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Full text of "Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik"

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Jahrbücher 


für 


wisis  eil  Schaft  11  che    Kritik. 


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Herausgegeben 

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von   der 

ISocIetftt   ffir    Wissens  chafftli  ehe  Kritik 


zu 


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Erster     Band. 


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Berlin« 
Terlag  von  Duncker  and   Hnrnblot. 

18  4  0. 

Verantwortlicher  Redaoteor:    der  General -Secretair  der  Sooietttt,  Professor  von  Heninng. 


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Systematischer    Index 


zum 


Jahrgang  1840  der  Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Kritik« 


/.    PAiloiophie. 

1.  Marbach,  Lehrbuch  der  Geschichte  der  Philosophie.  Ifte 
Abthailung.  —  Jan.  8.  76.  —  Hinriehs. 

2.  Reinholdy  Lehrbuch   der  Geschichte  der  Philosophie  — 
Juni  S.  921.  —  Erdniann. 

3.  Schmidt,  Umrisse  der  Geschichte  der  Philosophie.  —  Juni 
S.  921.  —  ErdmanD. 

4.  Bayrhofer,    Beiträge  zur  Naturphilosophie.    —    Juli  S. 
4t.  -^  Ifinrichs. 

5.  Snell,  philosophische  Betrachtungen   der  Natur.  —   Sept. 
8.  497.  —   Weisse. 

6.  Steffens,  christliche  Religionsphilosophie«  —  Nor.  S.  665. 
^  Rosenkranz. 

7.  Gärtner,  die  Philosophie   des  Lebens.     Erster  Theil:  Die 
Rechts-  und  Staatslehre*.  —  Dec.  S.  918.  ^  Rosenkranz. 

8.  Leibnitii   opera   philosophica,   ed.  Erdmann.  -—   Dec.  S« 
94J»  ~-  Erd  mann. 


//.  .  Theologie. 

1.  Vetter»  die  Lehre  Tom  christlichen  Kultus  nach  den  Grund- 
sätzen der  erangelischen  Kirche.  —  Jan.  8.  117.  —  Mar- 
h  e  i  n  e  k  e. 

9.    Gfrörer,  die  heilige  Sage.    Erste  und  zweite  Abtheilung. 

—  Febr.  8.  i^a.  —  Lic.  Bauer. 

3.  Stahl  5  die  Kirchen  Verfassung  nach  Lehre  und  Recht  def 
Protestanten.  —  März  S.  419.  —  Marheineke. 

4.  Conradi,  Christus  in  der  Gegenwart,  Vergangenheit  und 
Zukunft  —  April  S.  521.  Weisse. 

5.  Knapp,  oTangelischer  Liederschatz.  Erster  und  zweiter  Bd. 

—  April  S.  491.  —  Lange. 

6.  Märklin,  Kritik  des  nlodemen  Pietismus.  —  April  S. 
558.  ^  Baier. 

7.  Hase,  Lehrbach  der  erangelischen  Dogmatik.   Zweite  Aufl. 

—  Mai  S.  641.  —  Baief. 

6.  T.  Baader,  über  die  Thunlichkeit  oder  Nichtthunlichkeil 
einer  Emancipation  des  Katholicismns  ron  der  römischen  Dic- 
tatur.  —  Juni  S.  877.  —  Funke. 

9.    Beckedorffy  an   gottesfürchtige  protestantische  Christen. 

—  Juli  S.  17.  -—  Marheineke. 


10.  Spieker,  Kirchen-  und  Reformations-Geschichte  der  Mark 
Brandenburg.  —  Juli  S.  87.  Riedel. 

11.  LUtzelberger,  über  den  Apostel  Johannes.  —  Aug.  S. 
185.  —  Weisse. 

12.  Riedel,  Staat  und  Kirche.  —  Aug.  S.  28L  -«  Marhei- 
neke. 

13.  y.  Drey,  Apologetik.  Erster  Band.  —  Sept  S.  411,  — 
Moll. 

14.  die  Moral  und  Politik  der  Jesuiten.  —  Oct.  S.  505.  •»  K. 
Riedel. 

15.  Jordan,  die  Jesuiten  und  der  Jesuitismns.  —  Oct  S.  505. 

—  Riedel. 

16.  Theses  Cl«     Zur  Reformationsfeier  in  Nord -Deutschland. 

—  Oct.  S.  597.  —  M. 

17.  Baur,  die  christliche  Lehre  ron  der  Versöhnung.  —  Dec. 
8.  976.  ^  Baier. 

///.    Jurisprudenx. 

1.  Eichhorn,  Grundsätze  des  Kirchenrechts  der  Katholiken 
und  PrflTtestanten  in  Deutschland.  —  März  8.  32i.  —  Ja- 
cobson. 

2.  Köstlin,  die  Lehre  rom  Mord  und  Todtschlag.  Erster 
Theil.  —  Miü'z  S.  385.  —  Ab  egg. 

3.  Stahl,  4ie  Kirch enrerfassung  nach  Lehre  und  Recht  der 
Protestanten.   —  März  S.  409.  —  Marheineke. 

4.  Walter,  Lehrbuch  des  Kirchenrechts*  -^  März  S.  321.  — 
Jacobson. 

5.  Duranton,  cours  de  Droit  fran^ais.  —  Mai  S.  779.  — 
Rauter. 

6.  Kierulf,  Theorie  des  gemeinen  Cirilrechts.  —  Juli  S.  121. 

—  Gärtner. 

7.  T.  Sarigny,  Theorie  des  heutigen  römischen  Recht«.  Er- 
ster Band.  —  Juli  S.  1.  —  Rudor/f. 

IV.    Staati'  und  KameralurUientchaften. 

1.  Funke,  über  die  unbeschränkte  Theilbarfaeit  des  Grundci- 
genthums.  —  Aug.  S.  246.  -*  Biilau. 

3.  G rar  eil,  der  Baron  und  der  Bauer.  —  Aug.  8.  246.  — 
Bülau. 

3.  Riedel,  Staat  und  Kirche.  —  Aug.  S.  281.  —  Marhei- 
neke. 


III 

4.  Riedel,  NatioaalOkoBomie.  —  Sept.  S.  430.  —  Eiselen. 

5.  Courtet  de  l'Itle,  U  ecience  politique.  —  Od.  8.  661« 

—  Heuflinger. 

6.  Gavarret,  Principe«  g^n^raux  de  etatistiqae  n^calep  — 
Nor.  S.  783.  —  Mtfser. 

7.  Ryan,  Prostitution  in  London.  —  Not.  S.  695.  —  Uea- 
ainger. 

8.  Ho  ff  mann,  die  Lehre  von  den  Steuern.  —  Dec.  S.  d29. 

—  Y.  Prittwits. 

9.  Hegel,  Schubarth,  und  die  Id^  der  PenSnlichkeit  iri  ihrem 
Verhältnifs  zur  preussischen  Monarchie.  Von  Dr.  Ogieneki« 
*-  Dec.  S.  958.  —  Riedel. 

10.  Friedrich  des  Grofsen  Versuch  über  die  Regiernngs- 
formen  u.  s  w.  herausgegeben  von  Schubarth.  —  Dec.  S. 
958.  —  Riedel. 

11.  Friedrich  des  Grofsen  staatsrechtliche  Gmndsfitze. 
Herausgegeben  von  Wolf.  —  Dec  S.  958.  —  Riedel. 

V.  OeMchiehte. 

1.  Fallmerayer,  Geschichte  der  Halbinsel  Morea.  -^  Jan. 
S.  31.  »  Schönwalder. 

2.  Heeren  und  llckert,  Geschidite  der  enropfiischen  Staa- 
ten. —  Jan.  8.  57.  —  As  ebb  ach. 

3.  Schäfer,  Geschichte  von  Portugal,  zweiter  Band.  —  Jan« 
S.  57.  —  Aschbach. 

4.  Leben  des  Thomas  von  Canterbury.  Herausgegeben  von  Im- 
manuel Bekker.  —  Febr.  S.  284.  —  Diez. 

5.  Ho  ff  mann,  die  Iberer  im  Westen  und  Osten.  —  Febr.  8. 
217.  —  Ferd.  MjQUer. 

6.  F.  Müller,  der  ugrische  Volksstamm.  —  März  S.  440«  — 
V.  Brandt. 

7.  Üebelen,  Eberhard  der  Erlauchte.  —  Miirz  8.  471.  —  G. 
Lange. 

8.  Brougham,  Historical  Sketches  of  statesmen  in  the  timc 
of  Geor|e  111.  —  Mai  S.  724.  —  Biilan. 

9.  Geschichte  der  Mark  Brandenburg. «-  Mai  S.  797.  —  Riedel. 

10.  Arnold,  Umrisse  und  Studien  zur  Geschichte  der  Mensch- 
heit. —  Juni  S.  911.  — 

11.  V.  Gevay,  Urkunden  zur  Geschichte  der  Verhältnisse 
zwischen  Oestreich  and  der  Pforte.  —  Juni  S.  913.  -*  W  i  1- 
mans. 

12.  Hurter,  Denkwürdigkeiten  ans  den  letzten  Decennien  des 
ISten  Jahrhunderts.  —  Juni  S.867.  —  Varnhagen  v.  Ense. 

13.  Koppen,  Friedrich  der  Gnifse  und  seine  Widersacher.  — - 
Juni  8.  822.  —  Varnhagen  v,  Ense. 

14.  Spleker,  Kirchen-  und  Reformationsgesehichte  der  Mark 
Brandenburg.  —  Juli  S«  87.  Riedel. 

15.  Geschichtliche  Nachrichten  von  Brandenburg.  Zweite  Aufl. 

—  Aug.  S.  241.  —  Riedel. 

15.  Varnhagen  V.  Ense,  DenkwOrdigkeiten  und  vermischte 
Schriften.  Neue  Folge.  Erster  Bd.  —  Aug.  S.  292.  —  A  be  ken. 

1^.  Buches  et  Roux,  histoire  parlementaire  de  la  rdvolu- 
tion  fran^aise.  —  Sept.  S.  433.  —  Wachsmuth. 

18.  Pidiein,  historisch-dtpÜMnatischiB  Beifrage  sur  Geschichte 
Berlin's.  —  Sept.  S.  391.  —  Riedel. 

19.  V.  Schötting,  die  Generale  der  (%ur-Brandenbargischen 
und  Königl.  Preussischen  Armee  von  1640  —  1840.  —  Sept. 
S.  502. 

20.  Arndt,  Erinnerungen  aus  dem  änfseren  Leben.  •—  Oct.  S. 
568.  —  Varnhagen  v.  Ense. 


IV 

21.  V*  Langen,  Henog  Albrechl  derBehente*  ^  Oct  B.540. 
^  Böttiger. 

22.  Ranke,  deutsehe  Geschichte  ia  Zeitalter  der  Reforma- 
tion. —  Oct.  S.  606.  —  Binder. 

23.  Correspondance  du  Comte  Capodistrias.  —  Nov.  8.  763.  — 

24.  Gerhard  V.  Haie m 's  Selbstbiographie.    **  Nov.  S.  838. 

—  Varnhagen  V.  Ense. 

25.  Höfler,  die  deutschen  Päpste.  *  Nov.  %  773.  »  Wil- 
maas.  "  ^ 

26.  Annuaire  historique  pour  l'annde  1837.  -#  Dec  S.  873.  — 

waitz.  y 

27«  Bulletin  de  la  soci^t^  de  rhistoire  de  France.  —  Dec.  S. 
873.—  Waitz. 

VI.    Philologie. 

1)  Allgemeine  Spraehkunde» 

1.  Bindseil,  Abhandlungen  zur  allgemeinen  vergleichenden 
Sprachlehre.  —  April  S.  509.  —  Höfe r. 

2.  Fritsch,  Kritik  der  bisherigen  Grammatik  unt  *der  philo- 
sophischen Kritik.  —  April  S.  603.  —  Härtung. 

2)  Orienialiiehe  Philologie,  # 

1.  Ebn  Bsra,  Sapha  berura  oder  die  celfiuterte  8|>riche. 
Herausgegeben  von  Lippmann.  "—  Jan.  S.  157.  —Leb recht. 

2.  Savitri,.öbersetzt  vonMerkel.  —  MArz  S.^%  —  Höfer. 

3.  Bopp,  über  die  Celtischen  Sprachen  in  ihrem  Verhältnifa 
zam  Sanscrit,  Zend  u.  s.  w.  —  April  S.  581.  «^  Kuba. 

4.  Moses  benEsra,  Darstellung  seines  Lebens  und  literari- 
schen Wirkens,  nebst  hebriiischen  Beilagen.  —  ^§tÜ  S.  54L 

—  Lebrecht. 

5.  Mutfk,  notice  .sur  Rabbi  Saadia  Gaon  et  sa  vei^ion  arabe 
d'isaie  etc.  —  April  S.  633.  —  Lebrecht. 

6.  Pictet,  de  Vafßnitd  des  langues  Celtiqoes  avto  le  Sanscrit. 

—  April  S.  581.  —  Kuhn. 

7.  Prichard,  the  eastem  origin  of  the  Celtic  Uations  prored 
by  a  comparison  of  their  dialeets  with  the  sanscrit  etc.  — - 
Aprils.  581.  —  Kuhn. 

8.  Lassen,  Anthologia  Sanscritiea.  —  Juni  S.839.  —  Hb'fer. 

9.  Brock  haus,  Kathäsaritsägara.  —  Sept.  S.  451.  —  Höfer. 

10.  V.  Humboldt,  über  die  Kawi-Sprache.  —  Nov.  697.  — 
Bopp. 

11.  Bopp,  Glossarium  Sanscriticum.  —  Dec.  S.  841.  —  Kuh n. 

12.  V.  d.  Gablentz,  Gnmdzüge  der  SyijAnischen- Sprache.  — 
Dec.  S.  982.  —  Schott. 

3)  Klaeeitehe  Philologie. 

a)  Grieehiiche  Philologie. 

1.  Bergkii  commentatio  de  prooemio  Empedoclis.  —  Febr. 
S.  289.  —  Franz. 

2.  Empedoclis  carminum  reliqulae.  Ed.  Karsten.  —  Febr. 
S.  289.  —  Franz. 

3.  Spengelii  Specimen  Commentariorum  in  Aristotelis' libroa 

de  arte  rhetorica.  Mai  —  S.  790.  —  Stab r. 

4.  Franzius,  Elementa  Epigraphices  Graecae.  —  Aug.  S.  321 . 

—  Keil. 

5.  Keilius,  Specimen  Onomatologi  Graeoi.  —  Ang.   S.  285. 

—  Mullach. 

6.  Meineke,  Fragitoenta  Comicorum  Graecorum.  —  Aug.  S. 
209.  —  BernKardy. 


7.  P«ter8  6D,  Hippocrails  opcra  ad  temporam  raüones  dispo- 
■ita.  —  Aug.  S.  389«  —  Link. 

8.  Henrlcbseuy  über  die  neogriechicche  Ausiprache  der  hei* 
leniechen  Sprache.  -*  Sept.  S.  377.  ^  Kind. 

9.  Spitsner»  ebserratlones  in  Quintum  Smyrnaeum  —  Sept. 
'    S|.486.  —  Franz. 

10.  aenfey,  Gliechieches  Wurzellexicon.  —  Oct.   S.  623.  — 
Pott.  •    '  * 

11.  -'Polejnon^  Periegetae  fragmenta  ed.  Preller.— Oct. 
1   S.  685.  -1-  Ja 

'^r      '       ^     ^)  MmUehe  PkiMogie. 
•  1,    Cicero  de  Anibne.  Ed«  Madfigiiu.  —  Febr.  S.  206:  ^  C. 

2.  1>ie.X)ie'xi  des  Horaz.    Uebersetst  ron  v.  d.   Decken.  — 
Febr. *% •'276.'*  Herzberg. 

3.  H  aiijf ;  L^hfbuch  dea  lateinischen  Styls.  Zweite  Aosgabe.  — 
'     Mär^LA  377.  ^  A.  W.  Zampt. 

4.  Hall  ^praktisches  Handbuch  für  Uebangen  im  lateinischen 
StyLf^«rz  S.  777.  —  A.  W.  Zumpt 

§.    Fa^  Horatiani«    Scripsit  Franke.  —  Mai  S.  692.  -* 
Pas 

6.    ClKra's  sftmmtliche  Werke,  in  dentschen  Uebersetzungen. 
HlTfl^gegebeB  ron  Klotz.  Erster  Theii.  —  Aug.  S.  343. 

.  ^^^ 
••'^    '  «w  ^  M0d0rn€  Philologie. 

'      f  •'  ■'     • 
1*    Gr|n|m»  def  Rosengarte.  —  Jan.  S.  110.  —  Lange. 

2f    HeBfichsOT»  über  den  sog^annten  politischen  Vers  bei 
den  Qi^Aen.  —  Sept.  8.  377.  —  Kind. 


rii. 


\tik  und  Archäologie. 


1.    Doca  di  Serra  di  Falco.    Del  duomo  di  Monreale.  — 
Jan.  8.  49.  ^  Hesse. 

%,    Ma^rmieri  histoire  de  la  litt^rature  en  Danemark  et  en 
Su^de.  —  Jan.  S.  89.  —  Heiberg. 

3.  Ulrici,  über  Shakespeare's  dramatische  Kunst  —Jan«  S* 
i.  — ^  Rötsoher. 

4.  Edward  in  Rom,  eine  Norelle.  -—  Febr.  S.  317.  —  W. 

5.  Heins e's  Schriften.    Herausgegeben  ron  Laube.  —  Febr« 
S.  161.  —  Hoffmeister. 

6.  PassaTanty  SberRaphael  ron  Urbino.  —  Febr.  8.  181.  — 

7.  Vischer,  über  das  Erhabene  und  Komische.  —  Febr.  S. 
264.  —  Lange. 

8.  Be  Hermann  9  die  Katakomben  zu  Neapel.'  —  März  8. 
453.  ^  RöstelL 

9.  Mises,  über  einige  Bilder  der  zweiten  Leipziger  Kuastau»* 
Stellung.  —  März  8.  356.  —  W. 

10.  G  öthe's  Briefe  an  die  Grifin  Auguste  zu  Stolberg.  —  Mai 
S.  741.  —  W. 

11.  Talriy  Charakteristik    der  germanischen  Volkslieder.  — 
Mai  8.  683.  —  Varnhagen  r.  Ense. 

12.  Huber«  die  englischen  Unirersi täten.    Eine  Vorarbeit  zur 
englischen  Literaturgeschichte.  -*  Juni  S.  801   — >  Leo. 

13.  Z  au  per,  Studien  über  Gothe.  —  Juni  S.  957.  —  W. 

14.  Firmenichy  TQmyovdta' ((afuiixa,  *-   Juli  8.  84.  —  Kind. 

«  

15.  Zachariaoy  der  Renommist.    Ein  scherzhaftes  Heldenge* 
dicht  —  Juli  S.  39.  --  Varnhagen  r.  Ense. 


IV 

16.  Bolzeathal,  Skizzen  aus  der  Konstgesdiichte  der  modet^ 
nen  Medaillenarbeit  —  Ang.  S.  270.  —  Friedländer. 

17.  Braun.   Kunstvbrstellungen  des  geflügelten  Dionysos.    — 
Sept  8.  470.  —  Jahn. 

18.  Tages  und  des  Herkules  und  der  Minerra  heilige  Hoch- 
zeit —  Sept.  8.  470.  —  Jahn. 

19.  Grüner,  J.  Mosaici  della  Cupola  neUa  Capeila  Chigiana. 

—  Sept  S.  367. 

20.  Grüneisea  nnd  Maucb,  Ulm's  Koastleben  im  Mittelal- 
ter. —  Oct  8.  580.  —  A.  Hagen. 

21.  Die  Günderqde.  —  Nor.  S.  80L  —  Weisse. 

22.  Krause,  Darstellung  der  greisen  Olympischen  Spiele.  — f 
Nov.  S.  785.  —  Kayser. 

VIIL  Krügsfcüsensekaßeny  Mathematik^  Oeogra- 
phiOf  PhysHty  Chemie^  Meteorologie. 

1.  Erman,  Reise  nm  die  Erde.    Zweite  Abthl.  Erster  Band. 

—  Jan.  8.  140.  —  Wolfers. 

2.  Erdmann,  Lehrbuch  delr  Chemie.  Dritte  Aufl.  «—  März 
S.  407.  —  Marchand. 

3.  Göbe],  Reise  in  die  Steppen  des  sttdlichen  Rolsland.  -^ 
April  8.534.  —  Meyen. 

4.  Bourdon,  Application  de  l'Alg^bre  k  la  Göom^trie,  5me 
ädiüen.  —Juni  8.  862.  —  Minding. 

5.  Maximilian  Prinz  zu  Wied,  Reise  ia  das  Innere  Nord- 
Amerika's.  Erster  Band.  —  Juni  8.  816.  —  Meyen. 

6.  Meinicke,  Lehrbuch  der  Geographie.  —  Juni  S.  949.  *- 
Bennigsen-FSrder. 

7.  Achtzehn  meteorologische  Schriften,  —  Ton  Kupffer,  Thor- 
stensen,  Plieninger,  Lohrmann,  Schrön,  SchmÖger,  Zalinger, 
Meriai^  Schouw,  Lamont,  Richardson,  Herrenschneider.  — 
Juni  S.  852-54w  —  Dove. 

8.  Schouw,  Tableau  de  la  teropdrature  et  des  ploles  dltalie 

—  Julis.  62.  —  Dore. 

9.  Wittich,  über  die  Befestigung  und  Vertheidigung  groiser 
Plätze.  —  Juli  S.  72.  —  r.  Prittwitz. 

10.  Da  Tis,  Description  of  the  Empire  of  China.  —  Sept  S. 
350.  —  Schott 

11.  Henrici,  über  die  Eleetrieität  der  galranischeo  Kette.  — 
Sept  8.  382.^  PohL 

12.  Zaehariae,  Reise  in  des  Orient  —  Not.  741. 

IX.  Mineralogiey  Botanik  tßnd  Zoologie. 

1.    Schultz,  eurla  circulation  daas  les  plaates.— Jaa.  8.120. 

—  Schultz. 

21  Burmeister,  Uaadbueli  der  Naturgeschichte^  —  Febr.  S. 
259.  Gloger. 

3.  Hoffmann,  geognestische  BeobachtirogeB.  —  Febr. 8^193. 

—  T.  Buch. 

4.  Schlegel,  Abbildung  neuer  Amphibien  —  AprU  8.  598.  — 
— '  Gloger. 

5.  Scott  Bowerbank,  HIstory  of  the  fossil  fruits  and 
seeds  of  the  London  Clay.  —  April  8.  518.  —  Link. 

6.  Steininger,  geognostische  Beschreibung  des  Landes  zwi- 
schen der  untern  Saar  und  dem  Rheine.  —  April  8.  613.  — 
NSggera  th. 

7.  Mnrchisoa,  The  Silnrian  System.  —  Mai  8.  665.  «^  t. 
De  eben. 


VII 

S     Rathke,  Entwickeluiigfgeschichte  der  Natter.  -*-  Mai  S. 
755.  —  Schultz. 

9.  Schwan,  mikroskopische  Untersuchungen  über  die  lieber- 
'  einstimmung  in  der  Structur  und  dem  Wachsthum  der  Thiere 

und  PAanzen.  —  Juli  S.  33.  —  Purkinje. 

10.  Kitsch,  System  der  Pterylographie.  —  Sept.  8.    446.  — 
Carus. 

11.  r.  Siebold,  Beiträge  zur  Naturgeschichte  der  wirbellosen 
Thiere.  —   Sept.  S.  369.  —  Carus. 

12.  Oken,  allgemeine  Naturgeschichte.  Zweiter  und  dritter  Bd. 

—  Oct.  S.  5fö.  —  Schultz. 

13.  Reufs,  (reognostiscfae  Skizzen  aus  Böhmen.  —  Not.  S.  745. 

—  ▼.  Decnen. 

14.  Zunck,  die  natürlichen  Pilancensysteme  geschichtlich  ent- 
wickelt. —  Dcc  S.  88»..  —  Schultz, 

X.  Physiologie  und  Medixih' 

1.    Carus,  System  der  Physiologie,   erster  und  zweiter  Theil 

<-*  Jan.  S    oi.  —  Leu  pol  dt. 
9.    Carus,  System  der  Physiologie,  erster  und  zweiter  Theil. 

—  AprU  S.  481.  —  Link. 

3.  Rösch,   über  die  Bedeutung  des  Bluts  im  gesunden  und 
kranken  Leben  u.  s.  w,  —  Juni  S.  891.  —  Steinheim. 

4.  Bulard,  de  la  pestc  Orientale  —  Juli  S.  97.  —  Matthäi. 

5.  Valentin,  de  functionibus  nervorum  cerebralium  et  nervi 
sympathici.  —  Au^.  S.  301.  —  Volk  mann« 


6.  .Damerow,  über  die  relatire  Verbindung  der  Irren-^^JH^ 
und  Pflege-Anstalten.  —  Scpi.  S.  345.  —  Leupoldt.    .*  '.. 

7.  Walker,   Intermarriage ,   or  the  mode  in   which    beaut^, 
'    health  and  intellect,  result  from  certain  unions  etc   —  Dec 

S.  926.  —  Ueusinger. 

Xr.    FermücAteg.    f  ;  •     ?  ;•-'-> 

1.  T.  Grub  er,  Verzeichnifs  sämintlicher'Ab| 
auf  PrenCsischen  Gymnasien  erschienenen 
S.  160, 

2.  Reumont,  Italia.    Zweiter  Jahrgang.  -^  J^ 
Hegel.  ^  »•':;• 

3.  Adrian,   Catalogus   Codicum   Manusriptotuii^  JSiVftf^ecftiT) , 


5.  August!    Boeckhii     Oratio    in   solennpiis'rp 
quibus  Friderico  Guilelmo  111.  Borussorum  ^^^i 
litteraria  Friderica  Gnilelma  Berolinensis  pie-*p 
Dec.  S.  853.  ^  Varnhagen  r.  Ense. 

6.  Rede  zur  Feier  des  Geburtsfestes  Seiner  Maj|B'fiit 
Friedrich    Wilhelm    des  Vierten  in  der  öflfeft"**"^ 
der  KÖniglidi  Preufsischen  Akademie  der  W 
22.  October  1840  gehalten  von  August  BW 
S.  853.  —  Varnhagen  r.  Ense. 

7.  B  y  b  i  1  a  k  i  s ,  neugriecfaischef  Lebao  u.  s,  vi^x  P' 


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Januar  1840* 


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i. 

tpeare*s  dramatische  Kunst  und  sein 

zu  Calderon  und   Goethe.      Von 

\annUlrici.    Hallejl8S9.  bei Edu- 

e^s  Ruhm   bt    lavinenartig    gewachsen, 
t  daran   einen  grobem  Theil  als   das 
1   es,    durch  Abstammung  und   Denkart 
erwandt,   die  philosoplüsche  Tiefe  und 
hen  Sinn  niit  hinzubringt,  um  die  Wun- 
les  sur  Anscliauung.  zu  bringen.    Das 
um   für  Shakespeare*s    unerschöpflichen 
-^^nden  wir  darin,   dafs  der   GenuFs    an 
gen  sich  gleichmäßig  mit  der  Entwicke- 
bsophirenden  Geistes,  und  der  denkendeni^ 
yßie   Geheimnisse  der  künstlerischen  Korn, 
rt.    Je  mehr  Gedanken  .  man  zu  der  Be- 
^it  ihm   mitbringt,    desto  mehr  empfängt 
ck,  so  dafs  die  Fülle  der  Schätze,  wel- 
schliefst,  immer  gleichen  Schritt  hält  mit 
den  wir  bereits   als  wohlerworbenes 
ylAn  entgegenstellen.     Bei  keinem   Dichter 
A|ler  blolse  Geschmack,  ja  auch  selbst  eine  , 
'"    htung  weniger  aus,  als  bei  Shakespeare^ 
Fäden   in  der  Tiefe  geknüpft  werden, 
|ndfächen   Yerschlingungen ,  .welche  sie 
Auge  ofifenbareh,  eher  verwirren,  als 
;3l&iÄ J^n  nach  'geheimen  Gesetzen  wundervoll  geflochtnes 
-f^etzäbeigen/-' Nirgends  rächt  sich  daher  auch  der  Man- 
gel TOÜosoplikcher  Tiefe  schärfer,  als  bei  Shakespeare.  ^ 
•  ^Belb|(.äiejrei&en,  welche  nur  mit  dichterischem  Sinne 
l>egj)^^  hineingefuhlt,    verhehlen. 

» lidb^^^t,^^9^  wenig  iimen  eine  auf  der  gesclunack- 
föOsj^ti  'Daistellung  und  der  sinnreichsten  Beobach- 
lUAj^i^des  Einzdnen  beruhende  Analyse  Shakespeare'- 
•chef  Drliine'n  genügt,  obwohl  sie  eigentlich  nicht  anzu- 

Jaii^^^%n»%en%ch.  Ktilik.  J.  1840.   J.  Bd. 


geben  vermögen,  was  sie  dabei  vermissen.  Daher  be- 
friedigten auch  die  übrigens  so  unendlich  verdienstvoK 
len  Yorlesungen  A.  W.  v.  Schlegel's  grade  in  Bezug 
auf  Sliakespeare  am  wenigsten*,  weil  dieser  feine  Kri- 
tiker wohl  die  ebengenannten  Eigenschaften  zur  Be- 
trachtung Shakespeare's  mitbrachte»  dieselben  aber  die 
philosophische  Tiefe,  welche  auf  die  den  Leib  des 
Kunstwerks  gestaltende  Idee  hindringt ,  nicht  zu  erset« 
zen  vermögen.  Doch  zeigt  .  sich  der  ausgezeichnete 
Mann  in  seiner  Uebersetzung  Shakespeare's,  diesem  wun* 
der\'ollsten  Denkmal  dichterischer  Uebertragungskunst» 
so  mit  seinem  Musterbilde  verwachsen,  dafs  wir  mit 
ihm  nicht  rechten  wollen,  weil  er  nicht  auch  den  Dich- 
ter zur  freien  Betrachtung  und  Erkeontnifs  seines  ab* 
solüten  Gehalts  sich  hat  gegenständlich  machen  können. 
Die  in  unendliche  Breite  auseinandergehenden  und  von 
schwächlicher  Sentimentalität  oft  durchbrochenen  Erläu- 
terungen F.  Horns  dürfen,  trotz  mancher  hdchst  schät- 
zenswerthen  Bemerkungen  im  Einzelnen,  ebenfalls  kei- 
nen  Anspruch  machen,  das  Bedürfnifs  nach  Erkennt* 
nifs  der  Shakespeare'schen  Weltanschauung  befriedigt 
zu  haben.  Den  Mangel  an  philosophischer  Tiefe  bei 
A.  W.  V.  Schlegel  zeigte  übrigens  schon  Solger  in  sei- 
ner gehaltreiohen  Beurtheilung  der  dramatischen  Yorle* 
sungen  gründlich  auf,  indem  er  zugleich  selbst  durch' 
fruchtbare  Winke  den  unersetzbaren  Werth  philosophi- 
scher Bildung  an  den  Tag  legte,  und  dadurch  eine 
glänzende  Aussicht  eröffnete,  auf  diesem  Wege  die 
reichsten  und  bisher  ungeahnte  Besultate  zu  finden. 
Aus  der  Fortbildung  des  philosophischen  Bewufstseina 
entstand  die  von  Eduard  Gans  gegebene  geistvolle  Auf- 
fassung des  Hamlet,  und  des  Referenten  ausführliche 
Entwickelung  des  König  Lear,  welche  derselbe  seiner 
Abhandlung  über  die  Stellung  der  Philosophie  zum  ein- 
zelnen Kunstwerke  als  B$Ieg  Ar  die  philosophische 
Methode  beigefügt  hat.  Hr.  Dr.  Ulrici,  sonst  schon  der 
gelehrten  Welt  durch  seine  Geschichte  der  griechischen 


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3 


ütricij  über  Shakeipeare^M  dramatiiehe  Kunst* 


Poesie  voriheilhaft  bekannt,  hat  in  dem  Torliegenden 
umfassenden  Werke  über  Shakespeare  einen  in  jeder 
Rücksicht  höchst  verdienstvollen  Yersucii  gemacht,  die 
innere  Architektonik  der  dichterischen  Weltanschauung 
Shakespeare's   aufzuschliefsen  und  srowohl   aus  seinen 


der  Gegenwart  befriedigen   will,    mufs 
Dingen  in  die  Mitte  seiner  W^ltanschat 
und'  sie  tum  Bewufstsein  zu  bringen  bemj 
dieser  Nothwendigkeit   sehn  wir  auch 
durchdrungen.     Nachdem  uns   derselbe 
eigenen  Schöpfungen  als   durch  Vergleichung  mit  an«  ^  so  weit  es  unsere  Kenntnisse  zulasseitj  i\ 


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dem  Dichtem  zu  erläutern.  Er  ist  zu  diesem  Zwecke 
sowohl  mit  einer  achtungswerthen  Fülle  von  histori- 
schem Wissen,*  als  auch,  was  uns  das  Wesentlichste 
ist,  mit  einer  Yertiefungsfähigkeit,  welche  den  Dingen 
in  das  Herz  zu  schauen  trachtet,  ausgerüstet  Das 
Werk  hat  daher  einen  höchst  wohlthuenden  Eindruck 
auf  uns  gemacht.  Es  ist  von  einer  reinen  Begeiste- 
rung  Tür  die  Erkenntnifs  des  grofsen  Dichters  durchi- 
dningen  und  durchgüngig  von  dem  Triebe  erfüllt,  den 
Künstler  in  seiner  geheimsten  Werkstatt  zu  belauschen 
und  bis  in  die  Einsamkeit  des  Bewufstseins  vorzudrin- 
.gen,'i|^  jder  dasselbe  den  ursprünglichen  Schopfungsakt 

'der/ll^t^li^^^  vollbringt.     Wir  bekennen;da. 

her  gern,  'daä  -vvir  dieses  Werk  grundlichen  Fleilses 
und  philosophischen  Forschens  als  einen  für  die  Er- 
kenntnifs des  Shakespeare'schen  Genius  hücl^t.wichtigen 

>  Beitrag  begrufsen,  in  welchem  zur  Weiterehtwickelung 
in  das  Besondere  und  Einzelne  eine  Fülle  fruchtbrin- 
gender Keime  niedergelegt  ist.  Selbst  da,  wo  wir  uns 
genuthigt  sehn,  dem  Yerf.  entgegen  zu  treten,  ist  er 
uns  doch  stets  anregend  und  in  Uarmpnie  init  sich 
selbst  erschienen]  Dabei  verbannt  er  aus  seineu  Dar- 
stellungen jene  spielende  Wilikühr,  welche  den  Gedan«- 

•  ken  oft  auch  da  noch,  wo  derselbe  keine  Stätte  hat, 
herausschlagen  will,  und  daher  nicht  selten  in  einen, 
den  Genufs  am  Kunstwerke  verkümmernden  Pedantis- 
mus umschlägt.  Zugleich  legt  aber  der  Yerf.,  auf  der 
andern  Seite,  einen  wahrhaften  Respect  vor  der  gestal- 
tenden Kraft  der  Idee,  als  des  Eins  und  Alles  der  Welt, 
an  den  Tag;  eine  Eigenschaft,  welche  einem  Werke 
über  Shakespeare  unerläfslich  ist,  und  auch  dem  For- 
scher der  Kunst  allein  einen  erhabenen  Standpunkt 
verlliht,  gegenüber  jener.  Schaar  armseliger  Kritiker, 
deren  Milde  und  zarte  Rücksicht  für  die  Alltagspro- 
dükte  der  Gegenwart  nur  aus  ihrer  eigenen  Schwäch- 
lichkeit entspringt,  in  der  sie  sich  vor  der  erdrücken- 
den  Kraft  Shakespeare'scher  Schöpfungen  kaum  zu  ber- 
gen wissen,  während  sie  mit  der  kahlen  Mittelniäfsig- 
keit  vertrauliqh  verkehren. 

Wer  über  Shakespeare  schreibt  und  ein  Bedürfnifs 


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meuluingende  Uebersicht  der  Geschiebte 

Dramas   bis  zum  Zeitalter  Shakespej^i 

geht  er    auf  Shakespeare*s  Leben  un 

näher  ein,    und  b^hnt  sich  so  den  W 

Yertiefung  in  die  poetische  Weltanscha 

ters.     Schon  diese   ersten  Abschnitte   g< 

Triebe  des  Yerfs.,  überall   die  geistigen^j 

und    die    organische   Entwickelung    zu 

höchst  günstiges  Zeugnifs.    Er  fafst  zU 

sterien  und  Mirakelspiele,   deren  Urspru 

mit  Recht  als  roh  dramatisirtc  Erzählung 

sehendem  episi^hen  Elemente  auf,  äsaa  d 

bunden    mit   den  wettlichen  Festspielen, 

Hälfte  des  15ten  Jahrhunderts  die  sogen 

täten  eptwickelten,  welche   aus  allegor 

bestanden,    und    deren    letzter  Zweck 

hinausging,  ohne  dafs  deshalb  derScherl 

schlössen  geblieben  wäre.     Mit  Rcelit 

in   diesen  letztgenannten  Productionen  d 

ten  des  lyrischen  Elements^   welches   eb« 

nem  Rechte  kommen  mufs,  tmd  natürlich; 

stalt  eben  so  einseitig  auftritt,  wie  zuer 

Element.     Das   letztere  liefs  es  nicht  zu 

lung  des  Innerlichen   und  Sittlichen  komn 

sehe  Element  dagegen  vermochte  sich  no 

ner  menschlichen  Hanitlung,   zu   einer  o 

Stellung     sittlicher    Yerhältnisse    auszu 

schloPs  das  andere  von  sich  aus.     Der 

weiter  nach,  wie  auch  für  das  Drama  d 

der   Reformation  nicht   ohne  augenblic 

bleiben  konnte.     Man  vindicirte  in  den 

eben  Gegensätze  bezüglichen  dram^tischiiln*^^! 

der    dem   episch  -  historischen    Stolle   seih:*  9^ 

trotz  aller  allegorischen  Urogebnng,  we 

andrängenden  historischen  Wirklichkeit,  1 

sen  werden    konnte.    So    war    denn 

Uebergang  zu   einer  Gattung  gegeben,   v^p 

strakte  religiöse   Tendenz   und    die  alle 

gleich  sehr  von  sich  abhielt,   und  in   der  vijfn#^<gi'vA«^  - 

fang  wirklicher  Komödien,  als  Darstellung  |^*e^6&Iiclii^ 


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tJlriei^  üiet  SAakespeare's  dramatueAe  Kunsts 


6 


Iiitereisseii;  Zustande .  und  Cbaraklere,  erblieken.  Der 
Terf .  spricht  daher  dea  UAtersehied  swischen  den  reli- 
gidsen  Dramen  der  spfiiern  Zeit  und  den  ahen  Myste- 
rien sehr  wahr  dahin  aus  (p.  15),  dafs  hier  der  SloiF 
der  heiligen  Geschichte  dem  I^ün^tlerlschen  Streben 
^der  Kunst  und  ihren  Forderungen,  dort  umgekehrt  die 
Kunst  der  religiösen  Tendenz  und  dem  heiligen  Stoffe 
dienstbar  gemacht  war.''  Wir  dürfen  die  dramatische 
Kunst  in  England  mit  diesem  Momente  als  eine  von 
der  Kirche  und  den  kirchlichen  Stoffen  emancipirte  be- 
trachten, .welche  fortan  sich  auf  eigene  Füfse  stellen 
und  selbstständig  entwickeln  sollte. 

Aber  die  freigewordene  Kunst  mufste  zuerst  ge- 

^  ^Schult  werden.  Dies  ward  durch  den  EiniSufs  der  an- 
tiken Kunst  und  Wissenschaft  vollbracht.  Diese  Ein- 
wirkung geht  der  Verf.  nun  näher  im  Einzelnen  durch, 
indem  er  die  Bemerkung  macht,  dafs  es  ^ in  Glück  ge* 
Wesen,'  dafs  der  Eiufiufs  des  antiken  Dramas  noch  nicht 
zu  einer,  wie  in  Frankreich,  verknechtenden  Tyrannei 
'  geworden  sei,  sondern  daf»  die  englischen  Yolksdich- 
ler,  unbekümmert  um  die  Regeln  des  Aristoteles,  frei 
ihre  Bahn  gegangen,  und  sich  daher  auoli  „an  die  dem 
Volke  zunäciist  liegenden  Stoffe,  an  die  allgemein 
menschlichen  Motive  und  Interessen  wendeten''  (p.,21)«' 
Natürlich  rächte  sich  dies  auf  der  andern  Seite  wieder 
durch  einen  Mangel  an  Proportion  und  Symmetrie,  an 
gründlicher  Motivirung  der  dargestellten  Thaten  und 
Schicksale  (p.  23).  Das  Tragische  schweifte  daher  zu- 
nächst  nah  in  die  Darstellung  des  GräfsKchen  und 
Schauderhaften  aus,  dem  in  der  Komödie  die  Freilas» 
süng  roher  und  gemeiner  Scherze  entsprach  (p.  24). '—  Der 
«llmäligen  Ausbildung  des  englischen  Dramas  bis  zur 
Zeit  Shakespeare's,  wovon  wir  die  allgemeinen  Momente 
herausgehoben  haben,  läfst  der  Hr.  Yerf.  Andeutungen 
über  das  Theaterwesen,  die  Einrichtiuig  der  Bühne, 
Scenerie  u«  s.  f.  vor  Shakespeare  und  zu  seiner  Zeit 
folgen;  wobei  wir,  da  uns  der  Bericht  darüber  zu  weit 

.  von  unserm  Ziele  abführen  würde,  ganz  auf  das  Werk 
felbst  verweisfen  (p.  29—37). .  Desgfeichen  gestattet  uns 
der  nächste  sich  daran  reihende  Abschnitt  einer  nähe- 
ren Charakteristik  der  unmittelbaren  Y orgänger  und 
älteren  Zeitgenossen  Shakespeare's  keinen  Auszug.  Be* 
.  sondere  Aufmerksamkeit  verdient  hier  die  Auffassung 
uhd  lebendige  Schilderung  der  beiden  einander  jorgän- 
zenden  Dichter,  Robert  Green  und  IVIarlow,  deren  all- 
gemeines Bild  der  Yerf.  an  einzelnen  Werken  ,nachzu- 


weisen  strebt  Green  und  Marlow,  welche,  in.  ihrer 
dichterischen  Gestaltung  abstrakte  Gegensätze  bilden, 
weisen  auf  eine  höhere  Einheit  hin,  in  der  die  wahr- 
haften  Seiten  beider  zu  einer  ästhetischen  Totalität  sich 
durchdrungen  haben.  Diese  zu  verwirklichen  und  so 
alle  Yorzüge,  welche  in  der  Yergangenheit  zerstreut 
von  Einzelnen  vertreten  und  daher  natürlich  mit  Unpoe» 
tischem.  Widerwärtigem  und  Krankhaftem  gemischt 
erscheinen,  in  sich  zu  vereinigen  und  dadurch  einer- 
seits der  Schlufsstein  dieser  ganzen  sich  auf  dies  Ziel 
hindrängenden  Entwickelungsreihe  zu  werden,  so  wie 
zugleich  die  Aussicht  in  eine  unendliche  Zukunft  zu  er- 
wecken, dies  ist  der  gewaltige  Beruf  Shakespeare's;  den 
er  in  dem  umfassendstei^  Sinne  erfüllt  hat. 

Da  man  keinen  bedeutenden  Menschen,  am  Wenig» 
stcn  aber  einen  epochemachenden   Schriftsteller!    ohne 
die  Einsicht  in  die   gegebenen  konkreten  Verhältnisse 
zu  verstehn  vermag,  deren  Produkt  er  einerseits  immer 
bleibt,  und  welche  bis   zu  einem  gewissen  Grade  seine 
Schöpfungen  erklären,  wie   weit   er  auch  andererseits 
über    diese    bestimmten    Yerhältnisse    hinausweist  $    so 
war  auch  unser  Yerf.  natürlich  darauf  gewiesen,  eine 
Darstellung  des  Zeitalters  Shakespeare's  zu.  geben.    Dies 
geschieht  (p.  58 — 74}  mit  sinniger  Berücksiehtigung  aller 
Elemente,  welche  den  Charakter  des  Zeitalters  und  zu- 
gleibh  die  Entwickelungsmomente  für  die  Anschauung 
Shakespeares    bilden.     Ein    besonderes  Gewicht    wird 
mit  Recht  auf  das  noch  so  in  das  Leben  und  die  Sit- 
ten hineinscheiuende  Phantastische  gelegt,  dafs  die  Wirk- 
lichkeit überhaupt  noch  nicht  zu  einer  Welt  der  Prosa 
herabgesunken   war.    In  diese  Erscheinungen  ragt  — 
kann  man  sagen  —  das '  Mittelalter  n^iit  seiner  ganzen 
romantischen  Fülle  noch   hinein,   während   sich  schon 
der   moderne    Geist   aus    diesen     Gestalten    entbindet 
Diese  untrennbare  Einheit  der  noch  lebendig  wirkenden 
mittelalterlichen  Herrlichkeit    und   des  durch  den  Pro- 
testantismus  freigewordenen   Geistes,    ist  die  negative 
Bedingung    der    Gröfse  Shakespeares,   der   selbst  die 
höchste  Frucht  dieser  beiden  von  einander  scheidenden, 
aber  zugleich  noch  ^  im  Procefs  miteinander  begriffenen 
Wehen  ist.    Dadurch  ist  er' zugleich  der  Weltgeschichte 
liehe  Dichter,  der,  wie  ein  Januskopf,  eben  sowohl  die 
gesammte  Yergangenheit,  als  die  Momente  der  Zukunft 
überschaut.    Auch  hat  der  Hr.  Yerf.  am  Schlüsse  der 
Darstellung    von    Shakespeare's    Zeitalter    nicht    ver- 
säumt,  grade   auf  den  von  uns  so  eben  herausgehobe- 


U/Hei,  tff^r  SkmkeMpear^s  dramiUi$eke  Kunst* 


8. 


nen  Punkt  binzuweiseii  (p.  73).  Einen  besonderM 
Flei^B  hat  d^  Yerf.  auf  diu  Biographie  Shaketpeare'e 
gewandt,  welche  er  hier  unmittelbar  anschlierst.  Was 
von  nahen  und  entlegenen  Notizen-  su^  benutzen  war^ 
ist  £u  einer  so  viel  als  möglich  YoltsUindigen  DarsteU 
lung  des  Lebens  Shakespeare's  -  verwendet  worden,  wo* 
bei  sugleich  die  verschiedenen  Perioden  seiner  dichte^ 
rischen  Entwiekelung  herausgehoben  und  festgestellt 
werden.  Um  abei^  für  die  wichtigsten  Punkte  der  Welt* 
anschauung.  und  der  künstlerischen  Komposition  Siiake- 
speare*s-noch  Raum  bu  gewinnen,  müssen  wir  es  uns 
hier  versagen,  das  Speoielle  su  bespreclien. 

Den  Mittelpunkt  der  Untersuchungen  des  Yfs.  bil- 
det mit  Recht  die  Cntvrickelung  der  poetischen  Welt- 
ansebauimg  Shakespeare*s«  Nachdem  der  Verf.  selbst 
In  den  wenigen  niohtdramatischen  Werken  des  Dich* 
ters  dooh  noch  das  dramatische  Moment  ]»erausgehoben, 
das  sieli  nach  einem  geheimen  Gesetz  dieses  G^iius 
überall  bei  demselben  hervorthut,  fafst  er  das  Drama 
selbst  als  die  poetische  Darstellung  der  Weltgeschichte. 
Diesen  Ausspruch  vermittelt  Hr.  Dr.  Ulrici  darauf  durch 
die  Gegeniiberstellung  der  Momente  des  Dramas  als 
Epos  und  Lyrik,  von  denen  er  mit  Recht  dem  ersteren 
"  die  Darstellung  der  Weltgeschichte  in  ihrer  Vergangen- 
heit zuweist  und  die  Lyrik  <•  als  die  Poesie  der  Subjek* 
tivität  des  Geistes,  als  Poesie  der  Zukunft  bezeichnet, 
da  ja  die  Zukunft  für.  den  menschlichen  Geist*an  sieh 
nur  die  Bedeutung  deü  Werdens,  der  tlntwickelung  sei- 
ner selbst  aus  sich  selbst  haben  könne.  Wir  wollen 
mit  dieser  letzten  Auffassung,  die  freilich  insofern  ab- 
strakt UQd  daher  unbestimmt  ist,  als  sich  darunter  auch 
das  Draiüa  und  im  Grunde  alles  organiseh  Lebendige 
aobsumiren  läfst,  nicht  rechten,  weil  aus  der  ganzen 
Dar-stellung  doch  das  volle  VerstAndnifs  der  Lyrik  her- 
vorgeht und  es  dem  Verf.  hier  nur  besonders  um  den 
abstrakten.  Gegensatz  gegen  das  Epos,  als  Poesie  der 
Vergnngenhe^^  eu  thun  war,  um  so  für  'das  Drama, 
als  Einheit  des  Efios  und  der  Lyrik^  den  Begriff  der 
Poesie  der  Cregenwari  zu  gewinnen.  Demnach  wird 
dann  ,das  Drama  vorzugsweise  als  die  Poesie  der  fVett* 
gesekichte  bezeichnet,  „da  dasselbe  erst  die  Entwicke- 
lung  des  menschlichen  iSeistes  in  ihrem  Portschritt  durch 


Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukvnft  zeigt,  da  in 
ihr  erst  die  Subjektivität,  wie  die*  Objektivitilt  de^  Gei* 
stes  gleiehmäisige  Geltung  gewinnt.''     Der  Hr.  Verf. 
zeigt  sich  Im  ganzen  Verlauf  dieser  Untersuchung  als 
ein  gebildeter  Geist,  der,  mit-  den  durch  die  Philosophie 
gewonnenen  Resultaten  vertraut,  diese  in  selbstständi- 
ger Weise  in  frischem  Flusse  lebendiger  Erzeugung  zu 
entwiekeln  versteht,  nirgends  abstruse  wird,  und  doch 
nicht  in  Trivialitäten  hineingeräth.     Man  sieht  es  die- 
sen Darstellungen  auf  der  Stelle  an ,  dafs  sie  nicht  ei- 
ner eingelernten  Formel  ihr  Dasein  verdanken^  sondern 
von  dem  Triebe  dilttirt  sind,   ein  Ganzes  lebendig  zu 
fassen  und  dem  Leser   die  Anschauung  desselben  zu 
geben.    In  der  ganzen  Ausetnandersetzuhgi  welche  wir 
als  eine  Einleitung  in  die  besondere  Weltanschauung 
Shakespeare's  betrachten   können,  ist  Nichts,  dem  wir 
unsere  Zustinunung  versagen  mufsten.    Wer  wird  nidit 
gern  eine  so  lebmidige  Anschauung,  wie  sie  der  Verf. 
in  den  folgenden  Worten  von  Shakespeare's  Dichter- 
gröfse  giebt,  als  den  Grundtext  aller  folgenden  Unter» 
suchungen  über  ihn  erkennen  (p.  144).    „Alles  ist  bei 
ihm  Handlung,  jedes  Wort  dramatisch^  nirgend  leeres 
Geschwätz.     Nichts  steht   bei  ihm  allein,   jede  Rede, 
jede  That,   wenn  auch  anscheinend  rein  subjectiv,   hat 
ihre  Besiehung  zum  Ganzen,  wirkt  wesentlich  mit  zur 
Entfaltung  der  Einen  allgemein  bedeutenden  Grundidee 
des  Stücks.     Und  dennoch  hat  jede  Figur  zugleich  ihre 
eigne  Bewegung,  Ihre  Freiheit  und  Selbstständigkeit, 
jede  verfolgt  zugleich  ihre  besonderen  Interessen,  stellt 
sich  in  das   ihr  angemessene  Verhältnifs  zur  Idee  des 
Ganzen  und  fafst  dieselbe  in  eigenthiimlicher  Welse  auf« 
Durch  dieses  Kämpfen  daPLir  und  dawider,  durch  diese 
mannigfaltigen  Farben  und  Brechungen  des  Einen  Licht- 
strahls kommt  der  wahre  Inhalt  der  Dichtung  mit  einer 
Vollständigkeit,  l^larheit   und  Bestimmtheit  zu  Tage, 
wie  sie  das  antike  Drama  nie,    von  den  Neuem  nur 
wenige  eireicht  haben.''    Aus  diesem  allgemeinen  Bilde 
entwickelt  der  Verf.  nun  die  besondern  Seiten,  ^  Zunächst 
die  Eigentbümlicbk'eit  der  Sprache  Shakespeare's,  von 
'  der  er  mit  Recht  sagt,  dafs  sie  durchweg  geistige  That 
sei,  die  eben    so   individuell  dem   Sprechenden  ange« 
fa(Srt,  als  sie  wesentliches  Glied  der  ganzen  Aktion  ist. 


(Die  FortBetzoBg  folgt.) 


Jahr  b  fi  eher 


für 


wissenschaftliche   Kritik 


Januar  1840» 


lieber  Shakespeare*^  dramatische  Kumt  und  sein 
Verhältmfs  zu  Calderon  und  Goethe.  Von 
Dr.  Herrmann  Ulrici. 

(Fortsetzung.) 

Auch  uns  ist  der  uuTersiegbare  Zauber  der  sprach- 
liehen  Darstellung  Shakespeare's  stets  darin  erschienen,' 
dals  sich  das  Wort  be^  ihm  immer,  wie  eine  dichte 
HuUe,  .um  das  Individuum  schmiegt  und  dasselbe  in  . 
allen  seinen  Lebensbewegungen  bezeichnet,  und  doch 
zugleich  der  ideale  Ausdruck  der  allgemein  menschli- 
chen Natur  ist;  wefshalb  die  Sprache  Shakespeare's 
die  yerschiedenartigsten  Individuen  fesselt  und  in  den 

_    f 

Kreis  ihrer  Schönheit  magisch  hineinbannt,  ohne  doch 

jemals  der  individuellen  Färbung  zu  ermangeln.    Darum 

ist  es  bei  Shakespeare  nicht  genug,  selbst  ein  glänzen« 

des  Bild  für  sich  abzulösen ,  und  in  seiner  vom  Indivi-' 

duu»,  auf  welches  dasselbe  sich  bezieht,  unabhängigen, 

also  allgemeinen  Schönheit  zu  betrachten.    Man  nimmt 

ihm  dadurch  zugleich  den  Grund  und  Boden,  worauf 

es  gewachsen  ist;  es  gleicht  dann  einer  wundervollen 

Pflanze,  welche  man  der  nährenden  Erde  entnommen 

hat  und  zur  augenblicklichen  Augenweide  herumseigt. 

Die  nährbnde  Erde  ist  die  geheimnilsvolLe  Tiefe  des 

bestimmten  Individuunfs,  welches  dies  Bild  unter  diesen 

Umständen  und  als  ein  also  organisirtes  aus  sich  ent- 

läCst  tind  uch  darin  gegenständlich  wird^     So  erscheint 

es  uns  erst  wie  eine  von  der  heimischen  Luft  und  der 

ganten  Natur  ihres  mütterlichen  Bodens  umgebene  Pflanze. 

Ton  der  Sprache  sich  zu  der  Weise  Shakespeare's 

SU  charakterisiren  hinwendend,  erkennt  der  Yerf.  hier, 

dafs  dieselbe  nicht   aus  einer  Fülle   von  empirischen 

Beobachtungen,  sondern  aus  der  dichterischen  Anscbau* 

ung  der  Idee  der  Menschheit  hervorgegangen  ist.    Da* 

her  die  ewige  Wahrheit  und  Bedeutsamkeit  aller  Shake- 

speare'schen  Gestalten.    SJialcespeare  bt,  wie  auch  der 

Terf.  zu  bemerken  nicht  unterlassen  hat  (p.  149^152), 
Jahrb.  f.  wuienich.  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd. 


gleichweit  davon  entfernt,  abstrakte,  zu  Gattungsbegrif- 
fen ausgehöhlte  Gestalten,  wie  davon,  bis  in  die  Zufäl- 
ligkeiten eines  bedeutungslosen  Details  ausgearbeitete 
Figuren  auftreten  zu  lassen.  Ueberall  ist  die  volle  Ge- 
drungenheit ficht  menschlicher  Persönlichkeiten,  die  in 
jedem  Momente  ihr  individuelles  Leben  bekunden  und 
doch  zugleich  ein  in  sich  Allgemeines  ausstrahlen« 

Wir  verweilen  nicht  bei  der  von  dem  Yerf.,  nach 
manchem  glücklichen  Yorhergang,  abgewiesenen.  Yor- 
stellung,  als  sei  Shakespeare  nur  ein  regelloses  blind- 
laufendes  Genie  gewesen  (p.  152  u.  s.  w).  Indem  ihm 
mit  Recht  die  höchste  Herrschaft  über  seinen  Stoflf  vin* 
dicirt  wird,  tritt  er  uns  als  der  besonnene  Werkmeister 
entgegen,  der,  wie  sehr  er  auch  von  den  Wogen  der 
Begeisterung  getragen  vfird,  doch  auch  zugleich^  immer 
der  über  den  Wassern  schwebende  Geist  bleibt.  Al- 
les, was  der  Hr.  Yerf.  hierüber,  wie  über  die  Erfin- 
düng  bemerkt,  stimmt  so  sehr  mit  unsern  Anschauungen 
überein,  dals  whr  nur  auf  seine  Darstellung  verweisen. 
Indessen  gewinnen  Erfindung,  Komposition^  Charakte- 
ristik und  Sprache  erst  ihre  volle  Bedeutung  und  Ab- 
gieschlossenheit  in  der  poeiisehen  Weltansehauung. 
Der  Yerf.  bezeichnet  sie  zunächst  p.  159  u.  s.  f.  als 
eine  christliche  und  hebt  ihren  Untecsehied  yon  der 
antiken  sehr  gut  hervor;  indem  er  das  Wesen  der  er- 
steren  als  das  Ineinanderweben  der  göttlichen  Gerech- 
tigkeit und  Liebe  einerseits,  und  der  menschlichen 
Selbstthfitigkeit  in  ihrer  objektiven  und  subjektiven  Frei« 
heit  andererseits,  bezMchnet. 

In  der  näheren  Erörterung  dieser  Weltanschauung 
Shakespeare's  hat  der  Hr.  Yerf.  besonders  von  den 
Entwickelungen  ^olgers  seinen  Ausgangspunkt  genom- 
men, obgleich  er  desselben  dabei  nicht  besonders  ge- 
denkt. Die  tragische  und  komische  Weltanschauung 
sind  Hm.  Dr.  Ulriei  —  und  darin  stimmen  wir  ganz 
bei  —  nur  verschiedene  Seiten  einer  und  derselben 
christliehen  Weltanschauung.    Demnach  stellt  sich  ihm 

2 


II 


Ülriei,  über  Shaketpeorc*»  dratnatiscAe  Kunst. 


12 


■ 

die  Tragödie  Shakespeare*«  dar  ),aU  das  unmittelbare 
Walten  der  göttlichen  Gerechtigkeit  und  der  sittlichen 
Nothwcndigkeit.  Das  Tragische  liegt  bei  ihiti  stets  in 
dem  Leiden  und  Untergange  des  menschlich  Grofsen, 
Edlen,  Schönen,  sobald  es  der  menschlichen  Schwäche 
und  Yerkehrtheit  verfällt,  der  blos  weltlichen  Seite  sich 
hinglitt,  im  irdischen  Dosein  allein  seine  Befriedigung 
und  Erfüllung  sucht  und  also,  von  diesem  beherrscht, 
wider  seine  wahre  objektive  Freiheit  handelt  und  der 
sittlichen  NotKwendigkeit  Hohn  spricht."  Wir  können 
tuis  mit  diesem  Gedanken^  nur  theilweise  einverstanden 
erklären.  Per  Yerf.  sieht  das  Tragische  im  Leiden 
und  Untergange  xles  menschlicli  Groben,  sobald  es  der 
menschlichen  Schwäche,  der  sittlichen  Yerkehrtheit  ver* 
fällt.  Demnach  läge  die  Trauer  über  den  Untergang 
der  tragischen  Helden  darin,  dafs  diese  hochbegabten, 
thatkräftigen  Naturen  sich  einen  ihrer  unwürdigen  Zweck 
gesetzt,  ihrem  Pathos  einen  unsittlichen  Spielraum  ge* 
stattet  liätten  und  für  einen  unberechtigten  Inhalt  in 
die  Schranken  getreten  wären.  Hier  wäre  die  Trauer 
bei  ihrem  Leiden  und  Falle  eigentlich  ohne  Yersöh- 
uung,  indem  uns  nur  die  schmerzliche  Empfindung  bliebe, 
dafs  grade  die  hochbegabtesten  und  gehaltreichsten  Na- 
turen sich  zu  menschlicher  Yerkehrtheit  verirrt  und  das 
Ziel  ihres  Lebens  verfehlt  hätten*  Die  Yersöhnung  läge 
dann  nur  in  dem  sie  ereilenden  Geschick,  durch  welches 
die  diesen  Mifsbrauch  so  herrlicher  Gaben  strafende 
göttliche  Gerechtigkeit  die  Yerkehrung  derselben  zu 
vergänglichen  Zwecken  rächt.  „/4r  irdücAet  Da* 
sein  findet  den  Untergmng^  weil  sie  das  Fergängli-- 
che  selbst  woliten^^  Der  Hr.  Yerf.  ist  hier,  indem  er 
in  dem  Negativen,  oder  der  Schuld  des  Helden '  nicht 
zugleich  das  Positive,*  oder  ihr  Recht  herausgehoben 
hat,  in  einer  Halbheit  der  Erkenntnifs  befangen  geblie- 
ben, die  sich  auch  bei  der  Auffassung  mancher  Schöpfun- 
gen des  Dichters  rächen  mufste.  Nicht  durch  die  sitt- 
liche Yerkehrtheit,  nicht  weil-  das  menschlich  Grofse 
und  Edle  sich  an  das  Yergängliche  gekettet  und  dies 
gewollt'  hat,  gehn  die  tragischen  Figuren  zu  Grunde, 
sondern  weil  ihr  an  und  für  sich  auch  noch  so  berech- 
tigtes  Pathos,  da  es  ausschliefsend  den  ganzen  vollen 
Menschen  beherrscht  und  gleichsam  absorbirt,  gegen 
die  Totalität  der  Momente,  welche  alle  zu  ihrem  Rechte 
kommen  sollen,  einseitig  und  beschränkt  ist.  Die  gött- 
liche Gerechtigkeit  hebt  also  im  Grunde  nur  diese 
Schranke  auf,  und  dw  Untergang  ist  nothwendig,  weil 


das  Individuum,  einer  Energie  hingegeben,  diese  für 
die  Welt,  und  das  sittliche  Universum  selbst  genommni 
hat  und  daher  die -Berechtigung  auch  anderer  Energien 
an  sich  selbst  erfahren  knub.  In  allem  PatiMS  liegt, 
so  zu  sagen,  bewufstlos  der  Hochmutb,  allein  sieh  im 
Rechte  zu  glauben.  Indem  sich  derselbe  praktisch 
macht,  rächen  sich  an  ihm  diejenigen  Mächte,  die  er 
verkannt  und  verletzt  hat.  So  »bringt  die  Tragödie  im- 
mer das  Universum  auf  einem  Punkte,  und  von  einem 
Standpunkte  aus  isur  Ersclieinung.  Wir  können  uns 
also  dem  Helden  mit  der  vollen  Liebe  zuwenden,  wel- 
che sein  von  ihm  verfochtenes  Recht  fordert,  und  wir 
erheben  uns  schon,  indem  wir  ihn  sein  ganzes  Denken 
und  Wollen  in  die  Wagschaale  werfen  sehn,  die  er 
herniederzwingen  will.  Nicht  also  die  menschliche 
Schwäche  und  Yerkehrtheit,  nicht  die  Hingebung  an 
das  Irdische  und  Yergängliche  führt  den  Untergang 
herbei,  sondern  die  Energie,  welche  ihr  Herzblut  für 
einen  Inhalt  versprützt,  der  zwar  in  sich  selbst  berech- 
tigf,  aber  doch  nicht  das  Ganze  ist  Wer  sich  aber 
einer  substanziellen  Macht  hingibt  und  keinen  Sinn, 
kein  Organ  mehr  fitr  die  andern  Mächte  des  Lebens 
behält,  den  erschöpft  eben  dieser  einseitige  Inhalt  voll- 
ständig. Dies  ist  sein  Tod.  In  dieser  Einseitigkeit, 
die  aber  deshalb  noch  nicht  ein  Wollen  des  Yergäng- 
lichen  ist,  liegt  die  Stärke  wie  die  Schwäche  des  Hel- 
den. Das  Maafs  der  von  ihm  entwickelten  heroischen 
Kraft;  durch  welche  er  uns  fesselt  und  in  seinen  Zau- 
berkreis hineinbannt,  steht  gleichsam  mit  seiner  theore^ 
tischen  Yernunft  in  umgekehrtem  Yerhältiflsse.  Je  eon- 
cretirter  sein  Wollen  und  Handeln,  desto  gewaltiger 
reagirt  die  von  ihm  verhöhnte  Macht  gegen  iiin.  Das 
Resultat  aber  ist  die  wirklich  gewordene  guttliche  Yer- 
nunft, die  jede  besondere  Seite  zum  Restehn,  wie  zum 
Fall  hat  kommen  lassen,. und  darin  das  Recht,  wie  das 
Unrecht  aller  Lebenselemente  von  einem  bestimmten 
Standpunkte  aus  geoffenbart  hat.  Daher  erheben  Wir 
uns  auch  sogleich,  indem  wir  die  Kämpfer  in  ihren» 
gesättigten  Pathos  erscheinen  sehn,  weil  es  des  Men- 
schen Hoheit  und  göttliche  Abkunft  bekundet,  Ernst  zu 
machen  mit  seiner  vollen  Hingebung  an  ein  Recht  und 
an  eine  Idee,  die  uns  ganz  ausfüllt.  Darin  ist  der 
Mensch  auch  an  sich  schon  mit  dem  absoluten  Redite 
zusammengeschlossen,  darin  die  sittliehe  Nothwcndig- 
keit bereits  enthalten.  Der  Procefs  der  Tragödie  bringt 
dieselbe  nur  zur  voUeH  Entwickelung,  worin  allen  be- 


13 


ü/rieiy  Hier  SAaJbetpeere's  tbvmatiteh»  Kunst. 


U 


sondern  Aechten  ihr  hoohates  Rächt  zu  Theil  wird,  al« 
ein  Moment  eingeordnet  tu  werden  in  die  gutüiclie  Ter« 
nunft,  die  dadarch  erst  als  die  allgegenwärtige  Seele 
etseheint. 

Die  Auffiissung  des  Terf.  bat  naturlieh  nicht  ohne 
Wirkung  auf  die  Darstellung  des  Besonderen  bleiben 
kditnen.  .Wir  heben  dies  gegen  den  Hrn.  Yerf.  so  eben 
Ausgeführte  an'  einem  bosondem  Beispiele  noch, her- 
vor. Der  Yerf»  siebt,  in  Uebereinstimmung  mit  seiner 
Theorie  des  Tragischen,  den  Untergang  Romeo9  unxl 
Julians  gleichsam  als  Folge  des  Mi/tbraucAt  der  gött* 
liehen  Gaben  der  Liebe  an  p.  187  u.  s.  f.  „Grade  dies 
Höchste  und  Herrlichste  der  Liebe,  heifst  es,  bo  lange 
es  l>ehaftet  ist  mit  dem  Endlichen,  der  Begierde  und 
Leidenschaft,  wird  unmittelbar  selbst  zur  fatalistisch 
Fernichtenden  Macht,  die  ihren  Triumph  in  Tod  und 
Untergang  feiert.  Grade  weil  sie,  ihrer  wahren  We- 
senheit nach,  göttlicher  Abkunft  ist,  ergreift  sie  den 
Menschen,  der  die  göttliche  Gabe  mifsbrancht  und  in 
den  Abgrund  der  SelbstFergessenheit  versinkend ,  die 
ganze  Kraft  des  gottlichen  Geschenkes  an  sein  irdi^ 
0ches  Dasein  verschwendet,  mit  dämonischer,  un^- 
derstehlieher  Gewalt." 

Romeo  und  Julie  gehn  aber  wahrlich  nicht  zu 
Grunde,  weil  ihre  Liebe  den  Charakter  ausschliefsUcber 
und  unbedingter  Leidenschaft  trägt ;  dies  ist  keine  Ver- 
kehrung der  göttirchen  Liebe,  kein  Mifsbrauch  der  gött* 
liehen  Gabe.  Es  ist  vielmehr  das  heilige,  unveräufser- 
liehe  Recht  jener  Individuen,  diese  absolute  Wahlver- 
wandtschuft der  Persönlichkeiten  zu  behaupten  und 
gegen  alle  Gefahren  und  Hemmungen  siegreich  zu  be- 
währen. Dafs  beide  Individuen  Ernst  mafchen  mit  dem 
erhabenen  Eigensinn,  nur  mit  einander  leben  zu  woU 
len,  weil  die  Natur  sie  für  einander  bestimmte,  ist  ihr 
B^pht;  hierin  sind  sie  weder  der  göttlichen  Yemunft, 
noch  der  sittlichen  Nothwendigkeit  gegenixbergetreten. 
Wir  folgen  darum  angstvoll  allen  Krümmungen  ihres  Ge- 
schicks, weil'diese  Leidenschaft  so  gearteter  Gestalten 
eine  berechtigte  ist«  Diese  Innerlichkeit  macht  aber 
solchen  Ernst  mit  ihrem  Rechte,  dafs  sie  denselben 
durch  den  Tod  besiegelt.  Per  Tod  ist  einerseits  nur 
die  Offenbarung  der  über  den  ganzen  Umfang  irdischer 
Gewalten  triumphirenden  Liebe,  welche  sich  grade  da- 
durch von  allen  irdischen  Sclilacken  reinigt.  —  Es 
möchte  sich  die  Schranke  in  des  Yerfs.  Theorie  der 
Tragödie  nirgends  greller  herausstellen,  als  hier,  wa  sie 


ihn  bis  zu  einer  so  völligen  Verkennung  des  Substan** 
ziellen  dieser  Leidenschaft  hinreifst,  dab  er  ausruft 
p.  188:  „Beide  sind  hohe,  reichbegabte,  edle  Naturen, 
aber  sie  verwandeln .  das  Schönste  und  Herrlichste  selbst 
in^Yerderben  und  Unheil,  9ie  schänden  ihre  eignen 
Gäbeny  weil  eie  eich  eelbet  gegeneeitig  »um  Abgott 
ihres  Daseins  machen  und  Janatisch  diesem  Götzen- 
dienste  opfem^^  Das  Uogenögende  in  de^  Yerfs.  theo- 
retischer Auffassung^  hat  sich  bei  Romeo  und  Julie 
durch  eine  fast  prosaische  Betrachtungsweise,  und  eine 
gewisse  Kanzelweisheit  in  Betreff  dieser  heiligen  Lei«> 
denschaft  gerächt.  Wer  das  ^  Univwsum  in  einem  ge« 
liebten  wahlverwandten  Wesen  anschaut  und  aus  die* 
sem  sich  völlig  zurüokempfängt ,  —  wer 'Alles  daran 
setzt,  das  einzige  Gut  zu  besitzen,  welches  für  ihn  ei- 
nen absoluten  Werth  hat  und  das  wahrlich  kein  blofses 
Phantom  ist,  der  sündigt  nicht,  wenn  er  nicht,  mit  zah-. 
mer  Geduld  den  Werkeltagsgang  abwartest,  und  hiebt 
mit  nüchterner  Selbstbeherrschung  auf  den  vollen  Be- 
sitz, auf  die  volle  Sättigung  der  Leidenschaft  verzich- 
tet. So  gehn  die  göttliche  Yernunft  und  die  Poesie 
nicht  auseinander;  was  sie  docbmüfsten,  wenn  in  jener 
leidenschaftlichen,  rücksichtlosesten  Hingebung, der  WahU 
verwandten  Wesen  der^  Mifsbrauch  der  göttlichen 
Gabe  läge^  —  weiin  dies  ihre  Sünde,  ihre  YerCehrt« 
heit  wäre.  Nein,  diese  Gestalten  sind  von  Hause  aus 
schon  in  eine  Welt  gestellt,  in  der  £eser  Laut  der 
Liebe  ein  schneidender  Mifston  und  Widerspruch  ist 
mit  allen  Yerhältnissen,  denen  sie  angehören.  Dadurch 
ist  schon  ihr  Erscheinen  tragisch ;  dadurch  erschültert 
das  Werden  dieser  Leidenschaft  so  gewallig,  weil  es 
sich  sogleich  als  eine  ti'agische  Kollision  mit  ihrer 
Welt  ankündigt,  der  sie  als  Opfer  fallen  müssen.  Die- 
sem so  zerrissenen  und  zerrütteten  Zustande  anzugehö-' 
ren,  ist  ihre  jlte^  durch  welche  sie,  gleichsam  schon 
von  Hause  aus,  als  dem  Untergange  Geweihte  ersehei- 
nen. Nun  treibt  die  inmitten  des  Hasses  aufgespros- 
sene Leidenschaft  der  Liebe,  eben  weil  sie  aussehliefs-L. 
lich  ist,  zur  Yerletzung  des  sittlichen  Kreises,  dem  die 
Liebenden  auch  angehören,  und  der  ebenfalls  sein  Recht 
hat,  nSmlich  des  Kreises  der  Familie;  eine  Yerletzung, 
die  nothwendlg  zurückschlägt  und  den  Untergang  der 
Liebenden  herbeiführt.  Im  Tode  derselben  aber  wer- 
den diejenigen  recht  eigentlich  ergriffen,,  welche  sich  in 
Hafs  zerfleischt  haben;  durch  Zerstörung  des  ihnen. 
Theuersten   hülsen,  sie  ihre  Schuld.     Für  Romeo  und 


i:v 


Viriciy  H6er  Shakespeare'*  dramatieche  Kunst» 


16 


Julie  ist  der  Tod  vielmehr  YerkläruDg  alt  Enthüllung 
ihrer  Schuld;  für  die  eich  zerstörenden  Familien  erfüllt 
•ich  daran  aher  der  Fluch  ihres  Hasses.  Erst  durch 
diese  Opfer  gemahnt,  kehren  sie  in  sich  ein  und  süh- 
nen die  Schuld  früherer  Geschlechter  und  ihre  eigene. 
Die  erwähnte  aus  der  Theorie  desVerfs.  entsprun- 
gene Auffassung  der  Leidensehaft  Romeos  und  Juliens^ 
als  eines  Mifsbrauchs  der  gölilichen  Natur  der  Liebe, 
hat  noch  ein  anderes  Mifsverstanddifs  nach  sich  gezo- 
gen. Der  Yerf.  sieht  nämlich  Romeo  nur  M  einen, 
von  Anfang  an,  ron  einer  hohem  durchaus  dämoni- 
schen Gewalt  ganz  willkührlich  gelenkten  Mann  an, 
und  betrachtet  seine  Schwärmerei  für  Rosalinden  als 
einen  Zug,  der  dazu  diene,  „düee  IVillkühr  klar  und 
eckarf  hervorzuheben.^  Der  Verf.  scheint  uns  dies 
Terhältnifs  ganz  falsch  zu  deuten.  In  Romeo  ist  der 
Genius  der  Liebe  mächtig;  die  Leidenschaft  der  Liebe 
ist  der  Pulsschlag  seines  Daseins;  in  ihr  empfindet  er 
die  Aufgabe  seines  Lebens;  zu  ihrer  Verwirklichung 
stehn  gleichsam  alle  seine  Kräfte  In  Blütbe.  Ehe  er 
das  Ziel  seines  Lebens  in  der  Leidenschaft  zu  Julien 
gefunden,  hat  er  sich  in  sehnsuchtsvolles  Verlangen  zu 
Rosalinden  verirrt.  Sein  Verhältnifs  zu  Ihr  beruht  auf 
einem  VTaline;  die  Hingebung  an  sie  hfit  den  Schein 
wirklicher  Leidenschaft,  ist  aber  im  Grunde  nichts  an- 
ders als  der  erste  Ausdruck,  das  erste  Zeichen  eines 
Gemüths,  das  in  der  Unendlichkeit  der  Liebe  die  Wur- 
zel seines  Wesens  hat.  Da  aber  in  der  That  dieses 
Verhältnifs  nur  auf. einem  Wahne  beruht,  und  nichts 
von  dem  Charakter  jener  heiligen,  den  ganzen  Men- 
schen durchlodemden  und  verklärenden  Leidenschaft 
an  sich  trägt,  ^o  müssen  auch  die  Wirkungen  diesem 
Zuge  entsprechen.  Wir  sehn  daher  Romeo  träumerisch, 
lebensmüde,  unkräftig;  und,  da  die  wirkliche  Poesie  des 
Lebens  ihm  noch  nicht  aufgegangen  ist,  spricht  er  seine 
Stimmung  in  künstlichen  und  frostigen  Antithesen  aus. 
Sobald  der  Anblick  Juliens  für  sein  ganzes  Leben  ent- 
schieden, -*  sobald  er  nun  die  volle  Bahn  für  seine  Lie- 
besmacht gefunden  hat,  da  tritt  auch  eine  totale  Um- 
wandlung des  ganzen  Menschen  ein.  Der  hinbrütende, 
krankhafte  Romeo  verschwindet  und  der  frische,  begei- 
sterungsvolle, über  den  ganzen  Umfang  seiner  Kräfte 
gebietende  Jüngling,  steht  vor  uns;  aus  dem  Schönred-' 


ner  ist  ein  Dichter  geworden,  dem  sich  die  ganse 
Schöpfung  verklärt  hat.  So  erscheint  also  Rosalinde 
nur  wie  eine  Vorschule  Zu  Julien,  wie  ein  erster  mifs- 
glückter  Versucli,  die  Aufgabe  seines  Lebens  in  dem 
ihm  von  der  Natur  zugewiesenen  Kreise  zu  lösen; 
kurz  das  ganze  Verhältnifs  ist  eine  wesentliche  Folie 
für  die  ächte,  gottliche  Leidenschaft  beidet  Liebenden» 

Wir  müfsten  unsere  Beurtheilung  selbst  zu  einem 
Buche  erweitem,  wenn  wir  dem  Verf.  in  der  Auffas- 
sung der  einzelnen  Tragödien  naehgehn  und  dabei  die- 
jenigen  Punkte  herausheben  wollten,  wo  seine  Grund* 
anschauung  derselben  ihn  zu  einer  irrthümlichen,  oder 
einseitigen  Deutung  verführt  hat«  Wir  verweisen  in 
dieser  Rücksicht  nur  noch  auf  Othello^  p.  197  u.  s.  f., 
wo  der  Hr.  Verf.  die  Ehre  als  das  Pathos  des  Helden 
bezeichnet,  und  sie  als  die  nothwendige  Bedingung  der 
männlichen  Thätigkeit  begreift,  welche  hier  von  ihrem 
sittlidhen  Boden  losgerissen,  nur  in  Beziehung  auf  das 
endliche  und  Irdische  Dasein  gefafst  werde.  ,>Wie  Ro- 
meo, so  milsbraucht  auch  Othello  die  göttlichen  Gaben, 
indem  er,  sich  selbst  vergessend,  sie  und  sich  nur  sei- 
nem weltlichen  Dasein  widmet."  Dem  Othello  gebricht, 
nach  dem  Verf.,  der  nothwendige  Ualtpunkt,  welchen 
die  wahre  Ehre  gewährt,  da  die  Ehre  von  ihm  nur 
als  Haltpunkt  für  dieses  irdische  Dasein,  nicht  als 
Moment  des  ewigen  Lebens  gefafst  wird.  Auch  hier 
wiederholt  sich  der  Irrthum,  in  dem  tragischen  Pathos 
und  in  der  Schuld,  welche  durch  dasselbe  herbeigeführt 
wird,  nur  die  Schuld  zu  sehn;  denn  indem  sich  das 
Unendliche  nur  zu  einem  Irdischen,  Vergänglichen  ver- 
kehrt, hat  es  eben  dadurch  die  Natur  des  Rechts  ein- 
gebüfst;  es  ist  eine  Verzerrung  des  ursprünglich  Heili- 
gen und  Wesenhaften  geworden.  Aber  jenes  Pathos 
offenbart  in  seiner  Erscheinung  selbst  auch  ein  Recht, 
d.  h.  das  Sübstanzielle  ist  auch  in  ihm  erhalten.  Weil 
aber  dies  Sübstanzielle  als  Leidenschaft,  alles  Andere 
um  und  neben  sich  verkennend,  auftritt,  führt  es  zu 
einer  Verletzung.  Deshalb  ist  es  aber  nichts  desto  we- 
niger noch  immer  Moment  des  ewigen  Lebens  und 
nicht  zu  einem  nur  Irdischen  und  Vergängfichen  umge- 
schlagen. Die  Tragödie  selbst  weist  es  vielmehr  als 
Moment  auf,  d.  h.  sie  ordnet  es  der  Totalität  ein. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


^3. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche 


Kritik. 


Januar   1840. 


Ueber  Shakespeares  dramatische  Kunst  und  sein 
Verhältnifs  zu  Calderon  und  Ooethe.  Von 
Dr.  Herrmann  UJrici. 

(Fortsetzang.) 
Wollen  wir  uns  noch,  —  wie  wir   es  doch  wohl 

dem  vorliegenden  Werke  und  der  Wichtigkeit  des  Ge- 
genstandes schuldig  sind,  —  zu^n  Begriff  der  komischen 
W^eltanscbauung  wenden,  so  müssen  wir  hier  die  Ent- 
wickelung  der  Shakespeare'sehen   Tragödien   mit    der 
Tersicherung   abbrechen,  dafs   uns   namentlich   in  der 
Darstellung   des  Organismus  derselben   philosophische 
Tiefe  und  dichterischer  Sinn  überall  entgegen  leuchten; 
dals  wir  in  den  Grundanschauungen,  besonders  aber  in 
der  Gliederung  der  Tragödien  und  in  der  Gruppirung 
der  dramatischen  Figuren  unsere  innerste  UeberzeugUDg 
gröfstentheils  bestätigt  und   höchst  sinnvoll  ausgespro- 
chen finden.    Bei  einem  so  reichen  Genius  wie  Shake- 
speare weirden  sich  natürlich  in  jeder,   auf  wirklicher 
Kunstanschauung  gegründeten  Darstellung  Abweichun- 
gen von  anderen  Auffassungen  finden,  die  deslialb  aber 
nicht  als  Yerneinungen ,  sondern  vielmehr   als  Ergän- 
zungen zu  betrachten  sind,  durch  welche  sich  das  Yer- 
ständnifs    nur  immer  mehr    abrundet     Eine  wirkliche 
Durchführung  aller    unserer   abweichenden    Ansichten 
würde  ein  an  Umfang  nicht  geringeres  Werk  als  des 
Hrn.  Dr.  Ulrici  bedüigen,  und    würde  mehr  eine  mit 
der  seinigen  parallellaufende  eigenthümliche  und  ergän- 
zende Darstellung,  als  eine  eigentliche  Kritik  sein.    Bei 
Werken,  wie  das  vorlieg-ende,  liegt  ja  auch  das  Ver- 
dienst und  die  Bedeutung  gar  nicht  sowoht  in  dem,  was 
wir  als  haare  Münze  und  als  eine  fertige  Wahrheit  ein- 
iltreichen   können,    sondern    in  dem  Geistesschwunge, 
dem  Standpunkte  und   der  idealen  Bildung,  welche  es 
erzeugt  haben  und  daraus  wieder  befruchtend  wirken. 
Das  Wesen  der  kamischen  fVeltanschauung^hbk^' 
speare*s  begreift  der  Hr.  Yerf.  also:  p.  163  u.  s.  f.    „In 
der  Komödie  thut  sich  uns  eine  Welt  der  Yerkehrtheit, 
Jahrb.  f,  wu$tn9ch.  Kritik.   J.  1840.     1.  Bd. 


der  Schwäche  und  Unsittlichkeit  aller  Art  auf,  deren 
Wurzel  die  Willkühr  ist.  Es  erscheint  also  vor  unseni 
Augen  eine  Welt  voll  Widersprüche  und  Ungereimt« 
heiten,  eine  plan-  und  aswecklose  Welt  Eine  solche 
Welt  kann  sich  nicht  behaupten ;  sie  mufs  in  sich  selbst 
zusammenfallen.  Indem  Zufall  und  Willkühr,  Schwä- 
che und  Yerkehrtheit,  Irrthum  und  Thorheit  sich  selbst 
gegenseitig  aufheben,  so  dafs  zuletzt  doch  das  Gute 
und  Yemünfüge  geschieht  und  als  das  wahrhaft  Be«> 
ständige  sich  erweist,  so  \aX  damit  die  komische  Welt- 
anschauung im  Sinne  der  christlichen  Kunst  gegeben." 
Im  weitem  Yerlauf  bezeichnet  demnach  der  Yerf.  das 
Komische  der  Kunst  als  die  Dialektik  der  Ironie,  die 
nicht  nur  das  menschliche  Leben  einseitig  als  eine  Welt 
der  Widersprüche  und  Uiigereimtheiten  auffafst,  son- 
dern auch  die  Einseitigkeit  der  Auffassung  selbst  ver- 
bessert, indem  sie  Zufall  und  Willkühr  in  allen  ihren 
Formen  und  damit  die  von  ihnen  beherrschte  und  ge- 
bildete Welt  sich  selbst  auflösen  läfst  und  in  ihr  Ge- 
gentheil  verkehrt.  Darin  erblickt  er  zugleich  jene  tiber 
die  Darstellung  ergossene  Heiterkeit,  deren  Gefühl  uns 
ergreift,  indem  wir  unsere  ganze  menschliche  Schwäche 
und  Yerkehrtheit  in  der  dargestellten  Welt  wiederfinden, 
aus  der  aber  doch  überall  die  göttliche  Liebe  hervor- 
bricht, welche  alle  Yerirrungen  des  Üerzenrs  und  Yer- 
Standes  und  alle  Zufälle  sich  gegenseitig  durch  sich  selbst 
vereiteln  läfst. 

So  weit  gehn  wir  mit  dem  Yerf.  Hand  in  Hand. 
Auch  wir  erkennen  die  Natur  der  Shakespeareschen 
Komödie  zunächst  in  dieser  Yernichtung  des  Scheins, 
des  Wesenlosen,  welches  sich  in  der  ihm  entsprechen-, 
den  Form  buntester  Willkühr  vor  uns  aufthut,  aus  der 
aber  doch  das  Gesetz  auftaucht  und  sich  als  das  dieser 
Welt  eigentlich  Immanente  hervorbringt.  Alle  Koma- 
dien dieser  Gattung,  welche  Shakespeare  eigentlich  erst 
geschaffen  und  in  der  sich  aufser  ihm  fast  kein  Dich- 
ter weiter  versucht  hat,  sind  gewissermafsen   nur.veri> 

3 


19 


Ulriciy  über  Shake%feor^9  dramatUehe  KutuU 


20 


tchiedeiie  Erscheinungsweisen  der  einen  Chrundanschan- 
nng,  welche  in  den  Namen  zweier  Shakespeareschen 
Lustspiele  selbst  höchst  symbolbch  ausgedrückt  ist: 
WoM  ihr  wotttj  und  fVie  es  euch  gefallt.  Diese  Ti- 
tel sind  gleichsam  die  symbolische  Abbreviatur  für  diese 
gesammte  Gattung.  Die  heitere  Lust  der  Willkühr, 
das  bunte  Leben  des  Zufalls,  das  scheinbar  gesetzlose 
Dasehi,  welches  sich  ohne  je  den  Erfolg  zu  berechnen, 
ohne  je  sich  einen  äufsern  Zweck  zu  setzen,  in  unge- 
störter Sorglosigkeit  forttreibt»  sind,  wie  das  allen  die* 
9e\k  Schöpfungen  nothwendig  innewohnende  Element 
des  Phantastischen ,  die  Gjrundzüge  der  meisten  Shake- 
speareschen Komödien.  Ja  der  Name  enthält,  weil  er 
nur  die  eine  Seite,  die  der  bunten  WUlkühr  und  Zu- 
fälligkeit ausdrückt,  die  Ironie  ih  sich  selber;  denn  die 
Komödie  zeigt  uns  vielmehr  die  Umkehrung  des  Was 
ihr  wollt,  und  Wie  es  euch  gefällt;  indem  sie  die  Will^ 
kühr  aufliebt  und  die  zufällige  Lust  in  Ernst  verwandelt. 

Aber  der  Verf.  mischt  in  diese,  noch  durch  man- 
che höchst  geistreiche  Bemerkung  (wie  z.  B.  über  den 
innern  Zusammenhang  des  Phantastischen  mit  dieser  Gat- 
tung der  Komödie  p.  171  u.  s.  f.)  werthvolle  Darstel- 
lung einen  Zug,  der  uns  wie  ein  Fremdling  in  dieser 
Welt  erscheint,  und,  —  betrachtet  man  ihn  genauer  — 
eigentlich  sich  wie  ein  Spiefsbürger  in  die  Region  von 
Feen  und  JBlfen  eingeschlichen  hat.  Wir  meinen  damit 
die  auch  schon  der  Auffassung  der  Tragödie  nicht  ganz 
fremde  Einmischung  des  sogenannten  moralischen  Stand- 
punkts, wonach  in  dem  phantastischen  Lustspiel  die 
Individuen  am  Schlufs  als  geheuert  erscheinen  sollen, 
und  diese  Komödie  auch  noch  eine  moralische  Korrek- 
tion derselben  zu  bewirken  hat  „Man  wird**,  heifst  es 
p.  169,  „in  allen  .Shakespeareschen  Komödien  finden, 
dafs  die  handelnden  Personen  durch  die  komische  Pa- 
ralyse ihres  verkehrten  WoUens  und  Thuns  zugleich 
gebessert  werden.''  Dies  macht  vielmehr  den  absolu- 
ten Unterschied  der  phantastischen  Komödie  von  dem 
sogenannten  Intriguenlustspiel  aus,  wie  es  zunächst  in 
der  neuen  Komödie  der  Grieclien  erschienen,  dann  von 
den  Römern  aufgenommen,  und  mit  völliger  Selbststän- 
digkeit und  nationalem  Gepräge  von  den  Franzosen, 
besonders  durch  Möllere,  wiedergeboren  worden  ist. 
Hier  wird  allerdings  eine  verkehrte  Richtung  des  Indi- 
viduums, eine  Schwäche  oder  ein  Aberwitz,  der  sich 
selbst  bis  zur  Verletzung  substanzieHer  Verhältnisse  stei- 
gern kann,   durch  den  Verlauf  der  Komödie  vernichtet 


und  am  Individuum  ab||earbeitet;  Da  erfShrt  das  Indi- 
viduum, indem  es  aus  allen  Schanzen  seiner  Verkehrt- 
heit hinausgetrieben  wird,  das  Grundlose,  Nichtige  sei* 
ner  Richtung,  indem  es,  wo  möglich,  durch  seine  eige- 
nen Waffen  bekämpft  und  zum  Bekenntnifii  seiner 
Ohnmacht  gendthigt  wird.  In  dieser  Gattung  gehn  die 
Individuen,  an  denen  der  Dichter  eine  solche  Einseitig- 
keit und  Verkehrtheit  offenbaren  wollte,  gerrinigt  und 
gebessert  aus  der  Komödie  hervor,  welche  daher  imm^r 
einen  Sieg  der  Idee  enthüllt  Das  vollendetste  Meister» 
werk  dieser  durch  Spanier  und  Franzosen  so  reich  an- 
gebauten  Gattung  erkennen  wir  in  Donna  Diana  von 
Moreto,  wo  der  Dichter,  vermittelst  der  bewunderungs- 
würdigsten Komposition,  die  verkehrte  Richtung  der 
Heldin,  ihren,  gegen  die  ewigen  Naturgesetze  behaup- 
teten und  daher  in  sich  selbst  unhaltbaren  Stolz,  der 
in  der  Liebe  eine,  eines  freien  weiblichen  Geistes  un- 
würdige Knechtschaft  erblickt,  durch  ihre  eigenen  War- 
fen vernichtet,  und  indem  er  sich  ganz  in  den  Umicreis 
der  vermeinten  Stärke  der  Heldin  stellt,  sie  endlich,  die 
durch  alle  Stufen  der  Peinigung  hindurchgeführte,  zum 
Bekenntnifs  ihres  ohnn^ächtigen  VVoUens  nöthigt  Hie- 
her gehört  ferner  Lessings  Minna  von  Bamhelm  und 
unter  den  Shakespeareschen  Lustspielen  vorzug^weiM 
die  gezähmte  böse  Sieben. 

Von  dieser  Gattung  gilt  also  allerdings,  dais  die 
Individuen  wirklich  aus  den^  Gange  der  Komödie  ge» 
läutert  und  sittlich  gebessert  hervorgehn.  Dies  ist  aber 
bei  dem  phantastischen  Lustspiel,  —  man  vergönne  uns 
diesen  Namen,  als  eine  Abbreviatur  für  die  besprochene 
Gattung  — ,  durchaus  nicht  der  Fall.  Ja,  es  würde 
das  Wesen  dieser  Kunstgattung  selbst  zerstören.  Der 
Zufall  und  die  Willkühr  erscheinen,  wie  Aex  Vf.  selbst 
an  einem  andern  Ort^  sagt,  hier  als  das  objeotiuePrin^ 
dp  der  Entwickelung,  d.  h.  sie  beherrschen  scheinbar 
diese  ganze  Welt.  In  dieser  Schöpfung  sind  eigent- 
lich die  verkehrten  Lebensrichtungen  der  einzelnen  In- 
dividuen gar  nicht  so  zu  Hause;  denn  Alles  ist  von 
der  Willkühr  und  Gesetzlosigkeit  durchzogen,  die  grade^ 
indem  sie  sich  in  sich  selbst  aufhebt  und  parodirt,  dier 
innere  Gesetzmäfsigkeit  ans  Licht  zieht  Die  Indivi- 
duen sind  gleichsam  nur  die  Organe,  durch  welche  un- 
bewufst  das  Vernünftige  zu  Stande  kommt,  während  sie 
in  ungetrübter  Lust,  in  harmlosester  Heiterkeit  verhar- 
ren, und  der  Zerstörung  ihrek*  nächsten  Zwecke  auch 
ziemlich  gelassen  entgegen  sehn;    denn  den  Abgrund 


m 


Mter  &knkeMffeare^9  dramatUeke  Kun9t. 


ist 


ihrer  8«ale  berOhrt  üe^  nie.  Biese  Gestalten ,  welehe 
mehr  die  ellgtniein  mensehliehe  Gebreehliehkeit  surAn^ 
eehauung  bringen,  als  sie  dieselbe  auf  den  Punkt  einer 
einsigeu  sie  ausschlielslieh  beherrschenden  verkehrten 
RicbUing  eoncentriren,  gehn  daher  auch  eigentlich  nicht 
in  steh,  und  werden  sich  auch  gar  nicht  ihrer  beson- 
dem  Unangemessenheit  zvl  dem,  was  sie  sein  sollen, 
liewnlftt.  Dies  brächte  vielmehr  etwas  Moroses  in  diese 
iingehenmite  Lust.  Der  Hr.  Verf.  wurde  auch  grofse 
Mühe  haben,  wenn  er  Ernst  machen  wollte,  die  sittli» 
che  Besserung  der  komischen  Individuen  dieser  Gat« 
tmig  der  Komödie  nachsuweisen ;  je  phantastischer  das 
Lustspiel,  desto  mehr  wörde  sich  ihm  die  Unhaltbar- 
Iccit  seiner  Ansicht  darstellen. 

Ref.  hat  noch  einen  zweiten  Punkt  eu  berühren, 
wobei  indessen  mehr  nur  eine  Ergänzung  des  vom  Yf. 
Gegebenen  angedeutet,  als  eine  Opposition  gefuhrt  wer- 
den solL  Hr.  Dr.  Ulrici  setzt,  wie  wir  gesehn j  das 
Wesen  der  komischen  Wehanschauung  Shakespeare's 
darin,  dafs  das  ganze  menschliche  Leben  durch  sie  als 
eine  Welt  der  Widersprüche  und  Ungereimtheiten  auf- 
gefafsf  werde,  welche  sich  aber  zugleich  aufheben  und 
«o,  durch  das  waltende  Princip  der  göttlichen  Liebe  auf- 
{gelost,  sich  in  ihr  Gegentheil  verkehren.  Ucberall  ist  es, 
nach  dem  Verf ,  die  göttliche  Liebe,  welche,  durch  die 
Vernichtung  hindurch,  vermittelst  derselben  das  mensch- 
liche Leben  zum  wahren  Heile  zu  fuhren  sucht.  Dies 
ist  auch  unsere  Auffassung ;  aber  wir  gehn  noch  einen 
Schritt  weiter.  Die  Verkehrtheiten  und  Ungereimthei- 
ten heben  sich  nicht  nur  gegenseitig  auf  und  bilden 
dadurch  eine  göttliche  Weltordnung  ab,  in  der  das 
Hechte  auch  durch  die  Thorheit  und  Willkühr  hindurch- 
bricht; es  ist  die  Shakespeare*sche  Komödie  nicht  nur 
die  Dialektik  dieser  Widerspriiche ,  sondern  sie  geht 
auch  bb  8U  der  Vernichtung  der  Parodie  selbst  fort. 
Wenn  einerseits  die  Schwäche  der  menschlichen  Natur 
durch  ein  anderes  ihr  zur  Seite  gestelltes  Verhältnifs 
parodirt  wird,  so  ist  zugleich  in  dem  parodirenden  Ele- 
mente das  Wesentliche  aufbewahrt ;  oder  die  scheinbare 
Auflösung  irgend  eines  Lebensverhältnisses,  welches  in 
seiner  Verkehrtheit  durch  ein  anderes,  wie  seine  Kar- 
rikatur  auftretendes  Verhältnifs,  vernichtet  wird,  ent- 
hält zugleicli  auch  noch  die  Grundzuge  unserer  höheren 
Natur.  Diese  werden  gleichsam  noch  aus  der  umge- 
kehrten Handschrift  herausgelesen.  Auf  diese  Weise 
bringen  nicht  nur  die  sich  gegenseitig  aufhebenden  Un- 


gereimtheiten durch  die  in  dieser  Vemiehtung  wal- 
tende göttliche  Liebe  die  sittliche  Weltordnung  hervor, 
sondern  in  der  Parodie  selbst  ist  auch  schon,  so  zu  sa« 
gen^  ihre  eigene  Vcrpichtung  enthalten,  da  aus  ihr 
zugleich  auch  der  Ernst  hervorleuchtet,  indem  sie  auch 
eine  substanzielle  Seite  imserer  menschlichen  Natur  auf- 
bewahrt bat.  Dadurch  parodirt  sich  gleichsam  die  Pa* 
rodie  selbst  und  stellt  das  Wesentliche  und  Wahrhafte 
unserer  göttlichen  Natur  auch  wieder' her.  Das  vor* 
spottete,  verkehrte  Ideale  scheint  mithin  in  dieser  Ver- 
kehrung selbst  noch  in  seiner  substanziellen  Bedeutung, 
in  seinem  absoluten  Werthe  hindurch.  Die  gottliche 
Liebe,  welche  der  Verf.  als  das  Agens  in  der  Shake- 
speare'schen  Komödie  amsieht,  ist  daher  nicht  nur  da- 
durch der  thätige  Werkmeister,  dafs  sie  sich  in  der 
Lust 'der  Vernichtung  geniefst  und  vermittelst  derselben 
das  Wahre  in  uns  i^ufbaut,  sondern  dafs  sie  zugleich 
in  der  Abirrung  selbst,  in  der  Verkehrtheit  und  Thor- 
heit '  auch  noch  die  Grundzuge-  unserer  göttlichen  d.  h. 
durch  die  ewige  Liebe  uns  zugetheiltcn  Natur  hindurch« 
scheinen  läfst,  und  so  auch  die  Thorheit,  Verkehrtheit 
und  Albernheit  gleichsam  dadurch  aufhebt,  dafs  wir  inne 
werden,  wie  in  atler  dieser  Nichtigkeit  auch  das  Posi- 
tive enthalten,  auch  in  dieser  Verkehrtheit  noch  ein 
wesentliches  Element  aufbewahrt  ist  Darin  liegt  die 
unendliche  Lust  und  die  Heiterkeit  des  Gemuths,  wie 
zugleich  auch  das.  Ruhrende,  dafs  wir  in  aller  Thor- 
heit, in  aller  Lächerlichkeit  doch  eine  über  das  Endli- 
che weit  hinausgehende  Macht  erblicken,  durch  welche 
auch  das  scheinbar  Sinnlose  mit  dem  Vernünftigen  ver- 
knöpft ist.  In  diesem  §inne  erfahren  wir  auch  in  der 
Shakespeare'schen  Komiidie  diese  heilsame  DemQthi- 
gung,  selbst  in  dem  von  uns  vornehm  nur  für  Thorheit 
und  Aberwitz  Ausgegebenem  doch  eine  Verwandtschaft 
mit  unserer  idealen  Natur  erblicken  zu  müssen..  Des- 
halb bleibt  jedoch  nichts  desto  weniger  auch  die  Shake- 
speare'sche  Komödie  die  Auflösung  der  Ungereimtheiten  ' 
und  Widerspröcfie ,  wie  sie  der  Hr.  Verf.  dargestellt 
und  in  den  einzelnen  Werken  nachgewiesen  hat. 

Zum  nähern  Verstandnifs  unserer  Anschauung  wol» 
len  wir  noch  dieselbe  an  einer  bestimmten  Komödie 
Shakespeare's  mit  Wenigem  andeuten ;  wobei  sieh  denn 
auch,  der  Unterschied  und  die  Erweiterung  unserer 
Auffassung  gegen  die  des  Verfs.  herausstellen  wird. 
Wir  wählen  den  Sommernachtstrown.  Der  Verf.  be- 
zeichnet ihn  als  eine  phantastische  Schöpfung,  der  man, 


23 


Vlriciy  über  SAaketpeare'*»  dramatüehe  Kun^t. 


24 


'  nach  dem  ersten  Eindrucke«  allen  tiefem  Sinn  abspre- 
chen möchte.  Mit  Riecht  erkennt  aber  derselbe  die 
komische  Weltanschauung  als  die  Ader  dieser  wunder* 
baren  Kom5die  an.  ,,Sie  spricht  sich  i^ier  ohne  allen 
He\A  aufs  deutlichste  und  prägnanteste  aus,  sofern  nicht 
nur  im  Einzelnen  die  tollsten  Neckereien   des  Zufalls, 

,  wie  menschliche' Willknhr,  Narrheit  und  Verkehrtheit 
sieh  gegenseitig  aufheben,  sondern  auch  die  aligemei- 
nen Hauptrichtungen  und  Hauptgebiete  des  menschli- 
t^hen  Lebens  in  heiterer  Ironie  sich  gegenseitig  parodi- 
r-en  und  paraljsiren.**  Der  Hr.  Verf.  weist  dies  in  den 
einzelnen  Kreisen  nach.  Hier  beginnt  nun  ^nser  Dif- 
ferenzpunkt, den  wir  im  Obigen  anzudeuten  versucht 
haben.  Der  Verf.  erblickt  nämlich  in  der  Paralyse, 
oder  in  den  parodirenden  Elementen  nur  die  Parodie, 
nicht  aber  auch  zugleich  die  Aufhebung  derselben,  in- 
dem, wie  >¥ir  uns  ausdruckten,  auch  selbst  in  dem  pa- 
rodirenden Elemente  das  ideale  Moment  noch  aufbe- 
wahrt ist,  und  nur  aus  der   umgekehrten  Handschrift 


Aber  wir  dGrfen  in  diesen  Naturen  nicht  nur  dto  pro- 
saische Gemeinheit«  erblteken.  Selbst  in  der  rohen 
Weise,  in  de>r  sie  die  Poesie  hanidhaben,  in  der  plum* 
peh  Darstellung  ihres  Gegenstandes,  durch  welche  der- 
selbe  freilich  sogleich  in  die  niedrigste  Sphäre  herab- 
gezogen wird,  erblicken  wir  dennoch  die  wesentlichen 
Zuge  unserer  idealen  Natur«  Denn  es  ist  eine  und  die- 
selbe Macht  der  Phantasie,  welche  diese  täppischen  Ga- 
sellen aus  der  drückenden  Enge  des  Werkeltagslebens, 
aus  der  mühseligen  Arbeit,  die  ihnen  das  tägliche  Brod 
erwirbt,  hinaustreibt  in  eine  Region,  wo  sie  sich  von 
der  Noth  des  gemeinen  Lebens  entlastet  fühlen.  Es 
kommt  zwar  diese  Sehnsucht  nach  einer  andern,  ober 
das  endlichste  und  gemeinste  Bedürfnifs  erhabenen  Be- 
friedigung in  roher  und  plumper  Gestalt  zur  Erschei- 
nung; aber  nichts  destoweniger  ist  doch  das  Treibende 
auch  in  dieser  verzerrten  Form^  in  dieser  Mifshandlung, 
welche  die  Poesie  unter  den  Händen  dieser  Handwer- 
ker erfährt,  immer  der  ideale  nach  einem  Genufs  in  dem 


gelesen  werden  mufs.    ISirgends  tritt  dies  greller  her-    .Reiche  der  Phantasie  lechzende  Sinn.    Dieser  Trieb  ist 


vor,  als  in  der  dem  idealen  Theile  unserer  Komödie 
parallellaufenden  Darstellung  der  rohen  täppischen  Ge- 
sellen, von  deren  groben  und  ungeschickten  Händen 
das  zarte  Saitenspiel  der  Poesie  gar  erbärmlich  geband- 
habt  wird,  ja  welche  überhaupt  wie  die  ärgste  Ironie 
auf  das  luftige  Elfenreich  und  die  idealen  Gestalten 
der  Komödie  erscheinen.  Diese  Rollen  erfüllen  sie  aller- 
dings  auch  vollständig.  Der  Verf.  sagt  p.  29.  ,Jn  der 
Bande  von  Zimmerleuten,  Schreinern,  Webern,  Kessel- 
flickern und  Schneidern  ist  im  Gegensatz  zu  jener  ho- 
hen die  niedrigste,  gemeinste  Region  des  Lebens,  die 
volle  Prosa  der  Alltäglichkeit  dargestellt.  Aber  auch 
diese,  statt  in  ihrer  prosaischen  Gemeinheit,  in  der  sie 
ihren  guten  Sinn  und  ihre  Berechtigung  hat,  zu  blei- 
ben, schraubt  sich  vielmehr  hinauf  in  das  Gebiet  der 
tragischen  Poesie,  und  zeigt  sich  damit  nicht  nur  selbst 
in  ihrer  ganzen  Blöfse  und  Inhaltslosigkeit,  parodirt 
nicht  nur  sich  selbst,  sondern  zugleich  die.  tiefe,  tragi- 
sche und  heroische  Seite  des  Lebens."  Dies  scheint 
uns,  nach  dem  oben  von  uns  Entwickelten,  nur  einsei- 
tig wahr.  Allerdings  bilden  die  rohen,  täppischen  Ge- 
sellen einen  schneidenden  Kontrast  sowohl  zu  der  ho- 
hen  Region  des  Lebens,  wie  zu  der  tragischen  Poesie, 
die  sie  auf  das  grausamste  mifshandeln   und  parodiren.- 


die  geheime  Gewalt,  der  wahre  eigentliche  Impuls  ihres 
ganzen  Thuns.  So  hebt  sich  die  Parodie  selOl^t  auf, 
weil  wir  selbst  in  dieser  Verkehrtheit  noch  Züge  er- 
blicken, die  wir  als"  verwandt  mit  unserer  idealen  Na- 
tur anerkennen  müssen.  Darum  mischt  sich  auch  In 
das  Spiel  dieser  rohen  Gesellen,  inmitten  des  Ergötzens 
über  die  plumpe  Wahrheit  und  Unbehülflichkeit,  doch 
eine  gewisse  Rührung,  weil  wir  uns  den  Trieb  und  die 
Sehnsucht  nach  einer  idealen  Lust  und  Heiterkeit  hier 
nicht  verläuguen  können,  ja  weil  eigentlich  dies  Spiel, 
welches  zunächst  nur  eine  Ironie  aCif  alle  Poesie  zu 
sein  scheint,  dodi  aus  dem  tiefsten  Abgrunde  unserer 
übersinnlichen  Natur  entsprungen  ist.  Darum  wird  auch 
am  Schlufs  unserer  Komödie  ihr  Muhen  freundlich  auf- 
genommen, denn  auch  sie  haben  das  Beste  dargebraeht, 
was  in  ihren  Kräften  stand.  So  aufgefafst  gehören  sie 
aber  unserer  Komödie  recht  innerlich  an ;  denn  sie  sind 
durch  das  gemeinsame,  alle  Gestalten  umschlingende 
Band  der  freien  luftigen  Phantasie  mit  den  übrigen  Ele- 
menten, die  sie  parodiren,  selbst  wieder  verknüpft.  Wir 
haben  an  diesem  Beispiel  das  an  mehreren  Komödien 
Shakespeare's  nachweisbare  Moment  der  sich  selbst  auf- 
hebenden Parodie  anzudeuten  versucht,  nur  um  das  oben 
im  Allgemeinen  Ausgesprochene  ganz  klar  zu  machen. 


(Der  Beschlufs    folgt.) 


wissen 


Jahrbücher 

für 

s  eh  ä  f  1 1  i  che 


Kritik 


Januar  1840« 


lieber  Shakespeare's  dramatische  Kunst  und  sein 
Verhültnifs  zu  Caldergn  und  Goethe.  Von 
Dv*  Herrmann  Ulrici. 

(Sehlufs.) 
Der  Raum   gestattet  uns  auch  leider  bei  den  Ko- 
mödien nicht,    den  Auffassungen    der   Grundgedanken 
nachzügehn,  denen  wir  übrigens  gröfstentbeib  beistim- 
men,  und  die  wir  oft   höchst  geistreich  und  schlagend 
finden.    Für  den  vorzüglichsten  Theil  des  Buchs  möch- 
ten .vir  indessen  die  Nachweisung  des  inneren  Zusam- 
menhanges   des    Cyclus    der    historischen    Schauspiele 
Shakespeare's   halten.     Der  Yerf.    behandelt   sie   mit 
Ueclu  wie  eine  grorse,  die  Weltgeschichte   auf  diesem 
Punkte  abspiegelnde  Poesie.     Wir  können   aus  dieser 
gesclüossenen  Darstellung  Michts  Einzelnes  herausheben 
und  drücken  nur  unsere  innigste  Freude  darüber  aus, 
däfs  wir  des  Ilrn.  Yerfs.  Anschauungen  hier  durchgän- 
gig theilen  können..  Ja  wir.  haben   namentlich  in  der 
Darstellung  der  drei  Theile  Heinrich  des  sechsten  und 
Richard  des.  dritten  unsere  aus  vielfacher  Beschäftigung 
taiit    diesen    Werken    gewonnenen   Resultate  bei    dem 
Hm.  Verf.   auf  eine  überraschende  Weise  ausgespro- 
chen und  dargelegt  gefunden.     Uns  bleibt  hier  nichts 
als  dieTerweisung  auf  diese  Abschnitte  des  Buches  selbst 
Eüie  nicht  geringere  Freude  ward  uns,  als  wir  am 
Schlüsse  des  Abschnitts  über  Shakespeare,  der  die  an- 
gezweifejten  Dramen   des  Dichters  umfafst,  namentlich 
rücksichtlich  Eduards  III.  unsere^  aus  dem  ersten  Ein- 
druck uns  sogleich  gewordene,  und  bei  oft  wiederhol- 
tem Lesen,  imm^r  von  neuem  bestätigte  Ueberzeugung^ 
hier  sei  uns  ein  achtes  Shakespearo'sphes  Stück  der 
vortrefflichsten  Art  geboten,  so  kräftig  und  eindringlich 
-    durch  den  Hrn.  Yerf.  ausgesprochen  fanden.     Leider 
hat  diese  aufserordentliche  Schöpfung  bisjetzt  noch  nicht 
diejenige  Aufmerksamkeit  erregt,   die  man  bei  einem 
Werke,'  das  sich  so  entschieden  als  ein  Produkt  Shake- 
speare's  ankündigt,  wohl  unbedingt  hätte  erwarten  dür- 

Jahrb,  y,  winemch,  Krilik,   /.^1840.    I.  Bd. 


fen.  Möchte  der  Yf.  durch  seine  Auffassung  mit  dazu 
beigetragen  haben,  das  Publikum  auf  dieses  schöpe 
historische  Drama  hinzuführen  und  die  Tbcilnahme  da- 
für zu  vermehlren.  .  Nicht  ganz  aber  können  wir  in  das 
herabsetzende  Urtheil  einstimmen,  das  Hr.  Dr.  Ulrici 
über  den  Londoner  verlornen  Sohn  fällt,  den  er  j$hake- 
speare  abspricht.  Wir  halten  ihn  freilich  auch  nur  mehr 
für  einen  Entwurf,  und  daher  die  Situationen  und  Cha- 
raktere  in  manchen  Beziehungen  dicht  genugsam  moti>* 
virt;  aber  derselbe  birgt  auch  zugleich  wieder  Züge 
der  tiefsten  Art,  welche  Shakespeare's  durchaus  wür- 
dig sind..  Der  R^um  verbietet  uns  freilich  diese  hier 
näher  herauszuhebeu,  indessen  werden  wir  unsere  An- 
sicht an  einem  andern  Orte  bald  ausführlicher  rechtfer- 
tigep,  und  es  sollte  uns  eine  nicht  geringe  Genugthuung 
seio,  auch  den  Hrn.  Yerf.  von  diesen  Meisterzügen  zu 
überzeugen.  Uebrigens  haben  wi^  dabei  Lessings  ge- 
wichtige Autorität,  der  das  Werk  gern  auf  die  Bühne 
gebracht  wissen  wolhe,  wie  die  A.  W.  Schlegels  fü|r 
uns.    Die  Ansichten  über  die  andern,  dem  Dichter  zu- 

m 

geschriebenen  Werke  theilen  wir  dagegen  durchgängig 
und  bekennen,  überall  einem  feinen  Takte  und  eineip 
sinnvollen  Urlheil  begegnet  zu  sein. 

-  Der  Yerf.  hat  dieselbe  Ausführlichkeit,  welche  er 
Shakespeare  angedeihen  läfst,  nicht  auf  Calderon  er- 
streckt. Indessen  ist  doch  dessen  Weltanschauung  voll- 
ständig dargelegt.  Der  Yerf.  geht  davon  aus,  dafs  der 
katholische  Geist  nicht  nur  die  religiöse  Grundlage, 
sondern  selbst  ein  unmittelbar  wirksames  Lebenselemeat 
der  Calderonschen  Poesie  bildet  p.  509  u.  s.  f.  Daher 
erscheint  bei  Calderon  die  Kirche  und  Religiou,  ganjs 
dem  katholischen  Standpunkte  gemäfs,  als  eine  durch- 
aus objektive  äufsere  Macht,  welche  der  subjektiven  Per- 
sönlichkeit gegenübersteht,  nicht  innerlich  aus  und  mit 
ihr  wirkt.  Diese  Macht  ist  die  in  der  Welt  sich  offen- 
barende Thätigkeit  Gottes  und  seiner  Gnade,  der  gegen- 
über der  Miensch  keine  Selbstständigkeit,  ja  auch  eigent- 


27 


ÜMciy  über  &hakeip9ar&$  dramaUtehe  Kumt. 


lieh  keioe  Freiheit  hat  Dies  ist  eine  Grundansdiauang 
Calderoni,  die  sich  nirgends  grandioser  abspiegelt  ab 
in  der  Andacht  zum  Kreuz,  wo  die  Rettung  nur  ak 
einlf  ättfsere,  durch  Wunder  und  Zeichen  an  den  Men-' 
vohen  gelangende  aiiftriU.  Es  ist  nicht  tu.  läagn«n,  dafs 
die  Wiederkehr  dieser  Tendenzen  eine  gewisse  Einfor* 
migkeit  in  die  spanische  Poesie  und  auch  selbst  in  die 
Calderonsche  Weltanschauung  und  ihre  Gestaltung  hin- 
einbringt,  die  nur  durch  das  eminente  Genie  Calderons, 
seine  unerschöpfliche  Fnlle  der  Phantasie,  seine  immer 
frischquellenden  dichterischen  Anschauungen  sich  leben« 
dig  erhält  und  vor  einem  starren  Mechanismus  ge- 
schützt wird.  Diejenigen  Dramen,  in  denen  der  Held 
durch  die  Allmacht  seines  Glaubens,  also  durch  die  In- 
tensitfit  seiner  mit  der  Handlung  Sjbibst  wachsenden  In* 
nerlichkeit  sich  frei  über  die  irdischen  Drangsale^  em- 
Jvorschwlngt  und  selbst  mit  Freudigkeit  in  den  Tod 
geht,  wie  dies  so  grofsartig  im  standhaften  Prinzen  dar- 
gestellt ist,  sind  verhaltnifsmälsig  die  bei  weitem  selt- 
neren. Aber  sie  beweisen,  wie  der  Vf.  p.  516  sehr  gut 
bemerkt,  wenigstens  ^^dafs  der  Gegensatz  zwischen  der 
göttlichen  Leitung  der  Welt  und  der  menschlichen  Selbst- 
ständigkeit nach  Calderons  Anschauung  keine  absolute  ist" 
In  Rücksicht  der  sittlichen  Principien  Calderons 
hftit  der  Hr.  Yerf.  den  richtigen  Gedanken  fest,  dafs 
sie,  bedingt  durch  den  starren  Katliolicismus ,  wonach 
d)e  sittliche  Qualität  des  Menschen  gegen  die  immer 
wiederkehrende  Demuthigung  unter  die  Kirche  vSllig 
zurücktritt,  auch  ganz  geschieden  von  der  religiösen 
Gesinnung  des  Menschen  erscheinen  können«  Der  Yf. 
weist  dies  ausfuhrlicher  nach  in  dem  Gesetzbuch  der 
national  spanischen  Sittlichkeit,  als  welches  er  mit  Recht  , 
die  Begrifft  der  Ehre  bezeichnet,  welche  zu  einem  eon« 
seqiient  durchgeführten,  den  Einzelnen  gleichsam  unter 
eine  abstrakte  Macht  beugenden  System  ausgearbeitet 
sind.  Der  Hr.  Yerf.  führt  das  daraus  hervorgehende 
Widerstreben  des  einzelnen  Individuums,  dessen  Be- 
wufstsein  selbst  bisweilen  gegen  jenes  System  ankämpft, 
das  aber  doch  dieser  kalten  Nothwendigkeit  sich  nicht 
2u  entwinden  vermag,  als  eine  Folge  dieser  Stellung 
der  Ehre  an,  wofür  er  die  gewichtigen  Worte  aus  dem 
Maler  seiner  Schande  als  schlagenden  Belag  citirt  p.  522. 
Aus  der  ganzen  Weltanschauung  Calderons  ergibt  sich, 
dafs  aus  ihr  weder  eine  so  reine,  in  der  Tiefe  des  Her- 
zens verarbeitete  und  aus  der  Handlung  sich  hervor- 
bringende Yersöhnung,  noch  eine  solche  Mannigfaltig- 


28 

keit  und .  innere  Lejbendigkeh  der  Individualitfiten,  wie 
bei  Shakespeare,  resultiren  könne.  Die  relative  Ein» 
fSrmigkeit  der  Calderonschen  Poesie  gegen  Shakespea- 
re*« unendlichen  Reichthum  in  der  Charakteristik^  wie  in 
der  Kemposilion^  hat  ihren  letzten  Grund  in  der,  durclk 
Um  spanisch  -katholische  Weltanschauung  bedingten,  eltt 
fOr  allemal  fertigen  Objektivität  aller  Mächte  des  Le« 
bens,  welche  den  Individuen  gleichsam  nur  gestatten, 
die  Gefäfse  dieser  an  und  für  sich  festen,  substanziel«- 
len  Gewalten  zu  sein«  Diese  Objektivität  erscheint  in 
der  spanischen  Poesie,  so  zu  sagen,  mehr  wie  eine 
vorausgesetzte,  über  allen  Zweifel  erhabene  Macht,  als 
dafs  sie  sich  aus  der  Handlung  und*  den  Charakteren 
von  selbst  hervorbrächte.  Darum  kann  es  auch  bei  Cal» 
,Jeron  selbst  nicht  zu  einer  solchen  Yertiefung  der  Snb^ 
jektlvitit,  und  also  auch  nicht  zu  einer  solchen  FSBe 
und  Individualisirung  der  Charaktere  kommen,  wie  bei 
Shakespeare,  weil  dieser  ganzen  Weltanschauung  die 
unendliche  Freiheit  und  Spontaneität  der  Persönlichkeit 
nicht  aufgegangen  Ist.  Aus  demselben  Grunde  hat  aucb 
der  Humor^  das  Produkt  der  unendlichen  Freiheit  des 
Gemüths,  hier  keine  Stelle,  weil  der  Mensch  unter  dem 
Drucke  der  Objektivität  gehalten,  sich  noch  nicht  die 
letzte  Yersöhnung  in  sich  selbst  erkämpft  hat,  vermit* 
telst  w*elcher  er  mit  dem  ganzen  Umfange  des  Endli* 
chen  spielt,  und  doch  zugleich  alles  Unendliche  wieder 
auf  ein  Endliches  bezil^ht  und  dadurch  beide  Seiten 
ununterbrochen  miteinander  vermittelt.  Darum  ist  na- 
türlich atich  der  Charakter  der  harmlosen  Lust  und 
jener  schrankenlosen  Heiterkeit,  den  die  Shakespeare*« 
sehen  Komödien  haben,  den  Calderonschen  Komödien 
fremd.  Hr.  Dr.  Ulrici  bemerkt  sehr  gut  (p.  535),  dal« 
man  bei  Calderon  auch  das  phantastische  Lustspiel  im 
engeren  Sinne  nicht  zu  suchen  habe,  „denn  in  ihm  schaflffc 
des  Dichters  Geist  aus  seiner  Individualität  heraus  eine, 
der  Yerkehrtheit  der  handelnden  Personen  entspre* 
chende,  wunderbare,  unwirkliche  Welt,  die  ohne  den 
ächten  sie  belebenden  Humor  in  das  Nichts  einer  eitlen 
Traumerei  aufgehn  wQrdc.  Zu  solcher  Freiheit  der 
schöpferischen  Phantasie  kann  sich  der  an  die  Begriffe 
seiner  Zeit  Qberall  gebundene  Geist  CaMerons  iiieht 
erheben*'* 

In  dem  Calderonschen  £iustspiel  regiert  wesentlich 
der  Zufall ;  er  erscheint  als  das  den  Knoten  schSrzende 
und  lösende  Agens,*  der  die  Plane,  Zwecke  und  Lei- 
denschaften der  Menschen   eben  so  sehr  durchkreuzt 


29 


und  VenSobtigt,  als 
das  Heil  imd  GiSck  für  die  Individuen  werden  läfst. 
Hr.  Dr.  Ulnd  bemerkt  daher  sinDreich  (p.  535),  dafs 
die  mebten  Komödien  CaI4efona  den  Titel:  die  Ver- 
Geklungen  des  Zufalls  fuhren  könnten.  Wir  haben 
oben  in  gleichem  Sinne  in  den  Namen :  Was  ihr  wollt 
und  Wie  es  euch  gefallt ,  den  symbolischen  Ausdruck 
inr  die  Siiake$peare*schen  Komödien  gefunden.  Ja,  diese 
Gegeneinanderstellung  ist  bedeutsamer,  als,  sie  auf  den 
ersten  Augenblick  ersehdnt.  Sie  drückt  nfimlieh  den 
Gegensatz  des  Zu/ulh  und  der  IViUJküAr  aus.  Beide 
beseiehnen  das  in  sich  Upgesetzmäfsige  und  daher  doch 
sich  selbst  Zerstörende.  Die  Wahrheit  des  ^Zufalls 
aber  ist  die  Nothwendigkeit,  die  Wahrheit  der  Will* 
kOhr  ist  die  Freiheit.  Der  Zufall  ist  die  WUlkühr  der 
ob|ekti?en  Welt,  also  einer  dem  Menschen  äufserlichen 
und  Ton  aulsen  an  ihn  kommenden  Macht:  die  Willkühr 
ist  die  Zußilligkeit  des  Denkens  und  Wollens,  mithin 
ein  Produkt  des  Subjekts.  Beide  heben  sich  durch  sich 
aelbit  auf.  Den  Zufall  zerstört,  gleichsam  als  sein  ei^ 
genes  Correktiv,  der  Zufall  und  p/iralysirt  ihn  auf  diese 
W^ebe;  so  entsteht  uns  eine  Welt  innerer  Zweckma«* 
Mgkeit,  worin  die  einzelnen  durch  den  Zufall  hin  und 
hergeworfenen  und  durch  ihn  in  ihren  Planen  durch- 
kreuzten Individuen  ihr  Wohl  gesichert  erblicken  und 
ihre  wahre  Befriedigung  finden.  Die  WiUkiilur  zerstört 
sich  gleichfalls  durch  sich  selbst  und  hebt  sich  an  der 
Zufälligkeit  des  Denkens  und  WoUens  Anderer  auf;  so 
resultirt  eine.  Welt  der  Lust  und  Freiheit,  in  der  sich 
Alle  zuletzt  in  das  Reich  unendlielier  Liebe  aufgenom«> 
Dien  erblicken..  Hi^  wurzelt  mitbin  Alles  in  der  Sub- 
j^tivität;  aus  ihrer  Tiefe  schlagt  jene  Heiterkeit  her- 
aus, welche  in  den  Shakespeare'schen  Komödien  so 
versöhnend  und  wohkhuend  wirkt.  -Also  auch  in  die- 
sem  Gegensätze  des  Zufalls  und  der  Willkühr  spiegelt 
sieh  der  Gegensatz  der  dem  Subjekt  gegenöbertreten^ 
den  Objektivität  des  spanisch -katlioUsehen  Lebens  und 
der  aus  der  freien  Siibjeetivitfit  sich  herausgestaltenden 
Ordnung  der  protestantischen  Welt  ab. 

Sehr  richtig  hat  iet  Hr.  Yerf.  aus  dem  Stand- 
pmikte  Calderons  gefolgert^  dals  auf  diesem  Boden  kein 
eigentlich  historisches  Drama  gedeihen  könne»  sondern 
die  dramatische  Legende  an  dessen  Stelle  trete  (p.  538); 
^„Die  Geschichte,  deren  Wesen  durchauli  Entwickelung 
ist,  widerspricht  jener  äufserlicheu,  fixirten  Objektivität 
des  Katholicismus."    Werden  historische  Stoffe  vonCal« 


^^  ff  ' 

aus  ihrer  Negation  wieder     deren  bebandelt,  so  gestalten  sie  sich  sogleich  in  spa- 


nische Begriffe  so  um,  dafs  sie  sieh  vielmehr  als  Alle- 
gorien spanischer  Anschauungen,  denn  als  der  wirklich 
sich  entfallende^  objektive  Geist  der  Geschichte  darstel- 
len. Die  Unterschiede  der  Shakespeare*scheU  und  Cal- 
deronschen  Poesie  erstrecken  sich  natnrlich  durch  alle 
Aeste  und  Zweige  hindurch,  und  es  bildet  mn  wesent- 
liches Yerdienst  des  Verb.,  diese  Unterschiede,  an  den 
besonderen  Momenten,  der  Komposition,  Charakteristik 
und  Diktion,  nachgewiesen  und  ihre  innere  Ueberein- 
stimmung  mit  den  Grundanschauungen  beider  Jieraus- 
gehoben  zu  haben  p.  544  u.'S.  f.        > 

Der  Universalität  Shakespeare's,  welche  alle  Zei- 
ten und  alle  Völker  umfafst,  —  die  aus  ihrem  uner- 
schöpflichen Born  ununterbrochen  das  allgeilehi  Mensch- 
liche in  den  Situationen  und  Charakteren  heraufbe- 
schwört,  steht  die  Nationalität  Calderons  als  die  feste 
Schranke  seiner  Poesie  gegenüber,  welche,  da  me  an 
der  spanisch -katholischen  Weltanschauung  ihre  Grenze 
hat,  auch  nur  Yerhältnisso  und  Charaktere  dieser  Welt 
SU  gestalten  vermag.  Zum  ToUen  Genüsse  an  der  Poe- 
sie Calderons  mulsten  wir  uns  gewissermalsen  in  Spa- 
nier des  siebsehnten  Jahrhunderts  metamorphosilren,  wäh- 
rend die  Shakespeare*schcn  Schöpfungen  uns  gleichsam 
unserer  besonderen  Nationalität  entbinden^  und  die  ver- 
schiedensten Völker  in  das  gemeinsame  Pantheon  des 
allgemein  Menschlichen  versammeln,  wo  sie  alle  in  der 
Yerehrung  und  Anbetung  des  einen,  über  aUe  nationa« 
len  Besonderheiten  übergreifenden  ehristUcheli  Gottei 
ihre  Geistesverwandtschaft  feiern. 

So  schwer  es  uns  wird,  so  müssen  wir  doch  hier 
von  dem  trefflichen  Buche  des  Hrn.  Dr«  Ulrici  Absehied 
nehmen;  indem  wir  uns  nur  mit  Mühe  enthalten,  ihm 
auch  in  seinen  Betrachtungen  über  Goethe  uhd  dessen 
Verhältniüs  zu  Shakespeare  nachsugehn.  Aber  hier 
würde  uns  auch  die  Darstellung  des  Yerfs.  su  mannig- 
faltigen Ergftnzungen  und  theilwdiser  Gegenrede  nöthU 
gen,  die  unsere  Beurthoilung  weit  über  alles  Maais 
aussndehnen  drohte.  Die  Achtung,  welche  wir  dem 
Hrn.  Verf.  durchgängig  an  den  Tag  gelegt  haben,  mag 
ihm  das  beredteste  Zeugnils  ahlegön ,.  wie  ungmrn  wir 
uns  diese  Selbstbeschränicung  auflegen,  woldie  uns^  den 
.Genufs  raubt,  an  der  Hand  des  vorliegenden  Buchs 
wichtige  Lebensfragen  in  Bezug  auf  Goethe  weiter  zu 
erörtern.  H.  Theod.  Bötscher. 


31 


II. 


Geschichte  der  Halbinsel  Morea  tcährend  des 
Mittelalters  ron  Jac.  Phil.  Fallmerayer, 
iönigl.  Prof.  und  ordentlichem  Mitgliede  der 


FMmerayer^  Oesehiohte  der  Halbinsel  Morea.  32 

Indefs  folgt  sein  Werk  der  chronologuehen  Ordnung; 
der  erste  Theil  führt  die  Schicksale  Griechenlands  vom 
Akerthume  bis  auf  Wilhelm  I.  ViUe-Harduin  berals 
der  2te  Theil  (von  1250—1500)  bis  auf  die  Eroberung 
durch  die  Türken  und  erwShnt  gelegentlich  der  heuern 


Akademie   der    Wissenschaften    in   München.^   Ereignisse.     Zwischen  Erscheinung   des  ersten  (1830) 


Ister  Bd  1830.  432  S.  Vorrede  XIV.  2ter 
Bd.  1836.  455  8.  Vorrede  XL  Dazu  die  Ab- 
handlung:    Welchen  Einßufs    hatte   die  Be- 

m 

Setzung  Oriechentands  durch  die  Slaven  auf 
das  ScM^ksal  der  Stadt  Athen  und  der  Land-- 
Schaft  Attika?  1835.  112  S.  Stuttgart  u.  Tü^ 
hingen^  bei  Cotta. 

Das  hohe  Interesse,  welches  der  Aufstand  der  Grie- 
chen gegen  die  Pforte  erregt  hat,  wurde  in  Deutsch- 
land ohne  Zweifel  bei  einem  grofsen  Theile  des  Publi- 
kums durch  den  rahmvoUen  Namen  des  hellenischen 
Alterthums  geweckt  und  gefordert,  und  man  kann  es 
als  die,  Wirkung  der  hohen  Verehrung  vor  Idassischer 
Bildung  ansehen,  dafs  Hoffnungen  der  Wiedererstehung 
des  alten  Griechenlandes  mit  seiner  Freiheitsliebe,  sei- 
nen. Spielen,  seiner  Kunst  und  Wissenschaft  sich  Ter* 
nehmen  liefsen.  Dabei  wurde  freilich  die  Veränderung 
der  Weltverhfiltnissc  nicht  in  Betracht  gesogen;  über 
dem  Hilferuf  christlich'er  Brüder  und  ihren  heldenmäCsi* 
gen  Anstrengungen  vergafs  man  gern  den  üblen  Ruf 
des  Volkes  und  die  Erfahrungen,  welche  man  an  dem 
handelnden  Theile  desselben  gemacht  hatte.  Nun  aber 
die  Noth  des  Kampfes  überstanden  ist,  die  Wahrheit 
nioht  melv  Föm  Mitleid  gefesselt  wird,  hat  die  Wis- 
senschaft angefangen,  diese  Hoffnungen  näher  zu  be- 
leuchten und  die  Bestandthcile  des  heuligen  griechi- 
schen Volkes  SU  analysiren.  Der  Hr.  Verf.  hat  sich 
das  Verdienst  erworben, -aus  den  Steppen  der  byzanti- 
nischen Literatur  die  Data'  herauszusuchen,  welche  auf 
den  dunklen  Zeitraum  ron  2000  Jahren,  der  die  heuti- 
gen Griechen  Fon  den  alten  Hellenen  trennt,  einige 
Lichtstrahlen  werfen.  Eine  fortlaufende  Geschichte  des 
Volkes  in  dieser  Zeit  lag  nicht  in  seinem  Plane  (1, 349) 
und  durfte  unmöglich  sein  nicht  blofs  wegen  zufälligen 
Mangels  an  Nachrichten,  sondern  weil  ein  Volk  ohne 
geistige  Thätigkeit^aueh  keine  Geschichte  haben  kann. 


und. zweiten  Bandes  (1836)  unternahm  der  Hr.  Vf.  eine 
dreijährige  •  Reise  durch  die  Länder  zu  beiden  Seilen 
des  ägefschcn  Meeres,  was  sehr  geeignet  ist,  das  Ver- 
trauen auf  die  Zuverlafsigkeit  seines  Urtheils  zu  Ver- 
slehren, und  als  erste  Frucht  derselben  erschien  1835 
eine  in  der  k.  bayerschon  Akademie  der  Wissenschaf* 
ten  gelesene  Abhandlung,  in  welcher  die  im  ersten  Bande 
aufgestelhen  Ansichten  über  die  Entstehung  der  heuti- 
gen Hellenen  naher  begründet  wurden.  Mit  den  2  Bän- 
den der  Geschichte  und  dieser  Abhandlung  erklärt  der 
Verf.  seine  Arbeit  für  geschlossen,  in  welcher  es  zu- 
nächst seine  Absicht  war,  den  Glauben  an  ein  unge- 
mischtes, kunstsinniges  Hellenenvolk  zu  zergliedern  und 
den  sanguinischen  Hoffnungen  der  Hellenenfreunde  (er 
bezeichnet  2,  30i  in  der  Anmerkung  mit  Namen,  wen 
er  meint)  -entgegenzutreten.  Refer.,  welcher  als  jünge- 
rer Beobachter  zu  diesem  Streite,  bei  dem  Alle  gelernt 
haben,  hinzutritt,  macht  es  sich  zur  Aufgabe,  die  Re- 
sultate  der  Forschungen  des  Verfs.  zusammenzufassen 
und  wo  möglich  den  wahren  Stand  der  Sache  in  ein 
bestimmteres  Licht  zu  setzen.  Denn  die  Darstellung 
des  Verfs.  bleibt  sich  aus  Vorliebe  f&r  starke  Schatz 
tirungen  nicht  gleich,  manche  seiner  historischen  An« 
sichten  haben  sich  erst  im  Verlaufe  des  Werkes  ge- 
bildet  und  zuweilen  scheinen  selbst  die  Principien  zu 
wechseln.  Z.  B.  liest  man  (1,  9):  „keine  unmorali- 
sche Herrschaft  kann  auf  die  Länge  bestehn**,  und  p.  73 : 
„Roms  Herrschaft  beruhte  auf  Uumoralitüt ;  defswegen 
bat  seine  Macht  auch  länger  gedauert  als  die  Gewalt 
vieler  Könige,  -die  edel  und  menschlich  etc.  gewesen  sind." 
1,  53  sagt  der  Verf.:  „wir  wüfsten  von  den  ältesten 
Zeiten  bis  auf  unsere  Tage  kein  einziges  Beispiel  an- 
zugeben, dafs  Könige  und  Machthaber  in  was  iunner 
tut  einer  Gestalt  Böses  zu  thun  länger  verschoben  hät- 
ten, als  bis  sie  es  nach  Mafsgabe  ihrer  Einsieht  mit  Si- 
cherheit und  Gewinn  thun  zu  können  glaubten  u.  s.  w.*' 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


J  a  h  r  b  ü 


eher 


für 


wissenschaftliche   Kritik. 


r 

Januar  1840« 


Oeschichte  der   Halbinsel  IMLorea  während   des 
Mittelalters  von  Jakob  Phil.  Fallmerayer. 

(Fortsetzung.) 

„Sollte  .jemand  als  Beweis  des  Gegentheils  ^ie  Zeit- 
periode vom  Sturze  Napoleons   bis  zum  Jalir  1828  gel- 
.  tend  machen,  die  Ruhe  des   heftig  erschütterten  Welt- 
theils  der  'Friedensliebe,  der  Uneigennützigkeit,  der  Ge- 
rechtigkeit  und    dem   Tugendgefüble    der    christlichen 
Grofsmächte  zgeigneu,-  so  wollten  wir  die  Träume  emes 
solchen  gutmuthig^n  Schwärmers  mit  der  einzigen  Be- 
merkung widerlegen,   dafs  zwar  die  Fürsten  Eurojia^s 
hl  der. eben:  genannten  Zeitperiode  nicht  durch' Furcht 
vor  einem  thronenzermalmenden  Erohefer  und  Kriegs- 
gOtte  in  den  Schranken  der  Mäüsigvng  festgehalten  und 
wenigstens  unter   sich  selbst  gerecht  zu  sein  gezwun- 
gen waren,  senden  dafs  eine  Macht,  viel  furchtbarer  als 
der  gehamisohte  Phalanx  der  Macedonier,  die  Schwer- 
ter unserer  Könige   in  der  Scheide  hielte  nämlich  das 
Bdwufstsein,  dafs  die  Nationen  durch   unerhörte  Un- * 
glücksfälle,  durch  langes  Leiden  und  Forschen  endlich 
zur  Kenntnifs  der  Natur  und  unzerstörbaren  Tendenz 
Qller  Macht  gekommen  seien^  und  auf  Mittel  sannen, 
wie  sie  ähnlichen  Jammerscenen  fiir  die  Zukunft  vor- 
bauen, und  überhaupt  nach  dea  Bedürfnissen  vernüiif-. 
tiger  Wesen  regiert  werden  könnten.    Diese  Idee  (doch 
,    wohl  die  Constitution)  ist  das  Palladium  der  europäi- 
schen Freiheit,  ist  das  Medusenhaupt,  vor  welchem  die 
aller  n^enschlichen  Gewalt  angeborne  Neigung  zur  Un* 
•  gerechtigkeit  zurückbebt."    Nach  solchen  Explicalionen 
mufs  es  auifallen,  dafs  das  praktische  Resultat  des  Wer- 
kes der  Rath  an  die  jetzigen  Machthaber  in  Griechen- 
land  ist,  zu  regieren  wie  die  Turko  -  Russen,  da  diese 
beiden  Regierungen  doch  gewifs   nicht  als  Beschützer 
des  angegebenen  Palladiums  der   europäischen  Freiheit 
anzusehn  sind.    Ist  es  aber  mit  dieser  Nachahmung  der 
Türken  oder  Russen  ernstlich  gemeint,   so  begreift  sich 
Jahrb.  f.  wi$»en$ch,  Kritik.   J.  1840.  1.  Bd. 


wieder  sehr  schwer,  wie  der  Verf.  überzeugt  sein  kanii, 
dafs  Gott  den  jetzigen  Fürsten  Griechenlands  besonders 
erkohren  habe,  um  die  Welt  mit  dem  Königthume  wie- 
der auszusöhnen,  und  den  Glanz  der  Kronen,  welchen 
unglückliche  Ereignisse  in  Europa  verdunkelt  halten, 
in  seiner  alten  Herrlichkeit  wieder  herzustellen  (A.  11 2). 
So  viel  mag  hinreichen,' um  die  lebhafte,  aber  ungleiche 
und  nicht  immer  haltbare  Farbengebung  des  Werkes 
zu  bezeichnen  ^  im  Terlaufe  der  Berichterstattung  wer- 
den  noch  andre  Punkte  zur  Sprache  kommen,  welche 
in  ähnlichem  Zwielichte  stehen. 

Die  historische  Untersuchung  über  die  Ausrottung 
der  althellenischen  Ra^e  nimmt  folgenden  Gang.    Nach- 
dem bei  Chaeronea   und  MegalopoUs  Hellas  und  der 
Peloponues   ihre  Selbstständigkeit  an  M§cedonien  ver- 
loren hatten,  Macedonien  (seit  198  v.  Ch.)  seine  Schutz- 
herrschaft über  Griechenland  an  Rom  abtreten  muTSste, 
sohlen  die  alte  Zeit  wiederzukehren;  die  Römer  liefsen 
auf  dem  Isthmus  die  Freiheit  verkündigen  und  im  Jubel 
und  in  der  Entzückung  über  das  wiedergewonnene  Klei- 
nod erdrückten  die  Griechen  fast  den  römischen  Feldherm 
Quinct.  Flamininus  mit  Kronen,  Bändern  und  Beifalls- 
bezeugungen  und  gelobten  bei  seinem  Abzüge  (l,  45), 
einig  und   tugendhaft  zu  sein.    Aber  zur  Freiheit  im 
Leben  der  Yölker  gehört  mehr  als  eine  solche  Aufwal- 
lung; die  Griechen  warex^  längst  nicht  mehr  imStandcj 
frei  und  selbstständig  zu  leben;  man   würde  Uhrecht 
thun,  mit  dem  Verf.  (1 ,  73)  die  Römer  zu  beschuldigen, 
dafs  sie  die  Grieclien  unmoralisch  gemacht  haben,  4im 
sie  unterdrücken  zu  können.    Die  Griechen  waren  es 
schon  hinlänglich  und  konnten  nur  noch  durch  Gewalt 
in  Ordnung  gehalten  werden;  ihnen  ist  nichts  anderes 
zu  Theil  geworden,    als  was  sie  verdienten,    seit  sie 
sich    selber  nicht  mehr  zu  regieren   verstanden;   man 
kann  im  Gegentheil  das  Glück  preisen,  welches  ihnen 
unter  römischem  Schutze  noch  einen  schönen  Naclisem- 
mer  literarischer  Blülhe  gewährt  hat;    Wenn  das  Welt- 


35 


Fallmerayer^  6e$ekiehts  der  Balbintel  Morea. 


36 


Interesse  sich  von  einem  Lande  wegwendet,  so  gtebt 
es    kein   Mittel    gegen  Ter5dung  (1,  77);    Residenzen, 
Hauptstädte  werden  zu  verlassenen  Landstädten  und  «so 
sind  Hellas  und  der  Peloponnes  durch  Verfinderung  der 
.  Alittelpünlctle  des  politischen  Lebens  vergessene  Winkel 
des  römischen  Reiches   und   die  Hellenen  zu  Romäern 
geworden.    Freiheit  und  Glaube,  die  Wurzeln  der  Na- 
tionaKtät,  waren  abgefault,  ein  neuer  Glaube  gewinnt 
seK  St.  Paulus  Aufenthalte  in  Griechenland  Anhänger; 
zu  Corinth,  Patras,  Laeedaemon  entstanden  in  den  er* 
sten  3  Jahrhunderten  christliche  Gemeinden.    Ob  ohne 
gewaltsame  Einfuhrung  des  Ghristenthumes  noch  heute 
Christen  und  Zeusanbeter  im  Peloponnes  neben  einan- 
der wohnen  wurden,  ob  es  sich  in  der  That  nur  darum 
handehe,   das  Bild  des  Zeus  und  der  Athene  mit  dem 
BHde  des  Gekreuzigten  und  der  Madonna  glortosa  zu 
T«rtauschen,  ob.  Jultanus,   wenn  er  länger  gelebt  hfttte, 
im  JPeloponnes  gewifs  siegreich  gewesen  sein  würde, 
braucht  nicht  erst  gefragt  zu  werden  —  die  Geschichte 
hat  gesprochen.     Genug,-  dab  im  J.  312  Constantin  und 
Licinius  (1,  112)  den  Christen  gleiche  staatsbürgerliche 
Rechte  mit  den  Heiden   dnräumten,  dafs   Theodosius 
395  heidnischen  Cultus,    olympische   Spiele   und  Zeit- 
rechnung untersagte  (1,  135),   dafs  396  die  arianischen 
Westgothen  unter  Alarich  durch  die  Thermopylen  und 
'üi)er  den  Isthmus  drangen,  Eleusis,  Olympia,  Laeedae- 
mon, Megalopolis  zerstörten  und  dafs  man  das  Jahr  396 
als  den  Zeitpunkt  ansehn  kann,  in  welchem  der  dtfem« 
liehe  CiStterdienst  afuf  der  Halbinsel  untergegangen  ist. 
Aber  nicht  Alarich  hat  durch  Zerstörung  der  Tempel 
die  Lebenswurzel  der  Nation  in  ihrem  innersten  Keime 
getüdtet  (1,  136);  die  Tempel  würden  wie  einst  nach 
Xerxes  Zuge  herrlicher  wieder  aufgef&hrt  worden  sein," 
wenn  der  alte  Glaube   noch   im  Yolke  lebendig  gewe- 
sen wäre.     Dafs  niemand  sie  wieder  aufgebaut  hat,  daCs 
Bie  heidnischen,  Denkmäler  gröfstenthefls  spurlos  vom 
griechischen  Boden   verschwunden  sind,   kommt  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  weit  mehr  auf  den  Glaubens- 
eifer der   christlichen  Einwohner  als   die  Zerstörängs- 
\Vuth  der  Barbaren,  welche  Gold  und  Brod  aber  keine 
Steine  suchten.     Von  diesen  germanischen  Horden,  den 
Westgothen  unter  Alarich,  und  den  Vahdalen,  welche 
iin  J.  467  unter  Genserich  die  Südkiisten  des  Pelopon- 
neses  plünderten,  sind  indefs  keine  Ansiedler  im  Lande 
'  zurückgeblieben.    Die  Stürme  der  Hunnen,   der  Bul- 
garen haben  die  Halbinsel  nicht  erreicht,  aber  seit  dem 


J.  572  sind  zuerst  die  Avaren  mit  SusdaUsehen  SlaTen- 
aus  der  Gegend  von  Moskau  und  Smolensk  eingedrun- 
gen, haben  sich,  jene  in  Messenien,  diese  in  Elia  «ad 
Arcadien  (1,  186}  festgesetzt   und  Slavtnia  heUst  seil» 
dem  durch  mehrere  Jahrhunderte  alles  Land  vom  Istar 
bu  Morea.     Diese*  slavischen  Einwanderangen  faabea 
nach  des  Yerfs.  Ansicht  fortgedauert  bis  auf  das  J.  746 
(1,  209),  wo  nach  einer  verheerenden  Pest  der  ganze 
Peloponnes  mit  slavischer  Bevölkerung  erfüllt  worden 
bt  und   bei   dieser  Gelegenheit  ist  auch  der-Tajgetoi 
mit  den  Melingiotisehen  Slaven  besetzt  worden.    Hier- 
mit schliefst  die  slavische  Einwanderung  und  nach  des 
Yerfs.  früherer  Ansicht  im  ersten  Theil  sind  als  Orte 
mit  griecAück  christlicher  Berdlkerung-  ia  dieser  Z^eit 
noch  übrig:  Patras,  Coqnth  mit  Cenchrae  und  Lechaeum, 
Argos  mit  Nauplion,  Prasiae  (Prasto)  mit  den  14  Ort- 
i»chaftcn  der  Tzakonen,  Monembasia,  Lacedaemov,  Co- 
ron,  Modon,  Arcadia,  also  nur  Küstenorte;  in  der  Mai»' 
notischen   Bergkette    Iftfst  er  neben    |  Siaven  |  alle 
heidnische  Hellenen  (1,  230,  260)   Im  Castmm  Man! 
an  der  Seeküste  bestehen,  welche  erst  im  9ten  Jahrhun- 
dert bekehrt  worden  sind.     Die  slavüöhe  Qevdlkerung 
hat  sich  in  Laconien,  Arcadien,  in  Elia  und  TriphyHea 
(Skorta)  von   der  Neda  (Buzi)  bis  zur  Kamenitza  bei 
Olenos  festgesetzt;  Messenien  würde,  wenn  man  den 
Verf.  beim  Worte  ftimmt,   avaruche  d.  h.  tatarisclm 
Bevölkerung  haben.  DennNavarinosftAvarino  ist  bei  8im 
Avarenstadt.    Aber   bei   Einzelnheiten  der  etymologi- 
schen  Derivationen  halten  wir  uns  nicht  auf,   da  es 
wohl  wenig  Glauben  finden  wird,  wenn  t.  B.  Peribo- 
lia,  Livadia  zu  slavischen  Namen  gemacht  werden  oder 
wenn  die  Mardalten  X^  Maröniten  vom  Libanon)  We- 
gen einer  vielleicht  appellativisch  gebrauchten  Bezeich- 
nung bei  Const.  Porphyrogdn.  aus  Asien  in  den  J^ay- 
getos  versetzt  und  mit  den  althellonischen  Bürgern  im 
Castell  Maina  verbunden  werden,  nur  um  den  Namen 
Mainat  a>  Mardait  zu  erklären.    Es  bleiben  noch  genug 
unzweifelhafte   Anzeichen   slavischer  Einwlrkunjg.     In 
der  Abhandlung  von  1835,  wird  die  Behauptung  über 
die  Ausrottung  des   hellenischen   Stammes    dahin   ver- 
stärkt, dafs  Slaven  von  Bzero  bb  Vostitza,  von  Prasto 
bis  Chlumutzi  wohnten  (96),  dafs  (59)  liberhaupt  keine 
einzige  Ortschaft  des  Peloponneses  unzerstört  geblieben 
ist,  so  dafs  mit  Ausnahme  einiger   berühmten  Namen 
selbst  die  Lage  derselben  bei  Wiederauferrichtung  der 
christlich-byzantinischen  Herrschaft  aus  der  Erinnerung 


37 


Fallmerayer^   OßMchiehte  äer  HaibinMel  Morea* 


88 


iler  Menschen  verschwunden  war,  und  (62)  daCs  als 
alfgriechischer  Ueberrest  nur  äie  Tzakonen  (in  AstroS) 
8t.  Peter,  8t  Johann  l^latanos,  Meligu,  Proastion  (Pra- 
Sto,  nicht  von  Prasiae),  Leonides,  Cyparissia,  RheonlaS| 
Sitanas)  eu  beträcliten  sind.  «—    Inde&  dieser  slavii^che 
Peloponnes  ist  unter  der  Kaiserin  Irene  (1,  216)  durch 
Huren  Feldherrn  Staurakios  783  und  unter  Theodora  840 
(l,  223)  dem  byzjantinlschen  Throne  wieder  unterwor- 
fen worden,  und  suletet ,  sind  ^ie  Stamme  der  Ezeriteu 
an  der  lakonischen  Siidknste  bei  Helos  und  der  Melingi 
in  den  Schluchten  des  Taygetos,  um  Lacedaemon  um  die 
Mitte  lies  lOten  Jahrhunderts  ebenfalls  zinspfltchtig  ge- 
worden (I9  349).     Alle  Slaven  aber  wurden  Christen 
(1,  220.  227),  wurden  Romäer,  und  dieser  Zeit  'verdankt 
das  Neugriechentfaum  seine  Entstehung.    Im  Jahr  1205 
bei  der  Ankunft  der  Lateiner  istaufser  den  Melingi 
am  Pentedactylos  Alles  wieder  griechisch  (1,  269),  nur 
das  Geb:et  dieser  Melingi  faeifst  xa  I'^hxßixa  (1,  238) 
tind  auf  dieses  Gebiet  allein  kann  es  sich  auch  nur  be- 
isiehen,  wenn  Chalcondylas  im  J.  1470  von  Sparta  bis 
Taenaron  (2,  447)  einen  Yolksstamm  erwähnt,  welcher 
in  Sitte  und  Sprache    den   moskowitischcn  Sarmaten 
vollkommen  ähnlich  sei.     Wenn   der  Verf.   vermuthet 
^2,  452),  dafs  noch  heute  im  Pentedactylos  slawisch  ge« 
isprochen   wird,  so   ist  doch  bis  jetzt  nichts  davon  be- 
kannt geworden  und  es  wörde  auch  nichts  weifer  be- 
weisen, als  dafs  von  der  slavischen  Bevölkerung,  wel- 
che man  nicht  ableugnen  kann,  sich  noch   eine  abgo« 
sonderte  Spur  erhahen  habe. 

Der  Beweis,  dafs  |  des  Feloponneses  slavinisirt 
worden  seienv  beruht  auf  den  slavischen  Ortsnamen, 
deren  der  Terf.  (im  5.  Capitel  Th.  1.  und  A  68  pp) 
wohl  über  300  gesan^melt  hat.  Z.  B.  die  Gebirge  Za- 
gora  (Helicon),  Chelm  (Cyllenius),  Malevo  (Pamon), 
die  Orte  Goritza  (Goertz)  bei  Mantinea,  Erakova  und 
TarsoTa  im  Gebirge  auf  der  Grenze  Arkadiens  und 
Achaja*s,  Yostizza  (Aegium);  in  Arkadien  Glogova' 
(Glogau),  Tzelechova  (ZüUichau),  Sopoto  (Zobten); 
Camenitza  (Camenz)  Stadt  und  Bach  bei'  Olenos; 
Chlumutzi  (Chlumecz)  a  Castel  Tomese;  Ptrnatscha 
a  Pamisus;  Krjwitza  zwischen  Coron  und  Modon; 
Yeligosti  (Wolgast)  bei  Londari,  Slavitza  bei  Amydiie, 
ein  andres  Yarsova  bei  Mistra,  Lutzena  (Lätzen)  im 
Taygetos,  Planitza  bei  Argos  u.  s.  W.  Morea  (o  Mo- 
(<«(;)  selbst  ist  ihm  Mor-Iand,  d.  h.  Seeland.    Mit  die- 


sen Slaven  nt,  wie  der  Yerf.  bemerkt  (1,  192),  unge^ 
fähr  in  derselben  Zeit  dieselbe  Veränderung  yorgegan* 
gen  wie  im  östliehen  Deutsehland,   üe  sind    (1,  201) 
dort  in  Deutsehe,  im  Peloponnes  in  Griechen  urage» 
wandelt  worden.  ,  Wiirde  er  aber  die  heutigen  Bran* 
denburger,  Sachsen  aus  dem  Königreich,  NiedersehU« 
sier  u.  s.  w.  darum,   weil  sie  sum  Theil  in  Ortsehaf>< 
ten  mit  slavischen  Namen  wohnen  (z.  B.  Leipzig,  Mei<« 
fsen,  G.orlitz,   Glogau,   Breslau,    ZüUiehau   u.   s.  w.)i 
weil  ihre  Yorfahren   zum  Theil  slavischen  Ursprungs 
sind,  und  selbst  in  Sitte,  Einriehtungen,  Mundart  (l,  249) 
das  slavische  Element  noch  durcfaschimmem  aoU^^^meht 
als  Deutsche  oder  nur  als  eine  scdhlechtere,  unlSUgere  Sor^ 
te  von  Deutschen  im  Yergleich  mit  Sehwaben,  Pranken, 
Niedersachsen  anerkennen  wollen  ?    Das  bildsame,  sla- 
vische Element  hat  sich  in  Giiechenland  noch  weif  ra* 
seh^  der  grieiAisehen  Spraehe  und  Kirche  ergeben, 
mag  nun   eine  griechische  Einwohnerschaft  übrig  ge«' 
blieben  oder  von  den  Byzantinern  erst  wieder  -einge- 
führt  worden  sein,  ulid  man  liat  keine  Naefarieht,  dafs 
auf  offiiem  Lande  eine  alavtsche  Bevölkerung, '  wie  die 
wendische  in  Deutsehland,  sieh  erhalten  habe.  Yen  den 
Hellenen  des  Alterthums  war  so  wenig  wie  von  den 
Römern  der  Kaiserzeit  neues  Leben  zu  erwarten;  fri* 
Bche  Kräfte   mufstea  hinzugeleiteC  werden ;   in  Italien, 
Frankreich,  Spanien  gescliah  die  Mischung  durch  Get- 
mauen,  in  Hellas  durch  Slaven,  und  fiberall  haben  die 
Sieger  bich  der  Sprache  und  dem  Glauben  der  Besieg- 
ten   bequemt.     Mag    die    slavische   Einwanderung   nn 
JMenschenzahl  bei  weitem  die  germanische  fibertroflfen' 
haben,  so  ist  doch  der  geistige  Einflufs  auf  die  Spra- 
che weit  geringer  gewesen,  da  selbst  der  Yf.  nur  die 
hackende  Accentuation,    den  Yerlust  des  spirit.  asper 
und  was  sehr  zwe^elhaft  sein  dürfte,  die  Yorliebe  für 
diminutiva  davon  herleitet.    Das  Neugriecbisclie  ist  im- 
mer noch  dieselbe  Sprache  und -steht   zum  Altgriechi- 
schen nicht  in  dem  Yerhältnifs  wie   das  Italienische^ 
Französische,   Spanische    zum  Lateinischen.     Die   ge- 
mischte Abstammung    würde    auch   die  Griechen   gar 
nicht  hindern,  ein  edles  Yolk  zu  sein ;  die  meisten  Na- ' 
tionen   Europa's   und   die    gefeiertsten   Bürgerschaften 
des  Alterthums  sind   aus   gemischter  Bevölkerung  ent- 
standen, und  der  Adel  der  Yölkerindividualitäten  wird 
wohl  nicht,  in  unvermischter  Reinheit  des  Blutes,  son« 
dern  in  Thaten  und  geistigen  Produktionen  (in  Gesetz, 


39 


FMmeroyetj  GeMcAichte  der  Hal6m*el  Morea. 


40 


Religion,  Kunst  und  Wissenschaft)  £u  suchen   sein« 
Das.Quantum  aber  der  slavischeuEiDwohnerschart  nacli  ^ 
heutigen  Ortsnamen  su  bestimmen,  muGs  als  sehr  inils- 
lieb  erscheinen,  weil  es  danach  leicht  su  gering  ange- 
schlagen werden  könnte ;  denn  wii^  besitzen  keine  roU- 
statkdige  Sammlung  aller  slaTisehen  -  Ortsnaimen,  noch 
weniger  wie  stark  oder  gering  sie  bevölkert  waren,  sie 
sind  sum  Theil  wieder   verschwunden  und  der  byzan* 
tinische  Kanzlei-  und  Kirchenstyl,  unsre  Hauptquelle 
der  griechischen  Geschichte,  hat  stets  die  alten  Namen 
beibehalten.  '  Gewifs  allein  ist  das  Resultat  aus  dieser 
dunklen  Ursprungszeit  des  neugriecliischen  Volkes,  dab 
die  Slaveu  zu  Griechen  geworden  sind;  das  Yerschwin- 
den  der  slavischen  Sprache  beweist  zur  Genüge,   weU 
eher  der   beiden  Volksgeister  hier- der  siegreiche  war; 
ob  physische  Gewalt  von  den  Byzantinern  angewandt 
worden  sei,   um  die'  Slaven  zu  graecisiren,  davon  ist 
noch    nichts    bekannt    geworden;    die    Kirche    allein 
scheint   zu  -einer  so    vollj^ommenen   Umbildung    auch 
nicht  hinreichend ;   denn  in  Servien, '  in  Bosnien,  wo 
der  griechische  Einflufs  geringer  war,  haben  sich/ die 
Slaven- zwar  zur  griechischen  Kirche  bekehrt,  aber  die 
slavische    Sprache   beibehalten.    Man  wird  also  wold 
bis   auf  weiteres  festhaUen    müssen^    dals    eine   durch 
Bildung  überlegene  griechische  Bevölkerung  die  Ein- 
wanderung der  Slaven  überdauert  und  dafs  sie,  durch 
die   byzantinische   Regierung    wieder   zum   physischen 
Uebergewicht  gelangt,  die  Umwandelung  zu  Stande  ge« 
bracht  hat. 

Morea  ist  von  Neuem  byzantinische  Provinz  gewe- 
sen vom  9.  bis  zum  Anfang  des  13.  Jahrhunderts,  ver- 
waltet durch  den  Strategos  zu  Corintli,  die  Küsten- 
städte durch  kaiserliche  Archonten;  im  innem  Lande 
bildete  sich  nach  slavischer  Art  die  Herrschaft  der  Kirs- 
che und  des  Herrenstandes  aus.  Der  Fall  von  Byzan- 
tion  brachte  auch  Morea  ohne  bedeutenden  Wider- 
stand unter  fränkische  Herrschaft  (1205^1383),  erst 
als  Lehn  von  Makedonien,  dann  von  dem  fränkischen 
Kaiserthum  in  Byzanz,  seit  1266  als  Bailat  von  Nea- 
pel; den  ersten  Regenten  aus  der  Familie  Ville  Har- 
düin    waren  sogar    eine  Zeit  lang  der  Megaskyr  von 


Athen,  der  Markgraf  von  Budonltza^  die  zwei  Mark- 
grafen von  Negroponte  und  der  Herzog  von  Naxos  ab 
Hinlersassen  eugetheilt.  Die  Ackerbau  treibende  Klasse 
blieb  in  demselben  Verhältnisse  wie  unter  den  griechi« 
sehen  Imperatoren,  sie  wurde  dureh   gesetzliche  Zusi* 
ch/erung  ungestörten  Gottesdienstes  (1,381)  gewonnen; 
selbst   die  Melingi  ui^d  Mainoteu  ergaben  sich   in  die 
Schutzherrschaft  Wiliielms  H.    und  wurden  durch  die 
3  Festungen  Mlstra,  Mani,  Leutron  (1,  414)  im  Zaume 
gehalten.      Die   lateinischen  Ritter   iheilten  sich  üach 
Malsgabe  ihrer  Macht  in  die  eroberten  Ländereien  und 
verpflichteten  sich  zu  ununterbrochenem  Kriegsdienste; 
nach    dem    Muster   der   Feudalassisen   von   Jerusalem 
(1,  399)   wurde  eine  Listä.   der  Lehnsgiiter  entworfen 
und  unter  diesen  Leluisleuten  spielt  seit  jener  Zeit  der 
Freiherr    von    Karitene    eine    verhängnifsvoUe    Rolle. 
Auch  Templer  und  Johanniter    erwarben  Besitz;    die 
lateinische  Kirche  wurde  mit  \  der  Slaatsgiiter  ausge- 
'stattet,  dem   Erzbischofe   von   Patras,  wurden  Bischöfe 
zu  Olenos  (Andravida),  Koron,  Modoh,  Veligosti,  Ni- 
eil,    Lacedaemon   beigegeben.     Der  fränkische  Hof  xu 
Andravida  und  Glarentza  bietet  eben  kein  erfreuliches 
Schauspiel,  besonders  seitdem  für  die  Auslösung  des  in 
der  Schlacht  von   Serlepe  1259  in  byzantinische   Ge- 
fangenschaft   gerathenen    Wilhelms  II.     Monembasia, 
Mama,  Mistra  an  die  Palaeologen  zurückgegeben  wur- 
de und  ein  beständiger  kleiner  Krieg  zwischen  franki- 
scher  Tapferkeit,  Herrschsucht  der  lateinischen  Kirche 
und   der  List  der  paläologischen  Strategen  in  Mistra, 
welchen  die  griechische  Bevölkerung  im  Geheimen  ge- 
neigt war,  sich  eröffnete.    Und  auch^  in  diesem  Kam- 
pfe haben  die  Griechen  mit  Hülfe  türkischer  und  alba- 
nischer Miethstruppen    wieder  gesiegt,  nur   noch   ein- 
zelne fränkische  'Namen  und  Worte  sind  in   der  neu- 
griechischen Sprache  zurückgeblieben  und  die  Burgrui- 
nen der  Ritter  hängen  noch  heut  als  Palaeocastra    an 
den  Eelsengipfeln,  aber  von  fränkischer,  katalonischer, 
burgundischer  Bevölkerung  ist  nichts  mehr  zu  finden, 
und  die  lateinische  Kirche  hat  dieses  Gebiet  bis   auf 
eine  geringe  Zahl  von  Anhängern  wieder  verloren. 


(Der  Bescblufs  folgt.) 


»  r 


J^  6. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche 


Kritik. 


Januar   1840* 


Geschichte  der  Halbinsel  Moreä   während    de$ 
Mittelalters  «o»  Jacob  PhiL  JFallmerayer, 

(Schlofs.)      . 
Der  Pelopoones  ist  zum  dritten  Mal  bjrzantinisch 
geworden;    seit   1383  hat   der  abendländische   EinfluFs 
aufgehört  und  1430  bt  die  letzte  von  einer  fränkischen 
Familie   besessene  Herrschaft  an    die  Paläologen  ge* 
kommen.     Attica   dagegen  ist  bis   auf   die  Eroberung 
durch  die  Türken  unter  abendländischem  Regiment  ge- 
blieben,   tm  Peloponnes   war    auch   die    byzantinische 
Begierung  (1357  —  80  Manuel  Cantacuzenos  in  Mistra, 
1380  —  1407  Thcodorus  Palaeologus)  in  stetem  Streit 
mit  den  griechischen  Archonten   und    den   fränkischen 
üaronen;  schon  Manuel  hielt  eine  Leibwache  von  Al- 
banesen,  Theodor  (2,  257)  zog  an  10000  derselben  mit 
AVeib  und  Kind  ins  Land,  und  nach  der  grofsen  Pest 
-von  1347  bis  auf  Scanderbegs  Tod  1467  sind  Albanier 
(a   Arnautcn,   Schkypitar,   Illyrier)   in  Elis,   Arcadien 
und  dem  Alpheuslhale  angesiedelt  worden;    zwischen 
1373^82  durch  Nerio  von  Corinth  (2,  261)^  längs  des 
Meerbusens  von  Patras  bis  Phlius,   in  den  Gapilänien 
von  Corinth  und  Megaris;    durch    die  grofse   Gesell- 
schaft im  offnen  Lande  Von  Attica  und  in  Boeotien; 
selbst  die  Inseln  Salamis  (A  49),  Sp ezia,  flydra,  Porös 
sind  von  ihnen  bewohnt.     Sie  bilden  noch  heute  mehr 
als  .die  Hälfte  der  Bevölkerung  in  Hellas  und  dem  Pe- 
loponnes, aber  sie  sind  nicht  als  feindliches   Element 
zu  betrachten ;  die  Zurückgebliebenen  gehören  derselben 
Kirche  an,  sie   lernen  die  griechische  Sprach'e,    nicht 
umgekehrt  die  Griechen  das  Albanesischef  die  albane* 
siehe  Sprache   steht   zu    der   griechichen  ungefähr   in 
demselben  Verhältoifs  wie  das  Wendische  in  der  Lau« 
sitz  oder  das  Polnische  in  Ober -Schlesien   zum  Deut- 
schen, sie  ist  im  Ersterben  begriffeu.    Dies  ist  um  so 
merkwürdiger,  da  die  Schkypitars  im  Ganzen  der  streit- 
barere Theü.sind;   man  kann  dabei  an  das  YerhältniGs 
von  Hellenen  und  Pelasgern  denRen. 
Jahrb.  /.  wikientch,  Kritik.   J.  1840.     1.  Bd. 


Die  Türken  sind  zuerst  in  byzantinischem  Solde 
in  den  Peloponnes  gekommen,  sdt  1397  zum  ersten 
Mal  als  Feinde,  seit  1453  wurden  ihnen  die  Paläologi- 
schen  Fürsten  zinspflichtig  und  Mahomed  suchte  den- 
selben durch  vernünftige  Rathschläge  ihre  Herrschaft 
zu  erhalten.  Aber  die  Griechen  konnten,  sich  unter ' 
einander  nicht  mehr  ertragen;  die  empörten  Amanten 
boten  mit  ihnen  um  die  Wette  den  Türken  Zins  an, 
und  um  dem  Lande  Ruhe  zu  geben,  setzte  Mahomed 
1460  den  Palaeologen  Demetrius  von  Lacedaemon  auf 
Pension  und  der  Bruder  desselben  Thomas  floh  nach  ' 
Italien.  Die  Türken  waren  damals  an  Disciplin,  Recht- 
lichkeit, Tapferkeit  bei  weitem  überlegen.  Statt  des 
Gegensatzes  der  latein.  und  griechischen  Kirche  trat 
nun  eine  Spannung  zwischen  Christenthum  und  Moha- 
fnedanismus  ein;  die  Griechen,  obwohl  der  unterdruckte 
Theil,  sind  doch  durch  ihren  Glauben  zusammengehal- 
ten worden,  ein  Beweis,  welche  erhaltende  Kraft  das 
Christenthum  selbst  in  seiner  Yerderbnifs  in  sich  trägt.  . 
Die  türkische  Herrschaft  ist  zwar  noch  nicht  verwischt^  - 
türkische  und  albanesische  Namen  (1,  315)  haben  zum 
Theil  die  slavischen  verdrängt,  aber  es  giebt  keine  Tür- 
ken mehr  im  Lande.  Noch  weniger  Spuren  hat  die 
Herrschaft  der  Yenetianer  zurückgelassen,  welche  lange 
Zeit  Arges,  Nauplion,  Modon,  Coron,  Navarin  und  von 
1685 — 1714  den  ganzen  Peloponnes  besessen  haben. 
Von  allen  im  Laufe  der  Jahrhunderte  eingedrungenen 
Ankömmlingen,  von  Gothen,  Avaren,  Slaven,  Von  Fran- 
ken aller  Art,  Illyriern,  O^manli's,  Aegyptern,  Juden 
sind  heute,  ein  kleiner  Bestandtheil  von  Wlachen  und 
Zigeunern  in  AetoHen  und  Locris  ausgenommen,  nur 
noch  Griechen  und  Schkypitar»  zu  unterscheiden  und 
auch  diese  sind  im  Identificirungsprozesse  begriffen»  So 
hat  also  das  Griechische  seif  3000, Jahren  unter  fort- 
währenden fremden  Einflüssen  auf  diesem  Boden  sich 
erhalten  und  weiin  man  das  Pelasgische  für  die  helle- 
nische Ursprache  ansiebt,  so  kann  man  noch  ein  vier- 

6 


43 


FMmeraytr^  OeMchiekU  der  Hälbim$el  M&rea. 


44 


tes  Jahrtausend  dazusetzen.  Obwohl  das  Land  in  ver- 
schiedenen Zeiten  Achaja,  Slavinia,  Neufranlcenland 
hiefs  und  heute  nach  des  YerCi.  Meinung  (2,  XXTII) 
Neu -Albanien  heifsen  solke,  so  wird  es  doch  wohl  bei 
dem  Namen  Hellas  sein  Bowe^den  haben. 

So  viel  über  die  Geschichte  des  neugriechischen 
Volkes.  Die  Ansichten  des  Yerfs.  über  den  gegenwär- 
tigen Zustand  desselben,  die  Aussichten  für  die  Zu- 
kunft, welche,  obwohl  sehr  ins  Dunkle  gezeichnet,  doch 
viel  Wahrheit  enthalten,  laiuen  sich  unter  4  Hauptge- 
tichtspunkte  zusammenfassen. 

1}  jjDas  alte  helleniiche  Nationalwesen  üt  gänX" 
lieh  erstorAen;  ee  ist  keine  einzige  Familie^  deren 
Ahnen  nicht  Slaven^  ^rnauten^  Franken^  AmulgO' 
varenoder  gräcisirende  Anatolier  wären  \  taglieh 
treten  die  beiden  Fractionen  der  Slaven  und  ArnaU' 
ten  deutlicher  hervor^  der  Aufstand  war  nicht  hei' 
lenischj  sondern  rein  amautisch  (2,  XXX);  das 
griechische  Volk  ist  als  geistig  todty  als  eine  un- 
gleichartige^ rohe^  brachliegende  Masse  »u  betrach- 
ten (2,  VIIF) ;  Kunst  und  Schönheitssinn  fehlt  ihm 
ganxy  die  Natur  hat  ihm  diese  Gabe  versagt^  ^ 
In  Betreff  der  Abstammung  ist  dem  Verf.  schon  von 
seinen  Gegnern  erwidert  worden ,  dafs  es  durch  seine 
Forschungen  noch  keinesweges  zur  Evidenz  gebracht 
sei,  dafs  nicht  das  althellenische  Element  in  Tzakonien, 
in  der  Maina,  vielleicht  im  nördlichen  Theile  Arcadiens, 
am  Olympus,  auf  einigen  Inseln  sich  erhalten  habe; 
aber  Ref.  sieht  nicht  ein,^  was  für  ein,  anderes  als  etwa 
sprachliches  Interesse  es  haben  kann,  wenn  auch  wirk- 
lich altgriechische  Bauern  aus  Perikles  oder  gar  aus 
Deukalions  Zeit  ganz  unberührt  sich  erhalten  hatten, 
da  ja  die  jetzige  Erhebung  Griechenlands  nicht  vom 
althellenischen  ^  sondern  vom  christlichen  Geiste  und 
allerdings  zum  grofsen  Theile  von  Arnauten  ausgegan- 
gen ist  Was  kann  eine  verkommene,  abgestorbene 
Nationalität  für»  Interesse  erregen,  wenn  sie  auch  noch 
so  grofe  Ahnen  zählt?  Dafs  die  Neugriechen  nicht  die 
unvermischten  Abkömmlii^ge  der  Ahgriechen  sind,  ist 
gewiPs,  aber  dafs  sie  trotz  griechischer  Sprache,  Reli- 
gion, Grund  und  Boden  gar  keine  Griechen  wären, 
dafs  die  griechische  Nationalität  sich  nicht  durch  linun* 
terbroehene  Ueberlieferung  auf  sie^  fortgepflanzt  hätte, 
dagegen  streitet  alle  Erfahrung.  Auch  ist  dem  Terf. 
(A.  111.)  selbst  ein  Zugeständnifs  entschlüpft,  welches 
zur  Vereinigung  füliren  kann.    „Nenne  man  Griechen- 


land immerhin  Hellas  imd  seine  Bewohner  Hellenen- 
Sie  sind' Hellenen  in  der  That,  jedoch  neuerer  Forma* 
tion,  sie  athmen  hellenische  Lüfte  und  die  Sonne  des 
Perikles  glänzt  noch  über  ihren  Häuptern."  —  Als  au* 
fserlich  erkennbarer  Bestandtheil  (ab  Fraction)  ist  die 
slavische   Bevölkerung  nicht  mehr  zu  erkennen,  aber 
allerdings  zeigen,  sich  im  griechischen  Nationaloharak* 
ter,   sei   es  nun   durch   ursprüngliche  Verwandtschafit, 
durch  Einwanderung  oder  ähnliche  politische  Schicksale 
und  Verhältnisse,  mancherlei  Analogien  mit  den  Slaren. 
Dahin  kann  man  rechnen  die  Anst^Uigkeit  und  Sdilaa* 
heit  sich  in  jede  Lage  zu  schicken,  verbunden  mit  Un- 
zurerläfsigkeit  und  Charakterlosigkeit;  die  schmiegsame 
Unterwürfigkeit  gegen  Gewaltige ,  und  Hochmuth  und 
Halsstarrigkeit,  wo  nichts  zu  fürchten  ist    Die  Folge 
davon  ist  grofse  Freiheitslust  und  Abneigung  gegen  frei- 
willigen Gehorsam.    Als  Folge  ihrer  politischen  Ver« 
hältnisse  ist  die  patriarchalische  Gewalt  der  Väter  an- 
zusehen und  in  der  Gerechtigkeitspflege  das  allgemeine 
Vorurtheil,  dafs  der  Kläger  nur  mit  Geschenken  sein 
Recht  finden  zu  können  glaubt.    Wie  bei  den  slavischen 
Nationen  beruht  der  gesellige  Verband  bei  mangelhaf- 
ter Ausbildung  des  Biirgerstandes  vorzüglich  auf  Geist- 
lichkeit und  Primaten,  das  Volk  ist  willenlos :  und  in 
Handhabung  der  Souverainität  haben  die  Griechen  bis- 
her dieselbe  Unmündigkeit  gezeigt,  durch  welche  z.  B. 
Böhmen  und  Polen  um  ihre  Selbstständigkeit  gekom- 
men   sind.    Man  mufs  aber   nicht  vergessen,  dafs  sie 
seit  der  Schlacht  von  Cliaeronea  nicht  aufgehört  haben, 
unter  fremdem  Einflüsse  zu  stehen.     Was  dieses  Volk 
in  Kunst  und  Wissenschaft  zu  leisten  Termag,  ist  wohl 
no^ch  zu  zeitig  zu  entscheiden.    Dergleichen  läfst   sich 
nicht  mit  der  Wünschelruthe  hervorzaubern  oder  wie 
verschüttete  Ruinen  aus  dem  Boden  hervorgraben.    Die 
Jugend  ist  empfänglich, und  lernbegierig  und  wird  noch 
lange  zu  lernen  haben,  ehe  sie  sich  aneignet,  was  Eu- 
ropa ihr  bieten  kann.    Wie  im  ersten  Jahrh.  nach  Chr. 
Apollonius  von  Tyana  klagt,  so  ergreift  noch  heute 
jeden  gebildeten  Europäer  in  Griechenland  das  Gefühl, 
dafs  er  verwildert  (1,  86). 

2)  „Der  Aufstand  ist  nicht  so  fast  durch  ein  Mifs- 
verhältnifs  der  türkischen  Verwaltung  mit  dem  Bildungs- 
grad und  den  socialen  Verhältnissen  der  christlichen 
Unterthanen  Griechenlands,  sondern  wfe  im  Jahr  1770 
hauptsächlich  durch  ein  von  aufsen  angelegtes  Feuer 
entzündet  worden  und  folglich  nicht  ausschlieCsIich  ein 


45 


Fmttimer^jfer^ 


d0r 


M0rHk. 


46 


.  Werk  des  Telkef,  ftondern  zmn  Th«U  auch  der  Frem- 
den" (2,  I).    Diese  Bemerkung  findet  schon  ihre  Ermä« 
fsigung  in  einer   andern  Stelle  (2,  X),   wo  es.heirst: 
9,der  Lebenskem,   durch  welchen  sich  die  Griechen  als 
ein  von  den  Osmanen  abgesonderter  Völkereomplex  er- 
htelten,  lag  nicht  im  Blute,  in  alten  Erinneningeu,  son» 
dern  in  der  Kirche;  als  romSische  Christen  haben  sie 
die  Stürme  überdauert;  das  grofse  Unrecht  der  Türken 
bestand  nicht  in  ihrer  drückenden  Herrschaft,  sondern 
in  ihrem   mohamedanischen  Glaubensbekenntiiifs."    Bei 
Aufregungen   von  aufsen  mufs.man  unterscheiden,  ob 
Brennstoff  im  Innern  vorhanden  war.    In  Europa ,  wo 
die  Wirkungen  der  CivtUsation   fast  immer  gegenseitig 
»ind,  ist  es  schwer  eu  trennen,  was  von  aufsen  oder  in- 
nen kommt  und  Griechenland  hat  offenbar  an  europäi- 
schen Einwirkungen  Antheil  genommen.     Die  geogra- 
Jhische  Schichtung  der  euroj^äischen  Völker  in  3  grofse 
«agen  ist  auch  in  ihrer  historischen  E^ntwickelung  nicht 
tu  verkennen.     Am   frühsten   war  Herrschaft  und  Bil- 
dung, bei  den  romanischen  Yöikem  und   dem  römisch- 
katholischen Glauben,  dann  kamen  die  rein  germanischen 
Yölker  mit  den  evangelischen  Confessionen  ati  die  Reihe, 
im  letzten  Jahriiundert  ist  endlich  auch  der  grofse  sla- 
viscbe  Stamm  griechischer  Kirche  erwacht  und  schon 
zeigt  sich  die  Wirkung  dieses  Geistes  von  Rufslaud  durch 
Moldau,   WaUaciiei,   Servien,  Herzogewina  bis  nach 
Griechenland.    Dieser  Aufschwung  ist  von  gestern  und 
heute,  den  slarisch  griechischen  Nationen    steht   ihre 
Gvöfse  noch  bevor,  und  mian  könnte  grade  darum  die 
Griechen  zu  neuem  Leben  berufen  glauben,  weil  auch 
elavisches  Blut  in  ihren  Adern  ist.  Uebrigens  unterschei- 
det sich  diese  Aufregung  durch  das  vorherrschende  kirch« 
liehe   Element  durchaus  von'  der  poUiischen  Gährung, 
in  welcher  die  romanischen  Völker  begriffen  sind;  die 
Freiheitstheorien  der  wenigen  europäisch  gebildeten  Grie- 
ehen  sind  fler  Yolksmasse  ganz  unverständlich  (2,  XY). 
d)  ,^Ohne   gewalttliätiges   Einschreiten   vermitteln- 
^    der  Mächte  würde  der  Versuch  die  Landesregierung  in 
^Griechenland  zu  ändern,  auch  dieses  Mal  völlig  geschei- 
tert und  die  christliche  Bevölkerung,  die  man  zu  einem 
ihre  Kräfte  weit  übersteigenden  Unternehmen   verleitet 
'haue,  demLoose  überwundener  Aufrühter  nicht  entgan- 
gen sein."     Wer  die  Mittel   des  Widerstandes   an  Ort 
und  Stelle  kennen  gelernt  hat,  wird  auch  zugeben,  dafs 
die  Schwäche  der  bestehenden  Riegieruno:  den  Aufstand 
sehr  begünstigt  hat,  und   dafs  Griechenland  gegen  den 
kraftigeren  ägyptischen  Gegner  nur  durch  das  uiitowarde 
Ereignifs  von  Navarino  oder  die  Theilnahme  der  euro- 
päischen Mächte  erhalten  worden  ist.    Dadurch  ist  ihm 
ein  überraschend  glucklicher  Erfolg  zu  Theil  geworden; 
aber  wenn  es.  seine   IJnabl^ängigkeit  nicht  mit  eigner 
Kraft  •  zu  behaupten  im  Stande  ist ,   so  werden   auch 
heute  die  Homer  nicht  fehlen,  um  es  unter  Obhut  zu 
nehmen. 

4)  In  Betreff  von   Grieohei^ands   Zukunft   spricht 

sicli  der  Yerf.  (A.  1.  u.  112.)  im  Jahre  1835  folgender 

.Mafsen  aus:   „Durch  die  Wiederherstellung  Griechen«. 

lands  als  der  Torfadle  des  Orients  ist  eine  neue  Bühne, 

ein  frisches  Feld  für  unsre  Glückseligkeitslehre  gewon« 


nen,  denn  in  Europa  ist  jener  Brunn  der  Glückselig» 
Jceit,  aus  welchem  —  wie  die  vier  Ströme  aus  dem  Pa^ 
radiese  — -  das  geistige  Leben  in  wundervollen  Kanälen 
zu  allen  Nationen  befruchtend  iiinausfliefst.  König  Otto  L 
ist  wie  ein  zweiter  Cecrops  nach  Athen  gekommen,  um 
die  zerstreuten  und  alles  innem  Zusammenhanges  er- 
mangelnden Elemente  jener  Yolksstämme  durch  eipe 
neue  Gesetzgebung  zu  verschmelzen  und  den  Geistern 
insgesammt  das  gemeinschaftliche  Gepräge  des  neuen 
von  Europa  ausgehenden  Hellenenthums  d.  i.  Herrschaft 
der  Gesetze  und  Achtung  des  königlichen  Namens  ein- 
zudrücken. Die  zweite  grolse  Lebens-  und  Weltepoche 
dieses  Landes  hat  somit  begönnen,  ein  neues  unentfaU 
tetes'  Yolk  erblicken  wir  auf  der  Huhne  an  der  Hand 
eines  königlichen  JüDglings,  um  seine  Lebensrölle  zu 
begijmen.  Er  ist  Rex  Helladls,  ein  neuer  Weltring, 
an  welchen  die  Menscheogeschlechter,  die  tausend  und 
abermal  tausend  Jahre  nach  uns  Europa  bewohnen, 
den  Geschichtsfaden  der  Ottonischen  Helleiu^n  anknüpfen 
werden."'  Wenn  man  damit  vergleicht,  was  der  Verf. 
im  Jahre  1836  (Vorrede  z.  2ten  Th.  XXXYI.)  äufsert, 
so  drängt  sich  die  BesorgniGs  auf,  dafs  auch  die  ausge« 
zeichnetste  Persönlichkeit  eines  Fürsten  gegen  so  grofse 
Schwierigkeiten  nichts  vermögen  werde,  und  andrerseits, 
dafs  die  Experimente  der  Glückseligkeit&lehre  dem  ar- 
men Griecheulande  nidit  etwa  wie  dem  Vogel  die  Luft* 
pumpe  bekommen  mögen.  Denn  dort  (2,1V)  keifst  es: 
„In  Hellas,  wie  es  jetzt  ist,  sind  noch  keine  hinlSng«. 
lieh  zahlreichen  und  hinlänglich  starken  Elemente,  für 
ein  unabhängiges  Königthum  zu  finden.  Die  Gewalt,  . 
welche  Griechenland  geschaffen  hat,  kann  allein  sein 
Dasein  fristen,  aber  kein  Reich  wird  bestehn,  wenn  es 
die  Elemente  des  Lebens  nicht  aus  sich  selber  erzeugt. 
Griechenland  aber  lebt  nicht  durch  sich  seibat,  weU  es 
weder  zur  Selbstvertheidigung,  noch  zur  Selbstbeherr- 
schung hinlängliche  Macht  besitzt.  Fremdes  Gold  be- 
zahlt noch  jährlich  den  zweideutigen  Gehorsam  seiner 
Grofsen  und  seine  Fortdauer  hat  keine  andre  Gewähr- 
leistung als  die  Launen  seiner  Beschützer'*  u.  s.  w. 
Weiter  hin  (XVI) :  „Wie  schnell  kamen  einst  die  bata^ 
vischen  und  nordamerikanischen  Insurgenten  zu  Reich- 
thums  Glanz  und  Maclrt!  Wie  elend  und  verkümmert 
dagegen  ist  dieses  Griechenland  naph  einer  langen  Reihe 
von  t  riedensjahren.  Seine  Bevölkerung  sdiwmdet  und 
seiae  Hilfsquellen  mehren  sich  nicht,  obgleich  Europa 
sein  Gold  stromweise  in  dieses  hoble  Danaidenfafs  ge- 
gossen hat;  ^  sicherer  Beweis,  dafs  niemand  daselbst 
zur  Freiheit  vorbereitet  war  und  dafs  das  griechische 
Volk  politisch  nicht  reifer  ist  als  die  Moskowiten  von 
Kiew  und  Wladimir  oder  -die  Wlachen  von  Jassy-  und 
Buckarest.  Der  Instinkt  solcher  Völker  ist  die  Monar- 
chie ohne  Beisatz.  Läuterimg  durch  ein  gerechtes. und 
chrisüich  strenges  aber  ganz  nationales  Regiment  mufs 
dieses  ex  abrupto  losgebundene  Griechenland  zum  £)in- 
tritt  in  den  europäischen  Staatsverband  und  seiner  Re- 
gierungsform erst  noch  lange  vorbereiten.  Fühlte  man 
sich  aber  im  Besitze  einer  Macht,  wie  sie  jetzt  ist,  schon 
hinlänglich  beglückt,  so  regiere  man  wenigstens  wie  die 
Turkorussen,  kleide  sich  aber  und  glaube  wie  die  Grie- 


FMmeraye^^  Getehithte  d&r  HalbinMel  Morea. 


AI 

clien."  Man  wird^indefs  auch  noeh  in  den  beiden  lets- 
ten  Stellen  einigen  Widerspruch  bemerken,  da  zuerst 
die  Unfähigkeit  für  ein  uiiabh2lngiges  Königthuin,  dann 
aber  das  Bediirfnifs  einer  Monarchie  ohne  BeisatE  be- 
hauptet wird,  der  "Vf.  mulste  unter  dem  ersten  denn 
etwa  ein  konstitutionelles  Königthum  ventehn.  Was 
diefs  betrifft,  so  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  d^fs  ein 
Salto  mortale  aus  türkischem  Regiment  in  eine  Verfas- 
sung nach  französischem  oder  englischem  Schnitt  nur 
ungliicklich  ablaufen  kann  und  die  Geschichte  des  Auf- 
standes hat  zur  Genüge  bewiesen«  dafs  das  Svntagma 
für  die  Griechen  die  Büchse  der  Pandora  ist.  Denn  es 
durfte  in  Griechenland  schwer  sein,  die  einsichtsvollen 
Patrioten  zu  finden,  welche  nur  das  Heil  des  Ganzen 
bedächten  und  zu  Opfern .  für  das  gemeinsame  Yaterland 
bereit  wären.    Wo  jeder  nur  seinen  Vorthejl  vor  Au- 

fen  hat,  jedes  Amt  (und  die  höchsten  vorzuglich)  als 
Pfründe  betrachtet  wird,  die  sich  durch  Intrike  erfan- 
gen  töfst,  nicht  das  Gesetz,  sondern  die  Auktorität  in 
Ansehn  steht,  da  Jcann  Mne  Constitution  nur  die  Lei- 
denschaften entfesseln.  Die  jetzige  Regierung  hat  ohne 
Constitution  Noth  genug  sich  über  den  Elementen,  auf 
welche  sie  sich  künftig  stützen  soll,  zu  erhaken.  Sie 
hat  die  heterogenen  Interessen  der  Moreoten,  Rumelio- 
ten  und  Insulaner  zu  verschmelzen  und  die  Auktoritä- 
ten  des  Landes  (Capitanrs,  Archonten,  Primaten,  vor 
allen  die  Geistlichen,  welche  bis  auf  die  neusten  Zeiten 
auch  Anführer  im  Kriege,  Schiedsrichter  im  Frieden  wa- 
ren) zu  brauchbaren  Organen  heranzubilden.  Man  kann 
der  Meinung  sein,  dafs  sie  selbst  sich  Drachenzähiie 
säete,  als  ein  zum  Tode  verurtheilter  Häuptling, nicht 
blofs  begnadigt,  sondern  auch  zu  Ehren  erhoben  wurde, 
als  Klephthenführer,  mit  ^enen  man  nicht  fertig  werden 
konnte,  in  Dienst  genommen  wurden.  Es  wird  an  Re- 
bellion nicht  fehlen,  wo  man  dadurch  zu  Ehren  kommen 
kann.  Eine  Constitution  würde'  nur  die  Aukloritäien 
wieder  gegen  einander  treiben,  dafs  sie  sich  im  besten 
Falle  zu  einer  Theihing  der  Gewalt  unter  einander  ver- 
ständigten, und  würde  damit  dem  Volke  gedient  sein? 
Instinkt  des  Tolkes  und  die  Beschaffenheit  des  Bodens 
führen  zur  Zersplitterung,  die  einzelnen  Theile  werden 
stets  eine  groFse  Selbstständigkeit  behalten.  Noch  noth- 
\vendiger  aber  ist  ein  Mittelpunkt  für  die  divergirenden 
Interessen,  ein  Königthum,  und  wenn  der  Verf.  diesem 
zuruft,  zu  regieren  wie  die  Turkorussen,  so  stimmt  doch 
wenigstens  türkisches  Regiment  nicht  zu  der  christlich 
strengen  und  nationalen  Regierung,  die  er  an  anderer' 
Stelle  fordert.  Wir  halten  uns  lieber  an  das,  was  er 
2,  XXXV  sagt,  „dafs  jede  Regierung  sich  auf  Grund- 
charakter, Sitte,  Religion,  Geschichte  des  Volkes  stützen 
müsse.^'  Wenn  aber  das  Volk  nur  erst  eine  dunkle 
Ahnung  seiner  eigenen  Lebenskraft  hat/  so  muf«  das  Be- 
W^ufstsein  wenigsten/  in  de^  Regierung  vorhanden  sein 
und  sie  mufs  die  Macht  besitzen,  die  indifferenten  oder 
widerstrebenden  Elemente  zusammenzuhalten,  selbst  auf 
die  Gefahr,  dafs  es  nicht  ohne  Gewaltsamkeit  abginge. 
Ordnung  durch  Zwang  ist  immer  noch  besser  als  Anar- 
chie aus  Freiheit,  und  die  Griechen,  seit  so  vielen  Jahr- 
hunderten gewohnt,  die  Ruthe  zu  küssen,   welche  sie 


4S 


züchtigt,  folgen  auch  jetzt  nur  der  Auktoritit;  wenn  auf 
ihren   freien  Entschlufs  revocirt  wird,  so  kommt   nur 
Selbstsucht  zu  Tage.    N&cbst  der  Gewalt  ersebeint  wie 
im  Alterthum  so  noch  heut  das  Geld  für  den  Griechen 
unwiderstehlich,  die  Hilfsgelder  Europa's  haben  dort  ei« 
nen  Stand   zurückgelassen^  welcher  sich  für  berechtig!! 
hält,   vom  Staate  erhalten  zu  werden.    Die  Regierung 
(wie  einst  Peisistratos   die  unruhigen  Athener)  hat  ver- 
sucht, die  Phalangiten  zum  Pflu^  zurückzuführen ;    es 
hat  aber  nicht  gelingen  wollen.    Die  europäischen  CJn- 
tersUltzunffsgelder  werden  indefs  nun  nicht  weiter  ge- 
zahlt, und  die  augenblicklichen  Bedrängnisse,  welche 
daraus  entstehen,  können  ein  grofser  Vortheil  werden, 
wenn  Griechenland  dadurch  von  fremder  Unterstutaung 
unabhängig  wird  und  sich  nach  seiner  Decke  strecken 
lernt.  —    Dafs  die  Bevölkerung  schwinde,  kann  sich 
wohl  nur  auf  die  Auswanderung  griechischer  Untertfaa- 
nen  in  die  Türkei  beziehn;  man  hat  dem  Ref.  im  Lande 
das  Gegentheil  versichert  und   in  den  Zeitungleu  fand     ^ 
sich  erst  neulich  für  das  Jahr  1838  in  Athen  das  Ver- 
hältnifs  der  Todesfalle  zu  den  (Schürten  wie  496  :  723. 
Dafs  aber  keine  amerikanische  Fruchtbarkeit  der  Ehen 
Statt  findet,  liegt  vielleicht  in  uralten  bei  dieser  Nation 
eingewurzehen   Uebeln.  —     Dafs  die  Hilfsquellen  sieh 
par  nicht  mehren,  scheint  auch  zu  viel  gesagt,  aber  dab 
m   materiellem  Beichthum  nicht    die    reifsenden    Fort- 
schritte Bataviens    und  der   nordamerikan.  Freistaaten 
bemerklich  werden,  ist  ganz  natürlich,  weil  zu  der  voU. 
kommenen  Verödung  des  Landes  der  Mangel  an  einem 

Sewerbtreibenden  Bürgerstande  kommt,  von  Fabrik  und 
lanufactur  fast  kein  Begriff  ist,  der  Handel  da|:egen 
alle  Producte  Europa's  hinein,  dasGel4  aber  heraus  fuhrt. 
Was  können  die  Neugriechen  dafür,  dafs  sie  in  den 
Köpfen  .ihrer  europäischen  Freunde  so  grofse  Hoffnun- 
gen erregt  haben?  Unglücklicher  Welse  scheinen  aber 
auch  unter  den  drei  grofsen  Schutzmfichten  der  griechi- 
schen Unabhängigkeit  über  die  Art,  das  Glück  des  Lan- 
des zu  befordern,  verschiedene  Ansichten  obzuwalten* 
An -die  äufserste  Spitze  der  slavisch  griechischen  Völ- 
kersäule gestellt,  haben  die  Griechen  das'  englische 
Jonien  zum  Nachbar  und  kommen  in  den  Seestädten 
mit  dem  Abeudlande  in  beständige  Berührung.  iSine 
englische  Station  im  Sunde  von  Salamis  führt  bestän- 
dige Aufsicht  über  ihr  Schicksal,  während  die  Mehrzald 
des  Volkes  seiue  Blicke  auf  die  Glaubens-  uiid  Bil- 
dungsgenossen in  Rufsland  gerichtet  hat.  Dadurch  ge* 
winnt  der  jetzt  bestehende  Zustand  den  Charakter  eines 
Provisoriums,  welches  jeder  Störung  des  europäischen 
Friedens  erliegen  kann.  Dafs  das  alte  Hellas  nicht  wie- 
der auferstanden  ist,  wird  niemanden  verwundern^  aber 
die  Umstände  scheinen  sogar  aufserordentliehe  Hindere 
nisse  in  den  Weg  zu  legen,  dafs  es  auch  nur  eine  sei- 
ner jetzigen  Weltstellung  angemessene  Lage  erlange, 
und  es  kann  nicht  wohl  besser  werden,  so  lange  Volk 
und  Regierung  sich  nicht  zu  dem  übereinstimmenden 
Bewufstsein  gedrängt  mhlen,  ihr  Heil  fortan  nur  m 
sich  selbst  zu  suchen. 

Sehönwllcle'r. 


^7. 

Jahrbücher 

für.' 

i^issenschaftlicheKri  t  i  k« 


Januar  1840* 


III. 

Oel  Duomo  di  Monre^e  'e  di  altre  chiese  Siculo-^ 
^Normanne  per  Domenico  Lo  Faso  PtetrasantOj 
Duc'a  dt  Serro  di Falco.    PalermoylS38. 

9 

gt.foL 

B^r  Duca  S?rra  di  Falco,  Diredor  sammtllcher  An- 
tiquilaten  SiciUeiis,  dem  yfhp  bereits  spheif  die  Zusam« 
pftei^stellung  .und  Abbildungea  der  Tempelruinen  von 
3^1iiiunt  Ferdankeii,  bat  abearmals  ein  i^eues  Werk  der 
yorxugUcbsten  Kirchen  Siciliens  in  der  yorliegenden 
^cbjrirt  gjegeben  und  dadurch  den  Dank  aller  Kunstlieb« 
baber  fich  erworbesp.  Wir  wollen  wünschen,  dafs  die-» 
aer  Uobe  Kunstfreund  fortfalire,  uns  auch  nodi  die  Ab« 
hildungen  und  Bescbreibungen  anderer  sebr  interessanter 
ipAu werke  in  Palermo  und  4cr  Umgegend  aus  den  ver» 
aefaiedenen  Kunstepochen  mttzutbeilen,  wozu  Ref.  bei 
ipiner  Anw.csenheit  in  Palermo  im  Jahr  1833  mehrere 
y era^^eitea  bereits  feirtig  sab.  Das  vorliegende  Werk 
lunfeCst  Ji^dreiAi^h^A^Iungeu  die  schönsten  christlichen 
Bauwerke.,  8iciJ[iens  aus  dem  12ten  Jahrhundert.  In 
^r  ersteu  Abhandlung  beschreibt  der  Verf.:  1)  die 
Cai^edi:ale  zu  Monreale  und  giebt  auf  den  Blättern  I — 
^U- die  Grund-  ui|d  .Aufrisse,  so  wie  die  einzelnen 
De^ils.tmd  Ver^rungen  derselben.  Sie  ist  von  dem 
innige  Wilhelm  dein  Guten  1170  zu  bauen  angefangeii 
]|l)d,1176  vpllei^det  .\|rorden.  Seclis  Jalire  später  wurde 
darauf  der  neben  der  Kirche  liegende  herrliche  Kreuz« 
gang,  von  124  schönen  Marmorsävlen  umgeben,  errich- 
MtM  FPn  den^p  jede  ^äule  ein  anders  geformtes  Capi- 
tfii  hi^9  «nd,  wovon  auf  Blatt  XllI  de^  GmuicI  -  und 
J^fi4^b  (des  Kr|euzgi)ngeS|  auf  Blatt  XIY  33  Abbildun« 
gen  d«'r  verschiedenartigsten  Capitäle  dieses.  ^|(reuzgan- 
W»..&«I«J^»  V  werden- 

U^  deri^wcitep  Ahhandfung  .i^erdea  beschrieben; 
X^,^it  Sfh^ne  (Kapelle  di  Slu  Pietro  oder  auch  ,die.^o- 
gerlf  •»  Capelle  genannt,  in  dem  L9niglicho|i  JPal)asC  Cfis« 

Imkrk.  f.  wi$$€M€k.  t^riUk.   /.  1840.    I.  Bd. 


saro  (von  dem  Arabischen:  al  Cassar,  .der  Pallast)  va 
Palermo ;  ehi  Bauwerk,  das,  weim  auch  nicht  grefs^  doch 
zu'  den  schönsten  Siciliens  gehört;  und  da^u  auf  den 
Blättern  XY—XYll  Grundrisse  und  Durchschnitte  ge^ 
geben.  Sie  ist  von  dem  Grafen,  nachherigen  Könige 
Roger  im  Jahr  1140  erbaut  worden  upd,  wenn  auch  ein> 
Gemisch  von  arabisch  -byzantinisch-  und  normannischer 
Bauart,  dennoch  mit  einem  feinen  Gefühl  für  maleri- 
sche Architectur  ausgeführt  2)  Die  Cathedrale  zu 
Cefaluy  ebenfalls  von  Roger  1145  erbauf^^wozu  die  Grunde 
und  Aufrisse  auf  den  Blättern  XYIII  —  XXII  gehören} 
und  wobei  die  Kreuzgewölbe  über  dem  Sanctuario  sehr 
bemerkenswert!!  sjnd.^  3)  Die  Kirche  Sta.  Maria  dell' 
Ammiraglii  oder  auch  della  Martorana  genannt,  gleich« 
falls  von  Roger  im  Jahr  1130  erbaut,  ipiit  dem  Grund- 
rifs  und  den  Durchschnitten  auf  den  Blättern  XXIIj 
und  XXIY.  Obgleich  sie  eine  der  ältesten  Kirchen  in 
Sicilien  ist,  so  finden  sich  hier  doch  schon  Kreuzge- 
wölbe um  die  griechische  Kuppel,  welche  mit  goldenen 
Sternen  auf  azurblauem  Grunde  musivisch  versie|:t  sindt 
Bs  verstellt  sich,  dals  auch  die  Wände  in  dem  alten 
Theil, dieser  Kirche  bis  unten  ganz  mit  Mosaik  -  Yer- 
^rungen  auf  Goldgrund  bedeckt  slpid.  Spälerhin  ha( 
diese  Kirche,  die  niclit  grofs  ist,  mehrere  Anbaue  er«i 
bähen;  der  äheste  Theil  derselben  ist  aber  auf  Blatt 
XXIII  schwarz  schraffirt,  —  4)  Die  Kirche  ßt.  Ciataldo 
auf  dem  BUtt  XXY  im  Grund-  und  Durcl^chitt*  ge« 
Teichne^.  ->«*  5)  JAe  bereits  zerstörte  Kirche  St.  Giacoiho 
la  Mazara,  so  wie  6)  die  Kirche  St  Pietro  la'Qagnarai 
von  denen  auf  Blatt  XXYI  Grundrisse  und  Purch« 
f chfiittp  Abgeben  werden,  welc|ie  zu  den  fruhesf en  Bau* 
werken,  die  hier  unter  den  normannischen  Fürsten  aus- 
geführt  wurden,  gehören. 

In  der  drillen  Abhandlung  gifht  der  Yerf«  m|t  S^n* 
siehung  der  Tafel  XX\'ll  eine  vei^lejcliende  Darstel? 
}ung  der  jGriin^forinen  der  Kirchen  in  Ocoident  ^ind  ifn 
Orient,  so  wie  auf  Tafel  XXYIII  .f ine  Uebersicht  der 

7 


51  Duea  ü  Serrö  di  Faleo^ 

Entwickelung  der  ehriitliefaeii  Baukunst  bis  «sunt  ISten 
Jahrhundert  in  Sicilien,  und  erläutert  dies  durch  12 
Grundrisse  der  yerscliiedensten  Kircheo.  Ton  diesen 
bleibt  besonders  die  auf  Blatt  25  fig.  1.  gezeichnete  Kir- 
che Sc  Marziano  in  Syraeus  merkwOrdig.  Um 'in  das 
Innere  derselben  zu  gelangen,  mufs  man  viele  Stufen  in 
einen  Felsen  hinabsteigen  und  gelangt  alsdann  in  den 
^  inneren  Raum  dieser  Kirche,  welclier  in  der  Grund- 
form ein  griechisches  Kreuz  hat.  Der  Yerf.  hat  das 
Alter  dieser  Kirche  nicht  angegeben,  dem  Ref.  wurde 
aber  bei  seiner  Anwesenheit  daselbst  mitgetheilt ,  dafs 
dies  die  älteste  Kirche  in  Slcillen  ^Sre,  und  ihre  £nt- 
stefaung  in  das  4te  Jahrhundert  zu  setzen  sei.  An  den 
Tier  Pfeilern  sind,  die  Sinnbilder  der  vier  Evangelisten 
in  dem  ältesten  byzantinischen  Styl  gearbeitet,  welches 
allerdings  auf  ein  hohes  Alter  schliefsen  läfst.  Die  er- 
sten Christen  waren  hier  vor  den  Verfolgungen  sicher 
und  konnten  unbemerkt  ihren  Gottesdient  in  der  Stille 
verrichten.  Diese  Kirche  liegt  in  dem  Theil  der  alten 
Stadt  Syraeus,  den  die  Griechen  Acradina  nannten,  und 
wo  der  Felsen  bis  zum  Meere  -  eine  etwas  geneigte^ 
sonst  ebene  Oberfläche 'hat;  so  dafs  man  von  dem  un- 
terirdischen Bau  nichts  ahndet,  wenn  man  nicht  hinein 
geführt  wird.  In  neuerer  Zeit  ist  über  dieser  unterir- 
dischen Kirche  das  Kloster  St.  Giovanni  erbaut  worden, 
und  man  nimmt  einen  Klosterbruder  mit  sich,  welcfher 
die  Fremden  auf  Ersuchen  hinabfahrt,  um  dies  höchst 
interessante  alte  Bauwerk  in  Augenschein  zu  nehmen. 
Die  an  andern  Orten  beflndlidien  unterirdischen  Kf r* 
chen  aus  den  frühesten  Zeiten  des  Christenthums,  wie 
z.B.  in  den Catacomben  zu  Neapel  u.s. w.,  unterschei- 
den  sich  wesentlich  von  jener,  dafs  sie  in  die  hohlen 
von  der  Natur  gebfldeten  Räume,  die  ein  grottenartiges 
Ansehen  haben,  gelegt  worden  sind,  keine  Form  im 
Grund-  oder  Aufrifs  haben;  wälirend  dem  die  Kirche 
St  Marziano  sichtbar  durch  die  Kraft  von  Mensehen« 
Händen  nach  einem  zuvor  angenommenen  Plan  in  den 
Felsen  hineingearbeitet  worden  ist. 

Utiter  allen  griechischen  Kirchen  nimmt  die  Sophien- 
Kirche  in  Constantinopel  den  ersten  Rang  ein,  und  es 
ist  nicht  zu  läugnen,  dafs  diese  Kirche  vieles  Lob  ver- 
dient, da  die  Baumeister  derselben  Anthemius  vonTraU 
l^s  und  Isidor  von  Milet  bei  ihr  es  zuerst  wagtai,  ein 
ungeheures  Gew5lbe  über  den  Mittelpunkt  des  Kreuzes 
'auf  vier  halbkrelsfftrmigen  Bugen  und  auf  den  in  den 
vier  Ecken  dieser  Bogen  zuerst  abgebrachten  vier  Eck- 


• ^ 

Jtel  Duomo  dt  Monreule.  52 

SMriekeln  aufzuführtn.  Im  Oecident  wurde  zuerst  die 
Marcus  •  Kirche  in  Venedig  nach  dem  Vorbilde  der 
Sophien  •  Kirche  aufgefShrt«  Dieser  Baustyl  ist  Jetzt 
vornehmlich  -in  Rufsland  zu  finden,  wo  die  giiechisehe 
Kirche  ihren  Haaptsits  bat.  Dia  Cathedrale  au  Eief^ 
und  die  Sophien -Kirche  in  Nowgorod,  die  vielen  Kir- 
chen in  Moskau,  deren  Anzahl  sieh  auf  300  belauft,  — 
alle  diese  haben  in  ihrer  Grundform  das  griechisehe 
Kreuz,  und  selbst  die  jetzt  noch  im  Bau  stehende 
Isaaks- Kirche  in  Petersburg  wird  nach  dieser  Fam 
ausgeführt.  Ref.  muls  bekennen,  dab  er  nach  dar  Taiw 
jährigen  Besichtigung  dieses  Baues  ihm  das  gebülirfttdiB 
Lob  nicht  versagen  kann,  da  derselbe  immer  zu  den 
ausgezeichnetsten  Bauwerken  unseres  Zeitalters  gerech- 
net werden  mufs. 

So  wie  nun  das  Innere  der  Sophien*  Kii^be  zu 
Constantinopel  mit  Säulen  von  antiken  Monumenten,' 
die  aus  Porphyr,  Granit  und  Serpentin  bestehen,  ver- 
ziert und  die  Wände  und  Gewölbe,  theils  mit  Pietre 
dure  und  Marmortafeln  in  den  verschiedensten  Fariien, 
theiis  mit  biblischen  Mosaik  -  Gemälden  auf  Galdgntnd 
bekleidet  sind;  eben  so  findet  sich  diese  Art  der  inne- 
ren  Verzierungen  in  den  Kirchen  in  Sicilien  sowohl, 
als  in  der  Marcus  -  Kirche  zu  Venedig  und  in  den  alte« 
sten  russisehan  Kirchen  vor.  iMe  älteste  Kirbhe  auf 
dem  Kreml  in  Moskau,  Bladia  vesehnie  genannt,  ist 
im  Innern  eben  so  reich  mit  heiligen  Bildern  auf  Gold» 
grund  durchweg  verziert;  dte  aber  freiliefa  nicht  in  Mo- 
saik ausgelegt,  me  dies  bei  den  beiden  erwähnten  Kfr- 
chen  der  Fall  bt,  sondern  die  nur  gemalt  sind. 

Die  Anwendung  der  Basiliken -Form  hei  den  er* 
sten  christlichen  Kirchen,  findet  sich  nur  in  Italien  vor^ 
und  bei  der  Kirche  St.  Michele  in  Pävia  aus  dem  7ten 
Jahrhundert,  deren  Abbilduiig  wir  auf  Taf.  27.  sehen, 
finden  wir  die  erste  Abweichung  ron  dieser  Form,  in- 
dem das  lateinische  Kreuz  mit  drei  gleichen  und  Einern 
langen  Schenkel  hier  zuerst  hervortritt. 

Ein  wesentlicher  Unterschied  zwischen  den  Kir* 
chen,  welche  in  der  Basiliken  -  Form  und  denen,  Welche 
nach  der  Form  eines  griechbchen  Kreuzes  erbest  aind^ 
ist  aber  auch  der:  „dafs  die  Basiliken  immer  hälzene 
;,Decken,  die  griechischen  Kirclien  aber  Gewölbe  habek'' 
Als  man  späterhin  diese  beide  Formen '  zu  vereinigen 
suchte,  blieb  man  zwar  in  der  ersten  Zeit  bei  den  hol. 
zemen  Decken,  wie  z.  B.  bei  der  Cathedrale  ton  Pisa 
Taf.  XXYM  fig.  29;  späterhin  gelangte  man  aber  auch 


fcpiKuwc,  ^ea«^  Käme  ^üäiidig  mil  CbwUbM 
Stt  versehen^  wie  dies  be!  äem  Dom  tu  Fibrenr  u.  m. 
a.'  der  Fall  ist  Nur  in  Sicilien  wich  man  hlevon  ab. 
Den  Einflnb,  wtlcbsn  die  arabisehe  Bauart  uater  der 
Herrschaft  der  Aaraeenen  attsQbte,  sieht  man  deutlieh 
in  den  Bauwerken,  welche  der  Yerf«  in  seiner  Schrift 
iiiis  rorlegt.  Nur  zwei  Bauwerke  sind  aus  dieser  Zeit 
hker  Obrig  geUiehen,  die  Zis»  und  die  Cuba,  walehe  an* 
atreitlg  von  den-  Sarazenen  erbaut  worden  sind.  Auf 
Taf.  XXVI  sieht  man  bei  den  Kirchen  St.  Giacoma  la 
Masara  ani  St.  Pietra  la  Bagaara  deutlicb  die  HaupU 
forimn  von  der  mitdem  Halle  der  Zisa  mit  den  kleinen 
Säulen  an  den  Ecken  ausgefulirt.  Aber  auch  die  Ara^ 
hmw  banalen  in  Siciüen  anders  als.  gleichzeitig  in  Spa» 
nlen.  Die  von  ihnen  in  Cordova  zu.  gleicher  Zeit  .er« 
Ifaute  Mosque  hat  Bogen  in  Form  eines  Hufeisens^  wäh*-' 
read  in  Sicilien  an  der  Zisa  und  Cuba  nur  der  Spitzr 
begea  siebtbar  ist.  Wie  der  Verf.  anführt^  ist  der  Eini- 
tlni§  der  bjzandnisehen  Baukunst,  die  %'or  Erobemmg 
der  Araber  in  Sieilien  im  Gebrauch  war,  auch  bei  der 
Zisa  «nd  Cuba  nicht  zu  veskennen,  «nd  es  sind  sehr 
wahrscheinlich  bei  dieser  Eroberung  die  aus  der  da- 
maligen Zeit  bestandenen  Gebäude  bei  Einfiifarung  des. 
Islaoiismus  zerstört  worden.. 

Nach  Vertreibung  der  ^Araber  unter  Anführung  des 
normSnnisehen  Forsten  Ibigeii  diese  an,  die  zerst5rten 
Kirchen  wieder  neu  aufzuführen,  und  es  ist  erstauiiens- 
wirdig  zu  seilen,  wie  In  so  kurzer  Zeit  der  Regierung  der 
BormlilinlsebeB  Konige  se  bedeutende  und  fiufserst  IcosW 
spienge  Bauten»  ah  die  Caihedraten  in  Cefalu,  Motireale; 
Palermo,  Messiua  imd  die  Rogerts-Capelle,.  zu  Stande 
gekosMaen  siad  Keine  Mesailc»  Arbeit  muB  der  dama^ 
Hgen  Zelt  ist  nfit  den  Wandverzierun^nr  und  den  Pnfs* 
boden  der  Rogerts-Cftp^He  und  der  Cathedrate  zu  Mon« 
reale  an  v^rgleioheu,  da.  sie  sowohl  in  Bezvg  auf  das 
dabei  verwendet«^  Material  als  auch  der  Ausfihmng  der 
Arbeit  alles  der  Art  übertreffen.  Geschliffener  und  po« 
liyter  Rorphyr^  Jaspis,  Basalt,  Agjatbe  und  Serpentui 
sMd'Me  SteinaKea,  mit  denen  die  Wände  farbig,  au£ 
6o1As'(6hmelz  bekMdet  sind,  und  es  bt  daher  auch  niebe 
zu  verwundern,  wenn  man  nach  Vertauf  von  8  Jahrliun« 
darteü  alles  in  seiner  friberen  Pracht  sieht,  während 
dem  alles  ühnKehe«  minder  gut  gefertigte  mit  cblr  Zeil  ^ 
untergegangen  ist. 

Auch  auf  die  Aufsenseiten  der  Gebftude  suchte  man 
in  Jener  Zeit  fatbigte  Verzierungen  anzubringen,  und 


Del  BMm0  4i  JMs^ireeCk 


H 


bediente  sich  das«  der  seh watsen  Lava  voq^  Aetna.  Aa 
dem  reidi:  verzierten  Chor  -  der  Cathedraten  zu  Piilerme 
und  Monreale  sieht  man  diese  dunkeln  Verzierungen 
auf  dem  helien  Grunde  des  Steins  noch  jetzt,  und  die 
Wickuns:  davon  ist  nicht  übel  zu  nennen..  Es  ist  eia 
grefser  Onterschied ,  ob  dergleiciien  Vetzierungen  nur 
mit  Farbe  auf  die  Vi^ände  geiragenoder  ob  farbige^Mas^ 
sen  in  die  Wände  vertieft  eingelegt  sind,  und.  die  W^r* 
kungen  davon  von  ganz  verschiedener  Art. 

Von  der  Kirche-  in  Monzeale  seh^n  wir  auf  Taf.l 
und  II  den  Grundrifs*,  der  sieh  durch  die  Anordnung 
des  durchdricJiten  Planes  sowohl,  als  durch  den  Reichp 
thum  des  musivischen  Fufsbodens  auszeichnet.  Auf  Taf% 
III  befindet  sich,  die,  vordere  westliche^  Ansieht  mit  zwei 
ThOrmen  und  die  Ansicht  des  beben  Chores.  Man  sieht^ 
wie  der  Spit;Ebogen<tyl  lüer  überall  deutlich  hervortritt^ 
wenn  gleieh  die  Zeit  der  Erbauung  in  das  Jahr  1170 
fallt  Der  obere  Theil  beider  Thurme  ist  in  der  Zeich« 
nung  ergänzt?  In  der  Wirklichkeit  fehU  die  linke  Thunur 
raitze  bis  zur  Dachhdlie  des  Schiffs,  bei  dem  ande^i^ 
lue  obere  Spitze  des  Thurmes.  Die  in  den  obern  bei*« 
den  Slockwerkeiv  der  Thürme  angebr^acliten  Fenster  mit 
Runden  Bög^ea  Wollen  uns  daher  nicht  zusagefi  \  da  vAt^ 
deren  in  keinem  andern  Tlieil  des  Gebäudes  gewahren^ 
und  selbst  an  der  Catbedrale  in  Palermo  nicht  gesehen 
haben..  D^en.  Reichthum  der  farbigen  Verzierungen  aa 
dem  Chor  giebt  fie.  2  selir  gut  wieder.  Auf  X^r  l^V 
sehen  wir  das  reiche  Uäuptportal  mit  seinen  brenzenei^ 
Tfaürflügeln  abgebildet.  Die  Tliüreinfassuiigen  sind  von 
weifsem  Marmor  und  die  Verzierungen  darauf  abwecbo 
selnd  in  dea  einzelnen*  Streifen  isntweder  als  Reliefs  ge« 
arbeitet  oder  in  Mosaik  auf  Goldgrund  ausgelegt.  Dia 
bronzene  Thur  —  die  wir  aber  keinesweg^s  tik.  eih^ 
gute  Arbeit  lialten-  -^  ist  ia  42  Felder  eingelheilt,  weU 
ehe  gröfstentheils  Darstellungen  aus  der  Bibel  enthal« 
ten.  8ie  ist,  nach  der  darauf  enthaltenen  Inschrift  im 
Jahr  1186  von  Bonannus  aus  Pisa  gefertigt  A*  Jl>^ 
MGXXCVI;  L\D.  III.  BONANNUS  CIVI&  PISANUS 
ME  FECI^T^  von  demselben  also,  welcher  1180  die  bron- 
zene Tiiäre  an  dem  Dom  in  Pisa  gemacht  hatte.  Sehr 
wahrsdieinUeh  hat  Bonannus  diese  Tfaüf  in  Pisa 
macht  und  geglaubt,  dafs  sie  eioe  ¥ie.reckigts 
vorschlieisen  sollte.  Da  aber  die  Thüröffnung  spitzliogi^ 
ist,  so  wird  oben  eia  Theil  der  Verzierungen  an  der 
viereekiglen  Tbüre  verdeck i;  —  An  dfrnördiichen  Seite 
befindet  sich  eine  zweite  bronzene  ThQre.  Taf«  XII  a|i* 
gebildet,  welche  in  Rücksicht  auf  die  Lintheilupg  die 
vorige  ubertriflft,  sonst  aber —wie  wir  uns  erimiern  — 
in  der  Ausführung  keinesweges  su  den  s^hOnen  Arbet* 
ten  gerechnet  werden  kann.  Der  Verfertiger  geht  aua 
der  darauf  enthaltene»  Insdiriftr  BARISANUS^  TRAN* 
ME  FECIT  hervor;  indefs  fehlt  die  Jahreszahl.  Wie 
der  Verf.  richtig  anfuhrt,  hat  diese  Tht&r  in  Beziehung 
auf  den  Styl  viel  Aehnlicbkeit  mit  «den  Thüren  in  Ra- 
velle,  auf  4tnen  sich  die  iahfeszabl  1179  befindet  Es 
Ist  dahtc  seiir  wahrseheinlidH  dafa  Barisaiius  nicht  allein 
diese  Thüren,  sondern  auch  die  in  Trani,  auf  denen 
Sein  Name  sich  vorfinden  soll,  angefertigt  bat.  Die  Ein* 
fassung  dieser  Thüröffnung  ist  glatt  und  mit  Mosaik- 


«5 


Jhicm  ii  Strr^  di  Pah9j  IM  Bupm^  M  SUnr^mU* 


Veraiemn^en  iiuf  Goldgrund  avsgdlegl.     Auf  Tal  iV 
befindet  sich  e:ne  penpeetlrUch  geseiolMiate  innere  An* 
eicht  der  Kirche,  welche  iudefc  den  Reiclithum  der  koet- 
bnren  Säulen  und  nnisivischen  auf  Goldgfrund  gelegten 
Wanrfversierungrn  |)ieht  wiedergebi?n  kann,  den  man  bei 
^eni  £iQfrflt  in  das  GehAude  gewählt     Besser  ist  dies 
aus  den  Blättern  VH— X  zu-ersehen.     Bis  ku  dem  er* 
Men  ikorisontal  laufenden  Uande  sind  die  Wände  mit 
V^eifsen  Marmorplatten  belegt,  welche  durch  rertikale, 
Schon  Terzierte,  und  in  Mosaik  ausgelegte  Streifen  auf 
Goldgrund,  in   verschiedene  Felder  eingetheilt  ^ü^erden« 
Das  darüber  befindliclie  liorizontal  laufende  Band  eiu- 
hält  eine  bekannte  arabische  Yerziomng,  die  ohne  Far« 
benpracht  allerdings  kerne  so  gufe  Wirkung  hervorbrin* 
gen  würde,   als  wie  dies   wirklich   der  Fall   ist.     Der 
§bri^  Theii   der  Wände   bis   zur  Decke  kt  nun  ganz 
mit  Mosaik  - Geiuftlden    auf   Goldgrund   angefüllt,  dar* 
stellend    einKehie  Be^ebeuheileu   a\\%    dem    allen  und 
^  neuen    Testament«      Oben   in  <ler  Nische  des  Chores 
-MMielrt  man  Christus  In  halber  Figur,  nadi  einem  sehr 
grofsen  Maafsstabe  mit  aufgehobener  rechter  Hand^  nach 
griechischem  Modus,  segnend  die  Gläubigen  der  Kirche, 
umgeben  von  seinen  Aposteln,   Evangelisten  und  einer 
groleen  Ansah!  von  Heiligen/    Die  Decken  im  Krenz 
der  Kirehe  und  im  hohen  Cher  sind  von  Holz,  ganz  ver«* 
goldet  und  mit  farbigen  Arabesken  verziert.    Fast  jeder 
Kaum  hat  eine   besondere  Decken -Construction,    wo- 
.durch  ejne  grofse  Mannigfaltigkeit  in  d^n  Formen  lier« 
vorgebracht  wird,  die  ki&iuesweges  dem  Ganzen  sdmdet, 
sondern  einen  schönen  Eindruck  hervoibringt.    Im  Jalir 
1811  zerstörte  ein  Brand,  welcher  durch  die  Unvorsich« 
tigkeit  emes  Chorknab^en  entstand,  den  ganzen  Dach» 
verband  des  Gebäudes;  indefs  der  Schaden   war  doch 
nicht  so  grofs,  als  bei  dem  Brande  der  Pauls  -  Kirche  in 
Rom.     l<2s   sind    die    Wände    mit   ihren    Verzierungen 
sflmmtlieh  erhalten,  und  das  Dädi  4urch  die  Munificenz 
des  verstorbenen   Königs  beider  ^  SicÜien    in  derselben 
Art^    wie   solelies  frülvcr   gewesen,   und   mit  derselben 
Pracht  wieder   hergestellt  worden.  -*-  Den  neben   dew 
Kirchs   tiegenden   Kiesierhef  nebst  Kreuzhang  halten 
wir  für  den  schönsten,  welchen  wir  in  Italien  und  8i«' 
eilten 'snhen.    Die  Säulen  sind  alle  von  weifseas  Mar*> 
mor  und  die  Hälfte  der  Anzahl  mit  Mosaik -^  Verzierun- 
gen ausgelegt.     Dafs   die  Capitäle  alle  verschieden  ge^ 
formt  sind,   Ist  bereits   schon   erwähnt  worden.     Auch 
die  Ansichten  der  Spitzbogen  Ober  den  Sflulen  sind  mit 
Mosaik  -  Verzierungcu  versehen. 

Wenn  nun  gleich  die  auf  den  Blättern  XY -<-  XYli 
gegebenen  Abbildfingen  der  Rogorts-Capclle  oinigerma^ 
fsen  den  Reichthura  dieses  Bijou's  der  normänni6el>eii 
Baukunst  wiedergeben,  so  iftlst  sieh  doch  der  Eindruck 
bei  dem  ersten  Eintreten  in  diese  heilige  Halle  nicht 
in  Worten  ausdrOcken.  Die  Rogeris-Capelle  ist  30  Jahre 
frnherals  die  Cathedrale  in  Monreale  und  5  Jahre  vor  der 
in  Cefi|lu  erbaut  worden,  sie  ist  bei  vi*eitem  nielM  so  grois 
als  diese;   alleSn  wir  stellen  sie  doch  in  Beziefating  auf 


die  Anordttttog  und  AnsfdlinHig  des  Ganzen  iM(m%  ak 
alle  vor  und  in  dieser  Zeit  in  ähnlicher  Art  ausgefuhr- 
4en  Gebäude.  Betrachteu  wir  nur  den  reichverzierten 
Fufsboden  auf  Blatt  XY  in  den  verscliledenartigsten 
Yerlitndungen ;  die  sdidnen  greisen  Porphyrtafeln  .  an 
den  Wänden  mit  den  reich  verschlungeneu  in.  Moaaik 
verzierten  und  auf  Goldgrund  eingesetzten  Bändern;  so 
wie  die  oberen  Wände,  ganz  bedeckt  mit  biblischen 
Vorstellungen,  alles  in  Mosaik  auf  Geldgrund,  und  liiesn 
die  kQnstlich  zusammengestellte  Form  der  Decke }  ao 
erhält  man  einen  ohn^efähreu  Begriil' von  dem  Ganzen. 
Der  Einfiufs  der  arabischen  Bauart  ist  überall  sichtbar: 
die  kleinen  Säulen  an  den  Ecken  der  \Yände ;  die  Con- 
struction  der  Decke  mit  den  vielen  kleinen  QbereiBaB» 
dergestcUteu  Bögen;  dann  die  Zapfen,  welche  in  der 
Mitte  der  Decke  herabliängen.  £beu  so  ist  aber  auch 
der  Einfluls  der  byzantinischen  Kunst  hervorstechend 
in  den  Bildern  mit  den  griechischen  Umschriflent  ganz 
besonders  aber  auch  in  der  Form  des  Krctizea  mit  doa 
darüber  befiudliciien  Kuppeln.  AuA'aUend  bleUit  aber 
auch  hier  der  Spitzbogen,  welcher  bis  auf  die  kleineu 
unter  der  Decke  angebrachten  Fenster  fast  iiberall  an- 
gewendet worden  ist.  Es  ist  wehl  nieht  zu  verkemien, 
dala  die  Rogens -CapeUe  zum  Yocbitde  l»ei  dem  Bau 
der  Cathedrale  in  Mourcale  gedient  hat. 

Bei  der  Cathedrale  in  Cefalu  auf  den  Blättern 
XYIH  — XXII,  finden  wir  den  Einflufs  des  byzantint. 
scheu  Baustils  mehr  angehflaelm  als  ia  den  vorbioge- 
daditen  Gebäuden,  obgleich  der  Spitzbogen  daran  vor* 
herrschend  ist.  3ei  dem  Hauptportal  bemerken  wir  die 
Yorhalle  mit  zwei  Spitzbogen  und  einen  Rundbogen 
daswisehen,  welche  auf  äüulen  ruiien,  die  ein  veiU^tan- 
diges  Gebälke  habpn.  Wer  son  ohl  als  über  dem  hoben 
Clior,  bleiben  die  angebrachten  Kreuzgewölbe  eine  auf* 
fallende  Erscheinung.  Das  Schiff  der  Kirche  bat  einte 
hölzeriie  Dachverbindung.  Der  hintere  Tlieil  des  l»9- 
lien  Chores  ist  ml  Mesaik  •  Gemälden  ia  derselbaa  Art 
wie  bei  der  Kirche  zu  MoarealfS  verziert,  der  übrige 
Theil  der  Wände  aber  ohne  jede  Verzierung.  Nxehu 
de^to  weniger  impoiiirt  dies  Gebäude  durch  seine  grefs- 


Erbauung 
Cathedrale  zu  Sronreale  benutzt  worden  ist. 

Die  Herren  llittorf  und  Kanth  haben  in  ihrem  I63S 
in  Paris  erschienenen  WerJ^  Architecture  .med^nm  da 
Ia  Sicile,  Beschreibungen  und  Abbildungen  der  (^äthe» 
drale  in  Monreale  und  der  Kogcrts •  Capelle  gegeben; 
es  fehlt  aber  darin  die  Cathedrale  in  Cefalu«,  und- da  es 
uns  vortheilhafit  erscheint,  wenn  man  dia  BltdungsMH 
fen,  wie  die  EnLwif  ke|ui;^  'der  Baul|^unst  untrer  dei)  lior« 
männischen  Fürsten  in  Sicilien  sich  nach  und  nach  ge- 
staltet trat,  verfolgen  kann,  wie  dies  in  der  Schrift  des 
Duca  Serra  di  Faico  der  Fall  ist;  so  kaiin  diea  Yfmk 
den  Architeciea  und  Kunstkennern  sabr  empfoirfimi 
werden.  Hesse. 


i;..«.. 


t« 


•  c^  8. 

J  ah  r  b  ü  c  h  e  r 

für 

w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e 


Januar  1840« 


Kr  i  t  i  k 


IV. 

Geschichte  der  europäischen  Staaten.  Heraus^ 
gegeben  von  A.  JB.  L.  Heeren  und  F*  A. 
Ukert.  — 

Geschichte  ton  Portugal  von  Dr.  Heinrich  Schä^ 
fe  r,  ord.  Prof.  der  Geschichte  an  der  Üniv. 

.  zu  Giefsen.  Zweiter  Band.  Vom  Erlöschen  der 
echten  burgundischen  Linie  bis  zum  Schlüsse 
des  Mittelalters.  Hamburg,  1839.  bei  Frie- 
drich  Perthes.     XVII.  8.  667.    gr.  8. 

Da  von  vorsteheDdem  Werke  schon  der  erste  Band 
in  diesen  Blättern  besprochen  worden  ist,  'so  wird  hier 
jetzt  nur  der  zweite  beurtheilt.  Als  Nachtrag  zum  er- 
sten Band  aber  ist  anzusehen,  ^as  im  zweiten  Theil 
TOB  S.  1  — 106  angegeben  ist.  Der  Yerf.  überschreibt 
diesen  AbschniU:  Rückblick  auf  dc^  Staatsweiten  vom. 
Hegierungsa^triit  des  Königs  Dini»  bis  xum  Erlö' 
ecken  der  ersten  burgundischen  Linie.  Diese  innere 
Geschichte  des  portifgiesisphen  Yolkes  ist  mit  ganz  vor- 
saglicher  Genauigkeit  und  Kenntnifs  der.Yerhältiiisse 
und  Zustände  der  Regierung  des  Landes  und  seiner 
Bewohner  abgefafst;  man  mochte  behaupten,  hie  nnd  * 
da  sind  innere  Yerhältnisse  in  der  portugiesischen  Ge- 
schichte des  Mittelalors  in*s  Licht  gestellt,  wovon  die 
analogen  in  Deutschland  Hoch  nicht  entwickelt  sind. 
Es  werden  in  diesem  Abschnitte  näifilich  besprochen 
die  an  der  Kegierung  des  Staates  Antheilnehmenden 
und. deren  Yerbältnisse  zu  einander:  der  König,  seine 
Räthe  und  Hpfbeamten ;  der  Adel,  die  Cortes,  die  Geist* 
lichkeit.  AuGserdem  findet  sich  die  Rechtspflege  und 
4eren  Entwickelung  und  der  Zustand  der  Qultur  und' 
Wissenschaften  in  P<Hrlugal  dargestellt. 

Was  nun  die  im  zweiten .  Baiide  behandelte  (3e« 
schichte  betrifft,  so  umfaCpt  diese  nur  etwas  über  hun* 
dert  Jahre  von  1383  — 1495.    Bei  dem  starken  Umfang 

Jahrb.  f.  wiittmch.  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd, 


des  Bandes  ist  ei  .ein  geringer  Zeitraum,  der'  behandelt 
wird.  Hr.  Schäfer  entschuldigt  diese  Ausführlichkeit 
in  der  Darstellung  damit  ^  daCsi  er  bei  jder  Armuth  an 
portugiesischen  Geschiehtswerken  in  Deutschland  (und 
auch  in  andern  Länderta)  sich  nicht  Icürzer  fassen  und 
auf  leicht  zugängliche  Werke  hinweisen  konnte,  wel- 
che dem  Leser  befriedigende  und  zuverläfsige  Auskunft 
darböten.  Auch  hätte  ihn  zu  dieser  ausfOhriichem  Dar« 
stellungsweise  die  Betrachtung  bewogen,  wie  es  hier 
die  Zeiten  des  ' Aufstrebens  der  Portugiesen,  eines  oft 
bis  zur  Begebterung  gesteigerten  Aufschwungs  seien, 
um  die  es  sich  handele,  und  wie  der  Geist,  der  die  Na- 
tion und  ihre  hervorragenden  Fuhrer  beseele,  sich  nur 
in  einzelnen  Ziigen,  fThaten  und  YorgSngen  ausspreche 
und  in  seiner  Eigenthümlichkeit  offenbare.  Wenn  wir 
auch  keineswegs  dem  Yerf.  es  zum  Tadel  rechnen,  dal^ 
er  dinem  Nuno  Alvares  Pereira,  jenep  grofsen .  Siaats- 
manne  und  berühmten  Heerführer  Jolianns  I.,  mehr  als 
ein  Blatt  in  der  Geschichte  Portugals  widmete;  da£s  er 
die  Regentschaft  Pedro's,  seine  Thaten  und  seine  Schick- 
sale, *  die  für  Portugals  Geschichte  so  bedeutend  sind^ 
mit  besonderer  Yorliebe  in*s  Einzelne:  verfolgte  und 
selbst  hie  und  da  der  Erzählung  einen  -pbetisch^n  An- 
strich lieh ;  dafs  er  bei  der  Hinrichtung  des  Herzogs  -von 
Braganza  mit  allen  einzelnen  Umständen  defn  Hergang 
der  Sache,  der  bisher  irrig  dargestellt  worden,  berich^ 
tet:  so  finden  wir  doch  bei  manchen  andern  Personen 
lind  Ereignissen  nicht  solche  Entschuldigungsgründe, 
Die  allzu  grofse  Ausführlichkeit  bei  minder  wichtigen 
Gegenständen  ermüdet,  schwächt  den  Totaleindruck  und 
läfst  Hauptpersonen  und  die  bedeutungsvollsten  Ereig- 
nisse zu  wenig  hervorspringen.  Bei  einer  gedrängte* 
ren  Darstellung,^ in  der  doch  nichts  Wesentliches  hätte 
übergangen  zu  werden  brauchen,  wäre  Baum  gewonnen 
worden,  in  diesem  zweiten  Band  den  Schlufsstein  i'es 
Mittelalters  in  der  portugiesischen  Geschichte^  die  Be* 
gierung  Emanuels  des   Grofsen ^  und  die  Darstellung, 

8 


59  Schäfer^  Geschickte  von 

derStaatsrerfassung  und  YerwaUung  des  swei(en  Zeit- 
rainns  am  passenden  Orte  aufEunehmen,  anstatt  dafs 
jetst  dieser  Theil  der  Geschichte  in  den  dritten  Band 
verwiesen  werden  mufste. 

In  dem  zweiten  Zeitraum  aber,  welcher,  wie  an- 
gegeben, die  Jahre  1383  —  14S5  umfafst^  behandelt  der 
Yerf.  in  sechs  Abschnitten  folgende  Regierungen  und 
damit  verknüpfte  wichtige  Ereignisse.  Nachdem  die  Z^it 
des  Zwischenreiches  und  der  Regentschaft  dargestellt 
worden,  werden  Johann's  I.  Thronbesteigung,  sein  Krieg 
mit  CastUien,^  die  ersten  Eroberungen  der  Portugiesen 
und  ihre  Entdeckungen  an  der  africanischen  Küste 
enählt«  Als  besonders  wichtig  in  diesem  Zeitabschnitt 
sind  stt  bezeichneit:  die  Yersammlung  der  Cortes  in 
Coimbra,  die  Thaten  des  Connetable  Nuno  Alv^resPe* 
reira,  die  durch  den  Infahten  Heinrich  bewirkten  Ent- 
deckungen  und  Niederlassungen  der  Portugiesen  an  der 
westlichen  Küste  Africa*s.  Interessant  ist  es  zu  erfalu 
ren,  dafs  vor  dem  Auslaufen  der  portugiesischen  Flotte 
zur  Eroberung  Ceuta's  ein  deutscher  Herzog  und  ein 
deutscher  Baron  (ihre  Namen  werden  aber  nicht  ge* 
uannt)  ihre  Dienste  anboten«  Jener  zog  zwar  wieder 
ab,  weil  ihm  der  König  das  Ziel  der  Kriegsfahrt  nicht 
sagen  wollte,  allein  der  Baron  blieb  und  leistete  mit 
vierzig  ISdelleuten ,    sehr   wackem  Rittern ,   treflfliche 

.  Dienste.  Die  Eroberung  Ceuta's  wird  nach  Matth,  de 
Pisano  sehr  ausführlich  erzählt  und  dabei  auch  nicht 
unbenutzt  gelassen,  was  andere  portugiesische  Ge- 
schichtsquellen darüber  berichten ;  aber  wir  finden  nicht, 
dars  die  abendländischen  Berichte  anderer  Lftnder  über 
dieses  damals  in  ganz  Europa  Aufsehen  erregende  Er- 

,  eignif^.  zu  Rath  gezogen  worden  sind.  Auch  vermifst 
ma^  des  Königs  Johann  L  Antheil  zur  Hebung  des 
grofsen  Schisma's  in  der  Kirche^  sein  anfängliches  Fest- 
halten an  Papst  Johann  XXIII.^  sodann  seinen  Beitritt 
zum  Constanzer  Concilium  und  seine  Schritte  beim  Pap- 
ste Martin  V«,  wodurch  dieser  bewogen  ward,  eine  Bulle 
zu  erlassen,  worin  er  ziim  Kreuzzug  gegen  die  Un- 
gläubigen in  Africa  und  zum  Beistand  der  Portugiesen 
in  ihren  Unternehmungen  gegen  dieselben  alte  ohristU- 
ehen  Fürsien  Europa's  auffordisrt.  Freilich  fand  die  Auf- 
forderung bei  den  letztern  keinen  Anklang,  da  aber 
Hr.  Schäfer  die  Verhältnisse  Pörtugal's  zu  andern  christ- 

^ liehen  Staaten  während  der  Regierung  Johann's  I.  be- 
spricht, so  hätte  dieser  Dinge  immerhin  auch  Erwäh- 
nung geschehen  dürfen.    Auch  den  Reisen  und  aben- 


Portugal.     Zweüer  Band.  60 

theuerlichen  Zügen  von  Johann's  I.  Sohn,   dem  Inran- 
ten  Peter,  dessen  spätere  Thätigkeit  und  Schicksäle  in 
Portugal  sehr  genau  und  ausführlich  dairgestellt  werden, 
hätte  ein  oder  das  andere  Blatt  gewidmet  werden  kdn» 
nen.     Zwar  spricht  Hr.  Sdiäfer  S.  456  von  den  Reis^B 
des  Infanten  (nach  Pina*s  Chronik)   wie  folgt:  ,,Yan 
wenigen  Fidalgoa  und  Bedienten  begleitet,   verlieCs  er 
im  Jahre  1424  Portugal,  um  das  heilige  Land  zu  besu- 
chen und  zugleich  mehrere  Hofe  und  Länder  zu  seheUj 
und  reiste  vier  Jahre  in  Europa,  Asien  und   Africa. 
Der  gefeierte  Name  seines  Vaters  und  seine  eigene  ge- 
diegene Persönlichkeit  verschafften  ihm  überall  eine  gute 
Aufnahme,    namentlich    am   türkischen  Hofe  und  am 
Hofe    des    Sultans    von    Babylon.     Mit  Auszeichnung 
K^urde  er  auf  seiner.  Rückreise  vom  Papst  Martin  Y.  in 
Rom  empfangen.  —  Später  sehen  wir  ihn  am  Hofe  des 
Kaisers  Sigmund  und  von  diesem  für  seine  aüsgezeich- 
neten  Thaten  im  Kriege  gegen   die  Türken  und  die 
Venetianer  mit  der  Marca  Trevisana  bes<;|ienkt$   dann 
an  den  verwandten  Höfen  von  Dänemark,  England,  dem 
Getmrtslande  seiner  Mutter,  Castilien  und  Aragon,  überall 
wohl  aufgenommen,  und  ausgezeichnet."    Aber  es  lieb 
sich  niach  deutschen  und  italienischen  Berichten  der  Zeitj 
welche  dieser  Reise  des  Infanten  Erwähnung  thun,  man- 
che  ungenauer  Angabe    des    portugiesischen    Chronik* 
Schreibers  berichtigen  und  vervollständigen.     Offenbar 
unrichtig  ist  die  Zeit  angegeben,  in  der  die  Mark-  von 
Treviso  dem  Infanten  verliehen  wird.     Nach  einer  Ur- 
kunde des  K.  Sigmund*s  fand  sie  schon  zu  Cokistans 
den  22.  Jan.  1418  statt.    Vgl.  Chmel  Regdsta  Pride- 
rici  III.  Imp.   Abth.  I.  n.  1534.     Von  einem  Antheile 
des  portugiesischen  Infanten  Pedro  an  dem  Hussiten« 
*  kriege  um  1424  spricht  Aeneas  Sylv.  in  der  Hist  Bo- 
hem.  c.  44.,  von  dessen  Antheile  an  dem  Türkenkriege 
und  seinem  Aufenthalt  in  Ungarn  im  Jahre  1426  handelt 
Eberhard  Windeck  in  seinem  Leben  K.  Sigmuad's  c.  14CL 
Im  dritten  Abschnitte  erzählt  Hr.  Schäfer  Eduard's 
kurze  Regierung  und   im   folgenden    die  Regentschaft 
des  Infanten  Pedro,  während  der  Minderjährigkeit  AI« 
fonso's  y .    Der  fünfte  Abschnitt  behandelt  Alfonso's  V. 
Regierung^  die  weitern  Entdeckungen  und  Eroberungen 
der  Portugiesen  an  der  afrieanisehen  Küste  und  die  Ver. 
hältnisse  und  Berührungen  Pörtugal's  zu  Castilien.    Den 
Schlufs  des  Buches  macht  Johann's  II.  Regierung,  wel* 
ehe   aus  dem  Kampf  mit  den  mächtigen  Vasallen  de9 
Landes  (Donatarios)  siegreich  hervorgeht. 


61  Caruij   Sy^t&m 

Nach  eioer  MittheiluDg  des  Verfii.  in  der  Yorrede 
wird  vorerst  von  ihm  die  Geschiehte  Porlugal's  nicht 
weiter  geführt.  Dafür  verspricht  er  aber,  bald  mög- 
li^sC  die  Qbemonunene  Bearbeitung  der  spanischen 
Geschichte  bis  zu  einem  gewissen  Punkt  zu  fuhren  und 
sodann  die  hoffentlich  nicht  allzulange  unterbrochene 
Fortsetsung  der  Geschichte  Portugars  zu  geben.  Die 
vieljäbrigen  Studien  des  Hrn.  Schäfer  in  der  Gesclüchte 
der  idnem  Zustande  Spaniens  und  seine  treffliche  Ge- 
schichte Portugals  bürgen  dafür,  dab  von  ihm  auch 
eiae  ausgezeichnete  spanische  GesehiclHe  werde  gelle« 
fert  werden. 

Asohbach*  , 


V. 

SjfStem  der  Physiologiej  umfassend  das  Allge- 
fneine  der  Physiologie^  die  physiologische  'Oe-^ 
schichte  der  Menschheit  ^  die  des  Menschen 
und  die  der  einzelnen  organischen  Systeme  im 
Menschen^  für  Naturforscher  und  Aerzte  be- 
arbeitet von  Dr.  Carl  Gustav  Carus  u.  s.  w. 
Erster  Theil,  enthaltend  das  Allgemeine  der 
Physiologie^  die  physiologische  Geschichte  der 
Menschheit  und  die  physiologische  Geschichte 
des  Menschen.  Dresden  u.  Leipzigs  1838.  bei 
Fleischer.  XVIII.  u.  372  S.  —  Zweiter  Theil, 
enthaltend  die  physiologische  Geschichte  des 
Bildungslebens y  des  Blut-  und  LymphlebenSy 
des  Lebens  der  Athmungy  der  Absonderungen, 
der  Ernährung  überhaupt  und  insbesondere 
der  Verdauung.    Das.  1839.  X  u.  460  S. 

Der  originelle,  geistreiche  und  vidseitige  Hr.  Yerf.^ 
dieser  Schrift  charakterisirt  dieselbe  im  Yerhältnirs  zum 
gegenwärtigen  Stande  der  Physiologie  selbst  im  Yoraus 
auf  folgende  Weise.  Die  heutige  Physiologie,  die  sich 
ungefähr  bis  auf  Reil  zurückdatire ,  habe  ihre  Lieht' 
Seite:  in  einem  auTserordentlich  erweiterten  Ueberblicke 
Über  eine  grolse  Zahl  erst  genauer  kennen  gelernter 
Organismen;  in  seitdem  erst  entdeckten  oder  wenig* 
stens  näher  erforschten  wichtigen  chemischen  und  phy- 
sikalischen Erscheinungen  und  ihrer  Anwendung  auf 
die  Physiologie;  in  dem  durch  HuITe  des  vervollkomm- 
neten Mikroskops  und   seine  fleifsigere  und    geübtere 


der  Physiologie.  62 

■ 

Benützung  näher' erkannten  feineren  animalischen. Baue 
und  endlich  in  einer  für  die  Naturwissenschaften  for* 
derlicheren  Form  der  Philosophie.  Die  Schattenseite 
der  heutigen  Physiologie  bestehe  aber:  in  ihrem  Aus» 
gehen  von  der  anatomischen  Betrachtung  des  Cadavers 
und  somit  vom  Tode,  da  sie  doch  die  Lehre  vom  Le« 
ben  sein  solle ;  in  der  sich  daraus  bildenden  Vorstellung, 
als  ob  das  Leben  ein  Resultat  sei  von  todten  Organen 
und  einem  \  durch  Kraft  boEeichneten  abstractea  ufid 
übrigens  unbekannten'*  Etwas ,  wogegen  doch  vielmehr 
vor  Allem  vom  Leben  aus«  und  eu  seinen  Resultaten 
fortzugehen  sei,  zu  denen  eben  auch  die  Organisation 
geiiöre;  ferner  in  ungeeigneten  Vorstellungen,  welche 
Physiologen  noch  häufig  in  Bezug  auf  den  Begriff  von 
Seele  und  von  ihrem  Grund  Verhältnisse  zum  Organis- 
mus hegten,  endlich  in  dem  unstatthaften  Unterschiede 
'zwischen  organisch -lebendiger  und  sogenannter  unor- 
ganisch -  todter  Natur.  In  Rucksicht  auf  diese  Schat- 
tenseite sei  der  Physiologie  unsrer  Tag^  noch  eine 
wesentliche  Umgestaltung  nothwendig,  wenn  sie  niclijt 
als  läelbständige  Wissenschaft  aufgegeben. werden  und  ' 
sich  in  bloFse  „Mikrolog-descriptiv- Anatomie"  verlie* 
ren  solle.  Diese  wesentliche  Umgestaltung  soll  denn 
nun  durch  gegenwärtiges  Werk  versucht  und  dabei  ^ 
,»eine  Ansicht  aus  dem  Ganzen/'  ja  ein  System  der  ' 
Physiologie  angestrebt  werden,  welches  dem  Arzte  und 
Naturforscher,  dem  Psychologen  und  Philosophen  genü- 
gen könne  und  vorzüglich  dasjenige  von  der  Physiolo- 
gie heraushebe,  „worin  sie  sich  noch  wesentlich  von 
dem  Sinne  einer  lichtvollen,  der  Genesis  des  Lebens 
mit  Wahrheit  und  Schönheit  folgenden  Wissenschaft 
entferne." 

Gemäfs  diesen  höheren  Ansprüchen  des  Werkes 
steigern  sich  nothwendig  auch  die  Anforderungen  an 
die  ^ritik  desselben,  die  sich  jedoch ,  ebenfalls  jener 
Ansprache  wegen;,  vorzugsweise  auf  den  Standpunkt 
und  Geist,  die  allgemeuisten  Grundlagen  und  die  Me- 
thode des  Werks  zu  beziehen  hat. 

Mit  Recht  fordert  unser  Hr.  Verf.  vor  'Allem  eine 
allgemein  -  biologische  Grundlage  für  die  Physiologie* 
Solche  Versuche  sind  in  manchen  Werken  über  Phy- 
siologie, sehr  traurig  auiigefallen,  weil  man  sie  mit  allzu- 
wenig  umfassendem  und  tief  dringendem  Blicke  unter- 
nahm. Die  neuerlichst  vorherrschende  Physiologie  lieis 
sich  vollends  so  wenig  als  möglich  darauf  ein,  stellt 
oft  von  Anfang  bis  zu  Ende  fast  blofs  ein  Fachwerk 


63 

fo'r  empirisches  Material  dar,  das,  an  sich  selbst  häufig 
mehr  anderer,  namentlich  aiiatomüseher  als  physiologi- 
scher Natur,  mehr  nur  äufserllch  und  theUweise  durch. 
Reflexion  an  einander  gehalten  und  auf  einander  bezo- 
gen wird,  und  wodurch  der  eigeuthiimllche  Charakter 
der  Physiologie  den  empirischen  Seiten  solcher  Zweige 
der  Wissenschaft,  welche  jener  Material  und  Hulfsmit- 
tel  EU  liefern  haben,  mehr  oder  weniger  aufgeopfert  wird. 
Unser  Hr.  Yerf.  hat  es  besser  und  ernster  vor.    Allein 

s 

er  begeht  sofort  den  bedeutenden  Mifsgriff,  allgemeine 
.Biologie  mit  allgemeiner  Physiologie,  zu  Ter  wechseln« 
Groüsentheils  aus  demselben  Grunde  fielen  aber  frühere 
Tersuche  biologischer  Begründung  der  Physiologie  so 
uuglacklich  aus.  Letztere  hat  ja  tiur  eine  besondere 
Form  lebendigen  Daseins  zum  Gegenstande ;  von  ihrem 
Standpunkte  aus  kann  also  nicht  das  ganze  Leben  an 
und  für  sich  und  nach  seinen  verschiedenen  Formen, 
Stufen  und  Seiten  gewürdigt  werden.  Die  allgemeine 
Biologie  mufs  durchaus  mehr  als  besoQdere  Doctrin  ge- 
fordert und  angebaut  werden,  an  die  dann  Physiologie, 
Psychologie,  Pneumatologie  u.  s.  w.  je  in  ihrer  Weise 
besonders  anzuknüpfen  haben. 

Unser  Hr.  Yerf.  kniipft  dabei  zwar  alsbald  selbst 
^  an.  Gott  an ;  allein  er  thut  auch  diefs  gewissermafsen 
nur  einseitig  unter  physiologischem  Gesichtspunkte.  Zwar 
unterscheidet  er  eine  Physik,  und  «ine  Metaphysik  des 
Lebens  und  betrachtet  als  Gegenstand  der  letzteren  die 
Idee,  die  gottliche  Idee,  die  allem  Sinnlichen  zu  Grunde 
liege  und  vorausgehe;  zugleich  aber  bezieht  er  diese 
mit  Leben  identificirte  Idee  nur  auf  ein  ,^göttliches  Ur- 
Wesen",  eine  „göttliche  Yernunft",  ein  „göttliches  My- 
sterium*', anstatt  auf  den  offenbaren,  weil  geoffenbarten^ 
geistig -persönlichen,  dreieinigen  Gott  Sein  Standpunkt 
dabei  ist  der  spinozistisch  -  pantheistische,  dieser  ebeiiso 
mifsliche  als  leicht  bestechende  Wendepunkt  in  der  mo- 
dernen Entwickelung.  Yon  ihm  aus  wird  ihm  Gott 
mehr  oder  weniger  zur  blolsen  mütterlichen  Substanz, 
der  zugleich  eine  Art  ttäumerbcher  Yorstellungen  oder 
etwas  dergleichen  und  ein  ätherischer  Dunst  und  Nebel 
entsteigen,  aus  deren  magischem  Wechselspiele  die  Welt 
erwachsen  solL  Die  göttliche  Idee  bedürfe  nämlich, 
heifst  es,  um  zur  Erscheinung  zu  gelangen,  noch  eines 
Anderen,  sonst  Materie  oder  Substanz  genannt,  hier 
Aethen    Zwar  sollen  diese  beiden  selbst  nur  verschie- 


Carus^   System  der  Physiologie. 


fr4 


dene  Manifestationen  und  Pole,  die  ewigen  Offenbarun- 
gen  eines  und  desselben  göttlichen  Urwesens  sein.  At- 
lein,  auch  abgesehen  von  dieser  ungeeigneten  Auffas- 
sung Gottes,  so  wird  damit  doch  nolens  volens  filr  die 
Welt  alsbald  ein  gar  fataler  Dualismus  statuirt.  Ware 
Gott  nicht  so  mifskannt,  so  würde  das  von  Gott  per- 
sönlich gewollte  und.  geschaffene  allgemeine  Leben  als 
die  ursprünglich  Oott  nur  analoge  nutter  der  Welt  er- 
kannt werden,  somit  an  sich  und  in  seiner  reinen  Ur* 
sprünglichkeit  namentlich  auch  als  etwas  Geistartiges, 
dessen  secundäre,  theilweise  materielle  Ersclieinung  nur 
Resultat  des  von  Gott  in  ihm'  angefachten  Proceseee 
ist,  den  eine  angemessene  Dialektik  mit  stetem  Ruck* 
blick  auf  Gott  und  Yorblick  auf  die  wirkliche  Welt  zu 
verfolgen  und  nachconstruirend  auficuzeigen  hat.  Allein 
gerade  rücksichtlich  der  Dialektik  erinnert  unser  Hr. 
Yerf.  weniger  an  Spfnoza,  als  an  den  jüngeren  Spröfs« 
ling  des  Spinozismus,  die  letzte  naturphilosopUsche  Pe- 
riode, die  ebenfalls  eine  scharfe,  gewandte  und  gemes- 
sene Dialektijc  nur  zu  häufig  durch  blofse  geniale  Laune 
oder  noch  Geringeres  und  Mifslicheres  zu  ersetzen 
suchte. 

Leider  entsprechen  solchem  Aus  -  und  Fortgang  die- 
ser allgemein  biologischen  Einleitung  die  sich  ergeben- 
den Resultate.  Da,  wo  eiuQ  „KchtvoUe  Wissenschaft 
der  Genesis  des  Lebens  mit  Wahrheit  und  Schönlieit 
folget!  soir,  wäre  zu  erwarten  gei^esen,  dab  sofort 
einerseits  der  Eine  Ur-  und  Proto  -  Orgaiusmua  des 
Makrokosmos  und  andererseits  die  Welt  der  deutero- 
organischen  Mikrokosmen  zur  Anschauung  gebracht 
würden.  Defsgleichen  die  anderwärts  durch  Him- 
mel und  Erde  angedeutete  Organisation  und  Grund- 
gliederung des  ersteren  u.  s.  w.  Anstatt  dessen  wer- 
den aber  alsbald  reale,  spirituelle  und  ideelle  Organis- 
men unterschieden.  Erstere  sollen  daraus  resultiren, 
dafs  die  göttliche  Idee  ihrer  selbst  uubewufst  dem  Aether 
eine  Form  gebe,  die  zwat  stets  zugleich  im  Werden 
und  Yergehn  begriffen  sei,  aber  .doch  auch,  einen  ge- 
wissen Bestand  habe,  selbst  noch  als  Leiche.  Indem 
dabei  der  Begriff  von  Organbmus  fast  bloCs  durch  die 
Benennung  „Gliedbau*'  erläutert  werden  soll,  werdoi 
als  reale  Organismen  genannt:  Weltkörper,  Pflanzen, 
Thiere  und  Menschen. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


wissen 


JL«*  9. 

Jahrbücher 

f.. 
u  r 

schaftliche 


K  r  i  t  i  k. 


Januar   1840. 


System  der  Physiologie^  umfassend  das  Allgemeine 
der  Physiologie^  die  physiologische  Geschichte 
der  Mefischheitj  die  des  Menschen  und  die  der 
einzelnen  organischen  Systeme  im  Menschen^ 

•  für  Natufforscher  und  Aerxte  bearbeitet  ton 
Dr.  Carl  Gustav  Carus  u.  s.  w. 

(Fortsetzung.) 
Allein  ist  die  gotUiche  Idee  von  Haus  aus  und  in 
Gott  eine,  unbewufsle?  Oder  wie  wird  sie  diefs^  falls 
sie  überhaupt  so  zu  denken  wäre,  aus  einer  bewiifsten 
und  wieder  umgekehrt?  Zudem  sind  einzelne  Weltkör- 
per  überhaupt  keine  Organismen ,  weder  solche  noch 
solche,  sondern  nur  Glieder,  Organe  des  Einen  Proto- 
Organismus,  von  dem  selbst  ganze  Systeme  jener  eben 
nur  Systeme  des  Einen  Organismus  sind.  Diesen  ver- 
mag aber  unser  Hr.  Verf.  trotz  alles  Gewichts,  das  er 
niit  Recht  darauflegt,  und  aller  Mühe,  die  er  sich  defs- 
Lalb  giebt,  doch  nicht  von  der  Yerdammnifs  zu  Unor- 
ganischem zu  erlösen.  Diefs  darum  nicht,  weil  auch 
ihm  der  BegriiF  des  Unorganischen  im  Unterschiede  von 
Proto-  und  Deuteroorganischem  fehlt.  Es  giebt  aber 
eben  doch  Unorganisches  und  Organisches.  Ersleres 
ist  eben  so  wenig  wcgzudisputircn,  wie  es  Hr.  C.  möchte, 
als  mit  Protoorganischem  zu  verwechseln,  wie  ganz  ge- 
wöhnlich geschieht.  Unorganisches  resultirt  erst  secun- 
där  sowohl  von  Proto-  als  von  Deuteroorganischem; 
wenn  Theile  dieser  ^o  aufser  Gemeinschaft  mit  ihrem 
Ganzen  gesetzt  werden,  daCs  sie  weder  durch  dieses, 
noch  durch  sich  selbst  und  Anderes  befähigt  sind,  in 
ihrer  Art  fortzuexistiren,  sondern,  anstatt  so  femer  zu 
wesen,  vielmehr  durch  fremde^ Uebergewalt  mehr  oder 
weniger  schnell  zum  Verwesen  gebracht  werden.  So- 
dann sind  denn  Thiere  und  Menschen  nur  reale  Orga- 
nismen? Und  giebt  es  denn  für  den  Hm.  VerL  selb- 
ständige spirituelle  Organismen,  die  derselbe  als  solche 
bezeichnet,  wo  sich  die  Idee  als  ein  Bewufstes  zu  re- 
Jahrb.  f.  wUientch.  Kritik.   J.  1840.     1.  Bd. 


lativer  Selbständigkeit  entvrickele,  in  welchen  ,>Abspie- 
gelungen,  älherische  Abbilder  oder  Vorstellungen"  von 
den  Zuständen  ihrer  Erscheinung  als  realer  Organis- 
mus zu  Stande  kämen?  Nur  Vorstellungen?  Und  nur 
von  den  Zuständen  der  eigenen  realen  Erscheinung?  — 
Ideelle  Organismen  sollen  Ganze  sein,  wie  die  Mensch-  ^ 
heit  als  Ganzes.  Welcher  willkuhrliche  Biegrlff  ist  da* 
'  bei  mit  dem  VTorte  ideell  verbunden  ?  —  -i—  Schon  in 
Bezug  auf  den  Einen  protoorganisch'en  Makrokosmos 
hätte  eine  reale  und  eine  ideale  Sphäre  erkannt,  noch 
vorher  hätten  bestimmte  Begriffe  für  real  und  ideal  g^ 
Wonnen  und  derselbe  Gegensatz  nachher  in  unterge-  ~ 
ordneten  Wiederholungen  bereits  im  Protoorganismus 
selbst  nachgewiesen  werden  sollen,  vvie  im  Solaren  und 
Planetaren  u.  s.  w.  'Dann  würde  er  auch  im  Bereiche 
des  Deuteroorganischen  auf  höherer  Potenz  wiederge- 
kehrt sein:  am  concretesten  in  der  irdischen  Sphäre 
in  einem  Pflanzen-  und  einem  Thierreiche;  weiter« 
hin  im  Thiere  und  Menschen  abermals  insbesondere  als 
Physisches  und  Psychisches. 

» 

In  der  Welt  des  Deuteroorganischen  erkennt  unser 
Hr.  Verf.  zwar  eine  Indifferenzsphäre  von  Pflanzlichem 
und  Thierischem,  ferner  einen  Gegensats  zwischen 
Pflanzen-  und  Thierreich  und  endlich  im  Menschen 
die  höhere  Synthese  dieser  an.  Aber  indem  er  Seele 
und  Geist  vereinerleit,  bleibt  ihm  der  Mensch  doch  nur 
organisches  Wesen,  als  welches  er  nur  höchstes  Thier 
wäre  und  bliebe  und  für  Hrn.  C.  auch  wirklich  blofs 
ist.  Mit  dem  Begriffe  Geist  fällt  auch  die  Möglichkeit 
weg,  den  Menschen  wesentlichst  als  geistiges,  als  gei- 
stig-persönliches Wesen  aufzufassen  und  ihm  eine  beson- 
dere höhere  Stellung  zu  vindiciren.  Zwar  ist  von  Per- 
jsönlichkeit  des  Menschen  hie  und  da  die  Rede,  aber 
so,  dafs  eine  solche  auch  vom  Thiere  prädicirt  werden 
könnte.  Wie  sollte  es  auch,  nachdem  Umgang  genom- 
men ist  vom  absoluten  Geiste  und  der  absoluten  Peif-  ^ 
sönlichkeit  Gottes,    des  Ur-  und  Vorbildes,   zu   einem 


67  CaruMy    System 

entsprechenden  Begriffe  von  Gebt  und  Persönlichkeit 
des  Menschen,  des  Ebenbildes,  kommen? —  Darum  wer- 
den  auch  im  Menschen  blofs  unterschieden :  Geschlechts- 
leben, individuelles  Bildungsleben,  individuelles  Empfin- 
dungslcbön  und  Seelen  -  oder  Gebtesleben.  Zwar  ist 
die  Anerkennung  des  Geschlechtslebens  als  besonderer 
Sphäre  an  sich  nur  zu  loben.  Allein  Empfindungsleben 
ist  schon  Seelenleben.  .Mit  ihm  ist  Seelenleben  alles 
bewufstwerdende  und  bewufste  —  wenn  auch  nicht 
sofort  eigentlich  selbstbewulste  —  Leben  in  Bezug  auf 
das  eigene  Sein  und  die  Welt  Oberhaupt  blofs  als  sol- 
che und  an  und  für  sich;  alles  nur  relativ  innerlich 
und  einheitlich  im  Gegensatze  zum  Physischen,  dem 
noch  gar  Manches  aufser  dem  Bildungsleben  angehört, 
und  das  überhaupt  sowohl,  als  das  Psychische,  am  und 
im  Menschen  concreler  in  vegetatives,  animales  und 
humanes  zu  unterscheiden  gewesen  wäre.  Geist  aber 
endlich  ist  das  höchste,  sclilechthin  einheitliche  und  in- 
nerUche,  bewufste  und  selbstbewufste  Leiben  wesent- 
lich in  Beziehung  auf  Gott  und  sein  Verhältnifs  zur 
Welt,  somit  wesentlich  religiös -sittlichen  Cliarakters. 
Dieser  aber  kann  bei  solch*  einem  Begriffe  und  Ausge- 
hen von  Gott,  wie  wir  sie  in  diesem  Werke  finden, 
kaum  irgend  auch  nur  berUhrt  werden.  (Dem  Hrn.  Vf. 
ist  Religion  die  allgemeine  Yerbindung  der  Menschen 
unter  einander  zu  einem  gemeinschaftlichen  Ganzen.) 
So  aber  kann  dasselbe  auch  nimmermehr  zu  einer  posi- 
tiven und  coucreten  geschichtlichen  Auffassung  des 
Lebens  gedeihen,  obwohl  es  eben  so  eine  „Geschichte", 
wie  ein  System  sein  soll.  Die  Angel  der  Geschichte 
des  Lebens  ist  eine  religiös -sittliche;  ihre  Grundmo- 
mente sind  Fall  und  Erlösung,  die  zwar  ursprünglich 
nur  das  eigentlich  geistige  Leben  angehen,  aber  un- 
möglich auf  dasselbe  beschränkt  bleiben  können,  son- 
dern ihre  Wirkungen  allenthalben  hin  verbreiten.  Rec. 
weifs  gar  wohl,  dafs  Erinnerungen  der  Art  Naturfor- 
schern und  Aerzteu  vielfach  eine  Thorheit  und  ein 
Aergernifs  sind.  Er  weifs  aber  auch^  dafs  erst  da,  wo 
die  Augen  diesem  Lichte  geöffnet  worden  sind  und  wo 
,  sie  es  ertragen  gelernt  haben,  gar  Vieles  auch  blofs  in 
der  phy^isdien Natur  erst  in. seuicr  wahren  Gestalt  und 
Bedeutung  gesehen  werden  kann  und  dafs  namentlich 
eine  wahre  allgemeine  Biologie  und  Anthropologie  an- 
ders schlechterdings  unmöglich  sind.  Allerdings  mögen 
manche  sonst  wohl  einschlägige  Schriften  weit  unter 
solch*  einer  Kritik  und  von  ihr   unberührt  liegen  blei- 


der  PJiyuologü.  68 

ben  können.  Das  gegenwärtige  Werk  drängt  sieh  ihr 
aber  selbst  auf  und  fordert  sie  heraus,  wie  sich  suicfa 
noch  aus  dem  Nachfolgenden  ergeben  wird. 

Die  beiden  ersten  Abschnitte  der  speciellen  Physio- 
logie nämlieh,  welche  der  erste  Band  noch  «ithält,  sind 
ebenfalls  nicht,  wenigstens  gröfseren  Theils  nicht,  Phy- 
siologie, sondern  Anthropologie.  Aber  auch  diese,  wie 
die  allgemeine  Biologie,  einseitig  auf  den  Standpunkt 
der  Physiologie  herüber-  und  herab -gezerrt«  Der  erste 
dieser  Abschnitte  handelt  aber  „vom  Leben  der  Mensch* 
heit"  nach  8  wesentlichen  Momenten,  nach  welchen 
jeder  besondere  Gegenstand  in  diesem  Werke  in  Be- 
tracht gezogen  wird  und  in  deren  Aufstellung  und  ste- 
ter Wiederkehr  hauptsächlich  das  „System**  und  zu- 
gleich die  „Geschichte*'  zu  suchen  sind.  Diese  Mo- 
mente sind:  Entstehung  —  Entwickelung  und  Gliede- 
rung ^  Verhältnifs  der  Organe  und  Theile  unter  sich 
und  zum  Ganzen  —  Verhältuils  des  Ganzen  zu  andern 
Ganzen  und  zum  Höchsten  —  regelmäisige  Lebenspe- 
rioden «  Lebensstörungen  —  Sterben  —  Verhältnils 
zur  (sog.)  göttlichen  Idee.  Wir  referiren  atis  diesem 
Abschnitte  nur  Folgendes.  Es  sei  nicht  zu  denken,  dafs 
die  Entstehung  d^  Menschheit  (aus  Urbläschen)  nur 
ein  -  oder  zweifach  erfolgt  sei ,  sondern  in  „gewalti- 
ger Menge.''  Der  Fötalzustand  der  Menschheit  sei  noch 
heute  in  den  Bosjesmen,  Papus  u.  dergl.  rcprasentirt. 
Weil  es  viererlei  epitellurische  Geschöpfe  (Protoorga- 
nismen,  Pflanzeirthiere  oder  Thierpflanzen,  Pflanzen, 
Tliiere  und  Menschen)  und  vier  Tagszeiten  gebe,  so 
gebe  es  auch  vier  Menschenra^en ,  nämlich  Nachtmen» 
sehen  oder  Aethiepen,  Tagmenschen  oder  kaukasisch* 
europäische,  Morgendämmerungs- Menschen  oder  mon* 
golisch-malayisch-hindostanische  und  endlich  Abend- 
dämmerungs  -  Menschen  oder  Uramerikaner.  ladem  wir 
uns  jeder  Bemerkung  Ober  diesen  für  gleich  neu  und 
wichtig  gehaltenen  Fund  enthalten,  werde  nur  noch  er- 
wähnt,  dafs  als  weitere  Gliederung  jeder  Ra^e  betrach- 
tet wird:  Verschiedenheit  der  Individuen  nach  Alter, 
Geschlecht  und  Persönlichkeit  ^—  Dinge,  wodurch  sich 
Individuen  gegen  Individuen  charakterisiren,  wohinge- 
gen  die  Ragen  sich  in  der  That  weiter  gliedern  in  Völ- 
kerstämme, einzelne  Völker,  Volkszweige,  Stände  oder 
sog.  Menschenklassen  und  Familien,  deren  unmittel- 
bare Bestandtheile  endlich  erst  Individuen  smd.  —  In 
Bezug  auf  die  Geschichte  der  Menschheit  wird  nur  be- 
merkt, dafs  sie,  jedoch  nur  auf  ideelle  Weise  (?),  den- 


69  Carui^    System 

selben  Typus  der  Spirafiinle  befolge,   wie  der  Indivi- 
dudle  Organismus,   und  dafs  einzelne  Perioden  durch 

•  Entstehen 'neuer  und  Erlöschen  älterer  Yerinogen  be- 
gründet  seien.  Nebenbei  und  Beispielsweise  heifst  es 
neeh :  die  griechische  Yolksbildung  habe  die  Idee  der 
Schönheit  zuerst  rein  verwirklicht,  das  Christenthum 
die  Idee  der  reinen  Liebe  und  vollendeten  Güte,  die 
neueste  Zeit  habe  die  Bestimmung,  durch  Wissenschaft* 
liches  Streben  die  Idee  der  Wahrheit  zu  venvirklicheii, 

.  und  das  Ziel  der  MeDtschheit  sei  die  Weisheit.  Uebri- 
gens  wird  das  Ende,  das  Sterben  der  Menschheit  den 
fruchtlosen  Speculationen  müfsiger  Kopfe  überlassen. 
Wie  ~wohl  dabei  namentlich  auch  Christus  und  seine 
Apostel  wegkommen?  Und  wie  sich  wohl  die  Haupt- 
ttiatsachen  der  Geschichte  zu  dem  vorher  angedeuteten^ 
Fortschritt  verhalten  I 

Soviel  ist  übrigens  klar,  dafs  dieses  System  der 
Physiologie  in  diesem  Abschnitte  Physiologie  zu  blei- 
ben sich  nicht  bescheidet,  sondern  sich  vollauf  bIs  An- 
thropologie zu  geriren  strebt.  Auch  das  ist  klar,  daüs 
diefs  mit  sehr  wenig  GlUck  geschehen  ist  und  besser 
ungeschehen  geblieben  wäre.  Dafs  der  unnöthige  und 
undaokbare  Yersuch  nicht  wohl  anders  ausfallen  konnte, 
mufste  schon  aus  den  Grundzügen  der  allgemeinen  Bio- 
logie klar  werden.  Nicht  wohl  abzusehen  dagegen  ist 
es,  warum  der  Hr.  Verf.  nicht  in  der  Sphäre  der  Phy- 
siologie geblieben  ist  Zwar  wäre  es  ganz  in  der  Ord- 
nung gewesen,  wenn  er  eine,  wo  nur  sonst  geeignete, 
allgemein  biologische  Ebüeitung  bis  zum  Ausgangspunkt 
der  Anthropologie  und  bis  zur  Aussicht  auf  deren  Grund- 

.  gliederung  fortgeHihrt  hätte,  um  sodann  nur  die  phy- 
siologische Richtung  zu  verfolgen,  die  anderen  Seiten 
und  Stufen  der  Anthropologie  aber  soviel  möglich  auf 
sich  beruhen  zu  lassen.  Dann  wäre  auch  das  zu  bil- 
ligen gewesen,  dafs  die  Physiologie  als  solche,  d.  h.  als 
Lehre  vom  lebendigen  physischen  Sein,  mit  möglichst 
unmittelbarer  Beziehung  auf  das  Menschengeschlecht 
^äls  solches  und   auf  seine  gröfseren  Bestandtheile  bis 

.  zum  menschlichen  Individuum  begonnen  worden  wäre. 
Aliein  so  ist  sich  ohne  Noth  und  Beruf  auf  ein  frem- 
des Feld  verirrt  worden.  Gerne  wollen  wir  gestehen, 
dafs  dazu  eine  gute,  obwohl  nicht  zur  Klarheit  ge- 
brachte, Ahnung  mit  getrieben  haben  mag.  Die  näm- 
lich, .dafs  möglichste  Begründung  und  Yollendung  der 
Physiologie  des  Menschen  grofsentheils  davon  abhänge, 
dab  sie   durch  und  durch  nur  als  besonderes  Element 


der  Physiologie^-  70 

der  gesammten  Anthropologie,  neben  der  Psychologie 
und  Pneumatologie  des  Menschen  u.  s.  w.,  betrachtet 
und  behandelt  Werde;  eiAe  Entwickelungsepoche  jenet 
und  dieser,  die  nicht  ausbleiben  wird,  ja  die  sich  be- 
reits immer  näher  aufdrängt,  durch  welche  diese  ver- 
schiedenen  Seiten  und  Stufen  des  Ganzen  der  Anthro- 
pologie manaichfache  Beschränkungen ,  Ergänzungen 
und  Beziehungen,  mit  all*  dem  aber  eben  so  mannichfa- 
che  Berichtigungen  und  Vervollkommnung  erfahren  wer- 
den und  müssen.  Ernster  und  allseitiger  Anbau  der 
Anthropologie  wird  mehr  und  mehr  dringendes  Bedürf- 
nifs  der  allgemeinen  Bildung,  und  die  Medicin  insbe- 
sondere hat  zu  ihrer  nähern  Begründung  blofs  an  der 
Physiologie  für  sich  keineswegs  genug,  sondern  fordert 

'  dazu  immer  gebieterischer  die  ganze  eigentliche  Atithro- 
pologic.  Allein  hier  sollte  und  konnte  es  sich  nur  um 
Physiologie  handeln.    Auch  eine  Psychologie  des  Men- 

,  sehen  konnte  für  sich  dem  Hrn.  Yerf.  bis  auf  einen 
gewissen  Grad  gelingen,'  wie  sie  in  seinen  gedruckten 
Torlesungen  vorliegt.  Zu  einer  vollen  Anthropologie 
fehlen  ihm  aber  die  wesentlichsten  Prämissen.  Wie 
diefs  aus  seinen  allgemein  biologischen  Grundsätzen 
und  dem  bisher  Erwähnten  erhellt,  so  namentlich  auch 
aus  der  in  dem  allgemeiiieh  Theile  gegenwärtigen  Werks 
vorkommenden  Abgrenzung  folgender  Lebenskreise :  ei- 
nes kosmischen,  eines  tellurischen  und  eines  epitelluri- 
schen,  welchem  letzteren  eben  die  gewöhnlich  nur  sog. 
organischen  Wesen  mit  dem  Menschen  angehören  sol- 
len. Nun  fehlt  es  zwar  nicht  an  gegenseitigen  Andeu-' 
tungen ;  immeV  aber  drängt  sich  dabei  die  Yorstellung 
wieder  auf,  als  ob  es  in  derselben  Ordnung,  ih  welcher 
jene  Lebenskreise  genannt  sind,  vom  Gröfseren  und  Be- 
deutenderen zum  Entgegengesetzten  herabgehe.  DieCs 
um  so  mehr,  als  nicht  unterlassen  ist,  namentlich  ab 
die  Anthroporganismen  ein  epiorganisches  Nebenreich 
der  Ento-  und  Epianthropica  als  Fortsetzung  anzu- 
reihen. — 

per  zweite  Abschnitt  der  speciellen  Physiologie 
hat  „den  Menschen",  d.  h.  dos  menschliche  Individuum, 
zum  Gegenstande.  Auch  das  aber  wieder  nicht  blofs 
in  physiologischer  Hinsieht,  sondern  soviel  möglich 
überhaupt  in  anthropologischer.  Wenn  einmal  vor- 
zugsweise vom  Allgemeinen  aus-  und  zuo(i  Besonderh 
fortgegangen  werden  sollte,  so  hätte  wohl  dem  vorigen 
generellen  Theile  jetzt  in  dem  Sinne  ein  specieller  fol- 
gen soUen, -dafs  ihm  die  Betrachtung  des  je^Jem  mensch- 


71 


Carusy    System  der  Physiologie.. 


72 


liehen  IndiTidauin,  so  zu  sagen,  nach  einem  miuleren 
^Durchschnitte,  Gemeinsamen  Ton'  Seiten  des  physi- 
schen Menscbenlehens  als  Gegenständ  anheimgefallen 
und  ein  individueller  Theil  gefolgt  wäre,  welclier  die 
Eigenthümlichkeiten  und  Unterschiede  menschlicher  In- 
dividuen nach  Lebensalter,  Geschlecht,  Constitution  u. 
s.  w.  —  immer  aber  nur  nach  ihrer  physischen  und 
somit  physiologischen  Seite  —  abzuhandeln  gehabt 
hätte.  Diesen  Gang  findet  Refer.  auch  für  die  ganze 
Anthropologie  fortwährend  am  geeignetsten.  Dann  hät- 
ten sich  als  tJnterabtheilurigen  für  den  zweiten  oder 
mutieren  Theil  dargeboten:  Vegetatives,  Animales  und 
Humanes  des  physischen  Menschenlebens.  So  hätte 
das  Ganze  eine  concretere  Gestalt  gewonnen.  Unser 
,Hr.  Yerf.  hat  sich  aber  einmal  als  Schema  vorgesetzt: 
Menschheit,  Mensch  (Individuum)  und  die  einzelnen  or- 
ganischen Systeme,  um  sie  nach  den  oben  bezeichneten 
8  Momenten  in  Betracht  zu  ziehen,  wodurcli  freilich 
bedingt  ist,  darfs  der  Mensch  in  seiner  Totalität  und 
als  Einheit  allmälig  ih  feinste  Fäserchen  zersetzt  wird 
und  unter  der  Hand  verschwindet,  anstatt  von  jeder 
Einzellieit  aus  immer  wieder,  nicht  blofs,  wie  hier  al- 
lerdings geschieht,  auf  die  Idee,  sondern  auf  das  con- 
creto Ganze  selbst  zurückzukommen.  Uebrigens  kom- 
men hier  die  Eigenthümlichkeiten  menschlicher  Indivi- 
duen, Lebensalter,  Geschlecht  u.  s.  w.,  sogleich  im 
zweiten  Tlieile  an  die  Reihe,  und  zwar  nicht  blofs  von 
physischer,  sondern  atich  von  psychischer  Seite,  und 
darum  auch  die  Temperamente  und  der  Charakter,  /ür 
vvelehen  letzteren  es  jedoch  mit  dem  hinreichenden  Be- 
griffe von  Geist  und  Persönlichkeit  allzusehr  an  Basis 
fehlt.  Auch  vermifst  man  andere  solcher  individuellen 
Unterschiede  ganz,  wie  Naturelle  und  Gemüthsarten, 
denen  gar  wohl  ebenfalls  besondere  Begriffe  zu  vindi- 
ciren  sind. 

Unter  den  Lebensaltern  wird  auch  eines  des  la- 
tenten Lebens  vor  der  Fötalperiode  gezählt  und  seine 
Dauer  auf  10  bis  3  x  10  Erdumläufe  angeschlagen, 
welches  jedoch  nicht  sowohl  ein  Lebensalter  des  mensch- 
lichen Individuums,  als  vielmehr  die  Lebenszeit  des 
menschlichen  Eies  ist.  Nach  dem  Fötalleben  folgt  die 
Periode  des  „Menschenlebens",  welche  Gehurt,  Reife 
und  zuletzt  „TernichXung  des  Meusdien  als  solchen 
durch  den  Tod",  so  wie  ferner  umfassen  soll:   1)  das 


Säuglingsalter,   2)   das  Kindesalter,,  ungefähr  bis   zum 
17.  Jahre  s  Entwickeluug  zum  „reifen  Mensoheu**,   3) 
die  Jugend  bis   zum  28.  Jahre,  während  welcher    der 
„innere  eigentliche  Mensch**  zu  dem  ausgebildet  iTirerde, 
was  wir  Charakter  nennen ;  4)  das  Mittelalter,  bis  vom 
49 — 59.  Jahre,  wo  die  Rückbildung  beginne,  welclie  5) 
im   Greisenalter   durch  3  bis  4  x  10   Erdumläufe  ge- 
schehe.    Es  kann  zwar  nicht  unbemerkt  bleiben^    dab 
es  mit   der  allseitigen   Bestimmung   der  menschlichen 
Lebensalter,  vom  Zalinen  und  Zahnwechsel,   der   Pu- 
bertätsentwickelung und  Vollendung  des  Längen  wachs* 
thums  abgesehen,  zur  Zeit  überhaupt  noch  sehr  dürf- 
tig stehe.    Dennoch  aber  hätten  wir  hier  mehr  erwar- 
tet,   als    sich    wirklich    findet:    bei    vielem    unsicheren 
Schwanken  wenig  Resultat  und  noch  weniger  Wahis 
heit.    Weder  einigermafsen  umsichtige  physische,  noch 
psychische    Erörterung.      Yon  Pneumatologie  vollends 
ist  hier,  wie  anderwärts  in  diesem  Werke,  gar  nichts 
anzutreffen,  und  defshalb  besonders  ungefähr  das  letzte 
Drittel  der  Lebensdauer  ohne  allen  positiven  Charak- 
ter,   was  freilich    leider    auch  bei  anderen  Versuchen 
der  Art  häufig  der  Fall  ist,  dann  aber  auch  den  mifs- 
lichsten  Standpunkt  für  die  Betrachtung  des  Todes  be- 
dingt   Weniger   in  dem  obigen   Auszuge,  als  in  dem 
übrigen  Theile  der  Darstellung  der  Lebensalter  in  der 
vorliegenden  Physiologie,  fällt  noch  besonders  ein  Hal- 
ten auf  eine  Decimalrechnung   mit  Erdumläufen   auf, 
von  der  sich  in  der  Natur  gar  wenig  beobachten  läfst. 
In   Bezug  auf  sämmtliche   hier  in   Betracht    kom- 
mende Eigenthümlichkeiten  und  Unterschiede  menschli- 
cher Individualität    fällt   überhaupt    der  Umstand   übel 
auf:    dafs    einerseits    theils   namentlich  die   Aerzte   so 
grofses  Gewicht  auf  das  Individualisiren   legen,    theils 
die  Wichtigkeit   dieser  individuellen  Eigenthümlichkei. 
ten  sich  im  wirklichen  Leben  so  vielfach  bewährt,  und 
dafs  doch  andrerseits  die  wissenschaftlidie  Erkehntnifs 
derselben  so    dürftig  und    abweichend   gefunden    wivd. 
Ein  Hauptgrund  davon  ist  sicherlich,  dafs  die   einzel- 
nen Elemente  der  Anthropologie,  wie  Physiologie^  Psy- 
chologie u.  s.  w.,  gegenseitig  noch   so  isolirt  cultivirt 
werden.     Diefs  geschieht  nun  zwar  im  ersten  Theile 
vorliegenden  Werkes,  obgleich  im  Verhältnifs  zu  seiner 
eigentlichen  Bestimmung  mit   Unrecht^  weijiiger,  leider 
aber  ebenfalls  mit  allzu  wenig  beifalls würdigem  Erfolge. 


(Der  Beschlufs  folgt.) 


J^  10. 

J  a  h  r  b  fi 

für 


eher 


TTissenschaftliche    Kritik. 


Januar  1840* 


System  der  Physiologiej  umfMsend  das  Allgemeine 
der  Physiologie^  die  physiologische  Geschichte 
der  mtenschheity  die  des  Menschen  und  die  der 
einzelnen  organischen  Systeme  im  Menschen, 
jff Jr  Naturf&rscher  und  Aerzte  bearbeitet  von 
Dr.  Carl  Gustav  Carus  u.  s.  tr. 

(Sclilufs.) 

So  hatte  doch  der  Herr  Yerf.  in  seinen  Vorle- 
sungen über  Psychologie  wenigstens  im  Allgemeinen 
die  relative  Selbständigkeit  der  Temperamente  als  £i- 
genthumlichkeiten  des  psychischen  Lebens  anerkannt; 
hier  neigt  er  sich  aber  wieder  zu  dem  alten  und  noch 
so  yerbreiteten  Mifsgriff  hin,  die  Temperamente  mehr 
nur  als  Wirkungen  der  Leibesconstitutiouen  anzusehen, 
obwohl  man  die  Sache  ganz  mit  demselben  Rechte  oder 
eigentlich  Unrechte  umkehren  konnte.  Er  unterscheid 
det  übrigens  nur  ganz  kurz  eine  nervöse,  sinnliche» 
athletische,  phlegmatische,  apathische,  schwächliche, 
bootische,  plethorische,  pneumatbche  (respiratorische), 
cholerische,  atrophische,  chlorotische,  phthisische,  atra- 
bilarische,  lascive  und  sterile  Constitution,  so  wie  man- 
cherlei Combinationen  unter  diesen. 

Wir  heben  jedoch  nur  noch  eine  pathologische  An- 
sicht aus  dem  Inhalte  des  ersten  Bandes  aus,  nach 
welcher  das  Fieber  als  Urform  der  Krankheit  gilt, 
Entzündung  als  secundäre,  und  zwar  als  localisirtes 
Fieber,  Yerbildungen  aber  endlich  als  Tertiarkrankheit. 
5ede  dieser  Formen  komme  theils'  vielfach  modificirt 
für  sich^  iheils  mannigfach  mit  den  andern  combinirt 

vor.  — 

In  besonderer  Beziehung  a\if  den  zweiten  Theil 
dieses  W^rks  werde  nur  Folgendes  bemerkt.  Als  sei- 
nen Inhalt  giebt  schon  das  Titelblatt'  an:  physiologi- 
sche Geschichte  des  Bildungslebens,  des  Blut-  und 
Lympblebens,  des  Lebens  der  Athibung,'  der  Absonde- 
rungen, der  Ernährung  überhaupt  und  insbesondere 
Jahrb,  /.  vn»Hn9ch  KriHk,  /.  1840.   I.  Bd. 


der  Yerdauung.  Jeder  dieser  Gegenstände  ist  soviel 
n^öglich  nach  den  oben .  angeführten  8  Mementen  in 
Betracht  gezogen.  Das  letzte  Moment  gilt  immer  dem 
Yerhältnifs  des  einzelnen  Systems  und  seiner  besonde* 
ren  Lebensidee  zur  Grundidee  des  Organismus  oder 
der  psychischen  Bedeutung  dieses  Systems,  woraus  zu- 
gleich erhellt,  dafs  der  Hr.  Tf.  die  allgemeine  Lebens- 
einheit jedes  menschlichen  Individuums  noch  fortwäh- 
rend mit  Seele  identisch  nimmt,  obwohl  manche  Aeu- 
fserung  im  ersten  Bande  dahin  zu  deuten  schien,  dafs 
er  zwischen  beiden,  wie  billig,  ja  nötbig,  unterscheide. 
Uebrigena  und  im  Allgemeinen  können  wir  diese  je- 
weilige Rubrik  nur  billigen.  Denn  es  ist  etwas  Ande- 
res, Physiologie  und  Psychologie  willkührlich  mit  ein- 
ander zu  vermengen  und  sie  nothwendiger  Weise  auf 
einander  zu  beziehen.  Je  reiner  physiologisch  die  Hal- 
tung des  Werks  wird  und  je  weiter  es  in's  Specielle 
vorschreitet,  desto  reicher  wird  es  an  vortheilhaft  an- 
regenden Ansichten  und  Andeutungen.  Zwar  wäre 
auch  hier  noch  manches  zu  beanstanden.  Allein  um- 
ständlicher auf  das  Einzelne  einzugehen,  wutde  zu 
weit  führen,  und  nur  hie  und  da  etwas  auszuheben, 
dürfte  zu  willkührlich  erscheinen  und  nicht' fruchtbar 
genug  sein.  Uebrigens  dürfte  das  ganze  Werk  seinen 
Hauptreiz  und  das  am  Meisten  und  Besten  Anregende 
gerade  in  einer  Masse  einzelner,  häufig  nur  wenig 
ausgeführter  und  gegenseitig  vermittelter  Bemerkungen 
und  Beziehungen  haben,  was  um  so  geflissentlicher  be- 
merkt werden  soll,  als  wir  uns  in  Bezug  auf  die  allge- 
meineren Grundlagen  und  die  Systematik  des  Ganzen 
vorzugsweise  (adelnd  aussprechen  mufsten  und  auf  das, 
Speciellere  weniger  eingehen  können. 

Wir  hoffen,  der  Hr.  Yerf.  werde  die  tadelnden  Be- 
merkungen selbst  nur  zu  Gunsten  der  Sache,  nicht  zu 
seinen  .Ungunsten  wenigstens  gemeint  halten,  so  viel 
oder  so  wenig  er  sie  auch  vorerst  begründet  finden 
möge.    In  Bezug  auf  ihn  durfte   und  mufste  nur  na- 

10 


75 


Marbaehf  GeseAi^Ate  der  Pkäo$ophie* 


7« 


mentlich  geltend  gemacht  werden:  wejr  viel  hat  (und 
Tiel  verspricht),  von  dem  wird  vfel  gefordert.  Jeden* 
falls  hat  er  sehr  Lobliches  und  Nöthiges  angestrebt» 
In  Bezug  auf  höhere  und  umfassendere  wahrhaft  if»«- 
senMcAaftlicA^  Anforderungen,  ja  selbst  nur  in  Bexug 
auf  Sinn  dafür  und  guten  Willen  dazu,  steht  es  bei 
der  gegenwärtig  vorherrschenden  Weise,  die  Physiolo« 
gie  zu  behandeln,  —  Ausnahmen,  wie  z.  B.  die  in  dem 
Grundrisse  der  Physiologie  von  Schultz  an  den  Tag 
gelegten  Bestrebungen,  in  Ehren  gehalten,  —  in  der 
That  wenigstens  verhältnirsmäfsig  schlechter,  als  in 
mancher  früheren  Periode.  Es  ist  zwar  nicht  zu  ver- 
kennen, daTs  die  heutige  Phase  der  Physiologie  wesent* 
lieh  durch,  die  ihr  zunächst  vorausgegangene  naturphi- 
losophische  Periode  mit  ihrem  Mangel  an  gesichertem 
empirischem  Material  und  an  zureichender  Methode,  sol- 
ches zu  constatiren  und  zu  vermehren,  bedingt  sei,*  und 
dafs  jene  diesem  Mangel  bereits  in  beträchtlichem  Maafse 
auf  sehr  dankenswerthe  Weise  abgeholfen  habe  und 
diefs  noch  weiter  thun  werde.  Sie  hat  sich  aber  we- 
gen dieser  negativen  Seite  ihrer  Vorgängerin  zu  sehr 
in'' Gegensatz  zu  derselben  gesetzt  und  deren,  freilich 
ebenfalls  npch  sehr  zu  vervollkommnende^  positive  Seite 
za  sehr  vernacbläfsigt  und  verkannt.  Sie  hat  sich  dar- 
über mehr  und  mehr  allzu  einseitig  negativ  -  kritisch 
charakterisirt,  sich  einem  üblen  Analogen  des  Geldgei- 
zes und  der  Geldaristokratie  hingegeben  und  bei  einem 
merklichen  Abstände  zwischen  ihrem  Leben  und  Geist 
und  zwischen  ihren  Mitteln  weder  die  ärztliche  noch 
die  allgemeine  Bildung  im  Yerhältnisse  zu  ihrem  Selbst- 
gefühle gefordert,  oder  wenigstens,  indem  sie  diefs  auf 
der  einen  Seile  that,  dieselben  auf  der  andern  Seite 
selbst  gefährdet.  Allerdings  also  ist  Yeranlassung  ge- 
nug gegeben,  unter  Anerkennung  und  Benutzung  des 
vorhandenen  Guten,  das  Bessere  anzustreben  und  gel- 
tend zu  machen.  Allein  leicht  wird  der  Sache  selbst 
zur  Schuld  und  zum  Nachtheile  angerechnet,  was  nur 
auf  Rechnung  einer  unvollkommnen  oder  verfehlten  Art, 
sie  zu  behandeln,  kommen  sollte,  wenn  diese  nicht 
'  allen  Ernstes  alsbald  gerade  von  Solchen  gerügt  wird, 
welche  Absicht  und  Ziel  theilen,  aber  dabei  gar  wohl 
unter  den  Mitteln,  sie  zu  erreichen,  unterscheiden  und 
es  damit  strenger  nehmen. 

Leupoldt. 


VI. 


Lehrbuch  der  Geschichte  der  Philosophie.  Mü 
Angabe  der  Literatur  nach  den  Quellen  bear^ 
beitet.  Erste  Abtheilung.'  Einleitung  und  ^ß^ 
schichte  der  griechischen  Philosophie.  Auch 
unter  dem  Titel:  Geschichte  der  griechischen 
Philosophie.  Mit  Angabe  der  Literatur  nach 
den  Quellen  bearbeitet  von  Dr,  G.  O.  Mar* 
bach.  Leipzigs  1838.  Verlag  f?on  Otto  tVi- 
gand. 

Neben  den  grofseren  Werken  über  Gesehichte  der 
Philosophie  vermifste  man  seither  ein  kleineres  Hand- 
buch, welches  zugleich  mit  der  Quellenangabe  den  hö- 
heren Standpunkt  der  Wissenschaft  ztt  unserer  Zeit  We- 
nigstens nicht  verleugnen  mochte. '  Der.  zuletzt  von 
H^endt  herausgegebene  Grundrifs  Tennemann*e  ist 
nicht  mehr  geeignet,  diesen  Anforderungen  entspreeboi 
zu  können,  es  ist  daher  verdienstlich,  dafs  der  Vf.  in  die- 
ser ersten  Abtheilung  seines  Lehrbuchs  dem  bisher  gefühl- 
ten Mangel  abzuhelfen  sucht,  und  ihn  wirklich  in  mehr 
als  einer  Rücksicht  beseitigt.  Die  Hauptpunkte,  «tets  in 
deutscher  Uebersetzung  mittheilend,  weist  er  nicht  nur 
auf  die  Quellen  hin,  sondern  ergänzt  auch  und  viervoll- 
ständigt  die  von  Tennemann  und  fVendt  gegebene 
Literatur;  erscheint  freilich  der  höhere  Standpunkt  öf- 
ters von  empirischem  Stoff  fast  verdeckt,  so  ist  derselbe 
doch  überall  mehr  oder  weniger  bemerkbar.  Der  Vf. 
hat  dabei  die  löbliche  Absicht,  dafs  seine  Darstellung 
die  einzig  würdige  Auffassung  der  Geschichte  der  Phi- 
losophie weiter  verbreiten,  und  zugleich  das  Vorurtheil 
widerlegen  soll,  als  ob  die  neuere  Philosophie  die  Ge- 
schichte construire,  wogegen  sich  Hegel  überall  erklärt, 
und  ob  sie  die  gelehrte  Forschung  verschmähe  oder  gtfr 
gering  achtjo.  VTährend  neuerlich  Bayrhojff^er  beson- 
ders die  ideelle  Organisation  der  Geschichte  der  Philo- 
sophie im  Aug'  gehabt,  mit  Abscheidung  alles  Zufälligen 
und  Partikulären,  geht  ninser  Vf.  überall  empirisch  zu 
Werke,  und  bemüht  sich,  aus  dem  geschichtlichen  Ma- 
terial, und  wo  es  auf  die  Begriffsentwickelung  an- 
kommt, nach  Aristotelischer  Weise  auis  der  Vorstellung 
den  zu  Grunde  liegenden  Gedanken  zum  Bewnlstsein 
zu  bringen.  Dieser  seinem  Zwecke  im  Ganzen  ange* 
messene  Weg  verleitet  ihn  aber,  dals  er^  den  Axistote- 
les  im  ersten  Buch  der  Metaphysik  als  Vorbild  aufatel- 


77 


MartmcA^  GeseAieAie  der  PAil0$opMe. 


78 


l«nd  und  deshalb  all#  Etotheihing  nach  Perioden  ver- 
i^erfend)  wieder  nach  Abstammung,  Vaterland,  Schuten^ 
Personen  ordnet,  wie  sonst  üblich  war.  Aristoteles 
kann  mcht  Ma^fsstab  sein  fQr  unser  ganze^  Denicen  und 
Wissen,  so  viel  und  Grofses  ihm  auch  die  Welt  ver- 
danict ;  es  geht  ihm  diejenige  systematische  Bildung  ab, 
die  jenes  ianerlich  ordnet  und  rundet^  welche  nach  so 
▼ielen  Versuchen  erst  in  der  neueren  Zeit  als  die  mit 
dem  Inhalt  identische  Form  der  speculativen  Methode 
Ton  Hegel  entdeckt  wurde.  Und  selbst  nach  der  inne- 
ren Kritiic  des  Aristoteles  dürfte  eine  andere  Ordnung 
getroflfen  und  gerechtfertigt  werden  können,  als  die 
▼on  ihm  gemachte,  äufserliche  Anordnung  zuzulassen 
seheint. 

Der  Verf.   geht  .in  der  Einleitung  von  der  einfa* 
eben  Vorstellung  der  Geschichte  aus,  um  den  Leser  aus 
derselben   sum  Begriff   zu   führen.     Das  unmittelbare 
Denken  ist  vernünftig,  aber  weifs  nicht,  me  vernünftig 
es  ist.    Von  jenem  ausgehend  -sucht  er  dieses,  und  da- 
mit die  Vermittluug  im  Unmittelbaren  selbst  nach  Art 
des  Aristoteles  aufzuzeigen.    Daneben  kommt  er  auf  den 
Unterschied  der  Philosophie  von  den  andern  Wissen- 
schaften, den  Erfahrungs-  und  Verstandeswissenschäf- 
ten zu  sprechen.    Diese  sagt  er,  bleiben  tlieils  im  Aeü- 
fsem  stehen,  gehen  nicht  zur  Erkenntnifs  des  Innern 
fort,  theils.  haben  sie,  wie  die  Mathematik,  die  blofse 
Abstraction   ohne  Wirklichkeit  zum  Inhalt,  wie  denn 
diö  Mathematik  die  Unwirklichkeit  ihrer  Gegenstände 
selbst  ausspricht  (Linie,  Ebene,  Zahlen,  \/ — 1).    Sol- 
che Wissenschaften,  bemerkt  der  Verf.,  lehren  daher 
nicht,  was  wahr^  und  wirklich  ist.    Von  den  übrigen 
Wijfsenschaften  unterscheide    sich  die  Philosophie  da- 
durch, dafs  sie  allein  innere  Geschichte  (Eutwickelung 
des  Einen  Inhalts)  habe,'  während  in  den  Verstandes- 
wissenschaften nur  das  Hinzukommen  neuer  Wahrhei- 
ten  zu  schon  früher  gefundenen  statt  finde ,  und  das 
Resultat    der  Erkenntnifs    ohne   fernere  Entwickelung 
stehen  bleibe.     Der  Verf.  macht  deshalb  an  den   Ge- 
schichtsschreiber der  Philosophie  die  Forderung,  dars  er 
selbst  Philosoph  sein  soll,  nicht  blofser  Historiker,   der 
nichts  weiter  brauche ,  als  einen  feihen  Tact,  um  dai 
Bedeutende  in   dem  weltgeschichtlich  oft  so  unbedeu- 
tendem Stoffe  aufzuspüreu ;  in  der  Philosophie  gelte  nur 
das  Begriffene  und  Erkannte, '  so  dafs  der  Geschichts  • 
,  Schreiber  der  Philosophie  kein  anderes  Kriterium  habe, 


als  die  Ewigkeit  des-  Inhahs.  Nachdem  der  Vf.  femer 
die  vielen  Definitionen  und  Bestimmungen  der  Geschichte 
der  Philosophie,  welche  sich  in  den  verschiedenen  ti[and«> 
büchem  finden,  angegeben  und  beurtheilt  hat,  stellt  eir 
als  die  seinige  auf:  das  Kommen  der  Idee  zur  adäqua- 
ten Erscheinung« 

Die  Betrachtung  des  Inhalte'  eelSei  eröffnet  der 
Verf.  damit,  dafs  er  nachweist,  wie  die  Gesetzgebung, 
Kunst,  Religion  und  Philosophie  im  griechischen  Leben 
anfing  und  Wurzel  schlug,  und  erörtert  alsdann  ihr 
Verhältnifs  zu  einander.  Das  Aristotelische  Bewulst* 
sein  von' der  Philosophie  (ab  Vorstellung)  stellt  er  an 
die  Spitze^  denn  sie  ist  die  griechische,  und  Aristote* 
les  führt  sie  selbst  als  solche  an.  £s  folgt  nun  die 
Anordnung  der  altem  griechischen  Philosophen  nach 
Aristoteles;  solche  Anordnung  scheint  aber,  wie  schon 
erinnert,  selbst  bei  Aristoteles  äufserlich  zu  sein,  und 
wir  werden  sehen,  wie  sie  durch  die  innere  Kritik  des 
Aristoteles  sich  selbst  meistens  widerlegt.  Der  Verf. 
I>ehandelt  zuerst  di<^  Jonier  unter  A,.  Aber  zu  den 
Joniern  reöhnet  er,  aufser  Thaies^  Anaxitnander^  Ana*' 
xim&nes  und  Diogenes  von^  Apollonia^  auch  den  He* 
raklity  Empedoklee^  AnaxagoroMy  Archelaue^  Leu^ 
eipp  und  Demokrit,  Nach  Aristoteles  nehmen  die  Jo* 
nler  Materielles  [hß  Sihf\^  tidn)  zum  Princip,  indem  das 
\yesen^  die  Substanz  {ovaUt)  bleibe,  aber  nach  seinen 
Bestimmungen  {nd&tai)  sich  umgestalte;  dies,  sagen 
sie,  sei  das  Element  (orTocx^^oy)  und  der  Anfang  des 
Seienden,  und  deswegen,  meinen  sie,  werde  nichts  ent» 
weder  noch  vergehe  es,  da  dieselbe  Natur  (Substanz) 
sich  stets  erhalte.  Hierzu  führt  der  Verf.  die  Kritik 
des  Aristoteles  an,  de  coelo  III,  5,  wornach  das  Eine 
vielmehr  das  £i*ste  sein  müfse,  nicht  ro  fiiaov,  d*  h. 
Ems  der  Vielen  selbst.  Sollte  selbst  dies  Princip  für 
so  viele  der  genannten  Philosophen  wirklich  ausrei- 
chen! Heraklit  und  Anaxagorae  haben  doch  wahr- 
lich ideale  Principe  aufgestellt,  und  können  deshalb 
darunter  nicht  befafst  werden. 

Der  Verf.  will  die  Unhe  ^ieWmgBeraklite  gleich 
nach  Anaximenes  und  Diogenes  von  Appllbnia  dadurch 
rechtfertigen,  dafs  Heraklit  sich  noch  des  Bildes  be- 
dient habe.  Dies  ist  kein  Grund,  er  mufste  alsdann 
auch  Parmenidee  hierher  rechnen.  Obgleich  Jonier 
von  Geburt  ist  Heraklit  doch  kein  Jonischer  Philosoph, 
Zeit,  Feuer  sind   nach  ihm,  wie  der  Verf.    aus   Sext. 


79 


Marhaehy   Oe^chiokte  der 


80 


Empir.  adv.  Matbem.  selbst  anfahrt,  nur  Yorstellungeii 
und  Symbole  für  die  ewige  Bewegung  des  Werdens 
als  der  Eiuheit  rom  Sein  und  Nichtsein,  wie  Arlstote- 
les  sich  ausdröckt.  Folgen  wir  ferner  der  Kritik  des 
Aristoteles  über  die  Pythagar&ery  die  nicht  sagen, 
^wie  aus  ihren  Principien  Bewegung  entstehen  oder 
ohne*  Bewegung  Entstehen  und  Vergehen  stattfinden 
könne/'  so  sehen  wir  aus  diesem  Mangel,  wie  Hera* 
klit  innerlich  nach  seinem  Princip  später  zu  setzen  ist, 
^Is  die  Fythagoräer  und  selbst  die  Eleaten.  Hinsicht* 
lieh  der  Eleaten  sucht  der  Verf.  sich  damit  zu  helfen, 
dafs  Hcraklit  das  Bewegende  und  Bewegte  noch  nicht 
bestimmt  unterschieden  habe ;  alle  früheren  Philosophen 
hätten  nur  das  Bewufstsein  Einer  VTelt  gehabt,  und 
dies  wäre  auch  der  Fall  bei  den  Eleaten,  indem  sie, 
der  .Sinnenwelt  alle  Wirklichkeit  absprechend,  das  der 
Feränderlichen  Welt  entgegengesetzte  Bewegungslose 
als  das  Wahre,  Eine,  allein  Seiende  hingestellt  hätten, 
ohne  freilich  zu  bestimmen,  was  denn  das  Eine  sei. 
Diese  Bestimmungslosigkeit  ist  eben  der  JMangel,  war- 
um sie  ihre  Stelle  früher  erhalten  müssen.  Die  Elea- 
ten haben  sich  mit  dem  reinen  Sein  begnügt  und  ha- 
ben das  Nichtsein  geleugnet;  dagegen  hatte  Heraklit 
das  Bewufstsein,  dafs  reines  Sein,  weil  unbestimmt, 
nicht  verschieden  ist  vom  Nichtsein,  dafs  beides  im 
Werden  j^ins  und  verwickelt  die  höhere,  wahrhaftere 
Bestimmung  ist.  Immerfort  die  laemssetzung  der  Ent* 
gegengesetzten  als  das  Wahre  Aussprechend,  erklärt 
er  die  sinnliche  Welt  und  Erkenntnifs  für  unwahr; 
wahr  ist  ihm  nur  die  vernünftige,  AenXoyoq  erfassende 
Wissenschaft.  Heraklit  betrachtet  nichts,  wie  noch  die 
Eleaten  thun,  vereinzelt  und  losgerissen,  vergl.  die 
Stellen  in  Ritter's  und  Preller^M  bist.  phil.  Graeco- 
Kom.  S.  24  und  25.  Aus  demselben  Grunde  folgen 
auch  Ewpedokles^  Anaxagoraa  innerlich  später  als 
die  Jonier.  Nirgends  zeigt  sich  deutlicher,  als  bei  He- 
raklit, dafs  der  Genius  sich  frei  und  schöpferisch  über 
die  Schranken  der  Umgebung  und  Tradition  zu  erhe- 
ben welfs,  dafs  er  an  das  Taterland  und  Oertlichkeit 
ausschliefslich  nicht  gebunden  ist.  Zugleich  sieht 
man    aus .  diesem    Beispiel    die    Mangelhaftigkeit    ei* 


ner  Anordnung  Uob  imeh  Abstainmung  und  'Vater* 
land* 

Der  Verf.  rechnet  dem  Thale$  zum  grofseo  Ver- 
dienst an,  dafs   er  den  Begriff  des   Prineips  erkaiunl 
habe,  dafs  das  Eine  das  Wirkliche  sei,  und  sich  so  im 
Gegensatz  sowohl  gegen  die  ihn  umgebende  mniilielie 
Welt,  ab  gegen  die  Poeten,  Theologen  und  die  sieben 
Weisen  selbstständig  hinstellte  und  behauptete.      Die 
Beden  des  Thaies  von  den  Gdttem,    von  denen  aUes 
Wahrnehmbare  voll  sei,  vorsteht  der  Verf.  als  die  Vor* 
Stellung  dessen,  was  wir  Lebensprlndp  nennen;  nicht 
hätten  Gotter  selbst,  wie  Cicero  meint,  die  Welt  aus 
Wasser    gebildet,  sondern  die  Welt  selbst  wftre   als 
ungeformtes  Wasser  ein   gottliches   Leben.    Mit   Un- 
recht nennt  der  Verf.  das  änn^ov   des  Anaximander 
ein  Mittleres  zwischen  Luft  und  Wasser,  es  läDst  eich 
für  diese  A^inahme  keine  Stelle  mit  Bestimmtheit  aus 
den  Alten  anführen.    Aristoteles  Phys.  D  4  ist  gera- 
dezu dagegen,   wi^  ReinUold  Gesch.  der  Phil,  l,  9. 
richtig  argumentirt  hat.    Andere  Stellen,  z.  B.  Simpl. 
in  -Phys.  fol.  '32.  und  Diog.  Laer.  II,  !•  sprechen  ent- 
schieden dafür^  dafs  Anaximander   dem  üjihqov   keine 
bestimmte  Gestalt  weder  der  Luft  noch  des  Wassers 
gegeben  habe.    Der  Verf.  weist  Ritter  zurück  wegen 
des  Ausscheidens  des  Anaximander  aus  den  Joniem; 
und  in  der  That  umfafst  das  Unendliche  Anaximanders 
alles  Einzelne,  es  ist  nur  die  unbegrenzte  Materie,  aus 
der   das  Einzelne  in   der  Weise    ausgeschieden  wird, 
wie  es  vorher  schon  darin  war.     Der  weitere  Fort- 
schritt im  Denken  ist  nach  dem  Verf.  bei  Anaxime- 
nesy  dafs  dieser  das  unendliche  nicht   mehr  als  Sub- 
stanz fafste,  sondern  als  Prädikat:  die  Luft  ist  unend* 
lieh ;   aber  der  Verf.  hätte  bestimmter  entwickeln  kön- 
nen, worin  hier  der  Fortschritt  zu  sehen  ist.    Zweifel- 
haft ist  die   Stellung  ,des    Diogenes  von  JpoUonia. 
Brandie  stellt  ihn  gleich  nach  AnaxagoraSj  während 
der  Vf.  ihn  unmittelbar  auf  Anaximenee  folgen  labt. 
Sicherlich  kannte  Diogenes  als  der  jüngste  der  Physi- 
ker den  Fleraklit  und,  Anaxagoras;    und  seine  vorfii^ 
in.  der  alles  beherrschenden,   ordnenden  Luft  ist  nicht 
so  gering  zu  achten,  wie  der  Verf.  meint 


(Der  Bfscblufs  folgt.) 


^11. 

« 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche   Krit  i  k 


Januar  1840« 


Lehrbuch  der  Oeschichte  der  Philosophie.  Mü 
Angäbe  der  Literatur  nach  den  Huellen  bear^ 
beitet.  '  Erste  Abth.  Einleitung  und  Geschichte 
der  griechischen  Philosophie.  .  Atu^h  unter  dem 
Titel:  Geschichte  der  griechischen  Philoso^ 
phie.  Mit  Angabe'  der  Literatur  nach  den 
Quellen  bearbeitet  von  Dr.  O.  O.  Marbach. 

(Schloff.) 
Wie  schon  gezeigt ^  tritt  die  Stellung  Heraklits 
gleieh  nach  den  ersten  Physikern  nicht  bedeutsam  ge* 
nug  hervor.  Es  folgt  nun  Empedokles^  welcher  all* 
gemein  nach  dem  Urtheil  der  Alten  die  Heraklitisehe 
Lehre  nur  Terflachte.  Siehe  z.  B.  Plato*s' Sophist.  S. 
242.  Plato  larst  hier  den  Heraklit  strenge  auf  die  noth» 
prendige  Einheit  der  EntgegeDgesetzten  halten,  den  Em^ 
pedokles  aher  die  Uos  xt^llige  Einheit  der  Trennung 
der  Elemente  durch  die  idealen  Principe  der  Freund« 
Schaft  und  des  Streites  statuiren.  Der  Vf.  nennt  es  ei- 
nen sonderbaren  Einfall  Mitters^  welcher  die  Physik 
des  Empedokles  ?on  den  Eleaten  ableiten  wolle;  er 
komme  auf  diese  Entdeckung  nur  dadurch,  dafs  er  auf 
den  Gedankeninhalt  nicht  eingehe,  und  an  der  blofsen 
Aeufserliohkeit  sowohl  der  lleraklitischen  ab  der  Em« 
pedokleiscben  Lehre  festhalte. 

Sehr  gut  entwickelt  der  Vf.  die  Philosophie  des 
Amucageras  und  besonders  das  Verhältnirs  des  vovq 
zu  den  oi^owiai^^  Auch  setzt  er  mit  Hülfe  des  Aristo« 
teles  den  Unterschied  von  oiioioiAigij  und  6fA0u>iAdQua  treff- 
lich auseinander.  Neuerlich  hat  Biese  in  der  Einleitung 
zur  Philosophie  des  Aristoteles  S.  14—17  sehr  klar  und 
bestimmt  über  Anaxagoras  geurtheilt,  und  ihn  richtig 
an  das  Ende  der  ersten  Entwickelungsreihe  gestellt. 
Denn  der  9^05$  ist  als  acht  ideales  Princip  sowohl  über 
die  abstracten  Gedanken  der  Jonier  und  Pytiiagoräer 
als  über,  die  der  Eleaten  und  Atomistiker  erhaben.  Der 
Grund,  warum  der  Vf*  den  Anaxagoras  so  weit  zurück- 

Jahrb.  f.  wuiejiiek.  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd. 


stellt,  ist,  dafs  Anaxagoraa  die  tiefe  Bedeutung  seines 
glücklichen  Fundes  noch  nicht  eingesehen  habe.  Yiel- 
leicht  hat  der  Tadel  des  Aristoteles  den  Vf.  Tcrleitet^ 
lielleicht  auch  Plato  imPhädon;  man  darf  aber  nieyer^ 
gessen,  was  Aristoteles  auch  sagt,  dafs  Anaxagoras  wie 
ein  Nüchterner  gegen  die  früher  unbesonnen  Redenden 
erschienen  seL 

Der  Vf.  hätte  die  Atomistik  des  Leue^  und  De* 
mokrit  nach  dem  Vorgänge  Hegets  deutlicher  und  be* 
stimmter  darstellen  sollen.  Hegel  hat  den  metaphysi- 
schen Gehalt  dieser  altcfn  Lehre  aus  der  umhüllenden 
Schale  meisterhaft  herausgelöst  und  vor  Augen  gestellt« 
Der  Verf.  sucht  die  Stellung  zu  den  Physikern,  die  er 
ihnen  giebt,  sowohl  durch  ilire  Lehre  selbst  zu  rechtfer- 
tigen als  durch  ihre  Abstanunung  und  das  Zeugnifs  der 
Alten.  Ritter  will  die  Atomistiker,  und  das  sogar  we- 
gen ihrerViekchreiberei,  den  Sophisten  zugesellen,  wor- 
über der  Verf.  sich  stark  ausspricht.  Ritter  habe  bei 
Demokrit  wieder  nur  eine  Kleinigkeit  übersehen,  den 
Gedanken,  und  werfe  ihm  noch  dazu  ganz  unbefugt 
Heuchelei  und  niedere  Gesinnung  vor. 

Die  klare,  wohlgeordnete  Darstellung  der  unter  B 
folgenden  PytAagoräer  gehört  zu  dem  Besten  im  gan« 
zen  Buche.  Der  Vf.  weist  nach,  durch  unzählige  Stel- 
len, dafs  nicht  die  Zahlen  selbst,  sondern  die  Principe 
der  Zahlen  die  Principe  der  Dinge  sind,  ^^le  Principe 
sind  noch  materiell  (iiX'7),  aber  nicht  köperlich  («rcofior). 
Spricht  man  von  den  Dingen,  wie  sie  dem  Wesen  nach 
sind,  so  kann  man  sagen :  die  Dinge  sind  Zaiilen  und 
aus  Zahlen;  spricht  man  dagegen  von  Dingen,  wie  sie 
mit  den  Sinnen  angeschaut  weMen,  so  sind  sie  nur  (noch 
wesentlicher)  fu^^5€i  oder  xar'  aqtO^iov.  Der  Vf.'  ent- 
wickelt ferner  aus  den  Quellen,  die  Monas  habe  die 
doppelte  Bedeutung,  sowohl  indifferent  zu  sein,  als  auch 
der  Art,  dafs  sie  als  mit  sieh  identisch  sich  von  sich 
unterscheide  und  sich  selbst  als  der  Dyas  entgegentrete. 
Brandts  und  Mitter  haben   diese  Entwickelung    der 

11 


83 


MarSacA,  GeseAipAie  der  PhiloMophie. 


84 


Dyas  aus  der  Monas  gaius  und  gar  übersi»lien.  Nach 
ihnen  tritt  die  erstere  t»los  äufserlieh  zu  der  letztem  hfaizu. 
Nach  der  Reihe  geht  der  Tf.  die  Eleaten  unter  € 
durch«  In  betreff  des  Xenophanei  sucht  er  S.  137  Aom. 
1.  watirsclieinlicb  zu  machen,  dafs  die  zu  Anfange  der 
dem  Aristoteles  beigelegten  Schrift  de  Xen.  Zen.  et 
Gorg.  angeführte  Rede  ohne  Namensangabe  nicht,  wie 
man  gewöhnlich  annimmt,  dem  Xenophanes  angehören 
soll,  sondern  dem  Melüna,  Gründlich  behandelt  der 
Tf«  den  Parmenides'  und  behauptet,  dafs  Parmenides 
sich  zu  Heraklit  verhalte,  wie  Einheit  zum  Unterschiede, 
Erst  Plato  soll  die  unterschiedene  Einheit  Beider  aus« 
sprechen,  aber  nur  als  Behauptung  und  negativ  bewei- 
send im  Parmenides  (1),  AriBtoieUs  aber  positiv  bewei* 
send  und  erkennend.  Klar  und  sehr  verständlich  hat 
der  Yf.  die  Beweise  Zenas  gegen  die  liewegung  (§.  77« 
Anm.  L)  dargestellt;  nur  vermifst  man  die  fjosung  der 
Schwierigkeit,  in  diesen  Problemen  ungern. 

Der  Tf.  geht  unter  D  von  den  Eleaten  zu  den  So- 
phiiten  durch  die  Bemerkung  über,  dafs  weil  der  Go"* 
danke  bei  den  erstem  nicht  im  Gegenständlichen  aufge- 
zeigt  werde,  derselbe  blos  subjectiv  sei.    Als  Prinoip 
festgehalten  werde  das  denkende  Subject  zum  Inhaber 
der  Wahrheit  gemacht,  wogegen  nichts  Gegenständliches 
sich  erhalten  könne.     Und  dies  sei  der  Standpunkt  der 
Sophistea     Den  Zusammenhang  der  Sophisten  mit  den 
Eleaten  zeigt  schon  Plato  im  Parmenides.    Die  Sophi- 
sten behaupten  auf  den  Parmenideischen  Satz  gestutzt* 
^,das  Seiende  nur  könne  gedacht  werden,-  aber  das  Nicht- 
seiende  gar  nicht,  und  könne  auch  in  keiner  Weise  ge- 
dacht werden" ;  darum  gebe  es  gar  keinen  Schein,  keine 
Unwahrheit,  keine  Lüge.     Es  sei  dies  alles  Nichtseien- 
des,  was  doch  nicht  einmal  gedacht  werden  könne;  es 
sei  vielmehr  alles  wahr,  was  wir  denken  und  meinen. 
So  richtig  diese  Consequenz  zu  sein  scheint,  ist  doch 
solche  Behauptung  die  totale  Yerkehrung  des  eleati- 
schen  Princips,  welches  eben  die  Welt  der  Meinung,  die 
Meinung  überhaupt  als  eine  nichtseiende ,  unwirkliche 
verwirft.  Es  bleibt  daher  problematisch,  ob  dieser  Ueber- 
gang  von  den  Eleaten  zu  den  Sophisten  strenge  ge- 
macht werden  kann.    Nach  Brandts  hängen  die  Sophi- 
sten eben  so  sehr  mit  den  Herakli(eern  zusammen,  weil 
keine  Bestimmung  bei  beiden  fest  und  sicher,  alles  be- 
weglich und  veränderlich  sei.     Bei  den  Eleaten  ist  das 
Feste  und  Unveränderliche  des  reinen  Gedankens. noch 
abstract  und  unbestimmt«    Eben  so  einseitig  und  unbe- 


siimmf  ut  noch  die  Flüssigkeit  des  Werdens  bei 
klit.    Der  yo?^  ieä  jinaxagoras^  der  letzte  Zweck  ttlles 
Seins  und  Werdens,' enthält  beides  mit  einander  verban- 
den ,   Anaxagoras   vereinigt  beide  Hauptrichtuagen  in 
letzter  Instanz.    Mag  nun  Anaxagoras  das  «Wesen  sei- 
nes Princips  schon  wirklich  erkannt  haben,  oder  nicht, 
das  richUge  Wort  ist  einmal  gefunden,   und  das   Lacht 
des  Gedankens  geht  auf  alles  über.    Der  Mensch  sucht 
und  nimmt  nun  alles  in  und  aus  sich  selbst ;  es  ist  da- 
her ein  ricUtiger  Sinn,  wenn  Hegel  den  Zusammenliaog 
des  voug  des  Anaxagoras  mit  der  subjectiv  sophlsüsdicB 
Form  nachweist,  und  den  Uebergang  aus  jenem  in  diese 
macht.     Sonst  werden  die  Sophisten  nach  ihrem  Wiesen 
und  dem  Yerhältnifs,  was  sie  näher  zur   Geschichte 
Athens  haben,  vom  Yf.  ausführlicher  behandelt,  nls  ge> 
wohnlich  zu  geschehen  pflegt.    Er  theilt  aus  Gorgüu 
Schrift  vollständig  Glieder  den  Auszug  des  Sextus  mit; 
das  Recht  des  subjectiven  Denkens  sotvohl,  afs  die  Un- 
möglichkeit,   auf  diesem  Standpunkte  sur  Erkenntnis 
wirklich  hindurchzudringen,  erhellt  daraus  recht  devt* 
lieh.     Die  ordinäre  Ansicht  über  die  Sophisten,  beson* 
ders  Ritter's^   bekämpft  der  Tf.  sehr  glücklich.  * 

Unter  E  giebt  der  Vf.  zunächst  den  Wendepunkt 
des  griechischen  Denkens  durch  Sokrates  und  die  So* 
kratiker  an.  Bekanntlich  ist  die  Ansicht  über  Sokra* 
tes  und  seine  Lehre  in  der  neusten  Zeit  eine  ganz  an* 
dere  geworden,  als  sie  früher  war.  Der  Vf.  sclüiefst 
sich  dieser  neu  gewonnenen  Ansicht  an,  indem  er  theils 
die  Mängel  des  Sokratischen  Standpunktes  aufzeigt, 
theils  die  grofse  Bedeutung  des  Sokrates  gebührend  her- 
vorhebt. Besonders  lobt  er  bei  Sokrates  das  Auffinden 
des  Allgemeinen  im  Einzelnen,  was  wir  Erkennen 
durch'  Induction  (enaxTixoi  'kd^oi)  nennen.  Nach  den 
Urtheil  des  Aristoteleß  nahm  Sokrates  das  Allgemeine 
und  die  Bestimmungen  noch  nicht  getrennt  an,  dies 
that  erst  Plato.  Aber  zu  wenig  Aufmerksamkeit  hat 
der  Vf.  den  Sokratikern  gewidmet,  besonders  den  Me- 
garikern^  die  für  die  Platonische  Philosophie  doch  von 
so  grofser  Wichtigkeit  sind« 

Es  folgen  Plato  und  die  Akademiker  xMiet  F. 
Der  Vf.  scheint  zu  weit  zu  gehen  in  der  Verwerfung 
der  Untersuchungen  über  die  chronologische  Rdhenfolge 
der  Platonischen  Dialoge^  über  ihre  Aecbtheit  und  Un- 
ächtheit.  Auf  den  Inhalt  selbst  aber  als  den  wahren 
Maafsstab  legt  er  das  gröfste  Gewicht.-  Ueber  die  dia- 
logische Form ,  über  das  Esoterische  und  Exoterische 


85  Mariaeh^   Getehichte  der  PAilesopkie.  86 

urtbeilt  er  riditig,  nach  dem  YorgBng  ffegels;  auch 
nimmt  er  die  Neuplatoniker  ia  Schutz,   die  in  den  ge- 
wohnlichen  Handbüchern,  z.  B.  Krug*s^  auf  das  Unge. 
rechtesCe  geschmäht  werden ,  ab  wenn  sie  den  Plato 
gar   nicht  gekannt  hätten.    Sie  tragen  zwar  Manches 
in  ihn  hinein,  und  halten  die  historischen  Entwickelungs- 
«tufen  der  Philosophie  nicht  gehörig  auseinander.    Sehr 
gut  setzt  der  Vf.  die  Lehrweise  Plato's  durch  Zusam- 
menstellung passender  Stellen  aus  Plato  selbst  und  Art* 
stoieles  auseinander.    Nach  Plato  steigt  der  Philosoph 
durish  die  Dialektik  als  die  richtige  Art  zu  unterschei- 
den und  zu  verbinden  zu  den  Ideen  auf,  um  vermittelst 
derselben  alles  zu  erkennen.     Die  sinnliche  Wahrneh- 
mung und  Vorstellung  geht  nur  auf  das  blos  Werdende 
und  Veränderliche,  nicht  auf  das  Ewige  und  Wahre. 
^Wie  der  Vf.  richtig  bemerkt,  sind  die  Ideen  nicht  blos 
Gattungsbegriffe,  sondern  Allgemeinheiten  des  Denkens. 
I>ie  Ideen* sind  nichts  Festes,  Ruhendes,  sondern  brin- 
gen  sich  immer  selbst  hervor,  gleiclisam  im  Zwiege- 
spräch der  Seele  mit  sich;   daher  Plato  die  dialogische 
Form  für  die  passendste  Methode  erklärt;  und  im  Phä- 
drus  Gorgias  deutlich   zu  verstehen  giebt,  wie  die  fort- 
laufende^ ununterbrochene  Darstellung  wegen  der  Ideen 
nicht  gemäfs   sei.     Ungeachtet  dessen   geht  öfters   die 
dialogische  Form  in    den   dialektisch  strengsten   Dia- 
logen in  wahrhaft  wissenschaftliche  Darstellung  über. 
Nach  des  Terfs.  Andeutung   hängt  ferner  die  dialogi- 
sche Form  (S.  202  Aumerk.  I^.)  mit  der  Ansicht  Pla- 
to's  über  das  Wissen  durch  Erinnerung  zusammen,  wor- 

nach  (siehe  Theät.)  die  Anlage  zum  Denken  und  Wis-  ,  ,  ,    „         .,..---'',  ,  ■ 

.j  r-u.      -jj^ji  lehre  nach  ihren  Hauptbcstimmunsen,   besonders  nach 

sen   nur  geweckt  und  ausgebildet  wird,  der  Gedanke  ^  dem  mehr  dogmatischen  Philebus  dargc^ellt.    Eins,  Zalil, 

selbst  aber  der  Seele  kein  Fremdes  ist.    Plato  hält  in  Unbegrenztes  {ämiqov)  sind  die  Momente  jedes  Seien- 


scheiden  zu  können  von  dem,  was  streng  dialekltsch, 
in  eigentlicher,  reiner  Form  dargestellt  wird.  Das  riohv 
tige  Verständnifs  der  Platonischen  Schriften,  und  die 
Lösuuff  aller  der  von  Gelehrten  angeregten  Streitpunkt^ 
und  Widersprüche  beruht  auf  der  richtigen  Yerknüpfuqg 
und  Auffassung  jenei*  beiden  Seiten.  Plato  ist  selbst 
noch  im  Widerspruch  befangen,  wie  jeder,  der  nicht  zur 
absoluten  Form  des  Wissens  hindurchdringt.  Die  mei- 
ste Verwirrung  in  der  Erklärung  Plato's  irurde  unstrei- 
tig dadurch  veranlafst,  dafs  man  nach  mllkürlichen  Ge- 
sii^htspunktett  aus  den  verschiedensten  Dialosen  Stellen 
zusammenlas  und  nun  darauf  los  erklärte,  ohne  sich  um 
den  engern  und  inncm  Zusammenhang  der  angezogenen 
Ausspruche  mit  dem  übrigen  Text  viel  zu  kUmmern» 
Mifsverständnisse  waren  dabei  unvermeidlich,  denn  jeder 
Dialog  hat  seinen  eigenthumlichen  Gang  und  überdies 
stellt  Plato  seine  Meinung  nicht  immer  klar  und  bestimmt 
hin,  diese  mufs.aus  dem  Ganzen  erst  heraus  gebildet 
und  erkannt  werden.  Hegel  zeigt  erst  recht,  wie  man 
dem  Gange  der  Dialogen  selbst  nachgehen  mufs.  Ei- 
nen Fingerzeig  hierzu  giebt  auch  ein  Schulprogramm  von 
IVieki  de  Platonica  philosophia.  part.  1.  Merseb.  1830. 
Wick  verbucht  in  diesem  Sinne  die  Dialogen  Timäus, 
Theätet,  Sophistes,  Parmenides  und  Phüdon  an  einander 
EU  reihen.  Den  ersten  Impuls  zu  solcher  Behandlung 
des  Plato  gab  zwar  Sehleiermaeher^  der  aber^  mehr  nur 
das  Aneinanderreihen  der  Dialogen  berücksichtigt,  als 
die  Y^rl^i^üpl'iuig  der  einzelnen  Theile  in  den  einzelnen 
Dialogen  selbst.  Auch  der  Yf.  stellt  die  Lehre  Plato's 
nicht  nach  einzelnen  Sätzen,  sondern  nach  ganzen  Schrif- 
ten dar,  und  so  ebenfalls  die  Philosophie  des  Aristote- 
les. Er  giebt  'zu  dem  zusammenfassenden  Text  in  den 
Anmerkungen  immer  den  Zusammenhang  in  den  betref- 
fenden Dialogen  genau  an,  und  theilt  die  nöthigsten  Stel* 
len  in  ziemlicher  Ausdehnung  übersetzt  mit ,  was  eine 
treffliche  Einrichtung  und  sehr  zu  loben  ist.  Ferner  hat 
er  die  Dialogen  Sophistes,  Philebus  und  Parmenides  für 
die  Platonische  Dialektik  ausgezogen,    und  die  Ideen- 


der  Yorstellung  die  Momente  nach  Art  des  bildlichen 
Ausdrucks  auseinander,  er  stellt  das,  vyas  an  sich  in 
uns  ist,  vor  als  ein  Anschauen,  des  Göttlichen  vor  der 
Geburt,  das  Erkennen  ist  ihm  Wiedererinnerung  des 
früher  Geschauten.  Nach  dieser  Vorstellung  sind  die 
Dinge  Abbilder  der  göttlichen  Urbilder;  wer  die  letz- 
tern einst  recht  geschaut  hat,  ist  entzückt,  wenn  er 
nun  das  ähnliche  Urbild  in  einem  irdischen  Abbilde  er- 
blickt« er  thut  dann  nichts  lieber,  als  dafs  er  in  die  reine 
Gedankenwelt  zurückkehrt,  dem  Irdischen  (in  Phädrus, 
Phädon)  abstirbt,  und  in  Gott  das  unsterbliche  Leben 
fahrt.  Mit  jener  Andeutung  ist  gleich  von  vorne  her- 
ein der  richtige  Standpunkt  angegeben,  um,  was  bei 
Platö  als  Vorstellung  erscheint,  als  Phantasie,  Mythus, 


den;  diese  drei  Arten  stellen  das  Werdende  und  das 
woraus  wird,  insgesammt  dar;  die  Ursache  aber,  das 
Bewirkende  ist  die  Vernunft,  die  in  Allem  ist.  Das 
wahre  Sein  hat  seine  Ursache  in  der  Vernunft,  und  da« 
mit  in  sich  selbst,  ist  Selbstbewegung  der  Vernunft. 
Plato  nennt  dies  auch  sokratisrh  das  Gute  oder  Schone, 
worin  sich  alle  Ideen  als  in  die  eine  Idee  aufheben.  Er 
kann  von  einer  Vielheit  der  Ideen  nur  reden,  sofern 
alles  als  Gedanke  zu  bezeichnen  ist.  Nach  dem  Vf.  ist 
diese  Eine,  höchste  und  letzte  Idee  bei  Plato  das  Ab* 
solute  als  Vorstellung,  als  Gott  bezeichnet;  was  also 
Plato  von  Gott  sagt,  sind  den  Ideen  entsprechende  Vor- 
stellungen. Es  ist  die  nothwendige  Consequenz  der  Pla- 
tonischen Philosophie,  wenn  anders  nicht  die  wichtig- 
sten Dialogen  Philebus,  Parmenides  und  Sophistes  gegen 
die  poetisirenden  Stellen  im  Phädrus  und  Timäus  zu- 
rücktreten sollen.  Bonitx  hat  neuerlich  aus  Hepubl.  VI. 
S.  505  nachgewiesen,    dafs  die  Idee  des  Guten  nach 


87 

Plato  ron  Gott  nicht  verschieden  ist  Gott  ist  bei  Plate 
die  blo»  vorgestellte^  Iceineswegs  schon  begriffene  Idee 
des  Guten,  wenn  er  gleich  Gott  als  Subject  der  Idee 
eis  Object  gegenüber  bestimmt  und  avfi'al'st  K.  Fr. 
Hermann^  TrendelenMsrg  und  StallSaum  setzen  die 
unwesentlichen  Ausspräche  Piatos  über  die  wesentlii- 
chen,  ihre  Opposition  ist  nicht  haltbar.  Der  Vf.  betrach- 
tet ferner  noch  das  YerhältnUs  der  Idee  cur  8iunenwelt 
und  erklärt  den  Ausdruck  des  iv  %ai  nokkä  richtig  als 
die  Immanenz  des  Allgemeinen  im  Vielen  oder  Andern, 
Eins  (die  abstracte,  sich  selbst  gleiche  Idee)  wird  durch 
sich  selbst  zum  Vielen,  und  das  Viele,  Mannigfaltige 
hebt  sich  selbst  zur  Einheit  auf.  Hüter  sieht  blos  darin 
die  Vielheit  der  Prädikate  für  das  Eine,  welche  gans 
falsche  Ansicht  durch  die  enUchiedensten  Aussprüche 
Plato's  selbst  beseitigt  wird.  Nur  hätte  der  Vf.  mehr 
über  die  Platonischen  Zahlen  sagen  und  beibringen  sol- 
len, wegen  ihrer  Wichtigkeit  und  ihres  Verhältnisses  zu 
den  Ideen.  Wörtliche  Auszüge  aus  d^r  Republik  und 
dem  Timäus  finden  sich  ebenfalls  für  die  Etlük  und  Na* 
iurphttosophie. 

Unter  G  betrachtet  der  Vf.  den  Arutotelet  und 
die  Peripateiiker^  und  entwickelt  das  Yerhältnils  Pla- 
•tos  zu  Aristoteles  so,  dafs  Aristoteles  alle  früheren  Phi- 
losophen in  sich  vereinige,  Inhalt  und  Form  nach  ih- 
rem Zusammenhange  zwar  erkenne,  aber  noch  nicht 
In  ihrer  gegenseitig  sich  bedingenden  Nothwendigkeit 
erfasse,  rlato  erkenne  wohl  die  Selbstbewegimg  der 
Idee  an,  aber  fBlure  sie  nicht  durch,  die  Idee  erzeuge 
bei  ihm  die  Welt  nicht  aus  sich  selbst,  und  diesen 
Mangel  hebe  Aristoteles  auf.  Zuerst  entwickelt  der 
Verf.  die  Logik  mit  reichen  Auszügen  aus  dem  Orga- 
noD,  alsdann  auf  gleiche  Weise  die  Metaphysik  von  8. 
250—63,  ferner  die  Physik,  die  Psychologie,  zuletet 
die  Ethik  und  Politik.  Die  fteifsige  Mittheiluhg  aus 
den  Quellen  verdient  hier  allen  Dank,  nur  bleibt  ein 
tieferes  Eingehen  in  die  Aristotelische  Lehre  selbst  zu 
wünschen  übrig,  in  den  Aristotelischen  Kategorien 
der  iivayLiii^  ivegyna  und  hrtXixua  liegt  der  Fortschritt 
über  di^  noch  abstracto  Platonische  Idee  hinaus.  Die 
von  Plato  erstrebte  Einheit  im  Unterschied  ist  erst  in 
der  Aristotelischen  Idee  als  Selbstzweck,  Thätigkeit 
,  und  Wirksamkeit  wirklich  vorhanden.  Dennoch  ist 
die  Aristotelische  Philosophie  nichts  mehr,  als  die  ge* 
legentliche  aber  vielseitige  Anwendung  der^  richtigen 
Principe, zur  Lösung  der  sich  darbietenden  Schwierig- 
keiten in  willkürlich  gewählten  Gegenständen;  errun- 
gen ist .  in  ihr  nur  die  Einheit  des  Denkens  mit  der 
Fülle  des  objectiven  Daseins. 

'  Zuletzt  betrachtet  der  Verf.  „die  griechische  Phi- 
losophie  im  Römerthum",  nämlich  den  Dogmaiismus 
und  Skeptieismus.  Die  schwierige,  selbst  im  Lernen 
prodiicirende,  speculative  Forschung  war  für  die  ab- 
atracten,  praktischen  Römer  wenig  geeignet.  Ihnen 
mufste  ein  festes  Princip  zusagen,  woran  sie  sich  hal- 
ten konnten,  was  sie  nls  Kriterium  für  alles  aufzustel- 
len und  zu  behaupten  vermochten.  Darum  ihre  Vor- 
liebe für  jene  Richtung  des  abstract  subjectiven  Prin- 
eips  in  der  griechischen  Philosophie.    Dies  Princip  hat- 


Marbaehy  Ossehiekts  der  PhUes^iU. 


88 


ten  die  Stoiker  anfgeitellt^  die  Epikufier^  Neuakm^ 
demiker  und  Skeptiker  bat^n  dasselbe  weiter  ver- 
folgt und  ausgebildet.  Das  eigentliche  Wesen  dieser 
.Philosophen  hätte  der  Yerf.  mehr  hervorheben  sollen, 
das  Resultat  seiner  E^atwickelong  ist  nur,  jene  PUila- 
aopheii  hätten  ihre  subjeotive  Akiaung  ausgesprocheni 
mit  der  Prätension^  dafs  sie  obiective  Gültigkeit  habe; 
sie  hätten  sich  die  wirkliche  Mühe  des  Denkens  er- 
spart, darin  bestände  ihr  Dogmatbmus.  Bmrhöffer 
meint  dagegen  wohl  richtlr,  dals  die  ganze  frühere  Phi- 
losophie als  unmittelbar  Dogmatismus  genannt  werden 
können  nur  sei  sie  dies  noch  nicht  in  der  Form  des 
endlichen  subjectiv-objectiven  Begriffs  und  der  entspre> 
ohenden  endlich- logischen  Kanonik.  Dieser  Mangel 
trete  aber  je  weiterliin,  desto  klarer  hervor  und  er- 
scheine zuletzt  als  alle  Bestimmtheit  erschütternder 
Zweifel. 

D^r  Vf.  schliefst  damit,  dafs  bei  aller  Tiefe  des  hi> 
halts  die  Form  der  bisherigen  Philosophie  blofser  Ein- 
fall  der  Philosophen  warej  diese  Form  zeigte  sich  in 
ihrer  Unangemessenbeit  auf,  und  dies  wäre  das  Ende 
der  griechischen  Philosophie.  In  der  Einleitung  de* 
monstrirte  er  gans  richtig,  dafs  blofse  Einfälle  der  G»> 
gensatz  und  Tod  aller  Philosophie  sind.  Die  griecJii* 
sehe  Philosophie  kann  bei  dieser  leeren  Negation  nicht 
stehen  bleiben,  und  ist  dabei  nicht  stehen  geblieben. 
Es  mufste  das  positive  Resultat  aller  Bestrebungen  fol« 
gen,  der  alles  verwirrenden  und  wankend  madienden 
Skepsis;  auf  dem  Boden  jener  Philosopheme,  auf  der 
abstracten  Innerlichkeit  und  Freiheit  des  Geistes  mufste 
eine  höhere  ideale  Ansicht  als  der  Einheit  des  mensch- 
lichen Geistes  mit  Gott  und  der  Welt  sich  erheben. 
Diese  Erhebung  und  Idealität  des  Geistes '  sehen  wir  In 
der  Alexandrinischen  Philosophie,  wodurch  die  allge- 
meine, aber  leere  Negation  iie%  skeptischen  Bewufst- 
seins  einen  absoluten  Cihalt  erhält.  In  der  Alexandri- 
nbchen  Philosophie  kommt  die  griechische  Philosophie 
zu  ihrem  Sohluljl. 

Was  nun  diese  Geschichte  der  Philosophie  von 
den  übrigen  Geschichtsbüchern  unterscheidet^  ist  zu- 
nächst der  empirisch  aufgezeigte  Gang  der  Entwicke- 
lung,  die  Sache  geht  ihren  Weg  und  der  Vf«  bedenkt 
sie;  dann  referirt  der  Verf.  nicht  seine  Auffassung  der 
Stellen,  sondern  giebt  die  Stellen  selbst  als  Stellen  im 
Ganzen  wieder;  seine  Behandlung  des  Plato  ist  durch 
den  Aristoteles  bedingt,  ohne  dals  er  den  Plato  nach 
Aristoteles  selbst  darstellt;  er  vergleicht  und  beleuchtet 
zuletzt  mit  der  neueren  Phjsik  die  betreffenden  Lehren. 
Die  reiche  Literatur-  und  Quellenangabe,  die  mit  vie- 
len Bemerkungen  begleiteten  Citate  erschweren  dieUe* 
bersicht,  besonders  in  den  ersten  Partien  des  BuchJs, 
wobei  wir  nicht  leugnen  wollen,  dafs  die  Darstellung 
der  nur  aus  Fragmenten  zu  schöpfeaden  Philosopheme 
mit  vielen  Schwierigkeiten  verknüpft  ist;  die  Anmer- 
kungen hätten  aber,  um  ihnen  den  Schein  das  chaoti- 
schen Zusammenstellens  zu  nehmen,  durchaus  verein- 
facht werden  müssen.  Sonst  ist  der  Fleib  des  Verfs. 
sehr  zu  loben. 

Hinrieha. 


^12. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche    Kritik. 


Januar  1840* 


VU. 

JBütotre  de^  lä  UMraiur^  en  Damemari  et  en 
Suedej  ptBr  X.  jUarmter.  Parüj  1839.  {Fe^ 
lix  Bonuatre,  edtteur.  VIII  u.  452  S.J 

^Wenn   der  Bewohner  eines  JUandes,  dessen  Spra- 
che nieht  so  glücklich  ist,  sich  einer  enropaischen  Ter* 
breitung  rulunen  su  können,  mit  dem  kaiserlichen  Aus- 
apruche  sich  trösten  mufs,  dafs  er  einmal  mehr  Mensch 
ist,  wdl  er  eioe  Sprache  mehr  zu  lernen  hat,  so  en^pfin- 
det  dennoch  der  SchrlfUieller,  wie  wenig  dieser  Trost 
für  ihn  Unreiche,  und  da£i  die  geringe  Yerbreitung  sei« 
ner  Sprache  Tielmehr  der  Fluch  sei,  womit  er  zur  Welt 
geboren  ist.    Und  möchte  er  auch^  diesem  Uebelstande 
SU  trotz,  seine  nationelle  Indiridualität  ebeo  so  wenig 
als  die  persönliche  mit  irgend   einer  anderen  Fcrlau- 
acben,  so  sieht  er  es  doch  mit  Yergnugen,  wenn  eui 
Schritt  dazu  gethan  wird,  seinen  einheimischen  Bestre- 
bungen die  Theilnafame  des  grorsen  europ&ischen  Pu- 
blikums   zu  verschaffen,   es  sei  nun,  dafs  dies  durch 
IJebersetzungen   oder  durch  litterarische  Abhandlungen 
"geschehe«    WQlste  er  aber,  wie  illusorisch  dieses  Glück 
in  den  meisten  Fällen  ist^  so  würde  er  von  seinen  san-^ 
guimschen  Erwartungen  abstehen,  sich  in  Demuth  be- 
sdieiden  und  mit  Resignation  sich   dem    fataUstischen 
Looiie  4er  Geburt  unterwerfen,  tio  wie  man  sibh  ja 
.überhaupt  in   alle,   durch   das   unerbittliche  Schicksal 
aufgebürdeten  unheilbaren  Mängel  und  Gebrechen  mit 
Heiterkeit  zurecht  finden  mufs,  um  ja  nicht  in  frucht- 
lose Bemühungen  oder  eine  lästige  elegische  Stimmung 
zu  verfallen« 

Was  hier  im  Allgemeinen  gesagt  worden,  findet 
auf  scandinavische  Litteratur  seine  besondere  und  ganz 
gemüfse  Anwendung.  Was  hat  z.  B.  Oehlenschlägor 
durch  die  sogar  von  ihm  selbst  gemachte  deutsche  Ueber- 
setzuiig  seiner  Werke  an  litterarbcber  Ausbeute  gewon- 
nen? Er  gilt  in  Dänemark  für  den  ersten  Dichter,  und 

Jahrb.  f.  wi$$en$ch.  Kriük.  J.  1840.    L  Bd. 


wird  in  Deutscliland  kaum  für  den  siebenten  oder  ach-, 
ten  gehalten,  und  dem  Hm.  Marmier  wird  es  gewiCs 
nicht  gelingen,  eine  gröfsere  Anerkennung  des  Dichters 
zu  bewirken.  Woran  liegt  es  denn  f  Ist  der  erste  Dich- 
ter Dänemarks  so  weit  hinter  dem  ersten  Dichter 
Deutschlands  zurück,  oder  ist  das  deutsche  Publikum 
ungerecht  gegen  ihn  gewesen?  Auf  ein  so  schlimm  ge- 
stelltes Dilemma  brauchen  wir  uns  glücklicherweise 
nicht  einzulassen,  depn  die  Ersclieinung  läfst  sich  aus 
der  eigenen  Natur  der  Sache  leicht  herleiten.  In  un- 
serem, man  darf  wohl  sagen,  gründlicheren  Zeitalter, 
wo  man  in  allen  Fächern,  in  dem  phUosophiscben  wie 
in  dem  geschichtlioheB ,  auf  die  Quelle,  auf  das  Ur- 
sprünglidie  zurückgeht,  und  dem  Abgeleiteten  nur  ein  * 
secuttdäres  Interesse  schenkt^  ipag  es  noch  immer  be- 
lohnend sein»  die  origuiellen,  aus  eigenem  Boden  em- 
porgewachsenen Erzeugnisse  einer  fremden  Litteratur 
kennen  zu  lernen,  und  in  dieser  Beziehung  darf  die 
scandinavische  sich  rühmen,  durch  ihre  Mythologie, 
ihre  Sagen  und  ihre  Yolkspoesie  auch  in  Deutschland 
eine  rege  Theilnahme  gefunden  zu  haben*  Je  mehr 
aber  eine  Litteratur,  ihre  originellen,  aber  kindlichen 
und  kindischen  Anfange  verlassend ,  den  Einflufs  der 
weiter  fortgeschrittenen,  reicheren  Litteraturen  in  sich 
aufnehmend,  sich  selbst  in  den  erweiterten  Kreis  der  all- 
gemeinen Bildung  fortreissen  läfst,  und  erst  dadurch 
selbst  zu  einer  höheren  Ausbildung  gelangt,  um  so  viel 
mehr  vird  sie  die  allgemeine  Theilnahme  der  fremden 
Tölker  entbehren  müssen,  weil  diese  dieselbe  geistige 
Atmosphäre  schon  lange  geathmet  haben.  Und  so  wird 
es  sich  ganz  natürlich  mit  der  n^ti^r^;»  scandinavischen 
Litteratur  verhalten  müssen,  wenn  es  nicht  im  Laufe 
der  Zeiten  geschieht,  dafs  eben  ein  acandinavischer 
Schriftsteller  zum  Repräsentanten  eines  neuen  Wende« 
punktes  in  der  Entwickelung,  nicht  des  oigenthümlicheu 
Nationalgeistes,  sondern  des  allgemeinen  menschlichen 
Cieistes  von  der  Yorsebung  erkohren   wird.    Ein  nur 

12 


91 


*  • 

Marmier^  Hütoire  de  la  UtiSrature  en  Danemark  et  en  Suhde* 


V 


fliicluigev  Blick  auf  ein  Paar  Haapt- Epochen  der  neu- 
ern  dänischen  Lilteratur  wird  das  Gesagte  hinlänglich 
erläutern« ,  Holberg,  der  Stifter  derselben,  so  wie  des 
neuerett  dänisdien  Styb,  hat  sich  nicht  nur  in  'seinen 
Komödien  besonders  nac)i  Moiiiere  gebildet,  sondern 
iiberhaupt  in  den  gnnzen  dänischen  Ton,  in  die  ganse 
dänische  Auffassungs  -  und  Ausdrucks  weise  ein  bedeu- 
tendes, gewifs  nie  su  verlierendes  französisches  Ele- 
ment, einen  gewissen  gros  bon  sens,  hineingelegt,  oder 
vielmehr  die  im  Nationalcharakter  gefundene  Anlage  in 
dieser  Richtung  ausgebildet  und  su  einem  festen  Cha- 
rakterzuge gemacht.  Und  in  unseren  Tagen,  als  Deutsch- 
land seinen  grofsen  litterarischen  Befreiungskrieg  gegen 
die  französische  Usurpation  führte,  und  Dänemark  ge- 
gen den  Eiuflufs  dieser  grofsen  litterarischen  Ereignisse 
eben  so  wenig  unempfindlich  bleiben  konnte,  als  später 
gegen  den  der  politischen,  so  ward  OeMenschläger  das 
Organ  dieses  Einflusses.  Und  so  wie  Goethes  classische 
Darstellung,  Schillers  Begeisterung,  Tiecks  in  plastischer 
Hinsicht  formlose  und  nebelhafte,'  in  musikalischer  Hin- 
sicht tief  und  hell  tönende  Romantik  in  Oehlenschläger  ei- 
nen dänischeii  Repräsentanten  erhielten,  wodurch  sie  al- 
lerdings, dem  selbstständigen  Charakter  des  Repräsentan- 
ten gemäfs,  in  mancher  Beziehung  modificirt  wurden,  so 
hat  auch  in  neuester  Zeit  der  Goethe  der  Philosophen 
Hegel,  eine  dänische  Schule  gebildet,  die  es  zwar  noch 
nicht  zu  einer  bedeutenden  äufserlfchen  Existenz  ge- 
bracht hat,  deren  rege  Wirksamkeit  aber  einen  feine- 
ren Beobachter  als  Hrn.  Marmier  nicht  wGrde  entgan- 
gen seiA.  Ob  nun  gleicli  diese  Wirkungen  der  franzö- 
sischen, so  wie  der  deutschen  Litteratur  —  denn  die 
übrigen  Litteraturien  des  neueren  Europa  sind  im  Gan- 
zen ohne  allen  unmittelbaren  Einflufs  geblieben  —  auf 
keine  blofs  äufserliche  Weise  erfolgt  sind,  sondern  so, 
dafs  sie  sich  mit  der  nationcllen  Eigenthümlichkeit  innig 
assünilirt  haben,  so  ist  diese  dennoch  in  ihrer  reinen 
Urspruuglichkeit  dadurch  gestört  worden,  und  darf  eben 
deswegen  nur  auf  geringeres  Interesse  im  Auslande 
rechnen.  Wenn  der  Franzose  oder  der  Deutsche  steh 
noch  immerhin  an  den  abstechenden  Elgenthümlichkei- 
ten  der  modernen  spanischen,  italienischen  und  engli- 
schen Poesie  ergötzen  kann,  so  wird  er  in  der  scandi- 
navisphen  gar  zu  häufig  an  seine  eigenen  Vorbilder 
denken  müssen,  ohne  die  besondere  scandinavische 
.Nuance  zu  empfinden,  die  dem  Scandinavier  selbst  deut- 
lich genug  ist,  und  wodurch  dieser  in  seinen  einheimi- 


schen Dichtungen,  gleichsam  mit  fremden  Reisern  gew 
impft,  den  eigenen  klimatischen  Geschmack,  den  autoch- 
thonischen  Charakter,  nur  veredelt^  erkennt;  hfngegeä 
wird  es  dem  Ausländer  scheinen,  dafs  man  ilun  nur 
das  Geliehene  zurückgibt,  und  ewdr  düreh  zulaUige 
Abweichungen  verunstaltet. 

Denn  was  uns  zu  einer  fremden  Litteratur  hin- 
zieht, ist  doch  immer  die  Erwartung  des  Originelleii, 
des  Neuen,  des  wenigstens  auf  diese  Weise  nocli  mcb 
Gekannten.  Das  Neue  mufs  nun  aber,  und  voücnds 
wenn  von  Poesie  die  Rede  ist,  hauptsächlich  entwedv 
in  dem  poetischen  Stoffe  oder  in  der  poetischen  Fom 
liegen.  Das  Interesse  am  Stoff  ist  aber  melir  ein  lii- 
storisches  als  ästhetisches.  So  verhält  es  sieh  mit  der 
Tolkspoesie,  wo  der.  Stoff  mehr  als  die  Form  sum 
Träger  der  Originalität  wird,  und  durch  seine  manaig^ 
fachen  geschichtlichen  Beziehungen  eine  ailgemeiae 
Theilnahme  in  Anspruch  nimmt  Je  weiter  aber  die 
Poesie  sich  ausbildet,  je  höher  die  Gattungen  der  poe- 
tischen Compositionen  sich  steigern,  z.  B.  wenn  das 
Epische  in  das  Dramatische  übergeht,  um  so  viel  mekr 
geht  das  Interesse  von  dem  Stoffe  in  die  Form  aber, 
und  wird  erst  dadurch  eigentlich  ästhetisch;  al>er  die 
Originalität  der  Form  ist  weit  eher  erschöpft  als  die 
des  Stoffes,  eben  weil  die  Form  selbst  hoher  ist  ah 
der  Stoff,  weil  sie  die  Idealität  des  Werkes  ist,  und 
daher  einen  bestimmten  Cyclus  von  Gliedern  in  sich 
enthält,  wohingegen  der  Stoff,  seiner  empirischen  Na- 
tur gemäfs,  sich  ini  die  schlechte  Unendlichkeit  verlau- 
fen kann.  Es  ist  zwar,  besonders  bei  dramatisdiea 
Dichtern,  eine  ge\$röhnliche  und  fiir  sie  allerdings  reeht 
tröstliche  Meinung,  dafs  sie  ein  neues,  originelles  Werk 
hervorbringen,  indem  sie  die  von  ihren  Yorgängem 
behandelten  Gegenstände,  als  Liebe,  Tapferkeit,  Colli, 
sionen  in  den  bürgerlichen  Verhältnissen  und  derglei- 
chen, nur  mit  verändertem  empirischem  Detail,  als  pu- 
deren Personen. Namen,  anderem  Zeitalter,  onderea 
Costüm  u.  s.  w.,  wieder  behandeln,  ohne -aber  diesen 
Gegenständen  der  Darstellung  eine  neue  ideale  Seite 
abzugewinnen,  ohne  es  in  ihrer  Behandlung  zu  einer 
neuen  poetischen  Form,  zu  einem  neuen  aHhetiechen 
Gedanken  zu  bringen.  Allein  solche  Dichter  sind  mir 
Copisten,  die,  anstatt  das  Neue  hervorzubringen,  das 
Alte  wiederholen,  indem  sie  das  bis  jetzt  erworbene 
poetische  Kaleidoskop  nur  umdrehen,  ohne  zu  bemer- 
ken, d^fs  es  dieselben  Elemente  in  derselben  weaentii- 


93 


JUm*mier^  Hütoire  de  la  liiteraiure  en  Dänemark  et  en  Suede. 


91 


'Chen  Form  sind,  und  dafs  das.  Neue  nichts  als  eine 
neve  Verbindung  in  dem  Zufälligen  und  Wesenlosen 
ist,  ohngefäbr  wie  die  gerühmte  Scliönheit  der  wilden 
'Berggegenden,  in  denen  man  freilieli  bei  jedem  Schritte 
eine  neue  Ansicht  erhält,  die  aber  ebenfalls  nur  kalei- 
doskopisch von  der  vorigen  verschieden  ist,  wohingegen 
-das  Meer,  das  bei  stürmischem  Weiter  auch  Berge  und 
Thäler  und  ganze  Gebirgsgej^enden  hervorbringt,  we- 
nigstens so  vernünftig  ist,  diese  zufälligen,  haltlosen 
.Gestalten  gleich  zu  vernichten,  zwar  um  andren  der- 
selben Art  Platz  zu  machen,  aber  so  doch  einen  flüs-v 
«igen,  lyrisehen  Pantheismus  jenem  fixen  Eins -in -AI* 
lern .  entgegensetzend. 

Mau  könnte  glauben,  dafs  diejenigen  unter  X)ehlen- 
flcblagers^  Richtungen,  ivelche  ihren  Stoff  aus  der  scan- 
dina vischen    Mytliologie   und  Sagengeschtchte    genom- 
men  haben^   besonders  dazu  geeignet  wären,   zu  dem 
scbon  vorhandenen  Interesse  für  jenen  Stoff  ein  Inter- 
■esse  für  neuere  dänische  Dichtkunst  zu  knüpfen.    Und 
-biebei  denke  ich  nicht  einmal  an  die  Tragödien,  die 
Stoffe  aus  der  heidnischen  oder  halb  heidnischen  Ge- 
•ehiehte.  behandeln,  denn  das  Interesse  am  Drama,  wie 
ich  schon  oben  Gelegenheit  hatte  zu  bemerken,  beruht 
■vielmehr  auf  der  poetischen  Form  als  auf  dem  Stoffe. 
.Das  Drama  ist  die  höchste,  die,  so  zu  sagen,  gebildet- 
ste *  Gattung  der  Poesie,  wo  es  denn  hauptsächlich  auf 
den    ästAetisfiAen   Gedanken   ankommt,    und  vollends 
b^im   Bühnendrama,  welches  immer  mehr   nach  einer 
universeilen   kosmopolitischen  Form  hinstrebt,    ebenso 
wie    die   gebildete    Gesellschaft,    worin   man   verlangt, 
dafs    ein  jeder  seine  eigenthümlichen    Besonderheiten 
dem  Ganzen  zum  Opfer  bringen  soll,  und  worin  daher 
eine  gewisse  gefällige  Gewandtheit  nicht  entbehrt  wer- 
den kann,  die  aber  eben  nicht  zu  den  Vorzügen  der 
Oehleiischlägerschen .  Bühnendichtungen  gehört.    Hinge- 
gen die  lyrisch.epischen  Werke  des  Dichters,  als  seine 
altnordischen  Romanzen,  seine  „Götter  Nordens*',  sein 
f^Uelga",  ^—  (worauf  Hr.  Marmier  den  Spruch  „habent 
sua   fata  libelU'*   mit  Recht   anwendet,    indem  dieses 
wahrhaft  ursprüngliche  Gedicht  im  Auslande  ganz  un- 
bekannt ist,  während  Tegn^rs  ziemlich  schwache  Nach- 
bildung   „Frithjof"    in    mehrere    Sprachen    übersetzt 
Wordeli  —  diese  Werke,  sage  ich,   könnten  der  enge- 
gebeuen  Absiclit  dienlich  scheinen,   und    dennoch  hat 
Oehlenschläger  diese   seine  einzigen,  ohne  allen  Ter- 
gleich  vorzüglichsteh  Dichtungen  in  äie  deutsche  Samm- 


lung seiiier  Schriften  nicht  aufgenommen,  und  die  von 
Anderen,  z«  B.  von  Dr.  Legis  gemachten  Versuclie  et- 
.ner  Üebertragung  scheinen  eben  nicht  vielen  Eingang 
gefunden  zu  haben,  so  weni^  als  die  Uebersetzungen 
neuerer  dänischer  Romane  und  Novellen,  die  zwar  den 
Leihbibliotheken  einverleibt  ynd  unter  den  mehr  Le- 
senden als  ürtheilenden  cursiren  mögen,  aber  dennoch 
ohne  eigentliche  Wirkung  bleiben,  insofern  man  diese 
nach  dem  einzigen  zuverlässigen  Maafsstabe,  dem  Ein- 
flüsse auf  die  fremde  lAUeratury  worin  sie  aufgenom- 
men sind,  beurtheilt.  Und  selbst  wenn  so  seltene  Ue- 
berset2ier,  als  A.  W.  v.  Schlegel  oder  Gries,  sich  mit 
der  Arbeit  abgeben  wollten, 'jenen  herrlichen  Oehlen^ 
sclilägerschen  Dichtungen,  die  freilich  auch  nicht  die 
geringste  Abweichung  in  dem  Tone  vertragen^  ohne 
einen  grofsen  Theil  ihrer  Schönheit  einzubüfsen,  eine 
wahre  Aufnahme  in  Deutschland,  zu  -  verschaffen,  so 
würde  dennoch  die  Schwierigkeit  sich  einstellen,  dafs 
scandinavische  Mythologie  und  Sagengeschichte,  von 
der  ästhetischen  Seite  betrachtet,  vielmehr  auf  eui  nur 
particulares  als^  auf  ein  allgemeines  Interesse  Anspruch^ 
machen  können.  Hat  doch  selbst  A.  W.  von  Schle- 
gel durch  seinen  Shakspeare  und  Calderon  auf 
ganz  andere,  eindringlichere  Weise  gewirkt^  als  durch 
seine  Mittheilungen  aus  indischen  Dichtem,  weil  das 
„homo  sum,  humani  nihil  a  me  alienum  puto"  einen 
^anz  andern  AnkTang  findet  bei  jenen  als  bei  diesen; 
und  so  würde  es  auch  mit  der  altscaudinavischto  Un- 
menschlichkeit gehen.  Denn  im  Scaudinavischen  wie 
im  Indischen  ist  das  allgemein  Interesj^ante  nicht  die 
ästhetische,  sondern  die  geschichtliche  Seite ;  diese  wür- 
de man  aber  bei  einer  modernen  poetischen  Behandlung 
gefährdet  glauben,  und  es  würde  viel  dazu  gehören, 
die  poetische  Seite  so  lieb  zu  gewinnen,  dals  man  seine 
Furcht  für  die  geschichtliche  darüber  vergäfse. 

Es  geht  aber  mit  den  Litteraturen  wie  mit  den 
menschlichen  Individuen.  *  Wenn  nur  zwei  Menschen 
auf  der  Welt  wären,  so  würden  sie  sich  ohne  Zweifel 
gegenseitig  suchen  und.  dienen,  und  der  eine  würde 
sogar  an  den  besondersten  £igeuheiten  des  andern 
sein  Gefallen  haben  $  jetzt  aber  ist  die  Menge  so  grofs, 
dafs  man  unmöglich  wünschen  kann,  die  persönliche 
Bekanntschfift  eines  jeden,  der  uns  begegnet,  zu  ma- 
chen. Und  doch  hat  ein  jeder  seine  eigenthümliche 
Seele,  die  er  mit  keiner  andern,  selbst  der  begabteren, 
vertauschen  möchte,   und  die,   als  Idee,  zur  Ewigkeit 


MurmieTj  ilüiüire  d4  la  liiiSrüimr^  en  DmMemmrk  ei  Mt  Si0id0* 


96 

bestinnt,  xvM  werth  wü^b  erlmmt  ta  tein.  Aber 
freilieh  mQfst»  si^  dann  in  ihrer  Idee,  abo  in  ihrem  all- 
gemeliien,  nicfat  empirischen  W«sen  begriffen  werden. 
Wenn  ein  Meisler  der  Darstellnng,  «o  wie  der  Auffae- 
snng,  die  geheimen  Bekenntnisse  einer  ^ek^ntn  Seele 
miltheUeod,  uns  das  Allgemeine  in  dem  Besondem  ent- 
deelct,  %<i  verliefen  wir  uns  gern  in  eine  solche  Eincel« 
heit,  indem  wir  aech  hier,  nur  auf  particularere  Weise, 
dasselbe  finden,  was  wir  sonst  nur  bei  den  grofsen  Re- 
präsentanten der  menschlichen  Gattung  nach  einem 
gröfseren  Maalsstabe  su  suchen  gewohnt  sind.  So 
wird  denn  auch  die  Geschichte  einer  beschrankteren 
Litteratur  auf  Theilnahme  Anspruch  machen  können, 
wenn  sie,  in  einem  wahrhaft  allgemeinen  Geiste  geschrie« 
ben,  uns  in  ihrem  kleineren  Spiegel  die  Idee  darstellt, 
welche  dodi  immer  dieselbe  bleibt,  und  deren  selbst 
partieulmre  Entwickelungen,  eben  weil  es  die  Idee 
ist,  sich  immer  auf  eine  nicht  nur  empirisch,  sondern 
ideal  neue  Weise  gestalten,  und  folglich,  weil  eine 
neue  Seite  der  Idee  selbst  eine  neue  Idee  ist,  uns  in 
der  That  neue  Ideen  TorfUhren.  So  mochte  es  denn 
vielleicht  ^iner  Geschichte  der  Litteratur  gelingen  ken- 
nen, was  die  Uebersetsungen  der  J)ichlerwerke  seliwer- 
lich  erreichen  werden. 

Hätte  flr.  Martnier  uns  eine  solche  Gesehidite  der 
seandijNivbchen  Litteratur  geschenkt,  so  würden  wir 
ihm  hereUcben  Dank  dafiir  wissen;  allein  der  Hr.  ML 
scheint  durch  einen  auffallenden  Mangel  an  pfalloao- 
phisoher  Bildung  hauptsächlich  daran  gehindert  worden 
EU  sein.  Ohne  den  Geist  durch  Denicen  gebildet  eu 
haben,  wird  man  heutigen  Tages,  und  swar  mit  Recht, 
ilir  geistlos  gehalten,  und  wird  als  Gesehichtsohreiber, 
selbst, der  seandinavischen  Litteratur,  nur  eine  geistlose 
Geschichte  schreiben  können.  Zwar  mag  es,  einer 
sehr  beliebten  Redensart  zufolge,  verdienetlieA  genannt 
werden,  die  gelehrte  oder  die  gebildete  Welt  mit  einer 
Menge  ihr  noch  unbekannter  Thatsachen  bekannt  eu 
machen  4  es  ist  aber  schwer  eu  l>egr^en,  worin  das 
Verdienst  einer  solchen  Unternehmung  bestehe,  und  be- 
sonders eu  ein^  Zeit,  wo  die  Welt  eu  viel  eu  thun 
hat,   um  sich  mit  meris  particularibus,  e  quibus  nihil 


eequitur,  eu  befasami.  Was  kann  es  den  Fransoa« 
oder  andern  Ausländem  helfen,  eu  wissen,  daüi  wir  in 
Dänemark  oder  in  Schweden  so  und  so  viele  Diehlcr 
haben,  die  so  und  so  heilsen,  die  so  und  so  vide  €ve> 
dichte  von  diesem  oder  jenem  lohalt  gesehrieben,  mmü 
diese  oder  jene  Lebensumstände  gehabt  haben?  Zwar 
kommen  auch  ästhetische  Urtheile  Tor,  namentlich  Ter- 
gleichüngen  mit  verwandten  Diehtem  anderer  Lfind^, 
alles  aber  in  der  Form  eines  bloCi  äufserlichen  Raiaoa» 
nements,  «nd  die  eigentliche  Pointe  der  Sache  li  nmna 
fast  nirgends  heraus.  Der  Verf.  sehdnt  der  — »  ich 
mdchte  sagen  —  aber^uhisdien  Vorliebe  vieler  am* 
ner  Landsleute  für  das  Quantitative  im  Litterariadien, 
für  die  Menge  der  Thatsachen,  scheint  dieser  litterari* 
sehen  Gastronomie,  die  mehr  Speisen  verlangt,  als  der 
Magen  verdauen  kann,  und  die  durch  eine  UnsaU  von 
„Revues*^  -*  ein  Modentitel,  der  in  dieser  Besieirang 
ebarakteristisch  ist  ^  genährt  wird,  noch  mehr  Nah- 
rung iiaben  bieten  eu  wollen,  wie  dies  sogar  aus  ac». 
ner  eigenen  Rechtfertigung  des  Buches  in  der  Tor- 
rede *)  erhellt.  Hier  helfet  es  nftmlich :  „Faire  une  hi- 
atoire  da  celte  littdrature,  depuis  le  Jour  oü  eile  ouvrit 
son  alle  faible  et  craintive  jusqu*ii  celui  oh  eile  a'elan- 
^a  librement  dans  Fespacoy  e*est,  k  ce  qu'U  me  acm^ 
ble,  rdpondre  auic  besoins  de  Tdpoque  ou  nous  vivons, 
de  cette  ^popue  investigatrice  et  curieuse,  qui  aime  h 
remuer  les  cendrea  du^  pass<  et  k  promener  »em  regards 
errants  autour  d'elle;  c*est  ajouter  un  aaneau  a  eette 
chaine  d'dtudes  qui  s'ätend  aux  deux  extr^mft^  du 
monde;  et  quand  ce  ne  aerait  qu'iin  anneau  de  fer  mal 
ciseld,  n'importe  encore,  cdui  qui  le  tient  entre  aea 
mains  doit  le  livrer  craime  jm  tribut."  —  Dab  abe^ 
diese  Kette,  von  welcher  der  Hr.  Verf.  in  so  feierii. 
eben  Ausdrucken  qiricht,  nur  die  Kette  der  empiri- 
schen Detailkenntnisse,  des  geistlosen  Fortganges  in 
der  Richtung  der  schlechten  Unendlichkeit  ist ,  dies  Ist 
aus  dem  Buche  selbst  eben  so  leicht  eu  erkennen,  ids 
dafs  der  hier  dargebotene  Rmg  audi  nur  in  eine  aoldie 
Kette  passen  kann. 


0  S.  IV. 


/ 


(Die  Fortsetxong  fblgt.) 


J  ah  r  b  1i  c  h  e  r 

für 


^wr  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  tl  i  c  h  e    Kritik 


Januar  1840* 


Bütaire  de  la  Utteratture  en  Dänemark  et  en 
Buedey  par  X.  lUL  armier. 

(Fortsetsung.^ 
Diese    ganze  Form    eines  Zasammenhäufens   von 
Thatsachen  und —  weil  es  doch  unmöglich  ist  bei  dem 
rein  Thatsächlichen  ganz  abstract  stehen  zu  bleiben  — 
eines  losen  Hin-  und  Herredens  Tiber  die  Gegenstände, 
eiBos  oberflächtichen  Beurtheilens,  einer  prosaischen  Ex- 
Position  des  trockenen  Inhaltes,  der  Gedichte,  ja  sogar  hier 
und  da  einet  in  französischer  Prosa  gemachten  Ueber- 
setzung  solcher  lyrischen   Gedichte,    deren  Schönheit, 
wenn  sie  von  Reim  und  Rhythmus  losgerbsen  werden, 
gar  nicht  zu  begreifen  ist,  endlich  der  minutiösen  Er- 
stthlukig   der   äufseren  Lebens  -  Umstände   der  Dichter, 
diese  ganze  Form  des  Buches   steht  damit  in  Verbin- 
dung, dafs  der  Hr.  Verf.  seine  eigene  Reisebeschreibung 
mit  seiner  Geschichte  der  Litteratur  zum  Theil  hat  ver- 
binden wollen.    Er  er2ählt  ganz  naiv,   wie  und  wo  er 
die  BekannUchaft  der  Dichter  gemacht  hat,  wie  er  von 
ihnen  aufgenommen  worden  ist,  welchen  Eindruck  sie 
auf  ihn  gemacht  haben,  u.  s.  w.,  eine  Manier,  die  nur 
Gültigkeit  hat  unter  der  Voraussetzung,  dafs  der  Verf. 
eine  so   bedeutende   oder  berühmte  Autorität  bt,   dafs 
es  die  Welt  interessiren  kann ,  mit  seinen  besonderen 
Schicksalen  und  Memungen  bekannt  zu  werden.     So 
erzählt  er  z.  B-,  dafs  er  sich  mit  Tegndr  über   den 
Werth  oder  ünwerth  der  neusten  dänischen  und  schwe- 
dischen  Dichter  unterhalten  hat;  welches  Urtheil  aber 
Tegn^r   über  diese  Dichter  ausgesprochen  hat  —  das 
Einzige,  was  irgend  ein  Interesse  haben  könnte  —  er- 
fahren wir  nicht,  und  mOssen  uns  dafür  durch  den  Be- 
rieht  entschädigen  lassen,  dafs  der  Verf.  unterdessen 
mit  dem  geistlichen  Manne  Punsch  getrunken  hat  *). 
So  erzählt  er  ferner  ••),    dafs   der   dänische  Dichter 
Andersen  ihm  durch  ein  schwerräüiges  Benehmen  (un 

*)  ^.  403.       •*)  S.  239. 
iohth.  f.  mitentch.  Kritik.  /.  1840. ,  I.  Bd. 


maintien  un  peu  lourd)  auffallend  war,  ihn  aber. später 
durch  die  Erzählung  seiner  Jugendgeschichte  gewann; 
und  diese  Geschichte,  die  für  den  Dichter  selbst  und 
seine  Freunde  erbaulic)i  genug  sein  mag,  in  einer  Ge* 
schichte  der  Litteratur  aber  eine  gar  zu  überflüssige 
Rolle  spielt,  erzählt  Hr.  Marmier  in  aller  Breite  nach. 
Wo  es  aber  zur  Darstellung  von  Andersens  litterari- 
scher Wirksamkeit  kommt,  da  ist  Hr.  Marmier  von  sei- 
ner Nacherzählung  so  erschöpft,  daCs  er  uns  nur  ein 
Paar  nichtssagende,  aphoristische  Bemerkungen  über 
den  Ton  und  Charakter  dieses  Dichters  mittheüt,  so 
wie  die  Angabe  des^  Hauptinhaltes '  zweier  seiner  Ro- 
mane, und  eine  versificirte  Uebersetzung  eines  klei-  . 
nen  lyrischen  Gedichtes ,  ohne  dafs  die  Frage  über 
seine  eigenthümliche  Tendenz,  oder  überhaupt  ob  eine 
Tendenz  bei  ihm  vorkomme,  zur  Sprache  gebracht  wird.. 
Und  doch  ist  Andersen  unter  allen  auf  Oeblenschlägec 
gefolgten  Dichtem  der  einzige,  den  Hr.  Marmier  einer 
Art  von  Beurtheilung  würdiget;  alle  die  übrigen  sind 
fast  nur  mit  Namen  genannt,  und  Männer  wie  Schack, 
Staffeidt  und  Grundtvig  kommen,  nicht  einmal  dem  Na» 
men  nach,  vor.  ^ 

Der  Umstand,  dafs  der  Hr.  Verf.  die  scandinavi- 
sche  Litteratur  an  Ort  und  Stelle,  in  Copenhagen  und 
Stockholm  studirt  hat,  könnte  seinem  Buche  ein  gewis- 
ses Relief  geben,  eine  Art  von  Autorität  verleihen,  die 
aber,  genauer  besehen,  als  bloEser  Schein  verschwin- 
det. Bedenkt  man  nämlich,  dafs  die  Pariser  Bibliothek 
mit  scandinavischer,  wenigstens  mit  dänischer  Littera- 
tur so  reichlich  versehen  wird,  dafs  kaum  das  ^Uer- 
neuste  fehlet,  und  dafs  folglich  ein  Franzose;  um  die 
Geschichte  unserer  Litteratur  zu  schreiben,  Paris  kaum 
zu  verlassen  braucht,  so  wird  man  zugeben,  dafs  die 
einzigen  etwanigen  Vortheüe  einer  Copenhagener  Reise 
sich  darauf  beschränken,  sich  in  der  Sprache  durch  Um- 
gang mit  den  Eingeborenen  zu  vervollkommnen,  die  Sit- 
ten und  Gebräuche  und  andere  Locallläten  des  Landes 

13 


99 


Jtiarmier,  Bütcire  de  M  Uttdrature  e»  Datumark  et  en  Suide, 


JLOO 


t  • 


L 


durch  eigene  Ansicht  besser  kennen  zu  lernen,  und  end- 
lich die  Anweisungen  der  Gelehrten  und  Gebildeten  zu 
benutzen,  iim  die  wahren,  manchmal  versteckten  Ten- 
denzen der  Lttteratur  oder  einer  ganzen  Partie^  denel*. 
ben,  um  die  verborgenen  Keime  einet  kflnftigen  Ent- 
Wickelung  zu  entdecken.  Gewifs  sind  diese  Vorzüge 
von  Wichtigkeit ;  was  aber  den  letzten  und  ohne  Zwei- 
fel wichtigsten  betrifft,  so  ist  und  bleibt  er  s^hr  precär, 
wenn  der  Reisende  nicht  die  gehörigen  Yorkeuntnisse 
und  in  der  Hauptsache  ein  schon  gebildetes  Urtheil 
mitbringt,  weil  es  sonst  ganz  von  dem  Zufall  abhängt, 
in  welchb  Hände  er  fällt,  und  unter  wessen  Anleitung 
er  beobachtet  und  schreibt.  So  hat  Hr.  Marmier  sich 
von  den  Einflüssen  eines  gewissen  esprit  de  coterie 
nicht  entfernt  halten  können,  und  wo  er  ein. Urtheil 
ausspricht,  hört  ihan  manchmal  nicht  ihn,  sondern  die- 
ses oder  jenes  Lidividuum,  diese  oder  jene  Gesellschaft 
durch  ihn  sprechen.  £s  mag  allerdings  die  gute  Ge- 
sellschaft sein;  wie  man  sie  aber  die  gute  nennt, 

wenn  sie  zum  kleinsten  Gedicht  keine  Gelegenheit 

gibt,  - 
so  trägt  sie  denselben  Namen,  wenn  sie  das  kleinste, 
Gedicht  richtig  zu  beurtheilen  unßhig  ist.  Ueberhaupt 
scheint  Hr.  Marmier  durch  seinen  zweimaligen  Aufent« 
halt  in  Copenhagea  den  mitgebrachten  Yorkenntnissen 
in  der  dänischen  Litteratur  jedesmal  eine  zu  kurze  Aus- 
bildungszeit vergönnt  zu  haben.  Durch  einen  verlän- 
gerten Aufenthalt  würden  seine  Ansichten  und  Urtheile 
vielleicht  verbessert,  so  wie  die  vielen  Fehlejr  und  Mifs- 
Terständnisse  in  dem  rein  Thatsächlichen  vermieden 
worden  sein,  z.  B.  wenn  er  die  Könige  Olaf  den  Hei* 
ligen  und  Olaf  Tryggvasen  mit  einander  verwechselt  *), 
jüder  berichtet,  Oehlenschläger  habe  alte  Werke  Holbergs 
Ins  Deutsche  übersetzt  ^),  oder  von  dem  wenig  bekann- 
ten Dichter  Rein  sagf,  er  sei  ein  dramatischer  Yerf., 
*der  die  Geschichte  von  Axel  und  Walburg  zum  ersten- 
mal auf  die  Bühne  gebracht  habe  **•),  u.  s.  w.,  u.  s.  w. 
Allein  das  grofse  Zutrauen  des  Hrn.  Marmier  zur  Ge- 
Bchwindigkeit  seiner  Auffassungsgabe  wurde  den  Dä- 
nen schon  damals  kund,  als  er,  während  seines  kurzen 
Aufenthalts  in  Copenhagen,  seine  beiden,  dem  Werke 
einverleibten  Artikel  über  Oehlenschläger  und  Andersen 
in  einer  dänischen  Zeitung  und  in  dänischer  Sprache 
drucken  liefs,  wozu  allerdings  'eine  noch  gröfsere  Keck- 


0  S.  224.       ••)  S.  217. 


••• 


)  S.  173. 


heit  gehörte,  als  einem  fremden,  der  Sache  unkundigen 
Publikum  ein  solches  Gewäsch  zu  bieten.     "^ 

Um  an  einem  auffallenden  Beispiele  zu  zeigen,  i^fe 
die  Schrift  des  Hrn.  Verfs.  eine  geistlose  Compilation 
bt,  theils  aus.  bekannten  Büchern,  theils  —  was  schlii^u 
mer.  ist  —  aus  allerlei  mündlichem ,   unkritbchem  Ge- 
rede und  sogar  litterarbchen  Klatschereien,  ohne  Saeb- 
kenntniCs,   ohne  Urtheibkraft  abgefafst,  werde  ich  den 
Abschnitt  wählen,  wo  er  von  Baggjßsen  handelt.     Die- 
ses Bebpiel  wird  um  so  viel  mehr  ein  exemplirai  in^ 
Star  omnium  sein  könnet ,  ab  Baggesen  durch  seine 
berühmte  und  berüchtigte  Polemik  gegen  Oehleneehlä- 
ger  den  letzten  Haupt -Wendepunkt  in  der  Geschichte 
der  dänbchen  Litteratur  bildet,   das  bei  weitem   wicii- 
tigste  Ereignifs  darbietet,  das  sich  seit  Oehlenscblägeis 
erstem  Auftreten  zugetragen  hat.     Denn  diese  Polemik 
hat  eine  bedeutende,  noch  immer  fortdauernde  und  wohl 
nie  zu  verlierende  Wirkung  hervorgebracht,  indem  sie, 
mehr  durch  den  ihr  einwohnenden  Grundgedanken  als 
durch  die  gründliche  Entwickelung  desselben,  das  kriti- 
sehe,  bbher  schlummernde  Bewufstsein  der  Gebildeten 
erweckt,  und  damit  den  ästhetischen  Oedanken  in  sein, 
durch  lauter  ästhetbches  &^«;^  usurpirtes  Recht  einge- 
setzt hat.     Zwar  bt  die   Unschuld  des  unbefangenen 
poetischen  Genusses,  die  Zeit  der  kindlichen  Bewunde- 
rungen und  weiblichen  Ekstasen  dadurch  verloren  ge- 
gangen, allein  der  männliche  Gedanke  der  Wbsenschaft 
hat  sich  auf  Kosten  des  verlorenen  Paradieses  emanci- 
pirt,   und  wird  sich  seine  Freiheit  nicht  mehr  rauben 
lassen.    Dieser   grobe  Fortschritt  läfst  sich  allerdings 
an  Ort  und  Stelle  besser  wahrnehmen  ab  durch  das 
blofse  Lesen  der  neueren  Schriften ,  weil  in  diesen  Yie- 
les,  worüber  die  öfTentliche  Meinung  schon  im  Reinen 
bt,  übergangen  wird,   um  nicht  hie  und  da  infandum 
dolorem  zu  renoviren.  Anderes  nur  auf  verblümte  Webe 
ausgedrückt  wird,  indem  es  so  zum  Yerständnisse  des 
einheimischen  Publikums  hinreicht,  und  endlich  weil  die 
Tagesblätter,   insofern  sie  es  nicht  verschmähen,  sich 
mit  litterarbchen  Gegenständen  statt  mit  politbchen  ab- 
zugeben, hier,  wie  überall,  nur  die  Organe  einer  Par- 
tei sind,   und  zwar  einer  veralteten,  so  dafs  sie  sich 
gewohnlich  über  das  am  meisten  verbreiten,  was  in  der 
lebendigen  öffentlichen  Meinung  das  geringste  Interesse 
hat,   hingegen  dasjenige  mit  Stillschweigen  übergehen, 
worin  die  Gegenwart  lebt  und  ihren  Kern  für  die  Zu- 
kunft niederlegt.    In  der  gereiften  öffentlichen  Memung, 


101 


Mmrmierj  Hiitoire  de  la  Utt^ratfire  en  De{nemark  et  en  Suhde. 


102 


insoftim  sie.  den  kier  besproobeneii  Gegenstand  betrifit, 
bätte  Hr.  Marmier  durch  seinen  Aufenthalt  in  Copen- 
hagaix,  und  Ewar  mit  geringer  Mühe^  orientirt  werden 
können^  anstatt  dafs  er  mm  auf  derselben  Stufe  als 
die  periodische  Litteratur  und  die  sie  dirigirende  Cote- 
.^8  stehen  geblieben  ist.  Durch  ein  nur  halbgrUndlir 
«hes  Studium  der  Baggesenschen  Schriften,  \^enn  Hr. 
Maimier  auch  nur  zu  einem  solchen  Zeit  un(l  MuTse 

• 

gehat)t  hätte,  würde   er  nicht  zu  dem  für  einen  Ge- 
«ehiöhtschfeiber  der  Litteratur  traurigen  GestSndnisse 
gekommen- sein:  ,^vant  debl&meri  il  faut  comprendre, 
ei  je  ne  comprends  pas  la  maniere  d'agir  de  Baggesen 
en  raainte  circonstance''  ^).     Und    was   gibt  es   denn 
hier^   d^  er  nicht  verstehen  konnte  1   Es  sind  Bagge- 
aens  „fluctuations  de  caract^re  et  ses  contradictions"  *^). 
Und  welche  sind  diese?   Der  Yerf ,    nachdem  er  die 
Reihe  der  äufseren  Ereignisse  in  Baggesens  Leben. aus* 
Molbechs  Biogr^ihie  des  Diciiters  in  seiner  danischen 
Anthologie  compilirt  hat,  stellt  uns  die  genannten  fluotua- 
tipns  et  contradiotions  so  dar:  „Le  caraetfere  de  Bag- 
gesen est  un  singulier  melange  de  tendresse,  de  frivo- 
lit^,  et  sa  vie,  sans  ^o^e  traversce  par  les  id^es  les 
plus  tiontradietoires,  est '  comme  une  ^nigme.    11  avait 
eneensä  le  nom  de  Goethe  et  il  llnjuria.    II  ^tait  toinb^ 
aux  genottx  d*OehIensohläger  en  l'ecoutant  lire  Palna- 
toke^  et  il  traita  Oehlenschläger  comme  le  deriiier  des 
^erivaius.     Quand^  Atodldin  parut,  il  avait  saluä  avec 
eBthoosiasme  Taurore    de   Tecole   romantique    danoise. 
II  aurait  pu  6(re  le  chef  de  cette  öcole  et  il  en  fut 
rantagoniste  outr^.    Quand  ^il  etait  k  Paris,  il  d^clarait 
qu*il  h'avait  päs-aautre  ambition  quo  d'ecrire  en  da- 
nois,   et  ü  em^loya  tous  ses  eSbrts  ä  faire  des  Vers 
allemahds,  et  m£me  des  vers  fran^ais.    11  aimait  sa  pa> 
trie,  et  il  ne  put  lui  donner  une  lärme  quand  eile  fut 
döpouill^e  par  rinvasion,  d^sol^e  par  la  guerre"  *^*). 

Was  den  Schlufssatz  dieser  Tirade  betrifft,  so 
wird  ein  jeder,  der  Baggesens  Schriften  auch  nur  fluch* 
tig  kennt,  ihn  faktisch  widerlegt  finden  durch  mehrere 

'  säner  zur  Zeit  des  Krieges* mit  England  geschriebe- 
nen, sowohl  ernsthaften  als  spafshaften  Gedichte,  z.  B. 
den   vortrefflichen   ,,Flaschenbrier'    —    einen  wahren 

t  Hymnus  im  Volkston,  —  die  Ode  an  den  Admiral 
Sneedorff,  das  populär  gewordene  Matrosenlied,  zu  ei- 
ner bekannten    norwegischen   Tolksmclodie  gedichtet. 


•)  S.  19L       ••)  Ebendas.       •")  S.  190. 


so  wie  mauj  um  seine  im  spafshaften  Ton  geschriebe- 
nen Gedichte  richtig  zu  beurtheilen,  nicht  vergessen 
mufs,  wie  oft, er,  um  seinen  eigenen  Ausdruck  zu  ge* 
brauchen,  .^hinter  Thränen  lächelte",  und  wie  auch 
hier  die  von  Hrn.  Marmier  verlangte  „lärme-'  nicht  ge- 
fehlt hat.  Was  aber  die  übrigen,  an  der  angeführten 
Stelle  enumerirten  Widerspruche  betrifft,  so  wollen 
wir,  mit  Ausschiiefsung  derjenigen,  deren  Auflösung 
Von  keinem  Interesse  bt,  uns  auf  Baggesens  Verhältr 
nifs  zu  Oehlenschläger  und  zu  der '  „äoole  romantique 
danoise"  beschränken. 

4 

Die  Auflosung  des  hierin  gerS^en  Widerspruches 
ist  freilich  von  den  aus  dem  Leben  des  Dichters  an* 
geführten  Thatsachen  nicht  zu  erwarten;  und  v^enn 
daher  Hr.  Marmier  von  Baggesen  nidits  anderes  weiCib 
ab  dafs  er  so  und  so  viele  Aemter  bekleidet  hat,  so 
und  so  vielmal  auf  ausländische  Reben  gegangen  bt^ 
dafs  er  in  Parb  wegen  Schulden  eingesteckt  worden, 
dafs  er  zweimal  verheirathet,  hier  gestorben  und  doM 
begraben  ist,  so  ist  es  nicht  nur  kein  Wunder,  dafs 
der  Hr.  Verf.  über  Baggesens  „maniere  d'agir"  —  wor- 
auf es  übrigens  hier  nichf.  ankommt  —  keinen  Auf- 
schlufs  hat  erhalten  können,  sondern  — -  was  in  einer 
Geschichte  der  Litteratur  schlimmer  ist  —  die  maniöre 
d^ccrire  des  Dichters  wi^d  ihm  ein  unauflösliches  Räth- 
sel  bleiben  müssen.  Und  doch,  es  gehörte  eben  nicht 
grofse  Sachkeuntnifs  oder  ungewöhnliche  Ürtheilskraft 
dazu,  um  den  wichtigen,  manches  erklärenden  Umstand 
nicht  unbeachtet  zu  lassen,  dafs  Baggesen  voii  Natur 
ein-  speculativer  Kopf  war,  wodurch  er  schon  einen 
enUchieaenen  Contrast  zu  Oehlenschläger  bildet,  dafs 
er  sein  ganzes  Leben  hindurch  von  der  Philosophie 
eben  so  sehr  ab  von  der  Poesie  angezogen  wurde, 
und  dafs  sein  fojrtdauerndes  Bestreben  darauf  ausging, 
eine  speculatlve  Poesie,  eine  Poesie  der  esplicirten 
Idee  zu  gründen.  Aber  welche  Nahrung  erhielt  seine 
philosophbche  Neigung  ?  Sein  kräftigcfs  Mannesalter  liel 
in  die  kantbolie  Periode,  und  er  setzte  sich  mit  solchem 
Eifer  in  dem  Kantianbmus  fest,  daCs  er,  unfähig  ge* 
worden,  weiter  fortzuschreiten^  schon  bei  Fichtes  con- 
^equenter  Ausbildung  des  Systemes  abbrechen  mufste, 
und  weil  er  doch,  selbst  zum  Behufe  seiher  Poesie, 
die  Philosophie  nicht  entbehren  konnte,  bei  dem  ob- 
jectlosen  Kant  aber,  wie  begreiflich,  keine  Ausbeute 
für  die  Poesie  gewinnen  konnte,  sich  zu  den  gemüthli- 
chen  Denkern  Jacobi  und  Rcinhold  hingezogen  fühlte. 


101 


MmrmuTf 


de  la  litt^raimrt  *»  ßmnemmrJk  et  em  Smide. 


1<M 


•  1 

8a  Bh^t  konnte  er  iie  Brücke  nieht  finden,  welche  die 
beiden  Mchstea  Geisteethätigkehen  verbindet  i  hingegen 
ward  ihm  die  eine  in  der  Ausübung  der  anderen  suai 
Hlndemifs,  und  er  selbst  wurde  gleichsam  ein  Zwitter, 
einestheils  ein  Stttck  Ton  einem  Philosophen,  andern- 
theils  von  einem  Poeten,  das  letzte  aber  bedeutend  aus* 
gebildeter  als  das  erste.  Hütte  er  Schillers  tiefere  Be* 
geisterung  geliabt,  er  würde  vielleicht,  wie  dieser,  mit 
Fichte  forlgeschritten  sein,  und  selbst  auf  dfm  sandi-> 
gen  Boden  dieses  Philosophen  reiche  poetische  Fruchte 
gesammelt  baben.  Was  ihn  aber  auch  daran  hinderli 
mochte,  war^  dafs  er  in  der  That  die  Forderung  an 
eine  speculative  Poesie  höher  stellte  als  Schiller,  der 
sich  mit  dem  kleinen  moralischen  Gebiete  begnügen 
liefs.  Er  hingegen  wollte  Natur  und  Geist,  und  über«> 
haupt  die  fiufscrston  Gegensätze  in  der  Poesie  repro- 
duciren  und  durch  dieselbe  mit  «nandiir  vermitteln, 
wie  fies  selbst  aus  seinen  mifslungenslen  Bestrebungen 
itir  diesen  Zweck  einleuchtet.  Mit  Schelling  konnte 
er  nicht  harmoniren,  weil  das  Uebergewicht  der  Natur- 
philosophie seinem  logischen  Geiste  zuwider  war,  und 
Hegel  hat  er,  wenigstens  *  vor  seinen  letzten  Jahren, 
nicht  gekannt,  und  auf  Jeden  Fall  damals  nicht  so 
viele  Agilität  gehabt,  dafs  er  sich  in  efai  neues  System 
hineinversetzen  konnte! 

Unterdessen  war  Oehlenschläger  mit  seinen  er- 
sten,  Epoche  machenden  Dichterwerken  aufgetreten. 
Ohne  den  Trieb  zur  Speculation  empfunden  zu  haben, 
war  ihm  unmittelbar  durch  seinen  Freund  Steffens  und 
mittelbar  durch  die  deutschen  Romantiker,  Noyalis  und 
Ti^ck,  ein  gewisser  Anflug  der  Schellingschen  Natur- 
philosophie milgetheilt  worden,  Wodurch  er  freilich  in 
reia  objectiver  Binsicht  Baggesen  vorbeigeschritten  war, 
subjectiv  aber  insofern  hinter  ihm  zurückstand,  als  er 
selbst  kein  rechtes  Bewufstsein  über  seine  Richtung 
hatte,  sondern  dieselbe  vielmehr  unter  aufserem  Ein- 
fluBse,  seinem  poetischen  Instinkte  gehorchend,  einschlug. 
Aber  schon  die  in  seinen  ersten  Gedichten  implicite 
vorhandene  Idee  liefs  sich  mit  solcher  Energie  spuren, 
dafs  es  weder  Baggesen  noch  Anderen  zu  verdenken 


war,  wenn  sie  melnlett,  der  Dichter  würde  Im  Verianf 
seiner  Hervorbrhigungen,  in  der  ferneren  Eatwiekefauig 
seines  GeisteSt  dieselbe  Idee  durch  den  Kreblauf  ihrer 
weiteren  Gestaltungen  wahrhafit  expliciren«  In  dienern 
Sinne  mnfs  Baggesens  begeiitertes  Lob  des  jmfgcn 
Dichters  verstanden  werden.  Selbst  wo  er  das  Leb 
modertrt,  geschieht  es  nur,  um  den  Jüngling  an  das 
SU  mahnen,  was  ihm  noeh  an  der  YoUendung  fehk; 
deswegen  warnt  er  ihn  vor  der  in  der  damaligen  deut* 
sehen  Schule  rorherrschenden  Neigung  zum  Kaihnl- 
eismus  und  vor  dem  allzugrofsen  Einfluls  von  Ticcks 
breiter,  nebelhafter  Romantik,  und  dringt  auf  die*  SefaiL 
dening  plastisch  klarer  Gestalten.  Und  Oehlenachll* 
ger,  ohne  den  Rath  Baggesens  befolgen  zu  wollen,  be* 
folgte  ihn  dennoch.  Den  Katholiebmus  gab  er  anl^ 
und  nach  und  nach  auch  den  Romantlsmus,  mriir  visL 
leicht  als  billig,  und  stellte  in  seinen  ersten  TragödicB 
klare  Handlung  statt  dunkler  Gefühle  dar,  wodurch 
eine  neue,  unerschöpfliche  Seite  seSnes  poetischen  Vc^ 
mögens  sich  offenbaren  zu  wollen  schien.  Und  jettt 
stimmte  Baggesen  in  das  noch  gr5isere  Lob  ein.  b^ 
dem  aber  Oehlenschlftger,  auf  den  schon  gewonnenen 
Lorbeeren  ruhend,  sich  die  Sache  nach  und  naeh  be- 
quem machte,  und,  nach  aufgegebener  Romantik,  auch 
die  plastischen  Charaktere,  die  wahre  Handlung,  das 
gediegenen  poetischen  Gehalt  in  manchem  neueren 
Werke  aufgab,  aus  der  poetischen  Region  nicht  seilen 
in  die  prosaischen  Felder  einer  flach  «moralisdiai  Le- 
bensansicht hinabsinkend,  wo  ein  abstrakter  Philanlluro» 
pismus  die  Stelle  der  weggeflohenen  Idee  einnahm,  da 
rückte  Baggesen  mit  seiner  polemischen  Feder  ins 
Feld,  erstens  gegen  den  Dichter  selbst,  den  er  noch 
immer  zu  bekehren  hoffte,  und  zweitens  gegen  das  Po» 
blikum,  das,  im  blinden  Autoritiitsglauben  befangea, 
jene  schwachen  Werke  für  eben  so  gültig  hielt,  ab 
die  früheren  gediegenen,  und  überhaupt  eine  jede  Kri- 
tik  der  infalliblen  Muse  des  Dichters  als  aufrührertssh 
Stempehe,  während  der  in  Kants  Schule  gebildete  Bag» 
gesen  alle  Autorität  verwarf,  und  nur  die  Einsicht  sls 
Geschmacksrichter  wollte  betrachtet  wissen. 


(Der  Bef chloDi  folgt) 


w 


Jahrbücher 

1  - 

fM 

issenschaft  liehe   Krit  iL 


Januar  1840« 


Histmite  de  Im  läterature  en  Dänemark  et  en 
Suedej  p€fr  X  Himrmier. 

(Schlufs.) 

Die  InconsequeQsen  und  Widenprüch«  diefer  Po- 
lemiky  iiid«m  dieselbe  theil«  .mit  unet acbopflicfaem  W iU 
se,  tlieib  juit  massiireii  GrohheiteA^  bald  mit  grändlicber 
Aiiseinaadersetuuig,  bald  wieder  mit  voreatdicb^n  Mirs» 
verstandniaeen»  weder  ebrliehen  noch  am&santen  Wort- 
Terdrekungen  und  überhaupt  mit  einem  gewissen  litte- 
nrisehen    Jesuitismus    geführt   wurdev    erlcUren    sich 
leicht  aus  dem  angegebenen  apeculaüven  Slandpunicte 
des'KriüIcers.   Dals  Oehlenscbläger,  wenn  er  den  letst* 
eingeschlagenen   Weg    nicht    änderte^   die   Poesie  ni 
Grunde  riditete ,  wälurend  er  dazu  berufen  schien,  sie 
ihrer  Vollendung  entgegensuführen ,   und   dals  es  für 
das  PublÜLum  hoch  fun  der  Zeit  wäre^  sieh  durch  die 
Stimme  der  Kritik  belehren  und  bilden  zu  lassen,  a»* 
statt  sich  im  blinden  Fanatismus  die  Ohren  zuiusto- 
.  pfeny^  dies  war  es  ohngefähr,  was  Baggesen  sagen  und 
explidren  wollte ;  und  dafs  er  hierin  Recht  hatte,  wird 
heutigen  Tages  fast  allgemein  eingestanden.    Um  aber 
jene  Wahrheiten  in  der  Form  des  Begrlfi'es  auszudrülc« 
ken  und  gehörig   su  entwickeln,   hätte  Baggesen    im 
Besitz  ganz  anderer  Kategorien  sein  müssen,  als  4er 
dem  kantischen  Systeme  entnommenen  oder  wenigstens 
mit  ihm  verwibaren.    Seine  eigene  Aestfaetik,  noch  in 
den  Windeln  der  infantia  liegend,  war  unvermögend, 
den  nur   gefjählten  Gedanken  deutlich  auszus|precbei|. 
Wo  .nun  der  Philosoph  zu  kurz  kam,  da  wurde  ihm 
von  dem  Poeten  Hülfe  geleistet:,  die  Satire  trat  an  die 
Stelle  der  dogmatischen  Belehrung,  und  zwar  so  glän« 
send,  so  energisch,  dafs  die  besseren  Theile.  dieser  Pcw 
lemik .  ohne  Vergleich  das  Gediegenste  sind,  das  Bag» 
gesen  jemals  geschrieben  hat,  und  gewifs  in  jeder  an- 
deren Litteratur,  wo  dieselben  Yerhaltnisse  stattfänden, 
das  gröfste  Aufsehen  erregt  und  die  grofste  Anerken- 
^^^.  f.  wiuMich.  Kri$ik.  J.  1840.  L  Bd. 


nung  gefunden  haben  wurden«  Man  kann  Baggesen 
in  diesen  seinen  Werken  am  fügliehsten  nrit  Lichten* 
berg  vergleichen  (für  den  er  auch  in  hohem  Grade  en« 
4husiastisch  war),  wie  grob  übrigens  die  Yersehieden« 
heit  beider  ist:  denn  einestheils  fählt  ihm  die  besonnene 
Ruhe  dieses  einzigen  Schriftstellers^  anderntbeils- hebt 
er  sieh  über.ibn  durch  seinen  eminent  lyrischen  Geist^ 
der  ihn  sowohl  in  Prosa  als  in  Yersen  den  Dichter  nie 
Terläugnen  Ittfst;  aber  in  der-Gründliebkeit  nnd  Leich* 
tig^eit  des  Witzes,  und  selbst  in  den  possirüchen  klei« 
nen  Chicaneu,  womit  die  Gegner  geneckt  werden,  ha- 
ben beide  einen  gemeinschaftlichen  Familienuig,  Und 
so  wie  die  Stimme  des  Windes  dem  griecbischen 
Schiffer  die  Worte  .zurief:  „Der  grofse  Pan  ist  gestor- 
ben*', sc  klang  durch,  Baggesens  ganze  Polemik,  fkh 
sympathetischer  Ton,  das  leise,  nicht  einem  jeden  Ohre 
vernehmbare  Wort:  ,^Oehlenschläger  ist  geistlos  ge-  . 
worden." 

Awi  dieser  nur  angedeuteten  Charakteristik  der 
Btfjggesenschen  Polemik  •  ist  leicht  zu  erkfftren,  warum 
das  grolse  Publikum^  den  eigentlichen  Sinn  des  Kriti- 
kers nicht  verstehend,  hingegen  die  Schattenseite  sei« 
ner  Angriffe  scharf  ins  Auge  fassend,  sich  mehr  und 
mehr  von  ihm  abwandte,  und  zuletzt  sogar  in  eine 
feindliche  Stimmung  gegen  den  vorher  so  hoch  Geprie- 
senen gerieth.'  Die  von  seinett  Feinden  verbreitete  Be- 
hauptung, er  sei  nur  aus  Neid  getrieben,  nur  aus  dem 
Aecgernisse,  von  einem  gröberen  Dichter  übertroffen 
zu  sein,  fand  bei  dem  grofsen  Haufen  um  so  viel  leieh« 
1er  Bittgang,  als  überhaupt  die  gemeinsten  Motive 
ihm  die  begreiflichsten  sind.  Dafs  auch  bedeutende 
Männer  sich  über  die  Tendenz  der  ILritik  tauschen  lie- 
Isen,  indem  sie,  den  Teclaumdungen  Ohr  gebend,,  in 
der  grofsen  Ideen-Collision  nur  einen  persönlichen  Streit 
sahen,  ist  gewifa  sehr  zu  tadeln,  aber  doch  durch  die 
Unbestimmtheit  in  den  von  Baggesen  dargestellten 
Prindpien,  sowie  durch  di^  vielen  Abwege,   worauf 

14 


107 


Marmier^  Histoire  de  la  litUrature  en  Danemark  et  en  Suhde, 


108 


seine  Polemik  gerieth^  eihigermarsen  su  enttciiuldi^en. 
Denn  er  selbst  trägt  viele  Schuld;  seine  Wahrheits- 
liebe wurde  manchmal  von  seiner  Leidenschaftlichkeit 
rerdunkeltf  und  er  selbst  verwandelte '  manchmal  den 
Kampf  für  die  Idee  in  Streit,  gegen  die  Person,  «einem 
Sinne  nach  freilich  nur  so^  dafs  er  die  Person  als  na- 
tQrliches  Symbol  einer  geistigen  Verkehrtheit  betrach- 
tete«  Allein,  wie  schon  gesagt,  man  ziehe  diese  Un- 
Vollkommenheiten  ab,  und  es  bleibt  Unvergängliches 
surück.  Und  jetst,  nachdem  ein  Zeitraum  von  beinahe 
dreifsig  Jahren  verflossen  ist,  seitdem  Baggesen  seine 
Polemik  anfing,  und  von  zwanzig,  seitdem  er  sie  be* 
achlofs,  hat  die  öffentliche  Meinung  Zeit  genug  zur  Rei- 
nigung gehabt,  und.  ist  schon  lange  Ober  die  ganze 
Angelegenheit  ins  Klare  gekommen.  Zwar  gibt  es 
noch  immer  eine  Partei,  die  bei  den  veralteten,  zum 
Theil  Von  ihr  selbst  geschaffenen  Voürthctlen  stehen 
geblieben  ist,  welches  allerdings  aus  guten  Gründen  zu 
begreifen,  und  aus  weniger  guten  zu  entschuldigen  ist. 
E»  ist  nämlich  an  der  Baggesenschen  Polemik  auch 
eine  moralische  Seite  zu  betrachten.  Man  hat  seinen 
schonungslosen  Angriffen  das  Dankbarkeitsgefiihl  we- 
gen  schon  empfangeu^r  reichhaltfger  Gaben,  iiberhaupt 
die  Pietät  entgegengestellt,  so  wie  man  noch  jetzt  bei 
vielen  Gelegenheiten  dieselbe  in  Anspruch  nimmt,  und 
hierin  mag  zwar  eine  gute  Regung  des  Herzens  etit* 
halten  sein ;  die  Pietät  aber,  wie  unentbehrlich  sie  auch 
in  dem  Familienverhältnisse  als  Grundlage  ist,  kann 
doch  im  Litterarischen  nicht  unbedingt  zu  rühmen  sein, 
denn  in  der  Wissenschaft,  geht  die  Wahrheit  über  alles, 
und  wenn  man  daher  auf  diesem  Gebiete  zur  Pietät 
unaufhörlich  recurrirt,  so  ist  man  selbst  daran  Schuld, 
wenn  zuletzt  die  pi^t^  zur  piti($  wird. 

Lassen  wir  aber  dieses  dahingestellt  sein*  Wor- 
auf es  hier  ankommt,  bt  der  Umstand,  dafs  ein  Yerf., 
jTer  die  Geschichte  einer  Litteratur  sehreiben  will,  in 
einem  so  wichtigen  Punkte,  wie  dem  hier  besproche- 
nen, weder  eine  genaue  Prüfung  anstellt,  noch,  in  Er- 
niangeUing  eigener  Kenntnisse,  die  gebildete  öffentliche 
Meinung  zu  Rathe  zieht,  «ondem  sich  einer,  weder  an 
Zahl  noch  an  Intelligenz  -bedeutenden  Partei  zum  Die- 
ner macht,  und  in  ihre  zwanzig-  bis  dreifsigjahrige 
Litanei  einstimmt.  Und  hier  spricht  der  Verf.  nieht  in 
dänischer  Spraehe,  ganz  unschädlich,  zu  einem  kidnen, 
besser  unterrichteten  Publikum,  das  bei  seinen  gespreitz- 
ten  Charlatanerien  die  Lust  des'  Lachens  bat^  sondern 


er  thsilt  dieselben  in  einer  universellen  Sprache  dent 
gröfsest  möglichen  Kreise  yon  Lesern  mit,  welcher 
aber,  mit  den  Thatsachen  unbekannt,  die  Abgeschmackt* 
heit  seiner  Uitheile  nicht  entdecken  kann.  Wie  tsav«:» 
li^reineht  aber  Hr*  Marmier  ,selbst  mit  'Thaisa^Aen  w»- 
geht,  ist  unter  andern  daraus  zu  ersehen ,  dafs  er  vod 
Baggesen  sagt,  er  habe  sieben  Jähfe  hindurch  gegea 
Oehlenschläger,  Bruun  und  Rahbek  polemisirt,  „contps 
tous  ceux  enfin  qui  admettaient  en  po^sie  la  moindra 
Innovation''  *),  als  wenn  Bruun  und  Rahbek  jemals  aaf 
irgend  eine  Innovation  in  der  Poesie  gedrungen  hauen, 
als  wenn  nicht  Baggesens  Polemik  gegen  die  beid^i 
letztem  vielmehr  darin  gegründet  war,  dafs  sie  in  den 
Yeralteten  festgewurzelt  standen,  so  wie  auch  die  An- 
griffe auf  Oehlenschläger  nieht  um  der  Innovationen  wQ* 
len  geschahen,  sondern  —  wenigstens  in  weit  höherem 
Grade  —  wegen  des  Zurücksinkens  auf  schon  zurück* 
gelegte  Standpunkte.  Und  um  nun  obendrein  Ton  je- 
nen  sieben  Jahren,  in  welchen  Baggesen  erst  eine  tie^ 
fere  poetische  und  kritische  Tendenz  an  den  Tag  legte, 
und  —  allen  schlechten  Abschweifungen  zu  trotz  — 
seine  witzigsten  und  gediegensten  Werke  hervorbrachte, 
sagen  zu  dürfen:  „Ces  sept  ans  lui  firent  peu  d'liott^ 
neur"  **),  dazu  gehört  eine  eben  so  gründliche  Uniie* 
kanntschaft  mit  dem  ^behandelten  Gegenstande  und  eine 
eben  so  grofse  kritische  Unmündigkeit  als  die  dea  Hrn. 
Marmier. 

In  seine  Darstellung  älterer  Perioden  hat  der  Hr. 
Verf.  zwar  nicht  so  viele  falsche  Thalsachen  und  un- 
gültige Urtheile  eidgemischt,  weil  er  hier  nur  aus  be* 
währten  Büchern  zu  compiliren  brauchte,  und  nicbt  no- 
thig  hatte ,  auf  allerlei  mündliches  Gerede  zu  boren. 
Aber  dieselbe  Geistlosigkeit  begleitet  ihn  durch  das 
Aeltere,  wie  durch  das  Neuere.  So  wird  man,  nach- 
dem man  seinen  langen  Artikel  Ober  Holherg  gelesen 
hat,  und  durch  die  Enumeration  der  mannigfaltigen 
Schriften  dieses'  Autors  sich  Ton  der  grofsen  extensi- 
ven Wirkung  desselben  wohl  eine  Torstellung  machen 
kann ,  dennoch ,  wenn  es  auf  die  Beurtheilung  seiner 
Intensität,  seiner  wahren  Qualität  als  Schriftsteller  an- 
kommt, ohne  Hülfe  gelassen.  Wie  und  wodurch  er 
der  Stifter  der  ganzen  neueren '  dänischen  Litteratur 
und  des  dänischen  Styls  wurde,  welches  unausldsdiU- 
che  Gepräge  er  dem  nationalen  Geschmack  aufgedrudct 


•)  S.  189.       ••>Ebendas. 


109 


Marmiepj  Hutoire  de  ta  littirature  en  Daiiemark  et  en  Suede. 


110 


hat,  wie  er,  tils  Komiker,  sieb  in  wahrhaft  ästhetischeiE 
Sinne  su  Molibre  und  überhaupt  zur  Idee  der  Komödie 
v^liält,    darüber  kommt  nichts  vor,    und  wir  müssen 
uns  dafür  mit. seiner  Biographie,  dem  trocknen,  fakti* 
sehen '  Inhaltsverzeiehnisse  einiger  seiner  Gedichte  und 
Kom&dien,  und  mit  einer  ganz  oberflächlichen,  nichts* 
sagenden   Vergleichung   mit  Meliere    begnügen.  .  Und 
später,  wenn  der  Yerf.  auf  die  Darstellung  der  Oppö* 
sUion  der  norwegischen  Dichter  gegen  Ewald  kommt, 
gibt  er  dem  Leser   auch  nicht  den  geringsten  Wink 
über  die  Bedeutung  dieser  Opposition,  welche  insofern 
ainige  Aehnlichkeit  mit  Baggesens   Opposition    gegen 
Öeblenschlä'ger  hatte,  als  sie,  wenigstens   objectiv  be* 
trachtet,  zum  Theil  auf  Holbergs  Rehabilitation  aus- 
g;ing,    indem  sie  die  Gefahr  abwenden  wollte,  wotmit 
Ewalds  Klopstockscbe  Muse  den  dänischen  Naüonal- 
ehaiakter  zu  bedrohen  schien.    So  hat  auch  Baggesens 
lustige    Satire  über  die  deutsche  Schwerfälligkeit  der 
OehlenseUlägerschen  komischen  Dichtungen  wenigstens 
indireote  dazu  beigetragen,  den  Sinn  für  Holbergs  leichte 
Gewandtheit  zu  erneuern,  und  in  dieser  Hinsicht  den 
Nationalcharakter  auf  seine  ursprüngliche,  durch  Natur 
und  Bildung  angewiesene  Stufe  zurückzuführen*     Um 
aber  den  Werth  dieser  Wirkung. gehörig  zu  schätzen, 
erinnere  man  sich,  dafs  die  Dänen  die  Einzigen  aufser  den 
Fraiizo|en  sind^  die  eine  eigene,  noch  immer  nicht  ver- 
altete,   sondern  in   der  Gegenwart  lebende,    originale 
Schule,  in.  der  komischen  Bühnenlitteratur  besitzen,  und 
wie  Tiel  es  ihnen  d^rum.w  thunsein  mufs,  diesen  viel- 
leicht einzigen  Vorzug,  den. sie   vor  anderen  Yolkeni 
haben,  als   Palladium  der  Nationalität   vom  Einflüsse 
geringerer  Potenzen  unverfälscht  zu  erhalten. 

Geht  man  auf  noch, ältere  und  auf  die  älteste  Pe- 
riode zurück,  so  ist  z.  B.  die  scandinavische  Mytholo« 
(^f  ihrem  faktischen  Thatbestande  nach,  erzählt,  d.  h. 
einige  der  Fabeln  sind,  obgleich  in  ziemlicher  Verwor- 
renheit, taidern  Verfassern  nacherzählt,   der   poetische 
Sinn  dieser  Fabeln  aber,  ihr  logbcher  oder'  metaphysi- 
scher Standpunkt,  ihre  Beziehung  zur  Gottes -Vorstel« 
lung  bt  dem  Leser  als  Bätlisel  zur  Errathung  überlas- 
sen.   Und  weiterhin  das  Einzige,  dem  in  de^  Geschichte 
der   älteren    Litteratur    eine   interessante    äithetüehe 
Seite  abzugewinnen  war,  die  Volkspoesie  des  Mittelal- 
ters, die  sogenannten  Heldenlieder,  siiid  ganz  unästhe- 
tisch behandelt  worden,  indem  sie  nur  einer  äufserli- 
eben  Betrachtung  von  Seiten  des  S.toffes,   mit  einge- 


streuten prosaischen«  Uebersetzungen  einzelner,  wie  in 
einer  Beispielsammlung,  gewürdigt  sind,  während  die 
eigentlich  ästhetische  Seite  dieser  Pdesie,  ihre*  sowohl 
äufsere  als  innere  Form,  ihre  genaue  Verbindung  mit 
der  Musik,  ihr  Verhältnifs  zum  lyrischen  und  epischen 
Pole  der  Poesie,  kurz  die  ganze  Dialektik  des  hier  ob- 
waltenden ästhetischen  Begriffes  ganz  mit  Stillschwei- 
gen, und  gewiis  aus  gültigem  Grunde,  übergangen  wor- 
den ist.         • 

Dies  mag  hinreichend  sein,  um  das  Buch  des  Hm; 
Marmier  in  das  gehörige  Licht  zu  stellen.  Er  selbst 
sagt  —  wie  ich  oben  angeführt  habe —  dafs  es  seine 
Absicht  war  „de  remuer  (umrüliren)  les  cendres  da 
pass^",  und  diese  Absicht  hat  er  erreicht,  denn  sein 
Umrühren  ist  ihm  so  gut  gelungen,  dafs  aus  der  Asche 
nichts  als  Asche  geworden  ist.  Seine  Behandlung  der 
schwedischen  Litteratur  durch  specielle  Betrachtung  zu 
beurtheilen,  werde  ich  den  besser  unterrichteten  ^chwe- 
dischen  Gelehrten  überlassen.  Was  aber  die  dänische 
Litteratur  betrifilt,  so  darf  sie,  wegen  der  Berühmtheit,' 
die  das  Buch  des  Hm.  Marmier  ihr  auf  eine  kurze 
Zeit  vielleicht  verschaffen  wird,  ihm  die  Verse  zurufen, 
die  er  sonst  bei  dej^^  Herausgabe  des  Buches  auf  sich 
selbst  anwendet  *): 

jyCela  vaul'  ii  ee  que  je  laui€f 

iiTan^  de  MÜencti  et  tant  foubW>t 

J.  L.  Hei  borg,  in  Cop^nhagen. 


vin. 

Der  Ro^engarte  von  Wilhelm  Orimm.    Oöttin^ 

getiy  1836.  fVf  der  Dieterichischen  BuchhandL 

LXXXIVu.9i8.    in  9. 

Vorgenanntes  Werk  ist  eine  kleine,  aber  sehr  schätz- 
bare Gabe,  wekhe,  wie  alle  bisherigen  des  verehrten 
Verfassers,  allenthalben  von  dem  unverdrossensten 
Fleifse  und  der  gründlichsten  Sorgfalt  zeugt.  Wir  er- 
halten .hier  nämlich  nach  einer,*  vordem  in  Frankf.  a« 
M.,  jetzt  Wahrscheinlich  in  Engtand  befindlichen,  Pa- 
pierhandsohrift  .einen  bis.  dalün  noch  unbekannten  Text 
des  grofsen  Rosengartens,  welchem  nicht  blos  eine  ge- 
naue Auseinandersetzung  der  Verhältnisse  der  verschie- 
denen noch  sonst  vorhandenen  Texte  dieses  Gedichtes, 
sondern  auch  eine,  selbst  für  die  allgemeine  Gei^chichte 


•)  S.  VII. 


111 


W.    G  r  i  m  my    d4rBo$€ngart0^ 


119 


de«  Epos  wiehtigo  Uatetf uciiuag  iibfr  die  veniftM«* 
neu  G«9ti|llwn(;«]i  der  m  Grunde  liegenden  Fabel  und 
Uur  Verb&IthUs  «u  dem  gansea  Sageokreise'y  dem  sie 
mgehdft,  beigegeben  iet  Der  Gang,  den  der  Verf.  da- 
bei nimmt,  iit  folgender. 

S.  I  wird  Kunaebsl  der  Hauptinbalt  der  Fabel  an« 
gejjeben,  der  allen  bisher  bekannt  gew<»deaen  Oaratel« 
langen,  wie  sehr  sie  auch  unter  sieh  im  Gänsen  und 
im  Einzelnen  abweichen,  gemeinsam  ist*  Der  Verf. 
föhrt  sedann  S.  U  u.  Ill  diese  selbst  auf,  indem  er  mit 
A  den  tn  einige«  Handschriften  (A«  einer  Dresdener, 
A^  einem.  ah6n  Druolce)  enthaltenen  Text  bezeichnet, 
welcher  der  in  dem  ahen,  melurmds  im  15.  u^  16.  Jahr» 
hundert  gedruckten  Heldenbueh  vorkommenden  Ueber- 
arbeitüng  od^r  vielmehr  Entstellung  au  Grunde  liegl, 
Siit  B  die  abgekurste^  einen  verlornen  Text  voransset« 
sende  UeberarbeitUng  €asp^  von  der  Röhn  *),  mit  C 
unse»  Text,  nut  D  den  aus  einer  Vermisehung  sweier 
Papierhand^chriften»  einer  POlsiseheKi  D«  und  einet 
Strafsburger  J>\  gebildeten  **),  mit  E  endlich  dm  zu  D 
sieh  neigenden  Text,  welchen  der  Anhang  des  alten 
Heldenbudis  vor  sich  Imtte. 

£s  folgen  nun  von  S.  UI— XXY  die  B^senderbelr 
ten  dieser  verschiedenen  Texte,  und  zwar  lunächst 
hinsichtlicli  der  Persnnen  und  Oertliebkeiten,  wobei, 
mit  einiger  AusfQhrtichkeit  nur  Slfrit  uz  Niderlant, 
der  ROsengarte,  Dieterich  von  Beme,  Hildebrant,  Mönch 
llsan,  "Witege,  Dietleip  besprochen, .  sonst  aber  die  in 
des  Terfassers  Untersuchung  über  die  Heldensage  be- 
reits darüber  gegebenen  Erläuterungen  nicht  wiederholt  ,  lieh  die  beiden  Hanptslämme  A  und  D,  von  einmsder 
werden« 

^  Dagegen  geht  der  Verf.  bei  der  nun  von  S.  XXV 
— LYI  folgenden  Vergleiehung  des  eigentlichen  .Inhalts 
der  «gegebenen  Textes-Darsleüungen  überall  mit  der 
nusf&hrlichsten  Genauigkeit  in  das  Einzelne  ein,  und 
gewiwt  auf  diese  mit  musterhafter  Kritik  durchgeführte 
Weise  folgendes  Resultat:  Unter  den  vi»  mit  einan- 
der  verglichenen  Gedichten  sind  A  uqd  D  die  beiden 
Hauptstämme,  Diese  wei<ihen  nicht  blos  in  dem  Aus<i 
druck  des  gemeiaschaftliehen  Inhalts  so  sehr  von  eitt- 


ander  ab,  dab  hur  ein  Pdar  Strien,  Wo  beUe  mk 
berühren  (vgL  LIX),  auf  den  Ursprung  aus  £iB« 
Quelle  hinweisen,  aondem  A  smgt  auch  einzelne  Ann» 
wüchse  (vgU  LXV)  und  in  D  erseheint  so  viel  BlgM% 
was  auf  die  Gestaltung  des  (ranzen  einen  so  MitneUe^ 
denen  Einflub^^hal,  dafs  sann  jedes  ds  em  besondwesi 
für  sich  bestehendes  Gedicht  betrachten  mufs.  Vor  al* 
lern  gehört  dahin  die  Einmischung  Etsek  nnd  der  !!«• 
neu,  wodurch  daa  Gediclit  offenbar  dem  NibehiBgen* 
Uede  u&her  gebracht  werden  aeU.  B  hiig^geii  weiehl 
nur  in  Nel^ndingen  von  A  ab,  und  Icann  als  Gasses 
keinen  Anspruch  auf  Selbstindigkeit  ma^cheni.  JEUies 
kann  dies  C,  indem  es  luer  nicht  an  manchen  Eigca- 
thümlichkeiten  fehlt  (vgl»  LIX),  wenn^wfar  aach  bei 
genauer  Betrachtung  nur  ein^  Vereinigung  oder  Yer* 
mischung.  von  A  und  D,  und  wen^istens  keinen  m&utm 
Bestaadtheii  finden,  der  se  wesentlidi  wäre,  dn£s  ei 
auf  die  Gestaltung  der  Fabel  sdtet  Einflnls  hfttte. 

^  Nach  dieser  Vergleiehung  der  versdiiedeiieift  Dar* 
Stellungen  versucht  nun  der  Vf.  von  S.  LXI— UÜLVIH 
eiue  Kritik  der  Sage,  indem  er  zunächst  dnr&  Ans* 
Scheidung  des*  Unechten  zu  dem  Ursprfinglichea  ra  ge* 
langen  ^ucht,  und  sndann  diese  gewonnene  reinere  Ge> 
stallung  mit  dem  ganzen  Fabelkreise  zusamnsephal^ 
um  zu  beurlheilen^  in  wie  weit  sie  diesem  angemensen 
erseheint  oder  widerstrebt. 

Das  Eehte  und  Ursprüngliche  aber  snchl  der  VH 
mit  BeclU  in  dem  Geoieinsamen,  Zusätze  dagegen  in 
dism,  worin  die  veneUedenen  DarsteUungen, 


abweichen.  Doch  deimt  'er  diese  Regel  micbt 
aus,  dafs,  was  lediglkh  in  Einem  Gedidit  verkeraml^ 
nothwendig  verworfen  w^Nrden  müsse,  da  es  im  Gegen- 
tbeUe  möglicherweise  au  dem  Besten  gehören  künne. 
Darnach  scheint  die  gemeinsame  Grundlage  des  Ge. 
dicbts  oder  der  ursprüngliche  und  eigentliche  Infaalt 
desselben  kein  anderer  zu  seia^  al^  dafs  DieSsritth  vnd 
Siegfried^  die  beiden  ersten  tIeMen  der  Sage,  sish  ein- 
mal im  Kanf  fe  gegenüber  stehen,  IMeteiieha  hdhecn 
Kraft  aber  trotz  aller  Hindernisse  in  vollen  Glama 
steh  bewährt* 


*)  Abgedniekt  in  dem  Heldenbueh  von  Hagen  «zd 


(Der  Beflcblafe  folgt.) 


I  f 


¥v^  1  ä  s  e  n 


Jlf  16. 

Jahrbttch  er 

für 

Schaft  liehe 


K  r  i  t  ik 


Januar   1840* 


Mier  Mawemgart^  vom 


Grithm* 


(Schlufs.) 


Denmaoh  vei^pvirlll  der  Yerfosser  als  spätere  Zu- 

und  .ipirBlIJDäriiehe  Brweitening   die  in  G  luld   D 

^isea.  lirsiten  Rsum  eliiil^nende  EiiimiBchung  Etsels, 

MO  wie  natiirlieli  alles,  was  damit  in  Verbindung  steht; 

m6  femer  die  ESnfuhrvog  Rüdigers,  wcoigste&s  in  der 

Art,  wie  er  in  D  tkäUg  eingreift»  mit  an  den  Rhein 

flieht   ted  dort  kämpft  u.  s.  w«    Dagegen  erklärt  er 

.'BinigeSi   was.  in  A  allein  yorkoaimti   neSen  manchem 

Voecfaten  ds  cur  nrsprüngliehen  Fabel  gehörig,  und 

radit  endlich  bod^  hei  einigen  Einselnbeiten  des  Ge» 

diehta  seilte  Ansieht  durchsuführen.    ,,So  gewinnt  erst 

JcrittsobcSonderting  den  reinen  Inhalt  des  Gedichts,  wel- 

ehen   keini)  Handschrift  unverfälscht  und .  aUe  susam* 

aen  vielleicht  nicht  vollständig  bewabten.** 

Der  Yf*  gelangt  nunpaehr  xu  dem  interessantest^i 
Punkte  der  gmsen  Untersuchung,  d*  i.  zu  der  Frage, 
.wie  ai6h  die  Sage  von  deas  Roseagarten  su  d^m  Fa^ 
bdkrelae  überhaupt  »verhalte.    JSr    antwortet   hierauf: 
•Das  Ereignifs  fällt  in  die  Zeit,  wo  Siegfried  noch  i:ucht 
iait  Kricaahilde  vermälilt,  obgleich  ihr  zun^  Gemahl  be- 
stimmt i^t,  also  in  den  Zeitraum  des  ersten  Theils  des 
Nibelungenliedes.    Diesem   Gedieht  könnte  daher,  falls 
as  davon  wufste,  nicht  über  unsere  Sage  hinausgehen, 
oder  gänzlieh  .davon  schweigen;  auch  war  im  s weiten 
Theil  Gelegenheit  genug,  sich  daran  £U  erinnern,    la- 
desaen  findet  sich  weder  im  Nibelungenliede  noch  in 
•andern  Darstellungen  seines  Inhalts,  namentlich  nicht 
ifk  des  Niflungasaga,    irgend  eine.  Spur   vom  Rosei^ 
garten..   Ebenso  weUs  kein  anderes  sUm  F4Mlielkreise 
gehöriges  Gedicht,  naoienllich  nicht  Biterölf,  bei  detoi 
die  ahnliehen  Ereignisse^  die  «kr  erzählt,   in  spätere 
«Zeilen  fallen ,  von  unserem  Llede,  ja  es  widerspre- 
chen  sogar    verschiedeoe   Nebenumstände    in   diesem 
Gedichte«    Diesem  Allen  nlich  ist  es  dahör  uidit  waliiw 

Jahrb.  f.  in$$enich.  Kriük.  J.  1840.    L  Bd. 


sdieinlieb,  dab.  der  Rosengarten  schon  eu  3er  Zeit 
vorhanden  gewesen  sei,  in  welche  man  das  Nibdungea- 
lied  Und  das  Gedicht  vom.  Biterölf  setzen  mufs.  Viel- 
mehr  entstand  es  am  wahrscheinlichsten  in  der  «wei- 
ten  Hälfte,  frühestens  in  der  Mitte  des  13.  Jahrhun- 
.derts,  was  namentlich  das  .älteste  Zeugnifs  davon  bei 
Ottekar  von  Homeck  um  1295  zu  bestätiget  dient  (vgl. 
LXXyill).  Somit  verdankt  der  Rosengarten  seine 
Entstehung  erst  dem  Trieb  der  Phantasie  nach  Ergän- 
zung und  Erweiterung  der  ursprünglichen  Sage$  ynd 
den  natirlichsten  Anlafs  dazu  gab  wohl  der  bei  der 
einmal  bewirkten  Yerlbreitung  der  Siegfrieds-  und  Die- 
terichsSage  sehr  nahe  liegende  Gedanke,  beide  Helden, 
die  ersten  der  ganzen  Sage,  ihre  Kräfte  mit  einander 
messen  zu  lassen.  Demnach  }st  der  Rosengarten  zwar 
als  ein  Anwuchs  der  Sage,  aber  zugleich  auch  als  eine 
Erfindung  zu  betrachten,  bei  welcher  Absichtlichkeit 
und  BewuCstsein  nebeln  der  unbewufsten  poetischep 
Kraft,  welche  zur  Ergänzung  und  Erweiterung  .der 
Sage  antreibt,  ia  einer  Yermischung  mag  gewirkt  ha- 
ben, deren  gegenseitiges  Yerhältnirs  sich  nicht  bestim- 
mejd  läfst.  Wenn  *daher  einerseits  manche  Züge  auf 
mehr  oder  minder  willkürliche  Erfindung  hindeuten,  %. 
B.  die  regelmfifsig^  Zahl  von  12  Kämpfern,  die  unge- 
rechte, ganz  widernatürliche  Einrichtung^  dafs  KriemhUde 
allein  die  Kämpfenden  nach  Wohlgefallen  scheiden  kann, 
die  es  in  ihre  Macht  gab,  die  Ihrigen  allezeit  der  Gefahr . 
zu  entziehen  u,  s.  w.,  so  zeugen  doch  wied^  manche 
andere  von  volksmäfsigen  Sagen  und  Elementen,  wel- 
che znr  Ausfüllung  und  .Belebung  des  Ganzen  aufge^ 
nommen  und  eingemischt  wurden.  So  ist,  um  von 
Mehrerem,  was  iet  Verf.  S.  LXXUI  f.  anführt,  nur 
Eins  und.  das  Andlere  hervorzuheben,  ohn^  Zweifel  aus 
lebemdiger  Volksdichtung  entsprungen'  der  Mönch 
Ilsan^  der  weltlichen  Sinnes  mit  rohen  Scherzen  Abt 
und  Brüder  neckt  und  in  Furcht  erhält  und  die.  erste 
Gelegenheit  ergreift,  der  unerloschenen  Kampflust  Ge^ 

15 


/ 


115  FT.    O^r  i  m  m^  ,ft  e 

niige  zu  leisten;  ja  die  Anspielungen  im  Kosengarten 
und  Alpharts  (vgl.  des  Yfs.  Heldensage  210.  41)  auf 
seine  früheren  Yerhältnisse  xu  Dieterich  machen  sogar 
grofseren  Umfang  der  Sage  wahcscheinlich.  Auch  der 
eigentliche  Schauplatz .  der  Thaten  unseres  Liedes,  der 
Rosengarten  zu  Worms,  so  phantastisch  er  hier  aus- 
jgemalt  erscheint,  ist  keineswegs  eine  blofse  Erfindung 
des  Dichters ;  vielmehr  besafs  Worms  ehedem  wirklich 
einen  sogenannten  Rosengarten,  worunter  man  nach 
Mone  (Untersuchungen  über  die  Heldensage  S.  44) 
am  richtigsten  einen  fetten  mit  (Rosen  (?)  und  anderm) 
Gebüsch  durchwachsenen  Wiesengrund  am  Rhein  zu 
verstehen  hat,  den  man  ursprünglich  wohl,  bei  niede- 
rem Wasserstande,  zu  Belustigungen  im  Freien,  be- 
sonders zu  den  Maifesten,  mochte  benutzt  haben.  Ja, 
die  Kenntnifs  der  lokalen  Verhältnisse  springt  noch 
mehr  in  die,  Augen,  wenn,  wie  mich  Nachforschungen 
auf  dem  hiesigen,  in  der  letzten  Zeit  von  mir  geord- 
neten alten  Stadtarchive  mit  ziemlicher  G^wifsheit  an- 
nehmen lassen,  der  Rosengarten,  ganz  in  Ueberein- 
stimmung  mit  dem  Gedichte,  früher,  da  der  Rhein  noch 
mehr  ostlich  flofs,  auf  dem  diesseitigen  Ufer  lag,  bis 
Ihn  der  Strom  als  Inäel  oder  Wehrt  losrifs  und,  durch 
die  späterhin  a,n  dem  jenseitigen  Ufer  angelegten  mäch- 
tigen Dämme  in  seinem  Laufe  immer  mehr  westwärts 
gedrängt,  allmählig  dem  letztem  ganz  anschwemmte« 
So  wird  er  auf  einem  noch  vorhandenen  Risse  von 
1753  mit  den  Worten  bezeichnet:  „Bischdflich  Worm- 
Bischer  Rosengarten,  so  ehemal  eine  Insul  gewesen^ 
nun  ein  Wald  ist,  da  das  Wild  gehegt  wird." 

Ueberschauen  wir  nun  nochmals  den  ganzen  Gang 
der  Untersuchung,  so  scheint   allerdings  mit  der  Ein- 
sicht in  die  Entstehung  und  Fortbildung  des  Gedichtes 
ein  Blick  in  die  Werkstätte  des  Epos  überhaupt  ge- 
wonnen, namentlich  insofern  "wir  die  Schranken,  wo- 
mit ein  ernstes  Gefühl  von  der  Wahrheit  der  Poesie 
und  ein  besserer  Glaube  daran  das  Epos  früherer  Zett 
umgab,  durchbrochen,  und  eine  ungebundene  rücksichts- 
losere Phantasie   eindringen  sehen,  die  mit  dem  Bun^ 
ten  und  Mährchenhaften  ihr  Spiel  treibt  .und  d«r  von 
dem  festen  Grunde  abgelösten  Sage  eine  schnellere  und 
leichtere  Bewegung  gibt.     So  gilt  z.  B.  im  Rosengar- 
ten der, Kampf,   den  die' alte  Heldendichtung  als  die 
höchste  Angelegenheit    und  Aufgabe  des  Lebens   mit 
Ernst  und  Würde  behandelt,  für  ein  durah  nichts  als 
blofsen   Uebermuth    eines   Weibes   veranlafstes  Spiel. 


r   M  0  s-e  n  g  a  r  i  e,  -111 

^as<  Gefühl  der  Ueberzeugung  unddesErkistesist  dardh 
weg  nicht  mehr  vorhanden,  vielmehr  erhält  erst    doxd 
einen  halb  scherzhafte^  Ton  und  die  Einmisdiung  hm- 
moristischer  Gestalten,  wie  Ilsan  und  WoUharC,    das 
Gedicht  einen  poetischen  Grund  und.  Bodi»ii«     Und  & 
nun  zugleich  der  um  diese  Zeit  völlig  ausgebildece  Ge- 
gensatz der  höfischen  Poesie  das  Volksged|eht  der  Tlieil- 
nähme   der  höhern  Stände   entrückte,  so  wurde   ibn 
gleichsam  das  wärmere  Licht  entzogen,  dessen  es  Be- 
durfte, um  sich  vollständig  zu  entfalten;  daher  denodas 
ziemlich  gleichmäfsige  Herabsinken  der  Sitte  und  Wotde 
in  dem  Rosengarten,  wobei  indeb  zu  bedenken  ist^  dafii 
Einiges  dieser  Art  dem  ursprüngliohen  Gedichte  nidrt 
zur  Last  fällt,  sondern  erst  in  späterer.  Zelt  eingednqi- 
gen  ist,   als  die  unechten  Zusätze 9    welche  die  Kritik 
der  Sdge  ausschied,  eingemischt  wurden. 

Noch  bemerkt  der  Vf.  über  die  BeschaffenhA  der 
.  verschiedenen  Texte  Folgendes.  C  gewährt  im  Ganzes 
den  vollständigsten  Text,  in  D  ist  er  lückenhafter,  «od 
zwar  in  D«  mehr  als  in  D\  verdient  aber  im  Einselneii 
oft  den  Vorzug  i  in  A  aber  ist  er  so  zerstört,  dabdr 
nicht  selten  in  völlige  Auflösung  des  Zusammenhangi 
und  Sinnes  fibergeht  Und  da  das  Gedieht  *sowaU 
durch  Handschriften,  als  durch  mündliche  Ueberlieftnmg 
fortgepflanzt  ist,  so  läfst  sich  das  Verderbnifs  des  Tex* 

• 

tes  zum  Theil  durch  die  Vermuthung  erklären,  dals  er 
aus  dem  Munde  eines  Sängers,  der  sein  GediclK  nicfat 
besser  im  Gedächtnifs  hatte,  auf^efafst  oder  von  eiaea 
leichtsinnigen  Ohre  angehört  worden.  —  Was  dae  Vers- 
mafs  angeht,  so  blickt  die^  Regel  der  epischen  Scrophe 
des  Nibelungenliedes  im  Ganzen  zwar  noch  durch,  al- 
lein sie  ist  roh  und  fehlerhaft  (mit  klingenden  Endrei- 
men, stumpfen  Abschnitten)  gebildet.     Die  Abtheüung 
des  Textes'  in  Strophen  ist  durchaus  nicht  in  A,  unl 
in  C  und  D  nur  stückweise  herzustellen,  da,  anderer 
Störungen  nicht  zu  gedenken,  manchmal  nur  die  Hälfte 
der  Strophe  erhalten  ist,  anderwärts  zwei  zu  einer  zo- 
sammengeschmolzen  sind,   sobald  nur  im  Sinne  keine 
oQenbare  Lücke  entstand.  —  Was  den  wörtlichen  Aus- 
druck betrifft,  4U)  möchte,  wenn  man  auch  nicht  alles 
darin  für  verderbt    erklären  wollte^   doch   das 
Aenderungen  erfahren  haben,  und,  falls  eine 
des  13.  Jahrh.  an  den  Tag  käme,  nur  weniges  sich.vöU 
lig  echt  erweisen!  der  Untergang  der  altem  und  bessern 
Sprachformen  .  versteht  sich  ohnehin  von  selbst.    Sonst 
sind  die  Gleiohnbse  und  Redensarten  meist  nach  den 


117 


Vetter^  die  hehr«  uom  ekritiliclten  KuUut. 


118 


lierkSimiilicheii  alieplsehen  des  13.  Jahrb.i  märalg  und 
paMend  angeweiid^.  -«•  Der  Text  C  \st,  .wie  der  YerT, 
giavbt,  tn  den  Gegeftdcta  des  Niaderrheins  aufgeschrie- 
ben worden,  indem  niaderdentscbe  Formen  eingemischt 
aind  und  mk  den  enisehieden  vorherrschenden  hoch- 
deutschen auch  wohl  in  denselben  Wörtern  wechseln, 
wovon  die  merkeaswerthesten  Beispiele  angeführt  wer- 
den« Der  Yerf.  hütete  sich  übrigens,  einen  Text  von 
so  elgenthümlicher  Bescliaffenheit  mit  der  Kritik  anzu- 
.rühren;  viehuehr  bewahrte  ner  das  eingemischte  Nie- 
derdeutsche und  was  sonst  für  die  geschichtliche  Gram- 
matik brauchbar  ist.  Das  Wenige,  was  er  des  Yer- 
atändnisseis  wegen  darin  ändern  mufste,  zeigt  er  in.  den 
Anmerkungen  an ;  die  nolhigen  Ergäneungen  aber  un- 


darauf  auli,  von  dem  früheren  Standpunct  ^^^w^  blos 
subjectiven  Gestaltung  der  theologischen  Wissenschaft" 
-sich  zu  dem  objectiven  zu  erheben  und  wirft  ^s  den' 
andern  Schülern  SeUeiermachers  vor,  dab  sie  dazu 
nicht  fortgeschritten  sind.  Schon  diels  Gefühl  des  Man- 
gels, welches  das  Bedürfiiifs  ist,  verbücgt  uns,  dafs  der 
Hr.  Yerf.  mit  der  Zeit  des  rechten  Weges  nicht 'ver- 
fehlen werde.  "Yor  der  Hand  zwar  müssen  wir  daran 
zweifeln,  da  der  Hr.  Yerf.  sich  in  der  Yorrede  noch 
dahin  erklärt,  dafs  jener  subjective  Standpunctden  ob- 
jectiven selbst  schon  enthalte  und  dieser  besonders  in 
dem  philosophischen  System  Schleiermachers  auf  eine 
unverkennbare  Weise  angedeutet  erscheine ;  und  sei  da- 
her, sagt  er,  ein  solches  Zurückbleiben  um  so  mehr  zu 


tefsdiieden  durch  den  Druck.    Im  Uebrigen  aber  konnte .  beklagen,  da  man  gerade  von  lüer  aus  und  auf  diesem 


er  sich  nicht  überwinden ,   die  schlechte  Orthographie 
lieizttbehalten* 

Es  folgt  nunmehr  voaS.  1  —  66  der  Text  C,naiit 
4er  Aufsdbrift  9,Der  grAze  Rösengarte,  von  S.  67  '*-*  71 
die  Anmerkungen  dasu,  von  S.  71—76  die  Angabe  des 
ilTerhältnisses  von  C  zu'  A  imd  D ,  wobei  die  Yerse, 
welche  in  C  allein  vorkonnnen,  mit  einem  Sterne  be- 
seiclmet  sind,  von  S.  77  —*  83  der  Mönch  Ilsan  und  von 
S.  86—94  der  Fährmann,  zwei  Stücke  aus  D  (Y.  341 
—508  und  Y.  639—778),  welche  der  Verf.  4ls  die  am 
reinsten  erhaltenen  Tbeile  dieses  Textes  und  in  Ton 
und  Weise  nicht  allzu  fem  vom  Nibelungenliede,  zv- 
mal  da  sie  zugleich  als'  einzelne  Lieder  geben  können, 
ausgewählt,  und  so  gut  es  gehen  wollte,  hergestellt  bat. 

Dr.  G.  Lange,  in  Worms. 


IX. 

Die  Leite  tom  christlichen  Kultus  nach  den 
Grundsätzen  der  evangelisehen.Kirche  im  wisr 
senschirftlichen  Zusammenhange  dargestellt  voh 
Karl  Wilhelm  Vetter,  evang.  Pred.  zu  Jen- 
lau.    Berhhy  1839.    J//.  u.  247  S.    8. 

Der  Hr.  Yerf.  giebt  in  dieser  Sclirift  einen  rühmli- 
^n  Beweis  von  seiner  theologischen  BeschftftiguUg 
mf  seiner  practischen  Laufbahn«  Er  hat  sich  auch 
durch  den  Fonpalismus,  den  er  sich  angewöhnt  hat, 
ideht  züruckhahen  lassen»  sich  auf  die  Sache  selbst  ein- 
zulassen und  das  zu  Erkennende  in  eigener  Gedanken- 
^tigkeit .  zu  verarbeiten.    Er  geht,  laut  der  Yorrede, 


Wege  die  Theologie  auf  eine  so  eigenthümliche  und 
lebensreiche  Weise  entfaltet  hlibeiv  würde,  als  dieb 
von  den  Anhängern  des  abgeschlossenen  Hegersehen 
Systems  niemals  geschehen  könne.  Man  sieht  hieraus, 
dafs  die  höchsten  Kategorien  des  Hm.  Yerfs.  auch  bei 
seinem  vermeinten  Fortschritt  zur  Objectivität  der  Er* 
kenntnifs  nebst  dem  Lebensreichen  das  Eigenthümliche 
geblieben  ist»  welches  als  solches  doch  dem  Objeot  sein 
Recht  wieder  nimmt,  um  es  an  das  Subject  allein  zu 
übertragen,  und  weit  davon  entfernt-  ist,  den  inneren 
Lebensreichthum  der  Sache  selbst  sich  ruhig  entfalten 
zu  lassen.  Es  fragt  sich  daher ^  sehr,  ob  der  Hr.  Yerf. 
mit  diesen  Grundsätzen  über  ,^ene  blos  nach  subjecti- 
ven Maximen  eingerichtete  Dialectik,  welche  den  gött- 
lichen Inhalt  des  Christenthums  in  ihren  weiclten  Fon- 

0 

men  zu  einem  Inhalt  menschlicher  Weisheit  macht", 
wirklich  hinausgekomAien  ist,  da  diefs  noch'  lange  nicht 
dadurch  geschehen  kann,-  dafs  die  dialectische  Form 
allerlei  Inhalt  an  sich  bejranzieht  und  $ich  daran  her- 
umbewegt. Wie  wenig  sein  Fortschritt  über  jenen 
Standpunct  ein  wirklicher  sei,  sieht  man  leicht  daraus , 
dafs  der  Hr.  Yerf.  sich  eben  so  sehr  gegen  die  specu- 
lative  Theologie  erklärt  und,  verwahrt.  Er  gebore  nicht 
zu  denen,  sagt  er,  welche  in  der  Umgestaltung  eines 
philosophischen  Prindps  sogleich  eine  Hoffnung  finden 
auf  ein  ganz  neues  und  verändertes  Leben  in  der  Ki)p- 
che.  Mit  dieser  Aeufserung  gesellt  sich  der  Hr.  Yerf* 
noch  denen  zu,  welche,  obgleich  sie  über  cBe  Philoso- 
phiCf  die  sie  verwerfen,  urtheilen,  doch  nicht  mit  der 
zu  einem  berechtigten  Urtheil  nothwendigen  Kenntnifs 
derselben  ausgerüstet  sind.    Denn  Sonst  müTste  er  ja 


\' 


119 

wissen,  iati  diese  Philoitophie  am  wenigsten  Anspruch 
darauf  macht,  liur  Umgestaltung  eines  p^tlosophischen 
Prinzips  oder  Überhaupt  selbst  von  bestimmtem  Prinzip 
zu  sein  und  dafs  Sie  vielmehr  eben  darin  die  wahre  ist, 
dals  sie  alle  pliUosophisehen  Prinzipien  in  sieh  enthält 
und  aufhebt.  Kann  man  sie  darum  ein  ,^abgeschl08se- 
.  lies  System'*  nennen^  weil  sie  nichts  aufser  sich  stehen  läfst, 
faichts  ausschlieiät,  Sondern  alles  einander  gehörig  nnter«- 
brdnetf  Wenn  daher,  wie  der  Hr.  Yf.  zu  hoffen  seheint, 
sieh  „die  Differenz  der  wissenschaftlichen  Schulen  jemals 
iSsen  und  die  Vereinigung  in  der  einen  Wahrheit  jemals 
gefunden  werden  soU,^*  so  ist  nicht  abzusehen,  wie  die*- 
ires  je  anders  als  auf  dieser  Grundlage  geschehen  soll. 
Die  tlttlgl^staltung  eines  philosophischen  Prinzip«,  wor«- 
auf  es  in  des  Hm.  YAi.  Sinn  mit  aller  Philosophie  hin^ 
ausläuft,  ist  nooh  zur  Zeit  bei  ihm  dasselbige,  was  die 
Trivialität  >  sonst  in  dem  Satz  ausspricht,  dafs  ja  jede 
Philosophie  die  vorhergehende  widerlege,  woran  man 
also  leicht  merken  könne,  dafs  es  mit  aller  Philosophie 
nichts  sei.  Noch  ungerechter  aber  bt  der  Hr.  Vf>  dar- 
in, dafs  er  der  speculativen  Theologie  die  Thorheit  zu- 
schreibt, von  der  obigen  Umgestaltung  eines  philosopfai» 
sehen  "Prinzips  soglejoh  ein  ganz  neues  uiid  verändere 
les  Leben  in  der  Kirche  zu  erwarten,  da  ihre  Aufgabe 
vielmehr  immer  flur  die  gew^en  ist,  das  gegebene, 
wirkliche  (»i  vernanftige)  Leben  fai  der  Kirche  zu  er- 
klären und  zu  begreifen  und  eben  sie  am  weitesten  da« 
Ten  entfernt  ist,  alles  neu  machen  und  es  verändern  zm 
wollen,  was  vielmehr  nur  der  eigenthümllchen,  theoreu 
ttscheu  ErkMiAtnifs,  auch  in  der  practischen  Theologie, 
zufällt«  Am  stärksten  erklärt  sich  der  Hr.  Yf.  gegeii 
das  Identiiicirefi  der  theologischen  Wi9senscbaft  mit 
4«r  Philosophie  auch  rücksiehtlich  ihres  Inhalts,  was 
wiederum  die  Trivialität,  nur  nicht  so,  sondern  planer 
'SO  ausdrückt^  dafs  die  Philosophie  wohl  als  formelie 
Vorbildung,  als  abstracto  Logik  und  Dialektik,  nicht  zu 
Tomerfen  sei,  falls  sie  nur  über  die  Sache  selbst  sich 
kein  Urtheil  anmafse.  Ihm  sei  daher,  sagt  der  Hr.Yf., 
jctaes  Bestreben  durchaus  fremd,  nach  welchem  in  der 
•Bewegung  des  speculativen  Gedankens  das  Christen- 
-thum  in  seiner  Idee  aufgefunden  wird.  Auch  die& 
Würde  vielleicht  dem  Hrn.  Yf.  nicht  aö  fremdartig  vor- 
kommtMi,  w^ftn  ihm  gesagt  würde,  diefs  heifse  so  viel, 
als  dafs  in'  der  christliehen  Religion  Yertiunft  entdeckt 


Fetter^  du  t^eli^e  vom  bAriittichen  Ktsltuw. 


12D 


oder  diefs  aAetkanilt  würde,   dais  tnaii  lil  Ihr   nf  dits 
UpvernÜnftlges  vor  sieh  hafcls  und  dafs  sie,  Im  JQrwmt 
und  in  der  Wurzel  mit  der  speeulativeh  Idte  ideatwcl^ 
in  dieser  auch  als  die  vollfeommea  offenbare  und  ge«f» 
fenbarte  gewufst  wevdev    Wenn  dah^  der   ^Jeecm 
Inhalt  in  der  Bewegung  des  wissbnsehaftlinheti  Gedan* 
kons  nicht  aus  der  Idee  an  sich  herkommt^  wie  der 
Hr.  Yf.  sagt,  so  bleibt  es  bei  der  subjectiven  Gestil- 
iungy  über  weUfh^  der  Hr.  Yf.  hinaus  wbliie,  und  niaa 
hat  höchstens  eine  (sogenannte)   Idee  vom    Ciurlstan» 
thum,  aber  nicht  die   Idee   des  Christenthums  0elliiA, 
und  nicht  sie  ist  es  alsdann,  w^lehe  sieh  in   den  sv^ 
jectiven  Gedankeü  bewegt.    Der  Hr^  Yerf.  thut  daher 
den  ahdem  Schülern  Schleiermaehers  Unrecht,  wem 
er  denkt,  darin  irgend  etwas  vor  ihnen  voraos  wa  h^ 
ben,  sondern  sein  wirklicher  Foitsisbritt  wäre  nur  seit 
Uebergang   in  die  speculative  Erkenntniüs  und  M ellie^ 
de,  die  aber  „des  pikant*Geistrexi^en  wegen  in  der  un- 
überwindlichen Form   ihrer  DaiBtellung  seiner  DcriD> 
weise  nicht  zusagt,"'  womit  er  denn  das  Beiiehige  ia 
dieser  selbst  ausspricht    Gleiehwolil  ist  nieht  zu  ver- 
kennen, dafs  eben  das  Geistreiche,  auch  für  Manche 
gewiCi  in  unüberwindlich  schwieriger  Darstellnng^  der 
Standpunkt    des   Hrn.   Yerfs.  selbst  ist|    denn   dies« 
StandpuqjLt  erhebt  sich  «nerseits  unleugbar  über  das 
Gewöhnliche    und    nähert   sieh    der  ErkcRntnifs  'der 
Wahrheit,  aber  da  er  der  Standpunkt  des  nttbestimsit 
feistreichen  und  den  Begriff  nicht  erreichenden  Raisoiw 
nements  ist,  so  eignet  ersieh,  als  stets  Interessantes  dar- 
bietend, viel  mehr  för  dieConversation'als  für  die  Wis- 
senschaft.   Den  Yorzug,  den  alles  Dialektische  in  sich 
selbst  hat,   sich   nach  den  verschiedensten  Seiten  hm 
zu  bewegen  und  was  zur  Sache  gebort,  zu  berührea 
und  in  die  Bewegung  hineinzuziehen,  kurz  die  Sache 
selbst  in  Flu£s  zu-  bringen,  hat  der  Hr.  Yf.  mit  grofser 
Geschicklichkeit  geltend  gemacht.    Insofern  ist  die  fie* 
trachtung  eine  vicflseitige  und  gedankenreiche  gewor- 
den, der  man  gern  folgt ;  dem  Gegenstande,  der  bewie- 
sen  d.  h.  begriffen  werden  soll,  ist  isie  nicht  angemes- 
sen.   Diesem  innam  Mangd  entspricht  gahz  auch  die 
Sufsere  Einrichtung  dieser  Schrift.    In  solcfaen  aphe^ 
stischen  Sätzen,  io  solcher  pikanten;  prägnanten^  apo* 
phtliegmatischen,  änigmatischen  Manier,  in  m  oraireiar^ 
tiger  Weise  kann  die  WissensehaTtsich  niobt  entwiekefai. 


(Der  Beschlofs   folgt.) 


s  ^ 


w  1  8  s  e  n 


^^^  16. 

Jahrbfieher 

u  r 

schaftliche 


_  « 

Jannar  1840* 


Kritik. 


XHe.  Lekr^  pom  €irf$tKchem'  Kultus  nach  4^n 
Grundsätzen  der-  e^ang^Usehen  JKurvAe  ün 
itiksenscAcfflfK^hen  Züsammenhanffe  dargestellt 
von  Karl  Wilhelm  Vetter. 


^Schlaf«.) 

Hat  .ScUeien^acber   sich  dieser  Forin   in  seiner 
ibeologischBii  £ii<^clopädie  bedient,    so    hat    er    dazu 
•eine  Gründe  gehabt,  nämlich  den  äarsem  Zweek«  eine 
Beihe  von  Sätzen  aubu6teUe%  die  der  mündlichem  Er- 
läuterung bedurften  und  auf  die  letztere  desto  begieri- 
ger machen  sollten«  wie  das  der  Zweck  eines  jeden  gu- 
ten Compendiums  sein  mub.    An  und  für  sich  ist  die 
Form  von   Sätzen   unwissenschafUich  i   was.  Wissen- 
sdiiaft  ist,  kann  sich  nicht  in  Sätzen  und  Grundsätzen 
bewegen,  weil  diese  Form  das  Subjeetive,  Beliebige, 
Willkurlicii^  noch  nicht  abgestreift  hat,  was  fan  Satz 
noch  nicht,  selbst  wenn  er  zum  Urtheil  wird,  sondern 
alleia  im  Begriff  geschieht.    Sätze  und  Urtheile  kön- 
nen daher  nur  den  Werth  von  Behauptungen  und  Yer- 
sifiberungen  haben,  so  lange  sie  nicht  bewiesen  sind, 
was  aber  mit  dieser  fest  gewordenen  Form  nicht  ver- 
einbar ilt>    Das  Unbewiesene  erscheint  in  den  Sätzen 
meist  SQ9  dajs  sie  mit  „Da"  anfangen:  9,Da  dem  so  ist 
'*w  so  wird  dem  so  sein.*'.    ^^Da"  ist  die  bloGM  Yor- 
aussetzung«    Däfs  es  zum   Beweis  d.  L   zun^  Begriff 
nicht  kommen  soll,  ist  auch  dadurch  angedeutet^  dab 
es  ausdrücklieh  bei  Theorien  und  Construclionen  bleibt, 
welches,  da  man  es.  nicht  mit  einer  mathematischen 
Aufgabe,  sondern  mit  einer  so  coacreten  Materie,  .wie 
der  christliche  Kultus  ist,  zu.  thun  hat,  gewifs  die  un- 
angemessenste   Weise  der  Erkenntnifs  ist     In  zwei 
Theilen  entwickek  sjch  das  Ganze  der  Schrift    Der 
erste  TheU  wtUäi  eme  aUgemeiae  Theorie  dea  Kul- 
hm  in    einer    elememarisehen   und  einer   benstmcli- 
ven  AbtheiJuag»  der  zweite  die  besonderen  Theorien; 
das  Besondere  ist  aber  hier  die   Predigt,  der  Gesang 
Jahrb.  f.  tmttMch.  Krüik.  T.  1840,   I.  Bd. 


und  das  Gebet  —  Was  nun  den  wesentlichen  Inhalt 
•der  Schrift  betrifft,  so  Uefse  er  eigentlich  wohl  erst 
sich  beurtheilea,  M^enn  Scbleiermachers  praoUsche  Theo- 
logie  endlich  erseliienen,  wäre:  denn  dann  könnte  man 
jiehen,  worin  der  Hr.  Yerf.  von  ihm  sich  unterschiede, 
und  was  das  ihm  Eigene  und  Eigenthümliche  wäre. 
Aus  der  Encyklopädie  noch  wissen  wir,  dab  die  ganze 
practische  Theologie  eine  Theorie  des  Kirchenregiments 
und  Kirehendieiistes  ist  und  die  ganze  Eantheilung  dar- 
auf beruht  Diefs  kommt  auch  bei  dem  Hrn.  Yerf.  in 
der. Einleitung  vor,  obgleich  die  ganze  Distinction  nur 
auf  dem  formellen  Unterschiede  des  Ganzen  un4  seiner 
Theile-  ruht  Da&  Kirchenregiment  hat  es  mit  dem  Gan- 
zen, der  Kir<^hendienst  mit  dem  Einzelnen  zu  tlHin. 
Wie  schon  bei  diesem  Punct,  besteht,  was  man  die  wis- 
senschaftliche Einsicht  nennt,  in  lauter  äufserlichen,  die 
Sache  selbst  nur  auf  der  Oberfläche  berührenden  Be- 

.  Stimmungen,  formalen  Differenzen  und  quantitativen  Ge- 
gensätzen, die  ein  Yerhältnifs  zu  einander  haben  und 
in  einander  hineinscheinen,  die  man  aber,  wenn  man 
sie  nur  ein  wenig  drückt,  leicht  zerdrücken  kann,   so, 

^  dafs  sie  nichts  mehr  enthalten  und  aussagen.  Wie 
schon  das  Ganze  nichts  ist  ohne  seine  einzelnen.TheiIc 
und  diese,  zumal  wenn  sie  organische,  also  Glieder  sind, 
nichts  sind,  ohne  ein  Ganzes  zu  bilden,   ebenso  ist  es 

•  auch  mit  dem  Begriff  der  Gemeinde,  wfe  ihn  der  Hr. 
YCi  in  der  Einleitung  noch  bestimmt.  Er  unterscheid 
det  sie  als  die  werdende  und  gewordene.  Es  ist  leicht 
zu  sehen,  dafe  liier  das  zufälligste  und  äufserlichste 
Zeitmoraent  das  Entscheidende  ist^  als  ob  ich  sagte: 
noeh  nicht  die  Gemeinde  oder  schon  die  Gemeinde« 
AUes  nun,  was  als  Einwirkung  auf  die  gewordene  6e* 
meinde  hervortritt,  bildet  das  Gebiet  des  Kultus,  was 
auf  die  noch  werdende  Gemeinde,  den  Jugendunterricht 
und  die  Seelsorge,  nach  dem  Hm.  Yerf.  Im  Begriff 
der  Gemeinde  sich  bewegend,  müfste  man  vielmehr  fra- 
gen: wann. oder  wodurch  ist  die  Gemeinde  die  wirklich 

16 


123 


Vetter^  die  Lehre  vom  ekrietlichen  Kuiiue, 


124 


gewordene,  wann  ist  sie  die  mehr  als  erscheinende,  die 
Wahrhaft  wirklich  gewordene!  und  es  würde  sich  zei- 
gen, da£s  weder  die  Erscheinung  in  d^r  Zeit,  noch  die 
^  im  Kaum  oder  Ort,  die  Localgemeinde  als  solche  die' 
,  wahrhaft  wi'rlcliche  ist  und  man  mit  diesem  Prädieat, 
die  wirkliche  Gemeinde  zu  sein,  nicht  so  verschwende- 
risch sein  dürfe,  weder  das  Lebensalter,  noch  der  Kir- 
chenbesuch darüber  entscheide;  andererseits  wäre  zu 
fragen :  warum  die  Jugend  und  der  Einzelne  nicht  zur 
wirklich  gewordenen  Gemeinde  gehören  sollten,  da  sie 
doch  die  tiefsten,  geistlichen  Bedürfnisse  zeigen  und 
für  deren  Befriedigung  empfänglich  sind,  die  wiricliche 
Gemeinde  mit  der  wirklich  religiöi^en  identisch  ist,  nach 

♦.  13.  —  Es  kommt  dann  ferner  auch  zu  dem  Ton 
Schleiermacher  wieder  aufgebrachten  Gegensatz  von 
Klerus  und  Laien,  der  hier  als  auf  dem  Unterschied  von 
Mittheilung  und  Aneignung  beruhend  bestimmt  wird. 
Auch  dieser  Gegensatz  ist  leicht  in  seiner  Nichtigkeit 
aufzuzeigen,  indem  die  eine  ohne  die  andere  nichts  ist, 
somit  b§ide  sitsh  ia  einander  aufheben  und  nur  gewalt- 
sam als  eonstant  -einen  Augenblick  einander  gegenüber 
stehend  fixirt  werden,  welches  nur  das  Werk  der  will- 
kührlichen  Beilexion  ist.  Der  Hr.  Yf.  selbst  sagt:  sie 
fallen  beide  im  evangelischen  Kultus  vollkommen  zu- 
sammen, was  aber  in  seinem  Sinn  wohl  auch  nur  äu- 
fserlich  gemeint  sein  kann,  als  in  dasselbe  Zeitmoment 
fällend ,  oder  als  simultanes  Zusammensein ,  doch  nicht 
so,  dals  sie  wahrhaft  identisch  sind,  denn  dann  wäre 
es  mit  dem  Klericat  und  der  Laienschaft  aus,  wie  es 
der  Hr.  Vf.  auch  in  den  letzten  Sätzen  des  Abschnittes 
zugiebt,  dafs  der  Unterschied  nicht  auf  einer  wesentli- 
chen Ungleichheit  beruhe.  Wichtiger  aber  wäre  gewe- 
sen,  zu  deduciren,  wo  der  Unterschied  und  die  Un- 
gleichheit eigentlich  herkommt  und  wie  sie  sich  aus  der 


selbst  sagt,  däb   der  Gegensats   nur  relattr  sei.     bt 
überdem  die  eigenthümlidhe  Welt  der  Kunstdarstellang 
nur  eine  niedere  Stufe  der  Offenbarung  des  Geistes  und 
im  Kultus  es  der  absolute  Geist,  welcher  in  der  cfarist» 
liehen  Gemeinde  sich  offenbaren  will,  nach  dem   Hirn. 
Verf.,  so  wäre  wohl  die  Fra^  der  Berüeksiohiigniig 
Werth,  warum  denn  in  der  griechischen  Wf^lt,  welebe 
nicht  auf  der  Stufe  der  Offenbarung  des  absoluten  Crei* 
stes  steht,  die  Kunst  ihre  höchste  Stufe  isrrang  und  in 
dem  evangelischen  Kultus  der  Kunst  selbst  eine  so 'be- 
stimmte und  nothwendige  Gränze  gesetzt  ist.    Was  hier- 
über, der  Hr.  Vf.  %.  30.  sagt,   ist  zwar  gans  riei^tig, 
reicht  aber  zur  Beantwortung  jener  Frage  nicht  aus^ 
daher  die  erstere  Bestimmung  selbst  nicht  als  treffend 
anzusehen  ist.  —  Von  demjenigen,  was  der  Hr.  -Yerf. 
§.  152.  man  weifs  nichts  aus  welchem  Grunde  sagt,  wärs 
wohl  vielmehr  gerade  das  Gegentheil  als  das  eigendidi 
Begriffsmftfsi^  und   Zeitgemäfse    zu    verlangen.       Er 
sagt :  „Besondere  Regeln  darüber  aufzustellen,  wie  das 
religiöse  Element   im  evangelischen  Kultus  sich  rein 
zu  erhalten  suchen  müsse  von  Elementen  der  Fröm- 
migkeit, wie  sie  etwa  in  der  heidnischen  und  judiecbea 
Religion  zum  Vorschein  kommen,  gehdre  keinesweges 
In  eine  practische  Theologie  der  evangelischen  Kirche^ 
demnach  auch  in  keine  Theorie  des  evangelischen  Kul- 
tus.''   Denp  eben  aus  Resten  und  Ausflüssen  des  Gei- 
stes  beider  genannten  Religionen  besteht  (^  £igen»> 
thümliche  des  papistischen  Kultus,  welchem  die  evange> 
lische  Kirche  von  Anfang  an  wachsam  sich  gegenübei^ 
gcstellt  und  welchem  gegenüber  ihr  Kultus  so  eigen* 
thüiulich  bestimmt  erscheint.    Wenn  daher  der  Hr.  Vf^ 
unmittelbar  darauf  selbst  von  Differenzen  spricht,   die 
auch    innerhalb    des    Christlichen    überhaupt   und   des 
christlich  Evangelischen   insbesondere  vorkommen  und 


wesentlichen  Gleichheit  heraus  entwickelt  und  dafs  der     den  wahrhaften  Begriff  des  religiösen  Inhalts  alterirea, 


Cleistliche  nichts  anderes  ist,  als  ganz  einfach  das  Be- 
wufstsein  der  Gemeinde.  —  Debet  das  Verhältnifs  der 
Kunst  zum  Kultus  kommt  manches  Richtige  und  Schätz- 
bare vor,  besonders  ist  die  Bestimmung,  worin  es  zur 
redenden  und  bildenden,  zur  musikalischen  und  muni« 
sehen  Kunst  kommt,  ^anz  interessant  und  fast  ein  An- 
lauf zum  Begriff,  da  der  Hr.  Vf.  sich  sonst  fast  nur 
bei  dem  Vliesen  aufhält,  wiewohl  auch  hier  alles  zuletzt 


wie  dieser  allein  im  Kultus  der  evangelischen  Kirche 
zur  Darstellung  kommen  kann,  so  sind  das  eben  keine 
anderen,  als  die  genannten.  Also  dafs  von  jen^n  bei- 
den Seiten  sich  nichts  in  den  evangelischen  Kultus  ein« 
schleiche,  ist  gerade  die  sehr  practische  Aufgabe  fnlr 
jedes  Begreifen  und  Gestalten  des  evangeliehen  Gottes- 
dienstes. —  So  sehr  man  femer  die  Gebiete  des  spe- 
culativen  Denkens  in  der  Wissenschaft  und  des  christ« 


an  dem  dünnen  Faden  des  Unterschiedes  zwischen  Öe-    -liehen    Glaubenslebeiis    unterscheiden  und   gegenseftw 
danken,  und  Empfindungsleben  hängt  und  der  Hr.  Vf.     gehörig  abgränzen  muTs^  damit  nicht  beide  in  sich  ver- 


125 


Veiter.y  iüe  hehre  vom  ehrUtUehen  Kullua. 


126 


«chiedene  Sphären  vennUoht  werden  und  die  Wissen* 
«chaft  nicht  das  fronune  Leben -und  dieses  nicht  jene 
fitsetcen  zu  können  oder  sdbst  schon  su  s^in  meine, 
welches  letztere  der  noch  zur  Zeit  heri^chendste  von 
Theologen  selbst  Tielfältig   begünstigte  Irrthum  ist,  so 
ist  doch,  was  als  Wahrheit  in  der  Wissenschaft  erkannt 
Ist,   von  nothwendigem  Einflufs  auch  auf  den  *  Kultus 
imd  es  kann  dieser  sich  solcher  Wahrheit  nicht  erweh« 
ren  wollen,  am  wenig^en  durch  solche  unzulängliche 
Distinetionen,  ab  die  des  Hra.  Verfs.  sind  S.  37.,  nach 
denen  die  speculative  Idee  doch  immer  nur  (?)  die  ei» 
^ne  (f),  dem  Irrthum  unterworfene  That  und  nicht  (f) 
die  Gnadenthat  G.ottes  in  uns  ist  und  also  das  specu- 
laüve   Element    als  solches  nur  in  der  Wissenschaft, 
*  niemals  in  der  unmittelbaren  Manifestation  des  religio« 
:  sen,  Lebens  selbst  seinen  Ort  hat    Wenn  so,  wie^ach 
des  Hm«  Verfs.  Yorstellun^  einerseits,  die  specmatiFe 
Idee   nur    das    Gebilde   des  suljectiFen  Denkens   ist, 
woran  Gott,   der  die  Wahrheit  und  Heiligkeit  selbst 
.ist,   keinen  Antheil   hat,  und    andererseits  die  Mani- 
festation  des   religiösen    Lebens    im    Kultus   die   ge- 
dankeh*  und    wahrheits-lose   sein   darf,   so    bt    bei- 
den   die  Seele   des    Lebens  entzogen    und   so    bt  es 
um  beide  gleich  schlecht  bestellt.    Der  Hr.  Yerfasser 
giebt  es  zu  (was  fQir  den  gegenwärtigen  Stand  der  Er- 
niedrigung   der    Wissenschaft   Gottes   schon    viel  bt) 
„dafs    die   Theologie    sich   dem    speculativen   Denken 
nicht  entziehen  kann  und  der  Tbeolog  den  Inhalt  sei- 
nes Glaubens  sich*  auch  im .  Element  des  speculativen 
Gedankens  zur  Anschauung  ^u  ^bringen  hat,  auch,  dab 
das  Christenthum  selbst  nicht  ohne  Einflufs  auf  die  Be- 
wegung  des  speculativen  Denkens  geblieben  bt;"  um 
80  mehr  Ist  zu  bedauern^t  dafs  seine  Abwehr  desselben 
nach  der  Seite   des   evangelischen  Gottesdienstes  hin 
leicht  so  gemi&deutet  werden  kann, "  als  ob  er  der  Ge- 
dankenlosigkeit in  der  Erbauung  das  Wort  rede.    Da- 
gegen würde  im  Gegensatz  von  §.  168  das  Mystbche 
vom  Kultus  nicht  auszlischliefsen  sein,  wie  der  Herr 
"Vf,  verlangt;  denn  ist^  nicht  das  Sinnbildliehe  schon 
i|b  solches  das  Mystische,  unmittelbare  Einheit  des  Ge- 
fuhb  und  Gedankens?  —  Der  Kanon,  den  der  Hr.  Vf. 
§.  174  aufstellt,  dafs  jedes  religiöse  Element,  das  im 
Kultus  zur  gemeinsamen  Darstellung  und  Aneignung 
kommt,  zugleich  seine  nethwendige  Beziehung  auf  die 
Schrift  ausdrücken  müsse,  bt   nicht  ausreichend  und  ^ 


mufassend  genug  zur  Bilduibg  eines  ioDst^ndigen  Kul- 
tus auch  der  protestantischen  Kirche;  es  fände  bei  die- 
sem Kanon  das  Kunstelement  kein  Unterkommen  im 
evangelbchen  Kultus ;  vom  Anfang  an  bt  die  evange- 
Ibche  Kirche,  auch  als  solche  darin  thätig  gewesen, 
und  schein  mit  der  negativen  Forderung,  dafs  das  an- 
derweitig Entsprungene  nur  der  Schrift  nicht  widcir- 
spreche,  zufrieden  gewesen.  —  Auch  der  Gegensatz 
der .  römischen  und  protestantbchen  Kirche  in  ihrem 
verschiedenen  Yerhältnifs  zur  Schrift,  wie  es  der  Hr. 
Yf.  ^.  182,  183  bestimmt,  bt  nicht  richtig  angegeben; 
denn  wenn  der  römbche  Katholicismus  sieh  die  That- 
sachen  der  Erlösung  in  der  Schrift  durch  die  Kirche 
vermittelt,  die  evangelbche  aber  vermöge  der  unausgei^ 
setzten  "Wirkung  des  heiligen  Geistes,  so  bt  die  Kirche 
dort  keineswegs  ab  entblöfst  von  den  Wirkungen  dei^ 
heiligen  Gebtes  gesetzt,  sondi^m  eben  darein  gesetzt, 
nur  unmittelbar,  so,  dafs  das  Menschliche  dort  sich 
auch  für  das  Göttliche  ausgeben  kann  und  kein  Prin- 
zip der  Unterscheidung  vorhanden  bt  —  Die  Art  und 
Webe,  wie  der  Hr.  Verf.  zu  ''dem'  Gedanken  der  Be- 
trachtung  und  des  Gebetes  kommt,  ist  sehr  künstlich 
und  gesucht^  es  dreht  sich  alles  um  die  beiden  Be^ 
stiknmungeii,  wie  das .  Gottesbewurstsein  die  Momente 
des  zeitlich  bewegten  Lebens,  mit  sich  zusammehschliefst 
und  wie  es  sie  zusammengeschlossen  hätf  das  erstere 
giebt  die  fromme  Betrachtuog,  das  andere  das  Gebet. 
Es  ist  klar,  dafs  hier  das  Präsens  und  Perfectiim,  die 
reine  Zeitbestimmung,  die  Entscheidung  dessen  hat, 
was  der  Unterschied  d^  Betrachtung  und  des  Gebetes 
ist,  und  dafs  das  auch  nicht  einmal'  eine  Annäherung 
an  den  Begriff  bt,  der  vielmehr  ganz  einfach  als  Be- 
weglichlceit  und  Unbeweglichkek  auszudrücken  war, 
auch, abgesehen  von  dem  Ueberflufs  an  Worten,  der 
dabei  vorkommt.  So  wird  auteh  schwerlich  viel  ge- 
wonnen sein  mit  den  dialectbchen  Bestimmungen  des 
Unterschiedes  S.  221  z.  ß.  „Die  fromme  Betrachtung 
bt  das  religiöse  Denken  im  Gefühl  der  An(|acht;  das 
Gebet  bt  das  Gefuhr  der  Andat^ht,  aber  in  religiösen 
Gedanken."  Dem  steht  gleich  die  Unterscheidung  S.  69, 
dafs  der  speculative  Gedanke  die  Objeetivität  im  Be- 
griff sucht,  der  religiöse  Gedanke  aber  die  Objeetivität 
an  sich  selbst  hat.  Aus  solehen  Bestimmungen  klug 
zu  werden  oder  etwas  zu  lernen,  bt  überaus  schwer. 
-*  Die   Nothwendigkeit  des  Yorlesens  der  Perikopen 


127  .  Feiteri  die  Lehrs  t^m 

in  der  Liturgie  hat  der  Hr.  Vert  allerdingi  aehr  gut 
naehgewiesen  und  gerechtfertigt,  aber  da  die  Liturgie 
der  Einheit«-  oder  Vereinigungt*Punkt  der  Thfitigkeit 
des  GeistliebeD  und  der  Gemeinde  ist,  so  hätte  billig 
aueh  an  dieser  Stelle  von  der  Nothwendigkeit  des  Ge* 
Sanges  in  der  Liturgie  gehandelt  werden' mOssen,  d^' 
da  der  Chor  als  Vertreter  der  Gemeinde  hat.  ^->*  Dab 
die  Predigt  im  evangeliseheii  Gottesdienst  Torsugswelse 
und  überwiegend  hervortritt,  wird  S.  104  nicht  aus 
dem  oenfessionellen  Charakter  der  evangelisehea  Kir^ 
ohe  abgeleitet,  sondern  nur  gesagt,  dals  sie  im  uiimit- 
telbaren  Zusammenhange  die  meiste  Zeit  des  Kuhus 
in  Anspruch  nimmt;  hieduroh  ist  wiederum  die  Zeitbe* 
Stimmung  die  Hauptkategorie,  obgleich  der  Hr.  Yerf. 
bemerkt,  dafs  die  Bestimmung  der  Dauer  nach  Minu*-' 
ten  eine  mechanische  Ansicht  sei;  — -  Wenn  die  drei 
Bestandtkeile  des  Kultus  in  ihrer  oirganisehen  Zusam- 
mengehörigkeit den  Gottesdienst  eonsütuireu,  wie  das 
der  Hr.  Yf.  genftgend  gezeigt  hat,  so  widerspricht  es 
dem,  daCs  sie,  wo  sie  auseinander  fallen,  noch  unter 
diesen  Gesichtspunkt  treten  dürften  und  solche  Hand- 
lungen, wie  Tafufe,  Abendmahl,  Conflrmation,  Copula- 
tion,  Begräbnifs,  Ordination,  Installation,  Einsegnung 
der  Wöchnerinnen  und  die  WeÜHing  der  für  den  Kultus 
EU  brauchenden  Gegenstände  noch  als  integrirende 
Theile  des  Gottesdienstes  abgehandelt  werden  könnten. 
Sie  schli^fsen  sich  vielmehr  ihm  nur  an,  haben  kein 
inneres,  sondern  nur  äuIserUches  Verhältaifs  su  ihm 
und  beruhen'  allein  auf  persönlicher,  nicht  a^f  g^eln- 
samer  Aneignung,  welche  letztere  allein  dem  öfientll- 
chen  Gottesdienst  angehört.  Wie  kann  also  vom  TauC- 
kuüus  u.  s.  f.  geredet  werden,  wenn  doch,  wie  nach 
dem  Hrn.  Yf.  selbst  S.  109,  die  Taufe  keine  Handlung 
innerhalb  des  Kultus  ist!  Damit  ist  wohl  verembar, 
^afs  die  Taufe  ab  ein  kirchlicher  Act  anzusehen  ist, 
«nd  es  ist  eben  deshalb  die  Haustaufe  nicht,  wie  S. 
109  gesagt  ist,  als  eine  Ausnahme  von  der  Regel  seu 
betraehten;  sie  ist  aueh  so  doch  nichts  desto  weniger 
ein  Act  der  Gemeinde,  obgleich  sie  nicht  in  dem  be- 
stimmten öffentlichen  Kirchenraum  geschieht,  ^n  der 
Hr.  Yerf.  hier  die  Kirche  nennt  -*  Die  Bezeichnung 
des  Senntagsgottesdienstes  als  d^  unbedingten  und  des 
Festgottesdienstes  ab  des  bedingten,  ist  mindestens  u»- 


ekruiBehen  Kultui.  1 

^bequem   und  ^ein  nicht  rio&tiger  Ausdraefc    für    dii 
Yerhiltnifs;  viel  eher  wire  jener  der  unbeatiaatfistey  dl 
aer  der  bestimmte  zu  nennen.  •—  Gern  begleitetam  w 
den  Hm.  Yf*  noch  durch  die  aegenannten   becondcsi 
Theorien  der  Kultuselemente,  in  denen  überall  lies  h 
teressanten  und    Geistreichen    viel    vorkomntt*      D« 
den  emeuecten  und  nothwendij|;en  Gesetzen  dieaesli 
atituts  genOils  sollen  Beurtheiler  sidt  desneat    tewt 
bleiben,  dala  Andere  auch  etwas  vorsttSra|;ea    Imbai 
Nur  noch  folgendes  Wenige.    In  der  Theorie  Jim  An> 
digt  ist   die  Kategorie  der  religiösen  Lebendigkeit  k 
der  sogenannten  Urbildung  (bei  der  Meditation)  ao  h» 
fig  wiederkehrend,  dals  wohl  der  Hr.  Yf.  sieli  firagm 
mufs,  WM  darunter  zu  verstehen  seL    Diene  reUgSü 
Lebendigkeit,  wie  sie  der  Hr.  Yf.  selbst  beeehrak,  lA 
eine^war  jetzt  sehr  beliebte  Kategorie,  aber  nech  el* 
was  so  uniiestimmtas  und  unmittelbares,    daCs  data 
noch  gar  keine  Yermittelung  durch  Gedanken  nnfii|t 
und  wehl  zu  furchten  steht,  es  werde  der  MeditiNn^ 
wenn  er  ihr  sieh  fiberläfst,  häufig  in  den  FaQ  konuam, 
auf  nichts  Rechtes   zu  kommen.     Wenn   denn,  aid 
nach  dem  Hrn.  Verf.,  die  religiöse  Tfaäligkeit  in  ds 
UrbiUung  auch  zur  Gedankenthätigkeit,  deren  Wckb 
die  Hegriffshildung  ut,  wird,  so  wird  wohl  der  ihr  n» 
hergegangene  Zustand  der  religiösen  Lebendigkeit  dir 
des  absoluten  Gedankenmangeb  gewesen  sein.  «-*  Tk^ 
fend  hat  der  Hr.  Yf-  das  Oratorisehe  in  seiner  Einheit 
mit  den^  ReHgidsen  gefafst;  aber  um  se  wenigsr  iit 
einzusehen,  warum  er  nicht  dabei  geblieben  nnd  sM 
dessen  das  Poetbche  in  der  Predigt  so  sdir  gdlead 
macht.  --    Ein  von  der  Gemenide  selbst  geaprech«« 
Gebet  im  Kukus,   sagt  der  Hr.  Yerf.  S.  230.,  wan 
durchaus  nichts  WidernatQrliehes;   „idleln  da  die  Ge» 
meittde  in  der  blofsen  Nacliproduetion  der   Gebete  in 
Kultus  niemals  erscheinen  will,   so  bringt  der  Litaig 
ihre  Gebete  zur  Darstellung'' ;  dießt  tfber  ist  kein^wf- 
ges  der  wahrhafte  Grund ,    sondern  weil  es  wirUidi 
widernatürfich  ist;    denn    es   kann  eine  Versaamiiiiiif 
Yieler  zu  gleicher  Zeit  wohl  singen,   aber  niebt  spie- 
oben;    wie  die(s  allerdings  das  Widernatdrlicbe  ist  in 
der  Englischen  Liturgie. 

D.  Marheineke. 


••    y^  17. 

J  a  h  r  b  tt  eher 

f  ü  r    - 

lYissensch  a  f  i  1  i  che   Kritik^ 


Januar  1840* 


0 


X. 


8ur  la  cH'culatioH  et  sur  l^$  ^ai$ieau<t  laticifirei 

dant^  les  planten.    Pär  le  Dr.  C.  H.  Schultz^ 

I^öfess.  örd.  de  tUnitersite  de  Berlin.    M6^ 

fnoire  qui  a  remporte  le  grand  prix  de  physi" 

gue  propose  par  r Acaiemie  royale  deB  Sctences 

de  ParüpmHT  PAnftee  1833.    Avec  2li  planches. 

Parüy  1839«  et  d  Berlin  chex  A.  Hirschwald. 

UtibMohadet  %\Mt  von  sachkundiger  Hand  erwar- 
teten weiteren  Bespreehung  de«  Gegenstandes  obiger 
Sehrift,  glauben  wir  naeh  mehneidger  Aufforderung 
einem  äll^elneineren  Wunsch  eu  entsprechen,  wenn  wir 
in  kvrten  Zfigen  die  Resultate  dieser  mehrjälirigen  Arv 
l^eit,  soweit  sie  hier  dargestellt  sind,  übersichtlich  süi. 
lianimenstellen«  Der  Hauptsweck  des  Werkes  ut,  gemäb 
der  Ton  der  Königl.  frans.  Akademie  der  Wissenschaf- 
ten int  Jahr  1830  aufj^estellten  Preisfrage,  das  durch  ' 
die  Entdeckung  der  Sftftecyfclose  bekannt  gewordene 
System  der  Lebenssaftgefäfiie  in  allen  Organisationsrer^ 
hätnissen  der.  PflanKe  und  des  Pflansenreichs  darra- 
stelle.    Da  man  bish^  nur  Ein  allgemeines  Gefäfs^ 
System  in  den  Pfilansen,  das  der  SpiralgefSCse  nämlich, 
geh^ig  erkannt  hatte,  so  war  es  nur  durch  eine  um^ 
fassende  Arbeit  möglich,  die  Existens  eines  zweiten 
netfcoi  Gefälssystems   überhaupt   allgemein  nuchEuwei^  , 
sen,  und  xugleieh  die  eigeiithamliehe  Organisation  des^- 
iMlben  Bö  weit  als  mögUch  su^enthallen;  doch  beschei«- 
den  wiir.  uns  gern,  dals  auch  aller  Mühe  und  Sorgfalt 
ungeachtet    der  Gegenstand  nicht  erschöpft*  und  noch 
manche  Nachlese  su  halten  und  manche  Verbesserung 
hittzusuffigen  sein  wird.    Es  kam  hier  besonder»  darauf 
in,  dordi  einen    Reiehthum   bildlicher   Darstellungen 
den  Gegenstand  su  yersimitleheii,  vorsttgBch  einem  viel« 
felcht  überemsigen  Zweifel  gegenüber,  der  anstatt  die 
Hand  mit  ans  Werk  su  legen,  sich  in  theoretisirenden 
'  Bedenkliohkidten  erschöpft  hat,  so  dafs  ihn  die  Sache 

Jahrb.  f.  iriiitMch.  Kriäk.  J.  1840.  I.  Bd« 


erst  von  Aulsen  her  Überwachsen  mufste«  Wir  hatten 
es  daher  uns  besonders  angelegen  sein  lassen,  alle  un- 
sere Beobachtungen  durch  naturgetreue  Abbildungen 
anschaulich  wiederzugeben  und  mit  dem  Texte  des  Ma» 
nusoripts  eine  Anzahl  von  100  Tafeln  der  franz.  Aka^ 
demie  fiberreicht,  welche  f&r  die  Akademie  Selbst  jede 
Einzelnheit  der  Beschreibung  befriedigend  mit  materieU 
lem  Nachweb  belegen  konnte.  Obgleich  es  nun  wün« 
schenswerth  gewesen  ware^  die  sämmtlichen  Tafeln  pn« 
blizirt  zu  sehen,  um  alle  Details  öffentlich  vor  Augen 
zu  legen,  so  war  dieses  doch  bei  dem  übermäfsigea 
Kostenaufwande,  den  der  Stich  aller  Tafeln  verursacht 
haben  würde,  kaum  zu. hoffen;  und  gewifs  sind  die 
Erwartungen  in  dieser  Beziehung  schon  dadurch  über- 
troffen  worden,  dafs  die  Akademie  auf  ihre  Kosten 
eine  so  grofse  Auswahl  aus  sämmtlichen  Abbildunggt 
durch  Abkürzung  der  Figuren  bat  graviren  lassen,  dafs 
23  Tafefai  damit  gedrängt  migefQUt  sind.  Die  Freige- 
bigkeit der  franz«  Akademie  verdient  in  diesem  Betraeht 
gewifs  den  besten  Dank,  indem  nunmehr  doch  aus  ei- 
ner groben  Anzahl  von  Pflanzen ,  die  Orgamsations- 
Verhältnisse  des  LebenssaftgeAfiisystems  vor  Aiigen  Ue- 
lzen. Das  Hauptresultat,  welches  hierdurch  erreicht 
worden,  ist  aunäehst ,  der  Nachweis,  dals  alle  Gefftfs- 
bündel,  die  mati  früher  einfach  als  aus  von  Zellen  um* 
gebenen  Spiralgefäfsen  gebildet  betraciit'et  hatte,  aus 
Bwei  verschiedenen  Gefafssystemen  %u»€fmm9ngeMetzt 
sind,  nämlich  aus  Spiralgefafben  und  aus  Lebenssaftge- 
fäfsen.  Früher  galt  die  Benennung:  Gefifsbündel  über- 
haupt  so  viel  als  Bündel  von  Spiralgefäfsen,  jetzt  ha- 
ben wir  schon  an  sorgfältig  gezeicimeten  Qu^durch* 
schnitten  aufs  deutUcbste  vor  Augen  gelegt,  dafs  bet 
keiner  Pflanze  die  Gefäfsbündel  einfach,  sondern  dals 
sie  überall  aus  zwei  Gefäbsystemmi  zusammengesetzt 
smd*  Der  erste  Theil  der  von  der  Akademie  gegebe» 
nen  Frage :  les  vaisseaux  du  latex  existent  -Jis  dans  in 
grand  nmnbre  des  v^g^aux,  et  quelle  place  y  occu<» 

17 


131  SoAuleXf  9ur  la  circutation  et  9ur  te$ 

pent-ils?  ist  also  durch  die  dargestellten  ThaUachen 
dahin  beantwortet,  ^afs  überall,  wo  sieh  tiändel  wah- 
rer Spiralgefäfse  im  Stengel  finden,  in  diesen  Bilii- 
deUi  selbst,  neben  den  Spiralgeräfsen  noch  Lebenssaft- 
geffirse  Torhäuden  sind.  Die*  Spiralgefäfse  bilden  den 
nach  der  Axe  des  Stengels  gerichteten  Theil,  die  Le- 
faensgefäfse  machen  den  nach  dem  Umfang  zu  liegen- 
den Theil  des  Bündels  aus,  und  zwar  so,  dafs  eigent- 
lich jedes  Gefäfsbündel  ein  Iloppelbündel  ist,  dessen 
äufserer  Theil  das  Bündel  der  Lebenssaftgefälse,  de»> 
sen  innerer  Theil  das  Bündel  der  Spiralgefäfse  ist 
Aus  mehr  denn  60  verschiedenen,  S.  43  und  S.  87 
übersichtlich  zusammengestellten  Familien  sind  Bteob* 
aehtungen  gegeben.  Die  querdurchschnittenen  Mündua- 
j[en  der  LebenssaftgefäCse  unterscheiden  sich  von  den 
Spipalgefäfsen  dadurch,  dafs  sie  ihren  verschiedenen 
JBntwickelungsstufen  gemäfs  nur  theilweise  weit  offen 
stehen,  theilweise  aber  mehr  oder  weniger  durch  Con- 
traktion  verengt  oder  ganz  geschlossen  erscheinen ;  aber 
eben  dieser  Charakter  giebt  den  Querdurchschnitten  der 
LebenssaftgefäDsbünder  ein  so  eigenthümliches  Ansehen, 
dafs  sie  sehr  leicht  sowohl  von  den  Spiralgefäfsen  als 
von  den  umliegenden  Zellen  unterschieden  werden  kön- 
nen. Die  Yerbreitung  der  Lebenssaftgefäfse  in  der 
Pilanze  \ät  jedoch  nicht  auf  die  Bändel  beschränkt,  so;i- 
dern  die  Bündel  bilden  nur  die  Centralpunkte  des  Sy- 
stems, welche  vrir  mit  dem  Namen  des  Heerdes  belegt 
haben.  Die  Gefäfse  liegen  hier  .  gedrängt  aneinander* 
Ton  diesem  Heerde  aus  geschieht  nun  durch  Verzwei«. 
I^ung  eine  Yerbrel^ung  einzelner  abgesonderter  Gefäise 
in  alle  Theile  der  Pflanze,  besonders  in  die  mancher- 
lei Farmen  des  Zellengewebes:  das  Mark,  die  Sekre- 
tionsorgane,  und  selbst  Im  Holze  haben  wir  schon  ein- 
zeln verbreitete  Lebenssaftgefäfse  aus  der  Wurzel  des 
.Schöllkrauts  im  Jahr  1824  in  der  Schrift:  über  den 
Kreislauf  des  Saftes  im  Schöllkraut  abgebildet.  Beson- 
ders das  junge  Mark  z^  B.  des  Feigen-  oder  Maulbeer- 
haums  ist  sehr  reich  an  Lebenssaftgefäfsen»  Der  zweite 
Theil  der  von  der  Akademie  gegebenen  Frage  betrifft 
näher  die  Organisation  der  Lebenssaftgefäfse:  sont-ils 
separds  Jes  uns  des  autres  ou  r^unis  en  un  rdseaü  par 
des  fc^quentes  anastomoses?  Wir  l|atten  im.  Jahr  1830 
der  Akademie  einige,  später  in  den  Annales  des  Seien- 
des naturelles  (T.  22.  PI.  I.  2.)  publizijtte  Abbildungen 
mitgetheilt,  in  denen  der  netzförmige  Zusamittenbang 
auch,  all  präparirtenrGefäfsen  selir  deutlich  hervortrittf 


vüUseaux  laticiferei  dam  le$  phrntes.  132 

doch  macht  dieser  Charakter  nur  einen  Theil  der  ge- 
sammten  Organisatiobsverhähnisse   aus.    Di«   wichtig- 
sten hierher  gehörigeh  EigentUfimlichkeiten  der  Lebem- 
saftgefäfse  liegen  in  ihren  Metamorphosen   d^rch    die 
Entwickelungsstufen.    Wir  haben  nach  den  schon  in 
der  Schrift:  über  die  Natur  der  lebendigen  Pffanze  ge- 
gebenen Beobachtungen  in  dem  gegenwärtigen  Memoir 
bei   einer   sehr  grofsen   Anzahl   von   Pflanzen familiea 
die  drei  Entwickelungsstufen,  der  contrahirten  Liebens* 
saftgefäfse    (vasa  laticis  contracta),    der  ausgedehnt« 
(vasa  lat.  expansa),  und   der  gegliederten  (v.  lat.  art^ 
cukita),  nachgewiesen.    Die  contrahirten. Lebenssaftge- 
fäfse bilden  den  jugendlichen  Zustand,  worin  Ihre  Le- 
beusthätigkeit  am  gröfsten  ist«    Die  Hauptäüfserung  die- 
ser Lebensthätigkeit  liegt  in  der  Fähigkeit. sich  anszu* 
dehnen   und  zusammenzuziehen.     In  den  contrahirten 
Lebenssaflgefäfsen  überwiegt  die  lebendige  Contraktion, 
sa  dafs  sie  sich  bis  zum  -Verschwinden  ihres  Yolumens 
verengern  und  den  ganzen  Inhalt  austreiben   konneiif 
daher  sind  sie  hier  von  aufserordentllqher  Feinheit,  doch 
kommen  immer  einzelne  mehr  oder  weniger  ausgedehnte 
angeschwollene  Stellen  an  ihnen  vor.    Sie  finden  sich 
mehr   in  den  jüngeren  Trieben    der  Pflanze    und   in 
dem  saftreichen  Zellgewebe  in  grofser  Feinheit  einzeln 
verbreitet,  worüber  wir  besonders  aus  der  Familie  der 
'Aroideen   mehrere   genaue  Abbildungen  dem   Memoir 
beigegeben  hatten,  die  jedoch  grofsentheils  nicht  pübU- 
eirt  werden  konnten,  uns  aber  mit.  anderen  zurückgie» 
geben  worden  sind,  so  dafs  wir  sie  in   anderem  Zu- 
sammenhang später  noch  zu  liefern  hoffen.'  Mit  vor» 
rückendem    Alter    und   Waolisthum    biUen    sich    die 
vasa  contraeta    in   die   zweite   Stufe  der  vasa   laticis 
expansa  .um.      Diese   erseheinen   von    viel  gröTserea 
Umfang,   angeschwollen  und  von  Saft  strotzend,    da- 
her meist  von  körnigem  Ansehen  durch  ihren  Inhalt, 
obgleich  die  Wandungen .  selbst  glasartig  und  gleieh- 
fSrmig  durchscheinend  sind,  sobald  der  Saft   entleert 
ist.     Wie   die"  contrahirten   Lebenssaftgefäfse   in   der 
ganzen  Ausdehnung  verengert  und  nur  Juit   euizelnen 
angescAwolienen  Stellen  versehen  sind ;  so  finden  wir 
bei  den  expandirten  im  Gegentheil  die  g^ze  Lange  des  6e» 
fäfses  ausgedehnt  und  aufgeschwollen, abet  mit einzehien 
eotttroAirten  Sidlen.  In  ilini^a  ist  die  Contraktion  schon 
zurücktretend  und  di^  Expansion  überwiegend;  doohso^ 
dafs  si6  aber  die  Fähigkeit  cur  Contraktion  immer  npch  b&- 
sitzen.  Ihre  Wandungen  werden  stärke,  und  überhaupt  ist    - 


138  SeMtz^  9Ur  lä  circidatMf^  et  $ur  fes 

dfe  OrgänUntion  liier  am  krafÜgsten,  der  Saftreidithum 
am  gröbtea.  Man  kpnn  sagen,  die  contrahirten  Lebens» 
aaftgefafse  sind  absatzweise  ezpandirt ;  dia  exp^ndirten 
4rind  .absatE weise  eanlrahirt.    Im.  späteren  Alter  bildet 
sich  nun  durch  die  absatzwebe  contrabirten  ^teilen  der 
expandirten  Lebenssaftg^fäfse  die  dritte  Cntwiokelungs- 
stttfo  derselben:  die  vasa  Jaticis  artieu^ata?  oder  die  ge- 
fiederten Lebenssaftgefafse.    In  ihnen  wiederliolt.  sich 
die  äufsere  GUederbiidung  der  Zweige  durch  die  Kno- 
ten,  indem. sich   das  Geftis   der  Länge  nach  in  eine 
Heihe  von  Gliedern  trennt.    Hier  sind  nun  die  contra- 
liirten  und  die  «expandirten  Stellen  permanent  gewor- 
den,  während  besonders  in  den  contrahirten  Gefäfsen 
An  jeder  Stelle  Contraktion   und  Expansion  im  Leben 
Gontinuirlich  abwechseln.    Die  contrahirten  Stellen  bil- 
den   einfache  Einschnürungen,   durch  welche  sich  diet 
ausgedehnten    Gliederabsätze    von.   einander    ablösen, 
JOiese  Gefäfse  haben  die  Fähigkeit  zur  Contraktion  ver- 
•loren,  .sie  sind  in  ihrem  Expansionszustande  erstarrt, 
.verholzt,  bleiben  daher  auch  nach  gänzlicher  Entleerung 
des  Saftäs  ausgedehnt  ^nd    zellenähnlich,   und  fiodeH 
sieh  daher  auch  nur  in  den  absterbenden,  verholzenden 
-älteren    Pflanzentheilen'  überhaupt.      Zwischen    diesen 
drei  Eatwickelungsstufen' finden  sich  nun^le  mogli- 
4ihen  Formen  von  Uebergängen    und  Mittelbildung^n. 
^G^w5hnUeh  findet  man  diese  so  unter  einander  zusam^ 
menhängend,  dafs  die  expandirten  aus  den  geglieder- 
ten und  die  contrahirten  aus  den  expandirten  wie  her- 
vorgewach^en  erscheinen.    Doch  ist  hierin  bei  den  ver- 
schiedenen Pflanzen  und  Pflanzenfamilien  eine  grofse 
Verschiedenheit.     Es  giebt  Pflanzen,  wo  die  Gefäfse 
sehr  lange  Zeit  fast  immer  im  Zustande  der  jugendli- 
chen. Contraktion  verharren,  so  dafs  die  älteren  Stufen 
schwer  gefunden  werden,  wie  es  sich   bei  den  Immer, 
fleischig  bleibenden  bis  zum  Absterben  nicht  verholzen- 
den Theilen  derLUiaceen  zeigt.  Andere,  wie  die  viele  Jah- 
re hindurch  ohne' zu  verhärten  und  abzusterben  fortleben- 
den fleischigen  Euphorbien,  haben  nebenbei  viele  sehr  ent- 
wickelte expandirte  Gefäfse,  aber  nur  Andeutungen  der 
gegUederteü;  wogegen  die  leicht  Und  schnell  Verholzen- 
den Sommergewachse   häufig  die   artikülirten  Gefäfse 
zeigen.    Im  Allgemeinen, sind'  die  Gefäfse  um  so  feiner 
und  im  Zustande,  der  Contraktion  verharrend,  je  weni- 
ger milchig  der  'Lebenssaft  ist,  und  um  so  mehr  ex- 
pandirt,  je  mehr   der  Milcbsafl   hervortritt.     In  allen 
•  diesen  Entwickelungsstufen  zeigen  sich  nun   die  Le- 


vai$0€au^  latM/ir^s  dans  ,Jes  ./^ntes.  '    134 

benssaftgefälse  durch  Anastomosen  zu  einem  Gefäfs- 
netz.,  ähnlich  dem*  peripherischen^  Gefä&system  der 
Thiere,  verbanden«  Die  Maschen  dieses  Gefäfsnetzes 
sind  aber  in  den  verschiedenen  Pflanzen  und  Entwicke- 
lungsstufen der  Gefäfse  sehr  verschieden,  sowohl  was 
die  Häufigkeit  der  Anastomosen,  als  was  die  Grofse 
der  Terbiadiingsäste  und  die  Form  der  Maschen  be- 
trifilt.  Im  Heerde  der  Biindel  sind  die  Maschen  sehr 
in  die  Länge  gedehnt,  in  der  Ausbreitung'  im  Zellge- 
webe mehr  in  die  Breite  gezogen,  in  den  Stengelkno- 
ten sind^die  Masclien  dicht,  in  den  Internodieii  locker, 
im  Allgemeinen  am  ausgebildetsten  auf  der  Uebergangs- 
stufe  von  den  contrahirten  zu  den  expandirten  Gefä- 
fsen. Der  dritte  Theil  der  Frage  heifst:  Quelles  sont 
ia  naturo  et  la  destination  des  sucs  qu'ils  contiennent 
et  ces  sucs  ont-ils  un  mouvement  de  translaition  et  4 
quelle  cause  faut-il  attribuer  ce  mouvement?  Diese 
Frage  fülirte  zunächst  darauf,  den  Unterschied  der  ver- 
sc)iiedenen  Säfte  gehörig  festzustellen,  die  seitMalpighi 
unter  dem  Namen  des  eigenthiimlichen  Saftes  (succus 
propirius)  in  der  Pflanzenphysiologie  bisher  vermengt 
worden- sind.  Ein  Theil  dieser  Säfte  nämlich  ist  ein 
rein  qualitatives  lebloses  Produkt  durch  Sekretion  der 
Pflanze,  wie  die  Balsame,  Harze,  aetherischen  Oele. 
Diese  Sekretionen  zeigen  keine  Spur  von  innerer  Or- 
ganisation und  die  Organe,  in  denep  sie  abgelagert 
werden,  sind  ihrem  ganzen  Bau  nach*  dem  Zellgewebe 
i^ystem  angehorig  und  von  dem  oben  beschriebenen  Bau 
der  Lebenssaftgefäfse  ganz  und  gar  verschieden.  Da* 
gegen  -  zeigt  der  Lebenssaft  eine  innere  Organisation 
nnd  Kügelchenbildung,  Fähigkeit  zur  organischen  Ge- 
rinnung und  Faserstoflfbildung,  und  nur  er  ist  in  wah- 
jren  Gefäfsen  enthalten,  die  tdiesen  Namen  wirklich 
verdienen.  Allein  der  Lebenssaft  ist  also,  seiner  Orga« 
nisation  nnd  seinem  Sitz  in  wahren  Gefäfsen  gemäfs, 
zur  Bildung  und  Ernährung  der  Pflanze  geschickt. 
Daher  ist  es  denn  überhaupt  ganz  unpassend,  die  Se- 
Jcretionsoirgane  noch  mit  dem  Namen  der  Gefälse  zu 
bezeichnen,  und  überhaupt  konnte  der  Name:  vas^  pro«.' 
pria,  ohne  die  alte  Verwirrung  zu  begünstigen,  gar 
niclit  beibehalttti  werden,  um  so  weniger,  ab  die  Le- 
JbensisaftgeJ&fse  eine  allgemein  übereinstimmende  Orga- 
nisation in  allen  Pflanzen  haben,  während  ^  die  Sekre- 
tionsorgahe,  theils  nach  der  Natur  des  Sekrets^  th^Is 
nach  Verschiedenheit  der  Pflanzen  unter  sich,  auch  gänz- 
lich von  einander  abweichen.    Die  sämmtlichen  Sekre- 


\    . 


135 


Schultz^  9ut  la 


$t  $mt  M$  ^miiBHms  ImMfifrß$  Ami  ii4  pUmiUi 


13t 


tionen  kSnnen,  entsptröhend  d«m  Gberall  blindsliekartU 
geü  Bau  ihrer  Organe,  keine  siröniende  fii^wegung  Ihu 
beo,  dagegen  maeht  die  eigenthQniliehe  Struktur  der 
LebenssaftgefSrse  eine  Säflecirkulatlen  in  ihnen  ni5g«> 
lieh  und  die  Beobachtung  teigt  sie  ab  wirklieh.  Diese 
CirkuIaÜDU  nun,  welche  wir  sum  Unterschiede  von  d^ 
drehenden  Bewegung  oder  Rotation  in  den  Schläuchen 
homorganischer  Pflanzen  mit  detti  Namen  der  CykhM9 
bezeichnet  haben,  ist  im  Allgemeinen  der  Form  der 
netzförmigen  GeiMsanastomosen  entsprechend:  ein  rein 
peripherisches,  centrumloses  Kreisen  Von  Strömen,  die 
zwar  in  sich  Wieder  zurOckkehren,  augleich  aber  auch 
tlieilweise  in  einander  übergehen.  Wo  daher  die  Ma- 
schen der  Gefafsnetze  sehr  In  die  Länge  gezogen  und 
die  GefäFse  wie  in  dem  Heerde  dicht  neben  einander 
liegend  sind,  erscheinen  neben  einander  auf-  und  ab« 
steigende  Ströme  oft  von  grofser  Ausdehnung ;  aber  an 
bestimmten  Stellen  kehren  die  Ströme  ite  einander  um 
und  anastomositen  mit  anderen  Netzen.  Sind  aber  dje 
Gefäfsmaschen  breiter  und  kürzer  wie  bei  den  im  Zell- 
gewebe verbreiteten  Gefäfsen,  da  sieht  man  auch  die 
Ströme  häufiger  in  einander  übergehen  und  umkehren, 
wie  z.  E.  in  der  Stipula  von  Ficus  elaStica  oder  im 
Kelchblatt  von  Chelideniam  majus.  Als  ich  Cuvier  im 
Jahr  1830  diese  Bewegung '  zu  zeigen  das  Vergnügen 
hatte,  rief  er  aus :  ^,Yoilä  une  circulation  comme  dans 
la  patte  d*une  grenoutlle/'  Dieser  Vergleich  ist  Jedoch, 
genau  so  wie  es  Cuvier  ausdrückte,  nur  von  der  Be- 
wegung im  peripherischen  System  der  Thiere  zu  ver^ 
stehen ;  eine  Bewegung  ^on  und  zum  Centrum  mit  dem 
Gegensatz  von  Arterien  und  Venenblut  findet  nicht 
Statt  und  ich  mufs,  um  den  immer  noch  wiederholten 
MifsverBtändnissen  zu  begegnen,  dafs  nämlfeh  die  Pflan- 
zenc}'klose  keine  ttahre  Cirkulatipn  sei,  weil  kein  con<> 
tinuirliches  arterielles  Und  venöses  Zu  •  und  Abströmen 
vorhanden  sei,  hieir  von  Neuem  'bemerklich  machen, 
wie  der  Ausdruck:  wahre  Cirkulation,  immer  noch  die 
alte  ganz  irrige  Vorstellung  eines  einzig  teöglichen  ein- 
fachen Kreislaufs  nach  dem  HarveyscheU  Mechanismus 
beim  Mensehen  involvirt,  während  diese  Vorstellung 
schon  auf  die  niederen  Thiere  nicht  einmal  paust  und 
man  jetzt  wohl  einsehen  sollte^  dafs  es  mehrere  Arteft 
und  Formen  von  Ciriculationen  giebt,  und  da&  die  Idee 
eines  einfbcAen  Kreislaufs  im  Thierreich  nirgends  rea- 
Ibirt  ist,  indem  bei  allen  mit  Herzen  versehenen  Thle- 


ren  eine  %u$ammet^euittB  Qfkulattort  mit  dan  fda^ 
tiv  selbststiudigen  Gegensatz  von  Pwlpheri«  und  €«■> 
trum  Torhanden  ist,  wobei  der  dna  Gegentatt  so  wakr 
bt  wie  der  andere,  fifur  mit  dei^  peripherlsehea  Qik» 
latiott  der  Thiet«  ist  der  Kreblauf  bei  den  Pflanaea 
Ton  mir  verglichen,  und  sum  Ufltersehiede  Toil  dsa 
eentraleta  Kreislauf  mit  dem  Namen  der  Cyklosa  bs^ 
zeichnet  Worden^  die  in  ihrer  Natur  eben  so  wahr  In; 
wie  die  centrale  Cirkulation  der  Thiere,  während  nur 
die  Vorstellungen  darüber  häufig  falsch' sind.  ,  Anlast 
gend  die  Cyklose  in  den  verschiedenen  Entwiekelngi. 
stufen  des  GefSlksystems  der  Pflansen^  so  ist  sie  aa 
lebhaftesten  in  den  jüngeren  contrahirten  Lel»eiiaaa{tga. 
fäfsen;  die  Schnelligkeit  nimmt  ab  in  den  expandirtm 
und  kömmt  zuletst  in  den  artikultrten  gänslieh  svai  SülL 
stand,  so  da(s  auch  der  Lebenssafit  sieh  aus  diesen  Gs* 
fäfsen  herauszieht  und  sie  leeren  Zell^nreihen  älmliel 
sehen.  Denkt  man  an  die  Ursachen  dieser  Bewegung 
so  begegnet  hier  dem  Beobachter  zuerst  die  von  si)^ 
als  erste  Lebenseigenschaft  der  Gefftfse  bezeichuete  Cea* 
traktion  und  Expansion  dieser  Organe«  W&hrend  dtr 
Beobachtung  der  Cirkulation,  in  einem  lebenden  Plaa* 
zentheil  selbst,  bemerkt  man  sie  am  Deutlichsten  «ad 
wir  haben  sie  in  dem  Memoir  als  ein  wichtiges  HUfs- 
mlttel  der  strömenden  Bewegung  kennen  gelehrt  Vo^ 
sUglich  sind  es  die  feineren  Ströme  in  den  rasa  latids 
contracta,  wo  die  Contraktion  rem  Zustande  hoehitsr 
Ausdehnung  oft  bis  Zuin  20— SOfachen  des  ursprOi^li» 
chen  Gefäfsvolumens  fortgeht  Die  Contraktioneii  und 
Expansionen  wechseln  aber  nicht  absauweise  pulsire&d, 
sondern  in  sehr  langsamen  und  unbestimmten  Zagen,  so 
dab  zwar  dieselbe  Gefäfsstelle  sich  wiederholt  ausdeh- 
nen und  wieder  zusammenziehen  kann,  aber  doeh  in  der 
Regel  die  Expansionen  an  gans  anderen  Stellen  und  in 
anderer  Reihe  wiederzukehren  pflegen.  Doch  müss^ 
wir  in  Betreff  der  Einzelnheiten  dieser  und  bescmdc^ 
der  Erscheinungen  der  besthnmten  Richtung  der  StrooM 
auf  das  Memoir  selbst  verweisen.  Auf  eins  erlauben  wir 
uns  aufmerksam  zu  machen,  nämlich  auf  die  merkwfir* 
dige  Wirkung  des  Lichts  und  die  Möglidikeit  eines  uäi* 
gekehrten  Säfteströmens  und  Wachsthums  überhaupt 
durch  die  mittelst  eines  Spiegels  von  unten  in  einen  fin- 
steren Kastun  mit  keimenden  Saamen  di'rigirten  Sonnen^ 
strahlen.^  Von  diesem  Experiment  giebt  Taf.  14«  eine 
Anschauung  durch  Abbildung« 


(Der  Besehliifs  folgt.) 


/ 1 


%M  18* 

Jahr  b  fi  c  her 

für 

wissenschaftliche    Kritik. 


Januar   1840* 


Bur  la  cirtnUatian  et  sur  leg  vqmeaua:  laticifereg 
V    dan%  les  planten.    Par  le  Dr.  C.H.  Schultz. 

(Schlafs.) 

Die  Kenntnib  eines  neuen  allgemein  verbreiteten 
Systems  von  inneren  Organen  der  Pflanzen,  wie  es  das 
System  der  LebenssaftgefäTse   ist,   konnte  nicht  ohne 
finflufs  auf  die  Ansichten   von  den  Organisationsver* 
liältnissen  der  Pflanzen  überhaupt  bleiben.     Die  Lehre 
-von  einem  aufsteigenden  und  absteigenden  Saft  und  die 
darauf  gegründete  Vorstellung  einer  Cirkulation,  die  oben 
aus  dem"  Holz  in  die  Rinde,  und  unten  wieder  aus  der 
Binde  in  das  Holz  übergehen  sollte;  die  unbestimmten 
TorstellungeU)  dafs  die  Bastzellen  Saftgefiäfse  für  den 
absteigenden  Saft  seien,  oder  wohl   gar,  dafs  ein  Bil- 
dungssaft.  frei  zwischen  Holz  und  Rinde  absteige,  em- 
pfangen von  selbst  ihr  Urtheil  durch  die  nun  vor  Augen 
liegenden  Thatsachen,  nach  denen  die  Rinde  nicht  nfin-i 
der  als  das  Holz  ein  eigenes  Gefäfssystem  enthält,  wel- 
ches den  Centralpunkt  aller  ihrer  Entwickelungen  bil- 
~   det.    In  der  That  ein  Organ  vrie  die  Rinde,  das  man 
im  Grofsen  mit  blofsen  Augen  als  ein  selbststäiidig  und 
allgemein  unterschiedenes  Gebilde  erkennt,  konnte  nicht 
die  Bedeutung  einer  blöfs  äufsern  Hülle  oder  Decke . 
behalten^^  um  so  mehr  als  schon  so  viele  Beobachtungen 
die  Ruide  als  den  wichtigsten  Quell  der  Bildungen  be- 
zeichneten, welcher  auf  eigene  Organe,  wie  die  Lebens- 
saftgefäfse  es  sind,  mufste  schliefsen  lassen.    Mit  der 
Erkenntnifs  eines  neben   dem  Spiralgefäfssystem    vor- 
handenen  eigenen  Grundorgans  in  den  Pflanzen,  wie 
wir  es  in  dem  System  der  Lebenssaftgefäfse   kennen 
lernen,  drängt  sich  von  selbst  "die  Frage  nach  demTer- 
hältnils  dieses   organischen  Systems  im  ganzen  Pflan- 
zenreic)i  auf.-    Wie  die  Stufen  und  Formen  des  Thier- 
reichs  durc|i   die  Verhältnisse  der  inneren  Organe  be« 
stimmt  werden  oder  doch,  mit  ihnen  parallel  gehen,  so 
kann  aueh  im  Pflanzenreich  ein  allgemeines  organisches 

Johrb.  f;  wUsemch,  Kritik.  J.  1840.    L  Bd. 


System  nicht  ohne  Einfiufs  auf  die  Entwickelung   der 
äufseren  Formen  desselben  sein ;  und  in  der  That  hän- 
gen  die  wichtigsten  Entwickelungsstufen  der  Pflanzen- 
organisation mit  den  Verhältnissen  des  Lebenssaftgefäfs- 
systems  zum  Spiralgefäfssystem  zusammen,  so  daifs  man 
sagen  kann,   dafs.  die  gegenseitigen  Verhältnisse  beider 
Systeme  vielmehr  diese  Entwickelungsstufen  bedingen« 
In  diesem  Betracht  erscheint  sogar  das  System  der  Cir-  • 
kulation  aLr  dominirend  und  seine  Formen  bestimmen 
die  Entwickelungsstufen  vorzugsweise,   ähnlich  wie  im 
Thierreich  das  Nervensystem  die  übrigen  Systeme  do« 
minireod  vereint.    Daher  laufen  denn  den  Haupttypen 
des  Cirkulationssystems  bei  den  Pflanzen  die  Verände- 
rungen der  gesammten  inneren  Organisation  denselben 
parallel,  wodurch  die  Typen  der  Hauptabtheilungen  des 
Reichs  gebildet  werden,  und  diese  lassen  sich  physiolo- 
gisch weit  naturgemäfser,  als  es  bisher  nach  den  Keim« 
formen  allein  möglich  war,  bestimmen.^    Es  bilden  sich 
zunächst,  entsprechend  den  beiden  ^aupttypen  der  Cir- 
kulationsformen,^  die  Abtheilungen  der  Hom  Organa  und 
der  Heterorgana;   bei  ersteren  findet  sich  die  Rotation, 
bei  letzteren  die  Cyklose  mit  dem  System  der  Lebens- 
saftgefäfse.   Iii  den  Fleterorg^ana  erscheint  zugleich  mit 
dem  System   der  Lebenssaftgefäfsis    auch  das   System 
der  äpiralgeräfse,  und  aus  diesen  beiden  Systemen  ent» 
wickelen  sich  die  zwei  mit  einander  auftretenden  und 
sich   schon  äulserlich    charakterisirenden   Organe   von 
Holz   und  Rinde,  welche  die  Hauptelemente  der  gan- 
zen Pflanzenorganisation  auf  dieser  Stufe  ausmächen. 
Beide  treten  aber  noch  in  zwei  natürlich  von  einander 
getrennten  Formen  auf.     Entweder  nämlich  Holz  und 
Rinde  (oder  Spiralgefäfs-  und  Lefoenssäftgefäfssystem) 
finden  sich  noch  in  einzelnen  Gefäfsbündeln  vereinigt,  so 
dafs  jedes  Bündel  ein  Doppelbondel  aus  Spiral-  und 
Lebenssaftgefälsen  darstellt  $  diefs  sind  die  S^norgana 
oder    verbundenorganigen    Pflanzen.      Oder    die    ur- 
sprünglich synorganischen  Bündel  vereinigen  si^h  un«' 

18 


*' 


139  Schultz^  sur  la  circulation  et  sur  les 

ter  sich  zu  einem  Kreise  von  GefäfsbQndeln,  der  nun 
eine  Doppelscbicht  Ton  Geftrsen  eutliält,  nach  innen 
die  Spiralgefafse,  nach  aufsen  die  Lebenssaftgefäfse. 
Diese  Schichten  trennen  sieh  nun  sdbststätidig  von 
einander,  die  äubere  entwickelt  sich  zum  Rindenkor- 
per,  die  innere  zum  Heizkörper;  so  dafs  jedes  der 
beiden  Systeme  zu  einer  höheren  Einheit  in  sich  ent- 
wickelt, beide  aber  von  einander  getrennt,  sich  äufserr 
lieh  als  besondere  Organe  darstellen:  diefs  sind  die 
Dichorgana  oder  getrenntorganigen  Pflanzen,  welche 
die  höhere  Entwickelungsstufe  bilden.  Ohngefähr^ 
kann  man  sagen,  entsprechen  die  Homorgana  den  Ako« 
tyledonen ,  die  Synorgana  den  Monokotyledonen ,  und 
die  Dichorgana  den  Dikotyledonen.  Diefs  hat  zum 
Theil  darin  seinen  Grund,   dafs  sich  diese  'grofsen^  na- 

'  türlichen  Gruppen  schon  durch  den  ganzen  äufseren 
Habitus  kund  geben,  und  dais  die  von  den  Keimen 
hergenommenen  Charaktere  nur  künstliche  Merkmale 
für  anderweitig  in  der  Gesammtheit  sich  unterschei- 
dende Abtheilungen  waren.  Aber  eben  deshalb  ent- 
sprechen denn  auch  die  organischen  Abtheilungen  der 
Homorgana,  Synorgana  und  Dichorgana  jenen  älteren 
Abtiieilungen  nur  ohngefahr^  aber  nicht  genau  ^  so 
dafs  die  Abtheilungen  dieselben  blieben,  vielmehr  wer- 
den  hier  nicht  nur  die  Abtheilungen  nSher    bestimmt 

^  und  ganz  anders  und  genauer  begrenzt,  sondern  es 
treten  nun  auch  die  gesammten  Yerwandtschaftsver- 
failtnisse  und  natürlichen  Uebergangsstufen ,  *  welche  in 
dem  Kotyledonensystem  nicht  verstanden  werden  kenn» 
ten  und  daher  immer  zu  Widersprüchen,  Ausnahmen 
und  Anhängseln  führen  mufsten,  in  ihrem  wahren  Zu- 
sammenhange  heraus.  Insofern  nun  die  innere  Orga* 
nisation  auch  die  Generationswerkzeuge  und  Keime 
der  Pflanzen  durchdringt  und  sich  hier  eben  so  be- 
stimmend wiederfindet,  wie  in  den  individuellen  Pflan- 
zentheilen,  werden  die  Keime  von  den  organischen 
Charakteren  auch  gar  nicht  ausgeschlossen,  sondern  im 
Gegentheil  finden  sie  fiuch  eine,  freilich  aber  unterge- 
ordnete, Stelle  und  eben  aus  der  Yerbindung  der  or- 
ganischen Verhftltnisse  der  inneren  Organisation  über- 
haupt  mit  denen  der  Generationsformen  bilden  sich  die 
zusammengesetzten  natürlichen  Charaktere ,  wodurch 
die  Abtheilungen  wahrhaft  natürlich  unterschieden  wer- 
den können.  So  lernen  wir  denn  kennen,  dafs  unter 
den  tieferen  homorganischen  Pflanzen  sowohl  solche 
mit  als   solche  ohne  Kotyledonen  der  Keime  vorkom* 


vaüeeaux  latieiferee  dane  he  platitee*  140 

men,  z.  B.  Moose   und  Entengrütze,  und  dal«    unter 
den  sogenannten  Akotyledonen  hinwiederum  einige  hom- 
organische  aber  auch  andere  viel  höher  stehende  eyn* 
organische  sich  finden,  die  doch  oflfenbar,  wie  die  Far- 
ren  und  die  Flechten,  nicht,  zu  einer  natürlichen  Klasse 
gerechnet  werden  können.    So '  giebt  es  synorganisdie 
Pflanzen,   die  zu  den  Monokotyledonen  gehören,    aber 
auch  andere,  wie  der  Pfeffer  und  der  Fuchsschwanz, 
mit  zw^i  Kotyledonen,  und  hinwiederum  gehören  zu 
der  Abtheilung    der   Monokotyledonen  viele   PflaDzen 
von  dichorganischer  höherer  Struktur.    In  dieser  Be- 
ziehung stand  die  botanische  Systematik  bisher  auf  der 
Stufe,   wie    die  Zoologie  zu   der  Zeit,   wo    man  üit 
Wallfisehe  zu  den  Fischen,   die  Fledermäuse   zu  des 
Tögeln  und  die  Amphibien  als  vierfufsige  Tfalere  zt 
den  Säugethieren  rechnete,   und  nachdem  man   dieses 
eingesehen,   wird    man    sich    immer    bequemen     muf- 
sen,  die  Pflanzenorgauisation   im  Grofsen  und   in  ib- 
rem  natürlichen  Zusammenhange  mit  der  Entwickelung 
des  Pflanzenreichs  anzuschauen,  um  natürliche  Unter* 
sciüede,  die  sich  von  Aufsen  schon  dem  blolsen  'Auge 
aufdrängen,  auch  in  ihren  inneren  Quellen  zu  erkennen. 
Vieles  ist  hier  noch  zu  thun  und  wir  begnügen  um 
auch  nur  den  Anfang  gemacht  und  die  Grundsüge  ei- 
ner unabweislichen  Richtung  der  Wissenschaft  ange- 
deutet zu   haben,    zu  deren  weiterer   Ausbildung   dis 
von  der  franz.  Akademie  der  Wissenschaften  ertlieilte 
Anerkennung  nicht  minder  als  die  nunmehrige  Heraus- 
gabe des  Memoirs  das  ihrige  beitraget!  werden. 

Dr.  CiL  Schultz. 


XL 

JReüe  um  ßie  Erde  durch  Nord  -  Asien  und  die  . 
beiden  Oceane  tn  den  Jahren  1828,  1829  ut$d 
1830  ausgeführt  von  Adolph  Er  man.  Zweite 
Abtheilung:  Physikalische  Beobachtungen.  Er- 
ster  Band.  Ortsbestimmungen  und  Declina^ 
tionsbeobachtungen  auf  dem  festen  Lande. 
Berlin^  1835.  verlegt  bei  Q.  Reimer. 

Der  Verf.  des  vorliegenden  Werkes  spricht  in  der 
Vorrede  den  Zweck  aus,  welchen  er  bei  der  Unteiiieh« 
mung  seiner  Reise  und  der  Herausgabe  der  Resultate 
vor  Augen  hatte.  Er  bedient  sich  dabei  des  Bildes 
von  einer  Eroberung  des  Gebiets  des  Erd-Magnetis- 


141 


Erman^  Reue  um  die  Erde.     Zweite  Abtheüung. 


142 


mus,  nachdem  es  Vorher  nur  aufgefunden  .war,  und 
sueht  im  voraus  den  Verdacht  eines  Mangels  an  Thä« 
tigkeit  Ton  sich  abzulehnen,  wenn  man  einen  solchen 
wegen  der  geringem  Ansah!  von  Ortsbestimmungen  auf 
ihn  werfen  sollte.  Hierauf  bemerken  wir,  um  in  sei« 
Dem  Bilde  zu  verharren,  dafs  es  zur  Eroberung  eii^es 
Landes  mehr  beitragen  wird,  wenn  man  eine  gerin* 
gere  Anzahl  wohl  vertheilter  Punkte  in  demselben  ge- 
hörig  befestigt^  als  wenn  man  xu  viel  Orte  auswählt 
und  defshalb  keinen  von  ihnen  mit  bedeutender  Festig- 
kelt  anlegen  kann.  Es  konnte  daher  nach  unserer  Au* 
sieht  nur  die  Aufgabe  des  Yerfs.  sein,  die  vorhande- 
nen Bestimmungen  so  genau  zu  geben,  als  ilie  Um- 
stände es  gestatteten  und  lieber  eine  kleinere. und  ge- 
naue Anzalil,  als  eine  grofse  und  weniger  sichere  her- 
zustellen. Als  hindernden  Umstand  führt  er  an,  dafs 
er  bei  der  Beleuchtung  des  Instruments  von  der  Hülfe 
des  begleitenden  Kosacken  iibgehangen  habe.  In  so 
fem  das  Werk  zur  Belehrung  künftiger  Reisenden  die- 
nen sollte,  nioge  bemerkt  werden,  dafs  die  Beleuchtung 
am  besten,  namentlich  fester  erfolgen  wird,  wenn  man 
sich  mit  einem  einfachen  Gestell  versieht,  an  welches 
die  zur  Erleuchtung  dienende  Li^teme  befestigt  werden 
kann.  Dasselbe  mufs  so  eingerichtet  sein,  dafs  die 
letztere  ohne. Mühe,  Je  nach  der  Lage  des  Fernrohrs 
'hoher  oder  niedriger  zu  stellen  \%\. 

.     Der  Hr.  Verf.   spricht  in  der  Einleitung  zunächst 
über  die  einzelnen  Aufgaben ,   welche  er  durch  seine 
Beobachtungen  zu  lösen  hatte,  als  die  Bestimmung  der 
Uoclinatlon,  Inclination  und  Intensität  de»  Magnetismus 
an  den  einzelnen  Orten  und  führt  die  Instrumente  auf, 
mit  denen  er  isich  zur  Erreichung  dieser  verschiedenen 
Zwecke  ausgerastet  hatte.    Von  dem  gröfsten  Gewichte 
war  unter    denselben   das   Passage -Instrument,   durch 
welches  zunächst  die  Zeit  der  Beobachtung  nach  den 
Methoden  ermittelt  wird,  deren  man  sich  auch  auf  den 
festen  Sternwarten  zu  bedienen  pflegt.    Durch  dieselbe 
Beobachtung   vird   das    Azimut,  des    Instruments    be- 
stimmt,  dessen  man  bedarf,  um  die  magnetische  Decli- 
nation,  d.  b.  die  Abweichung  der  Richtung  der  Magnet- 
nadel  von    der  Ebene    des  Meridians   zu   bestimmen. 
Zur  Festsetzung  der  Inclination  bedarf  man  der  PoU 
höhe  und  glücklicherweise  hat  Beseel  in    der  neuern 
Zeit  gezeigt,   wie  man  ein ~ solches  Instrument,   durch 
Aufstellung  semes  Fernrohrs  im  ersten  Vertikal,   zur 
genauen   Herleitung   dieses  Elements   benutzen   kann. 


Auf  diese  Weise  wird  die  Polhohe  mit  einer  grofsen 
Genauigkeit  erhalten,  wie. man  aus  den  neuem  be- 
treffenden  astronomischen  Schriften  genügend  ersehen 
kann«  Nachdem  diese  beiden  Bestimmungen  gemacht 
sind,'  ergibt  -sich  die  magnetische  Dedination  unmitteU 
bar  durch  Verbindung  einer  Boussole  mit  dem  Passage- 
Instrument.  Da  in  der  Folge  ein  Reisender,  welöher 
denselben  Zweck  wie  der  Verfasser  erreichen  oder  der 
auch  nur  as^onomische  Ortsbestimmungen  zu  inachen 
gedenkt,  wenn  es  angeht,  sich  mit  einem  solchen  Pas« 
sage -Instrument  ausrüsten  wird:  so  scheint  es  ganz 
zweckmäfsig,'  dafs  sich  die  Beschreibung  dieses. Appa« 
^ats  in  gehöriger' Ausführlichkeit  im  Werke  vorfindet 
Dieselbe  reicht  hin,  um  jeden;  der  ein  solches  Instru- 
m^nt  noch  nicht  unte^r  Händen  gehabt  hat,  mit  dem« 
selben  vertraut  zu  machen. 

Von  der  7ten  Seite  an  beschreibt  der  Verfasser 
das  Instrument  nach  seinen  einzelnen  Theilen  und  zeigt 
z*  B.  auf  der  14ten  Seite  u.  d.  f.,  wie  man  einen  etwa 
stattfindenden  Fehler  in  der  Lage  der  Axen  unschäd- 
lieh  machen  könne.  Bei  \em  von  ihm  gebrauchten  In* 
Strumente  hatten  die  Zapfen  nahe  gleiche  Durchmes- 
ser und  und  eine  Verschiedenheit  der  Zenitdistanz 
übte  ebettfalb  keinen  merklichen  Einfiufs.  Sollte  diefs 
bei  einem  andern  Instrument  nicht  ,d^r  Fall  sein,  so 
kann  man  nach  den  im  Werke  angegebenen  Formeln 
die  Correction  bestimmen,  welche  aus  diesem  Grunde 
an  den  Angaben  des  Niveau  anzubringen  sind.  Die 
gehörige  Berichtigung  des  letztern  ist  bei  Beobachtun- 
gen dieser  Arr  von  der  gröfsten  Wichtigkeit  und  die 
Erfahrung  lehrt,  dafs  Unterschiede  in  den  einzelnen 
Beobachtungsresultaten  häufig  in  einer  mangelhaften 
Bestimmung  der  Neigung  ihren  Ursprung  haben.  Der 
Verfasser  zeigt  daher  Pag.  17  und  18,"^  wie  man  die- 
selbe bis  auf  ein  Minimum  vermindern  könne,  was  bei 
der-  Anwendung  der  später  folgenden  Correotionsfor- 
mein  stets  vorausgesetzt  wird. 

Hierauf  betrachtet  der  Verfasser  die  Verbindung 
der  magnetischen  Beobachtungen  mit  den  als  ausge- 
führt .  angenommenen  astronomischen.  Eine  Boussole 
tritt  an  die  Stelle  des  Fernrohrs  am  Passage -Instru- 
ment und  die  Einrichtung  muGs  so  getroffen  sein,  daOs 
die  vorher  bestimmte  Neigung  und  Azunut  unverän- 
dert bleiben,  damit  man  die  Angaben  der  Boussole 
auf  sie  beziehen  könne.  Von  Seite  21  an  werden, 
analytische  Betrachtungen  über  die  Intensität  und  Rieh- 


143 


ErmoH^  Reise  um  die  Erde.    SSweite  Abtheilunff* 


II 


CuBg  der  beiden  hier  wirksamen  Kräfte  angestellt,  des 
Magnelismus  und  der  Sohwere  (letztere  ^uf  die  Ma* 
gnetdadel  wirkend).  Der  Yerfasser  uptersuebt  die  Re- 
lationen Ewisehen  beiden  auf  eine  weit  allgemeinere 
Weise,  als  es  zur  vorliegenden  Anwendung  Qothig  ist 
und  das  hier  Mitgelheilte  wird  für  viele  um  so  lehr- 
reicher sein,  als  unseres  Wissens  dieser  Gegenstand 
noch  nicht  anderweitig  öffentlich  besprochen  worden 
ist  Für  solohe  Leser,  die  grade  mit  den  hierher  ge- 
hörigen Sätzen  der  Statik  nicht  sehr  vertraut  sind, 
würde  eine,  wenn  auch  kurz  gefafste  Herleitung  der 
drei  BedUigungsgleichungen  des  Gleichgewichts  gewils 
willkommen  gewesen  sein.  Dasselbe  gilt  von  den  drei, 
glei<5h  hernach  folgenden,  Gleichungen,  die  sich  auf 
Transformation  der  Coordinaten  beziehen.  Hier  hätte, 
wenn  wir  nicht  irren,  bemerkt  werden  sollen,  dafs  die 
Entfernung  des  Magnetpunktes  vom  Umdrehungspunkte 
der 'Einheit  gleich  zu  setzen  sei.  Diese  ganze  Ent« 
Wickelung^  hätte  etwas  ausführlicher  sein  können ,  für 
die  davon  gemachte  Anwendung  ist  das  Gegebene  hin- 
reichend* So  zeigt  der  Yerfasser  von  Seite  24  bis  35, 
wie  man  einer  mangelhafteit  Horizontalität  der  Nadel 
und  der  Collimation  abhelfen  können;  Der  erstem  we» 
gen  werden  Zusatzgewichie  angebracht,  die  letztere 
durch  Rechnung  verbessert  und  auf  deu  Seiten  31  und 
35  finden  «ich  die  Werthe  derselben,  welche  im  Ver- 
lauf der  Reise  in  Anwendung  gekommen  sind.  Die 
Auseinandersetzung  der  vorzunehmenden  Operationen 
•erscheint  uns  ganz  klar  und  wir  glauben,  jeder  an- 
dere Leser  wird  nach  aufmerksamer  Durchlesung  die- 
ses Abschnitts  ebenfalls  in  den  Stand  gesetzt  werden, 
diese  Operationen  am  Instrument  vorzunehmen,  theils 
um  dieses  zu  untersuchen,  theils  um  sich  mit  dem  Ge- 
brauch desselben  vertraut  zu  machen. 

Yen  Seite  35  an  setzt  der  Verfasser  das  Verfah- 
ren auseinander,  welches  er  bei  Bestimmung  der  Zeit, 
der  Polhöhe,  des  Azimut  und  des  CoUimationsfehlerB 
angewandt  hat  Er  hat,  wie  er  selbst  bemerkt,  das- 
selbe der  Abhandlung  Beeeete  entlehnt  und  solche  Le- 
.ser,  denen  die  hier  gegebenen  J^Iittbeilungen  nicht  ge- 
ikugen,  können  sich  daher  durch  jene  weiter  beleh- 
ren. Auf  der  Seite  41  finden  sich  die  Ablesungen  am 
Niveau  zum  Behuf  der  Werthbestimmung  der  einzel- 


nen Niveautbeile.  Der  Verfasser  schiebt  di»  manf;^ 
hafte  Uebereinstimmung  der  Mitfelwerthe  auf  die  nici 
ganz  feste  Aufstellung  des  gebrauchten  Wiakelinstn 
Qients.  Es  wäre  wünschenswerth  gewesen,  dais  e 
diesen  hindernden  Umstand  später  beseitigt  hfitte,  eal 
weder  durch  Anwendung  eines  %  andern  festen  Winkel 
Instruments,  oder  einer  andern  einfachen  Yorrichtviif 
zur  Bestimmung  des  Werthes  der  einzelnen  Nirea» 
theile.  Hierdurch  wurde  er  Gewifsheit  darüb^  er- 
langt haben,  dafs  sie  unter  sich 'gleich  waren,  da  sebei 
Fälle  vorgekommen  sind,  wo  bei  einem  aonst  ^tco 
Niveau  ein  einzelnes  Intervall  falsch  getheilt  wcur.    D« 

■  

Verfasser  hat  den  Mittelwerth  aUer  Beslimmunggi  an- 
gewandt und  sich  so  der  Wahrheit  zu  nahem  ge. 
sucht.  Günstiger  war  er  bei  der  nun  folgenden  Be- 
stimmung der  Fadeointervalle  gestellt,  indem  die  beob- 
achteten  Zwischenzeiten  selir  nahe  mit  den  direct  g^ 
messenen  Entfernungen  übereinstimilaen  mufsten« 

Bei  der  von  Seite  43  an  erläuterten  Berechmiag 
hatte  der  Verfasser  sich  der  Unterstützung  des  Henz 
Directo^  Herter  zu  erfreuen,  eines  Mannes,-  der  audi 

m 

durch  anderweitig  ausgeführte  Rechnungen  etwas  Be* 
deutendes  geleistet  hat.  Seine  Mitwirkung  kann  die 
Sicherheit  der  gewonnmien  Resultate  nur  bedeutend  er- 
höhen. Der  lästigste  Theil  der  Rechnung  muCs  die 
Aufsuchung  der  betreffenden  Sterne  gewesen  stia  uad 
da  das  angewandte  Verfahren,  nach  der  VersieheroDg 
des  Verfassers,  dem  beabsichtigten  Zweck  entsproehea 
hat,  dürfte  es  auch  bei  künftigen  ähnlichen  Operatio- 
nen zu  empfehlen  sein*  Ueber  die  weiter  folgende  Be- 
rechnung ist  wenig  zu  bemerken,  einzelne  Yortheile 
wird  jeder  Rechner  selbst  noch  herausfinden  können. 
Die  scheinbaren  Oerter  der  Sterne  hat  der  Verfasser 
nach  den  Formeln  hergeleitet,  bei  denen  die  Stemzeit 
als  Argument  zu  Grunde  liegt  und  die  nöthigen  Ele- 
mente sich  in  den  Tabb.  Reg.  finden.  Im  Fall  ein- 
zelne scheinbare  Stemörter  zu  finden  sind,  empfehlen 
wir  zur  ControUe  eine  doppelte  Rechnung  utoAiBeseeti 
Formeln,  wozu  die  nöthigen  Data  im  Berliner  astroao- 
jnbchcn  Jahrbuch*  enthalten  sind  und  wobei  einmal  die 
Sternzeit,  ein  andermal  die  entsprechende  mittlere  Zeit 
als  Argument  dient. 


(Der  Beschlufs  folgt.) 


c^  19. 

Jahrbücher 

für 

^iv  i  8  8  e  n  s  c  h  af  tl  i  c  h  e    Kritik, 


Januar  1840* 


Reise  um  die  Erde  durch  Nord-A^kn  und  die 
beiden  Oceane  in  den  Jahren  1828^  1829  und 
1830  ausgeführt  von  Adolph  Er  man. 

(Schlufs.) 

Auf  den  Seiten  54  bis  57  sind  die  von  Gaaji  auf- 
gestellten Formeln  zur  Anwendung  der  Methode  der 
,  kleiusteü  Quadrate  mitgetbeilt,  wozu  Ene^e  eine  Con- 
tooUe   mittelst  des  s  (Seite  57)  gefügt  hat.     Denjeni- 
gen Lesern,  weld^  diese  Methode  ausführlich  kennto 
SU    lernen   wünschen,,  dürften  die  Abhandlungen  des 
Letztem    im    astronomischen  Jahrbuch   von   1834  bis 
1836  zu  empfeUen  sein.    Die  hierauf  als  Beispiele  an- 
geführten Rechnungsschemata  werden  für  jeden  lehr- 
reich sein,  dem  es  an  Uebung  im  numerischen  Calcül 
mangelt.' '  Ob  der  .Verfasser  nicht  bei  Anwendung  von 
Logarithmentafeln  mit  weniger  Decimalen,  etwa  sechs- 
ziffrigen,  Zeit  hätte  ersparen  köonen,  ohne  der  (venau- 
igkeit  der  Resultate  zu  grofsen  Abbruch  zu  thun,  diefs 
ist  eine  Frage,  deren  Beantwortung  nicht  mehr  nothig 
bt.  nachdem  derselbe  einmal  die  bedeutende  Zeit  dar- 
an  gewandt  hat. 

Wie  die  Polhohe,  der  Stand  der  Uhr  aus  Son- 
nenbeoJbachtungen  und  gegen  mittlere  Zeit  berechnet 
worden,  zeigt  der  Verfasser  auf  den  folgenden  Seiten 
bis  74.  Hierüber  ist  wenig  zu  bemerken,  ^weckmä- 
fsig  sind  überall,  wo  es  anging,  die  Tabb.  Reg.  zur 
Reduetion  benutzt  worden,  ein  Werk,  welches  gegen- 
wärtig im  Stande  ist,  gleichförmige  Resultate  der  Beob- 
achtungen und  so  auch  gleichförmige  Yerbesserungen 
der  Elemente  zu  verschaffen. 

'    In  dem  Abschnitt  von  Seite  77  bis  243  findet  sich 
eine  Zusammenstellung   der  Beobachtungen   am  Pas- 
sage-Instrument,  begleitet  von    den   Hauptmomenten 
-  ihrer  Berechnung  und  deb  Resultaten.    Bei  den  lelz- 
tem  würde  die  Angabe  des  wahrscheinlichen  Fehlers 
Jahrb.  f.  wiuentch.  KrUüs.  /.  1840.   1.  Bd: 


eine  passende  Stelle  'gefunden  haben,  während  ^ier 
Yerfasser  denselben  in  den  nachfolgenden.  Erläuterun-  : 
gen  mittheilt.  Sonst  scheint  uns  die  Fassung  dieses 
Abschnitts  ganz  zweckmäfsig  zu  sein.  Die  Angabe 
der  angenommenen  Werthe  erleichtert  eine  Yerbesse- 
rung,  welche  später  wegen  genauerer  Bestimmung  der- 

^  selben  nothwendig  werden  konnte.  Bei  der  Durch- 
sicht der  Resultate  fiel  uns  die  starke  Yeränderlich- 
^eit  des  Collimationsfehlers,  selbst  an  demselben  Orte,, 
auf.  Es  scheint  nicht,  dafs  derselbe  wirklich  am 
Instrument  so  stattgefunden  habe,  sondern  die  beobach- 
teten Gestirne  ihn  nur  nicht  genauer  geben  konnten. 
Was  den  Einflufs  desselben  auf  die  Resultate  betrifft, 
sOi  ist  derselbe  durch  das  Umlegen  des  Femrohrs  un- 
schädlich gemacht  worden,  genauer  würde  er  selbst 
bestimmt  worden  sein,  wenn  der  Polarstern  jedesmal 
in  der  beiderseitigen  Lage  des  Instruments  hätte  beob- 

'  achtet  werden  können.  Die  Polhöhenbestimmung  vofi 
Tobolsk  Pag.  121  hat  der  Yerf.  offenbar  nur  mitge- 
theilt,  um  seinem  Grundsatz,  keine  Beobachtung  zu 
verschweigen,  getreu  zu  bleiben.  Dieselbe  kann  we- 
gen der  mangelhaften  Kenntnifs  der  Neijgung  keinen 
YTerth  haben,  da  es  sehr  schwer  sein  dürfte,  die 
Gröfse  der  letztem  in  der  Zwischenzeit  von  3^  39'  bis 
3^  46'  zu  bestimmen.  Die  aus  dieser  Beobachtung  her- 
vorgehende Polhöhe  weicht  auch  bedeutend  von  den 
beiden  andern  Bestimmungen  vom  4.  u.  7.  November 
ab,  die  unter  sich  trefflich  überemstimmen. 

Die  Zusätze .  und  Bemerkungen  von  Sehe  244  bis 
305  gehören  wesentlich  zu  den  vorhergehenden  Resul- 
taten. Sie  enthalten  theils  Belege  zur  Feststellung 
des  jenen  beizulegenden  Gewichts,  theils  anderweitige«  . 
ohne  Passage  -  Instrament  erhaltene ,  Bestimmungen. 
Zu  den  letztern  gehören  Zeit-  und  Polhöhenbestim- 
mungen  am  Katerschen  Kreise  und  vermittelst  des  Sex- 
tanten, Längenbestimmungen  aus  Mondhöhen  und  Ab- 

19 


147 


Ermany  Reise  um  die  Erde.     Zweiie  Abiheüung. 


14 


standen  des  Mondes  tön  der  Sonne«  Die 'so  erhalte- 
nen  Resultate  scheinen  keine  greise.  Sicherheit  eu  ha- 
ben, wie  E.  B.  aus  der  Längenbestimmung  von  Kosui^ 
rewsk  Seite  299  zu  ersehen  .ist. 

Es  folgt  nun  eine  kleipe  Reihe  von  LSngenbe- 
Stimmungen  durch  Monds  -  Culminationen«  Der  Verfas- 
ser bemerkt  sehr  richtig,  dafs  die  erhaltenen  Resultate 
nicht  die  Genauigkeit  haben  können,  welche  man  auf 
festen  Sternwarten  oder  an  solclien  Orten  erlangen 
kann,'  wo  man  gehörige  Vorbereitungen  eu  treffen  im 
Stande  ist.  Er  hätte  noch  hinEufilgen  können,  dafs 
dergleichen  isolirte  Resultate  auch  für  feste  Sternwar- 
ten keine  Sicherheit  gewähren,  wie  man  aus  den  cor- 
respondirenden  Monds-Culminalionen  ersielit.  Bei  die- 
sen, mag  die  Ursache  der  grofsem  Abweichungen  in 
einer  verschiedenen  Vergröfserung  des  Mondhalbmes* 
sers  in  den  einzelnen  Fernröhren  eu  suchen  sein,  wäh- 
rend man  iha  bei  der  Berechnung  als  absolut  gleich 
und  nur  in  so  fern  als  verschieden  annimmt,  als  die 
Entfernung  des  Mondes  von  der  Erde  in  der  Zwischen- 
zeit der  Beobachtungen  sich  ändert.  Sollte  man>  nicht 
vielleicht  durch  Beobachtung  der  Culminationszeiten 
zweier  deutlicher  und  bekannter  Mondflecke  ein  Hülfs- 
mittel  erhalten,  um  die  verschiedene  Schätzung  des 
Mondhalbmessers  bestimmen  eu  können?  Im  vorlie- 
genden  Falle  mufste  die  Unsicherheit  der  Bestimmun- 
gen dadurch  wachsen,  dafs  statt  correspondirender  Be- 
obachtungen nur  die  Tafeln  anzuwenden  waren  und  so 
der  Fehler  der  letztern  in  den  Resultaten  enthalten  ist. 
Unterschiede  von  13,''3  bis  57/'l  in  den  Längenbestim- 
mungen  von  Erman  und  andern  Beobachtern,  welche 
sich  von  Seite  310  bis  330  finden,  scheinen  uns,  mit 
Rücksicht  auf  die  bemerkten  Umstände,  nicht  eu  grofs 
EU  sein. 

Die  nun  foIgendenLSngenbestimmungen  durch  Chro- 
nometer lassen  sich  nicht  nach  dem  Mafsstabe  beurthei- 
len,  welchen  man  bei  derartigen  Operationen  mit  meh- 
reren^ guten  Chronometern  und  auf  bequemen  Wegen 
anzuwenden  ^  pflegt«  Als  nothwendige  und  Eugleich 
hinreichende  Anzahl  wohl  regulirter  Chronometer,  die 
zu  einer  solchen  Bestimmung  angewendet  werden  soll- 
ten,  betrachten  wir  die  Zahl  drei,  da  bei  zweien  eine 
Abweichung  ungewiGs  läCst,  welches  von  beiden  seinen 
Gang  geändert  habe.  Dem  Verfasser  stand  nun  eigent* 
lieh  nur  sein  einzelnes  Chronometer  Kessels  1253  zu 


Gebot,  indem  das  Boxchronometer,    welches 
Zeit  lang  mit  benutzen  konnte,  sieh  jenem  keinesure^ 
ansehlob.    Aber  auch  das  Register  des  erstem    se%l 
dafs  sein  Gang  durchaus  nicht  gegen  Liegen  und  Fak 
ren  gleichgültig  war.     Während  es  in  der  Ruhe  Be)s 
oder  weniger  regelmäfsig  voreilt,  bleibt  es  am  24.  April^ 
3.  Mai  und  15.  August,  nachdem  es  gefahren  ^j^ordea, 
zurQck  (Seite  333).    Einen  grofsen  EinfluCs  mag  ^- 
ter  der  sehr  bedeutende  Temperaturwechsel  ausgeuk 
haben«    Der   Verfasser    seheint  dennoch    trots    diestr 
Schwierigkeiten  manches  Befriedigende  geleistet  s«  hi- 
ben,  indem  er  z.  B.  die  Länge  von   TebolsA   dank 
Zeitübertragung  zu  4*^  23^  3r',0  bestimmt,  die  von  do 
Bestimmung  Chapp^e  4^  23"  45'',2  nicht  viel   abwciek. 
Dafs  die  nach  demselben  Orte  übertragene  Länge  fei 
Bereeow  mehr  abweicht,  darf  nicht  verwundem,  inden 
die  letztere  selbst  bolirt  dasteht  und  keinesweges 
troUirt  ut.    Hätte  der  Verfasser,  wie  im  Anfange 
ner  Reise,  auch  später  feste  Punkte  zur  Controlle  ge- 
habt, oder  sich  solche  durch  wiederholte  Bestimmuli- 
gen  vermittelst  Monds-Culmmation  schaffen  können,  ss 
wurden  die  durch  das  Chronometer  erhaltenen  Längen 
gröfseres  Gewicht  haben,    als  jetzt    ihnen   zuerkannt 
werden  kann.  '  * 

Bei  der  Betrachtung  der  im  folgenden  Abschnitt 
zusammengestellten  Höbenmessungen,  welche  grobteo- 
theils.  mit  dem  Barometer  ausgeführt  sind,  wiederiiolt 
sich  die  Erscheinung,  welche  bei  barometrischen  Nird- 
lements  nicht  mehr  auffallen  kann.  Bedeutende  Unter- 
schiede finden  zwischen  den  Resultaten  des  Yerfassen 
und  denen  anderer  Beobachter  und  auch  zwischen  den 
erstem  allein   statt,  je  nachdem  die  zu   bestimmende 
Höhe  aus  der  Vergleichung  mit  dem  einen  oder  andern 
Orte  hergeleitet  worden  ist.    In  Bezug  auf  den  letz- 
tem Umstand  fuhren  wir  als  Beispiel  die  Hohe   von 
Pomorania  Pag.  352  an.    Aus  der  Vergleichung  mit 
Danzig  ergiebt  sich  die  Lage  5,6  Toisen  wUer^  mit 
ßfitau  16 fi  Toisen  über  dem  Meerei    Baa  angesetzte 
Mittel  von  5  Toisen  über  dem  Meere  hat  offenbar  eine 
sehr  geringe  Wahrscheinlichkeit     Von  Seite  356  bis 
359   behandelt  der  Verfasser  die  Höhe    von  Kaeam, 
Aus  der  Vergleichung  siebenjähriger  mittlerer  Baromtf* 
terstände   mit  den    entsprechenden    von  'Danxig  und 
Mitau   findet   derselbe   die  Höhe   des  Barometers  in 
Kasan  16,3  Toisbn  über  dem  Meere,  während  KHorr 


149 


Ermäuj  Reise  um  die  Erde.    Zweite  Abtheüung. 


150 


hierfür  den  Werth  31,2  ToLsen  angiebt.    Der  Verfas- 
ser  giebt  einen  Erklärungtgrund  für.  diesen  Untersehied 
all  und  hält  sein  Resultat  für  das  riehtigere,  wogegen 
eine  neqere  Bestimmung  in  dem  Werke :  „Mineraliscli« 
geognostische  Reise  nach  dem  Ural  u.  s.  w.  von  Gu- 
stav   Rose.    Berlin  1837."  auf  Seite  639 .  diese  Höhe 
SB  30,1  Toisen,  also  nahe  wie  Knarr  angiebt.    Ferner 
seigt  sich  noch  folgender  Unterschied  in  beiden  Werken. 
Erman  setzt  den  Niveauunterschied  zwischen  dem  Uni- 
versitäts  -  Gebäude  imd  dem  Wolgaspiegel   nach  dem 
Nivellement  von  1824  »  11,8  Toisen,  während  der- 
self>e,  «ach  derselben  Quelle,  in  dem  genannten  Werke 
es  21,2  Toisen  angenommen  wird.    Der  letztere  Tirurde 
nach  JErman  den  Wasserspiegel  der  Wolga  bei  K^- 
san   zu  4,9  Toisen  unter  dem  Meeresspiegel  ergeben. 
Wahrscheinlich  hat  der  Verfasser  die  nölhigen  Correc- 
tionen  an  den  Barometern  nicht  angebracht,   nach  de- 
ren  Benutzung  die  neueren  Bestimmungen  erst  gewon- 
nen sind«    Ueber  die  verschiedene  Niveaudifferenz  in 
Kasan  selbst  dürfte  eine  zu  gebende  Aufklärung  nicht 
unerwünscht  sein.    Betrachtet  man  diese  Unterschiede 
an   einem  Orte,  für  welchen  mehijährige  correspoudi- 
rende  Beobachtungen  zur  Benutzung  vorhanden  waren, 
so  kann  ein  grofserer  Zweifei  an  der  Zuveilässigkeit 
der  meistens  isolirt  .erhaltenen  Höhenbestimmun^en  ent- 
stehen.   Am  sichersten  dürfte  man  wohl  noch  verfah- 
ren» wenn  man  dieselben  blob  als  beiläufig  erhaltene 
.  relative  Unterschiede  ansähe,  deren  absolute  Werthe 
einer  Verbesserung  bedürftig  sein  mögen.    Das  Verfah- 
ren, nach  welcheip  der  Verfasser  Pag.  359  aus  einem 
gleichmäl^igen  Gefälle  der  Wolga  und  dem  für  eine 
tStrecke  ihres  Laufes  gefundenen  Werthe  desselben  auf 
das  Niveau  des  Caspischen  Meeres  schliefst,  ist  thepre- 
tisch  höchst  interessant,  in  Bezug  auf  die  Praxis  kann 
das  gewonnene  Resultat   wohl    von   keinem   Werthe  , 
sein,  weshalb  der  Verfasser  dasselbe  auf  der  Seite  407 
auch  nicht   ohne  das  Zeichen  der  Unsicherheit   hätte 
auffuhren^  sollen.    Schliefslich  bemerken  wir  noch,  dafs 
.  der  Verfasser  bei  denjenigen  Höhenbestimmungen,  die 
aus  mehljährigen  ßarometerbeobacbtungen  erhalten  wor- 
den sind,  den  wahrscheinlichen  Felüer  des  angesetsten 
Mttelwerthes  hätte  beifügen  können. 

Am  Ende  des  Werkes  findet  sich  eine  tabellari- 
sche Zusammenstellung  der  gewonnenen  Resultate ;  hier 
sehemt  uns  ein  Idein^r  JFehler  in  der  Form  bemerkens- 


werth. .  Der  Verfasser  hat  an  solchen  Orten,  wo  er 
•  nur  die  magnetische  Dedination  mehrmals  bestimmt 
hat,  die  Länge,  Breite  und  Höhe  immer  wieder  aufge- 
führt, woraus  mancher  Leser  schliefsen  könnte,  da£i 
dieses  eben  so  viele  einzelne  Bestimmungen  der  letz- 
tern GrQfsen  seien.  Hiernach  diirfte'^  derselbe  sich  ver- 
leiten lassen,  diesen  Werthen  ein  gröfseres  Gewicht 
beizulegen,  als  sie  der  Natur  der  Sache  nach  ver- 
dienen. *  .  " 

Nachdem  wir  so  den  Inhalt  des  Werkes  übersicht- 
lich betrachtet,  erlaubt  sich  Referent  zum  ScUuIs  fol- 
gendes individuelles  Urtheü  ober  dasselbe  auszuspre- 
chen. Die  Hauptaufgabe,  die  magnetische  Dedination 
für  eine  Anzahl  Orte  zu  bestimmen,  hat  der  Verfasser 
in  einem  bedeutenden  Maafse  gelöst,  indem  sich  für 
nahe  60  Orte  diese  Bestimmung  vorfindet  und  letzteref 
wegen  des  angewandten  Beobachtungsverfahrens  alles 
Vertrauen  verdient.  Den  in  noch  grofserer  Anzahl  ge- 
wonnenen Breitenbestimmungen  kann  ebenfalls  ein  be- 
deutendes Gewicht  beigelegt  werden.  Dagegen  dürften 
die  Längen-  und  Höhenbestimmungen  nur  bedingtev- 
weise  als  richtig  angenommen  werden  und  können  bei- 
de in  der  Folge  durch  wiederholte  Bestimmungen  eine 
Correction  erleiden.  Für  die  Bestätigung  der  erstem 
ist  im  Laufe  dieses  Jahres  ein  Mittel  geboten,  indem 
im  März  eine  in  ganz  Asien  und  dem  europäischen  ^ 
'Rufsland  sichtbare  ringförmige  Sonnenfinstemifs  ein- 
tritt Möchte  die  Russische  Regierung  sich  doch  be- 
wogen fühlen,  diese  Gelegenheit  durch  Aussendung  der 
nötliigen  Beobachter  zu  benutzen !  —  Aufser  den  eben 
kurz  beurtheilten  Resultaten  enthält  das  Werk  eine 
Darstellung  des  Beobachtungs-  und  Rechnungsverfah- 
rens, und  diese  wird  unbedingt  für  viele  Leser  interes- 
sant und  belehrend  sein. 

Wolfers. 


xn. 

Italia^  herausgegeben  von  Alfred  Reumont. 
Zweiter  Jahrgang,  Berlin^  1840.  Verlag  von 
Alexander  Duncker.  VI.  327  S.      '     , 

Es  ist  gewifs  als  ein  höchst  erfreuliches  und  dan- 
kraswerthes  Unternehmen  des  Hrn.  Dr.  R^mont  atizu- 
erkennen, wodurch  es  ihm  gelungen  ist,  eine  Anzähl 


151  lUumonty  Itäliam  ^ 

von  deutschen  Literaten^  in  so  weit  sieh  ihre  Stadien 
oder  Dichtungen  auf  Italien  beziehen,  unter  dem  Na* 
men  dieses  Landes  eu  vereinigen,  den  jQngeren  unter 
ihnen  ein  gemeinsames  Lokal  für  Arbeiten  geringe- 
ren Umfanges  dareubieten  uad  damit  allen  Freunden 
ItiEdiens  eine  Gabe  zu  reichen,  worin  das  Lehrreiche 
mit  dem  Unterhaltenden  verbunden  ist,  und  die  Ver- 
schiedenheit  der  Gegenstände  und  der  Behandlung  ei« 
nen  stets  abwehselnden  Reiz  gewährt.  Auch  ist  zu 
erwarten,  dafs  der  vorliegende  zweite  Jahrgang  der 
Italia,  nicht  minder  als  der  erste,  die  Theilnahme  und 
den  Dank  des  Publikums  gewinnen  wird,  da  er  eben- 
fals  eine  Sammlung  von  interessanten,  theils  poetischen, 
theils  historischen  Arbeiten  enthält 

Referent  will  dieselben  einzeln  durchgehen,  indem 
er  sie  so  zusammenstellt,  wie  sie  als  historische  und 
poetische  zusammengel^ören ,  und  seine  Bemerkungen 
hinzufügen,  ohne  damit  den  Anspruch  einer  erschö-' 
pfenden  Beurlheilung  zu  verbinden,  welche  ohnehin 
bei  einzelnen  Aufsätzen  der  Art  von  verschiedenen  Ver- 
fassern nicht  gut  möglich  bt. 

« 

Eine  rein  wissenschaftliche,  kunifliistorische  Ar- 
beit ist  der  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  Oaye  über  die 
Bronzethüren  des  Lorenzo  Ghiberti.  Die  Einleitung 
enthält  eine  treffliche  Beurtheilung  über  den  verschie- 
denen Charakter  der  ilorentischen  und  sanesischen 
Kunstthätigkeit ,  und  eine  kurze  Uebersicht  der  Ent- 
wickelung»  welche  die  florentinische  Kunst  vom  drei- 
zehnten bis  fünfzehnten  Jahrhundert  genommen  '  hat. 
Es  folgt  dann  eine  gufe  historische  Darstellung,  wie 
es  mit  den  Tbüren  des  L.  Ghiberti  gegangen,  welche 
Kontrakte  darüber  eingezogen  wurden,  mit  welcher 
Hülfe,  mit  welchen  Schülern  und  in  wieviel  Zeit  der 
Meister  seine  Arbeiten  vollendete.  Alles  .wird  mit 
Stellen  aus  dem  eigenen  Memoire  von  Ghiberti  (wel- 
^  ches  Unkundige  nicht  mit  der  anmutbigen  Dichtung 
von  Hagen:  die  Chronik  des  L.  Ghiberti,  in  2  Thei- 
len^  verwechseln  mögen!)  und  mit  Dokumenten  belegt, 
die  der  Verf.  bei  seinen  fleirsigen  Stndien  in  den  flo- 
rentiuischen  Archiven  aufgefunden  hat;  alle  Irrthümer 


Zweiter  Jahrgangs  .IS 

werden  daraus  berichtigt,  und  AHes  auf  guten  und  si 
oberen  historischen  Grund  gestellt.  —  In  der  Bearchcs 
lung  des  Kunstcharakters  von  Ghiberti  zeigt  sich    da 
Verfasser  als  gründlicher  Kenner,  indem  er  nlelit  blofi 
bei  dem  Allgemeinen  stehen  bleibt,   dals  Ghiberti  ma- 
lerischen Charakter  In  seine  Skulptur  gebracht,  mhi- 
dern^auch  zeigt,  worin  dies  Malerische  liegt,  ^^ie  der 
Meister    durch   eignes    Naturell  und    Zeitforderunges 
dazu  geführt  worden,  und  wie  der  Uebergang  vom  an« 
tiken  plastischen  Charakter  xum  modernen  malerisehoi 
in  seinen  Werken   selbst  sich  nachweisen  ISftt,  wem 
man  die  Arbeiten  am  Taufbecken  in  San  GioTaimi  s« 
Sietla  als  Mittelglied,  wie  sie  es .  auch  der  Zeit  nach 
sind|   betrachtet,  zwbchen  den  Jugendarbeiten  an  der 
ersten  Thüre  von  S.  Giovanni  zu  Florenz,    ipid  sei- 
nen Meisterwerken  an  der  zweiten.    Ton  der  letzte- 
ren sagt  Ghiberti  selbst:    „Ich  bemühte  mich  die  Ns- 
tur,  so  viel  nur  in  meinen  Kräften  stand,  mit  jegliehea 
Maafs  nachzuahmen,  mit  allen  Linien,  die  mir  zu  Ge- 
bote standen,  mit  schonen  Erfindungen  und  Reiehthum 
von   vielen  Figuren.      Gegen   hundert  Personen  habe 
ich  in   einzelnen   Geschichten  angebracht,  in   andere! 
weniger,  in  anderen  mehr.     Mit  den  grofstem   Fleib 
und  mit  der  grofsten  Liebe  habe  ich  dieses  "Werk  vol- 
lendet.   Was   an  Gebäuden  vorhanden  ist)   stellt  sich 
so  dar,  wie^  es  das  Auge  mifst,  und  wie  die  Natur  m 
zeigt;  so  dafs  es  denen,  welche  in  einiger  Entfernung 
stehen,  heraus  zu  treten  scheint.    Es. hat  sehr  gerin- 
ges Relieff  und  auf  den  Plänen  erscheinen  die  Figu- 
ren, welche  näher  sind,  grofser,  diejenigen,  welche  ent- 
fernter sind,  kleiner,  so  wie  die  Natur  es  uns  zeigt."— 
Man  sieht,  er  rühmt  an  seiner  Arbeit,  was[  eben  wesentlicb 
malerische  Eigenschaften  sind,  Reiehthum  an  Figuren  und, 
durch  diesen   nothig    gemacht,    dje  Perspektive;    ob- 
wohl die  Perspektive   der 'Skulptur  so  Wenig  wesent- 
lich ist,'  dafs  sie  die  Alten  kaum  gekannt  zu  habea 
scheinen.     Nachdem  man   die  Kunstmittel  gewonnen, 
führte  die  Freude  am  technischen  Gelingen    die  Zeit 
und  die  Künstler  zum  Verwechseln  des  Künstlerischen 
mit  dem  Künstlichen  und  Schwierigen«  *— 


(Der  Beschlufi   folgt.) 


VT  1  s  s  e  n 


^20. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  e  r 

f  sü  r 

s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e 


Januar  1840« 


_•  • 


K  r  i  t  i  k. 


Jtaliaj  herausgegeben  von  Alfred Reumont 

(SeWafi.)    , 
|n  einem  andern  historischen  Aufsatz  erzählt  Hr. 
Barthold  die  Abentheuer  des  Roger  vpn  Flor,  Temp* 
lers   von  BrindisL^  Dieser  diente   zuerst  den  Christen 
im  Morgenlande  bei  der  Belagerung  von  Aklcon,  dann 
dßu  Genuesenis  so  lange  sie  im  Bann  des  Papstes  wa- 
ren« dann  dem  Friedrich  von  Sicilien  gegen  die  fränki- 
schen {lerrscher  in  Neapel    Als  dann  der  Frieden  ge- 
schlossen wird,  so  ist  hier  für  ihn  mit  seinem  Haufen 
von  Katalanen  und  Almugavaren  Iceines  Bleibens  mehr, 
und    er  begiebt  sich  itum  Kaiser ,  Androniicus,  der  ihn 
als  Megadux   in  den  Sold  nimmt;    ab  solcher   ist  er 
siegreidi    gegen    die   türkischen    Emire    in   Anatolien, 
schwingt  sich  bis  zur  Cäsarenwürde  auf,  und  unter- 
liegt endlich  nur  dem  Neid  und  tückischen  Yerrath  des 
Fürsten  und  Thronerben  Michael,  der  ihn  nach  Adria- 
nopel  zu  sich  einlud  und  da  ermorden  liefs,    —     Wie 
ein   glänzendes  Meteor  ging  er  auf  und  verschwand, 
ohne    andere  Spur   von   sich   zurückzulassen,   als    die 
Räuberherrschaft,  welche  „die  grofse  Compagme",  die 
er  verbunden,  in  Livadien  begründete. 

Der  Terf.  hat  hauptsächlich  den  Ramon  Muntaner, 
der  des  Roger  Begleiter  und  Sekretär  war  und  seine 
Thaten  beschrieben  hat,  benutzt,  und  damit  die  griechi- 
schen Berichte  verglichen.    Er  beweist  ein  ausgezeich- 
netes Talent,  lebendig  zu  schildern  und  die  erzählten 
Geschichten  dem  Gebte  und  Auge  des  Lesers  zu  ver- 
gegenwärtigen.    Diese  Absicht  wurde  er    noch  mehr 
erreichen,   wenn  er  seinen  Styl  etwas  leichter  und  ra- 
scher machte,  und  nicht  durch  Zusammendrängen  des 
zu  Vielen  bbweilen  selbst  den  aufmerksamen  Leser  er- 
müdete« — 

Ganz  in  die    historbche  Gegenwart  werden  wir 
versetzt  durch  die  Lebensbeschreibung  des  Conte  Gia- 
^como  Leopardi  ron  Hrn.  Heinrich  Wilhelm  SeAulx, 
Zwei   Gegensätze    herrschen   jetzt    im    gebildeten 
JaÄr6.  /.  wmtmch.  Kritih.  J.  18i40.  I.  Bd. 


Italien,  leichtsinnigster  Lebensgenufs,  ohne  jene  eigent- 
liche Frohheit  und  Lust  dabei,  welche  nur  das  YoU- 
gefühl  der  Kraft  verleihen  kann,  und  tiefster  Unmuth 
über  die  gegenwärtigen  Verhältnisse,  der  bei  edleren 
Gemüthem  eine  selbst  verschiedene  Richtung  ninunt^ 
zu  schwindelnden  Hoffnungen  einerseits,  welche  haupt- 
sächlich die  Jugend  zu  gewagten  Unternehmungen  ver- 
lei(e|i,  andrerseits  zu  herber  verzehrender  Schwennutb^ 
welche   da   einen  poetbchen  Charakter   annimmt,  wo 

_         ■ 

sie  sich  der  vergangenen  Grofse  Italiens  erinnert.  Diese 
Schwermuth  und  ihre  Poesie  wurde  zugleich  mit  schö- 
nem Talent  dem  Grafen  Leopardi  zu  Theil,  der  sich  in 
neuester  Zeit  gleich  sehr  ab  Gelehrter  in  der  klassi« 
scheu  Literatur  und  ab  Dichter  in  seiner  eigenen 
Sprache  auszeichnete.  Herr  Schulz  giebt  einen  kur* 
zen  Abrifs  seines  Lebens,  folgt  ihm  in  seiner  gelehr* 
ten  und  poetischen  Thätigkeit  und  begleitet  ihn  bis  zu 
seinem  Tode,,  wo  er  noch  selbst  ihm  mit  Platen,  einem 
nahen  Gebtesverwandten  des  italiänbchen  Dichters, 
ab  Freund  zur  Seiti  staüd.  —  Die  hinzugenigte  Probe 
aus  dem  Gedicht:  i  paralipomeni  etc.  hätte  ich, hier 
nicht  mitgetheilt,  da  sie  den  Dichter  nur  in  der  Be« 
schränktheit  des  Italiäners  zeigt,  welcher  vom  alten 
Ruhme  Italiens  träumend,  damit  dem  Ausbnde  auf  eine 
Webe  entgegentritt,  die  eben  so  beleidigend  für  das« 
selbe  ab  unwflhr  ist.  — 

Ton  poetbchen  Produktionen  begegnet  uns  in  die« 
ser  gemischten  Sammlung  zuerst  ein  erzählendes  Ge* 
dicht:  Sklavin  und  Königin,  von  Ida  Gräfin  Hahn* 
Hahn.  Diese  Dichtung  hat  zum  Inhalt  das  Unglück 
und  die  heimliche  Liebe  der  Königin  Johanna  von  Nea- 
pel, und  den  Mord  ihres  Gemahb  Andreas  von  Un* 
gam  durch  einen  Uberto,  der  sie  selbst  leidenschaftlich 
und  hoffnungslos  liebt,  und  in  dieser  Liebe  sich  für 
sie  opfert.  —  Es  findet  sich  darin  bei  manchem  Sentt* 
mentalen,  das  man  der  Dichterin  gern  verzeiht,  eine 
hie  und  da  recht  anmutUge  poetbche  Beschreibung  in 

20 


155  Beumonty  Italith 

fließenden  Venen.  Man  wird  et  der  Dichtevia  aveli 
nicht  verdenken,  dafs  sie  mit  der  Absicht,  die  K5- 
nigin  von  der  Schuld  des  Mordes  zu  berreien,  für  ihr 
Ceachlecht  Parthei  nimmt;  wenn  nur  der  liebende 
Uberto,.  der  mit  seiner  Lfebe  suerst  nur  fürchterlich 
erscheint,  dann  mit  weiblicher  Entsagung  sich  für  seine 
Königin  aufoiifert  und  so  dem  Nebenbuhler  den  benei- 
deten Platz  ungestört  einräumt,  besser  mit  sich  selbst 
und  dem  ilaliänischen  Charakter  zusanunenstimmtCi 

Der  HermtMgebtr  selbst  hat  einen  hübsehen  Bei- 
trag von  toskanischen  und  einigen  sardinuchen  Tolks- 
iiedem  geliefert,  und  außerdem  eintf  ErzAhlung:   „Die 
Herzogin  von  San  Gittliano,**  (wo  ich  nicht  irre,  ist  sie 
aus  deni  ItaKänlschen  des  Gnerrazzi)  mitgetheilt    Die 
„entsetzliche  Geschichte"  ist  die  von  einem,  auch  sonst 
in«ItaKen  %o  häufigen,  Mord  iaus  Eifersucht    Referent 
bemerkt,  dals  ihm  in  der  Darstellung  dieser  Erzählung 
zu  viel  Kutast,  mit  zu  wenig  versteckteir  Absieht,  auf- 
gewendet scheint.    Es  scheint  damit  fast  eher  auf  ein 
Drama  abgesehen  zu  sein,  ab  auf  eine  Erzählung;  so 
t^iel  ist  darin  von  Dialog  und  von  raschem  bühnenarti- 
gem  Scenenwechsel.    Es  folgen  schnell  hintereinander 
ein  Gastmahl  beim  Herzog,   eine  geisterhafte  Erschei- 
nung zur  Geisterstunde  bei  der  Geliebten,  eine  Wirths- 
faausseene,  eine  Nachtscene  auf  der  StraPse,  eine  Toi« 
lette  beim  Herzog,  bei  welcher  ihm  der  Uutige'Kopf 
äer  Geliebten  unter  der  Wäsche  präsenlirt  wird.    Die 
Absicht  wird  durch  diesen  Aufwand  eher  verfehlt  als 
erreicht;  denn  das  Interesse  wird  eben  dadurch,  dafs 
bian  überall  zugleich  sein  soll,    zu  sehr  getheilt,  und 
man  bleibt  nicht  im  Flusse  der  Handlung.    Auch  ist 
tu   viel    die  Einkleidung    des    Geheimnisses    und   des 
Räthselhaften  gebraucht,  welche,  wenn  sie  zu  oft  kommt, 
eher  ermüdet  als  spannt. 

Was  Ref.  so  eben  vermifste,  einfache  und  unge- 
künstelte Darstellung,  bei  der  man  nur  für  die  Haupt- 
handllin^  in  Anspruch  genommen  wird,  das  findet  er 
auf  sehr  gelungene  Weise  in  der  Novelle:  Der  Stum- 
me, von  Franz  Freiherm  von  Gaudy,  —  Diese  No- 
velle  ist  mit  hinreifsender  Lebendigkeit  vorgetragen  und 
mit  vortrefi^licher  Oekonomie  durchgeführt.  Ihr  Inhalt 
ist  die  glühende  Li^be  eines  Italläners,*  dem  der  Autor  - 
in  einer  Berb'ner  Wemstube  begegnet  ist.  Nur  eben 
dieser  Eingang  der  Erzählung  ist  Ref.  zu  breit,  zu  ge- 
schwätzig vorgekommen,  wenn  nicht  etwa  die  Behag. 
Hchkeit  dieses, Berliner  Philjsteriums  in  der  Weinstube 


ZweiUr  Jahrgang.  156 

ier  Ruhenden  Leidenschaft  des  Italiäneca  in  dem  kitt- 
reifsenden  "Vortrag  derselben,  der  dann  folgt,  zur  Folie 
dienen  sollte.  Der  Italiäner  selbst  erzählt,  und  wir  fühlen 
uns  gleich  ganz  auf  italiänischem  Boden.  Die  Liebe  ninunt 
ihren  Anfang  schon,  da  «r  die  Geliebte  nar  eimnal  gesoha, 
sie  alsKind,  er  selbst  noch  Knabe.  DerEindruck  ist  nulcklig 
und  unauslöschlich  gewesen,  er  sieht  sie  wieder  aUJüngliag 
und  jener  Eindruck  wird   zur  glühenden  Leidenscbafit, 
.  um  so  mächtiger  und  unbezwinglicher  als  sie  hoffnungi- 
los  m  sein  scheint,  um  so  quälender,  als  er  taglidl  i4 
die  Geliebte  sein  mufs.    Die  Katastrophe  tritt    s^umü 
und  zerstörend  ein:  es  ereignet  sich  einTorfaU,   wie 
bei  Dante  mit  Francesca  da  Rimini,    bei  Goethe  mit 
TasSo ;  aus   der  Verzweiflung   wird  der  Unglacklieiie 
zum  Taumel  der  Freude  erhoben,  als  ihm  mit  der  Vcr* 
zeihung  zugleich  ein  Hofiiiungsstrahl    gegeben    wiH. 
Da  eben,   als  ihn  der  Taumel  übermannt,    wird  Um 
von  Kundschaftern    ein  Gefaeimnirs   abgewonnen,  das 
seinen  Wohlthäter  und  die  Tochter,   die  Geliebte,  ms 
Unglück  stürzt«    Er  hat  seitdem  seiner  vorlauten  Zunge 
ewiges  Schweigen  auferlegt.  —  Der  Ort  der  Geschichte 
ist  Rom,    die  Zeitverhältnissc    sind  die    der    französi- 
schen Gewaltherrschaft.    Bei  jener  letzten  Kat&stropbe 
wird  der  Karuaval  eingeführt ;  man  erkennt  an  der  Le* 
bendlgkeit  der  Schilderung  in  wenig  Zügen,  dafs  der 
Verfasser  ihn  erlebt ;  den  richtigen  Takt  des  trefflidiea 
Erzählers  nimmt  man  an  der  weisen  Sparsamkeit  w^, 
womit  dies  und  sonst  Lokales  eingeführt  wird;  erbringt 
davon  nur  so  viel,   als  gerade  nothig   zu  sein  sclieint 
für  die  Haupuache,  und  Alles  bleibt  auf  diese  con- 
centrirt.  «> 

Herr  von  Rumohr  hat  uns  in  dieser  Sammlung 
mit  einer  Malernovelle  beschenkt:  Lehr-  und  Wan- 
derjahre des  Raphael  Santi  von  Urbino.    Sie  ist  nicht 
Erzählung  von  einer  abgeschlossenen  Begebenheit,  son- 
dern ein  Stück  Leben  von  Rafael,  da  er  noch  ein  Wer- 
dender  war.     Einem  aüfserordentlichen  Genie  in   sei- 
nen Anfängen  nachzugeliu^  ist   überall  reizend,  beson- 
ders aber  bei  dem  in  Werken  und  Leben   überall   so 
höchst  liebenswürdigen  Raphael.    Herr  von  R.   nimmt 
sein  Leben  da  auf,  wo  er  nach  Assisi  zum  Meister  In- 
gegno   kommt  und   eine  Zeit   lang   bei   ihm  arbeitet 
Dann  begleitet  er  den  Jüngling  nach  Perugia  zum  Me|. 
ster  Perugioo,   dessen  Kunst  schon  damals  zum  Hand- 
Werk  zu  werden  anfing,  wie  sie  es  beim  Piaturiccbio 
schon  geworden.    Blit  der  Abreise  RafaeFs  naclf  Ca» 


167  -  Ifedr&iMche 

nuXio  seUieftt  die  artige  Enählniig,  woria  der  geistrei- 
che Yerf.  gehr  belehrende  ürtheile  Ober  die  genannten 
Künstler  einflicfit  und  auf  eine  lebendige  TVeise  in  das 
Kunattreiben  jener  Zeit  versetzt,  indem. er  bedeutend 
genug,  gewifs  nicht  ohne  Uesiehung  auf  die  Gegenwart, 
«in  tiefes  und  iimiges  Kunstbestreben,  das  nur  die  Wahr- 
heit und  Hoheit  der  Kunst  seihst  will,  wie  es  sich  bei 
Rafael  kund  gibt^  einem  den  Anforderungen  der  Zeit  und 
des  Publikums  haudwerksmäfsigem  Genügen  entgegen- 
aetst«  Der  Verf.  schaltet  frei  mit  den  historisch  so  uur 
gewissen  Daten  aus  Rafaers  Jugendaeil.  Warum  sollte 
-es  ihm  nicht  eben  so  oder  mehr  ttoch,  ala  dem  Yasari, 
erlaubt  sein,  Wahrheit  und  Dichtung  zu  mischen,  da  er 
nur  eine  Novelle,  nicht  Geschichte,  geben  will?  £skam 
nur  darauf  au,  den  Gebt  und  den  Ton  der  Zelt  richtig 
zu  treffen,  und  das  ist  dem  Verf.  unsres  Erachtens  gluck- 
lieh  gelungen. 

Carl  Hegel. 

XIIL 

Sapha  bemra  ffder  die  gefäuterts  SpracA^  von  R. 
Abraham  Ebn  Etra,  rfach  einem  handle hrifU 
Hohen  Exemplare  in  der  k.  Hof-  und  Staats- 
bibliotlhek  xu  München  kritiech  bearbeitet  und 
mit  einem  CommeHtar  nebst  Einleitung  versehen 
von  Dr.  Gabriel  Lippmann.  Fürth  IS39  {ifn 
Verlage  der  JUüllersehen  Buehhandluna  xu  Fulda). 

'  21  Seiten  Forrede  und  Einleitung  des  Herausge- 
bers in  deutscher  Sprache  und  &1  Blatt  hebräische 
Text  find  Comment.    8. 

Fiir  Leser,  die  nrchl  schon  bei  der  obigen  Titel-Angabe  er- 
schrocken ,,sauve  qai  peat*/^  .rafen,  also  für  Gelehrte  and 
Freunde  der  Philologie  \väre  es  nur  gerecht^  wenn  ^ir  Toraus* 
setzten,  dafs  der  Name  Ebn  Esra  keiner  ist,  den  sie  nie  gehört, 
oder  dessen  sie  sich  nur  mit  Mühe  eriniierii.  Jeder  von  ihnen 
wird  wissen ,  ^afs  anter  'den  hebrtiischschreibenden  Fhilo- 
Togen^des  Mittelalters  Ebn  Esra  den  Ehrenplatz  einnimmt,  und 
dafs,  wie  man  ans  Wolf,  De  Rossi  u;  a.  sieht,  die  Produkte 
seines  anfserordentlichen  Geistes  eben  so  zahlreich  wie  reif 
wuren.  Dre  mit  der  blblischeti  Philologie  niiher  Vertrauten  wer-^ 
den  auch  den  Hrn.  Herausgeber  des  vorliegenden  Werks  als  ei- 
nen fleifsigen  Bearbeiter  der  Ebenesra'schen  Schriften  seit  län- 
gerer Zeit  kennen.  Er  hat  1827  das  wiclitige  grammatische 
Werk  Zachtith  mit  einem  hebräischen  Commeutare  herausgege- 
hen ;  1834  sich  -noch  verdienter  gemacht,  indem  er  ein  noch  bis 
dahin  ungedrucictes  Werk,  Sepher  Haschern,  edirte  und  ebenfalls 
mit  einem  hehr.  Commentar  begleitete.  Durch  diese  firBbem 
Leistungen  hat  er  das  Vertrauen  zu  seiner  kritischen  Fähigkeit 
festgestellt^  ob  er  aber  dieses  durch  seine  neuesten  Bemühun- 
gen gerechtfertigt  oder  erhdht  bat,  wollen  wir  erst  dann  zu  be- 
urtheiien  versuchen,  wenn  wir  ein  Paar  Wofte  über  den  neue- 


Grammatik^ 


158 


sten   Gegenstand   seiner  Wahl,   ttber    das   Bock  Ss^As  hemrm 
selbst,  gesagt  haben  werden, 

Ebn  Esra  verschmähte  es»  sich  in  einen  bestimmten  Wi^ 
knngskreis  niedei^ulassen,    sich   einen  festen  Lehrstuhl  zu   er- 
bauen, von  welchem  herab  er  an  wifsbegierige  Zuh5rer  den  8e^  ' 
gen  seiner  Gelehrsamkeit  gespendet  htttte;   er  zog  es  vor,  die 
Weit -zu  durchwandern  und  sieh  Ehre  nnd  Gesehenke  Sberall  m 
holen,  statt  sich  diese  von  fiberall  nach  seinem  Wohnsitze  brin- 
gen zu  lassen.    Wie  ganz  anders, 'wie  viel  edlef  strebte  seüi 
jüngerer   Zeitgenosse  Maimonides.    Hätte  Ebn  Esra   zu  Toledo, 
seiner  Vaterstadt,  eine  Schule  erc^ffnet,  sie  wiirde  bald  zur  Hoch- 
schule, geworden  sein,   zu  welcher  man  voll  nah  und  fem  wan- 
derte,  und  sein  Genie  hätte  seinen  Ruhm  weiter  getragen,  als 
er  es  mit  seinen  schwachen  Füfsen  konnte.    Der  Kontinent  war 
ihm  zu  klein^  er  mufste  auch  England  durchziehn;  Europa  war 
ihm  zu  enge,'  auch  Asien  mufste  er  besuchen,  und  zwar,  einem 
lUeistersUng^r   gleich,  überall  sein  Wissen   feil  zu  bieten.    Eiü 
Mann  wie  dieser  machte  sein  Leben  lang  den  Reichen  den  Hof! 
Wir  glauben,    dafs  diese  Lebensweise   vielen  Einflnfs   auf  den 
Ton   seinei'  Schriften   hatte.    An  seinem  heimathlichen  Heerde. 
fHedlirh   wirkend,   würde  er  seine  Vorgänger  mit  mehr  Liebe 
und  Schonung    bebandelt  haben;    als  gelehrter /Abenteurer  em- 
pfahl er  sich   bei   seinen  Wirthen   durch  Witzelei,  und  setzte 
sich  bei  reichem  P9bel  dadurch  in  Achtung,  dafs  er  auf  ehrwür- 
dige Namen  schimpfte.     Jedenfalls  hinderte  ihn  diese  Lebens- 
weise, die  nSthige  Feile  an  seine  Arbeiteii  zu  legen,  da  er  seine 
meisten  Werke,   GrammotiCen  sowohl  als  Commentare  bald  auf 
Verlangen  einer  Gemeinde,  bald  auf  den  Wunsch   eines  freige- 
bigen Privatmannes  ausarbeitete,  und  diese  Gelegenheits  -  Werke 
weiter  nicht  beräcksichtigi  wurden.    Dieses  ist  auch  der  Grund, 
warum  wir  verschiedene  Recensionen  eines  und  desselben  Werks 
von  ihm  besitzen.    In  London  schrieb  er  aiifs  neue  einen  Com- 
mentar zu   dem  Buöhe,   das  er  in  Mantua- commentirt;  in  Rom 
schrieb   er  unter  einem  neuen  Namen  die  Grammatik,  die  er  in 
Rhodus  behandelt  u.  s.  w.    Unser  Sapha  berura  ist  die  5te  auf 
diese   Weise'   entstandene    hebruische    Grammatik.     Er    selber 
spricht  sich  am '  Ende  seiner  Einleitung  (Bl.  15)  so  darüber  aus :  \ 
„Als  einer  der  Lernbegierigen  borte,  welche  Sprache  ich  über 
die  Dichter  gefuhrt  (er  sagt  nämlich  früher,   die  Hjmnendicfiter    ^ 
treten    die  Sprachgesetze  mit  Flifsen),  so  verlangte  er  von  mir 
die  Anfertigung  eines  Buches,  woraus  er  die  Regeln  der  Spra- 
che erkennen  konnte.    Diese  Zumufliung  war  hart  fdr  mich,   da 
ich  Über  Grammatik  schon  geschrieben  habe,   zu  Rt^m  das  Buch 
Motnainiy  zu   Lucca  die  Bücher  /esod  und  Sepkaih  Jeiktry  in 
Blantua  endlich  das  Buch  Zachoik.  Er  aber  antwortete,  es  würe 
keiner  im  Besitze  dieser  Bücher,  der  sie  ihm  geben  wolle;  Auch 
ich  selbst   hatte   diese  Bücher  nicht,    denn  meine    Art  ist   zu 
schreiben  was  mir  in  den  Sinn  kommt    Xuch  sind  leiten,   und 
besonders  jetzt,  wo  mein  Herz  nicht  frei  von  Zerstreuungen  ist 
(im  Texte  falsch  pNtDl,  es  mufs  heifsen  pfitü).     Der  Lem- 
begierigO)  der  im  Anfange  der  Verse  genannt  ist,  drang  aber  so 
sehr  in  mich,  dafs   ich  ihm  willfahrte."     Dieser  Lernbegierige 
war  ohne  Zweifel  mit  der  Arbeit  zufrieden,  wahrscheinlich  viel 
zufriedener  als  die  gegenwärtigen  Leser.    Das,,  höchstens  zwei 


159 


HelräiMahe    Orammatii:, 


160 


Bogen  ttarke»  S^phm  hentra  ist  nir  eine  kleia«  8ammlaDg  gran- 
matiscber^  Notizen,  keine  Grammatik»  und  diese  sind  blofBe  Rap 
auniscenxea,  die  hier  ohne  Ordnnug  und  ohne  hinreichende  Be- 
lege sosammengeworfen  sind.  Auch  an  Sprache  und  Polemik 
erkennen  wir  den  Löwen  Ebn  Esra  nicht  \^ieder;  die  erstere 
war  sonst  nicht  so  zahm,  die  zweite  nicht  so  wortreich  und 
doch  unsicbtr.  Es  ist  bekannt,  dafs  manche  Werke,  die  unter 
Ebh  Esra's  Jtamen  bekannt  sind,'  der  Hand  eines  Schillers  des« 
selben  angeboren,  der  die  Vortrftge  des  Lehrers  gesammelt  und 
unter  dqssen  JSamen  Terhreitete.  So  z.  B.  der  Commentar  za 
Exodus.  Von  Sapha  berura  glauben  wir  dasselbe»  wenn  man 
nicht  zugeben  v/ill,  dafs  ein  nicht  ungeschickter  Schelm  sich 
der  Sprache  und  des  Namens  eines  berühmten  Grammatikers 
bemächtigte,  um  damit  Giiick  zu  machen.  Doch,  ist  das  Opuscu- 
lum  Ton  Ebn  Esra  selbst,  so  hat  er's  geschrieben,  als  er  nicht 
mehr  Ebn  Esra  war;  starke  Spuren  von  geistiger  Altersschwä- 
che kommen  an  mehreren  Stellen  zum  Vorpchein.  Wir  erinnern 
uns  auch  nicht,  das  S.  B.  als  ein  Ebn  Esra'sclies  Werk  bei 
Schriftstellern  vor  dem  16.  Jahrlu  erwähnt  gesehn  zu  haben. 

Durch  Obiges  haben  wir  uns  einen  schicklichen  Uebergang 
zar  Beurtheiloug  des  Verdienstes  des  Hrn.  L.  vorbereitet.  Nach 
unserer  ausgesprochenen  Meinung  über  das  Sapka  berura  kön- 
nen wir  die  Wahl  des  Hrn.  Herausgebers  keine  gliickliche  nen- 
nen. Auch  muls  man  siclk  über  den  Eifer  dieses  Unternehmens 
verwundern,  wenn  man  die  dabei  benutzten  Hiilfsmittel  beim 
rechten  Namen  kennen  lernt.  Nicht  etwa  eine  alte,  werthvoUe 
Handschrift  liegt  der  Ausgabe  zum  Grande,  wie  man  «ivs  dem 
täuschenden  Titel  zu  glauben  berechtigt  wird,  sondern  eine 
nacbUissig  genommene  Abschrift  von  d^r  editio  princeps  (Kon- 
stantinopel 1530) !  Diese  Abschrift  ist  nun  so  fehlervoll,  dafs  es 
dem  Hm.  L.  einerseits  sehr  leicht  war,  durch  gewöhnliche 
Sprachkenntnifs  zu  verbessern,  andrerseits  aber  sehr  schwer 
war,  bei  der  grofsen  Zahl  der  Fehler  keinen  zu  Ubersehn.  Der 
Commentar  des  Hrn.  L.  besteht  zur  Hälfte  aus  sololien  Verbes- 
serungen, und  da  er  einmal  im  Zuge  war,  nahm  er  auch  Emen- 
dationen  auf,  die  füglich  hätten  Wegbleiben  können.  Sollte  man 
es  glauben,  nicht  einmal  gesehn  hat  Hr.  L.  den  gedruckten  Text, 
geschweige  verglichen.  Er  hat  die  verstümmelte  Abschrift  wie 
es  scheint  nur  deshalb  so  eilig  abdrucken  lassen,  damit  er  seinen 
Witz  und  seine  Konjekturalkräfte  Üben  kann.  Wpzu  wäre  es 
sonst  so  dringend  nöthig  gewesen,  ein  qubcdeutendes  Werkchen 
ins  Publikum  zu  schleudern,  ehe  man  die  gedruckte  Ausgabe 
hat?  Wollte  Hr.  L^  das  Buch  durchaus  ediren,  so  hätte  er  sich 
vor  allem  diese  verschaffen  müssen ;  zu  haben  ist  sie  ja,  wenig- 
stens in  Parma  und  Oxford  eine  Vergleicbung  anzustellen;  und 
hätte  er  sie  nicht  auftreiben  können,  so  hätte  er  seine  Neigung 
zu  ungewöhnlichen  Ausgaben  noch  eine  Zeitlang  mäfsigen  sol- 
len. Wie  sehr  die  LUeratur  gewonnen  hätte,  wenn  Hr.  L.  sein 
Talent,  statt  dieser  voreiligen  Ausgabe,  einem  wichtigem  Codex 
der  reichen  Müjichener  Bibliothek  zugewendet  hätte,  sieht  man 
an  seinen  Commentarien  zu  den  3  von  ihm  edirten  Werken. 
Seine  neueste  Arbeil  vorzüglich  ist  so  reich  an  fleifsigen  For. 
schergaben,  dafs  man  von  der  Freude  darüber  das  Bedauern  nicht 


trennen  kann,  dafii  so  tdiölne  Thätitfceit  «ich  an   eiaen, 
obiger  Bemerkung,  nnzeitigen  Gegenstand  gefesselt     Wie  dank- 
bar würden  ihm  die  Freunde  der  Literatur  des  ftlittelaltera  gie- 
wesen  sein,   wenn  er  z.  B.  ein   auf  der  M unebener  Bibliothek 
befindliches  Werk  des  Jehuiä  Chimg  veröffentlicht  hätte!     DicMr 
Jekuim  Ckiug  wird  seit  dem  'Anfange  des  11.  Jahrhaadertn  t« 
den  jüdischen  Gelehrten  einsliaunig  mit  einer  Art  tob.  Knltai^ 
als  ein  von  Gh>tt  gesandter  Wiederhenteller  der  SfraiduDciBhcit 
gefeiert,  und  dennoch  ist  nichts  von  ihm  gedruckt.     Dieser  ss 
berühmte  Mann  hat  von   der  Geschichte  seiner  Lehennverlialt- 
nisse  keine  Spur  hinterlassen.   Wir  wissen  nur,  dafs  er  in  Nori- 
afrika  geboren  war  und  wahncheintieh  ums  Jahr  iOOO  n.  C  ge> 
Uaht  hat.  Es  wäre  daher  wohl  für  seine  eigene  LehenäjgeneUchts 
nnd  for  die  vieler  seiner.  Zeitgenossen  wichtif^  ihn  selber  sfn- 
chen  zu  lassen,  indem  ihn  eine  kenntnilsrelche  Kraft  "ans  dem 
Grabe  der  Bibliotheken  herauf  hescbwSrt. 

Ueber  das  mehr  oder  minder  Geleistete  des  Hm.  L.  geki 
wir,  nach  unserer  erklärten  Ansicht  Ober  sein  Untemehmen,  hä 
gleichgültig  hinweg.  Er  gehOrt  nicht  zu  den  gewShnlidien  /<- 
derleichun  Schriftstellern  der  Zeit,  die  vom  Raube  oder  Gnades. 
brote  anderer  ihre  Ruhmsucht  oder  ihre  Familie  emnlireB.  €1 
er  da.  oder  dort  geirrt  hat,  ob  er  das  und  jenes  hiltte  hcsMr 
machen  konuen,  darüber  wollen  wir  mit  ihm  nicht  rechtes. 
Dankbar  wollen  wir  ihm  jedenfalls  für  manche  literarhintoriidM 
Notiz  sein,  die  wir  bei  ihm  zum  ersten  Male  gefunden   habei« 

^__________^  Lebrecht. 

XIV. 

{GymnaMiatlehrer  v.  Gruber  in  Siralsunef)  Ver* 
xeichnifs  •ämmUicher  Abhandlungen  in  ft^n  auf 
preufsiicAen  Gymnasien  ereehienenen  Pragrom^ 
men  von  1825 — 1837,  nach  dem  Inkalte  ttnset^ 
echaßlick  geordnet.  Berlin  1840.  Verlag  tfon 
IV.  Logier.    1.    US. 

Eine  nützliche  und  interessante  Zusammenstellung,  deren  Fort- 
setzung und  Ausdehnung  a^ch  Über  die  nicht-Preufsisdien  Gjmnn- 
sien  und  über  die  Universitäten  nach  etwa  5  oder  10  Jahren  sehr 
zu  wünschen  ist.  Auch  schon  in  der  gegenwärtigen  Ueberstcht 
sind  die  Schulschrifteu  einiger  weniger  fremder  Gymnasi« 
(Brannschweig,  Frankfurt  am  Main,  Schwerin),  so  wie  die  gelo- 
genhcjtlichcn  Abhandlungen  der  Greifswalder  Univenititt  ver- 
zeichnet Eine  grofsere  Vollständigkeit  wird  ohne'  Zweifel  in 
Folge  des  seit  dem  Jahre  1837  weiter  ausgedehnten^  Program- 
mentausches (der  aber  doch  noch  nicht  ein  allgemeiner  ist)  Statt 
finden  können.  Die  Anordnung  macht  nicht  auf  wissenschaftli- 
che Schärfe,  sondern  auf  praktische  Uebersichtlichkeit  Anspruch, 
und  die  Rubrik  VeruekUd€»ertig€$  nimmt  zuletzt  noch  einiges  | 
auf,  was  wohl  in  andere  Rubriken,  vornehmlich  in  die  „Ltll^  ' 
radier"  gehört.  Als  Berichtigung  wollen  wir  nur  bemerken,  dais 
die  interessante  Abhandlung  über  die  Sixtinische  Madonna  von. 
Michelet  im  Programm  des  Berliner  Französischen  Gymnasiums 
nicht  französisch  geschrieben  ist,  wie  im  Veneichnils  angege- 
ben ist. 


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tl  ah 


JW-  21. 

r  b  ü 

für 


c  h  er 


wissenschaftliche    Kritik. 


Februar   1840. 


XV. 

Wilhelm  Hein se^s  sämmtliche  Schriften.  Her^ 
ausgegeben  von  Heinrich  Laube.  Zehn  Bände. 
Leipzig,  1838.  im  Verlag  von  F.  Volhmar. 

Das  Publikum  muGs  für  die  Gesamintausgabe  der 
Werke  Heinse'S)  welche  noch  nie  gesammelt  erschie- 
nen und  einzeln  theils  beinahe  unbrauchbar,  theils  ver* 
griifen  sind,  dem  Hrn.  Laube  oder  vielmehr  dem  Ver- 
leger Dank  wissen.  Denn  dieser  „verlegende  Dueh- 
händler",  bekennt  Laube,  habe  eigentlich  zuerst  die  Idee  ^ 
hierzu  gehabt  und  er  selbst  sei  zu  dem  schon  fertigen 
Unternehmen  nur  hinzugetreten.  So  glaubte  sich  Laube 
gegen  den  Vorwurf  decken  zu  müssen  —  einen  Wil^ 
heim  Heinse  wieder  an's  Licht  gezogen  zu  haben,  und 
er  vertheidigt  in  der  Einleitung   eigens  sein  Beginnen. 

War  diese  sorgsame  Verwahrung  nothwendig,  so 
ist  sie  ein  neuer  Beweis,  Tirie  sehr  Heinse  unter  uns 
mifskannt  wird.  Da  wir  jetzt  seine  Werke  gesammelt 
besitzen^  so  liegt  uns  der  Versuch  nahe,  durch  eine 
Charakteristik  i$einer  menschlichen  und  literarischen 
Persönlichkeit  sein  halb  erloschenes  und  entstelltes  An* 
denken  zu  erneuern  und  ein  Eudurtheil  über  den  To- 
talwerth  dieses  seltenen,  ja  beinahe  einzigen  Schrift- 
stellers vorzubereiten.  Ich  thue  dieses  um  so  mehr, 
da  sich  Heiuse's  auch  sein  eigener  Herausgeber  nicht, 
wie  er  es  sollte,  annimmt.  Vielleicht  um  nicht  in  den 
Verdacht  einer  bedenklichen  und  unzeitigen  •  Vorliebe 
zu  kommen,  ist  Laube  in  seiner  Anerkennung  eben  so 
bedingt^  als  in  seinem  Tadel  verschwenderisch. 

Johana  Jakob  Wilhelm  Heinse  (eigentlich  He|nze, 

"Wie  der   alte  Thüringer  Name  seiner  Familie  war,   B. 

IX,  S.  93)  ist  in  /Langewiesen,  einem  Stadtflecken  an 

der  Um,  bei  Ilmenau,  im  Jahr  1746  oder  nach  andern 

Nachrichten  1749    geboren.      Sein  Vater   scheint   hier 

.   Bürgermeister,  Stadtschreiber,  Organist  und  Landschafts- 

deputirter  in  Einer  Person  gewesen  zu  sein.    Der  Uu-» 

JffAr6.  /.  wmemch,  Kritih.   J.  1840.     I.  Bd. 


terricht,  welchen  er  durch  eioen  Kandidaten  erhielt, 
wurde  später  auf  dem  Gymnasium  zu  Schleusingen 
fortgesetzt.  Er  mufs  hier  einen  guten  Grund  in  den 
alten  Sprachen  gelegt  haben,  denn  er  las,  wie  wir  aus 
seinen  Briefen  sehßn,  lateinische  und  griechische  Diehr 
ter  und  Philosophen  im  Urtexte.  In  Jena  und  Erfurt 
sollte  er  Jurisprudenz  stiidiren,  aber  jedes  Brodstudium 
war.  seinem  freien  Geist  durchaus  zuwider,  und  so  ver- 

, säumte   er  es,    sich,  die  Mittel    zu  einer  bürgerlichen 
Existenz  zu  verschaffen,  was,  da  er  selbst  ganz  ohne. 

'Vermögen  war,  seine  Zukunft  bestimmte  und  entschie* 
den  auf»ihn  selbst  zurückwirkte.     Zu  den  ersten  dich- 
terischen Versuchen  hatte  ihn  —  Hofmannswaldau  ge^ 
reizt,  und  in  Erfurt  übte  Wieland  einen  ausschliefs^n- 
den  Einilufs  auf  ihn  aus.    Nach  Wieland's  Vorgänge 
dachte  und  lebte  der  Student  sich  in  ein  phantastisches 
griechisches  Lebensideal  um  so  leidenschafilicher  hin- 
ein, jemehr  ^r  vom  wirklichen  Leben  gequält  wurd^, 
und  fuhr  fort  in  der  Wielandischen  Manier  die  Träume 
seiner    glühenden    Sinnlichkeit    poelisch    zu   gestalten. 
Wieland  machte  den  Hülflosen  mit  dem  Beschützer  je- 
des aufblühenden  Talentes,  mit  Gleim,  bekannt.    Aber 
die  Hoffnung  auf  eine  Hauslehrerstelle  scheiterte,  und 
so  sclilols  sich  Heinse  in  seiner  Noth,  wunderlich  ge« 
iiug,  an  einen   Abenteurer,  einen  eheihaligen  preufsi« 
sehen  Hauptmann  an,  welcher  sich  General -Reise -In- 
spektor   bei   der    dänischen  Zahlenlotterie  nannto  und- 
eine  eigene  Lotterie  anlegen'  wollte.    Er   reisete  mit 
ihm  an  den  Rhein  und  von  hier  nach  Baiern,,  fand  aber 
seine  Lag^  bald  so  unerträglich,  dafs  er,  von  Gleim  wie- 
der mit  Geld  unterstützt,  nach, seinem  Thüringer  Wald 
zurückwanderte.    Aber  eine  Viertelstunde  vor  Länge- 
wiesen hörte  er,  daCs  der  Ort  abgebrannt  sei ^.  sein  Va- 
ter hatte  nichts  gerettet,  als  sein  Clavier  und  einige 
seiner  liebsten  Bücher.     Der  gute  Gleim  schickte  dem 
Vater  Geld,  damit  er   für  seine  abgebrannten  Bäume 

.  junge  pflanzen  könnte,  und  verschaffte  dem  Sohn  eine 

21 


163 


1f.  Heintey  tämmt/icA0   ff^erke. 


164 


Havslehrerstelle  in  Halberstadt.'  Hier  lebte  er  unter 
dem  Namen  Rost  ^om  Herbst  1772  bis  zum  Frühjahr 
1774,  wo  im  Umgang  mU  Gleim,  Klamer  Schmidt, 
Geerg  Jacobi  und  mit  gebildeten  Frauen  seine  brausen- 
den Kräfte  in*s  Gleichgewicht  kamen  und  sein  Urtheil 
reifte.'  Durch  G^org  Jacobi  liefs  er  sich  bestimmen  für 
einen  Gehalt  von  300  Thalern  die  Mitredaküon  der 
Irü^  einer  neuen  Zeitschrift,  die  Friedrich  Heinrich 
Jacobi  in  Düsseldorf  herausgab,  zu  übernehmen«  Heinse 
reis'te  im  Frühjahr  1774  -  über  Hannover  nach  DüsseU 
dorf.  ,,Ich  sehe  bis  jetst,  schreibt  er,  keinen  andern 
Weg  nach  Rom  und  Neapel  und  dem  Aetna,  als  über 
Düsseldorf.**  Hier  im  Jacobischen  Hause,  wo  er  unter 
den  bedeutendsten  Männern  auch  Goethe  kennen  lernte, 
.führte  er  seine  Bildung  nach  einem  gröfsern  Plane  wei- 
ter aus,  und  verschaffte  durch  die  Musik,  die  er  eifrig 
betrieb ,  durch  die  GemSldegallerie  in  Düsseldorf  und 
den  Umgang  mit  Malern 'seinem  Genius  eine  eben  so 
erwünschte  als  homogene  Nahrung,  steigerte  aber  durch 
diese  'Kunstgenüsse  die^  tiefe  Sehnsuclit  nach  Italien  so 
sehr,  dafs  ihn  Jacobi  endlich  mit  Geld  eur  Reise  aus- 
stattete. Im  Juni  1780  sehen  wir  ihn  zu  Fufs  den 
Rhein  herauf  wandern,  Süddeutschland  und  die  Schwelt 
durchziehen  und  von  hier  über  Marseille  nach  Genua 
Und  Venedig  reisen.  In  Italien  und  zwar  meistens  iu 
Rom  blieb  er  bis  zum  Herbst  1763.  Im  folgenden  Jahr 
finden  wir  ihn  wieder  in  Düsseldorf,  und  1787  erhielt 
er  endlich  eine  Anstellung,  er  wurde  Lector  des  Kur- 
fUrsten  von  Mainz,  später  Kurerzkanzlerischer  Hofrath 
ui)d  Bibliothekar.  Er  starb  im  Todesjahre  seines  ge- 
liebten Gleim  und  Klopstoks,  am  22sten  Juli  1803. 

In  diese  Zeitperiode  ist  das  Dasein  eines  ausge- 
zeichneten Geistes  eingeschlossen,  über  dessen  äufsere 
Lebensumstände  wir  leider  nur  fragmentarische  Nach- 
richten aus  seinen  Briefen  an  Gleim  und  Jacobi  be- 
sitzen. ^ 

Heinse  war  von  der  Natur  durch  alle  Keime  sei- 
nes Wesens  zum  Dichter  und  Künstler  bestimmt,  ja 
auf  denselben  beschränkt,- und  wenn  er  als  solcher  das 
Höchste  nicht  erreichte,  so  trägt  hkuptsächlich  sein 
Schicksal  die  Schuld,  welches  er  nicht,  wie  Schiller 
das  seinige,  über;ivand,  eben  weil  er  nur  Dichter  war. 
Nicht  Mangel  an  Talent,  denn  er  hatte  eine  aufseror- 
dentliche  Leichtigkeit  der  Auffassung  und  ein  scharfes 
Urtheil,  sondern  eine  unüberwindliche  Abneigung  hi^lt 
ihn  ab,  je  eine  Brodwissenschaft  zu  studtren  5  es  war 


unmöglich ,  einen  anderweitigen  ernsten 
zweck  zu  verfolgen,  die  Triebfedern  des  Ehrgeizes,  des 
Besitzes,  der  blolsen  Wifsbegierde  u.  s.  w'.  waren    für 
ihn  nicht  vorhanden«    So  sehr  beherrschte  ihn  sein  Ge» 
nius,  dafs  er  nur  diesen  ausleben  wollte,  und  ttch  nur 
in  dessen  Genüsse  glücklich  fühlte.    '£r  erkaanfe  die- 
ses  mit  immer  steigender  Klarheit.     „Ein  bis  an  meia 
Lebensende   fortdaurendes  Amt   anzunehmen''   sagt  er 
1776  (B.  8.  S.  133)  „ist  meinem  Geiste  jetzt  ganzitdi 
zuwider •''  —  «»Ein  innerer  Beruf  treibt  und  quSlt  mich 
und  reust  mich  ohne  Unterlafs  dahin  zu  den  Landen 
der  Schönheit,  um  mein  Wesen  mit  allem  dem  zu  ver- 
einigen, was  das  Geschlecht  der  Mensehen  je  Gro&es, 
Edles  und  Liebevolles  hervorgebracht/'  —  Und  in  ähiH 
lieber  Weise  äufsert  er  sich  im  Juli  1778 :  „Ich  bin  zi 
allem   andern,   aufser  Natur   und   Kunst,  verdorbeB« 
Meine  Tage  fliehen  dahin  in  verzehrendem  Feuer^  q. 
s.  w.    Als  er  seines  Wunsches  theilhaftig  gewordea 
war,  schlug  er  alle  Beschwerden  und  Noth  für  gering 
an.     In  Genf,  wo  er  mit  leerem  Beutel  herumging  und 
mit  einem  Gefühl,  „als  hätte  er  Galgen  und  Rad  ver* 
dient",  half  ihm  nur  sein  meisterhaftes  Billardspiel  aus 
der  äufsersten  Verlegenheit^  in  Südfrankreieh  kämpfte 
er  mit  den  grofsten  Drangsalen ;  in  Venedig  lag  er,  un 
nicht  halb  zu  erfrieren,  des  Tages  gewöhnlich  achtzehs 
bis  zwanzig  Stunden  im  Bett  und  brütete  über  den 
Tasso,  und  afs  alle  vier  und  zwanzig  Stunden  die  wohl- 
feilste Kost;  in  Florenz  mufste  er  fiirchten,  aas  den 
Wirthshause,  wo  er  nicht  zahlen  konnte,  und  aus  der 
Stadt,  mit  Schimpf  und  Schande  hinausgejagt  zu  wer- 
den; in  Rom  afs  er,  um  das  Geld  für  eine  Reise  nach 
SIcilien  zu  sparen,  wenig  anderes,  als  Milch  und  Reis. 
Aber  nichts  Von  all'  dem  konnte  ilim  je  eine  Klage,  ein 
Wort  des  Unmutlis  entlocken,  und  er  meinte,  Noth  sei 
der  Uhrschlnssel,  womit  die  Springfedem  des  Hersens 
von  neuem  wieder  aufgezogen  würden.    Nie  aber  sparte 
er  das  Geld,   wenn  eine  Oper  zu  h5ren,    ein  Kunst- 
werk zu  sehen  war,   und  nie  vergafs  er  des  heiligen 
Zweckes  seiner  Pilgerschaft,  so  wenig  als  ihm  der  Kör- 
per je  den  Dienst  versagte.    ,^Meine  Nerven'*,  schreibt 
er  an  Jacobi,  „sind  von  Stahl  und  Eisen ;  wenn  nur 
mein  Blut  und  meine  Lebensgeister  minder  feurig  wä- 
ren! Ich  kann's  Ihnen  nicht  sagen,  wie  es  oft  unter* 
Wegs  gebrannt  hat.    Müde  bin  ich  nie  geworden,  mei- 
nen Gemslauf  über  die  Purka  ausgenommen."    In  Rom 
lernte  er  Klingern  kennen^  und  wenn  er  Ihm  einige 


US 


IV*  HeinMey  sämmilicAe   fVerke. 


166 


seiner  kleineii  Märsche  ersUihe)'  so  kam  den  russischen 
General  ein  Grausen  iin  (B.  9.  S.  161). 

Eine  solche  Wanderlust  lag-  ganz  in  seiner  Sinnes- 
weise. Er  meinte,  der  Mensch,  das  endlose  Geschöpf, 
sei  dazu  gemacht,  von  Zone  su  Zone  su  wandeni,  um 
mit  seiner  Seele  Besitz  zu  nehmen  von  allem,  was  gut 
und  schön  ist,  und  das  sei  sein  wahrer  und  einziger 
Reichthum.  Er  ruft  aus:  yjch  würde  vor  Gleichgül- 
tigkeit erblassen,  wenn  ich  jeden  Tag  das  Nämliche 
sehen,  thun  und  handeln  müfste."  Nach  der  Lehens« 
.weise  des  Wieland'schen  Aristipp  such(  er  alles  Gute 
und  Schöne  an  sich  zu  zjehen,  was  Ihpi  dieses  wech* 
selnde  Leben  brachte,  und  es  war  ein  Grundsatz  von 
Ihm,  mit  den  Glucklichen  sein  und  ihr  Glück  zu  theilen, 
ohne  es  Ihnen  zu  beneiden  oder  zu  rauben  (B.  9.  S.  114). 
^ie  aber  sank  seine  Genufsliebe  zur  Gemeinheit  hinab, 
und  was  Laube  sagt,  dafs  Heinse  aller  Orten  Lieb- 
schaften angeknüpft  habe,  wird  er  nicht  belegen  kön* 
nen.  Wäre  er  nicht  ein  siCtenreiner  Mensch  gewesen, 
er  würde  in  der  Jacobischen  Familie  nicht  geduldet 
worden,  nicht  der  Freund  des  Fritz  Jacobi  geblieben 
sein.  Er  trennte  seine  Freude  nicht  von  der  Tugend. 
i^Sie  sind  ein  glücklicher  Mann*',  schreibt  er  an  Jacobi, 
,^und  mit  allen  Tugenden,  t(^erth  es  zu  sein  —  unddieji 
üt  da%  AocAste  Loos  der  MsuMchkeir  (B:  9.  S.  235). 
Nirgends  hören  wir  ihn  ein  hartes  Urtheil  über  Andere 
aussprechen^  so  himmelweit  er  auch  von  sentimentaler 
und  indolenter  Gutmüthigkeit  entfernt  iit  Für  men- 
schenfreundliche Neigungen  war  er  wie  geschaffen. 
An  seiner  Familie  scheint  er  'mit  inniger  Liebe  gehan- 
gen zu  hahen,  er  nennt  seinen  Yater  einen  der  besten 
Menschen,  die  er  kenne,  und  die  Schilderung  desselben 
beweiset  seine  kindliche  Liebe  (B.  8.  S.  61).  Es  fin- 
den sich  noch  Bruchstücke  von  seinen  Briefen  an  seine 
&ltem  und  Geschwister  vor,  in  welchen  sich  die  wärm* 
ste,  kindliche  und  brüderliche  Tbeilnahme- ausspricht 
'Das  schönste  Document  seines  Gemüthes  ist  aler  sein 
inniges  Verliältnifs  zu  Gleim,  welchen  er  Zeitlebens  als 
seinen  Wphlthäter  enthusiastisoh  verehrte.  Noch  im 
Jahr  1796  sehreibt  er  ihm:  „Ich  Sie  vergessen!  —  Sie 
waren  der  Mann,  der  sich  suerst  meiner  annahm,  mich 
jtmgen  herumirrenden  Witden  groCsmüthig  in  die  Welt 
einführte,  immer  als  väterlicher  Freund  für  mich  sorg- 
te!*' -^  Mit  so  fester  Anhänglichkeit  schlofs  er  iich 
Mch  an  Fritz  Jacobi  und  dessen  Familie  an,  und  er 
scheint  überhaupt  etwas  Yertrauenerweckendes  und  eine 


V 


grofse  Anziehungskraft  gehabt  zu  haben,  dals  -er  überall 
Freunde  und  Bekannte  fand,  unter  denen  in  Rom  uut 
der  Maler  Müller  genannt  werden  mag. 

Laube  in  seiner  voranstehenden  Biographie  nennt 
unsem  Dichter  an  mehreren  Stellen  eitel.  Ich  wübte 
aber  nicht,  mit  welchem  Rechte  ihm  diefs  Prädikat  in 
einem  höherem  Grade  zugeschrieben  werden  konnte  als 
dem  Ersten  Besten,  z.  B.  Goethen. 

Wie  er  für  Lebensgenufs  und  Freundschaft  em- 
pßinglich  war,  so  setzte  er  dem  Ungemach  und  der 
MifsgjLinst  die  Festigkeit  einer  starken  Seele  entgegen. 
„Dieses,  schreibt  er  schon  1772,  war  in  der  kleinen 
Zahl  meiner  Lebenstage  immer  die  Hauptquelle  meiner 
Glückseligkeit,  dafs  mir  die  Natur  einen  Geist  gegeben,' 
welcher  Uebel  erdulden  kann,  unter  welchen  andere 
Geister  in  die  Sphäre  des  armseligen  Pöbels  hinabsin« 
ken  müfsten"  u.  s.  w.  Er  meinte,  die  Natur  habe  ihn 
mit  einem  guten  Humor  ausgesteuert,  womit  er  alles 
Düstere  von  sich  wegscherzen  könne.  „Sie  wissen, 
schreibt  er  einmal  an  Jacobi,  dafs  ich  mit  leichtem 
Schritt  einen  tüchtigen  Bündel  Noth  forttragen  kann/' 
Allenthalben  ist  es  ersichtlich,  dafs  sein  unverwüstli- 
cher Frohsinn  auCser  seinem  festen  Körper  einen  er« 
habenen  geistigen  Hintergrund  hatte.  „Was  in  mir  ist, 
macht  mich  erst  allein^  stoiz  und  glücklich,  und  wenn'a 
mir  eine  Hölle  von  Teufeln  ableugnete,  und  kein  Ruf» 
Irein  Titel,  kein  Rang.** 

Diese  hohe,  stolze  Gesinnung  kehrte  er,  wenn  es 
sein  mufste^  den  Menschen  entgegen.  Nie,  sagt  er 
selbst  (B.  8.  8.  76),  sei  Menschenfureht  in  ihn  gekom- 
men.  „Frei  wie  ein  Grieche  kann  ich  unter  Sklaven 
leben,  und  spartanischen  Muth  dem  anbieten,  der  mir 
das  Joch  der  Knechtschaft  auflegen  will."  „Ich  bin 
ein  ho  freier  Mensch",  heifst  es  an  einer  andern  Stelle, 
„als  vielleicht  einer  auf  Gottes  Erdboden  herumgeht.** 
Diese  Selbstständigkeit  des  Ciiarakters  bildete  sich  bei 
ihm  zu  einer  wahrhaften  republikanischen  Denkungsart 
aus,  und  Laube  hat  sehr  Unrecht,  seine  hierauf  hindeu* 
tendeu'  Aussprudle  als  blofse  Wallungen  eines  erhitzten 
Blutes  auszulegen.  Sie  flössen  vielmehr  nothwendig 
aus  seinem  innersten  Wesen.  Als  Klinger  in  Rom  da- 
mit umging,  ihn  zum  Bibliothekar  des  Grofsfürsten  zu 
machen,  äufserte  er  sieh  (B.  9.  S.  155):  „Wer  in  das 
Haus  eines  Despoten  geht,  bleibt  ein  Sklave,  ob  er. 
gleich  frei  hineinkam,  und  weit  vom  Hofe,  weit  von 
der  HöUe'',  welche  Worte  er  später  noch,  in  Mainz, 


167 


JV.    HeinMB^    MämaUliche    fVerke. 


168 


seinem  Ardiiingello  in  den  Mfund  legte«  ^Jü  den  Him- 
mel, sagt  er  in  einer  andern  Stelle,  würde  ich,  wie  in 
eine  Hölle,  gehen,  wenn  ich  meine  Freiheit  darin  ent- 
behren sollte''  (B.  8.  S.  38).  Noch  am  Hofe  des  Erz- 
bischofs von  Mainz  nennt  er  sich  ein  Kind  der  Natur; 
er  sei  seiner  guten  Mutter  treu  geblieben,  und  weder 
Hof  noch  Rom  hätten  ihn  von  ihr  abgebracht.  So  we- 
nig  Gefallen  er  an  dem  neuern  Staatsleben  aber  auch 
hatte,  so  war  er  mit  Gleim  doch  ein  Verehrer  Frie- 
drichs des  Grofsen,  und  der  franzosischen  Revolution 
wie  es  scheint,  nicht  hold.  Wenigstens  nennt  er  die 
Einführung  der  Republik  in  Mainz  eine  'Freiheitsfarce 
(B.  9.  S.  2^1). 

Sc\|on  im  väterlichen  Hause  und  nachher  im  Gym- 
nasium zu  Schleusingen  scheint  ihm  das  Christenthum 
durch  den  lutherischen '  Katechismus  und  als  Dogma- 
tik  in  dürren  orthodoxen  Formeln  aufgenuthigt  worden 
zu  sein,  wodurch  es  ihm  fijr  immer  zuwider  wurde. 
Di^  christliche  Religion  und  Kirche  als  solche  waren 
für  seine  Ueberzeugiingswelt  gar  nicht  vorhanden.  Doch 
schlägt  eine  tiefere  religiöse  Empfindung  durch  seinen 
poetischen  Natursinn,  als  jsie  den  Griechen  je  zu  Theil 
werden  konnte;  und  als  ihm  einst  als  Jüngling  zuge- 
muthet  wurde,  Spottgedichte  auf  die  christliche  Rcli« 
gion  zu  machen,  erklärte  er,  unmöglich  sich  so  weit 
erniedijgen  zu  können,  er  könne  sich  nicht  zwingen, 
Leuten,  die,  ohne  zu  wissen,  warum,  Religionsverächter 
seien,  auch  nur  ein  freundliches  Gesicht  zu  machen. 
Ohne  Achtung  vor  Religion  würde  er  gewifs  sich  nicht 
in  der  Freundschaft  des  Jacobi  erhalten  haben,  obgleich 
er  im  Anfang  seiner  Bekanntschaft  mit  ihm  meint, 
Jacobi  stecke  npch  tief  im  VarurtheiL  So  nennt  er 
gemeinhin  alle  Anhänglichkeit  an  das  geschichtliche 
Ueberlieferte. 

Dagegen  lebte  Heinse  ganz  in  den  Werken  der 
Alten  und  in  dem  Besten ,  was  die  gebildeten  Tölker 
der  neuern  Zeit  in  Kunst  und  Literatur  hervorbrach- 
ten. Als  ihm  Jacobi  Yossen's  Odyssee  nach  Italien 
^sandte,  machte  er  aus  der  blofsen  Erinnerung  (denn 
das  Original  hatte  er  nicht  in  seine  Jagdtasche  stecken 
können)  Berichtigungen  (B.  9.  .S.  228).  Nach  Haus 
zurückgekehrt,,  las  er  zum  Ersatz  für  alles,  was  er 
entbehrte  —  („Es  ist  bei  uns  alles  so  kalt,  so  kalt, 
mufste  er  klagen,  und  kein  edler  Geist  findet  Unter- 
stützung") —  die.  Alten,  und  wenn  er  irgend  eii\e  Ge- 


sellschaft junger  Freunde  wufste,  meinte  er,  um   ibnen 
die  Lust  an  den  heitern  Griechen  mit  dieser    Götter- 
spräche  mitzutheUen ,   wollte  er  sich    sogleich    Tvieder 
auf  den   Weg  machen.     Nur   „zum  Sehulmeisterlebea 
auf  Universitäten  spüre  er  keine  Neigung."    £r    hatte 
die  Alten  in  Geist  und' Wahrheit  lebendig  aufgefalsl, 
und  wufste  in  reiferen  Jahren  ihnen  gegenüber  Bi^  gut, 
als  Goethe   „dichtend   und  denkend  die  Eigenthamlieb. 
keit  seines .  Geistes  zu  behaupten."    „Jeder  arbeile  für 
das  Yolk,  spricht  er,  worunter  ihn  sein  Schicksal  ge- 
worfen, und  er  die  Jugend  verlebte,  suche  dessen  He^ 
zen  zu  erschüttern,  und  mit  Wollust  und  Entzuckca 
zu  schwellen;  suche  dessen  Lust  und  Wohl  zu  un- 
terhalten, zu  verstärken  und  zu  veredlen,  und  Iielf  ilm 
weinen,  wenn  es  weint.    Was  geht  uns  Vorwelt  und 
Nachwelt  an!  Jene  ist  vergangen"  u.  s.  w.  (B.'8 .  S.  168)i 
Die  meisten  ausländischen  Sprachen  verstand    er,   das 
Italienische  sprach  er  sogar  in  den  verschiedenen  Mmid- 
arten.     Ein  weites  Feld  des  Gelesenen,  des  Gesebeoea 
und  Gehörten  stand  seinem  glücklichen  Talente  anges- 
blicklich  zu  Gebote. 

Laube  spricht  Heinsen,  im  Gegensatz  von  Lessing, 
nur  eine  reiche  Empfänglichkeit  zu,  und  sagt,  sein 
Urtheil  über  gleichzeitige  Literaten  sei  nur  selten  be- 
deutend gewesen.  Wie  wenn  der  Dichter  auf  Keeep« 
tivität  beschränkt  wäre,  und  nicht  auch .  die  weitere 
Fähigkeit  nöthig  hätte,  das  Aufgefafste  poetisch  zu  ver- 
arbeiten! Aber  aufser  dieser  dichterischen  Bildungs- 
kraft besaPs  Ileinse  oflfenbar  ein  aufserordeutlich  festes, 
sicheres^  immer  den  Hauptpunkt  treffendes  Urtheil  Ober 
Bucher  und  Menschen,  gleichzeitige  pder  frühere,  woraaf 
es  hierbei  ja  gar  nicht  ankommt,  eben  so,  wie  über  Mti- 
sik,  Gemälde,  Statuen,  Gebäude  und  andere  Gegen« 
stände,  und  beinahe  überall  sind*  seine  Urtheile  nicht 
allein  geistreich  und  eigenthümlich,  sondern  selUagend 
richtig.  Von  Goethe  schreibt  er  am  13.  December  1774 
von  Dusseldorf  aus :  „Goethe  war  bei  Uns,  ein  schoiier 
Junge  von  fünf  und  zwanzig  Jahren,  der  vom  Wirbel 
bis  zur  Zehe  Genie  und  Kraft  und  Stärke  ist;  ein  Hers 
voll  Gefühl,  ein  Geist  voll  Feuer  mit  Adlerflögeln,  qd 
ruit  immensus  ore  profunde.''  Und  .am.  13.  Ooteber: 
„Ich  kenne  keinen  Menschen  in  der  ganzen  gelehrten 
Geschichte,  der  in  solcher  Jugend  so  rund  und  voll 
von  eigenem  Genie  gewesen  wäre,  wie  er.  Da  ist 
kein  Widerstand ;  er  reifst  alles  mit  sieb  fort*'  u.  s.  w, 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


Jtf*  22. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche    Krit  ik. 


Februar    1840. 


Wüh^lm  He  in  80' 9  sämmiltehe  Schriften.    Her- 
magegeben  f^on  Heinrich  Laube. 

(Fortsetarang.) 

In  einem  spatern  Briefe  aus  Rom  (B.  9«  S.  81) 
kann  er  Leesing'9  Meinung,  dafs  nicht  viel  aus  Goetlie 
werden  werde,  niclit  beipflichten.  Ueber  eine  Menge 
bekannter  Männer^  mit  denen  er  in  Düsseldorf,  Zürich, 
Genf,  Rom  zusammenkommt,  enthalten  seine  Briefe  die 
treffendsten  Aussprüche.  So  ist  aucb  alles,  was  er  über 
frühere  Schriftsteller  sagt,  gleichsam  aus  9ct  Wahrheit 
selbst  herausgegriffen,  und  beweis't  eben  so  viel  Ter«- 
•tand  alt  Bildung.  Eine  metaphysische,  reichhaltige 
Gedankenader  zieht  sich  durch  alle  Periöden  seiner 
Entwiekelung,  und  fibeirasGhei;id  treten  uns  allenthal- 
ben in  seinen  Schriften  tiefe  philosoplüsche  Ideen  ent- 
gegen. 

Seine  Beobachtungsgabe  ist  auch  in  der  Schilde- 
rung angedeutet,  die  uns  Jung  Stilling  von  seinem  Aeu- 
Isern  gibt,  der  einzigen,  welche  wir  bis  jetzt  von  ihm 
besitzen:  „Heinse,  der  sich  durch  sch5ne  Schriften  be- 
rühmt gemacht  hat,  war  ein  kleines,  junges,  rundköpfi« 
geS  Männchen,  den  li^opf  etwas  nach  einer  Schulter 
gerichtet,  mit  schalkhaften  hellen  Augen,  und  immer 
lächelnder  Mjene;  er  sprach  nicht,  sondern  beobachtete 
nur;  seine  ganze 'Atmosphäre  war  Kraft  undUndurch* 
dringlichkeit,  die  alles  zurückhielt,  was  sich  ihm  nähern 
wollte."  Aus  dem  Briefwechsel  (B.  8.  S.  275)  erfah- 
ren wir,  dafs  Heinse  sein  Portrait,  von  Eich  gemalt,  an 
Gleim  geschickt  hatte."  Hätte  Laube  sich  nicht  bemü- 
hen sollen ,  durch  Mittheilung  seines  Bildnisses  uns 
eine  Anschauung  von  dem  Manne  zu  verschaffen,  der 
selbst,  Goethen  ausgenommen,  mehr  als  ein  anderer  deut- 
scher Schriftsteller,  alles  zu  veranschaulichet  suchte! 
Sein  Facsimile  wenigstens  hätte  er  uns  nicht  vorent- 
halten sollen. 

Die  fröhliche  Tüchtigkeit  seiner  Geisteskräfte  wurde 
Jahrh.  /.  trtuenicA.  Kritik.   J.  1840.   I.  Bd. 


durch  eine  blühende,  stählerne  Gesundheit  unterstützt 
In  Düsseldorf,  im  Jahr  1778,  wurde  er  zum  erstenmal, 
wie  der  Arzt  sagte,,  aus  Ueberfülle  strotzender  Gesund- 
heit heftig  krank.  In  Italien,  bei  einer  ärmlichen  Kost; 
bei  Beschwerden  und  Nöth,  bei  kaltem  Wetter  in  sei- 
nem abgetragnen,  dünnen  Rockchen,  war  er  immer  ge- 
sund. Die  Römer  sagten  von  ihm,  er  sei  mehr  für  ihr 
Klima  geboren,  als  sie  selbst,  und  mit  Haut  und  Haar  ^ 
am  Körper  der  Sallustische  Katilina  (B.  9.  S.  199).  Er 
reisHe,  seine  Jagdtasche  nm  die  Schulter^  beinah  im- 
mer zu  Fub  —  damals  ein  seltenes  Beispiel  «—  und 
wie  er  alles  mit  Macht  trieb,  so  machte  er  die  ange- 
strengtesten Märsche.  „Ich  halte  das  Reisen  zu  Fufs, 
oder,  wenn  man  schwach  und  steif  ist,  zu.  Pferde  für 
die  einzige,  wahre  Art,  zu  Land  zu  reisen:  im  Wagen 
bleibte  ein  abenteuerlich  Stubensitzen  und  eine  folternde 
wandernde  Modekerkerei"  u.  s.  w. 

Nach  allem  dem  tragen  wir  kein  Bedenken,  das 
Urtheil,  welches  der  Maler  Müller  über  ihn  fällte,  zu 
unterschreiben,  dq/s  Heinse  eine  doppelte  Grundeäule 
von  Kunst  und  ursprünglicker  Menschheit  geufe» 
sen  sei. 

So  stellt  sich  Heinse  in  seuien  Briefen  dar,  und 
wie  er  sich  hier  unvrillicührlich  gibt ,    so   webte  und  . 
lebte  er,  das  ist  ohne  Zweifel  sein  achtes  Bild. 

Diesen  Briefen  scheint  Laube  nur  einen  unterge- 
ordneten Werth  beizulegen  —  er  wirft  ihm  eine  unor- 
dentliche Schreibart  vor,  doch  bessere  sich  hie  und  da 
der  Stil;  überhaupt  sei  Heinse  nicht  für  den  ,,erklä- 
rendeu,  ausfüllenden'*  Brief  gewesen,  aus  Italien  habe 
er  lange  Briefe  an  Jacobi  geschrieben.  Was  kann  es 
aber  Schrecklicheres  geben,  als  „ericlärende  und  aus- 
füllende*' Briefe  I  —  Freilich  in  Hemse*s  frühesten  Brie- 
fen  an  Gleim  herrscht  die  Sprache  eines  schwärmeri- 
schen Jünglings,  der  seine  Begeisterung,  halb  mit  Fleifs, 
poetisch  ausschmückt;  um  sich  bei  dem  Dichtergreis 
in  Kredit  au  setzen,  und  der  wohl^  auch  mit  citirten 

22 


171 


fV. 


•  ^ 


sämmilieAe   Werke* 


172 


Didhterstellen  und  Belesenheit  einen  leeren  Prunk  treibt 
Hierauf  hat JLaube  mit  Recht  aufmerksam  gemacht,  nur 
hat  er.  in  seinem  Eifer,  seinen  Schriftsteller  ,,krihl  an- 
süsehen",  unbeachtet  gelassen,  wie  gefällig  und  anmu- 
thig  und  durchaus  sprachrein  auch  schon  diese  Jugend- 
briefe, sind.  Aber.Heinse's  Briefe  von  Düsseldorf,  der 
Schweiz  und  Italien  gehören  zu  den  treflflichsten,  die 
wir  im  Deutschen  besitzen!  Sie  vereinigen  mit  einem 
freien ,  graziösen  Gang  und  den  iibrigen  Reizen  des 
ächten  Briefstils  einen  so  mannigfaltigen,  unmittelbar 
menschlichen  Inhalt,  dafs  ihnen  sogar  die  Korrespon- 
denz zwischen  Schiller  und  Goethe  in  dieser  Hinsicht 
weit  nachsteht.  Diese  Briefe  zeigen  ihn  uns  in  den 
verschiedensten  Gemüthszuständea  und  im  Fortgange 
seiner  Bildung.  Jeder  Satz  ist  ein  Zeugnifs  seines  In- 
liern,  und  alles  spielt  in  dem  frischesten  Leben. 

Man  muls  in  dem  Leben  Heinse's  drei  Perioden 
unterscheiden : 

1)  Die  Jugendperiode,  bis  zu  seiner  Abreise  von 
Halberstadt  nach  Düsseldorf  im  Jahr  1784. 

2)  Die  Periode  der  Ausbildung  in  Düsseldorf  und 
Italien  durch  das  Studium  der  Alten  und  Italiener,  pla- 
stische Kunst  und  Musik,  bis  zu  seiner  Rückkehr  aus 
rtaUen  im  Herbst  1783. 

3)  Die  Periode  der  Reife  von  1783  bis  zu  seinem 
Tode  1803. 

In  die  Jugendperiode  fallen  der  Reihe  nach  fol- 
gende Schriften:  Sinngedichte^  Begebenheiten  deM 
Enklop  auM  dem  Satyrikon  des  Petrouy  die  Kireehen 
uvkA  Laidion  oder  die  Eleueinitehen  OeheimniiMe. 
Nur  die  erste  und  4ie  letzte  Schrift  sind  Originalauf- 
sätze. Von  den  Sinngedichten  läfst  sich  freilich  im 
Voraus  von  einem  ein  und  zwanzigjährigen  Jungling 
wenig  erwarten;  es  sind  meistens  lyrisch  ausgespro- 
chene unbedeutende  Gedanken.  Das  leichtfertige  Ge- 
dicht, die  KincAeny  ist  von  Dorafs  Cerises  ins  Deut- 
sche überarbeitet.  In  diesem  Gedichte,  und  in  den  bei- 
den angehängten  Idyllen,  die  eilfertige  Schdferin^  und 
die  Schafer9tundey  überbietet  die  sinnliche  Gluth  des 
„Feuergenius"  seinen  Meister  Wieland  in  nackter  Dar- 
stellung der  Geschlechtsverhältnisse.  Das  letzte  und 
wichtigste  Werk  der  Jugendperiode  war  JLmdion  oder 
die  JEleu^iniechen  Geheimnisse  —  wie  Laube  sagt, 
ein  Dithyrambus  nach  griechischen,  und,  konnte  man 
hinzusetzen,  Wielandischen  Studien.  Es  wurde  zu  &•* 
fürt  begonnen  und  zu  Quedlinburg  1771  geendigt  (B.  8. 


S.  80).    Es  sind  lyrische  Briefe  der  auf  den  Abend- 
stem  in's  Elysium  versetzten  bekannten  Scbdiien,  Lais 
von  Korinth,   an  den  Weisen  Aristipp,  der  noch    auf 
Erden  weilt.    Die  Himmelserhöhung  der  Lais,  das   Ge- 
rieht,  welches  von  Orpheus^  Solen  und  Aspa^a   uMr 
sie  gehalten  wird,  die  Genüsse  dieser  und  anderer  grie- 
chischen Celebritäten  im  Elysium,  der  Lebenslauf  der 
Lais  auf  Erden,  die  Gespräche,   Vergnügen,  Bescshäfti- 
gungen  der  Seligen,   und  durch  alles  dieses  die  Datle- ' 
gung  einer  heiteren,  auf  sinnlichen  und  geistigen  Geauls 
abzielendei^  Lebensphilosophie,   überall  mit  lewu  foe- 
tbchen  Anspielungen  auf  die  bestehende  Religion ,  auf 
die  Scholastik  der  Wissenschaft  und  den  unnatürliehea 
Zwang  der  bürgerlichen  Verhaltnisse  —  dieis  ict  der 
Hauptinhalt  dieses,    ganz   in    Phantasie  schwebenden 
Gedichts.     Nur  wo  Heinse  die  Lais  ihr  Erdenleben  be- 
schreiben lafst,  wird  die  Darstellung  fester  und  anachm. 
lieber.    Aber  nirgends  verliert  sieh  diese  überirdiaebe 
Schilderung  in  Schwulst  und  in's  UeberschwengUdiei 
und  der  Auläruck  ist  überall  vortrefflich.    Auch  in  der 
Form  erinnert  üianches  an  Wieland,   z.  R.  die  in 
Prosa  eingeschobenen  poetischen  Stellen,   und  die 
rarischen  oder  didaktischen  Ueberschriften  der  einsdnea 
Briefe,  welche  die  Illusion  sriir  unterbrechen  und  stö- 
ren, indem  sie  immer  an  den  Verfasser  erinnern. 

Diesen  Eleusiniscfaen  Geheimnissen  ist  die  ersts 
Hälfte  des  fünften  Gesanges  eines  unvollendet^^  Hel- 
dengedichtes angehängt,  welches  in  den  Zeiten  Ale- 
xanders des  Grofsen  spielen  und  aus  zwanzig  Blichen 
bestehen  sollte.  Heinse  hatte  sich  für  die  Ausarbeitung 
des  Ganzen  zehn  Jahre  festgesetzt.  Es  sind  die  «sten 
Stanzen,  welche  nach  der  ganz  regelmäfsig  italieniacbea 
Form  in  fünf  weiblichen  Reimen  Im  Deutsefaen  gedich- 
tet worden  sind,  und  sie  möchten  an  musikalischer 
Schönheit  von  keinen  andern  in  unserer  Sprache  Ober* 
troffen  werden. 

Die  erste  Stanze  heifst: 

,,0  %ckwth9'  doch  nun  auch  zu  mir  hernieder^ 
Du  tchöMUs  Kind  der  hellgeitirnten  Xachtl 
Zum  drittenmal  hab*  ich  voll  Feuer  wieder 
Den  Morgenstern  mit  mattem  Blick  erwacht. 
Ei  locken  dich  der  Nachtigallen  Lieder^ 
Der  ßlüthen  Duft,  von  Lünen  angelacht 
So  süfiy  ali  ob  im  Schatten  dieser  Baums    ' 
Endymion  von  ihrer  Liebe  träume." 

Dieses  Fragment  und  hauptsächlich  zwei  Strophen  wa» 
ren  es,  derentwegen  sein  bisheriger  Gönner  Wieland,  in 


173 


i^    Hein$ej  sämmtiicAe    Werke^ 


174 


einem  Briefe  an  Gleimt  seinen  lieftigen  Zorn  gegen 
Heinse  ausschQUete,  weil  er  in  denselben  allen  litili- 
eben  Anirtand.  verletat  habe.  Wieland  fühlte  sich  in 
feinem  Reeht,  schlüpfrig  zu  schreiben,  beeinlräohtigt, 
und  was  or  selbst  bemäntelte,  das  sah  er  aaf  einmal 
¥on  seinem  Schuler  an  den  lichten  Tag  gestellt«  Grur 
b$r  in  seiner  Biographie  Wieland*s  (B.  3.  S.  113)  gibt 
über  diesen  interessanten  Streit  die  näheren  Aufschlüsse, 
und  Laube  hat  das  Vertheidigungsschreiben  Heinse's 
aufgenommen,  worin  er  dem  guten  Alten  begreiflich 
maoht,'  ^dafs  er  das  ganse  vollständige  Magazin  chirur- 
gischer Instrumente  zu  seiner  Kur  nicht  nothwendig  ge- 
habt hatte,  denn  er  habe  keines  Sokrates  bedurft,  der 
ihm  beweise,  dab  das  moralisch  Schöne  keine  Chimäre 
seL"-  Der  ganze  Brief  ist  ein  vollgültiges  Document 
von  der  ehrenhaften  Gesinnung  seines  Verfassers.  Wie 
kann  Laube  (B.  1.  S.  XXJ^Y)  den  Ausfall  Wieland's 
auf  die  Kir$e/ten  beziehen,  die  doch  nur  eiue  Ueber- 


wie  für  das  Schöne  in  der  äufsern  Natur,  ging  eben- 
falls aus  seinem,  ganzen  Wesen  hervor,  und  fand  ili 
der^  Gemäldegallerie  zu  Düsseldorf  die  erwünschteste 
Befriedigung.  Allef ,  wofür  er  sich  intercssirte  und 
thätig  war,  gliederte  sich  zu  einem  vollständigen  Sy- 
steme ab,  und  fiel  in  einen  Mittelpunkt  seines  Lebens 
zusammen.  J^We  seine  sonstigen  Beschäftigungen  hal^ 
fen  sein  poetüc/icM^  schriftstellerisches  Talent  ausbilden^ 
und  lieferten  demselben  Material.  Er  schrieb  über  Ma- 
lerei,  Bildhauerei,  Musik  und  über  das  Schachspiel. 

In  dieser  mittlem  Periode  erschien  von  ihm  in  der 
Iris  das  Leben  des  Torquato  TasMO  und  als  Probe 
eine  Uebersetzung  des  befreiten  Jerusalems,  die  Armida. 
„Ich  wollte  den  Deutschen  nur  Gelegenheit  yerscliaffen, 
durch  den  Tusso  mich  in  einen  guten  Stand  zu  setzen  — 
allein  sie  sind  und  bleiben  Barbaren,  bei  denen  alles 
im  Unkraut  aufwachsen  und  sich  selbst  forthelfen  mufs." 
Doch  machte^  er  sich  später  in  Italien  auf  den  Antrag 


«\ 


Setzung  des  Dorat  sind,  und  in  welchem  Gedichte  von     des  Professors  Klein  in  Mannheim  (B.  9.  S.  62)  aber- 


einer  Lisette,  aber  nicht  von  einer  Almina  die  Rede  ist, 
die  allein,  sowohl  in  den  Stanzen,  als  in  dem  Verthei- 
digungsschreiben Heinse's  an  Wielund  (B.  10.  S.  97) 
genannt  wirdi 

In  seiner  xtaeiten  hebensperiode  ^  in  Düsseldorf 
und  Italien,  suchte  sich  Heinse  auf  die  seiner  Natur  ei- 
genthümliche  Weise  zu  entwickeln,  und  schriftstellerte 
nur,  um  sein  Leben  zu  fristen«  Das  Studium  der  Al- 
ten und  Neuern,  der  Umgang  mit  geistreichen  Männern 
und  Frauen  im  Jacobischen  Hause  und  auf  Reisen,  eine 
leidenschaftliche  Beschäftigung  mit  der  Musik  und  der 
plastischen  Kunst,  Billard-  und  Schachspiel,  körperliche 
Uebungen,  wie  das  Schlittschuhlaufen  und  das  Fufsrei* 
seui  und  endlich  sein  Aufenthalt  in  Italien  vollendeten 
seine  körperlicl^  und  geistige  Bildung.  Wie  Schiller 
seiner  Poesie  durch  Philosophie  und  Geschichte,  Goethe 
der  seinigen  dY»(;h  Naturwissenschaft  und  plastische  Kunst 
eine  feste  Unterlage  gab,  so  kam  Heinse  seinem  dichte- 
rischen Talente  durch  eben  diese  bildende  Kunst  und 


mals  an  diese  Uebersetzung.  Er  gofs  das  schon  Ueber- 
tragene  in  Venedig  völlig  um,  und  brachte  hier  das 
Ganze  zu  Stande.  „O  Tasso,  Tasso  ruft  er  aus,. dein 
befreites  Jerusalem  hat  mir  viel'  zu  scbaflfen  gemadit! 
Beinahe  wäre  ich,  wie  du,  darüber  zum  Narren  gewor- 
den*' u,  s«  w.  In  Rom  übersetzte  er  auch  noch  den 
Ariost^  einen  ihm  viel  verwandtern  und  von  ihm  mit 
Recht  viel  höher  gestellten  Geist  —  beide  in  Prosa. 
Läfst  man  prosaische  Uebersetzungen  poetischer  Pro- 
duktionen gelten^  —  und  wer  möchte  dieüi  nicht,  nach- 
dem ihnen  Goethe  auf  eine  so  einleuchtende  Weise 
für  gewisse  Kulturkreise  das  Wort  geredet  hati  —  so 
kann  man  diesen  freien  Heinsischea  Uebersetzunscn  den 
Werth  nicht  absprechen,  wie  es  Laube  ungerechter 
Weise  geUian  hat  (B.  1.  S.  LXXI).  Wie  unbUlig  wäre 
es  auch,  das  Ideal  einer  vollendeten  Uebersetzung  un« 
serer  Zeit  in  das  Jahr  1781  zurückzusetzen!  Liegt  denn 
die  Form  eines  poetischen  Werkes  allein  in  dem  Rhyth- 
mus? Wenn  uns  eine  Uebersetzung  das  wesentlich  Poe- 


dorch  Musik  zu  Hülfe.    Die  Musik  scheint  er  schon '   tische  wiedergibt,  wollen  wir  es  ihr  nachsehen,  wenn 


mit  der  Muttermilch  eingesogen  zu  haben,  seine  Fami- 
lie war  musikalisch^  bei  seiner  Reise  von  Halberstadt 
nach  Düsseldorf  wurde  er  in  Hannover  wegen  seines 
Clavierspiels  bewundert,  und  in  Dusseldorf  scheint  er, 
wie  mau  aus  semen  Briefen  aus  Italien  sieht,  in  den 
musikalischen  Kreisen  als  sachverständiger  Meister  ge- 
golten zu  haben.  ^  Der  Sinn  für  plastische  Kunst ,  so 


sie  die  metrische  Form  zurückläfst,  welche  von  mancher 
Uebertragung  nur  mit  Aufopferung  des  inn^m  poeti- 
schen Geistes  erreicht  wird.  „Yers  und  Reim  sind  nur 
Verzierung,  sagt  Heinse  mit  Bezug  auf  Boccaccio,  wie 
Licht  und  Schatten  bei  der  Malerei,  und  nicht  das  We- 
sentliche.** 

In  der  Irii   erschien  von  Heinse  in  dieser  Periode 


175 


H^.  Heinis^   $ämmtl$eAs    Werts. 


176 


auch  eine  LebembeMekreüung  der  Sappho^  m\X  wel- 
l^her  'Dichteriii  er  sich  schon  frQher  beschiftigt  hatte. 
Diese  Arbeit  gewann  ihm  das  Wohlwollen  vieler  Ga* 
lehrten  von  strikter  Observane,  und  wurde  von  ihm 
selbst  hochgeschätst  (B.  8.  S.  123).  Dann  Obersets- 
te  er  die  Briefe  der  Theanö  an  junge  Frmien 
aus  dem  Griechischen  und  verfafste  einige  kleinere  Auf* 
Sätze:  Erziehung  der  TocAier,  FrauenzimmerbibHö* 
thek  und  Öe$ckiehte  des  Kalenders.  Auch  gab  er 
1775  in  zwei  Bänden  Erzählungen  fUr  junge  Da* 
men  und  Dichter  heraus,  die  aber  nur  weniges  von 
ihm  selbst  enthalten«. 

Das.  bei  weitem  Beste  aus  dieser  Periode  sind  aber 
seine  an  Gleim  gerichteten  und  zuerst  im  Merkur  er« 
schienenen  Kumtbritfe  über  die  Oem&ldegallerie  zu 
Dllsteldorf  zu  welchen  auch  ein  langer  abhandelnder 
Brief  aus  Rom  an  Gleim  über  das  alte  Tibur  und  die 
Umgegend  gerechnet  werden  kann  (B.  9.  S.  154  ff.). 
Man  muCs  sich  wundern,  dafs  Laube  diese  meisterhaf- 
ten Schilderungen  in  Briefform  in  Heinse's  Korrespon* 
'  denz  m|t  Gieim  einrangirte,  und  die  Gründe,  warum  er 
es  gethan  haben  will  (B.  1.  S.  LXXYI),  sind  doch  gar 
zu  sdiwach.  99 Als  Pfeffel  hörte,  erzählt  Heinse,  dais 
die  Beschreibung  der  Amazonenschlacht  von  mir  wäre, 
so  fiel  er  mir  um  den  Hals  und  küfste  mich,  wie  -seine 
Braut,  und  sagten  es  sei  ihm  gewesen,  als  ob  er  auf 
einige  Momente  sefai  Gesicht  wieder  bekäme,  und  eins 
der  h5chsten  Meisterwerke  der  Kunst  anschaute*'  (B.  9. 
S.  LXXXYI).  Gleichermafsen  entsiickt  spricht  sich 
Bahel  hoch  im  Jahr  1808  über  diese  Gemäldebriefe  aus: 
^,Warum  hast  Du  mhr  das  Buch  nicht  viel  heftiger  em- 
pfohlen! da  Du  doch  von  SchlegePs  Gemäldebeschrei- 
bung so  eingenommen  bist!  Wie  ganz  anderer  Art  sind 
die  Heinl^e'sl  Dem  hat  Gott  seine  richtigen  fünf  Sinne 
gegeben  -^  vor  allen  ein  weites  Gesicht  —  und  dann 
den  köstlichen,  von  Musen  und  Grazien  bereiteten,  von 
'  Apoll  bewilligten,  dazu,  der  sie  alle  zusammenhält;  kann 
mir  wirklich  einen  gut  ausgestatteten,  einen  solchen 
nicht  denken,  ohne  einen  Areopag  von  Göttern,  die 
ihm  Gaben  mitgeben  auf  die  Erde*'  u.  s.  w.  Zuletzt 
sagt  sie,  dafs  sie  seine  Arbeiten  nicht  kenne,  aber  das 
„Eigene,  Herz  und  inneres  Leben  Ansprechende,  was 
er  selbst  bat,  müssen  sie  immer  haben.'*  Rahel  hält 
also  Heinsen  selbst  für  einen  Maler.  Und  er  war  es, 
ein  Maler  des  iVorts!  Diese '  Schilderungen  scheinen 


mit  der  grölst«n  Leichtigkeit-  bingeworfeii  in  aeiny  aber 
aus  manelien  Andeutungen  sieht  man,  dafs  -unser  Mei- 
ster des  Stib  mit  grofser  Soi^fait  aehrieb.  „Man  liesl 
so  etwas,  sagt  er  in  Bezug  auf  die  Gemäldebriefia,  wie 
anderes  Geschreibsel,  ohne  daran  cu  denken,  wie  vid 
Studium  hat  vorhergegangen  sein  müssen,  ehe  as  da 
sein  konnte,  und  wie  wenig  Gründliches  und  Zweck- 
mäfsiges  von  Alten  und  Neuen,'  seliist  von  den  vergol* 
terten,  über  die  Kunst  ut  gesagt  worden**  (B.  8.  S.  2S2^ 
60  ist  die  bekannte  Beschreibung  des  SchaflThaiiser 
Bheinfalls  die  dritte  von  ihm  geschriebene,  er  batu 
deren  vorher  schon  zwei  gemacht  an  Ort  und  SteDt 
(B.  9.  S.'87).  Vorläufige  Nachrichten  Ober  die  Düssel- 
dorfer Galferie,  eine  geistvolle  Theorie  des  Sdiüaen, 
der  Kunst  und  de»  Kunstgefühls«  eine  unvergleichliehe 
Charakteristik  einiger  Maler,  besonders  des  Rubens,  das 
Yerhältnifs  der  Kunst  zur  Natur,  der  Maleret  zum  Wor^ 
und  dann  zwischen  all'  dem,  was  die  Hauptsache  is^ 
die  Beschreibung  einer  Reihe  von  Gemälden,  des  Johan- 
nes in  der  Wüste  von  Rapbael,  der  heiligen  PamiGe 
von  Michel  Angelo,  der  Amazonenschlacht,  des  Sanheiib 
von  Rubens  und  von  andern,  alles  in  der  freisten  und 
buntesten  Zusammenfügung,  wie  ein  anmutbig^  Spa- 
ziergang durch  einen  englischen  Park,  mit  überall  her- 
vorblitzender Originalität  des  Verfs.,  jedes  Bild  im  ei- 
gensten Kolorit  des  Gefühls  und  des  Ausdrucks  —  dieb 
ist  der  Inhalt  und  die  Gestalt  der  Briefe,  die  schwer- 
lich ihres  Gleichen  haben.  Die  hier  beschriebenen  Bil- 
der sind  in  Bilder  des  Wortes  verwandelt,  und  Interpie- 
tiren  sich  selbst,  und  es  ist,  als  wenn  sich  jedes  Gemälde 
eine  eigentiiümliche  Sprache  gebildet  hätte,-um  ein  kw^ 
tes,  höheres  Leben  in  der  menschlichen  Rede  zu  finden. 
In  die  dritte  Lebensperiode  fallen  Heinse's  be- 
rülimteste  Werice,  Ardhingelle  oder  die  glückseligen 
Inseln  und  Hildegard  von  Hohenthal,  wozu  nocb 
eine  Schrift,  Anastasia  oder  nber  das  SckacAs/riJ^ 
kommt.  ^  Mit  seinem  Hauptwerke,  dem  Ardhingello, 
scheint  er  sich  schon  in  Italien  beschäftigt  zu  haben, 
fertig  wurde  es  aber  erst  nach  seiner  Zurückkunfl,  und 
im  Jahr  1787  gedruckt;  die  Hildegard  erschien  Im  Jahr 
1795,  und  das  Buch  über  das  Schachspiel  in  seinMi 
Todesjahr,  1803.  Das  erste  Werk  besonders  machte 
aUfserordentlkh  viel  Aufsehn,  alle  drei  erlebten  neue 
Aufilagen.  lieber  ihre  Abfassung  wissen  wir  eben  so 
wenig,  als  über  Heinse's  letzte  Lebensjahre. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


'■.>¥•  23.  ■ 

Jahrbücher 

I  - 

f»« 
u  r 

wissenschaftliche   Kritik. 


iPebruar  1840. 


Wilhelm  Hein$e't  sätnmtliche  Schraten,    Her- 
au9gegeben  von  Heinrich  Laube. 

(Fortsetzung.) 

Der  Roman  Ardhiogello  gehört  nicht  nur  deswe- 
gen mit  Heinse    ganz  tusammeD,  weil  sein  Name   an 
dieses  berühmte  Werk  geknüpft  ist,  sondern  auch  des- 
wegen,   weil  er  den  Charakter    des  Helden  aus   sich 
selbst  construirt  bat.    Nicht  nur  Ardbingello,  sondern 
auch  die  übrigen  Menschen,  welche   Heinse  darstellt, 
sind  von  ausgezeichnet  scAöner  Bildung,  und  es  schei- 
nen dem  Dichter  für  die  Zeichnung  der  meisten  antike^ 
Göttergestalten  vorgeschwebt  zu  haben.    So   ist  Tolo- 
mei  ein  junger  Bacchus,   dem  Demelri  fehlt  zu  einem 
Zeus  nur  Donnerkeil  und  Adler,  Fulvia  ist  eine  Bac- 
.chantin,  Lucinde  eine  bezaubernde  Heilige,  den  Ardhin- 
gella selbst  hat  sich  Heinse  offenbar  als  eben  zweiten 
Apollo  gedacht.     Man  sieht  dies  sogar  in  vielen  einzel- 
nen Zügen.     So.  wirft  Ardhingello  seine   Cither  über 
die  Schulter,   „dafs   sie  stürmisch  erklingt"    (B.  1.   S. 
116),  er  ist  ein  anderer  Apollo,   der  vom  Apennin  her- 
abgekommen (B.  1.   S.  126).    In  diesen  Gottmenschen 
nun  hat  Heinse  seinen  eigenen  unbändigen,  alles  über- 
wältigenden und  doch  zugleich  besonnenen  und  milden 
Charakter,    und   die   meisten   Züge   der   Neigung  und 
Kultur   aus  sich    selbst  hineingetragen.     Wie   Heinse 
selbst,  reist  Ardhingello  zu  Fufs  (B.  1.  S.  115),  ist  er 
ein  junger  Pilgrim,   der  nach  dem  Vortrefflichen  auf 
Erden  wandert  (B.  2.  S.  36),  spürt  er  hichts  von  der 
Seekrankheit  (B.  1.  S.   133),   spricht   er:    „O  güüget 
Himmel,  lafs  mich  nie  an  Einer  Stelle  bleiben!"  (B.  1. 
S.  161),  spielt  er  Schach  (B.  I.  S.  191),  ist  er  gekräf- 
tigt  lind  ausgebildet  am  Körper  und  schliefst  eine  un- 
geheure  glühende  Lebenskraft   in  sich,   die   ihn    naeh 
kurzem  Schlummer  oft  vom  Lager  auftreibt  (B.  1.  S. 
12^)  u.  s.  w.    Bei  beiden  4ie  gleiche  Sehnsucht  nach 
dem  Archipelagus,  dieselbe  Abneigung  vor  dem  moder- 
Jahrb.  /.  msientch,  KriSik.  J.  1840.  I.  Bd. 


nen  Staatsleben  und  Kirchenglauben,  dieselbe  leiden- 
schaftliche Begeisterung  ffir  die  nackte  menschliehe 
Gestalt,  dasselbe  menschenfreundliche  Gemüth!  (B.  1. 
S.  51.)  Beide  sind  stolze,  grofse '  Menschen,  die  den 
Tod  verachten  (B.  1.  S.  95,  98  und  132). 

Dieser  Roman  kann  zugleich  als  eine  Fortsetzung 
der  oben  angeführten  Gemäldebriefe  betrachtet  werden. 
Ansichten  über  Kunst  im  Allgemeinen,  über  das  Ver- 
hältnifs  der  verschiedenen  Künste  zusammen  (ein  geist- 
voller Nachtrag  zu  Lessings  Laocoon),  eine  kurze  Ge-  ^ 
schiebte,  der  Kuhst  in  groGsen  Umrissen,  Charakteristi- 
ken von  Raphael^  Michel  Angelo,  Albrecht  Diirer  und 
andern,   Beschreibungen  von   einer  Menge  Gemälden, 
Bildsäulen,  Gebäuden  —  all'  das  ist  in  den  Roman  ein- 
gesti^eut     Wie  üef  hatte  er   über  die  Kunst  nachge- 
dacht!   Wie   lebten  ihm  die  Kunstwerke  und  Natur*  . 
sceneix  in  Gemüth  und  Phantasie!     De.nn  auch  eine 
Masse  entzückter  Naturschilderungen  enthält  der  Ro- 
man, wodurch  er  sich  an   Heinse's'  Briefe  aus  Italien 
anschlie(^t,  und  überall  zeigt  sich  eine  erstaunliche  Lo- 
kalanschauung, bis  in   die   zufälligsten  Details  hinein, 
so  dafs  man  sich  nicht  überreden  kann,  der  Roman  sei 
von  einem  Spätgebornen  im  Norden  geschrieben..    Au- 
fserdem  sind   Gedanken   niedergelegt  über  griechische/ 
und  italiänische  Schriftsteller,  über  griechische  Spra-- 
che,  Accent  und  Pronuntiation,  und  ein  langer  Spazier- 
gang durch  das  Labyrinth  der  Metaphysik  wird  unter- 
.  nommen  (B.  2.  von  S.  89  bis  170).    Durch  all  dieses 
Beiwerk  und  durch  den  reichen  Ideengehalt  ist  die  ei- 
gentliche Geschichte  sehr  beschränkt,    und  von  einer 
kunstvolle^.  Anlage  des  Ganzen,  von  Yerwickelung  der 
Begebenheiten  und  den  übrigen  Kunstgriffen,  die  Auf- 
merksamkeit zu  spannen,  von  Entfaltung  der  Charak- 
tere  findet  sich  keine   Spur.    Ueberhaupt  versteht  es 
Heinse,   das   Daseiende ^   nicht  das    fVerdende   und 
Mich  Entwickelnde  zu  schildern,  so  dafs  in  dem  Ro- 
man sich  nirgends   ein   fortschreitender  Bildungsgang 

23 


179 


W.  HeinM0y  $immiliehe   Werke. 


180 


der  Charaktere  findet  Der  Held  ist .  auf  dem  ersten 
Blatt  des  Buehes  derselbe,  wie  auf  dem  letzten.  Be- 
sonders ist  der  zweite  Tlieil  des  zweiten  Bandes  des 
Werkes,  der  dem  ersten  in  jedem  Betracht  naohsteht, 
mit  Natur*  und' G^näldeschilderungen  überladen,  die, 
'so  vortreflflich  jede  für  sich  sind,  den  Leser  doch  zu- 
letzt  ermüden.  Es  ist  ordentlich,  als  wenn  der  Yerf. 
alle  seine  Kenntnifs  Italiens  hier  wie  in  einem  Maga- 
zin hätte  aufspeichern  wollen,  und  die  Geschichte  ist 
«m  Binde  viel  zu  kurz  abgefertigt.  Die  Uebersiedelung 
Ardhingello's  und  seiner  Freunde  nach  den  Cykladen 
und  die  Gründung  eines  neuen  Staates  mit  demokrati- 
scher Terfassung,  Gemeinschaft  der  Weiber  und  einer 
neuen  Naturreligion  auf  diesen  „glückseligen  Inseln'*, 
nach  -  welchem  Ziel  eigentlich  der  ganze  Koman  hin- 
strebt, ist  viel  zu  wenig  motivirt,  und  zuletzt  ist  alles 
nur  notizenmafsig  erzählt  Hätte  hier  der  Verf.  seiner 
Hauptpflicht  genügen  wollen,  so  hätte  er  für  alle  seine 
tre&licben  Kunst-  und  Naturbetrachtungen  schwerlich 
mehr  viel  Raum  gehabt.  Das  Gelungenste  in  Erfin- 
dung und  Ausfuhrung  ist  der  erste  Theil  des  ersten 
Bandes  (vom  Anfange  bis  S«  109).  Die  Bekanntschaft 
Ardhingello's  mit  dem  Yenetianischen  Nobili,  die  Reise 
nach^e^sen  Landgut  am  Gardasee,  die  Erzählung  sei- 
ner frühem  Lebensschicksale  und  der  Fortgang  der 
Qeschiclite  bis  zur  Ermordung  des  Bräutigams  der  Cä- 
cilie,  alles  ist  meisterhaft  Als  Ardlüngello  dem  Freun- 
de seine  früher.e  Geschichte  zu  Ende  erzählt  hat, 
schlielst  sich  das  bisher  Dargestellte  überraschend 
schon  an,  und  die  Geschichte  geht  ihren  einfachen  und 
ungezwungenen  Gang  fort  ' 

Wie  im  ArdhingeÜo,   so  ha);  sich  Heiuse  auch  in 
dem   Helden    des   zweiten  Romanos,    im  L/eckmann^ 
welcher  ebenfalls   „einer  der  wobigebildetsten  jungen 
Männer  ist"  (B.  3.  S.  22),   und  zwar  hier  von  Seiten 
seiner   ausgezeichneten  musikalischen  -  Bildung   darge- 
stellt, und' endlich  haben  wir  auch  in^dem  jungen  ge- 
nialen Reisenden,    welchem  die  Briefe  in  der  letzten 
Schrift  beigelegt  werden,  leibhaftig  die  Person  unseres 
Vfs.,  welcher  seine  grofse  Kenntnifs  und  Geschicklich- 
keit des  Schachspiels  hier  auf  eine  eben  so  anmuthige, 
als  belehrende  Weise   vorträgt.     Von  der  Hildegard 
sagt  Laube,  dafs  sich  darin  die  geschmackvollste  Kennt«, 
nifs  der  Musik  entwickle,  welche  am  Schlüsse^ des  vo« 
rigen  Jahrhunderts  aufgezeichnet  sei.   Wie  im  Ardhin- 
gello  plastische  Kunstwerke,  so  werden  in  diesem  Bo- 


man  die  vorzüglichsten  musikalischen  Kompositionen 
und  in  dem  letzten  Buche  die  vornehmsten  Zöge  des 
Schachspiels  charakterisirt.  Die  Gesetze  beider  Künste 
werden  entwickelt,  und  ihre  höhere  Bedeutung  und 
idealen  Bezüge  auf  das  Ganze  und  auf  die  Kultur  iiber» 
haupt  allenthalben  auf  eine  geniale  Weise  nachgewie- 
sen,  alles  aber  ist  uns  in  individueller  Einfassung  vor 
die  Augen  gestellt.  Wir  aber  gehn  auf  diese  letzten 
Werke  Heiuse*s  nicht  näher  ein,  um  über  seinen 
echrtfUtelUriechen  Charakter  im  Ailge9neiHen  noel 
etwas  sagen  zu  können* 

Zunächst  geht  aus  dem  Angeführten  hervor,  dals 
in  allen  seinen  Schriften  ein  bedeutendes  diJaJbiüeket 
Element  enthalten  ist.  In  den  Eleusinischen  Gekeifli* 
nissen  begründete  er  sein  antikes  Lebensideal,  dem  er 
zeitlebens  treu  blieb;  in  Ardhingello  spricht  er  zvt 
Hälfte  des  Buches  über  plastische  Kunst;  ^i^  Hilde- 
gard  handelt  mit  noch  specielierem  Interesse  über  die 
Musik,  und  die  Briefe  über  das  Schachspiel  sind  ganz 
belehrend^  so  dafs  der  kurze  Roman  nur  Beiwerk  ist 
Mit  jeder  folgenden  Schrift  nimmt  also  das  Didakti- 
sehe  bei  ihm  zu.  Hätte  er  noch  länger  gelebt,  so  wür- 
de er  einen  Roman  geschrieben  haben,  dessen  Mittel- 
punkt das  Billardipiel  war.  Aber  Niemand  xenteht 
es,  so  leicht  uhd  graciös  zu  lehren,  als  er,  und  von 
Rhetorik  ist  bei  ihm  nicht  der  leiseste  Anflug.  Er 
schrieb  nur  uj>er  das,  was  er  durch  und  durch  ver- 
stand, wovon  er  den  sinnlichsten  Begriff  hatte,  wovon 
seine  Seele  voll  war.  Daher  die  überwältigende  und 
treffende  Wahrheit  seiner  Darstellung. 

Seine  Meisterschaft  liegt  in  der  Malerei  von  Na- 
tursceneu  und   Kunsterzeugnissen    und   in   der    Men- 
schenschilderung.  Er  war  dazu  geboren,  die  vom  Gott- 
lichen durchdrungene  Sinnenwelt  in  der  Sprache  abzu- 
bilden und  alles  Tiefste  in    der  Menschenbrust  findet 
durch  ihn  einen  andeutenden  Ausdruck.    Aug'  und  Ohr 
wären  aber  so  seht'  ausgebildet,   als  sein  Innerer  Sinn^ 
um  alles  Schöne  aus  Natur,  Kunst  und  Leben  heraus- 
zufühlen.    Heinse  war  mehr  ein  schöner,  als  erhabener 
Geist,  und  er  ist  durch  einzelne  Bilder  und  nicht  durch 
grofsartig  angelegte  ganze  Kunstorganisationen- ausge« 
zeichnet.    Rahel  lobt  mit  Recht  seine  charakteristische 
Darstellung,  die  ^unübertrefflich  eigenen,  bezeichnenden 
Worte,  welche  er  wählt,  so  daHs  alles  zum  wirklichen 
Portrait   Und   zur    Statue   wurde   (B.  1.  S.  LXV).  — 

(Der  BescLliifs  folgt.) 


181 


Rafaelt^on    XJ  r  b  i  n  o. 


182 


XVL 


Rafael  von  XJrhmo  und  Mtin  Vaier  Giovanni  Santi 
von  •/.'  D.  PaMißvant,  2  TA.  mit  14  Abbild 
düngen.    Leipzigs  bei  F.  A.  lirockhaus.    1839.  8. 

Ein  neues  Buch  QberRafael!  Waskaun  man  Neues  BberRafael 
BOg;eii  ?  fragen  Viele.  SteUtman  ihnen  aber  die  Gegenfrage  nach  einer 
ausfüfarlichen  Beschreibung  seines  Lebens,  nach  einer  Toliständi- 
%^tiy  chronologischen  Auiziiblung  seiner  AVerke,  nach  einer  genü- 
genden Brklüning»  nach  einer  unbefangenen  und  gründlichen  Kri- 
tik derselben,  so  miissen  sie  gestehen,  dafs  nur  wenig  Acchtes 
liie  und  da  zerttreut,  Vollsfändiges  nirgend  zu  finden,  und  dafs 
1»ei  etwaigem  Reicbthum^  soviel  AVillkÜhrliches  und  Unbegründe- 
tes mit  unterlaufe,  dafs  —  weit  entfernt,  dals  bereits  zu  viel 
geschehen  —  eher  die  ganze  Arbeit  noch  ungethaa  sei.  Kafael 
18t  nicht  nur  ein  Künstler  wie  manche  Andre,  ausgezeichnet 
durch  Schöpferkraft,  Talent  und  sonstige  bildnerische  Gaben :  — 
er  ist  ein  Moment  in  der  Geschichte;  nicht  nur  der  reichste 
und   schönste  Genius  der  neuem  Kunst,  sondern-  ein  Ausgangs- 

Sunkt  derselben,  man  möchte  :sagen  die  Absicht  ihrer  jahrhun* 
ertelangen  Arbeit.  Neben  dem  Geist,  der  Anmuth  und  der 
Fülle  seiner  Werke  haben  wir  also  auch  die  Erscheinung  eines 
solchen  Mc;nsclien.  im  Ganzen  zu  würdigen,  ihr  YerhUltnifs  zur 
£ntwickelung8geschichte  der  neuem  Kunst  überhaupt  und  somit 
xur  Geschichte  der  M;Bnschheit 

Wie  aber  ist  diefs  möglich,  so  lange  noch  Über  Zahl  und 
Umfang  eben  der  Werke,  die  seine  Bedeutung  erklären,  über' 
ihre  Zeitfolge,  über  ihren  Inhalt,  ja  sogar  über  ihre  Gültigkeit 
Zweifel  bestehen  %  —  Diese  nothwendi^e  Vorarbeit  ,ist  die  Auf- 
giibe  des  gegenwärtigen  Buches,  zu  dein  der  Verf.  als  wissen- 
schaftlich geoildeter  Mann  und  zugleich  als  ausübender  Künst- 
ler, durch  jahrelange  vielfältige  Forschungen  in  Sammliiugen, 
Archiven  und  Bibliotheken,  durch  ausgedehnte  Reisen  nach  al- 
len Gegenden  und  Städten  Europa's,  wo  sich  Spuren  Rafaeli- 
scher  Thätigkeit  finden,  sich  beAiliigt  hat,  so  dafs*  ^*ir  in  seinem 
Bache  fast  nur  Ergebnisse  eigner  Erfahrung  und  Selbstanschau- 
ung vor  uns  haben.  Diese  sind  nun  von  solchem  Umfang  und 
solcher  Bedeutung,  dafs  sie  für  alle  Zukulift  die  Grundlage  für 
Darstellungen  Raraelischer  Wirksamkeit  bilden  werden  und  so- 
mit sein  Buch  zum  unentbehrlichen  HUIfsmittel  für  Arbeiten 
im  Gebiet  der  neuem  Kunstgeschichte  machen. 

Die  erofse  Manhigfaltiskeit  des  Inhalts,  so  wie  die  aller- 
dings lehr  verschiedene  Behandlungsweise  desselben  hindern 
uns,  ausführlich  in  diesen  BIfittern  über  denselben  zu  berichten; 
wir  hofi^en  dessen  ungeachtet  durch  eine  beschränkte  Auswahl 
eben  so  wohl  dem  Interesse  der  Leser  zu  entsprechen,  als  das 
des  Buchs  zu  fordern. 

Ein  Verdienst,  das  von  dem  Vf.  noch  kein  deutscher  Knnst- 
geschichtscfireiber  und  —  Pungileoni's  elogio  storico  di  Giovanni 
Santi  pittore  e  poeta  <etc.  abgerechnet  —  überhaupt  Keiner,  und 
auch    dieser  nicht   in    gleichem  Umfang   sich  erworben,    ist  die 
Ausführlichkeit  über  die  Werke  des  alten  $anti  von  Urbino,  des 
Vaters  Rafaels.    Mit  Recht  stellt  der  Verf.  diesen  ehrenwerthen 
Kunstler  in  die  ersten  Reihen  der  umbrischen  Meister,  und   er- 
kennt in  dessen   lange  übersehenem   tiefem  Gemüth   uud  zartem 
Schönheitssinn   den   Schatz,   den  Rafael  durch  sein   ganzes  Le- 
ben als  ein  heiliges  Erbe  bewahrt  und  der  in  seiner  lland  eine 
znvor  nicht  gekannte  Ausdehnung  gewlinn.     Suchen  wir  die  ZiU 
ge  auf,   durch  die  sich  schon  Rafaels  früheste  Arbeiten  von  de- 
nen seines  Lehrers  Pertigino,   in   denen  so  Vieles  —  selbst  die 
s'üfse  Scelenstimmung   der  Hingebung  und  Andacht  —  conventio- 
nell  erscheint,  unterscheiden;  sehen  wir  nach  jenen  Eif^nschaf- 
tcn,  die  bei  ihm,  sobald  er  die  Schule  verlassen,   wie  mit  einem 
Male  nnd   im  vollen  Glänze   und  im  unverkennbaren  Gegensatz 
gc^en  jene  hervortreten,  so  ist  es  eben  die  vom  Vater  überkom- 
mene Reinheit,  Schönheit  nnd  Innigkeit  der  Empfindong,   die  in 
iiim  auch  die  volle,  reine  und  schöne  Form   gewann.    An  diese 
unbeachteten   Quellen  Rafaelischer  Anschauungsweise  fuhrt   uns 
<ler  Verf ,   indem  er  die  Gemälde  des  alten  Santi,   denen  er  mit 
Kifer  und  Sorgfalt  nachgegangen,   vor  uns  aufstellt.     Die  bedeu- 
tendsten unter  diesen  sind :  die  Heimsuchung  in  S.  Maria  nuova 
zu  Fano ;  und  in  S.  Croce  daselbst  eine  Madonna  mit  Heiligen ; 


der  h.  Hieronymns  iq  S.  Bartolo  bei  Pesaro ;  Madonna  rn  trono 
im  Hospital  zu  Montefiore;  die  VerkUndigung  in  der  Brera  zu 
Mailand;  eine  Madonna  in  trono  za  Gradara  bei  Pesaro»  eine 
andre  im  Berliner  Museum,  wieder  eine  andre  sehr  schöne  im 
Pranciscaner- Kloster  Monte -Fiorentino,  nnd  noch  eine  in  S. 
Francesco  zu  Urbino.  Wie  onvollkommen  auch  in  mancher 
technischen  Beziehung  diese  W>rke  denen  des  Sohnes  f;ogen- 
über  erscheinen,  so  herrscht  doch  in  ihnen  und  namentltch  in 
den  aufgeführten  Kinder-  und  Engelköpfchen  jene  Lieblichkeit, 
die  fast  in  gleichen  Zügen  bei  denen  Rafaels  wiederkehrt  und 
durch  die  er  so  groTsen  Zauber  ausübt. 

Wollen  wir  nun  zu  diesen  Werken  übergehen,  'so  müssea 
wir  gestehen,  dafs  —  so  bezaubernd  auch  seine  Madonnen,  S0 
bewundernswürdig  auch  seine  Altargemalde,  so  ergreifend  seine 
Durstellungen  aus  der  Apostelgeschichte  sind:  die  oedeutendsteu 
seiner  Schöpfungen  bleiben  die  Fresken  der  vaticanischeB  Stan^ 
zen.  Hier  steht  sein  Genius  auf  dem  höchsten  Gipfel,  denn  hier 
erglHnzt  er  im  Licht  des  Gedankens,  dem  organischea  Mittel« 
punkt  im  Sonnensystem  der  Geschichte.  Ihn  an  dieser  Stelle  2|i , 
erkennen,  haben  frühere  Zeiten  der  nnsiigen  überlassen,  nnd 
dem  Vf.  gebührt  der  Dank  derselben,  die  Erkenn tniis  vermittelt 
EU  haben.  Es  ist  vielleicht  eins  der  sprechendsten  Zeugnisse 
für  den  Verfall  der  Kunst  und  Wissenschaft  in  Italien  im  löten 
Jahrhundert,  dafs  man  schon  unmittelbar  nach  Rafaels  Tod  vo« 
'seinen  Gemälden  wenig  Bescheid  mehr  zn  sehen  wnCste;  dafs 
man  z.  B.  in  der  Schule  von  Athen  die  Vereinigung  der  Pliiloso* 
phie  und  Theologie  ^ermittelst  der  Astrologie,  oder  die  Bekeh- 
rung der  Phibsophen  durch  Paulus  Und  Petrus  nnd  dergl.  mehr  ' 
sah,  und  dafs  Keiner  mit  einer  nur  leidlich  genügenden  Erklä- 
rung auftrat,  bis  zuerst  Bellori  zn  Ende  des  i/ten  Jahrh.  weni|^ 
stens  soviel  herausfand,  dafs  der  Gegenstand  des  Bildes  griechi- 
sche Philosophie  sei.  Bis  zum  eigentlichen  Motiv  der  Concep- 
•tion  ist  indefs  vor  dem  Vf. .  kein  Erklärer  durchgedrungen,  nnd 
da' die  von  ihm  gegebene  Erläuterung  seine  Verdienste  am  hell- 
sten zeigt,  auch  wohl  die  Leser  dieser  Blätter  vor  audeni  inter- 
essirt,  so  möge  sie  statt  aller  andern  hier  in  gröiserm  Auszug 
mitgetheilt  werden. 

Obschon  die  dem  Rafael  für  die  vaticanischen  Gemälde  ge- 
stellte Aufgabe,   die  Verherrlichung  der   pnpstUthen   Macht,   und 
zwar  insonderheit  der  von  Julius  IL   und  Leo  X ,  zum   grofsen ' 
Theil  -  jcnseit   der    Grenzen    unsrer    unmittelbaren    Theilnahme 
steht,  und  wir  namentlich   solche  Themata,  wie:    Ein   Bischof 
kann  nur  von  Gott  gerichtet  werden  (Leo^s  III.  Selbstentlastung^ 
von    der   Anklage   der  Neffen    Hadrians),   für  welche   Gesellen 
nnd  Meister  vom  Stuhl  Petri  besonderes  Interesse  haben  mögen, 
nicht   ohne  das  die  römische  Auslegung  vernichtende  evangeli- 
sche Wort:  Keine  Dbrigkeit,  ohne  von  Gott!   weder  auf-  ^oelt* 
annehmen  werden,  so  hat  sie  doch  auch  den  Blick  in  eilie>  lan- 
ge Zeit  verschlossen   ge^'esene  Welt   geöffnet   und  Gelegenheit 
zu  den  geistreichsten   und   tiefsinnigsten  Darstellungen   gegeben, 
um  die  allein  es  sich  der  Kräfte    nnd  des  Aufwandes  der  Kunst 
vom  allgemeinen  Standpunkt  aus  zu  lohnen  scheint,    Ist  nämlieh 
die  pöDstliche  Macht,  wie  sie  vorgiebt  nnd  wie  wenigstens  Ju- 
lius und  Leo  es  verfochten  wissen  wollten,  eine  universelle,  so  hat  sie 
nicht  nur  weltlichen  Besitz  (durch  Constantins  Schenkung);  nicht  nor . 
geistige,  ja-  dämonische  Gewalt  ^ber  Hunnen,  Sarazenen,   selbst 
über  die  Elemente;  nicht  nur  kommen  ihr  zu  Ehren  Engel  vom 
Himmel    und   Blutstropfen  aus  einer    Hostie,   sondern   es  flicfst 
auch  von  ihr  aus  alle  geistige  Kraft  der  Menschheit  nnd  unter 
ihrem  Schutz  erblühen  Theologie,  Philosophie,  Poesie  und  Juris- 
prudenz. 

Letztere  nun  bilden  das  Thema  für  die  Gemälde  der  Stanza 
della  Segnatura.  DieAnordnun(|[  im  Allgemeinen  darf  als  bekannt 
Torausgesetzt  werden.  Wir  ennnern  nuf  daran,  dafs  zwischeh 
den  vier  allegorischen  runden  Deckengemälden,  unterhalb  vier 
kleine  oblonge  Darstellungen  in  den  Ecken  des  Kreuzgewölbes' 
folgen,  die  man  und  z^imr  mit  Recht  in  Beziehuns  zu  den  s\hx 
grofsen  Gemälden  der  Wände  gestellt.  Mjt  gröiserm  Rechte 
nun  macht  der  Vf.  auf  ihre  zweifache  Beziehung  zu  den  zwi- 
schen ihnen  behndlichen  Hauptbildem  aufmerksam.  Zwischen 
dem  Bilde  der  Theologie  und  dem  der  Jurisprudenz  steht  als 
Uebergangsbild :  der  Sündenfall,  ebensowohl  als  Nothwendigkeit 
des  Gesetzes,  als  als  Grund  der  Erlösung.   Auf  der  aiidem  Seite 


183 


Rafael   v0h    ü  r  6  $  n  0. 


184 


iiDcli  der  Poesie  za.  ist  die  von  Apoll  über  Marsyas  verbSngte 
Strafe  abgebildet,  einmal  nach  Dante  Paradiao  J.  auf  die  Befrei- 
uns  irdiscber  HQIIe  zur  Anfuahme  des  göttlichen  Geistes;  ein  . 
nnderniol  auf  den  Sieg  der  Dichtkunst  über  das  Gemeine  zu  deu- 
ten. Zwischen  Poesie  und  Philosophie  sieht  man  eine  allegori- 
stho  Figur  als  -  Betrachtung  d^  Wettkörper,  ebensowohl  den 
'Höhenflug  der  erstem,  als  die  UniversalitKt  der  andern  zu  be- 
zeichnen. Wenn  sodann  Kafael 'zwischen  Philosophie  und  Ja- 
risprudenz  das  Unheil  Salomonis  stellte,  so  ^ab  er  zwar  im 
„Richt«r8pruch"  ein  Symbol  der  letztem,  allein  dadurch,  dafs 
dieser  nicht  nach  geschriebenem  Gesetz  erlassen  wurde,  son- 
dern als  ein  aus  der  Kenntnifs  der  Leidenschaften  und  Triebe 
geschupftes,  philosophisches  Urtheil  anzusehen,  ebensowohl  eine 
lezi«hung  znr  erstem. 

An  £ese,  die  Philosophie,  wollen  wir  uns  nun  stellen,  um 
der  Fälligkeit  des  Vfs.,  Fiinrer  zu  den  Werken  Rafuels  zu  sein, 
vollkommen  inne  zu  werden.  *„Es  stellt  dieses  Bild,  sagt  er 
uns,  eine  Yersammluns  von  Philosophen  der  alten,  W>lt  in  einer 
weiten  prachtvollen  Halle  vor,  die  in  Forschung  und  Demon- 
stration begriffen,  und  in  verschiedene  Schulen  geordnet,  uns  ein 
überraschend  klares  Bild  des  Lebei^s  der  Philosophie  vor  Augen 
stellen."  Gegen  die  verschiedenen  Annahmen  über  das  Motiv 
der  Anordnung  stellt  sodann  der  Vf.  die  Ansicht  auf,  dufs  Ka- 
fael damit  den  Entwiökelungsgane;  der  Philosophie  bei  den  Grie- 
chen habe  veranschaulichen  wollen.  Sokrates  mit  seinen  An- 
hUngem  und  Gegnern  bildet  den  Uebergang  zu  Pinto  und  Aristo- 
teles, welche  von  ihren  Schülern  umgeben,  in  der  Mitte  des 
Bildes  stehend,  den  Culminationspunkt  der  griechischen  Ptiiloso- 
phie  nach  zwei  Richtungen  hin  bezeichnen.  Weiter  zur  Rech- 
ten befinden  sich  die  Stoiker,  Cyniker,  Epikuräer  nnd  einige 
der  spätem  Philosophen;  zuletzt  noch  stehen  im  Vorgrunde 
rechts  die  mehr  dem  Realen  zugewendeten  Lehrer,  unter  wel- 
chen der  Mathematiker  Euklid  besonders  bemerklich.  Dieso 
freilich  bis  jetzt  unbeachtet  gebliebene  chronologische  Anord- 
nang  giebt  dem  Verfass.  den  Schlüssel  zu  dem  ganzen  Bilde  in 
die  Hand.    In  der  Gruppe  links  im  Vorgrund  sind  vier  Gründer 

Shilosophischer  Schulen  dadurch  bezeichnet,  dafs  sie  auf  besou- 
ern  Postamenten  sitzend  oder  stehend,  als  unabhängig  erschei- 
nen; diese  sind:  Pythagorns,  ^ganz  im  Vorgrund  m  ein  Buch 
schreibend;  Teleauges  odefr  ein  anderer  Schüler  hält  ihm  die 
Tafel  mit  den  von  ihm  gefundenen  TonverhUltnissen  vor;  die 
weibliche  Gestalt  hinter  Pythagora's  ist  wohl  seine  Frau  Theano, 
der  ältere,  nachschreibende  Mann  sein  Schüler  Arcliytas ;  der 
andre  herabblrckeiide  mit' Knebelbart  und  Turban  Aikraiion  aus 
Crotona.  Den  Gegensatz  zu  dieser  Gruppe  bildet  Heraklit,  der, 
eine  Feder  in  der  Hand,  in  tiefes' Nachdenken  versunken,  rechts 
nn  einem  Postamente  sitzt.  —  Zwischen  Ueraktit  und  Pythago- 
rns, aber  zu  diesem  gewendet,  ^steht  Anaxagoras,  der  seiner  er- 
steh Bildung  nach  der  ionischen  Schule  angehörend,  dadurch 
.  dafs  er  de«  Novg  über  die  Materie  setzte,  das  Verbindunj^Bglied 
zwischen  beiden,  und  den  Uebergang  zur  Ethik  der  Sokratischen 
Schule  bildet,  unmittelbar  unter  welche  er  von  Rafael  gestellt 
ist.  Hinter  ihm  sein  jüngerer  dichterischer  Zeitgenosse  Einpe-  * 
dokles  (zu(^1eich  Bildnifs  des  Franc.  Maria  della  Rovere,  Her- 
zogs' zu  Ürbino).  Links  dem  düstera  Heraklit  gegenüber  an 
eine  Säulenbaais  gelehnt,  steht  (wahrscheinlich)  der  Abderite 
Demokritos,  der  heitre  Naturforscher,  mit  Laub  bekränzt  in  ei- 
nem Buche  blätternd.  Der  ihn  umfassende  Jüngling  hinter  ihm 
dürfte  der  nachmalige  Lehrer  Epikurs,  Nausiphanes  aus  Tejos 
sein.  Der  Greis  mit  dem  Kinde  könnte  Zeno  vorstellen,  da  er 
den  Uebergang  zu  der  Gruppe  der  Sophisten  auf  der  obern  Stufe 
bildet,  in  denen  mau  den  Atheisten  Diagoras,  den  Gorgias  und 
den  Kritiaa  erkennt  Dagegen  tritt  Sokrates  mit  seiner  bündigen 
Schlufsfolge  auf;  vor  ihm  in  kriegerischer  Rüstung  Alcibiaues, 
in  gcr'^*^-'^-'       "•  -^  •    " -•     -  "•• —     J—   — 

Laubk 
der 

Shon  sein.  Ob  dann  der  semeine  Mann,  der  die  Sophisten  r^- 
end  nbwebrt,  jdBr  anno  Wursthändler,  nachmalige  Redner  Ae- 
schines  sei,  läfst  der  Vf.  dahingestellt ;  so  wie,  ob  der  Mann  im 
Hintergründe   Euklid  oder  Antjsthenes.    Die  Gruppe'  von  Plato 


und  Aristoteles  bildet  nun  bekanntermafsen  jie  Mitte,    miä  über 
die  Bedeutung  ihrer  Bewegung  besteht  kein  Zweifel.     Uoter  4m 
zahlreichen  Schälern   Piatos   an    dessen  Seite  erkennt  der  Teil 
Spensippns    ans  Athen,    den    Cyniker   Meuedemns,   Xenokralei^ 
Pbädros  nnd  Agathon;   nnter  denen   des  Aristoteles  TbeopJirBst, 
fludemus  von  Rhodus  und  weiter  nach  hinten  Dikäarch    nnd  An- 
stoxenos,   den  Musiker;   in    d^    drei  vordem  aber   die    Stoiker 
Zeno,    Kleanth   und  Chrysipp,   den  Dialektiker.     In    den    hinter 
diesen  wandelnden  Philosophen   sieht  der  Verf.  eine  Anspida^ 
auf  den  Namen   der  Peripatetiker.    In  der  Mitte  auf  den   Stafca 
liegt  nachlässig  der  Cyniker  Diogenes.    Die  Stufen  her&b    steigt 
dem  zunächst   Epikur   im  Gespräch  mit  dem  jungem   Ariatipf^ 
der  eine  auf  di«  Stoa,  der  andre  auf  ^en  Cynismua,  als    ilnoi 
fremde  Thorheiten,.  zeigend.    —    Hiemit   war  der  producireods 
Geist  der   griechischen   Philosophie  an  ^  seine   Grenzen   gelangt 
Als  Reprüsen|ant  des  nun  beginnenden  Eklektizismus  ist  der  as 
die  Wand  gelehnte  JUngling,    der  im  Begriff  ist   (auf  dem  über- 
geschlagenen Beine)   zu  schreiben,'  anzusehen.     Dfm   (Wafachei- 
ten   sammelnden)  gegenüber  trit^  der   (alle  Wahrheit  läogneade) 
Skeptiker  Pyrrho   von  Elia   auf;   er  lehnt  sich   mUfsig   nn    eine 
Säule  und^  sieht  spöttisch  in  das  Buch  des  neben  iinn  ach  reiben- 
den Jüngliiigs;    in  dem  daneben   mit  dem  Kopf  noch    der  eiaes^ 
mit  dem  Körper  nach  der  andern  Seite  gewendeten  Pliilosophn 
sehen    wir    den   Stifter    der   neuen    Akademie   Arkesilaos,    hai 
Skeptiker,   halb  Stoiker;   und  wäre   der  mit  einem  Stab  berbd- 
kommeude  Alte  einer  der  von  Lucian  verspotteten  späten  Cy- 
niker, so  würde  der  davoneilende  Jüngling  den  Ausgang  ericcln- 
Bcher  Philosophie  aussprechen.    Nun  endlich  die   vordre  Gruppe 
rechts  gegenüber   der  theoretischen  Mathematik  des  Pythagoras 
die  praktische  des  Archimed  (oder  Euklid)  (Bildnifs  BramantTs^ 
der  seinen  Schülern  die  isagonische  Figur  mit   dem  Zirkel  rar- 
demonstrirt.    Dabei  stehen  als  Repräsentanten    der  Aatronosüe 
und  Astrologie  Ptolomäus    und  Zoroaster;    endlich    zwei  Gestal- 
ten, in  denen  wir  nur  Freunde  der  Philosophie  zu  erkennen  ha- 
ben, es  sind  die  Bildnisse   von  Rafoel   und  Perugiuo.    —     Aack 
die  Architektur  und  die  als  Verzierung  angebrachten  Sknlptaiva 
des  Bildes  sirfti  als  nicht  ohne  Bedeutung  tlir  die  ganze  Darstel- 
lung aufgeführt,  and  so  hat  denn  wirklich  zum  ersten  Male  diese 
groiüo   keuntnifsvolle,  einsichtreiche  Compositiou   ihre    volle  Er- 
klärung gefunden,  ohne  die  «wir  zuletzt  immer  nur  Aeufserliebei, 
schöne  Gruppen  und  Gestalten,  nicht  aber  den  innerlichen,  sie 
gestaltenden  Gedanken  vor  uns  haben,  der  nun  schon  in  der  all- 
gemeiuen  Anordnung  fühlbar  ist,  in  welcher  uns  Rafael  das  all- 
mählige  Aufsteigen,  den  Höhenpunkt  und  das  Uerabkommen  der 
Philosophie  hat  anschaulich  machen  wollen. 

Vm  solcher  und  ähnlicher  lichtvoller  Erläuterungen  wOlea 
kann  man  dem  Vf.  manche  Sonderbarkeit  in  diesem  Gebiet  nach- 
sehen, wie  z.  B.  dafs  der  alte  Santi  in  einem  Engel  eines  Altar- 
bildes sein  Söhnchen  abgebildet  habe,  allein,  da  dieses  znr  Zeit 
der  Beschaffung  des  Gemäldes  erst  sechs  Jahr  alt  war,  der  £>- 
gel  aber  deren  zuölf  zu  zählen  scheint,  „das  Bild  seines  reife- 
ren Sohnes  im  Geiste  tragend,  ,ihn  im  Ideale  vorgebildet.^  — 
Eben  so  dürfen  wir  über  dem  Reichthum  an  höchst  schätzbaren 
Nachrichten  über  säuimtliche  Werke  Rafaels,  über  ihre  Bestel- 
lung und  Bezahlung,  über  ihren  Zustand,  ihre  Schicksale,  Aus- 
besserung und  di«  Stelle,  wo  sie  sich  jetzt  belinden,  über  Car- 
tons,  Zeichnungen,  Studien  und  deren  Abweichungen,  über  alle 
Copien  und  Wiederholungen,  über  Kupferstiche  und  Lithogra- 
phien, über  Aechtes  und  Unächtes,  Vorhandenes  und  Verscbol- 
lenes ;  endlich  über  die  Vorgänger,  Zeitgenossen  und  Schüler 
Rataels,  eine  gewisse  Inconsequeuz  der  Anordnung,  eine  oft 
hinderliche  Weitläufigkeit  und  eine  den  Ueberblick  verwirrende 
Weise  der  Darstellung  vergessen.  An  zurechtweisenden  Regi- 
stern und  Ueberschriften  jeder  Seite  fehlt  es  ohnehin  nicht  — 
Die  Buchhandlung  ihrerseits  hat  durch  eine  vortreffliche  Aus- 
stattung jeden  denkbaren  Anspruclr  befriedigt;  die  Beigabe  von 
Kupfertafeln,  meist  unedirten  Inhalts,  Werke  des  Vaters,  Jugend- 
arbeiten des  Sohnes,  Bildnisse  des  letztern,  Facsimiles,  Bau- 
pläne u.  s.  w.  werden  von  Allen  mit  grofsem  Danke  aufgenom- 
men und  dem  Buche  seine  Stelle  in  unserer  Kunstliteratar  nie 
streitig  gemacht  werden.  ^ 


IV 


Jf  24. 

Jahrbücher 

für 

issen  Schaft  liehe 


Kr  i  t  ik 


Februar    1840. 


JFühelm  Heinte* 8  sämmtlieke  Schraten.    Her" 
ausgegeben  von  Heinrich  Laube. 

^  I 

(Schlufs.) 

9,DasClassfaiohe  überall  ist  das  gedrängt  Volle,  wenn 
einer  alles  Wesentlioke  und  Bezeiehnende  von  einem 
Gegenstand  heraitsfiiblt  nnd  naehahmt."  —    ,,Ein  Bing 
reteht  fassen»  eeigt  den  trefflichen  Menschen  und  macht 
4en  Yirtuosen."  —  »»Das  Todte  kann   auch  der  bloHse 
Fleifs  darstellen,  aber  das  Leben  nur  der  grofse  Mensch« 
Wen  beim  Ursprung  seiner  Existenz  nicht  die  Fackel 
der   Gottheit  entzündet,    der   wird   weder   ein    hohes 
Künstwerk,  noeh  eine  erhabene  Handlung  herForbrin* 
gen'*    Diese  und  hundert  ähnliche  goldne  SprUche  wer* 
den  vonHeinse  bewahrheitet.     Seine  Schildereien  sind, 
wie  hingehaucht,  unmittelbare,  treue  Abdrucke  der  wahr- 
sten Innern  Anschauung,  wie  sich  in  dem  Daguerrotyp 
die  Aubenwelt  rein  und  voll  auffängt   und  ausprägt 
Die  Katur  und  die  Dinge  selbst  scheinen  sich  in  seinen 
Schilderungen  fortsusetsen,  und  weiter  su  organisiren, 
ao  gans  trifft  er  mit  seinem  geeignetsten  Ausdrucke  im- 
mer die  Sache.    In'  allem,  was  er  schreibt,  ist  eine  un- 
tergleiefaliche  Frische,  Lebendigkeit  und  Neuheit;   wo- 
durch sein  freier  und  greiser  Stil  einen  schneidenden 
Gegensatc  bildet  gegen  den  verkünstelten,  abstrdct  ge. 
haltenen,  so  häufig  fehlgreifenden  Ausdruck  so  vieler 
Schriftsteller  unserer  Zeit.    Ohne  Zweifel   kann  man 
von  allen  Deutschen  an  Goethe  und  Heinse  am  besten 
lernen,  was  äithetüehe  Darstellung  und  ursprüngli- 
che Kraft  des  dichterisohen  Genies  ist.    Aber  man  sieht 
an  Heinse  auch,  dafs  sur  Vollendung  eines  gr&Isem 
Ganzen  ein  unermüdlicher,  besonnener  Verstand  mit- 
wirken  muls,  und  es  ist  mehr  sein  Yermogen,  als  das 
tu  bewundem,  was  er  geleistet  hat.    Do.oh  ist  eine  flei^ 
bige  Ausfihrung,  so  wie  eine  verständige  Anlage  ein 
allgemeine^  Jßlrfordernifs.    Eigendinmlich  für  sieh  hat. 
der  Diditer  einxig  und  allein  jene  Darstellung. 

Jakrh,  /.  wintMch.  Kritik,  /•  1840.  >  I.  Bd. 


Ohngeachtet  sieh,  wie  wir  gezeigt  haben,  in  dem 
Leben  Heinse's  mehrere  Perioden  von  einander  abtren- 
nen, so  lassen  sich  in  seinem  Stile  doch  keine  andere 
Phasen  namhaft  madien,  als,  dem  Inhalte  na,ch,  im  AU« 
gemeinen  der  Uebergang  von  Phantasie  und  G^füh}  und 
einer  untergeordneten  Kultur  zur  Erfahrung  und  einer 
reichen  und  durchaus  selbstständigen  Weltansidit  Die 
Meisterschaft  des  Stils  ist  unsern^  Heinse  angeboren. 
Es  ist  ihm  aber  nur  eine  Galtung  der  Schreibart  gerecht, 
nämlich  die  Briefform^  für  die  er  aber  auch  ganz  ge» 
matht  und  unübertroffenes  Muster  ist«  Laidion,  Ardhin- 
gello  lind  Anastasia  sind  ganz  oder  grofstentheils  in 
Briefen  geschrieben,  und  auch  in  Hildegard  von  Hohen- 
tlial  nähert  sich  die  leichte,  fessellose,  zurückgreifende 
Schreibart  dieser  Gestalt. 

Was  er. übte,  und  worin  er  lebte,  darin  wufste  er 
auch  theöretüch  Bescheid,  und  w  hüt  «ich  denn  nicht 
leicht  einer  näher  aufgeklärt»  worauf  es  eigentlich  an- 
komme bei  aller  Kunst,  und  worin  das  Wesen  der 
Schönheit  liege.  „Schönheit,  sagt  er,  ist  unverfälschte 
Erscheinung  des  Wesens  eines  Gegenstandes,'  wie  er 
nach  seiner  Art  sein  uoW-  (B.  8.  S.  156).  Oder  an  ei- 
ner andern  Stelle:  „Schönheit  überhaupt  in  allen  Kiin- 
sten  ist  leichtfafsliche  Vollkommenheit  für  Sinn  und  Ein- 
bildungskraft;  sie  mufs  mit  Einem  Blicke  aufgewogen 
werden  können"  (B.  1.  8.  250  u.  ^3).  —  „Die  Grie- 
chen waren  die  schönsten  Menschen,  weil  sie  die  voll- 
kommensten Waren;  ihre  Bildsäulen  werden  aber  Immer 
nur  als  wunderbar  fremd  dastehen.**  —  „Ohne  die  Na« 
tur  ist  Alles  leeres  Geschwätz,  welches  micfi  liie  irre 
machen  wird,  auch  wenn  es  nodi  so  meisterlieh  lau- 
tete*' (B.  8.  S.  166).  —  „Jede  Form  ist  individuell,  und 
es  gibt  keinjB  abstrakte.;  eiue.blols  ideale  Menschenge- 
stalt läfst  si<&  weder  von  Mann  noeh  Weib,  von  Kind 
noch  Greis  denken**  <B.  1.  8. 9  u.  B.  8.  S.  214).  ^  „Es 
gibt  keine  ächte  Form  ohne  Bedeuiung^  und  wer  die 
Bedeutung  nieht  versteht,  kann  auch  die.  Form  nicht  er- 

24 


187 


IV.  Heinse^   sämmtlicAd    ff^erke* 


188 


>kenneii,  viel  weniger  sich  eigen  machen*'  (B.  8.  S.  210). 
Wenn  solche  Aussprüche  über  die  Kunst  und  Schön- 
heit auch  nicht  immer  weitläufig  ausgeführt  und  bewie- 
sen werden/ so  sind  sie  doch  für  den  denkenden  Leser 
üBfliittalb^r  in  der  übereinstimmenden  und  abgeschlosse- 
nen Weltanschauung  Heiii^e's  besser  begründet,  als  sie 
immer  durc^  Schlufs  und  System 'wbsensschaftlich  fest- 
gestellt werden  könnten.  Sie  gehören  su  den  untrügli- 
chen Manifestationen  eines  genialen  Geistes.  Heinse's 
Kunsturtheile  können  in  jedem  Betracht  deneh  von  Les- 
sing, Goethe  und  Winckelmann  an  die  Seite  gestellt  wer- 
den, Ja  er  scheint  ein  freieres  und  allgemeineres  ästhe« 
tiBches  Urtheil  gehabt  eU  haben,  als  dieser  letztere,  des- 
sen theilweise  Befangenheit  er  nicht  selten  harmlos 
belächelt  (B.  8.  S.  168  u.  B.  9.  S.  175). 

Heinse  war  durchweg  ein  Sohn  der  Natur^  dem 
zuerst  an  der  Hellenenwelt  seine  eigenthümliche  Geistes- 
richtung klar  geworden  war.  Tapferkeit  —  Muth  ge- 
gen die  Menschen,  und  Todes%'erachtung  gegen  das 
Scliicksal  —  Verstand  und  Ldebe  und  Freundschaft 
waren  seine  Kardinaltugenden,  die  Freiheit  das  Ele- 
ment seines  Geistes,  und  die  Schönheit  die  Sehnsucht 
seines  Herzens.  Aufserdem  zieht  sich  durch  seine  ganze 
Betrachtungsweise  ein  rührendes  und  erschütterndes 
Gefühl  der  Unzulänglichkeit  des  Menschen  und  der  irdi- 
schen Dinge  (B.  1,  S.  116,  189,  270.  B.  2.  S.  1,  4  u. 
8.  w.) :  das  ist  seine  Religion^  worin  sich  die  tiefste  De- 
muth  des  Gemüthes,  ohne  Sentimentalität  und  Yörur- 
theil,  ausspricht.  Allen  Einflüssen  und  Formen  der  neu- 
ern Welt,  die  nicht  Natur  sind,  ist  er  abgeschlossen,  und 
bildet,  Jedoch  ohne  Ilafs  und  Polemik,  einen  strengen 
Gegensatz  gegen  sie.  Bei  seiner  abgerundeten,  in  sich 
ruhenden  Selbstständigkeit  nimmt  er  nicht  den  ethischen 
Antheil  an  den  Dingen,  dafs  ihn  Mifsverhältnisse  erbit- 
tern könnten.  Ueberall,  in  der  Malerei,  der  Skulptur, 
der  Dichtkunst,  der  Wissenschaft,  der  Erziehung,  der 
Bellgion,  in  Staat  und  Kirche  macht  er  die  Natur,  und 
sein  Reich  der  Schönheit,  der  Vernunft  und  der  Wahr- 


Staat,  die  ästhetische  Naturreligion,   die  freie  GemcNa- 
Schaft  der  Geschlechter  und   die  Kindererziehung,    ^ird- 
che  er  will,  selbst  deutlich  genug  gezeichnet,  und  jedes 
Blatt  in  allen  seinen  Schriften  gibt  von  seiner  X>enk- 
weise  Zeugnifs  (vgl.  z.  B.  1.  S.  31,  201,  203  ff.  S.  20 
u.  8.  w.).     Im  Dienst  dieser  „heiligen"  Nalur  wehrt  er 
sich  in  Bezug  auf  Wissenschaft  und  Kunst  gegen  alles 
Angelernte,  Nachgeahmte,  indem  er  Alles  an  des  Me^ 
sehen    eigenes   Gefühl   und  Urtheil    anknüpft.      I>aber 
sträubt  er  sich  auch  gegen  die  geisteserdrückende  Auto» 
ritat  des  Altertiiums  (z*  B.  B.  1.  S.  35)  und  meint,  kt 
der  neuem  Zeit  könne  Malerei   und  Skulptur  nur  in 
untergeordneten  Kreise^  gedeihen,  da  ihr  höchster  Tri- 
umph doch  immer  das  Nackte  sei,  welches  die  Verdor- 
benheit und  Barbarei  der  neuem   Zeit  unsem  Aagei 
entrücke.    In  Bezug   auf  Jugendbildung  sagt  er  unter 
anderem  (B.  1.  S.  75) :  „Ein  einziger  Gedanke,  nur  eins 
That,  von  scharfem  tiefem  Gefühl  oder  vielfacher  lieber- 
legung  entsprossen,  obgleich  noch  roh  von  verschiede- 
nen Seiten,  ist  bei  dem  Zögling,  eine  glückliche  Yorbe- 
deutung,  und  so  Schnelligkeit  zu   fassen  und  zu  belud- 
ten;   hingegen  Allgehorsam  und  Fraubasengutartigkei^ 
so  beliebt  bei  Pedanten,  eine  unglückliche,  denn  da  ist 
kein  Muth  und  keine  Kraft.    Alles,  was  in  die  jungen 
Seelen  eingetrichtert  wird,  was  sie  niclit  aus  eigener 
Lust  und  Liebe  halten,  haftet  nicht,  und  ist  vergebliebe 
Schulmeisteret.    Was  ein  Kind  nicht  mit  seinen  Sinnen 
begreift,  wovon  es  keinen  Zweck  ahnet,  zu  seinem  eige- 
nen  Nutzen  und  Vergnügen,  das  verfliegt,  wie  Spreu 
im  Winde.    So  ist  die  Natur  des  Lebendigen  vom  Baum 
und  Gras  an;  und  der  Mensch  macht  davon  keine  Aus» 
nähme.    Jeder  geh'  in  sein  Leben  zurück,  und  sehe,  ob 
etwas  von  allem  dem  Vorzeitigen  geblieben  ist,  wo  nickt 
etwa  blos  zum  Verderb  des  Genusses.    Yiel  Natur  und 

r  -  

wenig  Bücher,  mehr  -Erfahmng  als  Gelerntes  bat  die 
wahren  vortrefflichen  Menschen  in  jedem  Stand  hervoN 
gebracht."  An  einer  anderen  Stelle  (B.  8.  S.  224)  ruft 
er  aus:  „O  heilige  Natur,  die  du  alle  deine  Werke  her* 


heit  gegen  den  Mechanismus  der  Ueberlieferung,  gegen    ,  vorbringst   in  Liebe,  Leben  und  Feuer,   und  nicht  mit 


das  blinde  Herkommen  und  gegen  die  willkürliche  Kon- 
Tonienz  geltend.  Man  kann  Heinse  nicht  oberflächlicher 
auffassen,  als  wenn  man  mit  Laube  (B.  1.  S.  LXI)  mei- 
nen woHte,  „seine  Striche  über  Staat  und  Gesellschaft 
seien  blofse  grofsartige  Zusammenstellungen  eines  durch 
alle  Möglichkeiten  schweifenden  Dichters  gewesen.'*  Er 
hat  ja^  am  Ende  des  ArdhingeHo  den  republikanischen 


Zirkel,  Lineal,  Nachäfferei,  dir  will  ich  ewig  huldigen  r 
Zu  dem  Barbarischen  in  unserer  Sitte  unjd  Moral, 
von  welchem  er  so  oft  spricht,  gehört  nach  seiner  An^ 
sieht  auch  die  beständige  und  sorgfaltige  Bedeckung  ün« 
seres  Körpers  durch  Kleider,  und  er  preiset  allentbal* 
ben  die  Gymnasien  der  Spartaner,  in  denen  sich  nackte 
Jünglinge  und  Jungfrauen  übten  und  dem  Auge  die  voU- 


180 


JV.  Weiniey    tammtUohe    Werke. 


190 


kommeiiste  SchönheU  des   menschliohen  Körpers   zeig- 
ten. .   Wio   er  'die    Schönheit   nackter   Oeetalt   den 
Triumph   der,  bildenden  Kunst  nannte  (B.  1.  S.  243), 
wefswegen  der  modernen  Kunst  d^r  Kern  mangle,  „näm- 
lich der  erfahrne   und  geübte   Sinn   des   ganzen   Vol- 
kes am.  Nackten"   (B.  1.  S.  271),  so  stellt  uns. auch 
#ein6  Poesie   gerne  die  nackten  Formen  des  mensohli- 
«hen  Körpers  dar,  und  er  führt  überall  fSelegenheiten 
jierbei,  z.  B.  das  Baden,  Tänze  u.  s.  w.,  wo  er  uns 
seine  schonen  Menschen  nackt  zeigen  kann,  mit  dem- 
selben enthusiastischen  Kunstgefallen,  mit  welchem  er 
uns   Statuen,    Gemälde    und   Naturscenen    beschreibt 
Der  Natursohn  schildert  uns  ganz   folgerecht,  mit  Be- 
seitigung nnserer  willkuhrlichen  Decenz,  reide  Natur- 
menschen, und  was  damit   zusammenhängt,   das  Ver- 
liältnifs   der  Geschlechter   unverhohlen  in  seiner   gan- 
zen Naturwahrheit.     Seine  Menschen    sind,    wie  die 
Götter  der  allen    Griechen,  über  die  rücksichtsvollen 
und   peinlichen    Gebräuche    der   Sterblichen    erhaben. 
Seine  naiven  Darstellungen  des  Nackten  mögen  unrei- 
fen oder  schon  entzündeten  Gemüthem  gefährlich  und 
verderblich  sein- —  aber   für  Knaben    und  Mädchen, 
und    für  hülfsbedürftige    Seelen    hat   wahrlich   weder 
Heinse,  noch  je  irgend  ein  ächter  Dichter   geschrie- 
ben.   Aber  Heinse'a  Darstellungen  der  dritten  Periode 
nnd  objektive  Gemälde  der  nackten  Natur,  und  unter- 
'Scheiden  sich  hierdurch,   der  Art  nach,  von  den  lüster- 
nen und  schlüpfrigen  Schilderungen  Anderer,  z.  B.  Wie- 
land*s, .  welche  eben  defswegen  getadelt  werden  müs- 
sen, weil  sie  nicht  rein  objektiv  darstellen,  sondern  un- 
sere Begierde   anfachen    wollen«     Dieser  Nebenzweck 
macht  sie  nicht  allein  sittlich,  sondern  auch  ätihetisch 
verwerflich,  eben  weil  sich  durch  ihn  eine  interessirte 
Neigung  und  Absicht  einmischt.  £s  ist  nämlich  überhaupt 
ein  Dreifaches  zu  unterscheiden :  eine  sinnliche  {anschau^ 
iiche)  Disrstellung^  welche  der  Poesie  überhaupt,  gehe  sie 
nun  auf  das  Innere  oder  Aeufsere,  wesentlich  ist,  und  eine 
Darstellung  des  Sinnlichen  und  Nackten. ,  Die  letz- 
tere ist  doppelter  Art:   sie  ist  entweder,  wie  in  der 
guten'  Zeit  des  Alterthums,  uninteres^^irt,  objektiv,  und 
,  so  wahrhaft  künstlerisch  und  nicht  unsittlich,  so   dafs 
nur  aus  Bücksicht  einer  zufälligen  Konvenienz,   deren 
sieb  ein  weiser  Dichter  doch  auch  nicht  ganz  entschla- 
gen mag,  etwas  gegen  sie  eingewandt  werden  kann; 
oder  sie  ist  mit  subjectivem  Interesse  und  einer  verfüh« 
rerischen  Nebenabsicht  des  Dichters  erfüllt,    wodurch 


sie  zugleich,  nur  aus  verschiedenem  Grunde,  von  ästhe- 
tischem und  von  sittlichem  Standpunkte  aus  verwerf- 
lieh  wird. 

Dies  möchten  die  Hauptgesichtspunkte  dieser  Fra- 
ge sein,  auf  deren  „Höhe"  und  in  deren  „innere  Kam- 
mer*' uns  Laube  in  seiner  einleitenden  Biographie  ge- 
führt zu  haben  meint.  .Doch  ist  die  objective  Darstel- 
lung des  Sinnlichen,  wie. wir. sie  bei  Heifise  finden, 
nicht  dem  Alterthum  eigenthümlich.  Heinse*  stellt  al- 
lenthalben  seine  Schilderungen  des  Sinnlichen  in  Kon- 
trast mit  unserer  bürgerlichen  Welt,  „wo  alles  seine 
sündliche  Blöfse  doppelt  und  dreifach  bedeckt."  Ein 
alter  Grieche  der  guten  Zeit  .würde  die  Geschlechts- 
verhähnisse  nicht  in  diesem  Geiste  und  nicht  so  eigens 
und  ausführlich  geschildert,  er  würde  auf  eine  physi- 
sche Verrichtung  kein  so  greises  poetbches  Gewicht 
gelegt  haben.  Nur  der  uns  geläufige  Geist  der  roman- 
tischen Liebe  und  der  Konstrast  mit  unsem  bürgerli- 
chen Sitten  giebt  diesen  Naturgemälden  ihren  Ursprung 
und  ihren  Reiz  für  den  Leser.  Die  romantische  Liebe 
ist  durch  sie  jn  fleischliche  Verhältnisse  verpflanzt,  und 
wir  wer,den  aus  dem  Zwang,  den  unsere  Korruption 
uns  aufgelegt^  hat,  ursprünglichen  Naturverhältnissen 
zurückgegeben.  Ein  entgegengesetztes  Extrem  wird 
uns  vorgehalten,  welches  für  den,  der  noch  in  der  ge- 
'  Sunden  Natur  lebt,  gar  nicht  reizend  sein  und  nicht  ein- 
mal stattfinden  kann.  Insofern  zeigt  sich  in  dieser 
Dichtweise,  mit  der  sich  die  antike  Poesie  nicht  eigens 
abgiebt,  eine  moderne  Auflassung  und  Kultur ;  die  Forn^ 
derselben  ist  aber  bei  Heinse  objektiv,  und  hierdurch 
ä<;ht  künstlerisch.  Seine  ehrlichen,,  nackten  Gemälde 
verführen  weniger^  als  Vt^ielands  verhüllte  und  zwei- 
deutige. Weil  aber  das  Volk  in  seinem  UrtheU  über 
Kunstwerke  gemeinhin  von  seiner  eingeführten  Moral, 
und  angewöhnten  Empfinduagsweise  ausgeht,  so  hat 
Heiiisen  nichts  so  sehr  in  Verruf  gebracht,  als  dieses 
Liebesideal.  Urtheilt  doch  sogar  Schiller,  freilich  Une 
durchaus  entgegengesetzte  Natur:  „Ardhingello  bleibe 
bei  aller  sinnlichen  Energie  und  allem.  Feuer  des  Ko- 
lorits immer  nur  eine  sinnliche  Karikatur,  ohne  Wahr- 
heit und  ohne  ästhetische  VVürde;  doch  werde  diese 
seltsame  Production  immer  als  ein  Beispiel  des  beinahe 
poetischen  Schwungs,  den  die  blofse  Begier  zu  neh- 
men fähig  gewesen,  merkwürdig  bleiben."  Eine  ge- 
rechte Kritik  wird  diesen  ganzen  Dai^stellungskreis 
seiner  Form  nfich  als  acht  poetisch,  und  seinem  Inhalte 


191 


tV.  Beintey   M&mmtliclU  t9^€rk0. 


naeh  ali  eiaeii  inlegrirenclen  Theil  von  Heinse's  gan» 
ler  Weltauffassung  gellen  laisen*  In  einem  Nator« 
Staat  giebt  es  nur  eine  Naturliebe,  und  wenn  die  pla- 
stisehe  Kunst^  wie  sie  sein  soli,  den  Menschen  nackt 
darstellt,  hat  ihn  die  Naturpoesie  schon  so  empfangen» 
wie  sie  ihn  braucht 

Sohliefslich  mQssen  wir  noch  Einiges  an  der  Lau* 
besehen  Ausgabe  der  Werke  Heinse^s  taddn,  wdehe 
schwerlich  den  billigen  Anforderungen  entspricht,  die 
unsere  Zeit  an  solche  Sammlungen  macht.  Der  Titel 
verspricht  ,, Wilhelm  Heinse's  tämmtlicAe  Schriften."  •— 
Des  Ausdrucks  Werke '  wurde  Heinse  wohl  nicht  für 
werth  gehalten.  Aber  zu  diesen  ^sämmtlichen  Schrif- 
ten*'  gehören  doch  auch  die  Uebersetzungen  des  Saty- 
rikon's  ^von  Petronins  und  des  befreiten  Jerusalems  von 
Tasso,  welche  1781  in  Mannheim  in  vier  Bänden,  und 
des  wütfaenden  Roland  von  Ariost,  welcher  1782  in 
Hannover  ebenfalls  in  vier  B&nden  erschien.  Sollten 
aber  in  die  Sammlung  nur  sämmtliche  Origmalwerke 
aufgenommen  werden,  wie  konnte  Laube  dann  dem 
zehnten  Bande  die  Uebersetzungen  der  Sappho,  der 
Theano  und  ein  Bruchstttck  aus  Tasso's  befreitem  Je* 
-rusalem,  die  Armida,  einverleiben?  Dieses  Fragment, 
welches  1775  und  1776  entstand,  hat  Laube  aus  der 
Iris  aufgenommen,  und  so  eine  unreife  Jugendarbeit 
einer  späteren  vollendeten  vom  Jahre  1781  vorgeio* 
gen.  Heinse  schreibt  darüber  selbst  am  26.  Januar 
1781  aus  Venedig:  „Den  vierten  und  fünften  Gesang, 
welche  beide  fast  ganz  in  der  Iris  standen,  habe  ich  so 
völlig  neu  übersetzt,  dafs  von  dem  Alten  fast  keine 
Zelle  mehr  zu  sehen  ist,  und  dafs^  wer  sie  zusammen- 
hält, glauben  mufs,  dafs  zwei  verschiedene  Heinse  sie 
Übersetzt  haben.  Ich  will  mich  deswegen  auch  zum 
Spafs  auf  dem  Titel  Heinxe  drucken  lassen,  welches 
eigentlich  auch  nach  der  thüringischen  Aussprache 
mein  uralter  Thüringer  Name  ist.  Ich '  hoffe  wirklich 
etwas  Gutes  an  dem  Tasso  zu  liefern,  auch  hätte  ich 
es  nicht  eher  gekonnt,  und  ieh  mufste  nothwendig 
Sturm  und  Wetter  auf  der  See  ausgestanden  haben, 
um  verschiedene  Stanzen,  wie  sich  gehört  und  gebührt, 
in  die  Heldensprache  zu  übertragen.*'    Unserm  Laube 


aber  ist  der  Uebersetter  Heitre  lieber  als  der  Heim 
oder  vielmehr  sein  ungünstiges  Urtheil  (B.  1.  S.  LXXl, 
scheint  nur  jenen  zu  kennen.    So  hat  er  uns   denn   ii 
einem  Sinne   des  Wortes  viel  weniger  gegelien,  all 
sämmtliche  Schriften  Heinse's,  und  in  dem  andern  bei- 
nahe einen  Band  zu  viel.    Von  einer  guten  GeaanuBt* 
ausgäbe  aber  fordert  man  in  unserer  Zeit  durchausi 
dafs  die  einzelnen  Schriften  se  viel  ab  es  sonst  ihna» 
lieh  ist  chronologüch  angeordnet  seien,  damit  d«r  BiL 
dungsgang  des  Schriftstellers   wahrhaft   begriffen   und 
nachgelebt,  und  dessen  Erzeugnisse  aus  ihrer  Entst»» 
hungszeit  aufgefabt  werden  können.    Bei  den   einzel» 
nen  Werken  mufste  dann,  ndt  Verweisung  auf  die  vor- 
anstehende  Biographie  und   den   demnäohst   folgendaa 
Brief weclisel,   die  Jahreizahl  der  Abfassung  und  der 
Erscheinung,  etwanige  neue  Auflagen  u.  s.  w.    genaa 
angegeben   werden.    Dann  hätte  alles  dahin  gewirkt 
uns  eine  wohlgeordnete  Gesammtanschauung   de«  Wil- 
helm Heinse  zu  verschaffen,  und  eins  hätte  das  andeie 
getragen  und  ergänzt,'  jede  einzelne  Schrifi:  hätte  um 
aber  dand  lebten  können,  was  er  selbst  als  das  Höch- 
ste anneht:    „Das  Hauptvergnügen  an  einem  KvDst> 
werke  für  einen  weisen  Beobachter  macht  immer  asi 
Ende   das  Herz   und  der  Geist  des  Künstlers  aelfcst^ 
und'  nicht   die    vorgestellten   Sachen"    (B.  2.   S.  81> 
Von  dem  allen  findet  sieh  in  der  Laubeschen  Ausgabe 
gar  nichts.     Das    bekannteste  Werk  Ardiüngelio  ist 
nach    Buchhändlergewohnheit  vorangestellt,    und    die 
übrigen   folgen  wiUköhrlich   nach.     Nach   den   ihiiaci 
eingeschobenen  zwei  Bänden  Briefen  &  B.  kommt  noch 
ein  Band,    welcher   aus   Gedichten  und    vermbciitea 
Schriften  besteht.    Die  nothwendige  Inhaltsanzeige  für 
dieses  Bändchen  fehlt  ganz,    Ein  Schlußwort  des  He^ 
ausgebers,  welches  man,  wenn  es  fehlte,  nicht  Temuf- 
sen  würde,  macht  das  Ende.    In  diesem  Scblulswort» 
lesen  wir,  zu  unserer  Verwunderung,  dals  Laube  ^^am 
der  Iris  das  (!)  über  den  Tasso  und  Arioet  habe  ab- 
drucken lassen."    Aber  über   und  von  Ariost   enthält 
die  Sammlung  gar  nichts,  als  einige  zerstreute  Gedan- 
ken in  Heinse's  Briefen. 

Cari  Hoffmeister. 


w  i  s  s  eil 


J^  25. 

J  a  h  r b  fi  eher 

für 

s  c  h  a  f  1 1  i  G  he 


V 


Kritik. 


Februar   1840. 


XVIL 

Geogn^stüehe  BeßbacAtumffeM  y   ge9&mme&  auf 

einer  Heue  dmrch  Italien  und  Siciken  in  den 

Jahren  1830  bis  1832  ron  Friedrich  Hoff- 

mann,  herausgegeben  ron  Heinrich  von  De- 

chen.    ßerliny  1839.  bei  Reimer. 

Es  ist  ein  schönes  und  edles  Denkmal,  welches 
der  berühmte  Herausgeber  dem  verstorbenen  verdienst«» 
vollen  Fr.  Hoffmann  setzt.  Denn  es  ist  wahrschein- 
lich keine  leichte  Arbeit  gewesen,  zerstreute  Papiere, 
einzelne  Angaben  im  Taschenbuch  ohne  Zusammenhang 
so  mit  eiusinder  zu  verbinden,  dals  sie  ein  fortlaufen« 
des  Ganzes  bilden,  in  welchem  der  eigenthümliche  Hoff- 
maunschö  Styl  und  seine  Ansichten  stets  die  Oberhand 
behalten,  und  die  grofsen  Terdienste  des  ordnenden 
und  sichtenden  Herausgebers  nur  dem  aufmerksamen 
Forscher  hervortreten.  Dadurch  haben  wir  ein  Werk 
erhakea,  welches  o£feabar  das  wichtigste  ist  von 
alletf,  die  sieh  mit  den  geognostischen  Verhältnissen  von 
Italien  beschäftigt  haben;  und  die  darin  enthaltene  ganz 
vollständige  geognostische  Beschreibung  von  Slcilien 
wird  noch  in  langer  Zeit  nicht  übertroffen  werden. 

Fr.   Hoffmann  vereinigte   viele  Talente,  welche 
ihm  nothwendig  sehr  bald  den  Rang  unter  den  ersten 
Geognosten    erwerben  mufsten.    Eine  seltene  Leben* 
digkeit  in  Auffassung  und  Zusammenslellung  der  Er- 
seheinnngen  mit  einer  grofsen  Besonnenheit  iin  llrtheil 
vereinigt;   eine  fortdauernde  Unermüdlichl:eit  und  Be* 
weglichkeit,   die  ihn   doch  niemals  verhinderte,  jeden 
Punct  bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten  zu  untersuchen, 
um  Nichts  zurückzulassen ,  welches  zur  Kenntnila  des 
Ganzen  beitragen  konnte;  eine  Einbildungskraft,  wel- 
che alle  Erscheinungen,  die  er  oder  Andere  beobachtet 
halten,  stets  um  Um  her,  versammelt  erhielt,  ohne  ihn 
zu  verleiten ,  über   4i^^  Erscheimingen  weg  i|i   da« 
>  Reich  der  Träume  sich  zu  verlieren-. 

ishith,  /.  wU%tn%ih.  KrUik.  J.  1840.     L  Bd. 


Auch  kt  er  ein  merkwürdiges  Beispiel,  wie  die 
Persönlichkeit  so  mächtig  auf  wissenschaftliche  Bestre» 
bungen  einwirken  ksmn.  Mit  dem  Bedurfnils  der  Oe« 
eellschaftlichkeit  suchte  er  überall  die  Männer  au  finden« 
welche  irgend  nur  eine  wissenschaftliche  BUdnng  zu 
haben  schienen,  und  Vvo  häufig  Andere  durch  Seichtig« 
keit^  Flüchtigkeit  im  Beobachten,  Unbestimmtheit  der 
Urtheile  zurückgeschreckt  worden  wären,  gelang  es  ihm 
doch  allezeit  eine  Seite  zu  fijnden,  welche  für  die  Wis« 
senschaften  nutzbar  sein  konnte,  und  die  er  zu  diesem 
Endzwecke  hervorzog  und  anwandte.  Das  gianze  Buch 
ist  voller  Beweis  dieser  liebenswürdigen  und  erfolg-  , 
reichen  Stimmung.. 

D^r  erste  Theil  des  Buches  umfafst  einen  voUstän« 
digen  Reisebericht,  welcher  die  Leser  in  den  Stand 
setzt  zu  beurtheilen,  wie  weit  H.  ein  Recht  haben 
konnte,  ein  Urtheil  über  italienische  geognostische  Yer% 
hältnisse  zu  fUlen«  und  welcher  seine  aufserordentliche 
Thätigkeit  in  das  schönst^  Licht  setzt.  Die  zweite  Hälfte 
ist  der  genauen  Beschreibung  von  Sicilien  gewidmet, 
und  gehört  in  Anordnung  und  Zusammenstellung  gans 
dem  Herausgeber;  ein  Commentar  zu  der  schönen  geo* 
gnostischen  Charte,  welche  dem  Buche  beigefügt  ist. 
Aus  beiden  mögen  einige  ausgehobene  Ansichten  dast 
wizsenschnftliche  Gewicht  dea  Werkes  erweisen. 

Der  Besuch  der  berühmten  Lagunen  von  Monte 
Cerboli  hei  Yolterra  erweist,  dafs  alle  diese  siedend- 
beibe  Wasserdämpfe  mit  den  Schwefeldämpfen  aus 
einer  S/^alte  hervordringen ,  die  unausgesetzt  sfch 
über  Serezzaro  und  Castel  Nove  biz  zur  Madonna  von 
Frassine  verfolgen  läfst,  in  nordsudlicher  Riclitung  fast 
2^  deutsche  Meilen  weit  Der  Schwefel  an  der  Atmo- 
Sphäre  gesäuert,  bemächtigt  sich  des  Kalksteins,  w^her 
auf  dem  Thon  Uegt,  veränderter  Schiefer,  aus  welchen 
die  Dämpfe  hervorbredhen,  und  bildet  um  die  äuCseren 
Flächen  des  Kalksteins  eine  dicke  Schicht  von  Gyps. 
Die  zahlreichen  Klüfte  des  Innern  erfüllen  s|ch  zu^eich 

25 


19S 


F.  Hoffmann j  geßgnOMtüehe  Beobachtungen^ 


19 


mit  Gypskrystallen,  welche  fasrig  gegenainaiider  stehen, 
eine  Bildung,  die  H.  später  auch  im  Tuff  von  Vukano 
\vieder  auffand  und  daraus  die  Entstehung  des  faeri' 
genOypset  imKeupetherleitete.  Das  Ganze  zeigt  vor 
unseren  Augen^  wie  alle  Gypsbüdungen^  wo  sie  auch 
vorkommen,  aus  verändertem  Kalkstein  hervortreten. 

Die  Untersuchung  einer  alten,  verlassenen  Grube 
bei  Campiglia  unweit  Piombino  enthält  die  ganze  Theo- 
rie der  groben  Eisensteinmasse  von  Elba.    E^  ist  eine 
in  der  Nähe  und  fast  in  Berührung  mit  Serpentin  und 
Gabbromassen  durch  ihr  Hervortreten  bewirkte  Su^ 
blimation  des  Eisenglanzes  und  Rotheisensteins,  theils 
als  mächtiger  Stock,  theils  in  unzählbaren  Kluften  durcli 
den  Sandstein^    der  xur  Formation   des   Macigno 
gehört^  das  ist  cum  Kreidesandstein.    Gabbro  und  Ser- 
pentin und  somit  auch  die  ganze  Eisensteinslagerung 
sind  daher  neuer,  als  die  Kreideformation.     Hornblende 
in  runden,  auseinanderlaufend  strahligen  Kugeln,  bildet 
einen   Gang  durch  den   Kalkstein  der  Kreide  und   in 
dieser  Hornblende  liegt  der  lAevrit  in  Drusen.  —  Ge^ 
gen   die  Südkuste   von  Elba  bei  Porto  Longone  tritt 
der  Gneufs  auf,   den  unzählige,  zum  Theil  sehr  mäch« 
tige  Granitgänge  durchsetzen,  so  sehr,  dafs  an  einigen 
Vorgebirgen  die  Masse  der  Gänge  die  der  Gebirgsart 
übertrifft^  Erscheinungen,  wie  sie  an  der   Küste  von 
Cornwall  oder  Norwegen  so  häufig  sind,   und  wie  sie 
Mac  Culloch  von  den  Ufern  der  Schottischen  Grafschaft 
Caithnefs  gezeichnet  hat.    Der  Gneufs  wird,  ohne  Ab- 
setzung, in  höheren  Schichten  zum  Glimmerschiefer,  in 
dem  einzelne' Dolomitlager  auftreten,  dieser  zum  Thon- 
schiefer,  und  nun  folgen,  ebenfalls  ohne  Unterbrechung 
nach  oben   hin,   der  Sandstein,   Macigno   und   dichter 
Kalksteio.  So  ist  denn  hier  die  Geschichte  der  Umwand- 
lung grofser  Gebirgsmassen  im  schönsten  Profil  darge- 
legt. Die  Gesteine  der  Kreidefbrmation  werden,  durch 
das  Hervortreten  des  Granits,  zuerst  z\xm  festen  Schie- 
fer^  dann  zum  xum  glänzenden  Glimmerschiefer^  in 
der  näheren   Berührung  xu  Gneufs  verändert.     Der 
wirkende  Granit   offenbart  sich  in   diesem  Theile  der 
Insel  nur  durch  die  Gänge,    welche   aber  im  Macigno 
oder  im  dichten  Kalkstein  nicht  mehr  vorkommen,  weil 
dprch  ihre  Einwirkung  beide  Gesteine  ihre  Natur  ver- 
ändert haben  und  nicht  mehr  erkannt  werden  können. 
Allein  die  westliche  Seite  von  Elba  läfst  diesen  Granit 
ganz  rein  hervortreten    am   Monte  Capanno  bis   über 
3000  Fufs  Höhe. 


Auch  in  den  Alpen,  am  Gotthardt  ist  -man  sclra 
längst  zu  dem  Resultat  gekommen,  dafs  Kreide  •  Mei^ 
durch  Granit- Einwirkuf^g  zum  Glimmersehiefer,  end 
lieh  zu  Gneufs  verändert  werde.  Im  Fichtelgebirge»  ia 
Erzgebirge  sind  es  die  Transitionsschiefer,  aus  ^pireleba 
der  Gneufs  entsteht,  und  von  dem  Gneufse  in  Schott« 
land  hatte  Mac  Culloch  seit  vielen  Jahren  eine  »iiTiti^lf 
Entstehung  aus  Juraschiehten  behauptet. 

Den  mehr  als  4000  Fufs  hohen  Monttuniaies  nennt 
H.'  eine,   durch  das  Flötzgebirge  aufgestiegene   grofse 
Trachytmassei  das  ist  deshalb  wichtige  weil  sieh  dit« 
ses  Vorkommen  dem  Trachyt  ansehliefst,  den  H.  spä- 
ter an  der  Westseite  des  Sees  von  Braeciano  fand,  snd 
in  welchem  bei  Tolfa  die  bekannten  Alaunstelngäoge 
aufsetzen.    Es  bezeichnet  das  östlichste  Yorkommen  dei 
Traehyts  gegen  das  Apenninengebirge.    Zwischen  dic^ 
sem  Trachyt  und  dem  Gebirge  erscheint  dann  Basah, 
schon  bei  Radicofani.    Denn  basaltische  Gesteine  ms- 
schliefsen  wie  ein  Gürtel,  schon  vom  Aetna   her,  uai 
über  die  lAparischen  Inseln  hin^  den  Trachyt^  S^^ 
Osten,  und  trennen  ihn  vom  Apennin.     In  dem  basal* 
tischen    Albanergebirge   giebt    es   keinen    Traebyt.  — 
lieber  dieses   Albanergebirge  selbst   erhalten   wir   ros 
H.,  ohnerachtet  seiner  Yersicherung,   keine   nene  Auf- 
schlüsse.   Denn  dafs  auf  dem  Gipfel  des  Monte  Caro, 
der  Campö  d'Annibale  bis  Rocca  di  Papa,  als  ein  Kra- 
ter angeschen  werden  müsse,   hatte  man  lange  vorbct 
vgesagt,  selbst  Breislack,  und  Lavenströme  am  Abbang 
in  Schluchten  gegen  Monte  Compatro^  Bänder  die  nodi 
jetzt  wie  ein  Schlammstreif  am  Tfaalboden  herabgehen, 
waren  jedem  bekannt,  der  von  Frascati  Palestrina  be- 
suchte.    Dagegen  erhalten  wir  vom  Herausgebeir  eine 
höchst  wichtige  Nachricht.     Alle  feste,  im  Peperino  ein- 
geschlossene Basaltschichten  nämlich,  sowohl  bei  Fnu* 
cati,  gegen  Marino,  als  auch  auf  der  gegenüberstehen- 
den  Seite  bei  Ariccia,  enthalten  kaum  Leuzit,  sondern, 
als  wesentlichen  Gemengtheil  Nephelin^   mit  Augith. 
krjstallen   verbunden,  wie  das  Gemenge,  welches  Dr. 
Batt  am  Katzenbuckel  über  dein  Neckar,  Dr.  Gumprecht 
am  Löbauer  Berge,   Hr.  Klipstein  bei  Meiches  im  Yo» 
gelsberg  entdeckt  haben.    So  bestimmt  es  Hr.  G.  Rose^ 
und  das  Verhalten  des  Basalts  m  Säuren  beweist,  dafs 
er  noch  weit  mehr  unerkennbaren  Nephelin  iii  seinem 
Gemenge  enthalte.    Da,  wo  der  Leuzit,  nordwärts  von 
Rom  in  gewaltiger  Menge  und  in  besonders  grofsen  Krj- 
stallen  hervortritt,  bei  Civita  Castellana^  Borghetto  oder 


larf 


F.  Boffmann^  geognoätüoAe  BeoAaeAttingen. 


198 


atm  See  von  Braceiano^  oder  bei  Bolsena,  seigt  sieh  der 
Neplielin  nicht. 

Es  mvXu  diese  Erscheinung  nothwendig  unsere  Auf* 
tiierksamlcett  auf  die  grofse  Rolle  erregen,  welche  einst 
noch  der  Nephelin  in  der  Gebirgslehre  zu  spielen  be- 
atimmt  zu  sein  scheint.  In  dem  Granit  Ton  Miask  im 
Ural  hat  Hr.  Rose  stau  Quarx  überall  Nephelin  ge- 
funden. H.  sagt,  im  Herabgehen  von  Tolfa  gegen  CU 
Tita  'Vecohia  habe  er,  bei  Chietäccia  schwarzbraunen 
Pechsteinporphyr  gesehn,  dessen  Gnindmasse  nephelin* 
artig  sei,  in  Verbindung  mit  Trachyt.  Worauf  mag 
^ohl^  diese  auffallende  Versicherung  beruhen  ? 

fiöchst  lehrreich  und  mit  vieler  Umsieht  und  Mühe 
kat  Hr.  v.  Decken  alle  einzelne  Hoffmann'sche  Anzeich« 
nungen  über  Sieilien  systematisch  vertheilt  und  geord- 
net, zuerst  nach  Hauptformationen  und  in   diesen  wie- 
der,  nach   einer  geographbchen  Folge.     Dureh  solche 
verstandige  Anordnung  werden  uns  diese  Anzeichnun- 
gen  zu  •einem  Archiv,  aus  welchem,  wie  in  der  Natur 
selbst,  jeder  Forscher  die  Beobachtungen  hervorhohlt  und 
zusammenstellt,  welche  den  Gesichtspunct  zu  erläutern 
fähig  sind,  die  ein  Zufall  oder  irgend  eine  andere  Beob- 
achtungsreihe ihn  eben  aufzufassen  vermocht  hat;  und 
hierdurch  erhalten  wieder  diese  Thatsachen  einen  Werth, 
der  nie  vergehen  kann,   denn  er  ist  gänzlich  unabhän- 
gig von  unseren  Fortschritten  in  der  Kenntnifs  der  La- 
gerung und  anderer  Verhältnisse  der  Gebirgsarten  auf 
der  Erdfläche.  — -  Aber  Hr.  v.  Dechen  hat  sich  nicht 
blofs  damit  begnügt;  er  hat  auch  jeder  Hauptformation 
eine  Einleitung  vorangesetzt,   welche  in  hohem  Grade 
den  scharfsmnigen  und  erfahrnen  Geognosten  verrftth, 
dem  es  Gewohnheit  ist,  aus  den  verwickeltsten  Einzel- 
heiten das  Allgemeine  hervorzuziehen,  und  es  mit  Klar- 
'  heit  und  Deutlichkeit   vor  Augen    zu  bringen.    Ganz 
Sieilien,  sagt  Hr.  v.  D.,  läfst  sich  in  vier  grofse  Ab- 
theilungen  bringen,  welche  auch  zugleich  durch  die  äu- 
isere.  Form  des  Landes  bezeichnet  werden. 

I.  Gegen  Nordosten  wird  die  Fnsel  von  einer  schar- 
fen, mit  tiefen  Thälern  durchfurchten  Gebirgsreihe  ge- 
Uldet,  der  FelorüanUcken  Kette^  welche  gegen  Süd« 
Westen  sich  zu  einem  Plateau  verbreitet  und  verliert. 
Sie  steht  gan%  vereinzelt  und  wird  von  gar  keiner  an- 
dern Kette  fortgesetzt.  Wohl  aber  läuft  ihr  in  Osten 
parallel  die  aus  gleichen  Gesteinen  gebildete  höhere 
Kette  des  Aeprmnonte  in  Calabrien.  Wahrscheinlich 
ist  daher  der  peloritanische  Kamm  eine   Ferwer/ung 


gegen  Norden  hin  der  Calabrischen  Reihe,  so 
fähr  wie  die  Reihe  des  Montblanc  eine  Verwerfung  ge^ 
gen  Norden  aus  der  Hauptkette  der  Alpen  ist,  welche 
nur  noch  durch  Cols,  die  im  Verhältnifs  niedrig  sind« 
mit  der  Hauptkette  zusammenhängt.  Dem  gemäfs  ist 
auch  der  steilere  Abfall  oder  das  Auftreten  der  Schich- 
tenkopfe auf  der  Seite  gegen  Messina  und  die  flaehere 
Neigung  gegen  Nordwesten;  und  durch  diese  Ver- 
werfung  entsteht  nun  die  grofoe  Trennung  dee  Lan^ 
des  durch  die  Meerenge  von  Messina.  Gnenfs,  Glim- 
merschiefer, seltener  Thonschiefer  und  körnige  Kalk- 
lager bilden  die  Hauptmasse  dieses  Gebirges ;  der  wir- 
kende Granit  erscheint  nur  in  wenigen  Punkten  in  der 
Tiefe,  aber  häufig  in  mächtigen,  durchsetzenden  Gän- 
gen durch  Gneufs  uud  Glimmerschiefer  auf  den  Ho* 
hen  Ober  Messina.  Diese  schiefrigen  Gestdne  und 
der  Kalkstein  mögen  einst  Juraschichten  gewesen  sein; 
denn  am  Endpunkt  der  Kette,  bei  Täamuna^  stehen 
ausgezeichnete  Juraschiebten  dem  älteren  Gebirge  an- 
gelehnt, und  dies  ist  der  einzige  Ort  ingdnx  Sid- 
lieny  wo  Juraschichten  l>arkonmnen\  ganz  unerwar- 
tet, vereinzelt^  wie  ohngefähr  die  Juraschichten  bei 
Hohnstein  in  Sachsen.  Hr.  von  Dechen  beschreibt  (p. 
490)  mit  girofser  Genauigkeit  und  Kenntnifs  die  von 
Hoffmann  mitgebrachten  Versteinerungen  von  Taormi- 
na,  und  zieht  daraus  die  Schlufsfolge,  dafs  die  Schicht 
ten,  welche  sie  enthalten,  nur  dem  unteren  Und  mittle- 
ren Jura  zugetheilt  werden  können.  Schichten  der 
Kreideformation  oder  Tertiairschichten  gehen  nur  bis 
zu  mäfsiger  Höhe  an  diesem  Gebirge  hinauf  und  suid 
nicht  verändert.  Daher  fällt  wahrscheinlich  die  Erhe* 
bung  der  Kette  und  die  Veränderung  der  Juraschich« 
ten  in  die  Zeit  vor  der  Bildung  der  Kreide.  Dafs 
grobe  Conglomerate,  welche  auph  noch  zu  Juraschich- 
ten gehören  sollen,  und  am  Ende  der  Kette  bei  Ales- 
sio  und  am  Monte  Ciesi  erscheinen^  Granit  und  GneuGs- 
stücke  in  greiser  Menge  enthalten  und  daher  diese  Ge^ 
steine  bei  ihrer  Bildung  schon  vorgefunden  haben  miis« 
sen^  ist  nicht  ganz  einleuchtend«  Denn  diese  Conglo- 
merate scheinen  offenbar  Reibungscßnglomerute  zu 
sein,  wie  sie  ziemlich  überall  krystallisirte  Gebirgsai^ 
ten  umgeben« 

II.  Fast  die  ganse  Nordseite  der  Insel  und  der 
gröfsto  Theil  des  Innern  werden  von  Gesteinen  gebil- 
det, welche  auch  im  gröfsteit  Tbeile  des  Apenninenge» 
birges  wieder  vorkommen  i  daher  man  sie  als  Apenni» 


#1  Bfjfflmmmj.  gMf(ü^$ii$tk0  Be^tmeAtungsni 


net^FormaiiQn  waMAxi\  gramer  Sandstm  mit  Fiie«t« 
den  und  NinÜBnialan,  und  Kalkstein  mit  Hij^«rite% 
ten,  welche  die  Kreükf^rmmtUn  anssekh- 
Nur  die  Westopitee  und  die  Ostjeite  der  Inaet 
werden  Ton  Tertiaimhiohten  bedeckt,  welche  dieKrei-^ 
deachlehten  darunter  verstecken*  Das  Allee  tritt  gar 
scbdn  auf  der  treffliehen  gcognostischen  Karte  ane 
Licht.  Diese  Kreideschichten  biMen  ein  Plateau^  wel- 
ches am  noffdliehen  Rande  bis  nahe  an  4000  Fufa 
Höhe  beskst»  dann  schroff  gegen  die  Nordküste  abfälh 
und  sich  sanft  gegen  die  Südwestküste  verflacht.  Ue-> 
her  dasselbe  erheben  sich  einzelne  scharfe  Kalkstein- 
fciEnnie^  nicht  viel  unter  6000  Fufs  hoch,  der  Nerdküste 
nahe  h  Madonie  (5936  par.  Fufe),  tau  südwestUcken 
Theile  der  Monis  Camerma  (4756  p.  Fufs).  ^  Eine 
bestimnUe  Ricktung  dieser  Berge,  irgend  einem  Gebirgs« 
Systeme  gentftTs,  ist  nicht  besonders  auffallend;  dUeia 
Hr.  V.  Dechen  erweist,  dafs  dem  ohnerachtet  Mue  sol- 
che Richtung  durch  die  Schiclicung  auf  das  Klarste 
herrortritt^  Der  Lauf  der  Schiebten  ist  nämlich  fast 
GJberail,  in  dem  Raum,  welchen  diese  Fonnation  ein- 
nimmt, von  h.  8.  oder  von  Nordwest  gegen  Südost 
mit  fast  beständigem  Emfallen  gegen  Südwest,  und 
.dies  ist  auch  zugleich,  welches  hdcbst  bemerkenswerlh 
Ist,  die  grdfste  Längcnausdehnung  der  Insel  vom  Cap 
Lylibiieum  (Marsala)  bis  zum  Cap  Passaro  und  zugleich 
auch  die  Richtung  der  ganzen  sudwestlichen  Küste. 
Es  ist  daher  vollkommen  die  Richtung  der  Haoptkette 
der  Apenninen  und  auch  der  Lauf  der  Pyrenäen.  Dies 
kt  ein  schonet  Beweis,  uie  es  möglich  ist,  Gebirgs« 
riehtnngen  zu  erkennen,  daher  auch  die  Gebirgssysteme, 
BU  webhen  sie  gehören,  auch  wenn  diese  Richtungen 
dureli  die  Form  der  Berge  sieh  nicht  verratben,  oder 
vielleicht  an  der  Oberfläche  gar  nicht  hervortreten, 
oder  auch  wohl  von  späteren  Hebungen  und  Terände- 
rungen  an  der  Oberlläche  unkenntlich  gemacht,  oft  fast 
völlig  verwischt  sind.  Zu  den  einseinen  Gliedern  der 
ganze«  Formation  rechnet  H.  und  bezeichnet  auf  der 
Karte   mit  eigenen    Farben^    von  unten  auf 

a)  sehr  mlkhtig  und  weit  verbreitet  den  grauen  ß$coi^ 
dem  Sande tein^  der  aber  auch  zuweilen  dem  Quadersand- 
stein vom  Regenstein  bei  Blankenburg  gan»  ähnlich  wird. 

b)  TAon  und  UUergefeeAee/ir  in  sehr  grofser  Aus- 
dehnuiig  und  Mächtigkeit,  vorzüglich  auf  der  westli- 
chen Seite  und  hn  Innern  bis  mir  sädlichen  KCiste. 


(Der  BnchMs  folgt) 


e)  Bfyfmritem-Kmlk  oder  Kalkataitt  von  PaletiM, 
oft  auch  mit  Korallen  und  Nummuliten,  Diese  leisten 
sind  stets  klein«  als  die,  welche  die  NummmUtmefer^ 
wmiiom  zwischen  der  Kreide  oder  den  parieee*  oAat 
MoeenhUdungen  (bei  Yerona,  Rencalhal«  Trawartrin, 
ägyptische  Pyramiden)  ae  sclir  auszeichnen. 

d)  Kreidekmlketem.  Cretm  in  SieUien.  Porös,  fast 
erdige  in  welchem  H.  Ehrenberg  die  den  Kreideschidk- 
ten  eigenen  Polythalamien  und  kieselartige  Infusorien 
entdeckte.  Nur  allem  ,t»  dieeem^  der  Kreidefarwea- 
tion  gekorenden  Räume  finden  eiek  die  unxäkUgen 
Schwefelgruben  SeeMenOy  die  Sleinsalxniederiagea 
und  die  mächtige  Heiko  dor  Mierall  darine^am  Aer- 
vortretenden  G^peterge.  Diese  Erfahrung  ist  von 
der  groCsten  Wichtigkeit.  Sie  lehrt,  daCs  auch  in  an- 
deren Gegenden  Steinsalz  in .  Kreidegebirgeo  gesucht 
werden  kann,  da(s  man  dalier  von  der  Wahrheit  nicht 
weit  entfernt  sein  mag,  dieses  Salf  auch  bei  Wielicsks 
oder  an  anderen  OrtHi  in  Galieien  mehr  den  Kreide- 
ab  den  Juraschichten  zuzurechnen.  Dennoch  gehören 
Gyps,  Schwefel  und  Steinsalz  nicht  als  wesentliche 
Glieder  der  Formation,  s^mdem  sind  darinnen  nur  ge- 
waltsam eingedrungene  Fremdlinge.  Der  Schwefel  i»t 
dem  Kalkstein  und  Tb(m  niemals  gleichförmig  und  ia* 
nig  beigemengt,  wie  es  wohl  sein  mälste,  wenn  die 
Bildung  beider  eine  gleichzeitige,  ununterbrochene  ge- 
wesen wäre,  souderu  er  ist  stets  nur  in  zahlrcidMa 
Kluften  und  Höhlungen  vorhanden,  und  genau  eben  so, 
wie  wir  den  Schwefel  noch  jetzt  in  Gebirgsarten  sieh 
absetsen  sehen,  die  von  schwefelhaltigen  Wasserdäs^ 
pfen  durchzogen  werden^  in  der  Solfatara  van  PiMizzel, 
in  den  Fumacchien  der  Maremma  toscana.  Es  kann 
daher  wohl  nicht  liezweifek  werden,  da/e  «uek  die 
SekwefeHnidung  SieiUene  als  durch  Sublimatius 
von  Schwefeldämpfen  enietandeny  angesehen  worden 
mufe.  Schwefel  aber  findet  sich  niemals  in  Gips;  da- 
gegen aber  der  letztere  als  Dach  des  Schwefds,  ab 
Ud^rzug  oder  in  Rlüflen  und  Schnuren,  wekhe  die 
Schwefelttieren  durchsetzen.  Diese  und  unzählige  an- 
dere Erscheinungen  der  SchLehtung  und  Lagerung  fäh- 
ren auch  hier  zu  dem  oft  schon  gefundenen  SebhUs» 
dafs  Gips  überhaupt  nur  durch  Sehwefeldämpfe  ^m^ 
standen  ist,  welehe^  aa  der  Luft  oder  durch  Zetsetaung 
des  Wassers  gesäuert,  sich  des  darüberliegenden  KaVu 
Steins  bemächtigen  und  ihn  zu  Gips  verändertt. 


J  a  h 


^26. 

r  b  ü  c  h 

für 


e  r 


wissenschaftliche    Kritik. 


Februar  1840. 


Oeognostische  Beobachtungen^  gesammelt  auf  ei- 
ner Reise  durch  Italien  und  Sicilien  in  den 
Jahren  1830  bis  1832,  eon  Friedrich  Hoff- 
manUy  herausgegeben  eonHeinr.  v.  Dechen. 

(Schlafs.) 

Eben  diese  Lagerung  hat  das,  in  diesem  Theile  SicQl- 
ens  so  weit  verbreitete,  fast  überall  Forkommende  Steith- 
salx.  Stets  von  Salfaren  (Schwefelgruben)  umgeben,  liegt 
es,  wie  der  Sehwefel,  ungleiehförmig  und  stockformig 
im  Kalkstein  und  Thon,   und  nirgends,  wie  vielleicht 
noch  nirgends  in  der  Welt,  hat  man  eine  Solile   des 
Steinsalzes  entdeckt.  —  Die  Charte  hat  diese  verschie- 
^tuhtügen phttonischen  IVirkungen  alsSalina  undSol- 
Jara  genau  verzeichnet  und  zur  leichten  Uebersicht  ge- 
bracht   Wenn  wir  aber-  alle   diese  Augaben  in   den 
.Grenzen  einschlielsen,  innerhalb  welcher  sie  noch  vor- 
kommen,  so  findet  sich,  dafs  eine  gerade  Linie^   von 
der  Mündung  des   JHio   CfUtubelletta  bei  Sciacca    bis 
Randazxo   am  westlichen  Fufse  des  Aetna  gezogen, 
genau  die  nordwestliche  Grenxe  aller  dieser  Wirkun« 
gen  bezeichnet;   eine  einzige,  sehr  entfernt  und  schon 
jenseit   des   Gebirges   liegende   Solfara,   etwas  südlich 
von  AUa  auf  der  Strafse  von  Palermo,    allein  ausge- 
nommen, und  noch  bestimmter  wird  dieses  plutonische 
Hervorbrechen  südwestlich  durch  eine  Linie  begrenzt, 
von  lAcata   am  Meere  bis  Paterno    am  Fulse  des 
Aetna.     Dar   umschlossene  Baum,   welcher  nahe  den 
fünften  Theil  der  Insel  einnimmt  (4,7)9  b^^  ^i®  Gestalt 
ebes  wenig  geöffneten  Fächers^  dessen  Spitze  und 
Knopf  genau  von  der  ungeheuren -Masse  des  Aetna 
gebildet  wird.  In  der  Oeflfnung  und  Verlängerung  die- 
t^s  Fächers  liegt    die   vulkanische   Insel  Päntellarioy 
welche  H.  besucht  und  von  ihr  eine  höchst  lehrreiche 
Beschreibung  gegeben  hat,  und  fast  genau  in  einer  Li- 
me  zwischen  diesen  beiden  Endpunkten  erhob  sich  die 
ephemere  Insel  Ferdinandea.  Wie  wenig  in  der  That 

iahrh,  /.  wUnnMch.  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd. 


die  Bewegungen  im  Aetna  dem  Fächerraum  fremdar- 
tig bleiben,  erhellet  noch  mehr  aus  einer,  Ton  H.  er- 
zählten, höchst  merkwürdigen  Thatsache.  Jedesmal, 
wenn  vom  Aetna  her'  Erdbeben  wirken,  geräth  der, 
sonst  ruhige  Gas-  und  Schlammvulcan  der  Terra  pila- 
ta  bei  Caltanisetta^  zw51f  deutsche  A|eilen  vom  Aetna- 
gipfel  entfernt,  in  die  heftigste  Bewegung,  welche  meh- 
rere Tage  lang  anhält.  Es  spaltet  sich  der  Boden 
jedesmal  an  demselben  Orte  und  in  derselben  Richtung 
von  Oiten  nach  Westen^  und  mit  ihm  spaltet  sich  zu- 
gleich alles,  was  auf  dem  Wege  liegt,  Strafsen  und 
Gebäude,  fast  zwei  Miglien  weit  fort  und  Gasströme 
steigen  aus  der  Spajte  hervor«  Stadt  und  Gegend  sind 
dagegen  niemals  von  Erdbeben  erschüttert  worden,  wel- 
che doch  die  Städte  der  Nachbarschaft  und  bis  weithin 
zusammenwerfen  und  zerstören.  —  Hr.  v.  Dechen  fugt 
zu  Allem  diesem  noch  eine  höchst  beachtungswerlhe 
und  auffallende  Thatsache.  Die  weit  verbreitete  Ter- 
tiärformation, welche  an  der  Nordseite  nur  gar  wenig 
über  die  Meeresiläche  aufsteigt,  auf  der  Ostseite  dage* 
gen  sich  in  ein  hooh  liegendes  zusammenhängendes  Pla- 
teau ausdehnt,  erscheint  im  Fäeherraum  und  nur  aU 
lein  in  diesem  Raum  isolirt  ganz  abgerissen,  inselför- 
mig,  wie  Festungen  mit  steilen  Wänden,  hoch  oben  auf 
den  Spitzen  der  Berge  der  Apenninenformation  und  zu- 
weilen in  überraschender  Höhe,  ^jie  sonst  in  keinem 
anderen  Theile  Siciliens.  Der  Monte  Salvo  bei  Castel 
Giovanni  liegt  2864  Fufs  hoch,  Caltascibetta  2417  Fufs, 
der  Monte  Giuliano  bei  Caltanisetta  2118  Fufs^  der 
Gipfel  von  S.  Filippo  d'Argiro  2586  Fufs  hoch:  solche 
Höhen  erreicht  die  Tertiärformation  nirgends,  wo  sie  zu- 
sammenhängend vorkommt.  Ist  daher  nicht  dieses  iso- 
lirte,  ungleichförmige  Emporheben  auf  der  plutonischen 
Spalte  eine  Folge  der  auf  dieser  Oeffnung  sich  ungleich- 
förmig vertheUenden,  hebenden  und  zerreissenden  Kräfief 
Der  Widerstand  der  gehobenen  Massen  ist  hier  nicht 
mit  dem  zu  vergleichen,  ipn  ganze  Provinzen  entgegen- 

26 


203 


F.  Hoffmdnn^  geognostüche  Beobachtungen* 


2ih 


setzen,  wenn  sie  gehöben  werden.  —  Es  ist  wahrschein- 
lich,  dafs  mit  dem  Aufsfeigen  des  Aetna  zugleich  diese 
Tertiärinseln  auf  dex^  Spalte  emporgerissen  wurden,  und 
zugleich  auch  die  Tertiärschichten,  jedoch  xusa^nmen- 
/längend,  am  Rande  der  Spalte.  Wirklich  liegen  Cal- 
tagirone,  Niscemi,  Mineo  an  diesem  Rande,  auf  Höhen, 
welche  die  TeKifirformatiou  bis  zum  Meere  der  Ost- 
kiiste  nicht  wieder  erreicht.  — 

III.  Die  Tertiiirformation,  Ilr,  v.  Dechen  belehrt 
uns,  dafs  man  sie  in  Sicilien  in  drei,  im  Aeufsern  sehr 
verschiedenartige  Theile  zerlegen  kann.  Der  nördliche 
und  westliche  TheU,  bei  Palermo  und  über  Trapani 
bis  zum  Capo  Bianco  bei  Sciacca,  folgt  den  Einschnit- 
ten, Busen  und  Ufern,  welche  die  Apenninenformation 
bildet,  und  hebt  sich  nur  wenig  au  diesen  Bergen  her- 
auf. Auf  sie  haben  die  hebenden  Kräfte  nur  wenig 
gewirkt.  Den  zweiten  Theil  bilden  die  Inseln  auf  der 
plutonischen  Spalte;  den  dritten  endlich  die  zusammen* 
hängenden,  über  den  gröfsten  Theil  des  Val  di  Noto  in 
Südosten  sich  verbreitenden  Scliichten,  Doch  bleibt  der 
zoologische  Charakter  aller  dieser  verschiedenartigen 
Theile  im  Ganzen  unverändert;  U.  v.  Dechen  läfst  uns 
darüber  keinen  Zweifel;  denn  er  giebt  von  mehr  als 
zwanzig  Orten  in  allen  Gegenden  von  Sicilien  dieTer- 
steinerungs- Listen,  wie  man  sie  den  genauen  und  flei- 
Isjgen  Arbeiten  des  Dr.  Philipp!  verdankt;  und  das  ist 
um  so  preiswürdiger,  da  man  auch  jetzt  im  Stande 
ist,  die  kleinen  Yeränderungen  zu  übersehen,  welche 
zwischen  Gegenden  statt  finden  mögen,  die  durch  ältere 
Gebirge  von  einander  getrennt  sind.  Unter  allen  die- 
sen Yersteinerungen  sind  keine  beständiger,  häufiger 
und  auszeichnender,  als  Pecten  opercularie  und  Pecten 
Jacobaeus^  beide  noch  lebend.  In  der  Gegend  von 
Syracus  glaubt  man  überall  die  Hufe  von  Naulthieren 
in  einem  schlammig^n  Beden  zu  sehen;  es  ist  immer 
nur  das  Innere  dieser  Muscheln.  Auch  ist  die  Ueber- 
einstimmung  mit  den  Muscheln  der  subapenninischen 
Formation  viel  gröfser,  als  man  sie  in  zwei  eingeschlos- 
senen, kaum  mit  einander  in  Verbindung  stehenden 
Meeren  erwartet  hätte. 

IV.  Die  vulcanischen  Gebilde^  Basalt  und  Basalt- 
Tufi*  im  Osttheile  der  Insel.  Der  TufT,  zuweilen  von 
vielen  hundert  FuGs  Mächtigkeit,  ist  häufig  ganz  mit  den- 
selben Muscheln  erfüllt,  welche  in  den  Tertiärschichten 
sich  finden,  und  Tuff,  Basalt nind  Kalkstein  folgen  sich 
zuweilen  -bis  fünfmal  hintereinander.    Es  ist  zu  bewun- 


dern,  mit  welcher  Genauigkeit  und  Ausdauer  Hol 
alle  diese  Verhältnisse  in  dem   ganzen  Räume  verfolgi 
hat,  in  welchem  sie  vorkommen.    Da  in  dem  Wechad 
dieser  Schichten  und  in  ihrer  Mächtigkeit  gar  kein  Ge- 
setz vorherrscht,  so  ist  die  Ersolieinung  wohl  gans  vea 
der  grOfseren  oder  geringeren  Nähe  der  Quelle  aliliiB- 
gig,  aus  welcher^  Basalt  und  Tuff  hervorgetreten  sind. 
Dafs  diese  basaltiiche  Thätigkeii  xur  Zeit  der  BH- 
düng  der  Tertiärschichten  Statt  gefunden  habe,  lA 
aus  der  Vormengung  der  Tertiärmuscheln  mit  dem  ha- 
saltischen  Tuff  ganz  einleuchtend,  und  bestätig  wv 
man  so  schön  im  Thale  von  Ronca  beobachtet,   wbA 
selbst  auch  in  Deutschland   am  Westerwald ,   am  ILh 
bichtswald,  wo  Basalte  die  Braunkohlen  durchbrecheiL 
Aiii  Capo  Passaro  wechselp  zwar  auch  Basalt  mit  Krei- 
deschichten ;  allein  es  ist  nur  ein  Eindrängen  des  Ba- 
salts in  weit   früher   gebildete  Gebirgsarten.      Basale» 
stücke  liegen  nicht  in  der  Kreide,  und  es  gibt  keiaei 
Tuff^  welcher  sich  der  Kreidemuscheln  bem&chtiget  hatte. 

Uoffmann's  sorgfältige  topographisch  -  geognostische 
Beschreibung  des  Aetna  behält  immer  noch  einen  sehr 
grofsen  Werth,  selbst  nach  der  ausgezeichneten  Arbeit, 
welche  Hr.  Elie  de  Reaumont  über  den  Aetna  bekaut 
gemacht  hat.  — 

Wir  gehen  mit  Hoffmann  aus  Sicilien  auf  das 
feste  Land  von  Italien  zurück.  Sein  Aufenthalt  in  Nea- 
pel war  von  zu  kurzer  Dauer,  die  Gegenstände  zu  nev, 
als  dafs  überraschende  Resultate  sich  ihm  hätten  Uer 
darbieten  können.  Auch  hatten  die  glänzenden,  aber 
wenig  lehrreichen  Erscheinungen  emiger  LavenausbrQ- 
che  des  Vesuvs  seine  Aufmei^ksamkeit  in  zu  hohen 
Grade  gefesselt.  Der  Monte  Nuovo  blieb  ihm  da 
Schlackenausbruch;  der  schöne  Dom  von  Trachyt  ia 
Krater  von  Astruni  erschien  ihm  nicht  in  der  Bedeu- 
tung, die  er  in  so  hohem  Maafse  verdient,  und  in  dea 
Hügelumgebungen  von  Soccavo,  Pianura,  Monte  Barbara 
sah  er  mehrere  Reihen  hintereinander  liegender  Kra- 
ter, welche  Andere  weder  in  solcher  Folge,  noch  über* 
haupt  als  Krater  erkennen.  Und  so  scheint  es,  dais 
der  kleine  Aufsatz,  welcher  1835  in  Poggendorlfs  Anna- 
len  eingerückt  worden  ist  (B.  37.  H.  1.),  immer  noeh 
als  nicht  ganz  überflüissig  angesehen  werden  möge.  — 

Von  Neapel  geht  H.  im  Dampfboot  nach  Livomo 
und  findet  in  Pisa  den  Prof.  Paolo  Savi.  Dieser  Mann 
hatte  die  Gebirgsarten  der  Gegend  und  vorzüglich  die 
inselförmig,  mächtig  hoch  aufsteigende  Alp  Afmana 


205 


JFl  Hoffmann^  geognoHiscAe  Beobfichtungen. 


206 


über  Carrava  genau  und  gründlich  studirt,  mid  er  hatte 
zueist  aus  dem  Zusammenhange  der  Erscheinungen  ge- 
seigt,  dafs  der  Marmor  ?on  Carrara  ein  umgewandelter 
Kreidesandstein  sein  müsse.    Nach   ihm  bestehen  diese 
Berge   1)  aus   Fetrucano ,  Talk-  Chlorit-  und  Thon- 
sehiefer,  oft   dem  Glimmerschiefer,  ähulich)  2)  aus  ge- 
jcbichtetem  Kalkstein  Albarese^  in  dem  sich  häufig  Ver- 
.  steinerungen  finden,,  3)  aus  Maetgrio,  dem  Flysch  der 
Schweizer,  dem  grauen  Apenniuensandstein  mit  Fucoi- 
den,  in  dem  untergeordnete  Schiefer  das  bilden,   was 
man  Galeitro  nennt,  ein  Name,  den  H.  häufig  braucht, 
auch  die  Schweizer  jetzt  in  den  Alpen  anwenden,«  ohne 
doch  die  Sache  näher  zu  bezeichnen,   oder  sie  zu  be- 
sohreiben.    Granit  und  auch  Serpentin  und  Gabbro  ver- 
ändern die  ursprüngliclien  Gesteine   zu  der  Form,   wie 
man  sie  jetzt  auf  den  Gipfeln  und  an   den  Abhängen 
der  Alp  Apuana  findet.    Mit  seinem  gewdlinlichön  Ei- 
fer reiste  H.  sogleich  nach  den  Apuapischen  Thälern 
In  der  Garfagnanaj  fand  dort  in  grofser  Mächtigkeit 
den  Serpeiflin  und  den  Gabbro,  und  an  den  stellen  Ab- 
fallen des  Monte  Altissimo  erschienen  eine  Menge  That- 
sachen,  welche  die  Veränderung  der  dichten  Kreidege- 
stdne  zu  kömigen  und  schiefrigen  Massen  aufser  allem 
Zweifel  setzen  mufsten.    Nur  mochte  der  Kalkstein  nicht 
der  Kreide,  sondern  zu  Juraschichten  gehören,  denn  der 
Macigno   liegt  überall   höher.    In  der  That  beschreibt 
auoh.  Hr.  v.   Dechen   nach  Emmerich,  (p.  266.)  einen 
Ammonites    Bucklandi    (nicht   Conybeari)    aus    diesen 
Kalkstein,  der  nur  zii  Liasschichten  gehören  kann;  und 
die  kleine  Kette,  welche  sich  von  Spezia  nach  Porto 
Yenere  zieht,  ist  nur   allein  von  Juraschichten  gebil- 
det.   Das  genaue  und  ausführliche  Verzeichnifs  (p.  287) 
der  dort  gefundenen  Versteinerungen  läfst  darüber  kei- 
nen Zweifet    Dies  Yerzeichnifs  berichtiget,  was  de  la 
Beche  in  seinem   geognostischem  Handbuche  von  den 
organischen  Resten   von  Spezia  gesagt  hatte,   und  die 
wenigen  neuen  Arten  von  Ammoniten,  welche  Hr.  r. 
Dechen  hoch  aufgenommen  hat,  möchten  sich  wohl,  bei 
Auffladung  besserer  Stucke,  mit  anderen,  schon  bekann- 
ten Arten  vereinigen  lassen.  —  Bemerkens werth  ist  es, 
dafs  H.  im  Herabsteigen  gegen  Sarzana  bei  Caniparola 
e\nen   Steinkohlenbergbau   im  Macigno   im   Betrieb 
-  fand;  vier  Kohlenflqtze  übereinander  etwas  mehr  als  ^ 
Lachter  mächtig;  Pechkohle  mit  häufigem  Dycotelidon- 
bolz.    Im  Dach  der  Kohlen  ^nden  sich  Blätter,  welche 
IUI  Weiden-,  Pappel-  und  Kastanienblätter  erinnern.  — > 


* 

Steinkohlen  im  Macigno,  Karpaten,  Wiener,  Fucotden* 
Sandstein  zu  finden,  ist  wohl  ein  seltenes  Vorkommen.  -^ 
Auf  dem  Wege  nach  Genua  glaubt  H.  sich  überzeugt 
zu  haben,  dafs  die  berühmten  Dachschiejer  von  La- 
vagna  über  Macigno  liegen,  daher  ebenfalls  zur  For- 
mation der  Kreide  gehören!  Es  ist  zu  erwarten,  dafs 
wir  bald  genauere  Aufschlüsse  über  die  Lagerung  die- 
ser Schichten  durch  die  fortgesetzten  und  mühsamen 
Arbeiten  des  Marquis  Fareto  erhalten  werden,  welche 
eine  i'ortreffllche  geognostische  Charte  des  ganzen  ge- 
nuesischen Landes  zur  Folge  gehabt  haben.  — - 

Mit  Genua  endigen  sich  Hoffmann's  Untersuchung 
gen  über  Italien.  Ein  an  wichtigen  Thatsachen  so 
überreiches  Werk  hätte  olme  Register  der  vorzüglich- 
sten Sachen  und  der  durch  sie  individualisirten  Orte 
nicht  sein  sollen :  da  es  jedem  Geognostqn  ein  fortdau- 
erndes Handbuch  bleiben  mufs,  so  ist  ein  solcher  lei^ 
tender  Faden  nothyirendig;  und  wir  wollen  der  Hoffnung 
nicht  entsagen,  dafs  der  treffliche  Herausgeber,  der 
schon  für  Hoffmann  und  für  sein  Werk  so  viel  gethan 
bat,  auch  diesem  Bedürfnifs  noch  abhelfen  werde.  — 

Xeopold  von  Buch» 


XVHL 
M.  TuUi  Ciceronis  de  finibus  bonorum  et  ma- 
lorum  libri  quinque.  Recensuit  et  enarrauit 
D.  lo.  Nicolaus  Ma  d^sigius.  Hauniae,  1839. 
Inpensis  librariae  Oyldendalianae.  LXVHI 
praef.  902  pagg.  mit  Excursen^  Nachträgen 
und  Indtces.    gr.  8. 

Wir  beeilen  uns  unerern  Lesern  ein  ausgezeit^hne- 
tes  Werk  anzuzeigen,  welches  in  der  Kritik  und  Er- 
klärung  der  Ciceronischen  Schriften  über  Philosophie 
Epoche  machen  wird.  Hr.  Prof.  Madvig  in  Koppen- 
hagen  kündigte  sich  den  Kennern  der  Römischen  Lit- 
teratur  schon  im  Jahre  18^6  durch  sein^  Emeudatio- 
nes  in  Ciceronis  libros  philosophicos  als  ein  scharfsin- 
niger Kritiker  an ;  er  vermehrte  seinen  Ruf  durch  die 
1828  erschienene  Epistola  critica  ad  Orellium  über  die 
Yerbesserung  der  beiden  letzten  Bücher  gegen  Verres^ 
wozu  ihm  der  Fund  einer  in  d<3r  Koppenhagner  Biblio- 
thek befindlichen  CoUation  einer  Pariser  Handsehrift 
Gelegenheit  gab ;  ferner  durch  eine  Reihe  vortrefflicher 
Abhandlungen  über  einzelne  Gegenstände  der  Römischen 


207 


M.  T.  Cieeronis  de  ßnibus  bonorum  et  malorum  libri  quinyue.    Ed.  Madtng. 


Sprach*  und  Sachgelehrsamkeit,  die  er  in  deinem  Be- 
ruf als  Prograinmatarius  der  Koppenhagener  Univerti« 
tSt  schrieb  *}.  Er  hat  im  Jahre  1834  die  bis  dahin  ver- 
fafsten  Abhandlungen  in  verbesserter  Gestaft  als  Opus« 
cula  academica  herausgegeben,  und  es  ist  su  wuiisclien, 
dafs  er  auch  die  spHter  erschienenen  in  einen  zweiten 
Band  Opuscula  vereinigen  möge.  Seine  Textesreoen- 
sion  von  einigen  zur  Schullecture  bestimmten  Reden 
Cicero's  und  der  beiden  Dialoge  Cato  major  und  Lae- 
lius  (Koppenhagen  1830  und  36,  mit  bedeutenden  kriti- 
jBchen  Yorreden)  bewährten  nicht  minder  ein  ausge-» 
zeichnetes  Talent  das  Richtige  zu  erkennen  und  her- 
zustellen. Die  vereinigte  Kunst  der  Kritik  uiid  Interpre- 
tation hatte  er  bisher  noch  nicht  in  der  vollständigen 
Ausgabe  eines  Autors  dargelegt.  Jetzt  liegt  uns  seine 
Ausgabe  der  fünf  Bücher  Cioero's  de  finibus  vor,  und 
wir  finden,  wie  wir  erwartet,  dafs  nach  beiden  Rich- 
tungen Vorzugliches  und  Eigenthümliches  darin  gelei- 
stet ist. 

Cicero  trägt  in  diesen  Büchern  das  Epicurische 
und  dajs  Stoische  System  und  die  von  Antiochus  aus 
Ascalon  unter  dem  Namen  der  alten  Akademie  wieder- 
erweckte Lehre  vom  höchsten  Gut  vor;  er  läfst  das 
Epicurische  System  von  dem  Stoischen,  das  Stoische 
vom  Akademischen  widerlegen,  und  letzteres  sich 
schlierslich  noch  gegen  einige  Einwürfe  der  Stoiker 
rechtfertigen.  In  dieser  Aufstellung  und  Bekämpfung 
der  Systeme  schliefst  sich  Cicero  genau  an  die  Schrif- 
ten der  damabls  geltenden  Vertreter  der  Schulen  an;  er 
übersetzt,  eigentlich  zu  reden,  sowohl  System  als  Wi- 
derlegung aus  dem  Griechischen,  aber  mit  derjenigen 
Freiheit,  die  theils  bei  den  Allen  anerkannt  wurde, 
theils  dem  Cicero  nötliig  schien,  um  den  Begriff  schrift- 
stellerischer Selbständigkeit  für  sich  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Aus'  den  Herculanensischen  Fragmenten  der 
Schrift  des  Epicureers  Pbädrus  nkqi  ^^^cor,  welche  Prof; 
Petersen  in  ^lamburg  abgesondert  herausgegeben  hat, 
«rgiebt  sich,  dafs  Cicero  sich  bei  der  Darstellung  des  Epi- 
ourisehen  Sy^stems  im  ersten  Buche  de  natura  deorum 
{unter  der  Person  des  Yellejus)  ganz  genau  .an  jenen 
.Griechischen  Autor  gehalten  hat.  Denselben  Philoso- 
phen, vermuthet,  Hr.  Madvig,    hat  Cicero  auch  im  er- 


*D  Wir  haben  did  zwei  Abhaudlangen  de  colon.  pop.  Rom.  jure 
et  condicioDe  in  den  JahrbUcheru  1834.  Nr.  40.  angezeigt, 

(Der  Beschlufs  folgt.) 


•teti  Buche  de  finibus  vor  Augen  gdbabt.    Die  Wider 
legung  der  Epicureer  im  zweiten  Buche  de  finibui  a 
höchst  wahrscheinlich  ausChrysippus  Schrift  m^iTtU 
genommen.     Im   dritten   Buche    (der  Aufstellnng  k 
Stoischen  Lehre)  folgt  Cicero,  wie   Hr.  Madvig  ia  I 
Excurse  darthut,  nicht  dem  Chrysippus,  sondern  im 
Diogenes  Babylonius  oder  einem  Nachfolger  deaelbei^ 
vielleicht  mit  theilweber  Hinzuziehung  eines  und  da 
andern  Späteren.    Im  vierten  und  fünften  Buche  fA 
lieh   schliefst  sich  Cicero  so  genau  an  Antiochui  da 
Ascaloniten  an,  dafs  er,  auf  die  Y ersicherung  dieses fÜ 
losophischen  Yermittlers  bauend,  dem  Aristoteles  Ldb* 
Sätze    zuschreibt,   die    dieser   nicht    hat.    In  der  Fl^ 
schung  nach  den  Griechischen  Quellen   der  von  Geen 
vorgetragenen  philosophischen  Ansichten,  und  in  k 
Prüfung,  wie  Cicero  sie  im  Einzelnen  aufgefafst  ni 
dargestellt  hat,  setzen  wir  das  interpretatarüeheHuf^ 
verdienst  dieser  neuen  Ausgabe.     Hr.   Madvig  bewifat 
dabei  eben  %o  viel  Gelehrsamkeit,   aU  Schärfe  des  & 
theils  und  Freimuthigkeit  über  Cicero's  philosophiichi 
Verdienst.     In  dieser  Hinsicht  ist  besonders  der  s^ 
beute  Excurs  über  die  von   Cicero    als   unzwrifeiht 
angenommene  Eintheilung  der  Schriften  des  Aristotela 
in  exoterische  und  esoterische,  und   über  -die  diirAi^ 
Kenntnifs,  welche  der  Römbahe  Staatsmann  tod^ii- 
stoteles  eigentlich  philoso|)hischen  Schriften  hatte  ({^ 
gen,  Hrn.  Stahr's  Aristotelia  und  Aristoteles  unter  dei 
Kömern),  sehr  interessant;  so  wie  sich  der  4(e  Exeon 
über   den  Begriff  der  bei  Cicero  so  häufig  und  vnUr 
verschiedenen  Bezeichnungen  erwähnten,  den  äKemP«- 
ripatetikem  und  Akademikern  untergeschobenen /'ft^ 
naturae  {tä  it^wxa  xara  <pi/a;9')    und    der  fünfte  ubef 
die  Eintheilung  der  Ethik  bei  den  Stoikern  (g«^'^ 
tersen  in  den  Fundamenta  philos.  Chrysippeae)  durel 
die  Genauigkeit   der  Untersuchung   auszeicboet  ^ 
gründlidie  Eindringen  in  den  philosophischen  Stoff  g^ 
reicht  der  Philologie  eben  so   zut  Ehre,  als  es  «»««• 
gänglich  nöthig  ist   bei   einem   Werke,   welches  ni* 
aus  der  Gediegenheit  eigener  Forschung  hervorgegan- 
gen, sondern  mit  gewandtem  Dilettantismus  (wie  ack' 
tungswerth  auch  immer  mit  Rücksicht  auf  die  Pe»*^ 
und  die  Umstände)  aus  fremden  Ansichten  znsawiD«»- 
gesetzt  ist,  und  wo  aufserdem  diese  Ansichten  seihst  nit^ 
ursprünglich  entquollen,  sondern  vielfach  abgeleitet  sin* 


wissen 


J^  27. 

Jahrbücher 

u  r 

seh  a  f  1 1  1  e  h  e 


Februar   1840. 


Kritik. 


M.  TuUi  Cicero n$s.  de  ßm%u8  bonorum  etma- 
Iqrnm  Hbri  quinque.  Recensuit  et  enarrauit 
D.  lo.  Nicolaus  Maduigius. 

(Schlafs.) 

« 

Zugleich  aber  wollen  wir  bemerken,  dab  dai 
Terfahren  des  gegenwärtigeii  Herausgebere  weit  ver- 
aehieden  ist  von  ^avisius'  ParallelemiimniluQg  aus  den 
Griechischen  Autoren  der  Geschiebte  der  Philosophiei 
deren  Steife  ein  leidHches  Compendium  dieser  Ge- 
fchichte  vertreten  kann^  oder  von  Beiera  auf  das 
Fremdartigste  abschweifenden,  alles  zusammenraffenden 
Diatriben.  (in  seiner  Ausgabe  des  Cicero  de  Officiis). 
Bremi  faeschräjikte  sich  darauf,  die  Argumente  der 
drei  ersten  Bücher  de  finibus  in  lichtvollem  Zusammen« 
hangy  aber  ohne  Eindringen  auf  die  Quellen,  darsule* 
gen.  Görenz,  gab  sich  zwar  das  Ansehen  tieferer  Ein» 
sieht,  leistete  aber  zur  philosophischen  Erklörung  gar 
fuclitsf  er  that  zu  dem,  was  er  abschrieb,  wie  Herr 
Madvig  praef.  p.  LI  streng  aber  gerecht  sagt,,  nur  die 
auffallendsten  Irrthumer  hipzu. 

Mit  derselben  Schärfe  und  unnachsichtiger  Wahr^ 
lieitsliebe  ist  in  der  vorliegenden  Ausgabe  die  gram« 
ma tische  Interpretation  und,  n^as  davon  nicht  zu  tren- 
nen ist,  die  Textes- Kritik  bebandelt.  Hr.  Madvig  fafst 
besonders  die  Schwächen,  Unbesiinuntheiten  und  Naeb* 
lässigkeiten  derDiction  Cicero's  in  den  phUosophisehen 
Schriften  scsharf  ins   Auge.     Was  sonst  in  der  Regel 
nicht  blols  entschuldigt,  sondern  gereohtferilgt  oder  ge- 
waltsam zurecht  gerüekt  wurde,  Widerspruche  im  Ein« 
leinen,  Maugel  an  Folgerichtigkeit,  das  setzt  er  steh 
vor  in  der  ganzen  Blöfse  eilfertiger  Abfassung  darzu- 
stellen.   Er  spricht  darfiber  in  dem  letzten  Abschnitt 
seiner  Vorrede  pag.  IXV  flg.   und  schliefst    mit  der 
Erklärung:    Nos  vero  Ciceronetn  adtnirefnur  m  ora* 
tioniAuSy   in  libri$  de  philosophia  accipia$nu%   tolem 
fualis    esse  potuit^   /labeamusque  debitam  gratiam 
Jakrh.  f.  wuitMch.  Kritik.  J.  1840.    I.  Bd. 


quod  et  Latine  pkHesophiam  deeuit  et  tantam  nuh 
teriam  ad  Oraecorum  pkilesephimm  eognosee^tdam 
nobis  servopit.    Die  Sache  kt  richtig,  und  Refer.  hat    . 
nichts  dagegen,  wenn  die  Diction  der  grofsen  alten  An«   . 
toren   der  schärfsten  Prüfung   unterworfen   wird:   es 
wird  dadurjch,  wenn  die  Kritik  mit  solcher  Gründlich^ 
keit  gefibt  wird,  mehr  gefordert  als  dureh  stereotyp!-* 
sehe  und  unverstandene  Bewunderung:  nur  das  Eine 
ist  zu  besorgen,  dafs  eine  solche  Richtung  grammati* 
scher  Interpretation   Anfängern   gefalle,   die,   was    an 
einzelnen  Stellen  richtig   nachgewiesen  ist,    auf   das 
Ganze  übertragen  und  das  Vorurtheil  der  Bewunderung 
in  ein  noch  schädlicheres  Yorurtheil  der  Geringschät« 
zvn'g  umkehren.    Deswegen  kann  Refer.  nicht  umhin,  ^ 
der  «anschuldigenden  Tendenz,  bei   aller  Wahrhaftig- 
keit,  das  Wort  zu  reden.    Bd   der  Interpretation  und 
Kritik  im  Einzelnen  erklärt  Hr.  Madvig,   den  Bemer- 
kungen seines  Freundes  Wesenberg,  Lehrers  an  der 
Domsehule  zu  Wiborg  in  JOtland,  vieles  zu  verdan« 
ken,  und  Ref.  benutzt  diese  Gelegenheit,   dem  gelehr« 
ten  und  scharfsinnigen  Verfasser  der  Observationes  cri« 
ticae  zur  Rede  pro  Sextio  (Viburgi  1837)  seine  aner* 
kennende  Hochachtung  zu  bezeugen. 

Der  Text   der  Bücher  de   finibus   schien  durch 
Görenz  (1813),  der  Un  Besitse  werthyoller  Hülfsmittel 
rine  doppelte  Handschriften*Familie  entdeckt  tmd  nach 
der  besseren  (Palat.  1  bei  Gruter,  Erlangensis  und  Spi- 
rensis   bei  Gdrenz  selbst)    den  T^xt  constltuiK   hlEitte 
(oder  wenigstens  hatte  constltuiren  wollen)  eine  gevfSt» 
gende  Sicherheit  erlangt  zu  haben.    OreUi  (1828)  ging 
in  Ermangelung  neuer  Hülfsmittel  nicht  viel  über  Gd* 
rena  hinaus,  'obgleich  er  manches  verbesserte ;  eben  so 
Otto  (1831},  der  eine  Schulausgabe  lieferte,    bei  der 
Gdrenz'  Ausgabe  zu  Grunde  gelegt  und  excerpirt  wur- 
de.    Hr.    Madvig    tritt  als    der    entschiedene    Gegner 
Gdrenz'  auf:  seine  Ausgabe  ist  die  Destruction  der  Gd« 
renzischeu*     Das  schwächliche  Urtheil  Gorenz's^  seine 

27 


211  M.  T.  CiceronU  de  finibu$  bonorum  et 

mehr  übertünchte  als  solide  Gelehrsamkeit,  besondem 
auch  seine  Uosuverläiisigkeit  in  Angabe  der  I^esarten 
fvaren  schön  hie  und  da  zur  Sprache  gebracht  worden, 
aber  einen  solchen  Gegner  als  Ilrn.  MadTig  .hat  er 
noeh  nicht  gefunden.  In  dem  aUgemeinen  Ortheile, 
dais  die  bessere  Familie  der  Codices  bei  Cicero  de  fini- 
bus  zunächst  aus  Pal.  1  Erlangensis  und  Spirensb  be- 
steht, stimmen  beide  überein;  aber  in  der  Entwicidang 
des  Prindps.  der  Kritik  und  in  der  DurcbfQhrung  des- 
selben, in  der  grammatischen  Rechtfertigung  und  Aus** 
legung,  ist  Hr.  Madvig  ein  Kämpe,  der  den  mattherzir 
gen,  zierlichen,  unsicheren  Zwickauer  Kritiker  Schlag 
liuf  Schlag. zu  Boden  streckt  Ref.  will  Görens  nicht 
in  Schute  nelimen:  er  giebt  gar  zu  häufige -Beweise 
Ton  Flüchtigkeit  und  Urtheilslosigkeit,  wie  deuft  auch 
sein  Latein  trotz  der  immer  wiederholten  Yersicherung, 
wie  fein  er^observirt  habe,  ein  Specimen  von  Fehler* 
haftigkeit  bt )  was  aber  das  Schlimmste  ist,  die  Unzu- 
Ferlässigkeit,  ja  eine  entschiedene  Unwahrhaftigkeit  in 
Angabe  der  Lesarten  seiner  wichtigsten  Handschrift  ist 
nicht  mehr  in  Abrede  zu  stellen.  Hr.  Madvig  bat  sich 
näbmlii^h  eine  genaue  Vergleichung  des  Erlanger  Codex 
verschafift,  welchen  Görenz  selber  vor  Augen  gehabt 
bat,  und  da  ergiebt  sich  trotz  dem,  dafs  Görenz  die 
Wichtigkeit  der  Handschrift  für  die  Kritik  «rkannte, 
^b  seine  Angaben,  nicht  nur  nachlässig,  sondern  häu- 
fig geradezu  falsch  und  entstellt  sind.  Bei  alle  denl 
liälte  es  vielleicht  genügen  können,  das  Richtige  an  die 
Stelle  des  Fabchen  hinzustellen  und  die  Glossen  dar* 
i^er  dem  Leser,  der  beide  Ausgaben  vergleichen  wird, 
zu  überlassen:  es  würde  sich  auch  ohne  Scheltreden 
bei  den  Einsichtigen  bald  ein  Urtheil  über  den  Werth 
^er  jkeiderseiügen  Ausgaben  gebildet  haben  und  eben 
$o  bald  allgemein  ^geworden  sebu  Iddessen  mag  dies 
Fegefeuer,  was  gelegentlich  auf  andere  deutsche  Phi- 
lologen ausgedehnt  wird,  auch  sein  Gutes  haben.  Die 
Bucht  neue  Ausgaben  der  Klassiker  ohne  neu^  Hulfs« 
nittel,  ohne  die  Veberzeugung  Wesentliches  geleistet 
zu  haben,  oft  auch  ohne  ;die  gehörige  Sorgfalt  in  Be- 
nutzung des  Vorhandenen,  ans  Lieht  zu  stellen,  ist  in 
Deutschland  gewifs  zu  weit  getrieben  $  es  ist,  abgese- 
b^  von  inerkaDtiler  Speculation,  bei  inanchen  nur  der 
Wunscli,  seinen  Autor  auch  in  seiner  Ausgabe  zu  le- 
sen, wodurch  immer  neue  Ausgaben  hervorgetriehen 
weiden«     Herr  Aladvig  kennt  die  deutsche  Lltteratur 


malorum  libri  fuinyue*    JSd.  Madvig.  219 

unseres  Faches  ganz  genau,  er  lebt  darin,  *)  vnd^spricbl 
zugleich  ab  Fremder  sein  Urtlieil  mit  einer  riiddialtlo- 
sen  UnbeCangenheit,  zuweilen  aber  auch  mit  einer  Bit» 
terkeit  aus,  von  der  wir  uns  in  Deutschland  durdi  im 
geselligen  Vereine  mld  in  Felge  der  Klagen  über  Inhi 
manität  der  Gelehrten  längst  entwöhnt  haben. 

Was  aber  Görenz'  Leistungen  betriffit,  so  möge  n- 
ser  Dänische  Freund  doch  das  Eine  nicht 
dafs  Crörenz  bei  al|^r  Gelrechlicfakeit  seines  W< 
sich  in  der  Gevchiehte  der  neuem  Philologiie  dadurdfc 
ein  bedeutendes  Terdienst  erworben  hat,.  daCs  er  dv 
erste  gewesen  bt,  der  denBegrifF  von  Familien  der 
Codices  in  den  Gang  gebracht  hat»  Die  neulesla- 
mentlichen  Kritiker  haben  ihn  allerdings  schon  frvba 
aufgestellt,  *  aber  Anerkennung  hat  er  dodi  sncfst 
auf  dem  Boden  der  klassischen  Philologie  durch  GöRU 
gewonnen;  und  es  ist  noch  gar  nibht  lange  her,  dafi 
gewisse  Kritiker,  ^  sich  auf  ihren  veralteten  Tnstsün 
SU  viel  einbildeten,  die  ganze  Ansicht  Ins  Lächerficte 
zu  ziehen  sich  bemuhten.  Wie  sehr  aber  die  Sieberfadl 
der  Kritik  yon  der  Erforsdiung,  ob  sich  die  Tersdne» 
denheiten  der  Handschriften  Huf  Familien  zurnckfuhrea 
lassen,  abhängt,  hat  Hr.  MadFig  dureh  die  ^egenmr« 
lige  Bearbeitung  des  Cicero  de  finibus  aufs  Neue  be« 
wiesen.  Er  spricht  in  der  Vorrede  über  die  Codices 
dieser  Schrift,  sowohl  über  die,  ^*elche  frfihere  Edito« 
ren  benutzten,  als  die  von  ihm  selbst  herbeigezogenen; 
er  classificirt  sie  in  gute,  schlechte  und  gemisehte^  ss 
genau  als  es  die- Mangelhaftigkeit  der  älteren  Mittbdr 
lungen  erlaubt:  es  erglebt  sich  leider,,  dafs  alle  frühe* 
ren  Yergleichungcn  höchst  nachläfsig  angestellt  oder 
mitgetheilt  sind:  von  der  Klasse  der  guten  ist  alleia 
der  Erlangensis  jetzt  im  Ganzen  genau  verglichen:  cf 
dient  als  Basis  um  zu  erkennen,  was  in  dem  codex 
archetypus  gewesen  ist;  die  Erwähnungen  der  andern 
guten  helfet  aus,  und  die  schlechten,  die  auf  einer 
durchgrei£endeil  neuern  Correctur  beruhen,  lassen. ia 
ihrer  Verderbtheit  nicht  minder  Schlüsse  auf  das,  was 
ihnen  vorlag,  machen.  Yon  dieser  Klasse  hat  Hr. 
Madvig  die  beiden  editiones  principes  und  die  Yerglei* 

*)  Hr.  Madvig  bedient  sich  sogar  des  Deatdcben  recht  gesdiickt 
zur  sprachlioben  Erläuteraog  an  Welen  Stellen,  was  die  Le- 
ser diesseits  der   Ostsee   mit  gebührendem   Dank  erkenneB 

'  werden.  Nnr  ein  Mahl  S.  292  ist  ihm  e\p  Fehler  gegen  die 
Grammatik  eiitschiilpft. 


^  • 


213 


M*  T.  CttetotM  de  finitui  tonarum  et  mal^rum  Mrr  4fuinqu9.    Ed.'  Ma^ig. 


;8U 


Zungen  einer  Pariser»  einer  Leidener  und  einer  Mun« 
«heoer  Handsohrift,  die  aber  nur  die.  3  ersten  Buclier- 
enthält,  Lenutst.  Es  Icommt  dem  Kritiker  zunächst 
darauf  an  eaerlcennen,  Wte  in  .dem  Stammcodex  ge- 
wesen ist:  aber  es  findet  sich,  dafs  dieser  Codex  selbst 
f^ehler  und  Auslassungen  hatte.  Hier  war  dann  nur 
dwröh  emeBdir0nde  Conjecturalkritilc  Hülfe  su  schafifen. 
Ueber  die  Anwendung  derselben  stellt  Hr.  Madvig  an- 
tuerkeunende  und  anerkannte  Regeln  auf,  die  er  durch 
^in  glänzendes  Bei^iel  in  der  Verbesserung  der  cor- 
fupten  Stelle  der  Rede  pro  Caecina  c.  27.  §.  76.  an 
der  Orelli  verzweifelt  hatte,  nach  der  Lesart  des  Er- 
furter Codex  belegt  (praef.  p,  XLlX)  und  im  Verlauf 
aeiner  Arbeit  häufig  zu  bethätigen  Gelegenheit  findet« 

Sollen  wir  nun  über  das  Ergebnifs  dieser  kriti- 
schen Arbeit  ein  allgemeines  Urtheil  fallen,  so  erklä* 
yen  wir  mit  freudiger  Ueberzeugung ,  •  dafs  der  Text 
eine  durchgreifende '  Berichtigung  erfahren ,  oder  viel* 
mehr,  dafs  er  jetzt  erst  diejenige  Sicherheit  erhatten 
hat^ 'welche  ihm  diplomatische  Sorgfalt,  soweit  die 
Hülfamiftel  reichten,  mit  feiner  Sprach-  und  Sachkennt- 
nils  hat  geben  können.  Hr.  Miadvig  nimmt  dabei  alle 
Gelegenheit  wahr,  streitige  grammatische  und  lexikali* 
•ehe  Punkte  grundlich  zu  erörtern,  so  dafs  diese  No« 
ten  aufser  dem  nächsten  Zweck  die  Lesart  festzustel« 
Ien,^'aach  noch  einen  bedeutenden  Gewinn  für  die 
Kenntnifs  der  Latinitat  enthalten,  wio  dies  immer  das 
Bestreben  guter  Commentatoren  gewesen  ist« 

Dabei  bedauern  wir  aber,  dafs  Hr.  Madvig  d«i 
vergeblichen  Versuch  gemacht  hat,  auch  die  Ortho- 
graphie des  Cicero  herstellen  zu  wollen.  Er  schreibt 
nicht  nur  im  Text,  sondern  hefremdlieher  Weise  auch 
h  seinem  eigenen  Latein  9t  für  ett  nach  Yocalen, 
fuomy  nouomy  plurümumy  reicere^  adseeuntuTj  con^ 
mewrey  ecfieere^  iniellegunt  u.  a.  Die  Mai'schen  Pa- 
limpsesten  selbst,  auf  welche  Hr.  Madvig  sich  zumeist 
stützen  wollte,  beweisen  wie  jenes  Verfahren  weder  di^ 
plomatisch  richtig  ist,  noch  zu  irgend  6iner  Consequens 
fBfOfart  werden  kann.  Schreibt  doch  Madvig  selbst 
yuidquid^  was  gegen  alle  Codices  ist,  die  nur  tjuicquid 
haben,  und  ascituf^  aspectu^^  tirrogo^  was  gegen  sei- 
Wn  in  den  übrigen  Zusammensetzungen  befolgten  Grund- 
satz streitet.  Ref.  ist  immer  der  Ansieht  gewesen,  dafs 
wir  für  unsern  Gebrauch  und  die  gangbaren  Ausgaben 
.  der  Autoren  (denn,  versteht  sich,  ist  die  Sache  ^bei  Qri» 
guialdrucken    eine    andere)   bei^  dem  geregelten  Usus 


der  Grammatiker  späterer  Zeit,  nahmentiioh^  beiden  Vor« 
Schriften  Priscian^s  stehen  blsibeh  ^  müssen.  Die  Alten 
selbst  verschmähten  bekanntlich  die  Uniformität,  diewit' 
für  noth wendig  halten,  ^und  achteten  die^  ganze  Sacho 
für  unerheblieli.  Dagegen  beschäftigten  sich  die  Gram* 
matiker  derjenigen  Zeit,* wo  die  Lateinische  Sprache 
zwar  noch  lebte,  wo  jedoch  die  Fehler  der  vulgaren 
Rede,  Aussprache  und  Schrift  in  Schulen  verbessert 
Werden  mufsten;  sehr  eifrig  mit  der  HersteUung  eines 
rationellen  auf  die.  beste  Tradition  *  gegründeten  Usus. 
Die  Codices  im  Ganzen  betraclitet  (abgesehen  von  den 
noch  aus  älterer  Zeit  stammenden  Palimpsesten)  reprä« 
sentiren  wirklich  diesen  endlieh  festgestellten  Gebrauch, 
und  weichen  darin  gar  nicht  so  sehr  von  einander  ab^ . 
als  man  sich  gewöhnlich  vorstellt:  nur  die  jüngsten  des 
14.  und  15.  Jahrhunderts  führen  wieder  die  Fehler  der 
landesüblichen  Aussprache  in  die  Lateinische  Schrift  ein» 
Z..B.  das  e  wo  es  jiicht  hingehört,  (nuncius,  ooncio),  e 
,  für  ae^  den  Ueberflufs  des  A  und  der  Doppeleonsonan* 
ten.  Ref.  hat  aber  nicht  nöthig,  gegen  Hm.  Madvig 
zu  polemlsiren,  da  dieser  Gelehrte  selbst  am  Schlufs  der 
Vorrode  das  Bekenntnifs  ablegt,  es  gereue,  ihn,  sich  ^u£ 
eine  Sache  eingelassen  zu  haben,  die  zu  keinem  er- 
sprieCdichen  Resultat  führen  könpe.  Und  so  seheint 
der  treflflich^  Bearbeiter  der  Rede  Cicero's  pro  Plancio, 
Prof.  Wunder  in  Grimma,  ebenfalls  von  der  Aufstellung 
einer  neuen  Lateinischen  Orthographie  zurückgekommen 
zu  sein,  da  er  seit  dem  Jahre  1830,  wo  er  sie  in  der^ 
Täuschung  neuer  Entdeckungen  versprach,  geschwie« 
gen  hat 

Dem  erstrebten  Abschlufs  der  Texteskritik  des  Ci- 
eero  de  finibus  ist  jedoch  auch  unter  den  Händen  eines 
so  ausgezeichneten  Kritikers,  wie  Hr.  Madvig  ist,  ein 
Umstand  hinderlich  gewesen,  dessen  Beseitigung  von 
der  Folgezeit,  und  am  besten  von  Hrn.  Madvig  selbst, 
zu  hoffen  ist,  nähmlich  der  noch  fühlbare  Mangel  an 
genauer  Vergleichung  mehr^r  Codices.  Die  Zahl  deir 
Stellen,  wo  die  Lesart  noch  unsicher  ist,  oder  unbe« 
glaubigt  bleiben  mufste,  ist  gar  nicht  gering.  Es  ist 
möglich,  dafs  ein  Theil  derselben  bei  der  wahrschein- 
lich gemachten  Fehlerhaftigkeit  des  Stammcodex  nie- 
mahls  diplomatische.  Sicherheit  erhalten  wird,  aber  ein 
anderer  Theil  wird  zuverlässig  bei  besserer  Kenntnifs 
der  vothandenen  HüUsmittel  festgestellt  werden  kön^ 
nen.  Ref.  hat  die  Lesarten  eines  Codex  erhalten,  der 
nicht  zur  Klasse  der  guten  gehört^  aber  dennoch  eine 


2  LS  M.  T.  Oic&ronü  deßniiH§  ienof'itm  et  malorum  litri  fuit^ue.   Ed  Mmbdg. 


216 


Anzahl  Stellen,  wo  jetzt^noeh  gezweifelt ;wircl, berichtigt» 
I,  2,  4   Quü  enim  tarn  immtcus  paeue  nomini  Ro- 
mano e$tj  gut  Ennii  Medeam  aut  Antiepßm  Patm» 
vii  spemat  aut  rejiciaty  guod  äe  ntdem  Euripidh 
fabtdi*  delectari  dicai^  jLatmas,  iüeru$  oderit?    Der 
Codex  läfst  den  anstöCsigen  letzten  Zusatz  Latmas  U^ 
terM  oderii  aus«   —    I,  6,  20  Nam  #f  omnes  atomi 
ffeclinaSunt^  nul/ae  unguam  cohaereseent^  ewe  aliae 
declmatunt^  üfiae  9»o  mstu  recte  ferentur  eto»    Der 
Codex  hat  sive  omnety  wie  der  Sprachgebrauch  ea  er- 
fordert. — r  I,  7, 23  hat  die^selbe  Handschrift  gegen  die  bis« 
her  bekannte  Autorität  percu44itf  wie  Hr.  Madvig  emen- 
dirt.     Dagegen  schüUt  sie  vorher  den  Conjunctiv  in 
dem   Satze  nigue  eum  Torguatum^  gui  hoc  primu9 
cognomen    invenerit    mit   Reclit,    denn   dieser   Zwi* 
schensatz  ist  von  der  obliquen  Bede  nicht  zu  trenneoi 
wie  es  allerdings  in    der   angezogenen    Parallelstelle 
Tuscul.  lY,  f.  49  der  Fall  ist.    Eben  so  wenig  kön« 
nen  wir  ber  Cic.  p.  lege  Manil.  §.  5  Auic  gui  9ucces^ 
$it  für  richtig  v^bessert .  halten,  weil  gut  success^rit 
die  scUechterdings  nothwendige  Bezeichnung  euier  nicht 
mit  Nahmen  genannten   Person,  nicht  ein  historischer 
herausnehmbarer  Zusatz  ist.   —    I;  7,  25    Nunguam 
koe  üa  defendit   Epicurü$^   negtie  vero  tUy    aut 
guüguam  eorum^  gut  aut  saperet  aliguid^  €tut  Uta 
didieÜ9et.  Die  Schwierigkeit,  dals  in  der  Belation  von 
dem,    was   die  Epicurische  Scliule  gelehrt  hat,   neben 
dem  Meister  selbst  mit  einem  Mahl  der  Römische  Jün» 
ger  genannt   wird,  der  nie  ein  philosophisches  Buch 
geschrieben,    oder    seine   Ansicht   öffentlich  dargelegt 
hatte,  ist  in  die  Augen  fallend.    Der  Codex  hat  olme 
Corr,ectur   oder   Glosse  negue  lUetrodorus    im   Text» 
und  es  ist  einleuchtend,  dafs  dieser  Mitstifter  der  Epi- 
curischen  Schule,  paene  alter  Epicurus,  wie  er  1|,  28 
heafst,  ganz  allein  hieher  gehört.    Der  Codex  hat  bei^^ 
läufig  in  diesem  §  iind  überall  nicht  Epicureij  sondern 
Epteurii^   über  welche  Formen  die  Zusammeostellung, 
ivelche  zu  y«  I,  16  gegeben  ist,  noch  zu  vervollständi« 
gen  war.  -~   I,  8,  26   Quid  ei  religui^tty  nisi  te  guo^ 
gue  modo  loguerelur^  intßUigere  guid  diver et%    Der 
Codex  hsit  guid  enün  religuisHy   wie  Oxon.  J5$  und 
ohne  Zweifel  noch  andere  $  denn  es  ist  der  Verbindung 
halber    das   Richtige.     In   demselben  Sätze    führt   die 
Terderbnifs  dieser  und  anderer  auch  guter  Codices  ^»0. 


gue  'ut  id  modo  auf  guocungue  modo.  -~  Im  nSidisiteB 
§.  28  hat  der  Codex  An  mey  inguanty  nisi  te  tnsdire 
vellem^  een$e$  haec  dicturfim  futiuef    XJtruat  igituTy 
inguity   praecurri   w^ni  Epieuri  dieeiplina   piet^ety 
zum  Theil  fehlerhaft,  aber  An^  waa  Uc  Madvig.  bit 
ligt,  wird  beglaubigt»  und  inguity  was  er  für  eineii  br- 
thum  der  Davisischen  Tergleicfaung  hält,  wird  geredit- 
fertigt.  —   I,  9  beginnt   der  Codex  den  Abschnitt  so: 
Primum  igituTy  sicut  ipn  auctori  ht^ue  diecipUnme 
plaeety  constituam.    Die  Vulgata  hat  weitschweifig« 
Primum  igitur  ticagam  ut-^placet:  constituatm^vai 
es  findet  auch  dabei  noch  einige  Unsicherheit  Statt.  — 
II,  17  ist  die  gewöhnliche  Lesart  Sic  vester  sapiensy 
magno  aliguo  emoiumento  dommotusy  cum  eaueet,  m 
ojms  fuerity  dimicabit.     Cum  causa  wird  als    falsch 
anerkannt:  man  hat  emendirt  a/mju  causay  dessen  wah- 
re Bedeutung  (wie   Hr.  Madvig    zeigt)   „zum    Zeitver- 
treib"  durchaus  unangemessen   ist.     Er  selbst   remu- 
thet  cum  amicoy  „der  Epicureer  wird  selbst  ndt  einen 
Freunde  falls  es  nothig  ist  streiten"|  und  er  bedauert 
nur,   dafs  die  Verbesserung  sich  von  dem  Buchstaben 
zu  weit  entfernt.  Uns  scheint  der  Yorschlag  aber  aueb 
dem  Sinn  sehr  wenig  zu  entsprechen,  denn  die  £pien- 
reer  rühmen  sich  auch  ihrer  Freuudschaftspflege,  und 
hier  handelt  es  sich  nur  um  die  Behauptung,  dafs  nach 
dem  Bpicurischen  System  die  Tapferkeit  ihren    Grund 
nur  in  dem  zu  hoffenden  Genufs  habe.     Unser  Codex 
hat:     Vester  sapietis  magno  aliguo  emolumento  prO' 
positOy  cufn  jam  sibi  opus  Juerit^  dimicabit^  was  voll« 
kommen    genügend    zu   sein   scheint:   ,,der    Epicureer 
wird,  wenn  es  um  eines   grofsen  Yortheils  wegen  nö^ 
thig  ist,  streiten,  d.  h.  tapfer  sein."    Der  Codex  fahrt 
fort  si  occuUum  Jacintis  esse  potuerity  gaudcbit.    In 
allen  Codicibus  fehlt  si,  aber  es  ist  sehr  die  Frage,  ob 
sie  darauf  angesehen  worden  sind.     11,  27  hat  der  Co* 
dex:    EiennA,   guemadmadum   tuie  dieebasy    neg^ 
Epicurus  nee  diuturnitatem  temporis  ad  beats  tfipen* 
dum  guicguam  iiff^erre^  nee  cet.   womit   alle  Schwie- 
rigkeiten  gehoben  sind,  wegen   welcher  Hr.  Madvig 
die  Stelle  noch  mit  einem  f  bezeichnet  hat.    In  dieser 
Stelle  ist  übrigens  Eienim  ganz  ricshtig  und  nicfat  te 
At  e&im^  wie  Hr.  Madvig  nach  Davisius'  Coigectur  im 
Texte  hat,  zu  verandern.     Denn  der  Satz  enthält  kei* 
nen  Einwurf  der  Epicureer,  sondern  eine  Bestätigung 
der  von  Cicero  vorgetragenen  Ansicht ;  selbst  Epieunn 
sage,  die  Dauer  der  Zeit  thue  nichts    zur  Seeligkeit 
Wäre  es  ein  Einwurf,  sopafste  tute  nicht    Bef.muGi 
sich   weitere  Mittheilungen   für  eine    andere  Zeit   und 
Gelegenheit  vorbehalten.    Das  Angeführte  sollte  nur  als 
Beleg  dienen,  wie  selbst  aus  einer  nicht  vorzuglicfaeB 
Handschrift   da,  wo  v  noch  so  wenige  genau  verglichen 
sind,  manch  Erspriefsliches   zur  Wegräumung  von  kri- 
tischen Bedenken  und  Sicherstellung  des  Textes  abge- 
leitet werden  kann,  und  dafs  die  durchaus  vorzügliebe 
Arbeit  des' Hrn.  Madvig  noeh  einer  Ergänzung  von  die» 
ser  Seite  bedarf.  '  *    C.  G.  Zumpt.   . 


■  J»f  28. 

Jahrbücher 


-.-' 


für 


ivissensc  haftliche    Kritik 


Februar   1840. 


XIX. 


Hie  Iberer  im  IVesten  und  Osten  j  eine  ethno- 
graphische  Untersuchung  über  deren  Stamm-' 
Verwandtschaft^  nach  der  Mythe  und  Geschickte 
mit  Rüchsicht  auf  die  Kultur  und  Sprache 
dieses  Volkes^  nebst  einer  Ansicht  der  homeri- 
ecken  Kimmerier  und  der  sogenannten  home-- 
riechen  Geographie  überhaupt  von  8.  F.  W. 
Hoff  mann.  Xet]p«g,  1838.  XlVu.'Ü^S.  8. 

Mit  Recht  darf  man  den  mächtigen  und  so  viel- 
fach verzweigten  iberischen  Yolksstamni)  der  die  äheste 
Volkerablagerung  des  europäischen  Westens  zu  bildeii 
scheint,  und  der  sich  in  seinen  Ueberresten  aus  der 
Urzeit  der  Geschichte  bis  aut  diesen  Tag  erbalten  hat, 
einen  der  interessantesten  und  auch  wichtigsten  Gegen- 
stände der  europäischen  Ethnographie  nennen/  welcher 
darum  in  neuem  Zeiten  häufig  die  Aufmerksamkeit  der 
Forscher  auf  diesem  historischen  Gebiete  io  Anspruch 
genommen  hat.    Durch  die  bekannten  meisterhaften  For- 
schui^en   über   diesen  Gegenstand   von  einem  W.  v« 
Humboldt  in  seinem  Werke  über  die  Urbewohner  His- 
paniens  mochten  wohl  bisjetzt  die  wesentlichsten  Punkte 
darüber  festgestellt  sein,  da  dieser  grolse  Sprachforscher 
den  Weg  bei  seinen  Untersuchungen  einschlug,  welcher 
allein  zu  sichern  Resultaten  führen  konnte,  und  da  der* 
selbe  mit  den  Forschungen  der  spanischen  Gelehrten 
über  diese  ihnen  am  meisten  nahe  liegenden  Yerhält- 
nisse  ijvohl  vertraut  war;    Nun  hat  aber  wieder  das 
Yorkommen  eines  gleichnamigen  iberischen  Yolkes  an 
den  Südgehängen   des  Kaukasus   an   dem   obern  und 
nuttlern  Kur -Strome  öfter  die  Aufmerksamkeit,  erregt 
und  den  Wunsch  hervorgerufen  eine  Beziehung  zwi« 
scheu  diesen  beiden  Yölkern  im  äufsersten  Osten  und 
Westen  von  Europa  nachzuweiseni  was  um  *so  mehr 
gerechtfertigt  zu  werden    schien^  >als  jenes   alpinische 
'  Uhrh,  /.  vwtntch.  Kritik.   J.  1840.     I.  Bd. 


Hochgebirge  des  Kaukasus  in  seinen  bis  jetzt  meist  un-> 
zugänglichen  Thälern  die  Ueberreste  von  \ielen  Urvöl. 
kern  Europas  in  sich  bewahrt  und  bei  dem  Gesetz  der 
Yölkerbewegungen  in  diesem  Erdtheile  häufig  als  der 
Ausgangspunkt  und  als  das  eigentliche  Heimathsland 
der  sich  über  die  europäischen  Gebiete  ausbreitenden 
Yölkerstämme  betrachtet  worden  ist. 

Dies  gegenseitige  Yerhältnifs  der  kaukasisclien  und 
hispanischen  Iberer  ist.  nun  der  Gegenstand  der  Unter- 
i^uchung  des  Yerfs.,  dessen  Unternehmen  auf  den  Bei« 
fall  der  gelehrten  Welt  sicher  Anspruch  macht,  ob» 
schon  man  nicht  läugnen  kann,  dafs  diese  Arbeit  im 
Yerhältnifs  zu  dem  hier  in  Bißtracht  kommenden  Ge* 
genStande  zu  weit  ausholt,  dars  sie  dem  auf  dem  Titel 
angegebenen  Inhalte  nicht  ganz  entspricht  und  dafs 
auch  die  Resultate  nicht  so  befriedigend  genannt  wer« 
den  können,  um  jenes  Yerhähnifs  als  genügend  begrün- 
det darzustellen.  In  der  That  mufs  man  sagen,  dafs 
der  Yerf.  durch  seiüe  sonst  fleifsig  gearbeitete  Forschung 
jene  Yerwandtschaft  und  Abstammung  der  beiden  ibe- 
rischen  Yölker  von  einander  bei  den  hier  gebrauchten 
Beweisgründen  nicht  einmal  zur  Wahrscheinlichkeit 
erhoben  und  noch  weniger  bewiesen  hat.  Uebrigens 
bezieht  sich  auf  diesen  Gegenstand  nur  ein  geringer 
Theil  des  Buches  von  S.  88  —  bis  180,  indem  der  An- 
fang desselben  auf  den  ersten  achtzig  Seiten  sich  mit  der 
homerischen  Geographie  und  namentlich  mit  dem'Yolke 
der  Kimmerier  beschäftigt  Denn  der  Yerf.  setzt  zu- 
nächst mit  ziemlicher  Weitläuftigkeit  auseinander,  wel- 
che Bewandnifs  es  eigentlich  mit  der  Geographie  der 
alten  hellenischen  Säuger  habe,  und  dafs  man  die  ge«. 
dachte  oder  poetische  und  die  wirkliche  {Geographie 
wohl  zu  unterscheiden  habe,  weshalb  es  auch  ein  ver- 
gebliches Bemuhen  sei,  Homers  Angaben  überall  unter- 
zubringen und  fixiren  zu  wollen ,  da  seine  geographi* 
echen  Schilderungen  mir  innerhalb  des  der  damaligen  hel- 
lenischen Welt  bekannten  Gebietes  von  Bedeutung  für 

'28 


219  Hoffinann^  die  Iberer 

diese  Wissenschaft  seien.  So  wie  jedoch  der  Dichter 
bei  seinen  Schilderungen  niemals  willlcührlich  seiner 
eigenen  Phantasie  folgen,  sondern  sich  dem  in  dem  allv 
gemeinen  Vollcsbewurstsein  liegenden  anschlieben,  diese 
Anschauung  nur  ausfuhren,  sie  näher  bestimmen  und  die 
einseinen  Züge  derselben  nach  seinen  Zwecken  üucb 
lokalisiren  könne,  so  verböte  es  sich  nun  mit  dem  beim 
Homer  genannten  kimmerischen  Volke,  welches  keines- 
wegs als-  den  iberischen  Volksstamm  im  äufsersten 
Westen  von  Europa  zum  erstenmale  bezeichnend  be* 
trachtet  werden  dürfte.  Nicht  leicht,  wird  man  dem 
Verf.  diese  Auflassung  bestreiten.  Auch  ist  es  grade 
nicht  wahrscheinlich,  dafs  Homer  aus  der  appellativi« 
sehen  Bedeutung  jenes  Yolksnamens  sich  das  Yolk  erst 
gebildet  habe,  um  die  Gegend  der  Dunkelheit  am  Ein- 
gange  der  Unterwelt  im  äufsersten  Westen  zu  bevuU 
kern,  sondern  vermuthlicb  spielt  hier  die  Nachrieht  hin- 
ein^, welche  damals  die  HeHenen  von  dem  Volke  der 
Kimmerier  am  nördlichen  Küstensaume  des  Pontus  er-* 
hielten,  und  der  Yerf.  hält  mit  Recht  dafür,  dafs  der 
Dichter  dieses  am  Rande  des  Erdkreises  auftretende 
Volk,  vornehmlich  bei  einer  damals  gröfsern  Ausbrei- 
tung des  Pontus  durch  seine  Verbindung  mit  dem  kas- 
pischen  Meere,  nach  seinen  Zwecken  benutzen  und 
ihm,  gleichviel  ob  im  aufseilten  Norden  oder  im '  äu- 
fsersten Westen,  seinen  Wohnsitz  anweisen  konnte. 

Bei  der  Vergleichung  der  Nachrichten  über  das 
doppelte  iberische  Volk  hat  nun  der  Verf.  sich  nicht 
blos  damit  begnügt,  die  Züge  hervorzuheben,  welche 
auf  eine  gemeinsame  Abstammung  desselben  hinweisen 
könnten ,  sondern  er  hat  sich  auch  bemüht  die  histori- 
schen Spuren  der  Wanderung  der  von  den  kaukasi- 
schen Iberiem  angeblich  abstammenden  hispanischen 
Iborier  zu  verfolgen.  Aber  dies  ist  besonders  eine 
sehr  mißliche  Sache,  wie  es  ja  selbst  bei  den  Völkern 
bekannt  genug  ist,  welche  von  einer  schon  anerkannt 
gemeinsamen  Wurzel  ausgegangen  in  der  historischen 
Zeit  in  weit  von  einander  entfernten  Gebieten  auftreten. 
Auch  kann  man  hier  wie  bei  allen  solchen  Versuchen 
die  Willkühr  des  Verfahrens  nicht  verkennen.  Denn 
um  die  kaukasischen  Iberier  in  Verbindung  mit  ihren 
dortigen  Nachbaren  den  Legen  am  kaspischen  Meere 
nach  Westen  zu  bringen ,  damit  dort  die  hispanischen 
Iberier  und  die  Ligurier  aus  ihnen  hervorgehen,  wird 
die  Mythe  von  dem  Zuge  des  Herakles  über  dfe  Alpen 


im  fVeetm  Und  Osten.  22D 

gebraucht,  worad  sich  wieder  die  Terbreitung  des  akoi 
Buddhaismus  mit  den  Fufstapfen  des  Buddha  von  Oslea 
nach  Westen  nebst  der  Butterbereitung  bei  den  neidi- 
schen Völkern  anschlielst,   wie  es  aus  den  längst  i^er- 
schellenen  Hypothesen  von  Bitters  Vorballe  entnonma 
ist.    Die  bei  des  Herakles  kühnem  Zuge  über  die  AI* 
pen  durch  Kälte    und  Anstrengungen    Geschwäehten^ 
welche  nach  den  Aussagen  der  spätem  Grfeehen  •■ 
St.  Gotthard  unter  dem  Namen  der  Lepontier  nach  ei- 
nem witzigen  Wortspiele  zurüeJki/ieSen ,  heifsen  ab« 
auch  bei  den  Alten  Viberi  und  sind  fSr  den  Verf.  im 
wichtige  historische  Mittelglied  für  die  doppelten  Iberier 
im  Osten  und  Westen,  und  er  fügt  S;  112  kühn  hiim: 
„Diese  Yerbindung  der  Viberi,  In  denen  man  Ibertf 
erkennt,  mit  Herakles,  dessen  Fufstapfen  in  Aalen  wie 
in  Japygien  ein  verelirtes  Heiligthum  waren,  und  cbca 
so  die  Verbindung  der  Lepontii  Viberi  mit  den  letti- 
schen Taurinern,  deren  Name  vermittelst  der  Lagyrer 
oder  Ligyer  vom  kolchischen  Phasis  ausgeht,  nnd  anf 
ein  weitverzweigtes  Volk  deutet,  lenken  unsere  Blieke 
unwiderstehlich    auf  die  Gegend  am  Kaukasus,    zwi- 
sehen  dem  Pontus  und  kaspischen  Meere,  um  dort  des 
Btammland  der  Iberer  su  suchen."    Wie  sehr  eontrasö- 
ren  damit  die  in  dieser  Beziehung  so  wichtigen  Werfe 
des  behutsamen  und  gründlichen  Forschers  W.  v.  0m« 
boldt  auf  S.  1 10  seines  Werkes,  welches  letztere  vasor 
Verf.  bei  seiner  Arbeit  doch  vor  sieh  gehabt  hat,  ohne 
sich  durch  die  in  ihm  herrschenden  Grundsätze  inmer 
leiten  zu  lassen. 

Auch  möchte  es  mit  dem  Namen  des  Doppelvolkce 
zum  Beweise  ihrer  gemeinsamen  Abstammung  noeh  eine 
eigene  Bewandnifs  haben.  Denn  dafs  die  hispanisch» 
Iberier  sich  selbst  mit  diesem  Namen,  unter  welchem 
sie  nur  bei  den  Griechen  vorkommen,  genannt  haben,  ist 
noch  keineswegs  erwiesen  und  nicht  einmal  wahrschein- 
lich, da  sich,  den  gleichlautenden  Flufsnamen  abgerech- 
net^ sonst  keine  Spuren  von  demselben  vorfinden  und  die 
einheimische  Bezeichnung  bei  den  heutigen  Vasken,  den 
einzige^  Ueberresten  jenes  alten  Volkes,  eine  solehe  An- 
nähme  gar  nicht  begünstigt.  Mag  nun  auoh  das  kau- 
kasische Volk  der  Georgier,  wie  dasselbe  schon  seit 
der  Zeit  des  Alterthums  vorherrschend  benannt  su 
werden  pflegt,  sich  selbst  jetzt  den  Namen  der  Iwe- 
rier  geben,  so  ist  es  doch  bemerkenswerth,  dafs  die- 
ser Name    in    den    geschichtlichen   Traditionen    über 


221  H^ffmanny  die  Jherer 

ferne  Abttammiing  und  Yetbreitung^  wie  sie  uiw  aus 
dim  eioheiniisohea  Auuakn  selbst  in  der  neuem  Zeit 
bekannt  geworden  aind,  gar  nicht  Terkpmnit'  Viel* 
mehr  finden  wir  nur  diejenigen  Namen  cur  Bezeicbe 
nuhg  seiner  einseinen  Zweige' eryrfibnt,  welebe  sieh, 
aueh  noeh  bisjetzt  sur  Bezeichnung  der  einzelnen  von 
ihm  bewohnten  Landschaften  am  Kur  •  Flusse^  erhak 
tea  haben, 

ÜVenn  maii  mit  dem  Yerf*  im  Allgemeinen  auch 
das  Gesets  der  Vdlkerverbreitung  in  Europa  von  Oslen 
Baeh  Westen  als  riehtig  anerkennen  mufs,  so  bleibt  es 
doch  immer  geffibrlich,  sich  dabei  durch  Namen  leiten 
SU  laesen.    Die  in.  disr  neuern  Zeit  häufig  behandelte 
Urgeschichte  der  Deutschen,  deren  Verwandtschaft  mit 
mehreren  westasialischen  Yölkern  hinlänglich  begrün« 
det  ist,  lehrt  am  be$ten,   was  aus  dem  Hineinziehen 
reu  Torhistoriselien  Yerhältnissen   über   die    Verzwei« 
gung^und  Verbreitung  der  Völker  in  den   Kreis  der 
Gesclücfate   hervorgeht«     Bei  aller   einstmaligen    Yer* 
wandtschaft  in  der  Urzeit  sind  sich  die  Volker  in  der. 
bistorisehen  Zeit  doeh  meistens  einander  gänzlich  fremd, 
und«  versucht  man  dennoch  eine  Beziehung  der  auf  ge- 
sebichtUchem  Boden  fem  vou  einander  lebenden  Völ- 
ker auf  einander  nachzuweisen,  so  wird  es  freilich  auf 
eine  andere  Weise  gethan  werden  müssen,  als  es  hier 
bei  dem  Doppelvolke  der  Iberier  geschehen  ist    Denn 
dafs  die  Angaben  der  Alten  wie  bei  Varro  von  einer 
Ansiedlung  der  Iberier,  I^erser,  Phönicier  und  anderer 
YöUcer  aus  dem  Osten  in  jenem  hispanischett  Iberien 
aiehls  beweisen  können,  so  wichtig  sie  auch  dem  Verf* 
erscheinen,  erhellt  leicht  von  selbst    Eben  so  wenig 
reicht  daau  hin  die  Vergleichung  der  Lebensweise  und 
der  Siitmi  und  Gebräuche  bei  beiden  Völkern,  da  alle 
noch    im  Naturzustände  lebende  Völker  eine  gröfs^re 
oder  geringere  Uebereinstimmung  in  dieser  Beziehung 
werben  aeigen  müssen.     Deshalb  hat  der  Yerf.  auch 
noch  die  andern  heutigen  Nachbarvölker  der  Georgier 
im  Kadkasus  zur  Vergleichung    benutzen   zu   können 
geglaubt,  von  denen  es  doch  allgemein  anerkannt  ist^ 
dafs  sie  mit  den  Georgiern  durchaus  nicht  verwandt 
sind.    Ja  selbst  die  Vergleichung  des  religiösen  Glaa« 
bens  und  des  Kultus  bei  verschiedeiien  Vötkem  dürfte 
für  diesen  Zweck  kaum  zulässig  erscheinen,  da  solche 
Verhältnisse  auf  dem  Standpunkte   der  Naturveligion, 
wie  grade  bei  jenen  YöUcprn,    zu   wenig  cbaraktevi* 
sdsch  sind,  um  etwas  beweisen  zu  können. 


im  Wetten  und  Osten^  222 

Worauf  es-  nun  'bei  solchen  Untersuchungen  über 
die .  Yerwandlschaft  der  Völker  vomämlich  ankommt, 
das  ist  der  Yergleichung  der  Sprache.  .  Grade  dies  Vor« 
hältnifs  hat  abet  der  Verf.  bei  Seite  zu  schieben  ge- 
sucht,  indem  er  bemerkt,'  dafs  eine  Vergleichung  der 
Sprachen  der  östlichen  und.  westlichen  Iberier  nicht 
geeignet  sei,  ober  ihre  Yerwandtschaft  Aufschlub  zu 
gewähren,  weil  die  der  hispanischen  Iberier  zu  wenig 
,  bekannt  sei,  und  weil  die  der  kaukasischen  Iberier  von 
der  jetzigen  georgischen  Sprache  ^u  abweichend  sein 
müsse,  um  zu  dem  angegebenen  Zwecke  dienen  zu  kön« 
nen.  Indessen  dieser  letztere  Umstand  ist  durchaus 
nicht  gegründet,  und  es  liegt  vielmehr  in  der  Natur  der 
Sache,  dafs  sich  eine  Sprache^  wie  die  der  kaukasl^ 
sehen  Iberier,  länger  als  bei  irgend  einem  andern  Vol-* 
ke  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  erhalten  mufste^ 
Und  da  erhellt  bestimmt  genug '  aus  ddn  Untersuchung 
gen  der  neuem  Sprachforscher,  dafs  die  georgische 
Sprache,  trotz  mancher  Yerwanduchaft  mit  dem  gro* 
Isen  indogermanischen  Sprachstamme,  doch  eine  gans 
eigenthümllche  und  selbststäudige  Gruppe  unter  den 
asiatischen  und  europäisclien  Sprachstäaunen  bilde,  und 
dafs. sie  auch  mit  der  vaskischen  Sprache  in  dem  heu* 
tigen  Navarra  in  keiner  nähern  Verbindung  stehe. 
Schwerlich  wird  man  demnach  eher  eine  Verwandt- 
schaft zwischen  jenen  beiden  iberbehen  Völkern  anzu« 
nehmen  berechtigt  sein,  als  nicht  die  Yerwandtschaft 
ihrer  Sprachen  sowohl  nach  dem  Material,  als  auch 
besonders  nach  dessen  Bilduügsweise  dargethan  ist 

Den  dritten  Haupttheil  des  Buches  von  S.  181  bis 
288  bildet  eine  mit  den  vorigen  Abschnitten  nur  zufäl« 
lig  verknüpfte  Abhandlung  über  den  für  uns  leider  ver- 
loren gegangenen  Geographen  Artemidorus  von'  Ephe« 
sus  aus  dem  Anfange  des  ersten  Jahrhunderts  vor  un- 
serer Zeitrechnung,  dessen  grofses  geogr^hisches  und 
ethnographisches  Werk  eine  Hauptquelle  für  dieArbei-- 
ten  sdner  Nachfolger  in  diesem  Gebiete  gewesen  ist 
Aus  diesen  ist  daher  auch  die  hier  gegebene  Zusam« 
menstellung  seiner  Fragmente  entnommen,  durch  wel- 
che sich  der  Yerf.  ein  unläugbares  Yerdietost  um  die 
Wissenschaft  erworben  hat 

Ferdmand  Müller. 


u 


223 


Gfrorery    die 


Die  heilige  Sage  durch  A.  Fr.  Ofrörer.  Er- 
ste Abtheilung  p.  VIII,  451.  Zweite  Abtheil. 
p.  336.  Dä$  Heiligihum  und  die  Wahrheit 
durch  A.  Fr.  Gfrörer  p.  417.  Stuttgart^ 
]838.  hei  Schweizerbart. 

Ware  es  Pflicht  des  Kritikers,  ein  Werk  in  dem 
Mafse  zu  loben,  als  er  voratisselsen  muFs,  dafs  der 
Verf.,  wenn  er  sicli  einmal  selbst  lobt,  es  nur  in  be- 
scheidener Zurückhaltung  und  mit  verkürztem  Mafse 
thun  werde,  so  roufste  Ref.  durch  gegenwärtigen  Fall 
in  die  allergröfste  Verlegenheit  gebracht  werden.  Denn 
gilt  jener  Grundsatz  mit  seiner  Voraussetzung,  wie 
sollte  es  dann  noch  möglich  sein,  das  Lob  zu  überbie» 
ten,  mit  dem  Hr.  Gfr5rer  sich  selbst  im  voraus  be« 
schenkt  hat,  wo  sollte  noch  ein. Lorbeerzweig  herkom- 
men, da  Hr.  Gfrörer,  so  weit  wir  sehen  können,  ganze 
Lorbeerwälder  zerstört  hat,  damit  denen,  die  vor  ihm 
in  demselben  Gebiete  gearbeitet  haben,  kein  ehrendes 
Blatt  mehr  fibrig  bleibe,  und  da  er  sich  selbst,  —  wir 
müssen  fast  furchten,  er  erliege  unter  der  Last  —  mit 
Siegeszeichen,  mit  einem  naeii  dem  anderen  gekrönt  hati 

Ein  einziger  Streich  ist  fOr  Hrn.  Gfrörer  hinrei« 
chend,  um  den  neuern  Leviathan  zu  fällen ;  er  braucht 
das  Ungeheuer  nur  zu  scjiildem  und  ihm  dessen  eige- 
nes  Bild  zu  zeigen,  und  es  ist  todt.  Die  ganze  Theo- 
logie ist  gegenwärtig,  man  kann  sagen,  allein  —  wenn 
es  auch  auf  Umwegen  geschieht  —  damit  beschäftigt^ 
die  Aufgabe,  die  Straufs  in  seinem  Werke  gestellt  hat, 
ihrer  Lösung  näher  zu  bringen,  oder  zunächst  wenig- 
stens zu  bestimmen,  wie  weit  von  Straufs  diese  Auf- 
gabe richtig,  gefafst  sei.  Was  aber  alle  Theologen 
beschäftigt, .  darüber  ist  Hr.  Gfrörer  längst  hinaus,  von 
seinem  Standpunkte  sieht  er  mit  Verachtung  auf  die 
„Anbänger  der  falschen  philosophischen  Theologie" 
herab,  „die  das  Werk  von  Straufs  niciit  einmal  zu  wi- 
.derlegeu  Termochten,"  (das  H.  und  die  W.  p.  119), 
und  ert  Nun  er  braucht  blos  zu  sagen,  Straufs  habe 
zu  beweisen  gesucht,  „an  der  ganzen  Geschichte  des 
N.  T.  sei  l:em  wahrem  tVort'*  (ebend.),  er  braucht  blos 
auszusprechen,  Straufs  behaupte,  dafs  „Alles,  was  im 
N.  T.  steht,  erlogen  sei  und  nur  die  Ideen,  zu  welchen 
die  Hegeische  Lehre  den  SchlQssel  gehe,  seien  wahr,'' 
(d.  h.  S.  II,  271)   er  braucht   das   nur   auszusprechen. 


heilige    Sage.  221 

um  alle  Theologen ,  von  denen  doch   vm  wenige  att 
zaghaftem  Schritte  zu  einer  solchen  Behauptung  fer^ 
zugehen  wagten,  zu  beschämen  und  den  Todfeind  der 
heil.  Geschichte  zu  erlegen.    Und  es  ^gehört    wirklich 
Muth  dazu,   wenn  man  Behauptungen,  welche  die  g»> 
ängstigten  Theologen   doch  nur  Ivie  rin  letztes  Mittd 
der  Verzweiflung  und  gewifs  auch  nur  unter  Gewis- 
sensschlägen und  andeutend  vorbrachten,  voü  vom  her- 
ein und  frei  von  der  Brust  aussprechen  will.    Dort  auf 
dem  Gebiet  der  Metaphysik,  auf  welchem  das  „End»» 
gebnifs"  von  Straufs,  „die  Yerneinung,"  entstanden  sei, 
(das  Jahrhundert  des  Heils  p.  VU)  läfst  Hr.    Gfrmr 
den  ein  für  allemal  gefallenen  Leviathan  liegen,  er  An 
auf  seinem  Wege  zum  Heiligthum  folgt  als  ,^W^egwfi- 
serin"  einer  ,^ Wissenschaft ,  die.  ß'eilieh  nur  '  Wenip 
kennen  und  welche  auf  das  N.  T.  noch  ven  Keinen 
angewandt  ist,  der  historischen  Mathematik"  (d.  h.  S. 
II,  336.).    Denn  „das  Leben  Jesu  gehöre  in  das  heiUgi  - 
Gebiet  der  Geschichte,"^ hier  sei  der  Historiker  ein  Kial . 
vom  Hause.     Und  wie  kommt  man  hier  zum  Ziel!  «,Eii 
offener  historischer  Sinn,  ein  sf>harfer,  eorgeatn  ausge» 
bildeter  Yerstand,  ein  Reiehtkum  von  ^eschichtlidica 
Kenntnissen   fuhren  auch  hier,   wie   in  allen  anderes 
Zweigen  der  Geschichte,  auf  den  Weg  zur  Wahrheife 
Freilich^  setzt  Hr.   Gfrörer  scheinbar  bedauernd  after 
desto  glücklicher  auf  sich  zeigend  hinzu,  freilidi  sind 
diese  Eigenschaften  nicht  sehr  häufig"  (d.  H.  und  d. 
W.  p.  119).    Denn  „das  Holz,  aus  dem  man  Gescfaiciit* 
Schreiber  macht,  ist  ausnehmend  selten'*  (d.  b.  S.  THI). 
Die  historische  Mathematik  ist  nach  Hm.  Gfrörer  die 
Kunst,   von   einem  sicher  istehenden  Faktura  anf  die 
Reihe  der  folgenden  zu  schliefsen,  sie  giebt  die  GewUfr 
heit,  wo  „Schlufs  auf  Sclilufs  folgt,  die  alle  mit  unzcr> 
reifsbaren  Ketten  an  einander  geheftet  sind '  (d.  U.  u. 
d.  W.  p.  5).    Aber  wie  kommt  man  zu  solchen  einzd* 
neu  sichern  Faktcn>  deren  die  historische  Mathematik 
bedarf  I  „Urkunden  und  Zeugnisse*'  müssen  da  sein  wid 
untersucht  werden.    Doch  bei  deren  Untecsuehung  mids 
man  sich  nur  zu  oft  auf  Grunde  stützen,  „die  dem  kri-^ 
tischen   Gefühl  entnommen  sind  und  die  sich  auf  die 
geheimen,  von  manchem  nicht  beachteten  Gesetze  beni« 
fen,  welchen  Erzähler  und  GeschichUehreiber   gehor- 
chen" (d.  h.  S.  I,  93).  .  Doch  „mit  diesem  edlm  Sinne 
des  geschärften  historischtti  <Sefuhls  sind  nur  Wenige 
ausgerüstet"  (d.  h.  S.  II,  98). 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


/ 


Jahrbuch 


e  r 


für 


wissenschaftliche   Kritik. 


Februar  1840* 


Die  heilige  Sage  durch  A*  Fr.  Qfrörer. 
Er$te  AbtheUung.  Zweite  Abtheilung.  Dag 
Heüigthum  und  die  Wahrheit  durch  A.  Fr. 
Ofrorer. 

(Fortsetzung«)  ' 

Wer  solche  seitue  Gaben  besitzt,  ist  glücklieb,  mufs 
sich  hoch   über  die  Masse  erheben  und  endlich  zu  et- 
nem  Fund  gelangeni  der  Ton  Niemandem  bisher  ent- 
deckt ist.    Da  kann  es  uns  nicht  befremden,  wenn  Hr. 
Gfrurer  sagt,  daCs;  z.  B.  Alles,  was  er  in  seinem  „Jahr- 
hundert des  Heils"  vorbringt,  „neu*'  ist.    (Jahrh.  des  H. 
p.  XXI)..  Aber  freilich  hat  die  Gröfse,  die  neu  ist, 
ihre  Beschwerden,  schwer  ist  schon  der  Pfad,  den  si^ 
wandeln  muCsi,   „schwer  ist  der  Pfad  des   Geschicht- 
schreibers, sagt  Hr.  Gfrörer  selbst,  der  wie 'ich  einen 
Gegenstand  behandelt,  der  von  anderen  kaum  oder  gar 
nicht  berührt  worden  ist'''(d.  Jahrh.  d.  H.  p.  VI).    Neue 
Entdeckungen  finden  Anfangs  nur   schweren  Eingang 
und  werden  von  neidischen   oder  beschränkten  Köpfen 
befeindet.    Das  kommt  Hrn.  Gfrörer  bei  «dem  Selbstbe- 
wufstsein  seiner  neuen  Stellung  nicht  unerwartet.    „Ich 
bin  auf  bitte;re  Vorwürfe  gefafst,"  sagt  er  selbst  (heil. 
Sage,  2,  246.).    Aber  die  Pflicht  giebt  die  Kraft,  auch 
das  Ungewohnte  kühn  auszusprechen  und  ohnehin  folgt 
Hr.  Gfrörer  zum  Glück  jenem  Triebe,  der  Wenn  auch 
selten  doch  unwiderstehlieh  ist.     jJDer  historische  Trieb 
eiTfingt  ihn,  der  Wahrheit  nachzuspüren,  obgleich  das 
'  Ergebnifs  allen  bisher  geltenden  Wahrheiten  widerspre- 
chen sollte"    (d.  H.  u.  d.  W.  p.  107).     Sagt  nun  Hr. 
GCrurer  mit  einer  Art  von  Wehmuih:  „der  Weg,  den 
ieh  einschlage,  ist  leider  neu"  (das  Jahrh.  des  H.  p. 
XXVII),  so  spricht  sich  sein  inneres  Leiden  noch  ruh- 
Tender  aus,  wenn  er  von  seinem  historischen  Triebe  zu 
dem  Bekenntnifs  gebracht  wird,   dafs   die  Synoptiker 
vieles  Sagenhafte   berichten.     „Unangenehm,    sagt  er, 
mag  dies  Bekenntnifs  sein  —  auch  mir  thut  ei  wehe^ — 
iahrh.  /.  iriMeiffcÄ.'  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd. 


aber  wahr  ist  es  und  es  wird  geboten  durch  die  Re- 
geln, die  Überali  vor  guten  Gerichten,  wie  im  Bereiche, 
der  Geschichtschreibung  gelten"  (d.  h.  S.  II,  243).  * 

Kurs  vorher,  ehe  die  heilige  Sage  und  das  Heilig* 
thum  und  die  Wahrheit  herauskam,  noch  in  demselben 
Jahre  gab  iHr«  Gfrörer  seine  Schrift  ,^das  Jahrhundert 
des  Heils*"  in  zwei  Abtheilungen  heraus  (der  Titel  giebt 
dieselbe  Jahreszahl  1838  an).  Bei  der  Ausarbeitung 
derselbeli  war  er  von  der  Ansicht  ausgegangen,  „dab 
nur  demjenigen  ein  sicheres  Urtheil  über  die  evangeli- 
sche Geschichte  zustehe,  der  die  Zeit,  in  die  sie  fällt, 
genau  kennt"  (Jahrh.  d.  H.  p.  XXI).  Wir  werdpn  auch 
diese  Schrift  in  den  Kreis  unserer  Anzeige  zu  ziehen 
uns  erlauben,  aber  nur  eo  weit^  als  Hr.  Gfrörer 
selbst  ihre  Resultate  in  seine  Betrachtung  der  evange- 
lischen Geschichte  verarbeitet  hat.  Hier  erwähnen  wir 
jene  Schrift  nur,  um  die  Anschauung, ,  die  der  Hr.  Yf. 
von  seinem  Werke  hat,  in  Kurzem  zu  schildern.  Die 
fünf  Bände  vom  Jahrhundert  des  Heils,  der  heiligen 
Sage  und  vom  Heüigthum  und  der  Wahrheit  betrach- 
tet er  als  ein  Ganzes  >  zu  welchem  die  sieben  Jahre 
früher  erschienene  Schrift  über  Philo  und  die  alexan- 
drinische  Theosophie  die  Einleitung  bildet,  oder,  wie 
es  der  Hr.  Verf.  der  Gröfse  seines.  Werkes  würdiger 
ausdrückt:  das  Werk  über  Philo  „mufs  als  Vorhalle 
zu  dem  Dome  betrachtet  werden,  den  er  (in  jenen  fünf 
Bänden)  erbaut  hat"  (d.  Jährh.  d.  H.  p.  V).  Wie  es 
mit  Bildern  geht,  dafs  sie  schillernd  sich  mannichfach 
verändern,  so  geschieht  es  auch  mit  diesem  Bilde  des 
Domes;  hat  er  sogar  schon  seine  Vorhalle  in  jener 
Schrift  über  Philo,  so  verwandelt  sich  auf  einmal  seine 
Gestalt,  und  in.^en  fünf  Bänden,  die  ihn  bilden,  be* 
kommt  er  wieder  seinen  Vorhof.  „Anfangs  (d.  h.  so 
lange  der  Hr.  Verf.  der  heiligen  Sage  in  den  zwei  Ab- 
theilungen, die  ihrer  Untersuchung  gewidmet  sind,  atif 
ihrem  Pfade  folgt)  führt  der  Weg  über  Trümmer,  aber 
unerschuttert  winkt    am  Ziele    das  AUerheillgstd,  die 

29 


227     '  Ofrorer^die 

ewige  Flamme,  der  'keine,  auch  die  kihneU  unerbi^ 
liehste  Untenuchung  etwas  von  ihrm  Glanse  nehmen 
kann.  Nur  die  Säulen  des  Torhofes,  die,  wie  Uh 
glaube,  manchmal  das  herausströmende  Licht  v^rdmi- 
kelten^  stQrten  Eum  Theil  ein;  die  ewige  Flamme  auf 
dem  Hochaltare  strahlt  fort^  in  ungetrübter  Glorie"*  (d. 
Jahrh.  d.  H.  II,  444).  Die  beiden  Abtlieilungen,  die 
der  Untersuchung  der  heiligen  Sage  gewidmet  sind^  ha* 
ben  es  noch  mit  dem  „leidigen  Verneinen"  eu  thun, 
JAber  mit  dem  ersten  Schritt  in's  „Heihgthum'*  beginnt 
das  Bejahen  (d.  h.  S.  II,  336)  und  nun  geht  der  Hr. 
Verf.  vom  ,,stttrmfesten  Boden*'  aus  (d.  H.  u.  d.  VV. 
p.  106),  bis  er  ausrufen  kann:  „wir  haben  die  Wahr- 
heiC  gefunden'\  „Bb  sum  göttlichen  Bilde  im  Chore 
sind  wir  vorgedrungen  und  haben  den  Schleier,  so  weit 
es  vergönnt  war,  gelüftet"  (d.  H.  u.  d.  W.  p.  118). 

So  schaut  Hr.  Gfrorer  sich  selbst  und  sein  Werk 
an.  Leiter  aber  müssen  wir  diese  Selbstanschauung 
des  Hrn.  Verfs.  ak  die  naivste  Selbsttäuschung,  die  in 
neuerer  Zeit  vorgekommen  ist,  bezeichnen  und  leider 
können  wir  sie  leicht  als  solche  nachweisen.  „Unan- 
genehm, um  im  Pathos  des  Hra  Yerfs,  eu  reden,  mag 
dies  Bekenntnifs  sein,  —  auch  uns  thut  es  wehe  — 
aber  wahr  ist  es  und  es  wird  geboten  durch  die  Re- 
geln,  die  überall  vor  guten  Gerichten  gelten/'  Wer 
wie  Hr.  Gfr.  von  seiner  Mühe  sagt:  „eine  hübsche 
Mauer  lierse  sich  aufbauen  aus  den  Folianten,  durch 
Welche  ich  mich  durcharbeiten  mufste''  (d.  Jahrh.  d.  H. 
p.  XXY)y  der  dürfte  dann  doch  nicht  die  kleinere  Mühe 
scheuen,  auch  die  Octavbände,  die  seine  Vorgänger  ge^» 
schrieben  haben,  zu  lesen«  Hr.  Gfr.  hat  dies  entweder 
gar  nicht  gethan^  oder  that  er  es,  so  geschah  es  mit 
jener  Flüchtigkeit  und  mit  dem  Widerwillen,  den  ihm 
seine  Verachtung  gegen  die  Schulweisheit  einfiofste 
und  den  ihm  sein  Wahn,  etwas  ganz  Neues  gefunden 
eu  haben,  als  einen  gerechten  vorspiegelte.  Die  eitle 
Kaste  der  Gelehrten  hat  noch  keinen  gröiseren  Veräch- 
ter gefunden,  als  Hr.  Gfrorer  ist,  die  Meinung,  welche 
der  gesunde  Menschenverstand  der  gewerbetreibenden 
Burgerschaft  von  ilir  hat,  scheint  in  unserm  Hrn,  Verf. 
in  Fleisch  und  Blut  eines  Individuum  sich  zusammen- 
gezoge*!!  zu  haben  und  wenn  er  gelehrter  ist  als  der 
ruhige  Bürger,  so  gebraucht  er  die  Kenntnisse  nur,  um 
seiner  Verachtung  eine  tiefere  Folie  zu  geben.  Dafür 
ist  es  ihm  aber  widerfahren,  dafs  er  in  seiner  Verstim- 
mung die  bedeutendsten    der  Vorgänger   falsch    beur- 


0  $  l  i  g  e    S  a  g  0. 

Aeik)  daSi  er  mit  der  Faust  darelnschligt,    die  doel 
sonst  nur  der 'Masse  als  Waffe  dient,   und  Smtm  dm 
Neue,  das  er  mit  so  .vielem  Pomp  ankündigt,    ia  eben 
jener  veraehteten  Kaste  der  Gelehrten  längst  mnti^pin 
ist,  doreh  einen  höheren  Standpunkt  zum  Alten    «kr 
nur  zur  Curiositit  herabgesetzt,  oder  wenn  es  iPfrirkBeh 
neu  bt,  wenigstens  nur  den  Wetth  jener  EinbUduiigai 
hat,  die  auch  dem  bürgerlichen  Idioten  in  seinen  Feier» 
stunden  oder  bei  ruhiger  Händearbeit  aufsteigen«     Vfk 
roh  und  nnr  bei  der  beschränktesten  Oasse  der  I^fieia 
erträglich  ist  z.  B.  sogleich  die  Art,   wie  Hr.   GMnr 
.  seinen  nächsten  Vorginger,  Straufs,.  betiaeblet.     f^Bn 
im  N.  T.  sei  erloj^en,*'  wer  dies  Resultat  dem  Werke 
von  Straufs  unterschiebt,  wer  weiter  nichts  von  diesen 
Werke  zu  sagen  weifs,  und  wenn  er  selbst  „das  Hei- 
ligthum**  der  evangelischen  Geschichte  aufsuchen  wil, 
auf  dem  Wege  dabin  nirgends  die  Fufsstapfen  selaes 
Vorgängers  untersucht,  ^-  Hr.  GArorer  nimmt  TiamKfh 
nirgends  auf   die  Untersuchungen  von  Straufs  Rieh- 
sieht  —  der  hat  sich  aufserhaib  der  geschichtHchoi  Ent» 
Wicklung  des  neueren  Bewußtseins  gestellt,  und,  wen 
es  sich  zeigt,   dafs  er  nicht  über  derselben  steht,  siek 
selbst  das  Urtheil  gesprochen,   dafs  er  eigeiidieh  gsr 
nicht  beachtet  Werden  dürfe.    Fafst  ihn  die  Kritik  den. 
noch  in*s  Auge,  so  thut  sie  es,  um  nicht  Unrecht  mft 
Unrecht  zu  vergelten,  und  weil  sie  vorher,  ehe  sie  sich 
nicht  vom  Gegentheil  überzeugt  hat^  nicht  annehmen 
darf,  dafs  ein  Werk,  das  in  der  Aufregung  einer  kriti- 
schen Epoche  entstanden  ist,  gar  kein  brauchbares  K9ni- 
chen  enthalte.    Also  in  dieser  guten  Meinung  wollen 
wir  die  Schrift  des  Hrti«  Gfr.  in  ihren  Hauptpunkten 
durchgehen.  '— 

*  In  den  beiden  Abtheilungen  von  der  heiligen  Sage, 
in  der  Vorhalle  und  dem  verneinenden  Theile«  wird  die 
Beschaffenheit  der  Synoptiker  untersucht,  ihr  sagenhaft 
ter  Charakter  bewiesen  und  das  vierte  Evangelium  auch 
nur  so  weit  betrachtet,  als  es  in  den  Beden  der  auf* 
tretenden  Personen  gleichfalls  eine  Seite  besitzt,  wo  es 
der  negativen  Kritik  eine  verwundbare  Stelle  darbie» 
tet.  Wichtig  ist  in  dieser  Vorballe  besonders  der  Ab* 
schnitt,  in  welchem  Hr.  Gfr.  die  Vorrede  zum  dritten 
Ev.,  dem  nach  seiner  Ansicht  ältesten,  ursprünglichsten 
und  genauesten  unter  den  synoptischen,  untersucht  und 
daraus  „die  wichtigsten  Schlüsse"  über  die  Entstehung 
der  evangelischen  Geschichtschreibung  zieht  Sehen  Wir 
am  Ende  auch  nur,  wie  er  sich  in  seinen  Schlulsrei« 


G  f  r  S  r  e  Tf    d^  e 

hon  vefwidcdt  und  verf&iig%  so  kabcii  wir  do«k  die 
«tflialteiie  Wäraung  zum  GewkiiK     ' 

Lttka»  beruft  sich  in  der  Vorrede,  um  sein  Werk 
tff  motiviren,  daraief,  dafs  sekoR  viele  dasselbe  ualer* 
Dcnamen  haben,  was  er  sieh  mui  aveh  vorgesetst  habe. 
9,Die  Berichte,  sagt  nun  Hr.  Gfr  (h.  S.  I,  34),  welche 
von  4en  Viekn  geordnet  und  susanunengestolk  wur* 
den,  sind  ihnen  elso  iirspribiglicfa  in  'serrissener,  vereittf 
aeker  Gestail  vorgelegen/'    GewüSi  so.  sieht  die*  Sache 
Lucas  an,  wenn  er  ton  einen  Anordnm  und  Zusaia- 
mensieilen  spricht,  wenigstens  mufs   er  die  UeberUefep» 
rung  der  Angenzeogen  als  etwas  noch  nicht  statarisch 
geordnetes  betrachten,  wenn  er  sagt,  Andere  aufser  den 
«Augenseugen  haben  die  Zusammenstellung  untemom- 
men  nnff  versucht.    „Die  Sp£teren  hpflRb«i  ihre  Auf« 
gäbe    besser  su   lösen   als  ihre  Vorgänger*'  (Ebend.)^ 
Auch  das!    Aus  welchem  andern   Grunde  hätte  man 
es  sldi  bei  der  geordneten  Darstellung  der  evangeli- 
sehen  Geschichte)  die  man  gerade  vorfand,  nicht  genü- 
gen lassen  f    Aber  kannten  denn  dieee  Vorgänger  des 
Lucas  immer  jeder  die  früheren  1    Ja!  antwortet  Herr 
Gfr.)  denn  Lucas  kannte  ihre  Arbeiten  und  der  Grund, 
warum  er  sie  kannte,  „war  ohne  Zweifel  der,  weil  sie 
In  dem  Lande,  wo  er  sieh  befand,  umliefen,  und  Jeder« 
manii   oder  doch  Vielen  vorlagen.    Ich  will  damit  sa- 
gen, unser  Evangelium  sei  so  gut  wie  die  früheren,  in 
einem  beschränkten  Umkreise  von  vielleicbt  5—6  Qua- 
dratmeUen  entstanden"  (Ebend.  p.  38,  39).    VTelches 
Ist  nui^  «Keser  Geburtsort  der  evangelischen  Bearbei- 
tungen, fieser  Büchermarktf    Palästina!  erwiedert  Un 
Gfr. ;  der  Kreis,  wohin  sich  beim  Falle  Jerusalems  „die 
Quellen  der  evangelischen  Geschichte  oder  ihre  erste 
Bearbeitung  durch   die  Vielen  rettete,  beschränkt  sich 
auf  einige  wenige  Meilen  Erde  rings  um  den  See  Ge- 
nezareth^    und    hier    in    diesem  Winkd    der    Erde 
„herrschte  gehäufte  Schriftstellerei-  Übet  einen  und  den* 
selben  beschränkten  Gegenstand"  (p.  47). 

Es  wäre  zwaV  das  Schönste,  w«m  wir  susähen^ 
wie  der  stolze  Bau,  den  hier  Hr.  Gfr.  vor  utis  aufführt, 
ein  walirer  babylonischer  Thurm  wird:  die  Hypothe- 
sen, die  Bu  seinem  Baue  helfen,  scheinen  anfangs  gans 
einmüthig,  verwirren  sieh  aber  alimälig  so  sehr,  dals 
sie  sich  nicht  mehr  mit  einander  vertragen  können,  da- 
vonlaufen und  den  Bau  im  Stich  lassen.  Eß  wird  aber 
luchts  schaden,  wenn  wir  nach  dem  Beweise  dafür 
fragen^  dafs  Palästina  die  Stätte  jener  ausgebreiteten 


keilt  g0   Sage.  330 

Sehriftstellerei  gewesen  sei.  Der  Bewris  seil  in  dem 
doppehea  rniSiß'  der  Vonede  des  Lneasevangrilum  lie« 
gen.  Esstikh  der  Stoff  der  evangelisehen  Creschieht» 
sdweibuag  seien  Begebenheiien,  von  denen.  Lueaa  sa- 
gen kann :  unter  uns,  h  ffiilv  sind  sie  geschehen,  h 
nc^f  könne  hier  nur  heifsen:  „unter,  uns,  die  wir  im 
heiligen  Lande  wohnen"  (p.  46).  „Ob  die  f^isonen, 
welche  Christum  kannten  und  Augenzeugen  seiner  Tha- 
ten  waren,  selbst  noch  lebten,  als  Lucas  schrieb,  oder 
nicht,  thut  nichts  sür  Sachet'  Nein!  so  gkiehgiltig  ist 
das  für  die  Bedeutung  des  bß  ^(uu  keineswegs.  Denn  setsen 
wir  denFaU,  der  Kreis  der  Personen,  dev  mit  Berufung 
auf  die  smfsUeAe  Qewi/sAeü  sagen  konnte :  unter  uns 
iet  das  und  das  geschehen,  sei  ausgestorben,  so  ist  dos 
,^vuater  uns''  aus  seiner  ersten  sinnlichen  Beschränkt« 
heit  schon  herausgesetst  und  zu  einem  gr51seren,  geb 
stigen  und  idealen  ün^ng  erweitert  Zwar  wendet 
dagegen  Hr.  Gfr.  (ebend,)  ein,  „in  soldien  FäUen  be- 
trachte jnai^  die  Einwohnerschaft  eines  Landen  oder 
ein  Volk  als  Ein  Ganzes  oder  als  eine  unwandeibase 
Grofse."  Jal  wenn  eben  von  einem  Volke  die  Bede 
ut,  welches  immer  seine  natarliehe  Besebränktheic  be. 
hält.  Das  ist  aber  hier  nicht  der  Fall;  nicht  ein  Yolk  be* 
sieht  sich  hier  auf  sich  selbst,  wenn  Lucas  sagt  „unter 
uns",  sondern  die  Gemeinde^  die  über  die  NatjonalilÜ 
und  deren  natürliche,  lecale  Bestimmtheit  hinausgreift 
und  diese  enge  Grenze  an  sich  nicht  duldet.  Die  6e. 
meinde  als  Ganzes  konnte  sich,  datier  in  diesem  ihrem 
idealen  Umfange  als  den  Ort  betrachten,  wo  das  Heils« 
werk  geschehen  sei,  wenigrtsns  als  Glied  der  Gemeinde 
könnte  jeder  an  allen  Orten  der  Welt  sagen:  unter 
un|i  ist  das  Heibwerk  gesoliehen,  nämlieh  unter  uns  fan 
idealen  Gegensatse  gegen  die  Welt,  cBe  nichts  davon 
wuTste«  Fährt  nun  Hr.  Gfr.  (p.  47)  fort,  „dann  be^ 
seichnet  das  sweite  i^^Xv  (wie  tme  die  Augenaeugen  be- 
licluet  l^ben)  Palästina  eben  so  sicher  als  Vaterland 
der  Berichte"»  so  fehlt  an  der  Siclieeheit  dieses  Schlos- 
ses noch  sehr  viel  Auch  die  hebräische  Färbung  der 
synoptischen  Erangelien  (p.  49^  M)  kann^  ihren  Ur- 
sprung in  PaläsUna  nicht  beweisen/  Der  Unterschied 
ibnss  Vortragss  von  der  Daetion  z.^  B.  der  P^uMni-. 
sehen  Briefe  ist  nicht  um  das  geringste  grofser,  als  es 
bei  der  freieren  Bewegung  der  Lehre  und  dem  Ge- 
schichtsvortrage  natürlich  und  zu  erwarten  ist.  Die 
Lehrentwieklung  war  durch  sich  selbst  zur  Mannig-, 
faltigkeit  dialektischer  Wendungen  getrieben,  und  nur 


231  Ofrdrery   die 

90  weit  ab  diese  Wendungen  geben,  tritt  sie  am  dem* 
hebcMsehen  Tyfns  Jkeraus,  sonst  hat  sie  auch  noch 
dessen  Gepräge  an  sich;  der  Geschichtsif ortrag  aber, 
der  mehr  an  ein  Gegebenes  als  solijies  und  an  die  er- 
ste Fotm^  in  der  es  empfangen  wurde,  gekettet  ,ist, 
müfste  auch  noch  längere  Zeit  den  hebräischen  Typus 
an  sich  tragen. 

Die  ^rage  ist  nun:  aus  welchen  Quellen  schöpfte 
Lucas?  ,9 Aus  denselben  wie  seine  Vorgänger*'  (p«52). 
Denn  sagt  er,  r^ie  uns  'die  Augenzeugen  berichtet 
haben,"  so  gebe  er  damit  deutlich  genug  zu  verstehen, 
dals  „beiden,-  ihm  selbst  und  den  Yielen,'  die  Berichte 
der  Augenzeugen  gemeinschaftlich  seien/'  Zuletzt 
kommt  die  Sache  freilich  darauf  hinaus,  wenn  Lucas 
-  auch  nicht  in  dem  f^f/uv  nur  sich  und  die  Vielen  zusam» 
menfassen  will,  Tielmehr  mit  dem  „uns**  auf  das  Ganze 
der  Gemat^ide  zielt;  .zuletzt^  meinen  wir,  kommen  wir 
doch  «ttch  auf  die  Vielen, 'weil  diese  ja  als  Glieder 
der  Gemeinde  schrieben.  Also  Lucas  will  ^  sagen,  er 
habe  so  gut  die  Ueberlieferung  der  Augenzeugen  zur 
Quelle,  er  kenne  diese  so  gut,  wie  «die  Vielen  und 
„nicht  nur  durch  deren  Vermittelung''  (pl  59^,  sondern 
selbsiändig  will  er  Aus  der  gemeinsamen  Quelle  schu- 
l^fen«  In  welcher  Form  jaber  stand  ihm  diese  zuGe* 
böte,  war  die  Ueberlieferung  der  Augenzeugen  eine 
mündliche,  oder  fand  er  sie  schriftlich  vort  „Die  Be- 
richte -der  Augenzeugen,  auf  die  sich  Lucas  beruft, 
könnenr  nur  scArifilteAe  Urkunden  gewesen  sein*'  (p. 
&9).  Denn  Lucas  zeige  sich  überall  als  beschränkt 
durch  schriftliche  Quellen  und  von  ihnen  abhängig. 
Allein. diese  Abhängigkeit  kann  auch  anders  erklärt 
werden,  ja  sie  mufs  anders  gedacht  werden  r  Denn 
der  Gegensatz  der  schriftlichen  Anordnung,  welche  die 
Vielen  .versucht  haben,  und  4er  Ueberlieferung,  die  von 
den  Augenzeugen  herrührt,  hat  dpch  nur  einen  Sinn, 
wenn  4ie  letztere  mündlich  war  und  nur  in  dieser 
Form  dem  Lucas  ^u  Gebote  stand,  wie  sie  auch  den 
frülieren  JBearbeitern  .V4>rlag.  I>ie  Kunstarbeit  und  das 
schriftlieh,  abgeschossene  Werk  der  Vielen  kann  in 
diesem  Gegensatze,  nur  einem  frei  sich  ausbreitenden, 
noch  nicht  fiurten  und  unabänderlich  gestalteten  Stoffe, 
d.  h.  der  noch  flüssigen  'mundlichen  Ueberlieferung  ge- 


A  Ä  f  /  •  g^e    Sage* 

genüberstehen.    Stände  auf  beiden  Seiten  SduriAliiüies, 
so  hätte  Lucas  den  Untersehisd  oder  Gegensatz    tob 
beiden   bestimmt   angeben .  müssen.    Es  muCs  abo    die 
Ueberlieferung    der   Augenzeugen    als    mündliche    die 
Quelle  sein,  die  Lucas  benutzen  will,  so  gut  oder  Tiel- 
mehr besser  als  seine  Vorgänger,  die  Vielen.     Und  sie 
braucht  nicht  schriftlich  vorzuliegen,  weil  Lucas  _bri 
der  vorausgesetzten  späten  Abfassungszeit  seines  Wer- 
kes  sie  als  eife.ihm  per$onli€h  vugängUche  beseidhaeC» 
Denn  die  Worte:  wie  um  die  Augenzeugen  uberllefsif 
haben)  konnte  er  auch  dann  sagen,  wenn  deren  Ueber- 
lieferung  nicht    durch   persönlichen-  Verkehr    mit  ib- 
nen  zu  ihm  kaiQ:  debn  er  konnte  behaupten,   dals  sie 
ihm, 'so  nahe  stände  wie  seineo  Vorgängern,  den  Vie- 
len, wenn  sie  überhai^pt  in  der  Getneinde  lA>te,  aal 
als  ein  Glied  innerhalb  der  Gemeinde,  als  daem  im- 
wandelbarcn,  stets  mit  sich  identischen  Ganzen  spricbt 
er,  wenn  er  sagt:  wie  utu  die  Augel^eugen  übeiiie^ 
fort  haben.     Im  Besitze  dieser  Ueberlieferung   wiU  er 
nun  die  Bearbeitungen  der  Vielen  verbessern,  indem 
er  ein  vollständigeres,  zuverlässigeres  und  mehr  in  sick 
.zusammenhängendes  Werk  beabsichtigt.    An  der  noch 
lebendigen  Quelle  dar  Ueberlieferung  glaubt  er  ein  Cor« 
rectivmittel  für  die  früheren  Beari^eitungen  und  efaiea 
noch  nicht  vollständig  verarbeiteten  Stoff  zu  heakimu 
Aber  dieser  Schein  hält  nicht  aus.  In  der  Arbeit  selbst 
zeigt  sich  die  in  der  Ueberlieferung  vorhandene  Aus* 
sage  der  Augenzeugen  nur  als  ein  schwaches  Comple* 
ment  von  wenig  Gewalt,  Lucas  kann  seine  selbständige 
Stellung  den  Arbeiten  der  Vorgänger  gegenüber  nicht 
durchführen,  und  der  geschriebene  Stoff  derselben  ua* 
terwirft  ihn  sich  nur  zu  bald  und  macht  ihn  von  sicJi 
abhängig.  , 

Lassen  wir  nun  nach  dieser  Unterbrechung  Herrn 
Gfrörer  seinen  Weg  fortsetzen«  Die  Aussagen  der 
Augenzeugen  sind,  ihm  also  schriftliche.  „Von  den 
Diegesen  unterschieden  sie  sich  dadurch,  dafs  sie  nur 
ein$ietne  JErxäh/ungen  enthielten,  wählend  jene  (die 
Arbeiten  der  Vielen)  mehrere  Sagen  in  ein  Ganzes  tu« 
sammensiellten"  (p.  59).  Die  Aussagen  der  Augenzeu« 
gen  ,9gleic;jbien.  Täden,  die  Diegesen  einem  aus  Fäden 
TOrschlungeneu'  Gewebe*'  (Ebend.). 


(Die  FortsetzDDg  folgtO 


Jahrbücher 

für 

wissen  s  c  h  a  f  1 1  i  c  he    K  r  i  t  ik. 


Februar   1840. 


Die  heüige  Sage  durch  A.  Friedrt  Ofrörer. 
Erste  Äbtheilung'  Zweite  Abtheilung.  -  Dßß 
Ueiltgthum  und  die  Wahrheit  durch  A.  Fr. 
G fror  er. 

(FortseUuDg.) 

Aber  wie  viele  Fäden  mürste  es  da  gegeben  baben,  die 
rereinzelt  für  sich  gleichsam  iQ  der  Luft  umherflogen  1  Wo 
herkommen  auf  einmal  %o  yiele  Augenzeugen,  die  einzelne 
Zettel  schrieben,  ,,abgerbs2ne,. vereinzelte  Erzählungen" 
niederschrieben  I  Denn  viele  müssen  es  doch  getban  ha« 
faen,  da  jeder,  der  mehrere  Erzählungen  niederschreiben 
wollte,   sie  doch  verbunden  haben  würde.    Yiele,  sehr 
Tiele  müisten  solche  fliegende  Blätter  geschrieben  ha* 
ben,  mehr  als  jene  Sage  braucht,  die  das  apostolische 
Symbolun^   durch  die  Beiträge    der   einzelnen  Apostel 
entstehen  läfst    Und  was   für  ein  sonderbares,  unep- 
Idärliches  Bedürfnifs  mufste  es  gewesen  sein,  was  die 
für  jene  Hypothese  nöthige  Schaar  von  Augenzeugen 
dazu    trieb)    einzelne   Erzählungen,  niederzuschreiben, 
und  befriedigt  war,  wenn  ein  Faden  für  den  Zufall, 
der  ihn  hintragen  konnte,  wohin  er  wollte,  gesponnen 
war?    Welche  Betriebsamkeit,  solche  einzelne  Fäden 
zu  spinnen,  mäfste  in  jenem  Winkel  am  See  Geneza« 
reih  geherrscht  haben,  wenn  so  viele  Augenzeugen  je- 
der einzelne  Fäden  für  ^spätere  Bearbeiter,   denen  das 
Geschäft  des  Webens  vorbehalten  blieb,  drehten?    la 
Fabriken    geschieh^  dergleichen,   da  wird    die  Arbeit 
.ve^eilt,  aber  im  geistigen  Gebiete  der  geschichtlichen 
Erinnerung  ist  das  vereinzelte  Thun  unmöglich,  denn 
ein  Punkt  zieht  hier  sogleich  den  anderen  an,  verbin- 
det sich^  mit  ihm;  und  das  .Einzelne  sucht  sich  mit  ein- 
ander zu  einem  Ganzen  zu  verschmelzen.    Auch  nicht 
Eine  Erzählung  -  in  den  Evangelien ,  hat  das  Gepräge, 
daH)  sie  einmal  selbständig  für  sich  einen  Faden  bil- 
dete oder  auf  einem  einzelnen  Zettel  von  einem  Augen- 
teugeii  niedergeschrieben  sei,  keine  steht  isolirt  für  sieb 
Hhfh.  /,  vonitmcK  KrUik.   /.  1840.   I.  BS. 


da,  ohne  dafs  sie  von  d^  Beziehung  auf  andre  oder 
vielmehr  auf  einen  ganzen  Kreis  von  andren  durchdrun- 
gen wäre;  denn  sollten  wir  das  von  einer  sagen,  so 
müfsten  die  einzelnen  Züge  in  ihr.  Ort  und  Zeit  mit 
einer  Genauigkeit  und  Vollständigkeit  geschildert  sein, 
wie  -wir  es  nirgends  in  den  Evangelien  finden,  und 
Alles  mufste  so  nackt  \ind  prosaisch -scharf  dastehen, 
wie  es  in  keiner  evangelischen  Brzäjilung  der  Fall  ist 

„Ein  Thor,"  fährt  Hr.  Gfrorer  p.  60  fort,  „ist  der 
Geschichtschreiber,   welcher  Arbeiten  von  Vorgängern 
unberücksichtigt  läfst."    Lucas  handelte  nicht  so,  son- 
dern er  habe   auch  die  Bearbeitungen  der  Vielen«  ge- 
braucht.   Wir  können  das  nicht  in  Zweifel  ziehen,  da 
wir  es  vielmehr  oben  natürlich  fanden,  dafs  Lucas  von 
dem  geschriebenen  Stoff   der   früheren  Bearbeitungen 
der  evangelischen   Geschichte  abhängig  veurde.    Aber 
Hr.  Gfrorer  sollte  eigentlich  den  Evangelisten  stolz  an  . 
den  Diegesen  vorübergehen  lassen,  da  er  ihm  ja  die 
%chriftlichen  Aussagen  der  Augenzeugen  als  Stoff  für 
.seine  Arbeit  vorlegt.     Läfst  er  den^  Evangelisten  bei 
einem  schriftlichen  Correctivmittel  vergessen,  dafs  ihm 
die  Diegesen  nicht  genug  Sicherheit  zu'  haben  schie» 
nen,  so  mufs  er  das  ausgleichen  oder  vielmehr  begrün^ 
den,  indem  er  sagt,  dals  Lucas  nicht  blps  aa  der  Zu-  , 
saminenstellung   der   Vielen,    sondern   auch   an   ihren 
Quellen  und  den  seinigen,  an  jenen  ^Aussagen  der  Au- 
genzeugen  Sicherheit  vefmifste  (p.  $2).  Denn  die  Worte: 
„wie  die  Augenzeugen  überliefert  haben,*'  liefsen  ja  die 
Vielen .  als  ganz  abhängig  von  den  Quellen  erscheinen. 
Was  mufs  sich  der  unglückliche  Lucas  für  Qualen  ger 
fallen  lassen,''  weil  Hr.  Gfrorer  will;  der  will  nämlich 
bei  seinem  kritischen  Bestreben  dabin,  wo  eis  glaubli- 
cher scheint  (p.  64),  „dafs  die 'ursprünglichen  Berichte 
nicht  von  den  Augenzeugen  selbst  schriftlich  abgefafst 
seien,    sondern  erst  von  Späteren,    die  sie  aus  ihrem 
Munde  empfangen  haben  wollten,"  d.  h.  Hr.  Gfr.  will 
in  das  neunzehnte  Jahrhundert  und   zu  dessen  Ansich- 

30 


i35  GfrSr  er,    die 

ten  und  nun  SEieht  er  auch  mit  Gewalt  den  Evange- 
listen mit  sich  fort  Lucas  soll  nnn  auch  die  Zweifel 
des  Hrn.  Gfrorer  ge^en  -Zettel  hegen,  die>  wie  wir  sac 
hen,  unser  Kritilcer  selbst  erst  geschaffen  hat  Wohin 
sich  nun  Lucas  dreht  und  wendet,  bt  er  imglückUch 
genug  daran;  die  Diegesen  der  Vielen  hält  er  nicht 
fSr  genügend.  Denn  er  würde  sie  dem  Theophilus 
sonst  abschreiben  oder  einfach  schicken.  Die  Ueberlie- 
fenmg  der  Aogenseugen  *  darf  ^  er  auch  nicht  fOr  sieher 
halten.  Denn  so  wie  er  es  will»  beunruliigt  ihn  Hr. 
Gfrdrer  und  fidfst  er  ihm  Zweifel  gegen  sie  ein.  Aber 
dann  ist  die  Frage:  wie  kommt  denn  Lueus  daiu,  die 
Bearbeitungen  der  Vielen  nicht  far  so  hinlftnglich  £« 
halten,  daCs  er  nicht  auch  noch  eine  solche  su  versuchen 
brauche.  Er  mufs  doch  eine  Norm  zu  haben  glauben^ 
nach  welcher  er  die  Bearbeitungen  der  Vielen  so -weit 
KU  beurtheiien  Temkochte,  dafii  er  sehen  konnte,  hie  und 
da  fehle  es  Ihnen  noch  an  Selbständigkeit,  Begründung 
des  Binselnen  und  an  der  gehörigen  Verbindung  des^ 
selben.  Diene  Norm  {na^m^  nagddoaav)  hält  er  eben  für 
nnmittelbai^  gewifs^  et  nennt  sie  ja  die  Ueberlieferuhg 
der  Augenzeugen ,  uud  in  sie  wagt  er  keinen  Zweifel 
au  setcen.  Zwar  nennt  er  sie.  auch  die  4iuei/e,  aus 
der  seine  Forgänger  gesdiöpft  haben,  und  die  Norm 
ihrer  Arbeiten,  aber  meinte  er  nun  auch,  diese  seien  so 
abhängig  vou  dem  gegebenen  Stoffe,  dafs  sie  das  Von 
hand^ne  nur  uögeeehrieien  hätten^  so  würde  er  ja  sein 
Wörk  nicht  unternehmen  • 

Genug  aSer,  Hr;  GfrSrer  setst  Zweiiel  in  jene, 
•ehriftliche  Fäden,  und  nun  spricht  er  es  p.  67.  €8  aus^ 
dafs  sie  nicht  von  Augenxeugen  herrfih^en,  sondern  von 
der  Sage  gesponnen  seien«  Folg^iden  Procefs  habe  der 
Kern  der  evangelischen  Geschichte  durchmachen  mOs* 
aen,  bis  er  mannigfach  verändert  zu  Lucas'  gekommen 
eei.  .,,Laiige,  wohl  ein  volles  Menschenalter  mag  die 
Oeschiel^te  Jesu  blos  durch  das  Gedächtnifs  ver« 
breitet  worden  sein.''  Folge  davon:  „an  den  echten 
Kern  der  Erzählung  haben  sich  allmälig  erdichtete  Sagen 
angeschlossen.'*  Das  führte  zum  „Zweifel,"  der  Zweifel 
),Kttf  Aussonderung  dessen,  was  sicher,  d.h.  durch  Au* 
genseugen  beglaubigt  schien,  und  was  nicht  Die  sehrift« 
liehe  Abfassung  folgte  dieser  Auswahl  und  lieferte  In 
abgerissener  Form  vereinzelte  Ersählungen."  Nun  ka- 
men die  Diegesen  jener  Vielen  und  den  Stofl^  wie  'et 
In  den  beiden  letzten  Stadien  vorlag,  sichtete  und  eem* 
bintrte  Lucas  (p.  68.  69). 


heilige    Sage* 

Ein  Procefs  ist  das  nicht,  sondern  ein  "Wirliel,  bei 
dem  es  unbegreiflich  Ueibt,  wie  noch  jemand  die  Be« 
sinnung  behalten  und  den  Entschlufs  fassen  konnte, 
prüfen,  zu  sichten  und  das  sicher  Seheinende 
menzusetzen.     War  schon   die  erste  Zdt  so  sehr 
der  Sagendichtung  beschäftigt,  was  gebot  dem 
Halt?  Sein  „Anschwellen,^  wie  Hr.  Gfr.  andeutet  (p. 
)S8),  kann  diese  gebieterische  Kraft  doch  nicht  gehak 
haben,  'mufste  im  Oegentheil  die  Flntii  writer  tm4  hS- 
ber  treiben.    Der  Zweifel  meiste  in  der  Fluth  «ntisfa 
werden.    Und  welohe  Kriterien  sollte  man  gebranclMai 
^a  ein  volles  Bfensehenalter  verflossen  war,    alt  amn 
das  Ausgewählte  niederschrieb,  und  die  Augenzeugen 
nicht  mehr  zugänglich  waren,  wenigstens  nicht  in  je> 
nem  VTinkel  am  See  Genezareth,  wo  doch  der  ganst 
Pirocelj  geschah,  befragt  werden  konnten.    Und  ia  die» 
-sem  Meinen  Räume  „von  5-;-6'Quadratmeüen"  soll  jcns 
^«'iuUi  hin  und  her  gestrSmt  sein;  gewifsda  mulnte  d« 
.stärkste  Verstand  in  der  Höhe  der  Fluth  omgekoonam 
sein.    Das  merkwürdigste  ist  aber  die  Fenn,  in  wel» 
eher  Hr.  Gfrorer  den  Kern  der  evangelischen  Geschiehs 
durch  den   Strom   der   UeberUefernng    hindureligehea 
lädst,  er  habe  sich  nämUch  „in  einzelne  ahgerlaaene  £c^ 
siUungen  aufgeldst^**  diese  abgerissene  Geatidt  eei  ihm 
auch  in  der  Ueberlieferung  gebtieben,  obwohl  sich  doeil 
erdichtete  Sagen  ihm  angeschlossen  haben  sollen^  und 
selbst  in  der'  ersten  schriftlichen  Abfassung  fanben  db 
Erzählungen  diese  abgerissene  Form  „behalten."    Das 
Bild  jenes  5 — 6  Quadratmeilen  grofsen  Meeres  der  Sagt 
wird  dadttjßch  noch   abentheuerlicher«    Ein.Keaael,  bi 
dem  Brocken,  nichts  als  einzelne  Brocken,  dnreh  dnen» 
der  gewürfelt  werden !   Und  diese  Brocken  sollen  aidi 
qȊter  doch  zu  einem  Ganzen  vereinigt,  noch  mehr,  sie 
sollen  rieh  so  lange  erhalten  haben!   Das  Ist  vnmdg* 
Uefa !  Einzelne^  abgerissene  Anekdoten  sind  etnem  gans 
andren  Geschick  unterworfen ;    wenn  sich  die  Menge 
dnig'e  Zeit  an  ihnen  ergdtxt  hat,  treten  sie  in  den  Hin» 
tergrund  und  Verschwinden  bald  gänzlidi. 

Nun  das  Ende,  in  welehes  die  Hypothese  unseis 
Verfs.  ausläuft.  Die  Evangelien  des  Lucas  und  Mat* 
thius  sind  nach  seiner  Meianng  bald  nach  einandnr 
abgefaist,  nur  Jenes  etwas  früher  ab  das  letztere  und 
die  Zeit  ihrer  Abfassung  fäUt  in  den  Zeltraum  ewisehen 
den  Jahren  80 -«-90.  (p.  63>,  ungeEabr  dasselbe  heil  Sr 
II,  245).  Die  ersten  schriftliehen  Abfassungen  fallen 
80 — 40  Jahre  vor  der  Abfassung,  von  Lucas  Sefarfft 


G  f  r  8  r  e  ry    di  e. 

(heil.  S.  I,  70.  d.  H.  u.  d.  W.  p.  3$X  Fallen  sie  aber 
•e  nahe  an  die  Zeit  Jesu  seibat,  wie  wSre  dann  in  so 
kurzer  Zwisehenzeit  ein  Procefs  der  Sage  möglicb,  der 
«ich  durph  so  viele  Stadien  bewegt  haben  &oU.  Dies 
gefährliehe  Bedenlcen  scheint  es  su  sein,  was  Hrn.  Gfr. 
anderen  Sinnes  machte,  denn  p.  339  hat  er  jene  An« 
Bfthine  vergessen  und  nun  behauptet  er:  ,,8cbriflliohe 
Urlniqden  gab  es  erst  kwrx  vor  unseren  Evangelien." 
Aber  wie  im  ersten  Falle  für  die  Entwicklung  der  iS>«^e 
SIL  wenig  Zeit  blieb«  so  nun  für  jene  McArißUellerüeAe 
Virnltkätigkeit^  fUr  die  Verfertigung  der  schriftlichen 
Fäden  und  Gewebe,  welche  Lucas  voraussetzen  soll. 
.Nicbt  nur  hebt  die  eine  Annahme  die  andre  auf,  son« 
dena  auch  jede  für  sich  fallt  ^urch  ihre  innere  Un« 
mdglidikeit 

So  kann  die  Entstehung  des  I^ucasovangelium 
nieiit  aufgeiielh  werden.  Nur  noch  einen  Augenblick 
Geduld  und  wir  erhalten  von  Hm.  Gfrorer  das  un* 
wülkllrliehe  GestSndniis,  dab'  er  in  der  That  diese  Auf» 
Idteung  auch  nicht  gegeben  habe.  9,Bie  scbriftstelle» 
rische  Tbätigkeit  des  drillen  Evangelisten,^  sagt  er  p. 
362,  besohranke  sich  auf  das  U»/Me  jiSscAteiien  des 
V^rhmndeHe».^  ^jNur  die  Quellen,  die  Sagen,  welche 
ihm  vorlagen,  läfst  er  reden'*  p.  38L  Diese  Quellen 
aind  jene  schriftstellerischen  Fäden*  Nun  das  Unmdg« 
liehe  gesetEt,  dafs  sie  da  waren,  so  mu&ten  doch  die 

ef  »Keinen  abgerissenen  -  Ersahlungen  sich  mit  so  be* 

_  •    •  

sdurlEnktem  Gesichtskreise  nur  in  das  Detail  des  Eiiw 
«dnen  versenken,  dais  sie  jdas  Einselne  um  seiner  selbst 
willen  darstellten.  Im  Evangelium  seigt  sich  aber  eine 
si^ohQ  Art  der  Arbeit  nidit,   sondern  das  Einzelne  ist 
um  allgemeiner  Gesichtspunkte  willen  da  und  nur  ito 
weit  da,  als  es  von  diesen  beherrscht  wird  und  ihnen 
ümt.    Wie  ist  nun  Lucas  zu  diesen  allgememen  Oe% 
mejktepunkten  gekommen,  wie  hat.  er  nach  ihnen  das 
,  Eineeine  bearbeitet  und  angeordnet  t  Er  hat  nichts  von 
dem^  gethan,  er  ist  auch  ia  der  Anordnung  d49  Gan^ 
%en  ,^dltcren  Diegeten  gefolgt**  (Ebend.).    Aber  schon 
die  Mehrheit  der  Diegeten  und  ihre  D^erenxen  mula« 
Isn  ihn  doch  cur  Reflexion  und  zu,  einer  selbständigen 
Anordnung  bringen?     Auch  dieser  Meinung  ist  Herr 
GMrer  nidit«    Unter  Diegeten   vmrsteht  er  zunächst 
solche  Schnftsteller,  welche  die  früheren  abgerissenen 
Erzählungen  jeder  zu  besonderen  „Schichten''  verbun- 
den hatten.     Diese  Schichten   habe  Lucas  wieder  in 
Verbindung  gebracht.    Als  ob  .solche  einzelne  Urkun- 


he,il  i  ge   S  m  giB.  238 

den,  die  nur  einen  beschränkten  Theil  der  evangelischen 
Geschichte  darstellten,  irgendwie  möglich  seien.  Sollen 
in  einer  Urkunde  mehrere  Begebenheiten  unter  Einen 
Gesichtspunkt  gestellt  sein,  wäre  es  selbst  nur  der  äu« 
fseriicke  des  Orts,  so  verliert  sie  sogleich  den  Schein 
der  Selbstständigkeit,  die  ihr  zugeschrieben  wird;  ih« 
r^n  bestimmten  Gesichtspunkt  kann  sie  nur  fasseUf 
wenn  sie  ihn  gegen  andre  abgränzt,  zu  diesen  in  Besie* 
hung  setzt,  und  sie  kann  ihn  auch  nur  deutlich  me^ 
eben,  ,wenn  sie  gleichfalls  den  anderen  zu  seinem 
Hechte  kommen  läfst,  d.  h.  die  vorausgesetzte  be« 
schränkte  Urkunde  müfs  aufboren  beschränkt  zu  sein, 

• 

muls  über  ihre  Grmze  hinausgehen,  das  darüber  Hin» 
ausliegende  schildern  und  bo  Darstellung  des  Ganzen 
werden.  Lucas  konnte  also  solche  Urkunden  nicht  be« 
nutzen«  Nun  wellen  wir  den  letzten  Fall  setzen,  er 
habe  dergleichen  benutzt,  oder  vielmehr  „abgesehrie* 
ben*',  so  mubte  er  doch  die  unier  verseAüdenem  Oe* 
nehtspuni^en  verfaßten  Urkunden  in  Zusammenhang 
setzen  und  verbinden.  Bemerken  müssen  wir  noch  den 
andern  Fall,  der  hier  nothwendig  vorauszusetzen  wäre* 
Hat  nämlich  Lucas  nur  ubgeechrieben^  so  müfste  für 
jede  besondere  grdlsere  Parlhie  der  evangelischen  Ge* 
schichte  immer  nur  Eine  Urkunde  da  sein,  denn  meh« 
rere  der  Art  würden  doch  sehr  von  einander«  abgewi* 
eben  sein,  würden,  wenn  sie  auch  in  denselben  Ge* 
richtqiunkten  zusanunentrafen»  was  wieder  unerklärlich 
wäre,  in  der  Art,  wie  sie  Einzelnes  unter  eben  solchen 
Gesichtspunkt  stelUen,  sehr  verschieden  verfahren  ha* 
ben;  dergleichen  Differenzen  würden  aber  Lucas  zu 
sehr  beunruhigt  haben,  als  dals  er  sich  nur  auf  das 
Absdireiben  hätte  einlassen  können.  Aber  Hm«  .Gfr.. 
diesen  Fall  zugegeben,  da(s  für  jede  gröfsere  Parthie  ' 
der- evangelischen  Geschichte  immer  nur  Eine  Urkunde 
da  war^  hat  sie  'Lucas  zum  Ganzen  vereinigt!  Auch 
das  soll  %r  nicht  einmal  gethan  haben.  Denn  M^tliche 
aeiner  Vorgänger  hatten  auch  das  Ganze  der  evange« 
lisehen  Sage  bearbeitet^  d.  h.  in  Ordnung  und  Zusam-  ' 
menhang  gebracht"  p.  381.  Und  so  sehr  hat  er  sie 
abgeschrieben,  dafs  Verstoise,  die  man  bei  ihm  findet, 
nicht  ihm  zuzurechnen,  sondern  auf  Rechnung  seiner 
Vorgänger  zu  setzen  sind.  * 

Aber  (nun  zum  Schlüsse!)  hatte  Lukas  die  Arbeit 
tsn  mehrerer  Vorgänger  vor  sich,  die  das  Ganze  be^ 
reits  bearbeitet  hatten,  so  mufste  er  doch  unter  ihnen 
wieder  die  größten  Differenzen  in  der  Anordnung 


239  G  fr  S  r  0  Ty    die 

und  in  der  AuftassuDg  des  allgememen  Gesicfatspunk« 
tes  und  in  der  Burchföhrung  desselben  finden^  er 
konnte  mithin  doch  nicht  9,abschreiben",  er  mulste  sieh 
einen  neuen  Gesichtspunkt  bilden ;  aber  wie  sollte  er 
dazu  kommend  Oder  hatte  er  nicht  nur  Einen  Yor- 
gänger,  der  das  Ganze  umfafst  hatte,  so  mufste  er  sich, 
wenn  er  ,,abschreiben**  wollte,  für  Einen  unter  meh^ 
reren  entscheiden  »—  aber  wie  konnte  er  dafür  Gründe 
erschwingen,  falls  er  sich  nicht  dem  Zufall  überlassen 
find  blindlings  unter  den  mehreren  Vorgängern  wählen 
wollte«  Was  wir  aber  doch  ^  uns  und  zugleich  den  Lu<* 
cas  iju&lenl  Hr,  Gfr.  weifs  uns  und  zugleich  den 
Evangelisten  aus  aller  Unruhe  zu  ziehen.  „Lucas, 
sägt  er  p.  173,  und  Matthäus  Jbenutzten  eine  gemein* 
sehafOiche  Quelle''  (Dasselbe  p«  186,  212).  ZwM 
sprieht  hier  Hr.  Gfr.  zunächst  hur  voü  einer  einzelnen 
grofsem  Urkunde,  aber  wie  wir  sahl^n,  läfst  er  den 
Lucas  Diegeten  folgen,  die  das  Ganze  bereits  umfafst 
hatten;  wie  wäre  es  nun,  wenn  jene  einzelne  Urkunde 
dem  Lucas  nur  im  tVerke  eines  solchen  Diegeten  vor* 
lag.  Ja  so  ist  es!  sagt  doch  Hr.  Gfr.  p.  213:  Lucas 
hat  nicht  jene  Urkunde  Melbsty  die  auch  Matthäus  be« 
nutzt  hatte^  vor  sich  gehabt,  sondern  nur  in  der  Ge« 
statt,  XU  der  sie  einer  seiner ^ Vorgänger,  dessen  Zu* 
sämmenstellung  er  benutzte,  umgearbeitet  hatte.  Aus 
der  Bearbeitung  dieses  Yorgäugers  erklärt  sich  dann 
das  Eigenthümliche,  das  Lucas  gegen  Matthäus  hat. 
Kurz:  Lucas  hat  den  Lucas  vor  sich  gehabt,  Ztu* 
eu9  hat  den  Lueae  abgeMoArieben.  Hr.  Gfrörer  hat 
uns  nun  zwar  gesagt,  dafs  Lucas  die  Abschrift  einer 
früheren  Diegese  sei,  aber  wie  die^e  entstand,,  -wissen 
wir  nicht.  „Der  geschärfte  historische  Sinn,  diß  histo- 
rische Mathematik,  und  die  Logik  des  gesunden  Men- 
•chen\^erstandes"  haben  also  Hrn.  Gfriorer  so  wenig  über 
die  Irrtliümer  der  Gelehrten-Kaste  erheben .  können» 
dafs  er  nicht  nur  in  die  unglücklichsten  Widersprüche 
fällt,  sondern  auch  am  Ende  trotz  aller  prahlerischen 
Worte  die  Lösung  des  Räthsels  nicht  um  das  Gering* 
ste  fördere. 

Nun  wir  die  Gesammtansicht  des  Hrn.  Verfs.-  von 
der  Entstehung  der  evangelischen  Geschichtschreibung 
kenne  gele  rnt  haben,  dürfen  wir  im  Folgenden  kürzer 
sein  und  uns  nur  auf  eine  allgemeine  Charakteristik 
beschränken.    In  der  ersten  Abtheilung  wird  die  Zu^ 


heilige    Suge.  24C 

eammemetxung  des  Lueasevangeliam»  nach  der   Cr- 
klärung  der  Vorrede  im  Einzelnen  untersucht.     Hen 
Gfrörer  macht  es  nicht  so  mit  seinen  Vorgängei 
es  Lucas  gemacht  haben  soll,    der  eine    unbegrä 
Yerehrung  gegen  sie  gehegt  hahen  mufs,  sondern 
schmäht  sie:  so  kann  er  nicht  genug  beschrdben^ 
„widerlich"  ihm  das  Ich  Schleiermäehers  sei.  Das 
ere  kritische  Bewufstsein  nimmt  fr«lieh  einen  höhere» 
und  freieren  Standpunkt  ein,  als  deijenige  war,  asf 
dem  Schleiermaeher  in  seiner  Schrift  über  I^ueas  atste* 
Aber  wenn  Hr.  Gfr.  von  seinem  Vorgänger  sich  so 
nig  befriedigt  fühlt,  so  müfste  man  doch  gewiCs 
ten^  er  schlage  einen  ganz  anderen  VTeg  ein,  zumal  er 
selbst  das.  Neue  seiner  Arbeit  überall  zu  rühmen  weib* 
Und  was  thut  er  nun  Anderes,  als  dafs  er  ebenso  wie 
Schleiermaeher  die  S/mren  der  Urkunden  aufinicht, 
die   sich  Im  Lucasevangelium   noch    verratben.    Hwdi 
„fühlbaren  Enden  jind  Anfängen"  der   einzeincii  Be» 
richte  sucht  er  (p.  125),  um  danach  zu  bestimmen,  me 
viel  vom  Stoff  immer  einer  besondem  Quelle  angehöre. 
Also  ganz  das  Ake! 

Ein  Beispiel!  Das  erste  Capiteldcs  Lueaiera»! 
gelium  sei  „wörtlich'*'  aus  einer  „Denkschrift  über  das 
Leben  des  Täufers  eingerückt*'  (p.  103)»  „Der  Fert 
dieser  Denkschrift  stand  sogar  den  Begebenheiten^  di» 
er  beschrieb,  nicht  fern,  denn  die  Zeiten  von  fünf  ver« 
schiedenen  Uerrschem,  in  welche  er  das  Auftreten  des 
Täufers  verlege  (Luc.  3,  1.  2.  Diese  Zeitbestimmung 
vom  Auftreten  des  Johannes  ist  auch  noch  aus  jeder 
Urkunde  entnommen,.)»  treffen  auf's  Jahr  überein"  (p. 
105).  Ja,  das  zweite  Capitel  des  Lucasevangelium^  wel« 
ches  die  Geburt  des  Herrn  berichtet,  ist  9,naeh  dem 
Vorbilde  des  ersten  gearbeitet"  (p.  106).  Was  tu« 
nädist  die  Genauigkeit  der  Zeitangaben  betrifil,  so  wa* 
ren  doch  Tiberius,  Pontius  Pilatus^  Herodes,  Phalippus^ 
Hannas  und  Kaiphas  so  bekannte  Punkte,  sie  wareo 
gerade  durch  die  evangelische 'Geschichte  so  bekannt 
und  so  sehr  in  eine  Gruppe  gebracht  worden,  dafs  je«- 
der  Spätere  auch  ohne  alle  Gelehrsamkeit  sie  angeben 
konnte,  wenn  er  die  Zeit  vom  Auftreten  des  Täufers 
und,  wa?  hier  wichtig  ist,  damit  zugleich,  wie  es  doch 
die  Absicht  in  C.  3,,  1.  %  ist,  vom  Auftreten  des  Herm^ 
«eil  es  nicht  viel  später  falle,  angeben  wollte. 


tl>ie  Fortsetznsg  folgt.) 


w  1  s  is  e  n 


J^  31. 

Jahrbücher 

für 

schaftlich  e 


K  r  i  t  i  k, 


Februar   1840. 


m 


Die  heilige  Sage  durch  A.  Fr.  Ofrörer.    Er-- 
'    ete  Ahlheil.    Z/weite  Ahtheü:    Das  Heiligthum 

und  die  Wahrheit  durch  A.  Fr.  Ofrörer. 

• 

(Fortsetzung.) 

Sodann  sagt  swav  Hr.  Gfr,  „C.  1  enthalte  Berichtef 
4ie  ureprengUeh  nicht  £vm  Sagenkrebe  Jesu  gehörten" 
(p.  113),  aber  wenden  wir  nur  einige  Blätter  um,  so  wi- 
derlegt er  sich   (p.  104)  selbst,   wo  er  im  Gegentheil 
sagt,  9,jene  Denkschrift,  die  Luöas  seinem  Evangelium 
einverleibt,  sei  t^«i  christlichen  Standpunkte  aus  ge* 
arbeitet/'    Aber  da  mufste  aucli  das  Leben  des  Tau* 
fers  mit  dem  Leben  des  Herrn  in  Einheit  verarbeitet 
sein«    Gerade  das  sagt  aber  auch  Hr.  G  fröre/,  wenn 
er  (Ebend.)  fragt:  „warum  sollten  in  den  ersten  Chri- 
stengemeinden nicht  auch  über  Johannes,  den  man  als 
den  Vorläufer  allgemein  mit  dem  in  Jesu  erschienenen 
Messias  in  die  innigste  Yerbindung  brachte,  Sagen  um- 
gelaufen sein?"  Nun  das  heifst  ja  selbst  nichts  anderes, 
als:  Sagen  haben  sich  über  den  Täufer  nur  in  Ver* 
Inndung  $nit  der  Geschichte  des  Herrn  gebildet;  fer- 
ner :  Sagen  von  der  Kindheit  und  Geburt  des  Vorläu- 
fers haben  sich  nur  in  Yerbindung  mit  den  (also  bereits 
vorhandenen)  Sagen  von   der  Kindheit  des  Herrn  bil- 
den können.     Der  einzig  mögliche  Schlufs  ist  dann  aber 
nur  der,  dafs  im  Gegentheil  die  Sagon  von  der  Ankün- 
digung und  Geburt  des  untergeordneten  Yorläufers  nach 
dem  Vorbilde  der  Sagen  von.  der  Ankündigung  und  Ge- 
burt des  Herrn  gebildet  werden  konnten,   nicht  zu  er- 
mähnen, dals  dann  seihständige  Denkschriften  über 
(las  Leben  des  Täufers  ein  Unding  sind. 

.  Im  Verhältnils  zum  dritten  erklärt  Hr.  G frörer  das 
srnte  der  synoptischen  Evangelien  für  j^ünger  und  noch 
nielir  von  der  Sage  entstellt.  Sogleich  im  Eingange 
•einer  Kritik  des  ersten  Evangelium  sagt  Hr.  G frörer 
(d.  h.  S.  II,  7.),  der  Verfasser  desselben  „stehe  darin 
ui^teir  Lucas,  dafs  er  nicht  wie  dieser  blos  die  Quellen 

Uhrh.  f.  wu$enich,  Kritik.   J.  1840.     l.  Bd. 


sprechen  labt,  sondern  seine  eignen  Ansichten  in  die , 
Geschichte  ehinuscht/*  Unter  solchen  eignen  Ansicht 
ten  versteht  Hr.  G frörer  (p.  9.  80)  die  Anführung  von 
prophetischen  Aussprüchen  des  A.  T.  und  die  Verglei- 
chung  der  evangelischen  Geschichte  mit  ihnen.  Diese 
Vergleichung  als  solche  gehört  in  jedem  Falle  der  /tc' 
flexion  an  \  aber  wie  fängt'  es  denn  der  erste  Evange- 
list an,  dais  seine  Reflexion  gerade  als  die  Einmischung 
seiner  eigenen  Ansicht  in  die  Geschichte  erscheint  t 
„Auch  im  dritten  Evangelium,  sagt  Hr.  Gfrörer  (ebend.), 
werden  manchmal  Prophetenstellen  angeführt;  allein 
niemals  ist  es  der  Erzähler  selbst,  der  sie  eintfüscht, 
sondern  immer  sind  sie  den  in  der  Geschichte  handeln^^ 
den  Fersenen  in  den  Mund  gelegt."  Aber  da  folgt  ja 
gerade  das  Gegentheil  von  dem,  was  Hr.  Gfrörer  be. 
weisen  wollte ;  dimn  geht  der  dritte  Evangelist  im  Ein- 
mischen seiner  Reflexionen  weiter  als  der  erste  3  wäh- 
rend dieser  sie  noch  in  '  einfaclj^er  Keuschheit  als  die 
seinigen  vom  geschichtlichen  Stoff  unterscheidet,  hat 
sie  jener  mit  diesem  Stoffe  schon  assimilirt. 

'  Auf  einen  anderen  Beweis  für  das  jüngere  Alter 
des  ersten  Evangelium  hatte  Hr.  Gfrörer  schon  in  der 
ersten  Abtheilung  der  heiligen  Sage  (p.  332)  aufmerk* 
sam  gemacht.  Die  Fassung  der  Worte,  die  der  Herr 
bei  der  Vertheilung  des  Brodtes  und  Weines  während 
des  letzten  Mahles  zu  seinen  Jüngern  sprach,  sei  bei  . 
Lucas  ursprünglicher.  Besonders  wichtig  seien  hier 
die  Worte:  „das  thut  z^  n^einem  Gedächtnifs,"  in  de* 
ren  Anführung  Lucas  dem  Apostel  Paulus  folge.  Hätte 
der  Herr  aber  jene  Worte  wirklich  gesprochen,  so  wäre 
ihre  Unbestimmtheit  völlig  unerklärlich.  Denn  eine 
Wiederholung  des  Actes,  den  der  Herr  ^0  eben  beging^ 
wäre  mit^hnen  nicht  blos  empfohlen^  sondern  voraus^' 
gesetzt.  Sie.  lauten  nicht  so:  thut  (las,  was  ilir  mich 
jetzt  thun  seht,  wieder,  sondern:  wenn  und,  so  oft 
(öaaxfff  wie  es  bei  Paulus  genauer  heifst)  sie  es  thun 
würden,  sollten  sie  es  .zum  Gedächtnifs  des  Herrn  thun. 

31 


243  OfrSrer^die 

Aber,  wie  sollte  sich  der  Herr  dies  ^so  oft**  gedaciit 
habend  Soll  er  gemeint  haben^  so  oft  ihr  das  Pascha- 
mahl geniebtt  So  mürsten  die  Worte  verstanden  wep- 
deit*)  wenn  er  sie  gesprochen  hat;  selten  sie  anders 
nach  seiner  Absicht  verstanden  werden ,  so  mufste  er 
vorher  ausdrücklich  gesagt  haben ,  dafs  sie  überhaupt 
diesen  Act  öfter  begehen  sollten  und  zwar  auch  aufser 
der  Zeit  des  'Paschamahles«  Das  sagt  er  aber  nicht, 
sondern  die  öftere  Wiederholung  wird  als  gewib  und, 
um  es  mit  Einem  Worte  auszusprechen,  als  ^ehon 
wirkfieh  bewUhend  vorausgesetzt  Der  Herr  kann  da- 
her diese  Worte  unmöglich  gesprochen  haben.  Das- 
selbe  beweist  sich  auch  aus  demTheile  des  Zusatzes, 
der  den  Z^eck  der  Wiederholung  angiebt,  da(s  sie  zu 
seinem  Oedücktnifi  geschehefn  solle.  Die  Erinnerung 
an  den  Herrn,  vor  allem  an  seinen  Tod,  wie  es  auch 
Paulus  besonders  hervorhebt,  wäre  dann  der  Zweck  der 
wiederhohen  Handlung.  Hätte  nun  JeßU9  diese  Werte 
gesprochen,  so  wäre  jene  Erinnerung  der  einxige  Zweck 
der  wiederholten  Handlung.  In  den  anderen  Worten 
des  Herrn  wird  aber  ein  ganz  anderer,  ein  viel  weSent* 
lieberer  Zweck  angegeben,  der  Genufs  seines  Leibes 
und  seines  Blutes.  Wollte  der  Herr  unter  der  Vor- 
aussetzung dieses  tteseniliehen  Zweckes  die  ßf^$eder* 
holurtg  anempfehlen  und  gebieten,  so  hätte  er  es  mit 
anderen  Worten  thun  müssen,  mit  Worten,  welche  zu- 
gleich diesen  wesentlichen  Zweck  als  einen  solchen  be- 
zeichneten, der  immer  bei  jeder  Wiederholung  sich 
erfüllen  würde.  Jener  Zusatz  bei  Paulus  und  Lukas 
ist  daher  iron  einer  späteren  Absicht  zu  den  ursprüng- 
lichen Worten  des  Herrn  gebracht,  soll  die  Wiederho- 
.  lung  des  Mahles  gebieten,  setzt  sie  aber  voraus,  —  ein 
natürlicher  Widerspruch,  da  er  sich  nach  und  nach  in 
der  Gemeinde  bildete  und  festsetzte,  als  die  Feier  jenes 
Mahles  für  die  Gemeinde  eine  feste  Institution  geworden 
war.  Bei  Matthäus  dürfen  wir  daher  noch  die  ur- 
sprünglichere Form  jener  Worte  finden. 

'  Als  den  Hauptbeweis  für  den  späteren  Ursprung 
des  ersten  Evangelium  hebt  Hr.  Gfrörer  (h.  S.  II,  79) 
den  Umstand  hervor,  dafs  in  den  vom  Verf.  desselben 
„benutzten  Quellen  in  keiner  Beziehung  Einheit  herrsch- 
te." Die  Petrinische  und  Paulinische  Vorstellung  von 
^er  Geltung  dos  mosaischen  Gesetzes  ständen  in  jenem 
Evangelium  friedlich  neben  einander  und  „in  die  Au- 
gen springe  es,  dafs  geraume  Zeit  dazu  gehörte,  bis  so 
widerwärtige  Aussprüche  sich  unter  einander  versohn- 


AeiligeSage.  244 

len,*"  wie  %.  R  Matth.  S,  18.  und  o.  21,  14.  AHeu 
fafst  man  die  Sache  wie  Hr.'  Gfr.,  dab  In  der  eraCeii 
Stelle  (kein  Jota  vom  Gesetz  soll  vergehen)  der  Ssrts 
liege,  „das  Gesetz  Mose  sei  für  die  Gläubigen  TerlMiil> 
lieh  und  der  Heide,  der  Christ  werden  wolle )  masfs 
zuvor  Jude  sein,**  dars  hingegen  in  der  anderen  Stelle 
(das  Evangelium  wird  allen  Völkern  verkündigt 
den)  das  Ritualgesetz  ab  solches  gefafst  werde , 
auch  für  die  Yölker  verjährt  sei,  so  giebt  man  den 
gelischen  Sprüchen  eine  Bedeutung  und  Beziehiuig,  dii 
ihnen  fremd  ist.  Dort,  wo  auch  dem  Jota  des  6^ 
setzes  Unsterblichkeit  verbürgt  wird,  ist  gar  nidit  ast 
die  Folker  Rucksicht  genommen,  hier,  wo  das  Evan» 
gelium  auch  zu  den  Y^lkem  kommen  soll,  wird  gsr 
nichts  vem  Oe9et%e  gesagt  Und  wollte  jemand  den» 
noch  bei  jenem  Gegensatsd  bleiben,  den  Hr.  Gfrorar 
aufstellt,  so  könnte  ihm  der  mit  leichter  Mfthe  entss- 
gen  werden,  deim  wo  ist  denn  e.  24,  14.  od«r  28^  19. 
20.  auch  hur  mit  £inem  Worte  gesagt,  dafs  desi  Tül» 
kern  mit  dem  Evangelium  ni^ht  auch  das  Gesets,  «pcmi 
beides  wirklich  in  der  Art  zusammenhfingt,  wie  es  e. 
5, 18.  vorausgesetzt  werde,  gebracht  werden  aoU  t  Otm 
Wenn  e.  5,  18»,  was  doch  sogar  der  eigentlidie  Siaa 
des  Spruches  ist,  die  Bewahrung  des  Gesetzes  in  sei* 
ner  höheren  Auffassung  und  in  seiner  Aufhebunjf  ge* 
meint  ist,  kann  dann  nicht  den  Yölkem  mit  deaEFsn- 
gelium  das  Gesetz,  nur  so  wie  es  in  diesem  atffjgeka^ 
6en  istj  gebracht  werden! 

Aber  Hr.  Gfrörer  meint,  die  Unvergängliciikeit  des 
Jota  und  des  kleinsten  Theiles  vom  Gesetze  sei  c.  5| 
18.,  wenn  wir  so  sagen  darfen,  gleichsam  ab  die  Un* 
Sterblichkeit  dieses  empiriscAen^  indufidueUen  Jota  s« 
verstehen;  denn  c.  5,  17.  sage  ja  Jesus  ausdrueklickj 
meinet  nicht,  dafs  ich  gekommen  bin,  das  Gesets  attf«* 
sulösen.  Nun  sei  aber  später  erst  nach  dem  HinsGiiei» 
den  Jesu  clurch  den  Apostel  Paulus  die  Frage  aaeh  der 
Aufhebung  des  Gesetzes  in  Gang  gebracht,  gegen -die 
Lösung,  die  der  Ueidenapostel  gab,  seien  jene  W^ovte 
c.  6,  17,  gerichtet  und  „erst  geraume  Zeit  naeh  I^avll 
Hingange  können  siia  in  die  Eyangeliensage  eingeseUi^ 
eben  sein."  Und  das  sei  unter  anderen  aueh  einer  der 
Hauptbeweise  für  das  späte  Alter  der  synoptiseiMSi 
Evangelien.  „Bm  Johannes,  fügt  Hr.  Gfrörer  liinaa 
p.  86,  findet  sich  kein  Wort  über  die  Gültigkeit  oder 
Ungültigkeit  des  Gesetzes.''  An  einer  anderen  Stello 
ist  Hr.  Gfrörer  ein  ganz  anderer,  und  wir  brauchen  ihn 


^ 


245  Gfr  Ir  evy   die 

da  nur  sprechen  zu  lassen,  damit  er  sieh  selbst  wider# 
lege.  Das  U.  u.  die  W«  p.  42  sagt  HiT.  GfrSrer:  ^täX» 
diese  Vorurthetle  (des  gesetzlichen  Cukus)  griff  die 
neue  Lehre  in  der  Wurzel  an,"  und  swar  meint'  dies 
Hr.  Ofrörer  ;io,  dafs  noch  bei. Lebzeiten  Jesu  dieser 
Angriff  geschehen  sei  und  an  jenem  Kampf  auf  Leben 
und  Tod  führte,  der  den  Herrn  ani  Kreuz  brachte« 
Da  kann  Hr.  Gfrorer  die  Frage  nach  der  Gültigkeit 
des  gesetzlichen  Cultus  nicht  eine  solche  nennen^  „die 
bei  den  Lebzeiten  Jesu  gleichgültig  war"  (d.  h.  S.  11, 86)« 
Die  Sprüche  Jesu  über  die  Unverbtzliohkeit  des  SsIh 
bath^  über  das  Fasten  und 'die  Reinigkeitsgesetze  be^ 
weisen  doch,  dab  er  öfter  mit  dem  gesetzlichen  Cukus 
In  CelUsien  gerieth  und  wenn  er  gegen  jene  Statute 
die  Unendlichkeit  des  Innoren  als  das  Berechtigte  geU 
Send  nwchte,  so  konnte  er  wehl  gegen  manche,  die  den 
ProceCi  der  Aufhebung  luls  einen  solchen  sieh  dachten^ 
der  in  Bauseh  und  Bogen  abzumachen  wtLf  einwenden: 
g^taubet  nicht,  da(s  ich  gesonnen  sei,  das  Gesez  aufzu«» 
iSeen«  Sagt  Hr.  Gfr.  (ebend.),  jene  Frage  erhielt  erst 
lingere  Zeit  nach  dem  Hinscheiden  des  Herrn  prakti* 
sehe  Wichtigkeit)''  so  fordert  das  als  Gegensatz  niciit; 
daie  sie  bei  Iiebzeiten  Jesu  ^gleichgültig/'  sondern  erst 
in  den  theoretischen  Grundlinien  durchgeführt  war» 
während  die  apostolische  Gemeinde  sie  in  wdtgesciücht« 
licher  Allgemeinheit  zu  lüsen  hatte. 

Das  Marcosevangelium  betrachtet  Herr  Gfr*  als 
sehriftstellerische  Compilation  aus  dem  ersten  und  drit^ 
ten.  Bei  der  Kürze,  in  der  wir  uns  hier  halten  mos« 
sen^  ist. es  Befer.  nicht  erlaubt,  genauer  auf  die  Frage 
etnxugehea»  zumal  die  Untersuchung  durch  den  aulser* 
ordeollicben  Aufwand  ton  Scharfsinn,  den  ihr  Wilke 
gewidmet  hat,  eine  den  bisherigen  Ansichten  uo  ganz 
entgegengesetzte  Wendung  genommen  hat.  Befer.  be* 
merkt  nur,  dafs  Hr«  Gfrorer  selbst  seine  Ansieht  nicht 
Qr  genügend  hält,  den  Ursprung  jenes  Evangelium  zu 
erklären,  da  er  zu  dem  Zwecke  noch  annimmt,  dafs 
Marens  auch  das  Johannesevangelium  vor  sich  gehabt 
und  benuut  habe  <p.  187,  201). 

Wir  bemerkten  bereits«  dafs  Hr.  Gfr.  in  den  syn« 
epliadien  EvangelieUv  SagcHka/ees  sieht  Dies  Ele« 
SMal  verratbe  sich  aber  immer  dann,  wenn  ,,die  Juden 
sur  Zeit  Jesu  erwartet  haben,  der  Messias  werde,  wenn 
V.  komme^  gerade  Dies  und  Jenes  tliun,  was  in  einer 
svangelisehen  Erzählung  ab  wirklich  geschehen  berich<* 
tet  wurd**  (p.  277).    Schon  oft  und  mit  Recht  ist  be- 


heiligtSuge.  24« 

merkt  worden,  dafs  viele  Zuge  des  späteren  Messias* 
bildes  bei  den  Juden  durch  die  BerQlirung  mit ,  der 
christlichen  Gemefaide  eaUtanden  sind.  Die  Kritik  hat 
hier  noch  viel  zu  thun  oder  dgentlich  bisher  noch 
nichts  getliaQ.  Zu  verwundern  ist  das  nicht,  wenn 
man  sieht,  dab  sie  nicht  einmal  in  den  Evangelien 
eeltst  und  in  den  cl^istlicben  Schriftstellern  der  ersten 
Jahrhunderte^  wo  sie  sich  auf  jüdisohe  Erwartungen 
berufen,  ihr  Messer  angelegt  hat.  Wie  viele  Beeie« 
hungen  auf  jüdische  Anschauungen  sind  in  den  Evan* 
gelieu  aus  dem  reinen  Pragmaiismus  der  Beflexiem 
hervorgegangen  und  ohne  Grund  in  der  biblischen  Dog« 
matik  als  Zeugnisse  für  die  jüdische  Vorstellung  zur 
Zeit  Jesu  betrachtet  worden.  So  ist  der  ganze  Vor« 
stellungskreis  vom  Verhältnifs  des  Elia»  und  des  Mes* 
Sias  erst  später,  nachdem  das  Yerhältairs  des  Täufers 
zu  dem  Herrn  geschichtlich  vorlag,  ins  Detail  ausge« 
bildet  worden.  So  ist  die  .Frage  der  Jttnger  Matth.  17;|, 
10.  „was  sagen  also  nun  die  Scliriftgelehrten,  dab 
Elias  zuerst  kommen  musse,^  nichts  als  pragmaUsche 
Einleitung  für  die  folgende  Erklärung  des  Herrn,  daüi 
Elias  kn  Täufer  gekonunen  sei  Wenn  der  Jude  Try« 
phon  in  jenem  Dialoge  Mgt,  der  Messias  ist  unbe« 
kennt,  bis  Elias  kommt,, um  salbt  und  npopk^hip  avthv 
nSai  noifiep,  so  verrathen  selbst  die  Worte,  dals  sie 
erst  aus  der  evangeUscheil  Anschauung  her\'orgegan« 
gen  sind.  Denn  Joh.  1,  31.  sagt  der  Tiufer:  ich 
kannte  ihn  nicht,  aber  ha  ^ar«^»^^,  deshalb  kam  ich 
mit  der  Waasertaufe.  Nur  ist  das  Taufen  in  der  An» 
schauung,  auf  die  sich  jener  Dialog  bezieht,  ein  Salben 
genannt,  eine  Wendung,  in  die  sich  der  Verfasser  des 
Dialogs  nicht  finden  konnte.  Das  Sagenhafte  in  den 
Evangelien  soll  nicht  geläuguet  werden,  aber  man  be^ 
rufe  sich  nur  nicht  auf  Vorstellungen,  die  Produkte  ei^ 
nes  späteren  Pragmatismus  sind. 

Indem  Hr.  Gfrorer  zum  vierten  Evangelium  Ober« 
geht,  will  er  vorerst  zeigen,  da(s  Johannes  „ein  Mann 
von  ganz  anderem  Charakter  ist  als  die  Synoptiker, 
auch  auf  ganz  andere  Weise  erzäiilt  als  diese'*  p.  2BSL 
Ob  er  aber  besser  erzählt  als  die  Synoptiker,  ob  sein 
Charakter  geeigneter  ist,  die  geschichtliche  Erschei* 
nuiig  des  Herrn  wQrdig  zu  reproduciren,  das  ist  die 
Frage.  Hr.  Gfrorer  mufs  ja  selbst  (p.  320 ---333)  zu- 
geben,  dals  die  Reden  im  Jofaannesevangelium  vom 
Standpunkt  einer  späteren  Reflexion  aus  gemacht  sind, 
kann  es  denn  nun  den  so  ungeheuren  Vorzug  vor  den 


247  GfrSrer,    die 

synoptifchen  haben,  den  er  ihm  susohreiben  will,  giebt 
es  ihm  wirklich  die  WalBTen  in  die  Hand,  ^^mit  denen 
er  trotsig  vor  die  Gegner  hintreten  darf,  giebt  es  ihm 
Recht  eu  so  hohen  Worten,  mit  denen  er  deü  niTthi- 
sehen  Standpunkt  allein  schon  cu  vernichten  glaubt! 
Im  Yergleioh  mit  den  Synoptikern  mufs  doch  nach 
jenem  ZugeständniGi  der  Verf.  des  vierten  Evangelium 
weit  zurückstehen,  da  die  überwiegende  Masse  des  Re- 
destotTs,  den  jene  überliefern,  unverhältnifsmäbig  und 
über  alle  Yergleichung  hinaus  weniger  von  der  Refle- 
xion verändert  ist.  Doch  auch  aus  den  Reden  schon 
will  Hr.  Gfrdrer  beweisen,  dafs  Johannes  „aus  dem 
Gedäehtnifs"  (also  Selbstgehörtes  als  Augenzeuge  des 
Lebens  Jesu)  geschöpft  habe  (p.  298).  In  allem  aber, 
was  Hr.  Gfrdrer  beibringt,  siegen  entweder  die  Synop- 
tiker, oder  wenn  diese  einen  Ausspruch  in  eine  fremde 
Stellung  hin,eingezogen  haben,'  hat  es  Johannes  nicht 
weniger  gethan. 

So  beruft  sich  Hr.  Gfrörer  (p.  290)  auf  Job.  5,33 
ilgd. :  „ihr  schicktet  a;u  Johannes  und  er  xeugte  für  die 
Wahrheit,  Ich  aber  nehme  kein  Zeugnifs  von  Men- 
sehen, sondern  sage  dies  blos,  damit  ihr  gerettet  'wer* 
det.  Johannes  war  das  brennende  und  scheinende 
Licht,  ihr  aber  wolltet  euch  für  eine  kleine  Zeit  an 
seinem  Schimmer  ergötzen."  Welche  leere  Ostenta* 
tion  ist  esy  wenn  Jesus  sagen  soll,  nur  um  der  Leute 
willen  berufe  er  sich  auf  das  Zeugoifs  des  Johannes! 
Wie  anders  dagegen  spricht  Jesus  Matth.  II,  7 — 14 
von  der  prophetischen  Stellung  des  Täufers  und  von 
der  Att,  wie  sich  das  Volk  su  derselben  gestellt  habe. 

«Ufeid  will  man  ein  Beispiel  von  Verwirrung  ha* 
ben,  von'  einer  solchen,  wie  sie  bei  den  synoptischen 
Spruohhäufungen  Raum  findet,  welche  Verwirrung  ist 
es,  wenn  der  Spruch,  „wer  die  aufnimmt,  die  ich  aus» 
sende,  nimmt  mich  auf  bei  Johannes  in  den  Ziuam* 
menhang  C.  13,  12—20  gestellt  ist! 

Der  „Ehre,  Clios  Griffel  zu  fahren  und  ihr  Schü- 
let  zu  heifsen",  will  sich  Hr.  Gfr.  nun  vollends  Würdig 
machen,  wenn  er  der  historischen  Mathemajiik  als  Weg* 
weiserin  folgt  und  im  „Heiligthum''  die  Wahrheit  auf. 


h  e  iJ  i  g  e  S  0  g  e. 

worden''  (d.  Jahrb.  des  H.  p.  XXVI)  r-  aber  di< 
persönliche  Angelegenheit  entseheidet  nichts  für 
Allgemeine,  für  die  H^üsenseAa/t.  Das  fromme  d 
fühl,  mit  dem  Hr.  Gfr.  das  gottUche  Bild  im  Ciior 
Heiligthums  betraehtet,  wird  jeder  achten,  der  aufricifc 
tige  Frömmigkeit,  auch  wetm  sie,  wie  die  des  Heim 
Verfs.  mit  fanatischer  Einbildung  i|uf  „die  Metaphysik", 
auf  andere  Richtungen  gehässig  herabsieht,  su  adktca 
weifs.  Aber  bedenken  wir,  dafs  die  fromme  Erreguag 
an  jedem  beliebigen  Oegenetande  sich  erweeken  luun% 
so  werden  wir  Um.  Gfr.  nicht  zugeben  könneii»  daft 
von  seinen  „schwindelnden*  Gefahlen  auf  die  ^Hobe^ 
des  Gegenstandes,  der  sie  hervorruft  (d.  H.  u.  d.  IV. 
p.  106)  y  ein  nothwendiger  Schlufs  gesogen 
kann.  Auch  der  Rationalismus  kann  aus  dem 
Rest;  der  ihm  vom  objectiven  Inhalt  geblieben  ist, 
hinreichend  die  eubjective  FrömmigJkeit  beleben,  ün* 
bescbadet  aller  Achtung  vor  dem  persönlichen  GcüU 
des  Hrn.  Gfr.  ist  es  uns  daher  dennoch  in  wisaenaehaft» 
lieber  Hinsicht  erlaubt,  auf  das  JUi/werASiini/i  me^ 
merksam  su  madien,  welches  Ewischen  der  lieber^ 
schwengllchkeit  desselben  und  dem  geringen  Made 
nes  wirklichen  Gehalts  stauflndet.  Das  Bild,  vor 
Hr.  Gfr.  schwindelnd  steht,  bt  das  Bild  des  EriiSeen, 
der  das  politische  Element  der  jüdisch  «.messianisebea 
Erwartung  aufgab  und  der  CoUision,  welche  aim  swi* 
sehen  jener  Erwartung  und  seiner  freieren  etUttdien 
Auffassung  der  Messiasidee  enutand,  sich  freiwillig  bis 
zum  Tode  aufopferte.  Das  und  das  auch  nur  allcia 
ist  ja  aber  auch  die  rationalistische  Auffassung  von  Bn 
losungswerke  des  Herrn,  dafs  es  nur  in  dieser  meiali« 
sehen  Umwandlung  der  jüdischen  Vorstellung  bcstai- 
den  habe.  Die  „historische  Mathematik,"  die  Hr.  Gfr. 
mit  so  vielem  Pathos  ankündigte,  und  die  ihn  an  die- 
sem Ergebnifs  gebracht  hat,  ist  weder  neu  noch  hat 
sie  zu  einem  neuen  Ergebnifs  geführt,  sondern  der  alte 
Pragmatismus  des  rationalistischen  Standpunktes  iat  sic^ 
und  erscheint  sie  Hrn.  Gfr.  als  ein  neues  Instrument, 
die  Wahrfieit  zu  fangen,  so  hat  er  wie  der  Idiot  ge- 
handelt,  der  doch  auch  sich  einmal  seine  Meinung  bil* 


sucht.  Der  so  pomphaft  angekündigte  Fund  mag  Tür  ^  den  will,  dabei  nicht  weifs,  dafs  er  es  nur  im  ZusasH 
Hrn.  G frörer  persönlich  wichtig  geworden  sein,  das  im  menhange  und  in  der  Berührung  mit  einem  allgemein 
Chor  zum  Theil  enthüllte  Bild  mag  auf  ihn  besonders  verbreiteten  Vorsteüungskreise  thut,  und  nun  an  sei- 
eingewirkt haben,  ^  Hr.  Gfr^  sagt  „auf  dem  mühsa-  nem  Funde,  der  doch  nur  Altes  ist,  etwas  ganz  Neues 
men  Wege  historischer  Studien  sei  er  ein  Christ  ge-     zu  haben  meint. 

(Die  Forfsetzang  ifolgt.) 


w  1  IS  s  e  n 


-M  32. 

Jahrbücher 

für 

schaftli  c  h  e 


Februar  1840. 


Kritik 


MKe  heilige  Säge  durch  A.  Fr.  Ofrorer*  Er- 
ste Abtheit.  Zweite  Abtheil.  Das  Heiligthum 
und  die  Wahrheit  durah  A.  Fr.  Ofrörer. 

(Fortsetzung.) 

Do«h  etwas  Neues  hätte  Hr.  Gfrörer  wirklich  ent. 
deckt,  wenn  das  wahr  wäre,  was  er  im  Jahrhundert 
des  Heils  (2te  Abth.  p.  219 — 444)  zu  beweisen  sucht, 
daTs  nämlich    sur  Zeit  Jesu  mer  Formen   der  Lehre 
Tom  Messias  geherrscht  hätten^   die  nach  dem  ,,gemein 
|Mrpphetisefaen  Vorbilde,"  nach  dem  „mosaischen,"  nach 
dem  „danielischen,"  und  nach  dem  „mystisch -mosai- 
schen Vorbilde**  gestaltet  waren.    Hier  allein  liegt  auch 
4er-  Punkt,,   wo    die    „Vorhalle*'    (das    Jahrhundert 
(|es  Heils)  mit  dem  rfiowoT  (den  übrigen  drei  Bänden) 
.  ia-  Zusammenhang  steht.    Versprach  Hr.  Gfrorer  die 
grofsartigsten  Entdeckungen ,  wenn  er  sich  vornahm, 
die  Clehurtsstätte  des  Christenthums  aufzusuchen,  wenn 
er  eine  Geschichte,  ja  eine  „kritische  Geschichte  des 
Urchristenthums"  geben  wollte,    so  mufste  man  doch 
wenigstens  erwarten,  dafs  er  das  geistige  System  der 
.  fUdiseAen  Welt^  wie  er  es  im  Jahrhundert  des  Heils 
eiitwl(4i:elt  hatte  >   mochte   er  es  auch  irrig  genug  aus 
Docuraenten  selbst  des  Mittelalters  herausziehen,  wirk- 
lich als  Gebnrtsstätte  des  Christenthums  fassen  upd  das 
Sand,  das  die  Mutter  mit  dem  Kinde  verknüpft,  überall 
aufsuchen  würde.    Nichts  von  alle  dem  hat  er  gethaa: 
die  Vorballe  steht  völlig  isolirt  da,  und  statt  zum  Dom 
zu. fuhren,  ist  sie  ein  müfsiges  Werk,  das   zu  nichts 
anderem  dient,  als  jiur  zum  Ruhme  des  Erbauers,   des 
Verfassers,  der  „das  Jahrhundert  des  Heils"  geschrie- 
ben, hinzuführen.    Das  Einzige,  dessen  sich  Hr.  Gfro- 
.   xer  aus  der  Zeit,  da  er  noch  in  der  Vorhalle  wandelte, 
erinnert,  ist  der  Unterschiedjener  vier  Formen  des  Mos- 
ftias^aubens  und  nun  hehauj^tet   er:   Jesus  habe  sich 
ii.ur  an  das  mosaische  Vorbild  geh$Iten,  nach  welchem 
(Deut.  XVlil,  15.)  der  Gesalbte  vorzugsweise  Lelnrer, 
Jahrb.  f.  vfUnnzeh.  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd. 


Prophet,  Religionsstifter  sei  (A.  H.  u.  d.  W.  p.  31). 
Schade  ist  es  aber,  dafs  diese  Entdeckung  des  Hm. 
Gfr.  an  allen  Seiten,  die  bie  nur  der  Betrachtung  dar- 
bietet, sich  als  Fehlgriff  zeigt.  Zuerst  den  Unterschied 
jener  Vorbilder  mufs  Hr.  Gfr.  selbst  aufhebe^,  wenn 
er  sagt:  „so  verschieden  sie  lauten,  haben  sie  einen 
gemeinschaftlichen  Kern  in  dem  polnischen  Wahne, 
dafs  Israel  zur  herrschenden  Nation  erhoben  werden 
soll"  (d.  H.  u.  d.  W.,p.  13).  Femer:  „in  den  alten 
jüdischen  Urkunden,  so  wie  auch  im  N.  T.  sind,  viele 
Züge,  welche  verschiedenen  Sprossen  des  Messiasbe- 
griffs angehören,  bunt  durch  einander  gemischt;  aus  allen 
Haupfquellen  konnte  ich  für  jedes  der  vier  Vorbilder 
Beweisstellen  entnehmen'*  (d.  Jahrh.  des  HeUs  II,  p.  438). . 
Wenn  Hr.  Gfrorer  alte  Urkunden  erwähnt,  so  versteht 
er  darunter  grofsentheils  solche,  die  lange  nach  der 
Zeit  Christi  bis  xum  Ende  des  Mittelalters  verfertigt 
sind.  Wir  können  ihm  aber  ältere  Urkunden  nen- 
nen, in  denen  gleichfalls  die  verschiedensten  Anschau- 
ungen vom  Messias  dicht  zusammenstehen;  es  sind  die 
prophetnchen  Schriften  des  A.  T.  Ein  und  derselbe 
Prophet,  wie  z.  B.  Micha,  oder  Jesaias  feiern  den  Mes- 
sias oft  in  Einem  Athem  als  Lehrer,  als  Herrscher,  als 
kriegerischen  Helden,  und  als  Persönlichkeit,  die  mit 
Jehova  in  wesentlicher  Einheit  stehe.  So  wenig  wir 
schliefsen  dürfen,  dafs  uiiter  den  Propheten  verseAie' 
dene  TAeorieen  über  das  Wesen  des  Messias  herrsch- 
ten (der  Messias  als  dieser  Refiexionsbegriff  y9W  noch 
nicht  einmal  Gegenstand  ihres  Beumfstseins  gewor- 
den), so  wenig  dürfen  wir  das  von  den  späteren  jüdi- 
schen Urkunden  sagen.  Verschiedene  Theoiieen  ver- 
theilen  sich  an  gesonderte  Sehulen,  von  denen  wir  in 
Bezug  auf  den  Messiasglauben  selbst  bei  den  späteren 
Juden,  auf  deren  Urkunden  sich  Hr.  Gfr.  beruft,  nichts 
hören.  Jene  verschiedenen  Anschauungen  stehen  noch 
unbefangen  über  ihren  Widerspruch  neben  einander 
und  wurden  gleicfamä£sig  von   dem  Bewufstsein  festge- 

32 


251  'Gfr9rer^di$ 

halten,  weil  dem  judischen  Lebentk^eise  vor  und  nach 
der  Zeit  Christi  das  geistige  unendliche  Ptinc^  fehlte, 
welches  das  Getrennte  allein  hätte  auch  nur  zusammen- 
bringen,  geschweige  denn  vereinigen  und  von  seiner 
Unwahrheit,  das  es  in  der  Trennung  hat,  befreien  k9n- 
neu.  Jesus*  konnte  nicht  unter  verschiedenen  messia* 
nischen  Vorbildern  wühlen ,  denn  sie  waren  nicht  ge* 
trennt;  und  er  brauchte  nicht  aus  dem  Yerwirrten  Ein 
,  YX^xskRVii  .herausxusuchen^  weil  er  in  der  Unendlichkeit 
ieines  Selbstbewurstseins  unmittelbar  den  wesentlichen 
Gehalt  und  sügleich  die  Kraft  besafs,  welche  das  in 
der  Yolkserwartung  Getrennte  verband  und  das  in  der 
Trennung  Irrende  zur  Wahrheit  erhob« 

Wenn  wir  der  Hypothese  des  Hm.  Gfrdrer  von 
den  verschiedenen  Zweigen   des  Messiasglaubens  bild^ 
Kch  Füfse,  wenn  es  auch  nur  schwache  sein  konnten, 
zuschreiben  dürften,  so  steht  sie  mit  dem  Einen  ^—  auf 
dem  ist  sie  aber  gefallen  —  in  jenen  „alten"  jüdischen 
Urkunden,  mit  dem  andren   im  N..  T.  namentlich  im 
Evangelium  Jobannis.    Aber  auch  da  fällt  sie.    „Johan- 
nes, sagt  Hr.  Gfr.  (d.  H.  u.  d.  W.  p.  32),  erkennt  ei- 
nen Unterschied  an  zwischen  dem  Propheten  und  dem 
Gesalbten"  d.  h.  zwischen  dem  Messias  des  mosaischen 
und  des  prophetischen  Vorbildes.    Denn  der  Täufer  ant- 
worte der  Deputation  der  Priesterschaft,  c.  1,  19  flgd., 
er  sei  weder  der  Gesalbte   noch  Elias,   nobh  der  Pro- 
phet.   Dann  berichte  er  von  eitlem  Zwiespalt  unter  dem 
.Volke,  von  denen  einige  Jesum  für  den  Propheten  (nach 
dem  mosaischen  Vorbilde)  andre  für  den  Gesalbten  hiel- 
ten, b.  7,  40.  41.    Da  nun  jene  sagen:  er  ist  wirklich, 
in  Wahrheit  (aXi^^cS^)  der  Prophet,   so  sei  klar,   „dafs 
Jesus  selbst  darauf  hingewirkt  habe,  für  den  Propheten 
gehalten  .zu  werden"  (Ebend.).    Ueber  den  Pragmatis- 
mus, der  sich  nicht  auf  Facta  ^  sondern  selbst  wieder 
nur   auf  einen    nur   subjectiven   Pragmatismus  stützt! 
Denn  weder  Jene  Antwort  des  Täufers  an  die  priester- 
liche  Gesandtschaft,  noch  dieser  Zwiespalt  der  Volks« 
nieinung  in  der  Form,  die* sie  hier  Im  Evangelium  hat, 
ist  ein  Factum,  ist  nur  gemachter  Pragmatismus.    Was 
jene  Gesandstchaft  an  den  Täufer  betriilt,  wie  kann  sie 
ihn  fragen,   ob  er  der  Messias  sei,   da   sie  an  ihn  nur 
abgeschickt  werden  konnte,  als  er  bereits  längere  Zeit 
gewirkt  hatte,  und  sie  dann  auch  wissen   mufste,   dafs 
es  ihm  nie  eingefallen  war ,  für  den  Messias  gehalten 
werden  zu  wollen.    Wie  kann  sie  den  Täufer  fragen, 
ob  er  der  Elias  sei,  da  erst  der  Herr  den  Täufer  mit 


heilige    Soge. 

dem  BUas  der  Yeriieirsung  In  Beziehung  gebradiC  hatfi 
und  den*  Gedanken,  er  sei  der  Elias,   als  einen  neiiea 
-in  ihm  erst  aufgestiegenen  bezrichnete,  wenn  er  sagtet 
es  bt  so^  wenn  ihr  so  annehmet  wollt.     Wie  kann, 
wenn  sich  uns  nun  zeigt,  dais  das  Alles  vom  apifcra 
Standpunkt  des  Evangelisten  gemacht  ist,  der  Taufar 
verneinen,  dafs  er  der  Elias  seit  So  kann  er   es  ihick 
nicht  verneinen,  dafs  er  meint,  die  Priester  yerstindtt 
die  Weissagung  des  Maleacbi,  wiä  man  es  za 
beliebt,  „fleischlich,^  denn  sagt  er  Mos :  nein !  so 
er  ja  die  Priester  in  ihrer  fleischlichen  ErwsrCaog,  sv 
dafs  sie  sich  dann  auf  weitere  Zeit  vertrösten  maCrtea. 
Wenn  alles  dies  nicht  geschichtlich  sein  kann,  dann 
soll  noch  die  Frage ,   ob  der  Täufer  der  Prophet  s4 
geschichtlich  seini   Nein!    der  Evangelift  kfisrfite  dk 
möglichen  Formen  Jer  Erwartung,  auch  selbstgebildclc^ 
zusammen,  um  sie  der  priesterlichen  Gesandtschaft,  ia 
den  Mund  zu  legen,  um  zu  zeigen,  dafs  die  alte  Pm^ 
sterweisheit,  das  Abgestorbene  in  das  Neue  sich  niekl 
finden  konnte,  und  dafs  das  Neue,  wie  es  nun  der  Tis- 
fer  thut,  nachdem   sich   der  "Verstand  der  Priester  c^ 
schöpft  hat,  sich  durch  seine  eigene  Kraft  ankflnd^ 
Und  was  jenen  Zwiespalt  der  Volksmeinung  be^ 
trifft,  so  wird  er  als  solcher  insofern  geschichtlieh  sih% 
als  das  Volk  sich  nicht  in  Jesum  imtaer  iinden  konnte^ 
dafs  sich  verschiedene  Ansicliten  über  die  Bedeutung 
des  Herrn  bildeten,    aber  wie   der  Evangelist   dieses 
Zwiespalt  nun  darstellt,   darin  ist  er  nicht   gl&eklioh. 
Er  giebt  uns  nicht  einmal    die  geringste  Vorstellung 
darüber,    was  denn  der   eine  Theil  des  Tolks  nstet 
„dem  Propheten"  sich  dachte.     Natürlich!   der  Evan- 
gelist weifs  selbst  nicht  sich  darüber  Rechenschaft  si 
geben,   wie  die   Volkspartheien  in  ihrer  Ansicht  tffdi 
unterschieden,  er  will  nur  einen  Untersehied   ongebei 
und    greift    dabei  entweder   ins  Unbesitimmte   oder  fai 
den  Schatz   seiner   Reflexion  auf   verschiedene  W^eis» 
sagungen  des  A.  T.    Dafs  er,   der  Evangelbt^  selb« 
es  sei,   der  von  seinem  späteren  Standpunkt  spreche^ 
wenn  Philippus  2u  Nathanael  sagt  c.  1,  46.:  der,   tos 
dem  Moses  geschrieben  hat  und  die  Propheten,  giebt 
ja  Hr.  Gfrdrer  selber  zu  (p.  33).    Und  mit  Recht,  deim 
dies  vergleichende  Bewurstsein,  das  sich  zwischen  dem 
A.  T.  und  der  Persönlichkeit  des  Herrn  bewegte,  b9> 
dete  sich  erst  nach  dem  Hinscheiden  Jesu.    Hat  hier 
der  Evangelist  pragmatisirt,  warum  an  jenen  SteHen 
auf  einmal  nicht? 


208  OfrUrer^    die 

J[>ie  UntersttheidvBK  der  Tkeorieen  über  den  Me«« 
iia»  giebt  Hr.  Gfrdrer  seihst  auf,  wean  er  sagt:  ,ybei 
wekem  die   überwiegende  Mehrsab)  des  israeUtischen 
Volks  war^  dem  f  rophetiscben  Begriff  des  Messias  su« 
gedian"  (p.  35)«    Nun  entsteht  folgende  ColUsion:  Je- 
sus woUte  für  den  Propheten  des  mosaisehen  Vorbildes 
gebaltein  sein,  mubte  sich  deshalb  eigentlicli  gegen  das 
prpphetische  Vorbild  erklären,    durfte  es   aber  nicht, 
weil  0s,  die  „Nationalmeinung*'  beherrschte.   Diese  Col- 
Usion habe  der  Herr  zwar  zum  Gegenstand  seiner  Re- 
flexion gemacht :  aber  „ohne  (nämlich  vor  dem-  Volke» 
Sffentlidi)    die  Frage  zu  berühren,   ob  die  Propheten 
gegen  dien  Wortsinn  gedeutet  werden  müssen,  oder  ob 
sie  die  ToDie  Wahrheit  nicht  geschaut,  sucht  Christus 
jene  aUgemein  verbreiteten  Begriffe  von  ewiger  Herr- 
schaft,  Himmelreieh,  Gericht,  künftiger  Welt  zu  ver- 
geistigen, damit  ihnen  der  politische  Stachel  genommen 
würde"  (p.  46).   Findet  sich  nun  im  Evangelium  neben 
jener  „vergeistigten   Umdeutung    des  Messiasbegriffs" 
zugleich  „die  volksthumliche  Ansicht"  (z.  B.  C.  5,  25, 
s^^Tffi  ä(fa,  ete.),~  so  k5nne  dies  Nebeneinander  beider 
Seiten  und  das  Schwanken  zwischen  ihnen  in  Jesus 
nicht  stattgefunden  haben;  denn  „wer   die  Volksmei- 
nungen so  vergeistigt,  kann  nicht  zugleich  ihr  Sklave 
seni"  (p.  56),  „ewiges    Leben    im    mystischen  Sinne 
und  Auferstehung  des  Fleisches  scldiefsen  sich  aus." 
Jesus  könne  daher  als  Urheber  der  geistigen  Anschau-, 
ung  nicht  der  Volksansicht  zugleich  gefolgt  sein,  son- 
dern Johannes  habe  deren  Bestimmungen   aus  seinem 
eigenen  Vorri^the  beigerügt"  (p.  58).     Aber  ein  Jün«. 
ger,  der  sich  so  vortheilhaft  von  den  Synoptikern  un- 
terscheiden soll,  dafs  er  fast  durchgehends  die  geistige 
Anschauung  seines  Meisters  rein  wiedergiebt,  der  hätte 
doch  auch  nicht   wieder  der  Sklave  der  Volksausicht 
werden  können.    Und  wie  hätte  der  gerühmte  Evan- 
gelist überliaupt  etwas  von  jener  Anschauung  seines 
Meislers  und  zumal  so  sehr  viel,  als  er  uns  giebt,  wis- 
sen können,  wenn  der  Herr  in*  einer  so  ängstlichen  und 
peinlichen  Stellung  sich  befand,  dals  er  „nicht  einmal 
seinen  vertrautesten  Jüngern  sich  ganz  enthüllen,  noch 
ÜB  Vorurtheile  derselben  mit  der  Wurzel  ausreifsen 
durfte,,  weil  er  sonst  Gefahr  lief,   zugleich  das  Band 
zwischen  ihm  und  ihnen  zu  zerreifsen''  (p.  72).    Ja, 
wie  konnte  der  Evangelist  auch   nur   etwas    von  der 
geistigen  Anschauung  seines  Meisters  wissen,  wenn  die- 
ser sogar  erst  nur  am  Ende  seiner  irdischen  Wirksam- 


keilige    Sage.  '254 

keit  die  Jünger  wegen  ihres  „Wahnes  von  einem  irdi- 
schen Himmdreich"  blos  nicht  „ungewamt"  liefe  (p« 
73),  wenn  er  ihnen  nur  einen.  Wink  gab,  „dab  ihre 
Auffassung  seines  Berufs  nicht  die  wahre  sei".  Sagt 
der  Herr  in  seiner  Abschiedsrede  zu  den  Jüngern  C^ 
16,  12:  ich  hätte  euch  noch  vieles  zu  sagen,  aber  ihr 
könnt  es  jetzt  nicht  ertragen,  dann  haben  sie  es  auch 
vorher  nicht  ertragen  und  er  hat  ihnen  vorher  auch 
nicht  jene  geistige  Anschauung  mittheilen  können  $  sagt 
femer  der  Herr  C.  16,  25,  in  der  Zukunft  erst  würde 
er  zu  ihnen  (durch  den  Paraklet)  nicht  mehr  in-BU^ 
dem  reden,  so  hat  er  ki$her  in  Bildem  zu  ilinen  ge», 
sprechen,  ihnen  also  nicht  die  reine  geistige  Anschan- 
ung  seines  Werkes  mitgetkeilt.  Doch  was  halten  wir 
noch  lange  diese  Sprache  Hrn.  Gfrörer  entgegen,  was 
fragen  wir  noch,  wie  die  Apostel,  wenn  sie  „ihren 
Meister  in  sehr  wesentlichen  Punkten  nicht  ve^tanden 
hatten"  (p.  74),  nachher  wie  der  vierte  Evangelist  so 
fast  durchgängig  rein  die  geistigen  Anschauungen  des 
Herrn  wiedergeben  konnte.  Hr.  Gfr.  fragt  (ebendas»), 
wer  es  sich  wohl  einreden  lassen  werde,  dafa  jene 
f^achricht  (von  dem  früheren  Nichtversteben  der  Apo« 
stel),  die  doch  die  Ehre  der  Apostel  und  in  gewisser  Bof  . 
Ziehung  auch  die  Christi  so  sehr  gefährde,  später  erdichtet 
sei.  Erdichtet  ist  sie  nicht,-  sondern  unwillkürlich  ge- 
macht und  zwar  gemacht  von  dem  Standpunkt  aus,  auf 
welchem  die  Lebensworte.  des  Herrn  ihre  unendliche 
Fülle  zu  entwickeln  begannen.  Da  erschienen  die 
Junger  als  solche,  die  vorher  noeh  nicht  das  wahre 
Verständnifs  erreicht  hatten;  liit  dadurch  ihre  Ehre 
Sctiaden,  das  kümmerte  sie  nicht,  da  in  demselben  Ma* 
fse  nun  die  hohe,  Weisheit  Cinristi.  sieb  hervorhob  $  mOs* 
sen  wir  zwar  sagen,  dafs  damit  auf  die  Lehrweisheit 
des  Herm^  der  sich  bis  zu  seinem  Tode  vergeblich 
mit  der  Beschränktheit  der  Junger  abgemüht  habe,  ein 
ungunstiges  Licht  fällt,  so  merkte  man  das  nicht,  wenn 
nur  der  Gegensatz  s dieser  Beschränktheit  und  der  un* 
ergründlichen  Weisheit  des  Herrn  für  die  Anschauung 
gegeben  war.  Jene  Worte:  ihr  könnt  es  noch  nicht 
ertragen  und  künftig  verde  ich  nicht  mehr  in  Bildern 
zu  euch  reden,  sind  aber  nicht  ein  blolser  gemachter 
Pragmatismus,  sondern  etwas  geschichtlich  *  Richtiges 
liegt  ihnen  zu  Grunde,  die  Erinnerung  nämlich,  dals 
jene  systematische,  speculative  Betrachtung  des  Him- 
melreichs oder  des  ewigen  Lebens  erst  später  im  apo- 
stolischen Be wulstsein  sich  gebildet  habe.    Die  Reden 


255  ö/r  S  r  er,     dia 

Jefla  hn  vierten  Evangelium  sind  nur  die  systemati- 
sche Yerarbeitung  und  Durchführung  einsetner  schla- 
gender Aussprüche  des  Herrn  und  durch  diese  Ti&diH 
rie  —  eine  Theorie  können  wir  dem  Herrn  iiicht  sn- 
schreibcn  —  brechen  nicht  die  jüdiscfh- beschränkten 
Vorstellungen  des  Evangelisten  durch,  sondern  ver- 
einzelte Brinnerungen  der  ursprünglichen  Anschauung 
A^  Berrn^  die  in  ihrer  Totalität  von  den  Synoptikern 
bewahrt  ist*  Jene  Collision,  die  den  Herrn  in  eine  so 
peinliche  Lage  gebracht  haben  soll,  war  für  seine  Re- 
iIe;Lion  nicht  gesetzt.  Der  Widerspruch  war  nur  an 
sich  und  völlig  unbefangen  da  und  bestand  darin,  dafs 
der  Herr  in.  seiner  Person  und  stillen  Wirksamkeit  die 
Erfüllung  der  prophetischen  Anschauungen  sah  und 
gesehen  gissen  wollte.  Gelöst  war  er  unmittelbar 
darin,  dafs  die  Beschränktheit  des  prophetischen  Yor- 
•  bildes  in  der  Gegenwart  der  Idee,  in  dem  Selbstbe« 
wulstsein  des  Üerrn  sich  schlechthin  verflüchtigte. 
War  nun  zwar  J{eides  noch  nickt  für  die  Refie^ 
xi0H  getrennt^  so  konnte  das  Selbstbewufstsein  Jesu 
auch  noch  Von  der  Form  der  prophetischen  Anschauung 
behemcht,  werden,  aber  dann  galt  ihm  wieder  diese 
Form  als  Form  der  sonst  in  kurzen,  schlagenden  Wer* 
ten,  ausgesprochenen  Idee*  Die  spätere  Reflexion^ 
für  deren  theoretische  Ausbildung  die  Voraussetzung, 
das  abgeschlossene  Werk  des  Herrn  gegeben  war, 
konnte  es  nun  versuchen,  den  Widerspruch  zu  bear^ 
beiten^  »ie  konnte  die  geistige  Form  der  Idee  für 
«ich  entwickeln,  aber  da  sie  zugleich  geschichtlicher 
Bericht  sein  wollte,  konnte  ihr  Versuch  nicht  ganz 
gelingen  und  miifste  er  zuweilei^  von  der  Erinnerung 
des  Faktisclien  durchkr^zt  werden. 

Der  Jesus,  der  sich  von  dem  politischen  Wahn 
der  Volkserwartungen  lossagt,  die  prophetischen  Ver- 
heifsungen  ins  Geistige  umgedeutet  hat  und  der  ColU- 
aion,  dals  er  der  von  den  Propheten  Verheifsene  sein 
wollte  und  aueh  wieder  nicht,  sich  zum  Opfer  brachte, 
ersdheint  dem  Hrn.  Vf.  als  „der  Gottessohn".  Indem 
nun  des  Menschen  Sohn  geschildert  werden  soll,  nimmt 
sich  Hr.  Gfr.  vor,  „die  menschliche  EntwickelungJesu 
zu  prüfen"  (p.  120).  Geprüft  wird  aber  eigentlich  nur 
die  Glaubwürdigkeit  des  vierten  Evangelium^  oder 
.der  Hr.  Verf.  sucht  nacb  Beweisen  für  die  Aechtheit 


heilige    Sage. 

desselben  (p.  147),  nach  anschauliehen  Bestimmungen, 
die  einen  Augenzeugen  verrathen,  d.  h.  er  horcbt  a«f 
den  Ton  der  „Kinderklapper"  der  Anschaulichkeit,  des- 
sen Gewalt  über  die  „guten  Theologen"  er  sonst  be- 
lächelt (d.  h.  S.  I,  184).    Und' in  welelie  von  den  gü» 
ten  Theologen   längst  verlassene  Kreise   verlockt  iln 
nun  gar  jener  Ton  ?    In  die  der  natQrlichen  Erklärung. 
Der  Wein,    den  Jes;us  den  Hochzeitgästen    zu  Kssa 
spendete,   war   vorher  als  Hochzeitgesehenk   v«a  ilm 
mitgebracht   (p.  307).    Die  Speisung  der  500O  bestanl 
darin,  dafs  manche  von  diesen  es  eben  so  gemacht  hü- 
ten, wie  jener  Knabe^  der  einige  Brote  und  FiscUeia 
bei  sich  hatte,  nämlich  sich  mit  Lebensmitteln  versebea 
hatten  und  denen  von  ihrem  Vorrathe  mittheilten,  die 
nichts  mitgenommen  hattien  (p.  172,  173).     Das  Wsn- 
deln  Jesu  auf  dem  See  nach  der  Speisung   ist  nur  in 
der  optischen  Täuschung  des  Evangelisten   vorgegaii» 
gen :  „die  dampfenden  Nebel,  die  früh  Morgens  ans  dca 
Seen  aufsteigen,**  liefsen  ihm  Jesum  ab  ein  Übermensch* 
liches    Wesen   erscheinen    (p.   177).     Lucas    hingegei 
liefs  das  Wandern  auf  dem  See  aus,  weil  es  keiii  Wua* 
der  war,   sondern  Jesus   nur  am  Ufer  entlang  ging;  ; 
den  Jüngern  erschien  es   nur  „durch  die  dampfende  | 
Morgennebel  hindurch,    als   ginge  Christus    über   <Bt  ; 
Wasser"  (h.  S.  1,  216).    Also  der  weit  spätere  Lukas 
sah  durch  die  Nebel  der  Sage  deutlicher,  als  der  Au- 
genzeuge Johannes  durch  die  Morgennebel,  deren  Vor- 
Spiegelung  er  doch»  wenn  auch  nur  durch  eine  Frage 
an  den  Herrn,  hätte  näher  prüfen  und  anflosen  kön- 
nen!   Der  Tod  Jesu  war  nur  scheinbar,  seine  Aufo- 
stehung  ihm  unerwartet,  weil  sie  den  jüdischen  Erwar- 
tungen  entsprach  und  das  Heilswerk  nun  wieder  out 
den  prophetischen  beschränkten  Anschauungen  verband, 
eigentlich  ein  Hiudemifs  für  die  reine  Auffassung  der 
Lehre  Jesu,  und  dafs  Jesus  nach  der  Marter  der  Kreu- 
zigung am  Leben  erhalten,  war  das  Werk  selbst  des 
Jüngern  unbekannter  geheimer  Anhänger,  die  sich  mit 
Pilatus  verständigt   und   von   ihm    den  llefehl  an  die 
Kreuzeswache  ausgewirkt  hatten,  dafs  Jesu  die  Beine 
nicht  zerbrochen  würden  (d.  H.  u.  d.  W.  p,  241— 248). 
Nachher  zog  sich  Jesus  in  eine  verborgene  Einsamkeit 
zurück.    U.  s.  w.  u.  s.  w. 


^er  Beschlufs  folgt.) 


J^  33. 

Jahrbücher 

für 

* 

li^issenschaftlic  he 


Februar   1840. 


Kritik 


Die  heilige  Sage  durch  A.  Fr.  Ofrörer.  Er- 
ste  Abtheil.  Zweite  Abtheil.  Das  Heiligthum 
und  die  Wahrheit  durch  A.  Fr.  Ofrörer, 

(Schlafs.) 

Und  dabei  redet  Hr.  Gfr.  immer  noch  von  dem 
geistigen  Wesen  des  vierten  Evangelium,  von  seiner 
Anschaulichkeit,  Zuverlässigkeit  Nur  noch  Ein  RUson- 
nement  unsers  historischen  Mathematikers  erlaube  man 
uns  anzuführen.  DaCs  Johannes  nicht  wie  die  übrigen 
Evangelisten  die  Einsetzung  des  Abendmahls  berichtet, 
ist  Hm.  Gfr.  gar  kein  Anstofs.  Denn  jene  Worte  des 
Herrn :  Das  ist  mein  Leib ,  seien  von  Jesus  nur  „zu- 
fallig, ohne  besondere  Betonung  ausgesprochen."  Sie  , 
bilden  nur  ein  „unbedeutendes  Beiwerk"  (p.  206).  Es 
seien  ja  nur  „zehn,  fünfzehn  Worte**  (p.  220).  Den- 
noch seien  die  Worte  Jesu  Joh.  6,  47  —  58.  „die.  he« 
stimmteste  Andeutung  auf  das  Abendmahr'  (p.  221)  d. 
h.  von  Johannes  „den  ursprünglichen  Worten  Jesu  un- 
tergelegte** Anspielung  auf  die  in  der  Kirche  bereits 
geführten  Liebesmahle.  Und  doch  „Ehre,  dem  Ehre 
gebührt"  d.  h.  „dem  Augenzeugen**  Johannes,  denn  er 
hat  uns  c.  6,  47  —  58.  „den  wahren  Ursprung  der  Ce- 
remonie  erklärt,''  „der  letzte  Laut  von  Tadel  mufs  ver- 
stummen*' (p.  222).  Ja,  wenn  ein  Erzähler  in  Worten, 
die  erst  eine  gemachte  Ampielung  auf  eine  Ceremo- 
nie  sein  sollen,  uns  doch  den  wahren  Ursprung  der- 
selben enthüllen  soll,  dann  müssen  wir  auch  vor  Er- 
staunen verstummen. 

»  

Obwohl  Hr.  Gfrorer  das  vierte  Evangelium  so 
schwer  gemifshandelt  hat,  so  ruft  er  doch  am  Ende 
quasi  re  bene  gesta  triumphirend  aus :  ,; Ja,  dies  Evan- 
gelium ist  das  Kleinod  und  die  Grundsäule  der  christ- 
lichen Gemeinschaft  in  ihrer  jetzigen  Entwicklung  ge- 
worden, so  wie  das  Werk  der  drei  Synoptiker  dem 
Christenthum  der  verflossenen  Jahrhunderte  als  Strebe- 
pfeiler diente"  (p.  346).  Yerhieke  sich  die  Sache  ai^ch 
Jahrh.  /.  in'MesicA.  Kritik,   J.  1840.   1.  Bd. 


SO,  Hr.  Gfrörer  hat  den  Glanz  und  die  Gediegenheit 
des  Kleinods  uns  nicht  gezeigt.  Und  es  ist  nicht  ein- 
mal so,  das  vierte  Evangelium  bt  nicht  dasjenige,  in 
welchem  unsre  und  die  sich  jetzt  bildende  Zeit  ihre 
Anschauung  von  dem  Herrn  wiederfindet.  Im  Gegen7 
theil  die  Synoptiker  waren  bis  jetzt  in  der  Kirche  nach 
der  hohen  Bedeutung,  die  ihnen  zukommt,  nicht  gewür- 
digt worden.  Das  Johanneische  Ev.  hatte  vielmehr  seine 
Lebenskraft  vollständig  entwickelt,  als  die  Kirche  in 
den  ersten  Jahrhunderten  ihre  transscendenten  Bestre- 
bungen der  Metaphysik  des  jenseitigen  geistigen  Hirn« 
mels  widmete  und  der  Herr  ihrer  Anschauung  immer  . 
nur  als  6.  äv  if  %(p  ov^artp  (Joh.  3,  13.)  vorsehwebte. 
Die  vorwiegende  Schätzung  dieses  Evangeliums  erhielt 
sich  in  der  Kirche,  so  lange  die  Anschauung  sich  noch 
in  der  Abstraction  des  Dogma  bewegte  und  die  Ueber- 
Schätzung,  die  noch  in  der  jungst  verflossenen  Zeit 
stattfand,  beruhte  nur  in  der  sentimentalen  Weichheit, 
welche  das  bestimmte  Dogma  nicht  mehr  festhalten 
konnte,  weil  sie  es  dennoch  nicht  ganz  aufgeben  wollte, 
sich  in  die  ersten  noch  unbestimmten  Abstractionen 
der  himmlischen  Welt  zurückzog  und  die  Kraft  de^r 
Synoptiker  theils  nicht  zu  würdigen  wufste,  theils  auch 
vom  Kreise  derselben,  weil  er  durch  den  Zweifel  un* 
sicher  gemacht  war,  sich  entfernt  hielt«  Ist  aber  die 
Aufgabe  unserer  Zeit,  den  geschichtlichen  Chrbtus 
kennen  zu  lernen  (den  geschichtlichen  in  einem  höher 
ren  Sinne,  ab  der  ist,  den  man  gewöhnlich  mit  dem 
Ausdruck :  der  historbche  Chrbtus,  verbindet),  so  bricht 
die  Zeit  der  Synoptiker  an  und  die  Kritik  wird  deren 
Tiefe,  nicht  abstracto,  sondern  innerlich  volle  und  ge- 
staltete Unendlichkeit  und  lebendige  Kraft  immer  mehr 
zum  BewuPstsein  bringen. 

„Unangenehm  mag  das  Bekenntnifs  sein  —  auch 
uns  thut  es  wehe  —  aber  wahr  bt  es : "  der  gesunde 
Menschenverstand  bt  auch  etwas,  woran  man  krank 
sein   und   geföhrlich   leiden  kann.    Mit  unserm  Hrn. 

33 


259  Burmeißttrj  Handiueh 

Yerf«  steht  es  sehr  bedMiklich,  «r  ist  ein  scUluniiier 
Patient,  oft  redet  er  irre,  wie  wir  aus  den  kostUciien 
Widerspruehen  sehen,  in  denen  er  sich  umherwirfk, 
und  manchmal  fällt  er  in  das  auHgelassenste  Deliriom, 
wo  sein  Yersland  phantastisch  wird.  In  solchen  «chwir- 
merischen  Augenblicken  hat  er  es  besonders  mit  seinem 
Landsmann  Hegel  su  thun,  litegel  erscheint  ihm  dann 
als  ein  Mensch,  der  „unheilbar  an  der  Groben  -  Manns- 
sucht und  dem  Aurserordenllichkeits  -  Fieber  darnieder- 
lag" (das  Heiligth.  u.  die  W.  p.  272).  Die  metaphy- 
sischen  Schriften  Hegefs  machen  dann  auf  ihn  „den 
Eindruck  des  Ameisenkrabbelns  und  der  Muckenschwär- 
merei Tor  einem  kranken  Auge**  (ebend.  p.  273);  sol- 
che Phantasieen  kSonten  Spafs  machen,  wenn  man 
nicht  einen  Blick  auf  den  armen  Patienten  würfe,  der 
Fon  ihnen  geplagt  ist. 

B.  Bauer,  Lic. 


XXI. 

Handbuch  der  Naturgeschichte.    Zum  Gebrauch 

s 

von  Vorlesungen  entworfen  von  Hermann  Bur*- 
meiste ry  Dr.  der  Medizin  und  Philosophie  u. 
s.  fr.  Erste  Abtheilung.  Mineralogie  und  Bo- 
tanik. Berlüh  1836.  Verlag  von  Theod.  Chr. 
Friedr.  Enslin.  S.  I^XWI  und  1  —  368. 
Zweite  Abtheilung.  Zoologie.  Berlin^  1837., 
Ebendas.  8.  I—XII  u.  369— 8ö8. 

Es  war  dem  Verf.  offenbar  darum  zu  thun,  in  Kürze 
eine  so  vollständige  Uebersicht  des  ganzen  Gebietes 
der  N.  G.  zu  geben,  wie  solche  bei  der  Bogenzahl  des 
Werkes  irgend  möglich  war,  und  wie  dieselbe  'wolil  in 
keinem  anderen  von  gleichem  Umfange  gefunden  wer- 
den dürfte.  Nur  die  umsichtigste  Befolgung  eines  so 
wohl  durchdachten  Planes,  welcher  immer  so  viel,  als 
der  Wahrheit  gemäfs  möglich  ist,  zu  generalisiren  sucht, 
konnte  das  Ganze  so  inhaltsreich  machen:  indem  sie 
dem  Gesagten  überall  die  weiteste,  mit  der  Richtigkeit 
vertragliche  Ausdehnung  und  Gültigkeit  zu  geben  suchte« 
Eine  Methode,  welche  sich  vortrefflich  dazu  eignet,  um 
durch  Yermeidung  aller  Wiederholungen  ungemein  viel 
an  Raum  zu  spareu. 

In  einem  wichtigen  systematischen  Punkte  der  Mi- 
neralogie weicht  der  Yerf.  eben  so  sehr  von  allen  bis- 
herigen Ansichten  der  Mineralogen  ab,  wie  er  darüber 


der  NäturgescAie'Ate. 

allgeoieine  Beistimmung  verdient.  Er  hat  nämliehj  über-* 
zeugt  von  ihrem  wirklich  organischen  Ursprünge  ^  die 
kohlig  -  harzigen  Stoffe,  welche  bisjetzt  ohne  W^eiteres 
dem  anorganischen  Reiche  ziigerechn^t  wurden,  wis  blolse 
„verkohlte  Yegetdbilitn  und  vegetabilische  Hasve,"  Ae 
lediglich  durch  nachträgliche  Yeränderungen  in  ihrsa 
gegenwärtigen,  anscheinend  mineralischen  Zustaod  ver- 
setzt worden  sind,  von  den  Mineralien  getrennt,  eu  wd» 
chen  sie  nach  seiner  gewils  richtigen  Ansicht  eben  s» 
wenig  gehören  können,  -  wie  etwa  versteinerte  TiufTi 
knochen  (die  man  bekanntlich  früh»  ebenfalls  für  wi- 
nciralisehe  Bildungen  ansah)  dahin  gehören«^  Er  /fihit 
daher  jene  Stoffe,  nebst  dem  Honigsteine  (Mellit)  als 
einem  „organisch  saurem  Salze,'*  vorläufig  nur  in  ei* 
nem  Anhange  zur  Mineralogie  ^.  147.  auf:  da,  wie  fai^ 
greulich,  ihre  wahre  systematische  Stellung  im  Berel> 
che  der  organischen  Welt  noch  niclit  sobald  zu  eraül* ' 
teln  sein  dürfte.  Dagegen  dürfte  die  Ansicht  des  Yerls. 
über  einen  anderen  Punkt,  der  in  einer  gewissen,  nieb 
unwichtigen  Beziehung  auf  dim  ebep  genanntem  sCeb, 
Jetzt  wohl  nirgends  mehr  auf  Beifall  Anspruch  m  mt- 
chen  haben.  Sie  betrifft  das  nähere  VerhSitnifs  der 
organischen  Bildungen  der  Yorwelt  zu  denen  der  Jetzt- 
welt In  f.  36.  der  Einleitung  (S.  16  —  17),  wo  Hr. 
Burmeister  eine,  auch  sonst  nicht  durchgängig  beifalls- 
werthe  Ansicht  über  die  „individuelle  EndlichkÄ"  und 
die  allgemein  „ewige  Dauer"  der  organischen.  Natur- 
Körper  ausspricht,  glaubt  derselbe  diese  Ansicht  duith 
eine  andere  zu  stützen,  indem  er  meint:  „es  steUe  sieh 
„immer  mehr  heraus,  dafs  die  eigenthümlichen  um! 
„abweichenden  Formen  der  älteren  Perioden  nicht  ak 
,^fehlende  Glieder  der  noch  jetzt  vorhandenen  organi* 
„sehen  Entwickelungsreihe  zu  betrachten  seien ,  soa- 
„dern  als  Gebilde,  die  für  Verhältnisse  gesehaffiBn  wa- 
„reo,  welche  von  dem  jetzigen  Zustande  des  Erdkör* 
„pers  wesentlich  verschieden  sind,  und  die  mithin  ia 
^jetziger  Zeit  gar  nicht  mehr  leben  könnten.  Daher 
„wollen  denn  auch  viele  der  untergegangenen  Orga- 
„nismen  durchaus  nicht  in  unser  System  passen,  wie 
9,z.  B.  die  Ichthyosauren,  Plesiosauren  und  Pterodae- 
„tylen.**  Wenn  Letzteres  eine  Zeit  lang  Viden  so 
schien,  so  lag  diefs  nicht  an  ^en  Tfaieren  selbst,  oder 
vielmehr  an  der  Natur  5  sondern  nur  entweder  an  den 
Naturforschern,  oder  an  dem  noch  mangelhaften,  I&cke- 
voUen  Zustande-  unserer  Kenntnisse  und  Einsichten. 
In  neuerer  Zeit  hat  sich  aber  gerade  daSr  GegentheO 


261  Bunneüter^  HmiMmk 

immer  dendieher  haravitgestelU,  und  jene  längst  Teral* , 
tete  Ansieht  tiegreleh  verdrftogt.  Denn  erstens  hat  matt 
fosstte  IJeberreste  von  nicht  wenigen,  früher  nnbekann« 
ten,  tintergegangenen  Gattungen  gefundeD)  die  gants  ent- 
schieden entweder  so  genau  zwischen  zwei  oder  meh« 
reren  noch  lebenden  Gattungen  in  der  Mitte  gestanden 
haben,  dafs  die  zwischen  letsteren  bis  dahin  vorhan« 
4eiie  LQcke  jetzt  Ihefflich  ausgefüllt  erscheint,  oder  die 
sum  Theil  sogar  manche  neben  einander  stehende  Ord- 
Imngen  enger  mit  einander  verbinden  *).  Zweitens  hat 
Lyell  in  seiner  Geologie  auf  die  einleuchtendste  Weise  mit 
einen»  seltenen  Aufwände  von  Seharbino,  kritischer  Ge- 
Bauigkeit  und  von  Vielseitiger  Gelehrsamkeit  dargethan: 
dafe  ein  sehr  grofser  Theil  derjenigen  "Veränderungen, 
welche  mit  der  Erdoberfläche,  und  in  Folge  dessen  auch 
mit  den  organischen  Körpern  der  Erdenwelt,  vorgegan- 
:gen  sind,  keinesweges  plötzlich  gekommen  zu  sein  brau- 
che, oder  gekommen  sein  könne;  sondern  dafs  viele 
durch  solche  Umstände  erfolgt  sein  mögen  oder  müssen, 
welche,  obwohl  äufserst  langisam  und  daher  fast  unbe» ' 
merkt,   auch  gegenwärtig  noch  fortwirken. 

Der  Verf.  hat  wenigstens  bei  den  Thieren  einen 
Theil  der  sonst  gebräuchlichen  Terminologie,  ungefähr 
i\ach  Reichenbachs  Weise,  geändert.  Er  nennt  „Zunft**, 
was  man  sonst  allgemein  Ordnung  nennt;  und  dem 
"Worte  Ordnung  legt  er  jenen  umfassenderen  Sinn  un- 
ter, welchen  einige  Zoologen  (z.  B.  Kauf»)  unter  der 
Bezeichnung  „Stamm"^  als  Inbegriff  mehrerer  Ordnun- 
gen verstanden.  Diese  Aenderung  dürfte  um  so  weni- 
ger  Billigung  finden,  da  sie  eben  nur  inne  Verände- 
rung, aber  in  keiner  Beziehung  eine  Verbesserung  ist. 
Das  einmal  Gebräuchliche  soll  man  aber  nicht  ändern, 
sobald  aian  nicht  etwas  entschieden  Besseres  an  seine 
Stelle  setzt.  Dagegen  kann  man  es  nur  loben,  wenn 
der  Vf.  z.  B.  bei  den  edlen  Raubvögeln  mehrere  Gat- 

*)  Bs  genaue,  hier  als  Beleg  für  enteren  Fall  Kaap's  Gattung 
Acerotherium  anzuführen,  welche  genau  zwischen  den  beiden 
noch  lebenden,  bedeutend  Ton  einander  verschiedenen  Gattan* 
gen  der  Damans  THyrax)  und  der  Nashörner  (^Rhinoceros) 
■litteninne  gestanden  haben  mufs:  indem  sie  mit  jenen  den 
Manrel  von  Hörnern  auf  der  Nase  and  den  Besits  von  '4 
Vorder  und  3  Hniter-Zehen  gemein  hattet,  während  sie  in 
allem  Uebrigen  mehr  mit  diesen  Übereinkam. 

Ala  Beispiel  für  den  zweiten  FsU  dient  die  Gattan«  Hippo- 
therium  von  Kaup,  welche  durch  den  Besitz  von  Anerhufen 
die  lebenden  Pferde  enger  mit  den  Wiederkäuern  verband; 
femer  wabncheinlich  das  Siwathier  (Sivatherium  (! !)  Fale; 
and  Cautl.),  welclies  offenbar  die  Anniihernng  der  jetzt  1e-' 
benden  Formen  von  Wiederkäuern  an  die  Pacn^dermen,  nad 
zwar  insbesondere  an  die  zum  gröfseren  Theile  gleichfalls 
nasgestorbenen  elephantenartlgen,  vermittelte. 


d^  Naiurgewik$eii$.  269 

tungen  von  eulen-  «nd  falkeüarUgen  annimmtr  wibrend 
manche  Andere  sie  bis,  jetet  fattmer  noch  alle  In  bloDi 
2  Genera  (Strix  und  Faleo)  Eusanuneniwängen.  *) 

.  Der  kaum  fibenehbare  Umfang  des  naturhittori» 
sehen  Gesammtgebiets  macht  es  gegenwärtig  auch  dem 
grofsartigsten  Talente  unmöglich,  das  Ganze  genügend 
BU  umfassen«  Daher  würde  es  unbillig  sein,  su  ¥er« 
langen,  dab  irgend  ein,  Ton  einem  einzigen  Naturfor* 
scher  gans  allein  bearbeitetes  Handbuch  der  Naturge- 
schichte aller,  drei  Reiehe  durehgehends  ganz  su  verlas» 
sig  sein  und  nur  lauter  Richtiges  enthalten  soUe^  "^ 
Dies  als  Einleitung,  wenn  der  Unterzeichnete,  cum 
Beweise ,  mit  welchem  Interesse  er  das  vorliegende,^ 
ausgezeichnete  Handbuch  durchblättert  und  theUweise  ■ 
einig  durchstudiert  hat,  nicht  umhin  kann,  auf  einige 
Einzelnlieiten  der  Art,  zunächst  bei  den  SäugeÜMeren,  * 
aufmerksam  zu  madien. 

S.  783  heibt  es  von  den  Säugethieren  im  Allge« 
meinen:  „Viele  Säugethiere,  zumal  alle  Hufgänger, 
„haben  nur  einerlei  Haar.''  Aber  bei  den  Aueroch&cn 
z,  B.  waifs  man  nicht  blos,  sondern  man  fuhrt  es  auch 
ausdracklleh  als  einen  phTsiologisch  interessanten  Be- 
weis von  der  schnellen  £itiwirkung  einer  niedrigen 
Temperatur  auf  den  thierischen  Organismus  und  seine 
Erzeugnisse,  als  Beleg  von  den  Gegenvorkehrungen 
des  letzteren,  an:  da(s  diesen  Thieren  unter  ihrem 
schlichteren  Oberhaare  beim  Eintritte  stärkerer  Kälte 
in  dem  kurzen  Zeitraum  von  8  oder  höchstens  14  Ta* 
gen  ein  dichteres,  wolliges  Unterhaar  nachwächst.  Auch 
bei  den  wilden  Schweinen,  also  Pacfiyderm«i,  iit  das 
Dasein  einer  groben  OrundwoUe,  aufser  den  als  Ober« 
haar  dienenden  Borsten,  allgemein  bekannt.  S.  807 
helfet  es  von  der  Familie  der  hasenartigen  Nagethiere 
(Leporina):  „Sie  graben  Locher  in  die  Erde,  um  dar* 
5,in  su  werfen."  Beides  pflegen  gerade  die  bekannte- 
sten Thiere  der  Familie,  die  eigentlichen  Hasen,  nicht 
zu  thun.  S.  827  wird  Von  den  Halb. Alien  (Prosimiae) 
gesagt:  „Alle  Zehen  mit  Plattnägeln;  nur  der  Zage* 
„finger   der   Hinterhände    mit    spitzem,    abstehendem 


*)  Reeenseot  bedauert  jetzt  sehr,  in  seinem  „Handbaehe  der 
Natureesch.  der  Vogel  Europas"^  (1834)  selbst  noch  dieser 
Ansiebt  gefolgt  za  sein. 

**)  Letzteres  kann  nach  des  Rec.  festester  Ueberzengens  nur 
dann  erreicht  werden,  wenn  der  Yerf.  eines  soiehen  Wer- 
kes sich  entschlietst,  alle  diejeniaen  Partien,  in  denen  er 
weniger  zu  Hause  ist,  solchen  Gelehrten  zur  Durchsicht  zu 
geben,  welche  die  Partien  zu  ihren  Uauptfuchem  gemacht 
haben. 


263 


Burmeüt^j  Baruliuch  der  Naturge^chiekte. 


264 


„Krällennagel. ''  Aber^  das  GespensUhier  (Taniuj) 
fiilirt  einen  solchen  auch  an  dem  Mittelfinger  dec  Hin- 
terhände. Beim  Wallrosse  (S.  793),  wp  auch  der,  so 
lange  unbekannte,  Zahnbai^  des  jüngeren  Thieres  sehr 
gut  beschrieben  wird,  werden  ,,yier  Zitzen  am-Bauche'' 
angegeben.  Rec.  weifo  allerdings  nicht,  ob  dies  viel- 
lekht  auf  einer  guten  neueren  Auctorität  beruht ;  aber 
Pallas,  dieser  treffliche  Untersucher  und  Beschreiber, 
welcher,  nach  seiner  Beschreibung  zu  schliersen,  ^)  ein 
Tbier  der  Art  im  Fleische  untersucht  zu  haben  scheint, 
sagt  Ton  ihm  und  dem  Elepbanten,  welche  er  beide  in 
seiner  Ordnung  Belluae  unterbringt:  „Conveniunt  haec 

„animalia mammis  pectoralibus  sub  ai'mis.*' 

Ein  blofser  Druck-  od^r  Schreibfehler  ist  es  wohl^ 
wenn  bei  Dasypus  sexcinctiis  (S«  805,  wo  durch  einen 
anderen  Druckfehler  sexcinctes  steht)  angegeben  wird: 
,9mit  f  Schneidezähnen"  statt  §•  Ueberhaupt  ist  zu  be* 
dauern,  dafs  bei  der  Korrektur  eine  bedeutende  Anzahl 
Ton  Druckfehlern  gerade  in  den  systemaüsclien  Namen 
stehen  geblieben  sind.  In  Betreff  der  letzteren  hat  der 
Yf.  wohl  etwas  zu  sehr  den,  häufig  so  höchst  unbilli* 
gen  Ansprüchen  der  AnciennitAt  gehuldigt^  die  manche 
Naturforscher,  oft  ohne  alle  Rücksicht  auf  die  uiierläfs« 
liebsten  Anforderungen  der  Grammatik,  geltend  zu  ma- 
chen suchen.  So  u.  A.  bei  dem  Nachtaffen  (S.  828). 
Hier  hat  der  Yerf.  den,  von  Friedrich  Cuvier  auf  die 
Bahn  gebrachten,  in  doppelter  Hinsicht  schauderhaft 
ungrammatischen  Namen  Nocthora  **)  beibehalten  (statt 
des,  freilich  nicht  eben  richtig  bezeichnenden  Wortes 
Actus,  welches  nun  auch  schon  an  eine  Pflanzengat- 
tung  vergeben  worden  ist;},  obwohl  das  von  Spix  ge* 
brauchte  Wort  Nyctipithecus  nicht  blofs  bezeichnend 
und  grammatisch  richtig  erscheint,  sondern  auch  bereits 
fast  allgemein  angenommen  worden  ist, 

Refer.  mufs  sich  der  Kürze  wegen  'zu  seinem  Be» 
dauern  versagen,  auf  eine  weitere  Auseinandersetzung 
über  den  Plan  und  die  Vorzuge  dieses  Werken  einzu- 
gehen, uAter  denen  namentlich  manche  wirklich  neue 
Ansichten  in  der  systematischen  Anordnung  der  orga- 
nischen Körper  hervorzuheben  sein  würden.  Die  oben 
gegebenen  allgemeinen  Andeutungen  hierüber  sollen  und 
werden  hoffentlich  hinreichen,  zu  zeigen,  wie  innig  in  dem 

*)  Zoographia  rosso-asiatica  I,  p.  260^371. 
'  **)    Von   dem   lateinischen   nox,  noctis  und  dem  griechischen 
^prtw,  sehen!! 


Unterzeichneten  die  Ueberzeugung  rege  geworden  ist, 

auch   diese  Arbeit  des  Yerfs.  jedem  wahren  Freunde 

der  Wissenschaft  angelegentliclist  als   ein    Geistespro- 

duct  empfehlen  zu  müssen,  mit  welchem  Niemand  ohne 

Freude  bekannt  werden  wird. 

Druck  und  Papier  sind  gut;  ersteren  mochte  man 

allerdings  correcter  wünschen. 

G I  o  g  e  r. 

XXII. 
lieber  da$  Erhabene  und  Komische,  ein  Beitrag 
zu  der  Philosophie  des  Schönen  ron  Dr.  Fr^ 
Theod.  Vi  sc  he  ry  Privaidocent  an  der  ütd- 
rersität  zu  Tübingen.  Stuttgart^  DrUch  tmd 
Verlag  ron  Imle  und  Kraufs.  1837.  VI  und 
230  5. 

Der  Unterzeichnete  ist  durch  ein  lebhaftes  Inter- 
esse  für  den  Gegenstand  zu  der  vorliegenden  Schrift 
geführt  worden,  nicht  durch  ausgebreitete  Studien 
in  dem  Gebiete  desselben.  Seine  Berechtigung^  die- 
selbe anzuzeigen  und  zu  besprechen»  kann  demnaek 
nur  in  dem  innigen  und  freien  Nachdenken  liegen,  wo- 
mit er  dem  Begriff  des  Erhabenen  und  Komischen  io 
der  Einheit  dieses  grofsen  Gegensatzes  nahe  gekom- 
men zu  sein  glaubt.  Man  wird  ihn  demnach  entschul- 
digen, dafs  er  diese  Arbeit  übernommen,  unter  der  Be- 
dingung, dafs  er  sich  bescheidet,  sich  im  Mittelpunkte 
der  Sache  zu  halten,  indem  er  sich  mit  der  ausgezeich- 
neten Schrift,  welche  er  hier  zu  beurtheilen  hat,  aus- 
einandersetzt. 

Was  in  der  vorliegenden  Sdirift  die  Schlufspunkte 
der  Forschungen  über  das  Erhabene  und  Komische 
bildet,  das  leitet  uns  hinein  in  das  Yerstandaifs  bei- 
der Begritfe  in  ihrem  Gegensatz  und  Zusammenhang, 
nämlich  der  Eindruck,  welchen  diese  entgegengesetzten 
Phasen  des  Schdnen  hervorbringen,  ihre  Wirkung  auf 
das  Gemütli.  Das  Schone  in  meiner  Mitte,  in  seinen 
harmonischen,  maafsvoUen  Erscheinungen  wirkt  ergrei- 
fend mit  der  sanftesten  Macht^  denn  es  ist  die  Gute 
des  Lebensgeistes^  welche  in  seinen  BUdem  zvlt  Er- 
scheinung kommt.  •  Auf  seinen  Gränzgebieten  aber,  wo 
es  einerseits  im  Erhabenen,  andererseits  im  Komischen 
sich  mehr  offenbart^  als  harmonisch  erscheint,  wirkt 
es   erschütternd. 

(Die  Fortsetzung  folgt.) 


J  a  h  r  b  fi  c  h  e 


tut 


wissen  sc  haftlich  e    Kr  i  t  i  k. 


Februar   1840. 


Ueber  dag  Erhabene  und  Komische^  ein  Beitrag 
zu  der  Pkilosophie  des  Schonen  von  Dr.  Friedr. 
Theod.  Vis  eher. 

(Fortsetzung.) 

Di^se    ErSGhütterungen    Bind    grundvetschiedeni 
und    doch   hangen    sie  iu  dem   lebendigsten    Gegen- 
sätze mit  einander  zusammen ,    ebenso  >yie' jene  Ma«- 
nifestationen,  durch  welche  sie  bewirlLt  werden.    Aus 
der  Wirining  im   Gemüthe   aber  bilden  wir  das  Ur* 
theil  über  die  Erscheinung,  ob  sie  erhabeir  sei,    oder 
komisch;  wohin  sie  gehöre.    Nun  scheint  es  uns  aber, 
daDi  wir  das  Alles  als  erhaben  su  bezeichnen  pflegen, 
was  uns  das  Gefühl  der  Vernichtung  mittheilt,   wäh* 
rend.  komisch  genannt  wird  Alles,  was  das  Gefühl  der 
Vollendung  in  uns  erregt.     "Was  uns   hineinführt  in 
den  Moment,  in  dem  wir  uns  in  unserer  Endlichkeit 
aufgeben  und  hingeben  an  den  unendlichen  Geist  des 
Xiebens^   wo  wir  uns  übergeben  dem  Gerichte  Gottes, 
hingeben  seuiem  Walten,  indem  wir  durchschauert  wer- 
den Ton  seiner  unendlich   starken  und   guten  Ueber- 
macht,  das' ist  das  Erhabene.    Was  uns  dagegen  für 
einen  Moment  all  unsre  Unvollkoibmenheit^n  und  Ge- 
brechen, alle  Mühe  und  Ai4beit  des  Strebens  nach  der 
Vollendung  yergessen  macht,  und  uns  die  Vollendung 
fühlen  läfst,  die  wir  in  irgend  einer  augenblickli' 
*  ehen  Beziehung  haben^  das  ist  das  Komische.    Dar- 
um ist  auch  das  Komisehe  mit  dem  Profanen  verwandtt 
so  wie  das  Erhabene  mit  dem  Heiligen;  obwohl  das 
Gefühl  de«  Komischen  in  seinem  reinen  91itz,  in  sei- 
^  nem  Augenblick,  wo  -  es  als  das  Gefühl  des  Schonen 
fad  kleinsten  Maals  erscheint,  nicht  profan  genannt  wer- 
den darf.    Es  ist  für  den  Menschen  in  seiner  sundi- 
gen Beschaffenheit  äubeirst  schwer,  zu  dem  reinen  Ge- 
iUde  des  Erhabenen  za  kommen,   oder  sich  im  reinen 
Gefühl  des  Komischen  zu  behaupten.    Das  meiste  Er^ 
habene  ist  für  die  mebten  Mensehen  noch  TerhülU  in  das 

.    Jakrh.  /.  iriiMJifa.^i&ilJlr.  J.  184a     L  Bd. 


Schreckliche,  in  das  Grauenvolle;  darum  nämlich,  weil 
sie  ihm  mit  dem  Interesse  des  egoistischen  Eigenlebens 
gegenüber  stehn.    Das  Schreckliehe  ist  nimmer  dasje- 
nige, was  uns  das  Gefühl  der  Vernichtung  mittheilt, 
sondern  was  iins  im  Willen  aufs  Aeufserste  empört. 
Derselbe   Seesturm,  welcher  dem   geöngstigten  Passa- 
l^ier  bei. aller  Kunstbildung,   welche  dieser  besitzt,  nur 
als  etwas  Grauenvolles  erscheint,  kann  einem  todesmu- 
thigen,  begeisterten  Matrosen,  dem  alle  Kunstbildung 
abgeht,  einen  dunklen  Eindruck  des  Erhabenen  gebent 
weil  er  die  Fähigkeit  hat,  sich  hinzugeben  an  den  Geist 
des  Sturms  und  der  Wogen.    Freilich  sind  die  Natura 
Tollcer  auch  bei  der  tapfefeten  Gemiiths-  undLebenswei&e 
vorherrschend  mehr  mit  dem  Schrecklichen  in  dem  Er* 
häbenen  ihrer  Umgebungen,  als  umgekehrt  mit,  dem  Er- 
habenen im  Schrecklichen  vertraut  geworden,  weil  sie 
im  dunklen,  heifsen  Kampfe  erst  den  Frieden  mit  die* 
seu  Machten  zu  Erringen    hatten.    In  dem  Geiste  der 
Furcht  hat  eine  Stelle  der  Schweiz  den  Namen  der  Teu- 
felsbrücke erhalten,  wo  sich  gerade  eines  der  herrlich- 
sten  Prachtstiicke  des  Erhabenen  entfaltet,  und  gerade 
da,  wo  die  Krone  ihrer  feierlichen  (IrhabenheiCen  ist, 
im  Bemer  Oberlande,  hat  sich  für  den  Volksgeist  die 
schauerliche  Gruppe    des  Wetterhoms,   Schreckhorns 
und  Finsteraarhoms  gebildet.    Die  Jungfrau  scheint  frei- 
lich versöhnend  vor  die  Linie  der  Austern  Dreizahl  zu 
treten  \  aber  sie  verdankt  keineswegs  ihren  Namen  ihrer 
hehren  Erscheinung   im  leuchtenden   Schneegewande, 
sondern    einem   derben    und   zweideutigen  Volkswits. 
Wenn  die  Unendlichkeit  in  einer  grofsen  Erscheinung 
oder  Handlung  dem  Menschen  entgegentritt,   dann  ist 
sie   ihm  schrecklich,  so  lange   er  sich  ihr   gegenüber 
und  für  sich  behaupten  will.    Ist  aber  die  Mdglichkeit 
oder  Willigkeit  zur  Hingebung  da,  so  wird  er  hinübei^' 
geführt  duroh  die  Schauer   des  Gerichts,    welche  Um 
seine  Endlichkeit  und  Sündigkeit  empfinden  lasilen»  i|i 
das  Gefühl  des  Erhabenen,    Die  Erscheinung  nimmt  ih» 

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FfscAeTy  über  däi  Erhabene  und  daß  Komitehe. 


hin4  seine  Se^le  sitterf,  eine  heilige  Blässe  geht  über 
sein  Angesicht.    Aber  gerade  durch  das  Gefttfal  der  Ver- 
nichtung findet  er   sich  wieder.    Er  findet  sich  geläa- 
tert  und  beseeligt  wieder  in  dem.  Unendlichen;  und  jetzt 
ist  für   ihn  das  ünendlicbe^  welches  vielkicht  zuerst 
als  AblS'  Schreckliche'  vor  ihm  stand,  dann  zum  Schati- 
erlichen  und  weiterhin  zum  Erhabenen  wurde,  in  den 
Mohient  des  Feierlichen  getreten.     Er  findet  ein  kö- 
nigliches Leos  in  der  Hingebung  an  das  Gute,   wie  es 
sich  ihm  in  seiner  Unendlichkeit  offenbart,  in  seinem 
Einswerden  mit  Gott.    Freilich  müssen,  wir,    um  Mifs- 
Verständnisse  zu  verhüten,   den  Kuustgenufs  des  Erha* 
benen  von  dem  Lebensgefühl  des  Erhabenen  unterschei« 
den;    der  erstere  schliefst    mit   der  Freude  an  seiner 
Empfindung  ab,  das  letztere  geht  in  das  Leben  d^  Ge- 
sinnung über.    Die  Wirkung  des  Komischen  bildet  den 
reinen    Gegensatz    zu   der  Wirkung    des   Erhabenen. 
Wenn  uns  das  Komische  erschüttert,  so  sind  wir  für 
einen  Augenblick  am  Ziel,  vollendet,  fertig.    Wir  sind 
es  freilich  nur  in  dieser  Beziehung   zu   der  komischen 
Erscheinung,  aber  diese  hat^uns  ja  eben  ganz  ergriffen. 
Darum  ist  auch  das  Komische   nur  für  Augenblicke, 
weil  sich  der  Mensch  in  eine  so  kleine  Einzelbeziehung 
nicht  lange  verlieren  kann.    Defswegen  sind  auch  die 
Gerafither  mannigfach  in  ihren  ernsten  Stimmungen,  in 
ihrem  Ringen  und  Streben  schufsfcst  für  die  Blitze  des 
Komischen.     Aus   demselben   Grunde  verwandelt  sich 
die  reine  Lust  des  Komisehen,  diä  nur  in  eiifkem  leich- 
ten, heitern  und  süfsen  Lächeln,  oder  in  einem  hellen 
Freudenjubel   aufgehen   sollte,  so  leicht  durch  unreine 
Fortsetzung  in  einen  bittem  Ekel,   in  ein  wai^end  wi- 
derwärtiges Gefiihl,  in  einen  Uebermulh   und  Taumel 
des  Selbstgefühls,   aus   dem  sich   der  Yorsichtige  wie« 
der  mit  schmerzlicher  Anstrengung   zusammen  nimmt, 
und  in  den  trockensten  Ernst  zurückzieht'.    Das  Gefühl 
des  Komischen  wird   für  den  so   sehr  unfertigen  und 
fehlervollen  Menschen  so  leicht  zur  profanen  Lust.   Das 
Hochgefühl  seiner  relativen  Vollendung,  das  ihn  durch- 
blitzt, wenn  er  in  eine  Beziehung  gesetzt  wird,  worin 
er  sich  als  den  Erhabenen  fühlen  mufs,  wenn  z,  B.  ein 
Affe  i^  Anstreben  des  menschlichen  Thuns  seine  ihie- 
rische  Untüehtigkeit  zu  solcher  Hoheit  kund  gibt,  diese 
Empfindung  darf  nur  über  den  Moment  der  durchge- 
fühlten Beziehung  fortdauern  woUen,  mo  verliert  sie  sich 
In's  Trübe  de^  Egoismus,  und  bereitet  Schmerzen.    An 
sich  aber  steht  die  reine  Empfindung  des  Komnchen 


mit  dem  Gefühl  des  Schonen,  ja  mit  der  feierlidutea 
Empfindung  des  Erhabenen  im  besten  Einklang.    Der 
heilige    Geist  der  Alttestamentlichen   FsalmenAiehtu^g 
läfst  die  gefangenen  Israeliten  (PsaTm   126)  weissagea: 
„Wenn  der  Herr  die  Gefangenen  Zions  erlösen  wird, — <ir* 
dann  wird  unser  Mund  voll  Laehcns  sein."    Sie   wer- 
den  sich  als  die  Vollendeten  fühlen,  und  werden  laehoi. 
Noch  kühner  ist  es,  wenn  im  zweiten  Psalm  zuerst  die 
Emporer  gegen  den   Herrn  und  seinen  Gesalbten  ge» 
schildert  werden,  die  Völker,  wie  sie  wider  ihn  toksi^ 
die  Leute,  'wie  sie  Eitles  wider  ihn  reden,  die  Kdmgo 
im  Lande,   wie  sie  sich  wider  ihn  auflehnen ^   uni  die 
Herren,  wie  sie  miteinander  rathsehlagen ,  und  wenn 
dann  von  Gott  gesagt  wird:  aber  der  im  Himmel  wäh- 
net,   lachet  ihrer,    der  Herr  spottet  ihrer.     Alle  dien 
Ueerschaaren  mit  ihrem  Aufruhr   geben  ihm  nur  dat 
seelige  Gefühl  seiner  Vollkommenheit  und  Sidieribei^ 
weil  er  sie  absolut  überflügelt  und  besiegt  weifs  durdi 
seinen  Geist,  seinen  Rath  und  seine  Macht    Hier  steht 
dem  ErhaBenen    im  höchsten  Sinne  das  komiseh  Nkk^ 
tige  und  Aufgeregte  in  weitester  Ausdehnung   gegen» 
über.    Für  diejenigen,  welche  das  Böse  als  eine  noib- 
wendige  Form  für   die  Entwickelung  der -Freilieit  be> 
trachten,  fliefsen  auf  diesem  Punkte  die  Gegensätze  des 
Erhabenen  und  Komischen .  in  ^trüber  Einheit,   in  der 
Gestalt    der  Mischung  zusammen.     Die  helle  Einkek 
der  Gegensätze   erscheint  uns  jedoch  auf  dem  Stttud- 
punkte,  auf  welchem  wir  das  Böse  als  das  finstre  Zu« 
fällige,  welches  von  dem  Lichte  des  göttlichen  Walteni 
mit  unendlicher  Machtfulle  überflügelt  ist,  betraehten^ 
darin,  dafs  Gott  in  seiner  Erhabenheit  frei  ist  von  aller 
Angst,  Spannung  und  Bitterkeit,  indem  er  die  ohnrnSeb» 
tigen  Creaturen  in  ihrem  Rathsehlagen  gegen  smi  Re- 
giment betrachtet,'  dafs   er  den  hellen  Blick  hat  in  das 
absolut  Nichtige  ihres  Trachtens,  welches  zum  Tlmn 
nicht  werden  kann,  ohne  sofort  wieder  seinem  Wehen 
dienstbar  zu  werden,  und  dafs  er  feiernd  mit  dem  BUdce 
der  Liebe  auch  in  der  Verunstaltung  und  Verstrickung 
des  Bösen  noch  sein   Geschöpf  erkennt    Die  falsche, 
nichtige  Scheinerhabenheit,  worin   eine  empörte  Welt 
ihm  gegenübertritt,  blickt  er  in  der  seeligen  Bewe^^mg 
des  Geistes  an,  womit  er  sie  in  seiner  absoluten  Erbe«» 
benheit  überwallet.     Das  Komische  in  seiner  SuhstaiiB 
wird  demnaeh  vielfach  mit  dem  Profanen  zusammenfal* 
len;  das  Gefühl  des  Komischen  wird  sich  in  dem  Men- 
schen äufserst  leicht  profaniren,  da  es  die  zarteste' Lust 


VuekeTy  üier  das  Erhabene  und  das  KotniseAe. 


270 


dM  GefuUt  der  Erhabenheit  ist;  in  aich  sdber  aber  ist 
•s  aU  ein  reines  Spiel  des  sichern,  des  persdalichen, 
des  gMstig  unendliehen  Lebens  in  seinem  Triumph  Ober 
das  Zufällige,  Zweckwidrige,  Gebrechliche,  da  wo  die- 
ses in.  seiner  Gebundenheit  durch  beruhigendes  Walten 
erscheint,  zu  betrachten. 

Da  uns  der  betreffende  Gegensatz  von  der  Seite 
seiner  Wirkungen  zuerst  wichtig  geworden  ist,  so  bat 
ee'  uns  auffallen  mflssen,  dais  der  Verf.  diese  \|iehtige 
Pariliie  aeiaes  Werkes  «erhältDifsmälsig  wohl  zu  we* 
lüg  bedacht  hat    Bei  der  Betrachtung  über  den  sul>- 
jeetiven  Eindruck  des  Erhabenen  fehlt  allerdings    der 
richtige  Grundgedanke  nicht.    Er  klingt  an  und  kehrt 
wieder  in  Torscbiedenen  Fassungen,   die  nur  nicht  in 
einen  reinen  und   bestimmten  Ausdruck  susammenge* 
falat  aind.    Am  schönsten  spricht  der  Yerf.  diese  Wir- 
kung aus,  indem  er  von  der  Wirkung  des  Tragischen 
fidet.     ,9Diese  Macht,  die  sie  (die  tragischen  Helden) 
vernichtet,  ist  keine  uns  fremde,  sie  wohnt  auch  in  der 
Menschiieit,  wir  treten  ihr  naher,  der  Schmerz  geht  in' 
mne  sanfte  \Xehmuth,  in  die  wohlüiuende  Ge\cilsheit 
iiber,   einer   höheren    Weltordnung  anzugehören^    der 
auch    wir   willig    unsere   selbstiscben   Wünsche    und 
Zwecke  opfern.    Wie  daher  die  Furcht  für  menschli- 
c^s  Glück  zur  Furcht  vor  Gott,  so  wird  nach  eingetrete- 
nem Untergange  das  MiUetd  mit  dem  Leiden  des  Einzelnen 
$^i  d^m  allgemein  mensehlicAen  O^U  unserer  NicAr 
iigkeU  und.  unserer  Qr^fse  in  dieser   Niehtigkeü 
geläutert,  es 'werden  diese  Affekte  gerade  dadurch  ge* 
rMnigt,  dafs  sie  bis  zum.Aeufsersten  aufgeregt  werden.*' 
Bei  dem  kurzen  Worte  von  dem  subjektiven  Eindrucke 
des  Komischen  ist  uns  der  Verf.  einen  bundigen  Auf» 
sshhifs  schuldig  geblieben.    Er  beschrankt  sich  beinahe 
mir  darauf,  das  Gefühl  des  Komischen  pathologisch  zu 
beschreiben^  wie   ee  sich  im    Gelächter,   im .  raschen 
Wechsel  yon  Schmers  und  Lust  entfaltet.    Von  dem 
Yentfindttifs  der  Grundwirkung  entfernt  er  sich  weit, 
indem  er  bemerkt,  dafs  die  Behauptung  einea  Uobbes, 
Addison  und  And«,  daCs  das  Gefühl  der  Ueberlegenheit 
tter  den  verlaebten  Gegenstand  der  Grund  des  La^ 
dmos  sei,  in  einer  Ssthetisclien  Unters>i.ch]ing  keine 
Widerlegung  verdiene,  und  sie  stehe  der  Wahrheit  di» 
xekt- entgegen.    Auf  diesem  Punkte  häUe  nach  unserem 
Baf&ihalten  seine  Untersnehuag  in  die  Tiefe  dringen 
msssen.    Aus  dem  rohen  Gestein  der  angerührten  Be* 


hauptung  hätte  sich  w^hl  durch  Vertiefung,  Bichtung 
und  Läuterung  die  Idee  des  Komischen  und  seiner 
Grundwirküng  zu  Tage  fördern  lassen.  Der  Verf» 
kömmt^aber  auch  in  seiner  Abhandlung  über  .das  Ko- 
mische hin  und  wieder  in  verschiedenen  Aeufserungea 
der  richtigen  Auffassung  der  innersten  Wirkung  des 
Komischeu  nahe« 

Wir  können    der   Sclirift  nicht  in  ihrer    ganzen 
Entwickelung  folgen,  ohne   zu  weitläuftig  zu  werdak 
Sie  hat  einen  sehr  klaren  Gang.   Nachdem  in  der  Ein- 
leitung die  früheren  Leistungen  besprochen  sind,  nimmt 
die  Untersuchung  ihren  Ausgang  vom  einfach  Schönen, 
worauf  dann  zuerst  das  Erhabene   und  weiterhin  daa 
Komische  zur   Sprache   kommt.      Beide   Phasen   des 
Schönen  sind  in   der   Stufenfolge   ihrer  Momente  -mit 
gtoCser   Bestimmtheit   und   Klarheit  dargestellt.      Das 
Werk  ist  überhaupt  klar  gedacht  und  in  der  Ausfül^ 
rung   rein  und  gehaltreich.    Ein   ernster,  grundliclier 
Gedankengang  bewegt  sich  in  frischen,  konkreten,  an. 
regenden  Auffassungen.   Der  begeisterte  Grundton  ent* 
faltet  sieli  in  geistvoller  Darstellung»    So  ist  also  dm 
Schrift  mit  gutem  Erfolg  auf  ein  Kunstwerk  angelegt, 
und  man  mufs  um  so  mehr  bedauern,  dafs  sie  durch 
Ungebührlichkeiten  des  modern -ttsthetiiehea  Polytheis- 
mus entstellt  ist,  wie  z.  B.  wenn  von  dem  Gott   dea 
Unsinns  die  Rede  ist,  wenn  Eulenspiegel  der  Gott  einer 
gewissen  Stufe  des  Lächerlichen  genannt  wird.  H^t  Genius 
des  Verfs.  sollte  in  der  That  über  diese  Modesprache 
des  neuen  Polytheismus  hinaus  sein.    Was  er  S.  1^ 
über  das  VerhältnUs  Gottes  zu  dem  Komischen  sagt, 
gehört  unter   eine  andere  Rubrik,   nämlich  unter  die 
des   Verworrenen.     Der    Verf.    verwechselt  hier   die 
Vorstellungen,  dafs  Gott  den  $chera  verstehe,  und  dafs 
der  Scherz  über  ihn  zulässig  sei.    Er  ist  nämlich  dem 
Gedanken  nahe  gerückt,  dab  auch  das  Erhabenste  .  ein 
Gegenstand  des  Lachens  werden  könne;  es  wird  ihm 
aber  unmöglich,  das  letzte  Wort  in  dieser  Richtung  zu 
finden  oder  auszusprechen,  und  so  taumelt  er  denn  in 
annähernden,  verworrenen  Aenfsernngen,  wie  geblent- 
det  und  fem  gehalten,  um  den  lichten  Punkt  der  hoch» 
sten  Majestät  herum.    Bei  einer  klaren  Fasaung  des 
Komischen   häHe   es  ihm.  nicht   widerfahren  können^ 
diesen  erhidbenen  und  komischen  Burselbaum  zu  ma«> 
eben.;  es  wäre  ihm  ausgeqmcht  geblieben,,  dafs  der  on«)- 
liehe  Geist  in-  den  seligsten  Scherzen  des  vollendeten 


271 


VtMeker^  über  das  Brkai&ne  und  da$  KömüeAs» 


Selbstgefuhk  nie  Ober  den  Gebt,  des  absolut  YoUkomai«* 

tien  sich  erhaben  fühlen  kann,  ohne  wieder  der  Fin^ 

* 

etemire  su  verfallen« 

Von  dem  einfaeh  Schonen  sagt  der  Verf.,  ee  stelle 
Wnäehst  nur  eine  einzelne  Idee  dar,  die  in  einer  be* 
stimmten  sinnliehen  Gestalt  sur  Erscheinung  komme» 
„Indem  es  uns  aber,  schreibt  er  weiterhin,  auf  diese  ' 
Weise  die  Einheit  des  (Seistigen  und  Natürlichen   auf 
einem  bestimmten  Punkte,   in    einem  einseinen  Falle 
anschauen  läfst,  so  briqgt  es  uns  mittelbar,  die  höchste 
Einheit  des  Idealen  und  Realen,  also  die  absolute  Idee 
sur  Anschauung.     Nur   ipittelbar,  denn   die  absolute 
Efaoibeit  des  Wirklichen  und  des  Idealen  kann  eigent- 
lich nie   auf  einem   einzelnen  Punkte  sich   erschöpfen 
und  fix  und  fertig  auf  die  Oberfläche  treten,  sondern 
nur  die  Totalität  alles  Seienden  kann  den  ganzen  In- 
halt des  Absoluten    Yerwirklicht    darstellen,   nur  das 
ganze  Universum  kann   der  voUkommne   Spiegel   des 
göttlichen  Lebens  sein,  wie  s.  B.  nicht  eHa  einzelner 
Mensch,   ^in  einzelnes   Volk  die  ganze  Aufgabe   der 
Menschheit,  und  am  allerwenigsten  in  einem  einzelnen 
^Momente  löst,  sondern  nur  die  Gesammtheit  der  VöU 
ker  im  gesammten  Verlaufe  der  Geschichte"  (S.  24). 
Diese  Exposition  scheint  im  Grunde  die  ideale  Seite 
der  Schöpfung   ganz  zu  verkennen.    Das  ist  ja  eben 
das  Wese^^er  Idee,  dafs  in   ihr  das  Unendliche  sich 
spiegelt,  dab  sie  einen  hellen  Krystall  bildet,  durch  wel* 
chen  die  höchste  Idee  ihre  Lichtfülle  kuud  gibt    Nicht 
durch   die   realistisch    summarische   Zusammenfassung 
aller  Weltbilder  wird  Gott  gefunden,  sondern  durch  die 
ideal  intensive  Erfassung  der  Gottesbilder  im  Weide* 
ben.    Wer  nur  in  der  äufseren  Unendlichkeit  der  Welt« 
entwiekelung  den  vollkommenen  Spiegel  des  göttlichen 
Lebens  finden  klinn,  der  hat  weit  zu  laufen  durch  den 


tieni  Momente  gelöst  erachten,  se  würde  man  sciii^ieii^ 
lieh  in  dem  unendlich  zerstreuten  Wekglam  einen 
Gottesspiegel,  in  der  unendlich  zertheilten  Weltmiht 
eine  Gottesmhe  gewinnen;  Es  ist  aber  festsulialte% 
dafs  die  Schöpfung  sieh  eben  sowohl  in  ihrer,  idealen 
Kraft  conzentriren,  als  in' ihrer  realen  Fülle  ausbreim 
mufs,  um  den  Logos,  welcher  ihr  Grund  irt,  e«  ofifcB» 
baren. 

Es  ist  uns  nicht  möglich,  mit  dem  Verf.  das  Brha» 
hene  der  Natur  oder  der  Substanz  lediglich  als  das  Ef^ 
faabene  des  Raums,  der  Zeit  und  der  Kraft  oder  strseg 
genommen  als  ein  blofs  scheinbar  Erhabenes  zu  fassen, 
und  von  dem  Erhabenen  des  Geistes  getrennt  su  den* 
ken.  In  der  Anschauung  des  Meeres  z.  B«  ist  es  weld 
nicht  blofs  die  scheinbar  unendliche  Ausdehnung,  wri» 
che  zu  der  Idee  des  Unendlidien  hinüberleitet,  sondem 
auch  die  Erscheinung  einer  aufserordentlicli^i  Krafk» 
entfaltung,  einer  mysteriösen  Schöpfungssphftfe.  Das 
Raumgrofse  wirkt  wohl  nie  schlechthin  nur  als  das 
Raumgrolse,  sondem  immer  schon  als  weite  Umfasasi^ 
einer  geweihten  Region,  die  von  dem  schöpferlseh  A 
gegenwärtigen  Geiste  des  Lebens  zeugt.  Wer  nöehle 
in  einer  erhabenen  Gebirgsscene  lediglich  das  Uneadli» 
che  der  Ausdehnung  sehen  wollen  ?  .  Wie  kann  sMm 
mit  dem  Verfasser  die  Stufen  der  f^yramide,  oder  die 
Abschnitte  eines  hohen  Thurms  blofii  als  Anregungen 
des  Messens  der  ganzen  Gröfse  solcher  Gegenstands 
betrachten,  und  insofern  als  Veranlassungen^  das  Gs» 
fühl  des  Erhabenen  zu  wecken,  da  ja  doch  Tielawkr 
durch  diese  Abtheilungen  der  kühne  Menschengsifl^ 
welcher  so  hoch  gebaut  hat,  zur  Erscheinung  kommlf 
Ob  das,  was  der  Verf.  das  Erhabene  der  Z^  nont^ 
nur  Überhaupt  sum  Erhabenen  der  Natur  gerechnet  wer* 
den  könne,  ist  vorab  noch  die  Frage.    Der  Verf.  reck» 


unendlichen  Raum,  und  lange  zu  warten  duroh  die  un-  -  net  zum  firhabenen  der  Zeit,  wenn  „in  dem  ernstes 


endliche  Zeit,  bis  er  im  seligen  Schauen  Gottes  Ruhe 
gefunden.  Die  Welt  wird  nicht  durchschaut  vermitr 
telst  der  Umschreitung  ihrer  Peripherie,  sondern  ver- 
mittelst der  Vertiefung  in  ihren  Mittelpunkt,  und  wenn 
sie  keinen  solchen  Mittelpunkt  hätte,  wenn  es  nicht  ei- 
nen in  die  Erscheinung  tretenden  vollkommnen  Spiegel 
des  göttlichen  Lebens  gäbe,  wenn  nicht  die  Aufgabe 
des  Lebens  ideal  gefalst,  einmal  in  einem  einzelnen 
Velke^  in  einem  einzelnen  Menschen,  in  einem  dnzel* 


Klange  der  mitternächtlichen  Zwölfe  uns  die  Ewigkeit 
gepredigt  wird."  Wir  möchten  die  hier  beseiebaste 
Empfindung  des  Erhabenen  In  das  Gebiet  der  suhjek^ 
tiven  Sphäre  hinubemehmen.  Wenigetens  bringt  es 
die  Natur  fOr  sieh  allein  zu  diesem  mahnenden  Klangt 
der  Zwölfe  nicht.  Unter  der  Kategorie  des  Erhabenen 
der  Kraft  lifst  der  Verf*  auch  die  Zwerge  mit  auftre- 
ten, weil  sie  ftirchtbar  sind,  weil  man  sieh  ihr»  Intel- 
ligens  im  umgekehrten  Verhaltnisse  zum  Körper  denkt. 


(Der  Beschlafs  folgt.) 


'        ,^'  85.    ■    . 

Jahrbücher 

•  •  t 

-  für 

wissenschaftliche    Kritik. 


Februar  1840- 


Vehev  das  Erhabene  und  Komische^  ein  Beitrag' 
zu  der  Philosophie  des  Schönen  von  Dr.  Friedr. 
Theod.  Vis  eher. 

(SchTufs.) 

£s  ist  ein  genialer  Zug,  wie  sie  bei  ihm  reichlich 
vorkommen,  dafs  er  die  Zwerge  hier  auflfuhrt.    Es  scheint 
aher  genau  genommen  mit  den  Zwergen  so  zu  stehen, 
.dafs  sie  etwas  Komisches  haben,  was  in  das  Erhabene 
Qberschlägt,  während  die  Riesen   mit  einem  Anschein 
des  Erhabenen  auftreten,  der  in's  Komische  übergeht.  — 
lieber  das  Erhabene  des  absolulen  Geistes  hat  der  Vf. 
viel  Schönes  gesagt,  wir  müssen  aber  hier  am  Entschie- 
densten ihm  gegenübertreten,  wenn  er  dieses  Erhabene 
lediglich  als  das  Tragische  erkannt  hat.    Diese  Fassung 
verräth  die  Krankheit  seines  Systems,  nach' welchem 
der  absolute  Geist  „die  beschränkten  (subjektiven)  Gei- 
ster eben  so  sehr  ans  sich  hervorgehn,  als  auch  an  ihrer 
UnroUkommenheit  und    Relativität    zu   Grunde   gehen 
läfst^  S.  83,  —   An  einer  andern  Stelle  heifst  es :  „die 
Schuld  ist  die  Existenz^  das  Heraustreten  des  Indivi- 
duums  aus  der  Indifferenz  der  allgemeinen  Lebensquelle, 
und  die  Strafe  dafür  ist,  dafs  es  in  den  dunklen  Grund^ 
aus  dem  es  stammt,  surüekgeschlungen  wird*"  (S.  95). 
Mit  solehen  philosophischen  Keulenschlägen  auf  die  Idee 
der  ewigen  Persönlichkeit  des  subjektiven  Geistes,  der 
hdividualitätenf,  mit  solchen  Yerweisungen  des  lichten 
Lebensbewulstseins  In  die  Finsternisse  des  dunklen  Grun- 
des, erzielt  man  keinen  wahrhaft  tragischen,  sondern 
immer  nur   einen   tragikomischen  Effekt.     Unter  dem 
£inÜQsse  dieser  Toraussetzung  ist  die  Aeufserung  des 
Verfs.  eiftstanden:  „der  religiöse  Glaube  hat  es   ver- 
sucht, die  subjeetive  Gröfse  des  menschlichen,  und  die 
absolute   des    göttlichen  Geistes  in   einem    bestimmten 
historischen    Subjekte    zusammenfallen,    und   einander 
J«4f6.  /.  m$$enieK  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd.    . 


decken  zu  lassen,  dessen  Leiden  daher  auch  nicht  als 
ein  verdientes,  sondern  als  ein  stellvertretendes  aufge- 
fafst  wird.  Ob  sich  dies  vor  der  Vernunft  halten  lasse 
ist  hier  niclit  zu  untersuchen.''  "Vielleicht  hätte  sich  der 
Yerf.  an  diesem  gröfsten  Momente  der  Geschichte  auf 
eine  schickliche  ^etse  vorbei  machen  können ;  wollte 
er  ihn  aber  in  seiner  Theorie  anfuhren,  so  lag  es  nahe, 
hier  das  tragisch  Erhabene  in  seiner  Erßütung^  in 
seiner  erschreckendsten  und  seligsten  Erscheinung,  und 
zwar  als  unbedingte  Hingebung  dps  lichtesten,  reinsten 
Menschenlebens  an  das  dunkelste,  verhüllteste  Walten 
Gottes,  im  Gefühl  der  Weltschuld  durch  Mitleid,  und 
im  Glauben  an  den  verhüllten  Frieden  Gottes  in  sei- 
nen Gerichten  selbst,  zu  erkennen.  An  dieser  Stelle 
wäre  auch  noch  ein  näherer  Aufschlufs  über  die  myste- 
riöse Idee  des  Fluches  zu  erhalten  gewesen,  welcher 
gar  nicht  als  eine  überall  in  die  Charaktere  selbst  hin- 
einfallende Nothwendigkeit  nach  S.  122  zu  betrachten 
ist,  sondern  im  Allgemeinsten  wohl  als  die  Verkettung 
der  Schuld  in  ihren  verderblichen  Folgen  mit  dem  Le- 
ben, so  dals  am  Ende  der  reine  Mensch  die  Schuld  aller 
Unreinen  in  seinem  Leben  büfsen  mufs,  weil  er  durch 
das  Band  des  Lebens  unzertrennlich  mit  ihnen  eins  ist. 
So  sind  wir  also  schon  mit  d^r  Entwickelung  des  Tra- 
gischen selber,  wie  sie  der  Verf.  gibt,  nicht  gründlich 
einverstanden,  obschon  er  vielfach  herrliche  und  ergrei- 
fende Saiten  anschlägt.  Noch  mehr  aber  haben  wir 
gegen  die  Beschränkung  des  Erhabenen  des  absoluten 
Geistes  auf  das  Tragische  einzuwenden.  Wir  halten 
es  recht  vornehm  in  diesem  Punkte  mit  Goethe :  wir  be- 
weisen die  Unsterblichkeit  damit,  dafs  wir  sie  nicht  ent- 
behren können.  Wir  halten  uns  vornehmer  noch  an 
das  Symbolum  der  Kirche,  und  glauben  schliefslich  an 
die  Auferstehung  des  Fleisches,  und  ein  ewiges  Leben« 
Das  ist  ja  auch  die  Seligkeit  in  dem  Gefühl  des  Tra- 

35 


Vwher^  über  das  Brkaime  und  das  KmnüeAe* 


275 

gischeuj  daCs  man  bei  der  Erschütterung,   Welche  der 
untergehende  Held    zurüekläCst,  von   der  Ahnung  der 
Wiederherstellung,  der  Wiederbringung  ergriffen  wird. 
Es.  geachi^ht  also  iin  Interesse  des  Tisagischen  .selbst,  . 
weiin  wir   su    dcfm  Erhabenen  des  absoluten  Geistes  - 
auch  die  Momente  des  heiter  festlichen,  des  in  den  In- 
dividuen selber  triumphirenden  göttlichen  Lebens  rech- 
nen,  £•  B.   die  Verklärung  auf  Tabor,    die  Auferste- 
hungsgeschichte,  das  erste  Pfingstfestj   oder  auch  ver- 
wandte, gröfsere  historische  Lichtmomente  in  der  Welt- 
geschichte,   E.  B.  das  Feiern  der  Kreuzfahrer  im  An- 
schauen Jerusalems,  oder  erhabene  Festscenen  aus  der 
Befreiungsgeschichte  Deutschlands.    Dafs  in  dem  ge- 
genwärtigen Weltlauf  die  tragischen  Momente  des  Er- 
habenen vorw.alten  vor  den  heiter  festlichen,  darf  uns 
nicht  i^ren,  da  der  Grundcharakter  des  gegenwärtigen 
Aeons  tragisch,  mit  dem  Kreuze  gezeichnet  ist.    In  der 
Welt  der  Auferstehung  aber   mufs  das  Erhabene  den 
Charakter   der  hehren  Heiterkeit  haben  ^   und  in  dem 
grofsen  Chore  des  individuellen  Schönen  tMv  Erschei- 
nung kommen,  das  harmonisch  Schöne  mufs  in  der  Be- 
'  siehung    des  Erhabenen ,    in   der  Hingebung    an   das 
Unendliche  erscheinen,  und  die  reinen  Blitze  des  Ko- 
mischen müssen  geweiht  in  den  reinen  Spielen  des  un- 
endlich individuellen  und  mannichfaltigen  Lebens  fort- 
dauern, harmonisch  geeinigt  mit  dem  Erhabenen  in  ^der- 
selben Weise,  wie  die  Zufälligkeitenr  mit  der  allgemei- 
nen Bestimmung,  die  Subjekte  mit  dem  absoluten  Geiste 
harmonisch  geeinigt  sind;   sie  müssen  als  die  Einzel- 
spiele der  ewigen  Sophia,   die  sclion  bei  der  Weltbil- 
dung  vor  Gott  gespielt   hat  auf   dem  Erdboden   nach 
Proverb.  8.,  offenbar  werden,  und  das  grundgütige  Wal- 
ten, welches   die  Schöpfung  durchdruigt,  in  den  Frei- 
heiten,  Privilegien  und  heitern  Eigenheiten  des  speziell- 
sten Leben  kund  thun  —  und  so  müssen  sie  es  ver- 
bürgen,  dafs  die  alte  Sage  von  dem  Götterneide,  oder 
von  der  Unerbittlichkeit  des  duhklen  Grundes,  der  das 
persönliche  («eben  immer  zuletzt  als  Verbrechen  behan- 
deln soll,  ein  banger  und  armer  Wahn  ist,  eine  tragi- 
komische Figur  gegenüber   der  ewigen  Kraft  und  Hei- 
terkeit des  Individuellen,  des  Subjektiven^  des  in  seiner 
Persönlichkeit  gesicherten,  ja  zur  freiesten  Eigenthüm- 
lichkeit  verpflichteten   Lebens.      Der  Yerf.  hat  keine 
Bewefsei  für  die  Schuld,  welche  in  der  Endlichkeit  sel- 
ber liegen  soll,  angeführt.  •  Unser   Beweis  für  die  Un- 


27f 


•ndUchkeit  des  sul^ektiven  Lebens  li^  ebfaeb 

dafs  jeder  endliche  Geist  ein  spesieller  Gedanktr  GoU 

tes  ist,  den  er  so  noch  nicht  gedacht  hat  (nicht  ledig* 

lieh  Gattungswesen  sondern  Individualität)  und  dab,  Gett 

seine  Gedanken  nicht  wiedet  vergessen  kann.   I        >  -* 

Wir  hätten  noch  mancherlei  mit  dem  Yf.  sä  reck* 

ten.    Wir  wollen  jedoch  lieber  schliefsUch  die  Teisi» 

cherung  -wiederholen,   dafs   sein  Werk  vns   als   cme 

höchst  anregende,  geistvoUe,  in  «einem  Grundton  ii  rmü' 

lerisch  gehaltene  Monographie  über    den  betreSendei 

Gegenstand  erschienen  bt,  und   dafs  wir  nach  dnon 

-schönen  Gedichte   Totf  A.  Truburg  in  dem  Jahrbtech 

seh wäbbcher  Dichter  und  Novelli^en,  betitelt  dl^vIfW- 

serfaltf  seinen  Genius  (d.  fa.  seinen  Geist  in  der  Krall 

seiner  Führung)  betrachten  möchten    als   den  BtroB, 

welcher  den  hemmenden  Felsblock  des  vulgären  Pae* 

theismus,   der  Lehre  von  der  absoluten  Endlicheit  des 

Persönlichen^  im  Lebensdrang  sur  Tiefe  heitrer  Tbat 

auen  triumphirend  niederkämpft. 

Lange,  in  Duisburg. 


t  ^ 


XXIIL 

Die  Oden  des  Qutntus  Horatius  Saccus.  Tn 
den  Versmafsen  der  Urschrift  Deutsch  mit 
beigefügtem  lateinischemTewt  eon  Adolpi'Frie^ 
drick  von  der  Decken.  Braunschweig^  ISSS» 
Druck  und  Papier  von  Friedrich  Vieweg  und 
Sohn.  2  Bde.  8.  Ister  Bd.  X.  und  317  & 
2ter  Bd.  2ßi  S.  . 

In  einer  Zeit,  wo  das  unendlich  gewachsene  Ma? 
terial  der  einzelnen  Wissenschaften  nur  innerhalb  der 
Grenzen  des  Fachs  und  ^nter  den  Händen  ihrer  be» 
stellten  Hüter  gedeihliche  Bearbeitung  verspricht,  wo 
jenseits  jener  Gränzen  die  Gemüther  von  den  mannig- 
faltigen Interessen  einer  bunten  Gegenwart  hingeris» 
sen  wurden ,  ist  es  in  der  That  eine  eben  so  seltns 
als  erfreuliche  Erscheinung,  wenn  sich  irgend  ein  keekcf 
Segler  an  die  Küsten  .eines  so  verschollenen  und  hSf 
dustrielosen  Eilandes  wagt,  als  heutzutage  der  überwie* 
genden  Mehrzahl  das  AUerthun^  erscheint.    Sie  ist  uni 


vn 


Die  ßden  4e%  H^raüms.    UHer$H%t  von  A.  F.  v9h  d^r  Decken. 


»8 


M  selUMT,   wenii  er,   Iri^  Hr.  ▼.  der  Decken,  einem 
Stande  «ngebort,  der  mit  den  Mitteln ,  den  lebendige^ 
AngenbüeicxH  ntttfeen,  diesen  als  seinen  anssehHefsl^ 
ehta  BesitB  anzuerkennen  gewohnt  ist;  um  se  erfreu- 
]^er,   wenn  er  nicht  nur  an  den  dort  inzwischen  er- 
worbenen Sel^tzeti  In  behaglicher  Ruhe  sich  labt,  son- 
iderft  sie  der  mitlehenden  Welt  i^it  eigner  Anstrengung 
tesnfihren  und  geniefsbar  su  machen  gedenkt.    Offen- 
bar ist  die  Vetersetzung  das  für  eine  solche  Thätig- 
keit'  geeignetste  Gebiet,  hier  vermag  ein  mit  producti- 
y^  Kraft  und  sprachlicher  Gewandtheit  aosgerOsteter 
Geist  auch  ohne  die  Mtiisamkeit  philologischer  Studien 
Erfreuliches,  ja  sogar  relativ  Selbständiges  zu  leisten, 
wenn  er  anspruchslos  auf  die  Arbeiten  gelehrter  Vor- 
gänger sich  stutzt  und  bei  den  von  diesen  gewonne- 
nen Resultaten  sich  bescheidet.    Das  hat  in  der  voriie- 
genden  Uebersetaung  der  Horazischen  Oden  Hr.  von 
der  Decken  gethan,   dem  eine  eigne  Constituirung  und 
Exegese  des  Urtextes  so  fern  lag,  dafs  er  Ihrer  in  der 
Vorrede  mit  keinem  Worte  gedenkt,  ja  nicht  einmal 
die  Hecension  nennt,  der  er  gefolgt  ist     So  darf  sich 
denn  unsre  Beurtheiiung  nur  auf  die  formale  Seite  der 
Arbeit,    die    deutsche  Gestaltung  des   bereits   bekannt 
vorausgesetzten  Textes  richten,  zumal  da  der  Verf.  sei- 
nen Zweck  selbst  angiebt,    die  Tersmafse   des  Origi- 
nals treuer  und  genauei^,  als  es  bisher  geschehen*  war, 
im  Deutschen  nachzubilden.    Demgemfifs  theilt  er  denn 
auch  sein  Buch  nicht  nach'  Ueberlieferung,  noch  nach 
Chronologie,  sondern  nach  den  metrischen  Schematen  in 
13  Abschnitte.     Zunächst    nun   erscheint    ein    solches 
Vorhaben  eben  so  einsichtsvoll  als  dankenswerth.   Denn 
uns  ist  der  Vers  nicht  mehr  die  goldne  Kette,  welche 
iet  Dichter  halb  als  Schmuck,  halb  als  Feiisel  schim- 
mernd und  klirrend  hinter  dem  Gedanken  herschleppt. 
Vielmehr   dient  er  mit  dem  letztern  eng  verwachsen 
zum  Ausdruck  desselben  .Aen  so  unmittelbar  und  noth- 
wendig,    ali\  das  Wort:   Ein  Horaz  in  Sonnetten  und 
Trioletten  mufs,  trota  neuerdings   ti^lederholter  Versu- 
che, stets  eben  so  lächerlich  und  geschmacklos  sich  ge- 
bärden, als  Cicero's  Reden  oder  Plinius  Naturgeschichte 
In  Hexametern.    Die   deutsche  Sprache  vermag   auch 
in  dieser  Weise  sich  antiker  Form  zu  nähern  und  mufs 
es  also  auch,  wenn  sie  den  Totaleindruck  des  alten 
Dichters  dem  Deutschen  vergegenwärtigen  soll.    Es  ent- 
steht nur  die  doppelte  Frage,  1)  wie  weit  diese  Annähe- 


rung absolut  ml(gfick  sei  und  2)  wenn  in  der  tJeber^ 
Setzung  Wort  und  Yers  sich  streiten,^  welches  dem  an* 
dem  weichen  müsse. 

FQrs  erste  nun  wird  die  deutsche  Sprache  stets 
eine  accentuirende  bleiben   und  Ton  und  Quantität  zu- 
gleich sich  nur  nach  der  Bedeutung  der  Silben  rich- 
ten.   Daher  gilt  eine  deutsche  Lange  stets  voUwichti* 
ger  und  kräftiger,    als    eine  antike  blofse  Quantitäts* 
länge  und  eine  durch  Vocaldehnung  und  Consonanten- 
fiille  beschwerte  Mittelzeit  wird  nie  zi^  der  Eilfertige 
keit  einer   antiken    Kurze    sich  verflüchtigen.     Daher 
auch  irrt  sich  Herr  von  der  Decken,  wenn  er  dem 
Klange  dos  Originals  dadurch  näher  zu  kommen  meint, 
dafs  er  in  den  Choriambischen,  Sapphischen  und  Alcäi- 
schen  Maafsen  die  drei  auf  einander  folgenden  Längen 
d6s  OrigJBials  möglichst  beizubehalten  sich  bestrebte.  Wir 
erkennen  in  Versen,   die  also   einsilbige  Stammwörter 
und  somit  Begriff  auf  Begriff  häufend  den  Gedanken 
starr  und  stramm  ruckweise  nachzufolgen  zwingen,  wie: 
I,  17, 1.  Gott  Faun  behend  eilt  oft  vom  Lycäus  fort* 
Das.   V.  7.    fP'egs  irr  das   Fraunheer  üppgen   Cr«!#- 
bocks.    III,  2,  L   Den  Göttern  fremd  Folk  hass'  ick 
und  treib'  es   fort.     III,  2,  End.    Nicht  leicht   vom 
Schelm  laßt  ab,  der  vorflieht  (!).    IV,  15,  13:  Durch 
welchen  Jftome  Glanz  strahlt.     L  2,  40:  Der  Itfaur 
starrt.   I,  4,  13:  Bleichenden  Tod*e  Fu/s  pocht  gleich 
mahnenden    Schlags    au   Armer   Obdach,  —  keines- 
wegs die  flieFsende  Aequabilität  des  horazischen  Nume- 
rus.  Unser  Spondeus  ist  nicht  derSpondeus  der  Alten, 
nnd  nicht   durch  Beibehaltung  der  dem  Namen  nach 
gleichen  VersfuFse,  sondern  gerade  durch  Modification 
derselben  in  den  antiken  Metren   gewinnen  wir  eine 
Annäherung  an  den  beabsichtigten  Effect.*   Wenn  also 
auch   die  Trochäen    des  Kloppstockschen  Hexameters 
zu  sehr  der  Bequemlichkeit  nachgebend  den  alten  Yers 
kraftlos  und   lahm  machen,   so  entsprechen   sie  doch, 
wenn  ihre  Thesis  durch  schwere  Mittelzeiten  ausge- 
füllt wird,  wie  bei  Wolf,  Vofs,   Platen,  Schlegel,   dem 
alten  Spondeus  viel  mehr,  als  die   donnernden  Urlän- 
gen  des  gleichnamigen   deutschen   Fufses,    welche  bei 
angemessenen  Gedanken  die  Kraft  des  Originals  aller- 
dings zu  einer  Höhe  steigern  mögen,  wie  sie  der  alte 
Dichter  vielleicht  erstrebte,  ohne  sie  mit  seinen  Mitteln 
erreichen  zu  können,   bei   herabgestimmtem .  Ausdruck 
hingegen  oder  gar  in  den  Tändeleien  eines  Licbeslie« 


279 


Die  Oden  des  BoTQtius.^   Ueiersetxt  von  A.  F.  von  der  Dtehm* 


des   als   wahre  Afterbildungen  und   Carrikaluren    er- 
scheinen. 

Schwieriger  nun  ist  offenbar  die  zweite  Frage,  ob 
bei  streitigen  Fällen  der  Uebersetser  dem  Original  im 
Worte,  oder  in  dem  gleichberechtigten  Metrum  untreu 
'  werden  solle,  und  in  der  That  ist  sie  durch  keine  ab- 
stracto Satzung  zu  beantworten.    Denn  gerade  darin, 
dafs   der  Uebersetzer   denselben  Kampf  zwischen  Ge- 
danken und  Form,  den  schon  sein  Vorgänger  zu  käm- 
pfen hatte,  um  das  Gedicht  zu  produciren,   dessen  Be- 
schwichtigung eben  das  Gedicht  selbst  ist,  wiederholen 
muCs,  grade  darin  zeigt  sich  die  Uebersetzung  als  ein 
Kunstwerk,  nicht  allein  als  Copie  oder  gar  Daguerro- 
graphischer.  Abdruck.    Der  Uebersetzer  mufs  in  einem 
andern  Material,  mit  den  heterogenen  Mitteln  eines  an- 
dern  Sprachschatzes   arbeiten,    er  mufs,    wej^n  er  so 
schreiben  will,  „wie  etwa  Horaz  in  deutscher  Sprache 
gedichtet  haben  würde"  (S.  VII),  sich  zunächst  in  die 
fremde  Individualität  versenken ;  aber  in  .seiner  Auffasr 
sung   sowohl    des  Fremden,  als    in   der  Reproduction 
durch  Wort,  Wendung,  VersmaaCs  wird  er  nothgedrun- 
gen  einen  Theil  auch  seiner  Individualität  niederlegen. 
Natürlich  wird  diese  in  demselben  Maafse  zurücktre- 
ten, als  der  Uebersetzer  sich  mit  seinem  Vorbilde,  das 
ihm  gegenüber  stets  als  Ideal  gelten  muis,  zu  identifi- 
ciren   verstanden   hat   —    Schlechtes    und    Häfsliches 
sollte  daher  nie  übersetzt  werden.  —  Wenn  daher  der 
Hr.    Uebersetzer  den  horazischen  Gedichten    von    der 
rhythmischen  Seite  näher  zu  kommen  meinte,  als  seine 
Vorgänger,   so  bedurfte    es  kaum  der  Entschuldigung 
(S.  VI),   „dafs  dieses  strengere  und   schwierigere  von 
der  gewöhnlichen  mehr  oder  weniger  bequemen  Weise 
die  alten  Versarten  im  Deutschen  nachzubilden  so  sehr 
abweichende  Verfahren    es  ihm   unmöglich  machte,  so 
wörtlich  zu  übersetzen,  als  manche  seiner  Vorgänger." 
Wohl  aber  fragt  es- sich,  abgesehen  von  dem  falschen 
Wege,  den  der  Vf«  zur  Erzielung  des  antiken  Rhyth- 
mus im  Allgemeinen  einschlug,  ob  er  innerhalb  dieser 
G  ranzen  uns  Horatius  Büd  treuer  zeige,  als  Andere. 


Und  da  muIs  uns  zuerst  das  Gestlndnib  bedenklick 
erscheinen  (S.  VII),  dafs  er  mancher  in  der  deutscliesi 
Sprache  ungewöhnlicher   Wortstellungen   sich    su  be- 
dienen gezwungen  gewesen  sei,  um  die  Erretd&ung  9A^ 
ner  „metrischen  Zwecke"  möglieh .  zu  macbell.    Dcsft 
theils  ist  jedes  Dichters  nächste  Aufgabe  Verständiick* 
keit  im  Kreise  Gleichgebildeter,  der  Uebersetsev  miib 
vor  Allem  diese  erstreben,  und  Abweichung  von  dem 
ihm  Überlieferten  Material  der  Muttersprache   darf  er 
nur  da  sieh  erlauben,  wo  auch  sein  Vorbild  Neues  srit 
Glück  wagte.    Zweitens  zeichnet  sieh  aber  grade  U> 
raz  durch  den  reinlichen  Glanz  seiner  Kunstwerke  aii% 
die  jede  Afifectation  und  Verschrobenheit  hassen,  die 
Natürlichkeit  des  Inhalts    im  leichten  Redeflurs  desi 
Herzen  zum  unmittelbaren  Verständnifs  zufuhren  und ' 
den  Dichter  eben  darum  zum  Liebling  der  Gebildeten 
aller  Zeiten  gemacht  haben:    Aber  gelbst  der  Irrthum 
des  Hm.  Uebersetzers,  als  sei  das  Werk  „des  greisen 
Römers"  nicht  auch  daxu^  bestimmt  gewesen«  ^^beiläli- 
fig  die  Mufse  eines  fluchtigen  Weltmannes   zu   erfaei» 
tern"  (S.  IX),  könnte,  wenn  wir  ihn  entschuldigen  woD- 
ten,  doch  nicht  seinerseits  zur  Entschuldigung  des  b^- 
sen  Umstands  dienen,   dafs   wir  an  manchen  Stellen, 
um  nur  irgend  die  Uebersetzung  zu  verstehen,  uns  ans 
dem   lateinischen  Text  Rath   erholen   müssen.     Denn 
wer  verstände  ohne  diesen  (Od.  IX,  6,  3  flf.) : 

Wfiihl  braeh  Monäiei  Heer  und  die  Paeorui 
Schon  twier  den  Vonckau  trotzenden.  Eömerttiarmf 

Sah*t  lachend  hohnvoll  an,  wie  armes 
Kettengetchmeid  e$  vermehre  durch  Siegiraub, 

I,  37,  13  fr- 

AU  kaum  der  Sch^  «tsf  tilgender  Wuth  entrann. 
Und  ihre»  Irrwahn^  Rausch  Mareoter^Weim^ 
Schuf  Caesar  furchtbar  um  zur  Wahrheil. 

II,  1,  25: 

So  jede  GotAeii^  welche  mit  Zeus*  Gemahl 

Freund  Afrer  Volks,  liefs  nimmer  gerächtes  Ltmd,  . 

Dort  sonder  Macht;  gab  hin  der  Sieger 
Enkel  dem  Tody  zum  Vergelte  Jugurüia's,  • 


(Der  Beschlttfs   folgt.) 


•f 


I 


J^  36. 


Jahrbücher 


für 


w 


Kritik. 


Februar    1840. 


Hie  Oden  des  Q^intus  ffpratius  Flaccus.  In 
den  Versmafsen  der  Urschrift  Deutsch  mit  bei- 
gefügtem  lateinischem  Text  von  Adolph  Frie- 
drich von  der  Decken. 

(Schlaft.) 
Aber  die  »^metrischen  Zwecke''  beherrsehen  den  Vf. 
so  sehr,  dafs  er^  ihnen  zu  Liebe  und  besonders  um  sei- 
nen Sjpondäus  zu  retten,  deutsche  Satz-  und  Wortbil- 
düng   über   den  Haufen   wirft.     Daher  Zusammenset- 

'  Zungen,  wie:  Wandellustbahn  (I,  9,  19,  areae  sollte 
v^enigstens  heifs^i:  Lustwandelbahn),  Wahnmuth  (1, 16, 
19  insani  leonis  vis),  daselbst  Y.  23.  Hiufall,  I,  5,  2 : 
Lebart,  I,  35,  19:  Klammzeug  (cunei),  II,  5,  2:  gleich- 
thun  c.  acc.  (aequare),  II,  7,9:  Eilflucht,  11,3,9:  Ficht- 

.  bäum,  11,11,7:  das  Grau  haar  (Calvities),  III,  4,  74:  Ab- 
stamm  (partus),  I,  1,1:  Absprofs,  IV,  15,  1:  Burgsturm, 

I,  17,  23:  u.  II,  14,  7:  Dreileib,  I,  31,  15:  Weichkraut 
(malvae),  III,  11,  9:  Dreijahrpferd,  II,  32,  14:  Grofs- 
gott  (d.  i.  Jupiter),  II,  8,  5:  würde  ich  glaubsam  traun 
(crederem);  darum  werden  Elisioneu  gewagt,  wie:  be- 
reits (I,  6,  5),  hindurchwindst  (II,  19,  19),  Vind'lisches 
Volk  (IV,  14,  8);  darum  wird  der  Artikel  unzählige 
Mal  sinnentstellend  ausgelassen ,  einfache  Verba  in  ei- 
nem Sinn  gebraucht,  den  nur  ihre  Composita  mit  ton- 
losem  Vorsatz  haben  können;  so  I,  16,  1:  O  Kind  an 
Schönheit  dunklend  der  Mutter  Ruhm.  Daselbst  12 : 
Und. keine  Windsbraut  trümmernd  die  SchifT  im  Meer; 
darum  werden  Präpositionen  verschmäht,  wie  I,  17,7: 

Da$  Fraunheer  üppigen  Geitbocks 

Nicht  im  GeUrUuch*  auch  erbebt  den  Nattern 

Und  jenem  Haubwolf  nimmer  die  Ziegenbrut 

II,  1,29:  Romischen  Blut's  gedangt,  II,  12, 3 :  Purpurn  r5ml« 
gehen  Bluts.   Wörter  und  Phrasen  werden  verstümmelt: 

Laft  kurz  den  Prachtehor  ernster  Tragödia 

Entfernt  tarn  Schauplatz  (pauUum) 
I,  37,  25:  Sieht  X:alt  die  Webklag'  hallende  Königs- 
bürg  (ausa  visere),  II,  3,  18:  Vom  Hof,  den ;gold/ar6\ 
Jahrb.  /.  wi$$en$ch.  Kritik.   J.  1840.    I.  Bd. 


Moass'ert  der  Tiberslrom.  Nomina  propria  werden  end- 
lich mit  so  undeutschem  Accent  angewandt,  dafs  der 
Verf.  um  nur  leserUch  zu  werden.    Striche  und  Häk- 


s/  s^  — 


chen  zu  Hülfe  nehmen  mufs.    So  IV,  6,  1:  Ni0be(sic), 


\^  w 


V.'    KJ 


II 


III,  12,  6:  Lipares,  II,  5,  16:  Lalages,  wobei  er  selbst 
nicht  Inconsequenz  scheut;  .denn  I,  22  erscheint  das- 
selbe Wort  in  richtiger  Quantität.  Gespreizte  Sätze 
nun,  wie  die  obigen,  dürften  selbst  bei  J.  H.  Vofs  in 
seiner  letzten  und  verknöchertsten  Periode  nicht  auf- 
zuweisen sein,  noch  Inversionen,  wie  diese:  I,  29,  1: 

Wa$  reichen  Goldberg'  jelzo  dem  Araber 

Mif$gönn$t  und  Feldzug^  Icciue^  rüitest  du. 

2,  20: 

Trott  dem  Volktwahn  tilgt  den  Phraat,  der  zwiefauf- 
Kyrui  Thron  gtieg,  weg  aue  der  Zahl  Beglückter^ 
Und  den  Wortbruch  itraft,  der  verßUcht,  den  Pöbel 
Wamindy  die  Tugend, 

I,  9  z.  Ende: 

Ein  Pfand  geraubt  wartte  echonem  Aermchen^ 

Oder  der  ichwack  eich  getträubt,  dem  Finger.  ^ 

Wer  aber  einmal  eine  solche  Unnatur  zulassen  konnte 
uud  durch  Uebung  sich  noch  darin  heimisch  machte, 
bei  dem  bt  es  nicht  eu  verwundem ,  dafs  er  zuletzt 
selbst  eine  SchOnheit  darin  sieht.  „Theils  habe  ich," 
sagt  der  Vf.  S.  VII^  „sie  (die  ungewöhnliche  WorUtel- 
lung)  absichtlich  gesucht,  weil  meines  Bedünkens  das 
Ungewöhnliche  dieser  Wortstellungen  dem  Vers  einen 
eigenthümlichen  Klang  und  originellen  Anstrich  giebt 
und  ilin  mehr,  als  sonst  etwas  (?)  über  den  Ausdruck 
der  gewöhnlichen  Prose  erhebt**  Und  demg^mäfs  finden 
wir  Anwendung  jener  Wort-  und  Satzverrenkungen 
auch  ohne  Versnoth  diirch  das  ganze  Buch  hin.  Die 
Unnatur  wird  zu  gleichmafsiger  Manier.  Lycidas,  quo 
calet  iuventus  nunc  omnis  (I,  4,  zu  Ende)  wurd  Lyd- 
das,  der  jeden  Jüngling  brennt.    Statt  einfacher  Kühe 

II,  16, 30:  „brüllt  reiche  Kuhtrifi  dir  daher  vom  Eryx." 
Aus  vino  (I,  5;  5)  wird  „Becherumgang."    Volltönende 

36 


Leben  dee  k*  Thomat  v&n  Canteriury.    fferausgegeien  von  Imm,  Bekker. 


,283 

WortTormen  sollen  eu  diesem  PbrasentiimuU  accompa- 
gniren.  Daher^ird  die  „TtftMa"  (11, 10, 18),  die  „Tra- 
go^üf*  (II9  I9  9)  aufgeboten.  Griechische  Namen:  Ke^ 
krepe^  AlJkaioM^  Pereephone  wechseln  geschmacklos 
mit  lateinischen,  und  lil,  11,  17  ruft  der  Uebecs.  recht 
im  kirchlichen  Gesangbuchston:  ^^Mielodei^  spiel  auf 9 
Melodei r^  (die  modos)«  Dazwischen  kreischt  dann 
aber  als  arge  Dbsonanz  ein  triviales  Wort,  wie  ^^hand» 
thierefC^  (II,  I^  7 ;  in  derselben  Schreibart  wiederkeh- 
rend II,  13,  9)  und  um  Horatii  deutsches  Gewand  noch 
buntscheckiger  su  machen,  wird  hin  und  wieder  ein 
modemer  Gebrauch  und  Begriff  eingesohwärzt,  davon 
der  Alle  nichts  weifs.  So  lernen  wir  II,  14  z.  Ende : 
„die  Glasur  des  Estrichs"  kennen,  I,  31,  10  wird  der 
selige  Mann,  von  dem  im  Text  kein  Wort,  hinzuge- 
setzte  (vgl.  I,  1  gegen  Ende:.,, der  Gestirne  Dotri^  (si- 
dera)  lY,  15,  6:  „Roms  Panier  einst  prangend  imPar« 
therdom"  (Parthis  postibus)).  An  sonstigen  Ungenau» 
igkeiten  des  Ausdrucks  kann  es  nach  dem  Obigen  nicht 
fehlen  und,  wir  dürfen  hierGber,  wie  über  exegetische 
Irrthümer,  wenn  er  sie  nur  mit  Andern  theilt,  nicht  ein- 
mal mit  dem  Hrn.  Uebers.  rechten.  So  wenn  er  1, 31,  2 
patera  „gewundener  Krug"  übersetzt,  von  den  per  Syr- 
'  tes  iter  aeetuoaas  sagt:  ^^Aeifoen  Flugsand  wall^  ich 
hindurch  Cyrene's,"  als  lägen  die  Syrten'auf  dem  Lande; 
wenn  er  II,  15,  15  privati  „Quiriten''  übersetzt  (das 
aber  sind  die  Römer  grade  als  versammelte  Yolksge- 
m^inde),  oder  endlich  I,  37,  20:  daret  ut  eaienis  fatale 
monstrum  mit  Vernichtung  des  schönen  Bildes  wieder- 
giebt:  „dab  er  schlang'  in  Fesseln  Rom*s  grimmen 
Unstern.'* 

Wenn  sich  also  nach  dem  Bisherigen  ergeben  durfte, 
da£s  der  Versuch  des  Verfassers  seinen  Landsleutea 
den  Römer  in  würdigwer  Gestalt  vorzuführen  als  mifs- 
glüekt  zu  bezeichnen  ist,  so  verdient  doch  immer  die 
UneigennGtzigkeit  Anerkennung,  die  sich  nicht  nur  in 
dem  eben  so  schwierigen ,  als  undankbaren  Untemeh* 
men  selbst  ausspricht,  sondern  in  der  wahrhaft  pracht- 
vollen Ausstattung  des  Buchs,  dessen  Kosten,  wie  es 
scheint^  die  Buchhandlung  nieht  übernommen  «hat.  Von 
Drückfehlem  haben  wir  nur  bemerkt  S.  63,  4  v.  u.  be* 
siegen  statt  benngen^  Tfa.  II,  S.  41,  1.  Stamtnes  statt. 
Stamme. 

Dr.  Hertzberg,  in  Stettin. 


2U 


XXIV. 

Leben  des  h,  Thomas  ton  Canterbury^  Altfran-^ 
zösischy  herausgegeben  von  Immanuel  Bei- 
her.    Berlin,  1838. 


Hr.  Prof.  Bekker,  welcher  der  romanischen  Lkte- 
ratur  durch  Herausgabe  verschiedener  epischer  Werka 
bereits  sehr  dankenswerthe  Dienste  geleistet,  thailt  ans 
hier  aus   den  Schätzen  der  Guelferbytana  eine  poeci» 
sehe  Biograpliie  mit,   welche  bis  dahin,   so  viel  Bat 
weifs,  nur  aus  einer  bibliographischen  Notia  in  Ebsrts 
Ueberlieferungen  bekannt  war  und   von   wdclier  lidi 
eine  zweite  Handschrift  im  brittischen  Museum   befin- 
den soll.     Erstere  ist  unvollständig  und  ermangrit  ici* 
der  schon  des  Anfangs:  wir  finden  uns  sogleich  mitten 
in  den  Streit  versetzt . über  die  Frage,   ob   Gaistlieha 
nach  weltlichen  Gesetzen  zu  richten  seien,  und  nach  , 
einem  neuen  Defekt  in  der  Handschrift  sehen  wir  den 
Erzbischof  bereits  in  der  YersammlungzuNorthamptmi 
(hier  Norbaütune  genannt).    Der  Hr.  Herausgeber  nennt 
das  Gedicht  ein  philologisch   wie  historisch  merlcwar- 
diges.     In  wiefern   es  historisch  merkwürdig  sei,  dies 
auszufuhren,  mufs  Ref.  dem  Geschichtsfprscher  überlas- 
sen :  dafs  dem  Buche   unter  den  Quellenschriften  über 
jene  folgenreichen  an  das  Leben  des  Erzbischofa  von 
Canterbury  sich  knüpfenden  Ereignisse  eine  vorzügtidie 
Stelle  eingeräumt  werden  müsse,  scheint  keinem  Zwei* 
fei  zu  unterliegen.    Willkommen  für  die  Beurtheilung 
des  geschichtlichen  Werthes  dieser  Biographie  sind  die 
Aufklarungen,  welche  der  Verf.  über  seine  Person  und 
seine  Tendenz  am  Schlüsse  mittheilt.     Er  nennt   sieh 
Guemes  li  clers  delPunt  (Guemon  du  Pont  würde  man 
jetzt  sagen),    aus  Frankreich  gebürtig  und  bemerkt  In 
einem  Zwischensätze,  dafs  er  dem  Erzbischof  gedient 
habe   (Dieu  pri  e  le  martir,  que  j'ai  servi  maint  jur). 
Ueber  Ort  und  Zeit  der  Abfassung   gibt  er  die  genau« 
steh  Umstände  an.    Er  begann  das  Werk  zwei  Jahre 
nach  dem  Tode  des  Heiligen  und  verwandte  vier  Jahre 
darauf,  d.  h.  also  von  1172 — 763  er  schrieb  es  suCan- 
terbury  zum  Theil  am  Thomas  Grabe.  ^  Eifrig  verwahrt 
er  »ich  gegen  den  geringsten  Zweifel  an  seiner  Glaub- 
würdigkeit: seine  Quellen,  sagt  er»  seien  vomehmlieb  die 
Berichte  der  Yertrauten  des  Erzbischofs  gewesen ;  er 
habe  sich  so  streng  an  die  Wahrheit  gehalten,  dals  er 
manchmal  um  jeden  Irrthum  zu  beseitigen,  schon  Nie» 
dergeschriebenes  wieder  ausgelöscht  habe;  alle 


3S5 


Lebern  4ee  h.  Thmnße^  ven  Canterbury.    Herauegeg^en  ^n  Im^k.  Bekker. 


286. 


«teller,  wel^^e  in^  romanbelier  oder  lateinischer  Sprache 
die  Saehe  anders  darstellten  als  er,  s&ndigten  an  der 
Wahrheit     Es  versteht  sieh,  dafs  ein  Dichter,  der  sich 
die  Yerherrlichung  eines  solchen  Mannes  sichtbarllch  zum 
Ziel  gestecict,  nur  eine  Partheischrift  liefern  konnte ; 
allein  er  tliut  diefs  mit  einer  Klugheit  und  M&fsigung, 
die  den  Dichtern  des  #MilteIaUers ,    welche  für  irgend 
eine  politische  Ansicht  Parthei  ergrifflm,  nichts  weni* 
ger  als  gewöhnlich  war«    Indem  er  die  Anmafsungen 
der  Hierarchie  als  gerecht  und  vernunftgemäfs  verthei* 
digt,  will  er  der  monarchisdien  Gewalt  auf  keine  Weise 
BU  nahe  treten  und  weifs  es  am  Ende  so  einzurichten, 
daCs  das  Königthudi   in  seiner  POgsamkeit  nur  su  ge* 
winnon  scheint;   eben  darum  erwartete  er  von  der  kö- 
niglichen Familie  selbst  noch  belohnt  zu  werden  (S.  169, 
Strophe  1).  \  Der  Yerf.   hätte  seinen  Bericht  gar  wohl 
In  schlichter  Prosa    abfassen   kennen,  allein  die  poeti- 
sche Form  Tcrhiefs  bei  einem  Publicum,  das  auch  die 
Geschichte   in   dieser   Form   zu    boren   gewohnt   war, 
leichteren  Eingang   und   grofsere   Wirkung;    überdies 
mufste  sie  ihm  als  die  seines  Themas  würdigere   er- 
scheinen.   Denn  im  Grunde  galt  es  ihm  weniger  um 
die  Person  d^s  Erzbisehofs  von  Canterbury,  als  um  die 
Lösung  der  wichtigsten  Frage  der  Zeit,  das  politische 
"Verhälinifs  der  weltlichen  und  geistlichen  Macht,    zu 
welchem  Zwecke  er  nicht  allein  die  Reden  und  Gegen- 
reden beider  Partheien  ausführlich   mittheilt,    sondern 
auch  seine    eigne  der  Kirche   ganz   ergebene  Polen^ik 
aufbietet*     Ganz  im  Sinne'  seines  ernsten,  didactischen 
Gesichtspunctes   verschmäht   dah^r  der  Verfasser*,  wie- 
wohl er   in   der  wahren  Blüthezeit  der   französischen 
Epik  lebte,  allen  dichterischen  Schmuck,   welcher  da- 
mals aus   den  Darstellungen   der  Phantasie  in  die*  der 
Wirklichkeit  überzugehen  pflegte;  seine  Erzählung  ist 
nüchtern  und  umständlich,  im  Ganzen  unterhaltend  und 
gebildet,   ao   dafs  sich  diese  Biographie,   die  mit  den 
sahlreichen  gereimten  Heiligenleben  nichts  gemein  hat, 
den  nun  mit  rühmlichem  Eifer  wieder  an  das   Licht 
gezognen   poetischen   Chroniken   der   Franzosen   und 
Prevenzalen  würdig  an  die  Seite  stellt  und  einen  er- 
gSnzenden  Theil    derselben    bildet    Um  nun  auch  et- 
was von  unserm  Dichter  zur  Schau  zu  stellen,  wählt 
Referent  die  wichtigste  hbtorische   Stelle  des  ganzen 
Baches,   die  Abfassung  jener   bekannten   Aeüfserung,  ' 
Welche  Künig  Heinrich  in  gerechter  Entrüstung  über 
die  neuen  ühermüthigen  Angriffe  des  schon  begütig- 


ten und  wieder  eingesetzt^i  Prälaten  that  und  die 
den  Tod  desselben  sur  Folge  hatten  (S.  131).  Das 
Kräftige,  fast  Poetische  dieser  Stelle  ist  bemerkens- 
wenh:  der  Dichter  sbheint  auf  einen  Augenblick  den 
Unwillen  des  Königs  zu  theilen: 

UnH  huettt^  fait  lur  K  rei$f  qui  a  mun  pain  mangie^ 
qui  a  ma  curt  vinlf  povres  e  mult  tat  eshaiciey 
pur  tfiei  ferir  a$  dem  ad  *$ttn  ialun  dreciej 
treitut  mun  lignuge  ad  e  mun  regne  aviilie', 
li  duels  m*en  vaif  al  guer^  nuh  ne  m*en  a  vengid. 

Hume  in  seiner  Geschichte  von  England  berichtet  dar- 
über :  the  king  himself  being  vehemently  agitated,  burst 
forth  into  an  exclamation  against  his  servants,  whose 
want  of  zeal,  he  säid,  had  so  long  lefs  htm  exposed  to 
the  enterprises  of  that  ungrateful  and  imperious  prelate. 
Hierauf  verbanden  sich  „die  Besfen  des  Hofes,'*  deren 
Namen  der  Yerf«  aus  Schonung  verschweigen  will, 
vermittelst  einer  blutigen  Eidformel,  den  Widersacher 
aus  dem  Wege  zu  räumen: 

Dune  jurerent  par  ioinz  e  enireafli  sunt^ 

gu*  en  tuz  le§  liui  del  Heele,  ü  troter  le  purrunt^ 

pur  deeut  le  menfuk  la  lengue  U  trarunt 

e  le§  oUx  de  sun  chkf  änedeu^  H  creverunti ' 

Ja  muitier  ne  altel  ne  ten$  nH  guarderunt. 

Die  That  wird  nachher  von  vier  Rittern  vollzogm  und 
findet  sich  hier  bis  auf  den  kleinsten  (Jmstand  beschrie- 
ben. —  Eine  angehängte  Wundergeschichte  des  Heili- 
gen in  vierreipiiger  Strophe  bt  wohl  von  einem  andern 
Yerfasser,  da  sich  Guemon  durchaus  der  funfreimigen 
bedient. 

Auch  die  philologische  Seite  ien  Buches  verdient 
Beachtung.  Der  Terfasser  selbst  vergifst  nicht,  seine 
Sprache  gut  zu  nennen,  und  scheint  in  der  That  viel 
Sorgfalt  auf  den  Ausefriick  verwandt  zu  haben.  Ref. 
notirt  einige  grammatische. Zifge.  Seltsam  wird  päpa 
stets  mit  dem  weiblichen  Artikel  la  begleitet,  wozu  die 
Endung  a  verfuhrt  haben  mufs.  Für  li  plusnr,  li  meillur 
steht  zuweilen  li  plus  «»  ital.  i  ptti  und  li  mielz.  Die 
1.  Pars.  Plur.  des  Futurs  iermes  =»  lat.  erimus,  eme 
sehr  seltne,  auch  der  Chanson  de  Rofand  bekannte  Form, 
erscheint  S.  24.  Vers  10.  Die  merkwGl-dige  Kldung 
Francur  aus  dem  latein.  Genitiv  Francorum,  auf  welche 
Hr.  B.  schon  früher  einmal  aufmerksam  gemacht  hat, 
wird  hier  ganz  adjectivlsch  gebraucht:  les  reis  rEngleis  . 
ne  le  Francur.  Die  zierliche  Unterdrückung  des  Geni- 
tivzeichens findet  sich  sehr  häutig  angewandt  j  sie  macht 


267 


Leben  des  4.  Th^nae  van  Canterhury*    Herausgegeben  von  Imtm.  Bekker* 


28B 


Umstellungen  möglich,  wie  la  rei  prisun  fiir  la  prisan 
de  rei.  Auch  dem  Lexicon  wachsen  manche  neue  oder 
wenig  übliche  Wörter  su.  Ensorfimer  z.  B.  (S.  44.) 
erinnert  sich  Ref.  nirgends  gelesen  zu  haben  und  Seine 
Deutung  wurde  schwierig  sein,  wenn  es  aus  S.  101 
nicht  klar  wäre,  dafs  es  aus  ensofismer  (durch  Sophis- 
men hintergehen)  entstellt  sei.  Seltnere  Adverbia  sind 
nuitanter  (bei  Nachtzeit,  mittellateinisch  noctanter),  cn- 
sement  (proTcnz.  ensamen),  ainc  für  onc  (prov.  anc), 
neinsi  (clnsi,  neufranz.  ainsi,  Tielleicht  mit  vorgesetztem 
en,  wie  prov.  enaissi).  Nicht  recht  klar  ist  giens 
(S.  29) ;  es  konnte  als  Adverbium  für  gent  a  neufranz. 
gentiment  gelten,  wiewohl  es  auf  den  ersten  Blick  an 
das  proy.  gens,  Verstärkung  der  Negation,  erinnert,  die 
sich  aber  im  französ.  noch  nicht  gefunden  zu  haben 
scheint* 

Die  Einrichtung  des  Textes  velrrälh  iiberall  die 
sichere  Hand  des  Critikers  \  kein  französischer  Philologe 
würde  seine  Aufgabe  besser  gelöst  haben.  Obenhin 
betrachtet  scheint  es  eine  gar  leichte  Arbeit,  eine  alt- 
französische  Handschrift  heraus  zu  geben,  allein  genauer 
angesehen  hat  die  Sache  so  gut  ihre  Schwierigkeiten 
wie  alles^> Herausgeben  aus  Handschriften:  auch  hier 
wird  Grammatik  und  Wortkenntnifs  vorausgesetzt,  zu 
welchen  aber  nur  ein  aufmerksames  Studium  zahlrei- 
cher Denkmäler  führt.  *  Ohne  sorgfältige  philologische 
Yorbereitui^g  werden  Misgriffe  aller  Art  hervortre- 
ten: Ebert  z.  B.,  der  mit  dem  Handschriftenlesen  ver- 
traut genug  und  in  der  Sprache  ziemlich  geübt  war, 
hat  von  unserm  ^Sedichte  nicht  eine  Strophe  richtig 
mitzntheilen  vermocht.  In  einem  Punkte  würde  Ref. 
von  Hrfi.  B*s.  Schreibweise  abweichen :  für  i  und  j ,  u 
und  V  nur  die  vocalischen  Zeichen  zu  setzen,  d.  b.  ia 
oder  beiure  für  ja,  beivre  zu  schreiben,  ist  eine  diplo- 

I 

matische  Genauigkeit,  die  auf  Kosten  der  grammati- 
schen erreicht  wird.  In  andern  Sprachen  mag  dies  an- 
gehen, allein  im  französischen  bat  sich  wenigstens  j 
phonetisch  so  entschieden  von  i  getrennt,  dafs  ihm  in 
einem  lesbar  geraacbten  Texte  sein  eignes  Zeichen  nicht 
vorenthalten  werden  sollte,  wiewohl  die  consonantische 
Geltung  voni,  wie  auch  von  u,  bin  und  wieder  zwei- 
felhaft sein  kann.  An  einigen  wenigen  Stellen  läfst 
sich  etwas  gegen   die  Yerbinduog  oder  Trennung  der 


Wörter  erinnern :  für  en  soffiiiier  (S.  44)  ist  ensoffimer, 
für  en  personez  (S.  50)  ebenso  enpersonez   (mittellat. 
unpersonatus)  zu  setzen.     Umgekehrt  scheint   es  nidhc 
statthaft,  jamar  (S.  7.  jamar  entendra  mais)   statt  ja 
mar  zu  schreiben,  da  ja  zunächst  mit  mais  verbunden 
gedacht  werden  mufs;   auch  bat  Hr.  B.  selbst  In  frü- 
her edirten  Texten  (Ferabr.   S^  Iföb  oben)  die  Tres- 
nung  vorgezogen.  S.  12  steht  fist  al  seignnr  a<arciM$ 
genau   genommen  aber  ist   k  von  oreire   zu  trennea. 
Faire  wird  zwar  sonst  durchaus  mit  reinem   Infinilär 
construirt;  nur  die  Infinitive  croire  und  savoir   pflegcB 
die  Präposition,  ä  zu  sich  zu  nehmen  (vergl.  altheeb- 
deutsch  tuen  zi  wizzanne,  zu  wissen  thun)   und  ans 
diesem  Gebrauche  ging  die  unrichtige  Schreibung  faire 
accroire,  ital.  fare  accredere,  fare  assapere  hervor,  ua- 
richtig,  weil  accredere  (in  der  Bedeutung  glauben)  uad 
assapere   aufser   dieser   Verbindung  unerhört  sind.  ^ 
Auf  die  Interpunction  ist  alle  Sorgfalt  verwandt,  zu- 
mal der  Gebrauch  des  Apostrophs  ziemlich  gleidunSCüg 
durchgeführt  (S.  144,  Y.  22.  für  quil  lat  ist  doch  woU 
qull  Tat  zu  schreiben).    Die  Inclinatienen  werden  den 
minder  geübten  Auge  immer  Schwierigkeiten  entgegen- 
setzen, die  selbst  durch  keine  Interpunction  .zu  beseili- 
gen  sind:  hierher  gehört  vornehmlich  der  Fall,  wena 
sich  ein  Nomen  mit  seinem  Artikel  zwischen  Präposi- 
tion und  Infinitiv  drängt  wie  in   dem  Yerse   que  mis 
curages  est  del  martire  sufTrir  d.  L  de  suffrir  le  martirc, 
provenz.  del  sieu  rlc  pretz  poiar  für  de  polar  lo  slea 
ric  pretz.     S.  7.  Zeile  4  gibt  einen  Satz  ohne  Yerhiim 
(entresait  ist  Adverb.) :  man  setze  Zeile  3.  Comma  statt 
Punct  und  nehme  Zeile  4.  als  erklärenden  Zusatz.     Ia 
derselben   Strophe    ist   clere   für  clerc    Schreib-    oder 
'  Druckfehler,  so  wie  S.  13.  Z.  10.  nunt  für  vunt,  S.  tt. 
Z.  9.  ges  muthmafslich  für  mes.     Eiuige  philologiseiie 
Anmerkungen,  wie  sie  Hr.  B.  z^B.  dem  Ferabras  bei- 
gefügt hat,  wären  bei  unserm  nicht  überall  leichten  und 
doch  für   ein  gröfseres   Publicum  bestimmten  Gedichte 
höchst  willkommen  gewesen;    aber    auch   ohne   diese 
schätzbai^e  Zugabe  werden  alle,  die  sich  mit  Spradbe, 
Poesie  und   Geschichte   des   Mittelalters    bescbaftigeas 
diese  neue  Bereicherung  ihrer  Litteratur  mit  wahrem 
Danke  empfangen. 

Fr.  Dies. 


wissen 


J^  37. 

I 

ffahrbüche 

ff 
u  r 

s  c  h  a  f  t  lieh 


e    Kritik. 


Februar   1840. 


wm 


XXV. 

1.  EmpedocKs  Agrfgentini  carmtnum  reliquiae. 
De  vita  etus'  et  studiis  disseruit,  fragmenta 
explicuit^  philogophtam  illustravtt  Simon  Kar^ 
sten  etc.    Amsteiodam$\  1838*    Sumtibus  Jo* 

.  hanim  Mnüer.    8.    657  S. 

2.  Theodori  Berghii  commentatio  deprooemto 
Empedoclis.    Ankündigungsschrift  der  am  28. 
Septbr.  1839  zu  haltenden  öffentlichen  Prü- 
fung u.  s.  w.    Berlin^  1839.   4.   34  £1. 

Hr.  Karsten  hat  es  untemomineii,  die  schriftHohen 
Ueberreste  derjenigen  Philosophen,  welche  Piaton  vor- 
aufgingen, in  einer  Reihe  von  Monographien  zusammen- 
tustellen.  Der  Haupllitel  seines  Werkes  ist :  philoso- 
phomm  graeeorum  veterum,  praeaerCim  qui  ante  Plato- 
nem  floruerunt,  operum  reliquiap.  Dias  erste  Volumen 
dieser  Sanunlung»  welches  in  zwei  Abiheilungen  er- 
«cfaienen  ist,  enthält  die  Fragmente  des  Xenophanes 
imd  Parmenifles.  Mit  dem  zweiten  Volumen  haben  wir 
die  oben  angekündigten  Fragmente  des  Empedokles 
erbalten.  In  den  folgenden  Lieferungen  worden  Ana« 
xagoras,  Herakleitos^  Demokritos  erscheinen,  denen 
fdeh  die  FythagOräer  PliUolaos  und  Arebytas,  und  viel- 
W|eht  auch  ^Einiges  von  den  Orphikern  anschlieüsen 
wird.  Ein  solches  Unternehmen ,  kann  um  so  danke«- 
werther  erscheinen,  je  mehr  der  Verf.  von  der  Gewohn* 
heit  derer  sich  entfernt,  welche  dergleichen  Sammlungen 
weitschiehtig  anlegen  und  ihnen  ein  architektonisches 
Aeusaere  geben  zu  müssen  glauben.  Mit  ^er  Masse 
von  Gelehrsamkeit,  die  gewöhnlich  dabei  aufgeboten 
wird ,  ist  der  hier  zu  beabsichtigeude  Zweck  nicht  er- 
reicht. Wir  stehen  hier  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte 
der  Philosophie  und  begrüfsen  in  jeder  Monographie 
eiuea  jener  Heroen ,  welche  in  das  \^  esen  der  Dinge, 
der  Natur  und  des  Geistes  eingedrungen  sind  und  nach 

.  Jahrh,  f.  wütenscb.  Kritik,  J.  1840.     I.  Bd. 


dem  Gesetze  der  Entwickelung  des  Weltgeistes  zn  dem 
Sehatze  unserer  Vemunfter kenntnifs  beigetragen  haben. 
.Was  vor  unserer  Vorstellung  vorübergehen  soll,  sind 
die  Thaten  des  freien  Gedankens.     Diese  sind  nicbt 
ein  Vergängliches,  wie  das  zeitliche  Leben  ^des  Indivi- 
duums,  das  sie  hervorgebracht  hat;  sie  sind  das  Blei- 
bende und  noch  ebenso  gegenwärtig,  wie  zur  Zeit  ihres 
Hervortretens.    Denn  sie  sind  Wirkungen   des  unver» 
gänglichen  Wesens  des  Geistes.    Und  solche  Erkennt* 
niis  ist  eben  ,deswegen  nidit  eine  Gelehrsamkeit.   Jede 
einzelne  Philosophie  ist  nber  ein  Glied  aus  der  Kette 
der  Entwickelung  des  dankenden  Geistes  und  so   an 
sich  in  ihrer  Beschränktheit  befangen.  .Das  einzelne 
System  verliert  an  liiteresse  nur  da,  wo  es  nicht  als 
ein 'Moment  der  anderen  betrachtet  wird,  wo  die  Weise. 
wonach  es  sich  als  Selbstständiges  setzte,  nicht  wieder 
aufgehoben  wird.    Was  daher  dem  Unternehmen  des 
Hrn.  Karsten  einen  günstigen  Standpunkt  giebt,  ist  das 
Zusamnienfassen  mehrerer  aufeinanderfolgender  Philo- 
|(opbien,  welche  in  so  fern  ein  organisch  fortschreiten- 
des Ganzes  bilden  können,  als  sie  nicht  'dufch  willkür- 
liche Behandlung  gestört  werden.    Darauf  scheint  nun 
Hr.  Karsten  nicht  besonders  eingehen  zu  wollen ;  er 
macht  wenigstens   keinen  Gebrauch  davon,   wenn  er 
gleich  dafür   sorgen   will,   ut   omnes  inter   se  ordine 
qujodam  cohaereant.    Wie  dies  aber  gemeint  se{,  läfst 
sich  schon  daraus  ehtnehmen,  dafs  die  eleatische  Schule 
den  Anfang  macht  und  Herakleitoii  unter  Empedokles 
und  Anaxagpras   herabgesetzt   wird.     Herakleitos  hat  ^ 
auch  in  der  Geschichte  der  Philosophie  das  eigenthüm*  . 
liehe  Schicksal  gehabt,   von   einer  Stella   zur  andern 
wandern  zu  müssen.  Die  JSeziehungen,'  welche  hierüber 
entschieden,  sind  meist  sehr  oberflächlich ;  und  die  An- 
sicht, ^^  ob  die  Philosophie  in  den  Stufen  der  Idee 
eine  andere  Ordnung  haben  müsse,  als  die  Ordnung,  in 
welcher  diese  Begriffe  in  der  Zeit  hervorgegangen  sind, 
ist  im  Ganzen  unbegründet.  Aber  die  absichtslose  Ver- 

37 


291 


Empedoetii  earminmm  rMquia$.    Ei.  Karoten. 


nachlälsigung  äe$  Chronologitclieii  ist  in  unserem  FnHe 
weniger  tadelnswertli.  Das  Foftleitende  ist  die  innere 
Dialektik  der  Gestaltungen ,  un4  die  Geschiehte  der 
Philosophie  weiset  die  RSUie  dev-einselnen  Philosophien 
als  Systematisiruiig  der  philosophischen  Wbsenschaft 
selbst  nach.  Nur  findet  hierbei  der  ordo  quidam  des 
Hm.  Karsten  keine  genOgende  Rechtfertigung. 

Die  Anordnung  der  vorliegenden  Ausgabe  der 
Fragmente  d6s  Empedoktes  ist  nun  folgende:  inen  8. 
1— -78.  handelt  Hr.  Karsten  von  den  Lebenramständen 
des  Philosophen.  Hierauf  folgen  die  Fragmente  mit 
gegenüberstehender  lateinischer  [Jeber8etzungS.84-^155, 
an  welche  sich  ein  reichhaltiger  Kommentar  anreihet, 
S.  159 — 304.  Den  BdÜHfis  macht  eine  in  Paragraphen 
fortlaufende  Abhamttnng  über  die  Philosophie^  des  Em- 
pedoldeSf  S.  307 -*  517.  Unsere  Betrachtung  der  Lei- 
etung  des  Hrn.  Karsten  läfst  sieh  sonach  auf  swd 
'Momente  vertheilen ,  auf  die  kritische  Behandlung  der 
Fragmente  vnd  auf  die  Darstellung  der  Philosophie  des 
Empedokles. 

li  Die  Behandlung  der  Fragmente  bietet  awei 
•Seiten  der  Betrachtung  dar.  Die  eine  Seite  betrifft 
Zusammenstellung  und  Verknüpfung  Att  Fragmente 
dem  Inhalte  nach;  die  andere  Kritik  und  Henneneutik 
des  Textes. 

1.  Yen  den  zaUreiehen  Werken,  welche  dem  Em- 

pedokle^  BugeSchrieben  werden,  sind  uns  durch  Cita- 

tionen  der  Alten  zwei  gröfsere  Werke  näher  bekannt, 

das  9T<^  fipvaio^   und  die  Ko^agiAoL     Ersteres  .ist  sein 

Hauptwerk.    Nach  den  CitaÜMien  ist  die  Eintheilung 

desselben  in  drei  Bücher  ansunehmen,  wovon  das  erste 

'moafAonodm  betitelt   gewesen  zu  sein  scheint   (Aristot. 

Phys.  IL  4.).  Um  eine  Basis  für  die  Zusammenstellung 

der  eineelqen  Fragmente  zu  gewinnen,  legt.  Hr.  Kar^ 

sten   die   von   Diogenes    überlieferte   Eintheilung  des 

'Herakleitischen  Werkes    dg  r^cS^  htyovg^  tof  m^l  tov 

nartdCf  ttoHitix«^,  ^ioloyiubv  zum  Grunde.    Die  Zweifel, 

'Welche  gegen  eine  solche  Eintheilung  bei  Herakleitoa 

-erhoben  werden  können,  sind  dahin  zu  berichtigen,  dafs 

^i^  gegebenen  Titel  keineswegs  ven  Herakleitos  selbst 

herrühren,  sondern  wahrscheinlich  von    der  stoischen 

Schule,  welche  die  verschiedepen  in  dem  Werke  selbst 

nicht  fixirten  Momt^nte  im  Allgemeinen  zu  bezeichnen 

suchte«    Deshalb  sind  sie  aber  nicht  zu  verwerfen. und 

können  zu    einer    summarischen  Uebersicht  allerdings 

dienen,  diefs  um  so  mehr,  da  aus  den  Citationen  des 


Empedokles,  welche  bis  in  das  dritte  Buch  gehen,  dae 
Chnliche  Eintheilung  hervorgeht.  Man  Hat  glanben  wnt 
ten,  die  xa^apfio«  seien  ein  Thal  der  B&eher  aber  die 
Natur  gewesen.    Diese  Meinung  hat  Hr.  Karsten  mit 
Reeht  zurückgewiesen.     Die  tta&ttQfi^i  haben  offeBhcr 
einen  andern  Zweck,  wenn  sie  gleich  in  vielen  Stdckcn 
mit  dem  Hauptwerk  übereinstimmen.    Die  Bücber  der 
Physik  sind  einem  berikhmten  Atzte,  dem  PausaniaSy 
gewidmet  (Vs.  54.).    In  den  »a&oQfiolCg  hingegen  spricht 
Empedokles  zu'm  Tolke;  daher  <3  qpAoi,  welche  As- 
rede  (Vs.  407  ff.)  Hrn.  Karsten  veranlafste,  ^bb  Fn^ 
ment  unter  die  Ueberreste  dieses  Werkes  aufzunehsMiL 
'  Sonst  läfst  sich  freilich  nicht  immer  ermitteln  j    ob  das 
Fragment  wirklich  den  xa&ocfixolg^  und  nicht  vidmebr 
der  Physik  angehöre.  (Ts.  9.  10.  364-377.).  Im  Gan- 
zen finden  wir  in  der  Zusammenstellung,  wie   sie  Be, 
Karsten  giebt,  ohne  Vergleich  mehr  Einheit  otnd  CM* 
nung  als  bei  den  friiheren  Herausgebern.    Jedeas  der 
Fragmente  aus  der  Physik  den  ihm  gebührenden  Platz 
anzuweisen ,  ist  unmöglich ,  es  zu  wollen ,  lächeriidk  ' 
Hr.  Karsten  stellt  den  Fragmenten  ein  Inhaltsyerzdch» 
nifs  vorauf,  wonach  sich  f&r  die  Physik  folgende  Ah- 
theilungen  ergeben: 

Ezordium.  De  naturae  primordiis.  De  mmidB  et 
irerum  humanarum  ortu.  De  humana  prog'enie  el  iia> 
tura.  De  rebus  divinis.  Und  diefs.  ist  genügend.  Auf 
diese  Reihe  von  Fragmenten  läfst  er  folgen,  was 
weder  entschieden  oder  nach  wahrscheinlich«! 
hungen  zu  den  xa&af^u;  gehört.  Hierauf  folgt 
Fragment,  das  sieh  ab  aus  dem  iar^ixog  X6/og  (Dioj 
Laert.  YlII.  77.)  entnommen  ankOndigt,  wobei  Hr. 
sten  (S.  71.)  passend  an  die  Stelle  des  Aristot«  Poet  L 
erinnert.  Den  Schlafs  bilden  htiyQ&fii^tna^  aif^umxa^  m 
^^iyyuixm.  Was  uns  nun  hier  befremdet,  ist,  daCs 
die  Stelle  Piatons  Gorg.  493.  A.  als  hierher  gehoi% 
unter  die  at/fifiizra  (S.  154.)  aufgenommen  finden.  Man 
kann  zuerst  mit  Recht  fragen,  woherHr.  Karsten  wiasi^ 
dafs  Piaton  unter  tig  %m  oo^cor  den  Herakleitoa  ver> 
standen  habe  und  dafs  der  Erfinder  des  ersten  Wort- 
spieles ein  anderer  sei  als  der  noinpog  ar^^,  utmc  J^uc* 
Xog  Ti$  ^  */raXixo9,  welches  letztere  doch  offenbar  nur 
rine  weitere  Ausfuhrung  der  ersteren  Angabe  iet^  wae 
schon  aus  dem  äga  erhellte  Es  bt  der  Ironie  des  So- 
krates  eigen,  alles  durch  Hörensagen  zu  wissen  und  es 
steht  iinn  wohl  an,  erst  kurz  uvä  tSv  aoq/äp  zu  nen- 
nen, von  dem  er  die  Lehre  erfahren  habe,  dann  seine 


.Mmpedocäs  carmimmm  reUfma^    JEd*  Kuräien. 


294 


%nH«  öibev  sa  fcMef ehMO,  In  dieser  BeseiehmHig  abw 
wieder  sw«ideiftig  n  TOrfaiiMn.  Die  Kritik  dae  Ura. 
Jümnen  ist  laaiicwtedig  gannf »  am  hier  FaUttändig  aaft- 
^afttlirt  ,m  wardaa. 

In  liaaPlatoak  eentantia  iflud  fuad  prianaati  ateiaiiH 
lator^  iip  T^  jHcr  mifui  ianp  ^w  aifMi,  ad  HeraaMtum 
partinere^  eoastat ;  ^ub  vara  intalligeBdus  tit  ille  xofaf^9 
09^9  qui  libidineiii,  propter  insatiabilam  elus  cupidita- 
tarn,  quasi  ni^ov  xitqynuvovy  idemqua  stolidos  et  impro- 
1k>8  «^vfToi/c  vocavarity  ab  erudiiis  dubitatur.  Schal« 
Rithnk.  p.  119  sq.  Empedoelem  intelligit,  haac  anno- 
tana:  ZtnAkxh^  (2'<mXov*)  d*  ^'luthatogf  olov  ^Efmiöoxkijg. 
IIv&ay6QHoq  8i  ovjog  ^Vy  vnlj^  Se  xal  *^n^ayar%Zvog' .  •  •  • 
JEkfilör  8i  ij  ^Itahxiw  q:tjairj  inu8ff  läafiiov  ümXlag  o  u 
KfOTo^p  9UÜ  %h  Mixanimiofj  mL  nokkt%^  ov  ol  üv&ayoQwn 
Mr^ßoVf  o7  r^s  ^lutUag  daiv.  Eundem  intalligit  Olym* 
f  iodoroa.  Cum  hia  e  racentioribus  eonsenüunt  Tieda- 
IKann  et  Stallbaum.  in  h.  L  Dissentit  Boeekh.  PfailoL 
f.  187  iq.  qui  Philalamn  patioa  signifieari  putat.  At 
In  Piiflalaom,  «ätiamsi  ipsnm  illud-  dietum  eongrneret) 
4ion  taman  congruit  hoooa  SnuKoi  ttq  ij  "/raJUx^ig,  qaippa 
quem  Matapontinum,  Italnm  earte  'fuisse  omnes  canve* 

tfiunt.    Neutrum  probatur  Astio  in  h»  1.  — Jam 

^ero  in  neminem  hoe  alium  nisi  in  vatem  Sieulum,  Em« 
fedoalem  diea,  eanrenire  mihi  dubium  non  videtur.  Pri« 
murn  in  quem  eongruit  illa  appellatio  SinAag  ti$  ^  *Ita^ 
hitoq^  niid  in  Empedadem,  qui  natione  Sieulus  idamque 
Italiaorsm  Cuailiae  quasi  affkiis  fuit  t  ef .  quae  diid.  su* 
pra  p.  44  sq.  Deinde  istud  nti^d/HP  tä  oyo^ior»,  vooar 
bula  et  Foeabulanun  signifieationes  deHectere,  omnino* 
qua*  tliatoricaa  argntiaa  Empedoeli  non  alienae.  —  His 
iMa  accedunt.  Enqpadoelem  taeite  hto  a  Platane  signi- 
fieari, Tel  ideo  probabile  est,  qnod  ille  Gorgsae,  qui  huia 
dialogo  intererat,  magister  fuit,  atque  adeo  illius  arg«« 
tfs  irridendis  simvl  ipse  Cforgias-  leniter  per^ringebatur, 
ut  reele  animadTertit  Stallbaum.  Praeterea  uti  hoo  loeo, 
sie  et  alibi  He^aclitus  et  Empedocles  coniunctim  memo- 
tantur,  ut  Sophist«  p«  242  D.  ubi  —  ^ladig  Movaai  He- 
raditüm,  SoukiHai  Empedoelem  signifioant  Denique  non 
est  nihili  putanda  \eterum  interpretum,  Olympiodori  et 
Scholrastae,  auetoritas,  qui  si  per  se  parum  loeupletes 
aactores  habendi  sunt,  at  faaud  dubia  ab  antiquidribtts 
{Und  hauserunt. 

Hr.  Karsten  geht  also  von  der  Meinung  aus,  dars 
TK  Tor  (roqpcSr  der  Erfinder  des  einen  Wortspieles  und 
noiixpbq  dv^Q  der  des-  andern  sei;  und  hält  es  für  ausge- 


macht^ dala  der  arstera  Harakleitas  sei;  Ober  d^i  all- 
dem, seien  die  Anstellten  gatheUt,  Um  hier  aagleiah 
4an  Leaer  tOx  aaina  Bewegung  eiaauMehman,  iitellt  ar 
die  Warte  dea  Scholiaaten  Toraus,  walelHir  Empedoklea 
nennt«  Hr.  BSekli,  weiset  swar  Philolaas  als  den  hier 
ibaseichneten  nach;  indeb  Pliüolaos  ktone  hier  Hiebt 
gameint  aain;  dann  dasu  stiauna  aieht  SmtluHoq  v»e  y 
.'/roLxaV  Es  mufs  also  durohaua  ein  ßxm  Sicilien  Stamr 
mendar  gemeint  sein.  Ueber  das  ^ItaXung  gabt  Hr.  K* 
raseh  hinweg^  ohne  daia  er  durch,  seine  eigene  Bemer» 
kung  „quem  Metapontinum  Italum  cene  fuiasa  onmep 
eonsentiunt"  in  aeinem  Beginnen  aufgehalten  würde; 
eine  B^narkung,  welche  übrigens  selbst  nicht  genau 
ist;  denn  hier  war  Tor  Allem  die  Vaterstadt  das  Phir 
lolaos  SU  nennen;  diese  iit  aber  nicht Mafapantum,  aon* 
dam  wahrsehdniich  Krotoa.  Da  er  alier  selbst  ein- 
sieht, dars  das  Zeugnirs  des  Seholiasten  und  des  Olym* 
piodoros  kein  Gewicht  habe,  so  erklärt  er,  dafs  £ixtX6g 
Tig  ij  'ItaXtuig  nur  auf  Empedakles  besagen  werden 
könne,  qui  natione  Sieulna  idemque  Italicarum  familiae 
quasi  afHnia  fuit.  Das  ist  aber  nichts  weiter  ak  eine 
Yersicherung,  kein  Beweis.  Denn  warum  sollen  die 
beiden  BeEcichnungoi  auf  Ein  Individuum  fallei^t  Auch 
ist  die  diijanktiiw  Form  nicht  zu.  übersehen.  Der  Ge» 
meinte  kann  gerade  ein  Italer  und  das  scherzhafte  ümg 
StntXog  Tig  kann,  wie  Buttmann  sehr  schön  bemerkt, 
eine  flüchtige  Anspielung  auf  Timokreon's  Verse  (Ha* 
pbaest  p.  40.) : 

sein.  Und  diefs  gewinnt  an  Wahrscheinlichkeit  gerade 
dadurch,  dafif  das  Wortspiel  von  aäfia  und  oofAct  ur* 
sprünglieh  von  Philolaos  herrührt.  Hr.  Bdckh  hat  in 
seinem  Philolaus  (S.  181.)  die  Stella  aus  Clemens  (Strom^ 
in.  p.  433  A.  Sylb.)  und  Tbeodoretos  (Gr.  äff.  cur.  V. 
S.  821.  Schuls.)  beigebracht:  oSfoy  de  nal%rig  ^ikoldov 
kü^ttag  (iivrj(iovtvo€u*  kiyik  de  6  nu&ay6q»og  t^i'  fca^ri;* 
ffioi^tai  8a  ol  naXatol  ^loXoyoi  T€  nai  luhnpug^  ws  8id  nvag 
xifAtü^iag  a  \lfv%d  t^  awfAetu  cvve^evxvat  nai  Hm&cmff  h 
üaiAtm  revnp  re&antcu.  Wenn  aber  diesem  daa  erste 
Wortspiel  beigelagt  wird,  »o  ist  natürlich,  dafs  das  foU 
gende  eben  demselben  als  Eigenthum  verbleibe,  da,  wie 
oben  bemerkt  worden,  k^  Wechsel  dar  Person  eintritt. 
Das  zweite  ist  im  Allgemeinen  auch  mit  dem  ersten  eng 
verbunden )  denn  es  heifst  in  der  Relation  desErsählen* 
den,  wg  vvv  f^^Xg  xiOvaniv  xo*  t^  aoSfca  lovi»  fniXiß  a^fia, 


Empedoelü  earmmum  reUftmae.    Ed.  Karoten. 


22 


dranU&ia&ai  nal  futanlnmv  mto  mhw.  Diese  Lehre 
wird  mir  dureh  die  redselige  Weise  des-  Sokrates  uii- 
terbroehen,  der  den  Erfinder  näher  beeeicilnen  will:  nal 
%oJko  äga  u.  b.  f.  Die  weiteren  Gründe,  welche  Hr. 
K.  für  seine  Meinung  anfuhrt,  serfalfen  sonaeh  Ton 
selbst.  DaTs  auf  den  Sikuler  Empedokles  das  na^yfw 
t^  ovofAim  bezogen  werden  kann,  ist  wahr;  aber  damit 
"wird  gegen  das  oben  beigebrachte  Zeugnifs  nicht  erwie- 
sen, dafs  es  nicht  auch  auf  den  Italer  Plülolaos  passe. 
Eben  so  wenig  kann  man  nun  weiter  auf  das  Folgende 
RQcksicht  nehmen,  „Empedoelis  argutib  irridendis  simul 
fpsum  Gorgiam  leniter  perstringi,"  oder  „etiam  alibi  He- 
raclitum  et  Empedociem  coniunetim  memorari."  Alles 
diefs  scheitert  an  der  richtigen  Exegese  der  Platon'schen 
Stelle.  Und  wenn  Herakleilos  auch  Aehnliches  gesagt 
hat,  wie  naqh  Sext.  Pyrrh.  Hypot.  Ilt.  24.  §.  230.  ot£ 
yaQ  ^[AtCg  t^iitVf  rag  yw^icg  ^fidjv  re&vdrai  xai  iw  ^fiZv  rc- 
&i(p&caj  Sri  de  ^(*tSg  dno^v^oxofuv,  rag  tf/vxoiS  dvaßiovp 
itai  l^fjvy  so  kann  er  doch  aus  dem  einfachen  Grunde 
hier  nicht  beigezogen  werden,  weil  Sokrates  den  Erfin* 
der  als  einen  ^xikig  ij  ^Jvahxoq  bezeichnet. 

Die  Erklärung  der  Platon'schen  Stelle,  wie  sie  Hr. 
Bockh  un  Philolaos  giebt,  ist  nicht  aus  der  Lufc  gegrif. 
fen.  Sie  beruhet  erstlich  auf  dem  unverwerflichen 
Zeugnbse  der  Alten,  wonach  das  Wortspiel  mit  a£iia 
und  aSfia  dem  Philolaos  gehurt;  zweitei|s  wird  sie  aus 
der  naiven  Darstellungs weise  Platon's  nothwendig  dedu- 
cirt.  Hr.  K.  hätte  beides '  zuerst  mit  Gründen  widerle- 
gen sollen,  wenn  er  seiner  Ansicht  Glauben  verschaf- 
fen wolUe.  So  aber  umgeht  er  die  Bewebfuhrung  und 
begnügt  siiDh  jnit  einfachen  Versicherungen,  welche  sich 
am  Ende  auf  die  leicht  hingeworfene  Meinung  Schleier- 
machers stützen  (Herakl.  d.. dunkle  S.  494.),  der  das 
Wortspiel  bei  Piaton  auf  Herakleitos  bezog. 

2.  In  Rücksicht  auf  Wiederherstellung  des  Textes 
verdient  die  Leistung  des  Hrn.  K«.  um  so  mehr  Aner- 
kennung, je  schwieriger  das  Geschäft  eines  Kritikers 
sich  bei  Fragmenten  erweiset.  Empedokles  hat  an  vie- 
len Stellen  sichtbar  gewonnen:  wobei  wir  es  jedoch 
nicht  verbergen  können,  dafs  die  Aenderungen  nicht 
selten  das  Gepräge  von  grofser  Kühnheit  an  sich  tragen. 
Wenn  wir  uns  daher  freueten,  an  mehreren  Stellen  (z, 
B.  vs.  33.  210.  241.  247.)  glückliche  Eniendationen  zu 
bemerken,  von  denen  ein  Tbeil  ^  einen  hohen  Grad  von 


Wahrseheialiehkeit  erseiehlv  so  können  wir  doch  an  vi 
len  aadieren  unsern  Ziweifel  nicht  zurfiekluilten.  "W 
begnügen  uns  hier  nur  Biniges,heraussttlieben,  notb 
sonderer  Bücksiebt  auf  diejenigen 'Aenderungen,  weld 
Hr.  K.  m  den  Text  aufgenommen  liat. 

Im  Proömium  der  Physik  finden  wir  folgende  Bedei 

iudtoy,  jtlatBicct  xtdiCfffptykCfUPoy  S^xo$s' 
fvii  TK  afinlaxip^*  ijf^oyip  tfiXa  yvla  /4«7^, 
{daifioyts  otri  ßioto  Itloyxaak  fiax^ecliuyos) 

ykkyofjuyoy  nayroia  diA  X9^^  M*€i  &yijTiay. 
T^y  xdU  iy(o  yvy  %}fn  qpyag  B-io&sy  xal  akjfrtfi 
Nilxi%  fuuyoiMy^  ni^ttyof. 

Warum  Ys.  4.  mit  Klammern  versehen  ist,  kdnmwii 
nicht  begreifen.  Die  Lesart  Sctifiortg  oXxt  kann  dadnfci 
doch  nicht  sicherer  werden.  Es  war  dei^  Abschfuben 
leicht,  iaifwip  in  Jo^orcg  zu  verwandeln,  und  wir  küft 
nen  uns  nicht  überzeugen,  dafs  daifiorig  hier  besser  les 
solle  als  dalfifop.  Diejenigen,  welche  zuerst  ^«tfu»' wiii 
d^rherstellten,  haben  eingesehen,  dafs  dieser  Begriff  hier 
nicht  zu  etwas  Gleichgültigem  herabgedruckt  werdei 
dürfe.  Aber  im  Folgenden  wird  durch  Hrn.  K's.  Con- 
jektur  XQifi  der  Zusammenhang  gänzlich  aufgebobeft 
X>ie  Ueberlieferung  ist  %fi6vov.  Die  Konstruktion  wl 
nach  Hm.  K.  diese  sein:  j^toi  luv  ynpofi^pop  ilä^» 
Stet  ntuvTola  tlöta  ^tivtov.  Auf  das  Naturliche  ksm  Hr* 
K.  selbst,  indem  er  den  Infinitiv  dkalfja^ai  sh  vm 
dvdyxfiq  XQfJiictj  ^mv  xp/jifdafJia  nakaibp  «bhängig  Torstdlt^ 
wozu  dann  yiyvofitvov  navxoia  tidta  ^vfixm  als  weitert 
Explikaüon  hinzutriu.  Allein  die  Schwierigkeit  kg 
nach  seinem  Urtheile  in  der  gewöhnlichen  Lesasrt  A^ 
Xpöror,  welche  er  zu  heben  bestrebt  war.  Er  daoto 
auch  an  S^  HQ^^^^y  ein  Zusatz,  der  höchst  seUepp««! 
sein  würde.  Man  kanu  aber  d<a  xqopov  nicht  wegenMS* 
diren.  "Walirscheinlich  wird  dadurch  die  Ausdehnuf 
bis  zum  Ende  des  Yerwandlungs  •  Zeitraums  eait^^^ 
tet  und  so  schreiben  wir  8ia  %^6vov.  Der  Vers  kam 
also  urspriipglich  nicht  wohl  anders  gelautet  1^^ 
als  so: 

ytyy6f4(yoy  Tucyroia  dia  /^okov  itdun  ^yiffüy* 

Im  folgenden  Verse  läfst  sich  die  Leseart  %fp  «1^  ^^' 
üg  annehmen.  Aber  Hr.  K.  hätte  auf  den  Gebraooh  tob 
klia  im  Sinne  eines  Präsens  näher  eingehen  sollen  ^ 
S.  162  wird  aus  der  Angabe  des  Philoponos  and  FI<^^ 
nos  zu  schnell  auf  die  Richtigkeit  dieser  Form  ^escU^^^ 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


M» 


^38. 

Jahrbücher 

für 

wisse  n  s  chaftliche   Krit  i  k 


Februar  184Ö. 


1.  Empedoclü  AgrigenUni  cwmuutm  reliqmae. 

I 

Ed.  Karsten. 

2.  TAeodort  Bergkti  cmnmentatio  de  prooä^ 
mio  Empedochs. 

(FortsetzoDg.) 

Wir  behaupten  dagegen^  daCs  ursprünglich  auch  hier 
c</«j  gemeint  war  und  dafs  man  sich  die  Rede  so  den- 
ken müsse:  r^v  xai  i/dt  vvv  (fiv/m  ual  dXSjjuxij  was  in 
Prosa  eben  so  yiei  ist  als:  %avxr[¥  ti^v  odov  {jiXavtiv^  ^t;- 
ftpi)  xai  i/ci  vvv  nXavSiAOU  {qtvyai). 

In  der  Rede  der  Muse  vs.  46.  47. : 

TTQoC  ^ytiTiSy  aytXiaS'at  0.  s.  f. 

soll  nach  Hrn.  K.  die  Struktur  diese  sein:  fitjfH  ri  avt~ 
Uo&cu  ärüice  ufiTjg  ßajaital  ai  etc.  Wir  überlassen  et 
g'em  einem  Andern,  der  diese  Erkl&rung  als  eine  der 
griechkchen  Sprache  angemessene  vertheidigen  will. 
Was  Hr.  Dr.  Bergic  conjicirte:  nrjSe  ov  y  kiiHioio  |9iif- 
ewi  Sv&ea  ttfi^^  ngb;  ^9jr£v  avtUa^m  hat  alle  Wahr* 
•cheinlicbkbit  för  sich  und  Hr.  K.  hätte  diese  Verbes- 
serung nicht  für  so  überflüssig  halten  sollen.  Man  könnte 
Ewar  einen  Augenblick  anstehen  und  glauben,  im  vor- 
hergehenden Verse  habe  ein  Subjekt  für  ßijoirai  gestan- 
den^  wie  t.  B.  .ataiqjQoavvii  oder  Aehnliches.  IMels  ist 
aber  schon  wegen  der  Form  ßifj<ntai  allein  nteht  walir- 
scheinlich  und  wir  können  bo  mit  gutem  Rechte  an  der 
Konjektur  Hrn.  Bergk's  festhalten. 

Eme  eigeuthtunliche  Erklärungsweise  finden  wir 
im  Vs.  50. : 

fiir^  r*r'  mfrty  IjfWM  nUmt  lüiw  n  lua    axti^v; 

piß^  iw^nv  if^dovnoy  vniQ  r^awmfuna  yXeicüifi  etc. 
Die  Vuigatä  ist  d^Xa  y&jf  a^^u  na,;  nakAinff  u.  s.  f.  Hr. 
Karsten  macht  daraus  oAX  ayi  a&QH  naiAnctXdiHj.  Ueber 
die'  Formation  nafinakJlfnj  hat  er  sich  nicht  weiter  aus- 
gesprochen, was  man  billig  erwarten  konnte.  Das  nag 
lalst  sieh  allerdings  hier   nicht  festhalten.    Denn   es 

JüM.  f.  wi$$€n$ck.  Kriäk.  J.  1840.  1.  Bd. 


scheint  die  Mus^  noch  die  auffordernde  Person  su  sein. 
Man  kann  die  Bewegung  des  Verses  {dlX*  äyi  ü^qh) 
auch  sonst  nicht  guth^ifsen.  Es  ist  hier  nichts  natür* 
Itcher  als  su  schreiben :  i^XV  &y  ä&ffH  nda^  nakäiiji  u. 
s.  f.  Dieb  steht  dem  prosaischen  nday  MX^^f  ^datj 
dwdnu  Bur  Seile.  Den  zweileii  Vers  erklärt  Hr.  Kar. 
sten  so:  nee,  si  visu  valeas,  huic  magiserede  quam 
auditui,  wonach  man  glauben  muls,  er  habe  ntavu  für 
nlativi  genommen.  Im  Conunentar  steht:  olim  sie  cor- 
rigenda  putabam :  fii^rt  xat  ihpaf  tjfmv  nioHV  nXtQV  ^  um 
aMovfiv;  nunc  cum  Stursio  vulgatam  rctineo,  quam  sie 
Interpreter,  fuftt  uv  oi//iir  ixm¥y  (narä  tairijv)  nlaxH  nUoiß 
^  %9tt  oxoi/ifr.  Dafs  es  Hr*  Karsten  mit  den  griechi- 
schen Formen  nicht  so  genau  nimmt,  haben  wir  mit 
Bedauern  allenthalben  bemerkt.  Hier  findet  sich  die 
auffallende  ^  Annahme  eines  Verbi  nioxito»  Die  Erklä- 
rung Hrn.  Karsten*s  können  wir  also  nicht  brauchen. 
Zu  dem  Imperativ  &üqh  tritt  der  Participialsatz  fii/rc  — 
H^i  —  tx(uv.  Der  Sinn  ist  klar:  er  $qll  weder  einer 
fVahrnehmung  durch  dae  Geeicht  mehr  trauen  ale 
dem  Gehör'  noch  dem  OeiSr  mehr  ale  dem  Zeug" 
nife  der  Zunge.  Will  man  die  Redensart  ijjtiv  xt, 
nlatti  nXiov  beibehalten ,  so  steht  sie  im  Sione:  etwas 
der  Olaubwärdigkeit  nach  in  höherem  Grade  feeU 
halten;  über  welchen  Prädikatsinn  man  Bemhardy 
wissensch.  Synt.  S.  337.  vergleichen,  kadn.  Allein  es 
ist  nel  natürliclier,  zu  schreiben  ^tivk  ttv  oxfiv  ^on^ 
irioT^y  TiUov  ^  »ax*  axoi/^y,  wo  xaxa  die  nähere  Andeu- 
tung des  ungleichen  Verhältnisses  enthält. 

Um  noch  ein  Beispiel  von  Kritik  in  einem  der 
grösseren  Fragmente  aufzuführen,  betrachten  wir  die 
Verse  410  —  413.  wo  es  nach  der  Ueberlieferung  so 
beifst: 

XMgaofi$yot  e-voyTf^'  o  d*  dtnixovmos  ofioxXsaty 
c^a^tif  ly  [uyi^^tük  xax^y  iUyvymo  cfcrircc. 

38 


l' 


299 


Empedoclii  carminum  reliquiae.    Ed.  Kartten. 


Hr.  Karsten  hat  richtig  eingesehen,  dab  die  Sätce  mit 
ol  de  und  o  de  auf  verschiedene  Subjekte  zu  beziehen 
seyen  und  dafs  ^viiy  in  jenem  Zusannnenhange  rasen 
bedeute.  Nachdem  ein  Subjekt  aufgetreten  war  (ircrrl^), 
folgt  das  andere  ol  Se  (ylol)  und  die  Betrachtung  geht 
dann  auf  das  erstere  zurück,  (o  de).  Hierin  störte  Hrn. 
Karsten  die  Ungleichheit  des  Numerus  und  er  umgelit 
diese  nach  dem  Beispiele  Scaliger's  durch  Konjektur; 
aber  eine  Konjektur  zieht  danh  viele  andere  nach  sich. 
Er  bat  so  alles  dieses  in  den  Text  aufgenommen: 

Ss  cfe  noQtvrak 

a<fa^  dt  iv  ftiyof^Kft  o.  8.  f. 
Das  dvfjxoiartja^p  onoxXmy,  a(fdSag  ^  verdirbt  die.Le* 
lendigkeit  der  Rede  und  macht  sie  matt*  Wir  können . 
dem  de  hier  unmöglich  den  Zutritt  gestatten.  Für  Omvi" 
hätte  sonst  auch  ^6ovd^  geschrieben  werden  müssen. 
Aber  Ha  vieler  Aenderungop  bedarf  die  Stelle  gar  nicht. 
Wir  haben  nichts  zu  verwandeln  als  d^vomi  iii  ^iovras 
und  6  S*  av^ovaxoq  in  6  S*  &(}  viptovatog  (6  de  v^xovorog 
hat  schon  Hr.  Bergk  i^ermuthet,  was  auch  Hr.  Karsten 
in  den  Addendis  8. 525.  anführt) ;  ol  de  noqivwxai  weicht 
dem  ol  d^  iq)o^tuvrM  von  selbst.    So  lesen  wir: 

ol  if  i(ftOQ6vyrat 
UccofHvok  ^ovjag'  6  (f  ag  v^itouinos  ofioxlimy 
Cffa^as  iy  fityccgota*  xax^y  akiyivono  däira. 

Der  Uebergang  von  einem  Numerus  in  den  andern  hat 
nichts  Auffallendes.  Denn  die  Betrachtung  ist  eine  all« 
gemeine.  Der  Pluralis  giebt  der  Rede  übcrdiefs  eine 
Ausdehnung  auf  Thei) nehmer'  mit  einer  gewissen  ethi- 
schen Färbung, 

Weit  schwieriger  ist  aber  die  Behandlung  kürze- 
rer Fragmente,  deren  nächsten  Zusammenhang  man 
nicht  kennt.  So  hat  Plutarch.  (de  fac.  orb.  lun.  p.  920) 
%6v  ijhov  o^vv  dnavtävra  xal  nXffKttjv,  co;  nov^  nal^EfAner- 
SoxXtjg  s^¥  eKOcregcoy  dnodldoiaiv  oiix  dtjdSg  diacpagdv 

[ro  enayooyöv  avTtjs  xai  IXagbiv  xai  äXvnov  oSrta  ngogayo^ 
Qivaag.  Schon  Xylander  hat  hier  das  Richtige  getrof- 
fen, indem  er  ol^vßtXri;  und  iXdeiQa  schreibt,  welches 
letztere  Epitheton  des  Mondes  bei  Eropedokles  Vs.  193 
wiederkehrt.  Da  nun  dieses  Beiwort  (Udnga)  hier  dem 
Metrum  nicht  entspricht  und  die  Erklärung  Plntarch's 
Hm.  Karsten  nieht  ganz  darauf  zu  passen  scheint,  so 
sucht  er  ein  andelres  Beiwort.  Er  stellt  den  Veri  (186) 
so  auf: 


Warum  die  Erklärung  Plutarch's  nietit  auf  tldu^  paprt^ 
ist  nicht  ab^us^heu.  Wie  er  das  divßtXijq  durch  o^ 
und  nXiiKtijg  erklärt,  so  kann  er  auf  die  £rklarun| 
von  IXdeiga  recht  wohl  die  drei  Adjektive  in^ym^i;^ 
IXoQog  und  üXunog  verwenden.  Was  das  Metrum  be- 
trifft, so  ist  der  Vers  allerdings  nicht  voll: 

Wer  sagt  aber,  dafs  Plutarchos  einen  vollen  Vers  hat 
geben  wollen?  Er  erinnert  sich,  dafs  bei  Empedokles 
^Xlo^  vl^vptXfjg  vorkommt  und  ebenso  ^<F  iXduga  «cXip^ 
Beides  konnte  er  seiner  Absicht  j;emäfs  so  lose  Fcrina- 
deh.  Die  beiden  Stellen  können  bei  Empedokles  aAt 
nahe  beisammen  gestanden  haben,  aber  wer  kann  ver- 
langen, dafs  wir  wissen,  wief  Man  könnte  zi^ar  an- 
wenden, Plutarchos  könne  ein  anderes  Beiwort  dei 
Mondes  im  Sinne  gehabt  haben.  Allein  dagegen  spriekfc 
gerade  der  Ys.  193  bei  Empedokles,  woraus  hervor- 
geht, dafs  IXattQu  ihm  ein  stehendes  Beiwort  des  Moa- 
des  war;  denn  er  sagt  ^  de  q>X6i  IXdeiga.  Vgl.  Hesyeh. 
IXdeiQa,  GiXi^v^, 

Aber  noch  kühner  behandelt  Hr.  Karsten  den  Vs. 
189.  Plutarchos  a.  a.  O.  S.  925  sagt  von  dem  Monde: 
wv  fiiv  y  äaxQcoy  xatwxeQm  %oaov%6v  ionf,  Soo¥  ovn  or 

T«$  tlnp^  (jiitgov  •— zljg  de  yfjg  xqojiov  xivat  tf^ai» 

Hai  7iiQiq;(QoiJtevtj  nXrjtTiov  jfSQfiarog  äaneg  ^X'Oi 
dveXiGQtTaiy^  q^rjalv  '^iinedoxXrjg ^  ijve  negi  ox^ay. 
Dazu  sagt  Hr.  Karsten:  baec  vulg«  est  leotio,  in  qua 
haeserunt  interpretes;  nullus  eorum  vidit,  quod  mirere, 
^  T€  splum  in  y/jv  mutandum  esse,  quo  talis  esjstit 
versus : 

agfitfros  äitJtiQ  X^vöS  ay$X£^<fnat  y^y  mgl  ibcgay. 

In  der  Mitte  >vird  noch  eine  Kleinigkeit  verändert  und 
dann  der  Vers  in  den  Text  aufgenommen,  wir  können 
mit  gutem  Grunde  sagen,  f$iod  mirere.  Denn  der  Veis 
geht  bei  dieser  Schnelligkeit  zu  Grunde.  Wir  können 
es  überhaupt  nicht  billigen,  wenn  man  sich  bei  Frag- 
menten, Welche  sich  eben  wegen  ihrer  Abgescblossea- 
heit  einer  eindringlichen  Kritik  völlig  entflohen,  lange 
aufhält.  Man  muls  nicht  alles  eben  machen  wollen. 
DieFs  hat  Hr.  Karsten  wol  auch  bisweilen  eingesehen, 
denn  z.  B.  Ys.  204  wird  nicht  erwähnt,  wie  man  sich 
das  Hmy  zu  denken  habe.  Bei  obigem  Fragmente  lafst 
sich  weiter  nichts  annehnüen;  als  die  Nachstellung  del 
Pronod.  relat.  fjxe  mg^  Sxgocv  (vgl.  nott.  critt.  ad  Fin4är. 
p.  376  sq.  et  ad  fragm.  p.  631.  Corp.  Inscr.  n.  1064. 
1688.  p.  809  b.)  oder  ^  mgl  äxgavj  wenn  nicht  7  ntgi 


301  Emped&clü  camumim 

An^pep  das  Ende  def  ^nen  Verses  a«sniachte^  worauf 
der  zweite  Vers  fortfährt  aQfAOtoq  äantf  ijpfog  dviklaattai. 
Die  Wiederholung^  des  y^v  kann  im  Zusammenhange 
HberflQssig  gewesen  sein.  Und  so  giebt  es  maneherlei 
Termuthungen,  welche  schon  an  sich  den  Gedanken 
'abhalten  müssen,  als  könne  man  der  gestörten  Wort- 
fügung eine  feste  Form  Verleihen. 

Es  wurde  ermüdend  seio»  wenn  wir  die  kühnen 
Bewegungen,  welche  sich  die  Kritik  hier  erlaubte^  wei- 
ter verfolgten.     Wir  mfifsten  unsere  Aufmerksamkeit 
dann  aueh  auf  die  Addenda  ausdehnen,  in  denen*  neben 
maneben  richtigen  Bemerkungen  (e.  B.  S.  520  Ys.  39 
II«  s.  f.)  noch  ailertei  Zweifel  Hber  gangbare  Lesearten 
im  Texte  erhoben  werden  (z;  B.  S.  522.  Ys.  127.  wo 
imrai  ohne  Grund  angefeindet  wird).    Aber  da|i  Resid* 
tat  wäre  immer  dasselbe;  und  wir  wollen  die  Yorzuge 
'dieser  Ausgabe  der  Empedokleischen  Fragmente  keines- 
wegs in  den  Hiutergrund  stellen.    Wenn  wir  aber,  ab- 
igesehen von  der  Gewandtheit,  mit  welcher  Hr.  Karsten 
viele   scliwierige  Stellen  tu   erklären  versuchte,  einen 
Blic^  auf  die  Behandlung  der  alten  Sprache  überhaupt 
werfen,  so  müssen  wir  es  sehr  beda^nern,   dafs  auf  die 
Torrn    im   Griechischen   so   wenig   Sorgfalt  verwendet 
worden  ist.    Das  Buch  erhielt  dadurch  das  Ansehen 
einer  Erscheinung^  ^aus    einem    früheren    Jahrhundert. 
Denn  heut  zu  Tage  denkt  man  nicht  mehr  an  Formen, 
wie  nuntXy  (s.  oben)  ,  SiQxibV  (S.  260),   ytlvofuxi  (Ys.  6 
oben).     Aehnliohes  tauchte  auch    im  Xenophanes  auf 
(S.'47),  wo  zu  schreiben  warnavt^  ia&*  Soa  yiyvovv  ijdi 
ifiofTUL     Um  der  Druckfehler  nicht  zu  erwfthnen,  de- 
ren eine  reiche  Emdte  stehen  geblieben  ist ,  so  scheint 
die  Konsequenz,  mit  welcher  der  griechische  Accent  be- 
handdt  wird,  zu  verrathen,  dafs  der  Fehler  oft  tiefer 
liegt.     Dahin   gehört   die  öfter  wiederkehrende  Form 
ävÖQam  Ys.  38.  296.  S.  310.   a6q^o^   Ys.  350.  442.  S. 
296.  Snoxaif,  onnori  Ys.  280.  297.  443.  und  die  Gleich, 
galtigkeit  gegen  die  enditica  Ys.  25.  29. 105.  127.  254. 
404.  u«  s.  f.,  violer  anderer  Formen  nicht  zu  gedenken, 
welche  ebenso  verdient  faütten,  in  das  Druckfehlerver- 
«zeiebnifa  aufgenommen  zu  werden,  wie  namentlich  na^ä 
Vs.  407  u.  s.  f. 

II.  Darstellung  der  Philosophie  des  Empedökles. 
Nichts  ist  schwieriger  als  die  Behandlung  eiaer  altem 
Philosophie.  Es  liegt  gar  zu  nahe,  sie  in  unsere  Form 
der  Reflexion  umzuprägen  und  ihr  so  einen  Inhalt  zu 
geben,  der  ihr  nicht  zukommt.  Und  dazu  wird  der  Er^ 


reUfüiae.    B4.  KorMten.  302 

klärer  um  so  leichter  fortgerissen,  wenn  er  von  einem 
Philosophen  nur  wenige  Fragmente  vor  sich  hat.  Wie 
in  der  Geschichte  der  Philosophie,  so  handelt  es  sich 
bei  der  Herausgabe  der  Fragmente  eines  Philosophen 
nur  darum,  seine  Gedankenbestimmungen,  so  weit  sie 
in  das  BewuCstsein  herausgetreten  waren,  zu  entwik* 
kein.  Die  weiteren  Konsequenzen,  wenn  sie  sioh  schon 
richtig  aus  dem  Gedanken  ableiten  lassen,  können  doch 
mit  der  Bildung  der  Zeit,  in  welcher  der  Denker  «lebte, 
im  völligem  Widerspruehe  stehen.  Eben  so  unfrucht- 
bar, als  eine  solche  Ableitung,  ist  aber  die  Hererzäh- 
lung und  Behandlung  seiner  Ideen  in  der  YYeise  von 
Meinungen..  In  dieser  leeren  Weise  mnd  viele  Ga- 
sehiohten  der  Philosoplde  verfafst.  Kein  Wunder;  wenn 
die  Idee  der  Geschichte  der  Philosophie'  so  für  Yiek 
untergegangen  ist.  Erst  Hegel  bat  diese  würdig  erläu- 
tert. Wer  daher  eine  ältere  Philosophie  erklärt,  kann 
es  nicht  unterlassen,  vorwärts  und  rückwärts  zu  schauen, 
den  Gang  der  Refiexion  nachzuweisen  und  so  auf  ihren 
bestimmten  substantiellen  Inhalt  zu  kommen.  Die  Haupt- 
sache hierbei  ist  das  Spekulative.  Wo  dieses  in  den 
Hintergrund  tritt,  ist  die  Philosophie  gemeiniglich  von 
wenigem  Interesse.  Der  bestimmte  Begriff  aber,  wel- 
oher  sie  beherrscht  und  der  in  ihr  wesentlich  hervos- 
tritt,  macht  auch  hier  den  Standpunkt  aus,  auf  welchem 
sie  betrachtet  werden  soll,  und  weiset  ihr  die  ihr  ge- 
bührende Stelle  in  der  Eutwiekelungsgeschichte  des 
denkenden  Geistes  an.  Einleuchtend  ist  es,  dafs  bei 
einem  fragmentarischen  System  der  Yersuch  einer  Re- 
konstruktion zu  den  YTagstücken  der  Erklärung  gehöre. 
Man  mufs  nicht  das  Ganze  wieder  finden  wollen,  son- 
dern mit  einem  allsemeinen  Bilde  sich  begnügen. 

^  Wir  wollen  nun  keineswegs  glauben,  dafs  Hr.  K. 
die  Absicht  hatte ,  einen  solchen  Yersuch  mit  der  Phi- 
losophie des  Empedokles  zu  machen,  können  aber  nicht 
verhehlen ,  dafs  uns  seine  Exposition  für  eine  histori- 
sche Darstellung  des  Ueberkommenen  viel  zu  breit  er- 
scheine. Was  er  über  diese  Philosophie  auf  210  Seiten 
sagt,  hätte  auf  einen  weit  engern  Raum  zusammenge- 
drängt werden  können,  selbst  mit  der  Aussicht,  dafs  es 
'an  Klarheit  gewinnen  würde.  Die  historische  Darstel- 
lung wird  ferner  durch  eine  gewisse  enkomiastiscbe 
Farbe  allenthalben  getrübt,  was  auf  die  Behandlung  des 
Gegenstandes  kein  gunstiges  Licht  wirft.  Ein  allge- 
meines Bild  der  Philosophie  des  Empedokles  zu  ent- 
werfen war  so  schwer  nicht,,  zumal  da  Aristoteles  uns 


303 


Empedoclü  carminum  reliquime.    Ed.  KarttHt. 


3ft 


xtemliGii  ToTgearbeket  bat,  der  natttrlioh  über  diese  Phi- 
losophie viel  besser  hat  urtheileh  können,  als  es  uns 
bei  den  eerrbseiien  Bruebstücken,  die  wir  vor  uns  ha>> 
ben,  möglich  ist;  und  es  ist  immer  eine  mibliehe  Sadie, 
wenn  man  glauben  wiU,  Aristoteles  habe  dem  Empe» 
dokles  Unrecht  gethan.  Ein  solcher  .Glaube  kann  nur 
aus  der  Unbekanntschaft  mit  Aristoteles  entspringen. 
Ihm  ist  es  wesentlich  um  den  bestimmten  BegrilBf  al*- 
lenthalben  zu  thun.  Seine  Commentatoren  aber  haben 
meist  den  neuplatonischen  Standpunkt  im  Auge. 

Aristoteles  (Metaph.  1.  3.)  sagt:  Anaxagoras  set 
ilUniq  fih  ngirtQog  ^EftmdoxXiovg,  i'gyoig  8i  Sinipog,  woraus 
hervorgeht)  dafs  Empedokles  jünger  als  Anaxagoras, 
aber  in  Ansehung  de^  Stufe  des  Begriffes  gegen  den 
Begriff  des  Anaxagoras  früher  und  unreifer  sei«  Diefs 
ist  nun  auch  wahr.  Lassen  wir  die  Jonier  weg,  die 
das  Absolute  noch  nicht  als  Gedanken  fafsten,  und 
ebenso  ^e  Pytfaagoräer,  welche  den  Uebergang  der  rea- 
listischen zur  Intellektual-Philosophie  bilden,  so  haben 
wir  die  eleatische  Schule  (Xenophan^s,  Parmenides^ 
Melissos,  Zeno^,  in  welc^ien  wir  da»  Sein  und  die 
Dialektik  als  Bewegung  im  Subjekte  finden.  Der  wei* 
t^re  Schritt  von  der  subjektiven  Dialektik  des  Zeno  ist, 
dafs  diese  Bewegung  selbst  als  das  Objektive  gefafst 
werde.  Diesen  Schritt  hat  Herakleitos  gethan,  der  das 
Absolute  selbst  als  diesen  Procefs,  als  Dialektik,  auf- 
fafste«  Auf  d^  Stufe  ies  Uebeirgangs  zum  Allgemein 
nen  oder  allgemeiner  Bestimmtheit  sind  hierauf  Empe- 
dokles, Leukippos  und  Demokrftos,  welche  das  andere 
Extrem,  das  materielle  Princip,  wieder  aufnahmen,  zu 
betrachten.  Weiter  ging  Anaxagoras;  von  ihm  wird 
der  Yerstand  als  Prinzip  anerkannt.  Er  schliefst  eine 
Periode  und  nach  ihm  beginnt  eine  neue»  Anaxagoras 
ist  nach  Aristoteles  wie  ein  Nüchterner  unter  Trunke- 
nen erschienen.  In  Herakleitos*  Idee  als  Bewegung  sind 
alle  Momente  als  absolut  rersch windende  gesetzt;  in 
Empedokles  dagegen  finden  wir  Zusammenfassen  dieser 
Bewegung  in  die  Einheit,  synthetisch.  Leukippos  und 
Demokritos  gehen  denselben  Weg,  mU  dem  Unterschied, 
dafs  bei  Empedokles  die  Momente  dieser  Einheit  die 
aeienden  Elemente  des  Fisuev»,  Wassers  u.  s.  f.  sind^ 
bei  diesen  aber  reine  Abstraktionen,  Gedanken.  Hie- 
durch  ist  aber   vniuittelbar  die  Allgemeinheit  gesetzt. 


iWcpn   bei   Empiedokles  Bestimmtheit    der  Principisi 
hervortritt,  so   haben  die  Pxineipe  hi^r  doch  midir  da 
Charakter  von  physischem  Sejun-f  die  ideellere   Fon 
ist  noch  nicht  Gedankenform.    Dagegen  sind  die  Vtm 
ciplen  des  Leukippos  und  Oemokri^s  ideellere.     Die 
Philosophie^  des   Empedokles  ist   cSne  Ausbildung  der 
Naturphilosophie  oder  Naturbetrachtung.    Sie  ist  nchr 
poetisch  als   bestimmt,  philosophisch«    Ihr  HauptbegrtC 
ist  die  Vermischung,  Synthesis,  welche  zum  Heraklet- 
tos  als  eine  Vervollständigung  des  yerhältniaaee  gehüst 
und  sich  bis  auf  diesen  Tag  noeh  geltend  macsht.   Ss 
tritt  Einheit  der  Entgegengesetzten  hervpr,  weleber  Bsn 
griff  si^h  schon  bei  Herakleitos  entwickeke*    Die  Ein« 
heit  Entgegengesetzter  aber  in  ihrer  Ruhe  ist  für  die 
Vorstellung  in  der  Weise  von  Vermischung. 

Hr.  K.  geht  nun  sehr  formell  zu  Werke.  Wir  wot 
len  seinen  Gang  nur  wie  aus  der  Feme  verfqlgeiis  ml 
den  Leser  nicht  durch  Weitläufigkeit  zu  ennäden.  Ha 
K.  beginnt  mit  der  Ansicht  ieM  Empedokles  von  dee 
Kriterium  der  Wahrheit.  Dieses  ist  in  seinem  Werhs 
nicht  scharf  ausgeprägt.  Man  sieht  Aur  so  viel,  dsfc 
er  die  Sinne  nicht  prädominiren  lasse.  In  der  Phyrik 
nun  geht  Empedokles  von  dem  Salze  der  Eleaten  mi 
jedes  metaphysischen  I^ntheismus  aus:  ex  nihilo  nihÜi 
in  nihilum  ml  posse  revertL  Als  Erstes  setzt  er  das 
Eine  von  göttlicher  Kraft  und  durch  Innere  Harmonie 
gebunden.  Diefs  ist  sein  a(falQoq,  Diesem  stellt  Hr«  K. 
das  Princip  des  Anaxagoras  gegenüber,  dessen  HomSio- 
merien  den  vovq  an  der  Spitze  haben.  Hr.  IL  hik  nSsi- 
lieh  diesen  wovg  für  ein  denkendes  Wesen  dranlseik 
(S.  327«).  So  aber  Wäre  dem  Gedanken  des  Aaaxaga» 
ras  alles  philosophische  Interesse  benommen*  Es  iit 
das  Allgemeine,  was  die  immanente  Natur  des  Gegen- 
standes selbst  ist.  Diefs  ist  das  Prindp.  Aus  ds« 
Qifatpog  entwickeln  sich  die  Elemente  (S.  329.),  dem 
Vidrzahl  zuerst  Empedokles  aufstellte*  Die  Eigensehafi 
ten  dieser  Elemente  hat  übrigens  Empedokles  nicht  ge> 
gliedert  (S.  340).  Daher  gebraucht  er  sie  nicht  inuner 
als  vier  gleichgültige  nebeneinander,  sondern  im  Gegen- 
satze als  zwei,  das  Feuer  für  sich  und  die  andern  als 
Eine  Natur,  indem  er  die  Eigenschaften  auf  zwei  red«- 
eirt,  auf  das  Warme  und  KiEihe  oder  auf  das  Trockene 
und  Feuchte^  u.  s*  w« 


(Die  FortaetzQDg  folgt.) 


wissen 


Jahrbücher 

für 

s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e 


Kritik. 


Februar   1840. 


■■ 


1.    Mmpedaeiü  Ägrigentini  emrtmmnn  reitqmae. 

Ed.  Eartten. 
%    T%eodori  Berghii  commentatio  de  prooe- 

mio  Empedodis. 

(Fortsetzung^) 

Yan  dieier  BetrachluQg  geht  Hr.  K.  über  auf  die 
^Vrei  andern  Prineipe,  Freundschaft  (<f(%Mi)  uii^  Feind« 
«cliaft  {vHHQi)j  welche  Enpedckles  neben  den 'vier  rea- 
1^  ab  ideeUe  gebraucht  bat  (S.  346).    Mit  ihnen  ist  die 
bewegende  Natujrkraft  gesettt    Aristoteles^  dem  es  um 
4eB  Begriff  der  Principe  zu  thun  ist,  weiset  das  Unge- 
nügende ^eser  Verbindung  nach,  worin  Hr.  K.  ihm  nur 
Ifaeilweise   beizusidmmen    scheint.     Seine  Einwendung 
bebt  aber  nichts  von  dem  auf^  was  Aristoteles  behauptet 
Aristoteles  vermifste  schon  bei  Herakleitos  das  Princip 
des  Zweckes,  des  Sichgleichbleibenden ;   so  hofft  er  es 
hier  su  finden,  findet  es  aber  nicht    Löbenswerth  ist 
allerdings  die(s,  dafs  £mpedokIes  das  Princip  der  Be- 
wegung nicht  als  Eines  setzte^  sondern  als  Vers^iedene 
und  Entgegengesetzte.    Und  diefs  wird  auch  Ton  Ari- 
stoteles anerkanot.    Allem  Empedoklei^  hat  die  zwei 
ideellen  Momente  und  die  vier  realen  Principe  nicht 
nach  ihrem  Yerhältnisse  su  einander  bestimmt.    Es  lärst 
sich  diese  Unbestimmtheit  aus  der  poetischen  Form  der 
Plulosophie  erklären,  aber  pbilosophbch  nicht  vertbeidi- 
gen.    Das  (Sedankenlose  wird  auch  von  Hm.  K.  im 
folgenden  Paragraphen  zugegeben,  wo  er  von  dem  Zu* 
Call  und  der  Nothwendigkeit  bei  Empedokles  handelt  (S* 
359  ff^}.    Eine  Ternere  Schwiejrigkeit  zeigt  sich  in  der 
Unbestimmtheit,  mit  welcher  Empedokles  das  Eins  und . 
"Viele  behandelt;  man  weifs  nichts  ob  er  das  Eins  oder 
das  Viele  zum  Wesen,  gemacht  hat,  wefswegen  ihn  auch 
Aristoteles  mit  Recht  tadelt.  Aristoteles  nntersueht  na- 
mentlich den  Begriff  der  Bewegung  und  nimmt  abwech- 
selnde Bewegung  und  Ruhe  all,  Bewegung,  wenn  die 
Ereundschaft  aus  Viel«i  Eins  mache  oder  die  Feind- 

Jakrb.  f.  wUienteh.  Krüik.  /.  1S40.    I.  Bd. 


•ehaft  aus  Einem  Vieles,  Ruhe  aber  in  den  Zwischenzeir 
ten.  Da  aber  die  Zeit  ewig  sei/  sq  mQsse  auch  die  Be- 
wegung als  eine  perpetuelle  ersdieinen.  Auf  diese  Zwif 
sohenräume  scheint  nun  Empedokles  niidbt  geachtet  m 
haben,  im  Gegentheil  die  Bewegung  ist  ihm  eine,  un» 
imterbrochene,  ewige,  und  der  spekulatiTC  Gedanke,  den 
wir  in  den  Versen  99.  100. 

jaitjß  (f '  ttUv  tacty  ixivtfia  xatit  xvxXoy, 

finden,  kann  nicht  wohl,  ein  anderer  sein,  ab  dieser: 
„darui  dtob  der  Wechsel  der  Formen  ein  ewiger  ist, 
bt  die  Ruhe  des  Wesens  bestimmt  Es  ist  Bewegung,^ 
Frocefs,  aber  darin  Ruhe."  Richtig  hat  Hr.  K.  1. 13. 14^ 
einige  Folgerungen  der  Späteren,  namentlich  der  Neu- 
platomker,  aus  den  Philosophemen  des  Empedokles  als 
unstatthaft  zurQckgewiesen,  wie  den  Satz  von  einer  dope 
pelten  Welt^  den  Bau  der  Welt  durch  die  Feindschaft 
und  ihre  Zerstörung  durch  die  Frejnndschaft,  den  Untei^ 
gang  des  Universums  durch  Teuer.  Nachdem  hierauf 
Hr.  K.  den  Satz  vom  Wechsel  der  Dinge  und  die  Kos- 
mogonie  ,  des  Empedokles  im  Allgemeinen  betrachtet, 
wobei  er  darauf  aufmerksam  macht,  dars  diese  Philoso* 
phie  mit  vollem  Recht  Pantheismus  genannt  zu  werden 
verdient,  geht  er  über  auf  die  entstehende  Natur  {&, 
392  ff'.).  Alles  Organische  ist  eine  Verbindung  aller 
EUemente.  Mit  dem  in  die  Existenz  Treten  dew  Ele- 
mente ist  ihre  Vermischung  nach  dem  GrundsSatze :  Giefi» 
ehes  iuoht  OleicheM^  gesetzt.  Dazti  gebraucht  Empe* 
dokles  die  n6^o\  und  dno^^oal.  Hr.  K.  fafst  diefs  so 
zusammen:  elementa  Universum  complentia  finxit  ]par» 
tim  naturall  suoque  motu  partim  amidtiae  impulsu  irri* 
tata  coisse  et  mundum  formasse  sicut  unum  naturae  cor- 
pus, undique  foraminibus  pervium,  per  quae  variae  eins 
partes  velut  membra  libere  inter  se  commeare  possent. 
Sic  communione  facta  congruentia  in  unum  coaluisse^ 
inde  nova  genera,  novas  spedes,  novas  figuras  et  oqr- 
pora  exstiüsse,  ex  hb  paullatim  omnia,  phmtas,  besüas, 

39 


307 


Empedoelü  eartmnumfreUf^ßiae.    Ed.  KarMteu. 


homines  fonnata.  '  FropUar  insUam  aulem  vim  et  natu- 
ralem  vigorem  ea  perpetuo  moveri,  huc  illuc  agi;  alla 
eflfluentia  foras  elabi,  alia  rursus  intrare;  ea  ratione 
agere  et  pati  oronia,  yariari,  crescere,  yetera>  interire, 
noyH  oririy  tqtam  denique  rerum  naturam  perpetua  vi- 
cissitudine  bgitari.  Der  Zeitraum  bis  zur  Yollendung 
der  orgaoiselien  Welt  scheint  in  zwei  Uebergänge  ge- 
theiU,  in  den,  wo  sieh  einzelne  Glieder  bildeten,  und  in 
den,  wo  sich  Gestalten  zusammensetzten,  welche'  sich 
jedoch  nicht  erhalten  konnten.  Der  erste  Uebergang  ist 
eine  natürliche  Ansicht  des  Elementarischen  in  den  or- 

4 

ganisöhen  Regungen ;  der  zweite  bewegt  sich  in  einer 
mehr  mythischen  Sphäre,  und  man  könnte  daran  den* 
ken,  dafs  diese  selbst  duirch  die  Beobachtung  von  den 
Spuren  einer  untergegangenen  Welt  bedingt  sei.  Die 
Dinge  sind  so  zufällig  nach  Nothwendigkeit  entstanden. 
Die  ersten  Produktionen  sind  gleichsam  Versuche  der 
Natur,  von  denen  diejenigen  nicht  bleiben  konnten,  wel- 
che sich  nicht  zweckmä&ig  zeigten.  Daher  mit  Recht 
Aristoteles  bemerkt,  wer  dieses  zufällige  Bilden  annimmt, 
hebe  die  Natur  und  das  Natürliche  auf;  denn  dieb  hat 
das  Princip  in  sich  p  die  Natur  ist  das,  was  zu  seinem 
Zwecke  gelangt.  Die  ferneren  Stufen  sind  vollkommene 
Gestalten  erst  durch  die  Elemente,  dann  durch  Erzeu«- 
gung  (S.  4J5).  Werden  nnd  Yerschwinden  sind  in  der 
bekannten  fit^i^  und  SidXkul^iq  ausgesprochen.  Die  Schwä- 
ehe  dieser  Ansicht  hat  Aristoteles  öfter  berührt.  Hr. 
K.  meint  aber  doch,  die  Gründe  des  Aristoteles  seien 
nicht  alle  schlagend.  Die  Weise  der  Entstehung  nach 
Empedokles  sei  nur  schwer  zu  verstehen  (S.  406J!  In* 
zwischen  könne  man  in  der  That  mit  dem  Begriff  der 
[ui|is  nicht  fertig  werden;  es  scheine  eigentlich  Hoüifaiq 
zu  sein  und  dazu  führt  er  die  Erkläl*ungsweise  des  Ga» 
lenus  an.  So  riciitig  letzlere  Bemerkung  ist,  so  kön- 
nen wir  uns  doch  mit  einer  solchen  Kritik  im  Allgemein 
nen  nicht  befreunden.  Es  ist  ein  Herüber-  und  Hin« 
überreden,  ein  Bestreiten  und  auch  kein  Bestreiten.  Es 
kann  dabei  zu  keinem  eigenthümlichen  wissenschaftli« 
ehen  Inhalt  kommen.  Entweder  hat  Aristoteles  Recht 
oder  das  Unrichtige  ist  zu  beweisen.  So  wird  auch  an- 
derwärts (S.  190)  Aristoteles  getadelt,  dals  er  die  SteUe 
Vs.  77  ff. 

ffvctS  ovdiyos  iffTty  Xovrtav 
d-yirroSy,  aide  rts  ovXo/nsyov  d-aydro&o  reXivri 
äXXd  fioyoy  fÄi^k  r«  dhalXd^ig  t§  fitysyrtoy 
i<rrJi  ^c^  cf '  inl  rotg  oyo/LuiCtTm  ayO^Qtirionnyy 

SO  erklärt,  dals  nichts  eine  Natur  sei^  sondern  allein 


eine  Mischung  und  Trennung  des  Gemischten   (Matapfc 
IV.  4.).    Da  Aristoteles  die  zweite  Zeile  überging,  an 
weleh|sr  auf  die  ärmere  Bedeutung  des  Wortes   ^mh 
geschlossen  werden  kann,  so  tadelt  Hr^  K.  diese  ErlÄ 
rvngiweise.    Nach  ihm  heÜst  es:  es  gtatt  isrntm^  th» 
bftrt  und  keinen  Tod^  sondern  Mir  FertnieeAweMg  mni 
Trennung  des  Oemieekten.    Allein  dafs  diefSs   niekt 
der  vollständige  Gedanke  des  Empedokles  ist,  beweiset 
schon  der  letzte  Yers,  wo  q>iai^  von  dem   Begriff  in 
bestimmten  Einheit  gesagt  wird.   .Aristoteles  hsit  pm 
Becht,  wenn  er  diesen  Begriff  der  ir^cony  ifvw&tms  tb 
das  Leitende  vorausstellt    Er  hebt  dadurch  den  vmih 
telbaren  Gegensatz  noch  nicht  auf.    Jedes  Ding  ist  naeh 
Empedokles  dieYermischung  einfacher  Elemente ;  es  sdkst 
wird  also  nicht  als  das*  Allgemeine,  Einfache  an  sick 
gesetzt.  —  Der  Mangel  an  einem  bestimmten  l<froc  iit 
ebonfalls  von  Aristoteles  nachgewiesen.    Hr.  K.  nent 
aber  hier  doch  damit  durchzukommen,  dals  die  qpiJUadb 
Zufälligkeit  moderire  und  so  den  einzelnen  Formen  cfr 
nen  Grad  von  ZweckmäGrigkeit  sichere  (S.  413).    IW 
Bildung  einzelner  Theile  animalischer  Kürper  ericem 
übrigens  Empedokles  einen  X6yo^  an  (S.  4öO)i     Im  FsL 
genden  geht  Hr.  K.  auf  besondere  Betrachtungen  cfa^ 
wie  über  Wachstfium  der  Pflanzen  und  Thiere  (S.  454); 
über  den  Trieb  (S.  459) ;  über  Fortpflanzung  (S.  46J); 
über  Entstehung,  Bildung  und  Geburt  des  lämhrfo  03. 
469);  über  Bespiration  (S.  477);  über  die  Sinne  (S.  4fi»); 
über  den  Intellektus  (S.  490) ;  über  den  Schlaf  und  den 
Tod  (S.  501).     Interessant  ist  die  Vorstellung,  dafs  die. 
Seele  selbst  die  Einheit,  dieselbe  Totalität  der  ElemoMe 
ist.    Sie  ist  nach  Empedokles  im  Blute.    Die  erkennende 
Kraft,  der  ^eele  erklärte  er  so  als  >ein  Abspiegeln  des 
gleichen  Aeufsern  in  dem  Innern,  und  fand  sie  dthap 
auch  überall,  wo  eine  solche  Yereinigung  ist  (in  Pflsa* 
zen  und  Thieren),  niir  graduell  unterschieden.    Die  ideet 
len  Momente  treten  auöh  hier  wieder  koordinirt  mit  den 
realen  Prineipien  auf.    Denn  die  Seele  verliält  sich  nach 
dem  Princip  der  Erde  zur  Erde,  nacli  dem  des  Wassei« 
zum  Wasser ,   nadi  dem  der  Liebe  zur  Liehe  u.  s.  L 
Das  Erkennen  ist  ihm  so  die  in's  Bewufstsein  tretende 
Identität  des  Menschen  und  der  Dinge.    Die  Widerspril* 
ehe,  die  sich  auch  hier  ergeben,  hat  Hr.  K.  richtig  h«w 
ausgestellt  (S.  466).     Die  Erkenntnifs  des  Wahren  wiid 
so  gänzlich  aufgehoben.     Hierauf  spricht  Hr.  £.  über 
die  Götter,  Dümonen  und  Seelen  des  Empedokles.    Der 
höchste  Gott  ist  der  oqwXqt^^  von  dem  schon  Aristoteles 


«  ♦ 


809  JSmpedeeli$  cifrminum 

bemerkt,  dafii  Empiidoklefl'tbiii  mihdem  Antbfil  an  gf  o<- 
fffpif;  lasse,  als  den  übrigen'  Wesen.  Götter  sind  Terner 
ffie  vier  Eiemente,  und  ^e  zwei  ideellen  Prineipien  OOJta 
iftid  JVcMcoc.  Attfser  diesen  werden  mehrere  Götter  an- 
erkilRttt,  welche  wie  die  Menseben  dureh  Vermischung 
der  iBlemente  entsprungen  sind.  Solche  sind  diejenigen, 
welche  damals  in  Griechenland  allgemein  verehrt  wur- 
den. Der  Begriff  des  höchsten  Wesens  (Vs.  359  ff.)  ist 
erhaben.  Um  Aesen  mit  der  übrigen  Philosophie  des 
Bmpedokles  in  Einklang  zu  bringen,  glaubt  Hr.  K.  (8. 
805),  Empedokles  habe  unter  dem  ecpai^o^  und  den  Ele- 
menten, welche  ihm  insgesammt  Götter  sind,  nicht  die 
Materie  verstanden,  aus  der  die  Weltkörper  entsprun- 
gen, sondern  die  reine  Idee,  das  AUgemdne.  Wenn 
der  eiptti^og  so  in  der  Perm  der  Harmonie  des  Univer- 

E'  lim  aufgeragt  werde,  so  kömie  allerdings  die  Delini- 
on  des  h&chsten  Wesens  auf  ihn  angewendet^  werden. 
Ton  Ihm  habe  sich  die  gottliehe  Kraft  über  die  Ele- 
mente ergossen  und  die  Übrigen  Gotter,  Dämonen  und 
Beelen  hätten  in  sofern  Antheil  an  ihm.    Daher  rd  nay- 
xwf  rofUfAOt,  welches  sich  auf  alles  Himmlische  und  Irdi- 
Bische  erstrecke.    Alles  diefs  sei  freilich  nicht  philoso* 
phisch  entwickelt,  sondern  vielmehr  poetisch  geweissagt. 
Den  Gittern  folgen  zunächst  die  Dämonen,  welche  der. 
Sterblichen  Schicksale  regieren.     Sie  seien  von  gottli- 
chem Ursprung,  aber  £ur  Strafe  für  ihre  Befleckung  durch 
Mord  aus  dem  Göttersitz  in  das  irdische  Dunkel  herab- 
gesfolsene  Wesen.    Mit  den  Dämonen  endlich  verwandt 
sind  die  menschlichen  Seelen,  welche  in  sterblicher  Hülle 
ftre  Schuld  auf  der  Erde,  diesem  Jammerthale,  büfsen 
müssen.     Dieses  Loos   wird  von  Empedokles   hochlich 
beklagt.     Sie  durchirren  die  mannigfaltigsten  Formen. 
Empedoicles  erinnert  sich,   dafs  er  einst  ein  Baum,  eu& 
Vogel,  ein  Fisch  war  (Ys.  380.  381.).    Er  tadelt  dieje- 
nigen, welche  glauben,   dals  die  Menschen,  bevor  sie 
geboren  worden  und  nach  ihrem  Tode,  durchaus  nicht 
seien  (Vs.  350  ff.).    Dafs  er'  das  Geistige  in  den  ver- 
schiedenen Gestalten  als  dasselbe  anerkenne,  beweisen 
die  Verse  (410 — 417.),  nach  denen  einer,  der  einThicr 
tddtet,  Gefahr  läuft,   seinen  eigenen  Sohn   su  t5dten. 
Richtig  bemerkt  Hr.  K.,   dafs,  wenn  Empedokles  con- 
iequent  bitte  verfahren  .wollen,  er  auch  die  Bäume  und 
PRansen  auf  gleiche  Weise  behandeln  mufste.     Gleich- 
wohl scheint  er  nur  die  Bohnen  und  den  Lorbeer  (Vs. 
418.  419.)  unter  die  unantastbaren  zu  rechnen.     Für 
diese  Inconsequcnz  hat  Hn  K.  den  Ausweg,  dafs  sie 


reUquime.    Bd.  Karoten.  310 

von  dem  altherkdmmliohen  Religionsgebraueh  abgeleitet 
Werden  müsse.  Aus  Obigem  gelit  aber  hervor,  dafs  Emp 
pedokies  e|ne  Art  v<m  Metempsychose  anerkannt  habe. 
Dieser  Vorstellung  wideirsprictit  nun  seine  Ansicht  von 
der  Seele.  Sie  ist  ihm  als  dureh  das  Blut  dem  Leibe 
genau  entsprechend  eine  eigenthümliche  Verbindung  der 
Elemente  und  mnfs  daher  als  solche  EUgieich  mit  i^^m, 
Leibe  untergehen.  Was  diesen  Widerspruch  betrifft,  se 
glaubt  Hr.  K.,  Empedokles  habe  bei  seiner  -Metempsy* 
ebose  nicht  an  die  Seele  als  solche  gedacht  (diese  sei 
verschwindend),  sondern  an  jene  göttliche  Kraft,  wel* 
che  wir  Geist  nennen,  und  die  nach  seilier  Vorstellung 
auf  der  Erde  in  den  sterblichen  Leibern  herumirre.  Em- 
pedokles habe  diese  Substanz  nicht  näher  bestimmt, 
sondern  gedankenlos  mit  der  Natur  des  Materiellen  ver- 
schmolzen. Auf  ähnliche  Weise  behaupteten  die  Aver- 
roisten  im  Mittelalter,  der  allgemeine  roiv,  der  zum  Dei|* 
ken  assbtire.  sei  immateriell  und  unsterblich,  dieSede 
aber  als  numerisches  Eins  sterblich.  Es  ist  daher  in 
der  That  bei  JSmpedokles  keine  eigentliche  Metempsy- 
chose zu  statuiren,  wie  denn  auch  die  Ackeren  vpn  ilun  . 
nicht  fAiTifttif^moiQf  sondern  umvawfiiitwatg  sagen,  wor- 
auf Hr.  K.  hätte  aufmerksam  machen  sollen.  Solche 
orphische  Ansichten  scheinen  nun  vorzüglich  in  den 
Ka<ya^(ioX^  niedergelegt  gewesen  zu  sein,  in  welchen 
Empedokles  als  Sittenlehrer  auftritt.  Mit  einem  Blick 
auf  diese  Richtung  schUefst  Hr.  K.  seine  Abhandlung 
über  die  Philosophie  des  Empedokles. 

Der  Fleifs,  den  Hr.  K.  auf  die  Darstellung  der 
Philosophie  des  Empedokles  verwandte,  verdient  alle 
Anerkennung.  Es  ist  nicht  leicht  ein  Moment  zu  fin* 
^den,  welches  er  nicfat  zur  Sprache  gebracht  hätte.  Auch 
trifft  ihn  der  Vorwurf  nicht,  dafs  er  dem  Philosophen 
Bestimmungen  untergelegt  habe,  die  nicht  in  ihm  ent- 
halten wären.  Aber  eben  die  allzugrofse  Aufmerksam- 
keit, die  den  Einzelnheiten  hier  gewidmet  ist,  macht  es 
dem  Leser  schwer,  sich  ein  allgemeines  Bild  dieser 
Piiilosophie  nach  den  Hauptzügen  zu  entwerfen.  Diese 
Schwierigkeit  kann  Hm.  K.  selbst  nicht  entgangen 
sein,. da  er  in  der  Schlulsbemerkung,  in  welcher  er 
das  Lob  des  Empedoldes  zasammenfäfst,  noch  der  auf- 
geworfenen Frage  erwähnt,  welcher  Schule  Empedokles 
eigentlich  angehöre.  Hier  sollen  wir  also  erst  erfahren, 
auf  welcher  Stufe  der  Entwickelung  unser  Philosoph 
stehe.  Viele,  heilst  es,  haben  ihn  den  Pjthagoräern 
zugezählt,  andere  den  Joniern,  wieder  andere  den  Elea- 


Ml 


t    \ 


ß!m/whe/ü  earmimm  r^lifmae.    Ed.  Kor$ien. 


SU 


ten.  Aus  seiner  (Hrn.  K^.)  ZuMinineiMteUuiig  gieb^ 
aber  bervt^ff  dafs  die  Pbilosophie  des  Empedokles  mk 
allen  diesen  in  Verbindung  stehe.  Mit  den,  Elealen 
habe  er  das  Eine  gemein  t  welehes  er  auf  dii»  Naturbe- 
trachtung übertrug,  mit  den  Jouiem  aber,  dars.  er  die 
Dinge  in  ewigem  Strom  begriffen  sich  dachte,  mit  den 
Pytbagoraem  öndlicb  stimme  er  in  den  Ansichten  über 
die  gott)ichen  pinge  und  Religtonsgebräuche  überein« 
Auf  Uebereinstimmendea  labt  sich  leicht  aufmerksam 
machen ;  das  heiCst  aber  nicht  das  Princip  erklären  oder 
die  Sjtufe  der  Entwickelung  nachweisen.  Dafs  in  Em* 
pedokles  die  Idealität  des  Sinnlichen  oder  der  sieh  in 
die  reale  Anschauung  versenkende  Begriff  hervortritt» 
^fs  er  die  Weltaosicht  seiner  Zeit  so  und  so  verar* 
bettet,,  solche.  Principe  angewendet  und  so  die  atomisti- 
ache  Philosophie  liervorgerufen,  indem  er  die  Materie 
ader  das  Ahs<Uute  als  gegenstflndliches  W^en  so  be- 
atimn^  dafs  er  die  vier  einfachen  Elemente,  wie  nach 
ihm  Leukippoa  und  Demokritos  unendlich  viele  Atome^ 
nur  nach  Gestalt  unterschieden  setzt,  deren  Sjnatlresen 
die  Uf^istirenden  Dinge  sind  u.  s.  f.,  diese  allgemeinen 
JULomente  müssen  sich  nicht  nur  durch  Reflexion  auf 
der  Zusammenstellung  des.  fragmentarischen  Systemi^ 
ergelbien,  sondern  zuer^l  bestimmt  hervorgehoben  wer* 
den,  ehe  man  su  den  einzelnen,  weniger  interessanteii 
EntWickelungen  und  Anwendungen  übergeht  Es  ist 
eine  naturliche  Frage,  die  sich  hier  aufdrängt,  in  wel- 
ebem  Verhältnissß  nämlich  die  vorliegende  Bearbeitung 
d^r  Empedokleischen  Fragmente  zu  früheren,  nament- 
lich zu  der  von  Sturz  stehe;  und  da  n^ussen-wir  Hrn. 
K^  daa  Zeugnifs  geben,  dab  diäfs  eben  das  Auszeich- 
nende isl;,  dafs  seine  ^Bestrebungen  überhaupt  keine 
aokhe  Yergleichung  zvlas^^en.  Bei  Sturz  sehen  wir 
blofse  Sammelei;  hiOr  aber  Einsicht  in  den  Stoff  und 
einen  lobenswerthen  Versuch,  das  Dunkel  der  lieber* 
lieferungen  durch  Kritik  aufzuhellen. 

Eben  als  wir  zum  Schlüsse  dieser  Anzeige  uns 
wenden  wollten,  stielsen  yvir  auf  die  interessante  Er- 
acheinung  No.  2.  Hr.  Dr.  Bergk  hat  uns  sclion  früher 
in  verschiedenen  Zeitschriften  Proben  seiner  gründlichen 
CSelehrsamkeit  in  kritischen  Erklärungen  Empedoklei* 
scher  Fragmente  gegeben.  Wir  finden  una  um  ao  mehr 
veranlafst,  auf  den  Inhalt  dieser  Abhandlung  des  Hrn, 
Bergk  einzugehen  und  sie  mit   obiger  Beurtheilung  in 


Zusammenliang  lu  bringen,  als  in  decselbeH  einigt 
Modifieattouea  der  in  Jener  berührten  Aasicbiett  über 
Vertheilung  emzelner  Fragmente  enthalten  sind*  Der 
Grundgedanke  dieser  Abhandlung  ist  Konstituinmg  des 
Eingangs  der  Bücher  über  die  Natnr.  In  Beziehung  aof 
das  Yerhältnirs  dieser  Bücher  zu  den  no^iK^^i  stinmit 
Hr*  Bergk  mit  Hm.  Karsten  übereia.  Auch  Hr.  Bevgir 
erkennt  die  wt^aq^i  als  ein  besonderes  ebzwar  mit  dam 
anderen  Werke  dem  Inhalte  nach  nahe  verwandtaa  Bveh 
an  (S.  8).  Getheilt  sind  beider  Ansichten  über  die  De» 
dikation  dieser  Werkes  so  wie  über  die  Siellö ,  welcbe 
das  i|iedicinische  Fragment  Vs.  423  —  432  einneluMsn 
soll.  Allerdings  giebt  der  Inhalt  dieses  Fragvenlas 
der  Annahme  Raum,  dafs'  es  «rsprünglich  ein  TiieU  der 
9ea^a^f«oi  war.  Aber  die  Anrede  Einer  Person  in  dem- 
selben schien  dieser  Ansieht  entgegen  au  sein.  Es  vA 
nämlich  keine  nur  oberflächliche  Bealehung,  welche  asa 
verfolgt,  wenn  man  die  sai^^/iei  als  ein  an  daa  Yolk 
gerichtetes  allgemein  nützliches  Gedicht  sich  denkt,  za 
welcher  Ansicht  der  erhaltene  Eingang  dieses  'Werkm 
selbst  auffordert  Da  nun  der  Philosoph  in  dem  obiges 
Fragment  an  Eine  Person,  wahrscheinlich  an  den  Am 
P^usanias,  sich  wendet,  so  lag  es  nahe,  selbiges  voa 
jenem  Werke  zu  trennen  und  ihm  einen  anderen  Platz 
anzuweisen,  den  die  Ueberlieferung  von  einem  medlei- 
nischen  Werke  des  Empedokles  «w  Sni^  il^^akoam  von 
selbst  an  die  Hand  gab.  Hr.  Bergk,  der  nun  von  dem 
Gedanken  ausgeht,  daCs  dieses  Fragment  wirklieh  den 
i^ai^aquolq  angehöre,  nimmt  an,  dafs  der  Dichter  seine 
Bede  zuerst  an  das*  Volk,  dann  an  den  Arzt  Pauaanias 
gerichtet  habe.  Die  Worte  biii  iioirm  aoi'fyw  x^om« 
Tide  nana  zeigen  allerdings  an,  dafs  das  Fragment  mit 
einem  an  Mehrere  gerichteten  Werke  in  Zusammenhang 
stand,  allein  wir  glauben  nicht,  dab  dieser  Zusanunen» 
hang  ein  innerer  war,  sondern  der  iajgixog  Xdyog  mag 
sich  an  die  xad'affioi  vielmehr  nur  sehr  äusserlich  an* 
gereihet  haben.  Denn  es  liegt  doch  die  Frage  an  nahe, 
ob  es  wahrscheinlich  sei,  dafs  der  Dichter  in  einem 
dem  Yolke  gewidmeten  Werke  eine  Episode  über  Ge« 
genstände,  welche  für  das  Yolk  von  keinem  Interesse 
sind,  eingewebt  habe.  Nach  unserer  Ansicht  findet  der 
iar^uo;  lo/og  hier  seüie  Stelle,  der  oflfenbar  ein  Ganzes 
bildete,  aber  mit  den  sa^a^/iOH*  äusserlich  in  Verbindung 
gebracht  gewesen  sein  kann. 


(Der  Besehlafi   folgt) 


J^  40. 

Jahrbfiche 


für 


w  i  8seii8chaftliche    Kritik 


Februar   1840* 


L    EmpedocUs  AgrigewUm  carmmum  reHqmae. 

Ed.  Karsten* 
2.     Theodori  Berghii  commentatto  de  prooe^ 

mio  Empedoclü. 

(Schlaft.) 

Interessant  isf,  was  Hr.  Bergk  hierauf  von  einer 
doppelten  Dedikation  der  Bücher  über  die  Natur  bei* 
bringt.  Wir  haben  oben  bemerirt,  dafs  diese  dem  Arzt 
Pausanias  gewidmet  waren ,  wie  der  voü  Diogenes  er« 
baitene  Vers  selbst  bezeugt: 

Jffatfffarkc,  cu  di  xXv^t  dt^fQovof  Uyxttmt  vli  (Vt.  54). 

Aus  dieser  Form  der  Anrede  {ph  de)  will  nun  Hr. 
Bergk  ersehen ,  dafs  ein  Uebergang  von  einisr  Person 
sur  andern  zum  Grunde  liege,  und  glaubt  sofort ,  dafs 
die  andere  Person  Telauges,  der  Sohn  Pythagoras,  sei, 
weichet  von  Empedokles  nach  dem  Zeugniss  des  Hip* 
pobotos  bei  Diogenes  (YIII.  43.)  irgend  wo  angeredet 
werde: 

TilmvyH,  Jdvri  »ovq$  Qn^oit  JU^ttytf^m  rt.    (Vs.  493). 

Hr.  Bergk  eröffnet  somit  diesem  Yerse  selbst  Aussicht 
auf  eine  SteHe  im  Prodmium.  Er  beruft  sich  auf  das 
Bebpiel  des  Archestratos ,  welcher,  seine  yaaxQoXoyla 
ebenfalls  an  zwei  Personen  gerichtet  habe,  von  denen 
Moschos  die  Hauptperson  sei.  In  dem  Empedokleisehen 
Werke  sei  Pausanias  die  Hauptperson.  Des  Telauges 
Namen  sei  quasi  honoris  causa  dem  Werke  vorgesetzt 
worden.  Schon  Sturz  war  der  Meinung,  die  BQcher 
Bber  die  Natur  konnten  diesen  beiden  gewidmet  gewe* 
sen  sein,  und  der  Beweis,  den  man  dagegen  aus  der 
öfter  wiederkehrenden  Anrede  Einer  Person  führt,  mag 
allerdings  ungenQgend  erseheinen«  Weit  schwieriger 
möchte  es  seyn,  Hm.  Bergk  zuzugeben,  dafs  die  Form 
9t  ii  nach  dem  Yokativ  nothwendig  einen  Uebergang 
von  einer  Person  zur  andern  anzeige;  denn  anders  wird 
der  Uebergang  von  einer  Erzählung  zum  Anrufe  einer 
Person  auch  nicht  eingeleitet.    Aufserdem  müss»  wir 

Jahrb.  f,  yfUientck.  Kriük.  J.  184a     1.  Bd. 


aber,  wenn  nicht  zwingendere  Beweise  fiir  die  EinfCih' 
rung  des  Telauges  vorhanden  sind,  doch  etwas  auf  die 
Tradition  geben,  nach  welcher  das  Werk  einfach  dem 
Pausanias  gewidmet  ist  Dafs  die  Nachricht  von  Te. 
langes  als  Lehrer  des  Empedokles  kein  Gewicht  habe, 
giebt  Hr.  Bergk  selbst  zu.  Ab^  so  gerne  wir  hinwie« 
derum  einräumen,  dafs  Empedokles  mli  Telauges  in 
sonstigen  Freundschaftüverhältnissen  gestanden  habo^  so 
können  wir  es  doch  nicht  unterdrücken,  dafs,  wenn 
Telauges  wirklich  gerade  in  dem  fFerke  üier  die 
Natur  figurirte,  diefs  um  so  mehr  überliefert  sein 
wurde,  je  berühmter  der  Name  dieses  Mannes  war. 
Uei>rigens  könnte  es  auch  auffallend  erseheinen,  dafs 
aus  der  Existenz  eines  solchen  Verses  sofort  darauf 
gesehlossen  werde,  dafs  er  den  Suchern  über  die  Natur 
angehöre.  Allein  s6  war  es  nicht  gemeint  Die  Aus« 
einandersetzung  dieser  Ansicht  von  einer  doppelten 
Dedikation  des  Empedokleisehen  Werkes  gah  Hm.  Bergk 
vielmehr  als  ein  nothwendiger  Ausgangspunkt  für  die 
Konstituirung  der  Fragmente  im  Proömium.  Diese  Frag* 
mente  hatte  sehen  Hr.  K.  gröfstentheils  als  zum  Proö* 
mium' gehörig  vorausgestellt  Hr.  Bergk  weiset  nun 
theilweise  näher  ihren  Zusammenhang  nach  mit  Rück- 
sicht auf  das  Proömium  des  Parm^nides  und  konstruhrt 
die  Aufeinanderfolge  derselben,  wozu  er  aufser  defti  oben 
angeführten  Vers  an  Telauges  noch  drei  andere  Frag* 
mente  in  ihre  Umgebung  bringt,  von  denen  das  erste  die 
Anrede  <3  t^IXot  enthält  Er  giebt  den  Versen  der  so 
susammengereiheten  Fragmente  fortlaufende  Nummern ; 
was  natürlich  nicht  so  zu  verstehen  ist,  als  ob  idiese 
Numeration  mehr  als  eine  ohngeffthre  Fixirung  der  ebi* 
seinen  Fragmente  bezwecke.  An  die  Spitze  wird  die 
Anrede  des  Telauges  gestellt,  darauf  folgt  die  an  Pau- 
sanias. Beide  Verse  müssen  als  in  einem  ausgeführte«' 
ren  Zusammenhang  verbunden  gedacht  werden.  Sodann 
bUden  die  Verse  bei  Hrn.  K.  407  —  409.  und  32—40. 
eine  zusanunenhängendere  Gruppe: 

40 


315 


Empedoclü  carmimim  r^iquiat.    Ed.  Kanten. 


316 


ovV  iyt»  i^Qifü'  fMiXa  d*  agyeditj  yi  tirvxrat 
aydqdiSk  xai  dvg^fiXos  inl  (fqiya  nicrtos  iQ/nti. 
ciHyatnol  iniy  yag  ncdtifidu  xecrä  yvla  xixvyrat, 
nokla  <fi  dtik'  ifATiaut^  ja  x*  ifÄßlvyovct  fUQt^yas  etc. 

Der  Inbalt  der  drei  ersten  Terse  ist  nun  allerdings  der 
Annahme,  dafs  sie  eu  den  Bilchem  der  Physik  gehö- 
ren, nicht  entgegen,  und  wir  verargen  es  Hrn.  Bergk 
keineswegs,  daFs  er  dem  Zusammenhang,  den  sie  hier 
darbieten,  zu  Liebe  die  Hypothese  einer  doppelten  De- 
dikation  dieses  Werkes  aufgestellt  hat!  In  diesen  Ter* 
aen  treffen'  zwei  Yermuthungspi^nkte  zusammen,  von  de- 
nen einer  dem  andern  zur  Stütze  dient,  und  wenn  wir 
gleich  den  Glauben,  dafs  diese  Stelle  auch  in  den  x«- 
^a^fiolq  ihren  Zusammenhang  können  gefunden  haben, 
damit  noch  bei  weitem  nicht  beseitigt  sehen,  so  zollen 
wir  doch  dem  Scharfsinne  des  Hrn.  Yfs.  gern  vollkom- 
mene Anerkennung.  Nach  Sextus  Empiricus  scheint 
der  Philosoph  hierauf  in  den  Tadel  derer  einzugchen, 
welche  sich  eine  erschöpfende  Kenntnifs  deir  Dinge  bei- 
legen. Einem  solchen  Urtheile  schliefsen  sich  aber  un* 
gezwungen  die  Verse  41 — 53.  an,  in  welchen  der  Dich- 
ter zuerst  die  Götter  bittet,  dais  sie  ein  so  kfihnes  Selbst- 
vertrauen von  ihm  fern  halten  mögeil.  Aus  der  hier 
lückenhaften  Stelle  .ersieht  man,  dafs  die  Muse  sprechend 
eifigeführt  wird.  Hr.  Bergk  'glaubt,  dafs  Empedokles 
hierauf  wohl  noch  einen  Qlick  auf  diejenigen  könne  ge- 
worfen haben^  welche  behaupten,  dafs  dem  Geiste  durch 
göttliche  Hülfe  die  Wahrheit  nicht  erschlossen  welrde, 
und  weiset  den  Versen  84-- 86.  hier  ihre  Stelle  an. 
Der  Scharfsinn  des  Hrn.  Vfs.  bewShrt  sich  nichts  ngiin« 
der  auch  da,  wo  er  von  der  Welse  der  im  ProBmflim  zu 
statuirenden  Lehre  vom  Ursprung  und  den  Zuständen 
der  menschlichen  Seele  handelt.  Diese  Lehre  schien 
hm  anfangs  in  Form  eines  Traumes  eingeführt,  eine 
Form,  deren  sieh  die  Dichter  öfter  bedienen.  Um  die- 
ser Ansicht  näher  zu  kommen,  betrachtet  er  die  Stelle 
bei  Servius  (Virg.  Georg.  I.  34.)  wo  es  heifst:  Varro 
tamen  alt  se  legisse  Empedocli  cuidam  Syracusano  a 
quadam  potestate  divina  mortalem  aspectum  detersum  ete. 
Das  BUd  des  Traumes  verschwindet  indefs,  während  die 
Stelle  näher  betrachtet  wird.  Denn  es  ergiebt  sich,  daft 
der  Name  Empedocli  hier  verdorben  sei  und  dals  wahr- 
scheinlich Empedotimo  gelesen  werden  müsse.  Dieser 
Empedotimus  kommt  auch  bei  dem  Commentator  des  Ari- 
stoteles (Meteorol.  I.  p^  218»  ed.  Ideler.)  vor  und  scheint 
ein  Pythagoräer  gewesen  eu  sein.  Die  Hauptstellen  über 


Empedot'imos  findoi  sieh  übrigens  bei  Lobeck.  Aglaopb. 
II.  p.  935.    Einer  so  interessanten  historischen  Expo«- 
tion  des  Hm.  Bergk,  welche  uns  gleichsam  in  das  Dmina 
der  philologischen  Erfahrung   hineinzieht,   haben  wir 
gerne  obigen  Traum  geopfert,  und  wir  können  uns  mit 
den  einfachen  Wirkungen  einer  begeisterten  Phantasie 
begnügen,  welche  der  Dichter  in  den  folgenden  Yeraen 
(l — 8.)  als  nimcifiara  MovatiQ  niederlegt     Ob  die  Verse 
380 — 381.,  welche  Hr.  Bergk  hierauf  sogleich  folgeB 
)äfst,  so  eng  mit  dem  vorausgdienden  Fragmente  sn  rer- 
binden  seien,  kann  bezweifelt  werden.    Die  auberfcm 
noch  zum  Proomium  gehörenden  Fragmente  haben  we- 
gen Rücksichten  des  Raumes  iur  dieser  Abhandlung  keine 
weitere  Motiviruog  gefunden. 

Nachdem  wir  so  den  Hauptgedanken  dieser  Abhand- 
lung^  der  sieh  in  einer  sinnreichen  Hypothese  bewegl^ 
summarisch  angedeutet  haben,  können  wir  nicht  unter- 
lassen, auf  das  eigentlich  Reelle  hierin  aufmerksam  zn 
machen.  Diefs  ist  aber  die  kritische  WiederherstelloBg 
der  Fragmente,  welche  ganz  anspruchslos  nebenbeigete. 
Sehr  befriedigende  Verbesserungen  hat  das  Fra^ent 
Vs.  6—14.  dieser  Abhandlung  erhalten,  wobei  uns  nur 
auflfallcnd  war,  dafs  unter  Anderem  su  Vs.  14.  auf  die 
Verbesserungsweise  Hrn.  K's.  keine  Raoksicht  genon« 
men  wurde.  In  der  Wiederherstellung  der  Verse  23. 24. 
freut  sich  Ref.  mit  Hm.  Bergk  zusammengetroffen  su 
sein,  und  es  scheint  ihm  unbezweifelt,  daCs  der  Vers  fi^ 
u  otptv  li<ov  TTior^y  nXiov  ^  xat*  dnovtpf  durch  Verände- 
rung des  Tir'  in  xi  ein  noch  höheres  Ansehen  von  Kor> 
vektheit  gewonnen  habe.  So  gerne  wir  aber  sehen  in 
obiger  Beurtheilung  der  Arbeit  Hrn.  K's.  bei  den  Wor- 
ten firgdd  ai  y*  ivdo^oio  ßi^aixai  av&ia  XifAijg  die  Koosütul- 
rung  Hm.  Bergk's  aufgenommen  haben,  so  müssen  wir 
es  mifsbilligen,  wenn  er  im  darauf  folgenden  Verse  das 
dvfXeo&ai  durch  dvadiSa^at  verdrängen  will.  Wir  wol- 
len uns  hier  nicht  darauf  einlassen,  die  Unzulassigkeit 
der  Konjektur  dvadtZa&ai  zu  beweisen,  was  nicht  schwer 
sein  wurde.  Es  genügt  anzugeben,  dafs  dv^aCat  an. 
seiner  Stelle  ist.  Diefs  ist  hier  nämlich  dem  sonst  ge- 
wöhnlichen d^dnofOcu  wegen  des  Hauptgedankens  und 
des  Zusatzes  nffbg  &ifrixwp  vom  Dichter  vorgezogen  wei^ 
den.  Die  Redensart  tiju^k  dviXia&ai  sebliefst  den  Ge- 
danken äeXa  dvdia^ai  in  sich.  Der  Preis  ist  i<p*  ^' 
otflriQ  nXior  dniXiß  gesetzt.  Die  poetische  ErwetteruQg 
des  Begriffes  ti^^  in  äH^ea  xifuiq  ^ebt  aber  jenen  Grund- 
gedanken nicht  luif,  sondern  labt  ihn  fortbestehen  und 


317  .JEmpedöcKM  earminum 

r 

somit  kann  auch  das  Yörbiim  artlia^at  beibehalten  biet- 
len.  Richtig  hat  Ur«  Bergk  den  Ts.  28.  erklärt  und 
Vs.  2.  die  Form  "Aytirov  (vgl.  S.  8)  festgestellt.  Auch 
in  dem  medicinischen  Fragment  (S.  10)  gewinnt  die 
Konjektur  ra  t*  al'O^tav  ^^aovrai  einen  hohen  Grad  von 
Wahrscheinlichkeit,  lieber  die  längere  Stelle  aus  den 
Büchern  der  Physik  (S.  12)  können  wir  nicht  näher  zu 
sprechen  unternehmen,  da  Hr.  Bergk  die  dort  gemach- 
ten Aenderungen  nicht  motivirt  hat  Ref.  schliefst  diese 
Anzeige  mit  der  Verliicberung,  dafs  es  ilim  höchst  an» 
genehm  war,  in  Verbindung  mit  der  Beurtheilung  d^r 
Arbeit  Hrn.  K's.,  von  einer  so  interessanten  Erschei- 
nung, wie  diese  Abhandlung  über  das  Proömium  des 
Empedokles  ist,  haben  sprechen  au  können,  und  wünscht, 
dafs  Hr.  Bergk  seinen  Bemühungen  für  die  Fragmente 
des  Empedokles  recht  bald  eine  ausgedehntere  Form  zu 
▼erleiben  Gelegenheit  finden  möge. 

Johannes  Pranz; 


XXVI. 

Edward  in  Rom^  eine  Novelle  in  neun  Büchern^ 
2  Bd.  .  Breslau^  1840.  ^       . 

Aaf  dieses  BUchlein  die  Freunde  der  Poesie  und  Kunst  auf- 
merksam  zu  machen,  scheint  uns  um  so  angemessener,  als  ihm, 
hei  seiner  Anonymität,  und  bei  manchen  Sonderbarkeiten  seines 
Inhalts  sowohl,  als  seiner  Form,  leicht  das  Schicksal  widerfah- 
ren konnte,  übersehen,  oder  weniger  beachtet  zu  werden,  als  es 
verdient.  Darf  nämlich  Ref.  seinem  Gefiihl  trauen ,  so  spricht 
sich,  ungeachtet  dieser  Sonderbarkeiten,  die  er  nicht  rerkennt, 
und  die  ihm  selbst»  wie  er  bekennen  mnis,  hin  und  wieder  den 
Qennfs  gestSrt  haben,  ein  wirklicher  Dichtergeist  darin  aus^ 
ein  solcher,  yon  dem  man  wohl  reifere  Productionen  noch  zu 
erwarten  sich  berechtigt  glauben  könnte.  —  Man  erinnert  sich 
des  Urtbeils,  welches  Tieck  und  nach  ihm  Solger  über  Walter 
Scott  fällten:  dafs  ihm  nur  wenig  zum  wahren  Dichter  fehle, 
aber  dals  dies  Wenige  doch  am  Ende  das  sei,  was  den  wahren 
Dichter  macht  Von  nnserm  Verf.  mochten -wir  umgekehrt  sa- 
gen, dafs  ihm  noch  viel  zum  wahren  Dichter  fehlt,  aber  unter 
diesem  Vielen  das  ntcA/,  was  in  letzter  nnd  oberster  Potenz  den 
wahren  Dichter  macht 

Da '  der  Verf.  sogleich  in  der  Ueberscbrift  der  Eintbeilung 
seiter  NoTelle  in  neun  Bücher  gedacht  hat:  so  wird  man  es 
sieht  ungeeignet  finden,  wenn  wir  unsere  Charakteristik  seines 
Werks  mit  einer  Namhaftmachung  der  neun  Musen,  die  ihn,  wie 
den  lierodotos,  zu  seiner  Darstellung  begeistert  haben,  beginnen. 
Es  sind  folgende:  der  Monte  Maris;  die  Monti,  oder  die  drei 
Berge  \  der  Monte  Pincio  nnd  der  Janiculus ;  der  Spanische  Platz ; 
das  Kameyal ;  das  Forum  Romanum ;  das  Vaticanische  Museum ; 
das  Kolosseum  j  die  Fastenzeit^  die  heilige  Woche  nnd  die  Pyra- 


telifuiae.    Ed.  Kanten.  318 

mide  des  Cestius.  —  Der  Leser  wird  ans  diesen  Ueberschrifteii 
abnehmen,  worauf  au6h   schon  der.  Titel  des  Ganzen  hindeutet, 
dafs  die  Erzählung  der  Begebenheiten  in  dieser  NoTelle  sich  an 
eine  Schilderung  der  OertUchkeit  des  modernen  Rom  und  an  Re- 
flexionen  über  Kunst,   Alterthum   und  Gegenwart  in  Bezug  auf 
die  ewige  Stadt  anlehnt    Ja  es  könnte  nach  diesen  Ueberschrif- 
ten  und  nach  der  Haltung  mancher  einzelner  Parthien  des  Werks 
leicht  den  Schein  gewinnen,  als  seien  diese  Schilderungen  und 
Reflexionen  die  Hauptsache,    die  Erzählung   aber  P^ebeusache, 
nur  zur  Belebung  des  topographischen,  archäologischen  und  kunst- 
philosophischen  Inhalts  dienend,  etwa  wie  in  der  Reise  des  jun- 
gen Anacharsis,  oder  wie,  um  ein  näher  liegendes  Beispiel  an- 
zuführen, in  Huberts  Skizzen  aus  Spanten.    So  indefs  wurde  man 
die  Intention  des  Verfs.  wohl  mit  Uhrecht  deuten.     Zwar  hat  er 
es  uuTerkennbar,  und  zwar  mehr,  als  uns  nvt  de^i  künstlerischen 
Charakter  der  Composition  verträglich  scheint,   auch  auf  Ueber- 
sichtlichkeit,  ja  Vollständigkeit  jener   Schilderungen   abgesehen, 
aber  nicht  so,  als  ob  ihm  die  poetische  Erzählung  darüber  auf- 
gehört hätte,  Selbstzweck  zu  sein.    Sein  Streben  geht  Tielmehr 
offenbar  dahin,   beide  Elemente,  das  schildernde  nnd  das   erzäh» 
lende,  in  ein  Ganzes   poetischer,  künstlerischer  Darstellunj^  zu- 
sammenzuflechten.   Wir  wissen  nicht,  ob  dem  Verf.  ausdrück-^ 
lieh  dabei  Victor  Hogo's   Notre   Dame   de  Paris    vorgeschwebt 
hat;   bekennen  jedoch,  unwillkührlich  durch   ihn  an  die  Art  und 
Weise,  wie  jenem  berühmten  Romane  die  Schilderung  des  mit- 
telalterlichen Paris  einverwebt  ist,  erinnert  worden  zu  sein;  nur 
dafs  in  dem  vorliegenden  Werke,  bei  geringerer  Bedeutsamkeit 
der  dargestellten  Situationen  und  der  auftretenden  Persönlichkei- 
ten,  die  Schilderung   des  Topographischen  und  was  sich  daran 
reiht,  eine  verhältnifsmäfsig  noch   breitere  Stelle   einnimmt,  als 
dort    Wenn  bei  Hugo  durch  Einen   frei  schöpferischen  Zauber- 
schlag seiner  mächtigen  Phantasie  zugleich   die  Fabel  des  Ro- 
mans und  die  historisch- topographische  Scenerie  desselben  her- 
vorgerufen ist,  so   kann  man  bei  uuserm  Verf.  eine  unfreie  Ab- 
hängigkeit nicht  verkennen,  worin  er  sich  von  letaterer  befindet. 
Die  Bilder  der  Erinnerung,   die  ihm,  wahrscheinlich  ans  eigener 
Anschauung,  in  seiner  Einbildungskraft  gegenwärtig  sind,  müssen 
ihm  sichtlich  als  Hebel   für  die  Erfindung  des  Romans  dienen, 
die,  so   viel  wenigstens  die  Handlung   als  solche  betrifft,   auch 
mit  ihnen  etwas  dürftig  ausgefallen  ist,  und  ohne  sie  Wahrschein-  , 
lieh  noch  dürftiger  ausgefallen  wäre.    Glücklich  genug,  dafs  diese 
Bilder  in  seiner  Seele  sich  in  hinreichendem  Grade  zu  wirklich 
geistvollen,  poetischen  verklärt  hatten^  um  von  ihrer  Poesie  einen 
Wiederschein  auch  auf  die  Erzählung  werfen  zu  können !  Trotz 
der  schon  gerügten  Dürftigkeit,  und  trotz  ihrer  vielfachen,   zum 
Theil  sehr  in  die  Augen  fallenden  Mängel,   gelingt  es  aus  die- 
sem Grunde   der  letzteren  uns  wirklich   anzuziehen  und  zu  fes- 
seln.   Dafs  ihr  dieS   hat  gelingen   können,  ist  um  so  mehr  zu 
bewundern,  und  zeigt  um  so  mehr  für  einen  der  Seele  des  Verfii. 
inwohnenden  Kern  wirklicher  Poesie,  als  man,  jeden  dieser  bei- 
den  abgesondert  fdr  sich   betrachtet,   weder  dem  schildernden, 
nach  dem  erzählenden  Theile  des  Werkes  eine  besondere  Mei- 
sterschaft der  Ausführung  zuschreiben  kann.     In  .dem  schildern- 
den  Theile  vermifst  man  die  Kunst  des  vollkommen  dufchgebil- 


819 


Edward  in  liom^  eine  NewUe  in  nemn  BBeAern» 


820 


deten  Dichten,  ohne  viel  AufivBad  tou  Worten  nnd  alles  pnwai- 
ffchen ,  mir  den  Yentand  aber  nicht  die  Phantasie  in  Anspruch 
nehmenden  Beiwerks  von  Beschreibung^  entledigt,  ein  anschauli- 
ches, plastisch  gediegenes  Bild  Tor  die  Augen  des  Lesen  an 
säubern.  Der  enähleude  Theil  aber  entbehrt  so  gut  wie  xans 
der  Kunst  des  Motimren$ :  die  Begebenheiten  Howohl,  als  die  Cha- 
rakterzQge  der  handelnden  Personen  wurden,  wären  sie  nicht 
durch  jeue  Zuthat  Uberkleidet  und  auseinandergehalten,  allentbal- 
^n  als  schroff  und  onvormittelt  neben  einander  gestelll  er<» 
seheinen. 

Wenn  wir  vorhin  bemerkten,  dafs  der  Verf.  uns  an  Y.  Hugo 
erinnert  habe,  so  müssen  vrir  jetzt  hinzufü|^en,  dafs  hiexu  auch 
der  Charakter  der  dargestellten  Handlung  einiges  beigetragen  hat. 
Auch  seine  Phantasie  scheint  sich  dem  DUstern,  Ahnungsvollen, 
Grauenhaften  zuzuneigen,  ja  vielleicht,  dieses  Elementes  zu  be* 
dürfen,  um  die  poetische  Wirkung  her\'orzubringen.  Nirgends 
freilich  streift  er  an  das  Grelle,  Wilde  und  Frazzenhpfte  des 
gefeierten  fraozb'sischen  Romantiken ;  und  es  ist  wohl  nicht  blos 
einer  geringeren  Ener^e  der  phantastischen  Gestaltungskraft, 
sondern  auch  einem  reines  bewahrten  Schönheitssinn  beizumes- 
sen, wenn  seine  Gebilde  ungeachtet  jener  Eiaenschaft  eine  ge- 
miilsigtere  Haltung  behaupten,  welche  uns  mit  Wohlgefallen  nicht 
nur  an  ihn«n  vorübergehen,  sondern  auch  bei  ihnen  verweilen 
liifst.  Allein  der  poetische  Grundton  des.  Werkes  scheint  uns 
nicht  minder  wesentlich ,  wie  bei  dem  genannten  Dichter,  und 
wie  vielleicht  noch  bei  manchen  andern  unserer  Zeit,  an  jene 
Richtung  geknüpft^  eine  Richtung,  die  an  sich  selbst  freilich 
mit  dem  reinen  Geiste  der  Poesie  als  solcher  keineswegs  iden- 
tisch ist,  und  der  höchsten  künstlerischen  Yollendung  und  Yer- 
klarung  eines  Dichterwerkes  sogar  Abbruch  thun  mufs.  —  Die 
zwei  Hauptpereonen  der  Dichtung  sind  ein  junger  Deutsch-Britte, 
Edward  genannt,  aus  dessen  hinterlassenen  Briefen  und  Täge^ 
bttchern,  zum  grofsen  Theil  mit  wörtlicher  Beibehaltung  ihres 
Textes  und  ihrer  Form,  der  Verf.  die  Novelle  aebildet  zu  haben 
Vorgiebt,  und  die  aus  Ungarn  gebürtige  junee  Wittwe  eines  ru»- 
siscben  Grafen,  welcher  durch  ihren  Geliebten,  zum  Behuf  des 
Ausdrucks  einer  künstlerischen  Wahlverwandtochaft,  der  Name 
Giorciona  beigelegt  wird.  Aus  feuriger  Liebe  zu  der  |i;eistvol- 
len,  hochgesinnten,  im  Glänze  einer  junonischen  Schönheit  strah- 
lenden, aber  scheinbar  kalten  Giorgiona,  deren  schon  früher  aua 
der  Ferne  angebetete  Gestalt  durch  den  Strudel  des  römischen 
Karnevals  in  seine  Nähe  herangezogen  wird ,  entsagt  Edward, 
den  wir  gleich  von  vorn  herein  aus  seinen  Briefen  an  die  Ge* 
nannte  als  einen  edehünnigen,  phautasiereichen,  fiir  alles  Schöne 
und  Grofse  empfänglichen,  aber  des  gediegneren  sittlichen  Hal- 
tes und  einer  dfurch  die  Irrgäiige  des  Lebens  sicher  hindurch  lei- 
tenden religiösen  IJeberzeugung  entbehrenden  JüngKng  kennen 
ffiraen,  seiner  früheren,  honnunssreichen  Liebe  zu  der.  anmuthi- 
gen  Tochter  einer  angesehenen  brittischen  Familie ;  er  vernach- 
läfsigt  dieselbe  auf  eine  beleidigende  Weise,  und  tödtet  einen 
früheren  Bewerber,  der  sich  ihrer  gegen  ihn  annimmt,  im  Zwei- 
kamjif. '  Aliein  bereits  vor  Yollführung  dieser  That  ist  aus  dem 
unheimlichen  Wolkenschleier ,  von  welchem  der  Leser  schon 
langst  die  Cre^talt  der  Giorgiona  ahnungsvoll  drohend  umgeben 
erblickt  hat,  der  Blitzstrahl  hervorgebrochen.  Gioraiona  hat  bei 
einer  nächtlichen  Wanderung  durchs  Kolosseun  ihren  Gelieb- 
ten, dem  sie  erst  jetzt  ihre  Liebe  gestund,  in  die  Geheimnisse 
ihres  frühern. Lebensganges  eingeweiht;  er  hat  aus  ihrem  Munde 
Teraehmen  müssen,  ^afs  sie  des  frühem  unwürdigen  und  ver- 
hafsten  Ehebandes  sich  durch  einen  Mord  entledigt  hat  Edward» 
von  widersprechenden  Gefühlen  zerrissen,  vermag  weder  die  dar- 

6 ereichte  Hand  der  keineswegs  reuigen,  sondern  auch  nach  dem 
lekenntnisse  ihm  geistes-  und  schönheitsstolz  entgegentretenden 
Yerbrecherin  zu  ergreifen,  noch  ihr  sn  entsagen.  In  diesem  lei- 
denschaftlich aufgeregten  Seelenzustande,  ohne  die  Geliebte,  die 
sich 'freiwillig,  wie  es  scheint,  für  immer  entfernt  hat,  durchlebt 
und  schildert  er  uns,  von  der  Ahnung  des  nahen  Todes  erfüllt, 
in  seinem  Tagebuche  die  römische  Leidenswocbe  und  das  Auf- 
erstehungsfest; er  ecblickt  die  wiedergekehrte  Giorgiona  noch 
einmal,  und  unmittelbar  darauf  macht  ein  Zufall,   den  uns  der 


Yerf.  als  eine  sinnvelle  sehickinlaverliSngte  NoAweadi^eit 
zustellen  weifs,   seinem  Leben  ein  Ehde.    Auch  Giorgiona  'wird 
durch  einen  zweiten  Schlag  dcraelben  Macht  hioweggerafft. 

Um  diese  Hauptfiguren  granpirt  sieb  in  einer  Keine  nrilgiuu» 
ter,  rasch  auf  einander  folgenoer  Situationen,  eine  nicht  unbei' 
trSchtlicbe  Anzahl  von  Nebenfiguren,  sümmtlich  in  scharfe«  UniK 
rissen  mit  kräftigem,  wirkunesreicfaem  Pinselstrich  hingexelehnc^ 
so  dafs  es,  so'  oft  der  Yerr.  von  der  ScbilderuuK  des  To^ogn^ 
phischen  und  Antiqnnrisclien  sur«eigentlichen  ErzXnlung  Bliefgelil, 
nicht  an  buntfarbigem  und  bewegtem  Leben  mangelt*  Das  nei« 
ste  Interesse  unter  diesen  nehmen  zwei  jugendliche,  schöne,  aber 
frivole  Römerinnen  in  Anspruch,  Marietta  und  Mariaccia;  h&im 
läfst  der  Yerf.  sleichfalls.  sammt  den  von  ihnen  geliebten  oder 
begünstigten  Mannern,  dem  tragischen  Schicksal  anheinftülen, 
welches  über  dem  Ganzen  waltet  In  der  Scbildernng  der  Zu- 
berkraft, welche  trotz  der  selbstbewufsten  Perfidie,  mit  der  sie 
einen  frühen  Geliebten,  der  zugleich  ihr  Wohlthüter  war,  ■«•• 
nem  Schicksale  überlüfst  und  sich  einem  zweiten,  unwürdigea 
Liebhaber  hingiebt,  die  Schönheit  der  Marietta  auf  Ihre  l^mg^ 
bang  und  die  ganze  rö^iiscbe  Welt  aasfibt,  hat  der  Vert  ii« 
Farben  etwas  stark  aufgetragen,  ohne  doch,  nach  unsena  Da- 
fürhalten wenigstens,  poetisch  oder  psychologisch  unwahr  za 
werden.  Die  Gestalt  der  Mariaccia  hStte,  wäre  sie  mit  eben  so 
viel  Gewandtheit  ausgeführt,  als  sie  mit  geistreichem  Schopfer- 
blick coneipirt  ist,  eine  der  bedeutendsten  dichterischen  Fraaen- 
gestnlten  werden  können«  In  der  Darstellung  beider  Fraaes, 
oder  vielmehr  aller  drei  von  uns  genannten,  —  denn  nach  vea 
der  Giorgioaa  scheiat  ans  ein  Gleiches  zu  gelten .  —  so  wie 
auch  mehrerer  anderer,  mannlicher  and  weiblicher  Nebenfigarea, 
überrascht  die  Kraft  der  Selbstentäufserang ,  mit  welcher  der 
Yerf.  sich  in  die  Eigenthümlichkeit  fremder  Nationalitäten  za 
versetzea  gewufst  ha^  ohne  fühlbar  hervortretende  Beimischung 
von  Zügen,  welche  den  deutschen  Ursprung  verrethen,  und  ohne 
Anlegung  eines  fremdartif^en  Maafsstabes  ihrer  Beurtheilang. 
Die  Darstellung  der  eigentlichen  Hauptperson,  des  Edward  aelbst, 
bleibt  dagegen  um  so  hultungsloser^  Denn  ihn  hat  der  Yerf. 
nicht  ohne  Gewaltsamkeit  zum  Träger  nicht  allein  jener  Schil- 
derungen, der  Charakterachilderungen  nicht  minder,  wie  der  topo- 
gtaphischen,  sondern  auch,  zum  grofsen  Theile  wenigstens,  der 
ästhetischen,  moralischen,  religio'sen  und  geschichtsphiloeophi- 
sehen  Betrachtungen  gemacht,  mit  denen  er  sein  Buch  berei« 
ehern  wollte;  wodurqi  dieser  Charakter,  besonden  gegen  den 
Schlufs  der  Novelle  hin,  zu  einem  völHg  unwahren  geworden  ist. 

lieber  die  materielle  Treue  der  topographischen  SchUdera»» 

?en,  so  wie  auch  der  Darstellungen  des  Volkslebens  und  des 
!ultus,  und  über  die  Richtigkeit  der  Kunsturtheile  des  Y'erls. 
darf  sich. Ref.  ans  Mangel  eigener  Anschauung  der  Gegenstäade 
kein  Urtheil  erlauben.  N^ur  so  viel  vermag  er  zu  sagen»  data  z, 
B.  die  Schilderungen  des  Karnewais  ^und  der  ^eiligen  Woche,  ao 
wie  auch  verschiedene  andere  der  Handlung  einverwebte  Schil- 
derungen von  Oertlichkeiten,  für  sich  betrachtet,  lebendige  nod 
ansprechende  Bilder  .aeben,  solche,  auf  die  mUa  bei  wiederhol- 
ter Leetüre  mit  noch  gesteigerter  Lust  zurücjckommt.  Yen  den 
alleemeineren  Reflexionen  haben  uns  die  kuustphilosophiadien 
anu  kunstgeschichtlichen,  welche  von  einer  gediegenen  ftstheti'- 
schen  Bildung  zeigen,  mehr  zugesagt,  als  die  in  das  religiöse  und 
sittliche  Gebiet  einschlagenden.  Letztere  neigen  sich  einem  natura- 
listisclien  Pantheismus  zu,  wie  es  scheint,  nicht  blos  aoa  Accom- 
modation  in  den  Charakter  der  Hauptpersonen.  Dem  Geiste  der- 
selben Denkweise  entsprechen  auch  die  mj'thologischen  Deatnn*' 
fen,  welche  bei  Gelegenheit  des  vaticanischen  Museums,  so  wie 
ie  Deutunren  des  katholischen  Cultus.  die  auf  Ycranlassung  der 
heili^ed  Woche  versucht  werden ;  beide  enthatten  indefs  maache 
sinnige,  und  auch  wohl  ernstlich  beachtenswerthe  Bemerkungen.— 
Sprache  und  Stil  des  Werkes  sind  zwar  nicht  völlig  correct  und 
zeigen  von  einem  Mangel  an  hinreichender  Hebung ;  aber  sie  sind 
unverkünstelt,  lebens-  und  anmuthsvoli  und  gewifs  noch  einer 
schönen  Ausbildung  fühig.  Die  eingestreuten  lyrischen  Gedichte 
sind  nie  ohne  wirkliche  Poesie,  so  viel  auch  jedem  einzefaiett 
noch  zur  künstlerischen  Yollendntfg  abgeht  W\ 


Jahrbücher 

für 

I 

wissenschaftliche 


März  1840* 


K  r  i  t  ik 


XXVII. 

Grundsätze  des  Kirchenrechts  der  katholischen 
und  evangelischen  Religionspartei  in  Deutsch-^ 
land  von  Karl  Friedrich  Eichhorn.  Oöttin- 
geuj  bei  Vandenhoeh  u.  Ruprecht.  Bd.  L  1831. 
XXII II.  801  S.    Bd.  IL  1833.  XX  u.  886  S. 

hehrbuch  des  Kirchenrechts  aller  christlichen 
Konfessionen.  '  Von  Ferd.  Walter.  Achte 
völlig  umgeänderte  Auflage.  Bonn^  bei  Adolph 
Marcu^\^9.    XXII  und  798  S. 


"Die  4|oii5t  80  erfreuliche  Einladung  zur  Uebernah- 
me  kritischer  Anzeigen  von  Schriften  kirchenrechtlichen 
Inhalts  konnte  bei  dem  Antrage  einer  gemeinsamen 
Kritik  der  Werke  sweier  Minner,  über  deren  literari- 
sche Bedeutsamkeit  sich  schon  längst  ein  allgemeines 
Urtheil  gebildet  und  festgestellt  hat,  aus  mannigfachen 
Gründen  den  Unterzeichneten  zunächst  nur  in  ein  nicht 
geringes  Bedenken,  ja  in  eine  gewisse  Verlegenheit 
versetzen.  Denn  vor  allem  ergab  sich  sofort,  dafs  mit 
einer  blos  kritischen  Anzeige  und  Relation  derselbe  viel 
zu  spät  kommen,  und  auch  gerade  hiusichtlich  der 
Schriften  dieser  beiden  Gelehrten  dem  Plane  der  wis- 
senschaftliehen Jahrbücher  nicht  entsprechen  würde.  Da 
MieAAom's  Grundsätze  des  Kurchenrechts  vor  respeet. 
acht  und  sechs  Jahren  bereits  erschienen  sind,  von 
Walter^s  Lehrbuche  aber,  nachdejn  vor  achtzehn  Jah- 
ren dasselbe  zum  ersten  Male  herausgegeben  worden^ 
jetzt  schon  die  achte  Ausgabe  vorliegt  —  ein  Erfolg, 
der  auf  dem  Gebiete  des  Kirchenrechts  -  auf  so  glän- 
sende  Weise  wohl  fast  noch  keinem  Lehrbuche,  selbst 
den  bis  in  die  neuste  Zeit  so  sehr  beliebten;  Prineipia 
juris  canonici  von  Oeorg  jAsdwig  Böhmer  (ed.  I«  1774. 
ed.  Ylla  1802)  und  allenfalls  nur  SehenkPs  institutio- 
n^  juris  ecclesiasüci  (ed.  I«  1785.  ed.  X.  1830)  zu 
Theil  geworden  — ,  da  also  mit  Uestimmtheit  vprausge- 
Sakrb.  /.  irsittfiffcA.  Kril^.  /.  1840.  L  Bd. 


setzt  werden  darf,  dafs  beide  Werke  sich  längst  in  den- 
Händen  aller  derer' befinden,  welche  irgend  einen  An^ 
theil  an  diesem  Zweige  der  Rechtswissenschaft  nehmen, 
so  mufste  schon  an  sich  eine  Beurtheilung  hier  beson* 
ders  schwierig  erscheinen,  und  dies  um  so  mehr,  als 
der  Unterzeichnete,  was  Walter's  Lehrbuch  betrifft,  die 
vorhergehende^  siebente  Ausgabe  gleich  nach  deren  Yer- 
^offentlichung  im  Jahre  1836  in  denl  ersten  Bande  von 
Richter's  kritischen  Jahrbüchern  für  deutsche  Rechts- 
wissenschaft einer  ausführlichen  Recension  unterworfen, 
und  Hr.  Walter  einen  guten  Theil  der  in  derselben 
gemachten  Bemerkungen  und  Ausstellungen  in  dieser 
neuen  Ausgabe  berücksichtigt  hat. 

Dessen  ungeachtet  hat  Ref.  sich  der  Aufforderung 
der  verehrlichen  Societät  nicht  entziehen  mögen,  da  die 
Wichtigkeit  beider  Werke,  welche  in  den  Jahrbüchern 
eint  Kritik  noch  nicht  erfahren  liaben,  und  die  Bedeu« 
tung,  welche  dem  längere  Zeit  versäumten  und,  wie 
die  Praxis  lehrt,  über  Gebühr,  sehr  mit  Unrecht  hintan- 
gesetzten Kirchenrechte  jetzt  mit  verdoppeltem  JBiför 
gezollt  wird,  zu  einer  wiederholten  Prüfung^  wohl  ver% 
anlassen  können.  .  Auch  gestaltet  sich  die  Aufgabe  für 
den  Reo.  gerade  durch  die  gemeinschaftliche  Betrach- 
tung dieser  beiden  Schriften  ganz  eigenthümlich:  denn 
während  der  Unterzeichnete  in  seiner  früheren  Kritik 
das  Lehrbuch  von  Walter  und  v.  Droste  •  Hülshoff  ge- 
genüberstellte, und  so  die  einzelnen  Institute  des  Kir- 
chenrechts, namentlich  des  katholischen,  vom  Stand- 
punkte der  beiden  in  der  katholischen  Kirche  verthei- 
digten  Prtncipien,  des  Curial-  und  des  fpiskopalsystems, 
als  durch  die  beiden  katholischen  Schriftsteller  vertre- 
ten,  zu  würdigen  unternehmen  konnte,  hat  er  jetzt  das 
Werk  eines  Protestanten  und  eines  Katholiken  neben 
einander  in  Erwägung  zu  ziehen,  und  vrie  einerseits  die 
protestantische  Auffassung  dos  katholii^chen,  so  andrer- 
seits dip  katholische  Würdigung  des  protestantischen 
Kirchenrecbts  näher  zu  verfolgen  und  zu  beleuchten. 

41 


323  *   ■  Kirchs 

Hier  konnte  aber  togleich  ein  Einwurf  gegen  die 
Zulässigkeit  einer  derartigen  Darstellung  erhoben  und 
die  Frage  über  die  Reehtmäbigkelt  einer  solchen  Auf- 
fastungswebe  aufgeworfen,  ja  vielleicht  selbst  daran 
gezweifelt  werden^  ob  dieselbe  mit  den  Principien  einer 
gesunden  Logik  yereinbar  seL  Die  Antwort  auf  alle 
Bedenken  wird  sich  indessen  alsbald  ergeben,  wenn  wir 
lAit  aller  Unbefangenheit  zu  ermitteln  bestrebt  sein  wer- 
den, nachzuweisen!  wat  unsere  beiden  Autoren  zu  lei- 
sten beabiiehtigt .  haben,  von  w^elchen  Grundsätzen 
sie  geleitet  worden  sind,  und  ob  und  in  wie  weit  das 
wirklich  Geleitete  der  Absicht  selbst  entspricht.  Es 
wird  dies  um  so  n5thiger,  damit  uns  nicht  der  Vorwiuf 
treffe,  den  Eichhorn  (Band  I.  S.  VII)  als  bei  BeurthcU 
lungen  wissenschaftlicher  Werke  gebräuchlich  bezeich- 
net,  dafs  nämlich  die  Gränzen,  die  der  Verf.  seiner 
Darstellung  gezogen,  und  die  Anordnung,  die  er  befolgt 
hat,  einer  sorgfältigen'  Kritik  unterworfen,  eben  deshalb 
aber  für  die  Beurtheilung  dessen,  was  er  über  seinen 
Gegenstand  gesagt  hat,  kein  Raum  mehr  gefunden 
^Qrde  —  wenn  gleich  auch. die  Berücksichtigung  die- 
ser Punlcte  von  uns  nicht  unterlassen  werden  darf. 

Eiehh&m  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt  „die  Grund- 
sätze des  Kirchenrechts  der  beiden  christlichen  Reli- 
gion&parteien ,  wie  sie  jetzt  practisch  gestaltet  sind, 
aui  den  Qßsellen  w  entwickeln"  und  fValter  äufsert 
die  Absicht. „die  Disciplin  der  Kirche  mit  steter  Be- 
ziehung auf  deren  ursprüngliche  Gruudideen  darzustel- 
len, und  dadurch  nachzuweisen,   wie  dieselben  unter 

^  den  verschiedensten  Formen  aufbewahrt  worden,  oder 
welche  ütlodifikationen  dabei  Xm  Laufe  der  Zeit  einge- 
treten sind  —  woraus  folgt,  dab  die  Darstellung  bis 
auf  die  Gegenwart  herab  durchgeführt  werden  muFs.*' 
Beide  Schriftsteller  bezwecken  also  ein  gleiches 
Resultat:  ein  auf  geschichtliche  Forschung  gegründetes 

•  praktisches  System.  Die  Rechtswissenschaft  in  ihrer 
Vollendung  fordert  aber,  dafs  mit  dem  historisch -exe- 
getiiichen  und  praktisch -systematischen  Elemente  das 
philosophische  verbunden  werde.  Wir  vermissen  das- 
selbe auch  in  beiden  Werken  keinesweges,  finden  in- 
dessen deren  Verfasser  von  dem  Wahne  frei,  durch 
apriorische  Konstruktion  und  Deqionstration  zu  irgend 
annehmbaren  Ergebnissen  auf  diesem  Gebiete  gelangen 
zu  können*  Sie  erkennen  vielmehr  an,  dafs  es  hier 
nur  auf  eine  Begreifung  des  'Bestehenden  und  eine 
Würdigung  desselben  nach  dem  gegebenen  d.  h.  auf 


n    r    e    e    h    t.  334 

Offenbarung  beruhenden  Begriffe  Jer  Kirche  ankenuBe, 
nicht  aber  darauf,  den  Begrifif*  der  Kirche,  geltet  Toa 
Christenthum,  selbst  erst  schaffen  und  auf  diesen  MUist 
gebildeten  Begriff  ein  sogenanntes  natürliehea  Kirdwn- 
recht  gründen  zu  wollen  (s«  Eichhorn  L  S.  lY  u.  9. 
443.  444.  Walter  §.  3.  Anm.  h).  Indessen  bleät  es 
doch  Aufgabe  der  Philosophie,  die  Bedeutung  und  Notl^ 
wendigkeit  der  Offenbarung  und  Kirehe  naehzvweiseB, 
und  das  Kirchenrecht  w^ird  sich  darauf  zu  beschrti^M 
haben,  diesen  Beweis  vorauszusetzen  oder  «nfaeh  n 
wiederholen.  Diesen  Beweis  aber  auch  verauegeaettt, 
^heint  eine  Darstellung  des  Verhältnisses .  der  Kirefe 
ziSden  ethnischen  und  monotheistischen  Zuständen,  abo 

4 

eine  Vorgesciüchte  des  Christenthiuns  und  der  Kirdb 
durchaus  erforderlich,  um  das  Wesen  der  Kirche  und 
folgeweise  des  Kirchenrechts  ganz  fassen  zu  kdnnea, 
zumal  es  an  bestimmten  Anknüpfungspunkten  der  tiieh 
liehen  Verfassung  an  einzelne  Institute  der  V<JlcneG- 
gionen  und  der  jüdischen  TheokraCie  durchaua  mdu 
fehlt.  Zu  allgemein  und  zu  entfernt  sind  die  darauf 
bezüglichen  Andeutungen  bei  Eichhorn  I,  2.  4.  und  in 
den  ersten  Ausgaben  bei  Walter.  Die  philosophiMhe 
Betrachtung  bei  beiden  Autoren  besteht  vorsü^leh  in 
einer  Beurtheilung  der  gegebenen  Data.  Eichhorn  wen- 
det dieselbe  besonders  auf  das  protestantische  KirAen- 
recht  an  und  erklärt  (Bd.  I,  S.  IV),  dafs  er  das  Be» 
stehende  mit  der  Grundlage,  der  öffentlich  aufgeiieU- 
ten  Lehre,  nicht  immer  •  konsequent  zusammenhängend 
gefunden  habe,  sondern  dafs  jenes  oft  aus  nnriciitiger 
Anwendung  richtiger  Grundsätze,'  noch  öfter  aber- 
der  Anwendung  solcher  Grundsätze,  welche  die 
gelische  Kirche  überhaupt  nfcht  anerkennen  Jtamny  «tt- 
. Sprüngen  sei.  Er  hat  es  daher  für  angemessen  gebal- 
ten, wenigstens  anzudeuten,  wie  die  bestehenden  Ein- 
richtungen im  8inne>  der  evangelischcfn' Lehre  verbes- 
sert Verden  können,  das  Bestehende  aber  von  dem  ent 
zu  Begriindenden  stets  gesondert  gehalten. 

Sowohl  dieses  Verfahren,  als  die  dadurch  gewen^ 
neuen  Resultate  erscheinen  im  Allgemeinen  gewiCs  hA 
fallswerth,  da  sie  aus  einer  höchst  umsichtigen  und  ver- 
urtheilsfreien  Forschung  hervorgegangen  sind  (man  rgL 
z.  B.  wegen  der  Beibehaltung  und  Anwendung  dc9 
kanonischen  Rechts  B.  L  S.  290.  251.  370  feig,  und 
wegen  des  Verhältnbses  desselben  zu  den*  symboliaehen 
Büchern  S.  414.'  415,  wegen  einzelner  Bestimmungeni 
ak  Ausflufs  der  katholischen  ^acramente  B.  J.  S.  371. 


y 


reh^nr^eht. 


326 


373.  Ana.  6.  7.  rerb.  II,  3Q2,  wegen  der  landesherrli- 
chen Gewalt  in  Beziehung  anf  die  Lehre  n«  e«  w.  B..L 
S.  285.  3tö  IV  ^-  B.  II.  S.  44  folg.  u.  y.  a.),  doch  er- 
kl&rt  sich  das  Meiste  dabei  aus  dem  eigenthünilichen 
Bntwickelungsgange  der  eirangdischen  Kirche  theils  im 
Kampfe  mit  der  katholischen  Kirche,  theils  aus  dem 
Bestreben  des  Fortschritts,  wie  andrerseits  auch  wie- 
der, aus  mannigfachen  Hemmungen  in  der  evangelischen 
Kirche  selbst  Eine  so  konsequente  Durchbildung,  wie 
deren  das  katholische  Kirchenrecht  sich  zu  erfreuen  hat, 
•fehlt  dem  evangelischen,  doch  dCkrfen  wir  nach  Elich- 
honi's  Yorgange  auch  mit  Zurersicht  auf  anderweite^ 
«nd  erfreuliche  Resultate  gerade  jetzt,  wo  so  TJ^Ier 
Eifer  sich  diesem  Studium  zugewendet,  hoflfeo. 

'  Lfeichter   ist  im  Ganzen    eine  Rechtfertigung  des 
katholischen  Kirchenreohts,  Wenn  von  bestimmten  Prin-   , 
dpien   ausgegangen  wird ,  deren  Unumstofslichkeit  als 
Postolat  gesetzt  ist.    Historische  Forschungeii,  welche 
^Unselben  ^widersprechen ,    lassi^n  sich  leichter  zurück- 
weisen ^    als  widerlegen^    zumail  wenn  Berichte  selbst 
alter  und  anerkannter  Autoren  für  irrthumliche  Auffas- 
sungen gelten  müssen^  weil  sie  mit  den  einmal  belieb- 
ten Grundsätzen  nicht  vereinbar  sind.    Hehr  oder  we- 
niger kann  dies  von  sehr  vielen  katholischen  Autoren, 
zumal  von  curialistischen  Ansichten  buldigaiden  Schrift- 
steilem  behauptet  werden..  So  wenn   TertuUiani  de 
exhortatione  a^d  castitatem  cap.  VII.  referirt:  Ecciesiae 
•  auctoritas  differentiam  inter  ordinem  et  plebem  consti- 
tuit:  so  wird  uns  entgegnet  „£?s  tMt  nicht  wahr^  was 
hier  Tertullian  sagt;  denn  es  widerspricht  ihm  hieria 
nicht  blos  das  ganze  Alterthum,  sondern  er  sich  selbst" 
{6&9^ler  in  der  Tübinger  theologischen  Quartakchrift. 
Jahrg.  1835.  H.  I.  S.  113),   oder  wenn  HieronymuM 
ad  T|t.  I^  7.  (im  Dekrete  c.  6.  dist.  XCV)  und  ganz 
besonder^   in  den  Schreiben  an  den  Evangelus  (epist 
,  LXXXY.,  in  c.  24.  dist  XCIU)  von  der  ursprünglichen 
Parität  der  Bischöfe  und  Presbyterer  sprechend,  äufsert, 
dals  nachdem  Zwistigkeiten  in  den  Gemeinden  entstan- 
den waren,  ,iin  toto  orbe  decretum  est,   ut  unus  de 
presbyteris   electus  superponeretur    ceteris,   ad   quem 
onmis  ecciesiae  eura  pertineret  et  schismatum  semiaa 
toUerentur,"  und  wenn  auch  auf  bestimmte  Beispiele 
iüngewies^n  wird  ,,Alexandriae  a  Marco   evangelista 
usque  ad  Heraclam  et  Dionysium  episcopos,  presbyteri 
semper  unum  ex  sc  electum^  in  excelsiori  gradu  collo* 


catnm,  episeopum  nominabant  u.  s.  w."  und  somit  das 
Resultat  hiagestellt  wird  „Episcopi  noverint,  se  magis 
consuetudine,  quam  dispute tionis  (im  Original:  dispo«> 
sitionis)  dominicae  veritate  presbyteris  eese  majores," 
so  erhalten  wir  dagegen  die  Versicherung  „das  Amt 
der  Bbchöfe  hat  sich  nicht  aus  dem  Presbyterium,  soifi» 
dorn  aus  dem  Amte  d^^r  Apostel  und  ihrer  Gehülfen 
entwickelt  Es  ist  mithin  wahrhaft  göttlichen  und  apo^ 
stolischen  Ursprungs"  (Walter  §.'9.  Anm.  K.).  Es 
werden  dann  auch  gewisse  Grründe  angeführt,  die  aber 
nur  durch  allgemeinere  Postulate  gehalten  werden  kön^» 
nen,  und  Hieronymus  und  ahdem  wird  der  Fehler  ror^ 
geworfen,  „dafs  sie  das  bischöfliche  Amt,  welches  vor 
der  Einsetzung  der  Bischöfe  von  den  Aposteln  selbst 
verwaltet  wurde,  nicht  zu  unterscheiden  verstanden**^ 
(a.  a.  O.).  Doch  darüber  ist  nicht  weiter  zu  rechten 
und  ee  wird  hier  genügen,  dergleichen  Punkte  anzu- 
deuten, damit  die  Differenz  in  der  Behandlung  des'tUr- 
chenrechts  bestinmiter  hervortrete. 

/Was  nun  näher  den  Umfang  der  von  beiden  Ver- 
fassern gestellten  Aufgabe  betrifft,  so  will  Eichhorn 
„sich  auf  die  Darstellung  des  Rechtszustaiides  beider 
MeligienMpartHen  in  Deutaehland  beschränken**  wo- 
gegen Walter,  aufser  Deutschland  „auch  den  Orient, 
England,  Holland,  Dänemark  und  Schweden  zu  umfas- 
sen*' beabsichtigt,  indem  er  hinzufügt  „die  Würde  und 
Grofsartigkeit  dieses  Stoffes  gewinnt,  Je  höher  und  wei- 
ter der  Gesichtspunkt  ist,  dfen  man  dafür  wählt." 

Hier  ist  zunlichst  zu  erinnern,  dab  d<ir  Ctesichts* 
punkt,  den  der  Bearbeiter  des  Kirchenrechts  einnimmt, 
durch  die  Berücksichtigung  mehrer  Konfessionien  und 
Länder  an  sich  kein  höherer,  überhaupt  durch  die  ma* 
terielle  Erweiterung  derselbe  gar  nicht  verändert  werde: 
denn  der  Standpunkt,  von  welchem  aus  eine  wahrhafte 
Begreifung  der  Kirche  und  der  geschichtlich  «-rechtli- 
chen Veränderungen  de^  Zustandes  derselben  allein 
möglich  sein  kann,  ist  schlechthin  nur  ein  einziger;  also 
der  objektive,  nämlich  der  christliche  selbst 

Bei  dem  Bearbeiter  der  religiöiien  Bechtsvifrhält- 
nisse  verschiedener  christlicher  Konfessionen  setzen  Wir 
darum  zunächst  das  allgemeine  christliche  Bewufstsein 
und  die  Ueberzeugung  voraus,  dafs  die  sämmtlichen 
Parteien,  so  lange  und  so  weit  sie  Christum  bekennen, 
christlich  seien,  also  zur  Kirche  überhaupt  gehören 
(cnov   Sv  p  *ItjGovg  XQtatb;^   imH  ^  ixxktioia  Ha^ohfufi. 


327    \  Ki   r    e    h    € 

IgnaimM  ad  Smyraaeos  cap.  VIII.)  *) :  denn  theilt  er 
diese  Ansicht  nicht,  -so  kann  er  auch  für  diejenige  Re- 
ligionsparteiy  welcher  er  das  christliche  Prädikat  ab- 
streitet, ein  Kirchenrecht  gar  nicht  statuiren«  Der 
Kirchenrechts  «Lehrer  wird  aber  deiuungeachtet  per- 
sönlich einer  einzelnen  Konfession  angehören  und  seine 
individuelle  religiöse  Ueberzeugung  bei  der  Darstellung 
nicht  durchaus  zu  beseitigen  im  Stande  sein;  je  mehr 
er  aber  'den  objektiven  Standpunkt  festhält,  und  die- 
aem  seine  Subjektivität  unterordnet,  de^o  mehr  An- 
sipruch  wird  seine  Entwii^klung  auf  allgemeine  Aner- 
kennung erheben  dürfen,  weil  sie  eben  der  konkreten 
^  Wahrheit  möglichst  nahe  gekommen  ist., . 

Die  Objektivität  wird  hier  indessen  durch  ein  zwie- 
faches Moment  bedingt:  denn  aulser  dem  rein  christli- 
ehen, biblischen,  wie  es  uns  unmittelbar  in  der  Lehre 
Jesu  und  der  apostolischen  Männer  vorliegt,  tritt  noch 
die  Modifikation  ein,  welche  man  in  dem  Bekenntnisse  der 
einzelnen  Parteien  zu  entdecken  meinen  könnte.  Der 
Kanonist  hat  sich  hierbei  streng  an  das  zu  halten,  was 
die  einzelne  Konfession  als  ihre  Lehre  in  den  öffentlich 
von^  ihr  anerkannten  Schriften  niedergelegt  hati  ,denn 
sowohl  in  thesi,  als  in  bypothesi  kann  für  jede,  Partei 
nach  Prindpien  des  Hechts  nur  diejenige  Beurtheilung 
sich  als  eine  rechtliche  geltend  machen,  welche  auf  das 
bestimmte  Bekenntnifs  selbst  zurückgeführt  ist  Aufs 
Entschiedenste  mufs  sich  Recens.  gegen  eine  Auffas- 
sung erklären,  wie  dieselbe  sich  unter  andern  bei  Alexan- 
der  Müller  (Encyklopädischea  Handbuch  des  gesamm- 
ten  Kirchenrechts  Band  IL  S.  268)  findet,  indem  der- 
selbe äufsert  „der  Jurist  ist  da,  wo  das  Gebiet  des 
Glaubens  seine  Reohtssphäre  hat,,  did  Norm  für  seine 
Judikatur  niemals  gegenf  seine  Ueberzeugung.  tmd  gegeli 
die  praktische  Vernunft  und  die  Postulate  des  Staats- 
rechts blos  in  den  herrschenden  Glaubenssätzen  der 
Dogmatik  aufzufinden  verpflichtet;  denn  die  Wahrheit 
der  praktischen  Yemunft  und  die  Rücksicht  auf  die 
den  Staatsbürgern  garantirte-Rellgious-  und  Gewissens- 

*)  Uebrigens  beweist  diese  Stelle,  dafs  der  Ausdruck  ixxlfiaia 
xa^oknei  sieh  schon  vor  dem  Jalire  170  (s.  Eichbocii  I,  33. 
JUim.  däu)  findet. 


n    r    e    € 


A    t. 


freibeit  mufs  jedem  vernünftigen  Richter  mdir  gehen, 
als  die  hbtorische  Wahrheit  dieser  oder  jener  Metliode 
einer  kirchlichen  Dogmatik." 

In  solchem  Räsonnement^  das  in  Summa  falsi^  is^ 
obgleich  entfernt  ein  gewisses  Rechtsgefuhl  koineidif^ 
ist  übersehen,  dafs  durch  ein  auf  praktische.  Vernunft- 
Sätze,  vorausgesetzt,  dafs  diese  unzweifelhaft  feststehni 
gegründetes  Urtheil,  welches  mit  der  historischen  Wahr* 
heit  einer,  kirchlichen  Dogmatik  im  Widerspruche  steh^ 
die  Religions  -  und  Gewissensfreiheit  verletzt  wird,  w^m 
jene  Dogmatik  vom  Staate  zugleich  mit  der  ihr  anUbi- 
"  genden  Religionspartei  recipirt  und  garantirt  ist.  Nur 
daqn  wird  de.r  Richter  in  judicando  von  der  Lehre  ei» 
ner  Partei  abweichen  dürfen,  wenn  dieselbe  aus  beson> 
dorn  Rücksichten,  wegen  unsittlicher  oder  inhimuiner 
Grundsätze  ,yom  Staate  nicht  anerkannt  worden.  —  Ein 
derartiges  Beispiel  hat  Rec.  in  diesen  JahrbSchem. 
Septbr.  1839  no.  58.  Sp.  458.  459.  aus  der  katholischen 
Disciplin  mitgetheilt  —  Sonst  erscheint  dil;  dflfenüicli  re- 
cipirte  Lehre  iii  tsoncreto  als  Theil  des  zur  Motivirnng 
eines  Urtheils  dienenden  Gesetzes  und  es  gilt  dann  die 
bekannte  Reehtsregel:  secundum  leges,  non  de  legibus 
judicandam.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  rechtfer- 
tigen sich  denn  auch  die  Erkenntnisse  -des  Tribunals 
zn  Königsberg  vom  27.  Mai  1827  in  Uitzig's  Zeitschrift 
für  die  PreuTs.  eriminalrechtspflege  Heft  XVI.  S.  217 
folg.,  so  wie  des  Oberlandesgecichts  zu  Hamm  vom  13. 
Juni  1627  in :  Simon  und  v.  Strampff's  Rechtssprüdie  der 
Preufs.  Gerichtshöfe  B.  I.  S.  .377  folg.  in  Fällen^  wel- 
che  nach  der  Maxime  des  Hm.  Müller  gerade  entge» 
gengesetzt  hätten  entschieden  werden  müssen,  wie  dies 
auch  im  ersten  der  hier  erwähnten  Fälle  durch  den 
Unterrichter  geschehen  war. 

So  me  überall  die  Persönlichkeit  des  Rechts  und 
des  Berechtigten,  wo  eine  solche  besteht,  zu  respekti- 
ren  ist,  so  muGs  dies  insbesondere  auf  dem  religiSsea 
Gebiete,  auf  Welchem  die  Kirche  selbst  als  moraUsch^ 
Person ,  erscheint,  ebenmäfsig  geschehen,  und  daher  wird 
es  von  der  höchsten  Bedeutsamkeit,  zu  ermitteln,  wie 
die  Verfasser  beider  hier  angezeigten  Werke  in  dieser 
Beziehung  sich  verhalten  haben. 


(Die  FortsetzoDg  folgt.) 


jr  421 
Jahrbücher 

für- 

wisseii  schaftliche    Kritik. 


/  # 


März  1840. 


Qrundsätze  det  Kirckenrecht»  der  katholischen 
und  evangelischen  Religionspartei  in  Deutsch^ 
tand  eon  Karl  Friedr.  Eichhorn. 

Lehrbuch  des  Kirchenrechts  aller  christlichen 
Konfessionen.    Von  Ferdinand  Walter. 

(Fortoetsimg.) 
Eichhorn  gi^ht  (B.  I.  S.  455.  456  vgl.  S.  675  folg,) 
Tom'Begriffe  der  christlichen  Kirche  nach  dem  Stand- 
punkte aller  Konfesaionen  aus:  denn  es  sei  dieser  Be- 
griff fSr  .alle  einer  und  derselbe,  liofem  die  Kirche 
fiberhaupt  als  die  äufsere  Erscheinung  des  geistigen 
Reichs  betrachtet  wird,  welches  Christus  gegründet  hat. 
Er  bemerkt,  alle  Konfessionen  sehen  in  der  Kirche  ei- 
nen Verein,  in  welchem  durch  Belehrung  und  den 
Gebrauch  der  Sakramente,  welche  Christus  eingesetst 
hat,  den  Menschen  der  Weg  cum  ewigen  Heil  nach  den- 
Verheibungen  Christi  eröffnet  werden  soll.  In  diesem 
Sinne  glauben  alle  Konfessionen  an  eine  heilige  christ« 
liehe  Kirche )  welche  die  wahrhaft  Gläubigen  vereint, 
wie  grofs  auch  die  Anzahl  der  Mitglieder  sein  mag, 
die  ihr  nur  als  äufserlicher  sichtbarer  Yerbinduhg  an- 
geboren, ab^r  weder  vom  lebendigen  Glauben  erfüllt 
sind,  noch  Christi  Geboten  nachzukommen  sich  redlich 
bestreben.  '  Allen  mufs  diese  eine  allgemeine  und  einige, 
ewig  dauernde  sein,  wenn  sich  gleich  nur  die  römische 
.die  katholische  Kirche  nennt,  da  Christus  diese  Eigen- 
schaften seiner  Kirche  beigelegt  bat  u.  s.  w.  Zum  Be- 
weise wird  Bezug  genommen  auf  die  Augsburgische 
Eonfession  Art«  5.  7.  8. 

Genauer  verfährt  Walter.  Nachdem  er  daran  erinnert 
hat  (§.2.),  wie  der  ursprünglich  einige  und  ungetheilte 
Glaube  und  die  Kirche  im  Laufe  der  Zeit  zerfallen  wä- 
ren,^ unter  den  sich  bestreitenden  Lehrbegriffen  aber 
nur  Iginer  der  rechte,  also  nur  Eine  Kirche  die  wahre 
sein  könne,  erörtert  er  den  Begriff  der  Kirche  nach 

katholischer,  griecjüscher  und  protestantischer  Ansieht 
Jukrh.  f,  wUi€n$ch.  Kriük.  J.  1840.    I.  Bd.     ' 


im  Besonderen  <§.  11.  12.  24.  32).  Er  sucht  aus  den 
eignen  Erklärungen  der  Konfessionen  nachauweisea, 
wie  jede  derselben  für  sich  in  Anspruch  nehme,  die 
einzig  wahre  zu  sein.  Für  die  katholische  Kirche  be« 
zieht  er  sich  auf  Stellen  der  heiligen  Schrift,  der  Kir» 
chenväter  und  Bellarmin  de  ecciesia  militante.  Warum 
aber  nicht  auch  auf  das  Concilium  Tridentintun,  den 
Catechismus  Tridentinus  und  besonders  die  Ausspruche 
der  Papste  f  -r  Er  giebt  auch  nidit  undeutlich  zu  er- 
kennen, data  ihm  nur  die  katholische  Kirche  die  wahre 
zu  sein  scheine,  was  ihm  zu  verargen  uns  nicht  in  den 
Sinn  kommen  Icann,  wenn  diese  Ueberzeugung  nur  nidit 
zu  einer  unrichtigen  Auffassung  eines  andern  Bekennt? 
nisses,  nach  dessen  eignem  Inhalte,  führt  Die  grie- 
chische Kirche  findet  er  mit  der  katholischen  überein- 
stimmend,  was  natürlich  bei  stillschweigendem  Hinblick 
auf  die  unirten  Griechen  schon  geschehen  mufste,  wie 
ja  ungeachtet  so  mancher  wesentlichen  Differenz  die 
rSmische  Kirche  sich  hier  nachgebend  gezeigt  hat  Was 
aber  die  evangelische  Kirche  betrifft,  so  kann  er  we« 
nigstens  den  ^irrigen  Seitenblick  auf  die  katholische" 
in  Betreff  der  Uebereinstimmung  in  Gebräuchen,  nicht 
verschweigen,  wobei  aber,  wie  die  §.  32.  Anm.  K.  ci- 
tirten  Stellen  beweisen,  überhaupt  nur  die  Nichtverbind- 
liehkeit  von  Menschensatzungen  hervorgehoben  werden 
sollte,  wozu  der  Unterschied  der  traditiones  universales 
und  particulares,  dessen  man  sieh  gegen  die  Protestan- 
ten bedient  hatte,  Anlafs  gab. 

Das  wesentlich  Differirende  zwischen  beiden  Kir* 
eben  ist  übrigens  weder  von  Walter,  noch  von  Eich- 
horn bezeichnet  worden,  konnte  aber  wohl  dariii  ge- 
funden werden,  dafs  in  der  katholischen 'Kirche  die 
Stellung  des  Einzelnen  zur  (lel^irenden)  Kirche  selbst^ 
in  der  evangelischen  das  Yerhdtnifs  des  Einzelnen  zu 
Christo  das  entscheidende  Moment  ist,  so  dafs  also  in 
jener,  nicht  aber  in  dieser  die  Seligkeit  bedingt  wird 
durch  die   Verndttlung  den  Priesterthuras  (sacerdotes 

42 


331  K   $    r    e    h    e 

sunt  mediatoreg  inter  I>eiim  et  homines).  Zwar  be- 
hauptet Walter  (§.  33.)  9  daPs  auch  die  evangclLsche 
Kirche  ,,eiii  besonderes  Priesterthum,  welches  zwischen 
Gott  und  der  Gemeinde  in  der  Mitte  steht,  anerkannt*" 
habe;  doch  sind  die  zum  Beweise  angeführte  Apo- 
logie der  Augsb.  Confession  art.  YII.  (habet  ecclesia 
mandatum  de  constituendis  ministris,  quod  gratissimum 
esse  nobis  debet,  quod  scimus  Deum  äpprobare  mini- 
sterium  illud  et  esse  in  ministerio),  so  wie  die  Confes- 
sio  Helvetica  II.  art.  XY.  (ministros  ecciesiae  coope- 
rario^s  esue  Dei  fatemur,  per  quos  ille  et  cognitionem 
Stti  et  p^ccaforum  remissionem  administret  .  •  .  ita  ta- 
rnen ut  virtutem  et  efficaciam  in  his  omnem  Domino, 
ministerium  mxuistris  tantum  adscribamus)  fiir  diese  An- 
sicbty  der  auch  sonst  direkt  entgegen  getreten  wird, 
keineswegs  vofif  irgend  einem  Belange.  Es  beruht  das 
Ganze  hier  auf  dem  Begriffe  des  ordo,  welchen  die  evan- 
gelische Kirche  durchaus  anders  fabt,  als  die  katholische. 
Von  der  hoclisten  Bedeutung  für  unsere  Betrach- 
tung \iird  aber  noch  das  FerAällnt/i  der  iicAtbßren 
und  unsichtbaren  Kirche.  —  Katholischer  Seits  ist 
eft  der  Vorwurf  erhoben  worden,  dafs  die  Evangeli- 
schen die  sichtbare  Kirche  schlechthin  negiren.  So 
äufsert  mit  vielen  andern  v.  Drey  (Neue  Untersuchun- 
gen über  die  Konstitutionen  und  Kanones  der  Apostel 
S.  164)  ^^der  Protestant  hat  die  sichtbare  Kirche,  mit 
allem  was  an  ihr  hängt,  seinem  Priqcip  aufgeopfert, 
und  behilft  sich  mit  der  unsichtbaren  Kirche.  Darüber 
ist  mit  dem  Protestanten  nicht  zu  rechten,  auch  ist  dies 
nicht  als  etwas  Besonderes  an  dem  Protestantisinus, 
sondern  eben  als  der  Protestantismus  selbst,  als  das 
allen  protestantischen  Schriftstellern  und  Nichtschrift- 
stellem  Gemeine  aiizusehen."  —  Hierüber  ein  Wort  zu 
Terlieren,  halten  wir  für  unwürdig.  Walter  ist  so« 
wohl  von  dieser,  gls  auch  von  der  Anschuldigung  frei, 
als  leugneten  die  Protestanten,  dafs  die  Sichtbarkeit  der^ 
Kirche  von  Christo  selbst  ausgegangen  sei.  —  Auf  der 
andern  Seite  wird  dann  von  katholischen  Autoren  über- 
haupt  die  Unsichtbarkeit  der  Kirche  verworfen.  Statt 
vieler  möge  nur  Lang  (Geschichte  und  Institutionen 
des  Kirchenrechts  Th.  I.  §.  2.)  genannt  werden,  „Die 
•Unterscheidung  in  unsichtbare  und  sichtbare  Kirche  ist 
iiicht  zu  begründen.  Es  giebt  nur  eine  sichtbare  Kir- 
che,'c^^V  das  Wesen  ,der  Kirche  eben  das  Erscheinen 
der  Religion  in  Zeit  und  Raum  ist,"  und  JUöhler  (die 
Einheit  in  der  Kirche  S.  193  fojigO  „Die  Annahme  ei- 


n    r    e^    e    h   t.  332 

ner  unsichtbaren  Kirche  findet  sich  hnr  in  einer  Be- 
griffs-Rdigien.**  In  seinen  späteren  Werken  ist  der 
letztere  Schriftsteller  jedoch  dieser  Annahme  geneigt 
geworden  (man  vergl.  seine  Symbolik  §.32.  und:  Nene 
Untersuchungen  der  Lehrgegensätse  zwischen  den  Ka- 
tholiken und  Protestanten  Cap.  IV.  und  verbinde  damit: 
Baur  der  Gegensatz  des  Katholicismus  und  Protestan- 
tismus. Zweite  Ausgabe  S.  455  folg.),  auch  finden  wir 
diesen  Unterschied  bei  Walter  §.  11.  12.  anerkannt. 

„Das  Wesen  der  religiösen  Gemeinschaft  bestefat 
nicht  in  der  sichtbaren  irdischen  Erscheinung  aondm 
sie  hat  eine  unsichtbare,  Gott  zugewendete  Seite,  wo- 
won  jene  nur  die  äufsere  HuUe  ist  Wahre  voUstän* 
dige  Glieder  der  Kirche  sind  also  nur  diejenigen,  die 
mit  der  äufseren  Theilnahme  die  innere  lebendige  Ge- 
sinnung verbinden.  Menschlicher  Weise  betrachtet  ge- 
hören jedoch  auch  noch  di^  Bösen  zu  ihr,  so  lange  sie 
sich  äufserlich  zu  der  Gemeinschaft  halten;  und  umge- 
kehrt kann  es  Glieder  geben,  die  mit  ihr  blos  dem 
Geiste  nach  ohne  äufseres  Zeichen  vereinigt  sind.  Es 
können  also  freilich  die  Mitglieder,  die  in  der  sichtba- 
ren Kirche  als  solche  erscheinen,  von  denen,  die  es 
vor  Gott  wirklich  sind,  verschieden  sein.  Für  die  Wirk- 
samkeit der  Kirche  auf  Erden  ist  jedoch  diese  Unter* 
Scheidung  gleichgültig,  weil  sie  Kraft  der  Veriieilsung 
Christi,  der  Beimischung  falscher  oder  blos  scheinbarer 
Glieder  ungeachtet,  im  Ganzen  doch  immer  die  wahre 
Kirche  bleibt,  und  die  rechten  Heilsmittel  verwaltet.** 

(Die  Fortsetzung  folgt) 

XXVIII. 

Saviiri  eine  indische  Dichtung^  aus  dem  Sansirü 
übersetzt  von  Jüs.Merkely  Prof.  und UofbibUQ^ 
thekar  in  Aschaffenburg.    1839. 

Die- ungemein  anmnthige  nnd  zarte  Episode,  von  der  wir  Hnu 
Merkel  eine  neue  deatsclie  Uebersetznng  verdanken,  ist  seiuNi 
frühe  durch  Hm.  Prof.  Bopps,  des  ersten  Textherausgeben,  ge- 
treuere, sowie  durch  Riickerts  freiere  Bearbeitung  bekannt  gewor» 
den.  Gleichwohl  scheint  es  nicht  unnütz,  den  Inhalt  und  Zosas- 
menhang  dieser  Dichtung  hier  kura  darzulegen,  welche  im  Origi- 
nal  (cf.  edit.  calic  Vol.  I.  pg.  801)  den  bezeichnenderen  Titel 
pati»ratämAkätmjaparüa  führt,  d.  b.  das  Buch  roir  der  Grfffse  der 
Gattentreuen.  Die  Geschichte  spielt  in  Madra,  dessen  König 
AsTapati  um  Machkommenschaft  willen  18  Tolle  Jahre  stck  der 
strengsten  BufsUbungen  unterzieht,  bis  ihm  Sftvitri,  die  Göttin, 
in  leiblicher  Gestalt  erscheint,  und,  als  Gnade  des'Urratersy  ein 
Tochterlein  verhelfst.  Die  Tochter  wird  ihm  von  seiner  Fra% 
die  zwar  hochbejahrt,  geboren  und  aus  dankbarer  firkenntüch- 
keit  nach   der  Göttin  selbst  SAvitii  genannt.    „Einaefasraid  wie 


833  .  Merkdy  Samtri  eine 

Sit,  wttdit  des  KlJDtgs '  Selbilgebonie  auf;  und  ward  mit  der 
Zeit  ein  manolMires  Fräulein.  Beim  AnbKcke  der  schlankYeibi» 
gen,  breithHftigen,  atrahienden,  goldenen  gleichsam,  dachten  die 
Leute,  ein  Göttermädchen  za  leben ;  aber  freien  mochte  Niemand 
nm  die  lotnablattängige,  die  flammende  gleichaam.  mit  Glänze,  ab- 
geaohreclct  darch  den  Glanx.''  So  fordert  sie  der  Vater  denn 
aiif,  der  beneidenswertben  Sitte  ihres  Lapdcs  gemäfs,  selbst  auf 
'die  Gattenwahl  aoszngehen,  „Dennj'heifst  es,  welcher  Vater  die 
Toefater*  nicht  ausgibt,  der  Gatte  der  nicht  naht,  und  der  Sohn 
der  nach  des  Vaters  Tode  nicht  seiner  Matter  Beschiitzer,  diese 
sind  tadelswerth."  SATitri  macht  sich  alsbald  auf  und  meldet  bei 
ihrer  Ruckkehr,  dafs  die  Wahl  auf  Satjavün,  den  Sohn  eines 
frommen,  blinden,  seines  Reiches  beraubten  Königs  gefallen  sei. 
Trotz  aller  grolsen  Vorzüge  dieses  SatjavAn  kahn  die  Wahl  von 
KAmda,  dem  anwesenden  GStterboten  durchaas  nicht  gebilligt 
werden :  ein  Fehl  haftet  an  ihm :  er  wird  in  Jahresfrist  den  Leib 
ablegen  und  sterben.  Der  Konig  fordert  demgemäfs  die  Tochter 
auf,  sich  einen  Andern  zu  erwählen,  die  Tochter  ist  indessen  . 
standhaft :"*  einmal  füllt  das  Loos,  einmal  wird  die  Tochter 
gegeben,  einmal  spricht  e  r  (der  Vater)  ich  gebe  sie J  dies  sind 
die  drei  Einmal  der  Guten,^  —  und  fidrada  so  wie  der  Vater 
finden  es  unter  solchen  Umständen  gerathen,  nachzugeben,  jener 
geht  auf  zum  Himmel  and  dieser  bereitet  die  Hochzeitfeier,  wel- 
che im  4ten  Gesänge  näher  beschrieben  ist.  Die  folgenden  Ab- 
schnitte, Ges.  4 — 7,  zerfallen  dem  Inhalte  nach  in  zwei  gröfsere 
Cranze:  zuerst  nämlich  wird  es  mit  Treue  und  ergreifender 
Einfalt  geschildert,  wie  SAvitri  der  Zeit  entgegengeht,  da  ihr 
iliaan  sterben  soll.  Denn  N&rada's  Wort  liegt  ihr  immerdar  im 
Herzen  und  mit  banger  Angst  zählt  sie  die  Tage  wie  sie  einer 
nach  dem  anderen  Terlaufeu.  Endlich  als  es  nur  noch  4  Tage 
hinaus  ist,  beschliefst  sie  eine  harte  dreinächtliolie  Bafse:  die 
Bitten  der  Schwiegereltern,  abzustehen  von  dem  erdrückend 
Schweren,  vermögen  nicht,  die  Unerschütterliche  in  ihrem  Ent- 
schlüsse wankend  zu  machen:  bricht  das  deliibdei  also  zu  re- 
den  vermöchte  ich  nicht,  ibagt'  der  Schwiegervater;  vollend'  es 
vielmehr!  solche  Rede  ziemt  meinesgleichen.  Stehend  und  in 
Iterben  Schmerzen  fliefst^der  Sdvitri  die  letzte  Nacht  hin;  ,jjetzt 
ist  der  Tag  dal"  Sie  begeht  ihre  Itforgenfeier,  sie  opfert  dem 
Feuer  mnd  nimmt  die  Trostspriiche  der  frommen  Brachmanen  ent- 
gegen, im  Herzen  immer  nur  der  Zeit  denkend,  zu  deren  Abwen* 
daDg  sie  die  schwere  Buise  übernommen.  —  Es  ist  ein  hübscher 
«Bd"  ein  feiner  Zug  des  Dichters,  dafs  nun  Sa^avdn,  als  die  ihm 
wie  seiaen  Eltern  anbewufste  Zeit  des  Todes  naht,  allein  in  den 
Wald  gehen  will.  Doch  SAvitri  iSfst  nicht  von  ihm:  sie  fühlt 
aiek  weder  erschöpft  vom  Fasten  und  Wachen ,  noch  wird  ihr 
die  angewöhnte  Wanderung  beschwerlich  fallen;  aber  Trennung 
Tom  Gatten  würde  ihr  nnerträglich  sein  und  den  schönen  Wald 
sa  sehen  gewährt  ihr  hohes  Vergnügen.  So  wandelt  sie  dem 
Gaiten  zur  läeite,  getheilt  gleichsam  in  ihrem  Herzen  dahih.  Als 
Dan  SatjavAn  Früchte  sammelt  und  Holz  spaltet,  da  befällt  ihn 
Müdigkeit  und -Kopfweh,  nnd^  da  Sivitri  sein  Haupt  aaf  ihren 
Sehofs  gelegt,  —  bestimmte  Stunde  und  Zeit  treffen  genau  ein  •— 
dasteht  auch  schon  ein  fürchterlicher,  sonneglanzend^r,  rothäugi- 
ger  MaBD,  einen  Strick  in  der  Hand>  ihr  zur  Seite,    Es  ist  Jama, 


indisehe  Dicktun g.  334 

der  Herr  der  Manen,  der  andere  Menaehen  durch  seine  Boten 
holen  läfst,  dieses  frommte  Tugendmeer  indessen  seiner  eigenen 
Ankunft  würdigt '  Die  krasse  Versinnlichung  des  Todesgottes 
nicht  blofs,  sondern  auch  des  Sterbens  ist  leicht  an  keiner  Stelle 
so  weit  getrieben  als  hier:  denn  „mit  Gewalt  reifst  nun  Jama 
den  daumengroisen  Geist,  mit  dem  Stricke  gebunden  aus  dem 
Leibe,  und-  alsbald  ist  der  L«b  dem.  der  €reist  entrissen,  der 
Athem  gewichen,  ohne  Bewegung  und  Qlanz,  unschön  anzusehen« 
Indem  jetzt  Sftritri  dem  Gotte  folgt,  entspinnt  sich  ein  Gespräch « 
bei  welchem  Jama  von  der  erhabenen  Gesinnung  der  Gattin  so 
entzuckt  wird,  dafs  er  ihr  vier  Bitten  nach  einander  erlaiibt  und 
gewährt,  mit  Ausnahme  des  Lebens  Satjftvftns,  bis  er  zuletzt, 
ohne  diese  Einschränkung»  ein  unvergleichbares  Geschenk  z« 
wählen  eriaubt^  Es  versteht  sich,  ddls  Sdvitri  des  Cratten  Leben 
erbittet.  Der  Gott  des  Rechts  entfesselt  den  Gebundenen  und 
gewährt.  Bei  der  Sinnlichkeit  solcher  Vorstellungen  erwartet 
man  fast  eine  Angabe,  wie .  der  Geist  nun  wfeder  in  den  Leib 
eingegangen  sei:  indessen  findet  sich  darüber  nichts:  Satjavdn 
erlangt  auf  ihrem  Schofse  das  Be wulstsein  „ich  schlief  sehr 
lange,  wahrlich ;  warum  hast  du  mich  nicht  geweckt,  und  wo  ist 
der' schwarze  Mann  der  mich  mit  sich  rifst^  — Des  Gedichts 
andere  Hälfte  schildert  umständlich,  wie  die  wiederverbundenen 
Gatten,  in  Sorgen  über  den  Kummer  der  besorgten  Eltern,  sich 
nach  Hause  begeben,  und  schliefst  dann  völlig  versöhnend  mit 
der  Darstellong  des  Wiedersehens  und  des  durch  Jama's  Gna- 
dengewäbrungen  erhöhten    freudigen  Zusammenlebens. 

Indem  wir  uns  nun  zu  Hrn.  M's.  Uebersetzung  wenden,  kön- 
nen wir  versichern,   dafs  dieselbe   im  Ganzen  möglichst  treu  ist 
und   sich  auch   so  leicht  liest,  als  es   bei  dem  Grundsatze  des 
Verfs.,'  das  indische  Metrum  sorgsamst  wiederzugeben,  nur  irgend 
"^u  erwarten  stand.    Zwar,  um  zuerst   bei   dem  Letzten   stehen 
zu  bleiben,  will  uns  die   strenge  Durchführung  des  Originalme- 
trums  für  gröfsere*  Gedichte  minder  passend  scheinen:  eine  ge- 
wisse, dem  Leser  zumal  der  nur  um  der  Sache,  nicht  um  der 
Verse  willen  liest,  lästig  fallende  Einförmigkeit  ist  gar  nicht  zu 
umgehen;  Härten  besonder»  in  der  Stellung  der  Worte,  die  man 
recht  gewahr  wird,  will  man  solche  künstliche  Verse  einmal  wie 
Prosa  lesen,   sind  unvermeidlich,  und  endlich  wird  das  Metrum 
oft  doch  nur  für  den  hergestellt,  der  auch  wirklich  guten  Wil- 
len hat  es  zurechtzulesen,  während  es  dann  nur  vollkommen  wie- 
dergegeben wäre,  wenn  der  Leset  sich  gezwangen  fühlte,  so  und 
nicht  anders  zu  lesen,  als  es  eben  verlangt   wird.    Dergleichen 
kleine  Bedenken  drängten  sich  uns  auch  bei  dieser  in  ihrer  Art 
sehr  wohlgelungenen  Uebersetzung   oftmals  auf,  und  bestärkten 
uns  in  dem  Grundsfitze,  dafs  es  für  gröfsere  Dichtungen  passen- 
der sei,  ein  durchführbares  und  mehr  ansprechendes  Metrum  zu 
wählen,  des  Uebelstandes  bei  diesem  Metrum  nur  nebenhin  za 
gedenken,  dafs  hier  von  Vers  überbaupt  nur  immer  in  den  letz- 
ten vier  Silben  des  Viertelsloka  die  Rede  sein  kann:  wodurch 
der  Leser  denn  nie  zum  Bewufstsein  eines  Versmafses  gelan- 
gen wird.    Dafs  die  Sache  nun  einmal  so  im  indischen  Sinken- 
mafse  sei,  wird  man  wohl  nicht  geltend  machen  dürfen:  es  ist 
doch  ein  Utfterschied,  ob  ein  V,enmafs,  noch  im  Werden  b^rif- 
fen  und  stehen  geblieben,'  dem  Ohre  durch  langen  Gebranch  ver^ 


335  Merkel^  Savüri  eine 

tniat  geworden  ist,  oder  ob  ^8  in  Ueberaetzungen  anf  fremdem 
'  Ctobiete  nni  entgegentritt^  glelGheam  da«  Zageständnlfa  dessen, 
was  es  selbst  nicht  ist»  sich  ertrotzend.  Soviel  über  diesen  öfter 
besprochenen  Cregenstand»  den  freilieh  ein  Jeder  nur  nach  sei« 
nem  Sinne  benrtheileo  Icann. 

Dan  Wottv^rständnift  des  Gedichtes  ist  im  Einzelnen  dareh« 
aoi  nicht  leicht,  man  wird  sich  nicht  wandern,  sollte  man  Hrn. 
M.  hie  nnd  da  fehlgreifen  sehen;  manche  Stellen  scheinen  selbst 
ein  wenig  corrnmpirt,  in  einigen  findet  sich  die  richtigere  Lese- 
art erst  in  ^er  neben  CaUiUttaer  Aasgabe,  die  der  Hr.  Vf.  wohl 
nicht  schon  benatzte.  —  Als  Probe  ron  Hm.  M's.  Uebersotzang 
'  kann  die  Stelle  von  der  Geburt  ^er  Sftvitri  S.  6  dienen,  welchen 
oben  fast  ^Srtlich  fibersetzt  ist     Sie  lautet  so: 

Nach  einiger  Zeit  Verlauf  zeugte 

Def  Königy  des  Gelübdte  froh,  ^    ' 

Mit  der  ältetien  pflichttreuen 

Gemahlin  eine  Leibetfruchtj 
Im  Schoofi  Malavis  wuchi,  bester 

Der  Bharata$j  die'  holde  Fruchty  , 

Wie  dm  heiteren  Luftkreiee 

Der  Sierne  Fürst  an  Glofue  wachst. 
Sie  gebar  mit  der  Zeit  eine 

Tochter  mit  Augen  loiusgleich^ 
Die  Bräuche  der  Cfeburtsfeier 

Vollbrachte ,  froh  der  Mannerherr^ 
Sie  war  der  Savitri  Gabe, 

Geopfert  war  der  Savitri; 
Drwn  gab  der  Savitri  Namen 

'  Der  Vater  nebst  Brachmanen  ihr. 
Vnd  anzHsehaum  wie  Sri  lieblich 

Erwuchs  die  Königstochter  holdy 
I  Zum  Ehebund  heranreifte 

Die  Jungfrau  in  der  Zeit  Verlauf. 
Wenn  man  die  Schlanke,  Goldgleiche, 

Starkhüftige  erscheinen  sah, 
So  dachte  manj  herannahet 

Ein  gottentsjfrofsnes  Wunderkind. 
Doch  sie^  die  lotuslaubgleiche, 

Die  wie  leuchtende  Flammen  warft 
Erwählte  sich  zur  Frau  Keiner, 

Ueberwälligt  von  ihrem  Glanz,  u.  s,  w. 

worin  man  denn  kanm  etwas  anders  wünschen  könnte,  es  sei 
denn  die  Stelle:  drum  gab  der  S.  Namen  der  Vater  nebst  fir. 
ihr,  d.  h.:  Savitri,  so  machten -darum  aach  die  Brachmanen  ihren 
Namen,  so  der  Vater.  —  Femer  sollte  im  Anfange  der  Saperla- 
tit  gfishthA  die  älteste  vielleicht  nur  durch:  sehr,  alte,  wioder- 
gegeben  sein :  der  Dichter  spricht  wohl  nicht  von  der  ftltesten  Fraaj 
sondern  thut  nur  des  hohen  Alters  der  Malavt  Erwähnung,  um 
€as  Wunder  der  S^ugung  dadurch  herauszuheben. 

Wir  nehmen  zugleich  Gelegenheit,  einige  der  bedeutenderen 
Abweichungen  der  Calknttaer  Ausgabe  zu  besprechen.  Auf  den 
ersten  Seiten  finden  wir  unter  vielen  Varianten  nur  eine  etwas 
orhebliche,  niünlich  I,  24b  prativärita  für  prativ^ähita,  welches 
Hr. M.  nicht  eigentlich  durch  überwältigt,  sondern  durch  zn- 
rUckgesc hingen  vriedergeben  mufste.  Vielleicht  ist  prati* 
värkä,  das  gewohnlichere  Wort  für  abhalten,  zurUckscheuchen, 
nur  aus  einem  Commentare  in  den  Text  gekommen.  S.  U.  5a, 
ipt  die  Leseart  der  C.  jQrinu  bhartAram  jö*  naJA  vrita,  i.  e,  audias 

•  •      •  • 

.  maritum,  qui  ab  illa  electns  unstatt  bhartä  v/U  J6  B.  qui  mari» 
tus  etc.  grammatisch  nicht  unwichtig,  noch  dem  Sprachgebranche 
entgegen ;  eben  so  findet  sich .  auch   U,  22b  das  Richtigere  nh 


Dichtung. 

^akja^  cAHvartitsim,  wo  das  Nentmm  ful^am  bei  Ropp  sn  ddshM 

nnertriiglieh  ist;  dagegen  b'eraht  11,  iSa  s^hhavai  für  söMovat  H. 

auf  einem  offenbaren  Lesefehler»    Das  grofsere  Metram,  viemml 

12  Silben  w.s^ -y.s^w-^  v^^w —,  welches  Hr.   Bf*  S.  VIE 

kurz  berührt,  and  gleichfolls  immer  wiedeigegeben  hat|  iat  111» 

9o  nnd  10a  nicht  richtig:  die  Calcutt  Ansgabe  lieaet  dämm  htm» 

ler  kaihan  itauarhä  vanaväsam   (und  nieitsjaU  für  das   bessere 

sdhüehjati,  nnd  zwischen  sMuun  und  dmkham  achirbt  sie  notb» 

wendig  ein   ea  ein,  wodurch  der  Vers  vollzählig  wird.    Auch  hat 

sie  jadA  fdr  sadAi   In  der  ersten  Stelle,  wo  Hr.  M.  also  fiberaetzt: 

Wie  aber,  in  Königspallast  zu  wohnen  werth, 
Soll  Savitri  Mühsal  ertragen  hier  im  Waldf 

heilst  es  nun  vielmehr: 

Wie  will  doch  diese  deine  Tochter,  der  Waldwohnen  nicht 
gerecht  ist,  in  der  Einsiedelei  Milhsal  ertragen  f 

Femer,  anstatt: 

Besitzes  Lust,  auch  des  Entbehrens  herber  Schnerx 
Sind  so  wie  mir,  meiner  geliebten  Tochter  kund, 

vielmehr  so:  da  Leid  und  Freude,  mit  dem  Zustande  des  Seins 
und  Nichtseins  (des  Ueberflusses  und  Mangels)  meine  Tochter 
untepicbeidet  (kennen  gelernt  hat)  und  ich  desgleichen,  ziemt 
an  meinesgleichen  eine  solche  Rede  nicht'  u.  s.  w.  V,  29b  ist 
für  samAgatam  nothwendig  sangatam  zu  lesen,  so  wie  anch  53a 
m^  fehlen  muis,' beides. aus  metrischen  Kucksichten«  In  der  na- 
verständlichen  Stelle  V,  55b  hat  die  Calcutt  Ausgabe  arögas  iavm 
nijagc'a  für  sthavanijas,  man  erwartete  sonst  etwa  sthävtrAJufca. 
V,  60a  hat  die  Calc.  ed.  für  varän  vielmehr  ntr.  varam,  so  wie 
dieses  Wort  auch  in  den  früheren  Stellen,  wo  es  bei  B.  ab 
Masculinum.  sich  findet,  nur  als  Neutrum  vorkommt,  was  pas- 
sender scheint,  obgleich  das  Masc.  auch  sonst  wohl  zn  rechtfer* 
tigen  ist.  Endlich  die  bei  Bopp  verderbte  Stelle  VI,  31ä  vtdts 
najäe'iram,  wonach  Hr.  M.  also  übenletzt: 

„Ich  schlief,  ich  weifs  nicht  wie  lange^ 

Dieses  jedoch  weifs  ich  bestimmt, 
Dafs  ich  so  lange  nie  früher 

Geschlafen  Jtäbe  irgendwo" 

ist  mit  naheliegender  leichter  Bessemng  vidanaJA  eirsnm  zu  le> 
sen,  wie  ed.  Calc.  auch  wirklich  lieset,  und  keifst  nun :  geseU^ 
fen  habe  ich  lange  mit  (vor)  Schmerz  (Instrum.  des  fem^  vddimä 
Schmerz),  das  weifs  ich ;  und  nicht  habe  ich  früher  irgeadvasn 
so  lange  Zeil  geschlafen. 

Wir  könnten  nnn  noch  einige  Stellen  ausheben,  in   denen 
wir  Hm.  M's.  IJebersetzung  aus  anderen  Gründen  nicht  billigen 
mSgen,  indessen  brechen    wir  mit  freundlichem  Danke  f&r  die 
dargebrachte  auch  fiuiserlich  recht  nett  ausgestattete  kleine  Gabe 
ab  nnd  können  dem  Verf.  zum  Schlüsse  die  Genugthunng  nicht 
versagen,  dais  uns  das  ganze  Bfichlein  schon  um  der  Art  seinor 
Entstehung  willen  eine  woblthiiende ,  erquickliche  Erscheinnag 
bleiben  wird.    Schon  Über  der  Hälfte  des  Lebensweges  stehend, 
sagt  der  Verf.  im  Vorworte  an  Hrn.  Prof.  Bopp,  äei  er  von  dem- 
selben  zum  Sanskritstiidium   aufgemuntert,  dem  er  sich  akbaid  ' 
mit  Lust  und  Liebe  ergeben.    Und  als  erste  Fmcht  dieser  Be*' 
strebnngen  dürfen  wir  die  vorliegende  Uebersetzung  ansehen,  die 
gewUs  so  wie   uns ,  jedem  Leser'  von  Math  nnd  Ansdaner  ein 
erfreulicher  Beweis  sein  wird.  Albert  Hoefer. 


W  43. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  er 

für 

^wissenschaftliche 


Kritik« 


März  1840. 


Grundsätze  det  KirchenrechtM  der  hatJtoligchen 
und  ettmgeUichen  JReh'gtompartei  in  Deutsch- 
land von  Karl  Friedr.  Eichhorn. 

Xtehrbuch  des  Kirchenrechts  aller  christlichen 
Konfessionen.    Von  Ferdinand  Walter. 

m 

(FortsetzoDg.) 

Dies  icheint  nun  Alles  «ebr  plausibel  und  man 
Icaim  dem  Verf.  auch  in  dem  beitreten,  was  er  %.  32. 
Amii.  M.  gegen  die  Annahme  der  unsichtbaren  Kirche, 
ohne  allen  Zusammenhang  mit  dem  positiven  Cbristen- 
thum  selbst^  geSufsert:  denn  auch  nach  dem  evangeli- 
achen  Systeme  wFrd  ein  bestimmter  Konnex  zwischen, 
beiden  Seiten  der  Kirche  gefordert 

Ist  aber  auch  diese  ganze  Explikation  der  aner- 
kannten  Lehre  der  katliolischen  Kirche  gemäfsl  Ist  es 
nicht  vielmehr  nach  derselben  mSglichi  daPs  die  äursere 
Mitgliedschaft  aliein  schon  die  Seligkeit  bedingt t  Nach 
der  protestantischen  Ansicht  ist  die  wahre  sichtbare 
Kirche  diejenige,  in  welcher  das  Evangelium  recht  ge- 
lehrt  wird  und  die  Sakramente  recht  verwaltet  werden. 
Den  Beweis  fSr  die  Richtigkeit  in  beiderlei  Rucksicht 
nelunen  die  Protestanten  aus  der  heiligen  Schrift  selbst, 
nicht  aus  menschlicher  Autorität:  denn  sehr  wahr  erin- 
nert Baur  (der  Gegensatz  u.  s.  w.  S.  469)  ^Es  ist  nicht 
einsusehen,  was  in  der  Behauptung  Widersprechendes 
sein  soll,  dals  das  Evangelium  oder  Wort  Gottes  ob- 
jefctiv  aus  .sich  selbst  d.  h.  durch  die  inneren  und  äufse- 
ren  Grunde,  die  seine  Göttlichkeit  beweisen,  oder  durch^ 
das  in  demselben  sich  aussprechende  Zeugnifs  des  hei- 
ligen Geistes,  und  das  ihm  im  Innern  des  Menschen 
entgegen  kommende  Zeugnifs  des  Geistes  in  seiner  Gött- 
lichkeit soll  erkannt  werden  können.'*  Ob  aber  die  Mit- 
gUeder  der  sichtbaren  (protestantischen)  Kirche  wahr- 
haft Gott  angehören,  darüber  entscheidet  nur  Gott  selbst, 
der  das  Herz  jedes  Einzelnen  pritft. 

Dagegen  ist  nach  katholischer  Ansicht  nur  dieje* 

Jahrb.  /.  irtMentcA.  KtiHk.   /.  1840.   I.  Bd. 


nige  sichtbare  Kirche  die  wahre,  welche  zusammenhängt 
mit  dem  Episkopate,  als  der  lehrenden  Kirche,  wielche 
durch  konstante  Succession  unmittelbar  von  Christo  und 
den  Aposteln  allein  zum  Besitze  des  rechten  Geistes, 
der  wahren  Tradition ,  des  rechten  Yerständnisses  der 
heiligen  Schrift  gelangt  ist  u.  s.  w.,  weshalb  auch  nach 
Ae\  Professio  fidei  Tridentin.    jeder  in   ein  religiöses 
Amt  Tretende  den  Eid  dahin  lebtet :  „Sacram  scriptu- 
ram  juxta  eum/sensum,  quem  tenuit  et  tenet  sancta 
Mater  Ecclesia,  cujus  est  judicare  de  vero  sensu  et  in- 
terpretatione  sacrarum  scripturarum ,  admitto ,  nee  eam 
unquam  nisi  juxta  unanimem  consensum  Patrum  acci- 
piam  et  interpretabor."    Die  dem  infallibeln  Episkopate 
angehörigen,  mit  demselben  durchaus  verwachsenen  Bi- 
schöfe sind  nun  schon  als  solche  begriflEsmäfsig  gehei- 
ligt und  für  sie  kann  der  Unterschied  der  siclitbaren 
und  unsichtbaren  Kirche  keine  Bedeutung  haben.    In 
ihnen   ist  konkret  die  sichtbare  und  unsichtbare  Seite 
der  Kirche  verwirklicht,  da  ihr  Amt  und  die  damit  ver- 
bundene Autorität  sie  zu  walurhaften  GKedem  der  Kir- 
che macht. '  Folgeweise  wird  aber  auch  für  Laien,  wel- 
che vollständig  der  Autorität  und  Lehre  des  Episkopats 
sich  anschliefsen,  ebenfalls  die  wahre  und  unbedingte 
Mitgliedschaft  der  Kirchs  in  Anspruch  genommen  wer- 
den dürfen  und  überhaupt  der  ganze  Unterschied  der 
Sichtbarkeit  und  Unsichtbarkeit  der  Kirche  aufzugeben 
sein,  wenn  nicht  die  Lehre  von  der  Autorität  des  Ej^is- 
kopats  untergraben  werden  soll,  und  dies  um  so  mehr, 
als  es  auf  den  Glauben   und  nicht  auf  die  Sittlichkeit 
ankommt:  denn  so  erklärt  Leo  XII.  den  Antikonkorda- 
tisten  der  Diöcese  Poitiers  in  dem  Erlasse  vom  2.^  Juli 
1826   „quisquis   a   oatholica    ecclesia  fuerit  separatus, 
quantum  übet  laudabiliter  se  vivere  iexistimet,  hoc  solo 
scelere,  quod  a  Christi  unitate  dbjunctus  est,  non  ha- 
bebit  Wtam,  sed  irä  Dei  manet  super  eum."    Da  die  ca- 
thoUca  ecclesia  aber  die  uoa  sancta  et  ^  apostolica  ist, 
von  der  Bo'nifacius  YIII.  spricht  (c.  1.  Extrav.  comm. 

43 


339  Kirchs 

de  majorit  e|  obecl.  (I,  8.)),  so  liegt  in  dem-  Ausspru« 
ehe  Leo's  ^L  nichüi  anders,  als  in  dem  von  Bonifacius 
^^Subesse  Romano  Pontifici  omni  humanae  creaturae  •  •• 
omnino  es^  de   necei|3itate  salutis."    Hieraus  ergiebt 
sieh  aber  auch,  inwiefern  der  bisher  erwogene  Unter- 
schied sowohl  für  die  Erde,  als  jenseits  gleich  wichtig 
ist:  denn  der  Papst  spricht  ja  denen,    die  -nicht  schon 
hier  zur   katholischen  (d.  l  romischen)  Kirche   gehört 
haben,  das  Leben  d.  h.  doch  das  ewige  Leben,  die  8er 
ligkeit  ab,  und  mag  also  Hr.  Walter  sehen^   wie  er 
seine  mildere  Gesinnung  mit  der  Lehre  der  Kirehe  aus- 
gleiche.   Diese  scheinbare  Milde  wird  dahin  gefafst  (^. 
IL  a.  E.),  dafs  indem  die  Kirche  im  Bewufstsein.  ihrer 
Wahrheit  den  ihr  widerstrebenden  Irrthum  als  einen 
Abfall,  von  .Cliristus   entschieden  verdammt, 'sie  doch 
über  din  einxelnen  Irrenden  nicht  richtet,    sondern 
gleichwie  sie  neben  der  Taufe  des  Wassers  auch  eine 
Taufe  durch  das  Yerlangen  anerkennt,  sie  es  der  Be- 
urtheilung  Gottes  anheim  stellt,  diejenigen,  welche  nach 
dem  Maafs  ihrer  Kräfte  nach  der  Wahrheit  gestrebt 
'  und  unverschuldet  dem  Irrthum  angehangen  haben,  noch 
jenseits  in  die  Gemeinschaft  der  Heiligen  oder  der  trium« 
phirenden  IQrche  aufsunehmen. 

Da  der  Gnindsats  „extra  ecclesiam  romano  -  catho- 
licam  nulla  salus,"  welcher  in  der  schtoffsten  Form  auch 
in  der  neusten  Zeit  von  Pius  YIII.  und  Gregos  XVL 
mehrfach  wiederholt  worden  ist,  vielen  Anstofs  erregt 
hat,  so  werden  allerlei  Auswege  und .  Interpretationen 
versucht,  die  indessen  bei  näherer  Beleuchtung  als  nicht- 
romisch  erscheinen.  Man  ist  aber  nicht  damit  zufrie- 
den, die  römisch-katholische  Kirche  zu  rechtfertigen, 
sondern  wirft  das  ihr  Aufgebürdete  nun  auch  der  evan- 
'  gelischen  Kirche  selbst  vor^  So  wird  mit  Bezugnahme 
auf  die  Münchner  historisch -»politischen  Blätter  B.  IL 
H.  IX.  S.  505  Mg.  525  in  der  Tübinger  katholischen 
Quartalschrift  1838  H.  IT.  S.  769  folg.  erklärt:  „der 
Satz,  dafs  die  katholische  Kirche  auch  individuell  ver« 
dainme,  hat  in  dem  katholischen  Systeme  gar  keinen 
Platz«  Er  findet  seine  Stelle  nur  und  hat  sie  auch 
nothwendig  in  derjenigen  Kirchenlehre,  welche  den 
Lehrsatz  von  der  absoluten  Prädestination  behauptet. 
Denn  nach  diesem  Lehrsatze  geht  die  gottliche  Erwäh- 
lungy  wie  die  Yerwerfung  sclilechthin  und  ohne  weite- 
res auf  diesen  und  jenen,  überhaupt  auf  die  Individuen 
als  solche  und  ohne  alle  Rücksicht  auf  ihr  eigenes 
Wollen  und  Streben,  ohne  alle  Berücksichtigung  ihres 


n    r    e    e    h    t.  340 

seitlichen  Verhältnisses  überhaupt,  insoweit  dasselbe 
durch  den  Gebrauch  ihrer  Freiheit  bedingt  und  be- 
stimmt ist.  Diesem  Lehrsatz  nun  ist  bekanntlich  die 
reformirte  Kirche  zugethan,  und  die  protestantische  we* 
nigstens  weit  mehr  als  die  katholische." 

Es  würde  uns  von  unserm  Plane  zu  sehr  entfer» 
nen,  wenn^  wir  uns  auf  eine  nähere  Prüfung  diesa 
Sätze  einlassen  wollten :  daher  nur  die  Bemerinuigf 
dafs  ja  auch  die  Prädestinationslehre  nur  Gott  und 
nicht  einen  sündhaften  Menschen  über  Heil  und  Lcbco 
bestimmen  läfst  und  die  Berufung  selbst  nieht  auf  die 
protestantische  Kirche  beschränkt,  während  in  der  ka^ 
tholischen  Kirche  die  Prädestination  eine  absolute  val 
allgemeine  bt,  da  nach  der  Erklärung  des  unfehlharea 
Episkopats  das  Verbrechen  allein,  nicht  Mitglied  der 
katholischen  Kirche  zu  sein,  schon  die  Seligkeit  entzieht 

Die  Wichügkeit  der  Sache  und  die  RüeksieU,  dals 
Hr.  Walter  sich  nicht  immer  streng  an  den  Lehrbegriff 
seiner  Kirche  hält,  nöthigt  uns  zu  dieser  <  Betrachtuiig. 
Wir  kehren  nun  aber  zu  der  Behauptung  zurfiek,  dab 
„die  Würde  und  Grofsartigkeit  des  Stoffes  gewinne, 
je  hoher  und  weiter  der  Gesichtspunkt  ist,  den  man 
dafür,  wählt."  Diesen  angeblichen  Gewinn  können  wir 
nicht  zugestehen:  denn  der  Stoff  hleibt  hier  immer 
gleich  grofsartig  und  würdig.  Höchstens  können  wir 
anerkennen,  dafs  die  Ausdehnung  der  Aufgabe  das  In* 
teresse  zu  steigern  im  Stande  sei,  wenn  nur  dahri  auch 
die  Ausführung,  bei  der  gröfseren  Reiehhaltigkeit  des 
zu  verarbeitenden  Materials,  nichts  an  der  erforderÜ* 
eben  Gründlichkeit  eingebüfst  hat.  Auch  in  dieser  Hin* 
sieht  wollen  wir.  beide  Werke  vergleichen. 

Eichhorn  hat  ein  dem  Umfange  nach  begrenst^fes 
Thema  übernommen,  dieses  aber  auch  mit  einer  Voll« 
ständigkeit  behandelt,  welche  wohl  wenig  zu  wünsehea 
übrig  läfst  Das  katholisclie  Kirchenrecht,  dem  ee  frei« 
lieh  auch  sonst  nicht  an  trefflichen  Darstellungea  fdilt, 
ist  in  erforderlicher  Fülle  dargestellt  worden.  Wenn 
schon  für  diesen  Abschnitt  des  Handbuchs,  so  ist  doeh 
das  betheiligte  Publikum  dem  Hm.  Yerf.  noch  bei  wri* 
tem  mehr  d^für  zu  wahrem  Danke  verpflichtet,  dab 
auch  dem  evangelischen  Rechte  die  ,nöthige  Sorgfalt 
zugewendet  und  die  gebührende  AusfuhrUehkeit  zu  Theü 
geworden  bt.  Gerade  hier  bestand  bbher  für  die  Lite- 
ratur eine  sehr  fühlbare  Lücke  und  es  fehlte  eigentUeh 
durchaus  an  einer  der  Bedeutsamkeit  der  evangelisoheD* 
Kirdie  entsprechenden  umfassenden  Entwiokelung  des 


Mi 


K  i  r    9  A   ^ 


r    e    e    h    t* 


34Ü 


leehtfiefaeli  Zustand«  deraelten.  Srit  J.  H»  BShmer, 
allenfalls  aueh  dessen  Sohn  Georg  Ludwige  und  dem 
an  nieht  wenigen  Fehlern  und  Mängeln  laborirenden 
Handbuehe  von  Wiese  ist  fukr  das  evangelisehe  Kir« 
ebenreeht  in  seiner  Totalität  bis  auf  Eichhorn  fast  gar 
aiehts  geleistet  wordenl  Der  Yerf.  hat  daher  das  gro« 
ise  Verdienst,  durch  ein  tieferes  Eingehen  in  die  Quel- 
len die  Principien  des  evangelischen  Kirchenrechti  fester 
begründet  und  ein  gediegenes  System  zu  Tage  geför« 
diert  SU  haben.  •     - 

Indem  Walter  dagegen  sein  Lehrbuch  als  ein  alle 
ehristliehe  Konfessionen  in  sich  aufnehmendes  ankün- 
ikgt^  giebt  er  uns  keineswegs,   was  wir  hiernach  bu 
erwarten  uns  für  berechtigt  halten  müssen.    Das  ka« 
diolische  Kirchenrecht  wird  im  Ganzen,  den  Grensen 
eines  Lehrbuclis  gemäfs,  in  einer  gewissen  Vollständig« 
k^  dargestellt,  während  das  griechische  und.evange« 
lisdie  meistens  nur  einen  mehr  oder  weniger  geringen 
Anhang  dazu  bildet.    Ueber  das  griediische  Recht  äu* 
Isert  der  Yerf.  selbst :  „das  kirchliche  Recht  des  Ojrients 
ist  nach>der  Beschaffenheit  der  Quellen  einer  sehr  ge* 
Bauen  und  susammenhäogenden  historischen  Bearbei» 
long  fähig.    Hier  mufste  jedoch  der  Verf.,  um  die  ge* 
hörigen  Grenzen  nicht  zu  übersehreiten,  bei  den  Haupt- 
punkten  stehen   bleiben,   und  nur    in   einigen  Fällen, 
namentlich  bei  gewissen  Theilen  des  Elherechts,  ist  die 
Ausführung  mehr  ins  Einzelne  gegangen."    In  den  frü- 
heren Ausgaben   verspricht   Hr.   Walter   ein-  eigenes 
Werk  über  das  grieciusche  Kirchenrecht    Er  scheint 
jedoch  später  diesen  Plan  aufgegeben  zu  haben,  was 
wir  sehr  bedauern.    Möchte  ersieh  dazu  entschliefsen, 
in  den  folgenden  Ausgaben  das  grieciusche  Recht  lie« 
ber  aussuscheiden  und  den  dadurch  gewonnenen  Raum 
benutzen,  um  dem  stiefmulterlich  behandelten  evangeli» 
sehen  dne  verhältnilsmäisige  Ausdehnung  zu  gewähren. 

In  beiden  Werken  vermissen  wir  ungern  eine  Dar- 
stellung des  Kirchenrechts  der  kleineren  protestanti- 
•chen  Parteien. 

Heak  Plan  nach  erscheint  nach  diesen  Bemerkun- 
gen d^s  Handbuch  von  Eichhorn  als  abgerundeter  und 
vollendeter,  und  wir  sind  überzeugt,  daCs  dasselbe, 
wie  der  Verf.  bezweckt  „für  eine  Einleitung  in  das 
particuläre  Kirchenrecht  gelten  kann"  (S.  IV).  Indes- 
sen hätte  zu  dem  Behufe,  ähnlich  wie  es  in  der  Einlei- 
tung in  das  deutsche  Privatrecht  geschehen,  eine  rei- 


chere Berüoksiohtigun^  des  Partikularrechts  selbst  statt« 
finden  konnem    denn  die  Abweichungen   desselben  iii 
solchen  Lehren,  die  in  der  katholischen,  Kirche  nanient- 
lieh  nicht  durch  die  Einheit  des  Dogma  sich  überein« 
stimmend  gestalten  müssen,  sind  viel  gröfser  und  man-i 
nigfaltiger,   als   man   gewöhnlich    anzunehmen  pflegt« 
Man  denke  nur  an  die  geistliche  Gerichtsbarkeit  f    die 
Patronat-  und  Zehntverhältnisse,  den  Kirchenbau  u.  s.  w« 
Die  Quellen  daßir  sind  auch  in  der  neueren  Zeit  viel 
zugänglicher  geworden,  und  man  darf  sich  was  z.  B» 
Preufsen  betrifft,  nicht  mehr  auf  Bielitz  und  den  fehler^ 
und  lückenhaften  Nachweis  von  Scholl  zu  Schenkl  bcr 
schränken  (s.  Walter  ^.  57.  not.  y.) ,  da  durch    diQ 
Fürsorge  des  Justizministerii  für  Gesetzrevision  die  Ent- 
würfe der  Provinziahreclite  in  zum  Theil  ausgezeichne- 
ten  Bearbeitungen  jetzt   yorliegen.    Auch   hätte    eine 
speciellere  Berücksichtigung  der  Literatur  tvohl  erfol- 
gen können,   wenigstens  was  Monographien  betrifft: 
denn,  wenn  Eichhorn  erklärt,  er  habe,  da  sein  Bestre* 
ben  durchaus  auf  Entndcklung  aus  den  Quellen  gerich- 
tet war,  selten  andere  Schriftsteller  angeführt,  wo  es 
nicht  aus   besondem  Gründen   nothwendig  war,   wie 
wenn  eine  durchaus  irrige  Ansicht  ^u  rügen  oder  der 
Vorwurf  abzulehnen  war,  dafs  der  Grundsatz  von  ei^ 
nem  Katholiken  nicht  zugegeben  werden  könne,  weil 
sonst  unsere   Literatur  an  Bachern,  wo   sich  weitere 
Auskunft  findet,  reicher  sei  als  an  solchen,  die  sich*  mit 
der  quellenmäfsigen   Eutwicketung  der  Gruhdsätze  be^ 
fassen  (I.  S.  'Vli.  VIII)  \   so  ist  doch  gerade  in  einem 
so  ausführlichen  Handbuche  eben  auch  ein  Nachweis 
der  wichtigeren  Literatur  und  HUfsmUtel  selbst  durch* 
aus  wüuschenswerth,  ja  nothvvendig^    Walter's  Lehr** 
buch  hat  in  dieser  Beziehung  in  den  neueren  Editi<men 
sehr  gewonnen. 

Die  Form  :der  Darstellung  ist  dem  verschiedenen 
Charakter  beider  Werke  ganz  angemessen.  Walter's 
£til  ist  mehr  compendiarisoh ,  aber  würdig  und  edel, 
und  mifsbÜligen  können  wir  nur  die  h^be,  höchst  per- 
sönliche Polemik  gegen  Eichhorn,  die,  wenn  auch  in 
dieser  neuen  Ausgabe  etwas  gemildert  (m.  vergl.  z.  B. 
ed.  TIL  S.  12  mit  ed.  VIU.  S.  12  —  S.  13Ö  mit  8. 137, 
S.  171  not.  m  mit  S.  166  not.  k)  doch  um  so  weniger 
tadellos  ist,  als  sie  zum  Theil  auf  konfessionellen  Dif- 
ferenzen beruht  und  welche  wir,  als  das  Lehrbuch  ver- 
unstaltend, künftig  völlig  ausgemerzt  wünschen  inüssen. 


3i3  K  i  r    e    h    0 

HinslcbtUcli  einiger  mehr  rein  wissensohardichen  Punkte 
werden  wir  weiter  unten  zu  ermitteln  suchen,  auf  wes« 
•en  SMte  sich  das.  Recht  befindet.  Eichhorn  schildert 
mehr  expliicativ,  wie  es  bei  einer  in*s  Detail  eingehen« 
den  Darstellung  nicht  anders  erwartet  werden  konnte, 
ToUer  Klarheit  und  Ruhe. 

Ueber  die  Yertheilung  und  systematische  Anord- 
nung des  ganzen 'Materials  (yergL  Eichhorn  I,  S.  V — 
YII  S.  451-^454  Walter  |.  6.)  werden  im  Einzelnen 
nach  dem  Standpunkte  des  Schriftstellers  immer  ge- 
i;visse  DiflEerenzen  erklärlich  erscheinen.  Im  Ganzen 
finden  wir  beide  Autoren  in  Uebereinstimmung,  indem 
in  der  Hauptsache  'die  Scheidung  von  personae,  res, 
actiones  leitend  geblieben  ist.  Es  entsprechen  sich  da- 
her bei  beiden  Buch  I.  u.  II.  die  geschichtlichen  Tor- 
kenntnisse  und  Quellen,  bei  Eichh.  Buch  III.,  Walter 
Buch  IIL  u.  V.  Yoik  der  Kirchengewalt  und  den  kirch- 
lichen Personen,  bei  beiden  Buch  lY^  von  der  Ausübung 
der  Kircbengewalt  nach  ihren  einzelnen  Zweigen,  bei 
Eichh.  Buch  V.  u.  VI.,  Waher  Buch  VII.  von  der  Re- 
ligionsübung und  den  besondern  Instituten,  welche  sieh 
auf  die  wiUl  religiosa  beziehen,  bei  Eichh.  Buch  YIL 
Walter  Buch  YI.  von  den  Kirchengätern.  Dazu  kommt 
noch  bei  Walter  ein  achtes  Buch :  von^  Einflüsse  der 
Kirche  auf  die  weltlichen  Rechte. 
*  Indem  wir  es  fUr  minder  erspriefslich  halten,  die 
Gliederung'  der  einzelnen  Bücher  selbst  noch  weiter  zu 
mustern,  wenden  wir  uns  zur  Betrachtung  des  Mate- 
rials, wobei  wir.  die  Geschichte  der  Bildung  Jind  Yer- 
fassung  der  Kirche,  die  Geschichte  der  Quellen  und  das 
System  des  geltenden  Kirchenrechts  einzeln  ins  Auge 
fassen.  Wir  werden  uns  dabei  vorzugsweise  auf  sol- 
che Lehren  beschränken,  in  welchen  wir  beide  Verfas- 
ser in  GegensBtzen  begriffen  finden. 

Eichhorn  beginnt  «eine  Untersuchung  mit  dem  Ur- 
sprünge der  Kirche,  und  indem  er  die  verschiedenen 
Bedeutungen  des  Ausdrucks  feststellt,  erklärt  er  S.  6 
Anm.  7  „das  Wort  kommt  ohne  Zweifel  von  Ki/^icr- 
%6v. Wie  das  griechische  Wort  in  die  germani- 
schen Sprachen  geköiumen  ist,  bleibt  zweifelhaft."  Rec. 
hat  in  seinen  kirchenrcchtlichen-  Versuchen,  Beitrag  I. 
Königsberg  1831  sich  die  Aufgabe  gesetzt,  diesen  Ge- 


is   r    tf    0    A    /.  314 

genstand  möglichst  aufsukUfaren«  Er  hat  sich  für  'des 
griechischen  Ursprung  ebenfalls  entschieden,  muls  abei 
noch  jetzt  darauf  aufmerksam  raaehen,  dab  Graff  im 
althochdeutschen  Sprachschätze  IV,  481  sich  eher  fSr 
die  Ableitung  aus  dem  Deutschen  su  erklären  geneigt 
ist,  aus,  wie  mir  scheint,  durchaus  ungenugendoi  Gran» 
den.  Was  aber  die  Uebertragung  des  Griechischen  Ina 
Deutsche  betrifft,  f^Q  hängt  dieselbe  mit  dem  Verhak'« 
nisse  Deutschlands  zu  Britannien  zusammen.    Die  brit- 

• 

tische  Kirche  stand  mit  dem  Orient  seit  dem  trierlen 
Jahrhundert  in  einer  sehr  lebhaften  Verbindung,  wie 
wir  namentlich  auch  daraus  entnehmen  können,  dab 
briltische  Bischöfe  den  griechischen  Synoden  beiwohn* 
ten,  was  die  Subscriptionen  der  Synpdalakten  ergeben« 
Diese  Verbindung  finden  wir  auch  im  siebenten  Jahr^ 
hundert  anerkannt  und  durch  einen  geborenen  Griechen, 
den  Erzbischof  Theodor  von  Canterbury,  (668  —  690) 
noch  besonders  erhöht.  Durch  seine  und  des  Abts  Ha« 
drian  Vermittlung  war  die  griechische  Spradie  dem 
Clerus  sehr  geläufig  geworden,  so  dafs  auch  apater 
noch,  wie^  uns  Beda  (f  735)  berichtet  (historia  eocL 
gentis  Aftglorum  Hb.  IV.  cap*  2.)^  das  Griechische  wohl 
bekannt  blieb  („indicio  est,  quod  usque  hodie  super- 
sunt  de  eorum  (Theodori  et  Hadriani)  discipulis,  qnl 
Latiuam  Graecamque  linguam  aeque  ut  propriam,  in 
qua  nati  sunt,  norunt").  Aus  der  griechischen  KirthoK- 
spraehe  ward  daher  auch  das  Wort  uvQtaxdp  reeipirt^ 
ja  vielleicht  gerade  von  Theodor  selbst  eingeführt.  .Da* 
her  findet  sich  im  alten  Englischen  (Angelsächsisch^ 
das  Wort  cyrice  bereits  im  Gebrauche.  Berücksiehti- 
gen  wir  nun,  wie  von  Britannien  aus  Deutschland  diri* 
stianisirt  wurde  und  achten  wir  zugleich  auf  die  seit 
der  Zeit  der  brittischen  Missionen  öblichen  deutsehen 
Formen  chirihha  u.  s.  w.  (Versuche  I,  95  folg.),  weL 
che  sprachlich  nothwendig  aus  dem  Angelsachsischen 
abzuleiten  sind,  wie  dies  mit  Bezugnahme  auf  Grimm 
von  mir  bewiesen  worden,  so  dürfte  der  von  Eichhorn 
erhobene  Zweifel  unbedenklich  beseitigt  sein:  denn 
Eichhorn  irrt,  wenn  er  Keroecdesia  nur  durch  sama- 
nanga  Sbertragen  läfst,  da  derselbe  vielmehr  bereits 
chirihh  u.  s.  w.  kennt 


(Die  FortsetzoDg  fo^t.) 


Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche    Kritik. 


März  1840. 


Ortmdsätze  des  Kirchenrechts  der  katholischen 
und  eeanfeiischen' Religionspartei  in  Deutsch-- 
iand  von  Karl  Friedr.  Eichhorn. 

Lehrbuch  des  Kirchenrechts  aller  christlichen 
Konfessionen.     Von  Ferdinand  Walter. 

(Fortsetzung.) , 

An  den  Ursprung  der  Kirche  knüpft  Eiolihom  dicT 
JBttlstebung  des  Episkopats,  des  Klerikats,  der  kirchli- 
eben  Verwakungskreise  u«  s.  w.,  wobei  wir  ihn  mit 
Walter  in  der  bedeutendsten  Diflferenz  finden.  Eine 
Versöhnung  ist  hier  aber  swischen  denen,  'die  eine  freie 
Forschung  anstellen  und  ohne  vorgefabte  Meinung  blos 
aus  den  Zeugnissen  des  AlterUiums  ein  Resultat  zu'ge* 
winnen  bestrebt  sind,  und  denen,  welche  durch  die 
kirchliche  Decision  sich  für  gebunden  erachten,  nicht 
wohl  möglich.  Diese  Decision  liegt  aber  besonders  im 
Tridentinischen  Concil,  welches  Sessio  XXIII.  cap.  lY. 
de  sacram.  ordinis  deklarirt  „praeter  ceteros  Ecciesia- 
sticos  gradus,  Episcppos,  qui  in  Apostolorum  locum  suc* 

'  oesserunt,  ad  huno  hierarchicum  Ordinem  praecipue  per* 
tinere,  et  positos,  sicut  Apostolus  ait,  a  Spiritu  Sancto, 
regere  Ecclesiam  Dei  eosque  presbyteris  superiores 
esse.''    Nach  seinem  Standpunkte  ist  Walter  daher  nur 

'  darauf  bedacht,  dieses  gegebene  Resultat  zu  recbrferti* 
gen,  wobei  denn  die  Autorität  eines  Hieronymus  u.  s.  w», 
wie  oben  in  Beziehung  auf  diesen  Punkt  bemerkt  wurde, 
einfach  zurückgewiesen   wifd.    Auch  die  neueren  For- 
schungen von^Rölhe,    Baur  (über   den'  Ursprung  des 
Episkopats  S.  66  folg.  84  folg.)  können  das  Torausge* 
setzte  Faktum,  natürlich  nicht  zweifelhaft  werden  las« 
sen.    Die  einzelnen  von  Walter  S.  18.  19  not.  k  auf« 
geführten  Grilade  sind  aber  in  der  That  ziemlich  schvacb* 
Attlser  den  schon  berührten  wollen  wir  nur  noch  sei« 
ner  Deutung  der  iStelle  des  Clemens  Romanus  epbt.  I. 
ad  Corinth.  e.  42.  44.   gedenken.     Da  dieser  nämlich 
nur  inienönoi  und  diauovoi  als  von  den  Aposteln  einge- 
Jakrb.  f.  wi$i€n$ch.  KnÜk.  J,  1840.  I.  Bd. 


setzt  erwähnt,  so  wird  erinnert,  dafs  damals  das  bi- 
bischöfliche Amt  noch  von  den  Aposteln  selbst  gehend- 
liabt  wurde.  War  denn  aber  Clemens  nicht  selbst  Bi- 
schof? Waren  nach .  der  Tradition  nicht  bereits  nach 
Petrus  (t  66)  Linus  (f  78)  und  Cletus  (f  91}  als  römi- 
sehe  Bischöfe  vor  Clemens  eingesetzt!  —  Wo  bleibt 
femer  bei  Clem^ens  ein  Ort  für  die  Apostel,  wenn  nach 
der  von  ihm  1.  c.  cap.  40.  angestellten  Parallele  der 
jüdischen  und  christlichen  Oekonomie  6  agpi^ivg  Chri- 
stus fclbst  ist  (vergl.  cap.  58.),  o^  Ugitg  die  Bischöfe 
(d.  h.  die  Presbytereii)  und  oi  XdvXiat^  die  Diakonen  aber 
darstellen  t  -^ 

Indem  Eichhorn  den  nrsprüngliehen  Unterschied 
der  Bischöfe  und  Pre$byteren,  und  wie  uns  scheint, 
mit  Reeht  negirt,  läfst  er  auch  das  Ordinationsrecht 
erst  später  ein  den  von  den  ^Presbyteren  gesonderten 
Bischöfen  zukommendes  Vorrecht  werden  (a.  I.  S.  15. 
24  u.  aO*  Er  bedient  sich  dabei  des  Ausdrucks  sacer- 
dotium,  als  gleichbedeutend  mit  „die  Presbyter  und  der 
Bischof,"  also  die  verwaltende  kirchliche  Behörde,  und 
bezieht  auch  später  d^s  sacerdotium,  im  Unterschiede 
vom  ministerium  (I,  465;),  auf  alle  priesterlichen,  abo 
dem  Bischöfe  und  den  Presbyteren  als  sacerdotes  zu- 
stehenden Funktionen.  Dagegen  bemerkt  Walter  S.  27 
not.  m  „Eichhorn  hat  die  eigentliche  Bedeutung  des 
sacerdotium  und  dessen  ausschliefsliche  Beziehung  zum 
Opfer  nicht  recht  verstanden  und  aus  der  Gleichheit 
der  Bischöfe  und  Priester  im  Sacerdotium  fälschlich 
den  Schluls  gezogen,  dafs  sie  sich  ursprünglich  auch 
in  Beziehung  auf  die  andern  sakramentalischen  Ter- 
riciitungen  gleich  gewesen  sein  müfsten."  Indessen  tbut 
Walter  hier  Eichhorn  in  der  Sache  selbst  Unrecht: 
denn  aus  der  genetischen  Entwicklung  der  kirchlicben 
Zustände  im  Ganzen  und  des  Presbyterii  im  Besondern 
gehen  die  Resultate  bei  Eichhorn  hervor  und  es  ist 
eben  eine  petitio  principii  Walter's,  dafs  schon  voii 
Beginn  her  die  Scheidung  der  bischöflichen  und  pres- 

44 


347  Kirche 

byieralen  Funktionen .  stattgefunden  habe.  Der  Aus- 
druck, sacordotiuin  selbst  hat  ja  überdies  audi  nicht 
früher  die  blofse  Beziehung^  auf  das  Opfer,  obgleich .  wir 
freilich  aus  dieser  den  Ursprung  des  christlichen  Prie- 
sterthums  selbst  durch  Uebertragung  aus  de^  Organi- 
sation der  Sjmagoge  herzuleiten  haben  dürften.  Auch 
spricht  Walter  mit  Unrecht  von  ^^andern  sakramenta- 
lischen  Verrichtungen:"  denn  die  Ordination  ist  es  zu- 
erst  allein,  welche  von  sakramentalischen  Handlungen 
dem  Bischöfe  reservirt  ward.  Die  von  ihm  S«  27  not«  i 
cit.  Stelle  von  Chrysostonius  (homil.  XI  in  I.  Timoth. 
III,  8.)  beweist  dies  ,fT$  yo.^  %ii^ovofl'q.  (Advtj  hng- 
ßtßifxQiaiy  xal  tovxo  fidvov  doKOvainktovixTtlv  tovg  n^ia» 
ßvxiQov^^^  wozu  noch  der  schon  oben  erwähnte  Hiero* 
nymus  ad  Evangelum  ,,quid  enim  facit,  excepta  ordi- 
fiatione^  episcopus,  quodpresbyternon  faciat?  kommt  *^) 
—*  und  selbst  in  dieser  Hinsicht  hat  sich  auch  noch 
später  mitunter  die  ältere  Praxis  erhalten,  wie  wir  dies 
z.  B.  von  der  altbrittlsciien  Kirche  wissen  (vgl.  Foigt 
de  presbytero  legitimo  ordin^tionis  roinistro.  Munter 
über  die  ursprüngliche  Identität  der  Bischöfe  und  Pres- 
byteren  und  über  ^e  bisch5fliche  Ordination:  in  den 
theolog.  Studien  und  Kritiken  1833«  H.  III.  S.  750  folg. 
760  folg.).  Zu  diesen  »ndem  sakram«  Verrichtungen 
wird  der  Yerf.  die  Consignation  (Firmung)  um  so  we- 
'  niger  zählen  können :  denn  wir  konnten  ihm  Stellen  aus 
Ambrosiastes,  Hilarius  Pictav.  u.  s.  w.  dagegen  anfüh- 
ren, die  ihm  selbst  nicht  unbekannt  sein  weHen.  Die 
alte  Praxis  hierin  besteht  ja  auch  noch  in  der  griecbi- 
,  sehen  Kirche  Und  die  lateinische  läfst  aufserordeutli- 
cher   Weise  auch  Presbyteren   zu    (a.   Walter   selbst 

f  275.). 

Höchst  gründlich  und  ansprechend  entwickelt  Eich- 
horn die  Bildung  der  kirchlichen  Verfassung,  und  nur 
.  Einzelheiten  sind  uns  dabei  aufgefallen..  So  \venn  die 
Behauptung  aufgestellt  wird  (I,  29.),  dafs  die  Landge- 
meinden immer  von  den  Städten  aus  gegründet  seien: 
denn  dagegen  spricht  bereits  Clemens  Itomanus  cpist.  I. 
ad  Corinth.  cap.  42.,  nach  welchem  schon  die  Apostel 
Kora  %^a^  xai  n6i,tig^  Gemeinden  begründet  haben)  was 


*)  Anf  diese  und  andere  Stellen  stiita^en  sich  übrigens  katho- 
lische Schriftsteller,  um  aus  dem  System  des  Hieronymus 
gelbst  den  ursprünglichen  Unterschied  der  Episkopcn  und 
Presbyteren  zu  erweisen,  und  übersehen,  dafs  in  solchen  Stel- 
len von  dem  VerhUItnisse  die  Rede  ist,  wie  es  zur  Zeit  des 
Hieronymus  bestand. 


n    r    e    c    h    t.  318 

auch  die    späteren  geschichtlicben   Verhältnisse  seUist 
näher  erhärten.    Mit  Rücksicht  hierauf  erklärt  sieh>auch 
eine  Yerschiedenheit  in  dem  Zustande  der  Landbischofe,. 
iyelche  einen  selbstständigen  Ursprung  genommen,  und 
derer,  welche  vom  städtischen  Presbjrterio  aus  eingeeetst 
worden  waren«    Der  Ausdruck  iioUfiotgj  den  der  Yerd 
für  gleichbedeutend  mit  dem  im  Ocoidente   üblich  ge» 
wordnen  provincia  auf  den  Metropolitensprengel  bezietit 
(B.  L  S.  31),   bezeichnet  vielmehr  den  aus  mehreren 
Provinzen  (feraf^/ai  s.  c.  9.  Conc.  Antiochen.  o«  9*.  17. 
Conc.  Chaicedon.)  gebildeten  Sprengel  des  Patriarelica 
(vergl.  Zooaras  ad  c.  6.  Conc.  Constantinopol.,    Balsa- 
men ad  c.  9.  Conc.  Chaicedon.  bei  Beveregius  1, 95.  122.), 
(fixe  verschiedene   Ansicht,  welche  beide   Sclirift- 
steller  über   das  Wesen   und   die  Nothwendigkeit  des 
kirchlichen  Primats  l^aben,  konnte   nicht  ohne  Einflufs 
auf  die  geschichtliche  Entfaltung  desselben  bleiben, 
wohl  im  Allgemeinen,   als  in  der  Anwendung  auf  ec 
seine  dem   apostolischen  Stuhle  überwiesene   Yervai* 
tungszweige,  namentlich    rücksichtlich  der  päpsdldMn 
Gerichtsbarkeit  und   Gesetzgebung.     Wenn  gleieh  der 
Unterzeichnete  schon  bei  der  früheren  Beurtheilung  eK 
nige  hierher  gehörige  Punkte  nicht   unberührt  gelas* 
scn,  so  kann  er  doch  nicht  umhin,  dieselben  nochmals 
in  besondere  Erwägung  zu  ziehen,  da  Walter  die  neue 
Ausgabe  in  dieser  Materie  fast  durchaus  unverändert 
gelassen  hat. 

Die  dogmatische  Darstellung  hat  hier  bei  Walter 
den  erforderliehen  Zusammenhang,  während  das  Ge^ 
schichtliche  mehr  in  eiüzeluen  an  verschiedenen  Stellen 
vorkommenden  Andeutungen  besteht  und  besonders  bei 
der  Entwicklung  des  Systems  von  Pseudo-Isidor  be* 
röhrt  ist  (s.  f.  20.  §.  89  folg.,  insbesondere  |.  92.  u.« 
a.  m.).  Eichhorn  giebt  dagegen  eine  continuirlicb-gene* 
tische  Abhandlung  (I,  65  folg.  140  folg.  168  iblg.). 

Walter  geht  davon  aus,  dafs  Christus  bei  derSdfr 
tung  der  Kirche  „Einen  unter  seinen  Schülern  mit 
besonderm  Nachdrucke  als  den  besondcm  Grundstein 
bezeichnete ,  und  dadurch  aussprach ,  dafs  die  Kirche, 
um  bei  ihrer  Allgemeinheit  ihre  innere  Einheit  zu  be- 
wahren, einen  äufseren  sichtbaren  Mittelpunkt  anerken- 
nen mü^e«  Es  war  also  die  Kirche  schon  in  ihrem 
Ursprung  als  ein  einheitlicher  Korper  gesetzt,  dessen 
Glieder  durch  die  Apostel  über  alle  Völker  verbreitet 
in  der  Verbindung  mit  Petrus  und  sefaien  Nachfolgern 
ihre  Einheit   haben   sollten.     Da   nun  Petrus    seinen 


349 


Kirche 


fiafuptsits  tu  Rom  erwiblte  und  dort  den  MSrtyrcrtod 
erlitt:  so  wurde  der  apostolische  Stuhl  su  Rom  als  der- 
jenige anerkannt,  auf  den  die  Einheit  der  Kirche  ge- 
gründet ist,  und  mit  welchem  alle  Glieder  übereiostim- 
men  müssen"  (4.  10.  vgl.  ^,  11.  15.  17.).  In  der  Deu- 
tung der  Stellen  der  heil  Schrift  und  der  Kirchenvä- 

4 

ter,-  auf  welche  man  gewöhnlich  zur  Regruodung  die- 
ser Sätze  Bezug  nimmt,  weichen  Katholiken  und  Pro- 
testanten natürlich  von  einander  ab  und  so  lassen  wir 
billig  dies  hier  anerörtert.  Was  insbesondere  Irenaeus 
eontra  haeres.  III,  3.  betriffi,  so  ist>  abgesehen  von  der 
Interpretation  einzelner  Ausdrucke,  jie  Erklärung  WaK 
ter's  mit  der  von  Gieseler  (Kircheng^sch.  I.  f.  50.  not.  b) 
nicht  im  Widerspruche,  und  diese  halten  wir  noch  im- 
«er  (tir  ansprechender,  ab  die  z.  B.  von  Pelt  in  den 
wissenscbaftL  JahrbQchern  1834.  B.  II.  nro.  8.  S.  60. 
61  versuchte:  „Wegen  ihres  besondern  Ansehns  müs- 
sen die  Gläubigen  aus  allen  Gegenden  sie  besuchen 
und  so  wird  von  den  Christen  aus  allen  Gegenden  hier 
die  apostolische  Tradition  erhalten**,  wobei  gerade  das 
ÜVesentliche  unbeachtet  gelassen  ist,  dafs  die  apostoli- 
sefae  Tradition  sich  schon  ursprünglich  in  Rom  befun- 
den habe  und  noch  befinde  (wie  Irenfius  will).  —  Da 
Walter  mit  neueren  katholischen  Schriftstellern,  insbe- 
sondere mit  'Mdhler  der  Ansicht  ist,  dafs  der  Primat 
in  seiner  Nothwendigkeit  feststehend,  doch  erst  in  der 
Zeit  sichtbarer  hervortritt,  in  welcher  die  Zerrissenheit 
der  Kirche  sein  Einschreiten  nothwendig  macht,  so 
übergeht  er  die  älteren  für  dessen  Wirksamkeit  von 
manchen  angeführten  Tbatsachen  und  hebt  erst  diejeni- 
gen hervor,  in  denen  schon  bestimmter  sein  Wirken 
soll  erkannt  werden  können.  ,Dies  bt  freilich  bequem, 
aber  auch  nicht  unklug:  denn  man  vermeidet  dadurch 
den  Bericht  von  Ereignissen,  die  eher  gegen  den  Pri- 
mat in  der  älteren  Zeit  überhaupt  sprechen  würden, 
wie  in  den  Streitigkeiten  über  die  Osterfeier,  Kelzer- 
taafe  n.  s.  w.,  wobei  denn  unter  andern  die  Bezug- 
nahme des  Bischofs  Stephanus  von  Rom  auf  die  allei- 
nige successio  Petri  als  eine  „aperta  et  manifesta  stiil-  . 
titia"  zurückgewiesen  wird.  Indessen  soll  doch  der 
Primat  einmal  die  Basis  von  Anfang  an  gewesen  sein 
und  auf  ihn  wird  dann  die  verpflichtende  Kraft  der  ro- 
mischen  Dekrete  zurückgeführt.  Walter  bemerkt  jdar- 
über  §.  80.  not.  u.  ^.  92.  not  k,  .d%fs  schop  Siricius 
und. noch  bestimmter  Leo  I.  sich  deshalb  in  ihren  Er- 
lassen ausgesprochen  hätten. 


n    r    e    e    A    t.        •  350  ; 

Um  zu  sichern  Resultaten  zu  gelangen,  müssen  wir 
den  •Entwicklungsgang  des  kirchlichen  Rechts  seit  Be- 
ginn her  verfolgen.  Dies  ist  bei  Walter,  dessen  Ge- 
schichte der  Quellen  selbst  wir  übrigens  für  höchst 
gediegen  anzuerkennen  haben,  leider  nidit  in  dem  rech-  ' 
ten  Umfange  geschehen:  denn  weder  reicht  in  dieser 
Beziehung  der  Nachweis  der>  allgemeinen  Beschaffen- 
heit der  Quellen  (4*  53  folg.)  hin,  noch  können  wir 
das  im  §.  1.  über  die  Bedeutung  von  canon  Bemerkte 
für  irgend  genügend  halten.  '  Daher  erscheint  Eichhorn's 
treffliche  Ausführung  über  die  Bildung  ui^d  eigentliche  " 
Bedeutung  eines  cänon  (B.  1.  S.  32  folg.  44  folg.)  um 
so  dankenswerther.  Die  Bedeutsamkeit  des  Gegenstan- 
des fordert  indessen  einiB  nähere  Beleuchtung. 

In  der  Kirche  befolgte  man  Anfangs  die  Vorschrif«^ 
ten  des  alten  und  neuen  Testaments  nebst  der  Tradi- 
tion (der  Ausdruck  nagadomg,  traditio  evangelica  wird 
von  beiden  gebraucht,  M.  s.  nur  Suicer  thesaurus 
ecci.  unter  diesem  Worte  und  verbinde  damit  Irenaeus 
adv.  haereses  I,  10. 'HI,  3.  c.  12.  Cone.  Carthag.  a.  348 
s.  a.)*  Auf  naturgemftfsem  Wege  /durch  Gewohnheit, 
Autonomie  u.  s.  w.  bildete  sich  dann  das  Recht  weiter 
aus;  jedoch  mit  stetem  Anschlufs  an  die  na^ddoaig,  als 
evangelische  Wahrheit.  Die  Uebereiustimmung  mit  der- 
selben entschied  über  die  Autorität  eines  Grnndsatses, 
eines  navmv  (vergl.  &i!9#^/?f*^  Kirchengeschichte  I.  §•  50, 
not  f.,  V,  Ikrey.  neue  Untersuchungen  über  die  Konsti- 
tutionen und  Kanones  der  Apostel  S.  383  folg.):  denn 
da  die  Lehre  der  heiligen  Schrift  zunächst  selbst  ein 
«oycoy  ist  und  genannt  wird  (Suicer  s.  h.  v.),  so  konhte 
dieses  Prädikat  auch  Anordnungen  zu  Theil  werden, 
welche  auf  der  Schrift  beruhen.  Charakteristisch  ist 
in  dieser  Hinsicht  der  Sprachgebrauch  bei  Basilius  von 
Cäsarea  (in  Psalm.  LIX.)  „T^  ^arct  ro  iiayyCUoit  ccx^«- 
l^eux  %av()vl%iiy  %i\v  nohrttavJ*  Schriftgemäfse  Ericlä- , 
Hingen  der  Täter  heifsen  darum  canones  und  werden 
als  solche  von  der  Kirche  recipirt.  Dies  gUt  beson- 
ders von  den  auf  einer  Synode,  als  einer  Gemeinschaft, 
durch  welche  die  Kirche  repräsentirt  wird,,  erlassenen 
Satzungen,  und  zwar  seit  dem  vierten  Jahrhundert,  ^wie 
Eichhorn  richtig  erinnert  (S.  35).  Was  derselbe  vom 
Nicänischen  Concil  bemerkt  „dessen  SclJüsse  die  ersten 
waren,  welche  als  Gesetze  für  die  allgemeine  Kirche 
galten  und  daher  alsxanones  betrachtet  wurden"  findet 
noch  besondere  Bestätigung  in  der  Aeufserung  des 
Sozomenus  (bist.  eccl.  I,  23.)  über  dasselbe  ,/H  di  aCv" 


361  K  i   r.e   A    e 

cöo^  inavoQÖ'äaoU'  tov  ßiov   anovda^ovaa  vtBr   ne^l    toi 
iKnXrioUig  3iavfiß6vr(»v^  i&txo  v6\A0vg^  oSg  xavovag  orih- 
(Au^ova^i^  und  des  Socrates  (I,  13.)    ^^iyygatfiavtkg  & 
9tay6vag  SfOfiäl^t^tif  ild^aotv^.    In  gleicher  Weise 
konnte  selbst  die  Erklärung  und  das  Gutachten  eines 
Einseinen  durch  Aeeeption   zum  canon  erhoben  wer» 
den*    Statt  vieler  wollen  wir  nur  des  üasilius  hier  ge- 
denken^ da  das  üher  ihn  uns  Berichtete  fiir  die  Bildung 
des  Sprachgebrauchs  von  Bedeutung  bt«    Schon  Gre- 
gor  von  Nasianz,   ein  Zeitgenosse  des  Basilius,  nennt 
denselben  (epist  28.  (al.  38.)  ad  Simplicium  haereticum) 
^Tj&  t);;  nUfwo^  igtiafna,  rov  rJjg  äXt]&(i€CQ  »av6va  nai  %a- 
^axT^^a  T^fc;  Ixx^i/iTMrs";   daher  konnten  auch  aus  seinen 
Schriften  canones  entnommen  werden.    Dies  mag  theil- 
weise-bereits  vor  Johannes  Scholasticus  geschehen  sein 
(was  Franeucu$  Florenz  diss.  de  methodo  atque  au* 
ctoritate  conlectionis  Gratiani,  bei  Gallande  de  vetu* 
stis  panonum  coUectiönibus  dissertationum  sylloge  T.  II. 
'  p.  161  u.  a.  berichten,  ist  freilich  nicht  richtig),  umfas« 
Sender  geschah  es  aber  durch  Johannes  selbst,  der  in 
der  Yorrede  zu.  seinem  Syntagma  (in  der  Bibliotheca 
-    juris' canonici  veteris  operft  Voelli  et  Justelli  T.  II.  p. 
500)  erklärt  ^^Baa'tUioq    6  iid/ag  ntgi  noXlSf  Inavopir' 
<j£y"  und  deshalb  fö  canoi\es  BasUii  aus  den  auf  Ver* 
anlassung    des   Amphiloohitis,    Bischofs   von  Ikonium, 
verCafsten  kanonischen  Briefen  zuerst  in  die  Sammlung 
recipirte,  worauf  das  Trullanische  Concil  von  692,  der 
unbekannte  Sammler,  auf  dessen  Kollektion -sich  das 
Syntaguia  des  Photius  stützt,   dieser  selbst  und  andere 
jene  canones  Basilli' beibehielten.    Dafs  in  diesem  und 
in  andern  Fällen  nur  die,  unter  Yoraussetzung  der  evan- 
gelischen Wahrheit  der  canones,  erfolgte  Reception  der 
Kirche  den  Ausschlag  gab,  nicht  die  blofse  Autorität 
des  Einzelnen,  bewebt  der  sonst  festgehaltene  Grund* 
•atz,  dals  der  Ausspruch  eines  einzelnen  Bischofs  nur 
eine  Meinung  und  keinen  Kanon  an  sich  zu  schaffen 
im  Stande  sei.    So   sagt  Basilius  selbst  in  Beziehung 
auf  die  Ketzertaufe   im  can.   XLYII.  (Beveregius  im 
£vvQdixov  T.  II.  p.  104.  105)  „cSa»  iuv  afioy  tovto  dfX 
nXilovag    iniaxonovg  h  tavtä  jrtria^ai  uai  oSrcofi 
in&iaecu  xbv  Kwova  u.  s«  w^'  und  ähnlich  Gregor  von 
Nyssa  (can;  VI.,  a.a.  O.  p.  161),  worauf  geslütst  Pho- 


n  r   e   c   h    i.  9SA 

tius  (Nomocanon  cap.  lY.,  in  der  Bibliotheea  -juris  eaa. 
T.  II.  p..  82  L  822).  allgemein  ausspricht  „'Or^  oii  uy* 
hbq  intaxSttov,  diX^  vn6  Tijf^  uoivd^ijv^g  d  ttawdpf^  &ai« 
^«rrori."  In  der  griechisf^en  Kirdie  Iiat  sieh  dieses  Prin» 
cip  bis  auf  den  heutigen  Tag  praktisch  erhalten  und 
so  kann  auch  jetzt  der  Patriarch  von  Konstantinopel 
nur  in  Yerbtndung  mit  den  übrigen  Bischöfen  ei3C9 
Kanon,  erlassen. 

Unsere  Untersuehung  fQhrt  uns  jetst  auf  den  OesH 
dent,  in  welchem  nach  Walter  „die  Dekrete  und  Bri^c^ 
welche  die  Bischöfe  von  Rom  theils  auf  ergangene  An- 
fragen, theils  aus  eigenem  Antrieb  an  die  Bischofs 
verrchiedener  Länder  über  Gegenstände  der  Kirchei^ 
zueilt  erliefsen,  ihre  obligatorisciie  Kraft  aus  dem  We- 
sen des  Primates  zogen  (Siricius  epist  I.  ad  Himerlum 
episcopum  Tarraeonens^m  a  385  —  •  Leo  IV.  epist.  IV« 
ad  episoopos  per  Campaniam  u.^s.  w.),  vvelebes  sich 
auch  in  dieser  Richtung  immer  bestimmter  ausspraclu... 
Seit  dem  fünften  Jahrhundert  wurden  sie  auch  in  die 
Kanonsammlungen  aufgenommen  und  überhaupt  den 
Koudlienschlüssen  gleichgestellt"  (Praefatjo  eoUect  Hl* 
spanae  o.  a.  633.)  (S.  136—138).  Nach  Eichhorn  da^ 
gegen  zeigen  die  Sehreiben  der  römischen  Bischöfe  bis 
ins  sechste  Jahrhundert,  daCi  sie  die  Bedeutung  des 
angesprochenen  Primate  auf  bestimmte  Weise  (I.  S.^ 
82. 83)  aufgefafst  und  allmählig  ausgebildet  hatten,  daCi 
aber  „die  Idee  eines  römischen  Primatis  dem  Glauben 
der  Kirche  fremd  war,  und  ihr  nur  nach  und  nach  auf» 
gedrungen  wurde.  Das  Rec^  neue  Gesetze  zu  gebeoi 
nehmen  die  römischen  Bischöfe  nicht  in  Anspruch"  —  — 
„Decreta  Romanorum  pontifioum  heilst  nicht,  mehr,  als 
der  Ausdruck  canones  BasilU,  und  dafs  die  Aufnahane 
ihrer  LBhrschreiben  in  kirchenrechtliche  Quellensamm» 
lungen  keine  Anerkennung^  ihres  JPrimats  und  einer 
darin  •  liegenden  gesetzgebenden  Gewalt  enthielt,  folgt 
hieraus  you  selbst«  Die  Vorrede  der  Isidorbchen  Samm« 
lung  deutet  sogar  ausdrücklich  darauf  lün ,  dafs  ,  das 
Ansehn  der  römischen  Lehrschreiben  nur  auf  der  Yor- 
aussetzung beruhe,  die  römische  apostolische  Kirche 
werde  nach  den  von  den  Vätern  überlieferten  Regelo 
regiert,  und  diese  Disciplin  sei  in  jeden  enthalten"  (L 
S.  124.  125). 


(Die  Fortoetzung  folgt.) 


Jahrbücher 

für 

wisse  n  s  ch  a  f  1 1 1  c  h  e    Kritik. 


März  lä40. 


Grundsätze  des  Kirchenrechts  der  katholischen 
Mnd  evangelischen  Religionsparüi  in  Deuist^h" 
land  ron  Karl  Friedr.  Eichhorn. 

Lehrbuch  des  Kirchenrechts  uller  christlichen 
Konfestionen.    Von  Ferdinand  Walter. 

(Fortsetzung.) 

So  dediiciren  also  au3  dejosellben,  Quellen  unsere 
beiden  Schriftsteller  seh^  abweichende  Resultate.  Wir 
hoffen  hun  beweisen  zu  können  ^  dafs  die  Auffassung 
Eichhorns^  sumal  in  Beziehung  auf  den  letzten  Punkt, 
nicht  nur  durchaus  richtig,  *  sondei^n  auch  dafs  die  Ton . 
Walter  angenommene  Gleichstellung  der  Dekrete  und 
'KoBcilienscblusse  darin  gegründet  sei,  dafs  die  Dekrete 
selbst  ursprunglich  wirkliche  Koncilienschlusse  waren, 

Tersehiedene  Umstände  hatten  sioh  vereinigt,  dem 
Bischöfe  Yon  Rpm  seit  dem  Tiertcn  Jahrhundert  eine 
hohe  Bedeutsamkeit -zu  yerschaffen,  welche  durch  ein 
bestimmtes  prinzipmäfsiges  Verfahren  bald  noch  mehr 
erweitert  werden  konnte.  Ganz  vorzuglich  war  es 
wichtig,  dars  in  streitigen  Fäl^en,  die  von  Rom  aus  ver- 
tbeidigte  L,ehre  qpäter  als  die  orthodoxe  gewöhnlich 
anerkannt  ward.  Daher  wird  zur  Begründung  der 
Orthodoxie  auf  Rom  recurrirt  und  es  ergehen  im  Zwei- 
iel  Anfragen  dorthin.  Ein  Primat  kann  hieraus  aber 
nicht  ersdüossen  werden:  denn  nicht  Rom  alleki  ward 
in  solcher  Hinsicht  ausgezeichnet.  Als  z.  B.  im  Jahre 
380  Theodosius  der  Grofse  das  Nicänische  Glaubensbe- 
kenntnils  wieder  zu  Ehren  brachte,  bezog  er  sich  zu* 
gleich  auf  Damasus  von  Rom  und  Petrus  von  Alexaii- 
-dria,  als  Hauptreprftsentanten  der  Orthodoxie  (e.  2. 
.  Cod.  Th.  da  fide  eatholica  (XYt,  l.)>  e.  1.  Cod.  J.  de 
an—m  trinltate  (I,  1;).)  u.  a.  m.  Belehrungen  belle 
inan  sieh  eben  so  von  veniehiednen  Bisehöfea,  bald  ei- 
ner einzelnen  Diöcese  (aufser  Rom  besonders  Alexan- 
dria  u.  a.),  bald  mehrer  zugleich  (wie  z.  B.  das  dritte 
Karthagische  Koncil  vom  J.  397 :  de  Donatbtis  placuit, 

JaiM.  /.  Vfu%tn%cK  Kritik.  J.  1840.     I.  Bd. 


ut  consulamus  fratres  et  consacerdotes  nostros  Siricium 
(von  Rom)  et  Simplicianum  (v.  Mailand)  (Mansi  Coli. 
Concil.  T.  III.  fol.  891),  desgleichen  das  Concil,  AtrU 
can.  a  401  (vidodehr  399  Conc.  Carthag.  Y .)  von  Ana- 
stasius  von  Rom  und  Yenerius  von  Mailand  (cod.  T.  lY* 
fol.  482)  u.  a.).  Der  Ton,  in  welchem  die  Gutachten 
von  Rom  aus  ertheilt  werden,  hatten  auch  schon  früh 
eine  eigne  Kraft  und  Eindringlichkeit,  welche  sich  auf 
die  Ueberzeugung  von  der  Wahrheit  des  Mitgetheilten 
gründen  konnte.  Nach  Walter  soll  aber  auch  der  Be- 
weis des  Primats  darin  liegen.  Was  den  von  ihm  an- 
geführten Brief  des  Siricius  an  Hlmerius  Jbetrifft ,  so 
ist  die  hohe  Autorität,  welche  jener  für  seilte  Erlasse 
ii;i  Anspruch  nimmt,  unverkennbar.  Wenn  wij*  indes- 
sen die  Geschichte  der  Zeit  und  den  damaligen  Zu- 
stand des  Kjrchenrechts  berücksichtigen,  so  können  wir 
den  Grund  für  dieses  Ansehn  der  Dekrete  nur  in  der 
Bedeutung  finden,  die  man  damals  überhaupt  kanoni- 
schen Entscheidungen  auf  geschehene  Anfragen  bei- 
legte und  unter  Voraussetzung  des  kanonischen  Inhalts 
nicht  versagen  durfte«  Wiederholt  fordert  Siricius  auf: 
ad  servandos  canones  et  tenenda  decretaUa  constituta, 
und  erklftrt :  Statuta  sedis  apostolicae  vel  canonum  ve- 
nerabilia  definita  nulH  sacerdotum  Domini  ignorare  est 
liberum,  u.  a.  m.  Er  konnte  dies,  da  seine  Dekrete 
keine  von  ihm  persönlidi  ausgehende  und  von  den  an- 
erkannten Lehren  abweichende  waren.  Beide  Momente 
erfordern  eine  genauere  Betrachtung.    Also : 

1)  Die  dem  römischen  Stuhle  xur  Deeision  vor^ 
gelegten  Zweifel  wurden  nicht  durch  eine  höchst'- 
persönliche  {primatielle)  Entscheidung  ^  sondern 
durch  den  Schlu/s  einer  römischen  Synode  ^  der 
wenigstens  des  römischen  Presbifterii  erledigt.  Die 
Anfragen  selbst  ergingen  auch  meistens,  nicht  sowohl 
an  den  römischen  Bischof,  als  an  die  römische  Kirche, 
den  apostolischen  Stuhl,  weshalb  auch  die  Persönlich- 
keit des  einzelnen  .Bischofs  nicht  so  in  Betracht  kam, 

45 


355  K  i  r  e    h  e 

wie  bei  Anfragen  an  ausgezeichnete  Vorsteher  anderer 
minder  bedeutender  Kirchen.  Daher  konnte  auch  die 
von  seinem  Yorgäoger  noch  niclu  erlassene  Antwort 
durch  den  Nachfolger  ertheilt  werden.  Zum  Belege 
dient  gleich  das  obige  Schreiben  an  Himerius,  der  sich 
an  des  Siricius  Vorgänger  Damasus  fragende  gewendet 
hatte.  Eben  so  ordnete  Zosimus  die  Verhftitnisse  des 
PelagiuS)^  obgleich  dieser  an  Innocenz  geschrieben  hatte 
u.  a.  Die  römische  Kirche  entschied  also,  wie  dies 
denn  auch  Ton  dem  Erlasse  an  Himerius  selbst  sofort 
gilt.  Dies  zeigt  der  Eingang:  cum  in  conventu  fra- 
trum  ul  s.  w.,  die  Ueberschrift  des  cap.  VII.  in  der 
alten  vatikanischen  Handschrift  nro.  574:  de  ipsa  syn- 
odo:  (Ballerini  de' antiquis  canonum  collectionibus  P. 
II.  cap.  X.  §.  II.  bei  Gallande  a.  a.  Ö.  I,  513.  514).  — 
Von  allen  andern  Briefen  des  Siricius  läfst  sich  das- 
selbe  erweisen. 

2)  Die  römischen  Dekrete  konnten  von  der  be* 
reite  anerkannten  Lehre  und  Gesretzgebung  nicht 
abweichen^  sondern  mufsten  eich  vielmehr  darat/f 
stützen.  Gerade  in  der  Ueberzeugung ,  dafs  in  Rom 
die  geltenden  Grundsätze  besonders  bekannt  seien, 
wendete  man.  sich  dorthin,  und  daher  unterlassen  es 
auch  die  romischen  Bischöfe  nicht,  in  ihren  Dekreten 
9tets  hervorzuheben,  dafs  sie  die  Canones  bei  ihren 
Entscheidungen  zum  Grunde  gelegt  hätten.  Aueh  in 
dieser  Beziehung  kennen  wir  uns  auf  das  Schreiben 
an  den  Himerius  selbst  (z.  B.  cum  hoc  fieri  et  Aposto- 
lus  vetet  et  canones  contradicant  u.  s.  w.)  und  die 
übrigen  Erasse  desselben  berufen. 

Hiemach  steht  wohl  fest,  dafs  von  einem  formli- 
ehen Gesetzgebungsrechte  Roms  oder  der  römischen  Bi- 
schöfe im  vierten  Jahrhundert  nicht  die  Rede  sein  kann« 
Das  Auffallende  der  Nebeneinanderstellung  der  decreta 
ecclesiae  Romanae  und  der  canones  schwindet  nun  aber 
auch  und  um  so  weniger  kommt  hier  der  Primat  in' 
irgend  einen  Betracht,  als  die  römischen  Dekrete  da- 
mals keineswegs  eine  allgemeine  Autorität  in  der  Kijv 
che  hatten,  was  ja  in  dieser  Zeit  und  selbst  ein  Paar 
Jahrhunderte  später  nicht  einmal  von  den  Canones  der 
ökumenischen  Synoden  schlechthin  behauptet  werden 
kann  (m.  s.  auch  Eichhorn  I,  45 — 47.  Anm.  17^). 

Einer  gleichen  Ausführung  bezuglich  der  Dekrete 
der  näehsten  Nachfolger  des  Siricius  können  wir  uns 
enthalten ,    da   Walter  a«  a.  O.  nur  noch  auf  Leo  I. 

4 

besonders  hingewiesen  hat    Hier  müssen  wir  nur  er- 


i    r    e,    e    h    t.  356 

Innern,  dafs  Leo  in  der  Ansicht  i&ber  die  Dekretalen 
von  seinen  Vorgängern  nicht  abweicht.  Er  aehfirft 
wiederholt  die  älteren  Normen  ein,  wacht  über  deren 
Befolgung  uifld  bindet  sich  beim  Erlassen  eigner  Kon- 
stitutionen streng  an  die  bestehende  Gesettgebnng. 
Ob  er  aber  stets  mit  seinem  Klerus  berathsclilagt  hafae^ 
geht  nicht  so  sicher  hervor,  ist  indessen  doch  höclist 
wahrscheinlich :  denn  als  z.  R.  im  J^hre  444  ein  ScUufs 
gegen  die  Manichäer  erlassen  ward,  schrieb  Leo  an 
die  italischen  Rischöfe  ganz  selbstständig,  und  doch  er- 
klärt er  bei  einer  andern  Gelegenheit,  er  habe  darSber 
geurtheilt  „residentibus  episcopis  ac  |NresbyteriB  ae  in 
eundem  consessum  christianis  viris  ac  nobilibus  con- 
gregatis"  (vergl.  epist  TU.,  bei  Dionysius  Eztguns 
nro.  V.  seq.  (Bifaliotheca  juris  can.  I,  223  sq )  und  Sermo 
y.  de  jejunio  decimi  mensis  cap.  4.).  Ueberbaupt  muüi 
inan  auf  die  Sitte  der  italischen  Kirchenversammlungcii 
achten,  nach  welchen  Entscheidungen  derselben  gewöhn* 
lieh  nur  unter  dem  Namen  des  römischen  Bischofs  pu- 
blicirt  wurden^  wofür  wir  Beispiele  auch  aus  den  fol- 
genden Jahrhunderten  in  Menge  anzuföhren  vermögen. 

Grofses  Gewicht  legt  Walter  auf  die  Inseription  in 
Leo's  I.  epist.  IV.  ad  episcopos  per  Campahiam,  Pice- 
num,  Tusciam  et  universas  provincias  constitutos.  Da 
Eichhorn  hierbei  suburbicarias  (provincias)  supplirt,  so 
erinnert  Walter,  dafs  die  Handschriften  von  dieser  Ein- 
schaltung nichts  wissen  und  dafs,  da  Campanien,  Pica» 
num  und  Tuscien  selbst  suburbicanische  Provinzen  wa- 
ren, es  im  Sinne  Eichhorns  et  ceteras  provincias  h^ 
fsen  muCste.  Wenn  diese  Bemerkung  auch  zugestan- 
den werden  mag,  so  ist  damit  doch  in  der  Sache  selbst 
nichti  gewonnen :  denn  es  wird  immer  auf  eine  be- 
stimmtere Erklärung  des  Ausdrucks:  universae  provia- 
ciae  ankommen,  also  die  Geschichte  zu  Rathe  gezogen 
werden  müssen,  damit  wir  erfahren,  wie  weit  die  Macht 
des  römischen  Bischofs  damals  ging. 

(Die  Fortsetzung  folgt) 

XXIX. 

Ueber  einige  Bilder  der  zweiten  Leipziger  Kunst* 
ausstellung."  Fon  D.  Mises,    Leipzig  y  1839« 

Es  kSonte  scheiaeD,  als  flehme  dieses  Btiehlein  «in  Ms«  !•- 
cales  Ittterease  f8r  sich  in  Anspruch,  ivenignteDS  nnr  da  lat«s 
esse  derer,  welche  die  dorin  besprodienen  Bilder  ans  eigner 
Anschaaang  kennen.  Da  sich,  bei  den  gegenwärtig  stattfindenden 
Wanderungen  neu  angefertigter  Gemälde  durch  die  Kunstausstel- 
lungen 4er,  meisten  grofsern  Städte   Deutscblandd,  voraussftxek 


357 


JMüeSy  ü6är  einige  Bilder  der  zweiten  Leipziger  Kunetauutettuug. 


358 


ISfot,  4afii  4ie  Zahl  der  letstern  keine  ganz  geringe  ist,  lo  iriirde 
es  ihr  ancb  wohl  in  diecem.  J^alle  an  einem  Pnblicam  nicht  feh- 
len. Doch  ivUrden  wir  an«  hierdorch  noch  nicht  zar  Anzeige 
derselbffn  ia  einem  Blatte,  welches  der  bildenden  Knnet,  nameut- 
lieh  der  Knnst  des  Tages^  h^chatens  nur  eine .  beiläufige  BerBck- 


Der  natnnüifftiscbe  Standpunkt  des  Verfs.  bringt  es  mit  sich, 
dafs  seiner  Betrachtung  die  ^eale  Seite  der  Kunst  am  nächsten 
liegt  Allenthalben  ist  es  zunächst  die  Treue  und  Wahrheit  in 
der  Nachbildung  des  Wirklichen,  die  er  fordert,  und  gegen  nichts, 
ist  seine  Polemik  entschiedener  gerichtet,   als  gegen  die  falsche 


ang  widmen  kann,  berechtigt  glauben.  Solche  Berechtigung    'Idenlititt  gewisser  modemer  Künstler   und  Kunstfreunde,  9,wel- 

eben  es  besser  gefällt,  die  Kirschen  gepflückt  und  auf  einen 
Teller  arrangirt  entgegengetragen  zu  bekommen,  als  selber  auf 
den  Baum  zu  steigen  und  sie  aus  dem  Cestrüuch  heraus  zu 
pfliicken,  wo  sie  gewachsen  sind,  und  wo  sie  freilich  am  frische- 
sten schmecken.^  Mit  der  heitern  Persiflage  einiger  Bilder, 
welche  diese  verkehrte  Tendenz  reprnsentiren,  eröffnet  er  seine 
Kritik;  nnd  wir  glauben  versichern  zu  dürfen,  dafiiniicht  leicht 
etwas  Geschriebenes  sich. finden  wird,  welches  geeigneter  sein 
könnte,  über  das  Mifsverhältniis  dieser  Tendenz  zur  wahren 
Kunst  denen ,  die  es  bedürfen ,  die  Augen  zu  öffnen ,  als  diese 
wenigen  Blätter,  gleichviel  ob  man  die  Bilder,  von  denen  dort 
die  Rede  ist  (deren  eines,  wie  verlautet,  trotz  seiner  Werthlo- 
sigkeit  ein  zahlreiches  Publicum  von  Bewunderern  gefunden  hat), 
selbst  gesehen  habe  oder  nicht.  Manche,  die  den  Verfasser  aus 
seinen  früheren  satyrischen  Schriften  kennen,  werden  vielleicht 
erwarten,  dafs  e^  bei  diesem  negativen  Geschäfte  der  Kritik  mit 
mehr  Vorliebe  verwellt  haben  wird,  als  bei  dem  entgegenge- 
setzten, zu  welchem  die  besseren  Bilder  den  Stoff  geben.  Dies 
ist  indefs  keines weges  der  Fall^  er  .verläfst  das  Schlechte  sehr 
'bald,  um  zur  analytischen  Betrachtung  dea  Besseren  überzuge- 
ben, von  wo  aus  er  dann  nur  hin  und  wieder  einige  wenige, 
aber  scharf  nnd  sicher  treffende  Schläge  rückwärts  gegen  das 
Verwerfliche  richtet.  *  £rst  bei  .diesem  positiveren  Theil«  seiner 
Kritik  wird  nun  auch  vollkommen  deutlich,  was  er  mit  dem  vor- 
hin angeführten  Bilde  hat  sagen  wollen.  Sein  eignes,  kritisches 
Verfahren  giebt  uns  davon  ein  Beispiel,  was  es  für  den  Betrach- 
ter eines  Kunstwerks  heifst,  selbst  auf  den  Baum  zu  steigen  und 
die  Früchte  aus  dem  Gesträuch  za  pflücken,  wo  sie  gewachsen 
sind,  und  warum  es  für  ein  Kunstwerk  ein  Lob  ist,  wenn  es 
seinen  Betrachter,  solches  zu  tliun ,  veranlafst«  Der  Verfasser 
verlangt  von  einem  Kunstwerk  ächter  Art,  dafs  es  die  Seele  des 
Beschauers  in  eine  analoge  Thätigkeit  versetzen  soll,  wie.  in 
welcher  der  Künstler  sich  bei  Entwerfung  des  Werks,  der  Na- 
tur nnd  dem  gegenständlichen  Inhalte  gegenüber  befand.  Es 
verlangt  es,  und  er  geht  selbst  in  Bezug  auf  die. Bilder,  die  ihm 
^ies  leisten,  anf  solche  Thätigkeit  ein;  er  lälst,  so  zusagen,  vor 
unsern  Augen  das  Bild  neu  von  vorne  entstehen,  indem  er  in 
der  Natur  selbst  die  Motive  aufsucht,  die  den  Künstler  gerade 
zu  dieser  Fassung  des  Bildes  und  zu  keiner  andern  veranlafst 
haben.  6r  prüft  den  Gehalt  des  Bildes,  ob  dieser  ein  geistrei- 
cher, aus.  ächter  lebendiger  Ahschauung  der  Natur  in  einem 
prägnant  ein  Momente  geschöpfter  ist,  indem  er  den  Versuch  matht, 
den  Inhalt  dieser  Anschauung  in  Worte  überzutragen  und  dabei, 
wohl  nicht  ohne  Grund,  voraussetzt,  dafs  der  ächte  Gehalt  auch 
in  diese  Form  umgesetzt  ein  lebendiger  und  geistreicher  bleiben 
nnd  sich-  als  solcher  bcthätigen  wird. 

.    Es  bedarf  wohl  nidit  erst  der  Erinnerung ,  dafs  ein  Verfah- 
ren der  Art,  wie  das  hier  bezeichnete,  keinen  Anspruch  darauf 


fln4eD  wir  wesentlich  nur  ia  dem  Umstände,  dalii  die  Stehritt,  so 
ivenig  es  auch  ihr  Titel  zu  versprechen  scheint,  in  der  That  ein 
von  4er  anmittellliaren  Bekanntschaft  mit  jenen  Kunstwerken  un- 
nbhängiges  Interesse  hat,   ein  Interesse,  Von    welchem  wir  zu 
boffen  wagen,  dafs  es  daa  Interesse  des  Publicums  an  manchen 
<4er  Werke,  auf  die  sie  sich  zunächst  bezieht,  überdauern  wird. 
IMe  Art  nnd  Weise  der  Kritik,  welche  hier  an  einer  Reihe 
TOB  Malerwerken  geübt  wird,  unter  denen  keine  Kunstwerke  er- 
sten Ranges,  keine  anerkannt  dassischen  oder  solcher  Anerken- 
Bong  mit  Wahrscheinlichkeit  entgegensehende  sich  befinden,  wohl 
aber ,  oeben  einigen  beifallswerthen  und    vorzüglichen   Werken 
>  aas    BDtergeordneten  Kunstgattungen,    viele    mittelmfifsige  oder 
mxA.  geradezu  verwerfliche ,  ist   eine  in  unsern  Tagen  ziemlich 
setten  gewordene.     Der  Verfasser  macht  keinen   Anspruch   auf 
das,  was  man  eigentlich  Kennerschaft  nennt ;  es  findet  sich  keine 
Spar  in  seiner  Schrift  weder   von  einem  genauem  Eingehen  in 
des  technischen  Theil  der  Kunst,  noch  von  einer  gelehrten  Kennt- 
Bifli  ihrer  Geschichte,  er  trügt  es  vielmehr  ziemlich  uurerholen 
sac  Schau,  dafs  die  Kunst  ihm  weder  Jm  theoretischen  noch  im 
pnü£tisches  Sinne  Sache  der  Profession  ist  EbeB>  so  wenig  aber 
macht   er  auf  einen  im    strengeren   W^ortsinn  philosophischen 
Standpikoct  der  Kunstbeurtbeilung  Anspruch ;   er  zeigt  keine  fer- 
tige   Theorie   über  Kunst  und  Kunstschönheit  im  Hintergründe, 
und  der  Maafsstab,  den  er  an  die  einzelnen  Werke  legt,  ist  alles 
andere  eher,  als  ein  solcher,  der  einem  abgeschlossenen  System 
angehört  oder  einem  solchen  entnommen  ist.  Der  Verfasser  ver- 
hüit  sieh  viehaebr  der  Kunst  gegenüber  durchaus  als  Naturalist; 
•  er    nimmt  veraussetzungslos  die  Wirkungen  des  Gegebenen  in 
bIc^  aaf,  und  reJIectirt  darüber  auf  eine  zwar  durchaus  gebildete, 
den  geübten  Denker  und  Schriftsteller  allenthalben  beurkundende, 
aber  von  jeder  Art  von  Schule  vollkommen   entfernt  bleibende 
Weise.^    Solchem  Dilettantismus  dter  Kunstbetrachtung  mag  man 
imaierhin  von  Standpuncten  aus,  welche  auf  eine   oder  die  an- 
dere Weise  über  das  Gesammtgebiet  der  Kunst  die  Alleitaherr- 
sebalt  in  Anspruch  nehmen ,  seine  Berechtigung  absprechen ;  es 
'   bleibt  darum  nicht  minder  wahr,   dafs  kritische  Aufsätze  solcher 
Art,  mit  Sinn  für  das  Aechte  in  der  Kunst   entworfen  und  mit 
Geist  und  stylistiscber  Gewandtheit  ausgeführt,  auf  eine  bfträcht- 
licbe  Anzahl  von  Lesern  in  einem  Grade  anregend   uiid  sogar 
belehrend  zu  wirken  vermögen,  wie  es  technisch  oder  historisciK 
gelehrten  oder  auch  speculativeu  Abhandluogen  nur   selten  ge- 
lingt.   Auch  Diderot,    an    dessen  Salons    uns   die   vorliegenden 
Kunstbesprechungen  vielfach  erinnert  haben,  war  ein  Dilettant  in 
diesem  Sinne,  und  mit  welchem  Interesse   lesen  wir  seine  kriti- 
schen und  raisonnirenden  Betrachtungen  noch  jetzt,  während  die 
fcunstphilosophischen  Theorien  jener  Zeit  längst  vergessen  und 
die    kffinstlerisch  -  gelehrten    Studien    derselben    längst    ÜberflÜ- . 
gelt  sind  1 


'», 


359 


ßfüeSf  über  eüuge  Bilder  der.xweiten  Leipziger  ^unstauittelbmg. 


macheD  kattO)  aof  die  letzten  Griiade  der  Kanst  Koriick  z«-  ge* 
heu  aad  ihren  ächten  and  groiaen  Werken,  wie  eine  imeigent- 
Kchern  Sinne  phüoaopbische  Kritik  ea  beabsichtigt,  ihre  Welt- 
atellang  aazaweiaen.  Bei-  Werken  höherer  Art,  liei  solchen 
nanentlkh,  denen  schon  eine  bestimmte  gc$ckiebtiiche  Bedeutung 
zukommt,  wurde  ea  entweder  nicht  genügen,  oder  iiberhaapt  auf 
sie  keine  Anwendung  leiden.  Aber  eine  andere  Frage  ist,  ob  bei 
Werken  der  Art,  wie  sie  ans  auf  Kunstausstellungen  geboten 
werden,  ob  in  aasdriicklithem  Bezog  auf  solche  Ausstellup^n 
selbst,  dieses  kritische  Verfahren  nicht  das  vollkommen  richtige, 
ja  das  einzig  gehörige  ist  wenigstens  für  eine  solche  Kritik,  die 
Rttf  das  Interesse  eines  weiteren  Kreises,  als  desjenigen,  wel- 
chen die  KUnstler  selbst  oder  die  eigentlichen  Kenner  bilden, 
Ansprach  tnachh  Wir  unsemtfaeils  bekennen ,  dafs  wir  solclien 
Werken  gegenüber  oder  bei  solchen  Veranlassnngen  eine  Kritik, 
die  von  dem  höchsten  Standpuncte  der  Idee  oder  der  greisen 
weltgeschichtlichen  BezGge  der  Kunstentwickelnng  ausgeht,  durch- 
aus nicht  an  ihrem  Plötze  finden  können.  Hier  scheint  uns  eine 
Kritik,  welche  so  zu  sagen,  den  umgekehrten  Weg  geht,  .nicht 
wie  jetie,  von  der  Voraassetzung  (les  Höchsten  abwiirts,  sondern, 
wie  die  unsers  Verfassers,  von  dem  Nächstliegenden  and  Untere 
sten,  der  Natur  und  der  gemeinen  Wirklichkeit,  zur  Idee  auf- 
wärts, bei  weitem  erspriefsl icher  und  im  wahrhaften  Wortsinn 
lehrreicher.  Soll  die  Kunst,  was  eben  jene  Ausstellongen  ja  doch 
hauptsächlich  bezwecken  wollen,  wieder  einen  lebendigen  Boden 
im  V^k  gewinnen,  so  moft  sie  mit  dem  Volke  selbst  immer  neu 
von  vorn  anlangen,  sie  mufii  sich',  alle  geschichtlichen  Antece- 
dentien  vergessend,  der  Natur  und  der  lebendigen  Wirklichkeit 
gegenüber  so  verhalten,  als  gäbe  es  noch  gar  keine  Kanst,  als 
gälte  es,  jetzt  znm  erstenmale  die  WirHlichkeit  künstlerisch  nach- 
zubilden und'  durch  Kuast  zu  verklären.  Eben  so  mufs  die  Kri- 
tik, wenn  sie  mit  die$er  Thätigkeit  der  Kunst  Hand  in  Hand  ge- 
hen, wenn  sie  Hur  den  Eingang,  das  Verstandnifs  unter  dem  Volk 
«rieichtem  und  dhbei  ihr  Recht,  auch  die  Künstler  za  .beauf- 
sichtigen und  wo  es  nöthig,  zurechtzuweisen,  behaupten  will, 
den  hohen  Standpnnct,  den  sie  in  unsem  Togen  durch  das  ver- 
einte Streben  der  philosophischen  und  der  geschichtlichen  For- 
schung eingenommen  hat,  zur  rechten  Zeit  zu  vergessen 'wissen; 
sie  mufs  es  verstehn,  den  Künstler  sowohl,  als  auch  den  Be- 
Ischaaer  des  Kunstwerks  in  die  Region  zu  begleiten,  wo  er  der 
Natnr  md  der  Knfseren  Wirklichkeit  so  za  sagen  vonAngesicht 
tn  AiDgesieht  giBgenäbersteht,  ohne  dafs  die  Idee  oder  die  Lo- 
kalität dergesebpchtlicheii  Kunstentwickelnng  für  sein  Bewuiktsein 
vermitCelnd  dazwischen  träte.  'Wie  es  für  den  Künstler  gilt, 
durch  Nachblldang  des  Wirklichen  das  Ideale  neu  zu  schaffen, 
so  gilt  es  hier  für  den  Kritiker,  durch  Eingehen  in  das  Verhält- 
nifii  der  Kanst  zur  Wirklichkeit  das  Bewnistseln  ihrer  idealen 
Bestimnang  erst  %ü  wecken.    Durch  Forautietxen  der  Idee,  die 


erst  dutch  Vermittelang  des  lebendig  Wirklichen  nea  ge^ouKi 
werden  soll,  wird  «sowohl  praktweh,  als.  theoretisch  alles  tä. 
dorben.  Daraus  eben  entspringt  jetie  sentimentale  an4  pieid«. 
ideale  Atterkunst,  gegen  welche  wir  unsem  Verfasser  nyt  n 
ripl  BLecht  zu  Felde  Ziehen  sehen,  jenes  Liebäugeln  der  Kiiait- 
1er  und  der  Kritiker  mit  dem  leeren  Begriffe  der  Kanst  ni  in 
Kunstideals,  welches  sich  heut  zu  Tage  so  vielfach  in  kä 
sublimen,  aber  eitlen  Beginnen,  das  Malen  za  naleo  u4dn 
Dichten  zu  dichten,  kund  giebt  Die  grofse  Aufgabe  aowoiil  (ir 
den  Künstler  als  für  den  Kritiker  ist  ^  in  der  WirkUcikeit  iu 
Ideal  wieder  zu  findea.  Wie  wenig  unser  Verfattser,  bei  aliea 
seinem  ästhetischen  Realismns,  diese  An^be  verkeaat,  km 
zeugen,  auiser  vielen  andern  Stellen  seiner  Schrift,  die  goUciea 
Worte,  die  er  S.  80  if.  sagt ,  von  denen  wir  wenigatens  eiiip 
hier  einzurücken  uns  nicht  enthalten  können.  fJDtr  Künstler,  kt 
Ideales  darstellen  will,  kann  das  Wirkliche  daza  freilieh  lidit 
brauchen,  wie  er  es  vor  sich  sieht;  aber  er  kann  dock  asd 
nicht  willkfihrllche  Darstellungsformen  für  dieis  Ideal  erieska 
Seine  Aufgabe  ist,  ans  dem,  was  er  in  der  Wirkliehkeit ndt, 
erst  das  za  finden,  was  er  nicht  sieht  IJm'  einen  Gott  kxnt 
stellen,  muCs  er  zusehen,  nach  welchem  Gipfel  die  ■esaekÜebi 
Natur  tendirt,  und,  was  noch  fehlt  zu  diesem  Gipfel,  dareii  ki 
genauesten  Erfolg  jener  Tendenz  als  erreicht  vor  uns  hiastelkl. 
Um  die  Leidenschaft  und  Thätigkeit  eines  Gottes  dansstello, 
mufs  er  die  menachfichen  LeidenechAften  und  Thätigkeitei  k« 
obachten;  aber  zusehen,  .welches  der  Aoadruok  dersetbea lit^ 
im  Mfuifse  als  die  Leidenschaft  aa4  .Thätigkeit  selbst  o^ler  snl 
reiner  von  irdischen  Motiven  wird,  und  auch  diese  Teadeat  nr 
Gränze  ergänzen.  Was  Störung  nnd  Irrung  der  Idee  kreii  ^i 
Wirklichkeit  ist,  muls  er  hierbei  wohl  von  dieser  Tante 'te 
Idee  selbst  zu  scheiden  wissen.  Alles  4iea  aber  setzt  sieht  di 
geringeres,  sondern  tieferes  Studiom  der  Natar  voraus,  als  bcia 
Gearemaler,  doMen  ganze  Idealisirung  der  Natnr  bloa  ia  Adfis* 
sang  günstiger,  fUr  das  GeFtthl  werthvoUer  Momente  das  Vitk- 
liehen  aelbst,  wie  es  ist,  in  der  Wahl  ihres  güasfigstan -(!•' 
sichtspunctes,  in  Beseitigung  des  dabei  zafällig  Störenden  9kt 
Ergänzang  des  znfälUg  Mangelnden ,  doch  immer  nach  deo  Bf' 
dingungen  der  Wirkliokkelt  selbst  besteht" 

Die  Schreibart  des  Verfassers  kennt  man  aus  aeineB  firllMn 
Schriften  als  eine  eben  so  klare  und  geistniche,  als  raiivvik 
und  witzige.  Er  hat  sie  nicht  ohne  Gluck  und  Gescbicklidikat 
auf  den  gegenwärtigen,  seinem  bisherigen  .scfariftstellensshei 
Kreise  etwas  ferner  liegenden  Gegenstand  fibectragen;  kA 
möchten  ^ir  ihm  zu  bedenken  geben,  ob  nicht  die  Neigung  m 
Pi^uanten,  Pointen-  und  Antithesenreichen  ihn  hin  ondwie^^rd' 
was  zu  weit  führt,  und,  ^enn  er  sich  ihr  einseitig  biogidM,  or 
Manier  zu  werden  droht 

W. 


^46. 

Jahrbücher 

für 


K  r  i  t  i  kc 


März  1840. 


Orundiätte  tle$  Kirchemrechtt  3er  hatholi$chen 
und  evangelitchen  Religionspartei  in  Deutsch' 
■  land  ton  Keirl  Friedr.  Eichhorn. 
Lehrbuch   des  Kirchenrechts    aller   christlichen 

> 

..   Konfessionen.     Von   Ferd.    Walter. 

(Fortsetzung.) 

'  Eichhorn  Sufsert  „Wenn  die  römischen  Bischöre 
efaie  Provinz  za  ihrem  Patriarehalsprengel  rechneten, 
forderten  sie  die  Beobachtung  der  Ton  ilinen  erlasse- 
nen Synodaldekrete  vermöge  ihrer  hierarchischen  ^e-> 
wah."^  Eine  solche  macht  sich  hier  auch  wirklich  in 
dem  Schreiben  Leo's  geltend,  indem  denen,  welche 
diese  Anordnungen  verletzen,  Amtsehtsetzung  gedroht 
wird  *).  Diese  Gewalt  war  damals  (d.  h.  im  Jahr  44^, 
aus  weFchem  das  Decret  herrührt)  in  den  suburbicari- 
schen  Provinzen  (s.  Oieseler  I.  §•  92  not.  c.  S.  496. 
497),  in  OMiliyrien  und  einem  Theile  Galliens  anwend- 
bar {Eichhorn  I.  S.  85.  Oieseler  a.  a.  O.  S.  515  folg.)- 
Weiter  würde  noch  in  Betracht  kommen,  was 
beide  Terfasser  abweichend  über  die  Geschichte  des 
Concils  von  Sardika,  über  die  Konstitution  Yalenti- 
nian's  HL  von  445.  (Novella  XXfV.,  im  Anhange  des 
Codex  Theodos.  ed.  Gothofredus-Ritter  Tom.  "VI.  P.  H. 
pag.  67,  in  Hugo*s  jus  civ.  Antejustin.  tit.  XVII.)  u. 
s.  w.'  auseinandersetzen,  wenn  wir  nicht  durch  die  bei 
der  ferneren  Prüfung  dieser  Punkte  unumgänglich  noth- 
wendige  Ausführlichkeit  besorgen  mufsten,  die  Grenze 
einer  Relation  zu  überschreiten.  Indem  wir  daher  nur 
erklären,  dafs  Ritter's  (1.  c.  pag.  70),  Lang's  (Geschichte 
und  Institutionen  des  Kirchenreeht^  I.  §.  58  not.  z) 
und  Eichhom's  (I.,  77  u.  a.  a.  O.)  Resultate  im  Gan- 
zen  uns  annehmbarer  erscheinen,  brechen  wir  hier  ab 


*)  Die  betreffende  Stelle  aas  dem  Dekret  steht  bei  Diooysias 
Exignos  nro.  V.  (biblioth.  jaris  canon.  I.»  3^)  und  als  Palea 
im  Decret  e.  1  $.  i  d.  XIX. 
Jahrb.  f.  wmtnUh.  Kritik.   /.  1840.   I.  Bd. 


und  überlassen  dem  Urtheile  unbefangenfer  Kritiker  die 
Entscheidung  über  die  Haltbarkeit  oder  Unsulässigkeic 
der  einen  und  der  andern  geschichtlichen. Betrachtung. 
Die  Geschichte  der  Quellen  des  Kirehenrechts 
finden  irir  in  beiden  Werken  mit  erwünschter  Gründ- 
lichkeit, bei  Walter  v^rhältnifsmäfsig  in  grofserem  tFm- 
fange  behandelt.  Seinem  Plane  gemäb,  nur  das,  was 
für  die  deutsche  Kirche  wichtig  ist,  eu  berühren  ^  hat 
Eichhorn  die  Geschichte  der  Reehtsquellen  der  griechi- 
schen Kirche  nicht  weiter  verfolgt,  als  es  noth wendig 
war,  um  die  Bedeutung  der  ältesten  Grundlagen  des 
Corpus  juris  canonici  zu  erklären,  manches  aber  auch 
wieder  aus  eben  diesem  Grunde  ausfülurlieher  erörtert, 
als  man  e»  in  einer  blofsen  geschichtlichen  Einleitung 
SU  einer  dogmatischen  Darstellung  erwarten  möclite, 
z.  B.  den  Ursprung  der  sogenannten  Canones  Aposto- 
lorum  (s.  B^  I.  S.  VI.).  Seit  1831  ist  für  die  Kirchen^ 
recbtsgeschichte  sehr  ?iel  und  Tüchtiges  geleistet  wor- 
den. Daher  sind  sur  Ergänsung  der  „Grundsätze  des 
Kirehenrechts"  Torläufig  noch  die  betreffenden  Ab- 
achnitte  aus  der  deutschen  Staats«  und  Rechtsgeschichte 
(B.  I.,  S.  478  folg.  634  folg.  747  folg.  B.  II.  S.  247 
folg.  B.  III.  S.  504  folg.)  von  1834—1836  zu  Rathe  zu 
sieben,  jedenfalls  aber  wird  eine  neue  Ausgabe  hier 
noch  Manches  zu  ergänzen  und  zu  berichtigen  haben» 
In  Beziehung  auf  einige  Quellen,  für  welche  die  Mar 
terialien  seit  der  Herausgabe  der  Grundsätze  nicht  be» 
reichert  WQrden  sind,  mdgen  deshalb  nur  ein  Paar  Be- 
merkungen noch  hier  eine  Stelle  finden. 

Das  über  die  ursprüngliche  Beschaffenheit  der  Co* 
dioes  canonum  von  den  Ballerini  und  andern  (auch 
Walter  f.  62)  Bemerkte  sudit  Eichhorn  (I.  S.  88 
Anm.  3.  S.  90.  91  Anm.  5.)  zu  entkräften.  Wir  zwei- 
feln aber,  dafs  ihm  dies  zu  voller  Ueberzeugung  gelun- 
gen sei:  denn  die  Annahme,  dafs,  da  alten  Manuskripten 
die  Canones  von  Laodicea  fehlten  (s. .  die  Ballerini 
P.  I.  c.  IL   f.  IIL  IT.  bei  Gallande  I.  p.  249.  250) 

46 


363  K    i    r    e    h    e 

diese  überhaupt  erst  spfiter  nachgelraj^en  seieil,  erseheint 
einfacher,  als  die  Behauptang,  es  hätten  diese  Hand- 
schriftei)  den  Text  nach  Willkuhr  zusammengestellt. 
Auch  scheint  der  Schiurs,  üafs,  da  die  Canones  von 
Antiochia  der  Zeit  nach  früher  fallen  (332,  wie  mit  den 
Ballerini,  Walter  [S.  109  Anm.  i],  oder  341  wie  Eich- 
hörn  annimmt  [S.  106  Anm.  32  vgl.  Gieseler  I.  §.  81 
not.  cc  S.  396]),  als  did  von  Gangra  (nach  Eichhorn 
um  3ä0,  nach  ändern  s wischen  362-370.  s«  Gieseler 
§.  93  .not  cc  S.  539),  und  doch  in  der  Sammlung  hin^ 
ter  den  letztem  stehen,  dieselben  erst  später  in  den 
Codex  eingetragen  werden,  Wohl  begründet  zu  sein. 

Die  Ausführung  über  das  sogenannte  vierte  Eaj*- 
tliagische  Concil,  bei  Eichhorn  I.,  117— 119,  wäre  wohl 
besser  im  Zusammenhange  mit  den  übrigen  afrikani- 
schen Sammlungen  S.  103  dargestellt  worden,  auch 
hätte  dabei  Le  Plat  de  s^uriis  in  Gratiano  canonibus 
III.,  1.  3  (bei  Gallande  IL,  830  folg.)  borücksichfigt 
werden  kdnnen.  —  Was  die  breviatio  des  Fulgentius 
Ferrandus  betrifft,  so  behaupten  die  Ballerini,  er  habe 
'  vom  Concil  von  Nicäa  die  in  afrikanischen  Codicibus 
^  vorhandene  Uefaersetzung  des  Philp  und  Euaristus  be- 
nutzt (P.  lY.  c.  I..n.  IIL).  Dies  ist  freilich  nicht  un* 
zweifelhaft  (s.  Spiitler  Geschichte  des  kanonischen 
Rechts  S.  197  Anm.  q,  womit  aber  S.  165  im  Wider* 
Spruche  stfeht),  jedoch  keineswegs  unwahrscheinlich,  da 
sich  diese  Üebersetzung  der  Nicänisclien  Canones  in  der 
Sammlung  der  afrikanischen  Synoden  befahd  (s.  Bal- 
'  lermi  P.  II.  cap.  II.  n.  1.).  Dafs  er  für  die  übrigen 
griechischen  Synoden  keinen  afrikanischen  Codex  be- 
nutzt habe,  folgt  aber  wohl  nicht  blos  aus  der  Auf« 
nähme  der  Sardicensischen  Schlüsse  (Eichhorn  I.  S.  104 
Anm.  29),  sondern  wohl  zugleich  daraus,  dafs  sich  keine 
nneweifelhafte  Spur  der  Benutzung  fremder  Concitien, 
das  von  NicSa  und  römische  Decrete  ausgenommen, 
vor  Ferrandus  in  der  afrikanischen  Kirche  findet. 

Die  Untersuchungen  über  die  älteren  italischen 
Sammlungen  (Walter  f.  63.  81,  Eichliorn  I.,  105  folg.) 
sind  noch'  keineswegs  geschlossen.  Die  bekannte  von 
l^aschasius  Quesnell  zuerst  edirte,  von  den  Ballerini 
verbessert  herausgegebene  Cbllection  verlegt  Eichhorn 
(I.,  113—115)  nach  Italien,  Walter  (S.  150  Anm.  n) 
nach  dem  Vorgänge  der  Ballerini  nach  Gallien^  Halten 
wir  alle  pro  und  contra  sprechenden  Gründe  zusammen, 
so  können  wir  nicht  umhin,  uns  der  letztern  Ansicht 
anzuschliefsen. .    Wenn  insbesondere    Eichborn   gegeü 


n    r    e    c    h    t.  364 

den  Galli^hen  Ursprung  sich  darauf-  beruft ,  dab  aiok 
in  der  Sammlung  keine  gallischen  und  spanischen  Con- 
eilien  finden,  so  läfst  sich  hierauf  antworten,  dafs  man 
einer  solchen  CoUection  gerade  zur  Ergänzung  der  Mi- 
heimischen  Schlüsse,  welche  man  auch  besonders  ^ 
sammelt  hatte,  bedurfte. 

Die  von  Dionysius  Exiguus  auf  Verlangen  des. 
Hormisdas  angelegte  Sammlung  der  griechischen  Cano- 
nes im  Original,  mit  gegenüberstehender  lateimsdier 
Uebersetzung  (s.  Bienier,  sched.  literar.  de  coUectionibus 
canonum  ecd.  Graepae  pag.  11)  hat  Eichhorn  unecw&fant 
gelassen. 

>  Martinus  von  Braga  befand  sich  noch  im  Jahre 
572  auf  dem  zweiten  Bracarensischen  Concil,  kann  also 
nicht  bereits  im  Jahre  570  (Eichhorn  I.,  119)  gestor- 
ben  sein, 

lieber  die  Beschaffenheit  der  alten  bispamsebea 
Sammlung  der  Quellen  des  Kirch  enrecbts  verdanke» 
wir  Eichhom's  Abhandlung  von  1834  (Abhandlungen 
der  Berliner  Akademie  der  Wissenschäften.  1836.  S. 
89-142)  neue  Aufschlüsse.  Bekanntlich  würd  die  so» 
genannte  Collectio  Isidori  gewohnlich  swisdien  die 
Jahre  633  (Concil.  Toletanum  lY.)  und  636  (in  wel- 
chem Isidorus  von  Seirilla  starb)  verlegt..  Auch  Eieb- 
hom  ist  der  Ansiclit,  dafs  «in  autorisirter  Codex  in 
Spanien  bis  633  nicht  vorhanden  gewesen  und  dab  die 
Erwähnung  eines  codex  canonum  auf  dem  Tierten  Con- 
cil von  Toledo  die  Abnieht^  einen  solchen  einsufiihrel^ 
andeute.  *  Allein  schon  am  Ende  des  sechsten  Jahr- 
hunderts war  wohl  bereits  die  spanische  Colle<tion  in 
bestimmter  Weise  abgeschlossen  und  wurde  seitdem 
nur  ergänzt«  Wir  halten  das  Concilium  Hispalense  IL 
vom  Jahre  629  und  das  Toletanum  IV.  selbst  für  solche 
Nachträge,  deren  später  noch  mehrere  hinzukamen.  Für 
diese  Annahme  spricht,  dafs  in  einer  spanischen  bre- 
viatio, welche  die  Ballerini  P.  IV.  cap.  IV.  (Gallande 
I,  587  folg.)  beschreiben,  das  letzte  Stuck  die  synodos 
Oscensis  vom  Jahre  598  ist  Freili(&h  ha.t  der  Abbre- 
viator  aus  verschiedenen  CoUectionen  die  seinige  oom* 
ponirt,  doch  würde  dies  der  Annahme  nicht  entgegen 
sein,  dafs  er  auch  die  später^  sogenannte  CoUectie  Isi- 
dori damals  schon  benutzt  haben  möge.  Weni^ens 
verliert  sich  so  leichter  das  Auffallende,  dafs  man  am 
Ende  des  sechsten  Jahrhunderts  in  Spanien  noch  keine 
autorisirte  Sammlung  besessen  haben  sollte,  während 
Eichhornes  Annahme  einer  AiHckt  der  Anlegung  eines 


K   i   r    e    A    0 

ersUn  aiifoiirfrMi  Cqdex  im  Jahre  633  imoier  bedenk* 
Uck  encheiiit 

Ueber  P^eudo-Isidor,  soirohl  den  Ursprung  ab  die 
Erfolge  der  Sanmlung  betreffend,  finden  wir.  beide 
Sebrifteteller  iu  den  wesendiclisten  Differensen«  (Eich- 
horn I^  147—168  vcrb.  deut.  RechtogeftchiehCe  I. 
i.  152-155.  S.  636-652.  Walter  §.  89—93.  S.  155 
bia  182).  Etebhorn  ist  der  Ansieht,  es  sei  eine  Sarom- 
lung  falaeher  Deeretaleo  im  zweiten  oder  dritten  Yier« 
theil  des  aehten  Jahrhunderts  zwischen  Gregor  III.  und 
Hadrian  I.  zu  JHom  entstanden.  Unter  Hadrian  habe 
man  aie  bereits  besessen,  noch^bef  ein  Jahrhundert 
aber  vermieden,  sie  namentlich  anzuführen«  Sie  sei 
soocst  in  Auszögen  im  fränkischen  Reiche  unter  Karl 
dem  Grolsen  in  den  sogenannten  Capitula  In(An)gil- 
ramno  tradtta  und  andern  bekannt  gemacht  und  eben  da 
als  ein  Ganzes  (decreta  priscorum  ponlificum)  durch 
Varbihdttttg  mit  der  ächten  spanischen  Sammlung  als 
der  spater  sogenannte  Pseudo-Isidor  hervorgetreten.  — 
Dagegen  nimmt  Walter  an,  dafs,  nachdem  bereits  frü- 
her aUmähUg  verscliiedene  unächte  Documente  entstan* 
den,  diese  mit  vielen  andern  un  neunten  Jahrhunderte 
im  frftnkischen  Reiche  in  die  sogenannte  Isidor'sche 
Sammlung  eingefügt  worden.  Im  westfränkischen  Rei- 
ehe  seien  auch,  die  falschen  Decretalen  verfertigt  und 
die  Yerbindung  derselben  mit  der  Rechtssammlung  des 
M.mnzM  Dlaeonus  (Leviten)  Benedict  deute  beinahe 
mit  Gewifsheit  auf  diesen  als  den  Verfasser.  Die  so*% 
genannte  eapitula  Angilramni  u.  s«  w.  seien  dagegen 
erst  aus  Pseudo>Isidorus  selbst  entnommen. 

Die  Untersuchung  ist  beiderseits  mit  Kritik  und 
Gelehrsamkeit  geführt,,  noch  keineswegs  aber,  ^ie  auch 
ISichhom  zugesteht  (Rechtsgeschichte  I.  S.  643  Anm. 
k),  für  ebgeschlossen  zu  halten.  Wesentlich  gefördert 
ist  dieselbe  jedenfalls  durch  Knust,  sowohl  in  der  com- 
mentatio  de  fontibus  u.  s.  w.  G5tting.  1832.  4.,  als  in 
der  Abliandlung  bei  Pertz  Monumenta  Germaniae.  T« 
IV.  P.  II.  p^  19  seq.  Um  so  mehr  bedauern  wir,  dals 
Eichhorn  die  Resultate  der  commentatio  in  der  Rechts- 
gesebichte  nicht  mehr  berücksichtigt,  ja  dieselbe  ni^ht 
einmal  anzuführen  fiir  geeignet  gehalten  hat,  Uebrigens 
haben  alle  bisherigen  Forscher  sich  fast  nur  auf  die 
Untersuchung  der  Decretalen  beschränkt,  den  verfälsch« 
ten  Concilienschliissen  dagegen  entweder  gar  keine, 
oder  viel  zu  unbedeutende  Sorge  gewidmet  Es  kann 
hier  nicht  unsere  Absieht  sein,  die  Gründe  beider  Yet' 


n    r    0    e    h    t.  366 

fasser  für  ihre  und  gegen  die  widersprechende  Ansicht 
einer  specieilen  Prüfung  zu  unterwerfen :  denn  wir  wür« 
den  dann  eine  besondere  Abhandlung  zu  schreiben  un» 
ternehmen  müssen*  Wir  beschränken  uns  daher  auf 
die  Remerkung,  dafs  wir  Eichhom's  Annahme  einer 
römischen  Decretalensammluug,  als  Grundlage  desspä<> 
teren  Pseudo-Isidor,  nur  für  eme  zwar  geistreiche,  aber 
durchaus  noch  nicht  genügend  begründete  Hypothese 
halten,  können.  Er  bemerkt  selbst  (RechtsgescbicIUe 
L,  644  Anm.  b),  dafs  man  von  den  unächten  Stücken, 
welche  sich  in  der  ältesten  bekannten  Handschrift  der 
vollständigen  Pseudo-kidor.  Sammlung  finden,  nicht 
mit  Sicherheit  auf  den  Umfang  der  Sammlung  schliefsen 
kann,  welche  in  Umlauf  war,  ehe  durch  Verbuidung 
derselben  mit  der  spanischen  Sammlung  die  Hand« 
Schriften  entstanden,  welche  wir  unter  einem  Pseudo« 
Isidor.  Codex  vecstehcn.  Um  so  nothwendiger  wäre 
aber  eine  Untersuchung  über  die  wirklich  älteren  ein- 
zelnen Verfälschungen  gewesen,  (s.  Walter  §.  89  not. 
s). ,  Daraus  hätte  sich  z*  R.  ergeben,  ob  die  Stelle  der 
erdichteten  Synodalacten  des  Papstes  Sylvester,  wol-' 
ehe  sich  in  einem  Capitulare  vom  Jahre  806  nament- 
lich angeführt  findet  (s.  autserdem  in  der  Rechtsge- 
schichte ].,  646  Anm.  c  cit.  Walter  corp.  jur.  tl.,  228. 
Pertz  Monum.  T.  III.,  148)  und  in  den  Kapiteln  des 
Angilramnus  ohne  Angabe  der  Quelle  steht,  wirklich 
aus  den  nach  Eichhorn  schon  damals  verbreiteten  fal- 
schen Decretalen  entnommen  worden.  Jene  Stelle  ist 
nun  in  der  That  schon  eine  ältere  Veifälschnng.  (cati. 
3  Sylvestri.  vergl.  Ballerini  P.  IU.  cap.  IIL  f.  Y.  nro. 
LXXVir.  bei  GaUande  I.,  494.  Die  SteUe  selbst  steht 
auch  bei  Gratian  c.  2.  C.  II.  9.  4).  Was  aber  die 
Capitula  Angilramni  selbst  betrifft,  welche  angeblich 
im  Jahre  785  Angilrame  von  Hadrian  I.  zum  Geschenke 
erhalten,  so  werden  diese  zuerst  un  Jahre  869  zugleich 
mit  Pseudo  -  Isidor  erwähnt  (Hincmar.  Rhemens.  adver. 
aus  Hincmarum  Lauduuens.  cap.  24) :  ;,Res  mira  eat, 
enm  de  ipsis  sentcntiis  (Angilramni)  plena  sit  ista  terra, 
sicut  et  de  libro  conlectarum  epistolarum  ab  Isidoro 
u.  s.  w."  Daraus  darf  jedoch  nach  Eidihom  (Kirchen- 
reeht  I.,  157  Anm.  14)  nicht  auf  ein  gleichzeitiges  Be- 
kanntwerden beider  CoUectionen  geschlossen  werden. 
^,Aelter  als  die  Nachrichten  von  dem  Dasein  der  ver- 
fäkchten  Isidorischen  Sammlung  sind  sie  höchst  wahr- 
scheinlich; denn  es  scheint,  dafs  Benedict  das,  was 
er  aus  den  falschen  Decretalen  entlehnt  hat,  nicht  aus 


367  Kirch 

der  P«€U<Io-bidor.  Siimiilimg,  sondern  aus  diesen  Ca- 
pHuIis  Alijsiilramni  genommen^  hat.*'  Gesetzt  dies  würe 
liehtig,  was  nach  der  AndeuHing  Benedicts  in  derYor« 
rede  zvl  den  Capitiilaricn  wohl  möglich,  so  liegt  die 
von  Knust  und  Waller. angenomoiene  Vermuthung  sehr 
nahe,  dafs  Benedict  selbst  eben  so  wohl  die  Capituia 
Angilramni,  als  die  Collecüo  Pseudo-Isidoriana  verfafst, 
und  umsichtig  die  Materialien  durch  die  Capitularien* 
Sammlung  in  halb  officieller  Weise  Tcrbreiiet  habe. 

Die  Bcsugnahme  Eichhorns  auf  Rom  hat  sowohl 
die  .unrichtige  Auffassung  über  die  Quesnell*sche  Samm- 
hing,  als  den  Über  pontificalis  veranlafst.  Darin, 
dafs  die  falschen  Decretalen  wesentlich  Neue3  und  von 
der  Disciplin  des  neunten  Jahrhunderts  Abweichendes 
nicht  fesigesetst  haben    und   dafs   dies  Neue  wirklich 


e    n    r    0    e 


h    t.  368 

dem  Wiener  Concordat  ak*  Mi^acüeeni  anfgefretca 
war,  nicht  mehr  bestand  und  keine  für  die  jetslgca 
Staaten  verbindende  Handlung  die  Yerpflichtungen  des 
Reichs  als  Mitpaciscent  auf  die  lotxtercn  Uieriragen 
hatte,''  so  steht  dieser  Ansicht  entgegen,  wa*  der  Ver- 
fasser selbst  S.  382  -  384  über  die  Bedeutung  der  durch 
die  Reichsgesetze  begründeten  Rechte  (und  Pflichfen, 
wie  wir  hinzufügen  müssen)  in  den  einzelnen  Staaten 
bemerkt  hat.  Dalier  ist  nicht  ohne  Grund  J^ongn^r: 
Darstellung  der  Rechtsverhältnisse  der  Bischöfe  in  der 
oberrheinischen  Kirchenprovinz.  Tübingen  18iO.  S.  31 
folg.  gegen  Eichhorn  aufgetreten«  Auch  können  wir 
uns  auf  die  Praxis  beziehen:  denn  da  b.  B*  in  der 
Didcese  Ermland  die  Furstenconcordate  angenoauMt 
worden  sind  (man  vergl«  meine  Geschichte  der  Quellen 


in  das  kirchliche  Leben  nicht  übergegangen  und  prak-   .des  Kirchenrechu  des  Preufs.  Staats.  I.,  1.  S.   17.18)^ 


tisch  geworden  sei,  können  wir  Walter  nicht  beitreten 
(vergl.  Eichhorn  i.,  168.  verb.  II.,  12.  Aum.  u.  a.  m.). 
Was  die  späteren  Quellen  des  Kirclienrechts  betrifil, 
so  hat  Walter  sich  über  diejenigen  ausführlicher  ver- 
breitet,  welche  die  Grundlage  des  Corpus  juris  cano- 
nici bilden,  Eichhorn  dagegen  den  TFeltiichen  Gesetzen 
grölsere  Sorgfall  zugewendet  Beide,  insbesondere  der 
letztere )  erörtern  auch  speciell  die  jetzige  Bedeutung 
der  alleren  Quellen,  namentlich  auch  der  Reichsgesetze. 
Was  Eichhorn  (I.,  381  folg.)  hierüber  erinnert,  beruht 
auf  richtiger  Würdigung  der  Verhältnisse  und  wird 
durch  die  zum  Theil  entgegengesetzte  Ausführung  von 
Juffff  (ein  Wort  über  die  Lehrfreiheit  (Frankfurt  a.  M. 
1837.)  f.  49  folg.)  nicht  entkräftet.  Dagegen  seheint 
die  Ausführung  über  die  Anwendbarkeit  des  eanonischen 
Rechts  bei  der  Lehre  von  der  Rirchengewalt  in  der 
evangelischen  Kirche  B.  L  Seite  372  mit  S.  723 
nicht  wohl  vereinigt  werden  zu  können.  Die  in  der 
neuesten '  Zeit  so  htafig  falsch  anfgefafste  Bedeutung 
der  Vereinbarungen  einzelner  Staaten  mit  dem  romi- 
sch«i  Stuhle  findet  eine  Widerlegung  in  der  Erörte- 
rung Eiehhom's  I.,  407  folg.  Wenn  hier  aber  zuglrich 
angedeutet  wird,  dafs  die  Furstenconcordate  des  fünf* 
zehnten  Jahrhunderts  ihre  praktische  Bedeutung  verlo- 
ren haben,  indem  „die  Begierung,  welche  bei  jenen  und 


so  hat  mau  auch  nach  der  Emanation  der  ßulle  de  Sa- 
lute animarum  vom  Jahre  1821  sich  nacli  jenen  gerieb- 
tet.  So  ist  im  Jahre  1826  gemäls  der  Bulle  Execmfcffis 
in  dem  Falle,  da  durch  Verleihung  eines  Caaonieais 
die  von  dem  Domherrn  bisher  bekleidete  Stelle  als  in- 
compatibel  aufgegeben  werden*  mufste,  das  dadurch  va- 
eant  gewordene  Beneficium  als  zu  Gunsten  des  Papstes 
erledigt  betrachtet  worden  ^.  v 

Die  Geschichte  der  Reformation  und  Bildung  der 
evangelischen  Kirchenverfassung  in  ihrer  Mannigfaltig* 
keit  als  Consistorial- ,  Synodal-,  Presbyterialverfasoing 
ist  bei  Eichhorn  sehr  befriedigend  ausgefallen,  obwoid 
wir  nicht  umhin  können,  zu  bemerken,  dals  eine  su- 
sammenhängende  Barstellung  über  die  Oestaltung  in 
Sachsen,  welche  bekanntlich  meistens  für  die  übrigen 
evangelischen  Lande  Muster  ward,  und  in  Hessen 
(vergl.  Bd.  II.  S.  56—58  Anm.  6)  wohl  erwünscht  ge- 
wesen wäre. 


*)  Wir  verkena^  übrigens  hierbei  nicht,  dafs  die  aeae  C^iicna- 
scriptionebm^j.die  ioDeren  Verhältnisse  der  Diocese  EraÜBod 
im  Ganzen  nicht  berührt,  und  dafs  erst  mit  dem  Tod«  des 
Bischofs  Joseph  von  Hohenzollern  1837  eine  G'ieichstellnag 
mit  den  andern  Prenfsischen  Bisthiimem  erfolgt  ist.  .  Die 
Sache  selbst  vird  aber  dadurch  nicht  im  Wesen  medificirt 


(Der  Deschlttfii   folgt.) 


.^  47.        ^ 

'  t 

Jahrbücher 

f»  ••  .  * 

wissenschaftliche 


März  1840. 


Kritik 


Orundwtke  des  Kircheftrechtg  der  katholischen 
und  evangelischen  Religianspartei  in  Deutsch- 
land ffon  Karl  Friedr.  Eichhorn. 

Lehrbuch  des  Kirchenrechts  aller  christlichen 
Konfessionen.    Van  Ferdinand  Walter. 

(SchlQfg.) 

Rueksiehtlich   der  Hierarchie  in   der   katholischen 

Kirche  isf  Walter  bemüht,  eine  das  strengere  Curial- 

und  das  freiere  Episcopalsysten^  vermittelnde  Ansicht 

£n  begründen  (m.  s.  §.  121.  123.  133.  u.  a.  m.)-    Naefa 

ihm  mochte  es  scheinen,  als  ob  das  Princip,  dafs  alle 

in  der  Kirche   zur  Ausübung  kommende   Gewalt  nur 

AusfluJii  der  pjipstlichen  Machtrollkommenheit  sei,  nie. 

mab   sich  habe  geltend  machen  wollen.    Wenigstens 

drückt  er  sieh  in   Beeiehung  auf  Pseudo-Isidor  nicht 

distinkt  genug  aus,  wenn  er  äuFsert  (§.  92.  nro.  IV. 

S.  168.169)  „lieber  das  VerhältniCi  des  Papstes  zu  den 

Bischofen  wenden  die  Dekretalen  eine  ursprunglich  in 

einer   andern  Beziehung   gebrauchte  Formel   an,   dafs 

das  Oberhaupt  der  Kirche  die.  Bischöfe  zu  einem  Th^il 

der  ihm  zustehenden  allgemeinen  Sorgfalt  berufen,  nicht 

ihnen  die  volle  Gewalt  übertragen  habe":  denn  die  Vi- 

gllitts  epist.  II.  c.  1.  (c.  2.  C.  II.  9.  6.)  in  den  Mund 

gelegten  Worte  „Ipsa  namque  ecclesia,  quae  prima  est, 

ita  reliquis  ecdesüs  vices  suas  credidit  largiendas,  ut 

in  partem  sint  yecatae  sollicitudinis,  non  in  plenitudi- 

B0m  potestatis"  bezeichnen  wohl  hinlänglich,  dafs  die 

Bischöfe  blos  als  Oelegirte  des  Papstes  zu  betrachten 

Mcn^     Die  Streitfrage  selbst  aber,    „ob  die  Bischöfe 

ihre  Gewalt  unmittelbar  Von  Gott  oder  hur  mittelbar 

dur^  den  Papst  haben,    welche  auch  von  Bellarmin 

sehr  falsch  und  trocken  behandelt  worden  ist"  (^.  133* 

Anm.  4.)   sucht    er   folgendermafsen   zu  beantworten : 

„Einerseits  ist  es   gewifs,   dafs  jeder  Bischof  an  der 

Jahrb.  /.  wk9en9ch.  Kritik.  /.  1840.  I.  Bd. 


Gewalt  nur  durch  sdne  Verbindung  mit  der  Einheit, 
also  mit  dem  römischen  Stuhle  partieipirt.  Andrerseits 
ist  es  eben  so  gewifs,  dafs  das  Episkopat  in  ^etrus  und 
den  Aposteln  als  etwas  Gleichzeitiges  gesetzt  worden 
ist,  dafs  also  letztere  ihre  Sendung  nicht  mittelbar  aus 
der  Hand  des  Petru»  empfangen  haben."  Die  Stellung 
enm  ökumenischen  Concil  fafst  er  dann  so,  dafs  nur 
„wenn  wegen  einer  vorhandenen  Spaltung  der  recht« 
mälsige  Papst  zweifelhaft,  also  die  Kirche  eigentlich 
ohne  Haupt  ist,  es,  wie  zu  Kofctnitz,  auf  die  Entschei- 
dung de«  Concils  ankommt'*  (f.  153.  S.  310). 

Eichhorn,  der  über  diesen  Gegenstand  B.  I.  S.  214 
folg.  222  folg.  296  folg.  574  folg.  verb.  U,  3  folg.  das 
Geschichtliche  exponirt,  giebt  keine  formliche  Entschei- 
dung, welchem  von  beiden  Systemen  der  Yorzug  ge- 
bühre, und  doch  wäre  eine  rein  scientifiscfae  Untersu- 
chung hier  sehr  erwünscht  gewesen.  Zwar  äufsert  Falck 
(Schleswig -Holstein  Frivatrecht  B.  III.  Abt)i.  II.  S.694 
Anm.  78.):  „Es  ist  auffallend  zu  sehen,  dafs  prote- 
stantische Kirchenrechtslehrer  einerseits  das  Papalsy- 
stem  eifrig  bekämpfen,  auf  der  andern  Seite  aber  sich 
für  das  katholische  Episkopalsystem  interessiren.  Es 
mufs  ohne  Zweifel  jedem  bei  näherer  Erwägung  ein- 
leuchten, dafs  vom  protestantischen  Standpunkte  aus 
das  eine  System  um  nichts  vernünftiger  oder  schriftge- 
mäfser  ist,  als  das  andere.''  Allein  nicht'  vom  prptestan- 
tischen,  sondern  vom  katholischen  Standpunkte  selbst 
haben  wir  ja  da^  ganze  katholische  Kirchenrecht  ger 
schielitlich  und  systematisch  zu  würdigen,'  und  darnach 
kann;  es  nicht  blos  wissenschaftlich,  sondern  auch  prak- 
tisch sehr  bedeutungsvoll  werdeu,  von  welchem  Princip 
aus  ein  katholisches  Rechtsveriiältntfs  beurtheilt  wird. 
Mit  Bezugnahme  auf  die  Geschichte  des  Concils  von 
Kostnitz  und  Basel,  die  Fürstenkonkordate,  die  Wahl- 
kapitulationen  der  Kaiser  u.  s.  w.  vermögen  wir  nun 

4.7     -     ■    . 


371  Kirch» 

die  Richtigkeit  des .  Episkopalsystems  und  damit  die 
Rechte  und  Freiheiten  der  katholbchen  Kirclie  deut- 
scher Nation  in  der  That  zu  erweisen.  Dafs  liieraus 
sieh  auch  wichtige  Folgerungen  fiir  das  Yerhältnifs  cwi- 
seiien  dem  Staate  und  der  katholischen  Kirche  erge- 
ben müssen,  springt  in  die  Augen«  Ueber  dies  Yer- 
hältnifs geben  unsere  beiden  Autoren  die  erforderlichen 
historischen  Nachweisungen,  nebst  einer  dogmtUischen 
Entwickelung  der  allgemeinen  Grundsätze  (Eichhorn  I, 
52  folg.  128  folg.  180  folg.  550  folg.  Walter  §.  40-45) 
und  verbinden  dann  die  Anwendung  derselben  im  Ein- 
sefaien  mit  der  Darstellung  der  besondem  Institute, 
Die  historische  Auffassung  unterliegt  jedoch  manchem 
Bedenken,  wie'denn  z.  B.  wohl  in  einer  nicht  zu  recht- 
fertigenden Weise  Walter  die  Stellung  Bohifaz  VIII. 
(c.  !•  Extr.  comm.  de  major,  et  obed.  (I,  8.))  und  Cle- 
mens Y.  (2  Extr.  comm.  de  privilegiis  (Y,  7.))  gedeutet 
hat  (§1  42.  not.  a). 

Was  die  Begründung  der  landesherrlichen  Rechte 
in  der  CFangelischen  Kirche  betrifft,  so  sind  von  Eich- 
horn (1/675  folg.)  und  Walter  (f.  36->39.)  die  ver- 
schiedenen Theorien  hierüber  dargelegt  und  mit  Um- 
sicht beurtheilt.  Wir  können  keins  der  bekannten 
Systeme  far  richtig  schlechthin  anerkennen:  denn  immer 
werden  die  eoncretcn  Zustände  und  die  eigenthümliche 
Verfassung  und  Verwaltung  der  einzelnen  TerritoriiNi 
den  Auss<;hlag  geben  müssen.  Melir  liegt  auch  wohl 
nicht  in  der  Aeufserung  Eichhorns  (I,  695.) :  der  recht-- 
liehe  6rund^  aus  welchem  sich  die  evangelischen  Lan- 
desherren zur  Thätigkeit  in  Kirchensachen  ermächtigt 
halten  können,  läfst  sich  in  den  Tbatsachen,  welche 
die  evangelische  Eirchei^verfassung  begründet  haben, 
leicht  nachweisen:  —  freilich  wird  es  dabei  wichtig, 
in  welchem  Lichte  die  Facta  gesehen  werden  und  so 
wird  eine  leitende  ratio  nicht  wohl  entbehrt  werden 
könpen.  Das  Territorialsystem  insbesondere  ist  mit  den 
Principien  des  Protestantismus  unvereinbar.  Sehr  ric)i- 
tig  erinnert  daher  Walter  (S.  70)  „das  Episkopalsystem 
hat  darin  Recht,  dafs  es  die  Landeshoheit  und  das  da- 
mit verbundene  Kirchenregiment,  als  auf  zwei  versehie^ 
vdenen  G^ichtspunkten  beruhend,  unterscheidet."  Vom 
Kollegialsystem  bemerkt  derselbe  „Es  liegt  allerdings 
in  den  Tendenzen  der  Zeit  und  hat  durch  die  ^schärfere 
Unterscheidung  der  hier  concurrirenden  Gesichtspunkte 
der  Gesetzgebung  für  die  allmählige  freiere  Umgestal- 


n    r    e    c    h    t.  372 

Jxing  der  KirchenverfaKsung  vorgearbritet*'  Was  "war 
übrigens  schon  oben  bezüglich  der  Berücksiehtigmig 
der.  einzelnen  deutschen  Staaten  als  ein  Desidorat  in 
Eichhornes  Grundsätzen  bezeichneten,  tritt  hier  ebea- 
mälsig  wieder  ein.  •' 

Wir  glaubten  der  Wichtigkeit  der  Sache  selbst  aad 
der  Bedeutsamkeit  der  hier  einer  Kritik  anterwoifaca 
Werke  die  bisherige  umfassendere  Relation,  besoaden 
in  Erwägung  von  Pruicipien,  schuldig  zu  sein.  Bei 
Betrachtung  der  einzelnen  übrigen  Lehren  und  losti* 
tute  des  Kirchenreehts  müssen  wir  uns  daher  achea 
darauf  beschränken,  einige  von  beiden  Verfassern  difie- 
rent  beurtheilte  Punkte  hervorzuheben. 

Bei  der  Lehre  von  der  Verwaltung'  der  DlseipUa 
(Walter  Buch  IV.  Kap.  3.)  oder  der  Ausübung  der 
Kirchengewalt  nach  ihren  einzelnen  Zweigen  (Eichhora 
Buch  IV.)  h^t  jener  zuerst  von  der  Gesetzgebung,  dau 
von  der  Gerichtsbarkeit,  Oberaufsicht,  Strafgewalt  and 
dem  Besteurungsrecht  gehandelt  Eichhorn  bat  die 
streitige  und  Strafgeriehtsbarkeit  zusammengezogen  «ad 
zu  den  übrigen  Zw^eigen  der  tßoUzi^heHden  Gewalt  die 

« 

aufsehende  gerechnet.  Hiergegen  ist  zu  erlaaem,  da(s 
die  Aufsicht  nicht  Vollziehung  an  sich  ist,  und  data  die 
Vollziehung  dem  Entwicklungsgange  nach  der  Auf- 
sicht fdgt. 

Ueber  den  Ursprung  des  Pallii  herrsdien*  bekaaa^ 
lieh  noch  Zweifel.  Eichhorn  giebt  .die  gewohaliehes 
von  Walter  ohne  nähere  Begründung  verworfene,  Aa* 
sieht,  dafs  es  Anfangs  ein  Mantel  gewesen,  der  ki 
Orient  einen  Theil  der  bischöflichen  (soll  offenbar  hei*, 
fsen:  der  Icaiserilohen)  Kleidung  ausmachte  a.  s.  w. 
(B.  L  S.  671),  und  erklärt,  dafs  vom  Besitze  des  Pak 
lii  die  Jurisdiktion  einea  Erzbischdfs  nicht  abbftngig  sM 
(S.  672).  Er  bezieht  sich  dafür  auf  eap.  II.  15.  X.  de 
eleclione  (I,  6.)  und  bemerkt,  dafs  nach  cap.  38.  §.  L 
eod.  nur  das  Recht  ausgenommen  sei,  ein  Ceneiiiuia 
zu  berufen.  Walter  (§.  149.  Anm.  g.  8.  900)  h&lt  dies 
für  irrig,,  gemäfs  c.  3.  X.  de  usn  et  authoritafe  paW 
(I,  8.)  und  cap.  28.  |.  1.  cit.  Das  cap.  IT.  cit.  handle 
von  einem  singulären  Falle,  der  nicht  ausgedehnt  wer- 
den dürfe  und  cap.  15.  cit.  spreche  von  einem  konfir- 
mirten,  aber  noch  nicht  konsekrirten  Bischöfe.  —  Die 
Kanonisten  sind  hier  ilberhaupt  nicht  einig,  ans  scheint 
aber  das  Recht  auf  Eichhorns  Seite,  nämlich  so,  dala 
der  konfirmirte,  aber  noch  nicht  mit  dem  Pallium  be- 


K  i  r    e  A   4 

Ueideie,  abo  noeh  nicht  konsekrirto  Erzbischof  ioi  Be- 
^mitEm  4er  Jurisdiktion  ist^  mit  Ausnahme  des  angedeu- 
teten Falls,  der  KonTokaüon  des  Koncils,  und  dafs  Yon 
«km  Pallium  die  Pantifikalien  abhängen,  also  insbeson* 
^ere  auch  das  Ordinationsrecht.  Daher  lifgt  auch  im 
«sap«  11.  X.  de  elect.  nichts  Widersprechendes  oderSin- 
^piläres:  denn  nach  dieser  Stelle  kann  der  Erzbischof, 
oluie  Pallium)  nicht  selbst  ordiniren,  sondern  nur  einem 
andern  zur  Ordination  befugten  Suffraganbbchof  dazu 
tlen  Auftrag  erth^Ien.  Diesen  Auftrag  giebt  er  jure 
•J  urisdictionis.  Ein  ähnliches  Yerhältnifs  besteht  für 
den  einfachen  Bischof,  der  bereits  confirmirt,  aber  noch 
-jiicht  eottsecrirt  ist.  Wenn  gleich  daher  cap.  15.  X.  cit. 
nnr  vom  Bischöfe  spricht,  so  konnte  doch  auch  auf 
diese  Stelle  analog  Bezug  genommen  werden.  •  Allen- 
falls hätte  von  dem  Citate  dies  durch  den  Zusatz :  argu- 
aiento:  angedeutet  werden  können. 

Dafs  unsere  beiden  Verfasser  über.Grund  und  Be- 
deutung des  Cölibats  von  einander  abweichen  (Eichhorn 
I.  S.  521  Anm.  19.  S.  528.  Anm.  39.  Waher  4.  207. 
besonders  S.  406  not.  v)  wird  nicht  befremden. 

Viele  Controversen  giebt  es  noch  überliaupt  bei 
der  Beurtheilung  ehelicher  Verhältnisse  und  eine  Menge 
dsrselbea  finden  wir  denn  auch  bei  beiden  Autoren, 
die  gerade  In  dieser  Materie  mehr»  als  in  irgend  einer 
andern,  auf  einander  Rtteksicht  nehmen  und  sich  be- 
kftittpfen«  Ak  Prindp  jeglichen  Vrtheils,  das  in  Ehe- 
iMichen  ergeht,  scheint  aber  festgehalten  werden  zu 
SBüsseo,  dafs  gemttfs  der  Verschiedenheit  des  katholi- 
sehen  und  protestantisehen  Eherechts  (Eichhorn  11,269 
fblg.  Walter  §.  288  folg.)  Katholiken  nur  nach  je- 
nen, Protestanten  nur  nach  diesem  gerichtet  werden, 
gleichviel  ob  die  entscheidende  Behörde  ehie  weltliche, 
eder  geistliehe,  eine  dem  Bekenntnisse  der  Parteien  eu- 
gehörige  sei  oder  nicht  Dies  ist  eben  das  von  uns 
eehott-  oben, näher  erörterte  Moment  der  Persönlichkeit 
des  Rechts  scMechthin,  dessen  Anwendbarkeit  wir  da- 
her auch  für  eine  gemischte  Ehe,  in  Anspruch  nehmen« 
Ehe»  darum  scheint  eine  Abweichung  hievon  in  ein- 
selnen  Gesetsgebungen  den  Umständen  nach  eine  Harte 
'  EU  enthalten  und  die  Ansicht  Walters  sich  nicht  recht- 
fertigen SU  lassen.  Derselbe  äufsert  nämlich  (§.  294. 
S.  57S)  „die  Ehen  der  Protestanten  werden  auch  von 
den  katholischen  Kirchen  als  IShen  geaclHet.  Wenn 
jedoch  eine  solche  Ehe  vor  einem  katholischen  Ehe- 


n    r    0    €    A    t.  374 

gericht  sur  Sprache  gebracht  wird,  mo  kann  dieselbe 
hierin  nach  den  Voraussetzungen  beurtfaeilt  werden,  un^ 
ter  welchen  eine  Ehe  auch  unter  Katholiken  eine  voll- 
giihige  wäre."  Dies  wird  in  der  Anmerkung  su  die- 
ser Stelle  noch  naher  dahin  bestimmt:  „Wenn  auch 
die  katholische  Kirohe  ihre  Gesetze  den  Protestanten 
als  einer  getrennton  Religionsgesellschaft  nicht  als 
Richtschnur  vorschreibt,  so  begiebt  sie  sich  darum  nicht 
des  Rechts,  da  wo  eine  bei  jenen  geschlossene  Ehe  in 
ihren  Wirkungen  auf  ihrem  eignen  Gebiet  cur  Spra- 
che kommt,  diese  hier  bei  sich  nach  ihren. eignen  Ge- 
setsen  zu  beurtheilen".  Aufser  der  Nichtachtung  per- 
sönlicher Berechtigung  liegt  hierin  zugleich  eine  Mifs- 
achtung  des  evangelischen  Kirchenrechts  überhaupt. 
Daher  ist  auch  von  andern  Katholiken,  welche  die  Pa- 
rität  der  Konfessionen  anerkennen,  in  entgegengesetr- 
ter  Weise  geurtheilt  werden  (m.  vergl.  die  Ausfuhrun«' 
gen  bei  Kopp  die  katholische  Kirche  im' neunzehnten 
Jahrhundert.  Mainz  1830).  Yon  diesem  Gesichtspunkte 
aus  finden  wir  auch  z.  B«  die  Bestimmung  der  Cois 
veykchen  Kirchenordnung  von  1690  (gedruckt  Hildes- 
heim cod.  anno)  Cap.  Y.  art.  II.  ganz  in  der  Ordnung, 
dafs  wenn  ein  Nichtkatholik  von  einem  Katholischen 
zum  Gevatter  gebeten  wird,  derselbe  nicht  pro  patrino 
spiritualem  cognationem  contrahente  ins  Taufbuch  ein- 
getragen werden  solle.  —  Walter  hätte  aber  um  so 
weniger  jenen  Grundsatz  aufstellen  sollen,  als  er  selbst 
f.  296.  S.  587  fordert :  „Wenn  die  Staatsgewalt  eine 
christliche  sein  will,  so  darf  sie  keine  Yerbindung  er^ 
lauben,  welche  die  Kirche  wegen  eines  von  ihr  sta- 
tuirten  wesMitlichen  Hindernisses  verbietet«  —  Dieii 
gilt  auch  für  einen  paritätischen  Staat;  denn  es  geh5rt^ 
SU  dessen  Begriff,  dafs  in  der  Gesetzgebung  auf  die 
Katholiken  und  Protestanten,  Jeder  nacA  seinem 
Standpunkte^  gleichmftfsig  Bedacht  genommen  werde. 
Es  bt  aber  keine  Gleichheit  mehr,  wenn  zum  Beispiel 
das  protestantische  Kirchenrecht  durch  die  weltliche 
Gesetzgebung  unterstfitzt,  das  katholische  hingegen  blos 
als  ein  Gewissensrecht  sich  selbst  überlassen  wird.*' 
Wenn  wir  dem  beitreten  (vergl.  übrigens  was  Eich- 
horn II.  S.  33&  337  dagegen  erinnert),  so  ergiebt  sich, 
dafs  hier  doch  dem  Gewissen  des  Einzelnen  noch  we- 
nigstens  Raum  gelassen  ist,  während  selbst  dies  nach 
der  obigen  Beliauptung  Walters  den  Protestanten  nicht 
einmal  nachgegeben  ist. 


375  K    i    r    e   k^e 

Walter  vertheidigt  die  Gewissensehen  protestanti- 
«eher  Fürsten,  so  wie  die  Befugnifs  derselbeoi  sich  von 
der  Kopulation  selbst  su  dispensirea  (§.  294.  S.  578). 
Dagegen  sind  die  Grunde  Eichhorns  II,  329.  330.  lind 
die  Ausfuhrung  Heffter't  (die  Erbfolgerechte  der 
Mantelkiuder  u.  s.  w.  Berlin  1836.  §.  17  folg.)  ent- 
scheidend. 

Was  über  den  Einflurs  der  früher  (vor  einem  be- 
stimmten Alter)  erlangten  nUtilrliqhen  Reife  hinsicht- 
lich der  Fähigkeit  zur  Eingehung  der  Ehe  von  Eich- 
horn II,  340.  Anm;  3.  gegen  Walter  erinnert  worden, 
hat  derselbe  in  den  späteren  Ausgaben  (§•  291.)  aner- 
kannt, dagegen  bt  er  durch  die  von  jenem  B.  II.  Si  353 
Anm.  8.  über  die- Bedeutung  des  Irrthums  für  die  Er- 
zeugung der  Nullität  einer  Ehe  gemachten  Einwendun- 
gen nicht  von  seiner  früheren  Ansicht  abgegangen 
(ed.  IV.  §.  318.  neue  Ausgabe  §.  299.),  und  hat  die- 
selbe bestimmter  entwickelt«  Wir  können  nicht  um- 
hin, uns  hierin  für  Walter  zu :  entscheiden  und  ma- 
chen  auf  eine  nicht  in  den  Buchhandel  gekommene 
Abhandlung  über  denselben  Gegenstand  aufmerksam: 
De  errore  qualitatis  in  personam  redundantis?  scripsit 
Dr.  a  Dittersdorf.  Brunsberg  1839.  18  pp.  4.  (Prooe- 
mium  zum  Index  lectionum  des  Lycei  Ho^iani  für  das 
Ostersemester  3.  J«). 

Indem  Eichhorn  (II,  355.  357.)  die  Grundsätze 
des  kanonisehen  Rechts  von  Bedingungen. bei  der  Ehe, 
als  auf  den  ehemaligen  Unterschied  sewischen  sponsa- 
lia  de  praesenti  und  do  futuro  zu  beziehen,  nur  noch 
^  Httf  Yerlöbjiisse  für  anwendbar  erklärt,  und  die  Auf- 
lösung der  Ehe  von  der  Konsummation  durchi  ein 
Votum  solenn«  aus  der  Lehre  vom  votum  selbst  her- 

■ 

leitet,  ohne  eine  Bedingung  ^,nisi  religionem  ingressus 
fuero"  für  zuläfsig  zu  haltien,  äufsert  Walter,  jen^r 
habe  die  Doctrin  und  Praxis  über  diesen  Punkt  nicht 
angesehen,  und  bemerkt  insbesondere:  „die  Eingehung 
der  Ehe  wird  zwar  nach  der  heutigen  Dlsciplin  vor 
dem  Pfarrer  regelmäfsig  unbedingt  ausgesprochen,  und 
er  darf  ohne  Erlaubnifs  der  bischöflichen  Behörde  kei- 
nen bedingten  Konsens   annehmen.     Dabei    bleibt   es 


n   T    e    €    h    t* 

jedoch  möglich,  daCi  die  Ehegatten  unter  einander?«, 
her  Bedingnisse  festgesctit  haben,  »Iso  die  EinwüH 
gung  vor  dem  Pfarrer  nur  mit  stillschweigender  Be- 
ziehung auf  jene  Bedingungen  ertlieilt  wird."  Achtet 
man  zugleich  auf  die  weiteren  RestrictioQen,  wcldie 
Walter  diesen  Sätzen  zugefugt,  so  sind  beide  Verfai* 
eer  im  Wesentlichen  eii|ig  und  hinsichtlich  der  Dodris 
dürfte  Eichhorn  durchaus  im  Rechte  sein.  Höpa 
Kontrahenten  immerhin  stillschweigend  die  Bedingung: 
nisi  religionem  ingressus  fuero:  gesetzt  haben;  wen 
es  zur  Anwendung  kommt,  wird  das  Gerieht  ludtf 
wegen  der  Conditio,  welche  für  dasselbe  gar  mekt 
existirt,  sondern  wegen  des  Grundsatzes,  den  dasCone^ 
Trid.  sess.  XXIY.  can.  6.  hierüber  aufgestellt  hat,  ik 
Lösung  der  Ehe  bewirken  müssen. 

Einige  andere  Streitpunkte  bestehen  wegen  dir 
kanonischen  Komputation  (Walter  §*  ^^-  EicUieii 
II,  386  folg.)«  wegen  des  Requisits  des  äiterlichen  Kon- 
senses bei  Eingehung  der  Ehe  (Walter  §.296,  dff 
mit  Unrecht  in  cap.  3.  X.  qui  matrimonium  accuiaie 
possent  (lY,  18.)  die  leiges  au(  das  germanische  Beck 
beschränkt«  Es  ist  vielmehr  mit  an  das  römische  n 
denken,  welchem  das  ältere  kanonische  Recht  folgt 
Eichhorn  II,  357.  433),  wegen  der  Begründung  der  tt- 
kramentalischen  Natur  der  Ehe  (Eichhorn  II,  442.  4tt 
Walter  §.  295.)i  der  Legitimation  durch  nachfolgeiid^ 
Ehe  (Eichhorn  II,  450.  451.  Walter  §.  311.  S.  620), 
der  Unauflöslichkeit  der  Ehe  (Eichhorn  11^  465.  tfat 
ter  §.  313.  S.  622),  wegen  der  gemischten  Ehen  (Eidh 
hörn  II,  492  folg.  500  folg.  Walter  §.  318.  not  i. 
S.  634)  u«  a.  m.     Der  näheren  Ausgleichung  musiei 

"  wir  uns  enthalten,  da  nicht  ohne  eine  vollständige  Ex- 
plikation  des  gesammten  Eherechts  dieses  mdglich  mu 
würde.  Ebeii  so  möge  genügen,  wenn  wir  erin»<w» 
dafs  bei  den  Lehren  von  der  kirchlichen  Baukst,  dei 
bischoflichen  Gehilfen  u.  s.  w.  bei  einer  neuen  Aoi* 
gäbe  von  Eichhom's  Grundsätzen  eine  besondere  Ben- 
sion nöthwendig  sein  dürfte. 

H.  F.  Jacobson. 


wissen 


Ji^  48. 

Jahrbüche 

für 

I 

8  e  h  a  f  1 1  i  c  h 


e    K  r  i  t  i  k. 


März   1840. 


XXX. 

Lehrbuch  des  Latetmschen  Stils  ton  Ferdinand 
Wand.  Zweite  r erbesserte  Ausgabe.  Jena^ 
in  der  Cröherschen  Buchhandlung.  1839.  8. 
X  u.  502  S. 

Practisehes  Handbuch  für  Uebungen  un  Latei- 
nischen Stil  von  Ferdinand  Hand.  Jena. 
Croiersche  Buchhandlung.  1838.  8.  X  t#. 
240  S. 

Bei  den  Lehrbüchern  des  L&teinischen  Stils  -  ist 
joan  bisher  gewöhnlich  auf  zwei  Abwege  gerathen. 
Entweder  gab  man  allgemeine  Regeln  zur  Rhetorik 
und  Logik,  oder  man  reihte  einzelne  Notizen  mehr  in 
za£RUig.em  äuEieni^  als  nothwendigem  innern  Zusam- 
'liienhange  aneinander/  und  verwies  deuj  der  die  Kunst 
Lateinisch  zu  schreiben  erlernen  wollte,  mehr  auf  eigne 
Beobachtung  und  eigenes  Glück,  als  dafs  man  ihn  mit 
bestimmten  Prinzipien  und  Regeln  ausrüstete.  Der  Art 
ist  X.  B.  noch  das  neueste  Werk,  das  sich  eine  Theo- 
rie des  Lateinischen  Stils  nennt,  von  C.  I.  Grysar 
(Cöln  1831).  .Es  ist  das  Yerdienst  des  Hm.  Hand,  zu- 
erst auf  eine  wbsenscliaftliche  Weise  iie  Lehre  vom 
Lateinischen  Stil  behandelt  zu  haben,  und  dafs  sein 
Unternehmen  mit  Beifall  aufgenommen  worden  ist,  be- 
weist die  Jetzige  zweite  Ausgabe  des  Buches ,  die  der 
ersten  in  nicht  langem  Zwischenräume  gefolgt  ist.  Sie 
Ist  im  Allgemeinen  nicht  verändert;  aber  durch  häu- 
fige Zusätze  und  Berichtigungen  verbessert. 

Ilr.  Iland  bestimmt  die  Theorie  des  Lateinischen 
Stils  (p>  11)  als  die  Anweisung,  wie  wir  Deutsche  La- 
teinisch gut  d.  h.  richtig  und  schön  schreiben  sollen. 
Vorausgesetzt  wird  das  Geschick ,  richtig  .denken  zu 
können,  vorausgesetzt  die  Regeln  der  Rhetorik,  die  bei 
allem  schriftlichen  Ausdruck  nothwendig  sind.  Es  soll 
nur  gezeigt  werden,  wie  Beides,  abweichend  vom  Deut- 
Jahrb.  /.  wUsennh.  Kritik.   J.  1840.     L  Bd. 


sehen,  und  als  ^characteristische  Eigenschaft  des  Latei* 
nlichen  beim  Gebrauche  der  Lateinischen  Sprache  in 
Anwendung  Jcommt.    Grammatisches  und  LexicalLsches 
glaubte  Hr.   Hand  mit  aufnehmen  zu  müssen:   er  be- 
zeichnet es  erst  (Vorrede  S.  8)  als  den  rechten  Gewinn,, 
der  aus  einem  solchen  Lehrbuche  gezogen  werden  kann, 
wenn  der  Leser  es  zu  einem  Adversarium  macht,* in. 
das  er  eigene  Bemerkungen  unter  den  betreffenden  Ru- 
briken einträgt.    Gewifs  mit  Recht.    Mit   dem  Gram- 
matischen und  Lexicalischen  würde  aller  wahre  Inhalt 
eines  solchen  Lehrbuches  wegfalten :  es  wurde  ein  Fach- 
werk von  Regeln  sein,  dem  Brauchbarkeit  fehlte.  Wir 
würden  indefs  nicht,  wie  es  S.  10  heifst,  sagen:  „Die 
Theorie  des  Stils  hat  die  Regeln   der  Anwendung  der 
grammatischen  Gesetze  zu  zeigen."    VTelche  Gramma- 
tik thut  das  nicht  auch?  Das  Prinzip  des  Stils  ist  über- 
haupt Schönheit;   Correctiieit  an  und   für  sich  gehört 
nicht  in  die  Lehre  vom  Stil^  es  mufs  über  sie  nur  ge- 
sprochen werden,  in  so   fern  sie  zur  Schönheit  noth« 
wendig  ist.    Hieraus  crgiebt  sich  auch  die  Gränze  zwi*- 
schen  Stil  und  Lexicon  und  Grammatik.  Da  wir  nämlich 
unter  Lateinischem  Stil  den  Gebrauch  der  Lateinischen 
Sprache,  der  sich  bei  den  sogenannten  Classikern  fin- 
.det,  verstehen,  so  wird'  die  Lehre  davon  als  Material, 
mit  dem  sie  es  zu  thun  hat,  Grammatik  und' Lexicon 
in  so  weit  umfassen,  als  Beides  sich  bei  den  Classikern 
gebraucht    findet,    oder,    wenn   man   die   gewöhnliche 
Grammatik  voraussetzt,  alles  das,  worin  ein  upterschet  < 
dendes  Merkmal  der  classischen  und  jeder  schlechteren 
Schreibart  liegt.  Hr.  Hand  spricht  in  seinen  Erläuterun- 
gen über  das,  was  eine  Theorie   des  Lateiubchen  Stils 
lehren  soll  (S.  11),  diesen  Grundsatz  zwar  nicht  aus, 
doch  beobachtet  er  ihn  stilbchwcigend. 

Wir  kommen  zum  Buche  selber.  Es  zerfällt  in 
zwei  Haupttheile,  von  der  Correclheit  und  von  der 
Schönheit:  vorangeschickt  sind  Erörterungen  über  den 
Lateinischen  Stil  im  Allgemeinen,    über  die  Geschichte 

48' 


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379 


Handy  Lehrbuch  de9  Lateinuehen  Stils. 


380 


und  den  Character  der  Sprache«  Die  Regeln  werden 
in  Paragraphen  vorgetragen  und  ihnen  in  Anmerkungen 
•Beispiele  und  Erläuterungen  beigegeben.  Ueberall  er« 
kennt  man  die  Absicht  des  Hrn.  Verf.,  nicht  eine  blols 
ineehanische  Behandlung  der  Sprache  und  eki  bewufst- 
loses  "RLueignen  ihrer  Gesetze,  sendem  die  künstlerische 
Handhabung  derselben  su  lehren.  Die  Verdienste  des 
Hrn.  Hand  um  die  Lateinische  Literatur  sind  aner- 
kannt. Wir  brauchen  also  nicht  zu  erwähnen,  wte 
auch  das  vorliegende  Werk  überall  seine  gründliche 
*  Gelehrsamkeit  beweist.  Indessen  ist  es  naturlich,  dafs 
bei  dem  neuen  Wege,  den  er  zuerst  eingeschlagen,  den- 
noch Manches  sich  findet,  das  einer  ^nähern  Prüfung, 
Manches  wohl  auch,  das  einer  Berichtigung  bedarf. 
'Wir  wollen  uns  im  Folgenden  einige  darauf  bezügliche 
Bemerkungen  erlauben. 

Mit  grofscr  Schärfe  sondert  Hr.  H.   die  Begriflfb 
und  sucht  Alles  bis  auf  Einzelheiten  zurückzubringen, 
geräth  aber  dabei  zuweilen  auf  einen  Abweg,  der  b^i 
einem  Lehrbuche  am  meisten   zu  vermeiden  ist;  denn 
für  den  Lernenden  ist  es  unbezweifelt  besser,  wenige 
Rubriken,  in  denen  das   Verwandte    zusammengefafst 
wird,  zu  haben,  als  bei  vielen  fein  spaltenden  Unter- 
schieden das  Ganze  weniger  übersehen  zu  können.    In 
der  Entwickelung  des  Characters  der  Lateinischen  Spra- 
che S.'82  folgd.  werden  z.  B.  zehn  Eigenthümlichkei- 
ten  der  Lateinischen   Sprache  aufgestellt,  Mangel   an 
Abstraction    und   Streben   nach   concreter   Auffassung, 
objective  Anschaulichkeit,   Streben   nach  Bestimmtheit 
und  strenger  Fixirung   der  Behauptung,  Klarheit  und 
Einfachheit^   Einheit    der   grammatischen   Verbindung^ 
männlicher  Ernst  und  nüchterne  Verständigkeit  u.  s.  w. 
Wir  glauben    nicht,    dafs  hierdurch   ein   wirklich  an- 
schauliches Bild   gewonnen   wird.     Sind  zudem  nicht 
Streben  nach  concreter  Auffassung,  objective  Anschau- 
lichkeit,  Klarheit  und  Einfachheit,  Einheit  der  gram- 
matischen  Bezieliungen,  so  miteinander  verwand t^  dafs 
sie  fuglich  zusammengefafst  werden  können  t  Alle  diese 
£igenthümlichkeiten  konnten  ferner  unter  eine  Einheit 
gebracht  und  gleichsam   genetisch   entwickelt  werden, 
wenn  gehörig  hervorgehoben  wurde,  dafs  die  Römische 
Prosa  sich  durch  die  olfentliche  Beredsamkeit  bildete. 
—  Der  Abschnitt  von  der  Klarheit  S/  237  zerfällt  in 
acht  Abtheilungen,  von  der  Angemessenheit  des  Aus- 
drucks, von  der  Bestimmtheit  des  Ausdrucks,  von  der 
Einstimmung  der  Beziehungen,  von  der  Anschaulich- 


keit, von  dem  Gebrauch  des  tropischen  Amdmcks  «. 
8.  Vf.  Wir  glauben,  dafs  hier  der  Gebrauch  des  tropi- 
schen Ausdrucks  dem  Abschnitt  von  der  Angeflsenen. 
heit  des  Ausdrucks  untergeordnet,  die  drei  andern  Ak 
schnitte  aber  in  einen  zusammengezogen  werden  icMn- 
ten.  Auch  bei  der  Angabe  grammatischer  Regeln  sdieint 
das  Bemuhen,  Eigcnthümlichkeiten  det  LateiniseheD 
Spraclie  aufzustellen,  der  Ordnung  und  Uebersiehtlidi- 
keit  des  Ganzen  zuweilen  Eintrag  gethan  zu  haben. 
Es  heifst  S.  195,  wo  von  der  Verschiedenheil  des 
Deutschen  und  Lateinischen  in  Bezug  anf  den  Mote 
gesprochen  wird,  unter  nr.  1:  ^Jier  Lateiner  spridit 
gern  im  Indicativ  assertorisch  aus,  was  der  Deutsche 
durch  den  Conjunctiv  der  Hülfsvvörter  bezeichnet.  So 
(Soll  das  X.  B.  heilsenf  .  Die  folgenden  sind  ja  aber 
eben  die  einzigen  Deutschen  HCdfszeitwörter.)  bei  den 
Wörtern  könnte^  dürfte^  mB/stej  würde,  wäreJ^  Un- 
'ter  nr.  3  heifst  es  dann  wieder:  „Ein  gleicher  Gnud 
liegt  vor,  weshalb  die  Römer  weit  seltener,  ula  wir 
nach  Deutschem  Sprachgebrauch,  der  Behauptung  ebie 
Limitirung  der  Bescheidenheit  und  des  Zweifels  baA-» 
gen."  Geschieht  dies  aber  nicht  durch  eben  jene  schon 
erwähnten  Hülfszeit Wörter  ?  Femer  unter  nr.  4.  9,Der 
'  Begriff  des  Pflegens^  des  Geschehenkönnens  wird  dem 
Römer  zur  bestimmten  Anschauung,  und  er  spricht  über 
ein  Herkommen,  eine  Sitte,  eine  Beftlhigung,  wie  über 
eine  Thatsache,  im  Indicativus.**  Verstehen  wir  dies 
recht  (denn  weder  jene  Regel,  noch  das  beigeiugte 
Beispiel  Cicero  p.  leg.  Manil.  5,  13  ^od  ejusmodi  in 
provinciam  homineM  cum  imperio  mittimm  macht  uns 
die  angegebene  Eigenthümlichkeit  klar),  so  ist  es  wie- 
derum dasselbe  wie  unter  nr.  1. 

Wo  Hr.  H.  S.  115  und  folgd.  von  der  Reinheit  der 
Sprache  und  zwar  zuerst  von  der  Wahl  ächter,  richti- 
ger Wörter,  dann  von  der  grammatischen  Richtigkeit 
handelt,  verfolgt  er  im  Ganzen  einen  negativen   Weg. 
Er  warnt  vor  Archaismen,  vor  Neologismen,  vor  Ger- 
manismen,  vor  der  Täuschung,  die  häufig  aus  falseiien 
Lesatlen  ju.  s.  w.   entsteht.    Zweckmäfsiger,   glauben 
wir,  wäre  eine  mehr  positive  Behandlung  gewesen,  die 
das  Gute,  das  man  brauchen  darf,  erwähnt  hätte.    AJs 
unbedingt  anwendbar  konnte    das  aufgestellt   werdeo^ 
was  bei  den  uns  erhaltenen  Mustern  des  goldenen  Zeit- 
alters, bei  Cicero  und  Caesar,  vorkommt.     Aliein  auch 
in  der  Sprache  des  silbernen  Zeitalters  ist  sehr  Vieles, 
das  wirklich  als  ein  Fortschritt  und  eine  Fortbildung 


381 


'Bandj  Lehriuek  4$»  lmi»inüeAen  Siüs. 


382 


Anzusehen  itt,  z.  fi.  ^er  GeMuch  des  Parliclpii  Fit- 
twr«  Aotivi  sur  Bezeichnung  der  Absicht,  hesonders  in 
der  Zusammeostelliuig  mit  Condiüonalsjiuen ,  die  Yec- 
bfaidnng  der  Adverbia  m,  fuo  mit  dem  Genitiv  sur 
Bezeiehnung  des  Grades',  der  Gebrauch  des  Participti 
Farf,  Pass.  im  Ablativ  als  Prädicat  eines  Satzes  z.  B. 
^ejF^  amdÜ0  k^tf  apjMrapinguarey  €0friaM  maM  tun- 
iraxiiy  u.  s.  w.  Selbst  bei  den  Vonehrlften  über  die 
Wahl  richtiger  Wörter  konnte  über  ganze  Classen  von 
Vr^Hrtetn  gesprochen  werden,  x.  B..  die  Adjeetiva  auf 
bUia,  der  Suhstantiva  auf  us  und  io  und  mentura.  Wir 
glauben,  dafs  solche  bestimmte  Angaben  von  Brauch- 
barem mit  Warnungen  vor  Unbrauchbarem  hätten  ver« 
hiiiiden  werden  müssen*  —  Rhetorisches  ist  bei  Hrn.  H. 
ganz  ausgeschlossen.  ^  Ob  mit  Recht,  läfst  sich  bezwei- 
feln.  Die  Lateinische  Sprache  bildete  sich  in  der  Rede 
ans,  die  ganse  Bildung  der  Römer  war  wesentlich  rhe- 
torisch: es  wird  ako  auch  unter  uns  Niemand  gut  La- 
teinisch sohreiben  können,  ohne  ein  gewisses  Maafs 
riietorischer  Kenntnisse  zu  haben.  Zudem  brauchen 
wir  selber  die  Lateinische  Sprache  hiufig  zu  oratori- 
sdien  Zwecken«.  ^  wie  also  Hr.  H.  über  den  Ge- 
brauch des  Tropus,  der  doch  dem  Redner  hauptsäch- 
•lich  nothwendig  ist,  spricht,  ebenso,  dünkt  uns,  hätte 
er  auek  über  den  Gebrauch  der  Figuren,  wenigstens 
derer,  die  sich  auf  die  Darstellung  beziehen ,  sprechen 
müssen.  Sie  sind  das  vorzügliehsteMittel,  um  dein  Ausdruck 
Abweeiisetttng   und   Mannigfaltigkeit    zu    verschaffen. 


sehen  Handbuche  Statt  finden,  die  jetzt  dem  Lehrer 
oder  dem  guten  Glucke  des  Lernenden  Qberiassen  bleibt 
Dafs  sich  bei  der  Menge  des  Materials,  das  verar- 
beitet werden  mulste,  auch  Ungeuauigkeiten  und  Un* 
richtigkeiten  einschlichen,  ist  erklftrlich.  Wir  erwähnen 
Einiges  aus  dem  Capitel  von  der  grammatischen  Rich- 
tigkeit. Wenn  S.  172  die  Unterlassung  der  Verwand« 
lung  des  Gerundii  in  das  Parücipium  Futuri  pass.  als 
archaistisch  bezeichnet  wird,  so  hätten  die  einzelnen 
Casus  des  Oerundii  unterschieden  werden  müssen,  da 
B.  B.  der  Ablativ  des  Gerundii  mit  dem  Accusativ  nicht 
selten,  der  Dativ  dagegen  -  höchst  selten  ist.  Dennoch 
erklärt  Hr.  H.  eine  Redeform,  wie  in  alloquendo  vi- 
etorem  bei  Livius  30,  13,  9  fOr  an>vendbar,  und  setzt 
hinzu:  „andere  Redeformen,  yiit  quam  (viam)  nobü 
yuoqUe  ingrediendum  sity  Cicero  de  sen.  2,  6  oder 
earum  rerum  infiHandi  rationem^  Cicero  in  Yerrem 
4,  47,  104  bestehen  durch  besondern  Grund  der  At- 
traction.''  Wir  begreifen  nicht,  was .  die  AttracUon  hier 
soll.  Cicero  wählte  eine  etwas  ungewöhnlichere  Ver- 
bmdung,  um  den  Gleichklang  ir^fitiandarum  —  defen^ 
dendarum  zu  vermeiden,  den  er  an  anderen  Stdlen 
freilich  nicht  vermeidet.  Aber  Attraction  d.  h«  doch 
hier  nichts  anders,  als  die  Abhängigkeit  des  Genitivs 
vom  Subst«  raiionem  findet  nicht  weniger  bei  ififiiian" 
darum  Statt.  Und  warum  soll  ,die  Stella  de  senect.  2 
tamquam  aliquam  viam  longam  eon/eceri$^  quam 
noiis  quoque  ingrediendum  mV,  durch  Attraction  te- 


Man  könnte  die  Frage  aufwerfen:  Ist  nun  Jemand,  ^eiehen?  Also  besteht  auch  wohl,  wird  Jemand  sagen. 


der  die  gewöhnliche  Grammatik  inne  hat,  wenn  er  die- 
ses Lebrbueh  gelesen  und  studirt  Imt,  im  Stande  La- 
teinisch zu  schreilien,  einen  Lateinischen  Satz  zu  bil- 
jden?  Wir  müssen  es  bezweifeln.  Es  liegt  hierin  kein 
Vorwurf  f&r  Hrn.  H.;  denn  eine  Theorie,  die  er  ent- 
^jperfen  wollte,  kann  nicht  dem  Anfänger  dienen,  son- 
dern  soll  den  schon  weiter  Vorgeschrittenen  ausbilden 
und  zum  SelbstbewuPstsein  bringen.  Wäre  es  indefs 
nieht  sweckmäbig,  am  Ende  der  Theorie  zu  zeigen, 
wie  es  der  Lateiner  anflkigt,  um  einen  Satz  su  bilden  f 
Die  Sache  scheint  vielleicht  zu  sehr  practbch,  als  dafs 
«ach  Begeln  darüber  geben  liefsen,  und  wir  läugnen 
ttiehr,  dafs  dmr  grölsere  Tlieil  der  Uebung  anhehn  fällt. 
Gewbse  Andeutungen  und  Winke  werden  aber  mög- 
lich sein,  die  durch  Beispiele  anschaulich  gemacht  wer- 
den können«  So '  w&rde  eine  Vermittelung  zwischen 
Theorie  des  Lateinischen  Stiles   und  dem  practi- 


der  Satz  legi  Handii  librum^  quem  tibi  quoque  legen- 
dum  eMt  statt  qtsi  —  legendus  est»  Cicero's  Aus- 
druck an  dieser 'Stelle  ist  und  bleibt  singulär.  Was 
hätte  er  verloren,  wenn  es  hiefse  quae  uobis  quoque  in- 
gredienda  sit?  —  S.  173  heifst  es:  „studere  aliquid 
(Cic  Phil.  6,  7,  18)  ist  eine  Construction,  die  fast  erst 
eines  Citats  der  Beglaubigung  bedarf.'*  Die  Stelle  des 
Cicero  heifst:  unum  eentitis  omneSy  unum  siudetisy 
ganz  gewöhnlich,  als  Neutrum  eines  Pronomens,  wie 
Aoe  operam  doy  hoc  tibi  auctor  sum.  Wer  kann 
aber  daraus  schliofsen,  dab  man  im  Allgemeinen  stu- 
dere mit  dem  Accus,  verbinden  darf?  Weiter  in  der- 
selben Anmerkung:  ,^Livius schrieb  5,  39.9  si  quidquam 
in  voiisy  non  dico  eiviiisy  sed  Aumani  ^e»ety  wo  die 
Rechtfertigung,  die  Worte  non  dico  civiÜM  seien  Zwi- 
schensatz, nicht  ganz  ausreicht."  Wer  kann  diese 
Rechtfertigung  brauchen  t  Auffallend  ist  hier  die  Yer- 


383 


Band^  Lehrbuch  des  ZißtemüeÄfn  S^ils* 


m 


binduilg  ^uidfuam  ewüü  statt  eivih;  sie  findet  ihre 
Erklärung  in  dem  darauf  folgenden  humani^  und  wird 
durch  ähnliche  Stellen  gerechtfertigt.  Ebendaselbst  in 
der  Anmerkung  zu  ^.  38  wird  über  n07i  statt  ne  beim 
Imperativus  und  Conjunctivus  gesprochen.  Hier  mulste 
•owohi  der  Imperativ  und  Conjunctiv,  als  auch  die  ^in- 
seinen  Personen  des  Conjunctivs  geschieden  werden; 
das  Letztere  verlangt  Quinülian  1,  1,  5,  der  non  fe» 
ceris  statt  ne  fecerii  für  einen  Solocismus  erklärt.  Die 
2te  Pers.  Singul.,  in  der  vorzugsweise  die  befehlenda 
.Kraft  liegt,  wird  sich  au£ser  Uorat.  Serm.  2, 5,  91  ultra 
non  etiam  silects^  wo  überdem  der  Sprachgebrauch  auch 
eilüerie  verlangt,  schwerlich  mit  non  %  erbunden  finden ; 
denn  Valer.  Max.  4,  3  Ext.  4  velhn  non  obetes^  das 
Hr.  H.  anführt,  und  als  obsolet  bezeichnet,  gehört  nicht 
hierher,  und  |)ei  Seneca  Quaest.  Natur.  1,^  3,  welche 
Stelle  in  Reisig's  Vorlesungen  über  Lateinische  Sprach- 
wissenschaft S.  588  angegeben  wird,  steht  ne  dt4bita* 
veri$j  nicht  non  dubitaverü^  Die  übrigen  Personen 
erlaubt  sich  Quiutilian  selber  mit  non  zu  verbiuden,^z. 
B.  7,  1^  56  non  desperemus^  1,  1,  5  non  assue^ 
8cat.  —  S.  175  in  der  Anmerkung  zu  §.  40  wird  die 
Regel  gegeben:  9,Die  Yerba  aecusare,  damnare,  absol- 
vere  verbinden  sich  nicht  mit  dem  Genitiv  eines  jeden 
Nomen  (I),  sondern  nur  der  speziellen  Bezeichnungen 
bestimmter  Yergehen  und  Strafen,  und  man  sagt  nicht 
criminis  aecusare,  aber  invidiae  crimine  und  capitis.!' 
Ur.  H.  scheint  sagen  zu  wollen,  man  Könne  den  Geni- 
tiv solcher  Substantiva,  die  den  Begriff  „Yergehen"  im 
Allgemeinen  anzeigen,  nicht  ^  mit  .jenen  Verbis  verbin- 
den. Dann  würde  also  z.  B.  peccäti^  icelerie^  male* 
ßcii  aecusare  falsch  sein?  Denn  criminis  aecusare 
sagt  man  natürlich  nicht:  Wer  sagt  denn  im  Deutschen: 
Jemanden  einer  Beschttld/gung  anklagen;  wohl  aber 
Jemanden  mit  der  Beschuldigung  dieses  oder  jenes 
V.ergehens  anklagen,  also  crimine  maleficii  oder  ma^ 
leficii  allein.  —  In  derselben  Note  S.  176  heifst  es:' 
„Cicero  «und  Caesar  bleiben  der  Regel  treu,  nach  wel- 
cher bei.  einem  Infinitivus  das  Passivum  (soll  heifsen 
des  Passivi)  nicht  coepisse,  sondern  coeptum  esse  ge- 
sagt wird,  dagegen  Sallust*'  u.  s.  w.  Diese  Regel  ist 
allerdings  gegeben  worden,  aber  sie  ist  unrichtig;  und 
es  ist  nicht  gerathen,  die  Lateinische  Grammatik  noch 
mit  Satzungen  zu  vermehren,  von  der  so  eclatante  Aus» 
nahmen  sind^  wie  Cic.  Brut.  27  eoque  forum  tenente 
'^ViVfifieri  judicia  eoeperiint,  gerade  so  wie  Hr.  Hand 
als  nicht  nachzuahmende  Eigenthümlichkeit  des  Sallust 
anführt:  älia  hujusmodi^^?rf  coeperc. 

Einen  Anhang  bilden  Winke  „zur  Methodik,'*  de- 
ren Ausfnhrang  ,^da8  practische  Handbuch  für  Uebun- 
gen  im  Lateinischen  Stil"  ist.  Hr.  H.  sagt  in  der  Yor- 
rede  dazu  S.  5 :  .,Nach  meiner  Ansicht  kommt  es  haupt- 
sächlich darauf  an,  die  moderne  und  mit  der  vaterlän- 
dischen Sprache  verschmolzene  Abstractionsweise  auf 
die  alterthümliche  und,  Lateiniscite  zurückzuführen  und 
hier  soll  eben  die  Kunst  gewonnen  werden,  acht  Deut- 
sche Gedanken  in  acht  Lateinischer  Sprache  auszu- 
sprechen.*'  Das  ist  also  die  Tendenz  des  Buches  und 
'das  Resultat   der  früher  anzustellenden  Uebungen  soll 


sein,  die  am  Ende  angefohrten  Stücke  aas  Deutschea 
Schriftstellern  in*s  Lateinische  übertragen  zu,  können, 
(vergl.  S.  6).  Wir  erkennen  an,  dafs  Jemand,  der  die 
Lat.  Spraehe  gelernt  hat,  auek  etwas  Deutsch  gedaek. 
tes  und  geschriebenes  in's  Lateüüsche  zu  ^übeHngca 
verstehen  mufs :  und  er  wird  es  verstehen ;  aber  ab 
Hebungen  für  Anfänger  halten  wir  solche  üebertrapin. 

fen,  so  viel  Nützliches  sie  auch  für  schon  Geübte  ha* 
en,  für  zu  schwer.  Wie  viel  JMülie  macht  es,  etwn 
Lateinisches  acht  Deutsch  wiederzugeben;  und  eine  \k 
geringere  Gewandtheit  können  wir  im  Lateioischcs 
erlangen,  als  wir  im  Deutschen  besitzen!  Schon  bei  ei- 
ner neuern  Sprache  würde  jene  Methode  gefahrlieh 
sein:  sie  aber  bei  der  eines  Volkes,  das  durdi  nc|^ 
Jahrhunderte  von  uns  setrennt  nothwendiger  Weite 
eine  ganz  verscl&iedene  Denk-  und  Sprechweise  haben 
mufs,  anzuwenden,  kann  nur  zu  einseitiger  Auffasson« 
fuhren,  niemals  aber  diejenige  Gewandheit  und  VcT' 
.trautheit  mit  derselben  verschaffen ,  die  sie  um  aii 
lebende  handhaben  läfst.  Wenn  Hr.  H.  sich  gegen  den 
von  Vielen  gebilligten  Weg,  sich  an  der  üeberselwn» 
von  Stücken  neuerer  Latinisten  cu  üben,  erklärt  uni 
meint,  „besseres  Wasser  werde  doch  aus  der  reiuei 
Quelle  geschöpft,"  so  hat  gewifs  Keiner  von  denen,  die 
jenen  Weg  einschlugen,  gezweifelt,  dafs  Stucke  aus 
alten  Schriftstellern,  ,^an  denen  Alles  Regel  sein  kann,' 
sobald  sie  sich  durch  ihren  Inhalt  empfehlen,  und  ua. 
serer  Anschauungsweise  näher  stehen,  besser  sud,  als 
Stücke  aus  Neuern.  Da  Beides  aber  nicht  häufig  der 
Fall  ist,  so  haben  sie  nolhgedrungen  zu  Muret,  Emesli) 
Kuhnken  u*  s.  w.  dhre  Zuflucht  genommen. 

Das  Buch  selber  zerfällt  in  xwei  Ahtheilunges.  Die 
erste  enthält  „Aufsätze  mit  Originalen  verglichen''  1  L 
die  Uebersetzung  von  Stiicken  aus  tlicero,  Quintiiiao, 
Seneca,  Livius,  die  in  das  Lateinische  zurficküberseti^ 
und  mit  den  Originalen  verglichen  werden  sollen;  „Ma- 
ster in  ihrer  Zergliederung,"  Stöcke  aus  Clcera  uad 
Caesar,  die  in  grammatischer  und  stilistischer  Hinsiclrt 
erklärt,  und  zergliedert  werden,  eine  (reffliche  Anlei- 
tung, wie  man  die  LectQre  der  alten  Schriftsteller^ 
Bildung  des  eigenen  Stils  benutzen  kann;  endlich  „Kri* 
tik  und  Verbesserung  mangelhafter  Aufsätze,"  wohl  nur 
für  den  Lehrenden  berechnet.  Die  zweite  Abiheilung 
besteht  aus  einigen  Beispielen  zu  einer  jetzt  etwas  ab- 
gekommenen Art  der  StÜübiing  „au'r  Imitstion,'*  & 
folgen  „Aufgaben  zur  UeberseUung''  von  Stücken^aM 
Deutschen  Schriftstellern  5  den  Schlu fs  bilden  „Themata 
für  freie  Bearbeitung,"  bei  denen  wir  indefs  förclrteö, 
der  Standpunkt  sei  zuiki  Theil  zu  hoch  gewählt.  Wla 
soll  Jemand,  der  sich  im  Laleinischschreiben  «oeli  »K 
Aufgaben,  wie:  „componftur  Electra  Euripid» J:"* 
tragoedia  Sophoclis,  wobei  zu  bestimmen,  ob  das  Stuck 
dem  Euripides  mit  Recht  zugeschrieben  werde  odw 
nicht,"  oder  de  po^tis  Alexandrinis  oder  de  ««'5['"| 
veterum,  auch  nur  einigermafsen  genügend  beha'M»"j 
Denn  es  kommt  hier  nicht  darauf  an,  Aufgaben  zu  »^^* 
Icn,  die  der  Lernende  allenfalls  schlecht,  sondern  w« 
er  mit  Leichtigkeit  gut  behandeln  kann. 

Dr.  A.  W.  ZumP** 


] 


J  a  h  r  b  fi  c  her 

für 

wissen  s  c  h  af  tl  i  ch  e 


Kritik. 


März  1840. 


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Die  Lehre  rom  Mord  und  Todlschlag^  einer  At- 
storüch'piUtosiophfechen  Kritik  unterworfen^  zu" 

.  ghi^h  dagmaOechj  dßgmengeuhiehtKch  $$nd 
emi  Rüeheicht  en^  die  nenem  Geeetzgebunfem 
eiärfeslelü  «•!•  Ckrittiam  JSemhald  Mmetlin^ 
Adeohaien  zu  Stuttgart.  Erster  THieil.  Die 
Ideen  dee  romischen  Rechts.  Stuttgart,  1838. 
Verlag  der  J.  1^.  Metzlerschen  Buchhandlung. 
Xri.  224  8.    S. 

Wir  k$ben  kier  dkn  Aafang  ehier  wiMenseharMI« 
cken  Vm 6it«cbmg  yrot  whm^  dte,  Je  Dftefa  4tn  versebi»* 
denea  ItttihCttiigen,  von  denen  man  atmgeht^  vaeh'  den 
Fofdefungep,  die  na«  ?eii  dieaem  Standpmikte  a^a  an 
ebi*  Jttfiatlaeke  Daratdluiig  maekt^  fceaonderd  Wie  aie 
die  ereteo  Zdlen  dea  TItda  beKeiohneiiy  elee  sehr  enC« 
gegengeeeCEte  BeurfheBuHg  erfabreii^wM.  Wir  deu« 
teil  fluift  achen  an,  wozu  der  irtifere  Tkel  Veranlaa- 
amig  giekt,  ^dafs  eben  diese  Rielitiingeii  und  Ferdtraa* 
gen  im  Verhaltnbae  s»  der  LebliiDg  dea  Vetfc.  der 
Gegenaffind  dar  Beapreelwng'iiitd  Verafabamiiig  wer« 
den  mafeten,  beror  es  adgttek  wäre  grQadReb  an  den 
Inlialt  SV  gehen.  Ja^  dieser,  abgeseh^en  von  dem  Zu« 
anmmei^iaiige,  fas  ^releben  er  aelbal  neih wendig  mit  def 
Form  mid  Methede  steht,  könnte  rOelcalehtUeh  einer 
heaohdern  Lehre  aua  einem  iMatimmten  Zweige  einer 
Wlaaenaehaft,  die  aneh  wiedar  nvr  ein  Glied  einea  gra« 
tben  Ctenien  ist,  ondrioksiMitlteb  der  weitem  Ein» 
neinhelten  hi  einem  gewisseii  Grade  gleiebgQltIg  er<^ 
gdiehieD,  gegenüber  der  fVage  nach  der  Methode  der 
Beimntfkng,  die  ihren  EfaifluOi  auf  daa  Ganae  emtreelrt; 
Dieae  Frage,  die  ateb  auch  bei  andern  Oelegenh  Am 
mibrfaigen  Uefse  und  adion  oft  eriftrtert  ist,  kann  l^r 
nieiit  gans  nmgangen  werden*  Der  Vetf*  ruft  jAe  von 
Nenov  herror,  und  mit  ihr  einen  Streit,  der,  wf^  ieh 

Jmkrb.  f.  wiuemck.  KrÜSk.  J.  1840.  L  B4. 


g^be,  erledigt  sein  ntlftio  und  komrte,  wenn  man  gew 
neigt   wäre,  sieh   so  verständigen.      Wir  verwerfen 
wahrlurft  wteensehaftKehen  Streit,   d^  sieh  in  objek- 
tiven Grenaen  bewegt,  keineswegs:  er  ist  nothwendig, 
wett  der  Begriff  der  Saehe  aelbat  die   vendkfedenen 
Gegenafttae  als  Riehtungett  in  alefa  fafst,  sie  mit  Bh-em 
Reeht  aneikennt  und  entläfst;  kann  das  Dasein  nicht 
geleugnet  werden,  uo  mufa  auch  daa  Reeht  d«»eiben 
gelten  $  aber  ea  findet  seine  gebthrende  Sehranke  durch 
daa  Yerhäknira  eu  andern  gleteh  berechtigten  Momen- 
ten in  dem  Ganaen  und  der  Idee  desselben.    Aber  fref. 
lieh,  diefs  ist  nicht  der  gewöhnBebe  Strwt,  der  von 
dem  Streben  des  einen  oder  andern  Manwnts  ausgeht, 
nieht  als  soldlres  mit  und  neben  den  übrigen  cv  gelten 
und  mit  Ihnen  seine  Wahriielt  in  dem  Ganzen  zu  ha^ 
ben  —  sondem  welches  fSr  sieh  allein  gehen,  dfe  an- 
dern nicht  hestehen  lassen  wiH.    Hier  wird  es  Pardid- 
kämpf,  behaftet  mit  der  Subjektivitftt,  die  ihre  ganze 
Kraft  mit  nUen  ihren  YorzQgen  und  ihren  'Mängeln 
daran  giebt/   Auch  von    solchem  Streit   ist  sicherlich 
für  die  Wahrheit  Nutzen  erwachaen  —  schon  deshalb, 
well  die    verschiedenen  Standpunkte    erst   durch  den 
Gegensatz  und  Widerspruch  ihre  Bedeutung  und  das 
Bewufstsein  derselben  erlangt  haben  —  aber  wir  ver^ 
m6gen  Ihm  nur  einen  relativen  und  bedingten  Werth 
beiaulegen,  so  lange  er  nicht  sein  wahrhaftes  Ziel  er* 
reldit  in  einem  Frieden,  der  nicht  Mos  gegenseitiges 
Dulden,  oder  nur  Ignoriren  ist,  oder  Anerkennung  ei- 
ner nicht  zu  leugnenden  Thatsaehe,  der  man  niehts 
zugesteht,  vm  bei  gOnatlger  Gelegenheit  doreh  k^ne 
Terpdichtang  gebunden  au  sein  ^-^  nein,  der  vi^hnehr 
^  Berechtigung  und  Bedeutung  aQer  wlAiAaffen  Sei« 
ten  anerkennen  lifst,  indem  eine  jede^  ab  wesendtch 
gilt.    So  glH  Ao  aber  nur,  indem  die  Anerkennung 
0hie  gegenscMge  ist,  und  jede 'Seite  ehi' Schmuck  des 
Ganzen  und  f9r  dasselbe  unemfbehrliGh,   zugleich  alle 
andern  voraussetzt,  ja  In  so  fem  sie  selbst  fttr  sich 

•  49 


387  KoitUny  die  Lehre  vom 

hervortritt,  jene  als,  ergänzende  an  sich  bft.  Gelai^ 
gen  wir  nicht  dahin,  b6  bleiben  der  Gegensatz  nnver-» 
eint,  der  Widerspruch  unaufgelöset,  die  Parüieien  .uii-^ 
veiyolint;  ode^  es  überwältigt,  wie  für  diese  frscliei- 
nung  die  poHliscIie  Gesehichte,  und  nicht  miAder  die 
der.  Wissenschaft  uns  zahlreiche  Bestätigungen  darbie- 
tet, für  eine  bestimmte  Zeit  die  eine  Richtung  die  an* 
dere,  und  gelangt  zum  Sieg  und  zur  Alleinherrschaft. 
Aber  nieht  ohne  die  Naditfaeiie,  die  solches  gegei!sat2« 
lose  und  in  sich  nicht  gegliederte  Sein  mit  sich  führt  \ 
nicht  ohne,  dab  alsbald  ein  unvermridliches  Streben 
entsteht,  den  Gegensats  in  sieh  selbst  hervorzurufen; 
So  wiederholt  sich  die  frühere  Erscheinung  und  dient 
zur  Bestätigung  jener  Wahrheit,  die  nher  allen  dieses 
Kämpfen  steht.  Möchte  man  sich  doch  darüber  eini- 
gen, dann  mag  sich  jede  Seite,  jede  Richtung. in  mög* 
lichstem  Umfange  entwickeln  und  ihre  rricben  BeiUräge 
liefern:  sie  werden  nicht  blos  dort,  sondern  überall 
eine  dankbare  Aufnahme  finden.  Ich  gebe  die  Hoff* 
nung  nicht  auf,  und  es  mufs  unserer  Zeit  geziemen,  sie 
in  Erfüllung  zu  bringen,  da  sie  das  Bewufstsein  hier- 
über hat.  Ja,  so  wie  in  der  Sache  selbst  die  Gegen* 
Sätze  nicht  als  feindliche,  ausschUebende  und  unver- 
einbare bestehen,  so  sind  sie  auch  in  den  sie  darstel- 
lenden Individuen,  die  hier  in  Betracht  kommen,  nicht 
in  solcher  Schroffheit  vorhanden,  wie  man  oft  behaup* 
tet  und  wie  Ittanche  sich  selbst  überreden  mochten. 
Ich  kdnnte  dieses  besthnmter  nachweisen,  wenn  ich 
nicht  lieber  bei  den  Sachen  stehen  bliebe.  Einseitige 
und  nicht  in  wissenschaftlichem  Geist  gemachte  An- 
griffe, von  leicht  zu  durchschauenden  Tendenzen  her- 
vorgerufefie  Herahsetfungen  des  Werths  der  söge« 
nannten  historischen,  philosophischen,  praktischen  Schu- 
len gehören  nicht  hieher.  Fehlt  es  doch  auch  sonst 
nicht,  bei  aufrichtiger  Versöhnung  der  Häupter,  an  un« 
tergeordneten  Subjektivitäten ,  denen  ^iese  ein  Aeiger- 
nib  ist.  Ich  meine  nicht  einen  Frieden,  der  das  Er- 
g^bnib  schwacher  Nachgiebigkeit  «wäre,  wo  der  redli- 
chcf  Kampf  eine  Pflicht  ist:  ich  meine  nicht  die  sub- 
jektive, wenn  auch  ebrenwerthe  Gesiiknung,  die  den 
Frieden  sucht ,  welcher  Art  er  auch  sei.  Gc^en  Un- 
recht und  Unwaiirheit  auch  in  unserm  Gebiete  wollen 
wir  stets  nach  Kräften  streiten,  und  iiierin  sind  wiederum 
alle  acht  wissensobafHichen  Partheien  einverstanden, 
Unwürdige  und  gehaltlose  Angriffe  und  Yerunglimpfun- 
gen  der  einen  Richtung  werden  auch  von  der*  Seit^ 


Mord  und.  TodtecAlag* 

nicht  .gebilligt  wer^n,  der  sie  eine  Hülfe  von  einar 
Art  beretten  wollen ,  wie  jene  sie  nicht  Verlangt  wä 
nicht  bedarf.  ^  Und  im  Gegentheil  wird  jede  in  der  G«. 
ainnung  und  in  dem  Werke  gute  auch,  einseiligo  U* 
stung  anerkannt  werden.  Einen/Friegdesj^  wi<|  geii|^ 
suchen  wir,  der  aus  der  Einsicht  hervorgeht,  wie  jcse 
Gegens&tze  in  einer  hohem  Einhwt  der  Wisiemdafl 
noth\^endig  sind;  der  jenen  ihre  gebührende  Gdtng 
sichert ;  der  endlich,  indem  er  objektiver  Art  Ist,  voiiadhl 
die  Individuen  ergreifen  wird.  Die  Wissenschaft  hü^ 
wie  des  Vaters  Haus,  viele  Wohnungen :  der  ReididnB 
der  einzelnen  Momente  ist  ihr  eigen,  und  sie  kua 
nichts  von  Bedeutung  abweisen  wollen.  Ja  die  Lek» 
digkeit  der  Gegensfitze  itt  die  Bedingung  ihres  dpa 
Lebens,  Gedeihens  und  Wachsthums« 

Oder,  wäre  wirklich  eine  AussehHelaung  und  & 
yereuibarkeit  da?  Wäre  ^es,  weil  wir  das  Recbfw 
seiner  gescIuchtUchen  Seite  in  seiner  Ausbildung  «ri 
als  Theil  der  politischen  und  der  Sittengeschicht«  fa 
Yolkes  betrachten,  —  und  wir  müssen  dieses  thun,  (m 
ja  das  heutige  ein  gewordenes  ist  —  wäre  es  ieäA 
noth wendig  zu  miisbilligen ,  da«  Recht  auch  zms  G«* 
genstande  philosophischer  Auffassung  zu  machen!  w&i 
es  strafbar,  in  dem  Gegebenen,  in  dem  Progftb  te 
Geschichtlichen  —  ähnlich  wie  in  den  Erscheia«B|ei 
der  Natur  —  auch  einen  Gedanken  zu  erkeaaes  ui 
einen  Zusammenhang  der  Geschichte  aller  YdUcety  di« 
und  so  vTeit  sie  mitzählen ,  weil  sie  ein  Priadp  i»' 
stellen!  Oder  dürfte  man  die  Wahrheit  nur  hl  der  it? 
^fsem  Schaale  zu  finden  hoffen  I  Wenn  man  diese  ki» 
den  Gegensätze  Wiederum  einen  gleich  dem  aadfia  te 
Anwendung  und  dem  für  diese  bestimmten  StsAia 
entgegensetzt,  sollte  wirklich  hiezu  ein  Grund  sebt, 

In  einer  Periode,  wo  in  dem  RechtsstudiaB^  wk 
in  dem  der  Theologie  die  dogmatiieh  -  praktisdie  M^ 
thode  vorherrscht,  hat  man  es  stets  für  naükwmät 
erachtet,  auch  die  .Geschichte  nnd  die  Philosophis  dir 
Lehren  als  Gegenstände  akademischer  Vorträge  ssb» 
stellen«  Es  ist  Niemand  eingefallen,  einen  Foisdierii 
tadeln,  weil  er  neben  der  praktischen  Richtaag  «n^ 
die  andere  befolgte.  Freilich  war  i|ber  damals  die.^ 
siehung  unter  den  verschiedenen  Betrachtaai^aNe 
eine  blos  änfeerliche.  Die  Geschiehte  stand  filr  Ak 
ohne  die  Vermittlung  zu.  dem  DogmaUschea  zu  gfkes« 
letzteres  schien  jener  nicht  zu  bedürfen,  und  veUsn^ 
die  Plulo9ppbie  jn  der.  Gestaftt: eines  beliebigea  «08*- 


BUBifeB  üatncsrfit»  atand  mit  dem  Posidveii,  dam  €te* 
■dhJcNliohMi  imd  den  PrakUidMii,  in  keiner  lebendi* 
§0«  Beilehuiig'';  alt  wurde  daher  bald  für  Yerwerffioh^ 
haU  weoigsteM  flHr  encbehrttoh  auagegeben,  mid  etwa 
geduldet.  .Jene  Yereinbarkeit  also  hatte  ihre  StQtse  in 
gegeneeltigen  Besiehungsloaigkeit;  man  iuelt  sie 
Jnrbtfltt  für  ao  wenig  gefäliriieh ,  ala  etwa  den 
veffgesehriebenen  philoanyluaolien  Cursns  für  einen  Theo« 
legen.  .  Die  Gefahr  liegann  ent  in  dem  AngenbliclEe, 
Wtt  eine  iiMiete  Einsieht  fiber  jene  nothwendige  Beste« 
Iwng  aieh  büdet :  eine  Einsicht,  su  der  man  in  der  Juris» 
pradens  ans  erkläilichen  Granden  spater  gelangt,  als 
ki  enden  Tlieäen  der  Wissensehaft.  Der  jetst  söge- 
Mmnten  liistoiisclien  Sehule  ist  unter  andern  dasYerdienst 
Sttsuselireibcii,  dais  sie  den  noihwendigen  Zusammen* 
hang  des  Praktlsciien  und  des  heute  Anwendbaren  mit 
neineK  gesebiehdielien  Grundlage  aufgezeigt  und  in  ein« 
Beinen  Werken,  die.  augleieh  als  Muster  der  Beliand« 
kmg  dienen^  unwiderleglich  durchgefBhrt  hat.  Ihr  Prtn- 
^ifj . —  es  mögen  Einselne,  die  sich  selbst  'mehr  zu  üir 
meimen,  als  von  ihr  gerechnet  werden,  sich  noch  so 
eehr  dagegen  strauben,  — •  ist  ein  philosophisches  —  und 
■ak  eeleliem  Tereinbar.  /Denn  was  wäre  dieses  anders^ 
sda  eben  in  dem  Gegebenen  und  Gewordenen  einen 
mgmnsehett  Zusammenliang,  eine  innere  Nothwendig* 
kalt  stt  erkennen,  und  den  leitenden  Gedanken  nach* 
Kowmsent 

So  war  denn  mit  der  wahrhaft  gesehichdiohen  Auf« 
finsBung  sugleieb  die  piiilosophische  bedingt,  und  es  war 
wohl  nicht  anfällig,  dafs  fast  gleichzeitig  eine  solche 
pUlosophkeiie  Metliode,  die  sich  mit  dem  Positiven  in 
ailiere  Beziehung  setzte,  aieh  auch  im  Gebiete  der 
Beditswissenschaft  su  ftubem  begann.  Wie  gesagt, 
mit  dieser  Beaiehung  entstand  die  Gefalir,  so  wie  auch 
■ur  swei  Methoden,  rftcksichtlieli  der  von  ihnen  behaup* 
MM»  »ussehliefiienden  Berechtigung  gegen,  eine  dritte, 
faL  Kampf  gerathiea  mu£iten.  Mußten^  weil  Gesehiehte, 
Mdleeoplile,  Praktisches,  noch  zum  Thetl  in  einer  Be- 
deofi&g  genommen  wurden,  welche  deren  gegenseitige 
ViMcavss^simg  nicbt  gelten  liefs.  Und  wie  natQrlich 
war  es  denn  w«ihl,  dafs  Anweiidbam  und  für  die  An- 
wendaag  Ikstimwif  la  —-das  angeblich  allein  Lebendige, 
lasche  —  einen  Yorzug  für  sich  in  Ansprach  nahm, 
gegeniibdr  der  €leeehicbt,e,  der  man  den  ungerechten 
Vorwurf  machte,  dafs  sie  nur  mit  dem  Veralteten  sich 
besch&ftige,  und  dafs  ihr  das  Recht,  das  Wohl  und  die 


Mw^  und  T^tweklitg*  3M 

Neih  der  Gegenwart  gleidigdhig  sei ;  und  dab  ebea 
so  und  mit  ersterem  die  Oeschftilite^  auf*  ihrer  pasiti- 
vea  Grundlage  und  mit  der  von-  dieser  gehoAen  Sicher« 
heit,  sich  gegen  die  Philosophie  erhob,  von  der  man 
bei  dem  Streit  der  Meinungen  überiiaupt  mcbt, wisse, 
was  .oder  wo  sie  sri,  oder  deren  Versuch,  ein  Verhält* 
niTs  zu  dem  Positiven  herzustden,  als  Amnaabung  zut 
rüekgewiesen  oder  alt  vorgebliche  Abstraktion  aus  dem 
Pomtiven  diesem  vindicirt  wurde  1 

Von  jenem  Standpunkte  aus,  der  eine  solche  Tren* 
nung  in  Schulen  als  Partheisache  nicht  sugiebt,  und 
eine  sie  sammtlich  umfassende  Methode  will,  welche  ket- 
aeswegs  eine  äuisere  Verbindung  mehrerer  verschiede« 
ner  Methoden*  ist,  sondern  die  eine^  durch  den  Inhalt 
bedingte  Methode,  als  welcher  eben  so  sehr  sein  phif 
losophisches  Moment,  sein  historisehes  und  sein  dogma« 
tbch-praktisdies  hat,  sind  auch  meine  bisherigen  Bei^ 
trfige  zur  Wissenschaft  geliefert.  Bei  manche  mufste, 
je  nach  der  Btochaffeqheit  der  besondem  Aufgabe  und 
ihres  konkroten  Inhalts,  bald  die  eine,  bald  die  andre 
Seite  vorherrschen,  aber  keine  durfte  ganz  bei  Seite 
gesetzt  werden. 

Aber,  kann  man  fragen,  wozu  jetzt  diese  Betraeh-« 
tung  über  viel  Besprochenes,  was,  wenn  es  nieht  ab 
erledigt  angesehen  werden  kann,  durch  diese  Darlegung 
nicht  spruchreif  wird,  welche  f&r  das  anzuzeigende 
Buch  eine  vielleicht  zu  lange  Einleitung  giebtt 

Ich  glaube,  dafs  es  gerade  an  der  Zeit  ist,  einen 
Gegenstand  zi|  berühren,  zu  welchem  die  Vorrede  des 
Werkes,  —  und  diese  ist  nicht  das  am  wenigsten  Be- 
deutende indemselben  —  eine  Veranlassung  darbietet,  ja 
eine  zur  Pflicht  sich  gestaltende  Aufforderung  enth&lt^ 
und  wünschte,  dafs  in  dem  jetzt  wieder  mit  grdfserer 
Lebhaftigkeit  in  einem  mehr  personlichen  Sinne  gefOhr* 
ten  Streite  eine  Stimme  nicbt  ganz  überhört  werden 
mege,  die  nur  von  dem  objektiven  Standpunkte  aus 
im  Interesse  der- Wisseoschaft  spricht,  welcher,  wie 
bemerkt,  keine  wahrhafte  Richtung  in  der  Sache,  keine 
redliche  Bestrebung  der  Person  fremd  sein  kann. 

Jene  Vorrede,  voi^  der  ioh  oben  bemerkte,  sie  werden 
wie  das  Werk  selbst,  ohne  Büdcsicht  auf  den  Inhalt^ 
sehoii  als  Darlegung  der  Methode  sehr  rerseUedene 
Aufnahme  finden,  mufs  ich  im  Ganzen  loben.  Ich 
wfll  nicht,  überall  die  Form  vertheidigen  —  eine  ge« 
wisse  Kühnheit,  und  selbst  mehr  ab  dieses,  mag  dem 
Jüngern  Schriftsteller,   der  sich  eines  guten  Strebens 


»1 

towurtl  isV  w^U  nmthgmtbtfn  ivenfan,  weui  Mh 
Tüchtig«*  Beige  Wb  CiniiidiaUe  äb«r  die  Behalidking 
dar  Wimaitiiaft  m^eii  iut  Allgemeineti  im  «o  mähr 
gcbilHgC  wMden^  als  des  Yeris.  Plan  ,^diirdi  dia  Be» 
traehtaag  der  goBKen  Roehtswiamuiofcaft  in  ihier  neu^ 
Mtsm  Entmcißlmtff*  tegb  gemaebt  worden  itt  (S.  V.) 
Damifv  wie  aae  dem  wettern  inhalle  eigiebt  sidi  too 
'  aelbsly  wkfen  ea  wortlkb^  ra  veraleben  sei,  eder  nidity 
wenn  es  (S.  XIII.)  iMcfirt:  „sn  sölelier  neuen  BeliaBd* 
long  nar  aai  Kriminalreeiite  eiaen  Yersucii  su  machen, 
war  mein  ITorsatE.** 

Der  Yerf«  tlint  den  besondem  Methoden,  yomefam» 
Beb  der  histerisebea  Sohale^  nicht  aeken  Uareeblu  Aaeii 
das  kaaa  leb  sieht  g«lheiCie%  dab  er  diese  Bf  elhodea, 
was  allerdii^s  in  einem  gewissen  Sirnn^  aber  nielii 
durdigangig,  nad  nicht  Cur  ihre  BedeuUmg,  die  sie  iai 
Sjstea»  des  danmn  haben,  richtig  ist,  a^br  nur  als  ehi 
Naehesnander  der  Zeitfo%e  aUfTaCrty  and  vetr  einem 
aelbst  historisehen  Standpankte  aas  lobt  and  tadelt, 
W&hread  sie  viebnehr  als  ein  Nel>eneinaader  xu  geken 
iiaben,  und  Aaericennui^  fordern«  Eine  aeve  Melhede, 
wenn  sie  nicht  selbst  als  eine  einseitige  bald  wMer 
das  Sehiclcsal  haben  seB,  wekbes  sie  den  andern  berei- 
tel,  loaan  nicht  a«f  den  Titemeni  der  letstem,  als  be« 
siegten  oder  voUends  g^ns  für  sidi,  die  frfdMm 
vemicfatend,  ihr  Wedb  erriebtsn.  Die^nige,  welche  der 
Verf.  meint,  und  die  weder  fttr  das  Ree|it  fiberbaapl^ 
neeb  fto  daa  Strafreoht  msbesondere  in  dsm  Sian  arm 
ist,  da&  er  sie  erst  ins  Leben  rief,  (er  spricht  S.  XYL 
v<m  dem  schHmmen  Zustande  des  Kriainalrecbts,  „wo 
man  vor  bewegende»  Ideen  aas  raäneherlei  Ursachen 
eine  besoudere  Furcht  hat*^  was  nicbt  gans  der  Wahr« 
heit  gemäia,  und  jedenfells  su  viel  gesagt  ist)  —  die 
waiirhaft  speiculative  Methode  lilst  dem  GeschichtHebe% 
wie  dem  Praictuchen  das  ];ebfthrende  Recht  widerfah« 
ran.  Sie  hält  sich  fem  von  dem  Yorwnrf ,  dals  sie 
nicht  für  die  unmittelbave  Anwendung  blo(se  und  fer« 
tige  Resultate  liefere  ^  ein  Yorwurf  den  sie  neb  in 
Gemeiasehah  mit  dem  Oesehicbtlichen  gefallen  lassm 
mufs  und  bann»  Denn  emerseiu  ist  die  Aufgabe  der 
Wimensefaaft  eine  weher  geilende,  anderseits  darf  woU 
aioht  im  Ernste  und  niefat  von  unbefangenen  Beurtbei* 
fefn  behmqptet  werden,  dali  es  der  Anwendung,  und 
dem  auf  diese  an  besMkeaden  wissenschaftlichen  Stu» 


MSsilmj  du  LtkM  asm  MtA  mml  ToditeUag. 


dhna  aehSdUeh  a^  wenn  man  den  Begriff  der  Saebe, 
die  YerwirfcKehung  dsr  Ueea  hs  d»  ZeitBehhek  mrf 
hl  geaelriehdielier  BIlAmg  etUaiu  Jene  Methode^  wenn 
sie  dieCi  wahrhaft  ist,  weiset  femer.  da»  Yorwurf  ab, 
den  man  ihr  in  Beritiiung  auf  aio^iaiw^  Ahfartui^m 
nicht  mit  Unrecht^  i|onst  aber^  wie  an  .al%emein  mA 
gewimermaafSmn  a  ptiaii,  ak  eine  für  alAa  Pille  gvl* 
tige  sogenannte  privQegfarte  Exeaption  hetoit  gefaakes 
wbrd,  aUerduigs  mit  Unrecht  macht,  dnGi  sie  n&afieh 
das  Pbshiva  und  GesoUchdiehe  vea'  uorgeiabten  Idsm 
aus  darstelle  und  demselben  Qewak  anthua,   wadarcfc 
denn  freiSch  nicht  die  Wahrheit  an  den  Tag  heaaBt^ 
Es  sottte  webl  nicht  iauner  wiederholt  werden  mümea, 
dafii  sie  nicht  eine  Gcachiebte  construhran,  seodsin  sm 
der  gegebenen  und  erkannten  die  Prindjpten  und  dm 
Geist  aufweisen  wotte^  dafs,  indem  da  daa  Yerfaas« 
dune  und  seine  geaehiebtlieha  fintudoldang  in   aeiaer 
Natbwendiglceil  und  YemBnftl«lwU  su    begseirea  siah 
bestrebe,  sie  swar  für  Ihren  Zweck  JHanehasy  wm  vott 
einer  andem  Sehe  der  Betraebtang  wichtig  Ist,  nidh 
für  ein  wesentlichef  Moment  anerfcenneii  dftrfe,  aber 
dab  sie  das  Positive  in  seiner  EigenthOndicUeit  er* 
fasse.    Auch  hw  dieses^  fiir  die  Behandkmg  einm  ih 
stsrischen  Stefies,  giebt  dieeclbe  die  entapreehende  Fem^ 
und  es  wird  einer  richägen  Mathode  niebt  beikeaMen, 
dieselbe  su  verletmu    Wo  es  andess  int,  vardirot  es 
ohne  Zweifel  Milsbilllgung.    Aber  man  macle  die  un^ 
richtige  Anwendung  und  etwaaigs  Fehler  im  hidivi* 
dttuma,  die  audh  hier  nicht  gana  vemnedsn  wMho 
können,  nicht  der  Bbihode  seihet  sam  Yorwurf. 

Der  Yerf.  sprielit  in  der  Yorrede  (&  XV.)  saeh 
von   gewissen  Mängaht  der   abadeurisahan.  Yoztrige. 
Aber  eimnal  ist  diefs  auch  schon  von  Yielen  anerhanati 
dals  es  feUerliaft  sei  in  efaier  Zeit,  wo  die  Uteratm 
so  reich  und  verbreifet  iit,  wo  das  Stadium  auch  woU 
ohne  soldie  Yortrögu  beirieiwn  wurden  könnte,  und  wo 
diese  iauner   tmr   ein  Beschranktea  hn  YeKhiltBi&  "> 
dem  vorhandenen  zugänglichen. Stoffs  wa  geben  veimS* 
gen,  —  ein  Surrogat,  und  unvenneidlieh  eu  difftiga^ 
für  irg/akd  em  gediucktea  Werk  zu  liefhm,  wriehm  dea 
Gegmstand  voUstfindiger,  visllelcht  auch  besser  damteflt 
Ferner  sind  enm  Reibe  tfiehiiger  Lekur  hi  disa  G^ 
bieten  vehl  belügt,  db  AnschnMIgung  surfickauweiifli^ 
weiche  der  Yerf«  „der  Bfehreahl*  macht. 


(Bie  PertBetzeag  fetgt) 


•^  50* 

Jahrbücher 

int 

wiss^enschaft  liehe   Kritik« 


März  1840. 


JWe  is$ite  mom  Jttord  und  l^bäUchlag^  etmer  hf- 
ätorüdhphilMophücken  Kritik  unterwoffen,  zu^ 
gleich  dogmatückf  dogtnengeschichüich  y  Und 
mit  Rücksicht  auf  die  neueren  Gesetzgebungen 
dargestellt  von  Christian  Reinhold  Kostlin. 

XForfsetniBgO 
Pia  BejetttttDg  iiM  die  Antgkhe  des  lebendigen  mfind- 
tfehea  Voitrags,  und  die  Yenehledenheit  in  dieser  Hineielit 
«#li  dem  geeclttiebeiieB  Werte,  let  den  academischen 
I«ehjreni  wobl  bewuDil,  die  wahrhaften  Beruf  haben,  und 
deren  Zahl  ik  Gottlob  nieht  so  klein.    Sollte  der  Yerf. 
einnsal  eintti  Katheder  einnehmen^  und  wir  wQnschen 
cKeaat  für  seiiie  Person  und- für  die  Sa^e,*  weil  er  dazu 
geeignet  au  aew  «ebeint,  so  whrd  er  vielleieht  so  billig 
W#rd^,  es  auaugeatehn^  dais  äueh  der  eifrigste  Leh«> 
rar  mA  ehie  Sehrluike  gesetst  findet,  die  iheilweise  auf 
FiMrm  und  Inhalt  seiner  Darstellang  Eioflafs  hat.    Es 
wAre  freiUeh  bequeitt,  unmittelbar  an,  den  Genufs  der 
Idee  gehen,  und  die  ,,gedruokte  Literatur  als  bedingen- 
den Mom^ent  fQr  de»  Yortrag  ,Torausseizen''  au  dürfen. 
Ein  altes  Spruchwort  sagt:  „Gelehrten  i^t  gut  predi- 
geil/'  Der  Lehrer,  der,  wie  unsre  jeteigen  Einriehtun* 
gen  rind,  lA  der  Regel  Anflnger  in  die  Wissensehaft 
einfuhren^  uaä  aie  mk  dem  Inhalte  •  auf  quellenmäfsiger 
Grundlage  bekannt  machen  soll,  ist  nieht  In  der  gluck* 
lieben  Lage,  jene  Yoraussetsungen  machen  und  »o  fort 
ßher  die,  bereits  in  ihrem  Material  und  aufsem  Form 
bdcannte,  Saehe  sprechen  zu  Icönnen:  tr  ist  genötbigt 
mn  der  Saehe  zu  sprechen,  sie  selbst  erst  vorzulegen, 
und  er  mnla  dieses  um  so  mehr  thun,  je  mehr  er  „in 
die    Tiefe   geben"  ^  und  des   GelstigO   aufdecken  will 
*  Ohna  jene  Grundlage,  oder  auf  einer  solchen ,  die  er, 
uBiter  den  Torhandeüen,   nicht  ansuarkennea  vermag, 
wfirde  selbst  dieser  hShere  Zweck  nicht   erreicht  wer«. 
,den  ktonen« 

Doch  ea  ist  Zeit  zu  dem  Werke  Qberzugehea 

Jßkrh.  /.  wUitnick.  Kritik.  J.  1840.  I.  Bü. 


Zuerst  muiGs  ich  Einiges  gegen  die  ftufsere  Anord»> 
nung  erinnern,  die  nicht  so  getroffen  ist,  wie  sie  durch 
den  Inhalt  und   den  Plan  des  Yerfs.    sich   bestimmen 
sollte,  und  auch  logbch  nicht  gerechtfertigt  scheint.  Das 
vor   uns    liegende    Werk    Icundigt  sidi  an:   ^Erster 
Theil:    Die  Ideen  des    römischen   Rechtes**      Der 
nweite  Theil  soll  die  des  gernuinischen  Rechte^,  der 
dritte  Theil^  das  System  der  C.  C.  C.  und  der  neu^ 
ren  Oesetxgebungen  darstellen.    Man  erwartet  daher 
allerdings  eine  allgemeine  auf  diese  drei  Theile  sich 
beziehende  Einleitulig,  die  aber  dann  aufserhalb  dersel- 
ben stehen  m&fste,    worauf  dann  das  römbche  Recht 
als  erster  Haupttheil  folgte.    Die  Gliederung  in  jene 
drei  Theile  darf  nicht  erst  dann  erfolgen ,  wenh  vom 
römischen  Rechte  die  Rede  Ist,  dem  als   solchem  alles 
andere  fremd  bleibt.    Statt  dessen  wird  hier  unmittel- 
bar mit  einem  ersten  JKapUel  begonnen,  unter  welchem 
yyEinteitung^  steht,^  wotauf  dann  das  romische  Recht, 
welches   den   Hauptgegenstand    der    Betrachtung  aus- 
madit,  in  das  xweite  Kapitel  verwiesen  wird.    Aber 
weder    die   Coordination  dieses '  Haupttheiles   mit   der 
Einleitung  ist  richtig,   nodi  die  Subordination   dieser 
letztem-  unter   den  Titel  des  Werkes  selbst.    Ferner 
wäre  zu  wünschen  gewesen,  dafs  das  xweite  Kapüely 
welches  von  S.  10 — ^224,  also  durch  das  ganze  Buch 
geht,  in  mehrere  Abschnitte  ge^heilt  worden  wäre,  zu 
denen,  wie  ich  bei  der  Angabe  des  Inhalts  zeigen  werde, 
sich  hinlängliche  Veranlassung  bot,  während  nun  die 
ganze  Darstellung  ununterbrochen,  ohtie  irgend  eiüeti 
Ruhepunkt  für  die  zum  Theil  fcehr  verschiedenen  Ma^ 
terien,  erfolgt,  wodurch  denn  die  Uebersicht  nicht  wenig 
erschwert  \nrd. 

Was  nun  den  Inhalt  betriSIt,  so  k8nnen  wir  nicht 
omhin  zu  bezeugen,  dafs  diese  Arbeit  in  ihrer  Art,,  als 
eine  höchst  beachtenswerthe ,  tüchtige ,  geistreiche ,  der 
Aufmericsamkeit  des  gelehrtea  Publikums  werth  sei,  in 
vielen  Punkten  verdient  diesribe  volle  Zustimmung,  doch 

50 


■ 

KSttlin^  die  Lehre  vom  'Mord  und  Todttehlag, 


395 

sind  darunter  nock  manche,  wo  der  Verf.  selKst  nur  die 
Ergebnisse  der  Forschungen  Anderer  bestätigt,  bei  ei- 
nigen liefse  sich  Manches  erinnern,  bezweifeln.  Doch 
wiU  ich  der  Yersuchung  hiezu  widerstehen,  einmal  weil 
iimaere ,  Jahrbücher  .selbst  ihrem  Plane  zufolge  mehr 
den  allgemein  wissenschaftlichen  Charakter  einer  Lei- 
stung würdigen  sollen,  als  jeden  einzelnen  Satz  kriti- 
siren,  so  fern  ^ol^her  im  VerhäUnifs  zu  jener  Aufgabe 
von  minderer  Bedeutung  und  selbst  gleichgültig  iist^ 
und  dann,  weil  der  Verfasser  auch  durch  die  Weise, 
wie  er  sich  iieine  Aufgabe  gestellt,  zu  einer  mehr  all- 
gemeinen Würdigung  auffordert.  Nicht  als  ob  von  ei* 
nem  andern  Gesichtspunkte  das  Einzelste  einer  Dar- 
stellung von  .  geringerer  Bedeutung  wäre,'  aber  die 
hierauf  sich  beziehende  Erörterung  bleibt  billig  der 
rein  juristischen  Recension  überlassen,  welcher  dann 
auch  eine  groCsere  Ausführlichkeit  gestattet  wer- 
den darf. 

Die  Einleitung  mm  ^  oder  das  ertte  Kapitel  S« 
1-^16  stellt   zunächst  die    in  der  Praxis   und  neuern 
Theorie^  wie  nicht  minder  in  dem  Volke  lebende  An- 
sieht über  Todtschlag  und  Mord,  beide  als  Arten  do- 
loser  Tödtung  auf,  welche  wiederum    mit  der  fahrläs* 
sigen    unter    den   allgemeinen    Begriff  der   strafbaren 
Tödtung  fallen,  gegenüber  der  erlaubten  oder  entschul- 
digten.' Was  sich  für  diese  dogmengeschichtlich  richtige 
Auffassung  sagen  läfst,  ist  nicht  Gegenstand  unserer 
Erörterung^  gewifs  aber  haben  C.  G.  von    Wächter^ 
Jarke  und  Birnbaum  — -   wie  sehr  sie  auch  unterein- 
ander abweichen,  und  E.  Henke  recht,  wenn  sie  von 
andern  Gesichtspunkten  aus  jene  Weise  der  Klassifi- 
cirung  nicht  durchgängig  billigen,  insbesondere  sie  nicht- 
überall  in  dem  Complex  der  verschiedenen  Quellen  ge- 
gründet finden,  aus  denen  wir  unser  praktisches  Recht 
schöpfen.    Was  ich  der  Ansicht  von    Wächter  j  dab 
die  P.  G.  O.  unter  Todtschlag  auch  jede  culpose  Töd- 
tung verstehe,  glaubte  entgegenstellen  zu  müssen^  habe 
ich  in  dem  Archiv  für  das  Kriminalrecht  in  zwei  Ab- 
handlungen über  den  Art.  148  ausgeführt,  und  besiehe 
mich  hier  auf  dieselben.    Der  Verf.  hat  aber  die  drei, 
der  gemeinen  Theorie  gegenübertretenden   Ausführun- 
gen gut  im  Auszuge  mitgetheilt,  und  dadurch  die  w)Bi- 
tere    Darstellung   eingeleitet,  die   auf  geschichtlichem 
Wege  zeigen  soll,   auf  welche  .Grundlage  die  Lehre 
vom  Todtschlag  gebaut  werden  müsse,  und  was  id  je- 
nen verschiedenen  Meinungen  haltbar  oder  unhaltbar 


SN 
seL  Dieseis  ^rgeb^fs,  was  hier  noch  nicht  angedeotai 
ist,  haben  wir  also  erst  später,  vornehmlich  in  den 
dritten  Theil  zu  erwarten,  da  der  Verf.  mit  Redit  dq 
zuvörderst  dem  römischen* Recht  für  'sieh  die  Alt 
merksamkeft  suwetidet. 

Diels  geschieht  im  zweiten  Kapitel^  weichet  nieli 
einer  allgemeinen  Bemerkung  über  den  richtigen  pfakti» 
sehen  Sinn  der  Römer  mit  dem  ältesten  Strafreeht 
beginnt.  Jenes  Lob  ist  gegründet,  doch  darf  maniiidit 
übersehen,  dafs  das  alt^  Recht  der  Römer  keiiMswip 
das  verständige  Ergebnib  des  sogenannten  praktiidMa 
Sinnes  sei,  sondern  mehr  ein  Traditionelles,  llb6ikM|C 
Gewordenes,  zum  Theil  mit  religiöser  Grundlage,  via 
denn  auch  das  theokratische  Moment  in  demselben  nidit 
von  denen  geleugnet  wird,  welelie  noch  einbanden 
ursprüngliche  Idee  —  der  Subjektivität  und  Privatraehe 
nachsuweisen  gesucht  haben.  leh  habe  tnsbesoiden 
gezeigt,  wie  dieses  vereinbar  war,  wo  die  Gottheit«« 
selbst  als  Subjektivitäten  aufgefaCit  werden., Und  danlt 
scheint  auch  der  Verf.  (S.  37)  aulettt  einventandco^ 
wenn  er  gleich  einen  Gegensatz  der  Besüamuiiigai 
aus  dem  Sacralrecht  zu  denen  aus  der  vindieta  prifata 
annimmt.  Wohl:  denn  der  Gegensatz  ist  niekt  eiM 
gänzliche  Differenz.  Die  Verständigkeit  der  Rtar 
tritt  in  einer  spätem  Periode  hervor,  wo  das  Wüet 
der  Oeffentlichkeit  sieh  noch  nicht  ab  Staat,  sondern 
mehr  als  bürgerliche  GeseUscEaft,  mit  einem  auch  doidi 
die  öffentlichen  Verhältnisse  sieh  ziehenden  ^irivatieokt^ 
liehen  Charakter  zeigt,  wo  es  denn  auch  mögUeh  var, 
so  vieles,  was  wir  zum  Strafrecht  rechnen^  nur  prinrt* 
rechtlich  aufzufassen. 

Die  erste  Untersuchung,  die  mit  S*  41  schliefst,  ^va^ 
schreibt  den  Kreis   des   altem   römischen  Strafrechli^ 
und  macht  die   verschiedenen  Elemente  namhaft,  M 
welchen  dasselbe  zusammengokomtnen  bt,"  wie  es  der 
Verf.  ausdrückt.    In  diesem  Theile  folgt  er  nen  v^ 
nehmlich  dem,  was  Dirkeen^  rOekiichtUeh  der  kgit 
regiae  und  XJLtabb.  Fragment,  und  ich  sdbstin  dei 
Comm. '  de  antiq*  Homtmerum  jure  crim.  dargelegt 
haben.    Er  nimmt  somit  die  vindieta  privata  als  Hasp^ 
grandiage  und  leitende  Idee  an,  und  erklärt  sieh  gega^ 
ItoJiAirty   welcher  jene  aus   den  Quellen  begrnndett 
Ansieht  nicht  widerlegt,  sondern  ihr  nur  mehr  wider- 
sprochen hat.    In  der  That  wird  i^iemsnd  behaupte^ 
dafs  die  Autübung  des  Strafrechts  deshalb,  weil  jeacf 
Moment  die  Grundlage  bildet  ^  auch  In  einer  Periode^ 


K9silit$^  die  L0Ar0  tmm 

wo  beffäCt  delr  Sieginn,  itnd  bald  dar  Fortsehritt  ehietf 
r«chdioken  Otdoimg  .ersiehtUoh  kt,  nur  Id  der  Focm 
der  Selbtl4  und  Pfimtraehe  atatt  g&fandaa  iiaba»  Dia 
•peealaave  Anaibkt,  die  auch  dör  Yarf.  S«  22.  24  sieh 
«leigHat,  hataa  mit  dem  Oedankea  der  Sache,  nieht 
Urit  der  bloGien  Farm  für  sich  su  thun.  Sie  aehltefst 
kei  gesebiehtHehen  CSegenatSoden  natürlich  aus  dem 
gegebenen  Aeufsern  auf  das  Innere;  aber  ist  dadureh 
ein  fester  Punkt  gewonnen ,  so  darf  auch  dem  Gedan* 
ken  sein  Recht  werden y  wie  es  alle  anerkennen,  die 
flieh  mit  Positivem  beschäftigen.  Ja  selbst  wo  die 
Qaellenso  reiditioh  und  rein  fliefsen,  dafs  weder  ^eine 
I«lteke,^noeh  eine  Unvereinbarkeit  erscheint,  und  fast 
hier  gerade  noch  mehr,  entsteht  die  Aufforderung,  die 
leitenden  Gedanken  nachsuweisen.  Wenn  dieses  (wie 
sum  Theil  in  der  Yorrede)  der  geschichtlichen  Schule 
abgesprochen  wird,  wie  sie  es  in  der  That  nie  abge* 
wiesen  hat,  so  thnt  der  Verf.  ihr  Unrecht,  oder  einzel- 
nen Individuen,  die  sich  cu  derselben  ausschliefsend, 
oder  auch  in  dem  obeif  erwähnten  weitern  Sinne  be* 
keimen« 

Eine  weitere,  interessante  Betrachtung,  die  pas- 
send auch  äqfsei'lich  mehr  hervorträte,  wird  S.  42  er- 
MToet:  „ob  uns' am  der  ältesten  Periode  Bestimmungen 
begegnen,  die  sich  auf  das  Innerliche  beim  Yerbrecher 
beziehen,  oder  in  wiefern  sich  aus  der  Eigentburaliohkeil 
der  verschiedenen  diesem  Strafrecht  zlim  Grunde  liegeh* 
den  Prindpien  hierauf  etwa  Schlösse  machen  lassen  t" 

Diese  macht  sunächst  bis  S.  87  wieder  ein  besond- 
res  Gänse.  Per  Yerf.  hat  hier  vornehmlich  Luden 
2um  Gegner,  der  in  seinem  Werke  fiber  den  Yersuch 
behaupte,  das  Subjektive  sei  das  Untergeordnete,  und 
das  Objektive  bei  der '  Yerletxung ,  also  der  hervorge- 
famchte  Sehaden,  die  Hauptsache,  wonach  weder  detus^ 
emlpu  und  eaeue  stets  geschieden  noch  auf  den  Ver^ 
smehj  oder  darauf  Rüdcsicht  genommen  worden  sei,  ob 
ainfser  der  vorliegenden  materiellen  '  Rechtsrerletsung 
die  Absicht  des  Yerbrechers  noch  über  dieselbe  hinaus 
aef  eia  grdfseres  Yerbrechen  gerichtet  gewesen  sei. 
Der  Yerf.  giebt  dieses  su  fCir  die  Sphäre,  welche  die 
vfaidicta  privata  zur  Grundlage  hat^  aber  mit  Recht 
nidit  WMter,  und  selbst  dort  wird  jener  Unterschied 
bei  einigef  Ausbildung  von  dem  subjektiven  Gefühl 
gemacht  werden,  wie  unter  andern  auoh  im  germani- 
sehen  Compositionen^System,  dem  man  gewöhnlich  auch 
eiae   blob  äulserliche  Bemessung  des    Schadens   bei- 


Mord  uAd  TodUcJUag.  S98 

legt,    die  culpa  keineswegs  aufser    Berücksiühtiguiig 
bleibt« 

Für  eine  sonst  vorkommende  Wabrhett  finden  wir 
auch  in  der  Geschichte  des  älteren-röm.  Strafrechts .  eine 
Bestätigung,  die  ich  in  der  angeführten  Comm.  und  sonst 
nachgewiesen  habe,  und  der  Yerf.  hier   noch  weiter 
ausfuhrt,  wobei  ich  sein  Verdienst  gern  anerkenne^  Bei 
allmähliger  Entwicklung  im  Gebiete  dessen,  was  dem 
Gedanken  angehört,  (und  nicht  minder  giebt  auch  dte 
Natur  das^  Beispiel)  wird  ein  späteres  System  nicht  un- 
mittelbar an  die  Stelle  eines  frühem  treten,  und  dieses 
g&nsltch  wegfallen,   vielmehr  werden^  beide  ebe  Zeit^ 
lang  neben  einander  bestehen  und  erst  mit  völlig  er- 
langter Reife  des  neuern,  womit  dessen  absolute  Be- 
rechtigung eintritt,  mufs  das  ältere  als  solches  die  sei- 
nige aulgeben ,  und  kann  nur  als  Moment  noch  vor- 
konimen.      Wenn    ich    daher    in  jener    Comm,    als 
BeMchränkungen  und  Grenzen  des  öfifentlichen  Straf- 
redits  die  trindicta  privata^  das  domeetieum  imperium^ 
die  Prwatklage  angeführt  habe,  so  bezieht  sich  dieses 
eben  schon  auf  die  Periode  eines  sich  bildenden  Straf, 
rechts   des   Gemeinwesens ,   neben    welchem  nunmehr 
als  ergänzende  und  beschränkende  Momente  dio  Systeme 
vorkommen,  die  früher    eine  selbstständige  Grundlage 
bildeten.    Oamit  erledigt  sich  denn  auch,  was  von  dem 
Standpunkte  eines   schon    vorausgesetzten   Strafrechts 
des   Staate  (hier  noch  zu    viel  behauptet)  gegen  die 
Annahme  des   Princips    der   Privatrache    vorgebracht 
worden    ist.      Dieses    Nebeneinanderbestehen     beider 
Systeme  wird  S.  49  richtig  gewürdigt  und  anerkannt, 
dafs .  Zjunäehst  jedes  einseitig  füi*  sich  vorkomme,  ja  dafs 
durch  deren  Nebeneinandersein  erst  die  Einseitigkeit  . 
recht  hervorgetrieben  werde ;  dann  aber  dafs  sich  „auch 
Spuren  von  gegenseitigem  Borgen  finden."  „Eben  die- 
ser. Dualismus  nun  ist  das  höchst  Charakteristische  am 
römischen  Strafrechte.    Nur  wenn   wir  diesen  festhal- 
tien,  können   wir   die  leitenden  {Grundsätze'  richtig  her- 
ausfinden   und   in  ihrer    begrifflichen  Geltung  verste- 
hen  ^}."    Wird  nun  in  dem  System  der  Privatrache  die  . 
Beantwortung  der  oben  au/geworfenen  Frage  nicht  ge- 
Aindeiii  so  ist  es  vornehmlich  das  öffentliche  ftrafrecht, 
an  welches  wir  uns   zu  wenden  haben,  3,welches  es 


*)  Ton  diesem  richtigeo  Gedanken  hätte  in  der  Vorrede  bei 
Gelegenheit  des  Verhältnisses  der  Terschiedenen  sogensnn- 
-  tee  Schulen  oder  Richtongen  in  der  Wissenschaft^  Gebrauch 
gemacht  werden  sollen. 


399 


KistHny  die  Lehre  item  Merd  und  TiedteeUeg. 


WeteMlifih  mit  der  FreUiett  und  dem  Willen  m  ikmi 
tiat***  yjn  ihm,"  sagt  .der  Verf.  S.  55,  „erscheint  das 
Becht  ab  der  allgemein  vemQnftige  Wille  dinreh  dai 
Gesetz  objektinrt,  liieht  mehr  in  die  einselne  Snbjek«» 
tivität  versMikt)  nicht  mehr  auf  aurserweltltohem  Bo» 
den,  sondern  als  ein  Allgemeines,  Ideelles ^  über  dem 
Subjekte  Stehendes,  aber  sugleich  der  Bealität  inner» 
lieh  Eittgebomes."  iDarum  könne  von  der  Verletzung 
des  Bechts  nur  auf  demselben  ideellen  und  geistigen 
Boden,  also  nur  in  der  Sphäre  des  Willens  dBe  Bede 
sein,  und  im  ^iBfentUeheii  Strafrechte  mOsse  der  Unter* 
schied  von  Ähsicbt  und  Nichtabsieht  4lberall  angetroffen 
werden.  (S.  56).  Allerdings  Wird  auch  diese  Ersehet» 
nung,  nach  dem  Obigen,  nicht  als  eine  gleich  anfangs 
fertige  beobachtet  werden,  auch  ist  die  Ausbeute  aus 
den  Quellen  für'  die  friihere  Periode,  so  fem  wir  in 
dem  Wenigen,  was  uns  aufbehalten  ist,  eine  positive 
Bestätigung  sehen,  nur  gering.  Aber  der  Verf.  hat 
dieses  Wenige  so  gut  su  benutzen  gewuCst,  dafs  wir 
im  Wesentlichen  beistimmen ,  auch  rücksichtlieh  des 
weitem,  schon  mehr  durch  bestimmte  Zeugnisse  unter- 
stützten Fortsclirittes ,  dem  zufolge  der  Best  vom  Sa- 
eralrecht  sieh  vollends  garfz  in  öffentliches  Strafrecht 
auflösen,  dagegen  des  Privatpoenalwesen  als  Gegensatz 
gegen  das  öffentliche  Strafrecht  schärfer  hervortreten 
mufste  (S.  60);  und  er  thut  dieses  nicht  auf  eine  will* 
.kührlidie  Weise,  die  nicht  ohne  Grund  die  sogenann* 
ten  philosophischen  Balsonnements  verdächtig  macht» 
sondern  iii  fleifsiger  Beachtung  der  positiven  Gestaltun- 
gen. Ich  will  aber  hier  um  so  weniger  näher  in  eine 
Untersuchung  eingehen,  als  der  Verf.  selbst  S.  90, 
womit  wieder  ein  besonderer  Abschnitt  eröffnet  wer- 
den  sollte,  .meine  sonstigen  Ausftihrangen  beifällig  mit- 
theilt,  und  ich,  was  etwa  noch  von  meinem  Standpunkte 
aus  zu  erinnern  wäre,  nicht  an  diesem  Orte  vorzu- 
bringen Veranlassung  habe. 

Weiter  wird  nun  die  Entwiokelung  des  eubjekH- 
Pen  MoiHefiti  in  Aenperpeiuae  yuaettionesy  und  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Ijejc  Corn^tia  de  « A 
earüi  nachzuweisen  gesucht  (S.  96) ;  indem  zuerst  das 
Erforderliche  von  jenem  in  Erinnerang  gebracht,  dann 
von  der  Tödtung  besonders  (S.  104)  gehandelt  wird. 
Die  Erörterung  des  hier  ausgesprochenen  subjektiven 
Princips  des  Willens  gegen  den  äufserlich  hervortre* 


«enden  Erfolg  ~  wobei  freltteh  MaMlie  n  wdt  g^M* 
—  giebt  Gelegenheit  zur  Prüfung  mehrerer  Bebaiy* 
tungen,  welche  Lm/en  aufstellt)  nnd  zu  einiges  «Ilget 
meinen  Betrachtungen, ^ie  unser  Interesse. ihi  Aa^meh 
nehmen  (S.  127).  Was  Ober  Strafrechtatbeoriea,  Z«. 
rechnung,  die  Natur  der  Handlung,  die  von  der  blobeii 
That  oder  demThun  eben  durch  det  bestfanmenden  WiUsn 
unterschieden  wird,  bemerkt  wird  {ß  131),  finde  ich  mitdsn 
von  mir  vorgetragenen  Grundsätzen  Ubereinsdmmend  *)• 

So  kommt  nun  der  Verf.  ferner  auf  das  Wesen 
der  eulpuy  und  ihre  Begrenzung  gegen  detue  «nd  e»- 
st««  einerseits,  ihjre  Subsumtion  unter  den  Begriff  der 
Zurechnung,  des  Wissens  und  Wollens  anderseits,  nach 
allgemeinen  Gründen  (S.  133)  und  nach  der  Auffas« 
sung  der  Bomer  (S.  135).  Hier  bieten  die  Quellen 
und  die  Vorarbeiten  Anderer,  unter  welchen  die  Leir 
stungen  von  Haeee  gebührend  berCtcksicbügt  wearden, 
einen  dankbaren  Stoff,  wel^n  der  Verf.,  ohne  auf 
seine  Selbstständigkeit  Verzicht  zn  leisten»  fleUsig  he» 
nutzt  hat 

Besondere  Aufmerksamkeit  widmet  derselbe  dem 
Affekt^  dem  er  weiter  unten  eine  für  das  Verhaltnib 
Yon  Todtschlag  zum  Mord  keineswegs  unprakti- 
sche Bedeutung  beizulegen  strebt,  die  ich  nicht  glavhe 
durchgängig  zugestehen  zu  können  (S.  104).  Die  Grund- 
fätze,  welche  ich  hierüber  in  meinen  Untersuchungen! 
namentlich  in  der  Bevision  der  Lehre  von  den  angdb- 
lich  straflosen  Tödtungen,  und  mit  BezugnahoM  der 
rdnusch-reehtlichen  Bestimmungen  Aber  den  Umfang  «nd 
die  Grenzen  der  Tödtungsbefugnifs,  welche  dem  V«ler 
oder  Gatten  wider  den  betroffenen  Ehebrecher  sosteht^ 
aufgestellt  habe,  scheinen  dem  aufmerksamen  Verf»  einer 
ausfuhrlichen  nvörtlichen  Mittheilung  würdig  zn  sein  (8. 
167—170).  Efaie^äbweidiende  Meinung  spricht  er  nur 
über  das  aus,'  was  ich  hier  schon  aus  der  Lex  JmUm 
glaubte  ableiten  zu  dürfen,  er  aber  als  erst  später  in 
dieselbe  hineingetragen  beüracbtet^  —  er  erkennt  das 
Prinoip  als  richtig  an,  dab  dem  Affekt  eine  strafmil- 
dernde Kraft  beiwohne,  aber  er  will  dasselbe  der  Lex 
Julia  nicht  in  dem  Umfonge  vindiciren,  wie  ich  zu  thnn 
echeine* 


*)  S.  anter  andern:  meine  ünteranchungen  Ss  406;  Lehtbacfc 
der  Straf- ReehtswisseBscbaft  f  69.  78.  79. 

(Der '  Bescfalnf«  folgt.) 


Jlf  51- 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche    Kritik. 


Mära  1840. 


^ 


*• 


Die  Lehre  tom  Mord  und  Todtschlmg,  einer  hi^ 

'    ttorüch'philogophfschen  Kritik  unterttorfen,  zu- 

gleich  dogmatisch^   dogmengeschichtlich ,  und 

mit  Rücksicht  auf  die  neueren  Gesetzgebungen 

dargestellt  von  Christian  Jteinhold  Kostlin. 

(Schlofii«) 

SNtine  Enlgegtniiig  y^etUfor  Ist  die  ira^  der 
imp09me  io  der  spfttem  •  Bedeutung  hier  nur  eioge« 
Mhwant"5  eleht  ohne  Beweis  und  wenn  ieh  auch  meine 
ohnehin  nur  mit  besonderer  VonJcht  ausgesprochene 
Annahme  bereitwillig  und  ffliehtmärslg  wiederholter 
Prttfmg  unterwtMrfen  wilt«  «o  -vermag  Seh  doch  nicht 
Um  Bevechtigung  einsuseheii)  hier  von  ^^offenbar"  eu 
apreehra,  wo  lidehstens  eine  Yermuthung  der  andern 
KegenAbergesteUt  werden  lEönnte,  Mehr  als  eine  seK 
ah«  iit  smh  nichts  was  als  „viel  natarllehere  Erkli- 
itmg,  weshalb  die  Lex  Jutta  das  da  conttnenti  &eei* 
dere  aa&ialnn^  S*  170  a.  £,  vorgelegt  wird.  Die  Rich«- 
i^eit  dettelbea,  .abgesehen  von  der  Nätürliehkett,  aK 
l#nfalia  sugestanden ,  wQrde  sie  nicht  einmal  die  mel« 
ttiga  noihwendig-  aussebliefsen,  mit  wdcher  Me  in  dettf 
ErgabniHi  ausaanaencrifft,  solclwr  Tddtung^befugnifs  und 
Anslbnng  des  Judicium  domestioum  eine  Orense  so 
aetsen  und  ihrer  Anwendung  immer  mehr  entgegensu« 
traten,  indem  das  Prineip  des  dffentlichen  Strafreobti 
aalBa  äassehlietiliehe  Galtmig  ro  behaupten  strebt«  la*» 
tarpolnliea  der  Quellen  ist  hier  weder  erweblich  nochr 
m  4efen  Voiaussetaung  ein  hm^es  BedArfhifir. 

Hier  und  im  Verlauf  der  weitem  Untersuchung  (8. 
112X  wo- das  Bestreben  dahin  geh^  zu  ^igen^  5)da£l 
die  im  Affekte  begangene  Handlung  gerade  nicht  ala 
dolose  betrachtet  wurdet'  farohte  ich  fast,  dafs  der 


Terf.  sich  durch  eine  vorgefalste  Meinung  einigerma« 
fiwn  habe  verleitea  lassen,  die  nnerliUsliidie  Unbefan- 
genheit  bei  Prüfung  der  Quellenteugniase  bei  Seile  stt 
netaen.    Sa  ist  er  denn  auch  gshöthigt,  gegen  Ehnre 

Jahrb.  /.  wi$$en$ch.  KriHk.  J.  184p.    1.  Bd. 


ra  polemisiren,  welcher  eine  Reihe  von  Stellen  des  Ct- 
eero  und  Seneca,  die  8.  174  *^  183  angeführt  und  be- 
trachtet  werden,  erörtert  und  zu  dem  bisher  atigetiom- 
menen  Ergebnifs  kommt,  dab  der  Affekt  den  dolus 
nicht  aufhebe,  vielmehr  die  im  Afl^ktc  begangenen 
Verbrechen  nur  Unterarten  der  dolosen  Verbrechen 
fiberhatipt  seien.  Der  Verf.  glaubt  (S.  186)  „dafs  £/. 
were  jenen  Aussprüchen  der  gedachten  Schriftsteller 
in  mehrfacher  Hinsicht  Gewalt  angethan  habe.**  Uebri- 
gena  kann  es  uns  nicht  entgehen ,  dafs^  wo  nicht  vöif 
positiren  Rechtsbestimmungen,  sondern  von  Ansichten 
der  Philosophen,  Cicero  und  Seneca's,  4ie  Rede  ist^ 
deren  Aussprüche,  wie  man  sie  audi  auslegen  tndge, 
ihrer  Vllchtigkeit  ohngeachtet ,  weder  an  sich,  noch 
selbst  für  die  Interpretation  de^  römischen  Rechts  eine 
letzte  Entscheidung  darbieten.  Selbst  der,- ohnebin  von 
betden4  dem  Veif.  und  von  Eiwers  berücksichtigte,  Ein« 
flufs  der  stöisehen  Philosophie  auf  die  römische  Juris« 
prudena  darf  hier  nur  mit  groCtor  Vorsicht  b  Anschlag 
gebracht  werden.  Befinden  wir  uns  auf  dem  Gebiet 
des  Willens  und^der  Handlniig,  als  einem  allgemeinen, 
ao  macht  die  Wissenschaft  der  Psychologie  sich  gel- 
lend, ulid  da  mag  man  den  Affekt  würdigen,  wie  man 
wolle,  er  wird  die  Seite  des  Willena  nicht  zu  verleug* 
nen  vermögen.  Selbst  die  Gesetzgebung  hat  dagegen 
keine  Macht;  angenommen  aticfa^  dafs  sie  ausspreche, 
ea  solle  die  Handlung  im  Affekt  nicht  als  dolose,  son- 
dern nur  als  culpose  geahndet  werden»  wodurch  in  ein 
gand  anderes  Gebiet  durch  bestimmte  Aussprüche  über«, 
gegangen  würde.  Der  Verf.  legt  freilich  auf  seine 
Ansicht  (S.  191)  um  so  gröfsere«  Gewicht,  als  er  nicht 
nur  hieHn  eiAen  Haupterklftrungsgrund  findet^  wie  in 
der  Kiiserzek  die  Theorie  der  cMp4n  auch  positiv  ins 
Crlmiflalrecht  eingeführt  werden  konnte,  sondern  auch 
van  disaem  Ergetmifs  für  die  Fortsetzung  seiner  Unter« 
sd^ungen  sich  weitere  Vorthelie  verspriolit. 

Bei  der  fridiam  Alternative,   die  die  Ricbteir,  so 

61 


• 


403  Köstlmy  die  Lehre  vem 

lange  der  alte  ordo  judiciorum  publicorum  bestand,  cu 
beobachten  hatten,  entweder  zu  verurtheilen,  oder  frei- 
zusprechen, ohne  auf  besondere  Schärfungs  -  oder  MiU 
derungs  -  Gründe  Rücksicht  nehmen  zu  dürfen  (das  nan 
liquet  gehört  unter  einen  andern  Gesichtspunkt,  nicht 
der  Rechts -Entscheidung,  sondern  der  Thatfrage  und  , 
des  Beweises),  konnten  allerdings  die  feinern  Nuancen ' 
der  Willensrichtung  nicht  in  Betracht  kommen*  Der 
Yerf.  zeigt  nun  8.  194  recht  gut,  wie  dann,  wo  dolue 
zuin  Tbatbestand  gehört,  nur  dieser  und  caiU9  einan*» 
der  entgegengesetzt  werden,  die  etdpa  früher  nicht  zu 
ersterem  'gerechnet,  und  die  dadurch  im  Strafrecht  vor- 
kommende Lücke  durch  das  Privatpoenalwesen  groben- 
theils  ausgefüllt  wurde.  Was  aber  nun  die  im  Affekt 
verübten  Verbrechen  betrifft,  so  wir<)  die  Frage  aufge- 
worfen, ob  sie  zu  den  dolosen  gerechnet  worden  seien, 
oder  nicht?  Und  ferner,  du  sie  zur  Kaiserzeit  und  nach 
dem  Abkommen  des  ordo  judic.  pubL  im  Gegensatz 
zu  diesem  gelinder  gehülst  wurden,  ob  ihre  Bestrafung 
als  eine  Milderung  oder  Verschärfung  des  frühem  Rechts 
anzusehen  sei?  Der  Verf.  gesteht  zu,  dafs  da  unsere 
Bechtsquellen  nur  auf  die  Zeit  der  extraordinariae 
cognittoneey  welche  nun  die  Regel  «md,  sich  beziehen, 
wir  eii^e  bestimmte  Antwort  aus  ihnen  nicht  erhalten, 
sondern  nur  annehmen  können,  es  s^i  zur  Zeit  der  per- 
petuae  quaeetionee  anders  gehalten,  d.  h.  das  im  Af- 
fekte begangene  Verbrechen  entweder  als  ein  doloses 
behandelt  und  mit  dem  vorbedaq&ten  gleich  bestraft, 
oder  ganz  straflos  gelassen  worden,  wofür  er  in  Er- 
manglung der  Rechtsquellen,  vornehmlich  Citero^s  Re- 
den und  rhetorische  Schriften  ab  die  vollgültigsten 
Zeugnisse  für  die  römische  Praxis  in  der  fraglichen 
Zeit  geltend  machen  zu  dürfen  glaubt.  Er  macht  dabei 
die  treffende  Bemerkung,  dafs  da  Milderungsgründe 
nicht  selbstständig  in  Betracht  kamen,  der  Vertheidiger 
dieselben  in  einer  Weise  benutzen  mufste,  welche  die 
Richter  zu  dem  absolvo  veranlassen  konnten,  wie  denn 
auch  die  Hauptfrage  immer  so  gestellt  wurde,  ^^jurene 
Jecerit  et  licueritne  facere?^ 

Wenn  nun  auch  nicht  Alles,  was  zur  Unterstüt- 
zung der  erwähnten  Ansicht  angefahrt  wird,  zugege- 
ben werden  kann,  so  hat'  es  doch  mit  der  zuletzt  be- 
merkten Alternative  seine  Richtigkeit  Zwar  glaube 
ich,  dafs  in  den  meisten  Fällen  der  Affekt  zum  dolus 
gerechnet  wurde,  und  i:fßh  möchte  nicht  so  bestimmt  be- 
haupten, dafs  er  dem  Vorbedacht  gleich  bestraft,  als 


Mord  und  Todtschlag.-  KU 

vielmehr,^  daTs  nach  dem  Standpunkt  der  Bildang  ini 
Rechtsansieht  jener  ,  Zeit  der  Unterschied  überhaupt 
nicht  als  ein  praktisch  hervortretender  anerkaont  xai 
der  Wille  in  mehr  abstrakter  Allgemeinheit  aufgefabt 
wurde,  womit  dann  gewils  vereinbar  ist,  dabjnaariie 
Fälle  des  Affekts  gänzlich  von  der  Zurechnung  amge- 
schlossen  wurden.  Auch  wage  ich  nicht  so  viel  G«. 
wicht  auf  Cicero'' s  Behauptungen  zu  legen,  da  dietei^ 
er  möge  als  Ankläger^  oder  was  häufiger  vorkonunt,  ili 
Vertheidiger  auftreten,  immer  auf  einem  partheUidieO) 
interessirten  Standpunkte  sich  äufsert,  und  für  dieifeaiU 
auch  seine  theoretisch-praktischen  Anweisungen  bereak« 
net.  Man  folgt  mit 'Vergnügen  der  Erörterung  der  Cioe- 
ronianischen  Sätze  (S.  193)  und  findet  hier  auch  den  Vf. 
unbefangen  genug,  um  anzuerkennen,  ,,dafs  alle  Stelko, 
im  Zusammenhange  betrachtet,. im  Allgemeinen  gegn 
die  Ansicht  sprechen,  als  ob  in  legitimis  judieüi  der 
Affekt  in  der  Regel  nicht  sum  dolus  geirechnet  wonkft 
wäre.''  Aber  er  beschränkt  dieses  dadurch,  dafs  er  ei 
„einerseits  nur  für  die  eigeutlichen  judicia  legitisui  uii 
andrerseits  auch  für  diese  nur  als  HegeT*  zugesteki 
Er  sucht  zu  zeigen,  daCs  die  Theorie  bereits  damah 
den  Affekt  als  etwas  vom  dolus  Unterschiedeoes  os* 
sehe,  und  diese  Ansicht  nur  in  den  starreu  ordo  fuH' 
cionün  publicorum  noch  nicht  einzudringen  verriM>cbteii 
So  gelangt  er  denn  zu  dem  Ergebüifs :  „dais  in  da 
verschiedenen  AeuDserungen  des  Cicero  zwei  wito* 
sprechende  Ansichten  sieb  gegenüberstehen«  Tiieof0» 
tisch  betraphtet  derselbe  das  Handeln  im  Affekte  alt 
etwas  vom  dolosen  Handeln  absolut  zu  Unterscbtfdfln* 
des,  «als  einen  Theil  der  imprudentia,  somit  als  eine 
culpa,  ganz  im  Sinne  der  von  ihm  belobten  stobohei 
Philosophie,  und  von  dieser  Ansicht  sagt  er,  dab«i0 
wirklich  in  liberis  disceptationibus  bereits  Eispsg 
gefunden  habe.  Dagegen  behauptet  er,  dafs  in  der 
Praxis  der  fuaestiones  perpetuae  in  der  Regel  aucir 
das  affektvolle  Handeln  als  ^in  doloses  betracblet,  oad 
wie  dieses  gestraft  werde.  *Nur  sehen  wir  aaeh  ü« 
bei  solchen  Fällen ,  die  unter  dem  Nameo  des  pn^^ 
dolus  begriffen  werden  können  y  eine  Ausnabme  ff* 
macht  So  liefert  uns  denn  das  Zeugnils  des  Ckers 
den  besten  Nachweis  Qber  den  innem  Entwicklung!*'' 
gang  der  Sache." 

Diese  Darstellung  des  Verfs.  muCs  jedenfsUs  ab 
eine  sehr  beachtenswerthe  aufgenommen  werden.  Wal 
er  über  den  Umfang  des  richterlichen  Ermessens  bei 


405 


Köstlüi,  die  Lehre  vom 


den  äxtra^rMnariae  eögmiienee  (S.  202)  bemerkt, 
wo  allerdfngs  eine  freiere  Ansicht  in  Verbindung  mit 
der  Möglichkeit  der  Anerkennung,  jener  Unterschiede  in 
der  Natur  des  Willens  sich  geltend  machen  konnte, 
durfte  ergänzt  und  zum  Theil  unterst&tzt  werden  durch 
aninit  hierüber  vorgelegten  Nacbweisungen  in  der  S.chrift 
,,über  die  verschiedenen  Strafrechtstheorien  in  ihrem 
Terhältnisse  zu  einander'  und  zu  dem  positiven  Recht 
imd  dessen  Geschichte.** 

Es  wird  nun  weiter  zu  der  Lehre  der  Todtungen 
und  deren  strafrechtlichen  Behandlung  im  spätem  röm. 
itacht  üiiergegangen  (S.  204),  wovon  ich  nur  hervor- 
hebe, dafs  er  bei  deni  Todtscfalag  in  rixa^  wie   dieser 
in  den  Quellen  erwähnt  wird ,   indem  mit   Grund    die 
vorbedachte   Absicht    zu    t5dten   hier    entfernt  gedacht 
wird,  auf  sein  Ziel  hinsteuert.    „Das  Gewöhnliche  nun 
bei  Rauf  bändeln  ist,    dafa  eine  dabei  erfolgte  Tödtung 
aach  heutiger  Ansicht  zur  culpa  dole  determtnaia  zu 
TOchnen  ist^  und  dafs  es   „schon  dem  gemeinen  Men- 
schenverstände  monströs    vorkommen  mufs^    zwischen 
affektvoller  Todtung  in  Itaußiändeln  und  Tödtung 
aus  culpa  dolo  determinata  in  solchen  eine  Grenzli- 
oie  zu  zielien,  eine  solche  Unterscheidung  auch  sicher« 
Keh  den  Römern  fremd  war."    Man  kann  dieses  ein- 
ra«men,   da  der  ganze  Begriff  der  sogenannten  culpa 
dolo  determinata  —  der  vielmehr  eine  Concurrenz  bei- 
der, des  dolus  und  der  culpa  ist,  nicht  haltbar  erscheint 
und  am  wenigsten  als  ein  technischer  bei  den  Römern 
gesucht  werden  darf.     Und  femer,  wenn  wir  lieber, 
wie   auch  der  Verf.  zu  thun   geneigt  ist,  reine  cuipa 
annehmen,  dafs  diese  gelinder  als  der  dolus  geahndet 
und  durch  den  Mangel  der  Praemeditation  unterschie- 
den wird.     Aber  aus  der  gelindern  Behandlung,  aus  der 
Schwierigkeit  eines  Beweises,  dürfen  wir  nicht  zu  viel 
aehlielsen;  insbesondere  sind  die  Rescripte  der  Kaiser, 
'WO  sie  eine  Strafe  für  einen  ihnen  vorgelegten  Fall  ab- 
weichend von  döm  Wortverstande  eines  Gesetzes  gelin- 
der  in  Berücksichtigung  der  Umstände  bestimmen,  im- 
mer  mit  der  Erwägung   zu  verstehen ,  wie  theils  jene 
Bestimmung  selbst  oft  mehr  aus  richtigem  Gefühl,  als 
criailneller  Theorie,  auch   aus    kaiserlicher  Machtvoll- 
kommenheit  hervorgeht,  theils  die  Andeutung  der  Gründe 
nicht  überall  passend  und  juristisch  consequent  ist.     In 
jener  Stelle  wurden  wir  vollends  aus  den  Worten  casu 
fnagie^  yuam  twluntate  sluJ  noch  mehr  schliefsen  müssen, 


Moi^  und  Todtsehlag.  406 

als  der  Verf.  selbst  zugesteht  Gewifs  cüber  maeht  aich 
auch  in  dieser  Form  eine  nothwendige  Unterscheidung 
im  Gebiete  der  Zurechnung  geltend,  deren  Bedeutung 
der  Verfasser  einleuchtend  nachgewiesen  hat.  Wiefern 
er  aber  berechtigt  sei,  die  Unter^icheidungen  von  Tödtung 
im  Affekt,  von  culposer  Tödtung,  die  aus  ajbsichtlichef 
Körperverletzung  hervorgeht,  für  spitzfindig  undfür  Subti* 
litöten,  auch  rücksichtlich  unserer  Zeit,  auszugeben  (S* 
207),  wollen  wir  einstweilen  auf  sich  beruhen  lassen^ 
ohne  zu  verkennen,  dafs  allerdings  im  Raufhandel  „die 
Willensbestimmung  überhaupt  in  der  Regel  ein  Erzeug* 
nifs  des  Moments  und  nachher  selten  rein  zu  reprodu« 
eiren  ist." 

Unter  den  Gründen  schwerer  Strafe  gegen  Aie  ß»* 
mosi  laironesy  wie  gegen  die  incendiarii  (8.  2\5.21T) 
dürfte  wohl  der  gewerbmäfsige  Betrieb,  oder  die  Wie* 
derholung  nicht  zu  übergehen  sein,  wovon  ich  in  einet 
besondern  Abhandlung  ausführlicher  gesprochen  habe^)* 

Das  Resultat  der  Untersuchung  ist  nun  (S.  222)^ 
dafs  das  röm.  Recht  nur  ein  doloses  A'omicidium. 
kannte,  wobei  auch  der  bloDie  animus  ocoidendi  der 
gleichen  Strafe  unterlag,  er  mochte  sich  nun  ganz  oder 
theilweise  effektuirt  haben:  dieser  animus  wurde  «|ehr 
umfassend,  auch  für  Fälle  aufserhalb  der  Tödtung  ge- 
nommen {(jui  ßirti  faciendi  causa  cum  telo  ambu- 
lav.).  Die  Bestrafung  culposer  Tödtungen  und  das 
Maafs  derselben  ist  ein  Ergebnifs  der  erst  nach  der 
Zeit  der  perpetuae' gtuxestiones  zum  Gekneinbewufst- 
sein  gekommenen,  wenn  auch  bereits  zu  Cicero^s  Zeit 
vorbereiteten  Reform  criminalistischer  Begriffe.  Zur 
ctilpa  wurde  auch  impetus  gerechnet,  und  was  für  die 
Lehre  des  Handelns  im  Affekt  die  Philosophie  der  Ju- 
risprudenz an  die  Hand  gab,  was  namentlich  schon 
Cicero  ausgesprochen  hatte,  das  wurde  von  den  Kai- 
sern und  ihren  Räthen  positiv  ins  Criminalrecht  einge- 
führt. Dats  also  das  röm.  Recht  als  eine  technisch  be- 
sondre Art  des  homicidium  die  Tödtung  im  Affekt 
angenommen  hätte,  könne  man  nicht  sagen:  vielmehr 
nur:  ursprünglich  kannte  es  nur  den  starren  Dualismus 
von  dolus  und  casus.  Die  Mängel  diesem  Abstraktion 
kamen  aber  später  zum  Bewufstsein,  und  es  bildete  sich 
der  neue  höhere  vermittelte  Begriff  der  cutpa^  worauf 
nun  erst  die  subjektive  Seite  vom  Yerbrechen  in  ihre 


*)  Archiv  des  CrimiDal-Rechts  J.  1836.  S.  495.  S02. 


n 


\  'S  » 

407  Erdmann^  Lehrbuch  der  Chemie. 

Momente  anscinandergesetst  und  alle  diese  Momente  im 
porftiven  Crfaninalrecht  fixiit  werden  konnten.  Sofort 
wurde  also  die  culpa  nach  ihren  xwei  Seiten^  dem 
Affekt  und  der  culpa  im  engem  Sinne,  und  als  ge- 
linder zu  bestrafen  eingeschoben,  nieht  so,  als  ob  ^in 
besonderes  Yerbrechen  des  Todtschlags  im  anderen 
Slnna  angenommen  worden  wäre,  sondern  nur  so»  daCi 
eine  das  ganze  Strafrecht  durclidringende  neue  Ansicht 
auch  auf  ^as  homieidium  angewendet  wurde.*'  —  Ge* 
wUs  werden  alle  Freunde  4er  Wissenschaft  wQnschen, 
daf«  der  Yerf^  die  verbeifsene  Darlegung  der  Ansich» 
Ufa  des  germanischen  Rechts,  und  der  Theorie  der  Ca« 
rolina  bald  nachfolgen  lasse.  Es  kann  nicht  fehlen, 
dafs  gar  manche  Sfttse  Gegner  finden  ^  wie  ich  denn 
$elbst  nicht  alle  Bedenken,  die  mir  entgegengetreten, 
Mer  habe  ausfuhren  können.  Aber  jener  Umstand,  der 
bei  keiner  wissenschaftlichen  IjCistung  ausbleibt,  wird 
unbefangene  Beurtheiler,'  und  Alle  die  sich  freue% 
wenn^etwas  Tüchtiges  gewollt  und  gcthan  wird,  nicht 
abhalten,  die  Verdienste  des  Yerfs.  in  Form  und  Inhalt 
seiner  Adbeit  ansuerkennen. 

J.  Fr.  H.  Ab  egg. 


40S 


xxxri. 

hehrbuch  der  Chimie-ven  O.  L.  Erdmann ^  erd* 
Prefceior  der  tecnn.  Chemie  xu  Leipzig.  Dritte 
völiig  umgearbeitete  Auflage.  Leipxigy  1840«  Bei 
Barth.    ly.  u.  648  S. 

Das  Weck,  velehes  (Ue  dritte  Aoflage  der  „PoputUren  Dat" 
Mldluug  dir  «€iMm  Chemie  bildet,  ersclieiut  hier  in  einer  neuen 
Gestalt,  welche  es  geeignet  macht,  als  Leitfeden  bei  dem  ersten 
Unterrichte  in  dieser  Wissenschaft  eo  dienen.  Der  Verf.  hat 
den  Plan,  nach  welcliem  die  beiden  ersten  Auflagen  abgefafst  wa- 
ren, völlig  geändert,  und  man  kann  daher  diese  Auflage  fast  als 
ein  ganz  neues  Badi  betraditen.  liVir  Iconnen  mit  dieser  Aen- 
4erung  uns  nnr  völlig  einverstanden  erklären.  I^ie  populäre  Dar- 
atellnng  -einer  Wissenschaft  ist  immer  etwas  GefUhrliehes^  und 
nur  zu  leicht  wird  die  Crrenze,  die  man  sich  gezogen,  nach  meh- 
reren Richtungen  hin  Überschritten;  entweder  wird  das  Buch 
j^n  gelehrt,  oder  es  wird  trivial. 

Wenn  nun  aueb  die  Verbreitung  der  Chemie  unter  den  6e- 
^erb^reibenden  gewlli»  höebst  wünschen« wertb  sein  mufs,  so 
ist  dod»  ein  Lehrbuch  zur  Erfüllung  dieses  Zweckes  an  wenig- 
sten .geeignet,  und  der  milndlidie  Vortrag  wird  imn^er  mehr  lei- 
sten. Der  Plan,  welchen  der  Verf.  befolgte,  ist  eine  kurze,  ^t 
verstSpdliche  Darstellung  der  Grundsätze  und'  der  Erscheinungen 
der  Chemie,  sowohl  in  ihrer  wissensdiaftlidien  als  praktischen 
Ausbildung,  und  whr  glauben,  daU  der  Verf.  seine  Aufgabe  ge- 


schickt gelöst  hat    Was  die  Anordnang  und  das  Detail  behiffi, 
so  fQgen  wir  noch  folgendes  hinzu: 

Auf  die  Einleitung,  welche  den  Begriff  der  Chemie  nsd  ibra 
Unterschied  von  der  mechanisciren  Naturlehre  feststellt  folgt  die 
Abhandlung  der  allgemeinen  Chemie,  mit  der  der  Imponderab^ 
lien.  Wir  halten  es  für  etwas  Schwieriges,  die  chemische  Pn- 
portionenlehre,  der  Verwandschaft  u.  s.  w.  Personen  klar  n  m- 
chen,  welche  mit  dem  Gegenstande  «nbekannt  sind,  and  mbI 
in  den  schwierigsten  Theil  der  Wissenschaft  hindngefiihrt  werdeii 

Jedenfalls  ist  4er  andere  Weg,  den  z.  B.  HitscberGch  bei 
seinem  Lehrbuch  eingeschlagen  hat ,  wo  der  Schiiler  zacnt  ei- 
nige .chemische  Erscheinungen  kennen  lernt,  und  daDO  mit  dei 
allgemeinen  Grundsätzen  bekannt  gemacht  wird,-  der  bequenm. 
Endlich  läfst  sich  dagegen  einwenden,  dafs  die  Kenntntft  dif 
chemischen  Symbolik  und  der  Lehre  der  Proportioaea  du  Ta« 
standnifs  einer  jeden  Reaction ,  jeder  Zerlegung  etc.  Mnneaeii 
erleichtert ;  dazu  kommt,  dafs  die  Chemie  pur  wenig  allgeaeiu 
Gesetze  kennt,  und  dos  Hindeuten  auf  dieselben  das  IntereiN 
des  Schillers  sehr  erhöht,  weTcher  sonst,  durch  die  Häufuiig  der 
einzelnen,  fär  ihn  regellosen  Thatsachen  erdrQckt  wird,  EbeiM 
kann  man  daräber  streiten,  ob  der  physikalische  AbsclMittii 
einem  chemischen  Lehrbuch  seinen  richtigen  Platz  fakK^ 
oder  nicht 

Wenn  der  Verf.  sich  a,uf  das  Nothwendigste  bcsohrSokt,  n 
mufs  er  diesem  Abschnitt  doch  eine  grofse  AusdehnoDg  einrita- 
men,  im  Vergfeich  mit  dem  Umfange  des  ganzen  Werkft,  ui 
dennoch  wird  es  nicht  mOglteh  sein,  dadurch  den  Gebraoch  d- 
nes  einleitenden  physikalischen  Unterrichts  ganz  QbeHKiini^tt 
machen.  In  der  Anordnung  der  eiakelnen  Elemente  hat  der 
Verf.  einen  eigenthiimlich^n  Weg  eingfeschlagen>  welcher  ein  Mhi 
glücklicher  genannt  werden  kann. 

So  beginnt  er  die  Reihe  der  Metalle  nicht  mit  dem  Kalioa, 
sondern  mit  dem  Platin,  da  jenes  bei  dem  AnfSnger  nur  8diwie> 
rig  die  Vorstellung  eines  Metalts  erweckt    So  ist  die  sdarff 

■ 

Trennung  'der  organischen  Chemie  von  der  unorgasisebea,  ^«> 

auch  zuweilen  ein  wenig  gewaltsam,  doch  sehr  viirtheiUiift,  ak 

heutigen  Tages  noch  nothwendig.    In   manchen  Punkten  v(«eht 

der  Verf.  von  den  gewöhnlichen  Ansichten  ab,  so  «.  B.  in  ^ 

Theorie  der  Halpidi^atze,   der  Wasserstoifsäure ,  indem  er  ncfc 

der   Bpnsdorffschen   Ansicht    anschliefst,   und  indem  er  il^  jli^ 

sen   Säuren  den   Wasserstoff  fdr    da«  Radikal,  und  SehweMj 

Chlor^  Jod  etc.  für  den  sänrebildenden  Stoff  erktilPt    Dieee  i» 

sieht  is^  dieselbe,  welcher  wir  uns  selbst  auschlielsen.  Die  AV 

handlung  des  Doppelkohlenwasserstoffs  hätten  wir  gern  atf  ^ 

anorganischen  Chemie   ganz   verbannt    gesehen,  und  sie  lieber 

J>eim  Alkehol     gefunden,    ebenso   die  Kieselsäure,  wdebe  der 

Verf.  Kieselerde  nennt,  aas  der  Reihe  der  Metallexyde  is  ^ 

der  Metalloide  versetzt  gesehen.    Eigen«  nene  ÜntenuekoageB 

sind  in  dem  Werke  nicht  niedergelegt',  wonut  wir  am  §•  *^ 

einverstanden  sind,  da  in  der  heutigen  Joumalzeit  Niemand  «o 

anders  ^>nes  sieht  als  in  den  Zeitschriften,   und  das  aaf  en'^ 

rem  Wege  bekannt  Gemachte  oft   lange  unbekannt  bleibt.   Di^ 

itofsere  Ausstattung  ist  elegant,  und  der.  Druck  korrekt 

Marchand. 


Jlf  52. 

Jahrbücher 

i  • 

für 


wissenschaftliche    Kritik. 


März  1840. 


XXXIII. 

IHe  Kirchenverfassung  nach  Lehre  und  Recht 
der  Protestanten.  Von  Dr.  Friedr.  Jul.  Stahle 
Erlangen,  1840.  XIV.  u.  287  S.    8. 

« 

Wenn  es  befremdend  erscheinen  konnte,  dals  ich, 
der  ich  nur  ein  Theolog  bin,  mich  zur  Beurtheilung 
der  Schrift  eines  Juristen  entschliefse,  so  könnte  ich 
eunächst  zu  meiner  Entschuldigung  anf&hreni  dafs,  wie 
aus  der  Recension  eines  früheren  Werkes  von  ihm  in 
diesen  Jahrbüchern  (1839.  Aug.  No.  23  u.  flp.)  heryor* 
griit,  der  Hr.  Terf.  seiner  Jurisprudenz  selbst  eine  theo«- 
logische  Farbe  aufgelegt  hat    Aber  viel  ernstere  Gründe 
dazu   kann  ich  angeben.     Zuerst  den  geringsten,  per^ 
sonlichen,  -dafs  ich,  da  der  Hr.  Verf.  mir  die  Ehre  er«> 
«eigt  hat,  mich  hie  und  da  anzuziehen  und  zu  bestrei- 
ten, darin  die 'ungesuchte  Veranlassung  finden  konnte, 
nkeine  Lehre  mehr  %u  erläutern,    ob  er  ihr  vielleicht 
dann  weniger  Böses  nachzusagen  für  gut  finden  möchte, 
auch  abgesehen  davon ,  dafs   diese  meine  Lehre  viel- 
leicht im  Stande  wäre,  die  seinige,  wenigstens  hie  und 
da,  zu  widerlegen.     Denn  das  kann  doch  immer  nur 
der  Hauptgrund  sein,^sich  in  eine  solche  nicht  immer 
erfreuliehe  Discussion  einzulassen,  dals  das  Gebiet  der 
wissenschaftlichen  Erkenntnils  rein  und  unverletzt  bleibe, 
und  sich  zeige,  dafs  die  Person  sich  nicht  beabsichtige, 
sondern   die  Wahrheit  uns  über  Alles  gehe.    Endlich 
wUl  ich  nicht  verhehlen,    dafs  ich  auch  darum  nicht 
ongem  die  Beurtheilung  dieses  Buchs  übemomihien  habe, 
weU  ich  Weüs,  dafs  Hr.  Stahl  es  gar  nicht  allein  ist, 
der  so  denkt,  wie  in  diesem  Buch  geschrieben   steht, 
aondem  daCs  es  gar  viele  giebt,  in  deren  Zuspruch  und 
BdüTall  schon   er   dnen  Beweis  der  Wahriieit  seiner 
Gnmdsätze  finden  könnte  und  denen  ihrerseits  gar  sehr 
damit  gedient  ist,  dafs  diese  nicht  nur  zu  unbestreitha'- 
ren  Wahrheiten  erhoben  werden,  sondern  auch  in  die 
Tliat  und  das  Leben  der  Kirche  übergehen  möchten. 

JaUrb.  /.  tn$$€Mch.  KriHk.  /.  1840.   I.  Bd. 


Nicht  zu  leugnen  ist  wenigstens,  da(s  die  ähnliche  Denkart 
keinen  geschickteren,  gewandteren  Advocalen  dafür  auf- 
stellen könnte.  Auch  wer  in  den  Prinzi|»ien  mit  ihm 
nicht  einig  ist,  wird  ihm  das  nicht  absprechen,  dars  der 
Hr.  Verf.  seine  Sache  mit  Kraft  und  Scharfsinn,  einige 
EntWickelungen  auch  mit  Geist  und  Eigenthümliehfceit 
durchgeführt  hat.  Die  Disdnctionen  sind  hie  und  da 
so  scharf  und  fein,  dafs  es  dem  ungewahrsamen  Beob- 
achter leicht  begegnen  kann,  die  nadimaligen  Folge- 
rungen daraus  für  blofse  Erschleichungen  zu  nehmen 
und  so  dem   Hrn.   Vf.    Unrecht  zu  thun.    Auch  das 

r 

lebhafte  Iiiteresse,  welches  er  an  der  Kirche  nimmt,  mufs 
ihm  billig  zur  Ehre  gerechnet  werden.    Wenn  Theolo- 
gen in  solcher  Weiie  sprechen,  so  haben  sie  gleich  von 
'vom  herein  das  allgemeine  Vorurtheil  gegen  sich,  dafs 
sie  von  Kastengeist  getrieben  hierarchische  Zwecke  ver- 
folgen^   Um  so  rühmlicher  ist  es^  wenn  einer,  der  we- 
nigstens dem.&ufsern  Beruf  und  Stande  nach  nicht  zu  ' 
den  Theologen  gehört,  sich  mit  dieser  Energie  auf  die  . 
Seite  der  Kirche  dem  Staat  gegenüberstellt,  wenn  auch 
vielleicht  dagegen  ihm  zum  Nachtheil  nachgesagt  wer- 
den könnte,  dafs  er  es  ja  doch  nur  als  Jurist  thue  und 
die  Kirche  allzusehr  nach  der  Weise  des  Staats  beur- 
tfaeilt  habe.    Ein  Verdienst  ist  es  schon  und  ein  nicht 
geringes,  aufs  neue  die  gar  practische,  ah  das  lebiiaf- 
teste  Bedürfnifs  anknüpfende  Verfassungsfrage  angeregt 
zu  haben,  welche  seit  dem  entschlafenen  Synodalwe- 
sen unter  uns  9o  gut  wie  gleichfalls  entschlafen  war. 
Ueber  Staats-  und  Kirchen- Verfassungen  hat  man  zwar 
seit  30  Jahren  schon  so  unendlich  viel  gehört  und  so.- 
viel  Verkehrtes  und  Ungereimtes,  dafs  man  nicht  ohne 
Yonirtheil  jeder  neuen  Erörterung   darüber  entgegen- 
sieht.   Man  hat  sich  endlich  gegen  jede  neue  Betrach- 
.  tung  der  protestantischen  Kirchenverfassung  gleichgül- 
tig gemacht  durch  die  oft  wiederhohlte  Wahrheit,  dafs 
die  beste  Verfassung  die  Menschen  nicht  besser  macbe- 
.   und  die  gute   Gesinnung  auch  die  Mängel  einer  unge- 

52 


411  Stahly  die  Kirchenverßüsung  näcA 

nQgenden  Verfassung  ergänze.  Gleichwohl  ist  nicht 
zu  leugnen,  dafs  die  objectiven  Formen  der  Verfassung 
nichts  weniger  als  gleichgültig  sind,  indem  sie  die  freie 
Entwickelung  des  Geistes  hemmen  oder  fördern,  und 
dals  sie,  je  weniger  sie  dem  Begriff  entsprechen,  ym 
so  mehi;  die  Schuld  yieler  Uebel  selbst  zu  tragen  ha- 
ben. Mit  Gedanken  und  Planen  zur  Verbesserung  der 
protestantischen  Kirchen  -  Verfassung  sich  zu  beschäfti- 
gen, ist  überdem  von  jeher  für  viel  unverfänglicher  und 
zulässiger  gehalten  worden,  als-  mit  politischen  in  Be- 
zug auf  Staatsverfassungen,  da  bei  den  ersteren  nicht 
nur  die  Voraussetzung  ist,  4ais  jede  Kirchen  -  Verfas- 
sung sich  nach  der  bestehenden  Staats -Verfassung  ein- 
zurichten hat,  sondern  auch  jedermann  weifs,  dafs  man 
jede  wirkliche  Verbesserung  an  der  Verfassung  der 
Kirche,  wozu  es  kommt,  nur  der  VTeisheit  und  Fröm- 
migkeit, der  Macht  und  dem  guten  Willen  des  Staats- 
oberhaupts zu  verdanken  hat.  Aber  auch  abgesehen 
selbst  von  allen  andern  Gründen  und  allen  innem  Vor- 
theilen  zur  Erledigung  vieler  und  grofser  Bedürfnisse 
muPs  man  jede  solcher  Verbesserungen  in  der  Verfas- 
sung, insonderheit  jede  Verstärkung  der  kirchlichen 
Autorität,  im  Interesse '  des  Staats  selbst  wünschens- 
werth  finden.  Wie  vielen  Molesüen  z.  B.  würden  evan- 
gelische Staaten  weniger  ausgesetzt  sein  von  Seiten  der 
römischen  Kirche,  wenn  diese  in  der  evangelischen 
Kirche  nicht  blos  diefs  Negative,  ini  Staat  Verschwom- 
mene, Akatholi^he,  sondern  eine  Autorität  von  be- 
stimmtem positivem  Lehrinhalt,  von  markirter  Physio- 
gnomie Djud  Intelligenz  sich  gegenüber  sähe! 

Aber  unser  Hr.  Verf.  geht  viel  weiter. 

Hr.  Stahl  kündigt  sdion  in  der  Vorrede  die  Wie- 
derherstellung der  alten  protestantischen  Verfassungs- 
lehre, die  durch  alle  die  in  Mitten  liegenden  willkühr- 
licben  und  einseitigen  Standpuncte  entstellt  worden,  als 
das  Ziel  seiner  Bemühung  an*    Im  ersten.  Abschnitt 
giebt  er,  was  er  die  Geschichte  der  Ansicht  nennt,  und 
zeigt,  wie  über  die   Kirchenverfassung  von   den  Pro- 
testanten von  Anbeginn  bis  auf  die  Gegenwart  gedacht 
worden  ist.    Da  sehen  wir  ihn  denn  sogleich  hei  dem 
Resultat  in  folgenden  Worten  ankommen:  „diefs  fährt 
uns  denn  auf  die  bekannten  drei  Systeme :  das  Episco- 
pal*.  Territorial-  und  Kollegial -System.''    So  werden 
denn  die  drei  Systeme   dargestellt.    Wo  sie  aber  her- 
kommen, woraus  sie  hervorgehen,  warum  gerade  ihrer 
drei  und  nicht  mehr  oder  weniger  sein  sollen,  wird 


Lehre  und  Recht  der  Proteeianten*  412 

nicht  gezdgt^    Der  Hr.  Vf.    nimmt  sie  als  gegebene, 
vorhandene,  als  solche,  die  er  vorgefunden.  ^  Auch  dab 
sie  Systeme  sind,  ist  ein  als  bekannt  vorauszusetsendei 
Prädicat.    Man  ist  es  auch  sonst  wohl  gewohnt,  ua« 
System  nichts  weiter  verstanden  zu  sehen  als  vt^ 
ein  Aggregat  von  Meinungen,  Bündel  von  Vonteiliui- 
gen.    Zu  Systemen  scheinen  sie  nach  dem  Hrn.  Tf. 
erst  geworden  zu  seiji  dadurch,  dafs  sie  eben  Mamei 
bekamen,  das  eine  so,  da;si  andere  so  genannt  wuHe. 
S.  1.   Von  diesen  sogenannten  Systemen,  sagt  der  Hr. 
Vf.,  wolle  er  zeigen,  dafs  sie  wahrhaft  Systeme  and. 
Sie  sind  im  Verlauf  der  Darstellung  aber  doch  inr 
irgend   eine  bestimmte  Art  und  Weise,    wie  über  den 
Gegenstand  gedacht  worden,  Ansichten  der  Protestatt> 
ten,  und  in   der  Geschichte  Aht  Ansicht  verspricht  der 
Hr.  Vf.,  an  die  Stelle  der  bisherigen  Darstellung  Htm 
Systeme,    die  nur  eine  äulserliche   sei,  eine  neue n 
setzen,  die  es  sich  zum  Ziel  setzt,  sie  aus  ihrem  iiumy 
sten  Prinzip  und  nach  dem  ganzen  Umfang  ihrer  Fol- 
gen  aufzuhellen.    Aber  was  ist  und  bleibt  eine  Anaelit 
anders,  als   eine  äuberliehe  Betrachtung?  AeuberM 
und  der  Sache  fremd  bleibt  jede  Darstellung  in  der  Wif* 
senscdiaft,  die  vom  Gegebenen  nicht  nur  ausgeht,  son- 
dern auch  dabei  stehen  bleibt,  ohne   dessen  inDere  «ad 
gedankenmäfsige Nothwendigkeit  zuerkennen«  SinddiB 
drei  sogenannten  Systeme  der  evangelischen  Kirdmii- 
Verfassung,  als  die  von  vom  herein  bekannten,  nichti 
weiter,  als  vorgefundene,  über  Nacht  hereinge$ch&eüe, 
so  habett  sie   nichts  weniger  als  Nothwendigkeit,  mb- 
dern  beruhen  in  reiner  Zufälligkeit.     Ist  dieses  n^ 
eine  eben  nicht  sehr  fromme ,    oder  theologische  »Aor 
sieht**  der  Geschichte,  so  ist  es  auch  keine  würdige  und 
befriedigende  Behandlung  der  Geschichte,  die  an  ihrem 
Inhalt  nichtdt  weiter,  als  eine  Masse  zuiSlIiger  Ereig- 
nisse hat,   die  sein  konnten  und  auch  nicht,  ohne  doff 
die  vernünftige  Betrachtung  sie  vermilste.    Eine  W'iV' 
haft  historische '  Erkenntnifs  mufs   vielmehr  vor  allcA 
zu  der  Einsicht  konunen,  daCs  diese  Systeme  so  wenig 
zufällig  sind,  daüs  die  Wahrheit  der  evangelischen  Kir- 
che selbst  es  ist,  welche  in  ihnen  allen,  wenn  auch 
von  anderer  Seite  und  in  der  Einseitigkeit  mehr  oder 
weniger  genügend  sich  herausgekehrt  und  zur  Ersehet« 
nung  gebracht  hat  $  so  aber  können  sie  seihst  nicht  gaai 
ohne  Wahrheit  sein.    Diefs  wäre  eine  der  Saehe  an- 
gemessene   Betrachtung   gewesen.    Statt  dessen  stellt 
sich  der  Hr.  Vf*  gleich  von  vom  herein  zu  den  vsr- 


413^* .  StuMy  die  KireAenverß$$MUfig  nach 

tehiedenen  Systemen  in  das  Yerhältnifs  der  Zu-  und 
Ab -Neigung  und  so  ist  seine  ganze  Behandlung  der- 
selben nicht  ohne  Vorliebe  und  Vorurtheil.  Man  Icann 
anch  sonst  wohl  die  Bemerkung  machen,  daCs,  was  man 
Geschichte  des  Rechts,  der  Kirche  u.  s.  f.  nennt,  oft- 
niebts  anderes,  als  das  Werk  und  die  Geschichte  der 
sttbjectiven  Ab-  und  Zu -Neigung  ist,  wonach  man  sich 
des  historische  Material  auswählt.  —  Schon  in  der  Dar- 
sCelinng  des  ersten  Systems,  des  Episcopal- Systems, 
gebt  der  Hr.  Vf.  viel  su  sehr  auf  den  gesctiriebenen 
Bucbstaben  aus  und  weiset  nur  nach,  wie  das  Episco* 
pal  -System  von  den  Juristen  gebildet'  und  ausgebildet 
worden,  nicht  aber,  ^ie  es  sich  selbst  und  in  der  Ge- 
sebiebte  der  evangelischen  Kirche  gebildet  hat.  Diefs 
imgeschriebene  Recht  aber  ist  überall  die  Vernunft  der 
Sache,  .welche  nachher  nur  mehr  oder  weniger  in  das 
gescbriefaene  übergegangen  und  wiederum  auch  nicht 
ohne  die  Kritik,  welche  die  Yernunft  der  Sache  darin 
SU  erkennen  hat,  darin  wiederzufinden  ist  Die  juridi* 
sehen  Reflexionen  vom  Anfang  des  17.  Jahrh.  sind  nur 
als  Erklärungsversuche  dessen,  was  geschehen  ist,  an- 
susehen,  nicht  aber  an  und  für  sich  Quellen  des  Rechts, 
sondern  höchstens.  Autoritäten  von  Autoren;  ihnen  liegt 
die  wahre  Geschichte  schon  im  Rücken.  Die  vernünf- 
tige Betrachtung  ist  nun  offenbar  die  derjenigen  Theo- 
logen und  Jurbten,  welche  sich  soweit  auch  über  die 
•blofse  Aettberlichkeit  und  Erscheinung  der  einzelnen 
•Tbatsachen  erheben^  dafs  sie  die  hergebrachte  Juris- 
^Hetion  der  Bischöfe  bis  zum  Religions- Frieden  viel- 
UMhr  ab  eine  widerrechtliche  Usurpation  und  die  Wir- 
Ining  dieses  Friedens  nicht  sowohl  als  eine  Ertheilung, 
denn  vielmehr  als  eine  Zurückstellung  (Restitution)  der 
Kircbengewalt  an  die  Landesherren  betrachteten.  Aus 
diesem  von  der  Idee  durchdrungenen  Urtheil  weifs  die 
so  Ett  sagen  historische  Ansicht  nichts  su  machen ;  auch 
unser  Hr.  Yf.  hält  sich  nicht  dabei  auf,  eilt  darüber 
weg,  sieht  nicht  die  Folgerungen  daraus,  die  sich  dar- 
aus ergeben  und  seiner.  JLehre  nicht  sehr  günstig  sind. 
Was  aber  eigentlich  damit  gesagt  wird,  ist:  was  ge- 
fdieben,  sei  nur  die  vernünftige,  erst  jetzt  und  in  der 
evangelischen  Kirche  an  den  Tag  der  Geschichte  und 
des  Rechts  gekommene  Nothwendigkeit  und  Wahriieit 
des  Verhältnisses  der  Kirche  eum  Staat«  fliermit  ist 
denn  auch  ganz  wohl  vereinbar,  dafs  es  auf  diesem 
Grunde,  wie  in  der  Praxis,  so  in  der  Theorie,  auch 
sur  selbständigen  Constitution  der  Kirche  in  ihrem  Un- 


Liehre  und  Recht  der  Proteutanten* 


414 


terschie^e  vom  Staat  kommt  und  das  ist  nicht  weniger 
das  Vernünftige  des  Episcopal- Systems.  —  Uebrigens 
folgert  der  Hr.  Yerf.  aus  einer  Aeurserung  J.  H.  Böh- 
mers zuviel,  wenn  er  sagt:  nach  dieser  sei  Entscheidung 
theologischer  Streitigkeiten  und  Herrechaft  des  Jjehr^ 
Standes  Grundcharacter  des  Episcopal-Systems.  Unter 
Concilia  ist  nicht  Herrschaft  des  Lehrstandes  zu  ver- 
stehen, sondern  freiea  Zusammentreten  des  Lehrstandes 
zu  kirchlichen  Zwecken.  —  Wohl  kann  der  Hr.  Terf. 
sagen:  das  sei  das  kirchenrechtliche  System  der  pro- 
testantischen Orthodoxie.  Nur  hätte  er  bestimmter  sa- 
gen müssen:  der  ihtmaltgen  protestantischen  Ortho- 
doxie und  noch  dazu  einer  solchen,  die  nicht  .einmal 
aus  den  symbolischen  Eüchem  oder  den  Schriften  der 
Reformatoren,  sondern  zweier  orthodoxen  Theologen 
und  zweier  Kanonisten  bewiesen  ist. 

So  weit  des  Hrn.  Yerfs.  Zuneigung.  Es  folgt  nun 
die  Abneigung,  nämlich,  das  Territorialsystem..  Eine 
Betrachtung,  frei  von  Yorliebe  und  Vorurtheil,  die  un- 
partheiische  und  wahdiaft  historische,  kann  und  wird 
das  Moment  der  Wahrheit,,  welches  selbst  in  dem  Irr- 
thum  ist 'und  ohne  welches  er  gar  nichts,  auch  nicht 
der  Widerlegung  werth  wäre,  nicht  aufser  Acht  lassen. 
Ist  denn  das  Princip  der  subjektiven  Freiheit,  der  Denk« 
und  Gewissens-Freiheit,  wie  es  als  ein  gemeinsames 
dem  Territoriair  und  KoUegial-System  zu  Grunde  liegt, 
ein  so  geringes*,  gleichgültiges  oder  verächtliches}  hat' 
es  nicht  in  jeder  wahrhaft  evangelischen  Kirchen-Ver- 
fassung seine  nothwendige  Stelle  1  Wie  äufsert  sich 
nun  der  Hr.  Verf.  darüber  zunächst  in  Bezug  auf  das 
Terri^orialsystemt  Gleich  von  vom  herein  beruft  ersieh 
auf  des  Thomasius  falsche  Rechtsphilosophie  (die  Falsch-, 
faeit  ist  schon  anderweitig  ausgemacht)  und  setzt  so- 
gleich hinzu :  „derselbe  Grundsatz  nun  (dafs  Sittlichkeit, 
Religion,  Seligkeit  nicht  Sache  der  Gewalt,  sondern 
der  Freiheit  eines  Jeden  sei)  ist  es ,  von  dem  Thoma- 
sius bei  seiner  Lehre  über  die  Kircbengewalt  des  Lan- 
desberm  ausgeht  und  das  in  der  nachstehendenJ^poche 
herrschende  System  gründet."  S«  23.  Von  diesem  Sy- 
stem sagt  er  auch  später  noch,  S.  203.,  dafs  es  auf  ei- 
ner Voraussetzung  beruhe,  die  unhaltbar,  ja  sogar  wahr- 
haft absurd  ift«  Eine  der  wesentlichsten  Voraussetzun- 
gen, ja  Grundlagen  des  Systems  ist,  dafs  auf  die 
Glaubens-  und  Gewissens-Freiheit  Alles  ankomme.  Es 
ist  allerdings  ein  Mangel  dieses  Systems,  dafs  es,  nächst 
seiner    ganzen   negativen   Tendenz»  die   sittlich  und 


415 


Stahly  die  KireAenverfmiiung  nach  Lehre  umi  Reckt  der  ProtestanteHi 


kirchlich  gesinnte  fndiFidualität  des  Landeeherm  tum 
Schwerpunkt  der  ganzen  Kirchen -Verfassung  macht 
und  das  kann  ungenügend  erscheinen,  wenn  es  sich 
iron  einer  objektiven  Kirchen-Verfassung  handelt ;  aber 
eine  historiscjie  Betrachtung  sollte  doch  wenigstens 
nicht  übersehen,  wieviel  die  protestantische  Kirche  den 
verschiedenen  Landesherren  in  allen  Zeiten  zu  verdan» 
ken  gehabt  hat;  wir  erinnern  nur  an  die  Zeiten  der 
Reformation  selbst.  VTird  man  auf  diese  Zeit,  die  we* 
sentlich  im  Sinne  des  wohlverstandenen  Territorial* 
Systems  verfuhr,  wohl  folgendes  Urtheil^  womit  der 
Hr.  Verf.  anhebt^  passend  finden:  ^Cine  Kirchenge* 
walt  im  eigentlichen  Sinne  d.  i.  welche  die  positive 
Förderung  der  Kirche,  die  Erhaltung  des  christlichen 
Glaubens,  den  ihm  entsprechenden  Gottesdienst  und  den 
gemeinsamen  christlichen  Wandel  zur  Aufgabe  hätte, 
kann  es  nach  diesem  Grundsatz  nicht  geben;  daher 
keine  Ehatscheidung  theologischer  Streitigkeiten,  keine 
Aufsicht  über  die  Predigt  im  Interesse  der  Kirche,  dafs 
die  von  der  Kirche  bekannte  vrahre  Lehre  gepredigt 
werde"  u.  s.  f.  S.  23.  Der  Mangel  in  der  Darstellung 
des  Hm.  Verf.  bt,  dnfs  er  die  Meinungen  und  Einsei- 
tigkeiten  einzelner  Rechtslehrer  sogleich  zu  Systemen 
macht,  die  doch  nach  seiner  eigenen  Vorstellung  vom 
System  nur  subjektive  Ansichten  sind,  die  grofsen,  ge- 
schichtlichte Verhältnbse  der  evangelischen  Kirche  aber 
dabei  unberücksichtigt  läfst.  Ein  wesentlicher  Grund* 
satz  des  rechtverstandenen  Territorial-Systems  ist  z.  0. 
die  Wahrheit,  dafs  die  evangelische  Kirche,  ohne  darü- 
ber ^ufzahören,  die  allgemeine  zu  sein,  überall  in  der 
VTelt  die  Bestimmung  hat,  Landeskirche  zu  sein  d.  h. 
innerhalb  des  bestimmten  Staatsgebietes  sich  eigenthüm- 
lich  zu  gestalten,  wodurch  sie  nothwendig  zugleich  in 
irgend  eine  Abhängigkeit  kommt  von  dem  bestimmten 
Suat.  Kann  der  Hr.  Yerf.  diefs  Prinzip  ohne  weite- 
res verdammen  f  Mufste  nicht  wenigstens  diefs  als  ein 
wesentliches  Moment  der  Wahrheit  dieser  Theorie  und 
Kirchen. Verfassung  hervorgehoben  werden?  Wer  sich 
für  berufen  hält,  an  sogenannten  Systemen  das  Falsche 
aufzuzeigen,  kann  seine  Berechtigung  dazu  nnr  da- 
durch erweisen,  da£s  er  zuvor  das  Wahre  und  Rieh« 
tige  derselben  erkannt  hat,  wodurch  überhaupt  erst  das 
Recht  entsteht,  sich  dabei  aufzuhalten  und  sich  darü» 
6er  aufzuhalten. .  Ist  es  geschehen,  dafs'  die  protestan« 
tische  Kirche  4n  die  Hände  des  weltlichen  Regiments 


41« 

geliefert  ist,  wie  der  Hr.  Verf.  sagt»  so  ist  es  doch  sdir 
einseitig,  den  Grund  davon  in  Thomasius  und  Böhmer 
aUein  zu  suchen.  Von  dem  frommen  Spener  wird  der 
Hr.  Verf.  wohl  nicht  behaupten,  was  er  von  der  Lehn 
des  Thomasius  sagt,  dafs  sie  allem  ChriitMithum  fread 
sei;  bei  dem  wird  er  gewifs  einen  reineren  cbritllieheB 
Ausdruck  des  Territorial  «Systems  finden  und  schoa 
daraus  hätte  der  Hr.  Verf.  erkennen  sollen,  dabei 
auch  eine  unpartheiischere  Darstellung  di^er  Theorie 
giebt,  ab  die  seinige.  Selbst  der  personlichen,  wen 
gleich  noch  so  dürftigen  und  einseitigen  Lehre  jeier 
berühmten  Rechtslehrer  gereicht  noch  manches  zur  Eot- 
schuldigungj  wodurch  erst  möglich  wird,  die  Theorie 
in  ihrer  historischen  Erscheinung  zu  begreifen  und  ge* 
wissermaafsen  selbst  in  ihrer  Nothwendigkeit  ansuer- 
kennen.  Diese  hat  sie  in  ihrer  Zeit  gehabt.  WenniMB 
bedenkt,  welch  eine  VTirthschaft  das  damab  warm  der 
evangelbchen  Kirche,  und  welch  ein  Kampf  der  Bvdh 
stabentheologen  und  Orthodoxen  auf*  der  einen  und  der 
Frömmler  und  Pietisten  auf  der  andern  Seite  mit  ein^ 
ander  und  wie  beide  Partheien  um  die  Besitznahme  der 
evangelischen  Kirche  rangen,  so  kann  man  es  woU 
begreiHich  finden,  wenn  Münner  von  Energie  imdCba- 
racter  auf  den  Gedanken  kamen,  dafs  es  dock  woU 
möchte  das  Beste  sein,  wenn  de^  über  alle  Partheiei 
erhabene  Landesherr  ausschliefslich  die  Regierung  der 
evangelischen  Kirche  übernähme  und  die  Toleranz  ab 
den  höchsten  Grundsatz  seiner  Regierung  proklamirte. 
Es  mufs  sich  billigerwebe  sogar  Aragen,  ob  sich  daiil 
nicht  mehr  Frömmigkeit,  ab  Feindseligkeit  gegen  dei 
Chrbtenthum  verrieth,  und  ob  es  nicht  ungerecht  ist) 
solche  Denkart  mit  dem  Hrn.  Verf.  aus  dem  ilafs  ge- 
gen die  chrbtliche  Kirche  abzuleiten  und  sie  der  Prof»* 
nität  anzuklagen.  Es  wäre  jedenfalb  besser  geweseS) 
weniger  pathetisch  und  rhetorbch  sich  auszudrückeil} 
wenn  der  Hr.  Verf.  sagt:  „Das  TerritoriaUSystem  i» 
diesem  bestimmten  Charakter-,  wie  es  hier  theoretisdi 
vorliegt,  bt  zunächst  nicht  ;eine  Auslieferung  der  Kit- 
chengewalt an  den  Landesherm,  sondern  vielmehr  eine 
Aufhebung  derselben,  nicht  eine  Unterdröckuog  4er 
Kirche. durch  den  Staat,  sondern  eine  Zerstörung^  i»' 
l4eugnung  der  Kirche,  die  ja  ohne  Gemeinschaft  dei 
Glaubens  und  ohne  eine  gemeinsame  Beherrschung  ^ 
für  nicht  bestehen  kann." 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


Jahrbücher 


f-  •■ 
u  r 


wissensc  b  a  ftliche    Kritik 


März  1840. 


MK9  Kirehetatetfatsung  Mach  Lehre  und 
der  Ptotet^anten.  Von  Dr.  Friedr.  Jul.  8tahi. 

I 

(FortsetzoDg.) 

Endlioh   luiue  di«  historische  Gerechtigkeit  auch 
erfordert,  %u  bemerk«»,  dafs  diese  Theorie  des  Ter- 
intoriäl  -  Systema   nirgends   in    der   eTaogelischen  ;Kir. 
che    eu   ihrer    vollen    Anwendung    gekommen,    wie 
aehr    es    auch  hie    und    da  den    weltlichen  Regenten 
eingeleuchtet    hat      Es    sind    nicht  in   Folge    dieser 
Theorie  sofort  die  symbolischen  Bücher  und  die  Con« 
alalorien    abgeschafft  worden;   es    ist   dem  Lehrstand 
uoth  nicht  aller  Antheil  am  Kirchenregiment  entzogen 
VOrd^S  ^s  i^t  ^^^  evangelischen  Yölkem  noch  nicht 
gleichgültig  geworden,  ob  der  Landesherr  christlich  oder 
heidnisch   gesinnt  ist      In    diesem   Widerspruch  der. 
Wirkll^hkeii  und  Theorie  bewegt   sich  der  Hr.  Verf. 
Dagegen  ist  nicht  su  leugnen ,  dafs  er  den  Uebergang 
dieser  Theorie   in  Cäsareopapie  treffend  erwiesen  hat. 
Kn  dafs  pian  doch  eben  da  recht  deutlich  siehf ,  wie 
«In  solcher  kanonistischer  Lehrsatz,  von   welchem  der 
.Br.  Yf.  sagt,  dafs  er  alle  Freiheit  und  Sicherheit  der 
Kirehe  zerstöre,  dafs  nämlich  der  Landesherr  ohne  Zu- 
ziehung des  Lehrstandes  die  Liturgie  abändern  könne, 
aeinen  Grund  in  der  Zeit  hatte,  was  in   der   erklärten 
Absicht  auch  ausdriicklich  gesagt  ist :  dafs  nämlich  die 
Mficht  des  geistlichen  Standes  dadurch  gebrochen  würjcle. 
Giebt  es  Zeiten,  wo  das  Letztere  nöthig  ist,  so  kann 
man  es  auch  nicht  unerwartet  finden,  wenn  das  Erstere 
geschieht,  z.  B.  auch,  wenn,  wie  wir  erlebt  haben,  der 
Lehrstand  Melbst,  um  alle  Reform  des  Kultus  zu  ver- 
biudem,  sich  in  dieser  Hinsicht  für  insolvent  und  in- 
competent  erklärt,  ;weil  das  die  Gemeinde  erst  erlau- 
ben mursten.    Mufs  man,  um  dem  Territorial- System 
auszuweichen,  zum  Kollegialsystem  übergehen  ? 

Es   folgt   die  zweite  Ahndung  des  Hrn.  Verf., 
das  KoUegialsystem«  Hr.  Stahl  beschreibt  es  nach  Pfaff, 

Jahrb.  /.  wisiemch.  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd. 


als  dem  Begründer  desselben,  welchem  er  dann  noch 
ßchleiermacher  (Pacif.  Sine),  Wiese  und  Schnaubert, 
fiuch  Eichhorn  zugesellt    Sein  eigentliches  Leben  und 
Interesse  hat  es  in  den  grofsen  gesdiichtlichen  Bewehr 
gungen  des  Begriflb  in  der  Kirche  von  England  und 
Schottland  gehabt,  worauf  sich  aber  der  Hr.  Yerf.  nicht 
.  einläfst.     Pem  Prinzip  nach  gehurt  diefs  System  der 
reformirten  Kirche  an  und  ist  in  der  lutherischen  eben 
so  wenig,  ja  noch  viel  weniger,  als  das  territorialisti- 
sche  jemals  ins  Leben  übergegangen.    Es  ist  auch  bei 
Pfaff  offenbar  puritäbischen  Ursprungs  und  kaum  mehr, 
ab  ein  Project ;    die   lutherische  Kirche   hat  in  ihrer 
geschichtlichen  Entwickelung  keine  Notiz  davon  genom- 
men; erst  in  der  Union  ist  es  angeregt  worden.    Aber 
da  der  Hr.  Yerf.   den  Unionszustand,  zu  welchem  es  ' 
die    evangelische    Kirche    in    verschiedenen    Landern 
Deutschlands,  besonders  im  Königreich    PreufsCn  ge- 
bracht hat,  gänzlich  ignorirt  und  sich  ausdrücklich  auf 
das  Lutherische  beschränkt,  welches   bei  uns  nur  in* 
nerhalb  der  Union,  auber  ihr  aber  nur  noch  separati- 
stisch gilt,  so   vermag  er  auch  nicht  einzusehen,  dals 
das  Kollegialsystem  auch  für  die  unirte  evangelische 
Kirche  ein  groGses  Interesse  hat  Was  dann  die  eigent- 
liche Wahrheit  dieses  Systems  ist,   nämlich   dafs  es 
diese  durchgängige  Erinnerung  enthält  an  den  Ursprung 
aller  kirchlichen  Rechte,  hat  der   Hr.  Verf.  gänzlich 
übersehen.    Dagegen  ist  er  sehr  beteit,  es  nicht  nur 
nach  einzehicA,    unzureichenden  Aeufserungen  Pfaffs 
(von   welchem    er  unter  anderm   urtheilt,   Schleierma- 
•  eher   habe   nur   desselben    Gedankenfolge    wiederholt, 
was   kein  der  Sache  und  Person    Kundiger  behaupten 
wird)  darzustellen,  sondern  auch  zu  beurtheilen.    Er 
erklärt  die  Wilkühr  für  das  eigentliche  Prinzip  dieses 
Systems  und  macht  sichs  gar  Idcht,  indem  er  das  Ganze 
für  ein  Analogon  der  Yolkssouverainität  erklärt.    Auch 
ich  bin  wohl  eben   nicht  für  einen  Vertheidi^er  dieses 
Systems  bekannt  und  der  Hr.  Yerf.  selbst  spricht  (was 

53 


419  SlaAIy  die  Kirchenverfaaung  nikek 

ich  auf  sich  beruhen  lasse)  von  meinem  ,,utibestreitlia^ 
reh  Verdienst,  die  Unhaltbarlceit.  sowohl  des  Kollegial- 
Systems  überhaupt,  als  auch  jener  Einschränkung  dßr 
evangeUsch^u  Fürsten  auf  das  allgemeine  Majestäts- 
reeht  mit  Bvidenz  nachgewiesen  eu  haben.^  3.  128. 
Aber  es  gilt  auch  hier,  was  oben  gesagt  worden:  erst 
mufs  man  das  Richtige  daran  erkannt  haben,  um  die 
Mängel  dayon  einzusehen.  Aber  Wahres,  Richtiges 
giebt  es  in  diesem  System  für  den  Hrn.  Verf.  nicht, 
soitdem  er  aleht  ^eichsam  sein  Recht,  es  su  rerwer* 
fen,  dadurch  yefringert,  wenn  er  etwas  Gutes  daran 
liefse.  Es  ist,  nach  ihm,  Ergebnifs  der  rationalistischen 
Richtung  und  was  man  unter  solche  Kategorien,  wie 
Rationalismus,  spcculative  Theologie,  flegelsche  Philo* 
Sophie  (denn  das  kt  alles  einerlei  nach  S.  66)  bringen 
kann,  ist  doch  gewifs  als  hinreichend  verwerflich  sig«^ 
nalisirt.  Ist  es  denn  aber  damit  auch  widerlegt  oder  aus 
dem  Leben  derjenigen  Volker,  deren  geisdge  Substanz 
darin  gründet,  ehe  an  Rationalismus  gedacht  war,  weg* 
geschafft!  Am  wenigsten  kann  es  sich  von  solchen  ver- 
fehlten Bestimmungen  getroffen  fühlen,  wie,  dafs  es  alle 
Ordnung  und  Gesetze  auf  den  Willen  der  Einzelnen 
znrQckfübre,  da  der  Grtindsatz  desselben  vielmehr  ist, 
dafs  das  Recht  der  Kirche  in  der  Gemeinde  und  nicht 
in  dem  Einzelnen  ruhe.  Aehnlicher  Art  bt  die  Ver- 
gleichung  des  Kollegial  *  Systems  mit  dem  EpiscopaK 
S3rstem.  In  diesem,  sagt  der  Hr.  Verf.,  sei  es  abgese. 
hen  auf  Unabhängigkeit  "^der  Kirche  als  solcher;  in 
jenem  dagegen  auf  Unabhängigkeit  der  Menschen, 
welche  die  Kirche  bilden.  Der  Hr.  Verf.  sagt  unter 
anderm  in  der  Yorrede,  es  sei  an  der  Zeit,  dafs  dieser 
Lehre,  welche  die  Kirche  aller  Weihe  und  Autorität 
entkleidet  und  in  ein  Aggregat  beliebig  paciscirender 
Menschen  zersezt,  gründliche  Widerlegung  werde.  S.  10. 
Wir  müssen  sehr  zweifeln,  ob  die  sejnige  eine  solche 
zu  nennen  sei;  denn  dadurch  ist  keine  Einseitigkeit 
widerlegt,  dals  maA  ihr  nur  eine  andere  entgegensetzt 

—  Die  wahre  Aufgabe  mit  diesen  beiden  Systemen, 
gleicherweise  wie  mit  dem  hierarchischen,  ist  vielmehr 

—  wie  sie  auch  von  mir  zu  losen  versucht  worden  ist 
in  der,  wie  es  scheint,  dem  Hrn.  Verf.  unbekannt  ge- 
bliebenen Abhandlung  in  der  Zeiischr.  für  spec.  TheoL 
von  Bruno  Bauer  und  kürzer  in  der  Practischen  Theo- 
logie  —  sie  in  einander  überzuführen,  so,  dafs  sie  sich 
von  ihren  Einseitigkeiten  reinigen ;  wozu  freilich  ge- 
hört,  dafs  man  das  Moment  der  Wahrheit  zuvor  in  ih- 


Lehre  und  Recht  der  Prateetanten*  420 

den  anerkf nnt  und  es  nur  frei  macht ;  denn  nur  lo  I3» 
sen  sie  sich*  wahrhaft  in  sich  selbst  anf.  Aber  auf  den 
Wege  der  ruliigen  Begriffsentwickelung  kann  nuu&  frei* 
lieh  nicht  so  gewaltsam  2u  Werke  gehen,  als  der  Hr. 
Verf.  mit  diesen  Systemen  verfährt,  wobei  es  doeh.i|i 
teressant  bleibt,  zu  bemerken,  wie  der  Hr.  Verf.  in  fa 
weiteren  Entwickelung  seiner  eigenen  Lehre  nieht  um* 
hin  kann,  von  wesentlichen  und  eigenthümlichen  Be» 
Stimmungen  des  Territorial-  sowohl,'  als  des  KoUegiaL 
Systems  Oebraueh  zu  machen  und  sie  «ttUler  la  acpepd« 
ren  \  wie  Ja  überhaupt  das  entschiedeli  ausgesproehcoe 
Bestreben  des  Hrn.  Verfs.,  die  Selbständigkeit  der 
Kirche  gegen  den  Landesherrn  zu  behaupten,  der  Natv 
der  Sache  nach,  nicht  sehr,  weit  abliegt  von  der  Ehiq^t* 
tendenz  des  Kollegial-Systems,  wenn  aneh  die  Tendai- 
zen  von  verschiedenen  Prinzipien  ausgeben. 

Der  zweite  Abschnitt  des  Buohs  «teilt  nun  die  aB« 
gemeinen  Verfassudgsprinzipien  auf.  Was  in  foldw. 
Aufgabe  allein  richtig  leiten  kann ,  ist  der  Uare  imi 
feste  Begriff  der  Kirche,  wie  sie  die  ehristUehe  und  evHfr 
gelische  bt.  Der  Begriff  spricht  sieh  -aus  als  die  Notk* 
wendigkeft  und  als  das  Recht,  Bestimmongen  zu  setceO) 
die  aus  ihm  selbst  hervorgehen.  So  sagt  nun  audi  der 
Hr.  Verf. :  die  Kh-che  mufe  nicht  allein  solche  geist^ 
Gemeinschaft,  sondern  nothteendig  auch  efaie  äufiei^ 
eine  Anstalt  wirken ;  sie  mufs  zunäclist  ein  gemdoia* 
mes  Bekenntnifs  des  Glaubens  wirken.  Aber  nun:  die  gei- 
stige Gemeinschaft  mufs  ferner  eine  gemeinsame  Tbädg* 
kelt  für  die  Bewahrung  des  Glaubens  u.  s.  f.  und  eise 
Ordnung  dieser  Thätigkeit  sein  d.  i.  ehie  Kirehenverfoi- 
sung,  nicht  blos  eine  Gemeinschaft,  sondern  auch  eint 
jtnstait.  So  gewifs  das  von  dem  Innern  Bildungs- 
triebe  der  Kirche  zu  sagen  bt,  dafs  er  zur  VerfaMung 
liio treibt,  so  unrichtig  ist  es  doch,  die  Verfassung  avi 
der  Kirche  selbst  und  allein  hervorgehen  zu  lasseiv 
Hier  vermbsen  wir  vielmehr  die  groise,  eiitscheideDde 
Frage:  Was  bt  denn  Verfassung  der  Kirche t  Den  Be* 
griff  der  Verfassung  entwickelt  uns  der  Hr.  Verf.  nicht; 
der  Haupigedanke  seiner  Schrift  ist  von  ihm  nicht  klar 
und  bestimmt  gedacht  und  dieser  Mangel  ha^  wichtige 
Folgen  far  seine  ganze  übrige  Darstellung.  Verfassung 
der  Kirche  ist  Ue  hergehen  der  Kirche  in  ein  anderes 
Element,  sicA  fassen  tßxrin,  sich  verfassen  dareni} 
welches  bt  denn  nun  dieses  Element!  Nicht  schon 
jede,  nicht  irgend  eine  Form  der  Erschebang  der 
Kirche  bt  schon  Verfassung  der  Kirche.    Verfasstmg 


421  JSioAiy  die  KirciefwerfiusuMg  nach 

ist  ein  lobegriflP  ?on  YarhahiUMen ,   dm  die  Rel^on 


oder  der  Glaube  so  wenig,  als  die  Kirehe  oder  das 
((emeiiisaiiie  Lebea  im  Qlauben  iii  sojeiier  Weise  und 
Netiiwendigiceit  überall  schon  mit  sieli  brii^  daPs  sie 
gar  niebt  sein  konnten  ebne  sie;  wo  zwei  oder  drei 
In  meinem  Namen  yersammelt  sind,  da  bin  ich  mitten 
uiter  ihnen,  sagt  Christus;  da  ist  also  wohl  Gemein- 
schaft mit  ihm  und  unter  einander ,  aber  noch  keine 
Verfassung.  Wenn  Christus  die  Idee  der  Gemeinde  in 
^e  Gemulher  seiner  Apostel  pflanst,  so,  dals  sie  selbst 
bereite  in  dieser  Idee  sn  leben  und  su  handeln  anfan* 
gen  und  sieh  die  Kirchs  an  ihnen  sichtbar  macht,,  ist 
das  KirchenverfassuBg?  Naeh  romisch*katholischer  Vor- 
steUung  wohl;  denn  da  ist  Kirche  und  Verfassung  gar 
Bidit  unterschieden  und  die  Stiftung  der  einen  ist  auch 
Stiftung  der  andern;  aber  diese  Vorstellung  ist  unpro- 
testantisch d.  h.  sie  entspricht  weder  den  Thatsachen 
der  heiligen  Geschichte  und  Schrift,  noch  dem  vernünf- 
tigen Begriff  der  Verfassung.  Das  erkennt  der  Ur. 
Verf.  in  so  fem  selbst  an,  als  er  sagt:  nach  pro tes tan > 
tischer  Ansicht  sei  das  BekenntnUs  das*  erste  und 
oberste  Moment  der  sichtbaren  Kirche,  die  Verfassung 
das  seeondäre;  er  nennt  es  nachher  auch  das  äulserli« 
chere  Moment.  Es  ist  ihm  aber  ein  solches,  welches 
nicht  nur  in  dieser  Aeufserliehkeit,  sondern  auch  in 
'fester  Bestimmtheit  in  und  mit  der  Stiftung  der  Kirche 
gegeben  ist.  Hieraus  würde  folgen,  dafs  die  Stiftung 
der  ehristliohen  Barche  auch  Stiftung  einer  bestimmten 
Kfroben* Verfassung  sei  und  das  leugnen  wir,  so,  dafs 
wir  das  keinesweges  schon  mit  irgend  einer  Sichtbar- 
keit der  Kirehe,  welcher  Art  sie  sei,  nothwendig  mit- 
geseut  fanden«  Nach  S.  49.  schliefst  die  sichtbare  Kir- 
che Belcenntnifs  und  Verfassung  ein».  Der  Gedanke 
der  Sichtbarkeit  ist  zunächst  nur  der  der  VV^elt ;  was 
in  der  Welt  der  Erscheinung  ist,  ist  das  Sichtbare ;  das 
Geislige  ist  das  Unsichtbare  und  die  Nothwendigkeit 
des  IJebergnngs  dessen,  was  geistig  ist,  in  die  Welt 
der  Erseheianng  ist  leicht  dargethan.  Aber  durch  den 
Uebergang  der  Kirdie  oder  ihrer  Idee  in  die  Welt  ist 
noch  keinesweges  eine  Verfassung  der  Kirche  gestiftet 
werden.  Verfasstmg  ist  ein  anderer  Begriff,  als  der 
der  Brscheiauag,  wie  sehr  auch  die  Verfassung,  wenn 
es  dasii^  kommt,  erseheinisn  wird.  Aueh  dieb  mufs  der 
Hr.  Vf.  sugeben^  wenn  er  die  rechte  Lehre  des  £vange« 
liums  und  die  rechte  Verwaltung  derSacramente  als  die 
Sichtbarkeit  der  protestantischen  Kirche  darstellt.  S.  51. 


Leire  wd  Reekt  der  Preieetanten.  432 

Denn  in  diesen  beiden  sichtbaren  Stucken  ist  ihm  selbst 
doeh  der  Begriff  der  Verfassung  nicht  erschöpft,  sondern 
er  verlangt  auch  die  seiner  Meinung  nadi  ebeada- 
mit  ursprünglich  gestiftete  Kirchengewalt.  Aber  das 
ist  eben  der  Irrt^um  des  Hrn.  Veirfassers,  dals  er  die 
^chtbarkeit  der  Kirche  in  ihrer  ersten  Erschwnung 
in  der  Welt  schon  ab  Verfassung  nummt.  Wohl 
mu&  man  mit  ihm  sagen:  „die  währe  protestantische 
Lehre  von  der.  Kirchen -Verfassung  hat  die  Einlieit  der 
sichtbaren  und  unsichtbaren  Kirche  zu  ihrem  Funda- 
mente" S.  &3,  d.  h.  in  Wahrheit  su  ihrer  Vorausset- 
sung  d.  h.  wenn  die  .Kirche  überhaupt  nicht  in  die 
Welt  kommt,  so  kann  sie  auch  keine  Verfassung  gcw 
winnen.  Aber  diefs  Kommen  des  Himmelreichs  in  das 
Weltreich  ist  keineswegs  an  und  für  sich  schon  mit 
einer  bestimmten  Verfassung  verknüpft.  Die  Vorschrif- 
ten Christi  an  die  Appstel  kann  man  höchstens  die 
(noch  durchaus  geistigen)  An-  und  Grundlagen,  die  sitt- 
lichen Bedingungen  einer  künftigen  Kirchen- Verfa»-. 
sung  nennen.  Aber  nach  seiner  Weise^  sich  vorzugrei- 
fen und  hastig  zum  Ziel  zu  eilen,  sagt  der  Hr.  Vf.,  da 
er  kaum  von  den  Vollmachten  gesprochen,  die  Christus 
der  Kirche  verlieh:  ,,Sonach  gründet  sich  Alles,  was 
da  in  der  Kirche  gilt,  das  Symbol,  die  gesetzliche  Ord- 
nung, das  Lehramt,  das  Regiment,  die  Ezcommunica- 
tion  —  auf  das  Ansehen  der  Kirche  als  bestehender, 
aus  der  Glaubensgemeinschaft  hervorgegangener  und  ihr 
dienender  Anstalt."  S.  56.  Doch  unmittelbar  darauf 
besinnt  sich  der  Hr.  Verf.  Er  sagt:  „Mit  der  Verfas- 
sung hat  es  nun  freilich  eine  andere  Bewandnifs  (als 
mit  dem  Bekenntnifs).  Denn  sie  ist  nicht,  wie  jenes, 
die  unüiittelbarste  Beurkundung  des  Innern  Gtaubens, 
sein  Ausdruck  selbst;  sondern,  wie  es  noch  mancher- 
lei daswiichen  liegender  Bewerkstelligungen  und  Ein- 
flösse lind  des  Zusammenwirkens  vieler  Menschen  be- 
darf,  damit  sie  ins  Leben  trete,  also  ist  auch  die  Art 
ihres  Bestands  nicht  ein  unmittelbares  Ergehnifs  des 
Glaubens."  S.  67.  Nun  giebt  der  Hr.  Vf. .  selbst  eu, 
da(s  eine  ausdrückliche  göttliche  Vorschrift  über  sie 
nicht  bestehe  und  die  protestantische  Kirche  die  Frei- 
heit behaupte,  dieselbe  in  mannigfaltiger  Weise  einzu- 
richten, dals  sie  nur  eine  menschlich-kirchliche  Einrich- 
tung sei,  zu  guter  kirchlicher  Ordnung  nothwendig^ 
Doch  als  hätte  er  damit  schon  zuviel  zugegeben,  setzt 
er  sogleich  hinzu:  dadurch  werde  die  Kirchen  -  Verfas- 
sung nicht  von'  dem  Innern,   göttlichen  Geiste  gelöst 


423 


Stahle  die  KircAenper/aisung  nacA  Lehre  und  Recht  der  Pröteitanten. 


424 


und  dem  menfchlichen  Belieben  preiigegeben..    Zur  «n- 
nittelbarenr  Stiftung  Christi  reelinet   er  nickt  nur  das 
Apostel-  und  Hirten  «Amt,  sondern  auch  Kircheneucht, 
ExcoinmunicätzoB,  und  Aufsicht  über  die  Lehre*  ;  Aber 
diefs  alles  kann  doch  nicht  sogleich  die  Bedeutung  ei- 
ner dadurch  gestifteten,  bestimmten,  starren  Kirchen« 
TerCtosung  haben,  kann  auch  Forderung  der  Ausübung 
aller  apostolischen  Wirksamkeit  durch  Lehre  uiidYor*. 
bild  sein  und  läist  in  der  menschlichen  Gestaltung  von 
dem  allen  der  Freiheit  noch  eine;i  groPsen  Spielraum« 
Ist  nun,  nach  unserm  Begriff,   der  Uebergang  der  Idee 
der  Gemeinde  in  die  Welt  die  Möglichkeit  einer  Kir- 
chen» "Verfassung,  so    ist    der  keineswegs  gleichzeitig 
damit  zu  setzende  Uebergang  der  Kirche  in  den  Staat 
erst  die  Wirklichkeit  einer  Kirchen  «Yerfassung.    Der 
Staat  bt,  um  es  kurz  auszudrücken,  die  Ordnung  der 
Welt,    der  sittliche  OeiBt   des  Yolks   und  erst  in  ihn 
Qbergehend  kommt  auf  der  Seite  der  Kirche  zu  Stande, 
was  wir  ihre  Yerfassung  nennen.    Ja  nur  aus  IBlemen- 
ten  des  Staats  eben  so  sehr,  als  ihres  Glaubens,  kann 
sich  die  Kirche  eine  Verfassung  anbilden.    Diefs,  wie 
sehr  es  allen  seinen  Yorstelluugen  widerstreitet  und  der 
Hauptgegenstand  seiner  Anfeindung  ist,  kann  man  doch 
in  des  Hrn.  Yfs.  eigener  Lehre  leicht  nachweisen ;  denn 
seine  chrbtliche  Kirchen« Yerfassung  hat  offenbare  Staats- 
elemente in  sich,  ist  schon  gar  sehr  politisch  gestaltet. 
Woher,  ah  von  der  Seite  des  Staats  ist  an  das  Amt 
die   Bestimmung  des  Standes  gekommen,   woher  die 
Ungleichheit  und  Unterordnung  der   Geistlichen  unter 
einander^  woher  das,  was  wir  die  Loealgemeinde  oder 
Parociiie  mit  ihrem  Parochus  nennen?  Der  Staat  erst 
ist   diese   Gliederung   in   verschiedene   Stände  vu  s.  f. 
Aber  so  geht  es  immer,  wenn  man  sich  der  sorglosen 
Sicherheit  des  Denkens  ergiebt   und  in  der  Bewufstlo- 
$igkeit  über  die  logische  Geltung  gebrauchter  Katego- 
rien dahinlebt;  es  gescb'^ht  alsdann  zur  Strafe  für  die 
Yerachtong  der  Philosophie,  dafs  man  in  Einem  Athem 
das  Gegentheil   von  dem  bekennen  mufs,  was  man  ei- 
gentlich will,  meint  und  behauptet;    so,  indem  der  Hr. 
Yf.  die  Vorzüglichkeit  des  geistlichen  Standes  im  Ge- 
gensatz zum  Staat  preiset,   befindet  er  selbst  sich  mit 
diesem  Stande    schon  inunerfort   auf  dem  Boden   des 
Staats  und  preiset  an  dem  Lehr-iSfa^»^/^  nur,  was,  wo 
nicht  viel  mehr,   doch    wenigstens  eben  so  sehr  dem 

(Die  Fortsetzung  felgt.) 


Staat,  als  der  Kirohe  angehört.  —  Der  Udbergang  mm 
der  Kirche  in  den  Geist  des  Yolks,  welcher  der  Stait 
ist,  ist  eben  90  sehr  auch  der  Uebergang  des  Staats  ia 
die  Kirche  und  deshalb  halten  wir  uns  für  befugt,  Mk 
die  Einheit  d^r  Kirche  mit  dem  Staat  zu  nennen,  wi« 
durch  allein  erst  eine  wirkliehe  Kirchen  •  Verfassung  n 
Stande  kommt.  —  Will  man  liun  sehen^  welche  Fol- 
gen es  hat,   wenn  über  den  Grundbegriff  und  denen 
vollständige  Entwickelung  irgend  eine  Unkhtrheit  mi 
Zweideutigkeit   übrig  bleibt  und   wie  schlimm  ei  ist, 
eine  richtige  philosophische  Einsieht  vermissen  ra  hi- 
Sen,  so  darf  man  hier  nur  hinzunehmen,  wie  in  Hr, 
Yerf.  sich  über,  oder  vielmehr  gegen  diesen  Begriff  der 
Einheit  der  Kirche  und  des  Staats  e.rklärt.    Er  beitRi» 
tet  da  (S.  126)  meine  Lehre,  welche,  wie  meine  gaon 
Theologie,  nun  einmal  das  Schicksal  hat,  kurzwef  th 
Hegeische  genannt  zu  werden,  wie  wenn  ich  dabei  gm 
überflüssig  und  unthStig  gewesen  wäre,  was  ieh  m 
aber  allerdings  zur  Ehre  rechne;  denn  ich  weife,  vii 
diesem  grofsen  Geist  zu  verdanken  ist,  mögen  wirib 
ehren  oder  verfolgen.     Statt  ron  der  Einheit  Viwo^ 
ben  und  sodann  den  eben  so  nothwendigen  Untencfaifd 
zu  setzen  ^   doch  so ,  daCi  sich  die  Einheit  darin  nidit 
auflöset,  stellet  der  Hr.  Yerf.  sich,   seiner  abstnetea 
Verständigkeit  gemQfs,   zunächst  ganz  nur  in  den  Da- 
ferschied   von  Staat   tind  Kirche  und  streitei  voa  da 
aus  gegen  die  Einheit  und  predigt:    „Nun  ist  es  aber 
keinesweges  philosophisch  begründet,  dafs  eine  Anstalt, 
die  sichtbar  (?)   von  Gott  gestiftet  ist  und  eine  sddie^ 
welche  die  irdische.  Geschichte  gebildet  (das  ist  diefaolie 
Ansieht,   die  das  historisdie  ins  vom  Staat  hat),  eim 
Anstalt,  deren  Ziel  die  Ewigkeit  und  das  Jenseid  ist 
und  eine  solche,  deren  Ziel  sich  auf  dasDisseiuk- 
scliränkt,  eine  Anstalt,  welche  die  Eine,  aUgemeiiie 
ist  für  die  Christenheit,   und  eine  solche,  die  ihrer  Na- 
tur nach  nur  nattonal  und  territorial  ist,  mit  einsiricf 
in  solcher  Einheit  stehen,  nach  welcher  jrie  nur  die  fe^ 
schiedenen  Seiten  derselben  Saehe  (gegenseitig  ihr  b* 
neres  und  Acufseres)  wären  und  daüs  sie  dem  entipr^ 
chend  die  Einheit  -einer  gemeinsamen  höchsten  Avtsö* 
tat,  Eines  Oberhauptes,  wäre  es  aueh  nur  für  die  U- 
fsere  Ordnung  ui|d  Leitung,  als  wenn  diese  vom  hm«* 
völlig  geschieden  werden  k<innte,  erhalten  mfissen  ^ 
sollen. 


\  - 


54. 

Jahrbücher 

für 


wissenschaftliche    Kritik. 


März   1840. 


Ihe  Kirckenw9fm$$ung  nuch  Lehre  und  Recht 
der  Fr0te$tmwten.   Van  Dr.  Friedr.  Jul  Stahl. 

(Fortsetzung.) 

Es  ist  Dicht  richtig,  deb  im  Prinzip  der  Refor* 
matioB  eine  eolche  Einheit  noth wendig  sei."  Wieviel 
lUfse  sich  luerüber  sagen!  Doch  der  Hr.  Verfasser 
bcdiiift  sieh  selbst  gleich  wieder  und  fahrt  so  fort: 
y^ui  das  innere  Band  swischen  Kirche  und  Staat^  da- 
her zwischen  weltlicher  und  kirchlicher  Obrigkeit,  ist 
im  evangelisehen  Prinzip  mit  Nothwendigkeit  begrün- 
det und  diefs  ist  das  Wahre  in  Harheineke^s  Motiven, 
wojdurch  er  gerade  6cfal<4ennaeher  überlegen  ist,  kei- 
aesweges  aber  eine  Einheit  d.  i.  ein  Zusammenfallen 
Ibeid«  Gewalten  in  einem  Subjecte.  Diese  angebliche 
£inhett  ist  —  namentlich  bei  dein  Marhetneke*8chen 
Mangel  aller  Ctarantien,  eben  ein  Aufgehen  der  Kirche 
im  Staat  und  ist  diese  neuere,  durch  philosophisches 
Cf^wand  täuschende  Auffassung  in  ihren  practischen  Re- 
sultaten nichts  anderes,  als  die  CSsareopapie  der  alte« 
r«B  Territorialisten,  eine  AusUeferung  d^r  Kirche  un- 
ter die  Obergewalt  des  Staats,  und  diefs  ist  eben  ein 
imabweisbares  Postulat  der  Hegeischen  Yorstellungs- 
welse/'  Solehe  mechamscfae  Yorstellungen  vom  innern 
Bande,  von  Verbindungen  zwischen .  Staat  und  Kirche 
liebt  der  Hn  Verf.;  diese  verhalten  sich  aber  darin  zu 
ebiander,  nach  euiem  Ausdruck  der  Concordienformel, 
wie  zwei  zusammMgeleimte  Bretter.  In  dem*  Regenten 
eines  protestantischen  Staats^  hatte  ich  gesagt,  ist  diese ' 
Einheit  der  Kirche  und  des  Staats  zu  schauen,  reprä- 
aentirt  d*  h.  die  Idee,  die  Wahrheit  wird  in  der  Per* 
son  des  Landesherm  i^>i/(^r/Täs^»^,  anschaubar,  woran 
man  in  England,  wo  der  Künig,  jetzt  sogar  eine  junge 
Frau,  das  Oberhaupt  der  Kirche  und  des  Staats  ist,  nie* 
mals*  einen  Anstofs  genommen  hat  und  was  vielmehr 
ebenda  oline  Zweifel  der  Hauptgrund  der  gränzenlosen 
Liebe  ist,  womit  der 'Engländer  von  der  Staatskirche 
Jahrb.  /.  wüiemch.  Kritik.  J.  1840.    I.  Bd. 


seinem^  Monarchen  zugethan  ist.  Der  Hr.  Verf.  nenn^ 
meine  Darstellung  auch  Entkirchlichung,  als  ob  in  ihr 
das  läge,  dafs  die  Kirche  zu  keiner  Art  von  Selbstän- 
digkeit kommen  könnte,  wogegen  ich  mich  nur  auf 
das  schon  angeführte  Beispiel  von  England  berufe. 
Habe'  ich  mich,  wie  der  Hr.  Verf.  selbst  noch  anführt 
(S.  244)^  für  die  bischöfliche  Verfassung  erklärt  und 
zwar  für  eine  solche,  die  nieht  ohne  Autorität  ist,  so 
ist  wohl  zu  sehen,  dafs  die  von  mir  behaujptete  Einheit 
der  Kirche  und  'des  Staats  jQicht  eine  solche  abstracto 
Einheit  ist,  welche  die  Einerleiheit  wäre,  sondern  die 
concreto  welche  die  Einigkeit  ist  und  auch  den  Unter- 
scliied  aus  sich  hervorgehen  lälst  und  deren  wesentli* 
che  Grundlage  allein  vermag,  den  Gegensatz  von  Staat 
und  Kirche,  worin  der  Hr.  Verf.  stecken  bleibt,  völlig 
zu  beseitigen,  den  reinen  Frieden,  die  wirldiche  und 
wahrhaftige  Versöhnung  zwischen  Staat  und  Kirche 
herzustellen  —  eine  Lehre,  die  auch  so  die  wahrhaft 
protestantische  ist. 

Nach  diesem  Excurs  können  wir  uns  nun  in  der 
weiteren  Entwickelung  der  Stahlschen  Lehre,  um  nicht 
das  üble  Beispiel  einer  zu  langen  Recension  zu  geben, 
nur  noch  referirend  verhalten,  theils  um  zu  zeigen,  was 
der  Hr.  Verf.  eigentlich  intendirt,  theils  um  zum.Sphlufs 
noch  Raum  zu  einigen  Anmerkungen  übrig  zubehalten. 

Schon  überaus  merkwürdig  ist,  wi^  der  Hr.  Verf. 
den  Uebergang  macht  aus  dem  ersten  Kapitel  in  das 
zweite,  das  von  der  Natur  und  dem  Umfang  der  pro* 
testantischen  Ktrchengewalt*  handelt  Dort  sagt  er  zu« 
letzt:  „Der  gegebene  Zustand  (der  Kirche  und  des 
Lehrstands),  die  Gewalt  und  die  Redite,  welche  er 
enthält,  sei  gleichsam  nach  dem  Prinxip  der  l/egiti^ 
müät  eine  höhere  Macht  über  die.  Glieder  der  Kirche, 
so,  dab  sie  ihn  nicht  abthun  können  wider  JVitten 
der  Machthaber^  mich  wenn  sie  einen  ieesern  M^fi/i- 
ten.'^  Ist  man  nun  eben  im.  besten  Zuge ,  dem  beizu- 
stimmen,  so  setzt   der  Hr.  Verf.   unmittelbar  hinzu: 

54 


427  Siahl^  die  Kirekenver/u$9ung  nach 

y^Diefs  war  auch  das  Yerhalten  der  Reform^ion  gegen 
die  Hierarchie,  bü  enMieh  geufifi  mntrde^  daf%  leiz^ 
tere  sich  tcUeehterdingM  dem  Evangelium^  statt  ihm 
XU  dienen^  mdereetxen  wolle**  In  de«  letzteren  Sats 
acheint  nidit  undeudioh  die  Erlaubnifa  eDthalten  tu 
aein  zu  demjenigen,,  was  in  dem  kurz  vorhergehenden 
Terboten  war,  nämlich  in  gegebenen  Fällen  aich  über 
das  Prinzip  der  Legitimität  hinwegsetzen  zu  können« 
Wenn  das  keiii  Widerspruch  ut,  so  giebt  es  keinen; 
was  das  Recht  mit  der  einen  Hand  glebt,  nimmt  es  nnt 
der  andern  wieder.  Hiemach  scheint  es  für  den  Hrn« 
Tf.  unmSglich,  ron  der  Reformation  den  Vorwurf  weg« 
zubringen,  dafs  sie  doch  nur  eine  ganz  widerrechtliche 
Revolution  gewesen,  wenn  man  sie  auch,  wie  der  Hr. 
Verf.,  billigt.  Da  waren  denn  doch  di(e  alten  Rechtsge» 
lehrten  viel  weiter  und  weiser,  auch  konsequenter,  dio 
oben  ängefilhrten  nämlich^  welche,  ganz  richtig,  viel* 
mehr  die  päpstliche  Jurisdiction  nicht  als  das  urspHSng« 
lieh  ehrbfliche,,  sondern  ganz  widerrechtlich  eingeführte 
und  die  Reformation  als  die  Rückkehr  sum  wahrhaften 
Recht  betrachteten ;  denn  so  wenig  der  päpstliche  Glaube 
durch  die  vorhergehenden  Jahrhunderte  und  sein  Be« 
stehen  darin  der  wahre  wurde,  eben  so  wenig  kennte 
das  päpstliche  Recht  durch  längere  oder  kürzere  Zeit 
(Verjährung)  aus  Unrecht  zu  Recht  werden.  —  Als  Oe« 
genstSnde  der  Kirchengewalt  stellen  sieh  heraas  s  Lehre, 
Kuhns,  Disciplin.  Das  Wesen,  ja  der  Begriff  der  Kir* 
che  ist  die  Erhaltung  der  reinen,  der  Kirehe  anvertran« 
ten  Lehre  und  der  auf  sie  gegründeten  Glaubensge- 
meinsdiaft.  Dazu  gehört  nun  zuerst  die  Entscheidung 
theologischer  Streitigkeiten.  Die  Kirche  kann  solche 
Entscheidung  nicht  entbehren,  wo  sie  die  Heilswahr« 
heit  durch   eine  Irrlehre    im  Innersfen  bedroht  siebt. 

.  „Noth  thäte  es  der  Kirche,  den  ganzen  Wust  ratiom^ 
listischen  Unchristenthums  und  pfuitheistischer  Falsch- 
münzerei von  sieh  auszuscheiden.^  8. 64  Desgleichen 
gehört  zur  Aufgabe  der  Kirchengewalt  die  Aufsicht 
über  die  öffentliche  Predigt  und  den  üffentliehen  Reli- 

,  gionsunterricht.  „Läugnet  man  ^^m  Recht  der^Aufsichl 
über  die  öffentliche  Predigt  und  macht  dagegen  die 
Lehrfreihett  zum  ausschKeCsIicIien  Prinzip  der  protestan- 
tischen  Kirche  -—  %o  hebt  man  alle  Kirchengewalt  und 
alle  Kirche  auf/^  S.  67.  Femer  die  Einrichtung  des  Get- 
tesdienstes.  Sodann  die  Disc^Iin,  d.  i.  die  Gestaltung 
des  gemeinsamen,  diristlichen  Wandels  und  die  ihn 
beztelende  Kirchenzucht    Endlich  die  Ehesachen.    Drit- 


Lekre  und  ReeAt.  der  Proteetanien.  42B 

te^  Kap.  Subjeet  der  Eirehengewalt.  Sie  ist  aidit 
Sache  des  Staats  und  der  weltliehen  Obrigkeit,  ms* 
dorn  der  Kirche,  vorzugsweise  des  Lehrstandes.  Hier 
f^  der  Hr.  Yf.|  obgleich  er  dagegen  protestirti  in  dai 
Prinzip  des  KoUeglalsTstemsg  indem  er  sagt,  der  8i|i 
der  Kirchengewalt  sei  eigentlich  die  Gesammtgemttuda^ 
mit  dieser  und  an  ihrer  Spitze  sei  der  Lehrstaod  dai 
Subject  der  Kirchengewalt.  „Ist  diefs  nicht  der  FiO, 
sondern  der  Landesfnrst  Subject  der  Kirchengewaki 
wie  namentlich  in  der  protestantiaehe«  KitylieTaifa» 
sung,  so  ttuiis  der  Leh^rstand  doch  wenigstens  dieAsi- 
übung  der  Kirchengewalt  ihrem  Inhalt  nach  TOihe»* 
schind  bestimmien."  „Christus  hat  die  Vollmachten  iwir 
der  Kirche  und  nicht  den  Aposteia  getrennt  vea  der 
Gemeinde  der  Gläubigen  und  ihr  gegenüber  crtMl^ 
allein  er  hat  sie  doeh  den  Aposteln  an  der  Spitze  to 
Kirohe  ertheOt,"  (Solch  eine  Vorstellung:  an  derS|iilii 
ist  ein  wenig  geeigneter  Ausdrude  für  dieses  unnAieli 
bare  Verhältnib ;  der  richtige  wäre  gewesen :  der  6s> 
meinde  und  ebendanric  denen,  die  das  Bemufeteä^  dn 
Gemeinde  sind.)  Der  Hr.  Vf.  sudit  Btijtke  Anstchti  aa 
gut  es  geht,  von  der  bieravchisefaen  wegsubringea.  Dil 
Apostel  und  deren  Nachfolger  haben ,  nach  Um i  «Ua 
Kirchengewalt  (die  Schlüsselgewalt  ,,diesen  Ken  daf 
Kirchengewalt")  nicht  in  der  Art,  wm  ein  Ktnig  aas 
Volk  r^räsentirt,  sie  beaitsen  nicbt,  wie  dteer,  tA 
Gewalt  ausschliefslich ;  aber  Christua  hat  sie  ioA  im 
Aposteln  unmittelbcuf  und  als  scübsttadig  ihnen  siifcaaM 
mend  ertlieiit.  Daifs  die  VeAemdittft  dos  geiitUdM 
Standes  d«n  Protestantismus  widerspreche^  ist  nur  akl 
Ergebnib.  der  antUcirshliehen  Richtung/  Di^  Gleiehball 
aller  Glieder  der  Kirche  bezieht  sich  keineswegs  vd 
die  ftufsere  Ortung  und  organisehe  Gestalt*  der  Ki6 
che, ,  Viertes  Kap. .  Verhältnirs  der  Kireheogewalt  i» 
Kirche.  Die  Volhnaehten  sind  der  Kirche  ab  inaerw 
Gemeinsebaft  nnd  fiurserev  Anstalt  suglm^h  ertiuüt^ 
fiafo  die  Aeuüierlichkeit  der  Gestakung  uad  Aaatak 
erst  von  der  Seite  der  Welt  und  des  Staats  |n  M 
Kirche  und  diese  selbst  «o  emt  Ikherhaup^  zuein^rVer* 
fassung  gekommen,  leugnet  der  Hr<  Verf.  &e  sehr,  M 
er  sagt :  jenee  untersehente  die  Kirche  weeeatBsb  vM 
Staat.  „Denn  dieser  ist  eine  blos  äu&erllehe  AnafaÜ 
und  seine  Vollmacht  wü  Gewalt  rühl  ledigUek  asf 
der  äufseren  Anstalt  und  Einriehtung  als  solcher."  Sk 
91.  Was  soll  man  ren  dner  Reehtslebre  ssgsD)  die 
aolehe  Qedapken  yom  Staat  hat    Der  Geist  der  Weit' 


411  SkM,  dh  Kirek^mferfiuumg  nmek 

Mt  «iil  ShdlcUMlt  d»  y  olb  M  0iiie  bbf  ittlierildi« 

T#raiittdtUBg  und  in  dtewi  Acafterliehkeit  mhl  mId« 

gau#  yMamAHywo  ist  j«  ab«r  Audi  sein  Reeht  nichts^ 

alt  «iie  Mtefaü»  AMTsdiiiehkeit.    ,  Jadam  dia  Kircskenga« 

walt  daa  bafafti  aoaKesproehaaen  Glauben  der  Kfreha 

atÜküiAl  hSHi  d«n  Abfarrenden  sareehtweiia^  dai  Wider* 

ifteohmde  anwcdilielat,  die  Diaeij^lin  bandhalft  u.  s.  w«« 

da  baiiMt  ate  als  Obrigbait  der  Kirobe ,  der  fiarsem^ 

lAahtbaraif^  festen  loeticntion  fthnUeb,  wie  die  Obrigkeit 

das  Staaiii"  S.  95.  Dritter  Absebnitt.  Das  Reeht  der  Far- . 

alen  MMr  die  Kirdie.  Erstes  Kapitel.  Die  Ejrebenbobeit 

(Majeslitsreelit)  nach  protestantiscber  Lebre.  Es  kommt 

nvB  liier  bei  dem  Hm.  Yerf.  zu  dem  obigen  Innern  Bande 

iaad  Bunde  swiseben  dem  weltlidien  und  geistHcben  Regi- 

moA.    W^^nn  man  Ae  Stellung  betraebtet,  welche  der 

Br.  Yerf.  bier  dem  Staat  and  der  Kireiie.  tu  einander 

giebt  und  wriebe  die  Mos  fivrserliehe  Verbindung  ist, 

a4r  Ist  ea  obngefShr  dieselbe,  welche  aus  den  Prind» 

fiiett  dea  Rationalismitf   and  der  Aufkläilnrg  Schude«- 

rirfT  (besenden  In  seiner  Schrift:  Die  Jurbten  in  der 

Kirdie)  Urnen  gab;   ei^  nannte  das  Terbfiltnirs  das  der 

Canfraterttitdt,  wo?on  ich  sehen  damals  sagte,  es  sd 

daa  Eweier  BrMer,  die  sieb  einander  nicht  todtachia* 

gen*    Aber  die  eeaerete  Einheit ,  welche  die  des  Qti- 

atea  und  der  gegenseitigen  Liebe  ist  and  die  das ,  e^ 

gestücb  Christliche  In  demYerfaihnirs  ist,  kommt  nicht 

tfavte  hertor,  sondern  es  ist  daa  Bestreben  vielmehr  auf 

Anteittlmdersettung  gericfalet  mnd  auf  Bestiomiang  der 

Greiieen  das  gegenseitigen  Rechts.    Gm  dieses  Recht 

reabt  z«  erb^nnen,  SiuCi  man  durclMius  nielit  nur  die 

Kfrtlie  bn  Staat  (waa  leicht  ist),  sondern   audi   den 

JÖtent    hl  der  Kirche   d.  h.  ihn   selbst  schon  ab  den 

abriatücben,  d.  li.  eben  die  fainer^  Efaiheit  beider  wie- 

nen.     Wie  vieles  gründet  sich  nicht  im  Staat  und  In 

der  Ktrebe  auf  diese  gegenseitige  Einheit.  Was  Ist  der 

Eid,  die  Ehe,  dlO'  Fanäie,  das  Ersiehuags-  und  Armeil- 

YTesett)  wer  bami  sagen  oder  genau  bestimmen,  an 

welche  Seite  sie  mehr  gehören,  eh  an  die  des  Staate 

6der  der  Ktrebe  t  Der  ,Hf •  Yerf.  aelbst  sieht  sich  hier 

fln  MgeHdiBr  AenfteiHBg  genMilgt :  „Da  die  Anordnun* 

geir  dier  hertiNAenden  Kirch«  sämartMch  die  börgerUehe 

Gekvmg  babaki  soften  and  mfftssan^  ao  mOesen  sie  auch 

aanundich  nicht  blos  auf  der  kirchlichen ,  sondern  eu-  ' 

gleich  auch  auf  der  weltlichen  Sanktion  und'  Autorisi« 

rang  berulien  und   es  kann   nunmehr  keine  kfrchüche 

Anordnung  allein  auf  die  kirchliche  Autorität  hin  iaa 


L§i^e  wd  Msökt  der  Pr&i9§iäHie9^  430 

lAhtm  treti^  weil  dielea  daa  Band  awisehen  dem  Staat 
und  der  Kirche  atoren  wQrie.  Der  Landesfufst  er* 
aelidnt  daher  (in  der  Maiterohie)  insofern,  aber  auch 
nur  msofe^n,  als  der  Einlieitspunct  des  weltlichen  und  ' 
gaistiiehen  Regimentes,  ala  die  oberste  (aber  immer 
weltliche)  Autorität  auch  für  kirchliche  Aaordaungea. 
IMese  Sanktion  des  Fürsten  ist  nun  niobt  eine  JUreA* 
liehß  Sanktion,  sie  ist  aber  auch  nicht  eine  sohlecht, 
hin  (afaatract)  polüüeAe^  sondern  sie,  ist  apecifiseb 
eine  ehrütfick-polititehe  Sanktion,  eine  Sanktion  dei 
ebristlmben  Staats.  Vor  allem  also  erlangt  die  weit« 
liehe  Obrigkeit,  wenn  die  'Kirche  aur  herrsdiendeia  wird^ 
das  Recht  der  eter^ten  (formalen)  Sanktion  in  Bede» 
hang  auf  das  Klrchenregiment."  S.  103,.  Hat  der  evan. 
geUsche  Landesherr  nach  seinem  Majestätsrecht  daa 
Recht,  „selbst  darüber  zu  artheilen,  ob  eine  neue 
kirchliche  Anordnung,  der  er  die  Sanktion  und  Durch«» 
IMvung  im  Staat  rerlethen  soll,  dem  Willen  und  Wort 
Gottes  gemäfs  und  der  Kirche  zuträglich  sei  und  im 
andern  Falle  sich  ihr  an  widersetaen ,"  so  mufis  man 
wohl  sehr  begierig  aein,  zu  erfahren,  wie  daneben  dia 
bebmiptete  Kirchengawah  sich  ao  unabhängig  behaup« 
tmi  kaaaa,  als  der  Hr.  Verf.  beabsichtigt.  Da  kommen 
ao  feine  Dislinctionen  hervor  von  Zulässigkeit,  Statt« 
haf tig^eit,  Möglichkeit ;  da  wird  dem  Laadesherm  eins  .  - 
Art  jeon  Müregierung  der  Kfarche  zugeschriebM }  da 
ist  daa  Majestätsrecht  doch  immer  noch  etwaa  gans  an* 
deres,  9iM  die  Kirchcngewalt  selbst.  Es  bestehen  ei. 
gene  kirchliche  Autoritäten,  von  welchen  die  kirchli« 
eben  Anordnungen  ausgehen  und  ihre  positive  kirch« 
fidie  Sanktion  erhalten  und  welche  Macht  vnd  Fug 
halten,  dieselbe  selbst  gegen  den  Laadesherm  au  ver* 
treten,  wenn  er  seine  poUüsehe  Saniction  ohne  Grund 
verweigert,  ja  im  änfsersten  Falle  sich  im  Namen  der 
Khrdie  lossagen,  wenn  er  sie  thatsächlieh  unterdräokt, 
statt  sie  zu  fordern.  In  der  Wirklichkeit  steht  den 
evangelischen  Landesherren  Dentscblands  nicht  nur  daa 
Majestäisreeht,  sondern  die  Kirchcngewalt  aelbat  AU 
Alleitt  nur  Jenes,  aielit  ober  dieses,  bt  mn  nothwendi* 
gea  Ergebnits  der  protesUntisohen  Prinzipien.  Es  wird 
gezeigt,  ^fa  ea  sich  ana  den  äufsem  Umständen  zur 
ZA  der  Reformation  so  ergab  und  nur  van  ihrer  Statt- 
haftigkeit, nicht  v<m  ihrer  Nothwendigkeit  kann  die 
Rede  sein.  Eine  selbständige,  von  dem  Ansehen  und 
Btnflüfs  des  Lehrstandes  gelöste  Gewalt  der  Fürsten 
in  Lenkung  der  Kirche   ist  schlechterdings  nicht  zu 


43t  StäAiy  Me  KtreJifenverflisiung  nacA 

begründen  und  nicht  zu  rechtfertigen.  8.  114.  Es  bleibt 
doch  immer  anerlcannt,  däfs  die  Kirchengewalt  auf  ei- 
gener, von  der  des  Staat«  völlig  gesonderter,  göttlicher 
Vollmacht  ruht,  dafs  sie  unter  ganz  andern  bestimmen- 
den Normen  steht,  dafs  sie  (thatsäcMich  und  materiell) 
von  midem  berufenen  Subjecten,  nicht  blos  andern  Or- 
ganeti    im   Staatsorgani^mus^  ausgeübt    werden  muTs. 
S.  128.    Drittes  Kapitel*    Der  Mittelpunct  der  ganzen 
Untersudiung  in  diesem  Buch  ist  die  kirchenrechtliche 
DeducHon,  dafs  die  Kirchengewalt,  wie   sie    noch  in 
dem  Majestätsrecht  enthalten,   nur  möglich,   zulässig, 
nicht  aber  nothwendig,  die  Wirklichkeit  derselben  aber 
erst  durch  Rechtsgründe  zu  erweisen  sei.  Diese  Gründe 
liegen  darin ,  dafs  sie  ein  integrirender  Theil  der  ur- 
sprünglichen  Gestaltung   der   protestantischen    Kirche 
war.   An   dieser    Seite   beseitigt    der  Hr.  Yerf.    nicht 
untreflfend  die  traditionelle  Angabe  des  oberbischöflichen 
Prädicats  (welches'  allerdings  nur  eine  einseitige,  mo- 
mentan historische  Bedeutung  gehabt  hat,  weshalb  man 
mit  Recht  wünschen  mufs,  dafs  man  eine  solche  Be- 
zeichnung des   Landesherrn    gänzlich   aufgebe,   zumal 
doch  immer  dazu  gesagt  werden  mtifs,  dafs  der  Fürst 
nur  Quasibuchof  sei).  Kirchengewalt  und  Staatsgewalt 
sind   nach   dem  Hm.  Verf.    streng   zu  sondern.     Die 
Eirchengewalt  ist  nur  mit  ihrem  Centralpuncte  d.  h.  der 
obersten  (formalen)  Autorität  völlig  und  ununterscheid- 
bar  in  den  des  Staats  aufgenommen,  nicht  aber  in  ihrer 
Entfaltung   und  Ausbreitung.     Völlig   gesonderte    Ge- 
setzgebung, Regierung,  Gerichtsbarkelt  (Bann)  geht  auf 
die  Seit«  der  Kirche  hinüber  und  darauf   beruht   die 
Selbständigkeit    der  protestantischen  Kirche.     Vierter 
Abschnitt    Die   Verfassung   unter   der  fCirchengewalt 
der  Fürsten.    Erstes  KapiteL    Die  Konsistorien.    Die 
ursprüngliche  Bedeutung  derselben  ist  treffend  nachge- 
wiesen. Sie  waren  kirchnebe  Sittengerichte.  Daneben  der 
Bischof  oder  Superintendent,  (den  man  jetzt^  nicht  eben 
etymologisch  richtig,  als  Bischof  und  Generalsuperin- 
tendent unterscheidet).    Der  Hr.  Verf.   klagt  über  die 
allmählige  Verweltlichung  der   Konsistorien.     Zweites 
Kapitel.   Der  LehrsUnd.  Für  ihn  federt  der  Hr.  Verf. 
einen  selbständigen  Antheil  am  Kirchenregiment,  zu- 
nächst an  der  Gesetzgebung.    Dafs  der  Fürst  bei  der 
kirchlichen  Gesetzgebung  den  Lehrstaud  befragen  muTs, 


L0Are  und  Reekt  d§r  ^o§0§iä9$Um^  481 

hat  den  Zweck,  dais  die  Anordmmg'aiis  dem  Geist  der 
Kirche  hervorgehe,  alt  dessen  Torzüglichster  Träger 
der  Lehrstand  und  nicht  der  Fürst  betrachtet  wird« 
Hier  kann  der  Hr^  Verf.  nicht  umliin ,  in  dem  Lutitnt 
der  Synoden  eine  angemessene  FortbildUHg  der  lutbe* 
.  rischen  Kirchen-Verfassung  zu  sehen.  S.  185*  Sodann 
das  Dispensationsreeht,  femer  die  Besetzung  der  Acflh 
ter  (nichts  ist  billiger).  Femer  *der  kirdilicken  Ge- 
richtsbarkeit. „Der  Kirchenbann,  der  grolae  nndklemii 
mufs  vom  Fürsten  und  den  weltliehen  Behörden  onak 
hängig  sein.  Diesen  hat  Christus  in  die  Hände  des 
Lehrstandes  und  der  Gemeinden  gegeben."  Endlidi 
die  ständige  Verwaltung  der  Kirche  in  ihrem  Bercidi 
als  Aufsicht  über  Lehre,  Gottesdienst,  Diseiplin.  Dar- 
auf beruht  die  organisdie  Einrichtung  des  Lehrstaodss 
in  den  Synoden,  Konsistorien,  u.  s.  f.  Drittes  KapitcL 
Von  den  Gemeinden.  Nicht  ausgeschlossen  jsind  die 
Gemeinden  von  der  Feststellung^ der  öffentliehea  Lehr» 
und  der  Einrichtung  der  Kirche,  allein  daraus  darf 
keine  Gleichstellung  der  Laien  mit  dem  Lehrstande  fe* 
folget  werden.  Ihnen  gebühret  nicht  die  Festsetzung 
der  Lehre  und  de»  Gottesdienstes,  sondern  nur  die  An- 
eignung und  der  VTiderspruch.  9,Eiii  unbedingtes  \VJ> 
derspruchsrecht  der  Gemeinde  bei  Aenderungeo  in  der 
Liturgie,  wie  Wiese,  Schleiermacher,  Eiohhoni  es  be- 
haupten, ist  nur  eine  Consequens  des  falschen  Kette- 
gialsystems."  S.  209.  Ebenso  bei  BesetzuQg  des  Lehr* 
amts,  bei  dei^  Kirchenzucht.  Diese  >  ist  ein  eben  ss 
wesentliches  Element  der  eFangelbchen,  als  katholisdien 
Kirche.  „Wenn  L^hrstand  und  Kirchenregiment  untren 
werden  und  eine  falsche  Lehre  an  die  Stelle  der  walim 
setzen,  dann  im  Falle  der  höchsten,  äuisersten  Noth 
tind  die  Gemeinden  berufen,  selbst  die  Gewalt  su  übeo» 
sich  neue  Lehrer  zu  setzen  und  ein  neues  Kii^ehenr^ 
giment  zu  errichten.  Man  konnte  sagen  (t),  der  Lelw- 
stand  gehe  dann  der  Vollmachten,  die  ihm  veriielien 
(Joh.  20),  verlustig  und  es  komme  dadurch  die  Yolt 
macht,  welche  den  Gemeinden  verlielien  (Matth.  18)» 
zur  alleinigen  Geltung.**  S.  217.  Dajrf  aber  dieselUg^ 
Revolution  in  den  Gemeinden  auch  ausbrechen,  wenn 
Bigotterie,  Heuchelei,  Gedankenverfolgung,  oder  Uos 
wenn  Hattonalismias  im  Lehrstand  überhand  niipmtt 


(Der  Besehtnfs  folgt.) 


w  1  s  js  e  n 


Ji  55. 

Jahrbücher 

für 

schaftliche 


März  1840. 


Kr  i  t  ik. 


IHe  Ktrchenveffasnmg  nach  Lehre  und  Recht 
*  der  Protestanten.    Von  Dr.  Friedr.  Jul.  Stahl. 

(Schlaft.) 

m 

Viertes  Kapitel.    Die  protestantische  Kirche  unter 
katholischen  Pflrsten.    Sehr  interessant  und  sacbgemäis' 
in  besonderer  Beziehung  auf  Saclisen  und  Baiem  unter- 
sucht.    Es    folgt    ein    zwiefacher   Anhang,   der   eine 
über  bischöfliche  Terfassung,  der  andere  über  Rothe's 
Anfange,  der   Kirche  und    Yinet  Freiheit  der  kulte. 
In  Jenem  entscheidet  sich  der  Hr.  Yerf.  gegen  die  Kon- 
aistorial-  and  für  die  bischöfliche  Verfassung.  In  ihr  erst 
ist  diexToUe  und  oberste  Repräsentation  der  Kirche  er- 
"reicht;  jene  dagegen  ist  Einverleibung  der  Kirche  in 
den    Staat.    Mit   der  Episcppal  •  Verfassung  wird    die 
Selbständigkeit  der  kirchlichen  Macht  (Autokratie),  nicht 
ihre  Cnbeschränktheit   oder   Unfehlbarkeit    behauptet« 
Mit  ihr  kann  die  evangelische  Kirche  über  das  Terri* 
torium  hinausgehen    und   ein   ocumenisphes  Concilium 
bilden.      Eben   so  neu  |st  folgender  Geaanke«  .  ,,E8 
möchte    auch    wohl    um    unsre    Kirche    zunächst  in 
Deutschland  besser  stehen,  Wenn  die  oberste  Kirchen- 
gewalt  für  sie  in  den  Händen  eines   gesammten  deut- 
schen protestantischen,   resp.  evangelischen  Episcopats 
sich  befände,  das  einen  Damm  gegen  Bedröckung  von 
auüsen,   gleich  dem  ehemaligen  Corpus  Evangelicorum, 
aber  zugleich    auch   einen  Damm   gegen  Abfall  und 
Zerstörung  von  innen,  und  gegen  das  Auseinandergehen 
nach  allen  Seiten  in  Bestrebung  und  Einrichtung  bil- 
dete." S.  260.    Der  Hr.  Verf.  schliefst  sein  Werk  fol- 
gendeiinaarsen.  5,Die  Kirche  hat  bestanden  und  in  der 
tiefsten,  mächtigsten  Erweekung  bestanden  ohne   Ver- 
Undung  mit  dem  Staat  und  kann  immerdai;  ohne  dieselbe 
bestellen,  wenn  es  gleich  die  wahre  Aufgabe  ist,  diese 
Verbindung  in  rechter  Weise  hersuisteUen   und   zwar 
noch  weit  mehr  um  des  Staats,  als  der  Kirche  willea 
Aber  die  lürche,  ja  wohl  das  christliche  Leben  selbst 
'  Jahrb.  /.  wintnich.  Kritik.   J.  1840.   I.  Bd. 


können  zuletzt  nicht  mehr  bestehen,  wenn  sie  je  mehr 
und  mehr  der  Herrschaft  des  Staats  und  der  weltlichen 
Obrigkeit  unterworfen  werden."  S.  287. 

Wir  schliefsen  mit  einigen  Betrachtungen  allge- 
meiner Art 

1>  Die  Angelegenheit,  welche  der  Hr.  Verf.  an- 
geregt hat,  die  protestantische  Kirchen- Verfassung,  ist 
eine  solche,  dafs  niemand  sich  damit  in  Gedanken  be- 
schäftigen  kann,  ohne  dals  ihm  sofort'  gar  mancherlei 
Mängel  und  Gebrechen  einfallen,  welche  der  offenba- 
ren Verbesserung  bedürfen,  manclfierlei  Bedurfnisse, 
die  eine  weise  Rucksicht  und  Abhülfe  nolhig  machen. 
Gegen  dte  Kirche,  in  der  auch  nicht  einmal  das  Ge- 
fühl deß  Mangels  d.  i.  das  Bedürfnifs  ist  und  die  in 
so  fem  freilich  unverbesserlich  ist,  ist  diefs  ein  grofser 
Torzug  der  protestantischen,  ihrer  UnvollCommenheit 
und  der  Nothwendigkeit  des  Fortschreitens,  nicht  blos 
im  Einzelnen,  sondern  auch  in.  der  Ausbildung  ihres 
ganzen  und  allgemeinen  Organismus  sich  stets  bewulst 
zu  bleiben.  Das  wirkliche  Verhältnifs  der  Kirche  zum 
Staat,  der  Mangel  aller  Garantien  ihres  Bestandes  nach 
aufsen,  (ausser  allein  in  der  Macht  Gottes  und  der 
Landesherm),  die  falsche  Klugheit  und  Sicherheit^  der 
alle  Rechtfertigung  und  Vertheidigung  der.  evangelischen 
Kirche  und  Lehre  überflüssig,  ja  anstofsig  ist,  das  Ver- 
hältnirs  der  Kirche  zur  Schule  und  Wissenschaft,  die 
Gesetzgebung  über  die  Ehe,  die  Beschränkung  der 
kirchlichen  Unterbehörden  auf  das  Aeufserlichste  der 
Kirche,  der  geisttödtende  Gescliäftsmechahismus,  die 
unsägliche  Actenschreiberei,  und  was  das  Schlimmste 
.von  allem  ist,  der  Schein,  dafs  alles  ja  in  der  besten 
Ordnung  sei  und  seinen  guten  Gang  gehe  —  diefs  al- 
les fordert  zu  Revisionen  und  Reformen  auf.  Zu  die- 
ser Erkenntnils  trägt  auch  dieses  Buch  bei,  wenn  man 
auch  nicht  sich  mit  dem  Hm.  Verf.  entschlieben  kann, 
alles  in  eine  so  herbe  Formel  zu  stellen,  als  er.z«  Bk 
S.  116  thut:  „Der  Verfall  des  Protestantismus  bestand 

55 


435  Stitiiy  die  Kirchetiverfoitung  nach 

darin,  dafs  man  die  organische  Gestaltung  aufgab  und 
die  Wüstheit  einer  aiisschiierslichen  Fürstengewalt  oder 
Yolksgewalt  för  die  Kirthe  anstrebte.  Denn  dafs  nach 
dem  Territorial- System  der  Fürst  ohne  Zustimmung 
der  Kirche  die  Kirche  beherrscht^  dafs  nach  dem  Kol- 
legialsystem zuletzt  das  Yolk  (die  Majorität  der  Kir- 
chenglieder), ohne,  ja  gegen  die  Stimme  des  Lehrstan- 
de» nnd  des  Fürsten  entscheidet,  ist  offenbar.  Man  hat 
damit  der  katholischen  Einseitigkeit  statt  der  organi- 
aohen  FCdle  vielmehr  auch  wieder  nur  einseitig  ein 
ausschliefsliches  Element,  und  zwar  ganz  unbezweifelt 
ein  weit  schlechteres  (denn  der  Lehrstand  ist  das  vor- 
züglichste) entgegengestellt.**  Wie  man  nun  aber  auch 
die  Leiden  der  Gegenwart  fühle,  mufs  man  deshalb 
flik  dem  Hrn.  Verf.  auf  den  Gedanken  verfallen,  den 
glüekseligen  Zustand  der  evangelischen  Kirche  durch 
eine  unbedingte  Ruckkehr  in  einen  längst  verlassenen, 
veralteten  Zustand  herbeifuhren  zu  wollen?  Es  geht 
nicht  an,  eine  Zeit  unbedingt  auf  die  andere  zu  über- 
tragen und  alle  die  mancherlei  Stadien  der  Entwickelung 
BU  überspringen,  welche  zwbchen  jeneir  Vergangenheit 
und  dieser  Gegenwart  in  der  Mittie  liegen^  und  die  uns 
zum' Theil  auf  immer  von  jener  trennen,  dergleichen 
z.  B.  jene  Orthodoxie  ist,  welche  wir  mit  Recht  als 
die  todte  bezeichnen.  Die  Substanz  des  Glaubens  kann 
wohl  dieselbige  sein^  sowie  auch,  was  Recht  ist.  Recht 
bleiben  mufs  \  aber  jede  Zeit  hat  auch  das  Recht,  die- 
jenigen Formen  zu  bestimmen,  in  denen  sie  sich  am 
freisten  bewegen  kann  und  in  denen  ihr  der  Glaube 
sowohl,  als  das  Recht  am  verständlichsten!  und  Zugang, 
liebsten  ist.  ßo  war  es  schon  zur  Zeit  der  Reforma* 
tion.  Kann  doch  der  Hr.  Verf.  selbst  nicht  leugnen, 
dafs  schon  die  nachfolgenden  protestantischen  Dogma- 
tiker  und  Kirchenrechtslehrer  nicht  mehr,  wie  die  Sypi- 
bole,  den /Lehrstand  für  das  eigentliche  Subject  der 
Kirchengewalt  betrachtet  haben  9  denn^  sie  wären  da- 
durch in  Widerspruch  gerathen  mit  dem  Rechtszustande, 
wie  er  sich  bis  dahin  festgesetzt  hatte.  S.  89.  So  kann 
man  denn  nun  auch  jetzt  nicht  so  mit  dem  Kopf  durch 
die  Wand  und  die  ganze  Constellation  der  Zeit  und 
Umstände  unberücksichtigt  lassen,  nicht  aus  der  Welt- 
geschichte herausreifsen ,  was  durch  den  Einflufs  des 
Territorial-  und  KoUegial-Systems  einmal  factisch  und 
wirklieh  geändert  ist.  Wenn  das  Reden  vom  histori- 
schen Recht  und  wie  der  Hr.  Verf.  es  nennt ,  von  der 
durchaus  historischen  Richtung  der  protestantischen  Kir- 


Lekre  und  Recht  der  Proteetanten*  4S6 

ehe  einen  vernünftigen  Sinn  hat,  so  lumn  das  Voniif. 
tige  ja  nicht  im  blofsen  Aufgreifen  des  Alten  und  T«r- 
alteten,  sondern  erst  im  Anknüpfen  des  Alten  an  du 
Neue,  des  Vergangenen  ah  das  Gegenwärtige  sichid» 
gen.  Nur  aus  diesem  ist  jenes  zu  verstehen ,  wie  m 
dem!  Neuen  Testament  «rst  das  Alte;  hat  die  Gegoh 
wart  keine  Wahrheit,  keinen  Glauben,  kein  Redt,  w 
wird  ihr  die  Vergangenheit  noch  viel  weniger  dmi 
haben.  Was  ist  aller  Revolutionen  Unrecht,  ab  bk 
sie  dagegen  sündigen,  dafs  sie  den  ruhigen  Gang  der 
geschichtlichen  Entwickelung  gewaltsam' unterbreoh«, 
und  kommt  es  nicht  auf  eins  heraus^  ob  man  gewali> 
sam  ein  Altes  und  Gewesenes  oder  ein  Neues  und  sie 
Dagewesenes  an  die  Stelle  des  Gegenwärtigen  snietzei 
strebt  t  Dafs  das  Vergangene  selbst  noch  em  VTiiUif 
ches^  und  in  so  fern  nicht  Vergangenes  sei,  daml 
kommt  es  an.  Man  sagt,  wir  beleben  es  wieder |  « 
-wird  wieder  lebendig  in  unserer  Erkenntnils.  Aber  m 
macht  sich  die  Wissenschaft  zunttchst  nur  zu  einer  Ai^ 
stak  der  Rettung  vom  Scheintode  und  wenn  es  im  6ci» 
stigen  damit  nicht  besser  und  häufiger  gelingt,  ab  ii 
Leiblichen,  so  wird  damit  auch  nicht  viel  gewoaiMa 
sein,  vielmehr  ist  das  Erstorbene  so  auch  zunäehat  an 
im  Spiritus  eines  Gedankens  aufbewahrt..  Der  Inrthn 
ist^  dafs  das  Todte  dadurch,  dafs  es  gedacht  und  dvck* 
dacht  wird,  wieder  ein  wahrhaft  Lebendiges,  Wirkfidw 
werde ;  das  ist  di^se  Abstraeüon,  in  die ,  als  ihr  Ge- 
geniheil,  die  vermeintlich  allein  historische  ForsehiQg 
so  leicht  und 'gewöhnlich  umschlägt;  es  giebt  aiehll 
Theoretischeres,  Abstracteres^  als  dieses  Verfahren,  b 
das  Vergangene  ins  Denken  versetzt,  so  fängt  died^ 
gentliche  Arbeit  des  Wissens  und  der  Wissenscliift 
erst  an,  welches  die  «Ermittelung  der  wahren  d.b.  v6^ 
niinftigen  Wirklichkeit  darin  ist  und  so  erst  wird  die  fi^ 
miniscenz  zur  wahrhaftigen  Intelligenz.  —  Für  den  g^ 
genwfirügen  Zustand  wäre  schon  viel  gewonnen,  weil 
die  evangelische  Kirche  wenigstens  die  SelbstSsd^ 
keit  und  Unabhängigkeit  gewönne,  welche  die  hoehstctt 
Gerichtsbehörden  haben,  obwohl  diefs  dem  Hnu  V^^ 
wenig  genügt  Nicht  zu  bezweifeln  ist,  dafs  dieKirebe 
das  Recht  habeii  mufs,  in  einz^en  Fällen,  wie  bei  Ii« 
turgisehen  Aenderungen,  öffentlichen  theologiMsheo  SM* 
tigkeiten  gehört  zu  werden,  wie  davon  neaerlieh  die 
Sachsen- Altenburgische  Staatsbehörde  ein  hoehit  rfih»' 
liebes  Beispiel  gegeben  hat  Es  ist  nicht  zu  erwarte^ 
dafs  durch  anhaltendes  Andringen  der  GeistUcUwb  «itf 


437    .  ^StaAl^  die  KirehenverßiS9ung  nach 

mehr.  Kirchengewalt,    da   ^ie   iinine>   den  hierarchU 
sehen  Schein    gegen    sich    hat,    den    Hauptmängeln 
der  Yerfassung  werde  abgeholfen  werden  5  sondern   es 
kann  allein  geschehen  von  einer  Seite ,  von  der'  der 
Herr  Verfasser  gar  nichts  erwartet,  nämlich  dadurch, 
dab  im  Staat  selbst  das  freie  Interesse  an  der  Kir- 
die 'einmal  so  grofs  wird  und  ^  alle  Eifersucht  und  aU 
les  Mifstrauen  so  weit  verschwindet,  um  der  Kirche 
susugestehen,  was  für  den  Staat  selbst  vom  gröfsten 
Yortbeil  ist,  so  wie  auch  dann  gewifs  an  allen  Schrit- 
ten des  Kirchenregiments  sich  das  BewuTstsein  ausprä- 
gen wird,  dafs  man  der  Kirche  dienend  auch  dem  Staat  * 
wahrhaft  diene.  ~  Das  heifst:  es  muis  durchaus  das  leb- 
hafte Geßhl  der  Einheit  von  Staat  und  Kirche  hervor- 
dringen.   Es  mufs  der  Staat  frei  in  d^r  Kirche,   die 
Kirche  Ifrei  im  Staat  seni.    Die  gegenseitige   Freiheit 
aber  ist  die  Liebe.    Soll,  wie  die  protestantischen  Sym- 
bole sagen,  nach  gottlicher  Ordnung  weltliche  und  geist- 
liehe Gewalt  nicht  mit  einander  gemengt  werden  und 
macht  der  Hr.  Verf.  diefs  gegen  den  Staat  geltend,  so 
firagen  wir,  Voher  hat  die  Kirche  eine  solche  Gewalt, 
welche  doch  auch  bürgerliche  Folgen  hatf   Da  zeigt 
sich  wohl,  dab  nur  durch  energische  Festhaltung  des 
Ausgangspuncts  auch  in  der  selbständigsten  Constitution 
der  Kirche  der  Ueberschlag  in  das  Uierar6hische   su 
verhüten  ist.     ^ 

2.  Die  Verflissung  der  Kirche  ist  nicht  so  ein  Ein-* 
seines,  welches  allein  aus  juridischen  oder  auch  theolo- 
gisehen  Prinzipien  vollständig  zu  betrachten  wäre.  Sie 
ist  die  der  protestantischen'  Kirche  und  diese  steht  in 
Berührung  und  Verbindung  mit  der  Gesammtbildung  der  - 
ZriS.  Jeder  Fortschritt  in  der  Kultur,  in  der  Wissen- 
schaft der  Natur  und  des  Geistes  ist  auch  ein  Fortschritt 
in  ilur  und  sie  selbst  erst  hat  den  menschlichen  Geist 
zu  dem  allen  frei  gemacht.  Daher  befördert  die  wahre 
protestantische  Kirche  durchaus  die  Wissenschaft,  nicht 
allein  die  vom  Glauben,  sondern  auch  die  allgemeine. 
Die  VFissenschaft  der  Wissenschaften  aber  ist  die  Phi- 
losophie, und  sie  ist  auch  das  Maafs  zur  Bestimmung 
dej  Stufe  wahrhaftiger  Entwickelung,  bis  zu  welcher 
es  irgend  eine  positive  Wissenschaft  gebracht  hat.  Hi* 
stQiieehes  Talent  ist  nur  ein  Subjectives  und  in  Bezug 
auf  das  Subject  Respectables ;  aber,  eine  hiBtorische 
SeAktle  giebt  es  nicht  in  der  Welt;  nichts  an  dieser 
Seite  IcaiHi  eine  Epoche  machen  oder  einen  objectiven 
Abschnitt  in  der  Entwicicelung  der  Wissenschaft.    Auch 


Lehre  und  Recht  der  Protestanten. 


438 


was  der  evangelisjche  Lehrstand  ist  oder  worauf  er  An* 
Spruch  macht,  er  kann  es  nur  durch  das  Maafs  des 
eben  so  gründlichen  als  umfassenden  Wissens,  errun« 
gener  Geistesbildung  und  Geistesfrdheit,  worin  er  den 
Geist  der  evangelischen  Kirche  sich  angeeignet  hat.  Ser 
hen  wir  uns  nun  mit  diesen  Gedanken  in  dem  Buch 
.des  Hm«  St.  um,  so  findet  sich  darin  keine  Stelle  Tdr  die- 
ses alles,  kein  Wort  zur  Ehre  der  Wissenschaft,  keine 
Forderung  grofser  Geistesbildung  für  den  Lehrstandi 
bei  allen  Forderungen  so  groGser  Rechte  für  denselben»' 
Diese  Spuren  (des  Mangels)  erschrecken  mich  billig 
(vestigia  von  demjenigen,  was  nicht  zu  finden  ist,  me 
terrent).  Es  fehlt  nichts,  als  dab  die  protestantische 
Kirche  das  Element  der  Wissenschaft  aufgiebt,  um 
bald  finier  den  Standpunct  der  römischen  herabzukom- 
men. Dagegen  gewährt  dieis  Buch  mit  allen  seinen 
Planen  zur  Verbesserung  der  protestantischen  Kirchen* 
Verfassung  keine  Sicherheit,  und  darin  zeigt  es  sich 
als  nicht  aus  achter  protestantischer  Gesinnung  her« 
vorgegangen«  Das  Repriitiniren,  das  Aufwärmeiir  des 
Veralteten  und  Erkälteten  trägt  wesentlich  selbst  daz« 
bei,  den  Btldungstrieb,  die  Zeugungskraft  in  der  Kir* 
che  zu  zerstören  und  begünstigt  nicht  nur,  sondern  ist 
selbst  auch  schon  die  Unfähigkeit,  etwas.  Neues  und 
Tüchtiges  zu  produziren.  Wie  kann  man  nur  daran 
denken,  dem  gebtlichen  Stande  mehr  Macht  und  6e« 
walt  einzuräumen,  so  lange  noch  die  nötliigen  Garan* 
tien  gegen  den  Mifsbrauch  fehlen  d*  h.  so  lange  noch 
ein  beträchtlicher  Theil  dieses  Standes  seinen  Glau« 
benseifer  nur  in  der  Flucht  un>i  dem  Hafs  des  Den« 
kens  und  in  der  Verdammung  jeder  freieren  Geistes- 
bildung erweiset  und  so  viele  sind,  welche,  ^  wenn  sie 
nur  von  Kritik  und  Speculation  hören,  ihren  sogenannr 
ten  heiligen  Schauder  empfinden  und  einen  splchea 
Glauben  bekennen,  der  das  vemünfiige  Wissen  ausA 
schliefst,  ja  ihn  selbst  eben  dadurch  erst  recht  zu  ehren 
meinen.  Wie  geföhrlich  wäre  es,  wenn  man  die,  weL« 
che  noch  solche  Kinder,  am  Geist  sind,  mit  Schwerdr 
tern  und  Bannstrahlen  spielen  lassen  wollte,  wenn  das 
Schwerdt  des  Glaubens,  ja  selbst  das  Schwerdt  des 
Wortes  Gottes  nicht  zugleich  das  Schwerdt  des  Geir 
stes  ist,  wenn  diese  kurze  .Widerlegung  allein  gelten 
sollte,  welche  die  Verketzerung  und  Verdammung  l^t. 
Denkt  man  sich  ein  solches  Glaubens-  und  Sittenge- 
richt, wie  es  der  Hr.  Verf.  in  diesem  Buch  organisirt 
und  construirt  hat,  aus  obigen  Fanatikern  zusammen- 


439 


StaAly  die  Kirehenverfanung  nach  Lehre  utuf  Recht  der  Proteetanten. 


440 


gesetzt,  wie  wird  es  verfahren  1  Sämmdicfie  Beisitzer 
haben  das  volle  Gerofai  der  ihnen  gottlich  zustehenden 
Schlüsselgewalt;  der  Kirchenhann ,  ^^der  grofiie  und 
kleine  ,'*  (Niddui,  Cherem  und  Schampiathah)  liegt  in 
ihren  Hfinden.  Wir  wollen  nur  sehen,  was  sie  alles 
an  Einem  Tage  vollbringen.  >  Da  kommt  zuerst  einer 
Tor,  der  bat  stätt^  Unsterblichkeit  der  Seele  gesagt : 
Cnsterblichkeit  des  Geistes«  Er  scheint  die  Unsterb- 
lichkeit  der  Seele  zu  leugnen.  Ei^  ist  gewifs  ein  ver* 
kappter  Hegeling,  und  da  der  Staat  bisher  gottlos  ge- 
nug war,  von  allen  hinreichend  deutlichen  Denuncia- 
lionen  keine  Notiz  zu  nehmen,  so  mufs  die  Kirche  um 
sb  mehr  zeigen,  dafs  sie  auf  die  Reinheit  und  Wahr- 
heit des  Glaubens  halte.  Doch  weil  es  vielleicht  nur 
Versehen  im  Ausdruck  war,  so  wird  er  für  diefsmal 
9iit  dem  Bescheid  entlassen,  dergleichen  sich  nicht 
wieder  zu  Schulden  kommen  zu  lassen.  Hierauf  wird 
der  Rationalismus  hereingerufen  (der  arme,  der  ohne- 
hin schon  von  der  Zeit  gerichtet  ist).  Er  wird  ohne 
weiteres  in  den  Abgrund  der  Holle  hinabgeschleudert. 
Es  kommt  nun  die  Hegeische  Philosophie  und  in  ihrem 
Gefolge  die  speculative  Theologie  vor  (die  ohnehin  in 
Inanöhen  Ländern  nur  noch  geduldet  sind^  wie  ein  un- 
vermeidlich Uebel,  wie  die  Juden).  Sie  wissen  zu  ih- 
rer Entschuldigung  nichts  weiter  als  das  Recht  der  Ver- 
nunft und  die  Leidenschaft  für  die  Wahrheit  anzufüh- 
ren ;  aber  damit  allein  haben  sie  schon  verlorenes  Spiel. 
Man  sucht  in  den  Gift- Etiketten  herum,  die, man  ihnen 
anhängen  könnte,  Rubriken^  unter  denen  man  sie  am 
Eweckmäfsigsten  verdammen  könnte.  Es  findet  sich 
Pantheismus,  Atheismus,  auch  Servilismus,  auch  Libe- 
ralismus. Das  Beste  scheint,  ihnen  diefs  alles  zugleich 
anzutbun.  Sämmtliehe  Bekenner  dieser  Lehre  werden 
gebannt  und  verbannt^  das  Letztere  scheint  ^arum  nolh- 
wendig,  damit. die  erledigten  Stellen  von  Qutgesinnten 
besetzt  werden  können.  Zuletzt  kommt  noch  ein  ge- 
wisser Galilei  an.  Sein  Verbrechen  ist,  die  Entdeckung 
Ton  der  Bewegung  der  Erde  vertheidigt  zu  haben.  Er 
ist  ein  Greis  von  70  Jahren  $  er  ist  im  Dienst  der  Wis- 
senschaft alt  und  grau  geworden.  Er  mufs  seine  Lehre 
widerrufen.  Er  mufs  vor  diesen  finstem  Köpfen  auf 
seinen  Knien  Abbitte  thun.  ' 

D.  Marheineke. 


XXXIV. 

Der  ugrische  Volksstamm  oder  Untersuchungen 
über  die' Ländergebiete  am  Ural  und  am  Kim- 
iasus  in  historischer  ^  geographischer  usi 
ethnographischer  Beziehung  eon  Ferdinani 
Heinrich  Müll  er  j  Doctor  der  Philo$oplue, 
Privatdocenten  der  Geschichte  an  der  Vmth 

* 

sität  zu  Berlin  und  correspondirendem  ä^ 
gliede  der  Gesellschaft  für  pommersche  66 
schichte  und  Alterthumshunde  zu  Stetük 

So  wenig  es  geläutet  werden  kann,  daCs  der  n» 
sische  Staat  bei  seiner  jetzigen  poKtischen  Stellung  ml 
Gestaltung  als  einer  der  grofsen  Mächte  der  n^eiteii 
Zeit  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  der  euriopäisdus 
Kulturwelt  auf  sich  zieht,  eben  so  wenig  ist  es  auek 
zu  verkennen,  dafs  derselbe,  trotz  mancher  Fonehn* 
gen  über  ihn  in  der.  Gegenwart,  rucksichtlich  seiner 
geographischen,  historischen  und  ethnographbchenVeN 
liältnisse  in  der  gelehrten  Welt  noch  nicht  üqmgt 
Würdigung  und  Beachtung  erhalten  hat,  welche  er 
uhlBtreitig  verdient.  Wenigstens  möchte  er  sich  io  der 
Behandlung  kleiner  Natur-  und  Tdlkerverhältnitfe  M 
den  deutschen  Gelehrten  manchen  andern  europsdidieB 
Ländern  heut  zu  Tage  noch  nicht  an  die  Seite  steUes 
können.  Wohl  möchte  man  behaupten  dürfen,  dali 
diese  mindere  Beachtung  jener  so  wichtigen  wisses- 
schaftlichen  Verhältnisse  bei  den  deutschen  GelehrtO) 
denen  sonst  nichts  zu  entgehen  pflegt,  neuerer  Art  is^ 
da  doch  bekanntlich  alle  diejenigen  Männer,  denen  Bv&- 
land  unter  der  grofsen  Fürstin  Katharina  vomehmlick 
die  Kenntfiifs  seines  Innern  verdankte,  die  sogenann- 
ten Akademiker,  nur  allein  Deutsche  waren,  die  dttrek 
die  Liebe  jener  Fürstin  zur  Wissenschaft  angeloeU 
sich  um  ihren  Thron  versammelten  und  die  Holielt 
deutscher  Bildung'  auch  in  jenem  östlichen  slaviseheB 
Europa  begründeten.  Wir  müssen  es  daher  dem  Hm* 
Dr.  Müller  Dank  wissen,  dafs  er  so  rüstig  in  dieFo&- 
tapfen  jener  Akademiker  tritt,  und  es  untemunmt,  uns 
mit  einem  Lande  vertrauter  zu' machen,  das  wir.  ><> 
vielfache  Ursache  haben  gründlich  zu  studiren. 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


^  66. 

J  a  h  r  b  fi 


c  h  er 


für 


w  i  s  s  e  II  s  chaftliche   Kritik 


t    r 


März  1840. 


*i 


■»T" 


Ihr  ugrische  Volksstamm  oder  Untersuchung 
gen  über  die  Länder  gebiete  am  Ural  und  am 
Kaukasus  in  historischer^  geographischer  und 
ethnographischer  Beziehung  ron  Ferdinand 
Heinrich  Müller. 

(Forfsetxang.) 
Mit  seinem,  für  viele  Leser  gewifs  et^was  befrem- 
denden  Titel)  der  jedoch  sclion  durcli  den  berühmten 
Historiker  tind  Etlinographen  J.  v.  Klaprotli  gerechtfer* 
tigt  sein  möchte,  hat  der  Verf.  mehrfach  auf  die  histo* 
Tische  Tendenz  der  Schrift  sowohl,  als  den  Standpunkt 
hinweisen  wollen,  von  welchem  aus  er  su  wünschen 
seheüil,  dafs  man  die  ganse  Arbeit  betrachten  solle. 
Denn  der  bis  jetzt  erschienene  Anfang  derselben  ent* 
bält  nur  einen  Tbeil  der  ersten  Hauptabtheilung  des 
Werkes,  welche  sich  mit  den  geographischen  Verhält- 
nissen oder  mit  der  Natur  des  Schauplatzes  beschäftigt^ 
auf  welchem  der  hier  zu  behandelnde  grolse  und  merk* 
wfiräge  Volksstamm  seine  Entwickelung  gehabt  hat. 
Dafs  es  eine  sehr  schwere  und  grofsartige  Aufgabe 
sei,  diesen  Gegenstand  in  seinem  ganzen  Umfange  be* 
friedigend  zu  behandeln,  und  die  damit  verbundenen 
Schwierigkeiten  zu  losen,  wird  Miemand  in  Abrede 
stellen« 

0 

Wie  aus  der  Vorrede  und  aus  der  Einleitung  die- 
ses ersten  Thells  erhellet,  hat  der  Verf.  die  Bedeutung 
der  lustorisohen  Aufgabe  sehr  wohl  erkannt  und  den 
Umfang  derselben  nach  Raum  und  Zeit  so  weit  ausge- 
debnty  dais  man  sieht,  e^  habe  alles  das  zusammenfas* 
seil  und  unter  einen  gemeinsamen  Gesichtspunkt  brin- 
gen,  was  uns  von  der  V^nivandtschaft  der  Völker  auf 
den  asiatisch -europäischen  Grenzgebieten  bisjetzt  be* 
kannt  geworden  ist,  und  zugleich  darthun  wollen,  wie 
die  £ntwickeloBg  des  dortigen  Völkerlebens  sowohl 
auf  das  asiatiscbe  Morgenland,  als  auch  noch  weit  mehr 
auf  das  europäische  Abendland  von  jeher  den  bedeu» 
Jahrb./.  wüiemch.  KriÜk.  J,  1^40.  I.  Bd. 


tendsten  Einflufs  ausgeübt  habe.    Jene  Gebiete  auf  der 
Grenzmark  von  Asien  und  Europa   waren  bekanntlich 
der  Schauplatz,  auf  welchem,  den  abendländischen  Be- 
richten   zufolge,    die    Völkerbewegung  ihren    Anfang 
nahm,  welche  wir  die  grofse  Völkerwanderung  nen- 
nen; dort  traten,  nach  eben  jenen  Berichten,  die  für 
das  gesammte  Abendland  so  wichtigen  Völker  der  Hunnen 
und  Ungafn  auf.  ^  Mögen  sie  nun  dort  ihre  Urheimath 
gehabt  haben,  oder  mögen  sie  erst  aus  der  Mongolei 
und  von  den   chinesischen   Grenzen  bis  dahin  vorge- 
drungen sein ;  dort  in  dem  Passagelande  des  indischen 
Welthandels,  wie  der  Hr/  Verf.  sich  ausdruckt^  zeigt 
sich  ein  uralter  Handelsverkehr,  der  den  fernsten  Osten 
der   alten  Welt  mit  unserer    abendländischen  Kultur* 
weit   in  Verbindung    setzte.    Als  gemeinsamer  Mittel, 
punkt  und  Ankntipfungspunkt   ergiebt   sich   nun  dem 
Verf.  diejenige  Völkergruppe,  welche  er  als  die  ugri- 
sche bezeichnet.    Er  bemerkt  jedoch  dabei,    dafs  sie 
die  unter  dem  bekanntem  Namen  der  Finnen  vorkom- 
menden  Völker    umfasse,   obschon   er   diesen  Namen 
vielleicht  darum  nicht  hat  beibehalten  wollen,  weil  ihm 
derselbe  zu  eng  erscheint  und  er  manche  andere  Völ- 
ker mit  dieser  Gruppe  in  Zusammenhang  zu  bringen 
geneigt. ist,  die  man,  ohne  sich  nicht  beständigen  Mifs- 
verständnissen  auszusetzen,  mit  jenem  Namen  nicht  gut 
Würde  belegen  können.    Hierbei  können  wir  nicht  un- 
bemerkt lassen,  dafs  es  an  einer  historischen  Behand- 
lung   des   politischen   und   kommerzielien   Lebens  der 
verschiedenen  Völker   jener  Gegend   durch  das  ganze 
Mittelalter  hindurch  noch  ganz  gebricht,  und  dafs  die- 
ses Gebiet  in  Bezug  auf  Natur  und  Bevölkerung  fast 
ganz   unbekannt   geblieben ,  bis  die  Eroberungen   der- 
Bossen    Licht   in   diese    skythisehe    WUdnifs   trugen. 
Von  welchem  gewaltigen  Einflüsse  das  Beich  der  Mon- 
golen Khane  der  goldnen  Horde  in-Kaptschak  auf  die 
Entwickelung  der  Völker  In  Asien  und  Europa  gewe«* 
sen,  ist  allgemein  anerkannt.    (Man  bat  zwar  in  neu« 

56 


443 


Müller^    der  ugriseAe    FolJksstamm. 


ern  Zeiten  die  Münzen  dieser  machtigen  Hemcher  in 
Rufsland  zu  sammeln  und  zu  beschreiben  angefangen, 
doch  Tehlt  es  noch  ganz  an  einer '  Geschichte  die- 
ses Reiches,  welches  nach  dem  Yerf.  einen  der  inter- 
essantesten Theile  der  ugrischen  Völkergruppe  umfas- 
sen soll,  und  welches  schon  an  sich  selbst  durch  seine 
merkantilischen  Beziehungen  zu  den  europäischen  Staa- 
ten die  Aufmerksamkeit  der  heutigen  Welt  in  Anspruch 
nehmen   sollte). 

Als  Vorarbeit  und  als  Grundlage  für  die  Resultate 
seiner  historischen  Forschungen  hat  der  Hr.  Vf.  eine 
Darstellung  der  Naturverhältnisse  des  hier  in  Betracht 
kommenden  Gebietes  voraufschicken  zu  müssen  geglaubt. 
Wenn  diese  etwas  länger,  als  der  Hr.  Verf.  ursprüng- 
lich wahrscheinlich  selbst  \ermuthete,  ausgefallen  und 
fast  zügelnem  besondern  selbslstandigen  Werke  ange- 
wachsen ist,  so  hat  die  Wissenschaft  keinen  Nachtheil 
dabei  gehabt;  denn  es  kann  bei  wissenschaftlichen 
Arbeiten  zu  einem  bestimmten  Zwecke  immer  nur  wün- 
schenswenh  erscheinen,  dafs  schon  die  Vorarbeiten  zu 
eigenen  wissenschaftlichen  Arbeiten  anwachsen,  wenn- 
gleich sie  auch  grade  nicht  dem  Publikum  mitgetheilt 
zu  werden  brauchen.  Der  Hr.  Dr.  Müller  ist  mit  dem 
heutigen  wissenschaftlichen  Standpunkt  der  Geographie, 
wie  diese  ihn  durch  C.  Ritter  errungen  hat,  ganz  ver- 
traut, und  es  mufs  uns  um  so  angenehmer  sein,  durch 
ihn  jene  Gebiete  in  dieser  Beziehung  näher  beleuchtet 
zu  sehen,  da  die  genauere  KenntniCs  derselben,  wie 
der  Hr.  Verf.  es  auch  andeutet,  auf  das  Verständnifs 
mancher  historischen  Verhältnisse  hinführt.  Von  C. 
Ritter  sind  bekanntlich  die  Grenzgebiete  von  Europa 
und  Asien  am  Ural  und  am  Kaukasus  noch  niemals 
in  seinen  Schriften  behandelt  worden,  und  die  auf  ihnen 
ruhende  Dunkelheit  ist  gröfser,  als  man  es  erwarten 
sollte.  Dennoch  ist  ihre  Kenntnifs  ein  wahres  Bedarf- 
ni&  der  Wissenschaft,  und  gewils  wird  man  dem  Hrn. 
Verf.  ^dafür  Dank  wissen,  dafs  er  zur  Lichtung  dieses 
Dunkels  eifrigst  beigetragen  hat.  Er  selbst  äufsert 
sich  in  der  Vorrede  darüber  wohl  nicht  ganz  mit  Un- 
recht, dafs  es  leider  ein  nur  allzuhäuiiges  Vorurtheil 
sei,  in  der  Geographie  schon  längst  alles  für  abgemacht 
und  fertig  zu  halten,  wo  dooh  die  Kenntnifs  kaum  erst 
ihren  Anfang  ijtehme,  und  wo  von  einer  Erkenntnifs 
noch  gar  nicht  die  Rede  sein  könne.  Referent  .muls 
dieser  Bemerkung  völlig  beistimmen,  da  ihm  nicht  be- 
kannt ist,  dafs  bis  jetzt  auch  nur  ein  einziges  wahr". 


444 

huft  geographiMchee  Werk  von  mieenechaftluAm 
Charakter  über  Ost -Europa  existire^.  so  viel  Statiitt. 
ken  in  dieser  Beziehung  auch  vorhanden  sein  mSgen, 
denen  er  ihren  Werth  in  ihrer  Art  ungeschmälert  Iai. 
sen  will.  Dafs  in  diesem  Gebiete  noch  die  wesant* 
liebsten  Entdeckungen  rücksichtlich  der  Naturveriiilt- 
nisse  und  ihres  Einflusses  auf  den  Gang  des  YöUcerie- 
bens  zu  machen  seien,  worin  sich  eben  der  Charakter 
der  wissenschaftlichen  Geographie  ausspricht,  das  ilt 
hier,  wie  es  dem  Refer.  erscheint,  ziemlich  klar  dai|^ 
than,  und  daher  möchte  diese  Arbeit  auch  um  so  gtQ. 
Dsere  Beachtung  verdienen ,  und  auf  den  Dank  alkr 
Gebildeten  Anspruch  macheu. 

Vor  allen  Dingen^  wird  es  bei  diesem  so  interes- 
santen Werke  darauf  ankon|meu,  es  mit  derselben  Ge- 
diegenheit und  Gründlichkeit  fortgesetzt  zu  sehen.  Den 
Refer.  will  hier  zuvörderst  die  Darstellung  des  Strom" 
Systems  der  Wolga  als  unerläfslich  erscheinen.  Die 
Uferlandschaften  der  Wolga  sind,  wie  bekannt,  toi 
jeher  eine  Hauptheimath  verschiedener  Zweige  des  \m 
genannten  ugrischen  Volksstammes  gewesen;  die  mach« 
tigsten  Reiche  haben  an  ihren  Ufern  die  Sitze  aufge- 
schlagen, wie  die  Khane  von  Kasan  und  Kaptscliak^ 
die  blühendsten  Handelsstädte,  wie  Nischnei- Nowgorod 
und  Astrachan,  haben  an  ihrem  Wasserlaufe  sieh  er- 
hoben,  die  merkantilischen  Völker  der  Permier,  Bulga- 
ren und  Chasaren  hatten  einstmals  hier  ihre  StätbeDi 
selbst  das  heutige  russische  Staatsleben  ist  in  den  Land- 
schaften dieses  Stromgebietes  grofs  geworden^  bis  der 
Staat  seit  Peter  dem  Grofsen  seinen  Mittelpunkt  in  des 
baltischen  Gestadelandschaften  nahm.'  Das  baitisehs 
Meer  selbst  steht  durch  den  Stromlauf  der  Wolga  seit 
uralter  Zeit  mit  dem  kaspischen  Meere  in  merkantili* 
scIier  Verbindung,  und  der  Strom  hat  seit  vielen  Jahr- 
hunderten zur  Handelsstrafse  aus  dem  Innern  von  Asien 
nach  dem  germanischen  Abendlande  gedient*  Dab  die 
Natur  des  Stroms  und  seiner  ganzen  Thalbildung  auf 
diesen  äang  der  historischen  Verhältnisse  einen  bedon* 
tenden  Einflufs  habe,  ist  wohl  unläugbar,  und  wild 
jetzt  auch  so  ziemlich  anerkannt,  nachdem  uns  C.  Rit- 
ter gelehrt  hat,  auf  dergleichen  Verhältnisse  zu  achtan, 
und  wir  aufgehört  haben,  den  Wald  ?or  lauter  BfiiuB«>^ 
nicht  zu  sehen. 

Eine  genügende  Behandlung  des  Stromsystens  der 
Wolga  nach  seinen  physikalischen  und  historisches 
Verhältnissen    bleibt    allerdings   eine  schwierige  Auf- 


US 


MMller,   der  ugrUche   FhlJkssiamm. 


446 


gake.  Aber  sie  bIdUbt  im  eo  unerldrslicber,  als  in  die« 
leD  Gebieten  nor  auf  einer  tQchtigen  geographischen 
Grundlage,  wie  wir  sie  in  diesem  Werke  finden^  eine, 
fidtt  jetsigen  Anforderungen  der  Wissenseliaft  ange- 
messene Gesehiebte  gegeben  werden  Icann,  weil  diese 
hier  immer  mebr  oder  minder  einen  ethnographischen 
Ciiankter  tragen  wird. 

,  Das  ¥om  Hm.  Dr.  Muller  bebaute  Feld  lag  ei« 
gendieh  bisher  brach;  die  Sdiriften  der  russischen 
Akademiker^  deren  Studium  der  Yerf.  cur  Grundlage 
leiaer  Arbeit  gemacht  hat,  wir  dürfen  es  wohl  sagen, 
waren  so  gut  als  wie  nicht  mehr  vorhanden  für  uns  — 
das  für  uns  so  wichtige  nordöstliche  Europa  lag  selbst 
für  viele  Gelehrte  wie  ein  Reich  der  Versteinerung  da. 
Es  ist  nicht  su  viel^wenn  wir  den  Hm.  Dr.  Müller 
ab  den  zweiten  Entdecker  dieser  Regionen  betrachten  j 
aber  er  ist  nicht  blofs  der  Entdecker,  er  ist  auch  unser 
Foitter  In  diesen  weitschiehtigen  Regionen.  Sein  Buch 
tragt  den  Stempel  der  gröfsteu  Einfachheit,  indem  er 
IQ  einer  gana  kunstlosen^  von  vornehmen  und  hochtra- 
benden Wörtern  freien  Rede  nur  von  der  Sache  selbst 
sprieht  und  bei  den  wichtigsten  Verhältnissen  stets 
berrorgehoben  wird,  dafs  Dieses  oder  Jenes  die  Auf- 
iassung  und  Darstellung  der  Augenzeugen  selbst  sei  $ 
für  alle,  welche  ein  rein  wissenschaftliches  Interesse 
für  die  hier  behandelte  Sache  haben,  unstreitig  die  will- 
kommenste Behandlungsweise. 

üeberBehen  wir  die  Arbeit  des  Verfs.«  so  sollen  in 
der  geographischen  Abtheilung  des  Werkes  als  charak- 
teristische Naturformen  in  den  weiten  Ebenen  auf  der 
asiatisch- europäischen  Grenzmark  vornehmlich  die  Ge- 
Urgssystome  des  Ural  und  des  Kaukasus  und  der 
Wolga  •  Strom  mit  den  ihnen  abgelagerten  Landschaf- 
ten geschildert  werden.  Davon  finden  wir  hier  in  fünf 
Absdiaitten  zunächst  nur  den  Ural  behandelt,  mit  den 
Gebieten,  welche  sich  an  seiner  Ost-  und  West -Seite 
ausbreiten,  von  den  Ländern  der  Kirgisen  im  Südosten 
bb  SU  dem  skandinavischen  Finnmarken  und  Lappland 
im  Nordwesten.  Alle  diese  Landschaften  gehören  nach 
des  Verfs.  Auffassung  zu  dem  Entwickelungsschau- 
platse  dieses  Yolksstammes  der  Ugrier,  als  deren  hi- 
stonscbes  Ueimathsland  oder  doch  Hauptsitz  er  das 
uralische  Gebirge  betrachtet.  Die  Darstellung  dieses 
Gebirgs»ystems  gleich  im  ersten  Abschnitte,  nach  allen 
ieiaen  physikalischen,  ethnographischen   und   histori- 


schen Verhältnissen,  auf  eine  klare  und  anschaulichei 
Weise^  is^'  eine  wahre  Bereicherung  der  Wissenschaft, 
da  man  sich^  darnach  vergeblich  in  altern  und  neu- 
ern geographischen  Werken  umsehen  würde  und  die 
Benutzung  des  in  den  akademischen  Schriften  dargebo- 
tenen Materials,  so  wie  die  damit  verbundene  Anwen- 
düng  der  historischen  Berichte  der  frühem  Zeit  lehren, 
dafs  man  dem  Gegenstande,  auch  abgesehen  von  seiner 
wissenschaftlichen  Bedeutung,  ein  allgemeines  Interesse 
abgewinnen  könne*  Diese  bisherige  terra  incognita 
wird  hier  zum  Yortheil  der  historischen  Forschung  zum 
erstenmale  gehörig  beleuchtet  So  lernt  man  am  südli- 
chen Ural  die  Baschkiren -Hauptstadt  Ufa  kennen,  mit 
ihren  alten  Denkmalen,  den  Grabhügeln,  deren  merk- 
würdige Ausbreitung  in  den  osteuropäischen  Gebieten 
bis  zum  baltischen  Meere  bis  jetzt  noch  zu  wenig  für 
die  Geschichte  beachtet  worden  ist.  Am  Südfufse  des 
Ural  wird  uns  der  Stromlauf  des  Jaik  mit  dem  grofsen 
Emporium  Orenburg  und  mit  der  merkwürdigen  slavi- 
sehen  Kolonie  der  uralischen  Kosacken  vorgeführt,*  de- 
ren Lebensart  und  Beschäftigung  bei  dem  Fischreich- 
thum  des  Uralilusscs  genau  geschildert  wird»  Da^an 
reiht  sich  dann  die  interessante  Episode  aber  die  Na- 
tur und  über  die  historischen  Verhältnisse  derjenigen 
groGsen  Lücke  zwischen  dem  Südfufse  des  Uralgebir- 
ges und  dem  kaspischen  Meere,  welche  hier  das  grofse 
uralische  Tölkerthor  genannt  wird.  Uniäugbar  hat  hier 
der  Verf.  sehr  lehrreich^  Aufschlüsse  über  den  Gang 
des  Handebverkehrs  der  Völker  vom  Osten  zum  We- 
sten und  über  die  Wanderungen  der  Völker  selbst  nach 
dem  europäischen  Abendlande  gegeben«  Eben  solche 
Darstellung  der  wesentlichen  Naturverhältnisse,  wie  in 
diesem  Gebiete,  möchte  man  wohl  über  viele  andere  in 
historischer  Beziehung  gleich  wichtige  Landschaften 
wünschen.  Von  der  Zeit  der  alten  Seren  an  durch 
die  Zeiten  der  Hunnen,  Mongolen  und  Tataren,  sind 
diese  Wanderungen  der  Handelskaravanen  und  ganzen 
Völkerstämme  durch  das  uralische  Völkerthor  verfolgt- 
bis  auf  die  letzten  Wanderungen  der  Kalmücken*Stämme 
vor  einem  halben  Jahrhundert  Die  gewöhnliche  An- 
nähme  von  der  Einheit  der  alten  Seren  mit  den  Chine- 
sen wird  hier  zwar  verworfen^  und  geläugnet,  dafs  die 
Chinesen  sich  jemals  so  weit  nach  dem  Westen  ver- 
breitet haben  sollen,  doch  mag  sich  der  Verf.  nun  mit 
demjenigen  in's  Reine  setzen,  wail  seitdem  durch  Ritter 


447 


MüUery  der  ugrücke   Vclk^tamm. 


Ober  die  politischen  und  auch  militairiselien  Unterneh- 
nAingen  j^es  Volkes  bi«  su  den  europäischen  Grenz- 
gebieten hin  beigebracht  worden  ist.  Am  mittleren  Ural 
treten  als  besonders  interessante  Punkte  hervor:  die 
verschiedenen  Passagen  über  dieses  Gebirge,  die  eiser- 
nen Pforten  nach  dem  Lande  Jugrien,  womit  der  Eut- 
deckungszug  der  Kosacken  unter  Jermak  Timofejew 
nach  Sibirien^  in  Verbindung  gesetzt  ist,  und  der  nord* 
liehe  wüste  Ural,  dem  jetzt  alles  historische  Interesse 
abgeht,  ist  durch  des  Verfs.  Studien  gerade  zum  Mit- 
telpunkte des  Lebens  fiir  den  ganzen  hier  behandelten 
historischen  Kreis  gemacht  worden,  indem  Wir  an  ihm 
das  alte  Heimathsland  der  Ugrier  in  dem  Lande  Jugrien 
kennen  lernen,  welches  nach  alten  Traditionen  das 
Vaterland  der  Hunnen  und  Ungarn  sein  soU.  Die  öden 
Naturgebiete  sind  durch  eine  geschickte  Benutzung  des 
historischen  Stoffes  auf  eine  treffliche  Weise  belebt 
worden  und  die  bisher  freilich  mehr  angedeuteten  als 
ausgefahrten  Hinweisungen  auf  das  dnstmalige  merk- 
würdige Völkerleben  in  diesen  Regionen  des  Nordens 
lassen  in  dem  historischen  Theile  die  interessantesten 
und  wichtigsten  Resultate  hoffen.  Zu  «rwarten  steht 
dann  auch  wohl,  dafs  sich  der  Verf.  noch  näher  über 
den  Ursprung )  über  die  Entstehung  und  Alisbreitung 
dieses  Namens  der  Ugor  oder  Ogor,  der  schon  in  der 
GeschichtJB  der  Völkerwanderung  eine  so  grofäe  Rolle 
spielt,  und  der  hier  nur  mehr  von  seiner  geographischen 
als  von  seiner  historischen  Seite  aus  beachtet  worden 
zu  sein  scheint,  aussprechen  werde,  um  dadurch  auch 
eine  wahrhafte  Rechtfertigung  des  Titels  von  seinem 
Buche  zu  geben. 

An  die  besondere  Darstellung  des  uralischen  Ge- 
birges  schliefsen  sich  noch  vier  Abschnitte  allgemeinern 
Inhalts  an,  deren  ersterer  den  Bau  des  Gebirges  in 
geognostischer  Beziehung  charakterisirt«  Man  sieht 
zwar,  dafs  der  Verf.  Jcein  eigenes  Studium  aus  den  Na- 
turwissenschaften gemacht,  was  er  auch  offenherzig 
eingesteht,  doch  hat  er  nach  Angabe  der  altern  und 
neuern  Reisenden  kurz  und  bündig  dasjenige  gegeben, 
was  für  die  Anschauung  im  allgemeinen  und  yornehm- 
lich  für  die  historischen  Zwecke  wohl  v<41koounen  ge- 
nügen und  was  auch  bei  aller  weiteren  Bereicherung 


unserer  Kenntnisse  von  der  natnrwisienschaftUdien^Sdte 
aus  wohl  nicht  umgestofsen  werden  wird.  Die  che. 
rakteristische  Bildung  des  Ural  in  Beziehung  auf  die 
ihm  angelagerten  Landschaften  ist  klar  henrorgelMK 
bell.  —  Die  beiden  folgenden  kleinem  sich'  daran  m 
schliefsenden  Abschnitte  über  die  Bewohner  im  Dcali 
und  über  den  uralischen  Bergbau  werden  gewlfs  dadi 
ihre  lehrreichen  und  sehr  reichhaltigen  Mitlheüimg«i, 
die  mit  grofsem  Fleifse  Terarbeitet  sind,  und  in  diom 
Gestalt  gleichsam  zum  erstenmfile  in  die  Wisseaidttft 
eingeführt  werden,  das  allgemeine  Interesse  rege  Ba- 
chen. Die  bis  dahin  mehr  nur  dem  Namen  ab  dif 
Sache  nach  bekannten  Wogulen  und  Baschkiren  lenee 
wir  hier  als  Urbe wohner  des  Ural  und  als  vermitlelDfa 
GUeder  «wischen  der  asiatischen  und  eiuropäijmhenTiil'! 
kerwelt  kennen.  Letztere  werden  hier  zwaraucb,  ihm 
Abstammung  nach,  dem  ugrischen  Volksstamme  bdie" 
seilt,  und  es  sind  schon  mancherlei  Beziehungen  d» 
selben  auf  die  frühem  ethnographischen  VerliälUWM 
jener  sttduralisohed  Gebiete,  angedeutet,  doch  aüdriej 
der  Verf.  einen  üblen  Stand  haben,  dies  mit  der  jeM 
herrschenden  Auffassung  von  der  türkischen  Ali^ 
mung  dieses  Volkes  in  Uebereinstimmung  zu  bnagflip 
worüber  wir  in  dem  historischen  Theile  naliirlidi  h 
Rechtfertigung  erwarten.  Wer  den  jetzt  so  beruhotei 
uraUschen  Goldgruben,  einer  der  Sehatzkammein  finA* 
lands,  seine  Aufmeiicsamkeit  schenkt,  wird  in  der  6t* 
schichte  des  uralischen  Bergbaues  ohne  Zweifel  geal* 
gende  Befriedigung  finden.  —  Die  Schlufsparthie  d« 
ganzen  ersten  Abschnittes  bildet  die  Dantellong  4« 
Gegensatzes  zwischen  den  Ebenen  im  Osten  und  Wa 
sten  des  Ural  und  der  groCien  Naturgr^ize  in  der  tal( 
pischen  Steppenniederung.  Die  Schilderung  der  Utf 
hervorgehobenen  Naturverhältnisse  giebt  die  schattlill' 
sten  Beiträge  zur  KenntniTs  jener  bis  jotst  miadtt 
beachteten  Regionen,  und  die  sorgfiiltige  DarleginV 
jener  Naturgrenze,  das  Obtschei-Syrt,  wekher ^ 
wahrhafte  Grenze  Europas  in  der  grofsen  L&eke  cvi* 
sehen  dem  Ural  und  dem  Kaukasus  bildet,  inA  ^ 
Sern  geographischen  Theile  des  Werkes  steU  ^ 
Bedeutung  und  seinen  wissenschaftlichen  Werthiicbo*' 


(Der  Besclilafs  folgt.) 


J^  57. 

Jahrbttche 


für 


wissenschaftliche    Kritik 


März   1840. 


Der  ugrücke  Volkstttamm  oder  Untereuchun^ 
gen  iSber  die  Ländergebiete  am  Ural  und  am 
JKaukaius  in  historischer,  geographischer  und 
ethnographischer :  Beziehung  ton  Ferdinand 
Heinrich  Müller» 

(Schliifi.) 
Die  beiden  folgenden  flauptabschnitte  flihren  ims 
nad&  dem  asiatischen  Boden  snrüok,  wo  wir  die  öden 
Idrgisisehen    Steppen    dorchwandera ,    deren    heutige 
Bewohner 9  die  drei  Horden  der  Kirgisen,   nach  ih* 
t&t  Lebensart  und  politischen  YerhUtnissen   in    den 
Binptzügen  geschildert  werden.    Besonders  interessant  • 
imd  beachtungswerth  sind  da  die  Mittheilungen  *  über 
flie   durch  Rufslands   Einflufs  beginnende  Ciyilisation 
imter  diesem  rohen  Hirtenvolke.    Auch  mufs  man  es 
rühmend  anerkennen,  dafs  die  ethnographischen  Unter- 
schiede der  Yölker,  romehinlich  in  Beziehung  auf  die 
knmer  noch  zu  wenig  genau  gebrauchten  Namen  der 
Türken,  Tataren  und  Mongolen  nach  Anleitung  Klap- 
Toths  und  Ritters  sorgfältig  beachtet  worden,  so  dafs 
man  hier 'nicht  den  steten  Mifsyerständnissen,  wie  sonftt 
lufaifig,   au^esetzt   ist    Die  Darlegimg  des  grofsen. 
sibirischen  Stromsjstems  des  Irtisch  und  Obi  im  drit- 
ten Hauptabschnitte,   nach    seinem  ganzen .  Umfange, 
mit  steter  Hinweisung  auf  die  Altem  und  neu^m  ethno- 
graphischen und  historischen  Verhftlüiisse  ist  hier  um 
so  willkommner,  als  i^ir  schon  durch  Ritter  den  obem, 
Lawf  desselben  in  seiner  Beschreibung  des  Altai  ken- 
nen gelernt  haben«    Unser  Verf.  hat  zwar  den  obem 
Lauf  nicht  in  einer,  mit  so  erdrückender  Gelehrsam- 
gegebenen Form  geschildert,  doch  sieht  man,  dafs 
die  Hauptquellen  datiiber  nicht  unbekannt  gewe- 
sen nnd.    Die  Darstellung  des  minder  bekannten  mitt- 
lem l^aufes,    wo   das  merkwürdige  Tobolsk  in  dem 
oraprilnglichen  alten  Sibirien  gelegen  ist,  so  wie  des 
Qnt^n  Laufes  durch  die  nbirischen  Tundras,  wo  die 
JtU^b.  /.  wUuntcK  Kritik.  J.  184a    I.  Bd. 


sogenannjten  ugrischen  Ostjaken  und^  die  Samoje- 
den  als  Jägerrdlker  m^herschweifen,  macht  das  Be- 
dttrfinfs  besonders  fühlbar,  eine  ähnliche  Behandlung 
Ton  dem  gesammten  sibirischen  Norden  mit  seiner 
grofsartigen,  dreifach  *  gegliederten  Stromgmppe  zu  er- 
halten. Wir  müssen  dies  um  so  mehr  wünschen,  als 
wir  nicht  hoffen  dürfen,  dafs  Ritters  mn&ssen^e  Ai^ 
beit  über  Asien  siöh  diesem  Gebiete  bald  zuwenden 
werde. 

Indem  wir  in  dem  vierten  Abschnitte  nach  Europa 
zurückkehren,  ftnden  wfr  hier  zunftchst  das  Strome 
System  der  Dwina  mit  dem  nordrussischen  Uwalli 
behandelt.  Schon  die  allgemeine  Uebersicht  übeir  die 
osteuropäischen  Gebiete  und  die  Andeutungen  über  die 
historische  Bedeutung  der  polarisohen  Küstenland* 
Schäften  Europas  am  weifsen  Meere  beweisen  die  ge- 
naue Bekanntschaft  und  richtige  Würdigung  ties  von 
dem  Yerf.  zu  bearbeitenden  Stofics.  Der  ganze 
Stromlauf  der  Dwina  tritt  hier  zum  eretenmale  klar 
in  die  Anschauung  und  die  Natur  des  grofsen  nordrus- 
sischen Landrückens,  des  sogenannten  Wolok,  in  dem 
tschudischien  Lande  Sawolotschje  nach  den  altem  Rus- 
sen oder  in  dem  Bjarmaland  nach  den  Scandina\iei:% 
ist  hier  auf  eine  gan»  neue  und  lehrreiche  Weise  her- 
Torgehoben  werden.  Die  Nachweisung  der  historisch- 
ethnographischen  Bedeutung  dieser  Naturform  und  die 
Bezidiung  dieser  nordischen  Gebiete  auf  das  politische 
und  merkantOische  Leben  des  Freistaates  Nowgorod 
auf  der  einen  >  und  der  Normannen  in  Scandinavien 
auf  der  andern  Snte,  ist  eb«i  so  interessant,  als  wich- 
tig fiur  die  Wissenschaft«  Man  erkennt,  dafs  hier  fast 
noch  eine  ganz  neue  Welt  zu  entdecken  ist,  und  dafs 
bei  weitem  Forsdiungen  auf  diesem  Gebiete  und  yon 
mehr  Hilfsmitteln  gefordert,  wie  sie  nur  den  in  Ruie- 
la^d  sich  aufhaltenden  Gelehrten  zu  Gebote  stehen, 
die  Geschichte  dereinst  noch  zu  den  wichtigsten  Re- 
sultaten kommen  werde.  —  An  die  Naturform  des  nord- 

57 


451 


Mütter  i  der  u^riteie  yMutamm, 


432 


rassischen  Uwalli  schliefst  sich'  dann  luunittelbar  einie 
Uebersicht  des  Waldreichthums  der  osteuropäischen 
Ebenen  an,  weil  hier  dfis  eigentliche  Revier  der  mächr 
ti^sten  Waldungen  Rufslaiids  ist.'  Auf  eine  gescWiekte 
Weise  hat  des.  Yerf.  damit  eine  Gesdhichte  des  russi- 
schen Forstwesens  in  Yerbindung  -  gebracht  $  es  wird 
auf  den  Kontrast  aufinerksam  gemacht,  der  in  Bege- 
hung auf  die  Waldungen  zwischen  den  südlichen  und 
ttCrdlichen  Provinzen  Rufslands  herrscht,  und  wie  durch 
die  grofee  Verschwendung  des  Hol^zreichthums  doch 
endlich  die  Organisation  des  Porstn'esens  seit  der -Zeit 
Peter  des  Grofsen  nothwendig  gemacht  worden  ist. 
Dann  ist  von  der  Ausbreitung  und  Besc^baffenheit  der 
Waldungen  die  Rede,  die  von  den  Russen  selbst  in 
schwarze,  weifse  nnd  rothe  Holzarten  eingetheilt  wer- 
den, und  von  dein  Yerhältnifs  dieses  Holzreichthums 
SU  der  rassischen  Marine  auf  den  vier  Meeren,  welche 
Rufslands  Küsten  bespülen.  Doch  hätte  sich  der  Yf. 
hier  wohl  etwas  beschränken  können,  sich,  wie  es  an 
mehreren  Punkten  geschehen  ist,  nicht  seinem  Zwecke 
zuwider  in  das  statistische  Detail  zu  verlieren,  wenn 
gleich  manche  nfihere  Nachweisungen  davon  beitragen, 
die  Sache  mehr  zu  charakterisiren  und  ihr  den  ab- 
strakt allgemeinen  Charakter  zu  bendmuen.  Es  schliefst 
d^  ganze  Ahschiiitt  über  das  Dwina- Qebiet  mit  dem 
Zn^ammenfassen  aller  historischen  Yerhältnisse  in  der 
ansiilhrliehen  und  lehrreichen  Schilderung  des  grofsen 
Seehafens  von  Archangel,  dessen  Geschichte  vpn  der 
Zeit  der  alten  Normannen  und  Bjarmier  bis  auf  un- 
sere  Tage  fortgeführt  i%\^  wobei  die  TJnteraehmungen 
der  Engländer  nach  der  Entdeckung  des  weifsen  Mee- 
res im  sechszehnten  Jahrhundert  und  die  Pläne  Peter 
des  Grofsen  vor  der  Erbauung  von  Petersburg  zu  den 
merkwürdigsten  Yerhältnissen  gehören  möchten. 

In  dem  fünften  und'  letzten  Hauptabschnitte  wer- 
den wir  mit  dem  Gebiete  der  finnischen  Seegrappe 
bekannt  gemacht,  welches  zugleich  den  nördlidisteri 
Theil  des  skandinavischen  Halbinsellandes  uknfafst  und 
bis  jetzt  auch  wohl  zu  den  minder  bekannten  Gebieten 
Europas  gehören  möchte.  Als  Heimatfasland  der  Fin* 
nen  oder  eigentlich  Fihnlünder,  wie  sie  der  Yerf.  von 
den  Fnmen  im  allgemeinen  noch  unterscheidet,  und 
der  Lappen  sind  diese  von  FelskUppen  erfüllten  und 
mit  Seen  und  Sümpfen  überdeckten  Landsdiaften  wich- 
tig für  eine  Geschichte  des  ugrischen  Yolksstammes, 
von  welchem  die  bei  den  germanischen  Yölkern  soge- 


nannten Finnen  eiHen  wesentlichen  Theil  ansmadieii. 
YTorauf  es  bei  einer  genügenden  Darstellung  der  Na- 
tttrverhältnisse  Finnlands  im  weitem  Sinne  nach  semoi 
Nalurgfenzen  oder  mit  Einschlufs  eines  grofsen  Theib 
von  Li^pland  ankam,,  ist  dem  Yerf.  nicht  entgangn. 
Dies  betrifft  nämlich  das  Yerhältnifs  dieses  Gebietes 
zn  dem  skandinavischen  Alpenlande,  worüber  bis  jetzt 
hnmer  die  falschesten  Yorstellungen  herrschtoi.  80 
wie  daher  hier  zunächst  die  finnisch -slavische  Grao- 
mark  behandelt  ist,  so  nadiher  die  finnisch- skindiiia* 
vische,  um  daraus  das  EigaithOmliche  des  dazjriseheii- 
Uegenden  Gebietes  zu  erkennen,  in  wie  fem  es  oiit 
den  angrenzenden  Landschaften  in  Yerbindung  steht 
und  sich  davon  auch  wieder  durchaus  unterscheidet. 
Die  Schilderung  der  Nordenden  Europas  in  dem  soge- 
naimten  Finnmarken  mit  d^n  völligen  Abbrechen  det 
skandinavischen  Alpengebirges  in  der  Zerklüftung  der 
finmnärkischen  Fiorde  ist  nach  den  trefflichen  Dfitdiei- 
hmgen  einea  L.  v*  Buch  darüber  tun  so  lehrreiclier, 
als  jene  Angaben  noch  niemals  recht  benutzt  worden 
sind,  und  die  Durchschnittsrei^e  durch  jenes  Gebiet 
am  Tomeaflusse  -entlang  von  dem  Nordkap  bis  M 
Nordspitze  des  baltischen  Meeres  läfst  die  Natur  der 
angelagerten  Landschaften,  vornehmlich  in  FiimlaBd 
.  selbst^  besser  erkenpen,  als  alle  allg^emeine  Beschrei- 
bungen. Dennoch  ist  auch  eine  kurze  DarstcIIun;  der 
Naturverhältntsse  des  innem  Finnlands,  die  dem  ange- 
reiht ist,  immer  belehrend  genug,  besonders  da  dies 
noch  die  Gelegenheit  giebt,  die  sonst  kaum  bekannten 
finnischen  Stilmme  der  Karelen,  Tawasten  und  Krä- 
nen nach  ihren  Sitten  und  Lebensart >  hervorzuheben. 
Doch  sind  am  Schlüsse  auch  die  Finnländer  noch  im 
allgemeinen  und  sodann  das  merkwürdige  ReImtfaie^ 
Nomadenvolk  der  Lappen  im  europäischen  Norden  aos- 
fÜhrlich  behandelt  worden.  Die  häufig  besprochene 
Yerwandschaft  eben  dieser  Stämme  mit  den  Uogsniy 
die  hier  nur  beiläufig  berührt  ist,  wird  vermutUidi  hn 
historischen  Theile  noch  näher  betrachtet  werden.  Ds- 
gegen  hat  der  Yeif.  nicht  unterlassen,  schon  glmch 
auf  die  Yerbreitung  der  finnischen  und  lappischen  Be- 
völkerung der  frühem  und  spätem  Zeit  im  Innern  von 
Scandinavien  'hinzuweisen ,  und  mit  den  sorgftttigen 
Angaben  darüber  schliefst  der  reiche,  Iner  kurz  cbs^ 
rakterisirte  Inhalt  dieses  Theils. 

Möge  der  Yer£  Mufse  gewinnen  bald  die  Fort- 
setzung des  Werkes,  welche  schon  im  vorigen  S^"*" 


ß^iUtmmmtf  Kaialf^mten  %u  N^apeL 


454 


•nelMbeii  soika'«  i^lgiii  tu  Uusen»  und  Mog»  m 
dfe  iiuai  Ton.idis  ^g«liciiett  Andovftutigeii  dabei  nioht 
«ibeachtrt  laSMii.  Was  aaeh  tob  aatoen  Fonchiiogeii 
^ter^  wo  eino  Uobeisiolit  über  dos  Gänse'  «od  eine 
Veigleiehunf  delr  gewoaBooen  Resultate  aiuglich  ist, 
dahin  fallea,  o<bv  sieh  als  liypoihadsoh  etweben  soUlOy 
dardi  das  Work  dos  Hm.  Dr.  Müller  Ist  «n  grober 
Belintt  TOFwtrts  geschoben  —  schon  das  bis  jetzC  Go« 
gebene,  dcsson  Worth  nach  dem  jotsigen  Standpunkt 
der  Wissonadbaft  man  dtekhar  anerkennon  nwls,  solgt, 
wie  ml  auf  dioseia  Gebiete  durah  sorgfältige  Bemühung 
fSr  die  Geschichte  und  Geographie  noch  au  gewin*' 
aen  ist 

y.  Briindt. 


XXXV. 

üeier  die  ältesten  christlichen  Begräbnifsstätten 
und  besonders  die  Katakomben  zu  Neapel 
mit  ihren  fVsmdgemmlden.  Ein  Beitrag  zur 
ck^Michen  Alterthumslkunde  ton  Dr.  Christ. 

^  Fr*  Bellermannj  Ffdrret  der  8t.  Paul- 
Gemeinde  zu  Berlin.  Mit  12  tlluminirten 
Tafeln  j  fVandgemälde  der  neapolitanischen 
Katakomben  darstellendy  und  13  schwarzen 
TafelfSj  Aufrisse  derselben.  Hamburgs  1839. 
bei  Friedrieh  Perthes. 

.  Zu  den  wichtigsten  DonkmSlem  des  christlichon 
Altefthunu  geboren  unstreitig  die  unter  dem  Nam^n 
Katakomben  bekannten  iinterirdbohen  Begrfibnirsstätten, 
wdshe  sich  an  mehreren  Orten  Italiens,  namentlich  eu 
Kern  und  Nei^el,  befinden,  und  in  ihren  ersten  An- 
fingen  bis  auf  die  ftltesten  Zeiten  der  Kirche  surück- 
gehn«  Um  so  mehr  ist  es  daher  su  bedauern,  dab 
aieht  überall  die  gehürige  Aufmerksamkeit  auf  ihre  Er- 
hshong. vorwendet ^  worden,  und  die  in  ihnen  befindli- 
eben  Monumente,  wie  Inschriften,  Gemälde,  Sculptu- 
ren  u.  ß.  w. ,  die  uns  so  wichtige  Thatsachon  för  die 
eisten  Anfänge  einer  eigedthfimlichen  christlichen  Kunst- 
iibung  lieTem,  gesammelt  und  dem  Untergänge  entzo- 
gen sind.  Nur  den  römischen  Katakomben  ist  eine, 
solche  Pflege  xu  Theil  geworden,  indem  hier  das  kirch- 
liebe  Int  erlasse  die  päpstliche  Regierung  veranlarst  hat, 
fftr  die  Eriialtung  dieser  ehrwürdigen  Ueberreste  des 


ohrislliclie&  Altetthnais  Sorge  sn  tragen.  Die  «tttecir* 
dischen  Gänge  selbrt  wurden  daher  auf  das  genaue« 
sie  durchforscht,  und  die  in  ihnen  aufgefundonsn  Soalp« 
tttraa,  Gemälde  und  Inschriften  gesammelt  und  T^n 
gelehrten  Antiquarön  in  ausfahrlichea  Werken  erläu- 
tort.  Was  dagegen  die  xu  Neapel  liefindlichen  Graii- 
stätten  betrifft,  weleho  den  lUknisciien  swär  nicht  an 
Umfang  und  Ausdehnung»  wohl  aber  an  GrofsarCigkoit 
der  Anlage  gleichkonune«,  ja  sie  hierin  sogar  noch 
ttbertrcffen  dftrften,  so  waren  sie  bis  sur  neuesten  Zeit 
dem  Untergänge  und  der  Verwüstung  Preis  gegeben, 
so  dafs  nur  wenige  Gemälde  und  Inschriften  sich  in 
ihnen  erhalten  haben«  Dieis  bowog  den  Vorf.  vorlie- 
gender Abhandlung,  bei  einem  mehigährigen  Aufent« 
hake  daselbst,  wenigstens  das  noch  Yorhandeno  su 
sammeln,  und  es  dadurch  einem  gänslichen  UntergMgo 
xu  entsiehen.  Die  untorirdisdien  Gänge  der  dort%en 
Katakomben  wurden  daher  ton  ihm  auf  tias  Sorgfäl<^' 
tigsto  untersucht  und  durdiforscht,  und  alles,  was 
sich  von  Inschriften  und  Gemälden  noch  vorran^  go-» 
nau  verseichnM,  wobei  er  das  Glück  hatte  von  swdi 
befreundeten  Künstlern  unterstQtxt  zu  werden,  denn 
er  sich  su  Yoraahmo  der  nöthigen  Yermessungen  und 
cum  Copiren  der  wonigen  noch  vorhandenen  Bilder  bo« 
dienen  konato.  So  entstand  vorliegende  Schrift,  worin 
auerst  eipe  ausführliche  und  gründliche  Besöhreibung  die- 
ser Grabstätten,  nebst  einem  auf  genauen  Messungen 
beruhenden  Plane  derselben  und  einer  getreuen  AbbiU 
duttg  sftmmtllcher  in  ihnen  noch  befindlichen  AVandma« 
loroien  geliefert  wird.  Zugleich  hat  der  Vorf»  alles,  was- 
sith  im  Allgemeinen  auf  die  allchristlichen  Girabstätten 
und  deren  kirchliche  Bedeutung,  so  wie  auf  die  in 
ihnen  vorgefundenen  Monumente  bezieht,  gesammelt 
und  su  einer  Totalanscbauung  zu  vereimgen  gesucht, 
wobei  er  .mit  gleicher  Gründlichkeit  verfahren,  so  dafs' 
seine  Abhandlung  auch  in  dieser  Hinsicht  eino  ausge« 
aeiohnete  Stelle  in  der  Litteratur  der  christlichen  Alter- 
thumskunde  behaupten  wird.  Damit  vereinigt  sie  'den 
seltenen  Yorzug  einer  geschmackvollen  Behandlung 
ihres  Gegenstandes,  so  wie  einer  lebendigon  und  zu- 
ghioh  klaren -Darstellung,  so  dafs  sie  auch  in  dieser 
Beziehung  sich  vortheilhaft  auszeichnet,  und  daher  sicher- 
lich einen  weiteren  Kreis  von  Lesern,  die  mehr  als  blofse 
Befriedigung  eines  rein  antiquarischen  oder  kunsthisto* 
rischen  Interesses  suchen,  gewinnen  wird.    Besonders 


456 


Mellermami,  Kmimkiw^n  »tf  N^ap^t 


4SC 


erfr6«Uch  war  ei  dem  Refer.,  in  Uir  denselben  Ansich- 
ten Qker  den  Ursprang  und  die  Bedeutung  dieser  Gnib- 
stfilten  md  ihrer  Denkmäler  m  begegDen,  die  er  selbst 
hl  einer  rer  mc^ireren  Jahren  verdftentliclien  Abhand- 
long  über  diesen  Gegenstand  avsgesprochen  ^),  nnd 
dadurch  eine,  neue  Bestätigung  derselben  zu  erhalten« 
Indem  er  daher  nur.  mit  den  einseinen  Behauptungen 
des  "Verfs.  übereinstimmen  Icann,  wird  er  sich  lediglich 
auf  eme  einfaehe  Berichterstattung  von  dem  Inhalte 
dieses  Werks  beschränken,  um  dadurch  die  Leser  der 
Jahrbücher  su  dessen  näherer  Bekanntschaft  einzuladen* 
I>er  Yerf.  beginnt  mit  allgemeinen  Erörterangen 
Über  altehristliehe  Grabstatten  überhaupt,  deren  Ur« 
[^rung  und  Bestimmung.  Er  geht  dabei  von  der  rieh» 
tigen,  durdi  ftuCiere  Zeugnisse  bestätigten  Ansicht  aus, 
dab  bereits  während  der  Zeit  der  Yeriblgungen  die 
christlichen  Gemeinden  ihre  besondem,  von  den  heid- 
nisdien  jetrennten  Begräbnifsorte  hatten,  wo  sie  ihre 
Todten  zur  Ruhe  bestatteten,  indem  der  Gedanke  an 
die  auch  nach  dem  Tode  fortdauernde  Gemeinschaft 
im  Glauben,  welcher  in  den  ältesten  Christen  so  mäch- 
tilg  hervortrat^  zu  .Entstehung  einer  solchen  Gemeinde- 
Einrichtung  »othwendig  fuhren  mufste.  In  der  Regel 
war  das  Grab  eines  Märtyrers  der  Mittelpunkt,  um 
den  sich  die  gemeinsame  Grabstätte  allmählig  bildete, 
da  jeder  in  der  Nähe  dessen  ruhen  wollte,  der  durch 
seinen  Tod  ZeugntTs  Ton  der  Kraft  seines  Glaubens 
abgelegt,  uuf  %o  auch  jenseits  des.  Grabes  in  Gemein- 
'schaft  iait  ihm  zu  bleiben.  An  seinem  Grabe  wurde 
dann  dusch  gemeuoisamen  Genufs  des  Abendmahls  die 
Eeier  seines  Todestags  hegangen,  wodurch  die  Grab* 
Stätte  auch  zu  ^inem  Andachtsort  wurde,  ja  sogar  die 
einzige  heilige  Stätte  der  Gemeinde  war,  so  lange  noch 
keine  Kirchen  «xistirten.  ^Het  gemeinschaftliehe  Kirch- 
hof wurdis,  wie  der  Yerf.  p.  5  eagt^  mit  verdoppelte 
Liebe  besucht  nnd  gepflegt,  sewoU.um  des  der  ganzen 
Gemeinde  angehdrigen  Marders  rwilleu,  4ds  auch  des- 
halb, weil  jeder  Einzelne  die  stedWche  HüUe  >der  Sei- 


nigen hier  in  d^  Eide  barg:  er  diente  nitn  su  gleiciies 
Zeit  zu  einem  Andaehtsorte  und  zu  einer  fortwähren* 
den  Begräbni£ntätle  der  Gemeinde."  Entlegene,  soviel 
wie  möglich  von  dem  Verkehr  gesonderte  Orte,  anfser« 
halb  der  Stadt,  wurden  dam  erwählt,  in  der  Regel 
verlafsne  Tuff-  oder  Sandgruben,  oder  Steinbruche, 
welche  dann  bei  wachsendem  Bedürfnifs  allmählig  za 
einem  so  bedeutenden  Umfange  erweiteTt  wurden,  all 
wir  sie  noch  gegenwärt%  namentlidi  zu  Rem  undNei^ 
pd  finden.  Daraus  erklären  sich  die  Namen  arenariae, 
cryptae  u.  s.  w.,  womit  diese  Grabstätten  bezeichnet 
werden :  die  gewöhnlichste  und  allgemeinste  Benennung 
derselben  ist  die  von  coemeterium,  Ruhestätte,  da  nach 
christlicher  Ansicht  der  Tod  nur  ein  Schlaf,  eine  Ruhe 
nach  den  Qberstandenen  Mühen  des  Lebens  ist  Der 
Name  catacumbae  oder  catatumba«^  dagegen^  der  jetzt 
der  gewöhdliche  geworden,  hatte  ursprungUcfi,  wie  dieb 
von  Refer.  in  jener  vorhin  angeführten  Abhandltmg. 
aus/Ührllcher  gezeigt  bt,  eine  rein  locale  auf  Roia  be- 
zügliche Bedeutung,  indem  damit  anfänglich -nur  die 
G^end  in  der  Nähe  des  Circus  des  Maxentiu«  vor 
dem  Thore  S.  Sebastiane  bezeiclinet  wurde,  wo  aiek 
viele  Puzzolan  -  Gruben  befanden,  deren  sich  die  «dortige 
Christen  •  Gemeinde  ^u  Bestattung  ihreiv  Todten  be. 
diente ;  dann  wurde  er  auf  cliese  Grabstätten  selbst  an* 
gewendet^  bis  er  endlich  auch  hier  nur  auf  eine  unter* 
halb  der  Kirche  S.  Sebastiane  befindliche  Kapelle  be- 
schränkt wurde,  in  der  nach  der  Legende  die  Ldchen 
der  Apostel  Petrus  und  Paulus  geruht  haben  aoll«n. 
In  jener  lokalen  Bedeutung  finden  wir  den  Namen  enhon 
in  einem  Verzeichniis  der  römischen  Kaiser  aus  dem 
vierten  Jahrhundert  bei  Eecard  Corpus  historieorum 
medii  aeyi  Tom*  I.  p.  31.  wonach  die  Behauptung  des 
Verfs.  p.  7,  dafs  er  zuerst  an  emem  Briefe  Gregors  I. 
vorkomme,  berichtigt  werden  muls.  Erst  später^  seit 
dem  ^ten  und  lOten  Jahrb.  finden  wir  ihn  in  allge- 
meinerem Sumci  als  gleichbedeutend  mit  coemeteiim% 
gebraucht  ^. 


^)  Rons  KatakoBOkben  und  deren  AltertJi9aier  in  Flattner,  Snn« 
sen,  Geibard  nnd  Rosteli  Bewhreibnog  der  Stadt  Rool 
fitttt^;ait  1830.  JBsnd  1.  p.  355  flgd. 


*)  &  Da  CoDge  GUMsariommed.  at^e  i 
taconbae. 


latia«  s*  v;  Qu* 


<Die  Fortsetzung  folgt) 


wissen 


J^  58.^ 

Jahrbücher 

für 

Schaft  liehe 


Kritik. 


März  1840. 


Ueber  die  älteren  christlichen  ßegräbtUfsstäUen 
und  besonders  die  Katakomben  zu  Neapel  mit 
ihren  Wandgemälden.  Ein  Beitrag  zur  christ- 
lichen Alterthumskunde  von  Dr.  Christ.  Fr. 
Bellermann. 

(Fortsetxnng.) 
Die  Verehrung  und  Andacht,  welche  sich  an  diete 
Begräbnibatätten  anachlofa,  verlor  «ich  nicht,  nachdem 
die  Kirche  durch  Conatantin  Anerkennung  im  römischen 
Reich  erkalten,  und  die  Yerfolgungen  aufgehört  hatten: 
a{e  steigerte  sidi  vielmehr,  da  die  Verehrung  der  Mär» 
tyrer  immer  mehr  zunahm:  überall  wurden  die  Gräber 
derselben  aufgesucht,  und  bald  glaubte  mian  in  allen 
aus  der  Zeit  der  Verfolgung  herrührenden  Coemeterien 
nur  Mftrtyrergräber  eu  erblicken,  weswegen  sie  Jahr- 
hunderte hindurch  noch  Gegenstand  gläubiger  Verehrung 
blieben,  wie  diels  namentlich  die  von  dem  Vf.  angeführ- 
ten Zeugnisse  des  Prudentius,  Hieronymus  und  Paulli- 
nus  von  Nola  beweisen«    Auch  dieiUen  sie  noch  lange 
Zeit  zur  Bestattung  der  Todten,  so  dafs  die  Anlegung 
neuer  und  die  Erweiterung  der  alten  Grüfte  fortwäh- 
rend  ndthig  war,  bis  es  ausschliefsliche  Sitte  gewor- 
den die  Verstorbenen  in  den  Kirchen  oder  in  beson« 
dem  neben  denselben  befindlichen  Kirchhöfen  zu  beer- 
digen«   Endlich  vnirden  in  ihnen  noch  immer  die  Feste 
der  Märtyrer  an  ihren  Gräbern  begangen,  was  eu  grö- 
berer Ausschmückung  und  Versierung  derselben  Ver- 
anlassung  gab.    Erst  nachdem  die  Zahl  der  Andacht!« 
gen,  ^e  sich  zu  solchen  kirchlichen  Feiern  versammel- 
ten, so  grols  geworden,  dafs  sie  die  engen  Räume  der 
Katakomben  nicht  mehr  fassen  konnten,  wurden  Kirchen 
oberhalb  der  Erde  über  dem  Grabe  der  Heiligen  er- 
baut,   die  gleichfalls  Coemeteria  genannt  wurden,  da 
sie  Ruhestätten  derselben  seui  sollten,  woraus  die  Sitte 
entstanden,  ^e  wir  in  den  meisten  ä)tereo  Kirchen  be- 
folgt  finden,  unter  dem  Hauptaltare  unterirdische  Ka- 
Jahrb.  /.  wi$$€n$€h.  Kritik.  J.  1840.   I.  Bd. 


pellen,  sogenannte  Krypten,  anzulegen.  Auf  diese 
Märtyrerkirchen  und  nicht  auf  die  unterirdischen  Grüfte 
dürften  auch  wohl  die  von  dem.  Verf.  p.  13  und  an  an- 
dern Orten  seiner  Schrift  angeführten  Stellen  des  Liber 
Pontificalis  zu  beziehen  sein,  welche  von  Ausschmückun- 
gen und  Restaurationen  der  Coemeterien  durch  die  Päp- 
ste des  5ten  und  6ten  Jahrhunderts  reden,  und  dafs  diese 
iselbst  in  ihnen  gewohnt,  und  heilige  Handlungen  -ver- 
richtet hätten.  ,  Namentlich  gilt  diefs  von  der  p.  13  in 
der  Note  angeführten  Stelle  aus  dem  Leben  Johann  111., 
wo  Refer.  der  von  dem  Verf.  im  Text  gegebenen  Er- 
klärung nicht  beitreten  kann:  denn  die  daselbst  ange- 
führte Verordnung. dieses  Papstes  bezieht  sich  offenbar 
auf  einen  regelmäfsigen  sonntäglichen  Gottesdienst  ili 
den  Coemeterien,  wozu  die  Abendmahlselemente  (obla- 
tiones),  so  wie  die  gottesdiensilichen  Grefäfse  (ampul- 
lae)  und  Kerzen  (luminaria)  aus  dem  Lateran  geliefert 
werden  sollten:  soweit  wir  aber  Kunde  haben,  fand  eine' 
solche  regelmäfsige  Feier  nie  in  den  unteridischen  Grüf- 
ten, wohl  aber  in  jenen  Kirchen  eberhalb  der  Efrde  statt, 
so  dafs  diese  Stelle  nur  auf  die  letzteren  bezöge^  wer- 
den kann.  Aber  auch  diese  gottesdienstliche  Bedeutung 
der  Katakomben  verlor  sich  allmählig  seit, dem  6ten 
Jahrb.,  indem  die  Sitte  überhandnahm,  die  Reliquien 
der  Heiligen  .nach  den  Kirchen  zu  versetzen :  zwar 
suchten  auch  noch  spätere  Päpste  und  Bischöfe  ihr  An- 
denken zu  erhalten ;  sie  hatten  aber  keine  Beziehung 
mehr  zu  dem  kirchlichen  Leben  der  Gemeinde,  sie 
standen  daher  leer  und  verlassen  und  waren  der  Ver- 
wüstung ausgesetzt,  bis  sich  endlich  im  16ten  Jahrh« 
ein  religiös -antiquarisches  Interesse  ihnen  wiederum 
zuwendete,  was  dann  die  Folge  hatte,  dafs  man  an 
emzelnen  Orten,  wie  z.B.  in  Rom,  darauf  bedacht 
war,  das  noch  Vorhandene  wenigstens  zu  erhalten, 
und  es  gegen  gänzlichen  Untergang  sicher  zu  stellen. 
Der  Verf.  erläutert  hierauf  die  Sitten  und  Gebräu- 
che,  welehe  lich  an  diese  Grabstätten  anschlössen,  die 

-        58       , 


'459  Beiiermannj  KiUaJbemSen  »u  Neapel. 

AbendmaUsfeier  an^  den  Gräbern  der  Märtyrer  vnd  4«r 
andern  dort  ruhenden  Todten,  die  Sitte,  Gastmähler  zu 
Ehren  der  Todten  in  den  Coemeterien  selbst  oder  in 
den  Vorhallen  der  Kirchen  su  halten,  und  die  Ge- 
bräuche der  Todtenbestattung,  wobei  er  auch  Ton  den 
kirchlichen  Beamten,  die  mit  der  Anlegung  und  Erwei- 
terung dieser  Gänge  und  dem  Einhauen  der  Gräber  in 
die  Seitenwände  beauftragt  waren,  und  fossarii  oder 
copiatae  genannt  wurden,  ausführlicher  handelt.  Die 
'Gemälde,  mit  denen  die  Coemeterien  ausgeschmackt 
wurden,  geben  ihm  endlich  Veranlassung  auf  das  Ver- 
hältnifs  der  bildenden  Kunst  Eur  Kirche -näher  einsu* 
gehen.  Hatte  sich  auch  letstere  anfänglich  gegen  bild- 
liche Darstellungen,  als  eine  heidnische  Sitte  erklärt,  so 
konnte,  man  ihrer  doch  nicht  gänzlich  entbehren,  da  sie 
zu  tief  mit  allen  Gewöhnungen  des  Lebens  verflochten 
waren:  die  Kirche  war  daher  w^iger  darauf  bedacht, 
sie  gänzlich  zu  entfernen,  als  vielmehr  an  die  Stelle  der 
heidnisdien  Bilder  Symbole  und  Yorstellungen  zu  set- 


zen, welche  christliche  Ideen  ausdruckten.  So  wurde 
die  Kunst  zunächst  für  Gegenstände  des  gewöhnlichen 
Lebens,  wie  Siegelringe  und  dergl.  angewendet,  bis  sie 
auch  in  das  kirchliche  Leben  selbst  nberging ,  indem 
man  die  gottesdienstliehen  Grefäbe  und  später  die  Kir- 
chen mit  bildlichen  Darstellungen  yerzierte:  ja  im  fünf* 
ten  Jahrhundert  wurde  sie  sogar  als  ein  Mittel  betrach* 
tet,  um  die  des  Lesens  Unkundigen  mit  dem  Inhalt  der 
heiligen  Schrift  bekannt  zu  machen,  gleichsam,  wie  der 
Tlerf.  sich  ausdrückt,  als  ein  anschaulicher  Unterricht, 
und  daher  als  Schmuck  von  Kirchen  und  Kapellen 
sehr  beliebt. 

.  Nachdem  so  der  Yerf«  zusammengestellt,  was  die 
Schriften  der  Kirchenväter  und  ähnliche  Quellen  über  die 
Entstehung  und  Bedeutung    der   altchristlichen   Grab- 


460 

bedingten  Plane  durchkreuzen,  und  durch  hin  und  wie* 
der  angebrachte  Luftlöcher  erhellt  sind:  die  Gräber 
befinden  sich  an  den  Wänden,  und  zwar  entweder  repo- 
sitorienartig  eins  über  dem  andern  angebracht,  oder 
auch  unter  besondem  gewölbten  Niichen,  die  dann  ili 
der  Regel  mit  Malereien  verziert  sind:  sie  sind  In  Ge- 
stalt eines  länglichten  Vierecks  in  die  VTand  gehaoca, 
und  mit  einer  Steinplatte  oder  grofsen  Ziegeln  Ter- 
schlössen,  worauf  sich  die  Inschrift  mit  dem  Nanoioi  dei 
Yerstorbenen  befindet.  Hin  und  wieder  fuhren  Thircn 
in  besondre  in  der  Regel  mit  Malereien  verzierte  Grab- 
kammern, die  hödist  wahrscheinlich  zu  Familienbe- 
gräbnissen bestimmt  waren:  sie  enthalten  ^eieUalip 
Gräber,  die  hier  nicht  blofs  an  den  Wänden,  aondem 
oft  sogar  im  Fufsboden  angebracht  sind:  ja  audi 
morne,  mit  Basreliefs  verzierte  Sarcophage,  in 
die  Todten  bestattet  waren,  hat  man  in  ihnen  gefund« 

Yen  den  Denkmälern,  welche  uns  diese  Grüfte  anC* 
bewahrt  haben,  verdienen  die  Malereien  an  den  Deekan 
der  Grabkammem  und  in  den  einzelnen  ,Gr&bemiachea| 
so  wie  die  S'culpturen  der  Sarcophage  vor  allem  be* 
achtet  zu  werden.  In  ihnen  haben  wir  die  ersten  An- 
ränge  der  christlichen  Kunst,  die  aber  hier  noeh  nickt 
in  einer  selbstständigen  und  eigenthümlich  ausgafciUa- 
ten  Form  auftritt:  vielmehr  ist  die  Technik,  wie  dfe 
Auffassungs*  und  Darstellungsweise  in  diesen  Bildwer^ 
ken  durchaus  antik  zu  nennen :  nur  der  Gegenstand  ist 
christlich,  und  auch  hierin  mischen  sich  heidnigehe  und 
christliche  Ideen  durch  einander,  indem  wir  in  ihnen 
bacchlschen  Symbolen,  Personificationen  der  FlSsse,  der 
Sonne  und  des  Mondes,  wie  sie  durch  die  griechiselie 
und  römische  Mythologie  ausgebildet  worden,  Darsd^ 
lungen  des  Orpheus  und  ähnlichen  dem  Hetdenthune 
angehörenden  Vorstellungen  begegnen.    Sie  bilden  ei- 


stätten  ergeben,  geht  er  zur  Beschreibung  der  in  Italien  .  nen  in  sich  abgeschlossenen  Kreis  stets  wiederkehrender 


und  Sicilien  noch  gegenwärtig  erhaltenen  Katakomben 
und  ihrer  Denkmäler  über,  der  Inschriften,  Geniälde, 
Sculpturen  u.  s.  W.  Die  destalt  dieser  unterirdischen 
Grüfte  ist  im  wesentlichen  bei  allen  dieseliie,  und 
stimmt  noch  gegenwärtig  mit  den  Beschreibungen  über- 
ein, die  wir  bei  Hieronymus  und  Prudentius  von  ihnen 
haben.  Sie  bestehen  in  stollenartig  geführten  Gängen, 
die  entweder  parallel  neben  einander,  oder  auch  in  meh- 
reren  durch  Treppen  verbundenen  Stockwerken  unter 
einander  laufen,  oder  sich  oft  nach  einem  verworrenen 
durch  die  besondre  Beschaffenheit  des  Terrains  näher 


Darstellungen,   die  sich  besonders  auf  Sünde,   Bube^ 
Erl&sung,  den  durch  den  Tod  errungene^  Frieden  und 
verwandte  Ideen  beziehen,  "wie  sie  die  Bedeutong  des 
Orts,  zu  dessen  Verzierung  sie  bestimmt  sind,  nothwen- 
dig  hervorrufen  mufste.     Theils  sind  es  einzelne  Sym« 
hole,  wie  z.  B.  die  Taube,  die  Palme,  der%ÖeIzweig  u. 
s.  w.f  wodurch  diese  Ideen  ausgedruckt  sind,  theils  Ge-t. 
schichten  des  alten  und  neuen  Testaments,   £e  entwe* 
der,    wie  z.   B.   der  Sündenfall,    durch  ihre  einfache 
geschichtliche  Bedeutung  eine  solche  Beziehung  erhal* 
ten,  oder,  vvie  z.  B.  die  sehr  häufig  vorkoomiende  Ge- 


461 


Bett^mumn^  Kaiajkemien  zu  Neapd. 


462 


•ehichto  des  Prephetan  Joiiat,  in  aUegorisehem  Sinne 
geooMnen  sind.  Wer  sich  näher  darüber  unterrichten 
wyi,  der  inSge  nnsern  Verf.  selbst  nacUesen,  der  sich 
Uerul>er  mit  ausfuhrliclier  Gründlichkeit  verbreitet,  und 
ein  vollständiges  Yerzeiclinifs  aller  bbher  belcannt  ge- 
werdenen  ToisteUungen,  nebst  ihrer  Auslegung  liefert, 
W<»bei  er  die  Arbeiten  seiner  Vorgänger  auf  das  Sorg- 
fiUfigste  benutzt  hat  Auch'  die  Bilder  der  Verstorbe- 
Ben  finden  wir  hin  und  wieder,  die  in  betender  Stel«- 
lug,  mit  aufgehobenen  Händen,  dargestellt  sind. 

.  Was  £e  Inschriften  ^trifft,  so  entbehren  sie,  wie 
der  Verf.  richtig  bemerkt,  der  Schdnheit  und  Elegans, 
wdehe  die  römischen  Grabschriften  aus  der  Blüthezeit 
des  römischen   Volks-  und    Staatslebens   ausseichnet: 
sie  enthalten  wenig  mehr  als  Namen,  ;llter  und  To- 
destag des  Verstorbenen,  so  dab  sie  für  die  christliche 
Alterthumskunde  nur  einn    geringe  Ausbeute   liefern. 
I>er  Verf.  geht  ihren  Inhalt  im  Allgemeinen  durch,  die 
Namen,  denen  wir  in  ihnen  begegnen,  die  einseinen  Aus« 
drueksweisen,  in  denen  sich  Liebe  und  AnhängUchkeiJk 
an   den  Verstorbenen  ausspricht,  ferner  was  sich  aus 
ihnen  für  christlidie  Antiquitäten,  namentlich  in  Betreff 
der  Todtcmbestattung,  gewinnen  läfst,  und  endlich  die 
Kennzeichen  ihres  chrisdichen  Ursprungs.     Was  ^  die 
Thatsaehe  betrifft,  dafs  mian   auch  Inschriften  mit  deu 
belcannteli  die  Dedicalion  an  die  Todesgötter  beseich- 
nenden  Siglen  D.  M«  S.  (Diis  Manibus  Sacrum)  in  den 
Katakomben  gefundi^n,  woraus  man  hat  schlieisen  wol- 
len,  dals   diese  Grüfte  nicht  blofs  Ton  den  Christen, 
sondern  auch  von  Heiden   eu  Bestattung  ihrer  Todten 
gebraucht  worden,  so  erklärt  sie  der  Verf.,  indem  er 
diese  Annahme  mit  Recht  als  der  Denkweise  der  alte* 
•teo  Christen  widersprechend  verwirft,  dadurch,  dafs 
man    in   den  späteren  Zeiten   die    heidnischen  Gräber 
ihrer  Gräbsteine  beraubt,  und  diese  zu  VerschDefsüng 
der  christlichen  gebraudit  habe.    Denn  mehrere  dersel- 
ben Itaben  auf  der  entgegengesetzten  Seite  eine  unzwei« 
fethaft    christliche  Inschrift,   wo   dann   die'  heidnische 
Uft^'  UHien  gekehrt  und  oft  mit  Kalk  überzogen   irar:- 
Tiele  von  ihnen  sind  auch  nur  verstSmmelt  vorhanden, 
indein  man  den  Stein  ^  um  ihn  der  Form  des  Grabes 
anzupassen,  zerschnitt.    Ja  wir  haben  sogar  unzweifel- 
Iiaft  christliche  Inschriften  mit  diesen  Siglen,   was  sich 
aus   gedankenloseih  Beibehalten   einer  Formel  erklärt, 
deren  Bedeutung  man  nicht  mehr  verstand,  weswegen 
me  auch  niitf  einer  späteren  Zeit  angehören  können,  in 


der  das  Hddenthum  seinem  Untergange  entgeg«!  ging, 
und  nicht,  wie  der  Verf.  annimmt,  der  früheren,  da  in 
dieser  der  Gegensatz  gegen  dasselbe  zu  stark  hervor- 
trat,  als  dafs  man  nicht  jede  Annäherung  von  heidni- 
sche Sitte  so  viel  wie  möglich  vermieden  hätte.    Be- 
sonders wichtig  sind  Inschriften  mit  Angaben  von  Con- 
sulaten,  da  sie  uns  Thatsachen  für  die  FeststeUung  der 
Chronologie    i%x  Coemeterien    liefern.    Doch  bemerkt 
hier  der  Verf.  mit  Recht,  dafs   dabei  mit  der  gröfsten 
Vorsicht  zu  verfahren  sei^  da  sich  in  den  Katakomben 
auch  viele  heidnische  Inschriften  finden,  so    dafs  nur 
solche  hier  in  Betracht  kommen  können,,  die  alle  un- 
zweifelhaften Kennzeichen  eines  christlichen  Ursprungs 
an  sich   tragen.    Seine  genauen  Untersuchungen  erge- 
ben für  die  römischen  Katakomben  das  Resultat,  dafs' 
sich  in  ihnen  kein  älteres  Datum  mit  Sicherheit  nach- 
weisen läfst,  als  das  Consulat  des  GaUicamus  vom  Jahr 
237 ;  das  späteste  dagegen  ist  das  Consulat  des  Kaisers 
Justinus  vom  J.  568. 

Die  iieidnische  Sitte  dem  Todten  Sachen,  mit  de* 
nen  ^r  im  Leben  umgegangen,  mit  ins  Grab  zu  geben, 
wurde  von  den  ältesten^  Christen  gleichfalls  befolgt, 
woraus  sich  die  Ringe  mit  geschnittenen  Steinen; 
Schmueksaehen  und  Gegenstände  des  gewöhnlichen  Le* 
bens  erklären,  die  man  in  den  Gräbern  der  Katakom* 
ben  gefunden.  Ebenso  war  die  Sitte  dem  Todten  eine 
Lampe  anzuzünden  aus  dem  Heidenthum  auf  die  Kir« 
che  übergegangen,  wie  diefs  die  vielen  Lampen  von 
gebrannter  Erde  oder  Metall  beweisen,  die  man  nebeVi 
den  Gräbern  entweder  eingemauert  oder  an  Ketten 
hängend  gefunden,  und  welche  häufig^  mit  christlichen 
Sjrmbolen,  z.  B.  dem  Lamm,  der  Palme  u.  s.  w.  ver- 
siert sind.  Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  aber  kleine 
gläserne  Fläschchen,  die  entweder  im  Grabe  neben  dem 
Todten  liegen,  oder  aufserhalb  desselben  eingemauert 
sind,  und  die  gleichfalls  oft  bildliche  Darstellungen  ha- 
ben. Ein  rother  Bodensatz,  der  sich  in  mehreren  der- 
selben vorgefunden,  ist  für  das  Blut  von  Märtyitem 
erklärt  worden,  das  man  bei  ihrer  Hinrichtung  aufge« 
Cangen  und  ihnen  mit  ins  Grab  gegeben  habe,  wesWe* 
gen  die  Congregatio  rituum  durch  ein  eignes  Decrdt 
das  Vorhandensein  solcher  Fläschchen  >für  das  Kennzei* 
chen  eines  Märtyrergrabes  erklärt  hat.  Refer.  hat  be- 
reits in  der  vorhin  angeführten  Abhandlung  sich  gegen 
diese  Ansicht  ausgesprochen  und  zu  4>eweisen  gesucht, 
dafs  man  in  jenen  Gefafsen  dem  Todten  die  Elemente 


463 


BeUermann^  Katakomben^  zu  Neapel. 


des  Abendmahl«  mit  in  das  Grab  gegeben,  und  der  ro* 
the  Bodensatz  von  dem  aufgetrockneten  Weine  herräh* 
re,.eine  Ansicht,  die  der  Verf.  gleichfalls  theilt,  und 
sie  nur  weicläuftiger  entwickelt,  als  es  Refer.  gestat- 
tet war. 

'Nach  diesen  allgemeinen  Erörterungen  geht  der 
Verf.  endlich  zur  Beschreibung  der  Neapolitaner  Kata- 
komben über.  Am  nördlichen  Abhänge  der  Stadt,  un- 
te|*halb  der  Höhen  yon  Capo  di  Monte  befinden  sich 
vier  alte  christliche  Coemeterien,  unter  und  neben  den 
Kirchen  S|-  ViU>,  S.  Severe,  S.  Maria  della  Sanitä  und 
S*  Gennaro  de*  Poveri,  von  denen  jedoch  nur  die  letx- 
teren,  die  Katakomben  des  h.  Januarius  genannt,  noch 
besucht  und  auch  allein  nur  von  unserm  Verf.  ausfuhr- 
lich beschrieben  werden.  Sie  bestehen  aus  zwei  in  ver- 
schiedener Höhe  neben '  einander  liegenden  Stockwer- 
ken, die*  wiederum  aus  mehreren  einander  durchkHu- 
zenden  Gs^ngen  zusammengesetzt  sind:  vor  den  Römi- 
schen zeichnen  sie  sich  durch  gröfsere  Höhe  und  Breite 
der  Gänge  aus,  da  der  Tuffstein,  worin  sie  gehauen, 
«ine  grofsartlgere  Anlage  erlaubte^  als  die  weichere 
Puzzolona,  in  der  die  Römischen  gegraben  sind:  dage- 
gen stehen  sie  den  letzteren  an  Umfang  und  Ausdehnung 
'  nach.  Ihre  weitere  Beschreibung  mögen  unsre  Leser  bei 
dem  Vf.  selbst  nachsehen,  der  ein  ausführliches  und  zu* 
gleich  sehr  anschauliches  Bild  von  ihnen  entwirft,  wo- 
hei  er  alles  genau  verzeichnet,  was  sich  in  ihnen  von 
Ci^mälden  und  Inschriften  noch  vorfindet.  Was  ,ihre 
Geschichte  betrifft,  so  vermuthet  er,  dafs  ihre  ersten 
Anfänge  sich  in  die  Zeiten  der  Verfolgungen  hinauf- 
ziehn,  indem  sich  damals  schon  eine  christliche  Ge- 
meinde zu  Neapel  befinden,  der  eine  besondre  Be- 
gräbnifsstätte  Bedürfnifs  sein  mufste.  Johannes  Diaco- 
nus,  ein  Schriftsteller  des  neunten  Jahrhunderts,  gedenkt 
in  seinen  Lebensbeschreibungen  der  Neapolitaner  Bi- 
schöfe, alter;  nördlich  von  der  Stadt  aufserhalb  dersel- 
ben gelegener  Kirchhöfe,  woran  sich  die  traditionellen 
Nachrichten  der  ältesten  Bischöfe  anknüpfien,  was  mit 
der  Oertlichkeit  unsrer  Katakomben  sehr  wohl  über- 
einstimmen würde.  Dieser  älteren  Zeit  sehreibt  der 
Verfasser  die  Einrichtung'  der  beiden  vorderen  gröbe- 
ren HaUen  des  obern  und  untern  Stockwerks  zu,  in 


denen   er  Veberreste    alter  DeekengemSlde  gefando, 
die  sieh  durch  ihren  Styl  den  alten  ÜVandgemälden  tob 
Pompeji  und  Herkulanum  aDuähem,  und. daher  leicht. 
lieh    aus  so  früher  Zeit  herrühren  dürften.    Referat 
möchte  jedocli  diese  Termuthung  nur  auf  die  vorda« 
Halle  des  obern  Stöckwerks  beschränken,  das  ihm  Ober- 
haupt der  älteste  Theil  der  ganzen  Grabstätte  zu  leii 
scheint,  dem  höchst  wahrscheinlich  erst  später  das  tat- 
tere^ hinzugefügt  wurde.    Hier  befinden  sich  auek  die 
schönen  Deckengemälde  von  Taf.  lY.  und  IT.,  die  ach 
allerdings  in  ihrem  Style   den   besseren  Werkes  1er 
späteren  Kaiserzeit  annähern,  und  daher  leiehtiteh  de« 
dritten  Jahrhundert  angehören  könnten:  was  dagegei 
das  Taf.  III.    wiedergegebene  Deckengemilde  u  dar 
Yorhalle   des  untern  Stockwerks   betriflft,   so  istwoU 
kein  Grund  vorhanden,  es  einer  so  frühen  Zeit  beio- 
legen,  da  wir  in  den  römischen  Katakomben  IhnKds 
Terzierungen  antreflTen,  die  unzweifelhaft  dem  Tieft« 
Jahrhundert  angehören.     Nach    dem   Bischof  kfo^ 
nus,  aus  dem  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts,  der  ii 
dieser  Grabstätte  begraben  war^  wurde  sie  ursprosg* 
lieh  benannt,  bis  im  5tenJahrh.  der  Bischof  JobanDeiL 
die  Gebeine  des  h.  Januarius^  dieses  von  der  Neapoli- 
taner Kirche  so  hoch  verehrten  Märtyrers,  dorthin  ve^ 
setzte,  wo  sie  nun  nach  diesem  benannt  wurde.  Bei 
dieser  Gelegenheit  mochte   dena  auch  die  in  den  Berg 
gehauene  Kirche  entstanden  sein,    welche  sidi  neb« 
dem  Eingange  des  untern  Stockwerks  befindet,  mit  des 
sie  durch  zwei  SeitenthQren  in  Verbindung  gesetzt  iili 
wenigstens  lassen  die  Ueberreste  von  Malerdeo,  die 
sich  in  ihr  noch  erhalten,   daraus  schliefsen,  dals  A 
eine  dem  h.  Januarius  geweihte   Grabkirehe  gewescB* 
In'  ihr  befinden  sich  auch  zwei  Grabnbchen,  in  deaa 
nach  der  Tradition   die  Bisehöfe  Johannes  I.  und  Pan* 
lus  bestattet  sein  sollen.    Dafs  aber  wenigstens  dieeitt 
derselben  kein  bischöfliches  Grab  enthalten  könne,  i^ 
deutlich  das  Gemälde,  womit  sie  verziert  ist,  welelKi 
der  Verf.  Taf.  X.  mittheilt.   .Dasselbe  stellt  nämUeh  i^ 
nen  Bischof  in  seiner  Amtstracht  vor,  mit  eineni  Beili- 
genscheine, zwischen  einer  männlichen  und  weibüdieB 
Figur  stehend,  die  beide  ihre  Hände  anbetend  su  ib» 
emporheben. 


(D«r  Bescblafs  folgt) 


J^  59- 

J  a  h  r  b  u 


f  ü  r 


eher 


w  i  s  s  e  nschaftliche    Kritik 


März  1840. 


lieber  die  ältesten  ckrütlichen  Begröbnifsstätten 
und  bpeondere  die  Katakomben  zu  Neapel  mit 
ihren  Tf^andgemälden.  Ein  Beitrag  zur  chrrst-- 
liehen  Alterthumskunde  ton  Dr.  Christ  Fr. 
Bellermann. 

(S€blttfs.) 

Höchst  wahrscheinlich  sind  daher  die  letzteren  die 
ia  dem  Grabe  ruhenden  Todten  und  nicht  der  Bi- 
-sehof^  der  kein  andrer  als  der  heilige  Januarius  sein 
kanoy  da  sich  ähnliche  Darstellungen  des  Todten  mit 
^  dem  Heiligen,  in  dessen  Nähe  er  bestattet  worden,  öfter 
in  den  Katakomben  finden :  unser  Verf.  selbst  theilt  ein 
solches  Bild,  das  er  in  dem  oberen  Stockwerk  gefunden, 
Taf.  IX.  Nr.  2.  mit  welches  gleichfalls  nach  den  dar- 
auf befindlichen  Ueberschriften  den  h.  Januarius  mit 
^er  Frau  und  einem  Kinde  zur  Seite  darstellt.  Was 
die  andern  Gemfilde  dieser  Grabkirehe  betrifft,  so  ist 
das  Taf.  XJL  mitgetheilte»  dessen  Deutung  der  Yerf. 
nicht  vcnudit  hat,  wohl  lediglich  auf  den  h.  Januarius 
md  den  Diaeon  Sosius  zu  beziehen,  der  mit  ihm  das 
Martyrium  zu  Puteoli  erlitten^  da  das  Gewand  der  neben 
dem  Bischof  stehenden  männlichen  Figur  sie  als  Diacon 
bezeichnet.  Der  Yf.  schreibtdiese  Bilder  Jem Bischof  Pau- 
lus IL  aus  dem  8.  Jahrh.  zu^  den,  wie  Johannes  Diaconus  be- 
lichtet, die  damaligen  kirchlichen  Streitigkeiten  nöthigten, 
seine  Reudenz  in  der  Kirche  des  h.  Januarius  aufzuschla- 
gen. Wiewohl  damit  nicht  unsre  unterirdische  Grabkirche, 
sondern  nur  eine  diesem  Heiligen  oberhalb  der  Erde 
neben  dem  Coemeterium  erbaute  Kirche  gemeint  sein 
kann,  welche  dieser  Bischof  erweiterte  und  verzierte 
Vind  mit  einem  Trielinium  und  einer  marmornen  Tauf- 
kapelle  versah,,  so  vermuthet  doch  der  Verf.,  dafs  sein 
Aufenthalt  daselbst  ihm  Veranlassung  gegeben,  auch  für 
die  Räume  der  Katakomben  zu  sorgen,  und  sie  zu  ver- 
>. zieren  und  mit  Bildern  auszuschmücken,  Indefs  bedarf 
es  enier  .solchen  Annahme  nicht :  nach  der  -  von  dem 

Jahrb.  f.  »iuepich.  Kntik.  J.  1840,  I.  Bd.    . 


Terf.  p.  96  Not.  2  angeführten  Stelle  des  Johannes 
Diaconus  soll  der  Bisohof  Anastasius  I.  aus  dem  9ten 
Jahrhundert  die  ecdesiam  S.  Januarii  in  cubiculo  posi* 
tarn  erneuert  und  darin  die  Bildnisse  der  vornehmsten 
Doctoren  der  Kirche  haben  abmalen  lassen,  worunter, 
wie  unser  Verf.  auch  mit  Recht  annimmt,  nur  die  un« 
terirdische  Grabkirche  unsrer  Katakomben  verstanden 
werden  kann :  warum  sollten  daher  jene  Malereien,  die 
so  deutlich  das  GeprSge  des  9ten  Jahrhunderts  an  sich 
tragen,  nicht  diesem  Bischof  gehören,  von  dem  auch 
leichtlicl^  jene  Bischofsbilder,  deren  Ueberreste  c[^r  Verf. 
in  dem  oberen  Stockwerk  gefunden,  herrQhren  dürften  I 
Was  die  oberhalb  der  Erde  erbaute  Kirche  des  h<  Ja* 
nuarius  betrifft,  so  geht  der  Yerf.  nicht  näher  in  die 
Geschichte  derselben  und  ihre  Yerbinduug  mit  den  Ka- 
takomben ein ,  was  wohl  dem  'Mangel  an  bestimm» 
ten  Nachrichten  darüber  zuzuschreiben  ist.  Gewifs 
ist  sie  sehr  alt,  vielleicht  schon  von  Johannes  I.  er- 
richtet  worden,  ids  dieser  die  Gebeine  des  h.  Januarius 
nach  den  Katakomben  versetzte:  die  Erwähnung  einer 
ecclesia  S.  Januarii  ad  corpus,  die  nach  unserm  Yerf. 
p.  90  seit  dem  5ten  Jahrh.  vorkommt,  diirfte  wohl  eher 
auf  sie,  als,  wie  er  es  thut,  auf  das  unterirdische  Coe- 
meterium zu  beziehen  se^in:  wenigstens  ist  Refer.  nicht 
bekannt,  dafs  man  je  diese  Grabstätten»  sobald  sie  sich 
nicht  an  ein  kirchliches  Gebäude  anschlössen,  ecclesia 
genannt  hätte. 

Seit  dem  9(en  Jahrhundert  verliert  sich  das  Anse- 
hen unsrer  Katakomben.  Die  Gebeine  des  h.  Janua- 
rius hatte  der  longobardische  Herzog  Sico  vqn  Bene- 
vent, als  er  Neapel  im  J.  821  eingenommen,  von  dort 
entführt,  und  die  Ueberreste  der  übrigen  dort  ruhenden 
Bischöfe  und  Heiligen  wurden  nach  Earchen  in  der 
Stadt  gebracht,  um  sie  dadurch  gegen  die  Yerwüstungen 
der  Longobarden  sicher  zu  stellen.  Dadurch  war  aber 
die  Grabstätte  dessen  verlustig  gegangen,  was  ihr  bis  dahin 
Ansehn  und  Bedeutung  gegeben:  sie  hört  daher  seitdem 

59 


467 


BellermanHf  Katakombtn  xu  Neapel, 


auf  6egen;ita]i<l  der  Andacht  un4  Verehrung  su  sdo, 
und  die  Todten,  die  man  bis  zum  9ten  Jabrh.  stets  nur 
in  ihr  begraben  hatte,  werden  von  nun  an  in  den  Kir- 
eben  bestattet.  Zwar  erfaäk  Neapel  später  die  Gebeine 
des  h.  Jaanaritts  wiederum  suruok:  .£ie  wurdop  aber 
nicht  nach  den  Katakomben,  sondern  nach  der  in  der 
Stadt  befindlichen  Domkirche  gebracht.  Damit  jedocli 
das  Andenken  an  diese  Grabstätte  nicht  gänzlich  unter- 
gehe, vereinigte  Bischof  Anastasius  (von  850 — 872)  mit 
der  Kirche  des  h.  Januarius  ein  Benedictinerkloster, 
tvelches  die  Aufsicht  über  die  Katakomben  führen  sollte. 
Indcfs  auch  diels  verfiel :  der  Cardinal  OlivierT  Caraffa, 
der  von  1458  bis  1484  den  erzbischöflichen  Stuhl  von 
Neapel  fnne  hatte,  fand  es  verlassen  und  die  Kirche 
verfallen,  und  stiftete  daselbst  im  Jahre  1474  ein 
Lazareth,  besonders  zu  Aufnahme  von  Pestkranken, 
'  das  er  einer  Laienbruderschaft  Qbergab.  Den  Kata« 
komben  erwuchs  aber  leider  kein  Yortheil  daraus :  viel* 
mehr  wurde  bei  dieser  Gelegenheit  die  verfallene  Kir* 
ehe  des  h.  Januarius  erneuert,  und  zu  diesem  Zweck 
die  Grftber  des  alten  Coemeteriums  ihrer  Marmorin* 
Schriften  beraubt,  um  sie  zum  Pflastern  des  Fulsbodens 
su^verwenden.  Die  weiteren  Schicksale-  dieses  Laza» 
retlis  mögen  unsre  Leser  bei  dem  Terf.  selbst  nach- 
sehen: die  Katakomben  geriethen  Immer  mehr  in  Ter* 
fall,  bis  ^st  in  der  neuesten  Zeit  ihnen  einige  Pflege 
und  Aufmerksamkeit  zu  Theil  geworden  ist :  indefs  die 
wichtigsten  und  bedeutendsten  Denkmäler  «ind  bereits 
Verloren  gegangeUji  so  dafs  nur  wenige  Inschriften  und 
Geipälde  unser  Verf.  noch  vorgefunden  und  in  seinem 
Werke  verzeichnet  hat. 

Zwei  Anhänge  hat  der  Verf.  seiner  Abhandlung 
noch  hinzugefugt,  von  denen  der  erstere,^,,Ober  den  Ur^ 
sprung^  der  Katakomben  in  Italien,*'  die  vielfach  aufge- 
worfene Frage  behandelt,  ob  diese  unterirdischen  Grüfte 
als  eine  christliche  Anlage  zu  betrachten  sind,  oder  oi^ 
sie  einer  vorchristlichen  Zeit  ihren  Ursprung  verdan* 
ken  und  von  den  Christen  ntir  zu  Bestattung  ihrer 
Todten  gebraucht  wurden.  Er  geht  dabei  von  der  rich- 
tigen Ansicht  aus,  dafs  beide  Sitten,  das  Yerbrennen 
und  das  Begraben  der  Todten,  im  Alterthume  neben 
einander  gehen,  woraus  sich  die  vielen  einzelnen  Grä- 
berkammem,  und  gr5fseren  Nekropolen  in  Sicilien,  Ita-- 
fien,  Griechenland  und  Aegypten  erklären,  wobei  er  sehr 
schätzbare  Notizen  über  mehrere  Todtenstädte  Siciliens 
giebt^  die  er  auf  einer  Reise  durch  die  Insel  gesammelt. 


.  .Da  .diese  gans  dieselbe  Einrichtung  haben,  ab  db 
ebristlidien  Coemeterien,  so,  schlielst  er  weiter,  dBifa 
man  annehmen,  dafs,  wenn  die  Entstehung  bestimoMier 
.  Kütakomben  -durch  die  Hände  der  Chrbten  alleia  ach 
.  nidit  ^t  denke»  lasse,  sie  UBSprSngUeh  haidaiteki 
Grabstätten  gewesen,  welche  jene  nur  später  suBesUHi 
tung  ihrer  Todten  benutzt  hätten.  Aehnliche  Zwch 
fei  an  dem  christlichen  Ursprung  dieser  Grüfte  nnl 
schon  von  älteren  Schriftstellern  aufgestellt  woido, 
die  in  ihneii  nur  heidnische  Begräbnibstittai  ir« 
blickten,  in  denen  die  Christen  neben  den  Heidea  ihre 
Todten  beerdigt  hätten,  wobei  man  sich  tbeili  ai{ 
den  gedruckten  und  verfolgten  Zustand  der  iltsitei 
Kirche  bezog,  der  ^^  ausgedehnte  Anlagen  ihr  «v* 
m5glich  gemacht,  theils  aber  auch  darauf,  dab  manii 
ihnen  heidnische  Sepulcralmonumente,  namendieh  Co- 
lumbarien  angetroffen.  So  weit  gebt  nun  unser  Yeri. 
allerdings  nicht:  vielmehr  wird  von  ihm  anerkaant^ vil 
die  Ueberzeugung  von  der  auch  naeh  dem  Tode  foil» 
dauernden  Gemeinschaft  im  Glauben,  die  in  den  tita^ 
sten  Christen  %^  lebendig  hervortrat,  und  der  Gegoi* 
satz  gegen  das  Heidenthum ,  notbwendig  sehr  froh  n 
besondern,  von  den  heidnischen  getrennten  BegräbaÜ^ 
Stätten  fahren  niufsten :  er  nimmt  nur  an,  dafs  maaiidi 
dazu  nicht  blols  verlafsner  Sand-  oder  Tuffgruben,  sos* 
dem  auch  aher  aus  längst  vergangner  Zeit  heriM» 
mender  Hypogäen,  die  alle  religiöse  Beziehung  ^umh 
schon  verloren,  bedient,  und  sie  zu  christliolien  CoeM^ 
terien  eingerichtet  hätte.  Kann  man  diefs  audi  ii 
Allgemeinen  dem  Verf.  unbedenkUeh  sugeben,  so  wilde 
doch  nur  bei  solchen  Katakomben  ein  vorcbiistüdiff 
Ursprung. anzunehmen  sein,  die  sich  durch  ihren  8^ 
unzweifelhaft  als  Denkmäler  eines  hohem  Aiteitfanak 
bekunden ,  wie  diefs  vidieicht  bei  den  zu  Syracui  be^ 
findlichen  der  Fall  sein  mag,  von  denen  Referent  iceiBe 
nähere  Kenntnif«  hat  Unser  Verf.  bleibt  aber  dsba 
nicht  stehen :  indem  er  die  wichtigsten  der  in  ItsB« 
vorhandenen  Katakombe^  durchgeht,  um  ihren  Unpnnf 
festzustellen,  sind  es  jene  vorhin  angeAbrten  Thaiis^ 
eben,  die  i|^n  besonders  dabei  leiten,  nSmlich  das  V» 
handensein  von  iieidnischen  Sepuleralmonumenten,  oi 
der  bedeutende  Umfang  sowie  dieGrd&e  dieser €nift>i 
welche  die  Annahme  ihrer  ohrisUichen  Entstebong  id^ 
möglich  machen.  Beide  kdnnen  aber  M^^  xosAa  als  <ioiu* 
und  bestimmte  Criterlen  gebiraittdit  werden:  dena  wü 
die  erste  dieser  Thatsachen  betrifft,  so  hatten  nod  die 


BelUrmmmy  KfOüJkümißn  stu  Neapel.- 


BSmiMkhkn  KtSrnt  iMi  CooMaiiün  dAs  Z^»torett  v<m 
C^aUenknilMm    unter    Androhung    von    Geldstrafen 
ötrang  irerbofen:  alieb  man  daber  bei  Erweiterung  von 
CSoenieterien  auf  Columbarien   und  heidbiacbd  Gräber, 
an  Uieb  niehta  andera  übrig,  als  sie  in  den  Umfang  der- 
ialbeii  mit  aufaunehmen.  ■  Was  dagegen  die  sweite  be« 
triffi»  aa  gelieren  freilieh   die  ersten  Anfänge  bei  den 
■imten  dieser.  Grßfte  der  älteren  Zeit  der  Verfolgung 
lioeh  aar  au  dem  greisen  Umfange  und  der  Ausdehnung 
sdber,  in  der  wir  täß  jetzt  erbliolcen»  gelangten  sie  erst 
^rah  die  Erweiterungen  des  4.   und  5.  Jahrhunderts, 
Mö  dafs  sie  ihrem  grobten  Bestandtbeil  naeh  dieser  spä* 
ton  Zeit  angeboren,  in    welcher  die  Kirche  dflfentliche 
Anerkennung  im  Staat  erhalten,  und  dergleichen  Ar- 
beiten nicht  heimlich  Torsunehmeh  brauchte*    Ja  auch 
aelbat  während  der  ersten  drei  Jahrhunderte  gab  es  Pe- 
AedßA  der  Ruhe  und  des  Friedens  für  die  Gemeinden, 
in  denen  sie  nicht  ndthig  hatten,  sich  dem  Auge  der 
Welt  au  Terbergea,  und  ihre  Grabstätten  Öffentlich  an* 
l^en  konnten;  dala.  diese  der  heidnischen   Obrigkeit 
sogar  bekannt  waren,  beweisen  Zeugnisse  bei  Eusebius 
und  TertulUan,  wonach  einzelne  Verfolgungen  damit 
begannen,  dafs  die  Coemeterien  geschlossen,  und  die 
Veftammlungen  in  ihnen  Torboten  wurden.  Daher  kann 
niekt  Greise  und  Umfang  der  Grabstätten,  sondern  ledig- 
lich der  Styl,  der  sich  in  dem  ganzen  Bau  kund  giebt^ 
ida  alcheres  Criterium  einer  vorchrbtliehen  Anlage  be<- . 
Irilehtet  werden.    Yen  jenen  Voraussetzungen  nun  aus« 
gebend,  glaubt  unser  Verf.  den  Neapolitaner  Katalcom- 
4ben  des  heilig«  Januarius  einen  vorchristlichen  Ursprung 
Tindiciren  zu  mQssen,  indem   9,ihr  grobarligerer  und 
planvollerer  Bau  an  eine  Zeit  au  denken  nöthige,  wo 
ria  aolehes  Y(i^erk  nicht  versteckt,  noch  von  einer  ge- 
ringen Anzahl  flieliender  Menschen,  sondern  von  einer 
grofsen,  freien  und  an  Hulfsmitteln  reichen  Population 
aoageführt  werden  konnte/*    ladi-m  hier  seine  gesunde 
Critik  ihn  die  Träumereien  älterer  Antiquare ,  die  in 
ihnen  ein  .Werk  der  homerischen  Kyaunerier  oder  ei- 
nen Theil  der  unter  dem  Namen  Aquae  Juliae  bekani>- 
ten  antiken  Wasserleitung  erbliclrten,  verwerfen  macht, 
bilt  er  «e  fili:  eine  griechische  Nelcrepole,  die,  nachdem 
durch  das  Eindringen  Römischer  Sitte  und  Lebensweise 
der  Gebrauch  des  Verbrennena   bei  der  Todtenbestat- 
tung  überwiegend  geworden ,  le0r  und  verlassen  dage- 
atand^i«   und  deren  sich  nun  die  Christen  als    Grab- 
ttSHte  be4ient  hätten.    ]>em  widerspricht  aber  der  Styl 


470 

dea  ganzen  Baus^der  nicht  auf  die  Bliitbezeit  griechi- 
.aeher  Architektur,  wie  es  pach  der  Annahme  des  Verf. 
der  Fall  sein  mulste,  sondern  auf  das  4.  und  5.  Jahr^ 
himdert  nach  Christus  hinweist  Referent  will  hier  nur 
an  das  dreifache  Säulenthor  im  oberen  Stodoverk  er- 
innem,    wovon  der  Verf.  eine  Abbildung  in  Taf.  l, 
liefert^  das  mit  seinen  auf  Pfeilern  ruhenden  Bendbögen 
wohl  der  späteren  Kaiserzeit    angehören    k^nn,   aber 
nicht  einem  Denlcmate    altgriechischer  Baukunst,  der 
bekanntlich  Rundbögen  fremd  sind.    Wir  besitzen  da* 
her  in  jenen  Katakomben  unzweifelhaft  ein  christliches 
Werk,  das  in  seinen  ersten  Anfängen  deni  3.  Jahrhun- 
dert, seinem  gröfsten  Bestandtbeil  nach  wohl  aber  dem 
4.  und  5.  angehört.    Denn  höher  als  das  3.  Jahrhunr 
dort  ist  der  erste  Ursprung  dieser  Grüfte   wohl  nicht 
hinaufzuröcken^   da  am  Anfang   desselben  der  Bischof 
Agrippinos  starb  und   in  ihnen  bestattet  wurde ,  was 
gewi&  die  erste  Veranlassung  zu  ihrer  Entstehung  ge- 
wesen: wenigstens  läfst  die  vorhin  angeführte  'Tliat- 
sache^  dafs  das  Coemeterium  anfänglich  nach  ihm  he* 
nannt  wurde,  darauf  schliefsen.    Mehr  als  die  vordere 
Halle  des  obem  Stockwerks,  worin  sich  die  tr^iBichen 
Deckengemälde  von  Taf.  IV.  und  V.  befinden,  mochte 
wohl  der  ursprunglichen  Anlage  niclit  angehören ,  so 
dafs  der  übrige  Theil  des  obem  und  das  ganze  untere 
Stockwerk  erst  durch  spätere  Erweiterungen  hinzage* 
fugt  sind.    Was  diese  Vermutbung  bestätigt,  sind  die 
Denkmäler^  die  der  Verf.  hier  noch  angetroffen:  sie  ge- 
hören alle  dem  4.,  5.  oder  6.  Jahrhundert  an,  woraus 
man  schliefsen  Icann,  dafs  di^  Gänge  selbst  kein  höhe«- 
res   Alter   haben.     Daher   können   diese   Katakomben 
auch  nicht  die  älteste  Grabstätte  der  Neapolitaner  Ge- 
meinde gewesen  sem:  viehnehr  möchte  Referent  daHlr 
das  Coemeterium  bei  der  Kirche  8.  Maria  della  Sanitj^, 
von  dem  der  Verf.  p.  111.  ausführlichere  Nachrichten 
mittheilt,    halten    welches    durch   seine    unregelmäfsi- 
gere   Form  sein  höheres  Alter  bekundet     Erst  nach* 
dem  die  Gebeine  des  heiligen  Januarius  nach  unsern 
Katakomben  versetzt  waren,   verdunkelte  ihr  Ansehn 
das  der  andern  Grabstätten,  so  dafs  die  Andacht  der 
Gemeinde  sich  besonders  auf  aie  hinrichtete  j  und  di^ 
Todten  vorzugsweise  in  ihnen  bestattet  wurden ^  wes- 
wegen auch   der  gröfste.  Theil   derselben  erst    dieser 
spätem  Zeit  angehören  mag. 

Der  zweite  Anhang    betrifft  ieinen  in  dem  obem 
Stockwerk  befindlichen  Stein  von  cylindrischer  Gestalt, 


471  ^  Uebelen^  ESerAard  der  Erlauehiey  Oraf  von  tVüriemberg. 

mit '  einer  grieehischen  und  Iiebr8}9cli6n  Inschrift ,.  der     Theils  nur  in  Umrissen,  dodi  so 


unzweifelhaft  ein  Machwerk  neuerer  Zeit  ist,  und  nach 
des  Verf.  sehr  wahrscheinlicher  Vermuthung  der  von 
den  filteren  Antiquaren  aufgestellten  Hypothese,  dab 
diese  ^Katakomben  ein  Werk  der  homerbchen  Kymme- 
rler  wären,  seine  Entstehung  verdankt. 

Schlierslich  mufs  Referent  noch  lobend  der  treff- 
lichen Ausstattung  des  Buchs  gedenken,  die  namentlich 
In  Betreff  dec  Kupfertafeln  nichts  zu.  wünschen  übrig 
läfst:  besonders  dankendwerth  ist  es,  dafs  bei  den 
Gemälden  nicht  blos  die  Umrisse  der  Figuren,  sondern 
auch  die  Farben  wiedergegeben  sind,  itodurch  dem 
Leser  eine  genauere  Einsicht  In  den  Styl  derselben  ge- 
währt wird,  als  diefs  bei  den  weniger  sorgsamen  Nach- 
bildungen in  den  Werken  über  die  Romischen  Kata- 
komben der  Fall  ist. 

RöstelL 


X^XVI. 

Eberhard  der  Erlauchte^  Graf  ton  Würtem- 
herg.  Ein  geschichtliches  Bild  ton  Dr.  Georg 
Uebeleny  Professor  und  Rehtor  des  Königl. 
Gymnasiums  in  Stuttgart  u.  s.  tr.  Stuttgart^ 
1839.  Verlag  der  J.  B.  Metzler'schen  Buch- 
handlung.   116  8:    8. 

Yoi^gonannte  Monographie  gibt  uns  nicht  sowohl 
eine  Lebensbeschreibung^  als  ein  „geschichtliches  Bild" 
des  Grafen  Eberhand  des  Erlauchten,  eines  der  merk- 
würdigsten Charaktere  der  altem  würtembergischen 
Geschichte.  Die  Beschaffenheit  des  Stoffes  erlaubte  dem 
Verf.  nicht,  sich  jene  umfassendere  Aufgabe  eu  stellen. 
Denn  obgleich  neuerlich  durch  mehrere  bisher  nicht 
bekannte  Notizen  yermehrt,  reichten  die  darüber  vor- 
handenen 'kürzeren  oder  längeren  historbchen  Daten 
glcjchwol  nicht  hin,  das,  worin  sich  das  individuelle 
Leben  jenes  Mannes  in  seiner  Zeit  ausspricht^  in  eini- 
germafsen  genügender  Weise  darzulegen.  So  hat  sich 
denn  der  Yerf.  mit  der  geringem  Aufgabe  begnügen 
müssen,  diese  Notizen  in  einem  organischen,  durch  Zeit 
und  Verhältnissld  motivirten  Zusammenhang  zu  vereini- 
gen und  aus  ihnen  cfin  Bild  von  Eberhard  zu  entwer- 
fen,  dessen   einzelne   Partieen,    wenn    auch    grdfsten 


471 

sind,  dftli 

sich  ein  iu  gewissen  Ilauptzügen  wohl  untersclieidbarrr, 
origineller  und  in  seiner  Eigenthümlichkeit  merkwfiri» 
ger  Charakter  erkennen  läfst  Und  selbst  aaeh  m 
Losung  dieser  Aufgabe  mufste  manche  Lücke  des  Stof* 
fes  durch  Yermuthungen  ausgefulU  werden,  die  jedock 
meistens  als  zum  Theil  nothwendige  Folgerungen  m 
Thatsachen  gezogen  sind.  Indem  wir  nun  sehen  woL 
Jen,  in  wiefern  dies  Alles  dem  Yerf.  gelungen  iit,  wok 
len  wir  zugleich  mit  Rücksicht  auf  die  Tendenz  dieiai 
Blätter  vorzugsweise  die  Beziehungen  Eberhards  u 
den  allgemeinen  Verhältnissen  Deutschlands  ins  Aoge 
fassen. 

Graf  Eberhard  —  „Gottes  Freund,  aUer  Wek 
Feind !"  —  wird  uns  hier  von  vorn  herein  als  eintkn 
so  kräftiger,  kriegslustiger,  wildtapferer  ab  kluger  ui 
praktisch  yerständiger  Mann  geschildert,  der  den  benli 
von  seinem  Yater  Ulrich  mit  dem  Daumen  gefab^ 
ten  und  in  der  Ausführung  glücklich  begonnenen  Plf% 
Würtemberg  hoher  emporzubringen,  mit  richtigem  TiM 
und  aufsergewöhnlicher  Besonnenheit  zu  verfolgen  wobt«; 

.Was  wir  nun  zunächst  über  die  Geburt  untcif 
Helden,  seinen  filtern  Bruder  Ulrich,  durch  dessen  fruhea. 
Tod  im  J.  1279  eigentlich  erst  Eberh.  zu  jener  beM- 
samen  Stellung  gelangte,  sowie  über  den  Anfang  seiner 
selbstthfitigen  Wirksamkeit  in  den  nächsten  GJaJMDi 
den  drei  ersten  Abschnitten  —  das  ganze  Werkchei 
ist  nftmlich  in  36  grofsere  und  kleinere  Abschnitte  eil» 
getheilt  -^  erfahren,  beruht  vielfach  auf  blofsen  Asnih* 
men  und  Rückschlüssen,  die  indefs  nicht  ohne  jedeimaligi 
historische  Basis  dastehen.     . 

Einen  festeren  historischen  Boden  gewinnt^der  TIL 
erst  mit  dem  J.  1286,  in  welchem  Eberh.,  obgleich  cfH 
20  Jahr  alt,  als  Haupt  einer  grofsen  Partei  schwSbifchcr 
Grafen  und  Herren,  dem  Versuche  K.  Rudolfs,  die  den 
Reiche  und  dem  Herzogthume  Schwaben  entsogeod 
Güter  wieder  zurückzubringen,  mit  Macht  entgegenliitt 
Der  Yerf.  beschrankt  sich  hier'  zu  sehr  auf  die  Anfuk* 
rung  der  allgemeineren,  auch  in  andern  Theilen  ta 
deutschen  Reichs  stattfindenden  Verhältnisse ;  wenigstoi 
hätten  wir  hier  eine  speciellere  Darstellung  der  eigent* 
liehen  Verhältnisse  Schwabens^  namentlich  als  eheaaii* 
ges  Herzogthum,  gewünscht. 


(Der  Beschlufs  folgt.) 


wissen 


Jahrbuch e 

für 

schaftlich 


e    Kritik» 


März  1840. 


Eberiard  der  Erlauchte  y  Ormf  roi»<  fFartem- 
berg.  Ein  getckichtiiches  Bäd  tarn  Dr.  Georg 
Vebelen. 

(Schlaa) 

Die  einxebieii  Begebenheiten  der  beiden  Kriege 
Bit  K.  Rudolf  (128|  und  1287)  tuid  gröfsten  Theils 
der  Smdelfingtr  Chronik  in  Hmugs  Torsuglicber  Be« 
arbeltong  entnommen*.  Am  Ende  des  swehea  Kriegs 
Iconunt  dne  völlige  und  dauernde  Subne*  zwisehen  dem 
KSnige  und  Grafen  und  deren  beiderseitigen  Helfern 
tu  Stande  \  —  offenbar,  weil  man  Eberhard ,  dem  man 
beim  froheren  Friedensseliliisse  im  Jahre  1286,  weä 
nuin  ihn  nur  Air  einen  jungen  unbesonnenen  und  un« 
hadeutenden  Mensehen  gehalten,  allzustrenge  Bedingung 
gen  gesetzt  hatte,  diesmal  aueh  wiehtige  Zugeständnisse 
machte.  Worin  dieselben  bestanden,  Iftfst  der  Verfasser 
fürs  Erste  unbesthnmt;  dagegen  hebt  er  mit  besonderer 
Badentnng  die  AnerkMnung  des  Werthes  hervor,  weK 
che  Rudolf  dem  jung«&  Eberhard  dadurch  bewies,  dafs 
er  in  der  Sühne  ausdrücldieh  von  ihm  verlangte,  künf- 
ti^  dem  Reiehe  -getreu  s«  sein  und  durch  nützliche 
Diefiste  wieder  gut  zu  machen,  was  er  seither  demsel^ 
ben  rawider  gethan. 

Jene  2}ugestfindnisse  konnten  aber,  wie  auch  Fttrst 
UchMwky  in  seiner  „Geschichle  des  Hauses  Habs- 
burg"  1.9  341.  bemerkt,  nur  in  dem  Versprechen  beste- 
hen, das  Herzogthum  Sehwaben  nicht  wieder  herzu- 
stellen« .Die  Andeutung  dieses  umfassenderen  und 
intsressanterw  Motim  von  Eberhards  jeut  beginnender 
£q;ebenheit  und  Folgsamkeit  bringt  «war  der  Verfasser 
bn  feigenden  Abschnitt»  theils  im  Text,  theils  selbst  in 
emek  gr&Ciem  Note,  nach*;  es  hätte  aber  nadi  den  For^ 
demogen  der  pragmatischen  Gesdiichtsdarstellung  das» 
selbe  nicht  Mos  vorangestellt,  sondern  auch  dem  gan^ 

ioM.  /  tmuMtK  Kriäk.  J.  184a    h  Bd. 


sen  Verlauf  der  Dinge  zu  Grunde  gdegt  werden 
mfissen«  Die  wichtige  Folge  dieser  Wendung  der  Dinge 
wird  dagegen  nach  Gebühr  hervorgehoben:  Eberhard 
wurde  nämlich  dadurch  gesetzlich  der  erste  reichsuH» 
mittelbare  Graf  von  Würtemberg,  und  mit  erlaubtem 
Selbstgefühl  konnte  er  sich  sagen,  dafs  durch  seine  An* 
strengungen  hauptsächlich  dieses  fär  sein  Haus  und  alle 
schwäbischen  Grofsen  so  bedeutende  Ereignifs  herbei* 
geführt  worden  sei« 

Wir  könnten  jetzt  wieder  an  der 'Erzählung  von 
der  Fehde  Eberhards  mit  dem  Grafen  Albreeht  von 
Uohenberg  und  deren  gleich  darauf  folgender  vöUigeni 
Versöhnung  denselben  Fehler  des  Hysteron-Proterons 
ragen ;  denn*  auch  hier  folgt  die  Erörterung  der  Ver* 
hältniise,  aus  welchen  diese  Begebenheit  gani  eigent- 
lich hervorging,  erst  nach  derselben. 

Eberhard  erwirbt  hierauf  die  Schurmvogtei  aber 
di6  Klöster  Loreh  und  Addberg,  und  zeigt  hier- 
mit seinen  Nachkommen  den  Weg,  welchen  sie  in 
Bezug  auf  die  Klöster  um  sie  herum  zu  gehen 
hätten,  und  welchen  zu  gehen  diese  Nächkommen 
auch  nicht  versäumt  haben.  Ueberdiers  steht  Graf 
Eberhard  um  diese  Zeit  mit  dem  benachbarten  Efs- 
lingen  trotz  der  frftheran  Kämpfe  tan  bebten  Verhält- 
nine.  ~  Gut  und  freundschaftlich  ist  auch  Anfangs 
das  Vernehmen  zwischen  Eberhard  und  dem  im  Jahre 
1292  gewählten  K.  Adolf;  er  folgte  ihm  sogar  1294 
nach  ThQrlngen  und  diente  ihm  dort  m  seiner  nicht 
sehr  rOhmlicben  Sache;  aber  sett  1297  fafste  Adolf 
Miistranen  gegen  Eberhard,  als  ob  auch  er  der  Thron- 
erhebung Hersog  Albrechts  mit  sehiem  eiflrigst  dafOr 
wirkenden  Schwager  Albfecht  von  Hohenberg  züge* 
tban  sei.  Ob  Eberhard  aber  VflrklÜDh  so  frei  von 
Schuld,  ob  er  wirklicfa  nur  duieh  Adolfs  vorhergegan- 
gene Ungunst  sum  Abfall  gezwungen  gewesen!   Aueh 

60 


475  UebelcHj  Eberhard  der  BrluueAtej  €hrof  von  W^rtemberg.  476 

Eberbard  focht  mit  den  Seinen   in  der  SehUcht  am     gethan  worde,  die  Eberhard  über  die  ihm  anverdnu. 
Hasenbühel  bei  Oppenheim  1298,  in  welcher  Adolf  er-  *  ten  Reichspflegämter  abzulegen  hatte.     Der  Verfasser 


.  % 


schlagen  ward. 

Bis  zum  Jahre  1304  herrscht  wieder  das  beste  Yer- 
nehmen  mit  K.  Albrecbt  L^  der  Eberhard  alle  möglichen 
Vortheile,  namentlich  aber' die  mit  Hohenbergs  Tode 
eiiedigte  Landvogtei  in  Nieder  •  Schwaben  zuwandte. 
In  dem  genannten  Jahre  aber  trat  durch  Verletzung 
gegenseitiger  Interessen  die  erste  Spannung  ein,  wel- 
ciie  indefs  diesmal  noch  zu  beiderseitiger  Zufriedenheit 
in  demselben  Jahre  beigelegt  wurde.  Eberhard  beglei- 
tete darauf  den  König  auf  dem  in  dieses  Jahr  fallen- 
den Zug  gegen  König  Wenzel  II.  \on  Höhnten.  D«r 
Verfasser  entscheidet  sich  hier  mit  Recht  nach  den  Re- 
gesten bei  Lichnowsky  für  dieses  Jahr,  während  die 
würtembergischen  Geschichtschreiber  annehmen,  dieser 
böhmische  Feldzug  Albrechts  falle  ins  Jahr  1303  oder  in 
den- Winter  130|.  Es  hätte  indefs  der  Untersuchung 
bedurft,  ob  die  beiden  Urkunden  (Nr.  449  und  450  bei 
LiehnawBJky)  wirklich  in  dieses  Jahr  oder  in  das  fol- 
gende fallen;  was  Bohtner  in  seinen  ^JRege^ien.  ron 
Konrad  I.  bis  Heinrich  VU."  S.  271  .und  272  zweifei. 
haft  macht.  Denn  was  jetzt  in  jener  Urkunde ,  wie 
Ltichnotoeky  sagt,  ^^augenscheinlich,"  4)der  wie  unser 
Yerfasser,  ,, wahrscheinlich"  dem  Grafen  als  ,,Sold''  für 
den  beyorstehenden  Feldzug  gegeben  wird,  erscliieue 
dann  als  verdiente  Belohnung  fiir  geleistete  Dienste 
und  zugleich  als  Zeichen  fortdauernden  Wohlwollens« 
•  Die  Landvogtei  in  Nieder  «Schwaben  \aX  es  nun, 
welche  durch  die  mancherlei  bedeutenden  Erwerbungen, 
wozu  sie  dem  Grafen  die  Mittel  gab,  so  wie  sie  schon 
das  erste  Mal  das  gute  Vernehmen  zwischen  Albrecht 
und  Eberhard  gestört  hatte  9  1305  aufs  Neue  au  Irrun- 
gen und  zuletzt  gar  zum  förmlichen  Kriege  führte.  Mit 
Recht  hält  hier  der  Verfasser  (s.  Note  5  zu^  Abschnitt 
14.)  an  dem  Jahre  1305  fest,  während  nach  Angabe  der 
Ellwäfiger  Chronik  die  würtembergischen  Geschichts- 
bücher diesen  Kriefg  in  den  Anfang  des  Jahres  1304 
•setzen ;  welcher  Irrtbum  dann  wieder  die  Folge  hatte, 
dafs  auch,' wie  oben  bemerkt,  der;  bobmische  Feldzug  des 
Jahres  1304.  von  denselben  vorangeschoben  wurde. 

Der  Winter  unterbrach  für  dies  Mal  den  Krieg 
des  Königs  mit  dem  Grafen,  und  am  17.  April  13Q6 
kam  es  zu  Nürnberg  zu  einem  Vertrage  xwischen  bei- 
den, worin  insbesondere  der  Rechnungen  Erwähnung 


läfst  sich  hier  ein  sehr  starkes  Versehen  zu  Seiiuljen 
kommen!  Naelidem  er  die  darüber  ausgestellte  UrkoBde 
nach  den  Regesten  bei  ZtieAtioweky  citirt  hat,  ü$  n 
den  Wunsch  hinzu,  „es  möchte  der  volle  Inhalt  dloier 
Urkunde  bekannt  sein."  Und  —  Beilage  D.  N.  XX- 
welches  Citat  Hr.  Uebelen  auf  das  k.  k.  geh6ialei^ 
chiv  bezog!  —  ist  wirklich  diese  Urkunde  in  elUno 
mitgethcilt!  Wir  erfahren  dadurch  allerdings,  daü  diese 
Sühne  eine  voUkommne  und  ganze  sein  sollte  bsI  mk 
auf  hoch  mehrere,  alle  im  Einzelnen  angeführte,  Fuid« 
erstreckte.  — 

Aber  Eberhard  blieb  gleichwohl  seit  diesem  Kriege 
unversöhnt  mit  Albrecht,  von  dessen  Herrsch-  ddJ 
Habsucht  gerade  er  früher  oder  später  das  ScbliiMite 
fürchten  zu  müssen  glaubte ;  und  im  August  1307  ritt 
er  offen  und  rücksichtslos  als  besoldeter  BundesgeDOHe 
des  Königs  Heinrich  von  Böhmen  gegen  AlLreeht  9kL 
Mit  Freude  kehrt  er  von  da,  wie  die  Itemcktmii 
Kap.  800.  bezeugt,  auf  die  Kunde  von  der  £nnoriiB| 
seines  gefürchteten  Feindes  (l.  Mai  1308)  m  die  nu 
gesicherte  Heimath  zurück;  aber  ihm  nun  mit  JUfii* 
nowikjf  III,  280  u.  285  auch  nur  mittelbaren  Aotkdl 
an  dieser  grausen  That  durch  Aufhetzen  zuzuscluvi* 
ben,  widerstrttubt  sieh  der  Verfasser  mit  Jlecht,  d«it 
der  Reimchronik,  der  einzigen  Quelle,  welche  Uch- 
nowsky  dafür  anführt,  Kapitel  780  Keineswegs  isw^ 
sondern  nur  von  feindlicher  Entgegenwirkung  in  AI* 
gemeinen  die  Rede  ist,  und  da  dieser  Anschuldigiag 
alle  übrigen  persönlichen  Verhältnisse,  besonders  ak 
der  zu  solcher  Tücke  durchaus  unfäiiige  Charakter  dii 
Grafen,  geradezu  widersprechen. ' 

Ebenso  wird  mit  Recht  die  in  alle  würtembergiieki 
Geschichibücher  und  auch  in  Pfister's  Geschichte  i» 
Teutsohen  III.  S.  126  übergegangene  Annahme,  dali 
Graf  Eberh.  Aussichten  auf  die  deutsche  Krone  gehaU» 
als  einzig  und  allein  auf  einer  falsch  verstandeDen  Stdb 
einer  lat.  Urkunde  (abgedr.  in  Sai^er,  Gesoh.  WurtaB^« 
unter  den  Grafen  1.  No.  42.)  beruhend,  als  uegeseUek^ 
lieh  verworfen.  Sein  trotziges  Benehmen  aber  g^ 
den  neugewfthlten  K.  Heinr.  v.  Luxemburg  auf  deifO 
erstem  Reichstage  zu  Spder  1309  sudit  der  V£  haif^ 
sachlich  aus  dem  Motive  hersoleilen,  dafs  die  danth 
sehen  kund   gewordene   Absieht  Heinr.  VU.  ««^  ^ 


m 


üeie/eny  EAerAard  der  ßrlaueite^  Orafvon'  fFürUmierg. 


478 


£rW6rbiiii$  B5hmQD8  für  seinen  Sohn  Jobann  den  Gra* 
iMi  Eberh.  als  treuen  und  eifrigen  ^Anhänger  des  da- 
'  maligen  Inhabers  dieser  Krone,  Heinn  y.  K&rnthen,  in 
ifotnisoh  habe  bringen  müssen;  auch   müsse  man  än- 
i^ehmen,  dafs^  die  ganze  speiersehe  Geschichte  für  Eberb. 
eine  ganz  andere  Wendung  genommen  hätte,  wenn  er 
sich  in  den  böhmischen  Angelegenheiten  nicht  ebenso 
'entschieden  erklärt  hätte,  als  früher  über  die  Klagen 
der  schwäbischen  Reichsstädte ;  jedenfalls  werde  Eberfa. 
verkannt,  wenn  man  in  seinem  Benehmen  gegenüber 
Ton  Hernr.  YII.  nur  Trotz  und  Uebermuth  finde.    Der 
"Verf.  mag  darin  Recht  haben,  Eberh.  Benehmen  aus 
den   beiden  Motiven  —  der  Bundestreue  und  dem  Va- 
sallentrotze—  zu  erklären ;  nur  gewinnt  es  unserer  An- 
sieht  nach  zu    sehr   den  Anschein  partheiischer  Vor- 
liebe, das  edlere  Motiv,  Ton  dem  doch  die  Geschichts- 
^ Quellen    als   solchem  gänzlich  schweigen,   als  das  bei 
weitem  vorherrschende  hervorzuheben.  Auch  ist  es  offen- 
bar zunächst   nur   die   laut   bezeigte  Nichtachtung  der 
'kuserüchen  Würde  Heinr.  VII.,  Welche  die  anwesen- 
den Fürsten  veranlast,  den  Grafen  für  einen  Feind  des 
-Reichs  zu  erklären,    welcher  durch  Waffengewalt  in 
'Ordnung  zu  bringen  sei.    Dab  da^iit  indefs  die  fSrmli-^ 
^  ^lie   Reiöhsaeht  ausgesprochen   gewesen  sei,  bestreitet 
der   Verf.  S.  74  gegen  den  speierer  Chronisten  Leh^ 
mann* 
~      ,    Der,  jedoch  erst  in  den  J.  1311,  12  und  13,  hier- 
ans  folgende  Krieg,  in  welchem  zuletzt  das  ganze  wur- 
iMtinbergisehe  Unterland,   das  Stammgut  nebst  Allem, 
was  seit  zwei  Blenschenaltem  daran  angewachsen,  ver- 
loren  ging,   ist  —  ziemlich  gedrängt  —  nach  Sattler 
und  Pfi%ter  erzählt    Ebenso  der  problematische  Krieg 
im  würtembergischen  Oberland,  unter  Anführung  der 
Söhne  Eberh.;   nur   erlaubt  sich  der  Verf.  diese   ge- 
schichtliche Hypothese  unbedenklich  in  die  Darstellung 
selbst  aufzunehmen^  „weil   sie  als  nothwendige  Folge 
aus  den  gegebenen  Verhältnissen  und  einigen  entschie- 
denen Thatsachen  hervorgehe  und  sich  auf  diese  Weise 
selbst  zur  Thatsache  steigere.**    Wir  hätten  gewünscht, 
dafs    wenigstens    die  Beweisstellen  für   den    wirklich 
Ton  den  oberländischen  Städten   zur  Vertfieidigung  ih- 
res Herrn  geführten  Krieg,  weil  auf  denselben  wohl  das 
Melsfe  beruht,  beigefügt  worden  wären. 

Nach  den  gewohnlichen  zuTsrläfsigen  Quellen  wird 
sodann  eraählt,   wie  von  Heinrichs  VII.  Tode  bis  zur 


zwiespaltigen  KaiserwaU.  für  Graf  Eberhard  wieder 
eine  bessere  Wendung  der  Dinge  eintrat  und  ihm  eine 
fast  völlige  Wiederherstellung  seines  früheren  Anse- 
hens- möglich  machte,  wie  sich  Eberhard  darauf  An- 
fange  zu  Ludwig  hielt,  und  erst,  nachdem  Efslingen 
von  Friedrich  abgefallen  war,  zu  diesem  übertraf,  und 
wie  er  endlich  nach  vergeblichen  gemeinsamen  Befeh» 
düngen  dieser  Stadt  auf  günstige  Bedingungen  hin  im 
Jahr  1316  einen  Frieden  mit  derselben  schlofs,  weU 
chen  er  mit  sorglichem  Sinn  zu  neuen  Erwerbungen 
und  Yergröfserungen  seiner  Macht,  besonders  durch 
fortgesetzte  zum  Theil  -sehr  bedeutende  Ankäufe,  be- 
nutzte. 

Auch  die  nächstfolgenden  Begebenheiten^  welche 
sich  auf  Eberhards  fernere  Parteinahme  für  Friedrich 
bis  zum  Jahre  1323,  so  wie  auf  seinen  nach  dieser 
Zeit  erfolgten  Uebertritt  zu  König  Ludwig  beziehen, 
sind,  so  weit  ,sie  gleichfalls  auf  denselben  Quellen  bei 
Sattler^  Pfaff  und  Pßater  beruhen,  sicher  und  ge- 
nügend documentirt;  aber  der  Verfasser  erlaubt  sich, 
einen  nicht  unbedeutenden  Theil  derselben  auf  die  blo- 
£ien  Regesten  bei  Ldchmntfsky  -^  nicht  etwa  blos  ih- 
rer chronologischen  Folge,  sondern  selbst  ihrem  innern 
Zusammenhange  nach  —  zu  begründen,  anstatt  sich  — 
was  für  eine  Monographie  wie  vorliegende  ein  durch- 
aus nothwendiges  und  wohl  auch  erreichbares  Requisit 
gewesen  wäre  —  vollständige  Abschriften  der  bezügli- 
chen Urkunden  selbst  zu  verschaffen;  ja  S.  87  läfst 
sich  der  -Verfasser  durch  die  vagen  Ausdrücke  Lich- 
nowsky's  in  Bezug  auf  den  zwischen  Karl  IV.  von 
Frankreich  und  Leopold  wegen  melirerer  schwäbischer 
Grafen,  insbesondere  des  Grafen  von  Würtemberg, 
zu  Bar  -  sür  •  Aube  getroffenen  Yertrag  sogar  verlei- 
ten, eine  in  den  Blättern  für  literarUche  ünterh. 
1837  Nr.  77.  anonym  mitgetheilte  Hihaltsangabe  jener 
Urkunde,  trotz  ihrer  ganz  unangemessenen  modernen 
Fassung,  als  Quelle  zu  citiren  (!). . 

Ein  „Rückblick  auf  die  Politik  Graf  Eberhards  in 
Bezug  auf  die  teutschen  Könige,^'  welchen  der  Verfas- 
ser etwas  steif  mit  dem  Satze:  „Mit  Graf  Eberhards 
Uebertritt  zu  Ludwig  dem  Baier  schliefst  sich  dessen 
politischer  Gang  gegenüber  von  den  Königen  Teutsch- 
lands** einleitet,  soll  dazu  dienen,  das  öftere  Uebertre- 
ten  Eberhards  von  einer  Partei  zur  andern  aus  dem 
Standpuncte  der  Politik  zu  rechtfertigen.    Und  in  der 


479 


U^eUth  Eterhmrd  4er  EthmdUe^  Qruf  m«  VFüriemierg^ 


m 


That,  es  UCrt  tich  fuglioh  luehts  ^g^gea  einwenden : 
es  wnr  die  Zeit,  Üi  welelier  die  Füisten  Deutsehlands 
allgemein  von  deni  egoietisdien  Streben  nach  Landes- 
hoheit erfBllt  waren  und  sieh,  fast  einiig  nur  ihrett 
Vortheil  im  Auge,  stets  der  Seite  suwandten,  woher 
rie  sidi  eine  Befriedigung  derselben  verspreehen  durf«> 
ten$.  wer  da  nieht  sugriff,  lief  Gefahr  unterzugehen; 
Eberhard  sah  dies  mit  volllcommenster  Klarheit  ein 
und  handelte  mit  alier  Energie  darnach ;  —  wer  wollte 
Ihn  ^—  etwa  im  Geiste  des  früheren  Ritterthums,  das 
jetst  nirgends  mehr  bestand  —  defshalb  tadeln  und 
nicht  vielmehr  der  praetisehen  Klugheit  wegen,  nüt  der 
er  vor  allen  andern  kleinem  Fürsten  seine  Zeit  be» 
griff,  lobend  anerkennen  t  -— 

Die  noch  übrigen  8  Abschnitte  sind  hauptsädhlich 
loealhistorischen  Inhalts,  doch  sind  einige  darunter  von 
allgemeinerem  Interesse*  Sie  betreffen  unter  andern: 
die  Erhebung  Stuttgarts  aus  einem  unbedeutenden  Win- 
serstädtchen Bur  schnell  emporkommenden  Residenzstadt 
(wahrscheinlich  schon  seit  dem  Jahre  1316);  die  bald 
darauf  (1321)  erfolgte  Verlegung  des  Chorherrenstifts 
cum  heiligen  E>eu8,  nebst  dem  damit  verbundenen  Erb* 
begräbnifs,  von  dem  offnen  Orte  Beutelspach  nach  dem 
wohl  befestigten  Stuttgart ;  die  Üntheilbarkeit  der  Hen> 
Schaft  als  Grui^dsatz  des  Grafen,  den  er  zwar  nirgends 
als  fönnliches  Yermächtnifs  und  Gesetz  fttr  seine  Nach- 

* 

kommen  aussprach,  aber  darum  nicht  minder  entsehie* 
den  in  seinen  Handlugen  und  Worten  zu  erkennen 
gab  und  von  der  seine  späfteren  Nachkommen  nur  zu 
ihrem  grofseu  Naehtheile  auf  eine  kurze  Zeit  abwi- 
chen; Graf  Eberhards  Regierungseinrichtungen,  welclie 


freilich  meist  von.  seinen  personliehen  und  iHimHi^i^i^ 
Einwirkungen  abhingen ;  die  in  Folge  der  ewiges  da» 
uals  so  verbeerenden  Kriege  nichts  weniger  sls  erfre«. 
liehe  Lage  seiner  Unterthanen;  die  in  der  Regel  seht 
onfaehe  und  solide  Einrichtung  seines  fiirstlicb«D  H^ 
fes,  welche  indeb  einzelne  Beispiele  splendiden  Ast 
l^ands  nicht  aussehlois ;  das  Ende  Graf  Eberhard«  (9^ 
Juni  1325).  ~  Einen  eignen  Abschnitt  hätten  gewib 
auch  die  Finanzangelegenheiten  Eberhards  rerdicn^ 
worauf  unser  Verfasser  nur  gelegentlieh,  nasMitlidi 
S.  81  bei  den  Ankäufen  desselbm  nach  d^  FiiedeB 
1316,  Rfioksicht  nimmt«  Denn  sicher  gehört  nnlfs  al- 
len Seiten  dieses  Mannes  diele  mit  zu  den  Blerkw8^ 
digsten ,  dafs  er ,  der  sein  ganzes  Leben  hindarch  ia 
stete  kostspielige  Fehden  verwickelt^  ^ar,  dureh  eim 
solche'  Masse  von  Erwerbungen  sein  Land  unaullA^ 
lieh  vergröfsem  und  überall  mit  baarem  Gelde  laiika 
konnte.  Es  ist  dies  jedenfalls  nieht  nur  eb  ZaspiDi 
für  die  Güte  des  Landes,  sondern  eben  sowel  auehür 
Eberhards  ausgezeichnete  staatswirtbsohaftlidie  Tli»' 
tigkeit. 

Der  letzte  (35.)  Abschnitt  ^^die  altM  Ulrieiie  oai 
Eberharde"  schliefst  mit  dem  Gedanken»  dab  ohne  db 
Grafen  Ulrich  mit  d«n  Daumen,  Graf  Eberbaid  dia 
Erlauchten,  Graf  Ulrich  IIL,  Graf  Eberhard  den  <M 
ner  —  Vater,  Sohn,  Enkel  und  Urenkel  —  an  «nb 
wQrtembergischen.  Staat  nicht  zu  denken  wäre.  «Sie 
warCm  die  Grundlage  und  wurden  die  Väffcr  deeaelbca; 
und  von  ihnen  stammt  in  gerader,  nie  untwbro^iaei 
Mannslinie  das  Königliehe  Haus  WQrlembeig/ 

Dr.  Georg  Lange,  in  Weins« 


JiS  61. 

J  a  h  r  b  fi 

u  r 


.1 


eher 


wissenschaftliche    Kritik. 


April  1840- 


XXXVII. 

System  der  Pkysiohgie  ron  Dr.  C.  O.  Carus. 
JSrster  Theil  1838.  Zweiter  Thi^il  1S39.  Dres- 
den und  Leipzig  bei  Fleischer. 

Dieses  Werk  ist  bereits  Ton  einem  andern  Beur- 
theiler  in  diesen  Jalirbuehem  angezeigt  worden.  Aber 
«B  ist  so  reichhaltig  an  neuen  und  nicht  selten  glQcIcli- 
riien  Gedanken  ^  dafs  eine  zweite  Anzeige  nicht  ganz 
tibeiAtt£rfg  seheiiit.  Man  glaubt  zwar  mit  dem  Verf. 
beim  ersten  Blicke  durchaus  uneinig  zu  sein,  aber  venn 
man  die  mahlerische  Darstellung  desselben  auf  eine  be- 
0tinttttte  bringt,  so  findet  man  sich  mit  ihm  meistens 
einverstanden,  und  die  zuerst  entstandene  Unzufrieden- 
heit, verwandelt  sich  in  Beifall.^  Dazu  kommt  noch  ein 
Umstand.  Der  Verf.  hat,  wie  fast  alle  deutschen  Phy- 
siologen, eine  wahre  Gespeiisterfurcht  vor  der  Physik 
und  besonders  der  Mechanik,  so  dafs  er  sich  immerfort 
bestrebt  AusdrOcke  zu  finden,  die  eine  Entfernung  von 
mechanisehen  Erklärungen  anzeigen  sollen;  sp  ist  vom 
Leben  des  Gefäfssystems^  Ton  den  Lebenserscheinungen 
des  Dickdarms  u.  dgl.  m.  die  Rede,  wo  der  Ausdruck 
Leben  höchst  unbestimmt,  und  ganz  ttberflufsig  ist,  da 
die  Physiologie  nur  vom  Leben  handelt.  In  Deutsch- 
land ut  es  gar  nicht  nothig  die  Naturforscher  von  me- 
chanischen Erklärungen  abzulenken,  vielmehr  von  der 
Sucht  die  Gegenstande  mit  einem  idealischen  Spinnge- 
webe zu  überspbmen,  Welches  bald  ein  anderer  Physio- 
loge wegbläst,  um  ein  neues  Netz,  auszubreiten.  In 
Frankreich  ist  die  Sache  anders,  aber  den  französi- 
schen Naturforschern  muls  man  bestimmt  zeigen,  wohin 
sie  ibre  Sucht  führt,  mechaniscbe  Erklärungen  zu  ge- 
ben. Der  Yerf.  •  wünscht  sogar,  indem  er  von  der 
Stimme  im  zweiten  Theile^redet,  dafs  man  eine  mecha- 
nische Physiologie  zusammenstellen  möge,  wobei  man 
sieht,  \rie  grofs. sein  Eifer  für  Wahrheit  ut,  indem 
sein  Hafs  des  Mecbaniieben  ihn  hier  verliUst.    An  vie* 

Jahrb.  /.  wUunteh.  Kritik^  /.  1840.    I.  Bd. 


len  Stellen  in  der  Pliysiologie  kann  man  gar  wohl  mit 
der  Mechanik  'anfangen,  denn  die  meisten  Leliren  der- 
selben stellen  fest  genug,  wie  die  Lehren  vom  Hebel, 
Fall  der  Körper,  Gleichgewicht  der  tropfbaren  Körper 
u.  a.  m.,   nur  mufs   man   die  Grenze  nicht  übersehen, 
über  die  keine  Mechanik  reicht    Doch  wir  wollen  .uns 
bei   diesen  Nebensachen  nicht  aufhalten,  und  sogleich 
zu  dem  Begriff  vom  Leben  übergehen,  welcher  der  gan- 
zen Physiologie  zum   Grunde  liegt.    Der  Verf.  findet 
in  dem  Act,  den  wir  Leben  nennen,'  zwei  Momente, 
als  unerläfsliche  Bedingungen,  zuerst  nämlich  eine 'bald 
gröfsere,   bald  kleinere  Menge  verschiedener  Zustände 
in  bald  langsamem  bal4  schnellem^  Wcfchsel,  dann,  da(s 
alle  j^ue  Zustände,   alle  jene   Mannigfaltigkeit   nicht 
verschiedenen  Wesen  angehören,  sondern  dafs  sie  Zur 
stände  eines  alle  jene  Mannigfaltigkeit  bedingenden  und 
verknüpfenden' Wesens,  einer  Einheit  sind.    Sehr  rich- 
tig $  aber  es  läfst  sich   bestimmter  fassen.    An  jedem 
Dinge  unterscheiden  wir  ein  Inneres  und  ein  Aeufse-  , 
res.     Jenes   ist  die  vom  Verf.   geforderte  Einheit,  wel- 
che  die  Mannigfaltigkeit  verknüpft,    in  dem  Aeufsem 
kann  nur  eine  bald  kleinere  bald  gröfsere  Menge  ver^ 
schiedener  Zustände  in  bald  langsam^^rm,  bald  sclinellerm 
Wechsel  Statt  finden.    Zustände  im  Wechsel  sind  Ver- 
änderungen,   iind   äufsere  Veränderung  ist  Bewegung« 
Wir  haben  also  die  höchst  einfache  Definition:  Leben 
eines  Körpers  ist  Bewegung,  die  von  dem  Innern  des-, 
selben  abhängt.     Im  Gegentheil,  hängt  die  Bewegung 
eines  Körpers  ganz  vom  äufsern  Körper  ab,.so  nennen 
wir  ihn  leblos.     Es  kommt  hier  nicht  darauf  an,  ob  es 
leblose  Körper  giebt,  es  ist  hier  nur  um  den  Begriff  zu 
thun.    Der  VerT.  sagt  selbst  weiter  unten  ganz  richtig, 
die  Bewegung  sei  eine  primitive  Eigenschaft  und  ein 
wesentliches  Kennzeichen  alles  Xebendigen,  nur  mufs 
hinzugesetzt  werden,  sofern  sie  von   dem  Lebendigen 
selbst  abhängt.    Ein  Mensch,  Tvelcher  fällt,  ist  in  die- 
ser Bücksicht  leblos,  wenn  er  sich  diircli  Anstrengung 

61 


483  Caru9^  Systim 

Tom  Falle  rettet,  ist  er  lebendig««  Wir  wollen  dem 
Verf.  gern  sngeben,  dafs  der  Begriif  von  absoluter 
Ruhe  von  allem  Organischen,  upd  sonacli  (?)  vqn  aller 
'WekeMcheiniing  überhaupt,  ausgeschlessen  bleibe,  nur 
wollen  wir  die  relative  Ruhe  nicht  vergessen«  Was 
der  Yerf.  (allerdings  nur  in  einer  Anmerkung)  voa 
den  verschiedenen  Philosophieen  sagt,  und  von  der  im 
reinen  Sinne  theosophischen,  welche  im  Erfassen  der 
Urbilder,  Platonischer  Ideen  bestehen  soll,  und  welche 
allen  andern  vorgezogen  wird,  mag  er  vor  der  Philoso- 
phie verantworten.  Die  Idee  könne  nicht  an  sich  er- 
scheinen,  sondern  nur  an  Etwas  von  der  Idee  verschie- 
denem Seienden,  einem  Sein,  welclies  an  sich  gestalllos 
durch  die  Idee  erst  wirklicii  werde.  Das  ,  wird  dem 
T^rf.  kein  Philosoph  aufs  Wort  glauben.  Dieses  Sein 
liennt  der  Verf.  (nach  Oken)  Aether.  Die  Idee,  fährt 
er  fort,  könne  nur  am 'Aether  cur  Bxisten;  kommen 
und  der  Aether  nur,  indem  er  durch  die  Idee  polari- 
sirt  werde,  zur  Erscheinung  als  ein  Wirkliches  gelan- 
ge. Wie  kann  ein  blofs '  äufseres  Verhältnifs,  was 
nur  auf  quantitative  Unterschiede  führt,  wie  die  Po- 
larisation, etwas  zur  Erscheinung  bringen!  "VV^ie  kann 
man  die  Idee  so  beschrähken,  dafs  man  ihr  ein  so  ein- 
fael^es  Geschäft  giebt,  wie  das  Polarisiren!  Der  Yerf. 
hat  sich  von  einer  Naturphilosophie  verführen  lassen, 
die  AU^s  nur  auf  quantitative  Unterschiede  bringt.  Mit 
Recht  tadelt  der  Terf.  den  Gegensatz  von  Materie  und 
Kraft,  aber  die  einfache  Folgerung,  dafs  Kraft  von  Ma- 
terie nicht  verschieden  sei,  übergebt  er  um  zu  sagen, 
die  Kraft  sei  Nichts.  Dieses  .bringt  ihn  um  ein  treff- 
liches Wort,  verschieden  erscheinende  Thätigkeiteh  auf 
Kräfte  oder  Grandthätigkeiten^  zurückzuführen.  Nach- 
dem der  Verf.  diejenigen  getadelt,  welche  einigen  Or- 
ganislnen  die  Lebendigkeit  abgesprochen  und  dafür  in 
ihnen  eine  todte  Kraft  angenommen,  nachdem  man  un* 
willig  auf  ihn  geworden,  dab  er  bei  dieser  Untersu- 
chung nicht  einmal  die  neuere  Philosophie  gehörig 
kennt,  dio  doch  immer  in  seinen  philosophischen  Nebeln 
durchscheint,  viel  weniger  die  Physik,  die  man  doch 
beachten  mufs,  trifft  man  auf  einen  sehr  treffenden 
und  lichten  Gedanken,  nämlich  dea  Uutecschied  des  ma- 
nifesten  und  latenten  Lebens«  Der  Verf.  hat  diesen 
Gedanken  schon  früher  geäufsert,  und  dafür  so  wie  hier 
als  Beweise  den  Macrobiotus  von  Schnitze  angeführt, 
ferner  die  Lebenshemmung,  welche  Tiiiereier  und  Pflan- 
zensanien  erfahren,  und  was  man  an  Krankheitskeimen 


difr  Pkynolögie.  481 

beobachtet.  Gewifs*  ist  es,  daJGs  dieThiereier  unlPflaa. 
zensamen  die  treffendsten  Beweise  dafür  geben,  lo  dsb 
wir  den  zweifelhaften  Macrobiotus  und  die  msaehei 
Einwürfen  lausgesetzten  Krankheitskeime  übersebei 
können.  Die  Folgen  dieses  Unterschiedet  smd  suIm^ 
ordentlich  grofs  und  verbreiten  sich  über  einen  grotwi 
Theil  der  Physiologie.  Das  Leben  kann  nicht  au  ei- 
nem Korper  in  den  andern  übergehn;  es  ist  tdion 
darin,  aber  verborgen,  und  wird  erst  in  der  Betrnd* 
tung  geweckt,  worauf  es  dann  fortfahrt  sich  zu  äa&erB, 
oder  zufällig  eine  Hemmung  wiederuiii  erfährt,  mt  ik 
Eier  der  Vögel  und  anderer  Thiere  und  die  Samen  der 
Pflanzen.  Auch  zeigt  sich  hier  sogleich  ein  tJnte^ 
terschied  zwischen  Leben  und  Leblosigkeit.  Die  Kräl^ 
welche  die  Materie  constituiren,  die  anziehende  vndii 
zuriickstofsende  Kraft  wirken  immerfort,  auch  weonaii 
gehemmt  werden  in  ihren  Aeufserungen,  sie  ziehsn  bo> 
ständig  andere  Körper  an,  auch  wenn  diese  zviüdcge» 
halten  werden  und  nicht  folgen,  sie  stofsen  bcstisd^ 
zurück,  auch  wenn  sie  die  Körper  nicht  forttreibe^ 
sie  sind  leblose  Kräfte,  aber  das  Leben,  oder  dimr 
Inbegriff  von  Thätigkeiten  und  Kräften  ^  die  im  Leb« 
zur  Einheit  kommen ,  äufsert^  sich  In  jenem  latentii 
Zustande  durchaus  nicl^t,  es  ist  und  bleibt  verborge^ 
bis  es  geweckt  wird.  -  Erbhrungsmäfsig  kann  diese  £^ 
weckung  des  Lebens  nur  in  einigen  Körpern  genb» 
hen,  in  solchen  die  aus  Sauerstoff,  Stickstoff,  Walle^ 
Stoff  und  Sauerstoff  zusammengesetzt  sind,  aber  danm 
wollen  wir  jenes  latente  Leben  nicht  andern  Koipen 
absprechen ;  e^  hindert  uns  nicht  anzunehmen,  dab 
überall  Leben  verborgen  sei.  —  Der  Verf.  hat  du 
Wort  nach  dem  Worte  latente  Wä^rme  gebitdet,  gast 
zweckmäfsig,  obwohl  die  Wärme,  auch  latent, ünsMr 
durch  eine  äuCsere  Anziehung  gebunden  wird,  fol|lidi 
immer  wirkt  und  also  zu  den  leblosen  Körpern  st 
rechnen  ist,  da  man  hingegen  an  dem  mhendon  Eeinf, 
nicht  den  geringsten  Grund  findet,  eipe  Hemmung  diirdi 
äufsere  Wirkungen  anzunehmen,  ander«  nämlich,  sk 
dafs  diesem  ruhendem  Keime  die  Mittel  entzogen  we^ 
den,  sieh  zu  äufsern.  Bei  den  ruhenden  leblosen  K&r* 
pern  hemmt  ein  positives  HindemiTs,  4>et  den  seblafeB* 
den  lebenden  aber  ein  negatives.  Befriedigt  hisdnrdi 
wollen  wir  schnell  darüber  weggehen,  was  der  Vett 
von  dem  kosmischen,  dem  tellurisehen  und  dem  epiiel» 
lurischen  Leben  sagt.  Es  sind  geistvolle  Ansichten,  aber 
es  kann  solcher  geistvollen  Ansichten  noeh  gar  viele  (i* 


ke«y  imd  M  kmuBL  M  gAr  leicht  ta  viele  geben  in  Wie- 
■emchftfleni  wo  wir  gewohnt  sind,  die  Wahrheit  der 
Natur  SU  suelien,  die  vne  nieht  durch  die  Wahrheit  dee 
Gmimakmia  ereetst  wird.  Auch  von  dem,  was  der  *¥£• 
Aber  das  Leben  der  Menechheit  sagt,  läfst  sich  das- 
selbe sagen»  Die  Mensehenstftmme  müsse  man,  meint 
isr>  mit  Naehweisung  eines  hohem  Grundes  bestimmen, 
Süd  dem  sufolge  theilt  er  die  Mensehen  in  Tag-  und 
NaeiH*MMischen,  Europäer  und  Neger,  und  in  Morgen- 
mkl  Abenddammerungs  -  Mensehen,  Mongolen,  Malayen, 
ÜMMlostaner  and  Amerilcaner.  Wir  wollen  nicht  rü- 
fS^iOy  dafs  die  Zusammenstellung  der  Mongolen  mit  den 
Halayien  und  Hindostanem  eine  ganz  falsche  ist,  und 
fragen  nur:  Warum  theilt  er  die  Menschen  nicht  in 
sieben  Stämme,  nach  den  sieben  Wochentagen,  den 
Tagen  einer  Hondsphase,  f  Oder  noch  besser  in  Sauer* 
steff- Menschen,  Wasserstoff •  M. ,  iCoblenstoff - M.,  und 
Stickstoff-Menschen  t  Dab  die  Neger. Kohlenstoff-Men- 
acben  aind,  fällt  in  die  Augen,  und  die  übrigen  werden 
sieh  aehon  fugen  müssen.  0er  beliebten  Zahl  Yier  su 
Gefallen,  trenpt  der  Verf.  den  Menschen  als  ein  eige* 
nmB  Naturreich  von  den  übrigen  Naturreichen»  Er  meint, 
siaaiand  wurde^  wenn  er  den  hohen  Kreis  eines  edlen, 
geaeUigen,  durch  Künste  und  Wissenschaft  geschmück- 
ten Ijabens  sieh  vorstellt,  bei  dem  Zusammenleben  ge- 
Uldater  Personen  an  Thierheit  denken.  Auch  nieht  auf 
einer  Hoebseitt  —  Der  Verf.  kommt  hierauf  sur  Ent- 
steh iipg  des  Menschen,  und  nun  ist  er  vorzüglich  in  sei- 
nen  Fache.  Der  Mensch  entsteht,  sagt  er,  als  ein  nur 
nikroskopiscbes,  nicht  mit  blofsem  Auge  erkennbares, 
eiaCoflfige  UrbQdtfngsflüssigkeit  einschliebendes  Eibläs-^ 
dien  von  rein  sphärischer  Gestalt.  Dieser  Sats  ist 
dureh  die  Forschungen  von  Prevost  und  Dumas,  vor* 
aOglicli  aber  durch  v.  Bär,  Purkiuje  und  Valentin  fest- 
matellt.  Sinnreich  und  treffend  seut  der  Verf.  hinzu: 
Dsis  £lblischen  entsteht  fwar  nicht  selbst  durch  Her« 
vorwachsen  aus  der  Zellenwand  des  Eierstocks,  sondern 
BttCtelst  einer  dnreh  neue  frei  in  Eiflüssigkeit  erfolgende 
Oeriiinung  oder  KrystalllMition ;  allein  diese  Bildung 
vriwl,  wie  durch  ein  Vorbild  oder  eine  Matrix,  bedingt 
d«i«h  oine  dem  Ovarium  angehorige  und  aus  ihm  her^ 
vorgegangene  Blasenbildung,  die  des  calyx  oder  foUicu. 
lue«  Bor  Mensch  und  so  das,  Thier  mufs  folglich  als 
ein  in  sich  Neugebildetes  betrachtet  werden.  Bei  den 
Pfiaasen,  meint  der  Verfasser,  scheine  das  Eibläsehen, 
seinen  eigenen   Untersuchungen   sufolge,    mehr    eine 


fortgebildete  Zelle  der  Mutterpflanse,  als  ein  Neu» 
gebildetes.  Referent  glaubt  aber,  ebenfalls  nach  ei* 
genen  Untersuchungen,  dals  es  hier,  wie  im  Thier* 
reiche  sugehe.  Die  erste  Lebensform  des  Menschen 
erscheint  als  ein  aus  dem  Urbläschen,  "Dotterbläscben 
und  Chorion  bestehendes  Ei,  dessen  Durchmesser  den  ' 
eines  menschlichen  Blutkörperchens  etwa  um  das  12 
bis  14fache  übertrifft,  nach  den  Messungen  des  Verf. 
EU  einem  Blutkörperchen  sich  verhalt  wie  360  :  12.  ^ 
Eine  Reihe  von  10  bis  40  Jahren  liegen  diese  Bläschen, 
die  Keime  künftiger  Menschen,  in  einem  latenten  LfC- 
ben,  ohne  eine  bedeutende  Veränderung  zu  erleiden, 
denn  schon  früher  hat  der  Verf.  gezeigt,  dafs  im  Kinde 
das  Ei  bald  nach  der  Geburt  sich  schon  eben  so  ver»» ' 
hält,  wie  Im  mannbaren  Vl^eibe.  Durch  die  Geschlechts« 
Vereinigung,  durch  die  Befruchtung,  wird  erst  das  la- 
tente Leben  ein  offenbares!  Die  Entwickelung  des  Eies 
wird  nun  von  dem  Verf.  vortrefflich  dargestellt,  und 
durch  in  den  Text  eingedruckte  Holzschnitte  erläutert. 
Ueber  das  bekannte  Gesetz,  dafs  der  Mensch  in  seinem 
Fötalleben  die  {Uasseii  niederer  Thiere  durchlaufen 
müsse,  drückt  sich  der  Verf.  sehr  behutsam  aus.  Der 
Fötalmensch,  sagt  er,  mufs,  indem  er  als  Ganzes  sich 
ausbildet,  und  als  Embryo  sich  sur  menschlidien  Bxi* 
stenz  verbereitet,  mehrere  Umbildungen  yoUenden,  wel« 
che,  dieweil  alle  durchzubildenden  Zustände  niedriger 
sind,  nothwendig  an  tiefere  Stufen  epituUurischer  und 
namentlich  thierischer  Organismen  vielfaltig  erinnern, 
und  dieselben  im  gewissen  Sinne  wiederhohlen.  Es 
liegt  abo  nach  dem,  was  hier  der  Verf.  sagt,  doch  in 

^  dem  Zwecke  der  Natur,  im  Durchgange  durch  die  Thier- 
heit Menschen  zu  bilden,  und  es  wurde  daher  zu  em*. 
pfehlen  seht,  die  Thierformen  aufzusuchen,  wovon 
durchaus  keine  Spur  im  Menschenfötus  vorkommt,  in« 
dem  man  diese  ab. Ausschweifungen   der  Natur,    ab 

.  Abweichungen  vom  rechten  Wege,  betrachten  könnte* 
Bei  der  Ernährung  des  Fotalmienschen  kommt  der  VerL 
auf  Dutroehet's  Endosmose  und  Exosmose,  die  er  für 
ein  Ur-Phänomen  hält.  Dieses  scheint  uns  ein'  zu  ra* 
scher  Schlufs,  noch  mehr  aber,  wenn  der  Verf.  vom 
Schaffen  neuer  Substanzen  redet,  und  sagt,  man  könne 
dieses  am  volbtändigsten  wahrnehmen,  wenn  man  Erb- 
sen und  Bohnen  unter  eine  Glasglocke,  abgeschlossen 
von  der  Luft,  in  destillirtem  Wasser  wachsen  lasser 
lacge  Keime  würden  sieh  entwickeln,  und  in  ihnen  viel 
Kohlenstoff,  Kalium  u.  s.  w.,  welche  in  kleiner  Menge 


487 

nur  im  Samen  waren«  Nein,  so  rasch  geht  daa  nieht ; 
«ans  Ton  der  Luft  abgeschlossen,  mit  luftleerem  Was^ 
ser  benetste  Keime  wachi^/^n  nicht.  Es  ist  so  viel  fiber 
diesen  Gegenstand  versudit  und  geschrieben  worden, 
«lafs  der  Verf.  den  Satz  nicht  so  geradehin  stellen 
konnte.  Wir  müssen  fibergehen,  was  der  Verf.  voa 
dem  Yerhältnirs  der  Organe  su  einander,  von  der  Me^ 
tamorphose,  der  chronologischen,  wie  er  sie  nennt,  und 
der  synchronistischen  sagt,  wie  jedes  Organ  eine  Wie- 
derholung des  andern  und  endlich  des  ersten,  des  Ei- 
bläsohens  sei.  In  Allem,  was  hier  der  Verf.  sagt,  liegt 
so  viel  tief  Aufgefabtes,  dafs  sein  Buch,  wenn  es  auch 
nicht  zum  Betfalt  zwingt,  doch  eine  Fülle  von  Gedan- 
ken  erregt.  Weiter  geht  der  Yerf.  fort  zum  Yerhält- 
lüGs  des  Mensdien  zum  Menschen  und  zur  äursern  Na* 
tur,  zU  den  Lebensperioden,  zu  den  Lebensstörungen 
und  zum  Sterben  desselben.  Allenthalben, .  wo  der  Verf. 
in  den  Grenzen  der  Physiologie  bleibt,  folgt  man  ihm 
gern  und  willig,  unwillig  aber  wird  man,  wo  er  in  die 
Physik  und  Geologie  übergeht,  oder  wo  er  den  Makro- 
kosmos'  herbeiruft.  So  spricht  er  von  dem  Druck  der 
Atmosphäre  als  unbedeutend  in  seiner  Wirkung  auf  den 
organischen  Körper,  ohne  zu  bedenken ,  dafs  die  Wir- 
kung bedeutend  Hein  mufs ,  wenn  die  im  Blut  und  an- 
dem  Säften  enthaltene  Luft  beim  Fallen  des  Barometers 
sich  auszudehnen  und  zu  entwickeln  strebt.  So  meint 
er,  jeder  Organismus  habe  seine  eigenthGmliche  Wärme, 
auch  die  Erde  in  ihrem  Erdenleben.  Warum  das  erste, 
und  woher  «reifs  der  Verf.  das  zweite!  Die  Erde  kann 
ja  im  Innern  glühend  sein,  einen  Periodismus  des  Ver» 
{»rennens  im  Innern  haben,  was  wissen  wir !  Ein  höchst 
sonderbares  Reden  ist  das  vom  Makrokosmos  über* 
haiipt,  wir  kennen  davon  einige  höchst  einfache,  voll- 
kommen zu  berechnende  Bewegungen  der  Himmelskör- 
per, die  ebenfalls  einfache  Gestalt  einiger  weniger  sol- 


CaruM^  System  der  PAjfeiehgie. 


486 

zwar  von  der  Bildung  und  WiederauflSsmig  organi. 
scher  Substanz,  wie  sie  ah  jedem  Punkte  des  MBMb 
liehen  Organismus  aus  parenoiiymatAser  Orbüdungiflii. 
sigkeit  von  Statten  geht,  und  von  den  ersten,  allgeaiii 
verbreiteten  Concentrationen  dieser  FlQssigkeh  su  fett 
und  Zellstoff.  Reiner  Eistoff,  sagt  der  Verf.,  bt  ch 
Ideal,  welcher  als  solcher  nirgends  vorkommt,  deoniii* 
mer  mufste  er  natürlich  da,  wo  wir  ihn  etwa  imlk» 
tersuchung  auswählen,  zuvor  schon  in  irgend  Btwu 
differentürt  sein,  indem  er  nicht  zu  .denken  wive,  dne 
der  Idee  irgend  eines  besondern  Organismus  zu  ttmen, 
d.  i.  schon  ein  bestimmt  «-  wenn  auch  noch  so  feil- 
modificirter  Eistoff  zu  sein.  Also  der  Eistoff  i|t  eil 
einfacher  Körper,  nach  der  Vorstellung  des  Verf.  Aket 
warum?  Uafs  Leben  in  irgend  einem  Stoffe,*  wotia« 
rulite,  erregt  H'erden  kann,  ist  die  Lehre  des  Veit, 
welcher  Referent  seinen  vollen  Beifall  giebt,  dais  akr 
dieses  In  einer  Monade  erregte  Leben  sogleidi  ia  n* 
dern  Monaden  weiter  Leben  erregen  mufs,  wenn  mk 
in  eine^n  geringern  Grade,  zeigt  die  ganze  Bttdong  in 
organischen  Körpers,  und  eben  so,  dafs  sieb  das  L^ 
ben  nicht  in  allen  Korpern  erregen  lasse ,  wenigitiM, 
dafs  dieses  sehr  schwer  »el  Wenn  nun  also  ia  des 
Kohlenstoffe,  oder  wo  es  sein  mag,  des  Eiwellses  Le> 
ben  erregt  wird,  so  müssen  die  leicht  zum  Lekea  «^ 
regbaren  andern  Stoffe  desselben  nahe  sein,  ohnewdcli« 
das  Leben  nicht  zu  einem  organisch  bildendea  Lehn 
werden  kann^  Das  ideaiische  Eiwets  ist  also  sar  eil 
fantastisches.  Der  Verf.  sagt  8.  13  Anm. :  „Die  HiT* 
siologie  mu£s  es  sehr  empfinden,  dals  die  Ciitaiiefli 
immer  noch  abgelehnt  bat,  eine  Naturgeseliieto  tbr 
Elemente  zu  werden,  in  dem  Sinne,-  die  Entwickdaig 
derselben  kennen  zu  lernen,  und  immer  noch  weMfr 
lieh  „Scheidekunst**  geblieben  ist ^  es  fehlen  uns  dabr 
noch    insbesondere    darüber    genaue    wissenschafdiek 


eher  Körper,  und  ihr  Leuchten.     Das  ist  Alles !    Weit  •  Untersuchungen,  wie  mehrere  heterogene  Elemente  «a 


erhabner  als  dieses  ist  das  Winden  des  kleinsten  Wur- 
mes Im  Staube  und  in  das  Innerste  und  Kleinste  kehrt 
die  Unendlichkeit  ei«. 

In  dem  zweiten  Theile   handelt    der  Verf.    zuerst 
Ton  der  Sphäre  des  Bildungslebens  im  Menschen,  und 


einem  urspriinglich  Homogenen  hervorgehen  kiaan» 
—  Die  Physiologie  hat  einstweilen  auch  hierüber  IW- 
saohen  gesammelt,  und  insbesondere  hat  auch  in  dicüf 
Beziehung  die  Geschichte  der  Entwiokelung  des  Ekf 
manches  Wichtige  geliefert. 


^er  Beschluß  folgt) 


c^  62. 

Jahrbuch 


e  r 


für 


w^  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik« 


April  1840. 


m 


Sjfstem  der  Physiologie  von  Dr.   C.  O.  Carus. 

(Schlafs.) 

„Am  Hühnerei  htt  man  niipUch  mit  Bestimmtheit 
gesehen,  dafs  wenn  das  unbebrutete  Ei  in  sömem  al- 
lerdings schon  .sehr  differenten  Eistoff  einen  höchst 
unbedeutenden  Antheil  an  Calcium  xeigt  (nach  Ber- 
selius  Chemie  übersetzt  y.  Wdhier  B.  4.  S.  547  ent- 
halt  der  Eistoff  vor  der  Bebrotung  nur  0,98  Kalk* 
erde),  dagegen  das  Skelet  de4  reifen  Hühnchens  im  Ei 
diese  Menge  Calcium  sehr  bedeutend  gesteigert  zeigt, 
(nach  den  Tabellen  a.  a.  O.  bis  3,96  Kaliierde).  Eben 
so  findet  sich  beim,  in  reinem  Wasser  sich  entifvickeln- 
den  Froscbei  eine  ähnliche  Kalkentstehung  und  glei- 
cherweise ist  bekannt,  wie  auffallend  deutlich  jedes 
aufkeimende  Samenkorn  Kohlenstoff  und  Kalium  neu- 
kUdet  —  Haben  wir  nun  einmal  erkannt,  die  Forlbil. 
düng  eines  jeglichen  Organismus  wiederhohle  nur  im- 
mer-?on  neuem  seine  erste  Erzeugung  und  müssen  wir 
uns.  durchaus  davon  überzeugen,  dafs,  was  auch  an 
Yersehiedenen  Theilen  in  unserm  Organismus  gebildet 
w«rde,  nothwendig  allemal  aus  jenem  Urstoff  —  Ei- 
stoff —  hervorgehen,  durch  Differenziirung  aus  ibm 
eich  etttwickeln  müsse,  so  dürfen  wir  wohl  sagen,  daTs 
ib  dieser  Beziehung  die  Physiologie  der  Chemie  um 
einen  groben  Schritt  voraus  sei  ntfd  dürfen  letztere 
•inladen,  ihrerseits  diese  Metamorphose  der  Stoffe  selbst 
sorgfältiger  zu  beachten,  welches  jedoch  kaum  anders 
als  dann  wird  geschehen  können,  wenn  sie  sieh  erst 
Ton  der  wesentlichen  Eiberleiheit  des  sogenannten  Phy* 
alkalischen  und  Organischen  überzeugt  haben  wird." 
E«  war  nöthig  die  ganze  Stelle  hierher  zu  setzen,  weil 
ger  Terfasser  darin  ungewöhnlich  dogmatisch  .ver/ährt. 
Nicht  Berzelius,  sondern  Prout  sagt  a.  a.  O.  „Wenn 
siber  die  Erde  (die  Kalkerde)  nicht  von  der  Schale 
(des  Eies)  kommt,  so  müfste  sie  aus  andern  Bestand- 
durch  den  LebepsproceEs  zusammengesetzt  wer- 

Jakrh.  f.  wUientck,  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd. 


den.  Diefs  dürfte  aber  bei  dem  gegenwärtigen  Stand 
der  Wissenschaft  eben  so  wenig  behauptet  werden, 
und  es  ist  daher  gegenwärtig  unmöglich,  mit  Sicherheit 
zu  entscheiden,  wolier  die  Erde  in  dem  Skelet  des  jun- 
gen Vogels  kommt."  So  redet  ein  besonnräer  Natur« 
forscher».  'Wahrh'ch  die  Chemiker  haben  sich  grofse^ 
Mühe  gegeben,  auszumachen,' ob  die  chemischen  Stoffe, 
welche  wir  in  den  Pflanzen  finden,  durch  die  Vegeta- 
tion erst  erzeugt  werden,  oder  nicht,  wie  schon  oben 
gesagt  wurdcL  Dem  Verf.  sind  sie  unbekannt,  sonst 
würde  er  nidht  $o<  geradehin  die  Erzeugung  behauptet 
haben.  Etwas  Bestimmtes  ist  noch,  nicht  ansgemJacht 
Chemische  Untersuchungen  über  die  Entstehung  der 
Kalkerde  im  Küchlein  sind  so  leicht  nicht,  als  der  Vf. 
sich  einbildet,  und  sie  müssen  nach  Prout  wiederholt 
werden.  Nur  durch  Zusammensetzung  und  Trennung 
lasset!  sich  Metamorphosen  der  Stoffe  'denken,  Ver- 
wandlungen wie  in  Feenmährcben  kennt  die  Wissen- 
schaft nicht.  Fast  ist  es  lächerlich,  wenn  der  Verf. 
sagt,-  die  Physiblogie  sei  der  Chemie  vorgeeilt.  DaTs 
die  Annahme  des  Eistoffs  als  Urstoff  sehr  wUlkürlich 
wd  nicht  nothwendig  «ei,,  ist  oben  gezeigt  worden. 
Die  wesentliche  Einerleiheit  des  Physischen  und  Or- 
gantschen  ist  ein  Wortspiel.  Die  Chemie  könnte  die 
ihr  hier  gegebenen  Weisungen  mit  Recht  und  Bitter- 
keit erwiedern.  —  Von  dem  Leben  des  Gefäfssystems 
sagt  der  Verf.  viel  Treffendes  und  Sinnreiches,  doch 
scheint  ,er  gar  zu  viel  auf  Elektricität  und  Electro- 
Magnetismus  zu  rechnen.  Es  würde  zu  weit  führen 
hierüber  umständlicher  zu  reden,  eben  so  über  das,  was 
er  vom  Athemholen  Mi^d  zugldcii  von  der  Stimme  sagt, 
worin  viel  Treffendes  sich  findet,  wo  man  aber  sich 
wundern  mufs,  wenn  er  von  den  chemische]^  Theorien 
des  Athemholens  als  vcm  Hypothesen  redet,  indem  er 
einen  noch  weit  mehr  hypothetischen  Nahrungsprocefi 
im  Blute  annimmt,  gestützt  auf  einige  wenige  nidit 
duffcbgefühnte  mikroskopische  Untersuchungen  über  die 

62 


491 


Knapp  y   evong9li$cker   LiederseAatx. 


Gabruiig.  Auch  in  dem  Abschnitte  über  die  Abeon- 
•derungen  Icommt  der  Verf^  auf  diesen  Gähnrngsprocefs 
nicht  selten  surück.  Den  zweiten  Band  schliefst  die 
Lehre  t^on  dev  Verdauung,  wobei  ebenfalls  die  Hy- 
polbese  von  der  Indiffereneürung  des  Nabrungsstoffes 
zum  Grunde  liegt.  In  beiden  Hypothesen  des  Verf., 
denn  mehr  sind  sie  nicht,  ist  sehr  viel  itichtiges,  wel- 
ches sich  wohl  von  dem  Hypothetischen  trennen  llefse. 
Referent  gesteht  zum  Schlüsse  sehr  gern,  dafs  ihm  seit 
langer  Zeit  kein  Buch  so  viel  Gedanken  erregt,  und 
so  ideenreioh  erschienen  ist,  als  dieses.  Aber  die  Idee 
tritt  in  der  Naturkunde  mit  der  Realität  verbunden  als 
Wahrheit  .auf  Und  hier  stellt  sie  abgesondert  da,  wie 
man  auf  aken  GemäUen  den  Personen  die  Worte  ge«* 
aehrieben  aus  dem  Munde  gehen  liels.  An  einer  Stelle, 
aber  doch  nur  an  einer  Stelle,  bedient  sich  der  Yerf. 
einer  Darstellung  nach  thesis,  antithesia^  synthesis,  dem 
allgemeinen  Verfahren  des  Verstandes  in  jedem  Den* 
ken.  Wie  kann  ein  gesehmackvoUer  Mann  so  etwas 
thun!  Man  mufs  hier  auch  KleinigkeiteA  rügen,  der 
Nachahmer,  wegen. 

Link. 


XXXVHL 

Evangelischer  Liederschatz  für  Kirche  und 
Haus.  Eine  Sammlung  geistlicher  Lieder  aus 
allen  christlichen  Jahrhunderten  j  gesammelt 
und  nach  den  Bedürfnisten  unserer  Zeit  be- 
arbeitet  i^an  M.  Albert  Knapp y  Diacanus  an 
der  HospittBlkirche  in  Stuttgart.  Erster  Band 
XLII  u.  6S2  8.  Zweiter  Band  912  iS.  Statt- 
gart  und  Tübingen  y  1837.  Verlag  der  J.  O. 
-Ootta*schen  Buchhandlung. 

V 

Die  christliche  Hymnologie  kann  man  als  eine 
wirdende  Wissenschaft  beeeichnen,  die  sich  ihren  Ort 
sucht  unter  den  einseinen  (faeologiscben  Disdplinen, 
Ihr  Recht  in  der  Reihenfolge  der  akademischen  Vorle'^ 
aungen,  ihre  PAeger  unter  Theologen  und  christlieh  ge» 
bildeten  Laien  •  Die  Pfleger  dieser  werdenden  Wissen^ 
■ehaft  fangen  an,  sich  einzustellen  \  ihr  Ort  in  der  Theo- 
logie wird'leieht  gefunden  sein;  am  dringendsten  wäre 
^eU  SU  wftnschen,  dafs  sie  im  Cfkkis  der  ak^emi« 
sehen  Vorlesungen  su  ihrepn  Rechte  kommen  mdcbfe. 
Heber  das  Niebelungenlied,  oder  aber  ilalilmisehe  and 


492 

Iranische  Romanzen,  auch  wohl  sogar  fiber  faidisehe 
Hymnen  und  chinesische  Lieder  kann  man  auf  unseren 
deutschen  Universitäten  Vorlesungen  boren,  schwerlich 
aber  über  das  heimische  Kirchenlied.  Man  bat  bis  jetil 
den  Ausbau  dieses  so  wicluigen  Feldes  aufser  den  f  if- 
digern  den  gebildeten  Laien  überlassen. 

Die  Anfange  der  christlichen  Hymnologie  und  g^ 
geben  in  einigen  ausgezeichneten  Schriften,  namentliek 
von  Arndt,  Langbecker,  Stier,  von  Winterfeld  u.  5.w^ 
80  wie  in  einigen  Vorreden,  welche  in  Yerbbdnnf  jut 
neueren  Liedersammlungen  erschienen,  unter  denen  vor 
allen  die  Vorrede  von  Bunsen  mit  der  unsres  Verfassen 
Bu  nennen  sind,  zuletzt  in  einem  ganz  ausgezeithnetei 
Aufsatze  im  zw^ten  Hefte  der  deutschen  Vierte^ahi» 
Schrift  betitelt  „die  Gesangbnchsreform"  (von  Gritaei» 
sen).  Auf  dem  Gebiete  der  hymnologischen  Sanrndttfr 
gen  für  die  Bedürfnisse  des  kirchlichen,  häuslichen  unl 
individuellen  Christenlebens  herrscht  aber  noch  eine  k6 
deutende  Verwirrung.  Diese  Yerwirrung  hat  tkeib 
ihren  Grund  in  der  Unklarheit,  womit  man  den  Lia^ 
dersehatz  selber  betrachtet,  theils  in  der  UalLlarheif; 
womit  die  Sammlungen  gemacht  werden,  ohnedabsitt 
scharf  bestimmte  Zwecke  vor  Augen  hat.  9(an  ^riek 
mit  grofser  Ehrfurcht  von  einem  Liederschätze  von  etwl 
eO  bis  80,000  Kirchenliedern,  den  die  deutsche  NstiM 
besitzen  soll.  Von  diesem  Walde  bandelt  sich's;  luui 
kann  ihn  vor  lauter  Bäumen,  nicht  selien.  Es  ilteis 
fabelhafter,  kirchlicher  Nibelungenhort,  schwer  hefsis* 
zufinden  aus  <}er  unendlichen  Verwirrung,  weiche  ik 
Sammlungen,  Ueberarbeitungen  und  Umarbeitungen  toi 
den  verschiedensten  Standpunkten-  aus,  anricbfea  Bi^ 
rum  bt  es  auch  ein  wahrhaft  ritterliche  UntemebsMi^ 
wenn  sich  jemand  anheischig  macht,  den  ganzen,  ^ 
sentlichen  Schatz  aus  seiner  Verborgenheit  und  Vc^ 
zaubemng  in  schlechten  Bearbeitungen  hervonttziehes^ 
und  manchem  Ritter  kann  es  fehlschlagen  bei  te 
wackersten  Muthe.  Das  etste  Bedürfnifs  zur  AvCb^ 
düng  des  wesentlichen  Hortes  wird  wohl  ein  ntgallrel 
sein^  mSssen ,  kritische  Herabstinunung  der  maafsldin' 
YorsCellung  von  der  maalsunhaften  Grofse  des  Sebstsea 
Auir  diese  Führte  sollten  sich  tiie  Qppigen  fcritiicliei 
Kräfte^  der  deutscheir  Theologie  begeben.  Die  Bib^ 
gegen  deren  wahrhaft  ioritische  ßehlindlung  wir  Meff 
nicht  reden,  hat  gewifs  in  den  alten  Tagen  sehen  eine 
grofse  Kritik  durcbgemaeht.  Vielleicht  hatten  die  IsfM- 
Uten  auch  einen  liyranolegischen  Liedersehats  von  etiri 


4M 


Knap/f^  €¥aHg9lküktr  M»üder$9kmim. 


4M 


M  bb  50,000  Liedern;  aker  der  Seiiets  wurde  gellob>. 
tef,  geläutert,  und  eo  geWAimeft  sie  das  auserwähltesle 
G«$aBgbiieh  der  150  Psaiiaeik  Gerade  so  wurden  die 
4  Evangelien  durch  iehte  Oeisfeskriiik  herausgeholt  als 
4er  wahre  erangelisehe  Hort  ans  dem  Zauberwalde  der 
Apokryphen.  Warum  will  man  nun  das  kritiseh  Feuer«- 
fesCe  inimer  Yen  neuem  durchs  Feuer  hindurch  vexireA 
««—  während  hier  so  dicht  Vor  unsem  Augen,  so  drln»> 
gend  für  unser  Bedftrfnirs  ein  unermefslicher  Wald 
üoch  EU  lichten  ist?  MScbte  man  einmal  in  diesem 
Walde  die  kritische  Axt  schallen  hören!  Es  thut  ge- 
^rifs  noth.  Wir  werden  nicht  zu  einem  kirchlichen 
NafioBalgesange  kommen,  so  lange  die  Superstition,  die 
llfydie  Ton  dem  Schatee  der  80J000  Lieder  noch  fort- 
dauert. Schon  jetzt  singen  die  Katholiken  in  vielen 
Kirchen  besser  als  in  vielen  evangelischen  Kirchen  ge«; 
sungen  wird,  weil  sie  in  ihrer  seligen  Liederarmuth 
Zelt  gewinnen )  einselne,  wahre  Lieder  oft  eu  singen. 
Wir  haben  dagegen  grofse  Mtihe,  tms  durch  unsre  gro- 
faeti  GesangbCkiher  hindurch  su  singen;  nichts  wird 
eingelebt  und  eingeübt;  wir  haben  der  Lieder  zu  viele.^ 
Und  im  Grande  doch  nicht  zu  yiei ;  denn  der  Schatz  ist 
sttfln  guten  Theil  nur  eine  Einbildung,  ja  selbst  eine. 
Belastung,  eine  Bedrückung  und  Verdunkelung  des 
ftehten  Liederkems  durch  werthlose  Reimereien.  Auch 
wir  sind  freilich  der  Meinung,  dafs  der  Liedersehatz 
der  deutschen  Nation  eine  grofse  und  einzige  Gabe 
GcFttes  ist,  dafs  das  deutsche  GemOth  in  seiner  Sinnig- 
keit und  Innigkeit  berufen  gewesen,  und  durch  deA 
€tetst  Gottes  gesegnet  worden  ist,  dem  Herrn  Lieder 
SU  singen  wie  keine  Nation.  Nur  die  israelitische  neh- 
Inen  wir  davon  atis,  denn  sie  hat  nach  Maafsgabe  ihres 
nltlestamendichen  Standpunktes  das  Höchste  geleistet. 
Bedenken  wir,  dafs  die  alttestamentliche  Kirche  nur  in 
der  Ahnung  und  Yerheifsung  des  Evangeliums  stehend 
unter  der  Last  des  Gesetzes  so  viele  hochaufjauchzende 
ItfOblieder  gesungen  Jiat,  so  müssen  wir  mit  Zuversicht 
iehlieben,  dafs  d«r  neutestameotlichen  Kirche  als  der 
Kirche  der  Erfüllung  des  Heils  und  der  evangelischen 
Frevde  eine  Zeit  der  Loblieder  noch  bevorsteht;  denn 
gerade  in  dieser  Gattung,  die  ihr  doeh  so  eigemhQm- 
llch  stfn  mlfste ,  ist  sie  auffallend  firmer  als  die  alt- 
teatnmentliche  Kirche,  während  i^ire  Fülle  der  ächte- 
sten  Kemlieder  unter  den  Passionsliedem  ^  und  unter 
denen,'  welche  eigne  Nothstände  besingen,  unter  den 
Liedom  des  Vertrauens  und  der  Ergebung  zu  finden 


ist.  Pas  deutseho  Yolk  bat  also  ki  seiner '  christlichen 
«nd  erangelisehen  Riehtmig,  tik  der  Gnadengabe,  die 
ihm  nach  seiner  Eigenthümiichkeit,  veriiehen  ist,  viele- 
aehSne,  tiefe  und  gewaltige,  neutestamentliche  Lieder 
gesungen,  welche  seinen  wesendlehen  Liedersehatz  biU 
dea.  Bs  hat  aber  auch  von  den  Tagen  Hans  Sachsena 
an  augleich  die  Auswüchse  dieser  Begabung  reichlich 
offenbart,  Freude  an  gmstiger  Duselei,  Yielschreiberel, 
Reimerei  zum  Zeitvertreib,  und  in  anderen  gemeineren 
Regungen  des  beschaulichen  Charakters«  In  Folge  die- 
ser Auswüchse  ist  ein  grolser  Wust  entstanden,  mit 
dem  man  schnell  fertig  werden  würde,  wenn  er  rein 
für  sich  stände  auf  dem  Gebiete  der  Profanlitteratur, 
der  aber  auf  kirchlichem  Gebiete  von  vom  herein  einen 
greisen  Respekt.geniefst,  Veg<m  seines  frommen,  kirchli- 
ehen Inhaltes«  Ist  auch  das  Lied  ohneille  Individualitat, 
keineswegs  der  Ausdruck  einer  tiefen,  wahren,  lyrischen 
Stimmung,  so  mufs  es  auf  diesem  Gebiete  doeh  ein  Lied 
sein,  weil  es  ein  Kirchenlied  ist.  Wenn  es  nicht  l3rriseh 
ist,  so  ist  es  doch  orthodox,  und  wenn  es  nicht  ortho«- 
dox  ist,  so  ist  es  doch  npeh  moralisoh,-  und  es  flimmert 
irgend  ein  8ilberschein  guter  Meinung  in  ihm,  welcher 
für  seine  Erhaltung  und  Bewahrung  redet.  Es  ist  keine 
Frage,  dafs  die  rücksichtslose  Beseitigung  und  Ver- 
werfung sohlechter,  ungefühlter,  orthodoxer  oder  doch 
religiöser  Reimereien  im  Interesse  des  Heiligen  liegt; 
und  doch  ist  diese  Kritik  noch  so  selten,  dafs  sie  ge^ 
irifs,  wenn  sie  erst  anfängt,  aufzuräumen,  sich  auf  den 
YorwUrf  der  Impietät  wird  müssen  gefafst  halten,  Tor- 
ausgesetzt  auch,  was  wir  um  des  Gegenstandes  willen 
aufs  Entschiedenste  fordern ,  dafs  sie  mit  aller  Decena 
zu  Werke  gehtr  Trotz  dieser  Aussicht  wird  man  daran 
gehen  müssen,  wenn  man  den  Vorwurf  des  Welken, 
Geschwätzigen,  Langweiligen  von  der  cbrisllieben  Lie- 
derdichtung entfernen  will.  Man  könn(e  dabei  in  for- 
meller Hinsicht  gewisse  Kriterien  aufsjtellen,  nach  de- 
nen einzelne  Lieder  von  vorne  herein  in  Verdacht  ge«> 
nommen  wurden,  nur  aber  blofs  in  Verdacht,  nämlich 
z.  B.  die  Lieder,  welche  als  Parodien  weltlicher  Klänge 
z«  betrachten  sind^  die  entschieden  deklamatorischen 
Lieder,  die  Lieder,  welche  sich  durch  alle  Glaubens- 
artikel hindurch  bewegen,  besonders  die  Refrainlieder, 
welche  sich  oft  mit  einem  einfachen  Refrain  nicht  ein* 
mal  begnügen,  sondern  einen  furchtbaren  Klingkläng 
durah  ihren  Doppelrefrain  am  Anfange  und  Ende  der 
Strophe  hervorbringen.    Die  billigste  Forderung  an  ein 


495  Km^^   €ifan^ 

Kircbanlied  bt  Dtftnrlich  v^aV  diese,  dab  es  ein  Lki 
sein  müsse;  nicht  eine  Reimere],  sondern  lyrischer  Aus» 
.  druck  einer  bestimmten,  gebotenen,  sich  mittheiienden 
Stimmung.  Es  muOi  aber  als  Kirchenlied  ein  Lied 
sein,  welches  in  seineih  Ursprung,  Inhalt  und  Ziel  den 
kirchlichen  Geist  hat,  es  mufs  die  Salbung  haben  von 
Christo,  welche  das  Wesen  des  kirchlichen  Lebens 
ausmacht  Das  dritte  Erfordernifs  ist  alsdann  dieses^ 
dafs  es  ein  gutes,  allgemein  ansprechendes,  bedeuten- 
des Lied  sei}  denn  denkbar  wäre  doch  immerhin  auch 
das,  dafs  ein  Lied  lyrisch  acht,  und  christlich  gesalbt 
sein  könnte,  ohne  den  Werth  su  haben,  als  ein  Gut 
der  Kirche  aufgehoben  au  werden.  Geht  man  mit  sol- 
jchen  Anforderungen,  welche  noch  näher  zu  bestimmen 
und  zu  entwickeln  wären,  in  den  Wald  des  grofsen 
Liederschatzes  hinein,  so  wird  er  sich  gar  bald  bedeu«» 
tend  lichten.  Mit  dieser  rieellen  Arbeit  wird  dann  der 
leeren  Mühe  ein  Ende  gemacht,  womit  so  manche  Lie- 
der immer  von  neuem  umgearbeitet  werden,  die  einmal 
im' ersten  Gufs  und  Entwurf  verunglückt,  oder  matt 
zu  Stande  gebracht,  xu  keiner  langen  Lebensdauer  be- 
atimmt  sind.  Yerbreitet  sich  aber  erst  Klarheit  über 
den  liiederschatz,  so  Werken  auch  die  Sammlungen  mit 
gröfserer  Klarheit  veranstaltet  werden.  Man  wird  dann 
nicht  vjBrschi^dene .  Gesichtspunkte  miteinander  vermi- 
schen, welche  durchaus  auseinander  gehalten  werden 
niüssen,  wenn  die  Verwirrung  auf  diesem  Gebiete  auf- 
hören soll.  Es  ist  ein  dringendes  Bedürfnifs,  dafs  die 
Klarheit  der  Zweke  bei  der  Entstehung  der  Lieder- 
Sammlungen  immer  mehr  hervortrete.  Welche  Bestim- 
mung hat  z.  B.  die  übrigens  trefifliche  Sammlung: 
„Versuch  eines  allgemeinen  evangelischen  Gesang-  und 
Gebetbuchs  zum  Kirehen-  und  Hausgebrauche.  Ham- 
burg, Perthes  1833?"  Wurde  sie  wirklich  irgendwo 
zum  kirchlichen  Gesangbuch  gemacht,  so  wäre  sie  mehr 
als  zur  Hälfte  überflüfsig;  nämlich  in  der  grofsen  Par- 
thie  für  die  häusliche  Andacht.  Sollte  aber  einmal 
das  Bedürfnifs  der  Privaterbauung  in  ihr  dominireu, 
so  hätte  es  d€t  verschiedenen  Abtheiluii^en  mit  Be- 
rüclcsichtigung  des  öffentlichen. Gottesdienstes  nicht  be- 
durft. Das  Werk  vereinigt  zwei  Tendenzen,  welche 
es  nicht  rein  geschieden  hat,  welche  die  Gemeine  all- 
nrälig  scheiden  soll ;  darum  hat  es'  sich  auch  den  be- 
scheidenen   Titel   eines  Yersuches   gegeben,   während 

(Die  Fortsetzung  folgt) 


4N 
es  in  sanier  kritischen  Duffefaarbeitnng  und  in  iq. 
nen  trefflichen  Beilagen  eine  hervorragende  Leittoog 
und  für  andre,  striktere  Gesangbuchsbilduagea  mt 
grofse,  förderliche  Vorarbeit  bleibt.  Und  nur  als  Tor. 
arbeit,  die  allerdings  zur  Erbauung  taiigUch  ist,  ü^g 
es  einem  rein  bestimmten  Zwecke,  obwohl  die  ErwaN 
iung  des  Berausgebera,  die  Gemeine  werde  sich  an 
dieser  Sammlung  allnuUig  ein  eigentliches  Gesangkuck 
durch  die  Auswahl  vermittelst  des  lebendigen  GebnuMb 
herausbilden,  sich  schwerlich  sobald  realisiren  modite. 
Wie  lange  kann  die  Gemeine  unbedeutende' Liederndt 
guten  durcheinander  gebrauchen,  ohne  die  ScbelJug 
zu  vollziehen!  Dafür  ist  ja. die  Gabe,  die  Geister,  aiek 
die  Geister  der  Lieder  au  prüfen  und  zu  untecscheideii, 
nur  Einzelnen  in  der  Gemeine  anvertraut,  der  Genda 
zum  Dienst  und  zur  Erbauung.  Noch  bedenkUel» 
aber  möchten  wir  fragen  &  wozu  ist  die  vorliegeods 
Sammlung  von  Knapp  veranstaltet?  Als  urkuadlida 
Liedersammlung  kann  sie  nicht  erscheinen;  dafür ka 
sie  zu  viele  "Veränderungen.  Als  Anthologie  kircU- 
cher  Lieder  zur  speziellen  Erbauung  sollte  sie  vidHiil* 
telmäfsiges  strenger  ausgeschieden  haben«  Zum  eigoK* 
liehen  Gesangbuch  im  engeren  Sinne  aber  ist  sie  liei 
zu  ausgedehnt.  Auch  diese  Sammlung  wird  mao  dos* 
nach  vorherrschend  als  eine  groGse  Yorarbeit  für  leU^ 
fer  bestimmte  künftige  Sammlungen  zu  betradtep  ia* 
ben;  was  schon  daraus  hervorgeht,  dafs  der  Heransp- 
ber  selber  eine  kleinere  Liedersammlung  aus  deradbei 
zu  machen  beabsichtigt.  In  dieser .  Vorarbeit  hat  der 
Yerf.  mit  .grofser  Mühe  seine  schönen  Kräfte  zumDiei- 
ste  der  Kirche  auf  eine  dankenswerthe  Weise  aap 
wendet;  allein  wir  müssen  sehr  besorgeu,  dab  dl 
Tbeil  dieser  Mühe  vergeblicli  sein  werde,  weü  die  ok- 
telmäfsigen  und  unbedeutenden  Lieder,  denen  er  «M 
erfrischte  Gestalt  zu  geben  gesucht  hat,  mit  weBigci 
Ausnahmen  ihrem  ursprünglichen  Geschick  werdea  fol* 
gen  müssen,  wenn  einmal  eine  ausgebildete  Kritik  auf 
diesem  Gebiete  waltet.  Werden  nup  die  Samnüungea 
nach  schärfer  bestimmten  Zwecken  angelegt,  so  rnock* 
ten  sich  im  Ganzen  wohl  drei  Klassen  derselben  erga^ 
ben:  1)  urkundliche  Sammlungen ;  2)  Anthologieenmcli 
speziellen  Standpunkten  mit  näher  bezeichnete^,  k^ 
stimmten  Zwecken ;  3)  Kürchengesangbüoher  na 
ren  Sinne. 


w  1 Ä  s  e  n 


J^  63. 

Jahrbücher 

für 

Schaft  liehe 


Kritik. 


\  - 


April  1840. 


Evamgeligcher  Liederschatz  für  Kirche  und  Baue. 
JBme  Sammlung  geüthcher  Lieder  aus  allen 
chriitlichen  Jahrhunderten  j  gesammelt  und 
nach  den  Bedärfniisen  unserer  Zeit  bearbei' 
tet  von  M.  Albert  Knapp. 

(ForUetzong.) 
Die   urkundlichen  Sammlungen  miUiiten  sich   die 
Darstellung  und -Herstellung  der  ursprünglichen  Tex» 
te^  die  Rettung  derselben   aus  ihrer  vielfachen  Ver^ 
Wandlung  zur  Aufgabe  machen.    Ihnen  millsten  kriti- 
sehe  Arbeiten  voran  oder  sur  Seite  gehen,   in  denen 
die  Grundsätse  der  Sammlung,  die  Rechenschaft  über 
das  Ausgeschlolsne,  so  -wie  über  das  Aufgenommene 
g^egeben  würde.    So  käme  man  allmttlig  auf  den  re^* 
aen  Kern  des  gansen  deutschen  Liederschatzes,  zu  wel- 
chem das  Beste  aller  Zeiten  und  Zungen  hinzuzufügen 
sein  würde.    Man  ersparte   durch  diese  kritische  Yor- 
surbeit,   wenn  sie  in  diristlich  ernster  Haltung  geleistet 
würden  den  weniger  strengen  Liederfreunden  die  grolse 
Noth  —  ^Gött  selbst  ist  todt''  oder  doch  Aehnliches  in 
ig^eringeren   Liedern    Vielfach   umzubessem»     Man   be- 
seitigte auf  eine  gründliche  Weise  den  paläologisohen 
Gesdimack,    der    an   Crellerts   modemer   Erscheinung 
nicht  vorbei  will,  sondern  scheu  in  die  ältere  Vergan- 
genheit zurücksetzt,  um  mit  ihr  abzusehlieisen.    Allmä- 
}ig  würde  dann  so  der  volle  Liederschatz  zusammenge- 
fafst,  aus  welchem  die  einzelnen  Erbauungsbücher  nach 
den  verschiedenen  Bedurfnissen  zu  entnehmen  wären. 
Für  theologisch  und  wissenschaftlich   gebildete  Chri- 
sten würde  indessen  diese  Sammlung  selber  das  beste 
Brbauungsbuch  bleiben.     In   diese  Kategorie  würden 
Sammlungen  wie  die  von  Rambach,  der  Berliner  Lie- 
derschatz und  ähnliche  gehören.    Sehr  wünschenswerth 
wäre   es,   wenn  die  speziellen  kritischen  Operationen, 
die  veränderten  Lesarten,    unter  den  originalen  Text 
gesetzt   würden.    —     Die    Anthologieen    wären    nun 

Jahrb.  /.  wi$$en$ch.  KrUik.   J.  1840.     I.  Bd. 


Sammlungen   von  besondrer  Auswahl  nach  positiven 
Bedürfnissen  berechtigter  Standpunkte«    SchulliederbO.» 
eher  —  Hausgesangbücher,  Liedersammlungen  furMis» 
sionsvereine,  Sammlungen  der  ausgesuchtesten  natio- 
nalen Kirehenlieder,  ohne  Rücksicht  auf  spezielle  prak- 
tisch  kirchliche  Interessen,   namentlich    auch  Vorar« 
betten   für   künftige   Stadien   der   Gesangbuchsemeue» 
rung.    Als   eine    solche  Vorarbeit    ut  z.  B.  Bunsens 
Gesangbuch  für  die  jetzige  Gesangbuchsemeuerung  in 
einem  grofsen  Theile  von  Norddeutschland  zu  spät  ge- 
kommen,  und  wird  daher,   wo   erst  jüngst  neue.  Ge^ 
sangbücher  eingeführt  waren,  erst  in  der  Folge,  wenn 
eine  Erneuerung  indizirt  ist,   kirchlich  mit  in  Betracht 
gezogen  werden.    Auf  diesem  Gebiet  wird  die  grölste 
Freiheit   in  der  Yeränderung  der  Texte   erlaubt  sein 
müssen,  weil  es  sich  theils  um  spezielle  Bedürfnisse, 
theils  um  Yorschläge  handelt.    Den  eigentlichen  Grund» 
bestand  der  Gesangbücher  im  engeren  Sinne  müfsten 
überall   in  Deutschland  dieselben  grofsen,    nationalen 
Kirchenlieder  ausmachen,  damit  das  ganze  Volk  durch 
die  gemeinsamen  Grundtöne  seines  Bekenntnisses  und 
Glaubens  sich  seiner  kirchlichen,   evangelischen  festli- 
chen Gemeinschaft  und  Einheit  immer  mehr  bewuEst 
würde.    Nach  den  besonderen  Landesbedürfnissen  wür- 
den zu  diesem  Grundbestande  nach  der  Seite  des  AU 
terthums  hin  die  unveräufserlichen,  provinziellen  Erb- 
stücke, und  nach  der  Seite  der  Gegenwart  hin  frische 
Ansätze    und   Nachwüchse    der   heiligen    Liederkunst 
kommen,  um  der  besonderen  Yoriiebe  für  den  alten  so 
wie  der  für  den  neuen  Wein  der  geistlichen  Form  Ge- 
nüge  zu  thun   nach   einer  Aeufserung   Christi.      Ge- 
wöhnlich behandelt  man  die  erstere  Yoriiebe  mit  äugst-« 
lieber  Rücksicht,  die  letztere  mit  einer  gewissen  Schno- 
digkeit,    während  man  beide  in  ihrem  Uebermaab  als 
Verkehrtheiten  zu  bekämpfen,  in  ihrer  Eüiseitigkeit  als 
Schwachheiten  zu  dulden,  in  ihrem  frommen  Sinn  und 
Beruf  aber  zu  ehren  und  zu  befriedigen  hat.    Wir  ha- 

63 


499 


Knapp  ^    evangMibher  lAedertchatx. 


ben  bereits  gesagt,  wefshalb  es  unis  wüuscheiiswerth 
scheint,  dafs  das  Gesangbuch  auf  eine  mäfsige  Zahl 
Ton  Liedern  reducirt  bleibe.  Die  Gemeinen  werden 
mit  den  herriichen  Hauptgesängen  gar  nicht  recht  ver* 
traut,  wenn  die  Auswahl  zu  grofs  ist»  namentlich  so 
lange  Tiele  Gebtiichen  gar  keine  hymnologische  Bil- 
düng  und  Untersciheidungsgabe  besitzen.  Diese  An- 
sicht finden  wir  ganz  bestätigt  in  dem  erwähnten,  treff- 
lichen Aufsatze  von  Grüneisen.  Derselbe  sagt  S.  1313 
i,Mit  300  Liedern  sind«  die  gottesdienstlichen  Zwecke 
«an  etwa  10  Fest-  und  50  Sonntagen  des  Jahres,  und 
dazu  ungefähr  100 — 200  Wochen  und  Casualandach- 
ten  einer  Gemeine  reichlich  bedacht.  Ein  schönes  Lied 
ist  auch,  zehnmal  im  Jahr  gesungen,  nicht  zu  oft  ge- 
sungen.** —  Neben  einem  solchen  Liederschatz  wtiiisch- 
ten  wir  freilich  der  evangelischen  Kirche  auch  eine 
Sammlung  höherer  kirchlicher  Gesang-  und  Muslk- 
stücke zum  festlichen  Gebrauch  bei  besonderen  Gele- 
genheilen und  durch  besondere  Chöre.  Es  (»leibt  im- 
mer eine  Schwäche  der  Gemeine,  wenn  sie  sich  die 
höchsten  'Bluthen  christlicher  Hyranologie  nicht  aneig- 
nen kann  —  ein  ängstlicher,  trüber  Rigorismus,  wenn 
sie  sich  dieselben  nicht  aneignen  m^.  Für  die  Aus- 
wahl eines  eigentlichen  Liederschatzes  ist  schon  viel 
geschehen.  Um  keinen  Preis  aber  mochten  wir  die 
hohen  Lieder  des  neuen  Bundes,  die  mystisch  tiefen, 
sofern  sie  acht  sind,  und.  keine  krankhaften  Auswüch- 
se, aus  dem  kirchlichen  Gesangbuch  mit  Stier  beseiti- 
gen, weil  sie  etwa  fSr  die  meisten  in  der  Gemeine  zu 
esoterisch  gehalten  scheinen.  Der  Gemeine  gehört  Al- 
les an;  das  Beste  jedenfalls.  Dieses  darf  keineswe- 
ges  für  höher  geforderte  Privatvereine  zurückgehalten 
werden.  Freilich  solche  Lieder,  welche  von  krankhaf- 
ter Glaubensstimmung  durchzogen  .sind,  gehören  nir- 
gendwo hin,  weil  ihnen  keine  wahre  und  gesunde 
christliche  Erfahrung  entspricht.  Für  die  zweckmäisi- 
gen  Yeränderungen  der  Lieder  haben  Bunsen,  Knapp 
und  Stier  viel  —  die  beiden  Lotteren  vielleicht  zu 
viel  gethan.  Bunsen  hat  treffliche  Grundsätze  darüber 
aufgestellt  Seine  beiden  Hauptmaxknen  möchten  wir 
in  aller  Kürze  etwas  modificirt  also  wiedergeben: 
die  Liedertexte  sollen  einerseits  möglichst  treu,  andrer- 
seits möglichst  neu  geliefert  werden.  Besonders  aus- 
führlich, befriedigend  und  lehrreich  hat  Grüneisen  in 
seinem  Aufsatze  über  die  Kegeln,  nach  welchen  die 
Yeränderungen  der  alten  Lieder  für  das  Bedürfnifs  der 


600 

'  Gegenwart  vorzunehmen  sind,  geredet;  bdem  er  leae 
Hauptregeln  nach  den  verschiedenen  Perioden  des  eva. 
gelischen  Kirchenliedes,  welche  er  mit  scharfen,  tref- 
fenden Zügen  charakterisirt^  in  zweekmälsigen  Mo- 
difikationen  darstellt.  Man  darf  gewifs  von  ciaeal^t•l- 
chen  EinfluGs  für  das  Würtembergische  Gesangbidk 
den  besten  Erfolg  erwarten. 

Der  vorliegenden  Liedersammlung  von  Knapp  M 
die  günstigsten  Erwartungen  entgegen  gekommen.  Der 
tiefgemüthliche,  geistvolle  ehristliciie  Dichter  lieb  die 
treffliche  Sammlung,  die  angesehene  Yerlagsiianümg 
eine  ausgezeichnete  Ausstattung  erwarten:  Man  «elr 
es  auch  mit  Freuden  anerkennen,  dafs  sich  beide  bedeu- 
tende Ansprüche  auf  den  Dank  des  christlichen  PnU- 
kums  erworben  haben.  Die  Ausstattung  des  Werk« 
ist  ausgezeichnet,  und  der  Preis  im  YerhältniCs  Ssbeiit 
billig.  Was  die  Sammlung  anlangt,  so  ist  sie  ia  der 
Th^t  ein  reicher  Liederschatz,  der  in  seinen  ahenU^ 
dorn  viele  glüökliche,  erfrischende  Emendationen  leo 
dem  Herausgeber  erhalten  hat.  Er  hat  sie  geschmiickt 
mit  einer  begeisterten  Yorfede,  deren  Schluls,  ein  E^ 
nus,  abgesehen  von  der  UeberfoUe  des  Ausdrucks,  w^ 
haft  festlich  ist.  Gewifs  wird  dieses  Buch  vielen  Chri- 
sten ein  erwünschter  Segen  in  ihren  häuslichen  Ai- 
dachten  werden,  und  als  Yorarbeit  wird  es  bei  kfisM- 
gen  Redaktionen  spezieller,  bestimmter  GesanglUldier 
gute  Dienste  leisten.  Bei  alle  dem  sind  die  Erwartn- 
gen,  welche  man  hegte,  nicht  befriedigt  worden,  worlAtt 
sich  manche  Stimme  hat  vernehmen  lassen.  Mannidrt 
der  Sammlung  den  Vorwurf,  dafs  etf  ihr  vielfadi  li 
kritischer  Klarheit,  Consequents  und  ZuverläbigWk 
fehle.  Die  Inkorrektheit  tritt  selbst  in  den  littenri- 
schen  Notizen,  vrelche  das  Werk  beschlieben,  hemr. 
Da  ist  der  Dr.  Hopfensack  2.  B.  Vorsteher  einer  & 
Ziehungsanstalt  in  Düsseldorf,  während  er  in  derWn^ 
lichkeit  Professor  ist  am  Gymnasium  zu  Cleve,  und  eh 
gewisser  Jürgens,  welcher  von  Amerika  nach  Deotick- 
land  als  Prediger  heimgekehrt  war,  tritt  hier  auf  ab 
Missionar  in  Westindien,  welcher  heimgekehrt  bereift 
in  Norddeotschland  gestorben  ist.  Doch  es  kann  !■• 
fällig  sein,  dals  uns  hier  grade  diese  Dnriditfgkeäfli 
aufgestofsen  sind;  die  Controlle  dieser  kleinen  Btogit' 
phien  mögen  wir  nicht  übernehmen;  sie  zeugen  jedes- 
falls  von  grofsem  Fleih  und  i^icher  Liebe.  Wendtt 
wir  uns  jedoch  zu  dem  Schlüssel  der  Sammlung^  ^ 
der  Vorrede,  so  begegnet  uns  eine  gewiMe  Ungenau^ 


601 


.  » 


802 


iüit  wieder»    W«i  dieTeii4eiiiE  der  Sammlung  unlangt, 
9»  bat  dar  Harewgeber  iwei  2waoke  kombinirt    Erst- 
üeh  walila  er  y^dea  evani^liaefaen  Chri«ten  Deiitacblanda 
aine  reiche  Auswahl  der  beaten  christlichen  Lieder  su 
kirahlidier  und  bäualicher  Erbauung  vorlegen,  und  swei- 
ItBS  den  künftigen  Bearbeitern  kirchlicher  Gesangbü- 
dier  einen  m5glichst  umfassenden  Vorraih  darbieten^ 
AUS  welchem  aie  fernerhin  die  besten,  kirehlichen  Lie-. 
^l«r  answählen  können."    Beide  Zwecke  sldren  einan- 
4air.    Die  nothwendige  Beschränkung  des  ersten  in  der 
Auswahl  lalst  sich  nicht  wohl  mit  der  nothwendigen 
Aiisdehaung  des  zweiten  vereinigen,   wogegen  fiir  den 
«eateren  Zweck  eine  gröfsere  Freiheit  in  der  Yerände- 
jnmg  der  Lieder  lulärsig  wäre,  als  fiir  ^en  zweiten« 
Fiir  die  Ausfuhnmg  seines  Planes  sucht  der  Herausge- 
ber die  erforderlichen  Grundsätze  zu  ermitteln,  indem 
er  mehrere  Fragen  aufstellt  und   beantwortet,  zuerst 
diase^  nWas  ist.  ein  eigentliches  Kirchenlied  im  enge- 
fan  Sinne  f."  Die  Antwort  lautet  in  den  Grundzügen  so : 
•iii  a^tes  Kirchenlied  mnfs  dem  Inhalte  nach  durch- 
Avs  •ekr^m&fiig^  und  mit  dem  öffentlichen  Bekennt- 
fiifii    der  evangelischen  Kirehe   übereinstimmend  sein; 
.was  die  Form  betrifil» .  so  mub  dasselbe  möglichst  die 
iaiafache  Sprache  der  Bibel  und  der  Kirche  reden,  und 
w^Uer  Zugabe  dee  nötkigfn  dichterischen  Elemenie^ 
jiopnlär,  gemeinfalslich  und  eiafaeb,  würdig  und  kurz 
und  körnicht  sein."    Merkwfirdig  ist  es,  dab  derDioh- 
Aar  eins  der  wesentlichen  Requbite  blofs  in  Parenthese 
Jiafttltft,  als  Zugabe  des  ^^ihige»"  dichterischen  Ele- 
sneptes  bezeichnet»  als  ob  dieses  ErforderniTs  der  Poe- 
MC  bei  einem  Kirehenliede  als  Superadditum  zu  behon- 
dehi  wäre,  wie  bei  den  Katholiken  die  justitia  origina- 
lÜ  des  .ungefallenen  Menschen«    Der  Herausgeber  läfst 
«ns  nicht  im  Zweifel  darQber,  dafs  er  sich  in  diesem 
HauptiMmente  der  ganzen  Liederfrage  in  einer  wesent> 
Heben  Unklarheit  befinde.    Er  sagt  nämlich  S.  XXYIII 
^Diese  Sammlung  soll  ja  keine  blofs  poetisohe  Antho- 
iogie  sein,  die   das  Geniale   und  Originelle   nebst  der 
JUinatlerischen  Form  allrin   begünstigt.    Hätte  ich  yon 
diesem  Standpunkte  n^  arbeiten  wcdlen,  so  wurde  Vie^ 
lea-  weggeblieben  sein ,  was  vor  dem  Richtetstubl  der 
isreUMehen  Poesie  blofs  als  Mittelgut  erscheint;  ein  Vor- 
^nirf,  der  mir  von  gewisser  Seite  her  vielleioht  gemacht 
werden  mag.'  AHein  dieser  Standpunkt  darf  bei  kirch- 
liehen Dichtungen  nidkt  vorherrschen,  sonst  würde  gar 
SU  Tiel  tiefempfundenes  und  heilig  Erfahrenes,  das  in 


sehlichter,  kunatleser  Fonn  dahergebt^  zum  Scliaden 
des  Yolks  ausfallen.  Manche  Kemlieder,  die  ihren 
Ruhm  seit  Jahrhunderten  behaupten,  sind  nicht  sonder- 
lich poetisch,  sondern  blofs  wohlgesetzt,  kdrnicht,  und 
iin  Sinne  tief^  und  lebendig..  Der  fronime,  herzliche 
Ausdruck  einer  Wahrheit  aber  ist  auch  ohne  vie/e 
dichteriecAe  Zugabe  oft  weit  gesegneter,  als  das  kunst- 
.reichste  Med,  das  solcher  Einfalt  entbehrt."  Der  Her- 
ausgeber setzt  hier  abermals  voraus,  dafs  das  Dichteri- 
sehe  als  Zugabe,  etwa  in  Pathos  und  Glanzworten,  erst 
von  aufsen  an  die  Lieder  herankomme,  dafs  etwas  titf 
empjunden  sein  könne,  ohne  poetisch,  dafs  etwaa  poe- 
tisch sein  könne,  ohne  tief  empfunden  zu  sei%  dafs  ein 
gewisser  Widerstreit  obwalte  zwischen  der  echlichten^ 
kunstlosen  Form,  und  der  dichterischen  Zugabe.  — 
Diese  Unklarheit  im  ersten  Grundprinzip  hat  über  das 
Werk,  was  die  Sammlung  als  zuverläfsige  Auswahl  an- 
langt, entschieden.  Der  Herausgeber  hat  manche  Kei- 
mereien als  Tiefempfundenes  passiren  lassen,  einmal  um 
des  orthodoxen  Gehalts  in  schlichter,  kunstloser  Form, 
ein  anderes  Mal  vielleicht  um  der  patlietischen  Zuga- 
ben willen.  Wir  halten  es  für  Pflicht,  unsere  Behaup« 
tung  mit  ein  Paar  Proben  wenigstens  zu  beweisen.  Das 
Lied  unter  Nro.  204  beginnt: 

O  GqU,  wie  hat  die  Eitelkeit 

Un»  Mensehen  io  vernichtet^ 

Daß  fa%t  kein  Altef^   keine  Zeii 

Wa$  Guten  mehr  verrichtet  \ 

Sei  '•  auch  vom  Anfang  bi$  zum  End 

Oft  überlegt  und  umgewendt^ 

So  mufi  inan  doch  bekennen : 

Da$f  drauf  wir  setzen  Herz  und  Sinn 

Von  Kindheit  bit  tii't  Alter  hin^ 

Ist  Eitelkeit  tu  nennen^ 

Die  ersten  Jahre  gehn  vorbei 
So  blind  oft,  wie  bei  Thieren; 
Man  sehläfy  man  treibet  Kinderei, 
JSichts  Weises  itt  zu  spuren  «.  t.  «r. 

„Und  er  nahm  ein  Kindlein,  und  stellte  es  mitten  un- 
ter sie."  Dafür  ist  ^  die  Kinderei  am  Ende  doch  gut, 
lebendige  Texte  Tür  göttliche  Predigten  zu  liefern,  und 
das  Unkindliche,  und  Kindische  einer  solchen  Reime- 
rei zu  strafen.    Weiler: 

JVro.  213.  i^Du  Oott  bist  aufser  aller  Zeit 
•  Von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit; 
Eh  als  die  Welt  gestanden^ 
Warst  Du  eekon^  was  Du  jetxo  biet, 
Und  bleibst^  wenn  Alles  nicht  mehr  i$i. 
Doch  immerfort  vorhanden:* 


/ 


Knapp  ^   etmngelüehet  Lied€r$chai%. 


603 

Nr.  967.  F.  3.  „Hier  gHfi  nu^i  ihn  tuk^m  kuuMf  • 
.    Ihn  nkJU  lUUm  uMd  nieki  Ammm, 
Gotiei  WwrU  lauten  teharf; 
Fluch  üt  auf  ein  Herz  gete^zeU 
'  Das  nicht  liebemwürdig  ichäizei 

Den^  der  einst  verdammen  darf. 
Von  Hiller  sind  Oberhaupt,  aufser  einigen  lieblichen 
Liedern,  manche  fiihlbare, Reimereien  da,  welche  der 
Herausgeber  auf  die  Autorität  des  Namens  hin  aufge- 
nommen zu  haben  scheint.  Der  bedeutungslosen  und 
/schadhaften  Lieder  sind  wirklich  zu  viele  mit  unterge« 
laufen.  Unter  der  Nr.  608.  ä.  B.  findet  sich  ein  Lied, 
das  jede  Strophe  beginnt  und  schliefst  mit  einem  Hal- 
lelujah;  nach  dem  Versmaafs  aber  mufs  man  das  erste 

Mal  immer  Hallelujah,  das  zweite  Mal  immer  Hallelujafa 
lesen.     Doch  es  mochte  unerquicklich  erscheinen ,  die 
Proben  dieser  Art  zu  h&ufen.    Während  nun  der  Her- 
ausgeber  manches  Unnütze  aus   der  deutschen  Lieder-' 
fülle  aufgenommen,  hat   er  manches  Gute  und   Werth- 
volle  ausgelassen.    Wir  vermissen  z.  B.  von  v.  Meyer 
die  schonen  Lieder :   „Heilige  Nacht  ;*  —  „Wenn  ich 
es   heilig   überlege,"  —  von  Rückert    das  schone  Ad- 
venislicd:    „Dein    Konig   kommt,"  „Das    Paradies,*' 
und   „Bethlehem   und    Golgatha'*   —   und   sogar  von 
dem     ganz    benachbarten    Dichter    Barth    die    süfsen 
und    innigschönen    Liedei?,    welche    schon    von    den 
'  Lippen  gebildeter  Christetf  tonen:  „Der  Pilger  aus  der 
Ferne"   und   „Sonne    willst   du   fliehen,"    für  welches 
letztere  aus  den  159  Abendliedern  der  Sammlung  wolil 
irgend  ein  schläfriges  auszuscheidei^gewesen  wäre,  das 
ihm  Platz  gemacht  hätte.    Bei  alle  dem  ist  die  Samm- 
lung ein  reicher,  blühender. Liedergarten,  welcher  selir 
viele  unserer  besten  Lieder  umscbliefst.    Was  nun  die 
wirklich  aufgenommenen  Lieder  anlangt,  so  haben  wir 
.  jetzt  zu  fragen  nach  den  Grundsätzen,  womit  der  Her- 
ausgeber Yeränderungen  vorgenommen  hat.     Er  hat  in 
seiner  Vorrede  das  fromme  Yorurtheil,  als  ob  die  alten 
Lieder  gar  nicht  verbessert  werden  dürften,  mit  scho- 
nen  und  treffenden  Worten  bekämpft.     Diese    Arbeit 
ist   um  so  verdienstlicher,   da   seine  Stimme  in   einer 
Sphäre  des  christlichen  Lebens  Geltimg  hat,   in  wel- 
cher manche   andere  ungehort  verhallt.    Auch  hat  er 
sich  gegen    das  mäafslose,  willkürliche  Verändern  der 
Kirchenlieder  seit  Klepstocks  Zeiten  enUchieden  ausge- 
sprochen« Der  Herau^eber  spricht  zuerst  von  den  Grund- 
,  Sätzen,  nach  denen  ganze  Lieder  verändert  werden  sol- 


SOI 


len.    Er  sagt  erstens:  „Bin  gebtliehes  Lied,  das  \m 
Kerne  gut,  in  der  Form  aber  grofaemiheiU  miCdusg« 
ist,  darf  von  einem  evangelischen  Dichter,  der  den  Bt» 
ruf  hiezu  in  sich  trägt,  nicht  nur  in  ein»eln$H  Sut 
len ,  sondern  frcttkatig  reproduxin  werden."    Wr 
lassen  das  gelten,  wenn  vorausgesetzt  wird,  dab  dt 
also  bezeichnetes  Lied  einstweilen  gar  nicht  ab  \id 
zu  betrachten  ist,  sondern  lediglich  als  eine  Motiv,  im 
in   dem  Dichter  als   angeblichem  Correktor  sksh  «il 
zum  wahren  Liede  entbindet  und  gestaltet.    Von  nV 
eben  Lieder-Embryonen,  von  solchen  blolsen  Moliraa 
dürfte  jedoch  bei    einer   Sammlung   wirklicher  liete 
noch  nicht  die  Rede  sein.  —  Der   zweite  Grundsitt 
lautet  so:   „Ein  geistliches  Lied,  das  in  semer  A» 
drucknffei$e  zu  weitachweifig  tot,  darf  also  verändert 
werden,  dafs  in  die  überfiüssigeii  Stellen,  so  weit« 
angeht,  ein  kräftiger^  bibliather^  mit  dem  Coateit 
übereinstimmender  Zuwaek9  gegossen  wird.    Abgei»* 
hen  davon,  dafs  nach  diesem  Grundsätze  der  Hera» 
geber  dem  „Weitschweifigen*'   zu  viele  Ehre  erwets« 
mochte,  scheint  er  von  diesem  Falle   den  andern  Pd 
nicht  genau  genug  unterschieden  zu  haben,  in  wetdMl 
nach  dem  dritten  Grundsatz  das  kürzere  Verfahren  efak- 
treten  soll :  „Da  manche  Lieder  viel  su  lang  und  wei^ 
.  Iftußg  sind,   so  darf  auch  eine  Verkürzung  deneftd 
Statt  finden,  wofern  der  wesentliche  Gehalt  dadoni 
nicht  verliert."    Rezensent  ist  für  den  kürzeren  Prt- 
zefs,  denn  in  der  Regel  ist  ein  gutes  Lied  gesund  ge- 
boren; Blind-  und  Lahmgebome,  welche  heilbar lind, 
gehören  zu  den  Ausnahmen:   die  Embryonen  aber  Uli 
.Monstra   soll    man   ihrem    Geschick    überlassen.   Ob 
Grundsätze,  welche  der  Herausgeber  für  die  Veffbesfe* 
rung  der  Lieder  im  Einzelnen  aufstellt,  kann  man  av 
l)illigenv;  was  die  Fassung  derselben  anlangt ,  %q  sdiA 
nen  Einzelne  von  anderen  Arbeitern  auf  diesen  FeU^ 
hestimmter,  wissenschaftlicher  gestellt  ^worden  zii  leiB' 
So  ist  nämlich  der  erste  Canon  schon  so  gestellt,  dib 
er  die  subjektive  Willkür  nicht  hinlänglich  abweiut, 
wenn  es  heilst:  „ein  unpoeti3ches  oder  geschmacUoiei 
Bild  ist  entweder  zu  tilgen,  oder  mit  einem  benei«* 
zu  vertauschen."   Andere  haben  diesen  Canon  voniei^ 
tiger  gestellt  ^und  entwickelt.    Was  nun  die  wirkiiek 
vorgenommenen    Veränderungen  anlangt,,  so  hat  dff 
Verf.  ein  bedeutendes  Talent  dafür  beurkundet.   CoB* 
sequent   scheint  er  jedoch  nicht   geändert  zu  hl'^ 


(Der  Beschlaf^   folgt.) 


wissen 


Jahrbücher 

für 

schaftliche 


Kritik. 


April  1840. 


EcBtigeltscher  Liederschatz  für  Kirche  und  Haue. 
Eine  Sammlung  geistlicher  Lieder  aus  allen 
christlichen  Jahrhunderten  j  gesammelt  und 
nach  den  Bedurfnissen  unserer  Zeit  bearbei- 
tet von  3L  Albert  Knapp* 

(Schlulii.) 

Nach  der  Revision  eioes  Freundes  sollen  sich  alter- 
thfimliche  Ausdrücke,  welche  er  sogar  in  seinen  eignen 
Liedern  sich  erlaubt  tiat,  in  alten  Liedern  von  ilini  ver- 
bsisert  flndea  Uns  bt  es  vorgekommen)  ab  habe  er 
b  alten,  bedeutenden  Liedern  mitunter  signifikante 
Spitsen  des  Ausdrucks,  sinnvolle,  gewürzige  Bestliümt- 
heiten  ohne  Noth  durch  weniger  sagende  Worte  des 
Pathos  und  des  Glanzes  ersetzt  Wir  wollen  ein  Paar 
Lieder  sur  Probe  vornehmen.  Das  Lied:  ,,Wie  schön 
leueht't  uns  der  Morgenstern*'  hat  der  Herausgeber  sehr 
gut  verbessert ,  den  Anstofs,  dafs  der  einzelne  Christ 
als  Braut  Christi  erseheint,  glQcklicb  vermieden.  In 
der  ersten  Strophe  ersetzt  er  die  Zeile :  ,,Die  sQfse 
Wurzel  Jesu"  mit  den  Worten :  „aus  Juda  aufgegan- 
gen.^ Hier  wird  nun  schon  eine  feine,  biblbche,  tief- 
smnige  Bestimmtheit,  nämlich  diese,  dafs  Christus  die 
Wurzel  Isab  ist ,  das  eigenthamlichste ,  auserwählteste 
und  vollendete  Kind  des  Hauses  David,  aufgeopfert  fQr 
eiuen  allgemeineren  weniger  gewichtigen  Ausdruck. 
Indessen  wiifsten  wir  fQr  den  Augenblick  auch  keinen 
besseren  Rath,  um  dem  Reim :  „hast  mir  mein  Herz  be- 
sessen*  zu  entgehen«  Wenn  aber  die  zweite  Strophe 
beginnt:  „Du  meines  Herzens  werthe  Krön,  WahrV 
Gottes  ui^d  Marien  Sohn,*"  so  mögen  wir  uns  nicht  enl* 
»clüiefsen,  die  Worte  des  Herausgebers  als  Terbesse- 
ruDg  dafür  anzunehmen:  „O  Kleinod,  dem  kein  Engel 
gleicht,  Sohn  Gottes,  den  kein  Lob  erreicht/'  Hier 
schien  kebe  Nothigung  zum  Terftndern  Torhanden,  die 
vorgenommene  scheint  subjektives  Belleben;  der  feu- 
rige  Ausdruck  des  alten  Textes  bt  nicht  ersetzt.    In 

Jahrh.  /.  tpifiestcA.  Kritik.   J.  1840.   I.  Bd. 


dem  Liede:  „Wie  soll  ich  dich  empfangen"  scheint  uns 
ohne  Noth  die  folgende  Strophe  in  der  untenstehenden 
Webe  verändert: 

KithUy  niekti  hai  Dich  getrieben 

Zm  mir  vom  Himmelnelu 

Ah  da»  geliebte  Lieben, 

Womit  Du  alU  Welt 

In  ihren  taueend  Plagen 

Und  großen  JammerlaU^ 

Die  kein  Menech  kann  auetagen^ 

&o  feit  umfangen  AmA 

Nichte^  nichti  hat  Dich  getrieben 
Zu  mir  vom  Himmehzelt^ 
Ah  Dein  getreue»  Lieben    * 
Du  Heiland  aller  Welt^ 
Du  litlett  tausend  Plagen, 
Du  trüget  der  Sünder  Laet, 
Und  Keiner  darf  verzagen^ 
Den  Du  erl&eet  AojJL 

Hier  brSekelt  in  der  Yerbesserung  der  grofse,  «ein- 
heil  volle  Gedanke  des  Diehters,  der  starke,  mächtige 
Ausdruck,  nach  welehem  die  Liehe  Chfbti  die  noth* 
Volle  Welt  so  fest  vmfangen  hält,  in  mehrere,  wohlge* 
setzte,  gute  Gedanken  auseinander,  die  nur  hier  nicht 
an  der  Stelle  sind,  wo  der  eine  Heldengedanke  des  Dich« 
lers  bleiben  mub.  Die  Veränderung  sehien  jedenfalb 
niefat  nothig.  Wir  finden  eine  Strophe  in  dem  Liede; 
„O  Welt  sieh  hier  dein  Leben,**  verbessert  wie  folgt: 

Iri,  ichj  und  meine  Sünden^ 

Die  »ieh  am  KSmieiM  ßnden 

Des  SofuU»  an  dem^Meer', 

Die  haben  Dir  erreget 

Da»  Elend,  da»  Diek  »ehlägef^ 

Und  da»  betrüble  Marterheer. 
<  » 

Ach  ichf  und  meine  SUndeni 

Die  »ich  »o  zmhllo»  ftnden. 

Ah  wie  der  Sand  am  Meer, 

Die  haben  Dich  geichtagen^ 

Die  brachten  dieee  Piagen, 

Und  die»e  Martern  auf  Dich  her. 

64 


507  Knappe  evangelheher  lAedenehaix. 

Die  zweite  Hälfle  des  alten  Textes  ziehen  wir  un- 
bedenklich der  Verbesserung  vor.  Die  Verbesserung 
ist  deklamatorisch  und  doch  matt;  matt  in  dem  Aus« 
druck:  „Brückten  die  Martern  auf  Dich  hef."  Dagegen 
spricht  ein  rührendes  Mitleid  und  eine  grofse,  lebendige 
Anschauung  in  dem  Ausdruck:  Das  betrübte  Marter- 
heer, und  das  VS^ort:  Die  haben  Dir  erreget  bezeich- 
net sehr  treffend  das  allmälige,  erst  heimliche,  dann 
gewaltige  Hervorgehen  des  Elendes  aus  der  Sünde. 
Auch  an  den  Körnfein  des  Sandes  linden  wir  keinen 
Anstofs ;  die  Verbesserung  hat  nur  etwas  poetische  Ori- 
ginalität verwischt    Es  heifst  weiterhin: 

Du  springet  in't  Todetrachen 
Mich  frei  un'd  los  zu  machen 
'Von  iokhem  üngeheur; 
Mein  Sterben  nimmtl  Du  abe^ 
Vergrubst  es  in  dem  Grabcy 
'    O  unerhörtes  Liebes feur. 


608 


Vom  Toi  mich  frei  zu  machen 
Springst  Du  in  seinen  Rachen 
Und  in  die  tiefste  Fiutfi; 
Du  stirbst,  dafs  ich  nicht  sterbe, 
Nicht  ewiglich  verderbe, 
O  unerhörte  Liebesgluth. 

Die  zwei  ersten  Zeilen  der  Verbesserung  sind  zu- 
lässig. Mit  der  dritten  Zeile  aber  verfällt  der  Verbes- 
serer aus  der  scharfen  Bestimmtheit  des  Dichters  in's 
Vage;  dann  geht  er  Dber  ins  Allgemeine  „Du  stirbst' 
dafs  ich  nicht  sterbe",  während  es  dem  Dichter  darum 
BU  thun  ist ,  conkret  anschaulich ,  des  Todes  spottend 
gerade  daä  Sterben  selbst  im  Grabe  zu  begraben.  Paul 
Gerhard  wurde  mit  der  geistreichen  Sentenz  fertig,  in- 
'dem  ec  sich  das  a6e  erlaubte!  Bunsen  hat  das  a6e  zu- 
gelassen, um  die  Fülle  der  sinnvollen  Strophe,  das  Be- 
graben des  Sterbens  im  Grabe  zu  retten.  Knapp  dagegen 
gibt  dpn  Versuch  völlig  auf,  hier  mit  dem  Dichter  für 
seinen  eigenthumlichen  Gedanken  das  rechte  Wort  zu 
finden,  und  lenkt  in  einen  allgemeinen  Gedanken  hin- 
ein, der  sich  an  andern  Stellen  zur  Genüge  schon  aus- 
gesprochen findet.    Wir  würden  etwa  so  bessern  : 

Selbst  in  des  Todes  Rachen 
Springst  Du,  mich  los  zu  machen 
Von  diesem  üngeheur* 
Den  Tod,  der  mein  geharret,   , 
Hast  Du  in's  Grab  verscharret; 
O  todbezwingend  Liebes feur. 

In  dem  Liede :  „O  Haupt  voll  Blut  und  Wunden*' 
verändert  der  Herausgeber  die  Worte: 


Ich  tpill  hier  hei  Dir  steheUf 
V^erqchie  mich  doch  nicht, 
Von  Dir  will  ich  nicht  gehen 
Wenn  Dir  Dein  Herze  bricht, 
Wenn  Dein' Haupt  wird  erblassen 
Im  letzten  Todesstofs,  ^ 

Alsdann  will  ich  Dich  fasse» 
In  meinen  Arm  und  Schoofs^ 

Ich  will  hier  bei  Dir  stehen. 
Verachte  mich  doch  nicht. 
Von  dir  will  ich  nicht  gehen. 
Wenn  Dir  Dein  flerze  bricht. 
Wenn  mein  Haupt  wird  erblassen 
Im  letzten  Todesstofs, 
Alsdann  wollst  Du  mich  fassen. 
In  Deinen  Arm  und  Schoofs. 

Es  liebe  sich  leicht  nach  weben,  dafs  diese  Eoen. 
dation    fast  nur  aus  einem  mangelhaften  Verstandnlls 
des  herrlichen  Liedes    zu  erklären  ist.   ■  Das  Lied  hat 
eine  an  das  Schwärmerische  anstreifende,  hinreifsesJe 
Innigkeit.    Es  hat  eine  katholisirende  Sinnlichkeit,  in- 
dem es  scheinbar  beginnt  als  eine   Andacht  zu  im 
Haupte  Jesu\  doch  ist   die   Glut  der   ersten  SUDpk 
durch   das  Licht  der   zweiten  geschützt,  das  Mensck- 
liche  wird  hier  im  Göttlichen  verklärt.  Das  ganze  UeJ 
aber  hat   den   Grundton,  dafs   sidi  der  Dickter  unter 
das  Kreuz  Christi  im  Geiste  versetzt,  dais  das  gao» 
Sterben  des  Herrn  vor  seiner  inneren  Anschauung  ?o^ 
geht.     Darum  sollte  man  auch   die  schone  dritte  Stro- 
phe diesem  Liede  lassen:  „Die  Farbe  Deiner  Wao^o" 
u.  s.  w.    Jedenfalls  kann   es  nicht  in  der  mitgetlieüteo 
Strophe  plötzlich  heifsen:  y^fVenn   mein  Baiipi  ^if' 
erblassen  Im  letzten  Todesstofs ,"  ohne  den  Sinn  da 
Liedes  ganz  zu  verwirren,  am  wenigsten  dann,  weoo 
der  Correktor  gleich   vorher  stehen  läfst:  Wenn  J^ 
Dein  Herze  bricht.  —  Wir   brechen   hier  ab,  da^Iie 
mitgetheilten  Proben  genügen  mögen,  zu  zeigen,  difs 
der  Herausgeber  sein  schönes  Talent  auch  in  der  Lie- 
derverbesserung bewährt,  dafs  er  aber  darin  von  Hifi^ 
grt£fen  des  subjektiven  Beliebens  sich  nicht  frei  geiial- 
ten  hat.     Möge  die  Auswahl  der  besten  Kirchenliedefi 
welche  er  in  der  Folge  zu  liefern  beabsichtigt,  in  to 
Würdigung   des  ächten   Liedes  eine  gröbere  SU'enge 
und  Klarheit,  in  der  Kritik  eine  gröfsere  Behutsamkeit 
und    Anerkennung    der    originellen,   pbysiognomisciiefi 
Zuge  der  Lieder  beurkunden.   Die  Anprdnung  der  To^ 
liegenden  Sammlung  ist  einfach   und  klar,  sie  eotiiafti 
3572  Lieder,  zu  denen  noch  ein  kleiner  Anhang  komiDt  | 

Lange  in  Duisburg. 


589 

XXXIX. 

Abhandlungen  zur  Mgemeinefh  tergleichenden 
Sprachlehre  von  Dr.  U.  E.  Bindsei l.  Harn-- 
bürg,  lam 

Die  erste  der  beiden  Abhandlungen  in  welche  das 
vorliegende  umfangsreiche  Werk  zerfftllt,  hat  die  Phy- 
siologie der  Stimm-  und  Sprachlaute  zu  ihrem 
Gegenstande  und  fällt  damit  auf  ein  Gebiet,  in  welchem 
Referent  zu  wenig  heimisch  ist,  um  sich  ein  vollgiltiges 
Urtheil  beizumessen.  Wir  werden  uns  daher  auf  einen 
lurzen  Bericht  zu  beschränken  haben,  bekennen  uns 
aber  Im  Voraus  gern  zu  der  Ansicht,  dafs  die  Sprach- 
forschung solcher  Untersuchungen  Tom  physiologischen 
Standpunkte,  wenn  sie  auch  nicht  im  Stande  ist,  die- 
selben selbststandig  zu  fuhren,  durchaus  nicht  entbehren 
könne.  Wie  der  Leib  und  die  Elemente  der  Sprache 
gebildet  werden,  wie  und  mit  Hilfe  welcher  Organe 
die  Laute  im  Munde  des  Sprechenden  entstehen,  der- 
gleichen Fragen  sind  yon  groCserer  Wichtigkeit  als  es 
Anfangs  scheinen  mag,  denn  ihre  Erörterung  gibt  für 
die  Geschichte  der  L^ute  nicht  unerheblichen  Aufschlufs, 
ladt  die  Stufen  der  Lautverwandlungen  sclion  ihrer 
Möglichkeit  nach  erkennen  und  bestätigt  so,  indem  sie 
.  endlieh  noch  die  gegenseitigen  Verhältnisse  und  Berüh- 
rungen der  Laute  aufdeckt,  überall  die  bei  der  histori- 
schen Betrachtung  des  äufseren  Verlaufs  erkannten 
Wahrbeiten.  Wir  sind  mit  dem  Grundsatze  Ton  wel- 
chem auch  Hr.  Bindseil  ausgeht,  dafs  der  Sprachlaut 
seinem  ganzen  Wesen  und  Entstehen  nach  nur  dadurch 
gehörig  dargelegt  werden  könne,  wenn  nicht  blofs  die 
Funktionen  der  Sprachorgane,  sondern  auch  die  der 
SMnunorgane  möglichst  genau  untersucht  wiirden,  voll- 
kommen eifiverstanden  und  wissen  dem  Verf. ,  dafs  er 
selbst  sich  dieser  Arbeit  unterzogen,  um  so  mehr  Dank, 
als  das  bekanntlich  nicht  eigentlich  Sache  des  Philolo- 
gen, sondern  des  Physiologen  ist.  Freilich  können  wir 
den  Wunsch  nicht  unterdrücken,  diese  Untersuchungen 
mochten  nun.  apch,  da  sie  als  Einleitung  zur  allgemei- 
nen Tergleichenden  Formenlehre  gegeben  werden,  mit- 
.hin  zunächst  für  den  Sprachforscher  bestimmt  sind, 
etwas  bündiger  und  übersichtlicher  gefuhrt  sein.  Jene 
ausfuhrlichen  Angaben  über  die  verschiedenen  sich  bunt 
durchkreuzenden  Ansichten  der  Physiologen,  die  um- 
ständlichen zwar  in  die  Noten  verwiesenen  literarischen 
Citate,  die  leicht  ein  Drittheil  des  ganzen  Werkes  ein- 


Bindseit^  vergUieAende  SpraehleAre.  5tO 

nehmen,  die  Beschreibung  der  thierisehen  Stimmwerk- 
zeuge,  welchen  hier  doch  nur  untergeordnetes  Interesse 
einzuräumen,  dieses  und  Anderes  diept  nur  dkzu,  das 
Buch  ubermäfsig  anzuschwellen,  und  dem  der  in  Erman- 
gelung eigner  Ansichten  Festes  und  Entschiedenes  wün- 
schen raub,  den  Ueberblick  zu  erschweren.  (—  Wei^n 
der  physiologische  Standpunkt  nun  in  dem  Werke  des 
Hrn.  B.  überwiegend  vorherrscht,  so  bedarf  es  dooh 
kaum  der  Bemerkung,  dafs  der  Verf.  daneben,  wo  es 
ndthig  ist,  auch  einen  allgemeineren  philosophischen  und 
endlich  den  rein  historischen  und  grammatischen  Stand- 
punkt einnimmt;  was  sich  von  vorne  herein  als  allge- 
mein wahrscheinlich  aniiehmen  lasse,  was  dann  die 
Natur  und  Bildungsart  der  Laute  zu  erkennen  gebe, 
and  endlich  was  die  Geschichte  der  Sprache,  —  diese' 
drei  Fragen  berühren  sich  zu  mannigfach^  als  dafs- ihre 
Trennung  möglich  oder  rathsam  wäre.  So  |ieginnt 
der  Vf.  mit  der  Entwicklung  des  Begriffs  der  Sprache 
und  wendet  sich  §.  2.  zur  Fratge,  was  denn  das  va  ihr 
Dargestellte  sei,  ob  Aeufseres  oder  Inneres.  Hr.  B« 
entscheidet  sich  für  das  letztere,  uns  däucht  aber,  es 
liefse  sich  auch  wohl  für  das  erstere  manches  Bedeu- 
tende sagen.  Es  kommt  nur  darauf  an,  was  man  sich 
unter  Sprache  denkt.  Ihrem  ersten  Entstehen  nach 
durfte  sie  wohl  ebenso  richtig  der  Ausdruck  des  Aeufse- 
ren  heiisen:  Aeufseres,  Inneres  und  Laut,  diese  drei 
Momente  mufs  man  bei  dem  Werden  der  Sprache 
gleichsam  wie  ein  Moment  verbunden  denken.  Der  ^ 
Gegenstand  der  Empfindung  und  Vorstellung  hervor- 
ruft, tritt  äufserllch  wieder  im  Worte  oder  Laute  her- 
vor, und  'der  letztere  ist  eben  nur  das  innerlich  er- 
kannte und  lautgewordene  Aeufsere  selbst.  Will  man 
die  Sprache  nun  blofs  als  Ausdruck  des  Innern  gelten 
lassen,  was  sie  später  zwar  lediglich  wird,  so  mufs 
man  von  Anfang  an  Inneres  und  Aeufseres  in  Bezie- 
hung auf  sie  als  ein  Zwiefaches,  Getrenntes  setzen  und 
begreift  nicht  die  Wahrheit  ynd  Nothwendigkeif,  wel- 
che dem  Worte  innewohnt,  und  theils  auf  der  Wahr- 
heit des  Eindrucks,  theils  auf  der  Unwillkiihrlichkeit 
des  ersten  Lautwerdens  beruht.  Indessen  wir  haben 
diese  Ansiclit,  die  wir  anders  wo  schon  weiter  verfolgt 
haben  (s.  Beiträge  zur  Etymol.  Bd.  1.  S.  4.  der  Ein- 
leitung) hier  wo  ihr  Ursprung  liegt  ^  nur  gelegentlich 
andeuten  wollen. 

Erst  S.  225  wo  von  den  Vokalen  gehandelt  wird, 
betritt  Hr.  B.  den  eigentlichen  Grund  und  Boden  der 


611 


JBiHdseii^  0€rgUiehende  SpracUkhr$. 


Sprache«  Mit  lUpp  (Veriuch  •mer  Phytiologie '  der 
Sprache),  dem  er  sich  vielfach  anschlienii,  geht  er  von 
einem  Urvolrale.aus^  den  er  gleichfalls  nicht  als  ei* 
nen  historisohen  sondern  nur  als  eiaen  systema- 
tischen Urlaut  betrachtet.  ^  Wie  man  nämlich  das 
Grau  als  die  unentwickelte  Indifferenz  zwischen  den 
drei  Farben  Gelb,  Roth  und  Blau  setzen  könne^  weU 
sie  in  ihm  noch  nicht  actuell  enthalten ,  wohl  aber  po- 
tenziell bedingt  seien,  also,  meint  Rapp  1.  1.  8.  20, 
InQsse  ep  auch  wohl  einen  diesem  Verhältnisse  entspre- 
chenden Yocallaüt  geben,  der,  weil  sieh  die  ReOexion 
zuerst  in  Polen  und  Extremen  manifestire,  dem  Sprach- 
bewufstsein  zwar  nicht  suerst  klar  geworden  sein 
werde.  Referent  der  freilich  einer  andern  Ansicht  ist, 
sielit  nicht  wohl  was  der  Sprachforschung  die  Annahme 
«Ines  schieben  theeriegrauen  systematischen  Urlauts  hel- 
fen soll,  wenn  man  ausdrücklich  der  Meinung  ist,  dafs 
im  Yokalismus  die  bestimmten  Laute  früher  vorhanden 
gewesen  als  dieser  unbestimmte  jene  nur  im  Keime 
und  potentiA  enthaltende  Urlaut,  der  also  der  Zeit  nach 
kein  Urlaut  sein  wurde.  —  Hr.  B.  nimmt  dann  weiter 
^n  fünffaches  .Stadium  der  Entwicklung  der  Yokale 
an,  indem  er  zuerst  die  Vokale  a,  i,  u,  und  swei^ 
tens  ihre  Zusammensetzung  ansetzt,  letztere  theils  mit 
iirfes  Gleichen  (Verdopplung  der  Yokale),  theils  unter 
einander,  um  so  auf  die  bekannte  Weise  die  Längen 
&,  2,  ü  und  die  Dipiithongen  ai,  6;  au,  d  entstehen  zu 
lassen.  Als  drittes  Stadium  stellt  er  den  R  hin  Is- 
mus oder  die  Nasilirung  .auf,  als  viertes  die  Fort- 
setsung  des  zweiten  oder  eine  freiere  Zusammen* 
Setzung  der  Grundvokale,  und  als  fünftes  endlich 
fortgesetzte  y  er kürzung  und  Trübung  der  Vokale, 
und  fortgesetzte  Nasilirung.  Wir  hätten  hiegegen 
snancherlei  zu  erinnern:  Wie  das  fünfte  und  vierte  8ta« 
dium  eigentlich  nur  eine  Fortsetzung  des  zweiten  und 
dritten  ist  von  dem  es  sich  nur  durch  gröfsere  Freiheit 
der  Bewegung  unterscheiden  soll,  so  würden  wir  es 
^uch  als  kein  besonderes  Stadium  beseichnen;  noch 
wen^er  das  Nasalaugment,  welches  Hr.  B.  unter  Nasi- 
lirung als  drittes  Stadium  ansetzt^  indem  es  seine  d- 
gentliche  Stelle  zwar  nach  Vokalen  aber  vor  den 
Mutis  zu  haben  scheint  und  daher  am  wenigsten  bloüs 


612 

als  eine  Entwicklung  der  Yokale  gelten  kann, ,  Von  den 
zwei  Stadien  die  hiernach  übrig  bleiben ,  mnlsteii  wir 
die  zweite  Hälfte  des  zweiten,  die  Diphthongenbildang, 
wenn  sie  wirklich  wie  Hr.  B.  sagtauf  Zusammensetzung 
beruhte,  als  willkuhrlich  und  nicht  als  eine  Entwkk- 
lung  bezeichnen.  Obwohl  sie  wesentlich  das  letztere 
ist^  und  keineswegs  auf  dem  Wege  auGsererZusaDunen. 
Setzung  entsteht«  Die  Darstellung  dieses  Punktes  tckeint 
wenig  gelungen.  Als  wirkliche  Stufen  der  Entwick« 
lung  wurden  wir  nur  drei  annehmen :  davon  besdcluMi 
wir  die  erste  als  Individualisinmg  der  drei>  Ghudro- 
kale  a,  i,  u,  (und  zwar  aus  dem  indifferenten  aber 
historischen  Urvokale).  Zweitens,  aus  der  indindva* 
lisirten  Einheit  der  Grundvokale  entsteht  quantilatir  & 
Länge ,  in  welcher  potenziell  eine  Z w^ibeit  oder  TeN 
dopplung  entlialten.  Drittens  je  deutlicher  die  leU» 
tere  hervortritt,  desto  leichter  tritt  mit  ihr  eine  En^ 
zweiung  ein,  die  einzelnen  Elemente  treten  qoalilitir 
gegen  einander  auf  und  erzeugen  den  Diphtbongea,  ¥« 
dem  Wieder  ein  Ruckschritt  zur  Vokaleinheh,  zttoädrt 
zur  Länge,  möglich  bt  Zusammensetzungen,  Tii^ 
bungen  u.  s.  w.  mössen  für  unorganisch  und  sufiUf 
gelten  und  bilden  keine  Stufen  der  Entwicklung. 

Aehnlioh  würden  wir  uns  auch  zu  der  folgende! 
Auseinandersetzung  über  die  Consonanten  nicht  seUenii 
Widerspruch  setzen  müssen,  obgleich  wir  ge^lSMl^ 
kennen, '  daCs  Hr.  B.  der  sich  weder  auf  einzelne  Spar 
oben  nach  auf  abgesqhlossene  Sprachstämme  besehränbi 
mit  wahrhaft  staunenswerthem  Fleifse  Alles  ^nuHunneB- 
getragen  ha^  was  nur  aus  irgend  einer  Sprache  (te 
Laute  und  deren  Arten  der  Bildung  und  Ausspradie 
bekannt  ist.  Dabei  sieht  man  denn  nicht  wenig  SpiSr 
ehen  nennen,  die  kaum  dem  Namen  nach  bekannt  tisJ) 
aber  freUich  beruhen  die  Citate  meist  auch  nur  aaf  ta 
ungenauen  Angaben  des  Mithridates  und  ähnlidMr 
Werke.  Hr.  B.  scheint  hier  vorzugsweise  das  VenUentf 
in  Anspruch  zu  nehmen,  eine  Topographie  des  Lautei^ 
eine  Beschreibung  der  Sprachen  nach  Uirem  gesammta 
Lautvorrathe  zu  geben,  und  hierm  muls  man  ibm  ^ 
rechtigkeit  widerfahren  lassen,  wenn  auch  unenudiie- 
den  bleibt,  wieweit  die  Gesammtheit  der  Spratbea  ob' 
ihrer  Laute  wirklich  umfafst  ist 


{fitx  Beaciilufs  folgt.) 


f 


M  65. 

Jahrbuch 


e  r 


für 


w  i  ssenschaftliche   Kritik. 


April  1840. 


Abhandtungen  zur^  allgemeinen   vergleichenden 
Sprachlehre  ton  Dr.  H.  E.  Bindseil. 

(Schlafs.) 

Bei  der  zweiten  AbliandluDg  welche  einen  höchst 
inCeresianten  Gegenirtand,    die  verschiedenen  Bezeiöh- 
nungsweisen  des  Genus  in  den  Sprachen,  behandelt,  wer- 
den wir  uns  auch  nicht  allzu  lange-  aufhalten  dürfen. 
Der  Vf.  geht  meist  äufserlich  su  Werke,  und  wenn  er 
nicht  unterläfst,  in  seiner  Weise  mit  Zahlen  und  Buch- 
Btahen  verschiedener  Art  Abthdlungen  und  Unteräblhei- 
limgen  zu  machen,  so  bringt  er  seinen  Gegenstand  doch 
kaum,  zu  der  völligen  Klarheit,  welche  die  Folge  inne« 
rer  Durchdringung  ist.     Es  ist  ihm  zunächst  um  die 
Form  der  Genusbezeichnung  zu  thun,  die  er  durch  alle 
miiglichen  Sprachen  verfolgt,  und  was  wir  wohl  erwar- 
tet hätten,    eine  innere  Entwicklung  des  Grundes  der 
Bezeichnung,  finden  wir  niclii.    Nur  im  Anfange  S.  495, 
spricht  der  Yf.  seine  Ueberzeugung  im  Allgemeinen  da- 
hin aus:  nicht  die  Wahrnehmung  des  natürlichen  Ge- 
sehlechtes  sei  die  alleinige  Teranlassung  zur  Classifi- 
cation der  Wörter  in  Genera,  so  dafs  dieselbe  von  den 
Sprachbildnem  auf  nicht  sexuale  Gegenstände  nur  über- 
tragen sei;  gegen  eine  solche  Ansicht  spreche  die  Schwie- 
rigkeit, dann  den  Ursprung  des  Neutrums  zu  erklären, 
und  das.  Zurücktreten  des  natürlichen  Geschlechtes  in 
sehr  vielen  Sprachen,    in  denen  vorwaltend  nur  zwi« 
sehen  Lebendigem  und  Leblosem  unterschieden  werde ; 
vidmefar,  meint  der  Vf.,  wie  verschieden  di^  Eindrücke 
der  Gegenstände  auf  unser  Gefühl  und  Yorstellungs- 
vermögen  auch  seien,  so  hätten  sie  doch  unter  sich  et- 
was Gemeinsames,   Characteristisches ,  wodurch  sie  in 
grofsere  Classen  zerfielen«    Dieses  Gemeinsame  sei  nu^ 
theils  das  ihnen  innewohnende  und  gleichmäfsig  in  der 
Torstellung  erweckte  Grofse,  Feste,  Thätige,  Bewe- 
Jahrb.  f.  wuitfiicK  KriUk.  J.  1840.  I.  Bd. 


gen  de,  Zeugende,  theils  das  Kleine,  Weiche,  Lei- 
dende, Empfangende,  Gebährende,  oder  auch  das  Leb- 
lose und  Unentwickelte.  "Gleichwohl  hat  Hr.  B.  diese* 
Ansicht  später  wieder  aufgegeben  und  neigt  sich  in  der 
Schlufsbemerkung  der  ersteren  (namentlich  J.  Grimm- 
schen) zu,  ohne  jedoch,  so  viel  wir  sehen,,  seine  eige- 
nen Einwände  voll  zu  berücksichtigen.  Jedesfalls  wäre 
es  zu  wünschen  gewesen,  dafs  der  Verf.  an  einzelnen 
Sprachen  nachzuweisen*  gesucht  hätte,  wie  das  innere 
Wesen  der  bezeichneten  Gegenstände  wirklich  in  jener 
Weise  mit  dem  äufseren  Genus  zusammeohänge ;  der- 
selbe handelt  aber  sogleich  von  Zahl  um  Umfang  der 
Geschlechter  und  sucht  die  Sprachen  darnach  zu  dassi- 
ficiren.  Von  mehr  Bedeutung  kt  die  Untersuchung  S. 
522  fl.  über  diejenigen  Sprachen,  welche  auch  die  Verba 
an  der  Genusunterscheidung  Theil  nehmen  Wsen, 
indem  dieselbe  theib  an  dem  angefügten  Pronomen^ 
theils  an  dem  Verbalstamme  selbst,  iheils  an  beiden  aus- 
gedrückt wird.  Hierauf  wendet  sich  der  Vf*  zur  Dar- 
legung der  verschiedenen  Bezeichnungsweisen  und  un- 
terscheidet erstlich  Bezeichnung  durch  ganz.verschie- 
dcne  Wörter,  Zweitens  mittelst  verschiedener  Grade 
der  Starke  und  Lebendigkeit  der  Sprachlaute,  drittens 
mittelst  einfacher  und  verdoppelter  Formen,  viertens 
mittelst  beigefügter  Laute  oder  Wörter,  wonach  dann 
noch  einzelne  Schlufsbemerkungen  folgen. 

Man  sieht  es  schon  an  diesen  allgen^einen  Ueber- 
schriften,  die  Eintheilung   welche  in  solcher  Weise  /*) 


*)  Z.  B.  bei  der  zweiteo  fiüduogsaxt  §.  6.  S.  537  spricht  der 
Vf.  a)  von  dem  Unteracbiede  der  Stärke  und  Schwäche,  6) 
S.  581  von  d«r  Lebendigkeit  der  Lante.  Von  «)  enta^hen 
drei  Abtheilnogen,  indem  Hr.  B.  die  Laute  abzählt  und  nun 
entweder  1)  gleiche  Anzahl  aber  Terscbiedeue  Stärke  der 
Lante  findet,  oder  2)  gleiche  Stärke  bei  Terschiedener  Zahl, 
und  3)  ungleiche  Stärke  bei  ungleicher  Anzahl.    Die  erste 

65 


515 

ins  Unendliche  fortgeführt  ist,  ist  nur  nach  Mafs- 
gäbe  der  äufseren  Erscheinung  vollzogen,  und  wird 
nicht  selten  durch  eine  innerliche  Erklärung  der  En* 
düngen^  zu  der  der  Verf.  sich  mitunter  wohl  selbst  hin* 
neigt,  als  ganz  zwecklos  dargethan.  Die  erste  Unter- 
scheidungsart, s.  oben,  wundern  wir  uns  um  so  mehr 
auf  einer  Seite  abgethan  zu  sehen,  als  der  Vf.  sie  mit 
Grimm  für  die  älteste  'Genusbezeichnung  hält.  Bleiben 
wir  inzwischen  etwas  bei  der  vierten  Art  stehen,  wo 
sich  die  Genera  wie  es  heifst,  mittelst  beigefügter  Laute 
unterscheiden.  Der  Vf.  rechnet  hieher  unter  anderen 
auch  das  Verhältnifs  von  rex  zu  regln a,  oder  von  ßa^ 
OiXivg  zu  ßaaiXivva.  Nun  sind  wir  aber  keineswegs 
der  Meinung,  dafs  regln a  oder  ßaaOawa  sich  unmittel- 
bar als  ihre  Feminina  an  die  maso.  rex  und  ßaaiXiui 
^nschliefsen,  sondern  sie  setzen  siclier  ein  masc.  regi«* 
nus  und  ßaaiUnoq  voraus,  welches  denn  allerdings  mit 
ßaaiUvc  und  rex  in  engere  Verbindung  bu  setzen  wfire. 
Mithin  fallen  jene  Feminina,  die  man  eiyiiiologisch  nicht 
richtig  flir  die  Fem.  von  rex  u.  s.  w.  hält,  der  Wort» 
bildungslehre  anheim,  und  der  Genuslehre  nur  rucksicht« 
lieh  des  Schlvfs-a,  es  sei  denn,  dafs  die  letztere  alle 
solche  Formationen  zusammenstellen  wollte,  welche  sich, 
zufällig,  nur  mit  einem  besondere  Genus  erlmlten  hät- 
ten. Und  Hr.  B.  selbst  scheint  dieser  Ansicht  zu  sein, 
der  er  wenigstens  in  Bezug  auf  die  gr.  Endung  ivfj  z. 
B.  in  fi^mivri  oder  fi^vt]  S.  611  den  Vorzug  einräumt. 
Aehnlich  verhält  es  sich  mit  manchen  anderen  Eiulun« 
gen,  in  denen  wir  zum  Theil  nodi  gar  interessante  Bil- 
düngen  aufbewahrt  finden,  wie  z.  B.  in  den  Formen 
ßctßÜAüGm^  di«jc(W<Tcr,  welche  der  Vf.  mit  Pott  Et.  Forsch, 
aus  idici  erklärt,  Ref.  jedoch  viel  lieber  mit  der  skr.  Ge- 
nitiv* oder  Adjectivendung  a^sja,  prAcr.  assa  verglei- 
chen mochte,  so  dafs  icfo«  also  aus  taia  entstanden  war« 
und  ßaaiki€üm  eine  ahnliche  Form  voraussetzen  liefse, 
wie  wir  sie  in  dfjfiooMg  vorfinden,  welches,  wenn  9t  zu 
90  gewerden  wäre,   gleichfalls    leicht  dtffutrü^g  lauten 


Bindseily   vergleichende  Sprachlehre* 


m 


AbtbeilaDg  bat  wieder  3  Unterabtlieilangen,  je  nachdem  die 
ehnnicterhtiflchen  Laote  a)  Cousonmiteii,  h)  Codi,  md  Vo- 
kale, c)  tivr  Vokale  siad ;  davon  giebt  a  abermals  drei  Fälle, 
denn  die  Consorninten  sind  «)  beiderseits  Explosivae,  ß)  ei- 
aerseita  Expteaivae,  andererseits  Coatinaae,  y)  beiderseits 
Ostttinaae.  Aber  nocb  nfcbt  ^nng ;  «  giebt  wieder  ein  aa — 
€e  und  so  geht  es  ins  UnendUcbe  fort.  Hr.  Bindseil  scheint 
ein  wahres  scbefnatisirendes  Crenie. 


mochte.  Hr.  B.  wnr  einer  solchen  Ansicht  nabe,  io. 
dem  er  später  damit  einmal  die  deutschen  Endunges 
sk^^9che  u.  a.  vergleicht;  ganz  dieselbe  Endung  leigt 
uns  aber  das  Altromische  in  einigen  Wörtern,  und  zwar 
auch  ohne  gegenüberstehende  Masc. ,  aber  doch  9^ 
ohne  jene  Beschränkung  auf  w.eibliche  Wesen,  weai 
auch  als  feminine  Endungen.  —  An  eben  dieser  SteDe 
bespricht  der  Vf.  auch  das  Verhällnifs  von  ^mia  n 
^%i<;  und  handelt  dann  von  den  lat.  Pronominibus  haet^ 
quae.  In  Betreff  des  ersteren  mochten  wir  seiner  An* 
sieht  da(k  cur«  in  «-»»»a  zu  zerlegen,*  gern  iieistaiiMi, 
nur  fragt  es  sich,  ob  wir  in  dem  ersten  a  schon  lii 
feminines  ^r,  oder  nur  ein  altes  stammvokalisches  Kam- 
chen  hätten.  Ueber  die  lat  Pronomina  sind  schon  M 
mancherlei  Meinungen  geäufsert,  dafs  die  EntschädBig 
mifsKch  wird.  Dafs  liier  alte  gleichsam  vorrSniscb 
Formen  vorliegen,  dergleichen  sich  zumal  bei  den  Pn* 
nominibus  zu  zeigen  pflegen,  ist  mit  Sicherheit  annek» 
bar;  aber  schon  deshalb  möchten  wir  nicht  beisämiM^ 
wenn  der  Vf-  haeo  und  quae  aus  dem  Thema  hl,  fil 
mittelst  angetretener  Femininendung  a  deuten  sM^  i* 
dafs  nur  beide  ein  hi-a-c,  qui*a  veraussetzen  lielM 
Die  Möglichkeit  einer  solchen  Contraction  oder  ws 
man  e&  sonst  nennen  will,  des  ia:ae  leuchtet  vasA 
und  Hir  sich  um  so  mehr  ein,  je  öfter  wir  diodb 
selbst  nachgewiesen  haben  *),  hier  will  sie  jedoch  pof 
unpassend  scheinen,  da  die  Formen  mit  i,  hi-c,  qui  At 
in  späterer  Zeit  geschwächte  Formen,  nicht  abei^  Rf 
alte  Themata  gelten  können.  Vollends  unstatthaft  fat 
aber  die  Annahme  des  Antreten»  des  fem.  a  aa  du 
Thema ;  das  Zeichen  des  Fem.  entwickelt  sich  «a  «BJ 
aus  dem  Ausgange  des  Themas,  nicht  nber  tritt  es  vai 
aufsen  hinzu*  Dafs  es  sich  nun  hier  als  ae  noch  zeigli 
ist  uns  eben  ein  Beweis  mehr,  dafs'  kein  Thema  U» 
qui  anzunehmen  ist.  Was  auch  über  haec,  quse  ge- 
sagt ist,  wir  sind  überzeugt,  ae  Ist  nur  ein  laatliehcr 
Stellvertreter  des  alten  langen  &'  der  Feminina,  desMB 
Länge  anderswo  (cfr.  aqu^)  verloren,  hier  aber  in 
Diphthongen  gerettet  ist.  -r-  Eine  ähnliche  AnsidiC  wie 
über  die  singuf.  Fem.  hegt  der  Verf.  audi  über  db 
gleichlautenden  pluralen  Formen  und  hier  kt  er  oftH' 
har  durch  das  Danebenbestefaen  von  quia  (weiQ^tf* 
das  er  quia  zerlegen  und  als  Neutr.  pkir.  fsnci 


•)  Cf.  depr&cr.  diid.  §,  130.   ficitr.  «.  Etjm.  L  S.  98. 114. 3^^ 


517 


Buukeity  tfmrgleieAende  SprmiMira. 


618 


CO  mQssen  meint  Es  seheint  eine  «ehr  alte  und  ecliwie*- 
tige  Bildung,  dalier  wir  nicht  oline  Bedenken  unsere 
Muthmafsung  aussprechen,  dafs  es  vielmehr  eine  abia* 
tive  Form  sei,  in  der,  wenn  nicht  i  etwa  unorganisch 
wfre  (cf.  kAt,  j&tt)»  gar  etwas  Aehnliche«  stecken 
Si5chte,  wie  in  dem  immer  noeh  dunklen  skr.  kasmAt, 
JasmAt:  aber  nicht  aus  dieser  Form  soll  es  entstanden 
Sern, 'sie  soll  nur  einen  Wink  geben^  um  die  Zweisilbig- 
keit des  quia  zu  begreifen.  Auch  darf  hier  wohl  an  Bopps 
^ückliche  Yergleicbung  des  tamen  mit  tasmin  erinnert 
werden,  mit  der  dem  RdmiscJien  bereits  eine  ähnliebe 
Bildung  naebgewiesen  ist;  eine  Form  wie  kasmät,  tas* 
tnin  iäfst  in*  Bezug  auf  das  sm  eine  zwiefache  Verän- 
derung SU,  die  eine  läge  etwa  in  jenem  tamen  vor, 
die  andere  etwa  in  prAcr«  tahiii,  kahin,  und  auf  .der 
leUteren  Stuf6  wurde  ungefähr  lat.  qui*a  stehen,  iqdem 
SS  einen  Inlaut  (etwa  s  in  grieoh.  Weise,  quisa  ?)  eiuf 
gebOlst  haben  möehte.  Doch  diese  Muthmafsungen  Gber 
einen  in  der  That  unlösbaren  Knoten  sollen  hier  nicht 
weiter  gefulut  werden :  nur  das  ist  zu  merkwürdig,  um 
es  zu  obergeben,  dafs  jenes  kisa  wirklich  im  PrAkrit 
evstirt  und  warum  f  heifst  Doeh  davon  gelegentlich 
•iB  Mshreres.  Wie  wir  quae  m»  qua  setzen,  jedoch 
imentschieden  lassen,  ob  das  ae  lediglich  aus  A,  oder 
in  Folge  eines  alten  dem  Fein,  nachweisbaren  s-Lautes 
entstanden  sei,  halten  wir  auch  das  plur.  ae  in  baec, 
quae  für  lautliches  Ursprungs  und  erinnern  dabei  nur 
an  skr.  j^,  t&,  k^,  duaL  ^vA,  and  prAkr.  pbir.  sivAi, 
Üfi  u.  s.  w. 

Da  es  durch  die  Mannigfaltigkeit  des  vom  Verf. 
behandelten  Gegenstandes. verwehrt  ist,  in  viel  Einzel- 
nes einzugehen^  möge  es  an  den  berührten  Beispielen* 
genügen  um  darzathun,  dais  der  Verf«  sich  zwar  um 
die  Erklärung  der  wichtigeren  Formen  bemüht,  dabei 
idcfat  selten  jedoch  zu  einseitig  verfährt,  indem  er  dem 
einen  Geschlechte  ausschUefslich  beilegt,  was  nur  durch 
die  äufsersie  Bndung  demselben  zugewiesen  wird.  Die 
Genera 'haben  ursprünglich  (wenigstens  fiber  die  einr 
iaehen,  letzten  Endungen  hinane,  die  man  zwar  aueh 
schon  Suffixe  heifst)  nicht  ihre  eigene  Suffixe,  son- 
dern die  Suffixe,  d«  h.  die.  Wortbildungen  haben  nur 
ihre  besonderen  das  Geschlecht  bezeichnenden  Aus- 
gfinge.  Wo  es  sich  anders  verhält,  indem  gewisse  com- 
pomrte  Suffixe  nur  mit  bestimmten  Geschlechtern  ver- 
bunden scheinen,  da  waltet  Schein  oder  Zufall,  den  die 


Wortbildungslehre  indem  sie  den  Ursprung  und  die 
Gleicbmifsigkelt  der  Bildungen  nachweiset,  auhudeeken 
hat.  So  wird  sie  z,  B.,  bei  dem  oben  angeführten  re- 
glna  stehen  zu  bleiben,  dasselbe,  abgesehen  von  dem 
weiblichen  a-Ausgange  mit  marinus,  equinus'ii.  s.  w. 
in  eine  Classe  stellen  i  reginp  heifst  was  des  Königs 
ist,  königlich,  und  kann  selbst,  wie  ßaoQia^m  mit  den 
skr.  Gen.  in  assa ,  mit  dem  Genit.  rAg'nas  (cf.  Accus. 
rAg'Anam)  verglichen  werden.  Da  indessen  vielerlei,  so- 
männliches  wie  weibliches,  des  Königs  ist,  so  konnte 
regina^  die  Königliche,  die  £inschränkung  die  königr 
liehe  Herrin,  des  Kouigs  GemahUo»  erst^iip 
Gebrauehe  und  zum  Theil  zufällig  erhalten,  zumal  wp 
dieselbe  durch  das  Vorhandensein  anderer  Adjeetive 
regius,  regalis  etc.  erleichtert  wird,  der  bestimmte 
Gebrauch  aber  nicht  selten  die  beliebig  wandelbare 
Form  (hier  reginus)  hat  verschwinden  losseo.  VergU 
ßaaikaa  und  ßaathla, 

Schriften  die  wie  die  vorliegeüde  monegvaphisek 
Einzelgebiete  der  Wissenschaft  behandeln,  scheinen  uns 
überaus  beilsam  und  dem  heutigen  Zustande  der  Sprach- 
forschung zumal  angemessen.  Wir  wünschen  Qm.  Dr/ 
Bindjeil  Nufse,  seine  Untersuchungen  fort^cus^t^en,  iu«- 
dem  wir  hoffen,  dafs  sich  seine  Ansicht  über  Sprache 
und  deren  Bntwicklung  im  Verlaufe  immer  mehr 
klaren  werde,  und  bekennen  zum  Schlüsse  nochmals 
gern,  dafs  uns  sein  Werk,  wäre  dessen  Hauptverdienst 
für  jetzt  auch  nur  ein  comp ilatorisches,  darum  iMcht 
weniger  nützlich  und  verdienstlich  erseheint,  vielmehr 
als  ZeugnUs  gewaltiges  Fleifses  verbunden  mit  seltner 
Gelehraaonkeit,  .h5chst  ehren wertfa  bleibt. 

Albert  Hoefer« 


^-.1 


XL. 

jt  ffütory  of  the  foisH  fruita  and  seedt  of  ihe 
London  Ctay  by  Jam,  Scfitt  Bowerbank. 
Lond.  1840.    6.     TaU.  17. 

Vir  alles  «un  diese»  vicbti«fe  DeJC^g  «wr  H^eentiilfs  der 
ioovAfm  eewspbse  saaaseigM.  ^aa  Werk  ist  wie  Lia41ey*s 
Fossil  Flora  gearbeitet;  ei  liefert  Beschreibungen  ohne  eine  be- 
stimmte Ordnung  dabei  zu  beobachten,  nur  dafs  hier  die  FiQchte 
und  Samen  von  derselben  Gattahg  zusammengestellt  sind,  nebst 
Abbildongen  aof  den  dazu  gehffrigen  Kapfertafeln.  Ohne  alle 
Vorrede  erhaltea  wir  hier  17  Kapfertafeln,  jede  mit  mehrep>  oft 


519  Scott  j  Hütory  ofiUe 

kehr  tielen  Figuren,  und  eine  aehr  ausf iihiiiehe ,  nngevoin  ge- 
naue Beschreibung  der  Friichte  von  einer  jeden  Arf,  so  dafs  wir 
nicht  umhin  können,  .dieses  Werk  in  RUcksioht  nuf  die  Genauig- 
keit der  Besc4ireibungen  und  die  treffende  Kritik  ^n  den  ersten 
und  vorziigliclisten  in  diesem  Fache  zu  rechnen.  Es  scheint  mit 
diesem  Bande  geendigt,  denn  nirgends  ist  von  einer  Fortsetzung 
die  Rede.  Die  Fl'iichte  sind  von  der  Insel  Sheppey,  wo  der 
London  clay  die  herrschende  Formarion  ist,  und  es  scheint  nS- 
thig  hier  etwas  von  dieser  Formation .  zu  sagen.  Sie  gehört 
Überhaupt  genommen  zu  den  Tertiärformationen,  welche  auf  die 
Kreide  folgen.  Bei  ^Paris  liegt  nun  nuf  der  Kreide  ein  Thon, 
der  zur  Topferarbeit  gebraucht  und  argile  plastique  genannt  wird. 
Darüber  folgt  der  Grobkalk  (calcaire  grossier),  mit  Gyps  und 
den-  Teberresten  Ton  Paläothecien.  In  England  ist  diese  argile 
plastique  oder  plastic  clay  von  der  Formation  des  Grobkalks 
nicht  geachieden,  sondern  beide  vereinigen  sich  zu  einer  grofs^n 
Thonformation  ohne  allen  Kalkstein  und  diese  ist  der  London 
clu}'.  Der  zoologische  Charakter  ist  aber  mit  dem  Pariser  Kalk- 
stein so  Cbereinstimmend,  dafs  man«  als  Formation,  London  clay 
und  calcaire  grossier  nicht  von  einander  trennen  kann.  Lyell 
theilt  die  Terti'arfonnationen  nach  der  Menge  der  fossilen  mit 
den'  noch  lebenden  übereinstimmenden  organischen  Körpern  ein, 
in  Pliocene,  Miocene  und  Eocene,  abgeleitet  und  zwar  sehr  ge- 
sucht von  xa»vof  neu  (Tertiärformntion)  und  nXhoy  mehr,  /jtloy 
weniger  und  ijiog  Morgenröthe,  weil  in  der  Eocene  sp  wenig  den 
lebenden  gleiche  organische  Körper  gefunden  werden,  dafs  gleich- 
sam hier  ein  neuer  Tag  erst  anbricht.  London  clay  gehört  zu 
der  Eocene,  auch  ist  unter  den  hier  beschriebenen  Früchten  keine 
einzige,  welche  einer  bekannten  noch  lebenden  Pflanze  .  könnte 
zugeschrieben  werden.  In  Deutschland  liegt  auf  der  Kreide  die 
ausgedehnte  Braunkohleuformatton,  dann  folgt  der  Grobknlk,  der 
in  einigen  Gegenden  von  Deutschland  vorkommt.  Es  wUren  also 
die  Friichte  von  Sheppey  mit  den  FrUcbten  in  den  Braunkohlen 
vom  Westerwalde,  Hahichtswalde,  Vogelsberge  zu '  vergleichen. 
Wir  wollen  nun  die  hier  aufgeführten  Gattungen  kurz  anfuhren. 
Nipadites,  mit  13  Arten,  weil  die  Früchte  die  qieiste  Aehnlich- 
keit  mit  den  Früchten  einer  ostindisclien  Palme,  Nipa,  zeigen. 
Diese  Palme  ist  nur  In  RumpVs  Herb.  Amb.  abgebildet,  und 
später  von  Thunberg  beschrieben  worden,  auch  noch  wenig  be- 
kannt. Der  A'erfasser^  sah  Früchte  davon  in  der  Sammlung  des 
berühmten  Gärtners  G.  Loddiges,  auch  bei  einem  H^rrn  Ward, 
welche  man  auf  dem  Meere  hei  Java  schwimmend  gefunden  hatte. 
Nipadites  umbonatus  wurde  von  Ad.  Brongniurt  zu  einer  Panda- 
nus  ähnlichen  Gattung  gebracht,  die  er  Pandanocarpum  nannte 
und  eine  ahdefe  Art,  Nipadites  Parkinsonis,  weil  die  Fruchte 
schon  in  Parkinson's  Organic  Remains  abgebildet  sind,,  nannte 
derselbe  Botaniker  Cocos  Parkinsonis.  Es-  f<^gt  die  Gattung 
Hightea  'mit  9  Arten.    Der  Verfasser  wollte  sie  mit-  Go883rpium 


fbiiti  /ruüs  4nJ  seeds.  ^  52g 

.vergleichen,  wejj  die  Frucht  voll  Fasern  ist^  aber  sie  ist  lickt 
drei  -  sondern  einklappig ,  und  die  placenta  (das  iporopkofon) 
viel  dicker,  und  kantig,  nicht  düun,  wie  an  Gossypium,  auch 
sitzen  an  den  Kanten  die  Samen.  Der  Verfasser  rechnet  lie 
zu  den  MalvaCeae,  was  aber  sehr  zweifelhaft  scheint,  P> 
trophiloides  mit  7  Arten.  Der  Verfnsaer  wollte  sie  er«t  ii  Ai 
Nähe  von  Cäsuarina  bringen ,  aber  Rob.  Brown  erianeite  ik, 
dafs  die  Gattung  mehr  der  Petrophila ,  einer  Proteacea  gieieli» 
Cuprefsinites^  mit  13  Arten.  Cupanoides  m\t  8  Arten,  irholick 
Cupania,  einer  Gattung  aui^  der  Ordnung  der  Sapindaceae.  Tri- 
carpellites  mit  7  Arten.  Wethercllia  variabilis,  weil  die  FrScbte 
mit  2  bis  5  Samen  abändern.  Bei  weitem  die  häufigste  fonilc 
Frucht  auf  Sheppey  und  gewöhnlich  Kaffee  genannt,  hjekä 
Fache  befindet  sich  ein  herabiiängender  Samen  (seaen.  pctii> 
lum),.  in  einem  inwendig  rauhen  Sack  eingeschlossen,  raitciier, 
vermutlilich  vormals  flüssigen  Masse  umgeben.  Cucumitei  Taiia- 
bilis.  Faboidca  mit  25  Arten.  Die  Früchte  haben  nur  die  is« 
fsere  Gestalt  einer  Bohne ;  inwendig  befindet  sich  ein  Kern,  ii 
dem  man  selten,  und  zwar  dann  in  der  Mitte  einen  Bffibryoiiife> 
nimmt.  Der  Kern  hat  äufserlich  Punkte,  welche .  ve^rölkert  Sadi 
oder  Behälter^  darstellen,  die  in  den  Kern  eindriBgeu.  Der  Ve^ 
fasser  findet  es  sehr  sonderbar  und  ganz  ungewöhnlich,  dals  ia 
Nabelstrang  unter  der  testa  fortläuft,  welches  doch  der  Fil 
nicht  gar  selten  an  den  ßamen  von  Dolichos  und  andern  Lfgi- 
minosen  ist,  wo  man  die  rrrphe  wie  sie  Gürtner  nennt,. deotlkl 
sieht.  Doch  es  mag  mir  in  der  nicht  sehr  dentliclien  Bestlmi- 
bung  >des  Verfassers  etwas  entgangen  sein.  Der  Name  Falioiäi 
ist  auch  nicht  gut  gewählt,  da  nuin  glauben  möchte,  die  Friiellr 
gehörten  zur  Ordnung  Legumiuosae,  welches  doch  der  Fall  aick 
ist.  Auch  führt  der  Verfasser  Leguminosites  besonders  Bit  iS 
Arten  auf,  endlich  Mimositcs  Browniana  und  XulinospiMoites 
Intus  und  zingiberiformis.  Die  Frucht  dieser  Gattung  ist  ^ 
merkwürdiges  Mittel  zwischen  dnipa  und  1eg;amenr  und  hat  vtä 
Samen.  Die  Menge  und  die  Verschiedenheit  dieser  Friichte  lälil 
uns  einigermafsen  auf  die  frühere  Vegetation  der  Insel  Sheppqr 
schliefsen.  Die  Pulmenfrüchte  deuten  bestimmt  auf  ein  tiffi' 
scbes  Klima  und  es  ist  keine  einzige  Frucht,  welche  dicfcn 
widerspricht.  Cypressen  kommen  ebenfallij  in  tropischen  lin- 
dern vor,«  und  die^  Proteaceen  gehen  bis  in  diese  Zone  hiifii. 
Bis  jetzt  sind  noch  keine  Ueberreste-  von  Pflanzen  in  den  T» 
tiürformationen  gefunden  worden,  welche  mit  den  jetzt  Icbeilei 
ganz  übereinstimmen,  ja  sie  deuten  auch  durph  ihre  Aebnütbkof 
fast  alle  auf  ein  tropisches  Klima,  wenn  es  nicht  hier  gelit  vie 
mit  den  fossilen  Elephauten,  welche  durch  die  Aehnlichkeit  4« 
Gattung  jxaf  ein  tropisches  Klima  deuten,  gewifs  aber  als  sie  \^ 
ten  einem  sehr  kalten  Klima  angehörten. 

Link. 


J  a  h  r  b  fi  c  h  e 

^  * 

'für 

Wissenschaftlich  e    Kritik 


April  1840. 


XLI. 


Christus  in  der  Gegenwart^  Vergangenheit  und 
Zükifffi.  Drei  Abhandlungen,  als  Beiträge 
zur  richtigen  Fassung'  des  Begriffs  der  Per^ 
lönlichheitj  ran  Kasimir  Canradiy  erangeL 
Pfarrer  zu  Oewheim  in  Rheinhessen.  MainZj 
1839.  bei  Kupferberg.   XIV.  291  S.    gr.  8. 

Die  drei  AbhandlaDgen  dieses  Buches,  folgen  auf 
«famnder  in  anderer  Ordnung,  als  die  Ueberschrift  des 
.Geiisen  ansukünd^en  sclieiat.  Die  erste  (S*  1-— -56) 
Xä^  folgende  besondere  Ueb^schrift:  lieber  die  Prä» 
,4Jnstsn»  Chrüiiy  oder  die  F^rmuseetzung  der  menseh" 
iieket^  Pereonliehkeit.  Sie  isl  hier  sunt  eweitenmale 
abgedruckt  \  schon  fr&her  war  aie  in  der  Zeitschrift  fCr 
speculatiye  Theologie  von  Bruno  Bauer  ^  erschienen. 
Ihren  Inhalt  bildet  eine  speculatiye  Deutung  der  bibli- 
sehen  Lehre  von  der  Praesüstena  Christi,  Der  Verf. 
l^ubt  diese  Lehre  nicht  sowohl  auf  Christus  als  Indi- 
TUuum  besiehen  zu  dürfen,  als  vielmehr  auf  den  Be- 
griff,  auf  die  Idee  der  Persönlichkeit  fiberhMipt,  insofern 
dieselbe  in  der  Person  Christi  ihre  voUkommenste  Dar- 
stellung findet.  Ihr  Sinn  ist  ihm  hiernach  kein  anderer, 
als:  dafs  die  Persönlichkeit  sich  selbst  sur  VorousseC- 
.luag  habe.  Persönliches,  entsteht  nicht  aus  ünperso». 
Aehem;'  wie  jede  einsdne  menschliche  Person  nur  durch 
andere  Peraoaen  geaeugt  werden  kann,  so  führt  sich 
die  crealCirliche  Persönlichkeit  Oberhaupt  in  letzter  In- 
stanz  auf  die  absolute  Persönlichkeit  €lottes  und  deren 
Entäulserung  in  dem  Schöpfungsbegriffe  zurück.  —  IM^ 
zweite  Abhandlung  (S.57— 163)  bandelt,  der  Ueberschrift 
zufeige,  über  die  Zukwffi  Christi.  Das  Yerhältnifs 
derselben  zu  der  Torigeu  giebt  der  Yerf.  mit  folgenden 
Werten  an:  3,b  jener  seilte  aus  4ef  Gegenwärtigkeit 
des  christlichen  Bewulstseins,  wie  es  in  der  persönli* 
eben  Erscheinung  und  Wirksamkeit  des  Erlösers  gege« 

JaAr6.  /.  irufeAicA.  Kritik.  J.  184a     I.  Bd. 


ben  war,  die  Nothwendigkeit  der  Weise  seiner  Präexi- 
stenis  dargethan.  werden,  in  dieser  soU  der  Versuch  ge* 
macht  werden  von  dem  Resultate  seiner  persönUchea 
Wirkfamkeit  aus,  einen  Rückweg  zu  dieser  seiner 
historischen  Erscheinung;  und  ilirer  Wirksamkeit  zu  , 
finden,  und  Uire  Bedeutung  zu  bestimmen."  Wir  ha- 
ben atso  in  dieser  Abhandlung  nicht  etwa  eine  Unter- 
suchung über  den  biblischen  Begriff  der-  „Zukunft  Chri- 
sti," d.  h.  über  seine  „Paruaie,**  seine  Wiederkunft  zum 
Weltgericht  zu  erwarten;  sondern -vielmehr  eine  Unter- 
suchung über  die  geschichtlidie  Wirklichkeit  der  Er- 
acheinung  Christi,  nur  dafs  dieselbe  nicht  auf  dem  ge- 
wöhnlichen Wege  des  historischen  Forschens  vor  sich 
gehen  soU,  sondern  auf  dem  Wege  riickwärts  gerichte- 
ter Schlüsse  von  den  Erfolgen  des  persönlichen  Da- 
seins Cliristi  auf  dieses  Dasein  selbst.  In  diesem  ^nne 
geht  der  Terf»  die  geschichtlichen  Hauptzöge  des  (jC- 
bens  der  christlichen  Gemeinde^  besonders  in  ihi:er  ArQ- 
hfBsten  Gestalt,  im  apostoUsdien  Zeitalter,  jedoch  nicht 
ohne  Hinblicke  auch  auf  die  spätere  Zukunft  der  christ- 
lichen Kirche  durch,  und  sucht  zu  zeigen,  wie  J^dem 
einzelnen  dieser  Zöge  ein  Moment  in  der  Persönlich- 
keit oder  dem  Leben  ihres  göttlichen  Stifters  entspro- . 
chen  Imben  ingsse,  und,  dem  Zeugnisse  der  Schrift 
zufolge,  auch  wirklich  entsprochen  habe.  Solcherge- 
stalt entsteht  vor  unsern  Augeii  ein  BHd,  oder  viel- 
mehr ein  Begriff  des  persönlichen  Christus  durch  einen 
Procels,  den  man  recht  eigentlich  eine  Deduction  a  po- 
steriori nennen  klinnte,  indem  das  Nachfolgende  zur 
Prämisse  des  Yorangefaenden  gemacht  wird  \  wobei  je- 
doch nicht  au  verkennen  ist,  wie  das  historische  Prin- 
cip  so^  auf  die  Spitze'  getrieben,  wieder  in  eine  Art 
von  Apriorismus  umschlägt.  —  Die  dritte  Abhandlung 
(S.  164—291)  verspricht,  über  die' Gegenwart  Chriiti 
zu  handeln.  Mit  dem  Ausdruck  Gegemoart  CAHsti 
geht  aber  der  Verf.  eben  so  frei  um ,  wie  zuvor  mit 
dekn  Ausdruck   Zui:u^fti   er   meint   damit  nicht  das 


66 


523 


Conrädi^   Chrütui  in  der  Gegenwart^  Vergangenheit  und  Zukuf^, 


K>4 


geschichtliche  Dasein  der  Person  Jesu  von  Nazareth, 
sondern  die  Wirklichkeit,  weichender  Geist  Christi  in 
seiner  Gemeinile,  in  seiner  Kirche  hat.  Es  ehthält  dem^ 
nfLdx  diese  Abhandlung"  eine  speculativd  geschichtliche 
Uehersicht  des  Verhältnisses,  in  welches  sich  der  reli- 
giöse Geist  der  Gemeinde  und  Kirche  in  jden  verschie- 

«  _  _ 

'denen  Hauptperioden  seiner  Eotwickelung  zu  der  Per- 
sönlichkeit ihres  Stifters  gestellt  hat. ,  In  welchem  Sinne 
diese  Uehersicht  gefafst  ist,  wird  man,  der  Hauptsache 
nach,  leicht  abnehmen  können,  wenn  wir  angeben, 
worin  nach  dem  Verf.  die  letzte  und  höchste  Stufe  je- 
ner  Entwickelung,  die  vollendete  Gegenwart  Christi  in 
seiner  Gemeinde  besteht.  Diese  Stufe  ist  die  Stufe  des 
speculativen  SelbstbewufstseinB  über  den  religiösen  In- 
iialt,  Torausgesetzt  nämlich,  dafs  dieses  Selbstbewufst- 
sein  nicht,  wogegen  sich  der  Verf.  wiederholt  auf  das 
Nachdräckliclisle  erklärt,  als  das^  abstracto  gefafst  werde, 
worin  die  Persönlichkeit,  sowohl  die  geschichtliche  des 
Erlösers,  als  die  immer  neu  sich  erzeugende  der  Ge- 
meindeglieder  zu  Ghrunde  geht,  sondern  als  das  con* 
crete,  worin  mit  der  religiösen  Substanz  zugleich  auch 
die  Persönlichkeit  als  die  einzig  wahre  Daseins-  oder 
Erscheinungsweise  der  Substanz,  erhalten  wird. 

Der  Hr.  Verf.  WQrde  sich  mit  Recht  über  uns  be- 
schweren können,   wenn   wir  .Vorstehendes   für,  einen 
'Auszug  seiner  Schrift  geben  wollten,  für  einen  solclien, 
'welcher  das  Wesentliche  ihres  Inhalts  nicht  blos  äufser- 
iich  anzuzeigen,  sondern  in   kurzen  Worten  wiederzu- 
geben die  Absicht   hätte.    So  aber  war  es  keineswegs 
*  gemeint;  wir  haben  vielmehr  absichtlich  nichts  weiter, 
als  eine  blofse  Inhaltsanzeige   geben  wollen.    Denn  zu 
einem  reichhaltigem  Auszuge  scheint  sich  uns  die  Schrift 
nicht  zu  eignen;   aus    dein  Grunde  nicht,  weil  es  ihr, 
'bei  aller  Tüchtigkeit   der  Gesinnung  und  Fähigkeit  des 
speculativen  Denkens,  welches  man  in  ihr  so  wenig, 
wie  In  den  frühern  Schriften  des  Hrn.  Verfs.  vermifst^ 
doch  an  wissenschaftlicher  Präclsion   und  Schärfe  des 
'Gedankenganges^  an  einem  straff  angezogenen,  überall 
gleichmäfsig   festgehaltenen  Faden   der    Untersuchung, 
und  an  prägnanten,   lichtvoll  hervortretenden  Resulta- 
ten fehlt.    Ref.  ist  weit  entfernt,  die  tadelnswerthe  Ma- 
'nier  mancher  Recensenten  zu  billigen,    welche,  anstatt 
in  das  wirklich  Gegebene,  in  den  thatj^äcblich  voriie- 
genden  Inhalt  des   zu  beurtheilenden  Buches  einzuge« 
ben,  und  das  Verdienst,  welches  in  dem  so  Gegebenen 
'liegt,  anzuerkennen,  Vielmehr  mit  Forderungen,  welche 


iu  erfüllen  aufiserhllb  der  Absicht  und  des  Standpuncu 
des  Terfs.  lag,  demselben  entgegentreten,  und  weget 
Nichterfüllung  dieser  Forderungen  auch  das  wirididi 
Geleistete  zu  verschmähen  oder  gering  zu  achten  siek 
berechtigt  halten.  Dennoch  glaubt  er  im  gegenwMl* 
'gen  Falle  mit  dem  Hrn.  Verf.  darüber  rechten  sa  d(tf> 
fen,  dafs  er  nicht  gleich  von  vorn  herein  die  ProUoM^ 
welche  seine  Untersuchung  zu  lösen  unternimmt,  andm 
gestellt,  und  der  Untersuchung  selbst  eine  andere  Riek 
tung  gegeben  hat.  Er  glaubt  dies  zu  dürfen  aui  im 
Grunde,  weil,  wie  er  zu  urlheilen  nicht  umhin  kuo, 
die  Gruadanlage  des  Buches  es  verschuldet  hat,  iA 
der  FIcifs  und  Scharfsinn,  den  der  Yerf.  auf  danelW 
verwandt,  nicht  so  reiche  Früchte  trägt,  wie  er  unter 
andern  Umständen  vielleicht  hätte  tragen  können.  Du 
Problem  des  Werkes  würde  sich,  bei  klarerem  Bewvlii^ 
sein  über  seinen  eigentlichen  Inhalt,  als  dn  Utfeii 
genau  bestimmtes  und  scharf  abgegränztes  haben  ftt* 
*sen  lassen;  so  wurde  seine  Behandlung,  auch  ohnek* 
deutenden  Mehraufwand  an  speculativer  Kraft,  ab  ler 
Verf.  zum  Behuf  seines  Unternehmens  wirklich  a«fg^ 
boten  hat,  zu  einer  eindringenden  und  lehrreichen  iiab« 
w;erden  können.  Der  Verf.  hat  vorgezogen,  es  iii#^ 
ger  Allgemeinheit  zu  fassen,  darum,  ist  seine  UbM»' 
chung,  obgleich  nicht  ohne  philosophische  LicbtUid» 
im  Einzelnen,  doch  im  Ganzen  resultatlos  und  uubaftMi- 
geud  geblieben.  '         ' 

Den  Grund  •  und  Mittelbegriff  der  Uotersnehng 
bildet,  wie  man  aus  obiger  Inhaltsanzefge  ersehen  ha- 
ben wird,  der  Begriff  der  Persönlichkeit  Christi.  So 
wenig  die  Haltung  der  Schrift  im  AIIgemeuieB  ei« 
polemische  ist,  so  zieht  sich  doch  sichtlich  genug  dwoh 
alle  drei  Abhandlungen  die  Absieht  hindurch,  jcair 
die  Bedeutung  der  geschichtlichen  Persönlichkeit  t9> 
-flüchtigenden  Ansicht,  welche  in  unser»  Tagen  tatk 
Straufs  vertreten  wird,  entgegenzutreten,  und  ihr  |fr 
genüber  dem  Begriffi^  dieser  Persdnliehkeit  eine  Stde 
von  höherer  und  intensiverer  Bedeutung  ancnweitcit 
Aber  schon  darüber  bleiben  wir  im  Unklaren,  wehta 
Charakter  der  Verf.  selbst  der  Untersuchung  befanm 
durch  die  er  diesen  Zweck  erreichen  wiH.  Soll  o 
eine  philosophische  im  eigentlichen  und  strengen  Wort- 
sinne sein?  Aber  welches  ist  denn  das  Verhfltm&i  io 
das  sie  sich  zu  dem  geschichtlichen  Stoffe  stelltf  Vn 
dem  Gedanken,  diesen  Stoff  in  seiner  conereten  B^ 
Btimmtheit  a  priori  constmiren  zu  woUen,  ist  der  Y^* 


BK 


C^nrodi^ 


m  der  Gegen^ifart^   Vergiwgenheit  unil,  Zukunß* 


fm 


obneZweiM  «ben  so  eatfenif,  wfe  jeder  andere  gebil« 
dele  JtiDger  der  neueren  Philesophie.  Wenn  aber  die 
PMIosephie  den  geeehiohtUcben  Inkalt  in  diesem  Sinne 
eenstruifen  weder  kann  noch  will,  so  scheint  ihr  nidits 
(ibrig  SU  bleiben,  als  ihn,  wiefern  er  der  geschichtliche 
ist 9  als  gegeben  yorauszusetten  und  ihre  Arbeit  nur 
darauf  eu  richten,  den  gegebenen  als  solchen  su  begreif 
fen.  Dafs  nun  aber  dies  das  Verhftitnifs  des  Yerfs.  su 
semem  Stoffe  sei,  nftmlieh  zu  der  evangelischen  Ge- 
schichte, wiefern  dieselbe  die  Kunde  von  der  geschieht* 
liehen  PeradnUebkeit .  Christi  enthält,  mCissen  wir  in 
Abrede  atellen,  und ,  wird  er  uns  selbst  nicht  überjre- 
den  wollen«  Die  evangeKsehen  Erzählungen  sollen  nach 
ibm  weder  in  ihrer  Unmittelbarkeit  ein  vollkommen 
trraes,  in  allen  seinen  Thetlen  beglaubigtes  Bild  der 
Persönlichkeit  Christi  geben,  noch  soll  der  historischen 
Kritik,  so  lange  dieselbe  auf  sich  allein  gestellt  bleibt, 
die  Aiumittelung  des  geschichtlich  Wahren  in  jenen 
Brsählungen  gelingen  können.  Als  diejenige  Unlersu* 
ehung,  welcher  dies  allein  gelingen  könne,  wird  viel- 
mehr (S.  58)  nicht  undeutlich  diejenige,  bezeichnet,  wel* 
die  der  Verf.  in  seiner  zweiten  Abhandlung  selbst  un- 
lemimmt,  die  Untersuchung,  welche  ,^von  dem  Resul- 
täte  der  Persönlichkeit  Christi  auf  ihre  historische  £r- 
icheinang  und  Wirksamkeit  zurQckschliefst.**  Sonach 
dso  worde  Wenigstens  dieser  Theil  der  Arbeit  als  ein 
mehr  gesehichtiicher,  oder  eben  so  sehr  geschichtlicher, 
"als  philosophischer,  zu  betrachten  sein«  Allein  damit 
steht  der  übrige  Charakter  der  Arbeit  im  Widerspru- 
tbe.  Dieser  nämlich  läfst  hier  so  wenig,  wie  ander- 
wärts, sich  auf  das  geschichtliche  Detail  ein,  welches 
«am  Gewinn  des  klaren  und  vollständigen  Bildes  einer 
-Ustoriscben  Persönlichkeit  unerläfslich  bleibt.  DerYf. 
befabt  sich.  vielmjBhr  hier,  wie  allenthalben,  mit  dem 
bistorischen  Material  nur,  so  zu  sagen  in  Bausch  und 
'Bogen;  er  nimmt  gewisse  Hauptzüge  desselben,  ohne 
sichtlich  hervertretende  Methode  freilich,  für  seinen 
-Gebrauch  heraus,  und  sucht  sie  unter  allgemeine  Ru- 
briken  m  hringen^  um  aus  diesen  eine  Gesammtvor- 
etellung  des  persönliehen  Christus  zusammenzustellen, 
Ton  der  ea  schwer  sein  dürfte  zu  sagen,  ob  sie  nach 
seiner  eigenen  Absicht  als  eine  gesohicfatUche  Anschau- 
ang,  oder  als  ein  philosophischer  Begriff  dieser  Person- 
Uehkeit  gelten  soll,  die  aber  in  Wahrheit  wohl 'gleich 
oazureichend  für  beides  sein  mochte.  —  In  derselben 
aasichern  Halbheit  zwischen  philosophisclicr  Betrach- 


tung und  kritischer  Feststellung  des  Geschichtlicheo 
gehen,  wenn  auch  vielleicht  weniger  auffallend  für  den 
ersten  Anblick,  auch  die  erste  und  dritte  Abhandlung 
einher.  In  der.  ersten  bleibt  es  undeutlich,  ob  aus  den 
angeblich  geschichtlichen  Aussprüchen  Christi  über  seine 
Präexistenz  die  Bedeutung  der  Persönlichkeit,  YorauSr 
Setzung  ihrer  selbst  zu  sein,  gefolgert  werden  soll,  oder 
ob  umgekehrt  aus  letzterer  die  Authentie  jener  Ausr 
Sprüche.  In  der  dritten  aber  ist  zwar  der  geschichtli- 
che Stoff,  mit  welchem  sich  die  Abhandlung  beschaff 
tigt,  kein  zweifelhafter  mehr}  aber  auch  hier  vermissen 
wir  nicht  minder  die  klare  Unterscheidung  des  geschicht- 
lich Yorausgesetzten  als  solchen  von  der  Betrachtung 
über  dieses  Vorausgesetzte.  Die  Betrachtung  spricht 
in  einem  Tone,  als  gälte  es, .  dieses  Torausgesetzte  von 
vom  zu  construiren,  und  verdui^kelt  durch  diese  Ven- 
mischung  von  Resultat  und  Prämisse  das  Bewubtsein 
über  die  Resultate,  um  \ielche  es  dem  Vf.  zu  thun  war. 
Wir  stellen  nicht  in  Abrede,  dafs  die  Frage  nach 
der  Bedeutung  der  Persönlichkeit  Christi,  welche  der 
Yerf.  zu  beantworten  unternommen  hatte,  in  der  That 
der  Betrachtung  diese  zwei  Seiten  darbietet  ^  die  gei- 
scbichtliche  und  die  philosophische.  Auch  dies  verken* 
nen  wir  nicht,  dafs  beide  Seiten  sich  einander  vielfach 
berühren,  und  dafs  nicht  wohl  eine  derselbto  ohne  itf 
gend,  welche  Berücksichtigung  der  andern  wird  erledigt 
oder  auch  nur  auf  fruchtbringende  Weise  verhandelt 
werdeti  können.  Aber  für  unerläfslich  halten  wir  bei 
jeder  solchen  Verhandlung,  dafs  beide  Fragen,  die  ge- 
schichtliche und  die  philosophische,  deutlich  unterschied 
den  werden.  Wo  das  Bewufstsein  ihrer  Unterscbeir 
duttg  fehlt,  wo  die  Beantwortung  der  einen  durch  Mitr 
tel  erzielt  Wird,  die  wesentlich  in  das  Bereich  der 
andern  gehöret,  oder  das  Unternehmen  dahin  geh^ 
beide  mit  einem  Male  und  ungesondert  von  einander 
zu  beantworten,  da  kann  es  iinsers  Erachlens  nie  zu 
einem  erspriefslichen  Resultate  kommen.  —  Die  ge- 
schichtliche Frage,  welche  durch  Straufs  zum  Problem 
für  die  Forschung  gemacht  ist,  ist' .diese:  Haben  wir 
eine  glaubwürdige  und,  xureicAende  hi%iori%che 
Kunde  von  der  geMchichtlichen  PerMonlicAkeit  Jesu 
von  Ndxarethf  Nach  Straufs  mufs  diese  Frage  ver- 
neint werden.  Die  Tendenz  des  Straufs'schen  Werkes 
geht,  wie  man  sich  nun  wohl  davon  überzeugt  haben 
wird,  nicht  dahin,  die  Existenz  der  historischen  Per^ 
sonliphkeit  Jesu  überhaupt  zu  läugnen ,  auch  nicht  zu 


C^nrmdij  CkriMiuM  i»  der  Gegmwmrt^  Fi^gamg^mAeü  und  Zmkm^ft^ 


*27 

läHgn«!!,  dab  diese  Personlielikeit  eine  avCierordentlioh«» 
Tielleicht  eine  einzige^  #•  in  der  Welfgetchichte  nie 
WiederfcehfeHde  war.  Sie  geht  vielmehr  dahin,  lu  be» 
Weiaeos  dafs  wir  von  dieser  PersOnllehkeit,  von  ihrer 
Lehre ,  ihren  Thaten  und  Sehidcsalen '  Iceine  eigendidi 
historische  Kunde  t  oder,  nur  eine  uhsuverlässige  und 
unsureiehende  besitzen,  dab  wir  von  ihr  geschichtlich 
nur  wissen,  daf$  üt  war,  aber  nicht,  wn  sie  war. 
Dieses  rein  historische,  von  dem  philosophischen  Inhalte 
der  „Sehlubahhandlung"  genau  eu  unterscheidende  Er* 
gebnira  Jener  vielbesprochenen  Kritiic  läfst  sich  auch 
Bur  auf  historischem  Wege  widerlegen«  Es  murs  durch 
positive  historische  Kritik  und  Forschung  nachgewiesen 
w^eti,  dafs  wir  von  der  Persönlichkeit  Jesu  Christi, 
von  SMier  Lehre,  seinen  Thaten  und  Schicksalen  wirk* 
lieh  eine  Kunde  besitsen,  welche  an  Glaubwürdigkeit 
sowohl  als  Vollständigkeit  den  Forderungen  entspricht, 
die  vrir  vom  geschichtlichen  Standpunkt  aus  an  das  Bild 
einer  historischen  P^sönlichkeit  su  stellen  haben.  — 
'Solches  aber  su  thua,  obgleich  wir  annehmen  müssen, 
dars  er'  im  Grunde  tmch  dieses  zu  thun  beabsichtigt, 
hindert  unsern  Verf.  nicht  nur  die  wesentlidi  allgemei- 
nere speculative  Richtung,  weiche  die  Bescliaftigung 
tait  seinem  Gegeostand  genommen  hatte,  sondern  offen- 
bar auch  der  Mangel  eines  klaren  Bewufstseins  über 
die  Natur  eines  solchen. Untemehniens  und  über  dessen 
Bedingungen  und  Erfordernisse.  Denn  gewifs  nur  von 
solchem  Unbewufstsein  kann  bei  der  übrigen  Tendene 
und  jffenk weise  unsers  Verf.  die  AeufseruDg  eingegor 
Iren  sein,  welche  wir  S.  59  finden:  „dafs  wir  auf  hi- 
storisch-kritischem Wege,  indem  wir  uns  an  die  un* 
mittelbare  Ersclieinuiig  der  geschichtlichen  Thatsache 
lialten,  nipht  su  der  Einsicht  und  Gewifsheit  kommen, 
ob  das,  was  uns  von  ihm  ersühlt  wird^  der  wahre  Aus- 
druck  seines  Lebens  und  Wirkens  sei.**  Zwar  liegt 
auch  dieser  Aeufserung  unverkennbar  eine  richtige  Ein* 
sieht  zum  Grunde;  namlicfa  dafs  wir  nach  Wi^B  äußeren 
Gründen  nie  zu  einer  Entscheidung  über  das  Histori- 
sche oder  Unbistorische  der  evangelischen  Erzählungen 
kommen  können,  dafs  ein  Zreugen^-  und  Urkundenk&- 
weit  im  juristischen  Sinne  von  der  Wahrheit  des  In- 
halts dieser  Erzählungen  im  Ganzen  wie  im  Einzehien 
unmSglich  ist.  Allein  so  wie  der  Hr*  Verfasser  jene 
Aeufserung  stellt,  und  zwar  nicht  nur  den  WpKen 
niacfa  >steRt,  sondern  auch  im  weheren  Verlaufe  seiner 


928 


Betrachtung  sie  faktfach  deutet  oder  auslegt ,  aagl  aie 
mehr  noch,  ab  dies.  Sie  sagt,  dafs  auch  die  innern 
Gründe,  w^che  uns  sur  Annahme  oder  Verwerfog 
der  evangelischen  Erzählungen  ija  jedem  ihrer  einsdaM 
TheUe  bestioMMa  seilen,  bicht  in  diesen  Eezablump 
selbst,  sondern  nur  aufeerkulb  derselben,  in  dem  spa» 
teren  Verlaufe  der  Entwiekdung  ehristlieher  QlaubeMk 
und  Kirchengemeiiischaft  gegeben  sind.  -  Uieniut  stallt 
sich  der  Verf.,  ohne  es  zu  bemerken,  in  der  Tluu  auf 
gleichen  Boden  mit  der  iikeptiselien  Ansicht  der  evan- 
gelischen Geschichte.  Dean  gegen  einen  solebim-Bftek- 
schhafs  von  den  Erfolgen  des  persönlichen  ThuJis  Christi 
auf  die  Persönlichkeit,  von  der  diese  Erfolge  aussa- 
gen, liat  auch  Straufs  nichts  einsi»wendcn ;  er  aelhft 
macht  solchen  Schlafs,  wenn  er,  ungeachtet  seiner  ne- 
gativen Kritik  aller  einseinen  Theile  der  evangelischcB 
'  Erzählung,  doch  das  faktische  Dagewesensein  und  die 
Wirksamkeit  der  aurserordentUehen  Persöalidikeil  Jesu 
Christi  im  AUgememen  zugiebt.  Höchstena  kaim  es 
sich  hier  noch  von-  dem  Mehr  oder  Weniger 
tcr  Eigenschafren  und  Prädücate  handeln,  mb 
man  mittelst  jener  Rückschlüsse  von  den  Erfolgen  .die 
Persönlichkeit  Ciiristi  auszustatten  sich  btfrecbt%t  hal^ 
Der  Verf.  erweist  sich  in  diesem  Bezüge  allerdings 
Ireigehiger,  als  Straufs ;  ^  befleifsigt  sich ,  aus  der  ge- 
achiciitlichen  Kunde,  die  wir  von  dem  religiüsea  Lebe« 
der  apostolischen  Gemeinde  liesitzen,  eine  HeÜM  voi^ 
Momenten  auszuheben  und  unter  gewissen  M»dlfiknttap 
nen,  di^  ihm  die  Verschiedenheit  der  SteÜMag  am  ein- 
fordern scheint,  auf  die  Person  ihres  Meisters,,  als 
nothwendig  in  ihm  vorauszusetzende,  su  übertragei^ 
Allein,  durch  solch  abstraktes  Thun  kommt  Hie  «ml 
nimmer  die  kankreie  Anschauung  ein^r  lebendigen  ge» 
achichtlichen  Persönlichkeit  £tt  Stande;  und  maa  kaaa 
überhaupt  fragep,  was  doch  von  positiver  üiinsiciu  md 
diesem  Wege  zu  gewinnen  sei.  Denn  da  die  Eigw* 
Schäften  und  Kräfte,  die  uns,  weil  wir  sie  anden  Apo» 
stein  kennen,  auch  in  Christas  vorauszusetzen  angcseii- 
nen  wird,  bei  aDen  von  dem  Verf.  aügealandenen  Mo^ 
difikationen  doeksta  If'esentlieAen  dieselben  bl«beab 
ao  ist  nicht  abzusehen,  weiche  Bereiolierung  vo&  Ee» 
heblichkeit  durch  solche  Vordt^pelimg  ed^  WiederliOf» 
kmg  eines  ohnehin  Bekannten  unserer  Eri<eantnif% 
unserer  geschichtlichen  Anschaauimp  zu  TheU  weiv 
4en  soll? 


^<Der  Beicblnfg  folgt.) 


J^  «7. 

Jahrbücher 


für 


w  i  8  8  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik 


April  1840. 


Chri$tu$  im  dar  Ctegenwarty  Vergangenlieit  und 
XtiJmtrft.  Drei  AUäfidhmfeny  ah  Beiträge 
zt§r  richtigen  Fassung  des  Begri-ffs  der  Per^ 
sonlichkeity  ton  Kasimir  Conradi 

(Schlafs.) 

Wmn  nmi  solchergestalt  der  gesebichdioben  Seite 
«les  GegettStaadee  bei  UBserm  Hrn.  Yerf.  ihr  Recht  nicht 
%riaderfahrt9  .wemi  viehnebr  die  geBehichülche  Frage 
von  ihni,  kidem  er  sich  mit  eioer  abstrakten  Beautwor^ 
liiii|^  derselben  begnl^t»  in  das  Bereich  der  philosoplii* 
Mhen  hinlibergelpielt  wird;  so  ist  davon  die  unausbleibr 
liehe  Folge  ^  dals  auch  die  pbilosoplAiscbs  Frage  bei 
ihna  nicbt  die  Wendung  erhalt,  welche  sie  erhalten 
waßSMUy  wenn  der  Gegensats  gegen  die  skeptische  An« 
aiobc  von  der  Persönlichkeit  Christi  zu  einem  fruchtba* 
wn  Resultate  fGhren  sollte.  In  ihrem  ausdruckUcheo, 
Bit  BewursUeitt  gefalsten  Unterschiede  von  der  gc- 
•chiehtlicben  lädt  sich-  fär  diese  Frage  euie  doppelte 
Sleliuiig  i|ls  möglich  denken«  JBntufeder  nämlich  es 
wird  dabei  ausgegangen  von  dem  Besultate  der  skept!«* 
MA&t  Kritik;  es  wird  nntersucbt^  ob  die  philosophische 
BeSgionsbetrachtung  sich,  wie  Straub  es  verlangt,  bei 
diesem  Resultate  zufrieden  ge.ben  und  was  an  diesem 
Rosvltat  fdr  das  religiöse  ^Bedürfnils  unbefriedigend 
aeheint,  aus  eigenen  Mittelo,  aus  den  Mitteln  der  spe. 
knlativeB  Idee  ergünEon  kann,  oder  ob  sie  das  Gefühl 
di^^er  Unbefriediguog  zum  Bewufstsein  erhebend,  die 
hitflorisehe  Untersuchung,  so  lange  dieselbe  bei  jenem 
Besullate  anlaugt,  für  noch  nicht  geschlossen  erklären 
und,  aine  ii^eitore  Fortffihrung  derselben  bis  zu  dem 
Punkte^  wo  sie  bei  der  koakreten  Anschauung  der  ge*. 
nliiehtiiehen  Persdnliqhkeit,  um  die  es  zu  thun  ist,  an- 
bogt,  fordern  muls«  Od^r  zweitens ,  es  wird  em  pe^ 
BÜivee  Ergcbniis  der  gesehiehtliohen  Untersuchung ,  ein 
tankretes  und  lebendiges  Bild  der  geschichthcben  Per* 
aSnlielikeit  Christi  voraufgesetzt,  und  von  denr  Inhalte 

Jakrh.  /.  vn$$9M6ki  Kritik.   J.  1840.   I.  Bd. 


dieses  Bildes  die  plulosophisohe  Bedeutung  aufzuzeigen 
versucht.  Beide  Arten  der  pbilosophiscben  Untersuchung- 
erkennen  wir  im  Allgemeinen  als  berechtigt,  obgleich 
wir  nach  unserer  Ansieht  über  das  Yerhftltnirs  des  8pe^ 
kulativen  zum  Geschichtliehen,  nur  von  der.  ]eUt0ren  er» 
warten  können,  dafs  sie  zu  einem  positiven  Resultato 
führen  wird.  Die  erstere  wird,  dafern  sie  sieh  nicht 
bei  dem  Inhalte  der  Straufs'schen  9,Schlursabhandlung,'' 
oder  einem  ähnlich  dürftigen  begnügen  will,  immer  nur' 
bis  zur  SielluDg' ehies  Problems  fortgeben  können,  des- 
sen Lösung  sie  dann  der  weiter  fortzusetsenden  ge» 
schichtlicfaen  Forschung  überlassen  mufs.  ludessen  wird 
auch  das  Terdienst  einer  selchen  Forschiing,  trotz  des 
Mangels  an  einem  positiven  Ergebnisse,  kein,  geringes 
sein,  dafem  es  ihr  gelingt  aus  dem.Zusammenhaage  der 
spekulativen  Idee  für  den  ßegriff  der  geschichtlichen 
Persönlichkeit  überhaupt,  und  aus  dem  Zusammenhange 
einer  spekulativen  Betrachtung  des  christlichen  Reli- 
giansinhaltes  für  die  vorauszusetzende  Persönlichkeit 
des  Stifters  dieser  Religion  eine  Bedeutung  nachzuwei- 
sen, welche  mis  das  Eingestfindnifs  abnöthigt,  dafs  ohne 
ein  urkundliches,  historisch  beglaubigtes  Bild  dieser 
Persönlichkeit  in  dem '  religiösen  Inhalt  eine  Lücke 
bleibt,  welche  schon  den  Gesetzen  des  goschichtlicheti 
Entwickelungsganges  zufolge  schlecihterdings  als  ausfüU- 
bar  oder  vielmehr  als  wirklich  ausgefüllt  gedacht  wer«- 
den  mufs. 

Mit  dem  zuletzt  Ausgesproclienen  glauben  wir  die 
Wendung  angedeutet  zu  haben,  welche  die  Untersu* 
chung  des  Hrn.  Yerf.  hätte  nehmen  müssen  >  wenn  sie 
mit  denselben  Mitteln  jhrem  Zweck  besser  hätte  ent-  ' 
sprechen  sollen.  Eine  historische  Untersuehung  im  ei- 
gentlichen Wortsinn  hatte  der  Hr.  Verf.  oifenbar  nicht 
heabsichtigt ;  solche  von  ihm  fordern,  zu  wollen  wäre 
also  ungerecht«  Eben  so  wenig  aber  kann  er  eine 
philosophische  Abhandlung  solcher  Art  beabsichtigt  ha* 
ben,^  welche  auf  einer  in  der  Integrität  ihrer  Momente 

67 


531 


Conradi^  Chrütus  in  der  GegmwM'i^  Vergangenkeit  und  Zukunft. 


Mi 


vorauageeetxten   historisehen   Grundlage  ruht.    Da«i 
liiuten  seine  Aeufserungen  nicht  Mos  über  die  evange« 
lische  Geschichte  in  ihrer  unmittelbar  vorliegenden  Ge- 
stalt, sondern  auch  ober  das  Termdgen  der  historischen 
Kritik,  die  wahre  Gestak  dieser. Geschichte  su  ermit- 
teln,  EU  skeptbck}  auch  findet  sich  keine  Spur  in  dem 
Werke  von  einer  auf  historischem  Wege  gewonnenen 
Ansicht  über  das  Geschichtliche   in  den  evangelischen 
Erzählungen. ,  Handelte  es  sich  blos  um  die  geschicht- 
liche Frage,,  so  dOrften  wir  behaupten,  dars  der  Yerf. 
sieh  eigentlich  mitStrauls  auf  gleichem  Boden  befinde; 
der   Grund   seiner  DiflTerenz  von  diesem  Kritiker, ,  die 
•ich  allerdings  auch  über  das  Geschichtliche  erstreckt, 
liegt  nicht  innerhalb  des  geschichtlichen,  sondern  inner- 
halb des  philosophischen  Gebietir.    Hier  nun  aber  hat 
sidi  der  Yf«  über  di^  Grenzen  der  philosophischen  For- 
schung hinausführen  lassen,  wenn  er  von  dem  -philoso* 
phischen  Standpuncte  aus  die  Ergebnisse  der  historischen 
Kritik  nicht  blos  als  ungenügend  aufzuzeigen,  sondern 
unmittelbar  zu  rectificiren  unternimmt.    Hier  berechtigt 
er  uns,  mit  Erinnerung  an  den  bekannten  hesiodischen 
Spruch,  ihm  zu  bedenken  zu  geben,  wie   viel  mehr  er 
mit  der  Hälfte  gegeben  haben  wurde,  als  mit  dem  Gan- 
zen.   Die  Hälfte  nämlich  des  von  ihm  Giegebenen  nen- 
nen wir,  wenn  er  sich  begnügt  hätte,  die  Grunde  dar- 
zulegen, weshalb  die  Philosophie  des  Christenthums  sich 
bei  dem  skeptischen  Resultate  der  Kritik  in  Bezug  auf 
den  geschichtlichen  Inhalt    der    evangelischen  Erzäh- 
lungen nicht  beruhigen  kann/    Der  Vf.  hat  mehr  geben 
wollen,  als  dies;   er  hat  an  die  Stelle  des  skeptischen 
Resultates  sogleich  selbst  ein  positives  setzen  wollen. 
Dadurch  ist  es  ihm  begegnet,  dafs  seine  Untersuchung 
das  gerade  Gegentheil  dessen,  was  er.  beweisen  will, 
:wirklich  tu  beweisen  scheint,  nämlich,  dafs  die  Philo- 
Tsopbie  sich  bei  jenem  negativen  Resultate  allerdings  be- 
ruhigen kann.    Denn  wenn  die  Philosophie,  <  ohne  der 
Geschichte  und  der  historischen  Kritik  dazu  zu  bedür- 
fen,  aus  ihrto  eigenen  Mitteln  einen  zureichenden  Be-* 
griff  des  persönlichen  Christus  zu  entwerfen  vermag: 
Wie  anders  als  gleichgültig  wird  sie  sich  dagegen  ver- 
halten>  auf  was  für  Resultate  die  historische  Kritik  von 
ihrem  Standpunkte  aus  über  die  geschichtliche  Persön- 
lichkeit Christi  gelangen  magl 

Und  dies  nnn  ist  der  wichtige  Punet,  auf  welchen 
wir  bei  Gelegenheit  der  vorliegenden  Schrift  mit  allem 
Nachdruck  aufmerksam  machen  wollten^  da  wir  einen 


Mangel  an  Bewufstsein  über  diesen  Punet  nicht 
bei  unsenn  Hm.  Verf.,  sondern  bri  nicht  Wenigen  de* 
rer,  welche  Irom  philosophischen  Standpunet  aus  dco 
Yf.  des  „Lebens  Jesu"  zu  widerlegen  untemalunäi,  be- 
merkt zu  haben  glauben.  GewUs  erkennen  Auciivilr 
es  als  dankenswerth  und  löblich,  wenn  von.  Seiten  der 
philosophischen  Spekulation  das  Unrecht  nachgewtcMB 
wird,  welches  durch  jene  Kritik  und  die  sie  begldt» 
den  philosophischen  Reflexionen  an  dem  Begriflb  im 
Persönlichkeit  begangen  worden  ist«  Aber  nur  zu  hiiil 
vergtfst  man,  dals  die  Speculation  sich  zum  MitsdaU» 
gen  an  diesem  Unrecht  macht,  wenn  sie  den  Ergek 
nisse  der  Kritik  eine  Deduction  des  Begriffs  der  P» 
sönlichkeit  Cliristi  entgegensetzt,  die  von  der  Von» 
Setzung  einer  vollständig  beglaubigten  geschidilSelM 
Künde  von  dieser  Persönlichkeit  frei  sein  will.  Ik 
wahre,  die  a^eoluie  Bedeutung  der  Persönliehkcil^  ib 
sotclier,  jener  Bedeutung,  die  man  mit  Recht  v<«  slba 
für  den  historischen  Christus  in  Anspruch  nimmt,  k» 
steht  nämlich  gerade  darin,  dafs  diejenige  gMlIge  Sik» 
stanz,  welche  in  jeder  einzelnen  bestinnnten  gesdddrt* 
liehen  Person  sowohl  weeentlieh  undßkr  eiek  da  i^ 
als  auch  erscheint  und  sieh  offenbart^  dafs,  ssgesnii^ 
«Titfstf  Substanz  das,  was  sie  ist,  nur  einmal,  nur  ia^ 
eer  Persönlichkeit  ist,  und  nur  in  der  geeehiehiikkta 
Erscheinung  dieser  Persönlichkeit  sich  als  das  efts- 
hart,  was  sie  ist.  Die  Exemplare  einer  TbieigsttuiS 
verschwinden  als  gleichgültige  in  dem  Begriffs  der  0«^ 
tung;  nicht  so  die  Personen,  in  deren  jeder  aaeh  A 
geistige  Substanz  der  Gattung,  der  sie  aögehSrai,  srf 
eine  durchaus  eigenthümliche,  durch  nichts  aadeis  u^ 
fserhalb  dieser  Persönlichkeit  zu  ersetzende  Weise  n* 
nifestirt.  Es  heifst,  diese  Eigenthümliehkeit  der  Ma» 
festation  des  Geistes  in  der  Persönlichkeit,  es  heilst  ali^ 
die  aSsoltite  Bedeutung  des  Begriffs  d^r  PenöidicIM 
verläugnen,  wenn  man  wähnt,  auf  dem  Wege  begri( 
lieber  Abstraction,  etwa  durch  Schlüsse,  die  aus  d« 
geschichtlichen  Erfolgen  abgezogen  sind,  zu  dea  Be- 
griffe einer  Persönlichkeit  gelangen,  und  den  Msagd 
einer  unmittelbaren  Erscheinung  dieser  Vtw^BÜ^ 
keit  ersetzen  zu  können*  IMes  aber  thun  in  Bezug  ui 
den  historischen  Christus  offenbar  alle  diejenigen)  wel- 
che- sich  bei  einem  durch  philosophische  oder  ttIlirl^ 
salhistorische  Reflexion  erzeugten  Atlgemeinbegriffe  M 
Christus  begnügen,  und  darüber  die  Gewifsheb  ftkff 
den  historischen  Charakter  der  evangelischen  Deberlie* 


S33 


Canradiy  CArütus  m  der  OtgenfMri^  FergangsmAeÜ  umd  2EukunfL 


&34 


fiflNHig  enAdireii  la  kteaen  JBein«B.  Wiu  hilft  et,  die 
Feffe<m  Christi  im  Begriffe  noefa  so  l^h  sn  stellen,  sie 
fiur  eine  goltlicbe,  ja  gottglaiche  anxuerkeniien, «  wenn 
ms  keine  Mamfestation  dieser  Persönlichkeit  Torliegt^ 
in  der  wir  sie,  So  su  sagen,  von  Angesicht  su  Ange* 
sieht  aehanun,  sie  vnmittdbar  im  Geiste  vernehmen^ 
vad  mit  ihr  wie  mit  einem  lebendigen  Mensehen  Ter* 
keiiren  können  ?  Ja,  welchen  Sinn  hat  denn  noch  die 
l^lfm^^pruTtg*  Gottes  in  Christo,  wenn  uns. die  geschieht« 
liishe  Peraftnlielikeit  Christi  nicht  offeniary  sondern  t^er- 
kmrgen  ist,  wenn  uns  ihre  lebendige  AnMchauung  ein 
ftt  aUMnal  versagt  ist,  und  wir,  um  üirem  Begriffe 
Mif  .die  S'pur  su  kommen,  su  unlebendigen  Abstractio* 
BMI  aus  Bolchemi  was  nicht  sie  selbst  ist,  unsere  Zu- 
Aidht  nehmen  müssen  1 —  Gewifs  wenigstens  keinen 
•olofaen  Sinn,  der  su  der  Anerkenntnifs  des  geistig  Ab- 
aüluleii,  welches  in  der  Peüsöulichkeit  als  solcher,  der 
individuellen  unmittelbar  daseienden  und  erscheinenden 
fiegt,  in  irgend  einem  V^rhällnüs  stunde,  sondern  höch- 
stens einen  soleheu,  welcher  die  Person  nur  ab  das 
Mütel  der  gottliehen  Offenbarung  betrachtet^  und  also 
auf  eine  oder  die  andere  Weise  suletzt  denn  doch  wie* 
der  auf  die  Ansicht  der  Straulsehen  Sohlursabhandlung 
Jlluiiiskommt 

Was  wir  hier  bemerkt  haben,  kann  swar  tunichst 
WVF  gvgen  die  aweite  Abhandlung  der  vorliegenden 
Seluift  gerichtet  schönen,  es  trifft  aber  in  der  That 
elien  so  sehr  die  erste  und  die  dritte.  In  der  ersten 
werden  die  bibUsoheq  AusqprSohe  Aber  die  Präexistenz 
Cliristi  nicht  etwa  in  ihrer  historischen  Eigenthömlich- 
hAt  aufgefabt,  sondern  gans  äurserlich  als  Belege  fSr 
eimen  allgemeinen  Sats  gebraucht,  der  seine  Wahrheit 
In  dem  Zusammenbange  von  des  Yerfs«  philosophischer 
Ansicht  vollkommen  unabhfiogig  von  jenen  Aussprüchen 
|ty#  Aus  dem  Zusanunentreffen  mit  diesem  Satze  meint 
der  Y.erf.  ganz  unbefangen  die  Aulentlile  jener  sänunt- 
lieh  dem  vierten  Evangelium  entnommenen -Aussprüche 
foIgerD-  zu  dürfen,  wfthrend  gerade  dieses  Zusammen«« 
Ireffen,  gerade  die  abstrus  dogmatische  Haltung,  dieser 
Aussprüche  ilm  hätte  bedenklich  machen  sollen,  ob  die- 
eell»eo  in  dieser  Geetali  von  dem  persönlichen  histori- 
eeben  Christus  herrühren  können.  —  Am  auffallendsten 
aber  wird  der  Mangel  desjenigen  Momentes,  worauf  es, 
^renn  der  VerC.  seinen  Gegensatz  gegen  Straufs  gründ- 
lich liätte  durchfahren  wollen,  wesentlich  ankam,  in 


der  dritten  Abliandlung:  Hier  arbeitet  der  Yerf.  offen* 
bar  seinen  Gegnern  in  die  Hände,  wenn  er  einen  Be.  ' 
griff  der  Gegenwart  Christi  in  seiner  Gemeinde,  in  der 
ehristliohen  Kirche  aufzustellen  sucht,  welcher  nach 
ihm  zwar  das  Dagewesensein  der  historischen  Person* 
lichkeit  Christi  voraussetzen  soll,  in  welchem  wir  aber 
das  Moment  der  fortdaliernden,  unmittelbaren  AueehmS' 
UHg  dieser  P.eisönlichkeit  vergebens  suchen.  Gerade 
hier  aber  wäre  es  von  höchstem  Interesse  gewesen  und 
hätte,  richtig  verstanden,  auf  dem'  Wege  des  Hrn.  Yfs. 
gelegen,  durch  eine  streng  philosophische  Begriffsana^ 
lyse  nachzuweisen,  wie  die  Gegenwart  Chrbti  in  der 
Gemeinde  eine  leere  und  unbestimmte,  nach  Beliebea 
mit  jeder  andern  zu  vertauschende  Redensart  ist^  wenn  , 
nicht  dabei  vorausgesetzt  wird,  dals  die  Gemeinde  in 
ihrer  Mitte  ein  concretes,  individuell -lebendiges  und 
historiseh«  beglaubigtes  Bild  der  geschichtlichen  Persön- 
lichkeit ihres  göttlichen  Stifters  bewahrt,  ein  solches, 
in  dessen  Anschauung  zu  allen  Zeiten  der  Achte  Geist 
des  Christenthums  die  Gewilsheit  seiner  selbst  und  die  * 
FäUgkeit,  «ich  neu  su  eoUnnden  und  von  (remdarttgen 
BinflOsten  zu  läuto»  hat. 

Weifte. 


XLII. 

\ 

Reise  in  die  Steppen  des  sudlichen  Bufslands^ 
unternommen  ron  Dr.  Fr.  Ooejbel^  Professor 
der  Chemie  und  Pharmacie  zu  Dorpat  u.  s.  fr«, 
fn  Begleitung  der  Herren  Dr.  C.  Claus  Und 
A.  Bergmann.  Ister  Theil  mit  12  lithogra- 
phirten  Ansichten,  und  einer  Karte  von'  der 
transwolgaischen  Steppe.  2ter  Th.  mit  6  litho-^ 
graphirten  Tafyln.    Dorpaty  ISSÖ.    in  Ato. 

Obgleich  schon  viele  Reisen  nach  den  Steppen  des 
südlichen  Rubland's  unternommen  und  die  Naturalien 
jener  Gegenden  schon  gröfstentheils  bekannt  sind,  so 
liefert  uns  doch  jede  neue  Reisebeschreibung  über  jene 
merkwürdigen  Gegenden  mehr  oder  weniger  Interes«-' 
siinte  Resultate.  Hr.  Goebel,  der  Verf.  dieser  Reisebe- 
Schreibung,  ist  als  Chemiker  der  gelehrten  Welt  be- 
kannt, er  konnte  nur  8  Monate  dieser  Reise  widmen, 
aber  diese  Zeit  hat  derselbe  auch  wahrhaft  gut  benutzt. 
Als  Chemiker  und  Physiker  richtete  er  seine  Aufmerk* 


/ 


535 


Goebel^  ReUe  m  die  SUppm  dei  Htdticken  »nf$lani$. 


636 


aamkeit  «inilohst  auf  die  yntersucbuiig  der  reicken 
Kochsals«,  BfUertalz-  und  Glaubersalsseen,  lo  wie  auf 
die  ausgetroekueten  Salzs^n  und'  ihre  auegewitterten 
Sakmasseo ;  auf  die  genauere  Erforschung  der  venMbie^ 
dienen  Salzkräuter  hiDsidiilinb  ihrer  geographisohen 
Verbreitung,  ilurer  Anwendbarkeit  zur  Sodafabrikation 
rnid  ihres  Gehaltes  an  Natron  in  verschiedenen  Zeiten 
ihres  Waduthums;  ferner  auf  die  ehemiselie  Analyse 
des  Wassers  vom  kaspischen,  schwarzen  und  asow- 
achen  Meere,  so  wie  auf  die  gasförmigen  Exhalatio» 
nen  der  Sehlannnvulkane  Tamans  u.  s.  w«  Zwei  Schü«- 
l«r  des  Verfs.,  die  Hrn.  Dr.  C.  Qaus  und  A.  Berg- 
flsann,  machten  die  Reise  mit  und  trugen  das  ihrige  EÜm 
Gelingen  der  E zpedbion  bei ;  besonders  hat  -  sich  Er^» 
aterer  der  BeobadiUing  und  Einsammlung  der  Pflan« 
zen  und  Thiere  unterzogen.  Es  darf  kaum  erwähnt 
werden,  dafs  aneh  diese  Ri^ise  allerhöchsten  Ortes  leb* 
haft  unterstutzt  wurde. 

Das  vorliegende  Werk  zerffiUt  in  zwei  Theile;  der 
erste  enthält  einen  kurzen  histprischen  Bericht  über  die 
Ausführung  der  Reise»  während  der  zweite  Theil  die 
rein  wissenschafllichen  Arbeiten  enthält  und  überaus 
reich  an  Resultaten  ist,  durch  welche  die  physikalische 
Erdbeschreibung,  die  Botanik  und  mehrere  andere  Fä- 
cher sehr  bereichert  werden,  wefshalb  auch  Reo.  haupt- 
sächlich auf  diesen  zweiten  Theil  sein  Augenmerk  rich- 
teu  wird. 

Der  Verf.  trat  Ae  Reise  am  21.  Jan.  1834  an,  er 
war  mit  physikalischen  Instrumenten  und  Reisegeräthen 
gut  versehen  und  richtete  seinen  Weg  über  St.  Peters- 
burg nach  Moskau,  woselbst  er  6  Tage  verweilte;  ei* 
nige  Mittheilungen  über  Moskau  geben  uns  eine  An- 
sicht von  der  Pracht,  <ler  Grübe  und  der  Lebendigkeit 
in  den  Strafsen  dieser  Stadt,  vi^%  man  von  einem  der 
Thfirme  des  Kremls,  dem  Iwan-  Welikod-Thurm,  am 
besten  übersehen  kann.  Die  kolossale  Glocke  soll 
6,400000  Pf.  schwer  sein  und  in  dem  gröfsen  Exerzier« 
haus  sollen  10000  Mann  manöveriren  können.  Am 
14.  Febr.  wurde  Moskau  verlassen  und  in  aller  Eile 
die  Reise  nach  Saratow  ausgeführt,  um  daselbst  noch 
vor  Abgang  der  Winterbahn  einzutreffen;  über  den 
schleöbten  Weg  wird  sehr  geklagt.    Einen  eigenen  Ein« 


druck  machen  auf.  diesem  Wege  die  Dikfer,  in  4trai 
Vordergründe  gewöhnlich  viele  WindmeUen,  12  -»2 
und  selbst  bis  SO,  oft  meistens  mit  6  FlQgeln  reue» 
heQ)  stehen.  Saratow  gewährte  einen  euUüdEenta 
Anblick;  im  Halbkreise  von  zienüich  hohen  GeUif;« 
umgeben,  liegt  die  Stadt  amphitheatiralisch  am  sid^oil. 
liehen  Abhänge  derselben ;  die  Wolga  war  noek  vä 
Eis  'bedeckt  (26.  Febr.)  und  mehrere  hundert  enge* 
frorene  Fahrzeuge  mit,  ihren  hohen  Masten  ragtei  m 
derselben  hervor«  Die  Wolga  »Inseln  wurden  bcfloek 
und  ihre  Herrlichkeit  geröbmt.  Die  Salz  -Magaiise  M 
dem  Dorfe  Pokrowskaja  wurden  besucht,  sie  sathid. 
ten  das  Salz  vom  Elton -See,  worüber  der  Verf.  ia 
2(en  Theile  die  ausföhr)fehs(en  Nachrichten  giebt  Bk 
Magazine  bestehen  in  groCien  hölzernen  Qebäuden,  «d- 
che  bis  unterm  Dach  mit  Salz  angefüllt  werden;  « 
sind  deren  25  daselbst  und  jedes  enthält  MO^  Ui 
110,000  Pud  (zu  40  Pf.)  Salz;  unter  50  Pod  f« 
kauft  man  nicht  aus  diesen*  Magazin^i.  Die  Walg» 
gebirge  bei  Saratow  sind  angeschwemmte  Ciebirge^  db 
aus  verschiedenen,  oft  unordentlich  über  und  dureUi^ 
ander  liegenden  Ablagerungen  bestehen,  Sand  weA 
seit  mit  Thonlagen,  bituminösem  Kalkstein  und  G}|i* 
ädern;  auch  diese  kahlen  Berge  tragen  soI^hi  denChi- 
rakter  der  Steppe,  aber  in  den  ausgebreiteten  Sd^hnk- 
ten  dieser  Wolgagebirge  sind  die  herrlichsten  Ob^ft^ 
ten  augelegt,  in  welchen  Tausende  von  Bäumen  gekcgk 
und  durch  Pumpwerke  gewässert  werden.  In  dser  da- 
selbst angelegten  Seidenplantage  finden  sich  gsgsn  7flN 
Stück  Maulbeerbäume.  Die  Marien  -  Celonien ,  jtBl 
musterhaften  Yersorgungsanstallen  der  Zoglfaige  ta 
Moskauer  Findelhauses,  Werden  ausführlich  besdnMbsi^ 
welche  die  Kaiserin  Maria  Feodorowna  ua  J.  16S 
gründete.  Anfangs  April  bekam  die  Wolga  offene  Std. 
len  und  im  Wolgagebirge  zeigten  sich  die  ersten  Bh* 
men:  Ornithogalum  pusillum,  Yaleriana  tuberöse,  Bii* 
bocodium  vemum,  Adonis  Wolgensis  und  Tulpen.  Di^ 
Beschreibung  eines  Steppensturms  mit  ScbneegcstU« 
ist  von  vieleqi  Interesse  \  diese  StQrme  fShren  oftnib 
ungeheuren  Schaden  an  Herden  herbei  und  selbst  die 
Menschen  finden  in  grofser  Anzahl  dab^i  ihren  Ted. 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


v¥  68. 

Jahrbuch  er 

für 

wissenscha  f  1 1  i  c  h  e 


Kritik 


April  1840. 


,Reüe  in  die  Steppen  des  südlichen  tiu/iland$y 
'    unternommen  ton  DnDr.  Ooehel. 

(Fortsetzung^ 
Am  15.  April  ward  Saratow  verlassen  und  die  Step- 
peafahrt  in  zwei  daselbst  erbauten  Wagen  unternom« 
jueo)  der   Weg  führte  über  den  Rücken   der  daselbst 
^emlieh    hohen    Wolgagebirge   naöh   Kamyschin,   wo 
iSich  die  Wolga  noph  stattlicher  ausnimmt  als  bei  Sara- 
tow;  es  werden  hier  .sehr  gute  Mühlsteine- gebrochen« 
JVachdem  die  Wolga  überschritten  war,  ging  die  Reise 
sum  JBlton  -  See  $  die  einförmige  Steppe  eeigte  überall 
ihren  Fruhlingsschmuck  und  Luftbilder  unterhielten  die 
Reisenden.    Der  Elton -See  ward  sehr  umständlich  un- 
tersucht, wie  es  die  Resultate  der  schönen  Arbeiten  im 
^Eweiten  Theile  des  BerichU  ergeben  werden ;  hier  nur 
.noch  einige  historisch  -  sta|istische  Nachrichten  iiber  die- 
/len  reichhaltigen  See.    Bis  sum  Anfange  i%%  18.  Jahr- 
hunderts war  der  See  im  Besitze  der  nomadisirenden 
Kalmücken;  1705  legten  russische  Handelsleute  daselbst 
«i^e   kleine  Versclianzung   an  und   nun  begannen  die 
JBewohner  von  Saratow   und  Kamyschin    die  Gewin- 
jftusg  des  Salzes  aus  diesem  See.'   1747   legte  jedoch 
^e  Krone    eine  Sälzverwaltung   am  Elton  an.     Der 
Elton -See  betragt  von  W.  nach  O.  20  Werste  und  von 
.8.  nach  N.  16  Werste;  der  ganze  Umfang  47  Werste; 
B  kleine  Flusse  fallen  in  den  See  und  im  Frühjahr  ist 
.in  allen  diesen  salziges   oder  bitteres  \yasser,  aber  die 
14L.  daselbst  errichteten  Brunnen  geben  sehr  gutes  sufses 
.Wasser,    Schon  1805  sudite  man  die  Tiefe  der  ange- 
häuften Salzlagen  dieses  See*s  zu  erforschen ;  es  wurde 
der  Grund  bis  2  Faden  Tiefe  eingeschlagen.    Die   er- 
sten SalKlagen  waren  \  —  2  Werschok  dick,  aber  nach 
42  solchen  Lagen  vergröfserte  sich  die  Dicke  auf  5  Wer- 
sehok;    nach   100  Salzlagen  ward  die  Masse  so  fest, 
dafs  die  Instrumente  zerbrachen.    Zur  Gewinnung  von 
einer  Million  Pud  Salz  sind   125  Mann  den  Sommer 
/aAr6.  /.  trutesfciL  Kriiik.  J.  1840.  L  Bd. 


über  beschäftigt;  2  Arbeiter  können  täglich  600  Pud 
liefern  und  fQr  jedes  Pud  bekommen  die  Arbeiter  3  Ko» 
peken.  1834  waren  in  den  Magazinen  dieser  Gegend 
7  Millionen  Pud  Salz  aufgehäuft,  und  am  Elton  wurde 
das^Pud  mit  85  Kopeken  verkauft,  und  vom  Jahr  1823-^ 
1832  hat  die  Krone  für  das  Elton  •  Salz  einen  Gewinn 
von  21,945668  Rubel  (Pap.)  gehabt  I  Ueberhaupt  lernen 
wir  aus  vorliegender  Reise,  dafs  Ru  Islands  Salzmaga- 
zine für  Jahrtausende  unerschöpflich  sind  und  einem 
unermefslichen  Reiclithum  einsehiielsen. 

Vom  Elton  -  See  ging  die  Reise  zum  Kirgisen  -  Khan 
Dschanghir^  der  unter  russischer  Oberherrschaft  die 
Kirgisen  beherrscht,  welche  sich  im  J,  1805  der  russi- 
schen Regierung  unterwarfen.und  die  Steppen  zwischen 
der  Wolga  und  dem  Ural  bewohnen ;  wir  erhalten  eine 
interessante  Beschreibung  des  Privatlebens  und  des 
ungeheueren  Luxus,  welchen  didse^  Fürst  in  seinem 
Pallaste  entfaltet.  .Alle  Möbel  waren- von  Mahagoni, 
grobe  Spiegel  und  Kronleuchter  und  die  prachtvolbten  . 
persischen  Teppiche  zierten  die  Zimmer ;  man  speiste 
daselbst  nach  europäischer  Art  und  feine  französiselie. 
Wekte  wie  Champagner  fehlten  dabei  keineswegs.  Die 
jährliche  Weiorechnung  des  Khans  hat  14000  Rubel 
betragen.  Diese  Kirgisenhorde  soll  aus  189,300  Indi* 
viduen  bestehen,  die  in  16^550  Kibitken  oder  Jurten 
(Filzzelten)  herumziehen;  sie  besitzen -99,300  Kamele, 
165000  Stuck  Hornvieh,'  824,500  Schaafe  (Pettschwänze) 
und  496,500  Pferde.  Der  Handel,  welchen  die  Rus- 
sen mit  den  Kirgisen  betreiben^  bt  sehr  lebhafi;  im  J. 
1823  betrug  er  fast  3  Millionen  Rubel 

Die  Fortsetzung  der  Rebe  Wurde, über  die  Vor« 
posten  Glininoi  am  kleinen  Usen  nach  der  Festung  der 
Indersk*schen  Berge  gerichtet,  wobei  die  Wasserbassins 
der  Kamysch-Samara-Seen  untersucht  Vurden;  auch 
zu  jenen  Gegenden  hat  sich  die  Tarakane  (Blatta  orien- 
talis)  in  solcher  Menge  verbreitet,  dafs  sie  fast  im 
Stande  bt  den  Menschen  zu  vertreiben.    D^r  \f.  giebt 

68 


530 


Goebely  Bette  in  die  Steppen  des  südUeAen  Bufolande. 


5)0 


mehrere  Beispiele  von  der  Gefräbigkeit  dieser  Thiere, 
welche  ihm  sogar  die  Stiefelwichse  Terzehrten.  (Reo. 
erlebte  es,  dafs  diese  Thiere  die  Tinte  aussoffen,  hier- 
auf in  eine  Nebenkajute  gingen^  durch  die  Schlössellö- 
clier  in  den  Kleiderschrank  drangen  und  die  Tinte  auf 
die  reine  Wäsche  wieder  entleerlen).  Unser  Reisendem 
war  bei  dem  Fischfang  im  Ural  sugegen,  welcher  durch 
die  dortige  Militairhehörde  in  gröfster  Ordnung  gelei- 
tet wird;  ein  Hetman  mit  einer  Kanone  und  einem  Pul- 
▼erkarren  war  dabei  stätionirt.  Ueberall  an -den  Ufern 
wurden  die  herrlichsten  Sewrjugen  und  andere  schöne 
Accipensen  -  Arten  aufgehäuft  und  viele  Hände  waren 
damit  beschäftigt  den  Kaviar  und  die  Hausenblase  zu- 
zubereiten, wie  die  Fisi^he  einzusalzen.  Züge  von  Hun- 
derten von  Wagen  bringen  die  Ergebnisse  des  Fisch- 
fangs davon ;  der  Flufs  wimmelte  von  Kähnen  und  Net- 
zen und  tägliifli  wird  nur  eine  kleine  Strecke  ausge- 
fischt. Die  uralischen  Kosaken  treiben  Viehzucht,  Vieh- 
handel  und  Fischfang,  letztem  die  ärmeren;  im  Winter 
.schätzt  man  die  dortigen  schönen  Fische  wie  folgt: 
Stör  obenan,,  das  Pud  gegen  12  Rubel  (3.  Thlr.  pr.), 
^ie  Sewrjugen  10  Rubel,  den  Hausen  8  Rubel,  den  Ster- 
let aber  nur  5  Rubel. 

Der  Ural  -  Fluis  scheint  sein  Bette  von  Gurjew  aus 
seit  Pallns- Zeiten  sehr  verändert  zu  haben  ;*  eine  Menge 
von  Kanälenj  welche  früher  vom  Ural  nach  dem  caspi- 
schen  Meere  führten,  sind  ausgetrocknet,  aber  noch  im- 
mer bildet  die  Mundung  de$  Ural  ein  vielverzweigtes 
Delta,  welches  aber  immer  mehr  und  mehr  verschlammt, 
wozu  die  Fischerei  auf  dem  Flusse  nicht  wenfg  beitra- 
gen soll.  Gurjew  gegenüber  liegen  auf  der  asiatischen 
Küste  einige  hübsche  Obstgärten;  an  den  Ufern  eines 
der  Kanäle  des  Ural  wimmelte  er  von  Coluber  hydrus 
und  scutatus  und  den  grofsen  lachenden  Fröschen  (Rana 
eachinnans).  Der  Verf.  unternahm  vom  Ural  aus  eine 
Fahrt  in  das  caspische  Meer,  um  daselbst  das  Wasser 
zur  Analyse  zu  schöpfen  \  vor  den  Uralmundnngen  war 
das  Meer  so  seicht,  dafs  die  Tiefe  oft  kaum  1--3  Fufs 
betrug.  Eine  Menge  Seebunde,  Pelikane  und  Möven 
belebten  die  Wasserfläche.  Nach  der  Rückkehr  ging 
die  Reise  über  den  Vorposten  Jamankalinsky  und  ent- 
lang  die  Küsten  des  caspischen  Meeres  nach  Astra- 
chan; die  Reisenden  erhielten  die  Nachricht,  dafs  das 
Wasser  dieses  Meeres  seit  1810  um  drei  Arschin  'ge- 
fallen sei. 

Unter  den  Nachrichten  über  Astrachan  finden  wir, 


daf»  die  Ausfuhr  im  Jahr  1829  über  3  Million  Robel 
beitrug,  die  Einfuhr  dagegen  nur  etwas  weniger;  imier 
den  Droguerie^Waaren  war  die  grofse  QuandtHt  Gat 
banum  bemerkenswerth,  welches  hier  in  Thierhfiutai 
gepackt  zum  Verkaufe  auslag.  Es  waren  einige  19 
Säcke  zu  1^ — 2  Pud,  aber  von  der  weichen  und  {dk 
lieh  gefärbten  Sorte,  ohne  Kqrner  aber  von  starkem  Ge> 
ruche ;  der  Preis  betrug  10  Rub.  B«  A.  für's  Pud.  Vei 
Astrachan  aus  fuhren  die  Reisenden  mit  einem  Daii|£ 
boote  die  Wolga  hinab  bis  zum  Leuehtthurme  im  eaip» 
iichen  Meere,  eine  Strecke,^  die  125  Werst  letcagt;  die 
Mündung  der  Wolga  liegt  nur  85  Werst  Von  Astia» 
chan  entfernt.  Auf  dieser  Fahrt  ward  die  Quarantaine 
besucht,  welche  seit  1833  von  der  Insel  Bentul  nack 
einer  andern  verlegt  ist,  welche  unfern  der  Hauptm&n* 
düng  der  Wolga  liegt,  und  zugleich  erhalten  wir  ein 
ausführliche  Besehreibung  dieser  Anstalt.  Bei  einer 
Ausfahrt  nach  Tscherepache^  12  Werst  von  Astraehai 
entfernt,  wurden  die  Gärten  mit  ihr^n  praphtvoHen  Aik 
lagen  besucht,  ;welche  sich  da-selbst  auf  einem  Gute  k^ 
finden;  man  pflückt  daselbst  tSglieh  400  bis  600Pfni 
Centifolien- Rosen,  welche  für  die  Oriental^sn  zu  Re^ 
aienwasser  verbraucht  werden.  Die  feurigen  Wdae 
Siciliens  und  Ungarns,  die  des  Rheingaus  und  Frank* 
reichs,  so  wie  Champagner,  alle  dort  gezogen  und  ge^. 
keltert,  finden  sich  in  den  gemauerten  Kellern  jeM 
Gutes.  Gegen  30  verschiedene  Traubensorten  wetlea 
dort  gebaut  und  an  6000  Weder  Wein  gekeltert.  Wi 
ersten  Astrachaner  Trauben  werden  frisch  nach  Moieii 
und  Petersburg  versendet  und  das  Pud  wird  dort  sk 
3 — 4  Rubel  B.  A.  bezahlt.  Das  Beschneiden  derll^ 
ben  geschieht  im  Herbste  und  die  Reben,  deren  Tni» 
ben  gegessen  werden  sollen,  werden  stark  bewäsaerti 
an  guten  Küpern  fehlt  es  jedoch  noch  recht  sehr. 

Am  3.  Mai  "wurde  Astrachan  verlassen  und  lei 
Krasnojar  aus  die  Glaubersalzseen  von  Kigatsch  be- 
sucht und  dann  von  Chotschetaewka  ans  die  Reiie 
durch  die  Steppe  zum  Asargar,  zum  TschaptsehlilK^ 
zum '  Bogdo-Berge  und  über  Wladimirowka  nach  8i* 
repta  gemacht;  hach  d^m  Hodometer  betrug  die  Ent* 
fernung  von  Chotschetaewka  bis  zum  Asargar  I^( 
Werste,  von  da  zum  Tschaptschutschi  72,5  Werste, 
zum  Bogdo  92,7  Wersle  und  endlich  nach  Wladimi- 
rowka 47,5  Werste,  woselbst  die  ReLsenden  wieder 
über  die  Wolga  gingen.  Zu  Sarepta  wurde  Hr.  Go^ 
bei  leider  von  einem  Nervenfieber  befallen,  welches  ÜA 


641 


M^te*  ie»  Etra  ou*  Orantada^ 


h\% 


Hw  kostbar«  Wochen  der  Reisezeit  muUe.  Herr 
Zwiek  EU  Sarepta  besitzt  eine  asialbche  Manssamm- 
,tttBg,  deren  gr^rste  Seltenlieiten  anfgefUlirt  : werden. 
Von  Sarepta  aus  ging  die  Reise  durch  die  Steppe  nach 
Neu  •  Tscherkask  und  nach  Taganrog,  woselbst  der 
Kaiser  Alexander  entschlief.  Die  Stelle,  welche  die 
Kaiserin  in  der  Sterbestunde  ihres  Gemahls  eingenom* 
men  hatte,  schmückt  ein  kleiner  schön  gestickter  Tep-- 
pich,  auf  welchem  die  ^orte:  Unser  Engel 'ist  im 
Hinaaiell  eingenäht  sind. 

(Die  FortsetsBDg  folgt) 

XLIII. 

M^ses  bsf$  Esra  aus  Oranada,  Darstellung  seines 
JLebens  Und  literarischen  IVirkenSy  nebst  hebräi- 
schen Beilagen  und  deutschen  Uebersetxungen^ 
von  Licapold  Dukes.  Altana^  gedruckt  bei  Ge* 
ArUder  Bonn.  8.  #Y  u.  115  S\  {Jahrxahl  fehlte 
Vorrede  ist  1839  geschrieben^. 

Der  Verfasser  dieses  gehaltreichen  Werkchens  hat  sieh  der 
gdehrten  Welt  schon  vor  einigen  Jahren  durch  das  von  ihm 
keransg^ebene  Werk:  „£Areiijätf/eji  und  Denkneiue  zu  einem 
kßU^ftig^n  Pantheon  hehr'dUcker.  Dichter  und  Dichtungen^**  Wien, 
1S37.  auf  das  Tortheilhafteste  bekannt  gemacht«  Wie  dort  ein 
gefeierter  Dichter  (Salomon  ben  Gabirol)  der  Haaptgegenstand 
der  Bebandlang  ist,  so  aach  hier;  mehr  aber  noch  als  dort  steigt 
Hr*  O.)  une  seiner  Begeisternag  für  die  von  ihm  besonders  ge- 
yfle^te  Wissenschaft  auch  sein  Fleifs  entipricht,  and  eine  that- 
luraftige  AnsfiihrBn|[.  nicht  hinter  seinem  gnCen  Wollen  ^znriick- 
Ueibt. 

Durch  das  vorliegende  Werk  kann  sich  der  Blick  des  flüch- 
tigen Ltcsers  abermals  an  den  eigenthiimlichen  Schönheiten  der 
XiHentar  and  Geschichte  der  grofsartigen  Maurisch -Spanischen 
Periode  weidea;  aber  der  tiefer  forschende  Gelehrte  vom  Fach 
vird  hier  aagleich  manchen  Resultaten  begegnen,  die  für  bibli- 
Bcke  Elxegese  und  Literaturgeschichte  gleich  wichtig  sind,  und 
ihre  Forderung  auf  Anerkennung  noch  deshalb  hoher  steigern 
dSrfcn,  'weil  sie  sith  auf  eine  mühsame  Lektüre  von  vielen  Hand- 
schriften gründen, '  die  im  In-  und  Auslande  zerstreut  liegen.  -  Es 
ist  Hr.  D ,  der  zum  ersten  Male  die,  bis  auf  einzelne  Gedichte, 
■naainlKeh  angedruckten  Werke  des.  Moses  ben  Esra  in  ihrem 
S^dsmainienhange  prüft,  und  uns  in  einem  anschaulichen  Gemälde 
die  vielseitige  Geistesthätigkeit  ihres  Verfassers  darstellt.  Im 
poetiaeben  Theile  jedoch  hatte  er  einen  Vorgänger  an  Professor 
iMzzaio  in  Paduuy  welcher  kurz  vorher  in   dem  vierten  Bande 

der     hebritischen    BrieCuimmlung,    "iCn   Ü^JS   mehre  profane 

•    V  V   •* 

Gedichte  abdrucken  liefs,  die  Hr.  D.  von  ihm  früher  brieflich  zar 
Veröffentlichung  in  seiner  Schrift  mitgetheilt  erhielt. 

Die  Annahme,  dafs  Moses  ben  Esra  ganz  dem  11.  Jahrhun- 
dert  aDgehüre   (Wolf  lälst  ihn  4080,  De  Rossi   1100  sterben) 


wird  durch  den  Veiifttsser  widerlegt ,  indem '  er  ein  Gedicht  von 
ihm  anführt,  das  die  Jahrzahl  1137  an  der  Stirne  trägt.  „Seine 
philosophische  Gelehrsamkeit,^  heifst  es  S.  2.,  „beurkunden  drei 

Werke    .....  1)    DTOSH    PlSI^^    Oewürzbeet§   es  ist  aaf 

der  Hamburger   Stadtbibliotbek ,  Cod.  Hebr.  310,  6  Quartblätter 

stark.    2)   yN'^nSN  ini   SSrO,   Blumen  der    GarUn;   in 

der    Qxforder   Bibliothek    Cod.  494    bei  Uri   (Siehe  nnten).    3) 

HTOhÜ   SNT   NISnO    hN weiches    schwerlich 

in  einer  Europäischen  Bibliothek  zu  finden  sein  dürfte ." 

Die  poetischen  Schöpfungen  zerfallen  in  religi(ise  Gedichte 
and  in  profane.  Von  den  erstem  siqd  mehre  in  verscMedenq 
Gebetbücher  aufgenommen.  Hr.  D:  wandte  grofse  Mühe  und 
Talent  an,  alles  davon  gedrukte  zu  sammeln  und  zu  prüfen;  er 
verglich  in  Sffentlichen  und  Privat  -  Bibliotheken  die  seltenste^ 
Druckwerke  und  Handschriften,  und  es  gelang  ihm,  hier  an'  200 
der  schünsten  Gebete  des  Hymnologen  zu  beschreiben« 

Zu  den  profanen  Gedichten  fibergehend,  finden  wir  zunächst 
eine  Sammlung  beseh rieben,  die  sich  unter  dem  Namen  Diva» 
bis  auf  unsre  Zeit  erhalten  hat,  aber  wahrscheinliqh  nur  noch 
ein  einziges  Mal  vorhanden  ist.  Sie  ist  im-  Besitze  des  Prof. 
Luzzato.  Sie  enthält  ungefähr  10,000  Verszeilen,  von  welchen- 
schöne  Muster  im  Vorliegenden  gegeben' sind,  und  durch  die 
nach  brieflichen  Mittheilungen  des  Besitzers,  hier  abgedruckten 
Ueberschriften  und  Zueignungen  vieler  dieser  Gedidite  kann  das 
Alter  und  die  Lebens-Verhältnisse  mancher  historisehen  Personen 
ermittelt  werden. 

Das  gröfste  Werk  des  Moses  ben  Esra  ist  das  Bach  WV^J% 

welches  handschriftlich  in  den  öffentlichen  Bibliotheken  zu  Ham- 
burg, München  und  wahrscheiulich  zu  Paris  ist  (wegen  Oxford 
s.  unteh);  aufserdem  besitzt  es  auch  der  genannte  Luzzato.  Der 
ältere  Titel  des  Boches,  wahrscheinlich  ihm  von  seinem  Verfas- 

ser  schon  gegeben ,  war    P jy^  d.  L  Hahketee,  Getchtneide,    Spä- 

ter,  unbekannt  zu  welcher  Zeit,  nannte  man  es :  TD^W*^n  weil  der 

Zahlwerth  der  Buchstaben  dieses  Wortes  die  Sumnie  von  1210 
giebt,    nnd    es   auch  der  Bedeutung   (Edelstein)  nach  von  dem 

Worte   pjy  nicht  ganz  fem  ist.    Wie  wegen  der  Verszaht,  so 

hat    man   ihm  auch   wegen    der    Versart    einen   neuen    Namen 

Ü^2^    (fälschlich  beim  Verfasser  n'>J3iM)^  beigelegt    Dieser 

Ausdruck,  dessen  Bedeutung  Hr.  D.  nur  nach  einer  Stelle  bei 
A.  Gavison  zu  geben  vermag,  und  die  der  im  Arabischen  sonst 
bewanderte  Luzzato  durch  etymologische  Spielereien  zu  gewin- 

5       o    -» 
nen  sucht,  ist  nichts  unders,    als  das  Arabische    lyjL^^Alsziiy 

worüber  das  Nähere  in  der  De  Sacyschen  Ausgabe  des  Hariri 
p.  233  schal,  und  in  Freytags  „Darstellung  der  Arab.  Verskunst" 
S.  522  nach  zusehn  ist. 

Den  Inhalt  dieses  In  zehn  Kapitel  zerfallenden  Buches' be- 
schreibt Hr.  D.  folgendermafsen :  „Das  erste  Kapitel  ist  blo£s 
der  Rahmen  ^r  die  Lobeserhebungen  dessen,  dem  das  Buch  des- 


Cap.    8.  Dt    ■olitaria   %-ita 
Biort«  rtc. 


^  543  Moses   Aen  Esr0   4ms  Granada. 

dicirt  ist Id  dec  That  sind  viele  dieser  Lobeserheboft- 

gen  mit  grofser  Kühnheit' aasgedrilckt)  und  wOrden,  wenn  nie. dem 
Chalifen  von  Bagdad  in  der  Bliithezeit  des  Chalifats,  oder  dem 
Chrofs-Mogiil  gemacht  worden  wäreni  auch  sehr  übertrieben  und 
allet  Maafs  überschreitend  sein  •  •  .  .  ,  Deif  Gegenstand  des 
t weiten  Kapitels  ist  IFWn,  Oesang  und  Liebe.  Lob  ^ei  Lanä' 
iebem  macht  den  Inhalt  des  dritten  Kapitels  aus.  Liebeepem  und 
Trennung  beklagt  der  Dichter  im  vierten  Kapitel.  Das  fünfte 
besingt  ichöne  Mädchen  und  Knaben,  Im  sechsten  wird  über 
faliche  Freunde,  im  siebenten  über  das  Hinschwinden  der  Jugend 
geklagt.  Im  achten  werden  Betrachtungen .  über  irdische  Ver^ 
gangUchkeit  angestellt.  Im  neunten  werdt^n  Elitre  und  Mensclien^ 
würde  besungen,  und  das  Vertrauen  auf  GoU  empfohlen.  Im 
zehnten  endlich  sind  verschiedene  Gedichte  zum  Lobe  der  Poesie,^ 
Wir  haben  die  Inhaltsangabe  defshalb  etwab  ausführlich  mit- 
getheilt,  weil  wir  die  Berichtigung  eines  Irrthums  daran  knüpfen 
wollen,  den  Üri  zuerst  begangen  und  seine  Nachfolger  in  der 
liodlt janischen  ßibliotheh  beibehalten  haben,  der  auch  den  gründ- 
lichen J.  C.   Wolf  verführt  hat,  und  den  endlich  |Ir.  D.  selbst, 

unbegreiflicher  Weise  überschn  hat.-  Das  Buch  ^7W  SNH^ 
VK^^^N  nämlich,  welches  dieser  als  das  zweite  philosophische 

Werk  angiebt,  ist  ^etJt  anderes  als  TD^^U^^H«    Referent  hat  bei 

einer  andern  Gelegenheit  schon  auf  diesen  bibliographischen  Irr- 
thum  aufmerksam  gemacht,  und  es  bedarf  hier  nur  einer  Zusam- 
menstellung dessen 5  was  Luszato  vom  Inhalte  seines  U^^V^^H 
berichtet  (S.  Kerem  Chemed  4.  Th.  S.  71.)  mit  dem^  was  Uri 
Tom  Inhalte   der  zehn  Kapitel  des    y^4^^hK  \  b     (C^^*  ^^4) 

sagt ,  um  den  Leser  zu  überzeugen ,  dalif  dieser  Codex  nichts 
anders  enthült,  als  das,  was  Hr.  D.  von  dem  Hamb.  Tharschisch 

^  erzKhlt,  kurz  dafs  tü'^lÜ'in  »nd  yN^^^N  *\  *3    identisch  sind. 

Das  erste  Kapitel  hat  Uri  irrthümlich  für  ein  Lob  auf  Gott  ge- 
nommen, weil  er  wahrscheinlich  die  ausschweifenden  Lobeserhe- 
bungen nur  auf  Gott  beziehn  zu  müssen  glaubte;  wir  schliefsen 
es  daher  von  unsrer  Zusammenstellung  aus,  obgleich  dieses  neue 
Yersehn  Uri^s  handgreiflich  genug  ist.  Dagegen  rergleiche  man 
vom  zweiten  Kapitel  an.: 

Uri  Cod.  494  mit  Luzzato  a,  a.  0. 

Cap.    2.Deconmiw  etc.  ^On   nn23«>l   HH^O 

-  3.  -  aqai«,  hortw  etc,   H^ifiiyn  noT^  man  ns"»^" 


614 

nyö,  |om  nnaoo 
nsc'bom  •\vir\  fem 


4.  —  -amore  etc. 

5.  —  senectute  etc. 

6.  —  rerum  mutatione 

etc. 

7.  —  discessn  ab  ami- 

eis  etc. 


ro^^T^  Sy 


.  —     9.  —  fidttcia  In  deum 
etc. 

—    10.  —  solutae  orationit 

puritate  et  liga- 
tae  elegantia. 
Im  Hamb.  Tharschisch  haben  nnriCapitel  5  und  7  ihn  Stil- 
len vertauscht;  aufserdem  aber  entspricht  sein.  Inhalt,  Mie  nn 
gesehn,  ganz  dem  Luzzato^schen  und  dem  Oxf.  Cod.  494.  Diem 
ist  sonach  kein  neues  Werk  des  Moses  ben  Esra,  soadeniiii 
neue  Handschrift  seines  Tharschisch*  Den  Arabischen  Nua 
mufs  man  Wahrscheinlich  der  dortigen  Arabischen  Ptraphraie 
viudiciren. 

Von  S.  50—60  bietet  uns  Hr.  D.  Uebersetzangen  au  dei 
Büchern  Dioan  und  Tliarschich^  wobei  er  mehr  Gewandtheit,  ib 
Rücksicht  auf  das  Metrum  zeigt.    Eiue   der  Uebertragnnges  Ttf- 
dient  aus  mehrern  Ursachen  RUge,'  besonders  defshalb^  veil  te 
Uebersetzer  das  Original  wahrscheialieh  falsch  gelesen  hat  mk 
diesem  dadurch  ein  sinnloses,   nnd  noch  dazu  unedles i  Bild  n^ 
bürdet     Wir  meinen  das  S.  54  aus  dem  Tharschisch  übenetitt: 
Gemach  doch*  o  Gazelle  l 
"Sicht  umgebracJit  den  artnen  Gasi^ 
Mit  Busen  wie  die  Pfeilcf 
Süyser  als  der  Honig  fasU 
Die  ersten  Wqrte  der  dritten  Zeile  müssen  nodii^end);  imI 

Hr.  D.   Uebersetsung  Q^*!U^3  heiDsen ;  es  stand  aber  unpriig' 

lieh  wohl  9  oder  steht  im  Hamburger  Codex  wirklich  Q^3^)0 

mti  Augen»    Schwertich  ist  das  Wort  J?acieji  bloller  Dnicktthi 
für  Blicken. 

Znm   Schlüsse    theilen    wir    das    S.   101'  aas  den  IMw 
'  entlehnte  schone  Gedicht :  „Auf  die  Gräber"*   überschriebet  nit: 

Vy  mayb  -^sa^yo  •^jisc^pn 

?^DNi  ON  ^ny  "^a  inaan 
.^Dipo  DTv^nah  •^aw)ni 

Welches  wir  so  Übersetzen: 
Aufgeregt  von  Bildern  erging  ich  mich  dorten^  wo  frisdM 
Schlummern^  die  mich  erzeugt,  schlummern  He  einst  mich  ßduH' 
Grüfsend  nahV  ich,  jedoch  nicht  erwiedert  wurden  die  Grüfttl 
Haben  die  Eltern  sogar  treulos  verlassen  mich  schont! 
Feierlich  ohne  des  Worts  vernehmlichen  Laut  sie  mich  fw/«» 
Zeigend  zur  Seite  den  Ort,  welcher  nur  meiner  noch  hont 

L. 


Ji^  69. 

J  a  h  r  b  ü  c  h  e  r 


w  i  8  8  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    K  r  i  t  ik 


April   1840. 


Meüe  m  die  Steppem  des  sudUcken  Rufelande^ 
unternommen  ron  Dr.  Fr.  Qoebel.. 

(Fortoetzang.) 

Ton  Taganrog  machten  die  ReiseiKden  d|e  Fahrt 
Sber  das  Asowache  Meer  nach  KerUchi  wobei  sie  ei« 
neift  heftigen  Sturm  anaKustehen  hatten  $  aie  hindeten 
bei  JenUcale  und  besuchten  die  Naphthaquellen  und 
SehlainniTulkane  jener  Gegend.  Auf  den  Gipfehi  meh- 
rerer fiugel  seigten  eich  4  Zoll  bis  mehrere  Fuls  im 
Durchmesser  haltende  Oeffnungen  mit  einer  achhimmi. 
geu  Masse  angefüllt,  die  in  einer  wallenden  Bewegung 
war,  als  ob  sie  kochte.  Yen  Zeit  su  Zeit  hob  sich  die 
Blasse  über  den  Rand  und  flofs  den  Berg  hinab.  Auf 
tfinem  Berge  fanden  sich,  gegen  20  solcher  Ausbrüche, 
wahrend  in  geringer  Entfernung  wieder  ein  einselner 
froiserer  Sclilammvulkan  in  einer  Vertiefung  von  20 
Fufs  Durchmesser  in  Thätigkeit  war.  Es  erhoI»en  sich 
liier  Blasen,  und  Steine,  welche  in  den  Schlamm  ge- 
worfen wurden,  schienen  wie  in  eiuen  Brunnen  su 
fallen.  Zu  Kertsch  befindet  sich  ein  Museum  für  die 
In  der  Umgegend  aufgefundenen  Alterthumer;  man  hat 
aber  .die  vielen  wertbrollen  Sachen  nach  Petersburg 
kommen  lassen*  Taman  wurde  besucht  und  19  \Y  erste 
hinter  Taman  der  erste  Schlamm^lkan  besichtigt; 
die  Gewinuungsweise  der  Naphtha  ist  hier  wie  am  kas« 
piftchen  Meere.  Bei  demDorfe  Aklanisowka,  40  Werste 
Ton  Taman,  liegt  ein  anderer  Schlammvulkan ;  er  ist 
fast  300  Fttb  hi>ch  und  hat  mehrere  Oeffnungen,  wel- 
ehe  jedoch  gröfsteniheils  verstoj^ft  waren.  Yon  Kertsch 
führte  die  Reise  nach  Sympher6pol  und  von  hier  aus 
wurde  die  Südküste .  der  Krjm  besucht,  welche  ihrer 
schönen  Natur  wegen  vielfach  gepriesen  wird;  il^ber 
Eupatoria,  Perekop,  Pereslaw,  Cherson  und  Nhsolajew 
.  ^ng  es  nach  Odessa  und  von  hier  aus  wurde  die  Rück- 
kehr nach  Dorpat  bereits  am  28.  August  angetreien. 

Die  schonen  speziellen  Arbeiten,  welche  den  la- 

Jahrb.  /.  wiMMch.  Kritik.  J.  1840.    I.  Bd. 


hi|lt  des  xweiten  Bandes  bilden,  beginnen  mit  den  che* 
mischen  Untersuchungen  der  wichtigsteh  Salzseen  und 
Salzflüsse  der  transwolgaischen  Steppe  und  der  Krym, 
welche  grofses  Interesse  darbieten.  Das  Wasser 
des  Elton*See8,  welches  schon  von  Erdmann  und  H, 
Rose  analysirt  worden  ist,  mirde  im  Frühlinge  ge- 
schöpft ^nd  gab  bei  der  Analyse  eiüen  auffallend  gro- 
Iseren  Gehalt  an  Chlomatrium,  nämlich  13,1  pr.  C, 
während  Erdmann  7,1  und  H.  Rose  nur  3,8  pr.C.  fan- 
den, dagegen  sehr  bedeutend  weniger  Chlortalcium. 
Der  Verf.  erklärt  diese  Abweichung  dadurch,  dafs  zur 
Zeit  des  Frühlings,  wenn  die  Selineemassen  der  Step* 
pe  geschmolzen .  sind  und  dadurch  dem  Elton  »See 
euie  uhgeheüre  Masse  von  süfsem  Wasser  zukommt, 
das  Chlortalciuni  sich  in  einer  verdünnteren  Lösung 
befindet,  dafs  aber  der  Gehalt  an  Kochsalz  zu  die* 
ser  Zeit  in  dem  Wasser  weit  greiser  als  im  Som- 
mer ist,  weil  mit  dem  Beginn  des  Sommers  erst  die 
Yerdunstung    des    Wassers    und    dadurch    die. -Aus- 

*  •  

Scheidung  des  Kochsalzes  beginnt.  Die  leicht  lös- 
lichen Salze,  wie  Chlortalcium,  Bittersalz  u.  s.  w.  wer- 
den aber  mit  dem  Verdunsten  der  Waasermasse  in  um 
so  gtöfseren  Quantitäten  zurückbleiben. 

Ein  Nivellement,  Welches  der  Verf.  zwischen  dem 
Elton-See  und  der  Wolga  ausrührte,  lehrte,,  dafs  das 
Iiiiveau  des  Elton-Sees  6,5  Toisen  unter  der  Wolga  bei  . 
Kamyschin  und  9,6  Toisen  über  dem  Niveau  des  cas- 
pischen  Meeres  liegt.  Der  Elton -S^e  erhält  seih  Salz 
keines  Weges,  wie  Mehrere  meinen,  durch  Salzfl^tze, 
welche  unter  dem  See  liegen,  sondern  der  Verf.  über- 
zeugte sich  vollkommen,  ^dafs  das  Eltonsalz  ein  abgela- 
gertes Salz  ist,  welches  durcli  einige  Flüsse,  besonders 
dbrch  die  Charysacha,  dein  See  zugeführt  wird.  Die 
speciellsten  Beobachtungen  beweisen  dieses;  die  Was- 
sermasse der  Charysacha  giebt  ein  trapezförmiges  Pro- 
fit von  368  Quadrat-Fufs,  und  giebt  mau  ihr  einen  Fall 
von  48  Fuls  auf  400  Werst,  so  erhält  man  eine  Was- 

69 


547 


Goebely  Reise  in  die  Steppen  des  südlichen  Rufslands. 


sermasse  von  460  Kab.  Fufs  in  der  Sekunde,^  und  diese 
Masse  enthält  1515  Pfund  Salz  (66  Pfund  auf  einen 
Kub.  F^.)«  £s  wird  also  dem  Elton -See  jährlich  un- 
gefkhr  eine  Salzmasse  von*  47,777  Millionen  Pfund  zu- 
geführt. Der  Verf.  liefs  sich  ungefähr  1|  Werst  in 
den  Elton-See  fahren,  und  hier  war  der  Grund  dessel- 
ben ähnlich  einer  spiegelglatten  Eisfläche  mit  einer  fe* 
sten  äalzmasse  bedeckt;  die  darüberstehende  Salzlauge 
war  8  Werschock  tief  und  auf  ihrer  Oberfläche  er- 
zeugten sich  beständig  Salzkrusteti,  welche  darin  nie- 
derfielen. Bohr^'ersuche  gaben  Aufschlufs  über  die  Na- 
tur des  Bodens  am  Elton;  eine  Arschine  tief  lagerte 
festes  «Salz,  welches  mit '  dünnen  Schlammlagen  abwech- 
selte. Hierauf  kam  eine  reine  Schlammlage  von  einer 
Arschin  Tiefe,  hierauf  abermals  ein  Salzlager  von  j- 
ArsehiH  Dicke  und  unter  diesem  ein  zäher,  grauer  Thon 
.  von  6  Arschin  Tiefe, 

'Ungeheure  Massen  von  Kochsalz  werden  alljähr- 
lich während  des  Sommers  aus  dem  Grunde  des  Elton- 
See's  gebrochen;  es  zeigt  sich  schmutzig- weifs,  IstaKer 
von  fremden  Bestandtheilen  ziemlich  rein.  (96,5  pr.  C« 
Kochsalz,  1,8  pr.  C.  Wasser,  1  pr.  C.  Gjps  und  eine^ 
Kleinigkeit  von  Clilorkalium  und  Chlormagnium.) 

Der  Verf.  legt  uns  die  sprechendsten  Beweise  vor, 
dafs  alle  Salzseen  der  Steppe  ihren  Salzgehalt  erst 
durch  Bäche  und  Flusse  empfangen,  die  sich,'*aus  Stein- 
salzlagern kommend;  in  sie  ergossen,  und  ebenso  ver- 
halten sich  die  Seen  zwischen  dem  kaspischen  und 
dem  schwarzen  Meere,  so  das  Salz  der  Krym'schen^ 
Salzseen.  Kleinere  Salzseen,  die  Salzpfützen  der  Step« 
pe,  in  welche  sich  kleinere  Salzbäche  ergiefsen,  mögen 
ihren  Salzgehalt  vielleicht  höhergelegenen  gröfseren 
Salzseen  verdanken,  deren  Lauge  durch  )interirdische 
Abflüsse,  ihnen  zusickert  So  mögen  auch  die  ausge- 
trockneten Salzseen  am  nördlichen  Ufer  -de^  kaspischen 
Meeres  entstanden  sein. 

.  Der  Verfasser  giebt  femer  die  genauesten  Analy- 
sen des  Wassers  vom  Gorkoi-Jerik  (bitterm  Bach)  am 
Elton-See,  des  Schlammes  vom  Elton -See^  des  Was- 
sers vom  Gorkoi-Osero  (bitterem  See),  welches  2  Pro- 
cent Salze  enthält,  die  aus  Gjps,  Bittersalz,  Glauber- 
salz und  Kochsalz  bestehen.  Ferner  die  Analysen  des 
Wassers  vom  Kamysch-Samara-See,  des  Wassers  vom 
Stepanowo  -  Osero  zwischen  den  beiden  Usen  -  Flüssen, 
welches  22,4  pr.  C.  Kochsalz  und  nur  geringe  Zumi- 
schung von  Chlormagnium   und  schwefelsaurer  Talk- 


548 

«de  enthalt,  so  dafs  es  zu  den  reichen  udd  reiniun 
Salzseen' gehört.  Das  Wasser  des  Indersksehen  Sah* 
Sees  enthält  sogar  23,9  pr.  C.  Kochsalz,  1,7  ^r.  C. 
Chlormagnium  u.  s.  w. ;  derselbe  soll  im  Sommer  gau 
austroeknen,  denn  er  wird  von  einem  kleinen  SalzflQli. 
cheu  gespeist,  dessen  Wasser  zwar  nur  2,7  pr.  C 
Kochsalz  enthält,  aber  jährlich  doch  an  586  MillioM 
Pfund  dem  Inderskschen  See  zuführt. 

Die  Untersuchung  eines  der  17  Bittersalzseen,  wd- 
ehe  in  einem  kleinen  Umkreise  am  Kigatseh  lieg«o,  irt 
gleichfalls  von '  vielem  Interesse  \  das  Wasser  eattitt 
in  100  Theilen  8,2  schwefelsaure  Talkerde,  9^9  Chlor- 
magnium  und  11,5  Chlornatrium.  Diese  Salzlauge  bil- 
det  ebenfalls  weifse  Salzkrusten^  welche  zu  Boden  fal- 
len und  eine  Salzrinde  auf  dem  Boden  bilden,  die  ni 
schon  krystallisirtem  Kochsalze  besteht;  diese  Bisii 
erlangt  im  "Verlaufe  des  Sommers  die  Dicke  von  1  Ui 
1^  Fufs.  Unter  dieser  Satzlage  findet  sieh  in  aUea  je* 
neu  17  Seen  ein  Salzgemenge  von  schwefelsaurer  Talk» 
erde  und  schwefelsaurem  Natron,  welches  früher  tmtir 
dem  Namen  des  Astrachanschen  Salzes  verkauft  wimbi 
Es  Ijagert  gegen  einen  Fufs  tief  uad  daräber,  und  te 
Yerf.'  hält  es  für  ein  Doppelsalz,  bestehend  aus  1  At 
schvi^efelsaurem  Natron,  1  At.  schwefelsaurer  Talkerie 
und  4  At.  Krystallwasser ;  er  macht  femer  auf  des  b>- 
glaublichen  Reichthum  aufmerksam,  welcher  is  der 
Salzmasse  der  Karduanscheu^  Bitterseen  liegt.  Die  Re- 
gierung sollte  sich  der  Sache  annehmen  und  kohleih 
saures'  Natron  und  kohlensaure  Magnesia  aus  jenes 
Doppelsalze  machen  lassen  $  nach  ungefähren  Sehit- 
zungen  wäre  von  Ersterem   für  810  MillioDeo  ViM 

» 

und  von  Letzterem  für  629  Millionen  Rubel  dsraiu  n 
fabriciren« 

Das  Wasser  des  grofsen  und  reinc^n  Salzsees  an 
Arsangar  besteht  in  100  Theilen  aus  17,8  ChlornatriuB) 
0,1  Chlormagnium  und  einer  Spur  von  schwefelsavna 
Kalk  und  Talk,  das  des  Bogdo.Sees,  welcher  im  SfA- 
Sommer  ganz  eintrocknet,  sogar  18,9  Chlornatriufli,  M 
Chlormagnium,  0,9  Chlorcalcium  u.  s.  w.  Das  Wssier 
des  Salzsees  Tusly  beilSak  in  der  Krym,  der  dndi 
seine  wirksamen  Schlammbäder  berühmt  ist,  entbiek  h 
IW  Theilen  18,1  Chlornatrium,  5,7  Chlormagniaa,  iß» 
schwefelsaure  Talk^rde  und  etwas  ChloVkalium  vrf 
schwefelsauren  Kalk.  Endlich  hat  der  Verf.  auch  eine 
sehr  umständliche  Analyse  des  Badeschlammes  9us  des 
Salzsee  Tusly  gegeben,  welcher  ein  sehr  zusammenge- 


M9 


Q006ely  Beue  in  die  Siepf^m^thi  indliehen  Rußlands: 


S50 


aetxies   Aggregat  der  versehtedenartigsten  SnbsUmteii 
der  ScUaminiiiaäse  iit.     Der  roihe  8al»ee  (Krasnoe- 
Osera)  bei  Perokep  in  der  Krym  seigce  sich  aber  als 
der  reiehste  der  Salzsecen  $  win  Wasser  entbiek  37,2 
pr.  C.  Salze,  utid  zwar  in  100  Theilea  17,5  Chloma«. 
trloni,  17,9  CUemagninm  und  1,7  Chlorealeium.    Der 
Biwaseh  oder  das  faule  Meer  in  der  Krym  ist  ein  un- 
reiaer    Salzsee,   weleher   einen   abscheulichen  Geruch 
nach  Schwefelwasserstoff-  und   Sümpfgas   mit  eigen* 
thümliehen,  unbeschreibbaren  Ausdunstungen  der  trolc- 
ken  werdenden  schlammigen  Ufer  der  Salzseen  verbreitet 
,Daa  Wasser  enthält  in  100  Theiien  17,2  Chlomatrium 
u.  #•  w.  nebst  organischen,  stickstoffhaltigen  Substanzen. 
Der  zweite   Abschnitt    dieses  Bandes  giebt   eine 
irergleichende    chemische    Untersuchung    des-   Wassers 
der  drei  Meere,  welche  die  Steppen  des  südlichen  Ruis* 
lands  bespülen.     Das  Wasser  des  scliwarzen  Meeres 
zeigt  längs  der  ganzen  SQdköste  der  Krym  eine  >ge- 
a&ltigte  schwarzblaue  Farbe,  in  einem  Glase  ist  es  je« 
doch  farblos;  es  enthalt  in  1000  Gewichtstlieilen  14,0 
Clilornatrium,  0,1  Chlorkalium,   1,3  Chlormagntum,  1,4 
schwefelsaure   Talkerde,   ferner  einzelne  Zehntel   pro 
Cent,  von  Gyps  und  koflilensaurem  Talk  und  Kalk,  so» 
WI0  eine   Spur   von  Brommagnium.      Die   specifische 
Schwere   betrug    bei    \i?  R.  1,013,  das  Wasser  des 
Asowsch^n  Meeres  dagegen  zwischen  Kertsch  und  Ma- 
rinpol  bei   U""  R.   nur  1,00970.     Die.  Analyse   ergab 
dann  auch  den  geringen  Salzgehalt,  z.  B.  nur  9,6  Chlor- 
natrium  in  1000  •  Theiien,  obgleich  dieses  Meer  doch 
gerade  nicht  so  ungeheuer  viel  süfses  Wasser  erhält. 
UmM  Wasser  des  kaspischen  Meeres  ist  von  blaugrüner 
Farbe  und  schwach  salzigem  Geschmacke;  das  speci- 
fische Gewicht  betrug  bei  W  R.  1,00539.    Die  Analy- 
neu  des  Wassers  dieser  drei  Meere  zeigten  dem  "Verf. 
.  vwBi  in  jedem  derselben  Salze,  aber  in  abweichenden 
qvaalitativen  Terhältnissen.    Das  kaspische  Meer  be* 
weise  durch  seinen  grofsen  Gehalt  von  Talkerdesalzen 
(in  1000  Theiien   Wasser  0,0129  doppelt  kohlensaure 
Talkerde  und  1,2389  schwefelsaure  Talkerde)  im  Ver« 
haltnisse  zum  Kochsalz  (rhl)i  ^^^  ®*  auiser  Verbin- 
dung mit  anderen  Meeren  ist,  und  durch  das  Bittersalz 
der  angrenzenden  Steppen  gespeist  wird.    Fast  sollte 
man  glauben,  sagt  der  Verf.,  das  kaspische  Meer  sei 
dast  ein  Sufswassersee  {;ewesen  und  habe  allmäUig 
aua  der  angrenzenden  Steppe  seinen  Salzgehalt  em- 


pfMigen,  und  die  Alten  hielten  auch  das  kaspische  Meer 
nach  Plinius'fQr  einen  Sufswassersee. 

Der  drttle  Abschnitt  giebt'  die  chemische  Untersu- 
chung der  vorzüglichsten  Halophyten  der  kaspischen 
Steppe  auf^  ihren  Kali-  und  Natrongehalt.  Der  Verf. 
unternahm  diese  interessante  Arbeit  eines  Theils  für 
die  noch  unentschiedene  Frage,  ob  bei  verschiedenem 
Alter  dieser  Pflanzen  die  Quantität  der  Kali-  und  Na- 
tronsalze eine  verschiedene  sei,  und  in  wie  weit^  die 
Annahme  Einiger  sich  constafiiren  lasse,  dafs  im  Ter- 
laufe  der  Entwicklung  dieser  Pflanzen  das  eine  ^^kali 
in  das  andere  fibergehe,  oder  in  späterer  Zeit  erst  aus 
den  Luft-  und  •  Erdpotenzen  aufgenommen  werdet- an- 
^dem  Theils  aber,  um  dadurch  einen  Maafsstab  für  die 
zweckmäfsigste  Benutzung  dieser  Gewächse  zur  Soda- 
fabrikation zu  gewinnen.  Der  Verf.  sammelte  auf  sei- 
ner Reise  eine  Menge  der  vorztiglichsten  Halophyten 
der  Steppe  im  jüngeren  Zustande,  vor  der  Blttthe-Ent- 
Wickelung,  und  die  völlig  ausgewachsenen  Pflanzen 
wurden  später  von  dem  Hm.  Apotheker  Langenfeld 
zu  Sarepta  gesamiyielt  und  in  Dorpat  die  schönen 
Untersuchungen  derselben  angestellt.  Leider  sind  un- 
ter den  im  jungen  und  im  allen  Zustande  gesammelten 
Pflanzen  nur  3  einer  und  derselben  Art  angehörig,  so 
dafs  ihr  Salzgehalt  vergleichend  betrachtet  werden 
kann  und,  was  Rec.  hiebei  für  das  Wichtigste  hält, 
dafs  die  zu  ^vergleichenden  Pflanzen  auf  einem  und 
demselben  Boden  wuchsen,  das  scheint  ganz  übersehen 
zu  sein.  Langenfeld  sammelte  die  alten  Pflanzen  wahr- 
scheinlich in  ganz  andern  Gegenden,  als  wo  der  Verf. 
die  jQngeren  entnahm.  Es  wurden  die  Pflanzen  ein- 
geäschert und  die  erhaltene  rohe  Soda  umständlich 
analysirt ;  solcher  Analysen  werden  20  mitgetheilt.  Von 
Halimocnemis  «rassifolra,  von  Salsola  clavifolia  und 
von  S.  brachiata  sind  die  Analysen  der  jungen  Pflan- 
zen und  der  alten  zu  vergleichen;  aus  ihnen  ergiebt 
sich,  dafs  die  jungen  Pflanzen  zwar  eine  weit'  grofsere 
Quantität  roher  Soda  geben,  aber  die  darin  enthalte- 
nen löslichen  Körper  differiren  in  quantitativer  Bezie- 
hung nur  unbedeutend  von  einander;  in  ersteren  Pflan- 
zen schien  sich  das  Chlornatrium  später  zum  Theil  in 
kohlensaures  und  schwefelsaures  zu  verwandeln.  Bei 
Salsola  clavifolia  enthält  die  junge  Pflanze  kein  Chlor- 
natrium, dagegen  aber  viel  Chlorkalium,  während  sich 
in  der  alten  Pflanze  wieder  weniger  Chlorkalium,  aber 


051 


O^0tel,  Reiis  in  dis  SUppen  dn  $94tioAim  JKu/iUttdt. 


dafttr  aiioh  eine  dem  Tensdiwundeiien  Chlorkalimvi  siem* 
lieh  entspreebende  Menge  Chlornatrium  «eigte.  Der 
Natrongehall  bt  in  alten  und  jungen  Pflansen  uemiioh 
gleich.  Die  Analysen  geben  das  Resultat,  dafs  man 
fu  jeder  Zeit  die  Pflapsen  einäschern  kann,  denn  die 
Quanlitfit  und  der  innere  >Verth  der  rohen  Soda  wurde 
^|cl^  nicht  erheblich  verSndem.  Jene  6  Analysen  der 
drei  genannten  Pflansen  zeigen  eiiiige  auffallende  Ver- 
schiedenheiten; der  Natrongehalt  ist  in  f|Uen  fast  gans 
gleich  geblieben,  aber  der  Kaligehalt  ist  in  den  jungen 
Pflanzen  grofser^  als  in  den  alten  und  besonders  auf» 
fallend  bei  Salsela  clavifolia,  so  dafs  man,  wie  der  Mt» 
sagt,  allerdings  tu  dem  Glauben  Veranlassung  nehmen 
konnte:  es  werde  im  Verlaufe. der  Vegetation  das  Kali 
in  Natron  übergeführt,  oder  sonst  wie  aus  diesen  Pflan» 
aen  beseitigt  JederNaturforscher  wird  die  hohe  Wich- 
tigkeit obiger  Behauptung  erkennen,  aber  Reo,  glaubt, 
dafs  dieselbe  noch  lange  nicht  erwiesen  sei,  denn  mcm 
kann  diesen  Analysen  den  Einwurf  machen ,  dafs  die 
jungen  und  die  alten  Pflansen  nicht  von  einem  und 
demselben  Boden  genommen  worden  sind. 

Aus  den  vorliegenden  Analysen  läfst  sich  folgen« 
der  Rang  der  Halophyten  zur  Sodafabrikation  angeben : 
1)  Salsola  clavifolia  (22,  3—42  pr.  C.)  §  2)  Hallmocne. 
mum  crassifolia  (7,^  vl-SÖ  pr.  C.  in  der  jungen  Pflanze) ; 
3)  Salsola  Kali  im  jungen  Zustande  25  pr,  C.  u«  s.  w. 

Der  vierte  Abschnitt  enthält  chemische  Untersu«- 
ehungen  verschiedener  Gegenstande,  worunter  wir  die 
Untersuchungen  der  gasförmigen  Exhalationen  der 
Schlammvulkane  auf  Taman  finden.  Dafs  Schlamm^ 
Vulkane  und  Naphthaquellen  nahe  bei  einander  vorkom- 
men, ist  bekaunt,  und  dafs  beide  zu  einander  in  Bezie- 
hung stehen,  ist  darum  sehr  wahrscheinlich,  ob  aber 
die  Naphtha  und  die  Gasarten  Ausflüsse  brennender 
Steinkohlenfiötze  sind«  oder  ob  man  sie  für  Froducte 
eines  nach  in  Tbätigkeit  begriffenen  Umwaodlungspro« 
sesses  der  Piaiep  der  Vorwelt  in  Steinkohlen  zu  haU 
ten  hat,  das  mag  der  Verf.  nicht  entscheiden.  Die  sorg- 
samste Analyse  des  Vulkangases  gab  in  100  Theilen 
5,08  Kohlenoxydgas,  13,76  Proto-Kohlenhydrogengas, 
79,16  Deuto  •  Kohlenhydrogengas  und  2,0  atmosphäri- 
sche Luft;  Schlamm  und  Wasser  des  Vulkans  zeigten 
einen  schwachen  Kreosqtgeruch  und  dieses  wie  die  Ana- 
lyse der  Gase  deuten  darauf  hin,  dafs  in  der  Nähe  der 
Schlammvulkane  Steinkohlenlager  vorkommen^  und  Nach« 

(Der  Beschlttff   foI{^t.) 


feffsehungen  hierauf  wiren  au  wünsehen«  Jhi  Wum 
dar.  Naphthaquellen,  so  wie  das  Wasser  der  Sehlanm« 
Vttikane  ward  untersucht ;  in  beiden  kämen  nur  Spnrai 
von  Gyps  und  Chlornatrium  vor  und  in  beiden  warte 
speeifische  Gewicht  geringer  und  der  Chlomatnuap. 
halt  kleiner,  als  beim  Wasser  des  Aso wachen  Meerei 

Der  berühmte  Catharinenbrannen  ^  bei  Sarepls  «!> 
springt  in  einer  von  wilden  Apfelbäumen  und  Ahon 
beschatteten  Schlucht  der  VTolgagebirge;  er  zeigt  10* 
R.  Wärme  bei  SSl<'  R.  Luftwärme;  enthält  freie  Kok- 
lensSure,  und  16  Unzen  Wasser  geben  12^  Gr.  sdivei 
fdsaures  Natron,  7,5  Gr.  schwefelsaure  Talkerde,  13J8 
Gr.  Chlornatrium,  3,4  Gr.  zchwefelsauern  Kalk  usJ 
eben  soviel  doppelt  kohlensauern  Kalk  u.  s.  w.  Elg^ 
hört  also .  diese  Quelle  zu  den  wirksamsten  Heilwii» 
aem,  welche  sich  auch  ohne  Zersetzung  versenden  läfa. 

Der  Vf.  untersuchte  auch  die  ausgewittertea  Sab- 
messen  der  Steppe  und  glaubt^dafs  das  Sals  derseliiencnl 
aus  dem  vom  VTasser  verlassenen  Boden  auswittert,  nri 
nicht  ein  durch  Verdampfen  hinterUiebener  Sakrsck« 
stand  ist ;  es  bestehen  diese  Efilorescensen  bald  m 
reinem  schwefelsaurem  Natron,  bald  aus  einem.  GesMip 
von  diesem  Sake  mit  schwefelsaurer  Talkerde  «rf 
Chlornatrium,  welchem  kleine  Massen  kolileDsaoito 
Kalks,  kohlensauren  Talks  und  schwefelsauren  Kalks  iet> 
gemengt  sind.  Kohlensaures  Natron  wird  nicht  HSfj^ 
wittert. 

Der  Verf.  richtete  seine  Aufmerksamkeit  auch  inf 
die  Natur  der  Steppenerden  hinsichtlich  ihrer  Tsi^ 
lichkeit  zur  Bepflanzung,  denn  es  wäre  kein  kleiM 
Gewinn,  wenn  jene  völlig  waldlose  Fläche,  die  Tram- 
wolgaisehe  Steppe  von  6  hia  8  Längengraden  mi4  W 
eben  so  vielen  Breitegraden,  wenigstens  zumTbdlte 
Cultur  unterworfen  werden  könnte ;  naturlidi  kSniei 
Gegenden,  die  mit  starren  Kochsalzmassen  altjahrlkk 
bedeckt  werden,  nur  für  eine.eigenthnmKche  VegeUte 
geschickt  gemacht  werden.  Kein  Baum,  kein  Strasck 
erfreut  das  Auge  im  Innern  dieser  groben  Wüste,  & 
von  kriegerischen  Hirtenvölkern  und  ihren  Heerden  bk 
aus  Jahr  ein  durchzogen  wird,  und  dennoch  ist  & 
Vegetation  daselbst,  wenn,  gleich  immer  eine  eigeolhün- 
liehe,  an  vfelen  Stellen  sehr  üppig  zu  noitten;  dieGri- 
ser,  die  in  üppiger  Fülle  wuoliern,  werden  sorgfältig  ^ 
den  Kirgisen  zum  Winterfutter  für  ihre  Heerden  g^^f^ 


J  a  Ii  r  b  fi  c  h  e  r 

für 

wissenschaftliche    Kritik. 


April  1840. 


JBeüe  in  die  Steppen  des  südlichen  Bu/slands, 
unternommen  von  Dr*  Fr*  Goebel. 

(Schlafs.) 

Aufserdem  findet  man  nur  in  der  Ncihe  der  Wolga 
und  besonders  auf  ihren  fruchtbaren  Inseln  eine  reiche 
Tegetation,  so  wie  theilweise  Bewaldung.  Die  Colo- 
nicen  am  linken  Ufer  der  Wolga  und  die  Getreidefel- 
der auf  dem  Wege  von  Bogdo  nach  Wladimirowka 
gaben  Beweise,  wie  fruchtbar  der  Steppenboden  ge- 
macht werden  kann.  -  Der  Boden  der  Steppe  ist  überall 
derselbe,  nämlich  ein  Sandboden  bald  mehr  bald  weni- 
ger  thonhaltig,  ohne  alle  Beimengung  gröberer  Gerolle 
von  zertrümmerten  Felsmassen  aus  früheren  terrestri- 
schen Revolutionen  herrührend ;  d^r  Untergrund  besteht 
aus  Thon. .  Die  Analysen  einiger  Bodenarten  der  Step- 
pe ergeben  stets  nur  Spuren  von  Kochsalz  und  Gyps, 
von  schwefelsauren  Salzen  und  von  Chlorverbindungen ; 
1  bis  1,2  pro  C.  unreine  Humussäure  und  eine  wasser- 
bindeiide  Kraft  von  27,5  —  39  für  100  Gewichtstheile 
ausgetrockneter  Erde  wurden  an  denselben  wahrge* 
noinmen. 

Der  fünfte  Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  den  baro- 
metrischen  Messungen,  welche  auf  dieser  Reise  in  gro- 
fser  Anzahl  ausgeführt  wurden,  unter  welchen  das  Ni- 
vellement zwischen  der  Wolga  und  €em  Don  und  die 
barometrischen  Messungen  zwischen  dem  kaspischen 
und  schwarzen  Meere  das  meiste  Interesse  darbieten* 
Der  Reisende  war  mit  4  vortreiTlichen  Instrumenten 
versehen,  und  die  Berechnung  der  Beobachtungen  ward 
von  Hrn.  Pairrot  auf  eine  sehr  gediegene  Weise  ausgefühlrt ; 
mit  Recht  Jiat  der  Tf.  diese  Parrotsche  Arbeit  in  seinem 
'VVerke  wurtlich  abdrucken  lassen.  Das  barometrische  Ni- 
Veüement  ward  zwischen  Sarepta  und  Päticsbänsk  aus- 
geführt und  es  ergab  sich,  dafs  der  Don  daselbst  21,0 
Toisen  höher  als  die  Wolga  bei  Sarepta  liegt.  Die 
Parrotsche  Messung  im  Jahr  1830  ditferirt  hiervon  nur 
Jahrb.  /.  wiuentch.  Krilik.   /.  1840.   I.  Bd. 


um  0^3  Toisen!  Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  je- 
doch die  barometrischen  IVIessungen  zwischen  dem  Jcas- 
pischen  und  dem  schwarzen  Meere^  weil  ihre  Ergebe 
nisse  einen  werthvollen  Beitrag  zur  Beantwortung  der 
Frage  über  das  relative  Niveau  des  schii^arzen  und  kas* 
pischen  Meeres  geben.  Es  werden  nicht  nur  einzelne  in 
Astrachan  und  an  verschiedenen  Punktea  des  Asow- 
schen  und  schwarzen  Meeres  ausgeführte  gleichzeitige 
Beobachtungen  aufgeführt,  sondern  selbst  die  barome- 
trischen Beobachtungen  eines  ganzen  Jahres  mitge« 
theilt,  welche  zu  Sympheropol  und  zu  Astrachan  mit 
vorher  genau  verglichenen  Instrumenten  angestellt  sind. 
Das  Residtat  der  gleichzeitigen  Beobachtungen  zu  Astra- 
chan und  zu  Taganrog  ist,  dafs  der  Wasserspiegel  des 
kaspischen  Meeres  7,1  Toisen  tiefer  liegt  als  der  des 
schwarzen  Meeres.  Es  waren  20  gleichzeitige  Messun- 
gen, und  unter  diesen  ergaben  10  Tage  den  Stand  des 
kaspischen  Meeres  31,4^  bis  1,4  Toisen  tiefer,  und  die 
10  anderen  Tage  16,1  bis  1,8  Toisen  höher  aU  das 
schwarze  Meer,  woraus  ein  Mittel  von  5,3  Toisen  her- 
vorgeht. Die  Berechnungen  der  jährlichen  barometri- 
schen Beobachtungen  zu  Astrachan  und  zu  S^mphero- 
pol  ergeben,  dafs  das  Niveau  des  kaspischen  Meeres 
um  16,5  Toisen  tiefer  als  das  des  schwarzen  Meeres 
liegt.  Indessen  Hr.  Parrot  giebt  hierauf  die  Gründe 
an,  aus  welchen  man  schliefsen  mufs,  dafs  obiger  Ni- 
veauunterschied der  beiden  Meere  von  16,5  Toisen 
nicht  wirklich  stattfindet,  sondern  eine  blofse  Folge  von 
der  in  jenem  Jahre  stattgehabten  geringen  Wärme  in 
Astrachan  ist.  Schliefslich  giebt  der  Verf.  eine  Ueber- 
sicht  der  von  ihm  bestimmten  Höhen  über  dem  kas- 
pischen  Meere. 

Auch  hodometrische  Messungen  wurden  auf  die- 
ser Reise  ausgeführt;  der  Yerf.  erhielt  das  Instrument 
aus  dem  kais.  Generalstabe  zu  St.  Petersburg  und  em- 
.  pfiehlt  die  Benutzung  desselben  unter  den  angegebenen 
Yorsiclutsmaafsregeln    aus    voller    Ueberzeugung ;     es 

70 


655 


Ooebei^ 


in  die  Sieppen  d0%  sUdiieA^n  Ruf9imül9. 


scheint  das  Ton  Colclough  gebrauchte  und  in  Gehlefti 
Wörterbuch  V.  L  p.  236  beschriebene  Hödometer  ge- 
wesen SU  sein.  Die  gemessenen  Wege  sind  in  einer 
greisen  TabeHe  umständlieh  angegeben; 

.Ber  eieliente  Absclmitt  enthält  eine  Abhandlung 
fiber  die  Flora  und  Fauna  der  k^spischen  Steppe  9  sie 
ist  von  J.  D.  Claus^  dem  Begleiter  unseres  Reisenden, 
verfafst^  und  giebt  uns  ei^e  lebhafte  Anschauung  von 
der  Physiognomie  der  Pflanzen-  und  Thierwelt  jener 
Gegenden.  Im  Sommer  ist  die  Hitze  In  jener  Steppe 
sehr;  groFs,  ^ast  beständig  ewischeu  20 — 30°  R.,  und 
nur  die  kalten  Ostwinde  vermögen  die  Gluth  su  mil- 
dern, welche  bei  Windstille  unerträglich  ist.  Die  Win- 
ter sind  streng,  gewohnlich  eine  Kälte  von  20 — 30°'  R. 
Grofser  Wassermangel  ist  das  Ciiarakteristbche  der 
Steppen.  Nur  eine  geringe  Zahl  von  Pflanzenarten 
bekleidet  theils  sparsam,  theils  in  dichterem  Gedränge 
deb  falben  Boden,  und  die  meisten  Steppenpflanzen 
Überziehen  sich  mit  einer  haarreichen  grauen  HuUe, 
welche  sie  gegen  den  Wechsel  der  Temperaturen 
schätzen  soll  und  zugleich  die  Feuchtigkeit  (1er  Luft 
einsaugt  Daher  die  graue,  schmutzige  Farbe  der 
Steppenvegetation;  liur  struppige  Gräser,  oft  von 
Mannshöhe,  scheinen  hier  den  Mangel  der  Wäldeir 
ersetzen  zu  wollen.  Die  im  Frühlinge  plötzlich,  gleich- 
sam durch  ein  Wunder  hervorgerufene  Vegetation  geht 
mit  raschen  Schritten  vorwärts  und  hat  in  einigen  we- 
nigen  Wochen  ihre  verschiedenen  Stadien  durchlebt. 
Im  Anfange  des  Aprils,  mit  den  ersten  warmen  Tagen, 
erscheinen  die  ersten  Ankömmlinge  des  Frühlings :  Tul- 
pen, Omithogalen  und  Irideen,  und  schon  in  der  Mitte 
des  Mai's  gleicht  in  trockenen  Jahren  die  Steppe  einer 
öden  Brandstätte,  in  der  die  abgestorbenen  Stengel 
saftreicher  Pflanzen  vom  Winde  im  wirbelnden  Laufe 
durch  die  Wüste  getrieben  werden.  Im  August  beginnt 
ein  neuer  Frühling  für  die  Salzpflanzen^  welche  bis 
tief  in  den  Spätherbst  mit  ihren  Früchten  zu  Anfange 
des  Novembers  die  Tegetation  beschliefsen. 

D.  Claus  unterscheidet  die  Vegetation  der  Steppe 
nach  der  Bodenverschiedenheit  in  vier  Regionen,  näm- 
lich in  die  Lehm-^  die  Sa/»-,  Sand'  und  in  die  Gyps^- 
^&Yx- Region.  Die  Lehmregion  nimmt  den  gröfsten 
Theil  der  Steppe  ein,  sie  bildet  die  nördliche  Hälfte  der- 
selben ;  die  Artemisien  bedecken  diesen  Boden  fast  aus- 
scfaliefslich  und  nur  einige  andere  Pflanzen,  als:  Achil- 
lea  Gerberi  und  Pyrethrum  millefolium  kommen  dazwi- 


schen vor*  Die  Pflanzen  stehen  hier  meistens  in  Adu 
ten  Büscheln ;  es  sind  darunter  viele  Zwiebelgewädi« 
se,  Cruciferen  und  Boragineeit,  aber  nur  wenige  Um» 
belliferen,  Labiaten  und  Gräser.  Die  Salsregion  b^n* 
det  sieh  ifl|  Iimem  der  Lchmsleppe  hin  und  wieder 
zerstreut;  es  sind  theils  Salzseen  von  bedeutender  Aus- 
dehnung, theils  Salzptützen,  theils  mit  einem  Sakm-» 
fluge  bedeckte,  trockene  Stellen^  in  deren  Dargebmig 
gröfstentheils  die  Salzpflanzen  vegetiren;  das  Halocas* 
mum  strobilaceum  scheint  den  Salzboden  am  meisifla 
zu  lieben,  es  macht  ^e  näelisto  Umgebung  der  Sais- 
Seen  und  Salzpfülzen,  aber  in  spätere  Jahreszeit  kommt 
wohl  Salicornea  herbaeea  vorherrschend  auf.  Den  Rani 
jener  Salzgewässer  nehmen  neben  den  genannten  Pflss» 
zen  zunächst  folgende  Halophyten  ein:  Atriplex  verr«» 
ciferum,  Camforosma  Ruthenicum,  dann  folgen  Salsela 
brachiata,  davifolia,  laricina,  Ualimocnemis  brachintai 
crassifolia  und  volvox;  endlich  Kochia  prosirata  und 
K«  sedoides,  welche  bis  weit  in  die  Lehmregion  hin» 
einreichen«  Diese  Salzregion  ist  noch  unfreundliehcr 
als  die  Lehmregion,  denn  alles  ist  öde  und  leer,  und 
'  die  Seen  erscheinen  im  Sommer  wie  weite  Schneefii- 
ehen;  keine  Blume,  kein  üppiges  Grün  ist  hier  sa 
sehen. 

Reicher  ist  dagegen  die  Region  der  Gypsflofze^ 
welche  den  kleinsten  Theil  der  Steppe  einnehmen;  sfe 
eharakterisirt  sich  durch  gröfsere  Mannigfaltigkeit.  Die 
Sandregion  endlich,  welche  einen  bedeutenden  Thei 
der  Steppe  einnimmt,  erfreut  sich  eines  mehr  fenelitcft 
Bodens,  indem  die  darunter  liegende  Thonscbicht  das 
Durchsickern  des  Wassers  verhindert.  Die  PflanadI 
erreichen  hier  eine  gröfsere  Höhe,  und  häufig  sieht  «^^b 
fast  mannshohe  Grasarten  in  kräftigem  WachsthuflM 
ganze  Hügelstre^ken  bekleiden.  Gramineen  und  Cype- 
raceen  sind  hier  vorherrschend  und  eine  l>edeuten^ 
Zahl  von  Allien  und  Leguminosen  bilden  die  voraug» 
liebsten  Bewohner  dieser  Steppen;  ja  in  den  Thalem 
und  TertiefuDgen  findet  man  Sträucher  und  Idriae 
Bäumchen  von  Populus  alba,  P.  tremula,  Salix  Irian* 
dra  und  S.  fusca  u.  s.  w. 

Die  Fauna  ist  in  derselben  Weise  sehr  specieB 
bearbeitet,  doch  kann  Rec.  ^iregen  Mangel  an  Raian 
nicht  weiter  darauf  eingehen. 

Dr.  Claus  hat  femer  einen  sehr  vollständigen  In- 
dex von  allen  den  Pflanzen  gegeben,  welche  an  dea 
kaspischen   Steppen  und  den  angrenzenden  Regtonea 


657 


Qtthel^  'tUif  in  4**  Sttpp^'dt»  »UtUieAe»  Rit/iland*. 


S58 


r 

fcMbadit«t  w«rd0D  sind)  ümet Index  enthält  101 1  pha» 
HerogttnM  Eflansen  (l),  Ton  welchen  483  der  Steppe, 
vnd  528  den  nn|;renzenden  Gegenden,  Grenzregion  ge- 
nannt, angdiören.  Das  Verhältnirs  der  Dieotyledonea 
SU  den  Monoeotyledonen  ist  in  diesem  Index  gleich 
5  X 1  und  die  gröbte  Aehnllchkeit  hat  diese  Flora  mit 
der  Vegetation  der  dem  Altai  and  dem  Cauoasus  bu- 
«ftehst  sich  anschliebenden  Ebenen.  Eine  Tabelle  giebt 
die  Vergletchung  der  hauptsächlichsten  Familien  der 
Steppenflora  mit  deijenigen  des  Altai,  der  Flora  des  Can- 
MStts  mid  der  Flora  Deutschlands.  Unter  den  Step* 
]pettpflansen  finden  sich  183  Arten^  welche  auch  in 
Deutschland  .rorkommen ;  die  Rosaceen  und  Labiaten 
eind  dort  und  in  Deutschland  grörstentheils  gemein* 
eeliaftlidi  u.  s«  w.  Ferner  sind  folgende  Familien  in 
der  Steppe  und  in  Deutschland  mit  gemeinschaftlichen 
Arten  versehen :  die  Ranunculaceen  mit  6,  die  Umbelli« 
feren  und  Leguminosen  mit  8,  die  Chenopodeen  mit  12 
un^  die  Coronarien  mit  3  gemeinschaftlichen  Arten  ver^ 
eehen.  Die  Flora  des  Caucasus  hat  mit  derjenigen  der 
Bteppe  die  gröfste  Anzahl  der  Pflanzen  gemeinschaft» 
Beh,  nSmlich  312  Arten.  In  dem  Index  befinden  sich 
auch  sehr  ausführliche  Beschreibungen  einiger  neuen 
oder  sehr  seltenen  Pflanzen,  welche  auf  den  6  beige- 
gebenen Tafeln  abgebildet  sind,  wonmter  sich  die  neue 
Gattung  Erersmannia  befipdet. 

Der  achte  Abschnitt  enthält  einige  MitiheilnngeiÜ 
ttber  persische  Arzneiwaaren,  welche  Ton  Prof.  Bunge 
bestimmt  sind,  und  zweitens  einen  Aufsatz  über  Kai« 
Müeken-  und  Tatarenschädel  vom  Prof.  Hueck.  Unser 
Reisende  hatte  2  Kaimucken-  und  2  Tataren -Schädel 
mitgebracht,  welche  hier  ihre  nähere  Beschreibung  er- 
balten. 

Der  neunte  Abschnitt  bildet  den  Schlufs  des  zwei, 
ten  TheUes ;  er  enthält  die  Anal jse  der  Charte  von  der 
Rii^ensteppe  zwischen  der  Wolga  und  dem  Ural, 
nebst  historischen  Andeutungen  über  den  frühem  Zu- 
stand dieser,  so  wie  der  benaehbarten  Steppengegenden 
swiscfaen  dem  Don  und  der  Wolga,  insonderheit  zu  den 
Zeiten  ^der  Griechen  und  Römer«  Diese  umfassende 
Arbeit  ist  von  Hm.  Fr.  Kruse  ausgeführt,  der  auch  die 
sdftöQe  Charte  zu  der  vorliegenden  Reisebeschreibung 
theib  nach  den  hodometrischen  Messungen  unseres  Rei- 
senden, theils  nach  guten  von  ihm  mitgebrachten  Mate- 
rialien, welche  noch  nicht  publicirt  waren,  theils  nach 


^eq  neuesten  astronossischen  Ortsbestimmungen,  Reise* 
besohreibungen  und  Charten  entworfen  hat 

Die  Ausstattung  dieser  Reisebeschreibung  ist  sehr 
SU  loben  und  Seine  Kaiserliche  Hoheit  der  Qrorsfiirs$ 
Tluronfolger  hat  die  Dedication  derselben  angenommen. 

J.  Meyen. 


XLIV. 
Daritellung  und  Kritik  des  modernen  Pietismus^ 
Em  wissenschaftlicher  Versuch  von  Dr.  Chr* 
Märkliny  Diakonus  an  der  Gemeinde  Calw. 
Stuttgart^  1^9.  bei  Franz  Heinrich  Köhler. 
Xri  u.  325  8. 

Es  mufs  immer  als  ein  seltsames  Milsgeschick  aib- 
gesehen  werden,  dafs  die  auf  BefSrderung  wahrhafter 
Frömmigkeit  im  Leben  der  Kirohe  und  auf  eine  leben- 
digere freie  Entwicklung  der  protestantischen  Theolo* 
gie  gerichteten  ernsten  Bestrebuiigen  Spener's  utid  sei* 
ner  Anhänger  noch  fortan  mit  demselben  Namen  be»> 
erfchnet  zu  werden  pflegen,  welcher  als  ein  Schmäh^ 
name  von  den  sie  ungerechter  Weise  verketzernden 
degnera  jenen  würdigen  Männem  zuerst  beigelegt 
wurde,  no  wie  er  auch  noch  jetzt  in  ähnlicher  Weise^ 
wie  Separatismus  lind  andere  bSse  -Ismen,  roh  einer 
heuchlerischen,  sich  selbst  täuschenden  oder  jedenfalls 
einseitigen  Richtung  in  der  Frömmigkeit  gebraucht  wirdL 
Denn  obgleich  alle  Verständigen  es  wbsen,  dais  nicht 
nur  von  solchen,  welche  ihre  religiöse  Indifferenz  und' 
Impotenz  überall  recht  gerne  zur  Schau  tragen,  das 
Wort  „Pietismus"  verwandelt  wird,  wenn  sie  von  der 
Vorstellung  des  religiösen  Lebens  überhaupt  nicht  in- 
kommodirt  sein  wollen,  sondern  dafs  selbst  moralisch 
und  intellektuell  Gebildete  in  unserer  Zeit  etwas  Ter«^ 
schwenderisch  mit  diesem  Ausdrucke  umgehen,  bo  will 
Ihn  doch  Niemand  ohne  VTeiteres  in  Besiehung  auf 
seine  Lebensrichtung  hinnehmen  $  denn  er  gilt  in  der 
öffentlichen  Meinung  nun  einmal  als  ein  Sehhnpf  •  und 
Neckname,  fast  ebenso,  möchte  man  sagen,  wie  auf 
wissenschaftliciiem  Gebiete  dem  Publikum,  da  wo  ihm^ 
„der  BegrtflT'  fehlt,  sogleioh  das  prächtige  ,vWort^ 
„Pantheismus''  zu  Diensten  steht«  —  Indeb,  was  dea 
älteren  Pietismus  betrijfit,  so  ist  es  eben  auch  nur  noch 
der  zweideutige  JVame,  in  welchem  das  Unrecht  und 


559 


Markliny  der  moderne  Pietismtis», 


560 


die  vollige  Yerkennung,  wie  jene  bedeutebde  Erschei» 
nung  sie  tod  Seiten  der  damaligen  protestantischen  Or- 
thodoxie erfahren  mufste^  sich  gleichsam  noch  auf  die 
Nachwelt  fortgeerbt  hat ;  der  Sae/ie  nach  hat  das  Be* 
wufstsein  der  protestantischen  Kirche  in  seiner  späte- 
ren Entwicklung  die  Bestrebungen  und  die  Wirksam- 
keit der  Spenerschen  Schule  als  eine  nothwendige  Re- 
aktion des  freien  SelbstbewuPstseins  gegen  eine  neue 
Scholastik  der  symbolischen  Orthodoxie  innerhalb  der 
-evangelischen  Kirche  selbst,  vollkommen  anerkannt  und 
gerechtfertigt  Es  war  in  der  That  ja  nur  die  konse- 
quente Durchführung  des  Grundsatzes,  welchen  dem 
in  abstrakter  Objektivität  und  damit  eo  ipso  in  ab- 
strakter Subjektivität  in  der  Gerechtigkeit  durch  die 
eigenen  Werke  sich  fixirenden  römischen  Katholicismus 
gegenüber  der  in  seinem  unend^lichen  Selbstbewufstsein 
sicii  erfassende  Geist  als  seine  Losung  ausgesprochen 
hattCf  der  Rechtfertigung  durch  den  Glaubeni  wenn  der 
Pietismus  diese  Innerlichkeit  des  Protestantismus^  in  der 
Theologie  so  geltend  machte,  dafs  er  die  Wiedergeburt 
des  Denkens,  die  Erleuchtung  durch  den  heiligen  Geist 
zur  nothwendigen  Bedingung  der  wahren  Erkenntnib 
des  Inhaltes  der  heiligen  Schrift  machte.  Aber  freilich 
offenbarte  sich  auch  zugleich  die  noch  einseitige  Fas- 
sung des  Prii^cipes  der  Theologie  (denn  das  Bedürfnifs 
nach  einem  bestiäimteren  Bewufstsein  darüber  inachte 
sich  in  der  damaligen  Bewegung  der  Theologie  offen- 
bar sdion  geltend),  wenn  die  Pietisten  für  den  Unwie- 
dergebornen  ein  logisch  wahres,  Yerständnifs  dennoch 
für  möglich  hielten,  welches  eben  als  solches  doch  nicht 
das  wahre  sei.  Hiermit  kamen  sie  dem  Grundsatze 
ihrer  Gegner,  welche  im  Interesse  für»  die  o^ektive 
Autorität  der  Bibel  und  der  symbolischen  Bücher  auch 
für  d^n  noch  nicht  Wiedergeborenen  eine  theologische 
ErkcnntniEs  für  möglich  hielten,  wunderbar  nahe.  In- 
dem nun  der  Pietismus  das  Recht  des  Selbstbewufst- 
Seins  auf  praktischen  Gebiete  namentlich  wahrend,  ge- 
gen die  Starrheit  der  Orthodoxie  zwar  sich  sträubte, 
dennoch  aber  in  der  Wissenschaft  des  Glaubens  das 

I 

formelle  Denken,  welches  ihm  ja  selbst  als  das  unwahre 
galt,  «nicht  überwand,  so  konnte  er  auch  später  mii  der 
orthodoxen  Theologie  vereinigt  der  Macht  und  dem 
endlichen  Siege  der  Verstandesphilosophje  über  die 
Theologie,  nicht  widerstehen.    Der  substauzielle  Gehalt 


des  Dogma  war  ja .  von  den  formellen  Bestimmunges 
der  protestantischen  Scholastik  selbst  verzehrt,  der  In- 
halt der  Offenbarung  verendlicht »  und  in  der  Behavp. 
tung ,  dars  der  unwiedergeborene  also  der  natorück 
Mensch  die  Bibel  verstehen  könne»  die  „naturliche  Rs. 
ligion"  aufs  Beste-  vorbereitet.  Die  Theologie  hattf 
den  Inhalt  des  Glaubens  und  damit  sich  selbst  in  der 
Tliat  verrathen  und  verkauft,  und  es  war  nicht  su  m- 
vrundern,  dafs  in  dem  hellen  Lichte  der  natnralistiscka 
und  deistisclien  Aufklärung  kaum  der  Schein  danf 
sich  erhielt.  '  Nun  erst,  nachdem  das  verständige  Doi- 
ken  d^n  ganzen  Inhalt  der  natürlichen  und  ubersioDÜ* 
eben  Welt  erobert  hatte,  fing  es  an  im  Skepticism« 
an  sich  selbst  irre  zu  werden  und  im  Kriticismui  der 
Kantischen  Philosophie  sich  in  sich  selbst  zu  refiekilrei^ 
um  seiner  Endlichkeit  inne  zu  werden,  indem  es  si4 
in  den  Reflexionsphilosophieen  der  neueren  Zeit  Tot 
lendete.  .Dasselbe  unendlich  berechtigte  Priocip  de 
Subjectivität,  welcher  auf  kirchlichem  Gebiete  der  ttf 
formation  zu  Grunde  liegt  und  sein  Recht  im  Pietinup 
geltend  machte  als  frommes  Gemüth,  kommt  nun  iu  der 
Philosophie  der  protestantischen  Kirche,  zum  Selbslh^ 
wurstsein.  Was  die  Theologie  betrifft,  so  trat  t$ 
Nothv^endigkeit,  sich  ihres  Yerhältuisses  zur  Philoi^ 
phie  bestimmt  bewufst  zu  werden,  immer  mehr  herrd; 
Besonders  der  Unterschied  von  natürlicher  Rei^ 
und  geöffenbarter  drängte  darauf  hin,  dafs  die  RdSgui 
nicht  meiir  als  ein  äufserlich  gegebener  Komplex  Tfl| 
Lehrbestimmungen  durch  die  Autorität  der  Bibel  gehet 
ligt  olme  Weiteres  angenommen  wurde,  sondern  dib 
der  Begriff  der  Religion  an  sich,  sie,  in  ihrem  inneres 
Yerhältnisse  zum  menschlichen  Geist,  bestimmter  M 
Bewufstsein  komme.  Zunächst  ward  von  der  endUchee 
Ternunft  die  Unmögliclikeit  erkannt^  das  Absohiteii 
sich  zu  begreifen  s  aus  dem  theoretischen  Bewufstseift 
ging  die  Rcligipn  in  das  Selb%tb€wußUein  zurück,  Wtf 
nur  gewifs  als  moralische  Yernunftreligion,  als  Ofe- 
barung  problematisch;  es  bleibt  der  Ternunft  nur  die 
Möglichkeit  einer  Offenbarung  als  eines  Mittels  zurB^ 
förderung  der  Vernunftreligion..  Die  Theologie,  W* 
che  schon  seit  Wolfs  Zeit  her  dem  Einflufs^  der  Pbil«- 
sophie  sich  nicht  hatte  entziehen  können,  entwickelte  »of 
dem  gemeinschaftli(^hem  Grunde  dieser  philosophiscIieD 
Bildung  sich  nach  zwei  entgegepgesetzten  Seiten  UB' 

(Die  Fortsetzwig  folgt) 


J#  71. 

Jahrbücher 

9 

für 

wissenschaftliche 


Kritik. 


April  1840. 


ik§r$tettumg'  umd  Kritik  des  modernen  Pielämui. 
Bim  wiisenickafUicker  Vertnch  tarn  Dr.  Chr. 
Mörhlin. 

(Forttetsmig.) 

Wie  der  subjektive  Idealiemiu  in  der  PbUoeophie, 
der  Endüehkcil  seine«  Erkennen»  bewnCet,  die  Religion, 
«ie  alle  andere  Oinge,  nur  in  ihrer  Enobeinung,  niclit 
im  und  fAr  sieh  zu  erkerniea  behauptete  und  nur  darin 
te  sieh  widerspreehend  war,  dab  er  meinte,  Erschei* 
Bmgeii  SU  erkennen,  ohne  Erkenntnirs  des  ihnen  zu 
Crrunde    liegenden  Wesens»  so.  fixirte  sich  auch  die 
Theologie,  welche  von  nun  aü  sich  ausbildete,  derma* 
Ü9Sk  in  diesem  subjektiven  Denken,  dafs  sie  trotz  der 
OffmiarUng  in  Bibel  und  Kirche  den  Widerspruch 
des  ffusens  vom  Nichiwi$^0m  bewulst  oder  unbewulsl 
allen  ihren  Operationen  zu  Grunde  legte;    Das  Velr« 
|t£itf>ir«  des  theologischen  BewufsUeins  in  der  Bestimmt« 
Iwit  dieser  modernen  Bildung  zur  Religion,  wie  sie  in 
9tbel  und  Kircheniehre  erseheint,  war  durchaus  kein 
«nbefangenes  unmittelbares  mehr,  sondern  ein  vielfach 
^nspUeirteB,  wie  durch  das  subjektive  Denken  überall 
bedingtes  und  bestimmtes.    Was  das  Yerhältails  die* 
ser  modernen  Theologie  zn  der  älteren  betrifii,  in  weU 
^her  der  Gegensatz  der  Subjektivität  und  der  Objekti* 
yiiftt  im  Principe  der  protestantbchen  Theologie  sich 
geltend  machte ,  so  mufste  dieser .  hier  wiederum  zum 
Vorsehein  koamieii,  denn  in  dem  denkenden  Selbstbe* 
wufrtsein  der  protestantischen  Kviche^  in  der  Philoso- 
phie hatte,  die  Subjektivität  sich  zunächst  zu  erfassen 
gesucht,  war  aber  dabei  von  dem  kh  als  einer  nicht 
begriffenen  Voraussetzung  ausgegangen,  und  hatte  eben 
deshalb  den  GegensoU  der  Subjektivität  und  der  Ob- 
lektivilät,  des  Denkens  und  des  Seins,  noch  nicht  zu 
überwinden  Tormoeht*    Dieser  Gegensatz  gewmni  des- 
halb auf  dem  Boden  dieses  subjektiTcn  Denkens  eine 
neue  Gestalt.     Der   materielle  Inhalt  der  Orthodoxie 


Uhrb.  /. 


/.  1840.  I.  Bd. 


war  nämlich  vom  Pietbmus  im  Grunde  nicht  angefoch* 
ten;  nun  aber,  nachdem  in  der  Aufklärung  bereits  die 
ältere  Orthodoxie  zerstört  war,  und  dem  Naturalismus 
gegenüber  der  Supernaturalismus  sich    gebildet  hatte, 
welcher  aus  Wundern  und  Weissagungen  das  Christen- 
thum  als  göttliche  Offenbarung  in  verständiger  Weise 
zu  beweisen  gesucht  hatte,  traten  innerhalb  .der  Theo« 
logie  der  Rationalismus  an  der  Stelle  des  Naturalismus, 
und   der  Supranaturaltsmus  in  etwas  von  dem  altem 
kirchlichen  Supranaturalismus    veränderter  Form  sich 
entgegen.    Dieser  moderne  Supranaturalismus,  schein- 
bar im  guten  Rechte  durch  den  allmächtigen  Satz  von 
der  Unerkennbarkeit  des   Absoluten,    unterwarf,  aber 
auch   nur  scheiidbar,   seine    menschliche  Yeruunft   der 
gottlichen  Offenbarung^  und  fixirte  die  Religion  in  der 
UebematürKchkeit  ihrer  historischen  Erscheinung«    In« 
dem  er  in  der  subjektiv^  Reflexion  des  modernen  Be* 
Wttfstseins  rersirend  und  seinem  Satze  von  der  Uner- 
kennbarkeit Gottes  gemäfs  das  Objekt  und  den  lahalt 
der  Offenbarung  nicht  erreichte,  so  stand  er  vielmehr 
in  der  abstrakten  SubjelctivitSt  seines  Denkens  überall 
eben  so  sehr   über  als   auCserhalb   der  Offenbarung. 
Denn  nicht  sie  in  ihrem  ewigen  und  konkreten  Inhalte 
ward  ausgelegt,  sondern  sie  in  ihrer  historischen  Er- 
scheinung ward  in  ihren  praktischen,  dem  subjektiven 
Bediirfnisse  entsprechenden  und  dem  verständigen  Den- 
ken erreichbaren  Lehrbestimnungen  ausgelegt  mit  6e- 
lehvsamkeity  und  mit  Scharfsinn  vertheidigt.    Hatte  es 
früher  namentlich  den  Anschein,  als  wäre  der  Suprana- 
turalismus der  ausschliefsliche  Träger  und  Bewahrer 
der  biblischen  Offenbarung  und  der  älteren  kirchlichen 
Orthodoxie,  so   ist  in  neuerer  Zeit  die  Subjektivität 
seines  Denkens  und  Thuns  hinlänglieh  offenkundig  ge- 
worden und  jener  Schefai  bb   auf  ein  minimum  ver* 
schwunden.    Es  war  anderer  Seite  eben  deshalb  nun 
das  gute  Recht  der  innerhalb   der  Freiheit  der  pro- 
testantbchen Kirche  erstarkten  Vernunft,  welches  der 

71 


563 


lU&rklin^  der  moderne  Pietümui. 


561 


Rationalismus  im  Gegensatz  gegen  den  offenbanings- 
gläubigen  Supranaturalismus  betliätigte.  Ward  dort 
die  Religion  einseitig  als  objektive  historische  Erschei- 
nung in  der  Geschichte  gefarst,  so  hier  in  ihrer  subjek- 
tiven Erscheinung  als  ein  Moment  der  praktischen  Ver- 
nunft, die  Oflfenbarung  in  der  Bibel,  so  weit  sie  sich 
der  M oralität  der  subjektiven  Vernunft  dienlich  erwies. 
Dieselbe  Vernunft  jedoch,  welche  dem  übernatürlichen 
Inhalte  4er  Bibel  und  dem  ihr  widersprechenden  der 
Symbole  gegenüber,  sich  durchaus  autonomisch  und 
absolut  benimmt,  flüchtet  in  Besug  auf  das  Wesen  Got- 
tes, die  Unsterblichkeit  der  Seele  u.  a.  sich  in  den 
Glauben.  In  der  That  eine  wunderbare  Gestalt  der 
Theologie !  In  der  Unruhe  eines  solchen  Widerspruches 
mit  sich,  in  welcher  die  Theologie  immer  von  selbst 
in  die  ihr  entgegengesetzte  Form  übergeht,  da  sie  ein- 
mal in 'der  abstrakt  objektiven  Erscheinung  der  Religion, 
der  Autorität  der  Bibel,  der  Kirche  sich  fixirt,  das  an- 
dere Mal  aber  wieder  in  die  abstrakte  Subjektivität,  die 
eigene  Vernunft,  und  ihre  Bedürfnisse  zurückgeworfen 
wird,  welche  absolute  Autorität  sein  soll  und  auch  wie- 
der nicht,  konnte  das  wissenschaftliche  Bewulstsein  der 
protestantischen  Kirche  nicht  wohl  beharren;  vielmehr 
ist  es  eben  dieser  Widerspruch  in  ihm  selbst,  welcher 
eine  tiefere  Gestaltung  des  Glauben^inhaltes  herbei- 
führte. Diefs  konnte  zunächst  nur  so  geschehen,  dafs 
das  Princip,  welches  in  empirischer,  mehr  bewufster 
oder  unbewufster  Weise  die  Grundlage  jener  sich  wi- 
dersprechenden Theologie  bildete,  von  seiner  dualisti- 
schen Haltung  befreit  und  als  Eines  wirklich  gesetzt 
zu  seinem  vollen  Rechte  in  einem  ausgebildeten  System 
der  Theologie  gelangte.  Es  ist  wohl  nicht  zu  verken- 
nen, dafs  die  moderne  Reflexionstheologie  der  Subjek- 
tivität durch  Schleiermacher  erst  ihren  vollkommenen 
wissenschaftlichen  Ausdruck  erhalten  hat.  Diefs,  wel- 
ches aus  der  Entwickelung  der  protestantischen  Theo- 
logie als  nothwendig  sich  darthun  läfst,  beweiset  auch 
die  Erfahrung,  welche  man  an  der  weiteren  Entwicke- 
lung des  Supranaturalismus  und  des  Rationalismus  aus 
sich  selbst  heraus  überall  machen  kann,  dafs  mit  deut- 
lieberem  Bewufstsein  als  früher,  das  Selbstbetmifstsein 
In  seiner  unmittelbaren  Bestimmtheit  durch  das  Abso- 
lute als  Princip  der  Glaubenslehre  und  in  anderweiti- 
gen Verhandlungen  der  Theologie  sich  geltend  macht, 
so  z.  9*  bei  Steudel  als  „frommer  Smn."  Die  Seite 
ferner  des  protestantisehen  Principes,  welche  als  Pie- 


tismus ge^en  die  Utere  Orthodoxie  reagirte,  ist  ent 
damit  zu  ihrer  vollständigen  geschichtlichen  Verwirkii« 
chung  in  der  Wissenschaft  gekommen.  Denn,  wie  selb* 
ständig  einer  Seits  Schleiermach'er  die  Religisn  iber 
absoluten  J>ignität  nach  im  Unterschiede  von  der  Hdl 
und  dem  Wissen  auch  erfabte,  so  bestunmte  er  m 
anderer  Seits  doch  einseitig  nur  in  ihrer  subjektir« 
Erscheinung,  als  Bestimmtheit  des  unmittelbaren  Seite» 
bewufstseins  sie  erfassend.  Ebenso  die  gewaltsam  ski 
vergeblich  versuchte  völlige  Befreiung  der  Dognui 
(die  vielmehr  in  diesem  Yeriaebe  selbst  sieh  irito« 
legte,  indem  sie  in  ihr  gerades  Gegentheil  amscUig) 
von  der  Philosophie,  so  wie  die  Beeinträehtigong  fa 
wissenschaftlichen  Konstruktion  der  Theologie  dadndi, 
dafs  sie  nicht  rein  aus  ihrem  Begriffe  eittwiekdt  md, 
sondern  sich  sogleich  beschränkt  durch  die  stetige  prtk 
fische  Beziehung  auf  den  Zweck,  die  Kirehenleituiig,«« 
kt  diefs  nicht  durchaus  im  Geiste  des  älteren  Pied» 
mus,  nicht  die  vollständige  Durchführung  seioes  gepi 
diä  Objektivität  der  Kirche  und  Wissenschaft  eissrid' 
gen  Principes  I  Obgleich  nun  der  Protestantismus  ük 
keineswegs  beschränkt  auf  die  subjektive  Fassung  itt 
Religion,  er  vielmehr  auch  ursprünglich  hur  die  wiAf> 
hafte  Vermittlung  Und  Durchdringung  der  SitbjeliÜf^ 
tat  und  Objektivität  erstrebte,  so  lüufste  doch  histeriNl 
diese  Seite  des  Principes  in  der  damaligen  Gestiftoog 
des  kirchlichen  Lebens  überwiegend  sich  herauskehrcs) 
aber  wie  der  Geist,  welcher  in  der  Reformation  M 
der  erstarrten  Form  des  kirchlichto  Lebens  sich  in  fldi 
zurücknahm,  nur  ist  in  dieser  gegenseitigen  Bewe{pn| 
und  Vermittlung  des  Objektiven  und  Subjektiven,  M 
ist  auch  seine  Ausbildung  in  der  Form  der  SubjeU* 
vität  nichts  weiter,  als  dafs  er  sich  die  Energie  er»* 
beitet,  aus  sich  eine  neue  Welt  der  Objektivität  n 
gestalten ,  in  welcher  er  sein  Selbstbewufstsein  wirk* 
lieh  hat.  Ist  nicht  unsre  Zeit  eben  deshalb  eine  1^ 
ehe  der  Gäbrung  und  Bewegung  auf  den  versclitedei* 
sten  Gebieten  des  Lebens,  weil  der  Geist  danach  driigt 
dem  errungenen  reichen  Inhalte  seines  tiefen  SelliiAi^ 
wufstseins  eine  adäquate  Gestalt  zu  geben  f  —  DieCt 
kulatlon  und  Organisation  des  Lebens  mufs  geheiiat 
werden  und  stocken,  wenn  der  einfache  Rhythmu  dar 
Bewegung  des  Geistes  nicht  verstanden,  oder  des 
Triebe  seines  Selbstbewufstseins' die  Befriedlgvnf  ii 
der  wahrhaften,  ihm angemessenenWeise  verssgt wirl^ 
Aber  schon  die  Erfahrung  in  der  Natur  und 


666 


MärJklüt,  der  madems  Pietümtf$. 


566 


lehrt^   dafs  Entwiokititungtepoeheii  in  den  höheren  gei- 
zigen Organismen,  pieht  weniger  ab  in  dem  lerblicben, 
durch   krankhafte  Erecheinttngen  bedingt  oder  wenig* 
•fens  Ton  ihnen  begleitet  eu  sein  pflegen.    So  erklären 
äieh  mancherlei  Erscheinungen,  die  auf  den  ersten  An- 
blick der  neueren  Bildung  durchaus   fremdartig  schei«*. 
Bend,  sieh  bei  einer  näheren  Betrachtung  als  Symptome 
einer  Entwiokelungskrankheit  des  geistigen  Lebens  er- 
geben.    So  gewifs  es  nun  auch  kt,  dafs  die  Krankheit 
im  Terlaufe  der. weiteren  Entwicklung  von  der  ewigen 
Energie  des  geistigen  Organismus  in  der  Wirklichkeit 
Oberwunden  wird,  so  macht  sich  doch  eben  deshalb  für 
die  Glieder  des  Organismus  ihrem  Zusammenhange  mit 
denoi  Ganzen  gemfifs  das  Bedurfnifs  und  der  Trieb  fühl- 
bar,  selbstthätig   an  der  Ueberwindung  des   feindlichen 
Pkiirapes  Theil  zu  nehmen*    Es  ist  diefs  natürlich  um 
•o  schwieriger,  je   mehr  im  Innern  des  Lebens  selbst 
die  Krankheit  ihre  Wurzeln  hat ;  und  um  so  nothwen* 
jBger,  als  sie  gerade  von  hier  aus  am  tiefsten  und  wei- 
testen das  ganze  Geäder  und  Growebe  der  organischen 
Konstitution  zu  durchziehen  drofit.  —  Der  Hr.   Verf. 
der    anzuzeigenden  Schrift  hat  sich  einer  schwierigen 
Aufgabe  der  Art  unterzogen,  indem  er  den  modernen 
netismns.wi^^nschaftlich  darzustellen  und  zu  kritisi* 
ren   versuchte»    Wenn  schon  die  Darstellung  detf  Pie- 
Iknins  seiner  ^genen  Natur  nach  schwierig  ist,  weil  es 
gerade  zu  seinem  Wesen  gebort,  dafs  er  die  Religiosi- 
at' abstrakt  subjektiv  in  ihrer  Innerlichkeit  fixirt  und 
sich  in  die  individuelle  Bestimmtheit  des  Selbstbewufst- 
Beins  einnistet,  so  erhöhet  sich  diese  Sdiwierigkeit  noch 
bei  dem  modernen  Pietismus,  insofern  dieser  durchaus 
auf  der  von  dem  Princip  der  Subjektivität  durchzöge* 
Ben  neueren  Zeitbildung  ruht.    Denn  eben  deshalb  hat 
aueb  die  Frömmigkeit  überhaupt  die  Neigung,  sich  ab« 
•trakt  innerlieh  und  individuell  zu  gestalten,   und  wie 
daher  der  Pietismus  sieh  leicht  ausbildet,  ist  man  auch 
in    Gefahr  die  ächte  wirkliche  Frömmigkeit  als  Pietis- 
mtis  darzustellen.    Ref.  schickte  das  Rafsonnement  über 
die  EntWickelung  der  neueren  Theologie  und  ihr  Yer- 
iiftltnib  zum  filteren  Pietismus  voraus,  um  su  zeigen, 
^veiche  unendliche  Berechtigung   die   Subjektivität    in 
der  protestantischen  Kirche  unserer  Zeit  hat,  wie  wirk- 
sam das  Princip  derselben  sich  überall,,  namentlich  in 
der  Bildung  des  religiösen  Lebens,  zeigen  muls,  wenn 
es    in    der  Wissenschaft    sich  vollständig    erfafst  hat, 
und  deshalb  eine  Bedeutung  erlangt  hat,  wie  sonst  zu 


keiner  .Zeit;  denn  die  Wissenschaft  ist  ja  ebenso  sehr 
der  Reflex  des  wirklichen  Lebebs,   als  sie  auf  dieses 
wiederum  nach  allen  Seitbn  hin  bildend  einwirkt.    Fer- 
ner  ist  man  in  unserer  Zeit  auch  deshalb   in  Tersu- 
diung,  dem  Pietismus  Unrecht  zu  thun,  weil  das  Abso- 
lute die  frühere  ObjektivitSt  für  das  Bewufoüein  der 
Gebildeten  zum  grofsen  Theil  verloren  hat,  und  gar 
SU  leicht  einseitig  nur  als  inneres  Moment  des  wirkli- 
chen Selbiiteufufstseins  gilt;  sobald  daher  das  Abso- 
lute nun  noch  in  seiner  eigenen  Sphäre  als  solches,  als 
besondere  Religiosität,  xur  Darstellung  und  Anschau"* 
ung  gebracht   werden    soll,    wie   diefs   der  PietisDQiUS 
offenhält  ernsthaft  anstrebt,  erscheint  diefs  der  moder- 
nen Bildung  gar  leicht  als  überflüssig,  oder  gar  unwahr 
und  nachtheilig  für  das  wirkliche  Leben.    Diese  Yor- 
stellung  vor  der  Religiosität  wurzelt  tief  im  Protestan- 
tbmus,  und  macht  sich  aus  diesem  Grunde  in  der  öfient-* 
liehen  Meinung  mit  bedeutender  Prät^nsion  geltend.    Es 
war  nämlich  wesentlich  die  Aufgabe  der  Reformation^ 
das  Religiöse  von  seiner  abstrakt  objektiven  Form,  von 
seiner  Isolirung  dem  wirklichen  freien  sittlichen  Leben 
gegenüber,    zu  befreien,   und  die  wahre  Yersöhnung 
dieser  beiden  Sphären  des  Geistes  herbeizuführen.    Die 
Religion  sollte  eben  darin  ihre  absolute  Idealität  wirk- 
lich bewähren,  dafs  sie  nicht  als  eine  besondere  äufsere 
Macht  der  Kirche  sich  neben  und  gegen  die  freie  Sitt- 
lichkeit stellte,  sondern  die  ihr  wesentliche  unendliche 
konkrete  Allgemeinheit  in  höherer  Weise  verwirklichte, 
indem  sie  in  das  Staats-  und  Familienleben  eingehend 
dieses  durch  und  durch  heiligte  und  verklärte.    Je  mehr 
nun  der  Protestantbmus  in  der  neueren  Zeit  nament- 
iiSh  nach  der  Seite  seines  Gegensatzes  gegen  den  Ka- 
tholicismus  sich  geschichtlich   entwickelt   bat  und  zum 
Selbstbewufstsein   darüber  gekommen  ist,   hat  sich  auf 
Kosten  der  Religiosität  als  solcher  die  Ansicht  geltend 
gemacht,  "dafs  der  wahre  Gottesdienst  lediglich  in  dem 
wirklichen  moralischen  Leben  bestehe,  und  dieses  des 
Kultus  höchstens  als   eines  Mittels  bedürfe  zu  seiner 
Verwirklichung^    Diese  an  der  Autarkie  ihrer  Subjek- 
tivität  zäh  festhaltende  Moralität,  welche  den  tragischen 
Ernst  der  Religion  als  solcher  nicht  in  sich  erfahren 
mag,  steht  jener  einseitig  subjektiven  Religiosität  als  die  • 
andere  Seite  des  modernen  Selbstbewurstseins  gegen- 
über.   Beide  Richtungen,  auf  demselben  Grunde  ruhend, 
stehen  mit   gleicliem  Rechte   sich  einander   gegenüber, 
erzeugen  sich  an  einander,  und  sind  überall  bereit,  durch 


S67 


MärJttm^  ihr  m^d^me  Pütümuf. 


5« 


aiotehiges  Urtheilen  üeh  g^genttitig  Uoreebt  su  tbiin.  — * 
Uebwdief«  ist  e0  schwierig,  das  Yerhältnils  des  ällerea 
und  modernen  Pietismus  festzustellen  iind  su  begreifen ; 
denn  Jener  kt  in  diesem  kaum  wieder,  zu  erkennen, 
sobald  dieser  in  der  Form  betrachtet  wird,  in  welcher 
er  auf  dem  wissens^aftlichen  Gebiete  in  neuerer  Zeit 
die  abstrakte  Objektivität  der  Religion  als  Off^nbarui^; 
in  der  faktischen  Form  oder  als  ältere  Orthodoxie  lu 
bewahren  gesucht  hat  gegen   die  Angrifie   einer  blos 
moralisohen  sulyektiyen  Vemunftreligion.      Yergleicht 
Vfum  die.  rationalistische  Theologie  namentlich  in  ihrer 
apSteren   Ausbildung,   se  wird  man  darin  wenigstens 
eben  ao  viel  AehnKchkeit  mit  dem  ursprünglichen  Pie- 
tismus finden  aU  in  dem  orthodoxen  SupranaturaUsmus, 
Ea  ist  schwer  den  Pietismus  darzustellen,  wie  er  als 
besondere  fromme  Lebensansicht  erscheint,  denn  er  in« 
diridualisirt  Mch  hier  in*s  Unendliche  und  bringt  sich 
nicht  zur  objektiven  Darstellimg;  und  in  der  ül'issen« 
9cbaft  ist  er  in  der  ältere^  Bedeutung  des  Wortes  in 
den   eiitgeg^igesetiten  Richtungen  der  Theologie  als 
Element  vorhanden;   als  einseitige  Abart  der  neueren 
Theologie,  wie  er  etwa  ohne  die  tiefere  Yermitllung 
der  wissenschaftlichen  Bildung  die  Orthodoxie  noch  starr 
buchstäblich  f^tsuhalten  sucht,  hat  er  iii  einer  siAsam* 
menhängenden  objektiven  dogmatischen  Darstellung  sich 
hisjetat  noch  nicht  rechtfertigen  können,  indem  der  In- 
halt der  kirchlichen  Glaubenslehre  schoh  von  der  tiefe«» 
ren  Wissenschaft  unserer  Zeit  reproducirt  zu  seinem 
Heehte  gekommen  ist;  eine  sich  selbst  so  nennende  Or» 
thedosde,  welche  in  der  Meinung  ist,  von  der  wissen- 
schaftlichen Erkenntnifs   des   Protestantismus  abstra^* 
f  CQ  zu  können,  um  dadurch  den  Buchstaben,  sei  es  der 
Bibel  oder  der  symbolischen  Bucher  zu  retten,   muXiste 
Im  Liebte  der  gegenwärtigen'  Bildung  an  allen  Seiten 
sich  widersprechen,    sobald   sie  systematisch  sieh  zur 
ebjektiven  Barstellung  brächte,  denn  sie  köimte  doch 
nicht  denken  ebne  zu  denken>  und  dazu  ist  nun  doch 
^mal  y^iL  Jeher  Philosophie  nothwendig  gewesen,  sei 
es  i^n  diese  neuere  oder  jene  ältere*    Eine  solche  ver- 
9ieintliche  0«thodoxie,  welche  an  der  Aeufserlichkeit 
des  Budistiibena  im  Grunde  nur  deshalb  so  sähe  fest- 
bäb«  weil  sie  von  ihre«i  eigenen  Verstandesabstraktio- 


nen und  Meinungen  nicht  loskommen  Icann,  exiidit 

pothwendig  nar  als  resultatlose  Tendenz  und  als  swedc« 

widriges  Treiben  gegen  die  objektive  wiasenschaftlidn 

Entwicklung  der  Theologie*    Diese  Riehtung,  ia  dar 

Meinung,  die  Objektivität  des  biblischen  Glaubens  ssl 

der  alten  Kirchenlehre  zu  vertreten,   ist  durehatu  ii 

abstrakter  Subjektivität  befangen  und  kann  insofsnili 

pietistische  Orthodoxie   bezeichnet  werden;   diese,« 

mühevoll  und  unerfreulich  es  audi  ist,  sie  wissemdiaft* 

lieh  darzustellen,  soheint  der  Hr. .  Verf.  der  vorliegeB* 

den  Schrift  bei  seiner  Entwicklung  der  Grundzup  dei 

modernen  Pietismus  besonders  ^or  Augen  gebabt  n 

haben.    Hr.  Dr.  AfärkUn  war,  wie  diefs  seine  ia  Bexq 

auf  Inhalt  und  -Form  gleich  gediegene,  vortrefilicfaeAN 

beit  beweist,  der  Losung  einer  so  schwierigen  Aafgahe 

gewachsen;  von  religiöser  Gesinnung  und  der  wnm 

schaftlichen  Bildung ,  wie  sie  seit  Sehleiermacber  osi 

Hegel  sich  entwickelt  liat,  gleichmäfsig   dttrciidnuk|c% 

gelangte  er  zu  der  tieferen  Einsicht  ia  die  Eatwiib 

lung  auch  der  neueren  Gegensätze  in  der  Theole^ 

so  wie  zur  gerechten  Würdigung  des  modernen  Pied^ 

mus  in  seinem  Yerhältaifs  sOr  Kirche   und  WisMi 

Schaft.    Aufserdem  setzten  seine  äufseren 

ihn  in  den  Stand,  den  Pietismus  in  seinen 

Bestrebungen  vielfach  zu  beobachten ;  deim  er  ist  Geilt», 

lieber  in  Würtemberg,  ia  welchem  Lande  neben  wiür* 

hafter  christlicher  Frömmigkeit  seit  langer  Zeit  tdioa 

der  Pietismus  weit  um  sich  gegriffen   liat  (vgl.  EioL 

8.  1  u.  2),  und  ist  mit  „manchen  Persdalichkeitsn  a« 

dem  Kreise  der^Pietisten,  weldien  er  seme  HocliMb 

tung  nicht  versagen  kann,  um  ihres  ehrenwerthen  Cb- 

rakters  willen ,  und  in  welchen  die  Schattenseite  fa 

pietistischen  Princips  nur  Wemg  herTortritl^  bekanaf 

(Vorr.  S.  IX).    In  der  Vorrede,  in  welcher  der  Hr.Vf. 

sich  kräftig  und  schön   über  Glauben  ;md  Uoglsskdi 

der  gegenwärtigen  Zeit  ausspricht,  saj;t  er  unter  kt 

derem  über  sein  Buch:  „Ich  habe  es. nicht  aut  Ptf* 

sönlichem  zu  thün;    auf  dem  wissenschaftliobea  ^ 

biete  gilt  der  Streit  nur  das  Allgemeine,  die  Sack 

selbst 5  das  Frincip  einer  Erscheinung,   und  auf  ^ 

ses  allein  habe  auch  ich  die  ganze  Darstelluag  des  Pi^ 

tismus  inmier  wieder   zurückgeführt**  ( Torr.  S.  VIII> 


(fixt  Fortsetzwig  felgt) 


S.  .( 


;   J^  72.-    . 

'  '  Jahrbücher 

;  ^  .•   '  für 

TWis  s  e  n  s  cha  f  1 1  i  c  he    Kr  itik. 


ApiU  1840. 


JJ^rMtelkmg  Ui^  Kritik  de$  madernen  Pietiinmi. 
•     JSm  ufü$ens€k4rfiifcAer  Vetiuch  ron  Dr.  Chr. 
••    MärhUn. 

(FortseUäng.) 

,  ...     Je  leicLler  der  Pietismus^  iodem  er  mehr  bewubt 
A^c  unbewubt  die  Subjektivität  zum  Frioc^e  macht« 
•id«  Partbei  auftritt  und  mit  persönlicher  Polemik  wie- 
^«UDscbaftliehe   Ricbtvngeii    anzugreifen  pflegt »  um   so 
jii^hr  ist  es  anzuerkennen^  in  welchem  Maärse  ea  dem 
.Um*  Terf.  gelungen  ist,  in  der  Darstellung  und  Kritik 
de»  Pietismus  sich  von  einseitiger^  nicht  auf  die  Sache 
eiilgehender,  oder  leidenschaftUcber  Polemik   durchaus 
jfrei  zu  erhalten.    Wie  nun  in  dieser  Schrift  sum  ersten 
J^le  ,  der  Pietismus   wirklich  wissenschaftlich  darge^ 
^lellt   und  benrtheik  ist  (denn  die  Brettschneidersche 
iibhandlung  kann  darauf  unmöglich  Ansprüche  machejq, 
^m  Pietismus  in  seiaer  Bedeutung  wahrhaft  gewürdig^t 
j^U/ haben),    so    zeichnet  sie  sich   durch    eine  leichte 
jukd  gefällige  Darstellung   auch  schwieriger   dogmatir 
f^h^s  Lehrbestiiamungen  so  vorth^Uhaft  aus ,  dafs  sie 
«inem  grofseren  Kreise   von  Gebildeten  zugänglich  ist 
^ipd  Kur  Berichtigung  des  öffentlichen  Urtbeils  über  wia«- 
^n^chaftlicbe  und    religiöse  Richtungen    unserer  Zeit 
«oleugbar  einen  bedeutenden  Beitrag  liefern  wird.  -^ 
Was   nun   dejoi  Inhalt   der  vorliegenden  Schrift  selbst 
i^l|:^t,  so  widerlegt  in  einer  Einleitujig  p,  1— -12  der 
^r«  Terf.  die  befangene  Ansicht  der  Pietisten  von  sich 
Mlhfty  nach  welcher  sie  sich  salbst  aussehliefslirh  fUr 
die  Gläubigen  hake%  eben  so  deckt  er  aber  aueli  die 
Verkehrtbeit  d^s  Urtheils  der  Menge,  und  der  Ansicht 
d^  .Bationaljsmus  über  den  Pietismus  auf,   weil  nach 
4^a,J|atztercn  Meinung  derselbe  schosi  cfeshalb  eine  ufi^ 
wfiiire.  Ceistesricbtung  sein  soll,  insofern,  er  die  kirch- 
liche Lehre  jioak  naturlichen  Terderben  des  Menschen 
und  der  Genugtbuung  festhält^  so  dafs   v.  Colin  über- 
einstimmend dainit  das  pietistisohe  Element   schon  in 

Jahrb.  /.  whitUMch.  Kritik.  J.  1840.     I.  Bil. 


den  eisten  Zeiten  der  christlichen  Kirche  findet«  .S-  9. 
Ebenso  erbebt  er  sich  über  die  Ansiebt,  nach  welcher 
das  Princip  des  Pietismus  das  lebendige  Interesse  fiijr 
die  Religion  sein  soll,  und  derselbe  sich  nur  deshalb 
eine  besondere  ausschliefsende  Haltung  der  Welt  gegen- 
über giebt,  sofern  der  Geist  des  Christenthumes  nicht 
mehr  so  gleichmäfsig,  wie  früher,  alle  Mitglieder  der^ 
kirchlichen  Gesellschaft  durchdringt  Diese  Ansiebt  hält 
sieb  nur  an  die  äulsere  Erscheinung  und  raicht  als  blos 
pragmatisch- historische  nicht  aus;  ferner  müfsten  aber 
danach  alle,  die  ein  lebendiges  Interesse  für  dae 
Christenthum  haben,  Pietisten  werden  $  dem  wideiw 
spricht  aber  die  Erfahrung,  dafs  es  doch  Viele  giebt, 
die  ein  solches  Interesse  in  hohem  Grade  haben,  und 
dabei  vom  Pietismus  weit  entfernt  sind.  S.  10«  Viel- 
mehr wird,  damit  d.er  Pietismus  begriffen  werde^  mit 
Recht  auf  das  Wahre  der  Religion,  und  die  Weise  ihrer 
Aneignung  im  Subjekte  zurückgegangen.  Die  Abhand* 
lung  hat  den  Zweck,  die  zum  Verständnifs  der  ganzen 
Erscheinung  wesentlichen  Momente  hervorzuheben^  läfst 
sich  deshalb  auf -eine  detaillirte  Darstellung  des  Pietis- 
mus in  seinen  einzelnen  Sehattirungen  und  Nuancen 
nicht  ein.  S.  12.  Die  Kritik  vhrd  in  wissenschaftlicher 
Weise  in  die  Darstellung  selbst  verflochten,  so  dafs  in 
der  Darstellung  selbst  der  Widerspruch  des  Pietismus 
mit  sich  selbst  und  mit  dem  Wesen  des  Christenthumes 
mit  treffender  dialektischer  Schärfe  auf  dem  dogmati- 
schen und  ethischen  Gebiete  nachgewiesen  wird.  Die 
Sdirift  serCaUt  in  vier  Abschnitte ;  von  denen  der  erste 
(S.  13  —  44)  den  Grundcharakter  des  Pietismus  dar- 
legt; der  zweite  und  dritte  geben  die  Entwickelung 
dieser  Erscheinung  nach  seiner  dogmatischen  und  ethi- 
schen Seite  (S.  45  — 175  und  S.  175  —  261).  Dann  folgt 
im  vierten  die  geschichtliche  Stellung  und  Bedeutung 
des  Pietisi^jus^  S.  261—292  und  im  Anhange  eine  Zu- 
sammc^nstellung  einiger  Verordnungen  deutscher  Re« 
gierungen  in  Betreff   der  Conventikel  (S.  292  -  325). 

72     . 


571 

Warum  ist  aber  nicht  lieber  der  letsCe'AbtchHitt  über 
die  geschichtliche  Bedeutung  und  Stellung  des  Pietis- 
mus vorangestellt  worden,  und  nach  einigen  allgemei- 
nen Bestimmungen  über  das  Wesen  und  die  Erschei- 
tiuiigsform  der  Religion,  der  Pietismus  in  seiner  lllteren 
und  neueren  Gestalt  als  eine  im  Principe  des  Protestan- 
tismus gegründete  religiöse  und  theologische  Erschei- 
nung genetisch  nachgewiesen  f  Dadurch  wurden  man- 
che Wiederholungen  des  schon  Gesagten  vermieden 
sein;  denn,  um  den  Grundcharakter  des  Pietismus  zu 
bestimmen,  kann  im  ersten  Abschnitte  bei  der  abstrak- 
ten oder  allgemeinen  Betrachtung  der  Religion  und  ihres 
.Verhältnisses  sum  Selbst  bewufstsein  des  Einzelnen  nicht 
stehen  geblieben  werden,  sondern  es  wird  schon  S.  15 
auf  den  geschichtlichen  Ursprung  des  Pietismus,  auf 
Spener  und  seine  Opposition  gegen  die  damalige  starre 
Form  der  Orthodoxie,  wirklich  ausfCthrticher  eingegan* 
gen,  auf  das  innere  Yerhältnirs  des  älteren  Pietismus 
zu  Schleiermachers  Theologie  reflektirt,  und  auf  die 
Zusammenstimmung  desselben  mit  der  neuesten  Theo- 
logie  und  Wissenschaft  überhaupt,  insofern  diese  das 
Verdienst  hat  die  unterschiedenen  Sphären  des  Geistes 
als  solche  und  in  ihrer  Einheit  wiederum  begrfffen  za 
haben.  Feimer  wird  auch  die  Berechtigung  des  moder- 
nen Pietismus  dem  Supranaturalismus.  und  Rationalis- 
mus, dem  religiösen  Bewufstsein  dear  Volkes  und  der 
Gebildeten  gegennber,  sein  Verhältnifs  zuni  Mysticis- 
mus,  schon  hier  besprochen.  Sind  diefs  nicht  Alles 
schon  historische  Momente  ^  die  auf»  Neue  in  dem 
letzten  Abschnitte  zur  Sprache  kommen  müssen? 

Was   der  letzte  Abschnitt  Neues  und  Eigenthümli- 
ches  enthält,   ist  daher  mehr  der  Versuch,  den  Pietis« 
mus  aus  dem  Protestantismus  insonderheit  zu  dedudren, 
und  ihn  namentlich  im  Verhältnifs  zur  neueren.  Theo- 
logie, dem  Supranaturalismus,   Rationalismus,'  Schleier* 
macher  und  der  spekulativen  Theologie,   zu  begreifen. 
Ref.  hat  in  dem  vorangestellten  Raisonnement  im  We- 
sentlichen den  Inhalt  des  letzten  Abschnittes  angezeigt, 
zugleich  aber  dos  Verhältnis  des  modernen  Pietismus 
zum  älteren  bestimmter  festzustellen  versucht,  so  wie 
das  innere  Verhältnifs  desselben  zum  neueren  Suprana- 
turalismus.   Oiefs  sfnd  namentlich  die  Punkte,   in  de- 
nen  dem  Ref.  die  ihm  sonst  so  sehr  aus  der  Seele  ge- 
schriebene Schrift,  wie  nicht  leic^ht  eine  andere,  nicht 
genügend  erscheint.    Was   das  Verhältnifs  des  moder- 
nen Pietismus  zum  Siteren  ursprünglichen  betrUR,  sd 


MärkUn^  der  moderne  PietumUe. 


m 


•  wird  mit ,  Reeht  Ae  bedeutende  Veeschiadenhnt  bdto 
aufs  Bestimmteste  hervorgehoben.  Der  neuere  tUb 
freilich  mit  jenem  das  Streben  nach  VerinnerUdmig 
des  objektiv  gegebein^n  religiueen  Inhalts,  will  dicMi 
als  ein  Inneres  Moment  des  SelbstbewofitseioB  eriiel» 
nen  und  geltend  machen,  nun  aber  gilt  ihm  doch  nie» 
der  die  an/sere  Form  des  Faktums,'  z.  B.  der  Wvjar 
oder  die  gegebene  symbolische  Lehre  dem  BuehäUkm 
nacAj  in  dem  Maafse  als  das  Wesentliche,  daij  er  ji 
Andere  auch  schon  deshalb  ven^mt,  weim  de  dk 
der  Gewifsheit  der  Wahrheb  der  Idee,  welche  ia  4^ 
sen  Thatsachen  erscheint,  nicht  diese  zugleich  als  m 
geschichtliche  Begebenheit  für  wahr  hallen.  „Das  igt 
gerade  das  eigentliche  Wesen  des  Pietismus,  dicwr 
Widerspruch,  dafs  die  Innerlichkeit,  welche  das  WsMi 
des  Glaubens  ist,  und  welche  auch  vpndein  Pietisnni 
gewollt  wird,  bei  ihm  in  sich  selber  doch  wieder  SK 
diese  Aeufserlichkeit  bf,  oder  dab  der  Gegenstand  fa 
tSlaubens,   den  das  Bewufstsein  gerne  an  einem  Ek 

0 

mente  seiner  selbst  machen  müchte,  doch^vieder  hite 
selben  Augenblicke  dem  Bewufiitsein  ein  äafserüekff 
und  ihm  fremder,  ihm  nicht  angehdriger  ist.*  S.  28  t||: 
8.  52.  Am  schroflfsten  zeigt  sich  diefs  in  der  mUes 
nen  pietistischen  Orthodoxie,  auf  welche  bei  der  En* 
Wickelung  der  wesentlichen  Lehrbestimmungen  im  Utki 
des  Pietismus  besonders  Rücksicht  genommen  wird.  ^ 
mehr  die  Aufnahme  des  Prineipes  der  Subjeklivitii  ii 
aich  es  ist,  welcher  der  Pietismus  seine  Entstehung  vff> 
dankt,  und  wodurch  er  sich  allein  aus  dem  sopemsi» 
ralistischen  Bewurstsein  als  eine  eigenthGmIiche  Geelril 
ausgesondert  hat,  und  je  weniger  er  doch  dieses  N» 
dp  in  sich  gewähren  läfst,  sondern  immer  wieder  h 
jene  Denkweise  der  abstrakten  ObjeMivität  suräd^SIk) 
desto  gröfser  ist  der  Widerspruch,  in  welchem  er  AI 
mit  sich  selbst  befindet.  Seine  Wirklichkeit  steht  ia 
entschiedensten  Gegensatze  gegen  das  ilim  zu  OMl 
liegende  Princip.  Indem  sich  der  moderne  Pietirnns 
zum  Verfechter  der  Orthodoxie  aufgeworfen  hat,  klafft 
er  gegen  sein  eigenes  Princip  für  das  diesem  sehen 
Princip  entgegengesetzte  Princip.  —  £r  ist  seiner  Gnoll- 
lage  nach  protestantisch,  in  der  Wnrklichkeit  huldigt  er 
aber  demselben  Princip,  welches  dem  Katbelic^sM 
eigen  ist,  dem  der  abstrakten  Objektivität,  weshalb  er^ 
wie  diefs  an  mehreren  einzelnen  Punkten  nadigewieiat 
ist,  an  die  katholische  Anschauungsweise  (ganz  eatg^ 
gengesetzt   dem '  älteren   Pietisnfns)   anstreift"  S.  fSt* 


fttS 


der  wiodeme  Püiiimtu. 


574 


-Dab  diese  Kdifi»g  einer  sondeitoreii  Vefsehmekung 
von  PietbBiiM  und  Älterer  Orthodoxie  sieh  geltend  zu 
mmehM.  ▼ersveht  in  der  Theologie,  ist  gewifs^  afcer  wie 
iman  es  ^e«,'iind  wie  verhfilt  diese,  weil  auf  abstrakt 
^tar  Sufcjekirril&t  beruhend,  undFon  der  objsküfen  Form 
dcilr  ürebliehen  Wissenschaft  Hbstrahirend,  doch  immer 
ittttoterisehe  Ortbodezie  sieh   zu  der  früheren  Entwidf- 
immg  der  'ttteologie  und  su  der  neueren?  Der  Hr.  Yf. 
'VHicIideni  er  den  Spenerselwa  Pietismus  als  gesobicbtU* 
Entwieklungsstufe    innerhalb    des  Protsstantissnus 
sehdn  in  seinen  Gnindsiigen  dargelegt  bat,  sagt 
fiL  379  nur,   indem  er  nun  zum   modernen  Pietismns 
"Mbergebt:  ,»ganz  anders  rerhält  es  sich  nun  in  dieser 
'KeBiebung  mit  dem  modernen  Pietismus",  und  sohildert 
^famn  sogleich  sein  VerböUnirs   zum  Supranaturalismus 
'WBtä  Rationalismus.    ,Wie  kommt  es  nun  aber,  dafs  >  der 
Hr.  Yerf.  den  Pietismus  bo  scharf  von  dem  Suprana- 
«ütfalismus  abscheidet,  und  den  Pietismus  über  die  su- 
fnamtwalistbcbe  Theologie  erhebt  I  (S.  263)  In  Bezug 
wmt  den  alteren  Storr'schen  Supranaturalismus,   den  er 
sin  Beispiel  des  Supranaturalismus  S.  45  anführt,  ge- 
-^ICs  mit  Recht;    aber   der  neuere  Supranaturalismus 
«toshi  ja  gans  auf  dem  Boden  der  Subjektivität,  wie  der 
*ttr.  Yerf.  S«  2S1  sehr  schön  entwickelt,  dafs  er  durch 
moderne  Bewufstseiu  bereits  selbst  dazu  getrieben 
^nichts  als  wahr  anzunehmen  und  sich  anzueignen, 
adaes  Mos  objektiven  traditionelkn  Daseins  willen, 
aondera  sofern  es  sich  im  Denken  durch  sich  selbst  als 
waiirerw^st^  oder  selbst  begründet,-  selbst  erfahren  und 
«iMbC  ist,  theib  auch,  von  aüisen  her  dazu  aufgefordert 
4kiroli  den  Widersps uch   gegen  manche  Elemente  des 
«hristiicben    Glaubens  von  Seiten    des   Rationalismus, 
6mm  objektiv  gegebenen  Glauben   durch  seine  Yerstan- 
dpmuiitiplij  litr  zu  begründen   und  zu  beweisen  sucht; 
was  ar  tbeils  in  der  von  ihm  ausgebildeten  Apologetik, 
ibeHa  in  der  Form  von  Beweisen   aus   der  Yemunft, 
MfeF  aas  Thatsachen  des  sittlichen  und  religiösen  Ba^ 
wofstseiiM  ansführte."  S.  287.    Dea  Supranaturalismus, 
ki  diesen  Princip  der  Subjektivität  wurzelnd,  der  sein 
,^a%enes  Denken  und  Setzen"   überall  geltend  .macht, 
wird  daher  auch  leicht  den  Pietismus  als  Lebensansicht 
müd   liebaaswebe  im  praktischen  Leben  erseugten,  so 
wie  der  Pietismus  als  fromme  Ganütlisstimmung,  so* 
bald   er  sich  zur  Theorie  in  der  Glaubenslehre  gestal- 
tet^ immer  die  Form   des  supranaturalistuchen,  sei  es 
einer  mehr  abstrakt  biblischen 'oder  abstrakt  symboli- 


schen, annehmen  wird.  Je  ifther  die  Subjektivilit  an 
der  Unmiltdbarkeit  ihres  Selbstbewufstseios  und  den 
endlichen  Formen  ihres  abstrakten  Denkens  festhält, 
um  Bo  mehr  wird  sie  ^ne  starre  Orthodoxie  wieder 
mit  modernen  Denkbestimmungen  aufgestützt  in's  Da^ 
sein  rufen,  aber  auch  um  so  mehr  nur  in  dem  vergeb- 
liehen Streben,  die  Leerheit  ihrer  Subjektivität  mit  dem 
.konkret«p  Inhalt  wirklich  zu  vermitteln  und  zu  erfül- 
len, alle  die  Widerspruche  mit  sich  selbst  zu  Tage  brin- 
gen, die  der  Hr.  Yerf.  S.  284  im  Allgemmnw  andeu- 
tet als 'Widerspruch  des  Objektes  und  Subjektes^  und 
die  im  Einzelnen  so  vortrefflich  entwickelt  sind  in  der 
Darlegung,  wie  der  Pietismus  den  wesentlichen  Inhalt 
der  protestaatisehen  Glaulienslehre  auffafst.  Demnach 
müfste  man  die  neuere  sogenannte  oder  sich  so  nen-r 
nende  pietistische  Orthodoxie  nur  ansehen  als  die  Her- 
aussetzung des  Widerspruches,  auf  welchen  die  fixe 
Entgegensetzung  des  Subjektiven  und  Objektiven  in  der 
Religion,  der  Supranaturalismus  sich  in  der  Sulgeküvi- 
tät  fixirend,  sieh  nothwendig  von  selbst  htntreibt,  nur 
insofern  könnte  dieser  orthodoxe  Pietismus  als  ein  Fort- 
sehritt  angesehen  werden ,  da  er  im  Grunde  doch  nur 
eili  Riickfall  ist  in  eine  ihrer  Form  nach  veraltete  Or- 
thodoxie. In  dem  Slaalse  nun,  als  hier  auf  die  Lehre 
wieder  ein  wesentliches  Gewicht  gelegt  wird,  dem  neue- 
ren Supranaturalismus  gegenüber,  der  nicht  genug  wie- 
derhiden  kann,  dafs  das  Christenthum  nicht  sowohl  cihi 
neues  System  von  Lehren  als  ein  neues  Leben  sei, 
nähert  sich  diese  pietistiscbe  Orthodoxie  wieder  dem 
älteren  Storr'schen  Suparnaturalismus,  und  hat  so  zwi- 
schen beiden  nur  ein  sehwebendes  ziemlich  Jbaltungslo- 
ses  Bestehen« 

Es  erklärt  sieh  diese  in  sich  widersprechende  Foite 
der  Theologie,  so  weit  sie  sich,  meistens  nur  in  dei^ 
Polemik,  eine  Existenz  wirklich  gegeb^i  hat,  aus  dem 
Bedurfuifs,  der  in  sich  gegangenen  Subjektivität  wirk- 
lich einen  konkreten  Inhalt  des  Glaubens  zu  bewahren; 
in  diesem  Bedurfnib  coincidirt  sie  mit  der  neueren 
spekulativen  Theologie^  wie  diets  in  diesem  Buche  auch 
häufig  hervorgehoben  und  zur  Begründung  der  relativ 
ven  Berechtigung  dieser  Richtung  angefShrt  wird'  (S.  40' 
tt.  S.  284  u.  85).  Aber  freilich  „diese  Berührung  des 
Pietismns  und  der  neueren  Wissenschaft  ist  nur  eine 
augenblickliche,  in  der  näheren  Auffassung  des  Gegen- 
standes gehen  sie  wieder  weit  auseinander/'  In  der 
Schleiermacherschen  Dogmatik,  die  mit  Recht  als  der 


575 


JUärJtlmy  der  mmkrtte  Pieiümui. 


Wen^punlrt   der  neueren  7heöldgie  angesehen  wird 

(S.  2B6),   bt  die  Seite  des  'protestantiieben  Principes, 

weiche  der  Spenersche  Pietismus  urgtrte,  eu  ihrem  toI^ 

len  Rechce  in  der  Wissensohaft  gekemmen;  indem  nun 

liier   alle  Glanbenss&tze  sieh  bewäliren   müssen   durch 

ihr   inneres'  Yerhaltnifs  sum  frommen  Seltistbewuftt- 

seffl)  so  ist  auch  hier  den  Ansprßdien,  welche  der  mo* 

derne  Pietismus  hinsichtlich  der  subjektiven  (micrlieli- 

-kelt  und  der  Selbständigkeit  der  Religiosität  auf  wis- 

sensehaftliohem  Gebiete   etwa  machen  kann,  wirklich^ 

so  weit  es  die  tiefere  Bildung  der  neueren  Zeit  er- 
laubt, Genüge  geleistet.    Es  war  aber  bei  Schleierma- 

eher  dieselbe'  ihrer   unendüehen   Innerlichkeit  gewisse 

•IVdmmigkeit,    welche  mit  der  Schärfe  ihres  Terstäadi- 

gen  Denkens  die  Beschränktheit  des  Pormalismus  der 

filtere»  Orthodoxie  in  iiiren  Definitionen  und  Distink- 

tlonen  vollends  zum  Bewußtsein  brachte  9  so  wie  die 

^Befangenheit  und   Unwahrheit  des  Glaubens,   welcher 

sah  in  seiner  Subjektivität  sich  fixirend,  ängstlich  an 

dem  äufseren  Buchstaben  und  der  unvermittelten  Form 

des  Wunders  als  Faktum  festhaltend,  in  Wahiiieit  des 

Heils  der  Erlösung   verlustig   geht    Mag   auf  diesem 

Standpunkte  der  Glaubenslelire  der  konkrete  objektive 

Inhak  des  Glaubens,  die  Triuität  s.  B^  auch  noch  nicht 

SU  ihr^m  wahren  Reehte  gelangen,  so  ist  negativ  der 

tkiodeme  Pietismus  in  seiner  Einseitigkeit  von  seinein 

eigenen  StandpunlEte  der  Frdmnngkeit  aus  widerlegt. 

Insofern  mu4s  es  als  durchaus  passend  und  angemessen  '  und  vielmehr  der  Jrühere  Glaube  der  Kirche  hielt  fiel- 

melir  an  dem  Inhalte  des  Symbols,  der  Truiität,  im 
Erlöser  und  dem  heiligen  Geiste  als  der  beseiig^sfa 
Wahrheit  fest.  Jener  Pietismus  aber,  welcher  aiek  a 
solchem  Materialismus  minder*  der  fcatbolischea  Vontel 
lang  vom  Glauben  als  einem  Furwahrhalien  überwiegHii 
suneigt,  „seigt  damit  nur  seinen  niedrigen  Standpub 
im  Denken,  und  wenn  er  sich  so  gerne. als  dealttVl^ 
läisigsten  Träger  des  Glauheps  darstellt,  so  muff  Tuk 
mehr  gesagt  werden,  dafs,  um  den  Glauben  ui  wim 
ganzen  Tiefe  zu  fassen,  und  ihm  eben  danut  seine  folb 
Whrkung  zu  sichern,  das  erste  Erfordemib  dieiiiA 
diesen  Standpunkt  des  Denkens  zu  vwhiweB,  vd 
sich  auf  die  Stufe  zu  erheben ,  auf  welcher  das  Ge» 
sehichcBohe  sugteich  als  Ideelles,  die  Encbehuligsli 
Verwirklichung  der  Idee  erkannt  ^inrd."  (S.  73, 7}> 


6» 

nischen  Meinung  VM  der  Stede  hiMieigti  k&unt  ^ 
noch  nicht  dazu,  sie  in  ihrer  Ti^fe  zu  erkeaoea  snl 
den  wtrkliehen  Schmers  über  dieselbe  in  sich  zu  «fd^ 
ren;  „denn,  indem  daaPrincip  des  Busen  in  davSel«! 
aubstantiurt  erscheint,  wird  es  Yon  der  Natur  des  Hi^ 
sehen  abgezoften  und  sl^eht  zu  derselben  in  einai  ht 
äufserlicben  vVerhältnbse";  hieraus  und  aus  seiner  Auf' 
fassung  des  Guten,  das  dem  Menschen  ebenso  sehkcli^ 
hin  äuCi^rlich  sein  soll,  folgt  dann  -ein  unaatürljik 
ängstliches  und  verworrenes  Gefühl  der  Sfiadb%%k4 
das  gar  wohl  zu  unterscheiden  ist  von  dem  natürliditt, 
wenn  auch  noch  so  tief  einschneidenden  Sehaenp* 
fahle  des  un%'erfäkcht  religiösen  Subjekts,  und  sstdcr 
andern  Seite  eine  gefilhrliehe  sittliche  Sieherheil,  india 
der  Pietist  als  im  Zustande  der  Begnadigung  aieh  be- 
trachtend, dasjenige,  was  das  Fleisch  thut,  sich  solk^ 
nicht  mehr  eigentlich  zurechnet." .  S.  60  u.  61.  In  At 
Endlichkeit  ihres  reflektirenden  Denkens  befanges,  hf 
die  pietistische  Subjektivität  immer  das  Bedürfsifs,  4i| 
Inhalt  der  absoluten  Beligion  abstrakt  objektiv  is  kt 
Aeuberlichkeit  der  historischen  Erscheinung  zu  fixii%' 
diese  HartnficiLigkeit,  mit  welcher  auf  das  Festhake 
und  Fttrwahrhalten  der  sundiclien  Erscheinuug  dei  tk 
solüten  Inhaltes  in  Raum  und  Zeit,  der  \^Nisder  ii 
ihrer  unvermittelten  Fprm  gedrungen  wird,  ist  doftk 
aus  der  modernen  zäh  sich  in  sich  befestigenden  SiA* 
jektivität   eigenthümlieli^  die  ältere  Orthodoxie  aellsli 


erscheinen»  wenn  der  Hr.  Verf.  den  Pietismus  nach 
ner  degmatikchen.  Seite  In  seiaett  Ansichten  über  die 
wesentlichen  Glaubenslehren  ins  Lichte  der  Schleier- 
macherschen  Dogmatik  befrachtet,  und  ihm  überall  den 
Widenpruch  mit  sich  selbst  und  dem  ChrlMenthume 
'mtfaelgt  IWit  dem  guten  Gewissen  der  christlichen 
\yissenschaft,  mit  der  eindringenden  zevsetaenden  Ener- 
gie ihrer  Dialektik,  falst  er  den  Feind  scharf  in*s 
Attge^  und  zeigt  ihm  gerade  da,  wo  er  fQr  ^das  Chri- 
stem^Mm*'  vermeintlich  Reste  fefst,  seine  Sjtärke  als  die 
ungeheuerste  Schwäche  im  Giauben  auf.  Interessant 
sind  in  dieser  Beziehung  besonders  die  Ansichten  des 
Pietismus  von  der  Sünde,  der  Person  Christi,  und  der 
heil.  Schrift  dargestellt  und  aus  ihnen  selbst  widerlegt 
Der  Pisiietaus,  obgleleh  er  sich  sichtlich  su  der  Flaoia- 


(Der  Betfchlnf«   folgt.) 


*^m 


J  a  h  r  b  ü  c  h  er 

für 

\^  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  tl  i  che    Kritik. 


April  1840. 


MfarsieUuag  und  Kritik  des  modernen  Pietismus.  - 
Min  wissensekaftlicher  Versuch  ton  Dr.  Chr. 
Mäthlin. 

(Schloig.)  . 

Dieselbe  aehlechte  Form  des   endlichen  Denkens, 
welche  die  Tiefe  de»  Glaubens   überall  in  demselben 
Augenblioke  ausleert,  indem  sie  den  ganzen  Inhalt  fest* 
xahaltan  meint ,   sieht  das  absolute  Wesen  GU>tt6S,  in* 
dem  sie  'auf  die  Persönlichkeit  .Gottes  geht,  durch  den 
Gegensatz,  den  ne  zwischen  demselben  und  der  Welt 
befestigt, . in  die  Endlichkeit  herab,  macht  ihn  zu  ei- 
ner abstrakt  indtviduellen  Persönlichkeit,   deren  Frei* 
heit  die  WiUkfir  des  Beliebens ,   des  subjektiven  Ent- 
aehlusses  ist«  (&  81  ff;)    Der  grofste  Hifsbrauch  wird 
.  hk  jneuerer  Zeit  Tomehmlich  mit.  der  Autorität  der  heil/ 
Sehrifk  getrieben.    Nicht  alldn   wird  es  *  Tcmachlarsigt 
Tom  Pietismus,  objektiv  aus  dem  Begriffe  der  Religion 
vnd  des  Christenthumes  die  Bedeutung,  der  Schrift  für 
den  Glauben,  ^die  Kirche   zu  begründen  und  zu  recht*' 
ferfigen,  denn  das  Begreifen  ist  es. ja  eben,  welches 
als  Hochmuth'  der   menschlichen  Yemunft   geschmäht 
wird,   sondern  es  wird  auch  verlangt,  dab  ohne  "VVei- 
teres  die  Auslegung  der  Schrift  und  das  Verhaltnils, 
in  welches  der  Pietismus  sich  zu  derselben  stellt^  accep- 
ürt  werde.     Die  Endlichkeit  des  Erkennens,   dy»  der 
.  Behauptung   der  Philosophie    vom    absoluten  Wissen 
^egeniÄer   durchweg  geltend  gemacht  wird,    ist  nun 
ganz  vergessen;    das  Subjekt,   wie  es  mit  seiner  Ge- 
lehrsamkeit,  seinem  Scharfsinn   die  Bibel  auslegt  und 
die    Authentie   der    biblischen   Bucher    zu    begründen 
pucht,   behauptet  sich  als    infallibel.    Weiin  es  nicht 
.wirklich  im  absoluten  und  alleinigen  Besitze  der  Er- 
kenntnifs  der  Wahrheit  zu  sein  meinte,  wie  könnte  es 
d«n  Andern,  die  nicht  dasselbe  Verhältnirs  zur  Schrift 
für  das  allein  Heilbringende  erachten,  überall  in  die 
Falten  des  Herzens  schauen  ivoUen,  und  sie  verdam- 

Jahrb.  f.  m$*€n$ck.  KrUUt.  J.  1840.   I.  Bd. 


men  f  Die  Bibliolatrie  erwebt  sich  vielmehr  unmittelbar 
als   Autolatrie ,   ab   Selbstvergötterung  des  Subjektes. 
In  der  That  ist  es  auf  dem  Standpunkte,  der  die  Mög- 
lichkeit der  Erkenntnifs   des  Absoluten  leugnet^    der 
schreiendste  Widerspruch   bis  zum   Üeberdrüb.  immer 
von  einem  auch  schon  für  die  Wissenswert  fix  und 
fertigen  „Christenthum**  und  von  der  „Schrift"  zu  re* 
den,  welcher  die  moderne  Bildung  oder  die  neuere  Phi» 
losopbie  widersprechen    soll.      Diesem  Widerspruche 
liegt  Weiter  nichts  zu  Grunde  als  die  Verachtung  des 
Inlialtes  der  Offenbarung,  welcher   ohne  die  Negation  • 
des   endlichen    Denkens,   ohne    die   Yermtttelung   des 
Glaubensinfaaltes  in  einer  Beligionsphllosophie  und  Dog* 
matik,  sich  von  der  sogenannten  Unbefongenheit  d.  b. 
von  der  Meinung  des  Subjektes  soll  erfassen  lassen, 
welches  in  dem  Postulate  des  Glaubefeis  an  die  Ihspl» 
ration  der  Bibel  vielmehr  nur'  den  Glauben  an  die  ei» 
gene  Inspiration  verlangt.    Mit  dieser  ungeheuren  Prä«- 
tension   ist   nothwehdlg    die    Leidenschaftlichkeit   des 
Eiferns  für  „das  Christenthum,"  und  die  Bescirgnifs  und 
Aengstlichkeit.  verbunden,  welche  furchtet,  dasChristen- 
thum  möge  von  der  modernen  Bildung  ganz  verdrängt 
werden,  wenn  nicht  eine  plutzlitlie  wunderbare  gottlU 
che  Hülfe  euitrete;  welche  Besorgnifs  der  Hr.  Yf.  am 
Schlufs   der    dogmatischen  Abhandlung  dahiji    deutet,, 
dafs   allerdings  „die  Auffassung  des  Pieüsmus,    seine* 
Meinung  vom  Chrktenthume  sidi  als  veraltet  und  un» 
genügend  erweisen  möge,   und  dab  diese  einen  Kampf 
zu  besteben  habe^  in  dem  er  um  den  Sieg  besorgt  zu 
sein  alle  Ursache  hat.    Das  Resultat  dieses  Kampfes 
wird  allerdings  der  Sieg  des  Christenthumes  sebi,  aber 
nicht  in   der  beschränkten   und  ungeistigen  Form,    in 
welcher   der  Pietismus   dasselbe   hat,   sondern    in  der 
freien  und  geistigen,  zu  welcher  die  christliche  Wis» 
Seilschaft  selbst   in  unsem  Tagen  bereits  den   Grund 
zu  legen  angefangen  hat.''  (S.  144  ff.  und  S.  174). 
In  dem  dritt/en  Abschnitte  weist  der  Hr.  ML  nun 

73 


M'drklin^  der  moderne 


579 

sehr  schon  nach^  wie  vermöge  des  inneren  Verhältnis- 
ses, in  welchem.  Sittlichkeit  und  Religion  stehen,  die 
Ycrkümmerung  des  religiösen  Inhaltes  in  der  Reflexion 
des  pietistischen  Selbstbewurstseins  nothwendig  eine  nach 
allen  Seiten  hin  beengte  und  besohrSnkte  Anschauung  und 
Yerwirklichung  der  sittlichen  Idee  ssur  Folge  hat.  Der 
Pietismus,  in  dem  Eifer,  dem  Rationalismus  etwa  ge-^ 
geniiber  besonders  die  Selbständigkeit  Aev  Religion  im 
Yerhältnifs  zur  Moralität  der  Yernunftreligion  hervor- 
zuheben, gerftth  vermöge  seiner  abstrakten  Trennung 
des  Menschlichen  und  Göttlichen  sogleich  in  die  Ein- 
seitigkeit, die  Religion  nur  als  etwas  Besonderes  neben 
und  aufser  den  übrigen  Sphären  des  Lebens  aufzufas- 
san,  und  die  unendliche. Idealität  der  konkreten  Allge- 
meinheit  derselben  zu  verkennen ,  in  welcher  sie  sich 
eben  so  sehr  in  ihrer  eigenen  Sphäre  ihre  Gestalt  giebt, 
als  sie  von  der  anderen  Seite  die  übrigen  Kreise  des 
wirkliehen  Lebens,  der  Kunst,  nicht  absorbirt,  sondern 
diese  in  der  Weise  bestimmt,  durchdringt  und  verklärt, 
dab  sie,  durch  das  Absolute  bestimmt,  wahrhaft  sich 
selbst  von  Innen  heraus  bestimmen  und  in  ihrer  eigen- 
thümlichen  YTeise  sieh  frei  der  Idee  gemäfs  verwirkli- 
eben.  Die  konkrete  Einheit  der  göttlichen  und  mensch- 
lichen Natur,  welche  auf  dem  dogmatischen  Gebiete 
dem  Pietismus  immer  gerade  dann  entflieht,  wenn  er 
sie  sich  zur  bestimimten  Anschauung  und  Gewifsheit 
bringen  will,  wird  auch  in  der  sittlichen  Idee  von  ihm 
nicht  erreicht.  Der  gottliche  Wille  erscheint  seinem 
Principe  gemäfs  immer  als  ein  abstrakt  objektives,  dem 
Subjekte  gegenQberstehendes  Gesetz,  nicht  als  an  sich 
geeint  mit  dem  menschlichen,  so  dafs  er  auf  dem  Grun- 
de des  gottmenschlichen  in  der  Welt  sich  verwirkli- 
chenden Lebens  als  der  Lebenstrieb  des  Selbstbewufst- 
seins  sich  darstellte.  S.  190  fl^.  Wenn  die  Yorstellüng 
von  dem  Reiche  Gottes  für  die  christliche  Ethik  der 
angemessene  Ausdruck  für  die  Yerklärung  der  natürli- 
chen pnd  gebtigen  Welt  in  der  Idee  ist,  so  wird  von 
dem  Pietismus  unter  dem  Reiche  Gottes  einseitig  die 
religiöse  Gemeinde  als  ^  solche  verstanden.  Das  ei- 
gentliche Staatsleben,  die  Kunst  erscheinen  ihm  für 
sich  als  unberechtigt^  als  „Welt",  sofern  sie  nicht  in 
ein  blos  dienendes  Verhälcnifs  zur  Religion  treten;  wo- 
mit er  wiederum,  wie  auf  dem  dogmatischen  Gebiete 
in  seiner  abstrakten  Fassung  des  Protestantismus,  sich 
der  katholischen  Ansicht  vom  Yerhältnifs  Aes  Staates 
zur  Kirche  nähert.    Die  Engherzigkeit  der  pietistischen 


580 


Denkweise  in  Bezug  auf  die  Kunst,  welche  sie  in  der 
Regel  nur  als  Mittel  für  den  Kultus,  oder'  als  religiöse 
Kunst  gelten  läfst,  zeigt  sich  besonders  auch  in  dem 
Hafs  des  Theaters,  so  wie  sie  überhaupt  geneigt  ia(, 
wegen  der  mangelhaften  Erscheinung  irgend  esner  Seile 
der  Wirkliclikeit.  die  Berechtigung  eines  Momentes  der 
Idee  an  sich  zu  verkennen,  und  die  Sache  als  seMie 
zar  Yermeidung  des  Anstofses  überhaupt  zu  verwerfen. 
Die  unendliche  Elasticität,  die  Allmacht  der  Idee,  fldc 
welcher  sie  in  der  reichen  Gestaltung  des  Lel»ens  der 
mannigfaltigsten  Bildungen  sich  erfreut,  und  es  liebt» 
sich  in  ihnen  zu  verbergen,  um  nur  desto  raeiir  in  der 
Yerschlingung  auch  entgegengesetzter  Sphären  des  gei- 
stigen und  natürlichen  Universums  und  ihrer  Harmonie 
sich  zu  verherrlichen,  ist  vor  den  Augen  des  Pietismus 
durcbbtts  verborgen.  Während  ihm  die  ethische  Be» 
deutuDg  in  der  immer'  steigenden  Macht  des  Geistes 
über  die  äubere  Natur  in  der  industriellen  Thitigkeil^ 
und  in  der  unbefangenen  freien  Form  der  Geselligkeit 
entgeht,  entwickelt  er  eine  bedeutende  Rührigkeit  und 
Betriebsamkeit,'  mit  welcher  er  unmittelbar  für  das 
Reich  Gottes  zu.  wirken  meint,  in  der  Yerbreit'ung  von 
Traktaten  und  der  Thätigkeit  für  die  Missionen.  Wie 
nothwendig  und  daukenswerth  namentlich  die  Thätig- 
keit zur  Errichtung  von  Missiousgeseilschaften  aueh 
ist,  so  bemerkt  der  Hr.  Verf.  doch  mit  Recht,  da(s  von 
den  Pietisten  auf  solche  Bestrebungen  nur  gar  zu  leicht 
ein  zu  grofser  Werth  gelegt  wird,  so  dafs  die  Metnong 
von  einer  besonderen  Verdienstlichkeit  der  Theilnahoitt 
an  diesen  Bestrebungen  eine  neue  VVerIcgerechtigkeit 
in  der  protestantischen  Kirche  herbeifuhrt  (S.  186,  187). 
Mit  besonderer  Einsicht  und  Gerechtigkeit  ist  das  Koo- 
ventikelwesen  behandelt.  Yielleiclit  möchte  das  reli- 
giöse  Bedürfnifs,  welches  oft  in  verkehrter  Weise  hier 
seine  Befriedigung  sucht,  diese  in  der  angemessenen 
Weise  finden,  wenn  in,  der  protestantischen  Kirche  öf- 
fentliche  Gottesdienste  in  der  Woche  allgemeiner  ein* 
geführt  würden,  wie  dies  in  grofsen  Städten  schon  zum 
Theil  geschehen  ist. 

Wenn  der  Pietismus,  in  sofern  er  die  Selbstän- 
digkeit und  Innerlichkeit  des  religiösen  Lebens  geltend 
zu  machen  strebt,  in  unserer  Zeit,  in  welcher  Laxheit 
und  IndifTerentismus  in  der  Moral  und  Religion  «ehr 
verbreitet  ist,  uns  im  Leben  eine  wohl  berechtigte  ulid 
auch  in  seiner  Einseitigheit  erfreuliche  Ersehehrang 
ist,  so  kann  auf  wissenschaftlichem  theologbehefli  Ge* 


(81 


« 

eeltUchen  SpracAsn  m  ihrem  VerAälint/i  %um  Sausirity  Zend  u.  #•  te». 


583 


biete  iliai  wohl  nicht  dieselbe  Bereelitigung  mebr  siige- 
flttmden  werden;  denn  die  Interessen  der  Subjeictivität, 
welche  der  ältere  Pietismus  gdtend  machte,  so  wie  das 
Interesse  der  Orthodoxie  werden  von  der  neueren  Wb^ 
saiischaft  in  gleichem  Maabe  vertreten,  und  es  ist  nur 
TerblenduBg  der  abstrakten  Subjektivität,  auf  welcller 
das  falsche  Interesse  des  modernen  Pietismus  am  Buch- 
staben ruht,  wenn  sie  in  der  tieferen  wissenschaftlichen 
Entwicklung  des  Glaubens  die  dem  Geiste  des  Prote- 
stantismus allein  angemessene  freie  Reproduktion  der 
Orthodoxie  nicht  anerkennen  kann.  Bestrebungen,  wel* 
ohe  von  dem  freien  objektiven  Erkenntnüsprocefs  des 
GKaubensinbaltes  abstrahiren,  müssen  in  der  protestan- 
tischen  Kirche  vielmehr  fQr  heterodox  gelten.  Je  mehr 
dagegen  die  kirchliche  Wissenschaft  in  der  Form  des 
Begriffes  den  konkreten  Inhalt  des  Glaubens  in  seiner 
unendlichen  Tiefe  herausarbeitet,  und  die  subjektive 
wie  die  objektive  Seite  desselben  in  dem  gleichem 
Maafse  zu  ihrem  Rechte  kommen  läfst,  um  so  m^hr 
wird  sie  auch  der  Begründung  und  Beförderung  einer 
substantiellen,  inhaltsvollen  Frömmigkeit  und  realen 
Sittlichkeit  dienen. 

.  A.  Bai  er,  Lic.  in  Greifswald. 


XLV. 
1^  The  eastern  origin  of  the  Cetlic  natiom  pro-- 
red  by^  a  comparü^n  of  their  dtalects  wtth  the 
Sanscrity  Oreek,  Latin  and  Teutonic  langua- 
ff  es  by  J.  C.  Prichard.     Ooford^  1831. 
2^  De   Vaffinite  des  'langues    Celttques  avec  le 
'  Sanscrit  par  Adolphe  Ptctet.    (Memoire  cou- 
rönne  par  f  Institut)*    PariSy  1837. 

^)  Die  celtischen  Sprachen  in  ihrem  Verhältnifs 
zmm  Sanskrit j  Zend u. s.w.  ron  Franz  Bopp. 
(Gelesen  in  der  Academie  der  Wissenschaf- 
ten am  13.  December  1838;.  Berlin^  1839. 
bei  Dnmmler. 


drei  oben  genannten  Werke  beschäftigen  steh 
mk  einem  Sprachzweige,  den  man  lange  Zeit  aller. 
dings  als  mit  den  indogermanischen  Sprachen  in  Be- 
Mbrang  stehend  anzuseilen  gewohnt  war,  und  der  na- 
mentlich m  seinem  Wortsehatse  noch'  manche  Spuren 
der Terwandtschaft  zum  Sanskrit  und  den  übrigen  Glie* 


dem  derselben  Familie  zeigte,  dessen  grammatischer 
Bau  indefs  so  mancherlei  Abweichungen  von  den  Bil« 
düngen  der  oben  genannten  Sprachen  darzubieten  schien, 
dafs  Hr.  Prof.  Bopp  in  seiner  im  J.  1823  in  der  Kd* 
nigl.  Academie  der  Wissensch.  gelesenen  Abhandlung 
über  die  Pronomina  der  beiden  ersten  Personen  im 
Sanskrit  ihn  als  der  engeren  Gemeiuschaft  der  indoger« 
manischen  Sprachen  nicht  angehdrig  bezeichnete,  und 
deshalb  auch  von  den  Untersuchung€tn,  die  er  in  seiner 
vergleichenden  Grammatik  Ober  diese  Sprachen  anstellte, 
ausschlofs.  Zwar  erschien  seitdem  das  erste  der  oben 
genannten  Werke,  in  dem  sich  der  Yerf.  bemühte  den 
östlichen  Ursprung  det  celtischen  Yölkerschaften  durch 
die  Yerwandtschaft  ihrer  Sprachen  mit  den  indogecma« 
nischen  darzuthun,  und  in  dem  er  sowohl  die  Lautver* 
hältnisse  als  auch  den  grammatischen  Bau  einer  nä« 
hem  Untersuchung  unterwarf,  wobei  er  jedenfalls  daa 
Yeirdienst  hat  eine  nähere  Berührung  des  Celüschepi 
mit  den  indogermanischen  Sprachen  in  einzelnen  Punk- 
ten nachgewiesen  zu  haben,  doch  blieb  noch  so  vieler- 
lei den  celtischen  Sprachen  Eigenthumliches  vunerörter^ 
was  ihnen  grade  den  Charakter  einer  besondern  Sprach- 
familie giebt,  dafs  Hr.  Prof.  Pott  (Etym.  Forsch.  U* 
p.  478)  sich  noch  dem  Urtheile  des  Hrn.  Prof.  Bopp 
anschlofs,  und  zwar  gleichfalls  eine  dieilweise  Ueber«^ 
einstimmung  des  Wortschatzes  des  Celtischen  mit  den 
indogerm.  Sprachen  zugab,  und  auch  sogar  eine  hin^ 
und  wieder  sich  findende  Uebereinstimmung  grammati- 
scher Formen  annahm,  doch  aber  das  ganze  Wesen 
der  celtischen  Sprachen  als  dem  Indogermanischen  sa 
fem  stehend  bezeichnete,  dafs  an  keine  Stammverwandt- 
schaft zu  denken  sei^.  und  die  Uebereinstimmungen  sich 
nur  durch  vorgeschichtliche  Mischung  indogermanischer 
Yölkerschaften  mit  coltischen  erklären  lielsen»  So 
mifslich  eine  solclie  Annahme  von  derartiger  Misdiung 
verschiedener  Sprachen  ist,  so  war  sie  docb>  da  eine 
«nderweite  Erklärung  nicht  vorhanden  war  und  aueb 
nicht  möglich  schien,  bisher  ^  unangefochten  geblieben^ 
bis  iieuerdings  Hr.  Pictet  in  seiner  vom  Institut  gekrÖn* 
ten  Schrift  die  Untersuchung  von  neuem  aufnahm,  und 
durch  Zi.sammenstellung  von '  Wurzeln '  nnd  Stämmen^ 
Prä-  und  Suffixen  und  Flexionen,  die  er  auf  eine  sorg- 
same Yefgldchuhg  der  Lautverhältnisse  begründete,  die 
engere  Yerwandtschaft  der  celtischen  mit  den  indoger- 
manischen  Sprachen  auf  eine  unwiderlegliche  YFeise 
bewies«    Indel's  blieb  doch  immer  noch  so  manches  vom- 


S83 


Die  celtüeh^n  Sprachen  m  ihrem  Ferhäitm(/i  xum  SanekrU^  Zend  u»  $.  v. 


Standpunkt  der  Spraefavarglekhung  aus  ttnerkiärt^  was 
den  eeltisehen  Sprachen  einen  von  den  übrigen  indo* 
germanieehen  abweichenden  Charakter  leiht,  und  na^ 
mentlioh  war  es  die  allen  gemeinsame  Lautveränderung 
am  An(|ing  der  Wörter,  in  deren  Einzeinheiten  die  ein- 
seinen mehr  oder  minder  übereinstimmen,  die  einigen 
▼on  ihnen,  namentlich  den  galischen  Dialecten ,  deq 
Schein  lieh,  als  ob  die  Verbal-  und  hauptsächlich  Nomi- 
nalflexion, abweichend  vom  Indogermanisohen,  sich  durch 
entweder  den  Stäitimen  vorgesetzte  neue  Consonanten 
oder  Umwandlang  der  ursprünglichen  vollzöge«  Das 
Priueip  dieser  schwer  sü  begreifenden  Eigenthumlich* 
keit  erkannt,  und 'auch  darin  die  genaue  Yerwandt* 
sehaft  der  celtischen  Sprachen  mit  den  indogermanischen 
nachgewiesen  zu  haben,  ist  neben  der  Entwicklung 
und  Entwirrung  noch   vieler  andrer  ^ebenso  versteckt 

* 

liegender,  verwandter  Zuge  des  Celtischen  das  grorse 
Yerdienst  der  unter  No.  3.  aufgeführten  Abhandlung 
des  Hrn.  Prof.  Bopp,  und  wenn  auch  noch  in  den  ein* 
seinen  Dtalecten  Einzeluheiten  übrig  bleiben,  die  noch 
ihrer  Aufhellung  harren,  iso  ist  doch  jedenfalls  in  die* 
ser  letztgenannten  Schrift  der  Weg  dazu  gewiesen,  und 
jeder  der  sich  mit  der  Yergleiohung  der  celtischen  Spra* 
oben  mit  den  übrigen  indogermanischen  befassen  will, 
wird  sich  genöthigt  sehen  von  den  hier  niedergelegten 
Resultaten  auszugehen,  und  sie  zur  Grundlage  seiner 
Untersuchungen   zu  machen. 

Die  für  eine  kür^^ere  Anzeige  angemessene  Be- 
sefaränkung  verbietet  uns  in  eine  genaue  Betrachtung 
des  ,  Ganzen  der  oben  genannten  Werke  einzugehen, 
und  wir  kennen  daher  nur  einige  Hauptpunkte  die 
wichtiger  sind  hervorheben.  —  Nach  dem  was  bereits 
oben  über  das  Prichard'sche  Buch  gesagt  ist,  lafst  sich 
schon  entnehmen,  dsfb  es  hier  weniger  berücksichtigt 
werden  kann.  Es  ist  eigentlich  ein  Supplement  zu  des 
Verfsb  im  J.  1813  erschienenen  Researches'  into  the 
pbj4»ieal  history  of  mankind,  und  läfst  sich  deshalb  in 
der  Einleitung  in  eine  genauere  Betrachtung  der  ver* 
aehiedenen  Ansichten  über  die  Bevölkerung  der  Erde 
eiii,  behandelt  dann  den  östlichen  Ursprung  der  meisten 
eurepSiscfaen  Völker,  und  sucht  in  seinen  sieben  Kapi* 
tsln  eben  denselben  den  celtischen  Völkern  mittelst  der 
Spradie  naehtuweisen.  Was  indefs  rücksichtlich  der 
Lautvergleichung  beigebracht  wird,  berührt  oft  die  eeU 
tischen  Sprachen  nur  sehr  obenhin,  jedoch  ist  in  vie* 


m 

len  einzelnen  Punkten  sdion  eine. ganz  ^nehmban 
Verglefchong'  indischer  Wurzeln,  Verba  und  Nonam 
mit  cekisehen,  so  dais  der  Forscher  mmiches  Mat^id 
zu  weiterer  Benutzung  finden  wird.  Einzelne  Irrtki* 
mer,  die  sich  hin  und  wieder  finden,  wie  z.  B.  hk 
das  T  im  dorischen  diSrnvi  an  die  Stdle  eines  ursprfipg^ 
liehen  a  getreten  sei  (cap.  2^),  zu  widerlegen  ist  hin 
nicht  der  Ort,  und  sie  finden  um  so  mehr  Entseiuil& 
gung,  als  der  Verf.  nicht  Philologe  von  Fach,  dock 
überall  schöne  Kenntnifs  und  löbenswerthe  BesomiM. 
heit  zeigt.  Was  die  Flexionen  betriflft,  so  hat  der  YL 
bereits  die  verbalen  der  celtischen  mit  den  indogemu 
nischen  meistens  richtig  zusammengestellt,  ohne  nd 
jedoch  auf  genauere  Entwicklungen  einzulassen.  VttQ 
den  sehr  verstümmelten  Nominalflexioneu  hob  Hr.  Pri* 
ehard  besonders  die  freilich  ziemlich  deutliche  Te^ 
wandtschaft  der  irischen  Dativforni  des  Plural  auf  mM 
zum  sicr.  bhya»  und  lat.  Aue  hervor.  —  Jedenfalls^« 
bührt  dem  Verf.,  wie  bereits  oben  gesagt  ist,  das  Ver- 
dienst, die  theilweise  Ueberdnstimmung  celtischer  Wör- 
ter und  Flexionen  mit  indogermanbchen  zuerst  dsrge» 
than  haben. 

Bei  weitem  methodischer  als  der  Verf.  der  ob« 
genannten  Schrift,  und  augenscheinlich  die  Werice  te 
neuern  deutschen  Sprachforschung  zum  Muster  neli* 
mend,  geht  Hr.  Fictet  zu  Werke.  Er  begiiuit  mc 
schöne  Abhandlung  mit  der  Auseinandersetzung  te 
den  celtischen  Sprachen  eigenen  Lautverwandlun|  iz 
Anfange,  der  VTörter,  deren  Wichtigkeit  für  die  £^ 
gründung  der  ursprünglichei:!  Wortfonnen  er  jedock 
noch  nicht  erkannt  hat,  weshalb  er  sie  nicht  genantf 
betrachtet,  und  nur  die  Terminologie  der  einheünisebB 
Grammatiker  zu  verbessern  bemüht  ist,  zugleich  aber 
auch  die  Anordnung  der  Consonanten  in  gröfsere  Ueto> 
einstimmung  mit  der  für  die  altfndischen  ang«ioBUiieiM> 
zu  bringen  sucht.  Darauf  geht  jer  zur  VergleichuDg  te 
celtischen  Vocale  und  Consonanten  mit  den  altindiscki 
über,  welche  er  meist  mit  greiser  Genauigkeit  behandelt} 
und  die  jedenfalls  einen  sehr  werthvollen  Thell  derA^ 
beit  bildet;  nur  hätten  wir  gewünsqht,  dab  die  &^ 
nen  Dialecte  ein^  gesonderte.  Bearbettuttg  erhsltsa  K^ 
ten,  da  dies  die  Uehersiehtlichkeit  der  besondem  E^ 
sefaeuiungen  sehr  viel  leiohter  gemacht,  zi^leieh  A» 
auch  die  Erkenntnifs  des  Verhältnisses  der  cdtisck^ 
Dialecte  zu  einander  nag emein  gefürdert  haben  wiri» 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


^74. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche    Kritik 


April  1840* 


1^  The  eästern  angin  of  ihe  Celiic  nations  pro^ 
red  by  a  companson  of  their  dialects  with 
the  Sanscrit^  Oreek,  Latin  and  Teutonic  lan* 
-guages  hy  /.  C.  Prichard. 

2J  De  Paffinite  de$  langues   Celiiques    avec   le 
Sanscrit  par  Adolphe  PicteU 

3J  Die  celtischen  Sprachen  in  ihrem  Verhältnifa 
zum  Sanskritf  Zendu.s.w.  von  Franz  Bopp. 

(ForUetzang.) 

M&ssen  wir  nun  gleich  in  den  meisten  Fällen  ^e 
Richtigkeit  der  Pictetschen  Vecgleichungen  sugeben,  so 
ist  doch  das  Verfahren,  das  der  Vf.  beobachtet,  von  der 
Art,  dafs  es  oft  Zweifel  erregen  mufs,   die  wohl  auch 
in  mehreren  Fällen  begründet  sind.    Hr*  P.  schickt  näm«- 
lieh  den  Yergleichungen  der  einzelnen  Laute  gewohn- 
lieh ein  paar  Worte  vorauf,  in  denen  er  angiebt,  wie 
er  sich  das  Verhältnif«  denke,  und  darauf  folgen  dann 
die  verglichenen  Wörter  in  Reihen  gegenüber  gestiellt, 
meist  ohne   weitere  Auseinandersetzungen.    Oft  veran- 
lassen ihn  aber  sehr  mannigfache  Gesetze  ein  indisches 
Wort  einem  celtischen  zu  vergleichen,  von  denen  dann 
nur  eins  angeführt  ist,  und  dem  Leser  überlassen  bleibt, 
sich  erst  mühsam  die   übrigen  zusammenzusuchen ,   zu- 
%¥eilen  (scheint  aber  auch  Hr.  Pictet  pur  grade  auf  den 
Ltaut  Rücksicht  genommen  zu  haben,  den  er  vergleichen 
^vollte,  und  die  sonstigen  Lautverhältnisse  scheinen  un- 
berücksichtigt geblieben  zu-  sein.    So  ist  z.  B.  p.  21 
bret.  krbx  m.  murmure,  bruit,  querelle  zu  skr.  kruf 
gestellt;  das  ^iiretannische  z  ist  aber  gewöhnlich  aus  ei- 
nem ältraen  d  hervorgegangen,  entspricht  auch  oft  ei- 
nem skr.  dh  z.  B.  in  9jkoa%  f.  ^paule ,  skr.  skaudAa 
(vgL  dazu  das  offenbar  von  derselben  Wurzel  stam- 
mende $k6d  m.  menue  brauche  verte,  skr.  »kandhä  f. 
a  brauch),  so  dab  man  es  ohne  alles  Bedenken  in  den 
meisten  Fällen  zur  dentalen  Klasse  zu  rechnen  hat  $  daher 
/dlr6.  /.  wu$9n$ck.  KriUk.  J.  1840.  L  Bd. 


scheint  es  mir  wahrscheinlicher  kr6z  zu  skr.  ^rt^^  irasci 
und  krödha  ira  zu  stellen,  woher  sich  die  Begriffe  querelle 
U.8.  w.  leicht  herleiteo  lassen,  denn  es  durfte  schwerhal- 
ten dies  bret  z  mit  dem  palatalen  9  des  Sanskrit  unmittel- 
bar zu  vereinigen,  und  Hr.  Pictet  hat  auch  da,  wo  er 
von  der  Vertretung  dieses  Consonanten  handelt,  keine 
Beispiele  derselben  durch  bret.  z  beigebracht.     Ebenso 
vergleicht  Herr  P.   ein    z    im    wallisischen   mit  ^   des 
Sanskrit,  indem  er  p.  16  gwaexi  to  corj  ont  aloud  mit 
skr.  vof  zusammenstellt  $  allein  gwaexi  ist  offenbares  De- 
nominativ von  gwaex  f.  a  cry  or  shout,  und  dies   ent- 
spricht dem  skr.  väda  in  der  Bedeutung  sound,  sonn- 
ding,  welches  sich  auf  Wurzel  vad  dicere,  loqui  stützt. 
Diesem  vall.  gwaex    entspricht   im  Irischen    (das  .  ge- 
wöhnlich f  für  skr.  v  setzt,  wogegen  das  Wallisische 
meist  gw  dafür  hat)  faodh^  fßoidh  und  mit  abgewor-  ^ 
fenem  Schlufsconsonanten  faoi  voice,  sound,  und  dieser 
Dialect  hat  auch  noch  die  ursprüngliche  Wurzel  erhal- 
ten mfadaim  I  expound,   explain,   das  sich  genau  an 
das  skr.  vadämi  anschliefst,  und  neben  dem  noch  eine 
andere  etwas  geschwächte  Form  besteht, '  nämlich  fea^ 
daim  (ea  steht  nach  Pictet  gewöhnlich  an  der  Stelle 
eines  früheren  e,  doch  vgl.  Bopp  p.  8)   I  relate,  I  say 
tie)>st/ead  relation,  saying,  wall,  gwed  an  uttirance,  a 
sajing.    Dasselbe  Verbum^afiKon'/n  hat  aber  auch  noch 
die  Bedeutung  I  whistle,   und  ebenso  findet  sich  das 
Subst.  fead  a  whistle,  shrill  noise,  woran  sich  offenbar 
das  bret.  geix  oder  geid  f.  gäzouillement^  ramage  an- 
schliefst,  woraus  die  schon  mehrfach  behauptete  Ver- 
wandtschaft von  skr.  W.  vad  und  gad  neue  Bestätigung 
gewinnt,  und  hervorgeht,  dafs  allen  offenbar  eine^  ur- 
sprCüigliche  Wurzel  mit  anlautendem  gw  zum  Grunde 
lag,  für  obige  Vergleichung  gwaexi  mit  vaf  aber  deut- 
lich wird,  dafs  sie  zu  verwerfen  sei,  einmal  wegen  des 
Vertretenseins  von  ^  durch  z,  dann  aber  auch  beson- 
ders wegen  der  irischen  Formen  mit  dem  auslautenden 
Dental.  —  Bei   Gelegenheit  der  Vergleichung  solcher 

74 


587 


eeliiichen  Sprechen  in  ihrem  VerhUhnifi  zum  SanikrO^  Zend  u,  #•  w. 


568 


YerbindungeD,  die  das  dentale  s  im  Sanskrit  mit  an«> 
dem  Consonanten  eingelit,  stellt  Hr.  Pictet  p.  77  skr. 
Mkandha  f.  a  braiich  mit  (ir.  Mcoth  a  young  short,  a 
young  lad  und)  wall,  ytgaing  that  fonns  a  branch  su- 
sammen;  ist  liun  gleich  der  Vorsatz  eines  y  vor  mit  s 
verbundenen  Consonanten  im  Anlaut  ziemlich   häufig 
im   Wallisischen,   so   thut    doch    wohl  zunSchst   das 
schliefsende .  g  von  jsgaing  gegen  die  Vergleichung  Ein- 
spruch, zumal  da  Hr.  P.  keine  Beispiele  für  das  Ge- 
genüberstehen von  Gutturalen  im  Celtischen  und  Den- 
talen  im  Sanskrit  beigebracht  hat:   dazu  kommt  aber 
noch,  dafs  sich  neben  ysgaing  eine  andre  Form  J'sgainc 
mit  derselben  Bedeutung  findet,  beide  jedoch  von  den 
einheimischen   Lexikographen   von  cainc   f.   a  branch 
und  dem  Praefix  y#  s  skr.  ut  abgeleitet  werden.    Dä^ 
her  erklärt  sich  nun  auch  das  g  im  Beginn  des  Worts 
genügender,  denn  in  der  Zusammensetzung  treten  nach 
allen  Praefixen  mit   Ausnahme  von  tra,   an,   cy,  gor 
stets  die  Mediae  ein  (Owen  Welsh  Grammar  p.  21), 
wogegen  nach   dem  blos    vorgeschlagenen  y  nicht   so 
häufig  Wandel  der  Tenuis  in  die  Media  eintritt,  daher 
scheint  uns  die  Annahme  der  Lexikographen  richtiger, 
und  um  so  mehr  als  sich  das  fem.   cainc^  wenn  wir 
den  so  häufigen  Einschub  eines  Nasals   und  demnäch- 
stigen Wandel   von   &  zu  ai  **)   wegen  des   folgenden 
Nasals  annehmen,  sehr  gut  dem  skr.  fakha  f.  a  branch 
vergleicht  —  S.   67   vergleicht  Hr.   P.    die  unbelegte 
skr.  j/.  hbd  circumdare,  volare  mit  wall,  huxaw  to  co- 
ver,  to  shade  und  corn.   hut/ia  to   cover,  an   die  wir 
noch  das  com*  cut/ia  to  covcr,   to  iiide  or  keep  dose 
und  bret.  kuxa  cacher  anschliefsen :  wenn  sich  gleich 
hier  gegen  die  Vergleichung   der   Consonanten   nichts 
einwenden  lälst,  so  mufs  es  doch  immer  auffällig  schei- 
nen, da(s  skr.  6  mit  celtischem  *u  so  ohne  Weiteres  zu- 
sammengestellt wird  und  sich  entsprechen  sollen.    Das 
Sanskrit  hat  aber  eine  Wurzel,  welche  den  hier  ver- 
glichenen Yerbis  viel  näher  steht,  nämlich  guh  tegere, 
abscondcre,    von  der  bereits  Pott  (Etym.  Forsch.  L  p. 
27)  durch  gr.  xeuv^os  und  skr.  guth  tegere  geleitet  ver- 


*)  Doch  konnte  aucli  das  ai  aus  einem  vorauszusetzenden 
canci,  das  sich  aus  einem  canca  für  gAkhä  entwiclcelt  hätte, 
durch  Umlaut  entstanden  sein.  Zu  bemerken  ist  noch,  dais 
Hr.  F.  cainc  mit  skr,  ^anku  m.  the  trank  of  a  lopped  free; 
a  pin,  a  stake,  a  ppüe  vergleicht,  was  wohl  wegen  der  Be- 
deutung nicht  recht  angeht,  obgleich  vielleicht  Wurzelrer- 
wandtschaft  mit  fAkhA  darin  vorhanden  ist. 


muthet  hat,  dafs  sie  ursprünglich  gudA  gelautet  baba 
möge,  was  wohl  nun  durch  die  Uebereinstimmuiig  def 
sämmtlichen  kymrischen  Dialekte  noch  gewisser  wird.  *) 
—  Doch  wir  können  uns  nicht  auf  weitere  £iazelnhei« 
ten  dieses  Kapitels  einlassen,  und  gehen  eur  fernem 
Betrachtung  des  Buches  fort.     Auf  die  Tergleich«ii{ 
der  Laute  des  Sanskrit    und  der  celtischen  Spradwn 
läfst  Hr.  P.  die  der  Praefixe  und  Suffixe  folgen,  lo- 
bei  er  sehr  schöne  Resultate  gewinnt,  durch  welche  & 
innigere  Verwandtschaft  der  beiden  Sprachzweige » 
widerleglich   wird;    in  den  besonderen  Punkten  bleik 
freilich  auch  hier  noch  manches  zu  thun  fibrig,  iadcA 
ist  der  hier  gelegte    Grund  doch  meistens  ein  fester, 
auf  dem   sich    schon   weiter    bauen   läfst.     Im  drittea 
Theil,  dessen  theilweise  Betrachtung  wir  nut  der  det 
Abhandlung  des  Hm.  Prof.  Bopp  weiter  unten  Terbio» 
den.  wollen,   behandelt  der  Vf.  endlich   die  grammati- 
schen Formen,  und  fugt  dem  Ganzen  noch  drei  UeiM 
Anhänge  hinzu,   von  denen  der  erste  über  die  Names 
der  celtischen  Idiome  handelt ;    im    zw'eiten  besprieht 
Hr.  P.  kurz  einige  Eigenthömlichkeiten   dieses  Sprack 
zweigs,  und  im  dritten  liefert  er  mittelst  der  Sp^- 
vel*gleichung  einige  Beiträge  zu  einer .  Geschichte  der 
indogermanischen   Volker  vor  ihrer  Trennung,  weicb 
bereits  früher  im  Journ.  Asiatiq.  3e  serie  t  IL  p.  & 
et  suiv.  gedruckt  waren,  und  deren  YenrollstäDdigm 
zu  wünschen  wäre.    Denn  wenn  solche  ZusammeiMl" 
lungen   mit   Besonnenheit  und  ohne  viele   Uypotheses 
in  gröfserem    Umfang   und  systematisch  gemacht,  n- 
gleich  aber  auch  mit  dem  Studium  der  Antiquitäten  uM 
Mythologie  der  einzelnen  indogermanischen  Völker  ?€► 
bunden  würden,  müfste  es  allmäiilig  gelingen,  einsies* 
lieh  deutliches  Bild  des  Lebens  jenes  Stanunvolkes  n 
entwerfen,  dessen  Nachkommen   die  indogermaoiscbci 
Völker   sind.     Wir   wollen  daher   hier   noch   auf  eis 
Paar  Punkte  aufmerksam  machen^  welche  die  cellisdMS 
Völkerschaften  in  ihrem  religiösen  Leben  andern  det- 
selben  Stammes  sehr  nahe  stehend   zeigen.    Die  Inder 
nennen  bekanntlich  den  Süden,  nach  der   SteUung  d«i 

•)  Hr.  P.  vergleicht  mit  V.  guh  das  irische  gu  oder  go  a  Be, 
falsch ood,  Hall,  gau  id.,  zu  denen  sich  noch  das  breL  ni 
oder  gaou  faux  und  com.  gou  oder  gow  a  Ue  geseUea,  die 
dem  akr.  guh  einmal  wegen  dea  anlautenden  Conaoaasca 
näher  stehen,  dann  aber  auch  vielleicht  wegen  des  aasUu- 
teuden,  da  neben  den  obigen  Wurzelformen  nach  eine  der 
indischen  entsprechendere  Gestanden  zu  haben  scheine,  ver- 
auf  cdrn.  gouhac  a  liar  hindeutet 


Jüe  cehtMehen  Sprachen  tVt  ihrem  VerkÜtnift  zum  Sanskrit^  Zend  u,  s.  w^ 


590 


Betenden  gegen  den  Aufgang  der  Sonne,  daxinä  f. 
von  daxina  rechts,  dessen  alle,  einfachere  Form  doxa 
ist  i  die  cel{i8chen>  Sprachen  haben  nun  vom  skr«  x 
stets  nnr  einen v  Bestand theil  bewahrt,  entweder  den 
Ciatturat  oder  den  Zischlaut  aufgegeben,,  so  entsprechen 
dann  jenem  daxa  das  irische  deae^  wall,  deheu  oder 
d9au^  com.  dehu^  dyhou^  .  bret.  deouy  d^hou^  diotSj 
"^^etcbe  sämmtlich  rechts  heifsen^  aber  in  den  drei  er- 
sten Dialeeton  auch  noch  den  Begriff  des  Südens  aus«^ 
drücken,  so  dafs  hier  offenbar  dieselbe  Verehrung  der 
Sonne  wie  ursprünglich  bei  den  Indern  sn  Grunde 
liegt ;  dies  wird  aber  noch  deutlicher,  wenn  man  eine  iü  in- 
dischen Schriften  mehrmals  erwähnte  Ceremonie  des 
j^adaxinam  mandalam  (cf.  Arg'.  Sam&g.  lY.  36;  ib» 
L  7  s  Sund6p.  Uli  32,  RAm&j.  1.  13,  34.  15, 16)  mit  ei- 
Her  in  Jdhn  Smith  Galic  Antiquities  beschriebenen, 
deas*iul  genannten,  vergleicht.  Sie  ist  bei  den  Indern 
mne  besondere  Ehrenbezeugung,  die  darin  besteht,  dafs 
nan  die  zu  verehrende  Person  u.  s.  w«  so  umwandelt, 
dafs  man  sie  immer  zur  Rechten  behalt,  also  dem  Lauf 
der  Sonne  folgt:  in  dem  sehottischen  Hochlande  nun 
umgehen,  schwangere  Frauen  eine  Kapelle  und  Kranke 
altheidnische  Altäre  dreimal  auf  dieselbe  Weise  um 
sich  jene  gluckliche  Geburt,  diese  Gesundheit  zu  ver- 
schaffen, dagegen  bringt  den  entgegengesetzten  Weg 
einzuschlagen  (car-tua-iul)  Unglück  und  Verderben. 
Beide  Ceremonien  stammen  wohl  oline  Zweifel  aus  ei- 
ner Zeit,  als  man  noch  des  leuchtende,  segenverleihen- 
de Tagesgestirn  anbetete,  und  es  für  heilbringend  hielt, 
seine  Bewegung  nachzuahmen.  —  Solcher  Yergleichungs« 
panfcte  finden  sich  mehrere,  und  ihre  weitere  Zusam- 
menstellung würde  interessante'  Resultate  ergeben ;  wir 
^wollen  nur  noch  im  Yorbeigehn  bemerken,  dafs  im 
bret.  kurun  der  Donner  heifst,  eine  Form,  die  sich 
wohl  einerseits  dem  gr.  ntQovvoq^  andererseits  bei  dem 
llünfigen  Gegenüberstehen  von  Gutturalen  in  den  kym- 
rischen  Dialecten  nnd  Labialen  anderer  Sprachen  dem 
Namen  des  altslaw.  Donnergottes  Pcrunae  litth.  Per- 
Jkunos  vergleicht,  und  so  vielleielit  auch  hier  auf  ein 
Vorhandensein  dieses  Gottes  deutet. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zur  Betrachtung  der  Ab- 
handlung des  Hrn.  Prof.  Bopp,  welche  hauptsächlich 
über  die  grammatischen  Formen  und  deren  Verhältnifs 
zu  denen  der  verwandten  Sprachen  und  namentlich  des 
Sanskrit  handelt,  zugleich  aber  auch  Lautgesetze,  die 
Hr.  P«  als  genz  aufser  yergleichung  mit  dem  ludischen 


liegend  bezeichnet   und  deshalb  bei  Seite  gesetzt  hatte^ 
als  in  innigem  Zusainmeuhange   mit  ihm  stehend  nach« 
weist.    Dies  trifft  vor  allem  das  Dedinationssystem  der 
eel tischen  Sprachen  oder  vielmehr  nur  des  irischen  Dia- 
lectSj  da   die  übrigen  meist   nur  geringe  Spuren  eines 
solchen   gerettet  haben.    Hr.  P.  erkannte  nämlich  für 
das  Irische  Flexionszeichen  für  nur  drei  Kasus  an  (p. 
125),  für  den  genit.   sing.,  und  für  den  nominat.   und 
dat.  plur. ;  und  zwar  für  die  beiden  ersten  das  bei  Wör- 
tern auf  air  (welche  oft  indischen  auf  r  entspreclien)  sich 
findende   ach   oder    acha  as  skr»  as  z.  B.    gen«  sing. 
üibreach  von  obar  s  skr^  apaM  das  Werk  (Rig.  V. 
p.  3,  3;  3.),  nom.  plur.  aithreaeh  oder  atharaeha  von 
nom.  sing,  athair  der  Yatcr.    Ilr.iProf.^  Bopp  ist  an- 
derer Ansicht  über  diese  Sylbe,  indem  er  sie  als  eine 
Stammerweiterung  durch   das  dem  skr.  ah:a   entspre- 
chende  irische  suffix  ach   ansieht  (zu  p.  15)  und  das 
goth,  Srothrahans  vergleicht:  uiid  das  wohl  mit  Recht, 
da  diese  Sylbe  nicht  im  gen.  sing,  und  nom.  plur»  allein, 
sondern  auch  in  andern  Casibus  erseheint.    Sonst  zeigt 
sich  noch  als  der  Flexion  angehurig  bei  den  consonän- 
tisch  schliefsenden  Wörtern  im  genit.  sing,  und  nom. 
plur.  ein  a  oder  e  hinter  dem  der  Casusconsonant  s  ab- 
gefallen ist,  wie  sowohl  Hr.  Prof.  Bopp  als  Hr.  Pictet 
übereinstimmend  annehmen;  indefs  weicht  der  erstere 
in  Erklärung  derselben  Endungen  consonantisch  enden- 
der Wörter  im  Irischen ,    die.  indischen   Themen    mit 
schliefsendem  Yocal  entsprechen,  von  P.'s  Meinung  ab, 
indem  er  das  e,  das  sich  nur  bei  Femininis  findet  als 
aus  einem  früheren  i  des  Stammes  hervorgegangen  durch 
überzeugende  Gründe  nachweist.    Der  dritte  Casus  end- 
lieh,  welcher  ein  mit  dem  Indischen  übereinstimmendes 
Suffix  zeigt,  ist  der  dat.  plur.  der  auf  ibh  ausgeht,  und 
bereits  wie  oben  gesagt  wurde  von  Prichard  richtig  ver- 
glichen war.  ^—  Diese  Spuren  von  Uebereiuslimmung 
in  der  Declination  waren  nun  freilich  nur  sehr  dürf- 
tige, indefs  waren  sie  doch  für  die  der  verglichenen 
Casus  beweisend,  und  es  war  immer  su  glauben,  dafs 
wo  sich  die  Verwandtschaft  in  dieser  Weise  über  einen 
Theil  erstreckte,  sie  auch  einst  das  Ganze  betroffen  habeJ 
Hr.  Prof.  Bopp  hat  nun  mit  seinem  rühmlichst  bekann- 
ten Scharfsinn   auch  in  diesem  Sprachzweige  die   bis 
dahin  verborgenen  Züge  der  Verwandtschaft  aufgedeckt,* 
und  wir  wiederholen  es  hier  noch  einmal,  dafs  dadurch 
für   die  Vergleichung  der  celtischen  Sprachen  mit  den 
übrigen  desselben  Stammes  buchst  Bedeutendes  geleistet 


591 


Die  celtüchen  Sprachen  in  ihrem  Ferhältni/e  zum  SänsJkrU,  Zend  u.  s.  vf. 


592 


ist,  iDdem  durch  die  ZuruckfUhrung  des  dem  Celtischeh 
eigenthümlichen  Lautwandels  am  Anfange  der  Wörter 
auf  seine  v^irkenden  Ursachen,  als  welche  hier  Flexions* 
rjßste  erkannt  werden,  eine  der  hemmendsten  Schran- 
ken, welche  d)as  Verwandte  zu  trennen  schien,  hinweg- 
genommen ist,  und  die  Verwandtschaft,  je. verborgener 
sie  in  diesen  Punkten  lag,  sich  um  so  glänzender  gel-» 
tend  macht; 

Das  Irische  (und  mit  ihm  das  Ersische  oder  die 
8prache  der  schottischen  Hochlande,  das  wir  aber  we- 
geu  seiner   fast   durchgängigen   Uebereinstimmung  mit 
jenem  iibergehn  können)   zeigt  nämlich  in  der  DecHna* 
tion  der  Substaptiva,  hauptsächlich  wenn-  sie  mit  dem 
bestimmten  Artikel  an  verbunden  sind,  Lautveränderun* 
gen  am  Anfange  der  Wörter,  welche  dem  Ganzen,  da 
wie  wir  sahen  die  Declinalions«2(^>tf  nur  von  gerin- 
gem Umfang  sind,  den  Schein  leihen,  als  wiirden  die 
verschiedenen  Casusverhältnisse  durch  dem  Anfangscon- 
sonanten  oder  —  Vocal  nach-  oder  vortretende  Aspira- 
tion \L  s.  w.  ausgedrückt,  und  dieser  Schein  mufste  um 
so  verführerischer  werden  als  auch  Consonanten  noch 
vor  die  Wortstämme  traten,   wie'z.  B.  der  nom.  sing, 
von  iasg  der  Fisch  ait  tiasg  heifst.  Und  so  die  Fiexion 
sich  hier  gewissermafsen  durch  Frae^xe  zu  vollziehen 
schien.     Hr.  Prof.  Bopp  weist  nun  nach,    dafs   diese 
oonsonantischen   oder    vocalisch^n   Stämmen   an-  oder 
vortretende  Aspiration  u.  s.  w.  auf  der  dem  Substatitiv 
vorhergehenden  Flexion  des  Artikels  beruhe,'  und  dafs 
die  den  Wortstämmen  vorgetretenen  Consonanten  eigent- 
lich zu  jenem  und  nicht  zu   diesen  gehören«    Dies  be- 
trifft zunächst  den  gen.  plur.,  dem  bei  Wörtern  mit  vo- 
calischem  Anlaut  ein  n,  bei  solchen  die  mit  einer  media 
'  anlauten  der  Nasal  der  Klasse  (n  für  ng  da  das  Irische 
kein  besondres  Zeichen  für   dies  hat)  vorgesetzt  wird. 
Wörtern  die  mit  einer  tenuis  anlauten  wird  entweder 
die  media  vorgeschoben  oder  die  tenuis  verdoppelt,  sol- 
che die  mit  f  anlauten  erhalten  bh  als  Vorsatz  und  die 
mit  li^uldis  oder  S  anlautenden  endlich  bleiben  unafficirt. 
Diese  Veränderungen  nennen  die  irischen  Grammatiker 
Eklipse,  und  sie  finden  sieh  nicht  allein  im  genannten 
Falle,   sondern  auch  nach  den  Zahlw^tern  seacht  7, 
ocht  8,  naoi  9,  deich  10,  so  wie  im  Anlaut  im  Genitiv- 
verhältnifs   stehender- Adjektiva,  denen  das  Substantiv 
Toraufgeht    Da  nun  das  Kennzeichen  des  gen.  plur.  so 


wie  der  Auslaut  der  genannten  Zahlwörter  in  den  mei- 
sten Indogermanischen  Sprachen  .ein  Nasal  ist,  so  sdilieCrt 
Hr.  Prof.  Bopp  mit  Recht,  dafs  des  hier  in  der  Dedi- 
nation  zum  Vorschein  kommende  Nasal  im  Anfang  des 
Stammes  Rest  meiner  mit   den  übrigen  Sprachen  lUier- 
elnstimmenden  Genitivendung  sei,   die  im  Sanskrit  isi 
lautet,  und  dafs  sich  dieser  Nasal  in  der  Assimilatioa 
vor  der  tenuis  auf  dieselbe  Weise  zeige,  wie  im  Bebr. 
das  /  des  Artikels  sich  unter  gewissen  Bedingungen  den 
folgenden  Consonanten  assimliirt  hat.  Indefs  mub  dodi 
hierbei  bemerkt  werden,  dafs  die  angegebenen  Veratt> 
derungen  auf  diese  Weise  nur  in  der  Schrift  beistehen, 
und  dafs  man  in  der  Aussprache  noch  einen    Sdirilt 
welter  gegangen  ist  (weshalb  die  ganze  Brseheinvng 
Eklipse  genannt  wird),    indem   hier  statt  der  Media« 
mit  vorstehendem  Nasal  nur  dieser,  statt  der  Media  mit 
der  Tenuis  nur  jene  ^gehört  wird,  so   wird  z.  B.   der 
gen.  pl.  von  tqgha  a  bow  geschrieben  na  mh^gAadM^ 
aber  gesprochen  na  mogh\^  und  der  gen.  pl.  von   /»• 
lach  a  hill,  geschr.  na  diulehadh^  gcspr.  na  du£cAadi. 
An  diese  Verwandlung  der  Mediae  in  die  Nasale  ihrer 
Klassen  schliefst  sich  nun   auch  das  Wallisisehe    ani 
zwar  nicht  im  gen.  pl.,   denn  von  der  Declination  ha* 
hea  die  kymrischen  Dialecte  nur  höchst  dürftige  Resle^ 
aber  doch  nach  den  Zahlwörtern  pump  5,  saith  7,  wjlfc 
8,  naw  9,  ddg  10,  pymiheg  15,  ugain  20,  deugain  4Q 
u.  s.  w.  cant  100,  und  mit  der  Ausnahme,  dais  g  nicht 
wie  im  Irischen  in  ng  verwandelt,  sondern  gans  alig^ 
tvorfen  wird,    und  dafs  auch  diese  Zahlwörter   seihst 
noch  einigen  Veränderungen  unterworfen  sind,  nansen^ 
lieh  pump,   der  in  pum,   ddg  in  deng  und  cant  das  t 
abwirft  (vgl.  Gambold  Welsh  Grammar  p.  85).     Fei^ 
ner  findet  sich  die  Verwandlung  der  Tenuis  in   den 
aspirirten   und   der  Media   in  den   unaspirurten   Nasal 
ihrer  Klasse  im  Wallis,   nach  dem  Possessivpron.  aif 
oder  vy  mein  (Owen  Welsh  Gr.  p.  18),  und  da   w« 
in  allen   vorhergehenden  Fällen   einem   wirklich   M<i 
vorhandenen  oder  doch  einst  da  gewesenen  Nasal  Acse 
Wirkung  zuschreiben  müssen,   so  läfst  es  sieh   woU 
nicht  bezweifeln,  dafs  my  oder  vy  ebenfalls  einmi  aol- 
eben  im  Auslaut  gehabt  hat,  zumal  da  die  Prapos.  ym 
in,  so  wie  die  Präfixe  an  (lat.  in-,  deutsch  un-)  vnd 
cy  (lat.  cum)  dieselben  Veränderungen  hervorbrlngea 
(Owen  p.  21). 


(Der  Beschlafs  folgt.) 


wisse  ii 


-Jlf  75. 

Jahrbücher 

für 

s  c  h  a  f  1 1  i  c  he 


Kritik. 


April   1840. 


X)  The  tattern  wrigin  qf  tke  Celtic  nations  pro- 
9ed  by  0  c9mpor*s9n  of  their  dialecU  wtth 
the  Banttcrity  OreeA,  Latin  und  Teutonic  lan^- 
guages  by  J.  C.  Prichard. 

2^  De  taffinite  des  langues  Celtiques  avec  le 
Sanscrit  par  Adolphe  Pictet. 

3J  Die  eeltischen  Sprachen  in  ihrem  Verhältnifi 
zum  Sanskrit,  Zend  ti.  s.  w*  ton  Franz  Bopp. 

(Schlofs.) 

Diese  Yoramthvng  erbebt  aber  der  komische  Dia« 
leet  zur  Gewifabeit,  indem  er.  für  dies  possessiv,  pron. 
ia  iilten  Manuscripten  noch  die  Form  uyn  erhalten  hat 
(Pryce  Archaeologia  Cornu-Briiatuiica),.  so  dafs  ich  es 
limmem  Zweifel  uiMerworfen  glaubof  daCs  das  Wallisi. 
ache  ivie  das  Irische   den  gen.  des   pron«  der   ersten 
(und  sweiten)  Persbn  als  Passessivum  verwendet  und 
Ukj  den  Sanskrit  moTma  entspreche,,  wovon  zunächst 
der  Vocaly   dann  aber   auch  der  Nasal  verloren  ging, 
dersiiA  nur.  noch  ia  seiner  Wirkung  erhallen  hat.  — ^ 
Auf  diesdbe  Weise  weist  nun  Hr.  Prof/  Bopp  im  non., 
siccusw  und  dat*  plur.  der  vocaliseh  begiimenden  Masou* 
lina  und  Feminhia  und  bei  den  letstern  auch  im  gen» 
sing,  ferner  im  nam*  (und  aec«)  sing,  der  voealiaeh  so 
-wie  im  gen.  und  dat«  sing,  der  consonantisch  anlauten« 
^ea  Masculiaa,  und  endlich  im  aom.   (und  ace.)  und 
^Ut.  sing«  dier  mit  einem  Consonauien  beginnenden  Fe« 
^auaina  noch   Flexionsreste  in    den  Lautveränderungea 
nach»  ^9  deren  Principien  sich  heranaslellen:  1)  dafii 
ygv^  ehemals  in  der  Fkxieii  des  isiscbwa  Artikels  Yoeale 
am  SeUufs  erschienen,  dieee    einen  aspisirenden  Ein-* 
ilurs  auf  den  folgenden  Consonanten  ausgeübt  haben  j 
-  2)  dafs  ein  im  Auslaut  des  Artikels  vof banden  gewe- 
aeaea  s  vor  Substantiven,  deren  Stamm  mit  einem  Vo» 
cal  beginnt,  sich  in  Gestalt  eines  h  erhalten  habe,  wenn 
Jahrb.  /.  wu»€n$ch,  Kritik.  J.  1840.     !•  Bd. 


aber  ibs  n  des  Artikels  unmittelbar  vorherging,  im  nom. 
sing,  (dem  auch  der  ace.,    der  ihm  immer*  gleich  ist, 
sich  anschliefst)  in  t  verwandelt  ist    So  bildet  z.  B. 
im  letzteren  Falle  iasg  seinen  nom.  sing,  ant  iasg;  hier 
konnte  es  scheinen,  da  das  Kennzeichen   des  Nomina« 
tivs  im  Sanskrit  u.  s.  w.   nach  ziemlich   iibereinstim* 
mender  Annahme  dem  Pronominalstamm  ta  seinen  Vr» 
Sprung  verdankt,  als  ob  das  Irländische  in  dem  t  den 
ursprünglichen  Consonanten  des  Pronominabtammes  be» 
valirt  habe,  allein  dieser  Dtaleet  zeigt  öfter  die  Net- 
gung,  das  s  nach  Consonanten  in  t  zu  verwandeln,  so 
wfkrde  man  z.  H.  f&r  skr.  tarsAa  thirst  im  Irischen     ^ 
tars  eewarten,  es  findet  sicb^ber  (ort  thirst  $  auf  glei« 
che  Weite  stellt  sich  das  irische  santaighim^  I  desire, 
neben  die  Sanskritwurzel  pofts,  cupio,  und  demnach  ist  , 
wohl  Hm»  Prof.  Bopp's  Annahme,  daCs  sich  t  erst  aus 
s  entwickelt  habe,  richtig,  obgleich  wohl  der  p.  33  an- 
gefS^te  Grund,  dafs  t  besonders  zu  n  stimme,  für  die 
Erklärung  des 'Entstehens  von  t  aus  s  nicht  recht  ge- 
n&gt,  da  s  sowohl  als  t  beide  dentale  Laute  sind^   und 
demnach  beide  auf  gleiche  Weise  zu  dem  dentalen  n 
stimmen  würden,  wenn  weht  obige  Bemerkung  Gültig- 
keit  hätte. 

Aufser  dem  h,  welches  sich  ab  Kennzeichen  des 
nom.  plus,  nach  dem  Artikel  erhallen  hat,  erkennt  Hr. 
Prof.  Bopp  (p.  31)  auch  noch  ehi  vollständiger  erhalte« 
j»es  Suffix  dieses  Casus  in  der  galischen  Endung  an, 
wie  sie  sieh  s«  B.  im  nom.  pl.  cluasan  die  Ohren  ge« 
genüber  dem  sing,  eluas  findet,  indem  er  annimmt^ 
dafs  sieh  dies  an  aus  der  Endung  as  des  nom.  plur. 
im  Sanskrit  auf  dieselbe  Weise  entwiekelt  haibr  wie 
im  griechischen  Yerbum  aus  dem  ufsprüngüelien  i^i 
(gegenüber  dnn  skr.  mas)  it/tv  geworden  sei.  Lfi&l. 
sieh  gleich  hier  gegen  den  Lautwechsel  kein  begrün« 
deter  Einwurf  erheben,  wenn  man  nur  nicht  an  einen  , 
unmittelbaren  Wandel  von  s  zu  n  denkt,  so  kann  doch 

*  .  75 


695 


Die  eeltüehen  Sprachen  in  ihrem  -Verhältnift  xtm  San$krity  Zend  u.  *.  v« 


596 


von  anderer  Sehe  manclles  dagegen  eingewandt  vret- 
den,  lind  Ref.  ist  überzeugt,  dafs  die  Endung  einen  an- 
dern Ursprung  habe.  Es  gebort  nämlich  zu  der  Klasse 
von  Wörtern,  die  den  nom.  pl.  auf  die  bezeichnete 
Art  bilden,  eine  ziemliche  Anzahl  von  solchen,  die  in- 
dischen durch  die  Suffixe  an,  man,  van  gebildeten 
Stammen  entsprechen  (vgl.  Stewart  Gaelic  Gr.  p.  58), 
denen  sich  indefs  im  Indischen  Entsprechende  nicht 
unmittelbar  gegenijberstellen  lassen,  ausgenommen  in 
einem  Falle.  Das  Subst.  ainm  a  name  gehört  nämliph 
SU  derselben  Klasse  und  bildet  den  gen.  sing,  im  Iri- 
sehen  ainmean^  nom.  plur.  anmanna^  im  Komischen 
entspricht  ihm  hanow  (w  »  skr.  m)  nom.  pl.  hynwyn^ 
alle  drei  entsprechen  aber  dem  skr.  näman  pl.  nama» 
nt\  so  dafs  es  für  diesen  Fall  vFohl  keinem  Zweifel  un- 
terliegt, dafs  der  im  gen.  sing,  und  im  nt>m.  pl.  wie- 
der zum  Yorschein  kommende  Nasal  der  des  Suffixes 
sei,  zumal  da  sich  auch  sonst  Beispiele  finden^ 
wo  das  mit  dem  Nasal  schliefsende  Suffix  im  nom. 
sing,  entweder  ganz  oder  zum  Theil  abgeworfen  ist, 
aber  in  der  Flexion  wieder  erscheint  (vgl.  Pictet  p. 
13-1);  so  bildet  im  wall.  ycA  an  ox  sein  Plural  ycAef^ 
oder  yeAain^  und  entspricht  dem  skr.  uxan  mit  glei* 
eher  Bedeutung,  ebenso  entspricht  in  demselben  Dia- 
lecl  das  Wort  cai  pl.  ceion  a  concreto,  collection  wohl 
eher  «dem  skr.  c'ayana  n.  collectiug  als  dem  von  Pic- 
tet verglichenen  caya  collection.  Deshalb  läfst  sich 
auch  wohl  für  die  andern  Wörter  dieser  'Klasse,  denen 
sich  indische  nicht  unmittelbar  gegenüberstellen  lassen, 
eine  gleiche  Bildung  mit  den  genannten  Suffixen  an- 
nehmen, die  nur  im  sing,  ganz  oder  zum  Theil  ver- 
schwunden sind,  dagegen  im  plur.  wieder  hervortreten. 
Der  umgekehrte  Fall,  dafs  das  Suffix  mit  dem  Nasal 
im  sing,  vorhanden  ist,  aber  im  plur.  aufgegeben  wird, 
findet  sich  im  Wall.,  wo  dailen  und  dalen  a  leaf  ih- 
ren plur.  daili  und  im  Bret,  wa  eben  das  Wort  de* 
lien   den  plur.    delion   bildet:   das  Thema  des   plur; 


sirt  habe;  auch  Hr.  Pictet  hat  dies  (p.  135)  angenpna- 
men  und  ich  glaube  nicht,  da(s  sich  etwas  dagegen  räi* 
wenden  läfst.  Dagegen  möchten  wohl  die  Wallis«  PI«* 
raWndungen  oz  und  yz,  die  Hr.  P.  ebenfalls  dem  sl^ff^ 
as  vergleicht,  nicht  so  unmittelbar  damit  zusanunenn- 
halten  sein,  denn  das  Wallis,  z  ist  fast  überall  ans  frii- 
herem  d  hervorgegangen,  und  dieser  Dialect  hat  nebea 
jenen  Endungen  auch  noch  solche  mit  d,  nämlich  ed 
und  od  erhalten^  so  dafs  wohl  jene  als  erst  aus  difisoi 
hervorgegangen  anzusehen  sindj  ist  dies  aber  richtigi 
wie  ich. nicht  zweifle,  so  vergleichen  sie  sieh  irisdrai 
Pluralen  auf  dha,  z.  B«  na  boghadha^  gaL  plur.  ¥Ön 
an  bogha  (neben  dem  der  pros.  pl.  na  bogka  besieht)» 
welche  dadurch,  dals-  sie  sich  daröb  alle  Casus  des 
Plurals  erhalten-,  zeigen,-  dafs  sie  spätere  Stammerwei- 
terungen sind,  die  wenigstens  unmittelbar  nichts  not 
dem  skr.  pluralen  um  zu  thun  haben,  wenn  sie  auch 
wahrscheinlich  Bildungen  desselben  PronominaktaniR 
mes  sind. 

Die  Bildungen  der  AdjecCiva  vnd  Pronomina  so 
wie  die  Zahlwörter  bieten  viele  interessante  Yerglci- 
chungspunkte,  die  von  Hrn.  P.  meist  scharfsinnig.sosaai- 
mengestellt  sind,,  und  in  der  Abhandlung  des  Hip»  ProC 
Bopp  schöne  Erweiterungen  und  fernere  Begründungea 
erhalten  haben:  wenn  Hr.  P,  das  skr.  Zahlwort  eka 
nur  im  irländischen  eac/i  unusquisque  erkennt,  so  ghm* 
be  ich  dem  noch  eine  andre  Form  hinzufügen  su  koa- 
nen,  wodurch  eine  frühere  geistreiche  Vergleichung  des 
Hrn.  Prof.  Bopp  (vgl  Gramm.  §.  308.  Anm.)  neue  Be- 
stätigung erhält.  £s  war  nämlich  a.  a.  O.  lat.  caee»9 
und  goth.  ludÜM  „einäugig''  aus  dem  skr»  i-ka  aal 
axa  (oder  einer  vorausgesetzten  Form  dieses  Weites 
ohne  Zischlaut)  erklärt,  so  dafs  der  Begriff  „blind"  in 
diesen  Wörtern  zuerst  von  dem  des  9,Einäugigen"  aus- 
gegangen wäre.  Das  Komische  bietet  nun  die  seiir  in- 
teressante  Form  euic  dar,  die  sieh  auf  gleichen  Ursprung 
stützt  und  bUnd  of  one  eye  heifst ;  dem  scfaliefsen  sich 


stutzt  sich  hier  auf  den  Sanskritstamm  dala  mit  der-  -  die  irischen  eaoeh^  caeek^  voeck  an,  die  blind,  blasted, 


selben  Bedeutung,  und  das  Irische  hat  sowohl  den 
Sanskritstamm  als  den  seiner  verscfawisterten  Dialecte 
neben  einander  in  dmlle  und  duillean  a  leaf  bewahrt. 
-^  Au&er  diesem  an  meint  Hr.  Prof.  Bopp  (Zus.  32), 
dais  sich  wohl  auch  nocli  die  Wallis.  Pluralendung  au, 
so  wie  die  entsprechende  bret.  ou  dem  skr.  as  des 
nom.  plur.  veifgleiehen  lasse,  indem  sich  das  s  vocali- 


emptj  heifsen,  und  ferner  das  wallis.  co^^empty^vaia, 
das  aber  die  ursprüngliche  Bedeutung,  die  sich  im  Ker- 
nischen euic  findet,  noch  in  der  Zusammensetzung  out 
d!s// {blind)  erhalten  hat,  indem  eoegxall  ^^kalftiJM^ 
purblind"  heilist 

Für  die  Conjugation  erhält  Hrn.  Prof.  Bopp's  Ab- 
handlung manche  von  Pictet's  Auffassung   abweieben- 


597 


DU  e^UtsüAen  Sprachen  in  ikrem  Firkältniß  »um  Sa^iskrit^  Zend  u.  s.  ^. 


598 


de  Ansiditeii,  wtfdureh  widitige  Aurschluas»  geliefert 
werden;  so  wollte  Hr.  Pictet  (p.  151)  die  irisehe  En- 
dung maotd  aus  einer  Veri^nderung  für  skr.  mas  er- 
kUreo^  Hr.  Prof.  Bopp  weist  aber  jdurcb  andre  Yer- 
gleichnngMi  naoli,  dab  diese  Endung  einer  ursprSogU- 
chen  Medialbildung  angehöre  und  ihr  treustes  Gegen- 
bUd  im  eendisehen  nuridA^  habe.  —  Da  die  Bildung 
der  einfachen  Tempora  in  Cehischen  nur  sehr  be- 
tebraalct  ist,  so  mubte  die  Erforschung  der  Formen 
der  auch  in  den  andern  indogermanischen  Sprachen  zur 
Bildung  zusammengesetzter  Zeiten  verwandten  Haifa- 
zdtworter,  welche  den  Begriff  ,,sein"  ausdrücken,  grö- 
Iwre  Untersuchungen  erfordern ,  die  zuweilen  höchst 
überraschende  Resultate  gewähren.  So  zeigt  z.  B.  der 
galische  Dialect  in  der  Bildung  des  Präteriti  und  Fu- 
tun  des  dem  skr.  6kü  entsprechenden  Terbi  ganz  auf 
diesdbe  Weise  Wie  das  Lateinische  in  jenem  Tempus 
den  a  •  und  in  diesem  den  i  -  Laut,  und  letzterer  giebt 
lieh  durch  die  irische  Form  6i€m  (ich  iferde  sein)  als 
Tempuseharakter  dea  Sanskrit-Futuri  kund.  —  Wenn 
p.  69  bei  Bopp  das  wallisische  buaswn  dem  lat.  fue* 
ram  verglichen  wirti,  aber  so,,  dafs  in  diesem  der  letzte 
Theil  des  Compositi  ram  für  sam  (skr.  &sam),  dage- 
gea  in  jenem  wn  (und  6naü  fui  der  erste)  ist,  dies  wn 
aber  in  einfacher  Form  nicht  erhöhen  ist,  so  hätte  hier 
(was  p.  79  geschieht) .  an  das  Bretannische  erinnert 
werden  können,  welches  den  anlautenden  Consonanten 
der  y.  bhA  in  mehreren  Temporibus  aufgegeben  hat. 
Indefs  hat  sieh  dieser  Coiisonant  im  Bretagnischen  in 
^ncr  andern -Verbindung,  wo  er  durch  voraufgeheride 
Consonanten  geschätzt  war,  erhalten,  nSmlioh  in  der 
Conjugation  des  Yerbi  XfOOHt  avoir :  dies  bildet  mehrere 
seiner  Tempora  durch  Zusammensetzung  der  3ten  Fer- 
sen des  entsprechenden  Tempus  von  6ä»a  sein  mit 
Formen  eines  pron.  possess.  der  Person,  die  ausgedrQckt 
werden  soll,  so  impf,   am  oder  em  boa  ich  hatte  *), 


*)  Le  GoDidec  führt  mehrere  Formen  für  die  pron.  person. 
an,  uDter  denen  sich  auch  am,  em  fUr  die  erste  befinde») 
and  Pietet,  der  ihm  folgt,  will  diese  (p.  137)  ans  skr.  ohma 
erklären,  wdefis  zeigt  die  hier  besprochene  Bilduig 
deotlich  auf  den  poseessiven  Charakter  dieser  Pronominal- 
formen,  und  diejenigen  mit  a  erklären  sich  aus  der  Zasom- 
mensetzuDg  der  pers5nlichen  pronomina  mit  der  Präposition 
a  Ton ;  für  die  Form  der  ersten  Person  ani  könnte  man  auch 
n  Verstiimmlang  aus  skr.  «lame  denken,  allein  für  die  der 


wörtlich  „mein  es  war^,  ex  pda  du  hattest  (dein  es 
war),  en  dda  (oder  vielmehr  end  6a)  er  hatte  oder  „in, 
an  ihm  es  war";  vergleicht  man  hier  die  Fonn  bda, 
so  wie  im  Parfait  AdS  mit  der  entsprechenden  Person 
derselben' Tempora  von  6e»ß  sein,  so  zeigt  sich,«  dafs 
diese,  die  oa,  o^  lauten,  offenbar  nur  den  anlautenden 
Consonanten  verloren  haben.  — .  Doch  wir  können 
nicht  weiter  auf  einzelne  Punkte  eingehen,  da  des  In- 
teressanten zu  viel  ist,  und  wir  den  Raum  zu  sehr  in 
Anspruch  nehmen  worden.  Wir  müssen  daher  jeden, 
der  an  der  ferneren  Entwickelung  der  Sprachwissen- 
8eh(|ft  Antheil  nimmt,  auf  die  Werke  der  Herren  Profn. 
Bopp  und  Pictet  (wenn  es  dessen  noch  bedarf)  auf* 
roerksam  machen,  indem  nicht  leicht  bedeutendere  in 
der  jüngsten  Zeit  auf  diesem  Gebiete  erschienen  sind, 
und  schliefsen  mit  dem  Wunsche,  dafs  recht  bald  mehr 
auf  die  einzelnen  Diaiecte  und  ihr  Verhftltnifs  zu  ein- 
ander einübende  Arbeiten  jenen  folgen  mögen. 

Dr.  A.  Kuhn. 


XLVI. 

Abbildungen  neuer  oder  unvollständig  bekannter 
Amphibien.  Nach  dem  Leben  entworfen  und 
mit  einem  erläuternden  Texte  begleitet  bon 
Dr.  H.  Schlegelj  Conservator  am  KonigL 
Niederländischen  Museum  zu  Leyden.  1.  De- 
cade  (IQ  lithographirte ,  Tafeln  in  Folio  nebst 
2  Bogen  Text  in  Octav).  Düsseldorf y  bei 
Amz  et  Comp. 

Bekanntlich  wurde  eine  grofse  Anzahl  der  gewöhn- 
licheren colorirten  Abbildungen  von  Amphibien  nur 
nach  ausgestopften  oder  in  Spiritus  aufbewahrten,  also 
meist  sehr  veränderten,  zum  Theil  gänzlich  entfärbten 
Exemplaren  verfertigt.  Daher  sind  sie  häufig,  wenn 
auch  kenntlich  nach  den  Formen,  doch  sehr  weit  enU 
femt,  eine  riditige  Vorstellung  von  der  natürlichen  Fär- 


3ten  miifiite  denn  doch  eine  andere  ErkUbrong  angenommen 
werden.  Die  Formen  mit  e  erklären  sich  geniigend  ans  der 
Prfip.  6  oder  enn,  deren  letztere  Form  am  deutlichsten  in 
der  .3ten  Person  sing,  erscheint»  nach,  welcher'  dann  auch 
der  sonst  verschwundene  Staoimconsonant  des  Pronomen» 
der  dritten  Person  erhalten  ist. 


ScAUgely  Abbildungen  neuer  eder  nmfolUt&nJig  bekimnier  AmpkUi&ni 


59» 

bung  der  ThUre  zu  gaben.  Mau  iit  dershalb  sehr  oft 
aufsar  Stande  geweaen,  lebet&de  oder  minder  verfärbte 
Exemplare  nach  solchen  Darstellungen  mit  Bestimmt» 
beit  tviedenuerkenn^n ;  und  die  greise  TerFielfältigttng 
der  Arten,  besonders  in  manchen  Ordnungen  dieser 
Thierklosse,  und  die  Yerwirrung  ihrer  Synonymie 
schreiben  sich  eben  yon  den  mancherlei  hieraus  folgen« 
den  Uebelständen  her.  Hr.  Dr.  SciUegel,  der  sich,  wie 
bekannt;  seit  längerer  Zeit  ganz  vorzugsweise  mit  den 
Amphibien  beschäfügt  und  bereits  mehrerlei  Resultate 
seiner  Forschungen  veröffentlicht  bat,  wird  daher  durck 
die  allmahlige  Herausgabe  einer  Sammlung  von  Abbil- 
dungen, die  entweder  nach  dem  Leben  entworfen,  oder 
zu  denen  die  Farben  mit  mehr  als  gewohalieher  Ge- 
nauigkeit *  nach  dem  Leben  bezeichnet  worden  sind^ 
sich  unstreitig  ein  sehr  wesentliches  Verdienst  erwer« 
ben. '  Schon  seine  amtliche  Stellung  und  sein  Wohnort 
setzen  ihn  in  eine  ganz  vorzüglich  günstige  Lage  zur 
Durchfölureng  eines  solchen  Unternehmens.  Zugleich 
stehen  ihm  jedoch,  dem  Prospectus  zufolge,  auch  die 
vielen  und  vortreflFlichcn  Zeichnungen  zu  Gebote,  wel- 
che auf  Befehl  des  niederländischen  Gouvernements  in 
Indien  selbst  unter  der  Leitung  von  Reinwardt,.  Kühl, 
van  Uasselt,  H.  Boie  und  Macklot  verfertigt  worden 
sind ;  eben  so  ferner  die  handschriftlichen  Bemerkungen 
dieser  Reisenden.  Die  Schlangen,  als  der  am  meisten 
der  Kritik  bedürfende  Zweig  der  Klasse,  sollen  vor- 
zugsweise berücksichtigt  werden. 

„Die  Terlagshandlnng  hat  zur  leichteren  Deckung 
„der  Kosten  den  Weg  der  Subscription  gewählt"  und 
den  Preis  auf  3  Thaler  netto  für  jede  Lieferung  (De- 
cade)  festgesetzt :  ein  Quantum,  weiches  bei  der  Treff- 
lichkeit der  Ausführung  zwar  nicht  hoch  an  sich  zu 
nennen  ist,  aber  doch  der  Verbreitung  des  Werks  im 
gröfseren  Publikum  schon  etwas  hinderlich  sein  dürfte« 
Die  Verbindlichkeit  der  Subscribenten  soll  zunächst  für 
10  Lieferungen  gehen,  von  welchen  dem  Referenten 
blofs  die  erste,  mit  dem  Prospectus,  vorliegt.  (Buchhänd- 
lerischen Anzeigen  zufolge  soll  so  eben  die  dritte 
ausgegeben  worden  sein.) 

.Der  erläuternde  Text,  wetcher  allerdings  der  Ten- 
denz des  Werks  gemäfs  nicht  als  Hauptsache  betrach- 


60» 


tet  wird,  4ur(te  doch  weJil  etviraa  au  kurz  gefabt  er- 
scheinen« Auch  sind  die  Basehreibungen  in  demselben 
leider  ebne  Diagnosen:  was  seihet  bei  nicht  eigentliek 
neuen  Arten  immer  nicht  bequem  ist*  Bequeme,  zeit- 
sparende E^nriditung  und  leichte  Uebersidtfliehkeit  sind 
aber  Orford» nisse,  deren  ErTßllung  bei  der  stets  wadi* 
senden  Menge  literarischer  Erscheinungen  taglich  m- 
erlafslicher  wird.  Die  mancherki  kritischen  Baaer- 
kungen,  welche  der  Verf.  einfliefsen  Iftist,  sisid  sm 
Theil  das  Resum^  von  Untersuchungen,  die  auafuhrii- 
cher  entweder  schon  anderswo  gegeben  sind,  oder  noch 
gegeben  werden  dürften  und  möchten. 

Wenig  Beifall  wird,  als  zu  selir  in  Disbannoiue 
mit  den  jetzt  aiemlich  allgemein  herrschenden  und  sich 
täglich  weller  verbreitenden  Ansichten  stellend,  «liealha 
grbfse  Neigung  des  Yerfs.  zur  ZusammenaiehuBg  der 
Genera  oder  Subgenera  findest) ,  die  namentlich  hA  iok 
tieckonen  (in  der  Erläuterung  zur  2ten,  den  GjmuuK 
dactyluB  marmoratus  vorstellenden  Tafel)  doch  weU 
etwas  gar  zu  weit  getrieben  sein  möchte.  Noch  weai» 
ger  darf  man  dem  Gebrauche  maneher  Aosdvücke  ia 
der  Anwendung,  welche  Hr.  Schlegel  iluien  ginbt,  hA- 
stimmen.  Wir  erwäänen  hierunter  besonders  den  Ge- 
brauch des  Wortes  „Rüssel,"  für  Schnauze,  bei  Kfo» 
kodilen  und  manchen  andern  Amphibien,  bei  denen  aa 
einen  etgentlichen  Rüssel  in  dem  sonst  gebrfiuchUdwa 
Sinne  dieses  Wortes  (d.  h.  an  einen  weichen,  niekr  od« 
weniger  weit  über  das  Vorderende  des  Oberkiefers  va^ 
tretenden  Fortsatz)  gar  nicht  zu  denken  iet  Da,  we  ein 
wirklicher  Rüssel  vorhanden  ist,  wie  bei  Dryiopliia  la^ 
gaha,  wird  dann  z.B.  gesa^ :  „der  Rassel'*  (d.lk  die  Svchnail- 
ze)  sei  „vorn  in  einen  weichen  Anliang  verlängert-" 

Ein  Bebpiel  von  der  Vorliebe  des  Hrn.  S.  für  die 
Vermittderuftg  der  Genera  findet  sich .  auch  bei  dei 
SehlaDgen  dieser  Abtlieilung.  Er  hat  die  Formen  ohn» 
und  mit  wirklichem  Rimel  (vortretendem  Schnauzen- 
Anhänge)  unter  dem  gemeinschaftlichen  Namen  Dryio- 
phis  vereinigt :  obwohl  der  Rüssel  (Schnauzenvorsprung) 
u«  a.  bei  der  merkwürdigen,  hier  mit  Dr.  prasina  ab* 
gebildeten  Dr.  langaha  mehr  als  die  Itälfto  (fast  zwei 
Vriltheile)  von  der  Länge  des  ganten  übrigen  Eopb 
beträgt. 


(Der  Beschluijs  folgt.) 


J  a  h  r  b  tt  c  h  e  f 

i 
für 

wissenschaftliche    Kritik. 


\ 


April  1840- 


Ahbitdnnget^  neuer  oder^ umtoUetändig  behannter 
Amphibien.  Nach  dem  Leben  entworfen  und 
n%it  einem  erläuternden  Texte  begleitet  rmf 
Dr.  H.   Schlegel 

(Schlofs.) 

^Wenn  der  BestU  oder  Mangel  eines  sa  auffal* 
lenden,  eo  eigenthamlieb  entwickeken,  seltenen  und 
ohne  Zweifel  auch  fursjlie  Lebensweise  des  Tbieres 

'  wichtigen  Organs  nooh  keine  generische  Trennung  be* 
gründen  soU$  so  würden  wir  bald  überall  in  der  Thier« 
weit  SU  dem  si^mlieh  veralteten  und  d[er  Uebersicht- 
Bohkeit  widerstrebenden,  also  schon  deshalb  für  die 
M^issenschaft  offenbar  nicht  wünsehenswerthen,  aber 
ftueb  gewifs  nicht  naturgemafsen  Resultate  gelangen^ 
gsmse  Familien  oder  sonstige  gröCsere  Gruppen  in  Eine 

'  'Gattung  susammenschmelsen  su  sehen.    So  ist  es  gleich 

'  iA  dieser  Istea  Deeada  des  Schlegekchen  Werks  auch 
mit  den  Laubfröschen.  Hier  läfst  Hr.  S.  Arten  von 
höchst  yerschiedenem  Kopf-,  Korper -und  Zeheubaue, 
y on  höchst  Terschiedenartigen  Verbälmissen  ihrer  Theile 

-unter  einander  und  mit  Tollständigen  oder  halben 
Sehwimmhäuten,  so  wie  ohne  dieselben^  noch  sänuntlloh 
ia  Einer  Gattung  (Hyia)  bei  einander:  obgleich  diese 
Abweichungen  der  Bildung  doch  noth wendig  auch  be- 
deutende Versehiejdcnheiten  in  der  Lebensweise  dieser 
Tbiere  begründen  müssen  und  Wegler  sich  deshalb  he* 
reita  mit  Recht  ireranlalst  gefühlt  hat ,  sie  in  mehrere 
Genera  su  trennen,  ZiemVch  dasselbe  wird,  der  oben 
geäufserten  Bemerkung  gemäfs,  von  den  Geckoaen  gel- 
ten :  wo  sich  die  Zahl  der  Genera  bei  Hrn.  S.  auf  hoch- 
stens  den  4ten  oder  5ten  Theil.  von  denen  beschränkt, 
welche  Cu^ier  und^  Andere,  wiewohl  zum  Theil  nur  un* 
ter  der  so  vagen  und  unwissensdiaftlichen  Bezeichnung 
„Subgenera,**  aufgestellt  haben. 

Wir  wenden  uns  nun  su  dem  artistischen  Theil 
des  Werkes  als  derBnupUeU^  desselben.    Sie  verdient 

J^hrb.  /.  wiMtnnck.  Kritik.   J.  Iß40.   I.  Bd. 


grofses  Lob.  Die  Darstellungen,  obwohl  nur  Stein- 
drücke^  sind,  wenn  man  sie  auch  in  Betreff  der  Fein* 
heit  und  Schärfe  den  Abbildungen  naturfaiBtorisoher 
Gegenstande  aus  der  Anstalt  von  Henry  et  Cohen  zu 
Bonn  entweder  noch  nicht  ^anz^  oder  nicht  immer 
gleichstellen  kann,  doch  hinlänglich  scharf,  da  wo  es 
auf  Bestimmtheit  der  Umrisse  ankommt:  während  ih» 
nen  in  der  Schattirung  überall  jene  Milde  und  Sanft- 
heit zu  Statten  kommt,  welche  die  Anwendung  der 
Lithographie  namentlich  zur  Darstellung  der  meisten 
Amphibien  so  wohl  geeignet  macht.  Z\igleich  Ist  das 
Colorit  eben  so  einfach,  als  zart  und  sorgfaltig  behan- 
delt» Daher  nehmen  besonders  einige  Tafeln  z.  B.  der 
in  halber  Natur- GröGse  abgebildete  Kopf  eines  grofsen 
(17  Fufs  langen)  Crocodilus  biporcatus  auf  Taf.  1.  und 
Geluber  melanurys  auf.  Tafel  5,  trotz  des  gänzlichen 
Mangels  bestechender,  blendender  Fatben  sich  gant 
vorzüglich  schon  und  überhaupt  so  aus,  dals  man  an 
einer  sprechenden  Treue  nicht  zweifeln  ;  zu  dürfen 
glaubt.  Doch  gereicht  es  den  BlätCern  weder  zui^  ' 
Zierde,  noch  sonst  zum  Tortheile,  dafs  die  Zeichnun- 
gen selbst  auf  solchen^  deren  einzelne  Gegenstände  sich 
ohne  Nachtheil  oder  selbst  mit  Vortheil  hätten  viel 
mehr  zusammendrängen  lassen,  gewdhnlich  bis  dicht 
an-  den  Rand  des  Papieres  gehen.  Hieraus  werden 
einst  beint  Einbinden  eines  grofseren  Theils  der  gan- 
zen Sammlung  melir  oder  weniger  Unannehmlichkeiten 
entstehen  müssen.  Auch  sonst  konnte  in  Betreff  des 
Raumes  zuweilen  eine  bessere  Oeconomie  beobachtet 
sein,  wodurch  theilweise  zugleich  au  bequemer  lieber- 
sichtlichkeit  gewonnen  worden  sein  würde.  Auf  Ta- 
fel 7,  z.  B.,  welche  Dryiophis  langaha  im  Ganzen  vor- 
stellt, wäre  noch  Raum  genug  übrig  geblieben  zur  dop- 
pelten Vorstellung  ihres  Kopfs  und  zu  der  ihres  After- 
Stücks,  welche  man  beide  erst-  auf  Tafel  8  findet.  Hier- 
durch wäre  auf  der  letzteren  hinlänglicher  Raum  ge- 
wonnen worden,  um  auch  Dr.  prasina,  von  welcher 

76 


603 


Frittchy  Kritik  der  bisherigen  Grammatik. 


/ 


6M 


jeUt  nur  Kopf  und  AfterstQck  nebst  einem  Mittel-  und 
Yorderleibstucke  abgebildet  sind,  noch  Ln  Ganzen  dar- 
Eustdlen. 

Je  lebhafter  und  aufrichtiger  der  Unterzeichnete 
einem  so  beifalls würdigen. Unternehmen  in  jeder  Hin- 
sicht einen  glucklichen  Fortgang  wünscht,  um  so  mehr 
glaubte  er  sich  verpflichtet,  eben  sowohl  im  Interesse 
des  Terfs.  und  Verlegers ,  wie  der  Käufer  recht  bald 
auf  die  ihm  bemerklich  gewordenen  Mängel  aufmerk- 
sam maehen  zu  müssen,  deren  Abstellung  gewifs  auch 
Anderen  wQnschenswerth  und  für  das  Werk  Torthcil- 
haft  erscheinen  dürfte*  Nach  dem  langsamen  Erschei- 
nen der  Lieferungen  zu  schliefsen  (der  mit  der  Isten 
Decade  ausgegebene  Prospectus  ist  vom  Januar  1837 
datirt),  scheint  es  leider,  als  ob  das  Unternehmen  sich 
noch  nicht  der  verdienten  Unterstützung  von  Seiten 
des  Publicums  zu  erfreuen  hätte.  Um  so  mehr  mufs 
man  ihm  dieselbe  für  die  Folge  wünschen. 

Das  Papier  zu  dem  Texte^  ist  schon  und  nament- 
lich sehr  weifs,  nur  etwas  düAn,  und  der  Druck  eben- 
falls sehr  scharf  und  rein. 

Gloger. 


XLvn. 

Ki/itih  der  bisherigen  Grammatik  und  der  philo- 
logischen  Kritik  von  Dr*  Ernst  August  Fritsch^ 
Ister  Th.  unter  dem  bes.  Titel:  Kritik  der 
bisherigen  Tempus  -  und  3Ioduslehre  in  der 
deutschen^  grieeh.y  tat.  und  hebr.  Grammatik 
und  der  philologischen  Kritik  ^  zur  Reform 
jenes  Gegenstandes  auch  in  den  Grammatiken 
anderer  Sprachen. 

Ref.  hatte  dieses  Buch,  als  es  ihm, zur  Ansicht  ge- 
schickt wurde,  nach  kurzer  Prüfling  mit  der  Ueberzeu- 
gung  bei  Seite  gelegt,  dafs  zwischen  den  Irrthümem, 
von  denen  es  erfüllt  sei,  wohl  nur  sehr  wenig  Körn- 
chen Wahrheit  zu  entdecken  sein  dürften.  Als  er 
später  von  der  Redaction  dieser  Jahrbücher  zur  Beur- 
theilung  desselben  aufgefordert  wurde,  wünschte  er  sehr^ 
dafs  die  darauf  zu  verwendende  Zeit  nicht  ohne  Aus- 
beute sein^  und  er'  sein  früheres  Urtheil  mochte  zurück- 
nehmen können.  Diese  Hoffnung  ist  jedoch  keineswegs 
in  Erfüllung  gegangen,  und  je  genauer  er  mit  dem 
Buche  bekannt  wird,  desto  mehr  findet  er,  dafs  Les^ 


shags  bekanntes  Urlheil  auf  dasselbe  anwendbar  sei: 
es  enthält  viel  Wahres  und  Neues,  aber  leider  ist  das 
Wahre  nicht  neu  und  das  Neue  nicht  wahr. 

Eine  Kritik  der  bisherigen  Grammatik  konnte  die- 
ses Bueh  heiben ,  >  wepn  die  >  Schriften  von  ^Herllag^ 
Becker,  Kühner,  Matthiä,  Thiersch,  Ramshorn,  Grote* 
fend  und  Gesenius  die  bisherige  Grammatik  aüsmaeh- 
ten.  Denn  nur  mit  diesen,  und  unter  diesen  wieder 
am  meisten  mit  Kühner,  beschäftigt  er  sich:  andeie 
werden  nur  hie  und  da,  und  zwar  in  soldier  Weiw 
citirt,  dafs  man  durohaus  nicht  deutlich  erkennen  kttan, 
ob.  sie  dem  Verf.  auch  wirklieh  zur  Hand  gewesen 
sind,  und  ganz  umfassende  Werke,  wie  Bemhard3r*s 
griechische,  Weifsenboms  lat.  Syntax,  des  Ref.  Facti- 
kellehre,  Pott's  etymologische  Forschungen  (um  zu 
Schweigen  von  denjenigen,  worin  grammatische  Gregeo- 
stände  nur  gelegentlich,  aber  doch  ausführlich  erortMl 
werden,  wie  z.  B.  Nägelsbach's  Anmerkungen  zur  llias) 
scheint  er  kaum  dem  Namen  nach  gekannt  zu  haben/ 
Oder  überging  er  sie  absichtlich,  weil  er  fürchtete,  M 
mochlen  ihm  die  Gespenster  bannen  und  die  Irtilehie^ 
Terseheuchen,  mit  denen  er  sich  nun  einmal  herumtiefc 
ben  wollte?  Wir  wollen  das  Grgebnifs  seiner  HeM^ 
thaten  getreulich  berichten,  und  von  den  Entdeckuagok 
dieses  Columbus  dem  Publicum  mit  Wissen  keine  vmw 
enthalten.  ' 

Die  erste  Entdeckung,  durch  welche  die  bisherige 
Tempuslehre  total  umgestaltet  werden  soll,  ist,  dafs  es 
ursprünglich  nur  zwei  Tempora,  oder  richtiger  BeS 
ziehangsformen,  gebe,  eine  xusammensteliende  {g^^ 
wärtige)  und  eine  abschiiefsende  (vergangene):  dem 
die  Zukunft  sei  ja  nur  eine  werdende  GegenwaiC: 
Diese  Zwrifältigkeit  (Dichotomie)  soll  erstlich  aus  dc^ 
Geschichte  und  zweitens  aus  der  Etymologie  erwiesen 
werden  mit  Gründen,  die  an  Unhaltbarkeit  und  Obeiw 
flächlichkeit  einander  gegenseitig  überbieten.  Vor  alle» 
wäre  doch  zu  erörtern  gewesen,  welcher  Natur  iibef^ 
haupt  dasjenige  sein  müsse,  was  für  das  UrsprunglieiM 
zu  halten  sei.  Der  Yerf.  seheint  von  der  Meinvii| 
auszugehen,  dafs  die  älteste  Zeit  sieh  immer  mit  den 
Nothdürftigsten  beholfen  habe,  nach  dem  gewöhnliden 
Irrthum  derjenigen,  welche  Natur  und  Kunst  verweek 
sein,  und  die  Menschheit  aus  dem  AffengeseUechfe 
hervorgehen  lassen.  Denkt  man  sieh  unter  dem  Ur- 
sprünglichen  das  der  Zeit  nach  Frühere,  so  bt  die 
Frage  nach  demselben  die  unnützeste  von  allen:    dis 


FrÜMeky  KrMk  der 

pinlosophitche  Grammaiik  kat  vielmehr  nur  das  DaU^ 
emde  und  Bletbeade,  den  eioselnen  Erseheioungen.  su 
Grund '  Liegende  su  erfbjraoheti.  Bei  soleber  Unteren^ 
ehung  aber  wird  man  alieoüialben  nur  auf  Dreifaltig- 
keit, und  keineswegs  .auf  Zweifäliigiceit  der  Yerliält- 
ttisse  gefttlirt,  wie  Ref.  längst  in  der  Einleitnng  zu  sei- 
Her  PartikeUehre  ausführlich  dargetfaan  hat.  Denn  den 
«ntfet  nothwendigen  GegensäUen  entspricht  gleichsam 
als  Rückkehr  jener  in  ^sich  selbst  eine  Yermittelung, 
ala  driiies  Verhältnils,  und  dieses  letztere  ist  weder 
iar  Geist  noch  in  der  Sprache  spater,  als  die  erste« 
reo,,  verbanden.  Als  Beweis  sollen  hier,  um  niclit 
frülier  Gesagtes  zu  wiederholen,  die  Präpositionen  an-. 
ffMbxt  werden,  durch  welche  die  Dimensionsverhäll* 
väamB  in  der  Linie,  der  Fläche  und  dem  Körper  be- 
uichnet  werden.  Die  Linie .  hat  nur  eine  Dliaensioa^ 
md  man  unl^rseheidet  in  ihr  Beisammensein  ((fof),  Ge- 
trcttfitsein  (dfrci;)  und  an  zwei  Punkten  Sein  (dfitpi). 
DiW  Fläche  hat  zwei  Ausdehnungen,  Länge  und  Breite. 
Bei  der  L&ige  unterscheidet  man  Nähe  (n^o'^*),  Ferne 
{mnc)  und  Ciegenubersein  {(ivxC).  £ei  der  Breite  un- 
tarscheidet  man  Hüben  (eis).  Drüben  (uls,  ultra)  und 
Ringsum  (n^^O*  üofper  mifst  man  sowohl  nach  dem 
fnAaÜe  als  auch  nach  dem  Umfange,  von  denen  jeg« 
Beher  wieder  zwei  Dimensionen,  wie  die  Fläche,  hat. 
Der  Inhalt  hat  Tiefe  und  Weite,  der  Umfang  Hohe 
und  Breite  oder  Dicke.  Bei  der  Tiefe  unterscheidet 
■Min  zu  Tage  Sein  («r«),  zu  Boden  sein  {natä)  pder 
fi^iefatbarwprden  und  Yersohwindeii»  und  Hindurch  (diä)» 
Bei  der  Weite  unterscheidet  man  Innen  (^y),  Aufsen 
(^)  und  Zwischen  (ßeta).  Bei  der  Höhe  unterschei- 
det man  Oben  (vn^V)»  Unten  (vno)  und  Daran  oder 
Darauf  (ixe).  Bei  der  Brdte  endlich  als  Quere  unter- 
«d^idet  man  Vorn  (fr^«^.  Hinten  (post,  (tttä  od^r  hti) 
wmI  J)aneben  (/lo^a).  'Sollte  es  wohl  Zufall  sein,  dafs 
gerade  nur  diese  Anzahl  eigentlicher  Präpositionen  in 
den  uns  genauer  bekannten  Sprachen  gefunden  wer- 
den I  Dafs  aber  von  diesen  nicht  die  einen  später  als 
die  aüderen  entstanden  sind,  lehrt  die  Etymologie,  in- 
dem sie  naehgeniesen  hat,  dab  dieselben  im  ganzen 
indogermanisehen  Sprachstamme  nicht  nur  überall  vor- 
handen sind,  sondern  auch  Oberein  lauten«  Bei  einigen 
anderen  Yerhältnissen  findet  man  allerdings,  jedoch 
sumeist  erst  in  neueren  Sprachen,  nur  die  zwei  Gegen- 
afttze  ausgeprägt,  und  die  VermitteJung  fehlend,  indem 
einige  kein  Neutrum,  andere  /kein  Medium,   viele  kei- 


its/ierigen  Gramtnaiik.  S06 

neu  Dual  haben.  Diefs  ist  aber,  wie  die  Geschiehte 
lebrtä  eher  Verarmung  als  neturliehe  Einfacbkeit ,  zu 
^nennen,  indem  gerade  die  ältesten  Sprachen  hinsieht^, 
lieh  der  Vollständigkeit  solcher  Formen  die  reichsten 
sind.  Mit  solchen  Gründen,  wie  diejenigen  sitid,.mil 
denen  der  Verf.  die  Entbehrlichkeit  des  Futurs  und 
seine  Identität  mit  dem  Präsens  darzuthun  meint,  Hebe 
sich  gar  Vieles  als  entbebrlicli  und  identisch  erweisen. 
Ist  nicht  die  Vergangenheit  eine  gewesene  Gegenwart  f 
nicht  die  Gegenwart  ein  stetes  Hinschwinden  in  die 
Vergangenheit!  Ist  die  Höhe  nicht  umgekehrte  Tiefe I 
Ist  nicht  Eis  gefrörnes  Wasser?  •" 

Durch  seine  etymologischen  Erörterungen  beweist 
der  Verf.  gar  Nichts,  weil  er  weder  die  hiezu  notldgeis 
Kenntnisse  verwandter  Sprachen  und*  Dialekte  besitzt, 
noch  mit  dem  Verfahren  gründlicherer  Forscher  irgend 
bekannt  ist,  um  mitreden  zu  dürfeii.  Er  hat,  nach  dem 
Spruohworte,  zwar  ys^ohl  das  Läuten,  aber  nicht  das 
Zusammenschlagen  der  Glocken  gehört,  utid  somit  die 
Festesfeier  verpafst.  Da  werden  z.  B.  die  Verbalen- 
düngen  itur  (legitur)  vom  Verbum  ir^,  tirna  (nc<pAipca) 
Ton^x^,  a  (o29a)  von  iX^i  ohne  alle  weitere  Begrün- 
dung hergeleitet,  und  die  Endung  atsi  in  xi^/a»  und 
T£Tu<poai  mufs  zum  Beweise  dienen,  dafs  einst  ein^Prä* 
sens  o  oder  ia  von  tlfii  existirt  habe  u.  s.  w.,  und  sei« 
che  Zumuthungen  an  die  Leichtgläubigkeit  der  Leser 
geschehen  mit  einer  Gutmüthigkeit,  einem  Leichtsinne, 
die  wahrhaft  zum  Erbarmen  sind.    Man  lese  z.  B.  p*  13* 

Die  zweite  neue  und  überraschende  Entdeckung  ist, 
dab  die  bisher  dafür  gehaltenen  Pi^äterita  keine  Präte* 
rita,  die  Präsentia  keine^  Präsentia,  sondern  blofse  Be« 
ziehungs- und  Personen -Formen  sind,  dafs  beide  mit 
der  Zeit  gar  nichts  zu  thun  haben,  nur  unter  gewissen 
Bedingungen  temporelle  Bedeutung  annehmen,  und  da- 
her xueanuftef^tel/ende  und  abeehliefeende  Beziehungs* 
formen  genannt  werden  müssen,  indem  sie  die  Thätig- 
keit  entweder  mit  dem  Bedenden  zusammenstellen  oder 
von  ihm  abschliefsen*  „Beide  Fomien,  so  fahrt  er  fort, 
gestatten  also  nur  eine  sübjective  Beziehung,  und  man 
könnte  gewissermafsen  sagen,  die  zusammenstellende 
affirmirt,  die  abschliefsende  aber  negirt^jene  sübjective 
Beziehung  p,  203.  Dieser  ganz  ungeheure  Fund,  jneint 
er,  verschafft  ihm  das  Glück,  wirklich  der  erste  zu  sein, 
welcher  den  hypothetischen  Gebrauch  der  Präferita  ge- 
nügend deuten  kann,  wodurch^  meint  er,  gewisse  andere 
Grammatiker  dergestalt  in  Erstaunen  gesetzt  werden, 


§m 


Frii$ek^ 


der  UsAerigen  €frammat$Jk 


4ftfi  ue  BiA  vor  die  Stiroe  sebbgcn  xmi  vor  Aergev 
tber  im»  Columbu«  -  Ei  ganz  aufser  sieb  geratlieii  mto- 
Btni  s.  p.  37tt;  *  Dafs  aber  von  dieser  Sache  sehlecb- 
lerdiags  gar  niemand  vor  und  neben  ihm  irgend  eine 
aanebmbare  und  riehüge  Ansiclit  hegen  oder  gehegt 
haben  ktoqe,  weifs  er,  ohne  sich  amgesefaen  zu  haben, 
a  priori. 

Original  fahr*  hin  in  deiner  Pracht! 
Wie  wurik  dich  die  Einsicht  kränken:     ' 
Wer  kann  wa$  KiugeSf  wer  wa$  Durnmee  denken^ 
Dae  stickt  $chon  Taueend'e  vor  Htm  gedacht  I 

Wir  sind  weit  entfernt,  ihm  diese  Kränkung  anthun 
sn  wonen:  nur  versuchen  wollen  wir,  ob  sich  die  be- 
treflende  Sache  nicht  auf  andere  Weise*  etwas  deutli« 
eher  machen  läfst.  Die  Zeit  liat  keine  Ausdehnung 
der  Breite,  isoaden^  Mos  der  Lange.  In  der  Länge 
aber  unteHcheidet  man,  wie  bereits  bemerkt  wurde, 
Nähe,  Fern»  und  Gegenubersein.  Nälie  und  Ferne  sind 
die  Gegensätze,  die  durch  das  Gegenül>er,  in  weichem 
sowohl  die  Nähe  als  die  Ferne,  oder  die  zur  Nähe  ge<* 
vordene  Feme,  enthalten  ist,  vermittelt  'werden.  Die 
Nähe  ist  €fegenußarty  die  Feme  Fergangenkeii^  das 
Gegeniber,  ^kler  die  vor  uns  liegende  Ferne,  ist  Zu- 
kunß.  In^iefem  Yergangenheit  und  Abschliefsung 
identifieirt  werdeti  kennen,  erkennt  man  um  so  deutli* 
eher,  wenn  man  die  parallelen  Verhältnisse  der  Linie 
vergleicht,  welche  kn  Zusammensein  (avy),  Getrennt- 
sein (avw)  und  zu  zwei  Seiten  Sein  («/«p/)  enthalten 
sind.  Fragt  man  aber,  welche  von*  beiden  Bedeutun- 
gen als  die  umprängUche  ansuerkennen  ist,  so  mufs  der 
Geschichte  und  Analogie  zufolge  unbedingt  der  tempo- 
rellen  der  Vorzug  ertheilt  werden.  Denn  vom  Sinnli- 
ehen, d.  h.  von  dem  in  Raum  und  Zeit  Befindlichen, 
gehen  die  granmatischen  Verhältnisse  aus,  und  so  auch 
ihr  Verständnifs.  t>ie  Feme,  die  nie  zur  Nähe  werden 
kann,  oder  die  hinter  uns  liegende  Vergangenlieii,  ist 
En^ükiedenheit  und  ünahünderUohktfit^  folglich  allefai 
anwendbar  in  hypothetischen  Sätzen,  wo  solche  Ent* 
soUedenheit  und  Unabänderlichkeit  ausgesprochen  wer- 
sden  soll.  Gleichwohl  besteht  ein  Unterschied  zwischen 
der-  Bntschiedenheit  des  Geschehenen  und-  der  Entschie- 
denheit oder  Unabänderlichkeit  des  Gehinderten,  d.  h, 
des  wegen  mangelnder  Bedingung  seiner  Existenz  nidit 
zu  Stande  KommMiden,  und*  nur  uneigentlich  wird'  die 

(Der  Beschlufs   folgt.) 


Ausdruekswebe ,  jener  für  diese  gebraucht,  wenn  naan 
s.  B.  sagt:  ^^we»n  er  meinem  Bath  folgte^  $e  war  er 
jetxi^  em  reicher  Hfunn''  st&it  grf^lgt  n^äre^  so  wäre 
et.    Abgethansein  und  Hintersich  •  Haben  ist  zwar  in 
beiden   Verhältnissen:   denn    wer   mit   EatschiedeniMii 
erkannt  hat,  dafs  eine  Sache  vermöge  der  Bedingung 
ihrer  Existenz  nicht  sein  kann,  der  hat  dieselba  ebes 
so  gut  hinter  sich  wie  derjenige,   welcher  sie  in   der 
Zeit   durchlebt   hat.     Aber    die   Unmöglichkeit  enthik 
aufser  jener  Zurückstellung  auch  noch  die  Senderung 
ven  der   IVirkUchkeii.    Denn  in  solchen   l]>70theli« 
sehen  Sätzen  wird  ausgesprochen,  dafs  die  Sache  senei, 
unter  änderen  Umständen  (die  der  Vordersatz  angiebt) 
zur  Existenz  gelangt   oder  gelangen  konnte ,    foigliek 
die  Sache  nicht  allein  aus  der  Gegenwart,  sondeni  aedl 
aus  der  Wirklichkrit'W^S'  gerückt«    Defshalb  begnQg«i 
sich  die  an  Formen  reicheren  Sprachen  nicht  mit  den 
bloTscn  Präteritis  zur  Bezeichnung  jenes  hypothetisekeB 
Verhältnisses,  sondern  formiren  vielmehr  auf  dem  Grund 
jener  Präteriia  einen  neuen  Modus,  den  Conditionalis, 
-oder  aber  sie  fugen  zu  den  Präteritis  eine  Partikel  von 
separativer  Natur  und  Bedeutung,   dergleichen  «fr  eine 
ist.    Die  Lehre,  dafs  äv  mit  der  untrennbaren  Präposi* 
tion  dv  (dem  sogenannten   a  privativum)  identisch  und 
mit  der  selbstständigen  Präpositiop  ofr«;   (die  wie  itft^(, 
ivti  und  n^oti  ein  Compositum  ist)  verwandt  sei,  folg« 
lieh  eben  das   bedeute  was  der  Verf.-  sucht,   nämlich 
Absonderung  oder  Ab»ehKefeung^  während  ihr  Gegen^ 
theil  9iv  Zusammenstellung  ausdrückt^  enthält  f%r  die 
biSden  Augen  der  wirren  Köpfe,  welche-  den  Irrthum 
als   Lebenselement  nicht    entbdiren    k5nnen,'  zu  viel 
Licht,  als  dafs  man  deren-  baldige  Annahme  vor  der 
Hand  noch  erwarten   därfte.    Nur  die  Aufhellung  der 
dahin  einschlagenden  Theile  der  Grammatik  kann  ihr 
allmählig  Eingang  verschaffen,   indem  rfch  die  Wahr- 
heit der  Masse  Immer  unwillkOhrlich  aufdrängen  mqh, 
als  wäre  sie  in  eines  jeglichen  Kopfe  entstanden.    Dcf 
Verf.  hat  über   diese  Partikel  herausgebracht,  dafs  sie 
so  bedeute,  dafs  sie  ein  Accusativ  vom  demonstrativen 
oder  relativen  Pronomen  o$  sei,    so  wie  A  ein  Dtttiv 
desselben :  ingieichen  dafs  sr^v  mit  yl^  yi^  xp^  joe,  %i(^», 
X6öt^  jrwff,  X9,' K«f(^i,  uitvogy  nqg,   nog,  /«,  gen ^  jener ^  ce, 
que,  quum,  qu&  etc.  etc.  etc.  verwandt  sei. 


U 


w  1  s  s  e  n 


J  a  h  r  b  fi  q  her 

f  ü  r 

8  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e 


Kritik 


April  1840. 


Kritäi  der  buherigen  Grammatik  und  der  philo- 
logitchen  Kritik  ron  Dr.  Ermt  August  Fr  it$  c  h. 

(SchluisO 

B«  bt  dwrehaus  nothig,  dab  ^ir  hi«r  einmal  einiga 
Sitae  mit  dea  Yerfa.   eignen  Worten  anführen,  damit 
ere  Leaer  von'  der  Feinheil  aetner  Beobaehtungen, 
Seharfsinn  bei  aeinen  UnCeraeheidungcn^  der  Griind« 
Kcblcrit  äeiner   Forachnngen  und  dam  Umfang  aeinea 
Kenntnisse  eine    Vorstellung    bekommen,    y^    Ferhält 
aich  zu  ttf(v)  wie  wenn  zu  denn^  «»  au  üv  wie  wann 
EU  dtum"  p«  209.    «fWie  0(17)  aich  an  ai  verhält  ^  ao 
verhak  aich  audi  17  zu  c»**-  p.  210.  ,,£/,  ipf^  itiv  sind 
niehta  anderea  als,  thf  iia  ihehr  oder  weniger  abgeschlif^ 
feiie,  acc.^ing.  fem.   gen.  eines  Pronomens  log  {IJ^) ; 
«i  und    d    dagegen  adverbiale  Dative  gleichen  Stam<' 
ipaea»  jenes  ein.Dat.  fem.  gen.,  dieses  neutr.  oder  mase." 
p«  212,    ))Wer  weifs,  ob  nicht  w  enklitisch  gebraucht 
wurdet"  p.  214.    ,,Yirg.  EcL  10,  33.  o  mihi  tum  (vgl. 
covj  tarn  asit  rdv  (r/fr)  etc.  vgl«  «r,  dann)  quam  moUitev 
oaaa  quiescant,  veatra  meos  olim  si'flstula  dicat  amo* 
res/'  p.  217.    Auf  solchen  Wegen  so  herumtaumelnd 
and  atelpemd  getraut  sieh  der  «Yetf.  dennoch,   unser 
Führer  au  sein,  und  den  schwankenden   Zustand  de? 
Grammatik  cum  Stehen  zu  bringen :  a.  Vorrede.    Uebri- 
gena  kann  Ref.  diese  sehn  Boge^  füllende  Untersuchung 
{Über  ov  und  die  hypotheiischen  Sätze  hier  um  so  kür« 
aar  erledigen,  als  er/  um  nicht  schon  Gesagtes  zu  wie- 
derholen, auf  aeiae  bereits  im  Jahre  1833  erschienene, 
aber  vom  Vf.  nicht  ioi,  mindesten  fatorücksicbtlgte,  Par- 
tifcaUehre  (Th.  IL  p.  216—336)  verweisen  darf. 

.Wir  fahren  fort  in  unserem  Berichte  von  den  Ent* 
deckungen  des  Verfaasers.  Derstlbe  bdehrt  uns»  dafs 
der  Optativ  den  Pc&teritis,  der  Conjunctiy  den  Präsen- 
tibua  parallel  sei,  wefshalb  er  jenen  den  absohliefsen- 
den,  diesen  den  zusammenstellenden  Conjunctiv  nennt, 
kt  hier  die  Entdeckung  alt;  so  ist  doch  der  Name  neu, 
Jaktbl  f.  wiu€H$cK  Kriüh  J.  1840.  I.  Bd. 


^ 


mit  welchem  der  Verf.  in  der  That  grolae  Verwirrung 
anrichten  konnte,  weim  man  ihm  Gehör  gäbe.     Hin« 
aiehtlioh  der  Bedeutung  dieser  Modi  (oder  dieses  Mo« 
dus)  aber  hat  derselbe  die   gelehrte  Weh-  wieder  auf 
«nem  Ungeheuern  Irrthum  ertappt,  welchen  ihr  zu  Ge# 
müth  zu  führen,  er  wiederum  weder  Zeit  noch  Papier 
gespart  hat«    Nach  umständlichem  und  sehr  etndiingU«* 
ehern  Vorhalten  ihrer  Irrthümer  eröffnet  er  nämlich  den 
Grammatikern,   mit  denen  er  aich  abgiebt,  aeine  An« 
zieht,  dafs  die  Modi  nicht  den  objectiven  Btataud  der 
Th^tigkeit  an  sich  angeben,  sondern  blos  erkennen  las» 
sen,  wie  der  Redende  die  Sache  angeachaut  hat  oder 
aufgefarst  wissen  will,  und  dais  es  somit  in  der  Will- 
kühr  des  Redenden  liege,  welchen  Modus  er  jedesmal 
gebrauchen  woHe!  p.  40.     Indem  der  Verf.   diefs  aus» 
sprach,  -nurs  es   ihm  in  der  That  gewesen  aein,   als 
wenn  ihm  von  allen  Seiten  Gelächter  entgegenscballte, 
und  als  wenn  selbst  die  Schuler  der  Gymnasien  .bis 
herab  zu  den  Tertianern  ihm  erwiederten,  sie  hätten 
diefs   längst  nicht    anders  gewufst    Darum  nimmt  er 
plötzlich   eine   Überaus    ernsthafte  und    fast  beleidigte 
Miene  an,  indem  er  die  Versicherung  ausspricht:  „Diese 
Ansicht  nach  ihrer  ganzen  Ausdehnung  in  succum  et 
aangttinem  aufzunehmen,  ist  gar  nicht  so  leicht,  als  ea 
von  vorn  herein  wohl  scheinen  mag:  bei  der  entgegen- 
gesetsten,  welche  uns  von  dem   frühesten  und  ersten 
Unterricht  an  eingeprägt  wurde,  und   die  gewisserma- 
Isen  mit  uns  verwachsen  ist,  kann  sie  in  unserem  In» 
nem  nur  mühsam,  hur  ach  wer  nach  ihrer  vollen  Ana« 
dohnung  Gültigkeit  und  wandeUoae  Herrschaft  gewia* 
nen.**    Sie  Irren  Sich,  mein  Bester:   ea  Ist  gewifs  nur 
ein  MUsverständalb  gewesen,  was  Sie  in  diesen  Eifer 
versetzt  hat,  einige  ungeschickte  Worten  die  Sie  gemiCi* 
deutet  haben!  .     s 

Mal  hat  bisher  alle  Teiapora  In  zwm  Classen  ga* 
theilt,  m  aelche,  welche  die  Handlung  ala  damemd^ 
und  in  aelche,  weldie  ale  uUvMendei  daraleUen.    Dn* 

77      -    ' 


611  FriUch^  Kritik  der  bithsrigen 

gegen  belehrt  uns  der  Yerf.,  dab  wir  künftig  yon  einei^ 
werdenden  und  einer  gewordenen  Thätigkeit  «sprechen 
tnussen.  \Vas  damit  gewonnen  sei,  aufser  einer  Be^ 
grifis^erwirrung,  indem  man  beim  Werden  doch  noih- 
wendig  immer  an's  Iniransiti?um  und  Passivum  denken 
mufs,  ist  nicht  einzusehen. 

Nun  bleibt  uns  noch  übrig,  mitzutheilen,  was  der 
Verf.  über  die  Entstehung  und  Bedeutung  des  Aorbts 
vorgebracht  hat.  Ehe  diefs  geschieht,  wollen  wir  ei- 
nige Bemerkungen  Torausschicken ,  welche  die  Leser 
in  Stand  setzen  können^  den  Fund  des  Yerfs.  desto 
besser  su  würdigen.  Die  Conjugation  des  griech.  und 
faidisdien  Yerbi  zeigt  einen  Parallelismus  von  starken 
und  schwachen  Formen.  Diese  beiderlei  Formen  finden 
sipb  in  der  Conjugation  auf  \a  dergestalt  untermischt, 
dab  im  Singular,  und  meistens  auch  in  der  3.  Pers, 
Plur.,  die  starke,  .  in  den  übrigen  Personen  die  schwa* 
ehe  üblich  iit,  z.  B.: 


1)  bibharmi   , 

bibharsi 

bibharti 

bibhrwag 

bibhrthas 

bibhrtae 

bibhrmas 

bibhrlha 

bibhrati 

2)  ^co/u 

iidiog 

didmoi 

— 

dUotov 

didotop 

dÜfott 

^   iidoäai 

eben  so  liiiv^v  od.  idiäovy,  ididofuv  etc. 

3)  u&eitiv 

ri&ilfig 

u^ätj 

— 

Ti^€2^ror 

ti^iixtf» 

uOiXiav 

%i^kZre 

tt&MV 

• 

eben  so  riJcrifM  rianotg 

tiaat 

rUraifUiß  tiaaixt  riauar 

od.  tiaauv 

4)  iefiK» 

Sß^tjHog 

¥&f]xe 

^ 

Sdtxov 

i&hfjv 

i&ifMf» 

j^£rc 

S&iOixv  od.  S^fpuoß 

6)  SoTtina 

Sarrjxai 

finrj/xc 

MW                            > 

kaxatov 

Saxatop 

SarauiP 

livtarc 

iaxaau 

In  der  spateren  Coäjugaiion,  oder  der  auf  o»,  zeigt  sich 
kein  solches  Ueberspringen  mehr  aus  dem  ersten  Ao- 
rist, Perfect  oder  Plusquamperf.  in  den  zweiten  Aorist 
u.  s.  w.,  s<nidem  beiderlei  Formen  werden  vollständig 
durchconjogirt,  und  je  nach  Umständen  hat  sich  hier 
die  stärkere,  dort  die  schwächere  im  Gebrauche  fiaurt 
Diefs  ist  der  Natur  und'  Geschichte  zufolge  das  Yer- 
liältnifs  der  sogenannten  tempora  secunda  zu  den  tem-> 
poribus  primis.  '  Nur  zufällig  schejinen  jene,  Indem  sie 
in  ihrer  EioCachheit  ünmer  unmittelbar  aus  dem  unyer* 


612 

mehrten  Stamme  liergeleitet  sind,  und  aufser  Umlaut 
und  Endung  weiter  kein  Kennzeichen  an  sich  babaii^ 
vielfach  mit  üem  Präsens  identisch  zu*  sein.     Und  wirk- 
lieh  hat  dieser  Schein 'den  Yerf.  verführt,  nicht  aÜM 
das  Futur,  sondern  sogar  auch  den  Aorist  mit  dem  Pnh 
sens  zusammenzuwerfen.    Seine  ?ier  Bogen  starke  Un- 
tersuchung (wenn  man  anders   sein  tolles  Umherspiiz« 
gen  ein  Suchen  nennen  darf)  fuhrt  ihn  zu  folgendca 
hübschen  Resultate:  „SSmmtliche  Formen   des  Aor.  I 
sind  mit  Hülfe  der  Präeens'  und  Imperfe^/mrmm 
von  üvai  gebildet,  und  sämmtliche  Formen. des  Aor. II. 
Act.  dürfen  für  nichts  anderes  gehalten  werden  als  for 
'  sogenannte  /^rä#«f»#-  und  ImperfectformenL  der  erstem 
Bildung$periode :  folglich,  da  alle  Präsens*  vnd  Imper- 
fectformen   eine  Thätigkeit  als  werdend  danrtelleB)  ss 
müssen  auch  die  Aoristformen  diese  selbige  Geltung  ha* 
ben«     Somit  wäre  denn  die  in  der  griech.  Grammatik 
eben  so  festgewurzelte  als  unbegründete  alte  Lelure  md 
das  Genügendste  widerlegt,  dafs  der  Aorist  das  Fet^ 
lendete  bezeichnete/'    Somit  hätte  denn  dieser  Hercuir 
les  abermals  höchst  heldenhaft  der  Hydra  I^Imm  ei» 
nen  ihrer  zähesten   und  zischeadsten  Köpfe  abgeMhlfr 
gen!  Der  Aorist  bezeichnet  also  von  nun  an,  naoh  ien 
gewöhnlichen  Ausdrucks  weise,  .eine  dauernde    llnadi 
lung,  und  alle  Beobachtungen  der  Forscher,  alle  Yor- 
Stellungen  der  Gelehrten,    alles  Gefühl  der   GeQta% 
die  sämmtlich  darin  übereingestimmt  haben,   dala  fie« 
ses  Tempus  eine  jede  Handlung^   ohne  Rueksieiil  a«f 
ihre  Dauer  und  Vollendung,. blos- als  Moment  betrad^' 
ten  lasse,   haben  gefehlt,   geirrt,   gelogen:   denn  Ife 
Fritsch  beweist  das  Gegentheil  durch  Buchstabeomea» 
gung.    Was  wird  aber  dann '  aus   dem  Untenejiledt^ 
der  zwischen  Aorist  und  Imperfeet,   Aorist  und  Prfc 
sens  doch  nothwendig  stattfinden  mufs?  Der  Yf.  -weift 
zu  helfen;    er  decretirt:   „der  Aorist  bezeiduiie  legi' 
ecke    Unterordnung^    Präsens    und   Imperfeet    hgi^ 
ecke  UeAerordnungJ'    Wir  begreifen  zwar  nicht,  w« 
damit  gesagt  sei,  aber  empfangen  es  init  ehrerbietigsr 
Verbeugung,  stumm  und  ohne  ^u  fragen,  auf  walahoi 
Pfaden  dieser  UnerCprschliche  jSolches  gefunden  liabas 
könne.    Denn  solche  Geister  schöpfen  dergleicher. 
mittelbar  aus  sich  selbst,  wie  wir  wissen. 

Dr.  J.  A«  Härtung. 


413  .  Sieinmgery  g^agno^iuekf  Bs^ekreibung 

XLVIIL 

€teognostisebe  Beschreibung  den  Landes  zwischen 
der  untern  Saar  und  dem  Rheine.  Ein  Be- 
richt an  die  Oesellschaft  nützlicher  Forschun- 
gen zu  Trier y  von-  J.  Steininger.  Mit  einer 
Karte j  15  Prt^l-  und  12  Petrefaiten-  Zeich- 
mungen.    Trier  (F.  Untzjj  IS40.    gr.i.    1508, 

Es  ist  nicht  das  erstemal,   dafs  der  Yerf»  im  Ge* 
hiett  der  Wissenschaft,  auf  welche  sich  die  gegenwär* 
tige  Arbeit  besieht,  mit   günstigem  Erfolge  als  Schrift- 
atelier auftritt«    Wir  haben  von  ihm  bereits  eine  Reihe 
iton  selbstständigen  geognostischen  Schriften^  unter  wel* 
etfeii  diejenigen  die  verdienstlichsten  sein  dürften,  wel« 
ehe  uns  zuerst  in  einer  vollständigem  Weise  mit  den 
l^erfadltQissen  des  vullcanisehen  Gebirges  der  Eifel  be« 
kannt  gemacht  haben,    und  aufserdem  verdanken  wir 
fliBi  sahlreiehe  eioselne  Abhandlungen,  die  in  Zeitschrif* 
ten,  namentlich  in  den  YerhandlungeA  der  geologischen 
SoeletSt  von  Frankreich,  abgedruckt  sind«     Seine  Erst* 
lings«  Arbeit   im  Felde   der  Geognosie   verbreitet  sidi 
siemlicb  über  dasselbe  Gebiet,   dessen  näherer  Erfor* 
•ehung  das  Werk  gewidmet  ist,  wovon  wir  hier  Nach- 
sicht geben;  sie  war:  „Geognostisehe  Studien  amMit- 
telrbräie"  (1819),  und  bald  nachher  (1822)  gab  er,  auch 
svin  Theil  denselben  Gebirgsstrich  befassend,   heraus: 
p,Gebirgskarte  der  Länder  »wischen  dem  Rheine  und 
der  Maas.**    Da  nun  der  Yerf.  sich  eine  so  geraume 
Zeit  in  seinen  geognostischen  Studien  derselben  Gegend, 
äetjenigen,  worin  er  selbst  wohnt  (Trier),  zugewandt 
bat,  M  dürfen  wir  gegenwärtig  wohl  viel  Gereifteres 
Fon  ihm  erwarten,  und  der  Verfolg  dieser  Beurtheilung 
nrird   es  auch   zeigen,    dab   einer  solchen  Erwartung 
cieiDlich  gut  entsprochen  ist« 

Wir  wollen  zuerst  die  Karte  mit  einem  allgemein 
leo  Blick  betrachten.  Sie  beisteht  aus  vier  grofsen, 
loeinandergesehlossen  cht  Ganzes  bildenden,  Doppel* 
Sayal- Folio -Blättern,  welche  zwar  sehr  einfach  ge« 
;eiohfiet,  docl|  reinlich  und  gut  lithographirt  sind.  Berg- 
clirtfffu^n  befinden  sich  nicht  darauf,  obgleich  sie  bei 
lern  groben  Maabstabe  (für  5000  Toisen :  rosVr«)  ^^^ 


Landes  xmsoAen  Saar  und  Rhein. 


ausführbar  gewesen  wären  und  die  Uebeirsichtlichkeit 
ler  Gebirgs  -Verhältnisse  sehr  erleichtert  haben  wurden« 
l?nr  Orte  mit  ihren  Namen  und  Uingrenzungen  der  Ge- 
birgs-Formationen,  die  Massen  derselben  leicht  und  für 
[as  Auge  gefällig  illuminirt,  sind  angegeben.    Die  Karte 


6H 

befafst  einen  groben  Theil  der   beiden  Regierungsbe? 
strke  Trier  und  Coblenz  und  den  grobem  Theil  von 
Rheinbayern.    Um  das  Viereck  der  Karte,,  hinsichtliolt 
der  Ländertheil^,  welche  darin  liegen,  besser  überse« 
hen  zu  kdnnen,  wollen  wir  einige  ausgezeichnete  Punkte 
namhaft  mAchen,  die  ihrem  Rande   zunächst  lie.gen: 
am  n5rdlichen  Radesheim,  Simmem,  Enkireh  und  Witt- 
lich; am  ostlichen  Ober- Ingelheim,   Alzey  (schon  über 
dem  Rande)  und  GoUheim;  am  südlichen  Hochstetten» 
St.  Ingbert,  Saarlouis  und  Bouzonville,  und  am  west« 
liehen  Bouzonville  (ganz  in  die  EJcke  fallend),  Metloch^ 
Saärburg  und  Trier  (etwas  vom  Rande  ab   liegende) 
Die  Karte  soll,'  so-  sagt  der  Verf.,,  „eine  möglichst  ge- 
naue Darstellung  des  Porphyr-  und  Flötztrapp - Gebir« 
ges  auf  der  Südseite  des  Hundsrückens,   zwischen  der 
Saar  und  dem  Rheine,   liefern."     Die  Farben  bezeich* 
nen   folgende   Gebirgs -Bildungen,    welche  wir  genau 
wörtlich    nach   der    deutschen   Farben- Erklärung   der 
Karte  (auch   eine  französische    ist  vorhanden)   wiedef 
geben:  I.  Uebergangs- Gebirge  (Thon-  und  Grauwacken- 
schiefer),  II.  Quarzfekrücken,  III.  Uebergangskalk,  IV. 
Kohlengebirge,  V.  Rother  Porphyr  (Thonporphyr),  VI. 
Rothe  Porphyr  -  Breccie,  VII.  Rothes  Porphyr -Konglo- 
merat (ne w  red  conglomerate).  Vif I.  Rothes  Todtliegen« 
ieAy  welches  dem  bunten  Sandsteine  sehr  ähnlich  ist, 
IX.  Bunter   Sandstein   (Vogesen- Sandstein;   new    red 
sandstone),  X.  Muschelkalk,  XI.  Tertiärer  Kalk  und 
Meeres -Sand  nebst  tertiärem  Sandstein,  XII.  Dioriti-> 
sehe  Gesteine  (Diorite,  Aphanite,  aphanitischer  Man- 
delstein, Dolerit),  XIII.  Braun -Eisenstein,  XIV.  Kalk- 
conglomerat -Flotze,  XV.  Kalkflötze  im  Kehlengebirge, 
XVI.  Kalkflötze  mit  Kohfenflötzen,  XVII.  Steinkohlen* 
flotze,  XVIU.  Zinnober  führender  Sandstein.     In  Be- 
sug  auf  das  relative  Alter  der  Bildungen  könnte  woh^ 
mehv  Ordnung  in  dieser  Aufzählung  sein^ 

Der  Verf.  hat  als  Vorarbeiten,  welche  guten  Wertb 
haben,  sowohl  für  die  Karte  als  den  begleitenden  Text 
benutzen  können  und  sdner  eigenen  Angabe  nach'  auch 
wfrklich  benutzt  die  „geognostisehe  Katte  der  Rhein- 
länder zwischen  Basel  und  Mainz  von  C.  von  Oeynliäu- 
•en,  H.*  Vx  la  Roche  und  H.  v.  Dechen^'  mit  dem  Texte 
dazu ;  dann  die  Arbeiten  von  Burkart,  C.  Schmidt,  F. 
von  Oeynhausen,  Merian,  Schulze,  von  Nau  u.  A.  Mit 
den  Fortschritten  der  Wissenschaft  selbst  und  mit  eige- 
ner fleifsiger  Beobachtung  ist  aber  Hr»  St  einen  nicht 
unbedeutenden  Schritt  weiter  gegangen^  als  sdne  Vor- 


615 


« 

Sieiningety  gBOgn^Mtische  Beiekreibung  de$  tiande9  x^Uehsn  ^aär  und.Rkein^ 


ganger;  er  hat  vielfach  die  oft  nur  angedeutet  gewene« 
neu  Conturen  verbesaert  und  ausgeführt,  wie  diefs  Uber- 
baupt  der  Gang  bei  geognostbchen  Karten  •  Arbeiten 
und  Lftnder-Besehreibungen  nur  sein  kann,  ohne  dafs 
dadurch   das  Yerdienst  der   ersten   Bearbeiter   getrübt 
tirird«    Es  ist  aber  wohl  sicher,  dafs  der  Yerf.  den.  für 
seinen  Zweck  höchst  wichtigen  Aufsatz:  „Das  Trapp- 
gebirge und  Rotbliegende  am  südlichen  Rande  des  Hunds- 
rücken von  A.  Warmhols"  (Karsten*s  Archiv  für  Min. 
u.  s.  w«  X  S.  325  ff.)  nicht  gekannt  hat.    Nirgend  ist 
er  citirt,  und  nothwendig  hätte  er  zur  Erweiterung  der 
Ansichten  und  wohl  auch  eu  mancher  Polemik  Veran- 
lassung geben  müssen.    Hr.  St.   giebt  sein  Werk  mit 
vieler  Bescheidenheit,    indem   er   sagt:  „Ich  betrachte 
die  Karte  als  ein  Werk  für  sich,  das  selbst  in  seiner 
UnvoUkommenheit  sich  auf  eine  Reihe   so   mühsamer 
Untersuchungen  stützt,   dafs  ich  glaube,  die  Nachsicht 
des  mineralogischen  Publikums  dafür  in  Anspruch  neh- 
men zu  dürfen.    Der  erläuternde  Text  ist  blos  eine  Zu- 
gabe, welche   die  Entwickelung  einiger  Ideen  enthält, 
auf  welche  ich  durch  die  genauere  Beachtung  *der  Ge- 
fairgsverhälutisse  unserer  Gegend  geleitet  wurde."    Al- 
lerdings wird  auch  im  Texte  eine  gewisse  Ganzheit, 
und   mehr  noch  die  Uebersichdichkeit  vermifst,    es  ist 
aber  viel  weniger  Grund  davon,  dafs  erstere  nach  ei- 
nen gewissen  Umfange  nicht  vorhanden  wäre,  als  dafs 
die  Materien  zu   wenig  geordnet,  häufig  zerrissen  und 
durdi   ganz    fremdartige    Gegenstände   getrennt,  dann 
aber  auch  wieder  ohne  Noth  in  einander  verflochten  sind. 
Dieser  Fehler  der  Darstellung,  wodurch  oft  Undeütlich- 
keiten  und-  Unbestimmtheiten  erzeugt  werden,  ist  über- 
haupt eine  ziemlieh  durchgreifende  Seite  der  Steinin- 
ger'schen   Schriften,   welche  deren  wirklichen  Werth 
l^cheinbar  schmälert;    man  mufs  sie  lesen  und  wieder 
lesen,^  und  dann  erst  wird  man  mehr  Gehaltvolles  darin 
finden,  als  es  auf  den  ersten  Anblick  vorkommen  kann. 
Wir  halten   uns  im  Nacbstehehden   an  die  Gliederung 
des  Buches^  so  wie  es  vorliegt. 

Die  „Förerüinerungen"  (S.  1^-7)  sprechen  sich 
übei^  den  Zweck  des  Werks,  über  die  vorbanden  ge- 
wesenen Hterarisehen  Hülfsmittel,  über  fremde'  Hülfs- 
lelstungen  durch  Beobachtungen  au»;  ferner  wird  darin 
Einiges  über  das  Erkennen  fein  gemengter  krystallini- 
scher  Felsarten  beigebracht,  wovon  erst  weiter  im  Bu- 
che ausführlicher  die  Rede  ist,  auch  werden  die  Resul- 

(Die  Fortsetzang  folgt.) 


«6 

täte  von  einer  Parthie  Hühenmessungen  gegeben;^  de- 
ren aber  in  den  weitern  Abschnitten  jioch  viele  folgen.  . 
Dann  kömmt  die  Ueberschrift:  y^Das  SieüiigUeih 
und  Flotxtrapp^G einige  xufhcAen  ^  der  ^Saar  und 
dem  Rheine^  indem  dieses  Steinkohlen •  Gebirge  irit 
seinen  plutonischen  Durchbruchsmassen  eigeDtUch  ^ 
Hauptgegenstand  des  Textes  bildet.  Dasselbe  „wirl 
im  Norden,  von  -Merzig  an  der  Saar  bis  nach  Bispi 
am  Rheine,  durch  das  mittelrheinische  Uebergangi- 
Schiefergebirge,  im  Süden  durch  den  Yogeseu  •Soi 
stein  von  Kaiserslautern,  Homburg  und  Saarbrücken,  ii 
Westen  durch  denselben  Sandstein  und  den  Müsdel* 
kalk  an  Aet  Saar,  von  Saarbrücken  bis  Mersig,  ul 
im  Osten  durch  den  tertiären  Kalk  und. Meeres- Surf 
der  mittelrheinischen  Ebenen,  Ton  Kirchbeimbefaiodci 
his  gegen  Bingen  hin,  begrenzt"  und  umfafst  geges  CI 
deutsche  Quadratmeilen. 

Nur  in  der  y^Einleüung'  (S.  9—23)  bt  reo  dm 

mittelrheinischen  Schiefergebirge  die  Rede,  welobeidii 

Plateau   zwischen  dem  Rheine  und  der  Mosel  bildet 

Ref.  übergeht  das  mehr  Bekannte  über  seine  Zufan* 

mensetzung*      Die    besonders   hervorragenden  Haoft* 

rücken  dieses  Gebirges  bestehen  vorzüglich  aus  Qsari« 

fels  (ein  schieferiges   Quaragestein  mit    GliramerbÜtt« 

eben,  die  bekannte  Felsart  des  Bingerlochs).    Sie  tbk 

auf  der  Karte  durch  eine  besondere  Farbe  gegei  du 

übrige  Uebergangsgebirge  herausgehoben.    Ihre  gegen* 

seitige  Lage  ist  interessant.    Der  erste  zieht  sidi  voo 

Dreisbach  an  der  Saar  bis  in  die  Gegend  von  Jienwi* 

keil,  der  zweite  von  Nonnweiler  bu  in  die  Gegsri 

Von  Herstein  und  Rfaaunen  und  der  dritte  aus  der  ^ 

gend  von  Kirn  bis  an  den  Rhein  bei  Bacbaradi.  Si 

liegen  ziemlich  gegen  die  Grenze  des  SteinkoUeD|{0» 

birges.    Diesen  drei  Zügen^  die  man  für  einen  vata^ 

brochenen  ansehen  kann,   und  wozu    auch  aoeh  en 

vierter,  im  Texte   angedeuteter,    aber  auf  der  Karti 

nicht  angegebener,  nämlich  der  von  Bingen  uadBi- 

desheim  gehören  dürfte,  liegen  im  N#  W.  ziemlidi  ^ 

rallel    zwei    andere    eben   so   geartete   und  vieDoeb 

ebenfalls    ursprünglich    zusammengehörige    Zöge;  fa 

erste  davon  zieht  sich  aus  dep  Gegend  von  Sd&üo^ 

bis  gegen  Beuren,  der  andere  bildet  die  Hardt  Sitfidr 

von  Nennmagen  an  der  Mosel  und  wird  vom  Drohsbad 

queer  durchbrochen. 


-       ♦ 


J  a  h  r  b 

fü 


78.- 

u  c  h  e  r 


wissenschaftliche    K  r  i  t  i  k. 


>  • 


April  1840. 


€eogno$tücke  BeBthreibung  des  Landen,  ztmschem^ 
i^r  untern  Saar  und  dem  Rheine.  Ein  Be- 
rieht  an  die  Gesellschaft  nützlicher  Forschun- 

.,  gen  zu  Trier,  tou  J.  Steininger. 

(Fortsetzung.) 

Bei    der    im   Gänsen   sehr    durcbgreifenden   Be- 
Mflndigkeit    im  Stfeiehen    des  Scbiefergebirges  ist   es 
'sUerdiiigs  merkwürdig,  dar%  die  bezeicbneteo   Quars- 
/ekröcken    weder    zusammenhängen   noch  auf  deneL»- 
ben  Linie   liegen,  sondern  nur  unter  einander  paral- 
lel sind,   und  wenigstens   zun^   Theil   ip    den  t$trek- 
ken  zwischen  ihren  Enden  durch  Tbon*   und   Grau- 
wackenschiefer  vertreten  werden»  zum  Theil  aber  durch 
Terhältnifsmärsig    nur   wenig    mächtige  Quarzfelslager 
nch  an  einander  reihen,    Ref.  sieht  keine  Schwierig- 
keit, die  Erscheinung  des  Unterbrochenseins  der  beiden 
Hauptzöge,   wenn  diese  wirklich  durch  umfassend  an- 
gestdlte  Beobachtungen  constatirt  ist",  und  ihrer  nicht 
Tollkömmenen  Lage  auf  denselben  Linien,  durch  grobe 
Gebirgsverschiebungen   oder  Tielleicht    auch  theilweise 
dadurch  "ZU  erklaren,  dafs  die  Quarzfelslager  sich  ur- 
sprüoglicb    nicht    überall  gleichförmig    in  bedeutender 
iUächtigkeit  gebildet  hatten.    Dem   Hrn.  St.  gilt  aber 
als  ein  grofses  Bedenken  gegen  die  Ansiebt  von  den 
Verschiebungen  (die  zweite  wegen  der  ursprünglichen 
liDgleichen  Mächtigkeit  zieht  er  gar  nicht  in  Betracht), 
daCs  die  Quarzfelszüge  die  Ughe  der  Gebirgsfläcben  des 
Hundsrückens   im   Allgemeinen    um    70a  -  1000  Fufs 
übersteigen«  Er  versucht  die  Sache,  wie  er  sagt,^  „ein- 
facher" zu  erklären«    Zuerst  beweist  er,  was  gar  kei- 
nes Beweises  mehr  bedürfen  machte,  dafs  die  Lager 
des   Schiefergebirges    ursprünglich   horizontal  gebildet 
seien;  er  führt  dafür  unter  Anderem  das  Parallel -Lie- 
gen  der    Seitenflächen    der'  Muschelscha'alen    mit  der 
Schichtungsfläche  des  Quarzfels  an.    Gegenwärtig  aber 

Jakrb.  f.  wi$itn$ch.  Kriük.   J.  1840.     I.  Bd, 


seien  alle  Schichten  des  Schiefergebirges  unter  60^90* 
geneigt  $  sie  wären  aLso,  was  Ref.  ebenfaUs  sehr  gern 
xugiebt,  später  gehoben  worden;  und,  so  fährt  St.  in 
seiner  Erldärung  fort,  „nur  die  Quarzfels-Rücken,  wel- 
che die   Gebirgskette   auf    der   südlichen    G^nse  das 
Hundsrückens  bilden,  wurden   höher,  gehoben,   als  die 
.  übrigen  Thelle  des  Schiefergebirges,  und  man  mufs  so 
viele  partielle  Hebungen  in   denselben    unterscheiden,  - 
als  verschiedene  Rücken  vorhanden  silid,  die  alle  mehr 
oder  weniger  gleichzeitig,  entstanden,  und  mit  der  Auf- 
richtung der  Schichten  innig  verbunden  sind,  so  diifs 
sie  gewissermafsen  mit  ihr  ein  und  dasselbe  Phänomen^ 
ausmachen."  Dabeiwäre  es  wahrseheinlich,  dafs  db  hü-: 
her  hervorragenden  Massen  von  Thon-  und  Grauwak- 
Jkenschiefer  im  Hangenden  der  gehobenen  Quarzfelsla- / 
ger  zum  gröfsern  Theile  (später)  zerstoi^t  seien.  Ferner 
wären  auch  wohl  diese  Hebungen  einzelner  Theile  des 
Schichtensystems  mit  einer  faltenartigen  oder  Zickzack* 
förmigen  Biegung  (wie  im  Steinkohlengebirge  im  Worm- 
revier  bei  Aachen)  verbunden  gewesen,  wodurch  Sat- 
telungen  und^  Muldungen  entstanden.     Letztere  sind 
^allerdings  faktisch  im  'Schiefergebirge  vorhanden,  wenfi 
auch  nicht  nach  Zahl  und  Schärfe. denen  im  Steinkoh«  . 
lengebirge  gleich:    aber  die    specielle  bohere  Hebung 
des  Quarzfels  in  dem  niit  ihm  parallel  gelagerten  ge- 
W^imlicben  Uebergangsschief er- Gebirge  kann  Ref.  nach 
der  Vorstellung  des  Yerfs.   sich  nicht   erklären«    Ref. 
versteht  entweder  diese   Ansieht   nicht    genau  genug, 
oder  sie  ist  unnatürlich  bei  den    gegebenen  mechani- 
schen Wurksamkeiten.    Einfacher  sind  jedenfalls  dieje- 
nigen Vorstellungen,  zu  welchen  der  Ref.  sich  bekennt, 
die  jedem  zuerst  auffallen   müssen,  der  die  Lage  der 
Quarsfels- Hügelzüge,  wenn  auch  nur  auf  der  Karte, 
sieht.   Dafs  die^  Ausgehenden  derselben  bedeutend  mehr 
^et   Zerstörung    upd    Verwitterung   widerstanden    als 
der  weichere  Thon-  und  Grauwackenschiefer,  kann  al- 
lein  zur  Erklärung  genfigen,  dafli  sir  «ich  gegenwärtig 

78 


Steining^^  geognOiiüehe  Be9ekrMäng  de9  Landet  xwüche^  Sa0r  und  Mein* 


619 

an  der  Oberflache  700—1000  FuFs  über  deti  letztgS^ 
nannten  Gebirgsarten  der  Umgebung  erheben. 

Interessant  ist  die  Nebenbildung  des  Quarzfelsens, 
welche  ^  mit  dem  brasilianischen  Eisenglimmerachiefer 
vollkommen  übereinkommt;  sie  findet  sich  bei  Gebroth 
im  Soonwalde.  Hr.  I^t.  fuhrt  sie  (S.  18)  an;  es  ist 
ihm  aber  wohl  eine  Notiz  dar&ber  entgangen,  welche 
Ref.  Yor  längeren  Jahren  in  Schweigger's  Jahrb.  der 
Chemie  n.  Ph.  XIII.  Bd.  S.  389f.mitgetheilt  hat.  Ob  dieser 
'Eisenglimmerschiefer  goldführend,  wie  der  brasilianische, 
ist,  bedarf  noch  der  nähern  Ermittelung.  Das  Gold  in  den 
Bächen  des  Uebergangs- Gebirges  zu  Andel  und  Enkirch 
4kli  der  Mosel  (der  letzte  Fundort  ist  von  St  nicht  er* 
^  wähnt,  obgleich  er  einmal  ein  Goldgesdiiebe.  von  42 j^ 
-  Thlr«  Werth  geliefert  hat,  welches  sich  in  der  Berliner 
Universitäts^Sammlnng  befindet)  und  von  Stromberg  ist, 
seiner  ursprOnglichen  Herkunft  nach,  noch  immer  pro- 
bl.ematiseh.  Die  Notizen,  welche  Hr.  St.  über  die  Me- 
-tallführung  des  Uebergangsgebirgos  im  Bereiche  der 
Karte  mittheijlt,  sind  mangelhaft  in  der  Aufzählung  der 
Lokalitäten,  mehr  noch  hinsichtlich,  der  Charakterisi- 
•rung  der  metallischen  Gebilde.  -^  lieber  die  Paralleli- 
■Mrung  dieses  -Uebergangsgebirges  mit  entsprechen- 
\  den  Gliedern  in  England  (nach  Murchison),  womit  Hr. 
St*  die  j^EsnlMung'*  schliefst,  ist  Ref.,  aus  mangeln- 
der Kenntnifs^  mancher  Einzelheiten,  nicht  im  Stände 
ein  Urtheil  zu  fällen. 

/.  „Da#  pf&hücA^aarbrüeJtüeAe  Steinkohlenge^ 
^ir^«."  (S.  23— 80.)  „Man  kann  annehm<erb,  dafs  dasEoh. 
lengebirge  eine  fiache  Mulde  bildet ,  deren  Längenaxe 
der  Grenzlinie  des  Schiefergebirges  parallel  ist^  und  deren 
^nördlicher,  schmaler  Flügel  sich  auf  die  fast  senkreclu 
ten   Schichten   des   Scbiefergebirges  auflegt,  während 
das  Grundgebirge,    worauf   der    sehr   breite  südliche 
Muldenflügel  ruht,  ni^ht  bekannt  ist."    In  dieses  La- 
I^eriiugs-Yerhältnifs  bringen  aber  die  durchgebrochenen 
plutonischen  Massen  mannichfaldge  Ausnahmen,  indem 
sie  das  Streichen  andTallien  des  Kohlengebirges  in  ih* 
rer  Nähe  häufig  verändern.    Was  von  dem  Verf.  im 
Allgemeinen  über  die  Zusammensetzung  dieses  Stein- 
kohkngebitges  beigebracht  wird,  glaubt  Ref.,  *als  meist 
bekannt,  übergehen  zu  können.    Hr.  St.  nimmt  darnach 
wohl  mit  Recht  an,   dafs    die   Anschwemmungen  des 
alten  Meeres,  auf  dessen  Boden  sich  das  Steinkohlen- 
gebirge bildete,  nicht  überall  gleichförmig  erfolgt  seien ; 
davon  zeugen   die  giinz   abweichenden  Mächtigkeiteir 


derselben  GebirgiAagett  von  einem  Punkte  gegen  an* 
dere.  Dem  thonigen  Sphärosiderit  im  Schiefertliev 
welcher  im  Saarbrückenschen  so  ausgezeichnet  ist  u^ 
viele  Ebenhütteu  speist,  wird  besondere  AufoMrlcMmi* 
keit  gewidmet;  die  Fische  darud-  nach  Agafins*«  B^ 
Stimmungen  werden  aufgeführt;  auch  'eusgeseieluiels 
Eoprolithe  kommen  darin  vor.  Den  thonigen  SplAe* 
siderit .  läist  St.  durch,  eisenhaltige  Sauerwaster  ia 
dem  Meere,  worin  da^  Steinkohlengebirge  entataa^ 
bilden;  diese  tddteten  auch  die  Fische.  Seine  besii^ 
eben  Conjekturea  sind  ansj^rechend.  Die  fosaBe  Flen 
des  Steinkohlengebirges  wird  von  Hm.  St.  mit  mm^ 
lieber  Ausführlichkeit  behandelt;  er  nimmt  aur  die  Be- 
stimmungen Tom  Grafen  Stemberg,  A.  Brongniart| 
Göppert  u.  A.  Rücksicht,  fügt  auch  manche  eigene  loi* 
tische  Bemerkungen  bei.  Ref.  kann  ihm  hier  niehl  im 
Detail  folgen,  ohne  die  Grenzen  einer  Reeension  sa. 
überschreiten,  und  Gleiches  gut  auch  von  den  sahlrei» 
oben  geologischen  allgemeinen  Reflexionen  über  dal 
Steinkohlengebii^e,  wobei  man  auf  viel  Anspreobendesi 
aber  auch  auf  Gewagtes  stdist. 

//•    „D«r  feldstsin '  P^rpkjfr  und  dof-  r0iA$. 
Farphyr-Conglomerai,''  (ß.  80--94.)   ,4>as  Steinkoh- 
lengebirge war  gebildet,    als  der  rothe  Thonporph^ 
oder  der  Feldsteinporphyr  entstanden  ist,  und  die  Ge- 
birgsgruppen,  welche  aus  ihm  zusammengesetmt  md^ 
aus  dem   Boden  in  die  Hohe  gehoben  wurden."    Es 
ist  diefs  ein  Satz,  der  bewiesen  werden  mufs,  und  der 
Verf. 'liefert  diesen  Beweis  recht  gut.    Erstens  findet 
man   in    den .  Konglomeraten   des  Steinkohlengebirgee,' 
selbst  in  der  Nähe  der  Porphyr -Berge  durchaus  keine 
r  l^rümmer  von  Porphyr,  wohl  aber  in  -den  Kongl 
ten,  welche  das  Steinkohlengebirge  bedecken  und 
grofsen  Theile  aus  Porphyr -Fragmenten  z 
setzt  sind.    Zweitens  wird  der  rothe  Porphyr  des  Kö- 
nigsbergs bei  Woifstein,  wovon  St.  ein  sehr  deutlidifls 
Profil  giebt,  von  den  selir  steilen  Schichten  des  Steia- 
kohlengebirges  umlagert.    Ref.  kennt  diesen  Punkt  au- 
toptisch und  kann  die  Wahrheit  des  Profils  verbürgen» 
Ein  anderes  Profil  in  Börschweiler,   welches  St.   ge. 
zeichnet  hat,  beweist  weniger  scharf  die  Thatsache,  ist 
ihrer  Annahme  aber  auch  nicht  entgegen,  und  Ref.  Iiat 
die  Ueberzeugung,  dafs  sich  im  Steinkohlengebirge  noch 
zahlreiche  andere  schlagend  beweisende  Punkte  auffin- 
den liefsen;  nirgend  trifft  man  eine  widerspreeh«ide 
Erscheinung. 


SUmmger,  geognistueAä  BeseAreiiung  dt9  Landen  zwiscAen  Saar  und  Rhein. 


622 


Wai  d€r  Y#rr,.über  die  verschiedeaeii  Sandsteine 
swbehen   dem  Steinkohlengebtrge  und  dem  M^iscbel* 
kalk  eagt,  ist  nieht  ohneinteretee;  et  durfte  aber  nicht 
entaeheidend  sein,  denn  immer  \rird  es  schwer  bleiben, 
die  Bfldungen  der  Sandsteine  gehd^g  eu  parallelisiren 
oder  lu  trennen,  we  die  Kalkgebilde  des   Zechsteins 
fehlen,  wie  es  in  unserm  Lanclstrich  der  Fall  ist.    Auf 
der  Karle  hat  er  eine  Dreitheilung  dieser  Sandsteine 
dttrehgef&hrt  (rergl.  oben  die .  Farbenbezeichnnng   der 
Karte).     Er  sucht  den   unmittelbaren  Uebergang    des 
Perphyr-Konglomerats  in  die  damit  verbunden  vorkom« 
Blenden  eigentlieben  Sandsteine  (Forwaltend  oder  allein 
i  ans  QuarBkomern  bestehend)  nachzuweisen,  und  hierin 
raadehte  Ref.  ihm  wohl   beipflichten.    Ueber  seine  drei 
i  Alithetlungen  jener  Sandsteine,  welche  er  eu  einer  For- 
i  Kation  rechnet,  sagt  er  (S.  88):    „Die   unterste  Ab« 
i  tlieilvng  besteht  aus  dem  Porphyr  •  Konglomerate,  wel* 
^  ehe«  an  der  Nahe,  Ton  Oberstein  bis  Mambächel,  eine 
^  Müchtigkeit  Ton  nngeffthr  tausend  Fufs   erreicht,   und 
sia  den  Yogeseh  sich  in  schwachen  Schichten  auf  dem 
Granit  lagert.    Darauf    folgt   die   mittlere  Abtheilung, 
'welche  aus  einem   thonigen,    weichen  Sandsteine  be- 
isteht, wie  der  rothe  Sandstein  bei -Kreuznach,  die  un- 
!  tem  thonigen  Schichten  in  den  Vogesen  und  der  rothe 
Sandstein  bei  Schotten  und  Bildingen  in  der  Wetterau." 
(Auf  der  Karte   mrd  die  mittlere  Abtheilung  bezeich- 
net: „Rothes  Todtliegendes,  welches  dem  bunten  Sand- 
stein sehr   ähnlich  ist*').    „Die  oberste  Abtheilung   ist 
endlieh,    im  Allgemeinen,  ein    sehr    fester,   quarziger 
Sandstein  mit  wenigem  Bindemittel.    Er  bildet  die  Ho- 
heii'der  nördlichen  Vogesen  und  des  Hardtgebirges,,und 
den  Zug  über  Kaiserslautem,  Homburg,  Saarbrücken 
und  Trier."    (Auf  der  Karte  heifst  diese  Abth.  „bun- 
ter Sandstein,  Vogesen- Sandstein").    Diese  Eintheilung 
aeheint  mir  sehr  künstlich  zu.  sein.     Kein  Grund  durfte 
Terliegen,  die  zweite  Abiheilung  Kothes  Todt- Liegen- 
des zu  nennen  (Warmholz  scheint  mit  grSfserm  Rechte 
Torzuglich  die  erste  Abtheiluiig  so  zu  nennen);  .denn 
die  Annahme,   dafs  im  hiesigen  Gebirge  die  Zechstein- 
Fermation   dnreh   die  Kalkichichten  vertreten  werden 
soll,  welche  den  obersten  Schichten  des  Steinkohlen- 
gebirges eingelagert  sind,-  hat  wohl  kein  Fundament. 
WSre  diese  Annahme  begründet,  so  mufste  das  Stein- 
koMengebirge  mit  dem  Todt  -  Liegenden  und  der  Zech- 
stein-Bildung fnr  eine  Förmatfon   genommen  werden, 
indem  nach  Hm-  St«  alle  drei  Gebilde  in  einander  und 


sogar   das  oberste  in   das  unterste  oseülirenr  wurden« 
VTenn  auch  Ref.  nichts  dagegen  haben  kann,  dafs  die 
Sandsteine  zwkchen  dem  Steiakohlengebirge  und  dem 
Muschelkalk,  in  so  fern  sie  sich  leidlich  petrögraphisch 
unterscheiden,   auf   der  Karte   mit   drei   verschiedenen 
Farl^en  angemalt  sind,  so  kann  er  sich  doch  nicht  mit 
dem  Raisonnement  des  Textes  über  die  Parallelisirung 
dieser  Sandsteine  öberall  einverstanden  erklären,  abge« 
sehen  davon,   dafs  er  dieses  auch  wegen  der  verschie- 
den gebrauchten  Namen  nicht  fOr  durchaus  deutlich  hält. 
///.     „Dvr  Orüntteinj  Mandehtein  und  dichte^ 
9chwarxe,   Trapp.""  {ß.  95  — 118).     Die  plutonisehen 
Felsarten^  welche  vorzüglich  durch  Hornblende,  Dia!- 
lagö  und  Augit  charakterisirt  werden,  bilden  innerhalb 
der  Grenzen  des  Stetnkohlengebirges  bald  mehr  oder 
minder  hohe  Felskuppen,   bald  lange,   schmale  Berg-« 
rflcken,  \ind  dehnen  steh  zwischen  S.  Wendel,  Birken- 
feld, Kirn  und  Grumbach  so  sehr  aus,  dafs  in  d^r  Yer- 
breitung  mehrerer  Quadrat -Meilen  keine   andere  Ge- 
birgsart  vorkömmt;     Hr.  St.  hält  es  zwar  fQr  möglich, 
dafs  die  Bildung  einzelner  Kuppen  dieser  Gebirgsarten 
in  verschiedene  geognostische  Zeitalter  fallen,  und  selbst 
mit  der  Bildung  des .  Steinkohlengebirges    gleichzeitig 
sein  könne:   aber  jene  weit   verbreitete   Hauptnrasse 
hält  er  sicher  für  jQnger  als  das  Porphyr -Konglomerat, 
da  sie  sich  auch  ftber  dasselbe  verbreitet;   auch  erhö- 
ben  sich  Trappkuppen  (wir  iv(^len   diesen«  Ausdruck 
hier  der  Kurze  wegen  mit  Hrn.  St.  gebrauchen)  aus 
dem  Porphyr- Konglomerat,   und  dieses   schliefse   nur 
sehr  selten  und'  im  Allgemeinen  keine  Trümmer  von 
Trappgebirgsarten  ein.    Es  wäre  wohl  der  Muhe  werth 
gewesen,  diese  seltenen  Ajusnahmen  näher  anzugeben 
und  allenfalls  nach  den  Umständen  weiter  zu  deuten,  ^ 
welches  aber  unterlassen  worden  ist    Hr.  St  beschreibt 
und   bildet   viele  Profile   des  Zusammen -Yorkommms 
des  Steinkohlengebirges  mit  den  Trappgebirgsarten  ab< 
Keines  derselben  liefert  einen  schlagenden  Beweis,  dafs 
auch  Trappfelsarten  in  der  Epoche  der  Steinkohlenge- 
birgs -Bildungen  entstanden  sind.    Entweder  zeigen  sie 
sich  im  Gebiete  des  letztgenannten  Gebirges  als  unver- 
kennbare Durchbruchsmassen,  in  Kuppen-  oder  Gang- 
forro,  welche  oft  Theile  des  Steinkohlengebirges  mit  In 
die  Höbe  gehoben  haben,  oder,  wenn-  sie  im  Steinkoh- 
lengebirge zwischengelagert  vorkommen,  so  liegt,  auch 
nach  den  Analogien  aus  andern  Ländern,  wo  ihr  Zu- 
sammenhang mit  Gangmassen    sich   nachweisen   läfst. 


623 


Steininger^  geiQgnostüeAa  Besc/ireibung  dei  Landet^ xu^üeA^n  Saar  umd Rkei^^ 


%%i 


4ie  Annahme  viel  näher,  die  sebeinbareo  Lager  der 
Trappmaseen  ohne  Ausnahme  für  lagerförmige  Gänge 
ZM  halten,  welche  bei  dem  Hervorbrechen  zwischen  die 
vorhanden  gewesenen  Schichten  des  Steinkohlengebir- 
ges  sich  eingedrängt  haben..  Hr.  St.  Ijifst  selbst  diese 
Erklärung  theilweise  gelten,  tbeils  meint  er  aber,  dafs 
manche  dieser  Einlagerungen,  deren  Zusammenhang  mit 
den  isolirten  Trappkuppen  sich  nachweisen  lasse,  als^ 
Layastrome  zu  betrachten  seien,  die  mit  dem  Steinkoh* 
lengebirge  gleichseitig  gdbildet  und  von  Schichten  des« 
selben  überdeckt  worden  wären,  wie  man  solches  na- 
tnentlteh  bei  den'  Trapphgern  des  Gutesberges  und  an 
dem  Bosenberge  bei  St.  Wendel  annehmen  könne.  Ref. 
kennt  diese  Punkte  nicht  aus  eigener  Ansicht,  aber  wenn 
sich  die  sogenannten  Lavaströme  durch  nichts  anders 
für  solche.su  erkennen  geben,  als  daCs  sie,  d.  h.  die 
Zwischenlager  Im  Sieinkohlengebirge,  mit  den  Trapp» 
kuppen  susammenhängen,  so  liegt  darin  gar  kern  Grund 
zu  der  Annahme  Steiningecs,  sondern  wohl  noch  eine 
Wahrscheinlichkeit  mehr,  dafs  auch .  dieser  Fall,  wie 
alle  analogen,  unter, die  Kategorie  der  lagerförmigen 
Gäpge  gebracht  werden  müsse.  Ref.  ist  daher  geneigt, 
die  Epoche  der  Durchbrüche  der  Trappgebirgsarten  in 
diesfsm  Steiokohlengebirge  ausscbllefslieh  nach  dessen  BiU 
dung,aber  auch  noch  nachder&urchbruohs-Ejiochedesro* 
Ihen  Porphyrs,  die  St,  selbst  mit  der  gröfslen  Bestimmt* 
heil  noch  nach  d^m  Steinkofalengebirge  setzte  anzunehmen. 

Die  Trappgesteine  von  den  verschiedenen  Fundor* 
ten  werden  nun  siemllch  umständlich  besehrieben;  Ref. 
kann  hier  nicht  controlirend  ^folgen,  da  ihm  nur.  Ein* 
irelnes  davon  in  Kabinetstücken  zu  Geböle  steht.  Sie 
lassen  sich  aber  nach  Hrn»  St.  unter  folgende  Abthei. 
lungen  bringen:  1)  .Gemenge  von  gemeinem  Feldspath 
.mit  Hornblende,  Eisenglanz  und  zuweilen  mit  Braun- 
kalk. 2)  Gemenge  voii  Albit  und  Magneteisen,  oder 
doleriiisehe  Trappgesteuie.  3)  Gemenge  von  Schiller, 
spnth  oder  Hornblende  mit  Albit  und  Eisenglanz.  4) 
Halbverglasier  schwarzer  Trapp.  5)  Dioritische  Ge- 
steine. 6)  Aphanitische  Gesteine.  Wie  man  sieht,  so 
reioht  unsere  petrographische  Terminologie  nicht  aus 
fUr  aUe  diese  Gemenge.  Es  wäre  zu  wünschen ,  dafs 
Ur.  Prof.  G.  Rose  einmal  die  letztern  einer  genauen 
Revision  unterwerfen  möchte. 

Weiter  folgen  bei  Gelegenheit  dieser  Felsarien  ei- 
nige  Notisen  über  die  Aisbatschleifereien,  die,  strenge 


ODer  BeschlufiB  folgt.) 


genommen,  dem  Buche,  wie  aosh  noch  manches  andere 
darin,   fremdartig  sind.    Was   über  die  Achate  seihet 
gesagt 'wird,  ist  grofstentheUs  bekannt    Hr.   St.  will 
nach  seinen  mikroskopischen  Untersuchungen  das  Vor- 
handensein wirklicher  Reste  von  Laubmoosen,   Fleeh- 
ten  und  Algen   oder   auch  Infusionsthierehen    in  den 
Achaten  nicht  annehmen.   .Röhrehen,  hohle  und  wt 
Grunerde  und  Eisenoxyd  ausgefüllte,  habe  er  oft  be- 
obachtet, aber  sie  wftren  theils  für  die  Wirkung  cbIp 
wickelter  Gasbläschen  in  einer  noch  weichen  kleseUgm 
Masse,  theils  för  nichts  anders  als  für  feine  stalaklifl- 
sche  und  dendritische  Formen  zu  halten,  -welche  siek 
bildeten,   ehe  nodi  die  Drusenräume    mit  Chalcedoa- 
Substanz  ausgefüllt  wurden.   Solehe  Formen  kennt  Ret 
auch  sattsam  in  den  Obersteiner  Achaten  (am   bestes 
sieht  man  sie  in  den,  dünn  geischliffenen  Spielmarkea 
in  ihren  Durchschnitten):  aber  aufser  solchen  konuMa 
auch  noch  andere  seltene  Formen  in   diesen   Aehaics 
vor,  Wie  B.  CotU  deren  in  den  Achaten  von  ScUeO» 
witz  nachgewiesen,  „Chalcedon-Thierchen*'  genanatual 
mit  Oseillatorien    verglichen    hat.     Biese  Chaloedea- 
Tbierchen  von  Oberstein  sind  aber  noch  grofser  aal 
ausgezeichneter  als  die  von  Schlottwits,  und   beT  bei* 
den  ist  wohl  eine  organische  Form  ganz  unverkenniiar»  \ 
(Vergl.    Cotta's  Beschreib,    und   Abbildungen    in  von 
Leonhard's  neuem  Jahrb.  Apt  Min.  1837.  S.  299.  iE) 

IK  y^Feränderungeuy  welche  verschiedene  G^" 
steine  in  der  Nahe  der  Trappgebirgskupyen  erUh 
den.  Quecksitiererxe:'  (S.  118-- 127.)  Dieser  Ab. 
schnitt  ist  sehr  mager.  Beobachtungen  über  die  diuck 
die  Nähe  des  Trappgesteins  veranjabten  vielfadM 
Zerspaltungen  des  Steinkohlensandsteins,  über  Verla. 
derungen  der  Kalksteinlager  in  Dolomit,  des  Schiefer* 
thons  in  Thonstein  und  Porzeilanjaspis,  über  RoibA-  \ 
buugeu  des  Schief erthons  etc.  werden  mitgeth^Ut  und  Vcf* 
gleichungen  mit  den  veränderten  Gesteins-Einsehl&sscB 
in  Basalten  und  den  Produkten  des  neuen  Erdbranda 
im  Steinkohlengebirge  am  brennenden  Bache  bei  Saar- 
brücken angestellt.  Viel  Neues  ia  Bezug  auf  Phiae* 
mene  und  Lokalitäten  erfahren  wir  daduieh  Bielit,  da. 
bei  ist  alles '  nur  sehr  leicht  skiszirt.  Dann  wird  der 
Gesteins  -  Modifieationen  der  pßlzischen  Quecksilber-, 
werke  erwähnt,  welche  grofstentheUs  ihren  Sitt  ia 
Steinkohlengebirge  haben  j  sie  sind  auch  der  Art,  dafii 
sie  von  den  Effekten  grofsw  Hitagrad«  zeugM. 


\M  79. 

Jahrbücher 

f.. 
u  r 

w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e   K  r  i  t  i  k. 


April  1840. 


OfogHOStiScke  Beschreibung  des  Landes  zwischen 
der  untern  Haar  und  dem  ttheine.  Ein  Bc" 
rieht  an  die  Gesellschaft  nutzlicher  Forschung 
gen  zu  Trier y  ton  J.  Steininger. 

(Schlafs.) 

Gans  offenbar  sind  die  Quecksilbererze  in  den  Spalten 
dci  Steiokohlengebirges,  auch  wohl  dea  roUien  Porphyrs 
und  der  Trappgesleine  (in  den  beiden  letztem  sind 
ebenralls  einige  Qiieeksilberwerke  Torhanden)  durch  Su- 
Uimation  abgesetzt  worden«  Diese  schon  Ton  y.  Be« 
roldmgen  ausgesprochene  Ansicht  ist  unabweisbar,  und 
der  Umstand,  duFs  sich  die  Erze  in  der  Tiefe  immer 
iDehr  Teriieren,  wie  der  neueste  Bergbau  recht  äugen* 
leheiulich  bewiesen  hat,  spricht  für  die  grofse  Hitze 
bei  dem  Hergailge^  die  auch  die  Veränderungen  des 
Nebengesteins  bewirkte.  Nur  zunächst  der  Oberfläche 
setzten '  sich  die  Quecksilbe^rerze  in  den  Spalten  ab; 
der  grufsere  Theil  derselben  mag  i»ohl  in  die  Atmo- 
sphäre verfluchtigt  worden  sein.  Was  Herr  St.  be- 
schreibend von  den  Quecksilberwerken  miltheill,  ist 
laangelhaft  und  besteht  fast  ausschlierslich  in  Auszügen 
nach  Schulze,  womit  vier  Seiten  gefüllt  sind.  Ob  ge* 
radc,  wie  Hr.  St.  meint,  die  Quecksitbergänge  auf  die 
Enlstehung  des  Trappgebirges  als  ihre  Ursache  bezo- 
gen werden  können,  läFst  sich  nicht  beweuen;  sie 
kannten  auch  viel  junger  sein. 

V.  ,,Thalbildung.''  (S.  127-140.)  Bei  der  Aus. 
dehnung,  welche  die  gegenwärfge  Beurtheilung  schon 
erhallen  hat^  können  wir  bei  diesem  Abschnitte  nicht 
ins  Einzelne  gehen;  er  enthält  aber  viele  gute  Be- 
ebachtungen  und  /  Schlosse  über  den  Gegenstand  sei- 
ner Aiifsehrift,  über  das  terüäre  Gebirge  und  noch 
manches  Andere.  Leider  will  uns  aber  bei  ihm  die 
Darstellungs weise  am  wenigsten  zusagen ;  überall  fehlt 
es  an  Schatten  und  Licht.  Beobachtungen  und  Folge- 
ruDgen  sind  so  mit  einander  verwebt,  maiv  möchte  sa- 

Jahrb./.  wUienick.  KriiUi.  J.  1840.  I.  Bd. 


gen  verfilzt,  dafs  .man  nur  mit  Muhe  einige  Ruhepunkte 
in  dem  ganzen  Absehliitte  finden  kann.  Es  laufen  die 
Gegenstände  gar  zu  sehr  durch  einander,  Kleines  und 
Grofses,  Wichtiges  und  Nebensachen,  so  dafs  es  dem 
Leser  schwer  wird,  sich  gehörig  von  der  jedesmaligen 
Absicht  des  Yerfs.  Rechenschaft  zu  geben. 

Zuletzt  (S.  141— 149)  folgen  noch  zwei  Anmerkum 
gen,  wovon  die  erste  eine  nicht  uninteressante  Nach- 
lese zu  der  Uebersicht  der  Flora  des  Saarhruckenscfaen 
Steinkohlengebirges   enthält.     Der  Fund   eines   Nadel- 
holzes —  des  ersten,  welches  aus  der  Steinkohlenfor- 
mation bekannt  wird  —  ist  Wohl  das  Wichtigste   da- 
bei.   Die  gegebene   Abbildung  davon  scheint   treu   zu 
sein.     Ur.  St.  nennt  die  Speeies  Pinites  abictinus.    Es 
verdient  hier  noch  bemerkt  zu  werden,  dab  die  Bilder -> 
von  fossilen  Pflanzen^  welche  zu  dem  Buche  gehören, 
überhaupt  recht  gut  lithographirt  jAnd*    Die  zweite  An- 
merkung bezieht  sich  auf  die  klimalischen  Yeränderun- 
gen  durch  Abkühlung  der  Erdkugel.    Der  Verf. .  suchte^ 
approximative  Werthe  für  das  Alter  der  Steinkohlen* 
Formation,  indem  er  von   der  Yoraussetzung  ausgeht^ 
dafs  die  Steinkohlenpfianzen  auf  niedrigem  Kustenlaüde 
gewachsen  sind,  dessen  Mitteltemperatur  20^X.  bis  25^ 
C.  betragen  habe.    Da  gegenwärtig  die  mittlere  Tem- 
peratur unserer  Gegend  im  flachen  Lande  nur  10^  C. 
bt,  so  folgerte  er  daraus,  dafs '  die  Oberfläche  unserer 
Erde  seU  jener  Zeit  um  W  bis  IS«'  C.  sich  abgekühlt 
habe.    Da  ferner  nach  Newtou*s  Gesetze  die  Abküh- 
lung eines  Körpers  in  einer  .  geometrischen  Reihe  er- 
folgt,   wenn  die  Zeiten  eine    arithmetische   bilden,   sor 
kommt  es  blos  darauf  an,  den  Abkühlungs«>Exponcnten 
unserer  Erde  für  einen  gewissen  Zeitraum  zu  kennen^ 
um  die  Zeit  berechnen  zu  können,    welche   seit  dem 
Wachsthum  der  Steink'oblenpflanzen  verflossen  ist.  Da 
endlich  nach  Poiason  seit  2500  Jahren  der  mittlere  Erd« 
raditts  durch  Abkühlung  nicbi  um  ein  Zwanzigmillion^ 
stel    seiner   Lunge   kleiner   geworden   ftein  kann^   so 

7» 


€27 .  Steininger^  gsagnoiiücAe  Beichreibung 

nimmt  er  diese  Gröfse  als  ein  Maximum  an,  und  fol- 
gert dann  aus  den  Versuchen  Adi^*s  über  die  Ausdeh- 
nung des  Granits  durch  Wärme,  indem  er  dieselbe  Aus*- 
dehnung  für  die  Erde  anhimpit,  dafs  die  Abkühlung 
derselben  in  den  zuletzt  verflossenen  2500  Jahren  höch- 
sten» 0^^00558  C.  betragen  haben  könne.  So  weit 
sind  die  Schlüsse  unter  den  angenommenen  Vorausset- 
sungen  vollkommen  richtig.  Was  nun  aber  die  Rech- 
nungen betrifft,  so  scheint  er  übersehen  zu  haben,  dafs 
in  Newton*«  Formel  unter  T  und  A  die  Temperatur- 
Ucberschüsse  eines  abkühlenden  Körpers  über  die  con- 
stante  Temperatur  des  umgebenden  Mittels  zu  verste- 
Jieti  sind,  nicht  aber  die  Temperatur  selbst,  welche  der 
Körper  in  zwei  verschiedenen  Perioden  seiner  Abküh- 
lung besitzt.  Da  er  nun  10^  C.  für  die  constante  Mit- 
teltempepatur  unserer  Breiten  im  flachen  Lande  an- 
nimmt, worin  die  Abkühlung  der  Erdoberfläche  in  un- 
serer Gegend  stattfand,  so  war  der  Temperatur-Ueber- 
«cbuls  unserer  Erde  vor  2500  Jahren  0<>,00558  C.  und 
jetzt  0.    0er  Abkühlungs-Exponent  wäre  also  für  die- 

Zeitraum    — 2 ,    welches   ^uf  einen   Wider- 


sen 


0 


Spruch  führt.  So  wie  der  Yerf.  die  Rechnung  geführt 
hat,  bezieht  sich  die  Abkühlung  der  Erdoberfläche  in 
unserer  Gegend  nicht  auf  eine  Temperatur  des  Mediums 
von  10^,  i$ondern  auf  0^.  Wir  halten  es  daher  für 
überflussig,  in  seine  Rechnungen  selbst  und  in  die  dar- 
jxns  erhaltenen  Resultate  einzugehen.  Eine  nähere  Be- 
leuchtung der  Sache  mufs  überhaupt  an  diesem  Orte 
unterbleiben.  Es  würde  aber  die  von  dem  Vf.  gestellte 
Aufgabe  eine  richtigere  Lösung  gefunden  h^ben,  wenn 
ihm  Bischofs  Wärmelehre,  Leipzig  1837,  bekannt  ge- 
worden wäre!  S.  480  daselbst  würde  er  die  Auflösung 
dieser  Aufgabe  gefunden  haben,  vonach  sich  allerdings 
ein  isehr  grofier  Zeitraum,  über  eine  Million  Jahre,  für 
das  Alter  der  Steinkohlen -Formation  ergiebt.  Nach 
dem,  was  übrigens  Bischof  S.  492  über  die  Abkühlung 
unserer  Erde  bemerkt,  dürfte  dieser  Zeitraum  noch 
viel  zu  gering  gefunden  worden  sein. 

Wenn  wir  mm  so  die  Karte  und  das  Buch  dazu 
etwas  ftoharf  beurtheilten  und  Manches  daran  tadelten, 
so  wollten  wir  dadurch  zugleich  bewiesen  haben,  dafs 
Beides  für  die  Wissenschaft  von  Werth  sei.  Bei  ei- 
ner Arbeit  ohne  besonderes  Verdienst  würden  wir  diese 
ausfi^hrliche  Kritik  nicht  unternommen  haben,  —  dabei 
hätte  die  AbferdgUng  mit  wenigen  Zeilen  genügen  kön- 


de9  Landet  xwUehen  Saar  und  Rhein.  (B8 

nen.  In  der  That  hat  die  ganze  Arbeit  die  Kenntnib 
unseres  nachbarlichen  Gebirgs- Gebietes  bedeutend  ge- 
fördert, und  Ref.  freut  sich  ihres  Besitzes  und  der  man. 
nigfachen  Belehrung,  die  er  daraus  geschupft  hat.  Die 
Karte. ist  ein  wichtiger  Beitrag  für  den  grofserer  Voll* 
ständigkeit  rasch  zureifeuden  geognostischen  Alias  tm 
DeuUchland.  Wir  wünschen  dem  Werke,  das  lidi 
auch  einer  guten  buchhSndlerischen  Ausstattung  in  c^ 
'  freuen  hat,  viele  Benutzer ,  und  dem  Verf.  Ausdaäei 
und  forlgesetztea  Fleils  bei  seinen  weiteren  Gebirp» 
forscliungen  auf  demselben  Gebiete,  wodurch  die  nodi 
gebliebenen  Lücken  erfreuliche  Ergänzung  zu  erwari« 
haben!  ,^__.        Nöggerath. 

XLIX. 

r 

Caialogus  Codicum  ManuicriptOf^m  Biblioiietu 
Academicae  GÜMcnsü.  Auct.  •/.  yalentiuo  Adr¥ 
an.    Francof.  ad  M.  1840«    8.    IX.    400. 

.  Nach  dem  Beispiele  der  Schwestecanstalt  za  Marburg,  Sbo^ 
giebt  nan  auch  die  Bibliothek  za  Giefsen,  eia  sof^saB  gcariwitfr 
tes  Verzeichnifs   ihrer   Haudschriften   der   gelehrten  Konchn^ 
Wenn  es  gleich  in  unsern  Tagen  nicht  mehr   der  AnmakoBBga 
zu  solchen  Arbeiten  bedarf,  wie  sie  der  Geschichtschreiber  ^a 
Eidgenossen  im  Anfange  des  Jahrhunderts  aussprach,  als  er  Mi- 
ne schöne  Beurtheilung  der  reichen  Moreliischen   Arbeit  Biete* 
schrieb,  so  sind  d<|ch  Handschriftencataloge  d^lr  Bibliotheken,  xktt 
welche   bisher  wenig  oder   nichts  bekannt  gemacht  wordei  wii 
um  so  freundUcher  zu  begrüfsen  —   dies   aher  ist  der  Faflnft 
der  Bibliothek   zu    Giefsen.     Denn    abgesehen   davon,   dafi  Üe 
Kostbarkeiten   dieser    Anstalt   aus   den    Disciplinen   der  aMat- 
schen  Literatur  und  des  deutschen  Rechtes,  neuerlich  aliertf^i 
von  den  Gelehrten  besprochen  und  benutzt  worden  sind,  ^Mi 
Textausgaben    oder    literarisch  -  bibUographische    Veneiehnjat 
Gegenstände  höchst  nützlicher  Thfitigkeit  v^aren  ^  ist  für  dieGici- 
sener'  Manuscripte  eigentlich  gar  nichjts  geschehen,  da  ja  Aja^ 
manns  Aufsätze  in  den  Frankfurter  Gelebrtep  Ansteigen  des  Jab* 
res  1741  (No.  88—92)  von  sehr  geringer  Bedeutung  sind.  Wenig  biM 
ein  statistisches  Tubleaa,  wieviel  Codices  nun  eben  der  classisclMS 
Philologie,  wieviel  dem  deutschen  Rechte,  wieviel  der  Tbeoiop^ 
der  deutschen  Geschichte  u.  s.  w.  in  derBtbtiotiiek  za  GiefsenjBageli<? 
ren,  es  möge  nur  diese  Bemerkung  genügen,  dafs  die  Theologie  uk 
namentlich  die  scholastische  Theologie,  dann  aber  das   desCsdc 
Recht  und  hier  wieder  die  Statutar-  und  Parlicularrecbte  os■^ 
risch  und  wissenschaftlich   überwiegen;    dafs   die   ersterea  p^ 
fsentlieils  dem  Saininlerfleiis  des  Gabriel  fiiei,  die  letzteres  ta 
Vermächtnifs  des  Rennt  Carl  von  Senkenberg  verdankt  wer^«$'- 
autserdem  aber  sind  Jo.  Ueinr.  Mai,  Chr.  Lud,  Koch,  Conr.  Bi 
Geo.  Lndw.  Noellner  u.    a.  als  Wohlthäter  der  Anstalt  zi  V< 
nen.    Der  Verf.   des   vorliegenden  Cataloges,   der  Oberbibliotbe- 
kar  und  Professor  Job.  Valent.  Adrian,  hdt  sich  des  ebreoTtliei' 
Auftrages,  die  Schätze  seiner  Anstalt  bekannt  za  aMefaea»  vi 


m 


Adrian^  C^aloguM  C^dicum  Manuscripiorum  BMioiAeeae  Academieac  Güiemü. 


630 


eine  Weis»  entledigf,  fiir  trelehe  ihm  die  Gelehrten  gevifs  den 
wohlverdienten  Dunk  sogen  werden,  aber  auch  die  Art  der  Aus- 
arbeitaiig  des  t^ataloges,  betrachten  wir  sie  von  der  fonneilen 
Seite,  verdient  Anerkennung  des  grofsen,  dem ,  Geschäfte  znge- 
ireodeten  Fleifses  und  der  Genauigkeit,  mit  welcher  auch  das 
kleinste  Bmcfasttick  berücksichtigt  worden  ist.;  nnterdriicken  nnr 
kVnnen  wir  tine  Bemerkung  nicht  (wollen .  wir  anders  ehrlich 
and  freimuthig  zn  Werke  gehen),  und  das  ist  die,  dafs  es  in 
BUioclien  Fällen  dem  W>rthe  der  Arbeit,  unseres  Erachtens,  sehr 
trspriefslieh  gewesen  wäre,  hätte  es  dem  hochgeschätzten  Verf. 
beliebt,  auch  jedesmal  die  Notiz  hinznzafiigen,  es  sei  die  eben 
SS  besprechende  Handschrift,  nun  auch  schon  gedruckt  und  wo, 
ond  wie,  nnd  von  wem,  benutzt.  MSge  es  gestattet  sein,  an  der 
Hand  des  Verfs.,  die  streng  wissenschaftlich  aufgestellten  Hand- 
schriften ZQ  durchwandern  nnd  diese,  vielleicht  tadelnswerth 
kleinliche  Bemerkung  zu  beweisen  —  indem  wir  gleich  ein  für 
allemal  erklaren,  dafs  alle  jene  Bedingungen,  die  man  einem  der- 
artigen Verzeichnisse  zu  stellen  pflegt,  Bemerkung  des  Alters, 
ies  Stoifs,  der  äufseren  Beschaffenheit  und  was  dgl.  m.  von  dem 
iachkundigen  Terf.  vollkommen  genügend  und  erschjipfend  er- 
fliit  sind;  dafs  man  aber  an   der  Lahn  nicht  Schätze  aufweisen 

btiD,  wie  am  Arno  oder  an  der  Seine,  versteht  sich  von  selbst. 

I 

.  —  Von  den  Tier  nnd  dreifsig  der  Literargeschichte  gewidmeten 
iNmnmern,  deren  die  meisten  Collectaneeu  und  Excerptensamm- 
I  hingen  enthalten,  scheinen  die  von  M.  L.  Senkenberg,  J.  H.  Mai, 
Abneloven  und  David  Clement  herstammenden,  die  bedeutende- 
lea  zn  sein,  die  Namen,  wenigstens  der  wichtigeren  Männer, 
deren  Autographa  cod.  XIX.  enthält,  es  sind  ihrer  nicht  weniger,  als 
^1,  wären  erwünscht  gewesen,  wie  Wachler  und  neuerdings  Fal-  - 
Üeosteia  gethan,  sei  es  auch  nur,  um  unserer  autographensüchtigen 
Zeit  ein  Zngestandnifs  zn  machen.  Dafii  diese  Sammlung  aus  der 
Seidels^en  Bibliothek,  deren  Reste  man  in  Dresden  und  Berlin 
bewahrt,  sich  herschreibt,  ist  eine  vielleicht  zn  kecke  Vermuthung 
BBsererseits ;  des  Vigilins  Znichem  Autobiographie  (cod.  XXIL)  ist 
interessant,  ein  Seidelsches  Manuscript  der  Berliner  Bibliothek 
(cod.  mspt^.bornss.  foi.  201)  enthält  fol.  2  einen  Brief  von  Zui- 
ebem  an  Hier.  Schnrff.  lieber  einige  arabische  Manuscripte  hat 
Vsllers  sachkundiger  Notizen  gegeben;  das  Bedeutendste  ans  * 
Scbilters  Sammlungen  zur  deutschen  Sprache  (cod.  XLVU.)  ist 
nach  des  Yerfs.  Bemerkung  gedruckt,  Franeiscns  Junius  eigen- 
bSadiges  angelsSehsiscIies  Glossar  aber,  ist  ein  angenehmer  Be- 
sitz. —  In  welchem  Verhiiltnifs  Dudiths  Marginalnoten  zu  den 
Aristotelischen  Büchern  (cod.  LI),  zu  seines  Lehrers  Vicomer- 
catns  Erläuterung  stehen,  wäre  vielleicht  durch  nähere  Mitthei- 
lung  einer  Probe,  zu  Nutz  nnd  Frommen  des  literariscl^n  Thet- 
les  dieser  Studien  zn  bei«  nebten  gewesen,  bekanntlich  war  es 
Dtfditb,  der  den  mit  harten  und  ungewobnliclien  Worten  ange- 
fülten  St^l  seines  Meisters,  zn  bessern  und  zu  feilen  beauftragt 
war.  Von  den  Aristotelicis  cod.  LII  und  folgende  scheint  z.  B. 
der  Commentnrius  in  libros  Vlll  Physicornm,  der  desLambertus 
de  Maate  zn-  sein.  Des  Tractatus  feudorum  von  G.  Pancirolus 
erwähnt  die  beste  Biographie  desselben,  nämlich  die  Btbliotheca 
Modenese  IV.  4  flg.  nicht,  doch  hatte  schon  Boehm  ttber  die 
Giefsener  Handschrift  das  Ndthige  beigebracht,   ^nter  den  meis.t 


sehr  jniigefi  Handsohrifteo  VirgiKseher  und  Horazischer  Bflehery* 
mochten  sich  die  Metamorphosen fragmente  auszeichnen^ .  wenn 
sie  nnr  nicht  allzusehr  Bruchstück  wären,  von  einer  Herolden- 
handschrift ist  eine  Probecollation  hinzugefügt.  Bei  der  Erwäh- 
nung des /Getacodex  (Nr.  LXVII)  war  der  Vollständigkeit  hal- 
ber, vielleicht  auch  Haupts  Recension  der  Osannscben  Arbeit 
(Wiener  JahrbOcfaer  Bd.  79)  zu  nennen.  Die  in  C^dex  LXXVI 
enthaltene  üebersefzung  des  Cicero  de  officiisj  ist  als  nun  vieU 
leicht  älteste  Verdeutschung  und  als  eine  Arbeit  des  Hans  Hart* 
lieb  (1430)  von  Interesse.  Der  Martianus  Capeila,  eine  Hnndschrift 
des  14.  Jahrhunderts,  ist  dem  neuesten  Herausgeber  entgangen. 
Ueberdie  Handschrift,  wf$1che  aniser  anderen  Dingen,  den  Cato  ma- 
jor des  Cicero  enthält,  wird  eine  aufserst  genaue  Mittheilnng  gemacht 
nnd  dem  Buche  de  copia  verborum,  so  wie  auch  dem  anderen^ 
de  quatnor  virtntibus,  nls  lange  irrthumlich  dem  Seneca'  beige- 
legten Arbeiten,  dem  in  Klammem  hinzugefügten  Namen  des 
Verfassters,  Martinas  Braccarensis,  ein  Fragezeichen  beig^e-. 
setzt.  Wir  mdchten  bemerken,  dafs  der  Verfasser  eben  kein 
anderer,^  als  der  gew(»bnlich  ]Hartinns  Dumiensis  genannte 
Erzbischof  ist,  über  welchen  Mansi  Genügendes  beibringt, 
was  sich  freilich  durch  spanische  Notizen  noch  sehr  vetroll- 
ständigen '  läfst ;  in  diesem  Mansi-Fabricius  findet  sich  denn  auel^ 
aber  beide  ^Schriften  Belehrung;  übrigens  befinden  sich  beide, 
wie  behauptet  wbrden  ist,  nicht  im  zwölften  Bande  der  Biblio* 
thek  des  Galland,  sondern  es  sind  das  sieben  andere  Opns- 
cula,  anch  ist  im  Spicilegium  d^Achery  III.  312  wiederum  nicht 
das  ganze  Buch  de  copia  verborum  oder  wie  dasselbe  auch  be- 
titelt wird :  Formnia  vitae  honestae  zu  finden,'  sondern  nur  die 
Epistola  ad  Mironem.  Von  den  altdentschen  Handschriften  ist 
der  Iwain  von  Beneke  und  Lachmann  benutzt,  ein  sehr  bedeu- 
tendes Bruchstück  eines,  wie  es  scheint,  unbekannten  Gedichtes 
aus  dem  Sagenkreise  Carls  des  Grofsen ,  ist  eine  interes- 
sante Gabe,  aber  auch  über  dje  andern  Handschriften,  den  Wil- 
helm von  Orleans  des  Rudolph  von  Ems,  die  Tochter  von  Syon 
von  dem  Bruder  Lamprecht  von  Regensburg  nnd  den  sieben 
weisen  Meistern,,  giebt  der  Verf.  erschöpfende  Belehrung.  In 
der  epistolographischen  Literatdr  unseres  Cataloges,  macht  Cod. 
CX,  die  Briefe  des  Ivq  von  Chartres  Epoche,  Doyen  (bist,  de  la 
Ville  de  Chartres  I.  275)  scheint  eine  ähnliche  Handschrift  be- 
sessen zu  haben.  Der  Bemerkung  (cod.  CXII),  es  bewahre  die 
Königliche  Bibliothek  zu  Berlin  die  Originalcorrespondens  des 
Pighius,  264  Briefe,  aus  den  Jahren  1557—1597  müssen  wir  amt* 
lieh  widersprechen.  Es  scheint  hier' ein  Mifsverstandnifs,  eine 
Verwechslung  mit  den  Relfqniae  iniyQatfioy  mal  rf€QiyQ€t(f'<oy  Ro- 
manarum, quas  aliquando  collegit  Romas  et  alibi  in  Itaila  Pig- 
hius, in  bocce  volumen  compactae  adeoque  ab  interitn  vindica- 
tae  per  Herrmannum  Ewichium  (Mspt.  lat.  fol.  45)  Statt  zn  fin- 
den. Diese  Sammlung  bat  der  Prediger  zu  Wesel,  Heinrich 
Ewich,  im  J.  1680  der  Churfürstl.  Bibliothek  verkauft  (Oelrichs 
S.  109).  Das  Buch  des  Thomas  Cantipratensis  de  Apibns  (cod. 
CLIX.  b,)  ist  mehr  bekannt  unter  dem  Titel:  de  bono  nniver- 
sali  sive  de  apibns  mysticis.  Die  Deventer  Princeps  desselben 
ans  dem  Jt  1479  mochten  wir  zunächst  in  Frage  stellen,  die 
Ausgabe  (Doual  1597.  8.),    nennt  Duthilloenl  als  die  erste  und 


631'  Jdrian^  Caiaiogui  Codicum  MünUM^i^rum  BMüiA0ea$  Aead0mieü4  Gui4»iü. 


633 


beaerkt  ^M,  ^«fii  hier  Mick  dos  Leben  4(8  ThonM  tob  Ge« 
oif  Colvtnkit  «bgedriekt  lei  (BiM.  OonaiMeone  p.  60.  Mr.  146), 
dann  erw&hnt  er  der  ij^äfteren  'Ausgaben  von  1605  and  16^.  Die  Briefe 
des  Aeneas  Sylvias,  (cod.  CLX.  d.)  sind  ebenfalls  oft  gedrackt(Ro- 
setti.  Rar coUn.  I.  Rive.  Cbasse.  55.>  !>&>  gereimle  ItiDerarium  des 
Grafen  PhiL  v.  Katze nellenbogen  nach  dem  heiligen  Grabe,  Jie  Wall* 
Mut  des  voailiehwalbach  nach  demselben  Ziel  (A.1440),  des(0oichen 
die  orientaliscbs  Reise  des  Arnold  v.Harpf  and  dos  Alex.  ▼.  Pappen« 
heim  sind  mehr  oder  weniger  interessante  Stücke.  Unter  den 
HandsekfilleB  t  Hkitoria  nniversalis,  ist  das  WerthvoUe,  wie  der 
Otto  TOS  Freisingea,  des  Adam  von  Ciairmout  fiores  historiaram, 
einige  Handschriften  der  Chronik  von  Kdiiigsbofen,  der  For- 
schsng  bisher  stets  «of^nglieb  gewesen  and  bekannt.  Dofs  nicht 
aar  In  Berlin  and  Gotha,  sondern  auch  in  Giefisen  sich  Bände 
jener  Venetianisehea  Relationen  befinden,  (Ranhe  Tanten  1. 
XIIL)  lehren  die  Handschriften  eod.  CXCVI.  a.  a^  diesen  sehlie« 
fspn  sich  Staatsschriftea  und  Protocolle  ssr Geschichte  desdreiisig- 
jührigea  Krieges  an,  Akten,  Originale  and  Copien.  Einer  Hand* 
Schrift  der  Chronik  des  Eusebius  and  einem  Fascicnlus  tempo- 
ral (vos  Rolevink)  cod.  CCXVIII,  ist  ein  Marcus  Pelns  de 
Venetiis:  de  conditionibns  et  oonsuetodioibus  orientalium  regio« 
nam  and  diesem  weiter  ein  Bach  de  Morihns  ludoram  beigeban- 
den; über  beide  ein  Niiheres,  nnmeotlich  in  Beaiehnng  auf  die 
neaesten  italieaisclien  und  dealsehen  Forschungen  aa  vernehmen, 
wäre  lehrreich  gewesen,  um  so  mehr,  da  wir  ja  nun  bald  den 
neneu  Abdruck  der  sehr  interessanten  alten  deutschen  Bearbei« 
tung  besitzen  werden.  Der  in  derselben  Handschrift  sab  e.  ge« 
nannte  Joannes  Becke,  ist  in  der  That  nur  eine  historia  vete* 
ram  Episcoporam  Ultn^ectinae  sedis  des  Joannes  Becanus,  wel« 
che  Fsrmerius  in  Franeker  1611  n.  12  edirte'.  cod.  CCKIX  a.  iat 
Atttwerpon  1605  ubd  öfter  gedruckt,  der  Ulmer  Ausgabe  des  Ca*i 
orsin  gingen  zwei  römische  voran  (Audiffr.  p.  265  n.  273),  diea 
au  cod.  CCXXXIY,  Nr.  a  la  dem  folgenden  ist  au  HelmstUdt  im 
Jahr  1544.  4.  im  Drock  erschienen.  Für  die  Handschriften  der 
Historia  destractionis  Troie,  waren  vielleicht  des  Veteraaen  Ja« 
cobs  grändUehe  Motizen  (1.  441)  zu  erwähnen,  cod.  CCXLllL 
ist  nach  Hoogitore  %  44,  die  in  Messina  1640.  4.  im  Druck  er« 
schienene  rAatichi^h  di  Scicbili  anlicanente  chiamata  Cssmena, 
aeeonda  Coioaia  Siracosana,  von  welcher  schon  der  Verf.  selbst 
die  lateinische  Bearbeitung  gefertigt  hatte.  Cod.  CCL  ist  in 
Graevios  Thesaur.  antiq.  T.  IX.  ps.  8  p.  2  - 103  (LBst.  1723) 
ahgsdrnckt,  dos  Original  des  Cesare  Brissio,  war  als  Relazione 
deir  antica  citta  di  Cessna  alla  santith  di  demente  VIU  schon 
iA  Jahre  1598  4.  in  Ferrara  bei  Vittorio  Bsldini  erschienen; 
schon  Färse tti  nennt  das  Original  rarissiroo  libro.  cod.  CCLXIX 
.Macqueraa:  Trait^  de  lamoisoo  de  Bourgogne  etc.  ist  dem  Sammler« 
fl^ifse  des  Lelong^  lU.  719  entgangen,  wo  er  nnr  der  Arbeiten  des 
Pallio't,  Harduin,  Conrtivron,  de  Brosses  de  Toarnay,  de  Th6« 
sat  gedenkt,  aber  cod.  CCLXXI  war  mit  der  Lign6e  des  seig- 
aeuTs  d'Amhoise,  (Le  Long  Hl.  735  Nr.  40907  a.  35667.  68.)  in 
Verbindung  zu  setzen,  wo  auch  die  Uistoire  d'Asihoise  desselben 
Verfassers,  Hervy  de'  la  Queue,  deren  schon  Duchesne  B«  d« 
bist.  d.  fr.   p.  199  gedenkt,  genannt  ist;    ein  Aehaliches  gut 


von  Nr.  CCLXXll  unseres  Catalogos,  Lelong  erwühst  8.  754 
Nr.  41493  drei  Handschriften  in  den  Bibliotheken  Rotbelia,  de 
Campti  (B^ringhen)  u.  de  Conmartin  (Bischof  v.  Blois  1733),  tob 

« welchem  die  Giefsener  die  Abschrift  sein  möchte.  —  Ein  groüier 
Reichtbam  voa  Staatsschriften,  Reichstagsvcrhandlaageih  Spe- 
cialchroniken, z.  B.  von  Steierinark,  Kürnthen^  Tyrol  (io  wel- 
chem Verbaltnifs  die  Aktensiacke  cod.  CCCLXXV  za  SchKzen 
Arbeit  stehen  mllgeu,  ist  nicht  bemerkt),  Prenfsen  (fit. 
CCCiuXXXlV  ist  wehl  eine  Edition  imprimd  au  Donjon !) §  ^'ir- 
temberg,  namentlich  Hessen,  Nassau,  Brauuschweig,  Sachsen, 
Stadtchroniken  von  Augaburg,  Nürnberg,  Braunschweig,  Bre^an, 
Krfurt,  Magdeburg,  Maiuz,  Passau,  Salzburg,  Ijlm,  W&rzharg  fin- 
den sich  in  dem  der  deutschen  Gesshichle  gewidoieleB  Ai^ 
schnitte  gesammelt  und  mit  den  nuthigeu  literarischen  Notizen 
begleitet;  auch  fehlt  es  nicht  an  Geneuiogicis  fQr  die  von  Ep- 
peosteiu,  Pütting,  Wynneburg  und  Bilsteio,  Riedeael  and  Saea- 
beim.'  Wie  die  Bibliothek  zu  Glefsen  drei,  besitzt  die  Biaßo- 
thek  zu  Berlin  zwei  vollständige  Handschriften  von  des  JoiClKo- 
dinas:  Colloquium  Ueptaplomeres  de  abditis  renua  aaUiaiiBm 
arcanisw  Des  Bened.  Lomelltnus  Arbeit  Über  die  Secretarii  Apes* 
tolici  (cod.  DCXXXIV)  scheint  Buonamici  nicht  geknnat  xa  ha- 
ben, weDigatens  gedenkt  ihrer  die  römische  Ausgabe  (1753)  nicht, 
ob  die  zweite  (von  177Ü)  können  wir  nicht  sagen,  jedeafalls  m 

'  eine  detaillirte  Notiz  über  die  gewiis  interessante  Handaclirift 
zu  wünschen.  Das  S.  203  (cod.  DCLXIX)  mitsetbeilte  EpL 
gramm  des  Joaunes  Lascaris  Ist  durch  Druckfehler  entstellt, 
m  dem  ebendaselbst  genannten  Christ ophorus  mdrhtea  wir 
Tielleicht  den  Christopiiorus  Rufus  vermuthen,  deaaea  Bcüsf 
an  Cosimo  Medici  bei  Bandini  Cod.  Gr.  Laur.  II.  674  abgedruckt 
ist.  Die  Sernio  de  passione  Domini  (cod.  DCLXX)  ist  alier- 
diugs  nicht  der  Dialocus  bei  Gerber^n.  S.  488.  Der  Jubanacs 
dehese  Q  cod.  DCCXVUl;  ist  wohl  der  Johannes  Hefa,  doMca 
Itinerarium  ins  vierzehnte  Jahrhundert  gehört,  wollte  mau  jdeich 

-  früher  der,  äbrigens  an  sich  nicht  bedeutenden  Schrift  ein  hShe- 
res  Alter  vindioiren  (s.  Fabr.  Munsi  Hl.  83  Pea.  Anee^  L  l>isa. 
Isag.  87).  Das  Fragezeichen  bei  LemoTleensis  (cod  HCCLJCVL 
b.)  möchte  zu  streichen  sein,  da  hier  wohl  nur,  wie  der  Vert 
sehr  richtig  bemerkt,  das  bekannte  Buch  vorliegt  Schwerück 
ist  Friedrich  Sommer  der  Verf.,  wohl   aar  der  &hreiber  dii 


Giefsener  Handschrift:  „der  Selilentrost%  denn  nach  den  S.  391 
mitgetheilten  Aufaug-  nod  Schluts werten  ist  cod.  DCCCL  Lanm 
et\%a8  anderes,  als  das  bekannte,  zuent  von  So^  in  seiner  sorg* 
fälti(;en  Weise  gedruckte  Buch  (Panz  I.  139  u.  anderswo),  fis 
ist  iibrigens  dieser,  der  Scholastik  und  den  aeueren  Throtagjffis 
gewidmete  Abschnitt  des  Cataloges,  mit  eanz  vorzüglicher  S^Kg* 
samkeit  gearbeitet,  was  denn  um  so  dankenswerther  ist,  dadSe 
Schulze  des  Mitstifters  der  Tübinger  Universität,  dea  letxSca 
deutschen  Scholastikers,  des  Gabriel  Biel,  eben  in  diesen  Haad- 
schriften  aufbewahrt  werden.  Nicht  minder  bedeutend  dess  In- 
halt nach  und  in  Betreff  der  diesem  angewendeten  sehr  genaaca 
Bearbeitung  ist  der  andere  Haupttbeil  des  Catalogs,  die  Uaad* 
Schriften  rechtswissenschaftlichen  Inhalts,  denn  sowohl  die 
Recbtsquellen,  numentliGb  Cod.  CMXLIV  und  XLV,  die  fraazi- 
sische  Bearbeitung  des  Codex  (Saec.  XIII)  für  rdmischea  Recht, 
al«  auch  vor  allen  die  höchst  werthvollen  Uandsclmften  für  ger- 
manisches Recht,  welche  neuerdings  durch  Uomejer  bfkaasi 
worden  sind,  als  auch  die  vielFaliigen  Particular-  und  Stadtrech- 
te  des  16.  uud  17.  Jahrhunderts  sind  BesitzthSmer  erstea  Raa- 
ses,  über  welche  jedoch  dem  unkundigen  Referenten  keia  L'^ 
theil  zusteht.  Acht  Tafeln  sehr  gelungener  Facsimile  paU<«ra» 
phischen  Inhalts,  Schriftproben,  stets  bemerkte  Naaiea  der 
Schreiber  der  Manuscrinte,  so  cod.  LXXVIIL  DCLXX  1,  DCCIX, 
DCCXLIl,  XLIX,  DCCCXllI,  DCCCCXL  sind  Bewdae,  d£ 
auch  diesen  Aeufserlichkeiten  die  nöthige  Beachtung  gewidoMt 
worden  ist  Wir  sind,  mit  einem  Worte,  durch  die  voriiereade 
Arbeit  wiederum  in  der  Kenntniis  dessen,  was  naser  Vateriaad 
an  Handschriften  jeder  Art  der  Missenschaftlichen  Aasbeute  lie- 
fert, um  ein  BetrSchtliches  gefordert  uud  können  im  Kornea 
Vieler  ^em  wiirdigen  Verfosser  nur  von  ganzem  Hencen  daakes, 
dafs  er  diesem  Geschäft  seine  Mofse  gewidmet  hat. 

Goulieb  Friedlacnder. 


wissen 


^80. 

Jahrbücher 

■ 

für 

Schaft  liehe 


Kritik 


April  1840. 


Notice  9ur  Rabbi  Saadia  Qaon  et  sa  ver$ion 
arabe  d'Isaie  et  eur  une  t>er»ion  persane  ma- 
nuicrite  de  la  bibliotheque  rayale;  iuieie  d^un 
extrait  du  livre  Dalalat  AI-  Bayirin  eh  arabe 
et  enfranfois  etc.  par  Salamon  Munh.  Pa^ 
rüy  1838.    8.     112  8. 

Der  Yerf.  y^ein  JtQnger  De  Sacys  und  einer  der 
gelehrtesten  Milredakteure  des  Journal  Asiatifue,  hat 
in  dieser  dem  äufseren  Umfange  nach  so  kleinen  Ab- 
handlung, obglj^ich  mit  französischer  Zunge  redend,,  den 
deutschen  Charakter  gri&ndlicher  Wisseujichaftlichkeit 
erfreulich  bewährt.  Er  legt  in  derselben  die  Ausbeute 
seiner  Forsdiung^n  dar,  die  er  in  den  reichen  Samm- 
lungen von  Handschriften  zu  Paris  und  Oxford  ange* 
stellt  hat,  und  verbreitet  namentlich  yielfaeh  ein  neues 
Licht  über  die  längst  bekannte  arabische  .Version  des 
Jesaias  iron  Saadia,  während  er  mit  gleicher  Sach- 
Iceontnifs  sich  über  die  noch  gar  nicht  gekannten  per- 
sischen Yersionen  Terbreitet.  Dafs  bei  einer  solchen 
Gelegenheit  auch  über  manchen  anderen  Punkt  der 
Philosophie,  Theologie  und  Bibelauslegung  des  Miitel- 
aTters  Aufschlufs  geboten  wird,  läfst  sich  von  dem  Um- 
fange der  Ki^nntnuse  des  Hm.  M.  wohl  erwarten. 

Saadia  (starb  942),  vielleicht  das  gröfste  wissen- 
sehaftliche  tSenie  untei'  den  Rabbinen,  gehört  eu  den 
wen1g<^  jüdischen  Gelehrten,  welche  auch  von  arabi- 
schen Sehrifutellem  gepriesen  Werden  *).  Er  hat  in 
seinem  kurzen  Lebenslaufe  (er  ist  nur  50  Jahre  alt  ge» 
worden)^  in  ^pvelchem  ihm  noch  ein  Theil  seiner  Zeit 
durch  ehrenvollen  Kampf  gegen  Unterdrückung  geraubt 
wurde,  philosophische,  theologische,  grammatische,  exe- 
getische>  poetische   und  tbalmudische  Werke  geschrie- 

*}  Vergl.  De  Sacy  Chrestom.  arabe  Tom.  I.  p.  351,  356  u.  357 

der  !2teD  Aafl. 
Jahrb.  f.  wiiuiuek.  Kritik.   J.  1840.   I.  Bd. 


ben,  von  denen  jedes  einzelne  hbgereicbt  haben  würde, 
ihn  ruhmvoll  auf  die  Nächwelt  zu  bringen.  Leider  ha- 
ben wir  nur  einen  Theil  dieser  Werke  überkammem 
darunter  aber  zum  Glücke  die  Versionen  der  wichtig-, 
sten.  Bücher  des  A.  T.  Diese  hatten  schon  im  frühen 
Mittelalter  bei  allen  Religionsparteien  Eingang  gefun- 
den (was  eben  zu  ihrer  Erhaltung  beitrug)  und  wer- 
den noch  jetzt  wegen  ihres  hohen  Alters,  besondere 
aber  wegen  ihrer  Genauigkeit  und  gesunden  Kritik  mit 
Recht  hochgeschätzt.  Die  vorhandenen  sind  1)  Ueber- 
setzung  des  Pentatenehs,  mit  hebräischen  Charakteren, 
in  der  jetzt  sehr  selten  gewordenen  Pentateuch»  Poly- 
glotte zu  Konstantinopel  1546  abgedruckt.  Dieselbe 
ist  in  arabischen  Charakteren,  aber  auch  mit  manchen 
wesentlichen  Veränderungen  in  die  Pariser  und  Lon- 
doner Polyglotten  übergegangen.  2)  Uebers.  des  Je- 
saias, 1790  vom  Prof.  Dr.  Paulus  nach  dem  einzig  vor- 
handenen Manuscripf  ^er  Bodlejanischen  Bibliothek 
herausgegeben.  Die  Handschrift  ist  seitdem  nicht  wie^ 
der  zu  finden  *).  3)  Uebers.  des  Buches,  Hieb,  von 
ihrem  Verf.  h^W^N  3NTO,  d.  h.  Theodicee  ge- 
nannt.  Sie  befindet  sich  zu  Oxford  (cod.  Huntington. 
511.)  und  in  einer  Abschrift  von  ihr  im  Besitze  Gase-, 
nius'.  4)  Uebers.  der  Psalmen,  ebenfalls  zu  Oxford, 
deren  Verf.  zwar  nicht  angegeben  ist,  die  aber  Pococke 
dem  Saadia  zuschreibt,  und  was  Hr.  M.  Bestätigt.  S. 
Pusey:  Catal.  p.  559  sqq. 

Nachdem  Hr.  M.  einiges  über  die  Lebensumstände 
des  Saadia  beigebracht,  stellt  er  selbständige  Betrach- 
tungen  über  dessen  handschriftliche  Werke  im  Gebiete 
der  Philosophie  an,  wo  er  unter  anderekn  nachVveist, 
dafs  der  zu  Mantua  1562  unter  S*s.  Namen  gedruckte 
Kommentar  zum  Buche  «/^siira' untergeschoben  ist,  da- 

*)  lieber  diesen  noch  nicht  aofgekl&rten  Fall  sagt  der  Kata- 
log von  MicoU  and  Pasey  nur  folgende  trockene  Worte:  eo 
tarnen  magis  dolendum  est  Ms.  Saadiae,  quem  edidit  idea 
(Paaliis),  haud  ampUos  in  Bibliotb.  nostra  extare  (p.  448.) 

80 


63S  JUwtJb,  n0t$e4  Mir  JtmUi  Smmiim  Oom, 

gegen  der  fichfe  in  der  erabbchen  Originakpraehe  ia     j^j^  andern  wieder  ist  S 


der  Bedlejana  aafbewahrt  wird.  -Er  wendet  si^i  ao* 
dann  xa  der  Uebers.  des  Jesaias,  deren  Werth  er  dureb 
tiefe  Spraebkunde,  Gescbmaek  und  Unparteilichkeit  im 
Urtbeil  naeh  vielen  Seiten  beleucblet.  Dieser  Abschnitt 
seiner  Abhandlung  durfte  für  den  biblischen  Orientali- 
aten  das  gröfste  Interesse  haben,  und  wir  nehmen  ihn 
daher  auch  zum  Hauptgegenstand  unserer  Bourtheihmg. 
Wir  lassen  den  Yf.  einen  AugehbBck  selbst  sprechen : 

„Hr.  Paulus,  der  berühmte  Prof.  su  Heidelberg, 
Iwt  vor  beinabe  einem  halben  Jahrhunderte  die  arabi- 
sche Version  d<^s  Jesaias  nach  dem  einzigen  Manu^ 
aeript  der  fiodlejanischen  Bibliothek  bekannt  gemacht, 

aber  dabei  unzählige  Fehler  begangen 

Tide   Orientallsten haben   daran    gebessert, 

und  zuletzt  haben  Rosenmuller  und  Gesenius  in  ihren 
Kommentaren  zum  Jesaias  eine  Anzahl  dieser  Irrthii- 
mer  gut  zu  machen  gesucht.  Aber  selbst  ihre  Otatio- 
Ben  sind  nicht  immer  so  korrekt^  wie  man  es  wünschen 
dQrfte;  oft  haben  sie  sich  unndthige  Korrektionen  er- 
lanbt  nnd  manchmal  die  Fehler  vermehrt,  anstatt  sie 
zu  Termindem.  Um  zu  zeigen,  wie  viel  noch  für  die 
Herstellung  der  ursprünglichen  Reinheit  des  Saadiani- 
sehen  Texte»  zu  thun  ist,  begnüge  ich  mich,  einige  fal- 
sche Lesarten  aus  dem  Kommentare  liosenmitllers  und 
dem' des  Gesenius  hier  anzuführen." 

Wie  wir  aus  guter  Quelle  wissen,  ist  eiiie  zweite 
Auflage  des  Kommentars  zum  Jesaias  unter  den  Hän- 
den Gesenius*  zum  Drucke  gereift,  und  man  darf  ver- 
mntben,  dafs  die  vorliegenden  Yerbesseningen  nicht 
ohne  Einflttfs  darauf  bleiben  werden.  Jedenfalls  müs- 
sen sie  zu  erneuter  sorgfältiger  Prüfung  des  arabischen 
Textes  auffordern.  Jedoch  wellen  wir,  zur  Entschul- 
'digung  des  Hm.  Paulus,  bevor  wir  von  Hrn.  Munk's 
Yerbesserungen  reden,  einige  Worte  über  das  Lesen 
dieser  Art  von  Handschriften  sagen. 

Die  von  jüdischen  Gelehrten  in  arabischer  Spra- 
che geschriebenen  Werke  bieten  weit  grofsere  Schwie- 
ligkeiten dar,  als  die  Codices  in  den  klassischen  oder 
anderen  Sprachen.  Denn  1)  sind  sie  meist  mit  he- 
bräischen Charakteren  geschrieben,  ivobei  die  Will- 
kübr  der  Yerfasser  und  Abschreiber  kein  festes  System 
in  der  Darstellung  der  arabischen  Buchstaben,  durch 
entsprechende  hebräische  aufkommen  liefs.  ^  z.  B. 
Tcrtritt  bei  diesem  ein  A  das  »   ein   A  oder  \  das  c^ 


und  2  oder  \ 


Die  Anwendung  der  hebräischen  Schriftzeichen  auf  die 
arabische  Sprache  war  bei  den  Juden   nicht  Mos  ge- 
wöhnlich, sondern  bei  vielen  der  Gebrauch  der  anU' 
sehen  Schrift  den  Absdbrelbem  untersagt.  Ja  ein  fkA 
über  die  Uebertreter  ausgesprochen.    Dies   tliat  sogar 
Maimonides,  wenn  wir  dem  berühmten  Abdallatif  gbn« 
ben  sollen,   (S.  RelaUoB  de  TJ^gypte  par  Abd-AUsOi; 
ed.   De  Sacy  p.  466).     2)  Rühren  spätere  Handschrif* 
ten  meist  von  Abschreibern  her,  die  wohl  hebrfiiMii, 
aber  nicht    arabisch  verstanden   haben,   und  die  ikk 
folglich  oft  von  der  Aehnlichkeit  der  Budistaben  ik^ 
sehen  liefsen.    3)  Fehlen  die  diakritischen  Zeichen  ftttt 
überall,    wo  sie  nicht  durehaus  nothwendig  sind^  an 
etwa  einem  groben. Mifsverständnisse  vorzubeugen.   4) 
Herrscht  bei  den  häufig  vorkommenden  Abkürzungeo 
dieselbe  Willkür,   wie   bei  der  Yertrctung  der  arabi- 
sehen  Buchstaben.    5)  Endlieh  haben  die  Sehriftsteller  • 
den    Zusammenhang   der   Rede   oft  durch  hebrSisebi 
Worte  oder  Sätze  unterbrochen,  was  sie  sich  wohl  e^ 
lauben  konnten,  da  sie  nur  ein  jüdischef  Publikom  ta 
Auge  hatten,  was  aber  jetzt  manchen  der  Sprache  w»  ^ 
gar  kundigeren  Leser,  ab  Hrn.  Dr«  Paulus  bedenkM ' 
und  irre  machen  kann.     Zum  Beweise  des  Gesaglia . 
wollen  wir  nur  ein  Paar  Beispiele  aus  den  Schrifioi 
zweier  Meister  auf  diesem  Gebtete  auswählen. 

ScAnf4rren  fuhrt  in  seinen  Dissertationes  pbiMo- 
gico-criticae  8.  461  folgende  Werte  des  Taaekm 
Jeruschalmi  zur  Erklärung  des  anaS  'Ur^^vfow  nn3N, 
Ezech.  XXI,  20.  an: 

bDpbi^i  na^SN  Nim  ann  nnao  hno  pDi« 

Nachdem  er  in  der  Anmerkung  zu  dem  Worte  flüDM 
gesagt:  sie  eerte  habet  codex,  sed  minus  reote;  obe^' 
setzt  er  Tanehums  Worte  abo:  alii  volunt,  K  pesiM 
esse  pro  t9^  adeoque  T\TO!A  pro  mDSN  .  •  .  ut  dl 
ain  T^natO  L  e.  mactatio  et  eaedes.  Man  b^greük 
kaum,  wie  dieser  wackere  Gelehrte  mit  einer  ErJdi* 
rung  sich  begnügen  konnte,  der  durehaus  kern  Simi 
abzugewinnen  ist?  In  dem  Worte  nPlDN  soll  K  MX 
ID  stehen  und  nn2)<  also  für  HlCaNIL  Hier  fcaki< 
wir  einen  soblagenden  Beleg  für  den  von  uns  oM' 
Nr.  5.  angegebenen  Fall.  Das  Wort  TlSsap  oinlidii 
ist  hebräisch,  oder  vielmehr  rabbinisch :  KaiSala;  ittä 


neSM  Int  IHM  ns  BN  SU  leMii,  und  die  EikUning 
bt  gans  •inrach  folgende :  ^^Andere  sageny  N  Heheßlr 

0  fM^i  <£em  kakhalütüehen  Buc/uUAen^yUemy  das 
n3  IQK  AeifMt''  Von  aolchen  erkansteken  Buchata* 
benrefeebiebnilgen  haben  bekanntlich  die  Kabbaliaten 
Biehrere  Systeme;  üW  das  hier  erwähnte  DD  DN 
vergL  in  der  Kurse  Buxdorf  Lex.  Chald.  Thaln.  et 
Rabb.  p.  64.  Das  Wort  n^NSp  wird  übrigens  ron 
Tancbüm  sehr  häufig  gebraucht.    ' 

hm  demselben  Tanchum  fuhrt  Geienijus^  Thes.  I. 
p.  126,  a^  EUf  Erklärung  des  Wortes  yjA^  Arnes  VII, 
7.,  foigMidee  an : 

n*»<  n'nxp^H  sin  ^a«  "»t^s  •^jvot  ^jm  ^anyS« 

Diid  diese  Worte  Obers*  Gesenias  ^^JffjS  (tale  Toca- 
bidom,  ni  fallor,  sibi  Toluit  Tanchum)  regula,  mensura, 

1  e.  arab.  ^^Of  et  in  verbis  ^2H  ^1^3  est  perpendicu- 

lom  filo  appensum "    Allein  schon  die  Lesart  ist 

pswungen^  nnd  die  dem  Worte  gegebene  Bedeutung 

5     c^ 
lafgedrungeii.  Man  lese  yielmehr:  T*I^P  Le.fg^^^tcJ 

9  »aaaixtQ-og,  plumbüm,  stannum,  und:  die  Meinung 
les  Tanchum  ist  klar.     Eben  so  in  der  dort  anirefuhr- 

WO  fai  der  Hdschr»  l^llp^N  stehn  $oli ,  was  aber 
dobU  andere«,  als  nnTpS«  =jJkj^\  l«t,  welche 
btztere  Form  auch  im  Kamus  statt  i^KAika5  vorkommt» 

Biese  Bebpiele  sollen  nur  zum  Beweise  des  Ge- 
»gten  dienen;  denn  wir  wissen  selbst,  wie  leicht  es 
inderer  Seits  ist,  auf  dem  Felde,  das  von  diesen  Man- 
lern  geebnet  und  bebaut  ist,  noeh  eine  kleine  Nachlese 
ni  halten.  Hebim  wir  nunmehr  einige  von  den  Munk- 
leben  Emendationen   heraus : 

Kap.  1, 8.  sind  die  Worte  miM    y^v:)  von  Pau- 

,  ^  *  ^  y 

tts  durch  tßcikass=vo  S^^^JfcSsD  jf  wiedergegeben.   Ro- 

isnmiiUer  erkllirt  dies:  aut  mstar  urbn  peeuliaris,  s. 
^eeullaris  factae,  i.    e*  quae  singula  remansit,  super- 

»t «  .  M.  liest  'iiaiosBX^  belästigt.  Ref.  wQrde  aber 
i^^^^^  vorschlaffen  i.  e.  undioue  cireumdafa.    ^a   iIia 


BmMd  Smadim  G^m.  «3» 

fiuefastaben  3  und  SI  in  Spanbchen  Codd.  fast  gleiofr 
sind.  Benn  die  Munksche  Lesart  wird  wenig  di|rch. 
den  Parallelismus  unterstütat. 

Kap.  XI,  8.  liest  Gesenius  die  Saad.  Debersetsunf; 

des  Wortes  y^jr«5)  ^^^^J  er  führt  sie    bei  der 

MM  I  ^^^ 

aand.  M.  verbessert  richtig  l^XXJj  Conj.  V.  des  verK 
^^  spielen. 

Eine  Schwierigkeit;  die  noch  einer  Kesseren  Lo. 
sung  bedarf,  als  die  von:  Hrn.  M.  und  seinen  Yorgän- 
gern  versuchte,  bietet  K.  XVHI,  4.  dar.    Die  Worte 

10  3^3  sind  in  der  Version  fr^  fttfi  und  voll 
Paulus  fibersetzt  resfdendendo.  Boch  er  hat  sehen  in 
den  angehängten  Emendationen,  was  Hm.  M.  entgan* 

gen,  die  obige  Lesart  in  \06\  zu   verbessern   gesucht) 

-und  wird  hierin  von  Rosenm.  u.  Gesen.  nur  unterstützt 

Hr.  M..  behauptet  nun>   dieses  Letztere   gebe  '  keinen 

Sinn,  und  fährt  dann  fort:  ,je  ne  deute  pas  que  Saadia 

n'ait  nus  iei  un  met  derivä  de  la  racine  ni  qui  s'eni* 
plwe,  en  general,  de  tout  ^coulement  copieuz  .^.  .    Ja- 

IM 

proposerai  de  lire  "IN^^I  desÜUans  ou  n^N■)^  destiiläl 
tio.*»  Beide  Lesarten  haben  aber  ihre  Schwierigkeit 
tU3f  ist  gewaluam  für  das  angebliche  N^NJT  disa  Tex« 
tes,  selbst  wenn  man  zu|;iebt,  dafs  solche  Transpositio. 
nen  gewöhnlich  sind.  Dagegen  empfiehlt  sich  diese 
Lesart  wieder  sehr  dadurch,  dafs  S.  überall  ho  durch 
fOjf  übersetzt,  was  gegen  Hm.  M^s.  Conjekt.  spricht,  die 
sich  ihrer  SeiU  graphisch  näher  an  den  Text  anschliefst. 
Wir  übergehen  viele  andere  Emendationen,  die  vom 
Vf.  mit  entschiedenem  Glücke  versucht  worden  sind,  s» 
B.  XXI,  13.  XXII,  5.  XXIII,  13.,  und  wieder  andere^ 
die  aulser  allem  Zweifel  richtig  sind,  z.  B.  XL VII,  % 
und  LXV,  4. 

Von  S.  36-62  stellt  Hr.  M.  Untersuchungen  über 
die  Aechtheit  der  Saadianischen  Uebersetzung  an,  und 
beweist  sie  durch  Vergleichung  des  darin  herrschenden 
Geistes  und  der  Sprache  mit  andern  Schriften  S's.  und 
den  Citaten  bei  Abenesra  und  Kimchi!  Die  Charakte- 
ristik fanden  wir   hier  grunfilich  und  treffend. 

Als  einen  sehr  wichtigen  Beitrag  znr  Geschichte 
der  biblischen  Exegese  müssen  wir  den  3ten  Abschnitt 
„Version  persane".  bezeichnea    Bei  den  hier  gegebenen   . 
Untersuchungen  über  die  persischen  Bibel- Versionen, 


Mmük^  neHes  sur  RaMi  S^adia  OmBH. 


639 

dl«  hanckehrirtlich  in  derKSnigl.  Bibliolh.  eu  Paris  lie- 
fen, war  Hr.  M.  ohne  Unterstützung  eine«  Yorgänger». 
Die  Exegeten  und  Kritiker  der  Bibel  sprechen  nur  von 
der  persuchen  üebers.  des  Pentaleuchs,  die  1546.  in  der 
merkwürdigen  Konstantin.  Polyglotte  abgedruckt  wor- 
den  ist;  von  denf  Pariser  Handsehc.  spricht  noch  Niemand. 
Von  der  der  genannten  Konstant.  PolygloUe,  welche  einen 
Jakob  Taos,  oder  Tavos' zum  Vf.  hat,  behauptet  Rosen- 
muller  in  einer  eigenen  Dissertation,  sie  sei  sehr  alt,  je- 
doch nicht  vor  7«2  geschrieben,  weil  Bagdad  darin  vor- 
kommt, welches  in  diesem  Jahre  erst  erbaut  wuMe.  Ilr. 
M.  dagegen  beweist,  dafs  ieder,  der  hur  irgend  mit  dem 
Bildungsgange  der  persischen  Sprache  bekannt  ist,  zu- 
geben miisse,  dafs  diese  Version  nicht  höher,  als  ins  16te 
Jahrh.  gesetzt  werden  dürfe.  Er  vcrmuthet,  Jakob  Ta- 
yos  habe  sie  eigens  für  diese  Polyglotte  angefertigt. 

Die  Versionen  der  Pariser  BibL,  sagt  der  Verf., 
gleichen  der  von  Jakob  Tavos  in  ihrer  strengen  An- 
hänglichkeit an  das  Wort  und  an  die  Tradition,  bie 
sind  niclit  vordem  13ten  Jahrhundert  entstanden ;  denn 
sie  folgen  wortlich  den  Erklärungen  des  David  l^imciiL 
Jünger  als  aus  dem  14ten  Jahrh.  können  sie  aber  auch 
nicht  sein.  Der  Verf.  stellt  zur  Probe  Stücke  der  ver- 
schiedenen  üebersetzungen  einander  gegenüber  und  cha- 
rakterisirt  sie  in  derselben  grundlichen  Weise,  wie  beim 
Saadias.  Das  5le  Kap.  des  Jesaias  der  Pariser  Version 
theilt  »  ganz  mit  und  begleitet  es  mit  aahlreichen  An- 
merkungen. Auch  von  persischen  üebersetzungen  apo. 
kryphücher  Bücher  auf  der  Pariser  Bibl.  wird  gespro- 
cheii,  und  zuletxt  noch  vor  einem  dort  befindlichen  apo^ 
kryphlschen  Buche  Daniel  berichtet,  welches  wahrend 
der  Kreuzzüge  entstanden  sein  mufs ,  da  der  Prophet 
darin  von  europäischen  Konigen  spricht,  welche  die  Mi- 
nareU  und  Moscheen  niederreifsen,  und  die  mohameda- 
niscben  Fürsten  erschlagen  werden. 

Von  S.  88  bis  zum  Schlüsse  theilt  der  Vf.  das  29ste 
Kap.  des  2ten  Theils  des  More  Nebuc/nm  von  Mai- 
monides  in  der  Originalsprache  (Arabisch)  mit,  und  be- 
gleitet es  mit  einer  treuen  französischen  üebersetzung. 
Dieses  berühmte  phüosophische  Werk  ist  bekanntlich 
noch  beim  Leben  des  Vfs.  zweimal  aus  dem  Arabischen 
indas  Hebr.  überseUt  worden,  und  zwar  von  zwei  sehr 
berühmten  jüdischen  Gelehrten,  von  dem  hebräischen 
Hariri,  Jehuda  Alcharisi  zuerst,  und  dann  von  fc>arauei 
Jbn  Tibbon.  Letzterer  legte  dem  Vf.  selbst  im  J.  119S, 
Proben  seiner  üebersetzung  vor  und  fand  im  Ganzen 
Billigung  und  im  Einzelnen  Berichtigung.  Seine  Arbeit, 
die  gegen  1205  vollendet  sein  mochte,  erhielt  eben  we. 
gen  dieses  empfehlenden  Beifalls  von  Maimonides  grö- 
fseren  Eingang  bei  der  gelehrten  Welt ,  als  die  voti 
Alcharisi,  die  gatiz  verscliwunden  ist.  Dennoch  mudsi 
man  die  TibbonUdhe  Uebers.  eine  nicht  gaifz  gelungene 
nennen,  wenn  man  nicht  sklavische,  bis  zur  widerlichen 
Abgeschmacktheit   getriebene  Worttreue  für    die    erste 


M 


Tugend  des  Ueberaeteers  hält  Maneke  Mibversfisl. 
nisse  des  Tibbön  hat  der  gewandte  SvAem  To6  ta 
JosepA  Palkira^  der  auch  im.  13ten  Jahrb.  lebie,  is 
seinem  Buche  n^lOn  m^O  berichtigt.  Hr.  M.  hM 
dieses  Buch  handschriftlich  vor  sich  gehabt,  weifs  akr 
noeh  nicht,  dab  es  schon  ein  Jahr  vor  Erscheinung  sei. 
nes  Werkes  in  Preisburg,  1837,  durch  den  Druck  w 
oiSentlicht  wurde. 

Ueber  die  LebensTerhättnisse  des  Saadia  bendM 
der  Verf.  in  der  gedrängtesten  Knnte.  Denwoch  enilik 
er  S.  6  ein  Faktum ,  welches  die  äusföbrlichsten  6«. 
schichuchreiber  dieses  Faches,  z.  B.  der  Verf.  de«  J*. 
vhatin^  des  Schatscheleth  Hakababa  und  des  ÄfAr 
Badoroth^  Basnage^  H^olf^  de  Jtosn  und  J^4t  sid« 
wissen,  und  bis  auf  letsteren  eigentlich  nicht  wiiseB 
konnten,  da  es  erst  De  Sacy  in  einem  handschriftlich« 
Werke  des  berühmten  Arabers  JUasudh  Zeitgeno»« 
des  Saadia ,  entdeckte  und  in  seiner  Chrestomathie  ut. 
theiltc.  Es  gehört  mit  in  den  Streit,  welchen  Saaiiia 
mit  dem  Patriarchen  David  ben  Saccai  hatte,  We 
erfahren  hier,  dafs  S.  Schritte  beim  Chalifen  Almukta- 
dir-  Billah  gethan,  um  den  Patriarchen  seiner  Wßf* 
zu  entsetzen  und  dafür  dessen  Bruder  Uauan  tm 
Suecai  zum  Nasi  zu  erbeben.  Der  Chalif  setzie  m 
Kominission  nieder,  die  aus  Kadhis  und  Vesiren  te 
sund,  und  in  der  der  Grofsvesir  AU  ben  Jsa  den  Voiw 
sitz  führte,  die  Sache  zu  untersuchen.  Alan  entseliisi 
gegen  S.  und  er  war  gezwungen  zu  fliehen. 

Ref.  hält  es  bei  Erwähnung  dieses  Streite«  fiM 
für  unnütz,  eine  Berichtigung  vorzuschlagen,  betrcSW 
den  Namen  des  Mannes,  welcher  die  Aussöhnung  «wt 
sehen  S.  und  David  ben  Saccai  herbeiführte,  da  oft, 
besonders  in  der  arabischen  und  jüdischen  Litcraiorai 
die  Richtigkeit  eines  Eigennamens  ganze  Reihen  wi 
Thatsachen  sich  knüpfen.  Dieser  Alann  heilist  bd  w 
len  jüdischen  Geschiclitschreibem  HWS  (Kaf,  Sin  o*r 
Shiu,  Dalet).    Nach  ihnen  nennt  ihn  Jost  Kaiiai\  da- 

fegen  schreibt  Zunz:  KaseAer.  Bei  Jost  siad  A 
luchstaben  falsch;  bei  Zunz  ist  nur  der  ^erste  falia 
gelesen.  Die  richtige  Lesart  ist  wohl  "^^3  (B.  Sek 
R.)  und  mufs  es  Bascher  oder  Bischer  ausgesprochci 
werden.  Diese  bietet  schon  die,  freilich  seltene,  i^ 
uns  in  einem  Exemplar  der  Berl.  Künigl.  Bibl.  vorfr 
gende,  Editio  princeps  des  Jochasin;  Dafür  spricht  vm 
die  arab.  Analogie,  und  sie  haken  wir  deshalb  (ur  <w 
richtige,  weil  wir  es  offenbar  hier  mit  einem  arabisdwj 
Namen  zu  thun  haben  (wie  ja  so  viele  Juden  in  Iw 
bei  dieser  Gelegenheit  mit  ihrem  arabischen  Namen  da- 
^geführt  werden),  als  welcher  aber    J^,  jehr  gdäw? 

ist,    während  wir  uns  des  Namens^  -^^ 
innern. 


nicht  er- 


L^brecbt 


J  a  h  r  b  tt  c  h  e  r 

für 

1^  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik 


Mai   1840. 


U.    ^ 

iekrbueh  der  etangelischen  DögmaHk  ton  D. 
Karl  Basej  H.  S.  A.  Kirchenrathe  und  orä. 
Prof.  d.  TheoL  an  der  Umvers.  Jena*  Zweite^ 
umgearbeitete  Auflage.  Leipzigs  1838.  bei 
Breitkopf  und  Härtet.    XIV.  649  S. 

Hase  in  Jena  kt  eine  eboi  so  wohl  bedeutende  aU 
.  iisteressaiite  Erscheinung  in  der  gegenwärtigen  tbeolo« 
.  gisefaisn  Weh.     Die  Innerliehiceit  seinee  sehdaem  Go« 
nlUhes,  die  Beweglichiceit  und  Elasticit&t  seines  reich* 
begabten  Geistes,  die  Schärfe  and  Gewandtiieit  seines 
Denkens,  «onuU  er  jedes   gegebenen  Stoffes  sich  be^ 
machiigt,  befihigten  ihn  dazu,  die  rationalistische  Theo« 
logie  in  eigenlhfinilicher  Weise  auf  veischiedenen -Ge* 
bieten  ans-  und  fortzubilden.    Der  ältere  RalienaliBians 
nimUch,  vem&ge  der  Beschränktheit  seines  Principei 
cum  grofs^n  Theü  in  oflfener  Opposition  gegen  die  ob» 
jektire  Erseheiaung  der  Religloa  in  Bibel  und  Kirehoi 
kennte  sieh  bei  der  weiteren  Entwiekehing,  namentlich 
dEer  phUosophischen  Wissoischaft,  «nmdgUeh  auf  die 
Dause  senter  schnell  usd  weit  verbreiteten  Herrsehaft 
erfireuen«    Eben  so  wenig  konnte  aber  eine  in  meder'^ 
"  neli  Sribstbewufstsesn  eo  tief  wurzefaide  auf  dem  Boden 
«fer  ieritisehen  Philosophie  entsprungene  Form  dies  theo^ 
logischen  Bewulstseins  plötzlich ,    etwa  schon  i»  dem 
Kampfe  mit  dem  bibUsdien  oder  orthodoxen  Supt ani^ 
taralismas   ualärgeiwn.      Yielmehr,   wie   diese   beUea 
hartnficidgen  Gegner  sieh  weehsebeittg  poslttliren  und 
BOT  ümmOL  Kample  ihre  Existenz  verdenken,'  so  büdele 
sieh  baliLeiB  rationaler  Supr— attttalisams,  und  supra* 
naluralistiseher  BattonaUsania.    De?  Yetf.-der  anauzel- 
^uden  Dogmatik  gehört  keiMr  rea  diesen  beiden  Rieh» 
taiigen  an}  soadem  nimmt  ia  der  freien  SelbsMadig- 
keit  sMMs  ernsten 'Tedliehen  Strebens  einen  eigenthOaN 
lichea  Staudpunkt  ein.    Nicht  als  ob  er  sieh  ia  seines 
geistreUien  faidtvidualitAt  gegen   die  Fortbildung  des 
Jahrb.  /.  VMffSfcA.  KriUk.  J.  1840.    I.  Bd. 


Wissenschaft  bomirt  hätte ;  im  Gegentheil  in  allen  den 
vom  PublMnim  eo  überaus  günstig  aufgenomttenea  Schnf» 
ten  des  Hm«  Verfs.   sdieinen   verschiedenartige,    aber 
eigenthümlioh   verarbeitete  Eiranente  der  neueren  Bil- 
dimg  durch.    Namentlich  mag  das  Studium  der  Natufr 
Philosophie  und  der  SchlcSermacherschen  Theologie  die 
verständige  Tiefsinnigkeit  des  Dr.  Hase  befruchtet  und 
ausgebildet  haben.     Beides  zusammen,  die  Bestimmt« 
heit  seiner  Individualität,  und  jene  tiefere  Eatwiekkmg 
der  Wissenschaft  in  neuerer  Zeit,  welche  ,,mit  zu  erle* 
ben  in  lebendigster  Antheilnahme .  einer  noch  nicht  ab* 
gesehlofsnen  Bildung  ihm  vergönnt  war",  erklärt  es  hin^ 
reichend,  wie  der  Bu  Yerf.,  obgleich  selbst  Rationalist 
im  aügemeitieren  Sinne  des  -Wortes^  den  älteren  Ratio* 
aalismus  siegreich  bekäaqpfen  konnte,  und  anderer  SdtS 
die  rationalistische   Tlieologie  von  engherz%er  Einsel* 
tigkeit  befreien  und  den  negativen  Dogmatismus  der* 
selben  in  Bezug  auf  Offienbareaag  und  Kircl^nlehre  ia 
einen  mehr  neutralen  Skeptieismus  auflesen  mubte.    So 
ward  durch  Hase,   wie  in  entsprechender  Weise  der 
Supranaturalinous  durdi  Tholuclc,  der  HatienaHsmus  in 
seiner  weitern  Entwiskelung.  und  Fertbüdung  zugleich 
seiner  Auflösung  sntgegengefahrt    Besonders  zeigt  sieh 
diese   Umkehr  des  JRationalismus  in  dem  TerhältnUdi 
gegen  die  Entwickclang  des  älteren  khrcidichen  Lehs^ 
begriffes»    Wenn  der  Shere  RationaBsnyas  in  dem  knii*^ 
nan  Enthasiaflnas  für  abstrakte  Freiheit  des  protestan* 
tiwhen  Selbstbewafstsems  nur  auf  den  Trumnkem  der 
älteren  Dogase»  und  der  altprotestantischen  [>ogniatik 
den  neuen  Tempel  der  Vernunft  errichten   zu  hdnaen 
meinte,  so  legte  Hase .  durch  Herausgabe  der  symboU« , 
sehe»  Bücher  der  lutheriseben  Kirche,  mehr  aber  neeh 
dardi  die  Znsaaunenstelluag  der  älteren  Dogasatik  in 
eeia«m  Hatterus  redivivus  smne  Ekrerbietung  gegen  die 
objelctive  Fassung  des  Glaubens  an  denr  Tag^    Sehtte 
und  treffsnd  spricht  aich  dieses  sein  Yerhältnifs  und 
Verbalten  zur  älteren  oft  so  sprude  ignorirten  pretestaa-» 

81 


643  Ha9e^  Lehrbuch  der 

tischen  Dogmatik  in  der  Dedikation  des  Htttterus  rediri- 
vus  folgendermafsen  aus :  „das  dogmatische  System  des 
16,  und  17.  Jahrhunderts  kam  mir  vor,  wie  einer  unsrer 
alten  deutschen  Münster  .mit  seinen  himmelstrebenden 
Spitzbo'^en  und  wunderlichen  sinnvollen  Zierrathen.  — 
Einen  Dom  wie  unsre  Vorfahren  kann  auch  unsre  Zeit 
nicht  wieder  bauen,    vor  einigen   Jahren  hielt  man*s 
sogar  für  ein  altgothisch  barbarisch  Bauwerk;  es  wird 
einem  aber  doch  ganz  besonders,  wie  in  einem  Gottes- 
liause  darin  zu  Muthe."    Auch  das  vorliegende  dogma- 
tische Lehrbuch    bestätigt   diese   Worte;   denn   schon 
aufserjich   angesehen,     bezeugt   es   die    überwiegende 
Masse  des  dogmengesdiichtlichen  Stoffes,  wie  der  Hr. 
Yerf.  von  dem  Objekte  in  seiner  geschichtlichen  Ent« 
Wicklung  Gewalt  leidet,   und  durch  einen  innern  Zug 
seines  Geistes  mit  ihm'  verbunden  bt.    Daher  sagt  er 
mit  Recht  von  sich  in  fler  Vorrede  8.  XII:  „ich  weils, 
jdafs  dem  Geiste,  dem  ich  selbst  nur  ein  dienendes  Or- 
gan bin,  die  Zukunft   angehört   als  dem   siegreichen 
Geiste  protestantischer   Wissenschaft.*'     Denn    wohin 
geht  doch  das  wissenschaftliche  Streben  der  gegenwär- 
tigen protestantischen  Theologie  anders  als  den  .Glau- 
ben  In    seiner  konkreten  Objektivität    mit   dem    freien 
Selbstbewulstsein  im  Begriffe  zu  ^versöhnen  und  so  das 
Idrcliliche  Dogma  zu  reproducirent  Die  Realisirung  die- 
ser  Aufgabe  ist  aber  bedingt  durch  einen  besonnenen 
klaren  Rückblick  auf  die  Vergangenheit.    Die  präcise 
und  "bündige  Darlegung  der  geschichtlichen   Entwick* 
Jung   des  Dogma  ist  aber*  ein   wesentliches  Verdienst 
dieses  Haseschen  Lehrbuches,    lieber  den  Titel  „evan- 
gelische Dogmatik*'  und  die  Bestimmung  desselben  er- 
tbeilt  die  Vorrede  näheren  AufscUufs  S.  X«:  „Der  bei- 
behaltene Titel  evangelische  Dogmatik  will  nicht  ein 
ausschliefsliches  Verhältnifs  zu   den  Evangelien,  oder 
zur  evangelisehen  Kirche  in  der  Art  anzeigen,  als  wenn 
lüer  die  Lehre  ihrer  symbolischen  Bücher  vorzugsweise 
getrieben  würde,  sondern  er  ist  ebenso  gebraucht^  wie 
man  gegentheils  katholische  Dogmatik  sagt,  nur  in  der 
freiem  Stellung  zur  Kirchenlehre,  wie  es  der  Charak« 
ter  des  Protestantismus  mit  sich  bringt".  S.  XI. :  „Man 
hat,  um  diesem  Buche  gerecht  zu  sein,  es  nur  als  aka* 
demfadies  Lehrbuch  zu.  beurtheilen,  so  wenig  auch  darauf 
ankommt!  ob  sonst  jeniand  es  zu  diesem  Beliufe  brauchen 
werde;  denn  wie  wir  uns  schon  anderswo  ausgesprochen 
und  auch  einigermafsen  Hand  dazu  angelegt  haben,  ein 
viel  gebrauchtes  akademisches  Lehrbuch  wird  in  unsrer 


eMngelUehen  Dogmaiik.  &I4 

Zeit  nur  dieses  sein»  dessen  VerfL  es  über  sieh  gewon* 
nenhat,  mit  gänzlicher  Verzichtleistung  auf  seine  Ei* 
genthümlichkeit  sich  an  das  Objekt  irgend  eines  gemeinsa- 
men historisch  gewordenen  Glaubens  hinzugeben ;  und 
dazu  habe  ich  in  diesen»  Buche  am  allßrwenigaten  jSß 
Lust  und  Absicht  gehabt.  Es  ist  also  nnr  mein  Lehr* 
buch.'*  Damit  mochte  nun  die  Beurtheilung  dieses  Lehr- 
buches sehr  beachränkt  und  beengt  scheinen,  wenn  es 
nicht  gleich  darauf  hiefse,  „dafs  man  dem  Verf.  woM 
zutraue,  dafs  er  an  ein  academisches  Lehrbuch  niebt 
ganz  geringe  Forderungen  stelle.'*  Ueber  das  Verhilt» 
nifs  dieser  zweiten  umgearbeiteten  Auflage  zur  ersten 
der  evangelischen  Dogmatik  bemerkt  der  Hr.  VerC 
Vorr.  S.  VIF,  dafs  er  gegen  viele  Bestaadtheile  der 
vorigen  Ausgabe,  die  nur  einem  jugendlichen '  £ntlui« 
siasmus  angehörten  oder  doch  nicht  in  ein  Lehrirach 
gehörten,  siemlich  unbarmherzig  verfahren  sei  „Durdi 
diese  Ausmerzungen  entstand  ein  schöner  Raum^ 
die  dogmengeschichtlichen  Citate  .wurden  meist 
gedruckt/'  Mit  Rücksicht  darauf  dafs  diese  Dogmatik 
als  Lehrbuch  gebraucht  werden  sollte,  hielt  der  VerC 
sich  „in  möglichst  engem  Kreise  und  insbesondere  da, 
wo  der  Einzelne  doch  nur  als  Repräsentant  einer  gas» 
zen  Richtung  angeführt  wird,  wie  bei  den  Scholastik 
kern  und  alten  lutherischen  Dogmatikem,  wurden  ge* 
wohnlich  nur  einige  immer  wiederkehrende  Werke  an* 
geführt."  Obwohl  ^^von  der  ersten  Gestalt  dieser  Dog* 
matik  fast  kein  Stein  auf  dem  andern  geblieben  ist,  so 
ist  die  Umgestaltung  doch  mehr  eine  scheinbare  als 
wesentliche,  eine  friedliche  organische  Entwicklung  des 
Neuen  aus  dem  Alten«  Nur  an  einem  Punkte,  und  es 
ist  freilich  ein  Hauptpunkt  in  der  Lehre  von  der  Siin« 
de,  ist  das  Neue  von  dem  Alten  hart  abgebrochen.* 

Zur  näheren  Orientirung  hinsiclitlich  der  vorliege»* 
den  Dogmatik  mag  noch  eine  kurze  Betraehtang  der 
Einleitung    dienen.      Diese    Seite   1  —  46    giebt    dea 
Begriff    der    Dogmatik,    in    B^zug   auf  Inlialf    und 
Form,  Quellen  und  Geschichte  derselben;   sie  zerfaUl 
in  einen  theeretuehen  Theil,  welcher  die  Lehre  von 
den  Gesetzen  enthält,  nach  welchen  die  Dogmatik  ab 
Wissenschaft  darzustellen   ist,   und  in  einen  prmti^ 
sehen  (}),  welcher  cUe  Geschichte  ihrer  bisherigen  Dn* 
Stellung  miuheilt.    Der  Begriff  der  Dogmatik  ist  efien« 
bar  zu  weit  gefafst,  wenn  es  f.  L  heibt,  „die  Dog. 
matik'  ist  die  wissenschaftliche  Darstiellulig  der  ehiist* 
liehen  Religion  in  ihrem  Verhältnisse  sum  nfigiösen 


S15 

GMsfe.*'    Ihm  iai  Tiebnehr  der  Begriff  der  Theologie 
iiberha«pt$  desn   aaieh   die  historische  und  pralctische 
Tiitelogie  stelk  des  ChrieteBthnin  aus  ^dem  religiösen 
Geitte''   (was  hierunter  su  yerstelien,  wird  sieb  bald 
laigen)  und  im  Verliältnisse  su  ihm   dar;    ohne  dies 
würde  die  Betrachtmig  der  christlichen  Religion  nicht 
die  dem  Gegenstände  adäquate  sein.    "Die  Dogmatilc 
im  Aügemeinen  Ist  aber  vielmehr  die  begreifende  Er* 
kemitoirs  der  christlichen  Religion,  wie  sie  als  Gümis 
iü  Bibel  und  Kirche  sich  darstellt.    Zuvörderst  wird  nun 
IB  Allgemeinen  und  blos  formell  die  Religion  als  Gebt 
(!)  md  Gesekichte^  als  Glaube^  dann  in  ihrer  geschieht- 
liehea  Eutwid^lung,  und  in  ihrer  Vollendung  als  Chri* 
tteDtbum  beschrieben.     §.2  —  ^  8.    Indem  Ref.  dem 
Gange  des  Lehrbuches  folgend,  später  im  ersten  Theile 
der  Dogmatik  selbst,  wo  der  Begriff  der  Religion  ab« 
gdeitet  und  näher  bestimmt  wird,  denselben  etwas  aus* 
luiurlicber  tu  beurfheilen  hat,  erlaubt  er  sich  hier  nur 
in  Kiursem  Folgendes  zu.  bemerken.    Die  Religion,  ab 
das  gegenseitige  Verhältuifs  Gottes  zum  Menschen,  ist 
nur  nach  einer  Seite,  damit  einseitig  bestimmt,  wenn 
TOD  ihr  f.  2.  gesagt  wird :   „nach  dem  Regriffe,   wol* 
eher  das  Gemeinsame  der  religiösen  Erscheinungen  in 
der  Geschichte  umfafst,  ist  Religion  objektiv  im  Yer* 
itältaifs  des  Menschen  sum  Uuendlichen,  subjektiv  eine 
BestiauduDg  des  menschlichen  Lebens  durch  dasselbe." 
Ssll  aber  die  objektive  Seite  der  Religion  hervorgeho* 
beo  werden»  ao  wäre  doch  eher  Gott  in  seiner  ewigen 
Sellistoffienbarung ,    insofern,  er   der   Gegenstand  ist, 
worauf  das  Bewulstsein  des  Menschen  in  der  Religion 
tieh  riehtet,  oder  formell  die  Religion  als  dieser  ewige 
Procefs  zu  bestimmen  gewesen,  in  dem  Gott  sicli  dem 
Henschen  aulschliefst  und  der  Mensch  auf  dem  Grunde 
dieser  Offenbarung   sieh   aus    dem   Endlichen   erhebt* 
Was  aber  der 'Hr.  Verf.  als  die  subjektive  Seite  der 
Religion  angiebt:    „die  Restimmung  des  meiischlichen 
Lebens  durch  dasselbe  (das  Unendliche)'*  ist  vielmehr 
die  Religion  schon  in  einem  andern  Elemente,   „dem 
Leben",   das    religiös   Sittliche,  wie   sie  Wollen   und 
Denken  durchdringt.     Dieser^  Mangel,  dafs  die  Religion 
Bieht  in  ihrer   eigenthOmlichen    Dignität    festgehalten 
wird,  sondern  in  das  religiös  Sittliche  ubergleilet,  wird 
sich  auch  im  Folgenden  noch  kundgeben.    Die  subjek- 
tive Seite  der  Religion  ist  nur,  dafs  sie  das  Centrum 
des  menschljchen  Geistes  ergreifend  von  ihm  im  unmit- 
telbaren Selbstbewulstsein  suuächst  als  unendliches  Le- 


Baoe^  hekrhstek  der  epmngelieeksn  Dögmatiib» 


«46 


ben  in  der  Form  des  G^AUs  ergriffMi  ^rd|  wel« 
ches.  sich  aber  auch  schon  In  der  Andacht^  dem:  Oebet^ 
in  einem  eigenen  Kreise  von  Feretellungen  objektivir^ 
und  in  besonderen  heiligen  Handlungen  darstellt  Waa 
also  als  die  objektive  Seite  -  der  Religion  ausgespro«* 
eben  wird,  „ein  Verhaltnib  des  Menschen  sum  Unend- 
Ucheu",  ist  schon  die  subjektive.  Eben  so  wenig  ist.es 
su  billigen,  dafs  von  der  geschichtlichen  Religion  ge« 
sagt  wird,  sie  ,9könne  entstehen  durch  sufäUiges  und 
willkürliches  Zusammentbun  von  Gleichgesinnten  sur 
gemeii^amen  Förderung  ihrer  Frömmigkeit  (S.  2)^  depn 
einmal  ist  dies  nicht  das,  wodurch  die  Religion  als 
eine  bestimmte  wird,  die  sie  ist  j  sondern  nur  ein  äufse- 
rer  Akt,  in  dem  sie  als  die  schon  daseiende  sich  kund* 
giebt;  anderer  Seils  aber  kann  das,  was  die  Aeufse^i 
rung  einer  an  sich  nothwendigen  Evolution  deji  Gel« 
stes  selbst  ist,  nicht  ein  „sufäUiges  und  willkarliches 
Zusammenthun"  sein«  Gleichgesinnte  thun  sich  eben 
als  solche  schon  nicht  „sufällig  oder  willkürlich*'  su- 
sammen  su  dem  Akte,  in  welchem  sie  ihres  inneren 
Wesens  bewuGst  werden,  und  die  ,yBestimmung"  des 
Geistes,  um  den  Ausdruck  des  Hrn.  Verfs»  selbst  S.  1 
SU  gebrauchen,  welche  die  Religion  ist,  ist  die  innere 
Bestimmung  seines  Wesens  selbst,. darum  eben  sowohl 
eine  nothwendige,  nicht  „zufällige*',  als  freie,  aber  nicht 
„willkürliche*'.  Nachdem  die  Religion  in  ihrer  ge« 
scliichtlichen  Entwickelung  kurs  dargelegt  ist,  wird  das 
Cbristentiium  als  „der  vollkonunen  in  die  Geschichte 
eingetretene  religiöse  Geist  bestimmt,  durch  welches 
der  erhabene  Herr  ab  ein  Yater  über  alles  und  der 
Mensch  als  göttlichen  Geschlechts  offenbar,  dasjensei* 
tige  Leben  mit  dem '  irdischen  eins  und  das  romische 
Welireidi  sum  Gottesreich  wurde"  §•  6.  Es  scheint 
in  dieser  Bestimmung,  wie  schon  in  dem  vorigen  ^« 
fiber  die  Entwicklung  der  Religioni  der  Begriff  durch, 
nur  ist  er  nicht  in  der  Form  des  Begrifi'es,  sondern 
der  geistreichen  yorstelluug  ausgespi^ocheu»  Denn  in 
der  That  ist  ja  eben  das  der  Begriff  der  absoluten  Re- 
ligion, dafs  die  Momente  desselben  in  dem  ideelleu  Ver- 
bftltnisse ,  in  welchem  sie  su  einander  sind ,  auch  für 
das  gesohichtliche  Bewulstsein  der  Menschheit  wirklich 
gesetzt  sind.  Diefs  geschieht  in  der  biblisohen  Yor* 
Stellung  dadurch,  dafs  Gott  von  Ewigkeit  her  den  Soha 
erzeugt,  darum  der  Mensch  als  göttlichen  Gesehleoh* 
tes,  als  Kind  Gottes  im  Glauben  an  den  Sohn  angenom- 
men wird,  und  das  Reich  der  Welt  zur  Gemeinde  Got-* 


647 


Ba$0^  h^hrlmek  der  e^rnngeU^eAem  DagmmtiJL 


tes  wird  dopeh  d«n  Geist  In  diesen  ewigen  Processe 
fixirC  stob  weder  das  anendlieli  Allgemeinei  Besondere 
nnd  Einselne  ffir  sieli,  nooli  confundirea  sie  sieii,  son* 
dem  seheinen  als  Momente  des  reinen  Begriffes  in  ein« 
ander.  Damm  hat  al>er  das  Cbristenthum  nun  niefait 
den  Maafsstab  seiner  Vollkommeniieit  an  der  Entwicic- 
litng  der  Menschlieit,  s<mdern  nur  an  dem  Begriffe  der 
Beligion  selbst^  dem  es  sieb  als  entspreehend  erweist« 
Denn  wie  kann  daran  ,,die  Wahriieit  (wie  es  Mer  S« 
4  helfst)  des  Christenthumes  erkannt  werden,  dafs  es 
der  M enselibeit  in  ihrer  höchsten  Entwicklung  entspricht 
und  jede  geringere  Bildongsstufe  dieser  Entwicklung 
entgegenßihrt.*'  Wo  ist  und  weiche  die  Menschheit  in 
Ihrer  höchsten  Entwicklung!  Der  Hr.  T^rf.  wird  nielit 
Aagen  wollen,  die  Wahrheit  des  Chrislenthimies  sei, 
däfs  es  der  gegenwärtigen  Entwicklung  der  Menschheit 
Entspreche.  Einem  grofsen  Theile'  unsrer  Zeitgenos- 
sen mochte  diefs  mehr  als  problematisch  erseheinen} 
das  Cbristenthum  hat  sein  Maafs  nur  an  dem  Begriffe 
der  Religion  selbst,  und  an  diesem,  dem  Yerhdltnisse 
der  Menschheit  su  Gott  kann  der  Höhepunkt  und  die 
Enf  Wickelung  •  der  Menschheit  nur  gemessen  werden, 
weil  sie  aHein  in  der  •  absoluten  Religion  ihr  wahres 
Wesen  erreicht.  Sehr  richtig  wird  ja  sogleich  be- 
merkt, „dafs  das  Glnristenthum  nicht  eine  von  den  Re- 
ligioneu,  sondern  die  Religion  an  sich  ist,  wird  als  ein 
aRgemein  christliches  Bewurstsein  hier  vorlSnfig  nur 
torausgesetzt.''  Die  Neigung  sur  subjektiren  Fassung 
der  Religion  als  eines  unmittelbaren  Lebens  im  Unter« 
schiede  von  dem  änfseren  Glaubensbekenntnisse  drfingt 
sieh  wie  §.  4.  so  auch  hier  wieder  hervor^  wo  gesagt 
wird:  „denn  da  das  Cbristenthum  eine  Religion  ist,  so 
kann  es  niclit  hdher  geachtet  werden  noch  Gr&fseres 
hringen  als  die  Tottendung  der  ReUgton.  Hiermit  stimmt 
die  Erklärung  Jesu  überein,  welcher  die  Seinen,  mcht 
an  einem  ftufseren  Glaubensbekenntnisise,  sondern  an 
der  Liebe  und  Frömmigkeit  selbst  erkennt.**  An  einem 
i?t;/#er«f»  Glaubensbekemitnisse  fr^Iich  erkennt  Cbrbtus 
die  Seinen  nicht,  aber  das  Glaubensbekenntuirs  über* 
baupt  als  eine  nothwendige  Form  der  Religion,  oder 
als  Brkennungsseichen  ist  ja  keinesweges  ausgesehlos« 
sen«  Der  Herr  prebt  ja  rieimehr  den  Petrus,  in  des 
bekannten  SteNe  Mattb.  16,  16.  u;  17.  sriig,  weil  er 
von  ihni  rIs  Messias-  un^  als  der  Sohn  des  lelxnidigen 


148 

Gottes  erkannt. und  bekannt  wird  und  sagt,  iAwi 
diesem  Glauben  an  seine  Sohnschaft  (die  wiiklickeEi» 
heit  der  göttlichen  und  mensdilichen  Natar)  er  mjbi 
Gemeinde  erbauen,  will.  Eben  so  soll  nach  dem  ghiek 
Folgenden  die  AnerkennuBg  Jesu  ab  des  Messissib 
Seiten  der  fast  ohne  Vorbereitnng  geCanften  Heida 
wesentlich  nur  eine  Anerkennung  der  ToUkosniiMi 
FrBmmigkeit  Jesu  ab  des  Gottgeliebten  gcweseDidB 
können.  Aber  die  Heiden  waren  durek  ihre  Vontdhsg 
?on  Göttersöhnen  und  menschlichen  Göttern  ja  tut  Ai* 
erkennung  der  wirklichen  Einheit  Gottes  nnd  des  11» 
sehen  in  Jesu  Christo  vorbereitet,  konnten  sehe  woU 
in  ihm  mehr  ab  bloFse  Frömmigkeit  sehen  $  und  nii^ 
rer  Seits  findet  sich  ja  die  Ablegung  eines  Glaid)Cii* 
bekenntnisses  bei  dem  Uebert'ritt  cum  Christeiillni 
schon  in, den  ältesten  Zeiten:  1  Job.  4^2.  holst  a^ 
dafs  jegUcher  Gebt,  der  den  in's  Fleiseh  eisehieacMi 
Jesum  Christum  beh§mnt\  aus  Gott  sei,  Darsa  mI 
jeder  Gebt  erkannt  werden,  Tgl.  ibid.  5, 1.  uC%  h  tm^ 
mv,  Su  ^Ifiaov^  iorü  o  X^toTbi,  i»  xov  &tov  ^f^Avirai 
Im  zweiten  Kapitel  des  ersten  Theiles  der  Eoiai 
tung  wird  die  Form  der  Dogmatik«  Principe  Uütuf 
Funktionen  und  Eintheilung  derselben  bestlonat.  b 
wird  anerkannt,  da£s  die  Dogmatik  ii^  gelehrter,  b  }t 
Ubcher  und  geschichClicher  Form,  wie  in  wisseostbk* 
lieber,  religtonsphilosophisch  darsustellen  bt.  Dirif* 
mengcschichtliche  Stoff  nimmt,  wie  schon  angditM 
worden,  einen  unrerhähniismlirsig  greisen  Baum  id  i^ 
sem  Lehrbuche  ein ;  es  hat  diefs  einen  innem  CM 
in  dem  Standpunkte  des  Hm.  Verb«,  dem  es  BetA 
niCs  bt,  sich  mit  dem  Objekte  des  Glauhens  ausswib 
nen;  die  Bedingung  dazu  bt,  den  lebendiffen  Praedl 
des  Dogma,  das  Werden  des  Begriffes  selbst  ai» 
schatten.  In  der  neueren  Dognuitilc  ii^  wohl  dasdi^ 
mengeschichtlicbe  Element  gegen  das  Inblisebe  asm* 
lieh  oder  das  symbolbohe  ungebOhrlich  in«  den  Wä» 
grund  gedrängt  worden;  immer  icann  es  aber  aiirdl 
Surchgnngspunkt  sein  für  die  Dogmatik,  dab  Sm 
wie  es  hier  geschieht,  von  dem  Strome  der  gesebidl^ 
lieh  sidi  entwickelnden  Olanbenserkeünlaib  gsasik' 
sorbirt  wird,  und  die  eigene  Ueberzeugung  des  Do|^ 
tikers  sich  wie  ein  dikiner  Faden  durch  diebgisf* 
Gewebe  der  kirchlbhen  Lehre  hindnrebziebt 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


■  J^  82. 

Ja  h  r  b  tt  c  h  e  r 

*f  u  r 


W  i  s  isi  e  n  s  c  h  af  1 1  i  c  he    Kritik. 


Mai  1840. 


JjeArbuch  der  etangelüchen  Dognurtik  von  Dr^ 
Karl  Ha$e. 

■ 

(FortMtsimg.) 

'    Wie  die  biblische  Vorstellung  des  Glaubens  an  der 
biblischen  Theologie,  so  hat  ja  die  Reflexion  des  Glau- 
bens in  sich  in  ihrem  geschichtlichen  Processe  dieDog» 
mengeschichte  zu  ihrer  eigenen  wohl  berechtigten  Dia-. 
'  eiplin ;  in  der  Dogmatik  als  solcher,  wo  der  unendliche 
Glaubensinhalt  in  systematischer  Form  reproducirt  wird^ 
tritt  das   biblische    und   dogmengeschichtliche  Element 
als  .  untergeordnete  Momente  surucic.    Der  Verf.  weifs 
*^as  selbst;  denn,  obgleich  er  mit  Recht  sich  eine  Dog- 
inatik  ohne  historische  Gmndlagen  nicht  denken  kann, 
ao  sagt  er  doch  Vorrede  8.  X  :  „dab  jedoch  diese  histo- 
rischen Bestandtheile  so  genau  artikulirt  sind,  wie  hier 
meist  geschehn   ist,  das  ist  nicht  an  sich  nothwendig, 
sondern  gehört  nur  zur  Lehrhaftigkeit  eines  Kompen- 
'diums.''    Als  solches   wurde    es  sich  noch  mehr  zfum 
allgemeineren  Gebrauche  empfehlen,  wenn  man  mit  der 
sonstigen  Eintheilüng  und  Anordnung  des  dogmatischen 
'Stoffes,  sich  befreunden  konnte.    Das  Prineip  nämlich, 
aus   welchem  die  Dogmatik  behandelt  und  eiogetheilt 
wird^  ergiebt  sich  so.  §.  10 :  „das  Christenthum  als  der 
sur  Geschjphte  gewordene  religiöse  Geist  der  Mensch- 
heit   enthält  nicht  blos.  den    reli^osen  Geist  an 'sich, 
sondern   auch   die  Fülle   und   Mannigfaltigkeit   seiner 
geschichtlichen  Darstejlung.    Hiemach  ist  zu  unterschei- 
den :  das  IVesen  des  Gfaristenthums,  welches  die  Keli-' 
giott  selbst  ist,  und  seine  ErMcfieinung  oder  (?)  Wirk- 
lichkeit,   wodurch   es  eine  bestimmte  und  gemeinsame 
Religion  ist.    Das  Wesen  des  .Christenthumes  kann  als 
etwas  der  Anlage  nach  Ewiges  alle  Zeit  und  überall 
aas  dem  religiösen  Geiste  entwickelt  werden.      Diefs 
bat  die  Religionsphilosophie  zu  entwickeln  mid  danach 
alles 'ZU  beurtbeilen,  was  von  dahin  gehörigen  christli- 
chen Dogmen  überliefert  ist;   der  religiöse  Geist,  im 
Jahth.  /.  w\t%tiack.  Kritik.   J.  1840.   1.  Bd. 


Chrbtenthume  erzogen,  hat  das  Recht  dieses  Urtheils» 
Er  soll  beurtbeilen,  ob  durch  dasjenige,  wodurch  das 
Christenthum  eine  besondre  und  gemeinsame  Religion 
ist,  die  ToUkommne  Religion  dargestellt  und  gefördert 
wird:  aber  es  wäre  verkehrt,  wenn  er  diese  historische 
Erscheinung  aus  mc\^  selbst  herau^coustruiren  oder  ihre 
schone  Fülle  und  Mannigfaltigkeit  auf  die  allgemeiBea 
Satze  der  Religionsphilosophie  zurückführen  wollte* 
Dieses  auf  das  Prineip  der  Dogmatik  angewandt 
■folgt:  der  religiöse  Geist  ist  eon$tihiiive$  Prineip  für 
das  Wesen,  regtilativ49  Prineip  für  die  Erscheinung 
des  Christenthumes ;  jenes  kann  er  aus  sich  selbst 
schöpfen ;  diese. nur  verstehen.  Hiernach  ergiebt  sich 
Umfang  und  Funktionen  der.  Dogmatik,  ^.  11.  u«  12., 
und,  was  für  die  Beurtheilung  dieses  Lehrbuches  inson^« 
derheit  wichtig  ist^  die  folgende  Hauptdntheilüng  der 
Dogmatik  §.  13.  Der  erste-Hauptheii  enthält  die  Lehre 
vom  Christenthume  seinem  Wesen  nach,  wiefern  es 
Religion  ist,  Ontotogie ;  d|i  die  Religion  ein  Verhält* 
nifs  des  Menschen  zum  Unendlichen  ist,  zerfiillt  diß 
Ontotogie  in  die  beiden  Glieder  dieses  Verhältnisses : 
Subjekt  der  Religion  ist  der  Mensch,  die  Lehre  von 
seinem  religiösen  Wesen  enthült  der  erste  Theil,  jtn^ 
thropologie\  Objekt  .aer  Religion  ist  das  Unendliche, 
die  Lehre  von  seiner  religiösen  Beziehung  zur  Alenscli^ 
heit  der  zweite  Theil,  Theologie.  Der  zweite  Haupt- 
theil  enthält  die  Lehre  vom  Clirlstenthume  «einer  Er- 
scheinung nach,  wiefern  es  eine  bestimmte  historisch 
gegebne  Religion  ist,  Chrietologie.  Da  die  Christo- 
logie  beschreibt,  wie  die  Religion  an  sich  im  Christen- 
tliume  sich  verwirklicht,  so  ist  zu  handeln,  1)  von  der 
Art,  wie  Christus  einst  eine  Gemeinschaft  des  religiö- 
sen Lebens  begründet  hat  (Lehre  von  der  Person,  dem 
Werke  ^d  dem  doppelten  Zustand  Christi),  2)  von 
der  Art,  wie  unser  eignes  religiöses  Lebet^  in  diesfB 
Gemeins*chaft  aufgenommen  und  als  ein  cfaristUches  Le- 
ben  in   ihr   ausgebildet  wird  (Vorherbestimmung  und 

82 


655 


Ha$e^  Lehrht^A  der  wangitKseAen  Dogmaiik. 


nach  der  WirirUdikeit  der  Beziehimg  des  Menschen  su 
Gett,  den  3ten  Ahsdinitt  bildet  die  S3mthesis  yon  bei- 
^  den  in  der  Lehre  vpn  der  ursprünglichen  Bedingung, 
unter  welcher  die  Wirklichkeit  mit  dem  Ideale  vereint 
werden   kann;    das   religiöse    Leben   als    unendliches 
Sireben.     Historisch    ordnen    sich    dieser    dreifachen 
pbflosepluschen  Entwicklung  die  biblische  und  kirchliche 
Lehre  von  dem'  göttlichen  Ebenbilde  des  Menschen,  der 
.  Sttnde,  und  den  letzten  Dingen  bei.  —   Die  Bestimmt^» 
heit    des    im   weiteren   Sinne   des   Wortes    rationalU 
stisehen  Standpunktes,    welcher   sich    aber   Elemente 
der  neueren  philosophischen  und  theologischen  Bildung 
assimiÜrt  hat,  und  hie  und  da  fast  unwillkürlich   und 
unbewuCst    Mne  Hinneigung  zur    Orthodoxie   verräth, 
bringt  noth^endig  eine  nach  verschiedepen  Seiten  hin 
sobiliernde  Konstruktion  der  wesentlichen  dogmatischen 
Lehren,  und  eine  schwanke,  in  der  Schwebe  sich  be^ 
wegende  zum  Theil  inconsequente  Haltung  der  bibli- 
schen und  kirchlichen  Lehre  gegenüber  hervor.    Diese 
ist  eben  deshalb  durchaus  ehrenwerth,  weil  sie  nur  der 
offene  Ausdruck  eines  wohl  berechtigten  seiner  Natur 
nach  skeptisch  kritischen  Standpunktes  ist.    Um  nun 
das  religiöse  Leben  nach  seinem  Ideale*  zu  beschreiben, 
^ wird  davon  ausgegangen,  dafs  „das  Wesen  der  Menschr 
heit  sich  bestimmf  als  eine  zwar  selbständig  nach  ihrem 
unendlichen  Selbst  strebende,  dennoch  von  einer  frem« 
den  Macht  ausgehende  und  beschränkte  Kraft,   daher 
als   eine  nur  relative  Freiheit,     Dieses  Streben  der 
relativen  Freiheit  ist  nichts  als  das  Streben  des  Geistes, 
unendlich  er  selbst  zu  sein,  oder  die  höchste  Potenz  sei- 
nes  Lebens.     Wie  nun  das  Streben   des  Meoschen  iii 
Bezug  auf  seinen  Anfangspunkt,  da  die  Kraft  der  Frei- 
heit selbst  als  etwas  Unfreies,  nicht  durch  eigene  Kraft 
und  Entschlufs    gewordenes   anerkannt   werden  mufs, 
mit  sich  im  Widerspruche  ist,   so  auch  in  Bezug  auf 
«ein  Ziel,  da  jßs  an  sich  unmöglich  ist,  dafs  aus  dem 
Werden  jemals  das  voUkommne  Sein,  oder  aus  dem. 
Endlichen  das  Unendliche  werde,  denn  —  jenes  ist  die 
schleehthinnige  Verneinung  von  diesem.  S.  47.    In  die- 
sem Widerspruche  müfste  der  Geist  untergehen,  wenn 
nicht  wirklich  eine  Kraft  in  ihm  wäre,   die  sich  Frem- 
des so  aneignete,  ohne  es  jedoch  in  sich  aufzunehmen, 
dafs  ihr  dasselbe  wie  ein  Eignes  würde;  eine  solche 
Kraft  im  Menschen  ist  seine  Liebe  zu  irgend  etwas 


Unendlichem.  So  wird  jener  Widerspruch  gdött,  ii» 
dem  der  Mensch  durch  diese  Liebe  an  der  VoUko» 
menhett  des  Unendlichen  thrilnehmend  jenen  Anhig^ 
punkt  seines  Strebens  als  eine  Liebesgabe  des  Uiifnt 
liehen,  nicht  ab  etwas  von  einer  fremden  unbekaoM 
Macht  groben  ansieht"  „Dieses  zu  suchende  Yerlnki 
nifs  des  Meilschen  zum  Unendlichen  ist  daher  die  Lieh 
des  Menschen  zu  Gott;  diese  das  Wesra  der  Rel^jn; 
nur.  sofern  der  Mensch  götüich  wird,  liebt  er  Gett  wj 
hat  Religion;  weil  aber  aus  dem  Endlichen  Dieaab 
das  Unendliche  werden  kann,  so  ist  der  Mensch  mi 
ewig  geschiiBden  yon  Gott,  ideal  verbindet  ihn  tm 
Liebe  mit  Qott  in  einer  Einheit,  die  aber  nur  duidi 
die  Verschiedenheit  der  Subjekte  möglich  ist  ^  57.  b. 
§.  59."  Das  Gekünstelte  und  Unnatürliche  dieser  Ak 
leitung  der  Liebe  zum  Unendlichen  aus  dem  Str^ 
danach  (die  Liebe  zum  Unendlichen  soll  aus  dem  Suf* 
ben  danach  hervorgehen  §.  56.)  springt  in  die  Aogei^ 
es  konnte  ja  nur  einfach  gesagt  werden,  das  StrdN| 
nach  dem  Unendlichen,  wie  es  Jeder,  in  sich  findig' 
setzt  eine  innere  Einheit  mit  und  eine  Liebe  zu'ikn 
iBchou  voraus.  Die  YorsleUung  von  einer  Kraft,  A 
sich  Fremdes  so  aneignele,  ohne  es  jedoch  in  sich  ai^ 
zunehmen,  dafs  ihr  dasselbe  wie  ein  Eignes  .wfi(4| 
ist  schwer  zu  vollziehen.  Als  „Liebe  zum  Unendlieiwi* 
kt  aber  die  Religion  als  solche  noch  zu  allgemen  fS^ 
fafst,  indem  ja  die  Sittlichkeit,  welche  das  Gute  «| 
des  öuten'  willen  thut,  'die  Kunst  und  Wissensclnl 
Liebe  des  Menschen  zum  Unendlichen  manifestirt,  sdiii 
abgesehen  davon,  ob  sie  einen  religiösen  Inhalt  Iiat 
Wie  der  Mensch  ideal  mit  Gott  ui  einer  Einheit  S9b 
bunden,  ja  als  Religion  habend  (§.  59.)  gbttiiek  mr* 
derid^  dennoch  real  ewig  geschieden  von  Gott  (pnk 
dolor!)  bleiben  soUj  ist  schlechterdings  nicht  euzni^ 
hen ;  eben  so  wenig,  wie  bei  einem  solchen  Widersprn* 
che  des  Idealen  und  Realen  im  Menschen,  die  Lieki 
Gottes  die  wahrhafte  Seligkeit  sein  soll,  und  diese  nif 
der  Religion  wesentlich  eins.  S.  50  §.  61.  Ist  & 
ideale  Einheit  mit  Gott  nicht  eine  blos  eingebildete  nl 
erdachte,  sondern  aus  dem  Wesen  des  Menschen,  «if 
der  Hr.  Y erf.  annimmt,  resultirende,  so  wird  sie  suck 
eine  reale,  wenngleich  in.  der  Erscheinung  nie  gw 
vollkommene  Einheit  im  wirklichen  Denken  und  ^Vol- 
len zur  Folge  haben.  . 


(Der  Beschkf«  folgt.) 


J  a  h  r  b  tt  e  h  e  r 

für 

wissensc  h  a  f  1 1  i  c  h  e 


Mai  1840. 


Kritik 


Lehrbuch  der  evangeliichen  Dogmatik  von  Dr* 
Karl  Ha$e* 

(Schhifo.) 

E«  erhellt  aus  dem  Angeführten,  wie  die  morali* 
sehe  Wehauscbauung  Kants  und  die  daraas  abgeleitete 
lind  davon  abhän^ge  Religionsansicht  mit  der  späteren 
von  Schleiermacber  in  seinen  Reden  mit  erhabener  Par« 
rbesie  ausgesprochenen  und  von  Scbelling  philosophisch 
geltend  gemachten  Anerkennung  der  Religion  in  ihr^r 
absoluten  Majestät  in  dem  BewursUein  des  Verfassers 
im  Kampfe  liegt. 

\Yas  2)  die  Lehre  von  der  Person  Christi  betriflft, 
so  wird  die  Messianiscbe  Weissagung  sinnig  und  yer* 
ständig  entwickelt,  hamentlieb    gut  hervorgehoben,  wie 
allmälig  besonders  seit  dem  Exile  das  judische  Bewufst* 
sein  veraulafst  wurde,  durch  die  seitdem  si^h  ausbildende 
Dämonologie,  auch  den   Messias   als  übermenschliches 
Wesen  su  denken;   doch  hätten  noch  bestimmter  aus 
frühere^  Zeit  manche  Stellen  angefülirt  werden  können, 
in   denen  auch  die  göttliche  Seite  des  Messias  schon 
durchseheint.    Andererseits  ist  als  verdienstlich  anzuer- 
kennen, dals  der  Uebergang  der  alttestamentlichen  Yor- 
Stellung  durch  die  Lehre  der  Apokryphen  zum  N.  7« 
so  wie  besonders  die  religiös -philosophische  Anschau« 
vng  Fhilos  vom  Logos  hier,  wie  auch  bei  andern  Leb* 
reu  dargelegt,  und  die  betreffenden  Stellen   aus  Philo 
Tollständig  ausgesehrieben  sind.    Nun  wird  aber  nicht 
genetisch  nachgewiesen,  wie  die  verschiedenen   Seiten 
«1er  Messianischen  Anschauung,  welche  in  dem  prophe« 
tisohon  Bewurstsein  noch  vereinselt  und  somit  abstrakt 
Mfafst  werden,  allmälig  su  einer  konkreten  Einheit  su« 
sanunengehen  konnten  und  mufsten,  in  welcher  Form 
sie  das  tiefe  Selbstbewufstsein  dessen  bilden,  der  sieh 
als   4en  gegenwärtigen  und   wirklieben  Messias  weifs, 
und  somit  in  der  erschienenem  Einheit  des  gottlichen  und 
menschlichen   Wesens   unendlich  über  die  Uofliumges 

Jakrh.  f,  wiitemek.  Kriäk.  J.  1840.  I.  Bd. 


der  Propbetie  hinausgeht.    Es  heifst  hier  S.  244  §.  163» 
nur :  „als  Jesus  sich  für  den  Messias  erkaimte,  erhob 
er  die  moralische,  theokratlsehe  und  mythische  Bedeu« 
tung  eines  Gottessohnes  sur  höchsten  religiösen  Bedeu* 
tung.*'    Aber  su  welcher  religiösen  Bedeutung?  Es  foU 
gen  eine  Menge  Stellen  aus  dem  N«  T«,  in  welchen  Jesus 
seine  Einheit  mit  Gott  ausspricht,  so  wie  seine  göttliche 
Allmacht  und  Präexbtene.    Diejenigen,  welche  in  den 
Evangelien  oder  den  Briefen  der  Apostel  eine  Wesens* 
einheit  Christi  mit  Gott  nicht  finden  su  können  meisen, 
sollten  billig  erklären,  wie  denn  eigentlidi  Christus,  der 
der  menschlichen  Natur  jnigleich  theilhaftig  war,  anders 
als  in  den  vorhandenen  Aussprüchen  bei  Johannes  %• 
B.  hätte  aussprechen  sollen,   wenn  er  sich  in  seinem 
Wesen  mit  Gott  identisch  gewulst  hätte.    Selbst  Uase^ 
der  von  rationalistischer  Enghersigkeit  und.  subjektiver 
Verblendung  grofsen  Theils  sich  frei  gemacht  hat,  sagt, 
nachdem  er  die  prägnantesten  Stellen  des  Johannes  an«« 
geführt  hat,   dennoch:  „Diese  Ausspruche  khinen  (ja 
wohl!)  eine  Wesenigleicbheit  mit  Gott  bezeichnen,  aber 
nur  Matth.  VI,  27.  u.  a.  Job.  VI;  5.  (wi>  göttliche  All- 
macht und  Präexistenz  von  Christo  pradicirt  wird)  kann 
auf  ein  übermenschliches  der  Gottheit  untergeordnetes 
Wesen  besogen  werden,  und  ein  solches  wäre  weder 
eins  mit  Gott»  noch   die  Erscheinung  desselben  in  der 
Menschenwelt.     Gegen  eine  Wesensgleiehhett  seugt  der 
durchgängige  Charakter  der  sich  dem  Vater  unbedingt 
und  ohne  Hinterhalt  unterordnenden  Frömmigkeit  Jesu 
u.  s.  w."    Aber  das  ist  es  ja  eben,  die  Bibel  lehrt  nicht 
einen  abstrakten  dolcetischen  Christus,  sondern  in  der 
individuellea  irdischen  Erscheinung  macht  sich  die  von 
der  gottlichm  durchdrungene  menschliche  Natur  eben  so 
geltend}  weil  die  Reflexion  sieh  in  der  Anschauung  des 
historischen  Chmtus  fixirt  und  borairt  und  ihn  nicht 
von  dem  Begriffe  Gottes  aus  betrachtet,  so  kann  sie  seine 
ewige  Persönlichkeit,  und  die  Absolutheit  semer  Ersehei» 
Bung  nicht  begreifen.    Hase  fOblt  das  Zwingende  dar 

83 


6li9 


Ha9e^  Lehrbuch  der  evatigelUehen  Dogmatik. 


angeführten  Au^prQche,  selbst,  und  fälirt  ä.  245  fort: 
,,dagegen  auch  llos  sittliche  Ucbereinstimmung  mit  dem 
göttlichen  Willen  ohne  ein  näheres  Yerliältnifs  des  ~Men- 
.  sehen  sum  fVeeen  der  Gottheit,  sur  Erklärung  dieser 
l^tellen  nicht  aasreicht.  Es  sind  aber  A!i;s5pruche  der- 
jenigen Religiosität,  welche  das  der  Anlage  nach  allge- 
mein menschliche,  in  Jesu  durch  freie  Kraft  und  Gottes 
Gnade,  so  viel  im  Menschen  vollendet  sein  kann,  vol- 
lendete göttliche  Leben  anerkennt.*'  Aber  nach  den 
ArQher  angeführten  Stellen  über  das  Wesen  des  Men- 
schen, bleibt  ja  der  Mensch  ideal  verbunden  mit  Gott^ 
real  ewig. geschieden;  wie  ist  also  eine  solche  Vollen- 
dung des  göttlichen  Lebens  im  Menschen  möglich,  dafs 
von  ihm  ohne  Selbsttäuschung  und  Anmafsung  gesagt 
werden  kann  „ich  und  der  Vater  sind  eins**,  und  wie 
kaim  es  bei  jener  realen  Geschiedenheit  von  Gott  zu 
jener  „Erhabenheit  des  religiösen  Selbstgefühls  kommen, 
das  ein  Einssein  mit  Gott  in  der  Art  ausspricht,  dafs  ein 
Daswischengetretensein  der  Sunde  undenkbar  scheint/' 
S.  246  §.  164.,  in  dem  die  „apostolische  Auffassung*' 
der  Person  Christi  entwickelt  wird,  zeigt  sich  dasselbe 
Schwanken,  S.  249,  es  kommt  wenig  darauf  an,  dals 
^die  Stellen,  welche  für  die  Bezeichnung  Jesu  als  ^to« 
angeführt  werden,  hinsichtlich  der  Aechtheit  oder  hin«- 
sichtlich  der  Konstruktion^  wie  (nun  folgen  die  Stellen) 
zweifelhaft  stnd^  denn  auf  verschiedenen  Standpunkten 
des  Glaubens  an  ihn  konnte  Jesus  nach  damaligem 
Sprachgebrauche  Gott  genannt  werden ;  daher  diese  Stel- 
len ^fur  eine  ernsthafte  Apotheose  ii^%  Messias  gegen  die 
bestimmtesten  Erklärungen  seiner  Unterordnung  unter 
die  Gottheit  bei  der  Strenge  des  jQdischen  Monotheis« 
mus  nicht  gebraucht  werden  können."  Was  die  Stel- 
len von  ^der  Unterordnung  Christi  betrifft,  so  sieht  man 
nicht  ein,  warum  diese  aHein  gelten  sollen;  wem  kann 
es  verwehrt  werden,  dafs  er  die  Sache  umkehrt  und 
sagt,  gegen  die  bestimmten  Erklärungen  von  der  'Gott- 
heit Christi  Termögen  diese  nichts;  doch  so  einseitig 
ist  das  christliche  Bewufstsein  der  Kirche  nicht  gewe- 
sen, sondern  sie  hat  vielmehr  beide  Momente  anerkannt 
und  ist  zum  konkreten  Begriffe  des  wirklichen  Gojtfmen- 
selita'  gelangt  Soll  aber  die  Strenge  des  jüdischen  Mo- 
notheismus zur  Sprache  Icommen,  so  liefse  sich  eher  er- 
warten, dafs  dieser  einen  solchen  Sprachmifsbraueh  des 
Wortes  ^i<;  nicht  zugelassen  hatte ;  übrigens  abe^  wair 
eben  das  christliche  Bewufstsein,  welches  die  Gegenwart 
des  fleiscb|(ewordenen  Xoyot;  geschaut  und.geglaubt  hatte, 


\  „ 


eben  Qber  den  abstrakt  jüdischen  und  damit  funBmhrem 
Monotheismus  hinausgegangen.  Weiter  heifst  es;  „ge> 
wifs  konnte  Phil.  2,  10.  nur  in  einer  Gemeinde  ge- 
schrieben  werden,  die  ihre  Knie  vor  Christo  beugte  cf. 
Luc.  24,  52.  und  wahrscheinlich  sind  auch  Gebet«  ai 
ihn  gerichtet  worden ;  allein  nach  morgienländischer  Siüe 
bt  Kniebeugung  keine  Gottesverehrung  u.  s.  w.**  Docbl 
Denn  im  Morgenlande  werden  Menschen  z.  B.  Desps- 
ten  nur  deshalb  mit  Kniebeugen  verehrt  und  angebet^ 
weil  in  ihnen  der  unmittelbar  substanziell  gegenwiriig» 
Gott,  freilich  in  ganz  anderer  Weise  als  in  dem  ge» 
sohichtlich  •  wirklichen  Gottmenschen,*  verehrt  ward.  — 
Es  ist  nicht  zu  verwundern,  nach  den  angefuhi  ten  sick 
^  widersprechenden  Bestimmungen  über  das  We^en  der 
Religion,  dafs  da,  wo  der  Vf.  seine  eigne  Ueberzeugmg 
von  der  Person  Christi  darlegt  §.  170.  S.  285 — S7  dsi 
Hinundherschwanken  einen  hohen  Grad  erreicht.  Za^ 
erst  wird  der,  kirchlichen  Lehire  von  der  communlcalis 
idiomatum  der  Vorzug  der  Konsequenz  zugestanden  vei 
der  neueren,  die  fast  allgemein  geworden  ist,  \releha 
eine  Einheit  beider  Naturen  annehmend,  doch .  die  ge« 
genseitige  Durchdringung  der  Eigenschaften,  welche  deck 
nur  die  Naturen  ausitiachen,  leugnet.  „Wenn  gdttlieiiK 
und  menschliches  Wesen  für  qualitativ  verschieden  geadb^^ 
tct  wird,  so  übersteigt ihreVereinigung in ^WmSttbjeW 
zwar  menschliche  Einsicht,  allein  a  priori  kann  ihre  Ui* 
möglichkeit  nicht  dargethan  werden,  vielmehr  entspridll 
sie  dunkeln  Gefühlen  einer  Sehnsucht  des  Mensdica 
nach  dem  Göttlichen.''  Aber  nicht  blos  dunkeln  G^ik 
len,  sondern  den  in  allen  Religionen  mehr  oder  mindff 
bestimmt  ausgesprochenen  Vorstellungen  von  derMens^ 
werdung  Gottes  und  dem  göttlichen  Ebenbilde  des  Men* 
sehen;  Ja  der  Vf.  gesteht  in  dieser  Hinsicht  über  Er- 
warten viel  zu,,  denn  er  fährt  sogleich  fort:  „Eis  w«^ 
aber  Resultat  der  Anthropologie  und  Theologie,  dafii 
die  menschliche  Natur  desselben  Geschlechtes  i&t  mk 
der  gottlichen,  nur  dadurch  ijuantüativ  gesciiledcn^ 
dafs  der  Mensch  nach  dem  Unendlichen  strebt,  GM 
das  Unendliche  ist.  Daher  würde  die  menschliche  Na^ 
tur  dadurch  mit  der  göttlichen  vereinigt  werden,  wess 
sie  das  Absolute,  die  gottliche  Natur  mit  der  meBseUU 
eben,  wenn  sie  das  ^Beschränkte  in  sich  aufnäiimeir 
Beides  enthält  einen  unbedingten  Widerspruch, 
jede  von  beiden  Naturen,  in  allem  gleich  mit 
dem,  bt  nur  verschieden  durch  die  Negation 
was  sie  bei  der  Vereinigung  in  sich  aufiiehor^^oi  sal^ 


«6t 

mt  iemm  Aufnahme  sie  also  nothwendig  zur  andern 
Natur  würde,  niclit  -mit  ihr  vereinigt.  Uiese  Vorslet- 
lung  eines  Gottmenschen  vernichtet  sich  daher  durch 
Innern  Widersprueh  und  beruht  nur  auf  mifsverstande- 
Her  Anthropologie  und  Theologie.'*  Weun  aber  die 
aienschliche  Natur  gottlichen  tieschlechtes  ist,  oder 
,,daa  Wesen  der  Menschheit  S.  46  die  aus  dem  Eudii- 
ehen  zu  erschaffende  Unendlichkeit**,  so  Aat  ja  die 
menschliche  Natur  an  sich  dos  tiöttliche  oder  Absolute 
bereiu  in  sich,  daher  ist  eine  Menschwerdung  Uottes 
möglich;  eine  Konfundlrung  beider  Naturen,  eine  Auf« 
nähme  der  einen  in  die  andere,  wodurch  die  eine  6io$ 
4ie  andere  wQrde  oAhs  den  Unterschied,  hat  ja  die  Kir- 
ehe  nie  gelehrt,  sondern  aufs  Uestimmteste  abgewie- 
aen.  Ein  „Unendliches  aber,  dessen  schleclitiiuuiige 
Verneinung  das  Endliche  ist"  S.  47,  wird  durch  die. 
aen  abstrakten  Gegensatz  eo  ipso  zum  Endlichen,  ein 
)',Absolutes,  dem  das  Beschränkte  äuiserlich  gegeuüber- 
steht",  ist -ein  Beschranktes;  dteser  Vorstellung,  wel- 
die  beides  abstrakt  trennen  will,  widerfahrt  also  ge- 
rade  das,  was  sie  der  Vorstellung  vom  tiottmenschen 
vorwirft,  sie  confundirt  beide  Bestimmungen^  und  macht 
das  Absolute  zu  einem  Endlichen;  die  religiöse  Mor. 
atellung  dagegen,  so  wie  die  kirchliche  Lehre  weib 
Ton  einem  Gott,  der  die  Be^tiimmung  der  Schranke  sich 
selbst  setzt  in  der  Zeugung  des  Sohnes  und  damit  das 
Endliehe  als  ein  ewig  Oeberwundenes  offenbart;  denn 
indem  Gott  durch  das  SeUen  eines  Anderen,  des  Soh- 
nes, die  Welt  schafft,  erlöst  und  versöhnt  er  sie  ewig 
mit    sich.    Denn   die   gesetzte   Endlichkeit    als    solche 

feilt  eben  zu  Ende  und  erhebt  sich  in  der  Religion  zur 
;inheic  mit  dem  Absoluten,  obgleich  in  der  irdischen 
Erscheinung  nie  vollkommen.  Anderer  Seiis  aber  wird 
die  menschliche  Natur  in  ihrem  unendlichen  Streben 
permanirend  fixirt,  und  „in  ChrUto  ist  nicht  durch  ein 
Wunderbares  Eingehen  der  göttUchen  Natur  hi  die 
menschliche,  sondern  durch  die  Tollendete  Ausbilduug 
der  menschlichen  Natur  das  göttliche  Leben  zu  Tage 
«kommen.«  8.  286.  Wie  Ut  das  möglich  nach  jenem 
Verhältnifs  des  Unendlichen  und  Endlichen,  welches 
To rausgesetzt  wardi  Dadurch,  „dafs  das  menschliche 
Leben  selbst  erkannt  wurde  als  ein  götUiches,  welches 
die  Schranken  der  Endlichkeit  überwindet  und  theU- 
ttimmt  an  göttlicher  Vollkommenheit  durch  Liebe  zu 
Gott;"  und  doch  soll  es  nicht  das  Unendliche  sein, 
sondern  nur  danach  streben?  Also  unmittelbar  durch 
seine  eigne  AusTjHdung,  nicht  durch  seine  Negation  und 
durch  eine  Herablassung,  Menschwerdung  des  Göttli- 
elien  soll  das  menschliche  Leben  zu  jener  Tollendung 
in  Christo  sich  ausgebildet  haben.  Wie  dort  das  Ab- 
seltite  durch  den  abstrakten  Gegensatz  zu  einem  EndlU 
«hen  wurde,  so  bedarf  das  menschliche  Leben  desseU 
ben,  nachdem  es  die  „Liebesgabe  des  Unendlichen  in 
der  Liebe  zu  ihm  empfangen,"  nicht  mehr,  sondern  als 
I  cöltlich  erkannt,  daher  zu  ihm  geworden,  bildet  sich 
L^der  Mensch  Jesus  mit  dem  unverletzten  Keime  zur 
[ToUkommnen  Menschheit  geboren**  in  einem  niemals  un- 
P-mtschiedenen  Kampfe  siegreich  zum  sundlosen  Men- 
■Lchen  aus."  S.  287.    Obwohl  „Gott  nicht  wunderbar 

r-    ■ 


ifa»0y  Lehriwfh  der  evangetiseken  tiognu^ik. 


66a 


in  die  mepschiiche  Natur  eingreift,"  so  soll  er  doch  als 
positive  Bedingung  der  "Vollkommenheit-Jesu  den  ün^ 
vorletzten  Keim  zur  voUkommnen  Menschheit  in  il)n 
bei  der  Geburt  gelegt  haben.''  Aber  das  \gt  doch  wie- 
der ein  wuaderbareM  Einwirken  oder  Eingehen,  wie  es 
bei  keinem  andern  Menschen  stattfand.  Danach  ist 
nun  am  Ende  „die  göttliche  Natur  Christi,  mcht  im 
kirohlich  orthodoxen,  aber  auch  nicht  im  verfänglich 
metaphorischen,  sondern  im  ernsten  Sinne  der  Wis*- 
senschaft,  seine  ungetrübte  Frömmigkeit,"  nnd  nicht 
die  Religion,  wie  der  Verf.  sioh  ausdrückt,  sondern  nur 
die  subjektive  Seite  derselben,  die  HeligiÖMitätj  hfitte 
es  heifsen  sollen,  hat  sich  id  Christo  vollendet.  Nach 
der  rationalistischen  Meinung,  welche  die  Lehre  von 
der  Trinität,  oder  dem  Gottmenschen,  der  Erbsönde  in 
der  h.  Schrift  gar  nicht  finden  kann,  sollten  wir  nun 
billig  meioen,  der  Geist  habe  die  Kirche,  welche  diese 
Dogmen  als  die  Kardinalpuukte  des  Glaubens  von  je- 
her ausgesprochen  und  festgehalten,  in  allen  Irrthum 
i releitet 9  Hase  hat  zu  grofse  Achtung  vor  der  Kirchen- 
ehre,, als  daüs  er  ihr  nicht  einen  gewissen  Werth  noch 
beilegen  sollte^  „sie  hat  den  Glauben  an  die  göttliche 
Natur  und  Uestimmung  der  Menschheit  und  an  ihre 
Vollendung  in  Christo  durch  das  mifsverstandne  Sym- 
bol eines  menschgewordnen  Gottes  treu  überbracht." 
„Die  Kirchenlehre  darf  den  Uebergang,  welchen  sie  für 
die  Weltgeschichte  gebildet  hat,  auch  jetzt  noch  im 
Yolksunterrichte  bilden."  S.  287.  ,,Die  Menschheit 
gleichsam  als  werdende  Gottmenschheit  bildet  die  noth* 
wendige  Parallele  sur  Gottheit  ChrktL"  S.  433,  verel. 
S.  641.  ^ 

Was  3)  die  Trinität  betrifft,  welche  in  der  „Sum- 
ma der  Christologie"  S.  626  —  41  liehandelt  wird,  so 
wird  mit  dem  gewöhnlichen  Satze  begonnen,  dafs  „die 
Dreiheit  und  die  Einheit  des  göttlichen  Wesens  zu- 
sammengefafst,  nicht  im  N.  T.  enthalten  seien."  Einer- 
seits ist  dies  durchaus  zuzugeben  und  geradezu  zu  sa- 
gen, dafs  die  Kirche  die  Lehre  von  der  Trinität  ent- 
wickelte und  aufstellte,  eben  weil  sie  noch  nicht  ah 
Molclke  in  der  Schrift  enthalten  ist.  Anderer  Seits 
aber^  dafs  der  christliche  Glaube  in  der  Reflexion  auf 
sich  selbst  nur  das  in  der  reflekiirten  Form  des  Den- 
kens im  Dogma  herausstellte,  was  so  in  der  h.  Schrift 
enthalten  ist,  wie  es  nur  darin  enthalten  sein  kann, 
nämlich  in  faktUcher  und  prakfücher  Grcstalt.  In 
dieser  noch  flüssigen  Form  oer  Anschauung  und  des 
Lebens,  wie  es  das  unmittelbare  sinnliche  Dasein  der 
absoluten  Religion  mit  sich  bringt^  und  anderer  Seits  in 
der  Beziehung  des  göttlichen  Wesens  auf  die  We)t 
und  das  subjektive  Menschehieben  (Gott  als  Schöpfer, 
Heiliger  und  Erlöser)  ist  die  Dreieinigkeit  auf  jeder 
Seite  der  Evangelien  und  der  apostolischen  Briefe  zu 
leisen.  Wäre,  was  verlangt  wira,  unmittelbar  wie  in 
der  Kircheolehre,  so  in  der  Bibel  "die  Trinität  enthaU 
ten,  so  hätte  sich  die  Kirche  in  der  Arbeit  der  Glau- 
benserkenntnifs  zum  Ueberflufs  bemüht;  und  hätte  sie 
anderer  Seits  blos  den  Buchstaben  der  Bibel  unmit- 
telbar, wie  er  vorliegt,  aufgenommen,  so  hätte  sie  sich 
nicht  in 'freier  und  geistiger  Weise   zu  ihm   bekannt, 


L 


Hase^  LeArbueh  der  eumngelUci^n 


663 

Modem  ihn  als  einen  tociten  aufgenommeD«  und  hätte 
nur  eine  leere  Tradition,  nicht  ein  tilaybeqsbekeuut* 
Ulf«  gehabt.  Die  Differens  in  der  Form  hinsichtlich 
der  bibliechen  und  kirchliolien  Lehre  beweist  also  noch 
ger  nichts  ge^en  die  absolute  Wahrheit« dieses  Dogma, 
in  dem  Resultate  S.  639  wird  nun  die  Kirchenlehre 
selbst  kritisch  beleuchtet;  sie  soll,  iitdem  sie  das  Ge* 
xeuguein  der  zwehen  Person  von  der  ersten,  und  den- 
noch die  Identität  des  Wesens  beider  behauptet,  „die 
Abhängigkeit  des  Sohnes  vom  Vater  vor  sich  selbst  verber- 
gen"  S.  640.  Die  scharfsinnigste  Kritik  des  reflekti- 
renden  Verstandes  hat  die  kirchliche  Triiiitätslehre 
wohl  in  der  Scliieiermacherschen  GlaubensleJire  erfah- 
ren; doch  ist  von  demselben  Standpunkte  des  reilekti- 
renden  Denkens  aus  gegen  jene  Kinwendungen  das 
kirchliche  Dogma  treffend  neuerdings  vonTwesten  ver- 
theidigt  worden.  Wenn  gleich  nun  die  Heflexion  in 
der  Skepsis  über  die  Wahrheit  des  kirchlichen  Grund« 
'  dogma  verharrt,  so  ist  es  darum  noch  nicht  „vergeblich 
dif)  Kirchenlehre  philosophisch  begründen  zu  wollen," 
wie  Hase  meint.  So  sehr  Ref.  von  den  grofsen  Schwie- 
rigkeiten einer  spekulativen  Begründung  der  kirchli- 
chen Trinitatslehr«  überzeugt  ist,  so  leuclitet  ihm  die 
Unmöglichkeit  derselben  aus  dem  Folgenden,  was  hier 
dagegen  geltend  gemacht  wird,  keineswegs  ein.  ApOf 
diktisch  wird  behauptet:  „was  man  auch  unter  genera- 
tlo  und  spiratio  g5ttlicber  Personen  verstehe,  doch  je- 
denfalls eine  ursächliche  Handlung:  es  widerspricht 
aber  dem  menschlichen  Donkgesetze,  dafs  eine  solche 
aufserhalb   der  Zeit  geschehe.**    In  der  neueren  Meta- 

Ehysik  ist  aber  nachgewiesen,  dafs  die  Kutegorieen  der 
frsache  und  Wirkung  nur  der  Reflexion  angehören, 
und  damit  in  der  Erkenntnifs  des  Absoluten  nqthwen- 
dig  Verwirrung  angerichtet  wird,  wenn  dem  Gegen- 
stande inadäquate  Denkbestimmuogeu  in  Anwendung 
gebräclit  werden.  Die  fiestimmungen  der  Vorstellung 
von  Vater  und  Sohn,  gezeugt  und  gehaucht  sein,  müs- 
sen dal^r  nicht  bles  in  Reflektionsbestimmungen  auf- 
gelöst, sondern  zu  den  spekulativen  des  begreifenden 
concretcn  Denkens  fortgeführt  werden;  erst  mittelst 
dieser,  welche  zeigen,  dafs  jene  Vorstellungen  nicht 
eine  ur^üchliche  Handlung  bedeuten,  kann  das  dem 
Glauben  offenbare  Mysterium  veroünftig  begriffen  wer-^ 
deii.  „Dasjenige,  was  die  beiden  letzten  l'ersoueu  ^Is 
solche  constituirt,  ist  das  Seüi  durch  ein  Anderes;  die- 
ses aber  ist  der  reine  Gegensatz  des  Absoluten«"  Der 
Hr.  Vf.  meinte  oben,  wenn  nur  anerkannt  würde,  dafs 
der  Sohn  vom  Vater ^  abhängig  sei,  so  verschwände 
jede  metaphysische  Schwierigkeit  des  Goitesbegriffes; 
wie  läfst  sich  nun  aber  denkeu,  dalis  das  Absolute  ein 
solches  setzt,  welches  nur  der  reine  Gegensatz  von  ihm 
ist,  als  nicht  durch  sich,  sondern  durch  ein  Anderes 
das  Absolute  seiend;  in  diesem  reinen  Gegensatze  ist 
es  ja  nicht  mehr  das  Absolute,  sondern  vielmehr  das 
Endliche,  Begrenzte.  Das  Absolute  bewährt  sich  viel- 
mehr darin  als  das  Absolute,  dafs  es  sich  das  reine 
Wesen  von  sich  unterscheidet,  und  in  dem  Unterschie- 
denen, welches  #^#/»  Unterschied,  der  reine  Unterschied 
an  sich  ist,  mit    sich    identisch  bleibt ; .  oder  wie  die 


fid 


Kirehenlehre  sagt,  der  Sofan,  ala  Gott  ren  Gott,  luU 
das  Lel»en  in  ihm  selber;  nur  den  Unterseliied,  sidit 
Ungleichheit  oder  Verschiedenheit  postulirt  die  Kirch«!« 
lehre  in  den  charueteribus  hypostatieis  $  dieser  Unter- 
schied an  sich  oder  von  sich,  der  aber  als  reioer  du 
Identität  mit  sieh  ist,  wird  eben  durch  die  Vorstdyif 
von  Vater  und  Sohn,  Geist  durchaus  passend  iForn. 
stellt,  weil  hi  der  Zeugung  eine  Miitheilung  det  \Vn 
sens  also  des  Aussichselberseins  gesetzt  ist.  Befrt» 
dend  ist  es,  wenn  S.  641  gesagt  wird  ^das  ehristiidw 
Dewufstsein  bt  so  weit  entfernt  für  die  Erlösung,  und 
sogar  auch  für  die  Heiligung  verschiedene  Subjekte  is 
der  Gottheit  zu  fordern,  was  auch  in  der  Kirehenlelm 
nicht  liegt,  dafa  vielmehr  die  christliche  Fronuuigkdt, 
wie  auch  die  h.  Schrift,  Erlösung  und  Heiliguag  ifr 
mer  zuletzt  unbedenklicli  auch  unmittelbar  auf  dci 
Vater  Je;su  Christi,  als  den  Geber  uller  guten  Gabe, 
bezieht«"  In  wiefern  die  Kirchealefare  für  die  verMU^ 
denen  Formen  der  Otienbarung  nicht  auch  verselüeHe. 
ne,  wenigstens  unterschiedene  Personen  oder  Subjekte 
fordern  soll,  bekennt  Kef.  nicht  einzusehen;  freilich 
sind,  sie  nicht  so  gegen  einander  iixirt,  dafs  eben  sie 
nicht  mit  und  in  einander  wirken ;  diefs  bringt  die  Ideiw 
tität  des  göttlichen  Wesens  in  denselben  mijl  sich,  hebt 
aber  darum  den  Unterschied  der  Personen  nicht  auf. 
Dennoch  ist  die  Trinität  „das.Symbol  der  Christeubeit, 
sowohl  Sinnbild,  der  christlichen  Ideen  als  auch  unt«- 
scheidendes  Kennzeichen  des  Christenthumes/  Derje 
nigen  Phflosophie  und  spekulativen  Theologie,  weldn 
in  der  Trinitätslehre  nicht  ein  bloi'ses  „Syiubol"  ^ 
„Kennzeichen",  sondern  den  Uegriff  des  Christentbunei 
selbst  erkennt,  als  der  absoluten  allein  waltren  iteligioO) 
wird  durch  das  ganze  Lehrbuch  hindurch  der  Vorwarf 
des  Pantheismus  gemacht,  auch  gemeint,  sie  lege  die 
Dogmen  im  Gegensatze  ihres  geschichtlich  nachweis- 
baren Sinnes  aus  und  sei  weder  treu  noch  kircUieh 
S.  42;  für  das  Letzte  hätte  es  bestimmter  Nachweisungeo 
bedurft  \  dagegen/iafs  Gott  den  Etitwicklungsprocelsseiiei 
Selbstbewufstseins  nur  an  der  Welt  habe,  in  der  Weltge* 
schichte  als  dem  Sohne  «idi  offenbar  werde  S.  649,  ke» 
weisen  die  aus  der  neuereu  Religionsphilpsophie  z.  B.  17S 
„ Anm.  das  ewige  an  und  für  sich  Sein  ist  dicfs,  sich  aut 
zuschliefseii,  sich  als  Untefschiednes  seiner  zu  setsen  (ib 
Sohn),  aber  der  Unterschied  ist  eben  so  ewig  (also  uidiiia 
der  zeitlichen  geschichtlichen  Entwicklung  erst)  aufj^ 
hohen,  das  an  und  für  sieh  Seiende  ist  ewig  dariu  ii 
sich  zurückgekehrt  und  insofern  ist  er  Geist"  u.  s.  w. 
das  Gegentheil  des  Vorgeworfenen.  ^Da,  wo  GoU  k- 
trachtet  wird  als  die  absolute  Idee,  ^  wie  er  in  seinea 
ewigen  Wesen  vor  der  Erschaffung  der  Natur  und  ei- 
nes endliehen  Geistes  ist  (Einleitung  zur  Logik  I,  S.3Q 
heifst  es  von  ihr,  „data  sie  das  absolute  Wissen  ikcf 
selbst  >ei,  dafs  ihre  Ruhe  bestehe  in  der  Sicherheit  b«I 
Gewifshcit,  womit  sie  den  von  ihr  ewig  gezeugten  Ge* 
gensatfc  auch  ewig  überwindet*'  Logik  III,  S.  242  «aJ 
43  u.  S.  328  „und  in  iiim  mit  sich  selbst  zusammesgelit" 
ist  hierin  nicht  das  immanente  Verliälinils  Gotiei  >■ 
sich  selbst  eben  sosehr,  als  zur  Welt  ausgesproches!-* 

A.  Baier,  Lic.  in  Greifswal<i' 


IV  1  s  s  €  n 


J  a  h  r  b  tt  c  h  e 

u  r 

seh  a  f 1 1  i  c  h 


.• 


e    Kritik. 


Mai  1840. 


IM. 


The  Silurian  Stfstemy  founäed  Qn  Geological  J?e- 
seQrchßs  im  the  Counties  of  Sahp^  Hereford^ 
üadnoTy  Montgomertfy  Caermarth^ny  Brecon^ 
Pembrohej  lUomnouth^  Olauces/ery  IV^rceHer 
and  Biojffif^rd;  mth  DescrtpHons  of  the  coml* 
Jields  and  overfymg  formationg.  By  Roderik 
Impey  Murchi$on.  In 2 Parti.  Londonyl839. 

Eine  wiefatige  Aufgabe  der  Geogiioeie  besteht  da* 
rin,  die  Beihenfolge  de«  gescbichteten  Gebirges  mit  den 
in  demselben  enthaltenen  Yersteinerungen  in  ihrer  AU* 
gwneinbeil  tuf  der  gaasen  Erde  und  in  ihrer  Eigen« 
thümliehlceit  io  jedem  einseinen  Gebirgssystem  kennen 
zu  lernen.  Diese  Aufgabe  ist  In  Bezug  auf  MiUeKEu- 
ropa  und  tfuf  die  ebere%  jüngeren  (sogenannten  Ter* 
tiär)  •  Sebichien,  auf  die  niiuleren(8ecundär)*Sehiebten 
seit  mehr  als  swansig  Jahren  ziemlich  vollständig  gelöst 
worden*  Die  unteren»  alleren  Sefaichten  boten  dagegen 
Schwierigkeiten  dar,  eine  bestiiaaite  Reihenfolge  ihrer 
ciinzelnen  Glieder  und  der  in  ihnen  entbakenen  Verstei- 
nerungen aufzufinden,  Schwierigkeiten,  welche  sich  mit 
danen  in  Parallele  stellen  lassen»  die  einer  Entwicklung 
4er  gesehiebteten  und  Tersteiiieruogsf&lirenden  Gebirgsar* 
ten  der  Alpenkette  bisher  entgegenstehen.  'Es  war  bis 
auf  die  neuestisn  Zeiten  herab  kein  durdigreifender 
Vereneh  gemacht  worden»  die  Reihenfolge  jener  älteren 
(aegenannten  Transitions-  eder  üebergangs)- Schichten 
Ceataustellen  ujid  die  Ordnung  der  Versteinerungen  in 
4an  aufeioanderfolgenden  Soiueiiten*  Abtheilungen  auf* 
aiiaueben.  .  Elie  de  Beaumonk  hat  zwar  in  seiner  getst- 
veiehen  Entwicklung  der  verschiedenen  Hebungsrich* 
langen  der  europäischen  Gebirge  bereits  vor  10-  Jahren 
naohgewleeen»  dafs  in  diesen  älteren  GebirgsscUditen 
eine  sehr  auffallende  Unterbreehung  atattfiode  und  auf 
gleiche  Weise  eine  Unterscheidung  derselben  Hechtfer^ 

Jahrb.  /.  trwienfcA.  Kriük:  J.  1840.     h  tfd.    , 


tige»  wie  ähnliche  Unterbrechungen  in  der  gleiehförmi« 
gen  Aufeinanderfolge  der  Schichten  auch  in  den  mittle* 
ren  und  jfingeren  Sehiehten  die  einzelnen  Formaiionett 
von  einander  sondern  lassen»  aber  dieses  wichtige  Fae- 
tum  war  ohne  Anwendung  geblieben,  weil  es  an  einer 
genauen  Kenntnifs  von  der  Aufeinanderfolge  der  Yer- 
stetnerungen  in  diesen  älteren  Schichten  fehlte. 

Aus  diesem  Grunde  war  es  daher  ein»  für  den  Fort-, 
sehritt  der  Geognosie'  sehr  wichtiges  Unternehmen»  dafs 
MurcAieon  steh  der  Untersuchung  der  T,rapsi(ions* 
Schichten 'von  Wales,  mit  besonderer  Bcr  tick  sich  tigimg 
der  einzelnen  Abtheilungen  derselben  und  der»  einer 
jeden  Abtheilung  zukommenden  organischen  Formen  mit 
dem  anhaltendsten  Eifer  während  7  bis  8  Jahre  unter* 
zog  und  diese  Aufgabe  mit  eben  so  viel  Ausdauer  und 
Beharrlichkeit  als  Genauigkeit  und  scharfer  Beobach* 
tnngsgabe  löste.  Die  verläufigen , Resultate  dieser  Uli* 
tersuchungen  wurden  theils  durch  die  Biilietius  (Pro^ 
eeedings)  der  geol.  Gesellschaft  in  London»  theils  durch 
tm  Schema  der  einzelnen  Abtheilungen  und  Unterab* 
theilungen  der  beobachteten  Schichten  bekannt»  welches 
der  Vf.  überall  hin  zu  verbreiten  bemuht  war;  die  vor- 
läufige Kenntnifs  dieser  Verhältnisse  konnte  indessen 
nur  eine  allgemeine  Spannung  auf  ihre  voUslähdige  Dar* 
legung  und  Erläuterung  der  aufgefundenen  organischen- 
Reste  lier  vor  rufen ;  denn  ohne  diese^  letzteren  zu  ken» 
nen,  war  eine  Beurtheilung  und  Anweiulung  der  Beob* 
achtungen  nicht  möglich. 

Das  Resultat  dieser  Arbeiten  liegt  nun  in  einem 
reich  ausgestatteten  Werke  vor  uns.  Der  erste  Theil- 
enthält  eine  sehr  ausfahrliefie  Darlegung  der  im  Laufe 
dieser  Untersuchung  gemachten  Beobachtungen;  der 
zweite  ist  ausschlielslieh  der  Beschreibung  und  den  Ab* 
btldungea  der  organischen  Reste  gewidmet,  welche  Mur^, 
ekison  mit  grofsem  FleiiM  gesammelt  hat»  und  diese 
Arbeit  wird  immer  benutzt  werden   müssen»  wenn  es 

um  die  Bearbeitung  ähnlteher  Kldungea .  handelt» 

84 


667  Murchüon.    The 

dipnn  fiie  enthält  einen  grofsen  Schatz  organischer  For- 
men, bei  denen  die  relative  Lage,  oder  dos  relative 
Aller  der  Fundorte  mit  grofser  Sorgfalt  bestimmt  ist. 

Der  erste  Band  vereinigt  einen  doppelten  Zweck, 
daher  auch  die  Ausdehnung,  welche  er  besitzt';  nicht 
allein  sind  diejenigen  Abtheilungen  von  Schichten,  de- 
ren nähere  Kenntnifs  die  Untersuchung  vorzugsweise 
beabsichtigte,  beschrieben,  sondern  auch  andere  Ge- 
birgsYerhältnisse^  welche  in  denselben  Gegenden  beob- 
achtet wurden.  Er  enthält  eine  sehr  detaillirte  geogno- 
stische  Lokal -Beschreibung  der  ostlichen  Gränze  von 
Wale9  und  reicht  weit  in  die*^  benachbarten  Grafschaf- 
ten von  England  hinein.  Das,  was  auf  diese  Weise 
die  Mineral -Geographie  dieser  Gegenden  betrifft,  be- 
sitzt in  diesem  Theile  den  gröfsten  Umfang.  Die  Be- 
trachtungen über  die  Yerbreitung  des  Kohlengebirges, 
über  die  Aufsuchung  von  Kohlenflötzen  sind  auch  voll- 
kommen geeignet,  das  lebhafteste  Interesse  der  Grund- 
besitzer und  der  Gewerbtreibenden  jener  Gegend  in 
Anspruch  zu  nehmen  und  im  Allgemeinen  zu  zeigen, 
wie  eng  das  Studium  der  Geognosle  mit  der  praktischen 
Kenntnifs  der,  für  den  National- Wohlstand  so  wichti- 
gen Mineral  -  Schätze  verknöpft  ist. 

Die  Verbindung  dieser  beiden  Zwecke  ist  Yeran- 
lassung,  dafs  in  dem  ersten  Theile  die  Thatsachen  von 
besonderer  Wichtigkeit  für  die  Wissenschaft  weniger 
hervortreten. 

Seit  einiger  Zeit  hat  man  sich  gewohnt,  die  soge- 
nannten Transitions  -  Schichten  unter  dem  Namen  ^^der 
QrUuvfäckcngruppe^  zusammenzufassen;  der  alte  rothe 
Sandstein,  eine  Bildung,  die  auf  dem^Continente  entwe- 
der ganz  fehlt,  oder  eine  ganz  andere  Entwicklung  als 
in  England  zeigt,  wurde  als  die  tiefste  Abtheilung  der 
Kohlengmppe  betrachtet.  Murchison  zeigt,  dafs  er  von 
dieser .  getrennt «  werden  müsse  und  sich  durch  eigen- 
thümliche  früherhin  wenig  oder  gar  nicht  bekannte  Yer- 
steinerungen  von  dem  unmittelbar  darüber  liegenden 
Kohlenkalkstein  (Mountain  limestone)  unterscheidet;  er 
bildet  eine  eigonihümliche  Schichten  -  Abtheilung  zwi- 
schen der  Gratiwacke-  und  der  Kohlengruppe ;  sein  Vor- 
kommen ist  aufser  Wales  besonders  in  Schottland  so- 
wohl  am  Sudrande  der  Grampiaus,  als  in  der  nordöstli- 
chen Spitze  von  Caithnefs  undäuf  denOrkney's  nachgewie- 
sen, und  das  vorliegende  Werk  enthält  einige  sehr  interes- 
sante fossile  Fische,  welche  in  jenen  von  Wales  ziemlich 
entfernten  Gegenden  aufgefwdden  worden  sind.    Neuere 


Silurian  System.  €68 

Untersuchungen  von  Murohison  und'Sedgwidc  maehet 
-  es  wahrscheinlich,  dafs  der  mineralogische  Charala« 
dieses  alten  rothen  Sandsteins  in  der  sudliehen  Fort* 
Setzung  von  Wales  aus,  in  Devonshire  und  CornwaU 
Veränderungen  erleidet,  dafs  erder  gewöhnlichen  Gm- 
wacke  ähnlich  wird ;  daher  sie  ihn  mit  dem  Nan» 
Devonian  -  System  bezeichnen.  Es  '  ist  dieCi  abo  eil 
Mittelglied  zwischen  der  Grauwacken-  und  Kohlengrup|ML 
In  dieser  letzteren  Form  konnte  der  alte  rothe  Sipid- 
stein  von  England  wohl  in  Deutschland  und  Frankreick 
vorkommen,  doch  sind  Parallelen  bis  jetzt  noch  voreilig. 
Den  Namen  Orauwacke  fafst  Murchison  in  oryk- 
tognostischer,  nicht  in  seiner  geognostischen  Bedeotimg 
auf  und  verwirft  ihn  daher  als  verwirrend  und  nicht 
klar  bezeichnend ;  den  Namen  TransüionM  -  SeküAtm 
verwirft  er,  weil  er  oft  In  sehr  weit  ausgedehnter  Be-' 
deutung  gebraucht,  oft  der  Kohlenkalk  auf  dem  CoBti» 
nent  jüngerer  Transitionskalk  genannt  worden  sei;  so 
bedurfte  er  einer  neuen  Bezeichnung  für  die,  unter  den 
alten  rothen  Sandstein  befindlichen  versteinerungsfah« 
renden  Schichten.  Diese  Schichten  werden  gleidi  ak- 
getheilt,  die  obere  Abtheilung  erhält  den  Namen  des 
Süurian- System  (von  den  Siluriern,  den  alten  BewdH 
nem  von  Wales,  deren  berühmter  Heerfdhrer  Caractacu 
in  einer  weiteren  Unteräbtheilung,  dem  Caradoe*saDl- 
stone  verewigt  wird)  die  untere  Abtheilung  denKt» 
men  CamAn'an*  System;  von  dem  ersteren  nur  wirf 
hier  ausführlich  Rechenschaft  gegeben,  das  letstere  viitl 
nur  gelegentlich  erwähnt  und  auf  eine  ausfuhrlkhen 
Arbeit  hingewiesen,  welche  Sedgwick  schon  seit  Ui* 
gerer  Zeit  darüber  vorbereitet.  So  nehmen  denn  zwei 
neue  Namen,  das  Silur-  und  Cambrische  System  Be- 
sitz von  dem  Reiche  der  Grauwacke;  und  ein  dritte^ 
das  Devon -System  wird  vielleicht  noc^  seinen  Tbel 
davon  fordern.  Ueber  das  Cambrische  System  steht  usi 
noch  kein  Urtheil  zu,  aber  wie  es  scheint,  dürfte  niek 
viel  für  dasselbe  übrig  bleiben,  in  dem  vorliegendes 
.Werke  sind  kaum  einige  orga)iische  Reste  desseibes 
angegeben,  die  den  Anneliden  von  Hao  Leay  zugcreeii- 
net  und  unter  den  Namen  Nereites,  Mynanites  uad 
Nemertites  beschrieben  werden«  Auch  das  wenige,  was 
Philipps  in  seinem  Treatise  on  Geology  T«  I.  p.  U0 
davon  .bekannt  gemacht  hat,  ist  nicht  selir  geeignet  eäe^ 
bestimmte  und  klare  Idee  davon  zu  erwecken,  es  mi 
unvollständige  Reste,  eben  so  unvollständig  eriauteit 
Aber  unter  den  375  Species  von  tbierischen  Resten  da 


m  MareAüon,    The 

SUir-Systens  sind  viele,  welche  aus  anderen  Graa- 
waeken- Gegenden  längst  bekannt  sind  und  wenn  auch 
sieht  gans  mit  ihnen  Qbereinstimmend,  doch  sehr  nahe 
liegende  Analogien  wahrnehmen  lassen.  Nur  da  etwa, 
wo  die  Grauwacke  eine  swiefache  Hebung  zeigt,  wie 
Elie  de  Beaunont  nachgewiesen  hat,  durfte  mit  einiger 
Aussieht  auf  Erfolg  das  Cambrische  System  aufgesucht 
werden ;  wo  es  aber  bisher  nur  nach  gewissen  Verstei- 
lerungen  aufgeführt  worden,  da  hätte  man  auch  eben 
sowohl  das  Devon  •  System,  abo  grade  das  jQngere  an 
£e  Stelle  setzen  können,  wie  es  wirklich  geschehen 
in,  da  fehlt  bisjetst  wenigstens  jede  genaue  Rechtfertig 
gung  dnes  solchen  Verfahrens  und  ruft  offenbar  mehr 
Yerwirreng  hervor,  ab  wenn  die  ältere  zusammenfas- 
lende  Bezeichnung  von  Grauwacke  beibehalten  wird. 

Immer  haben  diese  irrthGmlichen  Paralielstellungen 
entlegener  Formationen  der  Geognoste  geschadet  und 
deoBoeh  wird  dieser  Fehler  immer  von  Neuem  began- 
gen, wenn  von'  irgend  einer  Seite  her  eine  glänzende 
Eriänterung  einer  gewiuen  Schichtenreihe  in  die  \Yb- 
aenscliaft  eingeführt  wird.  Murchbon  selbst  hat  sich 
\  fai  diesem  Werke  frei  von  diesem  Fehler  erhalten,  wie 
nahe  es  ihm  auch  grade  lag,  die  Aufmerksamkeit  durch 
lolehe  Yergleiche  zu  erregen.  Die  Nahmen  thun  hier 
Tiel  beider  Sache,  alle  neueren  Lehrbücher  greifen  ei- 
ligst nach  den  Siloriem  und  Cambriern,  dadurch  wird 
allerdings  der  Ruf  von  Murchbon's  Arbeit  schnell  und 
m  weiten  Kreben  verbreitet,  aber  dem  'Werthe  dersel- 
ben nur  ein  lockerer  Schein  gegeben  und  derselbe  eher 
Termindert,  ab  in  seinem  wahren  und  wohl  verdienten 
Glänze  gezeigt. 

Die  weitere  Unterabtheilung  dieser  oberen  oder 
jüngeren  Grauwacke,  des  Silursystems  oder  der  Si- 
Inrfomiation  ist  ^weit  genug  verfolgt.  Zunächst  wer- 
den die  oberen  und  unteren  Silurschichten  unterschie- 
^n.  Die  ersteren  zerfallen  in  fünf  Ahtheilungen : 
Obere  Ludlow- Schichten,  Aymestry- Kalkstein,  untere 
Udlow-Scbichten,  \Venlock*Kalkstein,  Wenlöck-Schie- 
ler;  die  letztern  in  zwei  Abtheilungen :  Caradoc^Sand- 
iteui  und  Llandeilo-Platten  (ein  rauher  webclier,  kaum 
von  einem  Engländer  richtig  auszusprechender  Name), 
l^iese  Abiheilungen  stehen  etwa  so  zu  einander,  wie 
Onder  Oolite,  Bradford  Clay,  Bath  (great)  Oolite,  Fo- 
^st  mai4ile,  Cornbrash  u.  s.  w.  in  der  Juragruppe. 
Sie  bilden  keine  getrennten  Formationen,  sie  folgen  in 
einer  ununtertnrochenen  Lagerungsfolge  adf  einander. 


SHurian  System»  670 

,1 
während  iinrer  Bildung  sind  keine  allgemeiner  wirkeuden, 

Aufrichtungen  (Hebungen)  der  Schicliten  erfolgt;  die 
Versteinerungen  in  denselben  besitzen  einen  gemein» 
samen  Charakter,  viele  und  zwar  gut  bestimmte,  und 
häufig  verbreitete  Species  kommen  nicht  allein  in  zwrf 
unmittelbar  auf  einander  folgenden  Abtlieüungen  vor, 
sondern  erstrecken  sich  sogar  durch  4  oder  5  dersel- 
ben,  ja  einige  sind  auch  dem  alten  rothen  Sandstein, 
welcher  mit  Ausschlufs  der  Fbche  überhaupt  arm  an 
organbchen  Resten  bt,  und  den  oberen  SUurschiohten 
gemeinschaftlich.  Auf  diese  gut  l>estimmte  und  häufig 
vorkommende  Species  mub  aber  ganz  besonders  geach- 
tet werden,  wenn  man  natürliche  Ahtheilungen  in  ei- 
ner Schichtenreihe  aufsucht :  es  finden  sich  zwar  we- 
nigere  Abtheilungen,  die  sich  aber  über  gröbere  Flä- 
chenräume ausdehnen'  und  dadurch  grade  für  geogno. 
stbche  Yergleiohungen  einen  vorzüglichen  Werth  er- 
hallen. Sie  werden  zur  allgemeinen  Orientining  dienen 
in  weit  entlegenen  Gegenden  und  in  solchen,  wo  es 
aufserordentlicb  schwer  hält,  die  ursprüngliche  Jleihen- 
folge  der  Scluchten  aufzufinden,  dann  erst  kann  mit 
Sicherheit  zu  den  kleineren  Abtheilungen  ubergegan- . 
gen  werden.  Nicht  alle  die  kleinen  Abtheilungen  des 
Jura  von  Bath  und  Gloucester  lassen  sich  in  Franken, 
Schwaben  und  der  Schweiz  wiedererkennen,  noch  we- 
niger bei  Hiidesheim,  ja  selbst  in  England  hat  man 
die  Erfahrung  machen  müssen,  dab  diese  Ab'theilung 
bei  Whitby  und  Scarbrough  nicht  mehr  anwendbar 
bt,  oder  ganz  wiUkuhrlich  erscheint.  Nicht  anders 
darf  man  erwarten,  es  mit  dieser  siebentheiligen  Spal- 
tung der  Silurschichten  zu  finden;  es  scheint  schpn- 
sehr  zweifelhaft,  ob  sich  dieselbe  in  Cornwall  und  De- 
von oder  vom  Mull  of  Galloway  bb  Abbshead  wird 
auffinden  lassen.  Den  besten  Horizont  der  Yerglei- 
chuug  giebt  der  Kalkstein  von  Wenlock,  denn  er  ent- 
hält mehr  ab  ein  Drittel  sämmtlicher  von  Murchison 
angeführten  Species  s  nach  dem  allgemeinen  Eindruck, 
den  die  Formen,  welche  in  demselben  enthalten  sind, 
machen,  können  die  Kalksteine  der  Eifel  und  von  Bens- 
berg nicht  sehr  weit  davon  entfernt  gestellt  werden. 
Aber  freilich  einige  sehr  wichtige  Familien  der  Cepha- 
lopoden  führt  Murchison  gar  nicht  an,  keinen.  Goniati- 
teu,  keuie  Clymenia,  keinen  Nautilus  aus  den  oberen 
Schichten.  Das  bt  bei  einer  so  grofsen  Aufmerksam- 
keit auf  die  Versteinerungen  immer  eine  sehr  bemer- 
kenswerthe  und  wichtige  Thatsache.^ 


671  MurcAüau,    TAe 

Die  VanieUiiDg^  dab  io  j^dar  «igaaen  SeMdbt 
•vth  eigentbiiBlidM  organwebe  Reste  enihaltan  sind^ 
kt  au«  aorgMligen  Beobaobtungen  bervorgegangen, 
aber  niebl  alle  diese  Reste  sind  eigetitbümliobe,  wm^ 
dem  viele  geben  nacb  dem  AaericenntniCi  von  MurckiF 
ion  dureh  mebrere  .Abtbeiliingen  von  Sehiebtea  bio^^ 
dureb.  Dennoeb  ist  in  dem  gansen  Werk  die  Tendefii 
gar  tilobt  zu  verkennen,  ßtr  eine  jede  Sebiehf  reebt 
viele  eigentiiümlicbe  Speeies  zu  erhalten.  Dieses  Be^ 
streben,  aus  den  oft  nur  unvollkommen  erbaltenen 
Scbalen  nach  kleinen  und  unbestimmten,  oft  gar 
nieht  angegebenen  Kennxeicben  Speeies  zu^  bilden,  ist 
hoohst  verderblich  für  die  Geognosie,  denn  unterbleibt 
die  genaue  Vergieiehung,  so  werden  die  Dinge  der 
Namen  wegen  für  verschieden  gebalten.  Murobison 
schenkt  offenbar  den  Bestrebungen  des  Kontinents  eine, 
gr6fsere  Aufmerksamkeit,  als  viele  andere  englische 
Geognosten,  die  sich  ganz  allein  nur  auf  das  beziehen, 
was  „die  glückliche  Insel**  liefert,  und  daher  auch  im- 
mer  einen  englisob^n  Namen  für  die  in  England  gefun* 
denen  Versteinerungen  haben,  wie  bekannt  und  gut 
beschrieben  auch  bereits  die  Sache  im  Auslände  war. 
Der  Schaden  wurde  noch  nicht  einmal  so  grofs  sein, 
wenn  nur  das  sorgf&lUg  besehrieben  würde,  was  in 
80  T^chllchem  Maafse  in  England  aufgefunden  worden 
ist*  Aber  auch  hieran  fohlt  es  oft  genug;  die  Diagno- 
sen sind  so  mager,  die  gewählten  Kennzeichen  so  we- 
nig sicher  und  ausreichend,  die  oft  schön  ausgeführten 
Zeichnungen  so, wenig  trea,  dab  es  dann  mit  solchen 
Hülfsmitt^ln  unmöglich  ist,  eine  strenge  Yergleichung 
durebzuflibren.  MuMhison  hat  unter  den  Versteinerun- 
gen die  Crustaeeen,  die  Trilobiten  mit  grofser  Sorgfalt 
selbst  beschrieben,  es  wäre  sehr  zu  wünschen  gewe- 
sen, er  haue*  diese  Arbeit  auch  für  die  Mollusken  über- 
nommen. Der  berühmte  Name  von  Sowerby,  dem  er 
diesen  Zweig  der  Palaeontologie  überlassen  hat,  steht 
wenig  im  Einklang  mit  den  Leistungen.  Die  Brachio- 
poden,  die  in  so  grofsen  Mengen  als  gesellige  Thiere 
vorkommen  und  so  vdrtreflfliob  zur  Vergleichung  der 
älteren  Schichten  bei  ihren  scharfen  Charakteren  die- 
nen,  sind  seiir  vernachlässigt«  Von  den  Arbeiten  Leop. 
vonBuch*s  über  Terebrateln  undDoltbyris  ist  gar  kein 
Nutzen  gezogen;  nicht  einmal  die  schärfere  Bestimmung 


der  Genera  bat  sunt  Leilfadw  gedient.  Van  eia«r. 
Charakteristik  der  Spf eie*  nach  den  wasentUcbea  Ksnn» 
seichen,  d|e  so  vortreffUeb  in  der  Abhandlung  über  die 
Terebrateln  entwickelt  sind>  findet  sieh  gar  keine  Spur, 
die  .Abbildungen  sind  grdlstehtbeUs  mit  GeDaHl^csit 
angefertigt  und  ersetzen  sum  Tbeii  den  ftlapgel  der 
Beschreibungeu,  Es  ist,  als  wenn  die  Kenn-  tjk  die» 
ser  Gestalten  seit  20  Jahren  keine  Fertschritt«  ^emaoht 
bäUe«  und  selbst  der  Geist  feiner  Beobacbtung  in 
der  Mineral  •  Conobology  des  äitereo  Sowerbj's  i$t  ia 
der  Dürftigkeit  der  Diagnosen  veraebwunden. 

Pie  Korallen  sind  von  Loosdale^  dem  Custos  der 
Sammlungen  der  Lopdpuer  geol.  Geaellsebaft,  beidiris* 
beu  \  die  genaue  Kenntnifs  dieser  Gestalten  lädt  ubsr« 
haupt  noch  viel  zu  Wünschen  übrig  $  die  Genera  selb<t 
sind  noch  bei  weitem  nicht  in  dem  Maafse  auf  Merk- 
male zurückgeführt,  die  von  der  Organisation  des  TIh»- 
res  abhängen,  als  zu  einer  scharfen  Bestimmung  nothwen- 
dig  ist,  und  es  bleibt  eine  Bearbeitung  der  fossUcn  For<^ 
men  dieser  wichtigeu  Thierklasse  unter  Berücksiebti- 
gung  der  Arbeiten  von  £farenberg  und  Milne  Edwards 
für  die  Geognosie  ein  Erfordernifs,  da  sie  oft  ganze 
Kalkmassen  als  Koridlenriife  und  Inseln  zusammeDfe- 
setzt  haben.  Die  auswärtige  I^iteratur  ist  bei  diesen 
Beschreibungen  mit  grolsem  Fleifse  benutzt  worden. 
Die  am  häufigsten  in  der  Eifel  und  £ii  Bensberg  ?oi^ 
kommenden  Korallen  sind  in  dem  Wenlock- Kalkstein 
'wieder  aufgefunden,  einige  gehen  aber  auob  durch  i 
und  5  AbtheUungen  von  Aymestry- Kalkstein  bis  zum 
Caradoe-Sandstein  hinab,  wie  Favpsitea  alveolaris,  Ca- 
lamopora  Gothlandica  (basaltica),  C.  fibrosa,  die  Cate- 
nipora  escbaroides  reicht  sogar  bis  in  die  'JJandeilo- 
Platten..  Nooli  eine  weit  gröisere  Anzahl  von  Koralleo 
soll  sich  in  dem  Wenlock- Kalksteine  finden,  von  de* 
nen  aber  I^onsdale  nicht  so  wohl  erhaltene  Exemplare 
zu  Gebote  standen,  dafs  er  dieselbe  hätif  bestimmeo 
knnnen. 

Die  CrboUeen  sind  von  Phillips  bearbeitet,  laeli- 
rere  neue  Genera,  wie  Marsupiocrinites,  Uypantboeii- 
nites,  Dimerocriniies  werden  eingeführt,  und  überhaupt 
14  Spezies  unterschieden^  angeführt,  aber  nur  udsu« 
länglich  besehrieben. 


(Die  FortsetzuDg  folgt) 


^85. 

Jahrbuch 


e  r 


für 


wi/äsehschaftliche    Kritik. 


Mai  1840. 


The  Bäurian  System^  faunded  an  Geologtcal  Re- 
searcAes  in  the  Counties  qf  Salop,  Hereford, 
Madnorj  Montgomery,  Caermarthenj  Brecon, 
Pembrokej  Monmouth,  Olaucesterj  Worcester 
and  Staffbrd;  with  Descripttons  qf  the  coal- 
ßelds  and  averlying  formations.  By  Moderik 
Impey  Murchison. 

(Fortoetznog.) 
Murchison  hebt  die  Thatsache  sehr  hervor,  dab 
alle  organischen  Reste  der  Silurschichten  gänzlich  ver- 
schieden von  denen  des  Kohlenkalksteins  sind ;  dies  ist 
ein  sehr  wichtiger  Fortschrilt  in  der  KenntnKs  des  äl-; 
teren    Gebirges.     Sollten  auch   nun  wirklich  einzelne 
Formen,  die  jetzt  noch  getrennt  werden,  als  demselben 
Typus  angehörig  erkannt  werden,  so  würde  dies  docli 
Ton  keinem  Einflufs  auf  die  Folgerungen  sein,   welche 
sich  daraus  ergeben   und  die  es  möglich  machen  wer« 
den,  aueh  in  solchen  Gegenden,  wo  nur  eine  unvoll- 
ständige Entwicklung  des  Kohlenkalksteins  stattgefun- 
den hat^    denselben  zu  erkennen  und  von  der   Grau- 
wackengruppe  zu  trennen,   mit  der  er  bisher  verweeh- 
seit    worden  ist.    Eine  Yergleichung  der  Abbildungen 
Ton  Murchison  un<f  von  Phillips  in  seinem  unentbehrli- 
eben  Werke    Ober  Yorkshiro    bestätigt    diese   Ansicht 
durchaus,    beide  dienen  sich  gegenseitig    zur  Erläute- 
rung.   So  war  es  auch  möglich,  dafs  Murchison  auf  ei- 
ner Reise,  die  er  im  vergangenen  Jahre  in  die. Rhein- 
gegenden gemacht  hat,    eine  langgenährte  irrige  An- 
sicht berichtigen  konnte,   welche  das  mächtige  Kalkla- 
ger,  das  sich  von  Erkrath  über  Elberfeld,  Iserlohn  bis 
Brilon  erstreckt,  für  Kohlenkalkstein  angesprochen  hat- 
te.     Dassel&e  gehört  der  oberen  Grauwacke  (den  De- 
von- und  den  Silurschichten)  an;  einer  Unterabtheilung 
aber,  die  wenigstens  in  Wales  nicht   deutlich  hervor- 
tritt.    So  verbreitet  eine  richtig  aufgefafste  Thatsache 
ein  neues  Licht  über   weit  entlegene  Gegenden.    Die 
Jahrb.  /.  wimMeh.  Kritik.   /.  1840.   1.  Bd. 


schmalen  Lager  bei  Altwasser,  der  Kalkstein  von  Neu- 
dorf bei  Silberberg  in  Schlesien  werden  hiemacli  ent« 
schieden  für  Kohlenkalkstein  erkannt,  der  sich  so  we- 
nig gegen  Osten  zu  verbreiten  schien,  und  die  weit 
verbreitete  Grauwacke  von  Rudolstadt  gehört  dem  De- 
von-, der  Schiefer  des  Bleibdrges  am  Bober  dem  Cam- 
brischen  System  an. 

Aber  wenn  auch  die  Kohlenkalk-  und  die  Silur- 
schichten hiemach  ebenso  getrennt  durch  ihre  organi- 
schen Reste,  wie  durch  ihre  Lagerung  erscheinen,  so 
ist  dennoch  die  Ansicht  von  Bronn  sehr  begründet,  dafs ' 
von  den  Ältesten  Schichteo  bis  zu^  dem  Zecbitein  bcrab 
kein  so  grofser  Abscrlmitt  in  den  Yersteinerungen  wahr- 
zunehmen  ist,  als  zwischen  diesem  und  dem  Muschel- 
kalk,  und  dafs  gewisse  Analogien  alle  die  älteren  Schich- 
ten mit  einander  verbinden  \  die  Angabe  von  Murchison, 
dafs  sich  Eucrinus  liliiformis  auch  in  dem  Zechstein  fin- 
det, dafs  also  die  Trennung  zwischen  dieser  Formation 
und  dem  Muschelkalk  eben  so  wenig  vollständig' sei,  als 
die  Trennung  von  Zechstein  und  Kohlenkalk,  ist  we- 
nigstens für  Deutschland  ganz  unbegründet  und  für  Eng- 
land höchst  zweifelhaft  und  unwahrscheinlich. 

Die  Silurschiehten  reichen  von  der  Nordküste  von 
Wales  bei  Conway  am  Ostrande  des  Gebirges  in  unun- 
terbrochener Folge,  sich  dann  noch  immer  mehr  nach 
West  am  südlichen  Gebirgsfufse  fortziehend,  von  Builth 
an  in  sehr  verminderter  Breite  bis  an  die  Westküste  von 
Pembrokeshire,  bis  Haverfordwest  und  selbst  bis  auf  die 
Halbinsel  von  Pembroke.  In  dem  südöstlichen  Theile 
legt  sich  der  alte  rothe  Sandstein  in  breiter  Masse  da- 
vor, recht  auffallend  hier  demselben  Gebirgssystem  an- 
gehörend. Von  besonderer  Wichtigkeit  für  die  Unter- 
suchung sind  die  Ränder  des  Gebirges,  an  denen  sich 
Kohlenkalkstein,  Kohlensandstein,  Rothliegendes,. bunter 
Sandstein  anlegt,  in  der  Gegend  von  Shrewsbury  und 
Coalbrookdale,  die  Gegend  in  welcher  die  Severn  aus 
dem  Gebirge  hervortretend,  in  einem  weiten  Bogen  die 

85 


'    K 


675       '  MureAüony   Tke 

Rftnder  desselben  darchi chneldet,  um  dann  ihre  sttdliche 
Richtiing  nach  Gloiicester  hin  dem  Abhänge  parallel  an- 
zunehmen. In  der  Gegend  ron  Shr^wsbury  brechen  die 
tieferen  Schichten  am  Abhänge  de^i  Gebirges  hervor, 
die  Cambrischett  Schichten  und  von  beiden  Seiten  lagern 
ridi  die  Siturschichten  daran«  In  langen  Zungen  treten 
sie  in  die  neuem  Schichten  in  der  Richtung  ihres  Strei- 
chens  hinein.  Die.  Richtung  von  Nordost  gegen  Sud-' 
West,  die  Hauptrichtung  der  meisten  Grauwaekenschich- 
ten  von  Mitteleuropa  wie  Alex.  y.  Humboldt  schon  seit 
so  langer  Zeit  bemerkt  hat,  ist  auch  hier  die  vorherr- 
sehende;  sie  tritt  deutlich  in  dem  langen  Rücken  von 
Wenlock  Edge,  in  der  antiklinischen  Linie  vonLudlow 
an  der  Tema  bis  Old  Rfidnor  hervor;  die  Richtung  der 
.  Caradoc  Hills  weicht  etvras  und  die  der  Stipper  stones 
noch  mehr  davon  ab,  N.N. O.  gegen  S.S.W,  laufend. 
Diese  Riehtungen  breiten  sich  fächerförmig  gegen  N.  O. 
hin  aus;  aber  die  Qreidden  Hills  besitzen  durchaus  die 
Hauptrichtung  von  N.  O.  gegen  S.  W.  Diese  Hebun- 
gen stehen  in  eiitem  genauen  Zusammenhang  mit  mas-* 
sigen  Gebirgsarten,  für  die  Murchison  im  Allgemeinen 
den  Namen  Trapp  gebraucht.  Es  ist  sehr  auffallend 
wie  diese  Gesteine  hier. in  einem  Räume  vorkommen, 
der  von W. N.W.  gegen  O.  S.  O.  vom Snowdon  bis  cum 
Chamwood  forest  lang  ausgedehnt  Ut,  während  die  Rich- 
tung der  einseinen  Ausbrüche  schief  hindurch  geht,  ja 
verschiedene  Riehtungen  sogar  sich  darin  unterscheiden 
lassen,  aber  keine  einzige  mit  dieser  übereinstimmt.  Es 
ist  offenbar  dasselbe  Phänomen, .  welches  Gebirge  dar-, 
bieten,  in  denen  die  einzelnen  Ketten  die  Hauptrichtüng 
unter  einem  Winkel  durchschneiden,  wie  die  Karte  des 
,  Jura  von\Buchwalder  und  Thurmann  so  trefflich  zeigt. 

.  Von  Abberley  Hill  bis  zum  südlichsten  Ende  der  Mal- 
vern  auf  Howlers  Heath  zieht  in  der  Richtung  von  Nord 
gegen  Süd  eine  Reihe  kristallinischer  Gesteine  grade 
auf  der  Grftnze  zwischen  dem  alten  rothen  Sandstein 
lind  dem  bunten  Sandstein  des  Sevemthales  hin,  und 
mit  -denselben   sind   Silurschichten  in  einem  schmalen 

^  Streifen  hervorgehoben.  Diese  Richtung  scheint  sich 
in  ddm  Innern  des  Gebirges  nicht  zu,wiederholen,v  sie 
stimmt  aber  mit  der  grofsen  antiklinischen  Liiiie  überein, 
welche  durch  Derbyshire  und  Cumberland  in  dem  Koh- 
lenkalkstein hindurch  geht,  und  bat  wesentlich  die  Form 
des  Gebirgslandes,  bestimmt   Südwärts  lassen  sich  Wir- 

* 

kungen  derselben  wohl  noch  in  der  Gegend  von  Bri- 
stol erkennen. 


SÜurian  System.  616 

Eben  «o  auffallend  ist  wdter  sfidwirti  anf  dm  Ba- 
ken Wyeufer  die  Lage  der  aatiklinisehen  Lini^  nvdck 
durch  die  May  Hills  uAd  den  Hough  Wood  bei  flsre. 
ford  in  der  Richtung  von  S.8.O.  gegen  N.N.W.  Ua* 
durchgeht  und  im  Gebiete  des  alten  rothen  Sanditihi 
(im  Devonsjstem)  die  Silursehichten,  bis  cum  Camdoc^ 
Sandstein  an  die  Oberfläche  herauf  gebracht  hat;  db 
antiklinische  Linie  auf  den  Prescöed  eommons  beüJik, 
zwischen  dem  Kohlengebirge  des  Forest  of  Dean  lai 
Süd  Wales  in  der  Riehtung  von  N.  N.  O.  gegen  S.S.W. 
Diese  drei  Erhebungeii  jede  von  einander  TerseUetcs 
und  der  Hauptaug  des  Grauwaekengebirges  von  Wiki 
bestimmen  die  grofse^  an  keinem  andern  bekamtoi 
Punkte  übertroffene  Ausdehnung  des  alten  rothen  Ssni^. 
Steins. 

Der  Erhebungslinie  der  May  Hills  auffallend  pa- 
rallel ist  die  Richtung  der  antiklinischen  Linie  voaDod*^ 
ley,  welche  den  Wenlock -Kalkstein  mit  den  vielen  bcnw 
liehen  Versteinerungen  aus  dem  Kohlengebirge  auftrei^ 
der  Rowley  Ridge,  der  Lickey  Hill  und  Clont  HiBf 
zwischen  Birmingham  und  Kidderminster,  so  weit  sett 
sich  diese  Richtung  gegen  Ost  hin  fort  und  giebt  db 
Veranlassung,  dals  ältere  Massen  mitten  in  dem  bu* 
ten  Sandsteine  hervorbrechen.  In  der -Gegend  von  Dsd» 
ley  wird  dieses  Verhältnifs  um  sp  auffallender,  akdie' 
nordöstliche  Hauptrichtüng  so  auffallend  in  dem  Wafr 
lockkalkstein  bei  Wallsall  und  in  der  ganzen  Erstrecksig 
des  Kohlengebirges  hervortritt  und  von  der  antiklio- 
schen  Linie  von  Dudley  durchschnitten  wird. 

Die  Richtung  der  Caradoe  Hills  pflanzt  sidi  gegei 
Südwest  in  das  Innere  des  Gebirges  im  Carneddau  an 
Irthon  und  Wyeflusse  fort  und  die  Hauptrichtung  ge* 
gen  Südwest  läfst  sich  nur  in  der  Scheidung  der  Can* 
brischen  und  Silurschichten  genau  in  der  Fortsetznsg 
des  Wenlock  -  Rückens  bis  LIandelo  Fawr  am  Tow)'  *% 
ununterbrochener  Folge  erkennen.  Von  hier  aus  abet 
folgen  echellonartige  Unterbrechungen,  die  bei  gleidh 
bleibendem  Streichen  der  Schichten  die  Grenzen  beidtf 
Systeme  immer  mehr, nach  Norden  drängen  unddadortk 
im  Allgemeinen  die  Richtung  der  Kohlenlager  von  SSd^ 
Wales  von  Ost  gegen  West  hervorbringen.  Hier  UI* 
den  die  Silurschichten  nur  noch  ein  schmales  Band  swi* 
sehen  dem  alten  rothen  Sandstein  und  dem  Cambriscbes 
Gebirge.  Dieses  Yerhältnifs  erhält  sich  bis  nach.Sl 
Cläre  am  Afon  Gyniu  nahe  der  Küste  von  CaermarllMS 
Bay.     Weiter  westwärts  ist  aber   die  Streicbungslio» 


t77  MureküoHy    Ti# 

ier  Süimdiiehteii  von  Ostoa  gegen  Weifen  feriehteCy 
devüieh  abweiehend  roa  dea  Caaibrischen  Sehichten,  die 
b  ibrem  Verlaufa  and  in  den  daraus  benrorbreehenden 
DttCdgen  Gesteiaan  fortdauernd  die  Hauptrichtung  von 
Nordost  gegen  SAdwest  boibebahen.  Noch  auffallender 
gestaltet  steh  diese  Abwelcbang  auf  der  Sadsefte  des 
KobleDgebirgos  von  Pombroke,  wo  die  Strdehungslinio 
ier  Schiebten  von  O.  S.  O.  gegen  W.  N.  W.  gerichtet, 
theo  Winkel  von  40  ^  mit  der  Richtung  der  Cambri« 
idiea  Schiebten  bildet. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Lagerungsverbällttisse  stellt 
ia  diesem  Gebirgszuge  der  Bestimmung  der  Reihenfolge 
der  Schichten  schon  sehr  bedeutende  Hindemisse  enlge« 
gea,  and  es  erfordert  eine  so  woblgeiibte  Beobachtungs«» 
gäbe  und  eine  Ausdauer  vi^ie  sie  Murebison  besitst,  um 
Klarheit  in  diese  Verhältnkse  su  bringen,  um  die  Ueber- 
ehntimmung  zwischen  den  Versteinerungen  und  der  Rei- 
beafolge  der  Schichten  darzuthun.    Denn  das  Mittel,  wel* 
elift'jetst  nach  der  Beendigung  dieser  Untersuchung 
sich  darbietet,  aus  den  Versteinerungen  auf  das  Vorhan« 
densein  bestimmter  Schichtenglieder  zu  schlicGien,  fehlte 
eben  beim  Beginne  derselben  und  mufste  erst  geschaf* 
fen  werden.     Die  sehr  rollständige  Erreichung  dieses 
Zweckes  ist  das  Hauptverdienst  dieses  Werkes  ui^d  giebt 
Mttrehison  ein  wohlbegriindetes  Recht  auf  die  Anerken« 
Dung  aller  Geognosten.    Eine  so  ausfuhrliche  Detailbe* 
Schreibung  der  zu  diesem  Zweck  angestellten  Beobach« 
tangen,  wie   sie  das  vorliegende  Werk  enthält,  wurde 
nicht  erforderlich  gewesen.  Ja  es  wGrden  sogar  die  Haupt- 
Resultate  leiditer  zu  entnehmen  und  schärfer  hervorge- 
treten sein ;   aber  auf  der  andern  Seite  kt  es  wichtig, 
die  interessanten  Lokalitäten  kennen  zu  lernen,  welche 
diese  Verhahnisse  nachweisen,  und  den  Beobachtungen 
Schrift  vor  Schritt  zu  folgen.    Die  Ausstattung  des  Wer- 
l^cs  EU  diesem  Zwecke  ist  überaus  reich.    Eine  grofse ' 
Karte  in  drei  Blättern,  ohdo  Terrainzeichnung  nach  der 
Miliiür. Aufnahme  (Ordnance  survey)  reducirt,  geogno« 
itlseh  illaminirt  gewährt  eine   vollständige  Uebersiclit 
aller  LokaUtäten.;  9  grofse  Blätter  enthalten  illuminirte 
Profile,  deren  Grundlinien  auf  der  Karte  angegeben  sind; 
14  Ansichten  von  Gegenden  erläutern  die  Oberflächen- 
Verhfiknisse  dieses  Gebirgslandes,  sie  sind  leicht  gehal* 
tea,  ebne  dem  Charakteristischen  der  Formen  etwas  zu 
nehmen;  112  Holz-  und  Metallschnitte  sind  in  den  Text 
«iagedruckt,  zum  Theil   einzelne   Profilp,  zunr  Tlieile 
euizehid  Felspartieen  oder  sonst  auffallende  Lokalitäten 


System.  als 

darstellond,  letztere  meisterbah  ausgefihrt.  Die  Profile 
sind  beinahe  fiber  die  GebOhr  vervielfacht,  denn  zur  Ter* 
sinnlieiiung  einer  einfach  aufeinanderfolgenden  Sohich* 
ten  -Reibe  bedarf  es  um  so  weniger  einer  Zeichnung, 
als  diese  den  Yerlauf  der  Schichten  in  die  Tiefe  nicht 
nach  Beobachtungen,  Sondern  nur  nach  Toraussetzun» 
gen  darstellt,  nnd  daher  leicht  bei  dem,  welcher  mit 
dem  Gegenstande  nicht  näher  bekannt  eine  falsche  Yor* 
Stellung  erweckt,  und  für  andere  Le$er  dörften  grade, 
diese  Bilder  ganz  entbehrlich  sein>.  Zeichnungen  ver« 
wickelter  Verhültnisse  sLid  nothwendig,  sie  kommen  der 
Beschreibung  zu  Hülfe  und  sparen  viele  Worte,  aber 
um  ganz  einfache  Verbältnisse,  oder  vtelmebr  nur  die 
einfache  Ansicht  von  gleichartigen  Verhältnissen  darzu« 
stellen,  bedarf  es  gewifs  nicht  für  jeden  einzelnen  Fall 
einer  besonderen  Zeichnung. 

Die  massigen  Gebirgsärten  kommen  in  dieser  Ge* 
gend  mit  den  Cambrischen  und  Sihirschiehten  verbua« 
den  in  grofselr  Häufigkeit  Tor,  ftie  dringen  aber  aucft 
in  das  Kohlengebirge  ein,  wovon  die  CJee  Hills  be« 
sonders  deutliche  Beispiele  lieferu.  Ihre  Lokalitäten 
sind  alle  angegeben,  an  vielen  Punkten  sind  die  Vor« 
hältnisse  derselben  zu  den  umgebenden  Schiebten  mit 
Sorgfalt  beschrieben,  und  die  Durchbrechung  dieser 
letzteren,  die  .Ausfüllung  entstandener  Spaltenrflumie 
nachgewiesen.  Die  Clee  Hills  liegen  mitten  im  Ge* 
biete  des  alten  rothen  Sandsteins,  einzelne  schoberfoBf 
mige  Berge  dichten  Melaphyrs  (ein  Name,  der  eher  su 
rechtfertigen  sein  dürfte,  als  der  von  Mnrchison  gebrauchte 
Basalt)  an  ihrer  Basis  von  Kohlengebirgen  umgeben, 
zwischen  ihnen  geht  die  antiklinische  Linie  von  Lud* 
low  hindurch.  Die  Kohlenlager  sind  von  ihrem  Alis- 
gehenden aus  unter  den  Melaphyr  verfolgt  worden,  aber 
in  der  Nähe  des  Titterstone  Clee  HUI  ist  ein  mächtiger 
Gang  biosgelegt  worden,,  welcher  das  Kohlengebirge 
durchscheidet  und  den  Kanal  bildet,  aus  welchem  die 
Masse  herausgeflossiBn  ist^  auf  der  Nordwestseite  das 

4  

Kohlenrevier  von  Hoar  Edge,  auf  der  Südostseite  von 
Cornbrook,  bedeckend.  Die  Weite  des  Ganges  beträgt 
450  Fufs}  grofse  Stücke  des  Kohlengebirges  sind  los* 
gerisiien  und  befinden  sich  in  einer  anomalen  Lage  von 
dem  Basalte  getragen.  An  den  Brown' Clee  HiHs  sind 
ebenfalls  die  Kohlenlager  von  Melaphjr  bedeckt,  wet 
eher  die  höchste  Bergplatte  bildet,  in  der  Form  etwa 
dem  Meifsner  ähnlich,  nur  sehr  viel  kleiner;  ein  in  die 
Tiefe  niedersetzender  Gang  als  vZufühningskanal  dieser 


679  MurcMsön;   The  SilUrian   System. 

Masse  ist  nicht  mit  gleicher  Bestimmüieit  bekannt  wi6 
im  Cornbrook,  aber  wahrscheinlich  ist  derselbe  auch 
hier. '  Deutlicher  Icann  der  Zusammenhang  zwischen 
platlenförroig  ausgedehnten  Massen  solcher  Gesteine 
lind  ihrem  HerTorbrechen  aus  der  Tiefe  nicht  nachge* 
wiesen  werden,  als  an  diesem  Puukte.  Die  Ycrände- 
rungen  der  Kohlenschichten  in  der  unmittelbaren  Be- 
rührung derselben,  fehlen  nicht,  aber  ebenso  und  viel- 
leicht  hoch  merkwürdiger  sind  die  Punkte^  an  denen 
die  Schichten  in  der  Nähe  dieser  Durchbrüche  sich 
durchaus  gar  nicht  verändert  zeigen.  Die  Gesteiüe  von 
den  Clee  Hills  nennt  Murchison  Basalt,  dem  allgemein 
in  England  angenommenen  Gebrauche  folgend;  so  wird 
aber  auch  das  Gestein  von  Rowley  Ridge  bei  Dudley- 
immer  Basalt  genannt,  so  das-  Gestein  aus  den  Gängen 
und  Lagern  des  Kohlengebirges  von  Yorkshire,  Durham 
und  Newcastle  (den  Whindykes  und  Whinsill).  Es  ist 
höchst  zweifelhaft,  ob  dieses  Gestein  irgend  eine  mehr 
Öls  zunilige  Aehnlichkeit  mit  dem  Basalte  besitzt,  ob 
es  einen  zeolithartigen,  in  Säuren  gelatinirenden  Be- 
standtheil  enthält,  ob  es  Olivin  und  titanhaltiges  Mag* 
neteisen  einseliliefst;  über  die  Zusammensetzung  dieses 
so  wie  auch  ähnlicher  Gesteine  läfsi  uns  Murchison 
leider  gänzlich  im  Dunkeln.  Die  Namen  Trapp,  Grün- 
stein und  Basalt,  welche  dafür  benutzt  werden,  bezeich- 
nen keine^bestiminten  Unterschiede,  sondern  nur  eben 
einen  verschiedenen  Zustand  der  Feinkörnigkeit,  wie- 
wohl auch  hier  ebenso  keine  grofse  Consequenz  beob- 
achtet zu  sein  scheint.  Weder  auf  die  Unterscheidung 
der  Hornblende,  des  Augits,  des  Hypersthens  noch  des 
Feldspaths  (Orthoklas),  Albits  und  Labradors  scheint  ir- 
gend ein  Werth  gelegt  zu  sein,  die  drei  letzteren  Mi- 
neralien, deren  Verschiedenheit  in  geognostischer  Be- 
ziehung so  sehr  wesentlich  4ind  bedeutend  ist,  werden 
überall  unter  der  Benennung  von'  Feldspath  begriffen 
und  von  den  beiden  letzteren  ist  kaum  die  Rede.  Der 
Hypersthenfels  wird  «ur  von  den  Statiner  rocks  bei 
Old  Radnor  erwähnt;  der  Hypersthen  ist  hier  gewifs, 
ebenso  wie  an  anderen  Punkten,  mil  Labrador,  vielleicht 
auch  mit  Oligoklas  und  nicht  mit  Feldspath  verbunden. 
Murchison  würde  ein  sehr  grofses  Terdienst  durch 
die  genauere  mineralogische  Bestimmung  dieser  Ge- 
steine den  vielen  andern  Verdiensten  dieses  Werkes 
hinzugefügt  haben,  um  so  gröfser  für  England,  je' weni- 

I  (Der  Besclilaf»  folgf.) 


680 

ger  die  Kenntnifs  dieser  Gesteine  dort  einheiousch  ist. 
Die  Ansicht,  dafs  die  mineralogische  Bestimmung  der 
geschichteten  Gebirgsarten  von  geringem  Einflüsse  aif 
die  Bestin^mung  ihrer  Altersfolge  sei,  seheint  leider  dort 
den  Erfolg  gehabt  zu  haben,  dafs  es. auch  für  überflüadg 
gehalten  wird,  auch  die  krystallinbchen  Gesteine  eioer 
näheren  Betrachtung  zu  würdigen.  Daher  die  vielen 
Angaben  in  englischen  VTf^rken,  aus  denen  kaum  cia 
entfernter  .Schlufs  auf  die  Zusammeiksetzung  der  plote- 
ni^chen  Gesteine  gemacht  werden  kann,  und  die  ai 
eine  in  der  Mineralogie  längst  vergangene  Zaiteiis- 
nem.  Je  mehr  Schwierigkeiten  aber  diese  genauen 
Kenntnils  der  krystallinischen  Gesteine  darbietet,  lai 
so  mehr  mufs  grade  auf  ihre  Bearbeitung  gedrungea 
werden« 

Höchst  auffallend  sind  einige  Ai;^aben  über  das 
Yorkomn^en  des  Olivine^  dessen  Mangel  in  den  en^ 
sehen  Gebirgsarten  bbher  nur  aufgefallen  war;  die 
meisten  sind  von  der  Art,  dafs  sie  Zweifel  gegen  die| 
Richtigkeit  der  Bestimmung  erwecken  können. 

Bei  Little  Wenloek  wird  das  Gestein  basallisciMr 
Grünstein  genannt,  wiewohl  die  Feldspath-  und  Hoi»- 
blendeköruer  nur  mit  grofser  Schwierigkeit  von  einaih 
der  zu  unterscheiden  sind,  in  welchem  Falle  es  als  Ba- 
salt (?)  betrachtet  werden  soll,  in  diesem  kommt  hier 
und  da  Olivin  vor. 

Die  Zusammensetzung  des  Barestree  •  oder  Here- 
ford  -  Trappgauges  im  alten  rothen  Sandstein  ist 
wunderlich.  Vorherrschend  ein  krystallinischer, 
Hornblende,"  Oltvin  und  Feldspath  bestehender 
stein,  in  der  Mitte  kuglich  und  die  Hornblende  vorwal- 
tend, nach  den  Wänden  hin  prismatisch  abgesondei:^ 
mit  vielem  Feldspath  und  wenigem  Quarx,  die  Saal» 
bänder  wahrscheinlich  Serpentin^  eine  so  ungewöl 
liehe  Verbindung  von  Mineralien  würde  wolil  eine 
here  Begründung  erfordert  haben,  aber  es  wird  als  vrife 
über,  etwas  gewöhnliches  hingegangen. 

Wo  möglich  noch  auffallender  ist  das  Vorkomn^ 
des  Olivins  in  schichtförmigem  Trapp-  mit  den  uateica 
Silurschichten  zusammen  in  der  Corndonkette  zwiackt 
Wotherton  und  Marrington  Dlngle  in  einem  maadd- 
steiiiartigen  Grünstein,  indem  die  bohnengrofsen  Man» 
dein  mit  Kalkspath  und  Olivin  ausgefüllt  sein  sollen. 


Jahrbücher 

* 

für 

1^  i  s  8  e  n  8  c  h  a  ftliche   Kritik 


Mai  1840. 


im«  Säurtan  SyBtem^  founded  o»  €fe0hgüfal  Re* 
$earchet  in  tke  Cauntiet  of  Salop,  Herrford^ 
Hadnorj  Montgomery^  Caermartheny  Breconj 
Pembroie,  Mofimouthy  Oloucestety  Worcester 
and  Stafford;  with  Descriptions  of  the  coal- 
Jields  and  overlj/ing  formatiam.  By  JRoderik 
Impejf  Murckisom. 

(Schltft.) 
Aach  die  wesdichslen  Punkte  fod  Penbrok«  bie* 
iem  Doeh  Sbnliche  nauerkwafdige  MiDerakusasiineiiset- 
«vngea  dar;  bei  St.  David  fiadet  eich  ein  aehr  kiyatal* 
JEUiisdier  GrBnatei»)  der  ai^  Albk  (ea  scheint  diera  der 
Minzige  Pankt .  tu  aem,  wo  er  beobachtet  worden  ist) 
amd  Ideineren  KryataUen  von  Chromeisen  besteht  imd 
aulaer  Quars^  Eisen  nnd  Cfaroaioxyd  ein  erdiges  Minet 
ral  enthält,  welches  währseheinüch  verwitterter  Augit 
int.  Nieht  lefcht  wfirde  man  dieae  Mmeralausanunei^ 
•aiaung  unter  dem  Namen:  Grtastein  suchen. 

.Mit  den  massigen  Gesteinen  in  genauer  Verbin«. 
deusg.  stehen  diejenigen  Sehichien,  welche  Morchisou 
Mit  dem  m^t  jpewöhnlichen  Namen  ,)Vulkaniscber  Sandt 
stein"  (volcanic  grit)  beseichset.     Grit  ist  ein  Trivial- 
i&ame  dca  englischeii  iLshlcnbergniann%  wie  Granwacke 
^ha  Harter  and  Gneia  des  Preiberger  Bergmanns;  ein 
(Jnlersdbied  von  dem  Werte  aandsloBe  oder  Sandstein 
int  nidrt  ansugehen  vnd  es  kann  daher  nur  verwirren^ 
beide  neben  einander  au  gebraneben;   eine  nähere  Er* 
Inutemng  giebt  auch  Mnrahiaon  nicht    Er  ist  der  An« 
iricht,   dab  dieser  vulkanische  Sandstein  das  Prodnkt 
Mdmianniv  Audbrüehe  aus  der  Cambrisclien  und  Silurl« 
Mban  Periode  aei  nnd  ana^.Aäobe  nnd  Schlacken  be« 
atinde.    Aber  freilieh  aaa  der  Beaohrmbnng  deaaelbea 
Utfat  aich  weder  die  Aacba  nach  die  Schlacke  erkeo« 
oen.  .  In  der  Nähe  des  WreUn's  hestehen  diese  vulka« 
nisehen  Sandsteine  ans  denselben  Materialien^  welche 
Griinstein  und  Syenit  ausaniniensetsen,   mit  wenigen 

Jahrb.  f.  wUie»$ck.  Kritik^  J.  1840.  I.  Bd: 


feinen  Glimmerblättcfaen ;  anFufse  des  kleinen  Caradoc 
aus  Kdroem  von  Grönecde,  Feldspatii  und  aus  tilim* 
merblättchen«     Von  Cheney  bei  LongviUe  ist    es   ein 
gUmmeriger^   sehr   feinkörniger  Sandslein   von    dunkel 
nlhrengriincr  Farbe  mit  den  Abdrucken  von  Enkriniten,^ 
Trilobiten  und  Mollusken.    Es  ist  nicht  klar,  ans  weU 
eiiem  Grunde  diese  Sandsteine  nicht  das,  Produkt  der 
Zerstörung  der  Trappgebirgsarten,  durch  dieselben  Wir» 
kungen  hervorgebracht,   sein  können,  welche  aus  quar«> 
eigen  Gesteinen  die  gewöhnlichen  Sandsteine  und  Kon* 
glomerate  erseugt  haben.    Nodi  ausgedehnter  sind  .die-  ' 
se    vulkanischen  Sandsteine  an  der  .Comdonkette;  ea 
sind  quarzige  und  feldspatbhaltende   Gesteine,  wie  so 
viele  grobe  Sandsteine  aUer  Fermationen,  die  abgerie- 
bene, Quarz-  und  Feldspathkörner  noch  erkennen  las* 
sen,  im  Rotbüegenden,  im  bunten  Sandstein,  im  Keu- . 
per,  im  Griindsand,  ja  aelbst  in  den  Plioceen-Sandstei* 
nen  Sicilienss  aie  aipd  von  Chlorit  dunlcelgrun  gefSrbt 
und  enthalten  eckige  Bru<Astucke  von  Grauwacken- 
achiefer  und  porphyrartigem  Grünstein  5  unter  denLlan- 
deilo-Platten  dieser  Lokalitäten  lassen  einige  die  Kor« 
ner  von  Feldspatb,   Quarz  und  Hornblende  sehr  deut- 
lich wahrnehmen,   und  sind  mit  den  Abdrücken  von 
Trilobiten  erflUk.    Bei  Glog  zwischen  dem  Towy-  und 
Taafflasse  (im  südwestlichen  TheiU  von  Caermarthen« 
aiiire)  ninunt  ün  didites  Feldspathgestein*  Geschiebe  von 
Quarz  von  der  Grofse  eines  Eies  auf  und  geht  nach 
dem  Gipfel  des  Berges  in  ein  Konglomerat  und  in  Sand» 
stein   über.     Endlieh   wird   noch  am    feld^q^athreicher 
Sandstein   aus    dem  fiteioicohlengebirge   von  Stafford« 
shire  zwhchesi  West  Brooawtch  und  Kings  Swinford 
hierher  gerechnet,  welcher  mit  dem  sogenannten  ^Ornnd^ 
geAmüz^'  van  Weuin  und  eiirfgen  Lagen  des  Roihlie* 
gendeii  vom  Thüringer  Walde  eine  auffallende  Aehn« 
lichkeit  besitzt,   und   aufsur   den  Bruchslüdcehen  voll 
•  rothem  Feldspatb  ähnliche  von  grünem  Thonstein  eat<» 
liUt;  derselbe  gekört  den  obersten  Schichten  des  Steine 

86 


683 


Talvjy    CharßJki^rUtifs  der  Volkslieder* 


«4 


kohlengebirgas  an  und  kommt  nach  Murchison*s  Beob- 
achtungen auch  in  dem  darüber  liegenden  Rothtiegen« 
den  (Lower  New  Red  Sandstone)  /vor.  Alle  diese  Ge- 
steine dörfilen  Jcaum  eine  andere  Entstehungswelse  in 
jln^pruch  pehmen  als  sie  gewöhnlich  den  Sandsteinen 
zugeschrieben  wird,  die  aus  der  Zerstörung  schon  vor- 
handener Gebirgsmassen  hervorgehen.  Bei  so  grofsen 
Ausbrüchen  plutonischer  Massen  (von  Feldspath* Trapp- 
gesteinen) kann  allerdings  erwartet  werden  „Reibungs- 
konglomerate" zu  finden,  die  auch  an  Tersohiedeuen 
Stellen  besehrieben  Verden. 

Die  genaue  Nachweisung  des  Rothliegenden  über 
dem  Kohlengebirge  an  den  Rändern  des  Gebirges  bei 
Shrewsbury,  des  Zechsteins;  die  Trennung  des  bunten 
Sandsteiils  und  des  unzweifelhaften  Keupers^  obgleich 
vom  Muschelkalk  kaum  eine  Spur  vorhanden  ist,  gehört 
«tt  deb  vielen  wichtigen  Resultaten,  welche  picht  allein 
4lie  Mineral -Geographie  von  England,  sondern  auch 
4ie  allgemeine  Geognosie  dem  genauen,  mit  scharfer 
Beobachtungsgaben  ausgeführten  Untersuchungen  Mur- 
chison's  verdankt. 

V.  Dechen« 


LIIL 

Versuch  einer  geschichtlichen  Charakteristik  der 
Volkslieder  germanischer  Nationen^  mit  einer 
Uebersichi  der  Lieder  aufsereurop&ischer  Völ^ 
kerschaften,   von  Talvj.     Leipzig,  ISAO.  bei 

'    F.  A.  Brockhaus.    614  S.    gr.  8. 

Anfangende  Bildung,  der  Nationen  wie  der  EinzeL- 
nen,  mag  von  den  Volksliedern  ablenken,  fortschreitende 
und  durchgedrungene  wendet  sich   unfehlbar  zu  ihnen 
surUck,  wie  denn  die  Kenntnifs  und  der   GenuCs  der 
Höhen,  zu  denen  wir  aufgestiegen,  sich  erst  recht  er- 
gebt und  vollendet,   wenn  wir  auf  die  vermittelnden 
Stufen  niederbücken  und  Höhen  und  Weg  im  Zusam- 
menhang überschauen.     Bei   den   Völkern   des  Alter» 
thums  jedoch   bricht  n,ur  selten'  ein  Bezug  auf  solche 
Lieder  durch,  ihrer  %vird  meist  nur  gelegentlich,  zum 
Behuf  geschichtlicher  Vorgänge  oder  Verhältnisse,  noth- 
dürftig  erwähnt.    Mit  mehr  Eifer  und  Bewufstsein  lia* 
ben  neuere  Völker  diesen  Anwuclis  des  eigneti  Lebens 
auch  als  dichterisch  werthvoll  beachtet    und  gepflegt, 
und'  Spanier,  Engländer^  Deutsche  und  Franzosen,  vie 


Dänen,  Norweger,  Schweden  und  Russen,  können  rei- 
che Sammlungen  dieser  Art  aufweisen. 

Die  Volkslieder  aller  Nationen  aber  im  Zusannen. 
hange  zu  betrachten,  sie  in  ein  Ganzes  zu  fassen,  im 
war  ein  deutscher  Gedanke,  und  einer  der  edelsten  G4» 
ster  des  Vaterlandes,  Herder,  führte  zuerst  ihn  am. 
Sein  weitfiiegender,  oft  wunderlicher  und  auch  biswei* 
len.  verirrter  Genius  war  hier  in  seinem  eigensten  G^ 
bi^t ,  in  '  seiner  sichersten  Beschäftigung ;  Poesie  ttid 
Sprache  in  allen  Gestalten,  Völkerarten  und  Zeitak« 
in  ihren  Eigenheiten  zu  erfassen,  zu  gruppiren,  das  wv 
seine  Meisterschaft*  Seine  zwei  Bändchen  „Volkalie* 
der*',  später  als  „Stimmen  der  Völker  in  Liedern**  ik 
verwandten  Aufsätzen  vereinigt,  sind  eine  seiner  schoih 
sten  Gaben,  mit  der  sein  bedeutendstes  Werk,  die  ^Ideea 
zur  Geschichte  der  Menschheit*',  sich  in  vielfache  Vir. 
bindung  stellt.  Der  glüpklicbe  Griff,  den  er  bei  Jmmt 
Sammlung  immerfort  darthut,  die  Kenntnifs,  WaU» 
Uebertragung,  Ausdrucksweise,  sind  nicht  genug  tu  ba* 
wundern,  die  fremden  Schätze  werden  wahrhaft  aeü 
eigen,  und  wir  fühlen,  dals  ein  Dichter  uns  die  Didi^ 
tungen  reicht  An  Sinn,  Takt,  Angemessenheif,  so  \ri$ 
an  Wirkung,  ist  sein  Buch  bisher  nicht  Gbertroiea^ 
und  hält  noch  immer  guten  Stand,  zum  ZeugniCi,  ws 
gut  und  dauerhaft  der  rechte  Manu  das  Rechte  tbvt 

Seitdem  sind  jedoch  andre  Bedürfnisse  erwacht,  in 
^Gesichtskreis  ist  erweitert  worden,    die  Quellen  hakt 
sich  unendlich  vermelirt.    Die  Forschung,    wieder  im 
Besondem  zugewandt,  eineeine  V,ölker  und  SpraclMa 
bearbeitend,   hat  grofse  Vorräthe  gehäuft,   zum  Tlid 
auch  gesichtet,  und  ein  eignes  Fach  der  Gelehiiaaikeft 
ist  entstanden.     Dänische   Volkslieder  sind    durch  üi 
Brüder  Grimm,  neugriechische  durch  Fauriel  und  W3» 
heim  Muller  in  kritischer  Bearbeitung  uns  zugeluhrti  aai^ 
bische  durch  unsre  Herausgeberin,  russische  dureh  fioelii 
und  Andere;  neue  Reichtfaümer  spanischer  Lieder  bat« 
Bohl  von  Faber,  holländische  Hoffmann  von  Fallefsh» 
ben  bekannt  gemacht;  von  deutschen  Sammlungen  iit 
vor  allen  „des  Knaben  Wunderhorn"  von  Armm  ani^ 
Brentano  zu  nennen,  dann  Büsching's  und  von  der  Ha»  i 
gen*s  Beitrage,  Meinert's,  jdie  Sammlung  von  Biiseh. 
Die  grofsen  und  mannigfachen, '  fast  in  allen  KtAnm  i 
angeregten  Arbeiten  über  die  Sprach-  und  Geschicbli»  j 
denkmale  der   Vorzeit,   die  mit    pbilologbeher  Stm» 
ge  besorgten  Ausgaben   der' alten   Dichtwerke,   all« 
dies  kam  auch  den  VoUcdiedern  zu  Statten,  und  Vei^ 


V 

Tahj^   Ckarakierütit  der  Volkslieder. 


686 


und  Stcbtimg  derselben  haben  ungemein  ge* 
ifroQnen. 

Der  nationale,  nnd  selbst  der  prorinzielle  Fleib  in 
jfiüsen  Gegenstäiiden  ist  gewifs  Idblicb;  jeder  besondre 
Boden  und  Y olksschiag  möge  bb  in's  Kleinste  sorgsam 
durohforsoht  werden;  auch  die  gelehrte  Anhäufung  des 
gewonnenen  Ertrages  bedarf  keiner  Rechtfertigung. 
jUleia  wir  finden  doch  bald,  wie  bei  anderm  Stoffe  so 
vorsugsweise  bei  4iesem,  dafs  den  Büchern  noch  ein 
andnFT  Zweck  inwohnen  mQsse,.  als  in  den  Schränken 
sttittlicfa  dazustehen  und  für  gelehrte  Neugier  gelegent- 
lidi  zum  Nachschlagen  zu  dienen.  Wir  empfinden  das 
Bedärfnifs,  den  aufgespeicherten  Vorrath  aus  dem  wis- 
sensehaftlichcu  Verschlufs  wieder  auf  den  offnen  Markt, 
M  das  frische  Leben  und  zum  heitern  Genüsse  zu  brin« 
|ett.  Hiesu, gehört  aber  mebr^  als  gelehrte  Sorgfalt  und 
Genauigkeit,  hiezu  gebort  allgemeiner  Sinn,  Zusammen« 
lutea  des  Mannigfaltigen,  geistreiche  und  gefällige 
Behaudlungsweise;  die  einseitige  Yertiefung  in  den 
Kreis  nur  Eines  Yolkes  genügt  nicht,  verschiedene 
Völker  müssen  sich  zur  Vergleichung  stellen,  damit 
das  Gemeinsame  wie  das  Eigenthunüiche  recht  an  das 
Lieht  trete. 

Schon  als  das  Wunderhom  erschien,  welches  die 
deutsehen  Tolkslieder,  bei  mancher  Redaktions*  Willkür, 
doch  im  Ganzen  in  geistiger  Frische  wiedergiebt,  und 
debbalb  nicht  ohne  grofse  Wirkung  geblieben  ist,  äu- 
iterte  Goethe,  in  seiner  trefflichen  Anzeige  des  Buches, 
den- Wunsch,  dafs  die  Herausgeber,  wenn  sie  ihre 
Sammlung  fortsetzten,  wohl  aufzurufen  wären,  auch 
was  fremde  Nationen  dieser  Liederweise  besitzen,  aus* 
Eosvehen,  und  sie  im  Original' und  nach  vorhandenen 
oder  ?ön  ihnen  selbst  xu  lebtenden  Uebersetzungen  dar* 
jBulegen.  Abo  die  deutsche  Besonderheit  wünschte  er 
wieder  in  reichere  Gemeinschaft  zusammengestellt,  und 
dea  neuen  glücklichen  Anlauf  durch  solche  Vervollstän. 
iigang  gleichsam  wieder  auf  den  Herder*schen  Plan 
eaiforziibringen,  wobei  für  die  Ausfuhrung  mehr  Um« 
bog  und  Reife,  als  In  jener  fcttheren  Zeit  möglich  war, 
lieh  jetzt  bedingen  würde. 

Biese  Andeutung  aber  blieb  einstweilen  unwurk* 
■am;  die  Herausgeber  des  Wunderhorns  hatten  ihren 
deuuchen  Yorrath.  noch  lange  nicht  erschöpft,  als  der 
Sinn  der  Landsleute,  denen  in  der  That  auch  tIcI  zu« 
gemuthet  wurde,  schon  längst  Uebersättigung  fühlte, 
und  jene,  launisch  und  sprunghaft  wi^  sio  waren,  hat- 


ten ihr.  Treiben  bald  auf  andre  t*elder  übertragen,  WO 
sie  abermals  genug  zu  ringen  fanden.  Die  späteren 
Bearbeiter  und  Herausgeber  von  Tolksliedem  hielten 
sich  insgesammt  nur  in  besondern  Richtungen  und  be- 
stimmten nationalen  oder  gar  provinziellen  Gränzen,  und 
ein  solches  Buch,  wie  Herder  für  seine  Zeit  geliefert^ 
und  Goethe  für  eine  spätere  -nach  deren  Mals  erneuert 
wünschte,  ist  uns  im  Laufe  von  mehr  als  sechzig  Jah» 
ren  nicht  wieder  dargeboten  worden. 

Alles  bisher  Vorgeführte  setzt  uns  in  den  Stand, 
nun  in  Kurze  sogleich  auszusprechen,  welche  Stelle  wir 
dem  gegenwartigen  Werk  anzuweisen  haben.  In  der 
von  Herder  gebrochenen  Bahi^  füllt  dasselbe  eiile  seit 
so  langer  Zeit  immer  fühlbarer  gewordene  Lücke,  es 
ist  die  glückliche  Wiederaufnahme  jenes  Herder'echen 
Gedankens,  nur  erweitert  und  erhöht  nach  dem  M afse, 
das  eine  fortgeschrittene  Kennlnifs  und  Entwickelung 
Jiier  gebieten.  Oder  wir  können  auch  sagen,  dasselbe 
ist  diC'  neue  Gestaltung  des  Wunderhorns,  aus  der  deut« 
sehen  Einschränkung  nach  Goethe*s  Angabe  wieder  zum' 
Allgemeinen  erhoben,  wie  zu  thun  die  ursprunglichen 
Herausgeber  selbst  in  ihrer  Zeit  verhindert  waren. 
Zwei  so  namhaften,  in  wirksamen  Ehren  stehenden 
'Werken  innigst  verwandt,  und  mit  deren  ererbten  Vor* 
zfigen  neueres  und  selbstständiges  Verdienst  vereinend, 
und  solchergestalt  beiden  gleichsam,  eine  jagendliche 
Stellvertretung,  darf  diese  neue  Sammlung  wohl  als« 
eine  der  willkommensten  Gabe%  begrüfst  werden,  so«' 
fern  die  Ausfiifarung  den  hier  zu  machenden  Anspruehen 
nicht  unbillig  nachsteht. 

Die  Ausführung  aber  darf  eine  vortreffliche  ge« 
nannt  werden.  Mistress  Robinson,  geborneTheresevon 
Jakob,  deren  Namen  in  der  Bezeichnung  Talyj  ange- 
deutet ist,  hat  ihren  Beruf  zu  dergleichen  Arbeiten 
schon  früh  an  einer  besondern  Abzweigung  dieses  Stof* 
fes  mit  Glück  dargethan^  ihre  Uebersetzung  der  serbi- 
schen Volkslieder  ist  als  ein  Gewinn  unsrer  Litteratur 
allgemein  anerkannt;  der  offne  Sinn,  das  reine  Ge- 
fohl,  der' klare  und  sichre  Verstand,  -welche  sich  in 
jener  Leistung  zdgen,  sind  grade  die  Eigenschaften,  ^ 
die  jedem  weiteren  Unternehmen  solcher  Art  am  mei* 
sten  SU  wünschen  sind.  Bei  fortgesetzter  Beschäfti«* 
gung  mit  dem  Gegenstand  und  bei  eifrigen^  Studium 
seiner  stets  reicher  sich  erschlielsenden  Hülfsmittel  konn- 
ten Kenntnisse  und  Urtheil  im  Fortgange  der  Zeit  nur 
gesteigert  werden;   aber  auch  äufsere  Umstände  wirk- 


fiÖ7 


Tatvj,   Churmkterutik  der  Folkflüder. 


den  fofd^NÜoh  ein.  Dureh  besondre  Lebeosgesckiek« 
ward  iin«rd  deutodie  Landtmaimin ,  nachdem  sie  frll* 
h»m  Jahre  iik  Rublasd  verlebt  und  Sprache  und  EU 
gehtkfiailichkeit  der  Slawen  kennen  gelernt,  später  in 
NordaBierlka  helmisdii  und  gewann  so  die  Ansehen* 
nng  der  remcbiedensten  Yolkergebilde ;  das. Leben  in 
engUseber  Sprache  und  ^itte  Idhrte  su  den  U  ritten  und 
Sichotieo  lurück,  wahrend  das  Land  selbst  auf  seine 
Urbewohuer  hinwies;  bei  solcher  mehrfachen,  die  ent* 
)egensteii  G^ensäise  umfassenden  Vertrautheit  der  An- 
aebauung  mufste  der  geistige  Einblick  in  nicht  selbst* 
durchwandene  Gebiete  die  sichersten  Anhaltspunkte 
finde». 

£iA  Werk  der  Gelehrsamkeit  su  liefern,  war  nicht 
die  Absieht  I  wiewohl  die  gelehrte  Kenntnif^  fast  auf 
jedeflii  Blatte  sichtbar  ist,  und  oft  in  Verwunderung 
•eUt  dardi  ihren   Umfang  und  ilire  Mannigfaltigkeit  $ 
MMh  WiU  das  Buch  weder  als  historisches  Lehrbuch 
noch  selbst  als  VolksUedersammlimg  auftreten,  die  be* 
acbeidene  Verfasserin  verwahrt  sich  ausdrücklich  gegen 
•eichen  Anspruch,   und  bek^at,  dafs  su  dem  erstem 
eine  tiefere  Begründung,  su  dem  letztern  eme  gröEsere. 
Vollstftndigkeit    erfordert    würde.     Sie    bezweckt    zu- 
jiachst,  das  Vorhandene  zur  üebersicbt  zu .  ordnen  und 
einzurahmen f  aus  der  Masse  das  hervorzuheben,  was 
den  Geist  derselben  darstellt,  imd  will  sufrieden  sein^ 
auf  diese  Webe  in  der  Bilderreihe  der  Volkslieder  ei- 
U0a  Beitrag   aur  SUt^geschichte   gegeben  zu   haben. 
Das  Bach  Fahrt  in  der  That  den  ganzen  Stoff,  der  bis- 
her in  ^mannigfachen  Ablagerungen  verdrieislich  stockte, 
aufs  neue  heiler  dem  Leben  zu,  und  wir  dürfen  nicht 
zweifeln,  dafs  ihm  gelii^pen  wird,  was  die  Verfasserin 
erstrebt,  nAmlicb  das  aus  den  Schachten  der  Wissen«* 
Schaft  mühsam  gewoaneiie  Gold  in  gangbare  Milnze 
ausprägen  zu  helfen, 

Hiezu  war  eine  thitigere  geistige  Vermittlung,  eine 
reichere  Zuthat  von  Einleitungen  and  Verstindigangen 
ndlhig,  als  die  Voi^gänger  bisher  au  liefern  pflegten« 
Und  hierin  gründet  sieh  kein  geringer  Theü  des  Ver- 
dienstes, welches  wir  überhatqpt  dem  Buche  beimessen, 
AalMT  ekier  aUgemeiaea,  saehkundigea  «nd  aiispre« 
chenAea  Einleitung^  welche  das  hier  zu  durchscbrei- 


tende  Gebiet  abmarkt  und  eintheilt,' und  woaack  Ai 
Völker  des  Alterthums  einstweileli  noch  aufsecbalb  4ct 
Betrachtung  gestellt  bleiben,  nimmt  die  Verfasserin  je. 
desmal  das  Wort,    so  oft  ein  neuer   Abschnitt  wn 
Volkersdiaften  vorführt,  oder  Inhalt  and  Richtuag  Jtt 
Milgetheillen  dazu  veranlassen.    Diese  Zwischeareia 
versetzen  den  Leser  auf  den  richtigen  Standpunkt,  de«» 
ten  ilim  die  Uülfsmittel  und  Quellen  an,   und  bcka, 
durch   kurze  einsichtige  Angaben,   das  eigeotKdi^ Ibi 
zeichnende  hervor.    Der  klare  Sinn,  die  umfasiaiiii 
Kenntnisse ,  das  gesunde  Urtheil  und  der  feine  Ttb 
der  Verfasserin    bewähren   sich   hier  auf  jeder  Seite. 
Mit  einzelnen  Aussprüchen   oder  Bemerkungen  durlla 
wir  nicht  sogleich  übereinstimmen;  aber  die  Moglkb 
keit,  ein  Für  und  Wider  anauknOpfen,  wo  der  Gegei» 
stand ,  über  den  geurtheik  wird ,  in  schlagenden  fie^ 
spielen  unmittelbar  mitvorliegt,  ist  bei  solchem  Bids 
nur  ein  Reiz  mehr.    Den  Begriff  des  Volksliedes  luast 
die  Verfasserin  wohl  ^twas  xu  eng;  in  so  weilsdifab 
tigen  Gebieten,  wo  die  naturliehen  Grunzen  of  vamik 
bar  sich  verlaufen,  ist  keine  genaue  Abscheidung  aig' 
lieh  noch  nötliig,  und   die  künstliche  doch  nur  ebi  m 
haltbarer  '  Zwang.    So  können  wir  z.  B.   dem  TiMJ 
dafs  die  früheren  Sammler  unter,  die  deutschen ,V<Ai» 
Keder   auch    wohl    ein    neulateinisches    aufgenosma^ 
aicfat  beistimmen;  ein  in  gemeinem  gangbaren  Lam 
und  Im  Volkstöne  gediditetes  Lied,  gesungmi  ven  Leai 
ten,  weldie,  wie  die  «ngeheure  Zahl  veaMoacbeBml! 
Studenten,  der  Mehrheit  nach  als  dem  Vdk  aDgekif|| 
zu  rechnen  sind ,   autg  unsres  Eraohteas,  gar  weU  ili 
der  Reihe  deutsdier  Volkslieder  seine  Stelle  hsbak » 
gut  wie  eine  lateinische  Zeile  oder  Seitens  im  eisaki 
nen  Liede.    Den  Uiaprung   des  Volksliedes  und  kt\ 
Poesie  überhaupt  könnten  wir  vielleicht  in  sehlffaM! 
SZilgen  aasgefnbrt  wQnscben ;  die  Art,  in  welch«  di 
Herder  philosopUsch  bewegte,  uad  in  die  wir  aea 
Burtckversetzt  werden,  genügt  eiaeai  zu  retfwem  Gab» 
kenausdmck  erhobenen  Sinne  nicht  melir;  daftraki 
ist  die  Erörterung  dieser  Oegensläade  von  biMfaltf 
Seite  um  so  preis  würdiger;  nber^  spfiebt  die  Svil^ 
seria  Mis  frischem  Gemüth  und  aus  dieliterisehsr  Va- 
atetlangskraft,  und  daher  lebendig  and  aasehaaliek. 


^sr  ßcsehlnfii  folgt) 


wissen 


Jahrbücher 

f»« 
u  r 

Schaft  liehe 


Mai  1840. 


Kritik 


Verweh  einer  geschichtlichen  Charakteristik  der 
Volkslieder  germanischer  Nationen^  mit  einer 
Uehersicht  der  Lieder  aufsereuropäischer  Völ- 
kerschitften^  ton  Talvj. 

(Schlofo.) 

Die  Auswahl  selbst  hatte  vor  allem  das  Gedie- 
gene, poelisch  und  historisch  WerthvoUe  im  Auge^  so- 
dann das  Eigenthiimliche,  worin  Yolksart,  Zeitumstände 
oder  Geistesrichtung  sich  am  eotschiedenstenausdrücken  \. 
.jiatQrKch  treffen  beiderlei  Merlcmale  in  den  meisten 
Fällen  susammen,  jedoch  finden  wir  sie  bisweilen  auch 
getrennt.  Die  Verfasserin  leitet  uns  hier  mit  guter  Un« 
terscheidungsgabe.  Bei  'gröfster  Liebe  zu  den  Tolks« 
liedem  ist  sie  keineswegs  blind  eingenommen  für  alles 
iiras  diesen  Namen  trSgt«  Sie  verwirft  mit  sicherem 
.  Geschmack  das  Geringe  und  Rohe,  mit  edlem  Unwillen 
das  Gemeine  und  NiohUwürdige,  das  auf  diesem  Bo- 
den stets  neben  dem  Besten  wuchert  Der  Warnung 
Goethe's  an  die  Herausgeber  des  Wunderhorns,  ^ysich 
-Tor  dem  Singsang  der  Minnesinger,  vor  der  bänkel- 
aängerischen  Gemeinheit  und  vor  der  Plattheit  der  Mei- 
siersänger,  so  wie  vor  allem  Pfäffischeii  und  Pedanti- 
schen höchlich  itt  hüten'*,  dieser  Warnung  hat  es  hier 
kaum  bedurft.  Der  strenge  Sinn  dünkte  uns  bisweilen 
sogar  SU  weit  su  gehen  im  Verwerfen,  doch  fanden  .wir 
bei  näherer  Prüfung  suletsi  fast  immer  beizustimmen. 

Bei  aller  Achtung  f&r  das  Ursprüngliche  und  Ei- 
genthümliche  der  Volkslieder,  war  diese  doch  Einer 
Rücksicht  nothwendig  unterzuordnen,  der  Verständlich- 
keit. Da  die  Sammlung  keine  gelehrte  sein  wollte, 
sondern  ein  ansprechendes,  heutigen  deutschen  Lesern 
erfreuliches  Buch,  dem  die  gebtige  Treue  mehr  gilt  als 
buchstäbliche,  somufsten  die  Lieder  fremder  Völker 
in's  Deutsche,  die  deutschen  Lieder  aber  aus  ihren  ver- 
scfaledenen  Mundarten  in  die  heute  gang  und  gäbe 
Sprache  übertragen,  wenigstens  derselben  angenähert 
Jahrb.  /.  wuien$eh.  Kritik.   J.  1840.     h  Bd. 


werden.     Bei   diesem  letztern   Verfahren  war   wenig 
Schaden  zu  befürchten;  in  ^vielen  Fällen  mochte  es  un- 
gewifs  bleiben,  welcher  Mundart  oder  Gegend  ein  Lied 
ursprünglich  angehört,  die  Mundart,  in  der  sich  das« 
selbe  vorfindet,  ist  nicht  nothwendig  die  ächte  und  er- 
ste;   sodann    hat  das  Festhalten   der  landschaftlichen 
Aussprachen  manclie  Schwierigkeit,  und  uusre  gewöhn- 
liche Schrift  reicht  dazu  nicht  ans,  der  Beleidigung  des 
Auges  nicht  zu  erwähnen!  Endlich  aber  gilt  von  man- 
chen unsrer  Mundarten,  was  eben  von  eiozelnen  Volks* 
liedem   bemerkt  worden,   dafs   der   blofse  Name  nicht 
genügen  könne,  wo  die  Beschaffenheit  keinen  Werth 
habe.     Wo  die  Mundart  ohne  Bildung  geblieben  ist, 
roh  im  Klang,  arm  und  gemein  im  Ausdruck,  da  ver- 
lieren  wir  nichts,  wenn  ein  paar  edle  Diohtungspflan- 
zen,  die  zufällig  da  hineingerathen  sind,  dem  schiechten 
Boden  enthoben  und  in  einen  bessern  versetzt  werden. 
Zum  Beweise  gilt  die  Mundart  des  sogenannten  Kuh- 
ländchens,  dessen  Lieder  durch  Meinert  herausgegeben 
worden,   aber  wegen'  der  abschreckenden  Sprache  für 
delk  grofseren  deutschen  Lesekreis  ungeniefsbar  geblie- 
ben sind«     Bei  aller  Auf-  und  Nachhülfe  aber,  die  hier 
im  Allgemeinen  geboten  und  nicht  zu  vermeiden  war, 
ist  im  Einzelnen,  das  können  wir  versichern,  die  kun- 
dige Hand  auch  eine  möglichst  schonende  gewe^^en,  und 
hat   nur   das*  unerläblich   Noth wendige    getban.     Der 
Grundton  und  die  sprachliche  Eigenheit  des  Ausdrucks 
sind,  gleich  der  darin  herrschenden  Denk  -  und  Empfin- 
dungsart, im  Wesentlichen  wohlerhaltcn,  und  die  Zeug- 
nisse des  Ursprungs,  wo  solche  vorhanden  waren,  so 
wie  der  Rest  des  Alterthums,  sind  nirgends  freventlich 
ausgelöscht.    Wir  halten  das   gewählte  Mafs  für  das 
richtige,   und  jedes  andre  hätte  dem  Unternehmen  nur 
nachtlieilig  werden  müssen. 

Den  reichen  Stoff  in's  Einzelne  zu  verfolgen  tind 
mit  Bemerkungen  zu  beglehen,  übernehmen  wir  nicht; 
geeignete  Beiträge  hiefür  anzubieten, 'wird  anderweitige 

87 


691 


Talvjy  Charakteriitik  der  Volk$lieder, 


m 


GelegenLeit  nicht  ^eUen.  *  Mit  einigen  Worten  aber  die 
Folge  und  Einrichtung  des  Inhalts  anzugebeil,  dürfen 
wir  nicht  unterlassen.  Nach  der  allgemeinen  Einlei- 
tung giebt  uns  der  erste  Abschnitt  zuvörderst  eilten 
Ueberblick  der  asiatischen  Töllcerschaften,  und  laEst 
Ostindier,  Chinesen,  Armenier  und  Georgier,  Perser, 
Afghanen,  Hasarer,  Mongolen,  Kalmücken,  Beduin-  Ara- 
ber, Turkomannen,  Kurden  und  Baschkiren  uns  in  bun- 
ter Reihe  vorüberziehen,  unter  Sang  und  Klang,  indem, 
so  weit  es  möglich,  jedem  Volke  seine  Liederproben 
folgen.  Sodann  treten  die  malayischen  und  polynesi- 
schen  Völker  auf,  Malayen,  Javanesen,  Bugis  und  Ma- 
kassaren,  Inselbewohner  der  Südsee.  Die  afrikanisdien 
Völker  folgen  hierauf,  etwas  dürftiger:  Mandingos, 
Ashantees,  Mauren,  Berbern,  Aegyptier  und  Abyssi- 
nier,  wobei  es  schon  verdienstlich  genug  ist,  die  schwa- 
chen, in  so  weiten  öden  Raum  verstreuten  Anklänge 
hier  vereinigt  zu  haben.  Die  Ureinwohner  von  Ame- 
rika liefern  eine  kaum  reichere  Ausbeute;  Indianer  im 
Allgemeinen^  dann  Mexikaner,  Peruaner  und  Chilesen, 
Grönländer  und  Eskimos,  Irokesen,  südamerikanische 
Wilde,  werden  nothdürftig  vorgeführt;  die  Zukunft 
wird  hier  weiter  Aufzufindendes  leicht  ansehliefsen.  Die 
zweite  Abtheilung  wendet  sich  zu  den  europäischen 
Völkerschaften,  wo  denn  die  germanischen  vori^istehen. 
Die  skandinavischen  Völker,  Isländer,  Faröer,  Dänen, 
Schweden,  entfalten  hier  ihren  alten  Liederreichthum, 
nur  die  Norweger  stehen  einstweilen  etwas  zurück,  weil 
die  erwarteten  Hülfsmittel  zufällig  ausgeblieben.  Für 
die  Deutscheu  ist  verhältnifsmäfsig  nicht  viel  Raum  ge- 
währt, doch  dabei  Sorge  getragen,  das  Schönste  und 
Köstlichste  der  deutschen  Volkslieder  hier  im  dichten 
Kranze  nicht  fehlen  pk  lassen;  der  geschichtliche  und 
sittliche  Gehalt  wird  vorzugsweise  beaphtet,  das  für 
Denkart  und  Gefühlsweise  Bezeichnende  hervorgeho- 
ben. Nachdem  auch  die  Holländer  ihren  Abschnitt  er- 
halten, werden  wir  zu  den  brittischen  Völkerschaften 
hinubergefuhrt,  wo  die  Schätze  der  Engländer  und 
Schotten  sich  in  Fülle  darbieten,  und  die  Verffisserin 
ihre  in  dieser  Richtung  besonders  grofse  Kenntnifs  und 
Vertrautheit  vortheilhaft  bewährt. 

VTir  sehen  aus  dieser  Inhaltsanzeige ,  was  schon 
geleistet  ist,  und  was  noch  zu  erwarten  steht;  denn 
wir  wollen  unbedenklic6  sagen,  was  der  Titel  des  Bu- 
ches yerscbwcigt,  nämlich,  dafs  wir  eigentlich  den  er- 
sten TheO  eines  Werkes  vor  uns  haben,  dem  ein  swei« 


ter  hoffentlich  nicht  fehlen  wird.  Dieser  wird  inslie« 
sondre  die  slawischen  Völker  zu  betrachten  haben,  von 
welchen  dieselbe  Hand,  die  uns  die  serbischen  Liedec 
mitgetheilt,  nur  den  gediegensten  Bericht  und  die  e^ 
wünschtesten  Beispiele  versprechen  muls.  Die  roma» 
sehen  Völkerschaften  werden  sodann  auch  an  dieBeilie 
kommen,  und  so  das  vollendete  Bild  als  ein  webgi- 
9chichtliche9  befriedigend  abschliefsen.  Möge  sonack 
dieses  wohlbegonnene  Werk  glücklich  zu  seinem  Zids 
gelangen,  und  die  edle  Verfasserin  den  ihr  von  Laiil^ 
leuten  unj  Ausländem  gebührenden  Dank  in  der  ^ 
stigen  Aufnahme  ihres  Buches  reichlichst  ärnlen!  — 

K.  A»  Varnhagen  von  Ense» 


UV. 

Fa%ti Horatianu  Scrtpsit  Carolus  Franhe^fk 
d.  —  Accedit  epistpla  Caroli  LacAmanm*  —  i?^ 
rol.  sumptibm  Ouil.  Bessert.  MDCCCXXill 
240  S.    8. 

Mit  Vergnügen  benutzen  wir  die  dargebotene  G^ 
legenheit,  um  das  Publikum  auf  ein  Werk  aufmeritsui 
zu  machen,  welches  eine  längst  empfundene  Lücke  li 
der  Litteratur  des   Horaz   ausfüllt    Wie  viele  Bew«^' 
her  diese  in  allen  Zeiten  auch  gefunden  hat,  wie  vickr 
sie  namentlich  in  den  letzten  Decennien  sich  zu  er* 
freuen  hatte,  die  theils  um  die  Hermeneutik,  theils  sn 
eine  durchgreifende  Kritik  des  Grundtextes  sieh  bemifr 
ten ,    oder  endlich  auf  dem  sicheren  'Wege  der  (b^ 
schichte  durch  monographische  oder  umfassendere  Vep 
suche   die  Werke  und   das  Zeitalter  des  Dichten  ii 
bürgerlicher  und  litterarischer  Hinsicht  der  gebildetti 
Welt  näher  zu  bringen  bedacht  waren:  so   blieb  dock 
bisher  noch  ein  fühlbarer  Mangel,   der  auch  auf  A 
Exegese   und    die    kritisch  -  historischen  Forschungci 
mehr  oder  minder  zurückwirkte;   wir  entbehrten  eon 
auf  Grund  eines   gereinigten  Urtextes,  mit  strttigwer 
Prüfung  der  wechselnden  pfosodbchen  Gesette  bei  W 
serem  Dichter,  und  mit  sorgfältiger  Beaehtung^  der  pe^ 
sönllchen^  socialen,  sowie  allgemeinen  politischen  Ver- 
hältnisse   ausgeführte   Untersuchung   der    Ciironoloji^ 
sämmtlicher   Gedichte    des   Horatius.     Obwohl  es  n 
diesem  schwierigen  Geschäft  an  bedeutenden  VorarM* 
ten  nicht  fehlt  und  im  Einzelnen  die  Schollen  zum  He» 
raz  belehrende  Winke  geben,  so  liegen  doch  die  metttefl 


693  Franke^    Fa$ 

Bemühungen  >iur  diesem  Felde .  schon  mehr  als  hundert 
Jahre  hinter  uns,  und  unter  j^nen  sind  selbst  die  an- 
erkanntesten in  keiner  Zeit  su  einer  solchen  Authentie 
gdangt,  dals  man  sie  als  einen  gesetegebenden  Codex 
ehronologieus  b(»trachtet  hätte.    Aber  gleichwohl  sind  -— 
und  dies  Icanii  nie  gL^nug  wiederholt  werden,  —   die 
kurz  und  allgemein  entworfenen  Grundstriche  Riehard 
Benüeys  nebst  Massons  mehr  ins  Einzelne  gehenden 
redlichen  Forschungen  die  vornehmsten  Leitfaden  ge* 
blieben,  mochten  auch  Spätere  wie  Sanadony  Vander^ 
htrg,  Jffemdorfy  Obbarius^   IVeieAert  u.  a.  sich  Ab* 
weichungen  im  Besonderen   erlauben  und  specielleren 
Partien  der  horazisehen  Dichtungen   einen  enger  be* 
grenzten  Zeitraum  anweisen.     Will  Jemand  weiter  ge* 
ben  und,  zu  wenig  eingedenk  jenes  kritbchcn  ,,AlIes* 
termalmers",  wie  Jani  (1778},;  späterhin  Miiichertieh 
im  Ganzen  ein  vorschnelles  Verdammungsurtheil  .spre-» 
ehen,  so  soUte  keiner  eines  Reixuchen  Zitterns,  wel- 
dies  Fr.  Aug.  Wolf  uns  zeichnet,  sich  schämen,  bevor 
er  die  von  dem  Meister  gesteckten  Schranken  zu  über« 
springen  wagt '  Andererseits  aber  wird  freilich  durch 
eines  Engländer,  Jamet  Taie  (1832)  verblendete  An- 
erkenuung  der  Bentleyschen  Ordnung  eben   so  wenig 
gefordert,  und  sein  Wort  wäre  verhallt,  verdankten  wir 
ihm  zunächst  nicht  eine  zwiefache  Berichtigung  jener 
Cbrottologie,    von  Zumpt  (BerL  Jahrbb.  ^'ov.  1833). 
Endlich  nennen  wir  noch  zwei  Gelehrte,  Carl  Kirch» 
ner  (1831)  und  G.  F.  Grotefend  (1833) ;  beide  haben 
sich  ein  nicht  geringes  Verdienst  um  das  genauere  Ycr- 
stiodnils  des  Dichters  erworben,  alber  die  Forschungen 
beider^  namentlich  die  chronologischen  sind  zum  Theil 
blendender  als  beruhigender  fürs  A^S®»  kuhner  als  be-* 
sennener,    und  nicht  selten  dQrfte  der  Prufenae  wohl 
erioaert  werden,  dafs  der  LelchtgegQrtete  nicht  grade 
Kuerst  das  Ziel  erreicht.    Was  nach  dieser  Zeit  fQr  die 
boraz.  Chronologie  geleistet  ist  und  von  Hm.  Franks 
noch  nicht  benutzt  werdeti  konnte,  ist  soviel  uns  be- 
kapnt  von  geringer  Bedeutung,  z.  B.  Sireuber  Hör. 
ad  t'uones  Ep.  Basil.  1839;  Düntxer  Kritik  und  Erkl. 
der  Oden.    Braunschw.  1840. 

Unser  gel.  Verf.  nun  hat  aufser  den  letzteren  die 
^gedeuteten  Vorarbeiten,  sowie  alle  anderen  zur  Sache 
gehörenden,  wichtigeren  HQlfsmittel  mitFleirs  und  nicht 
ohne  Umsicht  in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  gezo« 
gen.  Ueberair  werden  die  von  den  Vorgängern  gewen- 
B^aea  Resuhale  genau  nachgewiesen,  und  je  nach  den 


ii   H^ratimni. 


694 


vom  Vf.  selbst  gefundenen  gebilligt,  befestigt  oder  he* 
riohtigt,  so  dafs  der  Leser  eine  der  volbtändigsten 
Uebersichten  aller  bbherigen  chronologischen  Untersu- 
chungen von  Belang  auf  einem  Puncte  beisammen  hat 
Sowie  diese  Vollständigkeit  zu  loben  ist,  besonders  auf 
einem  Felde  wissenschaftlicher  Forschung,  wo  im  Ein« 
seinen  wie  im  Allgemeinen  das  Individuelle  in  allen 
Zeiten  sein  Recht  wird  geltend  machen  wollen,  ebenso 
können  wir  Plan  und  Anordnung  des  ganzen  Werkes 
nur  billigen«  Wir  h9ren  den  Vf.  selbst :  üa  instituam 
fuaesüonemy  ut  in  priore  parte  generalem  hgr.  ope- 
rum  desctiptianem  temporum  proponam^  tum  in  al* 
tera  in  hos  cancellos  singu/apoemata  distriiuam  et 
jmtsi  inetudam.  pag.  4,  Oemgemäfs  theilt  sich  das 
Ganze  in  zwei  gröbere  Hälften,  deren  jede  in  Capitel, 
die  erste  in  sieben,  die  zweite  in  acht  zerfällt.  Den 
Beschlub  macht  eine  mit  lobenswerther  Vorsicht  ver* 
fafste  tabula  chronoL  Hör.  und  die  Epiet.  C.  Lach» 
fnanni. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  P.  I.  cap.  1.  {Horatii 
Vita  ad  a.  usjue  713  u.  c»  descriptä)^  sa  kann  es 
nicht  fehlen,  dafs  Vieles,  ja  das  SÄelste  uns  hier  als 
ein  von  allen  Anerkanntes  entgegentritt.  Da  jedoch 
nirgends  unnöthige  Weitschweifigkeit  bemerkt  wird,  so 
folgt  man  auch  dieser  In  ein  gefälliges  Latein  gekleide- 
ten Darstellung  um  so  lieber,  als  sie  einen  sicheren 
Vordergrund  bietet  für  die  Zeit,  in  welche  die  Abfas- 
sung der  e^ten  horaz.  Dichtungen  fällt,  und  der '  Verf. 
Qberall  selbst  prüfend  auch  seinerseits  mitbeiträgt  zur 
Beseitigung  mancher  veralteter  Ansichten.  So  wird 
denn  des  Vaters  von  H.,  seines  Amtes  in  Venusia  (nicht 
erst  in  Rom),  der  früheren  Ausbildung  des  Sohnes  in 
der  Hauptstadt,  der  höheren  philosophischen  in  Athen 
kurz  Erwähnung  geihan,  beiläufig  auch  mit  fFeiehert 
der  alte  Livius  Andronicus  gegen  Bentley  in  Schutz 
genommen^  das  gleichzeitige  Erlernen  der  griech.  und 
lat.  Sprache  in  den  frühesten  Knabeujahren,  sowie  der 
philos.  Unterricht  beim  Akademiker  Theomnestus  und 
Peripatetiker  Kratippus,  der  vielleicht  schon  in  Rom 
empfangene  beim  Epikureer  Philodemus  wahrscheinlich 
gemacht  Letzteres  aus  Sat.  I,  2,  121.  zu  mutfamafsen 
(p,  10  Anm.)  bleibt  freilich  mehr  ab  gewagt.  Wie 
sollte  die  Berücksichtigung  eines  Philodemischen  £pi- 
grammes  dazu  berechtigen,  wenn  auch  aufser  des  Dich- 
ters zeitiger  Vertrautheit  mit  jener  Lehre  die  chronoL 

,  das  Verhältnifs  des  Philosophen  zum 


605  F  r  a  n  k  e^    F  a$^ 

Cicero  u.  L.  Piso,  mit  den  frühen  Bildungsjahren  des 
H.  vohl  übereinstimmeti  mochten.  —  P.  11  flg.  führt 
uns  Hr.  Fr.  sodann  auf  den  politischen  Schauplatz,  zu 
der  näheren  Verbindung  des  H.  mit  Brutus,  wo  neben- 
bei (Anm.  33)  die  Ansicht  derer,  welche  den  Jüngling 
mit  den  Republilcanem  schon  nach  Asien  hinübergehen 
lassen,  durch  eine  imponirende  Autorität,  aber  auch 
nur  dadurch  curückgewies^n  wird.  Denn  wenn  es  p. 
12  heirst:  acuiu9imus  Lachmannu»  •• .  in  tanto  eer- 
torum  argumentorwn  defectu  nü  aliud  eertum  esse 
me  edocuit  (/),  quam  potuisse  Horatium  in  Asiam 
^enite:  so  Verden  sich  die  Erinnerten  dadurch  in  der  Be« 
hauptung  ihrer  Beweise  wohl  kaum,  irre  machen  las- 
sen. — *  Von  gröfserem  Gewicht  ist  p.  14  flg.  die  Auf« 
nähme  der  Frage  über  das  zu  oft  hin  und  wieder  ge- 
deutete sensi  rcticta  non  bene  parmula  ctt«  Od.  II,  7. 
Der  Yf.  ecwählt  zwischen  den  zwei  extremen  Ansich- 
ten, die  Worte  nämlich  wortlich  zu  nehmen  oder  — > 
wie  Fr,  Jacobs  noch  immer  zu  thun  scheint,  —  den 
Ausspruch  in  eine  leere  Allegorie  zu  verfluchtigen,  ei- 
nen von  fVeichert  de  Far,  et  Cass,  p.  38  vorgebahn- 
ten Mittelweg.  Hr.  Fr.  läfst  den  Dichter  folgendes 
sagen :  H.  non  usyue  adeo  a  partibus  libertatis  de- 
fensorum  stetisse^  ut  aeie  Brutiana  fracta  vel  moT' 
fem  oppetendam  duxerit^  sed  mutaio  consilio  victO' 
rftm  gratia  (/)  maluisse  servari.  Die  VTorte  selbst 
aber  parmula  n.  b.  relicta  nimmt  er  nicht  bildlich, 
sondern  nach  der  Vorstellung  Murets  u.  a.  als  entlehnt 
von  Archllochus  und  Alcäus.  Die  Frage  scheint  sich 
demnach  so  zu  theilen:  H.  ist  ein  ^iifiaamg  im  vollen 
Wortsinne,  oder  er  ist  mit  dem  Anführer  nicht  in  den 
Tod  gegangen,  sondern  hat  insofern  sein  Tribunenamt 
befleckt,  als  er  in  letzter  Entscheidung  feige  die  Selbst- 
erhaltung dem  Tode  für  die  Freiheit  vorgezogen.  Die  ^ 
Begriffe  fallen  unseres  Bedünkeus  besonders  nach  an- 
tiker Vorstellung  so  nah,  ja  fast  so  in  Eins  zusammen, 
dafs  sie  kaum  zu  scheiden  sein  dürften.  Wir  bemerken 
nur  dies  noch  aufser  früheren  Bekenntnissen:  warum 
hätte  H.  grade  den  Archilocfaus  oder  Aleäus,  und  nicht 
auch  einen  anderen  nachgeahmt,  warum  z.  B.  nicht  den 
früh  und  mit  Kritik  von  ihm  gelesenen  Anakreon  (Epod. 
2iy,  9  8.  das.  Ausl.  Toup.  ep.  crit  p.  180.),  der  die 


iUoratiani.  686 

Worte  daniSa  Qi^f^  ig  norafioü  uaXkiQ^ov  n^oioi^  (fr^pL 
XXVI.)  höchstwahrscheinlich  auf  seine  eigenen  Feldsup 
anwendet  (s.  ßergJk.  1.  c.  p.  128.  Schneidewin  deLlU.f. 
368)?  Durch  eine  solclie  Erweiterung  desBIickesicbciit 
mir  aber,  ich  weifs  nicht  wie,  jene  vermeinte  Nachahnong 
immer  noch  etwas  fraglicher  zu  werden.  Ich  erimiere 
ferner,  dafs  die  ganze  Ode  bei  aller  griechischen  Färhof 
ächtrömisches  Interesse  und  eine  wahrhaft  horazisch«£a. 
pfindung  athme.  —  Bei  den  übrigen  Momenten  io  die. 
Sern  Abrifs  des  äufseren  Lebens  verweilen  wir  nidit 
Sie  sind  dem  Zwecke  gemäls  kurz  skizzirt  und  wir 
vermissen  nirgends  Maafs  und  Behutsamkeit.  Nur  dici 
heben  wir  noch  rühmend  heraus,  dafs  p.  17  flg.  & 
bekannten  Worte  pauperüas  impulit  audax  u4  vorm 
facerem  (Epist.  II,  2.  51  s.)  zu  Vs.  26  flg.  das.,  beid« 
Stellen  aber  zu  der  "Wahl  des  ersten  dichterischen  Stof.| 
fes  (Sermonen  und  Epoden)  in  die  richtige  Bedehngl 
gestellt,  und  alle  diejenigen,  welche  den  Dichter  nl 
jenen  Poesien  sein  Leben  fristen  oder  einem  gebiideUi 
Kreise  sich  empfehlen  lassen,  siegreich  bekämpft  wer* 
den.  Xarl  Kirchner  wird  als  Vorgänger  in  dies« 
allein  richtigen  Erklärung,  wie  sich  von  selBst  versteh 
mit  gebührendem  Lobe  genannt.   . 

Hiermit  hat  der  Vf.  p.  21  flg.  sich  zugleich  d« 
Uebergang  zu  Cap.  II.  {de  temporibus  ^ibus  Sem» 
libri  seripti  ei  editi  ßtermt)  gebahnt  Er  beaikf 
sich  zunächst  festzustellen,  dafs  vor  Publicirung  iignl 
einer  Epode  oder  Ode  das  ganze  erste  B.  der  Sentf» 
nen  im  J.  719  u.  c.  als  Einzelwerk  für  sich,  und  ebew 
das  zweite  B.  im  J.  724  u.  c.  verSffentlicht  wakL 
Diese  Ansicht  streitet  gegen  die  von  Zumpt  u.  J&et» 
ner  aufgestellte,  und  sie  ist  für  die  Zeitbestimmung  dff 
einzelnfti  Gedichte  zu  wichtig,  um  nicht  jdie  GrGtide  (f^ 
29 — 41.)  einer  Prüfung  zu  unterwerfen.  Zuerst  bemob 
Hr.  Fr.  sei  erwiesen,  dafs  Virg.  die  Georg.,  Propcit 
und  TibuU  die  BB.  ihrer  Elegien  vereinzelt  ediito^ 
abgesehen  davon,  dafs  Horaz  nach  übereinstinuDeidK 
Annahme  es  nicht  anders  machte  in  den  Oden  (L  t 
II.  III.,  sodann  IV.)  und  in  den  Episteln.  Sodann  sei* 
die  Sermonen  des  1.  B.  entweder  nächwebbar  jMitr 
.gedichtet  als  die  des  2.  B.,  oder  es  finde  sich  WMig' 
stens  kein  Indicium,  welches  das  GegentheU  dsidw^ 


(Die  FortsetziiDg  folgt.) 


^88. 

Jahrbücher 

/ 

f 

für 


wissenschaftliche    Kritik. 


Mai  1840. 


/Vw/f  Horatianu     Scripstt  Carolas  Franke, 

(Fortsetzung.) 

E«  ist  SU  billigen,  dah  der  Vf.  bei  den  mangelnden 
liittpriscfaen  Beweisen  hierfür  nicht  weiter  ging,  und  wir 
mdchten  diesem  obwohl  negativen  Argumente  um  so 
weniger  alles  Gewicht  entziehen,  als  noch  andere  Gründe 
jenes  wiederum  unterstützen.  Denn  nicht  vorschnell 
erkennt  Hr.  Fr.  eine  Bestätigung  «reiner  Hypothese  in 
der  grofsereu,  oft  leidenschaftliehen  und  gegen.  Perso- 
nen geriehtaten  Bitterkeit  des  1.  B.  verglichen  mit  der 
mehr  besonnen^i,  selbst  philosophischen,  durch  drama^ 
tische  Einkleidung  viel  objectiver  gebildeten  Form  der 
Satire  im  2.  B.,  womit  in  Uebereinstimmung  die  gereif- 
teren  Jahre,  die  gunstigere  politische  und  bürgerliche 
Stellung  des  Dichters,  welche  mit  dem  Besitz"  des  im 
1.  B.  nie  gepriesenen  Landgütchens  ihren  Abschlufs 
erfährt.  In  Zusammenhang  hiermit  wird  mit  Recht  seine 
Annäherung  an  Oetavianus  gestellt,  ferner  das  stren- 
gere Urtheil  über  Lucilius  im  ^.^B/, .das  schonende 
und  gereiftere  über  denselben  gleich  zu  Anfang  i.e9  2.  B. 
Hieran  werden  p.  33—34  andere  Gründe  geknöpft,  die 
keine  beweisende  Kraft  haben,  wie  z.  B.  quidni  Sat' 
I^  9,  cmue  compeiüie  ad  dramütieam /ormam  pro- 
sirne  ueeedü^  libro  seeundo  interpostiit?  Dieir  ist  ein 
Eingriff  in  fremde,  Ton  *  uns  nicht  zu  entscheidende 
Rechte.  Ueberdies  mochte  bei  unserem  Dichter  kaum 
eine  feinere,  und  doch  schonungsloser  durchgeführte  In ve- 
ctive  auf  eine  lästige  Persönlichkeit^  die  keinem. in  Rom 
unbekannt,  sein  konnte,  sich  finden,  und  wie  konnte 
der  Vf.  duroh  die  dramatischen  Elemente  hier,  wenn 
auders  sie  so  zu  nennen  sind, .  an  die  des  anderen  Bu- 
ches erinnert  werden !  Ebenso  sehen  wir  nicht,  was  mit 
der  Bemerkung  p.  34  gefördert  wird:  quidni  omnes 
Serm*  uno  corpore  evulgavit^  cum  nefuapMm  ^si 
terendum  eesei^  ne  nimie  accresceret  opus  u.  «.  w. 
Doch  fibersehen  wir  dies,    um  noch  ein  bereits  von 

Jührh.  /.  irtMeJMcA.  Kritik.   /.  1840.   I.  Bd. 


Bentley  angede^utetes  Hauptargument  «u  berühren*  Auch 
Hr.  Fr.  erkennt  dies  mit  Recht  in  den  horaz.  Prologen 
und  Epilogen,  und  durch  den  trefflichen  Excurs  (p. 
35  sq.)  über  den  Inhalt  und  die  Tendens  derselben 
scheint  mir  dfe  Ansicht  derer,  welche  in  der  Anordnung 
jener  Vor-  und  Nachreden  bei  Horaz  ein  Spiel  desZu- 
falls  erkennen  wollen,  aufs  Gründlichste  widerlegt  zu 
werden.  IVae  wir  als  Prolog  und  Epilog  anzuspre- 
chen  h^ben  in  den  verschiedenen  Dichtwerken,  .wird 
im  Ganzen  nach  den  Bentleyschen  Winken  dargelegt; 
fügt  der  Yerf.  aber  p.  35  hinzu:  et  teriiue  (Carm.  L.) 
epeeiem  (^)  certe  prologi  habeir  so  möchten  wir  III,  1 
lieber  eine  Eröffnung  der  folgenden  fünf  grofsartigen 
politischen  Oden  desselben  Metrums,  als  einen  Prolog 
oder  ein  Proömium  fur*s  ganze  Buch  nennen«  Also 
nicht  ^iprout  placuit  poetaeT^  sondern  eine  wohl  noch 
festere  Norm  in  Rücksicht  der  Prologe  und  Epiloge  bei 
H.,  als  der  Yf.  selbst  will.  Gut  dagegen  ist  p.  40  flg, 
der  Beweis  geführt,  dafs  Sat*  I,  10  als  Epilog  genom- 
men werden  müsse  und  scheint  dadurch  die  Hypothese 
nicht  eben  den  geringsten  Grad  der  Wahrscheinlich- 
keit gewonnen  zu  haben.  -*-  Hr^  Fr.  bemühte  sich  nun 
vor  allem  den  Beweis  zu  führen,  dafs  das  1.  B.  der 
Sermonen  wirklich  bis  719  u»  c.  vollendet  worden  sei. 
Manche  Gründe  ruhen  hier  aber  auf  der  Kraft  einer 
subjectiven  Ueberzeugung»  zu  denen  wir  namentlich  die 
p.  26  —  27  berührten  rechnen ;  andere  möchten  entschei- 
dender sein,  besonders  p.  24  u.  25,  wozu  wir  vielleicht 
auch  p.  27  rechnen  dürfen:  altum  Mentium^  quod  de 
Oelaviano  eiue^tie  rebus  geUis  lib.  I.  tenei  Hör.  ctt, 
femer:  quod  non  Molum  familiaribne  Oetaviani  ali^ 
quotiee  ülueit^  sed  ^eum  etiom  tecte  earpnt  ctt.  p.  28. 
Beides  freilich  steht  oder  fällt  mit  einer  p.  29  Anm.  8 
bestrittenen  Ansicht :  ftUluntur^  sagt  Hr.  Fr.y  qui  Ho* 
ratium  demum  n.  c.  726  ad  pariee  Octaviani  träne' 
üse  autumont  ctt.  ■  Wird  hierfür  das  J.  719  angenom- 
men, halb  und  halb  auch  das  J.  723  u.  c.  eingeräumt, 

88 


£99  Frank  Cy    Fast 

se  wünschten  wir  nur  nicht,  däfs  der  Yf.  sich  auf  SehoL 
Cruf,  Efod.  I,  7^  noch  wi^niger  aber  vlvX  Acron  z.  Sat. 
I,  5,  2  berufen  hatte.  Jene  Epode  behandelt  ein  fcei  vom 
Dichter  gewähltes  Thema;  des  Kaisers  wird  mit  keiner 
Sylbe  gedacht,  und  doch  handelt  es  sich  u|n  eine  Le- 
bensfrage Octavians.  Alles  wird  zu  den  Waffen  geru- 
fen wider  Antonius,  selbst  Mäcenas,  allein  HoratiuM 
fiicAty  und  warum?  Dicitur^  sagt  das  Scholion,  Au' 
gustus  Horatio  dedisse  militiae  vacationem^  quum 
id  aliis  denegasset.  Das  Gedicht  selbst  wird  unseren 
Unglauben  hieran  entschuldigen.  Horaz  hat  es  allein 
mit  Mäconas  zu  thun,  der  ihm  offenbar  empfohlen  hatte 
seine  Zeit  der  Muse  lieber,  als  den  Waffen  zu  widmen, 
und  nur  des  Freundes  wegen  Wünscht  er  mit  zu  käm- 
pfen, um  nicht  schon  jetzt  die  eine  Hälfte  seines  Da- 
seins zu -verlieren  und  das.  bekannte  Saeramenttitn  zu 
brechen.  Hiermit  stimmen  auch  die  alten  Commenta- 
toren  überein.  Denn  Porphyr,  und  Aseens.  erklären 
Vs.  7«  ulrunine  iussi  — f  durch  ein  einfaches:  a  te^ 
und  ganz  -ähnlich  Acron^  den  Hr.  Fr.  jedoch  nicht  ge- 
nau genug  excerpirt^  obwohl  diesem  die  Aussage  des 
,SeAol,  Cruf.  offenbar  bekannt  war.  —  Die  zweite  St. 
anlangend,  so  können  die  Worte  des  Acron:  Roratüss 
missus  Jiiü  cum  Hetiodoro  a  parte  CaeMorü^  um  so 
weniger  was  Hr.  Fr.  wünscht  beweisen,  als  die  gen. 
Satire  mit  Bestimmtheit  schon  ins  J.  717  u.  c.  gehört, 
wo  der  Dichter  den  Kaiser  kaum  noch  zu  nennen  ge- 
würdiget, und  um  dieselbe  Zeit  (Sat.  I,  4.  10.)  nicht 
eben  wohl  renommirteLiebllnge  desselben  ziemlich  un- 
sanft behandelt  hatte.  Aber  freilich  war  Horaz  im  Ge- 
folge des  Mäcenas  und  wurde  wie  dieser  immerhin  a 
parte  Caeearis  gesendet,  ohne  darum  ein  erklärter 
Freund  des  Kaisers  zu  sein  oder  einen  Mitbeweis  für 
die  Erscheinung  seiner  Serm.  (Lib.  I.)  bis  zum  J.  719 
abzugeben.  Vi?l  lieber  hätte  sich  der  Vf.  des  SehoL 
Crtiq.  erinnern  sollen:  Maeoenae  et  L.  Cocceius  a 
Caesarianie  legati  sunt  deleeti^  . .  •  JUaeeenatem  aU' 
tem  comiiatuM  ett  Horatiu»  officii  causa,  ut  qui  nu 
hü  haberet  untifuius,  quam  ab  eine  latere  non  diece' 
dere.  Doch  wir  brechen  hier  ab,  da  wir  unten  auf  die 
einzelnen  Gedichte  zurückkommen.  —  Das  2.  B.  der 
Serm.  ist  nach  Hrn.  Fr.  (p.  4 1  —  42)  im  J.  724  u.  e. 
«dirt  worden,  also  nicht  im  Einverstündnifs  mit  denen, 
m  eiche-  die  Herausgabe  vor  die  Schi,  bei  Aetium  verle- 
gen, noch  mit  denen,  welche  sie  bis  7|^  u.  c.  binaus- 


iHoratiani.  700 

rücken.    Die  kurzen  und  etwas  flüchtigen  Beweise  lai* 
aen  wir  hier  auf  sich  beruhen. 

Cap.  III.  handelt  de  ten^re  quo  Epodon  L. 
Mcripiue  et  editue  /uerit.  p.  43 — 50.  Nach  kunor 
Angabe  der  Umstände,  welche  den  Dichter  zu  dio^r 
neuen  Gattung  veranlafst,  —  sie  werden  aber  hkml 
beschränkt:  nativa  indolesy  siiigularie  eof^ormeik^ 
adver sa  fortuna  qua  conflictabatur  vitaeque  nmerk^ 
wo  wir  statt  des  letzten  etwas  grellen  Motives  lieWr 
herForheben  würden  die  nach  und  nach  zunehmeiub 
Spuren  eines  engeren  Anschliebens  an  griecli.  Muster, 
und  wie  bei  der  Satire  die  Rückwirkungen  des  Tolki- 
und  Staatslebeus  in  sittlicher  und  politischer  Hinsidit| 
—  setzt  der  Yerf.  die  Anfange  dieser  archilochiidM 
Poesie  in  die  früheste  Zeit,  als  Horaz  von  seinem  Feli 
zuge  heimgekehrt,  -und  nimmt  nach  Epod.  XIY  A 
lange  vorenthaltene  Sammlung  der  Gedichte  als  ein 
durch  Mäcenas  Tielleicht  beschleunigte,  jedenfalls  aber 
noch  vom  Dichter  selbst  Teranstaltete  (p.  47)r  Daft 
dies  geschehen,  bevor  die  3  ersten  BB.  Oden  e4irt  (i 
i.  730  u.  o.  nach  Hrn.  Fr.),  stimmt  auch  mit  «oteiii 
Berechnung  überein,  wird  aber  durch  einen  Grund  di»^ 
gethan,  den  wir  nicht  theilen  kontfen.  Es  heilst  aii^ 
lieh  1.  c.  die  in  den  Oden  vorkommende  archilochiseiii 
(I,  4)  und  alkmanische  Str.  (I,  7. 28)  lasse  nicht  zw«^ 
fein,  dafs  die  Epoden  früher  nicht  nur  vollendet, 
dem  auch  publicirt  worden  seien.  NuUa  emm, 
es  weiter,  poterit  caussa  exeogitariy  qua  commeta 
Horatiue  ietos  Epodoe  (die  3.  gen.  Oden)  earwnnm 
eorpori  quam  Epodon  /aeciculo  ineerere  mahterit» 
Wird  daneben,  um  dies  zu  erhärten,  auf  Epod.  XB 
verwiesen,  so  können  wir  nur  dies  erkennen,  dafs  ss* 
£ser  der  archilochischen  Galle  und  den  freieren  Rbjlb- 
men,  die  axQoapfi  dlxooXoq  dUni%o^y  welche  der  hoheifi 
lyrischen  Poesie  des  H.  fremd  ist,  jenes  Gedicht  m 
bestimmt  von  den  Oden  scheide,  wie  die  or.  Ttr^offnjis 
der  drei  genannt^i  Oden  von  den  Epoden.  Hieni 
kommt,  dafs  schwerlich  mit  Grund  angenommen  nM 
(p.  48^  Anm.  8),  Horaz  habe  durch .  den  Titel  Epeii 
seine  Gedichte  noch  nicht  auf  eine  bezeichnende  W  ein 
von  den  übrigen  Gattungen  geschieden,  ja  das  WoK 
selbst  laicht  einmal  gekannt.  Freilich  hing  jene  Be* 
nennung  wie  bekannt  mit  der  Form  und  ComposiiiM 
zusammen,  aber  dafs  unsei'em  DiehteTi  ein  Ausdrsek 
fremd  gewesen,  der  von  der  metrischen  Gestaltung  viet 


701  Fr  an  k  ey   Fa  M 

Meht  sdioa  dvreh  den  Erfinder  auf  die  ganse  Gaüulig 
jener  Poesie  ubergiDg,  und  von  dem  Phit.  de  musieq 
p.  1141  A.,  dann  Ußphaettian^  Zen^HuM  u.  a.  in  Be- 
sag^ auf  Arcliiloclius  wie  von  etwas  Bekanntem  und  Ue- 
berkommenem  {oixm  naXovfAtfoi  in<pdoi)  sprechen,  ist 
wenigstens  nicht  so  erwiesen,  um  irgend  eine  Folge- 
rung daraus,  zu  sieben*  Der  Titel  thut  in  diesem,  Falle 
aber  nicht  wenig  zur  Sache,  ich  meine  su  der  von  H. 
mit  gutem  Grund  veranstalteten  Scheidung  jeuer  3 
Oden  von  den  Epoden.  Doch  mag  dies  sein;  unser 
Tf.  wünscht  die  Herausgabe  dieser  Sammlung  nicht 
über  724  u,  c.  hinausgerUckt  zu  sehen,  theils  weil  H« 
«m  diese  Zeit  einer  milderen  Stimmung  zugänglich  z^r 
Ode  sich  gewendet,  theils  weil  er  mit  Epod.  XVil 
(7|^  u.  c.)  gewissermafsen  öffentlich  Abschied  genom« 
men  habe  von  der  archilochischen  Bitterkeit.  Wiefern 
diese  Bestimmungen  Gültigkeit  haben,  sehen  wir  im 
sw^eiten  speeielleren  Theil. 

Cap.  ly.  giebt  die  Zeitbestimmung,  wann  die  er» 
Sien  drei  BB.  Oden  gedichtet  und  edirt  worden  (p. 
51 69).  Ein  ernsteres  Bemühen  des  H.  um  die  lyri- 
sche Poesie  nach  dem  J.  723  u.  c.  annehmend  (p.  53), 
y/nulio  ante  guartum  earm.  l$6rum*\  dessen  ersies 
Ged.  etwa  ins  J.  7^0  u.  e.  falle  (p.  54),  setzt  Hr.  Fr. 
xwdeeAen  jene  Endpunete  zugleich  die  Herausgabe  von 
Carm.  saee.^  Eput.  L.  /,  vielleicht  auch  L.  II  und 
A.  P'  Das  1.  B.  der  Epp.  erschien  734  vor  dem  8, 
Deebr^  Dafs  nun  aber  vor  diesem  J.,  bemerkt  der  Yf.^ 
ijfrüche  Gedichte  schon  herausgegeben,  ist  gesichert 
dureb  das  Zeognifs  des  Dichters  selbst  (Epist.  I,  19), 
vnd  da  die  ersten  3^  BB.  Musanunen  edirt  wurden,  so 
steht  fest,  dafs  diese  Herausgabe  nicht  über  das  Jahr 
734  u.  0.  hinausgerückt  werden  darf.  Genau  wird 
dann  p  55  weiter  gefolgert:  aus  Epist.  I,  1,  3  erhellt, 
dafs  jene  Ijr.  Gedichte  schon  vorlängst  beendet  waren, 
}a  selbst  Alter  und  Stimmung  waren  so  verändert,  dafs 
H.  jeuer  leichteren  Gattung  für  immjer  glaubt  Lebewohl 
ffesagt  zu  haben.  Hiermit  begnügt  Hr.  Fr.  sich  nicht» 
er  glaubt  auch  den  Zeitpunkt  selbst  gefunden  zu  ha- 
ben: fuo  poetam  vefüimile  sit  lyricis  vuledixiste 
(p*  57).  Ausgebend  von  der  mit  zu  grofser  Confidenz 
aufgestellten  Hypothese:  tota  Borain  poesis  lyriea  — 
ssmaioriay  basirt  er  darauf  mehrere  ^unhaltbare  Folge- 
rungen und  stellt  nebenbei  auch  eine  recht  wohlfeile 
Cenjectur  auf,  Od.  HI,  26,  1  vix$  dueUis  nuper  ida» 
sisus  schreibend.    Dies  nun  vergessend  theils  an  und 


^  iL   H  0  r  a't  i  an  t .  702 

für  sich,  theils  auch  um  den  Faden  nicht  zu  verlieren, 
finden  wir,  dafs  der  Verf.  sich  nicht  geschickt  auf  Sap« 
pho  und  Alcaus  als  Vorbilder  des  Horas  beruft;  die 
Poesie  dieser  war  mehr  als  eine  p.  amatorih;  noch 
weniger  abelr  können  wir  zugeben,  dafs  H.  selbst  mit 
jener  Bestimmung  seiner  Lyra  es  so  ernsthaft  gemeint 
habe,  als  Hr.  Fr.>  wünscht.  Nachdem  viele  St.  wie 
Od.  1.  c,  IV,  1.  I,  6,  17  s.  19,  9  s.  II,  12, 14  und  an- 
dere  herbeigeholt  werden,  um  die  boraz.  Lyra  als*^- 
iellis  und  iocoea  darzustellen  und  zu  beweisen,  dab 
der  Dichter  nur  darauf  ausgehe  focosy  Fenerem^,  cofi* 
vhfioy  ludum  (Epist.  H,  5,  5iS)  et  iuvenum  curas  et 
libera  vina  referre  (A.  P.  85):  so  erkennt  Hr.  Fr.  . 
dann  freilich  auch  permutta  poemata  graviorie  argu» 
menti  an;  aber  gleichwohl  fordert  er,  zu  erfüllt  von 
seinem  Gesetze^  der  eigentliche  Charakter  der  horaz. 
Poesie  Jk9nne  und  müsse  darnach  erkannt  und  abge- 
schätzt werden  (p.  59).  DaH»  die  Kunstrichter,  wie  der 
Vf.  sagt,  die  carmina  amaioria  den  vollendetsten,  ge-  ^ 
schmackvollsten  und  reizendsten  beigezählt,  ist  mir  neu, 
jedenfalls  eine  Geschmackssache,  womit  so  wenig  er- 
wiesen wird  wie  mit  dem  letzten  Argument  p.  59  extr. 
und  p.  60  init.  Uebcrflussig  ist  es  wohl  darauf  hinzu- 
weisen, dafs  A.P.  1.  c.  schon 'ausdrücklich  gegen  Hrn. 
Fr.  zeugt,  indem  hier  grade  der  mannigfaltige  Stoff 
der  lyrischen  Poesie  aufgezählt  wird  und  nach  des  Dich- 
ters Bestimmung  in  sich  begreift:  divos^  pueros  deO' 
rumy  pugiiem  victorem^  equum  certamine  primum 
-  ct't. ;  überfliissig  aucl^  zu  erinnern,  wie  Horaz  in  sei- 
nen grofsaitigen  politischen  Oden  an  Helden  der  Zeit 
und  Vorzeit,  in  den  dem  Luxus  und  der  Freundschaft 
gewidmeten,  wie  sie  das  2.  B./ust  nur  darbietet,  jenem 
und  sogar  einem  noch  umfangreicheren  Stoffe  um  so 
vollkommener  zu  genügen  weifs,  je  bescheidener  er 
selbst  der  Aufgrabe  nicht  gewaolisen  zu  sein  bekennt; 
aber  weniger  überflussig  möchte  es  sein,  zu  bemerken, 
dafs  der  Vf.  nicht  wohl  daran  thue,  Stellen  wie:  non 
haec  iocosae  conveniunt  lyrae^  und  so  viele  derselben 
Art  zu  Gunsten  seiner  Hypothese  beizubringen.  Denn 
dies  heifst  nicht  nur  die  Worte  in  ihrer  Ideenverbiu- 
dung  mifsdeuten^  sondern  auch  eine  Seite  im  Charak- 
ter des  Dichters  verkennen,  die  eine  tiefe  Bedeutung 
bat  und  in  Becug  steht  su  der  öffentlichen  Welt  Wie 
einst  der  Dichter  der  Satire  mit  seiner  verletzenden. 
Ironie  die  Gebrechen  der  Zeit  angriff,  aber  immer  ver- 
söhnlich zu  einem  ridendo  dicete  verum  sich  bekennt;. 


703  Oianny .  de  tabula 

wie  er  fiberall  auf  der  vollen  Höhe  seines  Zeitalters 
der  urbanste  und  polisirteste  Römer  erscheint,  aber  den 
Gipfel  seines  Humors  ersteigt,  wenn  er  in  das  Gewand 
des  schlichten  Yenusiners  sich  kleidet;  wie  er  in  sei- 
nem Diehterruhm  ewiger  dasteht,  als  das  Capitolium 
mitsammt  dem  Pontifex  und  der  Vestalin,  aber  sich 
selbst  ausschliefst  von  dem  geweihelen  Sängerohor  und 
hinter  ungefeilter  Rede  und  Rhythmus  sich  birgt:  so 
•oUto  wohl  nicht  verkannt  werden,  dafs  jene  beliebte 
Schlufswendung  nach  einem  ernsten,  epos*  oder  dithy- 
rambenartigen Thema  niehts  weiter  ist,  als  eben  eine 
Wendung,  um  sich  zu  entziehen,  um  zu  dem  «eigenen 
inneren  Frieden  zurückzukehren,  vor  allem  um  stets  von 
neuem,  besonders  in  den  politischen  Oden  darauf  hinzu- 
weisen, dafs  er  nicht  dazu  tauge,  der  Aufforderung  ei- 
-  nes  Augustus  oder  Mäcenas  zu  entsprechen,  und  einem 
andern  es  überlassen  müsse,  die  Römerthaten  zur  Ver- 
herrlichung der  Zeitgeschichte  zu  verewigen«  So  for- 
derte es  die  Politik  des  Horaz,  so  seine  innerste  poeti- 
ache,  sittliche  und  philosophische  Anschauungsweise.  — 

(Die  Fortsetzung  folgt.)- 

LV. 

Diem  tacrum  ab  S.  Ludoviei  nomine  voeatum  in 
honorem  Ludovici  II  magni  ducie  Hattiae  cele^ 
brandum  indicit  Univ.  OiiMensii.  Praemissa  ett 
Fr*  Osanni  diipui,  de  tabula  patronatus  Latina 
cum  epitnetro  de  litterarum  B  et  F  permutatio^ 
ne.    1839. 

Hr.  Prof.  Osann  erläutert  in  diesem  Programm  eine  Erzta- 
fel des  antiquarischen  Museums  in  Capo  di  Monte  bei  Neapel, 
auf  ivelcher  die  Wahl  eines  vornehmen  Mannes  Helpidius  zum 
Patron  der  Colonie  Paestum  enthalten  ist.  Die  zur  Angabe  des 
Jahres  genannten  Consuln  Leontius  und  Bonosns  sind  die  or- 
dentlichen Consuln  des  Jahres  344  nach  Chr.  FUr  die  Gramma- 
tik giebt.  die  Inschrift  einen  Beleg  zu  der  weit  getriebenen  Ver- 
tauschung der  Buclistahen  B  nndV  (z.B.  cües  für  cives,  berbm- 
Terba,  cibiiatit^  fobere  u.  a.)«  worüber  Hr.  Osann  noch  einen 
besondem  paläographischen  Anhang  hinzugefügt  hat  In  diesem 
«  ist  uns  unter  andern  das  Resultat  interessant  erschienen,  dafs 
die  Form  Danubiu9  fUr  die  spätere  und  minder  richtige  zu  hal- 
ten ist,  statt  der  eigentlichen  Danumui.  In  stilistischer  Hin- 
sicht ist  die  Inschrift  eine  Nachshraang  der  laos  den  Seriptores 
historiae  Aagüstae  bekannten  Art  der  Acdamationea  im  Senat 
So  fängt  sie  auch  gleich  statt  der  sonst  gewöhnlichen  Präscrip- 
tion Ton  Ort,  Zeit  und  Antragstellenden  mit  einem  Wunsch  an : 


patronatue  Latina/  ^    701 

Helpiäiy  homo  ftUx^  deui  t4  $tr9€l\  Die  Coostmetieii  erei9 
guoäf  apero  qnod  findet  sich  zwei  Miüil.  Uebrigens-  bat  der  Ste»- 
hauer,  wie  so  häufig,  nicht  ganz  sorgfaltig  gearbeitet,  nn«!  die 
Verbalkritik  findet  schon  bei  diesem  Monument  erster  Hand  ihre 
Aufgabe.  Bei  der  Ausübung  derselben  mufs  Ref.  an  einer  StcDe 
von  Hm.  Osann  abweichen.  Dieser  schreibt  und  iDterpVBgirt 
Zeile  6  nnd  flgd.  so: 

Verba  fecerunt;    Non  aliunde  aestimamus,  statam   civitatis 

altiorem  cultioremque  reddi  nisi  industrium  Tiromm  patroci- 

nio  fulciatur.    Optimi  cires  igitur  Helpidio  honestisaiBM  vira 

pro  dignitate  saa  pntronatum  offcramus,   credimus,    qaod  in 

Omnibus  nos  patriamque  nostram  fovere  dignetnr. 

Die  Inschrift  hat  statt  Osann's  fulciatur  FVICIANTVR  mid  la- 

tiirlich  alles  ohne  Interponction,   häufig  auch   die^  W5rter  ohne 

Zwischenraum«    Zu  der  obigen  Stelle  macht  Hr.  Osanii  die-B»> 

merkung,    dafs  credimu$  zu  offeramui  unangenehm    Oberffiissi| 

hinzugesetzt    sei,   ferner   dais  indualrium   sjncopirt  sei  für  a- 

duitriorumf  indem  er,    wir  glauben  mit  Recht,  die  Ansicht  D9> 

derleins  Lat  Synon.  I  S.  120,  die  Lateiner  hätten  auch  dasAd- 

jectivum  indu$lri$  Im  Gebrauch  gehabt,  verwirft    Denn  DSdcf^ 

leins  Grund,  dais  der  fibliche  ComparatiT  iaduatrior  doch    nflk 

von  induMiriui  abgeleitet  werden  könne»  wird  durch  die  Coaipa> 

rative  uoxior  und  egregior  widerlegt. 

,  Rec.  hat  aber  einen  andern  Anstolb.  Will  denn  Hr.  Oaaas 
den  Genitiv  indutiriorum  worum  passivisch  verstehen,  darcfi 
den  Schatz,  welchen  man  thStigen  Leuten  erweist  I  Er  whd 
.  dies  nicht  annehmen  dQrfen.  Ist  aber  der  Genitiv  activ,  der 
Schutz,  welchen  thMtige  Männer  einer  Stadt  gewähren^  mm  ist 
die  Benennung  vir  induähiut  fUr  den  neu  zu  erwählenden  f^ 
tron  'der  Stadt  unziemend :  ein  homo  indnstrius  ist  nur  ch 
Handwerker  oder  Krämer.  Ferner  ist  die  Anrede  Opiimi  dm 
in  einer  für  Helpidius  bestimmten  Ausfertigung  auffallt^.  Wa^ 
um  aber  dies  Alles!  Es  ist  genug,  uenn  man  den  Fehler  h% 
Steinmetzen  FVICIANTVR,  I  statt  L,  entfernt,  ohne  den  Final 
in  den  Singular  zu  verändern.  Aber  dagegen  verlangen  wir  » 
luilrium  worum  statt  indu»$Hwmy  und  glauben»  nnser  Verhu^ps 
ist  begründet  genug  nnd  nicht  allzu  kühn.  So  wiirde  also  die 
Stelle  so  zu  interpungiren  und  zu  schreiben  sein: 

Non  aliunde  aestimamus  statum  civitatis  altiorem  cnltiorcn- 

que  reddi,  nisi  illnstrium   virorom  patrocinio  folciantar  sf- 

timi  cives.     Igitur  Helpidio,  honestissimo  viro,  pro  digntsü 

sna^  pntronatum  offeramns:  eredimus  quod  in  omnihns  na 

patriamque  nostram  fovere  dignetur. 

CredimuM  ist  dann  nicht  nnntttz  hinzugefügt,  sondern  dem  ScUsh 

entsprechend,  $peramui  guod  pro  honegtate  nominia  aui  üt  esM^ 

bui  nos  aequo  aineeroque  animo  a$picer4  ae  fovere  dignetmr^ 

tferm  Osanns  weitere  Bemerkungen  über  die  Ehre  nnd  da 
Geschäft  eines  Patronus  civitatis  verdienen  in  der  Schrill  seAit 
nachgelesen  zn  werden.  CVinstitntioneUe  Monarchien  henlipr 
Zeit  ersetzen  dies  Bedärliiifs  zum  Thefl  dnfch  die.gewähta 
ständischen  Vertreter  der  Städte  nnd  Landschaften. 

C.  G.  Z. 


v^  89. 

Jahrbücher 

für 

Wissens  ch  a  f  1 1  i  c  h  e 


Mai  1840. 


Kritik. 


Fa9t%  Haratiam.    Scripsit  Carolus  Franke. 

(Fortsetzung.) 

Doeh  wir  lenken  ein ;  yuodti  nbn  fernere  amorem 
iyrieae  HoraiU  poesie  nervum  iignificaeee  videbor^ 
bemerkt  Hr.  Fr.  p.''60«  so  wünsche  er  nun  sein  Recht 
auch  zu  gebrauchen  und  su  folgern:  Haraiium  amori 
€t  melicae  poeU  uno  circiier  et  eodem  tempore  vqle^ 
eUxüee.    Der  Liebe  entsagte  Horaz  als  Vierziger  (Od. 
11,  4,  21  flg.),  heirst  es  weiter,  er  konnte  also  730  u. 
c.  Od.  I,  19  dichten,  und  die  arida  caniiiee  fsllt  will- 
kommen in  dieselbe  Zeit.    Od.  III,  14  um  7f§,  Od.  II» 
11  etwa  729  u.  c.    Aho  scheint  kein  Gedicht  in  den 
3  ersten  BB.  nach  730  Terrerligt,  alle  zusammen  aber 
vielleicht  731  u.  ۥ  erst  edirt  zu  sein.  Wir  lassen  dies 
auch   ohne  jene  Grundbestimmung   über   die    lyrische 
Poesie  Torlftufig  um  so  lieber  gelten,  als  p.  62  flg.  noch 
einige  Beweise  hinzugefiigt  werden,  welche  der  Yerf. 
,mit  Recht  für  seine  Chronologie  benutzt.  —  Eine  gro- 
fse  Schwierigkeit  macht  endlich  aber  Od.  1, 3  mit  dem 
gemeiniglich   anerkannten    Geburtsjahr  735  u.  c.    Um 
dies  zu  beseitigen   wird  p.  66  flg.    ein  kleiner  Excurs 
gegebeu,  den  wir  nicht  zu   den  gelungensten  Partien 
des. Werkes  rechnen.    Richtig  setzt  der  Verf.  voraus, 
dafs  die  Entstehung  dieses  Gedichtes  nach  dem  Tode 
(735  u.  c.)  des  Freundes  jedem  undenkbar  sein  werde; 
-vi^anftn   aber  nicht:  pauio   ante   uhünnm   Mantuani 
tnUis  iter  (734),   ist  wohl  nicht  m  klar,  nur  dafs  es 
die   festgesetzte  Zeitrechnung   durchkreuzt    Denn  daCs 
die  griechische  Reise  des  Virg.  im  J.  735  allgemein  ange- 
nommen, ist  natürlich,   da  aus  den  ziemlich  ausführli^ 
ehen  Notizen  über  den  Mann  eine  zweite  nicht  bekannt 
Ist  und  die  grundlose  Bemerkung  des  Serviue  zu  ei«* 
nem  falsch  verstandenen  Verse  (f^irg.  EvL  3,  74),  als 
hätte  Virgil  dem  Augustus  nach  Actium  723  u.  c.  fol- 
gen wollen,  um  so  weniger  berücksichtigt  werden  durf- 
te von  Hrn.  /V.,  als  jene  Idylle  mit  Gewifsheit  schon 
Jakrh.  f.  wutemch.  Kritik.  J.  1840.  I.  Bd. 


dem  J.  712  u.  c.  angehört.    Aber  die  Ode  ist  unbe- 
quem; auch  nicht  corminie  argumefitum  et  celor  (p. 
66)  stimmen  unserem  Verf.  zu  jener  bekannten  Reise. 
Anstdfsig    ist  nämlich,  dafs  Horaz  weder  der  Aeneie, 
gedacht,  die  der  Freund  in  Hellas   zu  vollenden  vor- 
hatte,   noch  die  Reise   selbst  eigentlich,  berührt  habe. 
Andere  denken  hier  wohl  anders,  nicht  kühn  genug  zi| 
fordern,  ein  Kunstler  hätte,  wie  sie  wollen,  sein,  un- 
sterbliches  Kunstwerk    ausführen  müssen.     Wo    nun 
aber   ein  einiger  Hauch   der  Liebe  und  Freundschaft, 
nur  eine  Sorge  um  des  Freundes  Leben  und  Erhaltung 
durchgeht,  ist  das  Bild  abgeschlossen,  und  jeder  Zu- 
satz möchte  ein  Aufsenwerk  bleiben,  weil  in  jenem  Ei- 
nen alles  inbegriffen  ist.   Und  so  sehen  wir  denn  auch 
eine  genugende  Bezugnahme  auf  die  Reise  in  der  2. 
Str.    Doch  mag  dies  sein;  mit  kühner  Wendung  ver-  ' 
ändert  Hr.  Fr.  unsern  ganzen  Ideenkreis,  und  schreibt 
Vs.  6.  debeM  Quintilium  f.  A,   wobei  jedoch  das 
Gedicht  immerhin  dem  Virg.  überscliickt  sein   möge, 
da  der  Neueingeführte  ein  Freund  war  beider  Dichter« 
Dies  ist  zu   wichtig,  um  nicht  die  Gründe   zu  hören. 
Zuerst  wird  unser  Gedicht   in  genaue  Beziehung   ge- 
stellt zu  Od.  I,  24  (a.  730  u.  c),  namentlich  zu  Vs.  9 
flg.,    und   hier  sodann  die  Stelle:  non  ita  creditum 
poeeis  Qßiintilium  deos  in  Anspruch  genommen.  Diese 
ist   noch    nicht  und  kann   auch  nicht  erklärt   iverdea 
für  Hrn.  Fr.^  wenn  sie  nicht  daxrixcDg,  im  Hinblick  auf 
unser:  navis  quae  tibi  creditum  debes  ctt.  gedeutet 
würde.     Ich  erkläre    sie  mir  einfacher  aus  der  Stro- 
phe selbst  und  zwar  so:  occidit  ülez  tu  deos  poseis 
Quintiiiumy  heu!  non  ita  (ea  condicione)   creditum 
(tibi),  sc.  ut  nunquam  occideret,  ut  nunquam  amicum 
redderes,  restitueres  diis.  (s.  die  SchoL) ;  der  Ergftnzuj^* 
gen  aber  werden  bei  dem  bekannten  elliptischen:  non 
itUj  ovx  ovr€$gf  f«^  fioi  ovtwq  wohl  um  so  weniger,  zu 
viel  sein,  als  Horaz   selbst  an  einfacherer  St.  Od.  II, 
15,  10  uud  Epist.  I,  20,  5  sie  vertritt  S.  auch  Görenx 

89 


707  Fr  a  n  Xf  Sj    Fast 

%.  Cic.  Acad.  II,  39,  123.  Ferner  aber  erhellt  aus  dieser 
Strophe  ffir  dep  Yerf.  ohne  Zwang  (sponte^  wenn  hier 
überhaupt  richtig,  wohl  immer  mit  dem  betreffenden  Pr^' 
nome/i) :  Quinii/ium  ckule  tJtqua  et  unmatura  morte 
perüsse.  Die  Grunde  hierfür  werden  vorschwiegen 
und  wir  bekennen  sie  nicht  zu  finden,  oder  läge  etwa 
einer  in  oacidit?  S.  F.  A.  fVolf  z.  Cic.  p.  domo  §. 
9$.  Doch  es  sei;  der  Müth  des  Vfs.  wächst  und  der 
Tod  des  Q.  bei  einem  Schiffbruch  auf  einer  etwaigen 
(/brtasse)  Reise  nach  Hellas  scheint  nicht  unwahr- 
scheinlich. Hinzu  Icommt,  dafs  Q.  nach  Sehol.  Acr. 
manehen  als  Bruder  des  Yirgil  galt;  wie  leicht  also 
eine  Namenverwechselung  und  bei  obwaltender  Freund- 
schaft ein  von  Yirgil  auf  Q.  zu  übertragendes  dimidium 
amifnae  meael  Nach  solchen  recht  kühnen  Hypothe- 
sen, und  nachdem  der  Yerf.,  wie  er  meint,  siegreich 
die  schönste  Urkunde  für  das  innige  Freundschaftsband 
zwischen  Yirg.  und  Hör.  uns  entwunden,  blieb  noch 
zurück  jenes  Yerhältnifs  möglichst  kalt  und  locker  zu 
zeichnen,  und  in  der  That,  dies  gelingt  dem  Yf. :  Ho' 
ratiu9  favorem  {9)  firgäii  natu  paulo  maiorü  et 
prmctptöus  Viru  pritss  eommendati  ambi6at:(??)  in'' 
de  (/)  eay  y^iae  in  eiu»  taudem  aliquoties  soripsii. 
YFieHoraz  selbst  über  den  Freund  spricht,  ist  bekannt; 
wie  beide  Männer  vereint  in  der  jungen  Dichterschule  für 
einen  Kunstgeschmack  wirkten  und  gemeinsame /^V^t#/f<fc 
und  Feinde  der  Zeit  theilten,  wäre  lang  zu  entwickeln. 
Und  wie  bedürfte  es  dessen,  da  unser  Yf.  selbst  p.  26  flg. 
uns  noch  beschenkt  mit  einer  Art  Wettgesang,  aemU" 
latio  et  concertatio  des  Yirg.  u.  Hör.,  wonach  beide 
durch  wechselsweise  Nachahmungen  in  ihren  Werken 
sich  in  Beweisen  der-  Zuneigung  überboten  hätten.  — 
Hier  ist  und  bleibt  nun  wohl  eine  Lücke  in  der  Zeit- 
rechnung, wenn  anders  Hr.  Fr,  nachgiebt  und  verbun- 
den mit  uns  über  das  J.  730  u.  c.  hinausgeht.  —  Be« 
schlössen  wird  dieser  Abschnitt  mit  einigen  Bemerkun- 
gen über  die  Art  und  Weise,  wie  H.  bei  der  Herausg. 
der  3.  BB.  Oden  wahrscheinlich  verfuhr. 

Das  Y.  Cap.  beschäftigt  sich  mit  Epist.  L.  I.  p. 
69 — 75.  Sämmtliche  Epp.  einem  reifere»  Alter  ange- 
hörend sind  nach  Hrn.  Fr*  später  als  730  u.  c.  gedich- 
tet-, d.  i.nach  Herausgabe  von  Carm.  L.  I.  II.  III., 
worauf  wir  im  anderen  Theil  näher  eingehen  werden. 
Hieran  knüpft  der  Yerf.  nach  kurzer  Bemerkung  über 
den  Titel  Aet  Ged.,  p.  70-- 73  eine  etwas  überraschende 
Betrachtung  de  indoie  et  proprio  Epp.  natura,   wo- 


i    H  Q  r  a  t  i  a  n  i.  708 

l>ei  wir  einige  Augenblicke  zu  verweilen  haben.  Hr. 
Fr,  schliefst  sich  im  Allgemeinen  an  die  Ansicht  Wei' 
eherts  an,  doch  so  dafs  er  vielmehr  als  Yemiilder 
zwischen  diesen  trefflichen  Gelehrten  und  einige  wgir 
tere  Forschungen  tritt.  Mitsbilligend,  dafs  yMÜ»*  Un- 
terschied zwischen  der  Satire  und  Epistel  aufgehoba 
werde,  erkennt  er  zwischen  einzelnen  jener  Ged.  woU 
eine  Differenz  der  Form  und  des  inneren  Charakten 
an,  aber  die  vornehmste  Y^rschiedentieit  beruht  für  äi 
in  der  Form^  welche  aus  den  veränderten  Studien,  Be» 
strebungeu  und  Lebensrichtungen  des  Dichters  s«  er- 
klären sei.  So  gehören  dennSat.  |ind  Epist.  adumm 
idemgue  poesis  gentie  (p.  71)  und  es  stellen  sich  darii 
drei  Abstufungen  heraus,  1.  Serm.  L.  I;  2.  Serm,lä» 
II;  3.  Epp.  L.  i.  II.  Zuerst  tritt  der  Dichter  eine 
Larve  in  unverschleierter  Persönlichkeit  hervor;  sodsia 
übernimmt  der  Autor  g^wissermafsen  die  Rolle  da' 
Actors  und  verbirgt  sich  dahinter;  endlich  zeigt  eriidi 
bald  in  eigener  bald  in  fremder  Gestalt^  so  dafs  t» 
epistolische  Gattung  gleichsam  aus  der  DurehdrhiguBg 
jenes  doppelten  Characters  in  der  Satire  entstände! 
wäre.  Nicht  minder  einleuchtend  und  richtig,  wie  jeo» 
geistreiche  Ausführung,  wird  die  Haupttendenz  der 
Dichtungen  entwickelt,  und  wir  würden  uns  durcha» 
einverstanden  erklären,  wenn  nicht  alles  wesentlich  auf 
die  Grundbestimmung  zurückginge :  differcntiam  (uter 
Serm.  et  Epp.)  frimariam  in  forma  sitam  esse.  p.  71.— 
Was  aber  zunächst  die  Epp.  fictas  anlangt,  zu  denei 
tier  Yf«  pag.  73.  sich  sehr  lebhaff  bekenilt,  so  ist  uh 
sere  Ansicht  eine  zu  abweichende,  als  dafs  wir  tiu 
dabei  verwcUen  konnten.  Ueberdies  werden  hier  keim 
Gründe  angegeben ;  oder  wäre  vielleicht  das  p.  205  Bc^ 
gebrachte:  Ep.  /,  14  et  ipsa  ficta.  nunguam  enm 
Horatium  ad  villicum  elaboratiesimas  Aas  litterti 
dedisse  credam^  einer  derselben?  —  Fährt  dann  der 
Yf.  p.  73  fort:  non  dubito  quin  et  Epist.  19.  perjl^ 
ctissimae  Sat.  naturam  habeat  et  Sat.  /,  6.  Episids 
haheri  possit,  et  haberetur  oppido^  si  in  ßpist.  fofci' 
culo  legeretur:  so  ist  diese  Behauptung  durch  dii 
Obige  freilich  schon  vorbereitet,  aber  doch  kommt  dn 
Anwendung  nach  einem  „non  dubito**,  welches  niekt 
belehrt  und  noch  weniger  bekehrt,  etwas  überraschendi 
Da  es  zu  weit  führen  würde,  unsere  Ansicht  über  die 
Satire  und  Epistel  der  Alten  hier  zu  entwickehi,  so 
betrachten  wir  nur  möglichst  kurz  die  beiden  venir- 
theilten   Geisteswerke   des  Dichters,   ftuerst   die  Satird 


709  .  Franke^    FaM 

Der  Verf.   selbst  gab  p.  72  die  Absicht  der  Satire  Im 
Ganzen  richtig  so  an,  dafs  Horas  zu  sein  beabsichtigte 

.  ridendo  et  cmtigando  perversarum  hominum  ntudio* 
Tun%  earreetar.  '  Auf  diese  Worte  machen  wir  An- 
spruch, und  wenn  es  denn  wahr  ist,  dafs  yor  allem  diese 
horazische  Dichtung  aus  dem  wirklichen  Menschen- 
leben schöpfte  und  bald  ein  mehr  tragUchet^  bald  io^ 
mnsches  Lehrgedicht  zu  sittlichen  Zwecken  war,  mit 
der  Absieht  Thorheit  und  Unsittlichkeit  xu  rügen,  wenn 
dies,  sagen  wir,  eine  Grundbestimmung  nanientlich  auch 
für  das  1.  B.  der  Sat.  ist,  dafs  H.  dem  Lucilius  ver- 
"^andter,  ohne  Larve  mit  gezücktem  Schwerdt  den  Narren 
und  Sondern  ins  Gewissen  donnert  (Juvenal.  1,165 sq.): 
dann  bleibt  die  Wahl,  die  fragliche  Satire  als  solche 
für  ein^ verfehltes  Product  zu  erklären,  oder  festzuhal- 
ten an  der  umfassenden  politischen  Bedeutung  des  ge- 
gen Titel-  und  Ruhmsucht,  gegen  Amts-  und  Ehrgeiz, 
gegen  nichtigen,  Roms  Luft  verpestenden  Adel-  und 
Ahnenstolz  ankämpfenden  Gedichtes.  Dadurch  aber 
^afs  lebende  Beispiele  milhandeln,  dafs  Mäcenas  in  den 
Vordergrund  tritt,  der  Dichter  sich  selbst  einmischt, 
seine  privaten  Zwecke  streng  verfolgt  und  erreicht,- bei- 
den in  gewisser  Hinsicht  der  Ehrgeiz  eines  verdienst- 
und  ahitenlosen  Tillius  als  Folie  dienen  mufs,  um  des 
Novius  und  Natta  zu  geschweigen,  wird  das  Allgemeine 
in  eine  engere  Einfassung  gebracht,  und  das  mit  den 
politischen  Tages-  und  Zeitinteressen  genau  verbundene 

.  Hauptthema  (s.  IViet.  Einl.  p.  200)  mit  ,dem  Stempel 
lebendiger  Wahrheit  versehen«  Vgl.  auch  die  Schol. 
im  Hing.  d.  Sat.  —  Haben  wir  hiemach  in  Eput.  dt. 
eine  gleiche  Rucksicht  auf  die  Oeffentlichkeit  anzuer- 
kennen, so  hat  Hr.  Fr,  das  Recht  auf  seiner  Seite ;  ja 
nach  dem  von  Gell.  N.  A.  XVII,  21  extr.  bezeichne- 
ten Stoff  der  Lucil.  Sat.  konnte  auch  jenes  Ged.  als 
Sat.  gelten.  Hierzu  kommt  die  gereizte,  ja  bittere  Stim- 
mung, worin  es  verfafst  ist«  Diese  macht  aber  nicht 
nothwendig  eine  Satire.  Wäre  dies,  so  wurde  ich  eine 
sw^eite,  eine  dritte  Ep.  nennen,  die  nur  gradweise  von 
jener  Bitterkeit  abweicht;  es  regierte  der  ai;Uo/ia/iis 
awQiitfji.  jyUtor  permissoj  denko  unum^  dcmo  et  item 
unfim/^  Ja  es  überrasclit,  dafs  nicht  Ep.  I,  1.  6.  7.  14. 
u.  a.  vielmehr  das  Schicksal  haben  für  hermaphroditi- 
acbe  Doppelnaturen  zu  gelten,  als  jenes  Gedicht,  wo 
des  Dichters  Stellung  eine  reinpersonliche  ist  zu  dem 
ganz  einverstandenen  Kunstkenner, .  zu  dem  gelehrten 
und  feinsinnigen  Kunstrichter,  wo  alles  Voraussetzung 


t  $    B  o  r,a  X  $  a  n  $.  ^      •         710 

■ 

und  abgemachte  Sache,  nichts  Lehrton  ist,  wo  Ekel 
und  Ueberdrufs,  sich  etwa  mit  dem  unheilbaren  Dicli.- 
terpobel  noch  hterumquälen  zu  müssen,  aus  jedem  Worte 
vordringt,  ja  wo  jede  Anrede  im  Besonderen  nur  auf 
den  Macenas  pafst,  nicht  auf  die  verachteten  Aestheti- 
ker,  und  Ys.  26  flg.  eine  Färbung  hat  mit  jenem  ^^quodn 
fne  lyricii  vatiius  insereä^  ott.,  nur  dafs  es  in  reife- 
ren Jahren  gesagt  ist.  Hier  lese  ich  den  in  die  Lit- 
ter^tur  eingeweiheten  Gelehrten,  den  gereizten  Dichter 
und  Kritiker;  dort  in  der  Satire  den  in  die  Staats-  oder 
Tolksgebrechen  eingeweiheten  Vaterlandsfreund,  den  im 

'  innersten  Kern  gesunden  Menschen.  Mag  Horaz  bei 
jeder  Epistel  recht  wohl  gewufst  haben,  dafs  seine 
Aussprüche  und  Ürtheile  auch  auf  einen  weiteren  Kreis 
übergehen  würden:  keiner  hat  zugleich  besser  als  der 
Dichter  den  ganzen  Unterschied  der  beiden  Poesien  ge» 
kannt  und,  was  wichtiger  ist,  nicht  blos  im  Character 
der  einzelnen  Gedichte  klar  ausgesprochen,  sondert!  auch 
in  Epist.  1, 20  unzweideutig  jedem  Unbefangenen  vor  Au- 
gen  gestellt.  Denn  der  Ausdruck  p9ulicus^  das  warnende 
in  breve  cogi  und  conirectatut  sagt  uns,  für  welchen 
engbegrdnzten  Kreis  eine  horaz.  Epistel  gehört,  und 
jene$  paucis  ostendi  gemis^  communis  laudäSy  non 
ita  nutritus  läfst  über  den  Zweck  ihrer  eigentlichen 
Abfassung  keinen  Zweifel.  Ein  plenus  amator  wird 
ermüden  und  der  Antheil  nur  so  lange  dauern  als  ihr 

\fri4cAes  JüngiingMalter  (aetas).  Dies  alles,  scharf  Und 
sicher  hinweisend  auf  ein  enges,  privates,  nicht  allge- 
meines Interesse,  wUre  auf  eine  Satire  angewendet  volt- 
kommen «sinnlos.  Endlich  ein  JkigicM  Uticam^  mitte- 
ris  Ilerdam^  wie  es  genau  zu  jenem  epistolischen  Cha- 
racter pafst,  eine  eben  so  ungehörige,  sich  selbst  wi- 
dersprechende Prognosis  wäre  es  für  eine  Satire.  Diese 
lebt  und  stirbt  unverbannt,  ein  anderer  Gallus  in  ster» 
guilinio^  auf  der  Erde,  wo  sie  geboren  ist  Hiermit 
vergleiche  man  Sat.  I,  10,  74—90.  4,  71  flg.  Das.  34— 
42,  wo  Horaz  sich  sein  Publicum  für  die  Satire  ab- 
grenzt.  Eic/ntädt  also  Epist,  ad  Ast,  p»  70  trifft  es 
im  Einzelnen  wie  im  Ganzen,  wenn  er  sagt:  in  Epi- 
stolis  non  levem  conspici  et  argumenti  etfbrmae  et 
orationis  et  ipsius  denigue  mctri  disparilitatem.  — » 
Nach  dieser  Abschweifung  des  Verfassers  wird  dann 
aus  Ep,  I,  20  extr.  mit  Recht  entnommen,  dals  das 
1.  B.  733  oder  734  u.  c.  vor  dem  46*.  Geburtstag, 
des  H.  beendet  und  herausgegeben  worden  sei. 

Cap.  VI.  De  temporibus  quibus  Epp.  Ij.IF.  Ep^  ad 


711  Frank  ey    Fat  t 

Ftson.  carm.  IV*  et  earm.saiec.  scripta  etvditaßserint. 
p.  76—79.  Für  die  Zelt  des  2.  B.  der  Epp.  fehlen  uns 
alle  geschichtl.  Angaben^  und  mit  Vorsicht  bestimmt  Hr. 
Fr.  dafür  Aur  ganz  allgemein  die  Zeit  nach  734  u.  c. ; 
auch  ist  es  richtig  carm.  saeC  (737  u.  c.)  vor  Kput. 
\\y  1  ZU  stellen  wegen  Vs.  130  flg.  Zu  kure  dagegen 
und  nicht  genügend  scheint  uns  Kp.  ad  Pison.  behan- 
delt zu  werden  (p.  77),  und  zwar  um  so  mehr  da  die- 
ses Ged.  im  2.  Theil  keines  weiteren  Wortes  gewürdigt 
wird.  Aus  den  wenig  bedeutenden^  und  unsicheren  Be- 
stimmungen müssen  wir  schliefseu,  dafs  der  Vf.  weder 
EicAstädts  (1810.  1811.)  noch  fVeichertty  weder  JSTfVcA- 
ners  (dem.  Hr.  Streuber  K  c.  pag.  87  etwas  leichtfer- 
tig beitritt)  noch  anderer  Forschungen  einer  eindrin- 
genden Prüfung  unterworfen  hat.  .  Auf  festerem  Grunde 
steht  der  Verf.  bei  den  chronologischen  Bestimmungen 
des  4.  B.  der  Oden  J[p.  78).  Diese  werden  durch  ei- 
nige gluckliche  Combinationen,  wie  wir  unten  sehen 
werden,  auf  den  Zeitraum  von  737 — 741  u.  c.  begrenzt  ^- 
Das  VU.  Cap.  endlich  bietet  (p.  80—81)  eine  erleich- 
ternde Uebersicht  der  bisher  im  Werke  gegebenen  chro- 
nologischen Bestimmungen  und  ist  für  diesen,  allgemei- 
neren Theil  etwa  das-,  was  für  den  specielleren  die 
Tabula  chronologica. 

Der  zweite  Theil  des  Werkes  ist  der  Anordnung 
unterworfen,  welche  im  ersten  schon  vorbereitet  worden 
ist.  Genau  dem  Wege  folgend,  den  der  Vf.  uns  führt, 
erlauben  wir  uns  namentlich  noch  diejenigen  Gedichte 
hervorzuheben,  welche  durch  fleifsiges  'Quellenstudium 
und  durch  den  Scharfsinn  des  Hrn.  JPK  in  chronologischer 
Hinsicht  evident  gewonnen  haben,  sodann  einige  von 
denen  zur  Sprache  zu  bringen,  welche  der  Vf.,  wie  wir 
glauben,  einer  minder  richtigen  Zeit  angewiesen  oder 
mit  zu  grofser  Vorsicht  den  nicht  genau  zu  bestimmen- 
den beigeordnet  hat 

-Cap.  I.  handelt  über  die  Zeit  des  1.  B.  der  Sermo- 
nen p.  82—108.  Hr.  />.  beobachtet  hier  einen  sehr 
einfachen  jGrundsatz«  Er  nimmt  nämlich  an,  dafs  alle 
Sei^monen  mit  Ausnahme  des  wahrscheinlich  zuletzt 
entstandenen  Zueignungsgedichtes  vom  Horaz  selbst 
chronologisch  geordnet  in  den  Editionen  vor  uns  liegen. 
Obwolil  diese  Ansicht  nicht  ganz  harmonirt  mit  der 
Chronologie    anderer,   so  sind  die  Abweichungen  bei 


$    H  0  r  a  t  i  a  ni. 


712 


den  ersten  6  Sat  doch  nur  gering.  Die  AngaVca 
stimmen  hier  wenigstens  mit  unseren  eigenen  Beobach- 
tungen, überein,  wenn  wir  die  Differenz  von  einem, 
höchstens  zwei  Jahren  auf  einem  so  schlüpfrigen  Bo- 
den kritischer  Forschungen  nicht  in  Berechnung  bris- 
ten wollen,  —  Anders  ist  es  mit  S«  VII,  welche  Hs» 
Fr.  p.  lOi  flg.,  nachdem  die  früheren  (mit  Ausnafatts 
VQnS.I.  719u.  c.)  bis  717  vollendet,  dem  J.  718  «ue.  aa- 
weisef.  Uebezeugend  sind  die  dafür  beigebrachte 
Gründe  nicht,  und  die  Worte  1.  c.  aut  re$  apertinh 
fiiae  (.^)  me  fallünt  mit  nimie  viri  d*  creduli  JVoi- 
ioni  coniecturam  comprobarunt  mochten  mit  dei 
folgenden:  temporis  adndnicula  pla^e  deeunt  v&äü 
recht  zusammenstimmen.  Auch  thut  der  Verf.  nieiit 
Recht  daran,  auf  das  J.  7f^  u.  c.  oder  die  berSchdfi 
ten  litei  Periii  et  RupUii  Regis  gar  kein  Gewidt 
zu  legen  und  die  Worte:  poterat  (SaL).  past  deeeth 
nium  et  pluree  annoa  tcribi^  nee  metuendun»  erai^ 
ne  rei  pictura  minus  delectaret  lectores  f ührmi  lUB 
der  Hauptsache  nicht  näher,  wohl  aber  davon  ab.  Wir 
sind  darin  hoffentlich  einig,  dafs  die  Scholiastea  ifli 
das  Verstandnifs  grade  dieses  Gedichtes  ein  besonde* 
res  Verdienst  sich  erworben  haben  und  mit  fUchtwiehuh 
discher  Skepsis  zu  prüfen  sind.  Gleichwohl  vermisset  nun 
die  genauere  Prüfung  bei  unserem  Vf.  Acron  bemerkt: 
Rup.  R.  ad  Bmtum  conjitgit  ibique  Horat 
iurgio  lacesaivit  ctt.  Ebenso  die  anderen,  nnd 
mentlich  Schot.  Q,xvs\*\  Rup.  con/ugit  ad  Brutum^  m 
cuius  cattrü  tulit  aegre  tribunum  esse  militumsy  ge^ 
neris  ignobilitatem  saepius  ei  exprobrans.  ^/uare  H^ 
ratius  ut  se  ulcisceretur  ctt  Hiemach  möchte  es 
doch  auffallend  sein,  wenn  H.  seine  satirische  La» 
zehn  und  mehr  Jahre  unterdriickt  hätte,  da  die  Kria> 
kungen  persönlich  genug  waren  und  nicht  wie  bei  aft- 
«  deren  Verläumdern  bis  auf  die  Rückkunft  des  Boras  naA 
.  Rom  verspart  wurden.  -Wer  verbürgt  uns  überhaupt,  daii 
Rupilius,  ein  unruhiger  regelloser  Kopf,  ein  ProscriU^ 
ter  von  Augustus,  ja  der  sogar  s.chon  von  den  eigcMi 
Landsleuten,  den  Präoestinern,  ins  Exil  verwiesen  vmk 
je  wieder  nach  Italien  zurückkehrte?  Ist  aber  di« 
nicht  der  Fall ,  so  dürfte  das  Gedieht  vielmehr  aif 
griechischer  als  römischer  Erde  entstanden  sein« 


(Die  Fortsetznng  folgt.) 


wissen 


J^  ÖO. 

Jahrbfiche 

f*«  • 
u  r 

schaftlich 


e    Kritik 


Mai  1840. 


Ftttti  Boraliam,    SeripÜt  Carolut  Frahke. 


(Fortsetzung.) 

Dm  s weite  Argument  des  Tfa«  ist  hier  zu  abergehea« 
Denn  wenti  dieSat.  dem  Hro«  Fr.  mo  in  genere  praeitan^ 
iüsAna^  den  Gegnern  als  die  jugendlichslo  gilt,  beide 
Tbeile  es  aber  weislich  unterlassen,  aus  Versbau,  Spra« 
che  oder  Compositiou  ihre  GrQnde  zu  entwickeln,  so 
■sugeii  wir  nur  allen  zusammen  mit  Hrn.  Fr.  surufen: 
nere^r  ne  fernere  ^erba  iaciantl  Ein  anderes  Mo- 
■AMit  BchehU  wichtiger.  Für  unseren  Vf.  liegt  nämlich  in 
dem  Ged»  yfiallidu  fuaedam'ironia  vel  potbn  a/mtAioj 
fua  poeta  Bruii  meniienem  facit.  t.  23  sq.  v.  33  sq." 
MTir  .denken  uns  diese  Schilderung  anders  und  zwar 
gans  objectiv  aus  der  Seele  des  Persfus,  also  eines 
griechbchen,  möglichst  freidenkenden  Handelsmannes 
von  Klazolnenä  gesprochen;  womach  denn  ,eiii  et- 
ipras  plump  geäufserter  Natioualhafs  gegen  das  römi- 
sehe  Blui  eines  Uupilius  eher  in  den  Worten  läge,  als : 
yW^Mls  antmi  affectios  ^ua  Bor.  non  iolum  necü 
meuHi  d^fimeti  Bruti  memutitf  ied  etiam  cum  ievi 
pmene  centenyßtu  laudatienem  eiui  et  pHrnatium  Ja* 
€iHU9  in  rinnm  pertit  p.  1Ü2.  Wiire  t/ies  darin  .zu 
Mitdeeken,  waa  trügen  Jene  zehn  J.  Frist  aus,*  die  uns 
dier  Verf.  schenkt  I  Mit  einer  solchen  Gesinnung  sich 
.fiber  Brutus  zu  äufseru,  wäre  dem  Dichter  in  Maer 
Zeit  möglich  gewesen,  Audi  gewinnt  Vs.  33  flg«  erst 
das  rechte  Licht,  wenn  wir  mit  Porphyr,  erklären:  t#- 
ftitre  e  Brüte  gener ii  tui  gloriam  et  hunc  BupJ 
Megem  exitmgue^  und  nach  demselben  in  diesem  „io- 
«os  urbanissinius'*  eben  sowohl  auf  Junius  Brutus  als 
auf  den  Mörder  Casars  anspielen  lassen.  Nach  diesem 
nun  scheint  uns  Hr.  Fr.  etwas  zu  rasch  abzuschliefsen. 
mit  einem:  ^ergo  «.  718  u.  c.  eam  tcriptam  eise  pro^ 
iaiUe  eH.*"  p.  103.  Will  derselbe  dies  J.  noch  da- 
durch stützen,  dab  er  in  Vs.  10^18  eine  Anspielung 
auf  die  Expedition  gegen  Sex«  Pompeius  wahtzuneb- 

Ukrk.  /.  VMsesicA.  KriHk.  J.  184a     I.  Bd. 


men  glaubt,  so  möchte  der  Vergleich  wohl  auf  allen 
Seiten  hinken..  Hierzu  kommt,  dafs  uns  durch  einen  sol- 
chen hineingedeuteten  Ernst  eme  recht  scherzhafte  Seite 
des  Gedichtes  entzogen  wird.  Jene  trojanischen  He« 
roen  recht  ausschliefslich  auf  unsere  beiden  beinah  auf 
demselben  Terrain  sich  tummelnden  Tageshelden  in 
Bezug  zu  stellen,  sclieint  uns  der  Humor  des  Dichters 
um  so  mehr  zu  verlangen,  als  Iloraz  selbst  Vs.  9  flg.  dar* 
auf  hinweiset,  und  die  Paarung  mit  dem  scurrilen  Si* 
senna  und  Barrus,  mit  dem  Bithus  und  Bacchius  da« 
durch  nur  immer  noch  gewinnen  kann*  Einen  Grund, 
warum  diese  Sat.  viel  früher,  als  Hr.  Fr^  will,  zu  wU 
zen  sein  durfte,  noch  verschweigendi,  behandeln  wir 
zuerst  kürzlich  das  folgende  "Gedicht.  Alles  was  S. 
VIU  ins  J.  718  u.  c.  verlegen  mochte,  wird  mit  Um« 
sieht  hervorgesucht;  nur  wäre  das  erste  Argument  et- 
was vorsichtiger  auszusprechen :  duUtari  nefuit  quin 
iam  aduäa  JUaecenaiis  et  Hor^tii  famitiaritate  (post 
a«  717)  scripta  eit.  p.  103.  Es  mag  sein;  aber  aus 
Vs.  12 — 15  lälst  es  sich  wenigstens  nicht  erweisen,  und 
bei  näherer  Prüfung  wird  man  einräumen,  dafs  .dies 
alles  eben  so  gut  7f2  geschrieben  sein  konnte,  nach» 
dem  die  Urbarmachung  derEsquilien  etwa  ein  Jahr  zuvor 
hegonnen  liatte  und  eine  nähere  Verbindung  zwischen  II. 
und  Mäcenas  durch  Varius  und  Virgilius  vorbereitet  war. 
Da  wir  nun  mit  Hm.  Fr.  in  derx  Chrouolpgie  von  S. 
I,  9  und  10  (719  u.  e.)  vollkommen  übereinstimmen,  so 
werfen  wir  noch  einen  Blick  auf  S.  7  und  8.  Lassen 
wir  diese  beiden  so,  ^ie  die  vorhergehenden  in  der 
vom  Verf.  gebotenen  Ordnung,  dann  entsteht  die.  Fra* 
ge,  worauf  denn  Uoraz  die  angelegentliche  Vertbeidi- 
gung  S.  I,  4  wegen  seiner  Satire  beziehen  könne. 
Nach  des  Vis.  Zeitrechnung  blieben  zwei  Gediahte,  we* 
nigstens  unter  den  erhaltenen,  —  denn  von  den  Epo- 
den  darf  laer  nicht  die  Rede  sein,  -r  vielleicht  nur 
eins,  9.  I,  2,  woran  der  Dichter  selbst  denken  konnte. 
Denn  S.  1, 3  bedarfte  an  sich  der  Entschuldigung  nicht, 

90 


715  Frank  eyFoM 

da  sie  durchweg  schonend,  versöhnend,  ja  selbst  recht- 
fertigend ist.  Wie  nun  aber  S.  I;  7  mit  ihrer  nahlle- 
genden  Anwendung  auf  die  ziigellose  Prozefssucht  des  r5- 
inisehen  Volkes  dem  jungen  Dichter  Gegner  wecken  konn- 
te^ eben  so'dikfte  wohl  I,  8  vor  dem  an  Bann*  und 
Zauberformeln  gebundenen  Publikum  eine  Apologie  ver- 
anlafst  haben. 

Cap.  IL  beschäftigt  sich  mit  S.  Li6*  II.  p.  109 — 
122,  und  das  aufgestellte  Princip,  dafs  auch  diese  Ge- 
dichte wohl  nicht  durch  blofsen  Zufall  in  ihrer  Ord* 
nung  stehen,  empfiehlt  sich  wenigstens  durch  Einfach« 
heit  und  Natürlichkeit*.  An  Beweisen  dafür  fehlt  es 
freilich;  wo  sie  überhaupt  sich  finden  in  diesem  B., 
weifs  der  Yerf.  sie  wohl  zu  nutzen,  und  namentliefa 
scheint  uns  S.  II9  1  gegen  alle  früheren  Bestimmungen 
mit  sprechenden  Beweisen  dem  J.  724  u.  c.  angewie* 
sen  zu  werden.  Bei  anderen  wie  II,  4.  7.  8*  ist  es^ 
wohl  zu  kühn  überliaupt  nur  ein  J.  wie  722  und  724  zu 
muthmafsen ;  dagegen  ist  f.  2. 3. 5. 6.  die  Zeit  mehr  befestiget 

Cap.  III.  De  Rpodon  aeiate.  p.  123—136.  Der 
Terf.  geht  von  dem  richtigen 'Grundsatz  aus,  dab  bei 
dieser  Sammlung  nicht  die  Chronologie,  sondern  das 
Metrum  auf  die  äufsere  Anordnung  bestimmend  mitge«» 
wirkt  habe.  Wir  heben  einige  wie  uns  seheint  ver- 
fehlte Partien  aus  diesem  Abschnitt  heraus;  zuerst Ep* 
II.  '  Der  Yerf.  erkennt  in  diesem  Gedicht  eine  Nach« 
ahmung  von  f^irg,  Georg.  II,  458  flg.,  und  stellt  hier* 
nach  das  J.  724  fest.  Dafe  da(>ei  die  Einbildungskraft 
etwas  ^  lebhafter  als  recht  ist  verfuhr,  mag  jeder  sich 
selbst  überzeugen.  Ueberhaupt  aber  ist  Hr.  />.  zu  we- 
nig mifstrauisch  beim  Aufspüren  solcher  Nachahmun- 
gen, wie  er  theils  sonst,  theils  auch  in  diesem  Gedicht 
noch  einmal  bewiesen  hat,  wenn  er  Y.  49  als  entnom* 
men  aus  Serm.  II,  4,  32.  8,  27 ;  —  V.  50  aus  11,  2, 
22  (?)  4,  30;  (11)  —  V.  51  aus  II,  4,  65;  (?)  —  V.  67 
aus  II,  4,  29  betrachtet.  Dergleichen  führt  ins  Gren- 
zenlose, und  um  consequent  zu  sein,  müssen  wir  Y. 
58  die  malvae  94$lubree.  wohl  wieder  in  Anspruch  neh- 
men für  Od.  I,  31,  16  u.  s.  w.  Wichtiger  als  dies 
wäre  die  von  Hrn.  LfOehmann  in  Epist.  cit.  p.  236 
schon  angedeutete  Idee  O.  F.  Gruppee^  wornach^  un. 
ser  Gedicht  als  eine  Art  Parodie  tibulliseher  Poesien 
und  Lebensansichten  betrachtet  werden  müfste  {d.  rdm. 
Elegie  I.  p.  392  flg.),  wenn  die  Chronologie  kein  Hin- 
dernifs  stellte.  Heber  diese  erklärt  sich  Hr.  Gruppe 
nicht,  oder  doch  nur  sehr  indirect,  indem  er  die  horazl- 


t  i    Horatani.  716 

acben  Anspielungen,  um  andere  St.  vx  fibergehen,  na- 
mentlich auf  Tib.  EL  I,  1  und  11,  1  zurückfuhrt.  Wir 
gewinnen  also  nach   diesen  als  den  beiden   extremen 
Puncten  den  Zeitraum  von  712  oder  doch  715  o«  c  bis 
727,   wenn  nicht  gar  bis  7^4  v-  ^'    ^\LXi<t  hier  tief* 
einzugehen  auf  die  geistreiche  Entwicklung  des  H.  6r^ 
ist  soviel  einleuchtend,  da£si  der  Gedanke  an  sich  jeder 
Beachtung  werth  ist,  mag  auch  bei  manchen  Zusaia- 
menslellungen  etwas  zu  nachgiebig  ^verfahren  aein  nil 
Eins,  um  den   Seitenblick  beim  Jeneraior  Aifius  md 
Albiue  und  das  vom  ScAoL  Cruq.   das.  Bemerkte  n 
übersehen,  auffallend   bleiben  grade  bei  ^einem  parodi- 
schen  Scherz,  dafs  Horaz  nämlich  ein  Lieblingatliena, 
woran  Tibulls  Denkart,  seine  Poesien  und   sogar  im 
Freundinnen  des  Elegikers  ihn  erinnern  muFsteu,  ganz 
übergeht,  wir  meinen  die  abergläubische  Seite  des  Freva- 
des, das  krankhafte  Festhalten  an  Magie  und  Zaubern 
Und  deren  un(ehljbarer  Wirkung  bei  Krankheiten  «•  ■• 
Dafs  Epüt,  I,  4.  u.  Od.  I,  33.  hierauf  nicht  angea^ek 
wird,   möchte  so   erklärbar  sein,  als  es  schwer  za  ci^ 
klären  scheint,  dafs  es  in  einer  solchen  Parodie  uatei^ 
lassen,   oder  es  müfste  verborgen  liegen  in  Vs.  36  ü^^ 
in,  diesem  „geistreichsten  ynd  kühnsten  Scherz,  den  Her. 
sich  mit  T.   machen  konnte.**     Gruppe  p.  395.     Dodi 
mag  dies  sein;  wenn  Hr.  Gr.  das  Rechte  traf,   so  nC 
Epod.  II.  wenigstens    vier  J.  jünger  als  Hr.  Fr,  an- 
nimmt, und  gehört  in  dieselbe  Zeit  mit  Od.  I,  33.  (721 
U.  c  ),  nachdem  etwa  sieben  bis  acht  J.  verflossen  wmL 
der  ersten  Bekanntschaft  des  Hör.  u.  Tibull.  —  Nick 
überzeugen  können  Epod.  III.  die   Grunde  für  das  J. 
7^  u.  c,  wogegen  Epod.  IV.  das  J.  716  gesichert  ist 
Die  Zeit  von  Ep.  VI.  wird  wphl  mit  Recht  unbeslimml  ge» 
lassen;  aber  die  Beziehung  auf  Caeeius  Set^erus  eimt 
genügenden   Grund   in   Zweifel  gezogen.    Wenlgsum 
durch  die  Unterschiebung  eines  Mävius  oder   BariaSi 
durch  die  ganz  willkührliehe  Annahme  der  J.  720  oder 
716  u..  c.  für  jenes  Gedicht,  ja  aueh  durch  die  zu  greise 
Jugend  des  Redners  um   die  Zeit,  wo  Horas  £pc»dsa 
dichtete,  können  die  bestimmten  Aussagen  der  ScAot 
und  die  Randbemerkungen  einiger  Codd.  nicht  verdieik 
tiget  werden.     Ziehen  wir  es  doch  vor  die  Sparen  dar 
alten  Quellen  mit  Sorgfalt  zu  verfolgen,   ab   uns  sa 
gefallen   an  wohlfeileren  Conjeeturen!   Zwei  Jahre  In 
dem  Leben   des-  C.   Severus   stehen  fest   naeJi    TadL 
Ann.  1,72.  IV«  21,  nttmlieh  768  als  das  J.  eeinerVciw 
bannung  nach  Greta  \  777  u.  c.  als  dfu  semcs  bfii^ erli- 


ÄI7  Fr  a  n  Jb  0j    P a  #  i 

eben  Tedes«  worauf  er  nach  Tacitus;  saxo  SeripAi^ 
m0n9emmi^  Da  er  nun  25  J.  als  Verbannter  gelebt  ba- 
beu  BoU  {Emet,  Chron.  p.  374  Rom.  1833.),  so  dürf- 
ten wir  hiernach  freilieh,  sowie  naeli  Tacitus*  Ausspruch 
den  Tod  binaussebiebeii)  soweit  'die  Gesetze  menscbli- 
eher  Natur  irgend  es  gestatten,  aber  wir  wollen  auch 
nicht  Fergessen,  dafs  Eusebius  sich  öfter  verrechnet, 
wie  er  denn  selbst  MessaUa  Corvimis  um  ganse  neun 
i.  SU  jung  macht  und  dafür  ilun  nach  dem  Tode  noch 
Bulegt*  Sind  abo  die  Scboliasten  wenigstens  mit  nicht 
gcoiserem  Argwohn  zu  benutzen  als  jenes  Zeugnifs, 
und  wenden  wir  dann  unseren  Blick  surQck  auf  Taci« 
itie,  so  liefse  vielleicht  aus  einer  Zusammenstellung  Ton 
da  ormt.  c.  19.  u.  26.  mit  Bist.  I,  1.  sich  folgern,  dafs 
C.  Sevenis  als  Redner  und  AAwald  bald  nach  der 
SeKlaeht  bei  Actiunl  hervorgetreten  sein  miisse,  sei  es 
dafs  dies  in  sehr  frühen  Jahren  geschah  (vergl.  Ausl.  z. 
Tacit.  Amt.  Xil,  41.  SeASm.  de  camit.  Athen,  p*  78.)> 
4ader  dafs  ihm  neunzig  J«  und  darüber  zu  gönnen  seien. 
Hiernach  dürfte  dann  das  fragl.  Gedicht  an  die  ftulser- 
ste  Grenze,  wo  Hör.  Epoden  verfertigte,  'etwa  726t— 29 
WL  e.  SU  stellen  sein»  Bei  Epod.  Til  tXVI.  verweilen 
wir  uns  nicht,  obwohl  einige  etwas  zu  kurz  abgefertigt 
^p^erden,  s.  "B,  Ep*  YII,  wo  Briiannui  mtacius  unbe- 
röcksichtigt  bleibt,  Ep.  XIII.  u.  a.  Ebenso  scheint  Ep. 
X.VU»  noch  eine  Ueberarbeitung  zu  "erfordern;  wenig- 
stens kdnnen  wir  auf  Epod*  Y*  u.  Si$t.  I,  8.  keine 
Serkfiuig  gestatten,  weil  beide  Ged*  für  uns  noch  nicht 
festgestellt  sind  vom  Hrn.  lir, 

Cap.  lY.  umfaist  das  1.  B.  der  Oden  p.  136—171. 
'I>er  Vf»  verpiBichtet  sieh  nur  diejenigen  zu  betrachten 
yj/fuae  temporum  indteia  vel  certa  vel  dubia  conti- 
neni^y  all^  nicht  behandelten  zwischen  724  bis  730  u.  c. 
^•ctxend*  Sollen  hiemach  wegfallen,  deren  Zeit  auf  ein 
siefaeres  Jahr  notorisch  ni«ht  zurückzufuhren  ist,  so 
innfste  Hr.  Fr.  dem  Grundsatz  getreu  noch  mehrere, 
wie  Od.  i,  29.  pag.  165.  Od.  1, 38.  pag.  171  ganz  über* 
l^en;  auch  wird  mit  dem  dazu  Bemerkten  nichts  ge- 
'ironnen.  Desgleichen. durfte  1,  32.  wegfallen,  und  et-' 
was  überraschend  wjrd  abgeschlossen  p.  1^:  modeitior 
efuidem  (als  Hr.  Kirchner  und  Grotefend)  propofio  a. 
724—730  u.  c.  Da  nun  der  Vf.  jenet  J.  als  das  er- 
wie  annimmt,  wie  wir  oben  sahen,  in  welchem  Hör.  der 
lyr»  Poesie  sich  zuwendete,  so  verbietet  der  Eingang 
des  Ged.  {poscimur/  sifuid  Aaimus  yuodet hunc^i9t^ 


i    B  o  r  a  t  i  a  n  i.     '  71» 

annum  et  vivat  pluree  ctt.)  jene  weite  Begrenzung,  und 
wir  mochten  uns  mit  den  beiden  genannten  Gell,  lieber 
zu  den  Jahren  1\\  u.  e.  hinneigen.  —  Betrachten  wir 
noch  einige. Ged.  dieses  B.  in  ihrer  Folge,  so  müssen 
wir  bc^Bonders  die  Behandlung  von  Od.  2.  als  eine  in 
allen  Theilen  gelungene  herausheben  (p.  136  -^  147). 
Durch  die  geschichll.  Belege,  so  wie  durch  eine  hier 
gewifs  begründete  Zusanunenstellung  mit  Virg.  George 
/,  416  sq.  sichert  uns  Hr»  fW  das  J.  725  u.  c,  und 
rio  metrischer  Grund  (Vs.  19)  spricht  wenigstens  nicht 
gegen  dasselbe.  —  Die  besonnene  Prüfung  der'chronol* 
Momente  bei  Od.  4.  6.  7.  (p.  147—150)  ist  sehr  zu  U* 
ben,  obwohl  die  Resultate  minder  erfreulieh  sind  und 
bei  Od.  7.  die  Behutsamkeit  etwas  zu  weit  geht.  Die 
Zeit  von  722— -23  u.  c.  möchte  hier  wohl  ebenso  gewifs 
naohzuweisen  sein,  als  die  gänzliche  Unabhängigkeit  von 
den  Epoden  und  deren  Herausgabe.  — *-  Die  folg.  Oden 
bis  12,  wofür  p.  151  das  J.  7|^  u  c.  ermittelt  wird,  über* 
geht  der  Vf.  Was  aber  für  jene  späte  Zeit  spräche 
bei  Od.  1, 12,  wüfsten  wir  nicht;  alles  scheint  vielmehr 
auf  dai  J.  725  oder  726  u.  c.  hinzuweisen.  —  Uebcr 
Od.'l,  14.  und  die  folgende,  welche  von  Hrn.  Fr.  nicht 
behandelt  wird,  giebt  Hr.  JLachmann  in  Epitt.  cit,  p. 
237  flg.  mit  gewohntem  Scharfsinn  neue  aufhellende 
Winke,  beide  vom  Dichter  nicht  grundlos  nahe  zusalm* 
mengesteUte  Oden  als  ganz  griechische  (die  erste  als 
reinalcäiscb)  bezeichnend  und  bei  Od.  14.  jede  allego*- 
rische  Deutung,,  wie  es  scheint,  zurückweisend.  Der 
ausgeführte  Gedanke  wäre  vielmehr  mit  Bücksicht  au 
des  Alcäus  ^^/Jura  fugae  maloy  dura  natn$'  nach  HnK 
L.  dieser:  „Pontica  pinu«"  (post  phaselus,  antea  comata 
Silva)  Alcaeo  „nnper''  in  fuga  desperanti  „sollicitum 
taedium"  fuissc  potuit,  tum  patriam  repetere  gestienti 
„desiderium  curaque  non  levis."  Die  Erklärung  wird 
nicht  ohne  allen  Zweifei  hingestellt  und  in  der  That 
wäre  iiaroentlich  die  Beziehung  von  $oU.  taedium  für 
mahches  Auge  wohl  allzu  feiiv,  würde  sie  nicht  vieU 
leicht  manchem  etwas  näher  gerückt  durch  jenes  catul- 
lische  ^yOtium  Catulle  tibimolettum  est*  (L.  1, 13)  und 
das  sapphische  äkXit  näv  xok\iiax6v  (Schneidewin  delect. 
p.  295).  Kehren  wir  also  mit  Anerkenhung  aller  griech. 
Färbung  zur  Allegorie,  die  dadurch  nicht  gestört  wird, 
zurück,  so  mochte  doch  die  Ansicht  des  Torrentius,  zu 
der  Hr.  Fr.  sich  bekennt,  noch  eine  erneuerte  Prüfung 
erfordern,  wenn  wir  auch  dem  Vf.  einräumen  wollen^ 


719  F  r  m  n  k  e^    F  a  9  t 

dar«  der  itm%^iS9^  ß^Mende  nvßtgv^ttj^  genfigend  Tom 
Dichter  beselchnet  verde  in:  non  tibi  fuut  integra  lin* 
'  tea,  fiM  di  quoi  V0eei,  Uebersengend  dagegen  sind 
Od.  15«  die  aus  der  Prosodie  des  tilyconeus  (v.  extr.) 
eutnommetien  Gründe  des  Hm.  /jacAmann^  so  wie  die 
aus  der  freieren,  eigentlieh  ünhorazischen  Bildung  des 
Enneasyllabus  entwickelten  in  der  alcäischen  Str.  für 
einige  Erstlings -Yersucfae  in  der  lyrischen  Poesie.  Da- 
ta geboren  Od.  I,  16,  3.  pona  4amti$\\$ive\flamma. 
I,  26.  29.  35.  II,  1.  3,  13. 14. 19.  Dafs  Alcäus  wie  in 
anderem  auch  hierin  wahrscheinlich  freier  war,  wie  s. 
B.  likhxQoVi  aora^  II  afi9i|xo(»a^,  kann  die  feine  Beob- 
achtung des  Hrn.  Ijoehmann  nur  unCerstQtsen,  indem 
grade  dadurch  Horas  sich  verleiten  lassen  mochte,  sol* 
che  besonders  in  der  rom.  Sprache  verletsenden  Här* 
ten  Anfangi  zuzulassen.  Sehr  erfreulich  isC  es,  dafs 
auch  die  historischen  GrQnde  des  Hrn.  Fr*  bei  den  mei- 
sten  jener  Gedichte  dieselbe  Chronologie  bestätigen,  und 
nur  Od.  I9  26  ist  es,  welche  Hr.  LacAmann  nach  Dw 
Ca9i.  L.  1.  p.  649  R.  gewifs  mit  Recht  auf  das  J.  724 
u.  c.  (anstatt  729  u«  e.  Franke)  suruckzufohren  hat  — 
^ir  heben  aeuletzt  noch  Od.  I,  34  heraus.  Dieses  Ge- 
dicht stellt  Hr.  Fr.  ins  J.  730,  mit  gleicher  Kühnheit 
Hr.  KiroAner  ins  J»  731  und  Hr.  Grotefe$Hi  ins  J. 
726  u.  c.  Wenn  unser  Vf.  der  Ansicht  Buttmanns  (^y- 
tAoL  I.  p.  321  s.)  beitretend  in  dem*  apex  der  letzten 
Str.  das  Tom'Teridates  wieder  aufs  Haupt  de«  Phraa- 
tes  gesetzte  Herrseberdiadem  erkennt,  so  ist  zu  besois. 
gen,  dafs  eine  solche  Einmischung  persbcher  oder  par- 
tbiseher  Angelegenheiten  mitiammt  der  Chronologie  hier 
nichts  weiter  ist,  als  eine  Fortsetzung  des  Romans  von 
dem  Abschwören  der  epicurischen  Weisbeit,  Wieviel 
behutsamer  die  Seholiasten,  vergl.  auch  />«A  s.  v.  apex; 
tiieviel  sinnreicher  und  zug^leich  geschichtlich  begrün- 
deter jedes  Wort  Letsingf  über  jenen  einen  Gedan- 
kenblitz,' der  des  Dichters  Phantasie  durchzuckte. 

Im  Cap.  y.  werden  die  lyrischen  Gedichte  des  2. 
B.  behandelt  (p.  172— -185),  bei  denen  wir  nicht  länger 
verweilen,  da  wir  in  allea  Hauptpunkten  meiit  mit 
dem  Vf.  fibereinstimmen.  Aufser  Od.  13,  welche  durch 
Hrn.  LaeAmaun  1.  e.  p.  240  statt  des  FrankeeeAem 
i,  (728)  das  J.  724  gewonnen  hat,  neiinen  wir  noch 


i   U  o  r  a  t  i  mn  u  72t 

die  zuletzt  bebandelten  17.  18.  19.  ab  zu  detten  g^ 
rcnd,  welche  nach  allgemeineren  ZeitbestuDmonges  n 
ordnen  waren.  Die  Argumente  sind  hier  durchweg  is. 
klar,  nur  da(s  im  vorletzten  Gedi^t  das  fiabiasB,  in 
letzten  der  Enneasyllabus :  cantare  rivos  |  atf ue  |  \xw 
f^M  einen  kleinen  Anhalt  bieten  möditen. 

Cap.  TL  umfabt  (p.  186—197)  das  3.  B.  derOte. 
Wir  haben  hier  zuuftchst  die  UoMidit  und  den  Mm 
Tact  zu  rühmen,  womit  Hr.  Fr*  die  sechs  ersten  €^ 
dichte,  ausgehend  ron  dem  Princip:  non  eolam  «» 
gulari  de  caueem  compeeüa  et  inxlm  eoilwala  tm 
(earmina),  sed  temperte  etiam  eognatwnem  kekn^ 
behandelt  und  in  den  Zeitraum  von  726  *  728  u.  e.  cn« 
scbliebt.  Im  Einzelnen  billigen  wir. die  viel  geßlBi 
gere  Beziehung  Od,  2,  17  flg.  auf  Octavianus  (727 1» 
e.)  als  die  bisherige  auf  Cato  (p.  187);  <odann  die  Z«* 
rückweisung  der  Ansicht,  als  hatte  Uor.  Od.  4,  37  All 
die  Bibliotheca  Octaviana  (721  u.  c.)  angespielt  (f. 
189) ;  endlich  Od.  5,  3  flg.  die  Bemerkungen  über  ii 
Slelfung  Britannia's  zu  Rom  und  die  daraus  gewosii»» 
nen , Resultate  fulr  das  Gedicht  (p.  190  s.).  AuCnt  ji» 
nen  werden  noch  zehn  Gedichte  dieses  B.  bebsadel^ 
von  denen  Od.  13.  16.  18.  21.  28.  nach  dem  p*  136  gii 
stellten  Grundsatz  wohl  ganz  zu  iibergehen  waren»  £1 
sind  weder  certa  noch  duAia  indMa  temperum  v«» 
banden,  und  wenn  der  Mt.  mit  den  zu  Od*  25  gef» 
denen  ^Ergebnissen  heute  nicht  viel  mehr  »ifriedMi  wli 
re,  als  iflit  denen  zu  jenen  Oden^  konnte  es  uns  aUl 
eben  überraschen. 

Das  VI.  Cap.  beschäftigt  sich  (p.  196— 20^  al 
dem  1.  B.  der  Epp.^  und  wenn  die  gefundenen  Keni- 
tate  ziemlich  vag  uud  allgemein  sind,  so  liegt  es  ^ 
leicht  weniger  an  der  Bemühung  des  Hito.  Fr*^  ab  ■ 
dem  Mangel  chronologischer  Notizen  für  diese  Dickt» 
gen.  Die  1.  Epist.  wird  als  eine  Art  Vorwort  für  sb 
Briefe,  eine  ai/eeutto  ad  Maecenatem  genoaunea,  mi 
ihre  Tendenz  dahin  erklart,  dafs  sie  eine  Esipfdb» 
lung  des  strengeren  philosophischen  Steflfce  firde 
Freund  sei  und  zugleich  eine  Entschuldigung,  dab  in 
lyrischen  Gedichte  jen^r  ernsten  BetraditungsweiMr 
dem  Alter  und  der  Stimmung  gemttrs,,  fortan  wMm 
werden. 


(Per  Aeicblufa  folgtO 


-J\^  91. 

J  a  h  r  b  u  c  h  e  r 

t  ü  r 


W^ 


K  r  i  t  i  k. 


Mai  1840. 


Fasti  Horatiam.     &cri^ut  Carolus  Franke. 

(Scbidb.) 

'  Hiergegen   wäre  wohl  nichts   einzuwenden,    nur 

scheint   der  Verr.   einen  gröberen   Ernst .  fn    die  Be- 
r  deutnng  der   Epistel   bineineulegen ,   als   der  Dichter 
wGiBscben  möchte,  und  gewifs  geht  er  su  weit,  wenn 
'er   p.    198.  duipb  jenes  stoisch -epicurische  Paradoxon 
'  am  Sehlufs  (vs.  106)  veranlafst,  sich  erldArti  summa 
^  ieiiur  EptMiolae  sententim  in  phHoiophiae  comvnen' 
(  datione  posita  est.    Irren  wir  nicht,  so  dringt  aus  die« 
>  äem  wie  allen  Briefen  soviel  Jugendfeuer  und  Phanta. 
isie  doreh,  dafswir,  ohne  überrascht  zu  sein,  den  Dichter* 
I  in  Jedem  Moment  zu  den  lichteren  Spielen  der  lyrischen 
.  P^ftsie  wieder  surüelckehren  seheo  müfsten.  Es  mdcbten 
s  nur  wenige  Epp.  sein,  In  denen  uns  H.,  wie  der  Verf. 
I  aügt,  erscbeinen  Icann  tantum  a  hisiAus  recedens,  fuan^ 
^  tstm^  in  piU0sopkia0  pen^ralia  penetrmns  und  noch 
/weniger  sireng  ist  sn  nehmen^  was  derselbe  bemerkt, 
I  4aft  eactisaii^nsm  petere^  fuoä  res  seriös  serio  ser* 
wsmne  pera^tQs  ßmiari  oßPerret.    Denn  wfihrend  der 
^  Ikicbt«r  mit  seinem  mächtigen  GSnner  zu  rechten  sdieint 
I  vad  diesem  Belehrungen  giebt^  hatle  er  es  wahrschein« 
(  lieh  weit  mehr  noch  auf  andere  aufdringlieh  geneigte 
,  ]\re«nde  abgesehen»— >  Im  Besonderen  heben  wir  zwei 
aahrarwandte  Briefe  heraus,  Bp.  2  und  18«    Dafs  die« 
aer  dem  J.  734  v«  e.  aogehSft^  darf  als  erwiesen  be- 
trachtet werdan,  aber  um  so  gröfiter  sind  die  Zweifel 
bei  dem  ersteren«  Hr.  Fr.\  festhaltend  an.  dem  Princip, 
dafs  die  Gedielite  dieses  B«  von  730—734  u.  c.  rerfer- 
tift  aeient  stellt  ihn  ins  J.  731  nach  des  Lollius  Feld« 
ayg  in  Bispanien  (729  u«  e.)*    Was  aber  zu  Gunsten 
dieser  spaten  Zeit  aus„ee/er  aipM  imdaUtr.  des  Brie« 
fea  beigebrscbt  wird  (p.  199—200),  trftgt  in  der  Thal 
ZM'selir  das  Gepräge  einer  letzten  Nothhülfe,  um  das 
Prindp  zu  vertreten*    Und  nicht  fester  steht  der  aus 
d#n  (calida) /Mi#i»la  (v.52)  entnommene  Beweis.  Bier 

Iskrb.  f.  ufiMMMch.  KrUik.   J.  1840.   I.  IM. 


i 


ist  viNi  nni$ihsen  fomenta  die  *  Rede ;  da  aber  die 
aehmerzUndernd^i,  gleichfalls  fomentn  (frigide)  benannt, 
erst  731  u;  e.  aufkamen,  so  n^lehte  grade  im  Gegen^ 
theil  auf  eine  frQhere  Zeit  der  Eplstd  geschlossen  wer» 
den,  "wo  Antonius  Musa  die  warmeh  Umschläge  noch 
nicht  verdrängt  hatte  durch  di^  wirksamen  fomenta  fri« 
gida.  Horaz  konnte  nur,  da  noch  kein  Mittel  gegen 
das  Podagra  gefunden  war,  so  schreiben  vrie  er  schrieb, 
und  unmittelbar  nach  der  neuen  Heilart  würde  der  Yer^ 
gleich  nicht  «nmal  passen.  Es  fehlt  aber  auch  naoh 
diesem  soviel,  dafs  fumenta  die  Concinnität  der  Rede 
stört,  da£s  vielmehr,  sowie  jener  in  Rom  oft  herrschen« 
den  Augenentzündung  (lippitudo)  die  Gemäldesueht) 
eine  Modekrankheit  der  Begüterten,  ebenso  jene  lan« 
desübliche  Curart  dem  vornehmen  Podagraübel  seht 
passend  zur  Seite  steht,  und  in  welche  Stände  der 
Dichter  uns  hier  versetzt,  lehrt  di^  and  die  Qtberw 
klänge  (vgl.  vs.  30.  31.)  wohl  zur  Genüge.  Ueber  die 
Person  nun,  der  jene  Briefe  gewidmet  werden,  mit 
Um.  Fr.  vollkommen  übereinstimmend,  können  wir 
nicht  umhin,  aus  der  ziemlieh  ausführlichen  Hinwei- 
snng  auf  die  Bedeutung  und  den  Erfolg  eines  Studiums 
des  Homer,  der  gewöhnlichen  Jugendleotüre  bei  den 
edlerrn  Römern,  wie  aus  dem  gesammten  zweiten  Ab» 
schnitt  des  Briefes,  einem  wohlbereebneten  ethischen  Cate« 

I 

ehismus  für  Jünglingsfehler  und  Laster,  zu  schliefson^  dafs 
das  Gedicht  in  eine  möglichst  frühe  Zeit  (etwa  7|^  u.  c.) 
zurück  2U  versetzen  sei.  Ein  kategorisches  „non  exper- 
giscerbf"  „sapere  aude,  ineipe!**  ^^nune  adbibe /icire 
pectare  verba^  tiune  te  melloribus  offer I**  pafst  auf  el« 
nen  ad0lesceHiulus^  bevor  er  in  die  Welt  tritt,  nidit 
auf  einen  civis  oder  mUes  Rgma^sus.  ■  —  So  dürfte 
neeh  eine  und  andere  Epistel  einer  erneuerten  Prüfung 
zu  unterwerfen^  mit  Gewifsheit  aber  Epist.  4  jenseits 
J30  u.  e.  zu  setaen  sein  $  doch  läfst  sich  bei  den  man* 
gelhaflen  poaitiven  Belegen  der  Beweis  nieht  in  kurzen 
Worten  führen. 

91 


^  723  Frank  eyFaMt 

Cap.  VIII.  scliliebt  mit  den  chronolojpfchen  Be- 
stimmuDg^i.über  das  4.  B.  der  Oden  ab,  p.  207 — 280. 
Hier  erfreuen  wir  uns  gewisserer  Nachweisungen,  und 
sowie  der  Yerf.  diese  bei  der  allgemeinen  Zeitbegren^ 
^ung  des  Buches  gut  anwendete,  ebenso  hat  er  dies  bei 
den  einzelnen  Gedichten  gethan.    Od.  1.  2.  4.  5.  sind 
wir  ganz  einverstanden  mit  den  gefundenen  Resulta- 
ten.   Od.  6  wird   mit  Recht   abhängig    gemacht  von 
nynn.  meeul.  737  u.  c,  und  an  jenes  Gedicht  knüpfte 
sehen  ein  glQcklicher  Blick  Groiefendi  das  durch  Zeit 
.und  Stimmung  nahrerwandte  drüte^  an  dieses  wieder- 
'  um  Hr.  Fr.  Od.  8  und  9.    Mit  gutem  Grund  werden 
•odann^  p.  21»  flg.  Od.   7.  10.  11.  12.  von  wiUkürli- 
ehern  Zeit-  und  Jahreszwang  befreiet,  indem  die  Uh- 
sulSngliefakelt  der  bisherigen  Ansichten  genügend  nach- 
gewiesen wird.    Am  ausführlichsten  und  gelungensten 
endlicli  scheint  uns  die  Behandlung  des  letzten  Gedicbf* 
tes»  p.  223  flg.    Sowie  der  Yerf.  aus  gescliichtlichen 
TJbatsaehen  nachweiset,  dafs  es  nach  den  J.  734,  739, 
736,  737  verfertigt  sein  müsse,  ebenso  erlöset  er  uns 
durch  eine,  wie  wir  dafür  hallen,  richtigere  Interpreta- 
tion dersweitein  und  dritten  Strophe  als  die  bisherige  von 
dem  historisch  unbegründeten  „Jimtif  tertio  elausu9^\ 
wad  hiermit  zugleich  von  dem  seit  JUasion  allzu  gläu- 
big aufgenommenen  und  beinah  traditionell  gewordenen 
J.  744  oder  745  u.c.  Setzt  nun  Hr.  Fr.  das  J.  741  u.  e. 
atatt  dessen,  so  machten  wir  nur  wünschen,' daCs  er  em 
Jahr  nachgebe.    Denn  nicht  ganz  genau  ist  wohl,  was 
p.  225  befuerkt  wjurd:  mmi»  ^fuum  ab  ä.  738  uzque  ad 
«.  741^0.  e.  eantiHua  saevirent  bella^  li^uet  Carmen 
non  anis  ,a»  741  fcr^ium  esse.    Je  richtiger  die  Yor- 
Hüssetsüng  ist,  dafs  wir  ein  möglichst  aligemeines  ,Frie- 
d^isjahr  für  unsere  Ode  nöthig  haben,  um  so  weniger 
dürfen  wir  das  Jalir  741  gelten  lassen,   wo  Augustus 
erat  Im  September  um  die  Zeit  seines  Geburtstages  au^ 
Germanien  nach  Rom  surückgekehrt  war  (Hr./V*.  sagt 
p,  228.  earmen  scriptum  pest  redüwn  Augusti.)  und 
Agrippa-  im  Spätherbst,  uLaixoi  %oZ  fHfuSivoq  ivtoxfi%6xof 
{Dio  Cass.  Liy.  p.  758  R«),  die  ziemlich  bedenklichen 
Aufstände  in.Pannonien  mit  einer  ansehnlicheren  Hee- 
fesmacht,  als  ein  anderer  je^  zuvor*  aufserhalb  Italiens 
^Grenzett  geliabt  hatte,  beilegen  sollte.    Da  der  Feldherr 
aber  noch,  .vor  Ablauf  jenes  Jahres  starb,  so  wurden 
die  von  dorther  drohenden  Gefahren  erst  im  Frühling 
des  folg.  Jahres  (742  u.  c.)  durch  Tiberius  völlig  be- 
sätiget 


Horatiänu 


724 


Der  Verleger  kat  lur  eine  würdige,  der  Wichtig, 
keit  des  Werkes  entsprechende  Ausstattung,  fnr  gotei 
Papier  und  klaren  Drubk  Sorge  getragen.  —  Aubei 
den  vier  angegebenen  Druckfehlern  ^bemerkte  Bef.  aoeb 
folgende,  die  der  Rede  kaum  werth  mnd:  p.  15  Api. 
L  10.  sehr;  318  f.  315.  p.  55  Anm.  13.  lia«  extr.  ick. 
Epist.  I,  13,  2.  17.  f.  Epbt.  I,  12.  p.  231.  Sat  U,  8. 
sehr.    Ut  Nasidieni  f.  Olim  truncus. 

Cari  Passo.w. 


LVL 

Bistorical  sketches  of  sfatesmen  who  ßouridui 
in  the  time  of  Oeorge  IIL  To  which  ü  W- 
ded^  remarks  on  party^  and  an  appendix.  Firi 
Series.  ^  By  Henry  Lord  Broughasn.  &- 
cand  Edition.    London^  1839.  404  8.  in  jr.a 

Die  Staatsmänner  während  der  Regterungs-Epo- 
che  Georgs  III.  Mit  Bemerkungen  über  Par- 
teikämpfe und  einem  historischen  Anhang.  Am 
dem  Englischen  von  Henry  Lord  Brougkam^ 
Erster  Band.  Pforzheim,  1839.  Verlag  m 
Demiigj  Finch  et  Comp.  VIII u.  3918.  gr.S. 

Es  sind.  Georg  III.  j  die  Lords  Chatham ,  Noitly 
Loughboroügh,  Thurlow,  Mansfield,  der  Lord  Obenidh 
ter.  Gibbs,  Sir  William  Grant,  ferner  Burke,  Fox,  fH 
Sheridan,  Windham,  Dundas,  Erskine,  Pi»roevaI,  Lari 
6renville^  Grattan,  Wilberforee,  Canning,  Sir  San«! 
Romilly,  Franklin,  Friedrich  II. ,  Gustav  III.,  Kaber 
Joifeph,  Kaiserin  Katharina,  die  in  diesem  Werke  ebh 
rakterisirt  werden  sollen.  Grofse  und  strahlende  Na- 
men; viele  darunter,  deren  Ruf  nicht  vergehen  wM» 
so  lange  ein  Gedächtnils  unserer  Zeiten  noch  leK 
Auch  die  andern,  deren  hohe  Bedeutung  wenigste« 
der  Masse  nicht  bekannt  bleibt,  waren  doch  ihler  ZeK 
im  Wesen  und  Wirken  ausgezeichnet  genug,  uai  ei«  I 
nähere  Auskunft  über  sie  eben  so  interessant  för  M 

• 

Historiker,  als  lehrreich  fihr  den  Psychologen  und  ft 
den  Staatsmann  erscheinet!  su  lassen.  Es  sind  mriMM 
englische  Staatsmänner  und  gerade  in  England  UM 
sieh  das  Individuum  in  jener  nur  durch  den  alij^Mi' 
nen  Charakter  des  Yolksthums  begrenst|)n  Eigentbo^* 
lichkeit,  die  anderwärts,  in  Folge  so  vieler  absebleifes* 
der  Yerhähnisse  und  allseitigi^r,  von  Jugend  aufsü 
verfolgender  Rücksichtnahmen,  immer  sdtener  gewordoi 


725 


lj9rd  Brmtghamy  kütorieal  sJbeecAeä  qf  staUßmek. 


726 


ist  GeNkle  iker  engHiehe  StaaiUnäiiaer,  KriegsbeU 
den^  SehrtfMeUeriit  et tebwer^  recht  ausfUhrliefae Aus- 
kunft SU  erhalten;  wir  finden  selbst  bei  den  berQhm- 
. testen  Männern,  dafs  die  Naehriehten  über  ihre  persSn- 
lieiien'Verhitltmsseoft  Qberans  dürftig  fliefsen ;  wir  stoben 
nuf  LSeken,  Dimkriiieiten,  Ungenauigkeiten,  widerspre« 
chende  Angat>en.  Das  Prfaratleben  .  tritt  hinter  dem 
dffentKchen-  in  den  Hpntergrund.  Die  stOmisch  rer» 
lebte  lugend  wird  über  den  Thaten  des  Mannes  ver- 
gessen. Vor  den  Alles  ergreifenden  Parteigegnem  mufs 
verborgen  werden,  was  als  Blöfse  benutzt,  oder  ent* 
stellt  werden  könnte.  Der  Engländer  bt  wenig  mit- 
theilend  und  wenn  sein  Wirken  in  Allem  was  auf  das 
Gemrinwesen  Besug  hat,  öffentlich  ist,  so  verschanzt 
er  sein  Privatleben  um  so  ängstlicher  hinter  p^rsonli« 
ehe  .Zurückhaltung  und  coiiventionelle  Formen.  Die 
Presse  aber  hat  längst  allen  Glauben  an  ihre  Wahr- 
heit verseberst. 

Die  Erwartung,  genauere  Nachrichten  Ober  die  Ein* 
sriheiten  der  Lebensverhältnisse  der  in  -  dem  vorliegen- 
den Werke  geschilderten  Individuen  zu  erhalten,  wird 
durch  dasselbe  zunächst  nicht  befriedigt.  Dieselben 
dürftigen,  ungenauen,  so  manche  Fragen  und  Zweifel 
aufr^enden  Notizen,  die  uns  anderwärts '  begegnen,  fin« 
den  wir  auch  hier  wieder.  Der  Verf.  bemerkt  in  eini^ 
gen  Stellen  selbst,  dafs  es  auffallend  sei,  wie  Jucken- 
,liaft  die  Kunde  von  dem  Privatleben  oft  sehr  faochbe- 
i*flhmter  englischer  Staatsmänner  sei  ^  ja  bei  der  unvolt 
Irommenen  Weise,  in  welcher  bis  auf  die  neuere  Zeit 
ftr  die  Publieität  der  Parlameotsrerhandlungeu  gesorgt 
war,  mufs  er  selbst  bei  »o  manchen  Rednern  anfuhren, 
'dats  zwar  der  Ruhm  ihrer  Beredsamkeit  fortlebe,  von 
ifarMi  Reden  aber  nur  wenige,  unzuverläisige  Bruch- 
stücke  aufliewahrt  wären.  Jene  Mängel  sind  aber  ge-- 
wib  ein  grofses  Hindemifs  für  eine  erschöpfende  Cha- 
fnkterisirung.  Wie  wäre  eine  solche  möglich,  wo  man 
den  Privatcharakter  nicht  mit  dem  öffentlichen  ver- 
gleichen,  den  Bildungsgang  nicht  zur  Erklärung  seiner 
WitMingen  betrachten, ,.  den  Eindruck,  den  Erlebnisse 
nnd  Verhältnisse  auf  den  Charakter  gemacht  haben, 
nicht  würdigen  kanni  Nun  so  wird  wenigstens  das 
dlK^ntliehe  Wirken^  wie  es  nun  einmal  vorliegt,  geist- 
voll und  bedeutend  dargestellt  und  beuVtheilt,  in  seinem 
faistorisehen  Zusammenhange  und  seinen  Wirkungen 
erörtert  werden  und  man  wird  ein  begründetes  Urtheil, 
zwar  nicht  über  das,,  was  jene  Männer  gewesen  sind. 


aber  doch   über  das,  was  sie  gewirkt  haben,  fällen 
können. 

loh  gestehe,   dafs  ich  auch   in  dieser  Beziehung 
nicht  viel  erwartete.    Lord  Brougham  dedamirt  zw&r 
in  Mnem  besonderen  Aufsatze,  dieser  Sammlung   sehr 
breit  und  heftig  gegen  das  Partei wesen.  und  därße  in 
8er  That  bei  keiner  der  geschlossenen  Parteien,  die  in 
England  bestehen,  mehr  ankommen  können,  aber  er  ist 
dessenungeachtet  Parteimann  und   in  jeden  Worte,  je« 
dem  Urtheil,  jeder  Handlung  parteiisch.    Wie  sehr  er 
es  sei,  wie  versteckt  und  verschlagen  er  seine  kleinen 
und  grofsen  Bosheiten  dabei  anzubringen  wisse^  habe 
ich  selbst  nicht  gewufst,   bevor  ich  dieses  Buch  las» 
Der  Beruf  eines  Sachwalters  kt  ein  sehr  ehrenwerther 
und  herrlicher;  in  England,  wo  die  Geset^ebung  ihm 
Raum  gelassen  hat,  seine  ganzen  Vorzüge  zu  entfalten^ 
ja  darauf  gerechnet  hat,  dafs  er  es  thue,  ist  er  es  dop* 
pelt.    Aber  der  Geist,   und  die  Kunst  des  Sacbwaltera 
sind  nur  in  seinen  Geschäften  am  Orte  und  durchaus 
nicht  sind  sie  es;  wo  es  sich  um  ein  lediglich  auf  Wahr- 
heit gerichtetes,  von  jeder  andern  Absicht  und  Bestreu* 
bung  freies  Forschen  handelt.    Unsre  Zeit  hat  es*  über- 
haupt in   der   dialektischen  Kunst  gar  weit  gebracht 
Wir  haben  Viele,  die  eine  grofse  Geschicklichkeit  ent* 
feiten,  in  jeder  Sache,  die  sie  zu  verfechten  untemoin- 
men  haben,  den  Schein  des  Rechthabens  zu  gewinnen« 
.Aber  es  kommt  nirgends  viel  Gutes  heraus,  wo  man 
nicht  das  Rechte  und  Wahre  endlich  zu  suchen  beflis- 
sen ist^  sondern  nur  darauf  ausgeht,  den  Gegner  nieder- 
zudisputiren,  ihm 'gegenüber  BecAt  zu  AeJkommen^^  Wer 
sich   dieser  Richtung   hingiebt  —  was  übrigens  auch 
Philosophen,   ganz    besonders   aber  Parteijoumalisien 
thun  —  von  dem  wird  dann  die  vertheidigte  Sache  nur 
in  ihren  Lichtseiten  erfafst,  oder  die  Schattenseiten  wer- 
den in  solcher  Weise  dargestellt,  dafs  sie  der  Benrthei- 
lung  leicht  entgehen  ^  mit  dem  Gegner  vnrd  in  umge* 
drehten  Verhältnissen  eben  so  verfahren;   alles  wird 
kunstvoll  genau  so  g^stdlt  und  berechnet,  dafs  das  prä- 
fende  Urtheil  bestochen,  verleitet,  zuletzt  zur  gewünsch- 
ten Erkläiiung  verlockt  oder  hingerissen  wird.    Jenes 
verschwiegen^  dieses  etwas  stärker  ausgedruckt,  liier  die 
Farben  etwas  matter  aufgetragen,  dort  ein  Halbdunkel 
gelassen,  bald  etwas  abgebrochen,  bald  etwas  zugesetzt, 
halbwahre  Sätze  überreichlich  verstreut,  ganz  fabche 
durch  glänzenden  Ausdruck  und  imponirende  Keckheit, 
zu  Wahrheiten  aüsstafilrt,  oder  in  versteckten,  boshaf- 


227  L^rd  Brwghßm^ 

teil  Andeutiuigeii  d«r  PfAfuiig  mtsogen  lud  doch  aicht 
der  Wirkung  beraubt,  einzelne  Wahrheiten  zu  Orundf 
lagen  faboher  Sdhifiase  verweadetf  da»  und  AelmUches 
sind  die  WaflBm,  die  da  gebrauobt  Werden«  wq  eine  an« 
dere  Abaiehi,  als  daa  reine,  unbefangene  Streben  nach 
Wahrheit  die  Feder  geführt  bat^  wo  man  sich  vornahm, 
EU  beweieen«  was  man  früher  erfabt  hatte,  als  man 
sieh  de«  Beweiaea  ^bewuÜBt  war,  Lord  Brougham  ist 
Abisi«?  In  derlei  Dingen.  Bei  Vielen  whrd  unser  Ur« 
theil  Aber  etliches  Verfahren,  wie  sehr  wir  aueb  dessen 
Wickungen  beklagen,  docb  wenigstens  dadurch  gemil^ 
dert,  dals  wir  annehmen  müssen,  die  Begeisterung  für 
irgend  mn  boebgehältenes  Interesse,  dem  solche  Dia- 
lektik dienen  soll,  habe  den  Solirifisteller  so  erfüllt, 
dafs  9t  in  der  That  nur  die  Lichtseiten  si^iner  Sache 
sab)  sieb  seines  Verfahrens  nioht  bewulst  wurde,  und 
nur  auf  Erringung  des  Sieges  brannte.  Lord  Broug* 
ham^  obwohl  wir  auch  ihm  hiebt  absprechen  wollen^ 
dals  er  eimen  bestimmten  Glauben  von  dem  hat,  was  er 
Im  Interesse  des  Volks  und  der  Menschheit  hält,  und 
dafs  ihm  dieser  als  Leitstern  erscheinen  mag,  iiberlafst 
sieb  doch  vielfach  rein  persönlichen  Leidenschaften, 
wird  von  persönlichem  Ilafs  getrieben,  von  Befangen^* 
heit  verleitet  9  vielleicht  von  Neid  gastaehek.  Diese 
Kräfte  sind  es  weaigstens  ^  deren  Einflu£|  wir  voraus- 
setzen müssen,  wenn  wir  so  Manches  in  seinen  Redea 
und  Handlungen,  in  seinen  seltsamen  Sprüngen,  Ineon- 
sequensen  und  Verdrehungen  erklären  wollen«  Auch 
in  dem  verUegeBdem  Werke  brielit  an  manchen  Stellen 
ein .  leidensehaftlicher  Hafs  faervojr  und  entsetsender 
noeh  ersoheint  er,  wo  er  versteckt  liegt  und  doch  um 
so  ingrimmiger  faervorbliekt.  Eben  so  siebt  man,  wie 
peinbeh  den  Verf.  jede  Gröfse  wurmt,  die  In  dem  Ge- 
biete seines  eigenen  Strebens  wirksam  und  doeb  ihm 
nicht  enreiehbarist  Endlich  von  Befangenheit,  ja  von 
Besefaränktheit  finden  sich  nursu  viele  Beweise.  Lord 
Brougbam  ist  xu  sehr  Gelehrter,  um  ein  grofser  eng* 
lischer  Staatsmann  zu  sein:  er  hat  eine  gewisse,  den 
Engländern  sonst  nicbt  gewöhnliche  und  för  ihr  Samts» 
leben  gar  nicht  passende*  Vorliebe  für  das  Abstracto ; 
seine  Zwecke  siiid  oft  nicbt  staatsmSnniscbe,  sondern 
der  Studierstube,  oder  der  Leidenschaft  der  Person  ent-^ 
sprossen  $   aueb  blickt  sieht  selten  ein  gewisser  Pedan* 


Miete Ae$  ^  $imte9men»  7S8 

tismus  durch.    Lord  Brougham  ist  aber  ancb  xm  maig 
Gelehrter,  um  ein  tüehtiger  Staatspfailoaopb  s«  lein:  a 
ist  kein  der  Tiefe  des  Geistes  und  des  Lebens  slige» 
wonnenes  System,  was  ihn  leitet;  vielmehr  ist  er  nickt 
eben  über  die  Anschauung  des  Thomas  Payue  undte 
fransösisohen    EncyklopadisleB    hinausgekommen*    Ei 
bekämpft,  oder  bafst  wenigstens  Meinungen,  nicht  wcK 
er  sie  in  ihrem  genzen  Wesen  erfafst  und  nach  gtwb* 
senhaftester  Prüfung  verworfen  b&tte,  sondern  w^  teil 
Geiit  nicht  danach  ist,  sie  tieflnnerlieh   und  in  ihrai 
ganzen  Begründung  su  erfassen.    Er   huldigt  AadoSi 
weil  sie  gerade  smnem  Geiste  entsprechen,  oder  wä 
er  sie  als  Vorurtheile  aufnahm,  die  seinen  TendeaM 
zusagten.    Es  lag  vielleieht  in  seinem  Geiste,  viel  wfi« 
ter  zu  kommen  $   aber  wäre  es  auch  gewesen,  das  Ak* 
sicbtsvoUe  Seines  Strebens  mufste  ihm  jede  Annäheriisg 
an    die  Wahrheit  erschweren«  ,  Er    bat   in  Mancken 
grofse  Aebnlichkeit  mit  dem  älteren  Dupin;  nur  dsfs« 
einen  ungleich  stärkeren  Charakter  bat  und  na  Guini 
und  Schlimmen  eine   viel  gewaltigere   Kraft  entfaltet 
Im  Uebrigen  solbn  die  Verdienste,  die  Brougham  sn 
die  Verbreitung  nutzlicher  Bildungsmittel  und  usi  & 
Milderung  mancher  Maafsregeln  des  Staatslebens  hat) 
nicht  verkannt  und  es  soll  ihm  auch  dabei  keine  sellirt* 
süchtige  Absicht. untergelegt  werden.    Es  sind  dss  nei> 
trale  Fragen.    Aber  zur  unbefangenen  Würdigung  der 
Charaktere  von  Staatsmännern,  dio  den  Parteien  aap» 
hörten,    in   deren   Kämpfe    Brougham   vetflochien  ii^ 
oder  mii  denen  er  rivalisirt  hat,  war  Niemand  "wmgü 
geeignet,  als  er  und  das  ganze  Bucb  ist  eine  Partei* 
selirift,  die  von  der  Vergangeiiheit  redet  und  die  Oe« 
genvrart  meint. 

Brougham  ist  ein  berühmter  und^  ein^  nicbt  bM 
vom  Genius  getragener,  sondern  auch  in  aller  rhetsii* 
sehen  Kunst  bewanderter  und  derselben  bewufster  Red« 
ner.  Eine  durch  ihn  gemachte  Beleuchtung  so  viehi 
Heroen  britischer  Beredsamkeit  kann  ein  Interesse  M* 
sprechen,  wie  es  uns  der  Brutus  des  Cicero  in  Betref 
jener  grofsen  Redner  des  Altertbums  einflölst.  IniA 
so  bodi  daVf  man  die  Erwartungen  nieht  spannen.  Et 
ist  allerdings  diese  Seite  die  bedeutendste  des  BucbHi 
aber  sie  wird  von  dem  Verf.  nur  als  Nebensache  W» 
bandelt 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


J^  92. 

J  a  h  r  b  n 

für 


*  • 


c  h  e  r 


wissenschaftliche   Kritik 


Mai  1840. 


Jiüloncal  Sketches  of  statesmen  who  flourühed 
in  the  ttme  of  George  ItK  By  Henry  Lord 
Brougham. 

(Fortsetzung.) 

Doch  SU  dem  EinzelneD,  zu  den  Beweisen  des  har- 
ten Urtheils.  Georg  III.  eröffnet  den  Reihenzug.  Wir 
iTTolien  es  dem*  Yerf«  nicht  zum  Verbrechen  machen, 
dafs  er  England  fQr  den  einzigen  freien  Staat  der  da* 
maligen  Welt  erklärt,  wiewohl  es  dabei  sehr  auf  den 
Segriff  der  Freiheit  ankommt,  und  wiewohl  Holland, 
Schweden,  Ungarn,  einzelne  Republiken  Italiens,  der 
Schweiz  und  Deutschlands,  und  selbst  die  baskischen 
Provinzen  dagegen  reclamiren  konnten.  .Wir  wollen 
auch  nicht  darüber  rechten,  dafs  das  englische  Volk 
als  das  „aufgeklärteste  der  neueren  Zeit'*  bezeichnet 
mrd,  wiewohl  Deutschland  und  Skandinavien  im  wah- 
ren Sinne  und  Frankreich  im  Sinne  des  Verfs.  gewifs 
diese  Ehre  streitig  machen  konnten;  oder  darüber,  daf« 
damals-  „die  Civilisation  die  Reste  des  Feudalismus  in 
Curopa  zersprengt*'  haben'  soll,  wiewohl  man  darauf 
aufmerksam  machen  könnte,  dafs,  was  man  damals 
siemlich  unpassend  „Reste  des  Feudalismus*'  nannte, 
sum  Theil  und  mit  gutem  Grunde  bei  dem  „aufgeklär- 
tes tep  Volke  der  neueren  Zeit**  noch  fortbesteht.  Das 
Alles  sind  Redensarten,  wie  man  sie  alle  Tage  in  hun- 
dert Zeitungen  lesen  kann  und  wie  sie  stets  aus  dem 
Munde  der  Herren  kommen,  welche  sich  für  Organe 
der  öffentlichen  Meinung  ausgeben.  Von  einem  Broug* 
ham  aber  sollte  man  erwarten,  dafs  er  nichts  schriebe, 
was  er  nicht  durchdacht  hätte.  Er  fährt  fort:  unter 
diesen  Umstanden  —  also  weil  England  der  einzige 
freie  Staat  der  Welt,  sein  Volk  das  aufgeklärteste  der 
neuen  Zeit  war  und  die  Civilisation  die  Reste  des  Feu- 
dalismus sprengte  '—  sei  es  eine  Sache  von  der  gröfs- 
ten  Bedeutung  für  die  Menschheit  und  fiir  den  König 
gewesen,  ob  Georg  lils  Mensch  und  als  König  fähig 
Jahrb.  /.  wH$€P$eh.  KHHk,  J.  1840.  I.  Bd. 


war,  seine  Stellung  zu  begreifen,  sein  Volk  und  sein 
Geschlecht  (bis  species)  im  Fortschritt  zum  Bessern  zu 
unterstützen,  und  ob  er  auch  der  Mann  war,  den'  rech- 
ten Weg  dafür  zu  wählen.  Unglücklicherweise  habe  er 
eine  falsche  Richtung  eingeschlagen  und  mit  einer  Hart- ' 
näokigkeit  daran  festgehalten,  wie  sie  „kleinen  Gebtera 
jedes  Ranges  eigen  ist,  in  königlichen  Personen  aber 
oft  zur  Geisteskrankheit  wird."  Georgs  III.  Begriffsver- 
mögen sei  sehr  gering  gewesen  und  Unterricht  habe 
dasselbe  nicht  vergröfsert.  (Und  die  Ansicht  eines  soU 
clien  Mannes  war  von  der-  „gröfsten  Bedeutung  für  die 
Menschheit"  bei  dem  9,einzig  freien  Staate  der  Welt 
und  dem  aufgeklärtesten  Volke  der  neueren  Zeit",  mit- 
ten unter  den  Siegen  der  „Civilisetion^l)  Er  habe  ei- 
nen eisemen  Willen  besessen,  der,  wenn  ihn  Männer 
von  krankem  Geist  ohne  alle  Einsicht  entwickelten,  ih- 
rem Charakter  einen  Schein  von  Unbeugsamkeit  gebe, 
den  man  nicht  selten  für  Seelenstärke  .halte  und  als 
Menscheugröfse  ehre.  Fast  möchte  man  glauben ,  bito 
n^üfste  der  Uebersetser  grobe  Fehler  begangen  haben. 
Denn  die  Stelle  ist  so  gefafst,  dafs  es  scheint,  als  wenn 
der  eiserne  Wille  dem  Charakter  nur  dann  einen  Schein 
von  Unbeugsamkeit  gäbe,  wenn  er  mit  krankem  Geistö 
und  Mangel  aller-  Einsicht  verbunden  ist.  Und  eiser- 
ner Wille  giebt  doch  wohl  dem  Charakter  nicht  blofs 
einen  „Sehein"  von  Unbeugsamkeit.  Georg  III.  war, 
nach  Brougham,  in  Allem  was  sein  königliches .  Amt 
betraf  „Sklave  tiefgewurzelten  Eigennutzes  und  niemals 
fand  ein  Gefühl  zarterer  Art  Eingang  in  seinen  Busen, 
sobald .  seine  Herrschermacht  in  Betracht  kam."  ,Sonst 
war  er  ein  „im  Umgang  angenehmer  Mann  und  wenige 
Fürsten  können  sich  rühmen,  so  wie  er,  Münster  von 
häuslichem  Sinn  oder  treuer  Freundschaft  gewesen  zu 
(Nicht  blofs  wenige  Fürsten,  überhaupt  Wenige 


sem. 


von  denen,  die  hoch  genug  stehen,  dafs  ihre  Privattu- 
genden beachtet  werden.  Aber  B.  will  bei  dieser  Ge- 
legenheit, wie  überall,   auch  den  Fürsten  einen  Seiten- 

92 


731 


Ltrd  Braugham^  hUtarieoi  Mketeh^M  of  stmiesmen* 


TS 


hieb  versetsen.)     Er    fährt   fort:    «^Kam  jedooh  seine 
Stellung  als  König   oder    seine  FrS^mmelei  in  Gefahr 
oder  wurde  in  die  Enge  getrieben,  und  fand  sein  Wille 
Wideretand,  so  füllte  d^r  unbeugsamste  Stolz,  die  bit- 
terste Feindsellgiceit,  die  berechnetste  Grausamkeit  und 
schonungsloser  Hafs  seine  ganze  Seele  und  beherrschte 
sie.    Yerwandtschafts-  und  Preundschafltsbande  und  Al- 
les, was  den  Mann  ehrt,  wurden  dann  mit  Füfsen  ge- 
treten, und  seine  tyrannische  Wuth,  verbunden  mit  einer 
Verschlagenheit,  die  hliufig  bei  Geisteskranl^en  scharfer 
hervortritt,  traf  oder  vernichtete  die,  die  seinem  wilden 
Begehren  entgegenzutreten  wagten."  -Und  das  bei  der 
„aufgeklärtesten"  Nation,  in  dem  „einzig  freien  Staate 
.der  Welt**,  mitten  unter  den  „Siegen  der  Clvilbation**! 
Wo  Mnd  die  Beispiele,  dals   Georg  mit  „tyrannischer 
Wuth'*  einen  Engländer  „vernichtete**,  weil  er  seinem 
„wilden  Begehren*'  entgegenzutreten  gewagt  hatte  I   B. 
fQhrt  nur  einen  Umstand  aiif,  den  man  dem  König  als 
Mensdien  zur  Last  legen  könnte:   die  Behandlung  des 
Prinzen. von  Wales,  den  Georg  Itl.   „glühend,   aber 
kaum  vereinbarlicb    mtt   gesundem  Menschenverstand'' 
gehafst  und  dafür  keinen  Gitind  gehabt  haben  soll,  als 
^     die  Eifersucht,  mit  der  man  einen  Nachfolger  betrachte, 
und  die  Gewifsheit,  dafs  der  Prinz  von  Wales  ihm  un- 
*    fihnllch  sei  und  sich  noch  während  seiner.  Lebzeit  den 
Whigs,  seinen  verhafstesten  Feinden,  in  die  Arme  wer- 
fen werde.    Etwas  Näheres  zur  Begründung   einer  so 
furchtbaren  Anklage  fuhrt  er  taicht  auf.     Es  ist  aber 
bekannt,  dafs  der  „Hafs*'  nicht  unversöhnlich  war,  son- 
dern Georg  III.  eine  Hoffnung  der  Sinnesänderung  sei- 
nes Sohnes  stets  mit  Freude  begrüfste.    ISs  kann  auch 
.  dieser  „Hafs'*  nicht  so  grimmig,  oder  Georgs  III.  „Ter- 
schlagenheit  In  Vernichtung  seiner  Gegner"  mufs  doch 
nicht  so  grofs  gewesen  i^ein,  wie  Lord  Brougham  sie 
darstellt;  denn  sonst  würde  Georg  III.  Wohl  Versuche 
gemacht  haben,  seinem  Sohne  die  Regentschaft  zu  ent- 
ziehen, was  in  der  Zwischenzeit  zwischen  seinen  Haupte 
kraukheiten  wohl  geschehen  konnte.    Ueberhaupt  sind 
.  die  Grtode,  die  B.  für  den  angeblichen  Hafs  anfuhrt, 
sehr  zweifelhaft.    Die  „Eifersucht,  mit  der  man  einen 
Nachfolger  betrachtet**,  mag  vielleicht  Lord  Brougham 
empfunden  haben,   wenn   er  noch  bei  Lebzeiten  Nach- 
folger in  seinen  Aemtern  sab;  bei  den  Erbfürsten  ist 
sie  wenigstens  dem  Sohne  gegenüber  gewifs  keine  sehr 
häufige  Erscheinung.     Wie  es  mit  des  Prinzen  Hinnei- 
gimg  zu  den  Whigs  stehe,    und   wie  \venig  ernstlich 


diese  gemeint  sei,  hat  Georg  IIL  wahrseheinlidl  rech 
gut  gewufst.  „Unähnlich*'  war  der  Prinz  allerduigi  id. 
nem  Vater;  aber^  mit  Ausnahme  des  Talents  emer  ^ 
wissen  Gewandheit  und  in  der  Jugend  einer  grSbsNa 
Gefügigkeit,  schwerlich  zum  Bessern« .  Allerdiiq;tiit 
in  jener  Unähnlichkeit  ein .  Grund  zur  Mifsstimoiiaify 
nicht  zum  „Hasse**,  zwischen  Vater  und  Sohn  gdegeo. 
Aber  gewifs  ist  es  nicht  unnatürlich,  dafs  ein  Vater, 
der  ein  Muster  häuslicher  Zucht,  edl^r  Sitteneinfalt  ni 
warmer  Religiosität  ist  und  die  treue  Bewahrung  1k» 
ser  Eigenschaften  für  doppelte  Pflicht  hall,  wett  erlä 
nig  ut,  dab  ein  solcher  nur  mit  Rummer  sieht,  irii 
sein  Sohn  und  Thronfolger  sich  in^  die  Arme  wOitir 
Sinnlichkeit  wirft,  an  der  Spitze  der  Modegecken  ti 
ner  Zeit  steht  und  mit  leichtsinnige^  Freigeistern  u» 
herschweift.  In  Maafsregeln  gegen  unablässige  Vd» 
schwendungen  und  Ausschweifungen  besteht  Ae  Uk 
B.  mit  so  schwarzen  Farben  geschilderte  Behandhip| 
des  Prinzen  und  der  „HaCs**  tnäg  sich  auf  eine  geWittl 
Unzufriedenheit  mit  einem  an  sich  nicht -lobenswerths 
und  einem  solchen  Vater  gewifs  doppelt  tadelnswerth  m 
scheinenden  Betragen  besdiränkt  haben.  —  Ein  Bdn 
spiel  der  Rachsucht  ferner  besteht  darin,  dafs  der  Köi^ 
sich  weigert,  dem  zweiten  Sohne  des  Lord  Chatham  St 
Beibehaltung  des  Jahrgehalfes  seines  Vaters  schon  fl 
einer  gewissen  Zeit  zu  Tersprechen,  dagegen  sidi  k^ 
reit  erklärt,  ihm  seiner  Zeit,  wenn  Altersschwäche  ofe 
Tod  dem  „Wirken  des  Vaters  für  Empörung"  ehi  EaJi 
gemacht  haben  wurden,  Jenen  Gehalt  zu  gewährea  ssi 
noch  zu  erhoben.  Hier  liegt  nun  in  der  Form  und  li 
Ausdruck  eine  Härte  und  dieser  Ausdruck  wird  nur  ll 
einem  Briefe  des  Königs  an  seinen  vertrauten  MtniM 
gebraucht. 

Doch  B.  sucht  den  König  allerdings  zu  entschri* 
digen.  Er  sei  In  der  Erziehung  schwer  vemachlabligl 
worden.  Das  Zeugnifs/  was  er  dafür  anfahrt,  ist  Mt 
gendes.  Georg  III.  sei  fQrwahr  kein  Mann  gewesM^ 
dem  es  einfallen  könne,  oberflächliche  oder  bedeulesA 
Kenntnisse  zu  würdigen,  und  doch  solle  er  selbst  seist 
fehlerhafte  Erziehung;  bedauert  haben«  Darauf,  nur  ds^ 
auf  gründet  er  die  Behauptung,  dafs  tnan  den  „kibilll^ 
gen'  Beherrscher  eines  freien  und  aufgeklärten  Y<db 
ohne  den  Unterricht  gelassen  habe,  den  alle  besserii 
Classen  der  Gesellschaft  ihren  Kindern  zu  geben  sidl 
verpflichtet  halten."  Wie  Mancher,  der  den  Unteffiihl 
genossen  hat,  den  „alle  bessereft  Classen  der  Gestft 


933 


idftd  Brüughmmy  Aüiprieal  ^^eteJkeä  0/ $tai€tP9eH. 


731 


•clMift  ihrM  Kbfbm  n  geben  sieh  rerpfliebtet  hallen*', 
wird  alle  Ursache  haben,  dae  Fehlerhafte  in  eelaer  Er* 
iiehang  an  bedauern  •  mmI  es  wird  sehr  ehrenvoll  far 
1ha  sein,  wenn  er  es  wirklieh  thnt  Gleieh  darauf  räumt 
Lord  B.  ein:  da  Georg  III.  „von  Natur  lebhaft  war 
wd  er'  Im  mäfsigem  Leben  blieb,  so  war  er  im  Stande, 
steh  mit  allen  Einzelheiten  der  Geschäfte  su  befassen"; 
Ja  er  versichert,  auf  ^s  Zeugnifs  eines  „höchst  ehren* 
werthen  und  uiribedingt  glaubwürdigen  Mannes'*,  Oeotg 
IIL  hake  genauer  als  sonet  Jemand  die  Beß$gnisee 
feder  Siaaieetelle  gekannte  Nun  schlägt  er  swar  die 
Schwierigkeit,  oder  den  Werth  dieser  Kenntnisse  nicht 
hodi  an,  sondern  Tcr^eicht  sie  etwa  mit  der  KenntDifs 
der  Et^etteund  der  Heraldik,  „der  groben  Liebhabe» 
rei  der  Könige.*'  kidels  fil^r  einen  Mann,  von  d«m  wir 
hören,  dafs  sein  Begriffsvermögen  beschränkt  gewesen 
md  sein  Unterricht  unverantwortlich  ▼ernacblärsigt  wer» 
den  sei,  ist  es  gewiTs  viel.  Auch  läfst  sich  die  Be«> 
hsuptung  nicht  recht  damit  vereinigen:  dufa  Crcorg  IH. 
meiaab  vertraut  gewesen  sei  mit  den  höheren  Idteres- 
S6n  des  Staats,  der  Constitution  und  den  Rechten  des 
Psrlaiftents,  der  Gesetzgebung,  dem  Bankwesen  oder 
dem  Handel  überhaupt,  den  Geschäften  der  ostindischen 
Gempagnie  und  dem  Coloniewesen ,  den  Bedurfnissen 
mderer  Länder,  oiet  der  genauen  Beschaffenheit  sei- 
nes eignen«  Freilich  stellt  Lord  B.  diese  Behauptung 
nielit  unbedihgt  auf,  sondern  er  sagt  blofs,  es  habe  Nie- 
mand das  Gegentheil  behauptet  und  es  sei  dasselbe 
auch  sehr  unwahrscheinlich»  Es  dOrfte  aber  eher  sehr 
wahrscheinlich  sein,,  dafs  ein  Pfirst,  der  „die  Befugnisse 
Jeder  Staatsstelle  besser,  als  sonst  Jemand,  kannte",' 
auch  von  jenen  Momenten  wenigstens  eben  so  gut  un- 
lerricbtet  war,  als  Lord  B.,  der  in  der  englischeu  Ju- 
risprudenz recht  erfahren  sein  mag,  dessen  Kenntnils 
von  andern  Dingen  aber  sich  in  allen  seihen  Reden 
md  Schriften  wemgstens  nicht  als  gründlich  erwiesen 
hat.  ludefs  Lord  B.  fährt  noch  einen  andern  Grund 
(Sr  schien  auf  „Wahrscheinlichkeit"  gestützten  Vorwurf 
an.  Er  sagt,  jene  Ahgelegenheiten  waren  ^^lauter  Dinge, 
wovon  Könige  wissen  sollten,  obgleich  sie  es  in  der 
Regel  unter  ihrer  Würde  halten/'  In  demselben  Ge* 
sduBffcke  ist  ein  folgender  fiatE^  „Georg  IIL  gehörte 
an  einer  Menschenolasse,  die  swar  nicht  die  werthlo- 
seste,  aber  auch  bei  weitem  nicht  die  beste  ist,  die 
niemals  einen  erzeigten  Dienst,  aber  eben  so  wenig  ^ne 
eilittene   Kränkung   vergessen    kann.'*    Aeufserungen, 


die  sich  in  d^m  Munde  dne«  Staatsmannes,  wie  Lord 
B.  sein  will,  seilsam  ansnehmen« 

Im  Polgendeii  gesteht  4er  Yert  «in,  dafs  der  Kö- 
nig „ein  thütiger,  punktlicher  Mann  war,  der  sdne  Zeit 
genau  eintheilte,  und  niemals  fehlte,  wo  man  seiner 
bedurfte,  stets  bereit,  Geschäfte  abtumaehen  und  sieh 
dabei  durch  kein  Veirgnügen  oder  sonst  eine  Zerstreu* 
ung  stören  su  lassen** ;  fügt  aber  gleich  hin«!,  es  setxe 
dies  keinesweges  einen  Mann  von  Geist  und  Wissen 
Toraus,  sondern  es  habe  hiwzu  blofs  eines  Begreifens 
seiner  amtlichen  Pflichten  und  des  Entschlusses,  nichts 
darin  zu  versäumen,  bedurft.  Gewifs  ist  aber  doch  ein 
solches  Verfahren  ein  wunderbares  Resultat  „beschränk* 
ter  Begriffe  und  miverantwortlich  verwahrloster  Ersieh 
hung",  wie  es  gleichfalls  eu  verwundem  bt,  wenn  unter 
solchen  Umständen  ein  Mann  von  „lebhaften"  Temp^ 
ramente  ein  Muster  der  Mfifsigkeit  und  überhaupt  mit 
so  vielen  häuslichen  Tugenden  geschmückt,  der  Gegen- 
stand der  reinsten  Achtung  und  innigsten  Anhänglich* 
keit  des  „aufgeklartesten  und  freiesten"  Volks  wird. 
Dafs  Georg  IIL  „in  seinem  Privatleben  viele.  Tilgenden 
entfake»  gesteht  B.  selbst  ein,  führt  aber  darunter  nur 
das  Angonelime  seines  Umgangs,  seinen  häuslichen  Sinn, 
seine  Treue  in  der  Freundschaft,  seine  Ordnungsliebe 
und  seine  Mäbigkeit  an.  Die  aufrichtige  Beligiosität 
des  Königs  ist  ihm  Frömmdei.  Es  scheint,  Lord  B* 
glaubt  einen  grofsen  Yorschritt  gethan  eu  haben,  dab 
er  sich  der  unfreien  Gläubigkeit,  die  in  seinem  Yater- 
lande  sich  finden  mag,  entrungen  hat ;  da  er  aber  nicht 
zu  der  freien  Gläubigkeit  durchdrang,  sondern  auf  der 
Stufe  fransösischer  Eacyklopädisten  stehen  blieb,  so  hat 
er  keinen  Vorsehritt,  sondern  einen  Rückschritt  gethan. 
Die  grofse  Gewissenhaftigkeit  und  persönliche  Recht- 
schaSenhelt  des  Königs,  seinen  friedlichen,  wohlwoh 

« 

lenden  Sinn,  seine  sittliche  Reinheit,  das  Edle,  was  iii 
seinem.  Bestreben  lag,  seinem  Yolke  ein  Vorbild  häus- 
licher Tugenden  und  dadurch  ein  Leitstern  zum  rein« 
sten  Glücke  zu  werden,  hebt  er  nicht  hervor. 

Was  nun  das  ö£fentliche  Wirken  des  Königs  an- 
langt,  so  erwähnt  er  zunächst,  dafs  sein  Benehmen 
während  dek  amerikanischen  Krieges,  und  gegen  das 
irländische  Volk  oft  gegen  dasselbe  angeführt  werde» 
Er  geht  jedoch  an  dieser  Stelle  nicht  näher  darauf  ein, 
da  er  fühlen  mochte,  es  lasse  sich  doch  nicht  gut  dem 
Könige  allein  zur^  Last  legen,  woran  die  Zeit  und  das 
ganze  Volk  so  viel  Theil  hatten.    In  der  That  haben 


73i 


Lord  Bm^gham^  hütorieal  iketches  of  statesmen» 


73S 


die  Klagen  Irlands  die  Regierung  Georgs  III.  weit  iiber- 
dauert;  wenn  sich  heute  eine  englische  Colonie  losrei- 
fseu  wollte,  so  würde  man  wahrscheinlich  auch  Wider- 
stand  lebten^  so  lange  man  irgend  könnte,  und  dafs  der 
König  der  letzte  Mann  in  seinem  Reiche  war,  der  in 
eine  Schmälerung  Lritischen  Staatsgebiets  willigen  woll- 
te^ sollten  ihm  die  Engländer  zum  Ruhme  anrechnen« 
Lag  es  doch  nherdem  in  ihren  Händen,  seinen  Wider- 
sland fruchtlos  SU  machen!  Er  legt  dem  König  femer 

^  das  lange  Ausschlielsen  der  liberalen  Partei,  das  Ver- 
fahren gegen  die  französische  Revolution  und  die  Yer- 
sögerung  der.  Emancipation  der  Katholiken  zur  Last; 
alles  Dinge,  die  weit  über  die  Zeit  seiner  Begenten- 
wirksamkeic  gedauert  haben  und  von  denen  der  Kampf 

^  gegen  die  frajDZÖsische  Revolution  zur  Englands  hoch- 
Stern  Ruhme  gereicht.  Der  Verf.  führt  aber  audi  über 
das  allgemeine  Regentenwirken  Georgs  III.  an:  sein 
Ehrgeiz  sei  gröfser  gewesen  als  seine  Fähigkeiten.  Er 
habe  einen  hohen  Begriff  von  ^der  königlichen  Macht 
gehabt,  und  sei  entschlossen  gewesen,  sie  zu  erhalten, 
vielleicht  sogar  .zu  erweitern.  Auf  alle  Fälle  habe  er 
kein  blofses  Wort,  keine  blolEse  Zahl  im  Staatsleben 
sein  wollen  und  sich  mehr  mit  Regierungsangelegenhei- 
ten befafst,  als  jeder  andere  König,  „der  vor  ihm'  auf 
dem  Throne  dieses  Landes  safs,  ehe  unsere  Monarchie 
eingeschränkt  und  deren  ausübende  Gewalt  unter  ver- 
antwortliche Minister  vertheilt  war."  Ebenso  perfid, 
wie  jenes  ohne  allen  Beweis  hingestellte  „vielleicht", 
ist  der  Zusatz:  „mag  er  nun  so  gehandelt  haben,  weil 
er  die  Verpflichtungen '  seiner  hohen  Stellung  so  auf- 
fafste^  .oder  alle  ihre  Rechte  und  Befugnisse  geniefsen 
wollte/'  Ein  König  von  England  hat  wohl  Ursache, 
den  Kreis  von  Befugnissen,  der  ihm  gelassen  ist,  fest 
zu  haltea«  Bei  dem  Privatcharakter  Georgs  III.,  wie 
er  sich  nach  der  eignen  Schilderung  des  Yerfs.  dar- 
stellt, ist  es  gar  nicht  zweifelhaft,  dafs  Pflichteifer  und 
Gewissenhaftigkeit  einen  gröfseren  Antheil  an  der  Po- 
litik des  Königs  hatten^  als  das  falofse  Wohlgefallen 
an  der. Ausübung  seiner  Rechte.  Uebrigens  kommt  es 
weit  weniger  darauf  an,  mit  wieviel  Geschäften  man 
sich  befafst^  als  darauf,   mit  welchen '  und  mit  welcher 

^  Kraft  inan  es  thut.  Es  kann  sein,  dafs  Wilhelm  III. 
Mch  nicht  um  so  viele  Details  gekümmert  hat,  wie  Ge- 
org IIL    Jener   dürfte  aber  leicht  einen  weit  gröfseren 


Einflufii  auf  das  Slaatsleben  geübt  haben,  weit  öftmr 
der  wahre. Urheber  des  Geschehenen  gewesen  sein,  als 
dieser.-^  Der  Verf.  fährt  fort:  ^^Vor  mir  liegt  der 
Briefwechsel,  den  er  wahrend  der  sehn  wichtigsten  Jakre 
seines  Lebens  mit  seinen  vertrautesten  Dienern  fuhru^ 
und  er  beweist,  dafs  sein  Atige  stets  auf  alle  VoriSlk 
gerichtet  war.  Nichts  geschah  in  auswärtigen,  Coloue- 
oder  inneren  Angelegenheiten,  worüber  er  nidiicta 
entscheidendes  Urtheil  sich  bildet,  und  allen  seinen  Ein- 
flufs  geltend  macht"  Ob  er  einen  falschen  Weg  eii- 
geschlagen  habe,  sich  ein  Urtlieil  su  bilden,  sagte 
nicht  und  ebjsn  so  wenig  sagt  er,  dafs  der  Köoig  eins 
ungesetzlichen  Einflufs  geltend  zu.  machen  gesuchU  habe. 
Nur  unter  diesen  Voraussetzungen  aber  würde  jene  Ik» 
merkung  einen  Tadel  rechtfertigen.  Freilich  Lord  IL 
bemerkt  auch :  Georg  III.  habe  em  von  ihm  begünaü^ 
tes  Ministerium  auf  das  Kräftigste  unterstützt,  dagegM, 
als  er  gegen  seinen  Willen  genöthigt  war,  ein  awieNi 
anzunehmen^  allen  Schutz  dessen  Gegnern  zugewendi^ 
Inzwischen  sieht  man^  dafs  auch  hierbei  der  König  nidt 
übeir  die  Schranken  seiner  Befugnisse  hinausging,  vai 
dann  ist  die  Sache  nicht  zu  tadeln.  Die  englische  Ver« 
fassung  spricht  dem  Könige  das  Recht  zu,  seine  Miair 
ster  nach  Gutdünken  zu  erlesen;  es  wird  ihm  aber  la» 
direct  wieder  entzogen,  sofern  ihn  andere  Bestandlbdli 
der  Verfassung  nöthigen,  ein  Ministerium  zu  besteikBi 
was  die  Majorität  im  Parlamente  hat.  Dadurch  kitt 
es  sich  öfters  ereignen,  daCs  er  Minister  wählen  Brab^ 
deren  Wirksamkeit  ihm  nicht  zusagt,  die  er  vielleielt 
nicht  im  wahren  Interess.e.  des  Landes  findet.  Er  lut 
Rechte,  die  er  nach  freiem  Ermessen  ausüben,  er  iä 
eiqen  Einflufs,  den  er  nach  Umständen  geltend  mackl 
kann.  Die  Verfassung  hat  das  gewufst  und  besteM 
lassen,  weil  man  einsah,  dafs  die  Enulehung  jener  Be* 
fugnisse  schlimmeren  Nachtheil  erzeugen,  als  entfenH 
würde  und  weil  man  vertaute,  dafs  die  anderweioa 
politischen  Institute  hinreichende  Bürgschaften  gewik- 
ren  würden.  Kann  man  nun  einem  Könige  zumuÜM% 
dafs'  er  seinen  ihm  frei  überlassenen  Einflufs  zu  Gu» 
sten  eines  ihm  widerwärtigen  Ministeriums,  oder  mM 
zu  Gunsten  seiner  Freunde  verwenden  sollet  Hat  er 
Unrecht,  so  wird  ihm  ohnehin  das  Alles  nichts  bdfa i 
hat  er  Recht,  so  ist  es  gut,  wenn  er  seiner  Aiuk^ 
auch  Anerkennung  verschaffen  kann. 


(Die  Fortaetzang  folgt.) 


/        J 


9^  9% 


Jahrbücher 


für 


wiisseiiscfaaftliche    Kritik« 


Mai  1840. 


9S=9 


Bistarical  sk^tches  qf  statesmen  who  ßourühed 
m  the  time  of  George  111.  By  Henry  Lord 
Brougham. 

(FortoetzttDg.) 

Doch  auch  Brougham  stellt  lioh^  als  wolle  er  m 
diesem  Falle  den  König  entschuldigen.    Aber  eben  seine 
Vertheidigung .  eeigt  recht  deutlich  die  seltsamen  Win- 
dungen uiid  die'  perfide  Absicht  seiner  ganzen  Darstel- 
lung.    Er  meint^   der  erste  Eindruck,  den  ein  solches 
Benehmea  — •  überhaupt  das  Streben  des  Königs,  sein 
Gewicht  gehend  zu  machen  — -  machen  müsse,  sei  kei- 
nesweges  ein  dem  Könige  günstiger.     Indefs  eine  fort- 
gesetzte Betrachtung  entkräfte  diese  Ansicht  bi  etwas. 
Allerdings  seien   selbst  Männer  von  Gewicht  der  Mei-. 
nung,  daPs  die  Minister,  sobald  sie  vom  Souverain  an- 
genommen  worden,  die  alleinigen  Träger  des  Staatsle- 
bens seien.    Er  verbreitet  sich  nun  weiter  über  diese 
Ansicht  und  spottet  über  die  untergeordnete  St^Uung^ 
die  sie  dem  Könige  giebt.    Er  erklärt  sich  auch  dage- 
gen, aber  die  Gründet  i^vs  denen   er  es  thut  und  die 
Bemerkungen,  die  er  dabei  fallen  läfst,  beweisen  ent- 
weder, dafs  er  unfähig  ist,  das  Wesen  des^  Königthums 
auch  nur  entfernt  zu  verstehen,  oder  enthalten  geradezu 
eine  demselben  feindliche  Absicht.    Wahrscheinlich  bei- 
des«.    Er  sagt:  ),Obgleich  wir  vom  lebhaften  Wunsche, 
beseelt  aind,  dab  das  Vorrecht  des  Königs  so  viel  als 
möglich  geschmälert  werde,  und  der  Volkswille  in  un- 
sem  Staatsangelegenheiten  entscheide,    $o  können  wir 
dennoch  diese  Theorie  einer  Monarchie  nicht  verstehen. 
Entweder  weist  sie  der  Krone  eine  zu  grofse  Clvillbte, 
oder  va  wenig  Macht  an.     Es  muCi  in  der .  That  im 
höchsten  Grade  widersinnig  erscheinen,  dab  ein  biober 
Sdieinkönig  eine  Million  Pfund  Sterling  jährlicher  Ein- 
künfte  habe.    Ebenso   ungereimt  ist  es,   dem   Namen 
nach   unter  einer  monarchischen  Staatsform  leben  und 
doch   dem  Könige  keinen   entscheidenden  Einflub  ge-. 

Jahrb.  /.  wü$tMcK  Kritik.   J.  1840.     I.  Bd. 


Statten   zu   wollen. —    Soll    die  Theorie  einer  einge- 
schränkten Monarchie:  und  des   GUeichgewichts  dreier 
Gewalten  eine  Wahrheit  werden,  so  darf  er  in  diesem 
politischen  Systeme  sein   Amt  nicht  blofs   dem  Namen 
nach  bekleiden."    Mit  solchen  Yertheidigungen  ist  dem 
Königthum  nichts  gedient ;  sie  können  gar  keinen  Ein- 
druck auf  seine* Gegner  machen;  diese  werden  vielmehr 
sagen:    uns  ist  gar  nichts  daran  gelegen ^   unter  einer 
monarchischen  Staatsform  zu  leben,  oder  die  Theorie 
einer  eingeschränkten  Monarchie  zur  Wahrheit  zu  ma- 
chen, und  wenn  wir  die  Wahl  haben,  wollen  wir  lieber 
die  Ciyilliste  kleinier,  als  äie  Königsmacht  gröber  sehn^ 
am  liehsten  aber  das  Königthum  gans  abgeschafft  wis- 
seiu    Darauf  deutet  auch  B.  hin,  wenn  er  femer  sagt; 
„dab  es  hingegen  im  Pflichtgefühl  seiner  hohen  Stel- 
lung geschah,   wenn  er  seinen    eigenen  Willen  hatte, . 
nach  seiner  gewissenliaften  Ansicht  handelte  und  allen 
seinen   Einflufs  braucht^,   um   dieselbe  dttrehzusetsen^ 
können  blofs  die  läugnen'*, —  eben  hat  er  es  selbst  we- 
nigstens in  Zweifel  gestellt,  -«  „die  die  Monarchie  has- 
sen und  die  Republik  fürchten,  aber  dennoch  lieber  die 
Gefahren  und  alles  Schlimme  der  nach  ihrer  Meinung 
schlechtesten   Regierungsweise   ertragen,    elie  sie  eine 
bessere  suchen."  —  In  welche  Widersprüche  ihn  übst« 
gens  seine  Leidenschaftlichkeit  verwickelt,  davon  finden 
wir  auf  derselben  Seite  ein  Beispiel.    \Yie  es  ihm.  bei- 
fällt, Personen,  die  unserer  Zeit  viel  näher  stehen,  als 
Georg  III. ,   etwas  anzuhängen ,    vergifst  er  für  emett 
Augenblick  sowohl  seinen  Groll  gegen  diesen,  als  den 
„lebhaften  Wunsch,  dafs  das  Volk  in  den  Sceatsange» 
legeuheiten  entscheide"  und  sagt  in  einer  Anmerkung: 
„Georg  HL  setzte  sidi   eia  Denkmal  mr  Beherzignng 
silier  Zeiten..     Er  gab   nicht    zu,   dafs   seine  Minister 
sein  Ansehen   zu  Zwecken,  die  er  roifsjbilligte,  mib* 
brauchten,  oder   dab   dies    von  Leuten   geschah,   die 
er  verachtete.     Niemals  regierte  er  durch  Günstlinge, 
eben  so  wejiig  konnte  Jemand  sich  bei  ihm  dadurch 

93 


739 


lAHrd  Brougham^  hUtwrieid  skeiekeM  of  Mtaienmen. 


geltend  maehen,  dafi  er  sich  auf'  den  Volkswillen 
berief." 

Es  würde  ein  Bach  werden,  >  dreimal  ümfaDj;reicher, 
als  das  vorliegende ,  sollte  sein  ganzer  Inhalt  in  der 
Art  bdeuchtet  werden,  wie  dies  eben  geschehen.  Ref. 
hat  die  erste  beste,  und  swar  gleich  die  erste  Charak- 
teristik gewfihlt,  um  daran  deii  Lesern  zu  zeigen,  wie 
iFenig  Vertrauen  der  .Terf.  derselben  verdiene.  Die 
ganze  Charakteristik  umfafst  11  Seiten.  Sie  betrifft 
einen  Mann^  der  allerdings  dem  aüimosen  Gegner  manchen 
Zielpunkt  bot;  Brougham  hat  sich  selbst  sein  Spiel 
verdorben,  indem  er  zu  weit  ging;  aber  er  mufste  zu 
weit  gehen,  weil  es  ihm  nicht  um  die  Wahrheit  zu 
thun  war,  weil  er  vielmehr  absichtsvoll  und  in  Lei- 
denschaft handelte.  Georg  III.  war  allerdin^  kein 
Mann  von. umfassendem ,  freiem  Geiste;  er  w|ir  auch 
nieht  frei  von  manchen  Beschränktheiten,  die  zwar  der 
Ziigellosigkeit  seines  Zeitalters  gegenüber  sehr  ehren« 
werth  erscheinen  können,-  die  aber  selbst  seinem  Ge« 
muthe  etwas  Enges  geben.  Allein  ein  wohlwollendes 
Herz,  ein  reiner  Sinn  für  die  Freuden  der  Häuslichkeit 
und  der  Natur  und  eine  aufrichtige  Frömmigkeit  weih« 
ten-  den  Menschen ;  seine  grofse  Gewissenhaftigkeit  nnd 
Sittenstrenge  erhielten  ihn  im  Privatleben  als  Muster 
sittlicher  Zucht  und  trieben  den  König '  zur  pünktlich- 
aten  Erfüllung  seiner  Pflichten  und  auch  das  durch 
dieselbe  Eigenschaft  genährte  Streben,  sich  gründlich 
Tim  jedem  Geschäft  zu  unterrichten,  konnte  nicht  ohne 
bildenden  Einflufs  auf  seinen  Geist  bleiben.  Jedenfalls 
besafs  er  Tugenden,  die  in  dem  verflossenen  Jahrhnn« 

'S. 

derte  bei  den  Grofsen  der  Erde  nicht  eben  häufig 
vraren  und  deren  Einflufs  auf  Gesellschaft  und  Staats- 
leben ein  überaus  segensreicher  ist:  so  dafs  er  wohl 
ein  billigeres  Urtheil  verdient,  als  ihm  von  Lord  B.  zu 
Theil  worden  ist 

Doch  er  mag  sich  mit  Monarchen  trösten,  deren 
Wesen  ein  ganz  anderes  gewesen  ist  und  die  ungleich 
glänzendere  Th'aten  verrichtet  haben,  aber  vor  den  Au- 
gen Lord  Broughams  noch  weniger  Gnade  finden  kenn- 
ten,  ja  von  Letzterem,  vielleicht  nicht  mit  solcher  In- 
timsivität  des  Hasses,  aber  mit  noch  viel  gröfserer  Rück- 
sichtslosigkeit behandelt  werden.  Die  Charakteristiken 
Friedriehs  II.,  Josephs  IL,  der  Kaiserin  Catharina  und 
Gustavs  HL,  auf  die  hier  aus  Rücksicht  auf  den  Raum 
nicht  näher  eingegangen  werden  kann,  sind  wahre' 
Pasquille.    Eine  so  hohe  Miene  der  Verf.  bei  Würdi- 


gung  dieser  glänzenden  Gestalten  annimmt,  so  ist  doch 
sein  Standpunkt  ein  wahrhaft  schülerhafter.  Er  iteDt 
ein  loses  Gerippe  von  Eigenschaften  und  Charakte^ 
zii^n  Buf,  wählt,  wie  er  sie  gerade  braucht,  einige  Be* 
gebenheiten  und  Thaten  aus.  dem  vielbewegtea  L«hB 
der  Geschilderten  heraus,  gebraucht  überall  die  «täik- 
sten  Epitheta,  in  Lob  und  Tadel,  begründet  sie  duidi 
einige,  längst  bekannte,  aus .  der  chronique  scandalaiM 
geschöpfte  Anekdoten,  Wahres,  Halbwahres,  Falsdhei 
bnnt  untereinander,  Alles  in  der  ganzen  Entstdkmg  ui 
Uebertreibung  aufgefalst,  wie  es  gehässige  Moaoifei« 
Schreiber  erzälilten  und  gänzlich  ohne  Rücksicht  auf  Zdt 
und  Zustände,  gänzlich  ohne  die  psychologische  KmiM, 
die  die  verschiedensten  Züge,  nicht  blofs  hervorzuhebe&i 
sondern  auch  in  ihrer  Begründung'  und  Wechsdwir« 
kung  zu  erklären,  und  aus  ihnen  heraus  das  ^anze  We* 
sen  des  Geschilderten  in  individueller  Prägung  zu  enC» 
wickeln  weiis. 

In, Bezug  auf  die  übrigen  Charakteristiken  beoerkt 
Ref.  im  Allgemeinen,  dafs  Lor4  Brougham  bei  des 
Männern,  deren  Genie  er  nicht  nmhin  konnte  In  hober 
Bedeutung  darzustellen,  auch  die  meisten  Schatten  lle^ 
vorzuheben  weifs,  daCi  er  am  Glimpflichsten  mit  Sol« 
eben  umgeht,  die  einen  weniger  glänzenden  Namai 
hinterlassen  haben,  aber  doch  auch  bei  ihnen,  mit  wo* 
nigen  Ausnahmen,  immer  wieder  das  Lob  zu  entbät 
ten  sucht,  so  dafs  ein  Leser,  der  den  Mann  nicht  kenst 
und  sich  Ihm  mit  Vertrauen  hingäbe,  leicht  auf  den 
Gedanken  kommen  könnte,  Lord  Brougham  stehe  ifl 
Geist  und  Charakter  erhaben  übei^  all  diesen  Männern. 
Wenige  kommen  ziemlich  unangetastet  davon:  Will)C^ 
force,  Franklin,  Grattan,  Romilly. 

Lord  Chathanit  politisclie  Gaben  und  Verdieiule 
werden  mit  verdientem  Lobe  herausgehoben.  Eben» 
seine  Beredsamkeit.  Das  Privatleben  wird  als  mvsle^ 
haft  dargestdlt.  Wir  wollen  *nichts  Arges  dabei  den- 
ken,  dafs  dem  Redner  etwas  Charlatanerle  und  ein  Mso- 
gel  an  logischer  Schärfe  und  an  Beweiskraft,  dal 
Staatsmann  eine  äufserste  Unverträglichkeit  und  Dosii- 
nirungssttcht  vorgeworfen  werden.  Aber  einen  sdtss» 
men  Eindruck  macht  es,  wenn  von  denmelben  Msaac^ 
der  durch  den  ganzen,  in  der  That  interessanten  kA 
satz  als  ein  wahrhaft  grofser  Staatsmann  und  ab  der 
liebenswürdigste  Mensch  dargestellt  und  von  dem  S.  15 
gesagt  wird :  „Weit  erhaben  über  alle  niedrige  Bestr^ 
bungen  eines  brütenden  Ehrgeizes,  und  verachtend  dU 


741 


6oeih^9  JBrieJif  mn  die  tfrößn  Auguste  %u  SioUerg. 


742 


t^UHet^  und  PersomenfüeJbeieAiem^  liatte  er  eteie  die 
faöebete  Pflieht  eines  wirkenden  Geistes,  die  Beforde- 
ning  des  MenscI^enwohles,  Vor  Augen  $  in  diesem  Stre« 
ben  liels  er  sieh  weder  durch  die  Mifsbilligung  des  Hofes, 
aAeb  dureh  den  sliainiisc^eB  Beifali  der  Menge  irre  ma* 
clm,  setEte  er  sieh  der  Raehe  des  erstem  aus,  gegen 
dessen  Besteehungssystem  er  ankMmpfle,  wfthrend  er 
dann  wieder  eben  so  kühn  den  Zorn  eines  übelberathe- 
nen  Volkes  auf  sich  lud,  dessen  Fuhrer  er  bekämpfte'*, 
"WMin.  von  demseliien  Manne  später,  nachdem  man  in 
der  ganzen  27  Seiten  langen  Darstellung  keine  Ahnung 
vmsk  diesem  Gegensatse  Imtte  fassen  können,  gesagt  wird: 
„Es  seheint  jedoch,  dafs  er  bei  weitem  nicht  der  edle, 
{;rarsartige  Charakter  war,  für  den  man  ihn  halten 
konnte,  vielmehr  hat  er  die  Unabhängigkeit  seiner  Seele 
dinreh  Verachtung  alles  niedrigen  Interesses  nicht  hin* 
Ifia^ieh  .l»ewiesen/'  —  Ja,  „die  «Rücksicht,  ein  so  edles 
Bild,  wie  das  Lord  Chathams,-  zu  entstellen,  darf  uns 
nicht  abhalten,  Züge  niedriger,  ja  schmutziger  Gesin- 
nung hervorzuheben,  die  sich  bei  genauer  Prüfung  des 
Originals  finden  lassen." 

(Die  FortsetzHDg  folgt.) 

LVII. 

OQ9th£$  Brief»  an  die  OrSfin  Av'gutt»  %u  StoU 
6ergi  vtrwitHtete  GrUßn  v«n  Bertistorf.  Leip- 
xig,  1839. 

Geetfie  ist  roo  eipeni  leiner  einsiebtsroRiten  Bewnuderef 
der  geloDgeSflte  Mensch  seinet  Jahrhandertt  genannt  worden. 
Die  Wahrheit  dieses  Anaipraelia  erweist  sich  unter  andern  anch 
darin,  daft  er  anf  eine  Weise,  Ton  der  vir  nicht  zu  viel  kagen, 
wenn  irir  behaopten,  dafs  sie  nicht  nur  in  seinem  Jahrhunderte, 
•radem  in  allen  Jahrhunderten  ohne  Beispiel  ist,  als  JUngHng, 
als  Mann  und  als  Greis  den  Charakter  jedes  dieser  drei  Lebens^ 
alter  in  hOehst  möglicher  Reinheit  und  Vollendung  seiner  Er« 
scheinang  als  Meusefa  und  als  Diehter  aufgeprHgt  zeigt.  Jean 
Pkn],  irebl  der  begabteste  dichterisehe  Genius  neben  ihai,  war, 
sei  es  inmerfain  durch  Schuld  Kufserer  Lebensverhältnisse,  wel- 
ehe  seine  herrlichen  KrSfte  theils  zur  vorzeitigen  Reife,  theils 
nie  zur  vollendeten  Reife  gelangen  liefsen,  als  JQngling  schon 
Greis,  und  ahi  Greis  noch  JQngUng;  'Mann  im  vollen  Sinne  des  ' 
Wortes  ist  er  nie  gewesen.  CNiethe,  durch  die  Gunst  der  Göt- 
ter, ist  als  JUngling  ganz  JOngling,  ata  Greis  ganz  das,  was  der 
Greis. sein  soll,  denn  die  ewige  Jugend,  die  er  auch  noch  als 
Greis  bewahrte,' hat  nichts  mit  den  Eigenschaften  der  Jugend 
gemein,  die  im  Alter  zur  Untugend  werden;  und  zwischen  dem 
Jüngling  und  dem  Greisen  steht  eine  Mannesgestalt  in  der  Mitte, 
auf  die  sich,  wenn  anf  irgend  eine  andere,  das  Wort  des  Dich« 


ters  Mertragen  läfsf  :.„er  war  c&n  Mann,  nehmt  AUes  aar  in  AI» 
lern,  ich  werde  nimmer  seines  Gtei^eh  sehiL'* 

Das  gegenwartige  Baehlein  fHhrt  nna  dem  grStsem  Theile 
seines   Inhalts    nnch,  in  Goethe's   Jugendzeit  zurück.    Es  sind 
Briefe  ans  dieser  Zelt,  iind  zWar  ,aus  der  blühenden  and  Vppig 
anfbransenden  Periode,  welche  den  Beschlufs  derselben  macht. 
Goethe,  der  Diehter  des  Gtfts  mid  des  Werther,  entwertet  eine«! , 
ihm  persJinUeh  unbekannten  Mftdchen,  der  Schwester  der  zwe( 
ihm  befreundeten  Grafen  Stolberg,  die  ihm  in  der  Fülle  des  rein- 
sten Jugendenthusiasmus,   den  der   seelenverwandte  Dichter  in 
ihr  entzündet,  einen  begeisterten  Herzensergufs  schriftlich  äuge* 
sandt   hatte.     Zwar  bestehen    diese  Antworten    nur  in    einer. 
Reihe  flüchtig  hingeworfener  Zettel,   und   sie  geben   ohne  alle  ' 
Beimischung  dessen,  was  man  im  eigentli^en  •  Wortsinn  einen 
Inhalt  nennen  könnte,  überall  nar  den  unmittelbaren,  knnstlosea 
Ausdruck   der  Stimmungen   und  Zustande  des  Augenblicks,    in 
welchem  sie  geschrieben  sind.    Dennoch  bilden  diese  unschein- 
baren teilen  innerhalb  des  Umkreises  zweier  Jahre,  des  letzten 
von  Goethes  Aufenthalt  in  Frankfurt  und  des  ersten  von  seinem 
Aufenthalt   in  Weimar  (1775  und  1776).  einen    gewissen,  aller« 
dings  nur  sehr  lockeren  Znsammenhang  von  Mittheilungen, 'weN 
che  uns  tief  in  die  Seele  des  DichterjUnglings  blicken  lassen. 
Wir  fühlen  uns  durch  sie   auf  ganz  ähnliche  Weise  angespro- 
chen, wie  durch  die  schönsten  dichterischen  Denkmale  aus  die«  . 
ser  „herrlichen  Zeit  der  Entfaltung^,  wie  der  Dichter  selbst  an- 
derwärts dfese  Periode  genannt  hat ;  ja'  wir  kcinnen  nicht  um- 
hin, sie  selbst  diesen  Denkmalen  beizuzählen,  obgleich  die  Po^* 
sie,  deren  Haqch  uns  aus  ihnen  anweiit,  nichts  weniger,'  als  eine 
beabsichtigte  Poesie  ist. 

Suchen  wir  uns  nämlich  den  Grund  des  eigenthüml leben 
Zaubers,  den  diese  Briefe  auf  uns  ausüben,  zu  verdeutlichen,  so 
finden  wir  zunächst  ein  negatives  Verdienst  an  ihnen  anzuer- 
kennen, durch  welches  diese  Wirkung  bedingt  ist.  Dieses  Ver- 
dienst besteht  darin,  dafs  sie  vollkommen  frei  von  jener  Rheto- 
rik der  Empfipdsamkeit  sind,  von  welclier  -  sich,  zu  jener  Zeit 
zumal,  wo  die  gesammte,  geistig  angeregte  Jugend,  and  nicht 
die  Jugend  allein,  in  diesem  Tone  schwelgte,  bei  einer  gleichen 
Veranlassung  gewifs  kein  Anderer,  Bufoer  Goethe,  frei  gehalten 
haben  würde.  Wir  mdchten  sie  um  dieser  Enthaltsamkeit  wil- 
len, fast  schon  den  unschätzbaren  Blättern  vergleichen,  in  wel- 
chen Goethe  der  Greis  Bettinens  dithyrambische  Ergüsse  beabt- 
wortet  hat.  Die  Tugend  des  Maalshaltens,  der  Tact,  das  Rech- 
te, das  einzig  Gehörige  zn  finden,  ist  schon  hier  genau  derselbe 
wie  dort,  obgleich  dieses  Rechte,  dieses  Gehörige,  wie  sich  von 
selbi^t  versteht,  für  den  Jüngling  ein  anderes  als  für  den 
Greisen  ist  '  Hier  erwledert  Goettie  noch  wirklich  ,den  ihm 
entgegengebrachten  Enthusiasmus  des  begelstetten  Mädchens,  er 
erwledert  ihn  mit  der  ganzen  Wärme,  ja  Ueberschwänglichkeit 
des  aufgeregten  JugendgefÜhh  ^  aber  diese  Erwiederung  bleibt  . 
ganz  innerhalb  der  Gränze  der  Wahrheü  dieses  Gefühls,  ohne 
das  Mindeste  von  der,  gerade  in  Goethe  doch  so  reich  strö^men- 
den  Ader  der  Dichtung  zu  entlehnen.  Sie  verheelt  sich  gar 
nicht  die  Armoth  des  Inhalts,  welchen  das  seelenverwandte  Paar 
einander  mitzutheilen  hat,  aber  sie  läist  sich  dadurch  nicht  ver- 


Goethe' $  Briefe  an  die  Grüßn  Jfiguste  %u  SfißUerff. 


UMeo,  ideale  SchwarMereien  in  wohlgesetzte  Worte  la  kleiden ) 
sie- zieht  es  vor,  „oft  ttiit  xM  Kfteinigkeit  zu  vnterhalten^,  nie'« 
dean  Briefsteller  gerade  ^jin  Sinn  schiefst.^  Weil  jedoch  diese 
BüttheilnDgea  stets  anmittelbar  aos  dem  lebendigen  Gefühl  hec- 
frorgehen,  welches  sie  avsdrUcken  sollen,  nnd,  sobald  dieses  Ge- 
fühl schweigt,  aagenblicklich  abbrechen,  so  erTtiUen  sie  kurz 
und  rhapsodisch  und  wenn  man  will  inhaltlos,  wie  sie  sind,  auch 
ganz  ihren  Zweck ;  wir  fühlen  uns  in  dem  „sehr  mancherlei  von 
seinem  Zustande'",  welches  der  Briefsteller  in  die  kunstlosesten 
W^orte  Ton  der  Welt  hineinwirft,  ihn  in  der  That,  seiner  Ab- 
sicht gemiifB,  die  freilich- nicht  uns,  d.h.  dem  Publicum,  gilt,  „uns 
«ilher  geruckt*^  und  „glauben  ihn  zu  schauen"".  Wehe  dem,  der 
so  etwas  kunstlich  nachbilden  wollte,  und  wehe  dem  Dichter 
selbst,  wenn  er  diese  Weise  der  Mittheilung  auch  nur  einen  An- 
genblick  länger,  als  der  Genius  es  ihm  verstattete,  hätte  fort- 
setzen wollen! 

Gewifs  nämlich  ist  es  nicht  das  letzte  Verdienst  dieser  Blät- 
ter, dais  sie  sich  nicht  weiter  erstrecken,  als  Über  den  Zeit- 
^  ra^m,  welchem  solche  Art,  Sich  auszusprechen,  gemäfs  war,  dafs 
sie  mit  andern  Worten  zur  rechten  Zeit  aufzuhören  wissen.  Auch 
hierin  mochten  wir  sie  dem  Briefwechsel  mit  Bettina  verglei- 
chen, wiewohl  dort  die  Nothwendigkeit  des  Abbrechens  weniger 
.  Goethe  selbst,  als  die  Briefstellerin  betraf,  welche,  ohoe  in  Ma- 
liier  und  Unwahrheit  sBu  fallen,  nicht  in  jener  Weise  fortschrei- 
ben konnte.'  Im  gegenwärtigen  Falle  ist  das  Abbrechen  von 
fioethe'ft  Seite  zwar  hinge  nicht  so  absichtlich,  wie  dort;  wir 
finden  vielmehr,  nachdem  der  Briefwechsel  schon  geraume  Zeit 
ins  Stocken  gecathen  war  (S.  159  f.),  bei  zufälliger  Veranlassung, 
za  erneutem  Schreiben,  noch  eine  Entschuldigung  wegen  diese« 
Stockens,  und  eine,  jedoch  durch  den  charakteristischen  Zusatz : 
,,wenn  Sie  mögen""  bedingte  Aufforderung,  „den  alten  taden  wie- 
der anzuknüpfen,  indem  dies  ja  sonst  ein  weibliches  Geschäft 
sei.""  Dennoch  liegt  der  wahre  Grund  dieser  Stockung  ohne 
Zwei&l  darin,  -dafs  das  Gefühl,  welches  früher  zum  Schreiben 
gedrängt  hatte,  sich  nicht  von  selbst  mehr  einfinden  wollte,  und 
Goethe  einen  zu  richtigen  Tact  besafs,  um  es  gewaltsam  fest- 
zuhalten oder  künstlich  zurückzurufen.  Das  frühere  jugendlich 
'  schwärmerische  VerhäUnifs  in  einen  dauernden  Geistesverkebr 
ernsterer  und  inhaltsvollerer  Art  übergehen  zu  lassen,  dazu  fehlte 
bei  der  örtlichen  Entfernung  beider  Freunde,  die  es  nie  zu  einer 
persönlichen  Zusammenkunft  hat  kommen  lassen,  und  bei  ihrer 
immer  weiter  auseinandergehenden  Geistesrichtung  Stoff  und  An- 
trieb. Aber  eine  Verkennung  des  eigenthümllehen  Hechtes  der 
Jugend  wäre  es,  wenn  man  daraus  auf  eine  AVerthlosigkelt  jeneflt 
früheren  Verhältnisses,  auf  eine  Unwahrheit  des  Gefühls,  wel- 
ches  damals  den  Jüngling  und  die  Jungfrau  In  rein  geistigem 
Aufschwünge  zn  einander  zogy  zurückzuschliefsen  «ich  erlauben 
,  wollte.  Wohl  möglich,  dafs  Goethe  selbst  eine  Zeitlang  sich 
solcher  Ungerechtigkeit  gegen  seine  eigene  Jugend  schuldig  ge- 
macht hat.  Die  Vertilgung  der  Briefe  seiner  Freundin,  die  er, 
wie  der  Herausgeber  uns  berichtet,  nebst  vielen  andern  Papieren 
ans  jener  Zeit,  vor  seiner  Reise  nach  Italien  vernichtet  hat, 
werden  manche  Leser  geneigt  sein,  ihm  als  eine  solche  anzu- 


741 

rechnen,  lind  allerdings  seheint  €9^  als  ob  Aer  Ueheipaf  uf 
männlichen  Reife,  der  bei  unserm  Dichter  eine  so  darcb^gip 
Umgestaltung  seiner  geistigen  Zustände,  Bestrebungen  ond  IV 
berzeugungen  mit  sich  brachte,  wie  sie  nur  in  einem  lo  tiirier- 
ordentlichen  Geiste  möglich  war,  eine  Schroffheit  deft  Gegestat- 
zes  gegen  das  Dichten  und  Trachten  seiner  Jugend  zar  sMk 
sten  Folge  hatte,  welche  Goethe  in  späteren  Jahren  selbst  «cht 
mehr  billigen  mochte.  Denn  namentlich  in  seinen  Getfiida 
mit  Eckermann  begegnen  wir  verschiedenen  Aenfserangen,  vel* 
che  beweisen,  dafs  er  als  Greis  die  Einseitigkeit  auch  dioa 
Gegensatzes  überwunden  hatte,  und  zu  einer  gerechterea  Vfr- 
digung  der  Ideen  nnd  Gefühle,  welche  seine  Jugend  bewe^ 
zurückgekehrt  war. 

Wenn  von  dem  eigentlichen  Mannesal.ter  des  Dichten  k» 
vorliegende  Büchlein  nur  mittelbar  durch  sein  VerstummeD  beis 
Eintritt  dieser  Periode  Zcugnifs  giebt,  so  bringt  es  uns  dagegn 
noch  einen  eigeutliümlichen  Auklung  aus  jener  späteren  Zeir,^ 
welcher  sich  der  Dichter  so  vielfach  aus  innerem  Antrieb  vi 
durch  ttufsere  Veranlassung  »einer  Jugend  wieder  naher  gnihlt 
fand.  Noch  einmal  wendet  sich  die  Frenndiu  seiner  Jigci^ 
wie  es  scheint,  durch  ein  zufälliges  Wiederlesen  der  sorgfältig  i« 
ihr  aufbewahrten  Briefe  dazu  angeregt,  im  Jahre  iS^  so  te 
gleich  ihr  ergrauten  Dichter.  Sie  wendet  sich  an  ihn  aas  Sc- 
beuder  BesorguLb  um  sein  Seelenheil,  welches  sie  in  der  bo- 
gen Zwischenzeit  für  sich  und  die  Ihrigen  auf  einem  Wege  ge* 
fanden  hat,  den  ihr  schlichter,  doch  etwas  befangener  Stsn  Ar 
den  einzig  möglichen  hält.  Die  Zeilen,  in  denen  sie  dev  Di4 
ter  diese  Besorgnifs  zu  erkennen  giebt  und  die  leise  Bitte  m 
deren  Beachtung  beifügt,  kann  man  nicht  ohne  Rührang  leset; 
sie  sind  eben  so  zart  als  tief  empfunden,  eben  so  anspmcyü 
als  würdig  ausgedrückt.  Diese  Worte  gewifs  nicht  minder  ab 
das  in  seiner  Seele  nie  erloschene  Gefühl  der  alten  jBgendfvess4' 
Schaft  haben  dem  Dichter,  hei  welchem  sonst  Zuspräche  ikd- 
eben  Inhalts  nicht  immer  ein  geneigtes  Ohr  finden  moehtei,  citt 
Antwort  abgewonnen«  Goethe  war  sich  hewiifst,  nnd  durfte  vA 
bewufst  sein,  auf  seine  AVeise,  wenn  auch  nicht  m  d«  Ffi% 
welche  dem  einfach  bibelgläubigen  Bekenner  des  Cbristeotliiii 
am  nächsten  liegt,  die  Wiedergeburt  im  Geiste  sehen  an  ifk 
erfahren,  die  Versicherung  des  ewigen  Heils  schon  gewoDSCsa 
haben,  welche  die  Freondin  afas  ein  ihm  noch  Fremdes  ibafi^ 
gogenbringen  wollte.  Er  spricht  dies  in  der  zanestea  Wiin 
gegen  sie  aas,  in  Worten  voll  jener  milden  Weisheit,  die  vA 
Frömmigkeit  ^st,  und  gleich  der  Frömmigkeit  die  erhabeasle  Sstt 
lenruhe  giebt;  die  Besorgnifs  jedoch,  wider  Willen  nnd  UlflA 
verletzen  zu  können,  die  durch  frühere  Erfahrung  in  ihn  fl* 
weckt  war,  läfst  ihn  mit  ^er  Absendung  dieser  Zeilen  zigoii 
bis  die  Genesung  von  einer  tödtlichen  Krankheit  im  Fitlijilf 
1823  in  ihm  das  Gefühl  erweckt,  dafs  er  sie  ahsendes  düh. 
Wie  die  edle  Freundin  sie .  aufgenommen,  wird  uns  nicht  beri^ 
tet;  sie  hat  den  Dichter  um  einige  Jahre  überlebt,  und  vir  ki^ 
fen,  dafs   sie    in   dem  Glauben,   in  der  frohen  Gewilsbeit,  ih* 

dort  zu  begegnen,  von  hinnen  geschieden  ist. 

W. 


,  -   ^  94. 

Jahrbficher 

» 

f»»  . 
u  r 

wissenschaftliche    Kritik 

Mai  1840. 


Bütorical  tketcAes  vf  statesmen  u>ho  flouriahed 
in  tke  time  of  George  III.  By  Henry  Lord 
Brougham. 

(Fortsetzung.) 

Und  was  sind  diese  Zuge?  Ist  Lqrd  Chatham  durch 
aufseres  Interesse  bewogen  worden^  wider  seine  Ucber- 
seugung  zu  handeln?  Nein,  aber  er  hat  geweint,  als 
ilini  Georg  IIL  „bei  Abnahme  des  Staatssiegels  in  sei- 
nem Cabinet  einige  Huld  bezeigt"  (,Jrgend  eine  schiefe 
Idee  Ton  Unterthanentroue  mag  an  diesem  Anfalle  von 
Servilisipus  Schuld  sein",  bemerkt  Lord  B.  dazu.)  Und 
er  sehreibt  dem  Minister  einen  Briefe  „voll  der  stärk« 
sten  Yersichenmgen  seines  unaussprechlichen  Dankes", 
wie  er  erfährt,  dafs  der  Konig  ihm  und  seiner  Familie 
eine  Pension  'bewillige.  Wir  sehen  aus  dem  ersten 
Falle,  dafs  Lord  Chatham  dem  König  personlich  erge- 
ben und  voll  der  alten  GefGhle  ritterlicher  Loyalität 
und  Lehnstreue  war,  und  es  wird  aus  dem  zweiten 
wahrscheinlich,  dafs  seine  Umstände  ihm  finanzielle 
Rücksichten  auflegten^  Um  so  schätzbarer  wird  sein 
Verfahren,  dafs  er  did  Ungnade  seines  Monarchen  und 
den  Verlust  sein<$s  Staatsamts  einem  Aufgeben  seiner 
politischen  Ueberzeugung  vorzog.  Dafs  es  ihn  rührte, 
yiXe  der  Konig  ihm  noch  bei  der  Entlassung  »»einige 
Huld''  bewies  und  dafs  er  die  Bewilligung  eines  Gna- 
dengehalts  mit  Dank  begrufste,  wenn  Lord  B.  darin 
Zuge  „niedriger,  ja  schmutziger  Gesinnung*"  erblickt, 
so  sieht  man,  dafs  es  ihm  nicht  schwer  angekommen 
ist,  ,,ein  so  edles  Bild,  wie  des  Lord  Chathams,  zu 
entstellen."  Eine  niedrige,  ja  schmutzige  Gresinnung 
würde  sicli  nicht  bedacht  haben,  die  Ueberzeugung  dem 
Vortheil  zu  opfern. 

Lord  North  kommt  im  Ganzen  sehr  gut  weg  und 
das  Lob,,  das  ihm  gezollt  wird,  ist  indirect  und  ohne  die 
Absicht  des  Vfs.  zugleich  ein  Lob  für  Georg  lU.  Denn 
B.  sagt,  dafs  der  König  den  Lord  North  unter  allen 

Jahrb,  f,  wiaenich,  Kritik»'  /.  1840.    I.  Bd. 


Ministern  am  Meisten  geschätzt  habe.  Er  berichtet  uns 
nun,  dafs  Lord  North  das  Staatsruder  unter  den  schwie- 
rigsten Umständen  übernahm  und  führte,  dafs  er  gegen 
Gegner,  wie  sij  mit  Ausnahme  Addingion's,  kein  Mi- 
nister jemals  hatte ,  fast  allein ,  nur  von  iiwei  Rechts- 
männem  unterstutzt,  zu  kämpfen  hatte,  dafs  er  in  die- 
sen kritischen  Zuständen  grofse  ytnd  glänzende  Talente 
entfaltete,  grofse  praktische  Kenntnifs  aller  Staats«^  und 
Parlamentsgeschäfte  entwickelte,  von  seinem  hellen  Ver- 
stand nie  verlassen  ward,  angebornen  Takt,  genaue 
Menschenkenntnifs,  Geistesgegenwart  und  Entschlos- 
senheit bewies,  stets  fertigen  Witz  sprühte  und  eine 
gleichbleibende  Sanftmuth  besafs.  Dabei  war  sein  Pri- 
vatcharakter liebenswürdig  und  ehrenvoll.  Als  Staats- 
mann aber  stellt  ihn  B.  weit  unter  den  Redner  und 
Menschen.  Indefs,  indem  er  ihm  besonders  wegen  des 
amerikanischen  Krieges  Vorwürfe  macht,  sucht  er  dock 
dieselben  dadurch  zu  mildern,  dafs  er  die  Hauptschuld 
dem  Könige  zur  Last  legt  und  dafis  er  die  Beispiele 
neuerer  Staatsmänner  weitläufig  aufzählt,  die  gleich- 
falls wissentlich  politische  Fehler  begangen  haben  sol- 
len, um  sich  in  der  Gunst  ihres  Monarchen,  oder  im 
Besitz  der  Macht  zu  erhalten.  Dieses  Thema  ist  dem 
Verf.  so  interessant,  dals  er  den  Lord  North  darüber 
ganz  bei  Seite  läfst. 

Wedderbume,  später  Lord  LaugAdorougAf  der  Graf 
von  Rofslyn,  „war  einer  jron  den  wenigen  ausgezeich- 
neten Rechtsgelehrten,  die  sich  sowohl  im  Parlament 
als  in  der  Westminsterhalle  auszeichneten.''  —  „Er 
war  ein  Mann,  dem  grofse  geistige  Mittel  zu  Gebote 
standen,  die  er  mit  vieler  Sorgfalt  ausgebildet  hatte  und 
gr^fstentbeils  in  öffentlichen  Reden  geltend  machte.  Weit 
entfernt,  ein  genauer  Kenner  des  Gesetzes  zu  sein^ 
hatte,  er  sich  doch  so  viel  Erfahrungen  gesammelt,  dafs 
sein  Wissen  für  die  gewöhnlichen  Rechtsfälle  des  Nisi 
Prius  ausreichte.  Man  nimmt  an,  dafs  er  unsre  Adelsge- 
setze hinlänglich  kannte^  was  übrigens  kein  auberor- 

94 


717 


Lm^  Braughamy  hißtorieal.  sketeAes  4{f.$taieMme$$. 


748 


dentliches  geistige«  YermSgen  voraussetzt.  £r  tliat  des- 
gleichei))  als  kenne  er  unsre  Verfassungsgesetse  sehr  ge- 
nau; dies  wird  jedoch  vielfach  in  Zweifel  gezogen^" 
B.  fuhrt  nun  eibige  Reden  des  Geschilderten  anf)  die 
ihm  grofsen  Ruhm  erwarben,  stellt  ihn  aber  als  mitCel- 
f  mäfsigen  Richter,  bloften  Parteimann  und  Ranke^ 
Mchmied  dar,  erzählt,  dafs  der  König  bei  seinem  Tode 
ausgerufen :  „Nun,   so  ist  der  gröfste  Schurke  meiner 

'  Staaten  gestorben"  und  giebt  ihn  förmlich  der  FerwUn' 
Mokung  der  Nachwelt  Preis.  .  Gleichwohl  sagt  er  vor- 
her  von  ihm:  „Weit  erhaben  über  die  schmutzigen  In* 

.  teressen  des  Geldgewinnes  und  des  Geizes,  schätzte  er 
den  W.erth  seiner  hohen  Stellung  nur  nach  der  Macht, 
die  sie  vqrlieh  und  dem  Ansehen,  das  in  ihrem  Gefolge 
war;  er  lebte  daher  auch  auf  einem  groGsenFurse  und 
liefs  seinen  Erben  nichts  zurück.  Ueberdies  besafs  er 
noch  andre  Eigenschaften,  die  man  an  einem  Rechts* 
manne  hochschätzt.  Er  war  ziemlich  wissenschaftlich 
gebildet,  pflegte  stets  Umgang  mit  Gelehrten,  war  enU 
schlössen  und  kräftig  in  seiner  Handlungsweise,  artig 
im  Umgang,  glänzend  und  würdevoll  in  seinem  Aeu« 
fsern,  ohne  Ansehen  der  Person^  liefo  sieh  durch 
keine  Rücksichten  irgend  einer  Art  leiten  und  hielt 
eich  und  den  Rechteetand  Jrei^  von  ministeriellem 
Einflüsse.  Seine  Nachfolger  konnten  kein  gröfseres 
Vertrauen  von  Seiten  des  Gerichtshofs  ansprechen." 
Vereinige  das  wer  kann  mit  dem  Charakter  eines „blo* 
fseii  Parteimanns  und  Ränkeschmieds." 

Lord  Thurlow  war  „der  letzte  Richter,  der  die 
sohlechte  Gewohnheit  hatte,  keine  Entscheidungsgründe 
anzuführen.  Das  Praktische  der  Rechtspflege  und  den 
Geist  der 'Gerichtshöfe  hatte  er  gehörig  erkannt;  auch 
befriedigten  die  meisten  seiner  Rechtssprüche  die  Män- 
ner seines  Faches."    B.  lobt  nun  ausführlich  die  Ge« 

.  wandheit  Lord  Thurlow's  in  Leitung  der  Gerichtsver- 
handlungen; es  scheint  aber,  weniger  um  Jenen  loben, 
als  um  Lord  Eldon  tadeln  zu  können.  Als  Paria- 
•  mentsredner  war  seine  Redeweise  „gezwungen,  blofs 
täuschend,  ja  trügerisch,  ihr  ganzer  Eindruck  blofs  im 
Aeufsern  des  Redners  liegend.'*  So  heifs  es  S.  82* 
Auch  wird  schon  vorher  erzählt,  Fox  habe  Thurlow's 
feierliches  Aussehen  einen  Beweis  seiner  Heuchelei  ge- 
nannt, weil  Niemand  so  weise  sein  könne,  wie  er  sich 
ausgebe.  S.  86  dagegen  lesen  wir:  „Er  brachte  sein 
Dasein  unter  einer  steten  Verachtung  des  Anstandes 
sra,^  so  dafs  es  sehr  zweifelhaft  erscheint,  ob  die  ihm 


eigene  ernste  und  fmerliche  Miene  mehf^  — »  Usbenel- 
zungsfehler,  und  mufs  offenbar  heifsen  :  nicht  mehr  .«- 
„als  angenommen  war.  Denn  die  Behauptung,  daft  lii 
blofs  ein  Kleid  war,  das  er  trug,  um  zu  täuseheo,  ver- 
trüge sich  nicht  mit  seinem  gewohnten  Wesen,  da 
keine  Sfiur  von  Heuchelei  an  sich  hatte."  Ab  Beim 
von  Thurlow's  „Menschenhafs,  oder,  besser  gesagt,  tei. 
ner  tiefen  Verachtung  der  Menschen"  führt  Lori  B. 
weiter  nichts  an,  als  dafs  er  einmal  gesagt:  „Es  sri 
weit  entfernt  von  mir,  irgend  elften  Staatsbeamua  n 
tadeln,  was  auch  imnier  meine  Ansicht  über  ihnm 
mag;  denn  ich  wurde  dadurch"  '—  grober  Ueb««^ 
Zungsfehler,  dergleichen  sich  viele' finden  —  nur  eines 
Lobredner  über  ihn  hören  miissen."  Der  Sinn  dies« 
Aeufserung  ist  sehr  klar :  Lord  B.  findet  aber  darin  «^ 
nen  Beweis  seiner  Behauptung,  daüs  Lord  Th,  sn 
Menschenhafs  durchaus  Niemanden  habe  loben  bins 
kutanen.  Auf  der  folgenden  Seite  heiCst  es,  dais  Tk 
eine  grofse  Bewunderung  für  Fox  gehabt  haben  sdk 
und  ihn  auf  unmäfsige  Weise  gelobt  habe.  Die  Est* 
schlosseuheit  und  I^arheit,  die  er  kundgab  ^  „wans 
mehr  Sache  seiner  Ausdrucksweise,  als  eines  wirUkl 
kräftigen  Geistes.'^  „In  den  politischen  Fragen  und  is 
allen  wichtigen  Berathungen  zeigte  er  eine  sehr  grob 
Unentschlossenheit.*' 

Lord  Mansfieldj  den  einst  des  Junius  in  GiftfB» 
tauchte  Feder  so  erbittert  verfolgte,  wird  von  Lord  I. 
in  ein  sehr  günstiges  Licht  gestellt.  Das  Lob  ist  olni 
Vergleich  gerechter  ab  jener  Tadel,  es  wGrde  aber 
jenes  vielleicht  nicht  so  freisebig  gespendet  wordes 
sein,  hätte  ,der  Verf.  nicht  hinzufügen  können,  dab 
Mansfield's  Talente  als  Advocat  zwar  grofs,  'abeif  ü 
Folge  „eines  gewissen  Mangels  an  Energi»%  nicbt  via 
erstem  Range  waren ;  dafs  er  auf  Alles,  ^bb  den  Nfr 
men  Genie  oder  Originalität  verdient,  nie,  und  iii  kdac 
Lage  Ansprüche  machte;  dafs  er  unfähig  war,  eines^ 
ste  Stelle  auszufüllen,  „zu.  einer  Zeit,  wo  das  Geheitt» 
nifs  hoch  nicht  entdeckt  war,  Männer  zweiten  Ra^el 
in  solche  Stellen  zu  setzen/'  In  diesem  Abschnitt  sfrieK 
3ich  übrigens  der  Verf.  in  der  Sache  des  Junios,  ns 
dem  er  urtheilt:  „Er  scheint  ein  Mensch  gewesen  tt 
sein,  in  dessen  Busen  eine  wilde  und  bösartige  U- 
denschaft  tobte,  .ohne  durch  ein  gesundes  Urtheil  k^ 
schränkt,  oder  durch  wohlwollende  »Gesinnungen  im 
Mindesten  gemildert  zu  werden'*,  folgendergestalt  asi:. 
„dafs  es  weder  Lord  Ashburton,  noch  sonst  ein  Rechtt' 


14B 


Id^rd  BrmsgAum^  kUtorieal  sJketckeM  f(f  ^tatesmen* 


griekrtor  war,  beweist  seine  grolie  Unwissenheit  in  den 
fiesefien.  Zu  befaauptMi,  dais  es  Francis  war,  würde 
eis  Scrfiiinpf  sein  für  das  Andenken  dieses  Mannes,  und 
obgleich  manche  äufsere  Umstttnde  auf  ihn  hindeuten, 
10  hat  er  doch  gewifs  nie  etwas  dieser  Art  unter 
ssintm  eignen  Namen  geschrieben.'^  Das  kann  man 
glauben. 

Die  Charakteristik  des  Lord  Oberrichters  Oibbs  wird 
flüt  einer  interessanten  Sehilderung  der  gelehrten  eng- 
Koehea  Juristen  eröfFuet,  „in  deren  Wörterbuch  engli- 
sches Recht  gleichbedeutend  ist  mit  YoUkommner  Weis- 
iieit,"  und  deren  ganeo/  Vorzüge  und  mehr  als  ihre 
gewohnlichen  Fehler  Sir  Vicany.  Gibbs  gehabt  haben 
•eil.  Im  Uebrigen  beschuldigt  er  ihn  allgemeiner  Be* 
sehränktheit  des  Yerstandes,  unmafslger  Eitelkeit}  skia- 
viseher  Anhänglichkeit  an  dieTories  und  bigotter  Ver^ 
ehrung' alles  Bestehenden.  Einen  Schlüssel  zn  dieser 
liarten  Behandlung  giebt  der  Schlufssats,  wo  es  heifst: 
„Dies  ist  der  glückliche  Anwalt,  der  geschickte  Ad- 
vocat,  der  feine  Jurist  in  gewöhnlichen  Materien, 
der  geschickte  und  erfahrene  Geschäftsmann  (denn  alles 
9es  war  er  eben  so  gewifs,  als  er  ein  kleinlich  gesinn- 
ter Mann  war)  —  dies  ist  derjenige,  den  die  Männer, 
welche  Lord  Erskine  verachten  und  auf  Lord  Maus* 
field  herabsehen  und  die  gern ,  wenn  sie  durften,  ihre 
sehwachen  Stimmen  gegen  Sir  Samuel  Romilly  erheben 
m5chten,  als  das  Muster  eines  englischen  Advocaten 

aufstellen.^' 

Dem  Sir  William  Grant  gesteht  der  Yerf.  zu, 
dafs  ihn  wenigstens  im  Richteramt  keiner  übertraf, 
letzt  jedoch  gleich  die  Beschränkung  hinzu:  „obgleich 
er  seine  Funotionen  nach  einem  etwas  beschränkten 
Maafsstabe  verrichtete. ''  Später  heifst  es  Glieder:  es  habe 
sich  auf  der  Richterbank  „der  Genius  des  Mannes  in 
aufserordentlichem  Olanz"  gezeigt;  er  habe  „das  Ideal 
richterlicher  Beredsamkeit''  erreicht.  Auch  im  Parla- 
ment ,^murs  er  unstreitig  unter  die  Sprecifer  ersten 
Ranges  gesetzt  werden.*'  „Es  darf  mit  Sicherheit  be- 
hauptet werden,  dafs  lange  Zeit  vergehen  wird,  bis  wie- 
der ein  solches  Licht  ersteht,  den  Senat  oder  die  Ge- 
richubank  zu  erleuchten."  „Seine  VortreffUchkeit  war 
immerhin  beschränkt  in  ihrer  Sphäre;  keine  Einbil- 
dangskraft,  keine  Heftigkeit,  keine  Declamation,  kein 
Witzf  aber  die  Sphäre  war  die  höchste,  und  in  jener 
höchsten  Sphäre  war  ihre  Stelle  noch  hoch.  Der  Ver- 
stand richtete   sich  allein   an  den  Verstand.**    „Seme 


750 

Herrschaft  über  den  vernünftigen  und  intelleotuellen 
Tfaeil  des  Menschengeschlechts  war  die  einer  kräftigen 
Vernunft,  eiiier  mächtigeren  Intelligenz  ab  die  ihrige.** 
Es  kommt  aber  doch  auch  ein  Aber  und  ein  merkwür«. 
diges.  -„Jedoch"  heifst  es  „bleibt  in  diesem  rein  intel- 
leotuellen Gemälde  ein  Mifston  zu  bemerken,  ein  Man« 
gel  an  Haltung,  Intelligenz,  etwas  mehr  als  ein  Scbat« 
ten.  Dieser  herrscherische  Verstand,  dieser  bündige 
Beweisfnhrer,  welcher  anderer  Mensehen  Verstand  durch 
die  überlegene  Stärke  seines  eigenen  überwältigte^,  war 
der  Sklave  seiner  Vorurtheile  in  solchem  Maafs,  dafs 
er  in  jeder  Reform  u^erer  Institutionen  blols  die  Ge- 
fahren vor  einer  Revolution  erblicken  konnte."  „Er 
war  der  Erste,  der  die  wohlbekannte  Phrase  von  „„der 
VTeisheit  unserer  Altvordern""  gebrauchte."  „Seltsame 
Gewalt  frühen  Vorurtheils,  dafs  man  die  Irfthümer  des 
Menschengeschlechts  im  Zustande  seiner  Unfwissenheit 
und  Unerfahrenheit  zum  Leitstern  seines  Verfahrens  im 
reiferen  Alter  macht,  und  an  dieselben  als  an  die  Weis- 
heit vergangener  Zeiten  appellirt,  in  denen  sie  doch, 
nur  die  unreife  Frucht  unvollkommener  intellectoeller 
Bildung  waren ! "  So  ruft  Lord  B.  aus,  im  Stillen  wahr- 
scheinlich die  Zeitalter  beklagend,  denen  das  Licht  sei- 
ner Weisheit  nicht  leuchten  konnte.  Die  Anhänger 
der  von  ihm  verworfenen  Meinung  aber  werden  ihm 
Dank  wissen,  dafs  er  ihnen  in  der  so  gewaltig  gesohil- 
derten  Intelligenz  des  Sir  William  Grant  eine  so  ge- 
wichtige Autorität  gezeigt  hat. 

Ueber.  die  Charakteristiken  von  Burke,  Fox,  Pitt, 
Sheridan,  Perceval  und  Canning  sagen  wir  nichts. 
Wollten  wir  hier  auf  das  Einzelne  eingehen,  so  würde 
diese  Recension  sich  über  alles  Maafs  ausdehnen  müs<* 
sen.  Uebrigens  ist  es  bei  diesen  Männern  leicht  zu  er- 
messen, wie  Lord  Brougham  sich  über  sie  ausgespro- 
chen hat,  und  wir  begeben  uns  einiBS  Vortheils^  indem 
wir  sie  übergehen. 

tVindkam  war  „unter  den  Mitgliedern  seiner  Par- 
tei der  Ausgezeichnetste.  Die  Vortheile  einer  guteii 
elassischen  Erziehung,  ein  lebhafter  Witz  von*  einer 
beifsenden,  aber .  etwas  versteckten  Art,  eine  Neigung 
zu  Spitzfindigkeiten,  die  ihn  feine  Unterscheidungen 
machen  und  entfernte  Analogieen  aufsuchen  liefs^  eine 
grofse  und  frühzeitige  Welikenntnifs,  ein  vertrauter  Um- 
gang mit  Literatoren  und  Künstlern,  wie  mit  Politikern, 
eine  grofse  Kenntnifs  in  der  Geschichte  der  Theorie 
der  Verfassung,  ein  ritterlicher  Geist,  eine  edle  Gestalt, 


751 


Lord.  Broughqm^  Aist&rieal  %kttcke%  qf  state§m^n. 


732 


einQ  hochist  ausdrucksTOlIe  Gesiohtsbildung  —  Allel 
dies  Duachte  den  merkwürdigea  Mann  fähig,  in  Oebat« 
^ten  eine  Hauptrolle  zu  spielen.  Aber  alle  diese  Eigen- 
sehaften  zusammengenommen  konnten  ihm  nicht  den  er- 
sten Rang  verschafien;  sie  waren  überdies  mit  Man* 
geln  yennisofat,  welche  den  Eindruck  seiner  Redekunst 
aufserordentlich  schwächten,  seine  Brauchbarkeit  Ter- 
minderten  und  seinem  Ruf  als  Staatsmann  Eintrag  tha- 
ten*  Denn  gar  zu  häufig  wurde  er  durch  seinen  eignen 
Scha^fsion  irre  gefuhrt,  er  versetzte  ihn  iii  ein  Zwei- 
feln und  Hinundhejrkohwanken  und  bewirkte  hme  für 
kriifiiges  Auftreten  im  Rath  verderbliche  SolUaffheü. 
Es  Jag  auch,  vielleicht  wegen  »einer  Neigung  xum 
Zaudern^  mehr  in  seinem  Wesen,  nachzuahmen  und 
naohzubeten,  als  selbstständig  zu  denken  und  zu  han- 
deln.   Johnson  in  Privatangelegenheiten   und   nachher 


sie  der  öffentlichen  Meinung  odeir 
widerstrebte.''  Eine  Neigung,  die  nicht  blofs  aiu  den 
hier  angegebenen  Ursachen,  sondern  auch  aus  da« 
Kenntnifs  der  gewötinlichen  öffentlichen  Meinung,  4er 
Art^  wie  sie  entsteht^  ^und  der  Menschen,  die  sie  n 
machen  pflegen,  erwachsen  kann«  Lord  B.  selbM  k- 
merkt:  ,9Mit  diesen  Irrthümem  war  gewohnlieh  vid 
Wahrheit  untermischt^^  oder  es  war  wenigstens  in  dei 
Ansichten  und  Handlungen,  die  er  bekämpfte,  vielVe^ 
kehrtes.''  Doch  fuhrt  er  nur  Beispiele  an,  dmen  dien 
Entschuldigung  nicht  zu  Hülfe  kommt. 

Dundas^  nachher  Lord  MelviUe^  »^war  ein  Mam 
von  sehr  untergeordneten  Ansprüchen,  dessen  Fähi^ci* 
ten  aber  von  der  nützliclisten  Art  waren.  Man  Icooni« 
ihn  gar  nicht  inter  oratorum  partes  zählen.  Aber  ei 
war  ein  bewundernswürdiger  Geschäftsmann,  und  toi 


•Burke  in  politbchen  Dingen  Waren  die  Gottheiten,  wel-<  •  unermüdlichem  Fleifse."  Dafs  er  doch  noch  etwas  mek 


che  er  anbetete."  Schwer  zu  vereinigen  mit  dem  Obi- 
gen  durfte  aber  die  folgende  Stelle  sein :  „War  er  aber 
liicht  durch  amtliche  Verbindungen  gehemmt,  oder  hat- 
ten Anstand,  Klugheit  oder  andere  durch  seine  Stel- 
lung vorgeschriebene  Rocksichten  seine  Lippen  nicht 
gesiegelt,  so  war  es  ein  schöner  Anblick,  diesen  tap^ 
fern  Mann  auf  das  Schlachtfeld  hinafasleigen  zu  sehn. 
Er  b^mnnte  vor  Kampflust  und  Begierde,  sich  n%it  je- 
diipi  Mann,  der  ihm  gewachsen  wäre,  oder  mit  jeder 
solchen  Zahl  vjön  Männern  zu^  messen.  Er  eetxte  ^it 
Verachtung  {die  die  armseligen  Einflüsterungen  ei' 
ner  kleinlichen  Vorsieht  kei,  Seite^  kümmerte'  sich 
nichte^um  den  Tadel,  dem  er  sich  etwa  aussetzen  mochte, 
verschmähte  Volksbeifall  sowohl  als  Hofgunst,  ja  aus 
natürlicher  Liebe  xur  Gefahr  und  aus  Geringschät- 
zung alles  dessen,  was  der  Furcht  äi^nlich  ist,  drückte 
er  oft  die  unpopulärsten  Ansichten  auf  die  bekidlgend- 
ste  Art  mit  derselben  sorglosen  Heiterkeit  aus,  die  er 
auch  zeigte,  wenn  er  der  Macht  des  Hofes  Trotz  bot 
und  seine  Feindschaft  herausforderte."  Wiudham  wird 
ferner  einer  Liebe  zu  Earadoxieen  beschuldigt.  „So 
wurde  er"  heifst  es  „durch  seine  unbezähmbare  Wutb 
und  durch  seinen  Widerwillen  vor  dem  Gemeinen  oder 
Allem,  was  nach  Kriecherei  vor  blofser  Gewalt  schmeck* 
te,  nicht  seilen  ^bestimmt,  eine  gewisse  Richtung  oder 
irgend  eine  Ansicht  blofs  deswegen  anzunehmen,  w^il 

(Der  BeschlaTf   folgt.) 


war,  scheint  die  folgende  Stelle  ^u  beweisen:  ,^SeiBi 
berühmten  Berichte  über  alle  die  verwickelten  Fra^« 
unserer  indischen  Politik  sind  wahre  Fundgruben  der 
Belehrung  über  dieses  weite  Feld,  die  weder  in  ik 
sieht  auf  Klarheit,  noch  in  Absicht  auf  Ausdehnung  ihm 
Gleichen  haben.'*  ^^Sie  bilden  in  Yerbindung  mit  Lorl 
Wellesleys  Depeschen  die  Quelle,  woraus  die  gam 
Masse  von  Kenntnissen^  welche  unsere  jetzigm 
Staatsmänner  über  Indien  besitzßn^  geschopjt  wkif 
Uebrigens  rühmt  B.  den  Charakter  Melville'i  xsk 
nimmt  ihn  auch  in  der  Anklagesache  in  Schutz. 

.Erskitie'fL  „parlamentarische  Talente  suad  zwarge- 
wifs  zu  gering  angeschlagen  worden  $  aber  sie  bildeM 
offenbar  nicht  die  hervorstechende  Seite  seines  Charit 
ters.  Man  mufs  übrigens  zugeben,  daCs,  hätte  er  in  i^ 
gend'  einer  anderen  Periode,  als  in  dem  Zeitalter  dir 
Fox,  der  Pitt  und  Burke  gelebt,  er  schwerlich  von  J» 
mand  übertroffen  worden  wäre."  „Er  besafs  nur  eiaa 
geringen  Vorrath  politischer  Kenntnisse.*'  Aber  nk 
glänzenden  Farben  schildert  B.  die  gerichtliche  Bered* 
samkeit  Erskine's.  Ja  er  sagt,  dafs  Erskine  »bM 
deswegen  nicht  der  erste  Redner  seiner  Zeit  war  arf 
(nicht)  unter  den  ersten  Staatsmännern  stand,  weil  « 
bei  weitem  der  vollendetste  und  beredteste  Advocit 
war,   den    die  neueren  Zeiten   hervorgebracht  hibeii' 


Jahrbücher 

< 

für 

wissenschaftliche    Kritik 


Mai  1840. 


Historical  skeicheg  qf  statesmen  who  flourished 
in  ihe  time  of  George  HL  By  Henry  Lord 
Brougham. 

(Sclilufs.) 

Er  rühmt  ferner  die  bewundernswerthe  Unerschrok- 
kenheit  seines  Wirkens  und  das  „Anziehende"  seines 
Cliarakters.  Doch  erwähnt  er  seine  allerdings  gutar- 
tige Eitelkeit,  ein  Epitheton,  was  man  ^er  Eitelkeit  des 
Vfs^  nicht  beilegen  inöchte,  uiid  berührt  ,,die  grofse 
Unvorsichtigkeit,  womit  ,er  sieh  gewissen  Schwächen 
hingab  und  sogar  in  seinem  späteren  Alter  noch  un- 
glückselige Yerbiudungen  knüpfte."  Lord  K^nyon 
nannte  jene  Unrolikommenheiten  nachsichtsvoll  Sonnen- 
fleoken.  Lord  B.  hält  es  eben  für  Recht  und  Pflicht 
der  Geschichte,  jene  Flecken  zu  erwähnen^ 

Lord  Grenville'^  „Geistesanlagen  waren  alle  von 
der  nützlichen  Art:  ein  gesunder  Verstand,  ein  siche- 
res Gedächtuifs,  ein  ungeheurer  Fleifs.  Er  besafs  eine 
Tollständige  Geschäftskenntnifs  und  gründliche  wissen- 
,schaftliche  Bildung."  „Seine  Beredsamkeit  hatte  einen 
^einfachen,  männlichen,  gebieterischen  Charakter."  Aber 
„seine  Festigkeit  konnte  leicht  in  Eigensinn  ausarten." 
Er  war  nicht  versöhulicher  und  gewinnender  Art. 
„Seine  unglückseligsten  Yorurtheile  waren  vielleicht 
diejenigen,  welche  er  schon  in  früher  Jugend  über 
kirchliche  Yerfassung  eingesogen  hatte."-  Gegen  neu- 
ere Staatsmänner  ist  die  Stelle  gerichtet:  „obgleich  er 
das  Parlament  viel  stufenmäfsiger  reformirt  haben  wSr- 
d^  als  es  der  lange  Aufschub  dieser  grofsen  Maafsre- 
gel  endlich  erlaubte,  so  ist  doch  ebenso  gewifs,  dafs  er 
vor  keiner  Yerbesserungsweise,  die  vernünftigerweise 
verlangt  werden  konnte,  stille  gestanden  wäre  blofs 
deswegen,  weil  si^  eine  Yeränderung  war.'* 

Henry  Gratian  „war  einer  der  gröfsten  Männer 
seiner  Zeit."  „Es  würde  nicht  leicht  sein,  irgend  einen 
Staatsm^inn  aus  irgend  einem  Zeitalter  anzuführenj^  der 
'  Sakrb,  /.  tüütentch,-  Kritik,  J.  1840.  I.  Bd.   , 


wegen  seiner  öffentlichen  Dienste  einen  höheren  Ruf 
hätte'*  —  stark  hyperbolisch  gesagt  /—  „eben  so  wenig 
ist  es  möglich.  Jemanden  zu  nennen,  bei  welchem  die 
Reinheit  des  Rufs  durch  eben  so  wenig  Fehler  befiiBckt 
und  der  Glanz. des  Ruhms  durch  eben  so  wenig  Un- 
voUkommenheilen  verdunkelt  Wurde  als  bei  ihm."  Doch 
mufs  der  Yf.  von  demselben  Mann,  von  dessen  aufser- 
ordentlichen  Verdiensten, um  Irland  er  manches  Nähere 
anführt,  berichten :  „dafs  er  von  Aufwieglern  angeklagt, 
von  Nichtswürdigen  verläumdet  und  »von  der  Masse 
derselben  Nation,  deren  Abgott  er  so  eben  noch  gewe- 
sen wdr,  verlassen  wurde.''  Uebrigens  gehen  aus  der 
Darstellung  des  gerühmten  Mannes  mehr  die  Resultate, 
die  er  erreichte,  als  die  Kräfte,  durch  welche  sie 
erstrebt  wurden,  hervor.  —  Auch  vermögen  wir  nicht 
zu  beurtheilen,  wie  viel  Antheii  an  dem  Panegyricus, 
den  Lord  B.^dem  Sir  Samuel /foi»i(//y  hält,  und  der  al- 
lerdings etwas  stark  einer  auf  dem  Kirchhof  des  F^re 
la  Chaise  gehaltenen  Grabrede  gleicht,  die  persönliche 
Freundschaft  zu  dem  Yerblichenen  gehabt  hat,  sind 
aber  stets  geneigter,  dem  Verf.  zu  glauben,  wenn  er 
lobt,  als  wenn -er  tadelt. 

Wie  wenig  wir  uns  übrigens  durch  das  vorliegende 
Werk  befriedigt  finden  konnten,  es  hat  doch  auch  seine 
Seiten,  auf  denen  es  einen  erhebenden  Eindruck  macht. 
Es  führt  uns  Männer  vor,  deren  Grofse  auch  von  dem 
Nebel,  mit  dem  der  Vf.  sie  gelegentlich  anhaucht,  nicht 
verhüllt  werden  kann.  Es  lälst  uns  Einblicke  in  ein 
grofsartiges  Staatsleben  thun,  in  welchem  sich  selbst- 
ständige Naturen  in  aller  Frische  der  Gesundheit  und 
Kraft  bewegen.  Die  Beleuchtung  der  richterlichen  und 
rednerischen  Leistungen  der  Geschilderten  ist  zuwei- 
len lehrreich  und  interessant.  Es  werden  Bruchstücke 
aus  Reden  und  Schilderungen  parlamentarischer  Scenen 
witgethcilt,  die  unsere  ganze  Seele  zur  kräfiigsten  TheiU 
nähme  aufregen.  Und  auch  das  ist  beachten^rwerth, 
wie   viele  Männer  hier,  sich  als  bedeutende  Gestalten 

95 


755  Rathke^  Eintwiekl%mg9ge$cfuchte  der  Natter,  -  756 

darstellen,  die  in  anderen  Staaten  vielleicht  auch  Nutz-  Entwickelung  ein  Ähnlicher  Keim  reicher  Produktionen 
liches^  ja  Bedeutungsvolles  gewirkt,  aber  mehr  in  den  in  der  Wissenscbuft,  au&  dem  nach  allen  Seiten  neue 
Standesclassen  verschvc^unden  sein,  als  sich  in  indivi- .   Erkenntnisse  sprossen.     Auf  diese  Art  kann  die  En^ 


dutiler  Prägung  als  Charaktere  herausgestellt  haben 
würden.  Diese  der  Entwickelung  grolsartiger  Persön- 
lichkeiten so  günstige  Erscheinung  mag  ihre  Ursachen 
mit  darin  haben,  dafs  die  Verhältnisse  dort  eine  selbst- 
ständigere Yertheilung  der  Macht  vermitteln,  die  ein- 
zelnen Theile  des  Staatslebens  nur  in  dem  groFsen 
Ganzen  des  Staatsxweckes  ihre  Yereinigung  finden, 
un4  dafs  es  dort  vielfach  auf  die  Kraft,  mit  welcher  die 
Persönlichkeit  sieh  geltend  macht,  ankommt,  wie  viel 
sie  bedeuton  soll,  während  sie  doch  auch  in  unserei^ 
Tom  Staate  unabhängigen  Yerhältnissen  Stützen  hat, 
die  ihr  Sicherheit  und  Freiheit  der  Bewegung  geben. 
So  ein  englieher  Sachwalter,  Hichter,  Parlamentsmaun 
wird  nichts  vermögen,  wenn  er  ni^lit  innere  Kraft  hat, 
nndrdie  Natur  seiner  Wirksamkeit  hängt  weit  weniger 
von  der  Bahn,  auf  die  er  gestellt  ist,  als  von  ihm  selbst 
ab.  Und  diese  innere  Bedeutung  findet,  dort  überall 
Bahnen  und  haltende  Stützen,  wenn  sie  einmal  zur  An- 
erkeimung  gedrungen  ist.  Alich  die  Bemerkung  drängt 
sich  noch'  auf,  Vie  unfruchtbar  es  seih  wiirde,  wollte 
man  eine  ähnliche  Gallerie  franzosischer  Staatsmänner 
auflfSbren.  Man  spricht  von  den  Talenten^  welche  die 
franzosische  Revolution  ans  Licht  gerufen;  nur  in  mili^ 
tairischer  Beziehung  ist  es  wahr;  in  staatsmännischer 
Hinsicht  zeigt  sich  eine  Entsetzen  erregende  Armuth, 
die  von  geistvollen  Beobachtern,  z.  B.  von  Huber, 
schon  in  der  glänzendsten  Periode  der  Revolution,  zur 
Zeit  der  constituirenden  Nationalversammlung,  bemerkt 
wurde. 

Bülau. 


LVIII. 

Entwicklungsgeschichte  der  Natter  (CoUiher  Neu- 
trixj  von  Dr.  Heinr.  Rathke,  KönigL  Pretifs. 
Medizinalrathey  Professor  an  der  Universität 
zu  Königsberg y  Ritter  des  Annen-  und  des 
TVladimir  Ordens*  Mit  sieben  Kupfertafeln. 
Konigsbergy  1839.    232  8.    4. 

Wie  in  der  organischen  Entwickelung  ein  einfa- 
cher -Keim  die  zusammengesetzte  Gliederung  des  Gan- 
zen BUS  sich  hervortreibt,   so  ist  die  Geschichte  dieser 


Wickelungsgeschichte  eines  einzigen  Thiers  das  vielsei- 
tigste Interesse  gewähren»  indem- sich  daran  vergfat* 
chende  Betrachtungen  -  der  Metamorphosen  und  Ent- 
wickelungsstufen  im  ganzen  Thierreich  anknüpfen,  wo- 
durch die  Entstehungsart  des  Ganzen  und  der  Theik 
sich  aufklärt.  Mit  besonderem  Vergnügen  verweilt  nat 
hierbei,  wenn  man  einem  Meister  in  seinem  Fach,  wii 
es  Hr.  Ratlike  ist,  folgt,  der  die  Natur  treu  abschreibt 
und  im  natürlichen  Zusammenhang  wiedergiebt  Ei 
kann  dabei  freilich  nicht  fehlen,  däfs  bei  der  unendli* 
chen  Verzweigung  der  zu  verfolgenden  organiselten 
Produktionen  Manches  von  versciuedenen  Augen  ver- 
schieden angesehen,  nach  verschiedenen  Seiten  und  Rick* 
tungen  in  Zusammenhang  gebracht  wird,  allein  der  eins 
Faden  der  genetischen  Untersuchung  fuhrt  uns  dabei 
doch  Immer  wieder  auf  einen  Hauptpunkt  zurück,  des» 
sen  Gewinn,  dann  wieder  neuen  Forschungen  zum  Ur- 
sprung dient.  Die  Amphibien,  welche  einerseits  des, 
Schlufspunkt  einer  tieferen  Stufe  des  Thierreichs,  die 
in  den  Fischen  repräsentirt  ist,  andererseits  den  An- 
fangspunkt einer  höher  durch  die  Vogel  zu  den  Slu- 
gethieren  fortgehenden  Metamorphose  bilden,  eignen  Ak 
besonders  zu  einer  ^solchen  vielseitigen  Betrachtung  uai 
so  hat  denn  unser  Vf.  uns  hier  eine  Reihe  neuer  Er* 
scheinungen  vorgeführt,  die  auch  da  zu  weiteren  For- 
schungen anregen  können,  wo  man  ihre  Verfolgung  fioek 
nicht  für  abgeschlossen  hält,  lieber  die  Entwickdung 
der  Schlangen  hatten  wir  bisher  nur  einzelne  doch  werth-* 
volle  Beobachtungen  von  Emmert  und  Hochstetter,  r. 
Baer,  Volkmann,  und  besonders  hatte  Carus  in  des 
Tafeln  zur  vergleichenden  Anatomie  einige  sorglUtige 
Abbildungen  von  "Embryonen  der  Viper  und  Natter  ge- 
geben. Sie  sind  ganz  schneckeufSrmig  Im  El  gewnü- 
den,  wie  auch  schon  der  Schwanz  der  Eidechsen.  Di-* 
ser  Verf.  verfolgt  nun  die  Entwickelung  aller  StaduSi 
mit  Ausnahme  der  frühesten,  und  aller  inneren  ^Orgaseii,' 
so  dafs  Tfir  ein  vollständiges  Bild  aller  inneren  und 
äufseren  Metamorphosen  bis  zur 'Geburt  aus  dem  B 
erhalten.  Die  nächsten  Analogieen  der  früheren  Pe* 
rioden  dieser  Entwickelung  finden  sich  am  bebrotetis 
Hühnchen  und  die  erste  Form  der  Embryonen  beidci 
ist  noch  wenig  zu  unterscheiden.  Insbesondere  seft 
die  Keimfaaut  einen  GefSfshof  mit  einer  Kranzader  (Si- 


7W 


ttAhke^  EntwickelungMgeMehieAte  der  Getier. 


758 


IMI9  t0nMHii}Is)  \ile  heha  Hüneredibr jo.  In^  der  Ent- 
wiekelungsperiode,  aus  welcher  Hr.  Rathke  ,die  frühe« 
■Im  Sehlangedeier  sur  Diitersuchiing  erhalten  konnte^ 
war  Bwar  der  äinus  tenninalis  wie,  ein  völliger  Kreis 
gSnsUeh  geeeblossen  und  der  Smu»  zeigte  sich  als  ein  weni« 
ger  ausgebildetes  Gefitni  ab  beiin  bebruteten  Hahnchen  ; 
alleia  hierbei  erlauben  wir  uns  die  Bemerkung,  dafs 
dies  aus  einer  Periode  der  schon  vorgeschrittenen  Herz- 


deii.  Wa9  nun  im  Allgemeinen  die  Eigenthuralichkeit 
der  Entwickelang  der  ^attereier  betriflft,  so  nimmt  der 
Embryo  schon  einen  gewissen  Grad  der  Entwickelung, 
während  die  Eier  noch  im  Leibe  der  Mutter  befimjlieh 
sind  und  die  Eier  werden  erst  gelegt,  wenn  sich  am 
Embryo  bereits  4  Paar  Kiemenoffoungen  gebildet  haben, 
so  dafs  der  Vf.  die  früheren  Entwickelungsperieden  an 
solchen  Eiern  beobachtete,  die  aus  dem  Lfcibe  der  Mut» 


büdimg  ist,  und  dals  der  Tf.9   wenn  ihm  aus  früheren   ,ter  geschnitten  waren.     Nach   dem  Legen  dauert  die 


Perleden  Embryonen  sur  Untersuchung  zu  Gebote  ge* 
atanlden  kitten,  wehl  dieselben  Verhältnisse  wie  beim 
bebruteten  Hühnchen  würde  bemerkt  haben.  Denn  auch 
beim  bebrüteten  Hühnchen  findet  sich  die  gröfste  Ent- 
wiekelung  des  Sinus  tenninalis  vor  der  vollendeten 
HersbiMung,  wo  der  Sidus  terminalis,  gleich  dem  Ge- 
fäbkreise  der  Medusen,  die  höchste  Eutwi^keluhgsstufe 
des  peripheritchen  Theils  des  GefAfssystems  repräsen- 
tirt«  Mit  der  steigenden  Hersentwtckelung  und  der 
damit  hervortretenden  centralen  Cirkulation  aber  nimmt 
der  Sinus  auch  beim  bebrüteten.  Hühnchen  an  Gröfse 
ab  und  schwindet  am  Ende  ganz  und  gar,  wie  wir 
denn  diese  Metamorphosen  des  Sinus  terminalis  beim 
bebruteten  Hühnchen  im  System  der  Cirkulution  aus- 
führlich beschrieben  und  auch  auf  Taf.  5.  u.  6.  abge* 
blMet  haben.  Mit  dieser  Metamorphose  hängt  auch 
soeammen^  dafs  nur  ursprünglich,  wo  sich  vom  Kopf« 
ende  aus  der  Sinus  gegen  die  Wirbelsäule  einschlägt, 
um  hier  das  Herz  zu  bilden,  an  dieser  Stelle  eine  breite 
Spalte  im  Rande  des  Gefäfshofes  sich  zeigt,  welche 
Spalte  dann  durch  die  zwei  vom  Siausumschlag  zum 
Hersen  gabelförmig  gehenden  Venen  begrenzt  wird. 
Später  aber  zieht  sieh  der  am  Herzen  befindliche.  Stamm 
dieser  Yeiien  gegen  die  Peripherie  in  die  Länge  und 
die  briden  Gabelzweige  rücken  am  Ende  dadurch  gegen 
den  Sinus  wieder  heraus,  so  dafs  nun  auch  beim  be« 
brüteten  Huhnchen  die  Spalte  im  Gefäfshofe  wieder 
vetlllg'  geschlossen  erscheint  Aus  dieser  Periode  der 
Entwiekelung  war  nun  wohl  der  Embryo,  den  der  Tf. 
mit  ganz  geschlossenem  Sinus  abgebildet  hat,  so  dafs 
Mcfa  hier  wohl  keine  Verschiedenheit  vom  bebrüteten 
Hühnchen  wird  abnehmen  lassen.  Auch  das  Herauf« 
treten  einer  dritten  unteren  Vene  vom  l^chwanzende  des 
Sinus  zum  Herzen,  findet  sich  sehr  häufig  beim  bebrü- 
teten Hühnchen,  ähnlich  wie  bei  Schlangen  von  dem 
Vf.  angegeben  wird,  und  ist  von  mir  abgebildet  wor- 


Entwickelung  bis  zum  Auskriechen,  wie  auch  sehoi| 
Carus  und  v.  Baer  beobachteten ,  zwischen  2  —  3  Mo- 
nate,  je  nach  den  verschiedenen  äufsem  Temperatur- 
verhältnissen. Die  Schalenhaut  /der  Schlangeneier  zeigt, 
ähnlich  wie  bei  Schildkröten  und  Vogeteiern,  eine  Zu- 
sammensetzung aus  8 — 10  dünnen  Schichten,  von  denen 
vielleicht  anzunehmen  ist,  dafs  sie  sich  durch  eine  Art 
Häutungsprocefs  der  Eier  bilden,  wie  denn  ja  die  Hai- 
fischeier sogar  schon  Kiemenspalten  zum  Athemholeu 
haben.  Die  Schalenhaut  ist  lederartig  biegsam ,,  doch 
lagert  sich  auf  ihr  um  die  Zeit  des  Legens  eine  Eiwetfs- 
schicht,  welche  ganz  mit  kohlensaurem  Kalk  angefüllt 
ist,  ab,  wodurch  dann  die  Eier,  welche  in  ganzen  Hau- 
fen gelegt  werden,  zusammenkleben  und  indem  diese 
Ueberzugsmasse  erhärtet,  dadurch  so  fest  zusammenge- 
kittet werden,  wie  man  es  sclion  früher  an  diesen  Eiern 
kannte,  von  denen  ein  ganzes  Nest  vpU  in  einem  ein-, 
zigen  Klumpen  zusammengeballt  ist  Der  Verf.  giebt 
nun  die  spezielle  Entwickelungsgeschichte  der  einzel- 
nen Organe  in  der  Art,  dafs  derselbe  an  der  Entwicke- 
lung  des  Embryo  überhaupt  vier  Perioden  unterscheidet 
und  dann  in  jeder  einzelnen  Periode  die  Zustände  der- 
verschiedenen  inneren  Organe  durchgeht.  Die .  erste 
Entwickelungsperiode  wird  von  der  Entstehung  des 
Embryo  bis  zur  Ausbildung  der  vierten  oder  letzten 
Kiemenspalte  gerechnet,  wobei  jedoch  zu  bemerken  ist^ 
dafs  der  Verfasser  die  frühere  Zeit  dieser  Entwicke- 
lungsperiode nicht  untersuchen  konnte^  sondern-  nur 
Embryonen  aus  dem  Ende  dieser  Periode  beschreibt./ 
Die  zweite  Periode  geht  bis  zum  Yerwachsen  sämmt- 
licher  Kiemenspolten,  die  dritte  bis  zum  Färben  der 
Haut,  die  vierte  bis  zum  Auskriechen  aus  dem  Eie. 
Obgleich  es  der  natürliche  Gang  der  Beobachtung  ist, 
dafs  man  die  Entwickelungsstufen  der  verschiedenen 
inneren  Organe  gleichzeitig  neben  einander  hat,  auch 
die  Verhältnisse  der  verschiedenen  Organe  zu  einander 


759 


Rathke^  EnttoiekelungtgtteUiekte  der  NatNr» 


I 


häufig  eine  ßücksicht  auf  den  Zusaaunenhang  aller  Or- 
gane in  einerEutwicklungsperiode  erfordern^  so  hat  es 
doch  für  die  wissenschaftliche  Darstellung  und  noch 
mehr  für  das  Studium  solcher  Darstellung  eine  grofse 
Unbequemlichkeit,'  dafs  man  nicht  die  Entwickelung  ei- 
nes organischen  Systems  in  einem  Zuge  durch  alle 
Entwickelungsperioden  hindurch  verfolgen  kann.  Die 
Darstellungsweise  des  Yfs.  ist  nach  dem  von  Hrn.  von 
Baer  gegebenen  Vorbilde,  erschwert  aber  das  Studium 
aufserordentlichs  so  dafs  man  im  Schweifse  des  Ange- 
sichts die  ganze  saure  Arbeit  der  unierbrochenen  und 
slückweisen  Beobachtung  wieder  durchmachen  mnfs, 
bevor  man  sich  das  Bild  von  den  Entwickelungsstufen 
eines  Organs  zur  reinen  und  klaren  Anschauung  brin- 
gen kann.  Hr.  v.  Baer  selbst  hat  sich  und  seinen  Le- 
sern durch  jene  Methode  die  Arbeit  erschwert,  und 
indem  sein  weiterschauender  Blick  das  Bedürfnifs,  die 
Entwickelungsstufen  eines  organischen  Systems  in  einer 
naturlichen  Reihe  beisammen  zu  haben,  wohl  gefühlt 
hat)  so  hat  er  demselben  dadurch  abzuhelfen  gesucht, 
'  dafs  er  nach  Abhandlung  der  Entwickelungsgeschichte 
des  Ganzen,  dann  noch  wieder  auf  den  zusammenhän- 
genden und  untrennbaren  Verlauf  der  Entwickelung  der 
einzelnen  Systeme  hat  zurückkommen  müssen,  wobei 
denn  die  ewigen  Wiederholungen  dessen,  womit  man 
schon  fertig  zu  sein  glaubte,  unvermeidlich  sind.  Und 
so  legen  wir  denn  auch  unserem  Verf.,  wie.  einem  auf- 
richtigen Freund,  frei  das'Geständnirs  ab,  döfs  es  uns 
sauer  geworden  ist,  durch  die  immer  von  der  Zusam- 
menstellung aller  unterbrochene  Geschichte  eines  Sy- 
stems hindurch  das  Werk  zu  studiren,  und  dafs  nur 
das  Interesse  an  den  naturhistorischen  Goldkörnern, 
die  man  auf  diesen  Kreuz  -  und  Querwegen  findet,  un- 
sere Aufmerksamkeit  hat  rege  halten  können.  Offen- 
bar wäre  für  die  Entwickelungsgeschichte  diejenige 
Methode  entsprechender,  welche  man  längst  in  der  ver- 
gleichenden Anatomie  befolgt  hat,  und  die  besonders 
musterhaft  von  Carus  ausgeführt  worden  ist,  dafs  man 
nämlich  die  Geschichte  eines  und  desselben  Systems 
im  ununterbrochenen,Zusammenbange  durch  alle  Thier- 
klassen  hiudurchfuhrt,   weil  auf  diese  Art  die  Analo- 


gieen  und  Uel^ergangsstufen   in  dem  Metamorphaien* 
gange,  worauf  es  ja  besonders  ankommt,  am  deutlidi. 
sten  hervortreten.     Hierbei  ist  dann  ein  separates  Zu- 
sammenfassen der  Verhältnisse  aller  Systeme  uater  eh* 
ander  leichter  möglieh,    und  man.  ist  im  Stande,  das 
Bild  des  Ganzen  aus  den  einzelnen  aber  voUttandipi 
Elementen    leichter   zusammenzusetzen.     Für  vueNi 
.  Zweck  hier   scheint  es  nun   nicht  möglich,  dem  T«{, 
durch  den  Gang  seiner  Entwickelungsperioden  zu  Til- 
gen, weil  wir  auf  diese  Art  unseren  Lesern  schwettkk 
eine  Idee  von  dem  wahren  Werth  vorliegender  Bdirift 
verschaffen  würden,  und>  wir  ziehen  es  daher  vor,  anl 
die  wichtigsten   Ergebnisse   für  die  Entwickeluof^ 
schichte  der  einzelnen  Systeme  durch  alle  Stufen  Uh 
durch  aufmerksam  zu  machen.    Am  meisten. Int^eiN 
scheinen  die  Resultate  4er  Beobachtungen  des  Vctk 
über   das  Skelett  und    über  die   Bildung  der  Ye&ei^ 
Stämme  zu  haben,   und  wir  besitzen  auch  über  dioi 
beiden  ^Gegenstände  hereits  weiter  ausgeführte  vergk^ 
chende   Betrachtungen  von   demselben  in   den  dritte 
und  vierten,  im  Jahr  1838  und   1839  abgestalteten  Bfr 
richten  über  das  naturwissenschaftlicher  Seminar  bei  ir 
Universität  zu  Königsberg,  worauf  wir  uns  hier  gleiA» 
zeitig  beziehen. 

Bei  der  Skelettent Wickelung  hatte  natürlich  ii 
Bildung  des  Schädels  und  die  Entstehung  seiner  Oh 
seinen  Theile  aus  metamorphosirten  Rüekenwirbehi  lii 
vorzügliches  Interesse,  und  diesem  Gegenstande  bat  iä 
Verf.  eine  besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet.  0« 
Resultat  dieser  Untersuchungen  ist,  dafs  zwar  (ik(^ 
haupt  der  Schädel  auch  durch  die  Entwickelung^ 
schichte  die  Metamorphosen  der  Wirbel  erkennen  li&^ 
dafs  aber  nur  der  hinterste  Schädelwirbel,  nämlich  Ai 
Hinterhauptbein,  eine  in  fast  allen  Stücken  einem  Bit 
kenwirbel  analoge  Zusammensetzung  zeigt,  dafi  ata 
dann  das  hintere  und  das  vordere  Keilbein  und  lü 
Riechbein  in  der  Reihe,  wie  sie  v^n  hinten  nach  f«i| 
folgeil,  eine  immer  gröfsere  Abweichung  von  dem  fl^i 
ne,  nach  welchem  die  Ruckenwirbel  gebildet  sind,# 
kennen  lassen,  so  dafs  das  Riechbein  der  WirbelbildHl 
am  unähnlichsten  ist. 


,    (Die  Fortsetzung  folgt.) 


J^  96. 

J  ä  h  r  b  tt  c  her 

für 


wiss  en  schaftlich  e    Kritik. 


Mai  1840- 


s 


Mntwickelungsgeächichte  der  Natter  (Coluher  Na- 
trup)  von  Dr.  Hemr.  Rathie. 

(Fortsetzung.) 

Die  Gallertsäule  nämlich,  welche  bei  den  Knor- 
pelfischen bleibend  die  Axe  der  Wirbelsäule  bildet,  und 
'welche  nach  y.  Baers  richtiger  Unterscheidung  auch  in 
den  Embryonen  aller  übrigen  mit  einem  Knochenske- 
lette rerseheDeh  Wirbelthiere  in  Form  der  Wirbelsaite 
oder  Chorda  vertebralis  die  ursprungliche  Grundlage 
äer  später  verknöchernden  Reihe  von  Wirbelkörpem 
Ist ;  reicht  auch  über  die  Wirbelsäule  zwar  noch  bis 
in  die  Basilartheile  der  Kopfwirbel  hinein,  alier  doch 
•o,  dafs  sie  im  Hinterhaupt  zwbchen  den  Ohren  auf- 
1i5rt,  so  dafs  nun  die  Rpihe  der  übrigen  Kopfwirbel 
ifch  als  Fortsetzung  über  das  Ende  der  Wirbelsaite 
hinauf,  abweichend  von  den  Ruckenwirbeln  entwickelt. 

Die  Rückenwirbel  selbst  nämlich  bilden  sich  an  der 
Seheide,  welche  in  Form  einer  Gallertröhre  die  Chorda 
als  deren  Axe  umgiebt,  indem  sich  zvl  beideü  Seiten 
eine  Reihe  Ton  Halbringen  bildet,  die  dann  nach  oben 
und  unten  um  die  Chorda  sich  entgegenwachsen  und 
lu  Ringen  verbinden,  welche  sich  zu  den  Körpern  der 
Wirbel  ausbiiden.  Diese  senden  dann  nach  oben  seit- 
Hch  ein  Paar  hörnerartige  Bogen  ab,  welche  das  Rücken- 
mark umschlielsen  und  sich  zu  den  oberen  Wirbelbo- 
gen ausbilden,  und  ähnliche,  aber  weitere,  Bogen  nach 
unten  (untere  Wirbelbogen)  die  sich  zu  Rippen  umbil- 
den. Die  Scheide  der  Wirbelsaite  gliedert  sich  auf 
diese  Art  zu  einer  Reihe  von  Bingen,  die  sich  dann 
nach  Innen  ausftiUen^  die  Chorda  absatzweise  einschnti- 
ren  und  am  Ende  verdrängen,  bis  die^  festen  Wirbel- 
kdrper  daraus  entstehen  *).    Bei  der  Natter  bildete  sich 

*)  Mit  det  nrsprungliclicii  RingbilduDg  der  Wirbtlkörper,  deren 
Kern  erst  später  erhärtet,  scheint  die  merkwiirdij^e  Beobach- 
tung des  Vfii.  zosftnmenznhftogeii,  dafs  der  KSrper  (die  Axe) 
des  Atlas  si<h  später  abldit  und  zum  ZabnforUatz  des  EpI- 
strophäns  durch  Verwachsung  mit  diesem  sich  metamorphosirt. 
Jahrb.  f.  witiensch,  Kritik.   J,  1840.     I.  Bd. 


jederseits  nur  1  Halbring  um  die  Chorda,  nicht  zw^i 
Stucke,    wiö  es  v.  Baer  bei  Fischen,  gesehen..    Wo 
abSr  die  Wirbelsaite  in  den  Schadet  endet,  bilden  sich' 
nicht  weiter  solche  Halbringe,  sondern  die  Scheide  der 
Chorda  setzt  sich  ohne  Axe  über  die  Ohren  hinaus 
fort  und  ^eht  in  eine  breite  Platte   oder  Tafel  über, 
die  bb  an  die  Einknickung  des.  Gehirns  um  den  >Tricb- 
ter  reicht.    Später  zeigten  sich  von  dem  vorderen  Ende 
dieser  Tafel  drei  Fortsätze  ausgehende  die  der  Yf.  Bal- 
ken des  Schädels  nennt.    Der  mittlere  biegt  sich  gegen  * 
die  Einknickung  des  Gehirns  hihauf;  die  beiden  seitli- 
ehen gehen  leierfdrmig  erst  auswärts,  dann  wieder  zu- 
sammengebogeii  nach  vorn  und  enden  wieder  in  aus- 
wärts gebogene  stumpfe  Spitzen,    Zwischen  die  Bogen 
dieser  Balken  legt  sich  der  Ilirntrichter.     Zu  beiden 
Seiten   des   hinteren  tafelförmigen  Theils   bilden  sieh 
hinter  den  Ohren  die  Seitenbogen  des  Hinterhauptkno« 
chens  als  direkte  Ausstrahlungen,  ähnlich  den  oberen 
Wirbelbogen;  zu  den  Seiten  der  Balkenbogen  vor  den 
Ohren  entstehen  die  hinteren  KeilbeinflGgel,^  zwar  iso- 
lirt,  doch  an  Stelle  der  Ausstrahlungen  ab  Wirbelbö- 
gen,   und  seitlich  der   vorderen  Vereinigungsstelle  der- 
selben die  vorderen  Keilbeinflögel  und  zuletzt  an  den 
Spitzenbogen  das  Siebbein.    Der  Basilartheil  des  Hin- 
terhäuptknoQhens  entsteht'  in  dem  tafelförmigen  Theil, 
die  Körper  der  beiden  Keilbeine    entstehen    zwbchen 
und  um  die  leierformigen  Balken  in  einer  Reihe.    Eine 
ähnliche  cmbryonbche  Kopfknorpelbildung  bt  bei  den 
cyclostomen  Knorpelfischen  bleibend.    Hiernach  nimmt, 
nun  der  Vf.  vier  Schädelwirbel  an :  nämlich  Hinterhaupt- 
bein, hinteres  und  vorderes  Keilbein  und  Siebbein.   Das 
knöcherne  Ohr  vergleicht  der  Vf.  mit  den  Sohaltknochen- 
stücken,    die  sich  bei  den  Stören  und  Haifischen  zwi- 
schen den  Schenkeln  der  Wirbelbogen  bilden,  und  wel- 
che einen  von  den  Wirbeln  selbst  verschiedenen  Ent* 
wickelungsgang  nehmen.    Auch  die  Schuppe  des  Hia«. 
terhauptknochens,  die  Scheitelbeine  nnd  Stirnbeine  be- 

96 


763 

trachtet  der  Vf.  als  8cbaItknoch«B,  di«  tu  d«n  Seiten- 
theQen  des  Hinterhaupts,  den  hinteren  'und  vorderen 
Keilbeinflögeln  gehören,  so  daft  sie  die  drei  Knoehen- 
wir^^elringe  um  das  Gehirn  nachgeben  sehliefsen*  Das 
SIehbeln  scigt  keine  solch«  RingeiKwisk«lung,  um  einen 
Hirntheil  zu  umschliefsen,  wird  aber  als  ein  madifizir- 
ter  Wirbel  betrachtet,  weil  es  sich  noch  in  der  Verlän- 
gerung der  Scheide  der  Rüokenwirbelsaite  bildet.  Die 
Gaumenbeine  und  unteren  Flugelbeine  des  Keilbeins 
bilden  sich  in  seitlichen  Ausstrahlungen,  die  Ton  den 
mittleren  Theilen  der  Basilarstücke  oder  den  WirbeU 
k&rpem  des  Schädels  nach  unten  rippenartig  ausgehen 
und  werden  daher  als  Kopfrippen  betrachtet.  Die  Ent- 
wickelung  der  Ober-  und  Unterkie/er  hängt  mit  diesen 
Kopfripjpen  (unteren  Wirbelbögen)  zusammen  und  beide 
w^erden  von  dem  Yf.  als  Belegungsknochen  rippenarti- 
ger Bogen  betrachtet,  die  an  den  wairren  Rumpfrippen 
weiter  keine  Analogie  haben.  Sicher  aber  bilden  sich 
die  Kiefer  ganz  unabhängig  von  dem  Kopftheil  der 
Scheide  der  Wirbelsaite  und  können  nicht  zur  wirkli- 
chen Wirbelbildung  gerechnet  werden. 

Denkt  man  daran  diäse  vom  Yf.  gegebene  Deutung 
der  Kopfknochen  als  metamorphosirte  Wirbel  mit  den 
Ansichten  zu  vergleichen,  welche  theils  Ton  den  Urhe- 
bern, theils  von  den  Nachfolgern  der  Idee,  dafs  die 
Schädelknochen  metamorphosirte  Wirbel  sein  müfsten, 
gegeben  worden  sind,  so  eröffnet  sich  hier  ein  Feld 
von  Untersuchungen,  dessen  Yerbreitung  und  Ausdeh- 
nung immer  gröfser  wird,  je  mehr  nlan  zu  den  Ein- 
zelfiheiten  übergeht,  und  um  das  Ganze  zur  klaren  Ueber- 
sicht  zu  bringen,  weifs  man  kaum  wo  man  am  besten 
anfangen  und  noch  viel  weniger,  wie  man  damit  enden 
kann.  Dennoch  drängt  sich  eine  solche  Arbeit  fast  ge- 
waltsam auf,  wenn  man  mit  der  Sache  aiu:h  nur  theil- 
weise  ins  Reine  kommen  will,  und  um  so  mehr,  da 
das  grofse  Interesse,  welches  eine  so  vielseitige  Theil- 
nahme  an  diesen  Untersuchungen  erweckt  hat,  schon 
die  Wichtigkeit  und  Bedeutung  des  Gegenstandes  be- 
kundet. Wir  wollen  also  einen  Yer^uch  machen,  in 
wenigen  HauptzQgen  die  verschiedenen  Deutungen  des 
Kopfs  als  Wirbelsäule  zusammenzustellen^  wobei  wir 
denn  bald  erblicken  werden,  dafs  eine  allgemeine  Ueber« 
cinstimmung  fast  nur  in  dem  Einen  Punkt  zu  finden 
ist,  dafs  überhaupt  Metamorphosen  der  Rückenwirbel 
im  Kopfe  wiederkehren,  dafs  aber  in  der  besonderen 
Deutung  der  einzelnen  Theile  sich  überall  Abweichun- 


Rathke^  Entwiekdungsgetehiehte  der  Natter. 


764 


gen  finden,  wonift  denn  die  grofse  .Schwierigkeit  1er 
Sache  schon  von  selbst  einleuchtet.  P.  Frank  scirntt 
die  Idee  der  Yergleichung  des  Sohädels  und  der  Wir« 
bekäule  zuerst  angeregt  zu^  haben.  F.  Frank  jedodi 
wollte  nicht  den  Kopf  auf  die  WirbekSule  zaraddift- 
ren  und  die  Schadelknochen  ab  metamorphosirte  Wi^ 
bei  betrachten,  sondern  er  sprach  das  Yerhältnib  so 
aus,  dafs  umgekehrt  die' Rückenwirbel  als  Schäddn 
deuten  seien^  deren  jeder  sein  eigenes  Hirn  einseUieisc^ 
HO  dafs  nach  ihm  das  Aückenmark  ans  einer  Reihe  vei 
Ganglien  gebildet  ist,  deren  jedes  ein  Gehirn  repriieip 
tirt  und  folglich  auch  seineaSchädel  hat.  Frank  woHle 
also  nicht  die  Gehimbildung  auf  das  Rückenmark  n- 
rnckbripgen^  sondera  die  Rückenmarkstheile  zu  Gekir* 
nen  erheben.  Wir  lassen  es  unentschieden,  ob  die  enli 
weitere  Durchfuhrung  der  Idee,  dafs  der  Scbftdd  cbk 
Wirbelsiule  sei,  dem  groCsen  Dichter,  v.  Goethe,  oder 
dem  philosophischen  Naturforsdier,  Oken,  zuzoschid* 
ben  ist,  allein  die  Betrachtung  der  Darstellungen,  durck 
welche  Oken  und  v.  Goethe  die  Sehädelwirbel  erid» 
ren,  zeigt  sogleich,  'dafs  beider  Ansichten. gänziidim 
einander  abweichen,  und  dafs  schon  in  dieser  Abm* 
chung  der  Grund  aller  späteren  WidersprSehe  m  die- 
ser Sache  zu  finden  ist.  v.  Goethe  nämUofa  sagt,  « 
seien  überhaupt  $  Wirbel  vorhanden,  von  denen  dni 
das  Gehirn  einschliefsen  und  als- Hinterhaupt  bu  betrack* 
ten  seien,  drei  aber  das  Yorderhaupt  oder  dasGeAk 
bilden.*  Ab  die  ersteren  drei  Wirbel  werden  das  Hii- 
terhauptsbein,  das  hintere  Keilbein  und  das  vofdflR 
Keilbein  betrachtet ;  die  letzteren  sind  durch  das  fiai- 
menbein,  die  Oberkiefer  und  die  Zwischenidefer  dai|»> 
stellt.  Der  Unterkiefer  bleibt  von  Goethe  ungedcvltf. 
Qken  aber  sagt,  es  sind  vier  Sehädelwirbel,  enup** 
chend  den  vier  dem  Kopf  angebörigen  Sinnesorgssoi: 
nämlich  von  vorn  angerechnet  1)  Nasenwirl»el,  alle  Na» 
senbeine;  2)  Augenwirbel,  erstes  Keilfodn  w|d  StiA* 
bein;  3)  Zungenwirbel,  zweites  Keilbein  und  Schsild» 
bein;  4)  Ohrwirbel,  Hinterhauptsbeine.  Die  KieCerkl^ 
chen  aber  sind  die  im  Kopf  Miederkebrenden  Gliedaa» 
ften,  die  Oberkiefer  den  Armen,  die  Unterkiefer  ds 
Füfsen  entsprechend,  und  als  Kopfsehuherbiatt  wA 
man  die  drei  Stücke  des  Schläfenbeins :  die  Sefavii|M^ 
das  Warzehbein  und  das  Paukenbein  ansehen.  Ctt« 
sowohl  in  seiner  vergleichenden  Anatomie  als  audi  i> 
seiner  berühmten  Schrift  ifber  das  Schttdel-  imd  lü^ 
belgerüst,  ist  im  Wesentlichen  Goethe  gefolgt  und  hA 


/    - 


765 


Rmthkey  EntwiobekmgtgeteiUeAt«  Jer  2Va(t«r. 


'66 


_  I 

die  Tergleiditing  toh  6  Kopfwirfcelii  diireh  alle  Ein« 
selnheUen  dnrehgeföltrt,  giebt  aber  Euglekh  auch  dem 
Unterkiefer  ^ie  Bedeutung  der  KopfextremHät,  wobei 
deim  dieser  tob  dem  Oberkiefer  gaoz  ^eCremit  er- 
«dieiiit,  iodem  der  letztere  als  Kopfrippe  belraehlcft 
wird.  Aufserdem  aber  unterschfidet  Carue  swisctiefi 
je  sweieii  seiner  drri  Kopfwirl>el  noch  eine  Reilie  von 
Zwisehenwirbeln,  zu  denen  hinten  Torzuglieh  das  Schlä- 
fenbein  gehört.  Spix  dagegen  in  der  Cephalogenesis 
vnid  die  fraazSsisohea  Naturforseher,  uhter  denen  vor- 
sQglieh  Dumeril,  Blainville  und  Geoffroy  St,  Hilaire  zu 
ndmen  sind,  schliersen  sich  in  ihren  Untersuchungen 
mehr  an  die  Deutungsweise  von  Oken,  namentlich  in 
Betreff  der  Gesichtstheile  des  Schädels,  doch  mit  yie« 
len  Abweichungen  im  Speziellen,  so  dafs  Spix  z.  B., 
nur  drei  eigentliche  Kopfwirbel  statuirt,  mit  Weglas« 
sung  des  Siebbeins,  BlainTille  aber  noch  einen  fünften 
hinzufügt,  entsprechend  dem  foramen  condyloideum  und 
den  hinteren  Cielenkiheilen  des  Hinterhauptbeins. 

Das  Princip  dieser  beiden  Deutungsweisen  ist  darin 
Terschieden,  dafs  Carus  die  drei  eigentlichen  Schädel- 
wiriiel  den  drei  Gehimabtheilungen  entsprechend  gebil- 
det glaubt,  als  welche  die  Hemisphären,  die  Vierhugel 
und  das  kleine  Gehirn  betrachtet  werden;  Oken  dage- 
gen und  Blainville  nur  auf  die  Sinnesnerven  des  Gehirns 
dabei  sehen,  so  dafs  diese  gleich  den  Rückenmarksner- 
Ten  durch  Spalten  zwischen  den  entsprechenden  Wir- 
belbogen gehen,  die  sie  sich  als  später  zu  Lochern  ver- 
wachsen denken,  so  dab  die  Wirbel  den  Sinnesorga- 
nen entspreiehän,  deren  Nerven  .durch  die  Löcher  ihrer 
Querfortsätze  gehen.  Beide  Principien  sind  aber  im  We- 
aentllchen  osteologisch  d.  h.  durch  Yergleichung  der 
Knochenmetamorphoseh  bedingt,  wobei  man  sich  das 
Skelett  ab  eine  Grundlage  fQr  die  Bildung  der  Organe 
denkt  Carus  hat  diese  Ansieht  des  Knochengerüsts 
am  meisten  durchgeführt  in  der  Unterscheidung  seiner 
drei  Skelettfonuen  des  Nerven-,  Eingeweide-  und  Haut- 
Skeletts  und  besonders  in  der  Sonderung  von  drei  Wir- 
beltypeu:  der  Urwirbd,  und  der  Sekundarwirbelsäulen 
(lÜppen  und  obern  Wirbelbogen),  Ton  denen  dann  als 
TertiarwirbelYerbindungs -Glieder  zwischen  beiden  ent- 
stehen ^  zu  denen  die  Wirbelkorper  gerechnet  wer- 
den. Das  Knochengerüst  wird  hier  als  ein  für  sieh 
bestehendes  und  sich  aus  sich  selbst  typisch  entwickeln- 
des System  betrachtet  und  die  Wiederkehr  der  Urwir- 
bel  iind  Sekundarwirbel   in  allen  organischen  Haupt- 


qrsteoien  gesudit  Aber  auch  bei  Oken  ist  das  Bestre- 
ben die  Wiederkehr  der  Runpfiprirbettbule  und  der 
Extremitäten  auch  in  der  Eopfwirbelbildung  durch  ostee». 
logbehe  Anaiegieen  zu  suchen  vorwaltend«  Dennoch 
aber  ist  die  Abweichung  in  der  Deutung  'der  eigentll- 
ohen  Gehimschädelwirbel  nach  diesen  Tcrsdiiedenen 
Ansichten  nur  gering,  gegen  die  grofse  Abweichung  in 
der  Deutung  der  ^eeiohtsknochen,  in  denen  Einige  voru 
watteod  den  Gliedertypus,  Andere  den  Wirbeltypus, 
noch  Andere  den  Rippentypus  suchen.  \  Um  aus  dieseii 
▼erschiedeiienartigen  Ansichten  herauszufinden ,  glaube 
ich,  müssen  wir  uns  zuvorderst  aber  ein  Princip,  nach 
dem  man  zuerst  die  das  Gdkim  umschliefsenden  Sch&- 
delknochen  auf  Wirbel  zu  redueu*en  hat,  Fcrständigea, 
dann  aber  zunächst  das  Verhähnifs  der  Qesiehts*  und  be- 
sonders der  Kieferknochen  zum  Schädel  überhaupt  fest- 
stellen, bevor  wir  an  die  Deutung  der  etazelnen'  Kuo^* 
eben  gehen. 

Zunächst  glaube  ich  mufs  die  Idee,  den  Schftdel 
auf  den  Wirbeltypus  zurückzuführen,  gleichzeitig,  verw 
bunden  werden  mit  der  Analogie  zwichen  Rückenmark 
und  Gehirn,  so  dafs  die  Wirbelbildung  im  Sch&del  nur 
als  den  Metamorphosen  des  Rückenmarks  in  ^a  Ge- 
hirn  parallel  gebend,  betraelitet  weiden  darf.  Die  Scha- 
delwirb^lbildung  darf  nicht  allein  osteologisch,  sondern 
mufs  nothwendig  auch  phrenologisch  entwickelt  werden« 
Audi  scheint  die  Idee  der  Wirbelbildung  im  Schädel  sich 
zwar  nnbewufst,  aber  doch  ganz  parallel  der  Idee  der 
Büokenmarksganglieubildung  im  Gelürn  eotwickelt  zu 
haben.  GaU  scheint  nach  Frank,  durch  seine  phreno- 
logisch^anatomisohfmBemaliungea,  die  Ganglienbildung 
im  Gehirn  nachzuweisen  und  das  Gehirn  als  metamor« 
pfaosirtes  Rückenmark  darzustellen,  den  ersten  Anstofs 
auch  zu  den  Ansichten  von  der  SchädelwirbelbiUung 
gegeben  zu  haben,  wenn  gleich  er  sie. nicht  durehg^ 
führt  hat,  und  ich  glaube,  dafs  wir  uns  vor  allen  Din- 
gen über  die  Bedeutung  der  Himtheile  als  metamorpfao- 
sirterRückenmarksgauglien  verständigen  müssen,  ehe  wir 
sicher  in  der  morphologischen  Osteologie  des  Kopfs 
fortgehen  können.  Die  nächste  Frage  bt,  ob  die  ge- 
wöhnlich sogenannten  drei-  oder  vier  Gehimabtheilun* 
gen  sich  auf  Bückenmarksganglien  zurückführen  lassen. 
Dazu  scheint  es  direkt  an  allen  Analogieen  zu  fehlen, 
sowohl  wenn  man  den  Bau  als  wenn  man  die  Funk- 
tionen betrachtet«  Die  Rückenmarksganglien  sind  nänik 
lieh  die  Ursprungsknoten  der  Nerven  und  beziehen  sich 


'67 


Rathke^  EniwicklunfigeMchichte  der  Nattior. 


als  solche  aaf  dieRQcken-Wirbelbildang  und  wie  sieh 
mit  dem  Beginn  des  Terlängerten  Marks  die  Nerven- 
nrspriinge  nndein,  ändert  sich  auch  die  Wirbelbildung. 
Wollen  wir  die  Rückenomrksganglien  im  Gehirn  wie- 
der suchen,  so  müssen  wir  uns  zunächst  an  das  ver- 
längerte Mark  halten  und  neben  wie  weit  dieses  im 
Geiiim  geht,  wobei  immer  die  .Nervenarsprünge  festzu- 
halten dnd.  Nur  soweit  als  die  Gebirnnenrenganglien 
gehen,  wird  also  auch  eine  wdhre  Wirbelbildung  zu 
finden  sein,  das  übrige  Gehirn  fordert  seine  besondere 
Schädelmetamorphosen.  In  diesem  Betracht  müssen- wir 
im  Allgemeinen  auf  den  Satz  von  Gall  zurückkommen, 
dafs  das  Gehirn  in  zwei  ganz  verschiedene,  in  sich 
-selbstständige  mit  eigenen  Funktionen  versehene  Theile 
zu  unterscheiden  ist,  von  denen  die  einen  Nerven  ab- 
geben, die  anderen  nicht.  Die  ersteren  bilden  das  Ner- 
Tensystem  der  Sinne,  die  andern  das  Seelenorgan, 
wir  müssen  sicherlich  im  Allgemeinen  annehmen,  dafs 
das  sogenannte  verlängerte  Mark  das  selbstständige 
Centralorgan  der  Sinne,  sei,  denn  alle  Sinnesnerven 
lassen  sich  mit  ihren  Ursprüngen  auf  das  verlängerte 
Mark  zurückführen.  Die  gemein  übliche  anatomische 
Torstellung,  das  verlängerte  Mark  als  ein  blofses  Ueber- 
gangs-  und  Verbindungsglied  zwischen  Rückenmark 
und  Gehirn  zu  halten,  müssen  wir  gänzlich  aufgeben, 
denn  diese  Verbindung  ist  keine,  andere,  wie  die  der 
einzelnen  Rückenmarksganglien  untereinander,  welche 
die  Selbstständigkeit  der  Ganglien  als  solcher  nicht  im 
mindesten  beeinträchtigt.  Die  MeduUa  oblongata  ist 
das  Sinnengehirh^  von  diesem  allein  ist  die  Schädel- 
wirbelbildung ursprünglich  abhängig,  die  ScAädelwir- 
bei  gehen  nur  so  weit  als  die  Sinneshirnganglien 
'gehen.  Das  Seelengehim  fordert  besondere  Metamor- 
phosen der  so  gebildeten  Wirbel  oder  vielmehr  Abwei- 
chungen des  Schädels  von  der  Wirb.elbildung,  aber 
keine  Wirbel  ursprünglich  für  sich  selbst.  Hier  ist  nur 
eine  schwierige  Frage,  wieweit  das  Sinnengehirn  in 
das  Seelengehirn  hineingeht,  wo  die  MeduUa  oblongata 
endet  und  welche  Theile  man  zum  Seelengehirn»  wel- 
che dagegen  zum  Sinnengebirn  zu  rechneu  hat.  Es 
wird  nicht  schwer  halten,  sich  zu  überzeugen,  dafs  ei- 
nerseits noch  das  obere  Paar  der  Vierhügel,  andrerseits 
die  Warzenkorper  und  der  Hirntrichter  die  Endungen 
der  Sinneshirnganglien  im  Gehirn  bilden,  lieber  diese 
ninaus   bilden    sich   die   Gehirnhemisphären  mit   ihren 


7fig 

Holen  und  eigenthümlichen  von  denen  der  Sume  ver- 
schiedenen  Ganglien  und  Commissuren,  ähnlich ,  ^ 
auch  das  kleine  Gehirn,  welche  beide  dann  von  mela- 
morphosirten  Stücken  der  oberen  Bogen  der  SiQDe^ 
-Wirbel  zugleich  überwölbt  werden.  Es  bt  hier  niek 
der  Ort,  diese  Art  der  Anschauung  von  der  Gehirneifr 
Wickelung  selbst  durch  die  verschiedenen  Stufen  a 
verfolgen,  nur  in  wie  weit  die  Schädel wirbelbiUaif 
diesem  entspricht,  wäreiMch  auseinanderzusetzen.  Zt> 
nSchst  sieht  mau,  dafs  die  Schädelwirbel  auf  die  soge- 
nannten Himmassen  oder  die  Theile  des  Seelengehim 
nicht  direkt  *  bezogen  werden  können ,  und  dafs  iiiiQ^ 
haupt  diese  Theila  den  Sinnesorganen  selbst  nicht  jp^ 
radezu  etitsprechen.  Alsdann  ergiebt  sich,  dais  da 
Schädelwirbel  den  Rückenwirbeln  bei  denjenigen  Tliie- 
ren  noch  am  meisten  entsprechen  werden,  wo  die  Sut- 
nesganglien  allein  fast  das  ganze  Gehirn  bilden,  dab 
aber  in  dem  Maafse  als  die  Sinnesganglien  von  dei 
Tbeilea  des  Sceleogehirns  überwölbt  werden,  auch  dit 
Schädelwirbel  und  besonders  ihre  Bögen  sich  mebt  Qflil 
mehr  metamorphosiren.  Daher  weichen  denn  aueh  dii 
vorderen  Schädelwirbel,  indem  das  Seelengehim  Qkr 
den  vorderen  Sinnesganglien  am  mächtigsten  sie|i 
hervorbildet,  auch  am  meisten  von  der  Rückenvi^ 
belbildung  ab.  Andererseits  macht  es  weniger  Schwte* 
rigkeit,  die  einzelnen  Wirbelkörper  in  der  Ba» 
des  Schädels,  als  in  den  Wölbungen  desselben  die 
metamorphosirtep.  Wirbelbögen  und  Dornfortsätze  sack 
ihrem  Urtypus  zu  erkennen.  Hiermit  hängt  zusaa- 
men,^dars,  so  gering  auch  die  Seelengehirnent\rft* 
kelung  über  den  Sinnesganglien  bei  den  niederen  Wir« 
belthieren  sein  mag,  dennoch  dadurch  die  Schädelwd- 
bung  überall  sogleich  weit  mehr  von  den  Rückeaiih 
beibögen  abweicht,  als  die  Schädelbasis  von  den  'Wk- 
belkörpern.  Die£s  zeigt  sich  zwar  schon  an  ausgebil- 
deten Schädeln,  aber  noch  deutlicher  tritt  es  iu  fa 
Entwickelung  hervor,  und  ich  will  daher  eine  hierha 
gehörige  Beobachtung  miltheilen,'  die  ich  häufig  bei  Ga^ 
legeuheit  der  Betrachtung  der  Fischembrjonen  voq.(^ 
prinus  erythrophthalmus  und  Perca  fluviatilis,  welds 
ich,  um  die  Genesis  des  GefäFssystems  zu  veransehaa^ 
liehen,  in  dem  System  der  Cirkulation  abgebildet  bah^ 
gemacht  habe.  Sie  betrifft  nämlich  die  verschiedene  Alt 
der  (Jeberwölbung  des  Rückenmarks  und  des  G^ 
birns   durch   die  Schädeldecke  und  die  Rückenplattia 


(Die  FortaetzuDg  folgt) 


J 


M  97. 

a  h  r  b  fi  c  h  e  r 


für 


¥iri8senschaftliche    Kritik 


Mai  1840. 


Entmekelungsgesehichte  der  Natter  (ColuherNo- 
trix)  von  Dr.  Hetur.  Rathkei. 

(Fortsetzung.) 

Die  Rückcnplatten  legen^  sich  Dämlieh  der  Länge 
nach  von  beiden  Seiten  um  das  Rückenmark  so  zusam- 
men, da£s  man  anfänglich  noch  die  bekannte  Längs- 
tpalte der  Wirbelbpgenreihe  deutlich  sieht.  Die  Sciiä- 
delwirb^lbogen  aber  yerhalten  4iich  hier  ganz  anders; 
es  entstehen  keine  seitlichen  Platten,  und  tu  keiner 
Zeit  findet  man  eine  obere  Längsspalte  im  Schädel. 
Tielmehr  überwölbt  sich  der  Schädel  durch  einen  ein- 
sigen Umschlag  der  Schädelwirbel  von  vorn  nach  hin- 
ten, wodurch  dann  ein  von  oben  gänzlich  geschlossener 
und  nur  hinten  in  die  Rückenspalte  wie  durch  ein  Loch 
(Offener  Schädelkanal  gebildet  wird,  so  dafs  man  in  die- 
ses Loch  bei  jungen  Fisc|iembryonen  deutlich  hineinse- 
hen kann,  wenn  man  sie  von  der  Rückenseite  betrach- 
tet. Es  ist  eine  blinde  Aussackung  der  Wirbelspalte 
nach  vorn,  deren  hinterer  Eingang  das  llinterhauptloch 
bildet.  Mit, dieser  eigenthümlichen  Art  der  Ueberwöl- 
bung  scheint  die  ganze  Verschiedenheit  der  Schädel- 
wirbelbogen  Ton  den  oberen  Rückenwirbelbogen  zusam- 
menzuhängen und  auch  der  dem  Kopf  eigene  Schlufs 
des  Kopfwirbelkanals  nach  vorn  durch  die  Stirnbildung 
verbunden  zu  sein.  Die  SUm  entspricht  hier  nämlich 
einer  Seitenwolhung  elne^Ruekenwirbelbogens  und  macht 
auf  diese  Art,  dafs  die  oberen  Seitenbogen  des  ersten 
Schädelwirbels  zur  Siebplatte  Te>kümmern,  daher  man 
denn  diesen  Wirbel  so  oft  nicht  hat  für  einen  Wirbel 
firollen  gelten  lassen,  wenn  man  an  die  spezielle  yer- 
gleichung  seiner  Theile  gekommen  war.  Dieser  Wir- 
bel nämlich,  das  Siebbein,  wird  durch  die  rückwärts 
umschlagende  Wölbung  der  Kopfwirbelspitze  auch  mit 
seinem  Korper,  der  crista  galli  und  lamina  perpendicu- 
laris,  nach  aufwärts  in  die  Höhe  gezogen  und  läuft  da- 
her nach  vorn  in  einen  spitzen  Kamm,  die  hintere  Na« 
Jahrb.  f.  vitiemch.  Ktüik.  J.  1840.    I.  Bd. 


senscheidewand  aus.  Vor  dieser  bildet  sich  ein  unte- 
rer Wirbelbogen,  dessen  Seitenplatten  sich  hier  wie  die 
unteren  Dornfortsätze  vielei^  Rückenwirbel  dicht  zusam- 
menlegen, und  einen  kielformigen  unteren  Dornfprtsatz 
bilden :  das  Pflugschaarbein.  Dieser  Knochen  bildet  dai- 
her  unter  dem  Nasenwirbelkdrper  ursprünglich  eine  un» 
ton  gekielte  Rinne,  deren  Platten  später  oben  seitlich 
zusammenwachsen.  Wir  stimmen  daher  dem  Vf.  völ- 
lig bei,  dafs  das  Siebbein  ein  vierter  Schädelwirbel  ist^ 
der  sich  nur  über  sein  Sinnesganglion  hinaus  durch  die 
Hemi&phärenentwickelung  etwas  nach  vorn  gezogen  hat. 
Die  Deutung  der  drei  hinteren  Schädelwirbel  hat  zwar 
an  sich  keine  Schwierigkeit,  aber  hier  treten  die  Diffe^ 
renzen  in  Bezug  auf  ihre  Beziehung  zu  den  einzelnen 
Sinnesorganen  oder  deren  Sinnesganglien  im  Sinnesge* 
hirn  hervor.  Wenn  nämlich  schon  das  Siebbein  der  er^ 
ste  Wirbel  für  das  erste  Sini>esganglion  ist,  so  mufs 
das  vordere  Keilbein  den  Vierhügeln  entsprechen,  -und 
dieser  Knochen  kann  nicht  der  Wirbel  für  die  Hemi- 
sphären des  Gehirns  sein,  wenigstens  nicht .  in  der  ur- 
sprünglichen. Beziehung  seines  Körpers.  Andererseits 
hatte  schon  immer  der  Durchgang  des  optischen  Nerven 
durch  die  Bögen  des  Torderep  Keilbeins  auf  die  Bezie- 
hung des  Auges  zu  diesem  Wirbel  geführt,  allein  die 
Hauptsache  bleibt  seine  Beziehung  auf  das  Augengan- 
glion in  dem  Sinnesgehim  oder  der  meduUa  oblongata. 
Die  Vierhügel  sind  etwas  schwer  als  solche  zu  erkennen, 
weil  sie  sich  nach  oben  (dem  Licht  zu)  richten  und  nur 
mit  den  Nervenenden  unten  am  Wirbel  zum  Vorschein 
kommen, '  ab^r  in  der  That  darf  man  den  Körper  djes 
vorderen  Keilbeins  nur  auf  die  Vierhügel  beziehen.  Son- 
derbar genug,  weil  diese  Beziehung  eine  räumlich  ent- 
fernte ist,  scheint  si^h  der  vordere  Keilbeinköqper  so 
unvollkommen  und  so  spät  auszubilden,  dafs  er  anfangs 
durch  eine  mittlere  Verwachsung  der  Flügel  rej^räsen- 
tirt  ist,  welcher  letztere  Umstand  vom  Vf.  nicht  nur  bei, 
der  Natter  bemerkt  ist,  sondern   auch  an  Embryonen- 

97 


771 


RothJkef  Entwiekehtugtgetehiehte  der  Natter, 


Schädeln  von  Schaafen  und  Rmdem  «ehr  deutlich  her- 
vortritt    Den  zweiten  Schädelwirbel,  das  hintere  Kell- 
beln,  hatte  Oken  schon  Zungenwirbel  genannt,  weil  He 
Zweige  vom  Kiefer-  und  Zungennerven  durch  einen  Sei- 
lenbogen durchgehen.    Die  Hauptfrage  bleibt  aber  nach 
seioem  Sinnesganglion.    Wir  glauben  die  VaroLsbrücke 
müssen  als  solches  angesehen  werden,  wenn  gleich  ein 
grofser  Theil  derselben  sich  in  der  Lage  hinten  nach 
'    dem  Basilartheil  des  Hinterhaupts  erstreckt  und  er  nur 
vorn   dem'  Keilbein  aufliegt.     Dieses  Verschieben  der 
Sinnesganglien   gegen  ihr«  Wirbel  ist  durch  die  Ent- 
wiekdung  iles  Seelengehirns  bedingt«    Die  Ganglien  för 
den  Uömerven  umgeben   die  vierte  Himhole   und  auf 
diese  ist  der  Basilartheil   des  Hinterhaupts  als  erster 
fichfidelwirbel,  wenn  maa,  wie  wir  es  getban  haben,  von 
liinten  su  zahlen  anfangt,  zu  beziehen,  wenn  gleich  nicht 
der  HSrnerv  durch  die  von  den  Seitenbdgen  umsehles« 
cenen  Oeffuungengeht  und  hier  das  umgekehrte  Ver- 
lifiltnirs  wie  mit  dem  dritten  SchUdelwirbel  aus  derselben 
•Ursache,  wie  bei  jenem  eintritt.     Die  Dornfortsatze  der 
Schädelwirbel,  das  Stirnbein,  die  Scheitelbeine  und  die 
fiinterhauptsschuppe,  sind   wegen   dw  überwiegenden 
Ausbildung  des  Seelengehims  sfimmtlich  zu  platten  brei* 
teil  Knochen  metamorphosirt,  deren  Abstammung  nur 
an  den  Knochenk$mmen  und  fthnlichen  Spitsen  bei  Am* 
phibiea,  seltener  am  Hinterhaupt  der  SäugtUere  zu  er* 
kennen  ist.    Diese  Knochen  sind  auf  bestimmte  Gehim- 
l&eile  kaum  mehr  zu  beziehen  und  daher  mag  es  kom* 
nten,  dafs  sie  «ich  nicht  fn  Wirbelabschnitten,  sondern 
im  Ganzen  in  dem  Dacbgewölbe,  welches  ungetheilt 
sdhon  ursprünglich  das  Gehirn  überdeckt,  bilden ;  daher 
kann  denn  dieser  Knochen  auch  bei  krankhafter  TergrSfse- 
rung  des  Gehirns  durch. neue  vermehrt  werden.    Ur- 
sprüngliche Schaltknoehen  mochten  wir  sie  mit  dem  Vf. 
nicht  nennen,  aber  offenbar  haben  sie  eine  Reiche  Di* 
gnität  mit  diesen.    Die  Sinnesorgane  sind  die  Kopfein- 
geweide.   Sie  sollten  wie  die  Rumpfeingeweide  simmt* 
lieh  von  unteren  Wirbelbögen  oder  Rippen  eingct/schlos* 
sen  sein;  allein  da  siesämmtlich  nach  Aufsen  zu  durch- 
brechen, um  mit  der  Welt   in  Berührung  zu  kommen, 
so  fehlen  für  sie  die  Kop&tppen  fast  ganz,  und   man 
braudit  sich  nicht  viel  abzumühen  Kopfrippen  aufzusu- 
chen, da  die  Kopf^geweide  ihrer  Natur  nach  nicht  von 
Rippen  eingezwängt  smi  sollen.    Die  Flügelfortsfitze 
des  Keilbeiitts  möchten  die  einzigen  Rudimente  davon 
für  die  Zunge  sein.    Dafür  aber  hüllen  sich  die  Sinnes- 


772 

ergane  für  sich  in  kapselardge  Umgebungen,  die  zoglddi 
dem  Mechanismus  ftrer  Fonklionen  entsprechen,  imj 
diese  treten  mit  anderen  Bildungen,  die  ihnen  von  ilmn 
Bautoffnungen  entgegenkommen,  zusammen.  So  haben 
wir  Ohrkapseln  (Felsenbeine),  Züngenkapseln  (Caim«. 
beine),  Augenkapseln  (die  Augenliedknorpel,  Knoeboi. 
ringe  bei  Vögeln  und  auch  die  Thranenbeuie  ab  Ktp* 
sein  für  den  Thränengang),  endlich  Nasenkapseb  ßiu 
senbeine,  die  Siebbeinmuscheln  und  Zellen).  Nur  db 
letzteren  haben  noch  eine  zum  Domforfsats  veilin- 
merte  Rippe  in  dem  Vomer^  Wo  die  KapselhilieB  sMit 
verknöchern  oder  mit  Schädelwirbeln  verwachsen,  iti> 
ben  sie  mit  der.  Wirbelbildung  in  der  Entstehung  nicb 
gemein,  wie  diefs  auch  von  dem  Felsenbein  aligeach 
anerkannt  und  vom  Vf.  bestätigt  wird,  aber  in  Betndit 
der  übrigen  Sinne  immer  noch  xu  Mifsverständiiista 
Veranlassung  giebt. 

Wie  verhalten  sich  nun  aber  die  Gesichts*  undKh- 
ferknochen  zur  Schädelwirbe'lbiidungt  Sind  es  sdist 
Wirbel,  oder  Rippen,  oder  ExtremitSten ;  sind  sie  nk 
den  Scbädelwirbeln  in  eine  Reihe  zu  stellen,  oder  gm 
Ton  ihnen  zu  trennen;  sind  Ober-  und  Unteilciefer  m 
derselben  Natur  oder  verschiedenen  Ursprungs  und  ?«• 
schiedener  Bedeutung  f  Diese  Fragen  haben  za  dei 
meisten  Widersprodien  in  Betreff  der  SchädelbiUnf 
Yeranlassung  gegeben  und  sind  in  der  That  schwer  wk 
nicht  ohne  die  vielfachsten  Rücksichten  und  umfssseni> 
sten  Anschauungen  zu  beantworten,  wobei  manzugWek 
nicht  im  Allgemeinen  stehen  bleiben  darf^  eondeni  ii 
die  letzten  Einzelnheiten  hinabgehen  mufs. 

An  der  Entwickelu^gsgeschidite  der  Kiefer  \A  fa 

Natter,  zeigt  der  Vf.  zunächst,  wie  eben  bereits  enge* 

deutet,  dafs  beide. Kiefer  unabhängig  von  ilem  Wiikl* 

körperrohr  und  dessen  Verlängerung  entstehen,  mit  <hf 

.  Wirbelsaite  also   aufser  Verbindung  sind,  so  da&  m 

hiemach  als  Wirbel  oder  Wirbehheile  nicht  betrsditet 

werden  können.    Beide  Kiefer  bilden  sich  als  Verltog»' 

rung  einer  gabelförmigen  Ausstrahlung  der  Sehädeiki- 

sis,  deren  untere  Abtheilung  in  den  Unterkiefer  fifctf* 

geht  und  deren  obere  Abtheilung  in  ihrer  Verläogendf 

den  Oberkiefer  hat,  doch  so,  dab  beide  Kiefer  vomTt 

als  Belegunga/knochen   rippenartiger   Bögen   angcsdics 

werden,  während  die  Ursprünge  der  Ausstrafalnngen  ii 

die    Gehörknöchelchen   sieh   metamorphosiren.     E&m* 

Punkt  müssen  wir  hierbei  hervorheben,  nämlich  die iss- 

löge  Zusammensetzung  der  Kiefer  aus  mehreren  StDdeO) 


773         ■    ^ 

wdbai  dam  •intfs«te  dar 

im  Afliphifcmi  und  FiMhen  dentKeb  gpirenute  Zwiscb««- 
kiefer,  gleich  dem  Oberkiefer  zeigt,  auch  sein  Jochbein 
iiat  wie  der  Oberkiefer,  andererseits  der  Oberlcle£er  an 
aeinen  hiaterea  Thaila  ähidkihe  GelenksUieke  (in  den 
fligelbeineii  and  Joebbögen)  seigt  wie  der  (Jaterkiefer. 
Oicea  und  Sjix  iiattea  schon,  wenn  ^eicfa  niclit  die  Bo- 
4e߻tmg  der  unteren  Zwiselieakiefer,  doch  die  Glied*- 
mag  der  Kieler  überbaapt  bervorgehohea,  und  diu*aa€ 
smd  auf  der  Bewaffnang  mit  Ziähnen  ab  nagelariigea 
4rdbildeii,  die  Analogie  der  l^iefer  mit  den  Extr^wicft- 
ton  gegründet.    InswiachcQ  ei^pricbt  auch  der  Mangel 
mm  fiiageweideft,  die  von  den  Kiefern  «mschloiMen  wer- 
den, üxrer  llippenaatur  nicht,  allein  bei  der  grofsen  Man* 
niehfidtigkeit  der  Kiefersusammensetzung  und  ihrer  Ein- 
fonkung  am  Schädel,  in  den   niederen  Wirl>elthlerklas- 
aen  besonders,   iist  es  schwer  aus  cinKclnea  VerfaSltnis- 
aeo  ihre  Natur  su  bestimmen,  wenn  man  nicht  ihren 
.Zitsammenhang   im  Cranzen  euffafst.    Wir  müssen  hier 
auf  die  in  jeder  Besiehung  merkwürdigen  Thiere,  wel- 
ehe  aueh  in  der  kolossalsten  Gröfse  und  im  spAtesten 
4irreisenalier  isMuer  oodi  die  Embryonen  -der  Wirbel» 
thiere  reprflieatirea,  nämlich  auf  die  Knorpelfisclie  zu^ 
ruekkommcQ.     Bei  diesen   muTs  man  das  Studium  der 
Kiefer  anfangen,  um  sogleich  oflbn  au  sehen,  dafs  die 
Kieler,  welche  hier  wie  Arme  und  Beine  an  artikulir* 
4ea  Gelenken  hingen,   1)  keine  Rippen  siud,  denn  YO 
Widt  geht  die  Rippengliederung  nirgends;  dafs  sie  2) 
gans  und  gar  nicht  eur  Schädelbiidung   gehören,  denn 
sie  mnd  mit  ihren  Enden  ToUkommen  abgesondert  und 
frei  vom  Schädel  entferne  nnd  der  Sdiädel  endet  mit 
dem  Riechbein ;  3)  dafs  zum  Oberkiefer  noch  die  Gau- 
menbeine als  Zungenkapsdn  gehören,  weH  sie  sich  mit 
den  Kiefern  vom  Scbfidel  bcfi  den  Stören  abgelöst  ha-* 
ben ;  4)  dafs  Ober-  und  Unterkiefer  Theüe  Ton  durch- 
aus gleichartiger  Bildung  und  Bedeutung  sind,  und  dafs 
insbesondere  also  nicht  der  Oberkiefer   sum  Schädel, 
der  Unterkiefer  dagegen  au  einer  anderen  Knochenreibe 
geboren  kann,  ^  sondern,  dafs,  welche  Bedeutung  auch 
die  KUffer  haben  mögen,  diese  einerlei  sein  mufs  bei 
leiden.    Im  allgemeinen  ist  dann  noch  ansuffifaren,  dafs 
die  Rippen  als  untere  Wirbelbogen  immer  durch  eine 
Form  von  Dornförtsat^en  (wie  aueh  die  Gaumenkno- 
-ohen  der  Karpfen  und  die  Schwanzrippen  aller  Fische) 
verbunden  und  geschlossen  sind,  welche  Dornfortsätse 


jBatAie,  Entmekebmgtg€9ekicki0  Jhr  Naiier.  .    ,         774 

noch  besenders    «ich  bei  den  Vögeln  besonders  im  Brustbein  dentiidi 

kund  geben.  Solche  Brustbefaie  aber  fehlen  den  Kie^ 
fern  durchaus  und  diese  idnd  Ms  an  ihren  Spitzen  mit 
Zähnen  iieaetzt.  Zwischendurch  erlauben  wir  uns  hier 
die  Bemerkung,  dafs  die  Fbciie  wahre  Rippen  nur  in 
den  <3attmeniniocfaen,  den.Kiemenbögoi  und  den  unte- 
len  Doiiifertsätsen  der  Schwanzwirbel  haben.  Mttller 
hat  ganz  recht,  dafs  die  Rompirippen  der  Fisdie  mic 
den  Rippen  anderer  Thiere  nicht  zu  vergleichen  sind^ 
der  Hauptgrund  ist  aber,  dafs  sie  keine  Brustbeine  ha- 
ben. Ich  sehe  die  Sache  so  an,  dafs  die  Fischrippen 
Seitenzweige  von  verkümmerten  -  wahren  Rlppenrudt^ 
menten  sind,  daher  artikuliren  sie  auch  nicht.  Bs  sind 
Musifelgräthen,  wie  überall  in  den  Fischen.  Nun  wird 
man  aber  sagen,  dafs  dann  auch  die  Schlangen  keine 
wahren  Rippen  hätten,  weil  ihnen  das  Brustbein  fehlt. 
Dem  ist  auch  wirklich  so,  indem  die  sogenannten  Rip« 
pen  der  Solllangen  wahre  Füfse  sind,  die  zum  Kriechen 
dienen.  Sie  sind  nur  durch  Häute,  wie  auch  die  Flug^' 
häute  swisehen  den  Extremitäten  anderer  Thiere  ver« 
wachsen.  Daher  ent^rfngen  audi  diese  ScUangen- 
Itfse  unterhalb  der  Querfortsätze  der  Wirbel,  von  de^ 
n^i  ii»  Bippen  entspringen  mübten,  auch  spalten  sich 
die  Spitzen  der  htnteraten  sogenannten  Schlangenrippen 
in  Speiche  und  Elle.  Die  SchlangeH  4$U0y  weii  emt* 
fernifiifUoM  %u  $ei^y  sind  tfielmekr  die  wahren  My^ 
riapoien  unter  den  tViriellhiereH.  Diejenigen  Schlau* 
gen,  welche  wahre  Rippen  und  ein  Brustbein  haben, 
sind  daher  auch  Eidechsen,  wie  die  Blindsehleiche. 
Um  aber  wieder  auf  die  Kiefer  au  kommen,  so  prä« 
sentirt  sich  auch  bei  den  Roolien,  Haien  und  Störet^ 
sogleich  das  Kiefergelenkstück,  wodurch  b^de  Kiefer 
am  Schädd  eingelenkt  sind,  als  ein  Ttieil,  dessen  Be- 
deutung zuerst  errathen  sein  mufs,  Wenn  man  in  der 
Deutung  der  übrigen  Theile  sicheren  Scbrtfts  w<tfter 
gellen  will;  diefs  ist  nämlich  der  Kieferoberarm  oder 
das  Quadratbein.  Was  wird  aus  diesem  Knochen,  we 
er,  wie  bei  den  Säugethieren,  verschwindet,  und  die 
Kiefer  mit  Stücken  des  Schädels  iheils  verwachsen, 
thdls  sich  direkt  einlenken  t  Dafs  er  eine  Beziehung 
zum  Pattkenapparat  des  Ohrs  habe,  mufste  man  bald 
bei  cden  Vögeln  und  Etdectisen  erkennen,  aber  Spis 
und  Oken  haben  die  Wahiheit  lange  aafgebahen,  weÜ 
man  ihnen  glaubte,  dafs  es  der  metamorphosirte  PaU- 
kenring  der  Säugethiere  und  des  Menschen  wäre.    Da* 


775 


MatMse^  Entwiekehing$ge$eMchte  der  Natter. 


776 


durch  ist  man  dann  mit  derDealung  aller  übrigen  zu- 
'sanunenhängenden  Tlieile  in  Unordnung  geratben,  weil 
dieser  Knochen .  eine  wahre  Axe  und  Angel  ist,  um 
den  sich  die  Bedeutung  vieler  änderen  dreht.  Sehon 
jdie  grorse  Gelenkiglceit  dieses  Knochens  beji  den  Knor- 
pelfischen, zusammengehalten  Aiit  dem  sich  durch  in- 
nere Höhlenbüdung  aufblasenden  Paukenring  an  einem 
.embryonischen  Kalbskopf,  hätte  aufmerksam  machen 
können,  dafs  der  Vergleich  nicht  pafste.  Der  geehrte 
Yf*  zeigt  durch  die  Entwickelungsgeschichte  und  rich- 
tige Vergleichung  im  Sinne  von  Caru»,  dafs  das  Qua- 
dratbein der  zui;  Trommelhöhle  herauswachsende  Am- 
bos  ist.  Aber  wir  müssen  noch  weiter  gehen  und  den 
Quadratknochen,  der  sich  wie  Ambos  und-  Hammer  häu- 
fig in  zwei  Theile  getrennt  zeigt,  als  aus  diesen  beiden 
xnetamorphosirten  Gehörknöchelchen  gebildet  betrachten. 
Der  Steigbügel  hat  damit  nichts  zu  thun,  aber  bei  den 
Schlangen  wächst  .  auch  dieser  zum  Ohr  heraus  und 
lenkt  sich  mit  dem  Ambos  ein.  Es  ist  der  Steigbügel 
ein  nicht  dem  Paukenbein^  sondern  dem  Labyrinth  an- 
gehöriger  und  sich  von  diesem  aus  enttvickelnder  Kno- 
chen, der  auch  ehie  ganz  gesonderte  Entwickelungsge- 
Bchicbte  hat.  Beide  yerhalten  sich  wie  die  Linse  zum 
Glaskörper  im  Auge,  oder  wie  die  vordere  zur  hinte- 
ren Augenkammer,  wie  denn  letztere  das  Labyrinth, 
erstcre  die  Trommelhöhle  des  Auges  ist.  Die  beiden 
Knorpelstücke  an  der  Spitze  der  Columella,  welche 
Breschet  bei  Vögeln  entdeckt,  müssen  wohl  zur  Colu- 
mella selbst  gerechnet  werden.  Dafs  nun  das  Quadrat- 


gleichen  mit  sehr  zusammengesetzter  KienijBndsekel- 
und  Kieferbildung  anfangen,  wenn  man  nicht  sogleidi 
mit  den  vielen  Knochen  in  Yerlegenheit  geratliea  wfll. 
Diese  Fische  sind  viel  zu  schwer  für  die  erste  Yer* 
gleichung.  Man  fange  beim  Aal  an.  Er  hat  emed  so 
einfachen  Kopf  wie  eine  Eidechse  oder  Schlange,  und 
hat  man  hier  erst  den  Quadratknochen  gesehen,  findet 
man  ihn  auch  bei  den  anderen  Fischen  heraus,  besos- 
ders  wenn  man  zuerst  zum  Hecht  übergeht,  und  maa 
sieht,  dafs  sowohl  Spix  ab  auch  Geoffroy,  obgleicb  in 
Allgemeinem  auf  richtigem  Wege,  *doch  in  der  Bet- 
tung der  Kiemendeckelstucke  geirrt  haben,  weil  sie 
über  den  wahren  Quadratknochen  und  seinen  Ursprung 
nipht  im  Reinen  gewesen  sind.  Der  ganze  Kiefenp* 
parat  ist  also  bei  den  Knorpelfischen,  ganz  frei  bewe^ 
lieh,  an  den  beiden  verwachsenen  Gehörknödielcheo 
der  Pauke  eingelenkt.  Der  nächste  Schritt  ist  dann, 
dafs  bei  den'  Knochenfischen,  aber  melnr  noch  bei  Am» 
phibien  und  Yögeln,  der  Oberkiefer  melir  oder  weni- 
ger fest  an  die  untere  Schädelseite  anwächst;  aber 
noch  in  derselben  Yerbindung  mit  dem  Quadratknodies 
bleibt.  Nuu  sähe  es*  schon  so  aus,  als  wenn  Obe^ 
und  Unterkiefer  ganz  verschiedene  I^inge  wären,  aber 
die  Tergleichung  mit  den  Fischen  hebt  allen  Zweifel, 
und  wenn  der  Unterkiefer  ein  Extremitätenknochen  ii^ 
muCs  es  der  Oberkiefer  auch  sein.  Zum  Theil  fidM 
bei  den  Amphibien,  mehr  noch  bei  den  Vögeln,  trenrit 
sich  Hammer  und  Ambos  in  dem  Quadratknochen^  «Bd. 
der  Ambos   giebt   die   Flugelknochen  zum   Oberkiefer 


bein  wirklich  nicht  der  Paukenring  ist,  sieht  man  sehr  ^'während  der  Unterkiefer  mit  dem  Hammer  eingelenkt 


schön  an  einem  Eulenschädel  von  Strix  uralensis,  der 
vonr  Ledebour  unserem  Museum  geschenkt'  bt,  auch 
weniger  deutlich  an  anderen  Euleu,  wie  Strix  nivea, 
weij  nämlich  hier  ein  ziemlich  voltständig  gebildeter 
Paukenring  ohne  Hammer  und  Ambos,  anstatt  dessen 
aber  mit  dem  bei  Vögeln  gewöhnlichen  Quadratkno- 
eben  vorhanden  ist.  Dieser  Paukenring  unterscheidet 
sich  dadurch  von  dem  der  Säugethiere,  dafs  er  oben 
am  stärksten  ist  und  sich  unten  fadenartig  verdünnt, 
was  bei  den  Säugethieren  umgekehrt  ist.  Wenn  man 
die  übrigen  K^nochenfische  in  Betreff  dieses  Knochens 
mit  .den  Stören  und  Haifischen  vergleichen  will>.so 
mufs  man  Ja  nicht  mit  Karpfen,  Barschen  oder  der- 

-  '  (Der  Beschlufs  folgt.) 


bleibt.  Bei  den  Säugethieren  ziehen  sich  nun  häk 
Stucke  des  Quadratknochens  in  die  Trommelhohle  ik 
Gehörknöchelchen  zurück,  der  Oberkiefer  verwächst  h 
allen  Stücken  fest  mit  dem  Schädel  und  der  Unterid^ 
fer  verliert  seinen  Oberarm,  den  er  als  Quadratkotr 
eben  besessen,  mufs  sich  also  nun  selbst  an  der  SeUi- 
fenbehischuppe  einlenken.  Diese  bildet  nun  dlo  Kiefe^ 
Schulter,  und  ist  daher  der  Kopfwirbelsäule,  wie  & 
Beckenknochen  der  Rückenwirbelsäule,  nur  angewad* 
sen.  Dieses  bestätigt  der  Vf.  auch  durch  die  Entwik* 
kelungsgeschichtc.  So  sind  nun  die  KopfeztremitsMi 
zu  Stücken  der    Gesichtsbildung  geworden« 


TV  1  s  s  e  n 


J^  98. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  e  r 


für 

s  c  h  a  f  1 1 


i  c  h  e    Kritik 


Mai  1840. 


Mntwickelungsgeschichte  der  Natter  (Coluber  Na^ 
trix)  van  Dr.  Heimr.  Rathhe. 

(Schlafs.) 

Das  Gesicht  ist  nun  der  Ausdruck  des  Seelenlebens^ 
durch  dieStirn,  der  Ausdruck  des  Sinneslebens  durch  die 
Sinnesorgane,  und  der  Ausdruck  des  vegetativen  Le- 
bens durch  die  Kiefer«  Vor  allen  kommen  nur  die  BlU* 
thentheile  im  Gesicht  zum  Vorschein,  und  stellen  sich 
hier  in  den  gegenseitigen  Yerhälüiissen  ihrer  Entwik- 
kelungsftufen  dar,  auf  denen  der  physiognomische  Aus- 
druck beruht. 

Wir  dürfen  hierbei  nun  nicht  länger  yerweilen, 
um  noch  kurz  andeuten  zu  können,  welche  Ergebnisse 
des  Vfs.  Untersuchungen  hinsichtlich  der  Entwickelung 
des  Yenensystems  geliefert  haben.  Die  Fische  zeigen 
sich  hier  auch  als  die  typischen  Embryonen  der  Wirbel- 
Üiiere,  und  unter  deh  Amphibien  haben  vorzüglich  die 
Schlangen  wegen  ihres  langen,  schwanzartigen  Körpers 
ursprünglich  ein  nach  demselben  Musler  eingerichtetes 
Venensystem.  Es  fehlt  nämlich  hier ,  anfangs,  wie  bei 
den  Fischen  immer,  die  untere  Hohlvene,  und  diese  ist 
ersetzt  durch  zwei  seitliche  grofse  Yenenstämme,  die 
Tor  dem  Eintritt  in  das  Herz  sich  mit  den.obern  Hohl- 
venen  yerbbden,  so  dafs  alle  in  einem  Stamm  ins  Herz 
gehen,  welcher  eigentlich  der  oberen  Hohlvene  der  hö- 
heren Wirbelthiere  entspricht  Der  Yerf.  nennt  dieses 
symmetrische  Schwanz-  und  Rippenvenenpaar :  Cardi- 
nalvenen.  So  lange  nun  die  Embryonen  der  höheren 
"Wirbelthiere  noch  einen  einfach  fischähnUchen  Körper 
ol^ne  Gliedmafsen  haben,  fehlt  ihnen  auch  die  untere 
Hohlvene,  die  sich  erst  später  aus  den  beiden  Haupt- 
zweigen, der  Becken  und  Extremitätsvenen  zusam- 
mensetzt, wogegen  bis  dahin  mehr  die  lischähnliche 
Bildung  der  Cardlnalvenen  fortdauert.  Neben  diesen 
paarigen  Venen  entstehen  dann  bei  Amphibien  und 
Yögeln  besonders,  meistens  als  gröbere  Zweige  der 

Jahfh.  /.  wuttmch.  Kritik.   J.  1840.  I.  Bd. 


Cardinalvenen,  noch  besondere  Yertebralvcnen,  allein 
bei  der  späteren  Entwickelung  verkümmert  dieses  em- 
bryonische Yenehsystem,  und  die  Ueberreste  davon 
stellen  noch  die  Yena  azygos  und  hemiazygos.  dar. 
Diese  Metamorphosen  hatte  auch  Stark  in  Jena  schon 
zum  Gegenstand  einer  in  den  Jahrbüchern  besproche- 
nen Schrift  gemacht  (Coromentatio  de  venae  azygos  na- 
tura). Unser  Vf.  scheint  nicht  ganz  sioher,  ob  sich  die 
Cardinalvenen  oder  die  Yertebralvenen  mehr  mit  der 
Vena  azygos  vergleichen  lasset,  und  neigt  sich  dazu 
die  Yertebralvene  für  den  Typus  der  unpaarigen  zu 
halten.  Inzwischen  sind  die  Yertebralvenen  als  spatere 
Bildungen  und  grofsentheils  Abzweigungen  der  Cardi- 
nalvenen wohl  mehr  als  Uebe^gangsstufen  zu  den  spa- 
teren bleibenden  Formen  der  unpaarigen  Yenen  und 
der  unteren  Hohlvenen  anzusehen,  daher  denn  auch 
später  die  unpaarigen  Venen  an  ihren  Anfängen  bei^ 
erwadisenen  Thieren  besonders  durch  die  Niereuvenen 
noch  mit  der  unteren  Hohlvene  communiziren,  deren 
beide  Hauptäste  anfangs  auch  wie  die  Rippenvenen  in 
die  Cardinalvenen  münden,  dann  sich  aber  zu  eioem 
i^elbstständlgen  Stamm  vereinigen  und  von  den  unpaa- 
rigen  ablösen,  lieber  die  Entwickelung  aller  übrigen 
inneren  Organe:  der  Sinnesorgane,  der  Zähne  (die  ur- 
sprünglich wie  die  Giftzähne  rinnenformig  gefaltet  sind), 
des  Darmkanals  und  der  Darmdrüsen,  der  Wolifschen 
Körper  und  der  Generationswerkzeuge  fehlt  es  nicht 
an  reichen  und  interessanten  Beiträgen,  welche  wir 
jedoch  dem  Leser  im  Werke  selbst  nachzusehen  über- 
lassen müssen.  Die  Ausstattung  des  Werks  ist  durch- 
aus ansprechend.  Auf  7  Tafeln  finden  sjich  sauber  ge- 
arbeitete Figuren  zur  Yeranschaulichung  der  Entwicke- 
}ungsstuferi  der  Organe.  Die  beiden  ersten  Tafeln  stel- 
len die  äufseren  Gesammtformen  und  die  Eihäute  der 
Embryonen  dar,  die  drei  folgenden  enthalten  die  Formen 
der  Eingeweide  und  des  Gefäfssystems,  auf  der  6.  Ta- 
fel ist  das   Gehirn  und    die  Sinnesorgane  dargestellt, 

98 


779  '  Duranton  y    Cmnr9 

upd  die  7.  enthttlt  Figuren  zur  Erläuterung  der  Meta- 
morphosen des  SIceletts.  Es  wird  nicht  fehlen  IcSnnen, 
dafs  sich  der  Vf.  durch  so  manche  Erweiterungen  der 
Anschauungen  Ton  der  BiMungsgeschiehte,  welche  in 
diesem  Werk  sich  finden^  neue  Aaerkenming  und  neuen 

Dank  erwirbt. 

Dr.  C.  H.  Schultz. 


LIX. 

Duranton^  Cours  de  Drau  frangais  suftant  le 
Code  Civil.     Paris  y  1825  —  1837.     f21  Vol. 

'     in  S.). 

Es  war  yergebens,  dafs  Napoleon  seinen  Code  als 
eine  Norm  aufgestellt  hatte,  nach  welcher  forthin  un«- 
verändert  die  streitigen  bütgerlichen  Interessen  sollten 
geregelt  werden,  Und  sein  Wort :  ,,mon  Code  est  perdu," 
das  er  ausgesprochen  haben  soll,  als  er  erfuhr,  dafs 
Hr.  Melleville  (einer  der  Staatsräthe,  die  an  der  Abfas- 
sung des'  Gesetzbuchs  Tlieil  genommen)  emen  Commen- 
tar  darüber  habe  erscheinen  lassen  9  war  in  sofern 
ahnungsvoll,  als  heut  zu  Tage  fast  mehr  auf  die  Aus- 
legung desselben  als  auf  .dessen  Text  gesrehen  wird. 
Der  Gang*  der  Dinge  scheint  auch  hierin  etwas  natur- 
geschichtllches  an  sich  zu  haben,  wenn  wir  dies  Wort 
hier  dafür  brauchen  dürfen,  um  etwas  zu  bezeichnen, 
das  mehr  Tom  Menschen  als  Natur -Gegenstand  be- 
trachtet abhängt,  als  von  dessen  WiHensfähigkeit.  Das 
dunkle  Gefühl  von  Recht,  von  Unrecht  auf  die  äufsern 
Gegenstände  und  Verhältnisse  angewendet^  Ihifsert  sich 
zxierst  durch  Gebräuche  und  Gewohnheiten,  die^  in  dem 
Gedächtnisse  fortleben,  aber  auch  durch  das  mangel- 
hafte Erhaltungsmittel  oft  Teränderungen  erleiden ;  man 
muls  sie  wohl  bei  jedem  vorkommenden  Rechtsstreite 
In  der  Gemeinde  zu  finden  suchen,  wohl  auch  werden 
die  dahin  gehörenden  Regeln  Eigenthum  einer  Kaste, 
am  gewöhnlichsten  der  Priester;  dann  kommt  eine  Zeit, 
wo  die  Schriftsprache  ein  Hülfsmittcl  darbeut,  diesel- 
ben festzuhalten;  einige  werden  wohl  am  Ende  durch 
.die  gesetzgebende  Gewalt  in  der  Gesellschaft  bekräf- 
tigt; aber  diese  so  festgestellten  Regeln  selbst  passen 
nicht  auf  alle  vorkommenden  und  mit  dem  Fortschritte 
der  gesellschaftlichen  Entwicklung  sich*  immer  verviel- 
fältigenden Fälle,  sie  werden  also  auslegungsweise  auf 
diese  ausgedehnt,  neue  Sanctionen  kommen  hinzu,  neue 
Auslegungen;   am  Ende  findet  man  den  Zustand  un* 


de  Droit  /ranfaii.  180 

erträgliche  die  Codifieation  wird  zu  Hülfe  gerafss; 
aber  der  neue  Code  hat  das  Schicksal  der  vorher  ast- 
gBsteliten  Regeln.  Hiermit  ist  gar  nicht  gesagt,  dsb 
Cedification  unnütz  oder  gar  ein  Uebel  sei ;  es  geht  mr 
daraus  hervor,  daCs  es  eia  Wahn  wäre,  darsetben  mm 
Art  von  Petrifaction  zuzuschreiben^  vermittelst  dsna 
das  Recht  bei  einem  Volke  mumienhaft  erhalten  werdes 
möchte.  Eine  solche  Würkung  wäre  ein  Ungludcs  tb 
ist  übrigens  so  gut  als  unmöglich.  Ein  eben  so  gdit 
reicher  als  gelehrter  JuriaC  hat  das  Recht  daa  in  Am 
Volke  lebt  mit  dessen  Sprache  vergUchen:  derVerglack 
ist  in  mehr  als  einer  Hinsicht  treffend,  und  gewöhnÜdi 
hält  die  Unbestimmtheit  der  Sprache  mit  der  der  Rediti- 
Regeln  gleichen  Schritt;  ist  es  auch  darin,  dab  das 
sogenannte  Fixiren  der  Sprache  durch  Grammatik  «al 
dergleichen  Mittel  einerseits  nothwendig^  und  nOtdkl 
ist,  dafs  es  aber  immer  glücklicherweise  vergeblich  ieii 
wird,  eine  solche  Feststellung  bis  zur  Ertodtung  a 
bringen.  Vielleicht,  und  man  kann  es  fast  mit  Süd» 
heit  seinem  durchdringenden  Geiste  rutrauen,  hadi 
auch  Napoleon,  als  er  jenes  Wort  aussprach,  nur  die 
Idee  der  verwirrenden  Sfannichfaltigkeit  im  Sinne, 
welche  das  franzosische  Civil -Recht  zufolge  der  videi 
Particulair*  und  Provinzial-  und  Local  -  Rechte  zu  einea 
Chaos  machte,  welches  ohne'  fruchtbringendes  GM 
ren  für  das  Volk,  blos  für  die  Kaste  der- Rechts*  Pnt 
tiker  ein  triiber  Morast  war,  in  welchem  sie  auf  D» 
kosten  desselben  fische»  mochten  (etwa  so  und  woU 
noch  mehr,  wie  noch  jetzt  in  England  der  Jiiristen*Slsii 
die  Verworrenheit  der  Gesette  und  Gewohnheiten  fte* 
nutzt).  Betrachte  man  die  Jurisprudenz  als  «ne  Wii- 
senschaft.oder  als  eine  Kunst,  und  als  das  eine  odar 
das  andre  mufs  man  sie  wohl  ansehn^  so  ist  gleich  aS' 
möglich,  dieselbe  auf  die  dürre  Kenntnifs  des  Bttchsti* 
bens  der  Gesetze  zu  beschränken ,  denn  als  Wima* 
Schaft  kann  sie  nur  aus  dem  Gesichtspunete  der  Kib' 
Sophie  und  der  Geschichte  entwickelt  werden^  als  Kamt 
kann  sie  bibs  durch  Anschliefsen  an's  Leben  die  geh»* 
Tige  Fertigkeit  erlangen.  Eine  lebendige  und  tiefe  B^ 
arbeitung  der  bestehenden  Gesetze  wird  demnach  sM 
ein  nothwendig  zu  befriedigendes  Bedurfnifs.  sein.  Der 
französische  Code  Civil  ist  der  Gegenstand  -der  AAA 
Vieler  gewesen ,  wir  haben  hier  natürlich  nur  die  h 
Frankreich  erschienenen  Bearbeitungen  im  Auge. .  Ua- 
ter  diesen,  in  so  fern  wir  hier  wieder  nur  von  daijcni* 
gen  sprechen,   welche  den  ganzen  Code  zum  Geges- 


781  Mtmrmntdnr   Caurs 

stand  htttitiiy  bt  das  Werk  Hrn.  Durantan*»  (Profes- 
won  an  der  ReehUjaealtfit  in  Paris),  dib  tiniige,  wel» 
cbts,  mm  Zweek  sieh  setzend,  eine  mn^fttArlicAe  Er* 
Uärung  des  Code  su  geben,  diese  Erklärung  bis  au 
Ende  dvrobgefiibrt  liat*  Andre  Beehtsgeleiirte  haben 
awar  das  Gleiche  untemoramen,  aber  nieht  darchge- 
seist  %  80  bt  RouKer  (yor  einigen  Jahren  gestorben 
als  Deean  dfsr  fleektsfaeultät  in  Rennes)  in  14  Octar- 
Bänden  mit  seinem  Droit  Civit  fran^ais  suiiwnt  Tordre 
dtt  Code  nw  bis  sum  Titel  de  la  vente  gelangt,  und 
Frottd'hen  (vorlängst  gestorben  als  Deean  der  FacuUftt 
Bn  Dijon),  naehdem  er  von  seinem  Coors  de  Droit  fran- 
f  als  1809  zwei  Theile  herausgegeben,  gab  erst  seil  1824 
die  Fortsetzung  heraus  und  zwar  ohne  Zusammenhang 
mit  jener  ersten  Abtheihing  und  blos  in  einzelnen 
Traetaten,  die  den  Niefsbraueh,  das  öifentliehe  Eigen* 
thom  (domaine  pubKe)  und  das  Privat- Eigenthum  (do- 
maine  privä)  zum  G>egenstand  hatten.  Zwar  haben 
RouUier  und  Proud'hon  Contlaualoren  erhalten  (Erste- 
ter:  Carrd,  Duvergier,  Treplong;  Letzterer:  Curasson), 
alleiQ  der  Mangelhaftigkeit  jeder  Continuation  (ab  soleher) 
nicht  zu  gedenken,  sind  aueh  diese  Fortsetzungen  noch 
nieht  vollendet. 

Hr.  Duranton,  sekier  Vorrede  nach,  hat  sich  zwei 
Hbraptzwecke  gesetst.  Erstlieh  seinen  Zuhörern  den 
Ijehremvus,  den  sie  bei  ihm  gemacht,  mit  gehSrigen  Ent- 
wieklungen  in  die  Etönde  zu  geben,  zweitens  den  gehil- 
deten  Jurist^i  selbst  ein  Handbuch  su  liefern,  das  ihnen 
nützlich  sein  m5ge.  Er  verwahrt  siob  zugleich  gegen 
die  Vevmuthaag,  die  bei  Ansieht  der  ron  ihm*  ziemlich 
«ft  angefahrten  GeriehUspri&che  sich  erheben  könnte,  dafs 
er  zuviel  auf  ^e  Jurisprudence  des  arrdts  (Gerichtage- 
braueb)  gebe;  eadlicli  giebt  er  ab  die  Haupt -Quellen 
an,  in  denen  '  er  gesehdpft :  die  vom  Staats  -  Rath  dem 
gesetzgebenden  Körper  vorgelegten  MoHfo  nebst  den 
vorläufigen  Verhandlungen  un  Staats -Rathe,  die  alte 
franzosisebe*  Rechtswissenschaft,  das  römische  Recht, 
Itt  dessea  ,,a«yi^ftM/#/M7A^»i  Vorratlie''  er  Entscheidungs* 
Cirfinde  nach  der  Analogie  gesucht  und  gefunden.  Der 
Terf.  sagt  uns  nieht,  welolien  positiven  und  formellen 
"Werth  die  Aussprüche  der  Justinianeischen  Bucher  vor 
den  franzesiMhea  Gerichten  baben^  er  fuhrt  auch  nicht 
eiamal  das  Gesetz  vom  31.  Mai  1804  an,  wdehes,  in* 

*)  Es  ist  wohl  niclit  nOthig  zn  bemerkeD,  dafs  wir  von  einzeln 
nen  Tractateo  nn^  von  Rechts -Wörterbiichcrn^  wenn  auch 
irissenschaftliche,  abstrahiren. 


de  JDraii /ranfoii.  ^  7S2 

dem  es  cle  Vereinigung  einer  Anzahl  seil  drei  Jahren 
promulgirten  Civil  •  Reehtsgesetze  in  einem  Code  Clvfl 
i%^  Francis  verordnete,  die  konigUehe»  Ordontranzen, 
die  Re^ts- Gewohnheiten  und  die  vt>mlseheit  Gesetze 
rücksichtiicb  alier  der  Materien  abschaffte,  Qber  welche 
jene  neuen  Gesetze  handelten.  In  einem  Lande,  wo 
ein' Cassations- Gerichtshof  besteht,  der  kein  Revisionja- 
Gerieht  ist,  mufs  die  formelle  Bedeutsamkeit  des  rdmi- 
sehen  Rechts  um  so  bestimmter  angegeben  werden. 

Ueberhaupt  hat  Hr.  Duranton  den  Code  geradehhl 
zu  erklären  angefangen,  ohne  sich  weiter  in  eine  phi- 
losophische oder  geschichtliche  Charakteristik  desselben 
einzulassen.  Eben  so  wenig  läfst  er  sieb  in  eine  Dar- 
stellung der  allgemeinen  Begriffe  des  Civil -Rechts  ein» 
Wir  würden  ihm  deshalb  nicht  eben  einen  Vorwurf 
machen,  wenn  sonst  in  seiner  Darstellung  auf  jene 
Begriffe  hingedeutet  wäre,  aber  er  scheint  auch  nicht 
dnmal  daran  gedacht  zu  haben.  Der  Plan,  nach  wel- 
chem er  lehrt,  ist  der  Plan  des  Code  selbst  und  so 
fäügt  er  denn  an  mit'  dem  bekannten  titre  pr^liminaire, 
betitelt:  von  der  Publication,  den  Wirkungen  und  der 
Anwendung  der  Gesetze  im  Allgemeinen.  Oleichwohl 
hat  er  hier  geglaubt  dem  philosophischen  Geiste  ein 
Opfer  bringen  zu  mQssen  und  so  fugt  er  gleich  anfangs 
ein  Capitel  an,  das  zur  Ueberschrift  hat:  „Vom  Rechte 
im  Allgemeinen;*'  auf  welches  das  zweite  folgt,  beti» 
telt:  „Vom  Gesetz  im  Allgemeinen;"  dieses  ist  wieder 
in  sieben  Abschnitte  eingelbeHt,  wovon  der  erste  die 
Aufschrift  hat:  „Von  den  allgemeinen  Eigenschaften' 
„des  Gesetzes  und  seinen  versehiedenen  Arten  ;**  der 
zweite  aber  diese:  „Von  der  Bildung  des  Gesetzes  in  . 
Frankreich  ;**  die  fünf  andern  sind  der  Entwicklung  der 
Publication  der  Gesetze  und  der  übrigen  Vorschriften 
des  Präliminar -Titels  gewidmet 

Von  jenem  ersten  Capitel  und  den  ersten  Abschnitt» 
ten  des  zweiten  laf$t  sich  w^der  Gutes  noch  Böses 
sagen,  da  sie  unbedeutend  sind  und  ganz  Gewöhnli- 
ches enthalten>  auf  eine  dürftige  Art  dargestellt;  Da 
es  dem  Verf.  an  umfangendem  Blicke  fehlt,  so  konnte 
er  natürlich  hier  nichts  Bedeutendes  Kefem.  Wir  wer- 
den später  Ctetegenheit  haben,  zu  •  bemerken,  in  wie 
fem  er  diesen  Mangel  durch  Scharfblick  ins  Einzelne, 
Positive  aufwiegt« 

Man  hätte  erwarten  dürfen,  däfs  der  Verfasser  hier 
etwas  über  die  franzdsische  Gesetzgebung,  die  dem 
Code  voran  gegangen,  sagen   würde.     Aber  wie  wir 


783 


Durantan\  Cbut^  de  Dröü  firanpuii» 


781 


schon  bemerkt,  hat  er  die  geschichtliche  Ansicht  ganz 
bei  Seife  gesetzt,  und  jenes  erste  Capitel  beweist,  dafs 
wenn  er  das  Gegeniheii  gethan,  seine  Darstellung  nichts 
gewonnen  haben  würde,  denn  bc^iläufig  erhellt  daraus, 
dafs  er  das  .Justinianische  Recht  als  die  einzige  Quelle 
des  fran&5sischeii  Civilreohts  ansieht;  wenigstens  thut 
«r  Tom  altgermanischen  Rechte,  das  in  den  Coutumes 
fortgelebt,  auch  mit  keinem  Worte  Meldung,  Dafs  der 
Verf.  das  Recht  definirt:  ,,den  Inhalt  der  Gesetze", 
wird  nach  dem  bis  jetzt  Gesagten  nicht  befremden, 
noch  weniger  dafs  er  das  französische  Recht  ,,den  In- 
halt der  franzosischen  Gesetze*'  definirt,  wenigstens  ist 
dies  in  seiner  Art  -consequent,  und  so  befremdet  es  auch 
nicht,  ihn  mit-  Ernst  sagen  zu  hören:  das  Recht  (le 
droit)  kann  unter  zwei  Hauptansichten  betrachtet  wer- 
den :  bald  nfimlich  ist  es  Ursache^  bald  ist  es  Wirkung, 
je  naqhdem  wir  dasselbe  als  eine  Regel  betrachten, 
nach  welcher  wir  unsere  Handlungen  einzurichten  ha- 
ben, eder  aber  als  dasjenige,  welches  uns  durch  diese 
Regel  zugetheilt  und  gesichert  ist. 

Wir  wollen  dem  Verf.  nicht  folgen  in  seinen  Er- 
klärungen von  Jurisprudence,  loi,  justice;  da  er  keine 
feste  Basis  hat,  so  ist  darin  sehr  viel  Schwankendes, 
ohne  zu  gedenken,  dafs  es  nicht  über  das  ganz  Gewöhn- 
liche hinaus  geht 

Man  hat  oben  gesehen,  wie  Hr.  Duranton  auf  die 
Erklärung  des  Textes  des  Code  selbst  übergeht;  so 
kommt  er  denn  in  der  vierten  Section  des  zweiten  Ca- 
pitels  auf  „die  Zeit''  zu  sprechen^  ?>&uf  welche  das  Ge- 
setz seine  Wirksamkeit -ausübt;"  es  ist  dies  der  Ge- 
genstand des  bekannten  zweiten  Artikels  de&  Code,  der 
sagt:  das  Gesetz  verfügt  nur  über  die  Zukunft;  es  hat 
keine  rückwirkende  Kraft.  Da  dieses  Capitel  un  alU 
gemeiben  Titel:  „Von  der  \Yirksamkeit  der  Gesetze" 
enthalten,  und,  wie  der  Verf.  sagt,  auf  alle  Gesetze 
jeder  Art  .anwendbar  ist,  und  so  die  gröfsten  Schwie- 
rigkeiten darbeut,  so  halte  es  wohl  eine  tiefere  Unter- 
suchung  verdient,  als  die  ihm  geworden.  Nicht  nur 
übergeht  z.  B.  Hr.  Duranton  dessen  Anwendbarkeit 
auf  die  politischen  und  administrativen  Gesetze  mit 
Stillschweigen,  sondern  er  schweigt  auch  über  die  Be- 
deutung ^er  Vorschrift,  betrachtet  im  Verhältnifs  zu 
den  Sachen,  so  d^s  man  ohne  Mühe  aus  derselben 
folgern  dürfte,  der  Code  ci?il  sei  in  seinen  sog.  Real- 
Staluten  z.  B.  nicht   auf  diejenigen  Grundstücke  und 


Häuser  anwendbalr,  die  zur  Zeit  seiner  Promalgsti« 
existirten.  Was  die  Form  der  gesetzlichen  Interpreta- 
tion selbst  anbelangt,'  so  schreibt  er  mit  Unrecht  einen 
Gutachten  des  Staatsratlis  vom  Jahr  1823  eine  geseU- 
liehe  Wirkung  zu,  da  dieses  Corps  die  Befugails,  G^ 
setze  zu  interpretiren,  die  sich  nach  der  Constitutios 
Tom  Jahr  VIII  eigentlich  nur  auf  Verwaltungsgeset» 
bezog,  durch  die  Charte  von  1814  zugleich  mit  seinen 
politischen  Charakter  verlor.  (Bekanntlieh  ist  1628  Ar 
den  Fall,  dafs  eine  mehrmalige  in  der  nämlichen  ReelUfi 
Sache  erfolgte  Cassation  eine  luter[(retation  nothjg 
macht,  eine  neue  gesetzliche  Vorschrift  gegeben  wo^ 
den,  welche  selbst  wieder  durch  das  Gesetz  tob  L 
April  1837  dahin  abgeändert  worden,  dafs  wenn  der 
Cassations-Gertchtshof  zum  zweitenmal  aus  dem  nin- 
lichen  Grunde  cassirt,  das  Gericht,  an  welches  dendk 
die  Sache  gewiesen,  dessen  Entscheidung  der  Rechts- 
frage als  gesetzliche  Regel  befolgen  muis.) 

Wir  haben  nicht  im  Sinne,  Hrn.  Duranton  ia  s» 
ner  Eutwickelung  des  Code  civil  zu  folgen,  denn  di 
er  selbst,  wos  nicht  dem  Texte,  doch  der  Eintheilia^ 
desselben  folgt,  so  konnte  ünsre  Arbeit,  nur  eine  Dar* 
Stellung  und  etwa  eine  beifällige  oder  tadelnde  Kritik 
seiner  Lehre  in  deren  einzelnen  Punkten  sein,  wm 
wohl  nicht  im  Zweck  dieser  Jahrbücher  liegen  durfisi 

Sehen  wir  von  der  Art  der  Behandlungs weise  ftk 
und  betrachten  wir  das  Werk  blos  als  -ein  praktiiciici 
Handbuch,  so  müssen  wir  vielen  Auslulirungea,  die 
es  darbeut,  aufrichtiges  Lob  ertheilen.  Wo  es  nur  da^ 
auf  ankommt,  in  dem  Texte  des  Code  mit  Scbarfsifli 
zu  unterscheiden,  das  romische  Recht  ala  raison  toäe 
in  einem  gewissen  Sinne  anzusehn,  die  JiirJUprudence 
des  arrdts  zu  erläutern,  ist  di^r  Verf.  ein  schatziMNr 
Cqmmentator.  Da  hier  ni^ht  davon  die  Rede  sein  kao% 
das  Werk  nach  und  nach  in  allen  dergleichen  fint- 
m-ickelungen  zu  verfolgen,  so  müssen  wir  uns  auf  ei- 
nige einzelne  Andeutungen  beschränken.  Wie  gesagt^ 
der  Verf.  folgt  der  Anordnung  des  Code  civil,  nur  ii 
der  Folge  der  Capitel  der  verschiedenen  Titel  hat  tf 
manchmal  in  so  fern  eine  Veränderung  getroffen,  dab 
er  aus  einem  Fragmente  dieses  oder  jenes  Capiteis  ea 
besonderes  Capitel  gebildet;  sein  Plan  ist  somit  bis- 
länglich  angegeben*  Wir  beschränken  uns  nun  danui^ 
zu  zeigen,  wie  er  einige  der,  Hauptgegenstände  des 
französischen  Civilrecbts  dargestellt  hat. 


(Der  Besehlafi   folgt^ 


^  »9. 

Jahrbücher 


für 


wissenschaftliche    Kritik 


Mai   1840. 


Duruntonj  C&urs  de  Droit  franfats  suivant 
.    ie  Code  CimL 

(Schlafs^ 

Das  erste  Buch  des  Code  ist  bekanntlich  betitelt: 
T'en  den  Personen^  da  derselbe  die  bekannte  Eintbei- 
Inog  des  CivilrechtB  in  Personenrecht,  Sachenre.oht  und 
Obligaiionenreeht  angenonunen,  zwar  nicht  ganz,  indem 
das  dritte  Buch  üherschrieben  ist:    Von  den  Terschie- 
denen  Arten^  das  Eigenthum  zu  erwerben,  und   darin 
gleicherweise   Ton   ^en  Obligationen  9    den   Yerlassen- 
•chaften,  den  Testamenten  und  Schenkungen  gehandelt 
wird.    Im  ersten  Titel,  der  den  GenuFs  und  den  Ver- 
lust des  Civilrechts  zum  Gegenstaude  hat,   untersucht 
der  Terf.,  welches  der  Unterschied  sei  zwischen  Fran- 
zosen und  Fremden.   Das  Ergebnils  bt  freilich  in  civil- 
rechtlicher  Hinsicht  sehr  diirftig,  da   der  Code  durch 
das   Gesetz   Tom-  14.  Juli  1819  darin  abgeändert  ist, 
dafs  nun  die  Fremden   in  Frankreich   ohne  Rücksicht 
auf  Reprocitat  succediren  und  daselbst  zv^  Erben  ein- 
gesetzt werden  und    Erben  einsetzen  dürfen.    Es  be- 
schränkt sich  etwa  auf  die  Verbindlichkeit  für  Cautio 
judicatum  solvi  und  die  Ausschliefsung  vom  Beneficium 
^  der  bonorum  cessio.  Diese  beiden  Bestimmungen  sind  im 
Code  civil  und  im  Code  de  procedure  klar  ausgespro- 
chen, denn  sonst  mochte  es  freilich  dem  Verf.   nicht 
leicht  gew<orden  sein,  dieselben  wissenschaftlich  zu  be« 
gründen,  da  er  nicht  weiCs,  was  er  aus  der  Frage  ma-> 
chen  soll,  ob  die  erwerbende  Verjährung  dem  Fremden 
EU  gut  komme.     Er  ruft   freilich  die  alte   Unterschei- 
dung zwischen  droit  da  gens  und  droit  civil  zu  Hälfe, 
"weifs  sich   aber    doch    nicht   herauszuziehen.      Da  er 
gleich  von  vorn  herein  in  seinem  Capitel:  rom  Recht 
im  Allgemeinen^  von  dieser  EintheUung  eine  verwor- 
rene Erklärung  gegeben,  so  dafs  er  z.  B.   ein  droü 
des  gens  primitif  aufstellt,  was  „die  natürliehen  Eil- 
y,ligkeitsregeln,   die  etwa  bei   allen  Völkern   in  Kraft 
«    Jahth.  /.  triaffnicA.  KriHk.   J.  1840.    I.  Bd. 


„sind  und  die  bezeichnet  werden,  wenn  man  sagt,  in 
„Kauf,  die  Miethe,  das  Darlehn  gehören  zum  droit  des 
gens",  und  im  Gegensatz  dazu  ein  droit  d^s  gens  posi^ 
tif,  das   „auf  die  Völkerverträge  sich  grundet'S  so  ist 
natürlich,  dafs  er  sich  verwirse,  wenn  er  zeigen  soU^ 
welche  Rechte  in  Frankreich  dem  Fremden  zukommen. 
Zugleich  hat  er  vergessen,  den  Hauptgnindsats  aufzu- 
stellen, auf  den  er '  sich  in  seiner  Untersuchung  besbbt« 
Denn  daraus,  dafs  er  mit  dem  Art.  8  des  Code  sagt; 
Jeder  Franzose  geniefst  die  Civilrechte,  ist  noch  nicht 
alles  gethan,  da  daraus,  wie  Hr.  Duranton  selbst  ge« 
Steht,  nicht  folgt,  dafn  nur  der  Franzose  die  Civik 
rechte  geniefse.    Das  Wort  Civilrechte  \im  in  einem 
besondern  Sinne  anzunehmen,  wird  man  dadurch  verhin- 
dert,  dafs  im  Artikel  11  gesagt  wird:    ,^Der  Fremde' 
„geniefst  in  Frankreich  die  nämlichen  Civilrechte,  die 
..den   Franzosen  durch  die  Verträge  der  Natioti,    zu 
„welcher  er  gehört,  zuerkannt  worden  sind  oder  wer- 
den mögen.''    Uebrigens   kommt    hier  *zur   Entschlildi- 
gung  Hrn.  Duranton's,    dals   die  Verfasser   des  Codu 
selbst  in  dem  tiefsten  Dunkel  rücksichtlich  der  Frage 
befangen  waren,  was  sie  unter  droits  civils  verstehen 
lassen   wollten.     Die    Unbestimmtheit   des  Ausdrucks 
droits  des  gens  trug  viel  dazu  bei.    Da  er  von  Alters 
her  in  Frankreich  gleicherweise  für  Völkerrecht  (äufse-  - 
res  öffentliches  Recht)  und  Privat-Naturrecht  (jus  gen* 
tium  im  römischen  Sinn)    gebraucht  worden,  und  da 
'  auch    wohl    die   völkerrechtlichen  Verhältnisse    selber 
als  Frivatverhältnisse  zwischen  Völkern  angesehen  wer- 
den können,  und  auch  von  ,  den  Römern  in  gewisser. 
Hinsicht  so  angesehen  waren  ^    so  hatte  sich  bei  der 
-steten  Einmischung  des  römischen  Rechts  in  die  neuen 
Begriffe  *)  eine  Art  von  ZwiUer-ldee  gebildet,  welche 

*)  Da  das  franzSsische  Wort  gens  sonst  gar  nichts  mit  der 
Idee  Völker  gsnein  bat,  so  mafs  die  so  roh  scheinende  Ver- 
pflansang  des  jas  gentiam  ins  französische  als  droit  des 
gens  so  erklärt  werden.  ,  ^ 

99 


787  Durautany   Ca$irs 

durch  das  Wort  droit  des  gern  bozeiobnet  wurde  und 
You  welcher  die  Urheber  des  Code  Civil  mehr  oder  we- 
niger befangen  waren.    D'Aguesseau  hatte  das  Fehler- 
hafte dieser  4>nsicht  nieht  nur  gefühlt,  sondern  wegsu- 
jeaiimen  gesucht,  als  er  in  seiner  Institution  au  droit 
public  (1716)  vorschlug,  das  droit  fmblio  eztirieur^ 
anstatt  droii  des  gens  und  jus  gentium,  droü  entre 
leM  natiotu  und  jus  inter  gentes  zu  nennen.    Jene  Un- 
bestimmtheit des 'Begriffs  droits  civils  zeigt  sich  wie- 
der in  dem  Artikel  25  des  Code,  wo  es  darauf  an- 
kommt, die  Rechte  su  bezeichnen,  deren  Verlust  der 
bürgerliche  Toä  (mort  ciTile)  nach  sich  ziehe.   Die  Ver« 
f^ser  des  Code  verliefsen  sieh  auch,  so  wenig  auf  das 
Ausschliefsende,  das  sie  doch  gewissermafsen  dem  Arti- 
kel 8  und  dem  Artikel  11  beigelegt  haben  wollten,  dafs 
sie  in  deo  eiuzelnen  Rechts  •  Instituten,  wo  es  ihnen  be- 
sonders darauf  ankam,  einen  Unterschied  zwischen  den 
Fremden  und  den  Einheimischen  aufzustellen,  sich  be^ 
stimmt  hierüber  ausdrückten,  so  z.  B.  in  den  im  Jahr 
18}9  abgeänderten  Artikeln  72&  und  912  die  Suocessio- 
nen  und  die  Schenkungen  und  Testamente  betreffend« 
Andere  Institiite,  wie  z.  B.  Usucapion  und  Hypothek 
liefsen  sie  in  dieser  Hinsicht  unbestimmt;  selbst  die  ces- 
sio bonorum  ist  formlich  erst  durch  den  Code  de  proce^ 
dure  elTiIe  den  Fremden  verweigert  worden.    Es  wäre 
zu  wünschen  'gewesen,  dafs  Hr.  Duranton  die-  Frage 
untersucht  hätte:  in  wiefern  derGenufs  der  natürlichen 
Rechte  (des  dreit  des  ffens)^  den  er  dem  Fremden  in 
Frankreich  zuerkennt,  gegenüber  der  Bestimmung  des 
Sten  Artikels  des  Code  bestehe,  welcher  die  Regel  auf- 
stellt,   dafs  die  Sicherheils-  und  Polizei- Gesetze  alle 
diejenigen  verpflichten,  welche  auf  französischem  Bo- 
den sich  befinden.    Ein  Türke,  der  nach  sdnem  Yolks- 
Gesetze  fünf  eheliche  Frauen  haben  kann,  deren  Kin- 
der legale  sind,  kann  er  dies  Gesetz  in  Marseille  an- 
rufen, wenn  ihm  daselbst  der  Genufs  desselben  bestrit- 
ten wird?  z.  B.   eine   seiner  Frauen  Terläfst  ihn,  oder 
der  offieier  de  T^tat  civil  weigert  sich,  das  ihm  von 
einer  seiner  Frauen  neugeborne  Kind  als  elilich  einzu- 
schreiben; und  wenn  er  mit  vier  Weibern  angekommen, 
in  Marseille  eine  fünfte  ehiichen  will,  kann  ihm  dies 
verweigert  werden,  und  wenn  er  sich  verehlicht,  ist  er 
i^  f*alle'der  vom  Code  p^nal.  bestraften  Bigamie  ?  Eine 
Nebenfrage  wäre  die  gewesen:  wenn  ein  fremder  Staat, 
wenn'z.  B.  der  türkische  Sultan,  durch  ein  formliches 


da  Droit  Jranfaii.  '     16B 

Edict  erkBrt,  die  Franzosen  sollen  In  der  Türkei  du 
nämliche  Recht  fünf  Eheweiber  zu  haben  ^  genieÜMai, 
wie  die  Türken,  geniefsen  deshalb  die  Türken  in  Frank 
reich  das  nämliche  Recht  f  Hrv  Merlin,  der  das  HtW 
che  einer  solchen  Anwendung  des  Artikels  11  ebgesiia, 
hat  es  zu  beseitigen  gesucht,  indem  er  das  Wort  fer- 
träge  im  Artikel  11  streng  nimmt  und  demnadi  be- 
merkt, dafs  dadurch  die  Intervention  der  franzökischei 
Regierung  erheischt  werde. 

Unter  den  Ursachen,  welche  den  Yeriust  der  & 
genßchaft  als  Franzose  bewirken,  ist  auch  rucksfchdid^ 
der  Weiber  die  Ehe  mit  einem  Fremden.  Hr.  Dnrai* 
ton  hat  sich  begnügt,  dieselbe  fast  nur  anzudentes. 
Yielleicbt  hätte  sie  mehr  erörtert  zu  werden  verdient] 
so  wie  umgekehrt  die  Frage:  wann  die  Erwerbung  der 
Eigeoschaft  als  Franzose  durch  die  Ehe  einer  Fremdm 
mit  einem  Franzosen  statt  finde  %  Bekanntlich  ist,  nt 
folge  des  durch  den  Cassations- Gerichtshof  aufgesteD- 
ten  Grundsatzes,  dufs  der  Eingehungs-Act  der  Ehe  vor 
dem  Civilstands- Beamten   unzerthellbar  sef  und  .den- 

• 

nach  der  Fremden  schon  von  dessen  ersten  Moment  an 
die  Eigenschaft  einer  Französin  mittheile,  das  Crini« 
nal  -  Urtel,  das  (1819)  den  General  Sarrazin  zu  des 
Galeeren  verortheilte,  bestätigt  Worden,  ob  es  gleidi 
aus  dem  Grunde  angegriflfen  war,  dafs,  da  die  besAdi* 
tigte  zweite  Ehe  enifser  Frankreich  und  mit  eher 
Fremden  eingegangen  worden  war,  dieselbe  kein  stiaC* 
bares  Verbrechen  sei.  Der  Cassations  -  Gerichtsbol^ 
Indem  er  anerkannte,  dafs  überhaupt  nur  die  isi  /fss« 
de  begangenen  Terbrechen  den  Vorschriften  des  Code 
p^nal  unterliegen,  entschied  gleichwohl  für  das  Urtbeil 
aus  dem  Grunde,  dafs  die  Geehelichte,  obgleich  vis 
Geburt  eine  Engländerin,  durch  die  Eingehung  derEke 
selbst  Franzdsin  geworden  sei$  ein  Spruch,  der  ab 
Criminal- Urtel  um  desto  auffallender  ist,  da  nachdesi 
Code  p^nal  die  Bigamie  kein  succesiivee  Verbreehes 
ist,  sondern  allein  in  der  Celebration  der  Ehe  vor  desi 

Civil-Beamten  besieht 

» 

Zufolge  der  von  ihm  befolgten  Ordnung  des  Code 
civil  schliefst  der  Vf.  den  ersten  Band  mit  dem  Titel: 
€l^  Trennung  von  Tisch  und  ßetie;  von  der  Ehe* 
Scheidung,  die  bekanntlich  ehemals  den  ersten  und 
hauptsächlichsten  Theil  dieses  Titels  ausmachte,  sagt 
er  weiter  nichts,  als  dafs  dieselbe  durch  das  Gesetz 
vom  8.  Mai  1816  abgeschaff^t  worden  ist    Sieht  er  sie 


/^ 


p 

7B9  Duranton  ^  Court 

abo  an,  ab  habe  sie  nie  existirt>  oder  habe,  da  sie  ezi<- 
Mirte,  gar  keine  Wirkung,  die  noch  fühlbar  wäre,  hervor- 
^ebrachtt     Es  wäre  dies  gaus  dem   Geist  seiner  Me- 
thoHde  gomftfs;  um  aber  billig  ku  sein,   kann  man  auch 
annehmen,  dars  Br.  Duranton  1823  sich  nivht  frei  ge» 
nug  ffihlte,   ein  dem  KhruM  widriges  Institut  zu  erör- 
tern, eine  Rücksicht,  die  freilich  nur  damals  in  Frank- 
reich genommen  werden  kennte.    Allein  in   einem  an- 
dem  Bezug  wäre  es  auch  der  Mühe  werth  gewesen^ 
die  S4$paration  der  corps  zu  beleuchten,  nämlich  in  dem 
Bezug  auf  die  Regel  pater  ect.    So  lange  der  beleidigte 
Ehegatte   zwischen  der  Ehescheidung  und   der  Tren- 
nung von  Tisch   und  Bette    die   Wahl   hatte,    konnte 
nmn  sidi  allenfalls  mit  jener  Regel  versöhnen,  indem 
der  Kläger  durch  die  Wahl  der  blofsea  Trennung  von 
Tisch  und  Bette*  sich  stillschweigend  derselben  Unter- 
worfen  zu    haben  schien.    Nachdem  aber  die  Schei- 
dung abgeschaSit  ist,   stellt  die  nämliche  Regel,  auf  die 
.  separirten    Gatten    angewendet,    im  Widerspruch   mit 
dem  gesunden  Menschenverstände,  Und  bat  ihre  einzige 
Basis  verloren.    Bekanntlich  ist  schon   einmal  in  der 
Pairskammer  ein  Yorsclilag  vorgelegt  worden,  der  zum 
Zweck  hatte,   die  Wirkungen  der  Separation  de  corps 
SU  reguüren ;  es  ist  derselbe  aber  nicht  bis  zur  andern 
Kammer  gelangt. 

Das  zweite  Buch  „von  der  Unterscheidung  der 
Güter"  (de  la  distinction  des  biens)  verdient  das  nämli- 
che Lob  und  den  nämlichen  Tadel  wie  das  erste.  Doch 
liat  sich  der  Terf.  hier  mit  besonderm  Interesse  erin- 
nere, dafs  es  noch  andre  CivilgeseCze  gebe,  als  den 
Code.  Es  geschieht  dies  bei  Gelegenheit  der  flrdrte- 
Tung  der  Frage,  welches  die  durch  den  Code  aner- 
lEannten  dinglichen  Rechte  seien.  Bekanntlich  sagt  der 
ilrdkel  543:  Man  kann  auf  die  GQter  entweder  ein 
Eigenthumsrecht  oder  ein  blofses  Recht  des  Genusses 
oder  blofse  Dienstbarkeitsrechte  habea  Dafs  von  ding- 
lichen Rechten  allein  (und  nicht  etwa  auch  von  Leh-- 
nung)  die  Rede  ist,  wird  allgemein  anerkannt.  Aber 
Dicht  eben  so  allgemein  wird  zugestanden^  dafs  hiemit 
eJle  dinglichen  Rechte  exciusiv  bezeichnet  sind.  Dafs 
3ie  Hypothek  nicht  genannt  wird,  erklärt  sich  zwar 
laraua,  dafs  sie  nur  ein  accessorisches  Recht  ist,  aber 
idbst  die  temporäre  fimphyteusis  (in  der  Person  des 
Bmphyteuten  betrachtet)  scheint  vielen  auch  ein  dingli- 
dies  Recht  zu  sein.    Hr.  Duranton   theilt  diese  Mei- 


do  Droit  ß'mpms.  790 

nung,  ohnerach(et  des  Gesetze^  vom  29.  December  1790, 
das  die  damals  bestehenden  ewigen  Emphyteusen  als 
Eigenthum  erklärte,  und  das  dominium  directum  in  eine 
Rente  auflöste,  die  der  jährliche  Zins  (canon)  vertreteid 
sollte,  indem  dasselbe  zu^gleicher  Zeit  verbot.  In  Zu*- 
kunft  Emphyteusen  zu  errichten,  die.Qber  99  Jahre 
hinausgingen.  Der  Code  civil  schweigt  über  die  Em*> 
phyteusen  ganz,  jeBoch  kommt  man  darüber  überein, 
dafs  dessen  Artikel  530,  der  alle  ewigen  Renten  zn . 
Mobilien  erklärt,  auch  auf  die  emphyteutischen  Renten 
anwendbar  ist  Es  wäre  wohl  nicht  schwer,  die  Met* 
nung  Hrn.  Duranton's  zu  bestreiten,  wir  müssen  sie 
aber  hier  auf  sich  beruhen  lassen. 

Von  dem  dritten  Buche  gilt,  was  wir  von  den 
zwei  ersten  bemerkt.  Wenn  wir  also  einerseits  sagen 
müssen,  dafs  die  einzelnen  Lehren  mit  der  Logik  und 
dem  Scharfsinn  dargestellt  sind,  die  wir  oben  aner^ 
kannt  haben,  so  wird  man  ohne  Befremdung  verneh- 
men, dafs  der  Vf.  den  germanischen  Ursprung  der  im 
Art.  724  aufgestellten  Regel :  le  mort  saisit  le  vif  auch 
gar  nicht  ahnet,  und  also  eben  so  wenig  den  Ursprung 
der  Regel  des  Art.  2279:  en  fait  de*  meubles  la  posses- 
sion  vaut  titre  zu  kennen  scheint,  eine  Eigenheit,  die 
er  übrigens  mit  Cujas^  Lauriere  und  a.  theilt.  In  oben 
bezeichneter  Hinsieht  genommen,  Ist  der  Titel  von  den 
Obligationen  im  Allgemeinen  um  so  besser  gdungen, 
als  der  Verf.  denselben  scholl  früher  in  einem  beson* 
deren  Werke  behandelt  hatte. 

Rauter  in  Strafsburg« 


V       . 


LX. 

Leonardi  Spengelii  Specimen  C&mmontario- 
rum  in  AristoteUs  libros  de  arte  Rhetorica. 
Monachü,  typi^  Idbrariae  Scholarum  Jtegiete, 
MDCCCXXXIX. 

Diese  Schrift  eines  um  die  Geschichte  der  antiken 
hellenischen  Rhetorik  hochverdienten  Gelehrten  mufs 
um  so  mehr  die  Aufmerksamkeit  aller  Freunde  der  Ari- 
stotelbchen  Litteratur  in  Anspruch  nehmen,  als  dieselbe, 
nach  dem  kurzen  Vorworte  des  Terfs.,  als  Vorläufer 
einer  neuen  kritischen  und  erklärenden  Bearbeitung  der 
rhetorischen  Werke  des  Aristoteles  und  anderer  grie- 
ehischer  Rhetoren  angesehen  werden  darf,  deren  Er^ 


7M  Spsnget^  »peeimen  eommsntariorum  m 

•eheinen  der  beseheidne  Verf.  von  dem  Urtheile  #er 
gelehrten  Welt  über  diese  Probe  abhängig  macht.  Es 
ist  aber  in  dieser  Hinsicht  von  der  neueren  Philologie 
für  Kritik, und  Erklärung  der  Aristotelischen  Rlicto- 
rik  -r-  um  nur  bei  dieser  stehen  z^  bleiben  —  noch  so 
>venig  geschehen;  das  weite  fruchtbare  Feld  ist  noch 
jgo  spürlich  bearbeitet,  dab  jeder  Beitrags  geschweige 
denn'  der  eines  so  anerkannten  Gelehrten,  der  in  die- 
sem Felde  philologischer  Studien  Torzugsweise  zu  Hause 
ist,  nur  mit.  Freude  erwartet  und  mit  Dank  entgegen- 
genommen werden  kann.  Weifs  doch  Hr,  Prof.  Spen- 
gel  selbst  neben  Fictorius  und  Murets  Arbeiten  in 
dieser  Gattung  nur  noch  des  weiland  alten  hallischen 
Professors  Severin  Tater»  aus  F.  A.  Wolfs  Anregung 
hervorg^angene  kritische  und  iuterpretative  Observa- 
^nen  als  Yorarbeiten  anzuführen,  zu  denen  sdt  beinahe 
einem  halben  Jahrhunderte,  wenn  man  von  Bekker*s 
Gesammtausgabe  absieht,  nur  noch  zwei  mehr  für  das 
Popularbedürfnifs  berechnete  deutsche  Uebersetzungen 
Ton  .ÜT.  L»  Roth  und  -Heiur.  Knebel  hinzugekom- 
men sind. 

Seit  Victorius  sind  die  kritischen  Hulfsmittel  für  die 
Aristotelische  Rhetorik,  sofern  sie  aus  Handschrift^ 
gestehen}  nicht  vermehrt  worden.  Denn  abgesehen  von 
Tielen  andern,  die  der  gelehrte  Italiäner  nach  der  Weise 
jener  Zeit  nicht  näher  bezeichnet,  stützte  sich  seine 
Kritik  besonders  auf  zwei  Handschrifteo,  von  denen  die 
eine  (Cod.  Porisin.  1741;  A«  bei  Bekker)  dieselbe  ist, 
welche  aueh  Immimuel  Bekker  seiner  neuen  Recen- 
sion  der  Rhetorik  zu  Grunde  gelegt  hat,  ipse  raro  (wie 
Hr.  Spengel  bemerkt)  corruptis  manum  sed  numquam 
frustfa  admoTens.  Da  Victorius  Collation  jener  Hand-  . 
Schrift,  wctlche  auf  der  Münchuer  Biblioihek  beiiqdlich, 
Hrn.  Spergel  zu  Gebote  stand,  so  befand  er  sich  im 
Fülle,  für  die  Genauigkeit  von  Bekker's  Vergleichung 
Zeugnifs  ablegen  zu  können,  \yo  wir  denn  erfahren, 
dafs  dem  Berliner  Gelehrten  nur  sehr  weniges  entgan- 
gen, andere  Unrichtigkeiten  nur  durch  den  Druck  ver- 
anlafst  seien.  Eine  genaue  Aufzählung  beider  wäre 
für.  den  Gebrauch  der  Berliner  Ausgabe  freilich  noch 
erwünschter  gewesen.  Aufser  der  gedachten  Collation, 
waren  nun  dem  Hrn.  Terf.  noch  zur  Hand:  eine  alte 
sehr  wortgetreue,    nach  einer  an  Wcrlh  der  Pariser 


7» 


AriHotelü  libroi  de  arie  RAetorica.  *    " 

gleichen  Handschrift  verfafste  lateinische  {Jebersetznng 
und  die  editio  princeps,  womit  der  bisher  ermilfehe 
Bestand  des  kritischen  Apparats  erschöpft  sein  durfte.  — 
Das  hier  mitgetheilte  Specimen  umfafst  nun  den  Conu 
mentar  zu  einem  Theile  des  ersten  Kapitels,  und  di» 
Behandlung  einzelner  Stellen  aus  den  folgenden.  Di» 
Methode  der  Erklärung  selbst,  die  der  Verf.  als  eme 
von  der  gewohnlichen  Weise  abweichende  bezeichnet, 
dürfte,  man  insofern  eine  historische  nennen,  als  der 
Terf.  die  Erklärungen  der  Alten  in  ihrem  vollen  Ha» 
fange  der  Reihe  nach  mittheilt  (ut  lectores  ipsi  qiiii 
verum,  quidfalsum  esset  perspicerent)'und  zugleich  die 
Aristotelischen  Dogmen  durch  angeführte  Bebpiele  ans 
den  Rednern  io  ihrer  praktischen  Anwendung  aufzeigt. 
Freilich  verhehlt  ier  sicli  dabei  die  Befürchtung  nicht, 
dafs  durch  solches  Verfahren,  das  übrigens  in  seines 
Anfängen  schon  der  Itc4ischen  Philologie  zugehört,  der 
Umfang  des  Commentars  übermäfsi^  angeseUweUt  we^ 
den  dürfte.  Allein  gegen  seinen  halb  und  halb  gefafs- 
ten  Entschlufs,  deshalb  und  nur  deshalb  seine  Samm- 
lungen für  sich  zu  behalten,  und  andern,  wie  er  sisk 
ausdrückt,  „nicht  damit  beschwerlich  zu  fallen",  mGssci 
wir  um  so  mehr  protestiren,  als  gerade  ein  so  Follstän- 
diger  historischer  Commentar  alleh  denjeuigen  höchst 
erwi^nscht  sein  mufs,  die  solche  Studien  selbst  zu  ms- 
chcn,  auf  eine  oder  die  andere  Weise,  namentlich  auch 
durch  den  Mangel  an  den  dazu  nothwendigen  HiiUi* 
mittein  verhindert  sind«  Für  Aristoteles  aber  ist  m 
dieser  Gattung  wahrlich  noch  kein  solcher  Ueberfisb 
vt>n  Arbeiten  und  Sammlungen  vorhanden,  dafs  aus 
nicht  denjenigen  Dank  wissen  sollte,  die  durch  Mittbfi- 
lungen'  ihrer  Schätze  eine  fühlbare  Lücke  in  diesen 
Felde  d^r  philologischen  Litteratur  ausfüllen  hdfsn. 
Ob  nun  dabei  um  Raum  zu  sparen  sich  doch  nicht 
Manches  noch  ins  Engere  ziehen,  und  z.  B.  SteUesi 
die  ein  und  dieselbe  Erklärung  nur  in  etwas  verfinder- 
ter  Form  wiedergeben,  nicht  vielleicht  entweder  nv 
kurz  namhaft  zu  machen,  oder  sonst  in  der  Form  vsn 

V  I 

Noten  unter  dem  Texte  des  Commentars  beigebracht 
werden  könnten,  darüber  wollen  wir  dem  Verf.  dw 
Entscheidung  selbst  anheimgeben,  und  jetzt  Heber  deaip 
selben  in  das  Euizelne  des  als  Probe  Gebotene  am 
folgen  versuchen. 


(Der  Beschlofs  folgt.) 


vif  100. 

Jahrbuch 


e  r 


für 


VT  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    K  r  i  t  ik. 


Mai  1840. 


iseonwrdi  Spengelii  Specimen  Commentario' 
rum  m  Arittotelts  librot  de  orte  Rhetorica» 

■ 

(Schlaft.) 

Der  Vf.  beginnt  mit.  der  Erklärung  des  ¥ielgedeu(e- 
(eo  Ausdrucks:  dafs  die  Rhetorik  dfxioTQO(foq  der  Dia- 
lektik sei.  Er  laGst  den  Auseinandersetzungen  Cicero?s 
(Orat.  32,  ^.  113.  de  Fin.  11,  6,  17.  Academ.  I,  8,  32) 
und  Varro'ß  (apud  Isidör,  Origg.  II,  23.)  die  Erklärung 
des  Alexander  von  Aphrodistas  (in  Topic.  I,  p.  4)  fol- 
gen, der  ivxiaxjfoq  o$  durch  -looaxQoqfO^  %ai  ntql  tii  avtä 
taxQtqoiiivfi  nai  xaraytvofAevri  erläutert,  und  giebt  diesw 
Erklärung  mit  Victorius  den  Vorzug  vor  dem  Cicero* 
nischen  ex  altera  parte ;  demnächst  zeigt  er  nach  dem 
Vorgänge  Jtfurets  und  Camerar's  (m.  s.  Camerar.  ^d 
Arist«  Polit  IV,  5.),  dafs  der  aus  der  Geometrie  ent- 
lehnte (cfr.  M.  MoraL  I^  10.  p.  1187.  b.  2,)  Ausdruck 
ürxMQOfpoi  mit  Absicht  von  Arbtoteies  gewählt  sei,  um 
gleich  mit  dem  ersten  Wo^e  seinen  polemischen  Stand- 
punkt g^gen  Platon^s  Ansicht  von  der  Rhetorik,  wie 
sie  un  Gorgias  (p.  465  d.  H.  St.)  ausgesprochen^  zu  be- 
meichnen,  denn  dort  im  Gorgias  heilst  es  ausdrucklich 

vnd  zum  Schlüsse  der  Stelle  sagt  er  mit  dürren  Wojr- 
ten,  die  Rhetorik  sei  aftlaxQOfpov  irfianoitag  h  ^jvxy 
m%  ixthvo  h  aniiiau.  — •  Der  Aristotelische  Begriff  der 
Dialektik  wird  erklärt  durch  Analyt.  •  post.  I,  11.  mit 
'Hinweuung  auf  Trendelenburg  de  Anima  p.  204.  Hier 
hätte  der  Verf.  nun  wohl  die  schdne  Ausfuhrung  und 
Sntwieklung  des  Begriffs  der  Aristotelischen  Dialektik 
anführen  können,  welche  Biese  (die  Philosophie  des 
Aristoteles  in  ihrem  innem  Zusammenhange  Th.  I,  S. 
616  ff.)  neuerdings  gegeben  hat  —  Hierauf  folgen  Stel- 
len aus  den  griechischen  Rhetoren,  die  entweder  blofs 
anführend  oder  auch  polemisch  auf  jene  Aristot.  Bezeieh- 

jMkrb,  f.  wiiienich.  Kritik.   /.  1840.   I.  Bd. 


nung  der  .Rhetorik  sich  beziehen.  Polemisch 'verhält 
sich  z.  B«  Sopater  in  Hermog.  (Rhett.  Gr.  T.  V,  p.  15), 
der  die  Aristotelische  Absicht  mit  Uebergefaung  des  Ari- 
stoteles den  Stoikern  beilegt.  —  Dafs  Aristot.  selbst 
weiterhin  (I,  2.  u.  I,  4.)  die  Rhetorik  auch  als  Theil 
(/i({^iOf^,  naQaqivio)  der  Dialektik  un4  Politik  betrachtet 
wissen  will>  wird  gleichfalls  bemerkt  (p.  1  —  4).  —  In 
dieser  Weise  erhalten  wir  also  in  jeder  ausführlicheren 
Note  eine  kleine  historische  Abhandlung,  in  welcher 
neben  dem  richtigen  Verständnisse  der  betreffenden 
Stelle  selbst  da^  Verhalten  der  spätem  Theoretiker,  un- 
ter denen  Cicero  als  der  älteste  übrig  ist,  zu  den  Ari- 
stotelischen Ansichten  und  Bezeichnungen  hervorgeho- 
ben, und  dadurch  zugleich  das  Interesse,  welches  spä- 
tere Zeiten  an  dem  Aristotelischen  Lehrgebäude  nah- 
men, als  ein  dauerndes  nachgewiesen  wird.  Durften 
wir  uns  eine  Bemerkung  erlauben,  so  wurde  bei  dem 
noch  sehr  filhlbaren  Mangel  eines  Lexicon  Aristoteli- 
cum  die  Anführung  von  Parallelstellen  für  den  Ge« 
brauch  eines  Worts  hier  und  in  ähnlichen  Stellen  sehr 
wünschenswerth  sein.  Wir  bemerken  für  avuatQi(fsiv 
Soph.  Eeuch.  V,  §.<  6.  Buhle  und  für  ävtUn((oq>og  be- 
sonders  de  ortu  Animal.  III,  ep.  11.  p.  761  I.  19  Bek- 
ker.  ft^^  fier  yag  %ä  C^a  qiWoZg  iolKaa^  ngig  de  xa 
q}vxä  C<f^ii^  und  unmittelbar  darauf  dtä  di  xh  xoZg  qwxoZg 
dvxtoXQoq>ov  t%Hv  xriy  qivaiv  eett.  Ueber  dieStructur 
des  Wortes  handeln  Schaefer  ad  Dionys.  de  compos. 
verb.  p.  225  Stallbaum  ad  Plat.  Rp.  p.  116  ad  Gorg, 
p.  89  vgl.  auch  Menage  ad  Diog.  Laert.  VII,^  42,  T.  11^ 
p.  282.  Endlich  wQrden  wir  die  eigene  Erklärung  mit 
einer  deuttehen  Debertragung  des  Ausdrucks  beschlos- 
sen wQnschen.  Es  ist  kaum  zu  begreifen,  weshalb  sich 
gegen  dies  letste  ein  gewisser  Eigensinn  der  deutschen 
Philologie  noch  immer  sperrtt  während  doch  schon  die 
Römer  uns  hierin  vorangegangen  und  Franzosen,  Eng- 

100 


795  Spengetj  spocimen  commentariorum  in 

Jänder  und  Holländer  ihnen   mehr  oder  liveoigcr  nach- 
. gefolgt  sind.     Und  doch   drückt  erst  eine  Uebersetzuug 
iu  der  Muttersprache  gleichsam  das  Siegel  der  Vollen- 
dung auf  die  Erklärung  eines  fremden  Ausdrucks.    In 
iinserm   Falle  erfahren  wir  z.  B.  wohl,   dafs  Hr.  Sp. 
die  Auffassung  des  griechischen  Erklärers  billigt,  nicht 
.aber  wie  er  selbst   den  Ausdruck  erschöpfend  wieder- 
geben möchte.    Roth  übersetzt:    „die  Rhetorik   ist  das 
Seitenstücb  der  Dialektik",  während  Knebel^  der  die 
Ausdrücke  „Seitenstuck"  und  ^^Gegemtäck^^  schielend 
findet,  dafür  „verwandt"  gewählt  hat. 

Der  zweite  Satz  des  Kapitels  d^q;6rtQai  yaQ  ntQk 
xoiomtov  tiväv  tlaiv  S  Hotvu  %q6nov  xiva  änavxwf  iaxl 
'  /vtogi^iiv  Kai  ovdefAiaq  imax^fiPig  d*f0(fiafuvrig  giebt  dem 
Yerf.  Gelegenheit,  zu  zeigen,  dafs  auch  hier  gegen 
Piaton  polemisirt  und  die  Ansicht  der  Sophisten  (Gorg. 
p.  10  und  24,  Protag.  p.  278.  Bekk.)  gegen  ihn  in 
^cblutz  genommen  werde.  Weshalb  übrigens  der  Hr. 
Vf.  im  Folgenden  statt  xai  dnoXo/tia^^ai  uai  xax/jyoQtZv 
die' umgekehrte  Folge  der  Worte  als  nothwendig  an- 
sieht, wissen  wir  nicht  zu  finden.  Zu  odonouXv  konnte 
die  ähnliche  Ausdrucksweise  Metaphys.  I,  3,  p.  26. 
Brandis,  de  partibb.  animalL  I,  4  extr.  Eth.  Nie.  I, 
4,  5.  und  Cicero's  optimarum  artium  vias  tradere  (de 
dlv.  n,  1.)  angeführt  werden. 

Aristoteles   vindicirt   im   Nächstfolgenden   für   die 
Rhetorik  den  Begriff  der  texv^,  ebenfalls  gegen  Platon, 
mit  den  Sophisten,  namentlich  mit  Peius,   dessen  Satz 
fj  iiin-fiQia  xixvfjv  inoifjaiv  ^  8*  amtgia  tvxtjv  er  über- 
dies an  einem  andern  Orte  ausdrücklich  belobt  (Meta- 
phys. I,  I.).    Hier  zeigt  nun  wieder  der  Commentator 
(p.  7—8),  dafs  die  spätere  Zeit  überall  dem  Aristoteles 
~    gefolgt  ist.    Hier  aber  zu  Ende  des  §.  2.  der  Buhli- 
schen  Ausgabe  bricht  der  Commentar   ab  und  beginnt 
erst  wieder  mit  ^.  12  der  gedachten  Ausgabe,  in  wel- 
cher Aristoteles,    ebenfalls   mit   polemischer  Wendung 
'  gegen  Platon,  vom  Nutzen  der  Rhetorik  handelt  Unter 
.    den  vom  Yerf.  bei  dieser  Gelegenheit  angeführten  Stel- 
len  griechischer  Rhetoren,  welche  die  von  Aristoteles 
hier  beigebrachten  Nützlichkeitsgründe  besprechen,  giebt 
die  eine  (Rhetor.  gr.  TU,  12)  dem  Hrn.  Vf.  Gelegenheit,  zu 
bemerken,  dafs  die  Nachricht  nal  S^^xfjoiv  6  jiQiaroväifjg 
diä  xl  Idiriai  fAeafjy  tlvcu  ^fixoQinijpy  ncd  qfjaiv,  Sxi  xbv  STf^ 
fiop  Kai  xoig  Sixaaxitg   i^  IditoxSv  avyxHftipovg  ov  ivvaxhv 
x^  nQiity  (nämlich  ^fjroQmp)  inaKoXov^tXv  tcal  ini(nfifi6'' 


ArütoteliM  libroi  de  arte  RUetoriea.  796 

vtög  xit  Xiyofitva  i^aaOdi  u.  s.  f.  wahrscheinlich  ans  ei- 
ner anderen  Aristotelischen  Quelle  entnommen  sei.  In 
der  Noie  jedoch  ist  er  geneigt,  die  Rhet.  I,  2.  befindli- 
chen Worte :  6  yuQ  x^ixi^g  vnonuxai  thm  inXov^  dafür 
zu  halten.  Allein  mit  weit  mehr  Wahrscheinlichkeit 
glauben  wir  als  Quelle  des  Rhetors  dasjenige  ansebn 
%u  dürfen,  was  au  unserer  Stelle  (1, 1.  ^.  12.)  Ton  Ari- 
stoteles als  zweites  Nützlichkeitsmoment  angeführt  wird 
ivi^  de  nQog  ivLovg  x.t.I.  wozu  die  von  Aristoteles  seihst 
angezogene  Slelle  seiner  Logik  (I,  cp.2)  zu  vergleiebea 
ist.  Allein  das  l^xrjaiv  6  Aq.  öiä  xl..  kann  auch  die 
Probleme  hier  ins  Gedächtnifs  rufen,  die  ja  in  aehr 
zerrissener,  unvollständiger  Gestalt  erhalten  sind. 

Sehr  gut  ist  im  Folgenden    die  von  älteren   md 
neueren   Herausgebern    ausgelassene    oder  eingeklam- 
merte Partikel  t<  in  den  Worten  8ia  xt  xo  qiiau  durek 
Parallelstellen  (Andocid.  I,  58.   Lucian  Neron.   ep.   Z) 
uud  durch  die  Erklärung:  ,;T€  banc  primam  ea^e  ratio» 
nem  et  alias  sequi  indicat^'  geschützt.    Selbst  das  yt  hd 
Dionys.  Hai.,   der  diese  Stelle,   wie  er  sagt,   w^iirtlieh 
abgeschrieben  hat   (Epist.  ad  Ammaeum  op.  6),   ist  of- 
fenbar nur  Schreibfehler,  und  die  Auslassung  von  xi 
in  Bekkers  Palatin.  (wenn  nicht  etwa  rc  dort  ausge- 
lassen ist?)  und'  von  xt  in   mehreren  alten  AuagabeBg 
unter  denen  auch   die  treffliche  Isingrin.  (Basil.  3),  ist 
wohl  nur  auf  Unkeuntnifs  dieses  Sprachgebraudia  und 
dadurch  veranlalste  Aenderung  zurückzuführen.    Eben 
so  einverstanden  sind  wir  mit  der  Erklärung  des  Ge- 
dankens^ der  aus  Mifsverstand  des  di'  avx^ip  von  bei* 
den  neueren  Uebersetzern  ganz  schief  gefafst  erscheint 
HotA  nämlich  übersetzt  so,  dafs  jener  Zusatz  gar  niclil 
ausgedrückt  wird,   und   Knebel    hat    augenscheinlicii 
Dobrees  (Adversar.  1,  p.  159)  Conjectur  di*  avxAß  aut 
seinem:  „durch  unsre  eigne  Schuld"  wiedergeben   wol« 
len.    Allein  schon  ein  altes,   von  Ilrn.  Spengel  sage» 
fuhrtes  Scholion  des  Cod.  A.  erklärt  ganz  richtig:  di^ 
TcSv  havxiwv  ^  xoZ  ifniSovc  f  xov  ddlnov. 

Doch  es  wurde  zu  weit  führen,  die  treffliehe 
Schrift  weiter  im  Einzelnen  zu  verfolgen.  Auch  glaw- 
ben  wir  durch  die  bisherigen  Mittheilungen  die  Freunde 
der  Aristotelischen  Litteratur  genügend  von  dem  unter» 
richtet  zu  haben,  was  diese  hier  gegebene  Probe  uns 
für  die  Erklärung  und  Kritik  der  Aristotelischen  Rhe- 
torik erwarten  läfst.  Wir  erwähnen  daher  nar  noch 
kurz  einige  Hauptpunkte  des  Übrigen  Inhalts.    So,  ui 


l 


797 


Oe^chichte  der  Mark  Brandenburg. 


798 


von  der  Handhabttjng  der  Kritik  zvl  beginnen,  die  vor- 
treflFliche,  uns  ganz  unwiderleglich  scheinende  Emenda- 
tion  II,  cp.  23,  ^.  .18,  wo  Statt  nh^i  StoxQuvovg  (was 
alle  bisherigen  Erklärer,  auch  Knebel  noch  in  den  An- 
merkungen ^u  seiner  Ueberset«ung;,-  auf  Theodektes 
kurz  vorher  erwSbnte  Yertheidigung  des  Sokrates  be- 
logen} jetzt  ntQt  ^laoxQarovg  zu  lesen  ist,  welches  aus 
einer  Stelle  der  Jsokratischen  Rede  de  permutalione 
ff.  173  schlagende  Bestätigung  erhält«  Die  Belesenheit 
des  Verfs.  zeigt  sidi  hier  Torziiglich  in  der  Fülle  ähn- 
licher Beispiele,  welche  zu  dem  dort  In  Rede  stehen* 
den  locus  der  Rhetorik  aus  den  Rednern  angeführt  wer- 
den. Fc^rner  die  Rechtfertigung  des  bisher  bestrittenen 
Zusatzes  t^  de  qaiv6[Aivov  avU,oyi<TfA6v  I,  cp.  2.  §.  8.,  die 
Tilgung  von  tufrj  als  Glossem  I,  cp.  3.  §.  1.  (p.  31 — 
32),  die  als  nothwendig  erwiesene  Aufnahme  des  Er- 
gänzungssatzes: t6  de  q>mv6fitfov  iv&viAr}fia  4faiv6iuvov 
0vXko/tafi6g  aus  Dionys.  Halle.  (Arist.  Rhet.  I,  cp.  2, 
^.  8..  nach  den  Worten  t5  Öe  ivOifiAtjua  avXXoyiafiov)^ 
wo  ihn  die  Herausgeber  bisher  als  unächt  bezeichne- 
ten. In  sprachlicher  Hinsicht  verweisen  wir  auf  die 
feine  Scheidung  im  Gebrauch  der  Partikeln  dij  und  de 
bei  Sätzen,  in  denen  Aristoteles  zu  etwas  neuem  aus- 
hebt, oder  schon  Gesagtes  fixirt,  mit  iarl  de  Soxco  dij 
und  ahnlichem  (Speng.  p.  16  ff.).  In  Rücksicht  auf 
Erklärung  endlich  sei  es  erlaubt,  die  Geschichte  der 
Aristotelischen  Definition  der  Rhetorik  (Commentar.  p. 
17 — 23),  und  den  Beweis,  wie  oberflächlich  Quintilian 
das  Aristotelische  Werk  gelesen  (p.  35—36)^  hervor-* 
suheben.  Nur  die  Fraee  über  die  fut^odixa  (p.  30)  hät- 
ten wir  nic^t  blofs  angedeutet  gewünscht. 

Möge  es  dem  gelehrten  Yerf.  gefallen,  diesen  Pro- 
ben bald  die  vollständige  Bearbeitung  der  Aristoteli- 
sehen  Rhetorik  folgen  zu  lassen. 

Adolf  S  t  a  h  r  in  Oldenburg. 


LXL 

Oesdkichte  der  Mark  Brandenburg.  Erste  Abtkeu 
lung.  (In  dem  Berliner  Kalender  attf  das  ScAalt- 
jakr  1840.)    168  S.    VL 

Eb  ist  gewifs  ein  erfirenliches  Zeichen  dfr  Zeit,  dafii  sich 
das  historische  Interesse  für  das  Vaterland  nnd  die  engere  Hei- 
■lath  höchst  nannigfaltig  und  lebhaft  nach  in  der  Mark  Bran- 
denburg regt  und  kund  giebt.    Es  werden  immer  mehr  Quellen 


mühsam  aufgesucht  und  durch  Herausgabe  wissenschaftlicher  Be* 
nntznng  zugänglich  gemacht.  Die  Bearbeitung  wird  stets  gr&nd- 
lieher  nnd  vollstiindiger  und  hat  besonders  innerhalb  der  letzten 
10  bis  15  Jahre  höchst  bedeutende  Fortschritte  in  der  Aufklä- 
rung der  Torher  dunklen  Verhältnisse  der  Vorzeit  gemaeht 
Von  allen  Seiten  treten  Beiträge  ans  Licht^  um  dieses  Fort-' 
sdireiten  mehr  und  mehr  zu  beschleunigen.  Eine  Association 
von  Bearbeitern  •  und  Freunden  der  Geschichte  der  Mark  Bran- 
denburg zu  Berlin  nnd  eine  andere  in  der  Altmark  bestreben 
sich,  das  yielseitig  erwachende  Interesse  für  die  vaterländische 
Geschichte  zu  nähren,  zu  verbreiten  und  nach  gemeinschaftli- 
chem Plane  und. bester  Einsicht  auf  die  Punkte  hinzuleiten,  wo 
noch  am  meisten  eine  besondere  Pflege  des  Studiums  noth  thut. 
Städte,  wie  Berlin  und  Fürsten walde,  gaben  aus  ihrem  Vermö- 
gen die  Mittel  dazu  her,  um  die  Bearbeitung  ihrer  Geschichte 
udd  die  Sammlung  der  dazu  gehörigen  Quellen  zu  erreichen.  < 
Der  iStaat  selbst  wUrdigt  die  auf  die  Erforschung  der  vaterläo- 
dischen. Geschichte  gerichteten  Bestrebungen,  als  einen  wichti- 
gen nationalen  Zweck»  mannigfaltiger  wirksamer  Unterstäi- 
vZung. 

Gewils  ging  es  daher  auch  aus  dem-  Geiste,  welcher  disse 
Erscheinungen  erklärt,  allein  hervor»  dafs  die  Königliche  Ka^ ' 
lender -Deputation,  welche  schon  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
den  Berliner  Kalender  mit  sehr  werthvollen  Beiträgen  zur  v»- 
terläodischen  Geschichte  ausstattet,  die  Blätter  ihres  Jahrbuches 
für  1840  einer-  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  einräumte* 
Doch  dies  Mal  wurden  diese  Blätter  in  keiner  rähmenswertheil 
Weise  genutzt» 

Das  Urtheil  einer  Kritik,  weiche  es  wohl  mit  der  Pflege 
der  Wissenschaft  meint»  insonderheit  in  Beziehung  auf  einen- 
GegensM^nd,  welcher  sich  noch  keiner  ausgedehnten  Bearbeitung 
zu  erfreuen  hat,  wird  mild  und  nachsichtig  sein.  Auch  bleibt 
auf  einem  Gebiete,  welches  erst  so  wenig  durchforstjht  ist,  wie 
die  Brandenburgiscbe  Geschichte,  fast  kein  mit  Fleifii  und  Be- 
nutzung der  vorliegenden  Uälfsmittel  gearbeiteter  Beitrag  zum 
Anbau  dieses  Gebietes  ohne  lohnende,  aneskennnngswerthe 
Fruchte.  Aber  die  Kritik  darf  es  nicht  ungeriigt  lassen,  wenn 
eben  in  der  Zeit  einer  solchen  Anregung  für  gründliche  For- 
schungen unter  dem  Namen  einer  neuen  Geschichte  der  Mark 
Brandenburg  dem'  Publike  ein  Produkt  geboten  und  in  Zeitungen 
and  Zeitsehriften  als  eine  musterhafte  Behandlung  des  Gegen«» 
Standes  angepriesen  wird,  welches  auch  die  bescheidensten  An- 
sprüche, welche  an  eine  solche  Bearbeitung  zu  machen  sind» 
völlig  unbefriedigt  läfst,  und  mit  der  gröfsten  Unkenntnifs  des 
Gegenstandes  abgcfafst  ist.  Unter  einem  solchen  Handel  leideii 
die  Interessen  der  vaterländischen  Gesehiehte ;  und  jeder,  d^ 
die  letzteren  am  Herzen  liegen,  muft  sich  daher  dagegen  auf- 
lehnen. 

Die  vorliegende  Schrift,  welche^  wir  hierbei  im  Sinne  haben» 
handelt  nicht  nur  ^o/ff^ntheils  gar  nicht  von  der  Mark  Bran^ 
denburg,  sondern  von  allgemeinen  deutschen  Verhältnisse^  oder 
von  Ereignissen  in  Nachbarländern,  welche  zu  der  Mark  Bran- 
denburg kaum  in  der  entferntesten  Beziehung  stehen  5    sondern 


799  Oe%ckiefUe  der  Mark  Brandenburg. 

es  ist  aaclr  derjenige  Theil  ihres  Inhalts,  welcher  sich  Über  die 
Markgrafen  Ton  Brandenbnrg  und  über  die  Marie  yerbreitet,  so 
liicl^enhaft  und  dSrftig,  dafs  man  nur  an  den  Namen  die  Fürsten 
und  das  Land  erkennt,  woron  er  handelt,  aufserdem  aber  mit 
den  gröbsten  Irrthamem .  erfüllt.  Selbst  als  blofser  Ausxug  be* 
trachtet  Ton  Smmuei  BHchholtZy  Ober-Pfarrers  au  Cremmen,  Tor 
beinahe^  100  Jahren  erschienenem  „Versuch  einer  Geschichte 
„der  Chumatk  Brandenburg  Ton  der  ersten  Erscheinung  der 
deutschen  Semnonen  an  u.  s.  w.**  würde  die  rorliegende  Arbeit 
als  tadelnswertfa  gelten  mQssen,  da  sie  Wichtiges  übergeht  und 
leeres,  obwohl  gelehrt,  ▼omehm  und  anmafsend  klingendes  IVai- 
sonnement  an  deisen  Stella  treten  läCst  Betrachtet  man  das 
Werk  aber  als  eine  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  vom 
Jahre  1840,- wofür  es  sich  ausgiebt,  so  kann  man  sich  nur  über 
^  die  Dreistigkeit  wundem«  womit  es  der  Verfasser  wagt,  ohne 
irgend 'eine  Kenntniisnahme  Ton  den  seit  jener  Zeit  im  Ckbiete 
der  Brandenbnrgischen  Geschichte  dem  Geschichtsschreiber  erOfif- 
«eten  Halft %nellen,  sich  das  Ansehn  eines  Kenners  der  Bran- 
denbui^schen  Creschicbte  «u  geben. 

Es  könnte  Uberflüfsig  erscheinen,  dies  Urtheil  über  die 
vorliegende  Schrift  näher  x«  begründen,  da  jeder  Leser,  der 
nur  oberflüchlich  mit  dem  heutigen  Standpuncte  der  Branden- 
bnrgischen Geschichte  bekannt  ist,  die  Belege  daxu  auf  Jeder 
Seite  des  Buches  aufgedeckt  vorfindet.  Doch  miigen  einige  Hin- 
dentnngen  auf  wenige  von  den  Tielen  Lücken  oder  von  den  vie«* 
lea  Irrthfimem  der  Schrift  hier  Platz  finden.  Was  die  Lücken 
anbetrifft,  zu  deren  Ausfüllung  die  unangemessene  Auslührllch- 
keit,  womit  man  allgemeine  Reichsangelegenheiten  hier  erörtert 
sieht,  reichlich  genügenden' Raum  verstattet  hatte,  so  nennt*  Re- 
ferent nur,  dafp  der  Verfiisser  z.  B.  fast  nichts  von  den  Mark- 
grafen  in  der  nachmaligen  Altmark  weifs,  welche  dem  Mark- 
grafen Aibrecht  dem  Baren  in  diesem  Amte  vorhergingen,  na- 
mentlich, von.  den  Markgrafen  aus  dem  Hause  Stade;  nichts  von 
^em  Slavenhauptlinge  Witekind  zu  Havelberg,  und  von  den  Feld- 
YÜgen  König  Lothar's  gegen  denselben ;  nichts  von  dem  Nordl- 
achen Kreuzzuge,  welcher  3urch  das  Gebiet  der  nachmaligen 
Mark  Brandenburg  ging;  und  eben  so  wenig  davon  weift,  data 
die  Markgrafen  Johann  L  und  Otto  HI.  die  Lande  Teltow  und 
Barnim  und  Tbeile  der  Oberlausitz  erworben  haben.  Auch  die 
wichtigen  Zehntenstreitigkeiten  in  der  ersten  und  ^die  gleich 
wicbtigei\  BedevertrSge  in  der  zweiten  Hftlfte  des  dreizehnten 
Jahrhunderts,  die  Bedingungen,  worunter  die  Brandenburgschen 
Städte  damals  gegründet  wurden,  —  kurz  alle  bereits  vielfach 
ermittelte,  mit  ihrem  Ursprünge  oder  ihrer  entwickelnden  Ge- 
staltung in  jener  Zeit  wurzelnde  Verhhitnisse  der  Gerichts-,  Fi- 
nanz-, -  Kriegs-  oder  Kirchenverfassnn^   sind  von  dem  Verfasser 


800 

mit  gänzlichem  Stillschweigen  tibergangen;  die  meisten  x«m  Tbeü 
folgenreichen  Kriege   der  Anhaltischen   Markgrafen   z.  B.  gegri 
Mecklenburg,.  Pommern,   Meilsen  u.  s.w.   sind  ebenfalla   nser- 
wähnt  geblieben ;   und   selbst  von  den  Kriegsereignissen,    welche 
in.  den  Jahren  1371  —  1373  über  den  Besitz   der  Mark  Brandes- 
bürg  zu  Gunsten   des  Luxemburgschen  Hauses  entschieden,  mah 
der  Verfasser  nichts  gewufst  haben.  —  Za  den  Irrthlnem  mis- 
sen wir  es  aber  zählen,  wenn  der  Verfasser,  unter  anderen  der 
Art   unbegründeten  Behauptungen,   es  für  historische  Gewüaheit 
ausgiebt,  dafs  Albrecht  der  Bär  schon  die  Eroberung  der  Mitlel- 
mark  zu   Stande  gebracht  habe ,  -deren  Erwerbung    erst   seisci 
Urenkeln  vollstäudig  gelang;  dafs  Albrecht  der  Bar^den  Städten 
Bernau,  Prizwalk,  Kyritz,  Perleberg  die  ersten  Bürger  verliehes 
habe,  während  feststeht,   dafs  diese  Orte   erst  um  die  Mitte  des 
dreizehnten  Jahrhunderts  zu  Städten  erhoben  sind ;  dafs  sJle  Fa- 
milien, deren  Namen  sich  auf  iiz  endigen,  unfehlbar  IVeodisches 
Herkommens  seien,  obgleich  es   längst  ausgemacht  ist,  dafs  der 
von  W^ohnsitzen  entlehnte  Name  adlicher  Geschlechter  fSr  deres 
Nationalität   in    der  Regel    nichts    entscheidet;    dafs  Markgraf 
Albrecht  schon  das  Heermeistertham  Sonnenburg  gestlflet  habc^ 
wührend  doch  die  Neumark,   worin   Sonnenbuif  liegt j   dicsea 
FUrsten  nicht  angehÜrte,-  und  dergleichen  mehr..  Von  den  nllma- 
■ligen  Erwerbungen,  wodurch  die  Mark  Brandenbnrg  unter  den 
Anhaltschen  Fürsten  erweitert  wurde,  kennt   der  Verfasser  ei- 
nige gar  nicht,  andere  setzt  er  in  eine  falsche  Zeitj  letzteres  z. 
B.  in  Ansehung  des  Landes  Starg&rd,   welches  nach  der  AbfK- 
tungparkunde  im  Jahre  1236,  nach  des  Verfassers  mbegrind^ 
ter  Annahme  im  Jahre  1250  erworben  wurde.    SeUbst  über  die 
Zeit,  wie  lange  'die.  Anhaltische  Dynastie  in  der  Mark  regierte, 
sehen  Wir  den  Verfiasser  im  Irrthum :  denn  das  Ausstarben  der- 
selben setzt  er  in  das  Jahr  1322,  während  dasselbe  im  J.  i32D 
erfolgte. 

Eines  Mehreren  scheint  es  nicht  zu  bedürfen,  nm  dadnrdk 
sowohl  unsere  oben  ausgesprochene  Ansicht  über  den  Cnwerth 
dieser  literarischen  Leistung,  als  insonderheit  aneh  nech  dea 
Wnnsch  zu  begründen ,  dafs  dem  Verfasser  gefallen  möge,  die 
Absicht  unausgeführt  zu  lassen,  womach  im  nächsten  Jahie 
noch  eine  weitere  Fortsetzung  dieser  sogenannten  Geschichte 
der  Mark  Brandenburg  feigen  soll,  und  also  eine,  ähnliche  Be^ 
haudlung  der  grolsen  geschichtlichen  Ereignisse,,  welche  die 
Mark  Brandenburg  unter  dem  erhabenen  regierenden  Keai^ 
hause  betroffen,  zu  besorgen  ist  Referent  mochte  ^  wenigstess 
ifteiea  Zeitraum,  an  dem  das  Vaterland  innigen  Theil  niams, 
vor  einer  so  wenig  der  Wärde  des  Gegenstandes  entsprechet- 
den  Gescbichtscbreibung  bewahrt  sehen. 

A.  F*Riedel. 


1 


w^  1  s  s  e  n 


M  101. 

Jahrbücher 

für 

8  c  Ii  a  f  1 1  i  c  h  e 


Kritik 


Juiii  1840. 


LXII.   ^ 

Die  englischen  Unicersitäten.  Eine  Vorarbeit 
zur  englischen  Literaturgeschichte.  Von  V.'A. 
Hub  er.  2  Bände.  Cassel,  1839.  1840.  /.  C. 
Kriegers  Verlagsbuchhandlung.    8. 

Bei  Darstellung  eines  Gegenstandes,  wie  der  des 
vorliegenden  Buches  ist,  kann  man  den  Versuch  ma- 
chen,'die  Thatsachen  allein  reden  zu  lassen,  wie^  es 
die  Leute  ausdrücken.  Entweder  ist  .ein  solcher  Ver- 
such bewnfster  oder  unbewufster  Weise  nur  eine  Maske^ 
d.  h.  das  persönliche  Urtheil  des  Verfs.  macht  sich  schon 
in  der  VV^ahl  der  zu  referirenden  Thatsachen«  in  der 
Färbung,  die  sie  eihalten,  in  den  Combinationen,  in  die 
sie  gebracht  werden,  dennoch  geltend  —  oder  man  ver- 
sichtet sogar  auf  ein  geistrolles  Wählen,  Färben,  Com- 
biniren,  d.  b.  man  liefert  ein  gedankenloses  Sammel- 
surium hbtorischen  Stoffes.  Dafs  Hr.  Prof.  Huber  auf 
die  Rolle  der  Maske  sowohl,  als  auf  die  des  geistlosen 
Referenten  verzichtet,  und  also  den  Versuch,  die  That- 
sachen allein  reden  zu  lassen,  nicht  gemacht  hat,  wol- 
len  wir  ihm  danken.  Er  tritt  überall  mit  einer  durch- 
gebildeten^ eigeaen  Gesinnung  und  Richtung  in  die 
Sehranken.  Da  lag  nun  wieder  ein  Scheideweg  vor 
den  Pulsen.  Entweder  konnte  er  kurz  und  energisch 
die  Sachen 9  wie  sie  sich  ihm  darstellten,  vortragen 
und  es  den  Lesern  überlassen,  ob  sie  Einsicht  und 
Liebe  genug  mitbrächten,  ihn  mit  allen  den  abgeschmack- 
ten Vermuthungen  und  Uatersobiebungen  zu  verscho- 
nen, denen  ein  solcher  mit  scharfem  Beil  knapp  durch 
den  Waldwust  des  historueben  Materials  gehauener 
Weg  einmal  ausgesetzt  ist ;  oder  aber  er  konnte,  um 
all  das  müfsige  und  gehäfsige  Gerede  feindlicher  Laf- 
feu  und  atrabilärer  Philister:  y^dafs  der  Weg  besser  so 
oder  so  zu  hauen  gewesen,''  „dafs  er  ein  Irrweg  ge- 
worden,** u.  s.  w.  abzuschneiden,  weitläufiger  selbst 
sogleich  auf  alle  solche  Einwürfe  im  Verlaufe  seiner 

Jahrb.  /.  mi»ea$ch,  Kritik.   J«  1840.  I.  Bd. 


Arbeit  antworten.  Es  ist  das  letztere  die  Methode  eU 
ner  grofsen  Anzahl  theologischer  Schriftsteller,  die  sich 
m  der  Regel  anch  nach  allen  Seiten  vor  abgeschmack- 
ten Mifsverständnissen  und  Unterschiebungen  glauben 
den  Rücken  decken  zu  müssen.  Bei  den  Theologen 
mag  das  eine  grobe  Entschuldigung  für  sich  haben; 
sie  sind  zu  sehr  daran  gewöhnt,  dafs  auch  das  nrtheils- 
loseste  Zeug  seine  einzelnen  Vertreter  findet,  und  dafs 
in  der  Leidenschaft  einander  entgegenstehender  Rieh- 
tungen aller  Liebe  vergessen  wird.  Hr.  Prof.'  Hiiber 
hatte  ihnen  aber  hierin  nicht  folgen  sollen.  Was  ge- 
winnt er  damit  ?  —  Die,  welche  seine  Arbeit  zu  schätz 
zen  wbsen,  seinen  Schritten  mit  Liebe  und  Verstand 
folgen,  werden  durch  diese  Fortificationen  und  Aufsto- 
werke  nur  aufgehalten,  gestört  in  dem  Genüsse,  den 
er  ihnen  doch  zu  bereiten  wünscht;  die  anderen,  die 
durch  seine  oder  durch  jede  Richtung  und  Gesinnung 
geärgert  werden,  aber  zugleich  alle  die  Verschanzun- 
gen, die  er  aufgeworfen,  erblicken,  sehen  nur  zu  bald^ 
dafs  sie  hier  sogar  etwas  lernen  müfsten,  wenn  sie  an- 
grrifen  wollten;  und  ^ylemen'^  -*-  das  ist  das  Gorgo«^ 
haupt,  vor  welchem  alles,  was  von  Leidenschaft  bewegt 
ist,  flieht  Die  Leidenschaft  weifs  jederzeit  Alles^  was 
sie  nuthig  hat,  und  wer  ihr  zumuthet  zu  lernen,  den 
läfst  sie  bei  Seite  liegen,  —  und  so  wird's  dem  Buche 
des  Hm.  Prof.  Huber  gehen ;  alle  die,  denen  die  Lee- 
türe desselben  gerade  am  heilsamsten  wäre,  werden  eK 
gar  nicht  lesen^  und  werden,  indem  sie  mit  dem  Buche 
selbst  auch  die  Fortificationen  bei  Seite  lassen,  durch 
alle  Mühe,  die  sich  der  Verf.  gegeben  hat,  doch  allen- 
falls nicht  abgehalten  werden,  über  die  Richtung  des- 
selben böse  Reden  zu  fuhren,  ohne  diese  Richtung  nur 
genauer  anzusehen.  Summa!  Referent  hätte  den  posi- 
tiven Theil  des  Buches  allein,  und  alle  Exposition 
über  die  Methode  und  die  Richtung  weg —  ebenso  alle 
Anspielungen  auf  unsere  Zeit  weggewünscht;  oder, 
wenn  letztere  einmal  da  sem  sollten,  dann  als  eine  beil- 

101 


803 


Huber^  die  englüchen  Univeriitäietti 


scharfe  Polemik,  als  einen  Schlachtschauer  von  Schwerdt- 
hieben^  zu  dem  wahrhaftig  der  Gegenstand  nicht  man. 
gek.  Das  schöne  Buch  wurde  an  Eindruck  und  Ver- 
breitung gewonnen  haben  —  freilich  aber  auch  durch 
die  Hände  aller  literarischen  Futterschneider  eine  rasche 
Reise  gemacht  haben.  \on  den  lausenden  von  Steck- 
nadeistichen,  die  jetzt  diese  Classe  von  Menschen  in 
dem  Buche  erhält,  erfährt  dieselbe  wahrscheinlich  nie 
ein  Wort.  Unsere  Relation  natürlich  wird  sich  haupt- 
sächlich Und  möglichst  allein  an  den  positiven  Kern 
des  Buches  halten. 

Oleieh  Anfangs  im  Buche  wird  manche  allgeraeuie 
Betrachtung  über  den  Bildungsgang  im  germanisch- 
remainischen  Europa  gegeben.  Es  sind  Weitsichten, 
wie  man  sie  von  einer  Höhe  mitnimmt,  um  sich  in  den 
Thälern  der  Tiefe  nicht  zu  verirren.  Der  karolingische 
Bildungskreis  und  der  der  Reformationszeit  werden  zu«* 
'  sammengestellt  $  und  wiederum  wird  die  Atmospliäre, 
welche  die  scholastische  Speculation  seit  dem  Ende  des 
.Uten  Jahrhunderts  entwickelt  hat,  derDominationspe* 
oulattver  Richtungen,  welche  jetzt  vor  der  Thüre  zu 
sein  scheint,  verglichen.  Vielfach  und  nachdrücklich 
wird  hervorgehoben^  wie  das  Dringen  auf  einfache,  na- 
türliche Auffassung  in  der  Karolingerzeit  ebenso  wie 
In  der  Reformationszeit  historischer,  juristischer  u.  s.  w* 
Einsicht  förderlich  gewesen,  dCm  Leben  Grundlagen  ge- 
schaffen habe;  wie  dagegen  in  den  Perioden  der  Spe- 
culation nichts  Gnade  gefunden,  als  was  sich  in  ihren 
Strom  habe  hereinziehen  lassen;  wovon  die  Folge  ge* 
wbsen,  dafs  das  Dringen  des  Geistes,  was  zur  Specu- 
lation geführt,  bald  nach  der  Seite  des  Lebens  in  phan- 
tastische Gebilde,  nach  der  Seite  der  Wissenschaft  in 
Sehulformulirung  übergegangen  sei,  sich  verhauen  habe 
und  in  leeren  Allgemeinheiten  oder  mageren  Formulis 
erstorben  sei.  Die  festen  Grundlagen  der  karolingi- 
schen  Bildung  seien  durch  die  scholastische  Philosophie 
vergeistigt,  aber  auch  theils  carrikirt,  theils  verfluch- 
tigt worden ;  den  Grundlagen  unserer  Bildung  -aus  der 
Reformationszeit  drohe  durch  die  Richtungen  unserer 
Zeit  ein  ähnliches  Schicksal.  Demohnerachtet  seien 
beide  Momente,  das  der  einfachen,  gläubigen,  histori- 
schen Auffassung,  wie  das  des  speculativen  Bestrebens^ 
nothwendige;  ihr  Wechsel  in  der  Dom|nation  sei. vor- 
wärts führend,  wenn  man  auch  im  Einzelnen  dadurch 
Verwirrung  oder  Geistlosigkeit  entstehen  sehe.  Das 
et\va  viird  der  Sinn  dieser  Betrachtungen  im  Allgemei* 


801 

nen  sein,  gegen  die  wir  nichts  einzuwenden  haben. 
Ref.  möchte  von  seiner  Seite  nuif  folgendes  hinzusetzen, 
wodurch  die  Vergleiche  ein  wenig  gestört  werden.  Im 
germanischen  Wesen  liegt  eine  gewisse  subjective  Spri. 
digkeit,  die  keinGeseiz  statuiren  möchte,  ah  die  Trens 
gegen  frei  übernommene  Verpflichtung ;  im  romaolseheii 
Wesen  dagegen  liegt  etwas  bauendes,  allgemein  orga* 
nbirendes,  züchtendes.  Dafs  in  dem  Wirken  der  Ihre* 
linger  und  eines  Bonifacius  etwas  romanisches  lag,  wd 
niemand  leugnen.  Die  Reaction  dagegen  kam  abernkk 
erst  in  der  Scholastik,'  sondern  zunächst  in  einer  äuii». 
lieberen  Weise  durch  das  Sträuben  der  besonderei 
Volksnaturen  gegen  den  karolingischen  Reichs-  und  Kir- 
chenbau. In  die  Zeit  dieser  Auflösung  des  grofsen  Bau« 
ward  aber  die  Einsicht  von  der  Nothwendigkeit  dei 
romanischen  Elementes  in  die  kleineren  Kreise  dock 
mit  herübergenommen,  und  so  haben  wir  unmiudhv 
nach  den  Karolingern,  z.  B«  in  Deutschland  unter  dci 
Sachsen  und  Saliern,  eine  Zelt,  wo  politisch*  und  arelv* 
tectonisch  gebaut,  die  eigenthümlich  deutsche  Verfassung 
geschaffen,  das  Land  auf  allen  Seiten  wie  mit  orgoii* 
sehen  Gliederungen  des  Volkslebens,  der  Stände,  siraiit 
Kirchen  und  Burgen  geschmückt  ward.  In  dieser  Zcili 
die  in  den  Literaturgeschichten  sieh  in  der  Regel  n 
dürftig  ausnimmt,  im  lOten  und  Uten  Jahrhundert«« 
nach  allen  Seiten  ein  reges  geistiges  Leben  in  derNa^ 
tioa  für  grofse  Baue  5  die  vereinzelten  Heldeoliefa 
sammelten  sich  allmälig  in  DieAtu/$gsJkrguen ;  die  U* 
storischen  Ueberlieferungen  in  lateinischen  und  deol' 
sehen  Weltchroniken ;  ein  einiges  Kaiserrecht  verM 
tete  und  befestigte  sich  allmälig  in  ganz  Deutseblaad; 
in  einem  Style  erhoben  sich  die  Münster  durch  dal 
ganze  Land;  dieselSeti  Ueerschilde  gliederten  dai 
ganze  Volk ;  am  Kaiserhofe  erwuchs  allmälig  jene  av 
ober-  und  niederdeutschen  Elementen  sich  bildeadi 
mittelhochdeutsche  Nationabprache,  das  Ausdrucksaat 
tel  einer  Mgemeinsn  deutschen  Literatur;  St  GsDcH) 
was  früher  freiere,  subjectivere  gebtige  Richtvngoi 
repräsentirt,  griechische  Studien,  die  Vulgärspracka 
(gleich  den  alten  Brit(en)  für  kirchliche  Zwecke  gepflegt, 
ward  durch  Leute,  die  in  Fulda  ihre  erste  Bildung  er* 
halten,  ward  durch  die  Richtung  der  Zeit  faa  Gaasai 
in  den  allgemeinen  Zug  hereingerissen,  kurz!  dasie* 
manische^  bauende  Element  bethätigte  sich  in  kldoenn 
nationalen  Kreisen  so  mächtig,  wie  sonst  im'Kareb* 
gerreiche ;  und  dagegeti  erst,  gegen  diese  Enkdfaildnag 


805 


Huber j  die  englücAen  ÜHÜferntäten. 


806 


äms  karolingbcheil  Qttilungikreked,  tritt  eigentlich  dann 
die  seliolastische  Richtung,  tritt  die  lubjectivere  lyrische 
Poesici  treten  die  Ritterromanei  tritt  das  ganze  phan- 
tastische Ritterwesen,  treten  die  Bettelorden  und  alles, 
was  daran  hfingt,  in  die  Schranken«  So  ist  nun  auch 
die  Bildung  der  Reformationseeit  mehr  jener  Glanzpe- 
riode des  deutichen  Kaiserthumes  unter  Sachsen  und 
Saliern  ähnlich  als  der  eigentlich  karolingbchen ;  denn 
wenn  sich  im  Allgemeinen  nicht  leugnen  läfst,  dafs  die 
Bewegung  der  Reformation  eine  Reaction  der  spröde- 
ren Subjectintät  deutscher  Gemuther  gegen  die  den 
katholischen  Kirciienbau  zusammenhaltende  Formel,  ge- 
gen die  romanische  4^onstruotion  ist,  so  ist  doch  in  den 
Reformatoren  eine  tiefe  Einsicht,  dq/i  der  Mensch  in 
grofoeren  Verbänden  ohne  Formel  nicht  bestehen 
kemn\  iind  sie  suchen  diese  sofort  im  Gegensatz  der 
abgethanen  römischen  Formel  herzustellen,  gerade  wie 
friihar  die  einzelnen  aus  dem  Karolingerreiche  hervor- 
gegangenen Nationalitäten  sich  sofort  in  ihren  beson- 
deren Kreisen  formulirten*  Das,  was  Hr.  Prof.  Huber 
dann  bei  der  spateren  Entwickelung  der  englischen  Uni. 
versitäten^  als  australes  und  boreales  Moment  charak- 
terisirt,  \aX  schon  wirksam,  wie  er  auch  selbst  so  schön 
ausführt,  durch  die  ganze  neuere  Yölkergeschichte  — 
man  kann  mit  ihm  recht  wohl  die  Nothwendigkeit  bei- 
der Momente  zugeben,  und  in  ihrer  Wechselwirkung 
die  Wurzel  finden  alles  dessen,  was  uns  jetzt  werth 
und  theuer  sein  mufs,  und  dennoch  (wie  es  ja^  auch  bei 
ihm  im  Grunde  der  Fall  zu  sein  scheint)  durchdrunr 
^en  sein  von  der  Einsicht,  dafs  in  unserer  Zeit  vor 
allem  das  austräte  Moment,  die  bauende,  zuchtende 
Richtung  einer  Verstärkung  bedürfe,  wenn  nicht  alles 
•iomistisch  auseinander  gehen  soll.  Man  lasse  die  Ge- 
iKra^hse  frei  und  wild  ihren  Standort  wählen  $  gewifs 
"Werden  sie  die  Puncto  herausfinden,  wo  jedes  am  besten 
dnaeln  gedeiht  —  sie  werden  aber  einxeln  stehen; 
und  des  Menschen  Sache  Jst  eben,  sie  dieser  Verein- 
seiung  zu  entreifsen,  sie  zu  ziehen,  zu  zuehten;  ihrea 
Samen  za  sammeln  und  ganze  Flächen  vorzubereiten, 
dafs  sie  nur  den  einen  Samen  jedesmal  aufiiehmen  — 
aur  so  läGst  sich  zu  wirthschaftlichen  —  nur  so  läfst 
sieb,  wenn  man  das  Bild  auf  politische  und  kirchliche 
Verhältnisse  überträgt,  zu  politischen  und  kirchlichen* 
Reeultaten,  zu  Mächten  gelangen;  nur  so  lassen  sich 
mrilde  Weide  uni^  wilder  Wald  in  reiche  Aecker  und 
werthvolle  Schläge  verwandeln*    In  unserer  Zeit  will 


alles  Plänterwirthschaft  treiben;  darum  um  so  fester 
die  Hand  auf  den  Pflug  und  auf  die  Pflanzschnur,  um 
wilder  Weide  und  wildem  W<^Ide  das  Terrain  streitig 
zu  machen!  —  Dals  wilde  Weide  und  wilder  Wald 
auch  ihren  Werth  im  Leben  haben,  ja!  dafs  es.  höchst 
langweilig  wäre,  wenn  man  nicht  dann  und'  wann  auch 
zu  ihnen  fluchten  könnte,  kann  man  im  eignen  Herzen 
vollkommen  überzeugt  seih,  ohne  dafs  man  einen  Sehrilt 
breit  den  Nimroden  gegenüber  einzuräumen  braucht,  de- 
nen schon  jeder  Zaun,  jede  Feldzarge,  jede  geschützte 

r 

Waldtraufe  ein  Gräuel  ist  In  diesem  Sinne  möge  hier 
die  Bemerkung  stehen,  dafs,  wie  uns  bedünkt,  der  Vf. 
dem  borealen  Element,  zwar  nicht  im  Allgemeinen, 
aber  für  unsere  Zeit,  viel  zu  viel  Ehre  angethan,  die 
Scholastik  für  unsere  in.  Philosophie  onhehin  über* 
schwenglichen  Zeitgenossen  noch  immer  viel  zu  hoch 
gestellt,  den  Yandalismus  des  sechzehnten  Jahrhun- 
derts in  England  (II.  17  — 19)  lange  nicht  genug  her* 
vorgehoben,  kurz!  sich  bei  hundertlei  Dingen  viel. zu 
billige,  leidenschaftslose  Leser  im  Ganzen  gedacht  hat« 
So,  wie  die  Sachen  stehen,  wurde  er  in  seiner  offenen 
Weise  vielfach  auch  denen,  die  er  doch  in  unserer  Zeit 
zu  bekämpfen  scheint,  Waffen  liefern,  wenn  diese  Leute 
nicht  glücklicher  Weise  so  beschaffen  wären, -dalk  sie 
Bücher,  vie  das  seinige,  lieber  gar  nicht  lesen.  Die 
Wissenschaft  verlangt  allerdings  Freiheit  von  personli*' 
eher  Leidenschaft,  aber  ihren  Ausdruck  entlehnt  sie 
den  Redeweisen  der  Völker  und  Zeiten ,  und  wenn 
diese  in  einer  Zeit  so  sind,  dals  um  borealen  Anklang 
z|i  finden,  mun  nur  die  Lippen  zu  bewegen  braucht; 
hingegen  um  austraten  Anklang  zu  finden,  man  in  ein 
Sprachrohr  schreien  mufs,  so  fordert  eben  die  Ausglei» 
chung  in  wissenschaftlicher  Leidenschaftslosigkeit,  dafs 
man  bei  borealen  Dingen  kaum  die  Lippen  bewege,  und 
bei  australen  ins  Sprachrohr  schreie. 

Wur  wollen  nun  kurz  die  historischen  Ergebnisse 
des  Buches  verfolgen.  Vollkommen  überzeugend  ver* 
ficht  der  Verf.  die  Stiftung  Oxfords  in  Aelfreds  Zeit« 
Er  ^eigt,  wie  diese  Studienanstalt  hervorgegangen  kt 
aus  einer  Pallastschule  (die  aula  regis  in  Oxonia  v^ird 
auch  als  später  noch  Torhanden  wahrscheinlich  gemacht 
L  S.  71  u,  a.),  die  einen  Rector  hatte.  Nach,  der  Er* 
oberung  Wilhelms  kümmert  sich  niemand  um  diese 
Schule;  aber  ein  Rest  derselben  erhält  sich  trotz  dieser 
Unbekümmernifs.  Als  alle  Veirhältnisse  sich  wieder 
mehr  geordnet  haben,   ziehen   die  leer  stehenden  Ge- 


807 


Hf^er^  die  englUehen  Unwer$it&ten. 


80B 


bäude  älterer  Zeit  manche  der  froheren  Lehrer  wieder 
herbei.  „Eine  günstigere  Stimmung  der  Zeit  machte 
sich  aber  schon,  wenngleich  langsam  und  schüchtern, 
g^gen  das  Ende  des  Uten  Jahrhunderts  geltend.  So 
gewaltsam  sich  auch  im  Ganzen  noch  Alles  anliefs,  so 
konnte  doch  schon  die  vieljährige  Thätigkeit  eines  Lan- 
franc  und  Anselm  an  der  Spitze  der  englischen  Kirche 
flicht  ganz  fruchtlos  sein.  Männer,  die  selbst  zu  den 
Hauptträgern  der  neuen  wissenschaftlichen  Entwicke- 
lung  des  Abendlandes  gehörten,  erweckten  und  forder- 
ten da  und  dort  verwandte  Bestrebungen.  Die  Keime, 
welche  damals  gelegt  wurden,  entfalteten  sich  nun  in 
der  milderen  Atmosphäre  der  Regierung  Henry  L  zu 
einer  keinesweges  verächtlichen  Blüthe.  Schon  die  Ver- 
bindung des  normannischen  Fürsten  mit  einem  Spröfs- 
Ung  des  sächsischen  Herrscherstammes ,  die  Erschei- 
nung .  der  guten  Königin  'Maud  auf  dem  englischen 
Throne  war  ein  'Pfand  der  beginnenden  Versöhnung 
und  Verschmelzung  der  bisher  in  furchtbarer  Feindse- 
ligkeit sich  gegenüber  stehenden  Volksstämme.  Damit 
war  die  Grundbedingung  jeder  weiteren  friedlichen  Ent- 
wickelung  einer  neuen  Nationalität  gegeben,  Beikannt 
ist  aber  im  Allgemeinen,  wie  viele  sowohl  normanni- 
sche als  sächsische  Namen  England  in  jener  Zeit  auf« 
zuweisen  hatte,  die  theils  durch  ihre  bis  auf  uns  ge- 
kommenen Schriften,  theils  nach  anderen  Zeugnissen 
neben  denen  der  gebildetsten  und  gelehrtesten  Zeitge- 
nossen auf  dem  festen  Lande  genannt  werden  dürfen, 
mit  denen  sie  in  vielfachem  Verkehre  stunden.  Nicht 
ohne  Grund  erhielt  der  König  selbst  wegen  Begünsti- 
gung und  Theilname  an  solchen  Bestrebungen  den  Bei- 
namen bellus  clericus  (beauclerc)."  Unter  solchen  Um- 
ständen erwuchs  in  Oxford  in  mehr  republicanischer 
Weise  eine  Studienanstalt ,  mit  deren  Obhut  der  Bi- 
schof von  Lincoln  einen  besonderen  Beamteten,  den 
Cancellarius  von  Oxford,  beauftragt,  welcher,  —  da 
er  nicht,  wie  anderwärts  andere  bischöfliche  oder  äbti- 
sche Cancellare  an  den  Universitäten,  noch  andere  wich- 
tige Besorgungen  mit  seinem  Amte  verbindet  —  allmä- 
lig  so  mit  der  Studienanstalt  verwächst,  dafs  er  deren 
organisches  Haupt  und  zugleich  das  wird,  was  früher 
der  Rector  war.     Der  Canzler  von  Oxford  läfst  sich 


so  in  der  frühesten  Zeit  seines  Daseins,  mutatis  .mu- 
tandis,  seinem  Wirkungskreise  nach  im  Wesentiichei 
unseren  aufserordentlichen  Regierungsbevollmäebtigteo, 
wo  diese  zugleich  die  Curatel  oder  gewisse  Hanptlhcib 
der  Curatel  üben,  vergleichen,  und  das  Beispiel  toi 
Oxford  könnte  auch  unserer  Zeit  den  richtigen  Weg 
zeigen.  Dafs  man  den  Canzler  als  Haupt  der  Cniver* 
sität  unbefangen  nahm,  machte  ihn  allmällg  sunt  an» 
fiufsreichsten  Vertreter  aller  wahren  Interessen  der 
Universität.  Kleinliche  Eifersucht  und  lächerliefae  Ri- 
valität von  Seiten  der  Lehrer  gegen  und  mit  deai,  wd* 
chen  die  Verhältnisse  der  Zeit  nun  einmal  Dothwemfig 
zur  bedeutendsten  Persönlichkeit  fnr  die  Sludienanstail 
gemacht,  hätte  diese  nur  in  ein  schmachtendes,  stören* 
des  Siechthum  hereingerissen. 

Aelfred  hatte  an  seine  Kirchen  und  Schulen  viel» 
fach  Männer  aus  Frankreich  und  aus  den  Niederlande*  ; 
berufen  (I.  60) ;  namentlich  tritt  uns  unter  diesen  Grish  i 
bold  von  St.  Omer  bedeutend  entgegen  (66).     Auf  der  \ 
anderen  Seite  nahmen  Sachsen,   und   nachher  Englas« 
der  den  lebhaftesten  Antheil  ad  den   sich  allmalig  is 
Frankreich  entwickelnden   scholastischen  Studien  (iSL 
98).     Diese  Aualogieen  im  wissenschaftlichen  Betriebs 
wurden  dann  in  Oxford  durch  Einwanderung  Fariw 
Magister   und  Scholaren  befestigt  (S«  76.  97)    und  ss 
ward  ein  innerer  Zusammenhang  der  Studien  an  bei» 
den  Orten  begründet,  während  die  äufsere  Verfassung 
der  Universitäten  von  Paris  und  Oxford  sich  in  sehr 
abweichenden  Richtungen  entwickelte. 

Ganz  anders  war  die  Entstehung  der  Studienaa- 
stalten  in  Cambridge.  Dieser  Ort  erhielt  vom  Kloster 
Croyland  in  Lincolnshire  aus  durch  Abt  Goisford,  der 
in  Orleans  seine  Bildung  erhalten  hatte  und  von  1169 
bis  1124  an  der  Spitze  des  genannten  Klosters  stand, 
seine  erste  in  einer  Scheune  eingerichtete  Schule,  die 
sich  aber  bald  aufserordentlich  hob.  ^  Diese  erste  Scbvk 
sank  später  wieder  zur  grammatischen  Unterricbtsanslslt 
herab;  während  die  inzwischen  daneben  entstandteen 
anderen  Schulen  sich  zu  einer  Universität  erhoben^  dis 
schon  in  allen  Hauptbedingungen  vorhanden  war,  ab 
1209  eine  Einwanderung  von  3000  Magistern  und  Scho- 
laren aus  Oxford  hinzukam  (S.  104). 


(Der  Beschlafs  folgt.) 


iM  loa. 
Jahrbücher 

für 


<  T 


w  i  s  js  e  n  s  c  h  af  tl  i  ch  e    Kritik. 


Juni  1840. 


Ute  englischen  Universitäten.  Eine  Vorarbeit 
zur  englischen  Literaturgeschichte.  Von  V.  A. 
Hu  b.e  r. 

(Schlufg.) 

Eine  gewisse  nähere  Beziehung  zwischen  Cam- 
bridge und  Orleans  scheint  einige  Zeit  fortgedauert  zu 
haben  (t.  «388.  not.  II.  565).  Cambridge^  später  ent- 
zünden, aus  schwächeren  Anfängen  als  Oxford  ent- 
wickelt, ward  Ab-  und  Nachbild  von  Oxford;  jedoch 
so,  dals  es  immer  um  eine  Periode  der  Entwickelung 
hinter  Oxford  in  der  Zeit  zurücksteht  \ '  ein  Terhält- 
hiPs  ähnlicher  Art,  wie  wir  es  im  Mittelalter  auch  zwi- 
schen italienischen  und  deutschen  Städten  finden,  in 
welchen  letzteren  auch  in  der  Regel  80  bis  120  Jahre 
später  sich  die  Erscheinungen  des  italienischen  Städte- 
lelens,  freilich  eigenthiimlicb  gefärbt,  repetiren. 

Wie  Cambridge  mit  Orleans  in  näherer,  so  steht 
Oxford  nvit  Paris  in  nächster  wissenschaftlicher  Bezie- 
hung und  Wechselwirkung:  dennoch  aber  sind  der 
Tloterschiede  im  Leben  beider  Universitäten  viele  und 
durchgreifende.  Oxford  ist  hoflscher  Entstehung,  hat 
später  ein  kirchliches  Iluupt  erhalten,  und  befindet  sich 
mit  diesem  in  bester  Harmonier  Paris  dagegen  ist 
kirchlicher  Entstehung;  eine  stiftische  und  eine  äbti- 
sche Schule  sind  neben  einander  in  die  Hohe  gewach- 
sen; mit  Bewilligung  der  geistlichen  Herren  sind  Leh- 
rer, die  nicht  in  strenger  Verbindung  mit  Stift  und 
Kloster  stehen,  hinzugetreten,  haben  allmälig  eine  Cor- 
poration gebildet,  deren  leitendes  Haupt  wolü  auch  ei- 
gentlich der  bischöfliche  Canzler  sein  solfte  —  allein 
dieser  Canzler  ist  nicht  wie  in  Oxford  der  Oxforde^ 
der  nehen  dem  hischoflichen  Canzler  von  Lincoln  be- 
steht, blofs  für  die  Universität  bestellt,  sondern  er  hat 
tausend  andere,  wiclitigere  Gc^schäffe;  so  sondert  er 
sich  selbst  mehr  Von  der  Schule  ab  in  demselben  Mafse^ 
in  welchem  dieselbe  ein  eignes  corporatives  Leben  ge- 
Jahrb:  /.  «HUtfAfcA.  KriHk. '  /.  1840.   I.  ßd. 


winnt;  die  Universität  erhält  in  dem  Rcctor  ein  eignes 
Hauptj  und  die  mannichfacbsten  Rivalitäten  entwickeln 
sich,  die  bei  den  englischen  Universitäten,  denen  ein 
Rector  fehlt,  gar  keinen  Platz  haben.  Ferner  hat  Pa- 
ris als  Universität  einen  fast  cosmopolitiscben  Charak- 
ter; schon  die  Residenzstadt  brijigt  ein  aufgeschlosse- 
neres Leben  mit  sich;  aber  aufser  den  einander  noch 
ziemlich  fremd  gegenüber  stehenden  franzosischen  Na« 
tionen  der  Nord-  und  Südfranzoseo^  der  Bretonen  und  . 
Fläminger,  nehmen  auch  Deutsche,  Italiener,  Spanier^ 
Engländer  in  zahlreichen  Massen  Theil  an  der  Pariser 
Schule,  welche  dadurch  eine  Schule  der  ganzen  abend- 
ländischen  Christenheit,  ist.  Oxford  hat  zwar  auch 
fremde  Gäste ;  aber  das  nationale  Wesen  ist  doch  das 
charakteristisch  herrschende;  und  so  findet  auch  wie- 
der de.r  innigste  Zusammenliang  statt  zwisclien  den 
Pliasen  der  Entwickelung  der  englischen  Nation  über* 
haüpt  und  den  Phasen  der  Entwickelung  von  Oxford. 
Wie  man  in  gothischen  Kirchenbauen  oft  als  Sacra-' 
mentshäuschen  6in  verjüngtes  Bild  der  Kirche  selbst 
findet,  so  ist  Oxford^s  Leben  nur  das  verjüngte,  con- 
centrirte  Abbild  des  geistigen  Lebens  von  England  — 
die  Universität  ist  der  geistige  Flügelmann  der  Nation, 
der  alle  Escheinungen  des  kirchlichen  und  politischen 
Lebens  vorabbildet,  und  wenn  es  in  Oxford  zucJct  und 
unruhig  wird,  sind  Confllcte  im  Leben  der  Nation 
nicht  fern : 

Chronica  si  penset^ 

Cum  pugnant  OxonUmei, 

Pott  paueo9  mentt» 

VoüU  iru  poir'Angiigenon$e$, 

•  * 

Die  Pariser  Corporation  theilte  sich  In  vier  Natio- 
lien;.  1)  die  französische  d.  h.  eigentlich  die  südframsd^ 
sische,  romaniiche^  denn  alle  Franzoiien  von  Isle  de 
France  nach  Süden  liebst  Italienern  und  Spaniern  ge- 
hören dazu,  auch  die '  Griechen ;  2)  die  normannisch^^ 
wozu  "wohl  auch  die  Leute  aus  den  Nebenländeni  der 


BuieTj  die  «nffUtäien 


811 

Normandie  s.  B.  aus  der  Bretagne  gehov^n;  3)  £e 
picardUehe^  vx  weleher  aich  aach  Flämioger  und  Bra- 
banzonen  halten;  4)  die  englische  d.  h.  eigentlich  g'(^ 
moMUdke^  denft  zu  ihr  giliören  auch  Schotten,  Dänih, 
%Jtm^iifXii  D^Ucfte  u^'  ^  w.  Bagegen  d^  C^rpotfa- 
tion  von  Oxford  theilt  sich  nur  in  ewei  englische  Na- 
tionen: 1)  die  Borealen^  die  northemmen,  su  dtttiea 
die  SchojLien  gehören  ^  2)'4ie  Auitralen^  die  southera- 
men,  zu.  denen  Iren  und.  Wälsche  halten.  Fremdlinge 
scheinen  sich  untergebracht  za  haben,  wie  sie  konn- 
ten ;  und  auch  'darin  druckt  sich  der  mehr  nationaTe 
Charakter  der  englischen  Universitäten  im  Gegensatz 
von  Paris  ab«    Wie  aber   die  UniversitätsbevSlkerung 

von  Oxford  ein  Bild  der  britischen  Inselbevölkerung  im 

.  ■  » 

kleitien,  die  geistige  Blüthe  des  Reiches  ist,  so  streckt 
dies  Gewächs  auch  seine  Wurzeln  wieder  durch  den 
3oden  des  ganzen  Landes.  Oxforder  Magister  sind 
ebenso  in  allen  Theilen,  fast  in  allen  Ständen  des  Lau- 
des  zerstreut,  wie  umgekehrt  Oxford  von  allen  Gegen- 
den und  Ständen  des  Königreiches  besucht  isti  Oxford 
ist  so  der  Mikrokosmos  des  englischen  Makrokosmus, 
Geistreich  und  fruchtbar  nach  hundert  Seiten  fuhrt  der 
Verfasser  die  Analogie  der  Gegensätze  der  Australeii 
und  Borealen,  der  Romanen  und  Germanen,  der  Roya- 
listen  und  Demokraten,  der  Nominalisten  und  Rea- 
listen, des  Itatholicismus  und  Protestantismus  aus,  unci 
leise  fiihlt  man  durch,  wie  sich  in  Cambridge  entschie- 
dener als  in  Oxford  das  boreale,  germanische,  demo- 
kratische, protestantische  Element  darstellt  —  Oxford 
hat  deshalb  auch  seine  gröfsere  geistige  Bedetitung  im 
Mittelalter;  Cambridge  trotz  dem,  däfs  es  äiiTserlich 
weniger  reich  ausgestattet  worden  ist  als  Oxford,  ist 
geistig  seit  der  Reformation  voran. 

Was  nun  das  Wesentliche  der  politischen  Stel- 
lung anbetrifft,  so  verstund  sich  die  Gerichtsbarkeit 
des  Canzlers  und  der  anderen  academischen  Behörden 
fiber  die  Universitätsangehörigen  von  selbst;  aber  auch 
in  gemischten  Fällen  ist  seit  1244  die  Gerichtsbarkeit 
des  Canzlers  durch  k^DlgUche  Privilegien  ausgespro- 
chen« obwohl  von  der  Stadt  und  sonst  vielfaeh  h^strit- 
tepL  bis  zu  der  Parlamentsacte  von  1571  unter  der.  Ko; 
nigin  Elisabeth*  .  Doch  selbst  bis  auf  den  heutigen  .Tag 
walten  Zweifel  darjiber  ob,  ob  es  nooh  .eiae  höhere  lo- 
atana.  g&()e>  weoo  das  Urtheil  des  C^^zle^  von.  den 
Delegaten  bestlhigf:  worden.  Wahrscheinlich  ,yv9iX  es 
der  Tumult  vei^  1355,   weleher  Yeranlassung  gab  zu 


SU 


Efnrhhtung  de»  AoKes  •  eines  Stewarlea  der  Uidvc|ii> 
tat,  Wodurch  die  Pofizeigewalt  der  Universität  eben  « 
f^tgestelk  ward,  als  durch  die  Privilegien  von  1241 
dfe  Gerichts^ewalt.  An  Yermögen  waren  dfe  ea|^ 
sehen  Univensitäien  bitf  zufr  Zeit  der  ReformaiDn  am. 
FHther  war  es  die  aulserordentliche  Frequenz,  vnd  fk 
grefse  Wohlhabenheit  einer  bedeutenden  Anzahl  in 
SchoUren»  welche  die.[Iiu?eisilKt  tru{(  und  ajushda 
Lehrern,  obwohl  diese  zum  grofsen  Theil  weU  tack 
als  der  Kirche  ungehörige  Personen  durch  den  GeinB 
ron  Pfründen  unterstätzt  watren,  ein  hinreichendes  &* 
kommen  gewährte.  Als  die  Frequenz  seit  *  dem  fleN 
zehnten  Jahrhunderte  sehr  abnahm,  traten  theils  fibe^ 
haupt  ärmliche  Zustände  ein,  theils  erhielten  n«n  die 
wenigen  bereits  fundirten  Colleges  eine  hohe  Hefa- 
tungs  sie  wurden  der  eigratliche  ^tock  und  Halt  dir 
Univershät.  Aufser  den  Colleges  blieb  zwar  auch  Aodi 
eine  kleine  Studentenbevölkerung;  allein  diese  ersebia 
in  demselben  Mafse,.  als  die  Colleges  zahlreicher  ual  aa 
Einkommen  leicher  wurden  und  in  ihnen  allein  eiM 
bessere  Diseiplin  gehandhabt  werden  konnte,  mehr  aad 
mehr  als  ein  verwilderter  Zweig  des  Universitätsla* 
bens.  Das  Zusammenschrumpfen  der  Universität  ab 
freierer  Studienanstalt  hatte  das  Hervortreten  der  Col- 
leges zu  Folge,  die  zuletzt  die  Universität  im  Graaib 
absorbirten.  Die  ersten  Colleges  waren  gegen  Endi 
des  ISten  Jahrhunderts  entstanden,  und  als  wesesdir 
che  Eigenschaften  eines  solchen  Institutes,  eines  eolk 
gium  academicum,  werden  angegeben:  „dafs  ea  eiaa 
coBvictorische  Corporation  zum  Zwecke  academisekr 
Studien  auf  unbewegliches  Eigenthum  begründet,  MStf 
universitas  litteraria  incorporirt,  aber  in  kemerlei  aa* 
mittelbarer  juristischer  Abhängigkeit  von  irgeadeia« 
anderen  moralischen  oder  individuellen  Person  sei"  — 
Womit  zugleich  eine  statutarische,  Ordnung  deaaeliico 
und  das  Recht,  Statuten  su  machen  und  überhaupt  dk 
Angelegenheiten  , und  das  Eigenthum.  des  Vereiaa  aat 
ner  Bestimmung  gemäfs  zu  handhaben,  nothareadtf 
vorausgesetzt  wird«  Neben  diesen  coUegiia  hat  sics 
dann  noch  eine  andere  Form  academischen^  Lebeni 
wenigstens  in  Oxford  in  den  halls  (aulae  aoademicaa) 
erhalten.  Auch  die  Halls  waren  coavictorische  Ter- 
eine.  Sie  entstunden  „entweder  indem  mehrere  vA 
yercinigten  und  ein  Haupt  wählten,  oder  iadeai  m 
Einzelnes  die  ganze  Sache  auf  seine  Kosten,  auf  seiai 
Gefahr  und  zu  seinem  Vortheil   übemahui.    Xlio  «ol- 


813 


^tOer^  diteng^$dkM  ÜtuvetvitSim. 


81« 


eher  Unternehaier  war  «hm  EwelM  meist  ein  aeade- 
vääckmt  Lefanr,  An  nagiitir  regest  der  tfann  mßti^ 
Utk  4ogl0iisbr  die  KtüldiM  i(ti$  Yereias  leitet«.    Di«eer 
war  dann  fiigenthüaier  dee'  ztm  gemeiiisaiiien  GeiHttueh 
besiiinmten  Hausgeräilies,  des  wisseascfaaftlichen  Ap- 
parates,  und  oft  auch  wohl  des  Hauses  selbst,  wenn 
er  es  nicht  vortheilhafter  fand,  zur  Miethe  zu  Wohnen." 
nHHe  .Art  Vereine'  hatten  dann  abo  nichts  roneerpo- 
taliiFeai  Wesen  an  sich;  mehr  jedoeh^  wenn  die  Un« 
lenisliainng  von  einMn  Verein  ausgieng;    aber   auch 
dam  feMte  dae  feste  Substrat  eines  stifuuigsmäEugen,^ 
BMbeiregliehen  Besitiaes.    Sobald  der  Verein  einen*  soU 
dwB  Beaita  erwarb^, verwandelte  er  sich  sofort  in  ein 
€ollegei   und  se  ist  es  erUärlieh ,   wie  am  Ende  die 
Univemlit  ganz  auf  den  Colleges  beruhete.    Wir  k9n- 
bM  hier  Wieder»  was  von  der  Stiftung,  noch  was  von 
der  .fieeeUehte  der  eio^elaea  Colleges  beigebracht  wird, 
weiter  verfolgen,  müssen  aber  noch  anfahren,  dafs  die 
GoUegis  ursprünglich  keine  L^braiistaktfn  waten.  „Hatte 
der  üoclns  den  Pflichten  feaQgt,  die  aus  seinen  acade« 
niaeiien  Studien  hervorgingei^  hatte  er  diese  wohl  gar 
abaelvifflii  so,  waren  ven  Seiten  des  College  —  abgese* 
bnn   von  statutenmäfsigen»    gottesdieastlichen  Lei^tun- 
gBA  -*-•  iceine  weiteren  positiven  AnsprOche-an  seine 
Tlniiigkeit  «i  machen.    JSr  hesab  ein  beneficium  Sim- 
plex«   Alle%  was  er  zur  Forderung  dei^  sitilicben  oder 
leriesenscbaftlichett  Bildung  des  ^&iger^n  Hausgenossen 
that^  konMe  nur  freiwillige  Leistung  sein,  welche  von 
dem  College  ttnd  dessen  VetMeher  zwafr  beaufsiehtigti 
hcsdnmikt)  erlaubt,  aber. sieht  getotan.  werden  koitfi* 
tm^^    Die  Crosehichte  der  Umwandlung  der  Colleges  it 
Uehvaniitakeni  der  Entstehung  der  tutors,  der  eihzel. 
110».  hei  CoUeges  fundirted  Lehrstuhle  u.  s«  w.  u.  s.  w. 
ftiieriasseB  wir  dem  eignen  Nachlesen,  da  wir  die  Wifsi- 
bag^erde  der  Leser  hier  nicht  zu  sättigen  die>  Aufgabe 
beAetif  sondern  sie  nwr  aufmerksam  macheii  wollen  auf 
das  Micbe  Material  der  Belehrung,  was  sie  in   d(;m 
Boehe  selbsl  finden   werden«    Als  Hauptpersonen  für 
die  UiibtMutig  vnd   reiche  Ausstattung  der  Oxforder 
Sittdienanstalten  nennen    wir    hier   nur  Wolsey    und 
eeid  terständige  Leser  werden  von  selbst  sieh 
wie  reich  an  Bel^tung.  auch  über  allgemeine 
H^Bsdie  Zustände,  auebr  ül^r  die  Staats  *  und  Khrchen«' 
geMfaisbtel' Englands  das  Werk  des  Hra»  Prof.   Huber 
sein  mufs.     Wir  mochten  es  überhaupt  nicht  blofs  de- 
neu,  die  sich  für  die  Geschichte  der  Universitätea  and 


der  LftMafnr  tmerettif^,  sondem  l^ensugsweiBe  Junge* 
re»  BistoHkem*  empADMen^  die  in  der  Leetftre  desseh 
Ben.  taüsendfültige  Förderung  finden  werden ;  finden  wer«« 
den  «rottriftgsweise  durch  die  Psfrtieen,  die  wir  am  Ein» 
gange  dieser  Relation  um  der  rrinen,  gedräogtea  Um- 
risse ä^  Gegeitttandes  des  Buches  im  engeren!  Sinne 
iniHefk  Wegwüneehten }  denn  diese  Erörterungen  Übe« 
das,  worauf  es  bei  Mstorisehen  Damtelhflfigen  überhaupt 
wesetitRcfa  ankomme,  weldie  Lftcken  noch  ausaufüilen 
seien,  welche  Partieen  der  Yerf«,  vnd  wamm  er  sie 
von  seiner  Arbeit  abschneiden  müsse,  sind  zugleich  ein 
reicher  Sebats  von  Winken  und  Belehnrogen  über-Ge» 
schfichtsforscbung  utid  Geschichtsschreibung  y  wie  mmi 
Ihn  nirgends,  wo  dergleichen  im  Allgemeinen  und  ex 
prefesso  abgethsn  wird,  beisammen  findet 

Dalk  wir  Um.  Professor  Haber  vollkommen  bei* 
stimmen,  wemi  er  die  Schuld  der  unseligen  Zustände 
der  englischen  Rebellion  nicht  Karl  1,  sondern  der  Re^ 
giening  Jakobs  und  vor  allen  der  Regierung  Elisabeths 
beimifst,  versteht  sieh  von  selbst.  Freilich  ist  in  ge-' 
wissem  Betracht  Elisabeths  Regierung  etn  Glanspunkt 
der  englischen  Geschichte,  nnd  auch  de»  Univeiaitälen 
bat  sie  aufserordendiche  Förderung  gebracht,  wie  an 
mehreren  SMIen  (namentlich  11^  &  40)  ausgeführt  ist; 
aber  dieser  Glanz  ist  in  der  That  nur  äafserlich,  und 
dafs  Elisabeths  Regierung  gerade  naeb  den  bedeutmid* 
sten  Seiten  hin,  nach  denen^  wo  geistig  organisches 
Whrken  nothweodig  gewesen  wäre,  nur  ein  elehdes 
jaste  mifien  ist,  dafs  die  Tbätigkelt  der  elisabethani» 
sehen  Zeit  grorsentheils  nerr  materielles  Mittel  ohne 
wahren  geist^en  Trieb  ist,  wird  ven  Jahrzehnt  su 
Jahniebeht  allgemeinere  Anerkennung  in  der  Historie 
finden.  Eine  Zeit,  die,  statt  tiefe,  innere  Gegensätze 
ztr  befriedigen,  gründÜcfh  zu  besettigen,'  zu  hmlen,  doch 
nichts  thut,  als  die  Wunden  fiiifserlich  ausuhalten,  so 
dalsr  sie  i|[aeii  innen,  nach  den  Melstcfn  TheÜen  hitf^ 
immer  giftiger  eitern,  verschleiert  und  erzieht  nur  das 
Verderben,  Was  dann  iri  aller  StBte  ein  Mars  errelchr^ 
mit  dem  es  endlich  uoaufhritsam  herausbricht.  Die 
Physiognomie  dieser  Yeradileiemn]^,  so  weit  die  Uni» 
versitäten  darren  TheO  hatten,  Üt  (S^  87  und  88)  \6t^ 
ireffllcb  geschildert.  Wir  woHeft  uns  aber  auf  diese 
Din^e  und  Oberhaupt  knl  <fie  neheren  Phasen  des  eng^ 
lischeti  Universitätslebens  nicht  näher  hier  einlassen, 
um  die  Gefahr  zu  vermeiden,  zugleich  auf  manche  un- 
serer gegenwärtigen  deutschen   Zustände   eine  Satyre 


815 


M. 


%M 


^Ußnwh 


Bd.  /, 


9» 


Bit  «direiben.    Yielas  bat  ^mt  xu  fpoU»  Aa^og»«,  \aA 
exeoipla  wäre»  »u  allen  Zeitan  odiosa.    Um  den  Be» 
web  £u  fulirans  wie  viel  Grund  au  soldiem  Verfoiiren 
für  Ref.  vorhauden  1*1,  fcegnü|;t  aich  denldlbe)  nur  nocif 
ewei  treffliche  Bemeritungen  (auf  S.  122  und  1^)  dea 
Verfs.  -auszuheben,  die  folgendermafsen  lauten :  —  ^e* 
denfall«  i«t  noch  ein  Jummelweitcr  Unterschied  swischen 
dieser  bittersulsen  Frubht  der  Relormation  und   den 
Verbftltnifs,  •'welches  unsere    Zeit   bu    gebären    droht 
«sid  beginnt,  indem  sie.  auch  hier  den  Staat  an  die 
Stelle  des  Flirrten   eet%t.     Diesen  Unterschied  und 
was  die  Kirche  dabei  zu  verlieren  hat,  nachzuweisen, 
ist  nicht  meine  Aufgabe.    Bedeutungsvoll  scheint  mir 
auch  hier  das  Streben,  an  die  Stelle  der  Peraoalichkeit 
^  eine  s.  g.  Idee,  Begriff,  Abstraotion^  System  zu  setzen 
-^  «twas  scheiabar  Udheres,  AUgemeineres,  Freieres, 
was  sich  aber  eigentlich  nur  dadurch  empfiehlt,  dais 
et  mit  der  eigenen  Persönlichkeit  zusammenfällt,  und 
der  Selbstsucht  den  freiesten  Raum  läfst.     Hat  dieses 
.  TasehempteleretUck  auf  dem   Gebiete  der  Lehre  so 
viel  Glüdc  gemacht,  so  dürfen  wir  uns  nicht  wundem, 
es  nun  auch,  auf  die  Kvcbenverfassung  angewendet  zu 
sehen.'"  —  ,,Die  Wirkungen  dieses  Giftes  (heuchleri- 
scher   Schmeichelei)    nicht    zu   gering    anauscblagen, 
möchte  xumal  in  Mneeren  Tagen  Noth  sein.    Wenn 
man  mancher  Orten  in  jener  Art  von  Schmeichelei  noch 
nicht  ganz  so  weit  gebt,  als  es  unter  James  I  der  Fall 
war,  so  ist  es  schweiüch  das  Verdiefist  der  Schmeich* 
1er  —  vielmehr  das  der  Forsten,  mit  denen  sie  es  zu 
Üiun  haben,  und  der  Zeit,  Welche  zwar  eben  i^cht  mehr 
religiöse^    IdccliUche,   sittliche  oder  männliche  Würde, 
aber  jedenfalls  melir  ^Geschmack  und  Takt  fordert.  In- 
dessen verdanken  wir  derselben  Art  von  Gesinnung  und 
Bedürfnifs  in  neuester  Zdt  eine  Erfindung,  welche  al- 
ler dieser  Rücksichten  zu  ttberfaeben  scheint.    An  die 
Stelle  «tes  Fürsten  setzt  man  den  Staat,  und  dieser  wird 
in  einem  gewissen  pseudo-philosophischep  Jargon  mit 
so  schamlosen  Lobpreisungen  ttbeischüttet,  wie  sie  sich 
noch  nie  an  einen  Fürsten  gewagt  haben.    Natürlich 
bleibt  es  dm  Personen  des  Staats  unbenommen,  sich 
so  viel  -oder  wenig  von  dieser  suisei^  Kost  anzueignen, 
als  sie  verdauen  können '—  und  noch  weniger  meint 
man  ihrer  eveatueUen  Dankharkelt  Grenzen  su  setcen." 

Heinrich  Leo« 


»  -' 


ilian  Pirinx  zu  Wi^j  JReita  m  dsi  «h 
nere  Nord-Amerika  tndM  JalÜren  183&-«*18li 
Mit  48  Kupfern ,  33  Vignetten ,  vielen  Buh- 
schnitten  und  einer  Charte.  Erster  Band.  C^ 
blenz,  1839.    653  S.    4. 

Wer  kennt  nicht  die  lebharten  SthiMerungra  Aa^ 
siliens,  wer  nicht  die  prachtvollen  und  haturgetrcM 
Darstellungen  der  üppigen  Natur  jenes  Landes,  vMs 
uns  einst  Prinz  Maximilian  übergab.?  Derselbe  (unA' 
che  Reisende  legt  uns  jetzt  den  Berieht  seiner  ssig^ 
dehnten  Reisen  in  das  innere  Nord  •Amerika  ver,  «d* 
eher  noch  glänzender  ausgestattet  ist,  als  die  engMAifi- 
reiche  Reise  nach  Brasilien«  Zwar  stad  schea  sekr 
viele  Reisebeschreibungen  über  Nord  •Amerika  ersdssi 
nen,  aber  eine  naturhistorische,  wie  die  vorliegiD4i^ 
noch  nicht,  welche  ganz  besonders  fOr  dfa  Zoologls  da 
reichste  Ausbeute  liefert,  denn  es  ist  immer  nur  ehisekr 
seltener  Fall,  dafs  so  erfahrene  Natvrforsetter  vriePiiu 
Maximilian,  und  unter  so  glücklichen  TerhahatssOi 
selbst  von  einem  geschickten  Maler  begleitet,  so  grsl^ 
artige  Reisen  ausführen  können.  Leider  traf  den  & 
folg  dieser  Reise  ein  hartes  Unglück,  weiches  die  Ni* 
turwissenschaften  schwer -SU  betrauern  haben;  dergrttk 
Theil  der  kostbaren  Sammlungen  aus  den  «ntferatcslai 
Gegenden  des  Missonri  ging  verloffsn.  Die  Ki«ii 
welche  dieselben  enthielten,  wairen  der  Compagnif  lor 
das  nach  St.  Louis  bestinraite  Dampfscliiflr  übergebfls^ 
aber  nicht  versichert  wordesi,  und  man  hatte  vidUek 
bei  dem  Brande  des  Dampfschiffs  mehr  auf  die  Bettosg 
der  Waaren,  als  auf  die  der  Kisten  KSckaioht  gsas» 
men,  deren  Inhalt  dem  Kauftnanne  nicht  von  besonde- 
rem Werthe  ersolieineii  mochte,  und  so  verimmntsa  ik 
sämmtlich. 

Am  4.  Juli  1832  landete  Prinz  Maximilian  bei  Is- 
Ston  in  Massachusetts  und  betrat  hier  zum  zweiM- 
toal  den  Boden  der  neuen  Welt,  er  riehtele  dsm 
seine  Reise  nach  New  -  York;  von  da  Ikber  New  -  BfVBf- 
^ck ,  Trenton  und  Bord«Bt6wn  in  New* Jersej,  ascl 
Philadelphia  in  Pensytvanien.  Dann  über  IVeft«K 
BetMehem,  Eastonden  Delaware  Flnfs  hinauf  mtdtism 
Pokono  und  durch  die  Blue- Mountains  und  das  Sm* 
qnehanna-  iinil  Lehigh  (Leeha)-Tlial  nach  Bathldiaa 

(Die  FdttgVtzang  folgt.)   ' 


s 


103. 


Jahrbücher 


für 


w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik. 


Juni  1840. 


m 


9P 


Masimtlian  Prinz  zu  Wied.  Reise  in  das  m*' 
nere  Nord-Amerika  in  den  Jahren  1832 — 1834. 

(Fortsetxaog.) 

Von  hier  aus  ging*«  über  Kutztown,  Reading  am 
Sbujikill-Fhisce  und  dem  Union-Canale  nach  Harrisburg ; 
von  da  den  Juniata-Flab  entlang,  über  da«  Aleghany- 
Gebirge  nach  Piitsburg;   von   hier  nach  Wbesllng  am  * 
Obicfy  von  wo  die  Reise  den  ganzen  Flufs  abwärts  bis 
Mount-Yernon  und  New^Harmony  am  Wabasch  ging, 
^o  der  Prinz  überwinterte.     Die  Fortsetzung  der  Reise 
geschah   im  Frühjahre   1833   den  Ohio  hioab  in   den 
Missisippi.und  diesen  abwärts  bis  St.  Louis  unweit  der 
'Vereinigung  des  letztern  mit  dem  Missouri.    Von   St. 
Louis  fuhr  der  Prinz  den  ganzen  Missouri-Strom  liin- 
aüf)    anfänglich  durch   grofse  Waldungen  und  später 
durch  die  ausgedeiinten  Prairies  des  tiefen  VTcsten,  bis 
nach  Fort  Makenzie,  in  der  Nähe  der  Wasserfälle  des 
Missouri  und   der  Rocky- Mountains,   eine  Entfernung 
von  beinahe  1000  Stunden  von  St.  Loub.    Dia  Rück- 
reise erfolgte  auf  demselben  Wege,    über  Fort  Unio^ 
nach  Fort  Clarke   in  den  Dörfern  der  .Mandans,   wo 
der  Prinz  den  zweiten  Winter  zubrachte.    Von  da  setzte 
er  die  Reise  im  Frijfajahre  1834  bis  St.  Louis  fort,  dann 
auf  dem  Missisippi  hinab   bis  zur  Mündung   des  Ohio^ 
schiffte  diesen  Flufs  hfnauf  bis  Mount-Vernon^  von  wo 
er  sich  nach  New-Harmony  am  Wabasch  begab,  von 
da  nach   Vincennes-  und  alsdann  quer  durch  Indiana 
nach  Albany  und  Louisville  am  Ohio,  von  wo  die  Reise 
wieder  aufwärts  bis  Portsmouth  am  Soioto-Flusse  ging« 
Ton  hier   aus  wurde    sie   nordlich  durch  den  ganzen 
Staat  Ohio  auf  dem  Ohio-Canale  fortgesetzt,  über  Chil- 
licothe,   Circlevilje,   Newark   u.  s.  w.    bis  Cleavelaudj 
wo  der  Canal  in  den  See  Erie  eintritt«     Auf  diesem 
See  ging  die  Reise  weiter  nach  Buffalor  und  zu   den 
berülimten  Wässerfällen  des  Niagara,   alsdann  den  350 
Meilen  (Engl.)   langen  Erie-Cänal  entlang  durch   den 

Jahrb.  f.  tffUsenich.  Kritik.   J.  1840.     !•  Bd. 


Staat  New» York  bis  Albany  am  Hudson  tindaufdier* 
sem  Flusse  abwärts  nach  New- York.  Diese,  gailze 
Reiseroute  ist  auf  der  Charte  mit  einer  ^othen  Linie 
bezeichnet  $  die  Reisecharte  selbst  ist  Yom  Hm.  Oberst- 
lieutenant W.  Thorn  angefertigt  und  zwar  nach  der 
neuesten  grofsen  Charte  der  Vereinigten  Staaten  Fon 
Nord- Amerika. von  H.  S.  Tanner^  welche  1837  heraus- 
gegeben ist.  Verschiedene  authentische  Quellen,  so  wie 
des  Prinzen  Tagebuch  liaben  manche  Berichtigungen 
dieser  Charte  veranlafst. 

Es  war-  das  grofse  Independence-Fest,  als  der  Prine ' 
zu  Boston  an  das  Land  trat,  und  die  bunte  Bevölkerung 
der  Stadt  Wogte  in  den  Strafsen  auf  und  nieder,  doch 
statt  der   ursprünglichen   amerikanischen  Bevölkerung 
war  nur  ein  Gemisch  von  Weifsen,  aus  allen  Nationen 
Europas  bestehend,  und  aus  Schwarzen  zu  sehen.    Ob- 
gleich ein  grofser  Theil  der  Amerikaner  viel  von  den 
Gepräge  der  Engländer   an  sich  trägt,  so   sollen-  sie 
sich  doch  auch  sehr  wesentlich  von  diesen  unterschei- 
den.   Das  Charakteristische  der  englisc^hen  Gesichtsbil- 
dung scheine  in  dem  fremdartigen  Klima  Amerikas  ver- 
schwunden zu  sein;   der  Korper  der  Männer  sei  mehr 
schlank  und  von  höherer  Statur;  ein  allgemeiner  Aus- 
4ruck   der   Physiognomie  scheint   zu  fehlen,   und  das 
weibliche  Geschlecht  sei  zierlich,  habe   schöne  Züge, 
dabei  aber  häußg  eine  Blässe,  die  eben  nicht  auf  ein 
gesundes  Klima  oder  auf  gesunde  oder   zweckmäßige 
Lebensart  schliefsen  liefse.     In  dem  Gasthause  halte 
der  Prinz   sogleich  Gelegenheit,  so  manche  neue^  von 
den   europäischen,  abweichende  Gebräuche  iLCnnen  zu 
lernen,  welche  gerade  nicht  zum  Vortheile  der  uns  so 
häufig   angepriesenen    grofsartigen    Gasthäuser   Nord- 
Amerikas  gereichen  mochten.    Die  Zimmer  sind  klein, 
enthalten   sämmtlich   Betten;    die  Efsstunden  sind  be- 
Stimmt,  dreimal  des  Tages  und  aufser  dieser  Zeit  kann 
man  nichts  zu  essen  bekommen.    Eine  Menge  von  Men- ' 
sehen,  welche  in  den  Gasthäusern  essen,  belagern  das 

103 


819  M.  Prinx  zu  fTied,  R^ite 

Haus  tehon  vor  der  bettiminten  Stund«  md  axfS  das 
mit  aiaer  Schelle  gegebene  Signal  stiireen  sie  in  wildeia 
Gedränge  in  den  ElÜBsaal;  Jeder  nimmt  die  Speise,  die 
er  «ueitst  erreichen  kann,  .und  in  10  Minuten  ist  aU^s 
verzehrt;  mit  laconlschem  Stillschweigen,  steht  mänvem 
.  Tische  auf,  aber  leider  nicht  etwa  der  vielen  Geschäfte 
wegen,  sondern  weil  nichts  mehr  zu  essen  da  ist  und 
es  auch  nicht  Mode  ist  zu  sprechen,  um  sich  zu  unter- 
halten. Ja  die  ungeheuere  Menge  ron  müfsigen  Gent- 
lernen,  die  in  und  tot  den  amerikanisciten  Gasthöfen  be- 
ständig zu  finden  sei,  bilde  sogar  einen  Uaupt-Charak* 
terzug  derselben.  Am  Abende  des  Independenee-Fesfes 
hatte  sich  die  ganze  Bevölkerung  von  Boston  auf  dem 
Spaziergange  (Commons)  versammelt  und  gewährte  ei- 
nen interessanten  Anblick,  indem  sich  ,  reich  und  arm, 
iia  den  elegantesten  Anzügen,  auf  »dem  weiten  Grasbor 
den  niedergelassen  hatte,  der  Yankeedudle  wurde  überall 
'gespielt,  Austern  geschmaust  und  Festlichkeiten  aUer 
Art  begangen,  doch  nirgends  beobachtete  man  in  dieser 
bunten  Tersammlung  Unanständigkeiten  oder  Lärm. 

Boston  hat  manches  Sehenswürdige,  unter  diesem 
das  New-England-Museum  als  eine  zum  Theil  natur- 
historische  Anstalt,  wo  aber  die  Erwartung  der  Frem- 
'den  sehr  betrogen  wird.  Diese  sogenannten  Museen 
aller  gröfseren  Städte  der  Vereinigten  Staaten,  des 
Peales'sche  zu  Philadelphia  etwa  ausgenommen^  sind 
Anhäufungen  von  lallerhand  verschiedenartigen  Curiosi- 
täten,  zum^  Theil  von  höchst  sonderbarer  Auswahl. 
Hier  findet  man  Naturalien,  ängstliche  verzerrte  Wachs- 
figuren, .mathematische,  u.  a.  Instrumente,  Modelle, 
schlechte  Gemälde  und  Kupferstiebe,  Carricaturen,  ja 
sogar  die  kleinen  Bilder  unserer  Mödejournale  u.  s.  w. 
aufgestellt  und  bunt  durcheinander  aufgehäuft.  Unter 
den^Tbieren  befanden  sich  einige  interessante,  aber  ohne 
weitere  Nachweisung-und  ohne  Namen.  Diese  Samm- 
lung war  in  meliren  Stockwerken  eines  hohen  Hauses, 
in  winkligen  Gängen,  Zimmern  und.Kämmerchen  auf- 
gestellt, durch  viele  Treppen  verbunden  und  zur  An- 
lockung des  Publikums  liefs  man  einen  Mann  während 
der  Besuchszeit  Ciavier  spielen,  welches  Concert  ei- 
nen europäischen  Naturforscher  wahrlich  schlecht  er- 
bauen mufs.  ' 

Auf  der  Reise  nach  Providence,  wie  in  so  vielen 
andern  Gegenden,  hatte  der  Prioz  die  Gelegenheit  zu 
beobachten,  dafs  *das  weibliche  Geschlecht  in  Nord- 
Amerika  einen    sehr  groCsen  Luxus  in  der  Kleidung 


nach  Nard'Amerika.    Bdi  /. 

^ibt»  der  noeh  ^eit  aber  den  der  Minaer  daselkt 
geht.  Ueberall  auf  dem  Lande,  waren  die  kkuiea 
Wohnungen  auch  noch  so  irmlich ,  bemerkte  mas 
doob  das  weiblich^  Geschlecht  höchst  elegant  in  s«de> 
neu  Kleidern  und  nach  den  neuesten  Moden,  was  oft 
seltsame  Contraste  bildete.  Kleine  Bauem-Banl^wapi 
rollen  dem  Reisenden  vorbei,  auf  weljphen  nebeo  dca 
Eigenthümer,  der  den  Zügel  fuhrt,  die  in  Seide  bdcbt 
elegant  gekleidete  Land -Lady  mit  langen  ScUeisi 
am  Hute  sitzt  Die  Sitze  sind  oft  mit  schwarjsen  Bäto^ 
Fellen  bedeckt,  welche  man  hier  zn  8—10  DelL  kssft. 
Ja  zu  Providence  .bringen  die  Feld-  und  Wald-Ladyt 
in  seidenen  Kleidern  und  grofsen  bescbleierten  Strok- 
hüten  ihre  Milch  auf  kleinen  Bank-  oder  Leiter- Wigm 
zu  Markte!  Allerdings  zeigt  dieser  Luxus  von  mm 
gewissen  Wohlstände  und  es  ist  gegründet,  wie  fa 
Prinz  sagt,  dafs  nmn  in'  diesem  Lande  weder  Arme  Bod 
Bettler  sieht,  indessen  es  fragt  sich  gar  sehr,  ob  dies« 
Zustand  für  die  Länge  der  Zeit  wird  bestehen  kdoBCB. 
Rec.  macht  nur  auf  die  -gegenwärtige  beispiellose  Geid- 
krisis  aufmerksam,  welche  eine  unglaubliche  Noth  vs* 
ter  dem  gaüzen  wohlhabenden  Handelsstande  herbei- 
geführt hat  und  einem  vollständigen  National -Bsiikfr 
rotte. gleicht,  eine  Erscheinung,  welche  man  als  eiae 
natürliche  Folge  eines  solchen  ganz  uneingeschräafcta 
Handelsverkehrs,  verbunden  mit  Patentunwesen  orf 
unbeaufsichtigtem  Speculationswesen,  ansehen  kann.  Bi 
war  ein,  durch  Speculanten  künstlich  in  die  H5he  ge- 
schraubter Zustand,  der  sich  für  die  Dauer  nicht  erhal* 
ten  kann,  und  nun  zeigt  sich  auch  jene  vielgeprieseoe 
Regierung  viel  zu  schwach,  uni  den  Folgen  einer  sol- 
chen Crisis  begegnen  zu  können. 

Yielfach  hatte  man  über  vemaehläfsigte  Obst-Cat 
tur  zu  klagen;  Aepfelwein  oder  Cyder  ist  jedoch  aud 
dort  gar  sehr  im  Gebrauche  und  in  den  Gärten  jener 
nürdlichen  Gegenden  sah  man  sich  vergebens  naeh  ei- 
ner  fremdartigen  Vegetation  um,  überalt  waren  Bivm 
und  Blumen  der  europäischen.  Auf  der  Reise  Ober 
New- York  nach  Philadelphia  Wurden  viele  sehr  reizende 
Gegenden  bemerkt  und  auch  eine  jeiier  langen,  bedeek» 
ten  hölzernen  Brücken  passirt,  welche  über  den  Dell* 
wäre  führen  und  schon  von  vielen  Reisenden  besehriebei 
sind.  Von  dem  Secten- Wesen  zu  Philadelphia  wU 
man  einen  Begriff  bekommen,  wenn  man  hdrt,  dsb 
daselbst  im  Jahr  1^34  an  87  Kirchen  und  Bethisser 
vorhanden  waren :  17  der  Presbyterians,  4  der  Befo^ 


821  M.  Fr%n%  im  Wied,  Reue 

med  Presbyterhrns,  12  EpisoopaHans,  8  der  Baptistar,  5 
der  Roman-Catolies,   12  der  Methodists*EpIscopaliahs, 
4  Lutherians,  1  Swedish,  2  der  Reformed  Dutch,  1  der 
German  Reformed,  1  der  lodependeats,  7  'Meetingliou- 
n»^  der  FreiadB  (Qaäker),  2  der  Universalists,   1  der 
UnilariaM»  1  der  Swedeiibergians,   1  der  Chrtstfans,  1 
der  Bible  Christians,  1   der  Moravians  (Herrnhuter),  1 
der  Menonists,    1  der  Cliurch  of  Gad,   3   (ur  Seeleute 
und  1  Juden-Synagoge.  .  In  einfgea  Theilen  von  Phi- 
laddphia  wird  beinahe  ausschliefslich  deutsch  gespro« 
dien  \  die  Stadt  eolhlelt  1834  80,406  weifse  Bewohner 
mnd  59,482  aehwarxe  und  1082  ward  diese  Stadt  der 
Qu&ker  erst  gegrShdet^   Zu  Bordentown  bestanden  die 
Alleen  aus  Robinien,  Broussonetien,  groEsblättrigen  Pap- 
peln, die  ein  aromalisches  Harz  (!)  ausscliwiizten,  Thrä- 
nenweiden  und  Hybiscus  syriacus,  die  hier  prachtvoll 
geddfat.    Unsere  Stubenfliege  fand   man  dort  in  noch 
weit  grSrserer  Menge  als  bei  uns,  die  Schwalben  suid 
dagegen   weniger  zahlreich  als  in  Europa.    Auch  dort 
wächst  oberall  der  Stechapfel,  von  dem  wir  ^bekannt- 
lich glauben,  dafs  er  von  Indien  zu  uns  gewandert  ist« 
&— 6  Eichenarten,  verschiedene  Wallnur«bäume,  Buchen, 
Kastanien  und  Cornus  florida  bilden  den  dichten  Wald 
bei  Bordentdwn,  dessen   Unterholz   aus  Rhododendron 
maximum,  Kalmia,   Rlius  und  Juniperus  zusammenge- 
aetat  ist«    Um  die  Kiefern  schlingt  sich  der  5blättrige 
£phett  und  um  die  Eichen  der  wilde  Weinstocic  (Vitis 
labnisea).     Mit  Verwunderung  hört  man,    dafs  es  in 
Tielen   Gegenden  Pensylvaniens  nicht  mehr  viel  Jagd 
glebt,  denn  aufser  dem  grauen  Fuchse,  dem  pensylvani« 
sehen  Murmelthiere    und    einigen  Eichhörnchen    haben 
die   Eingewanderten  Alles  schonungslos  zerstört.     Zu 
Freibiirg  machte  der  Prinz  die  Bekanntschaft  eines  Dr. 
Saynisch  au  Bethlehem,  der  .sich  daselbst  schöne  natur- 
historische  Kenntnisse  erworben   hat.    Ungemein  reich 
WJir   die  Ausbeute   an   Amphibien  und   besonders   an 
Schildlcröten,  und  Nord-Amerilca*  ist  wohl  das  Land, 
wa  die  Familien  an  .  Arten  und  Individuen  am  zahl- 
reiehsten  vorkommen.     Die  Jungen   von  Emys  serpen^ 
Cina  bissen  um  sich,  so  wie  sie  aus  der  Eihülle  befreit 
waren.     Auch  bei  Bethlehem  sind,  die  gröfseren  Wild- 
arten verschwunden;  ehemals  war  das  weite  Pensylva- 
nien,  eiir  Staat  von  44,500  Q  Meilen,  ein  zusammenhän- 
gender Urwald,  der  aber  in  kurzer  Zeit  durch  die  Menge 
der  zuströmenden  Ansiedler  gelichtet  wurde.   Auf  Stink- 
thiere  wurde  Jagd  gemacht  und  die  Hunde  bissen  die 


naek  Nerd-Ameriea.    Bd.  /•  822 

Thiere  todt  und  waren  zuwMleo  ein  wenig  parfQmirt« 
s  Die  Nachrichten  von  dem  Übeln  Gerüche  des  Stinkthie* 
res  hält  der  Prinz  für  etwas  übertrieben,  er  hielt  ein 
halberwachsenes  Stinkthier  gezähmt  in  einem  Kasten^ 
welches  nie  den  muideslen  Geruch  verbreitete,  und  blob 
in-  der  Angst  werde  das  Stinkthier  den  Geruchanervea 
unangenehm.  Rec.  kann  dann  auch  bezeugen,  daGs  das 
Fell  eines  zu  Copiapo  in  Chile  geschossenen  Stinkthie- 
res  noch  14  Tage  nach  seinem  Tode  so  furchtbar  un- 
i^genehm.roch,  dafs  man  es  nicht  verpacken  durfte* 

Die  Reise  nach  dem  Pokono,  worunter  man  die 
grofste  Höhe  des  Kammes  der  Blauen  Berge  versteht, 
fahrte  zuerst  in  noch  ziemlich  wilde  Gegenden,  wo  je- 
doch die  Waldungen  ebenfalls  durch  Waldbrände  viel 
gelitten  haben.  In  dem  wilden  Walde  bilden  Rhodo- 
dendron- und  Kalmia-Arten  ein  dichtes  Unterholz,  über 
welchem  dicht  gedrängte  Eichen-,  Kastanien-,  Wall- 
nuGsbäume  u.  a.  m.  und  Tannen  und  Kiefern  gemischt 
sich  erheben.  Auf  der  Höhe  findet  sich  ein  Unterholz 
.  von  niederen  Eichen  und  Kastanien^  und  hier,  eröffnet 
sich  eine  imposante  Aussicht  auf  ununterbrochene  WaU 
düngen,  welche  auf  einander  folgende  Gebirgs- Rucken 
bekleiden. 

(Die  FoTtsetzoBg  folgt) 

LXIV. 

Friedrich  der  Grofie  und  seine  IVidereacher.  Eine 
Jubelsehrift.  Fon  Kurl  Friedr.  Keppen.  lieipr 
^ig^  fVigand,  1840.    172  S.    gr.  8. 

Das  Andeakon  Friedrichs  des  Crfofsen,  seit  etwa  sehn  Jah- 
ren mit  enieDtem  Aufschwung  in  Glänze  seiner  wahrhaften  Ge- 
stalt unsren  Angen  emporgerufen,  hat  in  {fterraseh ender  Weise 
die  Gesinnung  und  Liebe  der  Zeitgenossen  erweckt,  uäid  dies 
nicht  nur  innerhalb  des  Volkes,  das  dem  grofsen  Könige  nament- 
lich angehört,  sondern  ancli  der  Qbrigen  Deutschen  und. nicht 
minder  des  Auslandes,  das  ihm  schon  ttei  s^iinen  Lebzeiten  mit 
Jenem  wetteifernd  gehuldigt  hat.  Auf  allen  Seiten  erbebt  sich 
neuer  Antheil,  neue  Begeisterung  für  den  Regenten,  den  Feld- 
herm,  den  lehrreichen  Schriftsteller,  den  ste«ngenMichterfilller, 
den  Menschenfreund,  —  ja  man  kann  sagen,  sein  wiedererstande- 
nes Bild  hat  in  den  kritischen  Zeitläuften  der  letzten  zehn  Jahre 
das  Königthnm  stiirken  helfen,  ihm  Bekenner  und  Freunde  goi- 
worben  nah  und  fern ! 

Es  ist  keine  Frage,  die  erste  Anregnng  dieses  Wiederaufle- 
bens der  denkwürdigen  und  einflofsreiehen  Gestalt  ist  dem  be* 
seelten  Eifer  und  Fleifse  nnsers  wackem  Preufs  zu  yerdanken, 
dessen  Lebensgeschichte  des  greisen  Königs  eine  der  tüchtig- 
sten und.ehrenwerthesten  Erscheinungen  ist,   welche  die  neuere 


S23 


KBppen^ 


der  ^  Cfrofie  Ufid  (ieine  1Vider%äQher% 


824 


GescfaichteohreibHiig  anfzuweiieD  hat  Doch  nieht  nnr  die  erst^ 
Attregtang  allein,  senderu  auch  dea  fortgesetzten  Nachdruck  nnd 
die  ersprießliche  Nahrung  hat  der  treffliche  Mann  dem  erfolg« 
reich  Begonnenen  zugewandt,  und  der  ganze  gewaltige  Geschicbta- 
^toff  ist  Yorzagsweise  von  ihm  seither  gehoben  und  getrageA 
worden.  Eine  der  schönsten  Wirkungen  seines  unverdrossenen 
Eifpts  war  die,  dafs  er  nicht  nur  selber, sein  Werk  weit  Ober 
4en  ersten  Entwurf  erheben  konnte,  wie  eine  zu  erwartende 
nete  Auflage  bald  darthun  wird,  sondern  dafs  auch  Andre,  wel- 
che das^  Bild  Friedrichs  in  irgend  einer  Weise  schildern  oder 
heranrufen  wollen,  nun  bequem  und  sieber  aus  den  reichen 
Quellen  schöpfen  k($nnen,  die  so  glUcklich  eröffnet,  rereiuigt  und 
geläutert  sind. 

Denn  bei  so  allgemeinem,  vielseitigem  Gegenstande,  an  wel- 
chem die  versishiedensten  Klassen  und  in  den  verschiedensten 
Beziehungen  Theil  nehmen,  ist  das  Bedürfnifs  mannigfach  und 
wandelbar,  und  mit  Einem  Bilde  keineswegs  zu  befriedigen ;  die 
eherne  Statue  schliefst  den  Kupferstich  nicht  aus,^  .dieser  den 
Holzschnitt  nicht,  und  innerhalb  jeder  dieser  Arten  ist  wieder 
idie  gröfste  Mannigfaltigkeit  so  zuliissig  als  erfreulich. 

Niemaijid  kann  dies  Verhältnifs  mehr  anerkennen,  und  bereit- 
williger zu  allem  die  Hand  bieten,  was  die  Friedricbs-Litteratur 
mehrt,  als  derjenige  settist,  der  nun  für  lange  Zeit  der  Mittel« 
punkt  derselben  geworden  ist.  Nocli  erst  vor  kurzem  hat  er, 
bei  Gelegenheit  des  Unternehmens  der  Herren  Kugler  und  Men- 
del, seinen  reinen,  nur  stets  auf  die  Sache  gerichteten  Eifer  auf 
das  schönste  bewährt,  und  das  löbliche,  in  gutem  Sinn  und  mit 
bedeutendem  Aufwand  begonnene  Werk  empfohlen  und  geför- 
dert. Auch  wir  stimmen  dieser  Denkart  aus  vollem  Herzen  bei, 
und  bewillkommnen  aufrichtig  jeden  neuen  Versuch,  jede  neue 
Gestalt  und  Wendung,  wodurch  der  Name  Friedrichs  verkiindet 
wird.  Wir  gestehen  gern,  dafs  wir  hiebei  nicht  eben  jedesmal 
neue  wissenschaftliche  Ausbeute  oder  aufserordentliche  Auffas- 
sung und  seUuco  Glanz  der  Darstellung  erwarten,  sondern  in 
solchem  Betreff  nicht  streng  sein  und  Schwächen  uud  Mängel 
mit  Nachsicht  durchlassen  wollen,  sofern  nur  sonst -redliche  Mei- 
nung und  irgend  ein  richtiger  Zweck  in  dem  Geleisteten  zu  er- 
kennen  ist.  Wo  jedoch  jene  zweifelhaft  wird,  und  dieser  fehlt, 
oder  an  seiner  Statt  ein  verkehrter  hervortritt,  da  haben  wir 
keinen  Grund  mehr  zu  Nachsicht  und  Milde,  da  fordern  wir  mit 
Ernst  Rechenschaft,  und  sprechen  das  Urtheil  ohne  Schonung. 
Die  Kritik  hat  gewifs  mehr  Genugthuung  und  Ertrag,  wenn  sie 
Verdienste  anerkennen  und  preisen  darf,  allein  sie  würde  ihr 
Amt  unvollständig  ausiiben,  wenn  sie  nicht  auch,  so  oft  es  nö- 
tliig,  den  Sehein  und  die  Anmafsung  zurückwiese,  wenn  diese 
dreist  und  verdfeostlos  sich  vordrängen. 

Der  Leichtsinn  und  die  Unzulänglichkeit,  mit  denen  ein  sOnst 
geistvoller   und   kenntnifsTeichcr,   aber  diesmal  tief  unter  seiner 
Aufgabe    gebliebener    Schiiftsteller    die   frühere   Geschichte   der 
Mark  Brandenburg  zu  schreiben    unternommen  bat,   sind  in  die-^ 
sen  Blättern  so  eben  durch  einen   gewissenhaften  und  strengen 


Gesehicblsforsoh^r  *mit  gerechter  $iliHrfe  gerügt  worden,  ^'ir 
haben  hier  ein  nicht  minder  strenges  Strafwort  aber  die  vorlie- 
gende Schilderung  Friedrichs  des  Grofsen  zu  sagen., 

Daä  Ganze  Jst  eine  hohle  Deklamation,  echwUlstig  unl'leer, 
aus    niederem    Standpunkt    und  geringer   Kenntnifs,    unter  doi 
Deckmantel  einer  Lobrede  für  den  grofsen  König  nur  eine  rtU 
Anfeindung  derer,  die  hier. willkürlich  nnd  fibertriebea  als  leisi 
Widersacher  angenommen  werden.    Die^e  Widersacher,  des  YCi 
eigne  Worte  mögen  sie  bezeichnen:     „Wer  kennt  sie  nicht,— 
heifst  es  S.  2  —   die  unsaubem  Geister,  die  ganz  emstUch  dca 
Göttern    des  Lichts    das   Garaus   machen  wollen,    und  die  vh 
noch  kürzlich  für  längst  überwunden  hielten  %    Es  ist  als  ob  du 
ganze  Hölle  sich  aufgethan  habe,  um  noch  einmal  die  Walp» 
gisnacbt  des  Mittelalters,   wenn'  auch  mir  ab  Farce  zu  repelip 
•ren.     Aus  deU  -Grüften  und  Kluften  ^.riecht  es  hervor  in  tolira 
Gewimmel;. aus  allen  Morästen  grinzen  Basilisken,  glaubensseli^ 
Frösche  quaken  aus  allen  Pfützen;   hinter  jcäem  Dickicht  laa* 
sehen  katholische  Wölfe    in  Schafskleidern   and   protestaoliscll 
Schafe  in  Wolfskleidern;    die   alten  ßurgveriiefse   6'ffoen   sicbi 
Nachtculen  flattern  um  die  Kircfathürme,  und  die  Jesuiten  w^m 
sich  vergnügt  die  Hiüide  und  wünschen  uns :   „Cricfea  M^rgenlT 
Man  sieht,  es  ist  eine  Kapuzinerpredigt  zu  Gunsten  der  Aufkli^ 
rung^  denn  in   solch  ekelhaftem,   nichtssagendem  Stile  gebt  n 
fort  und  fort,  gegen  die  Pfaffen,  die  Jesuiten,  gegen  Haller,  ge- 
gen Leo.    \yahrlinftig,  wenn  so  leeres  und  schwaches  Zeng  die 
Sache  des  Freisinns  und  des  Lichts   vertreten  milfste,  so  stasdi 
es  schlimm;    und  der  grofise,  König  zuerst  würde  jede  Gemetaii 
Schaft  mit  solchen  Leuten  verneinen.    Er  wufste  Geist  nud 
schmack  besser  zu  schützen,  als   dafs  ihm  dei^leichen  Anwil 
hätten   gefallen    dürfen;    und   wenn  Pfaffen    und  Jesuiten  sth 
Feinde  waren,   so  hätte  er  gewifs  unsern  Verf.   am  liebsten 
deren  Seite  gesehen  und  deren  Lob  auf  solche  Weise  geholt! 

Von  eigner  Forschung  und  neuer  Ansicht  der  Tbatssi 
findet  sich  übrigens  keine  Spur;  der  historispbe  Stoff,  so 
er  namhaft  gemacht  und  herangezogen  worden,  ist  aus  den 
gemeinen,  verarbeiteten  und  geordneten  Vorratliskammem 
holt,  wobei  der  Verf.  diese  jedoch  am  liebsten  Terscbweigt, 
auf  einseitige,  rohe^  untergeordnete  Hülfsmiitel  zurückgebt, 
sich  den  Anschein  zu  geben,  als  habe  er  wirklich  so  g 
•Studieta  im  Einzelnen  gemacht.  Wenn  er  hierin  manchen 
stehenden  und  berühmten  Historikern  zu  folgen  meint, 
man  bisweilen  vorwerfen  kann,  in  Absicht  ihrer  Hulfsquelles 
zu  verfahren,  und  diejenigen  am  wenigsten  zu  nennen,  die 
zuerst  und  hauptsächlich  nennen  sollten,  weil  sie  ilinen  das 
ste  verdanken,  so  hätte  er  besser  gethan,  sich  zu  merken, 
dergleichen  neidischer  und  übelwollender  Tic  auch  jenes  W^ 
nem  nicht  ungestraft  hinzugehen  pflegt,  am  wenigsten  aber  o 
Nachsicht  .findet,  wo  keinerlei  Verdienst,  sondern  nur  hau9 
Mangel  zu  Tage  steht  '—   . 

K.  A.  Varnhagen  von  Ease. 


J  a  h  r  b  fi  c  h  e  r 


für 


wissengichaffliche    Kritik. 


Juni  1840. 


Maximilian  Prinz  zu  Wied^  Reite  in  das  in* 
^nere  Nord-Amerika  in  den  Jahren  1832 — 1834, 

(Fortsetzuog.) 

Der  PokoDo  liegt  io  der  zweiten  Kette  der 
Blauen  Berge^  welche  die  östlichste  der  AIleghany-Ge* 
birge  bildet  Die  Gegend  ist  überaus  reich  an  schon^ 
blühenden  und  interessanten  Pflanzen,  von  welchen  viele. 
bei  uns  als  Pracht-Pflanzen  gezogen  werden ;  eine  Bei- 
lage zu  diesem  ersten  Theile  des  Reiseberichts  entliäU 
ein  Veizeichnifs  der  von  Urn.  y.  Schweinitz  auf  dem 
Pokouo  |>eobaGhteten  Pflanzen,  welches  weit,  über  200 
Arten  enthält. 

Auf  allen  diesen  Reisen  muCste  die  traurige  Be- 
merkung gemacht  werden^  dafs  das  Branntweintrinken 
in  Amerika  unter  der  gemeineren  Menschenkiasse  weit 
mehr  im  Gebrauche  ist  als  bei  uns,  und  auf  dem  Po- 
kono  war  diese  Gewohnheit  unter  den  Bauern  gaiis 
besonders  im  Schwünge«  Der  Haupterwerb  der  Be- 
wohner jener  Gegenden  besteht  in  der  Fabrikation  der 
Dachschindeln,  welche  aus  dem  Holze  der  Weymoutbs- 
Kiefer  gemacht  werden,  wozu  sie  das  meiste  Uols 
stehlen  sollen.  Bin  Arbeiter  kann  an  einem  Tage  3— 
400  Schindeln  verfertigen,  wovon  man  das  100  auf  der 
Stelle  mit  {  Dollar  bezahlt  und  auf  grofsen  ^sp&nni- 
f  en  Bauernwagen  verfährt.  Auf  der  Reise  nach  Mauch- 
Cbunk  fand  man  am  Salomon-Creek  die  schdne  Lalulia 
eardinalis  an  Sumpfstellen  des  Waldes  in  solcher  Men- 
ge, dab  die  Masse  ihrer  Blumen    eine  schöne  rothe 

Fläche  bildete. 

,  Eine  interessante  Beschreibung  erhalten  wir  von 
den  Steinkohlen-Gruben  bei  dem  Dorfe  Manch -Chunk 
im  engen  Leoba-Thale,  woselbst  800—  1000  Arbeiter 
beschftfttgt  sind)  schon  hat  man  mehrere  Eisenbahnen 
nach  diesen  Werken  angelegt  und  Kanäle  g^raben, 
um  das  schone  Produkt  zu  verschiffen.  9  engl.  Mei- 
len von. dem  Dorfe  liegt  das  Hauptwerk  auf  einer  Uö- 

Jahrb.  f.  uniientch.  Kriäk.  J.  1840.  1.  Bd, 


he,,  zu  welcher  eine  Eisenbahn  binauflfiihrt;  der  Weg 
ist  in  den  Hang  eingegraben  und  die  Reisenden  wer- 
den in  einem  besonderen  Wagen  mit  2  Pferden  hinauff> 
gesogen.  Die  Kohlenwagen  sind  von  ^  starken  Balken 
und  Bohlen  erbaut;  jeder  fafst  2  Tonnen  Kehlßn,  und 
es  fahren  jedesmal  45  Wagen  zugleich,  und  dieses  täg- 
lich 5mal,  so  dafs  täglich  450  Tonnen  Kohlen  nach 
dem  Dorfe  geschafft  werden.  Sieben  Wagen  sind  mit 
28  Maulthieren  beladen,  welche  ruhig  fressend  mit  dem 
Kohlentransport  die  Reise  herabmachen  und  später  die 
leeren  Kohlenwagen  bergauf  ziehen  müssen.  Die  Gru- 
ben in  diesem  Hauptwerke  sind  300  Schritte  lang,  150 
Schritte  breit  und  wohl  30  Fufs  tief,  tind  nach  Oben 
gänzlich  geofliiet.  130  Maulthiere  wurden  zum  Trans- 
port der  Kohlen  benutzt.  Die  Kohle,  welche  hier  ge- 
brochen wird,  ist  nach  den  Mittheilungen  des  Dr.  Say- 
nisch  eine  musselige  Glanzkohle,  eine  Formation,  die 
sich,  so  viel  bis  jetzt  bekannt  ist,  nur  im  Staate  Pen- 
sylvanien  in  zwei  nicht  weit  von  einander  entfernten 
Abtheilungen,  zwischen  dem  Sharp  -  mountain,  etwa  10 
Meilen  nordwestlich  von  den  Blue-mountains,  und  dem 
Susquehana-Flusse  findet.  Die  Abtheilung  am  Susque* 
hana  soll  3^5  Meilen  breit  und  60  big  70  Meilen  lang  sein, 
die  andere  nimmt  den  ganzen  Broad-mquntain  ein,  ist 
60—70  Meilen  lang  und  3—10  Meilen  breit.  Die  For- 
mation besteht, aus  vielen  von  einander  getrennten  und 
unabhängigen  Koblenlagem,  welche  1 — 30  Fufs  mächtig 
sind,  und  sämmtlieh  ein  gleiches  Streichen  von  N0>  nach 
SW.,  zum  Theil  nach  S.  haben  und  meistens  unter  40 
bis  55^  N.  sich  verflachen.  Einige  Stellen  des  Werkes 
enthalten  Abdrücke  vor  weltlicher  Pflanzen,  welche  auc^ 
in  den  Kohlenlagern  Europa's  vorgefunden  sind,  näm- 
lich Odontopteris  Brapdii,  Calamites  approximatus,  ein 
Lyriodendron  Stemb,  und  ein  dem  CyaXheites.  Schlot- 
beimii  ähnliches  Farrenkräut.  In  dem  die  Kolilenfor- 
mation  begleitenden  Sandsteine  finden  sich  ebenfalls 
Abdrücke  von  Palmblättern  u.  s.  w.    Der  Yerbraueh 

104 


827 


M.  Prin»  %u  ff^iedy  Reue  ntich  Nord-Amerika,    Bd.  I. 


828 


dieser  Kohlen  steigert  sioh  mit  jedem  Jalire ;  1825  wur- 
den  40000  Tonnen  verbraucht  und  1832  schon  die 
Summe  von  300000  Tonneu.  Die  Tonne  dieser  Koh- 
len wird  KU  75  Cents  aus  den  Gruben  geschafft,  aber 
gu  Philadelphia  nie  unter  4^  bis  5  Doli,  und  zu  New- 
Yorlc  nie  unter  8  Doli,  verkauft  Verschiedene  sehr 
sinnreiche  Maschinen  sind  noch  im  Bereiche  jener  Koh- 
lengruben von  Mauch-  Chunlc  zu  finden,  und  der  Me- 
chanismus einer  interessanten  Schneidemühle  wird  um- 
ständlich mitgetheilt. 

Auf  der  Reise  von  flb^nsburg  nach  Pittsburg  war 
das  Land  unausgesetzt  ^mit  geschlossenen  Wäldern  aus 
Laub-  und  Nadelholz  gemischt  bedeckt,  Buchen  mid 
-Tannen  zeigten  eine  aüfserordentliche  Höhe ;  an  der 
Grenze  der  eigentlichen  AUeghanys  nimmt  jedoch  der 
Wald  einen  andern  Charakter  an:  Eichen  (Q.  coeci- 
nea,  rubra,  alba,  tinctoria,  priiios),  Kastanien,  Robinien 
u.  a.  Baumarten  treten  ah  die  Stelle  der  Tannen  und 
Buchen«  Im  Tfaale  war  das  Gebüsche  mit  Ellern  (AI- 
nus  crispa)  und  Populus  tremuloides  gemischt,  Nyssa 
sylvatica,  Magnolia  acumlnata,  Kalmia  latifolia,  der 
'Sassafras,  Querciis  prinos  durchrankt  mit  wildem  Wein, 
Smilax  und  Hedera  quinquefolia  fand  man  daselbst. 
Im  October  fand  man  den  Ohio  bei  Pittsburg  so  flach, 
dafs  er  nicht  mit  Dampfschiffen  befahren  werdeii  konn- 
te, und  -man  reiste  deshalb  zu  Lande  nach  Wheeling, 
wo  sich  der  Prinz  einschiffte,  um  sich  nach  Mont-Yer- 
^  non  und  von  hi6r  aus  nach  New-Harmony  zu  begeben. 
Im  Thale  des  Ohio  fand  man  die  Waldungen  schon 
mit  einem  höheren  und  iippigeren  Wuchs  als  jenseit 
des  AIIeghany-Gebirges ;  Weinranken  erinnern  an  die 
Schlingpflanzen  der  tropischen  Gegenden;  Buchen  und 
Pappeln  (P.  angulata  oder  canadensis)  sind  in  grober 
Menge  in  diesen  Wäldern.  Ein  ähnliches  Leben  zeigte 
sich  hier  in  der  Nähe  von  Cincinnati,  Wie  auf  dem  be- 
lebten Missouri;  überall  Leben  und  Thätigkeit«  Eine 
Menge  von  Dampfschiffen  lagen  vor  Anker,  Dampf- 
schiffe kamen  und  andere  gingen  den  Ohio  hinab; 
Dampfmaschinen  rauchten  an  vielen  Stellen.  Cincin- 
nati mit  36000  Einwohnern  ist  jetzt  zur  wichtigsten 
Stadt  des  Westens  geworden,  war  aber  zur  Zeit  des 
Besuchs  des  Prinzen'  von  der  Cholera  heimgesucht. 

Die  Schwaben  -  Colonie  New-Harmony,  von  Rapp 
angelegt  und  gegenwärtig  im  Besitz  des  Hrn.  Madure, 
Präsidenten  der  Akademie  der  Naturwissenschaften  zu 
Philadelphia,    diente    dem  Prinzen  ^zum  Winteraufent- 


halt, und  er  machte  hieselbst  die  Bekanntsdiaft  tw 
zwei  sehr  bekannten  Naturforschern,  nämlich  der  He^ 
ren  Thomas  Say  und  Lesueur,  vrelche  dort  sck 
langer  Zeit  ihren  Wohnsitz  aufgeschlagen  haben  «nd 
sich  auf  das  eifrigste  mit  den  Naturwissensohaften  k- 
schäftigen.  Hr.  Maclure  unterliält  hier  eine  sdidoe  m- 
turhistorische  Bibliothek,  einen  Kupfersteeher,  so  vie 
Buch-  und  Kupferdruckerei.  ~  Sa j's  Werk  über  «fie 
amerikanischen  Conchylien  (1830)  wurde  gänzlich  Hier 
hearbeitet,  wobei  Mistriss  Say  die  Conchylien  zeidMc 
und  colorirte«  Hr.  Lesae^r,  der  ehemalige  Reisegei3hrte 
von  Peron,  hatte  diese  Gegenden  vielfach  durchstrafi, 
hatte  viel  gesammelt  und  bedeutende  Sammlungen  ntek 
Prankreich  gesendet:  seine  Cartons  von  der  Reise  la 
die  Welt,  wie  von  seinem  amerikanischen  Aufenthilti 
gewährten  dem  Prinzen  im  Laufe  des  Winters  grolm 
Genuf^.  Lesueur  hat  sehr  viel  ifiber  dl^  Fische  ia 
Wabasch,  Ohio  und  des  Missisippi  gearbeitet,  und  k- 
absichtigte  nach  Frankreich  zu  gehen,  um  dieselboia 
publiciren,  wo  er  denn  auch  im  vergangenen  JaliN^ 
wie  es  die  Zeitungen  meldeten,  wirklich  angeko» 
men  ist« 

Der  lange  Aufenthalt  zu  New-Harmony  diente  n 
einer  genauen  Untersuchung  dieser  Gegenden,  imm 
hohe  Wälder  sehr  ausgozeicimet  waren ;  es  fehhea  hier 
die  immergrünen  Gewächse,  ausgenommen  yi^vm  Ca* 
vescens,  Bignonia  cruciata,  deren  Blätter  im  Wottf 
meist  grün  bleiben,  Miegia  macrocarpa  und  das  8^M 
Fufs  hohe  Equisetum  hyemale.  Die  Platanen -StaMM 
erreichen  hier  einen  ungeheuren  Umfang  und  sind  ab- 
dann  meist  hohl,  deren  Aeste  mit  schneeweiber  lUade 
bekleidet  sind.  Die  Höhle  in  einem  solchen  BsM 
enthielt  12  Fufs  im  Durchmesser.  Hier  wachsen  iMh 
Tulpenbäume  gleich  Masten  gerade  auf;  hohe  Ahsm 
und  verschiedene  Eichen  streben  dicht  geschlossen  wL 
Eine  grofse  Verschiedenhf ic  herrscht  hier  unter  dci 
Bäumen  des  Waldes,  deren  p.  209  sogar  56  Stack  li 
ihren  systematischen  Namen  aufgeführt  werden;  uiff 
diesen  die  hohe  Uymnocladus  oder  Guilandina  Boate; 
unter  den  schönen  Ranken-Pflanzen  die  Bignonia  nfr 
cans,  Celastnis.scandejis,  Clemati»  virginiana,  Hefai 
quinquefolia,  und  mehrere  Arten  von  Vitis  und  Saflaig 
selbst  Rhus  radicans  zeigt  sich  hier  als  Schliogplott 
Eine  Menge  von  Moosen,  Ffeehten  und  Pilzen  beklei- 
den die  Rinde  der  Bäume  und  ein  dichtes  Unterbli 
bedeckt  den  Boden  der  Waldungen  von  Indiana, 


M.  Prinz  xu  ffMj  Reue 

den  aus  Lauras  Benzoin  und  Cercis  eanadenab;  aber 
weder  Naddbelz  noehr  Rhododendron,  Kalmia^  Azalea, 
Magnolia  u.  s.  w.  kommen  hier  vor.  Noch  fegenwär- 
tig  ist  in  diesen  Wfildern  der  Truthahn  (Melcagris 
Gallopavo)  ziemlich  häufig,  diese  Vögel  halten  sich  ge- 
wohnlich auf  der  Erde  auf,  laufen  schnell  und  fliegen 
lioch;  die  Hunde  treiben  sie  auf  die  Bäume^  von  wo 
■ie  herabgeschossen  werden*  Ein  grofser  Hahn  ward 
«u  Harmony  mit  ^  Doli,  bezahlt;  werden  viele  zu- 
gleich erlegt)^  so  salzt  man  das  Fleisch  ein.  Tetrao  Cu- 
pido,  Perdix  virginiana  und  Psitt*  carolineosis  gehören 
Uer  zum  gewöhnlichen- Wildpret  Ueber  die  doriige 
"Viehzucht  wird  sehr  geklagt;  das  Vieh  mit  der  grofs- 
tea- Nachlfissigkeit  und  GeRihllosigkeit  behandelt  Die 
Sehweine  läfst  man  selbst  im .  stärksten  Winter  im 
Freien  ihre  Jungen  werfen ;  Ende  December  hatte  noch 
aine  Kuh*im  Frejfn  gekalbt  und  junge  Hühner  kamen 
im  Winter  aus,  docli  gehen  dann  fast  alle  diese  Thiere 
cn  Grunde.  Bei  Eis  und  Schnee  geht  das  Rindvieh 
liei  Tag  und  Nacht  im  Freien  umher  und  muEs  sich 
dann  von  Stroh  und  der-Miegia,  wie  von  der  Rinde  der 
Bäume  ernähren. 

Am  16.  März  1833  verliefs  der  Prinz  seinen  VTin- 
teraufenthalt,  begab  sich  n^ch  Mount-Vernon,  schiffte 
4en  Wabasch  hinab-  und  gelangte  schon  am  20.  an  die 
Mündung  des  Ohio  in  den  Missisippi,  in  welchen  man 
einlief  und  nach  dem  noch  129  Meilen  entfernten  St. 
Louis  steuerte«  Der  Missisippi  ist  hier  nicht  breiter 
als  der  Ohio;  die  Ufer  waren  steil  abgerissen  und  auf 
den  Höhen  mit  schlanken  Pappeln  bedeckt.  Schling- 
pflanzen verwickeln  die  Bäume,  und  überall  sah  man 
auf  den  Baumästen  die  grünen  Kugeln  von  Viscum. 
Orobe  Ablagerungen  von  Treibholz  waren  ganz  ge- 
wöhnlich, aber  das  Daropfschiflf  lief  5—6  Meilen  in  der 
Stunde  gegen  den  Strom  und  gelangle  am  24.  März  zu 
8t.'  Louis  an.  Hier  sind  die  Neger,  wie  im  ganzen 
Staate  Missouri,  noch  Sclaven,  und  sie  werden  nicht 
MO  gut  behandelt,  wie  andere  neuere  Reisende  es  ge- 
aehildert  haben.  Einer  der  Nachbarn  des  Prinzen 
peitsehte  u.  a.  auf  öffentlicher  Strafse  einen  seiner  Scla- 
ven aus,  ohne  dafssein  Arni  ermüdete.  Er  hielt  dazwischen 
anweilen  ein,  um  auszuruhen,  und  begann  das  Geschäft 
akdann  von  neuem«    Ein  herrliches  Land  der  Freiheit! 

'  Zu  St  Louis  befindet  sich  der  berühmte  General 
Clarke  als  Superintendent  of  Indian  affairs,  und  von 
ihm  haben  die  Fremden  Pässe  zu  erhaUep,  wenn  sie 


naek  Nord^Amerika.    Bd.  L  830 

das  Innere  des  westlichen  Gebiets  besuchen  wollen.  Zu 
St.  Louis  war  es,  wo  der  Prinz  zufallig  die  ersten 
nordamerikanischen  Indianer  in  ihrer  Originalität  zu 
sehen  bekam,  indem  sich  eine  Deputation  der'Sakis 
und  der  Foxes  zur  Verwendung  des  in  Jefferson-Barracics 
gefangen  gehaltenen  Black -Hawk  herabbegeben  hatte, 
an  deren  Spitze  ein  Said- Chef  stand,  der  den  Black- 
Hawk  in  die  Hände  der  Amerikaner  geliefert  hatte. 
Sehr  interessant  iit  Alles,  was  der  Prinz  bei  dieser  6e- 

ff 

legenheit  von  der  Verwandtschaft  und  Aehnlichkeit  der. 
verschiedenen  Nationen  sagt,  welche  Nord-  und  Süd- 
Amerika  bewohnen  -,  er  macht  dabei  aufmerksam,  dafs 
in  dem  Zurückweichen  der  Stirn  und  in  .der  'Abplat- 
tung des  Kopfes  die  gröfste  Verschiedenheit,  bei  einer 
und  derselben  Nation  gefunden  werde*  Zu  St.  Louis 
machte  der  Prinz  die  Bekanntschaft  der  Herren  Chou- 
teau  und  Mackenzie,  welche  daselbst  die  Gcschäfle 
der  Auierican-Fur-Company  leileten,  und  erhielt  durch 
diese  die  Gelegenheit,  auf  einem  Dampfschiffe  der  Com- 
pagnie  die .  Asise  auf  dem  Missouri  aufwärts  zu  ma- 
chen, indem  gerade  zu  der  Zeit  ein  solches  von  New- 
Orleans  zurückeryrartet  wurde,  welches  Handels -Arti- 
kel nach  den  entferntesten  Niederlassungen  der  Pelz- 
handel -  Compagnie  fuliren  sollte.  Wir  erhalten  eine 
Nachweisung  über  die  amerikanischen  Pelzhandel-Com- 
pagnien,  welche  ein  ausgedehntes  Netz  vom  Handels- 
posten über  einen  grofsen  Theil  im  Innern  von  Nord-  . 
Amerika  verbreitet  haben;  ihnen  allein  darf  sich  der 
Reisende  anschliefsen,  wenn  er  mit  Sicherheit  und  Nut- 
zen jene  Gegenden  besuchen  will.  Mit  .dem  Dampf- 
schiffe Yellow-Stone  ward  die  Reise  am  10.  April  an- 
getreten j  die  Bemannung  bestand  etwa  aus  100  Per- 
sonen, gröfsteutheils  Engag^s,  welche  die  unterste 
Klasse  der  Angestellten  der  Fur-Company  bilden,  und 
Hr.  Mackenzie  begab  sich  in  Person  nach  den  entf erns- 
testen Niederlassungen.  16^  Meilen  oberhalb  St.  Louis 
befindet  sich  die  Mündung  d^s  Missouri,  auf  welchem 
die  Reise  fortgesetzt  wurde  \  an  seiner  Mündung  bt  der 
Missouri  von  ziemlich  gleicher  Breite  mit  dem  Missis- 
sippi, und  die  Schnelligkeit  desselben  ungefähr  5  Mei- 
len in  der  Stunde  Erst  bei  der  Mündung  des  Grand- 
River  beginnen  die  grofsen  Waldungen  hier  und  da 
mit  offenen  Stellen  oder  Prairies  gemischt  zu  sein,  aber 
schon  in  dieser  Gegend  beginnt  die  Schiffahrt  sehr  be* 
schwerlich  zu  werden,  indem  das  Wasser  nicht  mehr 
überall  tief  genug  ist,  um  selbst  auch  nur  kleine  Schiffe 


83t 


M.  Prinz  zu  ff^üdy  IUu0  nach  Nord- Amerika.    Bd.I. 


ftu  Iragon  imd  dabei  r«lch  durch  Sandbänke  ^  Treib* 
hole  u.  «»  w.  g^ährdet  ist.  Am  22.  April  wurde  dai 
Cantonment  Leavenworth  erreicht,  wo  4  Compagnien 
(120  Mann  stark)  unter  Major  Riley' stationirt  waren; 
darüber  hinaus  kamen  so  gefährliche  enge  Stellen  im 
Missouri  vor,  dafs  das  Schiff  kaum  Irindurchgebracht 
werden  könnte.  Feststehende  indianische  Dörfer  gab  es 
bis  jetst  in  dieser  Gegend  nicht ,  aber  die  Sakis  und 
Foxes  streifen  hief  der  Jagd  wegen  umher.  Die  WM« 
der  an  den  Ufern  .waren  dicht  mit  Sehachtelhalm  er* 
füllt,  und  Hirsehe,  Bären  und  Wölfe  bahnen  sich  darin 
Pfädchen«  Man  passirte  noch  Tor  der  Mundung  .des 
Nadaway.River  die  BlacksBake-HUIs,  welche  eine  sehr 
amgenelme  Landschaft  darbieten,  aber  EU  den  Ketten 
gehören,  welche  eu  ewei,  eine  an  jeder  Seite,  parallel 
mit  dem  Missouri  laufen  uild  dessen  Thal  einschliefsen, 
indem  sie  den  Fiufs  bald  mehr  bald  weniger  einengen» 
Zwischen  diesen  beiden  Ketten  windet  sich  der  Mis* 
souri  in  unaufhörlichen  Windungen  und  wo  er  die  Hü* 
gelkette  erreicht  bringt  er  steile  Ufer  hervor.  Unweit 
der  MQndung  des  Yermillipn-River  soll  man  im  Win- 
ter ^ehon  oft  grofse  Bisonheerden  sehen  und  der  Cha- 
rakter des  Landes  hat  sich  hier  schon  sehr  verändert» 
Die  Gegend  ist  meist  waldlos  und  nackt,  derHohswuchs 
nicht  mehr  hoch  und  kräftig  wie  am  unteren  Missouri, 
doch  «ebt  man  noch  die  Ranken  der  wilden  Wein- 
stöeke  die  Gebüsche  umschlingen,  welclies  noch  weiter 
aufwärts  gänzlich  aufhörte  Griine  Prairie-^HCgel  treten 
hier  dem  Flusse  nahe  und  wechselten  mit  Ufergebü- 
schen  von  Weiden,  Pappeln,  Cornus  serioea.  Die  Fahrt 
auf  dem  Missouri  weiter  hinauf  war  beständig  mit  gro« 
fsen  Anstrengungen  verbunden,  das  Schiff  safs  bald 
hier  bald  dort  fest,  und  während  der  Arbeit  dasselbe 
wieder  flott  su  machen,  konnte  der  Prinz  mit  seiner  Be- 
gleitung  die  umliegende  Gegend  besuchen  und  sich  be- 
sonders mit  der  Jagd  beschäftigen,  welche  in  der  That 
sehr  ergiebig  war.  In  der  Nähe  der  Mündung  des 
BunUing- Water-River  fand  man  den  Juniperus  barda- 
densis,  dessen  Holz  einen  sehr  aromatischen  Geruch 
verbreitete,  Gebüsche  von  Ulmen,.  Cedem,  Eschen, 
Traubenkirschen,  Celtis,  Celastrus,  Vitis,  Sheperdia 
argentea  u.  s.  w.  waren  in  den  Gründen  der  Schluch- 
ten und  die  Prairie-Hügel  enthielten  eine  Menge  schö<> 
ner.  Pflanzen,  als  Stanleya  pinnatifidä,  Euchroma  gran- 
diflora   und  Psoralea    esculenta.     Dicht   oberhalb  der 


Cedem-Inseln  sah  man  die  ersten  Antilopen  oder  Ca* 
bri*s  und  bald  darauf  auch  die  ersten  Bisamthiere.  Wei* 
ter  hinauf  zeigten  sich  an  beiden  Ufern  des  Flusm 
sonderbare  Hügel,  zum  Thetj  mit  merkwürdigen  Kiip> 
pen  hoch  aufgethürmt.  IMe  Uferhöhen  hatten  zum  Tbdl 
schwarze  Stellen^  verursacht  durch  ein  schwarzes  glii^ 
zendes  GeröUe  der  steinkohlenähnlichen  Schichten,  wet 
che  hier  weit  verbreitet  sind.  Manche  dieser  schwur 
«en  Lageir  haben  gebrannt,  eines  derselben  ü.  a.  war 
etwa  erst  vor  einem  Jahre  erloschen  und  hatte  nisiv 
als  3  Jahre  lang  gebrannt.  Eine  solche  starke  Schidt 
von  bituminöser  Kohle  lief  gleich  einem  Laadstreifea 
an  beiden  Flufsufern  in  gleicher  Höhe  fort,  so  weil  dai 
Auge  reichte  und  man  könne  sie  wohl  mehrere  htm* 
dort  Meilen  verfolgen,  nur  durch  Schluchten  werden  A 
unterbrochen.  Häufig  fand  man  hier  die  Graber  der 
Dacota-Indianer;  die  meisten  bestanden  aus  einem  ho* 
hen  Gerüste  von  4  Pfählen,  auf. welchen  der  Todt» 
in  Felle  fest  eingeschnürt,  ausgestreckt  liegt,  andere 
waren  von  Stangen  und  Reisig  gleich  einer  Art  m 
Zaun  oder  Hütte  gebildet,  in  deren  MiUe  der  Versto^ 
bene  in  der.  Erde  liegt.  Diese  Dacotas  bilden  noch  ^ 
genwärtig  einen  sehr  zahlreichen  Stamm,  der  noch  jettt 
an  15000  Krieger  stellen  könne;  ihr  Wohnsitz  delnt 
sich  von  Big-Sioux-River  swischen  dem  Missouri  usd 
Missisippi  aus,  geht  bis  eum  Root*River  und  nordlick 
bis  zumElk*River  hinauf.  Alle  die  verschiedenen  St£n* 
me  dieser  Indianer  werden  genannt,  ihre  WohnpUtn 
angegeben  und  ihre  Sitten  und  Gebräuche  höchst  avi* 
führlich  tnitgetheilt. 

Am  51.  Tage  nach  der  Abreise  von  St.  Louis  eh 
reichte  man  das  Fort  Pierre  in  der  Nähe  der  Münding 
des  kleinen  Missouri;  es  ragte  aus  den  Bäumen  \» 
vor  und  13  Dacota-Zelte  lagen  links  daneben.  Voa 
Schiffe  aus  begann  ein  Begräfsongsfeuer  aus  den  Es» 
nonoh,  Welches  vom  Lande  aus  durch  ein  Lauffeact 
beantwortet  wurde,  worauf  denn  auch  auf  dem  SchiSe 
ein  heftiges  Gewehrfeuer  begann;  dieses  ist  eine.Sitü^ 
Welche  ganz  allgemein  befolgt  wird,  wenn  die  €eai- 
pagnie-Dampfschiffe  zu  den  entfernten  Pelz-Haodcl- 
Niederlassungen  kommen,  und  eben  so  stark  pflegtms&H 
schiefseu,  wenn  sich  befreundete  Indianer-Stämme  diesfD 
Niederlassungen  nähern,  und  wenn  dieHäiipter  dervlbtt 
in  die  Forts  einziehen.  Ja  selbst  die  Indianer  verschweii* 
den  bei  diesen  Freudenbezengungen  sehr  viel  Pdrcr. 


(Der  fiesclilufs   folgt.) 


JW^   105. 

Jahrbücher 

für 

w  i  s  s  e  n  s  c  h  af  1 1  i  c  h  e    Kritik^ 


Juni  1840. 


Maximilian  Prinz  zu  JVied,  Reise  in  das  tii- 
nere  Nord-Amerika  in  den  Jahren  1832—1834. 

(Schlufs.) 

Dia8.e  Niederlaisungen  der  Pehbandel-Compagnie 
bildeD  kleine  FesluDgen,  die  mit  Kanonen  besetzt  sind ; 
Fort- Pierre  entliielt  über  100  Personen  und  Waaren- 
Vorrtthe  Ton  80,000  Dollars  an  Werth.  Die  Prairie 
dieser  Gegend  war  jetzt  nicht  reich  an  Blumen;  es 
blühtea  Alllum  reticulatum,  Tradescantia  virginica,  Na« 
stnrtium  sylvestre,  Anogra  pianafifida^  Terbena  brac- 
teosa  u.  s.  w«  Der  virginische  Hirsch  ward  im  Gebü- 
sche aufgetrieben  und  die  Wölfe  trabten  in  der  Prairie 
umher.  Bei  den  Dacotas,  die  im  Fprt-Plerre  gelagert 
waren,  lernte  der  Prinz  auch  aUe  die  Auszeichnungen 
oder  Orden  kennen ,  welche  den  Kriegern  für  ihre 
Tapferkeit  zu  Tlieil  werden«  Hiezu  gehören  besonders 
die  Zöpfe  von  Menschenhaaren,  welche  sie  an  Armea 
und  Beinen  tragen,  so  wie  die  Federn  auf  dem  Kopfe. 
Eine  ausgezeichnete  That  ist  das  blofse  Berühren  ^i- 
nes  Feindes  in  Gegenwart  der  Gegenparthie  und  dafür 
irtecki  sich  der  Krieger  eine  Feder  horizontal  in  die 
Haare.  Wer  mit  der  Faust  ein^n  Feind  erlegt,  steckt 
eine  Feder  aufrecht  in  die  Haare;  wird  er  mit  der 
Flinte  erlegt,  so  steckt  man  ein  kleines  Holz  In  das 
Haar,  und  eine  grofse  Federmütze  mit  Ochsenhdmern 
deutet  auf  einen  sehr  ausgezeichneten  Krieger. 

Von^  Fort-Pierre  ward  die  Reise  Auf  dem  Assini- 
boin,  einem  andern  Dampfschiffe  der  Compagnie,  fortge- 
setzt; der  Prinz  bestieg  in  dieser  Gegend  die  steilen 
und  iiohen  Anhohen  der  Ufer  des  Flusses,  deren  For« 
men  oft  vollkommene  Krater  zu  bilden  schienen,  und 
Erde  und  Steine  zeigten  hier  überall  eine  Veränderung 
durch  Feuer;  ein  beigefügter  Holzschnitt  giebt  eine  An- 
sicht von  den  sonderbar  gebildeten  rund-pyramidenför- 
migen Kegelkuppen,  welche  für  ehemalige  Schlauam- 
kegel  angesehen  vrurden,  die  durch  Feuer  in  die  Hohe 
JakrM.  f.  witensch.  KrÜik.   J.  1^0.   I.  Bd. 


getrieben  wären;  la  den  Furchen  und  Rissen  jener 
originellen  Kegel  bildeten  grünende  Pflanzen  netzartige- 
Streifen,  in  welchen  auch  Cactus  ferox  und  eine,  dem 
mammillaris  ähnliche  Art  vorkomme«  Es  ist  in  der 
That  sehr  zu  bedauern,  dafs  die  Reisenden  dieae  merk- 
würdigen vulkanischen  Bildungen  nicht  vollständiger 
zu  untersuchen  Gelegenheit  hatten,  denn  von  ihrem 
Vorkommen  in  jenen  Gegenden  hat-  man,  so  viel  we- 
nigstens dem  Rec.  bekannt  ist^  noch  nichts  gehört.  Nach- 
dem man  noch  mit  einer  Bande  der  Yanktonans-India- 
ner  zusammengestofsen  war,  welche  zu  den  treulose«' 
sten  aller  Dacotas  gehören,  gelangte  mau  nach  Fort- 
Clarke  in  einer  weiten  Prairie  gelegen  und  im  Hinter- 
grunde durch  bläulich-grüne  Hügel  gehoben.  Hier  wurde 
die  Bekanntschaft  mit  den  Mandans,  den  Mönnitarria 
und  den  Crews  gemacht,  welche  des  Handels  und  der 
Jagd  wegen  nach  der  Niederlassung  kamen  und  sehr 
viel  Interessantes  in  ihrer  Lebensweise  zeigten. 

Von  Fort-Clarke  ward  die  Reise  nach  Fort-Union 
fortgesetzt,  welches  in  der  Nähe  der  Mündung  desYel- 
low-Stone- Flusses  liegt.  Auf  dieser  Reise  traf  der 
Prinz  mit  den  Mönnitarris-Indianem  zusammen,  welche 
als  die  elegantesten  Indianer  des  ganzen  Missouri-Lau- 
fes geschildert  werden;  ihre  Gesichter  waren  meist 
zinnoberroth  bemalt,  und  die  langen  Haare  hingen  in 
Flechten  oder  Zöpfen  herab.  Fort-Union  ist  einer  der 
wichtigsten  Posten,  der  Pelzhandel- Compagnie,  indem 
er  als  Centralpunkt  der  beiden  noch  höber  aufwärts 
nach  den  Rocky -Mountains  hin  vorgeschobenen  Han- 
delsposten, so  wie  des  Handels  jener  ganzen  nordwest- 
lichen Gegend  anzusehen  ist.  Fort-Cass  liegt  200  Mei- 
len aufwärts  am  Yellow-Stone  und  Fort  Piekann,  oder 
jetzt  Fort-Mackenzie  genannt,  sogar  noch  650  Meilen 
aufwärts  (d.  h.  auf  der  Wasiserstrafse)  am  Missouri; 
dieser  Posten  ist  erst'  ^eit  2  Jahren  begründet,  und  da 
die  Dampfscbifle  nicht  mehr  weit  über  Fort-Union  hin- 
auf können,  so  sendet  man  von  dort  aus  Keelboats  hii^ 

105 


835 


M.  Prin»  xü  Wied^  Reue  naek  Nordamerika.    Bd.  /. 


838 


auf.  Die  Compagnie  unterhält  auf  diesem  Posten  viele 
Angestellte,  welche  sich  daselbst  mit  indianischen  Wei- 
bern yerheiratfaen,  diese  aber  wieder  verlassen,  sobald 
sie  nach  ändern  Orten  versetzt  werden;  das  Geschäft 
dieser  Leute  ist  sehr  beschwerlich,  ja  ein  Theil  dersel- 
ben  überwintert  sogar  alljährlich  in  den  Rocky -Moun- 
tains« Ueber  500  Leute  sind  in  den  Forts  des  Ober- 
Missouri  angestellt,  welche  jährlich  mit  150000  Doli, 
besoldet  werden;  die  American-Fur-Company  hat  etwa 
23  grdfsere  und  kleinere  Handelsposten  (1834).  Im 
Herbste  un4  im  Winter  pflegen  die  Indianer  ihre  Pelz- 
werke zu  vertauschen,  und  im  Sommer  gehen  sie  be- 
sonders auf  die  Biberjagd.  Durchschnittlich  werden 
jährlich  eingetauscht:  25000  Bibierfelle  (die  Hudsonsbay- 
Gompany  führt  allein  50000  Stuck  nach  London  ein), 
2— 300  Otter-,  40— 50000  BUonkuh-Felle,  5— eOTFi- 
sher  (Mustela  canadensis)  und  etwa  eben  so  viel  Mar- 
der, 1000 — 2000  Luchse  (F.  canadensis)  und  eben  so 
viele  von  Felis  rufa,  2000  Stuck  rotho  Füchse  (C.  ful- 
vus),  2—300  Kreuzfüchse,  20—30  Silberfüchse;  ein 
Paar  Tausend  Minks  (Must.  Tison),  1000—100,000 
Muskrats  und  20—30000  Hirsche  (C.  virgiuianus  und 
niacrotis).  Wenn  man  diese  Zahlen  näher  betrachtet 
und  sie  denen^  des  Ertrages  der  Hudsonsbay- Company 
anreiht,  und  dabei  bedenkt,  wie  ungeheuer  grofs  der 
Verbrauch  von  Fellen,  besonders  der  Bisonthiere  und 
der  Hirsche,  behufs  der  Kleidung  der  Indianer  ist,  so 
wird  sich  wohl  der  Gedanke  aufdrängen  müssen,  dafs 
die  Zeit  dieser  furchtbaren  Zerstorungssucht  wohl  bald 
ein  Ende  machen  wird,  wovon  die  Folgen  für  jene 
.  Oegenden  überaus  wichtig  sein  müssen.  Der  fürstliche 
Reisende  spricht  sich  zwar  nirgends  darüber  aus,  von 
welchem  Einflüsse  der  Handel  der  Pelz-Compagnie  auf 
die  rohe  Bevölkerung  jener  Gegenden  ist,  doch  aus 
den  meisten  darüber  erhaltenen  Berichten  mochte  sich 
wohl  klar  ergeben,  daCs  dieser  Handel  ebenfalls  von 
sehr  nachtheiligen  Folgen  für  die  ursprüngliche  Bevöl- 
'kerung  Ist,  aber  mit  der  Yerminderung  des  Wildes 
werden  auch  jene  noch  übrig  gebliebenen  Stämme  zu- 
sammenschrumpfen und. nur  noch  wenige  Spuren  wer- 
den Ton  ihnen  übrig  sein,  wenn  sie  einst  durch  Hun- 
ger gezwungen  sein  werden,  sich  dem  Ackerbau  zu  er- 
geben. Es  ist  bekannt,  wie  wenige  Indianer  sich  bis 
jetzt  den  Weilsen  daselbst  anschliefsen,  und  die  es 
thun,  die  scheinen  es  nur  aus  Noth  zu  thun.  Je  mehr 
das  Wild  ausgerottet  wird,  je  mehr  werden  die  feind- 


lichen Indianerstänmie,   ifowohl   der  Nahrung  als  te 
Felle    der  Tbiere   wegen,   sich   gegetiseitig  bekriegea 
und  aufreiben,  und  die  Feuergeweiure  und  die  Muni. 
tion,  welche  ihnen  von  den  Pelz  •  Compaguien  reidilidi 
geliefert    werden ,  werden  Jene.  Zdt   um  so  schoaDer 
herbeifuhren.      Die   Regierung   der  Vereinigteo  Stiu^ 
ten  hat  zur  Verbesserung  des  Schicksals  jener  kiafU* 
gen  Menschen  eigentlich  noch  nichts  gethan^  als  die 
Einfuhr  des  Branntweins  nach  jenen  Gegenden  verbo- 
ten, was  aber  bei  so  ausgedehnten  Grenzen  nicht  vid 
sagen  will.   Die  letzten  Capitel  dea  ersten  Theiks  die* 
ser  Reisebeschreibung  des  Prinzen  sind  in  dieser  Hin* 
sieht  ganz  besonders  interessant ;  die  verschiedenen  In- 
dianer-Horden drängen   sich   an  die   NiederlassengeB 
der  Pelz-Compagnie,  yio  sie  für  Feuergewehre  und  äs» 
dere  Gegenstände  AUes  hingeben,    selbst  ihre  Weiber 
und  Tochter;  wo  sich  diese  Horden  auf  iliren  Jagd* 
oder  Handeiszügen  begegi^en,  da  sucht  überall  der  Sti^ 
kere  und  Reichere  seine  Rechte  geltend  zu  machen. 

Fort-Union  liegt  in  einer  weit  ausgedehnten  Prsi- 
rie,  welche  nördlich  von  Thonschiefer  -  und  Sandsteis- 
hugeln  durclischnitten  wird.  Die  Sandsteialagen  enthal- 
ten Abdrücke  von  Blättern  phanerogamer  Pflaaui^ 
und  AicTj  wie  m  manchen  andern  Gegenden  Neri^ 
AmerikcCe^  bemerkte  der  Prinz  das  Vorkommen  t« 
xeretreut  liegenden  Blocket^  oder  BruchsiMeken  ms 
Granit.  Im  Norden  konunen  diese  Granit- Blocke  in 
Menge  vor,  am  St.  Petersfiusse,  im  Staate  Oiiio  u.  f. 
w.  Die  Hypothesen  über  das  Vorkommen  der  Granite 
Blöcke  in  unsern  baltischen  Gegenden  u.  s.  w.  muistai 
also  auch  wohl  auf  die  ähnliche  Erscheinung  in  Nord* 
Amerika  Rücksicht  nehmen«  Fort  -  Union  liegt  im  Ge* 
biete  der  Assiniboins,  welche  man  auf  28000  Seelen 
und  7000  Krieger  schätzt;  sif  unterscheiden  sieh  wei^| 
von  den  Dacotas  und  zerfallen  wieder  in  8  verschie» 
dene  Banden,  welche  aufgeführt  und  in  ihren  G^bria« 
eben  geschjldert  werden.  In  dieser  Gegend  ist  der  Bi- 
ber iioch  sehr  häufig,  und  der  Prinz  giebt  von  diesem 
merkwürdigen  Thiere  eine  sehr  interessante  Beschr^ 
bung;  der  amerikanische  Biber  führt  ebenfalls  Bavteo 
aus,  wie  es  früher  der  europäische  that.  Die  Ttiiere  1^ 
ben  in  Monogamie  und  pflanzen  sich  erst  im  3.  Jsbre 
fort;  im  2.  Jahre  leben  die  Jungen  gepaart:  bei  dnaiK 
der. und  Jbauen  sich  ihr  eigenes  Haus.  Sieben  bis  seU 
Junge  soll  die  gröfste  Zahl  sein,  welche  man  bei  dem 
weiblichen  Biber  findet.    Die  Dämme  bauen  sie  nur  is 


837  M.  Prin%  %u  Wüd,  Beüe 

seichtem  und  todtem  Wasser,  und  kiesu  bringen  sie 
Zweige,  Holsstilclce  Ton  der  Dielte  eines  Sctienlcels^ 
Knoeiien,  selbst  Bisonsebftdel,  welche  sie  mit  Erde  yer» 
jnischen.  Die  Wobnungen  sind  30 — 40  Sehritte  lang 
und  80  fest  gebaut,  dals  das  Eis  im  Winter  dieselben 
nicdit  serstdren  kann.  In  einer  Htttle  soll  man  bis  26 
Biber  beisammen  finden,  welche  in  demselben  Gebäude 
TOD  3—4  Stockwerken  leben  ^  unten  liegen  die  Aken^ 
darüber- die  letzten  Jungen  und  oben  die  Torjährigen, 
Der  Eingang  xur  Wohnung  ist  unter  Wasser.  Ist  das 
Wasser  gefroren,  so  graben  sie  Gänge  in  den  Bodens 
durch  welche  sie  ab-  und  sugehen,  auch  haben  die 
Wohnungen  mehrere  Ausgänge.  Die  Erde,  cum  Bau 
tragen  sie  nicht  mit  dem  Schwanxe,  sondern  mit  den 
^orderfufsen,  al^er  schlagen  dieselbe  mit  dem  Schwan«^ 
se  fest.    • 

-  Vom  Fort-Union  ward  die  Reise  auf  dem  Keelboat 
Flora  fortgesetzt;  bei  der  Mündung  des  Zweitausend* 
Meilen-Flusses  haben  die  Blackfoot- Indianer  auf  ihren 
Zügen  nach  und  nach  eine  Menge  von  Geweihen  des 
Elkhirselies  aufgehäuft,  wodurch  eine  Pyramide  von  16 
bis  18  Fuis  Höhe  und  12—15  F.  im  Durchmesser  ent* 
standen  ist,  und  jeder  Yorüberziehende  sucht  einen  Bei- 
trag EU  liefern.  Später  machte  man  mit  dem  graulichen 
Bären  (Ursus  ferox)  Bekanntschaft,  von  welchem  in- 
teressante Mittheilungen  gemacht  werden ;  auch  die  wiK 
den  Sehaafe  oder  das  Bighorn  eeigten  sich  hier  in 
Ideinea  und  grdfseren  Gesellschaften.  Die  geübten 
Springer  sind  mit  colossalen  Hörnern  versehen,  wovon 
das  Paar  oft  40  Pfund  wiegen  soll  $  das  Fleisch  gleicht 
dem  Uammelfiebche«  Ueber  dem  Judith- River  hinaus 
beginnt  die  weifse  Sandstein -Formation  weit  über  das 
Land  fortsustreichen ;  es  ist  die  Fortsetzung  der  mit 
sonderbaren  Figuren  in  den  Black-Hills  vorkommenden 
Lager  und  tritt  oft  in  höchst  barocken  Gestalten  auf, 
von  welchen  der  Prinz  in  dem  Atlas  eine  grofse  Men«' 
ge  von  Darstellungen  mitgetheilt  hat.  Am  9.  August 
traf  man  in  Foirt-Mackenzie  ein,  der  äufsersten  der  da- 
maligen Niederlassungen  der  Pelzhandel  -  Compagnie, 
wo  der  Prinz  bis  zum  14.  Sept.  verweilte,  und  dann 
die  Rückreise  auf  dem  Missouri  antreten  mufste,  indem 
die  grofse  Menge  der  feindlichen  Indianer  es  nicht  el^ 
laubte,  seinen  Plan,  bis  nach  dem  Felsen-Gebirge  vor^ 
zudringen,  in  Ausführung  zu  bringen.  Die  Erfahrun- 
gen, welche  der  Prinz  bei  seinem  Aufenthalte  zu  Fort- 
Mackenzie   machte,   sind  in  hohem  Grade  interessant, 


tacA  Nord-AmtfMa.    Bd.  I.  8^ 

doch  war  der  Aufenthalt  daselbst  nichts  weniger  ab 
angenehm,  bestandig  war  man  von  den  rohesten  India- 
aerhorden  umringt,  denen  in  keinem  Augenblicke  zu 
trauen  war,  und  in  der  That,  selbst  ganz  ernsthafte 
Gefechte  hatte  die  kleine  Besatzung  des  Forte  zu  über*- 
stehen.  Sehr  umständliche  und  lebhafte  Beschreibun* 
gen  werden  zuerst  von.  den  verschiedenen  Stämmen  der 
Blackfoct-Indianer  gegeben,  von  welchen  man  bis  jetzt 
noch  sehr  wenig  gehört  hat;  man  schätzt  sie  auf  18— 
20000  Seelen  und  5 -6000  Krieger;  auch  diesen  ge- 
währt der  Branntwein  den  höchsten  Reiz,  für  dessen 
Genufs  sie  Alles  fortgeben,  selbst  die  Weiber,  und  den- 
noch bestrafen  sie  den  Ehebruch  unter  sich  mit  Ab- 
schneiden der  Haare  und  der  Nasen,  eine  Strafe,  wel- 
che auch  die  Weifsen  an  ihren  indianischen  Frauen 
daselbst  ausübten«  Man  fand  aber  dennoch  sehr  viele 
abgeschnittene  Nasen.  Der  Tauschhandel  ward  nach 
Ankunft  der  Waaren  auf  dem  Keelboat  Flora  mit  den 
verschiedenen  Indianerhorden  zu  Fort-Mackenzie  sehr 
lebhaft  geführt,  wobei  viele  Streitigkeiten,  vorfielen  und 
die  Weiden  stete  in  Gefahr  waren,  von  ihren  braunen 
Handekfreundeil  überfallen  zu  werden  $  doch  durch  den 
Muth  und  die  Einsicht  der  daselbst  leitenden  Handels« 
Agenten  ward  alles  ziemlich  glucklich  durchgeführt. 

Es  war  gewUs  sehr  niederschlagend  für  den  Prin« 
zen,  dals  hier  die  Reise  enden  mufste,  denn  vom  Fort- 
Mackenzie.  hat  man  nur  nech  25  deuteche  Meilen  bis 
zur  höchsten  Kette  der  Rocky -Mountains  und  nur  4 
bis  5  zu  dem  Anfange  des  Gebirges. 

Der  prachtvolle  Atlas,  welcher  diesem  ersten  Theile 
des  Reiseberichte  beigegeben  ist,  besteht  in  23  grofse^ 
Folio -Tafeln  und  20  Vignetten,  meistens  bei  Ackere 
mann  in  London  erschienen  $  es  befinden  sich  hierunter 
viele  höchst  ausgezeichnete  Kupferstiche,  und  die  Auf* 
fassung  der  Landschaften,  der  Trachten  und  Lager 
der  Indianerborden  ist  wahrhaft  genial  zu  nennen  tmd 
giebt  uns  die  lebhaftesten  Anschauungen  von  der  Na» 
tur  und  den  Bewohnern  jener  entlegenen  Gegenden; 
8  Tafehi  sind  mit  Portraite  von  ausgezeichneten  Uäup* 
tern  der  verschiedenen  Indianer-Siämme  versehen,  und 
diese  bieten  den  Naturforschern  die  cfaarakteristischett 
Züge  der  Gesichtebildung,  um  richtige  Vergleichungen 
mit  andern  Nationen  anstellen  zu  können,  ein  Gegen- 
stand, über  den  leider  Jedermann  miteprechen  will, 
selbst  wenn  er  noch  nicht  einqial  den  Schädel  des  Eu- 
ropäers kennen  gelernt  hat. 


639 


Lasten^    Anthologia  SanseHtica. 


Die  Naturforscher  können  sieh  Glüek  wünschen, 
dafs  sich  gegenwärtig  so  viele  hochgestelhe  Periionen 
mit  dem  grSrsten  Eifer  dem  Studium  der  Naturwissen- 
schaften widmen  und  die  grölsten  Opfer  darbringen, 
um  diejenigen  Wissenschaften  zu  fördern,  welche  am 
meisten  im  Stande  sind,  Humanität  und  Wohlstand  un- 
ter den  Menschen  zu  Terbreiten. 

J.  Meyen. 


LXV, 

Anthologie  Sanscntica^  Olossario  instructa.    In 

usiiin  scholarum  ed.  Chr.  Lasse n,  Prof.    Bon- 

nacj  1838. 

Den  öfter  ausgesprochenen  Wunsch,  eine  in  ihrer 
Art  wissenschaftlich  eingerichtete  Sanskritanthologie  zu 
erhalten,  welche  in  kräftigen  treuen  Zügen  ein  Bild  der 
indischen  Literatur  nach  ihrem  Hanptentwicklungsgange 
vorfQhrte,  erfüllt  das  vorliegende  Buch  noch  nicht.  Wer 
nach  seinem  Inhalte  sich  die  letztere  vorstellen  trollte, 
würde  ein  wenig  ansprechendes,  oft  schmutziges,  mit- 
unter ekles  Bild  gewinnen;  aber  der  Herausgeber  ge- 
steht  ausdrücklich,  den  Titel  in  Ermangelung  eines 
besseren  gewählt  und  blofs  eine  Sammlung  beabsichtigt 
zu  haben,  welehe  dem  Lernenden  der  mit  dem  epischen 
Stile  vertraut  wäre,  einmal  andere  Lesestücke  in'  die 
Hand  gäbe.  So  gab  er  wohl,  was  ihm  eben  zu  Gebote 
stand,  und  wir,  über  den  Inhalt  hinwegsehend,  müssen 
dem  Vf.  für  das  mitgetheilte  Neue  insofern  Dank  sa- 
gen, als  wir  dadurch  Gelegenheit  erhalten,  unsere 
Kenntnifs  von  indischer  Sprache  und  Literatur,  wäre 
es  auch  zum  gröfsten  Theile  nach  der  schlechteren  Seite 
derselben,  zu  erweitern,  \\er  das  Buch  mit  reiferen 
Schulern  lieset,  wird  auch  dies  besonders  gut  heifsen, 
.dafs  Hr.  L.  nicht  blofs  reichere  Sanskritprosa,  sondern 
auch  Proben  vom  Präkrit  und  zum  Schlüsse  das  von 
Rosen  edirte  Specimen  Rigvddae  m'itgetheilt  hat.  Da 
das  Buch  zunächsjt  m  usum  scholarum  edirt  ist,  ent- 
hält es  aufser  einem  vollständigen  Glossare  noch  einige 
erklärende,  meist  kritische  Noten :  um  so  gerechter  wird 
man  sich  aber  auch  beklagen,  dafs  es  nicht  überall  mit 
gleicher  Sorgsamkeit  gearbeitet  ist,  und  Versehen  und 
Mängel  mancher  Art  enthält,  die  den  Anfänger  schwer- 
lich immer  tarn  Verständnisse  koinmen  lassen  werden. 


810 

Wir  b'etrachten  das  Buch  zuerst  Ton  der  literar- 
historischen Seite,  legen  den  Inhalt  kurz  dar,  geben 
Proben  einer  möglichst  genauen  Uebersetzung  und  ha- 
ben Einzelnes  hervor,  wo  die  Erklärung  des  \b.  min. 
der  genügt. 

Den  Anfang  machen  5  M&hrchen,  welche  Hr.  L, 
der  Sammlung  Vita/apane'avinpati  entnommen  hat 
Der  Titel  besagt:  Vdtälafunfundzwanzig,  d.  h.  25  E^ 
Zählungen  des  Vöcäla  oder  Todtengeistes,  nicht  wie  t. 
Bohlen  praef.  ad  Bbartr.  pg.  VI  übersetzt,  narrationes 
de  viginti  quinque  daemonibus.  Die  StUart  dieser  Mähr- 
chen,  von  denen  beim  Erscheinen  des  Werkes  noch 
fast  nichts  bekannt  war,  bis  jetzt  endlich  Brockhaus' 
Ausgabe  des  Kathäsaritsdgara  eine  gründlichere  An- 
sicht gestattet,  ist  im  Ganzen  leicht  und  einfach  erzib- 
-  lend :  sie  geht  in  Prosa  fort,  enthalt  aber  leicht  m 
Viertheil  eingestreueter  Verse,  die  denn  als  gangbare, 
meistens  schon  aus  anderen  Stücken,  wie  dem  Hit6pA- 
d£^,  Bhartriharis  Sprüchen  u.  s.  w.,  bekannte  Sen- 
tenzen oft  dazu  beitragen,  den  Sinn  und  ZnsaramenhaBg 
zu  verdeutlichen,  oft  aber  ihn  nur  verwirren  und  ver- 
dunkeln. Hie  und  da  mögen  sie  von  späteren  Absdirei- 
bem  nach  eigenstem  Gutdünken  eingeflochten  sein,  dran 
oft  passen  sie  wie  Faust  aufs  Auge-;  anderwärts  sind 
sie  aus  dem  Zusammenhange  ihres  ursprünglichen  Orts 
gerissen,  und  die  neue  Verbindung,  der  gemäfs  de 
dann  zuweilen  auch  verändert  wurden,  kann  nur  unge- 
schickt genannt  werden.  Man  vgl.  z.  B.  die  aus  Mann 
VII,  47  entlehnte  Stelle,  hier  S.  3,  12—13,  zu  der  Hr. 
L.  wohl  etwas  anderes  als  die  unwesentliche  Variante 
des  Accus,  für  den  Locativ  anführen  mufste,  denn  in- 
dem  raA6  gatah^  im  Manu  richtig  mit  dem  folgenden 
mantrajSd  avibh&vitah  stimmend,  bei  Veränderung  des 
letzteren  in  das  passive  mantrd  vidhijatö  stehen  bleibt, 
entsteht  eine  auffallige  Anakoluthie,  die.  selbst,  wenn 
man  gatah  grammatisch  zu  mantrö  bezieht,  etwas  Har- 
tes  und  Gewaltsames  behält;  ^  vielleicht  dürfte  man 
adverbialisch  rah^gatam  lesen!  —  Das  Band  welches 
das  Ganze  zusammenhält,  wird  mit  Breite  fortgesponnen, 
im  Einzelnen  wird  der  Ton  abgerissen  und  fragmen- 
tarisch kurz,  und  dürfte  hin  und  wieder  etwas  vermis- 
sen lassen,  was  ausgefallen  sein  mag;  so  z.  B.  in  ei- 
nigen Stellen  des  Qukasaptati.  -— 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


J#  106* 

Jahrbücher 

f»«  
u  r 

wissenscliaftiiche    Kritik. 


Juni  1840. 


AntMogia '  SrnmcriticOy  Olo»$ano  inttntcta.    In 
utum  tckolarum  ed.  Chr.  Lassen. 

f 

(FortsetzttDg.) 

.,  Der  äabere  eckt  orientaUsehe  Rahmen,  der  die  Fon  ein» 
ander  ganz  unabhängigen  Mfthrehen  umgibt,  mag  immerhin 
dem  qpüen  ^üfad&$a  gehören  \  die  Mfthrehen  selbst  sind 
wohl,  wie  auch  Hr.  L.  annimmti  Tiel  ilter  und  keines« 
wegs  die  Erfindung  eines  Einzelnen.  In  der  Einlei* 
tung  in  der  wir  fibrigens  die  bekannte  Erzählung  Ton 
dem  Bbartriliari  und  der  Entstehung  seiner  Sentenzen 
(s.  Bohlen  L  \^  Wiener  Jahrbb.  1835,  3,  220)  vermis^ 
sen^  helfet  es  1,  7 — 8  also: 

JSis^  wMtm  HoMifaUungf  Ani^rt  wollen  wei$tn  Spruek, 
Anif  Mäkrchem^  gtiekmßckwoütf  dm$  Alhg  vfiri  auch  hur 

gewährt, 

Demgemirs  beginnt  der  Vf.,  zuweilen,  fast  künstlich  ^e- 
nau,  dreitheilig :  v.  1  ^  2.  mit  Verehrung  des  Gaue^a, 
fQgt  3 — 6  einen  Spruch  hinzu:  fortis  esse,  susceptum 
finire,  und  geht  nun  lin.  9  zur  Erzählung  Ober.  Hr. 
L.  durfte  seine  Conjectur  uklam  budhaih  fQr  das  ein 
TIerteSy  Nichtvorhandenes  setzende  vac'd  budhäh  sicher 
also  in  den  Text  nehmen.  Der  König  Tikramtlditja 
(später  auch  Yikramasöna  geheifsen,  wie  die  deutschen 
7  weisen  Meister  ihren  Kaiser  bald  Pontian  bald  Donri- 
tian  pennen)  wird  alltSglich  Fon  einem  Digambara  oder 
JAgin  besucht  und  mit  einer  reichen  Frucht  beschenkt, 
aus  der,  als  sie  einmal  zur  Erde  gefallen,  von  einer 
Merkatze  (markata)  gespalten  wird,  glanzvolle  Perlen 
herrorspringen.  Der  König  ist  über  ihren  Gllinz  er- 
staunt, der  JAgin  bedeutet  ihn: 

Kt  neht,  wer  nahet- leerhrnndig^  den  Könige  Arzt  und  Lehrer 

nicht; 

Svhney  Freunde  und  (SottweUe  erkennt  man    un  der  Gabe 

Fruekty 

oder  eigentlich :  diese  zeigt  die  Frucht  duroh  die  Frucht; 
d.  b.  also,  weil  Du  ein  K^nig  bist,  mufs  ich,  um  Dich 
EU  neben,  mit  toUmi  Händen  kommen  $  dafs  ieh  aber 
Jahrb.  /.  wueeneeK  Kritik.  J.  1840.    I.  Bd. 


gleich  so  gebe,  wie's  geschah,  thue  ich,  weil  ich  ein 
daiva«gnis,  Gottweiser,  Astrologe  bin.  —  Der  Dig- 
ambara thut  dani^  weiter  sehr  geheimnifsvoll,  und  spricht 
von  einem  Mantra,  dessen  Erfüllung  den  König  grofser 
Vollkommenheiten  theilhaft  machen  werde,  wenn  er 
Btandhaftigkeit  beweise  und  ihn  in  die  Einsamkeit  be- 
gleiten wolle  —  Beides  unerläfsliohe .  Bedingungen,  die 
bei  den  indischen  Zaubereien  und  Gaukeleien  stets  wie- 
derkehren ;  denn,  wie  es  hier  heifst  3,  8  „von  dem  Jah* 
reskraute  eines  Mantra,  vom  Gesetze  oder  guten  Tha» 
tenf),  vonBauszwitt  und  Beischlaf,  verbotenen  Speisen 
und  tadelhaftem  Beginnen,  wird  ein  Yerständiger  nicht 
laut  reden  *) ;  ein  6-ohriger JMantria  geht  z«  nichte,  ein 
4-ehriger  mag  fest  sein.*' —  Als  der  König  sich  am  schwar- 
zen Vierzehnten,  in  dunkle  Gewänder  gehüllt,  auf  dem 
bezeichneten  Kirchhofe,  wie  wir  sagen  würden,  eing^ 
stellt  hat,  erhält  er  die  neue  Weisung,  von  einem  ein 
halbes  J6g'ana  entfernten  Verbrennungsplatze  erst  ei> 
nen Leichnam  herbeizuholen:  der  JAgin  fögt  aber  hinzu: 
„wenn  Du  sprichst,  dann  geht  der  Leichnam  alsbald 
wieder  auf  seinen  Baum/'  Hier  liegt  der  Punkt,  an 
den  sich  die  Erzählungen  anknüpfen,  denn  der  den  Leich- 
nam begleitende  und  zum  Theil  mit  ihm  identificirto 
Viitala  findet  es  in  seinem  Interesse,  den  König  zum 
Sprechen  zu  bsingen.  Sobald  der  König  den  Leich- 
nam vom  Baume  genommen,  beginnt  er  daher  eine  so 
unterhaltende  Geschichte,  darfs  der  König  seines  Ver- 
sprechens vergifst  und  zum  Schlüsse,  wo  der  Knoten 


*)  Hr.  L's.  Ueberaotzusg  der  ganzen  Stelle  würde  nach  dem 
Glossar  irielmehr  so  lasten :  peffecti  consilii  annaam  herbam^ 
jara  lioininib^  praescripta,  domus  fissoram,  copulationem« 
ifvc-comestam,  Titoperatam  factum  non  maaifestabit  prudens« 
Ganz  äbnlicb  14^  11.  Uebrigens  hätte  men^itnrüehadhi  einer 
näheren  Erkläning  bedurft,  da  es  hier  gleich  mantra-phala 
zu  sein  scheint,  während  ö$hadht  sonst  in  der  Compos.  meist 
soTiel  als  remedinmy  medieina  ist :  cf.  Schol«  Caurap.  t.  47, 4as 
bh^shag's,  «nd  Vrih.  Kathä  Tar.  18.  ▼.  313. 

J06 


813 


Latten^  Anthologia  SanseHtiea^ 


814 


derselben  liegt^  weno  er  um  seine  Meinung  gefragt 
^ird,  treuherzig  antwortet«  Der  TdtAla,  dem  es  gar 
iiiolit  um  die  Meinung,  sondern  nur  um  den  Laut  au 
thua  ist?  gellt  dann  auf  seinen  Sitz  zuriiels.  —  Aehn- 
lieb  wie  die  Kaiserin  und  die  7  weisen  Meister  in  dem 
Volksbttcbe  gleiches  Namens,  um  den  Sohn  des  Kaisers 
zum  Tode  zu  bringen  und  wieder  davon  zii  befreien, 
ihre  14  Erzählungen  vorbringen, ,  die   denn  freilich  be» 

,  deutsamere  Beispiele  sind,  wiederholt  sich  hier  die  an- 
gegebene Weise  25  Mal,  und  wissen  wir  nicht,  wie 
sich  das  Ganze  zum  Schlüsse,  dem  Eingange  anknä« 
pfend,  etwa  abrunden  möchte,  da  Hr.  L.  nur  5  Ge- 
schichten mittheilt.    Die  5te  und  letzte  ist  diese: 

„Als  der  König  dann  wieder  den  Todtto  vom  Qin- 
^ipabaume  auf  die  Schulter  genommen  hatte  und  seines 

'  Weges  dahinging,  sprach  der  Yötäla:  höre  doch,  o 
König,  ich  will  Dir  ein  Geschichtchen  erz&hlen.  Es  ist 
«ine  Stadt,  Ug'g'ajinl  mit  Namen,  dort  herrschte  ein 
•König  Mah&bala,  dessen  Mmister,  der  Zustände  des 
.Krieges  wieües  Friedens  kundig,  Haridäsa,  hatte  eine 
Tochter^  die  hiefs  Mahäddvi  und  war  gar  schön  und 
freiergereicht.  Als  der  Vater  nun  einsmals  an  das  Freien 
dachte,  da  sprach  sie,  höre  Väterchen,  dem  mufst  Du 

^mith  geben,  der  mir  gleich  an  Werthe  i^t.  In  dieser 
2eit  fügte  es  sich,   dafs  der  Vater  vom  Könige  zum 

^  Fürsten'  von  Daxina  gesandt  ward.  Bei  diesem  hatte 
«r  dann  nach  seiner  Ankunft  eine  Audienz.  Der  Fürst 
forderte  ihn  auf,  sag  mir  doch  etwas  her^  was  zur 
Kalizeit  pafst,  und  er  begann : 

O  Konig 

Wir  9Ukn  im  KalizeUaUer^ 
Da  und  die  guten  Leute  rar, 
Die  WßU  verheeren  Heutchreckeny 
Die  Färtten  echwanken  hin  und  her; 
Die  Erde  plündern  Diebsbanden,* 
Der  Mann  kommt  auf  der  Straße  um  ; 
Der  Vater  traut  dem  Sohn  telbtt  nicht, 
E$  i9t  *ne  gar  verruchte  Zeit!  — 
Gexcichen  i$t  da$  Recht,  Demuth 
Und  Wahrheit  eind  verschwunden  weit. 
Die  Erde  gibt  nur  karg  Fruchte, 
Der  Fürst  betrügt,  der  Brahman  irrt. 
Am  Weibe  hangt  die  Welt,  Weiber 
Sind  untreu;  Vischnu  ist  der  Gott; 
Der  Oute  liegt,  wer  schlecht,  eieget; 
,  Und  kurz  ^  die  Kalizeit  ist  da!  — 

Daselbst  ward  Haridäsa  auch  von  einem  Brahmanen 
angegangen,  der  bat  ihn,  gib  mir  doch  deine  Tochter. 


Haridäsa  sprach :  wer  ihrer  würdig  bt,  dem  gebe  ick 
sie«  So  will  ich  dir  es  zeigen,  entgegnete  der  Bnk- 
mane  und  mit  diesen  Worten  liefd  er  einen  Wagen 
erscheinen  *) ;  „Dieser  Wagen  geht,  wenn  man's  nv 
wünscht,  in  der  Luft."  Haridäsa  sagte,  so  koiooi  Bor- 
gen mit  deinem  Wagen  zu  mir.  Und  der  Brahnae 
ging  anderes  Tags  mit  dem  Wagen  zu  ihm,  und  beide 
bestiegen  denselben  und  kamenr  nach  Ug'g'ajinL  Doit 
war  aber  auch  der  ältere  Bruder  von  einem  Braimii* 
nen  gebeten,  „gib  mir  doch  deine  Sehwestei";  er 
theilte  ihm  die  Bedingung  mit  und  als  jener  geaatviM^ 
tet  hatte:  „Ich  bin  ein  Wissender,  der  das  Buch  der 
Weisheit  kennt,*'  sagte  er,  nun  wohl,  so  hast  Du  ne! 
Nun  war  auch  die  Mutter  von  einem  dritten  angep» 
gen :  „gib  mir  deine  Tochter."  Der  konnte  die  Boges- 
wissenschaft,  dafs  er  den  Laut  zu  treffen  wufste,  od 
die  Multer  gestand  sie  ihm  zu.  Als  die  drei  Freier  höitci^ 
dafs  die  Tochter  vergeben  sei,  fiengen  sie  an  zu  sai- 
ken:  „«m  Mädchen,  dSr^' Freier" :  {Sie  streiten  aicq 
Was  soll  daraus  werden?  Indessen  ward  das  ott» 
schöne  Fräulein  Nachts  von  einem  Riesen  zum  Vindhji- 
gebirge  entführt. 
Entfuhrt  ward  allzuschcn  Sita,  *");  der  alltuMtohe  Räfm^ 
Der  allzureiche  Bali  ward getödtet :  allzu  meide  stets I 

Am  Morgen  darauf  käme»  die  drei  Freier  zusamsMi 
und  fragten  in  ihrer  Mitte  den  Wissenden^  heWiss» 
der  du  weifst  es  wohl?  Der  nahm  Kreide,  rechnete  snl 
sprach:  o  ja,  sie  ist  auf  dem  Vindhja,  von  einem Rieics 
entführt.  Da  sagte  der  zweite :  so  will  ich  den  Rieici 
tödten  und  sie  wieder  herbringen.  Der  dritte  tüg» 
hinzu :  meinen  Wagen  besteige !  Er  bestieg  den  Waget 
und  ging :  und  als  er  den  Riesen  getödtet,  hob  er  A 
auf  den  Wagen  und  führte  sie  heim.  Um  ihretwilki 
zankten  nun  die  drei  Freier  miteinander.  Der  Yalcr 
dachte,  alle  drei  haben  sie  Dienste  geleistet,  wemifll 
ich  sie  geben,  wem  nicht? 

Als  der  Vdtdia  diese  Geschichte  erzählt  hatte,  spnd 
er  zum  Könige :  Nun  sag  mir  doch,  du  König,  wem  ?ii 


«)  Diese  Stelle  ist  ttndentlich :  vielleicht  wörtlich :  Ueft  er  » 
nen  aus  der  Hand  gefallenen  Wagen  erscheinen,  d.  b.  et«% 
wie  er  die  Hand  umdrehte,  mit  ihr  schlag.  Nach  L.  mam 
mit  der  Hand  fabricirten  Wagen,  was  auch  geht. 

**)  Wir  lesen  atirüpft  und  beziehen  auf  rftvanah  nicht  das  i«* 
hergehende  hrttd  mit  Hrn.  L.,  was  ein  wunderliches  Zeug» 
wäre,  sondern  das  folgende,  auf  ihn  wie  auf  bali 
baddha. 


815 


LiOMMen^  Antkol^gta  SanMtrüica* 


846 


ilinen  gebfthrt  sie  sur  Fraaf  Vilrrainasdaa  meinte,  sie 
müsse  die  Gattin  des  Wissenden  sein.  »^Und  doch  sind 
alle  drei  an  Wefthe  gleich'*,  entgegnete  der  Y6t41a^ 
wie  so  ist  sie  denn  dieses  Gattini  Yikramasöna  ant* 
wortete : 

Eifer^  Muth  und  Auidauer  und  Weuheii,  Stärke,  Heldenmuih^ 
Wen  iäuner  ditt  ueh$  schmück^n^  4tn  fürchtet  wahrlich  ielbsi 

der  Gott, 

Als  derTet&la  das  gehört  hatte,  giag  erundhieng  wie- 
der an  seinem  Qin^ipabaumzweige."  — 

Obgleich  diese  Mährchen  zuweilen  etwas  Monoto- 
nes haben,  Mtten  wir  Hrn.  L.  Danlc  gewufst,  wenn  er 
uns  das  Ganze  initgetheilt  hätte.  Aehnlich  verhält  es 
luch  mit  no.  II.,  dem  Qukasaptati,  d.  b.  Papagaiensie- 
benzig,  welche  Sammlung  persisdi  als  Tutinameh  bc* 
kannt  ist,  und  von  der  Hr.  L.  nur  die  Einleitung  und 
eine  Fabel  mittheilt.  Madana  hatte  eine  Gattin  Pra- 
bhdvat},  die  allzusehr  der  Sinnlichkeit  anhieng;  daher 
worden  zu  ihrer  Belehrung  zwei  Gandharvcnkinder  ge- 
bracht, die  weil  sie  einst  in  schlechter  Gesellschaft  leb- 
ten ,  SU  einem  Papagaien  und  einer  Staarin  in  einem 
Bauer,,  verwandelt  waren. 


Einzelnes  betreffende  Bemerkungen  zu  beiden  Ge- 
schichten sind  folgende:  1,11 — 12  nehmen  wir  harivat 
(t«.  Haris  instar)  für  Indraj  samana  (L.  honorans)  als 
honoratus:  wie  Kandarpa  schön  an  Gestalt:  die  Lust 
des  Indra  und  der  Menschen ;  gleichsam  ein  Meer,  das 
sich  in  seinen  Grenzen  hält,  geachtet  immerdar  bei  den 
Guten.  -^  3,  16  aghoramantra  ist  wohl  ein  Qivaman- 
tra;  Hr.  Lassen  nimmt  o^gA&ra  als  non  cmdelis,  eine 
Bedeutung,  die  es  nach  Wilson  nicAt  hat,  er  iibersetzt 
^.ausdrücklich  mit  terrible,  formi^able  und  meint  a 
bezeichne  nur  reiembiance ;  noch  besser  würde  hier 
das  Fem.  aghora  passen,  der  14te  Tag  der  schwarzen 
Hälfte,  von  dem  ja  kurz  vorher  die  Rede  ist ;  vielleicht 
liegt  in  aghdra  ein  alter  Euphembmus.  5,  12  ist 
mritakapäoana  zu  trennen  und  mritakam  zu  lesen.  11,  9 
vip^ari-  und  15,  5  aparf*  sind  überzählige  Verse,  ein 
Anapäst  an  Stelle  der  zwei  ersten  Silben,  wie  es  öfter' 
vorkommt.  14,  2  dapadipij  in  10  Weltgegenden,  ist 
Hrn.  Lassen  eine  Hyperbel  für  die  sonst  gewohnlichen 
89  wir  glauben  an  einer  Stelle  des  Mabäbh.  demselben 
^  Worte  begegnet  zu  sein  (vgl.  Schlegel  zur  Uebers.  des 
Ramäj.),  möchten  hier  indessen  di^i  di^i  d.  b.  hie  illic 


vorziehen,  of.  64,  20.  -^  15, 1--2  ist  schwerlich  richtig. 
16,  18  ist  kritUkä  die  3te  Mondstaiion,  während  es  Hrw 
L.  blofs  durch  nomen  Naxatrae  erklärt.  —  17,-2  hebt 
Hr.  L.  bei  dhavalägrihk  ^  dhavalagriha  19^  13,  ^bm 
IVeifoe  zu  sehr  hervor:  Kalkhaus,  do^us  cujus  parie- 
tes  calce  sunt  illiti;  wir  halten  uns  an  Scbol.  zu  Cau- 
rap.  18,  1.  dhavalav^^mani  :  räg'asadand,  also  der  Pal- 
last, der  denn  auch  zu  c  aitja  pafst.  Das  Fem.  (nach 
W.  sonst  eine  weifse  Kuh)  wird  hier  wohl  nur  des 
Versmafses  wegen,  stehen.. —  21,3  will  Hr.  L.  im  Glos- 
sar für  fbshänjaldAaithiti  lieber  fethanjalbkaMthiti 
lesen,  indessen  macht  dann  alokfMthiti  Schwierigkei- 
ten, wie  Bhartr.  II,  19«  Am  besten  lesen  wir  viel- 
leicht ^Anjänjalökasthiti,  d.  h.  dannr  diese  Wonne 
nenne  ich  ewig,  nichts  ist  dagegen  der  Zustand  der 
anderen  Welt.  —  22,  5  ist  andhak&pa  auffällig^  des- 
gleichen 21  y  1  mädhavagar^itam  Yishnus  damoreml^ 
und  28,  13  servi  stant'  in  porta  vrüAanä  iva^  scroto- 
rum  instar!  worüber  uns  eine  weitere  Erklärung  er« 
wünscht  wäre;  andha  fafst  Hr.  L.  als  occultuSf  es  ist 
aber  (nach  WUs.)  als  Neutr.  auch  darknes  und  water^ 
was  bei  kApa  der  Brunnen^  die  Grube  recht  gut  pafst; 
sonst  wird  freilicn  andha  gleich  eoecus  und  6i$nd  so* 
wohl  passive  als  active  gebraucht.  In  der  zweiten 
Stelle  schlagen  wir  statt:  Pferdesprung  und  Yischnu* 
geschrei,  magAavadgargfttam'Y ort   Pferdegallop  (Ge* 

trappel)  und  Indradonner,  ^  w f ür  .  v^\^  .^  was  me- 

trisch  unverwehrt  ist;  snaghavat^  und  gargitam  vom 
Donner,  sind  bekannt.  Die  dritte  Stelle  endlich  ist 
leicht  schon  durch  vrühabha  oder  besser  vri$hala  ge-, 
bessert,  wobei  man  webigstens  zu  einem  Sinn  gelangt.  — 
34, 11  aus  der  Sävitrigeschichte  entnommen,  lautet  auch 
in  der  Ed.  Calic.  eakrit  Makrity  wie  hier^  und  niclit 
wie  bei  Bopp  s«  satÄm,  also  die  drei  nur  einmal^  was 
nachdrücklicher  ist  als  die  drei  Einmal  der  Guten.  An- 
deres übergehen  wir. 

No.  III.  ist  aus  Mahftbh^rata  Ed.  Cal.  I.  pg.203  ge- 
nommen und  durch  seinen  besonderen  dem  grofsen  Epos 
wenig  angemessenen  Charakter  merkwürdig,  eine  Thier- 
fabel,  die  Klugheit  des  Schakals,  als  Beispiel,^  wie' der 
Feind  durch  Schmeichelei,  List  u.  s.  w.  getödtet  wer- 
den kann.  Der  Schakal  beredet  sich  mit  seinen  Freun- 
den,  dem  Tiger,  der  Maus,  dem  Wolfe  und  Ichneu- 
mon, um  einen^  starken  Löwen  zu  tödten^  das  Maus* 
chen  soll,  wenn  er  schlftft  seine  Füfse  zernagen,  dann 


S47 


soll  ihn  4er  Tiger  erwürgen.  Die  Hauptraciie  ist  da» 
bei,  wie  der  Sdialud  eicli  seiner  Freunde  zu  entledi» 
gen'  weib,  und  gutes  Muthes  allein  des  Löwen  Fleisch 
rerzehrt 

Es  folgt  sodann  unter  No.  IV.  der  Text  jener  lieb- 
lichen Kandu«episode '  aus  dem  BrahmapurAna,  welche 
Hr.  V.  Schiegel  Ind.  Bibl.  I.  S.  258  auf  so  meisterhafte 
Weise  ki  freier  Prosa  übersetzt  hat.  Wir  können  sie 
darnach  als  belcaimt  Übergehen* 

Gleich  dankbar  aufzunehmen  ist  die  folgende  Som» 
merbeschreibung  aus  KAlidAsa's  Ritusanhira,  welches 
äufserst  saubere  anmuthige  Gedichtchen  zwar  schon  im 
Jaiire  1702.  von  W.  Jones  als  erstes  SanskritstGck  edirt 
war,'  in  dieser  Ausgabe  aber  so  selten  geworden  ist, 
dafs  es'fQr  unbekannt  und  unedirt  gelten*  konnte,  bis 
es  neulich  vollständig  -^  als  letzte  Gabe  —  durch  v. 
Bohlen  zugänglich  gemacht  ist,  worüber  ich  auf  meine 
Anzeige  in  den  Hallbchen  Jahrbüchern  1840,  6.  Mal 
No.  109.  verweisen  darf.  Das  Gedichtchen  bt  im  Gan- 
zen klar,  leichtes  und  einfaches  Stils,  .treu  und  leben- 
dig, zuweilen  leidenschaftlich  in  seinen  Schilderungen, 
und  nur  selten  durch  Wiederholungen  etwas  einförmig. 
Offenbar  gehurt  es  der  guten  alten  Zeit  an,  und  mag 
mit  Recht  dem  Kälidäsa  zugeschrieben  werden.  Der 
Dichter  erwähnt  zuerst  alles  dessen,  was  zur  Zeit  des 
Sommers  labend  und  kühlend  das  Herz  erfreut;  dann 
schildert  er  die  Sommergluth  in  ihrer  verheerenden, 
fürchterlichen  Wirkung  und  malt  mit  grellen  Farben 
die  Schrecken  des  Waldbrandes.  Folgende  Yerse  aus 
meiner  freieren  Uebersetzung  mögen  als  Probe  dienen. 

%  Nächte  deren  dunkle  Schatten 

8ind  vericheucht  vom  Mondenicheiney 
SandehaHenf  Ueblteh  duftend^ 

Schmuck  der  kühlen  B^leieine^ 
tlnd  am  Meer'  ein  Sommerhäuecfien 

Um  der  Sonnenglutii  zu  wehren^ 
Kommen  wohl  bei  den  Oeliehten 

In  dem  CuUchimond  zu  Ehren, 

3.  Wohlgeruehdarehflofenem  SoUer 

Der  de$  Meneehen  Herz. erhebe 
Und  dem  Honig  der  im  Flüttern 

Auf  der  Liebiten  Lippe  bebt^ 
Und  det  lAebetgottet  Flammen^ 

Und  de§  Liedee  eanfien  Tönen 
Mögen  Ldebenda  znr  Nachtzeit 

In  dem  putechmonde  fröhnen^ 


6,  üeppig  volle  Bueen  wekhe 

Staub  dee  duftgen  Sandele  kähli, 
Ein  in  gelbee  Oold  gefafitee 

Perlendiadem  umepieU^ 
Hüften  ^  da  wo  eia  umfangen 

Hält  dee  goldnen  Gürtel^  Zier,  -^ . 
Weeeen  Sinn  erfüllten  dieee. 

Nicht  mit  glühender  Begier^ 

10.  Die  von  grimmer  Sonnenhitze 

Faet  verbranntet  glühend  heifee. 
Und  von  Staubgewirbel  da$  ein 

Heftger  Sturm  erregt^  im  Kfeifee 
Ringt  durchzogene  Erdf  kann  der 

Wandrer  nicht  mit  Augen  e^ken^  ^ 
Er  in  deuenSinn  die  Gluthen 

,   Von  der  Liebetentrennung  wehen, 

17«  Auf  dem  gelb  mit  Schlamm  bedeckten^ 
Graebewachenen  See,  dem  heiften^ 
Lauft  die  Eberheerde  wühlend 

Mit  der  Schnauz*  in  weiten  Krei/een^  — 
Die  von  glühndem  Sonnenetrahte 
üeberaue  geplagte  BeerdCf 
f     Auf  dem  See,  alt  war  der  duftge 
Eine  Flacha  dürrer  Erde. 

21.  In  die  Höh  da'e  Haupt  gerichtet 

Welehee  Schaum  und  Speichel  deckt, 
Aue  dem  rotiun  Maul  die  rothe 

Zunge  weit  hervorgettreckt. 
Sieht  man  aus  dee  Waldee  Dickicht 

Wilde  Auerochsen  laufen, 
Durstgepeinigt,  wassergierig. 

Hier  und  dort  in  grofsen  Haufen, 

35.  Windzerrissen  heulen  Gluthen 

In  der  Berge  Hefen  Grüntkn, 
Mit  Getöie  sich  durch  dürre 

Rohrgefilde  weiter  winden. 
Durch  des  Grases  weite  Sirecken,  «- 

Rings  die  flüchtgen  Heerden  scheuchend,  •* 
Mit  dem  Augenblicke  wachsend. 

Bis  zum  End  des  Waldes  reichend  «). 

28.  Der  mit  süßem  Duft  ergetzet, 

See'n  mit  Lotuswäldern,  schmückt, 
Der  in  Strömen  Wonne  spendet, 

Wenn  das  sanfte  Mondlicht  bUdsty  -^ 
Dieser  Sommer  wandle  freundlich 

Der  Geliebten  Dein  vereint, 
Hin  zu  Dir  auf  hohem  Sollen 

Nachts  wenn  alles  minnt  und  meint. 


•}  aUn  vergfoiclM  hiemH  die  ScUUenmg  hex  Freülpatli,  G«di^kU  2le  Auf 
S.  275. 

(Der  Beschlafg  folgt.) 


M  107. 

J  a  b  r  b  tt  c  he  r 

für 


wissenschaftliche    K  r  i  t  i  k. 


Juni  1840. 


An^logia  SantcriticOf  Gloi$ario  instructa.    In 
u$um  acholarum  ed.  Cht,  Laßsen. 

(Sdikilk) 

Ganis  unzareichepd  iit  das  Glossier  hier  in  folgen- 
den Stellen:  2,  h  g'alajantro'  (g^ihft)>  maohina  hydrau- 
liea,  also  Wassermascbinenbaus,  womit  der  Anfänger 
schwerlich  X  etwas  anzufangen  weiCs,  so  wie  denn  auch 
6   {iuschiLta) --^  gauräryntis^  dvacfihßiwus^  onm^  wie- 
dergegeben,  unverstandlich  bleibt;    v.  Bohlen  nimmt 
^a»ra  als  iäaflfran,  wir  lieber  als  GöiJ:  ein,  in  kühles 
Gold   eingehen    gemachter  Perlensobmuck  ^  -  cf«  70,4. 
Ters  lld  bhinna'ang'ana^MannibAam  nabhah  erklärt 
Hir.  L«  einzeln  durch  fissus,  eruptns  —  unctio,  tollyrium  *7- ' 
simUis  nubes,  aber  was  denkt  man  sich  bei  ieiner  Wolke 
die  gespaltener  Augensalbe  gleicht?  Das  Richtige  bat 
iiier  schon  v.  Bohlen  (  cf.  Wilson  s.  t.  an^ana,  the 
etepfant,  und  bhinna  »  prabhinna^  a  furio]iis  elepfant, 
also   die  Wolke  oder  Luft  'gleicht  einem  (von  seinem 
Weibchen  geschiedenen  a)  grimmigen  Elepfanten.  Nichts 
.  häufiger  als  dieser  Vergleich,  wie  Hr.  L.  wohl  weifs ; 
cf.  Ritus.  IL. 2,  b.'u.  III,  5,  a.  -^Endlich  t/  27,  d  ist 
In  vipulapulmad^famnimnagam  äprajanti  d.  b.  sie 
fluchten  sich  in  den  Flufs  der  grofse  Inselstellen  hat, 
d€U  Wert  nimnaga  gar  nicht,  oder  vielmehr  es  scheint, 
man  siebt  nicht  wie,  unter  W.  tna^g'  erklärt  2u  sein, 
da   es  doch  mit  letzterem  so  wenig  als  mit  ni-mag^^ 
etwas  zu  sehaffen  hat,  und  sich  als  eine  Nebenform  von 
nimra  an^  W.  nam  anscbUelst,    daher  schon  in  den 
Tedas  njmna  als  dediYitas  vorkommt.    Es  scheint^Jm 
Glossar  mit  nimagna.  verwechselt.  —    Versehen  und 
Ungenauigkeitto  solcher.  Art  liefsen  sich  mehrere  an- 
führ en. 

Das  unter  No.  VI.  mitgethfilte  Drama  Dhtl^rUMa^ 
tnagama^  die  Versammlung  der  Gauner,  fällt  in  späte 
Zeit,  und  zwar  wie  Hr.  L.  ern>ittelt  jku  haben  glaubt, 
unter  den  Konig  Narasinha  von  Karnäta  der  von.l4S7 — 

Jahrh.  f.  tnnentch.  Kritik.   J.  1840.    L  Bd. 


1508  regierte.    Es  ist  ein  Beispiel  arger  VerwUäerung. 
des  Geschmacks,  oTt  albernes,  zuweilen  zotiges  Inhalts, 
kurz  eine  Curiosität,  in  der  die  Gedanken  oft  so  un- 
klar  ausgedrückt  und  in  einander  geknäuelt  sind,  dafs 
wir  es  für  absolute  Unmöglichkeit  halten,  dieselben  in    ' 
enger,  netter  Uebersetzung  immer  plan  zu  entwirret. 
So  sind  gleich  die  ersten'  zwei  Seiten,  und  .vielleicht 
lEibsiobtlich  di^se,   ein  Muster   von  Verworrenheit  und 
Bombigst.    Im  Segensspruche  lacht  der  Mond,  als  er    . 
sieht,   wie   Qiya  von  seiner  Schwiegermutter  geküfst,, 
wird^  und  über  de^  Mondes  Lachen  lacht  wieder  (^iva ; 
wir  Jkonnten  die  Stelle  etwa  so  wiedergeben: 

Der  fiva  —  deufn  Fünfgjüicki  von  LäcMln  hold  tTglunzte^ 
^  Jli  er  det  Monde$  Jntlitz  iahj  der  lächelnd  niederechmiUf 
Da  ihn  (P»p<i)  im  Rath  def  Götter  eimt  die  Schwiege(fnutter ' 

freudig 
Am  Haupt  gekuftt  hei  ihrer  Tochter  Heirath  -^»pende  Heil  Euch, 

Wenn  der  Herausgeber  sich  des  Stückes,  in  dem  er  . 
zugleich  ein  Beispiel  seiner  früher  besprochenen  Prä-* 
kritcritik  geben  wollte,  ,treu  ^und  sorgsamst  angenom- 
men bat,  so  ist  es  ihm  doch  leider  nicht  gelungen,  alles 
Dunkle  und  Verschlungene  vollkommen  zu  erläutern.  ' 
Gleich  im  Eingange  würden  wir  vieles  anders  fassen, 
was  wir  hier  freilich  nicht  erörtern  konndn.  Ungenü- 
gend ist  die  Erklärung  von  82, 12-  viüwa  maggf^d  küay 
oder  was  heifst  das :  in  der  Mitte  schmal  wie  ein  loeus 
sacrificii,  vel  altarel  Es  läfst  jsich  über  die  Erklärung 
freilich  zweifeln,  man  vergleiche  indessen  Caurapanc'.  / 
V.  46  a,  krigavbdimadhjam^  ein  Ausdruck  der  hier  zum 
Crunde  zufliegen  scheint,  mit  v.  Bohlens  Note,  ^nd 
Mahabh.  111.^451  1.  1  rukmavidinibhhm.  —  v.  72,  1 
ratnani  ist  offenbar  eine  spätere  Bildung,  die  auch 
BliäminlvUäsa  S.  153  bei  Bohlen  vorkommt.  95,  7, 
päritoihika  fehlt  im' Glossar  u.  s.  f. 

-  Wenn  man  sich  durch  die  trostlose  Oede  dieses 
Machwerkes  mühseligst  hindurchgearbeitet  hat,  kaum 
hie  und  da  durch  einen  grIMien  Gedanken  belohnt,  so 


-N    , 


107 


851 


Lauen  y  AfMofogia  SafkMeritidi* 


glaubt  man  dagegen  in  den  zum  .Schlusae  ijach  Romp 
mitgetheilten  Vfidahymnen  einen .  altm  ekrwürdigea 
Dom  zu  betreten,  dessen  einfach  erliabene  Bauart  dj0 
Seele  mit  Andacht  erfüllt.  Kein  grofserer  Abstand' als 
zwischen  diesw  teideq  Crzeugiiifseji  etnev  Lfteraftur. 
Wie  ernst  und  feierlich  nimpt  sich  z.  B.  der  erste 
Hymnus  ans,  den  wir  hier  im  Versmabe  des  Originals 
Wiedergeben. 

Aß  die  ^orgenrötAe^ 

'  Empor  JUbi  iick  der  8trahlenglan%  de$  Morgttu 
Et'gtänzend  wie  de$  Meeree  SUberfluthen^ 
Zu  ebnen  und  zu  bahnen  um  das  WeltalL  -* 
Da  ut  eie  —  majeetatiiek  — -  die  Maghdnil 

So  hehr  ereche^U  Du,  breiieii  aus  Dein.Giänzeß^ 
Der  Strahlen  ^chier  fliegen  auf  zum  Hiuimel^  -^ 

Enth&lle  denn  Dein  knUerprarigend  Andifz^ 
Du  Göttin  Morgenroth^  gehüllt  in  StraMen ! 

Einher  fährt  iie  auf  ^oldnem  Strahl  getragen 
'  Die  leuehiindef  die  hehre,  weiige feiert ; 
Dem  ßeroi  ^leiehj  des  P/eii  verscheucht  die  Feinde, 
Scheucht  sie  im  Nu  der  Fi»st€miss4  Sehaaren.- 

Dir  ist  so  Weg  wie  Steg  gebahnt  im  Dickicht, 
Du  Unbesiegte  wanderst  dur^ch  den  Aelher: 

Du  deren  Wagen  wiithih  führt.  Du  spende 
O  Himmehtochter  l  Schatze  zum  Geniefsen* 

Du  fahrtt  einher  mit  Rossen,   Unbesiegte, 

Du  m/hrgenröthe  spende  was  wir  flehen  t 
'Du  hohe  Bimmelstochter  bist  die  Göttin, 
Die  hehro  die  i^  FtÜhgebet  wir  feiern. 

yWehn  Du  erscheimt,  verlassen  Mensch  und  Vögel 
Die  Wohnung  um  der  Nahrung  nachzugehen; 
lUm  tterbHehen  Verehrer  der  genahet, 
Dem  ßpendesi  Du,  o,  Gittin,  reiehUeh  Seegen. 

Die  I^oten,  welche  den  mitgetheilten  Texten  folgen, 
geben  zuerst  eine  Zusammenstellung  der  Metra,  wobei 
'  et  Wunder  nimmt^  dab  Hm.  L.  die  einfachen  Vedischen 
Mafse  eines  Theils  entgangen  sind.  Die  Anmerkungen 
hittea  wohl  etwas  ausführlicher  «ein  sollen ;  nur  zu  den 
Vedabymnea,  wo  ihnen  die  Rosensoheii  Bemerkungen 
meistens  einverleibt  siAd,  fliefsen  sie  reicMich^.  Das 
Glossar,  .bis  auf  die  angeführten  Punkte,  (denen  man 
noch  n&n6  hinzufügen  kann)  vollständig,  erwirbt  sichinr 
Einzelnen  manches  Verdienst,  wie  denn  namentlieh  die 
Bedeutung  der  Partikeln  und  der'ürsprhng  der  Wörter 
ber&eksiehtigt  And,  In  letzter  Beziehung  meinen  wir 
Indessen  zu  oft  und  auch  da,  wo  die  Etymologie  gesi* 


chert  sein  dftrfte,  den  Zusatz  orig.  ineert.gefiuidea  ti 
liabea.  >  ftlnd  mr  gleich  der  Meinung,  wie  die  (Aigcn 
^d^utungen  zeigen,  dafs  Hn  Lassen  das'  Gegabese 
viel  sorgfältiger  und  besser  behandeln  konnte^  § o  geile, 
b^  wir  unserei^  Th^  g^m  das  Bud^  «^  TlMilna^ 
und  nicht  oime  manche  Belehrung  aufgenommsn  n 
haben,  - 

Albert  Ho«fer. 


LXVI, 

Meteorologische  Monographien. 

JJ  Obserrations  metSorologiques  faües  d  tAce- 
dSmie  Imperiale  des  Sciences  de  8t  Peten- 
bourff  de  1822  a  1834  et  calculees  pur  Ü 
Kupffer  (Extrait  des  Memoires  de  PAcedt 
mie  des  Sciences  de  St*  Petersbourg  VI.  Bim 
T.  IV.    St.  Peiersbourg,  1S38.    214  &    4 

2J  Obserrations  metSorologiques  et,  magnett^ 
faites  dans  r Empire  de  Russie^  redigees  et  fit 

:  bliees  aus  frais  du  gouvemefhent  par  A.  T. 
Kupffer.  ,T. /.  St. Petersbourg^  1831.  196& 
gr.  4. 

S)  AnnUßfre  magnetique  et  meteorölogique  ifa 
Corps  des  Ingenieurs  des  Mines  de  Bussie  ov 
recueil  d Obserrations  magnetiques  et  melior 

,  rologiques  faites  dans  tetendue  de  FEmpi^e 
deRussie  et  publiees  par  ordre  de  8. 31.  fSsh 
pereur  Nicolas  L  et  sous  les  4»usp£ces  de  IL 
le  Comte  Cancrine  ministre  des  Fmancespsf 
A.  T.  Kupffer,  Annee  1837.  8t.  Petert 
bourgj  1839.  mit  5  graphischen  Darsteltiah 
gen.    211  S.    gr.  A.\ 

A)  Collectanea  Meteorologica  sub  emspicm  Ss- 
cietatis  Scientiarum  Damcoß  ediita  Fase.  IL 
contmens  Observßtüm^s  Thornstenseniik 
Islandiainstitutas,  Uqfniae,  I8i9.  TypisP^ 
pianis.    233  JS.    4. 

5;  Zehnter  Jahresbericht  liber  die  fFätermgh 
Verhältnisse  in  WürUmberg  wm  Jahre  IW 
von  Prqf.Plieninger  mStuM^ard  97' &  & 
Eilfter  Jahresbericht  183d.  65  8.  Zwo^ 
und  dreizehnter  1836.  1837.  120  S.  (Besät 
"ders,  abgedruckt  aus  dem  Correspondembbtt 
des  landwirtschaftlichen  Vereinig) 


«9 


Jtt  it^or  o  f  a  g  i't  e  k  s   M'*  »  *'g  rap  A4  itn.  '  fö4 

15^  MstsßQoXoycPeai  naQctrriQriöHi  "yzTfOfitvac  ug 


%)  LokrmmnHy  S^ArägB  zur  Meieorologü  des 
Mömgr0(chr  Sachsen  1828—1837.  Dresden, 
1839^  73  S. .  4.  Als  eUfte  Urferung  der  Mä- 
thmiuHgen  des   HäÜstischen  Verein  för  das 

.    Königreich  Sachsen. 

^J  Meteorülogtsches  J^ahrJbucTi  der  Orofsherzog- 
Uchen  Sternwarte  zu  Jena  totn  Inspector  der 
Sternwarte  Dr.  Ludwig  Schrön.  '  Der  neuen 
JFotge  erster  j  zweiter  ^  dritter  Jahrgang  der 
meteorologischen  Beobachtungen  der  Orofs-- 
herzoglichen  Sternwarte  vom  Jahre  1833. 1834. 

1835.  (Ifi  den  Abhandlungen  der  Leopoldi- 
nisch  '  Carolinischen  Akademie.) 

S)  Meteorologische  Beobachtungen  zu  Regens^ 

bürg  in  den  Jahren  1774 — 1834  bekannt  ge- 

'  macht  von  dem  dermaligen  Observator  Ferdi^ 

nand  v.  Sc'hmöger.  Nürnbergs  1835. 96 S.  8. 

B)  Innsbrucher  meteorologische  Beobachtungen 
%on  fünfzig  Jahren  mit  einer  Uebersicht  der* 
selben  von. Franz  v.Zallinger  zum  Thurn. 
Nach  des  Verfassern  Tode  mit  einer  Biogra- 
phie desselbeuj  herausgegeben  von  dem  Aus- 
*  Schusse  des  Ferdinandeums  Insbruck  1833.  8« 
107  £r.  nebst  dem  Beobachtungsjournale.  . 

\^)  Mer'iany  Hauptresultate  aus  den  met^orö'^ 
logischen  Beobachtungen  zu  Basel  von  1826 — 

1836.  4. 

IlXJ  Schouwj  Tableau  duclimat  et  dela  vege^ 
taiion  de  F Italic  resultat  de  deux  voyages  en 
ce^pays  dans  les  annies  1817—1819  <?f  1829— *' 
1830  vol.  L  Tableau  de  la  tempirature  et 
des  pluies  de  t Italic.  ^  Aeec  un  atlas  de  5  (partes. 
€openhague^  183d.  b.  Gyldendal.  227  S.  gr.  8. 

130  Meteorologische  Beobachtungen  angestellt 
4sUj  Veranstaltung  der  naturforschenden  Oe^ 
setischaft  in  Zürich.  ia37.  1838.  Ztirich,  hei 
Orelly  Fufsliei  C.    4.    2  Hefte  1837.  1838. 

tJ3^J  Jahtbuch  der  Kämglichen  Sternwarte  bei 
München  für  1840,  verfafst  und  herausgege- 
ben von  Dr..  J.  LamoHt,  Dritter  Jahrgang. 
2d4  S.    8. 

t,A)  Neue  Schraten  der  patriotisch  ökonomischen 
Oesellschqft  fyi^  Königreich  Böhmen.  fMeteo^ 
rologische  Beobachtungen  van  1S22  — 1836 J 


A&tfreci  vno  T.  K.  Bovqtj, 
16)  Dr.  Richardson,  Results  of  Thermome^ 

trical  Observations  made  at  Sir  Edward  Par- 
'     ry^  several  Wintering'Places  on  his'Arctic 

Voyages  and  at  Fort  Franklin^  im  Journal 
^  of  the  Royal  Geographical  Society  ofLonr 

don.    9  vol.    Port.  III.    London,  1839.    8« 
VI)  Transactionf  of  the  meteorological  Society 

inttituted   in  the  year  1823.     London^  1839. 

vol.  I.     1839.  ' 

\S)  Herrenschneider^.resume  des  observa^ 

tions  meteorologi^uesfaites  d  Strasbourgs  jähr^ 

lieh  ein  Heft.-  8.  ^ 

Di«  atmosphärischen  Er«chelnaiig«n  greifen  So  iU 

■  rect  in  alle  Verhältnisse  des  Lebens  ein,  dafii  jede^ 
sie  zu  beachten,  sich  ein  ohngefähres  llrtheil  über^sie 
EU  bilden  geewüngen  ist.    Die  Meteorologie  ist  daher 

,  unter  den  Naturwissenschaften  vielleicht  die  ftlteste^  sie 
zählt  unter  allen  die  meisten  Mitarbeiter,  ihre  Littera- 
tur,  wenn  man  freilich  alles  Oberflächliche,  was.darQb^t 
gesagt  worden  ist  und  noch  gesagt  wird,  mit  dazu  zäh- 
len will,  die  reichste. 

Dafs  man  durch  unmittelbare  Anschauung  in  Be- 
ziehung auf  atmosphärische  Erscheinungen  einige  fie- 
sultate  gewinnen  könne,  wird  Niemand  leugnen.  So 
wenig  aber  der  flir  einen  Geographen  gelten  wird,  w^I*^ 
eher  die  »Wege  und  Stege  seiner  nächsten  Umgebung 
kennt,  mit  ebeii  so  wenigem  Redite  werden  Jäger,  Hir- 
ten und  Nachtwächter  auf  den  Namen  von  Wissenschaft- 
kich^n  Meteorologen  Anspruch  machen,  weil  sie  für  die 
lokalen  Witterungserscheinungen  sich  einige  Regeln 
abgemerkt  haben,  so  forderlieh .  auch  dem  betreffenden  , 
Individuum  solche  Kenntnisse  sein  m^gen.  Es  Ist  nur 
durch  Combination   an    vielen  Orten  angestellter  und 

.  nicht  blofs  Unmittelbarer  Beobachtungen,  durch  welche 
man  zu  allgemeinen  Resultaten  gelangt. 

So  lange  man  bei  den  meteorologischen 'Untersu- 
ehungen  hauptsächlich  nur  den  kfimatologischen ,  Ge^ 
siclHspunkt  geltend  machte,  hatte  die  HerbeischaJtung^ 
des  Materials  keine  Schwierigkeit,  denn  da  jeder  Beob- 

,  achter  sehen  die  monatlichen  und  jährlichen  Mittel 
selbst  berechnet,  so  ist  gewdhnlfcfh  der  Herausgeber  ei- 
nes physikalischen  Journals  gern  bereit,  die  wenigen 
SLtd  ^iesef  Weise  erhalieneh  Zahlen  daHn  aufzunehmen. 


855  'Jir  e  t  e  o  r  0  l  0  g  i  9  e  A  e    M  0  n  0  gr  0  p  Ai  e  n. 

Zur  Bestimmung  der  Gesetze  der  sogeaaDii$en  unregel-  'schaffen.    Das  hat  in  der'neuen  Zeit,  wo.  dieHttkr 


.mäfsigen  d.  h.  der  nicht  periodischen  Veränderungen 
bedarf  man  hingegen  detaillirter  Bebbachtungsjournale. 

*  Eine  wissenschaftliche  Zeitschrift  versteht  sich  aber  in 
der  Regel  nur  dazu,  ein  einziges  zu  publiciren.  Ver- 
gleichende Untersuchungen  sind  daher  gewöhnlich  nur 
in  gröfseren  Städten,  wo  man  sich  alle  diese  verschie- 
denen Journale  verschaffen  kann,  anzustellen  möglich, 
oder  nur  von  denen  auszufuhren,  welche  sich  in  den 
Besitz  derselben  zu  setzen  vermögen.  \Venn  m^n 
aber  bedenkt,  dad  zu  anderweitigen  wissenschaftlichen 

'  Zwecken  sich  selten  jemand  veranlafst  finden  wird,  das 
Giornale  Arcadico  di  Roma  zugleich  mit  dem  Berliner 
Wochenblatt  zu  halten  und  gleichzeitig  sich  auf  die 
biblioth^ue  universelle  und  den  allgemeinen  Anzeiger 
der  Deutschen,  oder  auf  die  Annais  of  Philosophy  und 

'die  ostpreufsischen  Provinzialblätter,  auT  das  Journal  of 
theAsiätic  Society  of  Bengal  unddie^chriften  der  patrio- 
tischen Gesellschaft  in  Böhmen  zu  abonniren,  so  wird 
man  zugegen,  dafs  die  letztere  Forderung  etwas  stark 
ist.  Natürlich  aber  werden  eine  grofse  Menge  der  werth- 
vollstep  Beobachtungsjonrnale  gar  nici^t  bekannt  gci- 
macht,  weil  die  zu  ihrer  Publlcation  erforderlichen  Mit* 
tel  fehlen,  und  es  ist  schon  ein  Gluck. zv  nennen,  wenn' 
wenigstens  ihre 'Manuscripte  erhalten  werden.  Es  ist 
also  hier  das  Bedürfnifs  einer  Unterstützung  vorhanden, 
deren  Gewährung  gerechtfertigt  erscheint,  wenn  vor- 
auszusetzen ist,  dafs  in  d^  Arbeit  der  Wissenschaft 
etwas  zu  Tage  gefördert  wird',  welches  durch  die  ge- 
schehene pecuniäre  Aufopferung  nicht  zu  theuer  erkauft 
scheint« 

So  wie  es  privilegirte  Stände  giebt,  die  sich  einer 
besondem  Berücksichtigung  erfreuen,  so  giebt  es  auch 
privilegirte  Wissenschaften,  wie  z.  B.  die  Astronomie,, 
für  deren  Förderung  kein  Opfer  zu  grofs  erscheint.  Da 
die  empirische  Physik  nicht  zu  den  letztern  gehört,  so 
Üfst  sich  von  vom  herein  nicht  erwarten,  dafs  man  mit 
einem  ihrer  besondern  Abschnitte  eine  Ausnahme  pa- 
chen  werde,  mit  der  Meteorologie  am  wenigsten,  die 
sicli  nicht  populär '^ zu  .machen  gewufst  hat.  Vor  nicht 
langer  Zeit  haben  sich  bedeutende  Mathematiker  noch 
dazu  verstanden,  rein  analytischen  Untersuchungen  irgend 
einen.. sich  auf  das  Problem  der  Störungen  öder  einen 
andern^  astronomischen  Gegenstand  beziehenden  Titel 
zu  geben,  um  ihnen  unter  dieser  Firma  Leser  zu  ver- 


matik  emancipirt  worden  bt,  aufgeholt.  Die  Fbyiiker 
ha1)en  hingegeui  um  sich  geltend  zu  madien»  den  Kdder 
der  Natzlicbkeit  c|om  gröfseren  Pjiblikum  Ungewditai, 
und  bei  einer  oft  rein  wissenschaftlichen  Untersudiniig 
leise  angedeutet,  dafs  dadurch  eine  Aussicht  vorhaBdcB 
sei,  dafs  das  Brod  wohlfeiler  werden  wiirde.  ^  Der  E^ 
folg  übertraf  die  Erwartungen  und  so  wie  es  Sdun- 
Spieler  giebt,  die  über  das  Parquet  hinwegsehend,  tid 
an  die  Gallerie  wenden,  zu  der  ihr  Natu]:ell  sie  n. 
widerstehlich  Iiinzieht,  und  des  Beifalls  derselben  p- 
wifs,  sich  um  das  Murren  in  ihrer  Nähe  nicht  bekte- 
mern,  so  fehlt  es  nicht  an  Zeitungsphysikern,  deren 
Namen  in  wissenschaftlichen  Journalen  zwar  unbekannt 
sind,  die  aber  mit  ihren  praktischen  Entdeckungen  den 
unphysikalischen  Publikum  gegenüber  sich  breit  machen 
Solches  Volk,  welches  mit  Aktien  galvanisirten  Eisen 
auf  die  Börse,  kommt,  würde,  wenn  Napoleon  noch  lebte, 
die  100000  Franken,  welche  er  auf  eine  Entdeckuig ' 
gesetzt  hatten  die  d^r  Voltaschen  sich  an  die  Seite  stet. 
len  liefse,  für  sich  in  Anspruch  nehmen. 

Niemand  wird  die  wichtige  Seite  der  Naturwieses- 
schaften,  nach  welcher  sie  die.  Technik  fördern,  verke»> 
nen,  ja  man  kann  zugeben,  dafs  es  für  ein  nicht  t»> 
wahrlostes  Gemüth  etwas  Erhebendes  hsit,  jeden  BIw* 
gen  bei  dem^KalSee  aus  dem  Beiblatt  der  Zeitung  n 
sehen,  dafs  schon  wieder  eine  neue  Naturkraft  entdeckt 
worden  ist.  Auch  wird  man  es -natürlich  finden,  daii, 
als  die  Nachricht  voa  Fresnels  frühem  Tode  alle  Plif« 
siker  mit  tiefem  Schmerze  erfüllte,  die  französisdpa 
Zeitungen  die  Grö£^e  dieses  Verlustes  dadurch  begidf* 
lieh  zu  machep  suchten,  dafs  j^ie  anführten,  Fresnelhabe 
bei  der  Beleuchtung  der  Leuchtthürme  eine  Verbesl^ 
rung  angebracht.  Das  ist  ganz  passend  für  Leser,  wel- 
che den  Namen  Brewster^s  uur  Tom  Kaleidoskop  kr 
kennen  und  von  Malus  erst  gehört  haben,  seitdem  fa 
polarisirte  Licht  bei  der  Zuckerfobrication  eine  Anwen- 
dung gefunden.  Wenn  aber  dus  wissenscbafüiche  h-  . 
stitut,  welches  in  der  Öffentlichen  Meinung  am  höchitea 
steht,  das  Streben  eines  ganz  der  Wissenschaft  geweüi*  I 
ten  Lebens  durch  die  höchste  E^re  anerkennt,  die  et 
zu  ertheilen  vermag,  und  dann  ein  Zeitungsredacteurdie 
Bemerkung  macht,  es  habe  wohl  „populärere  Namea". 
gegeben,  so  ist  es  wünschehswerth,  dafs  jemand  solok  ; 
Bornirtheit  in  ihre  Schranken  verweise. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


J  a  fi  r  b  tt  c  h  e  r 

» 

u  r     ' 


w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  che   K  r  i  t  i  k. 


JuHi  1840. 


Meteorologische  Monogr afikien. 

» . 

(Fortsetzung.) 


de  Meteorologie  steht  noch,  auf  dem  besehei^eneil 
Standpunkte  wie  die  Electricitätslehre  su  Fraaklia's  Zei* 
ten,  eines  Mannes,  der '»war  den  Btlitsabteiter  erfondea 
Iiaty  «eine  Entdeckungen  aber  nach  damaliger  jelst  unbe* 
^eifliotier  Sitte  nur  in  Briefen  an  Tertraute  Freunde 
mittheilte.  Aber  damit  soll  nicht  gesagt  werden,  dafs 
aie  immer  dieselbe  Stellung  behalten  werda  Wenn 
man  die  mittleren  Temperaturen  der  einseinen  Monate 
des  Jahres  1816  mit  clen  aus  einem  Mageren  Zeiträume 
abgeleiteten  Mitteln  vergleiobt,  so  sieht  man^  dafe  wjie 
im  Jahr  1837  und  1838  alle^  Zahlen  unter  die  mittle- 
ren  fallen  und  die  Kompreise  im  Yerhältairs  dieser 
negativen  Differensen  aind.  Bei  der  Schnelligkeit,  mit 
Ifreleher  mfm  jetet  Beobachtungsjoumale  erhält,  darf 
man  voraussehen,  da(s  eine  Zeit  kommen  wird,  ^o  die 
Met^rologie  im  eigentlicfaBten  Sinne  ein  Brodstydium 
Werden  wird,  und  wo  ein  Meteorologe  sich  an  det 
Komborse  wird  sehn  lassen  können,  ohne  furchten  «i 
müssen,  weggewiesen  eu  werden.  *  Die  niedrigen  No- 
tirungen  dea  Tbermometep  in  London  .werden  dann  die 
Preise  des  Danziger  Weizens  zum  Steigien  bripgw, 
und  man  wird,  wie  jetzt  Courszettel,  sp  später  meteo- 
rologische Beobachtuligen  durch  £ourier'e  sich  zusenden« 
Die  Meteorologie  wird  dann  eine  populäre  Wissenschaft 
fein,  sie  wird  keiner  Unterstützuilg  mehr  bedürfen. 
Jatzt  aber,  wo  aie  noch  nicht  in  diesem  glücklichen  Sta* 
dium  begriffen,  ist  ihr  diese  noch  nothig,  und  es  fragt 
aiob,  ob  Jemand  geaeigt  sei,  sie  ihr  zu  gewähren* 

Es  ist  in-  dieser  Beziehung  eine  anzi^erkennende  Ei- 

genthiimlichkeit  des  Russiicbem  GouFernemenl»,  dals  von 

•einer  SeitadieWissensehaften  eines  gleichen  grofsartigei^ 

.  Schutzes  genieis^n.  Wissenscbaftliöhe  Expeditionen,  wei- 

'che  fast  jährlich  ausgerüstet  i^erden,  sind  -fast  immer  aua 

Repräsentanten  aller  jder  einzelnen  Disciplinen  zusam- 

,   Jahrb.  f.  fn$ien$a^Kriah.  J.  1840.  I.  Bd. 


mengesetzt,  welche  aus   denselben  sich  einen  Gewinn 
Tcrsprechen  dürfen»    Ja  selbst  specielle  UnteiMdbum- 
gen  über  bestimmte  physilcalische  oder  naturhistdrtsehe 
Fragen  erfreuea  sieh  der  aufmunternsten  Untmritatziuig^  . 
"^^ährend  die  .bedeutendsten  Sununen  auf  die  Erbauung 
und  Ausstattung  einer  Sternwarte  in  Petersburg  Vfer«- 
wendet  wurden,   sind  gleichzeitig  magnetische  Und  am» 
teorologiscbe  Observatorien  in  den  entlegensten  Gegen- 
den^ des^  Reichea  gegründet  worden,  welche  vpn  einer 
in  Petersburup  gegründeten  Centralaastalt  geleitet  wer« 
den.    Die  Schriften  2)  und  3)  sind  diö  ersten  Belege 
dieses  grofsartigen  Unternehmens,  welches  dem  Finanz« 
minister    Grafen  Cancrtn  seine   Entstehung  verdankt» 
Die  Beobachtungen  am  Barometer,  Thermometei  und 
PsYchrometer  geschehn  von  2. zu.  2  Stunden  von  8  Uhr 
Morgens  bb  10  Uhr  Abends.    Wind,  Himmelsansieht 
und  Niederschlag  sind  ebenfalls  stets  angemerkt    Der 
Beobaehtungsplan  ist  zu  Anfang  des  erstenfiandes  von 
^em  Redacteur  der  Beobachtungen,  Hm.  Akademiker 
Kupffer  dargelegt,  welcher   an  der  Spitze  des.  ganzen 
Unternehmens  steht    Die  Beobachtungen   von  Peters* 
bürg  beginnen  im  August  1835  und  erstrecken  sich  bis 
Ende  1Ö37,  die  von  Catharinenburg  umfassen  die  Jahre 
1836.  1837,  die  von  Zlatust  das  Jahr.  1837.     AuEser 
dem  Beobachtungsjoulrnale  sind  auch  die  monatlichen 
und  jährlichen  jMlittel  der  einzelnen  Stunden  berechnet 
und,  was  vorzüglich  janzuerkenneu  ist,  bei  allen  einzel« 
nen  Beobachtungen  die   Elasticität  des  in  der  Atmo^ 
sphäre^ befindlichen  Wasserdampfes  unmittelbar  aus  den 
Angaben   des    Psychrometers   bereelmet,    so    dafs  die 
Veränderungen  der  Atmosphäre  der  trockenen  Luft  von 
denen  der  Danlpfatme^häre  gesondert  werden  können* 
Die  Schrift  Np.  1.  enthält  die  vom  Jahr  1822  ^  1834 
von  Hrn.  IViinieWsky  in  Petersi^urg  angestellten  Beob- 
acfatuugen  .täglich  dreimajr  zu  den  Qlaaheimev  Stutfden.  7. 
X  9.    Ueberall  ist  die  Berechnung  nach  neuem  Stil  und 
es  ist  zu  Jioffen;  dafs  bei  der  Bekanntmachung  der  Be- 

108 


859  '  \v     '.MeteorotogtMeh 

obachtongsjouinale  anderer  Orte  dieCs  beibehaRea  werde, 
weil  sons^  bei  yergleicbendeü  Untersuchungen  immer 
die  Berechnung  Ton  Neuen  eu  unternehmen  iat.  Da 
von  Mescau,  Tambow^  Kasan,  Tobolski  Irkutzk^  Areh- 
8DgeI,  Odessa^  Sebastoporund  Ntcolajeff  längere  Beob- 
-  achtungsreihen  yorhanden  sind,  das  Bekanntmathen  be- 
reits vorhandener  Journale  der '  Wissenschaft  aber  eben 
ao-forderliph  ist  als  die  Anstellung  neuer  Beobachtun- 
gen, so  darf  man  hoffen;  daCs  die  Petersburger  Akade^ 
Biie  in  dem  mit  der  Herausgabe  des  Wisniewskyschen 
Beobachtungsjournales  begonnenen  Unternehmen  fortfah- 
ren wird  und  dafs  sie  auf  diese  Weise  das  bereits  fOr 
die  Klimatologie  Rufslands  vorhandene  Material  eben 
so  zuganglich  machen  \i^ird ,  als  das  Bergyverksinsti. 
tut  lauf  seine  Yervoiktändigang  und  Erweiterung  be- 
dacht ist. 

tJuter  den  Fürsten,  deren  Namen  man  {mmbr  be- 
gegnet, wenn  von  Förderung  eines  wissenschaftlichen 
oder  künstlerichcua  Unternehmens  die  Rede  ist,  nimmt  der 
jüngst  verstorbene  König  von  Dänemark  einen  der  er- 
sten Plätze  ein.    Das  schuteende  Interesse,  welches  er 
der  Astronomie  zuwendete,  wird  stets  in  anerkennen- 
der dankbarer  Erinnerung  bei  denen  bleiben,  welche 
dieise  Wissenschaft  pflegen.     Aber  auch  die  Meteoro- 
logie verdankt  ihm  viel    Durch  seine»  Munificenz  wurde 
Prof.  Schauw  ivk  Stand  gesetzt  zu  wiederholten  Malen 
mehrjährige  Reisen  nach  Italien  zu  unternehmen,   de- 
Iren  wichtige  Ergebnisse  er  in  dem  im  Jahr' 1839  er- 
schienei^en  unter  No.  11«  angeführten  Tableau'du  Cli- 
mat  de  Tltalie  niedergelegt  hat.    Ihm  verdankt  die  Aka- 
demie Ton  Copenhagen  die  Mittel,  das  von  dem  unver- 
gerslicbeh   Churfursten  Carl  -  Theodor    von    der  Pfalz 
durch  Stiftung  der  Mannheimer  l^ocietät  über  die  Erde 
Tcrbreitete  Beobachtnngsnetz    wiederum   an  einzelnen 
"Punkten  verschiedener'  Zonen  anzuknüpfen:-  die  unter 
No.  4.  angeführten  ÖoUectanea  M^teorologica  liefern  in 
ihrem  zweiten  Bande  vollständige  vierzehnjährige  Beob- 
aehtungen  aus  Island  mit  Instrumenten  angestellt,  wel* 
che    mit    denen     der.   Soeietät    verglichen     wurden« 
Für  den  dritten  Band  ist  rin  ebenso  wichtiger  Beitrag 
bestimmt,  vierjährige  Beobachtungen  in  Christiansborg 
an  der  Küste  von  Gulilea,  das  Yermächtntfs  der  Dok** 
toren  T^rentepoM  und  £'/(tf»^i9,  welche  jenem  furcht- 
baren 'Klima  erlagen.    Welehe  pecuniären  Opfer  aber 
selbst  mit  der  Heraasgabe  solcher  Journale  verbunden 


6   Monographien.  860 

tAjoAj  gebt'  einfach  daraus  hervor^  dab  Ton  den  xa  An- 
.  fang  dieser  Anzeige  zusammengestellten  Werken  auf 
Bibliotheken  deutscher  Universitäten  wohl  selten  eia 
einziges  vorhenden  ist^  wenn  es  nicht  etwa  con.  den 
Herausgebern  geseheaki  wurde,  wahncheinUdiy  weil 
man  ihre  Anschaflfung  für  einen  unnothigen  Luxus  bäh. 

Die  Ueberschriften  der  -folgenden  Werke  zeigc% 
dafs  die  Herausgabe  selbst  jährlicher  Uebersichtcn  a 
Deutschland  pur  möglich  ist»  wepn  ein  Verein  vim 
Männern  vom  Fach  oder  einea  verwandten  Zweiges 
der  Naturwissenschaften  sie  übernimmt«  So  ist  es  ia 
Sachsen  Jer  statistische  Verein, .  in  Würtemberg  der 
landwirthschaftliche)  i\x  Böhmen .  die  patriotiscbe.  öko- 
nomische Gesellschaft,  in  Zürich  die  naturfersehende 
Gesellschafir,  welche  sich  dieses  Verdienst  erwerbe^ 
und  swar  sind  es  mit  Ausnahme  von  Zürich  nur  dis 
Resum^s,  welche  bekannt  gemacht  werden.  Von  dem  aöf 
'  Goetke*s  Veranlassung  im  Grofsherzogthum  Weimar 
gestifteten  Verein  sind,  so  viel  mir  bekannt  ist,  nur 
ÜUnf  Jahrgänge  des  Beobacbtungsjournale  i>ekanitt  ge* 
macht  worden,  die  Meteorologie  mufs  sich  daher  der 
Leopoldinisch  Carolimschen  Akademie  sehr  Terpflicbet 
fühlen,  dafs  sie  dem  unter  7)  erwähnten  Beobaditui^ 
Journal  der  Sternwarte  von  Jena  bereits  in  drei  JaLv 
gängeh  einen  Platz  in  ihren  Abhandlungen  gewfihrt  hat 

Das  längste  Beobachtungsjournal  ist  das  iron  JSdA 
tinger  upi  Innsbruck  geführte.  Es  umfaCst  52  Jahre. 
'  Die  dem  Journale  vorgedruckte  Lebensbeschreiboag 
dreier  Männer  aus  dieser  in  Tyrol  sehr  populären  Fa» 
milie  mag  seine  Herausgabe  erleichtert  haben.  Deki. 
.gens  mufs  bemerkt  werden,  dafs  die  älteren  Jahrgänge, 
desselben  geringeres  Vertrauen  verdienen  als  die  spä» 
teren,  denn  ich  habe  durch  eine  Verglelchung  mit 
gleichzeitigen  Beobachtungen  an  benachbarten  Orten  ge- 
funden, dafs  wenigstens  in  den  Jahren  *1790 — 1793  db 
Wärmemittel  entschieden  zu  h'obh  sind. 

Hingegen  sind  die  Beobachtungen  der  langen  Reäs 
v<Mi  Regensburg  vom  Jahr  1774—1834  n^ch  meinen  da- 
mit angestellten  Vergleiehungen  mit  gleichzeitigen  Bs* 
obachtungen  durchaus  zuverlässig;  wenn  daher  umk 
die  vortreffliche  Bearbeitung  derselben  (No.  8)  ven 
Hm.  y.  SeAmifger  an  sich  schon  ein  höchst  wertfarsl* 
1er  Beitrag  für  die  Wissenschaft  ist,  so  kann  sie  deck 
nicht  für  die' Mittheilung  des  Journals  selbst  entsehi« 
digen.    W^m  man  bedenkt,  dafs  diese  BeobaehtangcB 


M«t«»r9l9gi4eUe   M  0  n  o  g  r  a  p  k  i  it  n. 


891 

Ton  Steiglekne»  begonnen  nnd  yon  Placidui 
rieh  45  Jahr  lang  fortgeeetzt  wurden,  dafs  die  yon 
diesen  tüchtigen  Naturforschern  gebrauchten  Instrumente 
durch  Yergleichung  mit  neuen  von  durchaus  zuverläs- 
siger CoDstruction  sieh  bewahrt  haben,  so  mochte  man 
e0  Ar  eine  Ehrensache  der  bairischen  Gekehrten  an- 
sehn,  ein  solches  Document  der  Nachwelt  zu  erhalten 
und  seine  Publication  auf  irgend  welche  Weise  durch- 
zusetzen. Aber  leider  ist  bei  Unternehmungen  der  Art 
wenig  auf  eine  /Unterstützung  von  Seiten  des  gröiseren 
Subttcoms  zu  rechnen,  denn  bei  solchen  Gelegenheiten 
wird' ^  man  immer  lebhaft  an  Jean.  Paui  erinnert,  der, 
als  ton  der  Gründung  eines  Denkmak  für  einen  tie- 
ruhmten  Deutschen  die  Rede  war,  vorschlug,  vermit- 
telst der  in  Deutsclüand  zusammenkommenden  Beiträge 
einen  Manp  nach  England  betteln  zu  schicken,  um  die 
ertordedUche  Suüune  zu  erhalten« 

Das  von  ScAüSler  in  Wörtemberg  erweckte  Inter- 
esse Tür  Meteorologie  bt  mit, seinem  Tode  nicht  erlo- 
schen«« Die  von  Pliefiitiger  fortgesetzten  Jahresiberichte 
zeichnen  sich  eben  so  durch  Vollständigkeit  d^r  Data^ 
wie  durch  übersichtliche  Zusammenstellung  der  sich 
ans  ihnen  ergebendea  Schlüsse  aus.  Man  kann  sie  in 
Plan  und  Ausführung  ipdsterhaft  nennen.  Der  Jahres- 
bericht von  1834  enthält  aufserdem  eine  höchst  schät- 
senswerthe  Uebersicht  drei  und  vierzigjähriger  Beob- 
achtungen von  Stuttgart,  welche  mit  dem  Jahr  1792 
beginnen.  Aüeh  ist  fs  mit  Dank  anzuerkennen,  dais 
nach  V.  Boffi  Tode  in  den  beigefügten  Chroniken  je- 
des Jahres  alles  meteorologisch  Bemerkenswertbe  auch, 
von  andern  Orten  aufgezeichnet  wird,'  eine  Sitte,  wel- 
che Howards,  Climate  of  London  zu  einer  so '  reichen 
Fundgrube  wichtiger  Notizen  macht«  Da  aber  die  at- 
mosphirischeii  Vefhältnisse  in  den  auf  einander  folgen- 
den Formen  des  organischen  Lebens  Jhr  <Segenbild  ha- 
ben^ so  mufs  man  noch  mit  besonderer  Anerkennung  er- 
wähnen, dsitainPiieningers  Uebersi9hten  Blütl\enzeit  und 


862 


maruigen,  Weingarten,  Endingeu,  PfuUingen,  Biberach, 
Schussenried,  Winnenden,  Rechenberg,  Friedrichshafea 
Lernen  wir  durch  den  Schwäbischen  Yerein,die 
klimatischen  -  Verhältnisse  des  süddeiitschea  Plateaus 
kennen,  so  erhalten«  wir -in  den  Schriften  der  patrio- 
tisch-ökonomischen Gesellschaft  in  Böhmen  fast  eben 
so  Tollständige  Data  zur  Kenntnifs  dieses  Kessellan- 
des; Die  Centralanstalt  ist  Prag,  die  übrigen  Statip« 
nen  folgende:  Hohenelbe,  Tabor,  Saaz,  Hohenfurth,  Ro- 
tenhaus,  Egei:,  Köriiggrätz,  Rumburg,  Landskron, 
Schuttenitz,  Zlonitz,  Tetschen,  Smetschna,  Neu  Bistritz, 
Deutschbrod,  Marienbad,  Turtsch,  B ud weis,  Tepl,  Reh- 
berg, St.  Peter,  Seelau,  Krumau,  Leitmeritk,  Brzezina^ 
Sehüttehhofen,  Schluckenau,  Zbirow,  Kuttenplan. 

(Der  B^sehlofs  folgt.) 

Lxvn. 

Application  de  PAlgebre  a  la  Giomitriey  par  ^  M* 
Bourdon^  Inspectettr  g^niral  des  etudety  exa* 
minateur  pour  FadmisMion  aux  icoles  royoleo 
polytechnique^  militaire^  de  la  marine^  fbre$türe 
etc.  Ouvrage  adopti  par  TVmverHU..  Cinquihme 
Edition,    ßruxelle»  1838.    511  Seiten.    8. 

-Dieses  Lebrbach  ist  zur  Yorbereitang  für  den  Eintritt  ja 
die  polytechnische  und  andere  auf  dem  Tite^  genannte  Schalen 
bestimmt,  nnd  wie  sehr  es  benutzt  wird,  zeigt  das  Erscheinen 
einer  fänften  theil weise  Terbesserten  Auflage,  der  noch  ein  Nach- 
druck in  Brüssel  gefolgt  ist  Auch  ist  das  Buch  in  der  That 
sehr  fafslich  geschrieben;  Begriffe  und  Methoden  werden  darin 
mit  grofser  Sorgfalt  und  Umsicht  erläutert,  zablreichtf  Beispiele 
mit  einer  Aasfdhrlithkeit  behandelt,  welche  einerseits  kein  Mit. 
telglied  in  Schlüssen  und  Rechnungen  überspringt,  andererseits 
aber  auch'  unnotbige  Wiederholung  und  Übethaopt  Leerheit  za 
meiden  Yersteht  Ref.  erinnert  sich  keines^  Lehrbuches,  dessen 
Darstellung  einem  mündlichen  Vortrage  näher  käme,  als  die  des 
Torliegend%n,  und  Zweifelt  daher  nicht,  dafs  ein  besonnener  Le^ 
ser,  wenn  er  nur  die  Algebra  bis  zur  Auflösung  Quadratischer 
Gleichungen  nebst  den  Wesentlichen  Elementar  -  Sätzen  der  Pla- 
nimetrie und  Stereometrie  ipne   bat,   sich'  in  diesem  Lehrbuche 


Fruditrelfe,  to  wie  Ankunft  der  Zugvögel  ton  den  ver-  ,  ^^^  anderweitig«  HUIfe  xureclit  finden, .  nnd  daraas  viel«  Fet 


«ehiedenen  .Orten  des  Beobachtungstermins  sorgfältig 
bmchtet  werden,  welolies  bei  der  gebirgigen  Lage  z« 
interessanten  ScIilQssen  über'  den  Einflufs  der  Hdlie 
auf  diese  Verhältnisse  fulirt.  Die  Centralstation  bildet 
Stuttgart  Die  übrigen  Beobachtungsstationen  sind: 
Wangen,  Lndwigsburg,  Sclionthal»  Westheim,  Bo(s« 
feld,  Giengen,  Sehwenningen,  Issny,  Tuttlingen,   Sig« 


tigkeit  in  Anwendung  der  Algebra  auf  Geomeirie  gewinnen  kann. 
In  der  Einleitung  wird  das  Geschäft,  geometrische  Aufgaben 
algebraisch  zu  losen,  in  folgende  Abtheiliihgen  zerfällt:  1«  Die 
Aufgabe  in  Gleichbng^  zu  setzen«  ,  2.-  Diese  Gleichung  (oder 
diese  Gleichungen,  wenn  mehrere  unbekannte  Grfffsen  vorliegen) 
aufzulösen«  J.  Die  gefundenen  Werthe  zu  constrniren  oder  in 
Linien  auszudrucken.  Hierzu  kommt  häufig  noch  eine  vierte 
Abtheilung,  die  „discntsion  des  problianes*'}  welcher  nachher  ein 


^t 


86S 


ßMrd^n^  JppUcatÜLi^,  de  t Algeire  ä  bf  Q^mdirie» 


m 


bwoDderf»  CapiU}  gewidmet,  wird.  ZunSchst  begiDni  der  ¥or*^. 
trag  mit  iler-dritten  dieser  AbtlieilungeD,  weiV  die  darin* liegende 
Attfgäbd  dnrch  einige  einfache  Regeln  allgemein  'erledigt  wird. 
Diese  betreffen  die  Constrnction  von'  rationalen  Ansdriicken  tand 
ikren  Qnadratwurseln ;  mehr  susammengesetzter '  Aoedriicke,  wie 
«.  B.    (wenn  '«,   6,,  c  LiBien    bedenten)  Va*  +  l^^*  "f  cS 

M    |/    "»  '   1/  ""»  ^*  **  ^*'  deren  Construction  freilich  nur 

wiederholte  Anwendniig  denelben  Verfifthrent  fordect,.  hätte  noch 
lutea  erwähnt  werden  kSnnea.  Dus  Lehrbuch  geht  lii^innif  «a 
einigen  den  Kreis  und  die  gerade  Linie  betreffenden  Aufgaben 
Über,  an  welche  die  ^,Int^rpT<^tation  des  resaltats  n^gatifs^  ge- 
knüpft wird.  Diese  Deutong  wird  sanächat  an  einigen  Beispie- 
len unternommen  und 'geht  dahin,  dafs  ein  negatives  Resultat  die 
Berichtigung  eines  vorläufig  angenominenen  unrichtigen  Torrn»« 
^^zung  in  Betreff  der  Lage  eines'  gesuchten  Punktes  enthalte. 
In  einer  Anmerkung  wird  noch  hinzugefügt  und  an  einem  Bei-* 
Bpiele  erläutert,  dafs  eine  unrichtige  Voraussetzung  der.  Lage 
des  gesuchten  Punktes,  auch  wenn  dierselbe  wirklich  vorbanden 
ist,  nicht  blos  anf  ein  negatives,  sondern  sogar  auf  ein  imagi'nä-  - 
res  Resultat  führen  ktimie.  8o  sorgfiltig  auch  dieser  Abschnitt^ . 
gleich  allen  Übrigen,  ausgearbeitet  ist,  so  findet  Ref.  dock,  die 
darin  vorgetragene  Ansicht  nicht  gann  treffedd.  Bn  stände  behr 
Übel'  um  die  Anwendueg  der  Algebra  auf  Geometrie,  wenn  es 
dabei  nothig  wäre,  von  einef  einseitigen  oder  gar  unrichtigen 
Voraussetzung  auszugehen;  man  vermag  nicht  einznse;ben,  wo- 
her dann  die  Berichtigung  eines  Fehlers  kommen  sollte,  der 
schon,  in  die  Gleichung  gelegt  wate.  l^mM  Wahre  Ist  vielmehr, 
dafs  die  Gleichung  so  angelegt  werden  mufs,  dafs  sie  auf  alle 
vorläufig  denkbaren  Lagen  des  gesuchten  Punktes  zugleich  pas- 
se; nur  dadurch  trägt  sie,  weil  von  jeder  willkürlichen  Voraus- 
setzung unabhängig,  in  sich  selbst  die  Bürgschaft  ihrer  Richtig- 
keit« Namentlich  kann  man  bei'  solcher  Anlage  der  Rechnung 
niemals  ein  imaginäres  Resultat  in  FälleA  erhalten,  welche  ein 
reelles  zulassen.  Das  in  dieser  Hinsicht  (S.  32)  aufgestellte 
Beispiel  beweist  nur,  dafs  man  nicht  willkürlich  x^  a  anstatt 
a-rx  schreiben  darf,  wie  dort  blos  in  der  zwar  nidit  ausgespro- 
chenen, aber  uuzweifelbaft  vorgestellten  Absicht  geschieht,  den 
fiurch  a-^x  ausgedrückten  Abstand,  welcher  bei  der  vorläufig  an- 
genommenen Lage,  des  gesuchten  Punktes  negativ  ausfallen  wür- 
de,  nur  seinem  positiven  Werthe  nach  in  Rechnung  zu  bringen. 
Nun  mUiste  aber  bemerkt  werden,  dafs  alsdann  bei  einer  ande- 
ren' Voraussetzung  der  Lage,  des  gesuchten  Punktes  x-^a  nega- 
tiv  sein,  also  wieder  mit  a—x  vertauscht  werden  müfste;  hierin 
liegt  ein  Mangel  an  Coi^equenz,'  der  nicht  geeignet  ist-,  die  Be- 
deutung des  Negativen  gehörig  aufzuklären.  Vielmehr  muf^tenj 
dem  wahren  Sinne  der  Aufgabe  gemäfs,  alle  darin  vorkommen- 
den Abstände  mit  ihren  Zeichen  in  Rechnung  gebracht ,  werden, 
deren  geometrische  Deutung  keiner  Schwierigkeit  unterliegt.  Das 
im  Buche  der  Deutung  des  Negativen  zu  Grunde  ]gelegte  Prin- 
Cip  reicht  jedoch  schon  bei  diesem  Beispiele  nicht  aus.  Fm 
Wesentlichen  sa^  das  Lehrbuch  nur,  dafs  Abschnitte  einer  ge- 
raden  Linie,  die  von '  einem  gemeinsamen  Anfangspniikte  ausge- 


hen, in  der  Rechnung  als  positiv  oder  negativ  erscfaetneii,  ji 
nachdem  sie  auf  der  einen  oder  der  anderen  Seite  des  Anfnigi. 
puuktef  liegen;  Was  aber  von  Abschnitten  gelten  soll,  die  |e> 
räde  nicht  in  jenem  Punkte  anfangen,  wird  nicht  gesagt  ReC 
hält  sdie  Einmischung  eines  festen  Anfangspunktes,  wem  n 
^ich  um  allgemeine  Deutung  der  Vorzeiehen  hnndelt^  Ar  «H» 
behrlioh^  sogar  fiir  störend.  Bjbn  W  «ich  an  dieselbe  hük 
den  Gebrauch  der  Coordin^ten  allzhsehr  gewohnt,  als  ob  aeit 
bei  diesen  der  Gegensatz  zwischen  positiv  und  negativ  in  4ef 
Geometrie  zum  Vorschein  käme.  Aber*  die  einfache  and  v* 
sprüngliche  Bestimmung,  auf  welche  es  hier  ankonimt,  besteht 
tediglieh  darin,  dafs  zu  unterscheiden  ist,  öh  eine  Linie  J10I» 
schdeben  wird  (oder  als  beschrieben  gedacht  wird)  dosch  Ben» 
guttg  von  A  nach  B  oder  von  B  nach  A,  ,  Aas  dieser  hier  fion* 
lieh  nicht  weiter  zu  entwickelnden  Auffassung  ergeben  sich  £e 
im  Buche  entlialtenen  .Sätze  als  Folgerungen,'  bedingt  durch  & 
noch  hinzukommende  Annahme  eines  festen  Anfangspsaklei. 
Nach  diesen  Bemerkungen,  deren  AusfBhrun'g  vielleiefat  diRh 
die 'Wichtigkeit  des  Gegenstandes,  oder  dardi  die  .Vecbrsitmg 
einer  unzureichenden  Ansicht'  von  densetben,  bei  de^jesigea  Ia* 
Sern  dieser  Anzeige  sich  rechtfertigt,  welche  an.  dem  EleAesti- 
reu  in  der  Mathematik  Interesse  nehmen»  *>^iU  Rcfer»  in  Bettcf 
des  Uebrigen  sich  um  so  kürzer  fiassen. 

Es  folgt  nunmehr  ^im  Xiehrbnche  die  schon  erwähnte  „iii. 
cussion  des  probUmes^,  unter  welcher  eine^  nähere  Fräfing  te 
Eudforineln  zu  verstehen  ist,  die  erfordert  wird  tbeils  nsinr 
Kenntnifs  aUtr  Losungen  einer  Anfgabn  zu  gelangnn,  theüa  m 
Bedingungen  für  die  Möglichkeit  der  Aufgabe  nicht  za  äbei» 
hen,  welche  sich  oft  nicht  vorher  erkennen,  immer  aber  aas  ki 
Rechnung  finden  lassen.  Die  ausdrückliche  Hervorhebung  diefci 
Tfaeils  der  UntersuchuUg  Ist  etwas  'sehr  WeseBtIlches.  ütd 
diesen  mehr  die-  Methode  angehenden  Ansfiihcnng««i  wird  ssml 
,  die  ebene  Trigonometrie  yprgetragany  iedann.  din  aphänscbiL 
Von  dieser  erbiet  man  jedoch  nur  eineh  korzen  Abrifb»  d«  sai^ 
zu  viele  geometrische  Uuifsiitze  in_  Anspruch  ninunt,  iadt«  er 
njimentlich  das  Polar-Dreieck  aus  der^eometrie  entlehnt  u^  fir 
die  Rechnung  benutzt,  anstatt  es  folgerechte^  ans  den  tri^SM- 
metrischen  Grundformeln  herzuleiten.  Dadurch  wHre  -seibst  ki 
bei  diesem  Absd^nitte  beabsiichttgten  Kärze  nnr  wenig  Eistitg 
geschehen.  Hiermit  seliiieibt  die  ersl»  Ahtheilang  dba  Wcrita; 
die  zweite  lehrt  zunächst  den  Gebrauch  der  Coerdinateä  in  te 
Ebene,  und  wleudet  diese  besonders  auf  nähere  UntersClchoBf  1» 
Cum  en  zweiten  Grades  an ;  die  dritte  behandelt  die  Coordat- 
ten  im  Räume,  ihre  Verwandlung,  ihren  Gebrauch  in  der  Tbeode 
der  geraden  Linie,  ^  der  Ebene  und  der  Flächen  zweiten  Grata 
sfn  welche  Gegenstände  noch  '  manehe*  lehrreiche  AneCähnaga 
geknUpt  mnd.  Das  Werk  ist  ein  anverläasiger  und  empfehle 
werther  Fitfirer  durcjb  diese  Gebiete  der  Mathematik,  welche  ci 
in  beträchtlichem  Umfange 'kennen  lehrt,  ohne  jedoch  auf  aescfv 
Untersuchungen,  wie  sie  von  Poncelet,  Steiner  n.  A.  nameBtlicl 
über  Kegelschnitte  angestellt  sind,  Rücklicht  zu  nehmen. 

f'erd.  Min  ding. 


»  / 


^ 


109. 


Jahrbücher 


für 


w  i  s  8  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    K  r  i t  iE 


Juni  18'40. 


«  « 


Meteorologische  Monographien. 

(Schlafe.) 

\ 

Diese  Stationen  gehen  uni^ittelbar  über  in  die  dee  säch- 
sischen Yereins,  dessen  Beobachtungen  der  su  früh  Ver- 
ei^Ava»  Lohmmnn  in. der  unter  No.  6  angeführten 
Schrift  in  den  monatlichen  und  jährlichen  Mitteln  mit- 
getheilt  hat.  Die  Beobaohtungsstationen  desselben  sind; 
Dresden,  Freiberg,  Zittau,  Ober- Wiesenthal,  Wesen* 
fitsin.  Hingegen  scheint  Schlesien  für  Meteorologie 
noch  längere  !Zeit  eine  terra  incognita  bleiben  zu  sol- 
len, da  die  auf  Veranlassung  des  Yereins  f&r  vaterUn- 
4isÄhe  iCukur  angestellten  Beobachtungen  wahrschein- 
lich nicht  sur  Yeroffentlichung  bestimmt  sind«  Durch 
die  Combipation  solcher  Vorarbeiten,  wie  die  erwähn«'  * 
ten,  werden  erst  Werke  möglich,  wie  das  von  ScAouw 
über  Italien,  auf  velches  wir  in  emer  besonderen  An- 
seige  Eurüekkommen  werden. 

Ein '  Verbindungsglied  swisehen  B5hmen  undWurr 
temberg  bildet  das  in  Baiern  neuerdings  begonnene 
Unternehmen  gleichzeitiger  Beobachtungen,  worüber  Hr. 
MJamont  in  dem  unter  13)  angeführten  Jahrbuch  die 
eisten  Berichte  mittheilt  Die  Beobachtungsorte  sind: 
Aschaffenburg  1833  t- 1838,  Amberg,  Hersogenaurach 
October  1829—1838,  Hof  1833--1838,  Passau  1838,39* 

Für  die  Güte  der  Beobachtungen  von  Basel  (No. 
10)  bürgt  der  Name  von  JUerian.  Endlich  führen  wir 
^^o.  15.  an,  als  Beweis,  dafs  auch  Griechenland  sich 
der  naturwissenschaftlichen  Richtung  der  neuem  Zeit 
bereits  thätig  anschliefst. 

Die  Schrift  No.  16  ist  vevanlafst   durch  Hm.  v. 

\Baer$  Arbeit  über  das  Klima  von  Sitcha.  Da  man  das 

Heft  des  Journals    der  geographischen  Gesellschaft  in 

Itondon  für  5  Schilling  haben  ha^n,    so  wird  dieses 

Memoir  denen  willkommen  sein,  denen  die  kostspielig 

'fjtn  Originale  der  Parryscben  Reise  nicht  Sn  Gebote 

'stehen« 

Jahrb.  f,  viuentch.  KriHk.  J.  184Q.    I.  Bd.     • 


Der' erste  Band  der  Memohren  der  Im  Jahr  1813. 
gestifteten  meteorologischen  Societät  in  London  enthält 
zunächst  eine  graphische  Darstellung  der  meteorologi« 
sehen  Beobachtungen  von  8  Orten  in  England  mit. den 
Zahlenwerthen  für  die  Mitleid  aufsei'dem  aber  auch  Be-  ^ 
ob^chtungen  yon  aubiereuropiischen  Orten,  wie  z.  B. 
York  in  Westaustralien,  vieljäfarige  Alittel  von  Chelten- 
.ham  und.  TieIjShrige  Extreme  von  Xondon  und  Thet» 
ford.  Es  ist  zu  wünschen,  daPs  auf  die  Redaetion  4ie« 
ser  Retrospects  künftig  mehr  Sorgfalt  verwendet  wer- 
de, denn  wi^  können  -  Beobachtungen.  Vertrauen  fin* 
de,  bei  welchen  Monate  lang  die  niedrigste  Wärine 
bedeutender  ist  als  die  mittlere. 

Mo.  18  ist  eine  Fortsetzung  der  langen  Rf ihe  von 
Beobachtungen  des  verdienten  Herren$€haeider.  Ob 
ScAuiter's  t6sUm6  des  observations  m^t^orologiquea 
faites  a  Metz  pendant  une  periode  de  dix  ann^es, 
1825^1835,  welche  im  lOten^  Bande  der  M^moires  de 
FAcad^mie  Royale  des  Sciences  de  Metz  erschienen 
sind,  auch  besonders  in  den  Buchhandel  gekommen  ist,, 
kann  ich  nicht  angeben. 

SchlieCsIich  mag  noch  bemerkt  werden,  dafs  die 
in  neuerer  Zeit  in  Belgien  gleichzeitige  angestellten  Be- 
obachtungen .von  Brüssel,  Mastrieb,  Lüttich)  Löwen, 
Alost  in  den  Bulletins  und  Memoiren]  der  Brfisseler 
Akademie  so  wie  in  dei|  Annalen  der  dasigen  SteA« 
warte  bekannt  gemacht  werden,  und  dafs  eine  Bearbei- 
tung des  reichen  in  Holland  aufgehäuften  Materialsr  von 
Hrn.  Wenckeiäch  zu  erwarten  ist,  wovon  der  örste 
Theil  tinter  dem  Titel:  Uitkomsten  uit  m  Nederlaod 
gedane  weerkundige  Waamenungen  in  dem  5tenTheile 
des^N^atuur  en  Scheikundig  Archief  1837  bereits  ec^ 
schienen  ist. 

Dafs  das  Journal  of  the  A^iatic .  Society  of  Ben«^ 
gal,  in  welchem  Primep  sein  eignes,  in^^Calcutta  ge- 
führtes Journal  veröffentlichte,  auch  nach  seiner  Rück- 
kehr nach  England  in  meteorologischer  Beziehung  eine 

109 


867 


F.    H  u  r  t  e  r^    D  e  n  k  w  ü  r  d  iß  k  eit  e  n. 


oW 


FttDdgnibe  für  die  verschiedensten  Gegenden  Hindo- 
stans  bleiben  wer de^,  ist  kaum  eu  hoffen,  da  ein  Mann, 
der,  wie  Prinsep,  mit  gleichem  Erfolge  antiquarische 
Studien  mU  physikalischen  Arbeiten  yerbindet^  asu  den 
edtensten  Ersoheinttngen  gehört. 

H.-W.  Dove. 


LVXIII. 

DenkiffurdigTieiten  aus  den  letzten  Decenmen 
des  achtzehnten  Jahrhunderts.  Herausgegeben 
durch  Friedrich  Hu rter.  Schaffhausen^  1840. 
Hurter'sche  Buchhandlung.  XIV  u.  239  S.  12L 

Dem  oberflächlichen  Sinn  ist  ein  geschichtliches 
^  Ereignirs  nur  in  .seinem  Allgemeinen  und  hauplsSchlich 
durch  seine  Folgen  wichtig;  er  begnügt  sich,  dasselbe 
im  Groben  und  Ganzen  aufzufassen,  ohne  sich^  um  das 
Detail  yiel  zu  kummern.  Der  tieferen  Geschiclitsbe- 
trachtung  aber  ist  ein  Ereignifs  auch  wegen  seiner  In- 
nern Besonderheit  wichtig,  und  die  gründliche  Erfor- 
schüng  der.  Wahrheit  darf  auch  die  kleinsten  Um« 
stände  nicht  Terschmäben,  deren  genauere  'Kenntnifs 
erst  das  eigenthümliche  Leben  der  Thatsachen  ist,  und 
jemehr  diese  um  ihrer  selbst  willen  bedeuten  und  an- 
sprechen, um  so  reicher  und  klarer  wird  die  Gbschichts- 
einsicht.  Daher  können  wir  Beiträge  zur  Aufhellung 
geschichtlicher  Yorgänge  nicht  d^fshalb  als  unerhebli- 
dhe.  abweisep,  weil  das  Einzelne  nicht  so  genau  zu 
wissen  nöthig  sei«  Aufserdem  fordert  es  au^h  die  Ge- 
rechtigkeit, dafs  :mx  in  den  Ereignissen  den  Terschie- 
'  denen  Antheil  der  darin  Thätigen  weder  achtlos  ver* 
schweigen  noch  willkürlich  durcheinanderwerfen^  son- 
,  dern  im  Gegeniheil  denselben  unterscheidend  beryorhe- 
b«n ;  der  Pflicht  und  Würde  des  Geschichtschreibers  ist 
es  gemäGi,  nicht  niir  Bewahrer,  sondern  auch  Erfor- 
echer  und  nöthigenfalis  Hersteller  des  Ruf^s  zu  sein, 
der  die  Namen  der. Menschen  begleitet,  des  guten  wie 
des  schlechten,  und^  jede  Rephtfertigung  wie  jedes - 
Strafwort  -—  gehe  das  Urtheil  auch  in  noch  so  ferne 
Vergangenheit  zurück  —  ist  eine  Genugthuung  für  die 
-Todten  wie  für  das  lebendige  Geschlecht.  * 

Unter  solchem  Gesichtspunkt  mögen  wir  auch  die , 
hier  dargebotene  Sammlung  kleiner  Denkwürdigkeiten 
mit  einiger. Gunst  aufnehmen,   sofern  dabei  der  gute/ 
Willen,  manche  geschicIiiUche  Umstände  näher  zu  be« 


lenkten,  offenbar  Forherrscht  Ueber  den  guten  WiUes 
hinaus  finden  wir  freilich  nicht  viel  zu  loben,  der  Et« 
trag,  den  wir  gewinnen  können,  ist  Ikstnur  dasGe» 
gientheil'dessen,  den  man  uns  zu  bieten  meint.  Verfasser 
und  Herausgeber  wecken  uns  k^  grofsesVertsaues  h 
ihre  Einsicht  und  Kritik«  Als  Verfasser  der  Tonög* 
lichsten  dieser  Aufsätze  wird  einer  jener  diplomatisdies 
Agenten  angedeutet,  die  sonst  häufiger  als  jetzt  in  d« 
Geschäften  mitliefen,  im  Staatsdienste  grofser  MädiiB 
selten  das  Dunkel  der  untern  Regionen  Terliebeo,  m 
kleinern  Staaten  aber  durch  erlangte  Titel  und  "Wur* 
den  leicht  ^in  äufserliches  Ansehn  kamen.  Von  ihn, 
dessen  Namen  er  dodi  aus  Räcksicht  verschweigt^  sagt 
der  Herausgeber:  „Er  war  geistreich,  gebildet,  faatti 
viel  gelesen,  besafs  eben  so  greise  Mensehenbmnli 
nifs  als  Gewandtheft."  Leider  zeugen  die  Aufsitse 
selbst  ganz  anders!  Seine  geheimen  Aufschlüsse  vsA 
merkwürdigen  Anekdoten  sind  von  der  zweifelhafr 
testen  Beschaffenheit,  nnd  stellen  seine  Welt- sni 
.  Menschenkennthifs  erstaunlich  blofs.  Gleich  die  ia  der 
Vorrede  beispielsweise  eingeschaltete  Anekdote,  vend* 
nem  gewissen  Wegener,  der  in  Hoktdn  den  AnseU^ 
sür  Entthronung  Peters  des  Dritten  erfahren  und  pack 
St.  Petersburg  gemeldet  haben  soll,  dafür  aber  nach 
dem  wirklich  erfolgten  Sturze  des  Kaiser^s  verfolgt  mi 
gefangen  gesetzt  und  nur  unter  der  Bedingung  wiete 
freigelassen  wird,  dafs  er  seine  nach  England  gerettet 
ten '  Papiere  nicht  veröffentlicht ,  —  diese  Anekdote^ 
wel6h(d  dem  Herausgeber  das  bestimmteste  Gepräge  der 
Glaubwürdigkeit  ai^  sich  trägt,  erscheint  uns  ab  «se 
sehr  unverbürgte,  von  der  wir  allenfalls  nur  den  sehBeb» 
lieh  erwähnten  UmslaAd  ohne  weiteres  gelten  hsses^ 
dafs  der  Grofsfürst  Paul  auf  seiner  Reise  cu  Fra&t 
furt  am'  Main  den  als  Anhänger  seines  Vaters  ibsi 
•bekannten  oder  bezeichneten  Wegener  freundlich  sa* 
geredet  habe.  Doch  der  Herausgeber  hat  einmal  db 
beste  Meinung  von  seinem  Geträbrsmann,  dw  sdae^ 
Seits  leider  seine  besten  Sachen  aus  der  allersddeek 
testen  Quelle  schupft,  nämlich  aus  der  gemeinsten  vol 
dabei  wahnvollstei;  Kundschafterei^  die  wir  durch  eines 
der  mi^etheilten  Au&ätze  in  ihrer  ganzen. ErbSmlic&> 
Iceit  kennen  lernen. 

Die  Sammlung  enthält  acht  Stücke ,  die  wirtiih 
sein  kürzlich  betrachten  wollen. 

L    Maihx.  —  Fliieipeyer^  —  Der  Gesandte  vem 
Stein.  '—  ScUetifsinger  (1792).  .Die>  Uebeif;abc  rop 


OVSf 


F.    Hurte  r^    Den 


_  * 

Bfaim  an  die  Franzosen  unter  Cixsttne  im  Anfange 
dfC  ReTolutionekrieges  war  ein  so  unerwartetes  und 
sehreckendes  Ereignifii  y  dafiif  man ,  wie  gewolmlich  in 
selchen  Fällen,  die   gr1lndIos^sten  Erdichtungen    und 

^    fabehesten  Besehttidigungen  zu  Hülfe  nahm,  um  das 
UabegMfliehe  zu  erklären.    Eine  solche  Anklage  des 
Verraths    traf    nicht   nur'. im  Allgemeinen   die   Frei- 
htftsfreunde,  welche  Maiiis  in  groFser  Zahl  hegte 'und 
aus  denen  nachher  die  Klubbisten   hervorgingen,  son* 
dem  namentlich  den  mainsischen  Oberstlieutenant  Eieke- 
meyer,  der  als  Ingenieur  vom  Platz  die  Vertheidigung. 
gehindert  und  die  Uebergabe  bewirkt  haben  sollte.    Von 
dieser  längst  widerlegten  Beschuldigung  wird  auChJiier 
zwar  Eickemeyer  nach  Gebühr  freigesprochen,  dagegen 
soll  nun  der  damalige  preufsbehe  Resident  in  Mainz^ 
Freiherr   vom  Stein,  die   Verrätherrolle   übernehmen» 
Wie  man  diesen  Stein'  mit  seinem  jüngeren  Bruder, 
ie!tk  beirühmten  preufsischen  Sfaatsminister,  noch  ver* 
wechseln  kann,    ist    kaum  begreiflich,   da   sogar  das 
Vorwort  zu  diesem  Aulsatze  die  Brüder  genau  herzählt 
und  unterscheidet,   und  jener  Resident   auch  sonst  in 
deutschen  Ueberliefeningen  öfters  erwähnt  und  ^.  B. 
in  Goethe*s  Champiigne  beistimmt  als  der  äHere  bezeich- 
net wird.    Von  Franzosenhafs  bis  zur  Wuth   erfüllt, 

.  Übte  er  in  Mainz  mit  durchgreifendem  Ansehn  den  grofs- 
ten  Einflbrs,  dlrang  beim  Annahen  des  Feindes  mit  stür- 
mischem Begehren  darauf,  dafs  wirklich  Galgen  aufge« 

'  richtet  wurden  für  diejenigen,  die  von  Uebergabe  spre- 
chen würden ;  als  aber  die  Franzosen  darauf  die  Stadt 
eingeschlossen,  und  der  Gouverneur  derselben,  Freiherr 
von  Oymnioh,  seine' Generale,  den  Grafen  von  Hatz- ' 
feldt,  die  Freiherren  von  Faber  und  von  Rüdt,  und 
Andere,  unter  denen  auch  Stein  mit  besonderem  An- 
sehn figurirte,  zum  Kriegsrath  beruren  hatte^  ri^th  allein 
Eickemejer  zur  Vertheidigung,  alle^  Andern  stimmten 
für  die  Uebergabe,  und  Stein  selbst  erklärte  sich  ent- 
schieden zu  dieser  Meinung.  Solchen  Widerspruch 
gegen  sein  früheres  Benehmen  erklärt  unsre  Denkschrift 
nun  so:  Stein  habe  von  seinen  gleichgesinnten  Ver- 
trauten ini  preufsischen  Kabinet  die  Weisung  gehabt, 
Mainz  in  €ustine*s  Hände  zu  spielen,  weil  es  keines 
geringeren  Mittels,  als  des  Verlustes  einer  so  wichti- 
gen Reichsfestung,  bedürfe^  um  Preuben  zur  ferneren 
Tbeilncihme  am  Kriege  aufzureizen,'  und  ihm  die  Wie- 
dereroberung  als  eine  Ehrensache  vorzustellen!  Wir 
bekennen^  dab  wir  solche  Faseki  nicht  der^Wideiie- 


kwürdi^keiten.  670 

gung  werth  achten  J    die  Ursachen  so  plStdicher  und 
vollständiger  Sinnesän<)erung  sind  nicht  so  weit  h^nu* 
holen,    sie  liegen  in  der  Beschaffenheit  der  Vorgänge 
selbst,  in  dem  Ungeheuern  Abstände  verblendeter  Lei« 
denschaft  und  unabweisbarer  Wirklichkeit,  wo  für  let>» 
tere,  jemehr  sich  die  Kraft  der  ^eele  in  Einbildungen 
erschöpft  hat,  um  so  weniger^zum  Handeln  übrig  bleibt. 
Diese  Erscheinung  hat  sich  seitdem  oft  genug  vor  un^ 
Sern  Augen  wiederholt,  und  wir  brauchen  keine  aben* 
theuerlichen  Anklagen  zu  Hülfe  zu  rufen,  wo  die  ein* 
fachen  Thatsachen  laut  genug  sprechen.    Was  für  eis 
Zustand  abe^r  in  Mainz  herrschte^  welcher  Hof,  welche 
Regierung  dort  gewirthschaftet  hatte,  welches  Kriegs* 
Wesen  vorhanden   war,    welche  Menschen  die,  ersten 
Stellen  oder  Gunst  und  Einflufs  hatten,  das  wird  auch 
in  unsrer  Denkschrift  angedeutet,  wiewohl  bei  weitem 
nicht  genügend  ausgemahlt.     Eine  vollständige  ScfaiU 
derung,  zu  welcher  die  Farben  theilweise  schon  wohl* 
bereitet  daliegen,  würde  ein  werthvoUes  Geschenk  für 
die   deutsche    Geschichte  sein,   welche  überhaupt   dir  • 
scharfe  und  umständliche  Betrachtung  vaterländischer  ^ 
Schmach   und  Unglücks   weniger  verabsäumen  sollte^ 
indem  grade  diese  Ereignisse  die  lehrreichsten  Schätze 
bieten.    Wollte  eine  gewandte  Feder ,  gleichsam  zum 
Gegenstück  von  Guhräüer's  vortrefflichem  „Kurmains  , 
im  Jahre  1672",  uns  eine  Darstellung  ^jMainz  im  Jahre 
1792'^  liefem,^  wo  sich  die  Geschichte  des  dortigen  Um^ 
schvrunges,  der  Klubbisten,  und  der  nacbherigen  Bda^ 
gerung  an  das  Gemähide  dös  früheren  Hofes  anscblüsse, 
ko  dürfte  gewib 'ein  für  Gesinnung  und  Urtheil  höchst 
fruchtbares  Werk    zu   erwarten  stehen.    Unsre  Deiric» 
Schrift  hätte  dabei  manöhe  Berichtigung   zu  erfahrea 
So  wiM^  z.  B.  Eickemeyer  kein  armer  Knabe,  der  sein 
äufseres  Glück  ganz  dem  Kurfürsten  dankte,  sondern 
äer  Sohn  eines  Obersten  und  Kriegsraths,  wobei  noteh  - 
zu  bemerken  ist,  dafs  iiberhaupt   Ingenieur -Offiziere 
nicht  leipht  in  dem  Verdacht  stehen,  mehr  durch  Gunst 
als  durch  Verdienst  aufzusteigen.     Gab  Elckemeyer'a  ' 
hachheriger  Uebertritt  in  französische  Dienste^   wo  er 
General  wurde,  seinen  Gegnern  den  erwünschten  An^ 
lafs,  ihm  ein  schon  früheres  Einverständnils  mit  den  ^ 
Franzosen  aufzubürden,  so  mochte  auch  Stein  eifrigst 
in  diese  Besthuldigung  einstimmen,  ohne  dazu  diejeni- 
gen Triebfedern  zu  haben,'  welche  die  Denkschrift  ihm    , 
andichtet.     Dönn  seine    eigne  angebliche  Verrätherei^ 
deren  oben  erwähnt  worden,  und  die  ein  verabschiede- 


«, 


871 


*  I  *  s  ■' 

J^;    H  ur  t  e  r^    Denkwürdi  g'k  e  i  t  e  n* 


ler  preuGsisöher  Lieutenant  Sehleufsinger  sur  umstände 
liehen  Anklage  gegen  ihn  milchte  und  bei  dem  Könige 

'Selbst  anenbringen  dreist  genug  war,  gehört  offenbar 
unter  die  albernen  Mährchen,*  welche  ränkesüchtiger 
Müfsiggang  ausheckt,  und  bei  der  Leichtgläubigkeit  gel- 
tend macht.    Dafs  der  Landgraf  von  Hessen -Homburg 

,  mit  menschenfreundlichem  Eifer  sich  des  yerhafteten 
Schlenfsinger  habe  annehmen  wollen,  aber  von  dem 
General,  von  Kalkstein  berathen  worden,  aich  lieber 
.nicht:  ^  diese  Sache  zu  mischen,  dQrfte  in  der  ganzen 
Erzählung  das  allein  Zuverläfsige  sein.  — 

2.  Oeorg  List,  (X19S).  Wir  kommen  hier  zu  dem 
Haupthelden  unseres  Buehe9.',Ein  pfälzischer  Hofkam- 
merrath,  der  sich  auf  ge^altthatige  Weise  gegen  Be- 
drückungen auflehnte^  kommt  deshalb  aus  dem  Dienst, 
wird  Handelskommis  in  Lindau,  dann  in  Basel  Kassier 
des  Handlungshauses  Preiswerk,  welches  während  des 
Krieges  durch  Yermittlupg  des  Briefwechsels  und  son- 
stigen Yeckehrs  zwischen  Deutschland  und  Frankreich 
grofsen  Yortheil  und  auf  beiden  Seitdn  '  vielen^  Dank 
erwarb»*  Dieser  Mann  -  hatte  den .  Hang,  sich  überall 
mit  unberufener  Thätigkeit  einzumischen,  machte  in  Ba- 
sel die  fran:KSs4sche.  Sieche  zu  der  seiuigen,  bezüchtigte 
den  ersten  Bürgermeister^  seine  Stimme  auf  der  Tag- 
Satzung  österreichischem  Gelde  verkauft  zu  haben,  und 
als  er  d^für  einer  Tracht  Schläge  nicht  entgehen  kön- 
nen, wuiste  er  seiner  Freiheits-  und  Gleichheitswuth 
keine  Giränzen  -mehr,    tn  einer  Apotheke   bei   einem 

•Glase  Schnaps  wurden  dem  Sekretair  des  österreichi- 
schen Gesandten  die  Geheimnisse  der  Depeschen  ent- 
lockt, und,  in  Folgte  del?  Mittheilungen,  welche  unser 
List  nach  Hünkigen  an  den  Volksrepräsentanten  Mer- 
lin  von  Thionville  sandte,  ein  schon  Sbeschlossener 
Bheinübergang  der  Oesterreicher  unti^r  Wurmser  durch 
die  französische  Wachsamkeit  verhindert.  Noch  an- 
dre  sobßhe  Einwirkungen  werden  aufgezählt.  Der  Ver- 
fasser der  Denkschrift  rühmt  sich, .  dafs  ^r,  während 
List  von  männiglicb  wegen  seines  Treibens  gehafst 
nnd^verachtet  war,  sich  an  ihn  angeschlossen^^  ihm  über« 
einstimmende  Gesinnungen  geheuchelt,  und  viele  vicb- 
tige,  geheime  Nachrichten  durch  ihn  erfahren  liabe,  wo- 
bei er  sieh  denn  nicht  enthalten  mag,'  auszurufen: 
„Pfui,  über  das  Diplomaten -Handwerk!"  Allerdings: 
Pfui!  doch  nicht  {über  das  Handwerk, . sondern  über  die 

(Der  BeiMshlafs   folgt.) 


m 

Leute,  die  dasselbe  schänden!  Solche  laurencle  Lu. 
pen,  wie  jener  List,  und  solche  dienstbeflissene  Sciiwack- 
köpfe,  wie  unser  Verfasser,  möchten  ihrem  so  gering« 
als  nutzlosen,  und  schon  darum  schädlichen  Treihoi 
gern  den  Anschein  einer  politischen  Wichtigkeit  geks, 
von  der  doch  gerade  ihr  Treiben  sie  .meistens  aussdiliebt; 
denn  der. Mangel  an  Gesinnung,  die  auch  von  den«» 
tersten  Stufen  her  Grobes  wirken  und  dadurdi  du 
höchsten  naherücken  kann,  läfst  sich  durch  nichts  gtt. 
machen.  Dafs  auch  auf  den  obersten  Stufen  dicw 
Mangel  vorkommt,  wer  wird  das  läugnenl  aber  nt 
den  selbstgewählten  dunkeln  und  untern-  bt  er  U- 
misch;  unser  Verfasser,  scheint  zwar  den  FpanxoMi 
anzuhängen,  allein  näher  betrachtet  erweist  sieh  sca 
Wesen-  i|ur  als  karakterlose  Geschäftigkeit,  wie  a 
denn  später  in  Strafsburg  eine  Apotheke  emchteh^ 
dann  daselbst  Regierungskommissär,  hierauf  in  Spder; 
Fabrikant  wurde,  und  endlich,  als  Conunis  einetf  Kriege  i 
kommissärs  im  Jahre  1805  in  einein  Feldspitale  siaA. 
Die  ganze  Erbärmlichkeit  seuier  SpQrerei  undMds» 
gen  entfaltet  §ich  den  Augen  im  nächsten  Anftstx. 

3.  Poteratx.  ^  Conde.  —  Engkien  (1797>  His 
treiben  Zwischenträger  aller  Art,  hohen ^  und  nieda 
Standes,  bezahlte  und  unbezahlte^  ihr  geheimes  W^ 
sen,  und  meinep  in  ihren  schmutzigen  Tasclieii  ii 
grofsen  Weltbegebenheiten  zu  haben !  Sie  erfinden  As* 
schlage,  sie  erlangen  Eintritt  und  QehSr  bei  den  Ki» 
tigen  \  für  den  Verratb,  den  sie  bringen,  gehen  sie  sk 
einetn  andern,  den  sie  empfangen,  wieder  ab,  sie  ^ 
len  mit  Leben  und  JBhre,  aber  ein  grofses  Breigmb  siri 
sie  belohnen,  alles  ist  vorl^ereitet,  der  Schlag  wirf  y* 
schehen,  —  doch  er  unterbleibt,  höchstens  werdas  d| 
paar  Leute  eingesteckt  odjer  erschossen,  und  die  6^ 
scUohte  strömt  ihre  Wogen  nach  wie  vor  im  lelU- 
gegrabenen  Bette,  das-  von  Ränken  und  Umtiieta 
nicht  verändert  wird.  W^as  unser  Autor  von  des  |i; 
heimen  Anschlägen  erzählt,  welche  von  den  isVB^ 
scheil  En^igrirten,  oder  durch  sid  vermittelt  ?od  cid* 
gen  Höfen  ausgingen,  um  die  Haupter  der  f ransdsiicIiB 
Republik  oder  die  Befehlshaber  ihrer  Heere  fiir  o^,  | 
Gegenrevolution  zu  gewinnen^  das  ist  zum  Tbeil  th^. 
sächlich,  und  schon  in  gröberem  Unlfange  bekanntiw' 
es  hier  mitgc^theilt  wird. 


*  X 


J^  110. 

Ja  h  r  b  u  c  h  e  r 


für 


V  X' 


w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    K  r  i  t  iki 


Juni  1840. 


V 


Denhwirdigkeiten  aus  den^  letxten  Becennien 
des  achizehnten  Jahrhunderts.  Herat^sgegehen 
durch  Friedrich  Hurt  er. 

(FortsetzuDg.)    - 

Royalisten  schmeicheln  sich  den  Republikanern 
an^  Republikaner  den  Royalistenj  und  .unvei^sehens 
finden  sie  sieh  in  doppelten  Verrath  .Tcrwickelt. 
Viel  Verkehrtes  und  Heilloses  ist  in  dieser  Art 
"wirklich  gesponnen  worden  und  an  den  Tag  ge- 
kommen« Dafs  aber  der  Marquis  TÖn  Poteratz^  fm 
Jahre  17^,  als  geheimer  Friedensagent  swischen  Pa- 
ris und  Wien  zu  Basel  geschäftig,  daselbst  mehr  denn 
Enranzigmal  yon  dem  Prinzen  von  Condd  und  Herzog 
Fon  Enghien  heimlich  besupht  worden,  und  .mit  diesen 
übereingekommen  sei;  „Cond^  solle  Basel  überrumpeln^ 
das  republikanische  Heer  dann  sogleich,  unter  dem 
Verwände  der  Yerletzten  schweizerischen  Neutralität^ 
eb^fall»  gegen  Basel  Torrucken,  sich  mit  den  Emi- 
grirten  vereinigen  und  beide  gemeinsam  in  Schwaben 
eindringen,  um , das  ganze  Land  zu  revolutioniren,  wo« 
bei  denn  Ludwig  .der  Achtsehnte  nach  Basel  in  den 
Gasthof  zu  den  drei  Königen  gelockt  und  vom  Balkon 
des  Speisesaals  in  den  Rhein  geworfen  \ferden  sollte,*' 
so  weit  haben  wir  den  Wahnwitz  noch  nicht  getrieben 
g^esehen,  denn  sogar  das  Lächerliche  ^wird  hier  vom 
£kelba(ten  erstickt!*  Es  sind  kleine,  dem. engen  Raum 
von  Basel  angehdrige  Himgespinnste, .  dessen  Neutrali- 
tät und  dessen  zu  plündernde  oder  zu.  schonende  Häu- 
ser sich  als  Hauptmomente  darslelieu.  Und  dieser  Un- 
sinn wird  von  unserm  Terfasser  als  wahre  Geschichte 
geglaubt,  und  solcherlei  Dummheiten  berichtet  er  den 
kleinen  Höfen,  deren  Agent  er  war,  und  die  wohl  nie 
einen  —  wenn  auch  noch  so  kärglichen  '^  Sold  nutz- 
lose/ verschwendet  haben!  Natürlich  waren  nur  ein 
"paar  kleine  Un^stände  schuld,  dafs  die.  Ausführung  des 
ungeheuren  Anschlags  verhindert  wurde, ,  aber  die  Sa- 
Jahrb.  /.  Mfi$9€ntch,  Kritik,   /•  1840.   I.  Bd. 


che  selbst  ist  dem  Terfasser  unzweifelhaft,  und  seine 
zuv'erlässige  Quelle  ist  unser  Qbiger  Georg  List,  dessen 
verbranntes  Clehirn  hier  in  vollem  Glanz  erscheinti 
jDoch  Ein  Umstand  ist  in  der  ganzen  .Erzählung,  den« 
auch  wir  für  acht  halt^,  und  den  unser  Verfasser 
üufrichtig  mittheilt,  der  Umstand  nämlich,  dafs  das  fran- 
zösische Direktorium  auf  jene  Eröffnungen  des  Mar« 
quis  von  Poteratz  nur  geantwortet  hat:.  „11  faut  lul 
rire  au  ^exJ^  Das  können  wir  glauben,  €las  woUeA 
wir  allenfalls,  einregistriren!  — 

4.  Die  Hev^liiiion  auf  Malta  (1798).  Einei*  fran^ 
zosischen  Druckschrift  entlehiit,  deren  Seltenheit  dieseii 
Auszug  rechtfertigen  mag.  Wir  haben  hier  abermals 
einen  Hergang,  wo  die  Geschidite  ihre  altept  verbrauch« 
ten  Formen  zerbricht  und  äict  Trümmer  in  neue,  em- 
porsteigende Bildungen  einschmelzt.'  -  Hi^r  geschah  dies 
gewaltsamer,  blutiger,'^ verhängnilsvoller,  als  bei  der  , 
Uebergabe  von  Mainz,  aber^durcfai^us  ist  es  dasselbe 
Wesen,  dieselben  Brüche,  ^eselben  Kräfte,  die  hier  wie 
dort  auftreten.  Der  Orden  war  reif,  übe^rreif  und  harrte 
des  Schnilters,  der  Schnitter  kam  und  die  Aernte  war 
bald  vollbracht  Lehrreich  i$t  diese  Erzählung  gewifs, 
und  der  Leser  mufs  bald  erkennen^  dafs  ^e  einzelnen 
Yorgänge,  die  sich  hier  drängen,  gar  nicht  mehr  selbst^ 
ständige  Bedeutung  haben,  sondern  als  etn  Allgemeines 
zu  fassen  sind,  wobei  es  gleichgültig  isrt,  durch  wel- 
cherlei besondre  Werkzeuge  hier  das  geschieht^  w^s 
in  keiner  Weise  inehr  zu  hindern  war.  Deh  Grois- 
meister  von  Hompesch  des  V.erraitlis  anzuklagen,  wäre 
sehr  ungerecht,  aber  ihn  für  einen  Marnn  su  erklären, 
der,  seiner  Stelle  nicht  gewachsen  war,  der  seine  Hülfs- . 
mitlel  ni9ht  in  der  Hand  und  weder  allgemeiueq  Plan 
noch  persönlichen  Entschlufs  hatte,  sondern  in  blöder 
Gewohnheit  an  der  Spitze  einer  grofsen  Auflösung  so 
hinlebte,  —  dessen  wird  niemand,  auch  auf  diesen  iipo- 
log^tischen  Bericht  hin^  irgend  Bedenken  tragen. 

6, .  Bericht  Über  eine  Sendmig  an  Seine  KSnign  . 

110  '      . 


1'  / 


875  '  F.    B u  r  t  e  r^    D  en 

iic/ie  Hoheit  den  Herrn  Erxherxog  K^rt  (1799^). 

.  Der  Bericht  ist  vom  Alt  -  Landvogt  David  tturtet  atis 
Schaffhausen,  der  mit  drei  andern  Abgeordneten  dea 
Kaoiona  ai|  deii  Erzhersog^  gesandt  wurde,  um  für  die 
Herttellung  dor  eb^niq^igen  Regi^ruiig   dessen  Sclit|tz 

'  und  Rath  zu  erbitten.  Sie .  sprachen'  deh  berühmten 
Hofrath  von  Fafsbender,  einen  der  fähigsten  Staats- 
männer Oesterreichs,  v,on  unstreitig  politischem  tieiste, 

'  äer  vieles  geleitet  und*  auf  vieles  eingewirkt  hat,  dann 
den  Erzherzog  selbst,  den  Schultheifs  \ovl  Steiger  und 
ilerrn  von  Haller,  'die  sich  im  Österreichischen  Haupt- 
quartier aufhielten,  den  General  von  Hotze,  den  engli- 
schen Gesandten  Wickham;  von 'Allen  empfingen  sie 
die  Tersicherupgen  de»  grüfsten  Wohlwollens,  ab6r 
sonst  wenig  Rath  und  Anhalt,  man  war  auf  politische 
Umbildungen  gnr  nicht  vorbereitet,  hatte  nur  Wunsche, 
deren  Ausführung  zu  übernehmen' niemand  sich  bera- 
fen  glaubte,  und  deren  Angemessenheit  schon  die  Wün- 
schenden selber  bezweifelten^  Da  hatte  die  Gegenseite 
es  in  allem  Betreff  leichter!'  Der  vorliegende  Bericht 
ist  übrigens  seinem  Sachinhalte  nach  blofs  für  die'  be- 
sondre Geschichte  Schaff  hausens  von  einigem  Interesse ;. 

\  für  deh  Gang  der  Ereignisse  liefert  er  höchstens  eines 
det  Bildchen,  wie  jeder  bewegte  Lebenstag  deren  dut- 
zendweise   entstehen    läfst.     Zwei    angehängte  Briefe 

'  des  Herrn  von  Haller  sind  wegen  der  Gesinnung  merk« 
würdig. ;  ;  V 

6.  Die  Uebergaie  von  Rohenttoiel  (1800).  Noch- 
mals  ein  Beispiel  der  traurigen  Yersunkenheit  und  hal- 
tungslosen Schwäche  jener  alten  Zustände,  welehe  ge- 

,  genüber  den  /rischen  Kräften  der  franzosischen  Revo- 
lution sich  zu  behaupten  wähnteuv  Die  Uebergabe  von 
Hohentwiel  war  ohne  Wichtigkeit,  .und  erlangte  nur 
einigen.  Ruf  durch  die  grausame  Strenge,  mit  welcher 
der  [Kommandant  von  Wolf  höchsten  Orts  bestraft  wur- 

^  de,  eine  Strenge,  die  ganz  unverhältnirs'mälsig  erschien, 
wenn  man  damit  di.e  schimpfliche  Lässigkeit  verglidi^ 

.  die  in  Betreff  der  Feste  selber  höchsten  Ortes  gewal- 
tet hatte.  *Wir  Jiaben  den  unglücklichen  Mann,  dem 
nur  Irrthum  und  zu  grofses  Vertrauen  in  unsichre  Zu- 
sagen  vorzuwerfen  war,  tiach.  seiner  vieljährigen  har- 
ten Gefangenschaft  noch  oft  gesehen,  und  die  Anga- 
ben, die  er  mittheilte,  stimmen  mit  dej^  vorliegenden 
Schilderung  ziemlich  überein.  .  .    ^ 

7.  Die  Oefangnüie  xu  Venedig  im  Jahre  1600. 
^Dcr  Versicherung,  des' Herausgebers  zufolge,  und  auch 


k  w  Ü  r  d  ig  k  e  i  t  e  n.       ^  87ff 

aNen  iimem  Anzeigien  naoh,  ein  zuveriässiger,  von  der 
llahd' eines  hohdn  österreichischen  Beamten  abgefafs« 
ttir  Bericht. 

8.    Zur  Oesthiehte  der  Hlutninaten.    Eine  6e* 
schichte  des  in  J^^ers  liaefa  den|  Untergänge  des  Jei4> 
tenordens  zum  Ersatz  und  Gegensatz  durch  Adam  Weis. 
baupt  ge8tifteten>  mid.bald  über  weite  Länderstrecken 
verbreiteten  Illuminatenordens  wäre  ohne  Zweifel  ein 
Wünschenswerther  Beitrag  zur  innern  Geschichte  von 
Deutschland,   zur  Sitten-  und  Gebtesentwicklang  dcf 
Nation.    Allein  der.  hier-ipitgetheilte  Anfsatz  ist  ucb 
geeignet,  diese  Lücke  «uszurullen,  er  giebt  blb(s  einig» 
Aufs^nlinien  der  merkwürdigen  Erscheinung,  und  mdi 
diese   ahne  geistige  Uebersicht.    Das  eigentliche  \IF]^ 
ken,  welches  nach  der  Aufhebung  noch  fortdauerte,  be- 
sonders fn  den  persl^nlichen  Schicksalen  seiner  Mitglie- 
der, ist  gar  nicht  oder  mit  grofsem  Bückhalt  bespro- 
chen ;  selbst  über  den  l^tifter  Weishaupt  werden  man* 
cherlei  Angaben   vermiKt,   mit   denen   die    wichtigsten 
folgen  zusammenhängen.    Man  merkt  dem  Aufsatz  ä% 
dafs  er  in  Baiern  geschrieben  worden,  Vo  alles  die 
Illuminaten  Betreffende  noch  empfindliche,  lebenzuekeo4e 

.  Bezüge  hat.  Das  in  Wien  zur  Zeit  d^i  Kongresse! 
gesagte  Wort,  der  Illuminatenorden- sei  für  Baien 'ge» 
Wesen,  was  der  Tugendbund  für  Preufsen^  näoüieb 
eine  Leitersprosse  zum  jetzigen  Bestände,  lassen  wir 
dahingestdlt ;  unser  Herausgeber  geht  aber  weiter,  nnl 
meint,  die  Reste  der  Illuminaten  hütten  sich  in  des 
'Tugendbund  geworfen,  welches  eine  so  falsche  Angak 
als  verkehrte  Vorstellung  ist ;  der  Gipfel  jedoch  der 
grundlosen  Einbildung  und  des  luftigen  Gesplnnstes  ift 
die  Behauptung,  „dafs  die  Neigung  zii  gehebnen  Ge- 
sellschaften, nebst  deren  vermehrtem  Dasein,  in  der 
Schweiz  aus  jener  Zeit  sich  herschreibe,  wo  eines  der 
markantesten  Glieder  des .  Tugendbundes  ais  preulilr 
scher   Gesandter  dort  erschienen  sei^   und   füt  dieses 

*  Zweck  nicht  geringe  Thätigkeit  entwickelt  habe."  Diese 
Anspielung  auf  Justüs  von  Grüner  ist  abermals  eis 
MiCsgriff,  und  beweist  liur  vollige  Unbekanntsciiaft  oft 
der  Person  und  Denkai*t  dieses  Mannes,  de^  seine  Be 
deutung  und  Auszeichnung  in  hafserfüllter  TKatigkeit 
gegen  die  Fremdherrschaft  gefunden'  hatte,  mit  deren 
Erlöschen  aber  in   die  ruhige  äabn  des  StaatsdiMistes 

^  einlenkt Cy  und  kein  anderes  Ziel  lapht  suchte,  als  die- 
ser ihm  darbieten  n^ochte.  -— 

Mali  sieht,  das  kleine  Buch  kadn  sehr  gut  dast 


877 


BßädeTy  Emi^e^aiiom  du  K(aholiei$mM. 


876 


4ieiiei»>  allerlei  Iiistorlsehe  Uebufigen  «ft  ihm  v^rtuifeb« 
nieii)  und  eowohl  4i0  diurgebeteaea  Stoffe  neu  su  be« 
bandeln,  als  aueh  äie  jetzige  Behandlung  kritisdi  su 
beleuebt^n;  janste  Anzeige  kann  £u  letsterem  als  Ein* 
leitung  galten»  mochte  d|ui  erstere  ?on  Andern  Teniieht 
werden!  — 

K.  A*  Yarnhagen  von  finse/ 


LXIX. 

Ueber  die  -  TAunlicAlett  oder  Nichtthunlichketf 
einer.  EmoHCipatio»  des  t^athoUcismus  ton  der 

'  romkucken  ßictatur  in  Rezug  auf  Reiigions^ 
wiUens^h^L  Aus -einem  Sehreiben  an  8.  DurcA^ 

'  -  taucht  Fürst  EKm  r«.  MeHchershy^  Kais.  Russ. 

'  Kämmerer,  Ton  Franz  Baader.  Nurnbergy 
183jl.  hei  Fr.Lamfie. 

Obwohl  des  Referentan  Erwartungen  yon  Torlie«. 
gMider  Sehrift  swar  nicht  gans  erfiiUt  worden  sind,  wie 
er  unten  weiter  erörtern  wird,  so  sieht  er  sich  doch 
Ter^nlaist^  dieselbe  ansuzeigen,  weil  sie  ihm  eme  zu 
bB^eutende  Summe  aus  der  katboUschen  Kirche  gegen 
die'  romisohe  Hierarchie  su  sein  seheint,  als  dafs  /lia 
proteslanüseher  Seils  ignorirt  werden  konnte.  Nach 
dem,  was  hier  gesagt  wird,  befindet  sici)  Fr.  Baader 
TftlUg  aulserhalb  der  katholischen  Kirche»  wie  sie  ge- 
genwärtig besteht.  Keiner  wird  sich  defsbalb  wundem 
^dlirfen»  wenn  Rom  Baader*s  Schrtflen  »^Is  nach  Ket« 
serei  riechend  nnd  verdammliehe  GrundsäUe  in  sich 
tTttgeod"  eboBso  Terbietet,  wie  dieTs  bereits  mit  denen 
Toia  Georg  Hermes  geschehen  ist ;  denn  von  den  seit 
dem  trideiatinischen  Coneil  eieh  immer  mehr  verstei« 
BMnden  'Dogmen  des  rdmischen  Kathplicismus  .haben 
sieh  alie  beide ,.  wie  überhaupt  alle  philosopbirenden 
'Katholiken  entfernt.  Auch  in  dieser  Schrift  nimmt 
.Baader  sieh  des  Hermesianismus  an  und  erklärt  hieit 
beif  dais  es  sidi  in  diesem  Streite  um  die  Lebensfrage 
der.  deuUeb  •  katholischen  Theologie  handele. 

Die  röorische  Kirciie  rerlangt  unbedingte  Anni^hme 
ilirer  Lebrsätse*  Hiermit  stand  ein  Streben  wie  das 
Ton  Helrmes  durchaus  in  Widerspruch.  Er  hat  sich 
nämlich  zu  eeigen  bemOht«  dafs  der  Beweis  dem  Glau« 
ben  Torhergehen  miisse,  und  dafs  die  Angriffe  auf  die 
Offenbarung,  nicht  durch  die  angegriffene  Offenbarung 


selbst,  eoadern'  dorch  die  Philosophie  snrQckzutreiben 
aeieUt  wie  jdieis  ¥on  den  berühmtesten  Kirohenlebrem 
der  früheren  Zeit  geschehen  sei  *).  In  seinem  theolo- 
gisch -  philosophischen  Systeme  hat  er  mit  allem  Ernste 
die  Gegensätze  der  Zeit  su  versöhnen  gesucht^  indem 
er,  durch  die  kritische  Philosophie  vorzüglich  gebtldeli 
über  dieselbe  vocziiglich  dadurch  hinauszugehen  bestrebt 
war>  dafs  er  ihr  einen  formellen  Empirismus  eo^ge^ 
genstellte»  dessen  Grund  ein  naiver  Glaube  an  die 
Wahrheit  des  Qbjects  ist,  und  welcher  als  polcher  zwar 
«Mr  üeberxeuguag  drängt,  allein  sie  nicht  wahrhaft 
beufirkt,  wefshalb  dem  glaubenden  Subject  das  ge* 
glaubte  Object  ein  fremdes  bleibt  und  nicht  ein  im  freien 
Selbeibewulstsein  wirklich  vermitteltes  wird.  Wäre 
diese  Termittelung  bewirkt,  so  würde  das  System  in 
Jer  That  ein  protestantisches  geworden  sein ;  allein  diefa, 
dals  das  Objekt^  obwohl  dessen  Geltung  anerkannt 
U^irdy  doeh  aufserhalb  des  Sul^'eets  bleute  ist  gerade 
,das  katholische  Moment  in  dem  Systeme*  Hierbei 
ist  jedoch  ^anzuerkennen,  daCs  er  dem  absolutem  Krite« 
rium  aller  Wahrheit  durch  seine  psychologische  AtHdyse 
des  menschlichen  Jlewufstseins,  w^he  er  der  JCritik 
aur  Seite  bellte,  und  in  welcher  er  durch  Anregung 
von  Fichte  das .  Grundkriterium  der  metaphysischen 
Walurbeit  gefunden  zu  haben  glaubte,  näher  g^&ekt 
\mU  'Bei  allen  diesen  theologisch  «philosopbiscben  Be- 
strebungen glaubte  er  aber  seine>  Kirche  .durchaus  üreu 
geblieben  zu  sein  und  in  ihrem  Dienste  zu  handeln,  wie 
denn  auch  seine  Schüler,  ihn  als  durchaus  orthodox  zu 
rechtfertigen  gesucht  haben* 

Dafs  Rom  durch  die  Reprimirung  solcher  Bewe« 
gungen  in  der-  katholischen  Kirche,  wie  der  Hcrmesi- 
schen,  sieh  selbst  nur  schadet  und  alle  wirklich  wis* 
senschaftlich  Strebenden  nur  gegen  sieh  aufbringt^  da« 
von  giebt  auch  vorliegende  kleine  Schrift  den  Beweis. 
Franz  Baader  scheint  nämlich^ durch  die  neusten  khrcb* 
lieben  Ereignisse  und  zwar  yorzugltoh' durch  den  Her* 
niiesiscben  Streit  zu  der  Einsicht  gekommen  ^  sein, 
ilals  sich  sein  theologisch  •  philosophisches  System  mit 
dem  römischen  Kathollcbmus  im  Widerspruch  befinde, 
und  dafs  dieser  in  geistigen  Dingen  sich  eine  Macht 
anmafse,  welche  ihm-  nicht  zukomme.  '  Frliher  hat  er 
zwar  Bcbou  Grundsätze  ausgesprochen,   welche  eben  so 


*)  Hermes,  Eiiileitong  in  die  christkatholische  Tbeologie  S.  XIV  jT. 


I 


879 

sehr  Biß  die  Von  Hermes  den  Lehren  des 
Katholicismus  widersprechen,  allein  .  gegen  denselben 
sich  doch  nicht  öffentlich  erheben.  Offen  hat  er  schon 
in  seinen  früheren  Schriften  die  Noth^endigkeit  /einer 
begreifenden  Einsicht  der  gegebenen  Offenbarung  be^i^ 
hauplet,  von  welcher  alle  seligmachende  Gotteserkeünt* 
nift  der  vernünftigen  Creator  ausgehen  müsse  j  dennyer« 
mittelst  seines  lebendigen  und  organischen  Zusammen« 
hange  mit  Gott  werae  der  Mensch  erst  fret  und  wahr- 
haft fiber  alle-  irdisclie  Naturgewalt  erhoben.  Aber 
wenn  aus  dem  begriffnen  Glauben  ein  absolutes  und 
darum  seliges  und  seligmachendes  Wissen  ^hervorgehe^ 
ad  doch  nicht  aus  einem  ^xwungenen  Glauben;  denn 
unfreiwillig  glaube  Keiner,  eben  iso  wenig  als  Jemand 
ge^en  sein  eignes  unfreiwilliges  Wissen  glauben  kon* 
ne.  *)  Mögen  solphe  Grundsätze  auch  in  ihrer  Schärfe 
nicht  durchgeführt^  sondern  in.  der  weiteren  Durchfüh« 
rung  seines  Systems  vielmehr  modificirt  werden  und 
sich  in  einem  gewissisn  Grade  der  katholischen  Kirche 
anschliefsen,  so  bleibt  doch  immer  dabei-  fest  stehen* 
dafs  das  Frineip  Dee^en^  welcher  sie  aufstellt,  nicht 
ein  römbch-katholisches,  sondern  vielmehr  ein  prote* 
stantlsches  ist^  und  zwar  in  einem  noch  höheren  Grade 
als  das  Princip  von  Hermes  9  welcher  viel  weniger 
lUhlte^  dafs  er  mit  seiner  Kirche  nicht  übereinstimmte, 
vielmehr  durch  seinen  naiven  Glauben  mit  ihr  zusam- 
menhing. Die  römische'  Ciiric  verfahrt  also  durchaus 
ineonsequent,  wenn  sie  gegen  theologische  Richtungen 
wi^  die.  von  Hermes  einschreitet,  dagegen  die  von  Baa- 
der, welcher  selbst  auf  ^as  lebhafteste  den  Wider- 
spruch, in  welehem  er  zu  ihr  steht,  fühlt,  ruhig  sich 
fortentwickeln  läfst;  -IndeFs  wenn  auch  die  römische 
Curie  sich  noch  Glicht  wider  Baader  erhoben  hat,  so 
hfit  er  sich  doch  mder  sie  erhoben.  Im  vorigen  Jahre 
hat  er,  der  Katholik,  bekanntlich  in  einer  protestanti- 
sch^n  Zeitschrift,  in  der  y^EvangeiiscAen  Kirehenxeu 
tung''  (Julibeft  1838),  in  dem  Aufsätze:  „Ueber  die 
Trennbarkeit  oder  Untrennbarkeit  des  Papstthums  oder 
Primats   vom  Katholicism'*  die  Autorität  des  Papstes 

*)  V^l.  Franz  t.  Baader  VorlesQDgen  Über  die  relig.  Fliiloso- 
pliic  I.  f.  29.  30.  5X 


Baader^  Emanzipation  de$  KatMiei$$m*e. 


und  der  Tradition  angegriffen,  und  durch  SteUea  ssi 
den- berübintesten  K^ircbenyätemV  in  welchen  derPii. 
mat  für  eine  Anmafsung,  ja  fär  ketzerisch  erklärt  ^ri, 
seine  Behauptungen  erhärtet,  -  Was  er  hier  gegeo  im 
Unfehlbarkeit  des  Papstes  Mgt,  wird  die  römische  Cn. 
rie  nicht  widerlegen ;  denn  in  diesem  Falle  mörsts  tie, 
wie  er  sagt,  eine  Papifipatio  Cliristf  nachweisen,  w» 
zu  versuchen,  sie  doch  wohl  schwerlich  den  Muth  oder 
vielmehr  die  Unbesonnenheit  haben  wird. 

Nach  solchen  vorausgegangenen  Erörtemngengliak- 
te  Ref.  sich  von  vorliegender  Schrift  viel  verspredies 
zu  dürfen.  Er  ist  zwar,  was  dieselbe  im  Ganzen  U 
trifft,  getäuscht  worden;  doch  hat  er.  darin  einsehe 
Aeufserungen  gefunden,  welche,  als  von  einem  boek 
gebildeten  Katholiken  herrührend  j  in  gegenwfinipi 
Zeit,  wo  die  röniische  Hierarchie  alle  innere  wiiseSi 
schaftliche  Entwickelung  der  katholischen  Kürche  nril 
Gewalt  hemmen  will,  höchst  beacbtenswerth  sind,  wd 
daraus  erkannt  wird,  in  welchem  Gegensatz  zu  R« 
sich  die  wissenschaftlich  strebenden  KathoUkea  be^ 
finden. 

Gleich  im  Anfange,  der  Schrift  deutet  Baader  «i, 
-d^fs  eine  Emancipation  des  Katholicismus  von  der  rl- 
mischen  Hierarchie  nöthig  sei.  Hier  heifst  es:  Der 
Mensch  weise  beim  Erwerbe  ^es  Wissens  von  gittli« 
chen  Dingen  jeden  von  anderen  ^Menschen  ihm  avfgl» 
legten  Zwang  als  einen  Gewissenszwang  surüclc,  sad 
wer  sich  eines  solchen  Wissens-  oder  6ewissensswaB|i 
schuldig  mache,  i^be  eine  Wissens  -  und  Gewiseemo* 
genheit  aus,  welche  noch  schlimmer  als  dieblo&elicik 
'eigenheit.  sei.  Dafs  eiii  solcher  Zwang  in  der  römisdM 
Kirche  ^eübt  werde,  sei  die  Hauptursaehe  dte  Verfall 
des  religiösen  Wissens  und  der  religiösen  Gesmnufi 
Weil  nach  einem  ewigen  Natur-  und  Södelatsgesei» 
nur  der  Befreiende  frei  wird  und  ist,  so  wie  der  Bis*  j 
dende  gebunden  und  unfrei,  so  könne  der  Yerf»  ih 
deutscher  Katholik  den  Wunsch  nicht  bergen,  hk 
Rom  durch  Freigebung  des  zwischen  ihm  und  demPit* 
testantismus  in  der  Presse  (als  ecelesia  pressa)  leiei* 
den  Katholicismus,  .vorerst  in  Bezug  auf  Religio] 
senschaft  qder  Theologie^  sich  selber  befireien  m«ge* 


(Die  Fortsetzong;  folgt) 


J  a  h  r  b  ti  eher 


f**  ■ 
u  r 


wissenschaftliche'  K  r  i  t  i  k 


Juni  1840. 


Ueber  die  ThunUcAkett  oder  Nichtthunlichkeit  ei* 
ner  Emancipatian  des  Katholicismus  fron  der 
römüchen  Dietatur  in  Bezug  auf-  Beligions- 
icissemchqft  Aus  einem  Schreiben  an  S.  Durch-^' 
taucht  Fürst  Elim  v.  Mestchershj/j  von  Franz 
Baader*^ 

(Fortoetsmig.) 

Alf  Gegner  der  Emancipation  des  Katholiciemus  vom 
"jRomanismue  oder  der  rqiiiiBch<«hierarchuchen  Dietatur 
in  Deuleehbnd  werden  dann  angegeben :  1)  die  romi- 
•sehe  Hierarchie  selber,  2)  ein  grober  Theil  des  hohen 
und  niederen  katholisehen  Klerus,  welcher  theils.aus 
Interesse,  theilsaiu  Noth,  theils  aus  Unverstand,  theils 
endlich  aus  habitueller  Neigung  am  scientivischeh  "Ser- 
Vflumus  hange^  3)  ein  Theil  der  Protestanten^  welche 
nicht  die  Emancipation  der  Katholiken,  sondern  deren 
Uebertritt  zu  ibnen  wollen,  4)  ein  Theil  der  weltlichen, 

» 

biertn  nicht  recht  berichteten  Regierungen,  welche  noch 
immer  im  Romanismus  das  Original  des  Monarchthums 
zu  sehen  meinen  und  dereiv  Rathgeber  etwa  mit  Me- 
phistopheles  in  Goethe's  Faust  denken:  "duckt  der 
Mensch  da  (im  religiösen  Wissen  und  Thun),  so  duckt 
er  auch  anderswo. 

Die  Angabe  dieser  verschiedenen  Gegner  der  Eman- 
eipation  des  Katholicismus  ist  richtig.  Die  römische  Hie- 
rarchie kann  ihrem  Principe  nach  nicht  anders  als  gegen 

> die  Emancipation  des  deutschen  Katholicismus  sein;  denn 
sobald  dieser  selbstständig  wird^  ist  der  Primat  des  römi- 
sehen  Stuhls  gefährdet«  und  es  muFs  dann  nothwendig 
jdie  sich  nunmehr  in  der  katliolischen  Klrclie  frei  ent- 
'wickelnde  Wissenschaft  Sehr  bald  «u  Resultaten  kom« 
men,  welche  die  in  der  katholischen  Kirche  selbst  schon 

'nicht  mehr  recht  anerkannte  päpstliche  Untrüglichkeit 
Tollends  zu  nichte  machen  würden*     Ebenso  aber  'Wie 

'   Rom  selbst  durch  seine  unbedingte  Autorität  die  g^nze 
katholische  Kirche  su  Veherrschen  strebt,  so  der  gröfste 
,  Jahrh.  /.  trifiefifcA.  Kri^.  J.  1840.  I.  Bd. 


Theü  des  Klerus  die  Gemeinden,  und  eben  darum  hält 

* 

dieser  so  sehr  an  der  Hierarchie  fest.  Die  BildMng, 
welche  derselbe  meist  in  den  Priesterseminarien  *—  rolU 
ständige  Universitäten,  auf  welchen  sich  der  Geist  freier 
entwickelt,  sind  Rom  stets  ein  Greuel  gewesen  —  er» 

« hält,  geht  niiht  darauf  hin,  dafs  der  Geist  sich  in  sei- 
ner Yemunftigkeit  entwickele  und  hierdurch  dann  eur 

,  freien  Anerkennung  dessen  komm^,  was  im  Christen- 
thume  ala  die  absolute  Wahrheit  vorliegt,  sondern  es 
wird  vielmehr  durch  sie  bezweckt,  die 'Berechtigung 
des  subjectiven  Geistes  durch  die  unbedingte  Unterwer- 
fung unter  ein  todtßs  tfbject  su  zernichten,  welches 
der  Katholieismus  dadurch  geworden  ist^  dafs  er  die 
üu/sere    verwehlichte  Form  der  Kirche  für  der^ 

.  Wesen  genommen  und  ihr  einen  göttlichen  Ursprung 
zugeschrieben  hat.  Der  unbedingte  Gehorsam  gegen 
die  Satzungen,  zu  welchem  der  Klerus  schon  bei  sei^ 
ner  Bildung  gezwungen  wird,  mufs  in  ihni  eineii  Me» 
ohanismus  des  Handelns  erzeugen,  wobei  alle  geistige 
EntWickelung  aufhdrt,  und  wobei  dann  zugleich,  was 
das  Verderblichste  bt, '  der  Wahn  entsteht,  als  sei  mit 
dieser  mechanischen  Erfüllung  der,  Kircheagebote,  •  mit 
diesem  blofsen  Nachkommen  der  äulseren  Form,  Wobei 
es  dann  zu  .keiner  inneren  Heiligung  durch  den  Geist 

-'im  lebendigen  rechtfertigenden  Glauben  kommt,  schon 
^eniig  gethan.  Ref.  hat  längere  Zeit  unter  Katholiken 
gelebt  und  u^ter  dem  Klerus  allerdings  sehr  rühmliche 
Ausnahmen  in  Betrefit  dessen  gefundeh,  was  er  so  ebeji 
aussprach«  Hierbei  ist  aber  zu  bemerken,  dafs  Alle,^ 
welche  Ref.  hier  vom  katholischen  Klerus  aiisnimmt  und 
welche  geistig  erregend  und  belebend  auf  ihre  ganze 
Umgebung  einwirkten  und^  besonders  in  ihren  Gemein* 
den  Segen  stifteten,  dieses  nur  in  Folgp  der  lebendige- 
ren Auffassung  der  Dogmen  ihrer  Kirche  thaten^  wel* 
che  sie  durch  die  von  der  Philosophie  bewirkte  freie- 
re Behandlung  der  Theologie  erhalten  hattep.  R'ef. 
erinnert  sich  noch  lebhaft;  welchen  Unwillen  Jn  seiner 

111 


883 


Baader j  Emaneip&iUn  dei  KaiAoUeiismu^ 


m 


Geburtsgegiend  (dem  Funtenthume  Osnabrück)  die  Ver* 
dammung  der  Scbiiften  von  Hermes  vor  einigen  Jahren 
erregte,  wie  man  durcbatia  beliauptetei  der  Papst  sei 
üb^  beriditet,  nnd  wie  sehr  man  hoffte«  dafs  durch  die 
Schritte^  welche  von  Seiten  einiger  katholischen  Gelehr« 
ten  gecliahenf  das  Verbot  zurückgenommen  werden 
mochte,  was  Ref,  indePs  von  vorn  herein  bezweifelte. 
}üieib  leider!  hat  er  dabei  auch  bemerkt,  dafs  auf  das 
Volk  im  Ganzen  diese  bessere  Richtung  geringen,  we- 
nigstens fceimai  nachlmhigen,  Einflufs  geCibt  hat,  son- 
dem  dafs  dieses  vielmehr  fast  überall  im  Aeufserlichen 
ateeken  gei>Beben  ist,  w^,  wenn  auch  einzelne  Geist- 
liche dasselbe  aus  den*  lufserliefaen  s.  g.  guten  W,erken 
heraue-  und  zu;n  lebendigen  Glauben  zurückzuführen 
bestrebt  sein  mögen,  diese  Einwirkung  nicht  ven  lan- 
ger Dauer  sein  kaan^  weil  deren  Nachfolger  wieder  den 
idten  Weg  Verfolgen. 

Wenn  Baader  sagt,^  dafs  ein  Theil  der  Protestan- 
ten, selbst  gegen  die  Emancipatioo  des  Katholicismus 
vom  Romanismus  sei)  weil  sie  den  Uebertritt  derselben 
wollen^  so  hat  er  darin  allerdings  Recht ;  allein  es  ist 
dabei  ^u  bemerken,  dafs  dieser  Theil  gerade  d<er  ist, 
welcher  am  wenigsten  von  den  Griindprincipten  der 
evangelischen  Kirche  durchdrungen  ist  und  eben  darum 
auch  nicht  deren  Kern  bildet.  Den  nicht  weiter  vorbe- 
reiteten  Uebertritt  der  Katholiken  zur  evangelischen 
Kirche  können  nur  diejenigen  Protestanten  wünschen^ 
welche  aus  Indifferentismus  sowohl  über  ihre  eignen 
Grundlehren  hinwegsehen^  als  auch  den  Katholiken 
zumuthen,  diefs  zu  thun.  Ein  Uebertritt,  wie  sie  ihn 
wünschen,  .würde  nur  aus  Indifferentismus  geschehen 
können,  und  einen  solchen  mufs  der  wahre  Protestant 
desavouireni  Beiden  Kirchen  wird  hierdurch  nichts  ge- 
holfen $  die  Principien  nähern  sich  um  nichts.  Die  Ka- 
tholiken legen  allerdings  grofsen  Wertb  darauf,  wie 
pü/e  sich  zu  ihrer  Kirche  bekennen,  ohne  dabei  auf 
die  ^rkenntnifs  zu  sehen;  allein  es  steht  zu  befaaup- 
'ten,  dafs  es  viel  besser  nm  die  katholische  Kirche  ste- 
hen würde,  wenn  sie,  so  viie  von  allen  Aufsendingen,^ 
auch  von  diesem  blofs  äufseren  Bekehren  zurückgekom- 
men wäre,  und  sieh  statt  dessen  von  ihrer  Werkhei« 
ligkeit  zum  lebendigen,  allein  rechtfertigenden  Glauben 
bekehrt  htttte.  Dem  Protestanten  soll  aber  an  dem 
Aoben  B^kenntnifs  nichts  liegen  |  und  defsbalb  kann 
er  nicht  sowohl  einen  Uebertritt  der  Katholiken  zu 
aeiner. Kirche  wünschen,  als  vielmefar  eine   allmälige 


Annäherung ;  denn  Idle  £rkenntnifs  wurd  nur  aOnlKg 
bewirkt.  Bef;  hat  sich  darum  auf  das  innigste  öka 
die  Bestrebungen  vieler  der  namhaftesten  katholisdwn 
Gelehrten  gefreut,  welche  sich  bemüht  haben,  tersA- 
telst  der  Philesophie  den  olgectiv  gegebenen  Lehrsato« 
der  katholischen  Kirche  das  germanische  sabjective 
Princip  einzubilden  und  hierdurch  den  Katholieismu 
aus  seiner  Starrheit  herauszureifsen, ;  welche  ihm  M 
äufserlichem  Fortbestehen  nur  .den  innem  Tod  bringoi 
kann.  Geht  Rom  auf  diese  Bewegung  nicht*  etn,  n 
bricht  es  dadurch  nur  der  Annäherung  des  Katholkih 
mus  an  den  Protestantismus  um  so  schndler  Bak; 
denn  die- nach  Wahrheit  ringenden  Katholiken  weriai 
dann  um  so  eher  erkennen,  dafs^  diese  von  ihm  mit 
niedergehalten  wird,  und  sich  deshalb  allen  deneo  au 
einer  anderen  Kirche  ansebliefsen,  welche  einen  gki- 
chen  Kampf  kämpfen  und  bei  welchen  nichts  wie  ia 
Rom^  ein  geistiger  Tod  iit,  sondern  sieh  dn  gdatig«) 
sieh  immer  von  neuem  regendes  Leben  zu  erkomi 
giebt.  Ein  geistiges  Yerkonaiensein  des  KathoUeiMiii 
gesteht  übrigens  seihst  MiAler  ein,  Jener  früh  dafais» 
geschiedene  Vertheidiger  des  katbelischen  Dogma,  asf 
den  siieh  die  strengsten  ulträmontanen  fCathoUken  be» 
fen;  er  zielt  zwar  hierbei  eigendieh  auf  den  frül«i«i 
Katholieismus  hin:  indefs  sind  die  Prineipien  des  la- 
tholicismus  und  der  innere  Zustand  deradbe  gebfiaki^ 
nirgends  ist  in  der  neuesten  Zeit  von  Seiten  Rf^am  ean 
Reformation,  welche  auf  das  innere  Leben  fiaBflob  gi> 
übt  häti^,  eingetreten^  und  de^alb  mufs  mai^  gick 
man  das  frühere  Verkommensein  'des  Katheiicivü  i% 
auch  das  gegenwärtige  anerkennen.  Mdlüer  irt  aüir* 
dings  innerlich  über  diesen,  gegenwärtig  sich  deaaadi 
als  die  wahre  Kirche  breit  machenden  KathoMdsaim 
binaussekommen,  und  eben  deshalb  entwirft  er  in  sei- 
ner Symbolik  im  Gegensatz  desselben  von  einem  idca* 
len,  sein  1Y^^>^  geistig  durchdringenden,  z,wär  iauair 
noch  werkheiligen  und  semipelagiaaischen^  aber  Üfk 
schon  auf  einer  höheren  Stufe  stehenden  KatholidiMi 
mit  glänzenden  Zügen  ein  schönes,  wenn  auch  aicliK 
ganz  wahres  Bild,  welches  aber  doch  mancher  Vf^, 
Stent,  ungeachtet  der  nnr  häufig  ungerechten  Pefcni 
gegen  seine  Symbole,  gewifs  gern  angeschaut  hat,  wd 
sieh  darin  das  Streben  nach  einer  Regenerafioo  te 
Katholicismus  offenbart,  wdohe  gegenwärtig  durdmai 
an  der  Zpit  ist,  aber  nicht  vofibraclit  w^en  kaoa^ 
wenn  ni^ht  das  germanische  Princ^  der  freJen  Subjc» 


Batuhr j  Mmanetjpmti 

tivilie  ionBiiiiJb  der  kadioffiiehm  Kirciie  zur  Enlwifc- 
kehmg  kommt.    Wird  dieaes  Prineip  aber  avsgeechlcMiK 
een^  so  \mX  alle«  .freie  wisteBscfaafüiehe  Fersehen  ge- 
Hammt    Die  römisehe  Hierarobie  will  noch  fertwäb- 
rend  der  Kirche   den  Glauben  aufdrängen,   dafe  eine 
fertdauemde  Inspiration  der  Häupter  der   Kirehe   sn 
deren  Erhaltung  nSthig  sei,  und  eben  deshalb  will  sie 
den    Kampf  mit    der   daran  sweifelnden  Subjeotivität 
nieht^  wagen,  sondern  weist  sie  von  Tom  hereih  ab ; 
aUein  hierin  giebt  sich  gerade  kund,  dals  sie  sich  fälsch- 
lich  f&r  die  wahre   christliche   Kirche  ausgiebt;   denn 
diese,  welche  die  Pforten  der  Halle  nicht  überwältigen 
werden,  darf  den  Kampf  mit  keiner  Gewalt  scheuen. 
Zugegeben,  dafs  die  irregeleitete  Subjeetivität,  die  Grund*- 
pfeiler  des  christlichen  Qlaubens  untergrabend,  schlei* 
eilendes  Gift  innerhalb  der  Gemeinde  verbreiten  könne, 
an  darf  dieselbe  darum  doch  nicht  unterdrückt  werden: 
denn   da  dem  ^Glauben  die  Macht  gegeben  kt  über  alle 
Ctewait  der  Welt,    so  wird  derselbe  stets  Sieger  im 
Kampfe  bieiben,  und  in  einem  solcheli  nur  stets  inniger 
«nd  tiefer  durchdrungen  werden.    Wird  der  Kampf, 
yn^  in  der  katholischen  Kirche,   vermieden,   so  mufs, 
weil  keine  Weiterentwiekelung  Stattfindet,  eine  Yer- 
tknnpfung  eintreten, '  wie  wir  sie  gegenwärtig  in  aÜen 
iwmanisehen  Ländern  Europa's,  wo  der  KathoUeismus 
keine  belebenden  Elemente  aufgenommen  hat,  vor  Au* 
gen  sehen»    Nur  in  Deutschland  bt  der  Katholicismui 
dadurch  in  eineni  gewissen  Grade  lebendig  geblieben, 
dafs  er  die  Subjectivität  nicht  ganz  von  sich  jiusge 
mdtlossen,  sondern  durch  deren  Yermittelung  vielmehr 
dRe  dureh  die  unbedingte  Autorität  der  Häupter  festge* 
mtelhen  Satzungen,  welche  als  solche  nur  mechanisch 
geglaubt  werden,  fn  Flufs  zu  erhalten  gesucht  bat,  in« 
«lern  er  ihren  inneren  Zusammenhang  nachwies,  wobei 
^ann   aber  das  Unwesentliehe  in  sich'  zusammenfallen 
asrabte.    In  diesen  ^Bestrebungen  kommt  der  Theih  der 
IsatfaoIisoheQ  G'debrten,    welcher  sieh  der  Philosophie 
nicht  verschUeist,  allen  den  Protestanten  entgegen,  wel- 
c^he  dafQr  halten,  dafs  es  gegenwärtig  an  der  Zeit  sei, 
dafi  der   Gedanke,  diese  Offenbarung  des  Göttlichen 
MS  Mensehmi,  auf  die  Offenbarung  auf 9er  ihm,   d.  fa. 
göttliehett  Worte,  Zurückgehen  und  beide  vermitteln 
Ber-Hauptuttterschied  hierbei  würde  dann  sein, 
dafs  der  Katholik,   ohne  in  sich  eigentlich  den  Zweifel, 
das  negative  Moment,  überwunden  ^u  haben,  von  der 
^Voraussetzung  der  Wahrheit  des  Geglaubten,  -ausgebt 


im^  d€9  Kmikolieümm$\ 


fifiiS 


te  X 


und  cHese  eben  durch  die  Aufnahme  des  subjeetiven. 
Elementi  als  solche  zu  erweisen  stirebt, /wogegen  der 
Protestant  ab  solcher  *  gegen  jede  objectiv  gegebene 
Macht,  welche  nicht  vom  freien  Selbstbewu&tseinin 
ihrer  absoluten  Wahrheit  erkannt  J2^,  protestirt,  d.  h. 
nicht  sowohl  von  der  objecUv  gegebenen  Wahrheit, 
als  vielmehr  ¥on  der  freien  Subjeotivität  ausgelit  und 
dann  in  dieselbe  das  ala  ein  Yernünftigerkanntes  auf- 
nimmt^ was  im  Christenthunt  als  die  Wahrheit  nnmits- 
telbar  vorliegt.  Hierbei  wird  nicht,  wie  diefs  beim  Ka- 
tholiken der  Fall  sein  mufs,  der  Zweifel  joAgewiesen, 
sondern  überwunden,  wodurch  die  Wahrheit  erst  eine 
wiriclich  gemste  .wird  und  als  solche  den  Geist  wahr- 
haft durchleuchten  kann.  Durch  diese  vernünftige'  Efw 
kenntnifs  ist  das  Object  des  christlidien  (Rauhens  für 
den  Geist  aus  dem  abstracten  Jenseits  herausgerissen 
und  ihm  wahrhaft  präsent  geworden^  wogegen  demKa- 
thoUdsmus  das-  Object  des  Glaubens  ein  stets  im  ab- 
stracten Jenseits  Beharreodes  bleiben  mufs,  wdl  die 
Yermittelung  im  freien  Selbstbewufstsein  des  Su^jects 
fehlen  soll.  — ^  Dieses  haben  mit  Baader  alle  philoso*» 
phirenden  Katholiken  erkannt,  und  eben  darum  wollen 
sie  den  Katholicismus  von  der  römischen  Dictatur  emauk» 
cipiren.  Wir  Protestanten  koaneii.  über  solche  Bestre* 
bungen  uns  nur  freuen;  denn  es  wird  durch  dieselben 
klar,  dafs  der  deutsdie  Katholidsmus  kdneswegs  dn 
solcher  ist,  welcher  sieh  in  sich  verschliefst  und  da>^ 
durch  Tcrkönmit,  sondern  dafs  er  von  protestantischen 
Elementen  inlluirt  wird.  Wir  glauben,  dafs  für  die 
gegenwärtige  Zeit  durchaus  nicht  zu  wünschen  ist,  daA 
dieser  Theil  der  Katholiken,  welcher  uns  dem  Prineip 
und  der  Gesinnung  nach  so  nahe  fteht,  zu  uns  ftber- 
treten  möge,  sondern  nur,  dafs  er  hrnm-halb  derkatho* 
lisehen  KirChe  dieselbe  refonnire  und  sie  In  ihren  Prin- 
dpien  uuf  den  urspriingitehen  ^ustand  der  ^sten  Jahr- 
hunderte zurückführe,  wodurch  von  selbst  eine  Ani|ä- 
lierung  zum  Protesfantismiis  gegeben  ist.  Diese  An- 
nälierung  wird  dann  um  so  mehr  Statt  finden,  *wehn 
auch  der  Protestantismus  sdnerseits  sieh  immer  mehr 
regerirt  und  alle  materialistischen  und  atbeistiscben 
Schlacken  vermittelst  des  auch  die  Tiefen  der  Gott- 
hdt  erkennenden  Gedaokens  ansstöfst  und  Uedureh 
den  Glauben  zur  Gewirsbeit  sdner  selbst  macht. 

Was  die  vierte  Partd,  «welche  der  Emandpaden 
des  Katholidsmus  entgegen  ist,  nämlich  manche  wdtli- 
ehe  Regierungen,  die  im  Romanismus  eine  Stutze  der 


887 


B€iader^  Emaneipation  de9  KaiAolicismui. 


m 


Moharchie  m  sehen  meinen,  betrifft,  80  hebt  Baader 
riehtig  herror,  dab  dieses  nichts  anderes  als  Irrthum 
«et.  Er  sagt,  dafs  im  Gegentbeil  für  die  Monarchie 
Gefalir  entstehe^  \¥enn  der  Klerus,  sich  selbst  zum  Mo- 
•narchen  erbebend,  die  Monarchie  entweder  in  Schach 
.ehalte  oder  von  sich  abhängig  mache.  Wilr  bemerken 
hierbei  noch,  dafi  derselbe  nur  solange  sich  mit  der 
•Monarchie  verbindet^  als  er  durch  dieselbe  seine  Zwecke 
SU  erreichen  glaubt,  im  umgekehrten  Falle  aber  Revo- 
lution predigt  Ton  den  Yorfällen  der  Gegenwart,  be-^ 
sonders  in  Belgien  und  Irland,  wollen  wir  hier  schwei- 
gen, da  allein  die  Erinnerung  hinreicht,  dafs  bereits  im 
•16.  Jahrhundert  die  von  Jesuiten  geleitete  romische  Hie- 
rarchie en  gewesen  ist,  Welche  bestritt,  dafs  die  fürstli- 
che Gewalt  auf  göttlichem  Rechte  beruhe,  und  behaup- 


men,  wenn  der  deutsche  Katholicismus  sich  frei  ent- 
wickeln, oder  die  Religionswissenschaft,  wie  Baader 
will,  der  völligen  Befreiung  und  Yerselbstständigung 
von  und  gegen  jede  ausländische  Dictatur  entgegeoge- 
fuhrt  werden  soll.  Wir  Protestanten  haben  im  Gän- 
sen zwar  schon  imkner  diese  Ueberzeugung  gehabt; 
doch  mufs  eB  gegenwärtig  als  ein  bedeutendes  Zeichen 
der  Zelt  angesehen  werden,  wenn  sich  die^li>e  jetzt 
auch  solchen  reich  gebildeten,  wahrhaft  Crbnunen  und 
wissenschaftlich  strebsamen  Männern  wie  Baader  ant 
-drängt. 

'\Venn  B.  anfuhrt,  dafs  der  Deutsche  vermöge  sei- 
ner Natur  zum  oorporativen  Element  geneigt  sei,  vai 
dafs,  da  Wissenschaft  und  Kunst  eigentlich  nur  is 
freien  Ländern  gedeihen  und  somit  kein  Regiert-  «4 


•tete,   dafs   diese  vom  Yolke  herzuleiten  sei,   um  ebeu  '  Gezwungenwerden  vertragen,   in  Bezug  auf  diese  dit 


durch  diese  Theorie  in  England  und  Frankreich  das 
Tolk  gegen  die  derBeformation  zugeneigten  Fürsten  in 
Aufruhr  zu  bringen.  Die  Theorie  von  der  Yolkssou« 
Tcrainität  wurde  dann  mit  den  Lehren  von  der  päpstli- 
chen  Allgewalt  zu  einem  Systeme  versdimolzen ,  um 
dann  endlich  dieser  die  alleinige  Herrschaft  zu  verschaf- 
^.  fen.  Tel.  Ranke,  die  römischen  Päpste  im  16.  u.  ,17. 
Jahrb.  Bd.  2.  S.  11^  ff. 

Wegen  dieser  vier  widerstreitenden  Parteien  meint' 
Baader  seien  die  Aspecton  für  eine  Emancipation  des 
Katholicismus  vom  Romanismus  nicht  günstig,  was  in- 
defs  wohl  nicht  ganz  in  d^m  Grade  sich  so  verhalten 
möchte,  wie  er  es  sich  vorstellt,  da  er  immer  zu  sehr 
auf  die-  Ultras  bei  den  verschiedenen  Parteien  blickt. 
Die  Collier  Hähdel,  meint  er  jedoch,  hätten  diesem 
allen  entgegen  ejme  so  markirte  Bewegung  unter  dem 
katholischen  Klerus  wie  unter  den  Laien  erweckt  und 
vorzüglich  sei  die  Vitalfrage  von  der  Stellung  der  Re- 
ligionswissenschfift  in  Deutschland  zur  romischen  Dicta- 
^  lur  bei  dem  Hermeaischen  Streit  so  eindringlich  zur 
Sprache  gekommen,  dafs  eine  abermalige  Reprimirung 
dieser  Bewegung,  dieselbe  möge  herkommen,  woher 
sie  wolle,  weder  zu  hoffen,  noch  zu  fürchten,  sondern 
im  Gegentbeil  zu  gewarten  sei,  dq/i^  /aus  man  in 
Rom  »f#>  den  alten  und  veralterten  Waffen  einer 
Exeommunieation  der  deutschen  Intelligen»  greife^ 
die  Deutschen  ihrerseits  nicht  ermangeln  würden^ 
die  Römer  von  dieser  ihrer  Intelligen»  »ü  exöofn" 
psuniciret^.  ^    Ond  in  der  That  hierzu  mufs  es  kom- 

(Der  Beschlafi  folgt) 


ursprünglich  bessere  Natur  desselben  zwar  wohl  auf  et 
nige'Zeit  unterdrückt,  aber  nicht  erdrückt  werden  könne: 
so  ist  dieses  allerdings  richtig,  allein  damit  noch  nicht 
erklärt,  warum  die  Natur  des  Deutschen  diese  Richtung 
habe.  Der  Grund  ist,  dafs  den  Deu.tschen  das  Prin^ 
der  freien  Subjectivität  durchdringt,  nach  welchem  im 
Geist  in  seiner  Entwickelung  sich  keine  Schranken  std- 
len  lassen  kann,  und  dieses  ist  der  Punkt,  welcher  Te^ 
;Kugsweise  ins  Auge  zu  ■  fassen  ist,  wenn  die  N&thwcs- 
digkeit  einer  Emancipation  des  deutschen  Katholieisms 
von  der  römischen  Dictatur  dargethan  werden  aolL 
Wenn  B.  das  Yerkommeiisein  des  Katholicismus  am 
der  Trennung  der  Theologie  yon  der  Naturwissenschal 
deducirt  und  anfuhrt,  dafs  aus  der  falschen  Auffassua^ 
als  sei  die  Natur  an  sich  böse,  auch  eine  falsclie  Aski 
'hervorgegangen  sei, ,  nach  welcher  der  Mensph  sei 
Leib  als  der  Natur  angehörend  für  an  sich  böse 
ten,  ihm  daher  die  gebührliche  Nothdurft  «ntsog^i  nad 
auf  alle  Weise  zu  mortificiren  getrachtet  habe:  so  c^ 
kennen  auch  wir  diefs  zum  Theil  an  und  sind 
falls  der  Meinung,  dafs  diese  Auffassung  auf 
lung  des  Klerus  und  der  Laien  Einfiufs  geübt  habe^ 
sofern  jener  als  durch  die  Ordination  geheiligt  und 
der  Natur  unterworfen  angesehen  wurde,  so  ^^^ 
in  dieser  Divinität  zustand,  die  Laien  als  der  Naiv 
unterworfen  auch  in  Unterwürfigkeit^  zu  haken» 
wie  der  Bischof  Zeno  von  Verona  um  360  sagte^ 
Füfsen  zu  treten  seien. 


Jlf  112. 

J  a  h  r  b  fi  c  h 


e  r 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


Juni  1840« 


Vehw  die  Tkmnlickheit  oder  Nicktthmdichkeit 
eü§er  Emmneip^tiam  de9  Katkolicümm  twn  d^r 
romhchen  Dictatur  in  Bezug  auf  Meligions" 
ms$en$chaft.  Aus  einem  Schreien  an  8.  Durch- 
taucht  Fürst  Elitn  r«  Mestchershf,  ton  Franz 
Baader. 

(Schkift.) 

.  Dach  jBiasea  mrk  es  Ar  eine  Eioteitigkek  aase- 
Jben,  wenn  die  £fliaiicsipatiati  der  dentocheB  Theologie 
ailem  durch  ihre  engere  wieeenschaftlicbe  VerUadiiag 
jDtt  PhycUc  und  Physiologie  bewirict  werden  solL  UVir 
•Sbei^eiten  daher  den  in  seinen  Hanptmenienten  ent- 
ideellen  BDogeniscIiMi  Proeefs,  ebwnU  davon  irem* 
jelMrt  wird^  dafs  die  Tiieölegen,  IsUs  sie  denselben  in 
«einer  absolulen  ksnumenSf  Insielibeseiilossenfaeit  und 
SelhsUtändiglceit  aneriaumt  JiAtten,  die  wahre  Einsicht 
in  das  CluristentlMMn  gewonnen  haben  würden.  Doch 
Jagen  wir  alatt  dessen  noch  Einiges  Innzu,  woraus  nns 
d&$  EniancipaUon  den  dentselien  KatheUcisflius  von  Aaai 
a^fiolgen  zu  »lissen  schefart. 

Der  Katholieisnuis  ist  in  Beotscliland  ein  fremdes 
Gewtehs;  denn  er  hettmt  die  üreie  Entwidceiung  dee 
'Geistes,  iKtts  dem  Pnndpe  des  deutschen  Geistee  su» 
ippideriftufit,  weleiies  in  seiner  aebfeetiren  Innerlielikeit 
mielils  Skr  ddk  thnn  laasen  will  und  eben  ds^rum  aneh 
iüe  Venöhnnng  mit  (Sott  nicht  durch  ein  von  anfsen 
Ii0r  ihm  auferlegtes  Tbun,  sondern  in  sieh  selbst  sa 
yallbringgn  hat.  Es  ist  darum  ntcbt  zufkllig,  dafs  die 
Refonnation  ^rade  mit  der  Oppnsitien  gegen  den  Ab* 
Jsifii  begann;  denn  durch  diesen  wer  dte  Verpiöhnung, 
dieses  innerlichste  Moment  im  ehsistUdiett  €elaid)en,  wm 
Binem  iulseren  Werk  gemaeht  worden.  Mochte  mm 
auch  der  deutsche  Gebt  sich  noch  nicht  in  seinem  Prin-/ 
cipe  mit  Be.wufstsein  zu  jener  Zeit  entwickelt  haben, 
no  war  er  sich  doch  in  selneir  subjectiven,  tief  innerli^ 

Jükrh. , f.' wiuenicK  Kritik.  /.  1840.   I.  Bd. 


eben  Empflndnng  oder  in  seinem  ganzen  Getnutbjsle^ 
ben  etHM^  und  eben  dershalb  stiers  er  den  Kalholicis* 
mus  Ton  sich,  weil  durch  diesen  die  subjective  Inner- 
lichkeit negirt  wurde,  Hegel  sagt  dershalb :  „Die  reioe 
Innigkeit  der  germanischen  Nation  war  der  eigenillc)ie 
jBoden  Cur  die  Befreiung  «las  Geistes  $  die  romanischen 
Nation^ii  haften  dagegen  den  Grundcbarakter  der'En^ 
aweiung  beU>ehallen:  sie  waren  aus  der  Vermischunf 
4er  r&mischen  und  germanischen  Welt  berrorgeganp 
gen,  behiehen  aber  dieses  Heterogene  immer  noch  in 
aieh."  (Philos.  der  Gesch.  S.  422).  De&ixalb  konnte 
bei  ihnen  diese  totale  Finheit*  des  Empfindens  nicht 
Statt  finden,  wie  bei  den  germanischen,  und  eben  weil 
das  antike  auf  das  AeuberlMBhe  gerichtete  Element 
neeh  bei  ihnen  Geltunig  Jhatte,  war  der  Conflic^  weL> 
eher  mit  der  AeuGserlichkeit  des  üiatholiscben  Cuhsm 
«rintrat,  weniger  grob.  Es  konnte  nun  auffEiUcn«  wat- 
um  trots  der  deutschen  subjectiren  Innerlichkeit  d^ 
Empfindens  dennoch  in  einem  grofsenTheile  von  Deutseh- 
land der  Kntholicismus  vorherrschend  geblielMBn  ist.; 
indefs  erklärt  sich  dieses  leicht,  wenn  wir  uns  sow«ohl 
vergegenwärtigen,  was  hier  äufsere  Gewalt  geihan,  als 
nuoh  berücksichtigen,  wie  viele  romanische  Elemente 
der  Bildung  besonders  der  Süden  in  sich  aufgenom* 
men  Imtt^.  D^aus  jd^er,  dafs  Deutschland  einem  ^ro- 
isan  Theile  nach  damals  sohon  den  Katholicismus  von 
sieh  ataefs«  als  es  sich  da  seiuer  innerlichen  Em* 
ffindung  eins  fUblte^  k5nnen  wir  sehlielsen,  dafs  die- 
ses vöiUg  geschehen  wird,  wenn  sein  Geist  sich  bis  da- 
Jiin  entwickelt  hat,  dab  es  nidit  bLob  cur  Einheit- 
des  Empfindens^  sondern  auch  des  Denkens  gekom- 
men ist,  woau  die  gegenwärtige  speculative  Bewe- 
gung der  .Nation  .hindrängt.  Ute  aber  diese  Entwiche* 
lung  ni^t  eine  plötslidie,  sondern  allmälige  ist,  so 
wird  dem  TitfUgen  Aufgeben  des  katholischen  Prin- 
cips  die  Emaneipation-  des  Katholicismus  von  der  xo* 

112 


iA 


•      \ 


891 


Roichy  über  die  Bedeutung  de$  Blute, 


8» 


mischen  Dictätur  yorangehen;  und  dieses  scheint  auch 
Baader  bei  der  Abfassung  der  vorliegenden  Schrift  ge- 
fühlt zu  haben« 

Georg  Funke. 


LXX. 

lieber  die  Bedeutung  des  Bluts  im  gesunden  und 
kränken  Leben^  und  das  Verhältnifs  des  Ner- 
'  eensy Sterns  zu  demselben*  Oder:  Vertheidi- 
gung  meiner  ^ypathologischen  Untersuchungen** 
gegefi  die  Angriffe  der  Solidar-  und  Nerven- 
pathoiogie.  Von  Dn  Carl  Bosch.  Stuttgard^ 
1839.  Hallberg'sche  Verlagshandlung. 

Diß  Streitfrage  zwischen  dem  Solidism  und  Humo- 
rism  ist  in  der  Pathologie,  mithin  in  der,  der  Praxis 
sugewendeten  Seite  der  Arzneiwissenschaft,  zu  einem 
prineipiellen  herangewachsen.  Es  handelt  sich  nicht 
mehr  um  blofse  Divergenzen,  um  Ansichten,  welche 
man  neben  einander  bestehen  la&sen  könnte  $  um  Ab- 
weichungen inderLehre^  die  man,  ohne  dafs  der  Grund 
der  ganzen  Wissenschaft  erschüttert  würde,  zugeben 
oder  nicht  zugeben  durfte:  wir  streiten  in  gegenwärti- 
ger Frage  um  ein  Princip,  um  eine  Grundansicht,  die 
bis  ah  den  Kern  der  Lehre  reicht,  und  das  Herz  unse- 
rer  Kunst  berührt.  Eine  principielfe  Frage  hat  aber 
eine  durchherrschende,  in  ihrer  gener,ellen  Natur  be- 
gründete, Eigenthümlichkeit,  die  man  wohl  zu  erwägen 
hätte,  bevor  man  sich  mitzusprechen  entschliefst,  die 
jedoch  von  der  Beschränktheit  nie  und  nirgends  gehö- 
rig erwogen  wird,  dafs  sie  nämlich,  wie  Abstractionen 
überall,  ein  mathematisches  Element  in  sich  trägt,  logisch«« 
scharfe  Begriffsbestimmung  erheischt,  und  defshalb  zwi- 
schen den  zwei  strittigen  Puncten  einen  conträren  Ge- 
gensatz begründet.  Hier  ist  nicht  ferner  von  einer  puren 
Negation  die  Rede;  sondern  an  ihre  Stelle  tritt  eine 
exclusive  Contradiction.  Bei  einer  Frage  von  solcher 
Beschaffenheit  kann  defshalb  nicht  mehr  die  Rede  sein 
von  gegenseitiger  Accommodisation ,  von  Friedensver- 
trägen. Sie  hat  dasselbe  ausschliefsende,  sich  gegen- 
seitig vernichtende,  Element,  welches  wir  in  höherer 
Sphäre  in  dem  Vernichtungskriege  zwischen  dem  freien 
Staatsprincipo  und  der'  hierarchischen  Monokratie  zu 
Tage  gehen  -sehen.  Zwischen  diesen  findet,  wie  be- 
kannt, kern  andrer  Frieden  Statt,  als  der  aus  der  Ver^ 


nielitung  eines  der  Gegensätze  entstehende;  hSelistetts 
wird  ein  kurzer  Waffensttlktand,  eine  kurze  ,,Rali# 
des  menschenvertilgedden Kampfes"  errungen;  man  nenne 
es,  ein  Concerdat^  d.  h.  eine  Uebereinkunft,  den  Krieg 
bis  auf  gelegnere  Zeit  ruhen  zu  lassen ;  bis  man  sidi 
Im  Stillen  wieder  recrutirt  hat.  So  geschieht  es  in  der 
Praxis,  die  auf  solchen  Theorieen  beruht  In  unserer 
Praxis,  dagegen,  in  welcher  solehe  Rücksichten  nldit 
vorhanden  sind,  weil  man  nicht  die  Erschöpfung  des 
Kampfes  auf  Tod  und  Leben  zu  erfahren  hat,  muTstt 
daher  der  Kampf  um  das  Prinoip,  ein  Kampf  der  die 
Grundfesten  der  ganzen  Lehre  vom  Leben  unspeumt, 
bis  zum  letzten  Resultate  durchgekämpft  werdAB. 

Es  wäre  demnächst  die  Pflicht  des  Yorstreiteffs, 
der  Frage,  von  der  es  sich  handelt,  ihre  BeFecIitig;uag 
EU  einer  prineipiellen  zuzusichern.  Denn  das  ist  ge- 
wifs  das  Erste,  das  ein  Solidist  gewöhnlichen  Schlages 
fordern  würde,  der  sich  so  tief  herabläfst,  dafs  er  der 
Urflttfsigkeit  des  Thierleibes  einen  gewissen  Antlieil| 
zum  Beispiel :  das  Geschäft  der  Vermitteiung  swischee 
Nervensystem*  und  ....  ich  glaube  beinah,  es  sind  die 
übrigen  Solida,  Eingeweide,  Mniskeln,  Knochen  u«  s.  w«, 
jedoch  unter  dem  ausdrucklichen  Vorbehalte  zu  über» 
lassen  bereit  wäre,  dafs  eine  reciproke  Goncesdon  ni^ 
nur  für  seinen  Klienten,  sondern  ausdrueldioh  der  Ver- 
tritt, wenn  beide  im  Publicum  erscheinen,  und  die  Veir* 
Ortschaft  —  Hegemonie  —  ausbedungen  bleiben'  Was 
kehrt  sich  die  Wissenschaft  an  Formalitäten  eelclisr 
Art!  mag' es  hiemit  ein  für  allemal  zugestanden  scn^ 
dafs,  wenn  die  Rede  von  beiden  ist,  die  Solidaipaihei^ 
gie  im  Spreizdrucke  den  Vortritt  haben  solle.  —  Viel- 
leicht  aber  fragt  diese  Species  von  Pathologen  nickt 
einmal  nach  jenem  Probleme !  Das  Letzte  ist.  niebCgeu 
unmöglich ;  wenigstens  glaublich  ist  es  von  solchen,  die 
sich  einbilden,  dafs  ein  Manu,'  dem  seine  Wissensduft 
eine  heilige  und  unendliche  Angelegenheit  ist,  eine  An» 
gelegenheit  der  innigsten  Zuneigung  und  Vereliniaf^ 
der  er  Jahre  lang  die  besten  Kräfte  seines  Geistes^  db 
Blüthenstunden  seines  höheren  Daseins  geweiliec 
ein  Werk,  die  Frucht  einer  langen  Reihe  von 
blofs  eines  erbärmlichen  Witzes  halber  „einige 
reich  ausgesprochene  Ansichten"  *)  in  die  Weh 
schicken  vermöge.    Der  Kitzel  literarischer  Rahmsesk 


*)  S.  Vorrede  za  Dr.  Hamff^a:  die  S olidarpatkol^git 
Humoralpaihologie.    Stiittgard,  1838.    Halberg'sche  Verlags- 
bandlung. 


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itSMCh^  ü6er  du  Bedeirtung  des  Bluts. 


statt  walurlieh  nicht  an  der  Stirn  meiner  Wissenschaft« 
liehen  Werke  9  defs  bin  ich  mir  bewüfst;  ein  solches 
Verkennen  IM  mir  höchst  schmerzlich,  und  erfüllt  mich 
jnit  solchem  Unwillen,  dafs  ich  mich  nicht  überwinden 
konnte,  den  Streit  gegen  einen  Lobredoer,  viie  Hrn. 
Dr.  Han^y  aufsvnehmen.  Auch  erwartete  ich,  dals 
der  Hr.  Dr.  C  Roseh  es  unmöglich  dabei  bewenden  las- 
sen würde;  eineHofinuog,  welche  der  Hr.  Ao#pA  durch 
die  Torliegende  Streitschrift  so  glftneend  erfüllt  hat.  — 
l^as  konnte  sich  der  Yerf.  der  Humoraipathologie,  nach- 
dem volle  14  Jahre  seit  ihrem  Erscheinen  verflossen 
aind,  von  einem  neuen  Versuche,  die  Fragepuncte  vor 
allem  ins  Reine  bu  bringen,  noch  wohl  versprechen  t 
>Vas  durfte' er  erwarten,  nachdem  er  alle  Jahre  hin- 
durch, zwölf  an  der  Zahl,  bevor  de;r  Hr.  Hauff  sexvke 
aoMde  pathologische  Lanze  einlegte,  bei  jeder  Gelegen-^ 
beit,  in  einigen  besonders  abgedruckten  Journalartikeln, 
wie  in  vielen  hie  und  da  zerstreueten  Aufsätzen ,  das 
Principielle  jener  Frage  dem  gelehrten  Publicum  dar- 
nithun,  sich  bestrebt  hat!  Man  fodre  von  keinem  Autor 
eine  ewige  Rumination;  die  ist  gut  für  jene  „dumpfen 
€reschlechter''  mit  dem  complicirtenDigestionsapparate; 
alcht  für  den  geistig  erregten  Menschen.  Ich  mag  nicht 
mehr  jedem  oberflächlichen  Mitplauderer  Rede  stehn. 
Modo  mthi'plaudateques,  rief  die  römische  Schauspie- 
lerin, ab  die  Gallerie  sie  aussischte.  Ich  will  nur  noch 
all  die  kloge  Maxime  eines  alten  Logikers  nochmals 
erintiem.  Sie  ist :  Un  bon  disputateur  ne  s*obstine  pas, 
^uand  U  remarque,  qu*on  n*a  rien  de  bon  k  lui  rdpon- 
dre,  et  que  näanmoins  on  ne  veut  ddmordre  de  rien,  et 
II  n*entreprends  pas  de  faire  avoueip  ^  «^«  adversaires, 
qu'ils  ont  tort,  il  lui  sufflt,  que  ceux,  qui  sont  pr^senU 
le  connaisseut  {MaHotte,  essais  de  logique,  p.  198). 

Im  Jahre  1837  erschienen  von  Hrn.  Dr.  MöseA  zwei 
Sehriften  im  Geiste  det  Humoraipathologie,  wie  ich  sie 
neit  1826  vorgetragen,  unter  den  Titeln:  Untersuchun- 
gen aus  dem  Gebiete  der  Heilwbsenschaft,  und:  Fri- 
niae  lineae  pathologiae  humorum,  qui  in  corpore  hu- 
nuino  chrculantur,  beide  in  der  BrodAag'^ehen  Verlags. 
Iiandbmg  in  Stuttgard.  —  Das  geschah  ganz  in  der 
Niihe  von  Besigheimj  vielleicht  keine  Poststation,  davon 

entfernt.    Begreiflich  konnte   die  Solidarpathologie  in     

ihrer  Nähe  eine  solche  Arroganz  und  Usurpation  nicht        •)  ^^  Hecken  Annalen  1833,,  T«ovemberheft. 

Iftnger  so  liingehn  lassen.     Mit  meiner  Pathologie  und  ^   ••)  Aus  dem  Magazin  der  aiuliüidL  iiteratoc  der  Heilkande 

mir  selbst  war  das  ein  andres !   Der  Hr.  Hauff  aus  «,  Qeteon  and  Jafiaw. 


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heim  erklärt  sich  darüber  dahin,  dab  er  zwar  die 
Humoraipathologie  Steinheims  mit  grpftem  Interesse 
gelesen,  allein  den  Inhalt  fUr  weiter  nichts  als  eben 

ßir-  geistreich  ausgesprochene  Ansichten  gehalten 
habe.  Auch  habe  er  nicht  bemerkt,  dafs  diese  Schrift 
späterhin  Anklang  gefunden  habe.  Daher  sein  gewal- 
tig grobes  Erstaunen,  als  Hr.  Rösch ^  sein  Nachbar, 
sein  Freund  sogar,  von  dem  er  sich  am  allerwenigsten 
eines  solchen  albernen  Frevels  versehen  haben  mochte, 
auf  einmal .  von  der  Tarantel  der  Bumorfilpathologie 
gestochen,  ihren  Lehren  selbst  eine  weitere  Ausdeh* 
nung  gegeben  habe.  Jetzt  war  es  hohe  Zeit!  die 
Schrift  Rösches  wurde  nicht,  wie  die  meine,  blofs  zum 
Zeitvertreibe,  sondern  wiederholt  und  as^finerksam 
gelesen,  denn —  sie  sollte  widerlegt  werden.  Ja!  mir, 
der  ich  einst  in  dem  Dunkel  einer  bornirten  Vorzeit, 
vor  12  Jahren^  meine  Schrift  dem  Publioum  übergab, 
mir  armen  Schriftsteller  konnte,  in  Betracht  jener  Zei- 
ten, sowas  zu  Gute  gehalten  werden ;  aber  jetzt,  nach- 
dem 12  Jahre  verflossen,  nachdem  wir  eine  herrliche 
Mechanik  des  Seelenorganes^  oder  mindestens  des 
JVervensystemesy  erschwungen  haben,  noch  von  Humo- 
raipathologie zu  reden,  das  ist  Bornirtheit  —  das  sagt 
er  nicht  geradezu,  sondern  giebt  es  in  einer  etwas  gra- 
ciösen  Wendung  zu  verstehn,  denn  Hr.  RBsch  und  Hr. 
Rauff  (Sri  mirs  erlaubt,  den  Meinen  voran  zu  nennen) 
sind  Nachbarn  und  Freunde.  Das  vorangehende  Wet- 
terleuchten des  Hrn.  Roseh  in  zerstreueten  Joumalar- 

'  tikeln  mub  dem  Freunde  nicht  bedenklich  vorgekom- 
men sein,  oder  er  kennt  das  principüi  obsta  in  vulgä- 
rer Bedeutung  nicht  genug;  eben  so  wenig  mögen  ihm 
meine  Nachklänge  zur  Humoraipathologie,  von  denen 
ich  hier  nur  die  Streitschrift  gegen  Stieglit»  *)  und 
die  Darstellung  der  Humorallehre  von  Stevens  Ham- 
burg 1833  nenne  "*%  nicht  anders  getont  haben  (NB. 
wenn  er  ihrer  geachtet!),  als  das .  allmählige  Schwin- 
den eines  bdsen  Ungewitters,  und  sich .  der  solidarpa- 
thologischen  Frbche  in  dem  wissenschafüichen  Dunstr 
kreise,  die  nunmehr  folgen  würde,  schon  im  Yorauis 
gefreut  haben.  Er  hat  sich  nachher  umgethan  —  und 
fand  —  gottlob  —  nirgends  Anklang!  —  Und  doch 


Rttei,  Uer  die  BakiUung  da  MiuiM. 


W&re.  dt»  priMipiii  ^lU  boner  gew«Mii>  wcnlgtteMi 
jlwtfwaL  Besser  w8pb  ••>  gewesen,  er  hätte  amoh  der 
HuiBiordpitbelogie  TOB  1826  sehr  Auftnerksmikeit  ge* 
eeheidrt,  ah  einer  Remanleetöre ;  hätte  besondert  den 
kritisehen^ivten  Theil  nieht  ungelesen  gelassen.  Demi 
ans,  diesem  hätte  ihn  gewilslich  einleuehten  niüsseni 
daük  der  Verf.  nieht  bleb  sunt  Piuselsotant  ftr  die 
Sfeste  gedacht  und  gesehrieben  habe,  «nd  dab  das 
gante  kein  UArscrSpafii  sei.  Ich  sage:  MeMgf'ist  Schuld 
na  detti  Unglüdc  des  Hm.  ÜSscA,  xvül  w  die  SadM 
nnf  die  letebte  Achsel  genommen! 

&.  Jld$ek  dagegen  scheint  die  Sache  redit  Ernst 
SU  aehmeo,  nnd  hat  seinem  Freuhde  lucfats  hingehen 
lassen,  wnssum  Schaden  seiner  Sache  gereichen  konnte. 
Nnr  hiUe  ich  gewinscht,  beide  waren  nicht  Frennde 
nnd  ni<^ht  Nachbarn  gewesen.  l>onn  es  giebt  auch  in 
der  Wissensehaft  Unarten,  die  eine  kleine  £tchtignng 
Verdienen,  dac«  rechne  ich  1)  den  M angd  an  Aoiitung, 
den  der  Beeensent  dem  Aut4Mr  dadnrdi  erweist,  dafs' 
er  sich  das  Ansebn  giebt,  9ks  schonte  er  sein ;  2)  dann 
die  platten  JSinw&rie,  die  d^n  Antor  eine  plwnpe  Un- 
wissenfaeit  sutraun,  wie  wenn  dem,  der  ü»  Btasdcitftt 
des  lebendigen  Blntes  behavplet,  die  aUerweh  beimm» 
<ten  Sächeiciien  ven  der  IncompressibiHtät  der  troj^fbar 
flSsrfgeti  £5rper  roidemonstrift  werden;  oder  endKch 
S)  wenn  dem  Autar  die  Lekrs&tne  verschoben  und 
4imge»iailet  weiden,  «o,  wenn  dem  HnmoralpaFtho- 
logen  der  Jetztteit  nnteiffesdioben  wärde,  «r  ginge  dar- 
«af  ans,  ^,dfo  Miu^lü  $M§§  Lekem  im  Mmie*'  mi  su. 
4>hen  {Bmff  L  e.  p.  8).  Schon  p.  8.  meiner  Hamanil- 
falhologie  wird  gegen  diesen  StrofanMnn  des  Recensen- 
Sen,  in  böser  Ahnung  des  Berorstehenden,  protestirt. 
Plig.  18  wird  ein  andrer  £inwand  gleichen  Sohrotes 
arerieir,  besonders  die  hohe  Würde  des  Nervensysle- 
jnes  aneikannt.  Allein  omn  iiircbtet  sich ,  weim  man 
aich  amüsiren  will,  Tor  der  Anstrengung,  und  Hest  des« 
Mb  keine  solohe  abstruse  kridsche  Einleitungen,  flr. 
AMj^hat  setner  8ache  sdir  gesehadet,  dafs  er  den 
sAstracten  Theil  der  flomoralpathologie  überschlagen; 
denn  -dagegen  kitte  «r  vieles  su  -schreiben  gehabt,  und 
das  Meiste  voller  Unrichtigkeiten  gefunden.  BmubIs 
hätte  er  den  ganzen  humoralpathologischen  Brand  mit 


einer  blotsen  Spule  ansdriidt^n  kSnnen!  Und  dats  er 
Tolknds  meuie  spHteren  Eriäutenmgen  gar  nickt  keach. 
Cet  kat,  mafs  ich  orbsilich  beklagen.  Wie  viele  Eia- 
w&rfe  hätte  der  gute  Mann  da  sparen  können,  s.  8. 
die  ab  ovo,  schon  von  Hm.  Stieglitx^  gemalt,  und'  ia 
der  Gegenschrift  surüekgewiesen.  Hr.  StiegUiz  weib 
auch,  was  es  an  d^  Zeit  ist,  und  liat  .die  Ovologiem 
alle,  von  Huruey  bis  Fnl€n€i$^  volllcommen  inne*  WA 
teil  der  Hr.  Uaiygr  wohl  gütigst  die  28«8te  Seit»  jencf 
oben  angefahrten  Heftes  der  Heckmrwehen  Anaaka 
nadilesen,  und  mir  das  Abschreiben  ersparen  f  DieBm- 
m$rm^H»ii9Ugie  iei  keine  ttlbimiepBiMegiey  wiU  \A 
Uer  nor  kurz  wiederliolen. 

Doch  m^es  Amtes  ist  es  gegenwärtig  nUbitj  mit 
Hrn.  Huuff  stt  streiteA,  sonSkm  nur  cu  seigen^  wie  üw 
der  Hr.  MöeeA  wideriegt  habe.  Hr.  ReeeA  erwiediit 
seinem  Freunde  i(p.  5)  auf  dessen  Anklage  „angemsSh 
Her  Ansprüche  der  Humoralpathplogie,  wider sttisitendt 
sowoM  den  Prineipien  der  Physiologie,  als  der  fidnm 
PaChologie*'  höchst  mM  and  feindschaftlich :  «^Duüi  die 
asinige  die  Weniger  richtige  sri  (denn  was  wir  Hea> 
»clien  für  wahr  halten  itiheit  sich  nur  immer  mdv 
eder  weniger  der  Wahrheit^*)  und  schliefst  mit  den  Wer« 
ten:  „Die  GrundmnMiekt  aber  halle  ich  fest,  und  m 
wHl  ich  vertheidigen.''  Nun  drelit  sich  aber  der 
Streit  um  eiae  GrumlaneieAti  steht  diese  iest:  so 
die  ^%  Gegners  nicht  die  „weniger  richtige"  nur 
eondern  sie  mufs  nodiwendlg  die  ,^<Ma/  faletk^^  da 
ganz  schletiite  srät  Principüs  obstal  wir  waBcn^  m 
deuten:  widerstehe  den  (^falschen)  Prineipien!  Dem  b« 
richtige«!  Principe  mufs  sidi  eine  fabcliO  Gensefucnt, 
«eine  übergreifende  Anwendung,  eine  sohiefe  Deutuag 
von  selbst  ausweisen  und  sich  bericlHigen  hissen:  aber 
%ei  alsebald  falschem  Principe,  bei  von  Airi^ginn  ss 
schlammiger  Quelle  des  Wbsens  und  Handeina,  wis 
kann  da  was  Gesundes,  Vernünftiges  auch  nur  einsul 
iBur  That  werden  f 

Besä  wo  va$  'i$t  em  Crund  mtmAn, 
iDa  hmn  dir  Bau  wokl  mehi  bnUkm. 

keilst   es  in  fahniin  ffein*9  ftechenjbuch.      Der  Hr. 
Bdec/i  verfuhr  hier  webl  ^was  zu  freundstbi^dich ! 


(Die  Fortoetznag  folgt.) 


I  .     • 


:m  118. 

•  •      • 

J  a  h  r  b  fi  c  he  r 

für 


w  i  s  s  e  u  s  c  h  a  f  1 1  i  che    K  r  i  t  i  k. 


Juni  1840» 


9E 


Ueber  die  BtdttOung  dßs  Bh^  im  gemmden  und 
hrmtiken  Lebenj  mid  das  Verh&ltnifs  des  Ner-^ 
temjfstem^  zu  demselben.  Von  Dr.  Cätl  RS  seh. 

(FoitBetzuog.) 

Sein  Haupttreffen  bestehet  aus  fünf  Hauptmomen» 
ten  auj  der  eigentUcben  Physiologie:  1)  d^m  physiolo«' 
^eheB  Beweise  für  das  primäre  I^ben  des  Bluts.  2) 
Yerhältnils,  des  Bluts  und  des  ^ervenmarks  zu  einen« 
der.  3)  Wirkung  verscbiedner  äufserer  Ebflusse,  na» 
sneaüicli  det  Arsneien  und  Gifte,  auf  das  Blut  ujud  df  o 
Gesanuntor j;anisniU8 ;  und  4)  einem  pathologischen^,  aus 
den  Krankheitserscheinung^ ;  nebst  5}^  einer  NacbweU 
•ung  des  Einflusses,  der  Theoria  auf  die  Praxis.  >  [Diese 
schone    Nacbhuth    ist    mir  eine    erwünschte   Zngabe, 

,  damit  sich  die  Selchtigkeit  nicht  länger  der  Igno- 
rant rühme,   und,   wie  es  allenthalben  geschieht»  den 

-  andren  iri^tribus  ingnorantinibns  nicht  fürder  .curuMn 
anoge:  Es  ist  doch  einerlei!  man  .macht  es  auf  gleiche 
mreiscf  die  Theorie  sei  diese  oder  jene,  mar  die  Erklä» 
rungsart  ist  verschieden  l  Hr.  RS^ch  hat  diefs  Ohrkis* 
jfmi  der  Faulheit  ihr  unter  dem  wüsten  Kopfe  weg» 
erzogen  1} 

Der  erste  Streitsatz  aus  der  Physiologie,  auf  den 
fir.  ffaffff^hm^  ist  diefrü^here  Entstehung  des  PrU 
msitivttretfens.  —  [Mich  wunderte,  dafs  ^  noeh  Nie- 
jmanden  eingefallen  ist,  aus  der  Primogenitur  des.  Kopfes 
mnd  Btma  darzuthun,  dafs  der  Bmbryo  zuerst  denke 
vnd  erst  dann  zur  Digestion,  Nutrition,  Seeretion,  Blu^ 
^duüg  sich  anschicke  1  Es  wttre  nicht  viel  einfiälti* 
j^er»  als  jene  Behauptung,  die  lo  grobe  Bedeutung  siuf 
die  PHmogemtur  legt^^  statt  üe  aurf.die  FoÜeniuug 
mmt  Reffe  der  Organe^  ihre  B^f&kigißng  uur  FunC' 
tion^  snff  die  es  deck  au  diesem  Orte  einxig  und 
4sIMn  ankevunty  hiuxulenJketu,  Kennt  der  filerr  Soü» 
dast  :denn  keine  anderen  Orgjsne,  die  Jahre  lang  eer, 

*  ihrer  l^metion  Mubereitet  und  ausgebildet  uerdms^f 

'  Jmkrh.  /.  wu$€fMcK  Kritik.  J.  184a    I.  Bd. 


Seil  -ich'  ihn  an  die  Genitalien  «rinnern f]  jb»h  sehe 
gar  nicht  ab,  wefsbalb  unser  neue.Yertheidiger  der 
Humorallehre  sich  darauf  einlassen  mochte,  an  diesem 
Orte  die  Priorität  des  Bluts,  als  Plasma^  in  AnscUog 
zu  bringen.  Es.  kommt  gar  nidit  darauf  jm^  wekhea 
iiM  firüher  verhandene^  sondern  welches  dsm /rüher 
ih&tige  s^';  und  auch  darauf  ist^nech  kein  bespnderei 
Gewicht  zu  legen, .  da  sich .  die  ächte  Humoralpatholor 
gie,  d.  i  die  Pathologie  des  lebendigen  fliissl|gen  Lei- 
bes, gegen  Uire  Ablenkung  in  wk%" HSpuMtepatAelogie^ 
in  eine  schlechte  Einseitigkeit  von  Anfat^  an  feieci- 
liehst  und  wiederholt  verwahrt  hat. '  Wir  Wollen  nicht 
in  eineni  ausgestopften  Strohmann  uns  von  den  argli- 
stigen oder  bornirten  Feinden  niedeirwerfen  lassen; 
^r  sind  selbst  auf  dem  Kampfplatze,  stehen^  den  Bidi- 
tern  Bede  und  Antwort,  und  wollen  ulU  nicht  in  je/Se- 
gie  verdammen  und  ^verbrennen  liUssn ! ,  Uebsigen»  ist 
Üieser  Einwurf  schon  .Von  StsegUt»  ur^rt-  und  von 
mir  zurückgewiesen  worden.  Hr.  fiaiy^lase  die  Streit* 
achrift  gegen  Stieglitz  )•  c  p.  285, 

Hm,.  Rauijffi  Semexe  hehfre  ist;  tlas  Blut  ist  nkhi 
das  StejS^gebende^  sondern  mir  das  VemutUbule  des 
Stoffwechsels.  Hr.  Re^eA  dagegen:  tJÜietß  scheiiieii 
mir  nur  Worte  [Wörter!]  zu  sein.''  —^Wiederum  gar 
XU  nachbarlich-freundschaftüch !  Jedes  Jahezehend  bat 
.sein  -^ .  wie  soU  idi  sagen  t  -^  seiQ  Allerweltswort, 
und  heuer  ist  c;s  ^^die  Fermiltelef*.  Da  hat  es  denn 
M  milde,  sanfte,  friedfertige  Gemßtber  gegeben,  denett 
die  Augien  flössen,  sobald  sie  von  Gegensätzen  härten, 
jand  defshalb  „vermitteln,  versöiwen,  die  Gegensalze 
ausgleidien"  wollten.  Seit  jei^  Zeit  hat  sich  denn 
das  Wort:  Fermitteln  vulgär  gepuacht,  und  Jedw^d« 
braimht  es,  und  pabte  es,  wie  Fänst  anb  Ai^ge.  —• 
Wir  wollen  doch  einmal  hören,  wie  man  vom  Blute 
sagen  könne:  es  vermittele  AuskStqff'weeheelf  Wir 
.denken  also:  Der  Stofisvecbsel  im  Organismus  ist  «f> 
stene  die  üamandlung  des  Festen  in  ein  J^lQssige^. 

113 


DORF 


B99ch^  über  die  Bedeutung  des  Blute. 


und  des  Flüssigen  in  Un  Festes  i  »weitene  die  ff^eg' 

-  /ährung  des  Stoffes  von  dner  Stelle  zur  andern,  von 

doF  Zehe  e.  B.  nach  dem  Hirsen,  und  umgekehrt. 
Drittene  ^e  Verwandlung  der  Stoffe  durch  lebendige 
^Affinitäten  in  einander,  Seeretümj  Vegetation^  He^ 
earbtion  und  JIppOMition^  deren  Mannigfaltigkeit  noch 
nälier  £u  ordnen  -und  lu  gliedern  hier  zu  weit  führen 
^ürde^  Das  Blut-  also  soll  nur  vermitteln^  die  Mit- 
telperson sein,  swisclien  dem  ^toffe^  der  da  wechselt, 
tmd  dem  Nerven^  der.  disn  Wechsel  scliafft,  bewirkt. 
Nun  gehört  es  zu  den  Eigenschaften  eines  Mittelwe- 

-  Bens,  dafs  es  selbst  weder  Stoff  teiy  noch  Krqf^i  we- 
der Stoff  habe^  noch  Kraft;  so  ist  das  Wasser  das 
Medium  [wie  man  vohl  geglaubt  hd(] /der  Mittler  zwi- 
>then  ISSuren  Und  Basen  Und  den  chemischen  Umwand* 
fongen.  Das  Blut  wäre  sonach  gewissermafsen  nur 
^er  TVager^  der  Communications-  und  TranSportcanal 
^er  leiblichen.  iS/o^^  die  Vom  Nervensysteme  hin  und 
lier  gesehafft  und  verarbeitet  werden.  Defshalb  trSgt 
das  Blut  in  sich  aufgelöste  feste  Theile,  Fleisch,  Seh«- 

'  nen,  Nervenrohrchen^  Fett  ü.  s.  w.  u.  s.  w.  ][)iese 
.  schwimmen  in  ihm  in  einer  lebendigen  Lösung  f nicht 
wie  StolBe  in  einer  Schüttelmixtur)  Ton  der  Peripherie 
ins  (Centrum,  rem  Centrum  nach  der  Peripherie.  —  Ist 
dem  flicht  sol  -^  Das  Blut  ist  also:  diese  Stoffe  selbst 
.  'S;»  einem  flüssigen  Zustande^  der  geschmolzene  Stoff 
des  Organismus^  und  nicht  nur  Vermittler!  < — ^   Fer* 

'  Der  tfaeitt  das  Nerrensystem,  modo  dessen  Ausläufe 
irom  siflanchnischen  Systeme  aus,  die  alle  Gefäfse  netz« 
artfg  umspinnen,  dem  Blute  die  Kraft  mit,  diesen 
Transport  auszuführen,  tfhne  dafs  sich  unterwegs  ein^ . 
.Zersetzung,  eine  Stagnation,  ein  Festfahren  u.  s.  W; 
zutrage.  Dttreh  diese  Xicbensfacta  schafft  der  Solidar- 
patholog  ein  mit  Lebenskrttft  begabtes  Uenstruum . 
der  lebendigen  Solida.  Vortrefflich!  Allein'  da  hat«- 
ten  wir  ja  wieder  das  belebte  Blut  des  Humoralpatho- 
logen,  nur  mit  deib  Unterschiede,  dafs  nach  dem  So/s*- 
dismus  seine  Kraft  beständig  eben  so  durch  das  Ner- 
Teilsystem  erneuert  wird,  vie  sein  St<^ff  durch  Nerven 

.  und  Fleisch  und  Knochen  u.  s.  w«  Und  da  hätte  es 
Ja  mit  eins  wieder  aufgehört  blofs  zu  vermitteln^  da 

.  es  seU)St  sich  nicht  ron  seinem  Inhalte,  wie  der  Strom 
Tom  Flosse  unterscheidet,  sondern  Flqfs  und  Strom 
zugleich  ist.  VTer  könnte  sagen,  das  Wasser  ver- 
mittle nur  naeh  der  Theorie  Ltovoieiers  den  Wasser- 
wid  Sauerstoff;  es  fsC  yielmehr  das  Prodnet  selbst. 


Im  gewöhnlichen  Leben  nennt  man  Vermittler  denjeni* 
gen,  der  weder  dem  Stoffe  noch  der  Krofi  naeh 
selbst  betheiligt  ist,  sondern  gewissermafsen  beide  ss- 
sammenbringt^  die  Copula  darstellt.  Diefs  aber  pab 
auf  die  Blutmasse,  wie  in  jenem  berühmten  GeaäUi^ 
das  uns  Horaz  beschreibt,  Kopf  zum  Ralf,  und  du 
Ganze  zum  „scheufslichen  Fischschwanz".' 

Wären  wir  vielleicht  schon  in  unsern  Coneenio. 
neu  zu  ^reit  gegangen  t  Wir  redeten  der  Nemi^- 
tbologie  das  Wort,  und  gaben  den  Nenrennetses  oi 
d^e  Gefälse  .die  Ehre  des  Vorherrschensj  in  der  Art, 
da(s  wir  ihnen  die  Kraftertheilung  zur  Bewegung  in 
Blutes  zugestanden !  Das  war  etwas  unvorsiditig,  wti 
der  Herr  Solidist  mag  uns  diesen  übereilten  Zug  mr 
zurüofcgeben;  noch  beröhrt  ihn  der  Finger!  Es  itf 
auch  ein  wahres  Ungliick,  dafs  der  PrimitiYstreifen  ml 
nicht  das  Gangliensystem  das  Recht  dtf-  Erstgelivit 
ansprechen  darf!  Wer  kann  mir  sagen,  wanki  dieSo- 
iarknoten,  der  Ring,  seine  Ausstrahlungen  und  bem* 
ders  jenes  /wundersame  Netz  um  die  Adern  gesehaffei 
wird  ?  Sonderbarer  Weise  tritt  es  augenachemlidi  U 
den  Hintergrund  bei  den  ersten  WirbeitiiierformatioBf% 
bei  Fischen  und  Reptilien.  Erst  bei  den  Vogela  zeigt 
-es  wieder  seinen  Charakter,  als  J^noten-bildendei,  mir 
entschiedener  Deutlichkeit«  Es  steht  zu  erwarten,  hSs 
dieses  System  in  der  Reihefolge'  Von  organischen  Eat- 
wickelungen  in  der  höheren  Thierwelt  nicht  vor  te 
Zustandekommen,  des  Digestionsapparates  in  sididisiv 
Form  erscheine.  Bei  sehr,  jungen  FroschembiyoiMi 
habe  ich  vergebens  danach  gesucht,  selbst  bei  velbtii^ 
digem .  Digestionsäpparate.  ^iels  wäre  jedt>ch  auf  A 
Zartheit  der  Fäden  au  schielten,  die  begreiflich  dmI 
Viel  schwerer,  als  bei  ausgewachsenen  ladividuen,  nt^ 
zufinden  sein  messen,  und  bei  diesen  seihst  ist  es  nkU 
ohne  Schwiierigkeit  zu  voUbiringen«  Dem  sei  nun  wii 
ihm  volle,  das'Miftliche  für  unsere  Concession  aa  & 
Nervenpathologie  bleibt  dasselbe!  Primitifstreifen  U^ 
PrimitiTstreifen  her!  Damit: setzt  man  weder  Ehrii 
noch  Geilärse,  noch  Blut  in  Bewegung,  und  wenn*f  «^ 
diesen  wäre,  dafs  er  schön  als  Nerrensystem  fungii^ 
eine  höchst  precatre  Hypothese.  Deishalb  nelmie  mss^ 
dem  Humoralpathologen  nicht  übel,  wenn  er  jenen  G» 
danken  des  Solidismus,  yertedge  dessen  die  BhitbiUsq 
und  Bewegung  vom  Nervensysteme  abhängig  erachteC 
wird,  weä  der  Primitivstreifen  vor  d^ts  Bluie  ss 
Eie  mtftritty  «o  lange  fQr  leer  nnd"  falsch  lifilt;  bisStf 


/    • 


M 


fi8tcAi  *^^  ^  BedstOtmg,  dt*  Biut4, 


903 


entweder  >di«  Wirkung  des  RBükenmarks  auf  die  CiM 
iulatioa  (niclit  blofii  ftuf  den  H«rxs'chlag!)  dargetliaii, 
adar  die  Primogenitur  das  Gangliensystemea'  vor  dem 
[  ,Blttta  ila.ehgewieseu  wird.  Das  Entgegengesalzte  'labt 
sidh  dagegeit  mit  grSfster  Wahrscbeinlidikeit  an  dia 
Slalle  janer  Hypotliese  setzen.  —  Wie,  oder  sollte  hier 
wieder  Jenes  Sehleiehmtttel  angewandt  werden,  jener 
LehrsatSy  dessen  'Herkunft  sctiwerlioh  irgend  Jemand 
kennt:  Dq/i  $$cA  da§  Mchon  fertige  Ch^ehopf  naek 
ündern  Qüeetzen  richte^  at$  das  sieA  Mdendef 

In  der  Arsneiwissenschaft,  wie  in  den  andern,  va» 
gabondirt  eine  gehörige  Menge  solcher  Taugenichtse 
iron  Lehrsätzen,  wie  der  genannte,  und  diese  bieteil 
Ihre  swaideutigen  Dienste  dem  ersten  Besten»  der  ih« 
rer  bedarf,  feil.  Mir  fällt  gleich  ein  iwetter  gleichen 
Geliditers  ein!  Er  lautet:  der  BSikrokoemue  steAt 
mum  Matrokoemüs  in  einem  feindlichen  f^erkält» 
imee;  Tita  est  Status  violentus.  ^)  Polarer  Gegensatx 
zwischen  beiden!  Lassen  wir  für  jetzt  den  letzten  wie*^ 
der  las  und  hahen  den  »sten  desto  fester.  Fast  möchte 
iA  mit  Hm.  JlSseA  darüber  rechten,  däls  er  jenen 
kecken  Satz  dem  Solidismus  so  liingehen  lafst  Be- 
merken mu&  ich  nur,  dals  auch  dieser  Lehrsatz  mir 
^or  nnnmahr  Q  Jahren  durch  Hrn.  StiegUi»  eingewor* 
fen  ward,  and  dafs  Hr.  Hauff  ihn  debhalb  gern  hätte 
sparen  kopnen,  wie  ich  mir  eben  jetzt  eine  Wiederho* 
lung  der  Widerlegung  su  sparen  gedenke.  Ich  ver*^ 
w^eiM  auf  die  oi  a.  Stalle  aus  Heckere  Annalen  p* 


Tollende  Terdriefet  es  mich,  wenn  man'  mir  vor- 
UlrfC^  ich  ginge  darauf  aus,  „die  arme  solidistische  An- 
iiolit  auf  alle  Weise  herunterzusetzen  und  lächerlieh 
SU  machen."  -  Wo  hätte  ich  mir  so  etwas  zu.  Schulden 
ltoninh«k  lassen!  Ich  bitte  den  freundlichen  Les^r, 
^iooh  die  278  S.  jener  Annalen  aufzuschlagen*  Dort  steht 
ao  ansfohrlich  wie  möglich,  dafe  tUe  Humarßlpatholo^ 
gie  siek  keineHeegei  ale  Pmtkkilogie  fkhejrhaupt  eon^ 
aünirt  (schon  in  der  Sthrift,  die  1826  zuerst  diese 
Lehre  in  ihrem  gröfserem  Umfange  darstellte,  wird  aie 
mr  als  ein  Capitel  der  Pathologie,  als  Lehre  von  der 
Te|;etation,  und  «war  auch  hier  nicht  als  »dusi?« 
Torgetragen.  S.  die  Humoralpatkologiey  ein  kritisch*- 
didaktischer  Yersuch,  Schleswig  1826,  jg.  8  —  leider 


*)  ßU^s  and  /)/^  Li^tn  and  GtwaÜt  sind  im  Griecbiichen  sinn- 
and  stamaiverwaiidt 


Steht  es  im  geacluöhtUch  -  kritischen  Absehnittei  deb 
man  nidht  Jtest);  dort  erkennt  sie  die  Lebensfüöctio« 
nen  des  Nervensystems  nicht  blojs  neieHy  sondern  selbst 
ü6^  sieli  unbedenklich  ao.  Wo  g(at>e  ea  ahßr  einen 
solchen  Narren,  der  darin  eine  Elire  suchte,  daCi  seine 
Theorie  den  Vortritt  Jm  Gerkle  der^hohen  Wissenschaft 
habe!  Der  Wahrheit  die  Ehret  Rangstreit  ist  Al- 
bernheit überall;  in  der  Wissenschaft  ist  er  qualificirta 
Fatuitätl  Auch  würde  ich  dem  wohlwollendeli  Beur^. 
theiler  nicht  zumuthen,  delahalb  jene  Stellen  sich  anzu«* 
sehn;  sondern  wegen  einer  dort  erläuterten  DiSeten 
beider  abweichenden  Doctrinen  der  Pathologie^  von 
lArelchen  die  eine  ihrer  Natur  nach,'  also  mit  innerer 
Consequenc,  die  andere  nichf  neben  sich  dulden  .kann  | 
ohne  Kich  selbst  aufauheben  nicht  dulden  darf,  und  daf 
ist  eben  die  sich  selbst  begreifende  SoUdarlelure.  'In 
jenem  historisch-kritischen  TheUe  memer  Pathologie  der 
Ursäfte  ist  diesea  GnmdverhältniDs.  beider  BoctrineA' 
nicht  minder  ausführlich  besprochen;  allein  leider. in 
jenem  ab/rtracteb  Theile,  der  zu  ernst  ist,  als  dafs  man 
ilin  zum  Zeitvertreibe  lesen  mochte,  und  .für  die  Sie* 
stezeit  feelbst  nachtheilig  werden  konnte ;  den  man  da* 
her  überachlfigt.  ~ 

Die  alten  Egypter  erzählten  von ;  ihrem  Gotte 
0idr,  dem  Gotte  des  feuchten  Elemei^tes^  dafs  ihn  sein 
feindlicher  Bruder  Typkon^,  der  Gott  der  TrockniTs 
und  der  Wüste,  im  Kampfe  ülierwunden,.  in  viele  Stücke 
getheilt,  jedes  einzeliie  in  einen  Sykomorenstamm  ein* 
gesohlossen  und  so  in  den  Nil  geworfen  habe,  dafs  sie 
ins!  Meer  hinabgeführt  würden.  Die  gute  Schwester 
und  6attin,  Isis,  sei  darauf,  unter  Wehklagen,  um^er^ 
gewandert,  habe  den  Leichnam .  zusammengesucht  und 
ihn  bis.  auf  einen  einzigen  Theil  —  freilich  einen  höchst 
wichtigen  I  -—  wiedergefunden  und  in  On,  der  Sonnen* 
atadt,  feierlichst  begraben.  So  macht  es  der  dörre  So* 
Udist  noch  heute  mit  der  Wissenschaft^  elr  todtet  und 
zerstückelt  sie ;  macht  sieh  einzelne  Sphär^i,  Partieen^ 
abgeschlossene  Organengruppen  $  und  die  trauenide 
Naturwissenschaft  sucht  das  Ldchnämes  auseinander* 
gerissene'  Glieder  wieder  zusammenzusetzen;  aber  das 
eigentlich  Befeuchtende  hatder  typhonische  Windmacher 
vollende  Zerstört,  und. Isis  bleibt  ohne  Tröster!  Der 
typhpnische  Geist  macht  ebenfalls  ganz  verschiedene 
Gesetze,  wo  nur  Eins  herrscht,  nur  um  sich  aus  Ver- 
legenheiten zu  ziehen.  Die  Natur  ist  kein  Stückwerk, 
gleich  unserm  Wissen,  wie  man  sagt^  und  ist  unßex 


I   ' 


DOS 


ßStehylAer  4ie  Bedtuttmg  du  BliOa. 


904 


^      » 


Wissen  ein  Stückweric,  so  iet  ee  desto  unver^eiUiteber» 
gar  ein  Br&okelwerk  daraus  m  tnavheft»  /Wer  die  So** 
iidistik  kennt,  der  weifs  auch,  wie  viele  Krftfte  mid 
Kfäftchen  sie  zu  ilireni  Gerader  erfinden  muGite.  Be« 
j|;re{fliehl  Denn  jedes  Sblidum  ist  ein  Solidum,  ein 
für  sich  Seiendes^  und  das  allvierbindende  Menstmum 
fehlt.  Hier  entsteht  aus  purer  Consequenz  ein  hnder- 
VoUer  Föderativstaat;,  quot  .sensus  tot  capita  müfste 
man  Iiler  sagen!  -Nun  gar ' verschiedene  GeAietze  im 
9ieA  üideudsf^  und  im.se^oi»  ge6iUeien  Kdrperi 
Nicht  einmal  in  den  niedrigsten  Oi^ani«»tionen  finden 
ftich  ivndere  Gosetne  der  Formation,  als  in  den  hoch* 
iten.  Hier^  wenn  irgendwo,  herrscht  die  dupchgreiretkU 
•te  Einbflit,  nnd  nur  die  Entwnskelungsstufen  nlid.Fop' 
inen  weehseln.  IMe  noneSten  EnCcteekungeti  in  der 
Pflansenwelt^  namentlich  die  Gesetze  der  Bef mciitung  ^ 
)die  Seminalsubstaniseii,  taebst  ihren  Cercarien;  die  will- 
küriieh  beweglicfaen  Sporen  der  Algen,  besonders  der 
Yattchekieo,  seugen  gegen'  den  Zerbröeklerl  In  allen 
gletehnamlgen  Sphären  des  oi^aniseben  Lebens  herrsebt 
.dat  gleichartige  Gesetz;  sur  eigentlieben  Saamenbflr 
düng  berracht  blr  auf  die  letzten  Pflnnzengebilde  bin^* 
ab  die  Ö^dnung.  der  Sexualität^  wie  beiAi  polieren  Sau«», 
getbler,  mit  der  Ndtbigung:  der  Copuladon,  vor  dem 
greisen  Altare  der  Natur  w^gstensl  Der  erwachsene 
Mensdi  ernährt  sich,  wie  das  Kind ;  der  Greb  wie  der 
Mannf  und  der  EtnbiTo  nach  demselben  Gesetze,  wie 
alle,  freilieh  nicht  mit  Messer,  Gabel  und  Löffel  I  Durch 
die  unerktMieke  8ehmd%kraft  der  Dauungssäfte  wird 
das  anis^re  Material-  in  Ursäfte  verwandelt ;  durch  die* 
softe  Scbmeizkraft  {biolgtüehe  Kraft)  wird  der  eigiie 
fdsle  Leib  bestätig  wieder  veriläfsigt.  Möglich,  dafs 
dem  Magensafte  die  Nerven  eine  solche  Kraft  nnttheii- 
len  müssen;  allein  auch  nur  möglich;  denn  £e  Experf^ 
mente-mit  hünstlichen  Composhionen  des  suecus  gastr. 
unter,  wie  t>bne  Einflafs  der  Elektricitftt,  oder  des  GaU 
vairismus,  haben,  genau  besehen,  nur  negative  Resultate 
gefiefiert.  Wenn  nun  auch,^  was  niemals  di^  Hamoral- 
paäioloj^o  in  Abrede  gestdlt  bat,  NerveneinfRisse  an 
deh  fieeretimien  vonnöthen  sind;  so  ist  damit  nodi  nioht 
ausgesagt,  dafs  dieser  EiiiAuGi  isolcber  Art/sei,  dnfs  mit 
ihm  auch  das  geistige  Agens  direct  öberatrdmoy  a.  B» 
die  $eminalkraft  aus  den  Nerviin  des  GeDeraÜonsappa«^ 


latesf  die  Contractilitfit  aus  den  M«skebMT«s  Ae  Me- 
fytüeke  Kraft  aus  ^en  Magenaerven  und  denan  der 
resorbirenden  Gefäfset  Da  träfen  wir  auf  ein  artigw 
Summchen  solider  Kräfte  im  lebenden  Lttbe.  and  aaf 
einen  Wjrrwar  von  Nerrenein^ilssen,  den  nar.em  tqCsp 
rer  SoUdarpathoIog  geistig  verdauen  kann.  Die  seiw 
Iiackte  Lebenskraft  kommt  eben  So  sohUmm  «Hier  dqi 
Fäusten  des  neuen  Typhon  weg,  und  wird  hier,  einge^ 
sargt  als  Muskel  «Irritabilität;  dort  als  NervMseasiUt 
tat,  weiterbin  als  Reproduction,  noch  femdr  als  Gene» 
ratioaskraft ;  heilige  Isis!  wie  wiUst  du  fertig  werden f 
„Was  die  KMt  der  Nerven,  die  Reizbarkeit  der  Ma» 
kein  und  der  diesen  ähnlichen  Membranen^  die  vita  pro» 
pria  Mdlich  Jeden  Theiles  betrifft:  so  bedeuteo  diest 
ja  doch  nur  isolirte  Provinzen  jener  aUgemeinen  Le» 
benskraft  Ihr  Dasein  wird  vom^  Humoralpiah^legai 
anerkannt,  gewürdigt,  und  in  die  riditigan  G 
surackgefiihn"  sagte   ich  p.  286  der   Ufer. 

a.  a«  0. 

Im  «&^^di»Abaiobnitt;  fVie  wirkm,  Su/kere  ßütgf 
m$f  den  Organümusf  uuf  !»ekks  Art  mffSdrm^  n§ 
4Äm*':  ist  namentlich  die  Rede  von  Arsnetea  umd  Git 
ten,  und  liier  ist  die  verwundbarste  SteUe  der  Nervei^ 
pjktfaologie.  Zu  einer  Zelt,  da  noch  die  Rede 
Atmosphäre  utti  die  Nervenenden,  da  man  die 
individuelle  Wickung  der  verschiedenen  N^rvaabia» 
del  noch  nicht  kannte :  da  liefs'  sieh  noeh  -  i>ll^i^fiHt 
von  einer  N^rvenpathologie  sprecheng  allein  haut  sa 
Tage,  nachdem  Sir  Charles  Bell  oder  der  Hr.  Jfo 
gendie  jene  glimsende  Entdeckung  gemadit;  nadidem 
die  Nerven  bis  ia  die  feinste  Faserung  verfolgt ;  aad^ 
dem  die  Bahn  einer  jeden  Empfindung,  einer  jeden  B^ 
wegung,  entdeckt,  und  auf  die  Breite  eines  mikrask^ 
pischen  Fädebens  beschränict  forden:  ist  aa  eima  Ne»> 
venpathologie  gar  nicht  mehr  eu  deakeq!  Wir  wisaia 
jBS  nur  vx  gut,  dafs  es  Nervenfäden  Cur  die  Empfiiidaii|^ 
and  andere  für  die  Bewegung  g;iebt;  dafs  nach  Durck 
achneidang,  oder  sonstigen  FunctionsstSrungen  dar  Assle 
4eB  5ten  Paares,  viellei^t  der  etwas  hypothetischsa 
Respirationstränge  des  'Englanders,  eigeadiSuiUicIie  p^ 
thologische  Erscheinungen  siciilbar  werden,  s.  B..ena 
Ooi^unctivitis,  die  in  yerdunkkoi^g  d<9  Cornea  endet.  — 


war  vsa 


(DerBeschlufe   folgt.) 


i¥  1  s  s  e  n 


Ja  h  r  b  ü  eher 

u  r 

£^  c  ha  f  1 1  i  c  h  e 


K  r  i  t  i  k. 


Juni  1840* 


fMer  die^  Bedeuhmg^dei  BhsU  im  guunienunA 
Irank&m  JUUf^  $$md  dm  V^rkSUmßi  des  Ner^ 
if0n$g$tem$  zu  demselbem.  Fim  J^.  CmrlRi^ch^ 

(SchUifs.) 

Wir  beben  mtamebr  aiidh  die  reflectirten  Beweguoi. 
Ken  kennen  gelernt^,  so  dais  ich  weiGs,  dafa^  wenn  ich 
vahniehnie»  dab  irgend  ein  Taschendieb  mein  Tucli. 
mif  SU  siehen  in  Begriff  ist,  und  zwar  ans  der  rechtett 
Rocktasche»  und  ich  die  LinJce  ausstrecke,  ihn  zu  fa* 
ben,  dtefa  eine  Refleetion  vom  Rückenmarks  aus  sein 
m&tte, '  und.  swar  vermittelst  Nerveoanastomosen,  dia 
swar  noch  kein  Mensck  gesehen,-  die  sich  indeb  dock 
Torfioden  müssen,  vreil  kein  anderer  Verbindungswqn; 
da.  ist  Wo  bleibt  jetst  die  Einvirkong  des  Pijmitiv- 
stteifens,  oder  auch  seines  ganzen.  Nachwuchses,  auf 
die  Bildung  und  Bewegung  des  Bluts  f  Wenn  Hr.  Bamff 
Tor  muu&ebr  14  Jahren  (wenn-  er  noch  heute  so  deoJctiK 
wie  vor  xwei  Jahren),  eine  «o  kühne,.  tuTersidulicbn 
'Vertbeidignag  der  Nerveopathologie  der  Presse  übergef^ 
beir  b&tte,  so  kdonte  man.  das.  Iiingelien  lassen  \  aber 
j[el2t  -^  nach  12  Jaliren,.  das  ist  un'ierseihlich ! 

Allein  fast  Intle  ich.  vergessen,  dals  Ftlix  Fontawk 
sieben  hu  dec  lataten  Blälfte  dea  verigen  Jahchundert&' 
die  nuserabia  Mervensathologie  an  den  FeUen  der  Ex« 
l^erimente  mit  dem^Viperngifte  secschmettert  hat  (wenn 
gnir  Reck  ist,  schon  Un.  Jahre  1765  !>  Thut  nichts !  In 
dem  Koffe  eines  Juogers  oim  der  Hrnkfummtucheak 
Schuh  Lebt  sie  nodi  in  voller  Krafiu  Er  ignorut  iPi^^yr 
tana  «nd  J*  Jttülhrl  Alle  Experimente  der  Neiueit| 
die  man  durch  X^nd  gesammelt,  ändet^  existiren  nichl 
f&r  iho.  Theuier  Hr.  Bi^ehl  Lad  uns  nfich  Hause 
gehn!  Consnmmatum  est!  Der  Patient  ist  ohne  Rettung t 
Oder  wollen  Sie  ea  nocb  einmal  pit  der  ArzneimitteU 
•lehre  CArütüons,  versuchen t  Teegebens!  Wo  Hahn^r 
m$aim  bertscht,  da  hat  alle  Vernunft  em  Ende.  —  Web* 
1^  atteb.fin|0&tSie  gar  an,  Ihren  Freund  su  widej^- 

/aAr6.  /.  wi$i€m$ck  KriOk.  J.  1840.  L  Bd.  , 


legen!  Wie  ich  an  die*  Stelle  p.  80  der  iKiiyf^scben 
Schrift  kam,  wo  er  den  End  -  und  Schlagbeweis  au» 
der  reinen  Arzneimittellehre  des  groiCsen  Hahnemdnu 
ins  Treffen  führt:  da  entsank  mir  der  Muth;  ich  legte 
die  den  Text  begleitende  Feder  hh),  und  dachte:  wiirunt 
hat  er  das  nicht  gleich  gesagt}  Warum  erst* so  sp&tmit 
diesem  zefsohmettevuden  Schlage!  Erst  p.  80,  14  Sei« 
ten  vor  dem  Schlüsse^  kommt  er  mit  seinem  Central- 
treSen!  — >  Hr.  jRSscA^  ich  gebe,  mich  gefangen;  lajs 
uns  nach  Hause  gehn!  — >  Man  wird  es  vielleicht  noch 
wissen, .  dafs  vor  nunmehr  sechs  Jahren  der  Hr. .  v.  Pom^ 
jnur  diesen  Gegenstand  gründlich  behandelt,  und  die  An-' 
mafsungen  der  Humoralpathologie  zurückgewiesen  zu 
haben  glaubte.  Die  Antwort  findet  sich  im  Ifalther'^ 
&r^'schen  Journale  (ich  glaube  im  Jahre  37  oder  38^ 
nachdem  jene  Erwiederung  ohne  mein  Verschulden  dref 
Jalire  ruhen  mulste).  Seltsamer  Weise  räumte  jener 
Experimentator  dem  Blutleben  einen  gröberen  Umfang 
ein,  als  selbst  der  Humoralpatbolog,  den  er  eben  we- 
gen seiner  ßebergriffe  angriff;  er  lehrte  daselbst  näm- 
lich —  plus  royaliste  que  le  roi  m£me  ^^  dafs  das  Blut , 
freiwillig,  ohne  Hera^impuls  springe  und  hüpfe ^  und 
nennt  einen  neuen,  nagelneuen  Trieb  —  den.  expansi- 
ven LebenUrieb  dUeer  FlüßigkeiL  (Medicin.  chirurg. 
Zeitung  1828  p.  206).  Meine  Entgegnung  ruhete  aus 
derselben,  Ussacbe,  aus  welcher  die  gegen  Hm.  J.  Mül» 
ier  in  Betreffeines  ähnlichen  Themas  zu  längerer  Ruhe 
verurtheilt  war.  Man  wollte  ihn  nicht  erzürnen !  Der 
wahre  Freund  der  Wahrheit  und  'der  Wissenschaft 
kennt  indelk  solche  pusillanime  BexQge  iiicht !  Man  lese 
die  schöne  Stelle  aus  dem  JF^utama^  den  RdseA  p.  50  . 
ausfiibrlieh  anzieht,  und  fälle  ein.  mildes  IJrtheil  über 
die  StocksoUdisten,  wenn  man  noch  kann! 

Indefs  gehen  wir  eine  Seite  im  Texte  zucGck ;  denti 
zu  dieser  p.  49  hätte  ich  noch,  gerne  einige  Zusätze  hin- 
zugefügt  Hr.  Boeeh  findet  es  auffallend,  ,tdals  die  Jun-^ 
gen  der  trächtigen  HOndin^  die  Freund  Hauff  ibSa  tilau- 

114 


907 


JRöicAj  Hier  du  Sedetsttmg  da  BlutL 


MB 


saure  vergiftet  hatte,  lebendig  auadem  äufgescUitKt^ii 
Uterus  hervorkrochen,  da  die  Section  erst  eine  {  Stunde 
nach  dem  Tode  gemaeht  wurde."  Nun  möchte  ich  doch 
nur*wii&en>  wd»  hieran  Auffallendes  ist.  i)afs  unge-> 
hofencThiere  ^  Stunde  ohne  Atmosphäre  leben  IcSnnen, 
ist  doch  wohl  nicht  das  AufTallende ;  man  Jiat  ja  Yer^ 
suche  mit  neugeborenen  Katzen  gemacht,  die  solches 
begreiflich  machen.  Nun  aber  sagt  Hr.  MöscA  Temer 
^es  ist  bekannt,  dafs  das  Blut  des  foetus  zwar  in  noth- 
Wendiger  Verbindung  mit  dem,  ihn  ernährenden,  Blute 
der  Mutter  steht,  diese  Verbindung  sei  aber  doch  mehr 
eine   mittelSare  als    eine   unmittelbare.^      Was  die 

^  Verbindung  des  Embryobluts  mit  dem  der  Mutter  be- 
frifft:  so  ist  diese  weder  eine  mütel6ar&  noch  untniU 
teKare;  beider  Blut  steht  yielmehr  in  keiner  grofseren 
Verbindung  vor  als  nach  der  Entbindung.  Woraus  die- 
ses erhelle  f  1)  das  Slut  der  Embryonen  ist  kühler,  um 
2^  des  lOOtheiligen  Thermometers  kuhler.  Zwei  gute, 
treffliche  Experimentatoren  haben  diefs  gefunden :  Edu- 
ards und  Brechet  (S.  Hejffelder^  Krankheiten  der  Neu- 
gebomen, Leipzig  1825);   2)  das  Blut  des  Embryo  ist 

^  beim'  Menschen  von  dem  der  Mutter  in  sich  verschie- 
den. Ist  dunkelfarbige  dünn^  wenig  gerinnbar^  ent- 
hält nach  Fourcroy  keine  phosphors.  Salze,  äufserst 
wenig  Faserstoff,  und  einen  weichen,  an  der  Luft  sich 
wehig  retbenden  Cruor;  endlich  3)  sind,  nach  Prepost 
und  Dujnae  die  Blutkügelc/ien  des  Embryo  noch  ein* 
mal  io  gro/e  als  die  der  Mutter  (S.  Burdach's  Phy- 
siologie Bd.  2.  p.  41) ;  die  Ziegenembryonen  will  ich  lieber 
gar  nicht  nennen,  damit  man  mir  nicht  wieder  einwende, 
dafs  sich  diese  nach  addern  Gesetzten  richten,  ab  der 
Mensch«  (S.  annales  des  sciencea  naturelles  par  ^imToii», 
jt.  Brogniard  et  Dumae^  Paris  1825).  Oalen  schon 
kannte  die  niedrigere  Temperatur  des  Fötusblutes  8. 
dessen  de  foetus  formatione  (vol.  IV.  Edit.  Kühn  p.  671). 
Welcher  Physiolog  mochte  nun  irgend  eine  nähere  Ver- 
bindung atwischen  diesem  Fischblute  der  Embryonen  und 
dem  Menschenblute  der  Mutter  statuiren,  als  zwischen 
dem  Menschenblute,    das  sich  vom  Fischblute  nährt? 

« 

Wie  die  materiellen  Verbindungen  zwischen  toetus  und 
Mutter  beschaffen  seien,  wissen  wir  noch  weniger  fast, 
als,  wie  die  spirituellen.  Es  bt  nicht  unwahrschein- 
lich, dafs  der  Säugethierfoetus  in  niclit  engerer  Verbin- 
dung in  materieller  Beziehung  zu  jeder  Mutter  stehe, 
als  die  der  Marsupialthiere  ist,  nur  dafs  vielleicht  das 
längere  Verweilen  in  dem  Uterus  auch  eine  respirato- 


rbcba  Veribindung  yermothea  läfst;  man  bedenke  dslm 
indefs,  dafs  ein  Blut,  wie  das  des  Foetus,  schon  wt 
dem  blofsen  Wasserathmen^  wenn  diefs  medhutf  nit 
'Lebensluft  erAillt  ist%  auskomme«  — 

Wollen  wir  diese  ^ehavqptung  von  der  eatgeg» 
gesetzten  Seite  beleuchten:  so  ergiebt  sieh  uns,  daii 
allenthalben,  wo  eine  fvirkliehe  Verbindmig 
Blut  und  Blut  Statt  hatte,  auch  die'  Vergiftung 
mittheilte*  Hierüber  vergegenwärtige  man  sich  die  be- 
kannte Vivisection,  die  maw  nicht  mehr  xm  «mMmv 
holen  braucht.  Solche  unmittelbare  Einwirkungen  k* 
thfttigen  sich  femer  durch  Ansteckung  mit  idem  Mus- 
brand  durchs  Qlut  der  kranken  Thiere;  durch  dieii 
Todesst^rre  abfallenden  Blutegel,  wenn  sie  Blut  m  bos- 
artigen  Fiebern  saugen;  die  Ansteckungen  durch  Mut- 
termilch gehören  auch  hieben  Dab  das  Blnt  von  Mcn* 
sehen,  die  sich  mit  Blausäure  vergiftet,  die  Bhitegel,  die 
ihnen  angesetzt  werden,  todte,  spricht  eben  so  selirßr 
die  Unmittelbare  Aufnahme  des  Griftes  ins  Blut,  abJ^ 
nes  barbarische  Experiment  mit  der  Hümfin  wedar  fir 
noch  vider.  (Vgl.  die  Humaralpathologie  aus  prak- 
tischem Interesse  und  auf  zoochenüscher  Basis,  nadt 
Stevens  observations  ete.    Hamburg  1833,  p.  46.) 

Der  vierte  Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  dem  ci» 
gentlich  pathologischen  Beweise.  Es  ist  vid,  dais  Br« 
Bosch  die  Beharrlichkeit  hat,  seine  Streitschrift  foitti- 
setzen,  nachdem  er  p.  57  von  d«m  Stghfhemummam- 
nms  des  Gegners  gesprochen  hat.  Unseres  Amtes  vX 
es  aber  nur,  dem  Vertheidiger  der  Humorallehre  nsdi» 
sugehn,  und  über  ihn  zu  referiren.  Hier  giebt  es  wb^ 
cherlei,  für  den  Gegner  Sprechendes,  s«  hesMfes^ 
besonders,  dafs  es  ja  nervina,  analeptic»  und  nervcs» 
umstimmende  Mittel  giebt;  wenn's  aber  solche  Bßttal 
gegen  Nervenkranklieiten  giebt,  so  giebt  es  Ja  geirib 
auch  Nervenkrankheiten,  und  jene  Zustand^  wdehe 
diese  Mittel,  insbesondre  aber  die  Haknemtfnmasif 
schen^  tuto,  taXo  et  jucunde  heilen,  gehören  m  die, 
Nervenpathologie.  Q.  E.  D.  -r  Dafs  nach  tüehti^ 
Erfahrungen  das  Blut  sdion  vor  dem  Ausbraäe  dar 
Fieber  krankhafte  Beschaffenheiten  der  hedeoteodirsi 
Art  zu  erkennen  giebt,  diut  keinen  Eintrag  f  Die  As^ 
logie  mit  anderweitigen  Vergiftongen  verschlagt  pt 
nichts!  —  Dennoch  beliebt*s  dem  Bolidarpatliologes  «if 
einmal,  die  BydroyhÖbie  xu  einer  Krunkheä  ist 
Bluts  XU  machen/  Der  Mann  kann,  was  er  wiBt  - 
Das  geschieht  aber  defshalb  —  unter' uns I — weBd» 


M9seAj  üter  die  Bedeutung  ikt  Blute. 


.  910 


werfReh,  mti  ich  ralbf  deiii  Solidismus,  geschwinde 
eine  neue  Reihe  von  Nervenübeln  zu  construiren,  bSm- 
lieh  latente;  damit  kann  man  sich  immer  faeifenl  Wir 
vfollen  nunmehr  annehmen,  dats  die  Chlorose  eiqeNer- 
venicrankheit  sei,  in  welcher  nach  allen  Zeichen  die 
Nerven  gesund  sind;  allein  an  einem  latentpatholog^-  ^ 
sehen  Processe  dennoch  leiden  können,  und  das  ist  tu 
belegen  durch  die  fVirkung  dee  Eieene.  Eisen  ist 
nämlich  entschieden  ein  Nervinum,  weil  es  den  Ue 
dottibureux  und  ähnliche  Nervenubel  heilt.  Nun  aber 
heilt  es  auch  die  Chlorose,  also  ist  diese  ein  Nerven- 
leiden!  Diefs  ist  das  solide  Räsonnement^des  Hahne- \ 
mannianers.  In  diesem  Urtheile  sind  jedoch  nur  von  '^ 
den  beiden  ersten  Sätzen  der  eine  zweifelhaft,  nämlich, 
dafs  es  ausgemacht  sei,  der  tic  douloureux  und  ähnli- 
che Neurosen  seien  reine  Nervenkrankheiten ;  und  der 
zweite' unwahr,  dafs  das  Eisen,  in  grofsen  Gaben,  die- 
se Uebel  heile.  —  Wie  ist  das  Eisen  denn  überall  zu 
solcher  Celebrität  in  diesen' Krankheiten  gelangt  f  Viel- 
leicht ist  sein  Weg«  zu  diesem  Ruhme  nicht  allen  mei- 
nen £iesem  noch  erinnerlich;  ich  will  ihn  defshalb  be- 
schreiben. Yor  vielleicht  zwei  Jahrzehnd^n.  macht  ein. 
grofser  Arzt  in  England  die  hochwichtige  Entdeckung^ 
dafe  in  Sümpfen  eich  keine  Regenwärmer  aufhalf 
ien.  Halt,  dachte  dieser  ärztliche  Newton,  das  mufs 
benutzt  werden!'  Halten  sich  nämlich  in  Sumpferde 
keine  Regenwurmer  auf,  so  geschieht  diefs  wegen  der 
— -  des,  wollt*  ich  sagen,  Eisenerzes  [bald  hätte  ich  die 
Feuchtigkeit  genannt !  ] ;  also  wegen  des  Eisenerzes  l 
Nun  aber  ist  der  Krebs  ein  fVurm^  oder  ein  wurm- 
fthnliches  .Geschöpf.  fVenn  ich  mithin  den  Karpery, 
in  dem  ein  solcher  Krebswurm  sitxty  mit  Sumpf- 
er»  ausfülle^  •  so  mufs  begreiflich  der  Wurm  veren* 
oder   nur  glaublieh  finden   werde.    Vom  Blute   kann  ^ilenf  —  Daher  sind  die  grofsen  Gaben  von  Eisenoxyd 


grobe  Mittel :\ CS.  Sepfae  X  nichts  dagegen  vermag! 
Nun,  das  l^fst  sich  hören!  —  Herr  Bosch  fährt  indefs 
fort  und  lälst  da«  Fieber. vorrücken;  spricht  von  der 
itaumveränderung  des  Blutes,  einem  turgor  vitalis  des- 
selben, wie  von  einer  abgeflachten  Sache.  Hr.  «71  JUäl* 
ler  stellt  diefs  physiologische  Factum  noch  in  Zwei- 
fel, und  verweist  auf  die  Vertheidigung  des 'Hrn.  Dr. 
(fottsche  (£^g^  Mittheilungen,  N.  Folge,  Altena  bei 
Eammerich  1836,  3.  und  4.  Heft).   Beiden,  Hm.  Prof. 
J,  MüUer  wie  dem  Dr.  Steinheim^  wird  v.  G.  der^ge- 
Mchte  Vorwurf  gemacht,- die  Lumen  Verhältnisse    der 
Torhöfe  nicht  in  Anschlag  gebsacht  zu  haben.  Ich  stand 
hl  der  Meinung,  die  von  einem  Physiologen,  wie  Mec- 
Jbelf  oonstatirte  grofsere  Weite,  ohne  kunstliche  Zerrei- 
ßung des  rechten  Ventrikels,   reiche   zum  physiologi- 
•eben  Beweise  hin;  ich  suchte  nidit  weiter,  wiewohl 
es  nach  JUecJbePsM^eMiakgen  nahe  genug  lag,  und  die- 
•e  hatte  ich  bekanntlich  vor  mir.  —  Doch  will  ich  je- 
nen Vorwurf  nicht  ganz  ablehnen,  *  besonders   da  ich 
Mm  mit  einem  Manne,    wie  •/.  Müller^,  gleichmäfsig 
trage«    Allein  wenn  mich  Hr.   Dr.   Oottsche  glauben 
znaehen'will,  die  Ausfüllung  des  leeren  Raumefs  in  dem 
Ventrikel  lasse  sich  aus  einer  Verwandlung  des  A/ii- 
tss  in  Blutdunst^  und  dessen  nachheriger  Niederschlag 
giuig  sIl^Bluty  mit  voller  Aüalogie  des  fVassers  und 
«einer  Veränderungen,  erklären  (p.  13) :  so  heifst  diefs, 
mir  ein  wenig  zu  viel  Ehre  anthun!  Ich  glaube  kaum, 
daCs  man  jemak  diesen  Ferdunsiungs  -  und  Nieder^ 
Sjchlags^ProceJs  mit  der  eigentlichen  Masse  des  Bluts, 
eo  dafs  es.  in  seiner  Gesammtmasse  verdunste  und  dar- 
auf aas  Btutdunsty  wie  der  Wasserdunst  zu  Wasser, 
«ieh  als  Blut  in  der  Berührung  mit  der  kalten  Luft 
JLungen%ellen  niederschlagen  könne,    darstellen, 


i^eiils  mehr  verdunsten,  als  sein  wässriger  jBestand* 
^il,  das  übrige  bleibt  eingedickt  zurück*  Das  ist  der 
Hergang.  — 

Unter  den  krankhaften  Erseheinungen,  die  Herr 
Bauff  A<em  Nervensysteme  zuweist,  hebt  Hr.  Bösch^ 
ftlr  wirksamsten  Gegepbeweis,  eben  dieselbe  hervor, 
ofimlich  die  Bleichsucht.  Wirklich  findet  man  bei 
dieser  Krankheit  wenig  oder  keine  Nervenleiden.  Da- 
gegen finden  sich  gar  nicht  selten  die  heftigsten  Ner- 
venleiden unter  Ahnlichen  Umständen,  wie  sonst  wohl 
die  Chlorose,  als  Entwickelungskrankheit^  ohne  diese 
Vegetationskrankheit.     Die -Gründe  sind  also   unver* 


erklärlich.  Diefs  ist  die  erste  Station  des  Triumphzu- 
ges des  Gott  Martis;  nunmehr  kommen  wir  an  die 
zweite.  Derselbe,  oder  ein  andrer  Macbaon^  macht 
die  grofse  Beobachtung,  dals  bei  Nachkon|men  am 
Krebse  verstorbener  Mütter  sich  zuweilen  ein  tio*  dou- 
loureux  einstellt.  Ha!  ha!  denkt  er,  das  ist  der  Stell- 
vertreter des  Krebses/  Kann  nun  aber  das  Eisen 
in  grofsen  Qaben  den  Krebs  selbst  heilen^  wefshalb 
denn  nicht  seinen  maskirten  Doppelgänger^  den 
tief  — ^  Dieses  ist  nun  die  zweite  Triumphpförte  dcis 
Mars,  und  nun  krönt  und  besalht  ihn  der  Hr.  Hauffs 
durch  seinen  Schlufssatz,  ergo  ist  Eisen  ein  Nervinum! 


1 


9U 


A.  Amoldy  ümt^in^  und  Studien  zur  GupiudUe  der  Memekheii. 


>ia 


W^^ denkt  nicht  aft  jMeii  alCM  Syrueb :  oi  esMiil:  im*. 
dici  nil  philosojphis  stidüiis! 

Noch  fuhrt  Hr.  RomcA  su  Gunsten  der  Hunnoral- 
lehre  die  ThaCsachen  an,  die  nte  in  R&cHicht  dea 
VorbaAdeasefaM  kradkbaftar  SeeeedaifteR  im  Bhite  ent- 
deckt hat^  ^s.  B.  Carsweirs  Entdeckung  des  Tuberkel- 
alöffies  im  Blute.  Solche  Thatsachen  sind  freitlch  et- 
was precair;  und  schon  defshalb,  weil  der  Tuberkel- 
acoff  eich  sehwerKch  chemiad»'  Toa  gewdhnlidtfm  Kä- 
aeataffa  untfMrsaheidei»  lassen  dOrfte»  Ich  k^nne  diese 
UntersttchunMU  Garsweirs  nicht,  werde  indefs  sobald 
als  tbunlidh  dieser  Entdeckung  näher  nachspüren  und 
nri^  Iren  ihrer  Gewiisheit  zu  anterrtehten  suchen. 

Wir  gelangen  an  den  letzten»  den  &•  Abschnitt 
der  Gegenschrift  des  Hrn.  RoMch.  Ueber  diese  haben 
wir  schon  früher  einiges  Bemerkenswerthe  gesagt,  und 
wollen  nur  noch  hinzufügen,  dafs  es  fast  drollig  stell 
aasniaMat,  wenn  wir  Allapatben,  dem  Hahneiaaniis« 
Pathan  gegmObar,  die  Differenz  in  der  Praxis,  je  nach 
den  Prindpien  und   der  Theorie,  vertheidigen.    Zwar 

,  weifs  sich,  wie  wir  gesehen  iiaben,  der  Hon>dopath  mit 
grofser  Gewandtheit  dar  Wirkung  aliopathiseaer  IK>- 
a»  för  seine  a»  v.  Theoria  zu  bedienen:  aUein  l[as  wird 
er  uns  schwerlich  zugestehen,  dals  die  Theorie  nicht 
mächtige  Differenzen  in  der  Ausübung  erzeuge.  Os 
sepiae  z.  B.  wirkt  in  der  Allopathie  nichts;  trotz  dem, 
dals  man  dlefa  Mittel  längst  gegen  Epilepsie  als  Spe* 
eificnaa  dwpenairt  hat,  wi^  das  Elensbom.  Das  ist  aber 
ein  unschätzbarer  Fund  für  die  Homöopathie.  Zwar 
wirkt  es  in  der  Homöopathie  eben  so  wenig  gegen  die 
Epilepste ;  defsbalb  mafs  es  immer  mehK  vewiej^n,,  d. 
h*  inuner  mabr  aufsesohlossen  werden^  denn  der  Geist 
.wächst,  wena  man  den  Leib  casteit;  endlieh  lijtderxten 
Potenz  gelingt  e1i.  Aber  nun  bemerke  man  die  Diffe- 
renz des  Einflusses  beider  Theorien  auf  die  Praxis,  »r 
Genau  betrachtet  enthäll  es  einen  ktsinen  Uasiafi^  weim 

.^ama  behaaptet,  des  vernünftigen  Menschen  Handeln 
sei  nicht  im  directen  Zusammenhange  mit  seinem  Den* 
kenr  Wenn  man  noch  $agte ;  mit  dem  Scheine  oder 
der  Maske  von  Benkungswebe,  die  er  yoriiält,  so  liefse 
diefs  Sich  hören..  Aliein  in  trei^m  Wortsinn  bedeutet 
die  Diffav^nz  zwischen  Praxis  und  Theorie  nichts  als 
j^ne  Sinn*  und  Gedankenlosigkeit  TOn  Menschen,  dßuen 
die  Gabe  des  Denkens  leider  versagt  ist;  und,  in  der 
That,.  anan  sollte  nicht  glauben^  wi6  selten  sich  dies» 
Qsbe  bei  dam  animal  ratiaoala  vorfindec!  Kaum  Nach-, 
denken,  nach  einem,  guten,  Vordenker,  läfst  sich  häufig 
finden;  und  Tordeoken,  Selbstdenken,  das  sind  gar 
weifse  Raben  in  dieser  Menschenwelt !  -^  Nur  Geister, 
wie  Hahnetnmnn^  fiadea  ein  grobes  und  Ureues  PaU^^ 
<;uoh  — »  Wai:  kaoQ*s  ändern?  S  tein  he  im. 

IJSXI. 

Aug.    Arnold^     tJmrU%e    und  Studien   »ur   Ge^ 
scAic/Oe  der  MenicAAeit,    Bertin  1840.   8.    VI  u. 

aoo^Ä 

Wie  schon  der  litel  dieses  Bsshea  damnf  Uairsiset  und 


wie  sieh,  auch  der  Vf.  in  der  Yemd«  sttes  daraaec 
eatb&lt  dieie  Arbeit  Beiträge  zu  einer  Philosophie  der  Ckscbich- 
te^-nnd  wenn  dicselhtQ  auch  aiebt  in  einet  streag  wissem 
lichbn  Form  gegeben  sind^  so  wird  na»  dochi  aaerkeimen 
sen,  däfs  sie  zu  einer  mannigfaltigen  Anregung  and  zv  ein« 
■ler  grofiMcn  UebcrwaitigaBg  das  Bfatenalea  der  GeafMchtS 
durch  den  Gedanken  dienen.  Ei  nmfeüit  ttbrigent  der  Yt  hia 
dns  Gebret   der  gesammten   Geschichte  in   ihrer  ferflaafesdea 

.£atwi^elang  von  der  Urzeit  bis  aaf  die  Ge^eawarL  nod  mit 
Beziehung  auf  den  Titel  -sind  diesec  pjiilosophuchen  Darsteilaag 
der  Gesenicht«  ueeh  drei  kleinere  Absehnilte  aMgemeMeia  In- 
haltes unter  den  Uebersehriftea  ,ydie  Wahrhi^  der  Menscli  aal 
der  Stnat^  voraofgesGbickt,  in  welchen  der  Yerf.  seiae  Anmcll 
Über  die  Natur  der  Wahchek  und  das  Wesen  der  Pkilssaphk^ 
sodann  über  dje  physische  tind  geistige  Natur  de»  Mens«^en  ead 
Qber  die  Natur,  Ober  die  Organisation  und  Funktionen  dfs  Staa- 
tes und  über  seine  VeaaissaagsfooBen  aassprieht  J6t  Heehl 
wird  hier  hervorgehoben,  daft  eine  wahre  rhilosonbie  der  Ge- 
schichte nicht  sowohl  am«  Zweeke  haben  kaane,  afieriei  mdkea^ 
«innige  Kombitaatiouea  über  die  bütoriaches  BegebeBheiten.  aa^ 

tzusteUen;  als  vielmehr  die  Sachen  selbst  nach  ihrem  Kerne  z« 

geben.  Ueaa  der  Begriff,  welcher  de»  Inhalt  der  ffcitsaopM» 
iidet>  soll  nicht  in  das  Material  der  C^eschichto  hineingetragea 
werden,  sondern  liegt  schon  an  sich  darin  und  soll  nur  auia 
erkannt  oder  daraus  hervorgeheli  werden.  FcaiÜdi  ikeeinst  ea 
dabei  immer  auf  die  Auffassung  des  Begriffes  an  und  für  aidi 
an^  und  darilber  ist  man  bekanntlich  in  der  Philosophie  iBSMr 
sehr  rersehiedener  Ansicht  gewesen,,  waa  denn  wiederasl  mcfat 
ohne  Rückwirkung  auf  die  Auffassung  und  Behandlung  der  Ge- 
schichte sein  kennte,  sobald  man  darauf  ausging,  aber  das  «a» 
mittelbare  Erfassen  4er  Thatsacha  hinauf  au  uirer  Bedeataag 
and  ihrer  Erkenntnifs  zu.  gelanaen. 

Im  Allgemeinea  hält  sich  der  Vesf.  aaf  dem  fTtnndpasIln 
wie  er  dem  gewöhnlichen  Bewufstsein  am  nüehsten  Kcgti  >■■ 
bei  der  sonstigen  Klarheit  und  Bestimmtheit  der  Daratellang 
kann  diese  Arbeit  um  so  mehr  ihr  vitrcestecktea  Ziel  eneieiiei^ 
zur  Anrecung  und  Förderung  der  historischen  Erkenntnils  bcnn- 
traren.  Da»  es  dann  aber  bei  einem  solchen  Standpankte  der 
Aüffassang  anch  nicht  aa  streitigea  Punkten  fehhen  knna  aad 
dafs  sich  auch  andre  Auflassungsweisen  danebea  werden  gdtrod 
machen  müssen,  liegt  in  der  Natur  der  Saehe  and  ist  mm^nca 
von  dem  Vf.  selbst  anerkannt  worden.  Denn  um  nur  ein  Bei- 
spiel hervorzuheben,  reicht  jener  Standpunkt  fOr  die  Erkeoataiib 
in  der  Gesebichte  keineswegs  übecall  aas  und  zeigt  aiek  bei  der 


Erklärung  der  Entstehunit  und  Verbreitanc  der  m^ .-^^ 

Religion  ais  ungenügend.    Wenn  der  Islam  van  seinem  StSlar 
als  gut  berechnet  aagegeben  wird,  usif  auf  seine  eaa  ai 
Anhänger 'zu  wirken,  so  wird  dabei  ohne  Zweifel  das 
aeistige  BedUrfaifS  veikannt,  welehes,  weil  es  sogleieir  . 
Coaea  fdr  diese  Religion   gewann   und  aich  sogar   auf  _ 
der  christlichen  Religion  Geknng  verschaffte,  voa  dem  bloai 
atäadigen  Denken  aad  Bereehaea  aiaea   kdividaama  mickt 
hängjg  jremaeht  werden   darf.    Mit  besonderer  Aaafnlirlicl 
ist  die  Geschichte  der  nenem  Zeit  und'  der  Gegenwart  nad 
len  maanigfaitjgea  Tagesinteressen  behandeli^  and  ea  a 
nicht  leicht  ein  Verhältnifs  ^es  öffentlichen  Lebete  an 
dem  der  Tf.  nicht  seine  AuAnerksamkeit  geschenkt  H&tte. 
aufser  den  allgeadeinen  politischen  Interessen  der  heatigen 
päischen  Grofsmächte  ist  aapb  der  Bildungsgang  and  der  | 
anstaad  der  Völker  berfiekaiehtigt  werdea?^  Es  wird  da»  Tefw 
hältnifa  von  Staat  und  Kirche  besprochen,  die  ^Eamacipfitiea 
Jaden  and  der  Frauen,   und  besonden^  hat  hier  aaeh  das 
tangswesea   aaeh  sannc  Bedeataag  im  Staate   aad   nach 
Stellung  seiner  Orgaae  im  Slaate  Beachtung  gefanden.   Ba  «nr- 
de  sich  demnach  diese  Arbeit  vomSmHch  Snem  giQftere  stM 
deten  Pablikam  eaipfehlei^  weichem  eiaa  Aacegaag  and  AaW» 
tung,  um  zum  Bewulstsein  über  sich  aad  über  dea  Zaati 
Meatliciiea   Lebens  zu  gelangte^    wfinaebeaawerth    eia 
aollte.     Die   äafiiere  Aasstattuag  dea  Dachaa  UÜbt 
nichts  zu  wünschen  Bbrig. 


#  ^ 


J  a  h  r  b  tt  c  her 

4 

für  * 


w  i  s  8  e  n  s  c  h  a  ft  1  i  c  h  e    K  r  i  t  ik. 


luni  1840. 


Lxxn. 

Urkunden  und  Actenstucke  zur  Geschichte  der 
'  Verhältnisse  zwischen  Oesterreich^  Ungarn  und 

der  Pforte  im  XVI.  u.  XVIL  Jahrhunderte. 
.  Aus  Archiven  und '  BiUiothehen.  .  (HeratiSge^ 
.    geiem  mm  Anton  ^on  Geway).    IVien^  ISSSr 

4  H^  fW  4.       . 

Die  UebeneugtiAg^  dafs  die  geacbiofatliobe  Erkennt- 
Hifs  geaiwer  und  uninittelbarer  Aiurcluiuungen  bedürfe^ 
ut  ia  keiner  Zeit .  so  lebendig  und  so  allgemein  gew^ 
fen>  als  ia  der  unsrigen.  Publikationen  Yon  den  v^t* 
schiedensten  Seiten  her  betesgen  dies  zur  Genöge* 
Haben,. wir  derartigeii  Bestrebungen  die  Kenntnifs  vie- 
ler neuen  und  belehrenden  Documente  des  Mittelakers 
vi  verdanken,  so  ist  nieht  su  verkennen,  dafs  sie  Tür 
^ie  Gesehiehte  der  neueren  Zeit  noch,  unendlich  frueht« 
bringender  gewesen.  Wir  weirden  nicht  irren  j  wenn 
-wir  behaupten,  dab  grefie  die  religiöse  Centroverse,  in 
dem  sie  vom^  Beginn  der  Reformation  an  sich  aller  Ge* 
möther  bemächtigte,  und  die  Darstellungsweise  der 
gleichzeitigen  Historiker  beider  Parteien  in  nicht  ge- 
ringem Grade  beherrschte,  bei  den  Spätem  den  Wunsch 
hervorgerufen  habe^  die  grofse.Zeit  der  Kirchen verbes* 
•erung  aus  andern,  vom  Parteigeiste  unverfälschten 
Berichten  kennen.su  lernen.  Die  Relationen  der  Ge- 
aaiidten  jener  Zeit .  entsprachen  diesem  Yerlangen  aufs 
Befriedigendste.  Die  Ereignisse  aus  tinmittelbarster 
I^pLhsT  betrachtend,  und  durch  ihr  Amt  verpflichtet,  Nichts 
als  die  volle  Wahrheit  su  sagen,  geben  jene  Männer 
in  ihren  Berichten  nelien  einer  Fülle  sicherer  und  neuer 
Ni^ricfaiten  uns  aiJtch  sugleich  die  feineren  Fäden,  die 
geheimeren  Besiige  an  die  Hand,  durdk  welche  die  Er« 
eignisse  mit  den  grofsenV  aus  dem  innersten  Lebens* 
quell  der  geimanisch- romanischen  Nationen  ent#prun» 
genen  Bewegungen  lusammenhäagen.    Es  wird  dahin 

Jßhrh.  /.  m$$9n$cK  Kriiik.  J.  1840.  I.  Bd. 


kommen,  dafs  wir  der  Autoren  des  XVI.  xl  XYlI.  Jahiv 
hunderts  bald  ganz  entbehren  können. 

Den  Pttblicationeu  dieser  Art  schliefst  sich  dan 
Werk>  welches  wir  anzeigen,  auf  höchst  würdige 
Weise  an«  Durch  seine  Stellung  als  Scriptor  an  der 
k.  k.  Hofbibiiothek  hatte  Herr  Anton  von  G^vay  wohl 
n^ehr  als  jeder  andere  Gelegenheit  die  merkwürdigsten 
Aetenstuoke  aus  dem  geheimen  Haus«  Hof-  tind  Staats^ 
ardiive  in  Wien  kennen  su  lernen^  und  seiner  Bemü^ 
hung,  diese  auch  einem  gröfsertf  Kreise  mitsutheile^  ' 
mnfs  die  Wissenschaft  um  so  mehr  Dank  wissen^  als 
er  die  üerausgabe  auf  eigene  Kosten  unternommen 
und, in  sehr  gefälliger  und  anständiger  Form  äusge» 
führt  hat 

Die  vier  angezeigten  Hefte  haben'  die  vier  Ton 
Ferdinand  L'in  den  Jahren  1530 — tSM  anSuleimanL 
g;erichteten  Gesandt^diaften  zuip  Haupfgegenstande. ' 
Die  Berichte  der  ersten  und  dritten,  von  Joseph ^vqu 
Lamberg  und  Nicolaus  Jurischitsohi  von  Hierooymus 
yon  Zara  und  Cornelius  Dupplicius  Schepper  abgefafsti 
waren  schon  durch  die  ausführlichen  Auszüge  bei  v. 
Hammer  Gesch.  dee  psman.  Iteiehes  IIL.  p.  102  und  656 
p.  125  —  140  bekannt ;  von  de^r  Zweiten  Gesandtscliaft 
erwähnt  dieser  p.  661  nur  der  Instruction  für  Leon*  " 
hard  Grafjpn;  von  Nogarola  und  Joseph  von  Lamberg^ 
die  Actenstucke  des  4ten  Heftes,  welche  die  Sendung 
Schepperte  im  J.  1534  betreffen)  waren  ihm  bis  auf  den 
Bericht  Vespasian*s  von  Zara  p«  673  völlig  unbekannt«  . 
Aufses  den  eigentlichen  Berichten  enthalten  diese  Hefte 
in  den  Instructionen  für  die  Gesandten,  in  der  auf  die 
ungarischen  tind  türkischen.  Verhältnisse  Jbezüglichen  - 
Correspondenz  eine  Fidle  des  schönsten  Details  zur 
Charakteristik  der  Personen  und  Zustände  dejr  dama« 
iigen  Zeit.  Die  Beläge  hierfür  sind  in  beinah  zu  gro^ 
fser  Ausführlichkeit  mitgetheilt.  Nach  unserm  Dafür- 
balten  hätte  der  Publieation^er  eine  gewisse  Schranke 
gesetzt  werden  können.    Von  der  Instruction  und  dem 

115 


» i 


915  XJrkunden  und  Actemtüeke. 

Bericht  der  ersten  Gesandtschaft  würde  dAr  Abdruck 
des  Originäb  genügt  und  die  Wissenschaft  der  Ceber- 
8et2Üng  beider  Actenstücke,  so  wie  mancher  Briefe  im 
.  3ten  und  ^eit  Heft  ohne  groCsen  Schaden  haben  0nt- 
.feehren  können.  Ein  sehr  bedeutendes  Interesse  nimmt 
dann  aber  die  Correspondenz  Ferdinands  mit  seinem 
Bruder  Carl  V.  und  seiner  Schwester  M^r^a,  der  TOr- 
Wittweten  Konigin  von  Ungarn  und  Böhmen,  in  An^ 
Spruch;,  wir  lernen  aus  ihr  die  drangrolle -  Lage  der 
liabsburgischen  Familie  aufs  Anschaulichste  kennen. 

Dies  dem  Anscheine  nach  so  Sberaus  mächtige  Haus 
konnte  zur  Ausübung  der  Herrschaft,  su  welcher  es* 
seine  Weitverbreiteten  Besitzungen  wie  der  'Geist  und 
die  Kraft  seiner  Mitglieder  zu  berufen  schienen,  nicht 
gelangen,  weil  es,  wenn  wir  so  sagen  dürfen,  mit  allen 
"  Gewalten  in  Europa  zerfallen  war.  Zu  der  aus  der 
turgundischen  Erbschaft  stammenden  feindseligen-Stel'* 
lung  zu  Frankreich  waren  die  religiösen  Zerwürfnisse' 
in  Deutschland  gekommen,  die  von  Franz  I.  aufs  Leb- 
liafteste  genährt  mit  der  Auflosung  des  schwäbischen 
Bundes  seine  Herrschaft  in  Deutschland  sehr  zweifel- 
haft machten.  Der  Papst  Clemens  VIL  anstatt 'Carl  Y. 
'in  dieser  Bedrängnifs  zu  'Unterstützen  und  ihm  wenig-- 
Btens  die  Angelegenheiten  der  Kirche  zu  dem  gewünsch- 
ten Ende  bringen  zu  helfen^  wurde  durch  seine  Stellung 
'  als  welllicher  italienischer  Fürst  zu  dem  grofsen  Mifs- 
griff  verleitet,  in  ihm  nur  den  Feind  italiänischer  Na- 
tionalfreiheit zu  erblicken  und  ihm  in  Allem  entgegen- 
zuarbeiten. Neue  yerwicklungen  hatten  sich  fSr  Oester- 
reich  in  .Ungarn  erhoben,  das  obwohl  nach  alten  Ver-  ' 
trägen  Ferdinand  L  zufallend,  von  Suleiman  nach  dem 
Tode  Ludwigs  dem  Johann  Zapolya  gegeben  worden 
war«  Zu  den  M&chten  Buropa's  wie  zur  öffentlichen 
Meinung  stand  Oesterreich  in  der  entschiedensten  Op- 
position. '    . 

Wie  diese  Verhältnisse  nun  aufs  Lebendigste  auf*- 
einander  wirkten,  sich  durchdrangen  und  gegenseitig 
bedingten,  davon  geben  diese  Actenstücke  die  anschau-  „ 
liebste  Idee, 

Das  türkische  Reich,  noch  in  der  vollen  Blüthe  und 
Kraft  seiner  eigenthümlichen  militairischen  Institute,  nahm 
in  Europa  die  grofsartigste  Stellung  'ein..  Der  Stolz  und 
der  Uebermuth,  womit  die  bisherigen  Erfolge  die  Osma-* 
nen  erfüllt,  tritt  in  den  Unterredungen  der  Gesandten 
mit  dem  Grofsvezier  Ibrahim  aufs  Grellste  hervor;  der 
türkische  Kaiser  habe  Ungarn  mit  seinem  Säbel  erobert, 


JBkrmiMgegeben  voi$  Qivay.  91§ 

Steint  er  (G^vay  IL  jf.  ^S^  wo  sein  Rob  hintrafe,  wir 
Alles  sein;  wie  könne  Ferdinand  daher  sichK^nig  von 
Ungarn  nennend  mit  ihm,  der  nur  „ein  klains  herl  zw 
Wien**  s^i,  wolle  Si|leiman  auch  Nichts  zu  thua  baboi; 
er  suche  nluif  dea  Köni^  vod  Spailien,  •  der  so  oft  gevt* 
det,  er  wolle  wider  die  Türken  ziehen  und  „von  armen 
Leuten  darum  vief  Geld  herausgerissen  babe"  IL  p*  29 
unä  doch  wäre  er  bei  Suleiman^s  Ankunft  auf  und  da» 
von  geflohen  und  habe  seine  Länder  wie  ein  böser 
Ehemann  sein  Weib  verfassen;  mSge  er  den  Sultaa 
auf  der  Wahlstatt  erwarten,  dann  würde  goschehen, 
was  Gott  wolle,  wo  nicht,  so  müsse  er  Tribut  sduckeB 
IL  36.  87. 

Dieses  politische  Uebergewicht  gab  den  OsmaAes 
auch  für'  die  Losung  der  ihnen  so  fe^n  liegenden  reli- 
'  giSsen  Fragen,- wichet  damals  die  germanisch A  Tdlkei 
bewegten,  4ie  entschiedenste  Bedeutung*    Der  ganten, 
jelier  Zeit  eigenthümlichen  Durchdringung  kirchlidier 
und  politischer  Interessen  entsprach  es,  dafs   aoch  das 
Oberhaupt  der  Christenheit  an  Suleiman  und  Ibrahfan 
Gesandte  schickte  und  ihnen  ,jtreulich  seine  Noth  kiag- 
te'^  I,  p.  29,  dafs  der  türkische  Grofsvezier  den  christ» 
liehen.  Gesandten  gegenüber  den  Papst  in  Schutz  nahm* 
und  Carl  V  die  -  Härte,  MTomit  *  er  Rom  eingenommen 
und  Clemens  Til  behandelt,  die  Zerstörung  dessen,  was 
seine  Vorgänger  ,,ztt  ihrer .  Seelen  Heil  Und  Gott  n 
Lob*'  gestiftet  hätten,   zum  Vorwurf  machte,    (IbidesiX 
Der  Papst  war  aber  nieht. einmal  der  einzige,  der  ge> 
gen  ihn  bei  der  Pforte  Hülfe  und  Schutz  suchte;  in  der 
Instruction  für  Cornelius  Schepper  (lY,  p*.  8)  vom  21^ 
December  1533   gieb^  Carl  ditöem  ausdrücklich  au^ 
sich  über  die  Praktiken  und  Einverständniue,  welche 
Sowohl  katholische  als  protestantische  Fürsten  in  Con» 
stantinopel  hätten,  zu  unterrichten;  ja  Ibrahim  scheuC 
sich  nicht,,  dem  Gesandten  zu  sagen  (111,  p.  26):   .^Die 
46utschett  Fürsten  so  wie  Luther  werden  Alles  tfava^ 
was  wir  ihnen  befehlen ;  und  wenn  ich  wollte,  ich  steDle 
den  Papst  auf  die  eine  und  Luther  auf  die  andere  Seil» 
und  würde    beide   zur  Kirchenv^rsammlung   zwingen. 
Sage  Carl,  fügte  er  dann  heftiger^  werdend  hiozu,  dafii 
ich  es  war  und  bin,  der  das  Goncil  verhindert  haW." 
WicTiel  auch  hieran  Uebertreibung  sein' mag ^   sielier 
ist  es,  dafs  der  Einflufs  der  Türken  auf  die  kirchÜcheB 
Angelegenheiten  kein  geringer  war;  machte  doch  Cail 
y.  seihst  zur  Bedingung  des  J'riedens  (IIL  p«I3),  dafii 
Suleiman  sich  nicht  in  'die  GIaubensstreit|gkeiten  der 


917  tJrkuwden  und  AetenstUclbe. 

Gbristen  miscbeii  und  nicht  Verhindern  dQrfe^  daß»  sie- 
viedeir  sum  wahren  Glauben  zarückgefuhrt  werden  I 
Bei  dieser  Lage  der  Dinge  war  es  nicht  zu  ver« 
'  teundern,  dafs  auch  Franz  I.  in  dem  Sulian  seinen  treu«»' 
sten  Freund, '  seine  grSX^te  Stütze  erblickte.    Wie  die 
Türken  selbst  rjihmen,  wurde  der  Krieg  gegen  Ungarn 
issä  Jahr  1526  iM  Ansuchen  seiner  Mutter  unterncm- 
nen  (IIL  p.  22);  den    Gesandten  wurden   Yorwürfe 
%egen  der  Grausamkeit  gemacht,  mit  welcher  Carl  den 
,   König  von  Frankreich  gefangen  gehalten^iabe  (I.p.'29)$ 
Sttleiman  selbst  stellte  als.  erste  Bedingung  des  Frie- 
dens auf  9    dafs   Franz  I.   alle  Länder   AurüekerBalfe, 
weldie  Carl  ihm  geraubt  habe  (IV.  43.).    Diesem  gan- 
ten Verhällnirs  ist  es  dann  angemessen  j   daCf  Johann 
Zapolya  den  Hieronymus  Lasiry  nach  Paris  sendet,  dafs 
dieser  von  Franz  den  St.  Michaelorden  und  das  Yer* 
iprecfaen  erhält,  dem  angeblichen  Könige  von  Ungarn 
eine  seiner  Töchter  zur  Ehe  geben   zu,  wollen  (II.  p. 
78);    Unter  der  Bedingung/  ohne  seine  Bewilligung  kei-' 
tien  Frieden  zu  schliefsen,  bot  der  König  von  Frank- 
reich dem  Woiwoden'  selbst  ^noch   eine  Pension  von  • 
30,000  Diiimten  an  (lY.  p.  47). 

Nehmen  wir  die  Yethältnisse  zu  England  hinzu, 

^o  Heinrich  YIII.  seine  Scheidung  von  Carls  undFer-* 

flinands  Tante  aufs  eifrigste  betrieb  (I.  p.  64),  so  er-' 

bellt,  dafs  die  Lage  Oesterreichs  nach  al)en  Seiten  hin' 

nicht  schlimmer  sein    konnte.     Yor   allem  fürchteten 

beide  Fiirsten  die  Rückwii^kung  der  europäischen  Yer- 

wicklungen  auf  die  deutschen  Angelegenheiten.    Ebenso 

^ewiCi  es  Ferdinanden  war  (nach  einem  Schreibeii  vom 

28.  Januar  1530.  I.  p.  fö-^.65),  dafs'  wenn  Frankreich 

find  England  den  Frieden  brächen,  sie  Einverständnisse 

liHt  dem  Papst,  Yenedig  und  Mailand  haben  müFsten, 

aO'  zweifelte  er  keinen  Augenblick  daran,   dafs  ^wenn 

dann  der  Kaiser  in  Italien  mit  dem  Kriege  beschäftigt 

^üre,   die  Lotheraner  die  ersten  wären,  welche  den 

Streit  beginnen  würden   (qui   vouldroient  comeni^er  le 

dehnt).     Ueber  sdne   geheimen   Absichten*  in   Betreff 

der  religiösen  Zerwiirfnisse   und  die  Mittel  ihnen  so 

begegnen,  ist  dieser  Brief  voh  der  höchsten  Bedeutung. 

Ferdinand  erklärt,  bis-  sur  Ankunft  CarPs,    der  nach 

Bologna  zur  Krönung  gegangen  war,  die  Protestanten 

ko  sehr  als  möglich  hinhalten  za  wollen,  ohne  mit-ih*^ 

nen  .etwas  abeuseUiersen ;    wenn   er  aber  selbst  dies 

wOrde   thun   müssen,  so   'könne    der  Kaiser    abgescn 

hen  TOD  ihrer  Ketzerei  dennoch  Mittel  finden  sie  %u 


'  Bwvßi^gegehen;  vimOivay.  918 

best^afißn  und  Leutd  gönug,  dif  ihm'  dabei  helfen  wur«' 
den.    Ntnr  möge  Carl  aufs  Eiligste  nach  Deutschland' 
Eurudtkehren,  sonst  würden  die  Lutheraner  nioch  ir- 
gend  eine  Thorheit  beginnen.   Car  ü  ont  grande  erainte 
de  Toitr^  venue,  fugt  er  p.  66  huizu,  et  que  ddivent . 
cjitre  fort  chaties  comme  hien  Tont  me^ite  et  vouldroFent 
davant  vostre  venue  .avoir  ainsy   trouble   les   afair ea 
que  apres  ensies  bien  a  fairo  ä  les  rapaisier;  me^^  sl- 
venes  plus  tot  et  qne  voient  que  ne  les  veullc»  estro' 
sy  rigoureux  et  vöient  vostre  presence  sur  .hon  espoir 
et  en  partie,  ausy  en  creinte  ne  se  oseron^  bougier  et 
haucop  qui»  tiennent  leur  pactie  se  pardront  de  eulx  ef 
espere  que  sy  ne:  veulent  venir  ä  la  raison  demeuront 
sy  snls  quo  ppures  fere  selon  vostre  hon  plaisir  «—  — 
et  en  ca»  i^ue  les  afaires  de  la  guerre  de  Trance  ou   . 
ceulx  du  turk  vois  survinsent  pouries  trouyer  moien 
de  quelque  bonne  höneste   supersesion  de  la  foy  jus« 
ques  a  ung  general  concille  —  et  jespero  que  en  tra-  . 
tant   avecques    eulx    on  trouverait   moien    que'  sy  la 
guerfe  venoit    fut    avecques    france    ou  que    le  turk 
yint,  que  par  moien  de  quelque  graee  ou- Suspension    . 
de  pounition  il  vous  feroient  quelque  bone  aide. 

Ein  nicht  minder  helles  Licht  wird  auf  die  ganze 
Lage  der  Dinge  durch  den  ursprünglich  in  spanischer 
Sprache   abgefafsten   Brief  Ferdinahd's   an  Carl  vom 
17«-  März  1531.  (I.  p.  97)  geworfen,  von  deüi  im  zwei« 
ten  Heft  p.  56  eine  lateinische  gleichzeitige  Bearbei- 
tung steht.    Indem  Ferdinand  di«t  Frage  in  Ueberle« 
gung  zieht,  ob  mit  den  Türken  selbst  dann  Frieden  zu 
schliefsen  wäre,^  wenn  er  ganz  Ungarn  abtreten  muüste) 
ist  es  für  die  Tüchtigkeit  seines  Charakteis  und  den    • 
Ernst  seiner  Bestrebungen  bezeichnend^  dals  er  lieber 
den  Krieg  bis  auf  den  letzten  Blutstropfen  fortsetzen    , 
will,  als  Ungarn  (Chrfstianitatis  antemurale  et  propu*.  v 
gnalum)  ihnen  zu  lassen;  doch  verhehlt  er  sich  auch 
die  Schwierigkeiten'^  seiner  Lage  nicht;    er  prüft  mit    « 
Besonnenheit   die  'gegen  eine  Fortsetzung*  des' Krie* 
ges  vorgebrachten  Gründe  (IL  p*  60),  dafs  seine  Haus«^ 
macht  durch  die  bbherigen  Peldzüge  gegen   die  Tür- 
ken,   so  wie  durch  die  Bauernkriege  erschöpft ,  vom 
Reiche  nur  ungevrisse  und  langsame  Hülfe  ^«i  erwar- 
ten sei,  i^enn  nicht  diese  überhaupt  durch  *den  kircfaU- 
chetf  Zwiespak^gam  verhiildert  würde.   De|in  die  Lu- 
theraner, selbst- wenn  sie  die-  grofse  Noth  sähen  und 
ihr  abzuhelfen  wünschten,  würden  doch  hiervon  durch   ; 
den  Gedanken  abgezogen  werden,  dafs  bei  einem  glück- 


^  I 


J 


819  Uriundm  und  AetmHS^Ae. 

ttdiiii '  Auigai^t  det  Krfegei  4m  ftBfickl*  Bolii9ti4c 
iogUok  gegett  «je  geweii4«t  werdea  dü[rAe  — ,  daßi 
wutn  fwloMhr  Ungarn  den  Tftrken  iUiorlamei^  tttTAiw 
dml  die.  eiraen  Angel weBheite&  ordnen  und  die  ire« 
dremM  CbristenbeiC  dnrob  ein  allgemeines  Cdndl  Tvie* 
der  in  «kh  beruhigen  nnd  versolineii  vfisse^  um  dann 
mit  rereinien  Kräften  gegen  den  Erbfeind  sa  siehen, 
nnd  nicht  nUein Ungarn,  eondecnüberhaupt  alle,  cbrist* 
Meher  Herrachaft  je  entrissenen  Länder  wiederzugewin- 
nen« VocscUägn>  die  bei  allem  pbantastiseben  An« 
seheine  docb  aseh  mit  der  Ansteht,  welche  der  in  tör* 
kisehen  Angelegeftdifiteii  gewiPs  erfabrene  Aloisius  6  rillt 
Ton  der  Lage  der  Dinge  hegte,  siemUeh  gniau  über- 
etn9tflnmten.  Diei^mr  behauptete  (UL  p.  49)i  weon  die 
Christen  huf  einig  wSreni  so  konnten  sie  leidit  Gri»* 
ebeniand  und  Asien  erobetn,  da  sieh  dort  100^000  der 
Besten  Leut^  iait  ihnen  yereintgen  würden;  denn 
mochten  die  Türken  anch  sagen,  was  sie  wollten^  ihra 
Macht  hätte  den  böohaten  Gipfel  erreicht« 

Auch  Carl  war  für  den  Frieden  {d.  Antwort  Fom 
25^  November  153L  IL  p.  64).  Er  hatt«  sieh  immer 
eine'  freiere  hebere  Welt  ansieht  bewahrt  und  im  Be» 
wttisttein  dessen,  was  wahrhaft  Notb  that,  gehalten. 
Er  war  vielleicht  der  Einzige,  der  über  beiden  Par« 
taten  stand  und  die  redlichsten  Gesinnungen  für  das 
Ganae  hegte.  Oas  Urtheil ,  welches  Ferdinand  Qi»ef 
ihn  fällte:  L  p«  63*:  come  tous  estes  tousjours  bien  et 
prudentement  pesant  come  poudres  metre  remede  a 
tant  de  ndaulx  qua  Ion  i^t  i^ndant  enUa  chrisfiaole  et 
je  vöy  fue  fHe%  de  eortm  fna  md  ne^  teut  pm$rra 
cutp$r,et'^fits  teus  antla;/fue  mrent  tm  vraie  veri$e 
et  ia  wnUdront  eoi^$$er  ne  feur%ni  mdirement 
dire  ey  neu  fue  o  voue  na  tenu  que  letH  ne  eeit 
Uen  oHe,  bat  die  neuere  Geschichtsforschung  ia  vol- 
lem Mabe  bestätigt*  Sdne  ganse  WeitsteÜung  nothigte 
ihn,  dem  Auelande  g;fgenüber  Deutschlands  Einheit  so 
viel  als  mögiieh  mifrecht  su  erhalten  $  irir  besiteen 
FercEiiands  ebenen  Zeugnife  darüber,  dals  wesentUeh 
die  Rüdesicht  auf  die  Türkengefabr  seinen  Bruder  be- 
stinmit  b^be,  den  augaburgischen  ReUgionsverwandton 
die  «weite  greise  Concession, -den  Nürnberger  Religtons« 
frieden^  su  machen  I.  p.  70« 

Wie  mäehtig  aber  unser  Yaterlaiid,  wenn  Etntg* 
kek  Iwrtachte,  war,  hatten  die  Tivken  unmittelbar  dar« 
auf  an  dem  tapferU  Widerstände  *  erfahren,'  weichen 


Beremsgegehen  veln  Cli¥0^* 

ihnen  ^  die  lahlreieben  Heere  beider  Ffitstan  neek  f» 
demselben  Jahre  entgegensetsten  (Räumer  Gesah,  Ear« 
L  p%  434  vJ  G^vay.  IL  p.  80)  nnd  wann  auch  'Ferdi* 
nand's  Erwartungeit  vom  Regensbörger  Reiehstage  (fuf 
esperoit  que  seroeit  nostre  totale  redemoion  III.  p.  53) 
in  Manchem,  bitter  ^etftuscht  wurden,  so  hatte  dedi 
jene  aUgemeiue  Erhebung  der  Deutschen  soviel  l»ewirkt| 
dafs  der  Sultan  Frieden  gewährte  und  ihm  aeine  Be» 
sittungän  in  Ungarn  lielb  (v.  Hammer.  III.  p.  140»  Die 
Actenstucke  über  Verkündigung  des  Friedens  bfi  G^ 
vaylil.) 

Hiermit  war  aber  ^i^gi^QSe  Entwicklung  noch  k4- 
neswegs  geschlossen ;  noch  immer  griffen  die  eumpii» 
sehen  AngdegenlM^can  bestimmend  in,  den  G«b£  der 
kirchlichen  Bewegungen  in  Deutschland  ein ;  wir  ertidh 
ren  aus  IV.  p.  69,  dafs  Philipp  ton  Hesaen  den  Wei. 
woden  Zapolya  und  seinen  Gesandteii  Lnsky  dringend 
aufforderte  keinen  Frieden  mit  Ferdinand  su  nuicbeni 
denn  vom  Könige  von  Frankreieh  mit  4D  Stiick  Ge- 
schüts  und  200,000  Göldthalern  unterslütnt  beabaichtigs 
er  in  Würtemberg  eineufallen,  nun  dien  seit  nehreren 
Jahren  in  Ferdinand*s  Händen  befindliche  U^xagthum 
für  den  reehtmürsigen  Herra  wieder  in  Besits  su  neh- 
men. Wir.  kön^n  sagen^  Jener  für  die  FestatnUimg  des 
protestantischen  Principe  als  einer  politischen  Macht  in 
Deutschland 'it^  überaus  wichtige  Kriege  erfolste  im  An* 
geeicht  de^  grolsartigjiten  politiachen  Combination. 

Indem  wir  uns  bemühten^  von  den  atlgeoMiii  widi* 
tigst^  Naclirichtent  welche  diese. vier  Hefte  eathaltes^ 
eilte  Andeutung  au  geben^  konnte  es  nicht  nnaere  Ab* 
sieht  sein,  auch  alle  dli^enigen  jene  Zeit  betrefiondaa 
Fragen;  welche  durch  Publicationen  dieser  und  ifanfi» 
eher  Art  ihrer  Lösung  entgegensehen,  zu  berühren.  Ia 
noch  vielfach  anderer  Hinsicht,  als  in  der  von  «aa  b^ 
sprochenen,  werden  diese  AktenstüclLe  eine  Fundgrube 
für  den  Historiker  sein*  .  Möge  also  von  Seilen  der 
Behörden  und  des  Publicums  dem  Werke  der  BaibJI 
und  die  Forderung  su  Theil  werden,  welche  da»  Her» 
ausgebedts  ebenso  uneigennütaige  als  fleifsige-mid  eoig» 
same  Bastrebongen  verdienen,  und  wir  imld  die  Freuds 
haben ^  die  versprochenen  Hefte,  welche  die  frnherm 
Gesandtschaften  Ferdiaimd's  an  Suieiman  entfanIteA 
den,  anzeigen  su  können, 

Roger  Wil 


a?  116. 

Jahrbücher 

•  / 

\ 

für 

w  i  s  8  e  n  s  c  h  ä  tt  1  i  c  he 


Kritik. 


Juni  1840. 


■—— 


LXXIIL  V 
IJ  Lehrbuch  der  Geschichte  der  Philosophie  von 
Ernst  Rein  hold,  Grofsh.  Sachs.  Geh.  Hof- 
rath  und  ordentl.  Prof.  rf,  Philos.  zu  Jena^ 
zweite  vermehrte  u.  verbesserte  Außage.  J'ena^ 
1839-  bei  Fr.  Mauhe.    XX.    764  S. 

2)'  Umrisse  der  Geschichte  der  Philosophie^  ent-^ 
worfen  von  Dr.  Eduard  Schm^idt,  au/seror- 
dentlichem  Professor  der  Philosophie  zu  Ro^ 
stock.    Berlin^  1839.  bei  Dummler.    334  & 

;  Allgemein,  hat  sich  das  BewuGstselb  entwickelt,  dafs 
die  Geschichte  der  Philosophie,  soll  aqdeu  ihr  Studium 
fQr  das  der  Philosophie-  von  Wichügkeit  sein,  philoso- 
j^hiiich  dargestellt  werden  müsse,  und  dafs  eine  Darstel* 
lung  derselbeiL  einmal  ein  treues  Bild  der  Systeme, 
dann  aber  auch  den  Nachweis  enthake,  dafs  ihre  Ent- 
Wicklung  eine  verniinftige  gewesen*  Ward  froher  fast 
nur  der  entere  Gesichtspunkt  festgehalten,  so  tritt,  da- 
gegen in  unseren  Tagen  das  andere  (constructiTc)  Cle- 
ment oft  auf  «eine  tumultuariscbe  Weise  auf,  um  so 
mehr,  je  weniger  gründliche  Bekanntschaft  mit  den 
philosophischen  Systemen  Statt  findet.  Dieser  Befurch* 
tüng  hat  man  nun  bei  dem 

hehrbuehe  No.  1.  nicht  Baum  zu  geben,  dessen 
schnell  auf  einander  folgende  Auflagen  für  seine  Brauch« 
barkeit  sprechen«'  Die  gründliche  Bekanntschaft  des 
Yerfs.  mit  seinem  Gegenstände,  sichert  ihn  vor  einer 
ftfaereilten  Construction ,  die  oft  so  herrlich  zu  passen 
scheint,  blofs  weil  man  die  Instanzen  dagegen  nicht 
kennt  Dabei  aber  hat  eir  sich  den  Anforderungen  der 
Zeit  nicht  entzogen.  Nicht  nur  dafs  er  p.  5  ausspricht, 
dafs  es  zu  einer  wissenschaftlichen  Darstellung  der 
Qeschiäite  der  Philosophie  nothwendig  sei,  einen  be- 
stimmten Begriff  der  Philosopliie  zu  Grunde  zu  legen, 
nicht  nur  dafs  er  von  ^inem  solchen  aus  die  Kritik  der 

lakrh.  /.  tPWtexfcA.'  XriA'ir.  JT.  1840.     L  Bd. 


einzelnen  Systeme  unternimmt,  sondern  die  Schlufsbe* 
trachtung  weist  geradezu  auf  das  System  des  Verfs« 
hin,  als  auf  einen  Yersücb,  die  Mängel  der  früheren  zu 
vermeiden;.  Wir  können  dies  nicht  tadeln,  da  eine  Ent* 
Wicklung  nur  dann  als  vernünftig  erkannt  ist,  wenn  sie 
zu  einem  Ziele  hiogeföhrt  ist«  Eher  mochten  wir  eine 
eklektische  Bescheidenbeit  tadeln,  die  sich  p.  4  aus« 
spricht  und  eine  Selbst -Ironie  enthält,  die  eigentlich 
jedem  Eklekticismus  zu  Grunde  liegt.  Weil  aber  so 
die  philosophische  Construction  nicht  ausgeschlossen 
ist,  so  wird  kein  fremder  Maalsstab  ^n  das  Werk  her- 
angebracht werden,  wenn  wir  bei  der  Beurtheilung 
desselbei^  gerade  sie  ins  Auge  fassen.  Dazu  fordert 
nun  besonders  auf  die  Eintheilung,  die  natürlich  ein 
Werk  der  philosophischen  Construction  ist.  Indem  der 
Verf.  mit  Recht  die  orientalische  Welt  von  seiner  Be- 
trachtung ausschliefst,  behandelt  er  in  dem  ersten  Theil 
die  Geschichte  der  alten  Philosophie  (p.  23  —  278)« 
Dieser  Theil  der  Qeschichte  befafst  ihm  den  Zeitraum 
von  Thaies  bis  zu  den  Neuplatonikem  inclusive.  So 
paradox  es  scheinen  mag,  ich  mufs  gestehn,  dafs  ich 
den  Grund  nicht  einsehe,  warum  es  Sitte  ist,  die  Phi- 
losophie der  Neuplatoniker  zu  der  griechischen  Philo- 
Sophie  zu  rechnen.  Was  soll  hier  entscheiden  f  Die^ 
geographische,  Lage?  ein  Aegypter,  in  Alexandria  ge- 
bildet, stiftet  zu  Rom  eine  Schule,  und  lehrt  eine  Phi- 
losophie, die  von  der  Plato's  reichlich  so  weit  abweicht, 
wie  die  der  Aralber  von  der  des  Aristoteles,  die  letz» 
tern  aber  rechnet  Niemad  zu  den  antiken  Philosophen*  — 
Die  Zeit?  die  Blüthe  der  Neuplatoniker  fällt  in  Saec. 
3-^5  unserer  Zeitrechnung,  jedenfalls  also  in  die  neuere 
Geschichte.  -^  Oder  etwa  die  Religion  jener  Philoso- 
phen?  der  Grund  wäre  sonderbar.  Mir  fällt  es  nicht 
ein,  jene  Philosophen  christliche  Philosophen  zu  nen- 
nen (so  nenne  ich  auch  den  Spinoza  nicht),  wohl  a^^ejr 
Philosophen  «der  neuem  d.  h.  der  christlicben  Zeit. 
Hierzu  aber  zwinjgen  mich  nicht  äufsere  Gründe,  wie 

116 


•^ 


923  ^      Oe  schichte    de 

jene  angeführten,  sondern  wichtigere,  innere.  Wie  der 
Verf.  ganz  richtig  bemerkt,  ist  die  Philosophie  bedingt 
durch  die  ganze  intellectuelle  Bildung  eines  Volks,  da- 
her wird  grieehische  Philosophie  griechischen  Geist 
•thmen.  Eine  Philosophie  aber,  weljßhe  Fragen  zu 
ihrem  Hauptproblem  nüacht,  welche  im  Alterthum  zu<^ 
rucktreten  (z.  B.  iiber  Weltschöpfung  und  Böses),  in 
der  neuern  Zeit  aber  sich  ganz  in  den  Vordergrund 
stellen,  werden  wir  mindestens  zu  jenem  nicht  rechnen 
jEdnnen.  Ob  den  Neuplatooikem,  die  wir  deshalb  aus 
der  Reihe  der  antiken  Philosophen  ausstreichen,  in  der 
der  teueren  eine  Stelle  zukommt,  und 'welchef  darauf 
kommen  wir  bald.  -^  In  der  (üten  PAiloiophie  nimmt 
der  Verf.  drei  Perioden  an.  Da  er  die  letzte  ab  Zeit 
der  Entartung  bezeichnet^  Ton  der  mittleren  aber  p.  70 
sagt,  sie  umfasse  „die  gesammte  kräftigere  Lebenszeit'' 
der  griechischen- Philosophie,  so  werden  wir  wohl  nicht 
gegen  seine  Ansiphten  verstofsen,  wenn  wir  die  erste 
Periode  als  die  Jügendperieäe  derselben  bezeichnen*. 
Diese  enthält  «nach  dem  Verf.  (denn  die  zweite  bezeiob» 
net  er  als  die  der  attischen  Philosophie)  die  Bntwick. 
lung  der  Philosophie  aulserhalb  Athens ,  eine  Zusam» 
menstellung,  die  nicht  so  äufiierlich  ist,  als  es  sebeint« 
Denn  wenn  die  Philosophie  erst  auftritt,  wo  das,  fri- 
sche ujcimittelbare  Leben  erstorben  oder  im  Ersterben 
begriffen  ist,  so  bezeichnet  das  Hineindringen  der  Phi- 
losophie in  Athen  den  Zeitpunkt,  wo,  der  Tod  Grie« 
chenland  ans  Herz  getreten  ist,  und  also  wirklich  den 
Eintritt  einer  neuen  Periode.  Aber  eben  deswegen 
raufsten  zu  ihr  gerechnet,  oder  mindestens  ab  zu  ihe 
-hinuberleitend,  betrachtet  werden  diejenigen  Systeme, 
welcbe  nicht  nur  räumlieh  genommen  die  Philosophie 
in  Athen  einrührten;  sondern  ein  Princip  geltend  mach- 
ten, welches  in  Athen  Anklang  finden  mufete^  ich 
meine  den  Anaxagoras  und  die  Sophisten.  Die  letz- 
tem behandelt  der  Verf.  gar  nicht  besonders,  den  er- 
Stern  rechnet  er  nach  dem  Vorgange  der  siebten  Hi* 
storikdr  zu  den  Joniern,  obgleich,  seine  Ansicht  speci- 
fisch  von  allen  'früheren  unterschieden  ist.  Wenn  bei 
diesen  nach  des  Aristoteles  Ausdruck  dies  das  Gemein« 
same  bt,  -dafs  Gleiches  durch  Gleiches  erkannt  worde^ 
wenn  darum  der  Unterschied  des  Subjectiven  und  Ob» 
jectiyen  ganz  fehlt,  dem  Anaximenes  die  Seele  eben 
so  Luft  bt  wie  das  All,  dem  Pythagoras  Beides  Zahl, 
dem  Eleaten  Eines  das  votXv  rt  xo»  ovvtxiv  iari  votj^ta^ 
dem  Herakitt  die  erkennende  Seele  feurig,  dem  Empe- 


rJPhiloeophie.  .  921 

docles  auch  die  Seele  ein  Gemisch  der  Elemente,  den 
Atomikern  auch  das  Subject  ein  evatfi(Aa  %3w  dvofunf^  •— 
so  sehn  wir  dagegen  bei  Anaxagoras  -den.  tovg  deeme- 
gen  das  Zusammengeselzte  ^erkennen,  weil  er  dfity^ 
bt«  Dbser  Dualbmus,|  der  nach  dnstimnigem  Ze«^ 
nifs  bei  ihm  xuerst  yorkommt,  scblielst  ihn"  yon  der 
Jugendperiode  der  griechbchen  Philosophie  ans,  wel- 
che dieselbe  UnbefangenUeit  athmet,  wie  das  schoae 
griechische  Leben,  •  in  dem  das  (kindliche)  Subject  sidi 
Eins  weifs  mit  der  VTelt. 

Innerhalb  dieser  ersten  Periode  werden  nan  drei 
Gruppen  yon  Systemen  angenommen  und  vom  Verf. 
ab  Bealismus  (Jonier),  Ideälbmus  (Eleaten)  und  Real- 
Idealbmus  (Pythagoräer)  bezeichnet.  Befremdend  ist 
hier  die  Stellung  derletz^teren.  Verstehn  wir  mit  den 
Verf.  unter  Realismus  die  Ansicht,  welche  einen  nmr 
physicaUschen  Urstoff  annahm,  unter  Idealismns  die, 
wacher  nur  Gedankenbestimmungen  das  Princip  aöid, 
so  werden  wir  zu  einem  fibnlichen  Schematismus  kom- 
men,  freilich  ihn  anders  anw^den  ab  der  Verfasser. 
Zuerst  nämlich  würden  wir  die  reinen  PAyeio/ogen 
haben,  (ein  Ausdruck  der  nns  passender  scheint  als 
der  der  Jonier,  zu  denen  man  streng  genommen  dea 
Pythagoras  und  Xenophanes  rechnen  könnte);  d^  V£» 
'Selbst  stellt  den  Thaies,  Anaximandros  und  Anaximcaee 
noch  besonders  zusammen.  In  der  That  yoDendcD 
diese  drei  diese  Riditung,  indem  Thabs  das  Princip  ale 
QuaUtatiyes  nahm,  aber  auch  ab  Beschränktes,  Anaxi«' 

,  laandros  die  Sdiranke  negirte,  dabei  aber  aueh  die 
Qualität  einbüfste,  Anaximenes  endlich  die  Unendliek- 
keit  festhielt,     zugleich    aber    sein   Princip   qoalitalir 

.  bestimmte  (^noiotfiai  w^iefuvov)  und  damit  sieh  dm 
Tbales  wieder  annäherte.  Zu  diesen  gesollt  sieh  dann 
noch  der,   welcher  zwar  materiell  nicht  weiter   geht, 

.  aber  Weil  er  den  bewufsdesen  ilyloeoismus  der  Phy- 
siologen, als  ein  Heactionftr,  gegen  einen  hdhem  Slaiut 
punkt  mit  Bewufstsein  zu  yertheidigen  suchte,  m  fer* 
melier  Hinsicht  bedeutend  da  steht,  und  darum  eine 
ausführlichere  Betrachtung  yerdient  hätte,  Diegenee 
yon  ApoUoaia.  —  Aufser  diesen  iiun  reclmet  der  Teif* 
zu  den  Joniem  noch  den  Heraklit)  Anaxagoras,  Empe* 
docles  und  die  Atomtker^  auf  die  wir  nachher  xoruck« 
kommen.  Die  zweite  Riehtung  bezeiehnet  der  Verf. 
ab  a6jeciiven  Idealitmuey  ein  Name,  den  wir  nna  gern 
gefallen  lassen.  Eb  sind  dies  diejenigen,  wekke  in 
einer  Gedankenbestfamnung  das  Prioeip  yes  AUeot  s»» 


G  e  9  e  h  i  e  k  t  e    d  € 

eben.    Dafo   der  Verf.    liieriier   die  EleaUn  rechnet) 
k^mi  natürlicb  nur  gelobt  Verden,  aUein  eben  so  gehö- 
ren  die  Pythagaraer  hierher,  und  zvAr  mulsten  sie 
vor  den  Eleaten  beliandelt  werden,  nicht  nur  weil  sie 
historisch  früher  aufgetreten  sind,  und  Xenophanes  die 
LebreA  des'Pytiiagoras  Icannte   und  an  sie  anknüpfte, 
aondem  wegen  ihrer  innern-  Stellung,  die  schon  Por- 
pbyrius    ganz  richtig   erlcannt,  wenn  er  sie  auf  dem 
Wege^zu  den  reinen  Gedankenbestimmungen'  bei  den 
Zahlen  (den  tturserliclisten  Gedankenbestittmungen)  stehn 
bldben  Is^st.    Wenn  der  Verf.  sie  als  den  höhern  Yer- 
einigungspunkt  der  ionischen  und  eleattsrchen  Richtung 
ansieht,  so  mufs  icfagastehn^  dafsich  nicht  weifs,  urorin 
das  ionisdie  Element  sich  soll  erkeimen  lassen..    Soll 
es  darin  liegen,  wie  der  Verf.'  andeutet^   dafs  die  P7- 
tbagoräer  auch  den   Gedauken  der  Mannigfaltigkeit, 
'der  Ton  den  Joniem  allein  festgehalten  wurde,  zu  sd« 
Btai  Recht  kommen  lassen,  so  sind  die  Jonier  efieu  so 
mehr  Idealisten  wie  die  Eleaten.     Allerdings  nehmen 
aueh  wir  eine  solche  Richtun;g  an  ab  die  dritte  dieser 
Periode,  aber  wir  erkennen,  sie  in  den  spater»  PAy* 
0$oiogent  deren  Eigenthümliehkeit  eben  ist,  die  altem 
physiologischen  mit  italischen  Elementen  zu  verschmel- 
aen,  wie  dorn  auch  historisch  eui  Emfiuis Jbeider  auf  sie 
Aaobgewieaen  werden  kann«    Es  sind  dicgenigen,  weU 
che  Gedankenboktimmuageii  zum  Princip  machen,  diese, 
aber  im  PhjsikaBschen  anschauen.     Wir  rechnen  zu 
ihnen  den  HerakUt^  dw  dem  Sdn  der  Eleaten  das 
Niefatsein  entgegen  stellte,    b«de  aum  Werden  Tcrei^ 
ttigte  und  dieses  im  natürlichen  (nicht  Stofle  sondern) 
Proeesse  des  Feuere  anschaute,  den  Empedoeles^  wel- 
'dMT  Sein  und  Werden  zugleich  festhielt,  indem  er  in 
den.El«menten  das  physikalische  Bestehn,  in  der  Ver- 
änderung, wie  sie  sich  als  Polaritätsgesetz   zeigt,  das 
physikalische  Werden  erkannte,  ^-  Beiden  geben  wir 
dandt  die  Stelle,  weiche  schon  Plato  ihnen  anwies^  in- 
^m  er  sie  beide  Richtungen  vereinigen  liefe,  — r  end- 
Ueh  .die  Atomiker,  die  alle  drei  i^tegorien,  die  bisdaliia 
aar  Sprache  ^kommen,  in  physikalischer  Form,   zum 
Princip  macheii,   das  Sein  als  Volles,    das  Nichtsein 
ala  Leeres,  die   Einheit  beider  ale  das  Eintreten  des 
Einen  in  das  Andre.    (Jonier  sie  zu  nennen  sind  wir 
Biekt  berechtigt,  das  ist  nur  Heraklit,  da  sich  in  Abdera 
die   Terschiedensten    Elemente  mischen. ,    Eknpedokles 
gehört  weder  seiner  Geburt  nach  zu  den  Jonie^n,  noch 
seiner  Ansicht  nach  zu  einer  der  frühern  Richtungen, 


r    Philo  s^opht^e.  9». 

daher  er  (alles  mit  Unrecht)  bald  Jonier,  bald  Pytha^ 
gorüer,  baldEIeate  genannt  wird.)  Auch  der  Vf.  kann 
eigentlich  gegen  diese  Anordnung  Nichts  haben,  da  er. 
p.  31  selbst  sagt,  Heraklit  habe  gegen  die  vofausge« 
gangne  Speculation  einen  Foftschritt  gemacht,  indem 
er  den  Gedanken,  der  jenen  nur  vorgeschwebt,  als  on* 
tologisehe  Grundwahrheit  aufgestellt  (also  ist  er  Idea* 
list)  und  zugleich  das  Feuer  zum  Princip  gemacht  (also 
ist  er  Realist)  habe/  Eben  so  gesteht  er  den  unver- 
kennbaren E^nfluls  ein,  den  die  eUatische  LfChre  auf 
Empedokles  und  die  Atomiker  gehabt.  Wenn  er  dann 
auch  noch  zugesteht,  dafs  der  Standpunkt  beider  unter* 
halb  dessen  des  Anaxagoras  stehe,  so  werden  sie  wohl 
auch  vor  demselben  abzuhandeln  sein,  um  so  mehr,  als 
die  bekannte  Aeufserung  des  Aristoteles,  die  den  Em«* 
pedokles  gegen  den  Anaxagpras  als  S^tok;  yarigog  be« 
zeichnet ,  wahrscheinlich  auf  den   IVerth  der  Schrif« 

.  tea  geht.  — 

Mit  dem  Anaxagoras  wünschten  wir  nun ,  den 
Debergang  gemacht  zu  der  zweiten  Periode,  Der 
Verf.  legt  aulser  auf  seinen  Dualismus  auch  darauf  Ge- ' 
wicht,  dafs  er  die  Philosophie  nach  Athen  verpflanzt. 
Beides  hängt  zusammen.  Eine  Philosophie,  welche  aus« 
spricht,  data  der  vovg  die  geistlose  Masse  beherrsche^ 
spricht  als  absolutes  Verhältnifs  aus,  was  factisch  im 
Perikleischen  Zeitalter  in  Athen  Statt  fand,  und  wer 
seine  Zeit  verstand,  mufste  ihm  darum  zufallen,  am 
meisten  der,  welcl^er  im  Staate  den  voZ^  spielte.  Die 
Freundschaft  des  Perikles  mit  ihm  hat  eine  innere  Noth« 
wendigkeit.  —  Wenn  bei  Plato  Sokrates  den  Anaxa- 
goras  als  Vater  eines^  neuen  Principe  bezeichnet,  so 
folgt  daraus,  dafs  Plato  eine  Verwandtschaft  zwischen 
seinem  und  des  Sokrates  Princip  annimmt,  und  in  der 

^That  entwickelt  sich  vom  Anaxagoras  aus  die 'in 
Athen  herrschende  Philoüophie  gans  nothwendig.  Ana-  ^ 
asagoras  hat  die  Scheidung  zwischen  Subjeotivem  und 
Objeotivem  zuerst  ausgesprochen,  das  Subjective  ab^r 
dem  Ofajectiven  gegenüber  ist  Zweck^  (daher  lobt  So* 
krates  den  A«,  dafs  er  den  Zweckbegriff  eingeführt); 
das  BfangeBiafte  ist,  dafs  die  nähern  Bestimmungen  des 
Zwedks  fehlen.  Diese  geben  die  folgenden  Systeme. 
Zunächst  ist  der  Zweck  als  der  Objectivität  gegenüber 
nur  subjectiver,  als  von  ihr  begrenzt,  endlicher  Zweck. 
Die  erste  ConsequeAzjene;r  Standpunkts  ist  daher,  da(s 
der  subjective  endliche  Zweck  zum  Princip  gemach$ 
wird.     Dies   aber  ist  der  Standpunkt  der  S^phisteuj 


927 


G  e  »  e  h  i  e  h.t  e    der    P,  h  i  l  o  s  b  p  h  i  e. 


928 


die  den  Menschen  in  seiner  endlichen  Subjectintät  zum 
Maafs  der  Dinge  macheiid,  das  Wissen  in  Meinen,  das 
Gute  in  Nützliches  verwandelten.  Dieser,  zwar  notb« 
V^ndige,  Standpunkt  ist  nur  Durchgangspunkt,  und 
hebt  sich  durch  seine  eigne  Dialektik  auf:  der  endliche 
Zweck  nämlich,  oder  das  Nutzliche,  ist.  bei  näherer 
Betraditung  selbst  nur  Mittel,  und  die  Wahrheit  jenes 

.  Standpunkts  wird  daher  einer  sein,  auf  welchem  zum 
Princip  gemacht  wird  der  Zweck,  der  selbst  Mittel  ist 
und  vice  versa,  d.  h.  der  SMttztpeek  (oder  die  Idee). 

^  Diesen  zum  Princip  gemacht  zu  haben,  ist  die  Bedeu- 
tung^ der  ^okratüchen  Philosophie.  Indem  Sokrates 
über  den  Gegensatz  des  nur  Subjectiven  und  Objecti- 
ven  hinausging,  steht  er  einmal  den  Sophisten  entge- 
gen, denen  er  im  Theoretischen  die  objective  Bestim- 
mung .des  Wissens  statt  des  blofsen  Meinens  entgegen- 
hält, eben  so  wie  im  Praktischen  die  vemttnftige  Ob- 
jectivität  des  Staates,  —  gegen  die  blofse  Objectivität 
aber  macht  er  geltend,  dafs  alle  ErkenntJiirs  im  Men- 
sehen  liege  (daher  seiii  ivaXapLßaniy)^  yUiid.  dafs  das 
Gute  aus  dem  eignen  Wissen  hervorgehn  müsse.  Wenn 
pun  gleich  diese  Durchdringung  des  Subjectiven  und 
Objectiven  bei  Sokrates  be^ondert  im  Praktischen  sich 
zeigt,  wo  der  Mensch  niclit  ih  seiner  Einzelheit,  son- 
dern in  seiner  vernünftigen  Natur  (nicht  die  Willkühr, 
sondern  das  Gewissen)  das  Maafs  ist,  so  ist  doch,  wie 
dies  Schleiermacher  schon  gezeigt  hat,  seine  Bedeutung 
für  das  Theoretische  nicht  so  gering  anzuschlagen,  \vie 
es  gewohnlich  und  auch  noch  bei  dem  Verf.  geschieht, 
der  ihm  p.  70  den  Ruhm ,  streitig  machen  will,  eigent- 
licher Stifter  der  attischen  Philosophie  zu  sein.  Auch 
im  Theoretischen  tritt  jenea  gleichzeitige  Hervorheben 
des  Subjectiven  und  Objeetiv^en  hervor,  es  ist  nicht  der 
einzelne  Mensch,  der  die  Wahrheit  findet,  sondern  er 
findet  sie  in  der  Unterredung^  wo  er  eben  seine  Ein* 
zelheit  aufgibt;  eben  so  tritt  es  endlich  hervor  darin, 
dab  er  gleichzeitig  das  Einzelne  in  der  htcLytayr^  nuid 
das  Allgemeine  im  OQigiAoq  festzuhalten  suchte.  —  Die 
entgegengesetzten  -  Momente ,  welche  die  intellectuelle 
und  moralische  Virtuosität  des  Sokrates  zu  binden  ver-. 
mochte,  treten  nun  in  deii  kleineren  sokratischen  Schu- 
len auseinander,  indem  jedes  derselben  für  sich  ausge- 
bildet wird ,  um  von  dem  verklärten  Sokrates ,  Plato, 
wieder  zusammengefafst   zu   werden.     Die  .Seite  der 


Subjectivität  hebt  ArUtipp  hervor-  und  zwär.so,  dab 
er  das  Subject  nur  nach  seiner  Einzelheit  nimmt,  und 
damit  sich   den  Sophisten  annähert  doch  aber  die  So- 
kratische  Basis  nicht  ganz,  verläfst,  sondern  was  o/Zoi 
Einzelnen  gefällt,  die  Lust,   zuni  Princip  macht,  wie  er 
denn  auch,  sophistisch^  alle  sittlichen  Bestimmun^len  ab 
Satzung. ansieht,  zugleich  aber  sich  mit  ihnen  so  Eias 
weifs,  dafs  er  sagen  kann,  auch  ohne  dafs  Gesetze  da 
wären,  wUrde  der  Weise  nach  ihnen  leben.    Ihm  ge- 
genüber 'macht  die  kynUche    Schule   gleichfalls  das 
Subject  geltend,   aber  es  in  seiner  abstracten  Allge> 
meinheit  und  Identität  mit  siph ,    aber  auch  hier  ver- 
schwindet die  Objectivität  nicht  ganz,  da  die  Naturge- 
mäfsheit  gefordert  wird.    Die  dritte  einseitige  Richtasig 
endlich,  4^^  aus  der  Sokratbchen  Philosophie  hervor^ 
geht  (der  Verf.  stellt  sie  mit  'der  Platonischen  Philoso- 
phie zusammen  als  ein  Hinausgehn  über  Sokratea  dar), 
ist  die  Megarisohe^  die  das  Moment  der   ObjectiTitiC 
einseitig  hervorhob,   und  damit  sich  gleichfalls  eiosa 
früheren^  dem  eleatischen  Standpunkt  nähere     Naeli- 
dem  sich  so  die  in  der  Sokratischen  Lehre   liegeadcA 
Momente  jedes  für  sich  consolidirt  liaben,  werd^i  sb 
zusammengefafst  in  Plato^  welcher  darin  über  Soba* 
tes  hinausgehend,  dafs  er  den  Selbstzweck  (die  Ide^. 
im ,  Theoretischen  und  Praktischen  gleichmätkig  gdteni 
machte,   alle  früheren  Standpunkte  in  sich   rereia^ 
Leider  hebt  der  Verf.  dies  Letztre  nielit  genug  herrsr, 
namentlich  ignorirt  er  das  Verhälinifs  zu  den  Pleirtf, 
Daher  kommt  es,  daßi  er  zu  dem  Mittelpunkt  d^  pb- 
tonischen  Dialektik,  zu  der  Idee,  nietet  auf  dent  W^ 
gelangt,  welcher  der  natürlichste  schien  und  im  lliei- 
tet  und  Sophisten  angedeutet  ist,  durch  den  glctdnfli- 
tigen  Gegensatz  gegen  die  Eleaten    und  Herakläisr, 
welcher  zur  Idee  als  dem  Seienden  im  Werden  fübii, 
sondern  mehr  auf  die  subjective  Seite,  auf  den  Dalsr- 

sdüed  zwischen  sinnlichem  Wahrnehmen  und  denken- 

« 

dem  Erkeniien,  reflectirt.    Der  Zusammenhang  der 
lektijchen  Untersuchungen,  im  Parmenides  z.  B., 
der  Ideenlehre  tritt  daher  ganz  zurüpk.  —  Sehr 
kenswerth  ist  diß  ausführliche  Behandlung  der 
nisehen   Physik.      Nur  vermissen   wir  .eine 
Erörterung  des  a/ico^qpoy,  oi%  Sv  etc.,  die  für  den  Ali* 
stotelischen  Begriff  der  SXij,  so  wie  für  die  Frage 
dem  Dualismus  des  Plato  so  wichtig  ist.  — 


(Die  Fortsetzang  folgt) 


J  a  h  T  b  ü  c  h  fe  r 


u  t 


-•\ 


w  i  s  s  e  n  s  c  h  af  1 1  i  che   Kritik. 


Juni  1840. 


O! 


1)  Lehrbuch  der  Geschichte  der  Philosophie,  ton 

Ernst -R  einhold. 
%)  Umrisse  der  Geschichte  der  Philosophie^  enU 

Hßörfen  ron  Dr.  Eduard  Schmidt. 

(Fortaetzung.) 

Gflhn  wir  nun  mit  dem  Verf.  p.  125  su  stritte" 
'  telee  über,-  so  wird  hier  d^r  Fortsehritt  nur  darin  ge- 
setzt,   daüi  er  den  Ursprung  der  ErkenntniEs  anders 
gefalst  babe,  als  Plato,  während  doch  der  Unterschied 
besonders  darin  lie^  was  auch  der  Yerf.  p.  133  her- 
Torhebt,  dals  Arbtoteies  die  Idee  nicht  als  ruhendes 
Urbild,  sondern  in  ihrer  Bethätigung  su  fassen  sucht. 
Damit  hängt  das  gröfsere  Gewicht  zusammen,  welches 
«uf  das  Einselne  gelegt  wird,  worin  sich  ja  eben  das 
Allgemeine  bethätjgt,  ^damit  seine  Erke^mtnifslehre,  die 
d,er  Verf.   mit  Recht  gegen  den  Vorwurf  des  Empiris- 
mus in  Schutz  nimmt ^  damit  seine  Behauptung,   dafs 
es  so  viel  VTdsenheiten  gebe  als  Wesen,  damit  seine 
Berücksichtigung  des  Individuellen  im  Ethischen,  wenn 
die  Tugend  als  in  der  7r^6$  ijfAa^ificadTi/n"  liegend  be-- 
fitinunt  wird,  u.  $.  w.    Die  Physik  und  E^htk  sind  aus- 
fübrlicb  behandelt,   und  wir  finden  nichts  dabei  zu  er- 
iniiem.    Die  Darstellung  der  Metaphysik   wäre  nach 
unsirer  Ansicht   befriedigender   ausgefallen,   wenn    der 
Yerf.  ihr  eine  andre  Anordnung  gegeben  hatte.    Nach- 
deai  er  nämlich  die  verschiednen  Weisen  der  Brkennt- 
lürs  und  die  Kategorien  kurz  erwähnt,  geht  er  p.  141 
auf  den  Begriff  der  (itxaßokfj  uhd  xiyfjoig  über  und  kommt 
Ton  da  erst  auf  die  vier  Frincipien.    Wäre  der  Gang 
suiders- genommen,  so   wären   ein  Paar  Begriffe  nicht 
unerlätttert  geblieben,  aut  die  doch  Allea  ankommt,  die 
Begriffe  dJväfui  und  if dg/tun.    Auf  diese  reducirt  sich 
der  Gegensatz  der  ilkf]  und  des  tldog^  und  da 
beiden  andern  Frincipien   mit  dem   letztern  zusam- 
-menfallen,  aller  Principien.    Diese  beiden  aber  werden 
"nach  Arisfoteles  durch  die  Kivriaiq  mit  einander  vermit* 
Jahrb.  /,  wUumcK  Kridk,  J.  1840.  I.  Bd. 


telt ;  der  Verf.  übersetzt  dies  Wort  mit  Veränderung^ 
diese  ist  ^ber   eine  bestinftnte  Art  <Ier  nlvfjatg,  nämlich 
die  aUou0af$/daher  uns  die  Uebersetzung  nicht  richtig 
scheint,  aus  eben,  demselben  Grunde  möchten  wir  aber 
auch  nicht  sagen  Bewegung^  denn  das  ist  nieder  tpoqi 
(obgleich  nicht  geleugnet  werden  soll,   dafs  Aristoteles 
bemüht  ist,  alle  nivtiün;  auf  diese  zurückzutuhren),  am 
'passendsten  jicheint  deswegen  das  Wort*  Uebergang 
(daher  bt  x^i^ae^:  Bethätigung  des  Möglichen  als  Mög.  ^ 
liehen  Phys.  3,  I,  denn  wo  sich  Mögliches  als  solclies 
bethätigt,,  geht  es  über).    Ist  nun  utiviiaiq  das,  W£^s  die 
vX'7  und  fiö^tjpf?  vermittelt^  so  ^rhellt  leicht,  warum  die- 
jenige ota/or,   welche  blofse  lYTtki%tta  ist  und  äviv  vXtii 
genannt' wird,    warum  diese  auch  dxivtjrog  ist,    womit 
die  höchste  Bestimmung  zusammenhängt,  dafs  das  pri- 
mum  mpvens,  weil  es  unbewegt  ist,  auch  nicht  durch 
einen  Gegenstand  bewegt,  sondern  «ganz  bei  sich  voi^* 
oita;  vorjoiq  sei,  eine  Bestimmung,  die  l!er  Verf.  mit  der 
des  Uobewegtseins  gar  nicht  zusammenbringt. 

Mit  deqi  Aristoteles  wünschten  wirnun  die  zweite 
Periode  beschrossen  und  die  dritte  begonnen.  Die  foU 
genden  Systeme  kann  man  nämlich  nicht  mehr  als  Er-^ 
scheinungen  „des  BlüthepOnkts  griechischer  Philosophie'' 
bezeichnen,  sie  sind  vielmehr  die  einseitig  aus  ihrer 
Au^ösung  hervorgehenden  '  Momente.  Diese  Systeme 
athmen  nicht  mehr  griechischen  Gebt;  wie  Aristoteles 
.  schon  im  macedonischen  Geiste  wurzelt,  und  zu  einer 

-  *  ^  '  ' 

Zeit  auftritt,  wo  durch  denselben  Griechenland  vfernich« 
tet  wird,  indem  Philipp  es  besiegt,  uhd  Alexander  das 
Palladium  des  griechischen  Lebens,  die  griechische  BiU 
düng  ah  den  Orient  dahqigibt,  so  wurzeln  diese  in  de^ 
ifömischen  Welt,'  in  der  sie  auch  ihre  hauptsl^hlidhsten 
Repräsentanten  haben.     Wir  bezeichnen  diese  Periede 
als    die  der  griechisch-römischen   Philosophie/  Der 
Verf.  sucht  den  Fortschritt  gegen  die  frühern  Systeme 
so  darz'ustellen,  dafs  gegen  den  unüberwundnep  Dua- 
lismus bei  Plato  und  Aristoteles  von  den  beiden  We- 
il? 


931 


6  0  s  e  A  i  e  A  t  e 


gen,  die  sich  darbot^en  p«  179,  die  Stoikei^.  deü  eiueo 
eingeöchlageii  hätten,  -  indem  sie  Pantheismus  und  Theis- 
mus  verbanden,  Epicur  den  andern,  indem  er  einen 
son^tisQheq  Monismus  gelUKid  machte.  Abgesehu,  dafs 
hier  der  I]|iialiimus  wi^^  ein  H&tfsbegr|ff  ton  Aufsen 
herangebracht  wird,  daEs  ferner  der  Gegensatz  zwischen 
Epilcuräern  und  Stoikern  p.  188  aufgehoben  wird,,  in« 

^    dem  diesen ,  Letztern  Ailes  körperlich  ist,  so   dafs  sie 

, '  einen  somatbchen  Monismus  lehren,  entsteht  noch  der 
Uehektand,  dafs  nachher  z«  den  Skeptikern  gar  kein 
U<|bergai)g  genacht  werdeif  kann.  Nach  unsrer  An- 
sicht aber  läf$t  sich  derZusamm^ftnhang  swiseben  den 
frükern  Syatome»  und  diesen  auf  eine  Weise  darthun^ 
wo  innere  Nothwendigkeit  und  liistonscher  'Znsammen« 
liang  coincidiren.  Es  treten  diese  Systeme  in  einer 
Zeit  auf,  wo  das  Leben  zerfällt  und  der  Geist  in  der 
WirUiehkeit  sich  nicht  befriedigt  fuhk,  so  wird  er,  in 
sich  zurfieligötrieben,  sur ,  Abstraclion  und"  Reftexion 
auf  sich  gendthigt,  —  sie  treten  zu  einer  Zeit  auf,  wo 
der  verständige  römische  Geist  der  woItUstorische  Ist* 
Entstehen  sie  nun  aiia  der  Auflösung  der  blOliendon 
griechischen  Philosophie,  —  und  diese  war  in  Uurem 
ersten  K^ime  die-  sokratiscbe  gewesen,  —  so  werden 
.  itzt  die  in  jener  enthaltnen  filemenle  mit  veränderteai 
Charakter  wieder  hertrqrtreten ,  welche  früher  schon 
einmal  in  den  kleinern  sokvatiscbeh  Schulen  sich  ge^ 
seigt  hatten.    So  sehen  wir  an  die  kyrenai^ehe  Schule 

.  §ich  a\ich  historisch  anknüpfend  die  JSpikuraer^  aber 
statt  jenes  acht  griechischen  Systems  der  unbefange- 
nen Lustwud  itzt  ein  auf  der  berechnenden  qr^omiaig 
beruhender  raffinirter  Eudämonismus  g^hrt';  eben  so 
tritt  daa  kynischa  Princip  itzt  mit  dem  Charakter  der 
Reflexion  in  den  Stoikern  auf,  die,  auch  historisch 
aus  jenem  hervorgegangen ,  zuerst  noch  (griechisch) 
Uebereinstimmung  mit  ^r  Natur,  dann  (ronisch)  nur 
^  mit  sich  fordern ;  en^icb  die  megarisehe  Richtung  zeigt 
sich  vom  Schmerz  der  Zeit  infi4^irt,  indem  sie  die  Dia- 
lektik nicht  gegen  die  scheinbare  Wirklichkeit,  sondern 
gegen  jede  wahre  Objectivität  richtet,   in  den  Skepti- 

S  kern.  (Pyrrho  hat  Megariker  zu  Lelirera  gehabt).  Zu 
diesen  drei  Richtungen  kommt  dann  eine  Erscheinung 
ganz  römischer  *Ar^  der  Eklektieutm^s^  weleher  con- 
förmdem  rdmischen.  Geist,  der- seine  Große  im  Sum« 
miven  von  Ländern  such^  in  dei^  Philosophie  den  Verw 
wesungsprocefs  darbietet,  mit  dem  die  alte  Zeit  schliefst; 
Ein  belebendes  Princip  tritt  orsi  in  dem  folgend^enZ^it^ 


er    Philoeophie. 

tau  in  ein,  den  wilt  aIs  den  der  neuem  Philosophie  be* 
ateichnenb 

Gehn  wir  ntln  mit  dem  Verf.  p.  280  ztur  nenerea 
Philosophie  Met*,  die  er  im  zweiten  Theil  bahanddt| 
so  begjhmt  er  dieselbe  mit  dbr  seholoatisefaeii  Philni»> 
phie.  Wunderbar  ist  es,  dafs  der  Verf.  hier  nicht  eine 
Lücke  fühlt 9  Nach  p.  281  haben  die  Scholastiker  db 
Bedeutung  gehabt,  die  kirchliche  Lehre  zu  ordnen  und 
zu  vertheidigen.  Obgleich  nun  freilich  demVerf*  die 
Dogmen  „die  reine  Chrisinslelire  tilSben*',  „LehrfuMitla 
sind,  welche  auf  dem  Wege  vetnunftwidrlger  €Mie- 
Itien  anfgesteltt  wurden'*,  so  Werden  doeh,.  wena  ü^ 
welche  sie  vertheidigen^  hier  einen  Plab  fanden,  & 
sie  machteny  noch  mehr  ihn  verdienen.  Entweder 
müssen,  wie  Viele  dies  wollen,  auch  die  Scholastiker 
ausgeeehlessen  werden,  od^  auch  Anfcreaüfter  flmen 
behandelt  werden.  Wer  aberf  IKe  PhHesophie  dt 
das  Sich  «Wissen  des  Menschengeistes  wird  jede  neve 
Entwicklung  desselben  abspiegeln  müssen.  Tritt'  nm 
daa  Christenthum  zuerst  im  Gegensatz  gegen  £c  da- 
seiende  Wirklichkeit  auf,  mit  der  Idee  de3  Ifiaunebci- 
ehe»,  so  wird  sich  dem  analog, auch  einie  Hkilosopiiie 
büden  müssen,  vom 'Dasein  abgewandt,  und  da  fiese 
Anschauung  nicht  die  antike  ist,  die  Philosophie  'aberj 
als  ein  Continuum ,  an  die  früheren  (klassischen)  Sy- 
steme sich  anschliefsen  mufs,  so  treten  itzt  die  Versn> 
ehe  auf,  diese  Anschauungsweise  mit  den  bishei^gen 
Resultaten  der  Philosophie  zu  verschmelzen.  Innerhalb 
der  christlichen  Gemeinde  können  diese  Yersncfae  vf' 
erst  nicht  entstehn,  denn  daa  Leben  derselbea  ut  zs 
frisch  für  das  Grau  in  Grau  der  Philosophie,  nnlsep- 
halb  des  Christenthums  aber  zeigt  sich  nur  im  Orient 
die  dem  Dasein  abgewandter  lUchtung,  daher  treten  uns 
aufserhalb  seiner  zuerst  die  rohen  Tersuche  entgegen, 
orientalische  hehren  mit  griechischen  zu  TerbindeB^ 
wie  bei  Philo,  dann  ehie  organische  Terbindung  orien» 
talischer  Ansehauungsweise  mit  den  Resultaten  griechi- 
scher Philosophie  in  den-  Neuplatonikem.  -ReMe, 
nicht  Christen,  athmen  modernen,  d.  b.  cfaristilden 
Geist.  AUmähllg  tritt  dadurch ,  da&  d!e  Kirchs  sldk 
consolidirt  und  mit  dem  Staate  verbindet,  ein  ZnsCaad 
der  Sättigung  mit  der  ersten  Offenbarung  ein,  sogtcieft 
regt  sich  innerhalb  der  Gemeinde  der  phitosophisebe 
Trieb,  pie  ersten^  bei  denen  er  sich  zeigt,  weif^  daran 
die  Kirche  als  sich  fremd,  si^  sind  Ketzer,  die  GlDosii» 
ker;  oder  wenigstens  sind  sie  heterodozc,  vrie  Or^enes^ 


6  0.  MC  h  i  e  k  t  0    d 9 

Mdlfek.  koMit  flfe  Kirdhe  iksu^  ^  ne  ihre  Vatet 
•rkewt  in  den  M«nMf%  weioiM  Termtokt  der  Phil#* 
■efhie  die  Dogmen  machetty  indem  lie*  den  ewigm^  In» 
feeJt  au«  der  lüitociicben  OSenbarnng  mttseheid^%  und 
als  OmlmnJI^u  fixiren.  Diese  BestretwBgen  nun,  wcl^ 
cIm  nix  Augvstin  sich  »bsehliefiieEi,  fattden  die  ersle  Fe- 
yisde  d^  Gesehiehte  der  nejaem  Philosophie,  die  also 
naeh  ims  die  orientaliaeh-grieehlseber,  die  neuplatoni- 
eel^'t  endlkli  die  patvisliacbe  Philosophie  enthallen 
Wteds.  -^  Als  Mßmüc  /W«Mb  worden  wir  dann  die 
Iwniehiieny  wekhe  der  Turt  die  erste  nennt^  die  der 
MhehsliMshen  Flnlosophiifc.  Das  Hauptthema  War  die*^ 
eer  gegeben  dareh  den  Widersprach ,  welcher  darin 
kig^  dab  eine  klrehüche  Lehre,  vekhe  Produet  bodi* 
eCer  phiJosopluscker  Bildong  wnri  an  nngebilfele  Yöt- 
her  gebmeht  wurd^  und  durch  di^  damit  gesetste  Au(- 
gah^^  diese  Lehre  dem  Verstände  sagänglicli  zn  machen, 
in  Brigena,  mit  dem  der  Verf.  mit,  Reeht  die  Reihe 
An  Scholasliker  begimiy  sehen  wur  das  frohere  Yer^ 
hfitairs  sich  wieikrholen,  er  ist  der  Ersle^  mtd  Irt 
'dämm  heterodox  ond  yen  der  Kirche«  verdasHot^  An> 

"  selm  iüt  schon  orthodox,,  weil  die  Kirche  jenes  Element 
bereue  anerkennt»  Mit  Beoht  dacirt  der  Verf.  eme  neoe 
Jkem  der  Scholastik  mit  demEinflofs  derAcdber*  Von 
dn  an  begimitBämliehiUeSeholastift;  nebott  jener  Ebmpt. 
ftulgahe  noch  eine  aadere^^Creilieh  ihr  selbst  ond  der 
Kirche  «nb^wnlst»  s«  ÜMen.  Diese'  ist  eine  Annähe^ 
nmg  nn  das  vor-  lind  nacbrisfliehe  Principw  Die  Sehe* 
hedk  gebt  itst  im  Beid^i  nnd  Mohamedaaem  In  die 
Sahuisi.  Deneihe  Anstetelee^  dem  «rsprQiigHdb  nns 
Jkt^lmoßwiiUkW  umi  Noetianer  angehangen  «nd  dm  die 
Panrea  petüorreasirt,  den  spater  die  -Kirche  bei  der 
Vedbunsfiuttg  'dns  Dayid  von  Dinaata  verdammt  hat, 
hnt  itst  seinen  eigoeii  Lebrstukl.     Die.«  Kirche  Ipidet  , 

.  dna  ond  befardbrt  es,  wie  sie  es  befiSrdert  hatte,  dats 
dttnChrnHenheit  sich  mit  dem  Mnselthimi  ein^  ond  von  ihm 
inficisen  Ueiii.  Ais  nnn  Aristoteisehe  BestBamongen 
4nreh  die-  Haoptheröen  der  ^eholiaslik  Albert,  Thomas, 
J^un»  Seotos  impner  mehr  Ton  der  Pbilosc^Ue  aesimi^ 
Mrl  weeden  dind,  ieginnt  diese  Annei  im  Körper  der 

-näesophie  so  wirken^  ond.  aus  dem  Schoefse  der 
Scimiastii  hMios  onteeiefaeln  sich  non  neben  eiMndet 
dMn  BicfatMngen,  die  ihron  VerteU  beseiefanen.  Sie  hü« 
ben  die  Bedeotong,  dafs  sich,  in  ihi^en  die*  Philosephie 
Ton  den  Fesseln  der  Aotorität  l)efreit,  dies  geschieht 
in  dem  Uebergewicht,   welches  der  iu  seiner 


Cnufchnschanmig  antikircbllche  IVondnaUsmos  inneriK 
halb  der  Sdiolastik  erhält,  sweitens  in  der  nns  dei 
Scholastik  hervorgehenden,. sin  aber  ontergrabendenllf^ 
aük,  drittens  in  dem  emeoten  Interesse  in  dar  Mdnl» 
sehen  Ansehaoongswebe^  wie  es  sich  in  den  gelehitett 
'  Emeilerem   antilter  Philosophien    setgt,   endlich  abor 
,ond  besondeffs  in  denen,  Wekke  diese  AnsdiannngS' 
freise  srih^  rar  ihr^n  jnaebea,  indem  nicht  m^  dm 
Reich  der  Gnade,  sondern  gerade  die  Nntor  ihr  Haupt* 
gegenständ  wird.    Ist  die  NaUirphilosephie  bei  Jerdano 
Bnmo  nbdi  antireligiös  gewesen,  so*  hat  sie  bei  Bace 
jedes  VerhältniGs  tut  Kirche  und  Religion  negfarL    Rit 
Recht  sdiUefst  der  Tert  jene  Vebergangsperlode  mtt 
Ihm.  —    JUit  Descartes  'beginnt  nun-  d^r  Verf.    sekie 
zweite,  Wie  nennen  sie  die  dritUj  Perimfe.    Er  irimmt 
sie  bis  auf  Kaart^  wir  bis  auf  unsere  Tage.    Wenn 
der  Verf.  als  das  ESgentfaamliehe  dieser  Periode  be* 
srichaet,  dafs  noch  kein  tieferes-  Eindringeti  farf  die  Oir« 
gnnisation  des  Erkenntnifsvermögens  Statt  finde,  so  hftcre 
hier  nicht  bei  jedem  System  das  vorausgeschickt  werden 
mSüsen,  was  die  ErkenntnlTstheorie  betrifft.    Dies  steill  ' 
irich  bei  der  Darstellung  so  ia  den  Vordergrund,,  dafs 
aneh  dort, '  wo  die  Nothwendigkeit  des  Uebergangs  hn 
Metaphysischen  liegt^  dersdbe  nur  von  jener  Seite  be^ 
trachtet  wird.    AufDescarfes  findet  dies  liaturfioh  keine 
Anwendung,  ^  ist  es  nat&rtich,  dafnmlt  dem  begon* 
neu  wird,  'was  er  in  seinem .  Disceurs  de  Ia  methocfo 
gesagt  hat.    Wohl  aber  ist  es  zu  bedauern  da,  wo  der 
Verf.)  nachdem  er  Geulinex  und  Malebrancbe  beha»*  ' 
deFt  hat,  so  SpinoK»  Mergeht     £s  erscheint  dadurcii 
sein  System  nur  als  die  Felge  von  dier  Annahfbe  an* 
geborner  Ideen  p.  384,  da  doch  der  Verf.  selbst  gesagt 
haftet,  das  Ungenugendo  in  des  Descartes  Substanzbe*  ' 
griff  hlEibe  den  Spfaieca .  weiter  getrieben;    Die  Dtf rsfef« 
lung  des  Spiaosbtischen  Systems  ist   nlobt  unricheigf, 
denn  sie  gibt,   nachdem  die  Definitionen  und  A^iemct 
des  ersten  Theils  der  Ethik  angegeben  sind,  die  vtttu 
sten  wichtigen  Pnepositionen  in  fast  wörtlicher  Ueber^ 
setxuRg  f  dadurch  aber  entbdirt  sie  der  Anschaulichkeit, 
und  cKe  wichtigsten  Fragen  r  wie  das  Verhilltnffs  def 
Substanz  zu  dbn  Attributen  zu  denk»,  warum  sie  nur 
unter   xwei&n   betrachtet   wifd^  u.  s.  w.,  werobor  dio 
Ethik  wellig  oder  gar  keinen  directen  AufschluCs  gibt^ 
Sind  nicht  einmal  aufgeworfen.    Dafs  die  imtura  natu, 
ratft  die^  Modi  Gottes  sei,  quatenus  eonsüteraniur,  ut 
res  (also  eigentlich  auf   einei:   fals^en  Anschauungs* 


f  I 


939 


6  e  $  e  h  i  c  h  t^e    dt  r.    Philotophi  e. 


936 


MreUe  beruhe),  wird  nur  in  einer  Anmerkung  erwShnt 
il.  e.  w.  «^  Diö'Zeit  zwiscllen  Spinoea  und  Kant  ist 
in  diesem    Werke  ^  am   wenigsten  in  einem    gewissen 
^usänünenha^ge   dargestellt, ;  obgleicli   die  zerstreuten 
Aeulserungen  des  Ver£s.  einen  sichren  Weg  Torzeich-. 
Ben.    Er  itpricht  p.  427  ^vonl   einer  PopularphUosopbie 
in  Frankreich  und  England,  die  er  bis  ^n  die  Känti« 
siehe  Zeit  ^eieheh  Iftfst ;  an  einem  andern  Ort  p.  468  nennt 
•r   eine   deutsche  Potpularphilosopjbie,   die  in    dieselbe 
Zeit  fiUtfUnd  welche  ihre  Wurzeln  in   der  Leibnitz- 
Wolfschen  Philosophie  hat,  ^endlich  sagt  er,  Leibnitz 
habe  sich  im  Gegensatze  gegen  Descartes  und  Spinoza 
und  gegen  Locke   entwickelt.    Diese  Punkte  sind  in 
der  -That  Haltpunkte    für   den  ganzen    Weg.     Nach 
Descartes  und  Spinoza  und  weit  über  sie  hinausge- 
bei^l,  entwickeln  sich  zwei  Richtungen,  eine  realuH" 
icAe^  Welche  mit  Locke  beginnt^  'den  Empirismus,  wel- 
cher,  wie* der  Yerf.  p.  425  richtig  bemerkt,  bei  Locke 
noch   mcht   vollendet  ist,   und  Materialismus    enthält 
lind  in  der  französischen  PopularphUosopbie  ausläuft, 
die  einen  ganz  materialistischen  Charakter  hat,-  -— '  und 
eine  ufealieiische ^    welche  mit  Leibnitz    dem  Locke 
gegenüber  beginnt,  und  endlich  in  der  deutschen  Popu- 
larphilosophie  ausgeht,  die  einen  ganz  andern  Charakter 
hat   als  die   franzosische.     Dort  vergUst   das  Subject 
Gott  üb>r    die  Materie,  hier  in   der  empirischen  Psy- 
chologie, und   Nützlichkeitskrämerei    über  sich   selbst.. 
lndem>  der   polarische,   Gegensatz  .beider   Richtungen 
nicht  hervorgehoben  wird,  kommt  es,  dals  der  Ueb^r- 
gang    zu  Locke   nur  durch  die  Behauptung  gemacht 
nvird,  e»  seien  psychologische   Untersuchungen  nöthig 
gewesen  (die  doch,  zum  Theil  wenigsteu&,  schon  bei 
Malebranche  vorkommen),   statt,    dals  .man  nachwies, 
wie^  was  in  Spinoza  noch   gebunden  war  (res  et^idea 
una  eademque  est  res),  itzt  auseinandergeht,  —  und 
dafg. Einigen  eine  falsche  Stellung  angewiesen  wird, 
wie  z.  B.  Berkeley^  welcher  als  vom  Empirismus  be- 
berrscbter   Popularphilosoph    bezeichnet   in^ird,    da  er 
doch,^  freilich  \som  Empirismus  ausgehend,  zum  Idealis- 
.,mus  kommt.  —  Bei  der  Darstellung  der  Leibnitz^chen 
Plulosophie  bt  es  wiederum  ein  Mangel^  dafs  die  Er- 
kenntnifstheorie  vc^rausgeschicktist.    Sie  schwebt  da- 
durch^in  der  Luft,  während,  wenn  zuerst   der  Begriff 
der  Monade  aufgestellt  wird,  die  Alles  idealiter  in  sich 


trägt,  die  angeborhen  Ideen  eine  nothweDdige  Folge- 
rung ^sikld.    Eben  »o  konnte  davaus,  dafs  jede  Monas 
dassdbe  Universum  spiegelt,  d.ih.  Jede  Alles,  die  pii* 
stabilirte  Harmonie  gefolgert  werden,  statt  dafs  es  itit 
den  Anschein  gewinnt,  als  bedürfe  Leibnits  einer  TiiL 
heit  von  Hypotliesen,    was  doch  nicbt  der  Fall  ist  -> 
Dafs  fene  beiden  Riohtnngen  von  Kant  verbunden  wo^ 
den,  spricht  der  Verf.  an^  mehreren  Stellen  aus  p.  471 
506  u.  a«  a.  O.    Die  Periode  von  Kant  an  ist  nun,  wi^ 
natürlich ,  am .  ausführlichsten  behandelt.     Aus  dieitt 
wünschten  wir  nun  zuer&t  ausgeschlossen  die  Lehren, 
von   denen  Yerf.  sagt,   sie  Ibefänden   siiA  auf  einett 
..durch  Kant  bereits    überwündnen  Standort"  p.  623, 
und  die  er  nur   darstellt,    damit  der  Fortschritt,  des 
Kant  gemacht,  deutlicher  werde.    Wir  stimmen  in  det 
Sadie  mit  dem  Verf.  überein,  dafs  di^   wirkUch  dis 
Stelle  der  Jacobiachen  Philosophie  sei,  (der  Verf«  nfiofi 
auTser  ihm  noch  Bouterwek  und  Schulze),   dies  sba 
ist  Ulis  ein  Grund  Jacobi  Wr  Kant  abzuhandeln.   Sdii 
yi\T  nämlich,  wo  Jacobi  stark  und  siegreich  ist,  so  in 
er  es  g^n  den  Mi|iterialhimu8  und  die  deutsehe. Anfr 
klürung.    E.r   gehört   deswegen    zu    den  Männern,  die 
die  Einseitigkeit  beider  RichtungeU  einsehen,  ebne  ß> 
big  zu  sein,  einen  höhern  Standpunkt  philosophisch  n 
begründen,    und  daher  ihn   entweder  in   kühner  An* 
ücbauuitg  zu  anticipiren  suchten  (wie  Hamaun  v.  A.)» 
oder  aber  in/ eine  Yergängenheit   zurückgingen,  w« 
beide  noch  gebunden  waren,  daher  die  Hinneigimg  si 
Spinoza  bei! Herder,  Lessing,  der  sich  selbst  JacoU 
/nur  durch  gewaltsame  Sprödigkeit  ^ntziehn  kann.  Er 
gehört  zU  den   Vorläufern  der  Kantischen  Revolutii^ 
daher  gegen  die .  spatereil  Systeme  seine  Polemik  des 
Eindruck    vergeblicher  Reaetion   macht.      Wie  Jaooü 
Vor  Kant,  so  wünscliten  wir  auch  Fries  vnd  Krug  voi 
Fichte  abgehandelt.    Auf  eine  auafuhrliche  "und  treue 
Darstellung   der  Kantüchen  lAthre{411 — &06)  folgt 
eine  Hinweisung  auf  ihre  MäogeU-es  wird  dann  ge- 
zeigt, wie  Reinhold  (512)  dieselbe  tiefer  zu  begründen 
gesucht,  und  derselbe 'durch'  die  verschiedenen  Phasen 
seiner  A^nsicht  begleitet.  .  Es  folgt-  die  Darst^ung  der 
jff^ot'schen  Lehre,  und  darauf  das. System  von  'FteÜM 
p.  537-^598,  welches  ausführlich  und '  liektvoll  darg^ 
stellt  wird;    einen  Anhang   dazu   bildet  seine  veiäi^ 
derte  Wissenschaftslehre«  —  ! 


(Die  FortsetzsDg  folgt) 


J  a  h  r  b  tt  c  h  er 

für 

w  i  SS  e  n  s  c  h  aft  1  i  c  he 


\' 


Kritik« 


Juni  1840. 


\)hbM»€h  der  GeickiehU  der  Phihwphit  von 

EmMt  Beinhold. 
%)  Ümris$e  der  0€9chiehte  der  PhilMopkie^  ent^ 

MiDorfen  von  Ifr.  Eduard  Schmidt 

,  (FortMtzuDg.)  '  %  • 

Eine  gleiehfaDt  aasrührliche  Behandlung  wird  Her* 

hart  SU  Tbeil^  ah  deasen  eigentliche  Bedeatung  iiiit 

'Recht  der  Gegensatz  gegen  den  subjeetivistischen  Idea- 

UtDitts  bezeichnet  wird  9  und  dann  geht  der  Verf,  zu 

'   SeAellmg  und  aeiner  Schule  über^  welcher  ^dae  Ein. 

zeitige  und  durch  Einseiti||^lceit  Verlcehrte  an  dem  Idea* 

Ittutuz,  an  dem  Monismus  und  Dualbmus  anerlcennendf 

einen  hafaern  Standpunkt  ergriff'*  p.  695.    Bei  der  Dar«» 

atellung  des   Systems  sind .  die   wichtigsten   Schriften 

aorgf Altig  benutzt  f  nur  höchst  unbestimmt  drückt' sich 

aber  der  Verf.  darüber  aus,  wie  er  sich  das  Verhält- 

bUz  Ton  der  Abhandlung  üjber  die  Freiheit  zu  den  an« 

'  dem  Werken  denkt.    Unter  den  Anhftngem'  des  5>Pan* 

tbeiamus'',  -wie  der  Verf.  ScheUings  Lehre  bezeichnet, 

«eiehnet  er  als  den  besonnei^ten  BlascAe  aus,  der  allerw 

dinge  von  dem  Vorwurf  des  Pantheismus  nicht  f reizu« 

apreehen  sein  möchte,  -dann  aber  als  den,  der  auf  die« 

Bern  Wege  dem  Pantheismus  zu  entgehen  sachte,  lü^ause, 

und  geht  dann  p.  725  zu  Hegel  über,  dem  er  den  Be* 

ruf  zuschreibt,  von  dem  Standpunkt  der  absoluten  Iden- 

.lität  aus  die  philosophisehen  Begriffe  in  einer  ihrem 

Inhalt  schlechthin  angemessenen  Form  systematisch  zu 

CBtwiekelAi  iind  dessen  ,,dialektisch  aujigebildetes  pan- 

theiatisehes  System*'  er  dann  darstellt.  — ^    Dur^h  das 

Hervortreten  der  entgegengesetzten  Ansichten  in  der 

Geschichte  der  Philosophie,  zo  schlierst  der  Verf.  sein 

^Werk,  in  welchem  auch  ,in  der  Zeit  nach  Kant  der 

Idealismus,  der  monadologische  Monisanis  und  d^  Pan* 

theiamus  sieh  mit  der  grölsten  Sorgfalt  ausgebildet,  sei 

;ß  war  das  philosophische  Hauptproblem  nicht  erfafst,  wohl 

aber  Fingerzeige  zur  Entdeckung  der  wahren  Methode 

Jmhth.  f.  ufi$t€Hich.  Kriiä:.  J.  1840.   1.  Bd. 


der  PhilosopUe 'gegeben:  Diese  werde  sich  bewahren^ 
indem  sie  erstlich  über  ddle  jene  Gegensätse  sich  er- 
hebend, die  Philosophie  mit  dem  gemeinen  Menschen« 
einne  und  den  Anforderungen  des  Gemüthes,  so  wie 

^der  Erfahrung  in  Uebereinstitnmung  setze ,  zweitens 
eine  richtige  Erkenntnifstheorie  enthalte,*  drittens  das 
YerbSltnUs  der  Welt  zu  einem  lebendigen  und  persön* 
liehen  Urwesen  richtig  erfasse,  viertens  die  wandello« 
sen  Zwedce  und  Normen  unsres  Freiheitsgebrauches 
folgeriehtig  ableite.  Diese  Methode  bemühe  sich  der 
Verfasser  in  dem  System  anzuwenden,  von  dem  er 
bei  ^seiner' Darstellung  und  Beuirtheilung  ausgegangett 
sei.  p.  764.  — 

Wenn  \dr,  namentlich  bei  der  letzten  JP^iode^ 
den  Gang  des  Visifs.  ganz  kurz  angegeben  haben,  io 
geschali  dies  theils,  weil  wir  mit  der  Darstellung  des^' 
selben  einverstanden  waren,  (wie  bei  der  Darstellung 
von  Kant,  Reinhold,  Fichte,  Herbart  und  zum  Theil 
Scbelling)^  wo  dies  nicht  der  Fall  bt,  wie  bei  der  Dar- 
stellung Hegels  und  bei  der  Schlufsbemerkung,  da  be* 
durfte,'  was  zu  bespiechen  bt,  eines ,  ganzen  Buchs,  und 
Ref.  muis  ohnedies  schon  fürchten,  die  Geduld  des 
Yerts.,  so  wie  seiner  Leser  ermüdet  sn  haben,  die  er 
noch  schliefslich  auf  das  vorliegende  Buch  als  auf  ein 
sehr  braucjibares  Lehrbuch    sowohl  zu   akademischen 

,  Vorlesungen  als  zum  Selbststudium  aufmerksam  macht» 
Wenden  wir  uns  nun  zu 

iVe.  2,  den  ümrieeen  von  Prof.  Schmidt,  se  hat 
dies  Buch  einen  ganz  andern  Charakter  ab  das  Rein- 
holdsche.  Der  Verf.  spricht  es  ganz  entschieden  aus, 
dafs  eine  Darstellung  der  Geschichte  der  Philosophie 
nur  dann  .  wissenschaftlich  sei ,  wenn  sie  ^  dieselbe  a 
priori  construire.  (Ja  er  schert  sich  nicht  z^zugestehn,' 
dafs .  eine  solche  Constmction  sogar  auf  die  Zukunft 
gehn  müsse^  obglefch  er  selbst  sein^  Darstellung  nicht 
mit.  einer  Weiseagung »  sondern  nur  einem  frommen 
Wunsclie  schUebt).    Zugleich  aber  spricht  er  bestimmt 

^   118 


939  G  e  i  c  A  ic  A  t  e\d  0 

die  Deberzeugung  aus ,  /^dafs  der  Mensch  tait^  seinen 
Constructionen  gar  nichts  von  der  Witkliclikeit  'zu  er- 
keniien  vermöge"  p.  4.  Es  wurde  unbegreiflich  sdin, 
wie  bttdea  zugleich  behaiiptet  werden  kann«  wenn  nan 
nicht  auf  den:  Standpunkt  des  Yerfs/, näher  eJbginge. 
Das  Eigenthumliche  desselben  ist,  dafs  der  Gegensatz 
Ton  Logischem  und  Realem,  Gedachtem  und  Seiendem 
hier'  zu  einer  Spitze  getrieben  ist,  v^ie  er  uns  sonst 
nicht  vorgekommen  ist.  Er  sagt  es  ausdrücklich,  dafs 
„aus  der  logischen  Nothwendigkeit  kein  Schlub  auf 
die  Wirklichkeit^,  geschweige  denn  auf  „eine^Noth- 
Wendigkeit  in  dem  Sein**  gezogen  werden  könne,  ja, 
wenn  auch  in  der  Wirklichkeit  ein  Zusammenhang 
wäre,  so  würde  dieser  „ein  ganz  andrer  sein,  als  der^' 
welchen  die  höhere  ^Wissenschaft  zu  er'kennen  rer« 
langt.*^  Eine  jede  philosophische  Construction  wolle 
gar  nicht  das  Wirkliche  erkennen,   sondern  nur  dßM 

ff  %  -  ^    \ 

Mögliche  und  logisch  Noth wendige,  sie  könne  deswe- 
gen auch  völlig  wahr  seih  und  bleiben,  wenn  die 
Wirklichkeit  ihr  widerspricht  p.  12.  Ihre  Wahrheit 
hänge  blofs  davon  ab,  ob  logisch  richtige  Ableitungen 
gemacht  sind^  sie  habe  deswegen  kein  Interesse  daran, 
in  der  Wirklichkeit  sich  bestätigt  zu  finden,  während, 
wenn  eine  apriorische  Construction  mit  der  Anmafsung 
auftrete,  das  Wirkliche  zu  construiren,  sie  das  Inter- 
esse an,  und  den  Wunsch  nach  solcher  Congruenz  ha- 
ben werde  p.  11.  Diesen  Standpunkt  aber,  der  un- 
zweideutig genug,  ja  manchmal  mit  einer  Art  Ueber- 
muth  der  Ueberzeugung  ausgesprochen  ist,  hält  der 
Verf.,  wie  leicht  begreiflich,  nicht  fest.  Dafs  er  ihm 
untreu  wir^,  vermuiAe  ich  daraus,  dafs  meines  Wis- 
sens der  Terf.  sich  den  Satz,  der  durch  blofse  Contra- 
position: aus  seinem  (dafs  das  logisch  Nothwendige  nicht 
wirklich  zu  sein  brauche)  gefolgert  werden  kann,  näm- 
lich, dafs  das  logisch  Unmögliche  wirklich  sein  Icönne, 
nicht  wird  gefallen  lassen,  ich  seAe  es  aber  daraus, 
dafs  er  eine'  Constructioii  der  mrklicAen  Geschichte 

« 

versucht,  was  ihm,  wenn  ersieh  ganz  treu  blieb,  nicht 
in  den  Sinn  kommen  konnte.  Es  macht  ge^eA  diesen 
Vorwurf  der  Verf.  Einwände,  indem  er  sagt :  die  a  prio- 
rische Methode  habe  Interesse,  die  Empirie  zu  suchen, 
denn  ihr  Ziel  sei  nicht  das  Construiren,  sondern  das 
Begreifen  de*  gegebenen  TnAaM%  aber  darin  ist  ja 
eben  exprefs  dem  widersprochen,  was  oben  gesagt 
war,'  dafs  der  gegebne  Inhalt  (das  Wirkliche)'  uner- 
reichbar sei,  es  ist  das  offne  Bekenntnifs,  dafs  er  sef- 


h-'PAilosopAie.  MD 

iSBn  Standpunkt  nieht  fesdialte.  Wenn  dann  an  deN 
«elbeli  Stelle  gesagt  wird,  die  a  priorische  Methode 
habe  dies  Interesse,  weil  „durch  die  Anw^do&g  im 
.  a  priori  construirten  Schemafs  auf  die  empirische  G^ 
,  schichte  diese  zur  Wissensehaft  erbpheo  .werde"  (|» 
sieht  der  "Verf.  nämlich  die  Construction  derselben  an), 
so  möchten  wir  fragen,  "welches  Interesse  wohl  der 
Construirende ,  der  ja  weifs ,  dafs  der  ZusammeDbsD|[ 
in  der  Geschichte  eiii  ganz  andrer  ut,  als  der  in  seiner 
Construction,  haben  kann, ^  dies  Schema  anzuweadent 
Eher  wäre  es  noch  zu  begreifen,  dafs  der  gegebne  h- 
balt  ^' Mite;  um  aas  *,9empirischer  Gesebidite  WiiMfr 
Schaft  zu  werden."  <-*  Es  geschieht  dem  Verf.y  dalk  er 
mehr,  als  er  selbst  meint,  mit  der  „Anmafsung  aoftritf , 
was  er  construirt,  .  in  der  Wirklichkeit  wieder  zu  er* 
kennen,  daher  hat  er  ein  so  grofses  „Interesse"  und 
einen  so  mächtigen  „Wunsch**  nach  Congruenz  mit 
derselben,  dafs  er  mehr  als  dfe,  welche  j<ene  Am&i' 
fsung  offen  bekennen,'  den  gegebnen  Systemen  GmA 
anthut,  um  sie  in  seinen  Schematismus  zu  briogeo. 

Gehn  wir  nun  zu 'der  Construction  selber  über,  se 
sucht  der  Terf.  zuerst  den  Begriff  der  Philosophie  sv 
fixiren,  und  dann  aus  ihm  die  nothwendige  Entwidt« 
lung  abzuleiten.  Nachdem  als  das  Ziel  der  Phfloso» 
phie  bestimmt  ist,  das  zu  finden,  was  den  CharaUir 
der  Allgemeinheit,  Nothwendigkeit  und  Einhdt  hsbe^ 
werden  vermittelst  des  Gegensatzes  voii  Denken  snd 
Sein  als  die  möglichen  Fälle  abgeleitet  der  iKsafiesn», 
welcher  Alles  aus  einem  obersten  Sein,  und  der  lüth 
iümut,  'Welcher  Alles  au»  einem  obersten  Gedaokpi 
abzuleiten  suche.  Seinem  Standpunkte,  gemäb  ist  der 
Verf.  zuerst  versucht,  nur  in  dem  Idealistnus  Pbilsis- 
phie  zu  erkennen,  d.  h.  in  der  Ansicht,-  welche  du 
Wirkliche  ignorirt,  weil  aber  dann  nur  wenige  Sjvteae 
Gegenstan<^  der  Pl^ilosophie  würden,  „desweg^  afilf* 
ten  (1)  '  wir  eine  weniger  strenge  Anwendung  jener 
Norm  gelten  lassen**  p.  41.  Um  nun  den  Ansichtea, 
die  nach  seiher  Ansicht  eigentlich  nicht  PUlosopUe 
sind  (weil  Realismus),  dennoch  diesen  &hrentitd  t»- 
flchreiben  zu  därfen,  wird  ein'  sonderbarer  Ausweg  ap- 
.  griffen :  nämlich  überall,  wo,  was  Von  der  HiilosopUe 
und  ihrem  höchsten  Begrifft  (dem  absoluten  (Bedaaksn) 
gilt,  durch  ein  Mitsverständnib  von  den  Dlngisn,  ote 
etwa  Gott  ausgesagt  wird,  da  erkennt  der  Verf.  phDs- 
^ophischen  Trieb,  und,  wenn  auch  mUsverstandene,  PM- 
losophie.    Es  i^ei  aber  ein  solches  MUsverstindaUs  ds^ 


MI  ericBriieby  dafif  40m  VhaSnAen  der  Gedasilui  an  die 
AttCitaWeU  näber  Kege^  als  der  an  sieb  selbst^  und  dar- 
bet Ton  ihf  auagetagt  «erde,*  was  nur  yom  Gedaiikeii, 
gelte**  p.  42.  43.  Wo  also  durch  eioeti  solchen  Parar 
legisnms^  was  nur  subjective  GedankenbeSlimnituigen 
etedy  vom  Realen \ ausgesagt  "Wvtd)  erkennt  der  Verf. 
trotz  dea  Realismus  Philosophie  an,  oder  richtiger  ge^ 
•ag%  4i|  dem,  was  nicht  ^^alismus  ist.  Dadiit  hängt 
«tenn  auch  die  eigenthomliche  Weise  susammen,  in  weU 
A^p  der  Verf/  der  Forderung  nadisukomnien  sucht, 
W«4ehe  er  selbst  an  die  Constructionen  a  priori  gestellt 
hat,  nftmÜeh  jedes  System  zu   fechtfertig^.     Diese 

-  Jkaohtfenigung  besteht  bei  allen  realjstischeii  Systemeii 
duia,  dars  er  in  iboen  v^n  dem  oben  angedeuteten  Pieui 
«alogismus,  um  den  Kantischen  Ausdruck  au  gebrau-i 
eben,  eine  transoeadoitale  Deductien  gibt.  Dies  aber 
Mfst  die  Systeme  nicht  rechtfertigen,  sondern  wegen 
eine«  leicht  möglichen  Irrthumsr  ^it/sc^tiAA^s^*  Wir 
werden  nachher  einzelne  Proben  dieser  Art  von  Recht» 
iertigung  anfuhren.  — ,  Dnrch  j^enen  oben  angeführten 
CSegensata  ergeb^i  sich  min  dem  Yer f.  drei  Reihen 
•pün  Systemen,  oder  drei  mögliche  Weben  den  absolu- 

^n  BegriQ*  su  faissen.    Er  kann  von  seiner  objecüven 

'  Seite  ^afst  werden,  als  die  ganze  Welt  des  Penkba^ 
cen  umfassendes  PriQoip$  indem  sich  nun  hiemit  der 
Mibvcfstand  verbmdet,  daü  unter  dem  Objectiven  das 
Reale  verstanden,  wird,  und  also  unter  dem  objectiven 
Absoluten  nicht  der  alles  Sein  umlieusksende  Begrifft 
Mitsteht  daraiis  der  Realismfis^  der  grüoAücAen  PAilih 
nphiß*  Es  ist  zweitens  der.  absolnte  Begriff  von  der 
nsibjeetiven  Seite  betrachtet,  iMiser  Gedanke,  ein  Be« 
•tandtheil  imsres  Ich  und  mit  demselben  identiBCh« 
wird  nttn,  indem  dieses  festgehalten,  zugleich  der  Irr? 

^tbttm  hegangep,  dafs  das  Absolute  nicht  als  der  allge«> ' 
aaelae  Gedanke  unsres.  Ich,  sondern  als  das  endliche 
heg(|iidre  leb  sdbst  angesehn  wird,  mmT  mischt  sich 
darmrter  jener  ReaUsmys  hinein,  sei  entsteht  der  rea^ 
liaCieohe  Idealismus  der  tiwetn  PAifosopAie  vor  Kant. 
lävilich  aber  wkd  der  absolute  Begriff  von  seiner  ob- 
j^etivan  Seite  als  oberster  Begriff  gefalst  und  zugleich 
ads  reine«  P^en  genommien  werden;  hier  wird  üie 
Phüesophie  mit  ihrem  Objecto  identisch ;  es  wird  das 

'  Ahsolute  nach  seinen  beiden  Seiten  und  beide  als  iden« 
UMk  imfgefaist;  es  wird  erkannt»  dals  der  absolute 
ibifaag  nicht  Mofs  das-aubjective  )nhaltslosd  Ich,  son^ 
dem  auch  dessen  absoluter,  alle  Objecto  (freiliob  nicht 


/*  A  ij  •  s  o  p  A  i  A 


942 


als  a^iende)  ia  sich  fassende,  Begriff  alles  Denkbarem 
ist ;  dies  gibt  das  Identitätssystem  der  neunten.  Pkäo^ 
MüpAie  9eü  Kat$t  p.  45.  46.  47. 266.  Zw^^^i  i«t  es,^ 
was  der  Ref.  an  dieser. Entwicklnag,  '  ^  sie  nnr» 
mit  des  YerCs*-  eignen  Worten  gegebenv^^  ^deln  muTs. 
Erstlich,  dab  durch  eine  sehr  ungenau  rerminologie^ 
scheinbare .  Widerspruche  entsteba,  die  das  Verstand* 
nifs  eines  sonst  ^ar  .iii<^t  complicvten  Gedankengan* 
ges  erschweren.  DerTerf«  unterscheidet  zwischen  dem 
Objectiven  und  Realen;  jenes  ist  ihm  ein  nur  Gedach«« 
tes,  dieses  ein  Seiendes. » ,  Er  bleibt  aber  diesem  Ge«* 
brauch  nicht  treu;  p#  267  sagt  er,  das  Denken  kötana 
auf  eifeetüfe  Geltung,  d.  h.  darauf,  Erkenntnils  de« 
Jflti^A/icAen  zu  sein,  keinen  An^rudi  mächen;  ähnli« 
che  Inconsequenzen  kommen  viele  vor.  Auf  einer  moU 
eben  beruht  nun  auch  die  ganze  Bezeichnung  jener> 
{leihen.  Da  ihm  €j/e  Philosophie  Idealismus  (in  «ei« 
nem  Sinne)  isf^  weil  sie  es  mit  blolsen  Ideen  oder  Ge« 
danken  zu  tbun  hat,  so  konnte,  das  Wort  Idealismus 
nicht  zur  Bezeidmung  einer  Seite  gemacht  werden, 
sondern  unter  dem  Idealismus  konnte  befabt  werdeiz 
der  Objectivismus,  oder  objective  Idealismus,  d^r  Sub^ 
jectivismua  oder  .  subjective  Idealismus,  endlieh  das 
Identitfttssystem  oder  der  reine  Idealismus^  wie  ilm  der 
Verf.  nennt.  Itzt  abei:,  wo  er  unbefangnen  Realismus 
pnd  Idealumus  sich  ^gegenüberstdli,  ist  ein  Jeder  be* 
fechtigt,  als  drittes  dazu  den  Ideal-Realismus  zu  erwar» 
ten,  und  den  reinen  Idealismus  als  drittes  darstelleD, 
stört  die  Symmetrie.  Wichtiger  aber  ist,  dafe  Äfft  YL 
\dpv  die  reine  Constrnction  ganz  vergifst/.Fon  der  er 
gerühmt  hatte,  dafs  sie  ganz  unbesorgt  sein  könne,  ufn 
die  Wirklichkeit.  Es  geht  dem  Verf.  wie  Yielen,  die 
zu  viel  versprochen  haben:  die  Wirklichkeit  kreuzt  ihm 
nur  zu  sehr  seine  Constrnction.  Jener  so  wicht^e  Pa- 
ralogismus».  durch  welchen  der  Objectivismus  in  Rea* 
Usnims  verwandelt  wird,  wird  schon  nicht  mehr  con- 
struirtf  oder  man  müfste  das  eine  Copstruotion  a  priori 
nennen,  dafs  der  Terf.  sagt,  es  liege  dieser,  Paralogis* 
mus  nahe.  Fehler  dem  reinen  Objectivismus  soUte  der 
strengen  ConSequenz  nach  der  rekie  Subjectivismus 
oder,  v^e  ihn  der  Yerf.,  nennt,  Idealismus  gegenüberge- 
stellt werden.  Weil  aber  die  Wirklichkeit  keinen  soU 
ehen  darbietet,. nimmt  der  Verf.  den  reaiistiecA^nUeh^ 
lismiis  als  die  zweite  Möglichkeit  an.  Endlich  wenir 
eine  soleAe  Yermischang  mögUch  ist,  so  mufs  es  eben 
90  auch  die  des  idealistischen  Realismus  sein;  diesen 


\  ^ 


'  \ 


«43  G€  *  9  A  ••  kt  0    de 

bot  die  WirkBefakeil  etwa  oielit  dar^  and  m  wird  et 
Biebi  colurtniirt     litt  Anforderang  dei  Yerfi.  ^    dab 

,  dia  CoDtiructien  Cdmequent  und'  YoUstfindigkeit  Iiabe, 
komiiit  er  aiie  Liebe  nur  WlrJcliehJceit  aelbst  nieh'l  naeh. 
Zu  der  enlen  Periode»  der  grieeAiteh&n  PAiloso^ 
phiß  übergehend»  knfipft  der  Terf.»  um  eine  vorläufige 
Eintheilutig  su  finden»  an  daa  FrQliere  an.  Die  Philo«* 
aephk  hat  ea  mit  den  leUten  Gründen  au  ihun ;  ea  faU 
Inn  nnn  <waä  nicht  weiter  abgeleitet  vMi)  die  yer* 
aeUecInen  GrMde  unter  drei'  Kategorien,  die  letzten 
firQnde  dea  Semt  oder  der.  Dinge,  d#a  Seim^lenM, 
^eder  Handeina  (richtiger  Zweeke)^  endlich  dea  Für* 
mmkrhaUemM  und  der  Gewifaheit;  daraua  ergeben  aieb 
Um  die  4rei  Perioden  der  Physik  vor  Sokrates,  der 
Ethik  aeit  Sekratea»  der  Dialektik  aeb  Plato.  fSx  l^e« 
cdUgt  aieh  mio  nidit  bei  den  Altern  Autoritäten»  auf 
4ie  eraich  herufan  liat»  aottdem^  um  Jieae  Anordnung 
.1«  rechtfertigen^  gibt  er  eibe  weitere  Definiäen  Te» 
Phjaik  ala  aonat  j^ewobnlieh»  indem  er  aie  als  die  Wia*« 
aenachaft  Yen  den  Gründen  dei  'Sdna  beatimmt»  ao  dafa 

>  dao  die  Ontotogie  der  Eleaten  eben  90  daruntjß^  befafat 
tat»  wie  die  Phyaielogie  der  Jonier»  In  diese  Periode 
der  Phyaik  ifteUt  der  Verf.  die  Jonier»  die  Pythagerfier» 
die  Eleaten,  dann  den  Jleraklit  (und  nur  beiläufig  den 
Empedodes),  die  Atoiniaten  und  den  Anaxagoras.  Wie 
wir  una  die  riditi^  Anordnung  denken »  Ist  oben  *  bei 
dem  Reinholdaohen  \¥ark  gesagt»  hier  ^erde  nur  aul 
4aa  Eigentbiknliehe  der  BehandMing  hingewiesen«  Oben 
W^r  acbon  hemerkt»  waa  der  Yerf.  unter  der  Rechtfer» 
-iignng  eines  Btandnunkta  versteht  ^ ,  daa  Hervorheben^ 
eJEra  logischen  Gedankens^  welche  durch  eine  Subr^ 
tipn  eine  ontelogiaehe , '  reale  Wahrheit  sugesehrieb^n 

.  ^wit^.  Demgemärs  wird  in  /dea  Bemklita  Weg  nadx 
oben  und  unten  Wabriieit  anerkannt,  weil  die«  nur 
eine,  ontologiaehe  Anschauung  der  lyrischen  Wllhrheit 
sei»  dafs  janalytisoh  rem  Einselnen  zum  Allgemeinen 

'^  und  synthetisch  ¥oiii  Allg^einen  «am  Eintelnen  fort« 
gegangen  werde«  Eben  so  erkennt  er  in  der  Atomen« 
lehre  die  hgUche  Wahrheit»  dafa  in  der  Analyse  deii 
Gedalkkra  bis  zum  Einfa^n  turOekgegangen  WerdCr 
Wem  IsUen  lui(bei  nicht  Kants  transeende^tale  Losun« 
gen.  der  Widen^rüche  ein? —  Zu  der  -  Periode  der 
Jätldh^  Sokratea  und  die  Sokraüker  befossend»  macht 
der  VerL  den  Uebergang  durch  die  Sopliisten,  deren 
yositivea   Verdienst  darin  gesetst  wttd»  '  durch  ihren 


r    P  Ail  0  9  •  pA^0.  §44 

/Skcjpticisanu  der  Speenlalien  Pseikeit  veradiaflRl  M  hn> 
ben,  während  ihr  negatiree  Verdienat  aei»  daii  sie  dnrsh 
ihre  rrirolttät  ab  Reaetkm  die  Anabildung  der  Ethik 
tti)d  Dialektik  vo'anlarac  hätten.  Nachdem  äla.daa  Efc» 
genthfimliche  der  Sokratisehen  Lehre  die  Mentitit  dea 
Wimena  mit  dem  Ethischen  hervorgehoben»  wird  aia 
der- Fortschritt  der  Sh^ratiker  beaelehnet»  dafa  aie  die 
wesentlichen  Prädieate  dea  logischen  Absolaten  oder 
'  der  Phibsophie  selbst»  als  Prädieate  -  der  Tugend  gd> 
tend  gemacht'  bätleui  indem  Ae  Kyniker  dieaelbe  ida 
abtokit  (in  derUnabhängiglreit)  bestimmt^  die  KyrMai* 
ker  aber  die  Idee,  dafs  die  Philosophid  daa  Sinnliche 
beherrsche,  auf'  die  Tugend  angewandt»  und  dnram 
diese  als  Beherrschung  der  sinnliclien  Gründe  dea  Han* 
deine  (1)  gefaftt  hätten»  wie  denn  bei  tJtenselhen  det 
Bchauptuhg'  von  der  Gleichheit  Jeder  Lust  daa  Bewnfat» 
s^n  Ton  ^em  sieh  gleich  bleibenden  Inhalt  dea  Gedaa» 
kons  M  Grunde  liege.  Endlich  hätten  die  Mi^;ailket 
die  Einheit^  gleichfalls  ein  Prädicat  des  absoluten  Oe» 
dankens»  zum  Prädieate  der  Tugend  geiaacht«  —  In 
dieser  Weise  der  Redhtfertigung  erhält  der  gans  wnhie 
Gedanke»  dafs,  jede  Philosophie  die  höchste  Kategorie^ 
deren  Bedeutung  sie  erkannt  hat,  von  ihrem  Abaelutcn 
prädicirt,  durch  die  einseitig  subjectire  Geltung,  die 
den  Kategorien  augeschrieben  uHrd,  eine  gans  schiefe 
SteUung.  —  Die  Periode  der  ßialekiik  umfefat  Pinto 
«ind  die  spileren  Systeme.  Wie  der  Verf.  die  Phyaik 
in  einem  x^eitöm»  ae  nimmt  er  die  Dialektik  in  cfaMBi 
riel  engern  Sinn»  als  dies  gewöhnlich  und  richtig.  Die 
,  Dialektik  ist  ihm  nur  Erkenntnifstheorie,  WiaaeoaclHft 
Ton  den  letzten  GrQnden  unserer  ErkeantnMa»  daher 
sei  sie  bei 'den.  Eleaten  nach  gar  nicht  eds^  doch  Mols 
als  Kunst,  nidit  ti»  Wissensohnft  Torgekommeiu  In 
sofern  liÜden  ihm  die  Ideen,  nur  sofern  aie  aait  den 
Definitionen  ausainmenfallen  p.  190»  Inhalt  der  Dkl« 
lejctik.  Er  leugnet  swar  nicht)  ditfs  Phito  aie  nudi  ala 
GrOhde  des  SeinM  ttimmt»  aber  in  aofMi  ifeehsict  er 
seine  Ideenlehre  sur  Physik  desadben,  obgleich  er  be- 
kennt, Plato  sdbst  habe  unter  Physik  etwas  Andrea 
Torstanden.  (Sonderbar  ist  ea^  dab  an  einer  «ndei« 
Stelle  p.  176  ein  grobes  Gewicht  darauf  gelegt  wird, 
dafs  die  Stoiker  selbst  eine  Lehre'  sur  Logik  gefeeli- 
net  hätten,  während^hier  bd  Plato  hinsiditlieh  dea  Orta» 
den  eine  Lehre  hi  seinem  System  einnimmt^  t^  nicht 
als  AutcHrität  gelten  soll). 


(Der  Besehluft   frigt.) 


I  1 

t 


«7« 


*.     » 


J  a  h  r  b  ü  c  h  e 

wi  s  s  e  n  s  cii  ä  f  1 1  i  c  h  e    K  r  i t ik. 


Juni  .1840. 


fi» 


1)  Lehrbuch  der  Geschichte  der  Philosophie  von 
Ernst' Reifkhold/  '  ^'      . 

%)  Umrisse  der  Geschichte  der  Philosophie^  ent- 
Stoffen  rOf$  Dr.  'Eduard  Schmidt. 

,     .  (Schlufi.) 

In  Beiner  Physik  nun  stelle  Platö ,  indem  er  die 
^deen  aueU  al^  Beales  fasse,  «in  Idenlitätssyetem  (diodt 
Im  Sinne  ,des  Verfs.,  sondern  etwa  ^obellings)  auf* 
Das  Verdienst '  des  Aristoteles,  setzt  dann  der  Terf. 
darin,  dals  bei  ihm  die  Philosophie  wahrhaft  zu  einer 
TVii^ensehaft  nur  in  Begriffen  und  um  ihrer  selbst  willen 
^worden  sei  —  wenn  der  Terf;  sich^hier  darauf  beruft, 
dafs  Aristoteles  die  Wissenschaft  um  ihrer  selbst  wil- 
len getrieben  wissen  will,  so  ist  es  etwas  Anderes,  auf 
fiufsere  Zwepl^  oder  auf  das  Reale  verzichten  —  zu- 
,  ^eich  aber  soll  seine  Idee  i^on  der  Philosophie  nii^ht 
eine  so  scfiöne  sein,  als  die  des  Plato,  und  es  werden 
ihm  Vorwürfe  gemacht  über  seine  Vermischung  von 
Logik  und  MetapHysik,  indem  .er  den  logis^shen  Satz 
des  Widerspruchs  in  der  Metaphysik  feststelle,  (ilieriii 
liegt  eine  Zweideutigkeit« ,  In  dem  Buche^ .  das  wir  s^ 
nennen,  wird  freiUch  dieser  Satz  festgestellt,  etwas  An^ 
dres  ist,  ob  ihm  Aristoteles  die  metaphysische  Hedeu,- 
tung  gab>  vie  der  Verf.  zu  meinen  scheint.)  Ueber^ 
iiaupt  ist  der  Verf.  gegen  Aristoteles  ungerecht.  Die 
Widersprüche^  welche  er  bei  ihm  findet,  sind  zum  Theil 
^ar  nicltf  von  Aristoteleis  ausgesprochen,  wie  zj»B.  ,,dte 
9,SonderUng  des  logischen  Grundes,  der  Form,  von  allen 


der  Erkenntnifs   immer  als  daseiendes  Object  genom*  ^ 
men,  sie  erst  nach  Kriterien  der  Wahrheit  gefragt  ha^ 
ten,  so  wird  man  zweifelhafr,  waium  dann  der  Verf.  ^ 
die  Periode  der  Dialektik  (in  seinem  Sinne)  nicht  mit  ' 
ihnen  erst  beginnen  Jäfst;  denn  wenn  der  Verf.  ah  dein- 
selben  Orte  sagt,   dafs  was  Plato  und  Aristoteles  fttt 
Objecfe  hielten,   eigentUcb  blobe  Gedanken  gewesen 
seien ,  so«  war  dies  ja   bei  allen   frühem.  PliHosopheii . 
auch  d^  Fall,  die  ja  nur  durch  diese  m^prise  Philoso» 
phen  waren,  und,  datin.  malste  wieder  die  Periode  der 
D.ial^kti|c  weiter  zürückdatirt  werden»      ^ 

Dje  zweite  Aauptperipde  befafst  -  die  n^tMri»  Pki^ 
hsaphie  vor  Kant  p«  191.    Ihr  Charakter  aei^   dafs^ 
^ie  Reflexion  .i»i{/^  das  Denken  .vorherrsche,  daher  die^ 
Philosophie  betrachtet  werde   mehr  in  ihrem:  Vedbält- 
aifs.zu  u^ft  als  zum  Object.    Darum  sei  die  Dialektik 
itzt  Hauptwissenschaft,  und  die  Periode  J^egihne,  wo- 
mit die  alte  Philosophie  seUois,  dem  Zweifel.    Indem 
al^er   doch  .  die  Gciwifsheit    der  realen  Wdt  sich  auf- 
dränge, entstehe  ein  unvernöhnter  Gegensatz  oind  Dua- 
lismus  in  dem  unglücklichen  Versuche  eines  reälisti* 
sehen  Idealismus  p.  191—210.    Den  oigentlieheA  An*-' 
fang  der  neuem  Philosophie    findet  er  bei  Deseartes, 
Scholastiker  und   ihre  Bestreiter  seien  nur  Vorläufff- 
4erselben.     Immer  wird  bei    der  Dars^llung  die«  Er^ 
Jkennlnirstheorle  als  die  Hauptsactie  betrachtet.    (In  delr 
.Betrachtung  d^s  ontologiscfaen  Beweises  p,  1)24,  rächt 
sich  die  Vernachläfsigung  der  Scholastiker.    Hätte  der 
Verf.  einen  derselben  Zk  B*.Occam  genauer  gelesen^  so  * 


^übcigen  realen  Gründen,  —  und  dann  wieder  die, drei     wäre  es  ihm  nicht  geschehn,  dals  er  d^- Wort  objetg^ 


,yder  v^  gegenüber  identisch.*'  Die  erste  £ntge{(enr 
seizung^ist  nicht  Aristotelisch.  Eben  so  unrichtig  ist 
die  Behauptung,  .dafs  die  Platonische  und  Aristoteli- 
ache  Eibik  sich  wie  kynische  und  kyrenaische  vep- 
halte.  Wenn  dann  der  Verf.  zu  den  Stoikern  überr 
gehend,  als  ihren  und  des  Epikurs  Fortschritt  bezeich- 
net, dafs,  wJihrend  Plato  und  Aristoteles  dea  Grund 
Uhth.  /.  fTMltfiifcA.  KfiHik.  J.  1840.    I.  Bd. 


tiv  bei  Deseartes  so  genommen  hätte,  w$e  es  ia  nearcir 
Zeit  genjommen .  wird.  Objektiv  ist  im  Mittelalter  »-^ 
ui^d  eben  so  bei  De$cai(te^  —  was  nur  im  Denken  is<, 
Snbject  was  Subjeet  eines  Sa|t3cNi /sein .  kann.  Kant 
erst  hat  den  Spracbgebraiu>h  lyin  umgekehrt).  In  deqi 
Fortschritt  durch  Geulinex  und  JVlalebranche  zum  Öcea- 
sionalismus  sieht  der  Verf.»  in. der  oben  angedeuteten 

119 


(    _• 


917  G  e  M  e  h  i  e  h  t  6    d  0 

Weise  Wahrheit;  Malebfanehe's  Lehre,  dab  wir  Alles 
in  Gott  sehen»  sei  in  ihi^ir  Wahrheit  die  logische  Wahr;^ 
heic,  dafs  alles  Wissen  nur  -  durch  den .  allgemeinsten 
Betriff  mSgliah.  Ai^h  ^r  Fortschritt  xum  Spinosa 
TviÄl  ttgegtu  die  feforJtttsbUche '  Auffassung"  in^.ähali- 
cher  .Weise  gerechtfei;tigt  Sein  Pantheismus  nämlich 
sei  nur  das  UnwesehtUche  seiner  Lehre,  ihr  Grundge- 
danke sei  ,,auf  das  Ich  Alles  zu  begründen,  so'dann  aber 
nachKUweiseiif,  wie  eine  Harmonie  zwischen  Ich  und 
Aiifimiwelt  (Deakeii  und  Ausdehnung)  mdglich.*'  Um 
Misses  durehsaführea«  mufs  der  Verf.  sieh  naturlich  we- 
Juiger  an  >die  Ethik  als  an  de  emend.  inc  halten ,  alter* 
•o  sehr  er  auohi  bei  ollen  Hälzen  es  betont,  dars  die 
Modifieatbnen  darefa  die  Substanz,  sie  abei^  durch  sich 
g4iilmeAt  werde,  und  daraus  schliefst,  jenes  VerbiUtnils 
«ei  Atrclymu  logisch  (p.  236);  so  sehr  er  sich  bessaht 
ztt  rergiessen,  (was  ihm  p.  237  zn  gelingen  scheint), 
dab  immar  $uigJeieA  vom  Sein  durch'  sich  und  durch 
Anderes  die  Rede  ist,  so  ist  er  doch  aufrichtig  genug, 
zu  bekennen,  dafs  die  Identität  das  Seins  und  Devr 
kens  dem  Spinoza  ünsweifolhaft  gewesen,  woraus  frei- 
Höh  folgt,  dals  bei  ihm  von  einea^  durcAaus  (d.  h.  ^nur) 
hgüekem  Verfaäitni£9  Oberhaupt  nicht  die  Rede  sein 
kann.  Mit  dem  Hervorheben  der  ErkenntnifstheorLe 
hAngt  dantt  zasanmien,  da(s  deiT  Verf.  des  Locke  Em» 
ptrismus  gering  anschlägt  gegen  die  Verdienste  Her*^ 
berts  V«  Oierbüry  am  die  Lehre  von  den  angeboroea 
Ideen.  In  Ltibmtx  sieht  der  Verf.  den  Blttthepunkt 
.^ser  Perlode»  Dennoch  wird  dem^  Schematismus  zur 
Liebe  dem  System  desselben  GSewalt  angethaa.  Zuerwt 
wird  ohne  Weiteres  die  Monas  mit  dem  Ich  identificirt 
und  dabei  der  wichtige  Unte«schied  zwischen  perc4ytlo 
jnnd  apperceptio  vergessen, .  femer  (so  richtig  es  ist, 
dafs  Leibidtz  (ttr  die  Vielheit  de^  Monaden  keinen  dl«, 
recten  Beweis  gibt)  vergessen,  dafs  diese  Vielheit  aus 
dem  BegriflRl  des  fiirsichseieaden  Eines  mit  logisdier 
Kothwendigkeit  folgt,  endlich  wird,  was  ans  dem  Er* 
aten  frmlich  folgen  mufste,  die  prästabiltrte  Harmonie 
nur  zu  einer  Vermittelun|;  des  Ichs  und  der  Aufsen« 
Welt.  ^--  Den  Uebergang  sur  neusten  Philosophie  i^acht 
der  Verf.  duroh  Berkeley  und  Hume.  In  einem  An% 
hang,  die  Ethik  dieser  Zeit  betreffend,  finden  wir  die 
bef^mdende  Behauptung,  diese  sei  nur  in  Gel^talt  der 
Pflichtenlehre  aufgetreteii,  wfihrend  bei  den'  englischen 
Motalisten  dieser  Begriff  gerade  zurücktritt  gegen  den 
Tugeadbegriff^  Die -dritte  Hauptperiode,  die  neM^^^dRiil* 


r    Philo$  0  p  hie.  _  »48 

löschte  eeü  Kani  (p.  266)  werde  zur  Uentttatsphi^ 
losophie,  d.  h.  reinem  Idealismus,  ipidem  sie  darauf  ver* 
zicbte  Reales  %n  erkennen.  Ihr  ist.  die  ErkennCniCs 
van  einer  zweifachen  Wahrheit  eigenthOnalich,  die  der 
frühern  abging.  Nur  die  Ane  gibt  die  Speeulalion,.  die 
andre  die  Erfahrung«  Natürlich  wird  auf  Kant  dsM 
gröfste  Gewicht  gelegt,  und  nur  die  Spuren  des  Haa* 
lismus  an  ihm  getadelt.  Jacobi^  dessen  Bedeutung  sem 
soll,  gerade  die  reale  Wahrheit  zu  verlangen,  sei  Phi- 
losoph  ifur  dulrch  die  sk^tische  Ueberseugung^  dala  die 
Speculation  nicht  reale  Erkenntnifs,  die  Br£ali|iuig 
nicht  Philosophie  sei.  In  liichie^.  zu  dem  der  Varf. 
durcli  Reinhold  übergeht,  erkennt  er  die  hochrte  Voll- 
ständigkeit und;  Ganzheit  des  Idealismus,  in  ilim  hört 
der  Dualismus  auf  und  wir  haben  Identitätssy^teoi.  £s 
scheint  aber,  als  wftre  der  Verf.  in  Verlegenheit^  wie 
er  den  weitern  Portschriu  nach  der  „höchsten  Gam^. 
heit"  erklären  soll,  und  so  geräth  er,  wo  er  die  Hflo» 
gel  der  Fichteschen  Lehre  hervorhebeti  aoU,'  in-  ein  ge> 
wisses  Schwanken.  Einmal  wird  demselben  vorgewor- 
fen, dafs^  da  auch  dai  empirische  Vorstellen  vom 
ich  geWat  sei,  er  auch  dem.  sinnlichen  Erkennen  die 
Objecto  attPsel^  ihm  abspreche  (darnach  abo  witre  Fkht» 
%n  idealistisch),  dann  wieder  wird  p«-305  getadelt^  .dafs 
sich  ein  Realismus  bei  ihm  geltend  mache,  der  na  ei- 
nem Widerspruche  von  Wahrheit  des  Lebenr  nnd  der 
Philesophie  führe,  und  es  i%ir<l  eine  ewpiriiehe  Rich- 
tung genannt,  dafs  das  Ich  auch  das  sinnliche '  VocsteU 
len  setze«  ^-^  Dieses  $elbe  Schwanken  zeigt  sieh  andi^ 
wenn  der  Verf.  zu  SchelHng  übergeht.  Als  Idealrea- 
lismus wird  das  System  desselben  als  ein  Rüeksduritt 
g<^en  Fichte^  zn  Spinoza^  hin  bezeichnet,  dann  ab« 
^ird  es  ein  Fortschritt  genannt,  dab  hier  das  Ich  zum 
itdchsien  logischen  Begriff  erweitert  ,^ei;  die 'Krone 
endlich  der  bisherigen  Entmcklung  sieht  der  Verf.  in 
Hegel.  Dem  Inhalte  nach  sei  seine  Philosophie  fast 
ganz  dft  Schellingschef  sein  Verdienst  bestehe  in  der 
Form,  —  freilich  wird  wieder  an  andern  Orten  die 
Methode  Hegels  „ganz  wilikahrlich''  genannt.  Wenn 
dann  auch  wieder  gesagt  wird,  wegen  de»  eingescUidiai» 
nen  Realismus  %et  seine  Lehre  ein  Rück^hritt  gegen 
Fichte,  SP  genügt  die  Angabe,  „das  Verdienst  Hegels 
hestehe  darin,  dafs  er  den  abstractesten  Begriff  des  Seins 
obenan  gestellt  hfittc**,  doch  auch  nicht  um  zn  erkemien, 
warum .  der  Verf.'  ihn  Aber  Fichte  stellt,  um  so  teehr,. 
da  Jenes  obenan  bei  Hegel  doch  eigentlich  ein 


»19 


Mwimdk^^  Ltkriuek  ierC/tograpkte, 


9M 


Lernende  luick  der  ihtieil  dargiebetenen  Sdirift.  Bleei» 
GeBttgdiuiinf  ist  aber  auok  die  geriiigste,  welebe  Man* 
liem  gebohrt»  die, ,  angetrieben  Toh  deäl  edleh  Beitre-^ 
ben  die  erworbene  tiefere  Eiosii^bt  der  BegrOiidaiig 
4^r  Elemente  der  Wissensobaft  ih  Schulen  sn  weihen, 
ans  d«r  Itöhem  Sphäre  der  Erkenntnisse  und  Wahr- 
heiten herabsteigen  zu  dem  pädagogisthen  BedorfnUe; 
aolebe  Mimner  erkennen  getwifs,  wie  fBr  das  nacb- 
waehseiide  Geschlecht,  im  Unterrichte  nnd  in  der  Er- 
Biehiing,  iouBw  nur  die  besten  Hülfsmittel  iind  Aidei- 
tnngen,  die  wir  ra  geben  TenHögeP^  veiwimdet  wer- 
den müssen* 

Mit  der  Stfirke  des  Yei^tranelis  des  lehrenden  und 
lernenden  Publikuma  su  Liehrbiichem  dieser  Katego- 
rie stellt  oft  aber  auch  ihr  Einflitfs  auf  Behandliing 
und  Begründung,  der  Systematik  und  ^es  Formellen 
der  SchjuMiscipIin  und  sogar  auf  die  Wissensehaft 
selbst,  wenn  de  noch  in  der  EntwScklungsp^riode,  iä 
geradem  Yerhältnifs;  woraus  wiederum  iiUr  die  KiritSc 
die  Pflicht  einer  yorsugsweise  poiidven  Beriehterstat» 
tung  über  solche  Arbeiten  entspringt.  In  diesem  Falle 
befindet  sie  sieh  der  oben  atigfseigtofi'  Schrift  gegen- 
äfaer ;  denn  des  Herrn  Yerfiissers  früheres  Werk^  über 
das  Festland  von  Australien^  nimmt  belmnntlieh  eine 
höhere  Stelle  im  Gebiete  der  neaern  g^graphlsch^n 
Literatur,  ein^  welche  ^er  Schule  dee  Herrn  Profcibisor 
Ci  Bittet  schon  manches  Schätzbare  Tordänkt  \  jedo^ 
steht  es  als  eine  monographisdie  Darlegung  der  geo- 
■  graphisehen  Verbältnisse    eined  bestimmten  Erdrauma 

r^VTV  '       '       tu   dem  rorliegenden  Lehrbuche»  welches  die  gdnse 

LAi'^IV^  Erde   zum  Object  seiner  Aufgabe  hat,  nicht  in  ganz 

Lehrbuch  der  Oe^raphie  für  die  obern  KIm-  ^ther  Bej;iehuog,  wie  denn  aueh  beide  Arbeiten  nacii 
sen  höKerer  Lehr  -  AmUüten  tom  Cf*  E.  Meir  ihrem  Einflüsse  auf  euien  Fdrtsehritt  in  der  If^ssen- 
nibkej  Dr.  und  Prof essor  afn^OymnaßHsm  am   ^«ehaft  sieh  sehr  Ton  einander  unterscheiden. 


ist.  Nar  einen  Sehritt  ^eilergehn  müsse  die  Philoso- 
phie^ so  scUieist  der  Verf.  sein  Werk,  nämlich  nodi 
weiter  Voir  Religion  und  Erfahrung  sich  entfernen,  ein 
idisolttter  Idealismus  werden,  der  ftür  eiri"  Kunstwerk 
des  Gedankens  sein  will«  So  wetiig  der  qpeculative 
dedwike  uns  Essen  und  Trinken,  so  wenig  könne  er 
Glauben  und  *  Gerechtigkeit  uns  geben.  Der  sch5ne 
Mmid  zwischen  Religion  und  Wissensobaft,  auf  den 
der 'Verf.  sum  Sehluis  hinweist,  begeht  ihm  nur,  in  ei- 
ner TUligen  Scheidung  beider  Gebiete. 

Indem  der  Ref.  diese  Anzeige  schliefst,  sei  ihm 
mur  noch  die  Bemerknng  erlaubt,  dafs  es  mit  das  In* 
ferasse  an  der  Person  des  Verff •  ist,  die  ihn  beweg, 
den  Widersprüchen  naeheugehn,  in  welehe  ein  Stand- 
punkt führen  mufs,  der  eigentlich  in  einem  fortwähren- 
den'Siehselber  Jroniiiren  besteht.  Eine  Speeulation, 
wetehe  eine  Realität  aufser  dem  Gedanken  annimmt 
und  dann  auf  sie  Torzichtet,  und  deimooh  weiter  spe^ 
eniirt,  isl*  in  eben  so  einer  Selbsttäuschung  begriffen, 
wie  die,  welche  erkennt,  Religion  und  Philosophie 
seien  TöUig  geschieden,  und  daniji  nicht  den  Muth  hat, 
die  eine  oder  die  andere  zu  verwerfen.  In  vielen  Er- 
aehtinungen  unsrer  Tago,  die  von  manchem  Religiösen 
porhorrescirt  werden  mdgen,  der  in  unserm  Verf.  einen 
Geistesverwandten  begrüCit,  mfissen  wir  nicht  nur  |rö- 
faoren  Muth,  sondern  auch  grofsere  Aufrichtigkeit  ge-' 
gm  eich  selbst  anerlcennen  und  achten. 
>  Dn  Erdmann« 


Prentlcm*      In   Kalbersberg's   Buchhandlung 
da$elbit  1839.    668  S.    8. 


*  tiehrbOeher,  dem  Uaterriehte  der  Jugend  v^n  Schrift- 
nteUem  gewidmet,  die  durch  ihre  früheren  Leistungen 
ifli  Fache  berells  Anerkennung  gefunden  haben,  pfle- 
gen eine  wunschenswerthe  Erweiterung  der  betreffen- 
den Literatur  zu  sein ;  allen  Zweifeln  über  Befähigung 
und  Neigung  des  Autors  zu  der  Arbeit,  welcher  er 
sieh  unterzogen,  Ist  durch  seinen  Namen  von  vorn- 
herein begegnet  $  mit  unbeschränktem  Vertrauen  und 
Jbesonderm  Verlangen  trachten  namenilich  Lehrer  und 


Das  Lehrbuch  einer  Wissenschaft,  gleickml  ob 
für  Schalen  oder  Privatbelehrung,  ob  fitr  niedere  ^der 
häh^e  Stufen  g^Uger  Entwicklung  bestimmt,  nnir«, 
als  Lehrgebiude  neth wendigerweise,  das  syslematisehe 
GefÜgOi  nicht  nui  des  Gänsen,  sondern  tiuoh  der  ein*^ 
telnen  Theik;  woraus  der  Bau  entstiindett,  erkoinen 
lassen,  sobald  dabei  mit  gfändlleher  Kenntnifs  des  Ma« 
^rials  und  demjenigen  Takt  verfahren  wivdle,  welcher 
aus  dem  klaren  Bewurstsdn  und  Festhalten  der  einen 
Vnd  vereinigenden  Idee,  die  der  Wissenschaft  sum 
Grunde  Jiegt,  hervorgeht;  diese  Eigenschaft  ist  A\p 
charakteristische   und /eonstante   für  jedes  Lehrbuch  5 


951 


Mei^icke^  Jjeiriueh  der  Oeograp^ik. 


9S2 


abhängig  aber  yon  «einer'  Bestimmung  ui|d  der  Ein- 
sicht des  Tutors  ist  die  Auswahl  des  darzubietenden 
Stoffs.  Für  die  wissenschaftliche  Erdkunde,  wie  sie 
ihr  Begründer  Carl  Ritter  vorgezeichnet  hat,  ist  der 
Entwurf  eines  Lehrbuches  mit  den  grdfsten  SchwM- 
rigkeiteh  verlupden  und  bisjetzt  auch  noch  nirgends 
gelungen  f  denn  die  Wahrheilen,  welche  den  Einfluls 


ansreidiend,  somiirste  durch  Verelnrguiig  Mehrerer 
die  LSsung  der  so  schwierigen 'Aufgabe  im  RittersdieB 
Sinne  versucht  werden;  freilieh  scheint  es  ab'er,  als 
sei  dieser  ^  Gelehrte,  ungeachtet  'der  häufigen  Bemfimg 
auf  ihn,  nicjit  überall  und  auch  nicbt  von  allen  denje- 
nigen'Geographen,  in^  Absicht  seiner  Leistungen,  Be- 
strebungen, Ansichten  und  Wünschen '  verstanden,  zu 


der  räumlichen  Verhältnisse  .des  Planeteli  und  seiner  ^  denen  sogar  sein  lebeiidiget  Wort  gedrungen  ist.    Diese 
einzelnen  Theile  auf  die  geistige  Entwicklung  desMen- 
sdbengesehlechtsj  und  somit  auf  die  Geschichte«  zu  be- 
-«tätigen  vermögen,  müssen  wir  uns  wohl  hüten y  nur 
in  denjenigen    Zweigen    der    Erdkunde   zu  verfolgen 
und  zu  suchen,  welchen  C.  Ritter  bereits  vor  20  Jahren 
in  seiner  Erdkunde  mit  so   überaus  glücklichem  Er- 
folge  seine  Aufmerksamkeijt  zugewendet  und  aus  ihnen 
die    verborgen   gewesene  Fülle   von  wissenschaftHchem ' 
Inhalt  zu  Tage  gefordert  hat  ^   aber  er  selbst  sprach 
'.schon  damals  in  der  dassischen  Einleitung ,  zu  seinem 
Werke  deutlich   aus,    dafs   solchen  Wahrheiten  nibht 
•minder  in  allen  übrigen  Richtungen  nachgeforscht  wer- 
den müsse. 

Jedoch  nuz  vern^pge  eines  tiefen  Eindringens  in 
alle  Hälfswissenschaften,  in  Astronomie,  Chemie,  Phy- 
sik, Ged^ogie  und  '  Geognosie,  in  die  Wissenschltften 
der  drei  Reiche  deir  Natur  j  in  Ethnographie,  Statistik 
ui^d  Politik  und  dann,  vermittelst  Begreifens  und  con- 
sefuenten  Festhaltens  der  Idee  "der  Erdkunde,  wozu 
eui  philosophisch  -gebildeter^  Geist  und  genaue  B^ennt- 
'  niis  der  Geschichte  befähigen,  kann  es  gelingen,  em 
Lehrbuch  -  der  Erdkunde,  höiiern  AnCorderungen  ent- 
sprechend, aufzustellen.^ 

Ist  diese  Aufgabe  theils  wegen  der  Schwierigkeit 
m  allen  ,den  genannten  HQlfswissenscliaften,  worin  den 
Gesetzen  der  räumlichen  Yerhältnisse  der  Erde  und 
'Uir^r  Theile  nachgefOTscht  werden  muTs,  gleichmäfsig 
gründlich  bewandert  zu  sein,  theüs  wegen  des  nie  un- 
terbrochenen Fortschreitens  aller  Wissenschaften,  theib 
wegen  des  .aufserordentlich  umfangreichen  und  täglich 
noch  mehr  :  anschwellenden  geographischen  Materials, 
so  wie 'Wegen  der  wechselseitigen  Beziehungen,  in  wel- 
^  eher  die  Raumverfaültnisse  bedingetid  zu  einander  ste- 
hen, über  das  Maafs  geistiger  Kraft  des  Einzelnen  hin- 


Meinung  .wird  bestätig)  durch  die  Unahnlichkeit  der 
Lehrbücher  untereinander,  nach  Inhalt  und  Form,  wd^ 
che  von  verschiedenen  seiner  Schüler  für  den  Unter- 
richt verfafst  worden  sind;  ferner  macht  diese  Yermik 
thung  erklärlich,  warum  die  dringend  nothwendigea 
Versuche  einer  gründlichen  Vorbereitung  oder  Reform 
in  Jenjeoigrai  Theilen  der  Erdkunde,  die  mit  den  ge- 
nannten Hülfswissenscfaaften  näher  verbunden  sind,  und 
zum  Theil  naciii  ihnen  benannt  werden,  von  einem  wis» 
senscbaftlichen  Standpunkte  aus  noch  so  höchst  aeltea 
sind;  dies  Mifs verstehen  spricht  sich  auch  aus. durch 
den  Widerstand,  den  die  Einführung  der  vortrefflioiieB 

o  ^ 

Lehrmethode  Swen  Agrens  für  den  ersten  geographi- 
schen Unterricht  findet  (wir  meinen  nibht  die  verbale 
Anwendung  des  Inhalts  seines  Lehrbuchs)  und  beson* 
ders  bezeugt  dies  das  Schicksal  der  politischen  Geo- 
graphie, der  leben^frischen  Blüthe,  aber  zugleich  des 
schwierigsten  Theiles  der  Erdkunde,  in  neueren  Lehr- 
buchern  und  im  Lectionsplane  mancher  Schule,  wo 
sie  hier,  durch  die  beliebte  Vereinigung  der  Geogra- 
phie mit  der  Geschichte  unterdrückt  und  dort  oft  vot 
lijg  übergangen,  oder  in  alt  ])|erkommlicher  Weise  lexi- 
calisch  behandelt  wird;  und  doch  hat  es  grade  diese 
mit  den,  durch  die  räumliche  Verbreitung  der  Formel 
und  Gaben  der  Natur,  durch  solche  Verbreituiig  der 
mannigfaltig  ausgeprfigten  Velkerfamilicfi,  ihrer  so  widn 
tigen  Berührungslinien,  Einrichtungen,  Anlagen,  Cooh 
munications- Mittel,  durch  die  räumliche  Vertheilung 
ihrer  Wohnplätze  und  Individuen  u.'  s«  w.  bedingten, 
sodalen  Verhältnissen  des  lebenden  Menschengeschledits 
zu  thun,  deren  Verständnifs  unstreitig  von  hochsCsr 
Wichtigkeit  ist,  und  ebenso  unzweifelhaft  duirdi  die 
Erdkunde  bewirkt  vrerden  mufs. 


(Der  Beschlufs  folgt) 


*     -• 


af  120. 

(  I 

J  a  h  r  b  fi  e  h  e  r 

für 

wissenschaftliche 


K  r  i  t  ik. 


Juni  1840. 


Lehrbuch  der  Geographie  für  die  obetm  Klat- 
sen  höherer  Lehr^Amtälten  von  C.  JE.  Mei^, 
nie^e. 

(Schhifii.) 

Wie  anders,  als  durch  ein  Mirsrerstehen  der  y^Rit- 
tertcben  Ansiebten**,  will  man  diese,  im  engem  Bereich 
•einer  Wiricsamkeit  wahrzunehmenden  Ersdieinungen 
erklären,  wenn  man  erwMgt,  dab  nicht  nur  sdne. Erd- 
kunde, mit  der  so  wichtigen,  oben  erwäbnten  Einlei- 
tung schon  seit  20  Jahren  in  den  USnden  des  Publlr 
kums  ist,  sondern,  dab  dieser  Gelehrte  seit  einer  An- 
salÜTon  Jahren  auch  durch  akademische  Yorträge  und 
mehrere  Ahhandinngen,  gelesen  in  der  hiesigen  Akade- 
mie  der  Wissenschaften  (unter  denen  die  Ober  das  hi- 
storische Element  in  der  geographischen  Wissenschaft 
für  politische  Geographie '  besonders  wichtig  ist),  durch, 
ergänzende  Bemerkungen  in    den   Vorworten   su  den 
neuesten  Bänden  seiner  Erdlcunde,  durchs  öffentlich  aus- 
gesprochene   Gutachten  u.  s.  w.   unausgesetzt    bemuht 
war,  die  Wissenschaft  su  beeeichnen,  und  einen  baldig 
gen  und  glQcklichen   Ausgang  ihres  Gestaltungsprooes. 
aes  EU  bewirken.    Schon  vor  23  Jahren  sagt  er  unter 
Anderm  am  surrst  citirten  Orte  S,  6: 
„Aber  nicht  nur  das  allgemeine  Gesetz  einer,  son- 
dern aller  wesentlichen  Formen,  unter  denen  die  Na- 
tur im  GroTsten  auf  der  Oberfläche  des  Erdballs,  wie 
Im  Kleinsten  jeder  einseinen   Stelle   derselben  er- 
scheint,  sollte  Gegenstand  der  Untersuchung  auf  die- 
sem Wege  sein :  denn  nur  aus  dem  Verein  der  aU- 
gemeinen  Gesetse  aller  Grund-  und  Hauptiypen  der 
unbelebten,  wie  der  belebten  Erdoberfläche  kann  die 
Harmonie  der  ganzen,  vollen  Welt  der  Erscheinun- 
gen siufgefafsl  werden." 

Es  schien  uns  aus  GrQndeu,  welche  auf  sahlreichen  Er- 
fahrungen Aber  das  Resultat  des  heutigen  geographi- 
schen Schulunterrichts  beruhen,  nicht  unpassend,  diese 


Uhrk.  /.  wiutnuk.  Kriäk.  J.  184a  L  M 


wenigen,  allgemeinen   Bemerkungen,  unserem   kurzen 
Bericht  über  das  vorliegende  Lehrbuch    vorauszusen« 
den.    Dasselbe  bestätigt  zwar  durch  ein  deutlich  aus« 
gesprochenes  Streben  naclk  neuer  und  eigentbam)idier 
Auffassung    und    Behandlung  der   Wissenschaft,  und 
durch  Aufnahme   einiger  Lehrsätze  der  Geologie  un4 
Geognosie,  welche  indeb  dem  heutigen  Zustande  die^ 
scfr  Wissenschaften  nicht  immer  entsprechend  und  auch 
nicht  hinreichend  für  die  folgenden  Abschnitte  verwen- 
det sind,  durch  Einschaltung  eines  Abrisses  der  Ge- 
schichte der  Brdkunde ,  in  welchem,  sehr  angemessen 
auch  auf  die  groben  Verdienste  v.  Humboldt's  und  v« 
Buch's  um  die  Erdkunde  aufmerksam  gemacht  wird^ 
dab  er  auch  seinerseits  nicht  mit  dem  bisherigen  Zu- 
schnitt der  Geographie  in  Lehrbüchern  einverstanden 
sein  kann;   gleichwohl  vermögen,  vrir  keinesweges  in 
ihm  eine  befriedigende  Abhülfe  der  wahren  Bedürfnisse 
des  geographischen  Compendiums  und  Schulbuchs  zu  er^ « 
kennen,  müssen  vielmehr  befurchten,  dab  durch  dasseljbe 
clie  Zahl  der  Mifsverständnisse  in  geographischen  Din- 
geh   noch  vermehrt  werde.    Die  ungünstige  Meinung 
des  Hm.   Yerfs«  von  der  politischen*  Geographie:   sif 
wird  in  der  Vorrede  sogar  ein  unglücklicher  Ballas^ 
womit  man  noch  immer  zu  viel  Zeit^beun  Unterricht 
verschwende,  genannt,  kann  hierzu  wesentlich  beitra» 
gen,  wiewohl  der  Inhalt  mehrerer  Anmerkungen  zu  den 
§§  des.  2.  u.  3.  JBuches  seinem  Schrift  nicht  allein  zur 
politischen  Geographie  gehört,  sondern  auch  vortreffli^ 
che  Winke -zu  einer  neuen,  wissenschaftlichen  Bear-, 
beitung  diesez  Theib  der  Erdkunde  giebt,   und  somit 
darsuthun  scheint,   dab  det  Hr.  Yerf.  nur  mit  dem. 
Hiebt  einverstanden  seihi  kann,  was  bisher  ab  politische 
Geographie  in  Schulbuohem  dargeboten  wird^  und  wel- 
ches sich  mebt  auf  einige,  ohne  weitere  Vorbereitung^ 
unzusammenhängend  hingestellte  Lehren  und  Daten  be- 
, schränkt,  die,  .nur  nach 'den  ÜVeltgegenden^  geordnet 
zunächst  auf  die  westlich  europäbchen  Staaten^ 

120 


.95$  MHnieke^ 

dann  auf  die  mitilereQ  und  sofort  bezieJieD,, anstatt  von 
,  ''den  nahe  li^enden  politisch- geographischen  YejrhSlt- 
nissen  des  Vaterlandes  auszugehen.  — 

.  ^Das  Lehrbuch  desHm.  Yerfs.  bestellt  aus  drelBa- 
•bem.  .  A)  Allgemeine  Geographie^  B)  die  cnntinentale 
Erdhälftc^,  C)  die  oceanische  Erdhälfte.  Die  9  Abschnitte 
des  ersten  Suches  heiCsen:  I)  die  Erde  als  Weltkörper. 
Ihre  Stellung  im  Sonnekisystem,  2)  über  die  Ausbildung 
,  der  Erdoberfläche,  3)  die  Bildung  des  Landes,  4)  die 
Bildung  der  Oceane,  5)  das  Verhältnifs  des  Landes  zu 
den  Oceanen,  0)  das  Verhältnifs  der  Erdoberfläche  sur 
Atmosphäre,  Klimatologie,  7)  die  Verbreitung  der 
Pflanzen  und  Thiere  auf  dem  Erdboden,  8)  das  Ver- 
hältnib  des  Menschen  zur  Erdoberfläche,  9)  die  Ge- 
schichte der  Geographie.  Die  8  Abschnitte  des  2.  Bu- 
ches sind;  1)  Afrika,  2)  Asten,  3)  Europa,  Sad-Europä, 
4)  Mittel  -  Europa ,  5)  die  isolirten  Bergländer  Nord- 
Europas,  6)  Ost -Europa,  7)  Amerika,  8)  der  Nordpolar- 
Oeean.  Das  3.  Buch  zerfallt  in  die  6  Abschnitte:  1)  der 
Contihent  Australien,^)  die  ostasiatischen  Inselgruppen, 
3)  der  grofse  Oeean,  4)  der  atlantische  Ocean,  5)  der 
,  indisehe  Ocean,  €)  der  Sudpolarocean. 

Hätte  der  Hr.  Verf.  die  beiden  letzten,  den  bei  wei- 
tem grSfsten  Theil  (c.  560  Seiten)  der  Schrift  einneh- 
.  menden  Bücher,  die  reich  an  interessanten  und  lehrrei- 
eben  Bemerkungen  sind,  ohne  das  erste,  der'BegrfiQ- 
dung  der  Wis$eiis6haft  gewidmete  Buch,  aber  auch  ohne 
das  Bestreben  sie  unsern  Schuleinrichtungen  anzupas« 
Sen,  (denn  nicht  diese,  sondern  nur  das  logische  Gesetz 
der  Wissenschaft  mufs  bei  warhaft  scientiyischen  Lei«^ 
Stangen  als  norm-  und  maafsgebend  angesehen  und  ron 
ihm  auch  eine  Rückwirkung,  auf  die  Schuleinrichtun* 
gen  erwartiet  werden),  dem  denkenden  geographischen 
,  Publikum  übdrg^ben,  so  würden  sie  als  ein  schätzbarer 
Beitrag  zur  allgemeinen  geographischen,  oder  wenn 
man  den  gröfsern  Werth  auf  die  Anmerkungen'  legt,* 
cur  philosophtsch-histöriscben  Literatur,  von  allen  Sei* 
len  anerkannt  werden.  Das  Eigenthümliche  und  Cha- 
rakteristische dieser  beiden  Bücher  bestellt  nämlich  in 
einer  beträchtlichen  Anzahl  Von  Anmerkungen,  welche 
theils  der  Philosophie  der  Geschichte,  theils  der  G6> 
schichte  selbst  und  auch,  wie  schon  oben  erwähnt,  der 
/]politischen  Geographie  angefa^en,  und  im  Zusammen- 
hange stehen  mit  dem  Inhalte  ihrer  einzelnen  Paragra- 
phen, welche  bestimmte  Erdräume  beschreiben.  Das 
erste  Buch  aber,  das  Fundament  des  Ganzen,  bt  nicht 


\  deK  Geographie.  ^  -956 

frei  ton  Mängeln  ulid  erheblichen  Irrthümem,  noch  "we^ 
niger  aber  den  Anforderungen  der  Systematik,  für  wel* 
che  die   mathematische  Geographie  ein  sich   Wknlchst 
darbietender,  «ehr  geeigneter  Prüfstein  ist,  entsprecheal» 
So  •  in  §•  8.,  wo  die  Differenz  zwischen  Sonnennähe  ygaf^ 
Sonnenferne,  aber   weder  hier  noch  irgend  andersw«|^ 
4Dine  dieser  beiden  Distanzen  in  Meilen  ausgedrückt  wiidi 
so  in  §.  10.  Zeile  6,  so  in  §.  13.  Z.  4  u.  f.  14.  %.  5 
u.  .6.  von  unten  \  so  ist  von  der  Richtung' der  Rotatioii^ 
Bewegung  der  Erde  nichts,  vom  Monde  in  der  »adub^ 
matischen  Geographie  nur  .angegeben»  d«(s  er  eia  Trs» 
bant  der  Erde  sei ;  so  bei  §.  23.  und  der  dazu  gehöri- 
gen Anmerkung ;  so  bei  §.  34.  .u«  35.^  bei  der  Defintr 
tion  der  Geognosie  und  der  Hauptaufgabe  der  Geogra- 
phie, so  bei  §.  42.,  in  Beziehung  auf  die  '^BegrÜTe  Toa 
Zone  und  Region,  so  bei  §•  68.,  die  erste  Zeüe  der 
Anmerkung ;  bei  §.  106.  wo  die  wichtige  mittlere  Tem- 
peratur der  Jahreszeiten  übergangen  ist;  bei  $.139., 
wo  die  Menschen -Ra^en,  ab€|r  nicht  die  Terschiedeaen 
y ölkerstämme  namhaft  gemacht  werden,  obgleich  ale  ia 
Inhalte  der  folgenden  Bücher  Erwähnung  finden  n.  s.  w; 
Neben  solchen  Irrthümem  und  dem  Mangel  einer  filyife- 
üiatik,  finden   sich  aber  auch  sehr-  ansprechende  Ba- 
trachtungen,   selbst   in   diesem  1.  Buche  vor;   so    aas 
Schlufs  des  §.  8.  und  im  9.  Abschnitt,  und  so  in  alba 
f  §.  des  5.  Abschnitts ;  wie  denn  auch  das  Bestrebens 
die  Gesetzmäfsigkeit  der  Erscheinungen  kennen  su  leh- 
ren, hier  nicht  unerwfthnt  bleiben  darf.    Wir  könnfli 
daher  dem,  zu  einer  gewissen  Selbstständigkeit  in  der 
Wissenschaft  herangebildeten  Leser^   welcher  erfahren 
hat,  dafs  yolie  Gentige  nicht  in  einem  einzelnen  LcAt^ 
buche  zu  finden  ist,  das  vorliegende  Buch  mit  derTJebei^ 
Zeugung  eines  zum  Nachdenken  anregenden  Einflusses 
empfehlen.    Nur  m5ge  auf  Schulen  nicht  versucht  wer* 
den,  die  Belehrung  im  positiven  geographischen  Wis- 
sen durch  unzeitige  Yermischung  der  G^cfaichte  uad  - 
Erdkunde- und  Philosophie,  durch  Erörterung  apokf]^ 
phischer'  Behauptungen  zu  unterdrücken   und   zu  heoK  * 
inen,  denn  der  Leser  der  oben  erwähnten,  in  gewiss« 
Beziehung,  z.  B.  /ür  akademische  Yohrfige  sehr  schlli- 
baren  Anmerkungen  des  2.  u.  3.  Buches,  wird  mit  nas 
die  Befürchtung  theilen,  dafs  von  Gjinnasial- Lehremi' 
bei  ihrer,  auf  vielerlei  Gegenstände  des  Schulunterrfefcta 
zu  richtenden  OeistesthStigkeit,^  die  Auseinanderselsui^  • 
und   Erörterung  jener  Anmerkungen    im.  gfinstigsIcB 
Falle^  sich  auf  interessante  Conjecturen  von  einem  theBs 


I 


■*^-« 


'  t. 


byp^othetisehen  Stasdpvnete  a«r,  be« 
ussen.     Referent  wenigstens  wfirde  sich  in 
befinden^  sollte  er  über  den  Inhalt  aller 
drter  und  Anmericungen,  mit  Hoffnung  auf 
reeller  geographiseher  Kenntnisse  in  Gym- 
n  sieh  umständlich  Terbreiteni  diese  ~Ver* 
nte    durch  die  Erinnerung  an  die  archon 
der  genannten  Abhandlung  über  das-  hi* 
(Dnty  ausgesprochene  Wahrheit;  da£s,  der 
inflttik  maneher  NaturverhUltnisse  auf  die 
elben  Grade  schwächer  wird  und,weni- 
l^errortritt,  in  welchen^  der  Culturzustand- 
igt,  im  vorliegenden  Falle  nur  erhöht  wer* 
K^irdman  diese  Einwirkung  immer  als  höchst 
rächten  müssen. 

V.  Bennigsen-FSrder. 


L-^ 


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-vtV 


'       LXXV. 

GoetAet.:  *Viin  J.  St.  Zat^per.    Er* 

en  auek  unter  dem' Titel:  Orundxiige 

tichev^  theoretisch  :praiti§chen  Poetik 

*s  fVerJken  entwickelt*    Neue  durchge- 

vermehrte   Außage.      Zweitee  Band' 

unter  dem  Titel:  Aphorismen  morali* 

\  äithetie^en  Inhalte  meist  in^  Bezug 

\e*    Aus  einem  Tagebuche.    Nebst  Brie» 

f^e  an  den  Verfasser,    ßf'ieny  IS40.  iei 

Crostie  hat  der  Verf.  sein  Werk  genannt;  wir 
Sinn  und  Charakter  desselben  richtiger  zu  be^ 
wir  es  Stttdieif  mu  Goethe  nennen.  Wie .  wir 
^JlrQber  braaehen  wir  eiafaeh  nur  auf  die  lieber- 
en Bfiadchens  zu  yerwei^eni  welche  es  deutlich 
der  Verf.  den  Mtbeoretisch  -praktischen^  Inhalt 
s  nnr  dem  ▼••  ihm  gefeierten  Meister  TeManken, 
tTerken  und  aus  dem  Geiste  dieses  Meisters  als 
ntlifßhen  und  nächsten  4|ttelle  geschöpft  haben  will, 
g  auf  den  ästhetischen,  nicht  anders  verhalt 
u^  auf  den  »^moralischen^  Theil  seiner  •  Arbeit 
ist  ihm  in  sittlicher. wie  in  poetischer, Hinsicht 
ideales  Lebenselement,  Goethe^s  Werke  das.Or- 
es  ihm  allein  xu  der  Welt  und  den  Menschea 
Grofsen  sieh  in  ein  sittliches  und  inteilectnelles 
m  .fSu 'setzen  gelnnsen  ist.  Kurz  der  Verfasser  stellt 
r  jm  -tpllen  Sinne  des  W^ortes  als  ein  Jünger  Goethe^s 
^f*^9Ky^^  ein  Jünger  der  edelüten  Art,  nämlich  als  ein 
^(^iäidr  gerade  durch  die  unbedingte,  rückhaltlose  Hin* 


958 


*7^, 


gpU>e  an  den  Meiater  zur  achten  Geistes^^eiheit,  zur  chafaktcr» 
Tollen  Selbststlindigkeit  seines  Denkens  and  Thuns  gediehen  ilt.  . . 

„Das  Anziehendste  in  Goethe's  Schriften  ist  mir  tob  je  das 
Sittliche  gewesen»  und  weil  ich  es,  nur  suchte,  hab^.ich  es  anch 
gefunden,  selbst  in  .;JIVerken  und  Stellen,  die  Andere  für.  unsi^t* 
lieh  Tcrschrieen  haäsn.    Ich  klopfte  an,  und  es  ward  mir  aufge- 
thuD.     Goethe  lät^das    selbst  an  meinen  Worten  empfunden| 
und  gebilliget  nicht  %ur,  sonder^  ich  glaube  selbst,  es  war  dasi 
was  ihn  anzog.    Deswegen  kann  ich  auch  nicht  an  seiner  rei- 
nen .Tugend  zweifelÄ,  ich  mtifste   an  mir  selbst  eine  sündhafte 
Untreue  begehen,  "wenn  kb  zweifeln  könnte."    Diese  Worte  j^n- 
sers  Verfassers  ciind  uns  unentbehrlich,   um^  den  BegriJBf  desjeni- 
gen  Verhältnisses,  was  wir  hier  iiingersChwfi^fenaniit  -haben,  iif 
iein  rechtes  Licht  zu   stellen.    Es  ist  nämlich  difcscsjVejhält- 
nifs  ein  wesentlich  sittliches;   durchaus  analog  Jeuer  Gesinnung 
der  2V«tte,  welche  Croethe  im  Wilhelm  Meister  als  das  „Bestre-  . 
ben  «iner  edlen  SjBele''  schildert,^„eiBem  ^röisern  gleich  zn  wer? 
den.^    Solche  Ge9innu|ig  ist  es ^  'welche  den  Junger  Ton  dem 
Schlier  unterscheidet,  tou  welchem  ^tlr  Dankbarkeit,  aber  nicht 
Treue  gefordert  werden   kann.    Der  Schäler  ist  bestimmt,  nach 
Vollendung  seiner  .Lichrjahre   sich  Ton  dem  Meister  tu,  emanci« 
piren,  und   dann- ihm:  gidch,  oder,  dafern  es  muglich  ist,  ein 
GrS^iierer  zu  werden ;  der  Jünger .  aber,  dessen  Band  ein  unauf* ' 
löbliches,  dessen  Unterordnung  unter  den  Meister  eine  onwider- 
.  rnfliche  ist,  soll,  wie  dort  Goethe  Ton  dem  tseuen  Diener  sagt^ 
,,dttrch  fortdauernde   AnbäDglichkeit  und  L4ebe  seinem  ^Meister 
gleich   werden."^    Solche    Gleichheit   scheint    ein   Widerspruch^ 
und  sie  wäre  es,  wenn  es  sich  hier,   wie  bei  der  BcfaulerBchaft 
*  im  eigentlichen  Siune,  nar  Ton  einem  theoretischen  Geben  und  > 
Empfangen  bandelte ;  denn  dort  freilich  bleibt  es  immer  wahr» 
dafii  der  Geber  gröüser  Äst,  als  der  Empfänger.    Die  eigenthäm*  ' 
liehe  Natur  des  Sittlichen  i^^r  bringt  es  mit  sich,  dafii  auf  die» 
Sern  <Sebiet  auch   die  Unterordnung'  zur  Gleichheit,  die  Ab|iäa« 
gigkelt  zur  wahren  Freiheit  werden^-kaan. 

Dals  Goethe,  Er,  in  welchem  so  Viele  nichts,  als  das  Ta- 
,lent  des  Dtchters  anerkennungswerth  finden  woHen,    in  diesem 
eben  so  seltenen  als  grofsen  Sinne  eine  Jüngerschaft  um^sich    « 
Versammelt  hat,,  ist  ein  Factum,  welches  seine  Widersacher  Ter* 
gebens  zu  läugnen  sich  bestreben  würden.    DerVer(  des  gegen-t 
wärtigen  Büchleins  ist  mit  nichten  das   einzige  Beispiel  eines 
Menschen  Ton  der  edelsten  sittlichen  .^nlage,' der  sich  an  Goethe 
herangebildet,  Ton  seinem  Geiste  genährt,  und  In  ihm  ganz  ei« 
geatUch  und  ToUstandig^  dei^  sittlichea  Halt-  'vnd  Mittdpunet  sei* 
nes  tiobens  gewonnen  hat    Doch  iet  er  eines  d^r  eisle«eh^n4- 
sten  und  unzweideutigsten  dieser  Beispiele,   und  wir  tragen  ktbk 
Bedenken,  AUe,    die  über  den   Werth   Ton  Goethe's  Charakter    . 
noch  nicht  im  Reinen  sind,   zum   auftnerksamen   Studium  sein^ 
Buches  einzuladen,   und  sich   niit  Gewissenhaftigkeit  die  Frage 
verznlegen,    ob    anch   nur    die  Möglichkeit    eini^r   solchen  Er. 
scheinung  denkbar  Ist,  ebne  die  Vorauslietznng  einer,   der  sittli- 
chen Würde,  in  welcher  .hier  die  Vergleiehung  und  Bewunde- 
rung Goethe^s  auftritt,,  entsprecheuden  Würde  ihres  Gegenstan-  _ 
des.    Dafs  dieser  Gegenstimd  nicht  blosy  oder  nicht  überall  US- 
mittelbar,  der  Mensch  nach'  seinen  sittlichen  Eigenschaften,  son- 


■^* 


•  *  1     n 


f^ 


959       ,  ~    Zauper,    Studien  Über  Geeihe. 

4i#ii  dafs  es  sttDÜehst  allcrfliogs  der  Dichter  bt,  diei  kflUB  d^ni     «ind  eben  nar  prSgoante  BemerkvDgeii  in  apliorw 


Charakter  dieaer  Verehmag,  uad  der  Bedentaag,  welche  wir  für  ^Ll^'wSh.vL^^^^^  uad  »eraliachea  Ap 

^  ..  w  ,  »*  •  «weiten  BaDdcheDS,  weiche,  jenen  des  ersten  geffenu] 

aie  m  Ansprochrsn  vehmeir  nnf  berechtigt  wissen,  keinen  Ein-  «nVerkennbar  die  Sparen  des  freieren  spd  amnusK 

trag  tfann.    Delin  IKchten  und  Sein  oder  Händeln  sind  bei  einem  punctes  tragen,  den  der  Verf.  in  der  Zwischenzeit 

Dichter,  wie  Goeth..  .feht  .wei  getrennt.  Dinge,  -onder.  eipe.  - -JäSri'^XrL^^^^^^  :fuf:rr'5S:^ 

und  dasselbe ;  seine   Dichtung  selbst  trSgt,   wie  adeh   unser  Tf.  >  tigt  jids  in  der  Ansicht,  dafs  den  Verf.  sein  Weg  Tf^^^-' 
in  den  Vorhin  angefahrten  Worten  andeutet,  im  höchsten  Sinne      Ü»«*»«?  Relle^^ion  aus  und  durch  sie  hindurch  aar, 

^      riL  _<  *     j      o«*^-^i   •*        j»x«      *xja      D  ßhrt  hat.'   nur  zum  kleinern  Theil  betreffen  diea< 

den  Charakter -ider  Sittucfakeity  und  ist  Gegenstand  der  Bewnn- 


"dei^ng  seines  Yerebrers  eben  ronugsweise,  wiefern  sie  diesen 
Chiirakter  trfigt 

Die  „Poetik",  welche  das  erste  der  beiden  Torliegenden  Bänd- 
chen  füllt,  nnd,  als  Nachtrag  dazu,  die  „Studien^,  welche  dort 
mit  jener  «u  einem  {Ganzen  Tcreinigt  sind,  waren  bereits  im 
Jahre  18'21  nnd  dem  nachfolgenden  als  zwfi  besondere  Hefte 
erschjenen  nnd  hatten  dem  Verf.  ^  des  Dichters  persdaliche  Be- 
kanntschftft  und  seitdem  ununterbrochene  fortgesetzte  Theihiah* 
me  gewonnen,  welche  Goethe  auch  in  Tcrschiedenen,  hier  und 
da/ zerstreuten  Aenfserungen  ^en^ich  bethStigt  hat.  Diesen 
Aenfserungen  schreibt  der  Verf.  in  seinem  Vorworte  die  wieder-^ 
V  holte  Nachfrage  zu,  die  auch,  nachdem  jene  beiden  Hefte  be- 
rats  aus  dem  Buchhandel '  Terscbwnnden  waren,  noch  fortdau- 
erte, und  ihn  sEur  Veröffentlichung  des  GegejiwSrtigen  veranlafst 
hat  Wir  freuen  uns  dieser  Veröffentlichung  um  so  mehr,  als 
wir  das  neu  Hinzugekommene  in  der  l^hat  bedeutender  noch 
finden , '  als  das  fdiher  Vo^andene ,  obgleich  ,  uns  auch  dieses 
Letztere  achon  interessant  nnd  Terdienstlich  erscheint.  Die  Poe* 
tik  selbst  besteht  nur  in  einer  kurzen  Charakteristik  der  Ter* 
schiedenen  Dichtungsarten,  ohne  Anspruch  auf  wissenschaftliche, 
philosophische  Theorie,  mit  stetem  Hinblick  auf  Goethe^s  Lei- 
'  stungen  ]ind  BeifQgung  Ton  Belegen,  die  aus  den  Welken  dieses 
Dichters  en^ommen  sind.  Von  Goethe  selbst  wird  in  den  „Apho- 
rismen" des  zweiten  Bilnd<;hens  berichtet,  dafs  er  dem  Verf.  von 
einer  Vermehrung  und  Verbesserung  jenes  Weikchens  abgere^ 
then  hat;  so,  wie  es  vorliegt,  mochte  es  ihm  "als  etwas  Ur« 
sprüngliches,  erfreulich  Anregendes  erschienen  sein,  welohes  durch 
irgend  welche  Absichtlichkeit  der  Ueberarbeitung  diesen  Charak- 
ter* nur  wurde  haben  yedieren  können,  ohne  die  umfassendere 
jfheoreiische  Bedeutung  zu  gewinnen,  welche  ihm  tu  geben  nicht 
In  des  Verfs.  Berufe  lag.  Eben  so  wenig,-  wie  dort  eine  eigent- 
liche^ ttsthetis'che  Theorie,  darf  man  in  4en  der  Poetik  -angehäng- 
ten Studien,  welche  aufser  einigen  aphoristisClien  Bemerknogen 
Über  Kunst  und  Poesie  im  Allgemeinen,  und  8ber  einzelne  an- 
dere.  Dichter  und  Dichterwerke,  die  gesummte  Reihe  der  Cioe- 
the'schen  Hauptdichtungen  in  gedrftngter  Uebenicht  und  kura 
andeutender.  Bezeichnung  an  nnserm  Blicke  vorBbergehen  lassen, 
^  cäne  eigentliche  Kritik  oder  Analyse  dieser  Werke  eneiien.'    Es 


■IT  >V  ^■ 


j.?p . . 


Zeit  entstandenen  und  veröffentlichten   Aphorisme^ 
Goethe  den  piehter,  und  auch  -  wenn  sie  am  Sc&l 
zurückkehren,  so  ist  <es    ungleich  mehr   diis  sittlicl 
mein  menschliche  Seite  seltier  Persönlichkeit,  mit/ 
beschäftigen,  als  die  ästhetisch«  seiner  Werke.    Vj 
aber  gilt  mit  Wahrheit,   was  der  Vf.  in  dem  Vor^ 
Ychuldigung  dieses  Zusammenbringens  scheinbar  hei 
mente  säst,  dafe  sie  „wenn  auch  nicht  unmittelbas 
Goethe,  doch  durch   die  Art   ihrer  Entstehung  uni 
Inhalt  in  so  naher  Verwandtschaft  mit  detfsefiien  _ 
füglich  unter  demselben  Titel  begriffen  werden  kö|m( 

Fttr   den   inneren  Werth'  und  Gehalt  diese'r 
sowohl  der  ästhetischen  des  ersten,  als,  in  noch 
he^  Grade,  der  vorwiegend  sittlichen  und  reli^ 
ten  Bändchens,  ist  es  gewtfs  das  geringste  Zeu^ 
selben  durchgehends  den  Eindruck  machen,  nichtT 
tigtes,    Erarbeitetes,    sondera    das    unwillkührlv 
gereifte  Ergebnifs  einer  Geistes-  und  CSlmnths 
wie  die  unäbläfsige,  liebevolks  hauptsächliche, 
des  Inhalts  gerichtete  Beschäftigung^  mit  denWe 
ters,  sie  in  eiRer  reinen  und  offenen,  zum  alls 
nlfs  des  Dichters  befähigten  Natur  erzeugen  mu 
Vf.  auf  sein  Wort  zu  glauben,  dals  dr  diese  i 
seinem  Tag^buche"  gesammelt  hat;  gewifs  hat^^i 
nuf  zttv  «einer  Selbstbefnedigung,   nicht  nur  irgei 
damit  zu  erreichen,  aufgezeichnet.    Dies  aber  i 
achtens  allein,  oder  so  gut  wie  allein,  was  dei 
sen,  nur  auf  das  Innere   eines  individuellen  Ge 
weisenden  Mittbeilungeit  «inen  Werth  verfeihen 
zu  solchen  Mittheilungen    entschliefst,   der   gieb 
nichts  objectiv  Bestehendes;  es  gilt  von  Ihm,  war 
oben  anj|;erübrten  Stelle  von  dem  treuen  Diener  si, 
da  er  nichts  Anderes  zu  aeben  hat.  sein   ganzes  i 
ben,  und,  wenn  es  einigen  Weith  haben  soll,  denem- 
Gabe  empfangen  sollen,  das  Gut  auf  ewig  vecsii^< 
Eindruck    nun    bat  das  Büchlein   besonders  in  a^ 
Theile  in  der  That  iluf  uns'-gemiicht    Der  Verf.,  • 
sanzes  Selbst,  mit  allen  Seinen  Geistes*  and  Se^ 
Einwirkung  des  Goethe'schen  Genius  anfschliefst  ,* 
vor  unsera  Blicken  offen  dar,   und  macht  es  zum  i  ^ 
gemutblichen  Eigentbum   eines  Jeden,   der  jelne  si 
ergreifen  versteht.    So  erreicht  er^  phne,  Wenigsti 
Aufzeichnen,  eine  bestimmte  Wirkunk  beabsichtigt 
schönste  und  wiinschenswertheste  Wirkung:   er  li 
esse,  welches   der  Leser  an  der  Sache  ijimmt,  ui 
sleich  auf  seine  Person  herilber,  und  läfat  uns  4^ 
Tuteresse  ungetheilt  als. eines  und  dasselbe  empfind« 

Die  angehängten  Briefe  G6ethe>  geben  den  Bew< 
Ersieh  des  Verhältnisses  zu  dem  Verf.  als  eines  < 
sönlichen  und  sittlichen  bewuTst  WV|   iod  e«  in 
gehegt  und  gefördert  hat  ^  r**  y; 


* 

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ZU    den 


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JaBa'bäChem  für  ^^  \^^  Kritik« 


<^WW*>^»Wi>»^»#W^iW»#^ 


(Erstes  Semester.) 


•^  1. 


▼OD  Dvnelcer  und  Hnjftblot  »t  s«  eben  er 


■Rjmb«  npd  dni[«ii  alle  ßochbandliingen  zu  bezieken : 


'iv -Gebet   des    Herrn 

dreizehn  Predigten.    . 

^r^fl»  ..  Nebgt  den 

^^r0  \'    am  dreihimder^ährigen  Jubelfeste 

?^<  JBinführcLng  der  Reformation 

;'  V  und  am 

tfdächtnifstage  der  Verstprbenen 


iB  die 

Mark  Brandenburg 


gr.  8.  geb.  l'/c  Tblr. 


ß  %7V*jj{aaf eftst  ist  Ton  demselben  Verfturaer  ferner  erschienen : 


Geschichte 

"^i^Vl  der  teutschen  Reformation« 

^^reite  rerbesserte  und  Termehrte  Auflage. 

4  Thefle.    8.    6»/«  Tblr, 

i  ■  ■ 


% 

u 


jea  "Wark  bat  durcb  die  darin  Tersnehte  eigentbUmtiche 
JÜj^der  Reformation  ia  dem  araprüngl|chen  Liebte  und 
Fjittbrfhuailicben  Denk-   und  Redeweise,   mit  Yerläognung  a^-' 
'   l'eä^e^iiien   vorgreifenden  Urtheils  räsonnireader    Klugheit,  — 


gi^And^  dafii  die  erste  (nur  3  Bäade  umfassende)  Auflage  sebr 
sc^ell^Ttfrgriflfen  wurde. 

-   nie  gegenw&rtige  zweite  Auflage  ist  niebt  nur  durcbgttngig 
VeAesSert  and  mit  Znsützen  bereichert,  sondern  in  ihr  i^t  auch 


Qesehiehte  bis   zu  liUthers  Tode   und  dem  Religionsfrieden 
.Berabce'fttbrti  und  damit   zogleicb   das  Werk   beendigt.  *^    Die 
jetzt  nin^|iig^kommenen  neuen  Bibide   sind  für  die  Besitzer  der 
.  ersten  Auflage. des  Werkes  auch  einzeln,  zu  4  Rthlr.,  zu  haben. 


«  / 


.•"»i 


Entwurf 

der  praktischen  Theologie. 

8,    V/t  Tblr. 


Zur  Vertheidigung 

der 

evangelischen  Kirche 

gegen 

die' päbstliche»         .  / 

Predigten         ' 
im  Winter  18^ Vit  '^  der  Dreifaltigkeitskii'cbe  zu  Berlin  gebalten. 

gr.  8.    Preis  »A  T^l'* 

Beleuchtung 

des; 

Athanasius  von  3.  Görros« 

Eine  Reeension.    (Ans   den'  ,ylabrbiicbehi  fdr  wissenscbaltlicha 
Kritik  1838"*  besonders  abgedruckt)    gr.  a    geb.   Vs  TUr. 

Predigten 
der  häuslichen  Frömmigkeit  gewidmet.. 

2  Bde.   gr.  8.   geh.  2  Thlr.     Nändich: 

Bd.  1«    Die  Lieidensgesebichte  desi  Herrn  in  einer  Reihe  Ton  Fa- 
stenpredigten. 
Bd.  2.    Predigten  über  die  Sonntagsevangelien. 

Predigt 


ersten  ^  Sonntag  in  dec  Fastenzeit, 

den  16.  Februar  1834, 

am  Tage  nach  dem  Begräbnifs  des  sei  Hrn.  Dr.  ScUeiet- 

machet  in  der  Dretfaltigkeitskircjie  gehalten. 

2weite  Auflage,  Termehrt  mit  dem  am  2.  Milrz  1834  gesproche- 
nen Aitargebete.    gr.  8.    geb.   '/^^  Thhr. 

'lieber  .      .  ' 

die  Ansprüche, 

welche  das  leibEche  Leben  auf  unsere  Fürsorge  imd  Auf- 
merksamkeit machen  kann.. 

Eine  Predigt,  am  17.  Juli  1831  in  der  Dreifaltigkeitokiiehe  ge« 

,    hallen.    8.    geb.  V,  ^  Thln 

lieber 

J.  Ä.  Möhler's  Symbolik,     - 
oder  Darstellung  der  dogmatischen  X^egensätze 


der  Katholiken  und  Protestanten  nach  ihren  öf-. 
fentlichen  Bekenntni&schriften.   . 

EJi»  BefencioL    (Aas  4cn  JahcbliA^'  fQr  wbsenschaflUclio. 
Kfitik  beenden  abgedraikt.)    gf,  8.    V«  tw. 

Predigt 

am  hundertjährigen  Kirchweihfeste 

der  Dreifaltigkeitskirche  zu  Berlin  den  1.  September  1839 

gehalten. 

Nebtt  dem  in  die  Litorgie  eincelegtevAltanrebet  Ton  dem  Pastor 

Kober.    gr.  8.    geh.  7«  Tbtr. 


In 'demselben  Verlage  i«t  efeefalenen:  . 

J.  D.  JB.  Prmfiy 

Friedrichs  des  Grofsen 

Jugend  und  Thronbesteigung. 

Eine  Jubelachriß. 
gr.  8.    Preis  2V4  Thaler. 

Der  Herr  Verfasser  wollte  m  diesem  Baebe  eine  Tollstb'n- 
dige  Jagend-  und  BiiduDjisgeschichte  des  gcofsen  Köaigs  geben 
UDd.'dea  Biomeat  der  TBronbe^teigaag  bis  cum  )£inEU|C  in  die 
Haaptstadt  Schlesiens  nrkondlich  und  so  umfassend,  als  die  Quel- 
len es  gestatten,  schildern.  Dadurch  Ist  ein  so  lebendiges  und 
atf  aosgefllhrtes  Bild'  der  Eelt  entstanden)  daftr'  die  gesatoorten 
äuiseren  und  inneren  Verhältnisse  des  Vaterlandes  zur  interes- 
santesten Verrieichung  mit  der  Ge^nivart  uns  vor  Augen  tre- 
ten. Was  pontiscb,  kirchlich^  sittlich  und  kulturgeschichtlich  ir- 
gend ffiehtig  jst,  das  geht  wie  aar  Bi^anernng  aa  unserer  Väter 
S&eiten,  in  frischen  Farben  wie  in  Spiegelbilderny  nus^  Toriiber, 
and  erfreut  uns  durch/  den  mächtigen  Fortschritt,  der  nicht  zu 
Terkennen  ist,  udd  der  ans  unifillkürlieb  auf  eia  spätet-es.  JUir- 
hundert  ahnend  blicken  läfst.  Friedrich  finden  wir  durchweg 
jm  Vordergründe,  nttd  die  918  ersten  Tage  aus  seiaem  KSnigs- 
leben,  die  uns  hier  gegeben  werden,  zeigen  klar,  dafs  sein  Jahr- 
hundert würdigst  eingeleitet  ist  —  Beigegeben  ist  a]s  Einleituna 
zur  festlichen  Gelegenheit  ge wissennaisen : .  „Das  Jubeljahr  1840 
in  der  prenfsischen  Monarchie»  eine  historische  Erinnerung.^ 
Aus  dem  Anhange  heben  wir  als  Yorzilglich  interessant  her- 
vor Friedrichs  Gedicht  •  an  den  Maler*  Aa'toine  Pesne,  als 
derselbe  des  Kronprinzen  Matter )  die  .Königin  Sophie,  im 
November  1737  in  Lebensgrufse  treu  und  schon  gemalt,  im 
Origlaal  and  in  poetischer  Uebersetzaiig  von  J.  G.  Jacobi. 
Auen  der  vom  Geh  Rath  Schlosser  in  Heidelberg  ans  den 
Pariser  Archiven  mitgetbeilte  Brief  von  Voltaire  1753  ans 
FrankfarC  a  M.,  wo  er  auf  prcufsische  Veranlassung  festgenal- 
ten  wardf  an  den  Kaiser  um  BeschOtzung  dürfte- Auszeichnung 
verdienen,  nicht  weniger  des  feinen  Taktes,  als  des  Inhalts  sei- 
ber^Megei).  —  Schon  .das  Aeufsere  dieses  BnchiBS  verkündet, 
dafs  der  Herr  Verf.  es  auf  anmuthige  Erzählung  abgese- 
hen, dais  Ergötzen  und  Belebren  diesmal  seine  Haupttendenz 
gev^lea. 

philosophische  ut>d  theologische  Vorlesungen. 

Herausgegeben  von  Dr.  Ph.  Harhelmeke  n.  Lie.  Tb*  IV«' 
JMttenberger«    Vierter  Band:   Syiiian  Aer  theolo« 
mf sehen  Moral.    Erster  The il.    gr.  8.     Suhs.criptions*- 
Kein  2Thir.    Laienpreia-  jy^Thlr. 


Vollständige  Ausgabe.    6r  Band: 

En^dopädie  der'  pUfonphtidiea  üfiMiiBnlmf- 

ten  int  Ottindrisse. 

Erster  The  iL 'nie  Iiagtft« 

Herausgegeben  aad  naeh  Anleitung   der  Tom  Verfissaer  phai 
Yories  '"  -  - 

r.-Preis  ^f«r  die  Abnehmer  dea  ^Kanten)  IV«  Tfcii^ 
{für  die  Abnehmer  einzelner  Abtheilungen.)  37«  TUr. 


teaea 


oriesaagen  mit  Erläuterangen  nnd  ZuaStzen  Tefaehen 
von  Dr.  Leopold  von  Hemming:^  gr.  8.    Ansnbe  auf  Dradna^ 


ater« 


9abaer.-Prei8  (f«r  die  AI 
ie  Ahm 
Aasgabe  aaf  VeUapafder.   Sabser.-Prele 


Von  der  meueii  iBweltctt  Ausimhe  von 

O.  wr.  V.  MegeVm  TorleiBiiiiSjeflu 

ist  SO'  eben  encbienen :  «*    '  ^ 

Vorlesungen  über  die  Philosophie  der  R^igiMi' 

Zweite  verheuerte  AuflMge\  Nebst  elaer  Sebifif^A 
Beweise  vom  Dasein  Gottes,  herausgegeben  von  |fic. 
Mmrli^iAeke«    Erster  TheiL   gr.  a  Sabecr.-Brefc' 

Grundlinien  der  Philosophie  des  Rechts 

oder  Na  tarrecht  nnd  Staatswissensehaf  t  ivGt 
risse.  Herausgeg.  von  JSSiL  Bane.  Zweite  Aaflam^V 
Subscr.-Prels  ^f^li 

Ausfdhrlicfie  Anzeigen  über  diese  neue  zweite  Aif^gFlm' 
der  Hei^el'schen  Torliennuagem  sind  in  allen  BnclilbnnK|P-'< 
gen  zu  erhalten,  ..  •  *  •  § 

JB4tf aril  MpineV^    \^;  ^  f 

Geschichte^  . .  *^\^  \. 

des  PremsntseHefi  Stauten  vmdl  TalHas»*  ^  ^  ** 

Für  alle  Stäade  bearbeitet.  •    •  •  «^«    ' 

Dritten  Baades,  dritte  bin  fBafle  Lief.  (Nennzehnte  Vis 
zwanzigste  des  ganzen  Werkes.)  Sabscriptions-Preia  k. 


•t4 


_  ,  . ju  %t' 

schichte  der  brandenburr.  pr.enfs.  Artilln^i^lft. 

12  Bogen,  geh.  Sufaacr.  -  F^eia  '^  ^^ 


II«  ▼•  Malbiownl^y  !•  ^and  Rofeert  t«  Bfmte, 

chte  de    * 

Lieferung  von ': 


WmXUMkvt  Baeli  Sesenlietmi«  von  Arngw  FerA.  SWew 

weil.  Professor  in  Bonn.    Herausgegeben  von  Tankaaem 
wem  Bane.     Geh.    Preia  -Vs  Thlr. 

Nächstens  erscheinen  in  d^selben  Verlage  s 

Jalirblieher  des  Dentdchen  Reich«  im« 
ter  dem  SAehsIseheii  Haase«  Uena^ge- 

geben  von  MäCOp.  Monhe.    ^itcr  Band.    Erste  Ab- 

^  tiieOang.  Auch  unter  dem  Titel:  Jahrbücher  des  Deot- 
scheu  Reichs  unter  der  Herrschaft  Kaiser  Otto'a  IL  ^.  S. 
geh.  ^  .  1  TUr. 

t^*  StoMnovDäky  tmd  t.  jBontn,  Geseliielite 
der  braiideiibar§r«  preuss.  AiiUIerte« 

3e  Lief.   Mit  Abbildungen«  geh.        .     '  |  Thfar. 

IPUchan^  DenlanJUer  der  dentselieii 
Sprache  Ton  den  fMIhesten  Zeiten 

bfs  Jetzt«    Eine  voUstiiiidige  Beispidsammlimg  zn 


4 

•eitlem  LeftÜiden  der  Gesetiicbie  der  detitscheii  Litera- 
Itar.    Zweiter  TheiL    gr.  8.    39  Bogen. 

*  .     /  ■ 

Unter  dar  Presse  befinden  lüeh:  ' 

JBeussi,  Jae.^  Die  Experimental- Physik,  methodisch  darge- 
stellt   DritteT  C^rsns.    Mit  Kupfertafehu    gr.  8. 

Manie,  Lecp^  Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter  der  Re« 
formation.    UL  TheiL    gr.  a      ^ 

lUerAer,  Friedr:  WäA^  MittheQungen  von  nnd  über  Goethe 
'«US  milndlichen  und  scluriftliehen  QueUen.  gr.  8.  Etwa 
£0  Bogen. 

Utim,  Alb.  V,,  Grundziige"  der  Erd-,  Völker-  und  Staaten- 

ktinde.  3.  AbAeilung.  Zweite,  ganz  umgearb.  Aufl.  gr.  8. 

* 

TfVUiien,   W,  tr.,- (Oberst  uüd  Chef  vom  Generalstabe  des 
6len  JPreufs.  Armee -Corps)  Versuch,  einer  Theorie  des 
^fsep  Krieges^  angewendet  auf  den  Feldzug  1831  in 
len   zur  Einführung   in   ein'  lebendiges  Studium   der 
legggeschiehte.    L  TheiL    KL  LiexicQn«  •      , 

r,  F^  Grundrifs  der  Chemie.    IL  Theil:  Organische 

en^    gr.  8.  ^    . 


0  •f       * 

Am  Verlage  4es  UnUneichoeteB  erscheiDt  lad  ist  lUamäclial 
ia  v^en  ButnliandloDgen  sa  haben: 

Ilefs.  mid  Vtfmel,  Uebungsbueh  zum  Uebersetzea  aus 
dem  Deutschen  in  das  Griechische. 

;J^    •    B^mM  Biadchen  aaeh  aiiter  dem  Titel: 

'  Ile/s»  Prof.  P.  E.y  Anldtong  zum  Ueberseizen  ans  dem 

Deqtsdken  in  das  Grieohische,  filr  Anfänger,  zur  Einii- 

'    Imng  4er  Formeulehre.     6te  verb.   und  vielfach  verm. 

Aufl.  circa  30  Bogen.  8.    .  i?  gGr. 

•  ■ 

'Trete  der  Tielen  griechiaeheli  UebnagsbQcher,  deren  -fiast  j«- 
deetlahr  einige  aene  eracheiaen,  hat  aiäi  dieacs  ntttäiiciie  nnd 
'  ^el  verbreitete  Sckttibaeh  in  rielen  der  angeeehenaten  Gelcbr- 
Ifi^rtittlea  nicht  nar  bisher  behauptet«  eoi^derv  der  Abaata  dea- 
a^lben  Ist  noch  fortwährend  im  ßteicea  begriffen.  Aach  bei  die« 
eer*ueden  Aaflage,  welch«  mit  Heckt  eine  neifack  vtrbtun^rH 
nnd  tenMkrtt  genannt  werden  kann,  ist  alles  au%eb<iten  wor- 
den, na  die  Zweckmäfsigkeit  des  Buches  na  erhöhen.  Der  Hr. 
Verf.  hat  niimlich  mit  Bennftnang  der  seit  IB3d  erbehieneiien  Ue- 
bangsbiicher  darcbgehenda  die  ndtbigen  BerichtigoDaen  und  Vek*- 
besseruttgen  angebraeht,  Tiele  Znsiitsegemaeht«  and  aamentlich 


üe  kleinen  Erzählungen  für  geübtere  Schüler  srertiehrty  so  dath 
es  deren  jetzt  60  aiud. 

Diese  so  bereicherte  Auflage  enthält  demnach  Uebersetzunffs- 
stoifv  der  fUr  untere  Klassen  auf  mehrere  Jahre  ausreiche  für 
Erhdhnng  der  Brauchbarkeit  dieser  Anleitung  ist  von  dem  Hrn. 
Verf.  Überall  auf»  die  jetzt  sangbarsten  Sprachlehren  von  Bull' 
rnesa»  Feläbauichf  Kuhner,  matma,  Rotfy  Thieneh  und  Weckher^ 
Un  rerwiesen  worden.  Der  Unterzeichnete  hat  durch  ein  sehr 
anständiges  Aenfsere,  die  grüfste  Correctheit  und  Billigkeit  des 
Preises  sein  Möglichstes  gethan,  um  die  Einführung  des  Buches 
in  Gelehrtenschuien  zu  erieiclKem. 

Frankfurt  a/M.  im  April  184(h 

HL  L.  Brönner. 


In  »ehieai  Verlage,  eraHieiBt  ae  eben  and  iat  %  dmelt  jSIe 
Baebhandlungen  dea  Isk  aad  Anslandei  aa  beiiehea: 

■ 

Kathä  Sarit  Sägara« 

Die  Mährchensämmhing 

dea 
Sri  Somadepa  BAatta  aas  KaecAmir^ ' 

Erstes  bis  fünftes  Buch« 

Sanskrit  nnd  Deniach 
herausgegeben 

von  '  ^,      ' 

Dr.  ifetmann  BrbcihofUi. 

Gr.  &   Geh.  8  Thlr.  ^ 

Diese  anziehende-  und  für  die  Geschichte  der  Literatur  wich- 
tige Sammlung  indischer  Mabrchc^n'  und  Erzählungen  erscheint  hier 
zum  ersten  Male  aus  den  Handschriften  gedruckt 


Leipzig,  im  December  1839. 


F.  A.  Brockhaoa. 


Bei  K.  F.  Kohler  In  Leipzig  erachien  und  ist  in  allen 

Bnchhandinngen  za  haben : 

•  

Plutarchi  Vita  Phocionis. 

R*ecensnit  et  comment  snU  illnstr. 
Dr.  Fr.  Kram  er« 

gr.  8.    bieeh.    V»  Thaler. 

Diese  Ausgabe  des  Leben  Phoeiona  empiehlt  sich  durch  die 
mit  Vielem  iPleifse  gemachten  Uutersucfiungen  in  kritischer  und 
grammatischer  Hinsicht  nnd  wird  den  Freunden  des  Plutarch 
eben  so  willkominen,  als  andrerseits  zar  Leeture  auf  Gymnasien 
passend  sein. 

Dissertatio  crit«  et  exeget 

de 

Ev.  Matth.  C.  XIX  v.  16  et  sequ.  pp. 

C.  Tischendorf,  Theol.  Licr 

t  ... 

broch.    V«  Thlr. 


FUr  Phtlohge»,  GumnätiaUekrei^^  'SchMAlietheken^  Butk* 
hSmllet  and  Antiquare  ist  so  eben  im  Verlage  Toa  G.  P>  Ader- 
höh  in  Brtulaü  erschienen: 

Grundrifs  der  elassisehen  Bibliographie. 

Ein  Handbuch  für  Plülologen 

Ton  \ 

Dr. .  Friedrich  Wilhelm  Wagner* 

Gr.  8.    Geheftet    35  Boj^en.    Preis  3*/,  Thlr.,  auf  geleimtem 

Velinpapier  3  Thur. 

Es  vmfafst  dasselbe  das  aesammte»  für  den  Philorogei»  wich- 
tige bibliographische  Material,  enthalten  in  den  krituch-  und 
exegetisch-wichticen,  sowohl  in  Deutschland,  als  in  den  tibfigeu 
Ländern   Europais  erschienenen  Ausgaben,  Uebersetzungen  und 


fidüiittraBlMBlirifiteii  4er  nieciiiittbMi  iiiid  hit«hufl«ben  Sotarift- 
«teller  tob  Erfindung  dar  BnchdmckerkttDBt  an  bis  zur  Mitt«  de« 
Jahres  1839.  Dazu  sind  alle  vothaudenen  bibliographischen  nnd 
Jiterarisch  -  histarisohen  Werke  benatst,  und  nanentlich  die  Er- 
klftran^chriften  (sowohl  die  im  Buchhandel  erschieneneni  als 
alle  Dissertationen  nnd  Proffranme  in  sich  begreifend).  s6  wie 
die  Literatur  des  19ten  Jahrounderts  mit  dc^  gröisten  Vollstün- 
digkeit  gegeben  iivorden.  Jedem  .^ehriftsteller  ist  femer  sein  Ge- 
burtsort nnd  die  Zeit,  wann  er  gelebt,  nach  den  neuesten  Unter- 
suchungen beigefügt,  und  Jbyei  den  Schriftstellern,  die  nur  noch 
in  geringen  Fragmenten  übrig  sind,  ist  auf  die  Sammelwerke  ver- 
iftiesen  worden,  in  welchen  diese  Fragmente  zusammeugesteUt 
find.  In  Bezug  auf  die  Schriftsteller  selbst  aber  findet  man  fast 
alle,  von  deAen  nur  noch-  Notizen  auf  uns  gekommen  sind,  anf- 

Senomm'en.nnd  nachgewiesen,  wo  das  Ton  ihnen  Eriialtene  zu 
nden  ist.  Es  wird  demnach  durch  dieses  Buch  dem  Philologen 
leicht,  sich  in  Hinaieht  auf  das  über  einen  Sciiriftsteller  des  Al- 
terthums  vorhandene  Material  Rathes  zu  erholen;  dem  Gymna' 
tialUkrety  sich  mit  den  neben  den  gr^fteren  Ausgaben  erschie- 
nenen Schulausgaben  eines  Schriftstellers  bekannt  zu  machen; 
so  wie  andererseits  hierin  BucJUrdndler  und  Aniiguäre  das  voll- 
ständigste Repertoriuqi 'für  das  seit  dem  Mittelalter  im  Gebiete 
der  Philologie  Geleistete  finden.  Wir  gUuben  d&her,  naclidem 
wir  so  ^en  Inhalt  des  Buches  angegeben,  ins  einer  weiteren 
Empfehlung  desselben  enthalten  zu  dürfen.  :. 


-    So  eben  erscheiiit  in  meinem  Verlage  und   ist   durch  alle 
Bnehhandlongen  zu  erhalten: 

Denkwürdigkeiten      . 

und 

vermischte  Schriften 

vDn  • 

^  K.  A.  Yäinbagen  von  Ease.  . 

Neue  Folgcf.  Erster  Band. 
Gr.  8.  Geh.  27,  Thlr. 

»  ^ 

Wie  die  erste  Folge  der  Schriften  des  berühmten  Verfassers, 
4je  in  4  Bänden  163'^-38  bei  H.  Hoff  in  Maunireim  erschien, 
so  wird  auch,  diese  Fortsetzung  gewUs  die  altgemeinste  Theil- 
aahme  finden.  Besonders  machen  wir  auf  einen«  grofsen  Aufsatz 
aufmerksam  :   ^Der  wiener  CongTef$r 

Leipzig,  Im  März  1840.  '       , 

,  '  F.  A.  Brockhaus. 


.8 

Bei  H.  L.  BrdnneT  in  Franktol  s^.  «t  enehieBor  ui 

in  allen  Buchhandlungen  zu  haben,: 

Shakspeare,  /W.,  select'  plajs.  Adapted  for  the  ose  of 
Youth.  15^  Bogen.:  12.  Velinpap.  in  Uasc^bg  -geh. 
1  Thlr.     . 


fan  Verhige  Ton  Edward  L«i brock  in  Braanschweig  ist  so 
eben  erschienen: 

Strümpell,  Dr.,  die  Hauptpunkte  ^der  Herbttrt'schen 
Metaphysik,  kritisch  bdeuchtet  gr.  8.  (14  Bogen.) 
Velinpapier,    br.    i^^  Thlr.     . 


Im  Verlage  von  Friedrich  Vieweg  und  Sohn  in  Bnum«* 
schweig  ist  so  eben  erschienen: 

Dr.  Thomas  Grahams 

•  Lehrbuch  der  Chiemie« 

Bearbeitet 

TOn 

Dr.  Fr.  Jul.  Otto, 

JVo/esfor  i«r  CktmU  tun  C^llegio  CmroKn^  tu  BrmwMekwag. 

Iste  und  2te  Lieferang  mit  56  in  den  Text  eingedrock- 
ten  Holzschnitten,   .gr,  8.     fein  Yilinp.    geh.  1  Thir. 

Dieses  ausgezeichnete  Werk,  über  üessen  Plan  und  beson- 
^  dere  Vorzüge  .wir  uns  -  auf  die*  allen  Exemplaren  vorgeh^ete 
ausführliche  Ankündigung  beziehen»  erscheint  in  zehn  Meft- 
rnngen«  Der  Subscriptionspreis  jeder  Läeferung  irt  13 
jGrgr. ;  der  ..bei  Vollendung  des  Ganzen  eintretende  Ladenprev  tö 
Ggr.  fdr  die  Lieferung.  ^ 

Wir  k2>nnen  dasselbe  nicht  besser  empfehlen,'  als  dnrek  die 
nachstehenden  Worte  des  Professors  Justas  Liebi'g  in 
Giefsen:  ,  •       . 

,3üt  dem  hohen  wisschschaftllchen  Werth   von   Dr.  Gia- 

hams  Lehrbuch  der  Chemie  genau  bekannt)  hat  der  Unterzeichnete 
zum  Theil  mit  Veranlassung  zur  jlentschen  <  Bearbeitung  deasek 
ben  gegeben.  Sie  konnte  in  keine  würdigere  Händ^  K^^S^  ^^ 
den,  als  in  die  des  Professors  Otto,  welcher  durch  seine  ticrth- 
vollen  litei*ari^cben  und  praktischen.  Arbeiten  seit  Langem  .schon 
einen  ausgezeichneten  Platz  unter  Deutschlands  Ohenukem  ein« 
nimmt.  Das  Lehrbuch  Grahams  hat  durch  die  gedieigenen  £i- 
Sätze  und  Erläuterungen  namentlicji-  fdr  den  Selhstantonricht  aa- 
fserordentlich  gewonnen,  ohne' an  EigenthUmlichkeit  und  Brauch« 
barkeit  im  Uebrigen'  einzubüften.  'Den  Pl^n  der  Bearbeitan|r  hat 
Professor  Otto  die  Güte  gehabt,  mir  vor  der  Ausfibmiic  ntsa- 
theilen;  ich  habe  seine  Ansicht  in  Hinsicht  auf  die  Verwandt 
lang  der  englischen  Atomgewichte  in  die  von  Berzelins  in.  Dentsch- 
land  einge^hrten  vollkommen  getheü^  indem  ich  der  Meino^ 
"war,  dais  nur  durch  eine  Uebereinkunft  aller  Chemiker,  ohie 
Nachtheil  fdr  die  Verbreitung  nnd  Cnitur  der  Wissenschaft,  eiae 
Aenderung  getroffen  werden .  darf.  Gewifs  verdient  PTefeamr 
-Otto  den  Dank  des  PnMiknms,  indem  die  verhWtnifsmüfaig  kleine 
Anzahl  der  -vorzüglichen  Lehrbücher  Deutschlands  am  Eins 
durch  ihn  vermehrt  worden  ist,  was  man  den  besten  an 
^Seite  stellen  kann.'* 

Dr.  Ju$tU9 


THB  NEW  YORK  PUBLIC  LIBRARY 

RBPBRBNCB  DBPARTMBNT 

This  book  it  ander  no  oironmstanoe«  to  be 
taken  Irom  the  Bnildmg 

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