was  für  unnützes  Gewäsch,  wasfürHirugespinnste! 


Menzel  und  Schacht  über  Deutsclie  Litteratur.  273 

Zei^e  doch  Ilr.  M.  den  Mann,  der  Jahre  lang  nichts  anderes 
denkt  und  treibt,  als  das,  was  Er  ihm  unterschiebt.  Gesetzt 
aber  auch,  es  gäbe  einen  solchen,  wäre  er  der  bürgerlichen  Ge- 
sellschaft nicht  mehr  werth,  wenn  er  eine  einzige  Wahrheit 
ans  Licht  fördert,  als  ein  andrer,  der  Lügen  auf  Lügen,  Trng- 
hiider  auf  Trugbilder  häuft?  Hat  ferner  die  Wortkritik  nicht 
gleiche  Verehrer  und  Beförderer  in  England  und  Frankreich  ge- 
funden, wie  in  Deutschland'?  Doch  wir  überschreiten  schon  die 
Grenzen,  um  diese  Seifenblasen  platzen  zu  machen,  windig 
a priori,  windig  a  posteriori. 

Den  Trieb  zur  Nachäfferei  unter  den  Deutschen  schildert 
Hr.  M.  im  Ganzen  mit  ziemlich  richtigen  Farben,  und  leitet  da- 
her den  grossen  Einfluss,  welchen  die  fremde  Litteratur  von 
jelier  auf  die  unsrige  geübt  hat.  Dadurch  jedoch,  dass  sich 
die  Nachahmung  nicht  auf  ein  einziges,  sondern  auf  mehrere 
Völker  erstreckt,  erhält  sich  ein  gewisses  Gleichgewicht,  das 
den  Schaden  wieder  gut  macht.  S.  4ß:  „So  hat  die  superfeine 
Convenienz  der  Gailomanie  an  dem  derben  liumor  der  Anglo- 
manie,  die  regelrechte  Gräkomanie  an  dem  ausschweifenden 
Orientalismus,  der  flache  Liberalismus  an  der  mystischen  Ro- 
mantik sich  aufreiben  müssen,  und  diese  wieder  an  jenen.  ••' 
Ilr.  M.  hält  die  sonst  für  musterhaft  geltenden  Vossischen  Ue- 
bersetzungen  für  nicht  minder  lächerlich,  als  die  antiken  Tragö- 
dien der  Franzosen,  und  scheint  treue  prosaische  üebersetzun- 
gen  der  Dichter  vorzuziehen.  Mag  Voss  auch  immerhin,  na- 
mentlich in  der  Wortbildung,  oft  steif  und  ungelenk  erscheinen, 
so  bleibt  doch  Herrn  M.s  Verglcichung  übertrieben  und  fasel- 
haft, und  wird  hoffentlich  nicht  so  viel  Gewicht  haben,  um  die 
ausserordentlichen  Verdienste  des  unsterblichen  Mannes  um  die 
Muttersprache  zu  schmälern  oder  gar  herabzusetzen.  Rec.  ver- 
weist daher  am  liebsten  auf  A.  W.  Schlegels  Beurtheilung  in 
seinen  verni.  Schriften  I  S.  74t  ff.  —  In  dem  Aufsatze  über  den 
litterarischen  Verkehr  halten  gegründete  und  excentrische  Aus- 
sprüche gleichen  Schritt. 

Da  die  Religion  die  höchsten  Interessen  des  Menschen  be- 
rührt ,  so  macht  Hr.  M.  billigerweise  mit  ihr  den  Anfang  in  sei- 
nen Betrachtungen  über  die  Religion.  Wir  müssen  in  sein  Er- 
staunen mit  einstimmen,  dass  ein  und  dieselbe  Nation  mit  glei- 
cher Naturanlage,  gleichen  Schicksalen,  gleicher  Bildung  u.  auf 
demselben  engen  Boden  zusammengedrängt,  sich  in  so  durch- 
aus verschiedene  Kirchen,  ohne  Rücksicht  auf  Stand  und  Bil- 
dung getrennt  erhält;  trösten  uns  aber  mit  dem  Glauben,  dass 
der  echt  christlich  religiöse  Sinn  über  die  Form  erhaben  ist  u. 
am  allerwenigsten  durch  sie  bedingt  wird.  Hz-.  M.  spriclit  mit 
gebührender  Achtung  über  das  Mittelalter,  verschweigt  aber 
auch  keineswegs  die  Schattenseiten  desselben.  Dagegen  erhebt 
sich  Hr.  Schacht  auf  eine  durchaus  nicht  billigenswerthe  Weise: 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pndair.  Jabr^.X  IJcft.  3.  ^ 


274  Deutsche    Lltteratnr. 

er  reisst  nicht  nur  die  Urtheile  des  Hrn.  M.  aus  ihrem  Zusam- 
menhange heraus,  und  stutzt  sie  nach  seinen  Zwecken  zu,  son- 
dern er  verdreht  und  verfäisclit  sogar  seine  Ausdriicke,  aus 
Katholicismus  stempelt  er  Katholicisyn  ^  aus  Mysticismus  My- 
sticism,  aus  Protestantismus  Protestantism  u.  s.  w.  Mag  Hr.  S. 
solche  fratzenhafte  Formen  für  sich  behalten,  er  schwärze  sie 
aber  nicht  in  die  Rede  Andrer  ein,  die  ihre  Ohren  davor  ver- 
stopfen. —  Fernerhin  stellt  Hr.  31.  den  gegenwärtigen  Zustand 
der  Christlichen  Kirchen  in  Deutschland  dar,  freilich  nicht  ohne 
grelle  Farben  und  Uebertreibungen.  Andere  Schilderungen  da- 
gegen sind  vortrefflich  gelungen  und  aus  freier,  über  aller  Eng- 
herzigkeit erhabener  Ansicht  entsprungen,  wie  z.B.  S.  108  die 
Anspielung  auf  die  heroische  Duldsamkeit  Pius  VII,  als  des  Re- 
präsentanten der  katholischen  Kirche:  „Unheilbar  verwundet 
kann  sie  doch  nicht  sterben.  Von  einer  Fülle  innerer  Ideen  ge- 
schwellt, findet  sie  nirgends  Raum.  An  Herrschaft  und  Liebe 
gewöhnt,  findet  sie  keine  Arme  und  keine  Herzen,  Wie  der 
alte  König  Lear  ward  sie  Verstössen  und  musste  betteln  von  den 
kaiserlichen  Schwiegersöhnen  und  ward  misshandelt,  geplün- 
dert, gefangen,  und  sah  die  geliebte  und  verkannte  Cordelia, 
des  Herzens  tiefen  Glauben,  grausam  gemordet.  Jetzt  hat  man 
sie  endlich  wieder  befreit  und  ehrt  ihr  Alter  und  lässt  sie  wie- 
der regieren  unter  einer  falschen  Vormundschaft.  —  MitLie!>e 
soll  sie  regieren,  und  die  Sklaven,  die  sich  ihr  zum  Dienste  auf- 
drängen,  kennen  nur  List  u.  Gewalt."-  —  S.  133  handelt  FIr. 
M.  von  den  religiösen  Erbauuiigsbüchern ,  womit  Deutschland 
ordentlich  überschwemmt  wird,  und  kommt  sodann  auch  auf 
die  berüchtigten  Stunden  der  Andacht^  als  deren  Verfasser 
(ob  mit  Recht  oder  Unrecht,  kann  Rec.  nicht  entscheiden)  er 
Zschokke  angibt:  „Wie  schleicht  dies  matte,  süssliche  Gift 
einschläfernd  in  die  Seelen  und  schmilzt  Herzen  und  Nieren  in 
einen  weichen  Brei.  Eine  gleissnerische  Sprache  fliesst  wie  Ho- 
nig von  den  Lippen  u.  s.  w. ''  So  hyperbolisch  dieses  Urthcil 
auch  immer  erscheinen  mag,  so  enthält  es  doch  manclies  Wah- 
re, und  selbst  die  Dickleibigkeit  dieser  Andachtsstunden  zeugt 
von  einem  krankhaften  Fiebergeschmack,  Herr  S.  aber  lehnt 
sich  heftig  dagegen  auf,  und  nennt  es  eine  unartige  Art ^  wo- 
mit Rec.  nicht  einverstanden  ist,  und  sich  bei  dieser  Gelegen- 
heit eines  Platenschen  Verses  aus  der  verhängnissvollen  Ga- 
bel erinnert: 

D'rum  liest  sie  nur  dich,  statt  Goethe  und  statt  Jean  Paul, 
saalbadernder  Ciauren, 

Und  blättert ,  anstatt  in  der  Bibel ,  in  euch ,  saalbadernde 
Stunden  der  Andacht ! 

Herrn  Menzels  Träume  von   einer   durch  Vermittelnng  des 
Pietismus  vorbereiteten  Vereinigung  aller  Confessionen  in  Eine 


Menzel  und  Schacht  über  Deutsche  Litteratur.  275 

grosse  Christliche  Kirche  hat  Hr.  S.  in  ihr  gcliöriges  Licht  ge- 
stellt. — 

In  den  gegenwärtigen  Zustand  der  Philosophie  sclieint  Hr. 
M.  manclien  richtigen  Blick  gethan  zu  haben,  wiewohl  Goer- 
res  zu  hoch  gestellt  sein  diirfte.  Auf  der  andern  Seite  dage- 
gen eifert  Herr  S.  wieder  zu  leidenschaftlich  gegen  Goerres, 
schildert  ihn  als  einen  aAAoxrpogaAAog,  als  einen  wortschwVil- 
stigen  und  verworrenen  Scribenten,  als  einen  Schwärmer  u.  s.w. 
Hr.  S.  findet  es  ferner  tadcinswerth  ,  dass  die  philosophischen 
Lehren  eines  Schulze,  Koeppen,  Krug,  Fries,  Her- 
bart u.  a.  gar  nicht  beiücksichtigt  worden  sind.  Es  war  aber 
Hrn.  M.  nicht  darum  zu  thun,  sämmtliche  im  Gebiete  der  Deut- 
schen Philosophie  geschehenen  Leistuniren  umständlich  zu  er- 
örtern ,  sondern  ein  treues  Bild  ihrer  fortschreitenden  Entwik- 
kelung  zu  entwerfen  und  dabei  nur  der  ersten  Häupter  (diess 
natürlich  subjectiv  genommen)  namentlich  zu  gedenken. 

Im  Allgemeinen  nennt  Hr.  M.  die  Erinnerung  der  Zeiten 
die  Geschichte ^  und  ordnet  ihr  die  Archäologie  und  Philologie 
unter,  die  er  als  Kunde  der  bildlichen  und  schriftlichen  Denk- 
mäler bezeichnet.  Wie  unpassend  das  von  Heyne  zuerst  ein- 
gefiilirte  Wort  Archäologie  sei,  um  das  Studium  der  bildenden 
Kunst  zu  bezeichnen,  wollen  wir  nicht  weiter  erörtern,  da  die 
eigentliche  Bedeutung  und  die  Anwendung  desselben  bei  Diony- 
sios  von  Halikarnass  klar  in  die  Augen  springt.  Da  aber  die 
Philologie  als  eine  selbständige  Wissenschaft  zu  betrachten  ist, 
so  hätte  Hr.  M.  sie  auch  nicht  verkriippeln,  und  die  Kunstge- 
schichte von  ihr  trennen  sollen.  Warum  hat  er  sich  als  acpiko- 
Koyog  nicht  lieber  an  F.  A.  Wolfs  Darstellung  der  Alterthums- 
wissenschaft  gehalten?  Hr.  M.  selbst  sagt:  „Die  Philologie  hat 
sich  aber  selbst  zum  Zweck  gemacht.  Sie  hat  das  Studium  der 
alten  und  aller  Sprachen  um  ihrer  selbst  willen,  nicht  blos  we- 
gen des  zufälligen  Inhalts,  zu  ihrem  Gegenstand  gemacht.  Es 
ist  darin  viel  übertrieben  worden,  man  hat  den  Sprachgelehr- 
ten zu  viel  Einfluss  eingeräumt,  und  nur  zu  oft  über  der  Form 
den  Inhalt  vernachlässigt  u.  s.  w.'-'-  Oder  wähnt  er  etwa  durch 
eigne  Auctorität  das  auf  einen  Felsen  errichtete  Gebäude  umzu- 
stürzen und  die  im  Schweisse  des  Angesichts  errungene  Frei- 
heit der  Philologie  aus  den  drückenden  Fesseln  der  Theologie 
und  ähnlicher  Disciplinen  wieder  unter  ihr  früheres  Joch  zu 
beugen?  Man  sollte  beinahe  glauben;  denn  er  schildert  die 
Philologen  als  eine  stolze  aristokratische  Kaste,  und  hält  ihren 
Einfluss  auf  den  Unterricht  zum  Theil  für  so  verderblich,  wie 
den  der  äussern  Gebräuche  auf  den  Gottesdienst:  wie  dort  die 
wahre  Andacht  unter  mechanischen  Spielen  untergegangen  sei, 
so  hier  das  wahre  Denken,  die  echte  Bildung  unter  dem  me- 
chanischen Auswendiglernen  blosser  Formen.  Den  Hauptgrund 
hiervon  findet  er  darin ,  dass  die  Mehrzahl  der  Philologen  bei 

18* 


276  Deutsche   Litteratur. 

Erklärung  der  alten  Classiker  vorzugsweise  nur  auf  die  Gram- 
matik sehe,  und  den  Geist,  die  Schönheit,  den  historischen, 
philosophischen  oder  ästhetischen  Inlialt  jener  Alten  nur  in 
elenden  Noten  nehenhei  beriihre.  Als  Beleg  hierfiir  verweist 
er  auf  die  Ausgaben.  Wenn  Ilr.  M.  keine  besseren  Philologen 
als  Lelirer  der  Jugend  kennen  gelernt  liat,  als  solche,  die  den 
Geist  über  der  Form  rein  vergessen,  so  lässt  sich  sein  Ingrimm 
recht  gut  entschuldigen;  denn  seine  eigne  Bildung  hätte  ja  da- 
bei am  meisten  gelitten:  es  ist  ihm  beinahe  ebenso  ergangen, 
wie  einem  Menschen,  dem  pietistisch  schwärmerisclie  Theolo- 
gen den  Kopf  umnebelt,  oder  dessen  gerechte  Sache  habsi'ich- 
tigeJuristen  verdreht,  oder  welchen  quacksalbernde  Acrzte  zu 
Tode  curirt  haben.  Die  Gebrechen  der  Einzelnen  aber  kön- 
nen die  Idee  an  und  fiir  sich  nicht  verdammen,  welche  einer 
Wissenschaft  ursprVuiglich  zum  Grunde  liegt.  Und  was  nun  die 
Ausgaben  der  alten  Auetoren  anlangt ,  so  muss  hier  wie  überall 
das  Gute  vom  Schlechten  gesondert  werden,  Ilr.  M.  weiss  aber 
nicht,  was  er  spricht,  und  er  scheint  die  besseren  Leistungen 
der  Philologen  gar  nicht  zu  kennen,  sondern  höchstens  etwas 
davon  gehört  zu  haben.  Er  vermisst  unter  andern  die  Darstel- 
lung der  Schönheiten  in  den  Schriften  der  Alten:  als  ob  diese 
nicht  jeder  gesunde  Leser  mittelst  seines  eignen  Gefühls  selbst 
herausfinden  könnte,  und  erst  von  Andern  darauf  gestossen  wer- 
den müsste!  Lebt  denn  die  Idee  des  Schönen  nicht  in  unsrer 
Seele,  und  bedürfen  wir  zum  reinen  Genuss  desselben  erst  ei- 
nes Andern,  der  es  uns  vorkaut  und  vorkostet*?  Ganz  anders 
verhält  es  sich  mit  dem  mündlichen  Vortrag  des  Lehrers,  der 
den  Sinn  für  Schönheit  in  dem  Lernenden  erst  zu  wecken  und 
zu  beleben  hat;  und  doch  muss  auch  liier  ein  feiner  Tact,  ein 
einziger  Schlag,  der  den  göttlichen  Funken  hervorlockt  und  in 
der  Seele  Feuer  fassen  lässt,  bei  weitem  mehr  bewirken,  als 
alle  weitläuftigen  u.  schwülstigen  ästhetischen  Expositionen.  — 
Eine  wahre  Infamie  ist  es,  wenn  Herr  M.  S.  197  behauptet: 
,,IVlan  hat  in  der  neuesten  Zeit  in  der  Philologie  ein  bewährtes 
Mittel  gefunden,  den  politischen  Verwirrungen  der  Jugend  zu 
begegnen.  Man  hat  gefunden,  dass  niclits  so  sehr  den  Feuer- 
eifer niederschlägt,  und  zu  blindem  Gehorsam  gewöhnt,  als 
diese  Philologie,  die  das  beflügelte  Genie  an  den  Bücherschrank 
kettet,  und  den  Scharfsinn  in  die  Grammatik,  die  Neuerungs- 
sucht in  Conjecturen  ableitet."*  Wenn  ein  gründliches  und  ge- 
diegenes Studium,  sei  es  in  welcher  Wissenschaft  es  wolle,  al- 
lerdings den  phantastischen  und  schwärmerischenllirngebildea 
einer  über  ilire  Schranken  liinaus  irrenden  Jugend  am  besten 
begegnet;  so  kann  in  dem  vorliegenden  Fall  die  Philologie  al- 
lerdings als  ein  heilsames  Mittel  gegen  alle  Auswüchse  einer  ver- 
drehten Phantasie  betrachtet  werden.  Es  würde  nichts  scha- 
den,   wenn  die  Philologie  Hrn.  M.  seine  Flügel  etwas  stutzen 


Menzel  und  Schitcht  über  Deutsche  Littcratur.  277 

wollte,  damit  er  liiiifiiliro  nicht  mehr  gleicli  Phacthon  sich  iti 
eine  Kcs;ion  emporschwingen  möchte,  aus  der  er  zuletzt  doch 
in  die  Tiefe  liinabstiirzen  nuiss.  Hrn.  Menzels  unsinnige  Ein- 
theiiung  der  Geschichtsforscher  in:  1)  Protestanten  und  Libe- 
ralen nebst  den  classischen  Philologen  ^  2)  Katholikert.,  Servi- 
len^ Itoyalisten  nebst  den  orieJitalischen  PhilologeJi^  3)  die  ge- 
ringe ylnsahl  derer,  welche  die  Geschichte  ?mparteiisch  auf 
dichterische  Weise  (d.  h.  wohl  nach  der  Identitätsphilosophie 
aus  ihr  construiren ,  was  eben  genelim  ist)  als  ein  Epos  oder 
gleichsam  natur historisch  als  einen  Organismus  betrachten,  ist 
von  Herrn  S.  gebührender  Maassen  abgefertigt  worden  S.  25. 
„Wer  von  den  Historikern  orientalische  Sprachen  treibt,  muss 
schlecliterdings  die  zweite  Cocarde  aufstecken  und  als  Katholik 
und  Serviler  dienen,  sich  für  die  ideale  Herrlichkeit  des  Mit- 
telalters schlagen  und  bei  der  Erbsünde  zu  Tische  gehen.  Der 
aufriclitigste  Katholik,  sobald  er  überzeugt  ist,  dass  die  Anbe- 
ter des  Mittelalters  mit  Visionen  zu  thun  haben,  rauss  schlecli- 
terdings unter  die  protestantische  Zunft.  Der  Servile  muss  in 
den  Liberalen  und  dieser  in  jenen  sich  verwandeln,  je  nachdem 
sie  verschieden  über  das  Dasein  einer  heiligen  Urwelt  denken. 
Keiner  kann  seinem  König  anhängen  und  ein  Freund  der  Monar- 
chie bleiben ,  der  zugleich  Vorliebe  für  Studien  des  classischen 
Alterthums  hat."  —  DergleicJien  Folgerungen  dürfte  leicht 
Jeder  aus  Hrn.  Menzels  Darstellung  zu  ziehen  sich  gedrungen 
fühlen,  wenn  er  es  mit  Consequenz  zu  thun  hat.  Sowie  aber 
Hr.  M.  das  Mittelalter  in  jedweder  Hinsicht  zu  hoch  stellt,  so 
lässt  es  Hr.  S.  wieder  zu  tief  sinken;  woraus  sich  die  Einseitig- 
keit der  Auffassung  an  beiden  Älännern  leicht  erklären  lässt. 
Medium  tenuere  beati.  Gutes  und  Böses  erscheint  hier,  wie  in 
jedem  Zeitalter,  neben  einander,  und  Eins  muss  das  Andre  wie- 
der ausgleichen.  Hr.  S.  unterfängt  sich  sogar  in  wenigen  Zü- 
gen ein  Portrait  des  Mittelalters  nach  seiner  einseitigen  Auffas- 
sung also  zu  entwerfen:  „Im  Anfange  ein  roher  wilder  Bube, 
hinlänglich  dumm  und  gehorsam  den  Priestern;  allmählig  klii- 
ger  und  von  Zweifeln  berührt;  wegen  Ungehorsams  mit  Bann- 
ruthen gezüchtigt,  doch  trotzig  und  bald  hie  und  da  sich  wider- 
setzend wie  ein  freiheitlustiger  Jüngling;  zuletzt  ein  Mann,  im 
Besitz  von  Kenntniss,  wovor  die  Priester  erschrecken,  und  von 
Kraft,  die  der  Bannruthe  spottet."  —  So  geht  es  fort,  und 
es  kommt  dabei  ein  Bild  heraus,  das  nur  in  Hrn.  Schachts  auf- 
geregter Phantasie  sich  wieder  abspiegelt,  in  der  Wirklichkeit 
nun  und  nimmermehr.  Auch  beliebt  es  Hrn.  S.  einzelne  Fra- 
gen über  gewisse  Puncte  aufzustellen,  die  zum  Theil  äusserst 
lächerlich  erscheinen,  wie  z.B.  Vielleicht  tvareu  die  Frauen 
im  Mittelalter  schöner  als  jetzt?  Die  Antwort  hinein^  und 
zwar  aus  keinem  andern  Grunde,  als  weil  die  erhaltenen  Bild- 
werke dieser  Zeit  nicht  so  schön  sind,  wie  die  heutigen.     Was 


278  Deutsche    Litteratur. 

müssen  doch  die  Homerischen  Göttinnen  und  Frauen  für  Wun- 
dergestalten gewesen  sein,  wenn  wir  sie  nach  einem  ^oavov  be- 
urtlieiien  sollen!  Auch  die  Schilderungen  der  Minnesänger  führt 
Hr,  S.  als  Gegenbeweis  an:  darauf  ist  wohl  mit  weiter  nichts  als 
mit  der  Bitte  zu  antworten,  dass  er  diese  zunächst  etwas  ge- 
nauer ansehen  und  studieren  möge.  Das  Ideal  der  reinsten  und 
schönsten  Weibliciikeit  ist  nirgends  mit  solcher  Tiefe  aufgefasst 
worden,  als  gerade  in  den  Minneliedern,  und  hat  sich  in  kei- 
ner Zeit  inniger  mit  der  allgemeinen  Denkungsart  verschmolzen, 
als  im  Mittelalter.  Einzelne  Beispiele  entgegengesetzter  Art 
sind  allerdings  als  Ausnahmen  zu  betrachten,  stossen  aber  da- 
rum die  Regel  selbst  nicht  um.  Das  Gold,  wejm  es  in  seiner 
grössten  Reinheit  erscheinen  soll,  wirft  auch  Schlacken  ab. 
Selbst  die  erhabene  Idee,  welche  den  Kreuzzügen  zum  Grunde 
lag,  glaubt  Hr.  S.  herabzuwürdigen,  weil  es  (wie  es  ja  in  der 
Natur  jedes  Krieges  liegt)  an  einzelnen  Zügen  von  Gemeinheit, 
Neid,  Grausamkeit,  Habsucht,   Unzucht  u.  s.  w.  nicht  fehlt. 

Was  Hr.  M.  über  den  Staat  beigebracht  hat,  wollen  wir 
hier  unerörtert  lassen.  In  der  Erziehung  aber  geht  er  von  zwei 
Ilauptprincipien  aus,  das  eine,  wornach  die  Kinder  fVir  die  ge- 
genwärtig besiehenden  Verhältnisse,  das  andere,  wornach  sie 
zu  höheren  Idealen  der  Menschheit  herangebildet  werden  sol- 
len. Als  Vertheidiger  des  ersteren  werden  angeführt  Goethe, 
Steffens  und  andere,  des  letzteren  Fichte  und  J  a  hn.  Hr. 
M.,  der  Alles  gehörig  einzucastiren  versteht,  bürdet  die  erstere 
Ansicht  demKatholicismus  auf,  die  andere  dem  Protestantismus. 
Uebertreibungen  auf  der  einen  wie  auf  der  andern  Seite  müssen 
gleich  schädliche  Wirkungen  äussern;  die  Wahrheit  liegt  auch 
hier  wieder  in  der  Mitte.  Und  wenn  Hr.  M.  die  ideale  Ansicht 
der  Erziehung  ganz  in  das  Reich  der  Träume  verweist,  so  muss 
er  wahrscheinlich  selbst  noch  keinen  rechten  Begriff  davon  ha- 
ben. Auch  ist  es  unrichtig,  dass  er  in  Goethe  lediglich  einen 
Vertheidiger  der  praktischen  Ansicht  erblickt:  der  Mann  ver- 
steht besser,  als  unser  pädagogischer  Kritikus  das  Ewige  mit 
dem  Zeitlichen  in  Einklang  zu  bringen,  und  manche  seiner  pä- 
dagogischen Aeusserungen  hat  gewiss  eine  tiefere  Bedeutsam- 
keit, als  man  auf  den  ersten  Augenblick  glauben  sollte.  Die 
Ideale  des  Lebens  regen  sich  nie  kräftiger  und  edler  in  unsrer 
Seele,  als  gerade  in  der  Jugend?  und  wir  sollten  diesen  einzi- 
gen Funken,  der  vom  Himmel  stammt,  nicht  hegen  und  pfle- 
gen, sondern  schnöde  genug  sein,  die  Jugend  bloss  zum  Genuss 
der  Gegenwart  heranzubilden'?  Ein  reger,  lebendiger  Schwung 
uach  dem  Höchsten  muss  stets  in  jugendlichen  Seelen  erhalten 
werden:  ihre  nächsten  Umgebungen  bleiben  ihnen  dabei  nicht 
fremd,  und  gewinnen  nun  eine  mehr  als  alltägliche  Bedeutsam- 
keit. Eine  richtige  Bemerkung  ist  es,  dass  einerseits  nächst 
den  philologischen  Studien  der  gründliclie  Unterricht  in  der 


Menzel  und  Schacht  über  Deutäcite  Littcratur.  279 

Geschichte,  Geographie,  Naturlehre  und  Matliematik  ein  gro- 
sser Fortschritt  der  neueren  ist,  andrerseits  aber  auch  die  Ju- 
gend unter  der  Last  neuer  Unterrichtsgegenstände  zu  sehr  er- 
drückt wird,  so  dass  ihr  kaum  vergönnt  ist,  frei  und  ungehin- 
dert aufzuathraen.  Gymnastische  Uebungen  unter  Aufsicht  ei- 
nes wissenschaftlichen  u.  besonnenen  Lehrers  scheinen  ein  drin- 
gendes Bedürfniss  zu  sein  ,  um  dem  Geiste  mehr  innere  Leben- 
digkeit und  dem  Körper  mehr  Kraft  zu  verleihen.  Die  Musik 
und  Gymnastik  will  auch  Hr.  M.  in  den  Kreis  des  Unterrichtes 
aufgenommen  wissen ,  und  meint,  dass  die  erstere  noch  weit 
entfernt  sei,  zu  dem  ihr  gebVihrenden  Rang  unter  den  Mitteln 
der  Erziehung  erhoben  zu  werden.  Eilligerweise  hätte  fr  hin- 
zufiigen  müssen  nicht  überall  in  Deutschland;  denn  im  König- 
reich Preussen  gehört  die  Musik  ausdrücklich  zu  den  Unter- 
richtsgegenständen; und  Rec.  kann  versichern,  dass  man  es  we- 
nigstens auf  den  katholischen  Gymnasien  Schlesiens  theihveise 
sehr  weit  gebracht  hat.  Hier  ist  übrigens  dieses  Bildungsmit- 
tel schon  ein  altes,  und  das  mit  dem  Leopoldinischen  Gymna- 
sium in  Breslau  verbundene  Convictorium  hat  seit  seiner  Stif- 
tung in  dieser  Beziehung  Rühmliches  geleistet.  —  Mit  Recht 
wird  der  unermessllche  Wust  von  Kinderschriften  als  eine  wahre 
Sündfluth  lüderlicher ,  von  aussen  gleissender,  von  innen  hoh- 
ler Fabricate  geschildert,  wogegen  die  Mährchen  eine  echte 
Kinderpoesie  genannt  werden. 

Das  Capitel  iiber  Ktmst  (Band  2  S.  45—292)  wird  mit  dem 
Ausspruche  erötfnet,  dass,  so  weit  wir  die  Geschichte  unseres 
Volkes  verfolgen  könnten,  ein  tief  poetischer  Zug  durch  das- 
selbe gehe.  Die  höchste  Blüthe  in  der  Kunst  entfaltet  die  Poe- 
sie^ die  am  tiefsten  das  menschliche  Herz  erschliesst  und  wie- 
der am  tiefsten  wirkt:  „Was  keiner  Kunst  gelingt,  das  Inner- 
ste des  Menschen  bis  in  die  geheimsten  Gedanken  und  Empfin- 
dungen zu  spiegeln,  vermag  allein  die  Poesie,  und  dies  gibt  ihr 
die  Macht  über  die  menschliche  Seele,  der  alle  Völker  gehul- 
digt haben.  —  Völker  wechseln,  Staaten  werden  zertrümmert, 
ein  Glaube  verdrängt  den  andern,  Irrthnmwird,  was  einst  als 
Wahrheit  gegolten,  die  Werke  der  bildenden  Kunst  zerfallen 
in  Staub,  nur  die  Dichtungen  überdauern  die  Stürme  der  Zeit 
und  glänzen  noch  nach  Jahrtausenden  im  ersten  Jngendschira- 
mer  u.  s.  w."  In  sojchen  Schilderungen  hat  Hr.  M.  in  der  Re- 
gel grosses  Glück ,  und  wir  könnten  deren  mehrere  hervorhe- 
ben, wenn  hier  der  Ort  dazu  wäre.  Die  Bemerkung  Hrn.  M.s, 
dass  der  tief  poetische  Sinn  unsers  Volkes  sich  gerade  da  am 
innigsten  ins  Leben  selber  verliert,  wo  uns  die  Denkmale  feh- 
len, fertigt  Hr.  S.  auf  eine  höchst  triviale  Weise  ab:  „Wahr- 
scheinlich lagen  unsrc  Altvordern  gar  zu  anmuthig  auf  der  Bä- 
renhaut am  Ileerde  und  beim  Würfelspiel,  und  wer  sich  raufte 
and  auf  Beute  oder  Blutrache  auszog,  that  es  allein  nach  sitt- 


280  Deutsche   Litteratur.' 

liehen  Motiven,  oder  mit  vollendeter  Durchführung  des  Plans 
u.  s.  w."  Als  ob  lediglich  darin  der  poetische  Sinn  bestünde! 
Hr.  M.  hat  doch  die  üenkraale  der  älteren  Poesie  etwas  besser 
studirt  als  Hr.  S.,  der  wenig  oder  gar  nichts  davon  zu  verstehen 
sclieint.  Sowie  man  aus  den  historisch  überlieferten  Homeri- 
schen Gesängen  auf  die  ungefähre  lieschatfenheit  der  vorhome- 
rischen Poesie  einen  Schluss  ziehen  kann,  so  stellt  uns  ein  ähn- 
liches Verfahren  im  Nibelungenliede,  im  Heldenbuche  u.  a.  zu 
Gebote,  ja  wir  haben  sogar  noch  etwas  voraus,  indem  das  Hil- 
debrandslied uns  die  älteste  Form  der  Deutschen  Poesie  vor- 
zeichnet. Und  sollte  sich  nicht  Jeder  bald  überzeugen,  dass 
Brunhild,  die  nordische  Jungfrau,  zu  vergleichen  der  Helleni- 
schen Hippodameia ,  uralt  und  echt  Germanisch,  uns  ein  Bild 
der  ältesten,  noch  heidnischen  Poesie  gewährt*?  —  Auch  die 
Aeusserung,  dass  die  Deutschen  im  Mittelalter  die  ersten  ge- 
waltigen Züge  der  Innern  Welt  in  der  riesenhaften  und  ewigen 
Steinschrift  der  Natur  entworfen  haben  ,  ist  von  Hrn.  S.  nicht 
nur  missverstanden,  sondern  auch  verdrelit  worden,  wenn  er 
S.  99  entgegnet,  Hr.  M.  suche  in  den  Strassburger  und  Cölner 
Domen  nicht  die  Kunstfertigkeit,  den  Verstand  und  Schönheits- 
sinn der  Steinmetzen,  sondern  eine  Offenbarung  der  Natur,  der 
es  beliebte,  hier  Dome,  dort  Felshörner  und  Gletscher  entste- 
hen zu  lassen.  Dass  die  lliesenbauten'  des  Mittelalters  gerade 
durch  ihre  ungeheure  Kraft  und  Dauerhaftigkeit  mit  der  Natur 
gleichsam  zu  wetteifern  scheinen  und  demnach  als  eine  ganz 
eigne  Naturerscheinung  gelten  müssen,  ergibt  sich  aus  der  Be- 
trachtung des  Ganzen,  das  uns  ein  Ebenbild  von  der  organischen 
Entwickelung  der  Pflanzenwelt  gewährt.  Wir  verweisen  dess- 
halb  nur  auf  ßoi  sserees  Darstellung  des  Doms  zu  Cola.  Eben- 
so falsch  deutet  Hr.  S.  die  Ansichten  über  die  Mittelhochdeut. 
Poesie,  von  welcher  er  selbst  so  gut  als  gar  nichts  verstehen 
mag.  Indem  Herr  M.  von  A.  W.  Schlegels  Unterscheidung 
der  classischen  und  romantischen  Poesie  ausgeht,  setzt  er  für 
die  neuere  Zeit  im  Wesentlichen  drei  Hauptschulen  fest,  die 
antike,  romantische  und  rnodenie.  Der  Geschmack  für  antike 
Poesie  äusserte  sich  bald  nach  dem  dreissigjälirigen  Krieg,  wo 
man  auf  das  Mittelalter  nur  mitleidig  herabsah.  Den  wohl- 
thätigen  Einflnss,  welchen  das  Studium  der  Griechischen  Dich- 
ter auf  die  Deutsche  Poesie  übte,  hat  Hr.  M.  richtig  erkannt, 
aber  auch  die  Cavicaturen  einer  blinden  Nachalimerei  mit  hel- 
len Farben  gezeichnet:  ,, Auf  den  steifen  Äleisteigesang,  der 
das  Mittelalter  beschloss  und  schon  die  Römische  und  Griechi- 
sche Terminologie  aufgenommen,  folgte  die  Schlesische  Schule, 
die  gleich  der  damaligen  Französischen  und  Holländischen,  von 
wo  Opitz  sie  entlehnt,  jenen  seltsamen  Parnass  erschuf,  da 
Apollo  in  der  Perücke  mit  der  Geige  das  Concert  der  hochfri- 
sirten  Musen  dirigirte. "     Der  Befreier  aus  den  niedrigen  Fes- 


Menzel  und  Schacht  über  Deutsche  LUtcratur.  281 

sein  dieser  fratzenhaften  Nachahincrei  und  der  darauf  folgen- 
den Alongenperückcn- Poeterei  war  Klo p stock,  dessen  un- 
sterbliche Verdienste  von  Hrn.  M.  gebülirend  anerkannt  wer- 
den. Er  hat  den  Ausdruck  gereinigt  und  veredelt,  und  wenn 
er  in  Behandlung  der  Form  das  Meiste  nur  vorbereitet  hat,  so 
behauptet  er  doch  seine  grosse  Bedentnng  darin,  dass  er  zuerst 
der  antiken  Welt  zwei  Ideen  entlehnte,  die  der  damaligen  Deut- 
schen Poesie  gänzlich  abhanden  gekommen  waren,  Vaterland 
und  Keligion.  An  J.  11.  Voss  dagegen  versündigt  sich  Hr.  M. 
auf  eine  gröbliche  Weise.  Es  ist  ein  Leichtes ,  den  Leu  zu 
zausehi,  wenn  er  sich  zum  ewigen  Schlafe  gelegt  hat.  A.  W. 
Schlegels  gegriindete  Ausstellungen  au  Vossens  Ueber- 
setzungen  hat  Hr.  M .,  wie  man  bald  sieht,  zum  Grunde  gelegt, 
aber  auf  eine  etwas  maliliöse  Art  gesteigert  und  verzerrt. 
Wahr  ist  also  Schachts  Tadel  S.  IIG.  Von  Lessings  Schrif- 
ten wird  mit  Recht  gesagt,  dass  sie  den  Geist  Griechischer 
Klarheit  athmen,  und  dass  er  selbst  scharf,  keck  tind  ein  wenig 
grausam  in  der  Litteratur  aufgeräumt  habe,  wie  Napoleon  in 
der  Politik.  Ob  aber  Wieland  den  antiken  Geist  so  rein  er- 
fasst  und  dargestellt  habe,  wie  sich's  Hr.  M,  denkt,  müssen  wir 
seiir  bezweifeln.  Ein  klarer  Fluss  der  Rede  macht  noch  nicht 
das  Antike  aus.  Wohl  aber  eigneten  sich  Herder,  Göthe, 
Schiller,  die  Brüder  Schlegel  in  höherem  Grade  die 
Vorzüge  der  Griechen  an,  und  tranken  aus  dem  reinen  Quell 
des  Griechischen  Lebens.  „Dürfen  wir  eine  Vergleichung  wa- 
gen, so  ist  Herder  unser  Plalo,  Göthe  unser  Homer,  Schiller 
unser  Sophocles.  —  Fühlt  ihr  nicht  die  sanfte  Ionische  Luft, 
wenn  ihr  seinen  (Göthes)  Wilhelm  Meister,  seinen  Tasso,  seine 
Iphigenie  lest "?  Die  spiegelhafte  Klarheit  seiner  Sprache,  die 
Unmittelbarkeit  seiner  INaturanschauung  ist  seit  Homer  noch 
von  keinem  wieder  erreicht  worden."  —  In  der  näheren  Beur- 
theiluug  von  Göthe  zeigt  sich  Hr.  M.  etwas  zu  keck  und  abspre- 
chend. Hr.  S.  lehnt  sich  daher  mit  begründetem  Recht  heftig 
gegen  ihn  auf,  und  sucht  dessen  Urtheile  in  einem  wohigelun- 
genen  Dialog  nach  Gebühr  abzufertigen.  Den  Kotzebue  da- 
gegen diirfte  Hr.  M.  ziemlich  riclitig  gescliildert  haben:  „Gö- 
the spielte  mit  der  noch  vorhandenen  Unschuld  des  Jahrhun- 
derts, wie  sein  Faust  mit  Gretchen,  Kotzebue  aber  behandelte 
sie  wie  eine  Kupplerin  die  Novize  und  konnte  sie  nur  betlecken, 
ohne  sie  zu  geniessen.  Was  seiner  sclimutzigen  Leidenschaft 
unerreichbar  war,  das  riss  doch  sein  Neid  herunter."  Dass 
unter  den  Lyrikern  Bürger  und  llölty  gleichsam  abgedankt 
werden,  ist  wolil  nur  eine  Grille  des  Hrn.  M. ,  und  Hr.  S.  er- 
wiedert  mit  Recht,  dass  nur  favorisirteRecruten  an  ihren  Platz 
gehoben  werden.  Den  immergrünen  Lorbeerkranz ,  der  auf 
Biirgers  Scheitel  blüht,  wird  nicht  leicht  Jemand  herabzurei- 
ssen  die  Macht  haben.     Dagegen  zieht  auch  Hr.  S.  auf  eine 


282  Deutsche    Litteratur. 

allzuparteüsclie  Weise  gegen  Tieck  los.  Wenn  doch  in  der 
Kritik  die  persöiilicljen  Neigungen  einer  objectiven  Auffassung 
nicht  immer  gleich  vorgreifen  wollten !  Den  tief  gesunkenen  Zu- 
stand der  dramatischen  Poesie  in  neuester  Zeit  haben  beide 
Kritiker  richtig  eingesehen.  Hr.  S.  erwartet  ein  Heil  fiir  sie  in 
der  dereinstigen  Restauration  des  gänzlich  verrückten  Verhält- 
nisses zwischen  Ton-  und  Dichtkunst.  —  Gegen  die  heutige 
Rritik  hat  Hr.  M.  manche  wahre  und  begründete  Ausstellungen 
beigebracht. 

«reslau  im  3Iärz  1829.  Dr.  N.  Bach. 


1.  J oh.  Evangelist  Kaindl:    Die    teutsche  Sprache  aus  ih- 

ren W ur zen^  mit  Paragraphen  über  den  Ursprung  der  Spra- 
chen. Sulzbach.  B.  1,  1815.  LXIV  u.  408  S.  B.  2,  1823.  IV  ii.  724 
S.  B.  3,  1823.  678  S.  B.  4,  1824.  526  S.  B.  5  (Register)  1826. 
251  S.     8. 

2.  lieber   die   Sprache,     i  jidelberg  1828.  360  S.  8.      Rede 
dass  ich  dich   sehe ! 

Wenn,  wie  man  schon  öfter  bemerkt  hat,  viele  Bücher  nur 
darum  ihres  Zweckes  verfehlen,  weil  die  Verfasser  sich  die 
Gattung  von  Lesern ,  für  die  sie  schreiben  wollten,  entweder 
gar  nicht  vergegenwärtigt,  oder  sie  bald  wieder  aus  den  Augen 
verloren  hatten,  so  trösten  sich  wol  nur  wenige  Schriftsteller 
scheinbar  so  leicht  wie  der  Verf.  von  Nr.  2  der  S.  176  geradezu 
räth,  „wo  möglich  kein  Deutsches  Buch  zu  lesen,  das  seinige 
natürlich  nicht  ausgenommen,  welches,  wie  er  sagt,  so  gut  oder 
schlecht  als  jedes  andere  für  die  Wenigen  geschrieben  wurde, 
die  jeden  in  ihr  Fach  schlagenden  Druckbogen  pflichtmässig 
durchlaufen,  um  wie  man  zu  sagen  pflegt  mit  der  Zeit  fortzii- 
gehn,  d.  h.  in  Deutschland  mit  dem  Buchhandel."  Vielleicht 
hätte  er  sich  doch  weniger  leicht  getröstet,  wenn  er  bedacht 
hätte,  dass  Viele  ihrer  Pflicht  schon  genug  gethan  zu  liabcn 
glauben,  vielleicht  auch  gethan  haben,  wenn  sie  eine  flüchtige 
Bekanntschaft  mit  den  meisten  neuesten  Erscheinungen  im  Buch- 
laden oder  in  der  Litteraturzeitung  machen. 

Das  erste  Werk  macht  offenbar  Anspruch  auf  eine  genauere 
Bekanntschaft;  schon  sein  Umfang  macht  eine  vollständige  Be- 
urtheilung  in  diesen  Jahrbb.  kaum  möglich,  doch  lässt  es  sich 
auch  in  einer  kurzen  Anzeige  so  kennbar  machen,  dass  jeder 
Leser  weiss,  was  er  darin  zu  suchen  habe,  und  ob  das  Gefun- 
dene ihn  befriedigen  werde.  Der  Vrf.,  Benediktiner  und  ehe- 
maliger Archifar  der  Abtey  Prifling,  (seine  andern  Schriften 
sind  in  Meusels  Gel.  Dl.  verzeichnet)  ist  vor  der  Herausgabe 
des  fünften  Theiies  gestorben,  diess  hat  aber  seinem  Werke 


Kaindl :    die  teutschc  Sprache  aus  ihren  Würzen.  283 

nicht  geschadet,  da  der  Verleger,  J.  E.  v.  Seidel,  nun  diesen 
letzten  Theil  wie  schon  vorher  den  zweiten  mit  einer  anprei- 
senden Vorrede  verseilen  hat.  Vor  dem  ersten  Bande  befin- 
den sich  die  Paragraphen  über  den  Ursprung  der  Sprachen, 
welche  für  die  Beurtheilung  und  den  Gebrauch  des  Ganzen  sehr 
wichtig  sind.  Die  Sprache  des  Vrl'.s  selbst  hat  eine  altertliVim- 
liche  Färbung,  die  besonders  nach  grösserer  Regelmässigkeit 
der  Bildungen  strebt,  und  manche  neue  und  erneute  Wörter, 
z.  B.  gegliedet  und  doch  Gliederung,  stufengängig,  sprichet, 
Vorstand,  Aussprache  nach  dem  Verschiese  (nuance),  weder — 
weder,  Uebergabe  (tradition),  Verlurst,  Gestabe,  hier  und  dar, 
bei  nahem,  sich  auskennen  u.  s.  w. 

§  1.  Sprache  ist  die  Hörbarmachung  des  Gedachten  durch 
gegliedete  Laute  —  die  Sprache  ist  das  Eigenthum  des  Men- 
schen. §  2.  VoJi  der  Aussprache.  Sprechen  hat  den  geschärf- 
ten Begriff  von  Brechen  und  heischet  Anstrengung  ;  vollendete 
und  gesunde  Werkzeuge  sind  unerlässlich.  Mangel  an  tiichti- 
gen  Werkzeugen  und  an  zureichender  Anstrengung  hat  Abspan- 
nung, Weichheit  und  Spielarten  in  die  Sprache  gebracht.  Die 
Ursprache  ist  kraftvoll  und  lebhaft,  ihr  Sanftes  ist  geistig  ohne 
matt,  fliessend  und  nicht  schleicliend;  flau,  nicht  schlaff.  *) 
Die  gelindesten  Sprecharten  werden  es  in  dem  Gesänge  und 
im  Schwünge  der  Dichtkunst  nie  so  hoch  bringen  als  es  die 
Hebräische  Spr.  mit  ihren  stridulis  vocibus  (Hieronymus)  ge- 
bracht hat.  —  Die  Gliederung  ist  der  Sprache  wesentlich:  im- 
mer darf  sie  die  Milde  nicht  darstellen.  Die  Kiirze  der  Grund- 
laute hat  ihr  Abschnellendes:  sie  scliürzet  die  Sprache  und  er- 
leichteret den  Lauf.  Wahre  Ueberladung  durch  den  Andrang 
der  Konsonanten  hat  eine  unverdorbene  Sprache  nicht.  Wie 
lahm  wird  die  Aussprache  des  Teutschen,  wenn  das  h ,  wie 
viele  wollen,  sprachwidrig  liier  und  dar  ausgestossen  wird! 
§  3.  Die  erste  Sprache  ist  das  Werk  des  Schöpfers,  nicht 
Menschenerfindung.  Träumen,  dass  der  Schöpfer  dem  geselli- 
gen Geschöpfe  das  unverschieblichsteBedürfniss,  den  Gebrauch 
der  Sprache,  vorenthalten  habe,  ist  eine  die  Schöpfung  enteh- 
rende Ansicht.  Eine  Sprache  zu  machen  muss  man  zum  voraus 
im  Besitz  einer  Sprache  sein.  Alle  andern  Verrichtungen  des 
Lebens  würden  über  dem  Sprachgeschäfte  aufgehöret  haben. 
Erfand  der  Mensch  seine  Sprache  zur  Lust ,  so  lohnte  es  sich 
der  Mühe  nicht,   erfand  er  sie  als  BedVirfniss ,   so  würde  dieses 


*)  Denn  flau  hat  (vgl.  Th.  3  S.  193 IT.)  den  BegiifF:  schlängelnd, 
schweifend,  hin  und  wiederziehend ,  lireuzend,  webend,  schwebend, 
schwankend,  wogend,  zickzackrutschcnd,  wankend,  waschend,  schwem- 
mend, sich  unitliuend,  faltig,  beAvcgcnd,  (linderst)  in  tieferer  Stufe 
1)  matt,  2)  laulicht,  3)  schaal  (ausgeraucht,  ausgeilogcn  u.  s.  w.). 


284  Deutsche    Littcratur. 

die  Ideen  überraschet  und  erdrücket  haben.  Vielleiclit  ffab  es 
ohne  Dasein  der  Sprache  keinen  Begriff  von  einer  Sprache.  § 
4.  Ursprung  der  ander»  Sprachen.  Die  Gescliichte  der  Spra- 
chen überzeugt,  dass  alle  aus  einer  herkommen  und  keine  in 
«1er  Hauptsache  sich  dem  menschlichen  Geiste  verdanke.  Die 
Kinderlaute  zeugen  nur,  dass  sie  als  Kunstwörter  der  Ammen- 
schaft sich  mit  den  Menschenstämraen  fortgewälzt  und  mehr 
oder  weniger  verbildet  haben.  §  5.  Ursprung  der  Teutschen 
Sprache.  Auch  sie  ist  kein  Menschenmachwerk  ,•  der  Teutsche, 
der  gebildet  war,  eh'  er  noch  ward,  nahm  die  Würzen  seiner 
Sprache  aus  der  Ursprache  —  rückher  ansprechende  Beweise 
zeigen  einen  göttlichen  mittel-  oder  unmittelbaren  Ursprung 
der  Teutschen  Sprache.  §  6.  Begriff  des  unmittelbaren  göttlichen 
Ursprtmgs  der  Sprache.  Nach  der  Sündfluth  war  in  die  150  Jahre 
nur  eine  Sprache,  darnach  entstunden  mehrere,  auch  die  beim 
Thurnbau  zu  Babel  entsprungenen  sind  göttlichen  Ursprungs; 
weder  vernichtete  der  Schöpfer  sein  Werk,  die  ürspraclie, 
weder  schuff  er  neue  Sprachen  (Genesis  11,7).  Die  Warzen 
blieben,  die  von  diesen  hervorgehenden  Formen  blieben,  aber 
Gott  mischte  «e?/e  Formen  zu  den  alten,  mischte,  Avechselte, 
verwischte  einige  Stäben  z.  B.  u^  l^  t.,  ?,  selbst  in  einigen  Wür- 
zen, die  er  diesem  oder  jenem  Menschenstamme  zu  seiner 
Sprache  beschied  u.  s.  w.  (Dass  nur  Sprachverwirrung,  nicht 
Uneinigkeit  der  Baulustigen  den  Bau  zerstöret,  thut  der  Vrf. 
dui'ch  sieben  Gründe,  und  durcli  Aegyptische  und  Griechische 
Berichte  dar.)  §7.  Begriff  des  mittelbar  göttlichen  Ursprunges. 
Die  erste  Sprache  und  die  ersten  B'ormen  erhielten  sich  nicht 
immer  ureinfacli,  unzählbare  Ursachen  wirkten  progressife  Ab- 
weichungen. Drehungen,  Zusätze,  Abrisse,  Kürzungen,  AVech- 
sel  verwandter  Stäben  vorzügl.  der  Grundlaute  mitteilen  bald 
neue  Spielarten  von  Sprachen  aus.  Die  Würzen  litten  nichts  im 
Wesen,  die  Formen  litten  wie  die  Farben  vom  Verschiese  lei- 
den, so  folgte  eine  zweite  Klasse  von  Sprachen  aus  31issstal- 
tungen  (die  Griechische  und  Lateinische  z.  B.  *))  und  endlich 


*)  Zur  Demüthigung  der  Philologen  möge  hier  Fluche' s  Lr- 
theil  über  ille  Griech.  und  Lat.  Sprache  (aus  sr.  Mecanique  des  langueu 
1751)  stehen ,  welches  d.  Vrf.  wie  das  Urtheil  aller  sr  Gewährsniäiinei- 
zu  unterschreiben  scheint:  „Beide  haben  ihr  Aufkommen  von  land- 
flüchtigem Gesmde  und  Seeräubern,  ihr  Zunehmen  von  Wilden.  Kauf- 
leute aus  Phönizien,  Verlaufene  aus  Phrygien  ,  Macedonien ,  lUyrien, 
Galater,  Scythen,  Verscheuchte,  Rotten  entwichener  oder  verbannter 
haben  den  Urgrund,  den  guten  Boden  der  Gr.  Spr.  überkieset,  erste- 
cket, und  den  geschlachtcn  Stamm  einmal  über  das  andre  in  die  Wette 
misspfropfet.  Die  Lat.  Spr.  haben  die  Urabrier,  die  Gallier,  die  Sabi- 
lier,  die  lletrusker  zusammengestoppelt.      Zuwuchs  erhielt  dieses  Latein 


KalncII:    die   teutsclie  Sprache  aus  ihren  Würzen.  285 

gar  Afterspraclieii  aus  Afterspraclicn  ganz  ohne  Wurzenspur, 
ohne  riclitige  Progression,  oliiie  lleiclihaltigkeit  (so  die  Fran- 
zösische u.  a  ).  Dennoch  ist  ihnen  auch  in  der  Entwürdigung  ein 
mittelbar  gottlicher  Ursprung  nicht  abzustreiten.  §  S.  Unmit- 
telbar göttlicher  Ursprung  der  Tcutschen  Sprache.  Selbst  die 
Verehrer  der  Teutschen  Spr.  haben  sie  aus  andern  Sprachen 
hervorgehen  lassen,  Wakius  hat  sie  (1713)  meist  aus  dem 
Celtischen  oder  Clialdäischen  —  das  liaierische  vom  Syrischen 
abgeleitet,  0.  Frank  aus  dem  Persisclien,  andre  aus  der  Scy- 
then- und  Slafensprache,  ja  Einige  entblödeten  sich  nicht,  sie 
aus  dem  Griech.  und  Latein,  herzuleiten,  freilich  hat  sie  einige 
Aehniichkeit  mit  allen.     Dass  die  erste  Sprache  einzig  dieHe- 

hräische  ist  kann  fiir  ausgemacht  gelten vrgl.  Thomassin. 

Gloss.  Ilebr.  (!  !)  —  auch  die  Teutsche  ist  unmittelbar  göttli- 
chen Ursprunges,  weil  sie  mit  ihr  ebenbürtig  ist,  auf  der  Linie 
stehet,  die  identischen  Würzen  besitzt  und  nur  durcli  das  Zu- 
fällige der  Formen  einen  Unterschied  begreiflich  werden  lasset. 
§  J).  Sprachiv?irzen.  Die  Spraclnvurzen  sind  Urwörter,  unab- 
geleitet, Erstlinge  der  Sprachschöpfung,  Schlüssel  und  Ur- 
sprung vollkommener  Formen,  in  welche  sie  sich  kleiden,  in 
welchen  sie  lel)en  und  weben.  Ein  Sprachwurz  ist  ein  wörtli- 
cher.,  zmtheilburer.,  fruchtbarer  AusdrucJc  einer  verbandlosen 
Ansicht  der  Seele.  Die  Würzen  gewähren  die  Würde  der  Spra- 
che, gründen  den  Bau  der  Sprache,  entdecken  den  Gehalt  ihrer 
Wörter  und  sind  das  Mittel,  die  Reinheit  d.  Spr.  zusicheren. 
Man  siehet  die  Noth  wendigkeit  der  Würzen  und  tvas  eine  Spra- 
che ohne  Wurzefi  ist.  §  10.  Von  den  Würzen  der  Hebräischen 
Sprache.  Jede  Hebr.  Würz  ist  ein  aus  drei  Stäben  bestehendes 
Urwort;  in  der  Bibel  sind  sie  nicht  alle  enthalten.  Es  ist  zu 
vermuthen,  dass  die  Fürsehung  die  individuellen  Würzen  der 
ersten  Sprache  erhalten  habe,  deren  einige  schon  in  Formen 
anderer  Sprachen  aufgefunden  worden  sind.  So  könnte  die 
Teutsche  Spr.  auf  die  Hebr.  zurückwirken,  so  könnten  radices 
inusitatae  verificiret  werden.  §  11.  Von  den  Würzen  der  Teut- 
schen Sprache.  Jedes  untheilbare  Nebenwort  dieser  Sprache 
ist  eine  Würz.  Jedes  Teutsche  Wort  rechtfertigt  sich,  wenn 
es  eine  Teutsche  Würz  ansprechen  kann.  Wie  es  aber  auch 
untheilbare  Nebenwörter,  die  nur  Nachgevräg  oder  Spielwur- 
zen  sind,  gibet,  so  muss  sich  der  Scharfblick  des  Sprachfor- 
schers entdecken,  damit  sie  auf  die  Urwurz  zurückgewiesen 
werden.  Aus  nicht  primitifen  Zeitwörtern  entspringen  die 
nicht  primitifen  Würzen,     aus  primitifen  Nebenwörtern  ent- 


unter der  pflegenden  Hand  der  Kanipaner  und  Samniten,  d.  i.  von  eben 
80  ungeschlifTenen  Lcufen ,  die  nirgend  eine  Stupfe  von  Witz  und  Wie«- 
Ben  nach  sich  gelassen  haben.^'     S.  22.  23. 


286  Deutsche    Litteratur. 

springen  nicht  priraitife  Nehenwörter ,  deren  einige,  wiefern 
dem  fer?'^  den  priinidfen  Eintrag  thun.  —  Die  Würzen  der 
Ilebr,  Spr.  sind  auch  die  Würzen  d.  Teutschen ,  dieselbe  Urge- 
ßtalt,  Untheilbarkeit,  Bedeutung  haben  sie  in  beiden  Sprachen 
z.  B.  AfF,  Arm,  Nack.  Zu  Babel  Avurden  keine  neuen  Sprachen 
geschaffen,  also  müssen  die  Teutschen  Würzen  die  einzigen  und 
ersten  Würzen,  die  identischen  W.  der  Ilebr.  Spr.  sein.  Der- 
gleichen identische  Teutsch-Hebräische  Würzen  sind  so  viele 
aufgedeckt,  dass  IIoiFiiung  daist,  noch  meliere  Eroberungen 
zu  machen.  §  12.  Von  der  Wortforschung  und  AbleituJig.  Die 
Entdeckung  der  Gesetze,  nach  welchen  eine  Sprache  gemi- 
schet worden,  ist  der  erste  Gegenstand  des  Sprachforschers. 
§  13.  Von  den  Formen  aus  den  tFur%en.  Formen  hat  d.  Teut- 
sche  Spr.  so  viele  als  Theile  der  Rede.  Diese  Formen  sind  vol- 
lendete —  vorübergehende  Bruchstücke  aus  den  Würzen,  wel- 
che weder  selbstständig  sind  ,  weder  vorübergehend  (z.  B.  an 
von  d.  W.  ßÄw,  aus  v.  d.  W.  aufs?)  Steigerungen  der  Neben-, 
Bey- und  Progressionen  der  Zeitwörter ;  Bezüge  bestehend  in 
Geschlechts-  und  Empfindungswörtern  etc.  §14.  Von  der 
Hochteutscken  Sprache.  Darunter  verstellt  man  jene  T.  Spr. 
die  ihren  1)  Urstaben.,  2)  Ifrwurzen,  3)  Urformen  und  4)  de?i 
Urgesetzen  der  Anwendung  dieser  Stoffe  unverrückt  anhanget, 
kurz  jene  T.  Spr.,  welche  aus  der  Sprachverwirrung  zu  Babel 
gegeben  worden  ist.  Dass  sich  d.  T.  Spr.  dermal  auf  ihrer 
höclistenStuffe  befinde,  ist  durch  die  einander  widerspreclienden 
Teutschen  niclit  entschieden.  Stände  sie  aber  dermal  auf  der 
höchsten  Stulle  ihrer  Reinheit,  so  würde  sie  sich  bei  dem  Be- 
nehmen d.  Teutschen  nicht  darauf  erhalten  können.  Wer  au 
ihr  mit  Aufsehen  arbeiten  will,  fraget  nicht  nach  dem  Geltesten 
sondern  nacli  dem  Neueste)^  nach  Mustcrti ,  nicht  nach  Grün- 
r/ew,  und  giebet  sich  Gesetze  aus  iMandarten,  Dichtern ,  Kunst- 
Mörtern,  Launen,  spätteren  Sprachen.  Man  glaubet  an  eine 
ewige  Perfektibüüät ,  an  einen  Zeitgeist  der  Sprache  und 
freuet  sich  einer  ephemerischen  Spraclie.  Eine  solche  Be- 
handlung mag  zu  den  Sprachen  der  zweiten  und  dritten  Klasse 
passen,  d.  Teutsche  ist  dadurch  verloren.  (Hier  folgen  ganz 
verschiedenartige  Zeugnisse  neben  einander.)  Bei  der  Menge 
der  Dialekten  und  dem  Streben  in  einer  Dämmerung,  von  der 
ein  erwachter  Wanderer  nicht  weiss,  ob  sie  dem  Morgen  oder 
dem  Abende  angehöre,  ist  für  die  Sprache  nichts  zu  erwarten, 
als  eine  steigende  Zahl  der  an  ihr  zu  Rittern  werdenden 
Teutschlinge,  so  lange  man  die  Würzen  nicht  zu  Leitfaden  ha- 
ben kann.  Die  T.  Spr.  hat  indessen  die  trefflichsten  Schrift- 
steller, in  deren  Werken  sich  das  Hochteutsche,  mit  dem  Mund- 
artigen verquicket ,  so  gut  ausnimmt ,  als  das  Urgriechische  in 
den  31eisterstücken  der  Alten,  die  es  so  geschmackvoll  mit  dem 
Mundartigen  zu  verbinden  wussten.  —    Zuletzt  bittet  d.  Vrf. 


Kaindl :    die  teutsclic  Sprache  aus  ihren  Würzen.  281 

die  Leser  sich  an  seinein  Orthographe  nicht  zu  stossen  —  er 
bringe  nicht  alle  Würzen  der  T.  Spr.  vor,  doch  nehme  er  zweck- 
mässig viele  auf,  und  jede  sei  ein  Beitrag." 

Diese  Zusammenstellung  ist  woi  hinreichend,  um  die  An- 
sicht d.  Vf.s  und  somit  den  Ceist  des  Buches  zu  bezeichnen. 
Ueber  die  Meinung  von  dem  unmittelbaren  göttlichen  Ursprung 
der  Sprache  lässt  sich  freilich  mit  Niemand  rechten,  weil  liier 
kein  Beweis  möglich  ist.  Unterz.  scheint  es  jedoch  nur  ein 
Missvei'stand  der  göttl.  Weisheit  oder  der  göttl.  Allmacht,  zu 
behaupten,  Gott  habe  dem  Menschen  bei  der  Schöpfung  gleich 
eine  vollkommen  ausgebildete  Spr.  geben  miissen  ;  ihm  ist  eine 
solche  nicht  denkbar,  ohne  eine  gleichzeitige  vollkommene 
Ausbildung  der  geistigen  Fähigkeiten  des  Menschen,  und  so 
fällt  diese  Meinung  mit  der  Meinung  derer  zusammen,  welche 
die  ersten  Menschen  für  hochgebildet  in  jeder  Hinsicht  halten 
und  glauben  die  wildesten  Völker  jeder  Zeit,  denen  jede  Spur 
von  Veredlung  fehlt,  wären  nur  nach  und  nach  so  herabge- 
sunken. Anders  aber  ist  es  mit  dem  Tliurmbau  zu  iiabel ,  der 
hier  eine  so  grosse  Rolle  spielt:  die  dortige  Sprachverwirrung 
hat  in  die  Ansicht  des  Vrf.s  eine  Verwirrung  gebracht,  die 
man  bedauern  muss ,  da  neben  dieser  n.  a.  Seltsamkeiten  viel 
Richtiges  und  Treffendes  liegt. 

Was  das  Wörterbuch  selbst  anbetrifft,  so  möchte  man 
manches  anders  wünschen.  Dem  Vrf.  scheint  eine  eigentliche 
Kenntniss  der  Deutschen  3Iundarten,  namentl.  des  Niederdeut- 
schen ganz  abgegangen  zu  sein,  woher  denn  manches  Sonder- 
bare kommt;  dann  hatte  er  auch  die  alte  Deutsche  Spraclie  zu 
wenig  inne,  oder  versäumte  doch  die  Anwendung,  und  so  finden 
sich  in  den  zahlreichen  Ableitungen  aus  den  Würzen  die  ver- 
schiedenartigsten Bildungen  der  Reihe  nach  neben  einander  ge- 
stellt, ohne  irgend  eine  Andeutung  ob  eine  oder  die  andre  Form 
wirklich  vorhanden  sei,  entweder  in  einer  Mundart  oder  im 
Altdeutschen.  Dagegen  geht  dem  Verf.  das  Ansehn  seiner  Ge- 
währsmänner über  alles,  alles  beweist  und  belegt  er  mit  ihnen, 
daher  auf  einer  Seite  derselbe  Name  (z.  B.  Balder)  mehrmals 
vorkommt.  Das  Ganze,  besonders  aber  der  erste  Theil,  leidet 
an  unerträglicher  Weitschweifigkeit,  das  Wortregister —  was 
freilich  dem  Vrf.  nicht  zur  Last  fällt  —  hätte  weit  zweckmäs- 
siger eingerichtet  sein  können;  aber  am  nachtheiligsten  ist  es 
der  freien  Forschung  offenbar  gewesen ,  dass  der  Vrf.  sich 
gänzlich  von  dem  Klange  und  der  Bedeutung  der  Hebräischen 
Würzen  hat  leiten  und  bestimmen  lassen.  Freilich  sagt  J.  G. 
Gru  her  in  d.  Vorr.  zur  allg.  Teutschen  Synonymik  3  A.  S  X: 
„3Ian  kennt  das  Streben,  alle  Sprachen  auf  Eine  Ursprache  und 
besondere  Sprachen  auf  ihre  Stammsprache  zurückzuführen. 
Wer  nicht  mit  Peter  Franz  Joseph  Müller  den  sonderbaren  Ge- 
danken hegt,  dass  die  teutsche  Sprache  die  Ursprache  sei  (die 


288  Deutsche    Litteratur. 

Ursprache.  Düsseldorf.  1815)  der  wird  bei  dieser  auf  den  Stamm 
zurückzugehen  suchen.  Man  hat  auf  das  Ccltische^  das  G^iie- 
chische,  tlas  Persische,  zuletzt  auf  d.  Sanskrit  zurückgewie- 
sen, *)  allein  es  felilt  noch  gar  viel,  dass  man  einstimmig  ge- 
worden wäre.  Es  ist  gewiss  lieilsara,  dass  man  alle  Wege  ver- 
folgt, Aväre  es  auch  nur  um  zu  sehen,  wie  weit  und  wohin  sie 
führen,  allein  vor  Voreiligkeit  warnt  mit  Recht  Grimm  in  der 
Vorr.  zum  2.  Thl.  d.  Teutsch.  Gramm."  Wir  stimmen  ihm 
vollkommen  bei  und  fügen  nur  hinzu,  dass  es  eben  desswegen 
räthlicher  scheint,  solche  Vermuthungen  nicht  gleich  in  grö- 
ssern Werken  durchzuführen  und  dem  Geist  der  Deutschen  Spr, 
Gewalt  anzuthun.  J.  Ge.  Wakius,  der  vor  mehr  als  1(!)0  Jahren 
(1113)  behauptete,  das  Baiersche  sei  Syrisch,  hat  dafür  nur 
den  Namen  eines  Baierschen  Idioten  davongetragen  (s.  Fulde 
German.  Wurzclworte  S.  26)  und  doch  hatte  er  wahrscheinlicli 
eben  so  viel  Recht,  als  sein  Landsmann  Kaindl.  Verlassen 
wir  die  Vorstellung,  dass  die  Ursprache  göttliclie  Eingebung 
und  somit  voUk-ommen  gewesen  sei,  so  ist  offenbar,  dass  die- 
selbe jetzt  in  Deutschland  so  wenig  zu  finden  sei  als  in  Indien, 
oder  in  JudUa,  wenn  man  nicht  etwa  das  Mittel  des  weisen 
Psammetichus  (nach  Herodot  II,  2)  aufs  Neue  anwenden  wollte. 
Verwandtscliaft  der  einzelnen  Sprachen  mag  man  nachweisen, 
die  Ursprache  aber  möchte  für  uns  eben  so  verborgen  sein  als 
die  Lage  des  Paradieses,  welches  man  auch  in  allen  Weltthei- 
len,  in  Schweden  und  unter  dem  Nordpol  so  gut  wie  inKasche- 
mir  gesucht  hat,  und  wenn  Postel  (Gull.  Postellus  Barento- 
nius)  diese  Ehre  des  Nordpols  durch  astronomische  und  histo- 
rische Gründe  darthut ,  so  möchte  wol  keinem  Sprachforscher 
etwas  Aehnliches  beschieden  sein.  Hat  man  doch  die  Abstam- 
mung des  Menschengeschlechts  von  Einem  Paare  auch  bezwei- 
felt, warum  will  man  nicht  mehrere  Ursprachen  nebeneinander 
bestehen  lassen,  ü\e  für  7ins  gewiss  Ursprachen  sind*? 

Der  Verf.  behandelt  in  den  4  Bänden  344  Würzen,  wor- 
aus hervorzugehen  scheint,  dass  er  unter  Würz  etwas  andres 
versteht  als  Fulde,  der  doch  2^ — 3000  Wurzeln  in  jeder  Spra- 
che annahm  (German.  Wurzelw.  S.  41).  Daher  nennt  er  sie 
auch  Urwurzen,  schreibt  sie  aber  zum  Theil  ganz  wie  in  der 
gewöhnlichen  Sprache.     Es  sind  folgende  : 

Ir  Band:  Ab,  ach,  acht,  ad,  ad,  älb,  äff,  äff,  ahm,  ahn, 
ahn,  ahr,  all,  alt,  am,  am,  anis,  and,  ant,  arg,  arm,  as,  asp, 
auch,  auf,  aug,  aufs.  —  2r  Bd. :  haar,  bah,  bahn,  bahr,  ball, 
ball,  bang,  bann,  band,  barm,  harr,  bass,  bass,  batt,  bau, 
bauw,  baus,  bes,  bey,  beü,  bei],  beifs,  berg,   bieg,   biet,  bili, 


*)  Gruber  kannte  also  damals  —  die  Vorr.  ist  vom  18.  April,  doch 
wol  1826  —  imser  Werk  noch  nicht. 


Kaindl :   die  teutsche  Sprache  aus  ihren  Würzen.  289 

blaoli,  blach,  bland,  blau,  blaiiw,  blind,  blöd,  blöd,  bloss, 
bohr,  boU,  bos  bös,  boss,  brach,  brau  w.,  breit,  buhl,  buho, 
bunt,  butt,  däh,  dahl,  dämm,  dämm,  dau  v,  dau,  v,  dau  v,  — 
deck,  dehn,  deih,  denk,  derb,  dick,  doli,  dorr,  drang,  dreh, 
dumm,  dünn,  durra  (od,  dürr),  dürr,  dus,  eb,  eck,  eh,  eich, 
eid,  eif,  eig,  ei,  ey,  eil,  eisch,  eit,  eil,  eil,  end,  eng,  (Nachw. 
V.  eck,)  err,  ess,  ert.  —  3r  Bd.  :  fad,  iah,  fahl,  fahr,  fahr, 
falg,  fall,  färb,  fass,  faul,  fech,  fig,  fehl,  fehl,  fehl,  feig, 
feil,  fein,  feiss  (vulgo  feist,)  fett,  ferr,  feuch(t),  flach,  flau,v, 
foch,  fohr,  folg,  frey,  freis,  fremd,  frod,  fromm,  fromm 
fromm,  früh,  fug,  fühl,  fut,  fürt,  gach,  gahr,  gall,  geh,  gehr, 
geil,  gell  gelb,  gess,  geud,  giess,  giil,  glahn,  glas,  glatt,  gam, 
grab,  gram,  gramm,  gramm,  grau  w.,  gut,  hach,  hach,  had, 
haft,  hag,  hahl,  hahl,  halb,  hall,  hall,  hamm,  härm,  hart, 
has,  hass,  heb,  hehr,  heil,  heim,  hell,  hend,  heu  (d.  i.  heuw), 
hinn,  hoch,  hohl,  höhn,  huhn,  hutt,  jähr,  jamra,  irr,  kahl, 
hahr,  kämm,  kas,  katz,  keb,  kehr,  kann,  keusch,  komm.  — 
^v  Bd.:  lad,  lahm,  lau  v,  leb,  leer,  lieb,  mach,  mag,  mah, 
mahl,  mahn,  mahr,  mall,  mann,  raarr,  raascli,  raass,  manch, 
meh,  misch,  raiss,  mitt,  raohr,  muh,  mumm,  rauth,  nah,  nack, 
nah,  nähr,  nall,  narr,  nasch,  nass,  nehm,  neid,  neig,  neiss, 
nenn,  nes,  neu  v,  iiicd,  nied,  nug  (genug),  ob,  od,  oh,  ohi, 
ohn,  ohr,  paar,  pur,  q,  —  rad,  rag,  rahm,  ralin,  raub,  rauch, 
rauh  rauv  rauch  roh,  reg,  reib,  reif,  rein,  reis,  reiss,  röhr, 
roth,  ruh,  rubra,  rühr,  saal,  saal,  sag,  sah,  sah!,  saram,  satt, 
sauf,  saug,  saus,  schaam,  schab,  schach ,  schad,  schau  v., 
scheel,  scheh,  schemra,  schieb,  schuh,  schutt,  seh,  sehn,  sehr, 
seig,  seira,  seit,  sieb,  sieb,  siech,  sied,  siel,  sitt,  söhn,  such, 
taub,  taug,  thau,  tlieil,  thum,  thuv,  tod,  toll,  toss  (doss),  umm, 
vall,  wach,  wahn,  wall,  weh,  weid,  weih,  weil,  weis, 
weiss,  weit,  wes,  wied,  wohn,  wonn,  wuhn,  wuth,  zab,  zag, 
zau  V,  zier.  — 

Die  Behandlung  der  einzelnen  Würzen  ist,  wie  schon  ge- 
sagt, ganz  gleiclimässig,  aber  sie  kann,  der  Fruchtbarkeit  der 
einzelnen  gemäss,  nicht  gleich  umfassend  sein.  Am  bezeich- 
nendsten für  das  Werk  sind  wol  diejenigen,  von  denen  mehrere 
gleichlautende  vorhanden  sind,  z.  B.  die  dreifache  Würz  dau, 
fromm,  fehl,  und  die  hier  angeführten  zwiefachen. 

Das  Durchnehmen  jeder  einzelnen  würde  natürlich  ein 
Buch  hervorbringen:  um  des  Beispiels  wegen,  wie  der  Vrf. 
durchgehends  verfährt,  möge  die318  Würz  thum  (eine  der  kür- 
zesten) hier  stehn.  Sie  hat  (Th.  4  S.43üff.)  den  Begriff:  voll- 
ständig, ganz,  mit  Ein-  und  Zugehöre,  umfassend,  fertig,  ge- 
rundet, frey,  betragend,  begreifend,  summatus,  consummatus, 
gyrus,  complexus,  Bereich,  in  Räume  gebracht,  in  sich  haltend, 
gross.     Die  Hebr.  Würz  ist  D»n,  perfectus,  linitus  est,  defecit, 

Jahrb.  j.  Fhil.  u.  Fädag.  Jahrg.  V.  Heß  3.  19 


290  Deutsche  Littoratur. 

consumtus  est ,  complexus,    absolutus  est,    integer  factus  est. 
Guarin.   JVeitenmier. 

Nebenvvort :  thumra,  thummer,  tliummest. 

Beiwort:  d.  d.  d.  thumme,  thummere,  thummste. 

Erstes  scliwebes  Hauptwort:  Die  TJiumme,   Thuramheit, 

Erstes  klcbes  Hauptwort:  Die  Thumme,  Thummun^. 
Zeitw.Tliummen,  magnificarc,  Notker  bei  Fulda  2Ö7,  woTuom- 
lieit  raagiiificeiitia  und  tuomeu  niagnificare  gelesen  wird  und 
ein  (sie)  Fingerzeig  giebet,  dass  der  Umlaut  ü  nicht  Statt  ha- 
ben darf.  Von  Thumm  ist  das  Bruchstück  thuni,  wovon  thüm- 
lich  das  ü  wie  andere  mit  lieh  geendete  annimmt.  Davon  schrei- 
bet Schottel  u.  s.  w.  u.  s.  w.  Denn  das  folgende  sind  nur  Ci- 
tate.  Aber,  fragt  man,  wo  sind  denn  alle  jene  Formen '?  und 
sind  sie  nicht  vorhanden,  wozu  dient  die  immer  wiederholte 
Herzählung ^  Ich  enthalte  midi  jeder  weitern  Anmerkung. 

Diess  ist  so  im  letzten  Theile,  im  ersten  ist  alles  noch  weit 
breiterund  seltsamer,  w.  z.  B.  S.  47,  wo  die  Namen  Achatesund 
Achedoros  als  Belege  für  die  Bedeutung  der  Würz  „ach"-  Was- 
ser angeführt  sind  und  die  ganze  Stelle  daselbst.  So  heisst  es 
S.  63:  „Vgl.  ßcÄ/er  belgisch,  pone,  a  tergo  Lateinisch.  Spate 
hallet  es  aucli  für  Teutsch  obschon  selten  geworden  S.  6,  und 
für  Sachsisch  S.  lö.  Äther,  Achter,  und  das  Altpers.  Achter 
s.  Fulda  S.  326.  27."  Wie  ist  es  möglich,  so  viel  Worte  zu  ver- 
lieren*? achter  die  niederdeutsche  Form  für  after,  nach,  hinter, 
sollte  einem  Spracliforscher  wol  bekannt  sein,  da  es  ja  nach 
der  Regel  (ft  in  c'it)  verändert  ist,  so  Lucht,  Schacht  für  Luft 
u-  s.  w.  und  Lachter  für  Klafter  ist  selbst  in  die  Schriftsprache 
übergegangen.  So  sind  viele  Gewährsmänner  Beispiele  und 
Beweise,  die  nichts  oder  nur  das  Gegentheil  beweisen,  Sprüch- 
wörter, Bibelstellen  u.s.  w.,  bei  denen  man  in  ein  gerechtes  Er- 
staunen geräth:  das  hat  das  Buch  vertheuert  und  fast  unbrauch- 
bar gemacht ;  ein  Auszug  wäre  weit  zweckmässiger  gewesen, 
jetzt  kann  es  nur  denen  dienen,  die  geneigt  sind,  Schritt  vor 
Schritt  zu  folgen  und  nach  andern  Quellen  und  mit  eigner 
Ueberlegung  alles  Dargebotene  zu  sichten,  und  das  Gute  aufzu- 
bewahren, das  Falsche  zu  berichtigen  oder  zu  streichen.  Dem 
eigentlichen  Sprachforscher  möchte  es  nur  sehr  wenig  Ausbeute 
geben.  Schade  dass  der  gelehrte  und  denkende  Vrf.  manche 
neuere  Werke  entweder  nicht  gekannt,  oder  verschmäht  liat. 
Warum  d.  jetzige  Verleger  auf  dem  umgedruckten  Titelblatt  des 
ersten  Bandes  den  Wahlspruch:  „Willst  du  den  Geist  des  Va- 
terlandes bilden,  so  bilde  seine  Sprache"  weggelassen  hat,  kann 
Unterzeichneter  sich  nicht  erklären. 

Eine  Schrift  ganz  andrer  Art  ist  die  zweite.  Sie  enthält 
folgende  Abtheilungen.  S.  1— 36:  lieber  den  Rhythmus ;  S. 
37 — 182:  üeber  die  Sprachreiniger  in  drei  Paragraphen;  S. 
185—246:   Wodurch  bildet  sich  eine  Sprache;     S.  248— 320: 


Ueber    dio    Sprache.  291 

Die  Rückschritte  der  Poesie,  und  endl.  — SCO:  Stylübungen; 
Einfälle,  Anekdoten  meist  politischen  Inhalts. 

Untz.  müsste  viele  Seiten  absclireiben,  wenn  er  alles  Wah- 
re, Treifende,  Scharfsinnige,  Witzige,  was  in  den  drei  letzten 
Abschnitten  enthalten  ist,  anfiihren  sollte:  der  Vrf.  scheint  in 
seinem  Eifer  für  Vaterland,  Recht,  OefFcntlichkeit,  Freiheit  oft  zu 
weit  zu  gehen,  aber  es  ist  ein  schöner  Eifer  ;  er  scheint  oft  zu 
strenge,  ja  ungerecht  gegen  manche  Erscheinungen  voriger  und 
jetziger  Zeit  in  Dentschland,  aber  seine  Strenge,  seine  Ungerech- 
tigkeit selbst  scheinen  aus  Vaterlandsliebe  entsprungen  zu  sein, 
und  dabei  ist  das  Ganze  in  einem  reinen  und  kräftigen  Deutsch 
geschrieben.  Alles  das  ist  anders  im  zweiten  Abschnitte  „rf/e 
Sprachreiniger '■'•^  der  Seitenzahl  nach  dem  bedeutendsten  des 
ganzen  Buches  ;  man  sollte  es  für  ein  früheres  ,  unreiferes  Er- 
zeugniss  d.  Vfs  lialten.  Zwar  fehlt  es  auch  nicht  an  guten, 
gelungenen,  namentl.  witzigen  Stellen  (z.  B.  S.  21 J,  224:  ff.) ;  al- 
lein hiei*,  wo  es  gilt,  gründlich,  nicht  bloss  witzig  zu  sein,  sieht 
man  zu  deutlich,  dass  der  Vrf.  nicht  auf  festem  Boden  steht, 
dassersich  zu  wenig  mit  seinem  Stolfe  vertraut  gemacht  hat  (was 
den  Staat  anbetrifft  überlasse  ich  andern).  Spottet  er  über  die 
Deutschen  wie  die  Königin  Christine  über  die  Gelehrten ,  dass 
sie  zwar  alle  Regeln  wüssten,  aber  sie  durchaus  nicht  anzuwen- 
den verstünden,  so  hat  er  hier  durch  sein  eignes  Beispiel  seine 
Gelehrsamkeit  und  Deutschheit  glänzend  erwiesen.  So  lange 
er  vom  Allgemeinen  spricht,  hat  seine  Rede  die  vorhin  erwähn- 
ten Eigenschaften,  sobald  er  sich  zum  Einzelnen  und  Besondern 
herablässt ,  ist  er  verloren,  und  man  weiss  nicht,  täuscht  er 
sich  selbst,  oder  will  er  seine  Leser  täuschen.  Das  Verderb- 
niss  der  Deutschen  —  7iicht  abgestorbenen  sondern  kräftig  le- 
benden und  treibenden  —  Sprache  durch  Einmischung  fremd- 
artiger Bestandtheile  ist  vielleicht  die  einzigste  Erscheinung  in 
der  Geschichte  aller  Sprachen;  die  Verblendung  der  hellsehend- 
sten  Männer,  der  gelehrtesten  Sprachforscher,  unsre  Sprache, 
statt  zu  helfen,  oder  gar  um  zu  helfen,  immer  tiefer  hinabzu- 
stossen  ins  Verderben,  wird  der  klügern  Nachwelt  unbegreiflich 
scheinen;  der  Freund  ist  verderblicher  als  der  Feind,  und  die 
arme,  verlassene  Sprache  darf  keinen  andern  Wahlspruch  ha- 
ben als  den:  „Gott  behüte  mich  nur  vor  meinen  Freunden,  mit 
meinen  Feinden  will  ich  schon  fertig  werden." 

Da  das  natürliche  Gefiihl  für  Wahrheit,  Schönheit  und 
Schicklichkeit  die  Deutschen  hier  so  ganz  verlassen  zu  haben 
scheint,  so  sollten  doch  zahlreiche  Schriften  und  Schriftchen 
über  diesen  Gegenstand  ihnen  endlich  die  Augen  geöffnet  ha- 
ben: keineswegs.  Die  Anstrengungen  der  Jahre  1813  u.  1814 
haben  gänzliche  Erschöpfung  und  Gefühllosigkeit  zur  Folge  ge- 
habt, und  die  Reinheit  der  Deutschen  Spr.  ist  im  Frieden  tiefer 
gesunken  als  je.     Und  das  ist  der  Hauptvorwurf,   den  wir  der 

19* 


292  Deutsche  LItteratur. 

vorliegenden  Abhandl.  machen  müssen,  dass  dem  Vrf.  das  Un- 
Avesen  der  letzten  Jahre  unbekannt  zu  sein  scheint,  dass  er  mit 
Campe's  Wörterbuch  in  der  Hand  und  einigen  Bemerkungen  dar- 
über, den  bösen  Geist  gebannt  zu  liaben  wähnt,  der  dreissig 
Jahre  später  in  Deutschland  umgeht!  ,,So  weit  waren  wir 
gekommen,'-''  sagt  Campe  am  Schiiiss  der  Vorr.  zu  s.  Verdeut- 
schungswörterb.,  „dass  wenigstens  Aa^fiinfle  Wort,  dessen  wir 
uns  bedienten,  ein  undeutsches  war.''''  Guter  Campe!  Begeiste- 
rung war  nicht  deine  Sache,  aber  du  glaubtest,  man  würde  der 
Vernunft^  dem  gesunden,  schlichten  Mensdienverslande  Ge- 
hör und  Ehre  geben  !  Jetzt  ist  das  alles  noch  weit  ärger.  Wie 
alles  Unkraut  wuchert  auch  dieses  ins  Unendliche;  aus  allen 
Weltgegenden  strömen  ellenlange  Ungeheuer  für  kurze  Deutsche 
Wörter  zusammen,  und  das  um  des  beliebten  Grundsatzes  der 
Verständlichkeit,  der  Kürze  und  des  Wohlklanges  willen!  Es 
gibt  kein  so  mmothiges,  übelldingendes^ftilschgebildetes^  un- 
sinniges Fremdwort,  das  nicht  zu  irgend  einer  Zeit  gebraucht 
worden  ist,  gebraucht  wird,  oder  gebraucht  werden  wird,  wenn 
dem  Uebel  nicht  gründlich  gesteuert  wird. 

Wodurch  ihm  gesteuert  werden  solle?  ob  der  einzelne 
Schriftsteller  durch  seine  Stimme  viel  vermöge?  Scliwerlich. 
Es  gibt  nur  zwei  Wege,  auf  denen  der  Zweck  erreicht  werden 
könnte,  die  aber  am  besten  vereinigt  würden:  von  unten  oder 
von  oben,  d.  h.  durch  die  Schule  oder  durch  den  Staat.  Ob- 
gleich der  Vrf.  dem  Schulstande  nicht  besonders  hold  zu  sein 
scheint,  so  entschiede  sich  Uiiterz.,  wenn  nur  eins  sein  könnte, 
doch  für  die  Schule:  denn  da  sich  bei  den  Menschen  am  Ende 
doch  mehr  durch  Lehre  und  Beispiel  ausrichten  lässt  als  durch 
Befehl,  so  möchten  auch  wol  hier  die  Lehrer  mehr  ausrichten 
als  die  Gewalthaber.  Aber  wo  soll  wiederum  das  Beispiel  her- 
kommen bei  den  meisten  Lehrern,  die  ihrerseits  auf  alle  dergl. 
Bemühungen  herabschauen  als  aid  Minutien?  Unterz.,  der 
sich  seit  vielen  Jahren  in  Nebenstunden  —  denn  wer  könnte  fort- 
dauernd in  dem  Wust  herumwühlen  —  mit  diesem  Gegenstande 
beschäftigt  hat,  hält  dafür,  dass  zwei  Werke  hier  gewiss  Nu- 
tzen bringen  würden:  1)  eine  Geschichte  dieses  Unwesens  von 
der  frühesten  Zeit  an  (der  Tannhuser  ist  nicht  der  einzige, 
welcher  Französ.  Wörter  brauchte)  mit  allen  Vor-  und  Rück- 
schritten, den  wiederholten  Siegen  des  Unsinns  über  den  Ver- 
stand. 2)  eine  Zusammenstellung  des  Unraths  ,  wie  er  jetzt  in 
Büchern  namentl.  in  Zeitschriften  vorhanden  ist,  einmal  nach 
den  Gegenständen,  denen  die  Wörter  angeliören,  dann  nach 
den  Redetheilen  und  einzelnen  Wortbildungen,  wobei  am  mei- 
sten auf  die  Missgeburten,  auf  die  Thorheiten  und  die  Bequem- 
lichkeit hingewiesen  werden  müsste,  und  wo  mancher  Unschul- 
dige z.  B.  auch  unser  Vrf.  erst  inne  werden  würde,  wovon 
eigentl,  die  Bede  ist.     Verdeutschungswörterbücher,  wie  wir  sie 


Uobcr   die    Sprache. 

big  jetzt  haben,  Campe  und  den  wackern  Oerlel  ausgenom- 
men, die  immer  auf  das  Thörigte  und  das  Bessere  zugleich  hin- 
weisen, schaden  mehr  als  sie  nützen. 

Mehr  als  einzelne  Schriltsteller  wiirden  Gesellschaften 
nützen  können,  die  sich  doch  vaterländische  nennen,  und  die 
gelehrten  Zeitungen.  Aber  die  eine  Gesellschaft  (  die  Säch- 
sisch-Thüringische) hat  ja  selber  ein  Pracsidium,  einen  Präsi- 
denten und  Vicepräsidenten,  einen  Secretair,  eine  Generalver- 
sammlung, Locale  und  Termine,  und  das  alles  in  einer  Anzeige 
von  5  Zeilen!  eine  andre  hat  eine  liistorische  Section,  die  eine 
Zeitschrift  Westphalia  Iierausgibt  für  vaterländische  Cultur. 
Das  arme  VVestfalia!  Bildung  getraut  man  sich  doch  nicht  ihm 
anzubieten,  cuUivirt  wird  es  also !  Wenn  das  nicht  Spielereien 
sind,  ganz'unwürdig  ernsthafter  Männer,  Spielereien,  die  de- 
nen der  Spracligesellschaften  des  17ten  Jahrb.  nicht  bloss 
gleiclikommen,  so  frageich,  was  sind  denn  Spielereien*?  Dass 
die  Zeitschriften,  sie  mögen  nun  critische  Institute,  paedago- 
gische,  politische  oder  Luxusartikel  etc.  sein,  der  wahre  Tum- 
melplatz aller  undeutschen  Schlechtigkeiten  sind,  braucht 
nicht  erwiesen  zu  werden  —  keine  aber  ist  so  spasshaft  conse- 
quent  als  die  eine  (Leipziger).  Die  sagt  an  melirern  Orten: 
„wir  sind  gerade  keine  Puristen,  aber  wir  halten  noch  etwas 
auf  Sprachreinheit:  der  Vrf.  hat  zu  viele  fremde  //'o/te  (die 
Form  /för/er  scheint  die  Zeitung  gar  nicht  zu  kennen)  gebraucht 
u.  s.  w.  —  und  dabei  laufen  in  der  eigenen  Arbeit  so  viele 
Fremdlinge  mit  unter,  dass  man  gleich  sieht,  der  Mann  will 
spassen.  Gegen  solchen  Unfug,  gegen  Lebende^  die  sich  recht- 
fertigen oder  bessern  können,  muss  rücksichtslos  die  Wahrheit 
ausgesprochen  werden,  nicht  gegen  todte  Löwen  allein,  wie 
auch  der  Vrf.  zumTheil  gethanhat.  Der  Freiberr  v.  Gagern 
wird  schwerlich  darauf  achten  ,  wenn  man  ihm  das  abschenl. 
Deutsch  nicbt  nur  in  seinem  Einsiedler,  sondern  gar  in  seiner  Deut- 
schen Geschichte  bemerklich  macht,  aber  fiir  andre  ists  ein 
Beispiel.  So  verdient  der  Ilofr.  Luden  den  strengsten  Tadel, 
dass  er  die  Handscbrift  des  Herz.  Bernbard,  die  ihm  zur  Durch- 
sicht anvertraut  war,  so  undeutsch  abdrucken  liess.  O  der 
Schande,  dass  ein  edler  Deutscher  Herzog,  den  die  Verhält- 
nisse gezwungen,  lange  Jahre  unter  anders  redenden  Menschen 
zu  leben,  nun  in  Deutschland  selbst  reden  muss,  wie  (nach  den 
Proben  in  Radloffs  Mustersaal)  Deutsche  Bauern  in  Nordameri- 
ka! Was  soll  aus  unsrer  Sprache  werden  (um  von  tausenden 
nicht  das  Scblimmste  anzufübreii),  wenn  man  sich  nun  auch  ei- 
nen hint  geben  darf  statt  eines  Winkes*?  und  das  einem  Ge- 
schichtschreiber der  Deutschen  noch  kein  hint  ist  zur  Äen- 
derung? 

Gehn  wir  bei  diesem  Stande  der  Sachen  auf  die  Abhand- 
lung unsers  Vrf.s  über,  so  kann  sie  uns  nur  lau,  flach  und  un- 


294  Deutsche    Litterntur. 

befriedigend  erscheinen.  Audi  Campen  scheint  er  nicht 
hinlänglich  gelesen  zu  haben,  Kolbe's  Schriften  über  die 
lleiiiigung  derD.  Spr.  scheint  er  gar  nicht  zu  kennen,  nur  des- 
sen Wortreichtliura  führt  er  mehreremale  an ,  aber  —  es  mag 
blosser  Zufall  sein  —  alle  angefiihrten  Stellen  sind  aus  dem  er- 
sten Bande.  Desto  häufiger  führt  er  Hamanns  Schriften  an, 
man  sieht  ganz  deutlich,  dass  Hamanns  Tiefsinn  seinen  Geist 
befruchtet  hat;  viele  Gedanken,  auch  der  Wahlspruch:  rede, 
dass  ich  dich  sehe,  sind  aus  Hamann  entlehnt. 

,, Man  hat  es  uns  Deutschen  zum  Vorwurf  gemacht,  Klei- 
nigkeiten mit  grosser  Breite  und  Wichtigkeit  abzuliandeln;  mau 
hätte  uns  billig  dagegen  anrechnen  sollen,  dass  wir  die  wichtig- 
sten Dinge  mit  desto  grösserm  Leichtsinn  abzufertigen  ver- 
stchn.  —  Diess  letztere  Schicksal  ist  unter  andern  der  Sache 
der  Sprachreinigung  zu  Theil  geworden,  wie  sehr  auch,  wenn 
irgend  etwas,  die  Sprache  des  Volkes  als  Sache  des  Volkes  be- 
herzigt zu  werden  verdient.  —  Wie  ihrem  treuen  Beförderer 
(Campe)  ging  es  der  ganzen  Unternehmung,  die  den  Lustig- 
niachern  vielmehr  als  den  Scliriftstellern  und  Lesern  in  unserm 
nicht  sowol  an  Lächerlichkeiten  als  an  Sinn  für  die  grössern 
derselben  etwas  dürftigen  Volke  besonders  zu  "Statten  kam. 
Der  Spott  ist  eine  vortreffl.  Sache  selbst  gegen  die  beste,  weil 
er  am  Ende  doch  nur,  was  ihr  fremdartiges  und  verderbliches 
beigemischt  wurde,  trifft  und  schlägt,  und  Uebertreibungeii 
eines  Fehlers,  gleichviel  ob  scherzliaft  oder  ernsthaft  gemeint, 
gehören  in  beiden  Fällen  zu  den  kürzesten  Wegen  ihn  los  zu 
werden.  Aber  mit  der  guten  Laune  ist  es  doch  nicht  gethan, 
so  lange  sie  uns  nicht  zur  bessern  Einsicht  führt,  und  wo  man 
nicht  damit  anfing  zu  wissen,  worüber  man  lachte,  muss  man 
wenigstens  damit  zu  endigen  verstehen.  —  Es  bedarf  dann 
auch  keiner  Entschuldigung  des  Versuchs  zu  zeigen:  unter  wel- 
chen Umständen  die  Natur  der  Dinge  das  Ableiten  eines  Wor- 
tes aus  den  eignen  Sprachquellen  gebieterisch  verlangt,  uÄter 
welchen  andern  hingegen  dieBeseitigung  des  fremden  oder  fremd- 
artigen überflüssig  und  sogar  unzweckmässig  sein  würde,  und 
worin  die  Missgriffe,  die  unsre  Sprachreiniger  dem  Spotte  preis 
geben,  bestehen."  —  Wer  wird  nicht  begierig,  nach  solchen 
Worten  in  der  Einleitung  (S.  3!)~41)  seinen  Versuch  zu  lesen 
„wenn  er  auch  imr  das  Wesentlichere  seines  Gegenstandes  be- 
rühren und  ihn  somit  keineswegs  erschöpfen  wird."  ? 

Im  ersten  Abschnitte,  der  sich  im  Allgemeinen  hält,  geht 
der  Vrf.  an  Hamanns  und  Campens  Hand  gut,  er  spricht 
über  das  Wesen  der  Sprache  überhaupt  (Gemeinverständlich- 
keit), über  den  Zusammenhang  zwischen  Denk-  und  Sprachver- 
mögen („Unsre  Macht  ist  Wissen  und  unser  Wissen  Sprache'"''), 
über  Reinheit  einer  Sprache  („das  fremde  Almosen  bereichert 
uns  nicht,   uns  bereichert  nur,   was  wir  erwerben.    Erwerben 


Ucbcr    die    Sprache.  SD5 

aber,  wenn  von  dieser  geistigen  Münze  die  Rede  ist,  heisst 
Ausprägen,  alles  Umschreiben  ist  blosses  Arbeitsgeräuscli."), 
vergleicht  treliend  abgeleitete  mit  nrspri'inglichen  Sprachen, 
führt  Leibnitzens  bekannten  Ausspruch  an,  geht  dann  auf  un- 
sre  neuen  Scliolastiker  über,  gegen  die  er  sich  auf  das  stärkste 
äussert:  S.  (>5  „Wer  eitel  oder  unverschämt  genug  ist,  seinen 
Zeitgenossen  das  Erlernen  einer  ganz  neuen  selbsterfundnen 
Sprache  zuzumuthen,  einzig  und  allein  um  ihn  und  seine  Sclirif- 
ten  zu  verstehen,  der  soll  erfahren,  dass  er  nirgends  auf  einen 
Blödsinn  rechnen  darf,  der  solchen  Anmaassnngen  sich  fügt.'^'' 
Und  docli  haben  Iiunderte  von  Blödsinnigen  sich  gefügt,  an- 
drer zu  gescliweigen,  selbst  Schiller,  wie  der  Vrf.  wohl  wissen 
konnte,  und  aucli  Hamann  hat  auf  diesen,  ja  auf  einen  grössern 
Blödsinn  gerechnet,  und  der  Vrf.  liest  ihn  eifrig!  Dann  geht 
er  auf  den  Einfluss  über,  den  gewisse  Fremdwörter  auf  das 
öfFentl.  Leben  der  Deutschen  gehabt:  hier  ist  er  auf  seinem 
eigentlichen  Felde  und  spricht  scharf  und  walir  über  den  Schutz, 
den  man  höheren  Orts  gewissen  beliebten  Fremdlingen  (z.  B. 
Souverainetät)  hat  angedeihen  lassen.  Die  ganze  Stelle,  beson- 
ders der  Scliluss  (S.  74  — '18)  ist  sehr  lesens-  und  beherzigens- 
werth;  als  Probe  gebe  ich  den  Anfang:  „AVas  von  Aussen  her 
der  Faust  zu  unterwerfen  oder  im  Gedächtniss  aufzuspeichern 
war,  das  haben  wir  gehabt  und  haben  es  zum  Theil  nocli  jetzt. 
In  Waffen  und  Büchern  thaten  wir  es  Allen  gleich  und  nicht 
Wenigen  zuvor,  aber  ein  geheimer  Fluch  Hess  uns  neben  den 
Rohesten  zu  immer  tiefrer  Unbedeutsamkeit  hinsinken,  keine 
von  allen  Blüthen  wurde  zur  Frucht,  wir  bewahrten  die  Schätze 
des  Wissens  wie  der  Entmannte  seinen  Harem  und  ein  umge- 
kehrtes Midaswunder  zauberte  auch  das  edelste  Metall  in  un- 
sern  Händen  zu  Blei  u.  s.  w." 

Im  zweiten  Paragraphen  geht  der  Verf.  zum  Einzelnen 
über,  spricht  über  die  drei  Stufen  vonSprachreinigkeit,  welche 
Campe  angibt,  von  denen  aber  keine  erreichbar  sei;  meint, 
dass  die  unentbehrlichen  fremden  Ausdrücke  einen  höhern 
Werth  haben  durch  eine  vorzugsweise  beslimmte ^  kenntliche 
oder  umfassende  Bezeichnung  ihres  Gegenstandes,  und  führt 
nach  diesen  drei  Eigenschaften  eine  Anzahl  Wörter  an,  welche 
nicht  füglich  Deutsch  gegeben  werden  könnten.  Der  Vrf.  ver- 
gisst  dabei  nur,  dass  kein  verständiger  Mann  je^^es,  auch  ein 
schlechtes  Deutsches  Wort  einem  fremden,  das  als  eingebürgert 
gelten  kann,  wie  Karawane,  Paradies,  Admiral,  und  vollends 
den  Parteinaraen  Geusen,  Hugenotten  u.  s.  w.  vorziehen  wird. 
Es  ist  ferner  nicht  ganz  redlich  (wie  die  Gegner  der  Reinheit) 
durch  den  Spott  über  eine  schlechte  Uebersetzung  die  Unmög- 
lichkeit der  Uebersetzung  selbst  zu  zeigen.  Würde  sonst  nicht 
die  schülerhafte  Uebertragung  eines  ganz  unbedeutenden  Wer- 
kes für  die  Unübersetzbarkeit  des  Werkchens  selbst  Zeugniss 


296  Deutsche    Litteratur. 

ablegen?  Wenn  also  z.  B.  Elektricität  durch '  Blitzstoff  ver- 
deutscht werden  soll,  so  braucht  man  gar  nicht  auf  die  abge- 
leiteten und  zusammengesetzten  Wörter  überzugehen,  um  die 
ünstatthaftigkeit  dieser  Verdeutschung  zu  zeigen.  „Eine  Am- 
phibie ist  nach  Trapp  ein  kaltrothblütiges,  nach  Berend  ein 
kaltblütiges  Lungenthier.'-''  Gut,  das  sind  Erklärungen,  keine 
üebersetzungen,  wo  bleibt  nun  der  Spott*?  wer  in  aller  Welt 
■würde  sein  Gedicht  Rasegesang  stattDithyrambus  überschreiben  *? 
Neptunisten  und  Vulkanisten  ist  ungeschickt  übersetzt  durch 
Wasser-  und  Feuergesinnte,  aber  wer  versteht  die  fremden 
Ausdrücke  ohne  Erklärung  richtig*?  Freilich  erleichtert  eine 
allgeraeineKunstsprache  den  Verkehr  ausserordentlich,  und  diese 
Kunstwörter  könnten  wie  Bilder  und  Noten  und  gleiche  Buch- 
staben ein  umfassendes  Band  knüpfen,  aber  wo  ist  hier  der 
Anlang,  wo  das  Ende,  als  in  einer  Universallangue  statt  der 
Deutschen  Sprache'?  JVir  sollen  andern  Völkern  die  Erlernung 
unsrer  Sprache  erleichtern  und  sie  darum  zu  einem  Kauder- 
welsch machen ,  dessen  Kenntniss  am  Ende  keiner  mehr  der 
Mühe  werth  hält !  Es  ist  ein  herrlicher  Grundsatz,  dass  kein 
Wort  einer  gewissen  Sprache  dem  entsprechenden  einer  andern 
ganz  gleichzusetzen  sei,  und  wir  haben  wirklich  einen  hüb- 
schen Anfang  gemacht,  desswegen  alle  diese  unentbehrlichen 
Fremdwörter  herüberzuziehen.  Ausser  Kaiser,  Sultan,  Zaar, 
Imperator  (Empereur  einige  Jahre  lang)  haben  wir  auch  duc's, 
diica's,  dogen,  dukes  und  Herzoge,  wir  haben  eine  Ethik,  eine 
Moral  und  eine  Sittenlehre,  deren  Unterschied  von  der  neuesten 
Schule  sehr  scharfsinnig  aus  einander  gesetzt  ist,  und  die  sich 
ungefähr  unterscheiden  wie  Sauce,  Jus  und  Brühe,  wir  haben 
Aufseher  die  meist  wenig,  Inspectoren  die  schon  mehr  bedeu- 
ten, und  Ephoren  die  über  alles  wegsehen  ;  wollte  man  den 
Ephorus  noch  erhöhen,  so  raüsste  man  ihn  wahrscheinl.  in's 
Türkische  oder  auch  in's  Indische  übersetzen  (ein  Pascha  des 
Cultus  und  der  Scienzien  müsste  sich  nicht  übel  ausnehmen). 
Darauf  gründet  sich  ein  herrlicher  Vorschlag,  diesen  Grund- 
satz ins  Unendliche  auszudehnen  und  so  mit  unbegreiflicher 
Kürze  z.  B.  die  Könige  von  Europa  zu  benennen,  nämlich  den 
King,  den  Roi,  den  Re,  rey,  konge  u.  s.  w.  Denn  unsre  blöd- 
sinnigen Nachbarn  wissen  zwar  auch,  dass  ein  Deutscher  und 
ein  Französ.  Herzog  z.  B.  himmelweit  verschieden  sind,  sie  be- 
halten aber  doch  duc  für  beide,  und  mit  ihnen  ist  nichts  an- 
zufangen. 

Es  ist  freilich  wahr:  „die  fremden  Ausdrücke  bezeichnen 
nur  den  Gegenstand  ohne  ihn  zu  erklären  —  manche  wissen- 
schaftl.  Irrthümer  sind  mit  gewissen  Ausdrücken  zusammenhän- 
gend —  oft  bezahlen  wir  die  Verbannung  eines  Missklanges 
mit  der  Einbürgerung  eines  Vorurtheils  und  was  darauf  der  Vrf. 
(S.  i)7)  sagt,  aber  daraus  sollte  nur  gefolgert  werden,   dass  wir 


Ücber    die  Sprache.  297 

die  fremden  Ausdrücke  Deutsch  wiedergeben,  nicht  wie  sonst 
geschah,  silbeuwcise  übersetzen  sollen,  obgleich  bekanntlich 
eine  Menjre  Deutsclier  buchstäblich  übersetzter  Wörter  jetzt 
ganz  zweilcllos  gebraucht  werden  —  falsch  ist  also,  dass  viele 
fremde  Wörter,  weil  sie  eine  umfassefidere  Bedeutsamkeit  hät- 
ten. Deutsch  gar  nicbt  wiedergegeben  werden  könnten  (immer 
mit  einem  und  demselben  Worte'?  nein,  aber  wozu  soll  das'?): 
so  physisch,  Politik,  politisch,  moralisch,  philosopbisch,  31ü- 
ßik,  Humanität  u.  s.  w. ,  über  welcbcs  letztere  der  Vf.  sich  be- 
sonders verbreitet,  ohne  das,  was  Campe  schon  darüber  ge- 
sagt, zu  beachten,  —  ihm  liegt  mehr  daran,  den  Werth  der 
Silbe  thwn  durch  einen  glänzenden  Witz  in  Preussenthum  und 
Anhalt -Cöthenthum  ins  Licht  zu  setzen,  statt  sich  bei  andei-n 
Gewährsmännern  zu  belehren.  Es  bleibt  von  so  vielen  Wör- 
tern nach  unsrer  IMeinung  nur  der  Gebrauch  übrig,  den  der 
W  itz  von  einem  doppelsinnigen  oder  weitschichtigen  Worte  ma- 
chen kann,  und  der  wiegt  wahrlich  den  JSachtheil  nicht  auf. 
Wenn  es  kürzlich  in  derZeitung  hiess,  ein  gewisser  König  habe 
in  seinem  ^Appartement  eine  Audienz  gegeben,  so  werden  sich 
Einige  gewundert,  Andre  sich  gel'rcuet  haben,  dass  es  ihm 
nicht  ergangen,  wie  einst  Heinrich  III  an  demselben  Orte,  aber 
wer  wollte  desswegen  dieses  schöne  Wort  für  unentbehrlich 
halten*?  *). 

S.  107  spricht  der  Vf.  von  Klangähnlichkeit  und  freut  sich, 
dass  man  Deutsch  weder  Iluraanita^'  noch  Ilumaiüte  ausspreche. 
S.  111  meint  er,  wir  könnten  von  der  Wirkung,  welche  der 
grosse  Vorrath  Persischer,  Phönizischer ,  Aegyptischer  u.  a. 
Ausdrücke,  die  im  Griechischen  \o\\i.ommG\\  ^  auf  ein  Griechi- 
sches Ohr  hervorbrachte,  gar  nicht  urtheilen.  (!'?)  S.  112 
ganz  richtig,  dass  die  Spuren  des  Unterrichts,  den  ein  Volk 
dem  andern  ertheilte,  in  den  Sprachen  die  Bildungsgeschichte 
unsres  Welttheils  beurkunde:  wir  wissen  aber  nicht,  wie  er  die 
wenigen  Ausdrücke:  Gneis,  Späth,  Quarz  u.a.,  die  unter  den 
unzähligen  auf  in  u.  it  (worunter  auch  ein  W  ernerit)  ganz  ver- 
schwinden, ein  Deutsches  Gewand  nennen  kann,  in  das  Wer- 
ner seine  Lehren  und  Entdeckungen  kleidete  **j ;    in  ganz  an- 


*)  Eigentlich,  glaube  ich,  war  grosser  Hof  im  Appartement,  und 
das  ist  um  so  mehr  zu  bewundern ,  da  doch  sonst  umgekehrt  die  Ap- 
partements im  Hofe  sind. 

")  Dieser  Aussipruch  liefert  übrigens  wieder  einen  Beweis,  wie  der 
^erf.  seine  Lehren  und  Entdeckungen  vorträgt.  Es  Ist  allerdings  wahr, 
dass  auch  Französ.  Mineralogen  seit  Werner  aus  der  Deutschen  Spra- 
che vorläufig  eine  bedeutende  Anzahl  von  Benennungen  entlehnt  haben, 
die  dem  Geist  der  Französ.  Sprache  schnurstraks  entgegen  sind ,  aber 
es  ist  die  Frage,  ob  sie  das  nicht  zum  Theil  auch  ohne  Werner  gethan 


298  Deutsche  Litteratur. 

derm  Sinne  könnte  man  diess  von  Olcens  Naturgeschichte  sa- 
gen, deren  Kunstausdrücke  freilich  nicht  in  die  andern  Sprachen 
übergehen  werden.  Eben  so  sonderbar  meint  der  Vf.  S.  112: 
„Schifffahrt  und  mancherlei  Gewerbe  verdankten  Engländern 
U.Niederländern  mit  ihrer  Vervollkommnung  aucli  mehrere  ih- 
rer Benennungen.  "•  Wir  rathen  ihm,  was  Schifffahrt  anbetrifft, 
nur  Rödings  Wörterh.  der  Marine  nacbzusehen,  wo  ihm  man- 
ches klarer  werden  wird.  Die  Niederländer,  d.  h.  Niederdeut- 
sche, d.  h.  Deutsche  können  hier  keine  eigene  Klasse  ausma- 
chen, und  wenn  Deutsche,  Holländer,  Dänen  und  Schweden 
beinahe  dieselbe  Schiffersprache  haben,  so  weiss  aus  der  Ge- 


haben würden ,  wenig'stens  sind  die  angeführten  drei  Beispiele  sehr  un- 
glücklich geMÜhlt,  denn  Späth  u.  Quarz  wie  Gleite  und  wol  noch  an- 
dre, sind,  Avcnn  das  Dict.  de  l'Acad.  (die  4te  Ausg.  von  17()2  liegt  vor 
mir)  Recht  hat,  schon  lange  vor  Werner  (geh,  1749)  in  die  Französ. 
Sprache  übergegangen.  Aber  gerade  hier  zeigt  sich  recht  deutlich  der 
Unterschied  zMischen  Deutschen  u.  Französisichen  Gelehrten  ,  der  Deut- 
sche nimmt  alles  Fremde  ohne  Untersuchung,  ohne  Versuch  zum  Ue- 
bersetzen  ,  ohne  allen  Widerwillen  auf,  der  Franzose  nur  vorläufig  ; 
ja  während  noch  im  Jahre  1824  Französ,  Gelehrte  sich  bemühten,  ein- 
heimische Wörter  für  die  eingedrungnen  Kie*eischiefer,  Klingstein,  Ka- 
nelstein,  Kohlenblende  und  Hernkohlenblende  u.  s.  av.  zu  bilden  (man 
vgl.  d.  Dict,  des  sciences  naturelles  vol.  XXIV  unter  diesen  Wörtern), 
übersetzten  schon  1804  Deutsche  Gelehrte  flink  u.  m  ohlgeniuth  aus  dem 
Französ.  Kohlenblende  durch  —  Authracit  und  fügten  das  Deutsche 
AVort  nur  beiläufig  hinzu  (vergl.  Hauy  Mineral,  übers,  v.  Karsten  und 
Weiss  1804 — 10.  IV.  8.,  wo  sich  in  der  Vorr.  manche  hiehergehörige 
Ergötzlichkeiten  finden).  Wenn  aber  in  jenem  Dict.  um  der  M'issen- 
schaftlichen  Vollständigkeit  Milien  hunderte  von  Wörtern,  wie  Käutz- 
lein,  Kalblleischlachs,  Klosterwenzel,  Karpfenhering  u,  s.  w.,  auch  aus 
den  andern  Sprachen  verzeichnet  sind,  so  wird  es  keinem  einfallen, 
dieselben  für  eingebürgert  zu  halten.  Es  ist  also  viel  zu  früh,  Avenn 
auch  Raymond  (in  s.  Dict.  des  termes  appropries  aux  arts  et  aux  scien- 
ces etc.  Par.  1824.)  viele  ganz  unfranzösische  Wörter ,  ja  Avahre  Wort- 
ungeheuer als  mots  dejii  consacres  par  l'usage  ansieht,  und  diesen  frei- 
lich grossen  Vorrath  rühmend  eine  richesse  de  la  langue  des  sciences  et 
des  arts  nennt  u.  Avahrscheinlich  für  eine  nothwendige  Bereichrung  sei- 
ner Sprache  hält,  laquelle,  gräce  ä  la  double  puissance  de  Louis  XIV 
et  de  Port  Royal  est  dcvenue  et  resicra  la  langue  des  peuples  et  des 
cours  de  I'Europe !  —  nämlich  durch  die  nunmehrige  Universalität, 
nach  Avelcher  die  gute  Deutsche  Sprache  schon  so  lange  strebt.  Der 
Raum  verbietet,  hier  di'e  Deutschen  Wörter,  meist  naturwissenschaft- 
liche, welche  Raymond  aufgenommen  hat,  mitzutheüen,  unter  den 
übrigen  findet  sich  ausser  Kirscbwasser,  Kötschwasser ,  Schnapan  u. 
8.  w.  auch  —  Tugendbund  ! 


Ueber    die  Sprache.  29!> 

schichte  jedes  Kind,  wer  sie  müsse  gehildet  haben ;  einem  Hoch- 
deutschen Binnenländer  mag  freilich  manches  Niederdeutsche 
Holländisch  vorkommen.  —  Dass  die  Russische  Spraclie  (S.  1 13) 
raelir  Deutsche  Wörter  aufgenommen,  als  die  Deutsche  Wörter 
aus  allen  andern  Sprachen  zusammen,  glauben  wir  ihm,  ohne 
Beweis  wenigstens,  nicht,  obgleich  wir  von  der  lluss.  Sprache 
gar  nichts  verstehen.  In  dem  folgenden  stimmen  wir  meist  bei, 
Avenn  nur  die  Kegeln  in  der  Anwendung  nicht  gar  zu  viele  Aus- 
nahmen zuliessen;  sehr  wahr  sagt  der  Verf.  in  Campens  Geist: 
(S.  120)  „Die  erste  und  wichtigste  von  allen  Oeft'entlichkeiten 
und  die  jeder  andern  zum  Grunde  liegt,  ist  eine  verständliche 
Sprache;  und  wie  jede  andre  Oeffentliclikeit  nicht  nur  indem 
sie  das  Gute  bekannt  macht,  sondern  auch,  und  noch  mehr  in- 
dem sie  das  Böse  aufdeckt,  ihre  Wohlthätigkeit  bewährt,  so 
ist  eine  Sprache  um  so  höher  zu  schätzen,  je  unverhüllter  sie 
auch  die  hinfällige  Lüge  in  ihrer  ganzen  Blosse  darstellt,  wie 
die  nackte  Wahrheit  in  ibrer  ganzen  Kraft." 

Im  dritten  Paragr.  zieht  der  Vf.  gegen  die  Sjnaclv einiger 
zu  Felde,  aber  er  versteht  unter  diesem  Namen  hier  auch  alle 
die  Sprachlehrer,  welche  strenge  llegelmässigkeit  in  die  Spra- 
che einführen  und  desshalb  manches  ändern  wollten.  Er  lässt 
seinem  Witz  freien  Lauf,  dafür  lässt  ihn  die  Wahrheit  desto 
öfter  im  Stiche.  Die  beiden  vorigen  Abschnitte  haben  darstellen 
sollen  den  aus  dem  Zweck  der  Sprache  hervorgehenden  Grund- 
satz, zufolge  dessen  so  wenig  immer  der  eigne  als  ein  fremder, 
wohl  abei?  jedesmahl  der  verständlichere  Ausdruck  den  Vorzug 
verdient,  (S.  122)  „die  Wahl  ist  Sache  der Beurtheilung,  nicht 
selten  auch  des  Geschmacks."  Freilich  wohl,  wenn  nur  der 
Geschmack  in  Deutschland  geläutert  und  das  Urtheil  überhaupt 
vorhanden  wäre.  Es  scheint  ein  eigner  Fluch  auf  den  Deutschen 
Sprachforschern  zu  liegen,  dass  jeder  auf  irgend  eine  Weise 
die  Bahn  des  Gewöhnlichen  verlässt  und  mancherlei  Seltsam- 
keiten nachhängt;  wir  wollen  das  hier  Getadelte:  die  Neue- 
rungen, die  Wiedereinführung  wirklich  veralteter  Formen,  die 
wunderliclien  Schreibungen  (jeder  nennt  die  seine  leider  Recht- 
Schreibung)  nicht  in  Scliutz  nelimen,  doch  hätte  manches  hier 
mit  mehr  Behutsamkeit  aufgestellt  werden  sollen,  was  freilich 
nur  an  üf^r  Hand  der  Geschichte  möglich  war,  mit  der  sich 
aber  der  Vf.  nicht  gern  befasst.  Dagegen  wird  hier  ein  Sprach- 
gebrauch als  unumschränkter  Herrscher  auf  den  Thron  gesetzt, 
der  oft  weit  füglicher  Sprachmissbrauch  heissen  sollte.  Die 
Spöttereien  über  das  neu  gebildete  Grossthat  (S.  148)  legen  we- 
nigstens keine  tiefe  Sprachforschung  an  den  Tag,  aber  der  Ver- 
stand möchte  Einem  still  stehen,  wenn  der  Vf.  (S.  151  ff.)  sagt: 
„Achten  wir  daher  den  Sprachgebrauch,  wenn  er,  des  blossen 
Klanges  wegen^  um  das  Nämliche  auszudrücken,  sich  nach  Um- 
ständen verschiedner  Formen  bedient;   achten  wir  ihn  selbst 


300  Deutsche    Litferatur. 

da,  wo  er  mit  seinen  Machtsprüchen  die  geiüohnliclien  Bedin- 
gungen des  Wohllautes  zti  verletze7i  scheint ,  und  war'  es  auch 
nur  ein  Gefühl,  von  dem  wir  uns  nicht  Rechenschaft  zu  geben 
vermögen,  das  in  beiden  Fällen  ihm  zur  Seite  und  unsern  Grün- 
den gegenüber  steht'*'  u.  s.  w.  —  dann:  „Es  gibt  z.  ß.  durch- 
aus keine  allgemein  gültige  Klangregel  für  die  JNamen  der  Län- 
der und  ihrer  Bewohner,  oder  für  die  Bihlung  der  von  Städte- 
namen abgeleiteten  Beiwörter.  Die  vaterländischen  Benennun- 
gen müssen  wir  uns  schon  gefallen  lassen,  wie  sie  sind,  —  das 
Bedürfniss  ist  noch  gebieterischer  als  der  Lehrer  —  aber  wie 
soll  es  mit  den  ausländischen  gehalten  werden.  Soll  für  diese 
der  Klang  der  fremden  Sprache  die  Regel  abgeben,  soll  es  der 
unsrer  eignen'?  Für  jenen  stimmen  Reisebeschreiber  u.  IJeber- 
setzer,  für  diesen  unsre  Sprachreiniger  u.  s.  w."  Die  Verwun- 
derung weiss  wahrlich  nicht,  wo  sie  in  diesem  und  den  folgen- 
den Sätzen  all'  ihre  Fragezeichen  setzen  soll!  Gott  sei's  ge- 
klagt, wenn  ?/«s/"e  Reisebeschreiber  und  uns/ e  Vehersetzer  in 
Sachen  der  Sprache  irgend  eine  Stimme  haben  sollten  (erst  neu- 
lich hat  uns  einer  mit  einem  duca  von  Lorena  beschenkt);  nur 
dann  wäre  das  möglich,  wenn  die  Uebersetzerei  nicht  mehr  als 
Handwerk  betrieben  würde,  sondern  Jeder,  der  sich  damit  be- 
fassen wollte,  durch  eine  vollgültige  Prüfung  erweisen  raüsste, 
dass  er  seiner  Muttersprache  irenigstens  erträglich  mächtig 
wäre.  Sehen  wir  auf  die  Bildung  der  Einwohnernamen,  was 
hat  liier,  wo  die  einfachste  Biidungsregel  obwaltet,  die  Klang- 
regel, wie  sie  der  Verf.  nennt,  zu  thun*?  *)  Unwissenlieit, 
Nachlässigkeit  und  barbarische  Gelelirsamkeit  haben  freilich 
die  einfache  Regel  getrübt  und  eine  Menge  Missgeburten  er- 
zeugt, aber  sollen  jene  drei  Grazien  nun  als  Sprachgebrauch 
aufgestellt  werden?  Wer,  wie  unser  Verf.  innerhalb  weniger 
Zeilen  (S.  242)  Aiheni  ens  -  er  und  Demosthen  nebeneinander 
stellt,  dem  muss  man  es  wol  zu  gute  halten,  dass  er  Italiener, 
Venetianer,  Florentiner,  Genuesen  (oder  r?)  als  unabänder- 
lichen Sprachgebrauch  ansieht,  da  doch  schon  vor  beinahe  drei 
Jahrhunderten  Neapler,  Genuer,  Venediger,  Meviker,  wie 
Lutherer,  Benedikter  u.  s.  w.  in  Gebrauch  waren,  und  wenn  man 
damals  auch  wol  Frankreicher,  Dänemärkcr  u.  s.  w.  scJirieb, 
so  lag  doch  wieder  eine  wirkliche  Regel  zum  Grunde  (wie  bei 
Oeslreicher  u.  Märker,  vgl.  aber  Schotte,  Schottländer,  Finne, 
Finnländer).  Gerade  hier  hat  der  Unsinn  von  jeher  bis  auf  den 
heutigen  Tag  das  3Ieiste  zu  3Iarkte  gebracht ,  man  vergl.  nur 


')  Die  Regel  hcisst:  die  Namen  der  Völkerst«mme  endigen  sich 
durchaus  auf  c,  die  der  (von  Ländern,  Städten  u.  s.  w.)  abgeleiteten 
£inwohnernanien  auf  er,  nur  wenige  zum  Theil  scheinbare  Ausnah- 
men gibt  es. 


Ucbcr    die  Sprache.  301 

Porameraner,  Ernestinisch,  Albertinisch ,  Carolinura,  Leopol- 
dinisch-Caroliiiisclie  Akademie  zu  Bonn  (!)  *),  Therinopyläiscli, 
Atlienäer  (!),  Ciceroniaiiisch,  Augusteisch,  liaslerisch,  iMatliii- 
dinische  Güter;  man  hat  jetzt  einen  Baden  statt  eines  Badeners, 
wie  man  vielleicht  bald  einen  3Iann  oder  Carls  haben  wird  statt 
eines  Mannheimers  oder  eines  CarlsruJiers,  man  hat  espagno- 
lirende  Poeten  und  einen  Baiern'schen  Kreis,  so  dass,  wenn  der 
Zug  nach  derselben  Weltgegend  fortgeht,  wir  bald  auch  Böh- 
mensche  Musikanten,  Mährensche  Briider,  Pole!)Sche  Pferde 
u.  s.w.  haben  werden.  Auch  CJirist  und  Christenthura  bleiben 
nicht  unangetastet;  die  Ersch- Grubersche  Encvklop.  will  uns 
überreden,  wir  mVissten  eigentlich  Christianer  heissen  und  ge- 
wisse —  Philosophen  haben  sich  wirklich  schon  das  üngethüm 
Christianismus  aus  Frankreich  geholt.  Lasst  uns  nur  erst  diese 
offenbaren  Unrichtigkeiten  ausscheiden,  und  wir  werden  schon 
endlich  darauf  kommen,  dass  es  aucli  Perse,  Inde,  Arabe  hei- 
Bsen  müsse,  so  gut  als  Parse,  Jude,  Schwabe  u.  s.  w.  Italiener 
nennt  man  die  heutigen,  Italer  und  Italioten  die  sonstigen  Be- 
wohner von  Italien.  Keins  ist  richtig:  es  kann  nur  lauten  Itale 
oder  Italier.  Noch  auffallender  ist  der  Missbrauch  bei  den  Na- 
men der  alten  Deutschen  Stämme.  Welche  Regel  leitet  die  raei- 
ßten  Schriftsteller  1  keine  als  des  Verf.s  unselige  Klangregel. 
Ich  nehme  eine  Karte  des  alten  Deutschlands  (zu  Wilhelms  Feld- 
zügen des  Drusus),  wo  freilich  mehrere  Sprachen  friedlich  ne- 
ben einander  stellen  und  auch  Grösere  (sie)  und  Kleinere  Chau- 
ken  sich  finden  (der  Vf.  sagt  vielleicht  auch  das  kleinere  Asien*?)» 
warum  sind  da  Bataver,  Brukterer,  Mattiaker  u.  s.  w.  und  doch 
Fosen,  Frisen,  Katten  u.  s.  w. '?  Die  nocli  übrigen  Namen  hät- 
ten doch  lehren  mögen,  dass  es  auch  Variuen,  Angrivaren  u.  s  w. 
heissen  musste,  so  wie  die  Namen  Franken,  Sachsen  (Franco- 
nes,  Saxones,  in  der  vollem  Aussprache  Frankon)  schon  längst 
die  Semnonen,  Nuithonen,  Teutonen  in  Semnen,  Nuithen,  Teu- 
ten  hätten  verdeutschen  sollen.  Die  vielleicljt  nicht  zum  besten 
gegründete  Erklärung  der  Cherusci  durch  Härzker  hätte  wol 
nicht  den  allgemeinen  Beifall  gefunden,  wenn  man  den  Namen 
richtiger  in  Cherusken  umgesetzt  hätte. 

Eben  so  ungründlich  ist  der  Verf.  S.  152  und  geht  dann 
zu  den  vorgeschlagenen  Unterscheidungen  zwischen  den  von 
Städtenamen  abgeleiteten  Beiwörtern  auf  isch  und  auf  er  über, 
was  er  unglücklicher  Weise  durch  blosses  Witzeln  entscheiden 
will,  daher  die  merkwürdige  Stelle  S.  154.  Wir  haben  ein 
Augsburgisches  Glaubensbekenntnis  u.  einen  Heidelberger  Ka- 


')  Sind  denn  die  Anstalten  von  Frauen  gestiftet?  pflanzen  sich 
unsre  Fürstenhäuser  wie  bei  jenem  alten  Volke  durch  den  weiblichen 
Stamm  fort? 


302  Deutsche    Litterat ur. 

techismiis  —  und  wieder  Sclilesisclie  Leinwand  u.  Holländische 
Butter!  Träumt  der  Vei'fasser'?  Eingeschlafen  ist  er  wenig- 
stens! Wer  liat  je  einen  Volksnamen  zum  Eigenschaftswort 
gemacht  und  gesagt  ein  Franzoser  Bauer,  ein  Russes  Pferd? 
(Schweizer  Käse  möchte  die  einzige  scheinbare  Ausnahme  sein). 

Und  so  gibt  der  Verf.  bis  zu  Ende  manchfaltigen  Grund 
zum  Tadel,  den  wir  um  so  weniger  zurückhalten  dürfen,  da  er 
selbst  mit  seinem  Tadel  gegen  Fürsten  und  Scliriftsteller  gleich 
freigebig  ist.  So  bekämpft  er  auch  (um  mich  kunst-  u.  schul- 
gerecht auszudrücken)  die  Antiessisten  oder  Sigmatophagen  und 
meint,  ohne  das  s  könne  man  Schönheit,  Gefühl  —  von  Schön- 
heitgefühl  nicht  unterscheiden!  (S.  159.)  Wie  hat  der  Mann 
etwas  über  llliythmus  schreiben  können?  Kann  er  Rathhaus 
unterscheiden,  warum  nicht  Rathherr,  und  Wagenräder,  Stadt- 
thor u.  s.  w.  S.  107  nimmt  er  sich  Radioff,  Luden  und  Kolbe 
zum  Ziele  seines  Tadels.  Wir  haben  uns  mit  den  Bestrebungen 
RadloflFs  nie  befreunden  können.  Luden  gehört  nicht  zu  den 
Sprachlehrern  —  aber  einem  Kolbe  gegenüber  geziemte  es  un/- 
serm  Verf.  nicht,  sich  das  Ansehn  eines  Apollo  decidens  zu  ge- 
ben, wie  es  in  einer  frühern  ähnlichen  Schrift  heisst;  sein  Ta- 
del trifft  nur  Kleinigkeiten  und  sein  Lob  tönt  etwas  vornehm.  *) 
Die  Art,  wie  er  einige  von  Kolbe  gebrauchte  Wörter  ins  Lächer- 
liche zieht,  erinnert  ganz  an  die  Weise,  wie  W.  Menzel  in  sei- 
ner frühern  Streitschrift  S^^^n  Voss  und  dessen  Homerische 
Sprache  zu  Felde  zog,  dafür  hätte  er  billig  erst  die  Nachlässig- 
keiten in  seiner  eignen  Darstellung  tilgen  sollen,  deren  Ver- 
zeichniss  wir  jederzeit  nachzuliefern  erbötig  sind. 

Unterzeichneter  glaubte  vorauszusehen,  dass  dieses  Buch 
sich  manche  Freunde  erwerben  werde,  um  so  weniger  durfte 


•)  S.  136:  Kolbe,  ein  in  vieler  Hinsicht  verdienstvoller  Sprach- 
lehrer— .  S.  142:  ,,Nel)enwort  sagt  Kolbe"  (für  Umstandswort),  „denn 
nicht  einmal  über  die  Benennung  ihrer  Werkzeuge  sind  sie  einig  bei  dem 
Babylonischen  Bau  unsrer  armen  Sprache" — .  S.  155:  Kolbe  Vorwort 
—  Verhiiltnisswort  sagt  Campe  —  und  es  scheint  besser  u.  s,  w. ,  wo- 
zu so  bekannte  Sachen?  Hat  Kolbe  diese  Wörter  geprägt?  Der  Verf. 
sagt  gar  Grundwort  und  grundwörtlich,  und  findet  das  nicht  besonders. 
Wir  wollen  Kolbe's  Jetztzeit  nicht  vertheidigen,  aber  was  ist  (S,  KiO) 
nn  der  verschütteten  Arbeit ,  was  an  Graitsalen  auszusetzen ,  wenn  der 
Verf.  nicht  etwa  alle  Wörter  auf  sal,  Trübsal,  Scheusal,  Gransul  u.a.  w. 
für  gleichbedeutend  hält?  Und  das  gCAvagte  Vorling  und  Endung  wage 
nun  IViemand  zu  tadeln,  seitdem  ein  Sprachlehrer  (Mnrray- Wagener) 
die  Deutsche  Sprache  aus  Urlingen,  Afterlingen,  Ableitungen,  Zeit- 
wortlingen  ,  Samsetzlingen  ,  Gedrittsamsetzlingen ,  Aftersarasetzlingen 
u.  a.  Setzlingen  bestehen  lässt,  die  hoffentlich  in  unserm  Deutschen 
Boden  nicht  Wurzel  schlagen  werden! 


Französieclie    Littcratur.  80S 

er  das  Falsclie  verdecl<eii.  Der  Sache  der  Sprachreinigung  ist 
mit  Schriften  nicht  gedient,  die  weder  kalt  nocli  warm  sind 
und  ans  denen  sich  ein  Jeder  Ueweise  für  seinen  Glauhen  her- 
holen kann.  Denn  nirgend  denkt  der  Dentsche  so  Avenig  und 
so  ungern  als  in  Sachen  der  Sprache,  wo  es  nämlicli  Reinheit 
und  SchönSieit  derselben  gilt,  daher  die  vielen  tollen  u.  lächer- 
lichen Erscheinungen,  wie  sie  die  Geschichte  keines  andern  Vol- 
kes aufzuweisen  hat,  daher  die  Unwissenheit  in  den  ersten  Ge- 
setzen der  Redekunst  und  das  Schreien  gegen  die  Lehrer  deg 
Rechten.  Als  Luther  auftrat,  sprachen  auch  ganz  kluge  Leute: 
das  ist  Gebrauch  der  ganzen  Welt,  und  der  wiil's  anders  haben! 
Luther  aber  kelirte  sich  nicht  an  den  Ganzcweltsgebrauch  und 
wir  dauken's  üim  heute  noch.  Aus  jener  Verwirrung  aller  Dinge 
ist  es  erklärlich,  wie  die  Thorheiten  barbarischer  Jahrhunderte 
ungestraft,  ja  unbemerkt  wieder  aufgewärmt  werden  können,  so 
z.  B.  die,  einem  Buche  zwei  Titel  zu  geben,  einen  kurzen  frem- 
den und  einen  langen  erklärenden  Deutschen,  wovon  Unterz. 
schon  eine  hübsche  Sanmilung  hat.  Da  gibt  es  Proceres,  das 
ist  u.  s,  w. ,  Dianassologie,  d.  i.  u.  s.  w.  und  endlich  gar  eine 
Legographologie,  d.i.  u.  s.  w.  Nun,  Unterzeichneter  hofft  ea 
noch  zu  erleben ,  dass  Kinder  mit  Legologien  statt  der  Fibeln 
in  die  Schule  laufen ,  dass  Pedant  und  Archipedant  zu  wirkli- 
chen Titeln  für  Scholarchen  werden  und  dass  man  in  Deutschen 
Resideuzien  (wie  die  Behörden  irgendwo  schreiben)  Comites 
oder  Societaeten  für  Impurification  Deutscher  Sprache  nieder- 
setzt.   Der  Himmel  gebe  sein  Gedeihen ! 

H.  Lindner. 


Französische    Litteratur. 

[Fortsetz,  der  in  d.  Jbb.  Bd.  IX  S.  411 — 430  begonnenen  Beurtheilung.] 


7)  Vollständiger  Atisztig  d.  französischen  Sprach- 
lehre^ vom  Abbe  Mo=/n,  oder:  Neue  ti.  leichtere  Art^ 

französisch  zu  lernen  ^tc.  Vierte,  «ragearb.  und  verm, 
Auflage.  Stuttgart  und  Tübingen  1827,  bei  Cotta.  X,  378  u.  188  S. 
gr.  8.  16  Gr. 

8)  Ausführliche  Grammatik  der  französ.  Sprache 
für  D  euts  che^  zum  Sdiulgebrauch.  Von  M.  J.Frings,  ord. 
Lehrer  der  französ.  Spr.  am  Berliner  Gymn.  zum  grauen  Kloster. 
Zweite  Auflage.  Berlin  1828,  bei  Maurer.  XVI,  ü24  und  45  S, 
gr.    8.  1  Thlr. 


304  Französische     Lltteratur. 

Jlr.  Abbe  Blozin  in  Stuttgart  hat  den  unbestreitbaren  Ruhm, 
dass  er  für  eine  zweckmässigere  Methode  des  Französ.  Sprach- 
studiums in  Deutschland  bedeutend  gewirkt  hat,  und  er  muss 
desshalb  immer  unter  den  ersten  Französischen  Grammatikern 
genannt  werden.  Auch  das  vorliegende  Werk  (Nr.  H) ,  das  be- 
reits in  mehrjnals  wiederholten  Ausgaben  erschienen  ist,  hat 
das  Seinige  dazu  beigetragen,  die  Achtung,  welche  der  Verf. 
geniesst,  noch  zu  steigern.  Rec.  beschränkt  sicli,  da  er  das 
IJuch  als  bereits  weit  verbreitet  vermuthen  darf,  auf  eine  kurze 
Berichtserstattung,  und  erlaubt  sich  dann,  am  Schlüsse  auf 
Manches  *)  hinzudeuten,  was  er  als  mangelhaft  glaubt  bezeich- 
nen zu  miissen  und  was  wol  in  der  Folge  zu  ändern  sein  dürfte. 
Das  Werk  beginnt  mit  der  Lehre  von  der  Aussprache.  Dann 
folgen,  wie  gewöhnlicli,  Abschnitte  über  die  Interpunction, 
die  Artikel,  die  Haupt-,  Bei-,  Für-,  Zeit-,  Neben-,  Vor-, 
Bindewörter  u.  Interjectionen.  Angehängt  sind  leichte  Gesprä- 
che über  gewöhnliche  Vorfälle  im  gemeinen  Leben  und  zweck- 
mässige Wörtersaramlungen.  Wenn  wir  nun  voraussetzen  dür- 
fen, dass  unsere  Leser  aus  dieser  Mittheilung  des  Inhaltes  schon 
selbst  ersehen ,  wie  nach  unsern  im  Eingange  dieses  Aufsatzes 
aufgestellten  begründeten  Anfoderungen  an  jede  Franz.  Sprach- 
lehre die  Anordnung  systematischer  sein  müsste:  so  haben  wir 
doch  auch  noch  in  Bezug  auf  die  Ausführung  des  Einzelen  zu 
erinnern,  dass  sich  Ilr.  Mozin  —  was  ihm^  als  geboriiem  Fran- 
zosen, zwar  leicht  zu  verzeihen,  aber  an  seinem  Buche  als 
schädliche  Unvollkommenheit  zu  rügen  ist  —  bald  zu  weitläu- 
fig, bald  zu  hirz  ausgedrückt  hat.  \n  jenen  Fehler  verfällt  er 
gewöhnlich  bei  Stellen,  welche  dem  Deutschen  an  und  für  sich 
schon  klar,  in  diesen  bei  Gegenständen,  welche  —  während  sie 
für  den  gebornen  Franzosen  auch  nicht  die  mindeste  Schwie- 
rigkeit haben  mögen  —  dem  Deutschen  fremd  und  verwickelt 
erscheinen.  Zu  den  aus  solchen  Rücksichten  verfehlten  Stel- 
len rechnen  wir  unter  .andern  die  von  den  zueignenden  und  zei- 
genden Fürwörtern,    sowie  von  den  regelmässigen  und  Hilfs- 


*)  Hier  und  da  dürften  Aenderungenjefct  um  so  nötliiger  sein,  als 
Hr.  M. ,  vie  er  zum  e,rs\cn  Male  mit  seiner  Sprachlehre  hervortrat,  fast 
keinen  andern  Nebenbuhler  hatte,  als  den  geschmaok-  und  planlosen 
Meidinger.  Da  aber  dieser  beinahe  ganz  vom  Schauphitze  ver- 
sclnvunden  ist  und  andere  rüstigere  Forscher,  wie  der  leider  zu  früh 
verstorbene  Hirzel,  Schaffer,  Kirchhof,  Frings,  Bona- 
font,  Saigey  u.  A.  an  seine  Stelle  getreten  sind:  so  muss  natür- 
lich lir,  M.  die  durch  solchen  überall  wünschenswerthen  Wetteifer  ge- 
steigerten Foderungen  nicht  unberücksichtigt  lassen.  Eben  darum  Avird 
aber  auch  unser  unten  ausgesprochener  theihveiser  Tadel  mit  dem  oben 
ertheilten  Lobe  nicht  im  Widerspruche  stehn. 


Mozin:  Jfouvelle  graiuinalre  allemande-fran9iuse.  305 

Zeitwörtern  handelnden  Abschnitte,  ferner  das  dem  Deutschen 
niclit  klar  genug  zu  niacliende  Capitel  von  der  Stellung  der  con- 
struirten  Fürwörter  und  von  den  unregelmässigen  Zeitwörtern, 
bei  deren  Behandlung  sich  llr.  M.  den  Vorwuri"  der  ünvoUstäri- 
digkeit  zugezogen  hat.  Wie  leicht  hätte  er  l'Vir  eine  hier  sehr 
wünsclienswertjie  grössere  Ausluhrlichkeit  durch  Weglassung 
manches  uuuötliigen  Beispieles  Raum  gewinnen  können!  Drit- 
tens müssen  wir  es  rügen,  dass  sich  die  T'orm  des  Vortrages 
niclit  immer  gleich  geblieben  ist,  indem  Hr.  iM.  zuweilen  seine 
Hegeln  in  einer  unter  solchen  Umgebungen  höchst  unpassenden 
/.•«/ecÄeZ/icÄew  Form  darstellt;  z.B.  S.  38  Nr.  127:  ,,  Der  Leh- 
rer:  Was  für  Zeichen  gibt  es  nocli  ausser  den  Accenten*?  Der 
Schüler:  Das  Auslassungszeichen  oder  den  Apostroph,  die  Ce- 
dille, die  Trennpuncte,  das  Einscliliessungszeichen  oder  die 
Klammern,  das  Anlührungszeichen,  den  Bindestrich,  den  Ge- 
dankenstricli  und  das  Theilungszeichen.  Der  Lehrer :  Erkläre 
diese  Ausdrücke  und  gib  Beispiele  u.  s.  f."  PJhen  so  S.  3(5  u.  a. 
a.  O.  Der  einlache  Lehrstyl  würde  diese  Regeln  weit  besser 
kleiden,  und  Hr.  M.  Avird  doch  den  Französischen  Sprachleh- 
rern an  unsern  Schulen  soviel  zutrauen,  dass  sie  sich  selbst  die 
bei  der  llepetition  der  Regeln  nöthigen  Fragen  bilden  *).  Vier- 
tens darf  hier  nicht  unbemerkt  bleiben,  dass  Ilr.  M. ,  wie  Hr. 
Rammstein  (der  \f.  von  Nr.  6,  den  wir  desshalb  ebenfalls 
tadelten)  seine  Regeln  Deutsch  ii.  Französisch  vorgetragen  und 
im  J)eiitschen  xlusdrucke  nocli  viel  zu  bessern  hat.  Die  zur  Er- 
läuterung der  Regeln  aufgeführten  Beispiele  sai^enfiiNßens  dem 
Gesclimacke  der  gebildeten  Deutschen  Jugend  schwerlich  alle 
zu  unJ  bedürfen  desshalb  eine  genaue  Revision.  Vergl.  S.  324 
Nr.  2  und  anderwärts.  Das  Lihaltsverzeichniss  endlich  ist  sehr 
mangelhaft  und  muss,  wenn  es  brauchbar  werden  soll,  noch 
bedeutend  vervollständigt  werden. 

Gleichsam  in  pare?ithesi  gedenken  wir  liier  noch  einer  an- 
dern, uns  ebenfalls  zur  Beurtheilung  zugesandten  Schrift  des- 
selben Verfassers: 

Nouvelle  grammaire  allemafide -fra?ig  aise^  conte- 
nant  dans  les  deux  langucs  les  regles  de  la  langue  alleiiiaude  etc. 
Ouvrage  particitlierement  destinc  ä  la  jeuncssc  fran^aisc,  par  Abbe 
Mozin.  Troisieine  tdition.  Stuttgart  u.  Tübingen  1827,  Lei  Cotta. 
512  S.  gr.  8.  1  Thlr. 

Das  Euch  hat  uns  im  Ganzen  wolil  angesprochen,  theilt  aber 
mit  dem  vorhergehenden  fast  alle  Mängel,  und  übertrifft  es  nur 

')  Vermögen  sie  das  nicht,  so  ist  ihnen  zu  empfehlen:  Neue  fran- 
zösische Sprachlehre,  von  L.  D.  Laves,  Prof.  der  franz.  Spr,  zu  Jena. 
4tc  Aufl.  1822.  Jena,  b.  Schmid.  Vgl.  unsere  Reo.  dieses  Buches  in  der 
Jen.  Allg.  L.  Z.  1826  Nr.  192. 

Jahi/).  f.  Phil.  11.  P.idnff.  Jahre.  V.  Tieft  .1.  20 


306  Franz öslsclic    Litteratur. 

etwa  darin,  dass  es  am  rechten  Platze^  d.  h.  wo  es  für  den 
Franzosen  nötliijo;  scheint,  M'eitläufiger  in  seinen  Regeln  ist.  Im 
Kinzeien  ist  uns  besonders  anfgefallen  die  zu  schlecht  verhehlte 
Vorliebe  des  Hrn.  M.  für  seine  Muttersprache,  die  ihn  gegen 
die  Deutsche  Sprache  ungerecht  werden  lässt.  Wenn  er  z.  B. 
in  seiner  Vorerinnerung  sagt:  „La  langue  fran^aise  ou  le  goüt 
national  ne  coniporterait  pas  les  lon^ueurs  du  Doii  Carlos  de 
Schiller:"  so  vergisst  er  offenbar,  dass  nicht  der  Deutsche^ 
sondern  der  Franzose  solche  longiieurs  liebt.  Wenigstens  ist 
dem  Rec.  noch  keine  Sprache  vorgekommen,  welche  so  sehr 
hohle  und  nichtssagende  Phrasen  —  ein  lierrliches  Hilfsmittel 
für  den  seichten  Lebemann!  —  begünstigte,  als  gerade  die 
Französische  ^  wälirend  sich  die  Deutsche  nicht  durch  weit- 
schweifiges Wortgepränge ,  sondern  durch  körnigen  und  ge- 
dankenvollen Vortrag  auszeichnet.  Namentlich  in  der  drama- 
tischen Dichtkunst  dürfen  auch  die  bessten  Französisclien  Poe- 
ten einem  Schiller  nicht  zur  Seite  treten;  schon  iiire  gänz- 
liche Nichtachtung  des  Kostüms  macht  dem  Deutschen  Denker 
die  gelungensten  Stellen  —  lächerlich.  Diese  Erscheinungen 
können  schwerlich  aulFallender  dargestellt  werden  ,  als  diess 
in  einem  von  dem  Rec.  in  der  Jen.  Allg.  Lit.  Zeit.  1827  Nr.  174 
empfohlenen  Buche:  Sechs  Tragödieen  von  P.  Corfieille.,  J. 
Racine  tind  Voltaire^  für  höhere  Classen  der  Gymnasien  be- 
arbeitet von  C.  H.  Hänle.  Giessen,  b.  Heyer  1827  geschehen 
ist.  Hänle  hat  hier  immer  nur  der  langen  Rede  kurzen  Sinn 
abdrucken  lassen  und  die  widerlichen  Verstösse  gegen  die  Sit- 
ten des  Alterthums  ausgemärzt.  Einer  Aenderung  bedarf  fer- 
ner die  Lehre  von  der  Aussprache.  Kein  Deutscher  wird  sich 
befriedigt  fühlen,  wenn  er  sein  c  durch  tse^  sein  seh  durch 
ess-tse-hd  bezeichnet  findet;  oder,  wenn  er  lehren  hört:  C 
avant  ä,  e,  i,  ö,  y  se  prononce  comme  ts  ou  t(;;  oder,  wenn  er 
liest:  Dans  les  autres  mots  le  j  a  le  son  de  l'y  fran^ais,  comme 
dans  ja  (yä)  oui;  Jahr  (yäre)  annee  etc.  Ist  es  bei  solchen  An- 
weisungen möglich,  dass  der  Franzose  richtig  Deutsch  sprechen 
lernt?  Hr.  M.  wird  übrigens  hieraus  selbst  entnehmen  können, 
wie  schwierig  es  sei,  für  den  Laut  der  Buchstaben  einer  frem- 
den Sprache  vollkommen  entsprechende  Zeichen  zu  finden,  und 
wie  Unrecht  er  desshalb  hatte,  Acn  Prof.  Holder  in  Stutt- 
gart über  falsche  Tonbczeichnungen  in  dessen  Franz.  Gramma- 
tik ziemlich  derb  lierzunehmen.  Wir  schliessen  übrigens  un- 
sere Bemerkungen  über  dieses  Buch  ,  indem  wir  den  Verf.  noch 
besonders  auf  eine  sorgfältigere  Auswahl  der  Beispiele  aufmerk- 
sam machen,  die  oft  zu  schwer,  oft  zu  leicht  und  sehr  häufig 
geschmacklos  sind. 

Nr.  8.  Rec.  spricht  seine  innige  Ueberzeugung  aus,  wenn 
er  diese  Frings'sche  Grammatik  als  das  Werk  eines  den- 
kenden und  eignen  vernünftigen  Forschungen  Gehör  gebenden 


Frings :  Ausführl.  Grammatik  der  Franzos.  Sprache.  S07 

Spraclilchrcrs  hierdurch  enipfielilt.  Der  Verf.  hat  sich  ohne 
Zweifel  vor  dem  Beginne  seiner  Arbeit  mit  den  Erfordernissen 
einer  guten  Franz.  Grammatik  vertraut  gemacht,  viele  Zeit  auf 
die  Vorbereitung  zu  diesem  Werke  und  rühmlichen  Fieiss  auf 
die  Ausarbeitung  desselben  verwandt.  Zwar  entspricht  auch 
seine  Anordmmg  unseren  darüber  ausgesprochenen  Ansichten 
nicht,  denn  er  reiht  die  einzelen  Materien  folgender  Maassen 
aneinander:  1)  Von  der  Aussprache;  II)  Von  den  orthographi- 
scJicn  Zeiclien ;  III)  Von  den  Redetheilen  und  ihrer  Syntax; 
IV)  Von  dem  Zeitworte;  V)  Vom  Artikel;  VI)  Von  der  Wort- 
fügung; VII)  Von  dem  Ilauptworte;  VUI)  Von  dem  Eigen- 
schaftsworte; IX)  Von  den  Fürwörtern;  X)  Von  den  unbe- 
stimmt persönlichen  Eigenschaftswörtern;  XI)  Von  den  unre- 
gelmässigen Zeitwörtern;  XII)  Von  der  Uebereinstimraung  des 
Zeitwortes  mit  seinem  Subjecte;  XIII)  Von  den  unpersönlichen 
Zeitwörtern;  XIV)  Von  den  Hilfszeitwörtern  avoir  und  e7re; 
XV)  Vom  Gebrauche  der  3Iodi  und  Zeiten;  XVI)  Von  der  Re- 
gierung der  Zeitwörter;  XVII)  Von  den  Nebenwörtern;  XVIII) 
Von  der  Verneinung  ne;  XIX)  Von  den  Bindewörtern;  XX) 
Von  den  Präpositionen;  XXI)  Von  den  sinnverwandten  Wör- 
tern und  sonstigen  (!)  Schwierigkeiten;  —  zwar  haben  wir 
noch  Manches  an  der  Ausführung  des  Einzelen  zu  rügen  und 
sprechen  uns  darüber  hier  öffentlich  und  freimüthig  aus;  allein 
dieser  offene  Tadel  einiger  Puncte  soll  dem  Vf.  nur  einen  Bei- 
trag zur  künftigen  grösseren  Vervollkommnung  seines  Buches 
liefern  und  mit  dazu  dienen,  unserem  vorhin  ertheilten  Lobe 
um  so  mehr  Werth  zu  geben.  Bei  genauem  Durchgehen  dieser 
Franz.  Spraclilehre  fanden  wir  nämlich,  dass  die  Anordmmg 
nicht  allein  des  ganzen  Buches ,  sondern  auch  der  einzelen  Ma- 
terien oft  verfehlt;  dass  der  Vortrag  hier  und  da  zu  loeit- 
schweifig^  dann  wieder  nicht  vollständig  genug  und  mitunter 
vndeutsch  ist;  dass  der  Beispiele  im  Ganzen  zu  viele  und  un- 
ter der  Menge  auch  verwerfliche  sind;  dass  der  gegen  andere 
Sprachforscher  erhobene  Tadel  nicht  immer  gerecht^  wohl 
aber  stets  am  unrechten  Orte  angebracht  ist,  und  dass  endlich 
die  Regeln  nicht  immer  conseqiient  u.  sicher  genug  sind.  Wenn 
Rec.  sagte,  die  Anordnung  auch  der  einzelen  Materien  sei  zu- 
weilen verfelilt:  so  weisst  er  u.  a.  namentlich  auf  die  S.  Tß  § 
82  ff.  enthaltenen  Bemerkungen  über  die  besondere  Anwendung 
des  Artikels  hin.  Hr.  F.  spricht  nämlich  (§  32)  von  dem  ausser- 
ordentlichen Gebrauche  des  bestimmten  Artikels;  (§33)  von 
der  Weglassung  des  Artikels;  (§  34)  von  der  Weglassung  des 
unbestimmten  Artikels;  (§  35)  von  der  Weglassung  des  Artikels 
und  der  Präpositionen;  (§36)  von  der  Weglassung  des  Thei- 
lungsartikeis.  Rec.  hätte  so  geordnet:  §.  Der  Gebrauch  dieser 
Artikel  (im  Vorhergehenden  ist  davon  die  Rede)  stimmt  im 
Französischen  nicht  in   allen  Fällen  mit  demjenigen  überein, 

20* 


308  Französische    Litteratur. 

velclien  man  im  Deiilsclien  davon  zu  maclien  pflegt,  sondern 
I)  der  bestinimle  Artikel  sieht  oder  fehlt  zuweilen,  wo  er  im 
l)eutsclien  vermisst  oder  gesetzt  wird.  A)  Er  lindet  sich  — ; 
B)  Er  fehlt  (hier  folgen  die  einzelenFälle).  II)  Dar  unbestimmte 
Artikel  u.  s.  f,  (auf  gleiche  Welse  behandelt).  —  Dahin  gehört 
auch,  dass  Ilr.  F.  das  Zeitwort  so  weit  voranstellt,  dass  es  die 
Schüler  lernen  miissen ,  ehe  sie  die  nöthigen  Vorkenntnisse  da- 
zu besitzen;  —  dass  er  S.  05  eine  für  die  Stellung  der  Wörter 
hochwichtige  Regel  in  einer  Anmerkung  abfertigt,  was  die  Un- 
annehmlichkeit mit  sich  fiihrt,  dass  Aehnliches  wiederholt  ei- 
wälint  werden  rausste,  z.  B.  S.  72;  —  dass  er  sclion  S.  128 
(§  45)  die  Lehre  von  der  Inversion  oder  Wortversetzung  mit- 
tlieilt;  —  dass  er  S,  149  Regeln  über  die  Bildung  der  Haupt- 
wörter aus  der  Einheit  in  die  jMehrlieit  folgen  lässt,  nachdem 
er  zuvor  (von  S.  135  an)  die  Regeln  über  das  Gesclileclit  der 
Hauptwörter  aufgestellt  hatte:  ein  Verfahren,  welches  er  auch 
S.  159  IF.  beim  Eigeaschaltsworte  beobachtet  u.  s.  f.  —  Wcn-- 
den  wir  uns  zu  der  Rüge  der  Weitschweifigkeit:  so  finden  wir 
diese  u.  a.  bestätigt  in  der  Lelire  von  den  grossen  Buchstaben 
(S.  24  u.  25).  llec.  schreibt  den  ziemlich  grossen  §  nicht  ab, 
sondern  setzt  dem  Hrn.  Vf.  nur  hielier,  wie  er  etwa  die  Sache 
dargestellt  haben  würde:  „§.  Die  grossen  Buchstaben  werden 
im  Französischen  gebraucht  1)  zu  Anfang  eines  Satzes  und  Ver- 
ses (was  Hr.  F.  gar  nicht  angibt);  2)  bei  Eigennamen;  3)  bei 
den  Namen  der  Wissenschaften,  Künste,  Handwerke,  Würden, 
wenn  sie  das  Hauptsubject  des  Satzes  ausmaclien;  4)  bei  Bü- 
chertiteln (ebenfalls  von  Hrn.  F.  überselien  ).'■'"  Befremdend 
war  es  uns  hier,  unter  Nr.  1  die  Eigennamen,  und  unter  |Sr.  3 
noch  einmal  besonders  die  Namen  der  Völker  aufgeführt  zu  fin- 
den. Aehnliche  Weitschweifigkeit  begegnete  uns  S.  67  in  der 
Anmerkung;  S.  80  Auig.  XXII;  S.  92,  wo  die  Declination  der 
Ländernamen  unnöthig  war;  S.  208,  wo  uns  die  förmliclie  De- 
clination Monsieur  mon  oncle,  Monsieur  le  Conseiller  u.  dgl.  m. 
nicht  an  ihrem  Orte  scheint  u,  s.  w.  —  UnvoUständigkeit  ist 
zwar  selten,  angetrolfen  haben  wir  sie  aber  dennoch;  z.  B.  S. 
24  (§  13),  wo  die  trockene  Aufzählung  der  Scheidezeichen  nic'it 
hinreichte  (wesshalb  wir  den  Verf.  für  künftige  Verbesserung 
auf  Saigey's  unten  benrtheiltes  Werk  S.  18  if.  verweisen),  und 
S.  69,  wo  kein  Pluralis  von  dem  unbestimmten  ylrtikel  angege- 
ben wird,  wiewohl  sich  später  (S.  81  b.)  einer  findet.  —  Un- 
deutsche Ausdrücke  und  Wendungen  stehn  u.  a.  Vorrede,  S.  II: 
„alle  halbe  Jahriiunderte;"  S.  416,  Z.  2 ;  S.  4ü8,  Anmerkung, 
welche  wörtlich  so  lautet:  ., Was  soll  dieser  Satz  liier'?  Er 
kann  docli  wol  nicht  zur  Unterstützung  der  angeführten  Regel 
dienen'?  Denn  uppreiidre ^  lehren,  regiert  sowol  im  Deutschen, 
wie  im  Französischen  dei»  Dativ,  wenn  ein  Hauptwort  daran i' 
folgt.      Mau  sagt:    er  lehrt  mir  (nicht    mich)    die   Kunst.'' 


Frings :  Ausführl.  Grammatik  der  Franzüä.  Sprache.  301) 

Ausserdem  trifft  dieser  Tadel  melirere  Beispiele.  —  Dass  Aus- 
fälle j?ej;eu  andere  Grammatiker  in  einem  Schulbuche  ganz  am 
unrechten  Oi'te  sind,  haben  wir  oben  bei  der  Bcurtheihing  von 
Nr.  3  zu  zeigen  versucht;  Ilr.  F.  ist  aber  iiberdiess  selbst  mit 
der  Siache  noch  nicht  im  Klaren ,  Mcnn  er  S.  V  ff.  und  S.  407  ff. 
gegen  Kirchliof,  Ilirzel  u.  a.  zu  Felde  zieht,  indem  liier 
nicht  sein  lläsonnement,  sondern  die  Autorität  raustergiltiger 
Frauzös.  Classiker  entscheiden  kann  !  Dass  Herr  F.  dabei  mit 
einer  gewissen,  niclit  wohl  stehenden  Anmaassung,  worVibcr 
sich  bereits  Beck's  Repertorium  von  1827  Bd.  IV  S.  293  hin- 
länglich ausgesprociien  hat,  verfahren  ist,  liel  uns  unangenelmi 
auf;  doch  sei  hier  zur  Steuer  der  Wahrheit  bemerkt,  dass  der 
Schluss  seiner  Vorrede  wieder  in  dieser  Hinsicht  mit  dem  Vf. 
aussöhnt.  —  Nocli  erwähnten  wir  unpassender  Beispiele.  Vgl. 
u.  a.  S.  06,  II,  13;  S.  (57,  IV,  1:  „Die  Menschen  essen  die  Tliie- 
re,  und  die  Würmer  fressen  die  Mensclicn  ;*•'  das.  10:  „Wir 
lieben  jetzt  mehr  die  lebenden  Bilder,  als  die  bildenden  Leben- 
den;" S.  79,  XXI:  „Die  Könige  haben  lange  Arme;"  S.  89, 
XXXII,  1 :  „  Die  guten  Bücher  sind  wie  die  Statistik  der  Wis- 
senschaften, die  guten  Lehrer  sind  die  lebenden  Orakel  der- 
selben;" das.  4:  „Die  schlechten  Lehrer  und  die  schlechten 
Bücher  sind  eine  gewöhnliche  Pest  u.  s.  f.;"  S  101,  XLIII,  1: 
„Die  Schneidergesellen  haben  den  Sieg  über  die  Schustergesel- 
len davon  getragen;"  S.  113,  LllI;  S.  142,  LXXI,  2 ;  S.  183, 
CIV,  1  u.  s.  f.  Micht  selten  ist  aucli  hier  der  Deutsche  Aiisdruck 
verfehlt;  vgl.  u.  a.  S.68,  V,  7:  „Der  Engländer  sticht  die  Schön- 
heiten und  der  Franzose  die  Gebrechen;"  S.  76,  XVI:  „Jetzt 
trinke  ich  lieber  Bouillon;'"  S.  176,  CI,  1:  „Er  hat  nur  einen 
einzigen  Sohn,  welcher  aber  luit  all  seinem  Gelde  ein  armer 
Kerl  ist'-'-  u.  s.  f.  —  Inconsequenz  endlich  und  Unsicherheit  in 
den  Regeln  fand  Reo.  S.  26  bei  der  Lelire  vom  Artikel;  S.  31 
bei  der  Lehre  von  den  Modis ;  S.  33  bei  der  vom  Numerus; 
S.  236  bei  der  Bestimmung  des  Gebrauches  von  le  qnel  und  la 
(juelle  ^  sowie  (S.  255  ff.)  von  aiilrui\  S.  335  bei  der  Lehre  vom 
Gebrauche  der  Hilfszeitwörter  avoir  und  etre  u.  s.  f. 

Das  45  Seiten  einnehmende  Register  ist  sehr  gut  und 
brauchbar;  dennoch  wird  der  eigne  Gebrauch  Herrn  F.  noch 
manche  Nachträge  an  die  Hand  geben,  so  wie  er  auch  das  3 
Seiten  betragende  Druckfehlerverzeichniss  noch  vervollständi- 
gen muss. 

Rec.  hat  bisher  lediglich  von  Französischen  Grammati- 
ken gesprochen,  will  aber  dieses  Mal  auch  noch  einige  an- 
dere llüßbächcr  für  die  Erlernung  jener  Sjyruche  berühren, 
nämlich: 


SlO  Franzöalache    Littcratur. 

9)  Handbuch  der  neueren  französischen  Sprache 
und  Litterat ur^  zum  Gebrauche  für  höhere  Schulanstiilten 
elc.  Von  K.  Ad.  Menzel ,  kön.  preuss.  Consistorial  -  und  Schulrathe. 
Breslau  1827,  bei  Goschorsky.  IV  u.  30ö  S.  gr.  8.  1  Thlr. 

10)  Erklärende  französische  Lehr  stunden.,  oder  in- 
teressante Stücke  zum  Uebersctzen  aus  dem  Deutschen  ins  Franzö- 
sische etc.  Von  C.  Saigey,  Lehrer  an  d,  kön.  Landschule  zu  Meissen. 
Meissen  1827,  bei  Gödsche.   VIII  u.  469  S.  8.  1  Thlr.  8  Gr. 

11)  Die  Kinderinsel.  Eine  Uebungsschrift  zum  Uebersetzen 
aus  dem  Deutschen  in  das  Französische.  Aus  dem  Französischen 
der  Frau  von  Genlis  ins  Deutsche  übersetzt  und  mit  unterj;^elegter 
Phraseologie  herausgegeben  von  M.  Joh.  Ekkenstcin,  öffentlicher(ni) 
Lehrer  der  franz.  Spr.  und  Litt,  am  Gymn.  in  Zittau.  Görlitz  1827, 
bei  Zobel.  VIII  u.  110  S.  8.  6  Gr. 

Von  Französischen  Lesebüchern  verlangt  der  Rec,  wenn 
er  sie  fiir  nützlich  erklären  soll,  dass  ihr  StoiF  1)  für  die  Clas- 
se,  welcher  das  Buch  gewidmet  ist,  passend,  2)  aus  Französi- 
schen Classikern  entlehnt  sei,  und  3)  Religion  und  Sittlichkeit 
nicht  verletze.  Die  Beifügung  von  Anmerkungen  hält  er '  nicht 
grade  für  ?iöthig ^  aber  doch  für  lobenswerth  und  nützlich.,  in- 
dem den  Französischen  Sprachlehrern  dadurch  eine  gewiss  er- 
wünschte Unterstützung  bei  Erklärung  und  Benutzung  des  Stof- 
fes gewährt  wird.  Ein  Wörterverzeichfiiss  ist ,  bei  der  Wohl- 
feilheit einiger  Producta  "der  Art,  entbehrlich. 

Nr.  9,  für  höhere  Classen  von  Gymnasien  berechnet,  ent- 
spricht diesen  von  1  bis  3  gemachten  Forderungen.  —  Im  Vor- 
worte bemerkt  der  Verf.,  dass  man  in  den  meisten  Gymnasien 
über  die  Schwierigkeit  klage,  den  Schülern  der  oberen  Classen 
lebendigen,  dauernde  Theilnahme  am  Unterrichte  in  der  Franz. 
Sprache  einzuflössen.  Er  gibt  zwar  zu,  dass  die  Schuld  oft  an 
der  Behandlung  liegen  möge,  auch  zuweilen  an  der  Stellung 
dieses  Unterrichtes  gegen  die  übrigen  Lehrfächer;  als  gewöhn- 
lichen Grund  aber  gibt  er,  im  Einverständnisse  mit  anderen 
sachkundigen  Beobachtern,  den  3Iangel  eines  der  Deutschen  Ju- 
gend ganz  zusagenden  Lehrstoffes  an ,  indem  selbst  das  werth- 
voUe  Handbuch  von  Ideler  u.  Nolte  theils  für  einen  mehr- 
jährigen Cursus  nicht  ausreiche,  theils  sich  auf  einen  Zeitraum 
der  Littcratur  beschränke,  über  dessen  Ideenkreis  das  gegen- 
wärtige Geschlecht  weit  hinaus  sei,  dessen  meiste  Erzeugnisse 
daher  Deutsche  des  neunzehnten  Jahrhundertes,  zumal  Jüng- 
linge, nicht  befriedigen  könnten.  Rec.  muss  gestehen,  dass  er 
die  schlaffe  Theilnahme  der  Schüler  am  Französ.  Sprachunter- 
richte nicht  sowohl  in  dem  von  Hrn.  C.  R.  Menzel  zuletzt,  son- 
dern vielmehr  meistens  in  den  beiden  von  ihm  zuerst  angeführ- 
ten Umständen  (der  Behandlung  und  Stellung  dieses  Unterrich- 


Mcnzel's  Handbuch  der  Franz.  Sprache  und  Litteratur.       311 

tes)  begründet  gefunden  hat.  Denn  abgesehen  davon,  dass 
Frankreich  auch  seine  Classiker  besitzt,  die  noch  nicht  veraltet, 
über  deren  Ideenkreis  wir  noch  nicht  hinaus  sind  *);  abgese- 
hen davon,  dass  es  an  brauchbaren  Lesebüchern  für  die  höhe- 
ren Classen  **)  eben  nicht  fehlt:  so  springt  es  doch  wol  in  die 
Augen,  dass  ein  Lehrfach,  welches  als  Nebensache  von  Neben- 
lehrern  in  Nebensiimden  betrieben  zu  werden  pflegt,  nur  von 
wenigen,  ganz  vorzüglichen  Schülern  mit  Achtung  und  Liebe 
umfasst  werden  kann  ***).  Eine  tüchtigere  Beschäftigung  un- 
serer Gymnasiasten  mit  der  Französischen  Sprache  wird  nie  an- 
ders, als  durch  Wegräumung  dieser  Hindernisse  erreicht  wer- 
den können,  und  wir  freuen  uns,  dass  man  bereits  an  vielen 
Orten  daraufhinwirkt.  Ist  nun  aber  auch  Rec.  hierin  mit  dem 
Herausg.  nicht  ganz  einig:  so  muss  er  doch  dem  Buche  selbst 
sein  besstes  Lob  spenden,  und  er  nennt,  statt  aller  weiteren 
Empfehlung,  die  in  demselben  enthaltenen,  sinnig  ausgewähl- 
ten Stücke. 

Aus  des  geistreichen  Friedrich  Ancillon  (geb.  zu  Berlin,  d. 
SO  Apr.  1766)  Serjnons  (Berlin,  1818)  wird  der  Sermon  sur  le 
jubile  se'culaire  de  la  monarchie  prussienne,  und  aus  desselben 
Tableaus  des  revolutions  dti  Systeme  politique  de  VEurope  de- 
puis  lafin  du  quinzieme  siede  (Paris,  1806)  die  Geschichte  der 
lleformation  in  Deutschland  mitgetiieilt.  Dann  folgt  vieles  In- 
teressante aus  der  Deutschen  Französin  Anne  Germaine  v.  Stael 
(geb.  1765,  st.  1817)  Werke  über  Deutschland;  aus  des  begei- 
sterten Frangois  Auguste  Vicomte  de  Chateaubriand  (geb.  1769 
zu  Combourg  in  der  Bretagne)  Märtyrer  und  dem  Itineraire  de 
Paris  ä  Jerusalem;  ferner  aus  des  Historikers  Charles  Lacre- 
teile  aus  Metz  Geschichte  von  Frankreich  (6  Bde.,  Paris  1812) ; 
aus  Henri  Jominis  Histoire  critique  et  niilitaire  des  carapagnes 
de  la  revolution  (15  Bde.,  Paris  1820);  aus  Napoleon  Buona- 
parte's  Dictaten  auf  St.  Helena  an  General  Montholon ;  weiter 
aus  des  unermüdlichen  Grafen  Las  Cases  (geb.  1763)  Memo- 


*)  Dafür  zeugt  schon  der  Umstand,  dass  die  wiederholten,  auch 
ia  Deutschland  veranstalteten  Aus^gaben  der  ersten  Französischen  Classi- 
ker so  reichliche  Unterstützung  finden. 

**)  Rec.  führt  hier  u.  a.  an:  Ilänles  sechs  Tragödieen  von  Corneille 
u.  s.  w.  dessen,  1826;  Dess.  vier  Schauspiele  von  Meliere.  Das.  1827; 
Mittler'«  lecture  instriictive ;  Wolff''s  Lesebuch  W.  Auch  wird  ein  verstän- 
diger Lehrer  den  Schülern  die  Werke  der  Franz.  Classiker  selbst  in  die 
Hände  geben  können. 

'")  Eine  wahrhaft  schreckliche  Schihlcrung  von  dem  Zustande 
des  Franz.  Spriichunterriclitcs  auf  manchen  Gymnasien  las  Rec,  in  der 
AUg.  Sclmlzeitung  von  1825  Nr.  50  S.  391  ff. 


312  Franzüäiäclic    Llttcratur. 

rial  de  St.  Ilt'Iene  (Bd.  7);  aus  des  ausdruclcsvollen,  Rec.  möcTi- 
te  sagen,  epischen  Sc'gur  d.  J.  (geb.  IISO)  Ilistoire  de  Napoleon 
et  de  la  grande  ainitfe  pendant  l'annt^e  1812  (Paris,  1814J ;  aus 
dem  2ten  ßaiide  der  Memoires  ou  Souvenirs  et  Anecdotes  des 
Gral'eu  Se'gtir  d.  Aelt.  (geb.  1753) ;  aus  dem  ersten  Theile  der 
Soirees  de  St.  Pctersbourg,  ou  entretiens  sur  le  gouvernemeut 
temporel  de  la  providence  des  Grafen  Joseph  de  Maislre  (geb. 
1753,  st,  1825);  aucli  ist  der  sclireibsclige  Piiblicist  de  Piadt 
(geb.  1759)  nicJit  vergessen.  —  Es  kann  niclit  fehlen,  dass 
diese  schöne  Sammlung ,  in  der  Hand  eines  gelehrten  und  ge- 
wissenhaften Lehrers,  grossen  Nutzen  stifte.  Dieser  wird  ohne 
Zweifel  noch  bedeutender  sein,  wenn  es  Hrn.  M.  bei  einer  neuen 
Auilage  gefallen  sollte,  passende  Anmerkungen,  etwa  nach  Art 
von  Müller' s  oben  erwähnter  Lecture  instructive,  hinzuzu- 
fügen. 

Nr.  10  u.  11  sollen  zur  Vervollkommnung  der  Jugend  (sie 
sind  mehr  für  Anfänger  berechnet)  im  Uebersetzen  aus  dem 
Deutschen  ins  Französische  dienen.  Auch  an  solche  Hilfsbü- 
cher macht  Rec.  die  Forderung,  dass  sie  1)  der  Fassungskraft 
der  Schüler  entsprechen,.  2)  in  religiöser  und  moralischer  Hin- 
sicht durchaus  rein,  und  3)  mit  echt  Französischen  Phrasen  be- 
gleitet sind.  Beide  anzuzeigenden  Bücher  sind  nach  ähnlichen 
Grundsätzen  bearbeitet,    und  verdienen  desshalb  Empfehlung. 

Der  Inhalt  von  Nr.  10  geht  aus  dem  oben  mitgetheilten  Ti- 
tel des  Buches  nicht  deutlich  hervor;  wir  legen  ihn  desshalb, 
da  die  Arbeit  bekannt  und  gebraucht  zu  werden  verdient,  vor 
Allem  vollständig  dar.  Zuerst  werden  vorläufige  Anweisiingen 
mitgetheilt.  Diese  enthalten  (S.  10)  Mittheilungen  über  die 
Eigenschaften  des  Styls,  über  Deutlichkeit  und  Angemessenheit 
desselben,  über  die  Construction  (S.  13),  über  den  Gebrauch 
der  Interpunctionszeichen  (S.  18),  über  die  Stellung  der  Ad- 
jectifs  vor  oder  nach  den  Hauptwörtern  (S.  25),  über  die  Ue- 
bereinstimmung  des  Bei- und  Zeitwortes  mit  dem  Hauptworte 
(S.  32) ,  über  die  Präpositionen  de  (S,  41)  und  u  (S.  43).  Nun 
folgt  der  Haupttheil  des  Buches ,  welcher  Jt3  Deutsche  Aufga- 
ben zum  Uebersetzen  ins  Französische  (S.  SßiT.)  darbietet,  de- 
nen sich  von  S.  291  an  42  Deutsche  Briefe  zu  gleichem  Behnfe 
anschliessen.  Den  Beschluss  macht  (S.  350  IT.)  noch  manches 
Wissenswürdige  aus  der  Französ.  Grammatik,  in  125  §§.  — 
Systematisch  lässt  sich  nun  freilich  diese  Anordnung  nicht  nen- 
nen; man  weiss  namentlich  nicht,  was  man  unter  der  Aufschrift 
der  letzten  Abtheilung  zu  suchen  und  zu  erwarten  hat;  allein 
Rec.  muss  gestehen,  dass  die  gründliche  und  meistentheils  an- 
ziehende Behandlung  des  Stoffes  und  der  Scharfblick  des  Vf.s, 
der  ihn  wirklich  solche  Gegenstände  auswählen  Hess,  welche 
gar  manche  Schwierigkeit  zu  verursachen  pflegen,  mit  jener  — 
künftig  leicht  zu  verwischenden  —  Unbequemlichkeit  wieder 


Die  Kindcrinsel  d.  Fr.  v.  Gcnlis,  ins  Deutsdic  übcid.  von  Ekkcnstein.   313 

aussöhnen.  Dass  sich  Vibrigens  an  einem  solchen  Buche,  wel- 
ches so  verschiedenartii^e  und  dabei  schwierige  Abschnitte  der 
Grammatik  behandelt,  in  Zukunft  noch  Manches  werde  bessern 
lassen,  wird  der  Vrf.  selbst  nicht  in  Abrede  stellen.  Unseres 
Erachteiis  gehört  nämlich  das  Philosophiren  iiber  Gegenstände, 
die  noch  über  die  Fassungskrai't  des  SchVilers  gehii,  nicht  hie- 
her,  zumal,  wenn  sie  seine  Eegriüe  verwirren  könnten.  So  ra- 
then  wir  nicht,  Schillern  Grundsätze  einzuprägen,  wie:  Es  gibt 
Fälle,  wo  das  Genie,  die  Einbildungskraft,  das  Gefühl  sich 
nicht  als  niedrige  Sclaven  (!)  an  gewisse  Gesetze  der  Gramma- 
tik binden  dürfen  (S.  10).  JIr.  S.  wird  hoffentlich  selbst  bei 
dem  Uebersetzen  seiner  Uebungsauigabcn  der  Einbildungskraft 
und  dem  Gefühle,  denen  überhaupt  beim  Schul-Sprachstudiura 
keine  Stimme  gebührt ,  keinen  Spielraum  lassen  wollen!  Eben 
so  hätte  er  die  Bemerkung  unterdrücken  sollen,  dass  die  Fran- 
zosen das  Komma  weit  seltener,  wie  z.  B.  die  Deutschen  ge- 
brauchten, welche  durcli  dasselbe  Wörter,  die  genau  zusam- 
mengehörten, zu  trennen  püegten  (S.  18).  Den  Beweis  für 
diese  Anschuldigung  bleibt  iir,  S.  schuldig!  Ueberhaupt  halten 
seine  Vorschriften  über  den  Gebrauch  des  Komma  die  Probe 
nicht.  Er  sagt:  1)  Das  Komma  wird  gebraucht,  um  dieGlieder 
eines  Satzes  abzntheilen,  welche  man,  ohne  dem  grammati- 
schen Sinne  zu  schaden,  von  demselben  absondern  kann  ;  z.  B. 
„Lc  temps,  qui  detruit  tout,  semble  accroitre  mes  maux."  2) 
Sobald  sich  aber  dieses  Glied  nicht  ohne  gewaltsame  Zerrei- 
ssung  des  Sinnes  von  dem  Ganzen  trennen  Hesse,  muss  das  Kom- 
ma nothwendig  vermieden  werden;  z.  B.  „Le  temps  qui  nous  a 
fui  ne  reviendra  jamais.'-'"  Wo  soll  in  diesen  Beispielen  der  über- 
feine Unterschied  liegen'?  Uns  scheint  es  wenigstens,  als  ob 
eben  so  gut  im  zweiten  Beispiele,  wie  im  ersten,  der  Zwischen- 
satz ohne  Verletzung  des  Sinnes  vom  Hauptsatze  getrennt  wer- 
den könne.  —  Aehnliche  Verbesserungen  empfehlen  wir  dem 
Vrf.  namentlicli  in  den  §§,  wo  er  von  den  Synonymen  und  der 
Ableitung  der  Wörter  handelt.  Bei  der  genaueren  Bestimmung 
der  sinnverwandten  Wörter  wird  er  die  neuste  Auflage  des  J)i- 
ctionnaire  de C Acudemie^  bei  der  Wortbildungslehre  dieLaleini' 
sehe  Spraclie  besser  zn  Hülfe  nelimen  müssen!  Gänzlich  zu 
streichen  sind  1)  das  in  der  Nachschrift  enthaltene  Eigenlob; 
2)  die  häufigen  Ausfälle  auf  andere  Französische  Sprachforscher. 
Jenes  ziemt  überhaupt,  dieses  mindestens  in  einem  Schulbuche 
nicht. 

Nr.  11  ist  eine  Uebersetzung  der  von  der  fruchtbaren 
Schriftstellerin,  Gräfin  Gejilis^  zum  Frommen  der  Jugend  aus- 
gearbeiteten und  wegen  ihres  nnanstössigen  Inhaltes  von  dem 
Rec.  bereits  anderwärts  empfohlenen  Erzählung:  L'üe  des  en^ 
funs.  Es  war  kein  ungliicklicher  Gedanke  des  Ilrn.  E.,  dieses 
Scliriftchen  ins  Deutsche  zu  übersetzen  und  durch  untergelegte 


314  Geschichte  der  Philosophie. 

Phrasen  zur  Ueb ertragung  ins  Französische  geeignet  zu  machen. 
Da  aber  die  Anscliaffuug  des  aucli  in  Leipzig  bei  Sühring  er- 
schienenen Franz.  0/•/^'^/^«Zs  jedem  Schiller  frei  steht:  so  kann 
Reo.  das  Buch  nur  zum  Pr/t'ß^gebrauche  empfehlen,  indem  Un- 
terschieif  in  Schulen  fast  gar  nicht  zu  vermeiden  ist.  Solchen 
aber,  die  sich  privatim  im  Uebersetzen  in  das  Französische 
üben  wollen,  wird  Hr.  E.  einen  grossen  Gefallen  erzeigen,  wenn 
er  bei  einer  neuen  Ausgabe  in  den  Anmerkungen  grammatische 
Nachweisungen  gibt ,  zu  welchem  Behufe  ihm  namentlich  die 
Sprachlehren  von  Frings,  Plirzel,  Kirchhof,  Mozin  und 
S  c  h  a  f  f  e  r  empfohlen  seien. 

jE.    Schaumann. 


Geschichte  der  Philosophie. 


Philos ophiae  Chrysippeae  fimdamenta  in  notionum 
dispositione  posita  (;)  e  fragmentis  restitiilt  Chrislianus  Petersen, 
ph.  Dr.  —  Ilambiirgi,  ex  oft".  LanghofF.  Venditur  Aituiiue  apiid 
C.  Buscli.  1827.  XXII  und  354  S.  8.     2  Thlr. 

Ueber  die  Entstehung  des  vorliegenden  Buches,  welches,  von 
dem  Vrf.  seinen  trefflichen  Lehrern  von  Berger  in  Kiel  und 
Böckh  in  Berlin  zugeeignet,  keinen  unbedeutenden  Beitrag 
zur  besseren  Einsicht  in  die  Lehren  der  Stoa  giebt,  führt  Ref. 
zuvörderst  aus  der  Vorrede  dasjenige  an,  was  zu  wissen  nöthig 
ist,  um  das  Werk  aus  dem  richtigen  Gesichtspuncte  zu  beur- 
theilen.  Der  Vrf.  machte  auf  Böckh's  Rath  die  Lehre  des  Stoi- 
kers Chrysipp  zum  Gegenstande  einer  genaueren  Untersuchung; 
durch  Tiedemann,  Tennemann  und  Krug  nicht  befrie- 
digt unterzog  er  sich,  unterstiitzt  durch  die  Schätze  der  Ber- 
liner Bibliothek,  der  miihevollen  Arbeit,  die  in  den  Alten  zer- 
streuten Fragmente  der  zahlreichen  Chrysippischen  Bücher  zu 
sammeln.  Als  er  darnach  über  die  Anordnung  jener  rudis  in- 
digestaque  moles  nachdachte,  fand  er  in  dem  von  Diogenes 
Laertius  uns  erhaltenen  Katalog  der  Chrysippischen  Bücher 
eine  Reihenfolge,  deren  Princip  nach  seiner  Vermuthung  aus 
der  Anordnung  des  Chrysippischen  Systems  selbst  hergenom- 
men sein  musste;  und  indem  er  so  jenen  Katalog  als  die  Quelle 
ansah,  aus  welcher  die  Kenntniss  des  dem  Chrysippi.schen Sy- 
steme zum  Grunde  liegenden  Eintheilungsprincips  gescliöpft 
werden  könnte,  fand  er  namentlich  in  den  Titeln  der  logischen 
Schriften  Chrysipps   den  Aristotelischen    Kategorien   ähnliche 


Petersen  :  Fhilosophiue  Chrysippeae  fundamenta.  315 

Begriffe  bei  der  ßestimmung  der  Urtlieilsgattungen  angewandt. 
Diese  Entdeckung  brachte  ilin  auf  die  Verrauthung,  dass  viel- 
leicht die  Stoiker  ähnliche  Kategorien  gehabt  haben  möchten. 
Mit  dieser  Vermuthung  ging  er  an  das  Studium  des  Simplicius 
und  fand  dieselbe  in  dessen  Commeiitar  zu  Aristoteles  de  categ. 
vollkommen  bestätigt.  Da  der  Vrf,  indess  weder  in  Berlin, 
noch  auch  später  in  Kiel  die  Commentare  des  Dexippus  und  Por- 
phvrius,  auf  deren  Brauclibarkeit  zu  seinem  Zweck  ihn  Fabricii 
Bibl.  aufmerksam  gemacht  hatte,  erhalten  konnte,  so  verzwei- 
felte er  ♦)  fast  an  der  möglichen  Vereinigung  seiner  mehr  auf 
indirecten  Zeugnissen  beruhenden  Hypothese  mit  der  vom  Se- 
neca  gegebenen  Stoischen  Eintheilung  der  Dinge.  Doch  durch 
Wort  und  That  von  Brand  is  unterstützt  und  so  ermuthigt 
übergab  er  im  Sommer  1825  die  Abhandlung  über  die  Stoischen, 
besonders  Chrysippischen,  Kategorien,  welche  den  Isteii 
Ilaupttheil  des  vorliegenden  Werkes  ausmacht,  der  philosophi- 
schen Facultät  in  Kiel  und  erwarb  sich  dadurch  denDoctorgrad; 
indess  ward  ilim  auf  seinen  Wunsch  verstattet,  die  Herausgabe 
seines  Werks  zu  unterlassen,  bis  er  dem  Ganzen  die  ihm  mög- 
liche Vollendung  gegeben  haben  würde.  Und  so  legt  der  Vrf. 
jetzt,  nachdem  er  durch  fortgesetztes  Studium  das  Verhältniss 
zwischen  jener  Eintheilung  der  Dinge  und  den  Kategorien  ge- 
funden, das  Wesen  beider  genauer  erkannt  und  zugleich  ihre 
Anwendung  eingesehen  hat,  die  Resultate  seiner  Forschungen 
dem  Publicum  vor. 

Was  die  Behandlung  des  Stoffes  betrifft,  so  erklärt  der 
Vf.,  Böckhs  Phüolaos  sich  zum  Vorbilde  genommen  zu  haben, 
doch  nicht  ohne  Abweichungen,  wo  der  Gegenstand  es  zu  for- 
dernschien. Dass  er  aus  weniger  allgemein  zugänglichen  Schrift- 
stellern die  Beweisstellen  vollständig  abdrucken  liess  und  zwar 
die  Griechischen  mit  einer  als  Commentar  dienenden  Lateini- 
schen Uebersetzung  kann  nach  unserm  Dafürhalten,  obgleich 
der  Umfang  des  Buches  dadurch  ziemlich  erweitert  ward ,  nur 
lobenswerth  erscheinen;  jeder  Leser  ist  dadurch  in  den  Stand 
gesetzt,  dem  Vrf.  auf  dem  Wege  seiner  Untersuchung  ohne 
Aufenthalt  zu  folgen  und  braucht  nicht  erst  einen  grossen  Bii- 
chervorrath  zusammenzutragen,  dagegen  manchem,  dessen  Ver- 
hältnisse dieses  nicht  gestatten,  ohne  vollständige  Mittheilung 
solcher  Stellen  ein  eigentliches  Studium  des  Buchs  ganz  unmög- 
lich sein  würde. 

Dem  Buciie  sind  4  indices  angefügt,  deren  erster  den  nach 
des  Vrf.s  Ansicht  in  ein  System  gebrachten  Katalog  der  Chry- 


')  Obwohl  mit  Unrecht;  denn  bedeutende  neue  Belehrungen 
durfte  er  auf  meinem  Standpuncte  von  Dex.  und  Porpli.  schwerlich  er- 
warten. 


olO  GeacliicLte    der   Philosophie. 

tiippisclien  Scliriften  aus  Diogenes  enthält,  weil  derselbe  im 
Büclie  vielfältig  zu  llathe  gezogen  ist;  der  2te  nennt  die  im 
Buche  behandelten  Stellen  alter  Schriftsteller ,  doch  mit  Aus- 
nahme der  bloss  citirten ;  der  3te  die  abgeliandelten  Gegen- 
stände in  alphabetischer  Ordnung;  der  4te  einzelne  im  Buclie 
erklärte  Begriffe  und  Wörter  ans  der  Stoischen  Piiilosophie,  die 
besonderer  Beachtung  werth  sind. 

Da  das  Buch  bisher  weniger  bekannt  geworden  zu  sein 
scheint,  als  es  verdient,  so  halten  wir  es  fiir  unser  flauptge- 
schäft  zunächst  Viber  das  Dargebotene  anstuhrlicli  zu  berichten 
und  nur  gelegentlich  einige  Bemerkungen  beizufiigen. 

In  der  Einleitung  (S.  1 — *.I5)  giebt  der  Vri*.  eine  kurze  Ge- 
schichte der  von  den  früheren  Griechischen  PJiilosophen  ange- 
nommenen liöchsten  Begriffsgattungen.  Obgleich  nun  diese, 
streng  genommen,  nicht  in  eine  Darstellung  der  Clirysippischen 
Lelire  gehört,  so  trägt  es  doch  zur  richtigen  Würdigung  dessen, 
was  dieser  zweite  Gründer  der  Stoa  geleistet  hat,  bei,  wenn 
man  sich  zuvor  die  Grundlagen  der  früheren  Systeme  vor  Au- 
gen stellt.  Die  Eleaten  nun  nennt  der  Vrf.  als  Erlinder  der 
Dialektik  alsDisputirkunst,  welche  von  diesen  zu  denSopliisten 
überging,  aber  in  deren  Gebrauche  in  Blendwerk  ausartete. 
Die  Logik  als  Denklehre  verdankt  ihren  Ursprung  den  Pytha- 
goreern,  ihre  Fortbildung  aber  nächst  Sokrates  dem  Piaton, 
welcher  sie  jedoch  Dialektik  nannte,  und  cum  ad  disjnitationes 
adhibuit^  tum  jusLa  discipUniw  forma  ind^itam  philosophiue 
fundamentiun  reddidit.     Wenn  der  Vrf.  aber  fortfährt:   haue 

logices  dignitatem ab  Aristotele  rursus  neglectam 

tStoici  es  magna  saltem  parte  restituerunt  vel  potltis  justis 
finibus  ciicumsciipsenmt^  so  erkennt  Ref.  zwar,  dass  weder 
im  Buche  des  Vrf.s  ,  noch  liier  der  Ox't  ist,  die  verschiedenen 
Behandlungsarten  der  Logik  zu  würdigen;  muss  sich  aber  doch 
gegen  des  Vrfs  Ansicht  erklären,  inwiefern  in  jenem  ürtheile 
ein  Vorwurf  für  die  Logik  des  Aristoteles  liegen  soll.  Nach 
der  Verschiedenheit  der  Art,  wie  man  schon  im  Altertlunne  den 
Begriff  der  Logik  fasste,  musste  auch  die  Annahme  der  höch- 
sten Begriffsgattungen,  welche  der  Vrf.  mit  Aristoteles  Katego- 
rien nennt,  ganz  verschieden  ausfallen  ;  die  Eleaten  hatten  ia 
dieser  Beziehung  nur  das  6V;  von  den  Pythagoreern  hingegen 
hat  Aristoteles  zwei  von  einander  abweichende  Ansichten  auf- 
bewahrt, welche  der  Vrf.  S.  4  ff.  näher  betrachtet.  Das  Be- 
grÜJizte  und  lJnhegrän%te ,  deren  Verhältniss  zu  dem  Geraden 
und  Ungeraden  Krug  (Gesch.  der  alten  Phil.  S.  fto)  unent- 
schieden lässt,  nimmt  der  Vrf.  als  mit  den  letzteren  beiden  Be- 
griffen parallelisirt  und  zwar  mit  Böckh  im  Philolaos  so,  dass 
das  Begränzte  zugleich  das  Gerade  ist,  wie  es  auch  später 
Reinliold  in  seinem  Beitrage  %ur  Erläuterung  der  Pythago- 
rischen  Metaphysik  verstanden  hat.     Der  Vrf.  stützt  sich  mit 


Petersen  :  rhilosophiae  Clirysippeae  fiindamcnta.  Sl'^f 

Recht  Ijauptsäclilich  auf  Aristoteles  Phys.  3  u.  4,  wo  ausdrück- 
lich gesajtt  wild  tü  cl^eiQOV  uvai  ro  ägtiov ;  nicht  richtig  ci- 
tirt  scheint  dagegen  Wetaph.  13,«,  ed.  Brand,  p.  2ü3 ;  viel- 
leiclit  meinte  der  Vrf.  c.  8  p.  2S0,  obgleicli  auch  diese  Stelle 
nicht  ganz  beweisend  zu  sein  scheint.  Der  Vrf.  beruft  sich  au- 
sserdem nocli  auf  die  zweite  vom  Aristoteles  erhaltene  Pytha- 
gmischciiegriHstafel,  in  deren  Ordnung  das  jiegag  Acm  anugov^ 
das  %BQLrz6v  dem  ägriov  entspreche,  und  hätte  ausserdem 
jjocli  Met.  1,7,  Brand,  p.  27  iu  ähnlicher  Beziehung  anführen 
können.  —  Stellen,  wodurcli  grammatisch  die  Beziehung  des 
TO  y.8V  aJif  das  Letzte,  das  to  ds  auf  das  frühere  erwiesen  wird, 
hat  der  Vrf.  hier  nicht  angeführt;  Ref.  nennt  als  analog  aus 
Aristoteles  nur  Poet.  2  fin. ;  ibid.  c.  5  s.  fin. ,  wo  tJ  f^ilv  ydg  auf 
das  eben  vorhergehende  ravzTjg  {rrjg  rgccyadlag)  geht,  nachher 
aber  bei  tJ  Ös  der  Deutlichkeit  wegen  noch  sogar  das  entferntere 

tnoTioua  hinzugefügt  wird.      Ebenso  c.  11  init.  tov  ^sv 

Tov  öL  Vgl.  ausser  den  vom  Vrf.  S.  72  Not.  *)  angeführten 
Stellen  noch  Ilerodot.  2,  11  med.  S.  7 — 1«  sind  dem  Piaton  ge- 
widmet; der  Vrf.  zeigt,  dass  jene  Begriffe  des  Begränzten  und 
Unbegränzten,  die  den  Pythagoreern  zur  Unterscheidung  der 
Dinge  dienten,  von  Piaton  zur  Grundlage  der  Dialektik  gemacht 
seien,  und  zwar  als  in  der  ovöia  sich  vereinigend ,  deren  alria 
dann  in  die  Gottheit  gesetzt  wird.  Dieser  Gegenstand  war 
auch  schon  von  T  rend  eleu  b  ur  g  in  der  vom  Vrf.  hier  ange- 
führten Schrift  de  Platoids  Ideis  et  Niimeris  behandelt  wor- 
den, womit  jetzt  nocli  Petersens  Beurtheilung  dieser  Schrift 
im  Rheinischen  Museum  .lahrg.  2  II.  4  nebst  Brandis'  eben 
daselbst  abgedruckter  Abhandlung  über  die  Plafouische  Zalden- 
lehre  zu  vrgl.  ist.  —  Nachdem  der  Vrf.  dann  S.  10 — 10  von 
den  10  bekannten  Kategorien  des  Aristoteles  gehandelt  und  na- 
mentlich ihre  ursprüngliche  Verwandtschaft  mit  den  Pythago- 
rischen,  zugleich  aber  ihre  Verschiedenheit  von  jenen  und  den 
Platonischen  Gattungsbegriffen  nachgewiesen  liat,  da  nämlich 
Aristoteles  sie  nur  als  Prädicamente  vom  Subject  betrachtet, 
geht  er  S.  17  zu  den  Stoischen  Kategorien  über,  die  freilich 
von  den  Stoikern  selbst,  soweit  unsere  Quellen  erkennen  las- 
sen, nicht  Kategorien,  sondern  ra  ysvtxw'raT«  genannt  werden; 
diese  sind  folgende  4:  vjcoKBLfisvov  [siibsüafinn),  Ttoiov^qnale)^ 
Jtdg  iiov  (a/iquo  modo  sc  habc?is) ,  itQog  ti  nag  b^ov  [allquo 
viodo  ad  cdiqtiid  relatimi).  Welchen  Antheil  schon  Zenon  an 
dieser  Kategorienlehre  habe,  lässt  der  Vrf.  bei  dem  31angel 
an  zuverlässigen  Zeugnissen  unentschieden ,  zeigt  indess,  dass 
sie  ihre  Schärfe  und  Vollkommenheit  hauptsächlich  dem  Cliry- 
sipp  verdanke.  —  Naclidem  die  Geschichte  der  Kategorien  bis 
dahin  fortgeführt  ist,  wo  der  Vrf.  länger  zu  verweilen  gedenkt, 
untersucht  er  zuvor  S.  23 — 35  noch,  in  welchem  Theile  der 
Logik  die  Kategorieulehre  von  Chrysipp  abgehandelt  sei.     Er 


818  Geschichte  der  Philosophie. 

findet  sie  in  dem  Auszüge  der  Chrysippischen  Logik,  welchen 
uns  Diogenes  aus  dem  Diokles  von  Magnesia  aufbewahrt  hat, 
im  3ten  Theile,  welcher  negl  oqcov  v.a\  ysvwv  oial  ddcov  han- 
delt; und  zählt  nach  Anleitung  des  Diogenischen  Katalogs  die 
einzelnen  auf  diesen  Abschnitt  sich  beziehenden  Bücher  Chry- 
sipps  auf,  verschiebt  aber  die  Untersuchung  Viber  alle  Theile 
der  Logik  und  deren  gegenseitiges  Verhältniss  fVir  eine  künftige 
Arbeit  über  das  ganze  System  und  alle  Fragmente  des  Chry- 
sipp.  Möge  dieselbe  bald  erscheinen  können !  —  Mit  folgen- 
den Worten  giebt  nun  der  Vrf,  den  Plan  seines  Werkes  an : 
Testat  soliim^  ut  dissertationem  disponam^  quod  opfime  ad  libro- 
runi  Chrysippeorum  seriem  ßeri  potest^  ex  quibns  qiiinti^  sexti 
et  septimi  argumentum  persequendum  mihi  proposui.  Itaque 
quatuor  consiituo  partes^  quarum  prima  de  notionum  ge?ieribus 
seu  eategoriis^  secunda  de  rerum  divisione^  tertia  de  contrariis 
disseret,  quarta  deiiique^  cujusiiam.  momenti  quaeque  harum 
partium  in  philosophia  Stoica  fiierit^  illiistrabit.  In  dem  Isten 
Cap.  des  Isten  Theils  de  simwiis  notionum  generibus  untersucht 
der  Vrf.  S.  36 — 43,  quae  summa  7iotiommn  genera  Stoici  po- 
suerint.  Es  sind  die  4  sclion  oben  angegebenen,  deren  Ge- 
währsmänner Plotin  und  Simplicins  sind.  Zwar  nennt  Plotin 
(Ennead.  VF,  1,  25)  die  Stoiker  nicht  ?iamentlich  als  Urheber 
jener  Kategorien;  allein  wenn  jemand  zweifeln  wollte,  ob 
tias,  was  er  nach  der  Beurtheilnng  der  Aristotelischen  Katego- 
rien iiQoq  xovg  tsTtagag  riQ'ivtag  nal  tBXQccxcög  dicaQovvtas 
sagt,  auf  die  Stoiker  gehe,  so  würde  dieser  Zweifel  durch  Ver- 
gleichung  dieser  Stelle  mit  der  des  Simplicins  leicht  gehoben 
werden;  dieser  sagt  nämlich  ausdrücklich:  ot  Ös  2jTmiC0L  dg 
iKärtova  övörsklsiv  d^toijöL  xov  täv  ngcörcov  ysvc5v  agt^iiov 
xkI   tiva    Bv  TOig  iXäzToöiv    VTtrjXXccy^sva  TtaQcckafißavovöL' 

ytOLOVVXKL  yUQ  XTjV  XO^tjV  £tg  XEXXCCQK  ,     £tg  VTlOnd^SVa  Xal  710LK 

xal  nag  sxovxa  ^tal  Tcgög  xi  nag  e%ovxa.  Das  Dasein  dieser  Ka- 
tegorien im  System  der  Stoiker  ist  demnach  allem  Zweifel  ent- 
nommen durch  das  gewichtige  Zeugriiss  des  Simplicins,  den 
auch  Trendelenburg  (de  Plat.  Id.  et  Num.  p.  28)  omnium 
interpretum  et  diligentissifnum  et  antiquae  philosophiae  peri- 
lissimum  nennt.  Wir  halten  die  Entdeckung  dieser  bisher 
nicht  beachteten  Kategorien  für  einen  sehr  schätzbaren  Beitrag 
zum  richtigeren  Verständniss  nicht  nur  der  Logik,  sondern 
auch  des  ganzen  Systems  der  Stoiker.  —  Auf  eine  eigentliche 
Definition,  welche  eben  wegen  der  Natur  dieser  allgemeinsten 
Begrilfe  niclit  überliefert  sein  kann  *),  mit  Recht  verzichtend, 
sucht  nun  der  Vrf.  aus  dem  gegenseitigen  Verhältnisse,  sowie 
aus  den  inneren  Diifereuzen  und  Bestandtheilen  der  einzelnen 


•)  Vrgl.  die  in  der  Note  S.  43  angeführten  Worte  des  Sirapliclus, 


Petersen :    Pliilosophiiie  Chrysippeae  fiindamenta.      i       S19 

Kategorien  die  Bedeutung  einer  jeden,  zuvörderst  S.  4^3 — 03 
die  des  Substrats,  v7tox£i(.iBVOV^  zu  entwickeln.  Es  wFird  ein 
zwiefaches  Substrat  genannt,  wofür  man  niclit  »inpassend  die 
Namen  JreUsuhstrat  und  />/w^sul)slrat  wählen  dürfte.  Jenes 
ist  der  allgemeine,  qualitativ  noch  unbestimmte  UrstolF,  in 
welchem  jedoch  die  Qualitäten  des  zweiten ,  welches  das  Sub- 
strat der  einzelnen,  in  der  organisirten  Welt  neben  einander 
exsistirenden,  individuellen  Dinge  ist,  schon  wurzeln,  so  dass 
diese  Qualitäten,  aus  jenem  entsprossen,  in  diesem  sich  zwiefach 
gestalten,  nämlich  theils  als  unwesentliche,  welche  an  den  ein- 
zelnen Dingen  sich  zwar  finden,  aber  ebenso  gut  fehlen  kön- 
nen, oluie  dadurch  dessen  Wesen  zu  zerstören,  wie  z.  B.  am 
Eisen  die  Wärme,  an  der  Wolle  die  Weisse;  theils  als  wesent- 
liche, welche  mit  dem  eigenthümliclien  Sein  des  individuellen 
Dinges  innigst  verwebt  gleichsam  einen  Theil  des  Substrats 
selbst  ausmachen  und  sich  von  demselben  nicht  absondern  kön- 
nen, ohne  zugleich  das  Wesen  des  Dinges  selbst  zu  vernichten, 
z.  B.  die  Wärme  des  Feuers,  die  Weisse  des  Schnee's.  Diesem 
materiellen,  aus  Qualitäten  bestehenden  oder  zusammengesetz- 
ten, aber  dennoch  von  ihnen  zu  unterscheidenden  Substrat 
kommt  nach  der  Lehre  der  Stoiker  ausschliesslich  das  Sein  zu. 
Jedoch  unterscheiden  sie  ein  zwiefaches  Element  des  Substrats, 
ein  leidendes  und  ein  wirkendes;  daher  der  Plural  vTtoxsi^Bva'y 
das  leidende  ist  die  v^r]  im  engern  Sinne,  auch  ovöia  genannt, 
an  sich  unsichtbar  *)  und  der  Zunahme  und  Abnahme  unfähig, 
also  der  Masse  nach  beharrend  (stetig),  wohl  aber  der  Verän- 
derung der  Theile  unterworfen,  welche  durch  einen  unmittel- 
baren Uebergang  aus  dem  einen  in  den  andern  die  Form  wech- 
seln. Das  wirkende  Princip  aber  ist  der  ordnende  Verstand 
der  Gottheit  {&e6g,  Xoyog),  welcher  als  aXriov^  obwohl  conse- 
quenter  Weise  körperlich,  den  Grund  alles  Seins  (sowohl  seiner 
selbst^  als  der  IJinge,  daher  ort,  und  a'irtov)  in  sich  schliesst; 
desshalb  wird  t6  öv  genannt,  welches  auch  als  ein  sich  hin 
und  her  bewegender,  d.  h.  seine  eigne  Kraft  erhöhender  und 
senkender  Hauch  (nvsv^a),  der  in  der  ovöla  die  Veränderung 
erzeugt,  beschrieben  wird.  In  dem  Substrat  also  wechseln  die 
Theile  der  ovöia  durch  die  Kraft  des  bei  diesem  Wechsel  be- 
harrenden ov  **),  Die  ovöia  und  das  6v  machen  als  coordinirte 
Bestandtheile  gemeinschaftlich  den  Begriff  des  vjioxsifiivov 
aus,  sowohl  des  ursprünglichen,   nur  gedachten,  als  auch  des 


*)  Könnte  indess  atSiog,  welches  freilich  auch  Plutarch  (S.  51 
oben)  für  unsichtbar  zu  nehmen  scheüit,  hier  niclit  vielleicht  ewig  be- 
deuten ? 

")  Man  könnte  das  ov  daher  gleichsam  das  Substrat  des  Substrats 
nennen. 


320  Geschichte  dev  Philosophie. 

späteren ,  erapirisclien.  —  Nachdem  der  Vrf.  aus  Stellen  des 
Simplicius,  des  Plotiii,  des  Diogenes,  des  Stobäus  und  anderer 
diese  von  Wy ttenbach's  ÄJeinunj;  abweichenden  Resultate 
gewonnen  hat,  gelit  er  noch  zur  Erklärung  einer  Plutarchi^cheii 
Stelle  über,  in  welclier  er  eine  von  Amiot  und  Wyttcnbach 
jiicht  gut  ergänzte  Lücke  scharisinnig  und  glücklich  ausfüllt. 
Da  demnach  alle  sinnlich  walirnehrnbare  Körper,  als  aus  dem 
Sein  und  dem  Seiejidenhesiehend^  Substrate  sind,  so  wird  nun 
S.  55  ff.  von  den  3  in  der  Eintheilung  der  Korper  sich  darbie- 
tenden Arten  der  Substrate  geliandelt;  sie  sind  1)  eva/xävcc^ 
einige^  deren  Einlieit  in  einem  Lebensprincip  liegt,  wie  Thiere 
und  Pflanzen;  2)  td  ex  öwanto^ivcov,  ziisammengefiigte^  wel- 
che zwar  bloss  äusserlich  verbunden  sind,  deren  einzelne  Theile 
aber  doch  nur  in  Bezug  auf  die  Einheit  des  Ganzen  exsistiren, 
wie  Gebäude ;  3)  ra  £X  öieörwrcor,  zusammengesetzte^  eine 
aus  gesonderten  Individuen  gebildete  Gesammtheit,  z.  B.  eine 
Heerde.  Die  Unterarten  und  näheren  Bestimmungen ,  welche 
nebst  den  Ilauptarten  S.  C3  in  einer  vollständigen  Tabelle  dar- 
gestellt werden,  können  wir  hier  füglich  übergelien  ;  dass  aber 
und  wie  aucli  die  ßöco^ara  und  unter  diesen  besonders  Zeit 
und  Kaum  zu  den  Substraten  gezählt  werden,  davon  ist  uns  der 
Yrf.,  zwar  auf  S.  145  etc.  verweisend,  den  historischen  Beweis 
schuldig  geblieben ,  obgleich  w  ir  die  Wahrscheinlichkeit  des 
von  ihm  liypothetiscli  Vorgetragenen  nicht  eben  gänzlich  leug- 
nen wollen.  —  S.  ßi — 100  wird  das  noiov  und  die  noiötrjg  ab- 
gehandelt. Nacli  dem  Obigen  gab  es  theih  noiä,  die  nur  rm- 
ssey/«t7i  «//.  den  Substraten  waren,  theils  solche,  die  einen  Theil 
der  Substrate  selbst  ausmachten ;  demnach  kann  Materie  oline 
Qualitäten,  jedoch  können  nicht  umgekehrt  Qualitäten  ohne  Ma- 
terie sein,  wonach  das  substrative  Dasein  als  das  beharrende 
von  dem  qualitativen,  welches  als  Form  an  jenem  w  echselt,  un- 
terschieden wird.  Um  die  Qualität  auch  von  den  folgenden 
beiden  Kategorien  zu  unterscheiden,  führt  der  Vrf.  eine  Stelle 
aus  Simplicius  an,  in  welcher  nach  einigen  Stoikern  3  Bedeu- 
tungen des  TCOLov  aus  einander  gesetzt  werden,  von  denen  je- 
desmal die  frühere  weitere  die  folgende  engere  in  sichschliesst. 
Darnach  bedeutet  jcctü?-»  1)  jedes,  was  ein  Unterscheidungsmerk- 
mal hat,  sei  es  im  Zustande  der  Ruhe,  oder  in  der  Bewegung, 
z.  U.  der  Verständige,  der  die  Hand  Ausstreckende,  der  Lau- 
fende; 2)  mit  Ausschluss  der  Bewegung  nur  das,  was  im  ruhi- 
gen Zustande  ein  Unterscheidungsmerkmal  hat,  z.  B.  der  Ver- 
ständige, der  zum  Kampfe  bereit  Stehende;  3)  nur  das,  was  im 
eigentlichen  Siniie  im  ruhigen  Zustande  ist,  d.  h.  was  ein 
dauerndes  Unterscheidungsmerkmal  hat,  z.B.  der  Grammati- 
ker, der  Verständige.  Dies  letzte  noiöv  bezeichnet  wahre  Ei- 
genschaften und  entspricht  genau  der  Ttoioxrjg,  unabhängig  von 
augenblicklicher  Thätigkeit,   so  dass  z.B.  ein  Gemüse-  oder 


Petersen :  Philosophlac  Chrysippeae  fiindamenta.  321 

Weinlicbhaber  im  Besitze  dieser  Qualität  aiicjj  dann  bleibt, 
wann  er  jene  Dinge  nicht  gerade  geniesst.  Wenn  daher  von 
der  Troiözrjg  als  einer  öxi-öig  noiov  die  Rede  ist,  so  ist  dieses 
Ste  eigentliche  jrotdi^  zu  verstehen;  auch  werden  jene  beiden 
ersten  Uedentungen  des  tiolov  von  den  meisten  nicht  mit  ange- 
nommen, sondern  viehnehr  unter  die  folgenden  Kategoiien  be- 
l'asst. 

Jedoch  selbst  nicht  von  jedem  concreten  noiöv  in  der  3ten 
Bedeutung  gescliieht  die  Äbstraction  einer  noioTiqq  als  einer 
dauernden  und  ircsentlichen  Beschaffenheit  eines  Dinges.  Es 
findet  sich  diese  nur  bei  den  einigen  Snbatraten^  und  zwar  als 
ein  t'Ktöv  (etwas,  das  sie  haben),  welches  aber  den  znsammen- 
^efiiglcn  und  zusanimen^''(?sei!';^c//  Substraten,  die  kein  gei,>-tiges 
Kinlieitsprincij)  haben  ,  abgesprochen  wird;  voi»  ihnen  gelten 
dagegen  die  beiden  ersten  Bedeutungen  des  Ttoiöv.  Wie  nun 
dem  Grammatiker  z.  B.  wegen  seiner  Wissenschaft  und  Uebung 
ein  dauerndes  Unterscheidungsmerkmal  zukommt,  so  findet 
dies  wegen  der  Uebung  und  der  Zusammenwirkung  (der  ein- 
zelnen Glieder)  zu  einem  Zwecke  zwar  auch  bei  einem  Chor 
Statt,  daher  beide  nach  der  3ten  Bedeutung  jTOia  sind;  allein 
als  einem  zusammengesetzten  Substrat  wird  dem  Chore  die 
noiöxYjq  abgesprochen,  weil  in  ihm  keine  st^ig  ist  und  er  dem- 
nach kein  sy.xov  hat.  Diese  beiden  AusdrVicke  werden  von  der 
3rotor?;g,  jedoch  in  verschiedenem  Sinne,  gebraucht;  sie  sind 
correlative  Begriffe  und  daher  unzertrennlicli ,  wie  ov  und 
ovöla  ;  denn  a'^ig  heisst  die  7toi.6rr]g  als  geisti^-^es  Einheitsprin- 
cip,  der  Materie  entgegengesetzt  und  dieselbe  gleiclisam  zu- 
saiumenhaltend  und  beherrschend;  IxtoV  dagegen  als  Theil 
der  Materie  und  von  jenem  Princip  gleichsam  beJierrscht.  — 
S.  72 — 84  untersucht  der  Verf.  das  Verliältniss  der  Qualitäten 
zur  Gottheit  oder  dem  6'?^,  zum  menschlichen  Erkenntnissver- 
mögen ,  zur  löea  und  zu  andern  Ausdriicken ,  welche  fiir  die 
Qualität  gebraucht  werden,  wovon  wir  das  Kesuilat  mit  des 
Vrf.s  eigenen  Worten  S.  83,  84  angeben:  Utjam  omnia  in  hrei:G 
contraham:  (jualitates  quatenus  in  mente  exsistunt^  iinagina- 
tiones  {cpavzäö^axa)  sunt,  eaedem  a  Deo  profectae  nmndum 
ejusque  partes  permeantes  voca/itur  potentiae  (dvvdfisis). 
Imaginationes  illae  a  7nejde  divina  co7iceptae  et  creatae  md- 
lo  alio  nomine  distinguuntur  ^  in  hominum  vero  a?ii7nis  repe- 
titae  efflciunt  notiones  (kvvo'^aaza)  seu  ideas ;  eodem  modo 
potentiae  in  tmioersum  acceptae  Deo  originem  debentes  sunt 
rationes  seminales  {löyoi  öTCSQ^azLZoi),  in  singiilis  autem  re- 
bus spectatae^  casus  {nzoaßng)  vocantur.  Rationes  rzirsus  se- 
minales atque  imaginationes  in  Deo  sedem  habentes  mona- 
duni  jiomine  comprehendi,  casus  denique  et  ideas  ad  homines 
pertinentes  in  appellativorum  et  generalium   notione   qualium 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  I'ädag.  Jahrg.  V  Heft.  3.  21 


322  Geschichte  der  Philosophie. 

{ysvLXcc  Jtoid)  conveniiG  supra  jam  dixi.  —  Iliiisiclitllch  des 
Ünterscliiedes  der  iiielirereii  Substraten  gemeinschaftlicliea  und 
der  den  Individuen  eigenthiimlichen  Qualitäten  drückt  der  Vrf. 
das  Ergebniss  seiner  Untersuchung^  S.  8!)  so  aus:  Essenliae 
igitur  diffcreiitia^  ex  ente  orta,  est  qualitas ,  pe?'  se  non  se- 
pa/abUis ,  sed  quae  notione  coniprehensa  in  proprietatern 
exit ;  yuod(jne  igitur  siibstratiim  unitum  unam  principeni  ha- 
bet (jualitatem^  a  qua  conlinetur  ut  uiium^  quippe  quae  ideam 
expiimat^  proprietatern  tarnen  sibi  adjunctam  habeat^  qua 
subsiratum  singulare  ab  omnibus  eandem  ideam  sertmntibus 
distinguatur.  Ad  haue  notionem  seu  ideam  efficiendam  nee 
tempus  nee  ulla  vis  externa  confert ;  sua  enim  ipsius  poten- 
tia,  quam  talitatem  vocant ^  qualitates  servantur  et  propa- 
gantur.  Hac  igit?ir  ratione  quaeque  res  habet  qualitatem^ 
in  qua  notio  seu  qualitas  communis  a  proprietale  distinguen- 
da  est,  quarum  lüraque  qualitatis  nomine  iusigiiitur.  —  Ei- 
nige Qualitäten  ferner  erleiden  keine  Zunahme  und  Abnahme 
lind  werden  daher  ^la^thöuo,  (Lagen)  genannt,  deren  Wesen  in 
der  Vollkommenheit  der  Form  bestellt;  andere  dagegen  sind 
der  Zunahme  und  Abnahme  fähig  und  heissen  £^£tg(llaltungen) 
im  engern  Sinne,  ilir  Wesen  in  der  Dauer  der  Form  ofTenba- 
rend.  Beide  sind  trotz  ihrer  Verschiedenheit  doch  unzertrenn- 
licli  verkniipft,  welches  besonders  dadurch  klar  wird,  dass  als 
Beispiel  der  öta&£ötg  die  Tugend  erscheint,  als  Beispiel  der 
f'lig  die  Kunst;  virtus  enim  cum  perfecta  sit  scientia  {lni6Tri~ 
[17])^  nec  augeri  nee  minui  polest;  sed  in  quoque  tetnpori& 
vwmento  fastigium  {tiXog  tcüI  to  jitaAtöra)  nacta  est;  quae 
si  exercetur  vcl  aliquid  agit^  etiamsi  nondum  ad  summuni 
illud  fastigimn  perve?ierit  ^  artem  efjicit,  nunc  vehe?nentius 
intensam^  nunc  Inxius  remissain  ideoque  temporis  continni- 
täte  conspicuam.  S.  04-  Daher  setzt  auch  die  Kunst  eine  blo- 
sse Fähigheit  oder  Tüchtigkeit  voraus,  die  Tugend  hingegen 
einen  aus  dieser  Fähigkeit  (fx  cpvöios^)  hervorgegangenen  Fort- 
schritt in  der  Kunst,  die  dann  auf  die  höchste  Spitze  gehoben 
Tugend  wird;  vrgl.  S.  96.  Eine  Tabelle,  welche  die  verschie- 
denen Benennungen  und  Verhältnisse  der  Qualitäten  anschau- 
lich macht,  beschliesst  den  Abschnitt.  —  S.  101  — 125  das  ÄOJg 
i%ov.  Schon  S.  44  IF.  war  die  Unterscheidung  der  Qualitäten 
in  solche,  welche  einen  Theil  des  Substrats  ausmachen,  und  in 
solche,  die  an  dem  Substrat  sich  nur  befinden,  angegeben; 
auch  war  S.  05  etc.  gezeigt,  dass  von  den  3  Bedeutungen  des 
3roi6v  nur  die  letzte  die  eigentliche  Qualität  als  Beschaffenheit 
oder  dauernd  eigenthiimlichen  Zustand  begründe;  hier  wird 
nun,  was  dort  nur  angedeutet  werden  konnte,  ausführlicher 
dargethan,  dass  nämlich  das  tkxxs  e%ov  sich  auf  vorübergehende 
Zustände  und  auf  äusseriiche,     unwesentliche   Bestimmungen 


Petersen  :  Philosoplilac  Chrysippeae  fiindanicnta.  323 

(AfFectioiien)  der  weseiitliclicn  Qualitäten  dos  Substrats  bezie- 
he; den  Zusamnicnhaiii?  dieser  3  Kategorien  drückt  der  Vrf. 
S  102  mit  l'oigeiidea  Worten  aus:  Omnia  et  ipsa  subsirula 
aliquo  modo  se  habere  rede  dicunhir,  siibstratis  enini  cetera 
nituntiü\  Sita  tarnen  quaeque  ralione;  siibstrata  enim  si  ali- 
quo modo  se  habent^  qualia  sunt,  qualia  rursus  cum  setnper 
alio  modo  se  habeant^  propter  motnin  iis  insitiim  efjiciunt 
proprie  aliquo  modo  se  habentia ,  quae  eo  tarnen  a  qualibus 
differunt,  qiiod  in  s?ibstratis  esse  recte  dicuntur^  cum  qualia 
sint  ipsa  substrata  vel  eorum  partes.  —  Das  Wesen  des  ncoi^ 
l^iov  (des  Sichverlialtens)  wird  vorzüglich  durch  die  S.  104  etc. 
niitgetheilte  Auseinandersetzung  des  Simj)licius  klar,  welcher 
davon  den  Ausdruck  öxköns  braucht  und  diesen  von  der  t^tj  so 
unterscheidet,  dass  ö^sötg  der  von  aussen  her  besiinmite  Zu- 
stand ist,  die  8t,tg  dagegen  die  durch  ihr  inneres  Princip  [Övva- 
fiig)  bestehende  Beschaffenheit,  welche  das  eigentliche,  wahre 
Wesen  des  Substrats  ausmacht,  an  welchem  aber  die  ausser- 
wesenllichen  6j(^e6£Lg  wechseln.  Eine  f'^tg  ist  demnach  z.  B.  die 
Gesundheit  an  sich.,  und  eine  öiiöig  würde  irgend  eine  be- 
stimmte Art  des  Befindens,  also  eine  Affection  der  £|tg,  sein. 
Jedoch  ist  eine  langanhaitende  öxiöig  durch  diese  ihre  Dauer, 
in  wiefern 'dieselbe  von  aussen  her  bewirkt  wird,  noch  keine 
i'^tg,  sondern«dies  würde  sie  erst  sein  ,  wenn  sie  den  Grund  ih- 
res so  beschaffenen  Zustandes  in  sich  selbst  trüge,  so  dass 
also  nicht  in  der  grösseren  oder  geringeren  Zeitdauer,  sondern 
in  dem  Princip  und  Wesen  der  Unterschied  der  Kategorie  der 
Qualität  und  der  Affection  begründet  ist.  —  Diese  Ste  Katego- 
rie uml'asst  die  meisten  Aristotelischen,  nämlich  das  ^roTE,  nov^ 
iCELöd'aL,  ex^LV,  TtoiHV  uud  Tcdöx^n'',  ihr  Inhalt  wird  S.  121  vom 
Vrf.  so  angegeben:  Itaque  ut  totam  categoriam  obiter  ad~ 
umbreni :  quae  aliquo  modo  se  habent^  aui  differentiam  indi^ 
cant  aut  conditionem.  Quae  conditione  aliqua  ntutitur ,  aut 
affecti  (sie!  man  lese  affecta)  sunt  aliquo  modo  aut  moven- 
tur ;  quae  motionem  habent.,  aut  efficiurd  aut  patiujitur.,  quae 
affectionem.,  aut  habe^it  aut  habentur  vel  sila  sunt.  Quae 
secundum  differentiam  su?it ,  spectantnr  aut  corporis  ralione 
habita  aut  incorporei,  quae  ex  corporis  differentia  cernuntur^ 
aut  quanto  aut  quali  diff'erunt.,  quae  ex  incorporei  differen- 
tia^ aut  alicubi  sunt  aut  aliquando.  Die  Tabelle  S.  125  ist, 
weil  der  Vrf.  über  die  Unterabtheilungen  nicht  die  erforderli- 
chen Zeugnisse  fand,  sehr  lückenhaft.  —  S.  126 — 144  das 
TCQog  riTCcag  i%ov.  Bei  dieser  Kategorie  der  Relation  wird  gleich 
anfangs  eine  von  den  Stoikern  gemachte  Unterscheidung  in  ein 
ytQog  XI  und  ein  ngög  ti  nag  sxov  angeführt ;  das  XQog  xi  ist 
die  einfache  Beziehung  und  rotg  xaü-'  avxä  entgegengesetzt,  z. 
B.  das  Süsse  und  das  Bittere ;    das  Ä^og  xl  nag  exov  ist  nicht 

21* 


32-4  Geschichte  der  Philosophie. 

an  sich  da,  weil  es  iiiclit  (von  dem  Subjecte,  dessen  Atlribnt 
es  ist)  abgelöst  werden  kann;  nach  dem  Unterscljiede  aber 
(xara  ^lacpogäv)  ist  es  da,  weil  es  durch  ein  charakteristisclies 
Merkmal  erkannt  wird;  was  also  Ttgög  n  genannt  wird,  das 
leidet  in  Bezug  auf  das,  zu  dem  es  in  Verhältniss  stellt,  keine 
Veränderung,  ohne  dass  zugleich  das  ihm  zum  Grunde  liegende 
Princip  verändert  wird.  Das  ngög  xi  Ticog  i%ov  dagegen  ist  roig 
^ara  ötKqpo()ai' (demjenigen,  welches  durch  ein  charakteristi- 
sches Merkmal  erkannt  wird)  entgegengesetzt;  was  sich  auf 
eme  geirlsse  Heise  zu  einem  andern  verhält^  kann  weder  an 
sich,  noch  nach  einem  Unterscheidungsmerkmal  da  sein  ,  weil 
es  durch  eine  blosse  ö;^f6tg  (vorVibergehenden,  unwesentlichen 
Zustand)  in  diesem  Verhältniss  steht.  Dieses  Verhältniss  kann, 
weil  es  bloss  äusscrlich  ist,  aufgehoben  werden,  ohne  dass  die 
einzelnen  Verhältnissglieder  darauf  an  und  iur  sich  eine  Ver- 
änderung erleiden,  z.  B.  der  Vater  hört  bei  den  Tode  des 
Sohnes  zwar  auf  Vater  zu  sein,  aber  er  bleibt,  die  Aufhebung 
dieses  Verhältnisses  abgerechnet,  was  er  war;  dieses  Ver- 
hältniss also  beruhte  auf  einem  bloss  äusseren  Zustand,  nicht 
auf  einer  Eigenschaft  oder  Eigenlhümlichkeit ,  wie  bei  dem 
Siissen  oder  Bitteren,  dessen  Verhältniss  zu  dem  schmeckenden 
Subjecte  nicht  verändert  werden  kann,  M'enn  nicht  zugleich 
das  Wesen  (der  wesentliche  Character,  die  a^tg,  tvovöa  dia(po- 
gä)  des  Siissen  oder  Bitteren  sich  verändert.  —  Wegen  der 
tjnterabtheilungen  und  ferneren  Bestimmungen  dieser  2  Arten 
der  Relation  verweisen  wir  auf  des  Vrf.s  eigene  Erörterung  und 
auf  die  Tabelle,  womit  dieser  erste  Theii  des  Werkes  sich 
schliesst. 

Der  2te  Haupttheil  des  Werkes  von  S.  145—180  enthält  in 
5  Capiteln  die  Eintheilimg  der  Dinge.  Bei  den  Kategorien 
kam  es  nicht  darauf  an,  ob  etwas  ist  oder  nicht  ist ^  sondern 
je  nachdem  jede  Sache  anders  gedacht  und  aufgefasst  wurde, 
gehörte  sie  zu  einer  andern  Kategorie,  daher  in  ctmctis  {cate- 
goriis)  et  corporalia  et  incorporalia  reperiuntur  et  qiiae  sunt 
et  quae  exsistunt  tantum  vel  subsistunt.  Bei  der  Eintheilung 
der  Dinge  hingegen  kommt  das  vorzüglich  in  Betracht,  ob  et- 
was ist  oder  Jiicht^  tmd  tvie  es  ist.  Nach  Seneca  (epist.  58) 
wird  die  Eintheilung  der  Dinge  kurz  so  angegeben:  „obenan 
steht  (als  höchste  Gattung)   das  Etwas  *),   welches  entweder 


*)  Sehr  beachtenswerth  zur  Wiilerlegiing  der  Gegner  der  Stoa 
ist  in  Bezug  auf  das  xl ,  was  Trendelenburg  in  der  Recension 
dieses  Werkes  in  den  Berl.  Jahrb.  1827  S.  1738  und  49  bemerkt;  er 
nimmt  es  als  fragend,  wo  dann  ein  Setzen  und  Kicht- Setzen ,  ein  ow 
und  fiT}  ov  zugelassen  wird.      Analog  findet  er  tlieils  die  nrsprüngli<^li 


retcrsen :  Pliilosophiac  Clirysippcae   fundaniciita.  325 

ist  oder  nicht  ist;  das  Seiende  ist  entweder  Körper  oder  uii- 
körperlich ;  das  Aörpertiche  ferner  entweder  beseelt  oder  un- 
beseelt; das  Beseelte  ist  entweder  Thier  oder  Pflanze;  das 
Thier  endlicli  entweder  sterblich  oder  unsterblich.''''  Das  Prin- 
cip  dieser  Eintheiiunj?  ist  die  Jiöhere  oder  niedere  Stufe  der 
Vollkommenheit,  welche  ein  I>in^  in  der  Natur  einnimmt. 
Naclidem  der  Vrf.  darauf  S.  147 — 150  sich  noch  üher  einige 
Stellen  des  Plotin,  Sextus  Emp.  und  Alexander  Aplirod.  in  Be- 
ziehung auf  die  des  Seneca  und  auf  das  daraus  gezogene  Resul- 
tat erklärt  hat,  wobei  auch  S.  39  etc.  zu  vrgl.  ist,  setzt  er  liin- 
zu:  Si  ad  i)rincipium  divisionis  et  gradationem  ?'edimus^  hoc 
non  -  ens ,  quod  fiullani  habet  differe?itia?n.,  infirtmm  ^radum 
obtinere  videt?ir  in  rerum  natura;  deinde  incorporalia  sequi 
arbitror.,  tum  ex  corporalibiis  ina7iimum,  tum  ex  animanti- 
hus  plantas.,  tum  ex  animalibus  irrationale  ^  ex  ratiotialibus 
denique  homines,  ut  ultimum  et  sianmum  locimi  occupent 
DU.  Bei  Unterscheidung  des  Seienden  und  Niclitseienden  (Cap. 
II  S.  151 — 159)  bemerkt  der  Vrf.  zuerst,  dass  der  bei  derEin- 
theilung  der  Dinge  jenem  (dem  6V,  ens)  zum  Grunde  liegende 
Begriff  durchaus  nicht  zu  verwechseln  sei  mit  dem  Begriffe  je- 
nes 6V,  welches  nach  dem  Vorigen  mit  der  ovöia  zusammen 
den  Begriff  der  Kategorie  des  Substrats  ausmacht;  und  fährt 
dann  fort:  Kntis  igitur  latissimo  sensu  accepti  et  non- 
entis  discrimen  eo  nititiir.^  quod  hoc  in  mente  tantum  repe- 
rilur.,  illud  vero  extra  mentem  etiam  in  rerum  natura;  qua- 
re  si  non  -  ens  et  ipsum  in  rerum  natura  esse  dicitur.,  quia 
in  afiimo  versatur.,  illud  ens  quasi  bis  reperitur  cum  in  men- 
te., tum  in  eo.,  unde  animo  conceptum  est.  Zum  firj  ov  rech- 
nen die  Stoiker  nach  einer  Piutarchischen  Stelle  (bei  welcher  der 
Vf.  S.  152  einen,  wie  es  Ref.  scheint,  gliickliclieren  Verbesse- 
rungsversuch macht,  als  Wyttenbach)  auch  das  Universum  (rd 
3rav),  weil  es  als  ungeordnet  und  unendlich  die  Unterschiede 
der  Kategorien  nicht  zulasse;  von  diesem,  dem  6vv  asvcß  uiiEi- 
Qov^  unterscheidet  sich  aber  das  Ga?ise ,  t6  olov  ^  als  xcoglg 
xov  UBVov  itööfiov,  die  begrenzte  und  geordnete  Welt,  welche 
für  das  6v  selbst  gilt;  dennoch  aber  nennen  sie  auch  dieses  ein 
[lij  ov,  weil  es  in  dem  nicht  seienden  Universum  enthalten  ist. 
(S.  157  s,  fin.)  Was  nun  von  dem  Universum  gilt,  dass  es  ein 
Nicht- Seiendes  ist,  weil  es  als  blosses  Erzeugniss  der  Specu- 
latioQ,  als  leeres  Gedankending  kern  wirkliches,  reales  Dasein 


cigenthüralich  fragenden  Benennungen  der  3  letzten  stoischen  Katego- 
rien, theils  besonders  den  Aristotelischen  Ausdruck  xb  zi  icri  und  xo 
rl  Tjv  tlvai ,  -weichen  er  schon  in  der  oben  angeführten  Schrift  S.  40 
in  der  Kürze ,  ausführlich  aber  in  der  vortrefflichen  Abhandlung  ioi 
Rhein.  Mus.  Jahrg.  2  Heft  4  besonders  S.  467 — 83  erläutert. 


326  Geschichte  der  Philosophie. 

hat,  das  gilt  auch  von  den  einzelnen  non-entibus,  welche  Viher- 
diess  oft  aus  einer  Verirrung  des  Gedankens  hervorgehen,  wo- 
durch sie  sich  eben  von  den  übrigen  (den  wahren)  Gedanken 
unterscheiden,  die  sich  auf  Wirklichkeit  gründen.  Von  allem, 
was  sonst  noch  unter  dem  (X)]  ov  befasst  ist,  unterscheidet  sich 
das  Universum  durch  seinen  Umfang,  welcher  selbst  das  ov 
mit  einschliesst;  daher  Simpiicius  den  Stoikern  vorwerfen 
konnte,  dass  sie  aus  dem  Nicht- Seienden  das  Seiende  ableite- 
ten.—  Das  3te  Cap.  (S.  150— 165)  handelt  über  den  Unter- 
schied des  Körpers  und  des  Unkörperlichen.  liörper  hiessen 
nach  dem  Vorhergehenden  bei  den  Stoikern  nicht  nur  üie  Sub- 
strate und  deren  Materie,  sondern  selbst  jenes  geistige  Princip, 
welclics  die  Materie  durchdringend  und  zusammenhaltend  ei- 
gentlich die  Substrate  bildet;  die  gesamraten  Eigenschaften 
(Qualitäten)  der  Körper  sind  demnach  selbst  Körper.  Daher 
nehmen  die  Stoiker  bei  so  grosser  Ausdehnung  des  BegriiFes 
Körper  mehrere  Arten  von  Körpern  an,  deren  jeder  ein  eigen- 
thümlicher  Begriff  zum  Grunde  liegt;  die  einzigen  in  der  Natur 
erscheinenden,  wahrnehmbaren  Körper  sind  die  Substrate,  auf 
welche  allein  die  von  Diogenes  angegebene  Definition  nach  den 
3  Ausdehnungen  im  Räume,  wozu  von  andern  noch  der  Begriff 
der  Undurchdringlichkeit  gefügt  wird,  passt.  Alle  andern  Arten 
der  Körper  finden  sich  nur  au  diesen  Substraten,  den  örEQSolg, 
und  werden  bloss  gedacht.  Als  allgemeine,  alle  Arten  umfas- 
sende, Definition  ist  folgende  zu  betrachten:  alles^  was  Beile- 
gung U7id  Thätigheit  hervorbringt  oder  an  sich  erleidet^  ist  Aar- 
per.  Da  aber  demnach  nicht  bloss  die  Bewegung,  sondern  auch 
der  Zustand  der  Ruhe  (mauere)  dem  Körper  zukommt,  so  kann 
man  kurz  sagen:  corpus  est.,  quodcunque  motionis  et  7najisionis 
pariiceps  est.  —  Seiendes  ist  der  Körper  in  zwiefachem  Sinne, 
nämlich  als  Gegensatz  theils  des  Nicht-Seienden,  tlieils  des  Un- 
körperlichen, welches  zwar  kein  Nicht-Seie7ides.,  aber  auch  kein 
afi  sich  Seiendes  ist,  sondern  nur  am  Seienden  oder  an  Körpern 
sich  befindet.  Vom  (körperlich)  Seienden  allein  gilt  der  Aus- 
druck £iv«t,  vom  Unkörperlichen  aber  nur  vcpiördvaL  und 
VTcaQxsiv^  welche  Ausdrücke,  vom  Verf.  durch  subsistere  und 
exsistere  übersetzt,  nach  S.lfiO  sich  so  unterscheiden,  dass  der 
erste  das  bloss  in  der  Vorstellung  Seiende,  das  Gedachte,  z.  B. 
die  vergangene  und  zukünftige  Zeit,  bezeichnet,  der  letzte 
{vTtÜQxeLv)  dagegen  das  gegenwärtig  Vorhandene,  z.B.  die  ge- 
genwärtige Zeit.  Eine  ausdriickiiclie  Definition  des  Unkörper- 
lichen hat  der  Vrf.  nicht  gefunden,  sondern  dieselbe  nur  aus 
den  Gegensätzen  und  aus  einzelnen  Andeutungen  sich  bilden 
können;  Sextus  sagt:  döoo^ara  ovtE  nouiv  ri  Tticpvxev  ovre 
xäoiuv;  dieses  den  äusseren  Sinnen  entzogene  Unkörperliche 
inuss  nun  aber  nicht  mit  dem  Nicht- Seienden  verwechselt  wer- 


Petersen  :  Philosopliiac  Chrysippeae  runiUiniciita.  32'? 

den,  welclies  kein  anderes  Dasein  hat,  als  das  dnrch  falsches 
Denken  ihm  gegebene,  dag^egen  das  Unkörperliche  keineswegs 
auf  irrigen  Gedanken  beruht,  sondern  vieiinelir  an  dem  Seien- 
den, zu  welchem  es  gehört,  gedacht  werden  niuss.  Bevor  nun 
der  Vrf.  zum  4ten  Cap.,  in  welchem  er  von  der  Unterabtheilnng 
des  Unkörperlichen  handelt,  übergeht,  führt  er  noch  aus  Sextua 
die  4  Et'öj;  döco^aTCOv  auf,  nämlich  XbktÖv,  xsvoV,  tOTtov  und 
2q6vov;  den  von  der  Zeit  gebrauchten  Ausdruck  nad''  avtö  Tt 
voovfiBvov,  per  se  co^itotum^  versteht  der  Vrf.  mit  Recht  von 
der  Objectivität  der  Zeit  und  bezieht  ihn  zugleich  auch  noch 
auf  den  Raum;  wobei  wir  jedoch  fragen  müssen,  wie  sich 
diese  au  sich  gewiss  richtige  Ansicht  von  Zeit  und  Raum  zu 
der  oben  gegebenen  Definition  des  IJnkörperlichen,  als  des 
nicht  an  sich  Seienden,  sondern  nur  am  Seienden  sich  befin- 
denden verhalte.  Zwar,  wenn  man  das  Wort  root;^u£i'ovpresst, 
ist  allerdings  ein  an  sich  Gedachtes  noch  kein  ««  sich  Seie?ides^ 
allein  dann  ist  wieder  nicht  abzusehen,  warum  jener  Ausdruck 
bloss  von  der  Zeit  gebraucht  und  vom  Vrf.  ausserdem  nur 
noch  dem  Ramne^  nicht  auch  dem  JVorle  und  dem  Leeren 
beigelegt  ist;  in  Rücksicht  des  Leeren  fiihlt  der  Vrf.  dies 
selbst,  wagt  aber  nicht  zu  entscheiden,  sowie  er  auch  über 
das  vom  Chrysipp  dem  Unkörperlichen  beigelegte  Prädicat 
aTCSigov  nicht  aufs  Reine  gekommen  zu  sein  bekennt;  des  Vrf.s 
Vorschlag,  dasselbe  von  den  verschiedenen  Arten  des  Unkör- 
perlichen mverschiedenerBedentmig,  zu  fassen,  kaunRec.  nicht 
billigen.  —  In  der  von  S.  Iß.'j  bis  175  jetzt  folgenden  weite- 
ren Auseinandersetzung  über  die  incorporea,  welche  entweder 
subsistiren  oder  exsistiren,  unterscheidet  nun  der  Vrf.  weiter 
die  an  sich  e.vsistirenden  (Zeit  und  Raum)  von  den  an  andern 
oder  nach  einem  Unterscheidungsmerkmal  cxsistirendeii;  je- 
nen, welche  uukörperliche  Substrate  der  Körper  genannt  wer- 
den, sei  die  Theilung  ins  Unendliche  eigen,  gleichwie  der  kör- 
perlichen Substraten.  Den  Raum  definirt  Clirysipp  als  das- 
jenige, was  von  dem  Seienden  eingenommen  ist  oder  eiiigenora- 
inen  werden  kann.  Das  Leere  dagegen  ist  das,  was  vom  Seien- 
den eingenommen  werden  haim^  aber  nicht  eingenommen  wird 
und  überall  nur  subsistirt  und  nichts  ist;  dem  Räume  ist  es 
darin  ähnlich,  dass  es  von  dem  Seienden  eingenommen  wer- 
den kann,  der  Zeit  darin,  dass  es  für  nach  allen  Seiten  un- 
begränzt  gehalten  wird  ,  von  beiden  aber  unterscheidet  es  sich 
dadurch,  dass  es  nicht  als  an  sich  seiend  gedacht  wird.  — 
Im  öten  Cap. ,  welches  von  der  Unterabtheilnng  der  Körper 
handelt,  vergleicht  der  Vrf.  die  schon  oben  mitgetheilte  Ein- 
theilung  des  Seneca  mit  der  bei  Cic.  de  off.  2,  3  §  11  sich  fin- 
denden. Grösstentheils  übereinstimmend  weichen  beide  Rö- 
mer vorzüglich  nur  darin  von  einander  ab,    dass  Seneca  bei 


328  Geschichte  der  Philosophie. 

der  Eintlicilung  von  der  Pflanzennatur  ausgeht,  Cicero  da- 
gejueii  von  der  thierisclien  Seele.  Cicero  hat  überdiess  1  Ein- 
tlieilungsjilied  mehr,  als  Seneca,  da  dieser  die  animalia  nur 
in  mortaiia  und  immortalia  (zu  welchen  Seneca,  hierin  abwei- 
chend von  der  Lehre  der  Stoiker,  auch  wohl  die  Menschen 
rechnet)  eintheilt,  Cicero  dagegen  die  Thiere  zuerst  in  ver- 
nunl'tlose  und  vernunftbegabte,  die  letzten  aber  wieder  in 
Götter  und  Menschen  scheidet.  Eine  Tabelle  stellt  die  Ein- 
theilung  vollständig  dar  und  in  einer  kurzen  Beurtheilung  S. 
im  ff.  weiset  der  Vrf.  auf  das  Verhältniss  derselben  zu  i\iti\ 
Kategorien  Iiin.  Hieran  schliesst  sich  bis  S.  180  eine  Erör- 
terung über  die  Gewohnheit  der  Stoiker  bei  Eiiitheilungen  zu 
2  einander  entgegengesetzten  Gliedern  bald  noch  ein  3tes  Jiin- 
zuzul'ügen,  welclies  in  jenen  2  nicht  Enthaltenes  bezeichnet, 
bald  auch  noch  ein  4tes,  welches  das  zusammen  enthält,  was 
in  den  beiden  ersten  Gliedern  in  jedem  einzelnen  gesondert 
erscheint.  —  Ein  Beispiel,  welches  alle  4  Glieder  enthält, 
giebt  der  Vrf.  S.  180  aus  Sextus :  twv  (pavtccGicov  at  (xiv  ilöiv 
a.Xri%H£,  at  Öh  ipsvöeig^  at  ös  dk'r^QsLS  aal  xI^bvöhSi  cct  de  ovrs 
CK/lj^Ttsrg  ovTS  xpsvöalg. 

Zum  völligen  Verständniss  der  Kategorien  und  der  Ein- 
theilungen  ist  die  Kenntniss  der  Gegensätze,  auf  welchen  die 
ganze  Eintheilung  beruht,  durchaus  unentbehrlich;  dcsshalb 
widmet  der  Vrf.  ihnen  den  Sten  Ilaupttheil  seiner  Schrift  in 
5  Capp. ,  S.  181  —  215.  Das  Iste  Cap.  handelt  de  contrario- 
runi  definitione  et  gefiertbus.  Die  einzige  Quelle  ist  fiir  diese 
ganze  Lehre  Simplicius  zu  den  Kateg.  des  Aristoteles;  vom 
Aristoteles  also,  an  den  sich  nach  Simplicius'  Zeugniss  die 
Stoiker  in  diesem  Puncte  ziemlicli  nahe  anschlössen,  musste 
ausgegangen  werden.  Was  Aristoteles  avTiHBi^Bva  (opposita, 
Gegensatz)  nannte,  das  liiess  bei  den  Stoikern  Ivavxia  (con- 
traria, Gegentheil);  auf  diese  ausdriickliche  Behauptung  des 
Simplicius  gestiitzt  legt  der  Vrf. ,  in  Ermangelung  von  Stellen 
aus  den  Stoikern  selbst,  die  von  Aristoteles  in  den  Kateg.  c.  8 
(Lewald)  gegebene  Aufzählung  der  einzelnen  Arten  der  Gegen- 
sätze zum  Grunde;  die  Stelle  lautet  so:  kiyi.tai  ÖE  eteqov  aze- 
Qa  dvTLnelGd'ai,  tsxgaxäg  ij  ag  tä  ngog  n  t]  c<5g  td  Ivavxia  ij 
ag  öxsgrjöig  xal  et,ig  rj  ag  xaxäfpaöLg  xal  dnöcpaöig.  'AvxlzbI- 
tai  de  exaöxov  rav  xolovxcov^  cog  xvTtca  slnelv,  cog  ^ev  xd  ngög 
Ti-,  olov  x6  ÖLTtldöiov  TW  ^|tttö£t '  ojg  Öb  xd  ivavxia,  olov  x6 
aanov  x(ö  dyad-c5 '  ag  dh  xd  %axd  CxegiqßLV  aal  e^iv ,  olor'  xv- 
(pXöxrjg  aal  oipLg'  cog  Öa  %axdq)aöi,g  aal  dTtocpaCig,  olov  nd^rj- 
%ai,  ov  üd&rjxaL.  Die  liier  befolgte  Ordnung  der  Arten  der 
Gegensätze,  die  dem  Vrf.  auffallend  schien,  ist  von  ihm  in  der 
gesonderten  Behandlung  so  umgeändert  worden,  dass  er  den 
relativen  Gegensatz  (xd  JtQog  xl  dvxLneluBva)  ^   der  bei  Aristo- 


Petersen:    Plülosophiae  Chrysippeae  fundamcnta.  829 

teles  voranstellt,  ans  Ende  setzt.  Diese  Anordnung-,  meint  der 
Vrf.,  müsse  auch  im  Syctcm  der  Stoiker  gewesen  sein,  so  dass 
die  4  Arten  der  Gegensätze  in  ircseu  und  Reihenfolge  den  4 
Kategorien  entsprächen.  Ob  durcli  diese  Verinntliung  des  Vi'.s 
mehr,  als  ein  äusserer,  un\ves;cii(li(her  Scliematismus  gewon- 
nen werde  und  ob  sie  sich  iiberhaiipt  historisch  begriinden 
lasse,  uagen  wir  um  so  wcnii:;er  zu  behaupten,  da  sich  die  Ka- 
tegorien in  Bezug  auf  die  Gegensätze  so  durchkreuzen  ,  dass 
jede  Art  der  Entgegensetzung  sich,  wenn  niclit  auf  alle,  so 
doch  auf  die  meisten  Kategorien  bezieht.  Es  Iiandelt  dem- 
nach das  2te  Cap.  de  simplicitcr  coidraviis;  die  Ivavria  deii- 
nirt  Aristoteles  als  zä  n?^H6xov  a.'n.Liovxa  Iv  %a  avta  yivn, 
und  dieser  Definition  des  Gegentheils  bedienten  sich  auch  die 
Stoiker,  obgleich  sie  dieselbe,  wie  Aristoteles  selbst,  nicht 
ganz  befriedigend  fanden.  Ueber  die  Unterarten  der  Gegen- 
theile  hat  der  ;Vrf.  folgende  Resultate  gewonnen:  contrario- 
111711  primum  geims^  eoi um,  quae  nos  nunc  abstracta  vocanms, 
qualilates  amplectüur  et  affectiones  atque  actiones ,  quormii 
posteriores  utraeque  aliquo  modo  sc  hahenlin  et  ad  aliquid 
relata  sigmßca?e  vide?itur  substaiitivoi  um  formis  expressa  etc. 
S.  189;  Beispiele  sind:  sapientia  und  insipientia,  effusio  und 
infusio.  Die  2te  Unterart  umfasst  praedicatiofws  et  praedi- 
cuta,  quae  jam  minus  sunt  abstracta  ex  nostro  loquendiusu; 
huc  igitur  refere?ida  simt  non  solum  saper e  et  desipere,  sed 
etia?n  sapit  et  desipit  atque  non  tantum  aliquo  modo  se  haben- 
iia,  sed  etiam  aliquo  modo  relata^  cujusmodi  est  effundere  et 
infundere ,  effundit  aliquis  et  infundit.  —  Tertio  loco  adver- 
hia  proprie  contraria  su7it,  e.  g.  sapienter  et  insipienter,  quae 
^£66ti]TSg  vocantur  fortasse ^  quia  quodammodo  in  ?nedio  ver- 
santur  inter  abstracta  et  co7icrcta,  minus  e/ii/n  per  se  cogi- 
tari  possimt,  quam  qualitates  et  affectio7ies  et  actiones ,  7iiagis 
tame7i,  qua7n  praedicatio7ies  (Infinitive)  et  praedicata  (verb. 
fin.).  —  Eine  4te  Unterart  wären  die  Definitionen  der  con- 
trären  Begriffe ;  allein  diese,  nach  Chrysipp  gar  nicht  als  Ge- 
frensätze  zu  betrachten,  sind  wenigstens  nur  dann  solche,  wann 
in  jeder  derselben  die  einzelnen  Worte  eiiiander  genau  ent- 
sprechen. —  Cap.  3  Habitus  et  pricatio.  Die  6T£Q7]tixd  wer- 
den von  Chrysipp  nach  Aristoteles  definirt  als  oöa  dvacQsl 
7iaQ£^u(paivovTa  trjv  tov  B%SiV  (pvöLV^  ov^  dnläq,  ßAA'  orav 
lyifpatv]]  x6  TtscpVKog  xat  ors  TiscpvHBV.  Diese  Aufhebung  des 
Habens  {(5TEQ7]6ig)  bezieht  der  Vrf.  zunächst  und  besonders  auf 
die  2te  Kategorie,  weil  aus  den  Qualitäten,  als  den  friiher 
seienden,  erst  die  Handlungen  hervorgehen,  z.  B.  die  Blind- 
heit bezeichne  zuerst  den  Mangel  derjenigen  Qualität  oder  na- 
tiirlichen  Kraft,  vermöge  welclier  wir  sehen;  dann  aber  auch 
die  Aufhebung  der   Thätigkeit  des  jSehens.   —     Vier  Arten 


330  Geschichte  der  Philosophie. 

der  Gegensätze  in  Rücksiclit  des  Habens  und  Nichthabens  wer- 
den dann  anfi^eführt:  1)  quae  <?o,  quod  secundinn  indolevi 
suam  iialuraleni  habere  debent ,  destituta  sunt;  2)  quae 
eo  carent^  quod  es  more  habeant  oportet;  3)  quae  officium 
relinqmi.ut ^  quo  fungipar  est;  4)  quod  out  totu7n  aut  ex  parte 
caret facultate  aliqua.  (S.  190.)  Von  den  einfachen  Gegen- 
sätzen unterscheiden  sich  diese  auf  das  Haben  oder  INicht- 
haben  sich  beziehenden  dadurch,  dass  sie  nicht,  wie  jene, 
theils  verschiedeneii  Substraten  zukommen,  theils  ebenden- 
selben zugleich,  sondern  dass  sie  sich  in  denselben  Subsitraten 
zwar  finden,  aber  beide  nacheinander,  nicht  beide  zu  gleicher 
Zeit  (S.  204).  —  Cap.  4  affirmatio  et  ?iegatio.  Die  Bejahung 
und  Verneinung  beziehen  sich  eigentlich  weniger  auf  die  ein- 
zelnen Begriffe,  als  auf  Urtheile  (und  Sätze),  von  denen  im- 
mer das  eine  wahr,  das  andere  falsch  ist;  jedoch  wird  die 
Negation  auch  bei  einzelnen  Begriffen  angewendet,  wie  aus 
Simplicius  erhellt  (S.  206  ff.).  Eine  Definition  finden  wir  aus 
den  Stoikern  nicht  angefülirt;  doch  untersclieidet  der  Vrf.  S. 
208  die  Negation  von  der  im  vorigen  Cap.  behandelten  Priva- 
tion mit  folgenden  Worten:  privative  opposita  ut  contradicto- 
ria  ad  idem  sustratinn  utraque  pertinertt ,  diver  so  auteni  tem- 
pore, ut  Visus  et  caecitas^  sedet  et  noji  sedet ;  illa  vero  jnaesen- 
iiam  et  absentiam  indicant^haec  verieifalsi  discrimen  constiluunt. 
—  Cap.  5  contraria  ad  aliquid  lelata.  Ueber  diese  Art  der  Ge- 
gensätze fand  der  Vrf.  beim  Simplicius  nichts  EigenthVimiiches 
aus  den  Stoikern  erwähnt,  und  schloss  daraus,  dass  sie  hierin 
vom  Aristoteles  sich  nicht  entfernt  liätten,-  die  hieher  gehö- 
rige Stelle  des  Aristoteles  theilt  der  Vrf.  S.  209  u.  folg.  mit; 
Beispiele  relativer  Gegensätze  sind:  die  Hälfte  —  das  Dop- 
pelte, Vater  —  Sohn,  rechts  —  links  u.  dgl.  ra.  S.  215  lie- 
fert der  Vrf.  noch  eine  Tabelle  der  Gegensätze,  in  welcher 
einiges  hypothetisch  Ergänzte  eingeklammert  ist. 

Bis  hieher  sind  wir  dem  Vrf.  auf  seiner  historischen  Wan- 
derung durch  die  Triimmer  der  Stoa  gefolgt;  wir  haben  ge- 
sehen, wie  mancher  schöne  Fund  seine  mühsame  Forschung 
belohnte  und  wie  treffend  der  Vrf.  meist  das  Gefundene  an- 
zuwenden wusste,  um  Licht  für  Finsterniss,  Einsicht  für  Irr- 
thura  an  die  Stelle  zu  setzen ;  und  schienen  uns  auch  die 
Combinationen  hie  und  da  zu  wenig  historisch  begründet  oder 
die  Vermuthungen  des  Vrf.s  zu  kühn  zu  sein ,  so  müssen  wir 
doch  lobend  anerkennen,  dass  er  nach  kleinen  Abschweifungen 
vom  historischen  Wege  stets  wieder  auf  denselben  zurück- 
kehrte und  im  Ganzen  dieser  einzig  richtigen  Weise  der  For- 
schung über  Gegenstände  der  Ueberlieferung  treu  geblieben 
ist.     Weniger  lässt  sich  dies  von  dem  nun  folgenden  Haupt- 


Petersen:  Philosopliiac  Clirysippeae  fundamcnta.  331 

tlieile,  namentlich  von  S.  210—291  sagen;  er  führt  die  Ucher- 
schi'ift:  doctrina  de  categoiiis,  de  dicisione  et  opposüione 
e  tolitis  philosopkiae  disposilione  piobata  et  firviata^  und  soll 
zeigen,  wie  von  den  Stoikern  die  4  Kategorien  als  höchste  Be- 
griit'sgattiingen  in  allen  Theilen  der  Philosophie  zu  Einthei- 
hingen,  Uuterabtheilinigen  und  De{initionen  angewendet  seien. 
Der  Vrf.  sucht  den  Gebrauch,  den  die  Stoiker  und  vor  allen 
Chrysipp,  welcher  nach  des  Vrf.s  Meinung  eben  durch  diese 
Stiitze  der  sclion  wankenden  Stoa  wieder  aufhalf,  so  von  den 
Kategorien  gemacht  liaben  sollen,  an  Beispielen  von  auf  uns 
gekommenen  Eintheilungen  und  Definitionen  aus  Diogenes, 
Cicero,  Seneca  u.  a.  darzulegen;  und  unverkennbar  ist  der 
grosse  Scharfsinn,  mit  welchem  er  diese  von  ihm  zuerst  auf- 
gefasste  Idee  bis  ins  Einzelne  durchzufiihren  suclit;  vieles  ist 
in  dieser  grösstentheils  hypothetischen  Untersuchung  ohne 
Zweifel  sehr  treifend  und  wird  des  Beifalls  der  Kenner  nicht 
entbehren;  allein  ebenso  natürlich  ist  es,  dass  der  erste  Ur- 
heber einer  Hypothese  in  der  Feststellung  und  Durchführung 
derselben  bisweilen  die  Gränzen  der  ganz  unbefangenen  For- 
schung überschreitet  und  mitunter  eine  Bestätigung  für  seine 
Behauptung  in  einer  Stelle  zu  finden^ meint,  in  welcher  der 
ganz  Unbefangene  nichts  weniger  wahrnimmt,  als  eine  Spur 
der  Kategorien.  Dies  liegt  in  der  Natur  der  Sache  und  wir 
sind  weit  entfernt,  dem  Vrf. ,  der  so  viele  dankenswerthe  Ga- 
ben in  seinem  Buche  gespendet  hat,  daraus,  dass  ihm  dies 
bisweilen  begegnet  zu  sein  scheint ,  einen  Vorwurf  zu  machen  ; 
auch  zweil'eln  wir  nicht,  dass  der  Vrf.,  wenn  ihm  einst  nach 
langem  Harren  eine  ihm  so  sehr  wüuschenswerthe  glückliche 
Müsse  geschenkt  sein  wird,  die  ihn  in  den  Stand  setzt,  die 
versprochene  Bearbeitung  der  Chrysippischen  Fragmente  zu 
liefern ,  selbst  manche  seiner  Vermuthungen  berichtigen  oder 
aufgeben  werde.  Einer  ins  Einzelne  eingehenden  Anführung 
und  Beurtheilung  der  vom  Vrf.  in  diesem  4ten  Theile  aufge- 
führten Resultate  enthalten  wir  uns  aber  hier  mit  grösserem 
Hechte,  da  eine  solche  Nachprüfung,  wenn  sie  rechter  Art 
sein  soll,  Gegenstand  eines  eigenen  Buches  sein  müsste,  zu 
dessen  Ausarbeitung  es  dem  lief,  jetzt  wenigstens  an  Müsse 
fehlt.  Einzelne  wohl  zu  beachtende  Andeutungen  und 
Winke  hat  schon  Trendelenburg  in  der  mehrmals  angeführten 
Rec.  gegeben.  V/ir  bemerken  nur  noch,  dass  künftig  keiner, 
der  sich  mit  dem  Studium  der  Quellen  der  Stoischen  Philo- 
sophie beschäftigt,  des  Vrf.s  Buch  wird  entbehren  können 
und  dass  es  namentlich  auch  den  Freunden  des  Cicero ,  denen 
es  um  ein  gründliches  Verständniss  des  Inhalts  der  philoso- 
phischen Schriften  desselben  zu  thun  ist,  die  reichste  Aus- 
beute verspriclit;   selbst  gelehrte  Juristen  dürften  für  das  Stu- 


S32  Gescliichtc    der  Philosophie. 

diiira  des  Röin.  Hechts  in  der  genaueren  Begründung  der  Stoi- 
sclien  Dialectik  manche  Belehrung  finden. 

Der  Stil  des  Vrt's  ist  im  Ganzen  zu  loben;  hat  er  biswei- 
len Ausdrücke  und  Wendungen  gewälilt,  die  sich  aus  dem 
herrschenden  Sprachgebrauclie  des  goldenen  Zeitalters  schwer- 
lich möchten  rechtfertigen  lassen,  so  wollen  wir  desshalb 
nicht  mit  ihm  rechten;  ein  Buch,  wie  das  vorliegende,  hat 
nach  unserer  Meinung  seine  Aufgabe  in  llVicksicht  des  Aus- 
drucks gelös't,  wenn  es  seinen  gewiclitigen  Sachinhalt  in  einer 
leicht  verständlichen  und  grammatisch  reinen  Sprache  dar- 
stellt; höhere  Anforderungen  muss  man  an  den  Bearbeiter 
eines  Gegenstandes  aus  der  alten  Philosophie,  welche  Viberhanpt, 
namentlich  im  Ausdruck  einzelner  den  Römern  nicht  geläufiger 
Begrifl"e,  für  die  Latinität  grosse  Schwierigkeiten  darbietet, 
nicht  machen  —  und  diesen  hat  der  Vrf.  genügt;  wo  hingegen 
jene  Schranken  ihn  nicht  hemmten,  wie  in  der  Vorrede  und 
in  dem  letzten  Abschnitte  des  4ten  Theils,  der  einen  kurzen 
Abriss  des  Chrysippischen  Systems  giebt,  da  zeigt  er,  dass 
seinem  Stile  eine  freiere  Bewegung  keineswegs  mangele.  Mit 
der  Berichtigung  weniger  Einzelnlieiten,  wie  einiger  nicht 
überall  ganz  genauer  Uebersetznugen  Griechischer  Stellen, 
wollen  wir  die  schon  lange  genug  in  Anspruch  genommene 
Geduld  unserer  Leser  nicht  länger  auf  die  Probe  stellen,  weil 
jeder,  den  der  Gang  seiner  Studien  zu  des  Vrf.s  Werke  hin- 
führt, diese  Kleinigkeiten  leicht  selbst  bemerken  wird.  Druck 
und  Papier  sind  gut;  ausser  den  hinten  verzeichneten  Druck- 
fehlern finden  sich  keine,  die  nicht  als  solche  gleich  in  die 
Augen  fallen;  am  schlimmsten  sind  in  der  Vorr.  S.  IX  Z.  4 
V.  u.  texto  für  textu^  S.  42  Z.  10  aliquod  für  aliquid ,  S.  224 
Z.  2  V.  u.  orationes  für  orationis,  S.  249  Z.  2  formuni  iür  for- 
mam.  —  S.  XVIII  der  Vorr.  citirt  der  Vrf.  Petr.  Nieulcmd 
dissert.  de  Miiso?no  Bf/fo  ^mstelod.  1783;  ed.  sec.  1819; 
allein  eine  2te  Ausg.  dieses  AVerkes  exsistirt ,  soviel  dem  Ref. 
bekannt  ist,  nicht;  verrauthlich  schwebte  demYrLPeeiiJfunijjs 
Werk :  C.  Musonii  Riifi  reliquiae  et  apophthegmata ,  Harleini 
1822  vor,  welches  vor  den  von  Peerlkamp  mit  Anmerkungen 
begleiteten  Fragmenten  des  Musculus  jene  Dissert.  INieulands 
wiederholt. 

Meldorf  im  Juli  1829. 

H.  C.  F.   Prahm. 


Abhandlung.  333 

Abhandlung. 


Der  Zusammenhang  der  lutemischen  und  griechischen  Sprache 

mit  dem  Sanskrit ,  7iach^ewiesen  bei  der  Erklärung  des 

ff' ort  es  Ju]j  iter. 

§  1.  ilci  den  Forschungen  über  römische  Sprache,  Sitte  «nd  Glau- 
ben hat  man  bisher  mehr  ausznmitteln  gesucht,  was  diellönier  anders- 
woher aufgenommen ,  als  was  ihnen  eigenthünilicli  gewesen  und  bei 
ihnen  ausgebildet  Morden  sey.  Diese  Richtung  ist  von  den  Ivoniern 
selbst  angegeben  und  verfolgt  worden.  Denn  bei  den  Uömern  hatte 
sich  die  Sage  von  frühern  llinwanderungen  griechischer  Colonien  er- 
halten, griechische  A  ölkerschaften  wolinten  in  ihrer  INähe  und  die  Rö- 
mer selbst  nnissten  die  höhere  Bildung  der  Griechen  anerkennen.  In- 
dem sie  nun  zugleich  in  Sprache,  Sitte  und  Götterglauben  vielfältige 
Aehnlichlteit  mit  den  Griechen  fanden,  bildeten  sie,  und  nielir  noch  die 
spätem  Alterthumsforscher,  die  Ansicht  aus,  dass  der  grössere  Theil 
der  römischen  Sprache  aus  der  griechischen  entlehnt  und  nur  etwa  mit 
einem  Zusatz  altitalischer  Wörter  versetzt  sey,  dass  die  meisten  römi- 
schen Götter  durch  Griechen  nach  Italien  gebracht  u.  dort  nur  in  man- 
chen Stücken  nationalisirt  worden  seyen.  Dieser  Ansicht  ist  in  der  neu- 
sten Zeit  von  einer  Seite  her  entgegengearbeitet  worden,  von  wo  man 
es  am  wenigsten  hätte  erwarten  sollen.  Man  fand  in  Ländern,  weit  ent- 
fernt von  Hellas  und  Latium,  an  den  Ufern  des  Ganges,  Sprachen, 
welche  der  römischen  und  griechischen  Sprache  eben  so  ähnlich  waren 
als  beide  einander  selbst.  Und  bei  der  Erforschung  der  ältesten  Bibel- 
übersetzungen deutscher  u.  slavischer  Zunge  entdeckte  man,  dass  auch 
die  germanischen  und  slavischen  Sprachen  jenen  vor  Alters  nicht  so 
fremd  waren ,  als  sie  es  heute  zu  seyn  scheinen.  Man  fing  daher  an, 
die  griechische  und  römische  Sprache  als  Schwestern  zu  betrachten, 
welche  eine  weit  verbreitete  Verwandtschaft  haben,  von  einer  Mutter- 
sprache zu  verschiedenen  Zeiten  ausgegangen  sind  und  die  erhaltene 
Mitgift  nach  dem  verschiedenen  Einflüsse,  welchen  Wanderungen,  Cli- 
ma  und  Lebensart  ausüben  raussten,  umgestaltet  haben.  Unter  allen 
europäischen  und  asiatischen  Zweigen  dieses  Sprachstanimes  zeichnet 
sich  die  heilige  Sprache  der  Hindus,  die  Sanskritsprache,  nicht  blos 
durch  ihre  reiche  Litteratur ,  sondern  mehr  noch  durch  einen  ausser- 
ordentlichen Reichthura  an  Formen  oder  Flexionen  u.  Conseqnenz  und 
Alter  derselben  aus.  Die  letztere  Erscheinung  kann  man  sich  auf  fol- 
gende Weise  erklären.  Die  Hindus  kamen  aus  Nordwest  nach  dem  in- 
dischen Delta,  bildeten  dort,  nur  wenig  dem  Andränge  oder  Einflüsse 
neuer  Völker  ausgesetzt,  den  mitgebrachten  Sprachschatz  nach  seiner 
ursprünglichen  Vielseitigkeit  aus  und  bewahrten  die  alten  Formen  um 
Bo  treuer,  je  mehr  bald  der  zur  Herrschaft  sich  emporarbeitenden  Prie- 


334  Abhandlung.. 

sterkastc  daran  lag,  den  Sinn  des  Volkes  auf  die  Erhaltung  der  uher- 
lieferten  Formen  in  allen  Lebensverhältnissen  zu  lenlten.  Derselbe  Sinn, 
das  Alterthuni  treu  aufzubewahren ,  war  auch  den  Römern  eigen ,  wie 
sich  aus  ilxrer  ganzen  Staatsverfassung  erweisen  lässt,  und  dieselbe  An- 
hänglichkeit an  alte  Formen  zeigt  sich  in  der  ganzen  latein.  Sprachbil- 
dung. Denn  das  Volk  der  Lateiner,  von  welchem  sich  die  nächst  an- 
grenzenden Jtaler  nur  dialektisch  mögen  unterschieden  haben,  hat  zwar 
auf  seinen  Avciten  Wanderungen  aus  Asien  nach  Italien  manche  Wort- 
stämme lind  manche  Flexionen  verloren,  aber  doch  dasjenige,  was  es 
mit  nach  Italien  brachte,  so  buchstäblich  aufbewahrt,  dass  es  mit  dem 
Sanskrit  auf  das  Ueberraschendste  übereinstimmt.  Die  Hellenen,  scheint 
es,  haben  vor  ihrer  Wanderung  aus  Asien  mit  den  Hindus  in  näherer 
Berührung  gestanden  und  trennten  sidi  später  als  die  Lateiner  von  dem 
gemeinschaftlichen  Sprachstamme.  Denn  im  ganzen  Sprachenbau  fin- 
det sich  zwischen  der  griechischen  und  Sanskritsprache  die  meiste  Ue- 
hereinstimmung.  Allein  die  Hellenen,  deren  Freiheit  im  Denken  und 
Schaffen  Mir  in  jeder  Kunst  und  Wissenschaft  bewundern,  zeigten  die- 
selbe auch  in  der  Sprachbildung  und  in  der  Verwendung  des  empfange- 
nen Sprachschatzes  ihrem  eigenthünilichen  Geiste  geiijäss,  und  zeichnen 
sich  auch  in  dieser  Rücksicht  vor  den  Völkern  desselben  Sprachstammes 
vorthcilhaft  aus.  Man  muss  nämlich  folgendes  beachten:  deif  sinnliche 
Mensch,  welcher  die  sich  ihm  darbietenden  Verhältnisse  noch  nicht  un- 
ter allgemeine  Begriffe  zu  fassen  versteht ,  bildet  zu  ihrer  Bezeichnung 
eine  grössere  Anzahl  grammatisclier  Foi-men  ,  als  logisch  nötliig  sind. 
Diese  Formen  gehn  daher  ihren  Begriffen  nach  häufig  in  einander  über 
und  lassen  sich  nicht  scharf  abgrenzen.  An  diesem  Mangel  wird  jede 
ungebildete  Sprache  leiden,  und  eben  so  auch  jene  Ursprache,  als  de- 
ren Zweige  die  lateinische,  griechische  und  Sanskritsprache,  von  wel- 
chen wir  hier  reden,  wie  auch  noch  viele  andere,  zu  betrachten  sind. 
Während  nun  die  andern  Sprachen  unseres  Stammes  jene  ungeordnete 
Klasse  von  Formen  mehr  oder  weniger  l)eibehielten ,  haben  die  Helle- 
nen nach  allgemeinen  Begriffen  dieselben  vereinfacht  und  die  dadurch 
überflüssig  gewordenen  Formen  entweder  ganz  aufgegeben  oder  die- 
selben zur  Bezeichnung  von  Verhältnissen  verwendet,  die  der  sinnliche 
Mensch  übersieht  und  erst  der  Denker  entdeckt.  Daher  haben  die  La- 
teiner ältere,  das  Sanskrit  reichere  und  consequenter  durchgebildete 
Formen;  die  Griechen  sind  diejenigen,  welche  an  scharfer  Bezeich- 
nung der  Gedanken  beide  übertreffen. 

Diese  Ansichten  dringen  sich  jedem  auf,  welcher  das  Sanskrit  mit 
dem  Griechischen  und  Lateinischen  vergleicht.  Jede  solche  Verglei- 
chung,  wenn  sie  zu  sichern  Resultaten  führen  soll,  muss  sich  eben  so- 
wohl auf  die  Wörter  als  auf  die  Formen  oder  Flexionen  erstrecken. 
Will  man  nämlich  untersuchen  ,  ob  Sprachen  mit  einander  verwandt 
sind ,  so  muss  man  ihre  Wörter  zusammenstellen ,  und  vorzüglich  sol- 
che,  welche  Begriffe  bezeichnen ,  die  den  sprachbildenden  Menschen 
wegen  ihrer  Nothwendigkeit  zur  Verständigung  im  gewöhnlichen  Men- 


Jupiter.  335 

schenlebcn  die  niiclisten  waren ,  z.  R.  die  Worter  für  ilie  Glieder  des 
iiicnschliolicii  Körpers,  für  Ik-zciclinuii}^  der  Familienverwiindtschiift  und 
der  ersten  Elemente  des  physischen  Lehens.  \  oiziijijJith  wird  diese 
^erwandtschiit't  hewiesen  durch  l  ehcrelnstiniinunf;;  der  Wur/.elwörter, 
welche  man  fuidct,  nachdem  man  von  den  in  der  llede  gehrauchten 
Wörtern  alle  AVortblldungssuflixe  trennt.  Doch  kann  hei  diesen  Zu- 
sanimenstellnngen  immer  noch  zufällige  Klangsähnlichkeit  täusclien; 
manches  Wort  wird  auch  durch  Handel  oder  andere  Umstände  über 
viele  Sprachen  verbreitet.  Die  Verwandtschaft  zweier  oder  mehrerer 
Sprachen  muss  daher  noch  von  einer  andern  Seite  her  hewiesen  wer- 
den, nämlich  durch  die  Uebereinstinimung  in  Formen  und  Flexionen, 
weil  diese  das  Element  jeder  Sprache  ausmachen  und  sich  in  derselben 
behaupten,  wenn  auch  ihr  Vorratli  an  Wörtern  durch  den  Einüuss  frem- 
der Sprachen  mannichfaltigen  Veränderiingen  unterworfen  ist. 

So  viel  glaubte  ich  dieser  Abhandlung  über  den  Namen  Jupiter^ 
woran  sich  noch  die  Erklärung  einiger  verwandten  Götternamen  schlie- 
ssen  wird,  vorausschicken  zu  müssen,  um  meine  Leser  auf  den  Stand- 
punkt zu  stellen,  von  welchem  aus  ich  die  Verwandtschaft  der  griechi- 
schen und  lateinischen  Sprache  mit  dem  Sanskrit  betrachte. 

§  2.  Die  Alten  leiteten  Jupiter  von  jiivuns  pater  her.  Cic.  nat.  deor. 
II  §  64:  Seil  ipse  Jupiter  id  est  juvans  pater,  quem  conversis  casi- 
bus  appcllamus  a  juvando  Jovem.  Doch  diese  Erklärung  ist  unstattliaft: 
denn  es  giebt  Aveder  im  Lateinischen  noch  im  Griechischen  Composita, 
deren  erster  Theil  die  Wurzel  eines  Verbums ,  der  zweite  ein  unverän- 
dertes Substantiv  wäre. 

§  3.  Die  Endung  j)j7er  findet  sich  noch  in  einigen  andern  Wörtern, 
wie  Marspiter,  Diespiter ^  und  ist  offenbar  so  viel,  wie  pater,  inderai 
man  auch  Jupater  (Euguhin.  tab.  VIII,  24),  Mars  pater,  Salurnus  pa- 
ter u.  s.  w.  sagte  und  diess  jjater  mehr  oder  weniger  den  übrigen  Göt- 
tern beilegte.  Es  wäre  möglich ,  dass  piter  aus  pater  entstanden  wäre, 
durch  einen  Uebergang  des  a  in  i ,  wie  bei  facio  efficio ,  cado  cecidi. 
Allein  wird  auch  gewöhnlich  Marspiter ,  Diespiter  geschrieben ,  so  sind 
es  doch  eigentlich  zwei  Worte,  beide  im  Nominativ;  und  die  gewöhn- 
lichen Regeln  der  Composition  sind  also  hier  in  Bezug  auf  die  Umwan- 
delung  des  a  in  /nicht  ganz  anwendbar.  Vielmehr  macht  eine  Ver- 
gleichung  der  übrigen  lateinischen  und  griechischen  Verwandtschaftsna- 
luen  mit  dem  Sanskrit  es  wahrscheinlicher,  dass  jenes  piter  eine  uralte, 
neben  jener  auf  o  gebräuchliche  Form  war,  die  sich  bei  den  Lateinern 
im  heiligen  Gebrauche  erhalten. 

§  4,  Eine  Zusammenstellung  der  vorzüglichsten  Verwandtschafts- 
namen wird  diess  erläutern. 

a)  sanscr.  raätri*),  Mutter,  nom.  matä,  accus,  mataram,  locat.  ma- 


*)  ri  ist  einfacher  Vokal,   der  bei  einfacher  Verlängerung  in  är,  bei 
doppelter  in  är  übergeht;  um  diess  sanskritische  ri  von  dem  Consonanten 


336  A  b  h  a  n  tl  l  n  n  g. 

tarl,  nom.  pliir.  mataras.   rf,  dor.  narrjQ,  acc.  fiatiQa,  dat.  u.  locat.  fiK- 
TiQt,  noii!.  plur.  fiarfQsg.  matcr,   matrcm,   inutri,   matres. 

Anni.  Um  zu  ül)erselien,  wie  diess  Wort,  so  wie  auch  die  sub  6. 
c.  f?.  etc.  folgenden  in  den  verschiedenen  Sprachen  dem  Stamme  und  der 
Form  nach  genau  zusammenhängen,  niuäs  man  wissen  «)  dass  im  Sans- 
lirit  ein  grosser  Theil  der  Wörter,  welche  die  Familienglitder  bezeich- 
nen, auf  tri  oder  ri  endigen;  diese  angegebnen  Endungen  aber  nicht 
den  Nominativ,  sondern  eine  absolute  Form  des  Substantivs  bezeich- 
nen, aus  welcher  erst  der  Nominativ,  so  wie  die  übrigen  Casus  gebil- 
det werden.  Da  man  im  Lateinischen  und  Griechischen  solche  absolute 
Formen  nicht  hat,  so  inuss  m.an  nicht  sowohl  diese,  als  die  Nominative 
mit  einander  vergleichen,  ß}  Der  sanskritisolie  Nominativ  mätä  ist  ent- 
etanden  mit  Wegfall  eines  r  am  Ende  u.  lautet  eigentlich  mutar.  y)  Die 
absolute  Endung  tri  wird  im  Sanskrit  auch  in  einer  andern  Flexion  an- 
gewendet, die  dem  Griechischen  und  Lateinischen  genau  entspricht. 
Man  bildet  nämlich  von  allen  Verben,  durch  Anhängung  der  Silbe  tri 
oder  mit  Eiuschiebung  eines  Bindevolials  itri ,  W^ürter,  welche  theila 
als  nomina  gebraucht  werden,  um  eine  Thätiglteit  zu  Iiezeichnen,  theils 
als  participia,  um  mit  asmi,  asi,  d.  i.  sura,  es,  verbuni'!(;n,  das  Futurum 
auszudrücken:  Von  der  Wurzel  du,  geben,  ilatri,  Geber,  nomin.  data 
(eigentlich  datar'),  der  Geber,  dntasmi,  ich  werde  geben,  i,  gehen, 
aetri  Geher,  jitdsch  verbinden,  joktri  der  Verbinder  — -.  Dieselbe  An- 
hängesilbe finden  wir  im  Griechischen ,  freilich  gleich  in  der  Nomina- 
tivforra,  öoti]^,  0vvtJq,  ccottiq,  'QcoatiJQ,  oder  auch  Formen  in  con ,  vi- 
xäzooQy  (liXfzag,  qtjtcoq.  —  Im  Lateinischen  findet  sich  dieselbe  Flexion, 
oft,  wie  im  Sanskrit,  mit  vorgesetztem  /,  doch  unter  verschiedenen 
Nominativsgestalten:  selten  ter ,  vielleicht  rasier  von  rädere,  cuUer  von 
colere;  gewöhnlich  tor  oder  itor ,  domitor,  victor,  scriptor,  und  turiis, 
oder  ittirus,  a,  um,  mit  dem  Sanskrit  übereinstimmend,  als  Participiura 
futuri  activi,  domiturus,  victurus,  scripturus  sum.  —  Wir  finden  dem- 
nach diese  Sanskritendung  dem  griechischen  tjq  und  coq  ,  dem  lateini- 
schen er,  or  und  urus  entsprechend. 

b)  bhrairi,  Bruder,  frater.  Dasselbe  Wort  in  gjoar^p  und  cpQccrcoQ, 
Stammsgenosse,  u.  (pgccrga,  cpgcngi],  Volksstamm.  Durch  das  den  Grie- 
chen eigenthümliche  dd^Xcpög,  der  leibliche  Bruder,  wurde  cpoccr^Q  aus 
seiner  ursprünglichen  Bedeutung  verdrängt;  man  nahm  es  umfassender 
für  den  Verwandten  überhaupt  und,  als  die  Verwandtschaft  wuchs,  für 
äen  Stammsgenossen;  w'w  sich  auch  bei  uns  die  Genossen  einer  Sipp- 
schaft Bruder ,  die  Ilaloren  und  Postillone  ihre  Genossen  ScJiiL'C!p;cr  zu 
nennen  pflegen,  und  im  Dorisclien  die  Stammsgcnossenschalt  ttÜtqcc  ge- 
nannt wurde.  Doch  finden  sich  auch  im  Griechischen  Spuren ,  dasä 
cpQUTi^Q  den  Bruder  bedeutet.    Buttmann  Mytholog.  II  p.  328. 


r  zu  unterscheiden,    ist  es  in  Ermangelung  von   Sanskritlypen  im  Texte 
überall  mit  einem  Funkte  versehen. 


Jupiter.  337 

c)  suasrlf  Schwester.  Im  Giiechlschcn  ist  dicss  Wort  durch  aStXqiiq 
verdrängt;  lateinisch  soror  statt  sosor.  Wo  näiulich  im  Sanskrit  sua^ 
ilndcn  wir  im  Lateinischen  zuweilen  so;  Sanskritwurzel  siiap  schlafen 
sop  (ire).  sanskr.  suan  schallen  son  (are) ;  das  s  in  der  Mitte  hat  sich  in 
r  verwandelt,  wie  man  larcs^  Papirius,  ero  statt  lases,  Papisius,  eso 
sagte;  die  Xominativsendung  or  ist  4  er,  y  erklärt.  Uehrigens  scheint 
auch  hier  die  ursprüngliche  Form  tri  gelautet  zu  hahen ,  wenigstens 
zeigt  sich  das  t  im  germanischen  Sprachstarame.  Goth.  svistar.  angel- 
sächs.  awustor.  fränk.  svesier.    preuss.  schostro. 

d)  sanscr.  duhitri  Tochter,  nom.  Qvyutrio.  h  wurde  nämlich  ira 
Sansltrit  stärker  ausgesprochen  als  das  lateinische  h  oder  der  griech. 
Spiritus  asper.  Daher  macht  es  im  Sanskrit  mit  einem  andern  Conso- 
nanten  Position  u.  wird  in  den  verwandten  Sprachen  gewöhnlich  durch 
einen  stärkern  Gaumiaut  vertreten  :  sanscr.  nom.  mahän,  gross,  iityag, 
magnus.  sanscr.  Äa«,  tödten,  ^aivco  (^not.  i-Hctv-ov^ ,  hh,  lecken,  llng 
(ere),  Ui'x^^iv),  mih,  harnen,  mjng- (ere).  Im  Lateinischen  wurde  ea 
durch  filia  verdrängt. 

e)  daewri  Schwager,  Säi'jQ,  levir.  Das  v  fehlt  ira  Griechischen j 
denn  wo  im  Sanskrit  und  Latein  zwischen  zwei  Vokalen  ein  v  steht, 
wird  dasselbe  im  Griechischen  ausgelassen,  sanscr.  navas,  a,  am,  neii ; 
novlis,  a,  um;  vfog,  a,  ov.  sanscr.  navam,  neun',  novem,  sv-vsa.  sanscr. 
avis,  das  Schaaf,  ovis,  oig.  sanscr.  nom.  naus ,  gen.  navas,  das  Schiff, 
lat.  navis,  navis,  gr,  vavg  gen.  väög.  Im  lateinischen  Icvir  hat  sich  das 
V  erhalten ,  d  aber  ist  in  l  übergegangen ,  Avic  dingua  lingua,  dacrima 
lacrima,  Capitodium  Capltoliiim  ,  'Oövaoivg  Ulixes,  odor  oöcodivai  olor. 
Die  ursprüngliche  Form  mag  Zeiger  gewesen  seyn ;  diess  ging  vielleicht 
nach  der  Analogie  des  anklingenden  vir  in  levir  über. 

f)  sanscr.  vri  Mann,  ccvi^q.  a  ist  im  Griechischen  vorgesetzt.  Denn 
wir  wissen  aus  der  Vergleichung  griechischer  Wörter  mit  den  verwand- 
ten Sprachen ,  dass  im  Griechischen  oft  Vokale  vor  Wörter,  die  mit 
Consonanten  anfangen,  gesetzt  werden,  ohne  dass  die  Bedeutung  mo- 
dificirt  würde  oder  ein  durchgreifender  euphonischer  Grund  angeführt 
werden  könnte:  ßavQog,  afioivQog;  iiiV^ca,  oxtlXco ;  <)t;oo,ua;,  oövQOfiai; 
ßlrjXQog,  cißXrjXQvg.  Die  Vergleichung  mit  den  verwandten  Sprachen 
zeigt,  dass  die  kürzern  Formen  oft  die  ursprünglichen  sind.  cf.  sanscr. 
nom.  bhrns ,  die  Braue,  Augenbraue,  6(pQvg^  sanscr.  danschträ  (von 
dans  beissen),  lat.  dcns,  Zahn,  oöovg,  döovroj,  aeol.  föovs  Eben  so 
ist  an  das  ursprüngliche  vtjq  ein  a  vorgesetzt,  wie  aus  dem  deutschen 
und  persischen  jVarr  erhellt.  —  Im  Latein,  ist  dicss  Wort  durch  vir 
verdrängt,  Mas  mit  dem  sanskritischen  u/r,  der  Held,  der  edle  brave 
Mann,  zusammenhängt,  auch  im  Latein  vorzugsweise  in  gutem  Sinne 
gebraucht. 

g)  sanscr.  nüplri  Enkel,  ncpos,  nepotis.  Diese  abweichende  lateini- 
sche Endung  entstand,  indem  r  ausfiel  und  das  Zeichen  des  Nominativs 
das  t  verdrängte,  das  in  den  übrigen  Casus  wieder  hervortritt.      Aehn- 

Jakrb.f.  Pliil.u.  Pädag.  Jahrg.  V   Heft  3.  22 


338  Abhandlung. 

licli  ist  zu  erlilären  sacerJos,    dessen  zweiter  Theil  das  nomen  agens 
dutor  von  dare  ausdrückt. 

h)  stiasuras  *)  noiii.  Schwager,  skvqos,  socer.  Im  lateinischen  socer 
ist  Sita  in  so  übergegangen,  vergl.  c;  statt  des  zAveiten  s'  aber  steht  im 
Griechischen  k,  im  Lateinischen  c.  Wo  nämlich  im  Sanskrit  ein  pala- 
tales  s  steht,  ist  im  Griechischen  sehr  häufig  x,  im  Latein,  c  oder  g, 
im  Deutschen  s,  vergl.  dasa,  d'jKor,  dccem ,  zehn,  cf.  Schlegel  Ind. 
Bibl.  I  p.  322.  Der  Anfang  des  Wortes  kyivQog  erscheint  freilich  ab- 
weichender. Das  Wort  hiess  eigentlich  cqotxi^^og,  das  ö  verlor  sich 
und  von  qp  blieb  blos  eine  starke  Aspiration  übrig.  Dieselben  Conso- 
nanten  finden  wir  abgeworfen  in  dem  Pronomen  rellexivum  ov,  ol,  ?, 
das  ursprünglich  acpov,  Gcpol,  cqpa  (öqDt  hat  sich  auch  ei'haltcn  und  wird 
fälschlich  für  einen  abgekürzten  Akkusativ  Plur.  ausgegeben)  lautete. 
Vergl.  Abhandlungen  der  Berl.  Ak.  bist.  phil.  Classe  1824  p.  5.  Da- 
her kam  es  auch,  dass  diese  Formen  o^,  ol,  t  beim  Homer  mit  dem 
scharfen  Hauche,  dem  digamma  aeolicuiu  ausgesprochen  wurden  und 
selbst  in  der  spätem  attischen  Prosa  alle  Eigenschaften  eines  mit  einem 
Consonanten  anfangenden  Wortes  hatten.  Denn  man  sagte  ov  ol,  nicht 
ovx  o'i ,  und  das  v  icpsluvOTDiov  konnte  wegbleiben,  cf.  Buttm.  ausf. 
gr.  Sprachl.  §  72  Anm.  b.  Dass  aber  unser  skvqos  auf  dieselbe  Weise 
entstanden,  erkennt  man  an  dem  digamma  aeolicum,  Avelches  diese 
Wort  ebenfalls  bei  Homer  hat.    II.  y,  172: 

didotög  TS  [toi  iaat,  cpiXs  tHVQS,  Ssnög  ts. 

Eben  so  ist  ein  s  zu  Anfang  des  Wortes  weggelassen  in  (vergl.  auch 
Nr.  9  a  und  b) 

i)   snuschä  f  die  Schwiegertochter,    wog,   nurus,   die  Schnur. 

k)  putis  nomin.  der  Herr,  Gemahl,  itoGig  ursprünglich  nörig,  davon 
jiorvia  und  Ttozva  die  Herrin,  Gebieterin,  wie  im  Sanskrit  patni  die 
Herrin.  Buttmann  ausf.  gr.  Gramm.  §  04  Anm.  2  hat  schon  damit  jyo- 
tis,  potens  verglichen. 

§  5.  Sehen  wir  an  diesen  Beispielen ,  wie  die  einfachsten  Farai- 
lienwörter  der  Griechen  u.  Lateiner  mit  dem  Sanskrit  übereinstimmen, 
und  das  Sanskrit  gerade  oft  die  ältesten,  ursprünglichsten  Formen  ent- 
hält, so  wei'den  meine  Leser  um  so  eher  darauf  eingehen,  wenn  ich 
auch  unsere  Form  piter  in  genaue  Verbindung  mit  dem  Sanskrit  setze. 
Im  Sanskrit  heisst  der  Vater  pitri,  nomin.  jn'tä  (eigentlich  p/<ar), 
accus,  piiaram  etc.  Dasselbe  Wort  mit  i  in  der  ersten  Silbe  findet  sich 
in  zunächst  damit  verwandten  Sprachen  desPali,  Lawi,  Multani  und 
im  Bengalischen.  In  den  vom  Sanskrit  westlich  gelegenen  Sprachen 
findet  sich  durchgängig  a  od.  e.  Zend.  fedrio.  Persisch  peder.  Griech. 
nccf^Q.  Lat.  pater,  und  in  den  germanischen  Sprachen  mit  /  oder  v  an- 
fangend :  Angelsächs.  faeder.  Alemannisch  faier.  Althochdeutsch  futur. 
Neuhochdeutsch  Vater. 


*)  Man  hat  im  Sanskrit  ein, doppeltes  s,  das  palatale  und  das  dentale; 
d.i«  palatale  ist  im  Tevte  s'.    das  andere  ohne  Ai)zeichen  gedruckt. 


Jupiter.  Si*i';i 

Entweder  waren  also  in  den  Ursitzen  dieser  V»"ilker  zwei  Formen 
mit  z  und  a  vorhanden,  die  gicli  einzeln  bei  den  verschiedenen  Stäm- 
men erhielten ,  während  die  Lateiner  heide  Formen  brauchten;  oder 
die  urüprünglichc  Form  hatte  i  und  erhielt  sich  unverändert  im  Sans- 
krit, jenes  ursprüngliche  i  aber  ging  bei  den  westlichen  Völkern  in  a 
über  nach  Analogie  der  übrigen  Vcrwandtscliaftswörter,  die  mit  a  an- 
fangen, und  nur  die  Lateiner  bewahrten  in  der  heiligen  Sprache,  avo 
alte  Formen  am  meisten  sich  erhalten,  und  in  dem  abgeleiteten  vilri- 
cus ,  eine  Art  von  Täter,  Stiefvater  (/)  ist  wie  in  den  germanischen  Spra- 
chen in  V  übergegangen)   noch  Reste  der  ursprünglichen  Form. 

§  ß.  Auch  die  Erläuterung  des  ersten  Theiles  des  Wortes  Jupiter 
bringen  wir  mit  dem  Sanskrit  in  A  crbindung  und  machen  vorerst  auf 
folgende  Ziisammenstellnng  aufmerksam: 

Im  Sanskrit  bedeuten  folgende  Worte  a)  den  Tag:  dltnas ,  raasc., 
dtnum,  neutr. ,  diwas ,  masc.  und  ucutr. ,  dju,  iieutr.  Adverbia  sind: 
duvä  und  djus  (cf.  Schlegel  Ind.  Uibl.  I  p.  3()o)  am  Tage ,  adja  an  die- 
sem Tage  (das  vorgesetzte  a  ist  Pronomen ,  wie  in  hoäic ,  ö^ftSQov, 
heute.  Bopp.  gramra.  §  fi85.) 

b)  Den  Himmel  und  die  Luft:  obiges  dju,  neutr,  diw,  f.  (nomin. 
djaus),  diivam,  neutr.  Dieselbe  Bedeutung  findet  sich  in  vielen  Ablei- 
tungen und  Zusammensetzungen ,  z.  B.  diwjas,  a,  am,  himmlisch. 

c)  Gott  dcwas,  masc,  dewatas.,  raasc.  der  Gott,  dcwatä,  fem.  die 
Göttin,  dctvaticum ,   neutr.   die  Göttlichkeit. 

Anm.  1.  Es  leuchtet  ein,  dass  alle  diese  Wörter  von  einer  Wur- 
zel herkommen.  Die  indischen  Grammatiker,  die  bei  ihren  Etymolo- 
gien mehr  auf  die  grammatische  F«»rm  als  auf  den  Zusammenhang  der 
Bedeutungen  sehen ,  leiten  diw  f.  Himmel  von  der  Wurzel  diw  spielen 
ab.  Doch  ist  diese  Ableitung  unstatthaft,  weil  zwischen  den  Bedeutun- 
gen dieser  Wörter  kein  Zusammenhang  statt  findet.  Es  kommen  viel- 
mehr alle  a,  b,  o  angegebnen  Wörter  von  einer  Wurzel  her,  die  sich 
im  Sanskrit  zwar  als  Verbura  verloren,  aber  in  Ableitungen  erhalten 
hat;  nämlich  in  djutis,  f.  das  Licht,  der  Glanz,  welches  Wort  vermit- 
telst des  Suffixes  tis,  das  in  Form  und  Bedeutung  dem  griechischen  Ver- 
balsuffix Gtc,  Tfiiiaic;,  nga^tg,  und  dem  lateinischen  tio,  sectio,  actio,  ent- 
spricht, von  einer  Wurzel  dju  =  diw  leuchten,  glänzen  herkommen  muss. 
Zwar  leiten  die  indischen  Grammatiker  jenes  djutis  Licht,  Glanz  vermit- 
telst eines  Suffix,  is,  von  djut  ab,  was  ebenfalls  leuchten,  glänzen  be- 
deutet, allein  dann  müsste  diess  Wort  djötis  lauten,  wie  man  von  buth 
•wissen,  6o(/u's  die  Wissenschaft,  bildet,  cf.  Bopp.  gramm.  p.  292.  Mit 
diesem  dju  =  diw  sind  die  Wurzeln  djut  und  dschjtif,  beides  leuchten, 
glänzen,  verwandt. 

Anm.  2.  Dieser  Begriff  dju  =  diw  leuchten,  glänzen  erklärt  leicht 
den  Zusammenhang  der  obigen  Bedeutungen.  Denn  der  in  sinnlicher 
Anschauung  befangene  Mensch  identificirt  den  Tag  oder  das  Tageslicht 
und  den  am  Tage  erscheinenden  oder  auch  den  Tag  gleichsam  erschaf- 
fenden Himmel  sammt  der  Luft,  und  bezeichnet  sie  von  der  Seite ,  von 
welcher  sie  seinen  Sinnen  sich  darstellen,  von  ihrem  Glänze.      Diesen 

22* 


340  Abhandlung. 

Begriff,  den  Himmel  sammt  seinen  wunderbaren  Wcchselerschelnun- 
gen ,  fasste  man  als  ein  tliätiges ,  höheres  Wesen  oder  Avenijj;stens  als 
den  Sitz  der  höhern  Geister  auf,  daher  dann  deivas  die  Gottheit. 

Anm.  3.  Um  den  Zusammenhang  der  Wörter  sub  c  mit  jjenen  snb 
a  und  b  zu  übersehen,  miiss  man  Tiissen,  dass ,  wenn  im  Sanskrit  zur 
Bildung  eines  Noraens  a,  oder  mit  dem  Nominativzeichen,  as,  an  eine 
Wurzel  angefügt  wird,  ein  kurzer  Vokal  der  Wurzel  sich  verlängert 
und  zwar  i  im  Sanskrit  regelmässig  in  e,  so  dass  aus  diiv  nach  Anfü- 
gung des  as  obiges  dcwas  entsteht. 

Anm.  4.  Wir  haben  oben  dju  =  diw  aufgestellt;  warum  diese  For- 
men gleich  stehen  und  wie  jene  obigen  Formen  sub  a,  b,  c  genau  zu- 
sammenhängen ,  ersieht  man  noch  besser ,  wenn  man  weiss ,  dass  im 
Sanskrit,  wenn  auf  i  oder  u  ein  Vokal  folgt,  i  entweder  in  j  oder  in  ij, 
und  u  entweder  in  w  oder  in  uw  übergeht.  Diese  Verwandelung  der 
Vokale  i  und  u  fand  auch  im  Lateinischen  Statt,  wenn  auch  die  Regel 
nicht  so  streng,  wie  im  Sanskr.  beobachtet  wurde ;  was  wir  hier  gleich 
weiter  erläutern  und  beweisen  wollen,  weil  wir  unten  wiederhohlt  dar- 
auf zurückkommen. 

a)  u  ging  bei  den  Lateinern  vor  einem  Vokal  über  in  r;   In  tenuia, 

Virg.  Georg.  I,  347:  Tenuia  nee  lanae  per  coeliim  vellera  ferri;  in 
solvo  entstanden  aus  se  und  luo  (cf.  dissolulsse,  solutus,  silva  und  silua): 
oder  u  wird  aufgelöst  in  uv :  von  pluit  yluvia,  impluvium.  \on  fluere 
ßuvius,  fluvidus.  von  luo  pellüvlum,  diluvium,  mulluvlum.  von  exuo  cxuviue. 
Und  zwar  Ist  diess  aus  u  entstandene  uv  allemahl  kurz,  ausgenommen 
in  fluvidus. 

P)  *  geht  über  in  j  in  artete,  fludorum^  ahiete.  Virg.  Aen.  II,  492: 
lahat  äriete  crebro  Janua.  Georg.  1,582:  Flüviorum  rex  Eridanus  cantpos- 
que  per  omnes.  Aen.  11,16:  sectaque  intexunt  äbiete  costas.  So  sind  Jnijus, 
ejus,  cujus  aus  dem  ius  entsanden,  was  den  übrigen  Adjectivpronoraen 
angefügt  wird ,  pejor,  major  aus  dem  ior  des  Comparativs.  —  Eine  Zer- 
dehnung  des  t  in  ij  kenne  ich  Im  Lateinischen  nicht. 

§  7.  Da  In  den  verwandten  Sprachen  vorzüglich  diejenigen  Wör- 
ter übereinstimmen ,  welche  Begriffe  bezeichnen ,  die  den  ersten  Men- 
schen schon  eigen  seyn  müssen ,  wie  Himmel  und  Krde ,  Wasser  und 
Land,  Tag  und  Nacht,  Mensch  und  Thier,  so  kann  es  nicht  befrem- 
den, dass  wir  die  Wurzel  diw  =  dju  mit  ihren  Ableitungen  (cf.  6,  a.  b.  c.) 
auch  in  den  verwandten  Sprachen  wiederfinden,  die  wir  hier  zu  ver- 
gleichen beabsichtigen ,  Im  Griechischen  und  Lateinischen.  Das  Grie- 
chische hat  indess,  wie  in  vielen  andern  Fällen,  die  alten  Formen  M'e- 
niger  treu  aufbewahrt,  als  das  Lateinische: 

a)  Durch  das  Wort  T^fcsga  verlor  sich  unser  Stamm  diw  =  dju  In  der 
Bedeutung  Tag',  nur  Macrobius  Saturn.  I,  15  erwähnt:  Cretenscs  Jia 
TTjv  rifiiQav  vocant,  und  svöiog  mittäglich,  z6  IvSiov  cibus  interdianus, 
auch  die  Mittagsruhe,   zeigen  diese  Bedeutung. 

b)  Durch  das  Wort  ovtyuvoq  verlor  es  sich  in  der  Bedeutung  Himmel 
und  erhielt  sich  nur  in  tvdios,  himmlisch,   unter  freiem  Ilhnmcl,  und 


Jupiter.  Sit 

in  Zsvg  vsi  und  einigen  ähnlichen  Redensarten,    obwohl  diese  schon 
mit  c  in  genauer  Verbindung  stehen. 

c)  In  desto  verschiedneren  Formen  erscheint  unsre  Wurzel  in  der 
Bedeutung  Gott.  Siög.  0s<x.  Onog,  a,  ov.  Siog,  a,  ov.  aiog  (cf.  Et. 
M.  714  1.  32:  ccno  rcöv  eidöv  rovzfoxi  rmv  f)f(ov).  Glog  =:  &t6g.  KQrjrss 
cf.  Hcsych.  9.  V.  und  s.  v.  cIoq  ibiqiio  intcrpretes;  Zsvg,  accus.  Zsvv^ 
Aesclirio  apud  Athen.  VIII  p.  ö35,  D.  cf.  interpr.  ad  Ilesjch.  s.  v.  Voca- 
tivus.  Zsv.  Genit.  ^log,  dat.  ^iT,  accus,  z/m.  Ren.  Zrjvog  dorisch  Zavög 
etc.  Zag,  ZciVTog  arjfiaivBi  dh  rov  dia  Anecd.  Bckk.  p.  1181.  Zäv  schol. 
ad  Ilom.  II.  8,\.  cavl-nixig  apud  Hesych.  Oeocpili^g.-  2^svg  aeolisch, 
Gregor.  Corinth.  ed.  Schaef.  p.  061.  ^evg  apud  Hesych.  s.  v.  ^sog  = 
01:6g  apud  Hesych.  s.  v.  zlivvvcog  =  /liowaog  Etyiu,  M.  p.250  1.  28'). 
Der  Zusammenhang  der  Formen  sub  c  und  ihre  Ableitung  von  der 
Wurzel  diw  oder  diu  ist  leicht  zu  übersehen. 

§  8.  Das  Latein  stmirat  in  Form  u.  Bedeutung  ganz  mit  dem  Sansk. 
übercin.  Denn  in  jubar  der  Strahlenglanz  (cf.  10)  "),  und  in  dives  der 
Glänzende,  Strahlende,  d.  i.  der  Reiche,  hat  sich  nicht  blos  die  ur- 
sprüngliche Bedeutung  der  Wurzel  diiD  =  dju  leuchten,  glänzen  (s.  6  An- 
merk.  1)  erhalten  ;   wir  finden  auch  alle  6  a,  b,  c  angeg.  Bedeutungen. 

a)  Tag,  dies,  m.  f.  dius  erhalten  in  nudiiis  tcrtius  d.  i.  7JMnc  diics  tcr- 
tius.  dina  erhalten  in  nundinae ,  statt  novcndinae.  adjcct.  dius,  cf.  dium 
fulgur  Festus  s.  v.  adverb.  diii,  interdiu,  dius,  intevdius.  adj.  diurnus. 
diarium  das  Tägliche,  Tagesarbeit,  dianus  in  quotidiamis ,  meridiuniis, 
interdiantts.  dialis  consul,  Consul  einen  Tag  lang,  und  in  novcndialis,  me- 
ridialis.  Weggefallen  ist  das  i  in  h'iduum,  tvidtmm.  (Durch  viele  Re- 
densarten ,  in  denen  der  Begriff  des  Tags  mit  dem  der  Zeit  zusammen- 
fällt ,  wie :  damnosa  quid  non  imminnit  dies,  viultus  dies,  dies  mutat. 
gewöhnte  man  sich  den  Begriff  der  Zeit  mit  jenem  Worte  zu  verbinden^ 


')  Etj'm.  M.  I.  I.:  ^svvvaog  6  ^lovvaog.  'AvaKQtcov  TloXXci  8'  igt- 
ßgofiov  zJfvvvcov  —  Tov  rQanhvrog  f/g  £  yivirai  Jsövvcog  ( ovTca  yuQ 
2Jäfiioi  TTQocpfQovai)  ■nai  cwaigiaei  ^ivvvaog ,  cog  &s6doTog  ©tvdovog. 
svioi  ÖS  (nach  dem  cod.  Fariss.  2(»(>7 ,  cf.  Bast,  ad  Gregor.  Cor.  p.  882.) 
avzov  dtvvvGov  ovofxä^sG&ai  cpaaiv ,  snnidi^  ißaailsvas  Nvoiqg.  yiaxa 
y  aQ  TTjv  T  (OV  Iv  ddiv  cp  cavrjv  dfiTfos  o  ß  ce  a  iXsv  g.  Nicht  ösvvog, 
sonst  müsste  ja  der  Name  ^svvdvvaog  lauten ,  sondern  Ssvog  musste  das 
indische  Wort  lauten,  und  lautet  wirklich  so;  denn  es  ist  das  fi,  c  erwähnte 
Sanskritwort  dewas  göttlich,  welches  den  indischen  Königen  als  Ehrentitel 
beigelegt  Avird ,  wie  das  lateinische  diviis  den  römischen  Kaisern.  Ueber 
die  Bedeutung  des  ganzen  Wortes  ^löwGog  cf.  Bast.  1.  1.  und  Interpr.  ad 
Etyra.  M.  I.  1. 

*')  jubar  der  Strahlenglanz ,  der  Morgenstern  wird  von  den  Alten  von 
juha,  die  Mähne,  abgeleitet:  steUa  quae  in  summo  habet  diffusum  himen, 
ut  leo  in  capite  jnbam.  Es  kommt  aber  offenbar  vom  Stamme  dju  leuch- 
ten, glänzen ,  und  heisst  eigentlich  nach  Anfügung  der  Endung  ar  (cf.  6 
Anm.  3,  «)  djuvar.  v  ging  häufig  in  6  über,  wie  jeder  aus  Inschriften 
weiss;  so  in  diesem  Worte,  so  in  dubiiis,  entstanden  aus  duo ,  eigentlich 
duvius.    Vcrgl.  auch  im  Texte  bonus,  bellus  u.s.  w.  statt  duonus,  duellus. 


342  Abhandlung. 

in  diu,   diumus,  diutinus,   diuturnus,  dluturnitas,  und  mit  Wegfall  des  i 
in  d  M  dum.) 

b)  Himmel,  dtum,  sub  dto,  sub  dtum  rapere  und  sub  divum ,  sub 
divo ,  dialis  Iiiraniliecli. 

c)  Gott,  divus,  diva.  dius,  a,  um.  divlnus,  divinitas,  divine,  divinitus. 
deus,  dea.  noni.  plur.  dl,  dativ,  dis.  dialts,  dius. 

§  9.  Alle  die  Wörter,  die  wir  unter  §  0,  7  u.  8  angegeben,  kom- 
men von  der  von  uns  0,  Anm.  1  aufgestellten  Wurzel  diw  =  dju  (die 
als  Verbahvurzel  glänzen,  leuchten,  als  SubstantivAVurzel  Glanz,  Licht 
bedeutet)  ber.  Von  derselben  Wurzel  ist  der  Name  Jupiter  abzuleiten, 
welcher  eigentlich  Djupiter  lauten  sollte. 

a)  An  die  Wurzel  diu  ist  nämlich  iiiter  angehangen  und  wir  erhal- 
ten den  Begriff  Licht-,  Tag-,  Himmels-,  Gottvater.  Dass  das  d  in  diesem 
vielgebrauchten  Worte  weggefallen,  kann  um  so  weniger  auffallen,  da 
d  vor  j  sich  nicht  leicht  aussprechen  lässt.  Dasselbe  d  fiel  vor  i  aus 
in  Diana ,  wofür  bei  Varro  de  re  rustica  I,  37  Jana  steht  und  in  jubar, 
was  eigentlich  djubar  lauten  müsste.  Wie  hier,  Avenn  i  vor  einem  Ao- 
kal  in  j  übergangen  ,  d  Avegfiel,  so  fiel  d  auch  weg,  wenn  u  vor  einem 
Vokal  in  v  oder  b  übergegangen ,  cf.  6  Anm.  3,  a.  Aus  duonus,  duellus 
entstand  bonus,  bellus ,  aus  ducllum,  Duilius,  duilis,  duis :  bellum,  Bilius, 
bilis,  bis. 

b)  Dass  ebenso  in  dem  Worte  Jupiter  ein  d  zu  Anfang  weggefallen, 
eieht  man  unbezweifelt  daraus,  dass  sich  diess  d  in  den  andern  Formen, 
die  zu  diesem  Worte  gehören,  wirklich  findet.  Aus  dem  Stamme  dju 
nämlich  bildete  man  auch  einen  Nominativ  durch  Anfügung  der  Nomi- 
nativsendung is.  Indem  nun,  nach  der  oben  6  Anm.  3,  a  angeführten 
Regel,  das  radikale  u  in  uv  überging,  entstand  Nominativ  Djnvis,  Ge- 
nitiv Dj  vis,  Dativ  Dju  vi  oder  weil  man  in  alter  Zeit,  wie  die  Inschrif- 
ten ausweisen,  statt  t  gewöhnlich  o  schrieb,  Djovis,  Djovis,  Djovi, 
Djovem,  Djove,  welcher  Olaut  im  Namen  des  heiligsten  Gottes  sich 
leicht  unverändert  erhielt.  Doch  findet  sich  auch  u  auf  den  Eugubi- 
nischen  Tafeln,  Juvepatre  Tab.  VII,  5;  VIII,  7,  17,  22,  2ß.  Auch  hier 
fiel  zwar  das  d  zu  Anfang  meist  weg,  eben  so  wie  bei  Jupiter  (cf.  a) ; 
allein,  dass  es  zur  ältesten  Form  gehörte,  bestätigt  Varro  de  ling.  lat. 
V,  20  ed.  Spengel:  —  magis  ostendit  antiquius  Jovis  nomen:  nam 
olim  Djovis  et  Dispiter  dictus,  idem  dies  pater.  Ebendas.  25: —  quum 
Dialis  a  Jove  sit;  Diovis  enim.  Dieselbe  Form  auf  folgender  alten 
Inschrift:  f'cdiovei  patrei  gentciles  Juliei.  vergl.  Gazzetta  di  Milano  12, 
Giugno  1826,  abgedr.  Inscript.  Orell.  tom.  1  n.  1287.  Dasselbe  wird 
bestätigt  durch  Gellins  V,  12:  In  antiquis  spectionibus  nomina  haec  Deo- 
rum  inesse  animadvertimus ,  Dijovis  et  Vedijovis  *). 


*)  Dijovis  und  Vcdijovls  steht  in  der  'Gronovschen  Ausgabe;  doch  ist 
ohne  Zweifel  Diovis  und  Fediovis  zu  schreiben.  Die  Formen ,  Dijovis  und 
T'edijovis,  sind  entstanden  durch  unverständiges  Zusammenschmelzen  von 
Dies  und  Jupiter  und  können  nur  von  Abschreibern ,  nicht  von  Gellius  her- 
rülircn,    der  bei  der  Untersuchung  über  diese  Wörter  gewiss  die  besten 


Jupiter.  34S 

c)  Von  demselben  Staniiue  diu  konnte  man  den  Nominativ  dui-cli  An- 
i'iigunj^  des  bIo8un  s  bilden,  und  so  entstand  Diits  und  T  edius ^  welche 
l'oriuen  man  nach  der  zweiten  Deklination  flektirte.  So  Vcdius,  i,  bei 
Martian.  Ca[)eUa.  Jenes  Dius  hat  sich  crlialten  in  der  Redensart  Mc 
dhs  ßdius  bei  lietheuerungen.  Zwar  erklärt  diess  Aelius  bei  Varro  de 
1.  lit.  Y,  20  mit  me  djovis  ßlius  und  andere  nach  ihm  stellten  es  mit  mc- 
Ilvnulcs  zusammen.  Allein  da  der  Genitiv  Dius  statt  Jovis  und  das 
Wort  ßdius  statt  ßlius  sich  sonst  nirgends  findet,  so  ist  man  berechtigt, 
jenes  dius  für  den  INoniin.  zu  halten:  „mich  soll  der  Gott  der  Treue." 
i"«/«««  ist  genauere  Bestimmung ,  nachgesetzt  wie:  FAicius ,  Stator  etc. 
Diess  wird  dadurch  bestätigt,  dasa  man  auch  pur  Dium ßdium  sagte, 
Plaut.  Asin.  I,  1,  8 : 

Per  dium  fidium  quaeris  jurato  mihi. 

§  y.  Die  Erklärung  von  Jupiter  durch  Djupilcr  wird  dadurch  be- 
stätigt ,  dass  man  denselben  Gott  Diespiter  oder  auch  Dispiler  nannte, 
was  ganz  gleichbedeutend  mit  Jwj>/ter  ist.  Man  könnte  zweifelhaft  seyn, 
ob  man  Diespiter  für  den  Genitiv  halten  soll,  wie  dies  allerdings  als  Ge- 
nitiv vorkommt,  cf.  V  irg.  Georg.  I,  208 :  Libra  dies  somnique  pares  übt 
feccrit  horas.  Gell.  IX,  14  u.  Macrobius  Saturn.  1,15  hat  es  allerdings 
so  genommen:  Jovem  Romani  Dicspitrem  appellant  ut  diei  patrem.  Al- 
lein zur  Zeit  des  Macrobius  konnte  wohl  Diespiter,  als  eine  ausser  Ge- 
brauch gekommene  Formel,  für  ein  Wort  gehalten  und  blos  am  Ende 
ilektirt  werden.  Betrachten  wir  aber  die  Nebenform  Dispiter,  dcüglei- 
chen  Marspiter,  Saturnuspater ,  so  sehen  wir,  dass  auch  Dies  Nominativ 
und,  wie  caelus  und  ovQavög,  zur  6'ottheit  erhoben  ist.  Den  Zusam- 
menhang der  Formen,  Jupiter  und  Diespiter,  ersieht  man  auch  aus  den 
verschiedenen  Bedeutungen  des  Wortes  dialis.  Der  Priester  des  Jupi- 
ter hiess  flamen  dialis;  Cicero  brauchte  dasselbe  Wort  in  der  Bedeu- 
tung einen  Tag  lang,  Macrob.  Saturn.  VII,  3  :  Tullius  in  coiisulem  ,  qui 
uno  tantum  die  consulatum  peregit,  solent,  inquit,  esse  flamines  diales ; 
modo  consules  diales  habemus.  Die::ien)e  Bedeutung  in  novendialis  und 
incridialis ,  und  in  der  Bedeutung  himmlisch  braucht  Apul.  Metam.  VI 
p.  179  ed.  Wechel. :  aquila  alticulmiiiis  diales  vius  deserit.  —  Man 
sieht  nun  auch  leicht  ein,  wie  sub  jove  unter  freien  Himmel  bedeuten 
kann,  und  wie  die  Alten  vom  Jupiter  folgende  Definitionen  geben  konn- 
ten:   Cic.  de  nat.  deor.  II,  G5:  Hunc  (^Jovem')  Ennius  nuncupat,  ita  dicensi 

Adspicc  hoc  sublime  candens,   quem  invocant  omnes  Jovem. 
planiusque  alio  loco  idem: 

Cni,  quod  in  me  est,  cxsccrabor  hoc,  quod  lucet,  quidquid  est. 
hunc  etiam  augures  nostri ,    cum  dicunt ,  Jove  fulgentc ,  tonante :    dicunt 


Hülfsmlttel  erforscht  und  wirklich  die  antiqnae  spcctiones  vor  Augen  hatte, 
in  welchen  er  nur  die  von  »ms  etymologisch  und  diplomatisch  beglaubigten 
Formen ,  Diovis  und  Fediovis ,  vor  Augen  haben  konnte. 


344  Abhandlung. 

enim  coelo  fulgente ,  tonante.  Virg.  Georg-.  II,  419:  Et  jam  matiirls  me- 
tuendus  Jupiter  uvis.  Enniiis  bei  Varro  de  I.  lat.  V,  19:  Istic  est  is  Jupi- 
ter, quem  dico^  quem  Graeci  vocant  Aerem,  qui  ventus  est  et  nubes ,  in- 
ber  postea,   atque  ex  imbre  frigus ,  ventus  post  fit ,  aer  denuo. 

§  10.  Was  ist  der  Vedius  oder  T'ediovls?  (fälschlich  führt  man 
auch  eine  Form  Vejiipiter  an.)  Die  Silbe  ve  verneint  nicht  geradszti, 
sondern  bezeichnet  einen  unzureichenden  Grad:  vesanus,  vccors,  licht 
recht  gescheid,  vegrandis  nicht  gross  genug,  vepallidus  nicht  die  rechte 
Art  von  Blässe.  So  drückt  es  mit  der  Wurzel  diu  einen  unzureichen- 
den Grad  des  Glanzes  aus :  Vedius  nicht  die  rechte  Art  von  Glanz,  Him- 
mel, Tag,  der  Gott  des  trüben  Wetters,  oder  Jupiter  in  dieser  Gestalt, 
wie  man  den  Jupiter  humidus,  hibernus,  pluvius,  malus  nannte ,  Ilor. 
od.  1,22,19:  Quod  latus  mundi  neiulae  malusque  Jupiter  urget: 
Stat.  Theb.  X,  3(58:  Sic  tibi  nocturnum  tonitru  malus  aethera  frungit 
Jupiter.  Und  wie  man  den  Jupiter  als  obersten  Gott  zum  Beherrscher 
aller  Theile  der  Welt  gemacht  hatte  und  er  Olympicus,  acquoreits,  Sty- 
gius,  niger  hiess,  so  konnte  man  iiin  als  Gott  der  Unterwelt  am  kürze- 
sten Vedius  nennen.  Daher  die  JNotiz  des  Martian.  Capeila  a.  c.  c.  20 
extr. :    Vedius,   id  est  Pluton,   quem  etiam  Ditem    T'ejovemque  dixere. 

§  11.  Nach  der  von  uns  aufgestellten  Erklärung  und  Ableitung 
lässt  sich  auch  die  Schreibung  des  Wortes  Jupiter  leicht  bestimmen. 
In  den  Inschriften  findet  sich  Jupiter  und  Juppiter  (cf.  Jahrb.  f.  Philol. 
u.  Pädag.  1827  Bd.  I  lieft  4  S.  95.),  so  dass  unserra  Urtheil  die  Ent- 
scheidung anheim  gestellt  ist.  Wir  sahen,  der  Stamm  djü  wuchs  bei 
Hinzufügung  eines  Vokals  in  djuv  oder  djov.  s.  6  Anra.  4,  k  und  9,  b; 
wo  kein  A'okal  folgt,  findet  keine  Zerdehnung  des  ü  in  uv  statt  und 
die  ursprüngliche  Länge  des  u  bleibt  unverändert  und  Jupiter  ist  daher 
etymologisch  das  einzig  Richtige;  eben  so  juglans,  Varro  1.  lat.  IV, 21: 
haec  glans  optima  et  maxima  a  Jove  et  glande  juglans  est  appellata. 
Diesen  Wechsel  Aesjü  und  juo  sehen  wir  auch  in  der  Wurzel  jü.  In- 
dem an  diese  Wurzel  Jü  die  Verbalendung  are  angehangen  wurde,  ent- 
stand ji/rare,  bei  Anfügung  von  cujidus  blieb  jü  imverändert:  jücundus; 
denn  cMHfZws  ist  angefügt  wie  bei /«cwnrfi/s,  iracundus,  verecundus.  Die 
Schreibart  Juppiter  entstand ,  indem  man  Jupiter  bald  aus  juvans  patcr, 
bald  aus  Jovis  pater  entstanden  u.juv  vor  p  inj«;)  übergegangen  dachte. 
Da  wir  diese  verkehrte  Erklärung  von  Jupiter  schon  in  der  ältesten  Zeit 
finden  (s.  oben  2.),  so  ist  es  wohl  möglich,  dass  schon  bei  den  Rö- 
mern die  falsche  Schreibung  Juppiter  mehr  und  mehr  gewöhnlich  Avur- 
de.  —  Von  einer  ursprünglichen  Kürze  Jupiter,  welche  man  wegen 
des  Genitivs  ,  Jcivis,  annahm,  und  von  einer  willkührlichen  Verlänge- 
rung des  Ju  durch  die  Dichter,  kann  nicht  die  Rede  seyn,  da  Avir  oben 
6  Anna,  4,  a  die  Kürze  in  Jövis  erklärt  haben. 

§12.  Wenn  wir  demnacli  behaupten,  dass  Jupiter  der  Tages-, 
Himmels-,  Sonnengott  sey,  so  stimmt  diess  ganz  mit  dem  übrigen  Göt- 
terglauben der  Römer  und  der  alten  Völker  zusammen.  Denn  die  Spu- 
ren der  waltenden  Gottheit ,  die  sich  in  der  ganzen  Natur  offenbaren, 
vermochte  der  Mensch  nicht  sofort  unter  einem  Begriffe  znsammenzu- 


Janus,  Dluna,  Juno.  845 

fassen;  Tielraehr  glaubte  er  zu  jeder  Erscheinung'  der  Natur  ein  beson- 
deres "VVesen  annehmen  zu  niüsscn,  das  jene  Erscheinung  liervorhringe. 
So  sahen  wir  bereits  (§  ()  Anm.  2),  kamen  die  Menschen  darauf,  den 
Tag,  den  Himmel,  die  Sonne,  als  eine  Gottheit  zu  verehren  und  sehr 
natürlich  als  die  oberste  höchste  Gottlieit,  weil  diese  Naturkraft  die  ge- 
waltigste uuter  allen  zu  seyn  schien.  War  aber  auch  Jupiter  ursprüng- 
lich zugleich  Sonnengott,  was  auch  der  Beiname  Lucetius  (nach  Serv. 
Aen.  IX,  570  in  der  lingua  Osca  in  Gebrauch)  anzeigt  und  Macrob.  Sa- 
turn. 1,  23  weitläufig  beweist,  so  verehrte  man  doch  bald  in  ihm  nur 
den  obersten  und  mächtigsten  Gott,  den  Schöpfer  und  Erhalter  Him- 
mels und  der  Erde,  den  IJeschützer  der  einzelnen  Menschen,  wie  der 
ganzen  Staaten,  den  Führer  und  Berather  des  ganzen  Menschenge- 
schlechts. Denn  bei  fortgesetzter  Beobachtung  der  Natur  musstcn  die 
Menschen  wahrnehmen,  dass  alle  Naturkräfte  durcli  einander  bedingt 
sind,  auf  einen  Zweck  hinwirken  und  eine  der  andern  untergeordnet  ist. 
Sie  wurden  auf  den  Begriff  eines  Wesens  geleitet,  das  alle  andere  mäch- 
tig und  gew  altig  beherrsche.  Sofort  einen  vovg  des  Anaxagoras  ,  eine 
Weltseele  aufzustellen,  würde  ein  Sprung  in  der  menschlichen  Entwi- 
ckelung  gcMesen  seyn.  Es  war  naturgemäss ,  einer  der  sclion  ange- 
nommenen Gottheiten  die  Herrschaft  über  die  andern  einr^mäumen, 
und  zwar  derjenigen  Naturkraft,  welche  die  gewaltigste  zu  seyn  schien. 
So  ward  Jupiter  Vater  der  Götter  und  Menschen  ,  Schöpfer  und  f]rlial- 
ter  des  Weltalls  und  sein  AVesen  in  eben  dem  Grade  vergeistigt  als  die 
Menschen  an  geistiger  Bildung  zunahmen;  der  ursprüngliche  Begriff 
der  Naturerscheinung  trat  zurück,  wenn  sich  auch  in  Sprache  und  Denk- 
art die  deutlichsten  Spuren  davon  erhielten. 

§  13.  Es  mag  hier  vergönnt  seyn,  eine  Untersuchung  über  die 
Namen  Janus,  Juno  und  Diana  anzufügen ,  weil  diese  Wörter  von  der- 
selben Wurzel  herzuleiten  sind,  die  wir  zur  Erklärung  des  Wortea 
Jupiter  aufgefunden  haben  und  weil  dieselben  gegenseitig  Licht  über 
einander  verbreiten.  Wir  haben  dieses  zuerst  etymologisch  zu  er- 
weisen. 

a)  Es  ist  oben  §  9  a  gezeigt,  wie  die  Wörter,  w^elche  vom  Stam- 
me rftu,  leucfiten,  glänzen,  herkommen,  bald,  wenn  i  inj  übergegangen, 
das  d  zu  Anfange  wegwerfen ,  bald  das  i  bald  das  u  auslassen.  Das  u 
vom  Stamme  diu  pflegt  besonders  da  wegzufallen,  wo  Suffixe  hinzutre- 
ten,  die  ebenfalls  mit  lokalen  anfangen.  Ein  solches  Suffixum  ist 
onus.  Es  findet  sich  dieses  in  vielen  andern  Worten,  z,  B.  humanus, 
Tomanus,  Marianus,  Sullanus ,  vorzüglich  ist  es  in  Götternamen  ge- 
bräuchlich, Siloanus  (von  silva')  der  Gott  des  Waldes ,  Volcanus  der 
Gott  des  Feuers  (von  t;oZ/f«  Feuer ,  was  im  Latin  verloren  gegangen 
ist,  sich  aber  im  sanskritischen  w?/ca  ,  i.  das  Feuer,  erhalten  hat.  Das 
Sanskrit,  ulka  verhält  sich  zum  lat.  volca ,  volcanus  wie  das  sanskrit. 
vlva,  Uterus,  zum  lat.  volva  s.  vulva.  vgl.  Schlegel,  Ind.  Bibl,  Bd.  I  p. 
320).  So  wird  von  mcdius  medianus  gebildet.  AVie  man  nun  von  diu 
bei  der  Anfügung  von  alis  bildete  dialis  und  u  ganz  ausliess ,  so  ent- 
stand, indem  man  anua  anfügte,  dianus,  was  eich  in  inlcrdianus,    quoii- 


S46  Abhandlung. 

dianus,  meridianus  erhalten  hat.  Dasselbe  ist  erhalten  in  Diana,  (nach 
iler  urspriinglirliea  Bedeutung' von  r/i«,  leuchten,  glänzen'),  die  Leuch- 
tendc,  Giüiizeude,  wolüi-  mit  Wegfall  des  i  und  Erhaltung  des  u,  wie 
hei  biduum ,  dudtim  (siehe  §  8,  a},  auch  Duana  gesagt  wurde.  Isidor. 
VII,  11.  Indem  man  ferner  i  wie  j  sprach,  entstand  mit  Wegfall  des  d 
(vrgl.  9,  a)  Jana,  was  Varro  de  re  rustica  I,  37  für  luna  braucht,  als 
den  hei  den  Landleuten  gewöhnlichen  Ausdruck.  Es  ist  demnach  kei- 
nem Zweifel  unterworfen ,  dass  auch  das  Maskulinum  Janus  für  Dja- 
tius  steht  und  der  Leuchtende,  Glänzende,  dasselbe,  was  Djovis  oder 
Jupiter  bedeutet. 

b)  Statt  des  Suffixes  anus,  brauchte  man  auch  nus,  indem  man  a 
ausliess ,  ungefähr,  wie  man  statt  Lucina  (von  i«c(ere)  herkommend) 
mit  Weglassung  des  i  Lucna  oder  Lusna  (vrgl.  Lanzi  Saggio  di  lingua 
Etrusca  I  p.161),  endlich  Luna  sagte.  Diess  nus  an  unser  Stammwort 
diu  angehangen,  erhielt  nun  djunus  oder  junus  (nach  §  9,  a  leuchtend, 
glänzend),  aus  welchem  Worte  Juno  gebildet  ist.  Man  hat  zwar  mit 
dem  Worte  Juno  das  griechische  Zavco  zusammengestellt,  allein  abge- 
sehen davon,  dass  ich  für  Zavco  keinen  Beleg  weiss,  halte  ich  es  für 
nöthig,  jedes  lateinische  Wort  zunächst,  wenn  es  möglich  ist,  aus  der 
latein.  Sprache  zu  erklären.  Gerade  das  Wort  Juno  ist  einer  ganzen 
Classe  lateinischer  Wörter  analog  gebildet.  Denn  die  Lateiner  bilden 
oft  von  Adjectiven  oder  Substantiven  neue  nomina  appellativa  oder 
propria,  die  eine  Verstärkung  des  Begriffs  enthalten,  durch  Anfügung 
der  Endung  an,  deren  Nominativ  o  lautet:  catus,  schlau,  Cato,  Schlau- 
kopf; nasus ,  die  Nase,  Nasoj  cicer,  die  Erbse,  Cicero  ^  verber ,  die 
Geissei,  verbcro,  der  die  Geissei  verdient  oder  oft  empfangen  hat;  ne- 
bulae ,  tencbrae,  Düsterheit,  Finsterniss,  nebulo ,  tenebrio ,  Finsterling, 
Betrüger;  epulae ,  Schmaus,  epulo,  ein  Schmauser.  So  \'on  jumis, 
leuchtend,  Juno,  der  Leuchter  oder  als  Femininum  die  Glänzende,  die 
Leuchtcrin. 

§  14.  Etymologisch  wäre  somit  bewiesen,  dass  Jupiter,  Diespiler, 
Djovis  und  Janus,  sowie  anderseits  Diana,  Jana,  Duana  und  Juno  nur 
-verscliiedene  Namen  derselben  Gottheiten  sind ;  es  ist  noch  übrig,  kurz 
nachzuweisen,  dass  auch  nach  dem  altitalischen  Glauben  jene  Na- 
men den  Sonnengott,   diese  die  Mondgöttin  bezeichneten. 

Es  darf  uns  dabei  nicht  irre  machen,  dass  die  Kömer  in  späte- 
rer Zeit  geAvöhnlich  diese  Gottheiten  trennten,  ja  dass  sie  dieselben 
oft  neben  einander  in  iliren  Gebeten  erwähnen.  Denn  die  Zahl  der 
alten  Götter  wurde  auf  die  verschiedenartigste  Weise  vermehrt  und 
der  Olymp  mit  einer  Menge  von  Gottheiten  angefüllt,  die  sich  ihren 
Begriffen  nach  gar  nicht  scheiden  lassen.  Wenn,  wie  wir  bei  dem 
Gotte  Jupiter  sahen ,  neue  Jdeen  mit  einem  Namen  verknüpft  wurden, 
so  schuf  man  neue  Götter  für  die  schon  früher  einmal  unter  die  Götter 
versetzte  Naturerscheinung,  oder  nahm  anderswoher  Götter  auf,  die 
jene  Naturerscheinung  bezeichnen  sollten.  Oft  war  es  aucli  gesche- 
hen, dass  man  denselben  Gott  unter  verschiedenen  Namen  in  benach- 
barten Tempeln  verehrt  hatte  und  wenn  mau  die  Namen,    die  in  dem 


Janus,  Diana,  Juno.  3H 

Mumie  des  Volks  leicht  verderLt  und  verdreht  wurden,  nicht  melir  ver- 
stand ,  so  etellte  man  sie  sofort  als  besondere  neben  einander  auf. 
Unter  allen  Naturerscheinungen  gab  es  liciue,  Avelclie  den  Menschen  so 
mächtig  ergreilen  und  ihm  seine  Abhängigkeit  von  einem  mächtigern 
Wesen  so  lebhaft  fühlbar  machen  konnte ,  als  die  Sonne  mit  iliren  er- 
blindenden Stralilen,  mit  ilirem  Einlluss  auf  Himmel  und  Erde,  Tag 
und  Nacht,  Sommer  und  Winter.  Dazu  dann  der  Mond  mit  seinem 
magischen ,  freundlichen  Lichte  am  blauen  liimmelsgezelt ,  in  seinen 
verschiedenen  Gestalten,  mit  seinem  scheinbaren  Einlhisse  auf  die 
ganze  Natur  der  Frauen.  Der  Dienst  dieser  beiden  Gottheiten  war 
unter  den  mannigfaltigsten  Gestalten  und  Namen  über  die  ganze  Erde 
verbreitet,  und  es  kann  daher  nicht  befremden  ,  auch  bei  dem  Lateiner 
mehrere  Namen  für  diese  mächtigen  Gottheiten  anzutreffen^ 

Der  Sonnengott  war  Djovis,  Diespitcr  und  Jupiter;  zu  Cicero'» 
Zeit  verstand  man  die  Bedeutung  dieser  Namen  so  wenig  als  die  Be- 
deutung des  Janus.  Doch  dadurch,  dass  man  unter  jenen  Namen  bald 
nur  den  obersten  Gott  verstand,  scheint  bewirkt  Morden  zu  seyn,  dass 
man  bei  dem  Namen  Janus  die  Idee  des  Sonnengottes  länger  festhielt. 
Denn  dass  Janus  ursprünglich  ganz  gleicli!>edeutend  mit  Djovis  Mar, 
eieht  man  daraus  ,  dass  nur  diese  beiden  Götter  regelmässig  den  Bei- 
namen pater  erhalten,  während  die  andern  männlichen  Gottheiten  nur 
zuweilen  so  genannt  werden  (cf.  Marini  Atti  p.  3ßß.  Orell.  Inscript. 
tom.  I  Nr.  1583.);  dass  Janus  nach  Tuscischer  Lehre  den  Himmel  be- 
deutet (Lyd.  de  mens,  p.  57)  ,  und  dass  er  in  den  tiltcn  Gedichten  det" 
Salier  Deorum  deus  genannt  Mird,  Macrob.  Saturn.  I,  {).  Dass  man 
alierden  Janus  vorzüglich  als  Sonnengott  verehrte,  geht  daraus  her- 
vor, dass  auf  seiner  Statue  geMÖhnllch  die  Zahl  305  angebracht  war 
(Macrob.  a.  a.  O.),  und  dass  schon  Numa  2  Janusstatuen  weihte,  jede 
mit  der  Zahl  355  versehen  (die  Tagesberechnung  nach  dem  alten  Jahre}, 
Plin.  34,  7.  Wenn  ferner  Janus  als  bifrons  oder  quadrifrons  mit  Schlüs- 
eel  und  Ruthe  dargestellt,  als  Oeffner  und  Schliesser  des  Himmels 
Patulcius  und  Clusius  genannt  und  als  Gott  des  Eing-anjrs  und  Ausffansfs 
und  so  vielleicht  auch  als  Gott  der  Durchgänge  *)  verehrt  wird,  so  fin- 


*)  Buttmann  Mythol.  II  p.  80  nimmt  an ,  dass  jamis  der  DurcTigang 
und  janua  die  Thüre  von  ire  herzuleiten  seien,  und  dass  die  Römer  Megen 
zufälliger  Uebereinstimmung  der  Wörter  den  Gott  Janus  auch  zum  Gott 
der  Thüren  gemacht  hätten.  Wäre  eine  solche  Verbindung  der  Ideen  auch 
denkbar,  so  trage  ich  doch  Bedenken,  jene  Ableitung Ja7iMS  und  janua  von 
ir  ,  die  von  Cicero  schon  aufgestellt  ist,  für  richtig  zu  halten,  da  im  Latein 
ein  solches  radikales  i,  wenn  ein  a  folgt,  immer  in  e  ültergcht.  Man  ver- 
gleiche die  Flexion  von  ire  und  is,  ea,  id.  Es  scheint  diese  nothwendige 
Umwandlung  des  i  in  e  auch  schon  Cornificius  gekannt  zu  haben,  wie  Ma- 
crobius  Saturn,  a.  a.  O.  berichtet:  Cornificius  etijmorum  libro  tertio,  Ci- 
cero, inquit ,  non  Janum  sed  Eanum  nominat  ab  eundo.  Es  ist 
vielmehr  walirscheinlirh,  dms  janus  und  janua  die  Thür  auf  dieselbe  Weise 
zu  erklären  ist,  wie  wir  oben  13  a  Janus  erklärt  haben  und  dass  diese 
Worte  ebenfalls  eigentlich  der  Erleuchter  bedeuten.    Denn  nicht  bloss  die 


848  Abhttndiung. 

den  sich  in  allen  diesen  Vorstellungen  ille  mannigfaltigsten  Beziehun- 
gen auf  den  Tages-,  Himmels-  oder  Sonnengott.  Als  Sonnengott  fasste 
ihn  auch  IVigidins  j  s.  Macrob.  a.  a.  O. :  pronuntiavit  Nigidius  ^poUinem 
Jamim  esse  Dianamque  Janam.  Wie  sehr  man  hei  diesem  Gotte  alle 
Eigenschaften  des  Jupiter  auflasste ,  sieht  man  auch  aus  einem  Aus- 
spruch eines  alten  Augur  ehendaselhst:  Marcus  Messala  per  annos  quin- 
quaginta  et  qitinquc  augur  de  Jano  ila  incipit:  Qui  cimcta  fingit  eadem- 
que  regit,  iiqtiae  tcrraeque  vim  ac  natitram  gravem  atque  pronam  in  pro- 
fundum  dilabentem,  ignis  atque  aqua e  levem,  immensum  in  sublime  fugien- 
tem,  copidavit  circumdato  coelo :  quae  vis  codi  maxima  duns  vis  dispures 
coUigavit.  Auch  verliert  sich  der  Dienst  des  Janus  in  ein  hohes  Alter- 
thum,  so  dass  man  sich  nicht  wundern  kann ,  Avenn  später  andere  Göt- 
ter ihn  verdrängten.  Denn  gcAvöhnlich  wurde  er  als  ein  sehr  alter 
Gott  verehrt,  der  schon  zur  Zeit  des  Romulus  seine  Tempel  hatte  und 
stets  zu  Anfang  der  Gebete  seiner  gedacht.  Und  andere,  die  in  der 
Götterlehre  Reste  alter  Geschichten  finden  wollten,  machten  den  Janua 
zum  ältesten  König  Latiums,  der  Ackerbau  und  mildere  Sitten  gelehrt, 
ein  goldenes  Zeitalter  bereitet  und  dem  fabelhaften  Saturnas  einen  Zu- 
fluchtsort gewährt  habe. 

§.  15.  Jene  leuchtenden  Körper,  Sonne  und  Mond,  stehen  in  so 
klaren  Verhältnissen  zu  einander,  dass  nichts  näher  lag,  als  sie  entwe- 
der als  Geschwister  oder  als  Gatten  zu  betrachten  oder  auch  beides  zu 
vereinigen.  So  wurde  J?mo  die  Leuchtende,  die  Mondgöttin,  als  Schwe- 
ster und  Gattin  des  Jupiter  verehrt ;  Diana  steht  freilich  nicht  als  solche 
da,  wohl  aber  als  Schwester  des  Sonnengottes  Apollo.  Hiebei  ist  zu 
beachten,  dass,  als  Jupiter  zum  obersten  Gott  erhoben  M'ordcn  war  und 
nicht  mehr  gerade  als  Sonnengott  verehrt  wurde,  auch  die  Idee  seiner 
Gattin  und  Schwester  Juno  eine  Umwandlung  erleiden  musste;  auch 
ilire  Verehrung  wurde  von  der  Naturerscheinung  des  Mondes  getrennt, 
und  die  Gattin  des  Jupiter  wurde  Mitbeherrscherin  des  Himmels  und 
der  Erde,  oder  ihr  auch  die  an  den  Himmel  angrenzende  Luft  als  Herr- 
scherkreis angewiesen.  Die  Idee  des  Mondes  verlor  sich  um  so  mehr, 
je  lebendiger  sich  dieselbe  bei  den  Namen  Diana  erhielt.  Allein  auch 
unter  dem  Namen  des  Janus  erhielt  sich  der  Sonnendienst  nicht,  seine  Ver- 
ehrung verfiel,  wenn  auch  durch  alte  Namen,  Feste  und  Gebräuche 
Bein  Andenken  erhalten  wurde;  sein  Name  wurde  verdrängt  durch  ei- 
nen andern,  der  auch  in  Griechenland  allgemein  verehrt  Avurde,  durch 
den  Namen  des  Apollo ,    dessen  Dienst  um  so   leichter  um  sich   griff, 


ersten  W^ohnungeu  der  Menschen  wurden  nur  durch  das  Licht,  das  durch 
die  Thüre  hereinfällt,  erleuchtet,  sondern  die  römischen  Hänser  waren 
überhaupt  so  gebaut,  dass  die  Stuben  ihr  meistes  Licht  durch  die  Tbiiren 
empfingen,  wie  jeder  weiss,  der  Herkulannm  besucht  hat.^  Wenn  ich  so- 
nach von  Buttmann  in  der  Etymologie  des  Wortes  abweiche ,  so  bin  ich 
doch  ganz  mit  Buttmann  darüber  einverstanden ,  wie  Janus  zum  Gott  des 
Friedens  oder  Kriegs  gemacht  worden  scy  und  was  weiter  damit  zusammen- 
hängt, und  habe  daher  dieses  in  meiner  Abhandlung  ganz  übergangen. 


Ueber  die  28te  Ode  im  Itcn  Buche  des  iloraz.  349 

als  er  die  Diana  in  Elircn ,  als  Iteiisclie  Schwester  nehen  sich  bestehen 
li(!ss.  Ucbcrf^eheii  wir  alle  liiider  der  jaj^enden,  durch  B'lur  und  Wald 
dahin  ziehenden  Diana,  mcIcIjc  lateiniische  Dichter  vielleicht  aus  der 
^griechischen  Mytholoj;;ie  entlehnten;  in  dein  Aechtröinischen  finden  wir, 
dass  Juno  dieselbe  Cröttin  Avie  Diana  ist,  indem  sie  ihr  dieselben  Be- 
schäftig unfj^en,  dieselben  Beinamen  geben,  welche  Diana  hat.  Wegen 
des  Einflusses  des  Mondes  aul'  das  Aveibliehe  Geschlecht  ist  sie  Göttin 
desselben  in  seinen  eigenthümüchsten  A  erhältnissen ,  die  Göttin  der 
Jungfrauen,  der  Ncuvermäiilten ,  der  Gebärenden;  sie  führt  die  Bei- 
namen iVonitöa,  Jugalls,  Cinxia,  und  die  vom  Monde  entlehnten  Namen 
Lucina  :=  Luna  und  Lucifera  trug  man  auf  die  Hülfe  über,  welche  sie 
den  Gebärenden  leistete ,  wovon  sie  auch  Sospiti  oder  Sispita  genannt 
wurde.  So  ruft  bei  l'lautns  Aulul.  IV,  7,  11  eine  Gebärende  aus:  Jjt- 
no  Lucina  tuam  fidcm.  Dasselbe  gilt  von  der  Diana,  Cie.  nat.  deor.  II 
§  68  u.  (jy  :  Dianam  autem  et  Lunam  candcm  esse  putant.  —  Luna  a 
luccndo  diclo  est ;  eadeni  est  enim  Luna.  itaque ,  ut  apud  Graecos  Dianam 
eamque  Lucifcram,  sie  apud  nostros  Junoncm  Lucinam  in  pariendo  invo- 
cant.  Diana  dicta,  quia  noctu  quasi  diem  efficeret.  Adhibelur  autem  ad 
partus,  quod  ii  malurescunt  uiil  Septem  nonnunquam  aut  plerumquc  novem. 
lunae  cursibus.  Diese  Gemeinschaft  erkennt  auch  Macrobius  an  Sat.  I, 
15  :  jure  Junoni  addixerunt  Calendas,  lunam  ac  Junoncm  eandem  piitantes, 
nnd  CatuU  34,  13  an  die  Diana : 

Tu  Lucina  dolentlbus 
Juno   dicta  puerperis : 
Tu  potens  Trivia  et  notlio  es 
Dicta  luraine  Luna. 

Max  Schmidt. 

Conrector  am  Gymnas.  in  Zeitz. 


Ueber  die  28te  Ode  im  Itefi  Buche  des  Horaz. 

Die  28te  Ode  im  Iten  Buche  des  Horaz  ist  einem  Scheinkranken 
vergleichbar,  um  dessen  Lager  Aerzte  und  Nichtärzte  versammelt  dem 
Grunde  und  dem  Heilmittel  des  Uebels  vergeblich  nachsinnen  und  zu- 
letzt auf  die  sonderbarsten  Einfälle  gerathen. 

„Der  Körper  des  Archytas  liegt  unbegraben  am  Ufer."  Dies  ist 
die  Voraussetzung  aller  bisherigen  Erklärer.  Nun  aber  treten  sie  aus 
einander  in  zwei  Meinungen.  Auf  der  einen  Seite  sagt  man:  „Ein 
Schiffer  findet  und  erkennt  den  Todten.  Daran  knüpfen  sich  Betrach- 
tungen über  das  allgemeine  Loos  der  Sterblichkeit.  Zuletzt  fleht  der 
Schatten  des  Archytas  seine  Gebeine  zu  begraben."  So  die  altern  Er- 
klärer •),  und  auch  die  neuern  alle,  bis  auf  Einen,   indem  sie  nur  darin 


*)  Acren  imd  Porphyrie  wörtlich  übereinstimmend:  inducitur  corpus 


350  Abhandlung. 

von  einander  abweichen ,  ob  jene  allgemeinen  Betrachtungen  ilem 
Schiffer  «iler  dem  Archytas  in  den  Mund  zu  legen  seyen.  Auf  die  an- 
dere Seite  tritt  kühn  der  Eine,  welcher  meint  „der  Dichter  selbst ,  al- 
lein sprechend,  den  unbegrabcnen  Archytas  im  Geiste  sehend,  rede 
ihn  an,  pliilosophire,  lege  zuletzt  um  seine  Bestattung  Fürbitte  ein  bei 
einem  etwa  dahin  kommenden  Schiffer." 

Erstlich:  die  Allen  gemeinsame  Voi-aussetznng:  „Archytas  liegt 
Unbegraben",  ist  nicht  sehr  wahrscheinlich  an  sicli  selbst.  Archytas, 
der  grosi-e  Philosoph  und  Mathematiker ,  zugleich  Staatsmann  und 
Feldherr  *) ,  unbestattet  am  vielbeschifften  Ufer  des  Calabiischen  Vor- 
gebirgä  unfern  seiner  Heimath  Tarent !  **)  Ohnstreitig  also  vor  kurzem 
angeschwommen,  und  eben  jetzt  zuerst  von  einem  Schiffer  erkannt? 
Der  Fall  ist  möglich.  Aber  als  blosse  Hypothese,  um  der  Erklärung 
willen  angenommen,  ist  er  allzu  unwahrscheinlich.  Denn  dass  der  be- 
rühmte Pythagorecr  in  unserer  Ode  gemeint  ist,  und  nicht  irgend  etAva 
ein  anderer  jüngerer  Ar(;hytas,  von  dem  niemand  etwas  weiss,  sieht 
man  ja  aus  der  hinzugefügten  deutlichen  Bezeichnung.  *") 

Wie  vereinigt  sich  nun  mit  der  Annahme ,  dass  jener  der  verun- 
glückte Unbegrabene  sey,  die  Kluft  von  vier  Jahrliunderten  zwischen 
Archytas  und  Horaz  ?  —  „Es  ist,  sagt  man ,  offenbar  ein  griechi- 
sches Original,  nach  welchem  unser  Dichter  arbeitete ;  das  Colorit  der 
Rede,  der  Gedankengang  selbst  zeigt  dies."  f)  Zum  Beweise  vergleicht 
man  griechische  Worte  und  Redensarten.  Eben  so  gut  konnte  man 
die  ganze  Ode  in  das  Griechische  übersetzen.  In  der  That  findet  sich 
gerade  in  diesem  Gedichte  wenig  oder  keine  Spur  griicisirender  Spra- 
che ,    und   keineswee-s  mehr  als  in  den  anerkannt  dem  Horaz  eigen- 


naufragi  Archijtae  Tarenttni  in  Ultus  cxpulsum  conqucri  de  injuria  sua  et 
liefere  a  praetereuntibus  scpulturam. 

*)  Diog.  Laert.  1.  VIII  c.  4 :  'AQyvza?  —  Tagavtlvog  —  TIv&ayoQLHos 
—  inrÜKig  xcov  noliTcov  iavQaT/iyr^GE.  Vgl.  ebendas.  Plato's  Brief  an  Ar- 
chytas und  Strabo  1.  VI  c,  3. 

**)  Matinus  mons  yipnliae ,  Acron  ad  h.  1.  v.  3;  M.  promontorinm  Ap., 
Porphyr,  ilt.,  nelunüc  h  Äpnliciis  int  Mcitesten  Sinne ;  wozu  die  Selbstver- 
gleichung des  Apulischen  Dichters  mit  der  Matinisthen  Biene  (Od.4, 2, 27) 
und  das  Wiedcrleuchten  der  Flammen  des  Apulischen  Gefildes  an  den  Kü- 
hen des  Matinus  (Lucan.  !),  185)  verführen  konnte.  Riilitiger  Acron  ad 
Od.  4,  2,  27 :  saltus  Calabriae,  und  Porphyr,  ib. :  mons  Cal.,  Schnl.  Criici. 
zu  unsrer  Stelle:  mons  Jpnliue  —  sec.  uHos  vicus  Calabriae,  nchnilich  im 
BÜdlichen  Theile  des  alten  Calabrien,  unfern  der  Sallentiiiii^ciieii  (laj)ygi- 
sclicn)  Spitze,  wo  jetzt  Matina  liegt,  s.  z.  B.  die  ('harte  von  Italien,  Wei- 
mar 180«,  östlich  von  Tarent.  Vgl.  Epod.  16,  28,  wo  die  Matinischen 
Gipfel  und  der  Po  (als  die  am  weitesten  getrennten  Puncte  Italiens)  einander 
entgegengesetzt  werden. 

***)  Doch  sah  Rodeille  hier  einen  jungem  Archytas ! 

■J-)  Poinsinet  de  Slvry  (dessen  fixe  Idee  ist,  dass  Horaz  nur  Uebersetzer 
sey),  und  neuerlich  besonders  Mitscherlich. 


Uelier  die  28te  Ode  iui  Iten  Buche  des  Iloraz.  351 

tliiimlichen  Oden.  Auch  kommt  es,  wo  die  Frag-e  dem  Ursprünge  und 
dem  Zwecke  des  Ganzen  f?iit,  nicht  auf  einzelnes  dem  Gricc^hisclien 
Naclij^ebildctes  an ,  M-as  dem  oi-ig-inalen  niclitgriecliisclien  Gedichte  zur 
Einklcidiinj.;  der  Gedanken  dienen  konnte.  Ueberdem  spricht  in  unse- 
rer Ode  der  Venusische  Wahl  luid  das  Vorgebir<?e  Matinum  für  den 
Venusiichen  Diditc^r  '),  der  si(-h  anderwärts  der  Matinischen  Biene  ver- 
gleicht, nicht  aber  für  einen  griechischen ,  von  jenem  nur  nachgeahm- 
ten Urheber.  Zu  der  Anrede  an  Archytas  konnte  auch  der  römische 
Dichter  seinen  Grund  haben,  und  dazu  in  einem  örtlichen  oder  anderen 
Umstände  die  Veranlassung  finden.  War  jener  aber  einmal  angere- 
det, so  war  es  natürlich,  dass  hier  gleichartige  Beispiele  der  Sterblich- 
keit, also  nicht  Ancus  und  Tullus  (wie  anderwärts  hei  Iloraz),  sondern 
Titlionus,  Tantahis,  Minos,  Pythagoras,  also  dass  griechische  Götterge- 
iiossen  und  Weise,  nicht  römische  Könige  gewählt  wurden.  Auch  in 
anderen  Oden,  die  sicli  als  ursprünglich  Horazische  erweisen,  wird 
durch  griechischer  Heroen  Beispiel  derselbe  Gedanke  ausgeführt.    *') 

Doch  gesetzt  auch ,  die  Ode  wäre  ursprünglich  griechisch ,  gäbe 
dies  ein  Recht  zu  der  Hypothese  vom  unbegrabenen  Archytas  'i  Woher 
weiss  oder  vermuthet  man,  dass  der  berühmte  Mann  in  den  Wellen  um- 
gekommen sey?  Kein  Alter  siigt  es,  obwohl  man  eben  vornehmlich 
die  gewaltsameren  Todesarten  grosser  Männer  häufig  berichtet  findet. 
Selbst  spätere  Sammler,  wie  Diogenes  Laertius ,  wissen  nichts  davon, 
ein  Schweigen,  das  schon  Zweifel  gegen  die  Allgemeinheit  dieser  älte- 
ren Erklärung  unserer  Ode  erregen  kann.  —  „Aber  die  Scholiasten 
des  Horatius  ,  Acron  und  Porphyrio  sagen  es."  —  Dies  hat  nur  dann 
Gewicht,  Avenn  keine  Gegengründe  da  sind.  Sogar,  wo  diese  fehlen, 
ist  doch  die  liistorische  Autorität  der  Scholiasten  von  geringerem  Wer- 
the  in  denjenigen  Dingen,  welche,  in  dem  Texte  selbst  scheinbar  be- 
gründet und  nicht  gleichgültig,  sondern  nothwendig  sind  für  eine 
gewisse  Erklärung;  daher  es  dann  nur  Wiedergebungen  des  Textes 
sind  nach  der  Ansicht  des  Scholiasten,  ohne  Hinzufügung  eines  neuen 
zufälligen  Umstandes.  Auch  ist  es  bekannte  Scholiastensitte,  als  That- 
sachc  zu  geben,  was  eben  nur  aus  der  Stelle  selbst  herausgedichtet 
wird.  Acron  und  Porphyrio  stimmen  überein,  weil  der  eine  wörtlich 
dem  andern  nachschreibt.  Aber  selbst  bei  ihnen  beiden  findet  sich 
auch  ein  Rest  alter  entgegengesetzter  richtigerer  Erklärung:  Acron 
und  Porph.  zu  v.  2:  Archytas  sepulhis  est  ad  Promontorium  Matinum, 
und  Schol.  Cruq.  ib. :  Matinus  mens  ApuUae  juxta  quem  sepultus  est  Ar- 
chytas. Verstand  man  dieses  ältere  Schollon  von  der  späteren  Bestat- 
tung, so  trug  man  diesen  Sinn  hinein,  nur  um  es  in  Einklang  mit  jener 
Hypothese  zu  bringen.       Die   Grabmähler  grosser   Männer   legte   man 


*)  Porphyrio  ad  v.  2(5:    T  enusia  —  patria    poetae,   unde   silvas 
l'enusinaa  pro  quihusUbct  posuit. 

")  Od.  2,  14,  8;  2, 18,  37;  4,  7  extr. 


352  Abhandlung. 

nach  dem  Vorbilde  der  Heroengräber  gern  auf  fernhinschauende  Vor- 
gebirge. 

„Aber  auch  bei  Horaz  sagt  es  ja  erst  der  Schiffer,  dann  Archytas 
selbst  ausdrüclili(;h,  dass  er  unbegraben  daliege."  —  Nein !  Der  Schif- 
fer sagt  nur  pulveris  exigui  munera  te  cohibent  Archyta,  Nun  erklären 
zwar  Mehrere  *)  diese  AVorte  so :  „Die  Versagung  wenigen  Staubes 
hält  dich  fest  diesseit  des  Styx."  Aber  es  ist  docli  wunderlich  und  al- 
len Grundsätzen  widerstreitend,  so  in  die  Stelle  hineinzutragen,  was 
nicht  hier  stellt,  nehmlich  das  citra  Stygcm  nwA  das  ncgaium  zu  MunuSy 
hingegen  Avegzuerklären,  was  gesagt  ist,  nehmlich  „dich  umfängt  eine 
Gabe  geringen  Staubes."  Man  beruft  sich  auf  elliptische  Kürze  der 
Rede,  die  solches  dulde,  "wie  ira  gemeinen  Leben,  auch  in  neuern 
Sprachen  **)  :  so  hier :  cohibet  te  munus  seil,  negatum,  wie  man  sagen 
könnte :  retinet  te  viaticum  (sc.  speratum)  ;  retinet  itincris  apparatns  (sc. 
tibi  cnrandus).  Aber  dies  ist  doch  nur  dann  der  Fall,  wo  der  Grund 
des  Weilens  ein  innerer  (subjectiver)  ist,  nehmlich  ein  Vermissen,  Sor- 
gen oder  Hoffen,  das  in  dem  Zurückhalten  und  Fesseln  liegt,  nicht  aber 
eine  äussere  (objective)  Nothwendigkeit,  wie  hier  bei  dem  angeblichen 
Verweilen  des  Schattens,  wo  es  nicht  auf  des  Archytas  Willen  ankam, 
zu  harren  oder  zur  Ruhe  einzugehn.  Hier  kann  selbst  der  Dichter 
nicht  sagen,  das  Begräbniss  fessele  den  Schatten,  den  vielmehr  nur  die 
Versagung  des  Begräbnisses  fesselt,  so  wenig  als  jemand  z.  B.  sagen 
könnte,  Gesundheit  halte  den  fest  an  einem  Orte ,  den  Krankheit  fest- 
hält. Selbst  das  Wox't  cohibere  kann  dies  Festgehaltenwerden  und  Ge- 
fesseltseyn  durch  einen  begehrten  Gegenstand  nicht  bedeuten.  Auch 
ist  es  misslich ,  solche  religiöse  Vorstellungen ,  Avie  die  vom  Harren 
diesseit  des  Styx,  andersher  in  Stellen,  die  sie  nicht  bestimmt  andeu- 
ten, hineinzutragen.  Man  würde  hier  gar  nicht  auf  diese  erkünstelte 
Erklärung  gefallen  seyn,  wenn  nicht  die  drei  flüchtigen  Würfe  Sandca 
auf  unbestattete  Gebeine  am  Ende  der  Ode  dazu  verfülirt  hätten,  hier 
anfangs  die  geringe  Gabe  Sandes  eben  so  zu  verstehn.  Aber  wie  dann, 
wenn  auch  dieses  Ende  missverstanden  ist?  Davon  nachher.  Auf  je- 
den Fall  ist  es  natürlicher,  wie  die  Ode  nicht  rückwärts,  sondern  vor- 
wärts gedichtet  ist  und  gelesen  M'ird,  so  das  Ende  lieber  aus  dem  An- 
fang, als  den  Anfang  aus  dem  Ende  zu  erklären.  Was  aber  das  te  co~ 
Jiibent  pulveris  munera  betrifft,  wozu  bedarf  es  da  noch  vieler  Worte 
von  jener  willkührlichen  und  sprachwidrigen  Erklärung,  da  sie  be- 
reits von  den  Scholiasten  und  von  vielen  der  Neueren  verschmäht  Avird, 
ohngeachtet  auch  sie  insgesammt  den  Archytas  hier  unbegraben  He- 
eren sehn. 


*)  Dacier,  Vanderbourg,  Doering. 

'*)  Dacier,  Vandeibourg.  Letzterer  (ed.  Horat.  Paris  1812  T.  I  p.  350) 
vergleicht  doch  nur  die  französische  Phrase:  il  a  etö  retenu  par  ses  cqiü- 
pages.  Mit  entsprechenden  lateinischen  Redensarten  bin  ich  selbst  den  Geg- 
nern zu  Hülfe  gekommen. 


Uebcr  die  28te  Ode  im  Itcn  Buche  dea  Horaz.  853 

Man  hilft  sich  auf  andre  Art :  pulverts  exigui  munera  te  cohibent 
lielsse  soviel  als  pulveris  exigua  pars,  exiguum  spatium  ie  tenet.  Nelim- 
lich  munus,  fitgog,  diene  zur  blossen  Umschreibung,  und  cohibet,  tx^i, 
narsxsi^  bedeute  überhaupt  den  beschränkten  Raum,  also  die  kleine 
Strecke  auf  dem  Sande,  die  der  Körper  einnimmt"  *).  Angebliche 
Gräcismen  sollen  eine  Bedeutung  möglich  machen,  die  man  hier  zu  lin- 
den voraus  beschlossen  hatte.  —  Wo  wäre  denn  vmnus  bloss  umschrei- 
bend gebraucht?  Ueberall  bezeichnet  es  entweder  eine  Gabe  oder 
ein  Geschäft.  Warum  führte  man  fitgog ,  was  munus  nicht  bedeutet, 
an,  und  nicht  vielmehr  y^Qcig ,  nfii^ ,  was  ganz  entsprechend ,  eben 
60  wie  munus,  von  den  denTodten  erwiesenen  Ehren  gebraucht  Avird  "). 
Auch  cohibet  drückt  vielmehr  die  Umschliessung  und  Bedeckung  dea 
Begrabenen  aus  als  die  Umfassung  des  engen  Raums  der  Fläche,  wo 
der  Körper  liegt  *").  Der  exiguus  pulvis  aber  nöthigt  weder  an  den 
Wurf  einer  Hand  voll  Staubes  noch  an  die  Kleinheit  des  von  einem 
Körper  bedeckten  Raumes  auf  dem  Sande  zu  denken,  da  Redensarten 
wie  diese :  „Avenig  Staub  deckt  ihn" ,  zumahl  im  Gegensatze  vormali- 
ger Grösse  im  Leben,  oft  und  in  allen  Sprachen  von  den  Begrabenen 
gebraucht  werden  f).  Der  Zusammenhang  aber  und  der  Sinn  der 
Stelle  ist  entscheidend  gegen  das  offene  Daliegen,  und  für  das  Grab. 
Denn  auch  der  lebende  Körper  nimmt  ja  nicht  grössern  Raum  ein ;  und 
wie  absurd  wären  die  gleichen  Worte  an  den  lebenden  z.  B.  schlafen- 
den Archytas  gerichtet :  „Dich  den  himmelumfassenden  Weisen  um- 
spannt hier  ein  kleiner  Raum  auf  dem  Sande!"  Nein,  nicht  des  mensch- 
lichen Körpers  Kleinheit,  nur  des  Grabes  Schranken  und  Bedeckung 
bilden  den  richtigen  Gegensatz. 

Die  Bestätigung  davon  liegt  auch  im  Folgenden.      Der  SchüTer 


')  Jani,  Vanderb.  u.  A.,  besonders  aber  Mitscherlich  und  leicht  hier- 
überhingehend F.  A.  Wolf  (vermischte  Schriften  und  Aufsätze,  Halle  1802 
S.  435) :  „Wie  nur  wenig  Spannen  lang  ist  deine  Stätte." 

")  lliad.  Ifi,  674  :  TaQ%vaov6i —  zvfißars  gti^Xtj  rs*  ro  yuQyigas  iorl 
9av6vToav.  Busti  munus  Lucan.  8,  741;  exsequiariim  munus  Cic.  pro 
Chient  28;  feralia  munera  Ovid.  Trist.  3,4,81;  corpora  terrae  mandc- 
mus  .  . .  decorate  supremis  muneribus  Virg.  Aen.  11,  25. 

***)  Occoecatum  cohibet  (terra  semen)  Cic.  de  Senect.  I,  51 ;  ova  cohi- 
bent vitellum  Hör.  Sat.  1,  4,  14 ;  Scyllam  caecis  cohibet  spelunca  latebris 
Virg.  Aen.  3,  424 ;  imis  venti  cohibentur  in  antris  Ov.  Met.  15,  346.  cf.  l4, 
224.  —  KaT£%£i  nivSuQov  a.8s  Kovig  Antipater  Sidon.  79  (Brnn^k. 
'Anal,  n  p.  27);  Avoovit]  gis  Alßvaaav  l'jjEi  KOVig  Antipater  Thessalonic. 
60  (Br.  Anal.  II  p.  124),  in  Avclchen  beiden  Stellen  von  Begrabenen  die 
Rede  ist. 

t)  Simmias  Theb.  1  (Brunck.  Anal.  I  p.  168)  :  toV  ö6  . . .  tov  tgayi- 
xrjg  Movarjg  dazfQix  zvfißog  ix^i  v.a.1  yrjg  oXiyov  fisQog.  —  Antipater  Sidon. 
6J>  CBr.  Anal.  II  p.  25):  oUya  KQvnzto  zov  xrikiKOV ,  von  Begrabenen.  — 
MitscherJich  führt  diese  Stellen  für  seine  Deutung  an,  welcher  sie  doch  ge- 
radezu widersprechen. 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag,  Jahrg.  V.  Heft  3.  23 


354  Abhandlung. 

fügt  zu  den  Worten:    „IVichtä  hilft  dir  nun  der  hohe  Flug  deines  Gei- 
stes" nur  den  Ausruf  hinzu:   dein  Loos  war  zu  sterben  (moriture),  nicht 
aber  ein  Wort  der  sonst  so  gewöhnliclien  Klage  über  das  schnöde  Loos 
unbestatteter  Gebeine ,    wie  man  doch   in  jenem   Falle  hier  erwarten 
musste.      Auch  nachher  werden  nicht  für  das  Unglück  des  Unbegraben- 
seyns  Beispiele,   wie  etwa  die  des  Polydorus,   Polynices,   Ajax,  Palinu- 
rus,    sondern    für  das  Loos  der  Sterblichlieit  werden  die  dem  Archytas 
entsprechenden  Beispiele   aufgezählt.       Die   ganze    Ode   hätte  müssen 
einen  andern  Gang  nehmen,   wenn  Archytas  unbegraben  und  wenn  dies 
wesentlich  wäre  für  den  Inhalt  und  Zweck  der  Ode.  —   „Aber"    (wirft 
man  aberraahls   ein)    „am  Ende  der  Ode  wird   doch  des  Archytas  Be- 
stattung gefordert."   —    Daher    haben    Einige,    welche   in   den  ersten 
Versen  den  vom  Sande  bedeckten  Archytas  richtig  erkannten,     nun  ge- 
meint,    der  bereits  flüchtig  Begrabene  fordere   von  jedem  Vorbeikom- 
menden  neue   Würfe    Sandes  *).      Aber  weder  liegt  jene  flüchtige  Be- 
stattung in  dem   CO  hibent  exigui  pulveris  munera ^     noch    stimmt  die 
Bitte  „um  ein  Theilchen  Sandes  für  das  Gebein  und  MTifteoraöene  Haupt'' 
(\s.  24)  und  das  ängstliche  Flehn  mit  Fluch  und  Drohung   ülierein  mit 
der  blossen  Wiederholung  der  Gabe  einer  Hand  voll  Erde.      Diese  war 
nur    ein  Zeichen  der   Ehre   und  Liebe ,    da  hingegen  für  die  Ruhe  des 
Todten    schon   ein   Wurf  Sandes,    eine  Scholle   auf  das  Haupt  gelegt, 
gnügte  *').      „Der   Gegenstand  des  Flehens  ist  aber  doch  Bestattung!" 
—   Allerdings;   aber  auch  des  Archytas  Bestattung?      Es   kommt   dar- 
auf an,  wer  der  dort  Sprechende  ist,    der  um  ein  wenig  Staub  für  sein 
Gebein  fleht. 

Dies  führt  uns  auf  den  zweiten  Punct,  wo  nicht  Uebereinstim- 
mung,  sondern  Verschiedenheit  der  Ansichten  obwaltet,  nehralich  auf 
die  Frage,  von  den  redenden  Personen  und  ihrem  Wechsel.  Wie  dort 
Allen  bei  gleiclier  Hypothese  gemeinsame  Schwicrigkeiteu  sich  entge- 
genstellten, so  zeigen  sich  hier  bei  jedem  neu  versuchten  AusAvege  neue 
eigenthümliche  Hindernisse.  Soll  der  SchifTcr  nur  die  sechs  ersten 
Verse,  und  Archytas  ihm  antwortend  das  Uebrige  sprechen,  wie  ver- 
muthlich  die  Scholiasten  und  wie   die   meisten  Neueren    wollen?  ***) 

^'• 

•)  z.  B.  Landinus  in  coram.  ad  vs  3  (ed.  Basil.  p.  778):  „Citat  Ar- 
chytam  . .  •  qui  in  littore  scpultus  majorem  a  navigantibus  sepulturam  pe- 
teret." 

")  S.  Antig.  Sophocl.  245:  &(iij}ug  ßißr]-A.t  .  .  v.6viv  naiv  vag, 
vgl.  v.  429  und  bes.  v.  25ß :  Istit^  ö',  uyog  tpivyovtoq  äg ,  tntjv  -^övig, 
wo  d.  Scholiast:  ov  •>iciTu  ßd&og  zB&ciufiivog  rjv ,  all'  cJg  t;i;st  iTtißsßXrj- 
[ihr]  rjv  iq  afißog  (tas  t'^si'  d.  i.  sogleich  und  ohne  viel  Umstände).  So 
Aelian  Var.  Hist.  V,  14:  vofiog  AtziKog...  uTa(pM  ..  nccvrcog  iJiißälXsiv 
yrjv  i.  e.  auf  jeden  Fall  etwas  Erde,  wenn  auch  nur  venig  und  flüchtig 
(wie  schon  Kühn  ad  h.  1.  richtig  erklärt).  —  Vgl.  die  v.  Älitscherl.  zu  un- 
srer  Ode  v.  24  u.  36  citirten  Stellen:  Zonas  Epigr.  i):  i^v^oav  oev  KSqjuXijg 
inccfiT^aofiai.  Statins  Theb.  10,  427:  angusti  date  pulocrts  haustus. 

*")  Bentley,  Jani,  Wolf,  Mitsch.,  Voss  u.  s.  w.,  und  dieAelteren,  z.B. 
Lnbinas  in  seiner  Paraphrase. 


Ucber  die  28te  Ode  im  Iten  Buche  des  Iloraz.  355 

Eine  Andeutung,  dass  mit  v.  7  eine  andere  Person  eintrete,  findet  sieh 
in  den  Worten  des  Textes  nicht.  —  Man  antwortet:  „es  bedurfte  nicht 
solcher  Andeutung;  dafür  inusste  in  der  ursprünglichen  Hand:schrift 
ein  vorgesetztes  Zeichen  sich  finden."  Aber  dass  wirklich  hier  ein 
solches  in  den  MSS.  sich  finde,  wird  nirgends  bezeugt.  Und  auch 
dann,  wenn  einige  MSS.  eine  beigesetzte  Linie  oder  etwas  dergleichen 
darböten,  wäre  dies  immer  nur  für  Erzeugniss  eines  Erklärers  oder 
Abschreibers  zu  halten,  wenn  innere  Gründe  entgegenstehen.  Warum 
nimmt  man  das  Eintreten  einer  Antwort  an,  da,  wo  eine  schon  begon- 
nene Betrachtung  nur  fortgesetzt  wird?  Dass  ein  Schiffer  sich  im  ei- 
gentlichen Sinne  „wundere",  wenn  selbst  ein  Archytas  habe  sterben 
müssen,  und  dass  dieser,  antwortend,  ihn  eines  bessern  belehre,  wäre 
weder  verständig  erdacht,  noch  ist  es  in  den  Worten  enthalten.  Viel- 
mehr sagt  der  Sprechende,  wer  er  auch  sey,  in  zusammenhängender 
Rede:  Dich,  o  Archytas,  schützte  nicht  vor  dem  Tode,  dass  du  schon 
im  Leben  dich  zum  Himmel  aufschwangst;  auch  den  Tithonus,  Tanta- 
lus,  Minos  ,  Pythagoras  schützte  dies  nicht.  Es  wird  also  der  in  den 
ersten  Versen  ausgesprochene  Gedanke  in  dem  7ten  und  folgenden 
Versen  nur  wiederholt  und  weiter  ausgeführt.  Zwar  sagt  man,  „es  sey 
doch  hier  (zwischen  vs.  6  und  7)  ein  Mangel  enger  Verknüpfung  und 
gleichraässigen  Fortgangs  ;  es  sey  eine  Lücke,  ein  Sprung  bemerkbar." 
—  Allein  die  Rede  ist  ja  selbst  äusserlich  nicht  unverbunden  (occtd/t 
et  Pelopis  genitor) ;  und  der  Sprung  ist  nicht  grösser  als  er  seyn 
muss,  wo  von  dem  Nahen  zu  den  Entfernten,  von  dem  gemeinen  Sterb- 
lichen zu  den  Heroen  übergegangen  wird.  —  „Aber  eben  diese  Steige- 
rung von  Archytas  zu  den  Heroen  und  zu  Pythagoras  ist  einem  Wech- 
sel der  Rede  ganz  angemessen,  da  der  Antwortende  gern,  sey  es  zur 
Bestätigung  oder  zur  Widerlegung  oder  überhaupt  zur  Fortführung 
des  Zweigesprächs,  den  Gang  zum  Gewichtvoileren  und  Höheren 
nimmt"*).  Allerdings.  Doch  dieses  beweiset  noch  nicht,  dass  ein 
Wechsel  wirklich  da  ist.  Denn  auch  die  fortgehende  Rede  Eines  Spre- 
chenden erhebt  sich  gern  zu  dem  grössern  und  wirksamem  Beispiele, 
zumahl  im  lyrischen  Gesang  der  Alten ,  wo  der  pindarische  Uebergang 
zu  den  Heroen  herkömmlich  und  selbst  bei  Horaz  in  den  ihm  offenbar 
eigenthümlichen  Oden  fast  stehende  Form  ist. 

Dass  aber  Archytas  von  v.  7  an  nicht  redet,  und  dass  ohnstreitig 
also  der  von  Anfang  Sprechende  fortfährt,  zeigt  auch  (v.  14)  das :  judi- 
ce  te  non  sordidus  auctor.  Es  ist  kein  vernünftiger  Grund  da ,  wes- 
wegen Archytas,  der  Pythagoreer,  einen  Andern  Zeugniss  für  Pythago- 
ras ablegen  lassen  sollte,  zumahl  einen  vorbeifahrenden  Schiffer  oder 
Kaufmann,  den  man  deswegen  wohl  gar  selbst  zum  Pythagoreer,  oder 
wenigstens  zum  Landsmann  des  Archytas  macht,  und  dem  man  klüg- 
lich eine  mittlere  Bildung  berechnet,  niedrig  und  hoch  genug,  dass 
man  zu  ihm  sagen  könne :  ,, Pythagoras  ein  Bürge  des  Wahren,  selbst 
nach  deinem,    des  Halbgebildeten,  Urtheile !"    Aber  dieses  vel  te  ju- 


')  Wolf  a.  0.,  Vanderbourg. 

23 


S56  Abhandlung. 

dlce  ')  liegt  nicht  im  Texte,  und  es  wäre  an  sich  prosaisch  und  un- 
passend. Auch  dann ,  wenn  man  in  dem  te  jiidicc  nichts  Anderes  er- 
kennt, als  den  Zusatz:  „Pythagoras,  ein  Mann,  von  dem  du  doch  ge- 
stehn  wirst,  er  war  ein  tiefdringender  Forscher"  **) ,  ist  dieser  Zusatz 
doch  matt  und  müssig,  da  er  nicht  durch  den  Gegensatz  eines  Zweifels 
begründet  wird.  Wollte  man  darin  eine  absichtliche  Andeutung  fin- 
den, dass  jeder,  wer  es  auch  sey,  des  Pythagoras  Worte  hochachte; 
so  würde  man  in  den  Text  hineinkünsteln,  was  nicht  darin  ist,  und  waa 
hier  nicht  an  seinem  Orte  wäre.  Daher  dürfen  Avir  uns  nicht  wun- 
dern, wenn  die  Conjectur  judice  me  "*)  von  Einigen  mit  offenen  Ar- 
men aufgenommen  wurde,  ohngeachtet  sie  gegen  alle  Handschriften, 
und  obendrein  nicht  nur  gegen  den  Sprachgebrauch,  auf  jeden  Fall 
wenigstens  höchst  prosaisch,  sondern,  genauer  besehen  ,  auch  gegen 
den  Sinn  dieser  Stelle  ist.  Denn  die  Bekräftigung:  mea  quidem  sen- 
tentia,  wäre  nicht  nur  ebenfalls  leer  und  bedeutungslos  wegen  man- 
gelnder Andeutung  eines  ZM'eifels  an  des  Pythagoras  Wahrhaftigkeit, 
sondern  sie  wäre  eben  durch  eine  solche  in  ihr  liegende  Andeutung 
sogar  sinnentkräftend  und  störend.  Dagegen  wendet  sich  sehr  natür- 
lich die  Anrede  bei  Erwähnung  des  Pythagoras  an  den  von  Anfang 
apostrophirten  Archytas  zurück,  als  an  denjenigen  ,  der  gleichsam  sei- 
nes grossen  Lehrers  Worte  mitspreche,  und  ihn  durch  sein  lobendes 
IJrtheil  erhöhe,  ohne  dass  dadurch  jener  nachtheilige  Eindruck  ge- 
macht würde.  —  Matt  aber  wären  in  des  Philosophen  Munde  die 
Gemeinplätze  von  dem  Loose  der  Sterblichkeit,  wozu  es  nicht  der  An- 
nahme bedurfte,  dass  ein  Archytas  hier  spreche.  Aus  diesen  Gründen 
ist  es  off'enbar,  dass  Archytas  hier  (vs.  7 — 20)  nicht  redet. 

Die  andere  Ansicht  von  dem  Wechsel  der  Personen  ist  die  ,  \ro 
der  von  Anfang  Sprechende,  also  der  vermeinte  Schiffer,  auch  alle 
jene  Beispiele  und  Philosopheme  (vs.  7 — 20)  selbst  spricht,  mit  wieder- 
holter Apostrophirung  des  Archytas  f).  Dadurch  wird  freilich  das  judjce 
te  gerettet,  aber  neue  SchAvierigkeiten  treten  ein.  Erstlich  ist  nicht 
zu  läugnen,  dass  die  Durchführung  des  allgemeinen  Satzes  durch  die 
Beispiele  von  Heroen  und  Philosophen  in  dem  Munde  eines  Schiffers 
oder  Kaufmanns  etwas  gelehrt  klingt,  und  zu  lang  ist  für  einen  Mann, 
der,  laut  des  Endes  der  Ode,  Eil  hat.  Ein  zweiter  wichtigerer  Gegen- 
grund liegt  in  vs.  21.  Hier  zeigt  der  Uebergang  in  dem  „Auch  mich 
begrub  der  Sturm  in  den  Wellen"  deutlich,  dass  derselbe  3Iann,  der 
bishieher  redete,  auch  diese  zwei  Verse  (vs.  21,  22)  fortspricht,  da  er 


')  S.  Mitschcriich  ad  h.  I. 

")  mit  Wolf  a.  O. 

*'*)  Conjectur  des  Anonymus  bei  Cuninghaiu  ad  h.  I.,  gebilligt  von  Jani 
u.  A. 

f)  So  ohnstreitig  Ueinslus,  wie  seine  Conjectur  ic  quoque  zeigt   (bei 
Bentley  ad  v.  21). 


Uelicr  lUe  -8to  Ode  im  Iten  Uuchc  des  Iloraz.  857 

liier  in  dem  me  quoqne  olTeii])ar  nur  die  Anwendung  der  vorhergehen- 
den Sentenz  auf  den  vorliegenden  Fall  macht.  Aber  der  Selüfl'er  kann, 
wenn  er  der  Finder  des  todten  Arclivtas  ist,  nicht  sagen:  auch  mich 
begrub  der  Sturm  in  den  Wellen.  Was  blieb  übrig  als  zu  lesen:  Te 
<7Mür/uc  etc. '^  *)  Allein  nicht  nur  Ist  dies  abcrmahls  gegen  alle  MSS., 
sondern  CS  ist  auch  sonderbar,  dem  Schiller,  und  nicht  vielmehr  dem 
Verunglückten,  sagen  zu  lassen,  wo  und  wie  dieser  umgekommen. 
Obendrein  entsteht  so  eine  ganz  müssige  Wiederholung  dessen  was, 
gemäss  der  auch  dieser  Conjectur  zu  Grunde  liegenden  Ansicht,  schon 
in  den  ersten  Versen  enthalten  war,  nehmlich  dass  Archytas  umgekom- 
men sey.  Die  nochmalige  Anrede  durfte  nicht  so  leer  seyn ,  ohne  ab- 
surd zu  werden.  Spricht  hingegen  diese  Worte  (j/ie  qiioquc  etc.)  der 
Umgekommene  selbst  zu  dem  Schifl'er  ,  so  liegt  allerdings  in  der  Er- 
wähnung der  Art  des  Untergangs,  ebenso  wie  in  der  vorhergehenden 
Aciisserung:  „das  gierige  Meer  ist  der  Schiffer  Verderben",  einiges  Ge- 
wicht, nehmlich  ein  Bewegungsgrund  für  den  Schiffer  dem  Verunglück- 
ten den  Dienst  zu  leisten,  dessen  er  selbst  einst  bedürfen  kann.  Also 
Archytas  (der,  wie  wir  oben  sahen,  nicht  das  te  judice ,  also  nicht  das 
Bisherige  sprach)  müsste  bei  me  quoquo  zu  sprechen  beginnen  ").  Aber 
das  ist,  wie  schon  bemerkt,  unAvahrscheinüch ,  da  die  Verbindung  der 
Worte  und  des  Sinnes  hier  vielmehr  für  das  Fortgchn  der  llede  Einer 
Person  entscheidet.  Soll  der  Schatten  hier  unerwartet  seine  Stimme 
erheben,  so  darf  er  wenigstens  nicht  damit  beginnen,  dass  er  mit  gro- 
ssem Pathos  erzählt,  was  der  Andere  schon  weiss  und  selbst  gesagt 
hat.  Wollte  man  aber  den  Schiffer  hier  nochmals  eintreten  und  die 
Worte  Te  quoque  etc.,  nehmlich  nur  dieses  Distichon  (vs.  21,  22),  spre- 
chen lassen  ***),  so  verlöhre  man  ausser  der  wahren  Lesart  obendrein 
allen  Grund  solcher  Wiederholung  und  zerrisse  alle  Verbindung  mit 
dem  Vorhergehenden,  wie  mit  dem  Folgenden. 

In  jedem  Falle  lassen  die  Erklärer  alles  Uebrige ,  von  den  Wor- 
ten an  „Aber  du  ,  o  Schiffer"  (vs.  23)  ,  den  Archytas  sprechen.  Also, 
wo  dieser  auch  seine  Rede  beginne,  sey  es  erst  hier,  oder  bei  den 
Worten:  „Auch  mich  begrub  der  Sturm  in  den  Wogen",  oder  schon 
bei  jenen:  „Auch  des Pelops  Erzeuger  starb",  immer  werden  die  letzten 
Reden,  das  ängstliche  Flehn  um  eine  Handvoll  Sandes,  und  die  schwe- 
ren Verwünschungen  im  Verweigerungsfalle,  dem  Archytas  in  den  Mund 
gelegt,  und  diese  eben  sind  ,  w  cnn  auch  übrigens  natürlich  und  poe- 
tisch, doch  eines  Philosophen  ,  zumahl  in  der  Dichtung,  unwürdig. 
Ueberhaupt  erscheint  der  antwortende  Geist  des  Archytas,  wie  ein 
Deus  ex  machina,  künstlich  und  gewaltsam  zu  Hülfe  gerufen,  und  die 
Schwierigkeiten   nur  mehrend,    die   er  lösen    sollte.      Hierzu  kommt 


')  mit  Heinsius  a.  0. 

")  Hcrzllcb  in  seiner  Uebersetznng  und  d.  Anm.  dazn. 

'")  Dies  legt  Wt)lf  als  mögliche  Meinung  dem  Hoinsius  unter. 


S58  Abhandlung. 

selbst  der  äussere  Mangel  an  symmetrischer  Form  des  Zwiegesprächs. 
Der  Wechsel  nur  zweier  ungleich  langer  Reden  ,  nach  der  gewöhnli- 
chen Abtheilung ,  denn  eine  andere  von  besserem  Ebenmaass  ist  nicht 
möglich,  einer  kurzen  Anrede  und  einer  langen  Antwort,  ist  Aveder  der 
gewohnten  Weise  der  Dichter,  namentlich  des  Horaz,  gemäss ,  noch  an 
sich  schön ,  oder  auch  nur  zu  dramatischer  Belebung  gnügend.  An- 
derwärts zwar  würde  der  Wechsel  ungleicher  Rede  an  sich  keinen 
Zweifel  begründen ,  wenn  ihn  alles  Uebrige  bestätigte.  Hier  aber 
fragt  man  sich  natürlich:  warum  hat  der  Dichter,  wenn  er  den  wah- 
ren Dialog  verschmähte ,  nicht  vorgezogen ,  das  Ganze  Einer  Person 
in  den  Mund  zu  legen?  —  Oder  hat  er  es  vielleicht  gethan? 

Wirklich  ist  schon  der  Versuch  gemacht  worden ,  solche  Einheit 
der  Form  unserer  Ode  zu  vindicircn ;  aber  der  V'ersuch  scheiterte  an 
der  alten  Voraussetzung ,  dass  Archytas  der  Verunglückte  sey.  Bei 
dieser  Voraussetzung  giib  es  nur  zwei  mögliche  Wege,  die  Rede  ohne 
Wechsel  durcli  das  Ganze  durchzuführen.  Der  eine  wäre  anzuneh- 
men, dass  Archytas  es  scy,  der  von  Anfang  bis  Ende  spreche,  erst  sich 
selbst  anredend,  dann  zum  Scliiffer  Hebend:  eine  Annahme,  welche 
(anderer  Einwürfe  nicht  zu  erwähnen)  sich  weder  mit  dem  te  judice 
noch  mit  dem  dann  überjlüssigen  me  quoque  etc.  verträgt;  daher  diesen 
Weg  einzuschlagen  niemanden  auch  nur  eingefallen  zu  seyh  scheint.  — 
Den  andern  möglichen  Weg  nahm  der  Erklärer,  welcher  hier  nicht 
,,eine  wunderbar  dramatische  Ode"  (wie  er  sie  nennt)  nach  der  Ansicht 
der  bisherigen  Erklärer ,  sondern  von  Anfang  bis  Ende  die  Rede  vnd 
die  Empfindungen  des  Dichters  fand  *).  Schon  glaubte  ich,  da  ich  diese 
Worte  las ,  hier  einen  Vorgänger  meiner  eigenen  Ansicht  zu  finden, 
als  iclisah,  dass  Alles  auf  eine  Fürbitte  um  Bestattung  des  Archytas 
hinauslief!  Wir  verAveüen  hier  nicht  bei  Fragen  ,  die  sich  leicht  dar- 
bieten, z.  B.  woher  dies  ängstliche  Flehn,  mit  Verheissung  und  Dro- 
hung und  mit  Bitten  um  nur  drei  flüchtige  Würfe  Staubes ,  ganz  im 
Tone  eines  für  sich  selbst  und  für  seiner  Seele  Heil  Flehenden  ,  wenn 
es  eine  blosse  Fürbitte  gilt?  Erklärt  man  mit  jenem  Ausleger  den  stei- 
genden Affect  (vs.  30  IT.)  dadurch,  dass  der  redende  Dichter  sehe  oder 
sich  denke,  wie  der  Schiffer  schon  achtlos  vorbeisegeln  will,  so  bestä- 
tigt dies  eben  die  natürliche  Annahme  des  für  sich  selbst  heftig  beweg- 
ten Geniüthes.  Und  wie  kann  der  Dichter  dann  sagen  :  ,, nicht  unge- 
rächet  werde  ich  bleiben,  wenn  du  mich  verlassest"  (prccibiis  non  lin- 
quar  inultis),  was  keineswegs  so  viel  heissen  kann  als  „die  Versclimä- 
hung  meiner  Fürbitte  wird  aa  dir  gerächet  werden"?  *')    Endlich,  wie 


*)  D.  Atifsafz:  „Ueber  Hör.  28te  Ode  d.  1  B," ,  unterzeichnet  H,  in 
der  Z<it»ichrift:  Philosophische  Blicke  auf  Wissenschaften  und  Menschen- 
Iclx'H  —  hf;b.  V.  J.  L.  F.  Hoinzelmiinn  und  L.  D.  Voss.  Halle  bei  Hem- 
merde u.  Scluvetsdike  178«),  Bd.  1  St.  1,  S.  I*i0  — 127,  besonders  S.  124  f. 
(s.  dagegen  F.  A.  Wolf  in  d.  vermischten  Schriften  u.  Aufs.  a.  O.) 

'*)  So  istOdyss.  X,  73  das  /^jj  rot  rt.  &B(üv  fiijvtfiu  y^vco/iai  der  Bitte 
des  Elpenor  für  sich  ura  Bestattung,  nicht  einer  Fürbitte  hinzugefügt. 


liebt!!-  die  28le  Ode  im  Iton  Buche  des  Ilora/,.  85U 

kommt  der  Dichter  dazu,  den  Tod ten  anzureden  ,  und  zu  8a<;cn  ,,  wu 
jener  am  Ufer  liegt,  wenn  der  Dichter  gelbst  lern  ist?  ist  er  aber  nahe 
und  äielit  das  Gebein,  vor  deniäelben  stehend  (wie  die  Scene  dann  zu 
denken  wäre),  was  hindert  ihn ,  c»  selbst  zu  bestatten?  Wir  wieder- 
holen nicht  die  Gründe  der  oben  erwiesenen  Unwahrscheinlichkeit  der 
auf  falschen  Erklärungen  von  vs,  2  u.  3  beruhenden  llypctthescn ,  dass 
Archytas  hier  unbcgraben  liege ,  und  dass  Horaz  nach  einem  griechi- 
üchen  Originale  dichte.  Das  Eine  gnügt  schon  zur  Widerlegung  der 
Fürbitte  des  Dichters ,  dass  zwar  die  Lesart  der  MSS.  judice  t  e 
durch  die  Annahme  der  fortlaufenden  Rede  des  Dichters  gerettet  wird, 
dafür  aber  bei  Annahme  der  Fürbitte  die  Conjectur  te  quoque,  für  wel- 
che ausser  dem  nichts  spriclit  '),  trotz  aller  MSS.  aufgenommen  werden 
muss !   Incidit  in  Scyllam,   qui  vnlt  vitare  Char^bdim. 

Und  was  soll  nun,  abgesehen  von  den  Schwierigkeiten  im  Einzel- 
nen,  und  wie  man  immer  die  redenden  Personen  ordnen  möge,  der 
Inhalt  und  der  Zweck  der  ganzen  Ode  seyn  ?  Ist  der  Gegenstand  ein 
geschichtlicher,  besonderer,  nehmlich  das  Bcgräbniss  und  die  Ehre  des 
Archytas,  so  frage  ich  nochmahls,  wie  kommt  Horaz  dazu?'*)  und 
Ist  er  ein  allgemeiner,  z.  li.  die  Sterblichkeit  der  Menschen,  die  Pflicht 
der  Todtenbcstattung,  was  ist  dazu  die  Veranlassung,  ohne  welche 
jene  Gemeinplätze  frostig  seyn  würden ,  und  die  in  der  Ode  selbst  au- 
gedeutet seyn,  nicht  aber  auf  eine  willkührliche  und  unwahrscheinliche 
Weise  hineingetragen  werden  müssten?  "*)  Und  wo  i»t  die  Einheit 
des  Gedankens?  War  die  heilige  Pflicht  der  Todtenbcstattung  der  (Ge- 
genstand des  Dichters,  warum  denn  soviel  vom  Loose  der  Sterblich- 
keit? und  sollte  die  Nothwendigkeit  des  Sterbens  besungen  v  erden, 
wozu  dann  das  Beispiel  des  unhegrabenen  Archytas ,  und  wozu  da* 
Flehn  um  Bestattung  ? 

Der  Ausweg  also?  Es  wird  dessen  gar  nicht  erst  bedürfen,  und 
es  wird  Einheit  des  Sinnes  zugleich  mit  der  Einheit  fortgehender  Rede 
und  mit  den  sämmtlichcn  beglaubigten  Lesarten  recht  wohl,  ja  noth- 
wendig  bestehen,  wenn  man  nur  die  selbstgeschaffene  Hauptschwierig- 
keit wegräumt,  die  Hypothese  aller  Erklärer,  welche  eben  sowohl  an 
sich,  wie  wir  oben  sahen,  unhaltbar  ist,  als  sie  durch  die  Widersprü- 
che im  Einzelnen  widerlegt  wird.  Also:  nicht  unbegraben  ist  Archy- 
tas  ,•  nein,  wohlbestaltet  ist  er  am  Matinischen  Vorgebirge,  unfern  Ta- 
rent,  wie  wir  gesehen  haben.  Schon  dadurch  fällt  alles  zusammen, 
was  man  auf  so  morschem  Grunde  baute.  Warum  aber  wird  jener 
zuerst  angeredet?  vreil  seine  Grabstätte,   sein  Grabmahl  vor  Av gen  oder 


*)  Wie  Hr.  H.  a.  O.  selbst  ausdrücklich  eingesteht  S.  124,    wo  er  dies 

Te  nur  wigea  seiner  Ansticht  des  Zusanuuenhangs  aufnimmt. 

")  Daher  Cruquius  lieber  einen  Astrologen  Tarutius  (aus  Cic,  Div.  U, 
47)  und  Baxter  gar  den  Brutus  unter  der  Kappe  des  Archytas erblicken! 

*'*)  Etwa  wegen  der  unbegrabencn  Todten  des  Bürgerkriegs !     Se  Du- 
hamel.    S.  Vanderbours  1.  1.  S.  150. 


360  Abhandlung. 

in  der  Nähe  des  Sprechenden  war,  und  weil  so  der  gleichsam  sichthare 
Archytas  sich  als  Beispiel  darbot  des  allgemeinen  Looses  der  Sterbli- 
chen, das  auch  derer  wartet ,  die  sich  schon  im  Leben  über  das  Irdi- 
sche erheben.  Gleichgültig  ist  es  also,  wie  lange  schon  Archytas  hier 
in  seinem  Grabe  ruhet,  und  es  bedarf  nicht  erst  eines  griechischen  Ori- 
gitials.  —  Aber  wer  ist  der  von  Anfang  bis  Ende  Sprechende  und  fle- 
hentlich um  eine  Handvoll  Sandes  Bittende?  Ohne  Zweifel  liegt  ein 
wirklicher  Vorfall  zu  Grunde,  wie  in  mehreren  Gedichten  des  Horaz. 
Es  spricht  nach  des  Dichters  Vorstellung  ein  Schiffbrüchiger,  wer  er 
auch  sey,  ein  in  den  Wellen  Umgekommener  und  an  das  Calabrische 
Ufer  Ausgeworfener,  dessen  Schicksal,  aus  Avas  immer  für  einem 
Grunde,  dem  Horaz  wichtig  genug  war,  ihn  zu  so  theilnahmvoller 
Dichtung  zu  veranlassen.  Der  Schatten  redet  den  unfern  im  Grabe  ru- 
henden Archytas  an,  durch  sein  und  Anderer  Beispiel  sich  tröstend  wegen 
des  Todes,  und  zuletzt  bittet  er  irgend  einen  etwa  Vorheischiff enden  um 
Bestattung  seiner  Gebeine.  Dies  ist  das  Wesentliche  in  der  Vorstellung 
des  Dichters  nach  unserer  Ansicht,  und  wir  könnten  dabei  stehn  blei- 
ben, da  auch  dieses,  in  seiner  Allgemeinheit  und  geschichtlichen  Un- 
bestimmtheit, doch  schon  genügen  kann,  als  eine  poetische  Idee,  de- 
ren Ausführung  unabhängig  ist  von  der  Veranlassung,  so  dass  es  nicht 
erst  einer  genauem  Kunde  dieser  letztern  bedarf  zur  Deutlichkeit  des 
Gedankenganges  und  zur  dichterischen  Wirkung  der  Ode. 

Sollen  wir,  um  den  Grund  zu  finden,  weshalb  eben  dort  und 
nicht  anderswo  die  Scene  unserer  Ode  ist,  die  möglichen  Fälle  zählen, 
z.  B.  dass  Horaz  durch  den  Tod ,  den  einer  seiner  Freunde  an  jener 
Küste,  unfern  dem  gewöhnlichen  gefahrvollen  Seewege  zwischen  Brun- 
dusium  und  Griechenland,  gefunden  hatte  ;  oder  auch  dass  er  nur  durch 
den  Gedanken  grosser  Gefahr,  in  welcher  ein  dort  zur  See  gegangener 
Freund  schwebte,  wie  zur  Ode  an  das  Schiff,  das  den  Virgil  trug, 
60  hier  zu  der  kühneren  Vorstellung  des  über  dem  Gebeine  schweben- 
den,  redenden  Schattens  veranlasst  war;  oder  endlich,  dass  Horaz 
selbst  einst  unbedeckte  Gebeine  von  Schiffbrüchigen  sah  in  jener  Ge- 
gend, unfern  seinem  öfters  wiedergesehenen  Heimathlande  Apulien, 
eey  es  auf  dem  bei  Tarent  gelegenen  Gute  seines  Freundes  Septimius, 
von  dem  er  singt  *} :  „  Scheiden  von  meinem  Tibur  mich  die  Parzen, 
Bo  will  ich  zu  den  Fluren  gehn,  die  einst  Phalantus  beherrschte  —  je- 
ner Winkel  lacht  mir  vor  allen,  —  dort  benetzest  du  mit  deiner  Thräne 
einst  die  Asche  des  befreundeten  Sängers"  —  oder  vielleicht  im  Ver- 
folg jener  Brundusischen  Reise  ,  die  durch  des  Antonius  Ankunft  in  Ta- 
rent veranlasst  war"),  oder  schon  in  den  Zeiten  seines  Kriegsdienstes 
und  seiner  Studien  in  Griechenland  "*)  —  kurz  bei  irgend  einem  Be- 


*)  Od.  2,  6,  10  sqq. 

*♦)  Serm.  I,  5.   Vgl.  Dio  Cass.  1.  48extr.    S.  Mitscherl.  ed.  Hör.  p. 

cxxn. 

*♦*)  Horat.  Epist.  2,  2,  42—50;    Hör.  vita  Suet.  und  dio  Vita  e  mss. 
Blandd.  bei  Cruq.  (b,  Mitscherl.  p.  CLXUj). 


Uebcr  die  28te  Ode  im  Itcn  Buche  des  Iloraz.  861 

suche  jener  Gegend,  wozu  viel  Raum  ist  in  den  Lücken  der  Lchcns- 
heschreibungen  des  Iloraz.  D.iher  auch  mehrere  Erklärer  unserer  Ode 
den  Iloraz  dortliin  reisen  lassen,  aber  nur  um  dort  vom  Ertrinken  des 
Arcliytas  zu  hören! 

Lassen  wir  das  Spiel  der  Möglichkeiten,  und  wagen  die  scheinbar 
kühnere,  aber  in  der  That  einfachere  und  näher  liegende  Vermuthung: 
Horaz,  der  von  sich  sagt:  „Ich  weis,  vms  Iladria's  schwarze  Ihicht  ist, 
und  Avas  der  Lipyx  sündigt'',  und:  „Tibur  —  sey  das  Ziel  mir,  müdem 
des  Meeres  und  der  JFoge^'^  *),  Iloraz  selbst  ist  der  einst  auf  einer 
Fahrt  an  jener  Küste  durch  Sturm  Gefährdete.  Wie  er  anderwärts  auf 
einer  jener  Ueberfahrten  seine  Rettung  besingt  aus  den  Gefahren,  die 
der  Sabinische  Wolf,  die  der  verhängnissvolle  Baum  ihm  brachte  und 
einst  auch  die  Sicilische  See  am  Vorgebirge  Palinurus,  auf  einer  eben- 
falls sonst  nicht  erwähnten  der  Zeit  nach  unbestimmbaren  Seefahrt  *'), 
so  versetzt  er  hier  dichtend  sicli  zurück  in  jene  Lage,  wo  er,  den  Un- 
tergang des  Fahrzeugs  fürchtend,  schon  im  Geiste  seine  Gebeine  am 
nahen  Gestade  liegen  sah,  und  als  Scliatten  sie  umschwebend,  auf  das 
vor  Augen  liegende  Grab  des  Archytas  schauet  und  zuerst  diesen  an- 
redet, um  von  ihm  und  den  diesem  verwandten  grossen  Beispielen 
Trost  zu  entlehnen,  nachher  aber  irgend  einen  Schiffer  um  Bestattung 
für  sich  anzuilehn.  Wie  Horaz  dort,  wo  er  nach  der  Gefahr,  die  ihm 
der  fallende  Baum  brachte,  von  sich  als  dem  Geretteten  spricht,  doch 
sich  im  Geiste  schon  in  den  Orcus  versetzt  und  dessen  Gestalten  uns 
vorführt  "*) ,  so  war  es  eine  natürliche  und  zugleich  dichterisch  kühne 
nnd  würkungvolle  Wendung,  das  als  wirklich  darzustellen,  Avas  sich 
der  Phantasie  in  der  Stunde  der  Gefahr  aufdrängte.  So  wie  diese  V'or- 
stellung,  sich  schon  todt,  ja  schon  im  Grabe  zu  denken,  bei  mancher- 
lei Veranlassungen  nicht  selten  ist  in  der  Poesie  und  im  Leben  ,  eben 
so  ist  die  Wendung,  Personen  anzureden,  die  bloss  vermöge  der  Ein- 
bildungskraft gegenwärtig  sind,  das  gemeinsame  oft  ausgeübte  Recht 
nicht  nur  der  Dichter,  sondern  auch  jedes  bewegten  Gemüthes.  Man 
wird  nicht  etwa  einwenden,  dass  Horaz,  weil  er  nicht  Pythagoreer 
war,  nicht  so  zu  Archytas  gesprochen  haben  Avürde ;  denn  eben  darum 
hält  er  sich  nicht  an  die  besondere  Lehre  der  Seelenwanderung,  son- 
dern an  die  allgemeinere  der  Seelenfortdauer,  und  auch  das  te  judice 
in  dem  Munde  des  Nichtpythagoreers  ist  nun  um   so  weniger  müssig  f). 


')  Od.  2,  6,  7:  lassiis  maris  — .  Od.  3,  27,  18:  ego  quid  sit  ater  II a- 
driae  sinus  novi  (i.  e.  expertus  sum). 

••)  Od.  I,  22.  cf.  1,  34;  2,  13;  Od.  3,  4,28.  In  der  letzten  Stelle,  die 
des  Horaz  Land-  und  Seegefahren  umfasst ,  steht  das  Erwähnte  zugleich 
iür  das  gleichartige  Kichterwähnte,  wie  z.B.  für  die  Sabinische  Gefahr, 
BD  für  die  Adriatische. 

"*)  Od.  2,  13,  21  sqq. 

f)  Sanadon  vermisst  in  der  angeblichen  Rede  des  Archytas  den  äch- 
ten Pythagoreism.  —  Nach  Torrentius  soll  gar  Spott  über  die  Pythago- 
reer (wegen  Hör.  Serm.  2,  6,  63;  Epod.  15,  21),  der  Zweck  der  Rede 
eeyn! 


362  Schul-  und  Unlversltütsnachrichten, 

Audi  sieht  man  nun ,  dass  der  Dichter  die  vom  Grabe  des  Ärchytas 
veranlassten  Beispiele  geistig  grosser  liininielan  gestiegener  Sterblicher 
leichter  stillschweigend  auf  sich  anAvenden  konnte ,  als  andere  ihm 
gelbst  fremdartigere  oder  von  keinem  örtlichen  Anlass  dargebotene  Bei- 
spiele. Nun  auch  Averden  wir  bei  dem  Matinischen  Ufer  und  den  Ve- 
nusischen Wäldern  uns  nicht  nach  einem  griechischen  Originale  um- 
sehn,  so  wenig  als  bei  der  ortgemässen  Anrufung  des  Tarentischen 
Neptun.  Mit  dem  innern  Werthe  der  poetischen  Erfindung  und  des 
durch  seine  Wahrheit  ergreifenden  selbsteigenen  Gefühlausdrucks  ver- 
bindet sich  nun  die  Einheit  sowohl  der  Form  der  ganzen  Ode  als  des 
Inhalts  der  einzelnen  Theile  in  allseitiger ,  ohne  sprachwidrige  Erklä- 
rung und  ohne  Verletzung  handschriftlicher  Lesarten  sich  bewähren- 
der Uebereinstimmung. 

Leipzig  1829.  B.   G.    Weislie. 


Schul-  und  Uiiiversitätsnachrichten ,    Beförderung eii  und 
Ehrenbezeigungen. 

xSerli!«.  Die  Universität  zählt  in  jetzigem  Winter  1909  Studenten, 
worunter  579  Ausländer  und  269  Berliner.  Von  ihnen  gehören  025  zur 
theolog.,  712  zur  Jurist. ,  308  zur  mcdic,  2ß4  zur  philosophischen  Fa- 
cultät.  Dem  geh.  Medicinalrathe  Dr.  Klug  ist  in  seiner  Eigenschaft 
als  ausserordentlicher  Professor  bei  der  Universität  eine  Besoldung  von 
400  Thlrn. ,  dem  ausserord.  Professor  der  medic.  Facultät  Dr.  Jüngken 
eine  Besoldung  von  300  Thlrn.  ausgesetzt  Avorden.  Von  der  Akademie 
der  Wissenschaften  sind  die  Professoren  Horkel,  Klug  und  Kunth  zu 
einheimischen  ordentlichen  und  der  Baron  von  Poisson  in  Paris  zum 
auswärtigen  ordentlichen,  der  Professor  von  Jacqidn  in  Wien  a]»er  zum 
Ehren  -  Blitgliede  ernannt  Avorden,  Der  Lehrer  Ferdinand  ßerger  hat 
das  Prädicat  eines  Professors  der  Kön.  Akademie  der  Künste  erhalten. 
Die  Vorsteher  des  Brittischen  Museums  in  London  haben  dem  Preuss. 
Gesandten  daselbs:  für  zAvei  Königl.  Preuss.  Universitäten  zAvei  Pracht- 
exemplare des  grossen  Katalogs  der  geographischen  und  typographi- 
schen Sammlung  übersandt,  die  einen  Theil  der  im  Jahre  1823  vom 
Könige  in  England  dem  Museum  geschenkten  Bibliothek  bildet.  Vgl. 
Jbb.  XII,  124. 

Bo\N.  Die  Universität  zählt  diesen  Winter  988  Studenten,  von 
denen  143  Ausländer  sind  ,  100  zur  evang.-  und  309  zur  kathol. -theo- 
log., 22fi  zur  Jurist.,  Iü8  zur  medic,  238  zur  philosoph.  Facultät  ge- 
hören ,  und  47  nicht  immatriculiert  sind.  Die  1804  in  Bombay  unter 
dem  Vorsitze  des  berühmten  Sir  James  Mackinlosh  gestiftete  literarische 
Socictät,  deren  Thätigkeit  durch  3  Quartbände  Abhandlungen  sich  be- 
Avährt  hat ,    hat  den  Prof.  von  Schlegel  zum  auswärtigen  Mitgliede  er- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.         S03 

nannt.  Ein  Schreiben  des  Gouverneurs  von  Bomhay,  Sir  John  Malcolm, 
vom  3  Juli  1821)  benachrichtigt  den  Prof.  v.  Schlegel  von  dieser  Ernen- 
nung. Ebenderselbe  hat  an  Schlegel  eine  Sendung  von  Manuscripten 
u.  Asiatischen  Antiquitäten  geschickt.  Der  geh.  Medicinalrath  und  l'rof. 
von  jralther  hat  einen  Ruf  nach  München  erbalten  und  angenonuiuin. 

Breslau.  Der  bisher.  CoUaborator  GuUmann  ist  zum  achten  Col- 
legcn  am  St.  Elisabeth-Gymnas.  ernannt,  dem  Oberlehrer  Dr.  JVksowa 
am  kathol.  Gyranas.  das  Directorat  des  Gjmnas.  in  Leobscultz  über- 
tragen worden. 

Hannover.  Das  Kön.  Cabinets- Ministerium  hat  die  Errichtung 
eines  OberschulcoHegiums  beschlossen,  welchem  die  Leitung  aller  ho- 
hem Schulanstalten  des  Königreichs  anvertraut  werden ,  und  Avelclies 
seinen  Sitz  in  Hannover  haben  soll.  Zum  Director  desselben  und  zum 
Generalinspector  der  höhern  Schulanstalten  ist  der  Consistorial  -  und 
Schulrath  Dr.  Kohlrausch  in  Müivster  berufen  >vorden ,  welcher  diesem 
Rufe  folgen  wird  und  um  seine  Entlassung  aus  Künigl.  Preuss.  Staats- 
dienste nachgesucht  hat. 

Hildburghause?!.  Der  Schulrath  und  Professor  am  Gymnasium 
Heinr.  jnih.  Friedr.  Klein  ist  zum  Hofprediger  iu  Eiseneerg  und  zum 
Kirchenrathe  ernannt  worden. 

Königsberg.  Der  ausserordentl,  Professor  Dr.  Gchser  ist  zum  or- 
dentlichen Professor  in  der  theolog.  Facultät  befördert  worden, 

Lowes.  Das  philosophische  CoUcgium  ist  aufgehoben  Avorden; 
doch  sollen  die  Vorlesungen  noch  bis  zu  Ende  des  akademischen  Jah- 
res 1830  fortdauern. 

Macdebitig.  Dem  Propste  Dr.  Roetger  ist  bei  seiner  am  31  Jan. 
begangenen  Jubelfeier  für  seine  Ehegattinn  im  Falle  seines  frühern  Ab- 
lebens eine  Pension  von  400  Thlrn.  jährlich  verheissen. 

MirNCHEN  zählt  jetzt  1854  Studenten,  von  denen  192  Ausländer 
Bind,  443  für  Theologie,  405  für  Jurisprud. ,  248  für  Medic. ,  48  für 
Pharmaceutik,  10  für  Kameral-  und  640  für  allgemeine  Wissenschaften 
eingeschrieben  sind  und  von  51  Professoren ,  15  Hunorardocenten  und 
25  Privatdocenten  unterrichtet  werden. 

Paris.  Durch  eine  Kön.  Ordonanz  vom  11  Nov.  1829  ist  die  von 
Ludwig  XVIII  gestiftete  Urkundenschule  (Ecole  royale  des  Chartes)  be- 
stätigt und  am  2  Jan.  d.  J.  eröffnet  worden.  Sie  lehrt  ihre  Zöglinge 
zuerst  in  einem  jährigen  Eleraentarcursus,  welclier  im  Kön.  Archiv  ge- 
halten wird,  die  Urkunden  der  verschiedenen  Zeiten  entziflern  und  le- 
sen. Dann  folgt  ein  zMeiter  zweijähriger  Cursus  auf  der  Kön.  Biblio- 
thek für  Französ.  Diplomatik  und  Paläographie.  In  demselben  werden 
den  Zöglingen  die  verschiedenen  Mundarten  des  Mittelalters  erklärt  und 
ihnen  Anweisung  zur  Kritik  der  geschriebenen  Denkmäler  jener  Zeit 
gegeben,  so  wie  dazu,  die  Aechtheit  derselben  zu  erkennen.  Die 
Zahl  der  Kön.  Pensionszöglinge  ist  auf  6,  höchstens  8  angesetzt,  de- 
ren jeder  800  Fr.  jährlich  erhält.  Keiner  darf  bei  seiner  Aufnahme 
unter  18  Jahr  alt  und  niuss  Baccalaureus  (Magister)  seyn.  Alle  Jahre 
kommt  in  der  Kön.  Druckerei  ein  Band  Urkunden,  welche  die  Zöglinge 


364  Schul-  und  Uni  ver  sltäts  nachr  ichten, 

übersetzt  haben  ,  mit  g'er^-enüberstehender  Uebersctzung'  heraus.  Die 
Saiuiulung  erscheint  unter  dem  Titel:  Bibliothek  der  Kbnigl.  Urkunden- 
Schule.  Alle  darin  aufzunehmenden  Stücke  müssen  zuvörderst  einer 
Commisision  vorgelej^t  werden,  welche  aus  dem  beständigen  Secretair 
und  zwei  Mitgliedern  der  Akademie  der  Inschriften,  zwei  Bibliotheka- 
ren der  Kön.  Bibliothek  und  dem  Archivar  des  Reichs  besteht.  Wäh- 
rend der  Studienzeit  nehmen  die  Zöglinge  an  den  Arbeiten  der  Manu- 
ecripten- Kammer  der  K.  Bibliothek,  so  wie  an  dem  K,  Archiv  Theil, 
und  haben  sich  in  dieser  Hinsicht  nach  allen  den  Vorschriften  zu  rich- 
ten ,  wie  die  bei  diesen  Behörden  Angestellten.  Die  sämmtlichen  Zög- 
linge der  Urkunden -Schule  können  sich  um  die  Aufnahme  unter  die  K. 
Zöglinge  bewerben.  Die  Entscheidung  über  ihre  Zulassung  hängt  von 
der  oben  genannten  Comraission  ab,  die  eine  doppelte  Liste  von  Be- 
werbern ,  zuerst  für  den  Monat  November  1830,  und  späterhin  bei  Ge- 
legenheit eines  jeden  Wechsels  der  Kön.  Pensionäre  einreichen  muss. 
Ausser  der  „Bibliothek  der  Urkunden- Schule"  erscheint  in  der  Kön. 
Druckerei  alljährlich  und  auf  ähnliche  Weise,  unter  der  Leitung  der 
oben  genannten  Commission ,  ein  Band  Französ.  Urkunden,  in  chrono- 
logischer Ordnung  und  mit  kritischen  Bemerkungen.  Diese  Sammlung 
wird  den  Titel  „Bibliothek  der  Französ.  Geschichte"  führen.  Von 
dem  zur  Beförderung  der  Wissenschaften  und  Künste  im  Budjet  festge- 
setzten Quantum  werden  3000  Fr.  zur  Belohnung  für  diejenigen  Zög- 
linge bestimmt,  deren  Arbeiten  sich  am  meisten  in  jenen  Sammlungen 
auszeichnen.  Die  Akademie  der  Inschriften  schlägt  dazu  vor.  Nach 
den  vollendeten  zwei  Studienjahren  werden  die  Zöglinge  der  Diploma- 
tik  aufs  neue  von  den  Richtern  für  den  ersten  Cursus  geprüft.  Dieje- 
nigen, welche  diese  Prüfung  bestellen,  erhalten  von  dem  Minister 
Staats- Secretair  das  Patent  eines  Paläographen- Archivars  (archiviste 
paleograpbe)  und  werden  bei  der  Erledigung  der  Hälfte  der  Stellen  in 
den  öffentlichen  Bibliotheken  (der  Kön.  Bibliothek  in  Paris  ausgenom- 
men),  den  Archiven  des  Reichs  und  den  versclüedenen  wissenschaftli- 
chen Anstalten  vorzugsweise  berücksichtigt.  Der  Minister  Staats -Se- 
cretair des  Innern  hat  den  Befehl,  das  nöthige  Reglement  für  die  Disci- 
plin  und  Stiidienordnung  in  der  Urkunden- Schule  zu  entAverfen,  nach- 
dem er  zuvor  das  Gutachten  der  Akademie  der  Inschriften  eingeholt 
hat.  —  Laut  der  Nachrichten  in  der  Gazette  de  Tinstruction  publique 
vom  25  Octbr.  1829  ist  am  5  Nov.  die  neugegründete  Handlungs-  und 
Industrieschule  eröffnet  worden.  Besondere  Lehrstühle  an  derselben 
sind  erriclitet:  1)  für  die  auf  den  Handel  bezügliche  Gesetzgebung, 
2)  für  die  auf  den  Handel  angewandte  Mathematik ,  3)  für  die  Fran- 
zösische Literatur ,  4)  für  Geschichte ,  Geographie  und  Statistik,  5)  für 
die  Chemie  in  ihrer  Anwendung  auf  Gewerbe,  6  —  9)  für  Englische, 
Spanische  ,  Italienische  und  Neugriechische  Sprache. 

PuEirssEiv.  An  die  Kön.  wissenscliaftlichen  Prüfungscommissionen 
des  Königreichs  hat  der  Staatsministcr  Frcilierr  von  Altenstein  unter  dem 
26.  Octbr.  1829  folgende  Verfügung  erlassen:  „Um  zu  verhindern,  dass 
CS  den  Schulanits  -  Candidaten ,  welche  von  einer  Königl.  Wissenschaft- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  365 

liehen  Prüfungä-Commission  in  der  Prüfung  pro  fiicultate  docendi  kein 
genügendes  Zeugniss  erluilten   hiiben,   oder  auf  eine  Zeit  lang  als  un- 
tüchtig zurücligcv. icscn   Mcrden  müssen ,    nicht  Avie  hercits  geschehen 
ist,   durch  Verschweigung  dieses  Uinstandes  gelinge,   hei  einer  andern 
Kön.  wissenschaftlichen  l'rüfiings-Commission  sogleich  wieder  zugelas- 
sen zu  Averden,   und  von  dieser  das  versagte  Zeugniss  zu  erhalten,   wird 
sänimtlichen  Königl.  Prüfungs  -  Coinniissionen  liicrdurch  Folgendes  zur 
Pflicht  gemacht :   1)  Die  Kön.  Avissenscliaftl.  Prüfungs  -  Coniiuission  hat 
künftig  von  jedem  Falle,  wo  sie  einen  Schulamts -Candidaten  als  noch 
untüchtig  zu  einer  Anstellung  an  einem  Gjmnas.  und  an  einer  höhern 
Bürgerschule   zurückgewiesen  hat,   den  übrigen  Königl.  wissenschaftl. 
Prüfungs- Comraissionen  sofort  Mittheilung  zu  machen,  und  denselben, 
ausser  dem  vollständigen  Namen  und  Geburtsort  des  Zurüc-kgewiesenen, 
die  Bemerkung,  auf  Avelche  bestimmte  Zeit  ihm  das  erforderliche  Zeug- 
niss versagt  worden,    so   Avie  eine  Uebersicht  der  Prüfungs -Resultate 
in  den  einzelnen  Fächern,    nicht  minder  die  etAva  obwaltenden  Beden- 
ken gegen  sein  Verhalten  in  sittlicher  Hinsicht  beizufügen.      2)   Es   ist 
keiner,  der  auf  eine  bestimmte  Zeit  zurückgcAviesen  worden,   vor  Ab- 
lauf derselben  zu  einer  neuen  Prüfung  zuzulassen.      3)  Schulamts-Can- 
didaten ,  die  zwar  nicht  auf  eine  bestimmte  Zeit  zurückgcAviesen  Avor- 
den,   aber  doch  in  der  ersten  Prüfung  ein  so  ungünstiges  Zeugniss  er- 
halten haben,   dass  sie  in  keinem  Lehrgegenstande  zum  Unterrichte  in 
den  mittlem  Classen  eines  Gymnae.  oder  einer  höhern  Bürgerschule  für 
fähig  erklärt  Avorden ,   dürfen  nicht  vor  Ablauf  von  zAvei  Jahren  zu  ei- 
ner neuen  Prüfung  zugelassen  werden.      4)  Bei  der  Aviederholten  Prü- 
fung ist  auf  grössere  Reife  und  Tüchtigkeit  in  den  Disciplinen,   in  Avel- 
chen  es  dem  Geprüften  bei  dem  ersten  Examen  an  der  nöthigen  Kennt- 
niss  und  Geschicklichkeit  gefehlt  hat,  ganz   besonders  zu  achten.      5) 
Sollte,  wider  Erwarten ,  der  Fall  eintreten,   dass  Ausstellungen  gegen 
die  Moralität   des  Geprüften  die  Ursache   des  ZurückAveisens  gCAvesen, 
so   ist  ihm   das   Prüfungs -Zeugniss ,    auch  wenn  er  die  erforderlichen 
Kenntnisse  zeigen   sollte,    doch  nur  unter  der  Bedingung  zu  ertheilen, 
dass  er  die  zuverlässigsten  Zeugnisse  seines  Wohlverhaltens  beigebracht 
hat,  Avobei  es  nicht  genügt,   dass  sie  in  allgemeinen  und  verneinenden 
Ausdrücken,    z.B.   dass  nichts   Widriges  bekannt  sey,    abgefasst   sind, 
fiondern  auf  eine  so  specielle  Abfassung  gehalten  Averden  muss,   dass 
sich  aus  ihnen  die  Wahrscheinlichkeit  der  erfolgten  Besserung  schöpfen 
lässt.      Es  Avird  dabei  immer  ZAveckmässig  seyn,   die  Ansichten  der  Kön. 
■wissenschaftl.  Prüfungs  -  Commission  ,    welche  jene   Ausstellungen   ge- 
macht hat,  vorerst  zu  vernehmen.  —    Zu  Mitgliedern  der  wissenschaft- 
lichen Prüfungs-Commission  für  das  Jahr  1830  sind  ernannt :  in  Berlin 
der  DIrector  Dr.  Köpke  für  das  Fach  der  Geschichte  und  Geographie, 
der  Schulrath  Otto  Schulz  für  das  der  Mathematik  u.  Physik,  der  Prof. 
H.  Ritter  für  das  der  Philosophie  und  Pädagogik,  der  Prof.  Lachmann 
für  Philologie,     der  Consistorialrath  Brescius  für  Theologie   und  Ile- 
hräisch ;   in  Breslau  der  Consistorialrath  Menzel  für  Gesch.  u.  Geogr., 
der  Prof.  Dr.  Scholz  für  Math,  und  Physik,    der  Prof.  Dr.  Braniss  für 


366  Schul-  und  Univ  ersitutsnachrichten, 

Philos.  u.  Pädag. ,  der  Oberlehrer  Dr.  Bach  für  Philol.,  der  Consisto- 
rialrath' Don  Cöln  für  Theol.  u.  Hebr. ;  in  Kömcseeec  der  Prof.  Lobeck 
für  Piniol.,  der  Prof.  Bessel  für  Mathem.  u.  Physik,  der  Prof.  Schubert 
für  Gesch.  u.  Geogr.,  der  Director  Gotthold  für  Philos.  u.  Pädagogik, 
der  Prof.  Olshausen  für  Theol.  u.  Hebr.;  in  Haile  der  Prof.  Voigtcl 
für  Gesch.  urd  Geogr.,  der  Prof.  Meier  für  Philol.,  der  Prof.  Scherk 
für  Mathem.  u.  Physik,  der  Prof.  Gruber  für  Philos.  u.  Pädagog.,  der 
Prof.  Guericke  für  Theol.  u.  Hebr.;  in  Bonn  der  Prof.  Diestenvcg  für 
Mathem.  u.  Physik,  der  Prof.  Heinrich  für  Philol.,  der  Prof.  JJlndisch- 
mann  für  Philos.  u.  Pädag. ,  der  Prof.  Label  für  Gesch.  ii.  Geogr.,  der 
Oberconsistorialrath  Augusti  für  Theol.  u.  Hebr.;  in  Mi.\ster  der  Con- 
Eistorialrath  Kohlrausch  für  Gesch.  u.  Geographie,  der  Prof.  Grauert  für 
Philol.,  der  Director  Nadermann  für  PJiilos.  u.  Pädag.,  der  Dr.  Bau- 
viann  für  Math.  u.  Physik,  der  Consistoriairath  SchmülUng  für  Theol. 
u.  Hebr.  —  Sr.  Maj.  der  König  haben  dem  wirklichen  Oberconsisto- 
rialrathe  Dr.  Ehrenberg  in  Berlin  den  rothcn  Adlerordcn  2r  Classe  ver- 
liehen ;  denselben  3r  Classe  aber  dem  geheimen  Oberregierungsrathe 
Uhden,  dem  geh.  Medicinalrathe  Dr.  Klug,  dem  Consistorialrathe  Dr. 
Brescius,  den  Professoren  Mitscherlich  u.  Enke  und  dem  Director  Spil~ 
lecke  in  Berlin,  dem  Prof.  Lobeck  in  Königsberg,  dem  Consistorial- 
rathe Bibbeck  inERFiT.T,  und  dem  Regierungs-  und  Schiilrathe  JFciss 
in  Mersebi  RG.  Der  Prof.  Dr.  Stein  in  Berlin  hat  in  Folge  seiner  Stif- 
tung am  Gymnasium  zum  grauen  Kloster  [Jbb,  XI,  357.]  den  rothea 
Adlerorden  3r  Classe  nebst  einem  allergiiädlgsten  Handschreiben  und 
der  Conrector  ffenzcl  zu  Landsberg  a.  d.  W.  den  rothen  Adlerorden  4r 
Classe  erhalten.  Zur  Unterstützung  von  liofFnungsvolIen  und  hülfsbe- 
dürftigen  Söhnen  verstorbener  Geistlichen  und  Schullehrer  ist  für  das 
Jahr  1830  die  Summe  von  5000  Thlrn. ,  zur  Einrichtung  einer  Profes- 
soren-Wittwen-  und  Waisen- Casse  bei  der  Universität  in  Königsberg 
ein  jährlicher  Zusciuiss  von  1000  Thlrn.  ans  Staatsfonds  bewilligt.  Zur 
Unterstützung  solcher  Individuen ,  die  aus  dem  Judenthnme  zum  Chri- 
stenthume  übergegangen  sind ,  hat  der  König  aufs  Neue  die  Summe 
von  1000  Thlrn.  bewilligt;  das  zoologische  Museum  in  Berlin  hat  ei- 
nen ausserordentlichen  Zuschuss  von  1327  Thlrn.  aus  Staatsfonds  er- 
halten. Für  das  Gymnasium  in  Coesfeld  ist  ein  mathematisch -physi- 
kalischer Apparat  von  den  Mechanikern  Gebrüder  Müller  in  Berlin  für 
343  Thlr.  angekauft  worden.  Dem  Dr.  Beinhold  Dielz,  welcher  schon 
eeit  zwei  Jahren  auf  einer  wissenschaftlichen  Reise  durch  Deutschland 
und  Italien  begriffen  ist ,  um  für  die  von  ihm  zu  veranstaltende  Aus- 
gabe der  Griech.  Aerzte  Handschriften  zu  vergleichen,  wird  zu  glei-' 
chem  Zwecke  nun  au«;h  mit  weiterer  Unterstützung  von  Seiten  des  Mi- 
nisteriums der  Unterrichtsangelegenheiten  nach  Spanien  reisen,  um  be- 
sonders die  Kön.  Bibliothek  in  Madrid  und  die  von  St.  Lorenzo  im  Es- 
curial  zu  benutzen.  Unerwartet  nämlich  hat  er  in  einem  Codex  der 
Bibliotheca  Braydensis  zu  Mailand  einen  Catalog  der  Griechischen,  La- 
teinischen ,  Spanischen  und  Orientalischen  Handschrr.  im  Escurial  ge- 
funden,   aus  welchem  hervorgeht,    dass  dort  noch  vorhanden  sind: 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  3Glf 

1)  das  für  verloren  gehaltene  Buch  des  llippokrates  negl  IßdofiuScop, 
von  welchem  Dietz  schon  in  einer  Venediger  Handschrift  Bruchstücke 
fand;  2)  Soramis  von  Ephesns ;  3)  Mcandri  duo  Ubri  epidemicoritm;  4) 
Dionysü  Cassü  Uticensis  Ubri  X  de  a^ricuUura,  also  die  von  Plinius  er- 
wähnte Gricch.  Uebersetzung  des  Puiiischcn  Mago.  Seine  Rückreise 
wird  Dietz  über  Paris,  England  und  Leyden  nehmen,  um  auch  dort 
die  vorhandenen  Handschrr.  für  seine  Zwecke  zu  benutzen.  Der  Pri- 
vatdocent  Dr.  Kaufmann  bei  der  philosoph.  Facultät  in  Bo\n  erhielt 
eine  ausserordentliche  Unterstützung  von  100  Thlrn. ,  der  Collaborator 
Kreuscr  am  Jesuiter- Gymnasium  in  Cöiiv  von  100  Thlrn.,  der  Lelirer 
Oehme  am  Gymnas.  in  Erflrt  von  50  Thlrn.,  der  Rector  JölherUng 
aa  NiiUENBiRG  von  100  Thlrn.  Eine  Gehaltszulage  von  200  Thlrn.  er- 
hielt der  Prof.  Dr.  ScJilechtendal  an  der  UnIvers.  in  Berlin,  von  je  100 
Thlrn.  die  Proff.  Dr.  Purkinje,  Ahegg  und  Ganpp  an  der  Univers,  in 
Breslau,  der  Prof.  Hünefeld  an  der  Univers,  in  Greifswald,  der  Leh- 
rer Dr.  Merlecker  am  Gyranas.  in  Gumeixnex,  der  Pastor  und  Lehrer 
JVolterstorff  am  Gymnas.  in  Salzwedel,  von  30  Thlrn.  der  Gesangleh- 
rer Menzel  am  Gymnas.  in  Lyck  ,  von  200  Thlrn.  der  Professor  Kiselen 
in  Halle  und  von  400  Thlrn.  nebst  dem  Prädicat  „Consistorialrath"  der 
Prof.  Dr.  Tholuck  daselbst.  Als  Remuneration  wurden  ertheilt  je  100 
Thlr.  den  Pro/T.  Bütticher ,  Wendt  und  Yxem ,  und  25  Thlr.  dem  Fran- 
zösischen Sprachlehrer  Rosenau  am  Friedrich- Wilhelms- Gymnas.  in 
Berlin,  100  Thlr.  dem  Prof.  Dr.  Dietz  in  Boan,  50  Thlr.  dem  Prof. 
Dr.  Wissowa  am  kathol.  Gymnas.  in  Breslau,  50  Thlr.  dem  Director 
Reuscher  in  Cottbus,  50  Thlr.  dem  Collaborator  Sauppe  am  Gymnas. 
in  Eislkbex,  100  Tlilr.  dem  ausserord.  Prof.  Dr.  Pelt  in  Greifswald, 
50  Thlr.  dem  Oberlehrer  Dr.  Stern  am  Gymnas.  in  Heiligexstadt,  50 
Thlr.  dem  Director  Jrnold  zu  Kömgsbeug  in  der  Keumark,  50  Thlr. 
dem  Lehrer  Dr.  Jfßrner  am  Gymnas.  in  Liegmtz  ,  300  Thlr.  dem  Con- 
sistorial-  und  Schulf^the  Mohnicke  in  Stralsund,  100  Thlr.  dem  Pre- 
diger und  Lehrer  Lambrechts  am  Gymnas.  in  Wesel;  als  Gratification 
200  Thlr.  dem  Prof.  Dr.  Casper  bei  der  Univers,  in  Berlin,  50  Thlr. 
dem  Oberlehrer  Dr.  Kapp  am  Gyranas.  in  Minden,  100  Thlr.  dem  Su- 
perintendenten Nagel  in  Hirscuberg  für  den  Unterricht  in  der  Religion 
und  dem  Hebräischen  im  Gymnas.,  und  je  50  Thlr.  den  Oberlehrern 
Ender  und  Balsam,  dem  Conrector  Lucas  und  dem  SchulcoUegen  Paul 
ebendaselbst.  —  Durch  eine  Kön.  Cabinetsordre  vom  12  Nov.  vor.  J. 
ist  bestimmt  worden,  dass  der  Militairstand  nicht  allein  den  bis  jetzt 
nur  berechtigten  altverheuratheten,  sondern  auch  im  Falle  nachgewie- 
eener  Bedürftigkeit  sämmtlichen  im  activen  Dienste  sich  befindenden 
neuverheuratheten  Soldaten  des  stehenden  Heeres  vom  Feldwebel  ab- 
M'ärts,  mit  Einschluss  der  Invaliden-  und  Garnison- Compagnieen  und 
der  servisberechtigten  Festungs-Unterheamten,  das  Benefiz  des  freien 
Schulunterrichts  für  ihre  Kinder  gewähren  soll.  Für  die  Universitäten, 
Kirchen,  Schulen  und  milden  Stiftungen  im  Preussischen  Staate  wer- 
den jährlich  über  2  Millionen  Thlr.  aus  den  Kön.  Cassen  ausgegeben; 
die  Universitäten  erhalten  davon  360,000  Thlr.     Die  Universität  ILille, 


welche  bis  1799  nur  18,116  Thlr.  jährlich  erhielt,  erhält  jetzt  60,586 
Thlr.  Die  Universität  Breslau  bekommt  67,056  Thlr, ,  darunter  56,700 
Thlr.,  welche  auf  ehemalige  geistliche  Güter  in  Schlesien  angewiesen 
sind;  die  Universität  Fkankfurt  bezog  nur  12,648  Thlr.  Die  Univers. 
KüMGSBERG,  M eiche  früher  nur  6920  Thlr.  erhob,  erhält  jetzt  59,422 
Thlr.  und  erhebt  aus  liönigl.  Cassen  49,350  Thlr,  Der  Universität  in 
Berlin  sind  jährlich  84,190  Thlr.  zugewiesen  und  für  alle  wissenschaft- 
lichen Anstalten  in  Berlin  171,500  Thlr.  bewilligt. 

Stuttgart.  Der  bisher.  Bibliothekar  an  der  Kön.  Privatbiblioth. 
Moser  ist  zum  Oberbibliothekar  der  öfFentl.  Bibliothek  mit  dem  Titel 
und  Range  eines  Oberstudienrathes ,  der  Bibliothekar  StüUn  zum  Auf- 
seher des  Münz-Medaillen-undKunstcabinets  mit  dem  Titel  und  Bange 
eines  Gymnasialprofessors  ernannt  worden. 

Tilsit.  Das  Gymnasium  verlor  im  Schuljahr  18||  (im  Mai 
1829)  durch  den  Tod  den  Gesanglehrer  Cantor  Herfords  nach  lan- 
ger Krankheit.  Seine  Unterrichtsstunden  hatte  schon  seit  längerer 
Zeit  der  Hülfslehrer  und  Pauperinspector  Gisevius  übernommen. 
Unter  tiem  9  Januar  1829  wurde  der  Schulamtscandldat  Heinr.  Dörk, 
ein  ehemaliger  Zögling  der  Schule,  mit  einem  jährlichen  Gehalte 
von  300  Thlrn.  als  Hülfslehrer  angestellt.  In  dem  genannten  Schul- 
jahr wurde  ferner  der  Bau  des  neuen  Schulgebäudes  (das  alte  ging 
durch  Brand  zu  Grunde)  vollendet  und  dasselbe  am  19  Octbr.  1829 
bezogen. 


Angekommene   Briefe. 

Vom  Januar  Br.  v.  P.  a.  G.  [Freundlichen  Dank.  Was  an  mir 
liegt,  soll  für  schnelle  Gewährung  gethan  werden.  Für  das  Frü- 
here habe  ich  noch   keine  passende  Gelegenheit  gefunden.]   —     Vom 

19  Jan.  Br.  v.  F.  a.  P.  [  Ist  bereits  erfüllt.  ]  —  Vom  25  Jan.  Br. 
V.  F.  a.  M.  [Herzlichen  Dank  für  die  Anlage.  Der  V^unsch  wird 
in  beiderlei  Hinsicht  wahrscheinlich  bald  erfüllt  werden.]  —  Vom 
Februar.  Packet  von  L.  a.  D.  [m.  Rec]  —  Vom  3  Febr.  Br.  v. 
R.  a.  L.  [Kann  zur  Zeit  noch  nicht  gewährt  werden.]  —  Vom 
4  Febr.  Br.  v.  L.  a.  JB.  [Ich  wüsstc  nicht,  in  welchen  Puncten  es 
den  Jahrbüchern  bis  jetzt  nachtheilig  geworden  wäre,  Anonymität 
und  Pseudonymität  nicht  zugelassen  zu  haben.]  —  Vom  10  Febr. 
Br.  v.  B.  a.  B.  [Ist  alles  richtig  eingegangen,  wie  Sie  jetzt  wohl 
schon  aus  meinem  Briefe  wissen.]  —  Vom  12  Febr.  Br.  v.  IL  a.  D. 
[m.  Rec]  —     Vom  18  Febr.  Br.  v.  M.  a.  J.   [m.  Rec]  —     Vom 

20  Febr.  Br.  v.  C.  a.  R.  [Die  Recension  wird  willkommen  seyn: 
wegen  des  übrigen  nächstens.] 


I    n    h    a    1   1; 

von  des  ersten  Bandes  drittem  Hefte. 

Zell:  Ferienschriften.  —    Vom  Professor  Dr,  Lange  in  Schulpforti.    S.    243  —  257 
Koberstein:  Grundriss  zar  Geschichte   der  Deutschen  National  -  Littcra- 

tar.  —    Vom  Oberlehrer  Dr.  Bach  in, Breslau.  .         .        .257  —  268 

denzel;  die  Deutsche  Litteratnr.  \     . 

Schacht:  Ueber  Unsinn  und  Barbarei  in  der  >  Von  demselben.  268  —  282 

heutigen  Deutschen  Litteratur.  / 

iaindl:    Die   Deutsche    Sprache    aus    ihren  \     Vom  Herzogl.   Biblio- 

Wurzen.  5  thekar  u.  Gymnasiallehrer 

Jeher  die  Sprache.  J  Lindner  in  Dessao,  282  —  303 

\Iozin:  Vollständiger  Auszug  der  Französischen 

Sprachlehre, 
üosi'n;  Nouvelle  grammaire  allemande-fran- 

9aise. 
''rings :  Ausführl.  Grammatik   der  Franzosi-  f       Vom   Bibliothekar  u. 

sehen  Sprache.  >       Gymnasiallehrer  Dr, 

jlfefisel:  Handbpcb  der  neuem  Franz.  Sprache|    Schaumann  in  Büdingen.    303  —  314 
I  i ,.      und  Litteratur. 
•aigey:  Erklärende  Franz.  Lehrstunden. 
*on  GenKs :   Die  Kinderinsel ,  fibersetzt  von 

Ecleenstein. 
ktersenr  Philosophiae  Chrysippeae  fnndamenta.   —    Vom  CoUaborator 

Dr.  Prahm  in  Flensburg 314  —  832 

er  Zusammenhang  der  Lateinischen  'und  Griechischen  Sprache  mit  dem 

Sanskrit,  nachgewiesen  bei  der  Erklärung  des  Wortes  Jupiter. 

Vom  Conrector  Schmidt  in  Zeitz 833  —  319 

eher  die  28te  Ode  im  Iten  Buche  des  Horaz.    Vom  Professor  JFeiske  in 

Leipzig 349  —  362 

cknl-  und  Universitatsnaclu-ichten ,  Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.    362  —  368 


[iimHwmMiliiHii 


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JAHRBÜCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  undPJEDAGOGIK, 


Eine  kritische  Zeitschrift 

m  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

M.  Joh,  Christ.  Jahn. 


Fünfter    Jahrgang. 


Erster  Band.      Viertes   Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 
Zwölfter    Band.       Viertes    Heft. 


Leipzig, 

Druck   und   Verlag  von   B.  G.  Teubner. 


18     3     0. 


Si  quid  novisti  rcctius  istis, 
CandHliis  impcrti;    si  non,  his  utere  niecuin. 


Griechische    Schriftsteller. 


I)  Des  Demostheiies  Philippische  Reden.  Uebersetzt, 
erläutert  und  mit  einigen  Abliandiun(>;en  begleitet,  von  Dr.  Albert 
Gerhard  Becker.  Neuer  Bearbtitung  erster  Tlieil.  Halle,  bey  Job. 
Christ.  Hendel  u.  Sohn.  1824.  [L\ll  u.  24})  S.  8.]  Zweiter  Theil. 
Nebst  der  Litei-atur  der  Philipiiischen  Keden.  ibid.  1826*.  [  IV  und 
bey  fortgesetzter  Paginirung  des  In  Bandes  von  S.  250  bis  584.  8.] 

II)  ]) emostheni s  Philippicae.  In  usum  scholaruin  iterum 
edidit  Immanuel  Bekkerus.  Apposita  est  lectio  Reiskiana.  Berolini, 
typis  et  impensis  G.  Rciraeri.  A.  1825.   [80  S.  gr.  8.] 

III)  Demosthenis  Philippicae.  'EA'iAii  Carolus  Au gmtus  Ra- 
diger. Pars  prior.  Lipsiae ,  libraria  Weidraannia.  G.  Reimer.  A. 
MDCCCXXIX.  Auch  unter  dem  Titel:  Dem.  Phil,  prima., 
Olynth,  tres,  et  de  pace.  Textum  ad  I.  Bekkeri  editiones 
recognovit,  selectas  aliorum  suasque  notas  subiecit,  coranientarium 
historieum  scripsit,  varietatein  lectionis  ex  aliquot  coflicibns  eno- 
tatam  et  indices  adiecit  C.  A.  Rüdiger,  Phil.  Dr.  Gyranasii  Friberg. 
Rector.     Editio  altera  emendatior.   [WI  u.  239  S.  8.] 

i^r.  I.  Herr  A.  G.  Reck  er  hat  auf  den  Wunsch  der  Verlags- 
handhing.,  nachdem  die  erste  Uehersetzung:  Auserlesene  Re- 
den des  Dernosth.  u/id  Aesch.  erster  Theil.  Halle  1797.  schon 
längst  vergriffen  war,  die  Uebersetzung  sämuitliclier  Philipp. 
Reden  des  Dem.,  so  viele  der  Dionysische  Kanon  kennt,  folg- 
lich auch  die  als  unächt  angefochtenen  in  diesen  zwey  Bänden 
herausgegeben.  Von  einem  Manne,  der  mit  der  Attischen  Be- 
redsamkeit überhaupt  so  wolil  bekannt,  und  durch  langes  Stu- 
dium mit  Demosthenes  so  genau  vertraut  ist,  wie  Hr.  B-,  Hess 
sich  auch  nach  der  Jacohs'schen  Bearbeitung  etwas  Treffli- 
ches erwarten.  Auch  haben  namentlicli  solche,  welche  durch 
Umstände  gehindert  sind,  aus  dem  Original  mit  dem  Redner  be- 
kannt zu  werden,  dem  Studium  des  achtungswerthen  Gelehrten 
einen  namhaften  Ersatz  zu  verdanken.  Und  gerade  wenn  sich 
Hr.  B.  eine  solche  Klasse  von  Lesern  dachte,  muss  es  llec.  sehr 

24* 


312  Griechische    Schriftsteller. 

billigen,  dass  dem  Ganzen  eine  üebersetzung  der  Plutarchi- 
seilen  Biographie  des  Dem.  mit  hinreichenden  historischen  An- 
nieikungen  (von  S.  XIII  bis  S.  LXII.)  vorangestellt  worden  ist. 
Willkommen  werden  diesen  Lesern  ebeni'alls  die  ausführlicliea 
Eiuleituiigen  seyn.  Die  zahlreichen  Anmerkungen  zu  den  Reden 
geben  historisclie  Erläuterungen  über  einzelne  Stellen,  Recht- 
fertigungen der  üebersetzung  und  liäuüg  kritische  Erörterun- 
gen von  Lesarten.  Bedeutender  als  die  kritischen  sind  wohl 
die  erklärenden  Anmerkungen,  und  das  riciitige  Verständniss 
mancher  Stelle  hat  aucii  Hr.  B.  zuerst  eröffnet.  Die  beygeiiig- 
ten  kritischen  Abhandlungen  wird  Bec.  einzeln  beriihren. 

Von  dem  VVerthe  der  ganzen  Bearbeitung  auch  für  den  Ge- 
lehrten zeugt  der  vielfältige  Gebrauch,  den  Bremi,  Vömel, 
Rüdiger  von  Beckers  Arbeit  gemacht  haben.  Ueber  den 
Charakter  der  üebersetzung  glaubt  sich  Recens.  so  erklären  zu 
müssen:  sie  sey  meistens  sinngetreu,  schliesse  sich  ziemlich  an 
das  Original  an,  entferne  sich  aber  hin  und  wieder  ohne  Noth 
von  demselben  auf  Kosten  der  Kraft  und  Biindigkeit  des  Aus- 
druckes, habe  ebenfalls  wieder  Härten  und  JN'achahmung  der 
griech.  Wortstellung,  die  die  übrigens  lliesscnde  Rede  etwas 
stören;  an  manchen  Stellen  endlich  scheine  auch  der  Ton  der 
Rede  niclit  völlig  treu.  INiclits  desto  weniger  sind  eine  Menge 
Schwierigkeiten  vom  Verf.  überwunden  und  im  Ganzen  ist  des 
Dem.  Cliarakter  nicht  verfehlt  worden.  Auch  kann  die  Viber- 
raschende  und  plötzlich  tief  wirkende  Kürze  des  Ausdruckes 
nicht  immer  übertragen  werden,  und  ein  anderer  Zug  des  Red- 
ners ist  oft  sehr  schwer  in  der  rednerischen  röm.  Sprache,  ge- 
scliweige  denn  in  der  unsern  darzustellen,  wir  meinen  die  ei- 
genthümliche  Gewalt  und  Fülle  der  Perioden,  die  auch  dem 
Alterthum  so  bewunderungswürdig  vorkam,  wie  Cicero  bezeugt 
de  Or.  I,  Ol,  2f>]  :  tunlum  est  adsecutus^  ut  una  conliimatione 
verborum^  id  qnod  eins  scripta  declarant,  binae  ei  contentiones 
vocis  et  remissiones  coidinerentur.  Und  doch  machen  diese  ei- 
nen Ilauptcharakter  des  Dem.  aus,  z.  B.  in  der  amplificirten  jte- 
Qiodog  TErpaxojAog,  da  nämlich,  wenn  der  Gedanke  in  der  l'ro- 
tasis  seinen  Aufschwung  erreicht  zu  haben  und  in  der  Apodosis 
vollendet  zu  seyn  scheint,  unerwartet  in  der  gleichen  Periode 
eine  neue  Spannung  und  Senkung  eintritt;  so  dass  der  Zuhörer 
im  Erstaunen  vor  der  üebermacht  dahingerissen  wird,  zugleich 
aber  ihm  der  Eindruck  zurückbleibt,  als  ob  auch  die  reichste 
Form  der  Fülle  die  innere  Bewegung  des  Redners  und  die  Tiefe 
seiner  Ergriffenheit  nocli  nicht  völlig  erschöpfe.  Auf  der  an- 
dern Seite  hat  es  an  vielen  Stellen  den  Anschein,  als  ob  der 
Redner  mit  Gewalt  den  Strom  seines  Innern  dämme,  wodurch 
er  eine  Haltung  gewinnt,  die  ihm  die  Herrschaft  über  die  Ge- 
müther der  Zuhörer  utifehlbarer  sichert,  als  der  volle  Erguss 
des  Stromes  seiner  Gefühle.    Dieses  Alles  bringt  aber  eine  Prä- 


Des  Demostlicncs  Plillipi>.  Reden,   übersetzt  von  Becker.      373 

cision  und  ein  Vollgewicht  des  Ansdruckes  ii.  der  Stellung  Iier- 
vor,  weiches  schwer  zu  übersetzen  ist,  so  dass  es  Anerkennung 
verdient,  wenn  auch  nur  annähernd  den  Forderungen  Geniige 
geschieht,  welche  Cicero  in  der  Vorr.  zu  seiner  Uebersetzung 
des  Demosth.  und  Aeschin.  über  den  Ehrenkranz  selbst  an  sich 
stellt,  de  opt.  gen.  die.  §  23:  qnorum  ego  oraliones  si,  ul  spero^ 
ita  expressero^  tnrhitibus  utens  cor  um  omnibns^  id  est.,  seil- 
te ntiis ,  et  earuni  figuris^  et  rerum  ordine^  verba  persegue/is 
eatemts ,  ut  ea  non  abhorreant  a  more  nostro  :  {quae  si  e  Groe- 
cis  omina  conversa  non  erunt^  tarnen  tit  generis  eiusdem  sinf., 
elaboravimus:)  eilt  regula ^  ad  quam  eoruni  diiigantur  ora- 
tiones ,  qui  Aiticc  volent  dicere. 

Mit  Uebergehung  nun  dessen  ,  was  von  den  oben  genann- 
ten Herausgebern  der  Reden  seither  entweder  gebilligt  oder 
berichtigt  worden  ist,  so  wie  auch  derjenigen  verbesserungs- 
fähigen Stellen  der  Uebersetzung,  die  auf  altern  seither  ver- 
besserten Lesarten  beruhen ,  will  Rec.  aus  der  1  Philipp.  Rede 
eine  Reihe  noch  unberührter  Pnnkte  abhandeln,  aus  denen  sich 
ein  Urtheil  über  den  Werth  vorliegender  Arbeit  wird  entneh- 
men lassen. 

Vorher  noch  aber  einige  Bemerkungen  zu  Beckers  Einlei- 
tung in  die  I  Pliil.  —  S.  6  hätten  unter  den  Staaten,  die  sich 
gegen  Athen  empörten  und  den  Bundesgenosseiikrieg  führten, 
auch  die  Rhodicr  erwähnt  werden  sollen,  um  so  mehr,  da  Hr. 
B.  die  Rede  über  die  Freiheit  der  Rhodier  citirt.  —  S.  8  über 
die  Verhandlungen  wegen  Amphipolis  und  über  die  politischen 
Geheimnisse,  so  wie  S.  14  über  die  Lage  der  Dinge  in  Thessa- 
lien und  die  Art,  wie  Pliiiipp  sich  dort  einmischte,  findet  man 
jetzt  mehrern  Aufschluss  in  Vömels  Prolegomenen.  —  S.  23 
in  der  Note  findet  es  Ilr.  B.  befremdend,  dass  der  beiden  nach 
Diodor  XVI,  35  von  den  mit  Athen  verbündeten  Phokern  über 
Philipp  erfochtenen  Siege  von  Demosth.  keine  Erwähnung  ge- 
schieht, selbst  da  nicht,  wo  der  Redner  dnrch  Erwähnung  so 
grosser  Vortheile  über  einen  bisher  noch  nie  besiegten  Gegner 
den  Muth  seiner  Mitbürger  nicht  wenig  hätte  erhölien  können, 
wie  Phil.  I  p.  42  Rsk.  (§  8  Bkk.).  Dagegen  glaubt  Rec,  dass 
wenigstens  der  Zweck  der  ganzen  I  Phil,  eine  solche  Erwäh- 
nung nicht  erforderte.  Demosthenes  will  die  Athener  aufmerk- 
sam machen,  dass  durch  die  zweckwidrige  Führung  des  Krie- 
ges die  Lage  der  Dinge  gefährlich  geworden  sey,  und  schlägt 
darum  einen  Plan  vor,  wie  die  Athener  mit  eigenen  und  verhält- 
lüssmässig  kleinen  Mitteln  den  Krieg  nachdrücklich  führen  könn- 
ten. Dass  Philipp  schwer  zu  bekriegen  sey,  giebt  Demosth.  §4 
selbst  zu;  allein,  dass  es  möglich  sey,  den  König  zu  schlagen, 
würde  wohl  niemand  in  Zweifel  gezogen  haben.  Vielmehr  will 
Dem.  den  Krieg  in  grossen  Schlachten  durchaus  nicht  geführt 
wissen  (§23:  ort  ovk  tvi  vvv  fj^lv  JtoQLöaöd'ai  dvva^Lv  tyv 


374  Griechische   Schriftsteller. 

IxEtVö  TCdQata^Ofisvrjv)^  sondern  er  dringt  auf  den  kleinen 
Krieg.  Denn  nur  durch  diesen,  wenn  er  anhaltend  \ind  ver- 
ständig an  Philipps  Grenzen  geführt  werde,  könne  man  den 
König  im  Zaum  halten.  Und  für  diesen  Plan  des  Dem.  würden 
diePhoker,  trotz  ihrer  zwey  Siege,  wegen  ihrer  letzten  grossen 
Niederlage  unter  Onoraarchos  (Diod.  1.  1.)  kein  geeignetes  Bey-  ' 
spiel  abgegeben  haben.  —  Sowolil  in  dieser  Einleitung  indi- 
rect,  als  auch  anderswo  S.  108  direct  erklärt  sich  Herr  B.  zu 
Gunsten  der  Einheit  der  I  Phil.,  welche  auch  durch  Bremi's 
Untersuchung  in  den  philol.  Beytr.  ausser  Zweifel  gesetzt,  und 
Ton  allen  seitherigen  Herausgebern  angenommen  worden  ist,  so 
dass  sich  Rec.  wunderte,  in  W  a  c  h  s  m  u  t  h  s  hellen.  AlterthiimS' 
künde  Ir  Theil  2te  Abth.  (1828)  S.  344  die  Anmerkung  zu  fin- 
den: „Ich  sondere  mit  Dionysios  v.  Halikarnass  den  2ten  Theil 
,,der  sogenannten  ersten,  als  spätere,  für  sich  gehaltene  Rede." 
S.  34  der  Beckerschen  üebers.  §  5  Bkk.  fasst  B.  die  Worte 
ag  xaksTiov  TtoXs^Elv  eötlv  'Ad'rjvaioig  sxovGi  xoöavTa  Itclzuii- 
CpLara  rrjg  avrov  xagag  agrjuov  ovra  övu^äxcov  als  directes 
Selbstgespräch  Philipps  und  liest  avtov  als  Ortspartikel,  so 
wie  auch  SQtj^og  g>v.  Allein  es  ist  diess  oratio  obliqua  und  so 
zu  übersetzen:  dass  es  schwer  sey  zu  hriefi^en  mit  den  Athe- 
nern., die  so  viele  seinem  eigene?i  Lande  drohende  Festungen 
haben  ^  unihrend  er  selbst  entblösst  sey  von  Bundesgenossen. 
Ueber  die  Lesarten  s.  Bremi  und  Rüdiger.  —  S.  3.'>  (§  7 
Bkk.)  lesen  wir  mit  einem  Tropus,  der  auch  im  Deutschen  wun- 
derlich klingt  u.  gewiss  in  Athen  wenig  Bey  fall  erhalten  hätte: 
wenn  ihr  a uf  euch  selbst  fu ssend  aufhören  iverdet.  Was 
hinderte,  die  kräftigen  ujid  einfachen  Worte:  t^v  v[ic5v  avrcöv 
i&El^örjtB  ysvBö&ai  aal  navörjö^s,  so  zu  geben :  ive?i?i  ihr  euch 
selbst  lüollt  angehören  und  davon  ablassen'}:  —  ibid.  §  8  in  den 
Worten:  ^i-q  yug  cog  &Eä  vo/tii^st'  Bxsiva  rcc  nagövra  TCSTtrjys- 
vm  Ttgäyficittt  d&avuza,  welche  B.  übersetzt:  den/i  glaubet  ja 
nicht ,  dass  bey  Jenem  das  Glück  wie  bey  einem  Gott  auf  ewige 
Zeiten  bestehe,  ist  der  bildliche  Ausdruck  7iS7i7]yBvai,  aufgege- 
ben, welcher  wenigstens  mit/es^  sey7i  hätte  können  ausgedrückt 
werden,  welches  gerade  durch  die  Erinnerung  an  die  Neben- 
idee von  fest  machen  nicht  unpassend  wäre.  —  Wie  einfach 
lauten  nicht  eben  dort  die  Worte:  y,al  av:av&'  ööa  TtBQ  xal  iv 
ccXkoig  TLöLV  dvQQCOTtOLg  iVL,  ravTU  xdv  roig  ftgr'  bkhvov  xq^ 
vonit,SLV  avelvai,  die  last  wörtlich  hätten  übertragen  werden 
können  ,  und  die  bey  Hrn.  B.  so  heis?e.i :  Atich  kann  7nan  wohl 
a?mehmen,  dass  die,  welche  ihm  ergeben  sind,  überall  mit  an~ 
dem  MeJischeJi  gleiche  Gefühle  hegen.  Ueberhaupt  glaubt  Rec. 
bemerkt  zu  haben,  dass  Hr.  B.  nicht  selten  den  einfachen  und 
eben  darum  so  einnehmenden  Ton  verfehlt  habe,  den  nach  Ci- 
cero die  in  ihrer  Gewalt  haben  müssen,  qui  Attice  loqui  volent, 
und  wofür  derselbe  gerade  den  Dem.  als  unerreichtes  Äluster 


Des  Demostlicncs  Plilllpp.  Reden ,  übersetzt  von  Becker,        375 

nennt.  Z.  B.  S.  3ß  §  11 :  xccl  yciQ  av  ovtog  (o  ^ilinnög)  tl 
nä%i]y  Hr.  B. :  denn  gesetzt,  dieser  sollte  dahitifahr  e n. 
In  der  Anmerk.  S.  64  entsclnihligt  Hr.  B.  wohl  nur  zum  Scherz 
seine  Uebersetzung  mit  der  viel  grellem  lleiske's,  aus  der  wir 
der  Belustigung  lialber  ein  Stück  entlehnen:  „Ist  Philippos  todt*? 
„Ich  dachte,  was  mich  bisse.  Der  Teufel  wird  ihn  nicht  gleich 
,^liohien.  Er  ist  noch  nicht  Willens  zu  sterben.  Aber  krank, 
„todtkrank  mag  er  wohl  seyn.  Ihr  Thoren,  was  ist  denn  euch 
„daran  gelegen,  er  mag  am  Leben  oder  todt  seyn,  so  ist  das 
„/^lles  für  euch  gleicli  viel.  Mit  seinem  Ilintritt  seyd  ihr  nicht 
„um  ein  Haar  gebessert.  Denn  sollte  ihm  gleich  etwas  raenscli- 
„liches  begegnen,  so  werdet  ihr  nicht  lange  warten,  sondern 
„euch  bald  einen  neuen  Philipp  drechseln.''  Mitten  in  seiner 
scurrilsten  Laune  hat  doch  Reiske  an  av  n  nä\frj  nicht  Hand 
gelegt.  Redet  auch  Demosth.  oft  wegwerfend  von  Philipp  und 
nennt  er  ihn  auch  schlechtweg  av^Qcanog^  so  behält  er  doch 
überall  sein  ög/nvoV,  ja  er  zieht  lieber,  wo  es  Ereignisse  gilt, 
die  von  höherer  als  menschlicher  Macht  abhängen,  nach  Grie- 
chischer Art  den  ernsthaften  Euphemismus  vor,  7cä6%uv  tl, 
«.  d.  gl.  Schwerlich  auch  hätten  rohe  Ausdriicke  über  solche 
Dinge  bey  dem  Athenischen  Volke  Glück  gemacht.  —  S.  38 
§  14.  Verunglückt  ist  die  Construction :  auch  möge  niemand 
glauben ,  dass ,  wenn  es  anfänglich  den  Schein  gewinnt ,  als 
wolle  ichy  indem  eine  neue  Art  von  Kriegsrüstung  von  ?mr 
vorgeschlagen  zu  seyn  scheint  y  hierdurch  die  Ausführung  un- 
seres Vorhabens  verzögern.  Warum  nicht  wo  möglich  so  bün- 
dig wie  im  Griechischen,  wo  es  1|  Zeilen  sind'?  Auch  glaube 
keiner^  wenn  es  ihm  gleich  atifangs  dünkt ^  ich  schlage  eine 
neue  Rüstung  vor^  dass  ich  geflissentlich  die  Sachen  auf^ 
schiebe.  —  Ibid.  §  15:  oifiat  Tolvvv  eyco  ravta  kiyeiv  l';f£iv. 
Hr.  B, :  Nun  denke  ich  diess  durch  meine  Vorschläge  bewirken 
zu  können.  Weder  dem  Worte  noch  dem  Zusammenhang  nach 
richtig.  Demosth.  will  sagen,  dass  er  glaube  den  rechten  Vor- 
schlag machen  zu  können,  —  S.  39  §  17:  8üyc(Q  iKslvco  tovro 
iv  xy  yvtSarj  TtaQaöTijvai.  Nun  muss  aber  in  seiner  Seele 
der  Gedanke  festgehalten  werdefi.  Ohne  Noth  und  zum  Scha- 
den der  Deutlichkeit  ist  die  Verbindungspartikel  verändert  wor- 
den. —  S.  40  §  20 :  änavt'  iXattco  vo^it,ovxis  tlvai  xov  Ösov- 
rog.  Hr.  B.:  indem  ihr  erachtetet,  das  Ganze  entspr e che 
nicht  de?n  Bedarf.,  und  deswegen  —  das  Grössle  bestimm- 
tet, aber  —  nicht  das  Kleinste  thatet.  änavta  heisst  nicht  das 
Ganze.  Der  Sinn  ist:  in  der  Meinung,  dass  Alles,  tras  nur 
immer  einer  vorschlug,  geringer  sey,  als  die  Sache  erfordere. 
—  Ibid.  und  füget  hernach  hinzu,  wenn  zu  gering  es  euch  be- 
dünken sollte.  Dem  Deutschen  Ohr  missfällt  der  iambische 
Ausgang  und  der  Zwang  in  der  Wortstellung.  Wie  kurz  ferner 
das  Griechische  äv  tXdzta  (paivritai.     Die  Schärfe  des  Modus 


376  Griechische    Schriftsteller. 

würde  Rec.  hier  lieber  aufgeben  und  den  Hinblick  auf  die  Zu- 
kunft mit  da7in  ausdrücken :  wenn  es  sich  dcmn  als  zu  gering 
zeigt.  —  Ibid.  Die  Athener  sollen  50i)  Bürger  absenden,  die 
eine  bestimmte  Zeit  im  Felde  seyen,  keine  lange  zwar,  aA/l' 
oGov  KV  doH]j  xaAüJg  ^sx^iv,  ex  Öiadox^g  a^l^loig.  Herr  B.: 
sondern  wie  es  euch  nach  der  Zahl  derer ,  tvelche  sie  ablösen 
können^  dienlich  zu  seyn  scheint.  B.  tilgt  also  das  Comma  nach 
U%uv  u.  verbindet  Ik  ÖLad.  <xXL  mit  doxij.  Allein  Ix  öiad.  steht 
offenbar  adverbialiscli,  ist  zu  verbinden  mit  GxQaxBvo^kvovq., 
d.  h.  eine  Abtheilung  von  500  Mann  soll  dienen,  so  lang  es  euch 
gut  scheint,  und  abgelöst  werden.  —  S.  42  §  23:  ov  xoivvv 
VTtSQoyxov  avT))v  (^triv  dvvafXLv).  B. :  und  deshalb  sey  das 
Heer  kein  übermässig  angeschwelltes,  lieber:  massenhaftes. 
Ibid.  Aus  Mangel  an  Löhnung  verlassen  die  Miethtruppen  den 
Krieg  der  Stadt  und  laufen  des  Unterhaltes  wegen  diesem  oder 
jenem  Krieg  zu,  o  öl  GxQatrjyog  axolovQü.  B. :  der  Feld- 
herr folgt.  Der  komischen  Färbung  der  Stelle  wäre  angemes- 
sener: der  Feldherr  hintendrein.  —  Sehr  gut  getroll'en  ist 
S.  34  §  25  jene  mimetische  Schilderung  der  schwatzhalten 
Athener,  nur  ist  von  dem  Schwatzhaften  ^la  /J'i  ov%  ruiug  ys 
in  Beckers  FJy  nein  nur  etwa  jenes  Staunen  über  die  Unwissen- 
heit des  Fragenden  ausgedrückt.  Das  Zungenfertige  mangelt, 
ist  aber  auch  schwer  zu  geben.  Und  bald  nachher,  wo  die  Be- 
setzung der  zahlreichen  Kriegsämter  beliandelt  wird,  entspricht 
der  Ausdruck  Bildarbeiter  für  ot  7C?LdxxovxBS  xovg  %)]kivovg  dem 
Demosthenischen  Spotte  nicht.  Rec.  wünschte:  toie  die,  tvelche 
die  Lehmbilder  formen ,  auf  den  Markt  macht  ihr  die  Taxiar- 
cheTi  und  PhylarcheTi.,  nicht  zum  Kriege.  —  Olnie  Noth  ist 
auch  S,  44  §  29  von  dem  Griechischen:  TiQOöJiOQiüxai  xä  Xoi~ 
nd  avxo  x6  öxgdxsvncc  dno  xov  noke^ov,  abgewichen  worden: 
dass  das  Uebrige  dtirch  den  Krieg  sich  finden  werde.  —  S.  45 
§  31;  7]  xov  xu^äva  siitxsLQEi,  oder  den  fVi?iter  gebraucht^ 
könnte  einen  auf  den  Einfall  bringen,  xov  %u^äva  als  Object 
zu  fassen,  während  es  doch  Zeitbestimmung  ist,  und  zu  iTti- 
%BiQH  etwa  TtgdyfiaöL  gedacht  werden  muss.  —  S.  4ß  §  32: 
TCQog  avxf]  xr]  %(OQa  xcu  %Qog  xoig  x<av  i^nogiav  öxu^aöc  grf- 
öiag  i<5xai.  Hr.  B. :  kan7i  in  der  Nähe  des  Landes  und  nahe 
bey  der  Mündung  der  Hafen  leicht  vom  Heere  Gebrauch  ge- 
macht werden.  Weder  die  Uebersetzung  noch  die  Anmerkung 
befriedigt.  Ohne  eine  Aenderung  vorzunehmen,  versteht  Rec. 
zu  (jaStws  förat  aus  dem  Vorigen  als  Subject  tJ  dvvcc^ig.  Die 
gute  Jahreszeit  hindurch  wird  die  Macht  in  der  Nähe  des  Lan- 
des und  der  Häfen  leicht  sich  aufhalten.  Die  scheinbare  Härte 
dieser  Subjcctsergänzung  verschwindet  vö!li;r,  wenn  man  be- 
denkt, dass  der  Satz  xrjv  ö'  cogav  —  töxai  den  Gegensatz  ent- 
hält von  dem  vorigen  vTtaQxu  d'  v^ilv  %uiiabicp  ^\v  %Qrj6d^aL 
ry  övvä^SL  —  nccv&'  VTcdgx&L,  wo  jj  dvva^ig  auch  den  Haupt- 


Des  Demostlicncs  Philipp.  Reden ,  übersetzt  von  Beclicr.        Z'it 

punkt  bildet,  indem  Dem.  zuerst  einen  für  die  Macht  geeigne- 
ten Winteraufentlialt  zeigt,  dann  eben  so  einen  für  den  Som- 
mer. So  fasst  die  Stelle,  wie  Uec.  jetzt  bemerkt,  aucli  llVi- 
diger  in  seiner  zweiten  Ausgabe.  —  S.  48  §  35  zerschneidet 
Herr  B.  oline  Grund  die  freilich  lange,  aber  ausserordentlich 
energische  Periode  von  xalroL  xt  Ör)  jrors  —  TlotiSatuv.  Denn 
während  er  vor  üg  a  toöavra  zur  Fortsetzung  für  das  Deutsche 
seiir  wolilthätig  einschiebt  i^'es^e,  ?vclc/ie  etc.,  hätten  wir  bey 
roi)g  d'  aTtoötolovg  nicht  eine  neue  Periode  erwartet  Warum 
dagegen,  sondern  einlach  die  Fortsetzung  mit:  dass  dagc^eti. 
Ibid.:  ev  ös  xolg  rou  Ttols^ov,  15.:  in  den  Gesetzen  des  Krie- 
ges. Es  muss  aber  heissen:  in  den  Angelegenheiten  des  Kiie- 
ges.,  wie  der  Zusammenhang  beweist.  —  S.  49  §  SX  In  den 
Worten  clg  Ö£  xov  ^ictu^v  %q6vov  Öwä^iEig  bringt  Mr.  B.  durch 
das  Wort  Selbst  die  inzwischen  aufgebotenen  Ileercshaiifen 
eine  Hebung  liervor,  die  unserm  Gefühle  nach  dein  zwar  in- 
nerlich bittern,  äusserlicli  aber  ruhig  die  Erfolge  aufzählenden 
Tone  der  Rede  zuwider  ist.  —  Ibid.:  Er  hingegen  schreitet 
%u  solchem  Frevel.,  doss  er  den Buböern  bereits  solche  Briefe 
sendet,  vßgig  ist  hier  nicht  Frevel ,  sondern  der  Uebernmth., 
der  an  dem  Barbaren  die.  Atliener  allerdings  empören  soll.  — 
§  S8:  aA/l'  'iGcog  ovx  'ij^scc  azovuv.  akX'  d  fi£V,  o(5a  av  xtg 
VTCSQßyj  xä  Xoycp ,  Iva  (.nj  Ivmjöj],  aal  xa  TtQccy^axa  vtibq- 
ßijösraL.,  ösl  TiQog  rj8ovy]v  drj^rjyoQSLV ,  %.  x.  X.  Es  ist  offen- 
bar des  Redners  Absicht,  einen  Gedanken  folgender  Art  aus- 
zusprechen: Wenn  das  Unangenehme  der  Sache  zugleich  mit 
der  Nichterwälmuug  im  Wort  auch  in  der  Wirklichkeit  ver- 
schwindet, so  muss  man  die  Saclie  von  der  angenehmen  Seite 
vorstellen;  bringt  aber  die  angenehme  Behandlung  durch  die 
Rede  der  Sache  Schaden,  so  muss  man  auch  das  Unangenehme 
mit  dem  Worte  berühren.  Hr.  B.  übersetzt  obige  Worte:  Frei- 
lich inöchte  nur  das ,  ivas  Mancher  iti  der  Rede  übergeht ,  um 
nicht  missfällig  zu  werden ,  auch  in  der  Wirklichkeit  verschwin- 
den: dann  n.  s.  w.  Diese  Ucbcrsetzung  tadelt  Rüdiger  in 
der  zweiten  Ausgabe  woltl  mit  Unrecht,  indem  er  übersetzt: 
ivenn  das.,  was  man  übergeht.,  auch  überhingehi  soll.,  so  muss 
man  u.  s.  w.  Die  Frage  ist,  ob  Ttgäyi^iata  hier  wie  xßipo'g,  der 
günstige  Zeitpunkt,  oder  als  schwierige  Lage  und  unglückliche 
Ereignisse  gcfasst  werden  soll.  Der  Gedanke  ist  aber  nicht  et- 
wa: wenn  man  beabsichtigt,  dass  die  im  Wort  übergangene 
gute  Gelegenheit,  sich  der  Dinge  zu  bcmäclitigen ,  auch  in  der 
Wirklichkeit  ungenutzt  vorbejstreichen  soll,  so  braucht  mau 
nur  nach  Gefallen  zu  reden;  sondern  Dem.  will  sagen:  wenn 
das  Wort  die  wundersame  Kraft  hat,  auch  Schlimmes  gut  zu 
machen.  Und  offenbar  waltete  hier  bey  dem  Redner  die  Vor- 
stellung von  der  Schwierigkeit  der  Ttgäyfiata  vor,  vergl.  nur 
die  Worte  tva  ^7}  IvTir^öy.,  und  im  Folgenden  oöu  av  ?}  övG- 


3*8  Griechische    Schriftsteller. 

XBQtj-  Das  Futur.  vjtsgß^ösraL  ^  welches  vielleicht  Rüdij^ern 
zu  seiner  Ansicht  hestimmte,  drückt  nichts  ans  als:  wenn  er 
schon  voraus  weiss,  dass  diess  eifjtreffen  wird.  Nur  dass  er 
dieses  Fntur.  vernachlässigte,  kann  an  B.  getadelt  werden.  Da- 
gegen in  den  Worten  sl  d'  tj  zav  Xöyav  %(XQig,  äv  fj  firj  ngoöi^- 
5coi;öa,  egya  ^tj^ia  yiyvhxat ,  uIöxqov  %.  x.  k. ,  wo  Hr.  B.  über- 
setzt: Wenn  aber  die  schmeichebide  Rede^  die  der  Sache  nicht 
angemessen^  JS achtheil  bringt,  o  dann  ist  es  entehrend^  hat 
dadurch,  dass  iQya  zu  TCQOötJKOVöa  gezogen  wurde,  die  Kraft 
des  Gedankens  sehr  verloren.  Der  Zusammenhang  lehrt  übcr- 
diess,  dass  egya  den  loyotg  entgegengesetzt  sey.  —  Als  Bey- 
spiel  einer  trefflich  gelungenen  Stelle  führen  wir  an  S.  50  §  4«  H".: 
„Wie  aber  Barbaren  faustkämpfen,  so  krieget  ihr  gegen  Philip- 
„pos.  Ist  einer  von  jenen  getroffen,  stets  greift  er  nach  derwun- 
„den  Stelle.  Fällt  der  Schlag  anderwärts,  dort  sind  die  Hände. 
„Dem  Streiche  vorbeugen ,  oder  den  Gegner  ins  Auge  fassen, 
„das  versteht,  das  will  er  nicht.  So  ihr.  Hört  ihr,  Philippos 
„sey  im  Cherrlionesos ,  ihr  beschliesst:  dorthin  soll  Hülfe  ge- 
„sandt  werden !  Heisstes:  in  Pylai,  dorthin!  Und  wenn  noch 
„anders  wo,  so  lauft  ihr  neben  ihm  her  oben  und  unten;  ja,  ihr 
„macht  eure  Feldzüge  unter  seiner  Anführung."  —  S.  55  am 
Schluss  der  Rede:  ö^cog  tnl  tä  Gvvoiösiv  Vfilv  iav  TtQa^rjXB 
ravta  mTiBlöQ^ca ,  Xeyuv  atgodfiai.  Hr.  B.:  will  ich  dennoch 
f  ort  fahr  en^  solchen  llath  zu  geben^  der  meiner  Ue- 
berzeugung  nach  dann  ^  wenn  ihr  ihm  folget^  euch  nützet. 
Dem.  will  aber  sagen,  trotz  der  wahrscheinlich  schlechten  An- 
erkennung seines  guten  Rathes  ziehe  er  dennoch  der  Schönred- 
nerey  die  Sprache  der  Wahrheit  vor,  indem  er  sich  für  diesen 
Fall,  wo  er  so  wenig  den  Zuhörern  Angenehmes  vorbringen 
konnte,  entschuldigt.  In  Hrn.  B.s  Uebersetzung  aber  wird  mau 
eine  Erklärung  des  Redners  über  sein  künftiges  Verfahren  fin- 
den ,  welches  Dem.  nicht  gab.  Doch  um  nicht  gar  ausführlich 
zu  werden,  will  Rec.  mehr  oder  minder  wichtige  Bemerkungen 
über  einzelne  Stellen  ferner  nicht  mittheilen,  nur  glaubt  er 
nach  mehrjähriger  Vertrautheit  mit  dieser  Arbeit  Hrn.  Be- 
ckers versichern  zu  können,  dass  in  den  meisten  Reden  das 
gleiche  Maass  von  Mängeln  sowohl  als  von  Vorzügen  zu  finden 
sey,  wie  in  dieser  I  Phil.,  die  Rec.  blos  aus  zufälligen  Ursa- 
chen vorzugsweise  hier  durchgangen  hat. 

Eine  sinngetreuere  Darstellung  also  ist  in  manchen  Stellen 
noch  möglich,  eben  so  ein  engeres  Anschliessen  ans  Original, 
ohne  darum  ins  Steife  zu  verfallen.  Ein  sorgfältigeres  Wieder- 
geben manches  bildlichen  Ausdruckes  und  eine  zartere  Behand- 
lung manchen  Tones  wird  Hrn.  B.  bey  seiner  Liebe  zum  Red- 
ner und  bey  seinem  Studium  desselben  nicht  schwer  fallen  in 
einer  dritten  Bearbeitung,  die  das  Buch  verdient  und  ohne 
Zweifel  erhalten  wird,      üebrigens  hat  auch  so  ein  künftiger 


Des  Demosthenes  Philipp.  Reden,  übers,  v.  Becker.  S79 

Uebersetzer  ohne  Zweifel  so  viel  Ursache  zur  Dankbarkeit  ge- 
gen Ihn.  B.,  wie  dieser  ehrenwerthe  Mann  sie  gegen  seine  Vor- 
gänger ausspriclit. 

Einen  ganz  besondern  Werth  verschaffen  dem  Buche  die 
historischen  Einleitungen  und  die  Zugabe  von  mehrern  For- 
schungen aus  dem  Gebiete  der  höliern  Kritik.  Erstere  sind 
durchweg  aus  den  Quellen  gescliöpft  und  grossen  Thcils  mit 
solcher  Klarheit  veri'asst,  dass  der  Leser  daraus  eine  höchst  le- 
bendige Ansicht  der  Verhältnisse  gewinnt,  in  welchen  die  Rede 
gehalten  wurde.  Den  critischen  Untersuchungen  ist  accjirate 
Saclikenntniss,  Umsicht  und  milde  Behandlung  abweichender 
Ansichten  in  hohem  Grade  eigen.  Der  erste  Band  enthält  ne- 
ben dem  schon  Genannten  die  3  Olynth,  und  die  11.  vom  Frie- 
den sammt  Einleitungen  und  Anmerkungen,  iiberdiess  noch  eine 
Abhandlung  über  die  Stellung  der  Olynthischen  Reden,  deren 
Resultat  bei  Hrn.  B.  niciit  zu  Gunsten  des  Dionysius  ausfällt. 
Doch  diese  will  Rec.  jetzt  für  eiimial  übergehen,  da  er  sich 
neulich  (in  Bremi's  Ausgabe  der  Philippischen  Reden)  in  seiner 
zweiten  Bearbeitung  diese  Frage  über  die  wesentlichsten  Ein- 
wendungen, die  Hr.  B.  gegen  Dionysius  macht,  ziemlich  ausführ- 
lich erklärt  liat.  Der  zweite  Band  enthält  den  Rest  der  Philip- 
pischen Reden  wieder  mit  Einleitungen  und  Anmerkungen. 
Eingeschaltet  sind  dann  auch  Untersuchungen  über  den  Verf. 
der  Rede  tcsqI  'AXovvriGov ,  über  die  Aechtheit  der  IV  Phil., 
und  über  die  muthmassliche  Zeit  ihrer  Aufnahme  in  den  Ka- 
non, und  über  die  Aechtheit  des  Philippischen  Briefsund  der 
darüber  gehaltenen  Rede  selbst. 

Als  Probe  möge  hier  die  Untersuchung  über  den  Verfasser 
der  Rede  %b.qI  'AIovv,  gelten,  von  welcher  Rec.  die  Beweisfüh- 
rung Hrn.  B.s  in  ihren  Hauptmomenten  durchgehen  und  gele- 
gentlich beleuchten  will.  Zwar  hat  schon  Rüdiger  de  ca- 
none  Philipp,  p.  11  sq.  sehr  wahrscheinlich  gemacht,  dass  diese 
Rede  dem  Ilegesippos  gehöre;  allein  Hrn.  B.s  Untersuchung 
bringt  eben  dieses  Resultat  fast  zur  völligen  Gewissheit. 

Bei  der  Erörterung  der  äussern  Zeugnisse  unterscheidet 
Hr.  B.  zuvörderst  richtig  zwischen  dem  Gewicht,  welches  einem 
Dionysius  und  Libanius  beygelegt  werden  muss,  und  dem  unbe- 
deutendem, welches  den  zahlreichen  spätem  Rhetoren,  Scho- 
liasten  und  Le.vicographen  zukommt,  die  hierin  nur  von  den 
früliern  abhängig  waren.  Wie  entschieden  übrigens  auch  von 
diesen  die  Denkendem  über  die  Unähnlichkeit  dieser  Rede  mit 
Demosthenes  sonstigem  Charakter  überzeugt  waren,  zeigt  das 
Urtheil  des  Photius  Bibl.  p.  1(99  sq.,  der  zwar  zugiebt,  dass  sie 
in  Form  und  Styl  den  übrigen  Reden  des  Dem.  ungleich  sey,  es 
aber  für  möglich  hält ,  dass  Dem.  einen  verschiedenen  Gegen- 
stand auch  verschieden  behandelt  habe,  und  unsere  Rede  auch 
als  ein  aXdzzco^ax^s ^rjnoöd^evtmjg  (pvöBog  dastehen  könne,  eine 


380  Griechische    Schriftsteller. 

Ansicht,  die  nur  auf  der  höchsten  Oberfläche  stehen  bleibt. 
Die  Hauptfrage  aber,  worauf  es  ankommt,  ist,  ob,  wer  sie  dem 
Dem.  absprach  und  dem  Ilegesippus  zuwies,  diess  nur  aus  In- 
nern oder  auch  aus  äussern  Gründen  gethan  habe.  In  dieser 
Beziehung  handelt  es  sich  zunächst  um  die  Aussage  zweier 
Männer,  des  Dionysius  und  Libanius,  und  dann  ferner  um  die 
Frage,  ob  auch  sie  sich  auf  äussere  glaubwürdige  Zeugnisse 
stützten.  Libanius  nun  in  der  vTtö&sötg  entscheidet  sich  meist 
mit  iimern  Gründen  für  Ilegesippus,  und  bemerkt  unter  andern: 

VTtCOTtTtVOV  ÖS  Xal  OL  TlQSößvzSQOL  TGV  kÖyoV  COg  OV  TOV  Qt'jTOQOg 

(des  Dem.).  Da  nun  aber  Dionysius  über  die  Rede  keinen  Ver- 
dacht äussert,  so  folgert  Hr.  B. ,  dass  Libanius  mit  dem  Aus- 
druck nQ^ößvrsQOi  nicht  auf  Kritiker  der  Augusteischen  Zeit, 
sondern  auf  frühere,  namentlich  Kritiker  der  Alexandrinischen 
Schule  hinziele.  Diess  suclit  Hr.  B.  wahrscheinlicli  zu  machen 
mit  zwei  Gründen.  1)  Hegesippus  sey  ein  so  wenig  gekannter 
Redner  gewesen,  dass  Dionysius  seiner  gar  nicht  erwähne; 
man  könne  also  auch  nicht  annehmen,  dass  erst  in  Dionys^ius 
Zeitalter  die  Ansicht  über  Hegesippus  als  Verfasser  aufgekom- 
men sey.  2)  Eine  Bekanntschaft  aber  des  Libanius  mit  ünn 
Alexandrinern  sey  zu  folgern,  weil  er  der  Rede  den  Titel  Ttgog 
r)jv  iitiöroXriv  rrjv  Oikinnov  wieder  geben  will,  welchen  der 
Alexandriner  Kallimachus  erst  in  den  unpassendem  mgl  AXov- 
mjöov  geändert  hatte. 

In  Beziehung  auf  das  Letztere  bemerken  wir,  dass  zwar 
eine  Bekanntschaft  des  Libanius  mit  Kallimachus  nicht  unmög- 
lich ist,  aber  auch  wegen  der  Verbesserung  der  Ueberschrift 
iiiclit  notliwendig  gefolgert  werden  rauss,  weil  Libanius  eine 
solche  Notiz  auch  erst  aus  Dionysius  entheben  konnte,  welcher 
yt£Qi  ÖELV.  p.  Oüi  Rsk.  sagt  ov  STtiyQccqpEi,  Kci?JJ[xa%og  tc^qVAXov- 
V)]öov.  Dabey  wird  nicht  geläugnet,  dass  auch  Libanius  aus 
alten  Quellen  schöpfte ,  wie  z.  B.  die  Notiz ,  dass  nicht  Dem. 
sondern  Hegesippus  den  Kalüppus  anklagte.  Wenn  aber  in 
dem  erstem  Argumente  Ilr.  B.  andeutet,  die  Notiz  des  Liba- 
nius, dass  die  Rede  deswegen  dem  Hegesippus  beygelegt  werde, 
weil  dieser  in  solchem  Styl  geschrieben  habe,  sey  wohl  einem 
Alexandrinischen  Kritiker  entnommen,  zumal  da  Dionysius  den 
Hegesipp  nicht  nenne;  so  rauss  Reo.  bemerken,  dass  freilich 
Libanius  sagt:  %icpaQaxaöl  yk  tlvbs  (tov  loyov)  ovta  'Hyr]~ 
öLTtTtov  xal  (XTCo  rfjg  löeag  xäv  Xöyav  aal  dno  täv  ngayua- 
x(OVy  aber  nach  iÖkag  räv  köycov  auch  hinzusetzt :  toiavti}  ydg 
y,ilQi]xcu^  woraus  hervorgeht,  dass  Hegesipps  Reden  noch 
zu  Libanius  Zeiten  existirten,  dass  also  nicht  nolhwendig  nur 
vor  Dionysius,  sondern  auch  nach  ihm  ,  wiewohl  sclion  vor  Li- 
banius, Kritiker  auf  den  Gedanken  kommen  konnten,  die  fiag- 
liche  Rede  dem  Ilegesippus  beyzulegen.  Ueberhaupt  aber 
glaubt  Reo.,  dass  diese  Ansicht  erst  nach  Dionysius  zu  Ansehen 


Des  Dcniosthenes  Philipp.  Reden,  übersetzt  von  Bcclfcr.      381 

gelangt  sey  iiiul  dass  sie  die  Alexandriner  nicht  aufgebracht 
Italien,  und  zwar  aus  folguiulem  Grunde.  An  drey  Stellen,  die 
Ilr.  B.  aniührt,  spricht  Dionysius  von  unserer  Rede.  Dass  auf 
die  erste,  ep.  ad  Amm,  p.  137,  vvo  die  Rede  sclilechtweg  als 
Demosthenisch  aufgeführt  wird,  llr.  B.  kein  Gewicht  legt,  liat 
seinen  triftigen  Grund,  den  Rüdiger  de  canorie  ganz  deutlich 
entwickelt  hat.  Aber  an  den  zwcy  iibrigen  Stellen  p.  J)81  u. 
!)Ü4,  wo  Dionysius  mit  sicherem,  scharfem  Tacte  das  Abwei- 
chende von  dem  Geist  und  Charakter  des  Deniosth.,  das  diese 
Rede  einzig  habe,  beschreibt,  wo  es  einem  diinkt,  es  sollte 
ihm  auf  der  Zunge  schweben,  sie  sey  aber  auch  nicht  von  De- 
mosthenes;  da  bemerkt  er  sogar,  sie  liabe  durchaus  den  Cha- 
rakter des  Lysias.  Wie  wäre  es  nun  möglich ,  dass  Dionysius, 
wenn  er  eine  Ilindeutung  auf  den  Ilegesippus  gefunden  J)ätte 
bey  den  Alexandrinern;  und  die  kannte  er  ja,  und  bey  einem 
so  auffallenden  Umstände,  der  mit  seinem  Gefühle  so  willkom- 
men übereinstimmte,  würde  sie  ihm  unmöglicli  entgangen  seyn^ 
—  wie  hätte  Dionysius  eine  solche  Notiz  der  Alexandriner 
nicht  benutzen  sollen'?  Mögen  nun  dem  Dionysius  des  Ilegesip- 
pus Reden  verborgen ,  oder  mögen  sie  ihm  der  Beachtung  un- 
vverth  erschienen  seyn,  weil  sie  nicht  kanonisch  und  nicht  mu- 
stergültig waren,  und  mögen  sie  dann  erst  wieder  zwischen 
Dionysius  und  Libanius  Zeit  gelesen  worden  seyn ;  genug, 
der  Wink  über  üegesipp  scheint  nicht  von  den  Alexandrinern 
hergerührt  zu  haben. 

Somit  fallen  denn  aber  auch  nach  des  Rec.  ürtheil  die 
directen  äussern  Beweise  weg  und  reduciren  sich  auf  innere, 
die  aber,  besonders  im  Munde  des  Libanius  um  so  mehr  Ge- 
wicht erhalten,  da  er  historische  Quellen  benutzte,  die  uns  un- 
zugänglich sind,  und  wahrscheinlich  auch  den  Styl  des  Ilege- 
sipp  aus  eigener  Anschauung  kannte.  Von  den  Innern  Gründen 
führt  Hr.  B.  zuerst  folgende  historische  aus:  p.  77  Rsk.  sagt 
der  Redner,  er  sey  als  Gesandter  wegen  Ilalonnesus  bey  Phi- 
lipp gewesen.  In  dieser  Angelegenheit  aber  war  schwerlich  je 
Dem.  bey  Philipp,  dagegen  aber  Hegesippus.  Dem.  f.  leg.  p.447. 
p.  82  sq.  fällt  die  milde  Erwähnung  des  Philokrates  auf,  dessen 
Dem.  überall  nur  mit  Bitterkeit  gedenkt,  wie  de  f.  leg.  p.  310 
u.  a. ;  und  besonders  noch  der  Umstand,  dass  der  Redner  ein 
dem  Philokrateischen  entgegeuiresetztes  Decret  vorgeschlagen 
haben  will,  was  einmal  Dem.  nicht  gethan  haben  kann.  Min- 
der verdächtig  scheint  uns,  was  Hrn.  B.  sehr  befremdete,  die 
Behauptung  des  Redners,  dass  Macedonien  früher  unter  Athens 
Botmässigkeit  gestanden  habe.  Denn  Olynth.  III  p.  35  sagt 
Dem.  auch  rund:  v7Ci]xovE  da  6  ravTTqv  ri^v  xcoQccv  bxcov  ßccöc- 
Aeug.  Die  Stelle  endlich  p.  87,  wo  die  Anklage  des  Kalippus 
berührt  wird,  den  nach  Libanius  nicht  Dem.  sondern  Hegesipp 
anklagte,  ist  allerdings  entscheidend. 


382  Griechische    Schriftsteller. 

In  der  zweyten  Gattung  von  innern  Griuiden,  betreffend 
die  Darstellung  und  Ausdruck,  billiffin  wir  sehr  die  Behutsam- 
keit Hrn.  B.s,  dass  er  auf  die  häufig  missbrauchte  Manier,  ein- 
zelne Ausdriicke  und  Worte  fiir  dem  Vrf.  fremd  zu  erklären, 
nicht  sehr  viel  giebt.  Solche  haben  erst,  wenn  man  anderwei- 
tig hinlänglich  i'iberzeugt  ist,  eine  secundäre  Beweiskraft.  Dass 
dagegen  Hr.  B.  nacli  Anleitung  der  alten  Kritiker  einerseits  mat- 
tere Stellen  und  ungeschickte  Tropen  (wenigstens  wie  den  am 
J*^nde  der  Hede) ,  anderseits  das  Auseinanderfallende,  Schlaffe 
und  Untaktisclie  in  der  Anordnung  der  Gedankenmasse  vergli- 
chen mit  der  sonstigen  Meisterschaft  des  Dem.  für  seine  Ansicht 
geltend  macht,  geschieht  mit  gutem  Erfolge  und  überzeugend. 

Einen  Zweifel  könnte  man  noch  erheben,  wenn  man  sieht, 
dass  in  unserer  Rede  die  Phrasis  eine  Rolle  spielt,  ob  man  die 
Insel  annehmen  oder  zurücknehmen  \vo\\e^  und  aus  Aesch.Ctes. 
p.  475  eifährt,  dass  gerade  dem  Dem.  der  Gebrauch  dieser 
Phrase  zugeschrieben  wird.  Hr.  B.  antwortet  auf  den  Zweifel 
mit  einer  Stelle  aus  dem  Briefe  Philipps  p.  Iß2:  oi  Q^TOQsg 
^cc^ßcn'BLV  }dv  ovy,  iXav^  dTtolaßdv  Öl  övvsßovlsvoiK  Und  — 
fügt  Rec.  hinzu  —  der  Zweifel  ist  um  so  ungegründeter,  da  ja 
gerade  die  Art  u.  Form  der  Wiederannahme  der  Gegenstand  der 
Unterhandlung  war,  folglich  jeder  nicht  philippisirende Redner 
auf  das  dnolaßelv  u.  ^rj  kaßuv  Alles  zu  stellen  gezwungen  war. 

Die  sparsamen  Notizen  des  Alterthums  endlich  über  He- 
gesipp,  die  Hr.  B,  am  Ende  der  Untersuchung  zusammengestellt 
hat,  zeigen,  dass  dieser  Redner  völlig  die  Person  sey,  der  man 
unsere  Rede  zuschreiben  könne. 

Uebrigens  hat  Hr.  B.  diese  wegen  des  Inhalts  wichtige 
Rede  zu  frey  übersetzt  und  einige  Male  den  Sinn  verfehlt. 
Z.  B.  p.79pr.  Rsk.:  kqjsöL^ov  trjv  Tiag  v^oiv  ysvouBvrjv  yvcööiv 
tag  mvTov  TiOLOviisvog^  übersetzt  er  (in  folgender  Gedanken- 
verbindung: die  abgeschlossenen  Verträge  über  Judicatur  beid- 
seitiger Angehöriger  würden  gültig  seyn,  nicht,  nachdem  sie 
von  der  Athenischen  Behörde  rechtskräftig  erklärt,  sondern 
wenn  sie  an  den  Philipp  gelangt)  und  euer  Krkenntniss  vo?i  ihm 
bestätigt  worden  sey.  Es  muss  aber  heissen:  ivodurch  er  die 
von  Euch  ausgegangene  Erlie7intniss  erst  noch  an  sich  appel- 
label  macht.  — p.  81  R. :  oi  (isv  Tigsößsig  avtol^  cov  aatEtpBv- 
ÖBXO  t6  i)r'icpL6pia,  öt  dnSiCQLVSöd'S  ttvtolg  dvccyiyvcjöKOVTEg, 
H.  B. :  Die  Gesandten ,  denen  das  verfälschte  Volksdekret  vor- 
gelesen tvurde.  —  p.  82  sind  die  Worte  jtal  r^v  dUaia  in  der 
Uebers.  weggelassen.  —  p.  87  pr. :  dkXd  Kai  ^Jtgog  KaQÖLavovg 
—  iTttörUkst  —  ag  dal  v^dg  diadixdt,s6\rai  TtQog  KagdLavoyg. 
B.:  Er  fordert  sogar  in  Beziehung  auf  die  Betvohner  von  Rar- 
dia —  dass  —  diese  Klagen  einer  gerichtlichen  Untersuchung 
UJiterworfen  iverden  miissten ;  wo  es  heissen  sollte:  aber  sogar 
mit  den  Kardianer7i ,  fordert  er  im  Briefe.,  —  dass  ihr  Frocess 


Demostlicnis  Flillippicac.    Ed.  Bckkcr.  33S 

fuhren  mnsaet  mit  den  Kardianern^  u.  s.  w.  In  der  Wiederho- 
lung drückt  t^ich  die  Indignation  ans. 

Noch  gianbt  llec.  hinzuiiigen  zn  müssen,  dass  er  mit  Hrn. 
B.  über  die  Unächtlieit  der  iV  Phil,  vollkommen  einverstanden 
ist.  Höchst  interessant  ist  die  dieser  Untersuchung  angehängte 
Abliandinng  über  den  Alexandrinischen  Kanon.  Nicht  minder 
muss  man  mit  Hrn.  B.  einverstanden  seyn  über  die  Aechtlieitdes 
Brief esPhiiipps  und  über  die  walirscheinlicheUnächtlieit  der  dazu 
gezogenen  Rede.  Letztere  zwar  liätte  nach  den  von  Rüdiger  de 
canone  p.  21  entwickelten  nnd  von  Hrn.  B.  selbst  nocli  vermehr- 
ten Gründen  bestimmter>können  ausgesproclien  werden. 

Sehr  schätzbar  endlich  ist  die  angehängte  25  Seiten  starke 
Literatur  der  Pliiiippisclien  Reden  sowohl  wegen  der  Vollstän- 
digkeit bis  auf  die  Erscheinung  des  zweiten  Bandes  der  Ueber- 
setzung,  als  auch  wegen  der  beygefügten  kurzen  und  treffenden 
ürtheile.     Das  Ganze  beschliesst  ein  brauchbares  Sachregister. 

N.  II.  Bekanntlich  hatte  schon  181ß  Herr  Immanuel 
Bekker  eine  Schulausgabe  der  ächten  8  Philippischen  Reden 
sammt.den  vno^iöuc;  des  Libanius  und  ebendesselben  Leben 
des  Dem.  besorgt,  den  Text  zum  Theil  nach  Reiske's  und 
Augers  Hülfsmitteln,  zum  Theil  nach  neuern  codd.  verbes- 
sert und  die  Abweichungen  der  Reiskeschen  Lesart  unten  am 
Rande  angeführt.  Schon  in  dieser  Ausgabe  war  Vieles  für  den 
Text  geschehen,  noch  mehr  aber  in  der  1824  erfolgten  Aus- 
gabe des  ganzen  Demosthenes.  Wer  diese  zweyte  Bearbeitung 
mit  jener  ersten  sorgfältig  verglich ,  der  wird  wohl  gestehen, 
dass  er  in  eben  dem  Maasse,  in  welchem  der  Text  durch  die 
zweyte  Bearbeitung  vor  der  ersten  gewonnen  hat,  auch  selbst 
an  Einsicht  in  die  Kritik  und  Sprache  des  Demosthenes  zuge- 
nommen habe.  Aus  den  reichlichen  Varianten  konnte  man  sich 
jetzt  von  Vielem  überzeugen;  und  wenn  schon  mancher  Zweifel 
übrig  blieb  und  man  häufig  einige  Worte  mehr  von  Hrn.  Bekker 
hätte  wünschen  mögen,  so  war  es  doch  höchst  anziehend  und 
belehrend,  den  Fortschritten  der  Kritik  eines  so  ausgezeichne- 
ten Mannes  zu  folgen.  Mit  der  Hoffimng  auf  älinlichen  Ge- 
winn griff  nun  auch  Rec.  nach  der  zweyten  Schulausgabe,  die 
1825  erschienen  ist,  und  in  ihrer  Einrichtung,  auch  in  der  Auf- 
einanderfolge der  Reden  ganz  der  ersten  gleicht.  Begreiflich 
konnte  man  nach  der  grossen  Ausgabe  nicht  mehr  sehr  viele 
wesentliche  Veränderungen  erwarten  ;  indess  hat  docii  Hr.  B. 
an  mehreren  Stellen,  als  Rec.  vernnithet  hätte,  die  Lesart  der 
Hauptausgabe  wieder  verlassen  und  ist  zur  Lesart  der  ersten 
Schulausgabe  zurückgekehrt.  Lange  bemühte  sich  Rec.  um- 
sonst, die  Gründe,  die  Hrn.  B.  zu  solchen  Rückschreiten  bewe- 
gen konnten,  zu  erforschen.  Endlich  gerieth  er  auf  den  Ein- 
fall, dass  manche  Lesart  von  I  (so  will  Rec.  die  erste  Schulausg. 
nennen,    die  zweyte  III,  die  grosse  Ausg.  II)  ganz  unabsicht- 


S84  Griechische    Schriftsteller. 

lieh  in  III  stehen  g^eblieben  sey.  Ueber  diesen  Einfall  nun 
muss  sich  Rec.  mit  Gründen  aus  einander  setzen,  um  so  viel 
mehr,  als  die  Täuschung,  in  der  Rec.  anfangs  befangen  war, 
auch  Andere  verleiten  könnte,  und  liüdigern  wirklich  verlei- 
tet hat,  indem,  wie  es  scheint,  dies:er  Gelehrte  dafür  hielt, 
III  sey  durchweg  als  eine  nachträgliche  Verbesserung  der  Les- 
arten von  II,  gleichsam  von  letzter  Hand  anzusehen.  Und  bei 
der  verdienten  Aufmerksamkeit,  mit  der  man  Rekkers  Ausgaben 
aufnimmt,  ist  eine  solche  Täuschung  sehr  verzeihlich.  Rec. 
erklärt  sich  die  scheinbaren  Rückfälle  zur  alten  Lesart  einfach 
so.  I  hat  niclit  in  der  alten  Gestalt  wieder  abgedruckt  werden 
sollen,  sondern  mit  Verbesserungen  von  II,  wie  es  recht  und 
hillig  war.  Daher  Mohl  11  die  Grundlage  von  III.  Der  Ab- 
druck geschah  aber  nicht  unmittelbar  von  II,  sondern  von  I,  in 
M  eiche  Ausgabe  die  Verbesserungen  von  II  eingetragen  wur- 
den. Daneben  blieb  aber  auch  unabsichtlich  manche  Lesart 
voni  stehen,  einige  \ie!leicht  mit  Absicht.  Ob  nun  Hr.  R.  selbst 
die  Bearbeitung  von  III  eigenhändig  besorgt  habe,  oder  ob  sie 
einem  Andern  übertragen  worden  sey,  mag  Rec.  nicht  entschei- 
den. Letzteres  ist  ihm  aber  wegen  Ilrn.  R.s  sonstiger  Genauig- 
keit wahrscheinlich.  Dass  nun  die  Recension  des  Textes  von 
II  die  Grundlage  auch  von  III  ausmache,  wird  Jeder  schnell  ein- 
sehen. Seine  Vermuthung  aber  will  Rec.  auf  folgende  Art  mit  Rei- 
spielen  aus  der  I  Phil,  und  den  drey  Olynth.  Reden  rechtfertigen. 

A)  Solche  Lesarten  von  I,  die  in  II  verworfen  worden,  in  III 
aber,  wie  es  scheint,  mit  Recht  wiederhergestellt  sind. 

p.  49  Rsk.  extr.  TCoUrag  v^srsgovg  (pxsr  ayav  I  und  III.  Da- 
gegen II  s^cov.  Mit  Recht  bemerkt  Rüdiger ,  eicov  passe  nicht 
auf  TtoKUag^  auch  scheinen  die  Schreiber  von  cod.  2]  u.  2\  wel- 
che ^xav  haben,  durch  das  bald  folgende  £;^cov  sich  haben  ir- 
ren zu  lassen.  Eben  so  mit  Recht  p.  50  Rsk.,  §  35  Bkk.  ist 
ro6avxi]v  von  I  und  III  in  Klammern  eingeschlossen.  In  II  ist 
es  ohne  Klammern,  wiewohl  es  IIV  nicht  haben.  Die  Härte 
der  Auslassung  verschwindet  völlig  durch  das  darauf  folgende 
ÖGrjv.  —  p.  25  R  pr.  ist  'Elly^vLKCöv  in  II  eingeklammert,  mit 
Recht  aber  nicht  in  I  und  III. 

B)  Solche  Lesarten,  die  I  und  III  gemeinschaftlich  haben,nicht 

aber  II,  über  die  sich  für  und  wider  streiten  lässt,  so 
dass  Rec.  für  jetzt  ihren  Vorzug  unentschieden  lassen  will, 
p.  2ß  R.,  §  28  B.  I  u.  III  'AyLcplnolig  kccv  ^(p&rj,  II  'Jficp.  av  A. 
Beides  lässi  sich  rechtfertigen.  In  II  aber  ist  äv  ohne  Variante. 
Ist  dieses  somit  aus  Handschriften,  so  ist  wohl  aav  unabsicht- 
lich in  III  übergegangen.  —  p.  S6  R.  pr.  tovtav  l  u.  III.  täv 
vvv  II.  Nach  Bekk.  hat  ersteres  nur  cod.  T.  Rec.  stimmt 
liüdigern  eher  bey,  tojv  wv  sehe  einer  Glosse  ähnlich.  Da- 
zu gesellt  sich  bei  Rec.  der  Zweifel,  ob  Bekk.  hier  seine  Va- 
rianten auch  richtig  angegeben  habe.     Denn  cod.  a  (  von   wel- 


Demosthcniä  Pliilipiilcac.  EA.  Bekkcr.  385 

cliem  unten)  bcy  Riul.  hat  tovtcov.  —  p.  47  Rsk.,  §  28  B.  tov- 
ro  07]  xal  %£Qavä  I  u.  IIT.  So  liat  aucli  Diiidorf,  niQuiva 
hat  II,  und  kann  vertheidigt  werden.  —  p.  50  11.,  ^  37  Hz  iv 
oöo)  ravxa  iiillsTCii  I  u.  II,  wie  cod.  E  darbietet;  aber  jugAAatE 
IL  Letzteres  möchte  doch  Reo.  vorziehn.  Denn  cod.  Z'  zeigt 
sich  auf  der  gleichen  pag.  pr.  als  einen  sehr  unzeitigen  Lieb- 
haber dieser  passivischen  Ausdrucksweise  in  big  a  roöavt' 
dvaXiö'KtxB,  wo  2^  hat  dvaliöKStai,  welches  wegen  der  folgen- 
den AccHsative  durchaus  verwerflich  ist.  —  p.  52  R.  extr.  tcoZ 
di)  jiQoöoQ^Lov^sd^a  I  u.  III,  Ttoi  ovv  TtQ.  uacli  2J II,  wo  freilich 
schwer  zu  entscheiden  ist. 

C)  Solche  Stellen  in  III,  deren  Lesarten  denen  in  II  nach- 
zusetzen sind. 
In  Liban.  vnöd'.  ad  Ol.  II  ist  es  gar  auffallend,   dass  oluBiav  in 

I  u.  111  steht,  welches  bloss  cod.  T  hat,  während  II  mit  Recht 
iÖiav  aus  allen  codd.  mit  Ausnahme  von  T-  —  In  der  vnö^.  zu 
Ol.  III  p.  28  R.  pr.  ists  nur  Druckfehler  in  III,  dass  in  den  Wor- 
ten Toi)  niv  (ii)  Tcc  oIkhu  TtQosö&ai  TCOLOvvvat  cpQovriöa  jenes 
ybi]  nach  ^Iv  ausgefallen  ist.  —  p.  20  R.  §  8  Bkk.  in  den  Wor- 
ten tJ  naQiXdcov  —  8BL'E,äxa  ij  (og  ovx  dXr]&^  y,.  x.  X.  ist  in  U 
nach  öii^äxco  das  i]  gestrichen  mit  cod.  2J,  und  offenbar  richtig. 
Denn  bliebe  rj  nach  öiih,ttxco^  so  wiirden  wenigstens  der  äussern 
Form  nach  3  Disjunctivglieder  als  von  gleichem  Werthe  darge- 
stellt, welches  nicht  möglich  ist.  Denn  das  erste  Glied  wg  — 
Aeyai  ist  den  beyden  folgenden  entgegengesetzt.  In  solchen 
Fällen  aber  erweist  sich  die  Giite  des  cod.  2  und  die  Interpo- 
lation der  Flickwörter  in  der  Familie  von  Tßuv.  Nun  aber 
ist  in  I  ^*  bey behalten,  auch  wiederum  in  III;  in  letzterra, 
glauben  wir  zuversichtlich,  wider  Hrn.  Bkk.s  Willen.  —  p.  21 
R.,  §  12  B.  ÖBiKvvvai  I  u.  III,  in  II  aber  dsixvvsLV  ohne  An- 
zeige von  Varianten.  Letzteres  also  fand  Hr.  B. ,  muss  man 
schliessen,  in  den  MSS.  allen,  üeber  die  Richtigkeit  der  Les- 
art selbst  siehe  Riidiger.    —   p.  23,  §.  18   I  u.  III  ovdavcov, 

II  aber  ovdsvcov^  ohne  Zweifel  nach  codd.  —  Ibid.  §  25  das 
erste  Mal,  in  II  6  XQOVog  änag  8uXrilv%iv  ovxog  nach  MSS. 
und  energischer;  dagegen  I  u.  III  änag  6  %q.  8.  6.  —  p.  29,  §4 
yevo^svov  I  u.  III.  Viel  besser  ybyvojXEvov  in  II,  welches  au- 
sser Talle  codd.  bey  Bkk.  haben  —  p  37  pr.  I  u,  III  ^Etadcoöi, 
II  fieradidcööi,  welches  B.  aus  allen  codd.  aufnahm ,  ausser  T, 
welcher  allein  den  Aor.  hat.  —  p.  43,  §  12  ovdh  öidovxav 
Vfiiv  rav  iCccLQav  'J{ig)i7ioXiv ,  so  haben  I  u.  III,  in  II  ist  mit 
cod.  2J  v[iiv  getilgt.  Rüdiger  bemerkt  dabey:  „codicum  au- 
ctoritate,  ni  fallor,  permotus  bene  revocavit."  Allein  vfxlv  ist 
zwar  nicht  durchaus  verdaramlich;  fasst  man  aber  didövai  in 
der  Bedeutung  f/^rbieten ,  so  ergiebt  sich  mit  Auslassung  von 
viilv  der  gar  passende  Sinn:  nicht  einmal^  tcenn  die  Umstände 
j4mphip.  darböten  (allgemein :    nehme  es,  wer  es  kann),  könn- 

Jahrb.  J.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  V.  Heft  4.  25 


386  Griechische    Schriftsteller. 

tet  ihr  es  in  Empfang  nehmen.  —  Ibid.  §29  lu.III  jtQOöTtOQisl, 
II  nach  allen  Bekkersclieii  MSS.  TtQOöJtOQiBitaL.  —  p.  48,  §  32 
oft  xoivvv  riii&i  Tuvt  Iv^vfioviiävovg  pii]  ßoTjd'Eiatg  noXeuslv 
I  u.  III.  In  11  ist  fj^äg  wegi^elassen.  Nämlich  codd.  Fv  haben 
V[iäg  tavT  ,  2J  und  T  weder  i]nccg  noch  vfiäg.  Schwerlich 
konnte  Hr.  B.  es  in  III  wiederherstellen  wollen.  —  p.  52,  §  43 
V718Q  tov  tificoQrjöaöd'ca  ^ikmitov.  So  I  n.  III.  II  hat  statt 
VTiBQ  ohne  Variante  jcepi,  so  dass  man  wohl  annehmen  niuss, 
letzteres  sey  Lesart  der  MSS.  Mit  Recht  hält  sich  daruju 
auch  Uli d i  g e r  über  tjjrtp  in  III  auf.  —  Ibid.  avtov  üolvGy, 
In  II  ist  nach  cod.  2J  avxov  weggelassen.  I  u.  III  behalten  es 
bey.  Wie  es  hineingesetzt  worden  sey,  ist  leichter  zu  erklären, 
als  wie  weggelassen.  —  p.  54,  §  49  syco  d'  o'io^ai  ^iv  I  u.  III. 
Ohne  Anzeige  von  Var,  olpLai  in  II,  so  dass  vermuthlich  auch 
hier  unabsichtlich  oloy^ai  aus  I  sich  in  III  fortgeerbt  hat. 

Rec.  glaubt,  dass  zur  Rechtfertigung  seiner  Vermuthung 
diese  Beispiele  hinreichen.  Die  Brauchbarkeit  für  Schulen 
wird  darum  dieser  Ausgabe  nicht  abgesprochen,  obgleich  man 
auch  dem  Schüler  den  bessten  Text  gönnen  soll;  wohl  aber  der 
Werth  für  den  Gelehrten  in  so  fern,  als  man  bey  den  wenig- 
sten Abweichungen  der  zweyten  Schulausgabe  von  der  Ilaupt- 
ausgabe  auf  eine  veränderte  Ansicht  Hrn.  B.s  schiiessen  zu 
müssen  scheint ,  wenn  man  nicht  Hrn.  B,  mit  seinem  in  der 
Ilauptausgabe  wohl  durchgefülirten  Verfahren ,  den  Text  auf 
diplomatischen  Grund  zu  stellen,  in  Widerspruch  treten  lassen 
will,  oder  gar  glauben,  was  wenigstens  Rec.  nicht  kann,  Hr.  B. 
erkläre  faktisch  seine  Variantensammlung  in  der  Hauptansgabe 
für  unzuverlässig.  —  Rec.  sieht  diese  Schulausgabe  mehr  für 
ein  Unternehmen  des  Verlegers,  als  Hrn.  Bekkers  an.  Schü- 
lern nun  wäre  mit  besserm  Papier  und  grössern  Lettern  auch 
besser  gedient  gewesen,  so  wie  man  in  einer  Schulausgabe  reich- 
lichere Interpunctionen  wünschen  muss. 

N.  III.  Die  erste  Philippische,  die  dreyOlynthischen  und 
die  Rede  vom  Frieden  sind  schon  1819  von  Herrn  Rüdiger 
herausgegeben  worden,  und  dieser  Gelelirte  hat  sich  dadurch 
zuerst  in  Deutschland  das  Verdienst  erworben ,  angehenden 
Lesern  die  erste  Bekanntschaft  mit  dem  für  den  Anfang  nicht 
leichten  Redner  auf  eine  belehrende  Weise  zu  erleichtern;  zu- 
gleich aber  hat  er  seine  Arbeit  so  ausgefübrt,  dass  auch  der 
gelehrtere  Kenner  vielfachen  Nutzen  daraus  zog.  Das  Ver- 
dienst dieser  Bearbeitung  erweist  sich  auch  aus  dem  Bedürf- 
niss  dieser  zweyten  Ausgabe,  die  nicht  nur  vermehrt,  sondern 
auch  eine  ganz  und  gar  neue  Bearbeitung  ist.  Sie  enthält  die 
gleichen  Reden,  welche  die  erste  Ausgabe,  voran  steht  die  Le- 
bensgeschichte des  Dem.  von  Libanius  mit  ausführlichem  Cora- 
mentar.  Vor  den  einzelnen  Reden  befinden  sich  ebendesselben 
vno%i0ELgi  dann  die  nötliigeu  Prolegoinenen  und  das  Argumen- 


Dcmo9tlienis  Philipp  Icno.  Ed.  Rüdig-er.  38 

tum  jeder  Rede.  Auf  eine  l)illi;2:enswerthe  Weise  hat  Hr.  R. 
die  ausiührlichen  historischen  Erläuterungen  in  einem  ahg^eson- 
derten  Comnientar  folgen  Jassen,  und  dabei  A.  G.  Beckers 
Arbeiten  und  Vom  eis  Programme  benutzt.  Hierauf  fol;;t  die 
"Varietas  lectionis.  Einen  Dresdner  und  Gothaer  Codex  liat  R. 
selber  vergliclien.  Die  Varianten  von  4  Miincliner  Handschrif- 
ten, welche  Hr.  R.  der  Mittheilnng  Hrn.  Karl  Schäfer'^ 
verdankt,  y^  ^^  g,  ^  genannt,  lieferten  eine  Nachlese,  da  sie 
schon  sämmtlich  von  Reiske  benutzt  worden  waren.  Endlich 
verdankt  R.  noch  Hrn.  Fr.  Tliiersch  die  Vergleichung  zweier 
Pariser  Handschriften,  die  er  ^  und  ß  benennt,  und  von  denen 
a  sehr  merkwürdig  ist.  Schade,  dass  derselbe  niclit  genau  be- 
sclu'ieben,  oder  vielleicht  Hrn.  R.  eine  Resclireibung  nicht  mit- 
getheilt  wurde.  Denn  wenn  Hr.  R.  praef.  p.  VH  bemerkt,  a 
stimme  mit  Bekkers  cod.  2^  meistens  Viberein,  so  mangelt  fiir 
Rec.  nur  noch  das  Zeugniss  des  übereinstimmenden  Aeussern, 
um  die  Identität  desselben  mit  cod.  Z,  vollkommen  auszuspre- 
clien,  welcher  nachdem  GebraucJi,  den  1mm.  Bekker  davon 
machte,  die  höchste  Wichtigkeit  für  die  Feststellung  des  Tex- 
tes erhalten  hat.  Durch  die  Wahrscheinlichkeit  dieser  Identi- 
tät aber  besitzen  wir  eine  ControUe  über  die  Genauigkeit,  mit 
welcher  Imm.  Bekker  diesen  codex  verglich.  Mach  der  Prü- 
fung, die  Rec.  so  weit  er  konnte  angestellt  hat,  ergiebt  sich 
das  Resultat  zu  Gunsten  der  Genauigkeit  Bekkers. 

Weit  und  in  den  meisten  sowohl  wichtigen  als  unwichtigen, 
sowie  auch  in  bloss  sonderbaren  Varianten  stimmen  a,  ""d  H 
überein.  Hingegen  sind  in  der  Vergleichung,  «  genannt,  ver- 
muthlich  aus  Flüchtigkeit  eine  Menge  Varianten  nicht  ange- 
führt, die  in  der  Vergleichung  Z' sich  finden.  Umgekehrt  ent- 
hält auch  f{  eine  Anzahl  Varianten,  die  sich  in  21  finden  mögen, 
die  aber  Bkk.  nicht  angegeben  hat.  Sie  theilen  sich  in  solche, 
die  Bkk.  absichtlich  nicht  notirt  haben  mag,  und  in  solche,  die 
ihm  entgangen  seyn  können.  Zu  den  ersten  zählen  wir ,  dass 
a  (od.  .Z')  das  vf^JE^K.  häufig  anbringt,  und  zwar  sowohl  vor 
Interpunctionen,  wie  Ol.  I  §  13  7]<5%i.vri6zv,  Phil.  I  §34  f^ä/la^av, 
5(at,  §  50  vßQLKEV,  aal;  als  auch  an  unpassenden  Stellen,  wie 
Ol.  II  §  5  (pT]6Biav  HBvrjV,  §  10  ccvexcänösv  aal,  §  12  eqovölv 
HÖvov,  Phil.  I  §  3  dxovovöLv  xal^  §  3fi  sÖo^ev  nal.  —  Hinge- 
gen unverhofft  Ol.  III  §  29  hat  u  'rjvir]xe^  wo  Bekker  aus  Zi 
o]v^r]itBv  notirt.  Phil.  I  §  39  ist  ohne  Zweifel  in  c^  u.2;  die  Les- 
art d^iäösiE  tig  dv.  —  Absichtlich  übergangen  mag  auch  seyn 
Ol.  I  §  15  ourojg  y,a\^  wie  a  h^*«  —  Bemerkenswerth  ist  dann, 
dass  cc  den  Hiatus  vermeidet.  Phil.  I  §  24  £ör'  dQ%ciV  ^  §  37 
olaiV  ovöai ,  §  50  xavt  el'öwftcv,  und  ihn  wieder  zulässt  Phil. 

25* 


388  Griechische  Schriftsteller. 

I  §  7  v}i8TBQa  avrav,  §  46  nccvta  oöcc.  —  Wir  rechnen  auch 
zu  dem  absichtlich  von  Bkk.  Uebergangenen  Ol.  I  §  10  vnsQSte- 
[isvcov  (wenn  es  bey  Rüdiger  nicht  Sclireib-  oder  Druckfehler 
ist);  das  häufige  av  statt  sccv  Phil.  I  §§  41,  43,  50,  während 
Bkkr.  gerade  unter  Andern  aus  U  av  schrieb,  wo  vulg.  sav 
steht  §  50.  —  Da  man  annehmen  darf,  dass  21  alle  diese  Ei- 
genthiimlichkeiten  häufiger  hat,  als  sie  in  cc  notirt  sind,  und 
auch  diese  Minutien  zur  Charakteristik  eines  cod.  gehören,  so 
liätte  sie  wohl  Hr.  Bkkr.  bey  der  Beschreibung  des  cod.  kurz 
anmerken  mögen. 

Entgangen  scheinen  dagegen  Hrn.  Bkkr.  folgende  Lesarten, 
die  a  ''^t-  ö'-  '^  §  15  avra^  (Bkk.  eavrä).  §  23  zolg  vor  &boIs 
lässt  a  weg.  Ol.  HI  §  2  hat  «  tceqI  tov  riva  tLiicoQrjöBrccL  rig 
%a\  öv  (ov  bey  Rüd.  ist  Druckfehler)  tqotcov  l^sörai  öxoTtüv. 
§17  fehlt  tZöt  bey  cc  i"  Oittvag  bIöc;  eben  so  yaQ  in  %al  yag 
§  21.  Phil.  I  §12.  cod.  a  dtoixtjöEdd's  (fut.  cum.  aV),  eben  so 
§  18  oQ^rjöBTB  ,  wo  Bkk.  aus  U  nichts  notirt.  §  19.  a  oto^aij 
Bkkr.  ohne  Var.  oly-ai.  ibid.  «  jigo  ös  tovtcov,  vulg.  aber  jiQog 
Öl  rovTOis  ohne  Var.  bey  B.  §38.  statt  sTtLötokal  hat  ^  BJttöto- 
Irjg  dvdyvciöLS-  ibid.  lässt  a  weg  avögsg  ^A^r^valoL.  §  50.  Zu 
Tolg  TTgay^ttöL  bemerkt  R.  ^^ngccy^aCi  d.  a-""  Allein  ohne  Zwei- 
fel auch  tolg.     De  pace  §  11  ovörjg  vor  daivötrjrog  lässt  a  weg. 

Dass  Lesarten  Hrn.  Bkkr.  entgangen  sind,  ist  besonders  da 
gewiss,  wo  er  eine  Lesart  aus  cod.  F  notirt  hat  (der  mit  2J  am 
häufigsten  übereinstimmt),  nicht  aber  aus  2J^  wo  aber  eine  sol- 
che aus  cc  notirt  ist,  Ol.  H  §  26  vvv  cc  (wiei^;  aus  2^  ist  nichts 
notirt,  Bkk.  hat  im  Text  vvvl).  Ol.  III  §  32  ß?iäßr]  räv.  a 
(und  F)  ßkdßr]  7J  täv  ^   welche  Lesart  merkwürdig  ist.      §33 

XTi]öT]6&£  hat  a  {"^yo F xtrjöaLö&s).  Phil.  I  §  14  xal  ^rj  ngote- 
Qov.  nach  Bkk.  sollte  man  denken  2  habe  aal  nicht.  Dagegen 
hat  es  bey  ihm  F^  und  Rüd.  «.  Ob  aber  ibid.  «  wirklich  habe, 
wie  es  in  Rüdigers  Varr.  steht,  ä^elsiav  nal  Qu^v^lav  (wel- 
ches F  in  yg.  hat,)  scheint  uns  zweifelhaft. 

So  unvollkommen  und  partiell  wir  nun  auch  diese  Unter- 
suchung führen  konnten,  so  haben  wir  doch  dadurch  dieUeber- 
zeugung  gewonnen,  dass  sich  zwar  an  Hrn.  Bekkers  Verglei- 
chung  allerdings  Mängel  entdecken  lassen,  die  aber  bey  der 
ausserordentlichen  Ausdehnung  der  Arbeit  auch  fast  unaus- 
weichlich sind,  dass  dagegen,  verhältnissmässig  sehr  wenige 
Fälle  ausgenommen,  das  Variantenverzeichniss  desselben  die 
höchste  Glaubwürdigkeit  verdiene.  Beyläufig  bemerkt  Rec, 
dass,  was  sich  zwar  von  selbst  versteht,  aber  doch  neuerlich 
in  Zweifel  gestellt  worden  ist,  ob,  wenn  ßekker  die  Lesart  ei- 


Dcinostlicniä  Plülippicac.     Ed.  Rüdiger.  389 

ner  Handsclirift  niclit  besonders  angemerkt  liabe ,  sich  anneh- 
men lasse,  die  Handschrift  stimme  mit  der  Lesart  des  Textes 
überein,  dies  Ilec.  nach  seiner  bey  eben  dieser  Gelegenheit  ge- 
raachten Beobachtung  bejahen  muss. 

Wir  kehren  zu  Hrn.  Rüdiger  zurück.  Einen  vortheil- 
haften  Begriff  von  seiner  Arbeit  giebt  die  Ansprucljlosigkeit, 
mit  welclier  er  Berichtigungen  und  tadelnde  Bemerkungen,  die 
in  Bezug  auf  die  erste  Ausgabe  gemacht  worden  waren,  annahm, 
beherzigte  und  zum  wirklichen  Vortheil  seines  Buches  ver- 
wandte, so  dass  diese  Ausgabe  vor  der  vorigen  bedeutende  Vor- 
züge besitzt.  Zwey  Dinge  wünschte  aber  Ilec.  auch  jetzt  noch 
an  Hrn.  11. s  Arbeit  anders.  Erstens  zeigt  zwar  H.  R.  wohl  das 
Bestreben,  nur  nach  vorgenommener  Prüfung  über  das  Ge- 
wicht der  Varianten  sich  für  diese  oder  jene  Lesart  zu  ent- 
scheiden, und  häufig  muss  auch  Rec.  mit  ihm  übereinstimmen, 
aber  durcligreifende  und  feste  Grundsätze  und  ein  gelhstständi- 
ges  Verfahren  in  der  Kritik  haben  wir  nicht  in  dem  Maasse  ge- 
funden, wie  man  es  von  einem  Herausgeber  verlangt,  der  nicht 
sich  (wie  man  nach  dem  Titel  und  einer  Aeusserung  in  der  Vor- 
rede vermuthen  würde)  mit  wenigen  Ausnahmen  an  eine  gege- 
bene Recension  bindet,  sondern  in  der  Constituirung  des  Textes 
sich  freier  bewegen  will.  Beyspiele  dieser  schwankenden  Be- 
handlung der  Kritik  werden  sich  unten  einige  ergeben. 
Zweitens  scheint  uns  im  Commentar  nicht  immer  die 
rechte  Auswahl  der  zu  erörternden  Dinge  getroffen.  Hr.  R. 
bestimmt  seine  Ausgabe  zunächst  für  Jünglinge.  Aber  diese, 
wenn  sie  den  Dem.  nicht  bloss  übersetzen ,  sondern  auch  ver- 
stehen wollen,  müssen  einen  ziemlichen  Grad  von  geistiger 
Reife  besitzen  und  dürfen  auch  in  der  Sprache  nicht  Anfänger 
seyn.  Im  Commentar  aber  finden  wir  Bemerkungen  Viber  Ge- 
genstände, deren  Kenntniss  wir  bey  Schülern  voraussetzen, 
sonst  würden  wir  uns  schlechterdings  nicht  getrauen,  mit  ihnen 
den  Dem.  zu  lesen.  So  S.  20  über  d&v^7]tE0v:  „Graeci  eam 
„rem,  e  qua  indignatio  oritur ,  casu  dativo,  praepositione  btiü 
„vel  adjecta  vel  omissa,  comprehendunt."  S.  39:  „x«^'  txa- 
„öTOv:  xara  significat  aliquid  fieri  s///^?//a^i/«.^'-  S.  26:  ^^litei- 
^^örjXEQ  est  concedentis  aliquid  ad  voluntatem  alius:  quandoqui- 
^^dem.'"'-  (Hier,  nämlich  Phil.  I  §  ö  Bkk.  nicht  einmal  richtig; 
sondern  es  giebt  liier  einen  Grund  an,  dessen  Anerkennung  als 
zuverlässig  vorausgesetzt  wird.)  S.  28:  ,^ol  7iQ0£?ii]^vd'F.v  — 
„quemadmodum  adverbia  ^oci,  utjroi),  ovdafxov,  3Iatth.  Gr.  § 
7,324,  ita  adverbia  gradus  struuntur  cum  genit.''*  Nun  kommt 
erst  noch  eine  Anzahl  von  Stellen,  und  endlich  dieVglchg.  von 
ywo  amentiae  es  progressus.  Zufällig  schlagen  wir  auf  S.  94: 
„vjr  evi/oiag  —  övözf].  praepos.  V7i6  notionera  praesidii  vel 
„impediraenti  aliciijus  rei  exprimit,  cfr.  Soph.  Antig.  221"«.  s.w. 

Wozu  solche  Anmerkungen  und  für  wen^  —    Wenn  man 


390  Griechische    Schriftsteller. 

nicht  über  grammatische  Gegenstände  eigenthümliche  Ansfiih- 
ruiigeii  geben  will,  so  genügt  dem  Privatstudium  eine  Hinwei- 
suiig  auf  eine  gangbare  Grammatik,  und  fiir  den  öffentlichen 
Unterricht  sind  solche  Theile  des  Commentars  eben  auch  nicht 
erspriesslich.  Zum  Vortheil  des  zweiten  Bandes  wiinschen  wir, 
dassHr.  R.  in  diesen  Bemerkungen  etwas  Richtiges  finden  möge. 

Um  nun  unsere  allgemeinen  Urtheile  zu  begründen,  wollen 
wir  ins  Einzelne  eintreten,  indem  wir  die  Stellen  nach  Rüdi- 
gers Seitenzahl  und  nach  Bekkers  §§  citiren  *), 

Phil.  I  S.  19,  §  1.  Ueber  TCQovti&sro  wird  Rüd.  jetzt 
Bremi  vergleichen.  —  S.  20,  §  1.  tot'  äv  avtös  Itibiqoj^yiv. 
Von  Bkk.s  codd.  schiebt  nur  T  ein  y,a\  vor  avxog  ein.  (JNicht 
nur  FH,  lassen  es  weg,  wie  Rüd.  sagt,  wahrscheinlich  vom  Auge 
getäuscht,  indem  er  um  2  Zeilen  in  der  Bekkerschen  Ausgabe 
zu  weit  hinaufblickte,  wo  „xal,  om.  i'lS'"  sich  auf  eine  Stelle 
des  Libanins  bezieht),  xw  ist  also  schon  darum  verdächtig, 
weil  die  übrigen  zur  interpolirenden  Familie  von  T  gehörenden 
Geschwister  ßuv  es  nicht  haben.  Hr.  Rüd.  sagt  zur  Vertheidi- 
gung  des  jtal:  „sensus  suadet  et  convenit  modestiae  oratoris,'' 
und  füiirt  an,  dass  das  exordium  p.  1418,  5  ■aal  habe.  Allein 
an  unserer  Stelle  beweisen  die  codd.,  und  es  kommt  nur  dar- 
auf an,  zu  zeigen,  dass  avrog  auch  ohne  xkI  einen  passenden 
Sinn  gebe,  was  allerdings  der  Fall  ist.  Wenn  nämlich  Dem. 
sagt:  xocl  avrog,  so  stellt  er  sich  den  andern  Rednern  darin 
gleich,  dass  er  auch  seine  Meinung  sagen  wolle.  Ohne  xat 
drückt  auTOg  aus,  dass  er  seine  Meinung  der  der  Andern  entge- 
gensetze. Und  da  er  dieses  gegenwärtig  nicht  thut,  sondern 
den  ganzen  Fall  nur  in  der  Hypothesis  setzt,  so  kann  ihm 
bey  dieser  Ausdrucksweise  der  Vorwurf  von  Anmaassung 
um  so  weniger  gelten.  —  S.  21,  §  2.  Rüd.  verthei- 
digt  6vvh^ovX^vov.  Allein  FE  haben  Cvvi^ovlivöav  ^ 
eben  so  der  zuTßu  gehörige  cod.  u,  und  v  övvBßovkevov  ex 
corr.  Uns  scheint  övvsßovksvöav ,  welches  Bkk.  aufnahm, 
darum  besser,  weil  es  auf  den  Sinn  führt:  „wenn  sie  auch  nur 
einmal  Besseres  gerathen  hätten."  —  Dass  Rüd.  btcbl  tot  ys  d 
in  Schutz  nimmt,  können  wir  nicht  missbilligen.  —  Ibid.  §  3. 
iTiSixa  Iv9v^7]r80v  aal  nag'  äXXcov  dxovovöi,  aal  tolg  sIöoölv 
avTolg  «va^tjLtvj^öxo^evoig,    t^Ukt^v  ic.  t.  A.      Rüd.  übersetzt: 


•)  Rüdiger  theilt  jede  Rede  in  Capitel  ein  und  jedes  Capitel 
in  besondere  Paragraphen.  Wir  haben  gegen  die  Art,  -wie  er  dieses 
durchführt,  nichts  einzuwenden,  finden  aber  die  Verglcichung  mit 
andern  Ausgaben,  namentlich  der  Bekkerschen,  dadurch  etwas  er- 
schwert. Wir  wünschen  daher,  Hr.  R.  möchte  zwar  seine  Cnpitelein- 
theilung  behalten,  dagegen  sich,  Avie  Bremi  und  Vömel  thaten, 
an  die  Bekkerschen  Paragraphen  anschliessen. 


Dcmostlicniä  Fliiliiiplcac.     Ed.  Rüdiger.  391 

lllud  considerandum,  quod  et  ab  aliis  audiistis  et  ipsi  in  memo- 
riain  revocantes  tiostis ,  mit  der  Bcmerkuii,!^:  „INoii  adseiitior 
Krügero  verteati:  vef  ^  qni  ipsi  iiostis  ^  reiiiiniscimim."  Allein 
entgegengesetzt  sind  offenbar  dxovovöL  und  dvccfiLfivrjöno^bVOig^ 
ferner  nag  dXlav  dem  avTotg^  endlich  die  st'öoTEg  den  zu  dem 
dxovovöi  zu  denkenden  ol  fi^  HÖöteg.  —  S.  23,  §  3.  Zur  Er- 
läuterung des  Par.illelismus  nennt  Riid.  neben  raehrern  richti- 
gem auch  das  Beispiel  Cic.  de  Or.  I,  3,  10  (nicht  5,  10):  seien- 
tia  et  pervesligadone.  In  jeder  Hinsicht  gäbe  Cicero  unzählige 
passendere,  dort  ist  i'iberdiess  von  Orelli  mit  Recht  die  alte 
Lesart  scientiae  pervestigatioue  wieder  eingefiihrt  worden.  — 
S.  24,  §  4.  x6  nh'j^og  v^g  vvv  vnaQxovö^jg  Öwd^eag.  vvv  fehlt 
in  FIJ.  Riid.  vertlieidigt  es.  Allein  bey  Betrachtung  des  Zu- 
sammenhangs wird  man  ßnden,  dass  wenn  vvv  in  den  Ausgaben 
fehlte,  man  selbst  eher  geneigt  wäre,  es  zu  ergänzen,  nicht 
aber,  wenn  es  da  wäre,  es  hinauszuwerfen.  Somit  kann  man 
sich  denken,  dass  TSluv,  oder  ihre  gemeinsame  Quelle,  es  er- 
gänzten, und  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  die  Schreiber 
von  FU  es  als  Viberfliissig  verwarfen,  Rec.  glaubt  überhaupt, 
dass  man  Bkks  Kritik  in  Absicht  auf  Auslassungen  gegriindet 
auf  F2J  und  2J  weitaus  in  den  meisten  Fällen  folgen  diirfe. 
Es  lässt  sich  denken,  dass  den  Rhetoren  manches  nicht  glatt 
und  voll  genug  schien;  so  namentlich  die  Uebergänge,  wo  des- 
wegen die  Ausfüllpartikeln  am  reichliclisten  eingeschoben  wur- 
den, wie  auch  Hr.  R.  selbst  irgendwo  bemerkt.  Scheint  auch 
manche  Auslassung  härter,  so  mag  sie  darum  des  Dem.  Cha- 
rakter nicht  fremd  seyn.  —  Ibid.  stellt  Rüd,  sein  „idem  B." 
so,  dass  man  glauben  könnte,  Bkk.  habe  'A&rjvaioig  eörlv  ge- 
schrieben. Denn  vgl.  S.27:  „O^eAj/.  R.  ex  uno  Bav.  dedit  £^£^7/, 
idem  B."  —  S.  25,  §  5.  Uebcr  slÖBV  (Bkk.  I  und  Brenii  haben 
oldev  nach  TSivw)  bemerkt  Rüd.  nichts,  üebrigens  halten  wir 
siöev  ebenfalls  für  richtig.  —  S.  2«,  §  G.  Warum  Hr.  R,  die 
Worte  xal  7iQ06E%iiv  xov  vovv  rovroig  t&tlovöLV  dnavtsg  lie- 
ber einen  versum  senaiiutn  nennt,  als  einen  Daktyl.  Hexameter, 
sehen  wir  nicht  ein.  —  S.  27,  §  7.  Dass  die  Worte  övvskovti  ö' 
ankäg  sItibiv  einen  guten  Sinn  geben,  und  dass  an  ihnen  nichts 
zu  rütteln  wäre,  wenn  die  MSS.  keine  Variante  darböten,  un- 
terliegt keinem  Zweifel.  Allein  slnsiv  fehlt  unter  Anderm  in 
F2J.  Dass  es  absichtlich  ergänzt  werden  konnte,  ist  einleuch- 
tend, dass  es  absichtlich  ausgelassen  wurde,  minder.  Da  nun 
aber  die  Worte  övveXovtl  ö'  dnXäg  den  guten  Sinn  geben:  es 
in  einfachem  Ausdrucke  zusammenzufasseti,  so  ist  nicht  zu 
zweifeln,  dass  Bkk.  ütchv  mit  Recht  wegliess.  —  S.  28,  §  8. 
aXXoig  XLöCv  hat  Hr.R.  missverstanden,  wenn  er  erklärt :  quippe 
qtti  nolint  se  subiicere  Philippo ,  und  hinzufügt:  „IN am  per  tXg 
tangit,  quos  non  nominare  vult"^  (nämlich  die  Athener).  Dem. 
bezeichnet  vielmehr  die  allgemeine  Eigenschaft  der  Menschen, 


392  Griechische  Schriftsteller. 

dass  sie  die  entweder  hassen  oder  fiircliten ,  die  sie  iiber  sich 
sehen,  und  er  will  sagen,  was  sich  bey  allen  übrigen  Menschen 
findet,  warum  sollte  diess  niclit  auch  bey  denen  seyn,  die  dem 
Pliilippos  entweder  untertlian  oder  mit  ihm  verbunden  sind.  — 
S.  29,  §  9  leitet  Rüd.  uöskysia  wohl  richtig  von  Q^elyco  ab.  — 
Ibid.  xal  ovx  oloör'  löriv.  Mit  F2J  liess  Bkk.  r  weg.  Mit  Un- 
recht vertlieidigt  es  Rüd.  Beide  Formeln  sind  in  Gebrauch, 
nur  mit  t£  viel  häufiger,  als  ohne  rs.  Um  so  viel  natürlicher  ist 
also  die  Vermuthung,  dass  es  ergänzt  wurde.  Uebrigens  passt 
olog  ohne  ts  hier  viel  besser.  Dem.  sagt  mit  einer  uns  bekann- 
ten Formel:  PliUipp  ist  nicht  der  Mafin ,  dass  er  itn  Besits  des- 
sen ,  toas  er  in  seine  Geivalt  gebracht  hat ,  ruhig  dabey  bleibe, 
u.  s.  w.  —  S.  31,  §  10.  Wir  billigen  das  Bedenken  Rüdigers, 
die  Worte  Tiaxa  rrjv  dyoQCcv  in  Klammern  einzuschliessen.  — 
S.  32,  §  11.  Ueber  xai  xoi  %a\  xovto,  an  welcher  Formel  auch 
Schäfer  zu  Cor.  p.  2(58  1.  15  ohne  Grund  Anstoss  nahm, 
bringt  Rüd.  die  richtige  Erklärung  bey  aus  Fritsche's  quaest. 
Lucian.  p.  32.  —  S.  33,  §12.  Für  oncaq  ßovliö^e  bieten  einige 
MSS.  önaq  av  ßovlri6%z,  welches  Schäfer  empfiehlt,  Rüd. 
sucht  ihn  zu  widerlegen,  indem  er  bemerkt:  „at  non  de  consi- 
lio  capto,  sed  de  re  praesente  agitur."  Wie  kann  man  aber 
in  ojTüjg  äv  ßovXrjö&s  an  ein  consilium  captum  erinnert  werden*? 
Einige  Male  haben  wir  Hrn.  R.  in  der  Beurtheilung  der  modi 
und  tempora  schwankend  angetroffen.  Uebrigens  halten  wir 
hier  eine  Aenderung  für  unnöthig.  Ibid.  über  xaigäv  wird  ver- 
wiesen auf  de  f.  leg.  327,  25-  Es  soll  lieissen  de  cor.  u.  s.  w.  — 
S.  35,  §  15.  Eine  sehr  richtige  Erklärung  giebt  Hr.  R.  von  den 
Worten:  ro  da  utgäy^ia  xov  ilhy%ov  däöu.  —  S.  3(>,  §16.  Ueber 
die  imiaycayol  tQiiqQBig  handelt  am  besten    Vömel  p.  172  ff. 

—  S.  37,  §  18.  Ueber  das  Vielbesprochene  sl  ^-q  Ttoiriöair  äv 
toijto  hätten  wir  in  dieser  Ausgabe  eine  Anmerkung  erwartet. 

—  S.  38,  §  19.  Rüd.  erklärt  sich  die  STtLötohiiaiovg  dvvccfisis 
wie  Vömel,  welcher  letztere  auch  den  Irrthum  Reiske's 
und  Beck  er 's  berichtigt,  welche  in  den  folgenden  Worten 
«/lA'  7]  tijs  TtoXecog  iGrai  unrichtig  eine  jroAirtxiy  dvva^ig  zu  fin- 
den glaubten.  Rec.  erklärt  den  Sinn  des  Ganzen  so:  es  sollten 
nicht  Truppe?!  seyn.,  die  bloss  durch  Briefe  7nit  dem  Staat  %u- 
sammenhängen.,  sondern  die  in  des  Staates  unmittelbarer  Lei- 
tung ständen.  —  S.  39,  §  20.  £&£/l?f(J£t,  welches  Dindorf 
aufnahm,  billigt  auch  Hr.  R.  mit  Recht,  wiewohl  seine  Note 
nicht  ganz  deutlich  ist,  und  er  im  Texte  iQ^ilriöiTS.  behalten 
hat.  —  S.  42,  §  24.  et  ö'  ii&Qoi.  Rüd. :  „innuit  Alexandrum 
Pheraeorum  tyrannnm ,  qui  classem  Atheniensium  vicerat." 
Der  mag  auch  darunter  gemeynt  seyn,  aber  noch  näher  Phi- 
lipp, wie  Vömel  annimmt.  Am  bessten  also,  man  fasse  es 
allgemein,  wie  es  auch  gesprochen  ist.  —  S.  34,  §  25.  äönsQ 
tjcomag  rav  öTQatrjyoviiivcov.     Rüd.  macht  hier  keine  Bemer- 


Demosthcnis  Plulippicac.     Ed.  Rüdiger.  893 

kunj,  Rcc.  aLer  berührt  die  Stelle,  weil  Vömel  aniiott.  p. 
184  sagt:  .^öTQatrjyovpievav  \nanici\mü  imperatonan.  cf.  §  47." 
Allein  auch  au  der  letztern  Stelle  hat  man  nicht  Anführer  zu 
verstehen.  6TQaTA]yBiöQaL  im  activen  Sinne  kommt  hey  Dem. 
iiiclit  vor.  Es  ist  vielmelir  neutr.  Pass.  Die  Art  und  Weise  der 
Anführung  und  das  durch  dieselbe  Bewirkte  sollen  sie  als  Au- 
genzeugen betrachten.  —  S.  43,  §  2b".  Wenn  Rüd.  sagt:  „de- 
ceni  electi  erant  xa^iaQyoi  {xäiiq  continebat  128  vires:  centu- 
riones)",  so  veranlasst  er  hier  eine  unrichtige  Nebenidee,  td^ni 
ist  hier  nicht  als  (/enturie,  sondern  als  Contingent  der  tribus, 
deren  Anführer  hier  der  Ta|tap;j;os  ist,  zufassen,  wie  xb  xe- 
Tccy^evov.  vid.  Schneid,  lex.  s.  v.  —  S.  45,  §  28.  Bkk.  streicht 
nicht  nur  GtQaxtvo^BVOLg,  wie  llüd.  sagt,  sondern  auch  das 
TOig  vor  demselben,  und  mit  Unrecht  behält  es  Rüd.  bey.  Zu 
den  Gründen,  die  Engelhardt  anführt,  bemerkt  Rec.  noch, 
dass  Demosth.  bey  Erwälinung  der  90  Talente  gar  nicht  an  die 
öxgaxevö^svoi  allein  denkt,  sondern  an  die  ganze  Macht.  Das 
Schiffsvolk  bekam  öixr^QtöiOV^  dagegen  vermuthlich  keinen  ut- 
ööog.  Unten  aber  §  2i)  heisst  es  mit  Recht,  si  da  xig  olaxai 
Hi'KQo.v  dcpoQfirjv  6LXi]QlöL0v  xolg  öxQaxiäxaig  vtcuqxslv,  weil 
man  sich  verwundern  musste,  warum  er  den  Soldaten  bloss  öt- 
TtjQEöLOV  reichen  wollte;  dass  er  es  aber  den  Ruderern,  dar- 
über verwunderte  man  sich  natürlich  nicht.  —  Uebrigens  se- 
tzen F2J  in  dieser  letztern  Stelle  ilvat  nach  dq^OQ^rjv  hinein, 
welches  nicht  zu  vei'achten  ist.  Fehlt  stvat,  so  möchte  man 
To  vor  CLxrjQBöiov  erwarten.  Nimmt  man  es  auf,  so  giebt  es 
den  guten  Sinn:  wenn  einer  glaubt ,  es  sey  eine  kleine  Hülfe^ 
dass  ferpßegungsgelder  für  die  Krieger  vorhanden  seyen.  — 
Ibid.  iQ'qiiaxa  eher  für  einen  Nora,  als  Accus,  zu  halten,  macht 
doch  der  Verlauf  der  Construction  räthlich.  —  Ibid.  §  29.  Rüd. 
vertheidigt  TtQOöTtOQulxat.  Warum  TtQognoQul  besser  sey,  zei- 
gen Bremi  und  Vömel.  Bkk. 's  codd.  scheinen  alle  das  Letz- 
tere zu  Ilaben ,  und  schwerlich  hätte  hier  ein  Abschreiber  das 
Med.  ins  Act.  verwandelt.  Hrn.  Rüd.  imponirte  hier,  wie  es 
scheint,  dass  Bekker  in  der  zweiten  Schulausgabe  das  Med. 
wieder  hat.  —  S.  4ff,  §  29.  lyco  öviinUcov  8^Ekovx7]g.  Hier 
zeigt  sich  recht  die  ausglättende  Hand  der  Abschreiber  oder 
auch  der  Rhetoren,  denen  dieser  Uebergang  ohne  Partikel  zu 
schroff  war,  weswegen  man  ocaya  und  eya  Ös  als  Varianten  fin- 
det. Die  Erinnerung  an  die  Lebendigkeit  des  Vortrags,  und 
diese  Rücksicht  auf  die  vnoxQLöLg  nahmen  ja  die  Redner  in  ih- 
ren Schriften  immer,  zeigt  deutlich,  dass  eine  Uebergangspar- 
tikel  hier  am  unrechten  Orte  wäre.  Mit  Zeichen  des  Zweifels 
nimmt  das  Volk  des  Redners  Vorschlag  auf.  31it  Nachdruck 
setzt  Dem.  hinzu,  fyco  öv^nUcav  x.  x.  X.  —  S.  47,  §  30.  Ijret- 
dav  d  tJCLXELQoxovijxe  xccg  yvd^ag,  a  av  v^iv  agiöxr]  %£iQO' 
rov^öaxE.     Hier  sind  mehrere  unnötliige  Aeuderungen  versuclit 


394  Griechische    Schriftsteller, 

worden.  Mit  Recht  bemerkt  Brerai,  a()f0K7;  sey  liier  empha- 
tisch. Dem.  will  nicht  geradezu  sagen,  meine  Meinung  ist  die 
beste,  sondern,  wenn  es  zum  Stimmen  kommt,  so  stimmet  zu 
dem,  was  euch  ernstlich  gefällt,  damit  ihr  nicht  nur  mit  Brie- 
fen krieget.  Er  setzt  also  voraus,  dass  eine  solche  Diesem  oder 
Jenem  zu  Gefallen  lebende  Abstimmung  nur  einen  Missivenkrieg 
veranlassen  werde.  Darum  zieht  aber  auch  Rec.  die  Lesart  der 
codd.  FZl lUQOXovriGEri.  vor:  das  tverdet  ihr  (hoflFentlicli)  be- 
schliessen^  so  dass  dieses  eher  als  HofFnung ,  denn  als  Befehl 
ausgedrückt  wird.  Jeder  iibrigens,  der  Volksgemeinden  beob- 
achtet hat,  weiss,  dass  beym  offenen  Handmehr  häufig  eher, 
wer  gesprochen  hat,  als  was  er  gesprochen,  berücksichtigt 
wird. —  S.  51,  §35  will  Rüd.  zu  toiovtov  ox^ov  supplireu 
noLOvvttg.  Warum  denn  nicht  noults,  ein  mit  aimliöKSrs 
paralleles  Verb,  fin.*?  —  S.  52  §  36.  Ttors  aal  nagcc  rov  xai 
TL  Xaßovva  xL  du  tiolhv.  Statt  rt  Xaßövra  hat  cod.  2J  tiva  Aa/3. 
Diese  Lesart  ist  wohl  der  Prüfung  werth.  Dem.  kann  mit  dem 
Plural  die  einzelnen  Posten  bezeichnen,  die  die  betreffende  Ma- 
gistratsperson von  Diesem  oder  Jenem  zu  erheben  hatte.  — 
Ibid.  Eine  dem  ersten  Anblicke  nach  sonderbare  Vermuthung 
glaubt  Rec.  nicht  zurückhalten  zu  müssen.  In  den  Worten:  jtat 
yLhxd  tavxa  eßßatvELV  xovg  fiexoiKovg  sdo^s  accl  Tot;g  xcoglg 
olxovvxag ,  ux  avxovg  naliv  avxs^ßi,ßd^eLV,  £ix'  tv  oöcj  xavxcc 
{isklsxe,  nQoanöXcolBv  jc.  t.  A.  ,  schiebt  cod.  2/  vor  dvxE^ßißd- 
t,uv  noch  ein  atV  hinein,  so  dass  ein  Comraa  nach  avxovg  Jid- 
7\.tv  zu  setzen  und  zu  diesen  Worten  l^ißaivtiv  zu  denken  wäre. 
Schon  diese  Häufung  paralleler  und  ^c^ew  das  Ende  immer  kür- 
zerer Glieder  macht  einen  guten  rhetoiischen  Effect.  Rec.  ver- 
muthet  nämlich,  dvxsfißißd^SLV  konnte  ein  technischer  Ausdruck 
der  Seeleute  seyn,  gebraucht  von  der  Bemannung  der  Schiffe 
durch  Sklaven.  Bey  Thuc.  VII,  13  heisst  es,  dass  Einige  av- 
ögaTioda  '^  TKxaQi%d  dvxs^ißißdöaL  vtceq  öcpcov  nüGavxEg  xovg 
TQLTjQagxovg  die  Genauigkeit  der  Seetaktik  verderbten.  (Wie 
sie  ilykkar.  Sklaven  erhielten,  zeigt  Thuc.  VI,  62.)  Zwar  bey 
Thuc.  heisst  es  vtcsq  6q)c5v^  allein  dieser  Begriff  kann  schon  in 
ccvxl  liegen,  seil,  eavxäv.  Auch  konnte  es  der  häufige  Gebrauch 
mit  sich  bringen,  dass  der  Begriff  öovAot  hinzugedacht  wurde. 
Der  Sinn  wäre  dann  einfach,  Andere,  statt  ihrer,  einsteigen 
lassen,  nämlich  dovXovg.  —  S.  54,  §  37  ist  die  gewöhnliche 
Lesart  ot  —  naLQol  ov  ixEVOvöi,  xrjv  i^^axegav  ßgaövxrjxa.  Nur 
T  u.  yQ.  F  bey  Bkk.  haben  dvafiivovöi.  Diess  zieht  Rüd.  vor, 
und  belegt  mit  Beyspielen  dessen  sprachliche  Richtigkeit.  An 
dieser  wird  Niemand  zweifeln.  Allein  auch  ^evsiv  kommt  be- 
kanntlich so  vor,  wiewohl  minder  häufig.  Und  man  weiss,  wie 
oft  die  codd.  Präpositionen  an  Verben  hinzusetzten,  ^svovöt, 
war  darum  ohne  Zweifel  beyzubehalten.  —  S.  56,  §  40  hat 
Rüd.  statt  Bekkers  ev  daovtt  aus  FZ!  mit  Recht  aufgenommen 


Dcmosthenis  Pliilippicae.      Ed.  Rüdig-cr.  31)5 

elg  deov  ti.    Ebenso  hätte  aber  ibid.  Berücksichtigung  verdient 
die  Lesart  iu  H  ■aav  naxäi,yq.  —     S.  <)1 ,  §  46.  ov  yaQ  tör/v, 
ovjC  eötlv  Bva  avdga  av  8vv)]%Yivai.     So  schreibt  mit  llsk,  Hr. 
Itüd.  ohne  Bemerkung.     Bkk.  iiess  av  weg  nach  E  und  vieil.  T. 
Schäfer  vertheidlgt  es:  „subaudi  ctiamsi  velit.'"'-     Uns  scheint 
die  entschiedene  Ausdrucksweise  fiir  av  nicht  giinstig.  —    Ibid. 
rjyijrai  hat  auch  cod.  oc,    während  man  nacli  Bkk. 's  Varr.  ver- 
muthen  sollte,  2J  habe  TjztiJTaL.    lliul.  iibrigens  entscheidet  sich 
mit  Recht  iur  Ersteres.  —     8.  C2,  §  47.    Söts   ^j]  %.  r.  1.  hat 
allein  27,  und  auch  hier  zeigt  sich  die  Trefflichkeit  dieser  Hand- 
schrift,    Denn  in  dem  ov  yaQ  —  Ö£fc  der  Uebrigen   ist  erleich- 
ternde Interpolation  unverkennbar.  —     Ibid.  TiQoq  Ö£  Toi^g  1%' 
%QOV(i.    llüd.:  „£;^^9ol  quanquam  ab  iis,  qui  jroAefitot  dicuntur, 
ditferunt,  tarnen  scriptores  lioc  discrimen  non  ubique  observant. 
Quum  vero  Dem.  rem  iorensein,  ad  quam  iypQoi  et  ayQOVitfi<5\5ai 
pertinet,  opponat  rei  bellicae,  videtur  consulto  his  vocibus  usus 
esse."     Aber  eben  um  des  Gegensatzes  willen  sollte  Dem.  eher 
noXsi-ilovs  sagen,  weil  er  ja  den  Kampf  gegen  die  Ankläger  dem 
Kampfe  ge;;eii  die  Feinde  entgegenstellt.     Hätte  Hr.  II.  nur  an 
dem   ersten  Theile  seiner  Anmerkung   festgehalten,    dass   die 
Schriftsteller  häufig  ex^Qol  statt  tcoU^lol  gebrauchen.      Denn 
Ersteres  kann  statt  Letzterem  gesagt  werden,  da  es  von  wei- 
term  Umfang  der  Bedeutung  ist,  nicht  aber  umgekehrt,  es  wäre 
denn  unter  sehr  bestimmten  Bedingungen.  —    S.  63,  §  48.  rag 
sroAtrat'ag  diaönäv  hat  Rüd.   nicht  richtig  erklärt.    S.  Brerai.  — 
Wir  gehen  nun  zu  den  Olynthisclien  Reden  iiber,  bey  de- 
nen Hr.  Rüd.  die  Stellung  des  Dionysius  befolgt  und  in  den  Pro- 
legomenen  mit  den  Hauptgründen  vertheidigt.  Olynth.  I  (vulg.II) 
S.  90,  §  4.   Die  Worte  tovtcov  ovxt  vvv  OQä  xov  hklqov  tov  Ag- 
ysLV  erklärt  Rüd.  mit  „hae  enira  structurae:    aaLQOv  tovtcov  et 
TtaiQOV  tov  XsysLV  tavta  sunt  confusa";    nach  unserm  Urtheil 
am  ungezwungensten.  —    S.  93  §  7.  Ueber  TiQoöXaiißccvav  be- 
merkt Rüd.:  „mediara  quidem  formam  exspectaveris ,  sed  notio, 
quae  illa  expriraitur,  in  ipso  verbo  inest."     Allein  Rec.  begreift 
nicht,  wie  Jemand  liier  das  Med.  erwarten  wollte.     Denn  diess 
hiesse  ati  sich  ziehe??.    Das  Act.  aber  heisst  hi?izunehmend ,  zu 
Hülfe  nehmend,  welches  hier  allein  richtig  ist.  —     Mit  Recht 
übrigens  hält  Rüd.  ibid.  avtov  bey  Bkk.  für  Druckfehler.   — 
S.  97,  §  12  vertheidigt  Rüd.  £toip,6tata  gut  gegen  Schäfer, 
eben  so  S.  98,  §  13  (iBtaßoXr]v  gegen  Reiske.  —     Ibid.  §  14. 
olov  [rj  MaxBÖüviKi]  dvva^ic;)  VTirJQ^s  tcoO"'  v^lv  —  TtQog  Okvv- 
Q'iovg'   Ttdhv  av  ngog  IJotidaiav  ^OXw^loig  IrpavY]  ti  tovxo 
övva^cpOTEQOv.     Da  Hr.  R.  in  der  Note  die  Worte  'OXvv&toig 
ecpävrj  ti  citirt ,   um  über  rt  eine  Bemerkung  zu  machen ,    so 
könnte  man  schliessen,    Rüd.  verbinde  'OXvv&ioig  mit  Icpdvrj. 
Aus  seiner  Anmerkung  erhellet  darüber  nichts  Weiteres.     Rec. 
glaubt  aber,   dass  'Okvv&loLg,   wie  die  Constructionsparallele 


396  Griechische    Schriftsteller. 

VTtrJQ^ev  vpuv  angiebt,  ein  dat.  comra.  sey.  Und  wiederum  für 
die  Olynthier  schien  etwas  Bedeutendes  dieses  Beides  zvsam- 
men.  Denn  offenbar  kam  es  niclit  darauf  an,  ob  es  den  Olyn- 
thiern  so  schien,  sondern  Viberhaupt  Allen,  welche  dem  Kriege 
zusahen.  —  Ibid.  vvvl  Ö£  Qixrakoig  voöovGi  v.ai  öraGiät^ovöi 
xcd  rsTaQay^BVoig.  So  edirt  Riid.,  während  Bkk.  mit  F^  vo~ 
6ov6i  strich.  In  jedem  Fall  hätte  aber  voöovöl  in  Klammern 
sollen  eingeschlossen  werden,  denn  es  ist  hier  wirklicli  eine 
Ueberladung.  Nur  dann  wäre  es  am  rechten  Ort,  wenn  auf 
den  unruhigen  Zustand  der  Thessaler  ein  Nachdruck  sollte  ge- 
legt werden,  welches  hier  nicht  der  Fall  ist.  In  der  Stelle 
Pliil.  III  §  12,  wo  es  von  Thilipp  heisst  nvv&avBöd'aL  yccQ  av- 
Tovg  {rovg  0Brtalovg)  o5s  voöovöl  xal  öraöta^otiöt ,  hat  7^0- 
<Jot}(jt  in  Philipps  Munde  fast  einen  ironischen  Anstrich.  Leicht 
ist  auch  zu  erkennen,  dass  eben  aus  dieser  Parallelstelle  vo- 
CovCi  in  Ol.  I  eingeflickt  worden  ist.  Dass  Ulpian  es  anerkennt, 
beweist  nur,  wie  alt  die  Corruptel  ist,  und  eben  so  das  hohe 
Alter  der  Recension  i^Z",  welche  darum  von  der  höchsten  Wich- 
tigkeit u.  Glaubwürdigkeit  sind.  —  S.  99,  §  16  hätte  zu  xoTcro- 
liivoi  citirt  werden  können  de  Cor.  §  145.  —  S.  101,  §  18.  d 
ÖB  rig  Ccoq)Qcov  rj  öiTiaiog  aXXaq.  Da  öäcpQoav  den  speciellern, 
liier  aber  dixaioig  den  allgemeinem  Begriff  enthält,  so  nehmen 
wir  an  äkkog  keinen  Anstoss:  oder  sonst  ein  rechtschaffener 
Mann.  —  S.  103,  §  20.  d  ds  ri  TtratöSiB  vulg.  Bkk.  aber  nach 
guten  Handschrr.:  bI  Ob  xi  ntaiGBi.  Letzteres  vertheidigt  auch 
Rüd.,  aber  auf  eine  Art,  die  Rec  nicht  billigen  kann,  „nam 
dicit:  si paidliim  impegerit^i  non  impingeret'-''  Weder  das  FJine 
noch  das  Andere  ist  richtig  übersetzt.  bI  nxaiöBv  ist  nicht  si 
itnpegerit^  diess  wäre  ^V  nxaiörj^  noch  auch  bI  nxatöBLB  si  im- 
pingeret. Uebrigens  drücken  die  Lateiner  unser  bI  tcxcclöbl  seq. 
fut.  geradezu  auch  mit  si  impinget  aus.  Siehe  Ellendt  de  form, 
condit.  p.  24.  —  Ibid.  tot'  ccKQißcjg  avtov  xovx  Bi,Bxa6%ri6B- 
xai.  Nach  Bkk.'s  Varr.  zu  schliessen,  hat  der  einzige  cod.  T 
stdvxa  statt  avxov,  und  Rec.  kann  avxov  unmöglich  für  Erfin- 
dung eines  Abschreibers  halten,  während  ndvxa  es  eher  seyn 
Avird.  Wir  billigen  es  darum  nicht,  dass  Hr.  R.  xavxa  Tcavt 
in  den  Text  aufnahm.  —  S.  104,  §  21.  xkag  ^Iv  av  IggofiBvog 
{]  xig.  So  Bkk.,  wie  es  scheint,  nach  allen  seinen  mss.,  wäh- 
rend dagegen  an  andern  Stellen  einige  mss.,  jedoch  die  schlech- 
tem, und  niemals  2J,  lesen  XB  log.  Auch  die  von  Buttmann 
im  index  ad  Midianam  angef.  Stelle  fals.  leg.  §  32fi  hat  xeag 
ohne  Bekkersche  Variante.  Rüd.  giebt  zwar  hier  £ög,  sonst 
aber  scheint  er  geneigt,  wie  Buttmann  durchweg  zu  conjicireu 
TEüJg,  ac3g.  Bey  Bkk.  aber  finden  wir  die  beiden  Partikeln  ver- 
bunden an  keiner  Stelle,  dagegen  an  unserer  und  fals.  leg.  XBoag 
ohne  Var.   Dazu  kommt  noch  die  übersehene  Stelle  Lept.  §  91: 

TOTE  ft£V,  TgCög  rOV  XQÖJIOV  tOVXOV  BVO^O&BXOVV,    TOlg  ^Iv  VTiaQ- 


Dcmosthcnis  Philippicac.     Ed.  Rüdiger.  Sü? 

^ovöi  vofioig  IxQävto^  denn  durch  diese  richtige  Interpunktion, 
die  auch  Bkk.  liat,  fällt  der  Anstoss  und  der  Aenderungsver- 
such  Wolfs  weg,  welcher  nach  ivo^io&irovv  ein  Kolon  setzte 
und  das  Komma  vor  rtag  wegliess.  llec.  glaubt  drmnach  bey 
dieser  Beschairenheit  der  Stelleu,  dass  man  den  lonismus  zwar 
als  eine  Eigenthümlichkeit  zu  benieikeu,  nicht  aber  zu  ändern 
habe.  —  S.  lOO,  §  22.  rj  iHiivcp.  I)a  Bekker  sonst  überall 
schreibt  ^' xatV«  u.  s.  w.,  hier  aber  nicht,  so  möchte  Rüd.  hier 
lieber  ^  'asivco.  llec.  aber  glaubt,  dass  in  clausula  sich  Bkk. 's 
Lesart  wohl  ertragen  lasse.  —  S.  lOS,  §  25.  Richtig  bezieht 
li'\n\.  TCÖöov  xqÖvov  auf  den  ganzen  Au)phii).  Krieg.  —  S.  IIW, 
§  27  hätte  Hr.  R.  zur  Erklärung  der  Worte  tl  ninQav,xaL  xolg 
ccXXoLg  nicht  verweisen  sollen  auf  seine  Note  zu  cap.  21,  rjfjLiV 
ÖS  TtiTiQccxTai ^  au  welcher  Stelle  er  richtig  ijatv  als  Dat.  conim. 
erklärt.  Dadurch  könnte  man  auf  die  Meinung  gerathen,  tolg 
aXXoKi  sey  auch  hier  Dat.  coinm.,  wel-clies  unrichtig  \>i.  Denn 
zolg  cikkoig  steht  statt  vtio  tcjv  äXlcov,  wie  schon  der  Gegen- 
satz dv  }ij]  nuQ  viiäv  —  vixäg'^ij  rd  ösovta^  und  der  Zusam- 
menhang lehrt.  —  S.  113,  §  2i>.  nal  ot  ßoTjöö^evot  ol  rgia- 
aööLOi.  ot  vor  xq.  lässt  Riid.  weg.  ZI  hat  es,  und  mit  ihm  Bkk. 
Wir  glauben,  es  mochte  eher  wegfallen  als  hinzugesetzt  wer- 
den, und  es  scheint  um  so  unentbehrlicher,  als  Dem.  eine  be- 
stimmte Abtheilung  der  Symmorien  bezeichnet.  Hr.  R.  fiilirt 
als  Grund  der  Weglassung  an,  dass  niQi  2Jvvrcc^.  p.  172  an  der 
Parallelstelle  ot  ebenfalls  fehle.  Allein  dort  lässt  2^  auch  rgia- 
xoöioL  weg,  und  Rec.  glaubt,  mit  Recht,  et  tgtaKÖöLoi  als 
hestiramte  Abtheilung  mit  dem  Artikel  finden  wir  auch  de  cor. 
§  171.  —  S.  114,  §  31.  Ttolkä  ßäkriov.  Herr  R.  hat  noU.ä^ 
welches  Bkk.  nach  FU  verwarf,  behalten  mit  dem  Grunde: 
„quum  nullam  reWeo  causam,  cur  quis  addiderit,  retinui."  Al- 
lein erstlich  haben  es  nur  die  interpolirenden  TSlnv  ^  und  zwei- 
tens ist  /3£ATtov  durch  seine  Stellung  emphatisch  genug.  —  Ol. 
II  (vulg.  III)  S.  125,  §  10.  Was  Hr.  R.  zu  Gunsten  von  na&i- 
ßrare  bemerkt,  verglichen  mit  dem,  was  auch  ßremi  dafür 
anführt,  giebt  völlige  Sicherheit  über  die  vulg.  und  beweist, 
dass  Bkk.'s  Conjectur  nicht  nöthig  ist.  Ibid.  Dass  zwey  Obolen 
zu  Demosth.  Zeit  das  niedrigste  Theatergeld  war,  beweist  die 
Stelle  de  cor.  §  28:  av  dvotv  oßoXolv.  —  S.  126,  §  12.  tov 
vor  Tia^ELV  lässt  Bkk.  mit  2J  weg.  Riid.  vertheidigt  es.  Allein 
selten  führt  wohl  Dem.  einen  erklärenden  Infinitivsatz  nach  ei- 
nem Pronomen  toJto  mit  dem  Artikel  ein.  Z.  B.  §  7  dieser 
llede:  tovro  —  aq)OQfiEiv^  fehlt  er.  Diesen  Gebrauch  hat  auch 
Leloup  raissverstanden  zu  Isoer.  Evag.  cap.  3:  H  xal  xovto 
dvvrjöovtat^  xovg  dya&ovg  dvögag  tvloyslv.  So  Evag.  cap.  6: 
xavxriv  d(poQ^7)v  —  dfivvsödaL  x.  x.  L  —  S.  128,  §  14.  ij  tieqI 
tov  dv  ygdcpBi  öiaTCQd^aöQai.  So  schreibt  Rüd.  Dagegen  Bkk. 
äv  ygatpfj.   Rüd.  bemerkt:  ^^dv  ygdcpEi  decreta  quaedam  iunuit, 


3Ö8  Griechische    Schriftsteller. 

Scliaefero  recte  moneiite. "  Schäfer  sagt  aber  nichts  von  kv. 
Er  stellt  nur  die  Lesarten  fQccq^ei,  und  äv  'yQccq)r]  einander  ge- 
geniiber.  Sielit  man  Bkk.'s  Varr.  an,  so  kann  man  ygäipu  ohne 
äv  wolii  für  acht  halten,  und  erklären  wie  Schäfer,  clv  aber 
mit  ygacpu  aul'zunelimen  lässt  sicli  kaum  rechtfertigen,  einer- 
seits weil  av  post  relat.  c.  ind.  praes.  überhaupt  sehr  unwahr- 
scheinlich ist,  anderseits  weil  es  auf  keiner  deutlichen  Auctori- 
tät  beruht.  Wir  lesen  übrigens  nicht  äv  ygdcpy,  sondern  wie 
viele  mss.  haben  äv  yQacpy^  und  können  an  der  Verallgemeine- 
rung keinen  Anstoss  nehmen :  oder  wenn  die  Volksbeschlüsse 
von  selbst  Ar  oft  hätteti^  das  durchzusetzen^  worüber'  immer  sie 
verfasst  seyn  sollten.  —  S.  120,  §  Iß.  ov^  ovg,  8t  itolBinq- 
GauVy  irolficog  GcÖ6uv  vnL6%vov^i%'a^  ovxoi  vvv  Ttols^ovvtat; 
llüd.  nimmt  lleislce's  allerdings  sehr  gefällige  Conjectur  no- 
KeaijQHBv  in  den  Tevt  auf  (wiewohl  ihm  sclion  Schäfer  ge- 
rathen  liatte,  wenigstens  das  auf  codd.  sich  stützende  nols(i7]- 
6£uv  vorzuzielien) ,  weil  „et  öcoöslv  et  jiole^ovvrai  requirunt 
notionem  invasionis'-'-,  und  bemerkt  gegen  Scliäfer,  die  Äacto- 
rität  der  Handschriften  scheine  ihm  hier  sehr  verdächtig.  Wir 
wollen  sehn.  Angenommen,  Tcolsfirjöaisv  sey  die  ursprüngliche 
Lesart  (wie  sie  es  auch  wahrscheinlich  ist  und  Bkk.'s  codd.  zu 
liaben  scheinen),  so  begreift  man  leicht,  wie  bkbIvg)  in  dem  in- 
terpolirenden  T  eine  aus  dunkelm  Bedürfniss  herrührende  Zu- 
that  ist.  Andere  mss.  haben  TCoXs^i^öeLSV  und  setzen  dann  mei- 
stens hinzu  anBivog.  Und  es  ist  klar,  dass  tccXs^tjöslev  eine  er- 
leichternde Aenderung  war  im  Sinne  von  Reiske's  7iols^t]QEiEv, 
welcher  dann  auch  Ixslvog  zur  Verdeutlichung  beygefügt  wurde. 
Aufs  mindeste  sind  Ixslvog  und  sxsivcp  Auslegungen,  je  nach- 
dem man  —  öeiBV  od.  —  öauv  festhalten  wollte.  Somit  kann 
also  das  Eine  von  Beiden  nicht  verdächtig  seyn.  Die  schwie- 
rigere Lesart,  die  also  die  Aenderungsversuche  veranlasste. 
noksfirjöauv  zeigt  sich  aber  auch  dem  Zusammenhang  nach  als 
die  bessere.  In  ihr  ist  nämlich  eine  aXi^a^,  die  durch  jede 
Aenderung  verwischt  wird.  Nämlich:  „Ihr  verspracht  sie  zu 
retten,  d.  i.  sicher  zu  stellen,  wenn  sie  nur  einmal  Krieg  füh- 
ren würden,  d.  i.  selbstangefangcnen.  Jetzt  aber  wollt  ihr  sie 
nicht  retten,  da  sie  sogar  mit  Krieg  sind  überzogen  worden." 
Dass  diess  richtig  sey,  zeigt  sich  daraus,  dass  die  Athener  im- 
mer geschrieen  hatten  :  EKTtokeficoöcct  dsl  tovg  dv^QcoTiovg.  Und 
da  die  Olyuthier  einwenden  konnten,  ein  Krieg  mit  ihrem  Nach- 
bar sey  ihnen  gel'ährlich,  versprechen  jene,  sie  schon  aufrecht 
zu  erhalten,  wenn  sie  zum  Kriege  kämen.  —  S.  130,  §  17  hät- 
ten wir  über  xöts  eine  Anmerkung  erwartet.  —  S.  137,  §  27. 
ccQCi  ye  o^OLog  rj  TtagaTtlrjölag ;  schreibt  Rüd.,  während  Bkk. 
statt  7]  ein  xal  hat,  nach  allen  seinen  codd.  ausser  T.  Rüd.  be- 
ruft sich  darauf,  dass  de  f.  leg.  p.  439  Bkk.  ij  in  der  gleichen 
Formel  behalten  hat.     Allein  dort  schweigen  seine  mss.     Also 


Dcinostlieniä  Fhilippicac.      Ed.  llüdigcr.  899 

folgte  ihnen  Bkk„  an  beiden  Stellen  mit  Recht.  —  Ibid.  artog 
Vfitv  —  tcc  Tigccy^ar'  sx^l;  —  olg  tu  filv  ukXa  öiaTtöi  —  e^ov 
ö'  rjfitv  %a\  xa  rj^sriQ'  avrcjv  iXHV  %.  t  X.  Statt  olg  giebt  V 
allein  %al^  weiches  Rüd.  aui'iiinunt,  indem  er  sagt;  „oig  est 
error  ex  scribendi  coinpendio  enatiis."  Allein  o'iq  ist  allein  rich- 
tig. Dem.  sagt:  Wie  sind  jetzt  euere  Sachen  bestellt'?  Euch, 
denen  —  doch  ich  verschweige  das  Andere,  so  viel  ich  auch 
sagen  könnte,  —  (Allein  bey  einer  so  grossen  Ruhe,  und  da 
die  Lakedämonier  vernichtet  sind,  die 'J'iiebaner  unthätig,  von 
den  IJebrigen  sich  keiner  uns  zu  widersetzen  wagt,)  aber  da  es 
uns  möglich  ist  u.  s.  w.  OlFcnbar  bezieht  sich  olg  auf  das  vor- 
ausgegangene Vjtiiv,  dann  folgen  die  Zwischensätze,  deren  Ende 
mit  6s.  nach  i'S,6v  angedeutet  ist,  welches  Rekker  nicht  liätte 
einklammern  sollen ;  und  oig  wird  von  ii,6v  regiert.  Wie  häu- 
fig, geht  die  Construction  von  der  zweiten  Person  zur  ersten 
über,  daher  tJ^uTv  nach  der  Parenthesis.  —  S.  140.  äyazäv- 
Tsg  lav  ^ExaÖLÖoööt  Qsoquicöv  vfXiv  rj  ßotdta  ns^xl-'aöiv  ovxoi. 
^exadäöL  hat  bey  Bkk.  allein  cod.  T.  Er  selbst  hat  in  der  gro- 
ssen Ausgabe  ^eradidcööi^  nur  in  der  Schulausgabe  nexadäöi,. 
Dass  Rüd.  auf  diese  nicht  liätte  achten  sollen,  haben  wir  oben 
gezeigt.  Und  nicht  nur  wegen  äusserer  Auctorität  ist  das  Prä- 
sens vorzuziehen,  sondern  auch  wegen  innerer  Gründe.  Die 
d'sagtiid  wurden  regelmässig  ausgetheilt,  die  Uebersendung 
des  Bischen  erbeuteten  Kuhfleisches  war  ein  Extrafall.  Mit 
Recht  steht  also  beym  Letztern  7ce^xl^(o6n>.  Deutlich  erweist 
sich  auch  hier  der  Character  des  ausglättenden  T,  dem  es  zu 
rauh  schien,  dass  einmal  das  Praes. ,  dann  der  Aor.  stehe.  — 
S.  143,  §  33.  Lieber  a;royröi''ro:g  haben  wir  unsere  Ansicht  aus- 
gesprochen im  Programm  obsvv.  in  Dem.  de  Cor.  Turici,  typ. 
ürell.  Füssi.  1829  p.  40.  —  Ibid.  Rüd.  vertheidigt  vticcqxoo 
mit  Recht.  Leicht  ist  es  zu  sehen,  wie  daraus  die  übrigen 
Varr.  entstanden  sind. 

Ueber  Ol.  III  (vulg.  I)  nur  eine  einzige  Bemerkung.  Dort 
nämlich  §  25  sagt  Dem.:  „Ihr  habt  die  Wahl  zwischen  einem 
Krieg  an  Philipps  Gränzen  oder  einem  in  unserm  Lande.  Dauern 
die  Olynthier  aus,  so  werdet  ihr  den  Krieg  dort  führen  aal  ttjv 
ixslvov  'naTiäg  tcolijösxs,  ri^v  vTtccQxovöav  nal  xtjv  oly,iiav  xav- 
rrjv  aÖECjg  xaQTtovfisvoi.  Nimmt  aber  Philipp  Olynth  ein,  wer 
wird  ihn  hindern,  hieher  zu  kommen'?"  Seit  Ilieron.  Wolf 
haben  die  Ausleger  die  W^orte  xrjv  vnäQyovöav  —  xavxtjv  auf 
Makedonien  bezogen.  Rec.  kann  nicht  beystimraen.  Erstlich 
fällt  auf  der  Ausdruck  xavxijv,  wo  man  eher  lytdvrjv  erwartete 
(weswegen  auch  Reiske  avxa  vorschlug),  und  dann  adaag. 
Ferner  setzt  Dem.  den  Schrecknissen  des  Krieges  in  Attika  ent- 
gegen den  glücklichen  und  ruhigen  Genuss  des  heimathlichen 
Landes,  der  dann  möglich  sey,  wenn  man  den  Krieg  in  Fein- 
des Land  führe.      Endlich  in  der  Schlüssrede  braucht  er  als 


400  Griechische    Schriftsteller. 

Hauptmotiv  für  die  Reichen,  dass  sie  beystenern,  um  den  Krieg 
in  der  Ferne  zu  führen,  gerade  die  gleichen  Worte:  'iva  —  ^iagä 
avaliGyiovtfg  xä  koma  ■xagrcavtcci,  ddecjg.  Dieses  Alles  hestimmt 
«US,  die  Worte  rrjv  vnccQiovöav  x.  r.  A.  auf  Attika  zu  beziehen. 

üeber  die  Kede  vom  Frieden  hätten  wir  nur  Weniges  zu 
bemerken;  und  die  Bearbeitung  dieser  Rede  scheint  uns  wirk- 
lich sehr  gelungen.  Nur  einen  Punkt  wollen  wir  erörtern.  S. 
194,  §  24.  aA/l'  cog  oi'ts  Tigä^o^sv  ovdev  ccvd^iov  '^uäv  avxäv 
out'  iözai  Ttöleixog^  vovv  OB  d6t,o{XEv  Ttäöiv  txsiv  xal  xä  dUata 
Xiyuv ,  Tovx'  oiiiai  dslv  tiolbiv.  So  liest  Bkk.  mit  cod.  27 
und  yg.  F.  Die  Uebrigen  bey  Bkk.  haben  8Bit,uv  st.  Öbl  TtoiEiv. 
ÖBit,£tv  erklärten  alle  Ausleger  für  unstatthaft,  Hr.  Rüd.  aber 
glaubt  eine  Erklärung  gefunden  zu  haben,  wodurch  öett,Bi,v  ge- 
rettet werde.  Er  macht  nämlich  tovxo  zum  Subjekt,  und  über- 
setzt:  jjuto ,  rem  ipsani  ostensuram  esse  ^  s.  ostensum  iri^  rios 
neque  etc.  Diess  geht  tur  ag  ovxs  Ttga^o^ev  ovÖsv  dvd^iov  und 
auch  für  our'  böxul  jiöXsfiog  wohl  an,  nicht  aber  für  vovv  ÖS 
ö6t,o^Ev  TtdöLV  ixsiv  aal  x.  X.  Denn  was  gäbe  das  für  einen 
Sinn:  Die  Umstände  werdeu  beweisen^  dass  tvir  Allen  schei- 
nen ii^erden  Verstand  s?/  haben'*  Es  müsste  jaheissen:  dass 
wir  wirklich  f  erstand  haben.  Das  Ganze  fuhrt  darauf  hin,  dass 
Dem.  hier  von  den  Athenern  Handlungen  fordert,  die  zur  Folge 
haben,  dass  man  nichts  Unwürdiges  thue,  kein  Krieg  sey,  da- 
gegen sicli  die  Ueberzeugung  verbreite,  die  Athener  liätten  mit 
Verstand  gehandelt.  Und  die  einfachste  Art,  dieses  auszu- 
drücken, war  ÖEtv  %Q{.ixv.  Diess  halten  wir  also  mit  Engei- 
hardt  für  richtig,  und  diess  entspricht  dann  auch  am  besten 
dem  vorausgegangenen  v.iXi.vBig.  Und  mit  Unrecht,  glauben  wir, 
sagt  Hr.  Ilüd.  praef  VI,  indem  er  gerade  dieses  Beyspiel  ösiv  Ttoi- 
£iV  als  Beweis  braucht,  codicem  2^manum  sapere  eraendatricem. 

Doch  wir  glauben  hinlänglich  gezeigt  zu  haben,  mit  wel- 
cher Aufmerksamkeit  wir  Herrn  Rüdigers  Buch  lasen,  und 
zweifeln  nicht,  dass  er  unsere  Theilnahme  an  seinen  Bemühun- 
gen, das  gründlichere  Verständniss  des  trefflichen  Redners  zu 
befördern,  anerkennen  wird.  Druck  und  Papier  sind  übrigens 
zu  loben,  minder  die  Correctheit  des  Druckes.  Eine  geringe 
Zahl  von  Fehlern  sind  in  den  Erraten  bemerkt.  Wir  fügen  noch 
hinzu:  S.  13  de  sojisullo.  Ibid.  Igblv,  lies  Icöxlv.  S.  36  not.statt 
«(/  2;  2  disimus  lies  «r/  2;  1  d.  S.  42.  navxaxol  liest  nicht  j3, 
sondern  or.  S.  49  lies  v^äv  st.  V'näv,  S.  74  'naxtaXXaydg.^  S.  82 
^ori^iav^  S.  89  zweymal  tuV  st.  av  ^  S.  1{)8  BTttlovtcov'^t.  sAn;-, 
S.  111  Irj^axa  lies  hj^^iaxa.  S.  12ß  st.  nadövxBg  lies  na&Biv. 
S.  142  Dinys.  Hai.  S.  l.'jS  st.  dvBiXovxa  lies  dvsUovxo.  S.  171 
condidioni.  S.  192  st.  ag  ovg  lies  ag  OVK.  S.  221  ist  ohne  Zwei- 
fel zu  lesen  dvdyvaöig  st.  dvdyco<5ig-  Eben  so  S.  225  sollte  es 
heissen  a.  VTtuQ^dvxcov  st.  a.  jcQOVTiaQ^dvxcov. 

Aarau.  Rauchenstein. 


Eöiuische    Litteratur.  401 

Römische    Litteratur. 


Publii  Ovidii  Naso7iis  libri  Tristium.  Zum  Schiilge- 
biaucli  herausgegeben  und  mit  crkliirenden  Annierliungeu  und  ei- 
nem Namen -Register  versclicn.  Zweite  ganz  neu  gearbeitete  Auf- 
lage.   Leipzig,  bei  E.  B.  Schwickert.  1829.  W I  u.  216  S.  8.  16  Gr. 

v^bschou  bei  dem  rege»  Streben  unserer  Zeit  die  humanisti- 
schen Studien  auch  durch  zweckraässigereHüIfsmittei  u.  Schul- 
bücher zu  befördern  besonders  das  Facli  der  Schulausgaben 
derjenigen  Römischen  und  Griechischen  klassischen  Schriften, 
welche  an  den  liöhern  Lehranstalten  gewöhnlich  gelesen  wer- 
den,  ungemein  bereichert  worden  ist;    so  erheben  sich  doch 
noch  häufig  Klagen,    dass  es  an  solchen  Ausgaben,  welche  die- 
sem Zwecke  völlig  entsprechen,  noch  immer  mangele.     Mögen 
nun  auch  diese  Klagen  zum  Theil  von  solchen  Schulmännern  ge- 
fuhrt werden,    welche  über  die  Eigenschaften,    welche  eine 
gute  Schulausgabe  haben  rauss,  selber  nicht  gehörig  im  Klaren 
sind  oder  doch  ganz  eigene  Ansichten  davon  haben;    so  lässt 
sich  doch  nicht  läugnen,    dass  es  unter  der  Menge  Ausgaben, 
welche  sich  für  den  Schulgebrauch  oder  in  usura  studiosae  iu- 
ventutis  ankündigen,  nicht  wenige  giebt,  welche  dieser  Bestim- 
mung nicht  genügen  können.     Denn  während  einige  neben  dem 
Leichtern  und  Fasslichern  auch  die  schwierigsten  und  ausführ- 
lichsten kritischen  Erörterungen  mit  fast  diplomatischer  Ge- 
nauigkeit, und  weitläufige  mit  einer  reichen  Litteratur  ausge- 
stattete Untersuchungen  über  einzelne  Punkte  der  Grammatik 
und  andere   Gegenstände  der  Alterthumswissenschaften  aller 
Art,  welche  der  Gymnasialschüler  noch  nicht  verarbeiten  kann, 
und  die  das  raschere  Fortschreiten  in  der  Lektüre  der  Klassiker 
aufhalten,   zum  Schulgebrauche  bieten,   giebt  es  andere,  die 
nicht  mit  der  Gründlichkeit  u,  der  Strenge,  welche  der  jetzige 
Standpunkt  der  Wissenschaft  erfordert,   gearbeitet  sind;    und 
wieder  andere  sind  zu  diesem  Zwecke  nicht  geeignet,  weil  sie, 
namentlich  in  grammatischer  und  lexikalischer  Hinsicht^  alles 
erklären.    Letztere  sind  denn,  obgleich  sie  unter  der  unwissen- 
den Jugend  die  meisten  Käufer  finden,   dem  Schulzwecke  eher 
hinderlich  als  förderlich ,  indem  sie  statt  die  Stelbstthätigkeit 
des  Schülers  anzuregen  und  Nachhülfe  zu  leisten,    demselben 
fast  allen  Stoff  zum  eigenen  und  selbständigen  Studium  und  zur 
Uebung  und   Erprobung  seiner   Geisteskräfte    vorwegnehmen. 
Indessen  gicbt  es  doch  auch  viele,    besonders  mehrere  neuere 
Erscheinungen  dieser  Art,  welche  ein  eifriges  Bestreben  beur- 
kunden, die  Idee  eines  wohleingerichteten  Schulbuches  zu  ver- 
wirklichen; so  wie  auch  schon  einige  Ausgaben  vorhanden  sind, 
welche  sich  durch  ihre  Zweckraäissigkeit  zum  Schulgebrauche 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  V  Heft.  4.  26 


402  Römische   Litteratur. 

besonders  empfehlen.  Unter  diesen  gebührt  nach  des  Referen- 
ten Dafürhalten  der  vorliegenden  Ansg.  der  Tristien  des  Ovi- 
dius ,  obgleich  sich  der  Hr.  Flerausgeber  nicht  genannt  hat,  ein 
ehrenvoller  Platz,  anch  noch  aus  dem  Grunde,  weil  in  der  Vor- 
rede zu  derselben  so  belehrende  Ansichten  über  die  zweckmässi- 
ge Einrichtung  eines  solchen  Schulbuches  ausgesprochen  sind. 
Veranlassung  zu  dieser  Arbeit  war,  dass  die  Ausgabe  der 
Klaggesänge  des  Ovidius  unter  dem  Titel :  Des  Publius  Ovidius 
Naso  libri  Tristium  mit  zweckmässigen  Anmerkungen  u.  einem 
doppelten  Register  zum  Gebrauch  für  Schulen  [v.  Dr.  Fr.  Eberh. 
Boyseu  ],  welche  1793  erschienen,  vergriffen  war  und  der  Ver- 
leger, weil  das  Buch  sein  Publikum  gefunden  i hatte,  und  seit 
dem  Erscheinen  desselben  auch  keine  zweite  Ausgabe  von  die- 
ser Einrichtung  erschienen  war,  eine  neue  Auflage  desselben 
veranstalten  wollte.  Der  Herr  Herausg.  fand  aber  nöthig,  um 
dem  Buche  eine  dem  heutigen  Stande  der  Philologie  angemes 
sene  Einrichtung  zu  geben,  „dasselbe  ganz  umzuarbeiten,  und 
konnte  dasselbe  daher  von  seinem  alten  Material  ausser  dem 
aufs  neue  revidirten  Texte  und  etwa  zwei  oder  drei  Anmerkun- 
gen durchaus  nichts  behalten;  so  dass  dasselbe  eben  so  gut 
eine  neue  Ausgabe  heissen  könnte,  welches  aber  den  Titel  ei- 
ner neuen  Auflage  darum  erhalten,  weil  Boysens  Bearbeitung 
sein  Entstehen  veranlasst  und  die  allgemeine  Einrichtung  vorge- 
schrieben, nach  welcher  es  gemacht  wurde/*^  Das  Buch  ist 
für  solche  Gymnasial -Schüler  bestimmt,  ,,  welche  mit  den  ge- 
wöhnlichen Regeln  der  Lateinischen  Syntax  bekannt  sind  und 
nur  hin  und  wieder  noch  der  festern  Begründung  derselben  be- 
dürfen, und  welche  ferner  von  der  Prosodik  und  Metrik  des 
elegischen  Metrums  das  Nöthigste  begriffen  haben,  so  dass  sie 
schon  hin  und  wieder  in  die  höhere  Grammatik  eingeführt  und 
zur  Anffassung  der  Latein.  Dichtersprache  hingeleitet  werden 
können."  Die  Anmerkk.  schrieb  derHgb.  Deutsch,  hauptsächlich 
„weil  diese  Schüler  die  Lateinischen  oft  nur  mit  Mühe  verste- 
hen und  sie  daher  in  den  meisten  Fällen  ungelesen  lassen.  " 
Ueber  innere  Einrichtung  des  Buches  spricht  der  Hr.  Herausg. 
in  der  Vorrede  ausführlich,  wovon  folgendes  das  Hauptsäch- 
lichste ist.  ,,Der  Text  wurde  sorgfältig  revidirt  und  in  einer 
nicht  unbedeutenden  Anzahl  von  Stellen  verändert.  Es  wurden 
hierbei  zwei  Klassen  von  Fehlern  des  Textes  unterschieden: 
solche,  bei  welchen  die  aus  den  Handschrr.  bekannt  gemachten 
Varianten  zwar  anzudeuten  scheinen,  dass  die  Worte,  wie  sie 
im  Texte  stehen,  kaum  so  von  Ovid  geschrieben  worden  sind, 
welche  aber  doch  nicht  gerade  gagen  den  Zusammenhang  und 
gegen  die  Denk-  u.  Spracligesetze  des  Dicliters  und  seiner  Zeit 
Verstössen  —  also  etwas  geben,  dessen  sich  der  Dichter,  wenn 
er  so  geschrieben  hätte,  wenigstens  nicht  zu  schämen  brauchte; 
und  solche,    durch    welche    Zusammenhang,    Denkweise  und 


Fublü  Ovidii  Nasonis  libri  Ti-istiuni.  40S 

Sprachgebrauch  des  Dicliters  und  seiner  Zeit  verletzt  werden. 
Die  Fehler  der  erstem  Art  schaden  in  Ausj?aben  für  den  Sc!iul- 
gebraiicli  nur  wenig  und  können  im  Ovid  häufig  auch  nicht  mit 
gehöriger  Evidenz  nachgewiesen  werden,  da  ilire  Verbesserung 
nur  von  den  llandsciiriften  abiiängt  und  diese  hier  ziemlich 
schlecht  verglichen  sind.  Sie  sind  daher  auch  nur  du  verbes- 
sert, wo  sich  die  Aenderung  aus  dem  Anseilen  und  dtv  Zusam- 
nienstimmung  der  bessern  Handschriften  als  sicher  ergab  und, 
um  fiir  jeden,  der  den  kritischen  Apparat  ansieht  und  kennt, 
evident  zu  seyn,  keiner  weitern  Erörterung  bedurfte.  —  — 
Vorzügliche  Sorgfalt  aber  ist  auf  Verbesserung  der  Fehler  der 
zweiten  Art  verwendet,  um  sie  wo  möglich  alle  zu  berichti- 
gen."-   „Besondere  Aufmerksamkeit  wurde  auf  die  Inter- 
punktion des  Textes  verwendet  und  durch  sie  auf  das  leichtere 
Verständniss  hinzuwirken  gesucht. "  —  Den  einzelnen  Ge- 
dichten sind  kurze  Einleitungen  vorausgeschickt,  welche  „nur 
den  Hauptinhalt  der  Gedichte  angeben,  zugleich  aber  auch  die 
nähern  veranlassenden  Umstände  zur  Abfassung  derselben  und 
die  nöthigen  geschichtlichen  Data  hinzusetzen,  wo  diese  nöthig 
werden.  Sie  sollen  den  Schiller  nur  auf  den  Standpunkt  stellen, 
von  welchem  aus  er  das  Gedicht  zu  betrachten  hat. "  —  ,iöie 
beigegebene  Erklärung  ist  zunächst  und  fast  ausschliesslich  für 
Schüler  des  angegebenen  Kreises  bestimmt  und  soll  theüs  an- 
regen und  aufmerksam  machen  auf  Schwierigkeiten  und  Eigen- 
heiten, die  man  sonst  leicht  zu  übersehen  pflegt,  theils  aushel- 
fen und  unterstützen  in  Fällen,  deren  genügende  Erklärung  der 
Schüler  durch  eigenes  Nachdenken  und  durch  den  Voriath  sei- 
nes Wissens  sich  nicht  geben  kann,  theils  endlich  sein  Wissen 
selbst  fördern  und  bereichern  in  den  Punkten,  welche  diesen 

Jahren  und  diesen  Klassen  am  nächsten  liegen." In  der 

Sacherklärung  hat  der  Herr  Herausg.  den  Weg  eingeschlagen, 
,,so  weit  als  möglich  alles  zu  geben,  was  der  Schüler  zum  Ver- 
ständnisse der  einzelnen  Stellen  braucht,  und  dem  Lefirer  nichts 
als  das  Nachfragen  zu  überlassen,  ob  sich  jener  mit  dem  Nö- 
thigen gehörig  bekannt  gemacht  habe. Um  dem  Schü- 
ler übrigens  die  Sache  nicht  zu  bequejn  zu  machen,  wurden 
diese  Sacherklärungen  nicht  gleich  am  gehörigen  Orte  gegeben, 
sondern  der  Mehrzahl  nach  in  ein  besonderes  Namen- Register 
zusammengestellt,  und  die  Mittheilungen,  soweit  diess  bei  Ge- 
genständen der  Art  geschehen  kann,  auch  so  eingekleidet,  dass 
er  bei  dem  Gegebenen  dennoch  das  eigene  Nachdenken  anwen- 
den muss  und  nicht  einen  reinen  Gedächtnisskram  darin  fin- 
det.''   Die  Anmerkungen  verbreiten  sich  vorzüglich  ülber 

Grammatik  und  Sprachgebrauch,  und  zwar  so,  dass  sie  all- 
mählig  vom  Leichtern  zum  Scliwerern  fortgehen.  Darum  ist  im 
Anfange  über  vieles  nur  angefragt  oder  doch  nur  auf  die  Gram- 
matik (von  Zumpt  u.  Ramshorn)  verwiesen  j  später  folgen  mehr 

26* 


404  Rü mische    Litteratur. 

eigene  und  ausführliche  Erörterungen,  jedoch  mit  beständiger 
Zurückweisung  auf  das  Frühere.  —  Häufig  ist  auch  auf  Pros- 
odik  und  Metrik  und  auf  das  Abweichende  und  Eigenthüni- 
iche  des  Dichtersprachgebrauchs  aufmerksam  gemacht,  bald 
durch  Nachweisungen  vouParalleistellen,  bald  durch  besondere 

Erörterungen. "     Dies  wäre  nun  im  kurzen  Auszuge  der 

Plan,  nach  welchem  der  Hr.  Herausg.  dieses  Buch  gearbeitet 
hat;  und  kann  dasselbe  nach  des  Ref.  Meinung  zum  Beweise 
dienen,  dass  er  mit  der  Idee  eines  solchen  Schulbuches  und 
mit  seiner  Aufgabe  in  ihrem  ganzen  Umfange  genau  bekannt  ge- 
wesen sei.  In  wie  fern  er  nun  dieses  Ziel  erreicht  hat,  wollen 
wir  nun  zu  zeigen  versuchen. 

Was  nun  die  Textesverbesserung,  den  ersten  Theil  dieser 
Arbeit  betrifft ;  so  ist  es  dem  Hrn.  Herausg.  wohl  an  40  Stellen 
gelungen,  die  Urschrift  des  Dichters  wieder  herzustellen  u.  gegen 
weitere  Aenderungen  zu  sichern ,  und  lässt  sich  mit  Gewissheit 
behaupten ,  dass  diese  Ausgabe  vor  allen  vorhandenen  in  Rück- 
sicht auf  Korrektheit  des  Textes  den  Vorzug  verdient;  obgleich 
wir  übrigens  auch  hier  nocli  bei  weitem  nicht  überall  die  ur- 
sprüngliche Schreibung  finden,  und  die  Kritik  des  Hrn.  Herausg. 
an  mancher  Stelle  das  Rechte  nicht  getroffen  hat.  Um  dieses  Ur- 
theii  zu  begründen,  wollen  wir  von  jeder  Art  eine  Anzahl  Stel- 
len näher  beleuchten  und ,  was  unsern  Lesern  eine  viel  klarere 
Einsicht  in  das  hier  Geleistete  giebt,  dieselben  nicht  aus  dem 
ganzen  Werke  überhaupt,  sondern  aus  einem  u.  demselben  Buche 
dieser  Gedichte  hernehmen ;  und  hierzu  wählen  wir  das  fünfte. 

L.  V,  1,  C9  lesen  Burmann,  Oberlin,  Platz,  Klein  u.  andere: 
At  mala   sunt,  fateor:  quis  tc  mala  sumere  cogit? 

In  dieser  Ausgabe  finden  wir  nach  stmt  ein  Punkt,  wie  auch 
die  alten  Drucken  haben,  z.  B.  die  Venu.,  und  lesen: 

„At  mala  sunt.  —      Fateor.     Quis  te  m.  s.  c. 

unstreitig  die  richtige  Schreibung  dieser  Stelle.  „Doch  (sich 
selbst  einwerfend)  meine  Gedichte  sind  schlecht.  —  (Worauf 
er  erwiedert:)  Ich  gestehe  das  zu,  erkenne  das  an.  (Aber)  wer 
nöthigt  dich  dieselben  in  die  Hände  zu  nehmen ?^^  Für  diese 
Schreibung  spricht  noch  besonders  die  Part,  at  und  die  Sprach- 
weise des  Dichters;  Epist.  Her.  XIX,  77,  78: 

„At  cito  mutata  est  iactati  forma  profundi.*^^   — 
Tempore,  cum  properas^  saepe  minore  venis. 

ibid.  III,  20,  21: 

„Sed  data  sum ,  quia  danda  fui.^^  —      Tot  noctibus  ahsum, 
Nee  repetor ,  etc. 

Da8.  Vs.  79,80  lesen  wir  bei  denselben  Editoren: 

Cur  scribam,  docui:  cur  mittam,   quaeritis,  istoB? 
Vobiscum  cupiam  quoUbet  esse  modo. 


Fublii  Ovittii  Nuäunlä   librl  Tristiuiii.  4ü5 

In  unserer  Ausgabe  ist  erstens  Vs.  T9  mit  den  alten  Ausj^aben 
das  Fragezeichen  weggelassen,  und  qiiaeritis  ganz  riclitig  nicht 
als  Frage,  sondern  als  Bedingung  genommen.  Mag  auch  die 
Frage  Statt  haben  können;  so  ist  doch  der  affirmative  Sinn 
weit  bescheidener,  weit  richtiger;  auch  muss  auf  die  Manier 
des  Dichters  Rücksicht  genommen  werden.  Zu  vergl.  Trist,  I, 
11,  25;  H,  201 ;  III,  5,  23,  24;  Epist.  Her.  VI,  123,  124.  Und 
Vs.  80  ist  statt  cnpiani,  was  Heinse,  welcher  bekanntlich  eine 
ordentliche  Sucht  hatte,  den  Conjuiiktiv,  wo  derselbe  nur  zu- 
lässig war,  einzuführen,  aus  dem  einzigen  Cod.  Jan.  zuerst  auf- 
genommen hat,  hier  mit  allen  übrigen  alten  Schriften  cnpio 
wiederhergestellt,  und  wird  ganz  richtig  bemerkt:  „Der  Con- 
junktiv  ist  sehr  anstössig,  weil  der  Wunsch,  der  in  demselben 
enthalten  seyn  soll  [wie  I,  1, 16  continga/n],  schon  in  der  Be- 
deutung des  Wortes  liegt."  V,  2,  13,  14  lesen  wir  in  der 
neuen  Ausgabe; 

Paene  decem  totis  aluit  Paeaiitiu»  anni3 

Pesiiferum  tumido  viilniis  ab  angue  datum, 
WO  nach  dem  Vorgange  Heinse's  bei  Burm.,  Oberl. ,  Platz  utid 
Klein  virus  ab  angue  datum  steht.  Die  hier  aufgenommene  Les- 
art ist  nicht  allein  der  Sache  angemessener,  sondern  hat  auch 
das  Ansehen  der  alten  Schriften  (denn  nur  zwei  Handschriften 
bei  Heinse  haben  virus)  für  sich,  und  eben  so  auch  den  Sprach- 
gebrauch des  Dichters ,  indem  virus  darc  in  diesem  Sinne  un- 
seres Wissens  beim  Ovidius  nirgend ,  hingegen  vulnus  dare  in 
den  Metam.  allein  fünfmal  vorkommt.  Für  dieselbe  Lesart 
spricht  endlich  das  Verbura  aluit.    Virg.  Aen.  IV,  1,  2: 

At  rcgina  gravi  tarn   diidum  saticia  ciira 

Vvlnns  alit  venis,  etc.      Zu  vergl.  Metam.  X,  49. 
Veranlassung  zu  dieser  Variante  haben  oline  Zweifel  die  Worte 
datum  ab  angue  gegeben,  zu  welchen  das  Wort  virus  dem  der 
Sprache  minderMächtigeu  w  ohl  leicht  passender  scheinen  konnte. 
V,  4,  47,  48  lesen  wir  hier  mit  den  meisten  alten  Schriften ; 

Plcna  tot  ac  tantis  r eferetur  gratta  factis, 
nee  sin  et  ille  tuos  litus  arare  boves. 
wo  Heinse  referetur  in  seinen  Lieblings-Modus,  denConjunktiv, 
umwandelte,  das  Verbum  siuet  aber,  welches  doch  mit  dem 
Verbum  referetttr  offenbar  in  gleichem  Verhältnisse  zum  Satze 
steht,  unverändert  Hess;  Platz  und  Klein  aher  referetur  wieder 
herstellten ,  dagegen  einen  neuen  Fehler  einführten,  indem  sie 
sinet  in  sinit  veränderten.  V,  7,  2S  lesen  wir  bei  Oberi.,  Platz, 
Klein  u.  a.  nach  Burmann: 

Atque  utinam  vivat,  scd  non  moriatur  iu  Ulis  — 
in  dieser  Ausgabe  ist  die  Lesart  der  Handschriften  und  alten 
Editionen  et  iion  wieder  hergestellt.     Der  Sinn  ist:  .,()  dass  er 


406  Rumische    Litteratur, 

unter  ihnen  lebe  nicht  aber"  und  bekanntlich  heisst  nicht  aber 
in  diesem  Sinne  entweder  non  oder  et  non^  und  damit  war  die 
alte  Lesart  et  non  gegen  Burmann's  Coiijektur  hinlänglich  ge- 
rechtfertigt. Der  Herr  Herausg.  zeigt  noch  zum  üebermaasse, 
dass  sed  non  kaum  sprachlich  richtig  sei:  „Denn  sed  [verwandt 
mit  der  Präposition  se  und  gebildet  aus  se  und  dem  d  paragogi- 
cum.  s.  Cour.  Schneid.  Elementarlehre.  S.  144  ]  hebt  nur  einen 
Theil  von  dem  Begriife  des  Satzes  oder  Wortes,  dem  es  entge- 
gensteht, auf,  eben  so  wie  unser  sondern^  d.  h.  sondere  ab  da- 
von. Daher  wird  es  gebraucht,  wenn  man  angeben  will,  dass 
das  vorhergehende  Wort  oder  der  vorhergehende  Satz  nicht  ia 
seiner  vollen  Geltung  zu  nehmen  sei,  sondern  dessen  Bedeutung 
erst  richtig  stehe,  wenn  man  die  mit  sed  folgende  Einschrän- 
kung oder  Ausnahme  liinzufiigt.  Das  nach  sed  folgende  Wort 
rauss  demnach  etwas  bezeichnen,  was  in  der  Bedeutung  des  vor- 
hergehenden mit  enthalten  seyn  kann,  z.  B.  vivat  sed  non  aegro- 
tet;  hier  aber  wird  vinat  durch  das  lolgende  moriatur  gauz 
aufgelioben.  — "  V,  7,  53,  54  schreiben  lieinse,  Burmann, 
Klein,  Platz  u.  and.: 

17/ius  in  hoc  populo  nemo  est,   qui  forte  Latine 
Quaelib  et  e  medlo  reddcre  vcrba  queat  — 

die  vorliegende  Ausgabe  giebt  quamlibet,  wofiir  die  Handsclirr. 
und  alten  Editionen  sprechen,  und  noch  mehr  der  Sinn:  denn 

mit  qnaelibet  lieisst  die  Stelle:    „ ,    welcher  alle  Wörter, 

wie  sie  vorkommen,  welche  es  auch  immer  seyn  mögen,  spre- 
chen könnte";  hingegen  m\i  quamlibet:  „ ,  welcher  La- 
teinische Wörter  reden  könnte,  selbst  die  allergewöhnlichsten", 
was  nur  einzig  der  Gedanke  des  Dichters  seyn  kann.  Zu  vergl. 
Trist.  I,  2,  lOL  V,  8,  5  lesen  Platz  u.  Klein  mit  Burmann: 
Nee  mala  fc  rcddunt  miiem  placidumve  iacenti  — 

Diese  Ausgabe  giebt  placidumqiie '.  und  wenn  auch  die  Bemer- 
kung des  Hrn.  Herausg. :  ,,placidi/mve  \iasfii  eben  so  wenig,  als 
wenn  wir  müde  oder  sauft  statt  milde  U7id  sajift  sagen  wollten" 
allzustreng  ist;  so  lässt  sich  doch,  wenn  man  in  Betracht  zielit, 
dass  fast  alle  Mss.  und  &\i^  fia\ssahe.\\  placidiimqiie  liaben,  an 
der  lliclitigkeit  dieser  Schreibung  nicht  zweifeln.  V,  8,  30  hat 
er  mit  Platz  die  Klammern  weggelassen,  und  die  Richtigkeit 
des  Gcdaukens  und  des  Zusammenhanges  dieses  so  vielfach  an- 
gefochtenen Verses  mit  dem  Verhergehenden  so  klar  gezeigt, 
dass  derselbe  gewiss  ^agnn  alle  weitere  Angriffe  siclier  stehen 
wird.  —  V,  14,  22  lesen  wir  bei  Klein,  Platz,  Oberl.  und 
andern  mitBurraann: 

ü't  laudem  prohilas   irrcprchcnsa  tulit  — 
WO  das  Verbum  tulit  eine  blosse  Conjektur  und  von  der  Lesart 
aller  alten  Schriften  so  verschieden  ist,   dass  es  keine  Wahr- 


Publii  0\idii  Nasoniü  libri  Tristiuiu.  407 

scheinliclikeit  für  siel»  hat.  Der  Hr.  Ilerausg.  hat  fi/ü  richtig 
wieder  lievgestollt.  Auch  liat  er  stall  laude/n^  was  ebenfalls 
keine  Auctorität  des  Altertliiinis  fiir  sich  hat,  sondern  aus  der 
Variante  Inndcin  gebildet  ist,  mit  zweien  Ilandsichriften  sein- 
per  geschrieben,  wclclics  aber,  wenn  es  auch  einen  richtigen 
Sinn  enthält,  docli  noch  weiterer  Uegrimdung  bedarf.  Wenn 
wir  nun  über  diese  Stellen  der  Kritik  des  Hrn.  Ilerausg.  bei- 
stimmen; so  können  wir  folgende  Verbesserungsversuche  des- 
selben niclit  gut  heissen. 

V,  5,  32  billist  Ref.  die  vom  Hrn.  Herausgeber  in  Schutz 
genommene  Conjektur  Witthof 's  (  Consilio  f.  aethera,  Ponte, 
tuuni)  nicht:  denn  wenn  dieVulgata  {^Consilium  f.  cetera paene 
Tneinii)  einen  matten  Sinn  giebt;  so  ist  des  Matten  in  diesen 
Gedichten  so  viel,  dass  uns  dieses  nicht  wohl  zu  Conjekturen 
berechtigt;  und  wenn  dieselbe  Vulgata  der  Absicht  des  Dich- 
ters u.  den  folgenden  Versen  widersprechen  soll,  so  sieht  Ref. 
das  nicht  ab,  und  ist  vielmehr  der  31eiiiung,  dass  sie  fiir  den 
Zusammenhang  passend  sey:  „Sieh,  wie  die  Luft  den  Rauch 
von  meinem  Opfer  nach  Italien  und  befreimdeten  Orten  sendet 
(20,  30)!  Also  der  Dampf,  der  dem  Feuer  entsteigt,  zeigt  Mit- 
gefiihl  für  meine  Leiden  j  (während)  alles  übrige  meine  Wünsche 
flieht.  [Ja  oder  Äo]  (zur  Bestätigung  jenes  Satzes,  ganz  in  der 
Manier  des  Ovidius;  zu  vgl.  II,  105  ff.)  mit  Absichten  trennte 
sich  die  Flamme  der  feindlichen  Brüder,  als  sie  gemeinschaft- 
lich opferten  etc. ^'     V,  6,  36  schreibt  der  Hr.  Herausgeber: 

Isto ,  quod  reris,  grandiua  illud  erit  — 

WO  Burmann,  Oberlin,  Klein  u.  Platz  quo  lesen:  was  in  gram- 
matischer Hinsicht  wenigstens  vorzuziehen  ist,  wogegen  sich 
jene  Lesart  (quo)  kaum  als  sprachlich  richtig  erweisen  lässt. 
Aber,  da  an  dieser  Stelle  die  alten  Schriften,  mit  Ausnahme 
einer  einzigen  Handschrift  bei  Heinse,  qiiereris  statt  reris^  wie 
jetzt  gewöhnlich  edirt  wird,  haben,  und  da  reris  ohnehin  hier 
nicht  sehr  deutlich  ist,  und  dazu  noch  von  Heinse  herstammt, 
der  dieses  Verbum  bekanntlich  wohl  an  hundert  Stellen  im  Ovi- 
dius ohne  gehörige  Gründe  entweder  aufgenommen  oder  doch 
vorgeschlagen;  so  würde  Ref.  ohne  alles  Bedenken  auch  das 
alte  (juereris  wieder  hergestellt  haben.  Zu  vergl.  Epist.  Her. 
XX,  24.  —  V,  9,  25  ist  die  Anmerkung  über  qiioque  nach  ei- 
nem nicht  betonten  Worte  zwar  belehrend;  wird  aber  hier 
ganz  überflüssig,  wenn  wir  die  rechte  Lesart  wieder  herstel- 
len: denn  es  muss  statt  se  quoque ,  was  eine  ganz  unnötliige 
Conjektur  von  Heinse  ist,  gelesen  werden  nunc  quoque.  Eben 
80  raüsste  das.  Vs.  35  s%  non  statt  des  Lieblingsausdrucks  Hein- 
se's  nisi  si  geschrieben  werden ,  wodurch  wieder  eine  Note  ge- 
spart worden  wäre.  —  V,  12,  59,  wo  hier  iion  tarnen  geneuert 
ist,  würde  Ref.  mit  den  alten  Schriften  und  den  neuern  Ausga- 


408  Römische    Litteratur. 

ben  nee  tarnen  wieder  herstellen,  was  auch  für  den  Sinn  pas- 
sender ist:  „Ich  habe verlernt;  und  doch  kam  meine 

Muse ."•    Auch  durfte  in  diesem  Zusammenhange  nach 

Vs.  58  kein  Punkt  gesetzt  werden.  —  V,  13,  9  würde  Ref.  es 
nicht  gewagt  haben,  mit  nur  zweien  Handschriften  quid  statt 
gut  zu  schreiben  und  die  ganze  Stelle  Vs.  9  — 12  zum  Fragesatz 
umzugestalten^  indem  der  Satz  affirmativ  mit  qtii ^  wie  der  Hr. 
Herausg.  auch  anerkennt,  nur  in  anderer  Form  denselben  Sinn 
giebt.  Wenn  aber  die  einfache  Aussage  matter  ist;  so  werden 
wir  das  wohl  den  Dichter  selbst  müssen  verantworten  lassen, 
der  ja  in  diesen  Gedichten  so  oft  matt  und  wässerig  wird,  ab- 
gesehen von  seinen  ennüyanten  Sujets.  —  Noch  minder  gelun- 
gen scheint  Ref.  des  Hrn.  Herausg.  Bemühen  V,  14,  23,  24  den 
Text  festzustellen  und  zu  erklären.  Er  schreibt: 
Par  eadem  nostra  nunc  est  sibt  facta  ruina : 
Coitsplcuum  virtus  hie  tua  j'onat  opus !  — 

An  dieser  Stelle  nahm  unseres  Wissens  zuerst  Heinse  Anstoss, 
welcher,  wenn  auch  Inder  Vulgata  die  verdorbene  Lesart  fand: 

Par  ea  de  nostra  nunc  est  tibi  facta  ruina  — 
doch  die  der  Venu,  und  der  älteren  Ausgaben :  Par  eadem  ri' 
n.  e.  tibi  f.  r. ,  kannte  und  dieselbe  durch  die  meisten  Hand- 
schriften bestätigt  fand;  aber,  weil  er  darin  keinen  Sinn  finden 
konnte,  aus  zweien  unbedeutenden  Handschriften  sibi  aufnahm 
und  edirte: 

Par  eadem  nostra  nunc  est  sibi  facta  ruina. 
Conspicuum  virtus  hie  tua  ponat  opus. 

Burmann  wagte  hier  eine  Parforce-Kur  und  schlug  vor; 

Par  veterum  nostra  si  nunc  tibi  fama  ruina  — 

[Allein  wo  bleiben  hier  die  Grundzüge  der  Handschriften?]; 
traute  aber  dieser  Kur  so  wenig,  dass  er  noch  eine  zweite  Con- 
jektur  in  den  Kauf  gab: 

Parta  tibi  nobtra  si  nunc  est  fama  ruina. 
Der  Hr.  Herausg.  giebt,  wie  wir  sehen,  die  Worte  der  Heinse*- 
schen  Ausgabe,  nur  mit  geänderter  Interpunktion;  und  erklärt 
die  Stelle  auf  folgende  Weise:  „eadem  (nämlich  probitas)  nunc 
nostra  ruina  (cum  ruina  mea  irruerit),  facta  est  sibi  par.  In 
der  Zeit  des  Glückes  war  deine  Redlichkeit  untadelhaft;  aber 
auch  im  Unglück  blieb  dieselbe  sich  gleich:  darum  setze  sich 
deine  Tugend  hier  (  d.  h.  entweder  i/J  dieser  Lage  oder  viel- 
leicht auch  in  diesem  Gedichte)  ein  leuchtendes  Denkmal." 
Wobei  es  auffallend  ist,  dass  es  ihm  wie  den  frühern  FJditoren 
entgangen  ist,  dass  der  ganze  Zusammenhang  an  dieser  Stelle 
eine  Ermahnung  fordert  (zu  vergl.  unten  Vs.  43,  45) ,  so  wie 
auch,    dass  er   über  das  hie  so  wenig  im  Klaren  ist,    dass  er 


Fublü  Ovidii  Nasonis  libri  Tr'iätiuni.  409 

meint ,  es  könne  „entweder  in  dieser  La^'e  oder  vielleicht  auch 
in  diesem  Gedichte"  heissen.  Die  Lesart  der  alten  Ausgaben 
und  fast  aller  Handschriften  ist  unverdorben  und  giebt  einen 
80wohl  an  und  fi'ir  sich  als  auch  in  Rücksicht  auf  den  ganzen 
Zusammenhang  richtigen  Sinn:  „nunc  nosträ  ruinä  (cum  nos 
(ego)  cecidimus)  tibi  par  (iino)  eadem  (sc.  ruina)  facta,  parta 
est.  —  Jetzt  ist  dir  durch  meinen  Sturz  ein  gleicher  (ja)  der- 
selhige  bereitet  — ;  hie  igitur  (in  hac  ruina  nostra)  tua  se  vir- 
tus  ostendat^  conspicuum  fidei  ac  probitatis  opus  edat  (oder  was 
mit  Rücksicht  auf  conspicuum  gebraucht  ist),  ponat."  Nur 
könnte  das  ^ar  eadem  Anstoss  finden,  was  Cic.  zwar  auch  ne- 
ben einander  stellt,  aber  durch  et  verbindet,  pro  Mur.  c,  9: 
pari  et  eadem  in  laude  pono.  Allein  die  rhetorische  Ne- 
beneinanderstellung ohne  Verbindungs- Partikel  leidet  bei  dem 
rhetorischen  Charakter  unsers  Dichters  keine  Schwierigkeit, 
zumal  da  eine  Steigerung  darin  enthalten  ist,  und  dürfte  sich, 
wenn  man  suchen  wollte,  durch  ähnliche  Beispiele  wohl  erhär- 
ten lassen;  ist  aber  auch  durch  die  Richtigkeit  des  Gedankens 
schon  sattsam  begründet,  üeber  ruina  zu  vergl.  I,  6,  5,  wo  in 
dieser  Ausgabe  ruina  nicht  richtig  durch  Verlust  des  Vermö- 
gens erklärt  ist.  —  Das.  lesen  wir  Vs.  30  so  interpungirt: 
Quae  maneat  stabili,  cum  fugit  illa  pede. 

Uns  scheint  die  Interpunktion  der  Vulgata  richtiger:  cum  fugit 
illa^  pede.  —     V,  14,  33,  34  liest  Burmann: 

Ut  tempus  numcres,  per  saecula  nulla   tacetufj 
Et  loca  miranlurf  qua  patet  orbis  iter. 
Piat^  und  Klein: 


Et  loca,  mirantur^  qua  patet  orhis  iter. 
Hier  lesen  wir: 

Ut  tempus  numeres ,  per  sccula  nulla  tacelur 
Et  loca:  mirantur,  qua  patet  orbis  iter. 

Durch  welche  Interpunktion  alle  Concinnität  des  Satzes  zerstört 
wird,  und  wahrlich  auch  aller  Sinn;  oder  ist  es  etwa  ein  rich- 
tiger Gedanke:  Ut  tempus  numeres,  per  nulla  secula  tacetur  et 
loca.  Die  Platzische  und  Kleinsche  Interpunktion  ist  gewiss 
viel  richtiger;  aber  einen  weit  schöneren  Sinn  und  eine  freiere 
Bewegung  des  Gedankens  enthält  die  Burmann'sche:  „Zählst 
du  die  Zeiten,  kein  Jahrhundert  schweigt  (von  solcher  Tugend); 
und  aller  Orten,  so  weit  der  Erdkreis  reicht,  wird  sie  bewun- 
derf-':  für  welches  Letztere  der  Dichter  kühn  und  poetisch  sagt: 
„und  alle  Orte  —  bewundern  sie."  üeber  loca  mirantur  zu 
vergl.  Tr.  III,  10,  ß9. 

Uebrigens  will  es  Referenten  scheinen,  dass  der  Ilr,  Her- 
ausgeber sich  bei  seiner  Textesverbesserung  auch  nicht  streng 


410  Rü  mische    Litteratur. 

^eiuigf  an  seiner  Aufgabe  und  dem  in  der  Vorrede  entworfenen 
Plane  gehalten,  und,  vielleicht  weil  er  in  diesem  Stiicke  seine 
Stärke  fühlte,  manche  Stelle  seiner  Kritik  unterzogen  hat,   wel- 
che ausser  der  Grenze  dieses  Buches  lag;  so  wie  IJef.  auch  iiber- 
haupt  sehr  bezweifeln  möchte,   ob  die  häufigen  kritischen  An- 
merkungen, deren  doch  einige,  um  gehörig  verstanden  zu  wer- 
den,   schon  gründlichere  Sprachkenntnisse  und  eine  geübtere 
Denkkraft  erheischen,  als  man  sie  beim  Quartaner  und  Tertia- 
ner voraussetzen  darf,    bei  allen  Schulmännern  Beifall  finden 
werden.  Nach  unserer  unmaassgeblichen  Meinung  wäre  es,  den 
Zweck  eines  Schulbuches  streng  ins  Auge  gefasst,  wie  fasslich 
und  selbst  bildend  auch  die  Kritik  des  Hrn.  Herausg.  ist,  rath- 
samer  gewesen,  blos  an  den  leichteren  Stellen,    wo  der  Knabe, 
für  den  das  Buch  bestimmt  ist,   der  Kritik  leicht  folgen  kann, 
kritische  Anmerkungen  zu  geben,    an  den  Stellen,  an  welchen 
der  jetzt  gewöhnliche  Text  einen  ziemlich  richtigen  Sinn  bie- 
tet, alle  Kritik  wegzulassen ,  und  an  solchen  schwierigen  Stel- 
len, wo  für  die  Interpretation  der  Weg  noch  nicht  geebnet  war, 
die  neue  Lesart  lieber  ohne  alle  kritische  Bemerkungen  mit  ei- 
ner gründlichen  Interpretation   aufzunehmen,    besonders  wenn 
das  Buch,  wie  der  Ilr.  Hrgb.  laut  Vorrede  zu  wollen  scheint,  auch 
zur  Privatlektüre  der  genannten  Klassen  gebraucht  werden  soll. 
In  Rücksicht  der  Interpunktion  verdient  die  Ansicht  des 
Hrn.  Herausg. ,    dass  sie  viel  zum  leichtern  Verständnisse  der 
Schriften  beitrage,  vollen  Beifall.     Besonders  beachtungswerth 
aber  scheint  lief,  die  Bemerkung  des  Hrn.  Herausg.,  dass  die 
manchfaltigen  Verkettungen  der  Sätze  bei  den  Alten  häufig  in 
die  Nothwendigkeit  versetzen,    das  Kolon  und  Semi- Kolon  in 
verschiedener  Geltung  zu  gebrauchen:    ein  Umstand,    den  die- 
jenigen nichtgehörig  zu  berücksicl»tigen  scheinen ,    welche  in 
der  Interpunktion  überall  eine  strenge  Kegel  befolgt  wissen  wol- 
len.    Allerdings  soll  man  sowohl  seine  eigenen  Schriften ,  als 
aucli  die  der  Alten,  welche   man  aufs  neue  edirt,  nach   einer 
bestimmten  Norm  interpungiren,  und  den  verschiedenen  Schrift- 
zeichen so  viel  als  möglich  überall  die  Bedeutung  lassen,  welche 
sie  einmal  haben.     Allein  wie  oft  gebietet  nicht  bei  der  kleinen 
Anzahl  von  Schriftzeichen  schon  blos  der  grössere  Umfang  ei- 
nes Satzes,    andere  Zeichen  anzuwenden,    als  man  bei  einem 
kleineren  Satze  von  derselben  Form  gebrauchen  würde?     Wie 
oft  ist  das  Schriftzeichen,  welches  man  eben  brauclien  rausste, 
z.  B.  ein  Semi -Kolon,  in  demselben  Satze  schon  gebraucht,  um 
ein  anderes  Verhältniss,  was  auch  in  der  Regel  mit  einem  Seini- 
Kolon  angedeutet  wird,  zu  bezeichnen*?  Wie  oft  erfordert  nicht 
die  Affektsprache  wegen  ihrer  mehr  abgebrochenen  Sätze  und 
Gedanken  und  ihrer  kühnern  Verbindung  derselben  selbst  vor 
denselben  Bindewörtern  andeie  Schriftzeichen,  als  die  einfache 
Erzählung'?  Der  feineren  jNüancirung  derselben  Satzformen  noch 


Fublü  Ovidii  NasonU  Ilbri  Trlstiuiu.  411 

nicht  zu  gedenken.  Was  nun  die  hier  eingeführte  Interpunktion 
betrifft;  so  liat  die  bessernde  Hand  des  Hrn.  Herausg.  auch  in 
diesem  Stiicke  zum  leichtern  Verständnisse  dieser  Gedichte  viel 
beigetragen,  und  liier  und  dort  auch  durch  eiue  neue  Interpun- 
ktion den  Sinn  des  Dichters  wieder  hergestellt.  Wie  sehr  die- 
selbe aber  von  liurmann,  Platz  und  Klein  abweiche,  beweisen 
folgende  Beispiele  aus  der  ersten  Elegie  des  ersten  Buches,  wel- 
che denn  auch  zugleich  einigermassen  zum  Belege  des  eben  Ge- 
sagten dienen  können.  Nach  Vs.  9  steht  hier  ein  Semi- Kolon, 
wo  Klein  und  Burm.  ein  Punkt  haben;  nach  Vs.  11  ein  Komma, 
wo  in  den  andern  Ausgaben  ein  Kolon  steht;  nach  Vs.  15  hat 
diese  Ausgabe  mit  Platz  ein  Kolon,  Klein  und  Burm.  ein  Punkt; 
nach  Vs.  25  ein  Kolon,  Klein  ein  Punkt  und  Platz  ein  Komma; 
nach  Vs.  53  ein  Komma,  Klein  und  Platz  ein  Semi-Kolon;  nach 
Vs.  102  ein  Semi-Kolon,  wo  Klein  u.  Platz  mit  Burm.  ein  Punkt 
haben;  nach  Vs.  106  ein  Semi-Kolon,  wo  Klein  und  Platz  ein 
Komma  haben.  Nur  scheint  er  uns  in  der  engern  Verkettung 
der  Sätze  zuweilen  etwas  zu  weit  gegangen  zu  seyn ;  besonders 
möchte  das  Komma  am  Ende  des  Distichons  an  vielen  Stellen 
wohl  wenig  Beifall  finden.  Zwar  ist  nicht  zu  läugnen,  dass  in 
diesen  Gedichten,  wieOvid  sich  in  den  Tristien  überhaupt  mehr 
gehen  lässt,  der  Fall  häufiger  vorkommt,  dass  das  Distichon 
den  Gedanken  nicht  allein  nicht  schliesst,  sondern  nicht  ein- 
mal den  geringsten  Ruhepunkt  gewährt;  allein  wir  stossen  in 
dieser  Ausgabe  auf  einige  Stellen,  wo  der  Sinn  eine  Art  von 
Ruhepunkt,  wenigstens  einen  grösseren,  als  wir  gewöhnlich 
durch  das  Komma  anzudeuten  pflegen,  bietet,  der  Hr.  Herausg. 
denselben  aber  durch  Einführung  eines  Kommas  gewissermassen 
verwischt,  auf  jeden  Fall  das  Lesen  der  Stellen  sehr  erschwe- 
ret hat.  Z.  B.  V,  11,  24;  HI,  13,  8;  III,  10,  22;  IV,  10,  118; 
III,  7,  34;  II,  534,  234.  So  musste  auch  V,  1  nach  Vs.  24  ein 
Komma  stellen,  I,  1  nach  Vs,  48  ein  Punkt,  und  das.  nach  Vs. 
51  ein  Komma,  gerade  wie  nach  Vs.  11. 

In  den  grammatischen  Anmerkungen,  der  Hauptsache  die- 
ses Buches,  hat  der  Hr.  Herausg.  sein  Ziel,  einen  Commentar 
für  den  oben  bemeideten  Schülerkreis  zu  liefern,  im  Ganzen 
gut  im  Auge  belialten.  Die  Stellen,  welche  zur  Erläuterung 
der  in  Frage  stehenden  dienen  sollen,  werden,  wenn  es  Stellen 
der  Tristien  selbst  sind,  nicht  wörtlich  angeführt,  sondern  es 
wird  nur  darauf  verwiesen,  lief,  billigt  diese  Art,  obgleich 
sich  noch  neulich  ein  Schulmann  in  einer  Vorrede  zu  einem 
ähnlichen  Buche  gegen  dieselbe  erklärt  hat;  woher  denn  auch 
sein  Commentar  all  das  Schlimme  an  sich  hat,  was  die  entge- 
gengesetzte Weise  nothwendig  mit  sich  führt:  dass  das  Buch 
ohne  Noth  voluminöser  und  theurer  geworden,  dass  die  Stellen, 
weil  sie  aus  ihrem  Zusammenhange  gerissen  sind,  nicht  über- 
all,   wenn  man  sie  nicht  noch  obendrein  in  loco  selbst  nach- 


412  RömiäcIiG    Litteratur. 

schlägt,  gehörig  verständlich  sind,  dass  der  Sprachgebrauch 
des  Dichters  seltner  beachtet  worden  ist,  und  hauptsächlich, 
dass  der  Trägheit  und  Bequemlichkeit  des  Schülers  Vorschub 
geleistet  wird.  lieber  die  Anmerkungen  selbst  bemerkt  Ref., 
dass  der  Herr  Ilerausg.  besondern  Fleiss  verwendet  hat,  den 
Dichter  durch  sich  selbst  zu  eiklären,  was  beim  Ovid  beson- 
ders zu  empfehlen,  und  auch  thunlicher,  als  bei  irgend  einem 
andern  Schriftsteller  ist,  weil  derselbe  seine  Wörter  und  seine 
Gedanken  und  deren  Formen  so  liäufig  wiederhohlt.  So  wird 
z.  B.  IV,  1,  2  auf  III,  14,  27  und  dort  weiter  auf  I,  11,  35  und 
III,  1, 17  verwiesen;  I,  5,  3  i'iber  attonibis  auf  I,  3, 12;  I,  5,  29 
und  111,5,8,  und  so  an  hundert  andern  Stellen.  Die  Regeln, 
welche  der  Schüler  in  seiner  Grammatik  finden  kann ,  werden 
selten  auch  nur  im  Auszuge  wiederhohlt;  sondern  es  werden 
nur  die  Paragraphen  der  Grammatik  angegeben,  wo  der  Schü- 
ler sie  bei  seiner  Vorbereitung  nachschlagen  muss.  So  I,  1,  50 
über  den  aoristischen  Gebrauch  des  Infinitivs  Perfecti  bei  Dich- 
tern, I,  6,  20  über  den  Dativ  bei  comes,  IV,  2,  5  über  den  Ac- 
cusativ  Collum,  111,6,  12  über  escepto,  V,  3,40  über  Pen- 
theos, u.  s.  a.  a.  0.  An  schwierigem  Stellen  wird  häufig  durch 
eine  blose  Frage  auf  die  Schwierigkeit  aufmerksam  gemacht, 
und  dann  auf  die  Grammatik  oder  woher  der  Schüler  sich  die- 
selbe sonst  erklären  kann,  verwiesen.  Z.  B.  1, 1,  43:  „ist  e^o 
nicht  überflüssig*?  Vergl.  I,  3,  39;  41;  85;  1, 11,9";  I,  l,  126: 
„muss  nicht  statt  eras  esses  stehen?  Ramshorn'g  193,3,  6"; 
1, 2,  56:  „muss  nicht  st.  et  non  hier  nee  stehen*?  Zumpt  §  334''; 
I,  5,  6:  ^^oi'et  nach  gewöhnlichem  Dichtergebrauch  st.  esset,  ob- 
schon  an  und  für  sich  zwischen  beiden  Worten  ein  Unterschied 
ist,  welcher*?"-;  111,5,7:  „verbinde  7neo  mc\\i  mit fletu,  son- 
dern mit  os.  Wie  ist  das  möglich*?";  11,244:  „musste  der  Dich- 
ter nicht  7iec  erudiunt  tiuriis  schreiben?"  Diejenigen  Gegen- 
stände endlich,  welche  der  Schüler  sich  nicht  wohl  aus  eigenen 
Mitteln  erklären  kann,  werden  meist  mit  Rücksicht  auf  die  Fas- 
sungskraft desselben  erläutert.  Gern  möchten  wir  auch  hier- 
von einige  Beispiele,  deren  fast  jedes  Blatt  enthält,  anführen. 
Da  uns  aber  der  Raum  dieses  nicht  gestattet;  so  wollen  wir  nur 
auf  ein  Paar,  welche  uns  vorzüglich  gelungen  scheinen,  verwei- 
sen. III,  5,  21,  22;  III,  9,  23;  II,  78;  V,  7,  28.  Auch  werden 
liier  und  dort  Bemerkungen  über  Gegenstände  aus  der  höhern 
Grammatik ,  welche  noch  nicht  gehörig  erörtert  sind,  gemacht, 
welche  selbst  dem  Lehrer  willkommen  sind,  z.  B.  über  das  tem- 
pus  praesens,  über  die  Casus  des  Infinitivs,  über  die  Frage,  ob 
der  Singular  oder  der  Plural  poetischer  sei,  und  wann,  über 
die  Redeweise  cupio  esse  noeens,  licet  mihi  esse  diserto. 

Allein  wie  zweckmässig  und  vortrefflich  diese  grammati- 
schen Anmerkungen  der  Form  nach,  und  wie  bündig  u.  gründ- 
lich dieselben  im  Ganzen  dem  Inhalte  nach  sind;  so  dürfen  wir 


I'iiltlii  Ovidii  Nasonis   libri  Tristinni.  413 

doch  nicht  verschweigen,  dass  uns  hei  einer  wiederhohlten 
sorgfältigen  Durchlesung  des  Coranieritars  manche  Stelle  aufge- 
stossen  ist,  worüber  wir  nicht  beistimmen  können.  Und  der 
Zweck  dieser  Anzeige  gebietet  uns,  deren  wenigstens  die  eine 
oder  die  andere  anzuführen;  und  unsere  abweichende  Meinung 
so  viel  als  möglich  zu  begründen,  erheischt  sowohl  derselbige 
Zweck  dieser  Beurtheilung,  als  auch  die  Achtung,  welche  wir 
dem  Hrn.  Herausg.  schuldig  sind.  Wir  wollen  uns  hierbei  am 
zweiten  Buche  halten.     II,  20,  27: 

Hie,  precor,  exemplis  tua  nunc,  tnilisslme  Caesar, 
Fiat  ab    ingenio  molUor  ira  meo. 

verbindet  der  Ilr.  Herausg.  ira  ab  ingenio  meo  [der  Zorn  von 
meinem  Dichter geiste  her] ^  und  bemerkt,  die  Verbindung  wioZ- 
lior  fiat  ab  ingenio  meo  [ro«,  durch  nieineii  Dichter geist  werde 
der  Zorn  gelinder]  sei  zum  Zusammenhange  der  Stelle  unpas- 
send. Nach  des  Ref.  Meinung  ist  letztere  Erklärung,  wie  der- 
selben in  den  Worten  nichts  im  Wege  steht,  so  auch  für  den 
Zusammenhang  ganz  passend.  Um  dieses  zu  finden,  rauss  man 
einige  Verse  zurückgehen.  „Vielleicht  wird  die  Muse  den  Zorn, 
den  sie  erregte,  auch  wieder  stillen;  denn  Gedichte  besänftigen 
oft  grosse  Götter  (Vs.  21,  22).  Ja  Cäsar  selbst  Hess  zur  Ehre 
der  Ops  (um  ihre  Huld  zu  erflehen)  Lieder  singen;  auch  Hess 
er  (zu  demselben  Zwecke)  dem  Apollo  Lieder  singen  (Vs.  23 
bis  2(»).  Nach  diese?i  Beispielen  [dass  Götter  durch  Lieder 
besänftigt  wurden,  was  der  Dichter  gleichsam  als  nothwendige 
Folge  unterstellt]  lass  auch  du^  sanßtnüthigster  Cäsar ^  dich 
jetzt  durch  mein  Lied^  mein  Gedicht  (das  zweite  Buch  der 
Tristien,  Avelches  an  Augustus  in  dieser  Absicht  gerichtet  ist) 
besä?iftigen,  was  nun  poetisch  ausgedrückt  ist,  werde  jetzt  dein 
Zorn  durch  meinen  Dichtergeist  milder^  gelinder.''^  Ja  wenn 
man  die  zwei  vorhergehenden  Stellen  (Vs.  21,22  u.  23  bis  26) 
fest  ins  Auge  fasst;  so  findet  man,  dass  bei  der  Verbindung 
ira  ab  ingenio  meo  eine  auffallende  Lücke  im  Gedanken  ent- 
steht, indem  man  die  Erwähnung  des  Mittels,  wodurch  Cäsar 
sich  soll  besänftigen  lassen,  was  nicht  allein,  weil  der  Dichter 
ein  besonderes  Gewicht  darauf  legen  musste,  sondern  auch  der 
Begriff"  Lied  durch  den  ganzen  Satz  durchklingt,  musa  Vs.  21, 
carmina  Vs.  22 ,  carmina  dicere  Vs.  24,  {carmina)  dici  Vs.  25, 
nicht  wohl  fehlen  darf,  vermisst.  Dazu  nehme  man  auch  noch, 
dass  diese  Construktion  viel  einfacher  und  natürlicher  ist,  als 
die  Verbindung  ira  ab  ingenio  meo.  —  II,  77  —  80  schreibt 
der  Hr.  Herausg. : 

Ah  ferus  et  nobis  nimium  crudeliter  hostiSf 

Delicias    legit  qui  tibi  cunque  meas, 
Carmina  ne  nostris  quoqiie  te  venerantia  Ubri$ 

Judicio  possent  candidiorc  legi. 


414  Römische    Litteratur. 

und  bemerkt:  „das  handschriftliche  possiJit  würde  nnr  richtig 
seyn,  wenn  in  der  Stelle  eine  zur  Zeit  des  Schreibens  noch 
fortdauernde  Folge  enthalten  wäre."  Ref.  kann  nicht  beistim- 
men. Denn  erstens  steht  ja  nichts  im  Wege,  die  Stelle  so  zu 
nehmen,  dass  darin  eine  zur  Zeit  des  Schreibens  noch  fort- 
dauernde Handlung  enthalten  sei.     Epist.  Her.  XX,  50: 

iVec  quemquam  (reprehendo)  ,  qui  vir,  possit  ut  esse,  fuit. 
Und  selbst  wenn  ut  possi?tt  als  eine  vom  historischen  Perfekt 
abhängige  Absicht  genommen  werden  müsste;  so  würde  lief,  es 
doch  nicht  wagen,  possint  ohne  Handschrr.  in  possent  zu  ver- 
ändern, da  ja  üvidius,  so  wie  in  andern  Stiicken,  also  auch  in 
diesem  Punkte  sich  die  auffallendsten  Freiheiten  und  Abwei- 
chungen vom  gewöhnlichen  Sprachgebrauche  erlaubt  hat.  Epist. 
Her.  VIII,  89,  90: 

Parva  mea  sine  matre  fui ,   pater  arma  fercbat, 
Et  duo  cum  vivant,    orba   duobus  eram. 

ibid.  XVI,  2'J7,  278: 

Hoc  mihi  (nam  repeto)^  fore  ut  a  coeleste  sagiita 
Figur,  erat  verax  vaticinata  soror. 
Zu  vgl.  ibid.  XV,  0,  4;  XVllI,  12.    Darum  kann  Ref.  dem  Hrn. 
Uerausg.  auch  Viber  die  angezogene  Stelle,  Trist.  III,  4,  21,  22: 

Quid  fuit,  nt  tutas  agilaret  Daedaliis  alus, 
Icarus  immensas  nomine  signet  aquas  — 
nicht  beistimmen,  wenn  er  in  der  Verschiedenheit  der  Tempora 
einen  Unterschied  des  Sinnes  finden  will  und  bemerkt:  „Nach 
agitaret  sollte  man  freilich  anch  signaret  erwarten ;  allein  weil 
das  er  bezeichnet  ttit't  seinein  Namen  unermessliche  Fluthen  ein 
fortbestehender  Erfolg  war,  indem  der  Name  Ikarisches  Meer 
auch  noch  zu  Ovids  Zeit  vorhanden  war;  so  Hess  sich  hier  auch 
das  Präsens  setzen,  was  bei  agitare  nicht  anging."  Uns  scheint 
das  Präsens  signet  ohne  allen  Unterschied  des  Sinnes  mit  poe- 
tischer Freiheit  gebraucht  zu  seyn,  welche  der  Vers  hier  for- 
derte und  der  Sprachgebrauch  dem  Poeten  gestattete;  gewiss 
stimmt  diese  Annalime  mehr  mit  der  Manier  des  Ovid;  und  eine 
ganz  ähnliche  Stelle  findet  sich  Epist.  Her.  XXI,  227,  228: 

Scd  tarnen   adspic  er  es  vellem,  prout  ipse  rogabas. 
Et   discas  sponsae  languida  membra  tuac. 
Dass  dergleichen  Freitheiten  im  Gebrauche  der  Tempora  auch 
hei  andern  Schriftstellern  vorkommen,  haben  Krüger  in  seiner 
gelehrten  Abhandlung  über  diesen  Gegenstand  und  andere  zur 
Genüge  dargethan.  —     II,  104,  106: 

Cur  imprudenti   cognita  culpa  mihi? 

Inscius   Aclacon  vidit  sine  veste   Dianam: 
Praeda  fuit  canibus  non   minus   ille  suis. 
heisst  es  in  der  Anmerkung:  non  minus ^  sc.  quatn  ego.     Der 


Piiblü  Ovidii   Niisonis  lihii  Tri^stiuiu.  415 

Salz  ist  etwas  schief  ausgedrückt.  Dem  ersten  Anscheine  nacli 
nämlich  ist  die  Vergleichung  folgende:  Kr  irurde  nicht  rninder 
seinen  Hunden  zur  Beute ^  als  ich  dir  zur  Beute  ward.  Allein 
die  Vergleichung  ist  vielmehr  diese:  AV  wurde  durch  seine 
Umrissenheit  (inscius)  nicht  minder  seinen  Hunden  zur  Beute^ 
wie  ich  wegen  meiner  IJnvorsichligkeiL  (impnulens)  Strafe  er- 
leide!'^ Gewiss  falsch  und  gegen  den  Sprachgebrauch  des  Dich- 
ters. Die  Stelle  Vs.  105,  lOli  wird  blos  zur  Bestätigung  des 
Satzes  Vs.  104  angeführt  (zu  vergl.  unsere  Bemerkung  oben  zu 
V,  5,  32),  und  non  minus  heisst,  ohne  allen  Vergleich  mit  dem 
Schicksale  des  Dichter s^  nichts  desto  weiiiger.,  demioch. 
Der  Sinn  ist:  „Warum  habe  ich,  da  ich  ohne  Vorsatz  und  Ab- 
sicht etwas  gesehen  hatte,  darum  Schuld  auf  mich  geladen,  bin 
ich  darum  für  schuldig  gehalten  worden'?  (Auch)  Aktäon  sah 
unversehends  ohne  Schuld  die  entblösste  Diana,  und  nichts  de- 
sto weniger.,  dennoch  ( licet  inscius  oder  wenn  man  nach  dem 
C'omparativ  minus  doch  ein  quam  haben  will,  quam  si  non  ne- 
scius  vidisset)  ward  er  zur  Strafe  seinen  eigenen  Hunden  zur 
Beute."  Dieser  Sprachgebrauch,  oder  vielmehr  diese  Gedan- 
kenform kommt  übrigens  bei  unserm  Dichter  oftmals  vor.  Trist. 
V,  6  heisst  es  vom  Orestes : 

Nee  procid  a  vero  est,  quod  vcl  pnlsarit  amicum: 
Mctnsit  in   ofßciis  non  vilmis   ille  suis. 
Eben  so  num  minus.    Epist.  Her.  XVH,  229,  230: 

Omnia    Medeae  fallax  promisit   Jason, 

Pulsa  est  Aesonia  num  minus  illa   domo? 

7a\  vergl.  das.  XI,  17,  18.  —  II,  169  wird  über  sie  bei  der  Bitte 
bemerkt:  „iVo  bezieht  sich  auf  ein  nachfolgendes  iit—.  Alleij« 
auch  hier  ist  es  sehr  gewöhnlicli,  dass  das  iit  des  Nachsatzes 
fehlt  und  die  ursprüngliche  grammatische  Verbindung  aufge- 
lioben  ist."  Ref.  ist  der  Meinung,  dass  hierbei  an  ein  ut  nicht 
zu  denken  sei,  und  eben  so  wenig  au  eine  aufgehobene  ursprüng- 
liche grammatische  Verbindung;  vielmehr  sjc  in  dieser  Verbin- 
dung sich  immer  auf  die  Bitte,  den  Optativ  oder  Imperativ,  be- 
ziehe, und  einen  daher  entnommenen  Conditional  -  Satz  ver- 
trete, z.  B.  Parce,  precor .,  sie  (sc.  si  peperceris)  te  deus  ad- 
iuvet.  Dass  nun  der  Satztheii,  wozu  dass/o  gehört,  der  Bitte 
vorhergeht,  liegt  im  Charakter  der  alten  Sprachen.  —  11^370: 

Et  solet  hie  (Meiiander)  pueris  virginibusque  legi  — 
ist  nicht  zu  tadeln,  dass  der  Knabe  auf  den  Dativ  aufmerksam 
gemacht  wird;  allein  Ref.  kann  es  nicht  billigen,  dass  der  Hr. 
Herausg.,  nachdem  er  bemerkt  hat,  dass  die  Worte  pueris  vir- 
gitiihusque  legi  wohl  heissen  könnten:  er  luird  den  Knaben  und 
Mädchen  gelesen  (vorgelese/i),  dann  hinzufügt,  wahr  s  c hein- 
lich stehe  aber  der  Dativ  hier  auf  Griechische  Weise,  da  kein 
Zweifel  seyn  kann,  dass  der  Sinn  sey:  und  doch  wird  dersel- 


4l6  Römische    Litterat  iir. 

he  von  Knaben  und  Jungfrauen  gelesen.  Auch  würde  Ref.  hier 
einzuwenden  haben,  wenn  die  Worte  auf  Griechische  ff  eise  so 
gemeint  wären,  dass  dieser  Dativ  eine  Nachahmung  des  Griechi- 
schen Sprachgebrauches  sey.  —  Die  mythologischen,  geogra- 
plnschen  und  historischen  Erläuterungen  sind,  wie  oben  gemel- 
det ist,  von  den  grammatischen  u.  kritischen  Anmerkungen  ge- 
sondert und  in  ein  Namen-Register  zusammengestellt;  und  nach 
des  Ref.  Dafürhalten  ist  dieser  Theil  des  Buches  vorzüglich  ge- 
lungen. Mag  der  IJr.  Herausg.  auch  in  den  Namen -Registern 
seines  Vorgängers ,  Miller's ,  Seidels  ,  Gierig's,  Dorn  Seiffen's 
und  anderer  ein  reiches  Material  dazu  vorgefunden  haben;  so 
hat  er  dasselbe  doch  ganz  selbstständig  für  seinen  Zweck  ver- 
arbeitet, und  beweist  jedes  Blatt,  dass  er  diesem  Gegenstande 
den  unermüdetsten  Fleiss  gewidmet  hat.  Diese  Erklärungen 
sind  so  eingerichtet,  dass  die  Sache  wo  möglich  in  ihrem  Zu- 
sammenhang erzählt  wird,  und  die  Erläuterungen  der  betreffen- 
den Stellen  künstlich  hineinverflochten  sind.  Als  Beispiel  und 
zum  Beweise  der  vorzüglichen  Zweckmässigkeit  derselben  wol- 
len wir  die  Artikel  Musae  und  Parcae  anführen: 

Musae  [Movöai,) .,  die  Göttinnen  der  Musik,  des  Gesanges 
und  Tanzes ,  überhaupt  der  Dichtkunst  (im  Sinne  der  Alten), 
neun  Töchter  des  Jupiter,  welche  ihm  Mnemosyne  (Mvi]^o6vvr]) 
in  Pierien  ,  einer  Landschaft  Macedoniens,  gebar.  [KakkLOTtrj-, 
KXiico  {Ch'o),  EvtBQTiT],  Mt^Ttoaevri-,  Tsgipixogr],  'Egard.,  Uo- 
Xv^via  (Polyht/mnia)^  Ougavia^  ©äXsLa  {Thalia). —  vgl.  Voss 
z.  Virg.  Ecl.  3,  84  und  8, 13]  I,  7,  21.  H,  3,  121.  III,  7,  9.  IV, 
1,  88.  V,  7,  55.  Sie  heissen  daher  ttovem  sorores  V,  12,  45., 
oder  bloss  sorores  IV,  1,  29.,  und  zwar  doctae  II,  13-,  weil  die- 
ses überhaupt  ein  eigenthümliehes  Prädicat  der  Dichter  und  der 
Dichtkunst  ist.  Gierig  z.  Metam.  V,  25.5.  Von  Pierien  heissen 
sie  Pier ides'{ncBQidBg).  111,2,3.  IV,  1,28.  9,16.  V,  1,34.  3,10. 
Ihr  Vorsteher  ist  Apollo  (s.  ApoUo.\  und  ihr  gewöhnlicher  Auf- 
enthaltsort inBöotien  [Aonien:  daher  ^07«2fle  sorores IV,  10,39.] 
auf  dem  Berge  Helicon.  [Metam.  V,  255.  Cß3.  s.  Helicon.]  Dort 
ist  der  Musenquell,  die  Hippocrene,  welche  das  Musenross  Pe- 
gastis  hervorstampfte.  [Metam.  V,  256-  s.  Gorgo.]  Daher  Pe- 
gasidcs  undae  III,  7,  15.  Das  Wasser  dieser  Quelle  begeisterte 
zur  Dichtkunst.  Sie  sind  die  Urheberinnen  der  Gedichte,  I,  7, 
21.,  und  ihr  PJinfluss  führt  die  Menschen  zur  Dichtkunst.  IV,  1., 
29.  10,  20.  Die  Dichter  sind  ihre  Priester  [sacerdotes.,  III,  2, 3.] 
und  verwalten  ihre  Ileiligthümer  (sacra).  Daher  erkläre  Pieri- 
dum  sacris  manum  imponere  IV,  1,  28.  Gute  Dichter  werden 
von  den  Musen  geschätzt  und  geliebt  [daher  ist  Ovids  Haus  Mu- 
sis  accepta  II,  121  ],  weilen  in  ihrem  Chor  [V,  3, 10*  III,  7,  6. 
Pieridum  mora.,  das  Verweilen  bei  den  Musen,  V,  1,  34.]  auf 
dem  Helicon  [IV,  10,  120.] ,  und  trinken  aus  der  Hippocrene. 
Daher  erkläre  Pegasidas  ad  undas  deducere^  zur  Dichtkunst 


Publii  Ovidli  Nasonis  llbri  Trlätlum.  417 

führen,  III,  t,  15.  Jede  der  Musen  hat  ihr  ei^^enes  Geschäft 
und  übt  eine  besondere  Kunst,  ohne  dass  die  Verschiedenlieit 
ihres  Wirkens  von  den  Dichtern  immer  scliarf  beaclitet  nird. 
So  nennt  Ovid  die  Calliope  und  Thalia  als  die  Musen  seiner 
Liebesgedichte,  obschon  die  erstere  ei^entlicli  die  lAIuse  des 
epischen  Gesanges  und  die  letztere  die  Muse  der  Coniödie  ist. 

II,  508.  IV,  10,  5ß.  V,  9,  31.  Für  Ovid,  welcher  wegen  seiner 
Gedichte  relegirt  ward,  Avurden  sie  verderbliche  Gottheitc^n 
[II,  13.    II,  41J6.  ]  und  scliützten  ihn  nicht  vor  Augusts  Zorn. 

III,  2,  3.  Daher  hasst  und  verwünscht  er  sie,  und  flieht  ihren 
Umgang  [I,  7.  21.  Y,  7,  32.  IV,  1«,  2Ö.];  kehrt  aber  doch  zu 
ihnen  zurück  und  dichtet  aufs  Neue  [III,  7,  S).  IV,  1,  88.];  denn 
sie  trösten  ihn  [IV,  10,  117.],  erleiciitern  sein  Unglück  [IV,  1, 
19.],  begleiten  ihn  ins  Exil  [IV,  1,  50.],  versetzen  ihn  von  da 
auf  den  Ilelicon  [IV,  10,  120],  und  gehen  ihm  in  den  Gedich- 
ten Waifen  gegen  seine  Feinde  [IV,  9,  10.].  —  Das  Wort  Mtisa 
steht  oft  metonymisch  für  Dichtkunst  und  Gedicht.  II,  3.  21. 
313.  355.  III,  2,  0.  V,  1,  20.  II,  304.  490.  IV,  1,  19.  9,  31.  10, 
117.  V,  7,  28.  9,  26.  12,  60.  Eben  so  Pierides  III,  7,  0.  V,  7, 
32.  Calliope  II,  568.    Thalia  IV,  10,  50.  V,  9,  31. 

Parcae  [Molgai]^  die  drei  Schicksalsgöttinnen  Clotho 
(üCAO'&cJ,  die  Spinnerin),  Lachesis  (^Aäi^iSig^  die  das  Lebens- 
loos  bestimmende),  und  Atropos  (^'ArQOTtos,  die  Unwandelbare), 
[riesiod.  Theog,  218.  Scut.  Ikrc  258.]  drei  Schwestern,  und. 
daher,  sorores  V,  3,  17.  Sie  sagten  jedem  Menschen  vor  der 
Geburt  sein  Schicksal  vorher  [fata  cecinertint) ^  legten  seineu 
Lebensfaden  an,  spannen  ihn  u.  rissen  ihn  in  der  Todesstunde 
ab,  und  bestimmten  so  das  Geschick  jedes  Menschen,  in  wei- 
terer Ausdehnung  auch  das  aller  Wesen  und  der  ganzen  Welt. 
Das  von  ihnen  vorausverkündigte  Geschick  hiess  fatiiin  (das 
Verkündigte),  und  war  unabänderlich  und  unabwendbar.  V,  3 
Not.  5.  Daher  sind  sie  dominae  fati  V,  3,  17,  und  spinnen  Fä- 
den, welche  zum  Verhängni^iis  werden  müssen  {fatalia  sfnniina). 
V,  3,  25-  —  [Die  Adjectiva  auf  lis  bezeichnen  nämlich  das, 
was  —  werden  wird,  soll,  oder  muss.  Sie  stammen  zunächst 
von  Verbis,  und  werden  vom  Futurum  gebildet  (daher  ihre  Be- 
deutung), und  zwar  in  der  ersten  Conjugation  auf  äbilis,  in  der 
zweiten  auf  eb^lis,  in  der  dritten  auf  tlis^  in  der  vierten  auf 
ibtlis.  Doch  werden  sie  auch  von  Substantiven  gemacht  und 
endigen  sich  dann  auf  älis  und  ilis.  Ihre  Bedeutung  ist  stets 
activ.  Daher /a/a//s,  was  Fatum  seyn  (bringen)  wird,  wie  le- 
talis, was  Tod  seyn  (bringen)  wird  etc.]  —  Weil  jenes /a^z^m 
imabändevlich  war,  so  ward  es  auch  zu  einer  über  die  Götter 
erhabenen  Macht,  zu  einer  höchsten  Gottheit  erhoben,  s.  Fa- 
tum. Aus  ihm  entstand  die,  ebenfalls  bisweilen  personificirte, 
necessilas  (die  Nothwendigkeit  =  das  was  nicht  anders  ist  oder 
wird:   gebildet  von  necesse^   weches  aus  nee  esse  eiitstaudeii 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päilag.  Jahrg.  V.  Heft  4.  27 


418  Römische    Litteratur. 

ist).  —  Weil  alle  drei  Farcen  vereint  das  Schicksal  bestimm- 
ten und  alle  drei  nur  Eins  waren,  so  steht  auch  der  Singular 
Parca  für  Parcae  nach  gewöhnlichem  Dichtergebrauch.  V,  3, 
14.  vgl.  I,  10  Not.  2.  Auch  wird  bisweilen  eine  einzelne,  be- 
sonders Clotho  und  Lachesis,  namentlich  für  alle  gesetzt;  so 
Lachesis  V,  10,  45.  Durch  den  gesponnenen  Lebensfaden  be- 
stimmten sie  die  Länge  oder  Kürze  des  menschlichen  Lebens 
[daher  erkläre  V,  10,  45.],  und  durch  das  vorausbestimrate  Ge- 
schick ward  jeder  Lebensfaden  entweder  ein  glücklicher  oder 
unglütkiiclier.  IV,  1,  03  m.  Not.  23.  V,  13,  24  m.  Not.  8.  War 
das  Geschick  eines  3Tenschen  böse,  so  war  die  Farce  bei  seiner 
Geburt  finster  (^mibila)  gewesen,  so  wie  man  umgekehrt  von  dem 
Glücklichen  sagte,  ein  Gott  habe  ihm  bei  seiner  Geburt  zuge- 
lächelt. V,  3,  14.    Vgl.  Mitscherlich  zu  Horat.  Od.  IV,  3,  1. 

Diejenigen,  welche  das  Buch  besitzen  und  noch  ein  Faar 
andere  Beispiele  zur  näheren  Früfung  und  Würdigung  derselben 
einsehen  möchten,  möchte  Ref.  ausser  der  gründlichen  Abhand- 
lung über  die  Geographie  des  Po?iius  auf  die  Artikel  Apollo, 
Troia^  Hector  und  Ponius  verweisen. 

Ueber  die  Einleitungen  in  die  einzelnen  Gedichte  hat  Ref. 
nichts  zu  bemerken,  als  dass  sie  ganz  nach  dem  oben  angege- 
benen Flaue,  gegen  welchen  sich  wohl  nichts  einwenden  lässt, 
eingerichtet  sind. 

Hiermit  schliesst  Ref.  seine  Beurtheilung  dieses  Buches,  und 
wenn  dasselbe  nach  den  aufgestellten  Bemerkungen  auch  seine 
Mängel  hat;  so  enthält  es  neben  einer  zweckmässigen  Anlage 
des  Gediegenen  und  Guten  so  viel,  dass  jene  Ausstellungen  vor 
demselben  fast  ganz  verschwinden;  so  wie  dieselben  seinen 
Werth  in  Vergleich  mit  den  übrigen  Ausgaben  dieser  Gedichte 
nicht  verringern,  indem  jene  an  den  meisten  Stellen  nichts. besse- 
res bieten.  Und  daher  verdient  diese  Ausgabe  für  den  Schulge- 
brauch, wofür  sie  bestimmt  ist,  besonders  empfohlen  zu  werden. 
Den  ungenannten  Hrn.  Hsg.  aber  schätzen  wir  als  einen  einsichts- 
vollen und  gelehrten  Schulmann;  und  wird  derselbe  sich  gewiss 
noch  neuen  vorzüglichen  Dank  von  Seiten  der  Schulmänner  er- 
werben, wenn  er  sein  Vorhaben,  wovon  er  in  der  Vorrede  zu 
dieser  Ausgabe  meldet,  noch  das  eine  und  andere  Buch  auf 
ähnliche  Weise  zu  bearbeiten,  ausführen  wird ;  und  möchte  Ref. 
sehr  wünschen,  dass  seine  Wahl  zuerst  auf  die  Metamorphosen 
fallen  möge,  da  einerseits  der  Hr.  Herausg.  ein  so  gründliches 
Studium  dieses  Dichters  bewiesen  hat,  andrerseits  es  an  einer 
zweckmässigen  Ausgabe  derselben  für  den  Schulgebrauch  noch 
gänzlich  mangelt. 

Fapier,  Format  und  das  Typographische  sind  lobenswerth, 
und  der  Druck  ist,  was  an  einem  Schulbuche  besonders  von  ho- 
hem Werthe  ist,  sehr  korrekt ;  bei  sorgfältiger  Durchlesung  des 


Geographie  und  Statistik.  419 

ganzen  Buches  ist  uns  ausser  den  zwei  unbedeutenden  Druckfeh- 
lern, welche  der  Ilr.  Herausg.  selbst  in  der  Vorrede  schon  kor- 
rigirt  hat,  nichts  Fehlerhaftes  aufgestossen,  als  S  5!)  im  Texte 
cimdilns  st.  candidus  u.  S.  147  in  der  UeberschriCt  VIII.  Eleg.  V 
st.  V.  Eleg.  VIII  und  ein  Paar  andere  Kleinigkeiten  dieser  Art. 

V.  Loers  in  Trier. 


Geographie  und  Statistik. 

Neue  allgemeine  Geographische  und  Statistische 
J^phemeriden.  Redigirt  von  dem  Professor  Dr.  G.  Hassel. 
8.  Weimar,  im  Verlage  des  Landes -Industrie- Comptoirs.  XXI, 
XXII  u.  XXXIII  Bd.  1827.  XXIV,  XXV  u.  XXM  ßd.  1828.  Jeder 
Band  aus  15  Heften  zu  2  Bogen  bestehend  und  also  ,  ohne  Titel- 
blatt, Inhaltsverzeichniss  und  Register,  480  S.  enthaltend.  (Der 
Prelss  jedes  Bandes  ist  3  Thlr.  Conv.  oder  5  Fl.  21  kr.  Rhein.) 

"ie  neuen  allgemeinen  geogr.  und  staust.  Ephem.  —  vor  dem  J.  1820 
nur  neue  allgem.  geogr.  Ephem.  genannt  —  bestehen  nun  bereits  seit 
nicht  weniger  als  26  Jahren ,  und  haben  sich  selbst  während  der  un- 
günstigsten Zeitläufte,  unter  den  drückendsten  Verhältnissen  ohne  die 
geringste  Störung  zu  behaupten  gewusst ;  auch  dabey  sich  nicht  ge- 
iiüthigt  gesehen,  zu  irgend  einer  Umgestaltung  des  ihnen  zu  Grunde 
liegenden  Planes,  zu  einer  wesentlichen  Abänderung  der  Innern  Einrich- 
tung zu  schreiten.  Schon ^iese  lange,  und  Rez.  darf  wohl  sagen 
ruhmvolle  Existenz  ist  ohne'Zweifel  der  sicherste  Beweis  von  dem  gro- 
ssen Werthe,  von  der  immer  mehr  gesteigerten  Gediegenheit  dieser 
Zeitschrift ,  welche  von  ihrer  Gründung  an  so  viel  zur  Verbreitung  der 
Geographie  —  einer  gegenMiirtig  so  fleissig  kultivirten  Hülfswissen- 
echaft  —  beigetragen  hat,  und  noch  jetzt  mit  dem  rastlosesten  Eifer 
beizutragen  fortfährt.  Denn  fortdauernd  behauptet  sie  den  Ruhm,  dasa 
sie  immer  das  Neueste  und  Wissenswürdigste  aus  dem  Gebiete  der  Geogr. 
und  Statistik  darbringe  und,  um  alle  neue  Entdeckungen  und  ein- 
getretenen Veränderungen  in  den  aussereuropälschen  Erdtheilen  so 
schleunig  als  möglich  mittheilen  zu  können,  die  berühmtesten  aus- 
ländischen Journale  und  Annalen ,  besonders  Englische  und  Französi- 
sche, sorgfältig  benutze,  auch  dabey  nicht  ermangle,  jedes  Mahl  die 
Quelle,  aus  welcher  sie  schöpfte,  gewissenhaft  anzugeben  und  bey 
solchen  Neuigkeiten,  die  einiges  Bedenken  erregen,  sachgemässe  kri- 
tische Beleuchtungen  und  Berichtigungen  hinzuzufügen. 

Bey  dem  so  langjährigen  Bestehen  dieser  höchst  gemeinnützigen 
Zeitschrift,  die  füglich  in  den  Händen  jedes  Geographen  von  Profession 
seyn  sollte,   darf  Rez.  wohl  mit  Fug  uj\d  Recht  annehmen,    dasa  deren 

27* 


420  Geographie  und  Statistik. 

innere  Einrichtung  längst  zienalich  allgemein  bekannt  seyn  werde.  Er 
braucht  deuinach,  und  zwar  bloss  der  Vollständigkeit  wegen,  nur  zu 
erinnern,  dass  von  derselben  jährlich  3  Bände  jeder  zu  15  Heften  von 
11  bis  2  Bogen  erscheinen,  dass  jeder  Heft  gewöhnlich  in  4  Rubriken 
—  Abhandlungen  ,  Rezensionen  von  Bächern  und  Landcharten ,  ver- 
mischte Nachrichten  und  Novellistik  zerfalle  ,  und  dass  zuweilen  auch 
Charten  beigegeben  Averden.  Ohne  Mcitcre  Lobpreisungen  —  da  die 
nähere  Angabe  des  Inhalts  schon  von  selbst  auf  die  Reichhaltigkeit  die- 
ser Zeitschrift  an  sich,  und  insbesondere  auf  den  gediegenen  Wertli  der 
meisten  Aufsätze  aufmerksam  machen  wird,  —  darf  Rez.  sofort  zur  Beur- 
theilung  selbst  übergehen,  indem  er  dabey  noch  bemerkt,  dass  er  es 
hier  natürlich  nur  mit  den  Abhandlungen,  und  allenfalls  noch  mit  den 
Rubriken  i  ermischte  Nachrichten  und  Novellistik,  in  so  fern  sie  von 
grosserm  Umfang  u.  von  ausgezeichnetem  Interesse  sind,  zu  thun  habe. 
X\I  Band.  A)  Abhandlungen:  1.  Untersuchungen  über  die  verschie~ 
denen  Nationen  Asiens  nach  ihrer  Abstammung.  Aus  einem  ungedruck- 
ten Schwedischen  Werke  des  Hrn.  Dr.  Palmblad.  Diese  ausfübrli- 
che,  und  dabey  manches  Neue  und  Beachtenswerthe  in  der  Zusammen- 
titellung  der  so  verschiedenartigen  und  docli,  wenigstens  grossen  Theils, 
noch  so  wenig  bekannten  Völkerschaften  Asiens  darbietende  Uebersicht, 
offenbar  die  Frucht  eines  vieljährigen  Studiums  der  Asiatischen  Litera- 
tur, ist  leider  nur  die  Fortsetzung  der  im  vorhergehenden  Bande  be- 
gonnenen Abhandlung.  Da  nun  aber  dort  bloss  der  Anfang  derselben 
zu  finden  ist,  und  solche  daber  durch  nicht  weniger  als  9  Hefte  dieses 
Bandes  fortläuft,  so  ist  es  wohl  nöthig ,  insoweit  als  es  die  Beurthei- 
lung  des  Ganzen  erheischt,  darauf  zurückzugehen.  Der  Verf.  theilt 
nämlich  sämmtlichc  Völker  Asiens,  indem  er  die  Tschudischen  Familien 
von  der  Mongolischen  Rasse  trennt,  unter  4  Rassen  (V'arietas),  Kaukasi- 
sche, Mongolische,  Tschudische  und  Malavische ,  und  diese  wieder  in 
mehrere  Familien  (Famllia)  und  Stämmw  (Stirps)  ein.  Von  der  I) 
Kaukasischen  Rasse  ist  nun  im  20ten  Bande  A)  nur  die  erste,  die  Kaukasi- 
sche Familie ,  zu  welcher  die  Georgier ,  Lesghier ,  Midschegen  und 
Tscherkassen  mit  den  Abäsen  gerechnet  werden,  und  von  der  ziveyten 
B)  der  IndogermanischenFamilie,  der  erste  Stamm  die  eigentlichen  Hindus, 
(wobey  jedoch  die  Parias,  als  Ueberbleibsel  eines  alten  zu  einer  andern 
Rasse,  oder  wenigstens  einer  andern  Familie  gehörigen  Volks  nicht  in 
Betracht  gezogen  >verden)  abgehandelt,  und  der  vorliegende  Band  be- 
ginnt nun  mit  den  übrigen  Stämmen  dieser  Familie.  Zu  dieser  rech- 
net er  ausserdem  folgende  Stämme:  2)  Afghanen,  3)  nördliche  .Meder 
oder  Arier,  4)  südliche  3Ieder  oder  Assyrer  mit  den  Kurden  und  Jesi- 
diern,  5)  Perser  mit  den  Beludschen  ,  Luren  und  Sabäern,  6)  Ossiten 
und  7)  Armenier.  —  C)  Semitische  Familie  mit  den  Stämmen:  1)  Ara- 
mäer  und  zwar  Chaldäer  und  Syrer  (Miironiten),  2)  Canaaniter  mit  den 
Hel)räern,  und  3)  Araber.  —  D)  Türkische  Familie.  Sehr  richtig  be- 
merkt dabey  der  Verf. ,  dass  man  diese  weitverbreitete  Familie  zwar 
gewöbnlich  mit  dem  Nahmen  Tatar  (früher  gar  Tartar}  bezeichne, 
dass  aber  diese  Benennung  ehen^als  gar  zu  vieldeutig  gewesen  sey,    in- 


Neue  geographisch«   und  statistische  Ephemerlden.  421 

dem  man  sie  ohne  Unterschied  sowohl  Mongolischen  als  Türkischen 
Horden  —  (er  hätte  auch  die  Miintschuren  in  Cliina  liinzureclincn  sol- 
len, die  von  Reisenden  jetzt  noch  hiinfig  Tataren  genannt  werden)  — 
angeschrieben  liabe,  und  dass  diese  so  lange  hcstandene  Verwirrung 
daher  entstanden  sey,  dass  man  im  Mittelalter  den  Völkern,  welche 
von  Dschingis- Khan's  Ahköinniüngen  heherrscht  wurden,  ohne  auf 
ihre  Abstammung  zu  acliten  ,  d(^n  IValinu-n  Tatar  gab,  m  enn  gleich  die 
Fürsten  und  ein  grosser  Theil  ibrer  Unt»;rtlianen  von  Mongolischer 
Abkunft,  der  Kern  ibrer  Unterthaiien  und  Heere  aber  ächte  Türken  Ma- 
ren. Er  tritt  nun  der  Meinung  EIpbinstonc's  und  anderer  neuen  Eth- 
nographen hey ,  verwirft  sonacli  die  Benennung  Tatar  als  unpassend, 
indem  er  darthut,  dass  die  altern  Cbinesischen  Schriftsteller  mit  dem 
Nahmen  Ta-ia,  oder  Ta-la-öl  einige  Mongolische  Zweige  bezeichnet 
haben,  —  (dasselbe  behauptet  auch  bekanntlich  Timkowsky  in  seiner 
Reise  nach  China)  —  und  legt  dafür  der  ganzen  Familie  den  Nahmen 
Türken  bey.  Rez.  sollte  jedoch  meinen,  dass  der  Vorschlag  derjeni- 
gen, welche  zur  Unterscheidung  von  den*  eigentlichen  Türken,  obschon 
solche  ursprünglich  und  am  richtigsten  Osmanen  heissen,  die  ganze  Fa- 
milie mit  dem  Kollektivnabmen  Türken  belegen  wollen,  vorzuziehen 
seyn  möcbte.  —  Der  Vi-f.  sondert  nun  diese  Familie  in  3  grosse  Ab- 
theilungen  ab,  nähmlich  a)  ächte  Türken,  zu  m eichen  1)  die  Osmanen^ 
2)  die  Titrkomanncn  oder  Truchmencn,  3)  die  Usbecken,  —  (da  diese 
aber,  wie  der  Verf.  selbst  zugesteht ,  schon  Mongolische  Züge  aufwei- 
sen, wie  kommen  sie  zur  Klasse  der  ächten  Türken?)  —  4)  Karakal- 
2>aken,  ^)  Sibirische  Türken  oAer  Tataren,  alsTuralinzcn,  Tobolskische 
Tataren,  Tuva- Tataren  ,  und  Toneskische  Tataren  gerechnet  werden, 
weil  sie  alle  nur  Zweige  desselben  Stammes  seyn  sollen.  Der  Vrf. 
führt  zwar  dieBukharen  nicht  besonders  auf,  da  er  aber  bey  der  jetzi- 
gen Ileimath  der  Usbecken  berichtet,  dass  solche  jetzt  über  die  Reiche 
Balk,  Khuresm,  Bukhara  und  Ferganah  (wohl  lüchtiger  Kokand)  herr- 
schen ,  so  zählt  er  sie  offenbwr  den  Usbecken  bey.  Rez.  sollte  aber 
doch  dafür  halten,  dass  die  Bukharen  als  ein  für  sich  bestehender 
Ilauptstamm  der  Türken  betrachtet  werden  müssten ,  da  ihre  Körper- 
hildung  nichts  Mongolisches  aufweiset,  und  vorzüglich  auch,  weil  sie 
ihre  eigene  Sprache  reden  und  auf  einer  höhern  Stufe  des, Kultur  ste- 
hen. —  b)  Unächte  Türken.  Zu  diesen  gehören:  l)  dieNogaier  (schon 
von  ziemlich  Mongolischer  Gestalt)  mit  den  Basianen  und  Kumyken, 
2)  die  Baschkiren ,  3)  die  Meschtscheräken ,  4)  die  Kirgisen ,  5)  die 
Tschulymer.  —  c)  Fremde  Stämme,  bey  welchen  nichts  als  die  Sprache 
Türkisch  ist.  Als  solche  sind  anzusehen:  1)  die  Tubinzen  (Tubaler), 
2)  die  Tele -Uten,  3)  die  Barabinzen,  4)  die  Tschuwaschen  und  5)  die 
schwi\clien  Süd- Sibirischen  Stämme  der  Kuzinkischen  Tataren,  der 
Katschinzen,  Jarinzen ,  Bochtinzen ,  Kaidinaren,  Batiren,  Saganier 
und  Birjns. 

11)  Die  Monp;olische  Rasse  (deren  Zahl  hier  nur  zu  260  Mill.  an- 
geschlagen wird,  was  wohl  zu  wenig  seyn  dürfte).  Diese  wird  in  fol- 
gende Familien  zerlegt:    A)  die  Mongolische  Familie,    mit  1)  den  ei- 


422  Geographie  und  Statistik. 

gentliclien  Mongolen,  2)  den  Ocleten  oder  Kalmüken,  und  3)  Buriäten. 
B)  Die  Japanische  Familie  mit  1)  den  Japanesen,  2^  den  Lieu-Kieu- 
Insulanern,  und  3^  den  Koreanern.  (Sollten  letztere  nicht  eher  zu 
den  Chinesen  zu  rechnen  seyn?  wenigstens  ist  TirakoMsky  dieser  Mei- 
nung.^ —  C^  Monosyllabitische  Familie  mit  IJ  denThibetanern,  2)  den 
Chinesen,  und  3)  den  Indo  -  Chinesen,  zu  welchen  Anamiten  (hier  Viet- 
namen^  Siamescn ,  Birmanen  und  Peguer  gezählt  werden.  —  III) 
Tschudischc  Rasse  mit  folgenden  Familien :  A)  Die  Tinigusische  mit  1) 
den  Mantschu  und  2)  den  eigentlichen  Tungusen  mit  9  Stämmen.  B^ 
Die  Kurilische  Familie,  nur  aus  einem  Stamme  bestehend.  C)  Nordost- 
Asiatische  Familie ,  zu  welcher  1)  Kamtschadalen ,  2)  Koriäken ,  3) 
Tschuktschen  mit  den  Aleuten  und  4J  Jukagiren  gezählt  Merden.  DJ 
Samojedische  Familie,  Melche  wiederum  in  2  Klassen  unterschieden  wird: 
ächte  Saraojeden  ( worunter  der  Vrf.  Motoren ,  Koibalen ,  Kara- 
gassen,  Kamajüren,  Taigi,  Mokassen  ,  die  Tomskischen  Ostiaken,  die 
Gänse  -  Ostiaken,  Kurassen,  Tawzi,  Turukhanische  Samojeden  ,  Juru- 
aen  und  Khassowo  versteht}  und  unächte  Saviojeden,  Avohin  er  die  So- 
joten  und  Jeniscier  (d.  i.  Jeniseiische  OstiakenJ  rechnet.  D)  Finnische 
Familie  mit  nachstehenden  Unterabtheilungen:  a)  Germanisirte  Stämme: 
1)  Finnländer,  2j  Esthen  ,  3)  Kareier,  4}  Olinesische  Finnen  und  5) 
Lappen  ;  h)  Wolgische  Finnen  mit  1)  den  Mordwinen,  2)  Mokschanen, 
und  3)  Tscheremessen;  c)  Permier  mit  den  Wotiäken  und  Syränen,  d) 
Wogulen,  e)  Magyaren  (Ungern)  und  f)  Obische  Ostjäken.  —  IV) 
Malatjische  Rasse ,  deren  Anzahl  in  Asien  nur  auf  24  Mill.  Köpfe  ge- 
echätzt  wird.  Diese  Rasse  wird,  aus  Mangel  an  nähern  Nachrichten 
über  die  verschiedenen  Dialekte  derselben,  nur  nach  ihren  dermahligen 
Wohnsitzen  unterschieden.  Der  Vrf.  spricht  daher  nur  von  deuMalaya- 
Malayen  (auf  der  Halbinsel  Malakka,)  den  Sumatra-,  den  Java-,  den 
Borneo-,  den  Celebcs-Malayen,  von  den  M.  auf  den  kleinen  Sunda- 
Inseln,  den  Molucken-,  den  Suluh-,  den  Magindanas-  und  den  Philip- 
pinen -  Maiayen.  Rez.  darf  hier  nur  bemerken ,  dass  auch  die  Dayaks 
auf  Borneo  den  Maiayen  beygezählt  werden.  Den  Beschluss  machen 
die  Papuas,  die  er  ebenfalls  der  Neger- Rasse  zutheilt.  Es  ist  nicht 
in  Abrede  zu  stellen,  dass  dieser  Aufsatz  mit  vielem  Scharfsinn  entwor- 
fen ist,  und  von  einer  grossen  Belesenheit  zeigt.  Denn  auf  jeder  Seite 
>vird  das  Gesagte  mit  einer  Menge  Citaten  bewiesen,  die  aus  den  be- 
währtesten Quellen  entlehnt  sind.  Die  vorzüglichsten  darunter  sind: 
Elphinstone,  von  Hammer,  Reineggs,  Klaprotli,  Jones,  Malcolm,  Oli- 
vier,  Gardonne,  Kinneir,  Chardin,  Morier,  Seetzen,  Blumenbach,  de 
Witte,  Tavernier,  Meiners,  Marsden,  Hassel,  Adelung,  Raffles,  Forrest, 
Dampier.  Zwar  wird  man  bey  der  Mongolischen  Rasse  die  verschie- 
denen Bergvölker  Hinter -Indiens  vermissen,  über  Avelche  uns  die  Brit- 
tischen Journale  immer  mehr  schätzbare  Notizen  bringen,  allein  zu  der 
Zeit  wo  diese  Skizze  ausgearbeitet  wurde ,  waren  wohl  von  den  wenig- 
sten kaum  die  Nahmen  bekannt.  Mehr  möchte  es  auffallen  ,  dass  der 
Vrf.  aus  den  Tschudischcn  Familien  eine  eigene  Rasse  gebildet  hat. 
Doch  stellt  der  Vrf.  zur  Rechtfertigung  dieser  Trennung  Gründe  auf. 


Neue  gcograpLietche  und  etciticitische  Dpheiucrlden.  423 

die  allerdings  belierzigenswertli  sind.  Er  sagt  nähmlidi  bey  der  Ge- 
stalt dieser  Rasse :  „dit!  ächten  Tschudischen  Stümine  liahen  mehrere 
Züge  mit  den  Mongolen  gemeinsam ,  nühmlich  gelbe  oder  gelbbraune 
Farbe,  grosse,  nnförmiiche  Köiife  und  Ohren,  kleine  und  schmale  Au- 
gen, hohe  Kinnbacken  und  krumme  Beine  ohne  Waden.  Diese  Aehn- 
lichkeit  der  Körpcrbildung  hat  Blumenbach  und  nach  ihm  einige 
andere  Physiologen  verleitet,  die  Polarrasse  nur  als  ein  Glied  von  dem 
grossen  Mongolischen  Volkskörper  zu  betrachten.  Dennoch  haben  sie 
die  Malayen  als  eine  besondere  Rasse  angesehen ,  obgleich  diese  eben 
8o  viele ,  wenn  nicht  mehrere  physische  Kennzeichen  haben ,  durch 
welche  sie  mit  der  Mongolischen  übereinstimmen.  Wenn  man  aber 
von  der  andern  Seite  die  natürlichen  Kennzeichen  ,  welche  der  Tschu- 
dischen Rasse  eigen  sind,  ins  Auge  fasst,  so  möchte  man  in  ihnen  leicht 
eine  eigenthümliche  Form  erkennen."  Zu  diesen  rechnet  er  nun  den 
zwergartigen  IVuchs ,  der  gewöhnlich  nur  4  Fuss  und  einige  Zoll  aus- 
macht, den  Umstand,  dass  die  meisten  Stämme  dunkel-  oder  hellrothes 
Haar,  und  daneben  bleichblaue  oder  graugelbe  Augen,  und  bleichgelbe 
oder  braune  Gesichtsfarbe  haben,  und  die  Thatsachen ,  dass  ihr  Haar- 
und  Bartwuchs  noch  schwächer  als  bey  den  Mongolen  ist,  dass  die 
dünnen  Härchen  grob  und  steif  wie  Lichtdogte  um  den  Kopf  herum- 
hängen;  dass  die  Kinnladen  noch  stärker  hervorschiessen,  weshalb  die 
Wangen  noch  hohler  und  eingefallener  erscheinen;  dass  der  Mund  fast 
ohne  Lippen  und  das  Kinn,  lang  und  spitz,  der  Form  nach  einer  Halle 
ähnlich,  gerade  das  Gegentheil  gegen  die  vollen  Lippen  und  das  kurze 
Kinn  der  Kalmyken  zeigt,  und  dass  endlich  in  denGebehrden  und  Stel- 
lungen, in  dem  trüben  und  düstern  Blick  und  dem  stupiden  Gesicht 
dieser  Stämme  ein  gewisser  thierischer  Ausdruck  liegt.  Wenn  man 
nun  aber  auch,  von  diesen  allerdings  bedeutenden  Abweichungen  über- 
führt, diese  Polar-Stämme  als  eine  besondere  Rasse  betrachten  will, 
60  hat  der  Vrf.  doch  unrecht  gehandelt,  diesen  verkrüppelten  Horden 
aus  dem  Grunde,  weil  die  Russen  alle  nordöstliche  Völker,  folglich 
auch  die  Tungusen  damit  zu  bezeichnen  pflegen ,  die  wohlgestalteten 
und  einen  beträchtlich  höhern  Wuchs  habenden  Mantschuren  ,  von  de- 
ren Gestalt  er  selbst  berichtet,  dass  man  bisweilen  unter  ihnen  Gestal- 
ten mit  hellblauen  Augen,  geraden  oder  schöngebogenen  Adlernasen, 
braunem  Haar,  dickem  und  strotzendem  Bart,  in  der  That  Griechen 
ähnlicher  als  Tungusen,  antreffe ,  beyzuzählen.  Und  eben  so  wenig 
passt  obige  Schilderung  auf  die  Ungarn,  wenn  auch  der  Hauptbestand- 
theil  ihrer  Sprache  wirklich  vmverkennbar  Finnisch  seyn  sollte.  Aber 
in  dergleichen  Widersprüche  verwickelt  man  sich  nur  zu  leicht,  wenn 
man  die  Völker,  unter  denen  wohl  die  Mehrzahl  nicht  mehr  aus  Ur- 
völkern,  sondern  aus  Mischlingsvölkern  besteht,  in  Rassen  unterschei- 
den ,  vind  in  Familien  einzwängen  will.  —  2.  Ueher  die  Temperatur 
der  verschiedenen  Theile  der  heissen  Zone  am  Meeresspiegel,  von  A.  de 
Humboldt.  CAus  den  Annales  de  Chimie  et  de  Physique  par  Gay- 
Lussac  et  Arago.  T.  XXXHI  Sept.  1826. )  Dieser  für  den  Physiker 
höchst  interessante  Aufsatz  beschäftigt  sich  vernehmlich  mit  der  Ver- 


244  Geographie  und  Statistik. 

glcichiing  des  Therinometcrstandes  zu  Havannali,  Rio  Janeiro,  Makao 
und  Kalkutta,  ist  aber  nicht  füglich  eines  Auszugs  fähig.  Als  ilir  Re- 
sultiit  gilt,  dass  das  Klima  zu  Havannali  viel  wärmer  ist,  als  das  von 
Makao  und  Rio  Janeiro,  luid  dass  auch  in  Makao  der  Winter  weit  käl- 
ter erscheine,  als  in  ersterer  Stadt.  —  3.  ISachrichtcn  über  Assam, 
(^Aus  den  Nonvelles  Annalcs  des  Voyages.  Octbr.  182().}  Dieser  Be- 
richt beschreibt  ausführlich  die  Eroberung  dieses  Reichs  durch  die 
Truppen  des  s.  g.  Gross-Moguls  i.  J.  1063.  Er  ist  aus  der  Schrift: 
HedikuL  as  Sefa,  d.  h.  Garten  der  Reinheit,  gezogen  und  liefert  zugleich 
einen  kurzen  Abriss  jenes  bisher  so  wenig  bekannten  Landes  von  sei- 
nem damahligen  Zustande.  Obgleich  Manches  davon  noch  auf  die  Ge- 
genwart passen  mag,  so  verdient  doch  wohl  das  Uebrige  verschiedener 
Berichtigung.  Da  dieses  Land  nun  ein  Schutzstaat  der  Britten  gewor- 
den ist,  so  dürfen  wir  wohl  mit  Zuversicht  einer  baldigen  und  umfas- 
senden, BeschreÜJung  desselben  entgegensehen,  und  darum  AvillRez.  von 
jener  meist  veralteten  Skizze  hier  weiter  nichts  mittheilcn.  —  4.  Nach~ 
richlcn  über  die  Ueberbleibsel  einiger  allen  Tempel  tu  IVone  in  der  Prov. 
Neni'ir.  (Ebenfalls  aus  den  Annales  des  voyages.  Octbr.  1826.^  Diese 
Beschreibung  ist  ein  nicht  unerheblicher  Beytrag  zur  nähern  Kunde 
des  Innern  von  Vorder -Indien  ,  und  darum  dankenswerth.  Die  Prov. 
IVt'mär  ist  ein  enges  von  den  Bergreihen  Vindijah  und  Satpurah  einge- 
schlossenes Thal,  in  welchem  die  Nerbuddah  ihre  Quelle  hat,  und 
liegt  in  W.  von  Gundwana  und  Bhagwana.  Sie  ist  seit  Ende  des  18ten 
Jahrh.  durch  25jährige  Anarchie  fast  ganz  verwüstet  worden.  Die 
alte  befestigte  Hauptstadt  Bidjaghed  ist  schon  seit  50  Jahren  völlig  ver- 
lassen und  die  heutige  Hauptstadt  Kerghend  hat  von  ihren  5000  Häu- 
sern, die  sie  noch  vor  etwa  20  Jahren  besass,  kaum  noch  800  übrig. 
Wone  zählte  sonst  2000  IL,  worunter  jetzt  etwa  noch  70  bewohnte 
eich  belinden.  Nur  die  Tempel  stehen  noch ,  die  allein  diesen  Ort  in- 
teressant machen;  aber  von  den  1)9,  die  einstens  hier  in  der  Umgegend 
gestanden  haben  sollen,  sind  nur  noch  8  grosse  und  4  kleine  übrig,  die 
indess  sehr  gut  erhalten  sind,  und  aus  dem  grauesten  Alterthume  ab- 
stammen. Alle  Anzeichen  sprechen  dafür,  dass  sie  zu  der  Zeit,  wo 
hier  noch  die  Djain- Sekte  herrschte,  erbaut  worden  seyn  mögen. 
Uebrigens  schweigt  der  Bericht  über  die  dermahlige  politische  Verfas- 
sung dieses  Distrikts  ganz,  und  man  erfährt  nicht  einmahl,  ob  er  noch 
jetzt  den  Mahratten  gehöre.  —  5.  Reise  von  Philadelphia  nach  Balti- 
viore.  O^Ji  Dr.  T.  Bromme  in  Dresden.^  Dieser  kurze,  aber  sehr 
nettgerathcne  Reisebericht  ertheilt  besonders  über  das  so  rasche  Auf- 
blühen Baltimoi'e's ,  über  die  Anlage  und  die  Bauart  dieser  wichtigen 
Stadt  ausführliche  Auskunft ,  und  beschreibt  auch  die  auf  dem  Wege 
dahin  liegenden  Städte,  als  Chester,  Wilmington ,  Christiana- Bridge, 
Elkton,  Charlestown,  Havre  de  Grace,  Harford,  Abington,  und  Joppa 
kürzlich.  Baltimore  ist  unter  allen  Städten  Nord-Amerika's  am  schnell~ 
stcn  aufgeblüht.  Vor  einigen  uud  50  Jahren  zählte  sie  erst  75  Häuser 
und  350  Einw.,  und  gegenwärtig  5  Märkte  mit  schönen  Hallen,  39  Kir- 
chen  und  Bethäuser  aller  Rellgionspartheycu,    mehrere  Hospitäler,  2 


Neue  geographische   und  L'iatistische  Ephcmcriden.  425 

Theater,  9,800  lIs.  und  70,000  E.  DicUntcrrichtsanstalten,  für  welche 
mit  grossem  Eifer  gesorgt  Averden  soll,  bestehen  in  der  Universität  und 
dem  Baltimore- College,  in  einem  medizinischen  Kolleffium  und  einer 
üflentlichen  Bibliothek  von  14,000  Bänden.  —  ß)  J  erviischte  ISach-' 
richten:  1)  Die  Flau,  ein  Birmanischer  Folksaiamm  (Aus  dem  Engl.). 
Dieser  Volksstamm  bewohnt  den  an  der  Grenze  von  Siam  und  Laos  lie- 
genden üistr.  Thaumpe,  (dessen  gleiehnahmigc  Hauptst.  etwa  5000 
Einw.  zählt,)  und  unterscheidet  sich  dur(;h  Sprache ,  Gesichtszüge  und 
Charakter  von  den  Birmanen,  Siamescn  und  allen  benachbarten  Völ- 
kern. Am  nächsten  stehen  sie  den  Chinesen ,  deren  Tracht  sie  auch 
angenommen  haben;  doch  tätuiren  sie  sich  wie  dieLaoesen.  Uebrigens 
sind  sie  lebhafte,  aber  eijifache  Menschen,  die  sich  einzig  mit  dem 
Ackerbau  und  dem  Handel  beschäftigen  und  den  Krieg  verabscheuen. 
Ihre  Religion  ist  die  Buddhistische.  —  2)  Die  Brillen  am  Nordpole, 
Handelt  von  Parry's  Plane,  über  Spitzbergen  gerade  auf  den  Pol  los- 
zusteuern, dessen  Ausführung  bekanntlich  leider  ebenfalls  keine  genü- 
genden Resultate  gebracht  ha(  —  3)  Tod  des  (Brittischen)  Reisenden 
Moorcroft.  (Aus  dem  Globe.)  Nach  dieser  Kachricht  ist  der  kühne 
Reisende  auf  seiner  Tour  nach  Samarkand  in  Turkestan  zwischen  Khul- 
lum  und  Andkhy  gestorben.  —  4)  Beschreibung  der  Stadt  Aracan.  (Aus 
den  Nouv.  Annal.  d.  Voyag.  182f).)  Diese  im  letzten  Frieden  von  Bir- 
man  an  die  Brittische  Ost -Ind.  Komp.  abgetretene,  berühmte  Stadt 
liegt  in  einer  viereckigen ,  von  500  F,  hohen  Hügeln  umgürteten  ,  und 
von  mehrern  Bächen  oderNullah's,  Armen  des  grossen  Flusses  Mohutte, 
bewässerten  Thalebene.  Ihre  Häuser,  deren  Zahl  sich  auf  19,000  be- 
läuft, sind  durchgängig  elende,  nur  1  Stockwerk  hohe,  aus  Bambusrohr 
oder  Holz  errichtete,  mit  Stroh  oder  Rasen  bedeckte  Hütten  ,  die  der 
Ueberscinvemmungen  Avegen  auf  Pfahlwerk  ruhen ,  aber  ziemlich  re- 
gelmässig aneinander  gereiht  sind.  Die  einzigen  steinernen  Gebäude 
sind  das  alte  mit  4faclien,  über  20  F.  hohen  Mauern  umgebene  Fort, 
und  mehrere  Pagoden.  Die  Zahl  der  Einwohner  wurde  sonst  auf  95,000 
geschätzt.  Gegenwärtig  steigt  aber  die  der  EingeUohrnen  kaum  auf 
20,000  ;  wovon  ein  grosser  Theil  Priester  sind.  Die  nahen  Hügel  sind 
mit  mehr  als  ÖO  Pagoden  bedeckt,  deren  vergoldete  .Spitzen  einen 
sonderbaren  Anblick  gewähren.  —  ^')  Etwas  über  die  Z  Archipel- Inseln 
Hydra ,  Spezzia  und  Poro ,  welche  sich  für  unabhängig  erklärt  haben, 
(Aus  dem  Journ.  des  Voyag.  182fi.)  Nicht  viel  Neues.  Hydra  werden 
20,000  (offenbar  zu  wenig),  Spezzia  7  —  8,000  und  Poro  3000  E.  gege- 
ben. —  ())  Der  Nord-Holländische  Kanal.  (Aus  der  Handl.  Zeit.  1826.) 
Dieser  sehr  wichtige  Kanal  geht  aus  dem  Vorhaven  Amsterdams,  durcli- 
schneidet  ganz  Nord-Holland  in  einer  Länge  von  12  Ml.  und  endet  sich 
in  den  grossen  Seehaven  bey  Niewe-Diep.  Er  enthält  5  grosse  Schleu- 
sen mit  sehr  vielen  Brücken,  hat  eine  völlig  hinreichende  Breite  und 
Tiefe  für  die  grössten  Seeschiffe,  und  gewährt  der  Stadt  Amsterdam 
eine  unmittelbare  Verbindung  mit  demTexel,  ohne  der  stürmischen 
Südersee  und  des  seichten  Paropus  zu  bedürfen.  Da  er  grösstenthella 
durch  einen  schwimmenden  Morastgrund   geführt  werden  musste,     so 


426  Geographie  und  Statistik. 

hat  sein  Bau  über  90  Mill.  Gulden  Holland,  gekostet.  —  7)  Uebcr  ei- 
nen in  i^ör/t/iif's  Columbus  März  1827  enthaltenen  Avfsatz:  Neit-Uarmony, 
eine  der  merkwürdigsten  Anstalten  auf  Erden.  .$.256  —  2G9.  Diese  eben 
so  freyinüthige  als  gebaitvoUe  Würdigung  des  genannten  Aufsatzes 
hat,  M'ie  man  aus  den  Anfangsbucbstabcn  der  Unterscbrift  BHZS.  ab- 
nehmen darf,  den  Herzog  Bernhard  zu  S.  Weimar- Eisenarli  zum  Ver- 
fasser, welcher  auf  seiner  Reise  durch  die  Vereinigten  Staaten  bekannt- 
lich sowohl  NcAv-Harmony  als  auch  Economy  besuchte  und  beyde  Eta- 
blissements einer  sorgfältigen  Prüfung  würdigte.  Wir  erfahren  aus 
dieser  Berichtigung,  dass  die  vom  Würtemberger  Rapp  zuerst  in  der 
Kähe  von  Pittsburgh  gegründete  jNiederhissung  Harmony  schon  seit 
mehreren  Jahi-en  an  einen  Hrn.  Ziegler  aus  Zelionopolis  verkauft  wor- 
den ist,  aber  sich  schon  im  Verfall  beßndet;  dass  Rapp  hierauf  mit  sei- 
nen Leuten  eine  neue  Niederlassung  im  Staate  Illinois,  am  Flusse  Wa- 
basch gegründet ,  nni.  New-llarmony  genannt,  dass  er  aber  auch  diese 
wieder  vor  einigen  Jahren  an  einen  gewissen  Owen  und  zwar  lediglich 
der  ungesunden  Luftwegen  verkauft,  und  seitdem  eine  dritte  Nieder- 
lassung, die  Stadt  Economy,  ebenfalls  in  der  Nachbarschaft  von  Pitts- 
burgh angelegt  habe ,  Avciche  sich  auch  bereits  in  einem  sehr  blühen- 
den Zustande  befindet.  Neu-Harmony  wird  seitdem  von  den  Anhängern 
des  Hrn.  Owen,  die  aber,  wenigstens  zum  Theil,  aus  Schwärmern, 
Missvergnügten  und  Vagabunden  bestehen,  l)ewohnt  und  nach  eigenen, 
von  den  Rapp'schen  abweichenden  Grundsätzen ,  so  wie  mit  Vernach- 
lässigung aller  positiven  Religionen  verwaltet.  Höchst  bemerkenswerth 
ist  die  Antwort,  die  dieser  Owen  dem  hohen  Referenten  gab,  als  der- 
selbe gegen  ihn  äusserte,  dass  er  glaube,  er  werde  für  seine  grossen 
Bemühungen  sich  belohnt  finden ,  Avenn  die  nach  seinem  System  erzo- 
genen Knaben  in  die  Gesellschaft  träten.  Diese  Antwort  lautet :  „Da 
sind  Sie  im  Irrthum ,  denn  nicht  nur  werde  ich  in  Kurzem  den  Clia- 
rakter  aller  dieser  verschiedenartig  gesinnten  Menschen  ändern,  Avelche 
hier  wohnen,  sondern  unser  Beyspiel  wird  so  auf  die  V.  St.  wirken, 
dass  in  Zeil  von  5  bis  (i  Jahren  es  in  denselben  keine  Präsidenten ,  keinen 
Mongress,  keine  Minister,  keine  Armee,  keine  Marine^  keine  Geistlichen, 
und  keine  Kavflente  mehr  geben  wird.  Die  Städte  werden  verlassen  da- 
stehen, die  Reichen  werden  ihre  Güter  hingeben  und  das  f  olk  sich  aufs 
Land  in  Gemeinden  von  1,000  bis  2,000  Personen  vertheilen.  Das  goldene 
Zeitalter,  von  dem  die  alten  Dichter  geträumt  haben ,  wird  tvieder  erste- 
hen u.  s.  w.^''  Das  heisst  doch  Schwärraerey  und  Eigendünkel!  — ■ 
8)  Grösse  und  Bevölkerung  IFest  -  Indiens  im  J.  182fi.  Hayti  zählt  auf 
1385  DM.  935,335  Farbige  und  Neger ;  die  Brittischen  Inseln  auf  688 
Dm.  723,147  K.  wor.  98,605  Weisse  und  freye  Farbige;  die  Spanischen 
Inseln  auf  2746^  DM.  1,163,980  K.  wor.  726,548  Weisse ,  70,220  freye 
Farbige;  die  Französischen  Inseln  auf  59y\{^^  DM.  207,683  K.  wor. 
22,6()9  Weisse  und  19,667  freye  Farbige;  die  Dänischen  Inseln  auf  8,4^*^ 
D>1-  41,317  K.  wor.  3,223  Weisse  und  2,955  freye  Farbige;  die  Me- 
dcrländischen  Inseln  auf  35j\po-  O^^^-  32,240  K.  (im  Werke  steht  durch 
«inen  Error  in  calculo  nur  17,463,    welches  bloss  die  Zahl  der  Neger 


Neue  geographische  und  statistische  Ephemeridcn.  421 

ist),  wor.  14,782  Weisse  und  frcye  Farhige  und  17,462  Neger ;  und  die 
Schwedische  Insel  auf  1|  QM.  8,210  E.,    Mor.  2,380  Weisse   und  Ireye 
Farbige.       Ganz  West-lnilicn     enthielt    demnach    auf  4,y2fi^i^'if  DM. 
3,111,913  (nicht  wie  hier  steht  bloss 3,097,137)  Menschen,  wor.  1,890,394 
Weisse  und /rej/c  Farbige  und  Neger.    —     9)    lieber  das  Binnenland  von 
Afrika  und  den  Joliba  oder  Niger.    (Von  Merczes  de  Drumniond.)     Das 
Resultat  dieser  auf  die    Aussage  mehieier  unterrichteten  Neger ,     die 
aber  aus  verschiedenen  Landschaften  des  Innern  Afrika  abstarainen,   ge- 
etiitzten  scharfsinnigen  Untersuchung  ist,   duss  derKiger  in  seinem  oberu 
Laufe  durch   das  Land  Banibarra  bis  zu  seinem  Eintritt  in   das  Reich 
Haussa     den  Nahmen   Joliba   oder   Juliba  führe,    dass   er  von   da  bia 
nach  Hugara  und   dem   See  Caduna   den    anwohnenden  Völkern  unter 
ebendemselben,    mehr  abe»  noch  unter   dem   ]Nahmen   Gülby  bekannt 
sey,    dass  er  dann  sich  nach  S.W.   wende,    den    Nahmen  Kuara   (die 
Ware  der  neuern  Charten)  annehme,  und  sich  in  den  Busen  von  Benin 
ausmünde.      Da  nun  in  diesem  Busen  dieMündungen  von  nicht  weniger 
als  lö  Strömen  gefunden  Averden,    welche  Formosa,    Benin,  Fluss  der 
Galeerensklaven,  Arme,   Narren,  Sanguma,  Non,   Odi,   Feiana,   S.  Ni- 
colas,  Meias ,    S.  Barthelemy ,    der  neue  Calabar  ,    Bandi  (oder  Boni), 
der  neue  Calabar  und  der  Königsfluss    (dessen  Ausfluss  allein  7 — 8  MI. 
Breite  hat)  genannt  werden ,    so  steht  zu  vermuthen ,    dass  diess  alles 
nur  Arme  eines   und  desselben  Stromes  sind.       Indess  nimmt  Ilodgson 
(der  Freund  Belzoni's)  nur  7  Mündungen  (Formosa,   Sklavenfl.,  Arme, 
Boni,  der  alte  ued  neue   Calabar  und  der  Königsfl.)  dee  Nigers  an.  — 
10)    Endliche  Jvf Schlüsse   über   la   Pcyrouse   Schicksal..     (Aus  Französ. 
Zeit.)    Nach  diesen  Berichten  ist  ein  Theil  der  Schiffsmannschaft  dieses 
unglücklichen  Seefahrers    durch  Zufall  auf   der  Insel  Malikolo   (unfern 
Neu-Seeland)   aufgefunden  und   auch  bereits   von  Kalkutta   ein  Schiff 
zur  Untersuchung  abgesendet  worden. 

XXII  Band.  A)  Abhandlungen  :  1.  Die  Brillen  auf  Hinter- Indien. 
Dieser  sehr  interessante,  vom  verstorbenen  Dr.  Hassel  mit  geübter 
Feder  entworfene  Aufsatz  beginnt  mit  einer  gedrängten  Uebersicht  der 
jetzigen  Macht  der  Ost-Indischen  Kompagnie,  überblickt  hierauf  den 
Anwachs  des  mächtigen  Reichs  Birman,  entwickelt  dann  die  Veranlassun- 
gen des  Kriegs  der  Britten  mit  den  Birmanen,  und  geht  endlich  zu  der  aus 
den  neuesten  Englischen  Berichten  geschöpften  Beschreibung  der  neuea 
Brittischen  Erwerbungen  über.  Diese  bestehen  :  1)  in  der  Prov.  Arra- 
kan  in  N.W. ,  an  der  Grenze  von  Bengalen  ==  415  g.  DM.  Dieses 
Land  ist  aber  jetzt  so  verwüstet  und  entvölkert,  dass  es  nur  noch  8 
Städte  enthält  und  kaum  150,000  E.  zählt ;  doch  hat  es  einen  höchst 
fruchtbaren  Boden  und  einen  Reichthum  an  trefflichem,  den  Britten  so 
unentbehrlichem  Thekholze.  2)  Der  Prov.  Martaban  ira  S.  von  Bir- 
man an  der  Gränze  von  Siam  =  5(56  DM.  mit  nur  60,000  E.  3)  Der 
Prov,  Tenasserira  im  S.  von  voriger,  ebenfalls  an  Siam  gränzend,  (aus 
den  3  Distr.  li,  Tawai  undMergui  bestehend)  =  740  DM.  mit  gar  nur 
40,000  E.  und  4)  dem  Mergui- Archipel  =  40  DM.  mit  nur  400  E. 
Alle  diese  Gebietstheile  sind  demnach  aufs  äusserste  entvölkert ,    aber 


428  Gcograpliie  und  Statistik. 

sie  besitzen  einen  sehr  üppigen  Boden  und  werden  bey  Sicherheit  des 
Eigenthums  sich  bald  wieder  mit  Menschen  füllen.  Auch  enthalten 
sie  grosse  Wälder  von  Thekholze.  Diesen  neuen  Erwerbungen  sind 
nun  noch  die  altern  Besitzungen  in  diesem  Theile  Ost -Indiens  ange- 
reiht. Selbige  sind:  1)  Die  Prinz- Wales -Insel  =  71  D^I.  20,000  E. 
2)  Das  Gebiet  von  Malakka  =  4  DM.  15,000  E.  und  "S)  die  Insel  Sin- 
kapore  =  4^  DM.  30,000  E.  Säramtliche  Gebletstheile  enthalten 
demnach  1137  DM.  und  265,000  E.  —  2.  Nachrichten  über  das  eigent- 
liche liorneo.  (Aus  den  Nouv.  Annal.  des  Voyages  1820.)  Ebenfalls 
ein  sehr  willkommener  Beytrag  zur  nähern  Kunde  der  grössten,  aber 
auch  zugleich  unbekanntesten  Insel  Süd -Indiens  (so  möchte  nähmricli 
Rez.  die  von  Ost-Indien  meist  so  abgelegenen  Indischen  Inseln  benen- 
nen). Das  eigentliche  Borneo  ist  bekanntlich  ein  Theil  der  Nordwest- 
küste der  Insel,  welche  im  N.  an  die  Besitzungen  des  Sultans  von  Su- 
luh,  im  S.  an  die  der  Oberherrlichkeit  der  Niederländer  unterworfenen 
Gebiete,  im  O.  aber  an  das  noch  ganz  unerforschte  Innere  gränzt. 
Dieser  Küstenstrich  hat  eine  Länge  von  700  (Engl,?^  Ml.  und  eine 
Breite  von  100 — 150.  Alle  Felsenarten  der  verschiedenen  Theile  der 
Insel  gehören  zu  den  Urgebirgen  ,  und  nirgends  findet  man  Berge  von 
Trappbildung,  weshalb  es  auf  Borneo  keine  Vulkane  geben  soll.  Aber 
gehören  die  an  Vulkanen  so  reichen  Cordilleren  der  Anden  in  Süd- 
Amerika  nicht  auch  zu  den  Urgebirgen?  Das  Innere  wird  von  äusserst 
rohen  und  blutdürstigen  Volksstämraen  bewohnt,  welche  alle  Vergnü- 
gen daran  finden ,  Fremden  den  Kopf  abzuschlagen,  und  den  grössten 
Stolz  darin  setzen,  eine  Menge  Schädel  zu  besitzen.  Sie  fuhren  hier 
zwar  sehr  verschiedene  Nahmen,  als  Dasum ,  Kayan ,  Murat,  Tatao, 
Suluk,  Badjao,  lUanuni,  Kadayan,  Bysains,  Kalamut,  Tatong,  Kyad- 
jao,  Dayak,  Kanawit  und  MeLindo,  alle  wurden  aber  bisher  unter  dem 
Kollektivnahraen  Eidahanen  (Dayaks  oder  Biadschuer)  begriffen.  Da 
aber  einige  darunter  etwas  Menschlichkeit,  sogar  einige  Neigung  für 
die  Gewohnheiten  des  gewerbsamen  Lebens  zeigen,  so  ist  es  doch  viel- 
leicht der  Fall,  dass  sie  verschiedenen  Urvölkern  angehören  können. 
Die  hier  ansässigen  Malayen  sollen  ,  obgleich  die  herrschende  Nation, 
nur  den  lOten  Theil  der  Bevölkerung  ausmachen.  Die  ^  erfassung  ist 
ganz  Malayisch  und  der  Sultan,  der  den  Titel  Radah  mit  dem  Bey- 
worte :  jandgi  per  touan,  d.  h.  derjenige,  der  Herr  ist,  führt,  herrscht 
als  ein  kleiner  Despot.  Der  Handel  ist  bey  dem  grossen  Ueichthum 
des  Landes  sehr  wichtig,  wird  aber  jetzt  vornehmlich  mit  Sinkapore 
getrieben,  wohin  im  J.  1824  etwa  90  Schiffe  (Pros)  giengen.  Der 
Vrf.  glatibt,  dass  gegenwärtig  Europäische  Schiffe  die  gleichnahmigc 
Hauptstadt  mit  vollkommener  Sicherheit  besuchen  könnten,  und  fordert 
die  Uritten  zu  Anlegung  einer  Kolonie  auf  der  hieher  gehörigen  Insel 
Labuan  auf.  —  3.  lieber  die  Population  Frankreichs  im  Jahr  1827  und 
über  die  Zunahme  der  Bevölkerung  in  den  5  leisten  Jahren.  Dieser  aus 
den  von  der  Regierung  bekannt  gemachten  offiziellen  Tabellen  bear- 
beitete Auszug  thut  dar,  dass  in  diesem  Ileiche  die  Zunahme  der  Volks- 
menge dieselben  raschen  Fortschritte  macht,  als  im  N.  u.  W.  Europa's, 


Neue  geographische  und  statisli^cho  Ephcnierldcn.  420 

denn  sie  betragt  auf  die  5  Jahre  1822  bis  mit  1820  nicht  weniger  ala 
1,380,137  Indiv.  Hey  dieser  so  hütnUJitlichcn  Vermehrung  tritt  aber 
der  aulTüllige  Umstand  ein,  dass  im  Ganzen  alle  die  Ucpiirtemcnts,  ia 
V ehlien  die  Puiuilation  am  meisten  zugenommen  hat,  gerade  auch  die- 
jenigen s^ind  ,  MO  bereits  ein  relatives  IJebergewicht  statt  hatte,  und 
dass  sie  im  Allgemeinen  in  ;soleben  Provinzen  stationär  geblieben  ist, 
wo  auf  den  ersten  Blick  es  scheinen  möchte,  dass  die  günstigsten  Ver- 
hiiltnisse  zur  Zunahme  statt  hätten.  l'nter  den  üept. ,  worin  der 
stärkste  Anwaclis  eingetreten  ist,  sterbt  natiirlicli  das  der  Seine  oben 
an.  Denn  liier  ist  er  von  821,7flJ>  auf  l,(>13,o'J3  K.  gestiegen.  Hierauf 
kommen  das  Dept.  Ober- Rhein  (von  37(MW-  "»f  ^<>8,741)  ;  das  Dept. 
Mosel  (von  37i>,i)28  auf  409,155) ,  das  Dept.  Ardeche  (von  304,339  auf 
328,419)  ,  das  Dept.  Aisne  (von  459,006  auf  489,550)  ,  das  Dept.  Loire 
(von  345,524  auf  309,289),  das  Dept.  Meurthe  (von  379,985  auf  403,038), 
das  Dpt.  Nord  (von  905,704  auf  902,048),  das  Dpt.  Unter -Rhein  (von 
502,038  auf  535,407  K.)  etc.  Der  Zuwachs  der  einzelnen  Prov.  ist  nun 
in  Tabellenforra  und  zwar  in  abnehmenden  Verhältnissen  mit  Beifü- 
gung der  Volkszahl  von  d.  J.  1822  u.  1820  vor  Augen  gestellt  worden. 
Den  Beschluss  macht  darin  das  Dept.  Ober-Vienne,  wo  der  Zuwadis  in 
den  5  Jahren  nur  4,021  S.  betrug.  Zu  beklagen  ist  nur,  dass  die  2 
Dep.  Loir  eher  u.  Tarn-Garonne  darin  übersehen  worden  sind.  Der 
Werth  dieser  Tabelle  erhöht  sieh  noch  durch  Hinzusetzung  des  Flä- 
chengehalts der  Depart.  nach  Hectaren  ,  und  der  Dichtheit  der  Bevöl- 
kerung nach  dem  Maassstabe  von  1000  Hectaren.  Vielleicht  würde  ea 
aber  für  den  Deutschen  Leser  zweckmässiger  gewesen  seyn ,  Avenn  der 
Flächenraura  nach  geogr.  GM.  angegeben,  und  die  Stärke  der  Seelen- 
zahl nach  diesem  Maassstabe  ausgeworfen  Avorden  Aväre.  Doch  lehrt 
diese  Tabelle  eben  so  gut,  Avie  ungleichmässig  auch  in  Frankreich  die 
Volksmasse  vertheilt  ist.  Denn  Avährend  auf  1000  Hectaren  im  Dpt. 
Seine  22,210,  im  D.  Norden  1,050,  im  D.  Rhone  1,540 ,  im  D.  Unter- 
Rhein 1,270,  im  D.  Nieder-Seine  1,150,  im  D.  Ober-Rhein  1,060,  und 
im  D.  Finisterre  1,030  Menschen  Avobnen ,  fallen  auf  gleichen  Raum 
im  D.  Lozere  nur  200,  im  D.  Nieder-Alpen  200,  im  D.  Corsica  180,  u. 
im  D.  Ober-Alpen  100  K.  —  Beygegeben  ist  1)  eine  aus  dem  Alnianac 
royal  v.  J.  1827  ausgezogene  alphabetisch  geordnete  Tabelle  der  86 
Depart.,  in  welcher  der  Flächengehalt  nach  geogr.  DM.  und  Bevölke- 
rung derselben,  ingleichen  die  Volkszahl  der  Departemental- Haupt- 
städte niedergelegt  ist.  Leider  ist  aber  dabey  nur  zum  Thcil  die  neue- 
ste Zählung  benutzt  Avorden,  Avas  jedoch  diesem  Staatshandbuche  von 
jeher  hat  zum  Vorwurf  gemacht  Averden  müssen.  2)  Eine  ebenfalls 
alphabetisch  geordnete  Tabelle  der  neuesten  Volkszahl  aller  Orte,  die 
über  10,000  EinAV,  enthalten.  Diese  Tabelle  erregt  beym  ersten  An- 
blick gerechtes  Erstaunen,  indem  in  selbiger  nicht  Aveniger  als  00  un- 
erhebliche Orte ,  zum  Theil  nur  Marktil.  und  Dörfer,  und  ausserdem 
noch  11  Städte  von  4  bis  höchstens  8,000  E.  aufgestellt  worden  sind. 
Dieses  Räthsel  wird  aber  in  einer  beygesetzten  Anmerkung  gelöset. 
Die  Französischen  Statistiker  pflegen  nähmlich  häufig  Alles,    was  zu 


430 


Geographie  und  Statistik. 


den  verschiedenen  Parochlen  ausserhalb  der  Mauern  liegt,  oder  zur 
IJannweite  gehört,  zur  Stadt  zu  rechnen,  und  so  hekommen  Orte,  die 
an  sich  kaum  1 — 300  11s.  enthalten,  oft  eine  sehr  bedeutende  Volks- 
zahl. Dergleichen  Orte  sind  in  der  Tabelle  mit  einem  Stern  bezeich- 
net ;  doch  hat  Hez.  dieses  Zeichen  noch  bey  Chateau-Dun  ,  Epernay, 
Fismes  ,  Josselin,  Mont- Richard,  u.  S.  Jean-Beverlay  vermisst,  und 
dagegen  ist  es  bey  Castres  (denn  diese  Stadt  zählte  bereits  im  J.  1802 
in  2,700  Hs.  15,386  E.)  aus  Versehen  hinzugekommen.  Aufiiillig  ist  ea 
dabey  nur,  dass  alle  diese  Orte,  mit  Ausnahme  des  einzigen  Aramits 
(im  Dpt.  Gard)  nur  in  6  Dpt.  zu  suchen  sind.  Denn  von  den  übrigen 
70  kommen  15  auf  Dordogne,  10  auf  Eure-Loir,  1  auf  FiniS|terre,  2  auf 
Loir-Cher,  11  auf  lUe-Vilaine,  10  auf  Marne  und  21  auf  Älorbihan. 
Wie  geht  es  nun  zu ,  dass  in  andern  noch  stärker  bevölkerten  Prov., 
als  Norden,  Nieder- Seine,  Manche  etc.  keine  solchen  Orte  zu  finden 
sind?  Endlich  hat  Rez.  darin  noch  die  Städte  Autun,  Beaune,  Mor- 
laix,  Sens,  S.  Servan  ,  Thiers,  Verdun,  Ville  Franche  (D.  Aveyron) 
und  Ville  neuve  d'  Agen  —  alles  Orte,  die  im  J.  1816  mehr  als  oder 
doch  nahe  an  10,000  E.  zählten,  —  vermisst.  Rez.  glaubt  mehreren 
Lesern  einen  Gefallen  zu  tliun,  Avenn  er  die  Volkszahl  der  40  grössten 
Städte  Frankreichs  nach  ihrer  Rangordnung  hier  beyfügt. 


Paris 890,431  E. 


Lyon 

Marseille    . 

Bordeaux 

Roucn 

Nantes 

Lille     .      . 

Toulouse  . 

Strasburg  . 

Metz     .      . 

Amiens 

Orleans 

Caen     . 

Rheims 

NImes 

Uennes 

Montpellier 

Toulon 

S.  Etienne 


145,675  - 
115,943  - 
93,549  - 
90,000  - 
71,739  - 
69,860  - 
69,731  - 
49,708  - 
45,247  - 
41,107  - 
40,340  - 
38,161  - 
38,046  - 
37,816  - 
37,579  - 
35,123  - 
30,798  - 
30,615  - 


Angers        ....        29,978 


Versailles      ....  29,791  E. 

Avignon        ....  29,407  - 

Clermont      ....  28,995  - 

Nancy 28,445  - 

Brest 26,655  - 

Troyes 25,587  - 

Montauban        .     .     .  25,466  - 

Dünkirchen        .      .      .  25,417  - 

Limoges       ....  24,992  - 

Dijon 23,845  - 

Aix 23,132  - 

Airas 22,173  - 

Grenoble      ....  22,149  - 

Tours 21,928  - 

Poitiers        ....  21,317  - 

rOrient        ....  21,294  - 

Ilavre 20,768  - 

Douay 19,880  - 

Arles 19.869  - 

Valenclennes      .      .      .  19,841  - 


Der  Vollständigkeit  halber  muss  Rez.  noch  hinzufügen,  dass  in  obiger 
Tabelle  Vannes  mit  28,320  und  Blois  mit  24,511  E.  angesetzt  worden 
sind.  Da  aber  erstere  im  J.  1816  erst  10,605  und  letztere  nur  13,054 
K.  zählte,  so  sind  bey  beyden  wahrscheinlich  auch  die  Umgebungen 
mitgerechnet  Avorden.  —  4.  Detaillirte  Folksliste  den  Gr.  Herzogth. 
Mecklenburg  -  Schwerin  vom  J.  1826.  Sie  betrug  in  den  24  Präpositu- 
ren 430,927  K.,  wor.  3,058  Juden,  und  hatte  sich  mithin  in  einem  Jahre 


Nene  gcograpliSsclie  und  £tat!st!e«die  Ephcmcriden.  431 

um  13,05fi  vRiinclu t.  Im  J.  1803  fand  man  erst  288,853 ,  f(»Iglich  bo- 
trügt der  ZiiM'at-hs  auf  23  Jahre  n'ulit  Avcnigtjr  als  142,(>74.  Diese  ra- 
sche Zimahme  in  einem  Lande,  wo  noch  die  Leibeigenschaft  herrscht, 
die  Güter  gesclüossen  sind ,  und  der  Mensch  nocli  zum  Theil  an  seine 
Scholle  gebunden  ist,  verdient  gerechte  Verwunderung.  (Ueberdicsa 
ist  die  Zahl  der  Städte  im  Vcrhältniss  zum  Fiächenraum  ziemlich  ge- 
ringe, denn  auf  5.|  Q^L  kommt  erst  eine  Stadt.)  Unter  den  vornehm- 
sten Städten  hatten  Rostock  2,282  IJ.  17,398  E.  ,  Schwerin  1,018  H. 
12,1T9  E.;  Wismar  1.205  IL,  8,088  E. ,  Giistrow  8fi0  H.  8,015  E.,  und 
Parchim  607  Jl.  5,111  E.  —  5.  Deluillirie  Folksliste  des  Gr.  Uerzo^th. 
Sachsen-JFvimar  für  ISW.  Auch  hier  ist  die  Bevölkerung  im,  wenn 
auch  nicht  so  raschen.  Steigen  begriffen.  Der  Census  vom  J.  1815 
gah  104,377  und  der  vom  J.  182()  221,(554,  also  in  11  Jahren  einen  Zu- 
wachs von  27,277  K.  Von  der  letztern  Zählung  kommen  140,120  auf 
die  Prov.  Weimar  mit  ihren  4  Stadtger.  und  15  Amtsbezirken,  und 
72,534  auf  die  Prov.  Eisenach  mit  1  Satdtger. ,  0  Amtsbezirken  und  2 
Patrimonialämtern.  Die  Ilptst.  Weimar  zählte  000 H.  0,711  E.,  Eisenach 
1,331  H.  8,106  E.  und  Jena  744  H.  5,166  E.  —  6.  Nachricht  von  den 
Minen  in  Brasilien,  durch  den  Hrn.  Menezes  de  Drammond  (zu  Rio  Ja- 
neiro. (Aus  dem  Journ.  des  Voyages.)  Dieser  sowohl  für  den  Stati- 
stiker als  für  den  Mineralogen  gleich  wichtige  Aufsatz,  der  jedoch  le- 
diglich die  Prov.  Minas  Geraes  ins  Auge  fasst,  erzählt  zuerst  in  der 
Kürze  die  Auffindung  und  Gründung  dieser  Kolonie,  deckt  dann  frey- 
müthig  die  unverzeihlichen  Fehler  und  Missgriffe  der  Regierung  auf, 
welche  den  sonst  so  blühenden  Berghau  dort  seit  dem  J.  1808  in  so  tie- 
fen Verfall  brachten  ,  fügt  dann  eine  kurze  Skizze  dieser  Landschaft 
bey  und  beschreibt  endlich  die  verschiedenen  Methoden,  durcli  welche 
beym  fast  gänzlichen  Mangel  an  metallurgischen  Kenntnissen  die  Ge- 
winnung des  Goldes  bisher  besorgt  wurde.  Das  Gouvern.  Minas  Ge- 
raes hat  eine  Ausdehnung  von  300  Franz.  Ml.  von  S.  nach  N.  und  von 
260  von  O.  nach  W.  und  zählt  jetzt  über  1  Mill.  E.  Die  Menschen- 
masse  besteht  aus  Weissen,  die  hier  zahlreicher  als  in  den  übrigen 
Prov.  sind ,  aus  Negern ,  zivilisirten  Indianern  und  gemischten  Rassen 
von  allen  Farben,  hier  Metis  genannt.  Es  ist  in  5  Distr.  zerlegt  und 
begreift  ausser  der  Hauptst.,  die  jetzt  Oiro  Preto  heisst,  15  Städte  und 
Villas  und  117  Dörfer  und  Weiler.  —  7.  Der  Cauca  und  seine  Umge- 
gend. ( Eine  geographische  Skizze  von  C.  M.  Roding.  )  Ebenfalls 
ein  sehr  schätzbarer  Bey  trag  zur  nähern  Kunde  von  Süd -Amerika. 
Der  sehr  beträchtliche  Fluss  Cauca,  der  Hauptzufluss  des  mächtigen 
Magdalena ,  giebt  bekanntlich  jetzt  einem  der  12  Departem.  Kolum- 
biens den  Nahmen,  welches  mit  Isemo  den  nordwestlichsten  Theil  die- 
ses Freystaats  ausmacht,  indem  es  nicht  bloss  das  Thal  des  obern 
Cauca  sondern  auch  einen  beträchtlichen  Theil  der  Westküste  zwischen 
dem  Golf  St.  Michael  und  dem  Flusse  Patia ,  so  wie  einen  Strich  der 
Nordküste  zwischen  den  Mündungen  der  Flüsse  Atrato  und  Zinu  in  sich 
schliesst.  Es  enthält  4,690  DM.,  ist  aber,  bis  auf  den  Thalkessel  Ton 
Popayan  in  dem  obern  Theil  des  Patin ,    noch  fast  eine  menschenleere 


432  Geographie   und  StatUtlk. 

Wüste.  Denn  sie  zählt  Icaiim  193,000Ehnv.,  wovon  auf  das  3,240niVI. 
grosse  Choco  nur  22,000  lioniraen.  Das  Dept.  ist  eins  der  goldreich- 
sten Länder  der  Erde.  Denn  der  Caiica  .und  mehrere  seiner  Neben- 
gCAvässer  ilicssen  im  eigentlichen  Sinne  über  Goldsand,  und  der  Thon, 
der  zu  Popayan  zu  Töpfen  genommen  ^vird,  ist  sclnver  von  Gold. 
Aber  die  Freilassung  der  Neger  hat  den  fast  gänzlichen  Stillstand 
der  Bergwerke  und  Goldwäschereyen  zur  Folge  gehabt,  weil  wegen 
Mangel  an  Händen  ein  Freyneger  täglich  3  Realen  (;=:  22  Qx.  Conv.) 
Tagelohn  begehrt.  Bey  dem  fruchtbarsten  Boden  fehlt  es  häufig  an 
Lebensmitteln,  und  diese  sind,  wegen  des  äusserst  beschwerlichen 
Transports  so  theuer,  dass  ein  Fass  Mehl  aus  den  Verein.  Staaten  von 
]V,  A.  in  Chaco  64  bis  94  Piaster  zu  stehen  kommt.  Diess  gilt  dort 
auch  von  andern  Bedürfnissen,  z.  B.  vom  Eisen,  von  dem  der  Ztr.  40 P. 
zu  kosten  pflegt.  Uebrigens  ist  es  Schade ,  dass  der  Vrf.  die  neuere 
Eintheilung  des  Dept.  in  4  Distr.  nicht  berücksichtigt,  und  die  Topo- 
graphie ganz  bey  Seite  gestellt  hat.  —  8.  Ueber  die  äussere  Bildung 
von  Japan.  (^Aus  dem  Krusenstern'schen  Atlasse  der  Südsee.  Th.  II 
Nr.  XXVI,  mitgctheilt  von  dem  Hrn.  Kollegienrathe  v.  PfeifTer  zu  Pe- 
tersburg.) Dieser  Auszug  aus  einem  kostspieligen  Atlasse,  der  wohl 
nicht  in  Jedermanns  Hände  kommen  möchte,  wird  gewiss  Jedem  will- 
kommen seyn ,  den  das  so  streng  in  sich  zurückgezogene  Japan  in- 
teressirt.  Er  dient  vornehmlich  zur  Erläuterung  der  Krusenstern'schen 
Charte  von  diesem  Inselstriche,  und  stellt  bey  jedem  irgend  merkwürdi- 
gen Punkte  der  Küsten  sämmtlicher  Inseln  mit  2  verschiedenen  Japani- 
schen Charten  scharfsinnige  Vergleichungen  an.  Dieser  Vergleichung 
der  Krusenstern'schen  Arbeit  mit  den  Japanischen  Originalcharten  ,  die 
sich  jetzt  in  Europa  befinden,  geht  eine  kui'ze  Beschreibung  voraus. 
Alle  diese  Japanischen  Charten  führen  einen  Titel,  der  zugleich  eine 
statistische  Uebersicht  des  Reichs  giebt,  und  der  mit  den  Worten  be- 
ginnt: „Generalcharte  von  Japan  mit  den  Gränzen  der  66  von  Fürsten 
regierten  Provinzen ,  die  in  ihren  Provinzen  eine  monarchische  Gewalt 
ausüben,  jedoch  zugleich  einem  souverainen  Monarchen  unterworfen 
sind  etc."  Weiterhin  wird  gesagt,  dass  der  grosse  Monarch  von  Japan 
nach  seiner  Grösse  und  Macht  den  Titel  Selbstherrscher  unter  dem  Mond 
führe,  und  dass  er  die  Fürsten  wechseln  und  nach  Gutdünken  strafen 
könne.  Ueber  den  Inhalt  der  Erläuterung  selbst  muss  Rez.  einige 
kleine  Bemerkungen  machen.  Bey  der  Angabe  der  Ausdehnung  der 
Ilauptinsel  Nipon  muss  entweder  eine  Irrung  oder  ein  Druckfehler  sich 
eingeschlichen  haben.  Denn  von  dieser  lieisst  es  S.  360:  sie  hat  in 
der  Richtung  N.O.  und  S.W.  eine  Ausdehnung  von  mehr  als  100  M. 
(Milles),  ihre  Breite  variirt  zwischen  50  und  150  M.  Sollte  es  nun 
statt  100  etwa  1000  heissen?  Aber  diese  Zahl  möchte  wiederum  um 
Vieles  zu  hoch  seyn.  Denn  nach  den  Charten,  die  Rez.  besitzt,  be- 
trägt die  Ausdehnung  von  S.W.  nach  N.O.  170  g.  M.  oder  600  Milles 
(60  auf  einen  Grad).  Dann  wird  aus  Versehen  die  Prov.  Jetsingo  2 
Mahl  angeführt,  und  zwar  das  erste  Mahl  im  W.  der  Halbinsel  Noto, 
zwischen  Wakusa  und  Kuga,  und  das  zweite  Mahl  weiter  nördlich  zwi- 


Neue  gcograplileche  und  statistische  Ephemeridcn.  433 

eclien  Jetsiu  und  Dewa,  wo  sie  auch  wirklich  hing-ehört.  Freilich  ist 
zu  niissbilligen,  dass  zum  Längcnmaasse  bald  Lieucs  bald  Millcs  (doch 
wohl  60  1  Grad  ? )  gebraucht  worden  sind ,  weil  diese  Abwechslung 
nur  zu  leicht  zu  Irrungen  führen  kann.  —  9.  Beitrag  zu  der  Hydro- 
graphie von  Hailij.  (Von  T.  Jiromme  zu  Dresden.)  Dieses  vielleicht  zu 
sehr  ins  Detail  gehende  Gemähide  sämtlicher  GcAvässer,  selbst  der 
unbedeutendsten,  die  wohl  nur  für  sehr  wenige  Liebhaber  der  Geo- 
graphie einiges  Interesse  halten  hönncn,  beschäftigt  sich  nur  mit  dem 
vormahls  Französischen  Antheil  der  Insel.  Der  Artibonite  bleibt  der 
wichtigste  Fluss  St.  Domingo  s.  —  B)  f  ermischte  Nachrichten:  1)  Ilc- 
gulirung  der  gutsherrlichen  und  bauerlichen  Verhältnisse  in  Pommern. 
Bis  zum  Schlüsse  des  J.  182G  waren  in  2,022  Dörfern  und  Städten  neben 
den  eigentlichen  Regulirnngen  aucii  Geraeinhutstheilungen ,  Aufhe- 
bungen von  Servituten  und  Dienstablösnngen  anhängig  gemacht  wor- 
den, wovon  noch  770  obwalteten.  8,056  Bauerfamilien  hatten,  nach 
geschehener  Abfindung  ihrer  Gutsherren,  848,880  Morgen  Land  zum 
freyen ,  eigenthümlichen  Besitz  erhalten ,  deren  Werth  auf  3,064,000 
Rthlr.  angeschlagen  wurde.  Auch  waren  bis  dahi^  2,014,000  Natural- 
dienste  abgelöset ,  wofür  die  betreffenden  Gutsherren  11,278,400  Thlr. 
Ersatz  erhalten  hatten.  Ueberhaupt  waren  schon  mehr  als  3  Mili. 
Morgen  Land  ganz  ausser  Gemeinschaft  gesetzt,  und  von  allen  Ser- 
vituten befreyt.  —  2)  Staatsvertrag  zuuschen  Hannover  und  der  freyen 
Stadt  Bremen.  Dieser  betrifft  die  Abtretung  von  75  Morgen  Land  an 
der  Weser  und  Geeste  zur  Anlegung  eines  nenen  Havens  für  Schiffe 
von  120  Lasten  an  die  Stadt  Bremen  gegen  die  Summe  von  35,000 
Rthlr.  Dieser  Haven  soll  mit  den  nöthigen  Etablissements  versehen 
werden  und  den  Nahmen  Bremerhaven  empfangen.  —  3.  Malte  Bruun. 
Nekrolog.  (\.  G.  v.  Ekendahl. )  Diese  Biographie  des  um  die  Geo- 
graphie so  verdienten  Dänischen  Gelehrten  scheint  mit  aller  Unpar- 
theillchkeit  verabfasst  zu  seyn.  —  4.  IN^eue  Eintheilung  des  Staats  Chile. 
Dieser  zerfällt  jetzt  in  folgende  8  Provinzen:  1)  Coquimbo  (=  1503 
□M.  30,000  E.)  mit  der  Hst.  Ciudad  de  Serena.  2)  Aconcagua  (=  422 
DM.  100,000  E.)  mit  der  Hst.  Ciudad  de  Felipe.  3)  S.  Jago  (  =  400 
DM.  180,000  E.)  mit  der  Hst.  gl.  N.  4)  Colchagua  (=  383  DM. 
130,000  E.)  mit  der  Hst.  Villa  de  Curlio.  5)  Maule  (=  189  DM. 
50,000  E.)  mit  der  HSt.  Villa  de  Canqnenea.  6)  Conception  (==  246 
DM.  70,000  E  )  mit  der  HSt.  gl.  N.  7)  Valdivia  C=  35  DM.  7000  E.) 
mit  der  IlSt.  gl.  N.  S)  Chiloe  C=  172^  D^.  35,000  E.)  mit  der  HSt. 
Castro.  Der  ganze  Staat  enthält  also  nur  3,348|  DM.  und  602,000  E. 
—  5.  JiJinige  authentische  Nachrichten  über  Paraguay.  ( Auszüge  aus 
Rengger  und  Longchamp  Essai  historique  sur  la  revolution  de  Para- 
guay etc.^  Dieser  Staat  begreift  ausser  dem  eigentlichen  Paraguay, 
dessen  Umfang  auf  10,000  D  Leguas  berechnet  werden  kann ,  noch 
seit  Vertreibung  der  Jesuiten  den  wenig  beträchtlichem  ("?)  Distrikt 
zwischen  dem  Parana  in  Uruguay.  ( Doch  wohl  nur  der  schmale 
Landstrich  in  N.O.  des  Sees  Ybera,  zwischen  Brasilien  und  Entre 
Rios?^  Die  Population  ist  noch  immer  so  gering,  dass  sie  schwer- 
Jahrb.  f.  Fliil.  u.  Fädag.  Jahr.  V.  Heft  4.  28 


434  Geograplile   und  Statistik. 

lieh  ilher  200,000  Seelen  steigen  kann.  (Also  wäre  die  neuere  Angabe 
von  000,000  K.  um  ^  /u  hoch ,  was  allerdings  sehr  glaubhaft  ist ,  weil 
das  Land  um  das  J.  1790  kaum  97,000  Menschen  auizuweisen  hatte.) 
Unter  dieser  Summe  machen  die  Weissen  -j^ ,  die  Indianer  jL  und  die 
Schwarzen  ,  Mestizen  und  Mulatten  j^  aus.  Die  Indianer  sind  zMar 
frey,  können  aber  zu  keinem  Amte  gelangen,  und  eben  so  wenig  die 
Farbigen.  —  C.  Veber  die  Erscheinung  der  zineyten  Hälfte  des  von 
Krusenstern' sehen  Atlasses  vnd  dessen  Inhalt,  Mitgctheilt  vom  Hrn. 
K.R.  von  Pfeiffer.  Dieser  Aufsatz  setzt  den  Werth  dieses  Atlasses, 
die  grossen  \  erdienste  seines  Verf.  in  ein  helles  Licht ,  und  schliesst 
mit  einer  kurzen  Skizze  der  darin  aufgenommenen  Inseln  des  Oest- 
lichen  Ozeans.  —  7.  Areal  und  Folksnienge  von  Schireden  im  J.  1825. 
Schweden  an  sich  enthält  18fil,2'^  DM.  947,341  E.  Göthaland  1051,80 
DM.  I,fi08,293  E.  und  Norrland  4243,^«  DM.  19(»,238  E.  Hierzu  die 
4  grossen  Landseen  =  166,^5  DM.  In  Summa  =  7927,-/^^^  DM.  und 
2,751,878  E.  (Durch  einen  Druckfehler  stehen  hier  7837,  '^o  DM. 
und  2,751,582  E. )  Das  Menschenkapital  ist  also  auch  im  nördlichen 
Schweden  im  Steigen,  und  hat  sich  in  15  Jahren  (im  J.  1810  zählte 
es  erst  2,337,851  K.)  um  414,027  Ind.  vermehrt.  Die  IlSt.  Stockholm 
hatte  77,258  E.  —  8.  Details  über  Capilän  Fraiiklins  Expedition.  Der 
Hauptzweck  derselben  war  bekanntlich  die  Auffindung  eines  fahrbaren 
Durchganges  westlich  von  der  Mündung  des  Mackcnzie  -  Stroms  nach  der 
Behringsstrasse.  Allein  sie  musste,  nachdem  sie  fast  den  150*^  WL. 
erreicht,  und  mehr  als  die  Hälfte  des  Wegs  zum  Eiskap  zurückgorfegt 
hatte,  wegen  der  zu  weit  vorgerückten  Jahreszeit,  ohne  das  Ziel  er- 
reicht zu  haben ,  wieder  umkehren.  —  Diesem  Bande  ist  eine  sehr 
instruktive  lilhographirte  Charte  von  der  Behringsstrasse  und  dem 
nordöstlichen  Theile  Sibiriens  beigelegt.  Sie  führt  den  Titel :  Das 
Eismeer,  die  Behringsstrasse  und  ein  Theil  des  Oestlichen  Ozeans,  mit 
den.  Küsten  des  Landes  der  Tschiiktschen  und  Nord- Amerika" s.  In  Mer- 
cator's  Projektion,  nach  einem  Russischen  Original.  1827;  und  reicht 
von  (>0'>  bis  77»  30'  n.  Br.  und  vom  löO»  bis  200"  ö.  L.  Auch  sind 
auf  derselben  einige  der  neuern  Seereisen  angedeutet. 

XXIII  Band.  A)  Abhandlungen:  1.  Philadelphia.  Eine  geogra- 
phisch -  statistische  Skizze ,  von  T.  Brome  in  Dresden.  Bey  dieser 
im  Ganzen  gut  gerathenen  Beschreibung  ist,  wenn  man  nicht  über 
den  Handel,  den  Werth  der  Aus-  und  Einfuhr  ganz  genaue  Details 
verlangt ,  kein  bemerkenswerthcr  Umstand  ausser  Acht  gelassen  ,  ob- 
echon  Rez.  darin  nichts  Neues  gefunden  hat:  was  man  aber  auch  von 
einer  so  häufig  besuchten  und  beschriebenen  Stadt  nicht  anders  er- 
warten darf.  Doch  hätte  Rez,  gewünscht,  dass  die  einzelnen  Gegen- 
stände etwas  sorgfältiger  geschieden ,  und  in  besondern  Rubriken  (An- 
lage, Bauart,  merkwürdige  öffentliche  Gebäude,  Kirchen,  Wohlthä- 
tigkeitsanstalten ,  Bildungs- Institute ,  Gewerbe,  Handel  etc.)  abge- 
theilt  worden  wären.  Philadelphia  ist  jetzt  in  20  Wards  abgetheilt, 
enthält  5  öifentliche  Plätze,  32  Hauptstrassen,  die  durch  900  zwey- 
armige  Laternen  erleuchtet  werden ,  59  Kirchen  und  Bethäuser,  17300 


Neue  geographische   und  statistische  Ephcmeriden.  435 

Häuser  und  loß,280  Einwohner.  —  2.  Ansichten  des  Archipelx.  (Aus 
der  Reise  des  Arztes  Bignon  ,  gemacht  auf  der  Corvette  Bayaderc  1826, 
Journ.  des  voyag.  1820.)  Dieses  ziemlich  flüchtig  aher  iu  einem  hlü- 
henden  Styl  niedeigeschriehenc  Bruchstück  thcilt  im  Ganzen  nur  über 
die  Kykladen  Milo  u.  Syra,  so  wie  über  Smyrna  interessante  Notizen 
mit,  Milo  ist  nicht  mehr  jene  produktenreiche  und  von  blühender 
Vegetation  strotzende  Insel,  wie  sie  Tournefort  schildert;  vielmehr 
ist  ihr  Anblick  wild  und  traurig,  und  weder  Bergenocli  Thälcr  ken- 
nen einige  Kultur.  Wegen  ihrer  Arniuth  ist  sie  indess  der  Habgier 
der  Osnianen  entgangen  ,  und  daher  der  Zufluchtsort  einer  Menge  un- 
glücklicher Hellenen  vorzüglich  aus  Kandia  geworden,  denen  es  ge- 
lang, sich  der  Wuth  ihrer  Unterdrücker  zu  entziehen.  Höchst  nie- 
derschlagend ist  aher  die  Schilderung  von  dem  schrecklichen  Elend, 
dem  diese  Unglücklichen  hier  Preis  gegeben  sind.  Der  Hauptort  der 
Insel,  Castro,  klebt  an  dem  höchsten  Giplel  eines  spitzgehauenen  Fel- 
senbergs,  dessen  steiler  Abhang  mühsam  zu  erklettern  ist,  und  ist  ein 
Chaos  kleiner  schlecht  aussehender  Häuser,  die  terrassenweise  hinauf- 
gebaut sind.  Die  Insel  umfasst  jetzt  gegen  5000  Einw.  —  Syra  wird 
von  5  bis  6C00  kathol.  Hellenen  bewohnt.  Ein  Firman  des  Grossherrn 
beschützt  sie  gegen  die  Bedrückungen  der  Türken,  und  diesen  haben 
sie  als  Belohnung  für  die  Neutralität  erhalten,  welche  sie  sich  zur  Zeit 
des  Insurrektionskrieges  zum  Gesetz  gemacht  hahen ,  weshalb  sie  aher 
von  den  andern  Hellenen  wie  Verräther  hehandelt  werden.  Diese 
Verhältnisse  haben  sie  genöthigt,  sich  alles  Handels  zu  enthalten,  und 
darum  wird  gegenwärtig  der  ganze  übrigens  lebhafte  Handel  von 
Fremden  getrieben,  denen  auch  die  Waarenlager  gehören.  Auch  hie- 
her  haben  sich  eine  Menge  Hellenen  geflüchtet,  welche  der  Verwü- 
stung der  andern  Inseln  entkommen  sind.  Diese  haben  sich  am  Ab- 
hänge eines  wilden  Felsens  elende  zum  Theil  in  die  Erde  gegrabene 
Hütten  errichtet,  in  welchen  die  Unglücklichen,  halb  nackt,  von  Al- 
lem beraubt,  ihr  jammervolles  Daseyn  hinschleppen,  aber  auch  hier 
nicht  gegen  die  Ueberfälle  der  Albanesischen  Seeräuber  geschützt  sind. 
Das  alte  Syros  galt  einst  für  eine  der  fruchtbarsten  der  Kykladen, 
jetzt  bringt  sie  aber  kaum  soviel  hervor,  als  zur  Erhaltung  ihrer  Be- 
wohner nöthig  ist.  —  3.  JVeite  Eintheilung  des  Herzogilnims  Braun- 
schweig. (  Vom  Hrn,  Pastor  Cannabich.  )  Dieser  Staat  hat  also  eine 
abermahlige  Abänderung  in  seiner  Innern  Vertheilung,  Verwaltung  er- 
fahren, die  jedoch,  wie  Rez.  mit  Vergnügen  bemerkt  hat,  um  Meles 
gleichförmiger  als  die  vorige  (in  0  Distr,  von  sehr  verschiedenem  Um- 
fange,  und  in  2  St.idt-  und  19  Kreisgerichte)  getrofTeu  worden  ist. 
Nach  der  neuen  Eintheilung  zerfällt  der  Staat  ebenfalls  in  6  jedoch 
an  Grösse  nun  ziemlich  gleiche  Distr,,  die  zusammen  2  Stadtgerichte 
(und  22  Kreisämter  in  sich  fassen ,  nähmlich  1)  D.  Braunschweig 
lli  DM.  5T,8Ü0  E.),  2)  D.  Wolfenbüttcl  (10^  DM.  45,100  E.),  3)  D. 
Helmstädt  (151  gji_  41,0fl0E.),  4)  D.  Gandersheim  (11^  □M.3(),((C0  E.), 
5)  D.  Ilolzmindeu  ( ISf  DM.  37,300  E.)  und  6)  D,  Blankeisburg  (10^ 
DM.  23,000  E.).    Späterhin  ist  die  Preussische  Enciave  Kalvörde  vom 

28* 


436  Geographie  und   Statistik, 

Kr.  A.  Vorsfelde  getrennt  und  7AI  einem  besondern  Kreisamte  erhoLen 
worden ,  so  dass  die  Zahl  der  Kr.  A.  nnn  auf  23  steigt.  Das  Herzog- 
thum  zählt  also  jetzt  auf  73  [JM.  240,200  Indiv.  —  4.  Sitten  tind  Ge- 
bräuche der  Einwohner  von  Neu  -  Seeland.  Von  R.  S.  Lesson.  (Aus  dem 
Journ.  des  Voyages.)  Ein  trefflich  gerathnes  in  einem  körnigen  Styl 
verabfasstcs  Geniählde  dieses  so  interessanten  Inselvolks ,  das  gewiss 
Jeder  mit  Vergnügen  lesen  wird.  Rez.  bekennt  ofTen ,  dass  ihm  das- 
selbe unter  allen  bisherigen  Schilderungen  der  Keu- Seeländer  am 
meisten  befriedigt  habe.  Zum  Beweis  dieser  Behauptung  kann  er  sich 
nicht  enthalten,  hier  wenigstens  einige  Stellen  zur  Beurtheilung  ein- 
zurücken: „Die  Neu-Seeländer  haben  viele  Achnlichkeit  mit  den  alten 
Spartanern;  das  Leben  i^t  ihnen  gleichgültig,  und  sie  trotzen  dem 
Tode  mit  Muth,  ja  ich  möchte  sagen,  selbst  mit  Grösse.  Alle  ihre 
Gedanken  sind  auf  den  Kampf  gerichtet;  der  Krieg  allein  macht  das 
einzige  Vergnügen  ihres  Lebens ,  und  schon  von  der  frühesten  Jugend 
an  sucht  man  die  Phantasie  der  Kinder  durch  die  Erzählung  der  Tha- 
ten  ihrer  Aeltern  oder  Verwandten  zu  entflammen  und  in  ihren  Herzen 
den  unauslöschlichen  Durst  nach  Kampf  und  Gefahr  zu  erzeugen. 
Früh  schon  weiss  der  kleine  Knabe  seine  Würde  zu  schätzen ;  er  weiss, 
dass  keine  Frau  das  Recht  hat,  Hand  an  ihn  zu  legen,  und  dass  er 
seine  Mutter  schlagen  kann ,  ohne  dass  sie  sich  auch  nur  beklagen 
darf,  dass  es  ihm  als  Vorspiel  des  Schreckens,  das  er  am  Tage  des 
Gefechts  unter  den  feindlichen  Stämmen  verbreiten  soll,  erlaubt  ist, 
seine  Sklaven  zu  miisshandcln.  Sonderbar  ist  es  nach  alledem ,  dass 
der  Adel  des  Kindes  von  der  Mutter  herrührt,  und  dass  es  um  so  hö- 
her geschätzt  wird,  von  je  höhcrem  Range  die  Mutter  war,"  Dann 
sagt  er  von  der  Anthropophagie:  ,,Die  entsetzlichste  Sitte  der  N.  S.  ist 
ihre  Menschenfresserey ,  der  kein  Volk  so  offen  und  auf  eine  so  empö- 
rende Weise  ergeben  ist ,  wie  sie.  Diese  rohen  Menschen  geniessen 
voll  Rachsucht  und  Blutgier  das  noch  zuckende  Fleisch  der  unter  ihren 
Streichen  gefallenen  Feinde  mit  dem  lebhaftesten  Vergnügen.  Durch 
diesen  fürchterlichen  Gebrauch  haben  sie  am  Menschenfleischc  Ge- 
schmack gefunden  ,  und  sie  sehen  die  Gelegenheiten ,  wo  sie  diesen 
abscheulichen  Appetit  befriedigen  können ,  als  glückliche  Festtage 
an"  etc.  —  5.  Die  Insel  Sardinien.  Vom  Hrn.  Dr.  Aug.  Hörschelraann. 
Dieser  Aufsatz  ist  ein  Auszug  aus  dem  grössern  Werke  des  Verf.  (  Ge- 
schichte, Geographie  und  Statistik  der  Insel  Sardinien ,  nach  Miniaut 
und  Marmora  bearbeitet)  und  beschränkt  sich  fast  lediglich  auf  eine 
Uebersicht  der  von  Mimaut  beschriebenen  Kantone ,  nach  der  veralte- 
ten Eintheihing  in  die  4  Provinzen:  Cagliari,  Arborea,  Logodori  und 
Galluva.  Hr.  D.  Hörscheluiann  nennt  diese  zwar  die  natürlichste  und 
gebräuchlichste;  doch  mag  Rez.  diese  Behauptung  keinesweges  unter- 
schreiben, denn  er  glaubt,  dass  gegenwärtig  die  neue  Eintheilung  in 
10  Provinzen  die  gebräuchlidiste  seyn  werde.  Doch  konnte  von  der- 
selben noch  kein  Gebrauch  gemacht  werden,  weil  wir  ihre  Gränzennocli 
nicht  kennen.  Aufgefallen  ist  es  Rez. ,  dass  der  Verf.  hier  von  der 
Hauptstadt  Cagliari  nichts  weiter  bemerkt,  als  dass  zwar  Azuni  der- 


Neue  geographische  und  statiätiäche  Ephcmcrlden.  437 

selben  S5,000  und  Cossu  25,000  E.  gegeben  habe,  dass  sie  deren  aber 
gegenwärtig  nicht  mehr  als  21,000  enthalte,  da  er  dodi  von  selbiger 
in  seinem  oben  angezogenen  Werke  auss  iVIiniaiit  so  viel  interessante 
topographische  IVotizcn  mittheilt.  Uebrigena  ist  Mimauts  Schätznng 
wohl  zu  geringe,  da  eine  offizielle  Zählung  die  Volkszalil  von  Cagliari 
zu  21,356  E.  bestimmt.  Die  Beschreibung  der  einzelnen  Kantone  ge- 
währt, zumahl  in  Bezug  ihrer  Produkte,  und  ihres  stärkern  oder  ge- 
ringern Anbaus,  eine  befriedigende  Uebcrsicht.  —  7.  Tagebuch  einer 
Heise  auf  dem  Flusse  Sanloun.  (Aus  d.  Nouv.  Annal.  des  Voyages. ) 
Dieser  vielleicht  für  Deutsche  Leser  etwas  zu  ausführliche  Reisebericht 
ist,  allem  Vermuthen  nach  nur  ein  Vorläufer  grösserer  und  umfassen- 
derer Beschreibungen  der  noch  so  wenig  gekannten  Prov.  Martaban 
in  Tenasserim,  und  darum  gewiss  willkommen.  Der  Sanloun  oder 
Suluan ,  auch  Martaban ,  bildet  nun  die  nördliche  Gränze  der  Britti- 
schen Prov.  Martaban  gegen  Birman.  Wir  erfahren  aus  diesem  Be- 
richte, dass  dieser  Strom  sehr  wahrscheinlich  in  der  Ilochgebirgskette 
im  N.  von  Laos  entspringt,  und  zwischen  der  Ilauptkette  der  Zentral- 
gebirge und  einer  andern  niedrigem  fliesst,  dass  er  im  Ganzen  nur 
30  gMl.  weit  schiffbar  ist,  und  dass  seine  sehr  fruchtbaren,  dabey 
oft  mit  pittoresken  Felsenraassen  besetzten  Ufer  sehr  schwach  und 
meist  von  Kariunern  bewohnt  sind.  Sonderbar  ist  es,  dass  in  diesem 
Berichte  der  Stadt  Martaban ,  bey  welcher  der  Fluss  doch  seine  Mün- 
dung findet ,  weiter  gar  nicht  gedacht  wird;  denn  er  beginnt  mit  den 
Worten:  „Die  mit  der  Untersuchung  dieses  Flusses  beauftragten  Engli- 
schen Offiziere  verliessen  am  20  März  1826  Rangoun  und  gingen  strom- 
aufwärts. Sie  passirten  bey  zwey  ebenen,  mit  Kräutern  bedeckten 
Felsen  vorbey,  die  über  der  Einmündung  des  Ghyein  liegen.  An  die- 
ser Stelle  ist  der  Sanloun  i  Ml.  breit."  etc.  —  7.  Die  Französischen 
Colonien  am  Senegal.  (^Aus  dem  Journ.  des  Voyag.  1827.)  Mit  Recht 
sagt  der  Redakteur  in  einer  Kote  ,  dass  diess  die  erste  vollständige 
geogr.  Statist.  Beschreibung  sey,  die  wir  von  diesen  Kolonien  besitzen, 
und  desshalb  als  ein  wesentlicher  Beytrag  zur  Erdkunde  von  Afrika 
willkommen  seyn  Averde.  Sie  ist  aus  den  an  diis  Marine-Ministerium 
abgestatteten  offiziellen  Berichten  gezogen  und  straft  die  Behauptun- 
gen der  Englischen  Zeitungen,  dass  die  Französischen  Niederlassun- 
gen sich  in  einem  noch  traurigem  Zustande  befänden ,  als  die  Britti- 
schen,  offenbar  Lügen.  Diese  Niederlassungen  bestehen;  1)  in  der 
Senegalinsel  S.  Louis,  welche  jetzt  urbar  gemacht  ist,  und  wo  diegleich- 
nahmige  Hauptstadt  von  217  aus  Backsteinen  gebauten  Häusern  und 
572  der  Regierung  gehörigen  Magazinen  besteht.  Das  Gouvern,  gl.  N. 
befasst  ausserdem  die  Inseln  Babaghe,  Safal  und  Gheber  und  die  am 
Senegal  liegenden  Etablissements  Bakel  und  Bakana,  und  zählt  zus. 
10,305  Menschen  (220  Weisse,  642  freye  Mulatten,  1475  freye  Neger 
und  7,968  Negersklaven. )  2)  dem  Gouvern.  Goree ,  welches  die  Insel 
d.  N. ,  die  Magdaleneninseln  und  das  Komptoir  in  Albreda  in  sich 
schliesst,  und  5825  M.  (40  Weisse,  713  freye  Mulatten,  743  freye 
Neger,  und  4,329  Negersklaven)  enthält.     Von  der  Hptst.  Goree  wird 


488  Geographie  und  Statistik. 

weiter  nichts  gesagt ,  als  ilass  eine  Kaserne  für  200  M.  ihr  einziges 
üiTentliches  Gehäude  sey.  Ausserdem  verdienen  auch  noch  die  neuen 
seit  1821  von  der  Regierung  errichteten  IViederlassungcn  und  Pflan- 
zungen für  den  Ackerbau  im  Lande  Wallo  oder  Hnwal  Erwähnung. 
Diese  liegen  am  linken  Ufer  des  Senegal  und  liiihen  sich  sclion  so 
vermehrt,  dass  eine  Eintheilnng  des  Gebiets  in  4  Kantone  nötliig  ge- 
worden ist.  Doch  wird  leider  nicht  bemerkt,  ob  diese  Pflanzungen 
von  Weissen  oder  von  freyen  Negern  besorgt  werden;  indessen  ist  das 
letztere  am  wahrscheinlichsten.  —  8.  Uebcr  die  auf  Befehl  der  Brittl- 
ichen  Regierung  zur  Untersuchung  der  Küsten  Siid-/i7nerika''s  und  zur 
Erforschung  der  Magellanischen  Meerenge  von  den  Capitünen  King  imd 
Slokcs  unternommene  Expedition.  (  Ans  der  London  Litcrary  Gazette 
1827.)  Die  Resultate  dieser  Erforschung  der  von  ihrer  Entdeckung 
bis  auf  unsere  Zeiten  wegen  ihrer  grossen  Gefährlichkeit  in  so  üblem 
Ruf  stehenden  Magellanischen  Meerenge  sind:  1)  dass  aUe  in  dersel- 
ben in  Menge  vorhandenen  Buchten  und  Bayen  bloss  als  Löcher  oder 
Lücken  der  steilen,  gewöhnlich  über  1000,  oft  2  —  3000  Fuss  per- 
pendikulär  aus  dem  Meere^  emporsteigenden  Küste  anzusehen  sind, 
welche  schon  wegen  ihrer  zu  grossen,  50  —  60  Fäden  betragenden 
Tiefe  keinen  Ankerplatz  darbieten;  2,)  dass  die  Annäherung  an  diese 
furchtbaren  Küsten  für  grosse  Fahrzeuge  höchst  sclnvierig  und  mit 
grosser  Gefahr  verbunden  ist,  weil  auf  tiefe  Windstille  öfters  ganz 
unerwartet  heftiger  Sturm  folgt;  3)  dass  die  im  westlichen  Theile  der 
Meerenge  gewöhnlich  herrschenden  heftigen  Westwinde,  die  so  häufig 
stattfindenden  dichten  Nebel,  und  das  durch  die  häufigen  und  starken 
Regengüsse  erzeugte  ungesunde  Klima  die  Fahrt  durch  diese  Meerenge 
noch  mehr  erscliAveren ;  und  4)  dass  aus  diesen  Gründen  die  Fahrt 
um  das  Kap  Hörn  herum  durchaus  immerdar  den  Vorzug  verdienen 
werde.  Die  Britten  fanden  an  diesen  Küsten  2  verschiedene  Men- 
schenrassen ,  Patagonier  und  Pescheräs  oder  Feuerländer.  Letztere 
beschränken  sich  nicht  bloss  auf  das  Feuerland  ,  sondern  wurden  auch, 
wiewohl  in  geringer  Zahl ,  am  nördlichen  Ufer  in  dem  weiten  Striche 
zwischen  den  Kaps  Negro  und  Victory  gesehen.  Die  Patagonier  stell- 
ten sich  zu  Pferde  allerdings  als  ein  sehr  grosser  Menschenschlag  dar; 
allein  diese  Täuschung  verschwand  ganz  und  gar,  als  sie  von  den 
Pferden  gestiegen  waren.  Dieser  sonderbare  Umstand  erklärte  sich 
dadurch,  dass  ihr  Oberkörper  unverhältnissmässig  hoch,  aber  ihre 
Füsse  ungewöhnlich  kurz  sind,  wesshalb  sie,  wenn  sie  sitzen,  in  der 
That  ein  riesenniässiges  Ansehen  haben.  Ihr  gewöhnliches  Maass  war 
5  F.  8  — 10  Z.  und  nur  die  Längsten  unter  allen  hielten  6  F.  1^  Z. 
Nach  der  Meinung  der  Britten  —  die  von  ilmen  während  des  häufigen 
Verkehrs  stets  auf  das  freundschaftlichste  aufgenommen  und  behan- 
delt wurden,  —  gehören  sie  zum  Stamme  der  Pampas- Indianer  ,  mit 
denen  sie  auch  einen  lebhaften  Verkehr  unterhalten.  Die  Feuerländer 
feind  ein  weit  erbärmlicherer  und  hässlicherer  Schlag  als  die  Patago- 
nier, und  kaum  5.|  F.  lang.  Weder  bey  Männern  noch  bey  Frauen 
wurde  eine    Spur  von   Kraft  oder  Thätigkeit  wahrgenommen.     Ihre 


Neue  g-eograpliisclic  und  statistische  Ephciuerlcleii.  439 

Nahrung  besteht  bloss  in  Austern ,  Mnscheln ,  Scliiilthleren ,  Von^el- 
eyern ,  in  den  Beeren  einiger  Sträuehcr  und  in  einer  am  Meeresiufer 
wachsenden  Wurzel.  Auch  zeigten  sie  kein  Gefiilil  von  Dankbarkeit. 
Nur  der  zwisclien  dem  St.  Ilicronynius- Kanal  und  deiu  Kaj»  (>allant 
liegende  Theil  der  Küste  Patagoniens  gewährt  den  Anblick  einer  rei- 
zenden Landscliaft.  —  B)  Jcrvilfichle  Nachrichten:  1)  Englische  Be- 
sitznahme der  Insel  Fernando  Pao.  (Aus  den  New-Tiines.)  Diese  ii  M. 
lange  und  4  breite  Insel  ist  eine  der  Gninea-Inseln,  liegt  in  der  Bucht 
von  Biafara,  nahe  an  der  Küste,  und  hat  in  der  Mitte  2  gegen  2000  F. 
hohe  Berge,  ein  mildes,  Mcniger  ungesundes  Klima,  einen  frucht- 
baren durch  Bäche  gut  bewässerten,  stark  bewaldeten  Boden,  einen 
gchönen  llaven  in  einem  geräumigen  Bay  (bey  welchem  der  Ilaupt- 
ort  angelegt  wird),  und  eine  Bevölkerung  von  ein  paar  1000  In- 
dividuen, die  sich  den  Negern  nähern,  und  wahrscheinlich  ein  Misch- 
lingsvölkchen ausmachen,  das  bey  aller  Rohheit  ziemlich  gutartig 
ist.  —  2)  Capitän  Beechey's  Entdeckungsreise.  Das  von  demselben  be- 
fehligte Schiff  The  Blossom  verliess  zu  Ende  Oktbr.  1825  Valparaiso, 
wurde,  als  es  die  Oster-Insel  erreichte,  feindselig  von  den  Einge- 
bohrnen  empfangen,  dass  zerschbigene  Köpfe  davon  die  Folge  waren, 
besuchte  darauf  die  Pitcairn's- Insel,  wo  die  unter  der  Leitung  des 
Patriarchen  John  Adams  lebende  Bevölkerung  auf  (50  Personen  ange- 
wachsen war,  und  schon  Besorgniss  erregte,  dass  die  Produkte  unzu- 
reichend für  ihren  Unterhalt  werden  würden  ,  langte  hierauf  bey  den 
reizenden  Gurabiers  -  Inseln  an,  wo  es  die  feindseligen  Angriffe  der 
zahlreichen  Insulaner  einige  Mahl  durch  Kanonenschüsse  und  Muske- 
tensalven zurückweisen  musste.  Hierauf  gieng  es  über  Taiti  nach 
Owaihi,  wo  jetzt  die  Missionaire  die  Eingebohrnen  ,  aber,  wie  es 
scheinen  möchte,  nicht  sonderlich  zu  deren  Vortheil,  zu  bekehren 
suchen,  und  von  da  na(;h  der  Awatoka-Bay  auf  Kamtschatka,  mo  es, 
seltsam  genug,  Briefe  und  Päcktchen  aus  England  erhielt,  von  denen 
einer  über  Land  durch  Russland  gewandert,  und  ein  anderer  durch 
Baron  Wrangel  von  Süd- Amerika  gebracht  war,  und  setzte  dann  seine 
Reise  nach  dem  Kotzebue-Sund  fort,  avo  es  überwinterte. —  3)  Neuere 
Bevölkerung  der  Ionischen  Inseln.  Diese  hat  sich  seit  dem  J.  1814,  also 
unter  Brittischer  Oberherrlichkeit,  bedeutend  vermindert.  Denn  in 
jenem  Jahre  zählte  mau  218,211 ,  im  J  1825  aber  nur  175  378  Köpfe. 
Davon  lebten  auf  Korfu  48,737,  auf  Paxo  3,970,  auf  Zante  40,0ß3, 
auf  Kephalonia  48,857,  auf  Theaki  8,200,  auf  St.  Maura  17,425,  und 
auf  Kerigo  8,146. —  4)  Statistische  Nachrichte7i  über  den  Mexiko  -  Staat 
Durango.  Er  enthält  auf  7,638.^  DM.  177,400  Einw.  in  Ciudade  (  die 
Hptst.  Durango  von  1350  II.  m.  13,890  E.)  ,  4  Villas  ,  110  Ortschaften, 
120  Meyereyen ,  300  Viehhöfen,  60  Pfarreyen,  15  Missionen  und  5 
Presidios ,  und  ist  in  4  Distrikte  und  15  Alcaldias  abgetheilt.  Das 
Bergwerk-Revier  d.  N.  fzu  welchem  aber  auch  Chihuahua  und  So- 
nora-Sinulva  gehören)  liefert  im  Durchschnitte  jährlich  400,000  Mark 
Silber.  —  5.  Biographische  Notiz  über  Belzoni.  (Von  Depping, 
aus  dem  Annuaire  necrologique  de  1826.)     Die  hier  recht  gut  geschil- 


440  Geographie  und  Statistik. 

derten  sonderbaren  Schicksale  des  kühnen,  mit  einer  ungewöhnlichen 
Körijcrstärke  begabten  Reisenden  Bclzoni  werden  auch  denjenigen  in- 
teressiren ,  der  an  dessen  Plänen  und  Vorhaben  weiter  keinen  Antheil 
nahm.  Sein  so  sehr  abgehärteter  Körper  musste  doch  endlich  in 
seinen  besten  Jahren ,  —  er  war  kaum  45  Jahr  alt  —  einer  Dysenterie 
unterliegen.  —  6)  Statistische  Notizen  über  die  Brittischen  Inseln.  Sehr 
interessant  und  reich  an  Daten  und  Zahlen.  Im  J.  1820  zählte  man 
4,253,4i(»  Familien ,  von  denen  sich  l,lü8,18ß  mit  dem  Ackerbau, 
1,(»77,8S0  mit  Fabriken  und  Gewerben  beschäftigten ,  und  1,317,344 
nicht  produzirende  Familien  waren.  Die  Volkszalil  bestand ,  ausser 
320,000  Militär  und  30,000  Matrosen ,  aus  20,874,159  Köpfen,  wovon 
11,2()1,477  auf  das  eigentliche  England  ,  717,438  auf  Wales,  2,003,456 
auf  Scho^thind,  und  6,801,828  auf  Irrland  kamen.  —  7)  Ueber  die 
Inseln  Guernsey  und  Jersey.  Diese  beyden  Normannischen  Inseln  ha- 
ben seit  einigen  Jahren  für  den  Handel  eine  grosse  Wichtigkeit  er- 
langt ,  und  die  Zahl  ihrer  Bewohner  hat  sich  besonders  durch  Znfluss 
aus  England  auf  eine  ausserordentliche  Weise  vermehrt.  Guernsey 
enthält  nur  8000  Engl.  Morgen  Land,  aber  24,000  E.,  deren  Grund- 
eigenthum  zu  3,531,740  Pf.  StrI,  angeschlagen  wird.  Die  hiesigen 
Pächter  leben  schon  bey  Bearbeitung  eines  Gütchens  von  15  —  20 
Morgen  im  Wohlstand.  Die  etwas  grössere  Insel  Jersey  befasst  34,000 
E. ,  wovon  15,000  in  der  Hptst.  S.  Stellien  leben.  Sie  besitzen  Ki'L 
Schifle  von  17,979  Tonnen  Gehalt,  und  handeln  mit  Afrika,  Nord- 
und  Süd -Amerika.  Trotz  der  sehr  starken  Bevölkerung  sind  Bettler 
eehr  selten.  —  S)  Statistische  Nachrichten  über  Columbia.  Der  Frey-r 
Staat  ist  in  12  Depart. ,  37  Prov. ,  und  236  Kantone  getheilt,  worin 
man  95  Ciudaden ,  154  Villas ,  1340  Kirchsp.  und  846  Filiale  oder 
kleinere  Dörfer  zählt.  Ohne  die  unabhängigen  Indianer  ,  deren  Zahl 
("wohl  zu  niedrig)  auf  204,000  K.  angeschlagen  wird,  beträgt  die  Be- 
völkerung an  2,800,000  Ind.  Im  J.  1821  zählte  man  erst  2,644,600. 
Die  Weltgeistlichkeit  besteht  aus  2  Erz-  und  6  Bischöffen  ,  84  Präben- 
tariern ,  892  Pfarrern  etc. ,  überhaupt  aus  1694  Personen.  Es  beste- 
hen 57  Mannsklöster  mit  945  Mönchen  und  432  Novizen ,  und  33 
Frauenklöster  mit  750  Nonnen  und  1456  Novizen.  —  9)  Ueber  Capt. 
Franklin^s  Jeriv eilen  in  den  Polargegenden.  (Aus  dem  Liverpool  Mer- 
cury.)  Abermahls  neue  Notizen  über  die  Erforschung  der  Nordküste 
von  Amerika.  Auf  dem  weiten  Strich  zwischen  der  Mackenziemün- 
dung  und  dem  150*^  W.  L.  fand  man  keinen  tiefen  Einschnitt  in  der 
Küste,  man  bemerkte  aber,  dass  sie  sich  allmählig  bis  70^,3'  Br.  zog, 
wo  sie  sich  nach  W.  zu  wenden  schien.  Auf  dem  weitesten  Punkte 
geiner  Reise  war  Franklin  nur  noch  30  g.  M.  vom  Schiffe  Blossom 
entfernt.  —  10)  Capitän  Parry^s  Zurückkunft.  An  der  Fehlschlagung 
dieser  Expedition  soll,  nach  dem  Globe  and  traveller,  die  wenige 
Sorgfalt  auf  die  Ausrüstung  schuld  seyn ,  indem  sogar  Mangel  an  Le- 
bensmitteln statt  fand.  —  11)  Weitere  Nachrichten  über  Capt.  Parry''s 
Expedition.  (Aus  der  Literary- Gazette.)  Ein  lebhaftes  Gemähide 
von  den  Ungeheuern  Beschwerlichkeiten ,    und    von  den    muthvollen 


Neue  geographische  und  statistische  Ephcmeridcn.  441 

Anstrengungen  der  Mannschaft  hey  sehr  knapp  zugemessenen  Mund- 
pnrtioncn.  Die  höchste  Breite,  zu  welcher  der  llccla  gehmgtc,  war 
81*^,  (»' ,  und  mittelst  der  Schlittenhoote  drang  man  noch  einen  Grad 
und  39  Minuten  weiter  vor.  — •  12)  FAwas  über  die  Insel  Macao  und 
Schiiia  überhaupt.  (Aus  den  Annal.  des  Voyag.)  Die  (den  Purtugiesen 
gehörige)  Halbinsel  hat  etwa  ö  Engl.  M.  n=  11  g.  M.  im  Umfange, 
und  gewährt  nur  einen  nackten,  traurigen  Anhlick.  Die  Bevölkerung 
steigt  indess  auf  45,000  Ind.,  wovon  40,000  Cliinesen  u.  5000  Portugiesen 
Mestizen  und  Britten.  Die  Stadt  ist  mit  einer  grossen  Anzahl  Chinesi- 
scher Tempel ,  und  14  kathol.  Kirchen ,  wohey  etwa  100  Geistliche, 
angefüllt.  Auch  die  Britten  besitzen  hier  ein  Bethaus,  das  der  Ost- 
Indischen  Kompagnie  gehört. —  Kanton  fasst,  mit  Einschluss  derauf 
dem  Flusse  oder  in  Booten  lebenden  Familien  etwa  800,000  Einw., 
und  erstreckt  sich  1  g.  Ml.  längs  dem  einen,  und  ^  M.  längs  dem  an- 
dern entgegengesetzten  Ufer  des  Flusses.  Ungeachtet  des  unbeschreib- 
lich grossen  Gewirrs  herrscbt  doch  überall  die  beste  Ordnung.  Die 
der  Ostindischen  Komp.  zugehörigen  Comptoire  sind  sehr  weitläuftig, 
aber  alle  auf  den  Raum  von  |  Egl.  Ml.  längs  dem  Flusse  zusammen- 
gedrängt. In  einem  der  ältesten  Tempel  auf  der  Insel  Ilainau,  der 
von  100  Priestern  bedient  wird,  sahen  die  Missionarien  13  grosse 
Sauen ,  die  mit  der  grössten  Sorgfalt  verpflegt  wurden ,  und  unter  de- 
nen einige  80  Jahr  alt  seyn  sollten.  Der  innere  Zustand  von  China 
soll  so  kläglich  und  so  bewegt  seyn ,  dass  nur  eine  durchgreifende 
Revolution  die  Lage  der  Dinge  anders  gestalten  könne.  —  13.  Neueste 
Bevölkerung  der  Schweiz.  Diese  ist  nach  der  Schweizer  Scale  (1,687,900) 
nach  Usteri  und  Meyer  1820  (1,783,231) ,  nach  den  statist.  Umrissen 
182»  (1,855,300)  und  nach  BernouUi's  Schweizerarchiv  1827  (1,978,000 
K.^  dargestellt.  Nach  dem  letztern  kommen  auf  die  einzelnen  Kan- 
tone,  und  zwar  auf  Bern  350,000,  Zürich  218,<!00,  Waadt  170,000, 
Aargau  150,000,  St.  Gallen  144,000,  Luzern  116,000,  Tessin  102,000, 
Graubünden  88,000,  Freyburg  84,000,  Thurgau  81,000,  Wallis  70,000, 
Basel  54,000,  Solothurn  53,000,  Appenzell  52,500,  Genf  52,500, 
Neuenburg  51,500,  Schwyz  32,000,  Schaflliausen  30,000,  Glarus 
28,000,  UnterAvalden  24,000,  Zug  14,500  und  Uri  13,000  Köpfe.  Diese 
Summen  mögen  im  Ganzen  richtig  seyn;  doch  glaubt  Rez.,  dass  Bern, 
welches  schon  imJ,  1823  347,182  8.  zählte,  mit  355,000,  und  Aargau, 
bey  dem  im  J.  1825  der  Census  bereits  150,461  K.  gab,  mit  154,000 
hätte  angesetzt  werden  sollen.  —  14.  Verhandlungen  der  geograjihi- 
schen  Gesellschaft  zu  Paris.  Dieser  Auszug  meldet  allerhand  interes- 
eante  Neuigkeiten.  Die  Brittische  Kolonie  Sinkapore  zählte  im  J. 
1827  bereits  13,150  E. ,  worunter  nur  87  gebohrne  Europäer.  Die 
Einfuhr  stieg  im  J.  1826  auf  6,863,581 ,  und  die  Ausfuhr  auf  6,422,845 
Dollar.  Sinkapore  ist  die  erste  Kolonie ,  wo  man  wagte ,  das  alte 
Kolonialsystem  bey  Seite  zu  stellen ,  und  die  Erfahrung  der  unum- 
gchränkten  Handelsfreyheit  zu  machen.  Und  das  Resultat  davon  ist, 
dass  eine  ganz  wüste  Insel  in  wenig  Jahren  sich  mit  einer  ansehnlichen 
Bevölkerung  anfüllte  und  zu  einem  der  thütigsten  Märkte  des  Orients, 


442  Geographie  und  Statistik. 

zur  ]VIederIag-e  des  Handels  mit  dem  Chinesischen  Indien  ("sollte  wohl 
richtiger  heissen:  mit  den  üher  die  Indischen  Inseln  verhreiteten  Chi- 
nesen) und  den  Malayen  aufblühte.  Zugleich  ist  diese  Insel  der  Nie- 
derlagsort aller  auf  diese  Länder  Bezug  habenden  wissenschaftlichen 
Neuigkeiten  geworden,  und  unter  allen  Journalen  Indiens  ist  der 
Singapore- Clironicie  der  merkwürdigste  durch  die  Belehrungen,  die 
er  enthält.  —  Kolumbien  begreift  32t»  Kantone  und  8G  Nonnenklöster. 
Die  Bevölkerung  bestand  in  2,857,347  S.,  wovon  103,8!)2  Sklaven.  (Zur 
Berichtigung  der  Angaben  in  No.  8.)  —  Die  Stadt  Tombnktu  gehörte 
anfangs  der  heidnischen  Völkerschaft  der  Kohhlans ,  heutzutage  ist  sie 
im  Besitz  der  Fellans,  von  der  Sekte  der  Mohamedaner.  Die  Tua- 
riks  bilden  eine  dritte  Rasse  und  eine  vierte  ist  die  der  Kcntos,  deren 
Ursprung  man  in  Bamhara  sucht.  —  15.  Nekrolog  der  im  J.  182G 
i^crstorbciten  geographischen  und  statistischen  Schriftsteller.  Er  hegrciffc 
18  Sterbefälle.  —  Ifi.  Ileguliriinn-  und  Organisation  des  Erzbisthnms 
Freyburg.  Es  uraschliesst  die  hischöflichen  Sprengel  Mainz,  Fulda, 
Rottenburg  und  Limburg ,  in  allem  1871  Pfarreyen  mit  1,079,172  E. 
Davon  kommen  auf  den  eigentlichen  Sprengel  des  Erzbischofs  (Bad(;ii 
und  beyde  Ilohenzollern)  843  Pf.  und  783,708  E. ,  auf  Mainz  (Gross- 
hcrzogthum  Hessen)  166  Pf.  157,792  E. ,  auf  Fulda  (Kurhessen  und 
S.  Weimar)  84  Pf.  und  112,362  E. ;  auf  Rottenburg  (  AVürtemberg) 
645  Pf.  462,857  E.,  und  auf  Limburg  (Nassau  und  Frankfurt)  133  Pf. 
und  165,453  E.  Wahrscheinlich  kommen  auch  noi^h  die  Katholiken 
in  den  Fstth.  Lichtenberg ,  Birkenfeld  und  Meisenheim  dazu.  —  17. 
Ueber  die  Deutschen  in  Italien.  Diese  sehr  flüchtig  hingeworfene  Notiz 
handelt  nur  von  der  Sette  Communi ,  deren  40,000  E.  immer  noch 
unter  sich  Altdänisch  und  Friesisch  sprechen  sollen,  und  übergeht  die 
dreyzehn  Gemeinden ,  die  doch  auch  von  Deutschen  Abkömmlin- 
gen hewohnt  werden,  ganz  mit  Stillschweigen.  Fast  sollte  aber 
Rez.  glauben,  dass  diese  haben  gemeint  werden  sollen.  Denn 
nur  diese  liegen,  wie  hier  angegeben  ist,  in  der  Delegaz.  Verona  u. 
enthalten  40  —  50,000  E.  Die  7  Gemeinden  dagegen  liegen  im  Um- 
fange der  Delegaz.  Vicenza,  und  machen  nur  20  —  30,000  K.  aus. 
Doch  ist  das  hier  genannte  Asiago  wirklich  der  Hauptort  der  Siehen 
Gemeinden.  Der  etwas  über  20C0  F.  über  der  Meeresfläche  liegende 
Bergstrich,  auf  welchem  diese  Gemeinden  liegen,  soll,  weil  auf  dem- 
selben die  Kälte  8  Monate  lang  vorherrscht,  bloss  Gerste  hervorbrin- 
gen. Sollte  aber  unter  dem  47*^  n.  Br.  eine  Seehöhe  von  2000  F. 
schon  einem  so  rauhen  Klima  unterworfen  seyn  ?  —  Diesem  Bande 
sind  2  statistische  Uebcrsichten  heygelegt,  von  welchen  die  eine  Eu- 
ropa ,  die  andere  Amerika  gewidmet  ist.  Die  erstere  darf  Rez.  mit 
Stillsclnveigen  übergehen,  weil  dem  26ten  Bd.  auch  eine  solche  für 
das  J.  1828  beygefügt  ist,  von  der  Aveiter  unten  die  Rede  seyn  -wird. 
Hier  braucht  also  Rez.  nur  von  der  let/.tern  einen  gedrängten  Auszug 
zu  gehen,  indem  er  die  Rubriken:  Menschenrassen,  Einkünfte,  Aus- 
gaben, Staatsschuld,  Kriegsmacht  und  aiarine  unberücksichtigt  lässt. 
Bcyden  Amerika'a  wird  ein  Areal  von    676,761,  ^  ^   [^M.  und  eine  Bc- 


Neue  geop;raplüsclic   und  gtatlsliechc  Ephemcriden.  443 

volkcrung  von  40,048,844  S.  Cnühml.  15,129,521  Weisse,  17,408,8ß5 
Indianer  und  freye  FarMge  und  7,421,471  Ne^er  und  Mestizen,  Skla- 
ven) zugetheilt.  Davon  kommen  A)  auf  die  einlieimischcn  Staaten, 
und  ZM-ar  1)  auf  Arankanicn  (das  aber  Hez.  lieber  den  wilden  Ländern 
l.eyf,-ercdinet  haben  würde)  4703,  ^o  QM.  450,000  E.  2)  Bolivia  15,000 
DM.  I,0a0,000  E.  3)  Brasilien  13!>,8(i0  DVI-  5,30(5,418  E.  4)  Cliile 
3348,3  0  n>I.  «02,000  E.  5)  Columbia  57,306  D-^l.  2,800,000  E.  ii) 
llayti  1385  □>!.  y?5,335E.  7)  IMexic»  7«>,2t2,  2^  DM.  «,824,528  E. 
8)  kittel-Aiuerika  »«Ol,  ^0  Qm.  I,i37,3(j2  E.  9)  Nord-Amerik.  Union 
113,802,3  6  DM.  12,27«,782  E.  10)  Para<,-uay  «913  DM.  «00,000  E. 
11)  Peru  24,4fil  DM.  I,5fi3,839  E.  und  12)  Plata  49,99«  D>I.  2,024,995 
E.  IJ)  auf  die  tvHdcn  Länder  und  zAvar  auf  1)  Pata-i^nnien  20,81«  DM. 
150,000  E.  2)  Fenerland  1522  DM.  2000  E.  3)  Falkland  31«  DM. 
50  E.  CO  4)  Moskitoküste  589ß22  □>!.  300,000  E.  D)  auf  die  Europäi- 
schen hflonlen  und  zwar  auf  1)  der  Dritten  112,239,^0  ^M.  2,183,940 
E.  2)  der  Dänen  80*«  D-M.  41,317  E.  3)  der  Franzosen  5901,20 
DM.  223,580  E.  4)  der  ISiederländer  725  lO  DM.  74,508  E.  5)  der 
Küssen  24,000  DM.  50,000  E.  «)  der  Schweden  1,^^  DM.  8,210  E. 
7)  der  Spanier  274«,  ^0  DM.  1,163,980  E.  E)  auf  die  unabhängigen 
Indianer  800,000  K. 

XXIV  Band.  A)  Abhandlungen:  1)  Uebcr  die  Aufschlüsse  und 
Erläuterungen ,  welche  aus  dem  Reiseberichte  der  liritten  Denham  und 
Clapperton  für  das  richtige  Verständniss  der  Arabischen  Erdbeschreiber 
und  des  Leo  über  das  Innere  von  Afrika  zu  gewinnen  sind.  Von  J.  F. 
W.  Heilin^er.  Diese  mit  eben  so  vieler  Belesenheit  und  Sachkenntniss 
als  Scharfsinn  angestellte  Vergleicliung  der  neuern  Entdeckungen  mit 
den  Angaben  der  altern  Ceographen  wird  wohl  jeder,  der  sich  gern 
mit  dem  Innern  von  Afrika  beschäftigt,  mit  Verlangen  in  die  Hand 
nehmen,  und  nicht  unbefriedigt  bey  Seite  legen.  Sie  ist  jedoch  kei- 
nes Auszugs  fällig,  und  Rez.  darf  daher  nur  bemerken,  dass  im  Gan- 
zen die  altern  Beschreibungen  und  Angaben  keinesweges  auf  Mähr- 
chen beruhen ,  sondern  sich  vielmehr  meist  recht  gut  mit  der  Gegen- 
wart vereinigen  zu  lassen,  zumalil  wenn  auf  die  in  diesen  Gegenden 
seit  jener  Zeit  eingetretenen  politischen  Veränderungen  gehörige  Rück- 
sicht genommen  wird.  So  giebt  z.  B.  der  Verf.  selbst  über  das  von 
Edrisi  und  Abulfeda  beschriebene  Reich  Tokrun  befriedigende  Aus- 
kunft. Den  Beschluss  dieses  sehr  unterrichtenden  Aufsatzes  macht 
eine  kurze  Uebersicht  alles  dessen,  was  wir  bis  jetzt  über  den  Niger 
oder  Joliba  wissen.  Und  Rez.  kann  nicht  umhin,  da  dieser  räthsel- 
hafte  Strom  die  Aufmerksamkeit  des  ganzen  gelehrten  Europa  seit  so 
langer  Zeit  fortdauernd  beschäftigt,  daraus  das  Wesentlichste  in  ge- 
drängter Kürze  mitzutheilen  :  P]r  hat,  nach  Laing,  seine  Quellen  im 
Lande  Kissi,  etwa  unter  9",  15'  n,  Br.  u.  10^,  12'  w.  L.  von  Greenwich  (also 
fast  ura  einen  vollen  Grad  südlicher,  als  die  ältorn  Charten  zeigen,)  er 
fliesst  hiernächst  durch  die  Länder  Sangara,  Firia,  Balia  und  Manding, 
dann  durch  das  Reich  Banibara,  und  bey  dessen  Ilptst.  Sego  vorbey, 
bis  zur  Gränzstadt  Siüa.      Von  da  läuft  er,  schon  gewöhnlicher  Gülbi 


44#  Geographie  und  Statistik. 

genannt,  bcy  Schenni  (Jenne)  vorbey  und  bildet  weiterliin  in  Verei- 
nigung^ mit  dem  Nimma  und  Miniana  den  Landsce  Dibbi,  Avorauf  er 
eich  in  mehrere  Arme  zertheilt,  die  sich  erst  bey  Kabra,  unfern 
Torabuktu  wieder  vereinigen.  Von  da  durchströmt  er  die  sumpfige 
IViedernng  des  Reichs  Schinbala  und  scheint  nun  unterhalb  Zabirmeh 
bey  Kabi  in  das  Reich  llaussa  zu  treten  und  seinen  bisherigen  Nahmen 
mit  den  von  Kuara  (Kworra  oder  Kwolla)  zu  vertauschen,  und  von 
da  seinen  Lauf  auf  Ja-uri  Bussa  (  wo  Mungo  Park  sclieiterte  und  um- 
kam ) ,  auf  Nafi  oder  Kifa  und  Raka  oder  Laka  zu  nehmen,  wo  seine 
SchilTbarkeit  aufhören  (oder  unterbrochen  werden)  soll.  Kach  der 
Angabe  des  Sultans  von  Haussa,  Bello  (  derselbe ,  der  späterhin  Laing 
bey  Tombuktu  ermorden  Hess  ) ,  soll  der  Strom  von  hier  seinen  Lauf 
weiter  auf  Kotunfauda  und  nach  einem  langen  Zwischenräume  in  dem 
Süden  von  Kano,  Zegzeg  und  Bauscherr  auf  Koraraffa  (Kornorfa), 
welches  Bowdich  Kwollaraba  nennt,  nehmen.  Wohin  aber  nun  sein 
Lauf  weiter  gehe,  ist  noch  immer  ungewiss.  Nach  einer  Zeichnung 
des  Sultans  Bello  soll  er  Aegypten  erreichen  und  den  Nil  bilden,  nach 
dessen  mündlicher  mehrmahls  wiederholter  Erzählung  gegen  Clapper- 
ton  aber  bey  Funda  ins  Weltmeer  sich  ergiessen ,  vorher  aber  ver- 
schiedene Tagereisen  lang  mit  der  Meeresküste  parallel  laufen.  Die- 
ses Funda  sucht  der  Verf.  nun  in  Akra,  und  folgert,  dass  es  gar  nicht 
unwahrscheinlich  sey,  dass  der  Niger  endlich  auf  der  Sklavenküste 
von  Guinea  zwischen  den  Flüssen  Volta  und  Forniosa  seinen  Ausfluss 
finde ,  weil  dieser  ganze  sich  über  8  Längengrade  erstreckende  Kü- 
stenstrich aus  niedrigem,  stark  bewässertem,  zum  Theil  sumpfigem 
Boden  besteht ,  dessen  zahlreiche  Wasserläufe  den  vorhandenen, 
freylich  mangelhaften  Nachrichten  zu  Folge  ,  unter  sich  in  einer  un- 
unterbrochenen Verbindung  stehen  sollen.  Der  Leser  vergleiche  da- 
mit, was  beym  21ten  Bande  im  Abschnitte:  „Ueber  das  Binnenland 
von  Afrika  u.  den  Joliba  od  t  Niger ,"  gesagt  worden  ist.  —  2.  Nene 
IS'iederlassung  zu  Western  -  Port  in  Australien.  (Ans  Asiatic  Journal.) 
Dem  Aufblühen  dieser  im  J.  1820  auf  der  in  der  Nähe  der  Bass-Strasse 
liegenden  Insel  Philipp  gegründeten  und  Western-Port  genannten  Nie- 
derlassung scheinen  mehrere  Hindernisse ,  Avorunter  ein  meist  mora- 
stiger Boden  und  der  Mangel  an  süssem  Wasser  oben  an  stehen, 
entgegen  zu  treten.  Die  ganze  Gegend  ist  sehr  sorgfältig  beschrie- 
ben. —  3.  Bemerkungen  über  einige  f'ülkerstümme  des  Austral.  Ozeans, 
(Von  Dr.  Garnot,  Chirurgen  des  Schiffs  Coquille.  Aus  dem  Journ. 
des  Voyag.)  Obschon  sich  diese  Bemerkungen  nur  auf  die  Bewohner 
der  Inseln  Taiti ,  Neu-Irrland  und  Waigiu  beschränken,  so  bieten  sie 
doch  sehr  schätzbare  Schilderungen  dar.  Die  Tuitier  haben  sich  durch 
die  Bemühungen  der  Missionarien  sehr  geändert,  und  die  christliche 
Religion ,  zu  der  sie  sich  jetzt  sämmtlich  bekennen  ,  hat  viele  ihrer 
rohen  und  grausamen  Gebräuche  gemildert.  Sie  zeigten  sich  durch- 
gängig als  gutraüthige,  gefällige  und  dienstfertige  Menschen.  Alle 
lesen  und  schreiben  jetzt  geläufig  in  Folge  des  gegenseitigen  Unter- 
lichts,  aber  ihr  Verstand  ist  noch  nicht  so  weit  entwickelt,   dass  sie 


Neue  geograplilsclie  und   statiätisclie  Ephemcridcn.  445 

das,  was  sie  losen  und  sdirciben ,  auch  gehörig  verstehen,  wozu 
freylich  ihre  sch(»n  abgeschh)üsene,  keiner  Fortbildung  fähige  Sprache 
das  Ihrige  hcjträgt.  Im  Handel  ist  aber  noch  immer  grosse  Vorsicht 
iiöthig,  und  der  Hang  zum  Stehleu  und  Betrügen  ist  nocli  nicht  aus- 
gerottet; und  eben  so  wenig  beym  weiblichen  Geschlechte  der  grosse 
Hang  zur  Wollust,  obschon  es  sich  aus  Furcht  vor  den  Missionaren, 
die  auch  in  diesem  Punkte  strenge  Autsicht  führen,  öffentlich  sehr 
zurückhaltend  gegen  Fremde  zu  benehmen  weiss.  (Sehr  niederschla- 
gend ist  die  bey  diesem  Gegenstande  vom  Redakteur  des  Journ.  des  V. 
gemaclitu  Schilderung  von  der  grossen  moralischen  Verdorbenheit 
mehrerer  Missionaren  auf  der  Küste  von  Afrika,  besonders  zu  Sierra 
Leona  im  Lande  Kissi  und  am  Rio  Pougas ,  die  durch  glaubwürdige 
Belege  bestätigt  werden  sollen.)  Die  Neu- Irrländer  gehören  zur 
Rasse  der  Australneger,  und  stehen,  obgleich  sie  ihre  Speisen  ko- 
chen und  braten,  noch  auf  einer  so  niedrigen  Stufe  der  Kultur,  dasa 
sie  nicht  einmahl  ihre  Sehamthcile  bedecken.  Gegen  ihre  Weiber 
sind  sie  so  eifersüchtig,  dass  Niemand  vom  Schiffe  ein  weibliches 
Wesen  zu  sehen  bekam.  Uebrigens  benahmen  sie  sich  nicht  feind- 
selig. —  Die  Bewohner  von  Weigiu  sind  von  angenehmem  Gesichts- 
zügen, weniger  schwarz ,  als  die  Neu-Irrländer,  auch  viel  kultivirter, 
und  scheinen  ein  Gemisch  von  Papuas  und  Australindiern  zu  seyn. 
Sie  sind  von  schlankem ,  fast  zärtlichem  Körperhau ,  die  mittlere 
Grösse  war  4  F.  6  —  9Z.  und  nur  ein  Einziger  hielt  5F.  2Z,  Auch  sie 
verbergen  ihre  Frauen  den  Augen  der  Fremden.  —  4.  Ueber  den  Gegen- 
stand und  Nutzen  der  Statistik.  (Aus  d.  Revue  encyclopedique,  Sptbr.  1827.) 
Eine  zwar  mit  strenger  Konsequenz  sehr  verständig  und  überzeugend 
durchgeführte  Behandlung ,  die  aber  uns  Deutschen  nichts  Neues  dar- 
bietet. Mit  Recht  sagt  daher  der  Redakteur  zum  Schlüsse  derselben  : 
„Wir  haben  die  Abhandlung  bloss  in  unsere  N.  G.  und  St.  Ephera. 
eingetragen,  um  daraus  den  Gang  zu  beurtheilen,  den  die  Statistik 
als  Wissenschaft  bisher  in  Frankreich  genommen  hat.  Was  der  Verf. 
vorträgt,  ist  in  Deutschland  längst  theoretisch  und  praktisch  abge- 
macht, und  er  macht  im  Grunde  nur  darauf  aufmerksam,  wie  die 
Statistik  in  seinem  Vatei-lande  auf  Deutsche  Weise  behandelt  Averden 
muss."  Allein  der  Hr.  Red.  urtheilt  hier  wohl  etwas  zu  günstig  von 
seinen  Landsleuten ,  wenn  er  vom  iirahtischcn  Abgemachtseyn  spricht. 
Freylich  weiss  bey  uns  Jedermann  recht  gut  den  schwankenden  Werth 
der  Zahlen  zu  schätzen,  und  jeder  Geograph  weiss  z.  B. ,  dass  in  der 
]<leinsten  Stadt  die  wahre  Volkszahl  kaum  einen  Tag  lang  dieselbe 
bleibt:  dennoch  M'ird  er,  im  Fall  er  ein  grösseres  geograph.  Werk 
schreibt,  keinen  Augenblick  anstehen,  so  viel  als  möglich  die  volle 
Summe  irgend  einer  Volkszählung,  und  Avenn  solche  auch  bereits  vor 
10  —  20  Jahren  statt  fand ,  beyzusetzen ,  statt  sich  runder  Summen 
zu  bedienen. —  5.  Illinois.  Nach  den  Papieren  der  General- Land- 
messer bearbeitet  von  T.  Bromme.  Dieser  Abriss  ist  rein  geographisch, 
ohne  alle  Berücksichtigung  statistischer  Daten,  dennoch  ein  wesent- 
licher Beitrag  zur  nähern  Kenntniss  dieser  bis  jetzt  noch  so    unvoll- 


446  Geographie  und   Statistik. 

ständig  gekannten  Landschaft,  die  einem  raschen  Annjlühen  entgegen 
eilt.  Ueber  die  Grunzen  der  19  Countys  —  Rez.  kann  sicli  hey  einem 
Staate,  in  welchem  man  keinen  Gebnrtsadel  kennt,  unmöglich  des 
ganz  unpassenden  Ausdrucks  Grafschaft  hedienen  ,  —  den  Umfang  des 
reservirten  Militärbezirks,  über  die  neuangelcgten  Städte  (doch  ohrte 
alle  topographische  Notizen)  und  über  die  zahlreichen  Flüsse  giebt 
er  sehr  genügende  Auskunft.  —  6.  ytusflucht  nach  Slam.  (Aus  Asiatic 
Journal.)  Ebenfalls  ein  höchst  willkommener  Reisebericht,  der  über 
das  Fürstenth.  Ligor  und  über  den  südwestlichsten  Strich  des  Reichs 
Siam  nähere  Kui.de  bringt,  und  mithin  über  einen  Theil  dieser  terra 
incognita  seltenes  Licht  verbreitet.  Er  ist  von  2  ßrittischen  Beamten 
entworfen,  die  um  der  Auswechslung  der  Gefangenen  willen  (die 
Siamesen  sollen  nähmllch,  sclion  als  die  Prov.  Martaban  inTenassex-im 
an  die  Dritten  abgetreten  waren,  noch  einen  Einfall  in  solche  gemacht, 
und  eine  Menge  Einwohner  als  Gefangene  mit  fortgeschleppt  haben, 
die  die  Britten  nun  als  ihre  Unterthanen  zurückforderten)  nach  Siam 
gesendet  wurden,  Ihre  erste  Reise  dahin  traten  sie  von  Ligor  aus  zu 
Lande  an.  Aber  das  Misstrauen  der  Siamesischen  Regierung  gestattete 
ihnen  nur  bis  zum  Dorfe  Pathia ,  etwa  unter  11^,  10'  n.  Br. ,  fortzu- 
setzen, dort  inussten  sie  ein  Boot  hesteigen,  welches  sie  in  4  Tagen 
nach  Bangkok  brachte.  Das  Fstth.  Ligor  wird  von  einem  Malayischea 
Sultan  beherrscht,  der  zwar  von  Siam  abhängig  Ut,  aber  übrigens 
unumschränkt  gebietet ,  und  Gewalt  über  Leben  und  Tod  ausübt.  Die 
Zahl  der  waffenfähigen  Männer  beträgt  kaum  12,000.  Die  gleichnah- 
mige  Hauptstadt  liegt  2  Stunden  oberhalb  der  Mündung  des  Flusses 
Tha-wung,  hat  lauter  hölzerne  Gebäude  —  (  selbst  der  fürstl.  Pallast 
ist  aus  Brettern  erbaut  und  mit  Ziegeln  gedeckt)  —  viele  meist  in 
Ruinen  liegende  steinerne  Tempel  und  Pyramiden,  und  nur  noch 
5000  E.  Auf  dem  Wege  nach  Bangkok  passirten  sie  viele  zum  Theil 
bedeutende  Flüsse,  und  unter  andern  die  Städte  Chhainga  (3 —  4000 
E.),  Suwy  (2000  E.),  und  Choomphon  (8000  E.).  Auf  einer  2teu 
Reise  von  Mergui  aus  den  breiten  und  tiefen  Fluss  Pak-cham  hinauf 
nach  Chhoomphon,  die  den  Zweck  hatte,  109  Siamesische  Gefangene 
zu  überbringen,  wurden  sie,  obschon  die  Bedeckung  nur  in  38  Bir- 
manen bestand ,  bey  letzterer  Stad*^^  von  einem  8000  M.  starken  Corps 
zurückgoviesen.  Eine  dritte  Reise  wurde  ohne  Bedeckung  von  Mar- 
taban aus  auf  dem  Fl.  Uttaran  unternommen  ,  der  bis  zur  Gränze  ge- 
gen Siam  schiffbar  ist.  Dicf^e  Reise  ging  über  die  Siamesischen  Städte 
Menamnoi,  Ban-chiom  (5000  E.) ,  Pakphrek  (8000E.),  Batphri 
(10,000  E.)  und  Ban-chhang  (4000  E.) ,  nach  Mekhlong  (12,000  E.  ), 
an  der  Mündung  des  schiffbaren  Flusses  gl.  jV.  ,  wo  der  Britte  Leal 
siih  nach  Bangkok  einschiffte.  Alle  diese  Theile  Slams  waren  ziem- 
lich gut  angebaut  und  wohlbevölkert.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
ist  dieser  interessante  Bericht  nur  ein  Vorläufer  wichtigerer  und  um- 
fassenderer Reisewerke.  Denn  die  Regierung  von  Siam,  die  nun- 
mehr eine  unmittelbare  Gränznachbarin  der  Britten  geworden  ist,  wird 
den  letztern  bald  ihr  Reich  öffnen  müssen,  —     T.    Die  Entstehung   des 


Neue    g;cogriH}hisclic  und  statistische  Epheracriilcn.  447 

Staats  Missitri.  (Nach  Lcm  is  C.  Bccli's  Ga/c^tteer  of  thc  States  Illinois 
and  Missouri  1827.  Mitj^ctlicilt  von  C.  M.  llödin^. )  Dieser  mit  vie- 
ler Unisiolit  und  Belesenheit  niederf^eschriebene  Aufsatz  ist  bloss 
his^torisch  und  liandelt  zugleich  auch  von  Louisiana;  docli  sind  am 
Ende  die  ISahnien  der  28  County's,  in  >veK;he  gegenwärtig  der  neue 
Staat  Mistiuri  ahgethcilt  ist,  mit  iliren  Ilauptorten  angeführt.  —  8. 
y/r«.  Die  jetzige  Hauptstadt  der  Birmanen.  (Aus  dem  in  der  Lite- 
rary-Gazelte  abgedruckten  Briefe  eines  Ilrittlsclien  Offiziers.)  Diese 
Skizze  enthält  wenig  mehr  als  eine  kurze  S<-hiliiernng  des  königl. 
Residenzi)allustes,  der  Vorstellung  des  Hrittischen  Gesandten,  des 
weissen  Elephanten  ,  und  verschiedener  ilt)ireste.  Selbst  des  so  be- 
rühmten Tempels  Schognnga-prah  wird  mit  keiner  Sylbe  gedacht.  — 
1).  Die  Insel  Ling-^a  in  der  Meerenge  von  Snnda.  (  Beschreibung  dei*- 
selben  und  ihrer  Bewohner  von  van  Angelbeck,  aus  dem  Journal  des 
V  oyages.)  Abermahls  ein  dankeswcrther  Beitrag  zur  nähern  Kunde 
von  Süd-  Indien  ( —  der  Rez.  versteht  unter  Süd-Indien  nähmlich 
eänniiliiche  Ost-Indische  Inseln  — )  ,  nach  welchen  alle  bisherige  Be- 
schreibungen dieser  bis  jetzt  nur  oberflächlich  gekannten  Insel  zu  be- 
richtigen und  zu  vermehren  sind.  Diese  Insel ,  bisher  gewöhnlich 
Pulo  Lingen  genannt,)  bildet  mit  mehreren  benachbarten  kleinern 
Eylande^i  einen  besondern  unabhängigen  Staat,  und  ist  noch  eine 
Ilauptbesitzung-  der  unabhängigen  und  unvermischtcn  Malayen.  Die 
Residenz  des  Sultans  heisst  nicht,  wie  unsere  bisherigen  Handbücher 
besagten,  Penobang,  sondern  Kwerla-Dai.  Trotz  der  unbeschränkten 
Macht  desselben  werden  hier  alle  Rcgierungsangelegenheiten  öffent- 
lich verhandelt ,  und  selbst  der  Geringste  »einer  Unterthanen  darf  sich 
unmittelbar  an  das  Staatsoberhaupt  wenden.  Uebrigens  herrscht  hier  das 
ganze  Malayische  Lehnswesen  in  seiner  vollen  Ausdehnung.  Diese  Insel 
sowohl  als  die  das  von  derselben  abhängige  Gebiet  Madar  ausmachen- 
den Eylande  sind  ein  Hauptsitz  der  Malajischen  Seeräubei-.  Es  ist 
zu  beklagen,  dass  in  dieser  so  belehrenden  Skizze  gar  nichts  über  den 
Flächenraum ,  die  Bevölkerung  der  Insel  etc.  gesagt  ist.  —  10.  JJehcr 
die  Volksmenge  des  Königreichs  der  Niederlande.  (Nach  Quetelet  in 
der  Revue  encyclop.  1827,  docli  berichtigt  und  fortgeführt.)  Dieser 
mit  grosser  Sachkenntniss  entworfene  Aufsatz  legt  mit  schlagenden 
Gründen  deutlich  vor  Augen  ,  dass  die  Bevölkerung  der  das  heutige 
Königreich  der  Kiederlande  bildenden  Provinzen  fortw  älirend  ,  selbst 
während  der  unglücklichen  Periode  vom  J.  1789  bis  1813  im  Steigen 
gewesen  sey ,  und  dass  daher  JIr.  von  Lichiensiern ,  welcher  die  Volks- 
zahl für  das  J.  1819  auf  4,894,530  Ind.  herabsetzen  wollte,  sich  stark 
verrechnet  habe.  Denn  nach  den  offizieJlon,  mit  möglichster  Sorg- 
falt angestellfcen  Zähinngen  betrug  das  Menschenkapital  im  J.  1824 
bereits  5,934,530  K.,  so  dass  folglich  auf  1  DM.  deren  4!)61  kamen. 
Davon  besass  Antwerpen  318,893,  Nord- Brabant  321,917,  Süd-Bra- 
bant  489,()02,  Drenthe  52.383 ,  Ost-Flandern  «81,489,  West-Flandern 
557,871,  Friesland  199,335,  Gelderland  280,820,  Groningen  133,800, 
llennegau  538,050,  Nord-Holland  388,425 ,  Süd-Holland  432,054,  Lira- 


44S  Geographie  und  Statistik. 

bürg  317,387,  Liittich  327,161,  Luxemburg  287,78ß,  Namur  187,411, 
Overyssel  158,399 ,  Utrecht  115,042  und  Zeeland  127,659  E.  Die  am 
stärksten  bevölkerte  Prov.  ist  Nord-Holland,  and  die  am  schwächsten 
bewolinte  Drenthe.  In  dieser  fallen  nur  1404 ,  in  jener  aber  8927  K. 
auf  1  g.  riM.  Welch  eine  ungleichmässige  Vertheilung  der  Men- 
ßchenmasse  !  Im  J.  1825  >var  die  Volkszahl  auf  6,059,506,  und  im  J. 
1826  anf  6,116,935  K.  gestiegen,  und  dennoch  klagt  man  hier  noch 
nicht  über  Uebervölkerung  !  —  11.  Die  Insel  Ko-sima,  oder  der 
kleinste  Vulkan  der  Erde.  (Aus  den  Nouv,  Annal.  des  Voyages  1828. 
V.  AlaprotÄ  mitgetheilt.)  Diese  kleine  zu  Japan  gehörige,  im  O.  von 
Nipon  liegende  Insel  wurde  bekanntlich  im  J.  1805  vom  Russ.  Kapitän 
V.  Krusenstern  auf  seiner  Reise  um  die  Welt  umschifft ,  aber  von  dem- 
selben weiter  nicht  sonderlich  beachtet.  Desto  ausführlicher  spricht 
sich  in  diesen  Annalen  der  D,  Tllesius  (der  dieselbe  Reise  als  Natur- 
forscher mitgemacht  hatte)  darüber  aus.  Nach  dessen  Beschreibung 
ist  diess  Eyland  von  sehr  geringem  Umfange ,  ganz  kahl  und  unfrucht- 
bar, und  der  V^ulkan  mit  seinem  eingestürzten  Krater  so  niedrig,  das3 
D.  Tilesius  von  der  Spitze  des  Mastes  in  die  Solfataren  und  selbst  in 
den  Krater  hinein  schauen  konnte,  obwohl  er  beständig  raucht.  — 
B)  Vermischte  Nachrichten.  1)  Bevölkerung  des  Brittischen  Nord- 
jimerika.  Rez.  verbindet  diese  Tabelle  sogleich  mit  einer  andern  im 
folg.  Bd.  mitgetheilten  Uebersicht,  damit  der  Leser  die  zum  Theil 
sehr  bedeutenden  Abweichungen  besser  überschauen  könne: 
1)  Gouv.  Quebec  6800  DM.  J.  1824.  622,628  E.     J.  1825  430,679  E. 


2)     -       York      .     .     4700 

- 

280,567  - 

-     -    157,541  - 

3)     -      Neu  -  Braun- 

schweig      .      .     .      1350 

-  J.1822. 

45,800  - 

-     -      72,923  - 

4)     -       Neuschottland    675 

-  -  1819. 

78,345  - 

-1827123,811  - 

5)      -       Prinz  Eduard        99 

- 

8000  - 

-1825   28,757  - 

6)     -       Cap.  Breton  mit 

Anticosti,      Magdale- 

nen-1 232 

- 

3350  - 

-     -     16,000  - 

7)     -       Neu-Fundland    652 

-  J.1805. 

24,922  - 

-     -      63,644  - 

14,508  DM.     . 

1,063,612  E. 

893,355  E. 

Hierzu  kommen  aber  noch:  1)  die  Hudsonbusenländer  =  23,500 
DM.  2)  Labrador  =:  24,500  DM,  und  3)  das  Westliche  Binnenland 
=  47,450,  in  Summa  95,450  DM. ,  in  welchem  ausgedehnten  Land- 
strichen eben  nur  800  Europäer  leben.  Die  Zahl  der  im  Umfange  des 
Brittischen  Nord -Amerika  herumschweifenden  freyen  Indianer  wird 
auf  180,300  Ind.  geschätzt.  —  2,  Die  Russischen  Kolonien  auf  der  Nord- 
westküste von  Amerika.  (  Aus  der  Biene  des  Nordens.)  Säramtliche 
Kolonien  befinden  sich  in  einem  sehr  erfreulichen  Zustande.  Russen, 
Aleuten  und  Kreolen  leben  im  Frieden  und  im  guten  Einverständniss 
mit  den  wilden  Völkerschaften.  Auch  wird  die  Verbindung  mit  Kali- 
fornien immer  lebhafter.  Mit  dem  Distr.  Atka  (soll  wohl  heissen 
Sitka  ?)  zählten  alle  Niederlassungen ,  ohne  die  Bussen,  Li  den  J.  1823 


Neue  geographische  nnd  gtatistlsche  Ephcmerlden.  449 

nni!  1824 :  9729  Einw.  (553  Kreolen  und  9156  Aleuten).  In  der  Kolo- 
nie Ross  wird  schon  Ackerbau  und  Viehzucht  mit  Erfolg-  getrieben.  — 
3.  Das  Thal  von  lia^ne.  (Aus  den  Annal.  des  Voyag.)  Enthält  die 
Schilderung  von  der  im  J.  1818  erfolgten  schrecklichen  Verwüstung 
dieses  reizenden,  von  der  Dranse  durchflossenen,  im  Schweizer-Kant. 
Wallis  liegenden  Thaies  Bagne ,  welches  von  3000  Menschen  bewohnt 
wurde,  die  durch  die  ganze  Schweiz  wegen  ihrer  Frugalität,  ihrer 
Kraft  und  ihres  Verstandes  berühmt  waren.  —  4.  Die  Padries  von 
Menangkabu  auf  Sumatra.  (Aus  Asiatic  Journ.)  Die  Padries  machen 
nach  dieser  Schilderung  einen  besondern  Volksstamm  aus  ,  der  von  den 
Eingebohrnen  Bangsa  (die  Hptstadt  von  Lintow)  oder  Norinchi  ge- 
nanntwird, weil  die  beiden  Hauptbezirke,  aus  denen  er  ursprünglich 
abstammt,  also  heissen.  (  Rez.  kannte  sie  bisher  nur  als  eine  eifrige 
moslcmimische  Sekte,  welche,  unter  dem  Vorwande  den  Islam  auszu- 
breiten, einen  grossen  Theil  von  Sumatra  verwüstete,  und  ihrer 
Herrschaft  unterwarf.)  Auf  welche  hinterlistige  und  grausame  Weise 
es  nun  einem  Häuptling  derselben,  dem  Tuanku  (d.  i.  Herr)  von  Passa- 
man,  gelang,  sich  zum  Oberherrn  des  ganzen  Stammes  und  des  gröss- 
ten  Theils  vom  Reiche  Menangkubo  aufzuwerfen  ,  muss  man  im  Werke 
selbst  nachlesen.  Hier  nur  soviel,  dass  der  letzte  Sprössling,  der 
Herrscher  von  M.  (deren  eigentlicher  Titel  Maha  Raja  de  Raja  ist), 
um  dem  Tode  zu  entgehen,  zu  den  Niederländern  floh,  und  von  die- 
sen späterhin  in  Suruwassa  (einem  Distr.  von  Menangkabo  mit  der 
Hptst.  Paggar-Rugung)  wieder  eingesetzt  wurde.  —  5.  Volkszalil  der 
Kaukasus- Provinzen.  (Aus  KlaproMa  tabb.  duCaucase. )  Hr.  Klap- 
rothhiit  in  seinem  ebengenannten  Werke  versucht,  die  Stärke  der  so 
zahlreichen  Gebirgsvölker  abzuschätzen ,  denn  an  einen  wirklichen 
Volks -Census  ist  natürlich  bey  diesen  rohen  Räuberstäraraen  noch 
nicht  zu  denken,  obschon  die  meisten,  wenigstens  dem  Nahmen  nach, 
sich  der  Oberherrlichkeit  Russlands  unterworfen  haben.  Dass  nun 
alle  Volksschätzungen ,  selbst  in  zivilisirten  Staaten ,  wo  allerhand 
Wege  und  Mittel  zu  Gebote  stehen ,  über  den  wahren  Bevölkerungs- 
stand sich  zu  unterrichten  ,  immer  willkührlich  bleiben  ,  ist  eine  längst 
ausgemachte  Sache.  Um  so  willkührlicher  müssen  also  Schätzungen 
von  so  unkultivirten  Völkerschaften  erscheinen,  worunter  sogar  viele 
sind,  in  deren  Mitte  sich  kein  Fremder  ohne  Gefahr  ausgeplündert, 
oder  gar  als  Sklave  verkauft  zu  werden ,  wagen  darf.  Indessen  musg 
der  Statistiker  dem  Hrn.  Klaproth  für  seine  Mühe  doch  Dank  wissen; 
denn  er  hat  doch  Zahlen  erhalten ,  wenn  sie  auch  durch  Nichts  als 
richtig  beurkundet  werden,  und  nur  wahrscheinlich  genannt  wer- 
den dürfen.  Das  Resultat  dieser  Abschätzung  ist  nun  folgendes : 
Die  Zahl  der  Familien  im  ganzen  Kaukasuslande,  mit  Ausnahme  der 
Lasen ,  die  hier  nicht  mit  aufgezählt  sind ,  auch  mit  Ausnahme  der 
in  manchen  Distrikten  häufigen  Armenier,  Russen  und  Juden,  Avird 
zn  527,887  angenommen ,  und  die  Stärke  jeder  Familie  im  Durch- 
schnitt zu  4^  Köpfe  gerechnet,  welches  demnach  zusammen  2,375,487 
Ind.  giebt.  Von  jener  Familienzahl  kommen  nun  auf  die  Tscberkessen 
Jahrb.  f.  Phil,  u,  Fädag.  Jahrg.  V  Heft.  4.  29 


450  Geographie  und  Statistik. 

51,530 ,  auf  die  Awchasen  ( Abassen )  53,898 ,  auf  die  Nogaier  9,480, 
auf  die  Osseten  33,915 ,  auf  die  Midzhegen  (Kisten)  35,850,  auf  die 
Lesgbier  138,700,  auf  die  Turkmannen  79,914,  und  auf  die  Grusier 
(Georgien)  125,000.  —  6.  Aufnahme  von  Neu -Fundland.  (Nach  der 
Handl.  Zeit.)  Diese  Kolonie,  die  älteste  der  Britten  ,  die  von  jeher 
für  unfruchtbar  gehalten  wurde,  ist  unter  der  Aufsicht  des  jetzigen 
Statthalters  ein  Ackerland  geworden :  seine  Bemühungen  hatten  die 
Folge ,  dass  die  Wälder  überall  von  Kornfeldern  verdrängt  wurden  etc. 
Diess  bezweifelt  der  Red.  in  einer  Note ,  und  beweisst  aus  Anspach 
history  of  New-Foundland  1819 ,  dass  diese  Insel  nur  Hafer  zur  Reife 
bringe,  und  dass  selbst  die  Kartoffel  häufig  durch  eintretenden  Frost 
leide.  Diess  mag  nun  bisher  allerdings  nur  zu  wahr  gewesen  seyn. 
Allein  die  geographische  Lage  zwischen  46  und  52**  n.  Br.  war  gewiss 
nicht  sowohl  die  Ursache  des  rauhen  Klima's,  als  vielmehr  die  aus- 
gedehnten Waldungen  und  die  häufigen  Moräste.  Wenn  daher  die 
Waldungen  gelichtet  worden  sind ,  so  ist  sonder  Zweifel  das  Klimn 
auch  milder  und  dem  Ackerbau  günstiger  geworden.  Und  dass  dem 
wirklich  also  seyn  möge,  beweisst  schon  die  sehr  bedeutende  Zu- 
nahme der  Volksmenge.      Denn  im  J.  1805  wurden  erst  24,922,   im  J. 

1825  aber  63,644  £inw.  gezählt.  In  20  Jahren  also  ein  Zuwachs  von 
88,722  S. !  —  7.  Veher  die  Goldgruben  auf  der  Malacca  -  HalbinseL 
(Aus  dem  Malacca  Observer.}  Wenig  sichere  Nachrichten.  Nach 
dem  Tagebuche  eines  Brittischen  Kaufmanns  ist  das  Dorf  Jelley  im 
Innern  des  Gebiets  Pahang  am  Flusse  Braugh  der  Ort,  wo  der  Han- 
del mit  Gold  statt  findet.  Um  aber  von  da  zu  den  Gruben  selbst  zu 
gelangen ,  muss  man  noch  den  genannten  Fluss  einen  Monat  lang  hin- 
auf rudern.  (Aber  die  Halbinsel  Malakka  hält  ja  in  ihrer  grössteu 
Breite  kaum  50  g.  Ml.  Wie  ist  da  eine  so  lange  Fahrt  möglich'^)  — 
8.  Reissend  zunehmende  Bevölkerung  der  Vereinigten  Staaten.  ( Aus 
einem  Nord  -  Amerikanischen  Werke :  Cincinnati  von  Drake  in  Mans- 
field.)  Es  handelt  vornehmlich  vom  Staate  Ohio  und  legt  das  schnelle 
Aufblühen  desselben  vor  Augen.  Er  hatte  nähmlich  im  J.  1790  erst 
3000,    J.  1800  42,000,  J.  1810  230,760,    J.  1820:  581,434,  und  im  J. 

1826  gegen  800,000  E. ,  wovon  130,460  Mannspers.  über  18  Jahr  und 
4723  Neger.  Die  Militz  begreift  110,000  eingeschriebene  Mannschaft. 
Der  neue  Ohio-Kanal,  welcher  diesen  Fluss  mit  dem  Erie-See  ver- 
bindet, hat  eine  Länge  von  320  Engl,  ML,  wovon  1185  F.  Schleusen- 
werk. Das  steuerpflichtige  Eigenthum  wird  auf  60  Mill.  Dollar  ge- 
schätzt. Die  schön  und  regelmässig  gebaute  Stadt  Cincinnati  ,  erst 
im  J,  1788  gegründet,  und  im  J.  1810  nur  2320  E.  enthaltend,  um- 
Bchliesst  im  J,  1826:  1  Gerichtshaus ,  1  Gefängniss,  1  Irrenhaus,  1 
Ho:>pital ,  1  Bank  ,  1  Assekuranzanstalt ,  1  mediz,  Kolleg. ,  1  Kolleg, 
für  Literatur,  1  latein.  Schule,  eine  Menge  anderer  Unterrichtsan- 
stalten, 2  Museen,  1  Lesezimmer,  1  gesetzlich  constituirte  Leihbi- 
bliothek, 1  Akademie  der  schönen  Künste,  1  Theater,  Kirchen  für 
Presbyterianer,  Methodititen ,  Baptisten,  Episkopalen,  der  Brüder- 
gemeinde und  Katholiken,  2500  Haus,  und  16,230  £.,  wor.  28  Geistl. 


Neue  geographische  und  sfatistlache  Ephemerlden.  451 

34  Advolcaten,  35  Aerztc  und  3000  Gewerbe  treibende,  die  für  1,850,000 
Rthlr.  Waaren  verfertigten.  Es  ersclieinen  hier  nicht  weniger  als  9 
Zeitungen.  —  9.  Die  Quellen  des  Irawaddi.  Zwcy  Brittisehe  Offiziere 
wurden  kurz  nadi  dem  Frieden  mit  den  Birmanen  abgesendet,  um 
die  noch  unbekannten  Quellen  dieses  Stroms  aufzusuchen.  Sie  gien- 
gen  von  Seddya  aus  nach  O. ,  drangen  mit  den  grössten  Beschwerlich- 
keiten, denen  ein  Tlieil  ihrer  Begleitung  unterlag,  über  die  hohen 
Schneeberge  von  Laugtan  in  die  Landsch.  Khamti  ein,  die  von  einem 
eigenen  Rajah  beherrscht  wird  ,  konnten  aber  vom  Hauptdorfe  aus 
nur  noch  12  Engl.  Ml.  weiter  bis  zum  Strome  selbst  gelangen,  vmd 
ihn  nicht  bis  zu  seiner  Quelle  verfolgen.  Sie  überzeugten  sich  indess, 
dass  die  Aussage  der  Eingebohrnen,  dass  er  aus  vielen  kleinen  Flüs- 
sen entstünde,  die  von  hohen,  mit  ewigem  Schnee  bedeckten  Ber- 
gen herab  kämen,  vollkommen  richtig  seyn  müsse,  indem  er  ganz 
das  Ansehen  hatte ,  als  sey  er  nichts  weiter  als  ein  Bergstrom.  Denn 
ungeachtet  des  unaufhörlichen  Regens  war  er  doch  noch  durchwatbar, 
und  obgleich  erst  durch  2  Nebenflüsse  vergrössert,  doch  nicht  breiter 
als  80  Yards  oder  240  Fuss.  Es  ist  mithin  klar,  dass  der  Irawaddy 
nicht  der  Sanpo  oder  Thibetanische  Fluss  seyn  kann.  Kach  den,  an 
Ort  und  Stelle  eingesammelten,  Nachrichten  fliesst  kein  bedeutender 
Fluss  östlich  vom  Irawaddy ,  und  die  Gegend ,  nach  der  Gränze  von 
China  zu  ,  ist  sehr  rauh  und  unwegsam.  Auch  ist  kein  Raum  zwi- 
schen dem  Irawaddy  und  dem  Lukiang  für  irgend  einen  bedeutenden 
Fluss.  Es  soll  daher  nicht  unwahrscheinlich  seyn ,  dass  nicht  bloss 
der  Irawaddy ,  sondern  auch  der  Lukiang  und  der  Brahmaputra  aus 
verschiedenen  Seiten  der  Gruppe  von  Schneebergen  entspringen,  wel- 
che alle  Verbindung  mit  dem  Norden  durchaus  abschneiden.  Ist  diess 
gegründet ,  so  niuss  der  Sanpo  also  nach  O.  und  mithin  nach  China 
fliessen.  —  10.  Amerikanische  Alterlhümer.  ( Aus  dem  Globe  nach 
Warden.)  Handelt  von  den  verschiedenen  Ueberresten  aus  der  Vor- 
zeit ,  die  seit  so  vielen  Jahrh.  in  den  dichten  Wäldern  der  Neuen  Welt 
verborgen  blieben.  Diese  zerfallen :  1)  in  Festungswerke ,  2)  Erd- 
aufwürfe (  Tumuli  ) ,  3)  parallele  ErdM'älle ,  4)  unterirdische  Mauern 
von  Erde  und  Ziegeln,  5)  künstliche  Höhlen  oder  Brunnen,  6)  Fel- 
sen mit  Inschriften,  7)  Götzenbilder,  8)  Muscheln  aus  andern  Län- 
dern ,  und  9)  Mumien.  —  11.  Ausflucht  auf  der  Küste  von  Arrakan. 
(Aus  dem  Asiat.  Journ.)  Freylich  nur  flüchtige  Berichte,  ^ie  aber 
doch  manche  schätzbare  Notizen  darbringen.  Sie  betreffen  vornehm- 
lich die  grossen  Küsteninseln  Cheduba  und  Ramri.  Die  erste  ist  ein 
reizendes  Land ,  und  enthält  im  Innern  einige  Vulkane.  Die  beyden 
vornehmsten  darunter  liegen  auf  der  Spitze  eines  Bergs,  etwa  |  Engl. 
Ml.  von  einander.  Der  Diaraeter  des  einen  Kraters  beträgt  300  Fuss. 
Anbau  und  Bevölkerung  dieser  fruchtbaren  Insel  machen  schon  jetzt 
rasche  Fortschritte.  Sie  hat  bereits  2300  Hs.  und  11  —  12,000  E., 
meist  Mugs,  die  Taback,  rothen  Pfeffer  und  Baumwolle,  Zuckerrohr, 
Hanf  und  Reiss  bauen.  Die  gleichnahm.  Hauptst.  der  Insel  Ramri 
erhebt  sich  schnell  zu  grösserer  Volksmenge  und  bedeutendem  Handel» 

29* 


452  Geographie  und  Statistik. 

und  fasst  jetzt  schon  8000  E.  —  12.  Ucber  die  Thomaschristen  auf 
Hindostan,  (Aus  Asiat.  Journ.  )  Dieser  Aufsatz  ertheilt  Aufschluss 
über  den  Verfall  dieser  christlichen  Sekte.  Die  Zahl  der  Mitglieder 
derselben  soll  sich  gegenwärtig  auf  70,000  belaufen.  Das  gegenwär- 
tig zu  Cuttayum  eingerichtete  unter  dem  Schutz  des  Brittischen  Resi- 
denten stehende  Kollegium  für  junge  Leute  dieser  Kirche,  die  sich 
dem  Priesterstande  widmen  wollen,  lässt  hoffen,  dass  ihr  Glanz  und 
die  Einfachheit  und  Schönheit  ihrer  ursprünglichen  Lehre  wieder  her- 
zustellen sey.  —  13.  Arktische  Landexpedition.  (Aus  Asiat.  Journ. ) 
Dieser  Bericht  erstattet  besonders  nähere  Auskunft  über  denjenigen  Theil 
derFriinklinschen  Expedition,  welcbe  unter  dem  Lieut.  Kendal  von  der 
Mündung  des  Mackenzie  aus  sich  nach  O.  wendete,  und  deren  Zweck 
war,  die  Küsten  zwischen  dem  Mackenzie  und  Kupferminenfluss  zu 
untersuchen.  Wir  erfahren  aber  aus  demselben  nur,  dass  die  Küsten- 
fabrt  in  offene  See  sie  durch  die  Delphin-  und  Union  -  Strassen  in  die 
INähe  des  Kaps  Barrow  und  2^  östl.  vom  Kupferminenfluss  brachte, 
und  dass  sie  auf  der  Küste  überall  Treibholz,  oft  in  einer  Höhe  von 
10  bis  12  F.  fand.  —  14,  Reise  des  Professors  Eichwald  auf  dem  Ka~ 
spischen  Meere  und  im  Kaukasus.  Dieser  Auszug  aus  einem  der  ge- 
haltvollsten Reiseberichte  bringt  mancherley  interessante  Neuigkeiten 
und  Bemerkungen,  von  welchen  Rez.  natürlich  nur  einige  wenige  hier 
nahmhaft  machen  darf.  Das  ewige  Feuer  auf  der  Halbinsel  Abscheron 
wird  nicht  mehr  von  Parsen  oder  Gebern,  sondern  von  Hindus  (18 
Familien  stark)  unterhalten,  welche  diesen  Platz  für  einen  heiligen 
"Wallfahrtsort  erachten ,  hier  als  Märtyrer  ihrer  Religion  nur  von  ve- 
getabilischer Nahrung  leben  und  den  ganzen  Tag  mit  Beten  zubrin- 
gen. Das  Feuer  selbst  wird  von  Wasserstoffgas  unterhalten,  das  aus 
den  Spalten  eines  Muschelkalksteins  hervordringt.  In  einer  Entfer- 
nung von  |-  Ml.  befinden  sich  die  reichhaltigen  Naphtagruben ,  und  in 
deren  Nähe  die  ergiebigen  Salzseen ,  von  welchen  beyden  die  Krone 
95,000  R.  S.  jährliche  Einkünfte  hat.  Im  Hintergrunde  des  Balcha- 
nischen  Busens ,  auf  der  Ostseite  des  Kaspischen  Meeres,  fand  man  das 
Flussbette  eines  ehedem  sehr  grossen  Stroms,  das  hier  mit  einemMalile 
2  —  3  Faden  Tiefe  und  über  400  Faden  Breite  hatte,  und  das  nichts 
anders  als  das  verlassene  Bette  des  Amu-Darja  (Oxus)  seyn  kann. 
Die  Fischerey  zu  Sallian  am  Ausfiuss  des  Kur  hat  die  Krone  an  einen 
Indier  aus  Astrakhan  für  63,000  R.  S.  jährl.  verpachtet.  Neu  -  Scha- 
niachie  ist  jetzt  ganz  verlassen;  aber  Alt  -  Schamachie  wird  jetzt 
nach  Europ.  Art  ausgebaut ,  und  soll  zur  2ten  Gouvernementsstadt  er- 
hoben werden.  Am  Flusse  Kotscbkar  ist  Magneteisenstein  nicht  sel- 
ten ,  und  der  Berg  Daschkan  besteht  fast  ganz  aus  solchen  Geschieben. 
Von  der  vormahls  so  blühenden  Stadt  Schamkohr  ist  nur  noch  ein  sehr 
hober  und  eben  so  kunstvoll  gebauter  Minaret  übrig:  Tiflis  verdankt 
sowohl  Ursprung  als  Nahmen  ihren  trefflichen  Schwefelquellen.  Sie 
igt  durch  Sorge  des  Generals  Jermoloff  stark  verschönert  worden,  und 
h^t  Grusier,  Tataren,  Russen  und  einige  Perser  zu  Bewohnern.  — 
15,  Statistische  Uebersieht  der  Oesterreich.  Prov.  Tyrol.  v.  J.  1825.    Der 


Neue  geographische  und  etatlätische  Ephemeriden.         453 

Kreis  Imst  hat  88,210,  der  Kr.  Schwaz  124,746,  der  Kr.  Brunnecken 
98,243,  der  Kr.  Botzen  163,339,  der  Kr.  Trient  166,806 ,  der  Kr.  Ro- 
veredo  99,143  u.  der  Kr.  Bregenz  89,597,  die  ganze  Prov.  also  770,084 
Einw.  Innsbruck  zählt  10,767,  Trient  11,747,  Botzcn  7084  u.  Rove- 
redo  5862  Einw.  —  16.  lieber  die  Madep;assen  auf  der  Ostkünte  in  der 
ISähe  der  Marien-  Insel.  (Aus  Asiat.  Journ  )  Diese  mit  aller  Unparthey- 
lichkeit  entworfene  Skizze  gilt  vornehiulich  den  Bewohnern  der  Provinz 
Anoso.  Diese  theilen  sich  in  3  verschiedene  Kasten,  nähmlich  in  die 
der  Rohandriiins ,  d.  i.  Führer,  in  die  der  Luhavuliita,  d.  i.  freye  Män- 
ner, und  in  die  der  Sklaven.  Die  Führer  regieren  wie  kleine  Despo- 
ten, und  nirgends  ist  vielleicht  eine  so  wohl  gegründete  moralische 
Tyranney  zu  finden.  Und  doch  gründet  sich  ihre  Autorität  weder  auf 
Neigung  noch  auf  Gewalt.  Denn  von  ihren  Untergebenen  heimlich  ver- 
wünscht, und  ohne  eine  Macht  sich  Gehorsam  zu  erzwingen,  ruht  ihre 
ganze  Herrschaft  nur  auf  der  Gewohnheit ,  und  diese  ist  so  fest  ge- 
gründet, dass  kaum  ein  Beyspiel  gefunden  wird,  wo  das  Volk  sein  Joch 
abzuwerfen  gesucht  hätte.  Die  Privilegien  ,  welche  sie  geniessen ,  so 
lächerlich  sie  uns  vorkommen  müssen,  sind  es  gleichwohl  allein,  wo- 
durch ihre  Macht  in  der  öffentlichen  Meinung  gesichert  steht.  Ein 
Führer  ist  ein  von  seinen  Untergebenen  so  verschiedenes  Wesen,  dass 
seine  Augen,  sein  Mund  und  seine  Glieder  ganz  andere  Nahmen  führen 
als  bey  den  andern  Madegassen.  Nur  sie  haben  das  Recht ,  ein  Thier 
Äu  tödten ,  nur  sie  das  Privilegium  die  Schreibekunst  zu  üben  und  Klei- 
der zu  tragen.  Doch  haben  sie  vor  kurzer  Zeit  das  letztere  Vorrecht 
aufgegeben.  Neben  diesen  selbst  erfundenen  Unterscheidungen  findet 
aber  auch  noch  eine  andere  statt,  die  wirklich  ist  —  der  Aussatz :  diess 
schmachvolle  Zeichen  ist  nehmlich  nur  in  der  Familie  der  Rohandrians 
erblich  und  verschont  die  übrigen  Madegassen.  Diese  Führer  waren 
ursprünglich  Fremde  und  zwar  Araber,  die  sich  vor  nicht  gar  zu  lan- 
ger Zeit  hier  niedergelassen  haben ;  doch  unterscheiden  sie  sich  gegen- 
wärtig in  Folge  des  Einflusses  des  Klimas  und  der  Vermischung  der 
Rassen  nur  noch  wenig  von  den  übrigen  Kasten.  Die  freyen  Leute 
wohnen  in  Dörfern  vereinigt,  die  eine  einzige  Familie  bilden,  an  de- 
ren Spitze  der  Aelteste  steht.  Ganz  ihrer  natürlichen  Rechte  beraubt, 
haben  sie  weiter  kein  Privilegium  als  ihren  Tyrannen  zu  wählen.  Alle 
Kasten  zeichnen  sich  durch  ihre  übermässige  Liebe  zu  starken  Geträn- 
ken aus ,  die  sie  vor  der  Zeit  ins  Grab  stürzen.  —  Diesem  Band  ist 
ein  Kärtchen  :  „Ungefähre  Lage  der  Länder  zwischen  Für  u.  Burnu, ' 
beygegeben,  welches  zur  Versinnlichung  der  2ten  Abhandlung  dient, 
und  auch  den  See  Tschat  mit  seinen  2  Zuflüssen  Gambara  und  Schari 
darstellt. 

XXV  Band.  A)  Abhandlungen:  1.  Bemerkungen  über  die  Tatari- 
schen Stämme  und  Geographie  von  Usbeck  -  Turkestan.  (Vom  Hrn.  Prof. 
Hoffmann  zu  Jena.)  Dieser  höchst  interessante  und  instruktive  Auf- 
satz ist  ein  Auszug  aus  dem  ersten  Abschnitt  von  William  Erskine  Me- 
moirs  of  Zehir- Eddin  Muhammed  Baber,  Emperor  of  Hindostan,  wei- 
cherden Leser  in  Stand  setzen  soll,  dem  Selbstbiographen  indem  Ge- 


451  Geographie  und  Statistik. 

mählde  seiner  Thaten  mit  leichter  Mühe  folgen  zn.  können.  Da  nun 
diese  freye  Tatarey  (die  ,  wie  auch  der  Verf.  will  und  ausführlich  mit 
triftigen  Gründen  auseinander  setzt,  viel  richtiger  und  passender  Tur- 
kestaii  genannt  werden  sollte)  uns  immer  noch  nicht  vollkommen,  er- 
schlossen ist,  und  jede  Gabe,  welche  unsere  so  unvollständige  Kennt- 
ni?s  dieses  so  schwer  zugänglichen  Landes  erweitern  kann,  uns  höchst 
willkommen  seyn  muss,  so  sind  wir  dem  Hrn.  Prof.  Ho  ff  mann  für 
seine  trefflich  gelungene  Arbeit  herzlichen  Dank  schuldig.  Es  thut 
Rez.  sehr  leid  ,  dass  ihn  der  beschränkte  Raum  der  Jahrbb.  verbietet, 
den  Lesern  derselben  hier  eine  vollständige  Uebersicht  davon  mitzu- 
theilen :  er  muss  sich  daher  damit  begnügen,  zu  berichten,  dass  der 
Verf.  unter  dem  Nahmen  Usbeck- Turkestan  den  südlichen  (grössern) 
Theil  der  freyen  Tatarey,  und  zwar  die  Flussgebiete  des  Amu  u.  Sirr 
begreife  ,  und  dass  er  diesen  Aveiten  Landstrich  in  folgende  Prov,  ab- 
theile: A)  Länder  südlich  vom  Amu:  1)  Badakhschan,  2)  Balkh,  3) 
Khwarism  (Khiewa)  und  4)  die  Wüsten  der  Turkomanen;  B)  Länder 
nördlich  vom  Amu:  5)  Khutlan  ,  6)  Karatigin,  1)  Hissar  oder  Dsche- 
ghanian  ,  8)  Kesch  mit  Einschluss  von  Karschi  u.  Khosur,  und  9)  das 
Thal  von  Soghd  oder  Bokharah  und  Samarkand;  C)  Länder  längs  des 
Thaies  des  Sirr :  10)  Ferghana  oder  Kokand,  11)  Taschkend ,  12)  üra- 
tippa  oder  Uschruschna,  13)  die  Wüste  Ghus,  14)  Hak  und  15)  das 
eigentliche  Turkestan.  Dabey  kann  Rez.  aber  doch  nicht  umhin,  denn 
der  Gegenstand  ist  gar  zu  M'ichtig,  über  die  hier  eben  so  belehrende 
als  berichtigende  Darstellung  des  Gebirgssystems  in  diesem  Theile  Hoch- 
Asiens  das  Nöthige  in  gedrängter  Kürze  vorzulegen.  Mit  der  natür- 
lichen, hohen  (jetzt  uns  so  ziemlich  bekannten)  Scheidewand  zwischen 
Süd-  und  Mittel -Asien,  dem  Himalaya,  dem  Hindukusch  und  Paro- 
pamisus  läuft  höher  im  N. ,  fast  parallel,  eine  andere  sehr  ansehnliche 
Gebirgsreihe  bis  in  die  INähe  von  Ladak ,  und  nimmt  dahin  eine  nord- 
westliche Richtung,  um  sich  hier  mit  den  Gebirgen  von  Kaschmir,  ei- 
nem Theile  des  Hindukusch,  in  Verbindung  zu  setzen;  und  dieser  mäch- 
tige Gebirgszug  wird  hier  Mus  -  Tagh  (Mustag)  genannt.  Von  der  Ge- 
gend, wo  er  mit  den  andern  eben  genannten  Gebirgen  zusammenläuft, 
setzt  er  sich  in  eine  nördliche  Richtung  um  und  nimmt  den  Nahmen 
Belut-Tagh,  oder  Belur  an,  indem  er  nun  Usbeck  -  Turkestan  von  der 
Chinesischen  Prov.  Kaschgan  scheidet.  Vom  Belut  läuft  höher  im  N. 
wiederum  ein  hohes  Schneegebirge,  das  Jsfera  benannt  wird,  von  O. 
nach  W. ,  die  Wasserscheide  zwischen  den  Strömen  Amu  und  Sirr  bil- 
dend ,  fort  und  dieses  sondert  sich  im  Meridian  von  Khodsend  aber- 
mahls  in  3  oder  4  Nebenzweige  ab ,  die  in  der  Richtuug  von  S.  nach 
N.  Ala-Tagh,  Kesch,  Kura-Tagh  und  Uritippa  genannt  werden ,  alle 
aber  weiter  nach  W.  zu,  in  der  Nähe  des  Aral-  und  Kaspischen  See's, 
in  blosse  Sandhügel  übergehen,  und  am  Ende  in  den  Sandsteppen  sich 
verlieren.  Wenn  man  nun  einen  Blick  auf  die  altern  Karten  werfen 
will,  so  wird  man  bald  finden,  welche  gräuliche  Nahmenverwechsliing 
in  Betreff  dieser  Gebirge  herrscht-  Die  Landkartenzeichner  werden 
dalier  wohl  thun ,  wenn  sie  diese  Abhandlung  sorgfältig  studlren  und 


Neue  g(iogruphische  und  ütutistisclie  L'pbeaicrldeu.  455 

dann  das  Gefundene  auch  in  Anwendung  bringen ,  damit  endlich  cin- 
niabl  Einigkeit  in  der  IVonaenklatur  eintrete  und  das  Studium  der  Geo- 
graphie in  diesen  ohnehin  noch  in  tiefes  Dunkel  gehüllten  Theilen  von 
Asien  nicht  noch  mehr  erschwert  M'erde.  So  sehr  nun  Rez.  die  Be- 
stimmung und  Bezeichnung  dieser  verschiedenen  Gebirgszüge  billigen 
muss ,  so  wenig  mag  er  vor  der  Hand  die  in  diesem  Aufsatze  ausge- 
sprochene Behauptung,  dass  der  Mus  -  Tagh  von  geringerer  Ilühe  als 
der  Himalaya  sey,  unterschreiben.  Denn  der  Mus -Tagh  liegt  dem 
Kern  von  Mittel -Asien  um  Vieles  näher  als  der  Himalaya,  der  sich 
schon  am  Rande  der  südlichen  Abdachung  hinerstreckt.  Es  ist  dem- 
zufolge wenigstens  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  erstere  den  letz- 
tern noch  an  Höhe  übertrelTen  könne,  und  die  Zukunft  wird  doch  auch 
einmahl  dieses  Räthsel  lösen!  —  2.  Historisch-  geographische  Notiz 
über  den  Fluss  Syr  (Sirr)  oder  Sihun.  Von  Locrechine.  (Aus  d.  Annal. 
des  Voyag.)  Ebenfalls  eine  scharfsinnige  Abhandlung,  die  ihr  Scherf- 
lein  zur  nähern  Hunde  von  Tnrkestan  beyträgt.  Nachdem  der  Verf. 
alle  ältere  und  neuere  Schriftsteller,  die  über  diesen  merkwürdigen 
Strom  gesprochen,  angeführt  und  erläutert  hat,  beweist  er  mit  schla- 
genden Gründen,  dass  1)  der  Aral-See  noch  zu  den  Zeiten  Alexanders 
des  Grossen  mit  demK&spischen  See  zusammengehangen  haben  müsse; 
2)  dass  die  2  beträchtlichen  Nebenflüsse  des  Sirr,  welche  Ptolemäus 
beschreibt ,  der  Bascatis  und  Dymus ,  so  wie  auch  der  in  Russischen 
Beschreibungen  von  diesem  Erdstriche  vorkommende  Kinderlyk  jetzt 
gar  nicht  mehr  existire,  sondern  dass  vielmehr  deren  Betten  vom  Flug- 
sande ausgefüllt  worden  sind.  Der  Sirr  entspringt  nach  den  wahrschein- 
lichsten Vermuthungen  zw.  42  u.  43^  n.  Br.  in  den  Gebirgen  Kaschgar- 
Dawan ,  einem  Zweige  des  Thian-chan  (d.  i.  die  himmlischen  Berge, 
so  wird  hier  ein  Thell  des  Belut-Tagh  genennt),  strömt  bis  Kokand 
nach  SW. ,  wendet  sich  von  da  nach  NW.  bis  unterhalb  Kodschand. 
Von  da  läuft  er  nach  N. ,  richtet  sich  in  den  Umgebungen  der  Stadt 
Turkestan  nach  W.  und  theilt  sich  jenseits  Akmetschet  in  2  Arme,  von 
denen  der  nördliche  grössere  den  Nahmen  Sirr  beybehält  und  etwa  un- 
ter 46^,  und  der  südliche,  Kuwan-Darja  genannt,  unter  44^,  52'  n. 
Br. ,  beyde  aber  in  nordwestl.  Richtung  sich  in  den  Aral-See  ausmün- 
den. Ein  erst  in  den  Jahren  1760  — 1770  entstandener  Arm  des  Kuwan, 
Janghy  genannt,  ist  in  neuerer  Zeit  wieder  ausgetrocknet.  Nur  im  obern 
Theile  seines  Laufs  vor  dem  Eintritt  in  die  Wüste  Kura-Kura,  em- 
pfängt er  zahlreiche  Zuflüsse.  Bey  diesem  Strome  tritt  in  Ansehung 
seiner  Zunahme  an  Wassermenge  ein  umgekehrtes  Verhältniss  ein.  Denn 
er  ist  im  obern  Theile  viel  breiter  und  tiefer  als  im  untern.  Die  Ur- 
sachen davon  sind,  weil  er  dann  ganz  trockne  Sandwüsten  durchläuft, 
ohne  weitere  Nebenflüsse  zu  empfangen  unü  überdiess  noch  durch  zahl- 
reiche Kanäle  geschwächt  M'ird,  die  man  zum  Bewässern  der  Felder 
anfe  ihm  abgeleitet  hat.  Erst  in  der  Mitte  des  Sommers  und  zu  Anfange 
des  Winters  tritt  er  aus  seinen  Ufern.  In  der  Nähe  seiner  sehr  mora- 
stigen,  4  —  5  g.  M.  breiten  Mündung  bildet  er  eine  Art  von  Seen,  die 
mit  Schilf  bedeckt  sind.      Der  Bericht  schliesst  mit  einer  Aufzählung 


456  Geographie  und  Statistik. 

der  an  den  Ufern  des  Sirr  liegenden  Ruinen  alter  zerstörter  Städte, 
so  wie  mit  der  Versicherung ,  dass  der  auf  allen  altern  Karten  (der 
Verf.  hätte  füglich  sagen  können:  selbst  auf  vielen  der  neuesten)  ein- 
getragene Flusa  Kizil-Darja  ebenfalls  längst  nicht  mehr  exisiire;  dasa 
er  aber  in  der  Vorzeit  entweder  in  dem  alten  Bette  des  Jangliy- Armes, 
oder  in  einem  4^  g.  M.  südl.  vom  Janghy  gelegenen  ausgetrockneten 
Flussbette  geflossen  haben  könne.  —  3.  Die  Florida's.  (Aus  Quarterly 
Amei-icun  Review  u.  Revue  Britannique.)  Dieser  Aufsatz  ist  bestimmt, 
eine  genauere  Kenntniss  von  der  NaturbeschafTenheit  dieser  gegenwär- 
tig die  Aufmerksamkeit  so  vieler  Auswanderer  auf  sich  ziehenden  Land- 
schaften zu  verbreiten  und  die  prahlerischen  Uebertreibungen  von  den 
Vorzügen  derselben  zu  beschränken  und  zu  berichtigen,  Djis  Resultat 
dieser  Schilderung  ist  kürzlich  dieses:  Die  beyden  Florida's  sind  Ave- 
niger  fruchtbar  als  Louisiana  und  die  Ufer  des  Missisippi;  auch  ist 
hier  weder  die  Flora  noch  die  Fauna  so  reich  und  raannichfaltig  als  im 
Innern  des  Kontinents:  dann  ist  das  Klima  schon  sehr  warm  und  die 
Luft  in  allen  niedern  Strichen  während  des  hcissen  Sommers  ungesund ; 
aber  ihr  Boden  eignet  sich  vorzüglich  zur  Kultur  des  Zuckerrohrs,  das 
hier  weit  ergiebiger  als  in  den  andern  Staaten  seyn  soll,  der  Baum- 
wolle, der  Weintraube  und  des  Orangebaums.  Aus  der  Beschreibung 
selbst  hebt  Rez.  folgende  Kotizen  aus.  Der  grösste  Theil  der  Spanier 
hat  Florida  verlassen  und  sich  nach  Cuba  gewendet,  und  die  Semino- 
len  sind  auf  einen  Winkel  an  der  Gränze  von  Georgien  zurückgedrängt 
worden.  Es  wird  jetzt  in  Ost-  West-  und  Süd-  oder  Mittel -Florida 
unterschieden.  Vom  erstem  ist  S.  Augustin ,  vom  zweyten  Pensacola 
und  vom  dritten  Talahassee  die  Hauptstadt.  Letztere,  erst  im  J.  1822 
gegründet,  zählte  im  J.  1825  schon  120  Häuser  und  800  Einw,,  worun- 
ter mehrere  Kaufleute,  und  ist  der  Sitz  einer  patriotischen  Gesellschaft. 
Auch  Pensacola  ist  ala  Marine  -  Station  und  als  ein  mit  Garnison  beleg- 
ter Waflenplatz  im  raschen  Waclisen  (der  Herzog  Bernhard  von  S.  Wei- 
mar nennt  ihn  aber  den  verfallensten  und  hässlichsten  Ort  der  sämmt- 
lichen  V.  St.),  und  eben  so  das  neue  Etablissement  St.  Joseph.  Nur  St. 
Augustin  hat,  als  sonstiger  Sitz  der  Spanischen  Regierung  und  Militär- 
Station,  mehr  aber  noch  durch  den  Wegzug  der  Spanischen  Familien 
bedeutend  verlohren ,  wird  aber  bald  wieder  grössere  Wichtigkeit  er- 
reichen. Uebrigens  giebt  der  Bericht  über  die  gegenwärtige  Stärke 
der  Bevölkerung  keine  Auskunft.  —  4.  Die  Cap -  f  erdischen  Inseln. 
(Von  T.  Bromme.)  Diese  gutgerathene  Skizze  ist  ziemlich  vollständig 
und  ausführlich,  zumahl  in  Angabe  der  Buchten  und  Ankerplätze  und 
in  Beschreibung  der  Küsten;  doch  hat  Rez.  in  derselben  nicht  viel 
Neues  gefunden.  Auch  darf  man  sich  nicht  nacli  neuern  statistischen 
Daten  umsehen.  Der  Flächenraura  wird  wie  gewöhnlich  auf  78^  [UM. 
und  die  Bevölkerung  ganz  oberflächlich  auf  40,000  K.  geschätzt,  von 
welchen  12,000  auf  S.  Jago,  3000  auf  Mayo,  5000  auf  Fuego,  3000  auf 
Brava  u.  5000  auf  S.  Nicolas  wohnen  sollen.  Der  Ueberrest  von  12,000 
S.  kommt  auf  die  2  übrigen  bewohnten  Eylande  S.  Antonio  und  Bona- 
vista ,  bey  denen  die  Volkszahl  nicht  angemerkt  ist.     Nur  die  2  Inseln 


Neue  geographische  und  statistische  Ephemeridcn.  451 

Jago  und  Fuego  eind  königlich,  die  übrigen  aber  h'ingst  das  Eigen- 
thum  einiger  Portugiesischen  Familien  von  hohem  Adel.  —  5.  Das 
alte  und  neue  Jerusalem,  historisch  und  topographisch  bearbeitet  von  Dr. 
G.  von  Ekendahl.  (Vorzüglich  nach  Berggren's  Ilesor  i  Oesterländcre.) 
Diese  Skizze  beschäftigt  sich  vornehmlich  mit  der  Geschichte  dieser  so 
häuflg  eroberten  und  verwüsteten  Stadt,  in  welcher  kein  benierkens- 
werther  Moment  übei-gangen  worden  zu  seyn  scheint.  Desto  kürzer 
und  dürftiger  ist  aber  die  Beschreibung  der  heutigen  Stadt.  Sie  füllt 
nähmlich  nur  6  S.  und  ist  dabey  so  flüchtig,  dass  nicht  einmabl  der 
Kirche  des  heil.  Grabes  und  ihrer  Vertheilung  unter  die  verschiedenen 
christl.  Religionspartheyen  mit  einem  Worte  gedacht  wird.  Jerusalem 
enthält  jetzt  11  Moskeen,  20  christl.  Kirchen  mit  12  Klöstern,  3  Syn- 
agogen und  nach  den  zuverlässigsten  Berechnungen  20,000  E.,  worun- 
ter 2,500  Griechen,  2000  Katholiken ,  500  Armenier,  Syrier  u.  Kopten 
und  3  bis  4000  Juden.  —  B)  Vermischte  Nachrichten:  1)  lieber  den 
projcktirten  Chesapeake  -  Ohio  -  Kanal.  (Aus  Amerikanischen  Blättern.) 
]\ach  einem  Berichte  des  Präsidenten  der  V.  St.  von  N.  A.  soll  dieser 
projektirte  Kanal  wirklich  zur  Ausführung  kommen.  Er  wird  vonPitts- 
burgh  am  Ohio  bis  nach  Georgetown  am  Ausflüsse  des  Potomak  in  die 
Chesapeake  -  Bay  reichen  ,  eine  Länge  von  1,693,078  Par.  F.  =  341|^ 
Engl.  =  74  geogr.  Ml.  erhalten,  und  diese  Strecke  soll  mit  Einrech- 
nung  alles  Aufenthalts  durch  die  Schleusen  in  188  St.,  also  in  7 — 8  Ta- 
gen zurückgelegt  werden  können.  Dieser  Kanal  muss  die  ganze  Stelle 
der  blauen  Berge  durchschneiden,  und  insbesondere  die  Back-bone- 
Mountain ,  an  welchen  sich  die  Quellen  des  Potomack  und  Casselmann 
befinden,  in  einer  Höhe  von  2,754  F.  übersteigen.  Diess  geschieht 
tlieils  durch  398  Schleusen,  die  den  Kanal  nach  u.  nach  auf  eine  Höhe 
Ton  1898  F.  erheben,  theils  durch  eine  unterirdische,  20,041  F.  lange 
Passage,  die  856  F.  unter  dem  höchsten  Bergrücken  hinführt.  Er  soll 
48  F.  Breite  an  seiner  Oberfläche,  23  F.  Breite  am  Boden,  5  F.  Was- 
sertiefe und  9  F.  breite  Fusspfade  erhalten.  Die  Kosten  dieses  Unge- 
heuern Werks  sind  zu  54,269,500  Gulden  veranschlagt  worden.  Seine 
Bestimmung  ist,  den  Waarentransport,  der  bisher  auf  den  Atlantischen 
Ozeane,  dem  Missisippi  und  Ohio  geschehen  musste,  um  4  bis  500  g. 
M.  abzukürzen.  —  2)  Kpt.  Beechy's  Expedition.  (Aus  der  Literary- 
Gazette.)  Ist  eine  Fortsetzung  des  Reiseberichts  und  beschreibt  den 
Aufenthalt  des  Blossom  zu  S.  Francisco  und  Monterey  (in  Kalifornien), 
dann  auf  der  Sandwichs  -  Insel  Oahu  (die  die  königliche  Residenzstadt 
Honoruru  mit  einer  sehr  sichern  Bucht  enthält,)  und  zuletzt  in  Makao. 
Rez.  erwähnt  aus  demselben  nur,  dass  die  auf  den  Sandwichs  -  Inseln 
in  Menge  sich  aufhaltenden  Nord  -  Amerikaner  zum  Nachtbeil  der  Brit- 
ten  immer  mehr  Einfluss  zu  gewinnen  trachten.  Diess  war  so  weit  ge- 
gangen, dass  sie  die  Amerikanischen  Sterne  und  Streifen  an  die  Stelle 
der  Brittischen  Unionsllaggc  gestellt  hatten ,  was  indess  von  dem  Britti- 
schen Konsul  nicht  geduldet  wurde.  —  3.  Nachrichten  aus  Cuba.  (Aus 
den  Annal.  des  Voyages.)  Sie  beschränken  sich  auf  Beschreibung  der 
Stalaktiten  -  Grotten  von  Yumari  bey  Matanzas.  —     4.    Notizen  aus 


458  Geogrupbic  und  Statistik. 

Siam  im  J.  1827.  (Aus  Asiat.  Journ.)  Diese  aus  dem  Journal  eines 
Brittisclien  Kaufmanns,  der  sich  geraume  Zeit  zu  Bang-liok  aufgehalten 
hatte,  gezogenen  Notizen  sind  sehr  interessant  und  berichten  über  diesa 
merkwürdige  Land  manches  Keue.  Der  König  ist  so  misstrauisch  ge- 
gen die  Britten,  und  so  sehr  in  Besorgniss  eines  baldigen  Angriffs,  dass 
er  an  der  Mündung  des  Menang  2  grosse  Forts  zu  Paknam  u.  Pakklaat 
hat  erbauen ,  und  jedes  mit  200  Kanonen  besetzen  lassen.  Auch  soll 
die  Mündung  des  Stroms  grossen  Seeschiffen  unzugänglich  gemacht 
werden.  Die  Siamesen  sind  höchst  abergläubisch  und  leichtgläubig, 
sehr  feig,  dem  Lügen  und  der  niedrigsten  List  sehr  ergeben,  dabey 
aber  doch  sehr  ehrlich,  so  dass  Diebstähle  unter  ihnen  sehr  selten  sind, 
still  und  zufrieden  ,  Feinde  von  Zänkereyen  u.  Schlägereyen,  und  sehr 
höflich  und  bescheiden.  Löbliche  Züge  ihres  Charakters  sind  ausser- 
dem ihre  ausgezeichnete  Liebe  zu  ihren  Kindern ,  auf  deren  Erziehung 
sie  grosse  Sorgfalt  verwenden  (es  giebt  selbst  unter  den  Culies  nur  we- 
nige, die  nicht  lesen  und  schreiben  können),  und  ihre  Ehrfurcht  vor 
dem  Alter.  Die  jährlichen  Einkünfte  des  Reichs  schätzt  man  auf  2^ 
Mill.  Tikals  (ä  18  Gr.  6  Pf,  Conv.),  die  zur  Besoldung  der  Regierungs- 
diener und  zur  Erhaltung  der  Prinzen,  deren  Zahl  sich  überhaupt  auf 
2000  belaufen  soll,  fast  ganz  verwendet  werden.  Die  Bevölkerung  soll 
sich  auf  5  Mill.  belaufen,  und  zwar  auf  3^  Mill.  Siamesen,  Laosesen 
U.S.W,  und  1^  Mill.  Chinesen,  die  durch  das  ganze  Reich  zerstreut 
sind ,  und  vieler  Vorrechte  geniessen.  Das  Klima  wird  ausserordent- 
lich schön  und  gesund  genannt.  —  5.  Zahl  der  Methodisten  in  Eng- 
land und  Wales  im  J.  1826.  Sie  betrug  207,192  K.,  wovon  allein  50,976 
in  York  und  20,776  in  Lancashire.  —  6.  Die  Birmanische  Prov.  Bas- 
sein. (Aus  Asiat.  Journ.)  Sie  liegt  am  Bengalischen  Meerbusen ,  ent- 
hält 422  g.  OM.  ,  besteht  meist  aus  sehr  fruchtbaren  Niederungen,  die 
aber  aus  Mangel  an  Kultur  jetzt  grösstentheils  mit  lungle  und  Wäldern 
bedeckt  sind,  und  wird  von  den  beyden  grossen  Armen  des  Irawaddy 
bewässert.  Die  Bevölkerung  ist  jetzt  äusserst  schwach  und  das  Land 
zählt  höchstens  noch  160,000  Menschen ,  wovon  etwa  10,000  Birmanen 
und  Talier ,  und  60,000  Karianen  und  Kyens.  Vormahls  umfasste  sie 
32  Stadtbezirke,  jetzt  ist  aber  deren  Zahl  auf  8  gesunken.  Die  Haupt- 
stadt gl.  N.  hatte  früher  30,000  E. ,  jetzt  fasst  sie  kaum  noch  3000.  — 
7.  Folksmenge  von  Böhmen  und  Mähren  im  J.  1827.  Sie  stieg  im  er- 
stem auf  3,736,840,  und  im  letztern  auf  1,990,464  K.  —  8.  Zmvachs 
der  Volksmenge  Irelands  seit  dem  ITten  Jahrh.  (Aus  Moore  State  of  Ire- 
land.)  Die  Seelenzahl  bestand  im  J.  1827  aus  7,490,000,  aber  im  J. 
1695  nur  a.  1,034,102,  im  J.  1731  a.  2,010,261,  im  J.  1788  a.  4,010,000 
und  im  J.  1821  a.  6,801,827  K.  —  9.  Nachrichten  von  dem  verstorbe- 
nen Moorcroft.  (Aus  Asiat.  Journ.)  Sehr  lesenswerth,  aber  keines  Aus- 
zugs fähig.  Von  Kaschmir,  wo  der  unglückliche  Reisende  durch  die 
Kabalen  des  Ranjeet  Singh's,  des  Oberhaupts  derSciks,  fast  ein  gan- 
zes Jahr  lang  aufgehalten  wurde ,  heisst  es:  „Das  Land  ist  von  Natur 
das  fruchtbarste  und  schönste  der  Welt;  das  Klima  herrlich  —  die  Ein- 
wohner gewiss  das  geistreichste  Volk  in  Asien.     Die  Natur  hat  es  fast 


Neue  geographische  und  stajlistii^chc  Ephcmcrldcn.  459 

mit  allen  Erzeugnissen  heschcnkt;  iiher  der  Druck ,  den  raubsüclitige 
Gewalthaber  seit  80  Jahren  gegen  die  Einw.  üben  ,  hat  es  ins  Elend 
gestürzt  und  es  bietet  jetzt  ein  Bild  des  Hungers  und  der  Verwüstung 
dar,  das  anzusehen  empörend  ist."  —  10)  Grünzvertrag  zwischen 
llussland  und  Fersten.  (Aus  dem  Journ.  de  St.  Petersburg.)  Bekannt- 
lich hat  llussland  durch  denselben  die  beyden  Khanate  Eriwan  und 
]\achitschewan,  und  ausserdem  noch  einen  beträchtlichen  Landstrich 
südlich  von  der  Kur -Mündung  bis  zum  Küstenflusse  Astaran  gewon- 
nen. —  11)  Ermordung  des  Major  Laing  und  des  Hauptmann  Clapper- 
ton.  —  Einnahme  von  Tombuklu  durch  die  FcUatahs.  Dieser  Aul'satz 
theilt  aus  dem  Globe  die  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Paris 
vorgelegten  Aktenstücke  über  jene  traurigen  und  höchst  bekhi/^enswer- 
Ihen  Ereignisse  mit,  die  aber  schon  aus  andern  öfl'entlichen  Blättern 
hinlänglich  bekannt  sind.  Wir  wissen  nähmlich  nur ,  dass  zwar  Laiiig 
in  der  Nähe  von  Tombuktu  wirklich  von  den  Fellatahs  ermordet  wor- 
den, Clapperton  hingegen  zu  Sakkatu  eines  natürlichen  Todes  gestor- 
ben ist.  —  lli)  Etwas  über  den  jetzigen  Zustand  des  Britlischen  Reichs. 
(Von  Merrit.  Aus  dem  Quarterly  Journal  of  science.)  Dieses  mit  gro- 
sser Sachkenntniss  und  Gewandheit  angestellte  Räsonnement  soll  die 
Vorzüge  des  Brittischen  Reichs  vor  allen  übrigen  Staaten  in  ein  helles 
Licht  setzen  ,  und  dieses  gelingt  ihm  in  den  meisten  Stücken  gar  nicht 
übel.  Wenn  er  aber  hin  und  wieder  etwas  übertreibt,  so  muss  man  es 
dem  Patriotismus  des  Verf.  zu  Gute  halten.  Die  meisten  dieser  Trug- 
schlüsse und  irrigen  Behauptungen  hat  nun  auch  der  Red.  in  beyge- 
fügten  Noten  gerügt  und  berichtigt.  Dennoch  sind  solche  mancher  Zu- 
sätze fähig.  So  fehlt  bey  den  Niederlanden  unter  den  Städten  des  2ten 
Ranges  nicht  bloss  Antwerpen  ,  sondern  auch  Gent ,  und  bey  Italien, 
auch  unter  den  Städten  des  2ten  Ranges:  Palermo,  Messina  und  Bo- 
logna. —  13)  Das  Oesterreichische  und  Preussische  Deutschland.  Diese 
interessante  Vergleichung  der  zwey  Hauptmassen  des  Deutschen  Bundes 
legt  vor  Augen,  dass  in  beyden  die  Bevölkerung  ziemlich  gleichmässig 
sich  vermehrt  habe.  Denn  die  Oesterreichischen  Bundesländer  zählten 
im  J.  1816  9,386,470  und  im  J.  1826  10,655,324,  die  Preussischen  da- 
gegen im  J.  1816  8,187,215  und  im  J.  1826  9,302,020  Einw.  Der  zehn- 
jährige Zuwachs  beträgt  mithin  bey  Oesterreich  1,268,854  u.  bey  Preu- 
ssen  1,114,805  S.  —  14)  Detaillirte  Volksliste  der  Schweiz,  Ende  1827. 
(Aus  Nouv.  Ann.  des  Voyag.)  Nach  dieser  hatte  die  Eidgenossenschaft 
2037,030  E.  und  zwar  1,218,110  Reform. ,  817,110  Kathol.  u.  1810  Ju- 
den. Von  den  letzten  leben  allein  1700  im  Kant.  Aargau ,  der  Ueber- 
rest  in  den  K.  Genf  und  Bern.  —  15)  Neue  Organisation  des  Russi' 
sehen  Gouvern.  Bessarabien.  Es  ist  nun  in  folgende  6  Kreise  zerlegt: 
Akierman,  Bender,  Bielzy,  Czrimm ,  Ismail  und  Kischenew.  Letzte- 
res ist  die  Hauptstadt  derProv.  geblieben,  der  Sitz  des  General- Gou- 
verneurs von  Neu-Reussen  und  Bessarabien,  so  wie  des  Provinzial- 
Conseil,  das  aus  7  Mitgliedern  besteht.  Die  hiesigen  Bauern,  nur  mit 
Ausnahme  der  Zigeuner ,  sind  keine  Leibeigenen  der  Guthsherren  ,  ja 
die  Russischen  Gutlisbesitzer  dürfen  Leibeigene  nur  als  Hausgesinde  mit 


460  Geographie  und  Statistik. 

fiich  führen ,  nicht  aber  laiidäässig  machen.  (Wenigstens  ein  Anfang 
zur  Verbesserung  der  Lage  der  Russischen  Landleute  !)  —  16)  Ermor- 
dung  des  Major  Laing  und  Cupitän  Clapperton.  (^Aus  Literary- Gazette.) 
Äähcre  Nachrichten  über  das  unglückliche  Schicksal  dieser  so  unter- 
nelmienden  Männer.  —  17)  Capitän  Clapperton' s  Tod.  (Aus  derselben 
Zeitung).  Nach  Aussage  dessen  Dieners,  Nahnicns  Lander,  der  über 
Badagry ,  wo  er,  auf  Anstiften  der  Portugiesen,  beynahe  vergiftet 
worden  wäre,  zurückkehrte,  ist  sein  unglücklicher  Gebieter  nicht  er- 
mordet worden,  sondern  am  ISten  April  1827  zu  Sakkatu  an  der  Ruhr 
gestorben.  —  18)  Reisende  in  Afrika.  (Auch  aus  der  Liter. -Gazette.) 
Bietet  allerhand  Betrachtungen  über  die  Wahrheit  obiger  niederschla- 
genden Kleidungen  dar,  und  bemerkt  zum  Eingange,  dass  von  Dickson, 
seit  seinem  tiefern  Eindringen  in  das  Land,  keine  Nachrichten  vorhan- 
den sind.  —  19)  Der  Archipel  von  Siam.  (Journ.  des  Voyag.)  Dieser 
liegt  im  Meerbusen  von  Siam,  vor  der  Mündung  des  Menam ,  unter 
13**,  12'  n.  Br.,  und  besteht  aus  2  grössern  (Ko  -  Sichang  u.  Ko-Kramb) 
lind  mehrern  ganz  kleinen  Eylanden.  Auf  Ko-Kramb  findet  man  eine 
nicht  essbare  Art  von  Ignamen ,  die  eine  so  ungeheuere  Knollenwur- 
zel hat,  dass  einige  von  einem  Umfange  von  10  F.  u.  von  einer  SchAvere 
von  474  Pf.  gefunden  wurden.  —  20)  Der  Staat  S.  Cruz  de  la  Sierra. 
Diese,  aus  den  2  Distr.  Misquez  und  Chiquitos  bestehende,  7,000  OM. 
grosse  Landschaft  hat  sich  trotz  ihrer  äusserst  geringen,  meist  in  India- 
nern bestehenden  Bevölkerung  nicht  dem  Staate  Bolivia  angeschlossen, 
sondern  vielmehr  eine  eigene,  ganz  unabhängige  Regierung  begrün- 
det. —  21)  Tod  des  jungen  Mungo  Park,  Sohn  des  berühmten  Reisen- 
den dieses  Nahmens.  Auch  dieser  junge  Mann,  der  die  Reise  nach 
Afrika  angetreten  hatte ,  um  sichere  Naclwichten  über  den  Tod  seines 
Vaters  einzuziehen ,  ist  ebenfalls  ein  Opfer  seines  Muthes ,  vielleicht 
aber  richtiger  seiner  Unvorsichtigkeit  geworden.  Er  bestieg  nähmiich 
zu  Akimbo ,  dem  ernstlichen  Abrathen  des  Königs  zum  Trotze,  einen 
Fetischbaum  und  wurde  wahrscheinlich  von  den  Fetischpriestern,  wel- 
che den  Zweifel  für  ihre  Älacht  und  ihr  Ansehen  fürchteten ,  vergif- 
tet. —  Diesem  Bande  ist  ein  recht  nett  und  sauber  lithographirter 
Plan  von  Jerusalem  beygelegt.  — 

XXVI  Band.  A)  Abhandlungen:  1.  Mexico'' s  Seehandel  im.  J.  1825. 
(Auszug  aus  der  amtlichen  Darstellung  desselben,  betitelt:  Balanza  ge- 
neral  del  comercio  maritimo  por  los  puertos  de  la  Republica  mexicana 
el  en  Ano  1825;  und  mitgetheilt  von  L.  M.  Röding  Dr.)  Das  Resultat 
dieser  auf  sehr  ausführliche  und  specielle  Angaben  sich  stützenden 
Bilanz  ist  für  den  jungen  Freystaat  nichts  weniger  als  erfreulich.  Denn 
in  sämmtlichen  Häven  übersteigt  der  Werth  der  Einfulir  den  der  Aus- 
fuhr M'eit,  und  gleichwohl  bestand  die  letztere  grösstentheils  (nicht 
weniger  als  3,538,653  Piaster)  in  Silber,  und  der  Werth  aller  übrigen 
ausgeführten  Waaren  betrug  dagegen  nur  1,161,945  Pstr.  Der  Werth 
der  ganzen  Einfuhr  belief  sich  dagegen  auf  19,360,175  Pstr.  Ein  trau- 
riger Beweis,  wie  sehr  während  der  Revolution  der  Anbau  dieses  von 
der  Natur  so  reich  ausgestatteten  Landes  gesunken  seyn  müsse !    Wenn 


Neue  geographische  und    statistische  Ephcmcritlcii.  461 

diese  so  ganz  unverliältnissniässlge  Bilanz  noch  mehrere  Jalire  andauern 
sollte,  was  wird  wohl  der  Erfolg  seyn?  —  2.  Uehcr  die  Leichenstaüt 
Petra;  von  den  Herrn  Charl.  Leonh.  Irby  und  Jam.  Mangles,  Com- 
mandeurs  der  königl.  Marine.  (Bruchstück  einer  nur  als  Manuskript  für 
Freunde  in  geringer  Zahl  von  Exemplaren  gedruckten  Reisebeschrei- 
hung.)  Dieses  Bruchstück,  welches  die  ausführliche  Beschreihung  der 
zahlreichen  sehr  schenswerthen  Ruinen  einer  der  merkwürdigsten  Städte 
der  Vorzeit  enthält,  muss  jedem  Altcrtliumsforscher  höchst  willkommen 
seyn,  und  die  Redaktion  der  allgera.  G.  u.  St.  Ephem.  verdient  vollen 
Dank,  dass  sie  diese  Skizze  zur  weitern  Verbreitung  aufgenommen  hat. 
Leider  kann  Rez.  daraus  nichts  mittheilen,  als  dass  die  Verff.  versichern, 
dass  die  beyden  alten  Geographen,  Plinius  und  Strabo,  in  Beschrei- 
hung der  Lage  der  Stadt  nicht  nur  mit  sich ,  sondern  auch  ganz  mit 
der  Wirklichkeit  übereinstimmen,  und  dass  sie  ■\rirklich  ein  freyer  Platz 
{Area)  im  Innern  eines  Bergs  sey,  der  sich  zu  Dämmen  erhebt  und  von 
Einsenkungen  durchschnitten  ist.  Die  Beschreibung  dieser  sowohl  in 
Ansehung  ihrer  Anlage  als  Bauart  einzigen  Stadt  des  grauen  Alterthums 
wird  bald  die  verlangenden  Blicke  vieler  Reiselustigen  auf  diese  Fel- 
senhöhle richten.  —  3.  Die  Insel  Bali.  (Nach  J.  Olivier's  Land  -  en 
Zeetogten  enNederlands  Indie.  1827.)  Abermahls  ein  wesentlicher  Bey- 
trag  zu  nähern  Kunde  von  Süd -Indien,  und  um  so  schätzbarer,  da  er 
eine  noch  so  wenig  bekannte  Insel  beschreibt.  Sie  zählt  in  ihren  7 
Furstenthümern  (Badong,  Boliling,  Dyanjar,  Karang-Asam,  Klong- 
koug,  Manggoei  und  Tabanun)  nicht  weniger  als  985,000  Menschen, 
und  darunter  129,000  wehrhafte  Männer.  (Unsere  bisherigen  Handbü- 
cher theilten  ihr  aber  gewöhnlich  nur  100,000  E.  zu ,  und  betrachten 
diese  als  Abkömmlinge  bald  von  Malayen  bald  von  Hindus.)  Nach  dem 
Verf.  stammt  die  heutige  Bevölkerung,  mit  Ausnahme  der  Chinesen, 
Buginesen  und  andre  Ausländer,  die  sich  längs  der  Küste  niederge- 
lassen haben ,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von  Java  ab ,  und  zwar 
von  Flüchtlingen ,  welche  zur  Zeit  der  mohammedanischen  Verfolgung 
hieher  sich  gewendet  haben.  Ihre  Religion  ist  ursprünglich  die  des 
Brahma,  scheint  aber  sehr  ausgeartet  zu  seyn.  Sie  theilen  sich  in  4 
Kasten ,  in  die  der  Priester  (deren  Ansehen  hier  ungemein  gross  ist), 
die  der  Fürsten ,  die  des  Mittel  -  und  die  des  Bauernstandes.  Wenn 
«in  Fürst  stirbt,  so  lassen  sich  dessen  Lieblingsweiber,  die  er  sich  selbt 
auswählt,  mit  dessen  Leichnam  verbrennen.  Ein  Hauptnahrungszweig 
der  Einwohner  war  sonst  der  Sklavenhandel ;  seitdem  aber  dieser  ab- 
geschafft worden,  sind  mehrere  Distr. ,  besonders  das  Gebiet  Boliling, 
dem  grössten  Elende ,  ja  dem  Hungertode  ausgesetzt.  Der  Verf.  er- 
zählt in  einer  Note,  dass  er  auf  einer  Reise,  wo  das  Schiff  dicht  an 
der  Küste  von  Andaman  hinfuhr,  längs  dem  Strande  mehrere  umge- 
brachte Kinder  liegen  sah.  Nach  der  Landung  wird  nach  den  Ursachen 
dieser  Erscheinung  geforscht,  worauf  der  Vorsteher  des  Orts  antwor- 
tet: „Ach  mein  Herr,  wir  können  unsern  Kindern  nichts  zu  essen  ge- 
ben, und  da  ist  es  besser,  sie  sogleich  zu  tödten."  Er  schliesst  diese 
Note  mit  den  allerdings  sehr  beherzigenswertben  Worten :  „Sonst  wur- 


4ß2  Geographie  und  Statistik, 

den  die  Kinder  verkauft,  und  nun  werden  sie  ums  Leben  g-ebracht! 
Ihr  Menschenfreunde,  die  ihr  den  Sklavenhandel  abgeschafft  habt, 
fronet  euch  nicht  allein  über  die  allerdings  grossen  Vortheile,  die  ihr 
dadurcli  bewirkt  habt,  sondern  sorget  auch,  die  sehr  grossen  Nach- 
theile abzustellen,  welche  daraus  entstanden  sind."  —  4.  Der  Kai- 
serlich Schinesische  Kalender.  (Von  Klapproth  in  den  Nouv.  Annal.  des 
Voyag.)  Dieser  Auszug  aus  dem  genannten  Kalender,  der  jährlich  zu 
Peking  4  Mahl  erscheint,  ist  sehr  instruktiv,  und  für  alle,  welche  sich 
einen  richtigen  und  vollständigen  Ueberblick  von  der  Verfassung  und 
der  Verwaltung  des  sogen,  himmlischen  Reichs  verschaffen  wollen ,  eine 
dankenswerthe  Mittheilung.  Ein  aberniahliger  Auszug  aus  demselben 
würde  gar  zu  trocken  und  unverständlich  seyn.  Rez.  beschränkt  sich 
desshalb  darauf,  eine  Ansicht  des  Verf.  einiger  Berichtigung  zu  unter- 
werfen. Es  heisst  nähmlich  S.  172:  „Es  erscheint  einem  Europäer 
überraschend,  dass  in  Schina  der  Staat  seine  Aufmerksamkeit  nicht  auf 
die  Religion  richtet;  diess  geschieht,  weil  man  sie  in  diesem  Lande 
als  die  Privatangelegenheit  der  Menschen  betrachtet,  in  ivelche  die  Re- 
gierung kein  Recht  hat,  sich  zu  mischen.  Die  Herrscher  von  Schina 
sind  nicht  der  Meinung  gewesen,  dass  die  Religion  ein  Mittel  sey,  sich 
das  Volk  unterwürfig  zu  machen;  denn  sie  wussten  wohl,  dass,  wenn 
man  die  Unterthanen  durch  religiösen  Glauben  beherrschen  will,  die 
Priester  nothwendig  in  Theilnahme  der  Autorität  treten,  und  endlich 
der  Regent  sowohl  als  sein  Volk  unter  ihr  Joch  fallen.  Der  Glaube, 
welcher  den  Beherrscher  von  Schina  auf  den  Thron  erhält,  ist  der 
Glaube  an  die  Institutionen  und  Regierungs- Grundsätze  des  Reiches." 
Wäre  diese  Behauptung  ganz  gegründet,  so  würde  sich  der  vorige  Kai- 
ser keine  so  strenge  Verfolgung  der  Christen  erlaubt  haben.  Uebrigens 
besoldet  der  Kaiser  seine  Diener  nicht  eben  reichlich.  Denn  nach  der 
beygegebenen  Tabelle  hat  ein  Tsiangkiun  (gleich  unserra  General  en 
Chef)  an  Besoldung,  Feuerungs-  Tafel-  und  Bureaux- Geldern  nur 
605/Jl/ly,  und  ein  Yeou-Ky  (so  viel  als  Obrist)  235j%<lf^  Unzen  Sil- 
ber zu  beziehen.  Die  Einrichtung  des  Militärs  und  dessen  Stärke  stimmt 
fast  ganz  mit  Timkowsky  überein.  —  5.  Nachricht  über  die  Norwest- 
hüste  von  Borneo.  (Auszug  aus  dem  Singapore-Chronicle.)  Schon  wie- 
der ein  sehr  willkommener  ßeytrag  zur  Kenntniss  der  Hauptinsel  Süd- 
Indiens.  Wir  erfahren  aus  demselben  mit  Zuverlässigkeit,  dass  die 
Kiederländische  Regierung  schon  seit  dem  J.  1812  *)  mit  den  Sultanen 
von  Sambas,  Mompawa,  Pontianak  u.  Matan  Verträge  abgeschlossen  hat, 
kraft  welcher  deren  Häven  unter  die  unmittelbai*e  Aufsicht  der  Nieder- 
länder gestellt  werden  ,  genannte  Sultane  mit  keiner  andern  Europäi- 
schen oder  Amerikanischen  Regierung  Handelsverbindungen  eingehen 
und  sich  verbindlich  machen,  die  Seeräuberey  zu  unterdrücken,  wo- 
gegen ihnen  ein  monatliches  Donativ  zugesichert  worden  ist;  und  dass 
genannte  Regierung  mit  den  Malaya  -  oder  Daya  -  Fürsten  des  Innern 
dahin  sich  vereinigt  habe,  dass  ihre  Besitzungen  von  den  Holländern 

*)  mnss  wohl  heissen  1815. 


Neue   geograp1ii6che  und  statktische  Epliemerlden.  463 

verwaltet  und  die  Einkünfte  gleicliförinig  gethcilt  werden  sollten.  Uie- 
ses  neue  1\iederländiäclie  Gebiet  soll  fast  den  dritten  Tlieil  der  ganzen 
Insel  in  sich  fusncii  (was  wohl  übcrtrichen  ist).  Aber  die  Bevölkerung 
etcigt  schwerlich  über  -100,000  Seelen,  wovon  die  Diiya's  (wolil  richti- 
ger Dayaks)  etwa  die  Ilälfte  ausmachen.  Auch  die  hiesigen  Ujaya's 
bctzcn  ihren  Stolz  auf  den  Besitz  von  Menschenschädeln,  und  ein  Mann 
von  grossem  Ansehen  hat  oft  50  bis  (JO  derselben  auf  seinen  Grundstü- 
cken aufgehängt.  Ein  junger  Mann  kann  niclit  eher  heiratlien ,  als  bia 
er  sich  dazu  durch  von  ihm  selbst  abgeschnittene  Köpfe  qualidzirt  hat, 
und  der  Leichnam  irgend  einer  Person  von  Rang  kann  nicht  eher  be- 
erdigt werden ,  bis  ein  frischer  Kopf  von  einem  seiner  nächsten  Ver- 
wandten aufgetrieben  wird.  Audi  in  dieseiu  Theile  der  Insel  wohnen 
viele  Chinesen  (etwa  125,000).  Das  Gebiet  umschliesst  die  Diamant-> 
gruben  von  Landak.  —  6.  Detaillirte  lolksliste  der  Preussischen  Mo- 
narchie, Ende  1825,  verglichen  mit  der  von  1819  und  1827.  (Vom  Hrn. 
Fastor  Cannabich.^  Ein  willkommner  ßeytrag  zur  Statistik  dieses  so 
rasch  wieder  aufblühenden  Staats,  der  durchaus  aus  amtlichen  Quellen 
geschöpft  worden  seyn  muss.  Die  Liste  giebt  nicht  bloss  die  Seelen- 
zahl der  Kegierungs  -  Bezirke  ,  sondern  auch  der  einzelnen  Kreise  an, 
und  ihr  Werth  erhöht  sich  durch  Beysetzung  des  Areals.  Indessen  sind 
dem  Rez.  bey  einigen  Reg. -Bezirken  kleine  Bedenklichkeiten  aufge- 
stossen.  Wie  kommt  es  nähmlich,  dass  mehrern  derselben  andere  Sum- 
men gegeben  worden  sind ,  als  man  beyra  Zusammenzug  der  Bevölke- 
rung der  Kreise  erhält?  So  hat  der  Reg. -Bez.  Erfurt  in  der  Tabelle 
268,130,  wenn  man  aber  die  Zahlen  der  einzelnen  Kreise  addirt,  nur 
263,8ü3;  so  hat  der  Reg. -Bez.  Stralsund  im  ersten  Falle  145,221,  im 
zweyten  aber  156,164 ;  so  hat  der  Reg.  Bez.  Merseburg  im  ersten  Falle 
nur  565,097,  im  zweyten  aber  583,280  Einw.  Das  letztere  Facit  hat 
indessen  sein  Daseyn  offenbar  nur  einem  Druckfehler  zu  verdanken. 
Denn  der  Kreis  Sangerhausen,  der  im  J.  1819  erst  43,795  S.  zählte, 
hat  hier  nicht  weniger  als  64,166  erhalten.  Ist  nun  das  dem  ganzen 
Reg.  Bez.  gegebene  Facit  richtig,  so  muss  sich  die  Volkszahl  für  den 
genannten  Kreis  auf  45,983  Köpfe  reduziren  ,  was  wohl  als  sicher  an- 
zunehmen ist.  Einen  grössern  Stein  des  Anstosses  hat  jedoch  Rez.  beym 
Reg.  Bez.  Magdeburg  (der,  beyläufig  gesagt,  im  ersten  Falle  527,545, 
im  letztern  Falle  527,207  E.  erhalten  hat,)  gefunden.  Bekanntlich  ist 
im  J.  1820  der  Kreis  Osterwick  aufgelöset,  und  dagegen  die  dazu  ge- 
hörige St. -Hsch.  Wernigerode,  zu  einem  eigenen  Kreis  erhoben, 
der  Ueberrest  des  Kr.  aber  mit  etwa  16000  E.  zu  den  Krr.  Halberstadt 
und  Oschersleben  geschlagen  worden.  Trotz  dieser  bedeutenden  Ver- 
grösserung  hat  der  Kreis  Halberstadt,  der  im  J.  1819  schon  38,751  E. 
hatte,  für  das  J.  1825  nur  43,719,  und  der  Kreis  Oschersleben,  der  im 
J.  1819  in  seinen  alten  Umfange  32,719  M.  umfasste ,  für  das  J,  1825 
gar  nur  28,416  E.,  also  4303  weniger  erhalten.  Die  3  alten  Kr.  Hal- 
herstadt,  Oschersleben  und  Osterwick  hatten  im  J.  1819  102,839,  und 
die  3  neuen  Kr.  Halberstadt ,  Oschersleben  und  Wernigerode  haben  für 
daa  J.  1825  nur  86,802  E.,   mithin  16,037  K.  weniger  erhalten.     Wie 


464 


Geographie   und  StatUtik. 


g^eht  das  zu?  Angenommen,  dass  gerade  in  diesen  3  Kreisen  in  den  6 
Jahren  die  Bevölkerung  keine  Fortschritte  gemacht  hahe,  ohgleich  sol- 
che in  allen  übrigen  Kreisen  ohne  Ausnahme  bedeutend  gestiegen  ist, 
so  ist  es  doch  höchst  unwahrscheinlich ,  dass  sie  auf  einem  so  kleinen 
Flächenraurae  (alle  3  Kr.  enthalten  nur  23,io  DM.)  um  mehr  als  16000 
Seelen  gefallen  scyn  könne,  und  folglich  muss  bey  Angabe  der  Bevölke- 
rungssurame  dieses  Reg. -Bezirks  ein  Irrthum  von  vielleicht  20,000  K. 
zu  Grunde  liegen.  Die  zum  Schlüsse  beygefügte  Rekapitulation  mit 
Angabe  des  Menschenkapitals  in  den  J.  1819,  1825  und  1827  veranlasst 
interessante  Bemerkungen.  Insonderheit  geht  daraus  hervor,  dass  (im 
Gegensatz  von  Frankreich)  in  Preusseö  die  Menschenmenge  in  den 
schwächer  bewohnten  Provinzen  eine  um  Vieles  stärkere  Vermehrung 
erfahren  habe  als  in  den  dichter  bevölkerten ,  und  dass  diess  auch  ins- 
besondere im  Ganzen  bey  der  Osthälfte  im  Verhältniss  zur  Westhälfte 
•wahrzunehmen  sey.  Zum  Beweis  dieser  für  Preussen  allerdings  er- 
freulichen Thatsache,  welche  die  Behauptung  der  bewährtesten  Stati- 
stiker ,  dass  171  Regel  nur  in  solchen  Ländern ,  wo  noch  genug  Raum 
für  eine  stärkere  Bevölkerung  vorhanden  ist,  die  Zunahme  des  Men- 
echenkapitals  besonders  rasche  Fortschritte  mache,  bestätigt,  hat  Rez. 
die  nachstehende  Tabelle  über  die  Bevölkerung  der  einzelnen  Reg.-Be- 
zirke  von  den  J.  1819  u.  1827  ausgezogen,  und  zugleich  den  8jährigen 
Ueberschuss  derselben  dabey  berechnet. 


Regierungs  -  Bezirke. 

Areal. 

Volksmenge         ] 

Vermehrung 

1819 

1827 

seit  1825. 

A)   Osthälfte. 

1)  Königsberg     .     . 

405,70 

591,402 

702,109 

110,707 

2)   Gumbinnen     . 

297,   7 

417,462 

498,440 

80,976 

3)  Danzig       .     . 

150,8  9 

265,279 

325,868 

52,396 

4)  Marienwerder 

315,   6 

367,701 

446,709 

79,008 

5)  Posen  .     .     , 

327,4  3 

605,134 

720,112 

114,978 

6)  Bromberg 

211,   1 

279,239 

331,025 

51,791 

7)  Stettin 

233,13 

340,536 

409,992 

69,456 

8)  Köslin  .     . 

258,4  9 

254,870 

312,710 

57,840 

9)  Stralsund 

75,4  8 

133,528 

147,356 

13,728 

10)   Potsdam     . 

370,6  3 

744,051 

855,670 

111,619 

11)  Frankfurt  .     . 

352,0  1 

595,366 

•)  661,333 

65,967 

12)  Magdeburg      . 

204,7  8 

504,910 

539,807 

34,897 

13)   Merseburg      , 

186,2  9 

526,787 

581,059 

54,272 

14)  Erfurt  .     . 

64,2  5 

247,513 

275,374 

27,861 

15)   Breslau       .     , 

244,4  8 

833,991 

935,194 

101,203 

16)  Liegnitz 

251,24 

666,641 

•♦)  751,154 

84,513 

17)   Oppeln       . 

247,6  3 

563,206 

679,601 

116,395 

4196,8 

7,937,616 

9,173,513 

1,235,997 

*)  Nach  Abzug  des  Hoyerswerda'schen  Kr. ,  der  im  J.  1821  zu  Liegnitz 
geschlagen  wurde. 

")  Mit  Einschluss  des  Ton  Frankfurt  erhaltenen  Kr.  Hoyerswerda. 


Neue  geographische  und  statistische  Ephcineridcn. 


405 


Reglerungs  -  Bezirke. 

B)   JVesthälfic: 

1)  Münster       .      .      . 

2)  Minden   .... 

3)  Arnsberg 

4)  Düsseldorf    . 

5)  Köln       .... 

6)  Aachen  .      .     .     ' 

7)  Koblenz        .      .      . 
83  Trier      .... 

Hierzu  die  Osthälfte   . 
Summa 


Areal. 

Volksmenge. 

Vermelirung 

1819 

1827 

seit  1825. 

132,16 

360,564 

388,898 

28,344 

93/1 

345,553 

382,108 

36,455 

138,^^3 

378,262 

439,706 

61,444 

98,9  0 

614,976 

675,358 

60,382 

74,5  9 

351,067 

377,451 

26,384 

76,41 

320,004 

344,311 

24,307 

109,4  3 

371,367 

409,207 

37,840 

120,9  9 

314,835 

367,318 

52,483 

844,6  2 

3,056,628 

3,384,357 

327,729 

4,196,8 

7,937,616 

9,173,513 

1,235,897 

5,040/0 

10,994,244 

12,557,870 

1,563,626 

Man  ersieht  hieraus ,  dass  in  der  Westhälfte  nur  die  2  Reg.  Be- 
zirke Düsseldorf  und  Arnsberg  eine  besonders  starke  Vermehrung  auf- 
zuweisen haben,  woran  oiTenbar  der  immer  mehr  steigende  Fabrik- 
fleiss  den  meisten  Antheil  hat;  und  dass  sich  in  der  Osthälfte  die  Men- 
gchenmasse in  Vcrhältniss  zur  Westhälfte  um  383,000  Ind.  mehr  er- 
höht habe.  —  7.  Die  Birmanische  Provinz  Bassein.  (Aus  Asiat.  Journ.) 
Ein  nicht  zu  verachtender  ßeitrag  zur  Kunde  von  Birman ,  doch  ist 
das  Wesentlichste  davon  schon  unter  den  vermischten  Nachrichten  des 
25ten  Bds.  enthalten ,  imd  auch  verschiedenes  anderes  daraus  mitge- 
theilt  worden.  —  8.  Einige  Data  zu  ff'ürtembergs  Statistik  für  das  J. 
1827.  (Aus  dem  Würtemberg.  Hof-  und  Staats-Handbuche.)  Auch 
diese  gewähren  eine  genaue  Uebersicht  über  die  Grösse  und  Bevölke- 
rung der  Kreise  und  Ober-Aemter  und  auch,  da  zugleich  das  Areal 
heygesetzt  ist,  über  die  grössere  und  geringere  Dichtheit  der  Volks- 
masse.  Das  grösste  Ober-Amt  ist  Freudenstadt  mit  10,1^  QM.,  das 
kleinste:  Kannstadt  von  1^  D  M.  Letzteres  bildet  zugleich,  wenn 
man  das  Weichbild  der  Hauptstadt  nicht  in  Anschlag  bringt,  den  be- 
Vülkertsten  Strich  des  Reichs,  denn  es  umfasst  21,568  E.  (Diese 
Dichtheit  wird  in  Deutschland  nur  allein  vom  Preussischen  Kr.  Elber- 
.feld  (=5,70  □  jl.  82,788  E.)  in  etwas  übertroffen;  doch  begreift  die- 
ser 2  volkreiche  Städte:  Elberfeld  und  Barmen.)  Das  am  dünnsten 
bevölkerte  Ob.A.  ist  Münsingen  (auf  10  DM.  nur  18,863  E.)  Nach 
dieser  Tabelle  enthält  nun  1)  den  Neckar-Kr.  61,^»  DM.  426,879  E. 
2)  der  Schwarzwald.  Kr.  87,80  Qm.  405,081  E.  3)  der  Jaxt-Kr.  99,«« 
DM.  347,362  E.  und  4)  der  Donau-Kr.  112,8»  □  m.  356,081  E.  Das 
Königr.  also  361,80  Qm.  „„d  1,535,403  E.  in  132  St.  1,200  Mkfl.  und 
Pfarrd.  und  6,834  andern  Orten.  —  Beygegeben  ist  eine  Volksliste  der 
säniratlichen  Städte  nach  der  Stärke  der  Bevölkerung  geordnet.  Stutt- 
gart hat  24,661 ,  Lira  11,888,  Reutlingen  9,877 ,  Heilbronn  7,332  und 
Tübingen  7,107  E.  Ulm  gehört  demnach  zu  den  wenigen  Städten 
Deutschlands,  die  bis  jetzt  noch  nicht  wieder  zu  ihrem  früheren  Be- 
Jahrb.  /.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  V.  Heft  4.  30 


466  Geographie  und  Statistik. 

Völkerungsstand  gelangt  sind.  Denn  bekanntlich  zählte  sie  zu  Ende 
des  vorigen  Jahrh.  über  15,000  und  noch  im  J.  1806 :  14,225  Bewohner. 
Unter  den  hier  aufgeführten  132  Städten  hat  Rez.  jedoch  4  Orte, 
nähmlich  Albeck,  Jaxtberg,  Lorch  und  Ochsenheim,  vergeblich  ge- 
sucht. Sind  diese  denn,  wegen  ihrer  Unbedeutsarakeit,  zu  Marktflecken 
degradirt  worden?  —  9.  Der  Distrikt  Sattarah  auf  Dekan.  (Aus  Asiat. 
Journ.)  Dieser  Aufsatz  ist,  wie  aus  mehreren  Anzeigen  hervorgeht, 
ein  vom  Brittischen  Rentbeamten  (Collector)  des  Distr.  an  seine  Obern 
abgestatteter  Bericht  über  die  Beschaffenheit  desselben.  Aber  dieser 
Distr.,  da  er  mit  dem  von  den  Britten  im  J.  1817  erst  neugegründeten 
Mahratten  Fürstenth.  d.  N.  nicht  Eins  seyn  kann,  ist  noch  so  Avenig 
bekannt,  und  der  Verf.  gibt  über  dessen  Lage  und  dessen  übrige  poli- 
tische Verhältnisse  so  unzureichende  Auskunft,  dass  Rez.,  wie  er  offen 
bekennt,  nicht  gewusst  hätte,  wo  er  ihn  suchen  sollte,  wenn  nicht  die 
westlichen  Ghauts  und  der  Fluss  Bhema  (Bhima,  ein  bedeutender 
Nebenfl.  des  Histna)  als  seine  Gränzen  bezeichnet  worden  wären.  Er 
muss  demnach  einen  Tlieil  des  westlichen  Mahratten-Staats  und  insbe- 
sondere des  Gebiets  des  vormaligen  Paischwa  (also  einen  Theil  der  al- 
ten Prov.  Bejapur)  und  vielleicht  selbst  dessen  sonstige  Residenz Punah 
in  sich  schliessen.  Die  Einwohner  sind  grössten  Theils  Mahratten  und 
theilen  sich  in  2  Kasten  (wohl  richtiger  Geschlechter)  Kunbis  und  Ma- 
walli's.  Interessant  ist,  Avas  der  Vrf.  über  die  verschiedenen  Götzen- 
bilder, die  hier  vorzugsweise  verehrt  werden,  und  über  die  Eintheiiung 
des  Bezirks  in  Mozehs  und  Turruf's  erzählt.  —  10.  Reise  auf  dem 
Kaiscrkanalc  Schind's.  (Ausgezogen  aus  den  ungedruckten  Papieren  des 
Reisenden  Giacomo  Zappi.)  Dieser  Zappi  (welcher  früher  bey  der 
Neapolitanischen  Revolution  eine  Rolle  spielte,)  wurde,  unter  dem  Vor- 
wand einer  Mission  an  den  kathol.  Bischof  zu  Peking,  vom  Brittischen 
General-Gouverneur  von  Ost-Indien  nach  China  gesendet,  um  den  mo- 
ralischen und  politischen  Zustand  dieses  jetzt  von  Faktionen  zerrissenen 
Reichs  zu  erforschen,  und  dem  Berichte,  in  welchem  er  die  Resultate 
seiner  Nachforschungen  niedergelegt  hat,  verdankt  dieser  Auszug  sei- 
nen Ursprung.  Wer  nun  Barrow's  und  Staunton's  Reise  nach  China 
gelesen  hat,  wird  zwar  in  geographischer  und  topographischer  Hin- 
sicht darin  nicht  viel  Neues  finden,  desto  grösseres  Interesse  wird  aber 
die  Schilderung  des  heutigen  Zustandes  China's  für  ihn  haben.  Eine 
allgemeine  Verschwörung  soll  nähmlich  schon  seit  langer  Zeit  gegen 
die  Herrschaft  der  Mandschu ,  (die  hier  sonderbarer  W^eise  Mantschu- 
Tartaren  genannt  werden,)  bestehen ,  die  dahin  arbeitet ,  den  Erben 
der  entthronten  Dynastie  Ming,  der  von  den  meisten  Chinesen  abgöttisch 
verehrt  werden  soll,  wieder  auf  den  Thron  seiner  Vorfahren  zu  setzen. 
Die  zahlreichen  Verschwornen  sind  in  viele  geheime  Gesellschaften, 
eine  Art  Freymaurerey  bildend,  vereinigt,  welche  sich  über  die  mei- 
sten Provinzen  des  Reichs  verbreiten ,  ja  selbst  bis  in  den  entlegend- 
sten  Winkel,  bis  nach  Kaschgar  sich  erstrecken,  und  dabey  verschie- 
dene Nahmen  führen,  (z.  B.  in  Set-schuen :  Nenapher,  in  Quang-tong : 
Kiang-si- Triade,    in  Koei-scheu:    San-ho-huy  etc.:    gegen  welche 


Neue  geographische  und  statistische  Ephcmeridcn.  40*7 

Nahmen  sich  jedoch  der  Kinwand  machen  h'isst,  dass  die  Chinesen  in 
ihrer  Sprache  kein  R  hesitzen}  ahor  gleichen  Zweck  vor  Augen  ha- 
ben. Sdion  soll  der  Thron  der  Mandschu  so  schwankend  seyn,  dass 
eich  der  Geist  der  Insuhoi'dination  selbst  in  die  Verwaltung  eingeschli- 
chen hat,  und  selbst  viele  Mandarinen  Mitglieder  des  Vereins  gewor- 
den sind.  Ja  eine  Menge  Unzufriedener  hat  sich  bereits  in  die  schwer 
zugängliehen  Gebirge  des  Innern  zurückgezogen  und  unternimmt  nun 
von  da  aus,  sicher  vor  den  Verfolgungen  der  Mandschu's,  häufige 
Raubzüge  in  das  ebene  Land.  Der  jetzige  Thronprätendent ,  der  von 
Beinen  Anhängern  auf  das  freigebigste  mit  üonativgeldern  unterstützt 
wird,  heisst  Kih-ming,  doch  wird  der  Ort,  wo  er  sich  verborgen  hält, 
nicht  genannt.  Man  sollte  zwar  glauben,  dass  die  bekannte  Feigheit 
der  Chinesen,  und  ihre  Untauglichkeit  zum  Kriege  sie  abhalten  sollte, 
eich  in  solche  gefährliche ,  kühnen  Muth  und  selbst  Todesverachtung 
voraussetzende  Verbindungen  einzulassen;  allein  der  Vrf.  behauptet, 
dass  gerade  ihre  Fehler,  nähmlich  ihre  Apathie,  ihr  Mangel  an  geisti- 
gem Aufschwung  und  Heroismus,  welche  den  fremden  Eroberern  die 
Thür  öffneten,  ihre  natürliche  Verschmitztheit,  ihre  Geduld,  ihr  lang- 
müthiger  Groll,  ihreA'erschwiegenheit,  ihre  krummen  und  lichtscheuen 
Neigungen  sie  ganz  besonders  zu  Verschwörungen  geeignet  machen 
und  dass  der  Chinese  sich  bloss  für  die  Wiedervergeltung  aufspare ; 
denn  darin  verstehe  er  zu  exzelliren  und  zu  diesem  Ehrenschritt  be- 
reite er  sich  ganz  im  Geheimen  und  mit  List  und  Falschheit,  seine  lieb- 
Bten  Gehülfen ,  vor.  Der  Bericht  schliesst  zwar  mit  der  Erzählung 
von  der  Dämpfung  des  Aufslandes  zu  Formosa  und  in  der  Frov.  Quang- 
tong,  doch  wird  darum  die  Hoffnung  auf  einen  glücklichen  Erfolg  die- 
ser schon  so  weit  gediehenen  Verschwörung  nicht  aufgegeben.  Der 
Vrf.  gesteht  in  Ansehung  seiner  seihst  ein,  dass  bey  diesem  Stande  der 
Dinge,  und  besonders  wegen  des  religiösen  Charakters ,  den  er  beklei- 
det habe,  seine  Anwesenheit  zu  Peking  nicht  ohne  Gefahr  gewesen 
sey,  versichert  aber,  dass  er,  weil  die  Chinesen  sich  von  einem  Mann 
nur  nach  seiner  Korpulenz  eine  vortheilhafte  Vorstellung  zu  machen 
pflegen,  die  ihm  wiederfahrene  Berücksichtigung  und  Schonung  nur 
seiner  trohlbelelbtheit  zu  verdanken  gehabt  habe.  Die  Zahl  der  Ein- 
•wohner  dieses  Reichs  schlägt  übrigens  der  Vrf.  auf  260  Mill.  an,  was 
wohl  nicht  übertrieben  ist.  Neu  war  auch  Rez. ,  was  Zappi  über  die 
Mandschurische  Sprache  sagt.  Seine  eigenen  Worte  sind  :  ,,Die  Spra- 
che dieser  Eroberer  verdient  nicht  weniger  Beachtung,  als  diejenige 
der  Schinesen.  Es  giebt  keine  ihr  ähnliche  in  der  Welt.  In  dem  Va- 
terlande der  Mandschu's ,  d.h.  in  den  weiten  Ländern  gegen  Norden 
von  der  grossen  Mauer  findet  man  Spuren  einer  alten  Zivilisation.  Die 
Mandschu-Sprache  niuss  den  Sprach-  und  Alterthumsforschern  im  All- 
gemeinen viel  zu  denken  geben.  Sie  ist  äusserst  reich.  Ein  einziges 
Wort  ist  hinreichend ,  um  eine  ganze  Phrase  anszudrücken ;  sie  hat 
verschiedene  Worte,  um  dasselbe  Individuum  mit  verschiedenen  Quali- 
täten zu  bezeichnen  etc."  Zum  Beweis  führt  er  nun  an,  dass  es  zur 
Bezeichnung  der  verschiedenen  Rassen  und  Eigenschaften  des  Hundes, 

SO* 


468  Geographie  und  Statistik. 

obächon  sich  für  denselben  unter  allen  Hausthieren  die  wenif^sten  Be- 
nennungen vorfinden,  14  verschiedene  Nahmen  gebe.  Rez.  übergeht 
übrigens  die  vom  Redakteur  sowohl  zum  Eingange  als  beim  Schlüsse 
dieser  Abhandlung  deutlich  ausgesprochene  Meinung ,  dass  die  Eng- 
länder im  Stillen  dai'auf  sinnen,  sich  in  die  politischen  Unruhen  zu  mi- 
schen, als  unwesentlich  mit  Stillschweigen.  —  11.  Neue  Eintheilung 
von  Hellas.  (Nebst  einer  Charte.  Vom  Redakteur.)  Dieser  recht  zur 
Zeit  erscheinende  Aufsatz  liefert  einen  wichtigen  Beweis ,  dass  die 
Redaktion  dieser  Zeitschrift  den  neuen  politischen  Veränderungen  fort- 
dauernd volle  Aufmerksamkeit  widme,  und  nicht  säume,  von  solchen 
sofort  die  Leser  in  Kenntniss  zu  setzen,  auch  zugleich  die  nöthigen 
statistischen  Notizen  hinzuzufügen.  Hier  wird  nun  die  neue  noch  be- 
stehende Eintheilung  der  Halbinsel  Morea  und  den  vor  der  Hand  dazu 
gehörigen  Eylande  in  13  Departements  vorgelegt  und  zugleich  auch 
durch  eine  beygefügte  recht  brav  und  nett  ausgearbeitete  Charte  ver- 
sinnlicht.  Das  Festland  ist  in  7  Depart.  :  (^Argolis ,  Achaja,  Elis,  Ar- 
kadia.  Ober-  undNieder-Messenien,  und  Lakonia,)  und  die  Inseln  in  6 
(Nord-,  Ost-  und  West- Sporaden,  und  Nord-,  Zentral- und Süd-Iiykla- 
den)  abgetheilt.  Dem  ganzen  Staate  sind  hier  nur  486^^  GM.  und 
790,500  E.  gegeben,  wovon  402,4  5  Q  jvi.  und  (500,000  E.  auf  den  Pe- 
loponnes  und  83,^^  [I]i\I.  nnd  106,500  E.  auf  die  Inseln  kommen. 
Doch  möchten  beyde  Ansätze  et^vas  zu  niedrig  seyn.  Denn  bey  den 
Inseln  ist  bloss  das  Areal  der  bewohnten,  nicht  aber  das  der  unbeAvohn- 
ten  (z.  B.  Skiato,  Drorai,  Agiostrati,  Lipso,  Antiparos,  Delos,)  in  An- 
schlag gebracht  worden,  und  bey  der  Volkszahl  haben  offenbar  einige 
Eylande  zu  geringe  Ansätze  erhalten,  z.B.  Hydra  nur  20,000 ,  Tine 
nur  15,800  und  Syra  gar  nur  1000  E.;  allein  schon  vor  der  Revolution 
zählte  Hydra  an  25,000,  Tine  23,800  und  Syra  5,000  E.,  und  auf  allett 
3  Inseln  hat  sich  diese  Zahl  dnrch  eine  Menge  Griechisclier  Familien, 
die  sich  von  Kandia,  Skio,  Ipsara,  zum  Theil  auch  vom  festen  Lande 
liieher  gewendet  haben,  sehr  vermehrt.  Freylich  besitzen  wir  noch 
von  keiner  Insel  genauere  V  olkszählungen,  und  die  Zukunft  wird  auch 
hierüber  nähere  Data  bringen.  Juf  der  Charte  hätte  der  Maasstab 
nicht  vergessen  werden  sollen.  Auch  scheinen  manche  Eylande,  wenn 
man  sie  mit  andern  Charten  vergleicht,  einen  zu  grossen  Umfang  er- 
halten zu  haben.  So  ist  hier  Koluri  (=  1,**^  QM.)  noch  einmahl  so 
gross  als  Egina  (=  2,'-**  DM.)  niedergelegt.  Dasselbe  gilt  auch  von 
den  Inseln  Skarpantho  ,  Kaso  ,  Stazida.  —  12.  Historisch- genealogi- 
scher Ueberblick  der  mächtigsten  Herrscher  Asiens  und  des  nördlichen 
Afrika's  im  J.  1828.  (Vom  Hrn.  Prof.  D.  Iloffmann  zu  Jena,  aus  dem 
Nouv.  Journ.  Asiatique  bearbeitet.)  Der  Hr.  Vrf.  stellt  im  Eingänge 
die  allerdings  nur  zu  gegründete  Behauptung  auf,  dass  man  in  London, 
Paris  oder  Petersburg  leben  müsse,  wenn  man  in  der  Ausführung  einer 
solchen  sclieinbar  unbedeutenden  Uebersicht  stets  die  neuesten  und  zu- 
verlässigsten Materialien  auftreiben  wolle ,  und  meint  desshalb,  dass 
es  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  nur  angenehm  seyn  könne,  von  Zeit 
zu  Zeit  die  Resultate  vorgelegt  zu  erhalten,  welche  das  genannte  Jour- 


Nene  geographische  und  statistische  Ephenieriden.  4G9 

nal  zur  allgemeinen  Kcnntniss  hringt.  Und  hierin  wird  demselLen  ge- 
wiss Jeder  gern  hcjiifliditen  und  für  seine  Absicht  Dank  wissen.  Die 
Staaten,  deren  Herrscher  hier  aufgezählt  worden,  sind  folgende:  l) 
Osiuanischcs  Ileich  (mit  Aegypten ,  Bagdad,  Moldau  und  Wallachey 
und  die  Vasallen  Tripolis,  Tunis,  Algier,  Mokka,  Jemen  und  Sennaar.) 
2)  Maroko,  3)  Abessinien,  4)  Mus^kat,  5)  Persien,  6)  Afghanistan,  7) 
Beludschistan,  8)  Balkh,  9)  Bokhava,  10)  Khokand,  11)  IJadukschan, 
12)  liliwarism,  13)  Indien  (die  Nahmen  der  Brittischen ,  ISiedcrländi- 
echee.  Französischen  und  Spanischen  Gouverneure  :}  14)  Indische  Staa- 
ten, Avclche  von  England  abhängen  (Oiide,  Ilydcrabad,  Delhi,  Guzera- 
te,  Malwah,  Satarah,  Nagpur,  ISopal,,  Bundelkund,  Maisur,  Ti-avan- 
kor ,  Karnatik  und  Assam,)  15)  Scindiah  ,  (warum  nicht  lieber  nach 
dem  Nahmen  der  Hauptstadt  Udsein?)  Hi)  Selk»  (wohl  besser  Lahor), 
17)  Sindhy,  18)  Nepal,  19)  Birman  mit  Kassai  und  Pcgu,  20)  Cochin- 
clüna,  21)  Sumatra,  die  3  Tounko's  Passaman,  Norinchi  und  Allalian- 
pandschuny,  22)  Schina,  23)  Japan.  Man  sieht,  dass  diese  Ueber- 
siclit  noch  keinesweges  vollständig  genannt  werden  dürfe.  Denn  es 
fehlen  noch  der  König  von  Siam,  die  Herrscher  von  Thibet,  mehrere 
Brittische  Vasallen  in  Ost-Indien,  besonders  die  Rahjahs  der  Hasbuten, 
Dschaten,  und  Rohillas,  der  Sultan  von  Suluh  und  andere  Süd-Indiens. 
—  13.  Die  Falklands-Inseln  im  Südmeerc.  ( Eine  geographische  Skizze 
von  Hrn.  D.  Itöding  zu  Hamburg.)  Diese  Skizze  bietet  zwar  im  Gan- 
zen nicht  viel  Neues  dar,  ist  aber  dennoch  nicht  ohne  Werth ,  da  sie 
nach  JFeddell  die  Umrisse  der  2  Hauptinseln  (Ost-  und  VVest-Falkland) 
mit  ihren  Buchten  und  Einschnitten  sehr  genau  beschr«;ibt.  Das  Min- 
derbekannte beschränkt  sich  auf  folgende  Notizen  :  die  Gruppe  besteht 
ausser  den  genannten  2  grossen  Inseln  noch  etwa  aus  90  kleinen  Ey- 
landen,  und  liegt  unter  51«— 52",45'  s.  Br.  und  3150,55'  — 320",19' 
L.  und  enthält  nur  etwa  157 i^  g.  [Zl^i.  Das  Klima  scheint  jetzt  viel 
milder  geworden  zu  seyn  ,  als  es  die  ersten  Entdecker  fanden ;  es  ist 
sicher  weit  angenehmer,  als  das  von  Neu-Fundland ,  ja  selbst  als  das 
nöi-dliche  Deutschland.  Die  Witterung  ist  einförmig  und  der  Ueber- 
gang  der  Jahreszeiten  kaum  bemerkbar.  Aber  in  Folge  der  frühern 
Erkältung  des  Bodens  durch  die  grosse  Masse  von  Treibeis,  die  aber 
jetzt  diese  Gruppe  verschonen ,  ist  hier  der  Baumwuchs  noch  sehr  sel- 
ten, und  nur  in  den  geschützten  Thälern  der  grossem  Inseln  wachsen 
einzelne  Weiden,  Birken  etc.  Die  grössern  Inseln  haben  dafür  grosse 
Torfmoore,  bedeutende  Flüsse,  zum  Theil  mit  schönen  Wasserfällen, 
gutes  Trinkwasser,  und  hohes  Schilf.  Viele  Gemüse,  als  Kartoffeln, 
Sellerie,  Sauerampfer  etc.  kommen  leicht  fort,  und  das  Meer  ist  sehr 
fischreich.  Die  Inseln  eignen  sich  daher  gegenwärtig  ganz  zu  einer 
Europäischen  Niederlassung,  welche  aber  bis  jetzt  hier  nicht  mehr  zu 
finden  ist.  Denn  die  von  den  Franzosen  gegründete  Kolonie  Port- 
Louis  wurde  im  J.1767  für  60,000  Fr.  an  die  Spanier  abgetreten,  welche 
feie  aber  wieder  veröden  Hessen ,  und  die  im  J.  1765  von  den  Englän- 
dern gegründete  Kolonie  Port-Egmont  wurde  im  J.  1770  von  den  Spa- 
niern mit  Gewalt  vertrieben,    weshalb  bald  ein  Krieg   ausgebrochen 


470  Geographie  und  Statistik. 

wäre ;  doch  kam  durch  Frankreichs  Vermittlung  ein  Vertrag  zu  Stande, 
wodurch  den  Britten  die  westliche,  den  Spaniern  aber  die  östliche 
Falklands-Insel  zugetheilt  wurde,  ohne  dass  jedoch  heyde  Mächte  von 
ihrem  Rechte  Gebrauch  gemacht  hätten.  Im  J.  1820  erklärte  die  Re- 
publik la  Plata  die  Gruppe  für  ihr  Eigenthum ,  hat  aber  auch  noch 
kein  Etablissement  versucht.  —  B)  Vermischte  Nachrichten:  1)  lieber 
KlaprotK's  Memoire  sur  les  Sources  du  Brahmaputra  et  de  V  Iraouaddy, 
(Aus  dem  Asiat.  Journ.  1828.)  Betrifft  die  Streitigkeit  des  Hrn.  Klap- 
roth  mit  den  Kalkuttai'schen  Geographen  über  die  Quelle  der  genann- 
ten 2  Ströme.  Ersterer  behauptet  uähmlich ,  dass  der  Sampu  oder 
der  grosse  Fluss  von  Thibet  und  der  Irawaddy  ein  und  derselbe  Fluss 
seyen,  was  von  den  letztern  bestritten  wird.  Dass  nun  der  erstere  sich 
geirrt  haben  werde,  ist  schon  aus  einer  im  voi-hergeh.  Bande  enthalte- 
nen Notiz  hervorgegangen.  —  2)  Das  Land  der  Chirokec  oder  Tschero~ 
Kcsen.  (V.  T.  Bromme.)  Es  liegt  unter  38*^  n.  Br.,  zwischen  den  Staa- 
ten Tenessee  ,  Alabama,  Georgia  und  Nord -Karolina  und  besteht  im 
N.  aus  Bergen  und  Hügeln,  im  S.  aus  ausgedehnten  und  fruchtbaren 
Ebenen,  theils  mit  den  schönsten  Waldungen  bedeckt,  tlieils  ausge- 
dehnte herrliche  Weiden  darbietend.  Die  Nation  macht  täglich  grö- 
ssere Fortschritte  in  der  Zivilisation,  besitzt  eine  bedeutende  Anzahl 
Dörfer  mit  gut  unterhaltenen  Obstgürten  umgeben,  und  unter  sich  durch 
Strassen  und  Kommunalwege  verbunden,  und  treibt,  neben  der  starken 
Viehzucht,  jetzt  auch  eifrig  den  Anbau  von  Waizen,  Mais,  Kartoffeln, 
Gemüsen,  Taback,  Indigo  und  Baumwolle.  Mehrere  haben  schon  an- 
gefangen ,  ihre  selbst  gebaute  Baumwolle  auf  Booten  den  Tennessee 
und  Missisippi  herab  nach  Neu-Orleans  zu  schaffen.  Die  Nation  zählte 
im  J.  1825,  ausser  230  Weissen,  13,563  eingebohrne  Bürger  und  1277 
Negersklaven.  Das  Volk  hat  sich  im  J.  1827  eine  nach  dem  Muster 
der  V.  St.  entworfene  Konstitution  gegeben.  —  3)  Der  Attaran-Fluss. 
(Aus  Calc.  Gov.  Gaz.)  Dieser  Fluss  der  Brittischen  Prov.  Martaban, 
der  nach  diesem  Bericht  genau  untersucht  wurde,  wird  bald  wegen  der 
in  seiner  Nähe  liegenden  und  trefflichen  Wälder  von  Teakholz  von 
grosser  Wichtigkeit  werden.  Er  läuft  von  SO.  nach  NW. ,  ist  bey 
seinem  Ausfluss  tief  und  breit,  und  ergiesst  sich  mit  den  Flüssen  San- 
luen  und  Geyn  zugleich  bey  Moal-Mein  in  den  Bengalischen  Meerbu- 
sen. —  4.  Vergleichende  Statistik  der  periodischen  Presse.  (Aus  Journ. 
des  Voyag.)  Ein  lesenswerther  Ueberblick ,  der  zu  manchen  lehrrei- 
chen Resultaten  führt,  und  dabey  darthut,  dass  die  periodische  Presse 
hauptsächlich  in  den  V,  St.  von  Nord- Amerika  den  grössten  Zuwachs 
erhalten  habe.  Im  J.  1810  wurden  359 ,  im  J.  1825  schon  598,  im  J. 
1827  bereits  8-10  Journale  und  Zeitungen  gedruckt.  Die  Stadt  Colnm- 
bus  (mit  1600  E.)  hat  gerade  so  viel  Zeitungen  als  Rom ,  nähmlich  3. 
—  5.  A'^eueste  Nachrichten  über  den  grossen  Bären- See.  Dieser  von 
Franklin  aufgefundene  See  liegt  im  nördlichsten  Theile  N.  Amerika's, 
hat  mit  Einschluss  der  Buchten  etwa  520  Engl.  (104  g.)  Ml.  im  Um- 
fange, und  wird  durch  die  Vereinigung  von  5  grossen  Armen  oder  Bu- 
Sen  gebildet.     Unter  den  Flüssen,   die  er  empfängt ,    heisst  der  grösste 


Neue  gcopraphlsche  und  statlstiäche  EphcDicrlilcn.  S?! 

Dease.  Der  Bärcnsee  -  Fiuss  führt  das  überfliissig'c  Wasser  dem  Ma- 
ckenzie  zu.  Das  Wasser  ist  sehr  hell  und  von  unhckannter  Tiefe,  (mit 
45  Faden  fand  man  nalie  am  Ufer  der  Mac-Tavisch-Bay  nocli  keinen 
Grund.  Er  ist  sehr  llschreich  ,  und  seine  Ufer  sind  zum  Tlieil  mit 
echönen  Waldungen  bedeckt.  —  6)  Neue  Ansicdlung  auf  den  Kelliiif^- 
hlands.  Diese  neu  aufgefundene  Gruppe  liegt  unter  13*^  s.  Br.  und 
98^  ö.  L.  und  besteht  aus  einer  sichelförmigen  Kette  niedriger,  mit 
Kokospalmen  bedeckter  Eylande.  Auf  einem  derselben  hat  der  Eng- 
lische Capt,  Boss  bey  einem  guten  Ilaven  eine  kleine  Kiederlassung 
gegründet,  die  den  Zweck  hat,  den  vorbeysegelnden  SchilTen  einen 
Erfrischungsort  zu  gewäliren.  —  7)  Etivas  über  Madagaskar.  (Aus 
der  Sidney-Gaz.)  Allerdings  höchst  merkwürdige  Notizen  über  diese  so 
wichtige  Insel,  nur  Schade,  dass  der  Vrf.  dieses  Vorberichts  so  karg  mit 
Nahmen  gcAvesen  ist.  Ein  Capt.  Barness ,  dem  von  den  Malayen  sein 
ihm  selbst  zugehöriges  Schiff  geraubt  worden,  (wo?  wird  nicht  ge- 
sagt,) wendet  sich  auf  seiner  Rückkehr  ins  Vaterland  nach  der  Insel 
St.  Moritz,  und  hier  wird  ihm,  auf  höhere  Veranlassung,  der  gefahr- 
volle Auftrag,  in  das  Innere  von  Madagaskar  vorzudringen,  und  über 
die  Aussichten ,  welche  diess  Land  den  Brittischen  Ilandelsunterneh- 
mungen  gewähren  könne ,  genaue  Erkundigung  einzuziehen.  Zu- 
nächst besucht  er  denjenigen  Theil  der  Insel,  wo  die  Eingebohrnen 
einen  Ochsenhandel  mit  den  Sechellen  zu  treiben  pflegen,  (der  Nähme 
dieses  Theils  wird  nicht  angeführt,)  und  erhält  nach  vielen  Schwie- 
rigkeiten vom  Häuptling  die  Erlaubniss,  nach  der  Residenz  des  Raha- 
ma,  Königs  der  ganzen  Insel,  die  fast  500  Engl.  M.  von  da  im  Innern 
liegt,  reiben  zu  können ,  und  gelangt  auch ,  nach  Besiegung  ungemei- 
ner Beschwerlichkeiten  und  Hindernisse,  glücklich  daselbst  an.  Diese 
Residenz,  der  er  aber  wiederum  keinen  Nahmen  gicbt,  soll  einen  be- 
trächtlichen Umfang  haben  und  viele  Spuren  Arabischen  Ursprungs  an 
sich  tragen.  Und  der  König  Rahama  wird  als  ein  Fürst  von  grossen 
Talenten  und  grosser  Maclit  geschildert,  eine  starke  Bevölkerung  mit 
ganz  despotischer  Gewalt  beherrschend.  Bald  Averden  wir  also  nähere 
Nachrichten  und  Bestätigungen  über  diese  Entdeckungen  erwarten  dür- 
fen. —  8)  Die  Kolonie  Liberia.  (Aus  denNational-Intelligenzer.)  Be- 
kanntlich haben  die  Nord-Amerikaner  vor  einigen  Jahren,  dem  Bey- 
spiele  der  Britten  folgend ,  um  sich  nach  und  nach  der  Ueberzahl  der 
Schwarcen  zu  entledigen ,  die  in  manchen  Distrikten  anfangen  soll 
lästig  zu  werden,  auf  der  Küste  von  Guinea  beym  Kap  Mesurado  ein 
Stück  Land  an  sich  gebrticht,  und  daselbst  eine  Kolonie  für  Schwarze 
gegründet,  die  nun  nach  vorliegendem  Bericht  sich  in  einem  gedeihli- 
chen Zustande  befinden  soll,  gleichwohl  erst  1200  Indiv.  zählt.  Man- 
che Kolonisten  sollen  sich  schon  durch  Handel  mit  den  Eingebohrnen 
ein  Vermögen  von  3  bis  5,000  Thlr.  erworben  haben.  —  9)  Brittische 
NiederlasHwigen  auf  dem  Eylande  Ascension.  Die  Britten  haben  vor  ei- 
nigen Jahren  auf  dieser,  als  ein  ganz  dürrer,  wasserloser,  von  der 
Sonne  verbrannter  Felsen  berüchtigten  Insel  eine  kleine  Niederlassung, 
als  Erfrischungsstation  für  ihre  in  diesen  Gewässern  kreuzenden  Schiffe 


472 


Geographie  und  Statistik. 


gegründet,  welche  aus  60  Seeeoldaten  mit  deren  Weibern  und  EIndera 
und  einigen  freyen  Negerfamilien  besteht.  Der  Ort  heissc  Regent- 
schaftsplatz; er  wird  durch  ein  kleines  Fort  und  eine  Batterie  ,  welche 
beyde  14  Kanonen  enthalten,  beschützt,  enthält  Magazine,  Werkstätte 
und  die  nöthigen  Wohnungen,  und  ist  mit  niehreren  Frnchtgärten  um- 
geben ,  die  fleissig  bearbeitet  werden.  Obschon  Regen  nur  selten 
fällt,  so  ist  doch  der  8(i3  Meter  hohe  Gipfel  des  Felsens  stets  mit  einem 
feuchten  Aebel  umhüllt,  der  die  Vegetation  frisch  erhält,  und  3  klei- 
nen Bächen  den  Ursprung  giebt ,  welche ,  in  Bassins  geleitet ,  so  viel 
Wasser  liefern ,  als  die  Garnison  für  sich  und  die  anlangenden  Schiffe 
bedarf.  Man  unterhält  starke  Schweine-  und  Geflügelzucht,  und  ei- 
nen lebhaft(;n  Schildkrötenfang.  —  10)  Erwiederung  des  Redakteurs  der 
N.  A.  G.  und  St.  Eph.  auf  einen  Angriff  in  den  Nouv.  Ann.  des  J  oy.  1828. 
Septhr.  S.  301.  Diese  eben  so  ruhige  und  besonnene  als  klare  und 
triftige  Erwiederung  weisst  die  allerdings  unverdienten  Angriffe  des 
Hrn.  Klaproth  zurück,  der  es  übel  genonmien  hatte,  dass  von  der  Re- 
daktion dieser  Zeitschr.  dem  Aufsatz  der  Brittischen  Geographen,  wor- 
in Klaproth's  Idee,  dass  der  Thibetnische  grosse  Fluss  weiter  unten 
den  Irawaddy  bilde,  widerlegt  wird  ,  mit  allen  darin  enthaltenen  Zu- 
rechtweisungen einen  Platz  eingeräumt  worden  war,  und  in  dieser  ge- 
reizten Stimmung  derselben  bittere,  und  Bez.  will  nur  sagen  ungegrün- 
dete Vorwürfe  und  Anschuldigungen  macht.  —  Den  Beschluss  dieses 
Bandes  macht  eine  statistische  Tabelle  der  sämmilichen  Staaten  Europa's 
für  1828,  von  welcher  Rez.,  da  solche  natürlich  die  neuesten  Data 
darbietet,  die  Rubriken:  Areal,  Volksmenge,  Staatseinkünfte  unA  StaatS' 
Schuld  ausheben  will. 


Nahmen  der 
Staaten. 


Areal  In 
geogr. 

DM. 


Volks- 
menge. 


Staatsein- 
künfte 
in  Guide: 


Staatsschuld, 
in  Gulden. 


1)  Anh.  Bernburg 

2)  -      Dessau 

3)  -     Köthen 

4)  Baden 

5)  Baiern     .    . 
6}   Braunschweig 

7)  Bremen 

8)  Britt.  Reich 

9)  Dänemark 

10)  Frankfurt  a.M. 

11)  Frankreich 

12)  Hamburg 

13)  Hannover   . 

14)  Hessen 

15^     -     Homburg 
IC)  HohenzolLHe- 
chingen     . 


15, 

7S 

16, 

29 

15, 

06 

279, 

54 

1,477, 

2  6 

70, 

37 

3, 

2  1 

5,556, 

08 

2,465, 

50 

4, 

32 

10,086, 

73 

7, 

10 

695, 

07 

185, 

^, 

84 

5, 

la 

38,900 

57,500 

39,900 

1,141,727 

3,881,000 

244,200 

57,800 

22,297,621 

1,984,665 

52,200 

32,058,741 

137,700 

1,568,300 

738,900 

21,350 

14,900 


450,000 

710,000 

230,000 

9,381,280 

30,078,869 

2,376,934 

400,000 

571,828,160 

10,200,000 

760,000 

353,446,871 

1,500,000 

11,700,000 

5,878,641 

180,000 


600,000 

500,000 

1,600,000 

15,981,000 

111,005,644 

3,500,000 

3,000,000 

8,067,300,000 

100,000,000 

8,000,000 

1,416,712,600 

13,500,000 

30,000,000 

13,973,625 

450,000 


120,000  — 


Neue  geographische  und  statistische  Ephemcriden.  473 


Nahmen  der 

Areal  in 

Volks- 

Staatsein- 

Staatsschuld. 

Staaten. 

geogr. 

DM. 

menge. 

künfte  in 
Gulden. 

in  Gulden. 

17)  Hz.  Sigmaring. 

18,2  5 

38,000 

300,000 

500,000 

18)   Innien    . 

47,1'i 

175,398 

1,414,000 

— 

19)  Kirchenstaat 

.811,»" 

2,483,940 

10,000,000 

250,000,000 

20)  Krakau       . 

23,-» -i 

107,934 

333,120 

— 

21)  Kiir-llessen 

208,  y<^ 

602,7JÖ0 

4,500,000 

1,950,000 

22)  Lichtenstein 

O  45 

5,800 

1,200,000 

— 

23)   Lipp.-Detmold 

20,"^ 

76,788 

490,009 

700,000 

2i)  Lucca    . 

VJ/'^ 

145,000 

720,000 

1,500,000 

25)  Lüheck"      . 

6,7  5 

46,303 

400,000 

3,000,000 

26)   St.  Marino 

1,0  6 

7,000 

30,000 

— 

27)  Mekl.Schwerin 

223  8  8 

435,091 

2,300,000 

9,500,000 

28)     -       Strehlitz 

3oii3 

79,400 

500,000 

500,000? 

29)  Modena      . 

98,74 

379,000 

1,500,000 

1,000,000 

30)   Nassau 

82,7  0 

340,206 

1,810,000 

5,000,000 

Ziy  Kiederlande 

1,190,5  6 

6,115,935 

49,901,894 

1,400,240,000 

32)   Oesterrcich 

12,147,6  0 

32,200,717 

130,000,000 

700,000,000 

33)   Oldenburg 

114,80 

235,200 

1,500,000 

— 

Zi)  Osmanenstaat 

10,005,2  4 

9,476,000 

25,000,000 

80,000.000 

3.5)   Parma  .      . 

103,9  2 

437,400 

1,500,000 

5,000,000 

30)  Portugal     . 

1,722,18 

3,013,950 

18,036,459 

135,009,000 

37)   Preussen     . 

5,054,6  7 

12,415,652 

75,000,000 

288,000,000 

38)   Reussält.  Lin. 

6,84 

24,100 

140,000 

5,000,000 

39)      -     jung.  Lin. 

21,1« 

57,090 

400,000 

1,200,000 

40)   Russland    . 

75,154,6  9 

47,0T  ,100 

130,000,000 

500,000,000 

41)   Sachsen 

271,3  3 

1,404,528 

11,000,000 

32,000,000 

42)     -     Altenbrg. 

23,4  4 

108,000 

600,000 

824,100 

43)      -     Koburg 

47,8  8 

145,500 

900.000 

3,000.000 

44)      -     Meining. 

41,72 

130,500 

750,000 

2,500,000 

45)     -     Weimar 

65,8  2 

225,947 

1,875,000 

6,296,000 

40)   Sardinien   . 

1,363,81 

4,333,905 

21,852,000 

60,000,000 

47)  Schaumb.Lipp. 

9,75 

25,500 

215,000 

300,000 

48)  Scliw.RudoIst. 

19,10 

56,9!>2 

325,000 

269,803 

49)      -     Sondersh. 

16,«« 

48,106 

300,000 

400,000 

50)   Schweden  . 

13,734,15 

3,801,714 

17,558,592 

43,168,031 

51)   Schweiz 

690,3  1 

2,037,030 

63,773 

60,696 

52)   Sizilien 

1,947,4  0 

7,414,717 

31,483,712 

210,000,000 

53)   Spanien 

8,446,9  0 

13,651,172 

66,300,000 

576,107,655 

54)  Toskana     . 

395,3  6 

1,300,530 

5,500,000 

45,000,000 

55)  Waldeck     . 

21   6  0 

54,000 

400,000 

1,200,000 

56)  Würtcmberg 

359^2  0 

1,535,403 

8,357,046 

27,356,917 

57)   Bcntink   oder 

Kuiphauscn 

1,20 

2,900 

175,000 

150,000 

Total     !  155,480,0  a  1 216,670,396 1 1,623,871,351 1 14,183,555,131 


474  Geographie  und  Statistik. 

Bey  diciser  Tabelle  hat  izidessen  Rez.  noch  einige  Kleinigifeitea 
zu  erinnern.  Erstlich  ist  hier  das  Fürstenthum  (oder  der  Schweizer- 
Kant.  Keuenburg)  2  Mahl  in  Anschlag  gebracht  worden,  das  eine  Mahl 
bey  Preussen,  das  andere  Mahl  bey  der  Schweiz;  dann  findet  man  bey 
Kassau  erst  die  Volkszahl  von  1825  (337,326  K.) ,  wofür  Rez.  die  von 
1827  supplirt  hat;  ferner  sind  in  der  Tabelle  bey  Toskana  weder  Ein- 
künfte noch  Staatsschuld  angesetzt,  was  daher  Rez.  aus  dem  Hassel'- 
schen  geneal.  histor.  Statist.  Almanache  nachgetragen  hat;  endlich  sind 
in  der  Tabelle  bey  jedem  Staate  die  Einwohner  auch  nach  ihren  Reli- 
gionen angegeben  worden,  so  dass  die  Volksmasse  Europa's  sich  in 
117,050,7(>(i  Kathol.,  48,472,759  Evangel.,  46,845,498  Griechen,  3,129,500 
Mosleminen  und  1,873,500  Juden  theilen  soll;  doch  beruhen  diese  An- 
gaben bey  den  meisten  Staaten  auf  blossen  Schätzungen,  und  daher 
können  solche  nicht  auf  völlige  Genauigkeit  Anspruch  machen.  Auch 
niuss  Rez.  noch  bemerken,  dass  bey  Russland  die  aus  den  vormahligeu 
Reichen  Kasan  und  Astrakhan  entstandenen  Gouvern.  hier  nicht  in  An- 
schlag gebracht,  sondern  an  Asien  überwiesen  worden  sind. 

Diess  wäre  nun  aus  vorliegenden  6  Bänden  das  Merkwürdigste, 
welches  Rez.  demjenigen  Theile  der  Leser,  welcher  diese  so  reichhal- 
tige Zeitschrift  nicht  selbst  halten  oder  lesen  kann,  nach  seiner  Ueber- 
zeugung  nicht  vorenthalten  durfte.  Jedoch  würde  man  sich  sehr  ir- 
ren,  wenn  man  glauben  wollte,  in  dieser  Beurtheihing  alles  Bemcr- 
kenswerthe  und  Neue  aufgenommen  zu  finden.  Rez.  durfte  den  Raum 
der  Jahrb.  nicht  überschreiten  und  so  musste  er  viele  neue  Notizen 
zumahl  aus  der  so  reichen  Rubrik:   Novellistik  unbeachtet  lassen. 

Mit  Vergnügen  wird  man  endlich  gewahr  werden,  dass  Rez.,  eini- 
ge kleine  Erinnerungen  und  Bedenklichkeiten  abgerechnet,  gar  keine 
erheblichen  Ausstellungen  zu  machen  hatte. 

Eben  so  muss  Rez.  auch  in  Hinsicht  der  in  diesen  Bänden  in  gro- 
sser Zahl  aufgenommenen  Rezensionen  gcograph.  und  Statist.  Schriften 
und  Landcliarten  gestehen,  dass  darin  wenigstens  in  so  weit,  als  ihm 
die  beurtheilten  Schriften  bekannt  sind,  ohne  Ausnahme  strenge  Un- 
partheylichkeit  vorwalte,  und  dass  jedes  gehaltvolle  Werk  nach  Ver- 
dienst gewürdigt  worden  sey. 

Papier  und  Druck  sind  fortdauernd  von  gleicher  Trefflichkeit  ge- 
blieben, mithin  noch  immer  gleich  lobenswerth.  Auch  die  Druck- 
Korrektur  ist,  wie  gewöhnlich,  mit  ausgezeichneter  Sorgfalt  behan- 
delt, so  dass  Druckfehler  eine  ziemliche  Seltenheit  sind. 

Möge  das  fortdauernd  seinen  liohen  Ruhm  behauptende  geograph. 
Institut  mit  gewohntem  Eifer  fortfahren,  durch  diese  so  belehrende 
Zeitschrift  das  Publikum  von  allen  neuen  Entdeckungen  und  Verände- 
rungen in  dem  jetzt  so  wcitläuftigen  Gebiet  der  Geographie  und  Sta- 
tibtik  auf  so  gründliche  und  befriedigende  Weise  inKenntniss  zu  setzen. 

Orlamünda. 

Dr.   Jl.    Weisse. 


Scbul-  u.  Univcrsltätsnaclir. ,  lieftirdcrr.  u.  Ehrcnl)ezclg.      475 

Schul-  und  Umversitätsnachrichten,    Beförderungen  und 
Ehrenbez  eigungen. 

Altona.  Der  dritte  und  vierte  Lehrer  am  Gyinnasliim  Dr.  P.  S.  Frand- 
scn  und  Georg  Christian  Friedrich  Ohrt  haben  den  Titel  „Professor"  im 
Range  eines  ausserordeatl.  Professors  der  Universität  Kiel,  der  fran- 
zös.  Sprachlehrer  Antoine  Amand  Fidcle  liopsy  denselben  Titel  mit 
dem  Hange   Nr.  1  in  der   8n  Classe  der  Rangordnung  erhalten. 

AscHAFFEiVBiiRG.  Vermöge  allerhöchster  Entschliessung  vom  31 
Oct.  v.J.  wurde  das  k.  Gymnasium  daselbst  dem  neuen  Schulplane  gemäss 
provisorisch  organisirt.  —  Demnach  wurde  die  IVe  oder  dialektische 
Klasse  dem  Ilector  und  Prof.  Mittermayer ,  die  Ille  oder  rhetorische 
Klasse  dem  Prof.  JFolfg.  Hochcder,  die  He  dem  Dr.  und  Prof.  Troll  und 
die  le  oder  historische  dem  Prof.  Heilmaicr  übertragen.  Die  Interims- 
klasse mit  dem  Rektorate  der  lateinischen  Schule  wurde  dem  Prof. 
JFickenmayer,  der  obere  Kursus  dem  OöerZcArcr  JFcigand,  der  mittlere 
dem  Prüceptor  Gerhard  und  der  untere  dem  Prüceptor  Ilurtmann  anver- 
traut. —  Der  Mathematikus  Prof.  Reuter  und  der  Religionslehrer  Prof, 
Breunig  haben  ihre  Lehrobjekte  wie  bisher  in  den  Gymnasial-Klassen 
zu  besorgen.  —  Zu  Scholarcben  wurden  ernannt :  der  Pfarrer  und 
Prof.  der  Theologie  Anderlohr ,  der  rechtskundige  Magistratsrath  Hcss- 
ler  und  von  Seite  der  Gemeindebevollmächtigten  der  Kreisgerichts- 
rath  Kurz.  —  Die  Gehalte  für  das  gesammte  Lehrpersonale  werden 
aus  dem  Gymnasiumsfond  bestritten,  indem  sich  die  Stadt  gleich  vor- 
aus erklärte,  wohl  die  äussere  Aufsicht,  aber  nicht  die  pecuniäre  Für- 
sorge auf  sich  zu  nehmen.  Weit  entfernt  also ,  freudigere  Aussicht 
zu  gewinnen,  hat  der  Lehrstand  bei  solcher  Ueberlastung  vielmehr  das 
Schlimmste  zu  befürchten,  dass  ihm  nämlich  der  ohnediess  karg  zuge- 
theilte  Gehalt  nicht  mehr  zur  gehörigen  Zeit  wird  verabfolgt  werden 
können.  Quien  haga  aplicaciones, 
Con   SU  pan   se  lo   corna. 

Baiern.  Der  neue  Schnlplan,  der  unter'm  8ten  Febr.  1829  die 
Genehmigung  des  Königes  erhalten  hat ,  ist  nun  nach  einem  Befehle 
des  k,  Ministerium  vom  'in  Nov.  provisorisch  in  Ausführung  gebracht. 
Die  Scholarchate  sind  constituirt,  Präceptoren  geprüft,  die  Lateinischen 
Stadtschulen  von  den  Gymnasien  getrennt,  die  Rectoratsverweser  für 
jene  ernannt,  von  den  Rectoren  die  Schulstatuten  für  beide  Anstalten 
entworfen,  und  der  Unterricht  in  der  Hebräischen  Sprache  auch  an  ka- 
tholischen Gymnasien  begonnen.  Man  sieht  daher  ^  wenn  die  Quellen 
für  die  erhöhten  Ausgaben  hinreichend  werden  ausgemittelt  seyn,  der 
definitiven  Organisation  entgegen.  —  Dass  das  Publikum  die  Vortheile 
der  Bildung,  welche  nach  diesem  Plane  den  Söhnen  des  Baierischen 
Vaterlandes  angeboten  ist,  sey  es  bessei-e  Begründung  der  Gymnasial- 
Bildung,  oder  Bildung  zu  einem  höheren  bürgerlichen  Berufe  nach 
dem  Bedürfnisse  des  constitutionellen  Staates,    zu  würdigen  verstehe, 


476  Schul-   und  Universitätsnachrichten, 

ergibt  sicli  theils  aus  der  Bereitwilligkeit ,  mit  welcher  mehre  Städte, 
die  bisher  keine  Lateinische  Schule,  oder  nur  unvollständige  V'orberei- 
tungsklassen  hatten ,  sich  für  die  Errichtung  vollständiger  Lat.  Stadt- 
schulen erklärt,  und  bereits  angefangen  haben,  die  Unterhaltungsniit- 
tel  nachzuweisen,  theils  aus  dem  Andränge  zu  den  unteren  Cursen  der 
Lateinischen  Schulen  in  Städten ,  in  welchen  Gymnasien  sind.  Diese 
Thatsachen  sprechen  kräftiger  für  die  Zweckmässigkeit  des  neuen 
Schulplans,  als  verschiedene  Ki'itiken  in  den  öffentlichen  Blättern  gc^en 
dieselbe  sich  geäussert  haben.  Aus  der  Verzögerung  der  definitiven 
Organisation  wollen  Einige  auf  Unentschlosscnheit  des  Königes  schlie- 
ßsen;  doch  wer  den  beharrlichen  Charakter  des  Königes,  und  die  er- 
probte Klugkeit  Seines  Ministerium  kennt,  kann  in  dieser  Zögerung 
nur  die  weiseste  Vorsicht  sehen,  die  bei  einer  solchen  Umwälzung 
der  Dinge  vonnöthen  ist,  damit  der  Unterricht  nicht  der  Gefahr  einer 
Stockung  oder  Verwirrung  ausgesetzt  werde. 

Bamberg.  Durch  ein  allerhöchstes  Reskript  vom  22  April  v.  J.  wurde 
der  Religionslehrer  Hcinr.  Emmerling  zum  ersten  Inspector  des  Schul- 
lehrer Seminariuras  dahier  ernannt  und  die  dadurch  erledigte  Stelle 
dem  Kaplan  Mich.  Pennerlein  prov.  übertragen.  Ferner  wurde  der 
Prof.  der  III  Klasse  Jos.  Fehlner  zur  Stadtpfarrei  Rotz  befördert.  Die 
übrigen  Lehrer  rückten  prov.  in  die  erledigten  Stellen  ein.  Das  vorge- 
schriebene Programm  fertigte  der  Prof.  der  Theologie  yi.  Gengier  zwar 
mit  dialektischer  Schärfe,  aber  im  Geiste  des  finstern  Dogmatismus. 
Der  Titel  ist:  „Das  Glaubens-Princip.  der  griecli.  Kirche,  im  Verglei- 
che mit  der  römisch-katholischen  Kirche  und  andern  religiösen  Denk- 
weisen (?)  unserer  Zeit."  Schade,  dass  der  Vrf.,  welcher  sein  Talent 
für  philosoph.  Foi'schungen  durch  eine  Abhandlung  über  das  Verhält- 
niss  der  Philosophie  zur  Theologie  beurkundet  hat,  schon  so  frühe  für 
das  päpstliche  System  gewonnen  ward.  Es  ist  auffallend,  dass  in  die- 
sem Jahre  bes.  yiele  Lycealprofcssoren  Verräther  an  der  Wahrheit  ge- 
worden. Man  erinnere  sich  nur  an  die  seichten  Sudeleien  eines  HHg 
vmd  JVirlh ,  welche  die  grösste  Geistesarmuth  beurkunden.  —  Wie 
man  vernimmt,  sind  auch  hier  einige  Veränderungen  im  Lehrpersonale 
eingetreten.  Rektor  des  Gymnasiums  blieb  zur  Freude  aller  Freunde 
der  Humanität  der  würdige  Dr.  Steinruck,  zugleich  Lehrer  der  Mathe- 
matik. Die  IVe  Klasse  wurde  dem  Prof.  Mühlich,  die  Ille  dem  Prof. 
Ilabcrsack,  die  Ile  dem  Prof.  Mayer,  zugleich  Rektor  der  Stadtschule, 
die  le  dem  Prof.  Edler  von  Mender  verliehen.  Die  Interimslilasse 
wurde  dem  Oberlehrer  Haut  und  die  übrigen  Abtheilungen  den  Präce- 
ptoren  Kober,  Fischler,  Junglcib  und  Jakob  übertragen.  Die  definitive 
Besetzung  soll  demnächst  erfolgen.  —  Zum  Scholarchate  wurde  er- 
nannt: der  Pfarrer  König,  der  Bürgermeister  Dr.  Bayl  und  der  Medi- 
zinalrath  Weigand.  Da  das  Rectorat  der  Lat.  Schule  prov.  versehen 
wird  ,  so  soll  der  ausgezeichnete  und  gelehrte  Prof.  Arnold  von  Mün- 
nerstadt  hierher  berufen  werden.  Man  arbeitet  sehr  daran ,  das  be- 
kannte Aufseessischo  Seminar  wieder  einzurichten.  —  Die  Regierung 
des  Obermainkreises  ergriff  mit  Liebe  luid  Eifer  die  Gelegenheit,  wel- 


Beförderungen  und  Ehrcnbzeigungen.  417 

che  ihr  der  neue  Schulplan  zu  segensreicher  Wirksamkeit  hot,  indesa 
andere  Regierungen ,  der  Erhebung  des  Lchrstandes  ahhold ,  durch 
alle  möglichen  Umtriehe  das  Gedeihen  der  Anstalten  zu  hemmen  su- 
chen. —  Ueberhatipt  aber  wäre  zu  wünschen,  dass  man  allerhöchsten 
Ortes  solchen  Subjecten,  Avelchc  sich  durch  ihre  Ausschweirungcn 
oder  Unwissenheit  die  öffentliche  Veraditung  zugezogen,  die  Aulnahmc 
in  den  höhern  Lehrstand  verweigerte ;  Avas  bei  der  Eile ,  mit  welcher 
mau  die  Organisation  betrieb,  leider  nicht  geschah. 

DÄNEMARK.  Ira  Herbst  182!)  sind  von  den  gelehrten  Schulen  des 
Landes  folgende  Programme  geliefert  worden :  von  der  Rothscuilbeb 
Kathedralschule  eine  Abliandlung  über  die  Laute  und  ihre  Bezeichnung 
in  der  alten  Gricch.  Sprache,  vom  Dr.  Besch  ;  in  Helsingör  eine  Ue- 
hersetzung  und  Erklärung  von  Aratus  Gedichten  und  dem  ersten  Buche 
der  Metamorphosen  des  Ovid  ,  vom  Prof.  Mcisling;  zu  Slagelse  eine 
analytische  Behandlung  der  Platonischen  Körper,  vom  Adjunct  Ander- 
sen', von  der  Ode\seer  Kathedralschule  Plato's  Etyphron ,  übersetzt 
und  mit  einer  Einleitung  begleitet;  von  der  Kathedralschule  zu  Ny- 
KiÖBiNG  eine  Abhandlung  über  die  Kampfspiele  beim  Grabe  des  Anchi- 
ses  nach  Virgil,  von  Ludiv.  Berg',  von  der  Kathedralschule  zu  Uipew 
Jon  Jonsen  Terchelsens  Leben ,  vom  Oberlehrer  Hansen  ;  zu  Hoiisens 
eine  Uebersetzung  des  9u  Gesanges  der  Odyssee  im  Versmaasse  des 
Originals,  vom  Prof.  JForm ,  herausgegeben  vom  Rector  Dorph.  Ana 
den  Programmen  der  Universität  zu  Kopenhageiv  sind  zu  beachten: 
Nachrichten  von  einer  ira  Jahre  1827  in  der  alten  Stadt  Acre  auf  Si- 
cilien  gefundenen  Kupferblatte  mit  einer  Griech.  Inschrift  [ein  Decret 
der  Einwohner,  dem  Kaiser  Marc  Aurel  eine  Statue  zu  errichten],  von 
niorJacius;  und  Madvig''s  Abhandlung  über  einige  Fragmente  eines 
vorgeblichen  alten  Latein.  Grammatikers  Luc.  Cäcilius  Minutianus 
Apulejus  über  die  Orthographie,  aufgefunden  und  herausgegeben  von 
Mai  in  Rom.  ") 

DoBPAT.  Die  Universität  zählte  ira  Winter  18|§  647  Studenten, 
darunter  II  Ausländer,  84  Theologen,  80  Juristen,  227  Mediciner, 
256  Philosophen. 

DuisEUKG.  Zum  Director  des  Gymnasiums  ist  der  bisher. Oberleh- 
rer am  Gymn.  in  Hamm,  Rector  Schulze  ernannt  worden. 

Helsingfors.  Die  seit  dem  10  Dec.  1828  in  Anwendung  gebrach- 
ten Statuten  der  K.  Alexanders-Universität  in  Finnland  sind  im  J.  1829 
gedruckt  erschienen,  und  zur  allgemeinen  Kunde  gebracht.  Aus  ihnen 
heben  wir  folgendes  aus.  Die  Universität  steht  unter  der  Oberaufsicht 
eines  Kanzlers  und  das  Corpus  aller  ordentlichen  Professoren  führt  den 
Namen  Consistorium.  Dieses  Consistorium  wählt  aus  seiner  Mitte  den 
Rector,  jedesmal  auf  drei,  und  den  Prorector,  jedesmal  auf  ein  Jahr: 
beide  bestäti<2:t  der  Kanzler.     Dasselbe  hat  das  Vorschlaffsrecht  zurße- 


*)  Von  dieser  letzten  Schrift,  welche  diese  Fragmente  des  Apulejus  für 
eine  Erdichtung  des  J 5  Jahrb.  n.  Chr.  erklärt,  folgt  nächstens  eine  Beur- 
tlieilung  in  den  Jahrbüchern. 


478  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

Setzung  der  erledigten  Profcssuren ,  und  der  Stellen  des  Secretairs, 
der  Adjunctcn ,  des  Sjndicus  ,  der  Lectoren  und  Exercitienmeister. 
Die  Professoren  ernennt  der  Kaiser,  die  übrigen  derKanzler.  Die  Stu- 
denten sind,  wie  bei  der  alten  Verfassung,  zur  Beaufsicbtigung  ihres 
sittlichen  Verhaltens  in  Abtheilungen  getbeilt,  deren  jede  einen  Pro- 
fessor zum  Insiiector  und  einen  Adjuncten  oder  Docenten  zum  Curator 
hat;  die  nähere  Einrichtung  stellt  das  Consistorium  fest.  Die  theolo- 
gische Facultät  besteht  aus  4  ordentlichen  Professoren  und  2  Adjuncten, 
die  juristische  aus  3  ordentlichen  Professoren  und  2  Adjuncten ,  die 
medicinische  aus  3  ord.  Proff.  und  4  Adjuncten,  die  philosophische 
aus  11  ord.  Proff.  [für  Philosophie,  Mathematik,  Physik,  Astronomie, 
Chemie,  Naturgeschichte,  Geschichte,  Dichtkunst  luid  Beredtsamkeit, 
Griechische  Literatur,  Orientalische  Literatur  und  Literärgeschichte], 
1  ausserord.  Prof.  für  russische  Literatur  und  7  Adjuncten.  Jeder  Pro- 
fessor liesst  wöchentlich  4  Stunden  öffentlich  ,  ausserdem  privatim  auf 
Verlangen  der  Studenten.  Die  Lesetermine  dauern  vom  15  Sept.  bis 
15  Deceniber  und  vom  15  Jan.  bis  15  Juni.  Kein  Lehrer  darf  die  Gren- 
zen seines  besondern  Fachs  überschreiten,  ist  aber  in  der  Einrichtung 
seiner  Vorträge  nicht  beschränkt.  Die  Fakultäten  ertheilen  die  Grade 
eines  Candidaten,  Licentiaten  und  Doctors,  die  philosophische  auch  die 
eines  Magisters ;  die  theologische  Doctorwürde  giebt  auch  der  Kaiser. 
Hinsichtlich  der  Jurisdiction  der  Universität  entscheidet  der  Kector  für 
eich  über  Dienstvergehen  der  Unterbedienten,  über  geringere  Versehen 
der  Studenten  und  deren  Schuldsachen ;  der  Universitütsgericlitshof  (der 
aus  3  Proff.  und  2  Adjj.  der  Jurist.  Facultät  besteht  _)  über  Civil- 
etreitigkeiten  der  Stiulenten  und  Graduierten ;  das  Consistorium  über 
Dienstfehler  der  Beamten  und  über  die  innern  ökonomischen  Angele- 
genheiten der  Universität,  doch  ohne  das  Recht,  Zeugen  eidlich  zu  ver- 
nehmen; die  Studien-  und  Disciplincommission  (welche  aus  dem  Rector 
und  4  Proff.,  von  denen  3  Abtheilungsinspectoren  seyn  müssen ,  be- 
ßtehtj  über  grössere  Disciplinarvergehungen  der  Studenten  und  Gra- 
duierten und  über  Unlleiss  der  ersteren.  Die  Einkünfte  der  Universi- 
tät bestehen  in  dem  Genüsse  gewisser  Pastorate  (Praebende^  und 
Ackerhöfe  (heraraanj,  in  Renten  aus  andern  Höfen,  Zehntgetraidc  aus 
dem  Kronraagazin,  einigen  haaren  Zuschüssen  aus  drei  Stiftungen  etc. 
Der  jährliche  Gehalt  eines  theologischen  Professors  besteht  aus  244 
Silberrubeln  10  Cop.  haar,  1248  Ruh.  48  Cop.  in  sonstigen  Emolumen- 
ten  und  den  Einkünften  eines  Pastorats  ,•  auch  jeder  theolog.  Adjunct 
hat  ein  Pastorat.  Jeder  andere  Professor  erhält  einen  hemman,  333^- 
Rubel  haar  und  1164  Rubel  in  Emolunienten.  Fünfundzwanzigjährige 
Dienstzeit  mit  GOjährigem  Alter  verbunden  giebt  Anspruch  auf  vollem 
Gehalt  als  Pension. 

KopExuACEN.  An  des  verstorbenen  Nyerup  Stelle  ist  der  Profes« 
sor  Rask  Universitätsbihliothekar  geworden. 

Petersburg.  Durch  eine  Kaiserl.  Verordnung  vom  30  Jan.  (11 
Fehr.^  1830  sind  für  die  Akademie  der  Wissenschaften  mehrere  neue 
Bestimmungen  gegeben  worden.      Der  Etat  derselben  ist  auf  200,100 


Beförderungen    und  Elirenbcz  eigungen.         479 

Rubel  festgesetzt.  Sie  soll  aus  21  ordentlichen  Akiidenilkeri  beste- 
hen ,  von  denen  jedei-  einen  Jalirgehalt  von  500(^  Uuliuln  u  ul  na«;h 
20jähr.  Dienste  von  1000  Uub.  Zulage  bezieht,  und  die  auf  lolgende 
Weise  vertheilt  scyn  müssen:  l)  in  der  luathemat.  Klasse:  2  lir  reine 
Mathematik,  1  für  angeAvandte  Mathematik,  2  für  Astronomie,  1  Cur 
Geographie  und  Nautik ;  IIJ  in  der  natiirMissenschaftl.  Klasse:  2  für 
Physik,  1  für  allgemeine  Cliemie,  1  für  Technologie  und  angewandte 
Chemie,  2  für  Zoologie,  1  für  Botanik,  1  für  Mineralogie,  1  für  ver- 
gleichende Anatomie  und  Physiologie;  111^  in  der  histor.-pollt.  Classe: 
1  für  StaatsM'irthschaft  und  Statistik,  1  für  die  russische  Geschichte  und 
Alterthümer ,  2  für  Gricch.  und  Rom.  Alterthümer,  2  für  Asiatische 
Geschichte  und  Literatur.  Die  Zahl  der  Adjuncten  ist  von  20  auf  10 
beschränkt,  und  sie  sollen  künftig  nur  für  diejenigen  AVissenschaften 
gewählt  werden,  für  welche  sie  als  nötliig  und  nützlich  erkannt  wer- 
den. Die  Eleven  der  Akademie  werden  als  überflüssig  anerkannt  und 
hören  auf.  Der  Aufseher  des  Museums  Avird,  da  er  vielerlei  praktische 
Kenntnisse  besitzen  muss,  nicht  aus  der  Mitte  der  Akademiker  gewählt. 
Rostock.  Am  10  Dec.  feierte  die  Universität ,  wie  gewohnlich, 
den  Geburtstag  des  Grossherzogs  durch  eine  öfTentliche  Rede  des  Pro- 
fessors der  Beredtsamkeit  Fr.  V.  Fritzsche ,  welche  die  Verdienste  des 
Grossherzogs  um  die  Universität  seit  dem  Antritte  seiner  Regierung  (d. 
24  Apr.  1785)  auseinander  setzte.  Sie  ist  später  gedruckt  worden  unter 
dem  Titel:  Oratio  die  natali  Friderici  Francisci,  Magni  ducis  Megalo- 
politani,  X  mens.  Decemb.  1821)  in  auditorio  acad.  maximo  habita  a 
Franc.  Vülcra.  Fritzschio,  eloq.  et  poes.  prof.  Rostoch.  literis  Adlerianis. 
20.  S,  4.  Ausser  dass  vor  kurzem  bei  der  Universität  ein  philologi- 
sches Seminar  unter  der  Direction  des  genannten  Prof.  Fritzsche  errichtet 
worden  ist,  so  wurde  an  diesem  Geburtstage  zum  erstenmale  eine  phi- 
lologische Preisaufgabe  (de  Lenaeorum ,  Anthesteriorum  et  Dionysio- 
rura  apud  Graecos  rationibusj  für  die  Studirenden  aufgegeben,  die 
künftig  alle  Jahre  wiederholt  werden  soll,  und  für  welche  der  Preis 
(6  Friedrichsd'or)  allemal  zum  Geburtstage  des  Grossherzogs  ertheilt 
werden  soll.  Preiswähler  sind  allemal  die  Decane  der  vier  Facultäten 
und  der  Director  des  philologischen  Seminars;  die  gekrönten  Preis- 
schriften sollen  gedruckt  werden. 


Angekommene   Briefe. 

Vom  24  Nov.  1829.  [erst  im  März  1830  eingegangen  ]  Br.  v.  H. 
a.  A.  [besondere  Antwort  folgt.  Einstweilen  herzlichen  Dank.]  — 
Vom  22  Dec.  1829.  [Erst  im  Apr.  1830  eingegangen]  Br.  v.  D.  a.  G. 
[Danke  herzlich.  Soweit  als  möglich  Averde  ich  es  beachten.]  —  Vom 
2  Jan.  Br.  v.  i\  a.  D.  [Herzlichen  Dank.]  —  Vom  10  Jan.  Br.  v. 
M.  a.  Z.  [Sind  richtig  angelaugt  und  zum  Theil  schon  gedruckt.]  — 
Vom  20  Jan.  Br.  v.  R.  a.  C.  [Freundlichen  Dank  für  die  Anlage. 
Das  Andere  brieflich.]  —  Vom  4  Febr.  Br.  v.  0.  a,  Z.  [Ist  alles 
richtig.]  —     Vom  4  Febr.    Br.  v.  G.  a.  JF.     [Ich  habe  es  sofort  be- 


480 

< 

sorgt.]  —  Vom  17  Febr.  Br.  v.  K.  a.  Z.  [Einstweilen  herzlichen 
Dank.]  —  Vom  18  Febr.  Br.  v.  ß.  a.  B.  [Ich  hoffe  Sie  zu  überzeu- 
gen ,  tlass  der  Drang  der  Umstände  es  nicht  anders  erlaubte.]  —  Vom 
22  Febr.  Br.  v.  IV.  a.  B.  [m.  Recc]  —  Vom  25  Febr.  Br.  v.  0.  a. 
C  [Die  Anlage  ist  sehr  willkommen.]  —  Vom  27  Febr.  Br.  v.  V.  a. 
iV.  [Danke  herzlich;  bitte  um  Fortsetzung.]  —  A'om  3  März.  Br.  v. 
S.  a.  C.  [Freundlichen Dank,  dem  möglichst  schnelle  Gewährung  fol- 
gen soll.]  —  Vom  6  März.  Br.  v.  W.  a.  G.  [Den  Dank  wünsche  ich 
durch  Erfüllung  des  Wunsches  auszusprechen.  ]  —  Vom  6  März. 
Br.  V.  P.  a.  F.  [ist  alles  richtig.]  —  Vom  9  März.  Br.  v.  P.  a. 
Z.  [  Freundlichen  Dank  für  die  Anlage.  ]  —  Vom  27  März. 
Br.  V,  F.  a.  M.  [Danke  freundlich  für  die  Anlage.]  —  Vom  28  März. 
Br.  V.  W.  a.  H.  [Herzlichen  Dank  für  die  Anlage.  Sobald  als  mög- 
lich werde  ich  dem  Wunsche  genügen.]  —  Vom  2  Apr.  Br.  v.  /f.  a.  O. 
[m.  Recc,  folgt  Antwort.]  —  Vom  3  Apr.  Br.  v.  B.  a.  S.  [Danke 
herzlich.  Kächstens  folgt  die  Coli,  zurück.]  —  Vom  4  Apr.  Br.  v. 
M.  a.  Z.  [Folgt  besondere  Antwort.]  —  Vom  5  Apr.  Br.  v.  //.  a. 
Z.  [Sobald  als  möglich  werde  ich  Beiträge  zu  liefern  suchen.]  — 
Vom  6  Apr.  Br.  v.  M.  a.  C.  [Folgt  nächstens  Erklärung.]  —  Vom 
6  Apr.  Br.  v.  M.  a.  C  [Die  von  mir  nicht  verschuldete  Versäumniss 
ist  beseitigt.  Das  Anerbieten  halte  ich  nicht  für  nöthig.]  —  Vom  7 
Apr.  Br.  v.  S.  a.  K.  [War  schon  geschehen,  bevor  das  Sehr,  geschrie- 
ben ist.]  —  Vom  8  Apr.  Br.  v.  W.  a.  M.  [m.  Rec.  u.  Progr.]  — 
Vom  9  Apr.  Br.  v.  Ä.  a.  Z.  —  Vom  12  Apr.  Br.  v.  J.  a.  C.  —  Vom 
14  Apr.  Br.  v.  S.  a.  D.  [m.  Rec]  —  Vom  15  Apr.  Br.  v.  St.  a.  D. 
''An  dem  Willen  bitte  ich  nicht  zu  zweifeln ;  nur  an  Zeit  und  Möglich- 
Iteit.]  —  Vom  16  Apr.  Br.  v.  K.  a.  H.  [folgt  Antwort.]  —  Vom  16 
Apr.  Br.  v.  D.  a.  S.  [Für  die  Anlage  bin  ich  dankbar  verbunden.  Wün- 
schenswerth  würde  noch  die  Mittheilung  der  zwei  ersten  Abtheilungen 
der  Geschichte  des  Gymnas.  bleiben.]  —  Vom  17  Apr.  Br.  v.  A.  a. 
G.  [m.  Rec]  —  Vom  17  Apr.  Br.  v.  O.  a.  R.  [Inlage  ist  besorgt.] 
—     Vom  23  Apr.  Br.  v.  CA.  a.  D.    [Rec.  ist  richtig  eingegangen.]  — 


Dru  ckfehler. 
Jahrbb.  XII.  S.  19  Z.  12  l.  88  st.  48. 

-  19  -    27  1.  Mai  st.  Majo. 

-  19  -    37  —  48  der  Satz  :    Nicht  erwähnt  findet  sich  etc. 

ist  zu  tilgen. 

-  49  -    16  1.  allarförmigen  st.  altförmigen. 

-  49  -    29  ist  Frühlings  zu  streichen,  und  ebenso  die  vor- 

hergehenden Worte    mit    dem  Frühling 
zugleich  (wie  Philostratos  sagt)  kommende. 

-  317  -     4  1.  Phys.  3.  4.  st.  Phys.  3  u.  4. 

-  317  -  11  l.  des  tÖ  ös  st.  das  x6  ös. 

-  317  -  11  l.  Frühern  st.  frühere. 

-  327  -  15  v.  u.  1.  den  st.  der. 

-  330  -  21  l.  substralum  et.  sustratum. 

-  331  -  13  v.u.  i.  mit  desto  grösserem  st.  mit  grosserem. 


Inhalt 

von  des  ersten  Bandes  viertem  Hefte. 


)e8  Demosthenes  PLilippische  Reden,  übersetzt \ 

und  erläuteil  von  Becker.  '  I 

[Temosthenis  Pbilippicae.     In   us.  «cbol.    e(Iid.(     ^'^"*    ProfeBsor    Rm- 

^  jLjr  l  chenftcin  in  Aaraa.     S.    371  —  400 

)emostbeni8  PhSlippicae.     Edidit  Rüdiger.      } 

)vidii   libri   Tristiom.     Znm    Schalgebranch    herausgegeben.     Leipz.  b. 

Schnickert  —     Vom  Gymnasiallehrer  Loers  in  Trier.         .         .     401  —  419 
*iene  allg.  geograph.  u.  statistische  Ephemeriden.    liedigirt  von  Hassel. 

—    Vom  Dr.  JVeise  in  Orlaraünde.   ......    419  — 

Schal-  und  Universitatsnachricaten ,  Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen- 


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PA  Jahrbücher  für  Philologie  und 

3  Paedagogik 

N64. 
Bd.  12 


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