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Jahrbücher
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Herausgegeben
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Erster Band.
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Berlin«
Terlag von Duncker and Hnrnblot.
18 4 0.
Verantwortlicher Redaoteor: der General -Secretair der Sooietttt, Professor von Heninng.
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Systematischer Index
zum
Jahrgang 1840 der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik«
/. PAiloiophie.
1. Marbach, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Ifte
Abthailung. — Jan. 8. 76. — Hinriehs.
2. Reinholdy Lehrbuch der Geschichte der Philosophie —
Juni S. 921. — Erdniann.
3. Schmidt, Umrisse der Geschichte der Philosophie. — Juni
S. 921. — ErdmanD.
4. Bayrhofer, Beiträge zur Naturphilosophie. — Juli S.
4t. -^ Ifinrichs.
5. Snell, philosophische Betrachtungen der Natur. — Sept.
8. 497. — Weisse.
6. Steffens, christliche Religionsphilosophie« — Nor. S. 665.
^ Rosenkranz.
7. Gärtner, die Philosophie des Lebens. Erster Theil: Die
Rechts- und Staatslehre*. — Dec. S. 918. ^ Rosenkranz.
8. Leibnitii opera philosophica, ed. Erdmann. -— Dec. S«
94J» ~- Erd mann.
//. . Theologie.
1. Vetter» die Lehre Tom christlichen Kultus nach den Grund-
sätzen der erangelischen Kirche. — Jan. 8. 117. — Mar-
h e i n e k e.
9. Gfrörer, die heilige Sage. Erste und zweite Abtheilung.
— Febr. 8. i^a. — Lic. Bauer.
3. Stahl 5 die Kirchen Verfassung nach Lehre und Recht def
Protestanten. — März S. 419. — Marheineke.
4. Conradi, Christus in der Gegenwart, Vergangenheit und
Zukunft — April S. 521. Weisse.
5. Knapp, oTangelischer Liederschatz. Erster und zweiter Bd.
— April S. 491. — Lange.
6. Märklin, Kritik des nlodemen Pietismus. — April S.
558. ^ Baier.
7. Hase, Lehrbach der erangelischen Dogmatik. Zweite Aufl.
— Mai S. 641. — Baief.
6. T. Baader, über die Thunlichkeit oder Nichtthunlichkeil
einer Emancipation des Katholicismns ron der römischen Dic-
tatur. — Juni S. 877. — Funke.
9. Beckedorffy an gottesfürchtige protestantische Christen.
— Juli S. 17. -— Marheineke.
10. Spieker, Kirchen- und Reformations-Geschichte der Mark
Brandenburg. — Juli S. 87. Riedel.
11. LUtzelberger, über den Apostel Johannes. — Aug. S.
185. — Weisse.
12. Riedel, Staat und Kirche. — Aug. S. 28L -« Marhei-
neke.
13. y. Drey, Apologetik. Erster Band. — Sept S. 411, —
Moll.
14. die Moral und Politik der Jesuiten. — Oct. S. 505. •» K.
Riedel.
15. Jordan, die Jesuiten und der Jesuitismns. — Oct S. 505.
— Riedel.
16. Theses Cl« Zur Reformationsfeier in Nord -Deutschland.
— Oct. S. 597. — M.
17. Baur, die christliche Lehre ron der Versöhnung. — Dec.
8. 976. ^ Baier.
///. Jurisprudenx.
1. Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechts der Katholiken
und PrflTtestanten in Deutschland. — März 8. 32i. — Ja-
cobson.
2. Köstlin, die Lehre rom Mord und Todtschlag. Erster
Theil. — Miü'z S. 385. — Ab egg.
3. Stahl, 4ie Kirch enrerfassung nach Lehre und Recht der
Protestanten. — März S. 409. — Marheineke.
4. Walter, Lehrbuch des Kirchenrechts* -^ März S. 321. —
Jacobson.
5. Duranton, cours de Droit fran^ais. — Mai S. 779. —
Rauter.
6. Kierulf, Theorie des gemeinen Cirilrechts. — Juli S. 121.
— Gärtner.
7. T. Sarigny, Theorie des heutigen römischen Recht«. Er-
ster Band. — Juli S. 1. — Rudor/f.
IV. Staati' und KameralurUientchaften.
1. Funke, über die unbeschränkte Theilbarfaeit des Grundci-
genthums. — Aug. S. 246. -* Biilau.
3. G rar eil, der Baron und der Bauer. — Aug. 8. 246. —
Bülau.
3. Riedel, Staat und Kirche. — Aug. S. 281. — Marhei-
neke.
III
4. Riedel, NatioaalOkoBomie. — Sept. S. 430. — Eiselen.
5. Courtet de l'Itle, U ecience politique. — Od. 8. 661«
— Heuflinger.
6. Gavarret, Principe« g^n^raux de etatistiqae n^calep —
Nor. S. 783. — Mtfser.
7. Ryan, Prostitution in London. — Not. S. 695. — Uea-
ainger.
8. Ho ff mann, die Lehre von den Steuern. — Dec. S. d29.
— Y. Prittwits.
9. Hegel, Schubarth, und die Id^ der PenSnlichkeit iri ihrem
Verhältnifs zur preussischen Monarchie. Von Dr. Ogieneki«
*- Dec. S. 958. — Riedel.
10. Friedrich des Grofsen Versuch über die Regiernngs-
formen u. s w. herausgegeben von Schubarth. — Dec. S.
958. — Riedel.
11. Friedrich des Grofsen staatsrechtliche Gmndsfitze.
Herausgegeben von Wolf. — Dec S. 958. — Riedel.
V. OeMchiehte.
1. Fallmerayer, Geschichte der Halbinsel Morea. -^ Jan.
S. 31. » Schönwalder.
2. Heeren und llckert, Geschidite der enropfiischen Staa-
ten. — Jan. 8. 57. — As ebb ach.
3. Schäfer, Geschichte von Portugal, zweiter Band. — Jan«
S. 57. — Aschbach.
4. Leben des Thomas von Canterbury. Herausgegeben von Im-
manuel Bekker. — Febr. S. 284. — Diez.
5. Ho ff mann, die Iberer im Westen und Osten. — Febr. 8.
217. — Ferd. MjQUer.
6. F. Müller, der ugrische Volksstamm. — März S. 440« —
V. Brandt.
7. Üebelen, Eberhard der Erlauchte. — Miirz 8. 471. — G.
Lange.
8. Brougham, Historical Sketches of statesmen in the timc
of Geor|e 111. — Mai S. 724. — Biilan.
9. Geschichte der Mark Brandenburg. «- Mai S. 797. — Riedel.
10. Arnold, Umrisse und Studien zur Geschichte der Mensch-
heit. — Juni S. 911. —
11. V. Gevay, Urkunden zur Geschichte der Verhältnisse
zwischen Oestreich and der Pforte. — Juni S. 913. -* W i 1-
mans.
12. Hurter, Denkwürdigkeiten ans den letzten Decennien des
ISten Jahrhunderts. — Juni S.867. — Varnhagen v. Ense.
13. Koppen, Friedrich der Gnifse und seine Widersacher. — -
Juni 8. 822. — Varnhagen v, Ense.
14. Spleker, Kirchen- und Reformationsgesehichte der Mark
Brandenburg. — Juli S« 87. Riedel.
15. Geschichtliche Nachrichten von Brandenburg. Zweite Aufl.
— Aug. S. 241. — Riedel.
15. Varnhagen V. Ense, DenkwOrdigkeiten und vermischte
Schriften. Neue Folge. Erster Bd. — Aug. S. 292. — A be ken.
1^. Buches et Roux, histoire parlementaire de la rdvolu-
tion fran^aise. — Sept. S. 433. — Wachsmuth.
18. Pidiein, historisch-dtpÜMnatischiB Beifrage sur Geschichte
Berlin's. — Sept. S. 391. — Riedel.
19. V. Schötting, die Generale der (%ur-Brandenbargischen
und Königl. Preussischen Armee von 1640 — 1840. — Sept.
S. 502.
20. Arndt, Erinnerungen aus dem änfseren Leben. •— Oct. S.
568. — Varnhagen v. Ense.
IV
21. V* Langen, Henog Albrechl derBehente* ^ Oct B.540.
^ Böttiger.
22. Ranke, deutsehe Geschichte ia Zeitalter der Reforma-
tion. — Oct. S. 606. — Binder.
23. Correspondance du Comte Capodistrias. — Nov. 8. 763. —
24. Gerhard V. Haie m 's Selbstbiographie. ** Nov. S. 838.
— Varnhagen V. Ense.
25. Höfler, die deutschen Päpste. * Nov. % 773. » Wil-
maas. " ^
26. Annuaire historique pour l'annde 1837. -# Dec S. 873. —
waitz. y
27« Bulletin de la soci^t^ de rhistoire de France. — Dec. S.
873.— Waitz.
VI. Philologie.
1) Allgemeine Spraehkunde»
1. Bindseil, Abhandlungen zur allgemeinen vergleichenden
Sprachlehre. — April S. 509. — Höfe r.
2. Fritsch, Kritik der bisherigen Grammatik unt *der philo-
sophischen Kritik. — April S. 603. — Härtung.
2) Orienialiiehe Philologie, #
1. Ebn Bsra, Sapha berura oder die celfiuterte 8|>riche.
Herausgegeben von Lippmann. "— Jan. S. 157. —Leb recht.
2. Savitri,.öbersetzt vonMerkel. — MArz S.^% — Höfer.
3. Bopp, über die Celtischen Sprachen in ihrem Verhältnifa
zam Sanscrit, Zend u. s. w. — April S. 581. «^ Kuba.
4. Moses benEsra, Darstellung seines Lebens und literari-
schen Wirkens, nebst hebriiischen Beilagen. — ^§tÜ S. 54L
— Lebrecht.
5. Mutfk, notice .sur Rabbi Saadia Gaon et sa vei^ion arabe
d'isaie etc. — April S. 633. — Lebrecht.
6. Pictet, de Vafßnitd des langues Celtiqoes avto le Sanscrit.
— April S. 581. — Kuhn.
7. Prichard, the eastem origin of the Celtic Uations prored
by a comparison of their dialeets with the sanscrit etc. — -
Aprils. 581. — Kuhn.
8. Lassen, Anthologia Sanscritiea. — Juni S.839. — Hb'fer.
9. Brock haus, Kathäsaritsägara. — Sept. S. 451. — Höfer.
10. V. Humboldt, über die Kawi-Sprache. — Nov. 697. —
Bopp.
11. Bopp, Glossarium Sanscriticum. — Dec. S. 841. — Kuh n.
12. V. d. Gablentz, Gnmdzüge der SyijAnischen- Sprache. —
Dec. S. 982. — Schott.
3) Klaeeitehe Philologie.
a) Grieehiiche Philologie.
1. Bergkii commentatio de prooemio Empedoclis. — Febr.
S. 289. — Franz.
2. Empedoclis carminum reliqulae. Ed. Karsten. — Febr.
S. 289. — Franz.
3. Spengelii Specimen Commentariorum in Aristotelis' libroa
de arte rhetorica. Mai — S. 790. — Stab r.
4. Franzius, Elementa Epigraphices Graecae. — Aug. S. 321 .
— Keil.
5. Keilius, Specimen Onomatologi Graeoi. — Ang. S. 285.
— Mullach.
6. Meineke, Fragitoenta Comicorum Graecorum. — Aug. S.
209. — BernKardy.
7. P«ter8 6D, Hippocrails opcra ad temporam raüones dispo-
■ita. — Aug. S. 389« — Link.
8. Henrlcbseuy über die neogriechicche Ausiprache der hei*
leniechen Sprache. -* Sept. S. 377. ^ Kind.
9. Spitsner» ebserratlones in Quintum Smyrnaeum — Sept.
' S|.486. — Franz.
10. aenfey, Gliechieches Wurzellexicon. — Oct. S. 623. —
Pott. • ' *
11. -'Polejnon^ Periegetae fragmenta ed. Preller.— Oct.
1 S. 685. -1- Ja
'^r ' ^ ^) MmUehe PkiMogie.
• 1, Cicero de Anibne. Ed« Madfigiiu. — Febr. S. 206: ^ C.
2. 1>ie.X)ie'xi des Horaz. Uebersetst ron v. d. Decken. —
Febr. *% •'276.'* Herzberg.
3. H aiijf ; L^hfbuch dea lateinischen Styls. Zweite Aosgabe. —
' Mär^LA 377. ^ A. W. Zampt.
4. Hall ^praktisches Handbuch für Uebangen im lateinischen
StyLf^«rz S. 777. — A. W. Zumpt
§. Fa^ Horatiani« Scripsit Franke. — Mai S. 692. -*
Pas
6. ClKra's sftmmtliche Werke, in dentschen Uebersetzungen.
HlTfl^gegebeB ron Klotz. Erster Theii. — Aug. S. 343.
. ^^^
••'^ ' «w ^ M0d0rn€ Philologie.
' f •' ■' •
1* Gr|n|m» def Rosengarte. — Jan. S. 110. — Lange.
2f HeBfichsOT» über den sog^annten politischen Vers bei
den Qi^Aen. — Sept. 8. 377. — Kind.
rii.
\tik und Archäologie.
1. Doca di Serra di Falco. Del duomo di Monreale. —
Jan. 8. 49. ^ Hesse.
%, Ma^rmieri histoire de la litt^rature en Danemark et en
Su^de. — Jan. S. 89. — Heiberg.
3. Ulrici, über Shakespeare's dramatische Kunst —Jan« S*
i. — ^ Rötsoher.
4. Edward in Rom, eine Norelle. -— Febr. S. 317. — W.
5. Heins e's Schriften. Herausgegeben ron Laube. — Febr«
S. 161. — Hoffmeister.
6. PassaTanty SberRaphael ron Urbino. — Febr. 8. 181. —
7. Vischer, über das Erhabene und Komische. — Febr. S.
264. — Lange.
8. Be Hermann 9 die Katakomben zu Neapel.' — März 8.
453. ^ RöstelL
9. Mises, über einige Bilder der zweiten Leipziger Kuastau»*
Stellung. — März 8. 356. — W.
10. G öthe's Briefe an die Grifin Auguste zu Stolberg. — Mai
S. 741. — W.
11. Talriy Charakteristik der germanischen Volkslieder. —
Mai 8. 683. — Varnhagen r. Ense.
12. Huber« die englischen Unirersi täten. Eine Vorarbeit zur
englischen Literaturgeschichte. -* Juni S. 801 — > Leo.
13. Z au per, Studien über Gothe. — Juni S. 957. — W.
14. Firmenichy TQmyovdta' ((afuiixa, *- Juli 8. 84. — Kind.
«
15. Zachariaoy der Renommist. Ein scherzhaftes Heldenge*
dicht — Juli S. 39. -- Varnhagen r. Ense.
IV
16. Bolzeathal, Skizzen aus der Konstgesdiichte der modet^
nen Medaillenarbeit — Ang. S. 270. — Friedländer.
17. Braun. Kunstvbrstellungen des geflügelten Dionysos. —
Sept 8. 470. — Jahn.
18. Tages und des Herkules und der Minerra heilige Hoch-
zeit — Sept. 8. 470. — Jahn.
19. Grüner, J. Mosaici della Cupola neUa Capeila Chigiana.
— Sept S. 367.
20. Grüneisea nnd Maucb, Ulm's Koastleben im Mittelal-
ter. — Oct 8. 580. — A. Hagen.
21. Die Günderqde. — Nor. S. 80L — Weisse.
22. Krause, Darstellung der greisen Olympischen Spiele. — f
Nov. S. 785. — Kayser.
VIIL Krügsfcüsensekaßeny Mathematik^ Oeogra-
phiOf PhysHty Chemie^ Meteorologie.
1. Erman, Reise nm die Erde. Zweite Abthl. Erster Band.
— Jan. 8. 140. — Wolfers.
2. Erdmann, Lehrbuch delr Chemie. Dritte Aufl. «— März
S. 407. — Marchand.
3. Göbe], Reise in die Steppen des sttdlichen Rolsland. -^
April 8.534. — Meyen.
4. Bourdon, Application de l'Alg^bre k la Göom^trie, 5me
ädiüen. —Juni 8. 862. — Minding.
5. Maximilian Prinz zu Wied, Reise ia das Innere Nord-
Amerika's. Erster Band. — Juni 8. 816. — Meyen.
6. Meinicke, Lehrbuch der Geographie. — Juni S. 949. *-
Bennigsen-FSrder.
7. Achtzehn meteorologische Schriften, — Ton Kupffer, Thor-
stensen, Plieninger, Lohrmann, Schrön, SchmÖger, Zalinger,
Meriai^ Schouw, Lamont, Richardson, Herrenschneider. —
Juni S. 852-54w — Dove.
8. Schouw, Tableau de la teropdrature et des ploles dltalie
— Julis. 62. — Dore.
9. Wittich, über die Befestigung und Vertheidigung groiser
Plätze. — Juli S. 72. — r. Prittwitz.
10. Da Tis, Description of the Empire of China. — Sept S.
350. — Schott
11. Henrici, über die Eleetrieität der galranischeo Kette. —
Sept 8. 382.^ PohL
12. Zaehariae, Reise in des Orient — Not. 741.
IX. Mineralogiey Botanik tßnd Zoologie.
1. Schultz, eurla circulation daas les plaates.— Jaa. 8.120.
— Schultz.
21 Burmeister, Uaadbueli der Naturgeschichte^ — Febr. S.
259. Gloger.
3. Hoffmann, geognestische BeobachtirogeB. — Febr. 8^193.
— T. Buch.
4. Schlegel, Abbildung neuer Amphibien — AprU 8. 598. —
— ' Gloger.
5. Scott Bowerbank, HIstory of the fossil fruits and
seeds of the London Clay. — April 8. 518. — Link.
6. Steininger, geognostische Beschreibung des Landes zwi-
schen der untern Saar und dem Rheine. — April 8. 613. —
NSggera th.
7. Mnrchisoa, The Silnrian System. — Mai 8. 665. «^ t.
De eben.
VII
S Rathke, Entwickeluiigfgeschichte der Natter. -*- Mai S.
755. — Schultz.
9. Schwan, mikroskopische Untersuchungen über die lieber-
' einstimmung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere
und PAanzen. — Juli S. 33. — Purkinje.
10. Kitsch, System der Pterylographie. — Sept. 8. 446. —
Carus.
11. r. Siebold, Beiträge zur Naturgeschichte der wirbellosen
Thiere. — Sept. S. 369. — Carus.
12. Oken, allgemeine Naturgeschichte. Zweiter und dritter Bd.
— Oct. S. 5fö. — Schultz.
13. Reufs, (reognostiscfae Skizzen aus Böhmen. — Not. S. 745.
— ▼. Decnen.
14. Zunck, die natürlichen Pilancensysteme geschichtlich ent-
wickelt. — Dcc S. 88».. — Schultz,
X. Physiologie und Medixih'
1. Carus, System der Physiologie, erster und zweiter Theil
<-* Jan. S oi. — Leu pol dt.
9. Carus, System der Physiologie, erster und zweiter Theil.
— AprU S. 481. — Link.
3. Rösch, über die Bedeutung des Bluts im gesunden und
kranken Leben u. s. w, — Juni S. 891. — Steinheim.
4. Bulard, de la pestc Orientale — Juli S. 97. — Matthäi.
5. Valentin, de functionibus nervorum cerebralium et nervi
sympathici. — Au^. S. 301. — Volk mann«
6. .Damerow, über die relatire Verbindung der Irren-^^JH^
und Pflege-Anstalten. — Scpi. S. 345. — Leupoldt. .* '..
7. Walker, Intermarriage , or the mode in which beaut^,
' health and intellect, result from certain unions etc — Dec
S. 926. — Ueusinger.
Xr. FermücAteg. f ; • ? ;•-'->
1. T. Grub er, Verzeichnifs sämintlicher'Ab|
auf PrenCsischen Gymnasien erschienenen
S. 160,
2. Reumont, Italia. Zweiter Jahrgang. -^ J^
Hegel. ^ »•':;•
3. Adrian, Catalogus Codicum Manusriptotuii^ JSiVftf^ecftiT) ,
5. August! Boeckhii Oratio in solennpiis'rp
quibus Friderico Guilelmo 111. Borussorum ^^^i
litteraria Friderica Gnilelma Berolinensis pie-*p
Dec. S. 853. ^ Varnhagen r. Ense.
6. Rede zur Feier des Geburtsfestes Seiner Maj|B'fiit
Friedrich Wilhelm des Vierten in der öflfeft"**"^
der KÖniglidi Preufsischen Akademie der W
22. October 1840 gehalten von August BW
S. 853. — Varnhagen r. Ense.
7. B y b i 1 a k i s , neugriecfaischef Lebao u. s, vi^x P'
-vÄ^'>r'
• i' j
• •• 'S
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J a h r b fi c h e r
für
senschaftliche
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Januar 1840*
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i.
tpeare*s dramatische Kunst und sein
zu Calderon und Goethe. Von
\annUlrici. Hallejl8S9. bei Edu-
e^s Ruhm bt lavinenartig gewachsen,
t daran einen grobem Theil als das
1 es, durch Abstammung und Denkart
erwandt, die philosoplüsche Tiefe und
hen Sinn niit hinzubringt, um die Wun-
les sur Anscliauung. zu bringen. Das
um für Shakespeare*s unerschöpflichen
-^^nden wir darin, dafs der GenuFs an
gen sich gleichmäßig mit der Entwicke-
bsophirenden Geistes, und der denkendeni^
yßie Geheimnisse der künstlerischen Korn,
rt. Je mehr Gedanken . man zu der Be-
^it ihm mitbringt, desto mehr empfängt
ck, so dafs die Fülle der Schätze, wel-
schliefst, immer gleichen Schritt hält mit
den wir bereits als wohlerworbenes
ylAn entgegenstellen. Bei keinem Dichter
A|ler blolse Geschmack, ja auch selbst eine ,
'" htung weniger aus, als bei Shakespeare^
Fäden in der Tiefe geknüpft werden,
|ndfächen Yerschlingungen , .welche sie
Auge ofifenbareh, eher verwirren, als
;3l&iÄ J^n nach 'geheimen Gesetzen wundervoll geflochtnes
-f^etzäbeigen/-' Nirgends rächt sich daher auch der Man-
gel TOÜosoplikcher Tiefe schärfer, als bei Shakespeare. ^
• ^Belb|(.äiejrei&en, welche nur mit dichterischem Sinne
l>egj)^^ hineingefuhlt, verhehlen.
» lidb^^^t,^^9^ wenig iimen eine auf der gesclunack-
föOsj^ti 'Daistellung und der sinnreichsten Beobach-
lUAj^i^des Einzdnen beruhende Analyse Shakespeare'-
•chef Drliine'n genügt, obwohl sie eigentlich nicht anzu-
Jaii^^^%n»%en%ch. Ktilik. J. 1840. J. Bd.
geben vermögen, was sie dabei vermissen. Daher be-
friedigten auch die übrigens so unendlich verdienstvoK
len Yorlesungen A. W. v. Schlegel's grade in Bezug
auf Sliakespeare am wenigsten*, weil dieser feine Kri-
tiker wohl die ebengenannten Eigenschaften zur Be-
trachtung Shakespeare's mitbrachte» dieselben aber die
philosophische Tiefe, welche auf die den Leib des
Kunstwerks gestaltende Idee hindringt , nicht zu erset«
zen vermögen. Doch zeigt . sich der ausgezeichnete
Mann in seiner Uebersetzung Shakespeare's, diesem wun*
der\'ollsten Denkmal dichterischer Uebertragungskunst»
so mit seinem Musterbilde verwachsen, dafs wir mit
ihm nicht rechten wollen, weil er nicht auch den Dich-
ter zur freien Betrachtung und Erkeontnifs seines ab*
solüten Gehalts sich hat gegenständlich machen können.
Die in unendliche Breite auseinandergehenden und von
schwächlicher Sentimentalität oft durchbrochenen Erläu-
terungen F. Horns dürfen, trotz mancher hdchst schät-
zenswerthen Bemerkungen im Einzelnen, ebenfalls kei-
nen Anspruch machen, das Bedürfnifs nach Erkennt*
nifs der Shakespeare'schen Weltanschauung befriedigt
zu haben. Den Mangel an philosophischer Tiefe bei
A. W. V. Schlegel zeigte übrigens schon Solger in sei-
ner gehaltreiohen Beurtheilung der dramatischen Yorle*
sungen gründlich auf, indem er zugleich selbst durch'
fruchtbare Winke den unersetzbaren Werth philosophi-
scher Bildung an den Tag legte, und dadurch eine
glänzende Aussicht eröffnete, auf diesem Wege die
reichsten und bisher ungeahnte Besultate zu finden.
Aus der Fortbildung des philosophischen Bewufstseina
entstand die von Eduard Gans gegebene geistvolle Auf-
fassung des Hamlet, und des Referenten ausführliche
Entwickelung des König Lear, welche derselbe seiner
Abhandlung über die Stellung der Philosophie zum ein-
zelnen Kunstwerke als B$Ieg Ar die philosophische
Methode beigefügt hat. Hr. Dr. Ulrici, sonst schon der
gelehrten Welt durch seine Geschichte der griechischen
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V.v-:-»
3
ütricij über Shakeipeare^M dramatiiehe Kunst*
Poesie voriheilhaft bekannt, hat in dem Torliegenden
umfassenden Werke über Shakespeare einen in jeder
Rücksicht höchst verdienstvollen Yersucii gemacht, die
innere Architektonik der dichterischen Weltanschauung
Shakespeare's aufzuschliefsen und srowohl aus seinen
der Gegenwart befriedigen will, mufs
Dingen in die Mitte seiner W^ltanschat
und' sie tum Bewufstsein zu bringen bemj
dieser Nothwendigkeit sehn wir auch
durchdrungen. Nachdem uns derselbe
eigenen Schöpfungen als durch Vergleichung mit an« ^ so weit es unsere Kenntnisse zulasseitj i\
> S" '
dem Dichtem zu erläutern. Er ist zu diesem Zwecke
sowohl mit einer achtungswerthen Fülle von histori-
schem Wissen,* als auch, was uns das Wesentlichste
ist, mit einer Yertiefungsfähigkeit, welche den Dingen
in das Herz zu schauen trachtet, ausgerüstet Das
Werk hat daher einen höchst wohlthuenden Eindruck
auf uns gemacht. Es ist von einer reinen Begeiste-
rung Tür die Erkenntnifs des grofsen Dichters durchi-
dningen und durchgüngig von dem Triebe erfüllt, den
Künstler in seiner geheimsten Werkstatt zu belauschen
und bis in die Einsamkeit des Bewufstseins vorzudrin-
.gen,'i|^ jder dasselbe den ursprünglichen Schopfungsakt
'der/ll^t^li^^^ vollbringt. Wir bekennen;da.
her gern, 'daä -vvir dieses Werk grundlichen Fleilses
und philosophischen Forschens als einen für die Er-
kenntnifs des Shakespeare'schen Genius hücl^t.wichtigen
> Beitrag begrufsen, in welchem zur Weiterehtwickelung
in das Besondere und Einzelne eine Fülle fruchtbrin-
gender Keime niedergelegt ist. Selbst da, wo wir uns
genuthigt sehn, dem Yerf. entgegen zu treten, ist er
uns doch stets anregend und in Uarmpnie init sich
selbst erschienen] Dabei verbannt er aus seineu Dar-
stellungen jene spielende Wilikühr, welche den Gedan«-
• ken oft auch da noch, wo derselbe keine Stätte hat,
herausschlagen will, und daher nicht selten in einen,
den Genufs am Kunstwerke verkümmernden Pedantis-
mus umschlägt. Zugleich legt aber der Yerf., auf der
andern Seite, einen wahrhaften Respect vor der gestal-
tenden Kraft der Idee, als des Eins und Alles der Welt,
an den Tag; eine Eigenschaft, welche einem Werke
über Shakespeare unerläfslich ist, und auch dem For-
scher der Kunst allein einen erhabenen Standpunkt
verlliht, gegenüber jener. Schaar armseliger Kritiker,
deren Milde und zarte Rücksicht für die Alltagspro-
dükte der Gegenwart nur aus ihrer eigenen Schwäch-
lichkeit entspringt, in der sie sich vor der erdrücken-
den Kraft Shakespeare'scher Schöpfungen kaum zu ber-
gen wissen, während sie mit der kahlen Mittelniäfsig-
keit vertrauliqh verkehren.
Wer über Shakespeare schreibt und ein Bedürfnifs
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meuluingende Uebersicht der Geschiebte
Dramas bis zum Zeitalter Shakespej^i
geht er auf Shakespeare*s Leben un
näher ein, und b^hnt sich so den W
Yertiefung in die poetische Weltanscha
ters. Schon diese ersten Abschnitte g<
Triebe des Yerfs., überall die geistigen^j
und die organische Entwickelung zu
höchst günstiges Zeugnifs. Er fafst zU
sterien und Mirakelspiele, deren Urspru
mit Recht als roh dramatisirtc Erzählung
sehendem episi^hen Elemente auf, äsaa d
bunden mit den wettlichen Festspielen,
Hälfte des 15ten Jahrhunderts die sogen
täten eptwickelten, welche aus allegor
bestanden, und deren letzter Zweck
hinausging, ohne dafs deshalb derScherl
schlössen geblieben wäre. Mit Rcelit
in diesen letztgenannten Productionen d
ten des lyrischen Elements^ welches eb«
nem Rechte kommen mufs, tmd natürlich;
stalt eben so einseitig auftritt, wie zuer
Element. Das letztere liefs es nicht zu
lung des Innerlichen und Sittlichen komn
sehe Element dagegen vermochte sich no
ner menschlichen Hanitlung, zu einer o
Stellung sittlicher Yerhältnisse auszu
schloPs das andere von sich aus. Der
weiter nach, wie auch für das Drama d
der Reformation nicht ohne augenblic
bleiben konnte. Man vindicirte in den
eben Gegensätze bezüglichen dram^tischiiln*^^!
der dem episch - historischen Stolle seih:* 9^
trotz aller allegorischen Urogebnng, we
andrängenden historischen Wirklichkeit, 1
sen werden konnte. So war denn
Uebergang zu einer Gattung gegeben, v^p
strakte religiöse Tendenz und die alle
gleich sehr von sich abhielt, und in der vijfn#^<gi'vA«^ -
fang wirklicher Komödien, als Darstellung |^*e^6&Iiclii^
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tJlriei^ üiet SAakespeare's dramatueAe Kunsts
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Iiitereisseii; Zustande . und Cbaraklere, erblieken. Der
Terf . spricht daher dea UAtersehied swischen den reli-
gidsen Dramen der spfiiern Zeit und den ahen Myste-
rien sehr wahr dahin aus (p. 15), dafs hier der SloiF
der heiligen Geschichte dem I^ün^tlerlschen Streben
^der Kunst und ihren Forderungen, dort umgekehrt die
Kunst der religiösen Tendenz und dem heiligen Stoffe
dienstbar gemacht war.'' Wir dürfen die dramatische
Kunst in England mit diesem Momente als eine von
der Kirche und den kirchlichen Stoffen emancipirte be-
trachten, .welche fortan sich auf eigene Füfse stellen
und selbstständig entwickeln sollte.
Aber die freigewordene Kunst mufste zuerst ge-
^ ^Schult werden. Dies ward durch den EiniSufs der an-
tiken Kunst und Wissenschaft vollbracht. Diese Ein-
wirkung geht der Verf. nun näher im Einzelnen durch,
indem er die Bemerkung macht, dafs es ^ in Glück ge*
Wesen,' dafs der Eiufiufs des antiken Dramas noch nicht
zu einer, wie in Frankreich, verknechtenden Tyrannei
' geworden sei, sondern daf» die englischen Yolksdich-
ler, unbekümmert um die Regeln des Aristoteles, frei
ihre Bahn gegangen, und sich daher auoli „an die dem
Volke zunäciist liegenden Stoffe, an die allgemein
menschlichen Motive und Interessen wendeten'' (p.,21)«'
Natürlich rächte sich dies auf der andern Seite wieder
durch einen Mangel an Proportion und Symmetrie, an
gründlicher Motivirung der dargestellten Thaten und
Schicksale (p. 23). Das Tragische schweifte daher zu-
nächst nah in die Darstellung des GräfsKchen und
Schauderhaften aus, dem in der Komödie die Freilas»
süng roher und gemeiner Scherze entsprach (p. 24). '— Der
«llmäligen Ausbildung des englischen Dramas bis zur
Zeit Shakespeare's, wovon wir die allgemeinen Momente
herausgehoben haben, läfst der Hr. Yerf. Andeutungen
über das Theaterwesen, die Einrichtiuig der Bühne,
Scenerie u« s. f. vor Shakespeare und zu seiner Zeit
folgen; wobei wir, da uns der Bericht darüber zu weit
. von unserm Ziele abführen würde, ganz auf das Werk
felbst verweisfen (p. 29—37). . Desgfeichen gestattet uns
der nächste sich daran reihende Abschnitt einer nähe-
ren Charakteristik der unmittelbaren Y orgänger und
älteren Zeitgenossen Shakespeare's keinen Auszug. Be*
. sondere Aufmerksamkeit verdient hier die Auffassung
uhd lebendige Schilderung der beiden einander jorgän-
zenden Dichter, Robert Green und IVIarlow, deren all-
gemeines Bild der Yerf. an einzelnen Werken ,nachzu-
weisen strebt Green und Marlow, welche, in. ihrer
dichterischen Gestaltung abstrakte Gegensätze bilden,
weisen auf eine höhere Einheit hin, in der die wahr-
haften Seiten beider zu einer ästhetischen Totalität sich
durchdrungen haben. Diese zu verwirklichen und so
alle Yorzüge, welche in der Yergangenheit zerstreut
von Einzelnen vertreten und daher natürlich mit Unpoe»
tischem. Widerwärtigem und Krankhaftem gemischt
erscheinen, in sich zu vereinigen und dadurch einer-
seits der Schlufsstein dieser ganzen sich auf dies Ziel
hindrängenden Entwickelungsreihe zu werden, so wie
zugleich die Aussicht in eine unendliche Zukunft zu er-
wecken, dies ist der gewaltige Beruf Shakespeare's; den
er in dem umfassendstei^ Sinne erfüllt hat.
Da man keinen bedeutenden Menschen, am Wenig»
stcn aber einen epochemachenden Schriftsteller! ohne
die Einsicht in die gegebenen konkreten Verhältnisse
zu verstehn vermag, deren Produkt er einerseits immer
bleibt, und welche bis zu einem gewissen Grade seine
Schöpfungen erklären, wie weit er auch andererseits
über diese bestimmten Yerhältnisse hinausweist $ so
war auch unser Yerf. natürlich darauf gewiesen, eine
Darstellung des Zeitalters Shakespeare's zu. geben. Dies
geschieht (p. 58 — 74} mit sinniger Berücksiehtigung aller
Elemente, welche den Charakter des Zeitalters und zu-
gleibh die Entwickelungsmomente für die Anschauung
Shakespeares bilden. Ein besonderes Gewicht wird
mit Recht auf das noch so in das Leben und die Sit-
ten hineinscheiuende Phantastische gelegt, dafs die Wirk-
lichkeit überhaupt noch nicht zu einer Welt der Prosa
herabgesunken war. In diese Erscheinungen ragt —
kann man sagen — das ' Mittelalter n^iit seiner ganzen
romantischen Fülle noch hinein, während sich schon
der moderne Geist aus diesen Gestalten entbindet
Diese untrennbare Einheit der noch lebendig wirkenden
mittelalterlichen Herrlichkeit und des durch den Pro-
testantismus freigewordenen Geistes, ist die negative
Bedingung der Gröfse Shakespeares, der selbst die
höchste Frucht dieser beiden von einander scheidenden,
aber zugleich noch ^ im Procefs miteinander begriffenen
Wehen ist. Dadurch ist er' zugleich der Weltgeschichte
liehe Dichter, der, wie ein Januskopf, eben sowohl die
gesammte Yergangenheit, als die Momente der Zukunft
überschaut. Auch hat der Hr. Yerf. am Schlüsse der
Darstellung von Shakespeare's Zeitalter nicht ver-
säumt, grade auf den von uns so eben herausgehobe-
U/Hei, tff^r SkmkeMpear^s dramiUi$eke Kunst*
8.
nen Punkt binzuweiseii (p. 73). Einen besonderM
Flei^B hat d^ Yerf. auf diu Biographie Shaketpeare'e
gewandt, welche er hier unmittelbar anschlierst. Was
von nahen und entlegenen Notizen- su^ benutzen war^
ist £u einer so viel als möglich YoltsUindigen DarsteU
lung des Lebens Shakespeare's - verwendet worden, wo*
bei sugleich die verschiedenen Perioden seiner dichte^
rischen Entwiekelung herausgehoben und festgestellt
werden. Um abei^ für die wichtigsten Punkte der Welt*
anschauung. und der künstlerischen Komposition Siiake-
speare*s-noch Raum bu gewinnen, müssen wir es uns
hier versagen, das Speoielle su bespreclien.
Den Mittelpunkt der Untersuchungen des Yfs. bil-
det mit Recht die Cntvrickelung der poetischen Welt-
ansebauimg Shakespeare*s« Nachdem der Verf. selbst
In den wenigen niohtdramatischen Werken des Dich*
ters dooh noch das dramatische Moment ]»erausgehoben,
das sieli nach einem geheimen Gesetz dieses G^iius
überall bei demselben hervorthut, fafst er das Drama
selbst als die poetische Darstellung der Weltgeschichte.
Diesen Ausspruch vermittelt Hr. Dr. Ulrici darauf durch
die Gegeniiberstellung der Momente des Dramas als
Epos und Lyrik, von denen er mit Recht dem ersteren
" die Darstellung der Weltgeschichte in ihrer Vergangen-
heit zuweist und die Lyrik <• als die Poesie der Subjek*
tivität des Geistes, als Poesie der Zukunft bezeichnet,
da ja die Zukunft für. den menschlichen Geist*an sieh
nur die Bedeutung deü Werdens, der tlntwickelung sei-
ner selbst aus sich selbst haben könne. Wir wollen
mit dieser letzten Auffassung, die freilich insofern ab-
strakt UQd daher unbestimmt ist, als sich darunter auch
das Draiüa und im Grunde alles organiseh Lebendige
aobsumiren läfst, nicht rechten, weil aus der ganzen
Dar-stellung doch das volle VerstAndnifs der Lyrik her-
vorgeht und es dem Verf. hier nur besonders um den
abstrakten. Gegensatz gegen das Epos, als Poesie der
Vergnngenhe^^ eu thun war, um so für 'das Drama,
als Einheit des Efios und der Lyrik^ den Begriff der
Poesie der Cregenwari zu gewinnen. Demnach wird
dann ,das Drama vorzugsweise als die Poesie der fVett*
gesekichte bezeichnet, „da dasselbe erst die Entwicke-
lung des menschlichen iSeistes in ihrem Portschritt durch
Vergangenheit, Gegenwart und Zukvnft zeigt, da in
ihr erst die Subjektivität, wie die* Objektivitilt de^ Gei*
stes gleiehmäisige Geltung gewinnt.'' Der Hr. Verf.
zeigt sich Im ganzen Verlauf dieser Untersuchung als
ein gebildeter Geist, der, mit- den durch die Philosophie
gewonnenen Resultaten vertraut, diese in selbstständi-
ger Weise in frischem Flusse lebendiger Erzeugung zu
entwiekeln versteht, nirgends abstruse wird, und doch
nicht in Trivialitäten hineingeräth. Man sieht es die-
sen Darstellungen auf der Stelle an , dafs sie nicht ei-
ner eingelernten Formel ihr Dasein verdanken^ sondern
von dem Triebe dilttirt sind, ein Ganzes lebendig zu
fassen und dem Leser die Anschauung desselben zu
geben. In der ganzen Ausetnandersetzuhgi welche wir
als eine Einleitung in die besondere Weltanschauung
Shakespeare's betrachten können, ist Nichts, dem wir
unsere Zustinunung versagen mufsten. Wer wird nidit
gern eine so lebmidige Anschauung, wie sie der Verf.
in den folgenden Worten von Shakespeare's Dichter-
gröfse giebt, als den Grundtext aller folgenden Unter»
suchungen über ihn erkennen (p. 144). „Alles ist bei
ihm Handlung, jedes Wort dramatisch^ nirgend leeres
Geschwätz. Nichts steht bei ihm allein, jede Rede,
jede That, wenn auch anscheinend rein subjectiv, hat
ihre Besiehung zum Ganzen, wirkt wesentlich mit zur
Entfaltung der Einen allgemein bedeutenden Grundidee
des Stücks. Und dennoch hat jede Figur zugleich ihre
eigne Bewegung, Ihre Freiheit und Selbstständigkeit,
jede verfolgt zugleich ihre besonderen Interessen, stellt
sich in das ihr angemessene Verhältnifs zur Idee des
Ganzen und fafst dieselbe in eigenthiimlicher Welse auf«
Durch dieses Kämpfen daPLir und dawider, durch diese
mannigfaltigen Farben und Brechungen des Einen Licht-
strahls kommt der wahre Inhalt der Dichtung mit einer
Vollständigkeit, l^larheit und Bestimmtheit zu Tage,
wie sie das antike Drama nie, von den Neuem nur
wenige eireicht haben.'' Aus diesem allgemeinen Bilde
entwickelt der Verf. nun die besondern Seiten, ^ Zunächst
die Eigentbümlicbk'eit der Sprache Shakespeare's, von
' der er mit Recht sagt, dafs sie durchweg geistige That
sei, die eben so individuell dem Sprechenden ange«
fa(Srt, als sie wesentliches Glied der ganzen Aktion ist.
(Die FortBetzoBg folgt.)
Jahr b fi eher
für
wissenschaftliche Kritik
Januar 1840»
lieber Shakespeare*^ dramatische Kumt und sein
Verhältmfs zu Calderon und Goethe. Von
Dr. Herrmann Ulrici.
(Fortsetzung.)
Auch uns ist der uuTersiegbare Zauber der sprach-
liehen Darstellung Shakespeare's stets darin erschienen,'
dals sich das Wort be^ ihm immer, wie eine dichte
HuUe, .um das Individuum schmiegt und dasselbe in .
allen seinen Lebensbewegungen bezeichnet, und doch
zugleich der ideale Ausdruck der allgemein menschli-
chen Natur ist; wefshalb die Sprache Shakespeare's
die yerschiedenartigsten Individuen fesselt und in den
_ f
Kreis ihrer Schönheit magisch hineinbannt, ohne doch
jemals der individuellen Färbung zu ermangeln. Darum
ist es bei Shakespeare nicht genug, selbst ein glänzen«
des Bild für sich abzulösen , und in seiner vom Indivi-'
duu», auf welches dasselbe sich bezieht, unabhängigen,
also allgemeinen Schönheit zu betrachten. Man nimmt
ihm dadurch zugleich den Grund und Boden, worauf
es gewachsen ist; es gleicht dann einer wundervollen
Pflanze, welche man der nährenden Erde entnommen
hat und zur augenblicklichen Augenweide herumseigt.
Die nährbnde Erde ist die geheimnilsvolLe Tiefe des
bestimmten Individuunfs, welches dies Bild unter diesen
Umständen und als ein also organisirtes aus sich ent-
läCst tind uch darin gegenständlich wird^ So erscheint
es uns erst wie eine von der heimischen Luft und der
ganten Natur ihres mütterlichen Bodens umgebene Pflanze.
Ton der Sprache sich zu der Weise Shakespeare's
SU charakterisiren hinwendend, erkennt der Yerf. hier,
dafs dieselbe nicht aus einer Fülle von empirischen
Beobachtungen, sondern aus der dichterischen Anscbau*
ung der Idee der Menschheit hervorgegangen ist. Da*
her die ewige Wahrheit und Bedeutsamkeit aller Shake-
speare'schen Gestalten. SJialcespeare bt, wie auch der
Terf. zu bemerken nicht unterlassen hat (p. 149^152),
Jahrb. f. wuienich. Kritik. J. 1840. I. Bd.
gleichweit davon entfernt, abstrakte, zu Gattungsbegrif-
fen ausgehöhlte Gestalten, wie davon, bis in die Zufäl-
ligkeiten eines bedeutungslosen Details ausgearbeitete
Figuren auftreten zu lassen. Ueberall ist die volle Ge-
drungenheit ficht menschlicher Persönlichkeiten, die in
jedem Momente ihr individuelles Leben bekunden und
doch zugleich ein in sich Allgemeines ausstrahlen«
Wir verweilen nicht bei der von dem Yerf., nach
manchem glücklichen Yorhergang, abgewiesenen. Yor-
stellung, als sei Shakespeare nur ein regelloses blind-
laufendes Genie gewesen (p. 152 u. s. w). Indem ihm
mit Recht die höchste Herrschaft über seinen Stoflf vin*
dicirt wird, tritt er uns als der besonnene Werkmeister
entgegen, der, wie sehr er auch von den Wogen der
Begeisterung getragen vfird, doch auch zugleich^ immer
der über den Wassern schwebende Geist bleibt. Al-
les, was der Hr. Yerf. hierüber, wie über die Erfin-
düng bemerkt, stimmt so sehr mit unsern Anschauungen
überein, dals whr nur auf seine Darstellung verweisen.
Indessen gewinnen Erfindung, Komposition^ Charakte-
ristik und Sprache erst ihre volle Bedeutung und Ab-
gieschlossenheit in der poeiisehen Weltansehauung.
Der Yerf. bezeichnet sie zunächst p. 159 u. s. f. als
eine christliche und hebt ihren Untecsehied yon der
antiken sehr gut hervor; indem er das Wesen der er-
steren als das Ineinanderweben der göttlichen Gerech-
tigkeit und Liebe einerseits, und der menschlichen
Selbstthfitigkeit in ihrer objektiven und subjektiven Frei«
heit andererseits, bezMchnet.
In der näheren Erörterung dieser Weltanschauung
Shakespeare's hat der Hr. Yerf. besonders von den
Entwickelungen ^olgers seinen Ausgangspunkt genom-
men, obgleich er desselben dabei nicht besonders ge-
denkt. Die tragische und komische Weltanschauung
sind Hm. Dr. Ulriei — und darin stimmen wir ganz
bei — nur verschiedene Seiten einer und derselben
christliehen Weltanschauung. Demnach stellt sich ihm
2
II
Ülriei, über Shaketpeorc*» dratnatiscAe Kunst.
12
■
die Tragödie Shakespeare*« dar ),aU das unmittelbare
Walten der göttlichen Gerechtigkeit und der sittlichen
Nothwcndigkeit. Das Tragische liegt bei ihiti stets in
dem Leiden und Untergange des menschlich Grofsen,
Edlen, Schönen, sobald es der menschlichen Schwäche
und Yerkehrtheit verfällt, der blos weltlichen Seite sich
hinglitt, im irdischen Dosein allein seine Befriedigung
und Erfüllung sucht und also, von diesem beherrscht,
wider seine wahre objektive Freiheit handelt und der
sittlichen NotKwendigkeit Hohn spricht." Wir können
tuis mit diesem Gedanken^ nur theilweise einverstanden
erklären. Per Yerf. sieht das Tragische im Leiden
und Untergange xles menschlicli Groben, sobald es der
menschlichen Schwäche, der sittlichen Yerkehrtheit ver*
fällt. Demnach läge die Trauer über den Untergang
der tragischen Helden darin, dafs diese hochbegabten,
thatkräftigen Naturen sich einen ihrer unwürdigen Zweck
gesetzt, ihrem Pathos einen unsittlichen Spielraum ge*
stattet liätten und für einen unberechtigten Inhalt in
die Schranken getreten wären. Hier wäre die Trauer
bei ihrem Leiden und Falle eigentlich ohne Yersöh-
uung, indem uns nur die schmerzliche Empfindung bliebe,
dafs grade die hochbegabtesten und gehaltreichsten Na-
turen sich zu menschlicher Yerkehrtheit verirrt und das
Ziel ihres Lebens verfehlt hätten* Die Yersöhnung läge
dann nur in dem sie ereilenden Geschick, durch welches
die diesen Mifsbrauch so herrlicher Gaben strafende
göttliche Gerechtigkeit die Yerkehrung derselben zu
vergänglichen Zwecken rächt. „/4r irdücAet Da*
sein findet den Untergmng^ weil sie das Fergängli--
che selbst woliten^^ Der Hr. Yerf. ist hier, indem er
in dem Negativen, oder der Schuld des Helden ' nicht
zugleich das Positive,* oder ihr Recht herausgehoben
hat, in einer Halbheit der Erkenntnifs befangen geblie-
ben, die sich auch bei der Auffassung mancher Schöpfun-
gen des Dichters rächen mufste. Nicht durch die sitt-
liche Yerkehrtheit, nicht weil- das menschlich Grofse
und Edle sich an das Yergängliche gekettet und dies
gewollt' hat, gehn die tragischen Figuren zu Grunde,
sondern weil ihr an und für sich auch noch so berech-
tigtes Pathos, da es ausschliefsend den ganzen vollen
Menschen beherrscht und gleichsam absorbirt, gegen
die Totalität der Momente, welche alle zu ihrem Rechte
kommen sollen, einseitig und beschränkt ist. Die gött-
liche Gerechtigkeit hebt also im Grunde nur diese
Schranke auf, und dw Untergang ist nothwendig, weil
das Individuum, einer Energie hingegeben, diese für
die Welt, und das sittliche Universum selbst genommni
hat und daher die -Berechtigung auch anderer Energien
an sich selbst erfahren knub. In allem PatiMS liegt,
so zu sagen, bewufstlos der Hochmutb, allein sieh im
Rechte zu glauben. Indem sich derselbe praktisch
macht, rächen sich an ihm diejenigen Mächte, die er
verkannt und verletzt hat. So »bringt die Tragödie im-
mer das Universum auf einem Punkte, und von einem
Standpunkte aus isur Ersclieinung. Wir können uns
also dem Helden mit der vollen Liebe zuwenden, wel-
che sein von ihm verfochtenes Recht fordert, und wir
erheben uns schon, indem wir ihn sein ganzes Denken
und Wollen in die Wagschaale werfen sehn, die er
herniederzwingen will. Nicht also die menschliche
Schwäche und Yerkehrtheit, nicht die Hingebung an
das Irdische und Yergängliche führt den Untergang
herbei, sondern die Energie, welche ihr Herzblut für
einen Inhalt versprützt, der zwar in sich selbst berech-
tigf, aber doch nicht das Ganze ist Wer sich aber
einer substanziellen Macht hingibt und keinen Sinn,
kein Organ mehr fitr die andern Mächte des Lebens
behält, den erschöpft eben dieser einseitige Inhalt voll-
ständig. Dies ist sein Tod. In dieser Einseitigkeit,
die aber deshalb noch nicht ein Wollen des Yergäng-
lichen ist, liegt die Stärke wie die Schwäche des Hel-
den. Das Maafs der von ihm entwickelten heroischen
Kraft; durch welche er uns fesselt und in seinen Zau-
berkreis hineinbannt, steht gleichsam mit seiner theore^
tischen Yernunft in umgekehrtem Yerhältiflsse. Je eon-
cretirter sein Wollen und Handeln, desto gewaltiger
reagirt die von ihm verhöhnte Macht gegen iiin. Das
Resultat aber ist die wirklich gewordene guttliche Yer-
nunft, die jede besondere Seite zum Restehn, wie zum
Fall hat kommen lassen,. und darin das Recht, wie das
Unrecht aller Lebenselemente von einem bestimmten
Standpunkte aus geoffenbart hat. Daher erheben Wir
uns auch sogleich, indem wir die Kämpfer in ihren»
gesättigten Pathos erscheinen sehn, weil es des Men-
schen Hoheit und göttliche Abkunft bekundet, Ernst zu
machen mit seiner vollen Hingebung an ein Recht und
an eine Idee, die uns ganz ausfüllt. Darin ist der
Mensch auch an sich schon mit dem absoluten Redite
zusammengeschlossen, darin die sittliehe Nothwcndig-
keit bereits enthalten. Der Procefs der Tragödie bringt
dieselbe nur zur voUeH Entwickelung, worin allen be-
13
ü/rieiy Hier SAaJbetpeere's tbvmatiteh» Kunst.
U
sondern Aechten ihr hoohates Rächt zu Theil wird, al«
ein Moment eingeordnet tu werden in die gutüiclie Ter«
nunft, die dadarch erst als die allgegenwärtige Seele
etseheint.
Die Auffiissung des Terf. bat naturlieh nicht ohne
Wirkung auf die Darstellung des Besonderen bleiben
kditnen. .Wir heben dies gegen den Hrn. Yerf. so eben
Ausgeführte an' einem bosondem Beispiele noch, her-
vor. Der Yerf» siebt, in Uebereinstimmung mit seiner
Theorie des Tragischen, den Untergang Romeo9 unxl
Julians gleichsam als Folge des Mi/tbraucAt der gött*
liehen Gaben der Liebe an p. 187 u. s. f. „Grade dies
Höchste und Herrlichste der Liebe, heifst es, bo lange
es l>ehaftet ist mit dem Endlichen, der Begierde und
Leidenschaft, wird unmittelbar selbst zur fatalistisch
Fernichtenden Macht, die ihren Triumph in Tod und
Untergang feiert. Grade weil sie, ihrer wahren We-
senheit nach, göttlicher Abkunft ist, ergreift sie den
Menschen, der die göttliche Gabe mifsbrancht und in
den Abgrund der SelbstFergessenheit versinkend , die
ganze Kraft des gottlichen Geschenkes an sein irdi^
0ches Dasein verschwendet, mit dämonischer, un^-
derstehlieher Gewalt."
Romeo und Julie gehn aber wahrlich nicht zu
Grunde, weil ihre Liebe den Charakter ausschliefsUcber
und unbedingter Leidenschaft trägt ; dies ist keine Ver-
kehrung der göttirchen Liebe, kein Mifsbrauch der gött*
liehen Gabe. Es ist vielmehr das heilige, unveräufser-
liehe Recht jener Individuen, diese absolute Wahlver-
wandtschuft der Persönlichkeiten zu behaupten und
gegen alle Gefahren und Hemmungen siegreich zu be-
währen. Dafs beide Individuen Ernst mafchen mit dem
erhabenen Eigensinn, nur mit einander leben zu woU
len, weil die Natur sie für einander bestimmte, ist ihr
B^pht; hierin sind sie weder der göttlichen Yemunft,
noch der sittlichen Nothwendigkeit gegenixbergetreten.
Wir folgen darum angstvoll allen Krümmungen ihres Ge-
schicks, weil'diese Leidenschaft so gearteter Gestalten
eine berechtigte ist« Diese Innerlichkeit macht aber
solchen Ernst mit ihrem Rechte, dafs sie denselben
durch den Tod besiegelt. Per Tod ist einerseits nur
die Offenbarung der über den ganzen Umfang irdischer
Gewalten triumphirenden Liebe, welche sich grade da-
durch von allen irdischen Sclilacken reinigt. — Es
möchte sich die Schranke in des Yerfs. Theorie der
Tragödie nirgends greller herausstellen, als hier, wa sie
ihn bis zu einer so völligen Verkennung des Substan**
ziellen dieser Leidenschaft hinreifst, dab er ausruft
p. 188: „Beide sind hohe, reichbegabte, edle Naturen,
aber sie verwandeln . das Schönste und Herrlichste selbst
in^Yerderben und Unheil, 9ie schänden ihre eignen
Gäbeny weil eie eich eelbet gegeneeitig »um Abgott
ihres Daseins machen und Janatisch diesem Götzen-
dienste opfem^^ Das Uogenögende in de^ Yerfs. theo-
retischer Auffassung^ hat sich bei Romeo und Julie
durch eine fast prosaische Betrachtungsweise, und eine
gewisse Kanzelweisheit in Betreff dieser heiligen Lei«>
denschaft gerächt. Wer das ^ Univwsum in einem ge«
liebten wahlverwandten Wesen anschaut und aus die*
sem sich völlig zurüokempfängt , — wer 'Alles daran
setzt, das einzige Gut zu besitzen, welches für ihn ei-
nen absoluten Werth hat und das wahrlich kein blofses
Phantom ist, der sündigt nicht, wenn er nicht, mit zah-.
mer Geduld den Werkeltagsgang abwartest, und hiebt
mit nüchterner Selbstbeherrschung auf den vollen Be-
sitz, auf die volle Sättigung der Leidenschaft verzich-
tet. So gehn die göttliche Yernunft und die Poesie
nicht auseinander; was sie docbmüfsten, wenn in jener
leidenschaftlichen, rücksichtlosesten Hingebung, der WahU
verwandten Wesen der^ Mifsbrauch der göttlichen
Gabe läge^ — weiin dies ihre Sünde, ihre YerCehrt«
heit wäre. Nein, diese Gestalten sind von Hause aus
schon in eine Welt gestellt, in der £eser Laut der
Liebe ein schneidender Mifston und Widerspruch ist
mit allen Yerhältnissen, denen sie angehören. Dadurch
ist schon ihr Erscheinen tragisch ; dadurch erschültert
das Werden dieser Leidenschaft so gewallig, weil es
sich sogleich als eine ti'agische Kollision mit ihrer
Welt ankündigt, der sie als Opfer fallen müssen. Die-
sem so zerrissenen und zerrütteten Zustande anzugehö-'
ren, ist ihre jlte^ durch welche sie, gleichsam schon
von Hause aus, als dem Untergange Geweihte ersehei-
nen. Nun treibt die inmitten des Hasses aufgespros-
sene Leidenschaft der Liebe, eben weil sie aussehliefs-L.
lich ist, zur Yerletzung des sittlichen Kreises, dem die
Liebenden auch angehören, und der ebenfalls sein Recht
hat, nSmlich des Kreises der Familie; eine Yerletzung,
die nothwendlg zurückschlägt und den Untergang der
Liebenden herbeiführt. Im Tode derselben aber wer-
den diejenigen recht eigentlich ergriffen,, welche sich in
Hafs zerfleischt haben; durch Zerstörung des ihnen.
Theuersten hülsen, sie ihre Schuld. Für Romeo und
i:v
Viriciy H6er Shakespeare'* dramatieche Kunst»
16
Julie ist der Tod vielmehr YerkläruDg alt Enthüllung
ihrer Schuld; für die eich zerstörenden Familien erfüllt
•ich daran aher der Fluch ihres Hasses. Erst durch
diese Opfer gemahnt, kehren sie in sich ein und süh-
nen die Schuld früherer Geschlechter und ihre eigene.
Die erwähnte aus der Theorie desVerfs. entsprun-
gene Auffassung der Leidensehaft Romeos und Juliens^
als eines Mifsbrauchs der gölilichen Natur der Liebe,
hat noch ein anderes Mifsverstanddifs nach sich gezo-
gen. Der Yerf. sieht nämlich Romeo nur M einen,
von Anfang an, ron einer hohem durchaus dämoni-
schen Gewalt ganz willkührlich gelenkten Mann an,
und betrachtet seine Schwärmerei für Rosalinden als
einen Zug, der dazu diene, „düee IVillkühr klar und
eckarf hervorzuheben.^ Der Verf. scheint uns dies
Terhältnifs ganz falsch zu deuten. In Romeo ist der
Genius der Liebe mächtig; die Leidenschaft der Liebe
ist der Pulsschlag seines Daseins; in ihr empfindet er
die Aufgabe seines Lebens; zu ihrer Verwirklichung
stehn gleichsam alle seine Kräfte In Blütbe. Ehe er
das Ziel seines Lebens in der Leidenschaft zu Julien
gefunden, hat er sich in sehnsuchtsvolles Verlangen zu
Rosalinden verirrt. Sein Verhältnifs zu Ihr beruht auf
einem VTaline; die Hingebung an sie hfit den Schein
wirklicher Leidenschaft, ist aber im Grunde nichts an-
ders als der erste Ausdruck, das erste Zeichen eines
Gemüths, das in der Unendlichkeit der Liebe die Wur-
zel seines Wesens hat. Da aber in der That dieses
Verhältnifs nur auf. einem Wahne beruht, und nichts
von dem Charakter jener heiligen, den ganzen Men-
schen durchlodemden und verklärenden Leidenschaft
an sich trägt, ^o müssen auch die Wirkungen diesem
Zuge entsprechen. Wir sehn daher Romeo träumerisch,
lebensmüde, unkräftig; und, da die wirkliche Poesie des
Lebens ihm noch nicht aufgegangen ist, spricht er seine
Stimmung in künstlichen und frostigen Antithesen aus.
Sobald der Anblick Juliens für sein ganzes Leben ent-
schieden, -* sobald er nun die volle Bahn für seine Lie-
besmacht gefunden hat, da tritt auch eine totale Um-
wandlung des ganzen Menschen ein. Der hinbrütende,
krankhafte Romeo verschwindet und der frische, begei-
sterungsvolle, über den ganzen Umfang seiner Kräfte
gebietende Jüngling, steht vor uns; aus dem Schönred-'
ner ist ein Dichter geworden, dem sich die ganse
Schöpfung verklärt hat. So erscheint also Rosalinde
nur wie eine Vorschule Zu Julien, wie ein erster mifs-
glückter Versucli, die Aufgabe seines Lebens in dem
ihm von der Natur zugewiesenen Kreise zu lösen;
kurz das ganze Verhältnifs ist eine wesentliche Folie
für die ächte, gottliche Leidenschaft beidet Liebenden»
Wir müfsten unsere Beurtheilung selbst zu einem
Buche erweitem, wenn wir dem Verf. in der Auffas-
sung der einzelnen Tragödien naehgehn und dabei die-
jenigen Punkte herausheben wollten, wo seine Grund*
anschauung derselben ihn zu einer irrthümlichen, oder
einseitigen Deutung verführt hat« Wir verweisen in
dieser Rücksicht nur noch auf Othello^ p. 197 u. s. f.,
wo der Hr. Verf. die Ehre als das Pathos des Helden
bezeichnet, und sie als die nothwendige Bedingung der
männlichen Thätigkeit begreift, welche hier von ihrem
sittlidhen Boden losgerissen, nur in Beziehung auf das
endliche und Irdische Dasein gefafst werde. ,>Wie Ro-
meo, so milsbraucht auch Othello die göttlichen Gaben,
indem er, sich selbst vergessend, sie und sich nur sei-
nem weltlichen Dasein widmet." Dem Othello gebricht,
nach dem Verf., der nothwendige Ualtpunkt, welchen
die wahre Ehre gewährt, da die Ehre von ihm nur
als Haltpunkt für dieses irdische Dasein, nicht als
Moment des ewigen Lebens gefafst wird. Auch hier
wiederholt sich der Irrthum, in dem tragischen Pathos
und in der Schuld, welche durch dasselbe herbeigeführt
wird, nur die Schuld zu sehn; denn indem sich das
Unendliche nur zu einem Irdischen, Vergänglichen ver-
kehrt, hat es eben dadurch die Natur des Rechts ein-
gebüfst; es ist eine Verzerrung des ursprünglich Heili-
gen und Wesenhaften geworden. Aber jenes Pathos
offenbart in seiner Erscheinung selbst auch ein Recht,
d. h. das Sübstanzielle ist auch in ihm erhalten. Weil
aber dies Sübstanzielle als Leidenschaft, alles Andere
um und neben sich verkennend, auftritt, führt es zu
einer Verletzung. Deshalb ist es aber nichts desto we-
niger noch immer Moment des ewigen Lebens und
nicht zu einem nur Irdischen und Vergängfichen umge-
schlagen. Die Tragödie selbst weist es vielmehr als
Moment auf, d. h. sie ordnet es der Totalität ein.
(Die Fortsetzung folgt.)
^3.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche
Kritik.
Januar 1840.
Ueber Shakespeares dramatische Kunst und sein
Verhältnifs zu Calderon und Ooethe. Von
Dr. Herrmann UJrici.
(Fortsetzang.)
Wollen wir uns noch, — wie wir es doch wohl
dem vorliegenden Werke und der Wichtigkeit des Ge-
genstandes schuldig sind, — zu^n Begriff der komischen
W^eltanscbauung wenden, so müssen wir hier die Ent-
wickelung der Shakespeare'sehen Tragödien mit der
Tersicherung abbrechen, dafs uns namentlich in der
Darstellung des Organismus derselben philosophische
Tiefe und dichterischer Sinn überall entgegen leuchten;
dals wir in den Grundanschauungen, besonders aber in
der Gliederung der Tragödien und in der Gruppirung
der dramatischen Figuren unsere innerste UeberzeugUDg
gröfstentheils bestätigt und höchst sinnvoll ausgespro-
chen finden. Bei einem so reichen Genius wie Shake-
speare weirden sich natürlich in jeder, auf wirklicher
Kunstanschauung gegründeten Darstellung Abweichun-
gen von anderen Auffassungen finden, die deslialb aber
nicht als Yerneinungen , sondern vielmehr als Ergän-
zungen zu betrachten sind, durch welche sich das Yer-
ständnifs nur immer mehr abrundet Eine wirkliche
Durchführung aller unserer abweichenden Ansichten
würde ein an Umfang nicht geringeres Werk als des
Hrn. Dr. Ulrici bedüigen, und würde mehr eine mit
der seinigen parallellaufende eigenthümliche und ergän-
zende Darstellung, als eine eigentliche Kritik sein. Bei
Werken, wie das vorlieg-ende, liegt ja auch das Ver-
dienst und die Bedeutung gar nicht sowoht in dem, was
wir als haare Münze und als eine fertige Wahrheit ein-
iltreichen können, sondern in dem Geistesschwunge,
dem Standpunkte und der idealen Bildung, welche es
erzeugt haben und daraus wieder befruchtend wirken.
Das Wesen der kamischen fVeltanschauung^hbk^'
speare*s begreift der Hr. Yerf. also: p. 163 u. s. f. „In
der Komödie thut sich uns eine Welt der Yerkehrtheit,
Jahrb. f, wu$tn9ch. Kritik. J. 1840. 1. Bd.
der Schwäche und Unsittlichkeit aller Art auf, deren
Wurzel die Willkühr ist. Es erscheint also vor unseni
Augen eine Welt voll Widersprüche und Ungereimt«
heiten, eine plan- und aswecklose Welt Eine solche
Welt kann sich nicht behaupten ; sie mufs in sich selbst
zusammenfallen. Indem Zufall und Willkühr, Schwä-
che und Yerkehrtheit, Irrthum und Thorheit sich selbst
gegenseitig aufheben, so dafs zuletzt doch das Gute
und Yemünfüge geschieht und als das wahrhaft Be«>
ständige sich erweist, so \aX damit die komische Welt-
anschauung im Sinne der christlichen Kunst gegeben."
Im weitem Yerlauf bezeichnet demnach der Yerf. das
Komische der Kunst als die Dialektik der Ironie, die
nicht nur das menschliche Leben einseitig als eine Welt
der Widersprüche und Uiigereimtheiten auffafst, son-
dern auch die Einseitigkeit der Auffassung selbst ver-
bessert, indem sie Zufall und Willkühr in allen ihren
Formen und damit die von ihnen beherrschte und ge-
bildete Welt sich selbst auflösen läfst und in ihr Ge-
gentheil verkehrt. Darin erblickt er zugleich jene tiber
die Darstellung ergossene Heiterkeit, deren Gefühl uns
ergreift, indem wir unsere ganze menschliche Schwäche
und Yerkehrtheit in der dargestellten Welt wiederfinden,
aus der aber doch überall die göttliche Liebe hervor-
bricht, welche alle Yerirrungen des Üerzenrs und Yer-
Standes und alle Zufälle sich gegenseitig durch sich selbst
vereiteln läfst.
So weit gehn wir mit dem Yerf. Hand in Hand.
Auch wir erkennen die Natur der Shakespeareschen
Komödie zunächst in dieser Yernichtung des Scheins,
des Wesenlosen, welches sich in der ihm entsprechen-,
den Form buntester Willkühr vor uns aufthut, aus der
aber doch das Gesetz auftaucht und sich als das dieser
Welt eigentlich Immanente hervorbringt. Alle Koma-
dien dieser Gattung, welche Shakespeare eigentlich erst
geschaffen und in der sich aufser ihm fast kein Dich-
ter weiter versucht hat, sind gewissermafsen nur.veri>
3
19
Ulriciy über Shake%feor^9 dramatUehe KutuU
20
tchiedeiie Erscheinungsweisen der einen Chrundanschan-
nng, welche in den Namen zweier Shakespeareschen
Lustspiele selbst höchst symbolbch ausgedrückt ist:
WoM ihr wotttj und fVie es euch gefallt. Diese Ti-
tel sind gleichsam die symbolische Abbreviatur für diese
gesammte Gattung. Die heitere Lust der Willkühr,
das bunte Leben des Zufalls, das scheinbar gesetzlose
Dasehi, welches sich ohne je den Erfolg zu berechnen,
ohne je sich einen äufsern Zweck zu setzen, in unge-
störter Sorglosigkeit forttreibt» sind, wie das allen die*
9e\k Schöpfungen nothwendig innewohnende Element
des Phantastischen , die Gjrundzüge der meisten Shake-
speareschen Komödien. Ja der Name enthält, weil er
nur die eine Seite, die der bunten WUlkühr und Zu-
fälligkeit ausdrückt, die Ironie ih sich selber; denn die
Komödie zeigt uns vielmehr die Umkehrung des Was
ihr wollt, und Wie es euch gefällt; indem sie die Will^
kühr aufliebt und die zufällige Lust in Ernst verwandelt.
Aber der Verf. mischt in diese, noch durch man-
che höchst geistreiche Bemerkung (wie z. B. über den
innern Zusammenhang des Phantastischen mit dieser Gat-
tung der Komödie p. 171 u. s. f.) werthvolle Darstel-
lung einen Zug, der uns wie ein Fremdling in dieser
Welt erscheint, und, — betrachtet man ihn genauer —
eigentlich sich wie ein Spiefsbürger in die Region von
Feen und JBlfen eingeschlichen hat. Wir meinen damit
die auch schon der Auffassung der Tragödie nicht ganz
fremde Einmischung des sogenannten moralischen Stand-
punkts, wonach in dem phantastischen Lustspiel die
Individuen am Schlufs als geheuert erscheinen sollen,
und diese Komödie auch noch eine moralische Korrek-
tion derselben zu bewirken hat „Man wird**, heifst es
p. 169, „in allen .Shakespeareschen Komödien finden,
dafs die handelnden Personen durch die komische Pa-
ralyse ihres verkehrten WoUens und Thuns zugleich
gebessert werden.'' Dies macht vielmehr den absolu-
ten Unterschied der phantastischen Komödie von dem
sogenannten Intriguenlustspiel aus, wie es zunächst in
der neuen Komödie der Grieclien erschienen, dann von
den Römern aufgenommen, und mit völliger Selbststän-
digkeit und nationalem Gepräge von den Franzosen,
besonders durch Möllere, wiedergeboren worden ist.
Hier wird allerdings eine verkehrte Richtung des Indi-
viduums, eine Schwäche oder ein Aberwitz, der sich
selbst bis zur Verletzung substanzieHer Verhältnisse stei-
gern kann, durch den Verlauf der Komödie vernichtet
und am Individuum ab||earbeitet; Da erfShrt das Indi-
viduum, indem es aus allen Schanzen seiner Verkehrt-
heit hinausgetrieben wird, das Grundlose, Nichtige sei*
ner Richtung, indem es, wo möglich, durch seine eige-
nen Waffen bekämpft und zum Bekenntnifii seiner
Ohnmacht gendthigt wird. In dieser Gattung gehn die
Individuen, an denen der Dichter eine solche Einseitig-
keit und Verkehrtheit offenbaren wollte, gerrinigt und
gebessert aus der Komödie hervor, welche daher imm^r
einen Sieg der Idee enthüllt Das vollendetste Meister»
werk dieser durch Spanier und Franzosen so reich an-
gebauten Gattung erkennen wir in Donna Diana von
Moreto, wo der Dichter, vermittelst der bewunderungs-
würdigsten Komposition, die verkehrte Richtung der
Heldin, ihren, gegen die ewigen Naturgesetze behaup-
teten und daher in sich selbst unhaltbaren Stolz, der
in der Liebe eine, eines freien weiblichen Geistes un-
würdige Knechtschaft erblickt, durch ihre eigenen War-
fen vernichtet, und indem er sich ganz in den Umicreis
der vermeinten Stärke der Heldin stellt, sie endlich, die
durch alle Stufen der Peinigung hindurchgeführte, zum
Bekenntnifs ihres ohnn^ächtigen VVoUens nöthigt Hie-
her gehört ferner Lessings Minna von Bamhelm und
unter den Shakespeareschen Lustspielen vorzug^weiM
die gezähmte böse Sieben.
Von dieser Gattung gilt also allerdings, dais die
Individuen wirklich aus den^ Gange der Komödie ge»
läutert und sittlich gebessert hervorgehn. Dies ist aber
bei dem phantastischen Lustspiel, — man vergönne uns
diesen Namen, als eine Abbreviatur für die besprochene
Gattung — , durchaus nicht der Fall. Ja, es würde
das Wesen dieser Kunstgattung selbst zerstören. Der
Zufall und die Willkühr erscheinen, wie Aex Vf. selbst
an einem andern Ort^ sagt, hier als das objeotiuePrin^
dp der Entwickelung, d. h. sie beherrschen scheinbar
diese ganze Welt. In dieser Schöpfung sind eigent-
lich die verkehrten Lebensrichtungen der einzelnen In-
dividuen gar nicht so zu Hause; denn Alles ist von
der Willkühr und Gesetzlosigkeit durchzogen, die grade^
indem sie sich in sich selbst aufhebt und parodirt, dier
innere Gesetzmäfsigkeit ans Licht zieht Die Indivi-
duen sind gleichsam nur die Organe, durch welche un-
bewufst das Vernünftige zu Stande kommt, während sie
in ungetrübter Lust, in harmlosester Heiterkeit verhar-
ren, und der Zerstörung ihrek* nächsten Zwecke auch
ziemlich gelassen entgegen sehn; denn den Abgrund
m
Mter &knkeMffeare^9 dramatUeke Kun9t.
ist
ihrer 8«ale berOhrt üe^ nie. Biese Gestalten , welehe
mehr die ellgtniein mensehliehe Gebreehliehkeit surAn^
eehauung bringen, als sie dieselbe auf den Punkt einer
einsigeu sie ausschlielslieh beherrschenden verkehrten
RicbUing eoncentriren, gehn daher auch eigentlich nicht
in steh, und werden sich auch gar nicht ihrer beson-
dem Unangemessenheit zvl dem, was sie sein sollen,
liewnlftt. Dies brächte vielmehr etwas Moroses in diese
iingehenmite Lust. Der Hr. Verf. wurde auch grofse
Mühe haben, wenn er Ernst machen wollte, die sittli»
che Besserung der komischen Individuen dieser Gat«
tmig der Komödie nachsuweisen ; je phantastischer das
Lustspiel, desto mehr wörde sich ihm die Unhaltbar-
Iccit seiner Ansicht darstellen.
Ref. hat noch einen zweiten Punkt eu berühren,
wobei indessen mehr nur eine Ergänzung des vom Yf.
Gegebenen angedeutet, als eine Opposition gefuhrt wer-
den solL Hr. Dr. Ulrici setzt, wie wir gesehn j das
Wesen der komischen Wehanschauung Shakespeare's
darin, dafs das ganze menschliche Leben durch sie als
eine Welt der Widersprüche und Ungereimtheiten auf-
gefafsf werde, welche sich aber zugleich aufheben und
«o, durch das waltende Princip der göttlichen Liebe auf-
{gelost, sich in ihr Gegentheil verkehren. Ucberall ist es,
nach dem Verf , die göttliche Liebe, welche, durch die
Vernichtung hindurch, vermittelst derselben das mensch-
liche Leben zum wahren Heile zu fuhren sucht. Dies
ist auch unsere Auffassung ; aber wir gehn noch einen
Schritt weiter. Die Verkehrtheiten und Ungereimthei-
ten heben sich nicht nur gegenseitig auf und bilden
dadurch eine göttliche Weltordnung ab, in der das
Hechte auch durch die Thorheit und Willkühr hindurch-
bricht; es ist die Shakespeare*sche Komödie nicht nur
die Dialektik dieser Widerspriiche , sondern sie geht
auch bb 8U der Vernichtung der Parodie selbst fort.
Wenn einerseits die Schwäche der menschlichen Natur
durch ein anderes ihr zur Seite gestelltes Verhältnifs
parodirt wird, so ist zugleich in dem parodirenden Ele-
mente das Wesentliche aufbewahrt ; oder die scheinbare
Auflösung irgend eines Lebensverhältnisses, welches in
seiner Verkehrtheit durch ein anderes, wie seine Kar-
rikatur auftretendes Verhältnifs, vernichtet wird, ent-
hält zugleicli auch noch die Grundzuge unserer höheren
Natur. Diese werden gleichsam noch aus der umge-
kehrten Handschrift herausgelesen. Auf diese Weise
bringen nicht nur die sich gegenseitig aufhebenden Un-
gereimtheiten durch die in dieser Vemiehtung wal-
tende göttliche Liebe die sittliche Weltordnung hervor,
sondern in der Parodie selbst ist auch schon, so zu sa«
gen^ ihre eigene Vcrpichtung enthalten, da aus ihr
zugleich auch der Ernst hervorleuchtet, indem sie auch
eine substanzielle Seite imserer menschlichen Natur auf-
bewahrt bat. Dadurch parodirt sich gleichsam die Pa*
rodie selbst und stellt das Wesentliche und Wahrhafte
unserer göttlichen Natur auch wieder' her. Das vor*
spottete, verkehrte Ideale scheint mithin in dieser Ver-
kehrung selbst noch in seiner substanziellen Bedeutung,
in seinem absoluten Werthe hindurch. Die gottliche
Liebe, welche der Verf. als das Agens in der Shake-
speare'schen Komödie amsieht, ist daher nicht nur da-
durch der thätige Werkmeister, dafs sie sich in der
Lust 'der Vernichtung geniefst und vermittelst derselben
das Wahre in uns i^ufbaut, sondern dafs sie zugleich
in der Abirrung selbst, in der Verkehrtheit und Thor-
heit ' auch noch die Grundzuge- unserer göttlichen d. h.
durch die ewige Liebe uns zugetheiltcn Natur hindurch«
scheinen läfst, und so auch die Thorheit, Verkehrtheit
und Albernheit gleichsam dadurch aufhebt, dafs wir inne
werden, wie in atler dieser Nichtigkeit auch das Posi-
tive enthalten, auch in dieser Verkehrtheit noch ein
wesentliches Element aufbewahrt ist Darin liegt die
unendliche Lust und die Heiterkeit des Gemuths, wie
zugleich auch das. Ruhrende, dafs wir in aller Thor-
heit, in aller Lächerlichkeit doch eine über das Endli-
che weit hinausgehende Macht erblicken, durch welche
auch das scheinbar Sinnlose mit dem Vernünftigen ver-
knöpft ist. In diesem §inne erfahren wir auch in der
Shakespeare'schen Komiidie diese heilsame DemQthi-
gung, selbst in dem von uns vornehm nur für Thorheit
und Aberwitz Ausgegebenem doch eine Verwandtschaft
mit unserer idealen Natur erblicken zu müssen.. Des-
halb bleibt jedoch nichts desto weniger auch die Shake-
speare'sche Komödie die Auflösung der Ungereimtheiten '
und Widerspröcfie , wie sie der Hr. Verf. dargestellt
und in den einzelnen Werken nachgewiesen hat.
Zum nähern Verstandnifs unserer Anschauung wol»
len wir noch dieselbe an einer bestimmten Komödie
Shakespeare's mit Wenigem andeuten ; wobei sieh denn
auch, der Unterschied und die Erweiterung unserer
Auffassung gegen die des Verfs. herausstellen wird.
Wir wählen den Sommernachtstrown. Der Verf. be-
zeichnet ihn als eine phantastische Schöpfung, der man,
23
Vlriciy über SAaketpeare'*» dramatüehe Kun^t.
24
' nach dem ersten Eindrucke« allen tiefem Sinn abspre-
chen möchte. Mit Riecht erkennt aber derselbe die
komische Weltanschauung als die Ader dieser wunder*
baren Kom5die an. ,,Sie spricht sich i^ier ohne allen
He\A aufs deutlichste und prägnanteste aus, sofern nicht
nur im Einzelnen die tollsten Neckereien des Zufalls,
, wie menschliche' Willknhr, Narrheit und Verkehrtheit
sieh gegenseitig aufheben, sondern auch die aligemei-
nen Hauptrichtungen und Hauptgebiete des menschli-
t^hen Lebens in heiterer Ironie sich gegenseitig parodi-
r-en und paraljsiren.** Der Hr. Verf. weist dies in den
einzelnen Kreisen nach. Hier beginnt nun ^nser Dif-
ferenzpunkt, den wir im Obigen anzudeuten versucht
haben. Der Verf. erblickt nämlich in der Paralyse,
oder in den parodirenden Elementen nur die Parodie,
nicht aber auch zugleich die Aufhebung derselben, in-
dem, wie >¥ir uns ausdruckten, auch selbst in dem pa-
rodirenden Elemente das ideale Moment noch aufbe-
wahrt ist, und nur aus der umgekehrten Handschrift
Aber wir dGrfen in diesen Naturen nicht nur dto pro-
saische Gemeinheit« erblteken. Selbst in der rohen
Weise, in de>r sie die Poesie hanidhaben, in der plum*
peh Darstellung ihres Gegenstandes, durch welche der-
selbe freilich sogleich in die niedrigste Sphäre herab-
gezogen wird, erblicken wir dennoch die wesentlichen
Zuge unserer idealen Natur« Denn es ist eine und die-
selbe Macht der Phantasie, welche diese täppischen Ga-
sellen aus der drückenden Enge des Werkeltagslebens,
aus der mühseligen Arbeit, die ihnen das tägliche Brod
erwirbt, hinaustreibt in eine Region, wo sie sich von
der Noth des gemeinen Lebens entlastet fühlen. Es
kommt zwar diese Sehnsucht nach einer andern, ober
das endlichste und gemeinste Bedürfnifs erhabenen Be-
friedigung in roher und plumper Gestalt zur Erschei-
nung; aber nichts destoweniger ist doch das Treibende
auch in dieser verzerrten Form^ in dieser Mifshandlung,
welche die Poesie unter den Händen dieser Handwer-
ker erfährt, immer der ideale nach einem Genufs in dem
gelesen werden mufs. ISirgends tritt dies greller her- .Reiche der Phantasie lechzende Sinn. Dieser Trieb ist
vor, als in der dem idealen Theile unserer Komödie
parallellaufenden Darstellung der rohen täppischen Ge-
sellen, von deren groben und ungeschickten Händen
das zarte Saitenspiel der Poesie gar erbärmlich geband-
habt wird, ja welche überhaupt wie die ärgste Ironie
auf das luftige Elfenreich und die idealen Gestalten
der Komödie erscheinen. Diese Rollen erfüllen sie aller-
dings auch vollständig. Der Verf. sagt p. 29. ,Jn der
Bande von Zimmerleuten, Schreinern, Webern, Kessel-
flickern und Schneidern ist im Gegensatz zu jener ho-
hen die niedrigste, gemeinste Region des Lebens, die
volle Prosa der Alltäglichkeit dargestellt. Aber auch
diese, statt in ihrer prosaischen Gemeinheit, in der sie
ihren guten Sinn und ihre Berechtigung hat, zu blei-
ben, schraubt sich vielmehr hinauf in das Gebiet der
tragischen Poesie, und zeigt sich damit nicht nur selbst
in ihrer ganzen Blöfse und Inhaltslosigkeit, parodirt
nicht nur sich selbst, sondern zugleich die. tiefe, tragi-
sche und heroische Seite des Lebens." Dies scheint
uns, nach dem oben von uns Entwickelten, nur einsei-
tig wahr. Allerdings bilden die rohen, täppischen Ge-
sellen einen schneidenden Kontrast sowohl zu der ho-
hen Region des Lebens, wie zu der tragischen Poesie,
die sie auf das grausamste mifshandeln und parodiren.-
die geheime Gewalt, der wahre eigentliche Impuls ihres
ganzen Thuns. So hebt sich die Parodie selOl^t auf,
weil wir selbst in dieser Verkehrtheit noch Züge er-
blicken, die wir als" verwandt mit unserer idealen Na-
tur anerkennen müssen. Darum mischt sich auch In
das Spiel dieser rohen Gesellen, inmitten des Ergötzens
über die plumpe Wahrheit und Unbehülflichkeit, doch
eine gewisse Rührung, weil wir uns den Trieb und die
Sehnsucht nach einer idealen Lust und Heiterkeit hier
nicht verläuguen können, ja weil eigentlich dies Spiel,
welches zunächst nur eine Ironie aCif alle Poesie zu
sein scheint, dodi aus dem tiefsten Abgrunde unserer
übersinnlichen Natur entsprungen ist. Darum wird auch
am Schlufs unserer Komödie ihr Muhen freundlich auf-
genommen, denn auch sie haben das Beste dargebraeht,
was in ihren Kräften stand. So aufgefafst gehören sie
aber unserer Komödie recht innerlich an ; denn sie sind
durch das gemeinsame, alle Gestalten umschlingende
Band der freien luftigen Phantasie mit den übrigen Ele-
menten, die sie parodiren, selbst wieder verknüpft. Wir
haben an diesem Beispiel das an mehreren Komödien
Shakespeare's nachweisbare Moment der sich selbst auf-
hebenden Parodie anzudeuten versucht, nur um das oben
im Allgemeinen Ausgesprochene ganz klar zu machen.
(Der Beschlufs folgt.)
wissen
Jahrbücher
für
s eh ä f 1 1 i che
Kritik
Januar 1840«
lieber Shakespeare's dramatische Kunst und sein
Verhültnifs zu Caldergn und Goethe. Von
Dv* Herrmann Ulrici.
(Sehlufs.)
Der Raum gestattet uns auch leider bei den Ko-
mödien nicht, den Auffassungen der Grundgedanken
nachzügehn, denen wir übrigens gröfstentbeib beistim-
men, und die wir oft höchst geistreich und schlagend
finden. Für den vorzüglichsten Theil des Buchs möch-
ten .vir indessen die Nachweisung des inneren Zusam-
menhanges des Cyclus der historischen Schauspiele
Shakespeare's halten. Der Yerf. behandelt sie mit
Ueclu wie eine grorse, die Weltgeschichte auf diesem
Punkte abspiegelnde Poesie. Wir können aus dieser
gesclüossenen Darstellung Michts Einzelnes herausheben
und drücken nur unsere innigste Freude darüber aus,
däfs wir des Ilrn. Yerfs. Anschauungen hier durchgän-
gig theilen können.. Ja wir. haben namentlich in der
Darstellung der drei Theile Heinrich des sechsten und
Richard des. dritten unsere aus vielfacher Beschäftigung
taiit diesen Werken gewonnenen Resultate bei dem
Hm. Verf. auf eine überraschende Weise ausgespro-
chen und dargelegt gefunden. Uns bleibt hier nichts
als dieTerweisung auf diese Abschnitte des Buches selbst
Eüie nicht geringere Freude ward uns, als wir am
Schlüsse des Abschnitts über Shakespeare, der die an-
gezweifejten Dramen des Dichters umfafst, namentlich
rücksichtlich Eduards III. unsere^ aus dem ersten Ein-
druck uns sogleich gewordene, und bei oft wiederhol-
tem Lesen, imm^r von neuem bestätigte Ueberzeugung^
hier sei uns ein achtes Shakespearo'sphes Stück der
vortrefflichsten Art geboten, so kräftig und eindringlich
- durch den Hrn. Yerf. ausgesprochen fanden. Leider
hat diese aufserordentliche Schöpfung bisjetzt noch nicht
diejenige Aufmerksamkeit erregt, die man bei einem
Werke,' das sich so entschieden als ein Produkt Shake-
speare's ankündigt, wohl unbedingt hätte erwarten dür-
Jahrb, y, winemch, Krilik, /.^1840. I. Bd.
fen. Möchte der Yf. durch seine Auffassung mit dazu
beigetragen haben, das Publikum auf dieses schöpe
historische Drama hinzuführen und die Tbcilnahme da-
für zu vermehlren. . Nicht ganz aber können wir in das
herabsetzende Urtheil einstimmen, das Hr. Dr. Ulrici
über den Londoner verlornen Sohn fällt, den er j$hake-
speare abspricht. Wir halten ihn freilich auch nur mehr
für einen Entwurf, und daher die Situationen und Cha-
raktere in manchen Beziehungen dicht genugsam moti>*
virt; aber derselbe birgt auch zugleich wieder Züge
der tiefsten Art, welche Shakespeare's durchaus wür-
dig sind.. Der R^um verbietet uns freilich diese hier
näher herauszuhebeu, indessen werden wir unsere An-
sicht an einem andern Orte bald ausführlicher rechtfer-
tigep, und es sollte uns eine nicht geringe Genugthuung
seio, auch den Hrn. Yerf. von diesen Meisterzügen zu
überzeugen. Uebrigens haben wi^ dabei Lessings ge-
wichtige Autorität, der das Werk gern auf die Bühne
gebracht wissen wolhe, wie die A. W. Schlegels fü|r
uns. Die Ansichten über die andern, dem Dichter zu-
m
geschriebenen Werke theilen wir dagegen durchgängig
und bekennen, überall einem feinen Takte und eineip
sinnvollen Urlheil begegnet zu sein.
- Der Yerf. hat dieselbe Ausführlichkeit, welche er
Shakespeare angedeihen läfst, nicht auf Calderon er-
streckt. Indessen ist doch dessen Weltanschauung voll-
ständig dargelegt. Der Yerf. geht davon aus, dafs der
katholische Geist nicht nur die religiöse Grundlage,
sondern selbst ein unmittelbar wirksames Lebenselemeat
der Calderonschen Poesie bildet p. 509 u. s. f. Daher
erscheint bei Calderon die Kirche und Religiou, ganjs
dem katholischen Standpunkte gemäfs, als eine durch-
aus objektive äufsere Macht, welche der subjektiven Per-
sönlichkeit gegenübersteht, nicht innerlich aus und mit
ihr wirkt. Diese Macht ist die in der Welt sich offen-
barende Thätigkeit Gottes und seiner Gnade, der gegen-
über der Miensch keine Selbstständigkeit, ja auch eigent-
27
ÜMciy über &hakeip9ar&$ dramaUtehe Kumt.
lieh keioe Freiheit hat Dies ist eine Grundansdiauang
Calderoni, die sich nirgends grandioser abspiegelt ab
in der Andacht zum Kreuz, wo die Rettung nur ak
einlf ättfsere, durch Wunder und Zeichen an den Men-'
vohen gelangende aiiftriU. Es ist nicht tu. läagn«n, dafs
die Wiederkehr dieser Tendenzen eine gewisse Einfor*
migkeit in die spanische Poesie und auch selbst in die
Calderonsche Weltanschauung und ihre Gestaltung hin-
einbringt, die nur durch das eminente Genie Calderons,
seine unerschöpfliche Fnlle der Phantasie, seine immer
frischquellenden dichterischen Anschauungen sich leben«
dig erhält und vor einem starren Mechanismus ge-
schützt wird. Diejenigen Dramen, in denen der Held
durch die Allmacht seines Glaubens, also durch die In-
tensitfit seiner mit der Handlung Sjbibst wachsenden In*
nerlichkeit sich frei über die irdischen Drangsale^ em-
Jvorschwlngt und selbst mit Freudigkeit in den Tod
geht, wie dies so grofsartig im standhaften Prinzen dar-
gestellt ist, sind verhaltnifsmälsig die bei weitem selt-
neren. Aber sie beweisen, wie der Vf. p. 516 sehr gut
bemerkt, wenigstens ^^dafs der Gegensatz zwischen der
göttlichen Leitung der Welt und der menschlichen Selbst-
ständigkeit nach Calderons Anschauung keine absolute ist"
In Rücksicht der sittlichen Principien Calderons
hftit der Hr. Yerf. den richtigen Gedanken fest, dafs
sie, bedingt durch den starren Katliolicismus , wonach
d)e sittliche Qualität des Menschen gegen die immer
wiederkehrende Demuthigung unter die Kirche vSllig
zurücktritt, auch ganz geschieden von der religiösen
Gesinnung des Menschen erscheinen können« Der Yf.
weist dies ausfuhrlicher nach in dem Gesetzbuch der
national spanischen Sittlichkeit, als welches er mit Recht ,
die Begrifft der Ehre bezeichnet, welche zu einem eon«
seqiient durchgeführten, den Einzelnen gleichsam unter
eine abstrakte Macht beugenden System ausgearbeitet
sind. Der Hr. Yerf. führt das daraus hervorgehende
Widerstreben des einzelnen Individuums, dessen Be-
wufstsein selbst bisweilen gegen jenes System ankämpft,
das aber doch dieser kalten Nothwendigkeit sich nicht
2u entwinden vermag, als eine Folge dieser Stellung
der Ehre an, wofür er die gewichtigen Worte aus dem
Maler seiner Schande als schlagenden Belag citirt p. 522.
Aus der ganzen Weltanschauung Calderons ergibt sich,
dafs aus ihr weder eine so reine, in der Tiefe des Her-
zens verarbeitete und aus der Handlung sich hervor-
bringende Yersöhnung, noch eine solche Mannigfaltig-
28
keit und . innere Lejbendigkeh der Individualitfiten, wie
bei Shakespeare, resultiren könne. Die relative Ein»
fSrmigkeit der Calderonschen Poesie gegen Shakespea-
re*« unendlichen Reichthum in der Charakteristik^ wie in
der Kemposilion^ hat ihren letzten Grund in der, durclk
Um spanisch -katholische Weltanschauung bedingten, eltt
fOr allemal fertigen Objektivität aller Mächte des Le«
bens, welche den Individuen gleichsam nur gestatten,
die Gefäfse dieser an und für sich festen, substanziel«-
len Gewalten zu sein« Diese Objektivität erscheint in
der spanischen Poesie, so zu sagen, mehr wie eine
vorausgesetzte, über allen Zweifel erhabene Macht, als
dafs sie sich aus der Handlung und* den Charakteren
von selbst hervorbrächte. Darum kann es auch bei Cal»
,Jeron selbst nicht zu einer solchen Yertiefung der Snb^
jektlvitit, und also auch nicht zu einer solchen FSBe
und Individualisirung der Charaktere kommen, wie bei
Shakespeare, weil dieser ganzen Weltanschauung die
unendliche Freiheit und Spontaneität der Persönlichkeit
nicht aufgegangen Ist. Aus demselben Grunde hat aucb
der Humor^ das Produkt der unendlichen Freiheit des
Gemüths, hier keine Stelle, weil der Mensch unter dem
Drucke der Objektivität gehalten, sich noch nicht die
letzte Yersöhnung in sich selbst erkämpft hat, vermit*
telst w*elcher er mit dem ganzen Umfange des Endli*
chen spielt, und doch zugleich alles Unendliche wieder
auf ein Endliches bezil^ht und dadurch beide Seiten
ununterbrochen miteinander vermittelt. Darum ist na-
türlich atich der Charakter der harmlosen Lust und
jener schrankenlosen Heiterkeit, den die Shakespeare*«
sehen Komödien haben, den Calderonschen Komödien
fremd. Hr. Dr. Ulrici bemerkt sehr gut (p. 535), dal«
man bei Calderon auch das phantastische Lustspiel im
engeren Sinne nicht zu suchen habe, „denn in ihm schaflffc
des Dichters Geist aus seiner Individualität heraus eine,
der Yerkehrtheit der handelnden Personen entspre*
chende, wunderbare, unwirkliche Welt, die ohne den
ächten sie belebenden Humor in das Nichts einer eitlen
Traumerei aufgehn wQrdc. Zu solcher Freiheit der
schöpferischen Phantasie kann sich der an die Begriffe
seiner Zeit Qberall gebundene Geist CaMerons iiieht
erheben*'*
In dem Calderonschen £iustspiel regiert wesentlich
der Zufall ; er erscheint als das den Knoten schSrzende
und lösende Agens,* der die Plane, Zwecke und Lei-
denschaften der Menschen eben so sehr durchkreuzt
29
und VenSobtigt, als
das Heil imd GiSck für die Individuen werden läfst.
Hr. Dr. Ulnd bemerkt daher sinDreich (p. 535), dafs
die mebten Komödien CaI4efona den Titel: die Ver-
Geklungen des Zufalls fuhren könnten. Wir haben
oben in gleichem Sinne in den Namen : Was ihr wollt
und Wie es euch gefallt , den symbolischen Ausdruck
inr die Siiake$peare*schen Komödien gefunden. Ja, diese
Gegeneinanderstellung ist bedeutsamer, als, sie auf den
ersten Augenblick ersehdnt. Sie drückt nfimlieh den
Gegensatz des Zu/ulh und der IViUJküAr aus. Beide
beseiehnen das in sich Upgesetzmäfsige und daher doch
sich selbst Zerstörende. Die Wahrheit des ^Zufalls
aber ist die Nothwendigkeit, die Wahrheit der Will*
kOhr ist die Freiheit. Der Zufall ist die WUlkühr der
ob|ekti?en Welt, also einer dem Menschen äufserlichen
und Ton aulsen an ihn kommenden Macht: die Willkühr
ist die Zußilligkeit des Denkens und Wollens, mithin
ein Produkt des Subjekts. Beide heben sich durch sich
aelbit auf. Den Zufall zerstört, gleichsam als sein ei^
genes Correktiv, der Zufall und p/iralysirt ihn auf diese
W^ebe; so entsteht uns eine Welt innerer Zweckma«*
Mgkeit, worin die einzelnen durch den Zufall hin und
hergeworfenen und durch ihn in ihren Planen durch-
kreuzten Individuen ihr Wohl gesichert erblicken und
ihre wahre Befriedigung finden. Die WiUkiilur zerstört
sich gleichfalls durch sich selbst und hebt sich an der
Zufälligkeit des Denkens und WoUens Anderer auf; so
resultirt eine. Welt der Lust und Freiheit, in der sich
Alle zuletzt in das Reich unendlielier Liebe aufgenom«>
Dien erblicken.. Hi^ wurzelt mitbin Alles in der Sub-
j^tivität; aus ihrer Tiefe schlagt jene Heiterkeit her-
aus, welche in den Shakespeare'schen Komödien so
versöhnend und wohkhuend wirkt. -Also auch in die-
sem Gegensätze des Zufalls und der Willkühr spiegelt
sieh der Gegensatz der dem Subjekt gegenöbertreten^
den Objektivität des spanisch -katlioUsehen Lebens und
der aus der freien Siibjeetivitfit sich herausgestaltenden
Ordnung der protestantischen Welt ab.
Sehr richtig hat iet Hr. Yerf. aus dem Stand-
pmikte Calderons gefolgert^ dals auf diesem Boden kein
eigentlich historisches Drama gedeihen könne» sondern
die dramatische Legende an dessen Stelle trete (p. 538);
^„Die Geschichte, deren Wesen durchauli Entwickelung
ist, widerspricht jener äufserlicheu, fixirten Objektivität
des Katholicismus." Werden historische Stoffe vonCal«
^^ ff '
aus ihrer Negation wieder deren bebandelt, so gestalten sie sich sogleich in spa-
nische Begriffe so um, dafs sie sieh vielmehr als Alle-
gorien spanischer Anschauungen, denn als der wirklich
sich entfallende^ objektive Geist der Geschichte darstel-
len. Die Unterschiede der Shakespeare*scheU und Cal-
deronschen Poesie erstrecken sich natnrlich durch alle
Aeste und Zweige hindurch, und es bildet mn wesent-
liches Yerdienst des Verb., diese Unterschiede, an den
besonderen Momenten, der Komposition, Charakteristik
und Diktion, nachgewiesen und ihre innere Ueberein-
stimmung mit den Grundanschauungen beider Jieraus-
gehoben zu haben p. 544 u.'S. f. >
Der Universalität Shakespeare's, welche alle Zei-
ten und alle Völker umfafst, — die aus ihrem uner-
schöpflichen Born ununterbrochen das allgeilehi Mensch-
liche in den Situationen und Charakteren heraufbe-
schwört, steht die Nationalität Calderons als die feste
Schranke seiner Poesie gegenüber, welche, da me an
der spanisch -katholischen Weltanschauung ihre Grenze
hat, auch nur Yerhältnisso und Charaktere dieser Welt
SU gestalten vermag. Zum ToUen Genüsse an der Poe-
sie Calderons mulsten wir uns gewissermalsen in Spa-
nier des siebsehnten Jahrhunderts metamorphosilren, wäh-
rend die Shakespeare*schcn Schöpfungen uns gleichsam
unserer besonderen Nationalität entbinden^ und die ver-
schiedensten Völker in das gemeinsame Pantheon des
allgemein Menschlichen versammeln, wo sie alle in der
Yerehrung und Anbetung des einen, über aUe nationa«
len Besonderheiten übergreifenden ehristUcheli Gottei
ihre Geistesverwandtschaft feiern.
So schwer es uns wird, so müssen wir doch hier
von dem trefflichen Buche des Hrn. Dr« Ulrici Absehied
nehmen; indem wir uns nur mit Mühe enthalten, ihm
auch in seinen Betrachtungen über Goethe uhd dessen
Verhältniüs zu Shakespeare nachsugehn. Aber hier
würde uns auch die Darstellung des Yerfs. su mannig-
faltigen Ergftnzungen und theilwdiser Gegenrede nöthU
gen, die unsere Beurthoilung weit über alles Maais
aussndehnen drohte. Die Achtung, welche wir dem
Hrn. Verf. durchgängig an den Tag gelegt haben, mag
ihm das beredteste Zeugnils ahlegön ,. wie ungmrn wir
uns diese Selbstbeschränicung auflegen, woldie uns^ den
.Genufs raubt, an der Hand des vorliegenden Buchs
wichtige Lebensfragen in Bezug auf Goethe weiter zu
erörtern. H. Theod. Bötscher.
31
II.
Geschichte der Halbinsel Morea tcährend des
Mittelalters ron Jac. Phil. Fallmerayer,
iönigl. Prof. und ordentlichem Mitgliede der
FMmerayer^ Oesehiohte der Halbinsel Morea. 32
Indefs folgt sein Werk der chronologuehen Ordnung;
der erste Theil führt die Schicksale Griechenlands vom
Akerthume bis auf Wilhelm I. ViUe-Harduin berals
der 2te Theil (von 1250—1500) bis auf die Eroberung
durch die Türken und erwShnt gelegentlich der heuern
Akademie der Wissenschaften in München.^ Ereignisse. Zwischen Erscheinung des ersten (1830)
Ister Bd 1830. 432 S. Vorrede XIV. 2ter
Bd. 1836. 455 8. Vorrede XL Dazu die Ab-
handlung: Welchen Einßufs hatte die Be-
m
Setzung Oriechentands durch die Slaven auf
das ScM^ksal der Stadt Athen und der Land--
Schaft Attika? 1835. 112 S. Stuttgart u. Tü^
hingen^ bei Cotta.
Das hohe Interesse, welches der Aufstand der Grie-
chen gegen die Pforte erregt hat, wurde in Deutsch-
land ohne Zweifel bei einem grofsen Theile des Publi-
kums durch den rahmvoUen Namen des hellenischen
Alterthums geweckt und gefordert, und man kann es
als die, Wirkung der hohen Verehrung vor Idassischer
Bildung ansehen, dafs Hoffnungen der Wiedererstehung
des alten Griechenlandes mit seiner Freiheitsliebe, sei-
nen. Spielen, seiner Kunst und Wissenschaft sich Ter*
nehmen liefsen. Dabei wurde freilich die Veränderung
der Weltverhfiltnissc nicht in Betracht gesogen; über
dem Hilferuf christlich'er Brüder und ihren heldenmäCsi*
gen Anstrengungen vergafs man gern den üblen Ruf
des Volkes und die Erfahrungen, welche man an dem
handelnden Theile desselben gemacht hatte. Nun aber
die Noth des Kampfes überstanden ist, die Wahrheit
nioht melv Föm Mitleid gefesselt wird, hat die Wis-
senschaft angefangen, diese Hoffnungen näher zu be-
leuchten und die Bestandthcile des heuligen griechi-
schen Volkes SU analysiren. Der Hr. Verf. hat sich
das Verdienst erworben, -aus den Steppen der byzanti-
nischen Literatur die Data' herauszusuchen, welche auf
den dunklen Zeitraum ron 2000 Jahren, der die heuti-
gen Griechen Fon den alten Hellenen trennt, einige
Lichtstrahlen werfen. Eine fortlaufende Geschichte des
Volkes in dieser Zeit lag nicht in seinem Plane (1, 349)
und durfte unmöglich sein nicht blofs wegen zufälligen
Mangels an Nachrichten, sondern weil ein Volk ohne
geistige Thätigkeit^aueh keine Geschichte haben kann.
und. zweiten Bandes (1836) unternahm der Hr. Vf. eine
dreijährige • Reise durch die Länder zu beiden Seilen
des ägefschcn Meeres, was sehr geeignet ist, das Ver-
trauen auf die Zuverlafsigkeit seines Urtheils zu Ver-
slehren, und als erste Frucht derselben erschien 1835
eine in der k. bayerschon Akademie der Wissenschaf*
ten gelesene Abhandlung, in welcher die im ersten Bande
aufgestelhen Ansichten über die Entstehung der heuti-
gen Hellenen naher begründet wurden. Mit den 2 Bän-
den der Geschichte und dieser Abhandlung erklärt der
Verf. seine Arbeit für geschlossen, in welcher es zu-
nächst seine Absicht war, den Glauben an ein unge-
mischtes, kunstsinniges Hellenenvolk zu zergliedern und
den sanguinischen Hoffnungen der Hellenenfreunde (er
bezeichnet 2, 30i in der Anmerkung mit Namen, wen
er meint) -entgegenzutreten. Refer., welcher als jünge-
rer Beobachter zu diesem Streite, bei dem Alle gelernt
haben, hinzutritt, macht es sich zur Aufgabe, die Re-
sultate der Forschungen des Verfs. zusammenzufassen
und wo möglich den wahren Stand der Sache in ein
bestimmteres Licht zu setzen. Denn die Darstellung
des Verfs. bleibt sich aus Vorliebe f&r starke Schatz
tirungen nicht gleich, manche seiner historischen An«
sichten haben sich erst im Verlaufe des Werkes ge-
bildet und zuweilen scheinen selbst die Principien zu
wechseln. Z. B. liest man (1, 9): „keine unmorali-
sche Herrschaft kann auf die Länge bestehn**, und p. 73 :
„Roms Herrschaft beruhte auf Uumoralitüt ; defswegen
bat seine Macht auch länger gedauert als die Gewalt
vieler Könige, -die edel und menschlich etc. gewesen sind."
1, 53 sagt der Verf.: „wir wüfsten von den ältesten
Zeiten bis auf unsere Tage kein einziges Beispiel an-
zugeben, dafs Könige und Machthaber in was iunner
tut einer Gestalt Böses zu thun länger verschoben hät-
ten, als bis sie es nach Mafsgabe ihrer Einsieht mit Si-
cherheit und Gewinn thun zu können glaubten u. s. w.*'
(Die Fortsetzung folgt.)
J a h r b ü
eher
für
wissenschaftliche Kritik.
r
Januar 1840«
Oeschichte der Halbinsel IMLorea während des
Mittelalters von Jakob Phil. Fallmerayer.
(Fortsetzung.)
„Sollte .jemand als Beweis des Gegentheils ^ie Zeit-
periode vom Sturze Napoleons bis zum Jalir 1828 gel-
. tend machen, die Ruhe des heftig erschütterten Welt-
theils der 'Friedensliebe, der Uneigennützigkeit, der Ge-
rechtigkeit und dem Tugendgefüble der christlichen
Grofsmächte zgeigneu,- so wollten wir die Träume emes
solchen gutmuthig^n Schwärmers mit der einzigen Be-
merkung widerlegen, dafs zwar die Fürsten Eurojia^s
hl der. eben: genannten Zeitperiode nicht durch' Furcht
vor einem thronenzermalmenden Erohefer und Kriegs-
gOtte in den Schranken der Mäüsigvng festgehalten und
wenigstens unter sich selbst gerecht zu sein gezwun-
gen waren, senden dafs eine Macht, viel furchtbarer als
der gehamisohte Phalanx der Macedonier, die Schwer-
ter unserer Könige in der Scheide hielte nämlich das
Bdwufstsein, dafs die Nationen durch unerhörte Un- *
glücksfälle, durch langes Leiden und Forschen endlich
zur Kenntnifs der Natur und unzerstörbaren Tendenz
Qller Macht gekommen seien^ und auf Mittel sannen,
wie sie ähnlichen Jammerscenen fiir die Zukunft vor-
bauen, und überhaupt nach dea Bedürfnissen vernüiif-.
tiger Wesen regiert werden könnten. Diese Idee (doch
, wohl die Constitution) ist das Palladium der europäi-
schen Freiheit, ist das Medusenhaupt, vor welchem die
aller n^enschlichen Gewalt angeborne Neigung zur Un*
• gerechtigkeit zurückbebt." Nach solchen Explicalionen
mufs es auifallen, dafs das praktische Resultat des Wer-
kes der Rath an die jetzigen Machthaber in Griechen-
land ist, zu regieren wie die Turko - Russen, da diese
beiden Regierungen doch gewifs nicht als Beschützer
des angegebenen Palladiums der europäischen Freiheit
anzusehn sind. Ist es aber mit dieser Nachahmung der
Türken oder Russen ernstlich gemeint, so begreift sich
Jahrb. f. wi$»en$ch, Kritik. J. 1840. 1. Bd.
wieder sehr schwer, wie der Verf. überzeugt sein kanii,
dafs Gott den jetzigen Fürsten Griechenlands besonders
erkohren habe, um die Welt mit dem Königthume wie-
der auszusöhnen, und den Glanz der Kronen, welchen
unglückliche Ereignisse in Europa verdunkelt halten,
in seiner alten Herrlichkeit wieder herzustellen (A. 11 2).
So viel mag hinreichen,' um die lebhafte, aber ungleiche
und nicht immer haltbare Farbengebung des Werkes
zu bezeichnen ^ im Terlaufe der Berichterstattung wer-
den noch andre Punkte zur Sprache kommen, welche
in ähnlichem Zwielichte stehen.
Die historische Untersuchung über die Ausrottung
der althellenischen Ra^e nimmt folgenden Gang. Nach-
dem bei Chaeronea und MegalopoUs Hellas und der
Peloponues ihre Selbstständigkeit an M§cedonien ver-
loren hatten, Macedonien (seit 198 v. Ch.) seine Schutz-
herrschaft über Griechenland an Rom abtreten muTSste,
sohlen die alte Zeit wiederzukehren; die Römer liefsen
auf dem Isthmus die Freiheit verkündigen und im Jubel
und in der Entzückung über das wiedergewonnene Klei-
nod erdrückten die Griechen fast den römischen Feldherm
Quinct. Flamininus mit Kronen, Bändern und Beifalls-
bezeugungen und gelobten bei seinem Abzüge (l, 45),
einig und tugendhaft zu sein. Aber zur Freiheit im
Leben der Yölker gehört mehr als eine solche Aufwal-
lung; die Griechen warex^ längst nicht mehr imStandcj
frei und selbstständig zu leben; man würde Uhrecht
thun, mit dem Verf. (1 , 73) die Römer zu beschuldigen,
dafs sie die Grieclien unmoralisch gemacht haben, 4im
sie unterdrücken zu können. Die Griechen waren es
schon hinlänglich und konnten nur noch durch Gewalt
in Ordnung gehalten werden; ihnen ist nichts anderes
zu Theil geworden, als was sie verdienten, seit sie
sich selber nicht mehr zu regieren verstanden; man
kann im Gegentheil das Glück preisen, welches ihnen
unter römischem Schutze noch einen schönen Naclisem-
mer literarischer Blülhe gewährt hat; Wenn das Welt-
35
Fallmerayer^ 6e$ekiehts der Balbintel Morea.
36
Interesse sich von einem Lande wegwendet, so gtebt
es kein Mittel gegen Ter5dung (1, 77); Residenzen,
Hauptstädte werden zu verlassenen Landstädten und «so
sind Hellas und der Peloponnes durch Verfinderung der
. Alittelpünlctle des politischen Lebens vergessene Winkel
des römischen Reiches und die Hellenen zu Romäern
geworden. Freiheit und Glaube, die Wurzeln der Na-
tionaKtät, waren abgefault, ein neuer Glaube gewinnt
seK St. Paulus Aufenthalte in Griechenland Anhänger;
zu Corinth, Patras, Laeedaemon entstanden in den er*
sten 3 Jahrhunderten christliche Gemeinden. Ob ohne
gewaltsame Einfuhrung des Ghristenthumes noch heute
Christen und Zeusanbeter im Peloponnes neben einan-
der wohnen wurden, ob es sich in der That nur darum
handehe, das Bild des Zeus und der Athene mit dem
BHde des Gekreuzigten und der Madonna glortosa zu
T«rtauschen, ob. Jultanus, wenn er länger gelebt hfttte,
im JPeloponnes gewifs siegreich gewesen sein würde,
braucht nicht erst gefragt zu werden — die Geschichte
hat gesprochen. Genug,- dab im J. 312 Constantin und
Licinius (1, 112) den Christen gleiche staatsbürgerliche
Rechte mit den Heiden dnräumten, dafs Theodosius
395 heidnischen Cultus, olympische Spiele und Zeit-
rechnung untersagte (1, 135), dafs 396 die arianischen
Westgothen unter Alarich durch die Thermopylen und
'üi)er den Isthmus drangen, Eleusis, Olympia, Laeedae-
mon, Megalopolis zerstörten und dafs man das Jahr 396
als den Zeitpunkt ansehn kann, in welchem der dtfem«
liehe CiStterdienst afuf der Halbinsel untergegangen ist.
Aber nicht Alarich hat durch Zerstörung der Tempel
die Lebenswurzel der Nation in ihrem innersten Keime
getüdtet (1, 136); die Tempel würden wie einst nach
Xerxes Zuge herrlicher wieder aufgef&hrt worden sein,"
wenn der alte Glaube noch im Yolke lebendig gewe-
sen wäre. Dafs niemand sie wieder aufgebaut hat, daCs
Bie heidnischen, Denkmäler gröfstenthefls spurlos vom
griechischen Boden verschwunden sind, kommt aller
Wahrscheinlichkeit nach weit mehr auf den Glaubens-
eifer der christlichen Einwohner als die Zerstörängs-
\Vuth der Barbaren, welche Gold und Brod aber keine
Steine suchten. Von diesen germanischen Horden, den
Westgothen unter Alarich, und den Vahdalen, welche
iin J. 467 unter Genserich die Südkiisten des Pelopon-
neses plünderten, sind indefs keine Ansiedler im Lande
' zurückgeblieben. Die Stürme der Hunnen, der Bul-
garen haben die Halbinsel nicht erreicht, aber seit dem
J. 572 sind zuerst die Avaren mit SusdaUsehen SlaTen-
aus der Gegend von Moskau und Smolensk eingedrun-
gen, haben sich, jene in Messenien, diese in Elia «ad
Arcadien (1, 186} festgesetzt und Slavtnia heUst seil»
dem durch mehrere Jahrhunderte alles Land vom Istar
bu Morea. Diese* slavischen Einwanderangen faabea
nach des Yerfs. Ansicht fortgedauert bis auf das J. 746
(1, 209), wo nach einer verheerenden Pest der ganze
Peloponnes mit slavischer Bevölkerung erfüllt worden
bt und bei dieser Gelegenheit ist auch der-Tajgetoi
mit den Melingiotisehen Slaven besetzt worden. Hier-
mit schliefst die slavische Einwanderung und nach des
Yerfs. früherer Ansicht im ersten Theil sind als Orte
mit griecAück christlicher Berdlkerung- ia dieser Z^eit
noch übrig: Patras, Coqnth mit Cenchrae und Lechaeum,
Argos mit Nauplion, Prasiae (Prasto) mit den 14 Ort-
i»chaftcn der Tzakonen, Monembasia, Lacedaemov, Co-
ron, Modon, Arcadia, also nur Küstenorte; in der Mai»'
notischen Bergkette Iftfst er neben | Siaven | alle
heidnische Hellenen (1, 230, 260) Im Castmm Man!
an der Seeküste bestehen, welche erst im 9ten Jahrhun-
dert bekehrt worden sind. Die slavüöhe Qevdlkerung
hat sich in Laconien, Arcadien, in Elia und TriphyHea
(Skorta) von der Neda (Buzi) bis zur Kamenitza bei
Olenos festgesetzt; Messenien würde, wenn man den
Verf. beim Worte ftimmt, avaruche d. h. tatarisclm
Bevölkerung haben. DennNavarinosftAvarino ist bei 8im
Avarenstadt. Aber bei Einzelnheiten der etymologi-
schen Derivationen halten wir uns nicht auf, da es
wohl wenig Glauben finden wird, wenn t. B. Peribo-
lia, Livadia zu slavischen Namen gemacht werden oder
wenn die Mardalten X^ Maröniten vom Libanon) We-
gen einer vielleicht appellativisch gebrauchten Bezeich-
nung bei Const. Porphyrogdn. aus Asien in den J^ay-
getos versetzt und mit den althellonischen Bürgern im
Castell Maina verbunden werden, nur um den Namen
Mainat a> Mardait zu erklären. Es bleiben noch genug
unzweifelhafte Anzeichen slavischer Einwlrkunjg. In
der Abhandlung von 1835, wird die Behauptung über
die Ausrottung des hellenischen Stammes dahin ver-
stärkt, dafs Slaven von Bzero bb Vostitza, von Prasto
bis Chlumutzi wohnten (96), dafs (59) liberhaupt keine
einzige Ortschaft des Peloponneses unzerstört geblieben
ist, so dafs mit Ausnahme einiger berühmten Namen
selbst die Lage derselben bei Wiederauferrichtung der
christlich-byzantinischen Herrschaft aus der Erinnerung
37
Fallmerayer^ OßMchiehte äer HaibinMel Morea*
88
iler Menschen verschwunden war, und (62) daCs als
alfgriechischer Ueberrest nur äie Tzakonen (in AstroS)
8t. Peter, 8t Johann l^latanos, Meligu, Proastion (Pra-
Sto, nicht von Prasiae), Leonides, Cyparissia, RheonlaS|
Sitanas) eu beträcliten sind. «— Inde& dieser slavii^che
Peloponnes ist unter der Kaiserin Irene (1, 216) durch
Huren Feldherrn Staurakios 783 und unter Theodora 840
(l, 223) dem byzjantinlschen Throne wieder unterwor-
fen worden, und suletet , sind ^ie Stamme der Ezeriteu
an der lakonischen Siidknste bei Helos und der Melingi
in den Schluchten des Taygetos, um Lacedaemon um die
Mitte lies lOten Jahrhunderts ebenfalls zinspfltchtig ge-
worden (I9 349). Alle Slaven aber wurden Christen
(1, 220. 227), wurden Romäer, und dieser Zeit 'verdankt
das Neugriechentfaum seine Entstehung. Im Jahr 1205
bei der Ankunft der Lateiner istaufser den Melingi
am Pentedactylos Alles wieder griechisch (1, 269), nur
das Geb:et dieser Melingi faeifst xa I'^hxßixa (1, 238)
tind auf dieses Gebiet allein kann es sich auch nur be-
isiehen, wenn Chalcondylas im J. 1470 von Sparta bis
Taenaron (2, 447) einen Yolksstamm erwähnt, welcher
in Sitte und Sprache den moskowitischcn Sarmaten
vollkommen ähnlich sei. Wenn der Verf. vermuthet
^2, 452), dafs noch heute im Pentedactylos slawisch ge«
isprochen wird, so ist doch bis jetzt nichts davon be-
kannt geworden und es wörde auch nichts weifer be-
weisen, als dafs von der slavischen Bevölkerung, wel-
che man nicht ableugnen kann, sich noch eine abgo«
sonderte Spur erhahen habe.
Der Beweis, dafs | des Feloponneses slavinisirt
worden seienv beruht auf den slavischen Ortsnamen,
deren der Terf. (im 5. Capitel Th. 1. und A 68 pp)
wohl über 300 gesan^melt hat. Z. B. die Gebirge Za-
gora (Helicon), Chelm (Cyllenius), Malevo (Pamon),
die Orte Goritza (Goertz) bei Mantinea, Erakova und
TarsoTa im Gebirge auf der Grenze Arkadiens und
Achaja*s, Yostizza (Aegium); in Arkadien Glogova'
(Glogau), Tzelechova (ZüUichau), Sopoto (Zobten);
Camenitza (Camenz) Stadt und Bach bei' Olenos;
Chlumutzi (Chlumecz) a Castel Tomese; Ptrnatscha
a Pamisus; Krjwitza zwischen Coron und Modon;
Yeligosti (Wolgast) bei Londari, Slavitza bei Amydiie,
ein andres Yarsova bei Mistra, Lutzena (Lätzen) im
Taygetos, Planitza bei Argos u. s. W. Morea (o Mo-
(<«(;) selbst ist ihm Mor-Iand, d. h. Seeland. Mit die-
sen Slaven nt, wie der Yerf. bemerkt (1, 192), unge^
fähr in derselben Zeit dieselbe Veränderung yorgegan*
gen wie im östliehen Deutsehland, üe sind (1, 201)
dort in Deutsehe, im Peloponnes in Griechen urage»
wandelt worden. , Wiirde er aber die heutigen Bran*
denburger, Sachsen aus dem Königreich, NiedersehU«
sier u. s. w. darum, weil sie sum Theil in Ortsehaf><
ten mit slavischen Namen wohnen (z. B. Leipzig, Mei<«
fsen, G.orlitz, Glogau, Breslau, ZüUiehau u. s. w.)i
weil ihre Yorfahren zum Theil slavischen Ursprungs
sind, und selbst in Sitte, Einriehtungen, Mundart (l, 249)
das slavische Element noch durcfaschimmem aoU^^^meht
als Deutsche oder nur als eine scdhlechtere, unlSUgere Sor^
te von Deutschen im Yergleich mit Sehwaben, Pranken,
Niedersachsen anerkennen wollen ? Das bildsame, sla-
vische Element hat sich in Giiechenland noch weif ra*
seh^ der grieiAisehen Spraehe und Kirche ergeben,
mag nun eine griechische Einwohnerschaft übrig ge«'
blieben oder von den Byzantinern erst wieder -einge-
führt worden sein, ulid man liat keine Naefarieht, dafs
auf offiiem Lande eine alavtsche Bevölkerung, ' wie die
wendische in Deutsehland, sieh erhalten habe. Yen den
Hellenen des Alterthums war so wenig wie von den
Römern der Kaiserzeit neues Leben zu erwarten; fri*
Bche Kräfte mufstea hinzugeleiteC werden ; in Italien,
Frankreich, Spanien gescliah die Mischung durch Get-
mauen, in Hellas durch Slaven, und fiberall haben die
Sieger bich der Sprache und dem Glauben der Besieg-
ten bequemt. Mag die slavische Einwanderung nn
JMenschenzahl bei weitem die germanische fibertroflfen'
haben, so ist doch der geistige Einflufs auf die Spra-
che weit geringer gewesen, da selbst der Yf. nur die
hackende Accentuation, den Yerlust des spirit. asper
und was sehr zwe^elhaft sein dürfte, die Yorliebe für
diminutiva davon herleitet. Das Neugriecbisclie ist im-
mer noch dieselbe Sprache und -steht zum Altgriechi-
schen nicht in dem Yerhältnifs wie das Italienische^
Französische, Spanische zum Lateinischen. Die ge-
mischte Abstammung würde auch die Griechen gar
nicht hindern, ein edles Yolk zu sein ; die meisten Na- '
tionen Europa's und die gefeiertsten Bürgerschaften
des Alterthums sind aus gemischter Bevölkerung ent-
standen, und der Adel der Yölkerindividualitäten wird
wohl nicht, in unvermischter Reinheit des Blutes, son«
dern in Thaten und geistigen Produktionen (in Gesetz,
39
FMmeroyetj GeMcAichte der Hal6m*el Morea.
40
Religion, Kunst und Wissenschaft) £u suchen sein«
Das.Quantum aber der slavischeuEiDwohnerschart nacli ^
heutigen Ortsnamen su bestimmen, muGs als sehr inils-
lieb erscheinen, weil es danach leicht su gering ange-
schlagen werden könnte ; denn wii^ besitzen keine roU-
statkdige Sammlung aller slaTisehen - Ortsnaimen, noch
weniger wie stark oder gering sie bevölkert waren, sie
sind sum Theil wieder verschwunden und der byzan*
tinische Kanzlei- und Kirchenstyl, unsre Hauptquelle
der griechischen Geschichte, hat stets die alten Namen
beibehalten. ' Gewifs allein ist das Resultat aus dieser
dunklen Ursprungszeit des neugriecliischen Volkes, dab
die Slaveu zu Griechen geworden sind; das Yerschwin-
den der slavischen Sprache beweist zur Genüge, weU
eher der beiden Volksgeister hier- der siegreiche war;
ob physische Gewalt von den Byzantinern angewandt
worden sei, um die' Slaven zu graecisiren, davon ist
noch nichts bekannt geworden; die Kirche allein
scheint zu -einer so vollj^ommenen Umbildung auch
nicht hinreichend ; denn in Servien, ' in Bosnien, wo
der griechische Einflufs geringer war, haben sich/ die
Slaven- zwar zur griechischen Kirche bekehrt, aber die
slavische Sprache beibehalten. Man wird also wold
bis auf weiteres festhaUen müssen^ dals eine durch
Bildung überlegene griechische Bevölkerung die Ein-
wanderung der Slaven überdauert und dafs sie, durch
die byzantinische Regierung wieder zum physischen
Uebergewicht gelangt, die Umwandelung zu Stande ge«
bracht hat.
Morea ist von Neuem byzantinische Provinz gewe-
sen vom 9. bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts, ver-
waltet durch den Strategos zu Corintli, die Küsten-
städte durch kaiserliche Archonten; im innem Lande
bildete sich nach slavischer Art die Herrschaft der Kirs-
che und des Herrenstandes aus. Der Fall von Byzan-
tion brachte auch Morea ohne bedeutenden Wider-
stand unter fränkische Herrschaft (1205^1383), erst
als Lehn von Makedonien, dann von dem fränkischen
Kaiserthum in Byzanz, seit 1266 als Bailat von Nea-
pel; den ersten Regenten aus der Familie Ville Har-
düin waren sogar eine Zeit lang der Megaskyr von
Athen, der Markgraf von Budonltza^ die zwei Mark-
grafen von Negroponte und der Herzog von Naxos ab
Hinlersassen eugetheilt. Die Ackerbau treibende Klasse
blieb in demselben Verhältnisse wie unter den griechi«
sehen Imperatoren, sie wurde dureh gesetzliche Zusi*
ch/erung ungestörten Gottesdienstes (1,381) gewonnen;
selbst die Melingi ui^d Mainoteu ergaben sich in die
Schutzherrschaft Wiliielms H. und wurden durch die
3 Festungen Mlstra, Mani, Leutron (1, 414) im Zaume
gehalten. Die lateinischen Ritter iheilten sich üach
Malsgabe ihrer Macht in die eroberten Ländereien und
verpflichteten sich zu ununterbrochenem Kriegsdienste;
nach dem Muster der Feudalassisen von Jerusalem
(1, 399) wurde eine Listä. der Lehnsgiiter entworfen
und unter diesen Leluisleuten spielt seit jener Zeit der
Freiherr von Karitene eine verhängnifsvoUe Rolle.
Auch Templer und Johanniter erwarben Besitz; die
lateinische Kirche wurde mit \ der Slaatsgiiter ausge-
'stattet, dem Erzbischofe von Patras, wurden Bischöfe
zu Olenos (Andravida), Koron, Modoh, Veligosti, Ni-
eil, Lacedaemon beigegeben. Der fränkische Hof xu
Andravida und Glarentza bietet eben kein erfreuliches
Schauspiel, besonders seitdem für die Auslösung des in
der Schlacht von Serlepe 1259 in byzantinische Ge-
fangenschaft gerathenen Wilhelms II. Monembasia,
Mama, Mistra an die Palaeologen zurückgegeben wur-
de und ein beständiger kleiner Krieg zwischen franki-
scher Tapferkeit, Herrschsucht der lateinischen Kirche
und der List der paläologischen Strategen in Mistra,
welchen die griechische Bevölkerung im Geheimen ge-
neigt war, sich eröffnete. Und auch^ in diesem Kam-
pfe haben die Griechen mit Hülfe türkischer und alba-
nischer Miethstruppen wieder gesiegt, nur noch ein-
zelne fränkische 'Namen und Worte sind in der neu-
griechischen Sprache zurückgeblieben und die Burgrui-
nen der Ritter hängen noch heut als Palaeocastra an
den Eelsengipfeln, aber von fränkischer, katalonischer,
burgundischer Bevölkerung ist nichts mehr zu finden,
und die lateinische Kirche hat dieses Gebiet bis auf
eine geringe Zahl von Anhängern wieder verloren.
(Der Bescblufs folgt.)
» r
J^ 6.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche
Kritik.
Januar 1840*
Geschichte der Halbinsel Moreä während de$
Mittelalters «o» Jacob PhiL JFallmerayer,
(Schlofs.) .
Der Pelopoones ist zum dritten Mal bjrzantinisch
geworden; seit 1383 hat der abendländische EinfluFs
aufgehört und 1430 bt die letzte von einer fränkischen
Familie besessene Herrschaft an die Paläologen ge*
kommen. Attica dagegen ist bis auf die Eroberung
durch die Türken unter abendländischem Regiment ge-
blieben, tm Peloponnes war auch die byzantinische
Begierung (1357 — 80 Manuel Cantacuzenos in Mistra,
1380 — 1407 Thcodorus Palaeologus) in stetem Streit
mit den griechischen Archonten und den fränkischen
üaronen; schon Manuel hielt eine Leibwache von Al-
banesen, Theodor (2, 257) zog an 10000 derselben mit
AVeib und Kind ins Land, und nach der grofsen Pest
-von 1347 bis auf Scanderbegs Tod 1467 sind Albanier
(a Arnautcn, Schkypitar, Illyrier) in Elis, Arcadien
und dem Alpheuslhale angesiedelt worden; zwischen
1373^82 durch Nerio von Corinth (2, 261)^ längs des
Meerbusens von Patras bis Phlius, in den Gapilänien
von Corinth und Megaris; durch die grofse Gesell-
schaft im offnen Lande Von Attica und in Boeotien;
selbst die Inseln Salamis (A 49), Sp ezia, flydra, Porös
sind von ihnen bewohnt. Sie bilden noch heute mehr
als .die Hälfte der Bevölkerung in Hellas und dem Pe-
loponnes, aber sie sind nicht als feindliches Element
zu betrachten ; die Zurückgebliebenen gehören derselben
Kirche an, sie lernen die griechische Sprach'e, nicht
umgekehrt die Griechen das Albanesischef die albane*
siehe Sprache steht zu der griechichen ungefähr in
demselben Verhältoifs wie das Wendische in der Lau«
sitz oder das Polnische in Ober -Schlesien zum Deut-
schen, sie ist im Ersterben begriffeu. Dies ist um so
merkwürdiger, da die Schkypitars im Ganzen der streit-
barere Theü.sind; man kann dabei an das YerhältniGs
von Hellenen und Pelasgern denRen.
Jahrb. /. wikientch, Kritik. J. 1840. 1. Bd.
Die Türken sind zuerst in byzantinischem Solde
in den Peloponnes gekommen, sdt 1397 zum ersten
Mal als Feinde, seit 1453 wurden ihnen die Paläologi-
schen Fürsten zinspflichtig und Mahomed suchte den-
selben durch vernünftige Rathschläge ihre Herrschaft
zu erhalten. Aber die Griechen konnten, sich unter '
einander nicht mehr ertragen; die empörten Amanten
boten mit ihnen um die Wette den Türken Zins an,
und um dem Lande Ruhe zu geben, setzte Mahomed
1460 den Palaeologen Demetrius von Lacedaemon auf
Pension und der Bruder desselben Thomas floh nach '
Italien. Die Türken waren damals an Disciplin, Recht-
lichkeit, Tapferkeit bei weitem überlegen. Statt des
Gegensatzes der latein. und griechischen Kirche trat
nun eine Spannung zwischen Christenthum und Moha-
fnedanismus ein; die Griechen, obwohl der unterdruckte
Theil, sind doch durch ihren Glauben zusammengehal-
ten worden, ein Beweis, welche erhaltende Kraft das
Christenthum selbst in seiner Yerderbnifs in sich trägt. .
Die türkische Herrschaft ist zwar noch nicht verwischt^ -
türkische und albanesische Namen (1, 315) haben zum
Theil die slavischen verdrängt, aber es giebt keine Tür-
ken mehr im Lande. Noch weniger Spuren hat die
Herrschaft der Yenetianer zurückgelassen, welche lange
Zeit Arges, Nauplion, Modon, Coron, Navarin und von
1685 — 1714 den ganzen Peloponnes besessen haben.
Von allen im Laufe der Jahrhunderte eingedrungenen
Ankömmlingen, von Gothen, Avaren, Slaven, Von Fran-
ken aller Art, Illyriern, O^manli's, Aegyptern, Juden
sind heute, ein kleiner Bestandtheil von Wlachen und
Zigeunern in AetoHen und Locris ausgenommen, nur
noch Griechen und Schkypitar» zu unterscheiden und
auch diese sind im Identificirungsprozesse begriffen» So
hat also das Griechische seif 3000, Jahren unter fort-
währenden fremden Einflüssen auf diesem Boden sich
erhalten und weiin man das Pelasgische für die helle-
nische Ursprache ansiebt, so kann man noch ein vier-
6
43
FMmeraytr^ OeMchiekU der Hälbim$el M&rea.
44
tes Jahrtausend dazusetzen. Obwohl das Land in ver-
schiedenen Zeiten Achaja, Slavinia, Neufranlcenland
hiefs und heute nach des YerCi. Meinung (2, XXTII)
Neu -Albanien heifsen solke, so wird es doch wohl bei
dem Namen Hellas sein Bowe^den haben.
So viel über die Geschichte des neugriechischen
Volkes. Die Ansichten des Yerfs. über den gegenwär-
tigen Zustand desselben, die Aussichten für die Zu-
kunft, welche, obwohl sehr ins Dunkle gezeichnet, doch
viel Wahrheit enthalten, laiuen sich unter 4 Hauptge-
tichtspunkte zusammenfassen.
1} jjDas alte helleniiche Nationalwesen üt gänX"
lieh erstorAen; ee ist keine einzige Familie^ deren
Ahnen nicht Slaven^ ^rnauten^ Franken^ AmulgO'
varenoder gräcisirende Anatolier wären \ taglieh
treten die beiden Fractionen der Slaven und ArnaU'
ten deutlicher hervor^ der Aufstand war nicht hei'
lenischj sondern rein amautisch (2, XXX); das
griechische Volk ist als geistig todty als eine un-
gleichartige^ rohe^ brachliegende Masse »u betrach-
ten (2, VIIF) ; Kunst und Schönheitssinn fehlt ihm
ganxy die Natur hat ihm diese Gabe versagt^ ^
In Betreff der Abstammung ist dem Verf. schon von
seinen Gegnern erwidert worden , dafs es durch seine
Forschungen noch keinesweges zur Evidenz gebracht
sei, dafs nicht das althellenische Element in Tzakonien,
in der Maina, vielleicht im nördlichen Theile Arcadiens,
am Olympus, auf einigen Inseln sich erhalten habe;
aber Ref. sieht nicht ein,^ was für ein, anderes als etwa
sprachliches Interesse es haben kann, wenn auch wirk-
lich altgriechische Bauern aus Perikles oder gar aus
Deukalions Zeit ganz unberührt sich erhalten hatten,
da ja die jetzige Erhebung Griechenlands nicht vom
althellenischen ^ sondern vom christlichen Geiste und
allerdings zum grofsen Theile von Arnauten ausgegan-
gen ist Was kann eine verkommene, abgestorbene
Nationalität für» Interesse erregen, wenn sie auch noch
so grofe Ahnen zählt? Dafs die Neugriechen nicht die
unvermischten Abkömmlii^ge der Ahgriechen sind, ist
gewiPs, aber dafs sie trotz griechischer Sprache, Reli-
gion, Grund und Boden gar keine Griechen wären,
dafs die griechische Nationalität sich nicht durch linun*
terbroehene Ueberlieferung auf sie^ fortgepflanzt hätte,
dagegen streitet alle Erfahrung. Auch ist dem Terf.
(A. 111.) selbst ein Zugeständnifs entschlüpft, welches
zur Vereinigung füliren kann. „Nenne man Griechen-
land immerhin Hellas imd seine Bewohner Hellenen-
Sie sind' Hellenen in der That, jedoch neuerer Forma*
tion, sie athmen hellenische Lüfte und die Sonne des
Perikles glänzt noch über ihren Häuptern." — Als au*
fserlich erkennbarer Bestandtheil (ab Fraction) ist die
slavische Bevölkerung nicht mehr zu erkennen, aber
allerdings zeigen, sich im griechischen Nationaloharak*
ter, sei es nun durch ursprüngliche Verwandtschafit,
durch Einwanderung oder ähnliche politische Schicksale
und Verhältnisse, mancherlei Analogien mit den Slaren.
Dahin kann man rechnen die Anst^Uigkeit und Sdilaa*
heit sich in jede Lage zu schicken, verbunden mit Un-
zurerläfsigkeit und Charakterlosigkeit; die schmiegsame
Unterwürfigkeit gegen Gewaltige , und Hochmuth und
Halsstarrigkeit, wo nichts zu fürchten ist Die Folge
davon ist grofse Freiheitslust und Abneigung gegen frei-
willigen Gehorsam. Als Folge ihrer politischen Ver«
hältnisse ist die patriarchalische Gewalt der Väter an-
zusehen und in der Gerechtigkeitspflege das allgemeine
Vorurtheil, dafs der Kläger nur mit Geschenken sein
Recht finden zu können glaubt. Wie bei den slavischen
Nationen beruht der gesellige Verband bei mangelhaf-
ter Ausbildung des Biirgerstandes vorzüglich auf Geist-
lichkeit und Primaten, das Volk ist willenlos : und in
Handhabung der Souverainität haben die Griechen bis-
her dieselbe Unmündigkeit gezeigt, durch welche z. B.
Böhmen und Polen um ihre Selbstständigkeit gekom-
men sind. Man mufs aber nicht vergessen, dafs sie
seit der Schlacht von Cliaeronea nicht aufgehört haben,
unter fremdem Einflüsse zu stehen. Was dieses Volk
in Kunst und Wissenschaft zu leisten Termag, ist wohl
no^ch zu zeitig zu entscheiden. Dergleichen läfst sich
nicht mit der Wünschelruthe hervorzaubern oder wie
verschüttete Ruinen aus dem Boden hervorgraben. Die
Jugend ist empfänglich, und lernbegierig und wird noch
lange zu lernen haben, ehe sie sich aneignet, was Eu-
ropa ihr bieten kann. Wie im ersten Jahrh. nach Chr.
Apollonius von Tyana klagt, so ergreift noch heute
jeden gebildeten Europäer in Griechenland das Gefühl,
dafs er verwildert (1, 86).
2) „Der Aufstand ist nicht so fast durch ein Mifs-
verhältnifs der türkischen Verwaltung mit dem Bildungs-
grad und den socialen Verhältnissen der christlichen
Unterthanen Griechenlands, sondern wfe im Jahr 1770
hauptsächlich durch ein von aufsen angelegtes Feuer
entzündet worden und folglich nicht ausschlieCsIich ein
45
Fmttimer^jfer^
d0r
M0rHk.
46
. Werk des Telkef, ftondern zmn Th«U auch der Frem-
den" (2, I). Diese Bemerkung findet schon ihre Ermä«
fsigung in einer andern Stelle (2, X), wo es.heirst:
9,der Lebenskem, durch welchen sich die Griechen als
ein von den Osmanen abgesonderter Völkereomplex er-
htelten, lag nicht im Blute, in alten Erinneningeu, son»
dern in der Kirche; als romSische Christen haben sie
die Stürme überdauert; das grofse Unrecht der Türken
bestand nicht in ihrer drückenden Herrschaft, sondern
in ihrem mohamedanischen Glaubensbekenntiiifs." Bei
Aufregungen von aufsen mufs.man unterscheiden, ob
Brennstoff im Innern vorhanden war. In Europa , wo
die Wirkungen der CivtUsation fast immer gegenseitig
»ind, ist es schwer eu trennen, was von aufsen oder in-
nen kommt und Griechenland hat offenbar an europäi-
schen Einwirkungen Antheil genommen. Die geogra-
Jhische Schichtung der euroj^äischen Völker in 3 grofse
«agen ist auch in ihrer historischen E^ntwickelung nicht
tu verkennen. Am frühsten war Herrschaft und Bil-
dung, bei den romanischen Yöikem und dem römisch-
katholischen Glauben, dann kamen die rein germanischen
Yölker mit den evangelischen Confessionen ati die Reihe,
im letzten Jahriiundert ist endlich auch der grofse sla-
viscbe Stamm griechischer Kirche erwacht und schon
zeigt sich die Wirkung dieses Geistes von Rufslaud durch
Moldau, WaUaciiei, Servien, Herzogewina bis nach
Griechenland. Dieser Aufschwung ist von gestern und
heute, den slarisch griechischen Nationen steht ihre
Gvöfse noch bevor, und mian könnte grade darum die
Griechen zu neuem Leben berufen glauben, weil auch
elavisches Blut in ihren Adern ist. Uebrigens unterschei-
det sich diese Aufregung durch das vorherrschende kirch«
liehe Element durchaus von' der poUiischen Gährung,
in welcher die romanischen Völker begriffen sind; die
Freiheitstheorien der wenigen europäisch gebildeten Grie-
ehen sind fler Yolksmasse ganz unverständlich (2, XY).
d) ,^Ohne gewalttliätiges Einschreiten vermitteln-
^ der Mächte würde der Versuch die Landesregierung in
^Griechenland zu ändern, auch dieses Mal völlig geschei-
tert und die christliche Bevölkerung, die man zu einem
ihre Kräfte weit übersteigenden Unternehmen verleitet
'haue, demLoose überwundener Aufrühter nicht entgan-
gen sein." Wer die Mittel des Widerstandes an Ort
und Stelle kennen gelernt hat, wird auch zugeben, dafs
die Schwäche der bestehenden Riegieruno: den Aufstand
sehr begünstigt hat, und dafs Griechenland gegen den
kraftigeren ägyptischen Gegner nur durch das uiitowarde
Ereignifs von Navarino oder die Theilnahme der euro-
päischen Mächte erhalten worden ist. Dadurch ist ihm
ein überraschend glucklicher Erfolg zu Theil geworden;
aber wenn es. seine IJnabl^ängigkeit nicht mit eigner
Kraft • zu behaupten im Stande ist , so werden auch
heute die Homer nicht fehlen, um es unter Obhut zu
nehmen.
4) In Betreff von Grieohei^ands Zukunft spricht
sicli der Yerf. (A. 1. u. 112.) im Jahre 1835 folgender
.Mafsen aus: „Durch die Wiederherstellung Griechen«.
lands als der Torfadle des Orients ist eine neue Bühne,
ein frisches Feld für unsre Glückseligkeitslehre gewon«
nen, denn in Europa ist jener Brunn der Glückselig»
Jceit, aus welchem — wie die vier Ströme aus dem Pa^
radiese — - das geistige Leben in wundervollen Kanälen
zu allen Nationen befruchtend iiinausfliefst. König Otto L
ist wie ein zweiter Cecrops nach Athen gekommen, um
die zerstreuten und alles innem Zusammenhanges er-
mangelnden Elemente jener Yolksstämme durch eipe
neue Gesetzgebung zu verschmelzen und den Geistern
insgesammt das gemeinschaftliche Gepräge des neuen
von Europa ausgehenden Hellenenthums d. i. Herrschaft
der Gesetze und Achtung des königlichen Namens ein-
zudrücken. Die zweite grolse Lebens- und Weltepoche
dieses Landes hat somit begönnen, ein neues unentfaU
tetes' Yolk erblicken wir auf der Huhne an der Hand
eines königlichen JüDglings, um seine Lebensrölle zu
begijmen. Er ist Rex Helladls, ein neuer Weltring,
an welchen die Menscheogeschlechter, die tausend und
abermal tausend Jahre nach uns Europa bewohnen,
den Geschichtsfaden der Ottonischen Helleiu^n anknüpfen
werden."' Wenn man damit vergleicht, was der Verf.
im Jahre 1836 (Vorrede z. 2ten Th. XXXYI.) äufsert,
so drängt sich die BesorgniGs auf, dafs auch die ausge«
zeichnetste Persönlichkeit eines Fürsten gegen so grofse
Schwierigkeiten nichts vermögen werde, und andrerseits,
dafs die Experimente der Glückseligkeit&lehre dem ar-
men Griecheulande nidit etwa wie dem Vogel die Luft*
pumpe bekommen mögen. Denn dort (2,1V) keifst es:
„In Hellas, wie es jetzt ist, sind noch keine hinlSng«.
lieh zahlreichen und hinlänglich starken Elemente, für
ein unabhängiges Königthum zu finden. Die Gewalt, .
welche Griechenland geschaffen hat, kann allein sein
Dasein fristen, aber kein Reich wird bestehn, wenn es
die Elemente des Lebens nicht aus sich selber erzeugt.
Griechenland aber lebt nicht durch sich seibat, weU es
weder zur Selbstvertheidigung, noch zur Selbstbeherr-
schung hinlängliche Macht besitzt. Fremdes Gold be-
zahlt noch jährlich den zweideutigen Gehorsam seiner
Grofsen und seine Fortdauer hat keine andre Gewähr-
leistung als die Launen seiner Beschützer'* u. s. w.
Weiter hin (XVI) : „Wie schnell kamen einst die bata^
vischen und nordamerikanischen Insurgenten zu Reich-
thums Glanz und Maclrt! Wie elend und verkümmert
dagegen ist dieses Griechenland naph einer langen Reihe
von t riedensjahren. Seine Bevölkerung sdiwmdet und
seiae Hilfsquellen mehren sich nicht, obgleich Europa
sein Gold stromweise in dieses hoble Danaidenfafs ge-
gossen hat; ^ sicherer Beweis, dafs niemand daselbst
zur Freiheit vorbereitet war und dafs das griechische
Volk politisch nicht reifer ist als die Moskowiten von
Kiew und Wladimir oder -die Wlachen von Jassy- und
Buckarest. Der Instinkt solcher Völker ist die Monar-
chie ohne Beisatz. Läuterimg durch ein gerechtes. und
chrisüich strenges aber ganz nationales Regiment mufs
dieses ex abrupto losgebundene Griechenland zum £)in-
tritt in den europäischen Staatsverband und seiner Re-
gierungsform erst noch lange vorbereiten. Fühlte man
sich aber im Besitze einer Macht, wie sie jetzt ist, schon
hinlänglich beglückt, so regiere man wenigstens wie die
Turkorussen, kleide sich aber und glaube wie die Grie-
FMmeraye^^ Getehithte d&r HalbinMel Morea.
AI
clien." Man wird^indefs auch noeh in den beiden lets-
ten Stellen einigen Widerspruch bemerken, da zuerst
die Unfähigkeit für ein uiiabh2lngiges Königthuin, dann
aber das Bediirfnifs einer Monarchie ohne BeisatE be-
hauptet wird, der "Vf. mulste unter dem ersten denn
etwa ein konstitutionelles Königthum ventehn. Was
diefs betrifft, so kann es nicht zweifelhaft sein, d^fs ein
Salto mortale aus türkischem Regiment in eine Verfas-
sung nach französischem oder englischem Schnitt nur
ungliicklich ablaufen kann und die Geschichte des Auf-
standes hat zur Genüge bewiesen« dafs das Svntagma
für die Griechen die Büchse der Pandora ist. Denn es
durfte in Griechenland schwer sein, die einsichtsvollen
Patrioten zu finden, welche nur das Heil des Ganzen
bedächten und zu Opfern . für das gemeinsame Yaterland
bereit wären. Wo jeder nur seinen Vorthejl vor Au-
fen hat, jedes Amt (und die höchsten vorzuglich) als
Pfründe betrachtet wird, die sich durch Intrike erfan-
gen töfst, nicht das Gesetz, sondern die Auktorität in
Ansehn steht, da Jcann Mne Constitution nur die Lei-
denschaften entfesseln. Die jetzige Regierung hat ohne
Constitution Noth genug sich über den Elementen, auf
welche sie sich künftig stützen soll, zu erhaken. Sie
hat die heterogenen Interessen der Moreoten, Rumelio-
ten und Insulaner zu verschmelzen und die Auktoritä-
ten des Landes (Capitanrs, Archonten, Primaten, vor
allen die Geistlichen, welche bis auf die neusten Zeiten
auch Anführer im Kriege, Schiedsrichter im Frieden wa-
ren) zu brauchbaren Organen heranzubilden. Man kann
der Meinung sein, dafs sie selbst sich Drachenzähiie
säete, als ein zum Tode verurtheilter Häuptling, nicht
blofs begnadigt, sondern auch zu Ehren erhoben wurde,
als Klephthenführer, mit ^enen man nicht fertig werden
konnte, in Dienst genommen wurden. Es wird an Re-
bellion nicht fehlen, wo man dadurch zu Ehren kommen
kann. Eine Constitution würde' nur die Aukloritäien
wieder gegen einander treiben, dafs sie sich im besten
Falle zu einer Theihing der Gewalt unter einander ver-
ständigten, und würde damit dem Volke gedient sein?
Instinkt des Tolkes und die Beschaffenheit des Bodens
führen zur Zersplitterung, die einzelnen Theile werden
stets eine groFse Selbstständigkeit behalten. Noch noth-
\vendiger aber ist ein Mittelpunkt für die divergirenden
Interessen, ein Königthum, und wenn der Verf. diesem
zuruft, zu regieren wie die Turkorussen, so stimmt doch
wenigstens türkisches Regiment nicht zu der christlich
strengen und nationalen Regierung, die er an anderer'
Stelle fordert. Wir halten uns lieber an das, was er
2, XXXV sagt, „dafs jede Regierung sich auf Grund-
charakter, Sitte, Religion, Geschichte des Volkes stützen
müsse.^' Wenn aber das Volk nur erst eine dunkle
Ahnung seiner eigenen Lebenskraft hat/ so muf« das Be-
W^ufstsein wenigsten/ in de^ Regierung vorhanden sein
und sie mufs die Macht besitzen, die indifferenten oder
widerstrebenden Elemente zusammenzuhalten, selbst auf
die Gefahr, dafs es nicht ohne Gewaltsamkeit abginge.
Ordnung durch Zwang ist immer noch besser als Anar-
chie aus Freiheit, und die Griechen, seit so vielen Jahr-
hunderten gewohnt, die Ruthe zu küssen, welche sie
4S
züchtigt, folgen auch jetzt nur der Auktoritit; wenn auf
ihren freien Entschlufs revocirt wird, so kommt nur
Selbstsucht zu Tage. N&cbst der Gewalt ersebeint wie
im Alterthum so noch heut das Geld für den Griechen
unwiderstehlich, die Hilfsgelder Europa's haben dort ei«
nen Stand zurückgelassen^ welcher sich für berechtig!!
hält, vom Staate erhalten zu werden. Die Regierung
(wie einst Peisistratos die unruhigen Athener) hat ver-
sucht, die Phalangiten zum Pflu^ zurückzuführen ; es
hat aber nicht gelingen wollen. Die europäischen CJn-
tersUltzunffsgelder werden indefs nun nicht weiter ge-
zahlt, und die augenblicklichen Bedrängnisse, welche
daraus entstehen, können ein grofser Vortheil werden,
wenn Griechenland dadurch von fremder Unterstutaung
unabhängig wird und sich nach seiner Decke strecken
lernt. — Dafs die Bevölkerung schwinde, kann sich
wohl nur auf die Auswanderung griechischer Untertfaa-
nen in die Türkei beziehn; man hat dem Ref. im Lande
das Gegentheil versichert und in den Zeitungleu fand ^
sich erst neulich für das Jahr 1838 in Athen das Ver-
hältnifs der Todesfalle zu den (Schürten wie 496 : 723.
Dafs aber keine amerikanische Fruchtbarkeit der Ehen
Statt findet, liegt vielleicht in uralten bei dieser Nation
eingewurzehen Uebeln. — Dafs die Hilfsquellen sieh
par nicht mehren, scheint auch zu viel gesagt, aber dab
m materiellem Beichthum nicht die reifsenden Fort-
schritte Bataviens und der nordamerikan. Freistaaten
bemerklich werden, ist ganz natürlich, weil zu der voU.
kommenen Verödung des Landes der Mangel an einem
Sewerbtreibenden Bürgerstande kommt, von Fabrik und
lanufactur fast kein Begriff ist, der Handel da|:egen
alle Producte Europa's hinein, dasGel4 aber heraus fuhrt.
Was können die Neugriechen dafür, dafs sie in den
Köpfen .ihrer europäischen Freunde so grofse Hoffnun-
gen erregt haben? Unglücklicher Welse scheinen aber
auch unter den drei grofsen Schutzmfichten der griechi-
schen Unabhängigkeit über die Art, das Glück des Lan-
des zu befordern, verschiedene Ansichten obzuwalten*
An -die äufserste Spitze der slavisch griechischen Völ-
kersäule gestellt, haben die Griechen das' englische
Jonien zum Nachbar und kommen in den Seestädten
mit dem Abeudlande in beständige Berührung. iSine
englische Station im Sunde von Salamis führt bestän-
dige Aufsicht über ihr Schicksal, während die Mehrzald
des Volkes seiue Blicke auf die Glaubens- uiid Bil-
dungsgenossen in Rufsland gerichtet hat. Dadurch ge*
winnt der jetzt bestehende Zustand den Charakter eines
Provisoriums, welches jeder Störung des europäischen
Friedens erliegen kann. Dafs das alte Hellas nicht wie-
der auferstanden ist, wird niemanden verwundern^ aber
die Umstände scheinen sogar aufserordentliehe Hindere
nisse in den Weg zu legen, dafs es auch nur eine sei-
ner jetzigen Weltstellung angemessene Lage erlange,
und es kann nicht wohl besser werden, so lange Volk
und Regierung sich nicht zu dem übereinstimmenden
Bewufstsein gedrängt mhlen, ihr Heil fortan nur m
sich selbst zu suchen.
Sehönwllcle'r.
^7.
Jahrbücher
für.'
i^issenschaftlicheKri t i k«
Januar 1840*
III.
Oel Duomo di Monre^e 'e di altre chiese Siculo-^
^Normanne per Domenico Lo Faso PtetrasantOj
Duc'a dt Serro di Falco. PalermoylS38.
9
gt.foL
B^r Duca S?rra di Falco, Diredor sammtllcher An-
tiquilaten SiciUeiis, dem yfhp bereits spheif die Zusam«
pftei^stellung .und Abbildungea der Tempelruinen von
3^1iiiunt Ferdankeii, bat abearmals ein i^eues Werk der
yorxugUcbsten Kirchen Siciliens in der yorliegenden
^cbjrirt gjegeben und dadurch den Dank aller Kunstlieb«
baber fich erworbesp. Wir wollen wünschen, dafs die-»
aer Uobe Kunstfreund fortfalire, uns auch nodi die Ab«
hildungen und Bescbreibungen anderer sebr interessanter
ipAu werke in Palermo und 4cr Umgegend aus den ver»
aefaiedenen Kunstepochen mttzutbeilen, wozu Ref. bei
ipiner Anw.csenheit in Palermo im Jahr 1833 mehrere
y era^^eitea bereits feirtig sab. Das vorliegende Werk
lunfeCst Ji^dreiAi^h^A^Iungeu die schönsten christlichen
Bauwerke., 8iciJ[iens aus dem 12ten Jahrhundert. In
^r ersteu Abhandlung beschreibt der Verf.: 1) die
Cai^edi:ale zu Monreale und giebt auf den Blättern I —
^U- die Grund- ui|d .Aufrisse, so wie die einzelnen
De^ils.tmd Ver^rungen derselben. Sie ist von dem
innige Wilhelm dein Guten 1170 zu bauen angefangeii
]|l)d,1176 vpllei^det .\|rorden. Seclis Jalire später wurde
darauf der neben der Kirche liegende herrliche Kreuz«
gang, von 124 schönen Marmorsävlen umgeben, errich-
MtM FPn den^p jede ^äule ein anders geformtes Capi-
tfii hi^9 «nd, wovon auf Blatt XllI de^ GmuicI - und
J^fi4^b (des Kr|euzgi)ngeS| auf Blatt XIY 33 Abbildun«
gen d«'r verschiedenartigsten Capitäle dieses. ^|(reuzgan-
W»..&«I«J^» V werden-
U^ deri^wcitep Ahhandfung .i^erdea beschrieben;
X^,^it Sfh^ne (Kapelle di Slu Pietro oder auch ,die.^o-
gerlf •» Capelle genannt, in dem L9niglicho|i JPal)asC Cfis«
Imkrk. f. wi$$€M€k. t^riUk. /. 1840. I. Bd.
saro (von dem Arabischen: al Cassar, .der Pallast) va
Palermo ; ehi Bauwerk, das, weim auch nicht grefs^ doch
zu' den schönsten Siciliens gehört; und da^u auf den
Blättern XY—XYll Grundrisse und Durchschnitte ge^
geben. Sie ist von dem Grafen, nachherigen Könige
Roger im Jahr 1140 erbaut worden upd, wenn auch ein>
Gemisch von arabisch -byzantinisch- und normannischer
Bauart, dennoch mit einem feinen Gefühl für maleri-
sche Architectur ausgeführt 2) Die Cathedrale zu
Cefaluy ebenfalls von Roger 1145 erbauf^^wozu die Grunde
und Aufrisse auf den Blättern XYIII — XXII gehören}
und wobei die Kreuzgewölbe über dem Sanctuario sehr
bemerkenswert!! sjnd.^ 3) Die Kirche Sta. Maria dell'
Ammiraglii oder auch della Martorana genannt, gleich«
falls von Roger im Jahr 1130 erbaut, ipiit dem Grund-
rifs und den Durchschnitten auf den Blättern XXIIj
und XXIY. Obgleich sie eine der ältesten Kirchen in
Sicilien ist, so finden sich hier doch schon Kreuzge-
wölbe um die griechische Kuppel, welche mit goldenen
Sternen auf azurblauem Grunde musivisch versie|:t sindt
Bs verstellt sich, dals auch die Wände in dem alten
Theil, dieser Kirche bis unten ganz mit Mosaik - Yer-
^rungen auf Goldgrund bedeckt slpid. Spälerhin ha(
diese Kirche, die niclit grofs ist, mehrere Anbaue er«i
bähen; der äheste Theil derselben ist aber auf Blatt
XXIII schwarz schraffirt, — 4) Die Kirche ßt. Ciataldo
auf dem BUtt XXY im Grund- und Durcl^chitt* ge«
Teichne^. ->«* 5) JAe bereits zerstörte Kirche St. Giacoiho
la Mazara, so wie 6) die Kirche St Pietro la'Qagnarai
von denen auf Blatt XXYI Grundrisse und Purch«
f chfiittp Abgeben werden, welc|ie zu den fruhesf en Bau*
werken, die hier unter den normannischen Fürsten aus-
geführt wurden, gehören.
In der drillen Abhandlung gifht der Yerf« m|t S^n*
siehung der Tafel XX\'ll eine vei^lejcliende Darstel?
}ung der jGriin^forinen der Kirchen in Ocoident ^ind ifn
Orient, so wie auf Tafel XXYIII .f ine Uebersicht der
7
51 Duea ü Serrö di Faleo^
Entwickelung der ehriitliefaeii Baukunst bis «sunt ISten
Jahrhundert in Sicilien, und erläutert dies durch 12
Grundrisse der yerscliiedensten Kircheo. Ton diesen
bleibt besonders die auf Blatt 25 fig. 1. gezeichnete Kir-
che Sc Marziano in Syraeus merkwOrdig. Um 'in das
Innere derselben zu gelangen, mufs man viele Stufen in
einen Felsen hinabsteigen und gelangt alsdann in den
^ inneren Raum dieser Kirche, welclier in der Grund-
form ein griechisches Kreuz hat. Der Yerf. hat das
Alter dieser Kirche nicht angegeben, dem Ref. wurde
aber bei seiner Anwesenheit daselbst mitgetheilt , dafs
dies die älteste Kirche in Slcillen ^Sre, und ihre £nt-
stefaung in das 4te Jahrhundert zu setzen sei. An den
Tier Pfeilern sind, die Sinnbilder der vier Evangelisten
in dem ältesten byzantinischen Styl gearbeitet, welches
allerdings auf ein hohes Alter schliefsen läfst. Die er-
sten Christen waren hier vor den Verfolgungen sicher
und konnten unbemerkt ihren Gottesdient in der Stille
verrichten. Diese Kirche liegt in dem Theil der alten
Stadt Syraeus, den die Griechen Acradina nannten, und
wo der Felsen bis zum Meere - eine etwas geneigte^
sonst ebene Oberfläche 'hat; so dafs man von dem un-
terirdischen Bau nichts ahndet, wenn man nicht hinein
geführt wird. In neuerer Zeit ist über dieser unterir-
dischen Kirche das Kloster St. Giovanni erbaut worden,
und man nimmt einen Klosterbruder mit sich, welcfher
die Fremden auf Ersuchen hinabfahrt, um dies höchst
interessante alte Bauwerk in Augenschein zu nehmen.
Die an andern Orten beflndlidien unterirdischen Kf r*
chen aus den frühesten Zeiten des Christenthums, wie
z.B. in den Catacomben zu Neapel u.s. w., unterschei-
den sich wesentlich von jener, dafs sie in die hohlen
von der Natur gebfldeten Räume, die ein grottenartiges
Ansehen haben, gelegt worden sind, keine Form im
Grund- oder Aufrifs haben; wälirend dem die Kirche
St Marziano sichtbar durch die Kraft von Mensehen«
Händen nach einem zuvor angenommenen Plan in den
Felsen hineingearbeitet worden ist.
Utiter allen griechischen Kirchen nimmt die Sophien-
Kirche in Constantinopel den ersten Rang ein, und es
ist nicht zu läugnen, dafs diese Kirche vieles Lob ver-
dient, da die Baumeister derselben Anthemius vonTraU
l^s und Isidor von Milet bei ihr es zuerst wagtai, ein
ungeheures Gew5lbe über den Mittelpunkt des Kreuzes
'auf vier halbkrelsfftrmigen Bugen und auf den in den
vier Ecken dieser Bogen zuerst abgebrachten vier Eck-
• ^
Jtel Duomo dt Monreule. 52
SMriekeln aufzuführtn. Im Oecident wurde zuerst die
Marcus • Kirche in Venedig nach dem Vorbilde der
Sophien • Kirche aufgefShrt« Dieser Baustyl ist Jetzt
vornehmlich -in Rufsland zu finden, wo die giiechisehe
Kirche ihren Haaptsits bat. Dia Cathedrale au Eief^
und die Sophien -Kirche in Nowgorod, die vielen Kir-
chen in Moskau, deren Anzahl sieh auf 300 belauft, —
alle diese haben in ihrer Grundform das griechisehe
Kreuz, und selbst die jetzt noch im Bau stehende
Isaaks- Kirche in Petersburg wird nach dieser Fam
ausgeführt. Ref. muls bekennen, dab er nach dar Taiw
jährigen Besichtigung dieses Baues ihm das gebülirfttdiB
Lob nicht versagen kann, da derselbe immer zu den
ausgezeichnetsten Bauwerken unseres Zeitalters gerech-
net werden mufs.
So wie nun das Innere der Sophien* Kii^be zu
Constantinopel mit Säulen von antiken Monumenten,'
die aus Porphyr, Granit und Serpentin bestehen, ver-
ziert und die Wände und Gewölbe, theils mit Pietre
dure und Marmortafeln in den verschiedensten Fariien,
theiis mit biblischen Mosaik - Gemälden auf Galdgntnd
bekleidet sind; eben so findet sich diese Art der inne-
ren Verzierungen in den Kirchen in Sicilien sowohl,
als in der Marcus - Kirche zu Venedig und in den alte«
sten russisehan Kirchen vor. iMe älteste Kirbhe auf
dem Kreml in Moskau, Bladia vesehnie genannt, ist
im Innern eben so reich mit heiligen Bildern auf Gold»
grund durchweg verziert; dte aber freiliefa nicht in Mo-
saik ausgelegt, me dies bei den beiden erwähnten Kfr-
chen der Fall bt, sondern die nur gemalt sind.
Die Anwendung der Basiliken -Form hei den er*
sten christlichen Kirchen, findet sich nur in Italien vor^
und bei der Kirche St. Michele in Pävia aus dem 7ten
Jahrhundert, deren Abbilduiig wir auf Taf. 27. sehen,
finden wir die erste Abweichung ron dieser Form, in-
dem das lateinische Kreuz mit drei gleichen und Einern
langen Schenkel hier zuerst hervortritt.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Kir*
chen, welche in der Basiliken - Form und denen, Welche
nach der Form eines griechbchen Kreuzes erbest aind^
ist aber auch der: „dafs die Basiliken immer hälzene
;,Decken, die griechischen Kirclien aber Gewölbe habek''
Als man späterhin diese beide Formen ' zu vereinigen
suchte, blieb man zwar in der ersten Zeit bei den hol.
zemen Decken, wie z. B. bei der Cathedrale ton Pisa
Taf. XXYM fig. 29; späterhin gelangte man aber auch
fcpiKuwc, ^ea«^ Käme ^üäiidig mil CbwUbM
Stt versehen^ wie dies be! äem Dom tu Fibrenr u. m.
a.' der Fall ist Nur in Sicilien wich man hlevon ab.
Den Einflnb, wtlcbsn die arabisehe Bauart uater der
Herrschaft der Aaraeenen attsQbte, sieht man deutlieh
in den Bauwerken, welche der Yerf« in seiner Schrift
iiiis rorlegt. Nur zwei Bauwerke sind aus dieser Zeit
hker Obrig geUiehen, die Zis» und die Cuba, walehe an*
atreitlg von den- Sarazenen erbaut worden sind. Auf
Taf. XXVI sieht man bei den Kirchen St. Giacoma la
Masara ani St. Pietra la Bagaara deutlicb die HaupU
forimn von der mitdem Halle der Zisa mit den kleinen
Säulen an den Ecken ausgefulirt. Aber auch die Ara^
hmw banalen in Siciüen anders als. gleichzeitig in Spa»
nlen. Die von ihnen in Cordova zu. gleicher Zeit .er«
Ifaute Mosque hat Bogen in Form eines Hufeisens^ wäh*-'
read in Sicilien an der Zisa und Cuba nur der Spitzr
begea siebtbar ist. Wie der Verf. anführt^ ist der Eini-
tlni§ der bjzandnisehen Baukunst, die %'or Erobemmg
der Araber in Sieilien im Gebrauch war, auch bei der
Zisa «nd Cuba nicht zu veskennen, «nd es sind sehr
wahrscheinlich bei dieser Eroberung die aus der da-
maligen Zeit bestandenen Gebäude bei Einfiifarung des.
Islaoiismus zerstört worden..
Nach Vertreibung der ^Araber unter Anführung des
normSnnisehen Forsten Ibigeii diese an, die zerst5rten
Kirchen wieder neu aufzuführen, und es ist erstauiiens-
wirdig zu seilen, wie In so kurzer Zeit der Regierung der
BormlilinlsebeB Konige se bedeutende und fiufserst IcosW
spienge Bauten» ah die Caihedraten in Cefalu, Motireale;
Palermo, Messiua imd die Rogerts-Capelle,. zu Stande
gekosMaen siad Keine Mesailc» Arbeit muB der dama^
Hgen Zelt ist nfit den Wandverzierun^nr und den Pnfs*
boden der Rogerts-Cftp^He und der Cathedrate zu Mon«
reale an v^rgleioheu, da. sie sowohl in Bezvg auf das
dabei verwendet«^ Material als auch der Ausfihmng der
Arbeit alles der Art übertreffen. Geschliffener und po«
liyter Rorphyr^ Jaspis, Basalt, Agjatbe und Serpentui
sMd'Me SteinaKea, mit denen die Wände farbig, au£
6o1As'(6hmelz bekMdet sind, und es bt daher auch niebe
zu verwundern, wenn man nach Vertauf von 8 Jahrliun«
darteü alles in seiner friberen Pracht sieht, während
dem alles ühnKehe« minder gut gefertigte mit cblr Zeil ^
untergegangen ist.
Auch auf die Aufsenseiten der Gebftude suchte man
in Jener Zeit fatbigte Verzierungen anzubringen, und
Del BMm0 4i JMs^ireeCk
H
bediente sich das« der seh watsen Lava voq^ Aetna. Aa
dem reidi: verzierten Chor - der Cathedraten zu Piilerme
und Monreale sieht man diese dunkeln Verzierungen
auf dem helien Grunde des Steins noch jetzt, und die
Wickuns: davon ist nicht übel zu nennen.. Es ist eia
grefser Onterschied , ob dergleiciien Vetzierungen nur
mit Farbe auf die Vi^ände geiragenoder ob farbige^Mas^
sen in die Wände vertieft eingelegt sind, und. die W^r*
kungen davon von ganz verschiedener Art.
Von der Kirche- in Monzeale seh^n wir auf Taf.l
und II den Grundrifs*, der sieh durch die Anordnung
des durchdricJiten Planes sowohl, als durch den Reichp
thum des musivischen Fufsbodens auszeichnet. Auf Taf%
III befindet sich, die, vordere westliche^ Ansieht mit zwei
ThOrmen und die Ansicht des beben Chores. Man sieht^
wie der Spit;Ebogen<tyl lüer überall deutlich hervortritt^
wenn gleieh die Zeit der Erbauung in das Jahr 1170
fallt Der obere Theil beider Thurme ist in der Zeich«
nung ergänzt? In der Wirklichkeit fehU die linke Thunur
raitze bis zur Dachhdlie des Schiffs, bei dem ande^i^
lue obere Spitze des Thurmes. Die in den obern bei*«
den Slockwerkeiv der Thürme angebr^acliten Fenster mit
Runden Bög^ea Wollen uns daher nicht zusagefi \ da vAt^
deren in keinem andern Tlieil des Gebäudes gewahren^
und selbst an der Catbedrale in Palermo nicht gesehen
haben.. D^en. Reichthum der farbigen Verzierungen aa
dem Chor giebt fie. 2 selir gut wieder. Auf X^r l^V
sehen wir das reiche Uäuptportal mit seinen brenzenei^
Tfaürflügeln abgebildet. Die Tliüreinfassuiigen sind von
weifsem Marmor und die Verzierungen darauf abwecbo
selnd in dea einzelnen* Streifen isntweder als Reliefs ge«
arbeitet oder in Mosaik auf Goldgrund ausgelegt. Dia
bronzene Thur — die wir aber keinesweg^s tik. eih^
gute Arbeit lialten- -^ ist ia 42 Felder eingelheilt, weU
ehe gröfstentheils Darstellungen aus der Bibel enthal«
ten. 8ie ist, nach der darauf enthaltenen Inschrift im
Jahr 1186 von Bonannus aus Pisa gefertigt A* Jl>^
MGXXCVI; L\D. III. BONANNUS CIVI& PISANUS
ME FECI^T^ von demselben also, welcher 1180 die bron-
zene Tiiäre an dem Dom in Pisa gemacht hatte. Sehr
wahrsdieinUeh hat Bonannus diese Tfaüf in Pisa
macht und geglaubt, dafs sie eioe ¥ie.reckigts
vorschlieisen sollte. Da aber die Thüröffnung spitzliogi^
ist, so wird oben eia Theil der Verzierungen an der
viereekiglen Tbüre verdeck i; — An dfrnördiichen Seite
befindet sich eine zweite bronzene ThQre. Taf« XII a|i*
gebildet, welche in Rücksicht auf die Lintheilupg die
vorige ubertriflft, sonst aber —wie wir uns erimiern —
in der Ausführung keinesweges su den s^hOnen Arbet*
ten gerechnet werden kann. Der Verfertiger geht aua
der darauf enthaltene» Insdiriftr BARISANUS^ TRAN*
ME FECIT hervor; indefs fehlt die Jahreszahl. Wie
der Verf. richtig anfuhrt, hat diese Tht&r in Beziehung
auf den Styl viel Aehnlicbkeit mit «den Thüren in Ra-
velle, auf 4tnen sich die iahfeszabl 1179 befindet Es
Ist dahtc seiir wahrseheinlidH dafa Barisaiius nicht allein
diese Thüren, sondern auch die in Trani, auf denen
Sein Name sich vorfinden soll, angefertigt bat. Die Ein*
fassung dieser Thüröffnung ist glatt und mit Mosaik-
«5
Jhicm ii Strr^ di Pah9j IM Bupm^ M SUnr^mU*
Veraiemn^en iiuf Goldgrund avsgdlegl. Auf Tal iV
befindet sich e:ne penpeetlrUch geseiolMiate innere An*
eicht der Kirche, welche iudefc den Reiclithum der koet-
bnren Säulen und nnisivischen auf Goldgfrund gelegten
Wanrfversierungrn |)ieht wiedergebi?n kann, den man bei
^eni £iQfrflt in das GehAude gewählt Besser ist dies
aus den Blättern VH— X zu-ersehen. Bis ku dem er*
Men ikorisontal laufenden Uande sind die Wände mit
V^eifsen Marmorplatten belegt, welche durch rertikale,
Schon Terzierte, und in Mosaik ausgelegte Streifen auf
Goldgrund, in verschiedene Felder eingetheilt ^ü^erden«
Das darüber befindliclie liorizontal laufende Band eiu-
hält eine bekannte arabische Yerziomng, die ohne Far«
benpracht allerdings kerne so gufe Wirkung hervorbrin*
gen würde, als wie dies wirklich der Fall ist. Der
§bri^ Theii der Wände bis zur Decke kt nun ganz
mit Mosaik - Geiuftlden auf Goldgrund angefüllt, dar*
stellend einKehie Be^ebeuheileu a\\% dem allen und
^ neuen Testament« Oben in <ler Nische des Chores
-MMielrt man Christus In halber Figur, nadi einem sehr
grofsen Maafsstabe mit aufgehobener rechter Hand^ nach
griechischem Modus, segnend die Gläubigen der Kirche,
umgeben von seinen Aposteln, Evangelisten und einer
groleen Ansah! von Heiligen/ Die Decken im Krenz
der Kirehe und im hohen Cher sind von Holz, ganz ver«*
goldet und mit farbigen Arabesken verziert. Fast jeder
Kaum hat eine besondere Decken -Construction, wo-
.durch ejne grofse Mannigfaltigkeit in d^n Formen lier«
vorgebracht wird, die ki&iuesweges dem Ganzen sdmdet,
sondern einen schönen Eindruck hervoibringt. Im Jalir
1811 zerstörte ein Brand, welcher durch die Unvorsich«
tigkeit emes Chorknab^en entstand, den ganzen Dach»
verband des Gebäudes; indefs der Schaden war doch
nicht so grofs, als bei dem Brande der Pauls - Kirche in
Rom. l<2s sind die Wände mit ihren Verzierungen
sflmmtlieh erhalten, und das Dädi 4urch die Munificenz
des verstorbenen Königs beider ^ SicÜien in derselben
Art^ wie solelies frülvcr gewesen, und mit derselben
Pracht wieder hergestellt worden. -*- Den neben dew
Kirchs tiegenden Kiesierhef nebst Kreuzhang halten
wir für den schönsten, welchen wir in Italien und 8i«'
eilten 'snhen. Die Säulen sind alle von weifseas Mar*>
mor und die Hälfte der Anzahl mit Mosaik -^ Verzierun-
gen ausgelegt. Dafs die Capitäle alle verschieden ge^
formt sind, Ist bereits schon erwähnt worden. Auch
die Ansichten der Spitzbogen Ober den Sflulen sind mit
Mosaik - Verzierungcu versehen.
Wenn nun gleich die auf den Blättern XY -<- XYli
gegebenen Abbildfingen der Rogorts-Capclle oinigerma^
fsen den Reichthura dieses Bijou's der normänni6el>eii
Baukunst wiedergeben, so iftlst sieh doch der Eindruck
bei dem ersten Eintreten in diese heilige Halle nicht
in Worten ausdrOcken. Die Rogeris-Capelle ist 30 Jahre
frnherals die Cathedrale in Monreale und 5 Jahre vor der
in Cefi|lu erbaut worden, sie ist bei vi*eitem nielM so grois
als diese; alleSn wir stellen sie doch in Beziefating auf
die Anordttttog und AnsfdlinHig des Ganzen iM(m% ak
alle vor und in dieser Zeit in ähnlicher Art ausgefuhr-
4en Gebäude. Betrachteu wir nur den reichverzierten
Fufsboden auf Blatt XY in den verscliledenartigsten
Yerlitndungen ; die sdidnen greisen Porphyrtafeln . an
den Wänden mit den reich verschlungeneu in. Moaaik
verzierten und auf Goldgrund eingesetzten Bändern; so
wie die oberen Wände, ganz bedeckt mit biblischen
Vorstellungen, alles in Mosaik auf Geldgrund, und liiesn
die kQnstlich zusammengestellte Form der Decke } ao
erhält man einen ohn^efähreu Begriil' von dem Ganzen.
Der Einfiufs der arabischen Bauart ist überall sichtbar:
die kleinen Säulen an den Ecken der \Yände ; die Con-
struction der Decke mit den vielen kleinen QbereiBaB»
dergestcUteu Bögen; dann die Zapfen, welche in der
Mitte der Decke herabliängen. £beu so ist aber auch
der Einfluls der byzantinischen Kunst hervorstechend
in den Bildern mit den griechischen Umschriflent ganz
besonders aber auch in der Form des Krctizea mit doa
darüber befiudliciien Kuppeln. AuA'aUend bleUit aber
auch hier der Spitzbogen, welcher bis auf die kleineu
unter der Decke angebrachten Fenster fast iiberall an-
gewendet worden ist. Es ist wehl nieht zu verkemien,
dala die Rogens -CapeUe zum Yocbitde l»ei dem Bau
der Cathedrale in Mourcale gedient hat.
Bei der Cathedrale in Cefalu auf den Blättern
XYIH — XXII, finden wir den Einflufs des byzantint.
scheu Baustils mehr angehflaelm als ia den vorbioge-
daditen Gebäuden, obgleich der Spitzbogen daran vor*
herrschend ist. 3ei dem Hauptportal bemerken wir die
Yorhalle mit zwei Spitzbogen und einen Rundbogen
daswisehen, welche auf äüulen ruiien, die ein veiU^tan-
diges Gebälke habpn. Wer son ohl als über dem hoben
Clior, bleiben die angebrachten Kreuzgewölbe eine auf*
fallende Erscheinung. Das Schiff der Kirche bat einte
hölzeriie Dachverbindung. Der hintere Tlieil des l»9-
lien Chores ist ml Mesaik • Gemälden ia derselbaa Art
wie bei der Kirche zu MoarealfS verziert, der übrige
Theil der Wände aber ohne jede Verzierung. Nxehu
de^to weniger impoiiirt dies Gebäude durch seine grefs-
Erbauung
Cathedrale zu Sronreale benutzt worden ist.
Die Herren llittorf und Kanth haben in ihrem I63S
in Paris erschienenen WerJ^ Architecture .med^nm da
Ia Sicile, Beschreibungen und Abbildungen der (^äthe»
drale in Monreale und der Kogcrts • Capelle gegeben;
es fehlt aber darin die Cathedrale in Cefalu«, und- da es
uns vortheilhafit erscheint, wenn man dia BltdungsMH
fen, wie die EnLwif ke|ui;^ 'der Baul|^unst untrer dei) lior«
männischen Fürsten in Sicilien sich nach und nach ge-
staltet trat, verfolgen kann, wie dies in der Schrift des
Duca Serra di Faico der Fall ist; so kaiin diea Yfmk
den Architeciea und Kunstkennern sabr empfoirfimi
werden. Hesse.
i;..«..
t«
• c^ 8.
J ah r b ü c h e r
für
w i s s e n s c h a f 1 1 i c h e
Januar 1840«
Kr i t i k
IV.
Geschichte der europäischen Staaten. Heraus^
gegeben von A. JB. L. Heeren und F* A.
Ukert. —
Geschichte ton Portugal von Dr. Heinrich Schä^
fe r, ord. Prof. der Geschichte an der Üniv.
. zu Giefsen. Zweiter Band. Vom Erlöschen der
echten burgundischen Linie bis zum Schlüsse
des Mittelalters. Hamburg, 1839. bei Frie-
drich Perthes. XVII. 8. 667. gr. 8.
Da von vorsteheDdem Werke schon der erste Band
in diesen Blättern besprochen worden ist, 'so wird hier
jetzt nur der zweite beurtheilt. Als Nachtrag zum er-
sten Band aber ist anzusehen, ^as im zweiten Theil
TOB S. 1 — 106 angegeben ist. Der Yerf. überschreibt
diesen AbschniU: Rückblick auf dc^ Staatsweiten vom.
Hegierungsa^triit des Königs Dini» bis xum Erlö'
ecken der ersten burgundischen Linie. Diese innere
Geschichte des portifgiesisphen Yolkes ist mit ganz vor-
saglicher Genauigkeit und Kenntnifs der.Yerhältiiisse
und Zustände der Regierung des Landes und seiner
Bewohner abgefafst; man mochte behaupten, hie nnd *
da sind innere Yerhältnisse in der portugiesischen Ge-
schichte des Mittelalors in*s Licht gestellt, wovon die
analogen in Deutschland Hoch nicht entwickelt sind.
Es werden in diesem Abschnitte näifilich besprochen
die an der Kegierung des Staates Antheilnehmenden
und. deren Yerbältnisse zu einander: der König, seine
Räthe und Hpfbeamten ; der Adel, die Cortes, die Geist*
lichkeit. AuGserdem findet sich die Rechtspflege und
4eren Entwickelung und der Zustand der Qultur und'
Wissenschaften in P<Hrlugal dargestellt.
Was nun die im zweiten . Baiide behandelte (3e«
schichte betrifft, so umfaCpt diese nur etwas über hun*
dert Jahre von 1383 — 1495. Bei dem starken Umfang
Jahrb. f. wiittmch. Kritik. J. 1840. I. Bd,
des Bandes ist ei .ein geringer Zeitraum, der' behandelt
wird. Hr. Schäfer entschuldigt diese Ausführlichkeit
in der Darstellung damit ^ daCsi er bei jder Armuth an
portugiesischen Geschiehtswerken in Deutschland (und
auch in andern Länderta) sich nicht Icürzer fassen und
auf leicht zugängliche Werke hinweisen konnte, wel-
che dem Leser befriedigende und zuverläfsige Auskunft
darböten. Auch hätte ihn zu dieser ausfOhriichem Dar«
stellungsweise die Betrachtung bewogen, wie es hier
die Zeiten des ' Aufstrebens der Portugiesen, eines oft
bis zur Begebterung gesteigerten Aufschwungs seien,
um die es sich handele, und wie der Geist, der die Na-
tion und ihre hervorragenden Fuhrer beseele, sich nur
in einzelnen Ziigen, fThaten und YorgSngen ausspreche
und in seiner Eigenthümlichkeit offenbare. Wenn wir
auch keineswegs dem Yerf. es zum Tadel rechnen, dal^
er dinem Nuno Alvares Pereira, jenep grofsen . Siaats-
manne und berühmten Heerführer Jolianns I., mehr als
ein Blatt in der Geschichte Portugals widmete; da£s er
die Regentschaft Pedro's, seine Thaten und seine Schick-
sale, * die für Portugals Geschichte so bedeutend sind^
mit besonderer Yorliebe in*s Einzelne: verfolgte und
selbst hie und da der Erzählung einen -pbetisch^n An-
strich lieh ; dafs er bei der Hinrichtung des Herzogs -von
Braganza mit allen einzelnen Umständen defn Hergang
der Sache, der bisher irrig dargestellt worden, berich^
tet: so finden wir doch bei manchen andern Personen
lind Ereignissen nicht solche Entschuldigungsgründe,
Die allzu grofse Ausführlichkeit bei minder wichtigen
Gegenständen ermüdet, schwächt den Totaleindruck und
läfst Hauptpersonen und die bedeutungsvollsten Ereig-
nisse zu wenig hervorspringen. Bei einer gedrängte*
ren Darstellung,^ in der doch nichts Wesentliches hätte
übergangen zu werden brauchen, wäre Baum gewonnen
worden, in diesem zweiten Band den Schlufsstein i'es
Mittelalters in der portugiesischen Geschichte^ die Be*
gierung Emanuels des Grofsen ^ und die Darstellung,
8
59 Schäfer^ Geschickte von
derStaatsrerfassung und YerwaUung des swei(en Zeit-
rainns am passenden Orte aufEunehmen, anstatt dafs
jetst dieser Theil der Geschichte in den dritten Band
verwiesen werden mufste.
In dem zweiten Zeitraum aber, welcher, wie an-
gegeben, die Jahre 1383 — 14S5 umfafst^ behandelt der
Yerf. in sechs Abschnitten folgende Regierungen und
damit verknüpfte wichtige Ereignisse. Nachdem die Z^it
des Zwischenreiches und der Regentschaft dargestellt
worden, werden Johann's I. Thronbesteigung, sein Krieg
mit CastUien,^ die ersten Eroberungen der Portugiesen
und ihre Entdeckungen an der africanischen Küste
enählt« Als besonders wichtig in diesem Zeitabschnitt
sind stt bezeichneit: die Yersammlung der Cortes in
Coimbra, die Thaten des Connetable Nuno Alv^resPe*
reira, die durch den Infahten Heinrich bewirkten Ent-
deckungen und Niederlassungen der Portugiesen an der
westlichen Küste Africa*s. Interessant ist es zu erfalu
ren, dafs vor dem Auslaufen der portugiesischen Flotte
zur Eroberung Ceuta's ein deutscher Herzog und ein
deutscher Baron (ihre Namen werden aber nicht ge*
uannt) ihre Dienste anboten« Jener zog zwar wieder
ab, weil ihm der König das Ziel der Kriegsfahrt nicht
sagen wollte, allein der Baron blieb und leistete mit
vierzig ISdelleuten , sehr wackem Rittern , treflfliche
. Dienste. Die Eroberung Ceuta's wird nach Matth, de
Pisano sehr ausführlich erzählt und dabei auch nicht
unbenutzt gelassen, was andere portugiesische Ge-
schichtsquellen darüber berichten ; aber wir finden nicht,
dars die abendländischen Berichte anderer Lftnder über
dieses damals in ganz Europa Aufsehen erregende Er-
, eignif^. zu Rath gezogen worden sind. Auch vermifst
ma^ des Königs Johann L Antheil zur Hebung des
grofsen Schisma's in der Kirche^ sein anfängliches Fest-
halten an Papst Johann XXIII.^ sodann seinen Beitritt
zum Constanzer Concilium und seine Schritte beim Pap-
ste Martin V«, wodurch dieser bewogen ward, eine Bulle
zu erlassen, worin er ziim Kreuzzug gegen die Un-
gläubigen in Africa und zum Beistand der Portugiesen
in ihren Unternehmungen gegen dieselben alte ohristU-
ehen Fürsien Europa's auffordisrt. Freilich fand die Auf-
forderung bei den letztern keinen Anklang, da aber
Hr. Schäfer die Verhältnisse Pörtugal's zu andern christ-
^ liehen Staaten während der Regierung Johann's I. be-
spricht, so hätte dieser Dinge immerhin auch Erwäh-
nung geschehen dürfen. Auch den Reisen und aben-
Portugal. Zweüer Band. 60
theuerlichen Zügen von Johann's I. Sohn, dem Inran-
ten Peter, dessen spätere Thätigkeit und Schicksäle in
Portugal sehr genau und ausführlich dairgestellt werden,
hätte ein oder das andere Blatt gewidmet werden kdn»
nen. Zwar spricht Hr. Sdiäfer S. 456 von den Reis^B
des Infanten (nach Pina*s Chronik) wie folgt: ,,Yan
wenigen Fidalgoa und Bedienten begleitet, verlieCs er
im Jahre 1424 Portugal, um das heilige Land zu besu-
chen und zugleich mehrere Hofe und Länder zu seheUj
und reiste vier Jahre in Europa, Asien und Africa.
Der gefeierte Name seines Vaters und seine eigene ge-
diegene Persönlichkeit verschafften ihm überall eine gute
Aufnahme, namentlich am türkischen Hofe und am
Hofe des Sultans von Babylon. Mit Auszeichnung
K^urde er auf seiner. Rückreise vom Papst Martin Y. in
Rom empfangen. — Später sehen wir ihn am Hofe des
Kaisers Sigmund und von diesem für seine aüsgezeich-
neten Thaten im Kriege gegen die Türken und die
Venetianer mit der Marca Trevisana bes<;|ienkt$ dann
an den verwandten Höfen von Dänemark, England, dem
Getmrtslande seiner Mutter, Castilien und Aragon, überall
wohl aufgenommen, und ausgezeichnet." Aber es lieb
sich niach deutschen und italienischen Berichten der Zeitj
welche dieser Reise des Infanten Erwähnung thun, man-
che ungenauer Angabe des portugiesischen Chronik*
Schreibers berichtigen und vervollständigen. Offenbar
unrichtig ist die Zeit angegeben, in der die Mark- von
Treviso dem Infanten verliehen wird. Nach einer Ur-
kunde des K. Sigmund*s fand sie schon zu Cokistans
den 22. Jan. 1418 statt. Vgl. Chmel Regdsta Pride-
rici III. Imp. Abth. I. n. 1534. Von einem Antheile
des portugiesischen Infanten Pedro an dem Hussiten«
* kriege um 1424 spricht Aeneas Sylv. in der Hist Bo-
hem. c. 44., von dessen Antheile an dem Türkenkriege
und seinem Aufenthalt in Ungarn im Jahre 1426 handelt
Eberhard Windeck in seinem Leben K. Sigmuad's c. 14CL
Im dritten Abschnitte erzählt Hr. Schäfer Eduard's
kurze Regierung und im folgenden die Regentschaft
des Infanten Pedro, während der Minderjährigkeit AI«
fonso's y . Der fünfte Abschnitt behandelt Alfonso's V.
Regierung^ die weitern Entdeckungen und Eroberungen
der Portugiesen an der afrieanisehen Küste und die Ver.
hältnisse und Berührungen Pörtugal's zu Castilien. Den
Schlufs des Buches macht Johann's II. Regierung, wel*
ehe aus dem Kampf mit den mächtigen Vasallen de9
Landes (Donatarios) siegreich hervorgeht.
61 Caruij Sy^t&m
Nach eioer MittheiluDg des Verfii. in der Yorrede
wird vorerst von ihm die Geschiehte Porlugal's nicht
weiter geführt. Dafür verspricht er aber, bald mög-
li^sC die Qbemonunene Bearbeitung der spanischen
Geschichte bis zu einem gewissen Punkt zu fuhren und
sodann die hoffentlich nicht allzulange unterbrochene
Fortsetsung der Geschichte Portugars zu geben. Die
vieljäbrigen Studien des Hrn. Schäfer in der Gesclüchte
der idnem Zustande Spaniens und seine treffliche Ge-
schichte Portugals bürgen dafür, dab von ihm auch
eiae ausgezeichnete spanische GesehiclHe werde gelle«
fert werden.
Asohbach* ,
V.
SjfStem der Physiologiej umfassend das Allge-
fneine der Physiologie^ die physiologische 'Oe-^
schichte der Menschheit ^ die des Menschen
und die der einzelnen organischen Systeme im
Menschen^ für Naturforscher und Aerzte be-
arbeitet von Dr. Carl Gustav Carus u. s. w.
Erster Theil, enthaltend das Allgemeine der
Physiologie^ die physiologische Geschichte der
Menschheit und die physiologische Geschichte
des Menschen. Dresden u. Leipzigs 1838. bei
Fleischer. XVIII. u. 372 S. — Zweiter Theil,
enthaltend die physiologische Geschichte des
Bildungslebens y des Blut- und LymphlebenSy
des Lebens der Athmungy der Absonderungen,
der Ernährung überhaupt und insbesondere
der Verdauung. Das. 1839. X u. 460 S.
Der originelle, geistreiche und vidseitige Hr. Yerf.^
dieser Schrift charakterisirt dieselbe im Yerhältnirs zum
gegenwärtigen Stande der Physiologie selbst im Yoraus
auf folgende Weise. Die heutige Physiologie, die sich
ungefähr bis auf Reil zurückdatire , habe ihre Lieht'
Seite: in einem auTserordentlich erweiterten Ueberblicke
Über eine grolse Zahl erst genauer kennen gelernter
Organismen; in seitdem erst entdeckten oder wenig*
stens näher erforschten wichtigen chemischen und phy-
sikalischen Erscheinungen und ihrer Anwendung auf
die Physiologie; in dem durch HuITe des vervollkomm-
neten Mikroskops und seine fleifsigere und geübtere
der Physiologie. 62
■
Benützung näher' erkannten feineren animalischen. Baue
und endlich in einer für die Naturwissenschaften for*
derlicheren Form der Philosophie. Die Schattenseite
der heutigen Physiologie bestehe aber: in ihrem Aus»
gehen von der anatomischen Betrachtung des Cadavers
und somit vom Tode, da sie doch die Lehre vom Le«
ben sein solle ; in der sich daraus bildenden Vorstellung,
als ob das Leben ein Resultat sei von todten Organen
und einem \ durch Kraft boEeichneten abstractea ufid
übrigens unbekannten'* Etwas , wogegen doch vielmehr
vor Allem vom Leben aus« und eu seinen Resultaten
fortzugehen sei, zu denen eben auch die Organisation
geiiöre; ferner in ungeeigneten Vorstellungen, welche
Physiologen noch häufig in Bezug auf den Begriff von
Seele und von ihrem Grund Verhältnisse zum Organis-
mus hegten, endlich in dem unstatthaften Unterschiede
'zwischen organisch -lebendiger und sogenannter unor-
ganisch - todter Natur. In Rucksicht auf diese Schat-
tenseite sei der Physiologie unsrer Tag^ noch eine
wesentliche Umgestaltung nothwendig, wenn sie niclijt
als läelbständige Wissenschaft aufgegeben. werden und '
sich in bloFse „Mikrolog-descriptiv- Anatomie" verlie*
ren solle. Diese wesentliche Umgestaltung soll denn
nun durch gegenwärtiges Werk versucht und dabei ^
,»eine Ansicht aus dem Ganzen/' ja ein System der '
Physiologie angestrebt werden, welches dem Arzte und
Naturforscher, dem Psychologen und Philosophen genü-
gen könne und vorzüglich dasjenige von der Physiolo-
gie heraushebe, „worin sie sich noch wesentlich von
dem Sinne einer lichtvollen, der Genesis des Lebens
mit Wahrheit und Schönheit folgenden Wissenschaft
entferne."
Gemäfs diesen höheren Ansprüchen des Werkes
steigern sich nothwendig auch die Anforderungen an
die ^ritik desselben, die sich jedoch , ebenfalls jener
Ansprache wegen;, vorzugsweise auf den Standpunkt
und Geist, die allgemeuisten Grundlagen und die Me-
thode des Werks zu beziehen hat.
Mit Recht fordert unser Hr. Verf. vor 'Allem eine
allgemein - biologische Grundlage für die Physiologie*
Solche Versuche sind in manchen Werken über Phy-
siologie, sehr traurig auiigefallen, weil man sie mit allzu-
wenig umfassendem und tief dringendem Blicke unter-
nahm. Die neuerlichst vorherrschende Physiologie lieis
sich vollends so wenig als möglich darauf ein, stellt
oft von Anfang bis zu Ende fast blofs ein Fachwerk
63
fo'r empirisches Material dar, das, an sich selbst häufig
mehr anderer, namentlich aiiatomüseher als physiologi-
scher Natur, mehr nur äufserllch und theUweise durch.
Reflexion an einander gehalten und auf einander bezo-
gen wird, und wodurch der eigeuthiimllche Charakter
der Physiologie den empirischen Seiten solcher Zweige
der Wissenschaft, welche jener Material und Hulfsmit-
tel EU liefern haben, mehr oder weniger aufgeopfert wird.
Unser Hr. Yerf. hat es besser und ernster vor. Allein
s
er begeht sofort den bedeutenden Mifsgriff, allgemeine
.Biologie mit allgemeiner Physiologie, zu Ter wechseln«
Groüsentheils aus demselben Grunde fielen aber frühere
Tersuche biologischer Begründung der Physiologie so
uuglacklich aus. Letztere hat ja tiur eine besondere
Form lebendigen Daseins zum Gegenstande ; von ihrem
Standpunkte aus kann also nicht das ganze Leben an
und für sich und nach seinen verschiedenen Formen,
Stufen und Seiten gewürdigt werden. Die allgemeine
Biologie mufs durchaus mehr als besoQdere Doctrin ge-
fordert und angebaut werden, an die dann Physiologie,
Psychologie, Pneumatologie u. s. w. je in ihrer Weise
besonders anzuknüpfen haben.
Unser Hr. Yerf. kniipft dabei zwar alsbald selbst
^ an. Gott an ; allein er thut auch diefs gewissermafsen
nur einseitig unter physiologischem Gesichtspunkte. Zwar
unterscheidet er eine Physik, und «ine Metaphysik des
Lebens und betrachtet als Gegenstand der letzteren die
Idee, die gottliche Idee, die allem Sinnlichen zu Grunde
liege und vorausgehe; zugleich aber bezieht er diese
mit Leben identificirte Idee nur auf ein ,^göttliches Ur-
Wesen", eine „göttliche Yernunft", ein „göttliches My-
sterium*', anstatt auf den offenbaren, weil geoffenbarten^
geistig -persönlichen, dreieinigen Gott Sein Standpunkt
dabei ist der spinozistisch - pantheistische, dieser ebeiiso
mifsliche als leicht bestechende Wendepunkt in der mo-
dernen Entwickelung. Yon ihm aus wird ihm Gott
mehr oder weniger zur blolsen mütterlichen Substanz,
der zugleich eine Art ttäumerbcher Yorstellungen oder
etwas dergleichen und ein ätherischer Dunst und Nebel
entsteigen, aus deren magischem Wechselspiele die Welt
erwachsen solL Die göttliche Idee bedürfe nämlich,
heifst es, um zur Erscheinung zu gelangen, noch eines
Anderen, sonst Materie oder Substanz genannt, hier
Aethen Zwar sollen diese beiden selbst nur verschie-
Carus^ System der Physiologie.
fr4
dene Manifestationen und Pole, die ewigen Offenbarun-
gen eines und desselben göttlichen Urwesens sein. At-
lein, auch abgesehen von dieser ungeeigneten Auffas-
sung Gottes, so wird damit doch nolens volens filr die
Welt alsbald ein gar fataler Dualismus statuirt. Ware
Gott nicht so mifskannt, so würde das von Gott per-
sönlich gewollte und. geschaffene allgemeine Leben als
die ursprünglich Oott nur analoge nutter der Welt er-
kannt werden, somit an sich und in seiner reinen Ur*
sprünglichkeit namentlich auch als etwas Geistartiges,
dessen secundäre, theilweise materielle Ersclieinung nur
Resultat des von Gott in ihm' angefachten Proceseee
ist, den eine angemessene Dialektik mit stetem Ruck*
blick auf Gott und Yorblick auf die wirkliche Welt zu
verfolgen und nachconstruirend auficuzeigen hat. Allein
gerade rücksichtlich der Dialektik erinnert unser Hr.
Yerf. weniger an Spfnoza, als an den jüngeren Spröfs«
ling des Spinozismus, die letzte naturphilosopUsche Pe-
riode, die ebenfalls eine scharfe, gewandte und gemes-
sene Dialektijc nur zu häufig durch blofse geniale Laune
oder noch Geringeres und Mifslicheres zu ersetzen
suchte.
Leider entsprechen solchem Aus - und Fortgang die-
ser allgemein biologischen Einleitung die sich ergeben-
den Resultate. Da, wo eiuQ „KchtvoUe Wissenschaft
der Genesis des Lebens mit Wahrheit und Schönlieit
folget! soir, wäre zu erwarten gei^esen, dab sofort
einerseits der Eine Ur- und Proto - Orgaiusmua des
Makrokosmos und andererseits die Welt der deutero-
organischen Mikrokosmen zur Anschauung gebracht
würden. Defsgleichen die anderwärts durch Him-
mel und Erde angedeutete Organisation und Grund-
gliederung des ersteren u. s. w. Anstatt dessen wer-
den aber alsbald reale, spirituelle und ideelle Organis-
men unterschieden. Erstere sollen daraus resultiren,
dafs die göttliche Idee ihrer selbst uubewufst dem Aether
eine Form gebe, die zwat stets zugleich im Werden
und Yergehn begriffen sei, aber .doch auch, einen ge-
wissen Bestand habe, selbst noch als Leiche. Indem
dabei der Begriff von Organbmus fast bloCs durch die
Benennung „Gliedbau*' erläutert werden soll, werdoi
als reale Organismen genannt: Weltkörper, Pflanzen,
Thiere und Menschen.
(Die Fortsetzung folgt.)
wissen
JL«* 9.
Jahrbücher
f..
u r
schaftliche
K r i t i k.
Januar 1840.
System der Physiologie^ umfassend das Allgemeine
der Physiologie^ die physiologische Geschichte
der Mefischheitj die des Menschen und die der
einzelnen organischen Systeme im Menschen^
• für Natufforscher und Aerxte bearbeitet ton
Dr. Carl Gustav Carus u. s. w.
(Fortsetzung.)
Allein ist die gotUiche Idee von Haus aus und in
Gott eine, unbewufsle? Oder wie wird sie diefs^ falls
sie überhaupt so zu denken wäre, aus einer bewiifsten
und wieder umgekehrt? Zudem sind einzelne Weltkör-
per überhaupt keine Organismen , weder solche noch
solche, sondern nur Glieder, Organe des Einen Proto-
Organismus, von dem selbst ganze Systeme jener eben
nur Systeme des Einen Organismus sind. Diesen ver-
mag aber unser Hr. Verf. trotz alles Gewichts, das er
niit Recht darauflegt, und aller Mühe, die er sich defs-
Lalb giebt, doch nicht von der Yerdammnifs zu Unor-
ganischem zu erlösen. Diefs darum nicht, weil auch
ihm der BegriiF des Unorganischen im Unterschiede von
Proto- und Deuteroorganischem fehlt. Es giebt aber
eben doch Unorganisches und Organisches. Ersleres
ist eben so wenig wcgzudisputircn, wie es Hr. C. möchte,
als mit Protoorganischem zu verwechseln, wie ganz ge-
wöhnlich geschieht. Unorganisches resultirt erst secun-
där sowohl von Proto- als von Deuteroorganischem;
wenn Theile dieser ^o aufser Gemeinschaft mit ihrem
Ganzen gesetzt werden, daCs sie weder durch dieses,
noch durch sich selbst und Anderes befähigt sind, in
ihrer Art fortzuexistiren, sondern, anstatt so femer zu
wesen, vielmehr durch fremde^ Uebergewalt mehr oder
weniger schnell zum Verwesen gebracht werden. So-
dann sind denn Thiere und Menschen nur reale Orga-
nismen? Und giebt es denn für den Hm. VerL selb-
ständige spirituelle Organismen, die derselbe als solche
bezeichnet, wo sich die Idee als ein Bewufstes zu re-
Jahrb. f. wUientch. Kritik. J. 1840. 1. Bd.
lativer Selbständigkeit entvrickele, in welchen ,>Abspie-
gelungen, älherische Abbilder oder Vorstellungen" von
den Zuständen ihrer Erscheinung als realer Organis-
mus zu Stande kämen? Nur Vorstellungen? Und nur
von den Zuständen der eigenen realen Erscheinung? —
Ideelle Organismen sollen Ganze sein, wie die Mensch- ^
heit als Ganzes. Welcher willkuhrliche Biegrlff ist da*
' bei mit dem VTorte ideell verbunden ? — -i— Schon in
Bezug auf den Einen protoorganisch'en Makrokosmos
hätte eine reale und eine ideale Sphäre erkannt, noch
vorher hätten bestimmte Begriffe für real und ideal g^
Wonnen und derselbe Gegensatz nachher in unterge- ~
ordneten Wiederholungen bereits im Protoorganismus
selbst nachgewiesen werden sollen, vvie im Solaren und
Planetaren u. s. w. 'Dann würde er auch im Bereiche
des Deuteroorganischen auf höherer Potenz wiederge-
kehrt sein: am concretesten in der irdischen Sphäre
in einem Pflanzen- und einem Thierreiche; weiter«
hin im Thiere und Menschen abermals insbesondere als
Physisches und Psychisches.
»
In der Welt des Deuteroorganischen erkennt unser
Hr. Verf. zwar eine Indifferenzsphäre von Pflanzlichem
und Thierischem, ferner einen Gegensats zwischen
Pflanzen- und Thierreich und endlich im Menschen
die höhere Synthese dieser an. Aber indem er Seele
und Geist vereinerleit, bleibt ihm der Mensch doch nur
organisches Wesen, als welches er nur höchstes Thier
wäre und bliebe und für Hrn. C. auch wirklich blofs
ist. Mit dem Begriffe Geist fällt auch die Möglichkeit
weg, den Menschen wesentlichst als geistiges, als gei-
stig-persönliches Wesen aufzufassen und ihm eine beson-
dere höhere Stellung zu vindiciren. Zwar ist von Per-
jsönlichkeit des Menschen hie und da die Rede, aber
so, dafs eine solche auch vom Thiere prädicirt werden
könnte. Wie sollte es auch, nachdem Umgang genom-
men ist vom absoluten Geiste und der absoluten Peif- ^
sönlichkeit Gottes, des Ur- und Vorbildes, zu einem
67 CaruMy System
entsprechenden Begriffe von Gebt und Persönlichkeit
des Menschen, des Ebenbildes, kommen? — Darum wer-
den auch im Menschen blofs unterschieden : Geschlechts-
leben, individuelles Bildungsleben, individuelles Empfin-
dungslcbön und Seelen - oder Gebtesleben. Zwar ist
die Anerkennung des Geschlechtslebens als besonderer
Sphäre an sich nur zu loben. Allein Empfindungsleben
ist schon Seelenleben. .Mit ihm ist Seelenleben alles
bewufstwerdende und bewufste — wenn auch nicht
sofort eigentlich selbstbewulste — Leben in Bezug auf
das eigene Sein und die Welt Oberhaupt blofs als sol-
che und an und für sich; alles nur relativ innerlich
und einheitlich im Gegensatze zum Physischen, dem
noch gar Manches aufser dem Bildungsleben angehört,
und das überhaupt sowohl, als das Psychische, am und
im Menschen concreler in vegetatives, animales und
humanes zu unterscheiden gewesen wäre. Geist aber
endlich ist das höchste, sclilechthin einheitliche und in-
nerUche, bewufste und selbstbewufste Leiben wesent-
lich in Beziehung auf Gott und sein Verhältnifs zur
Welt, somit wesentlich religiös -sittlichen Cliarakters.
Dieser aber kann bei solch* einem Begriffe und Ausge-
hen von Gott, wie wir sie in diesem Werke finden,
kaum irgend auch nur berUhrt werden. (Dem Hrn. Vf.
ist Religion die allgemeine Yerbindung der Menschen
unter einander zu einem gemeinschaftlichen Ganzen.)
So aber kann dasselbe auch nimmermehr zu einer posi-
tiven und coucreten geschichtlichen Auffassung des
Lebens gedeihen, obwohl es eben so eine „Geschichte",
wie ein System sein soll. Die Angel der Geschichte
des Lebens ist eine religiös -sittliche; ihre Grundmo-
mente sind Fall und Erlösung, die zwar ursprünglich
nur das eigentlich geistige Leben angehen, aber un-
möglich auf dasselbe beschränkt bleiben können, son-
dern ihre Wirkungen allenthalben hin verbreiten. Rec.
weifs gar wohl, dafs Erinnerungen der Art Naturfor-
schern und Aerzteu vielfach eine Thorheit und ein
Aergernifs sind. Er weifs aber auch^ dafs erst da, wo
die Augen diesem Lichte geöffnet worden sind und wo
, sie es ertragen gelernt haben, gar Vieles auch blofs in
der phy^isdien Natur erst in. seuicr wahren Gestalt und
Bedeutung gesehen werden kann und dafs namentlich
eine wahre allgemeine Biologie und Anthropologie an-
ders schlechterdings unmöglich sind. Allerdings mögen
manche sonst wohl einschlägige Schriften weit unter
solch* einer Kritik und von ihr unberührt liegen blei-
der PJiyuologü. 68
ben können. Das gegenwärtige Werk drängt sieh ihr
aber selbst auf und fordert sie heraus, wie sich suicfa
noch aus dem Nachfolgenden ergeben wird.
Die beiden ersten Abschnitte der speciellen Physio-
logie nämlieh, welche der erste Band noch «ithält, sind
ebenfalls nicht, wenigstens gröfseren Theils nicht, Phy-
siologie, sondern Anthropologie. Aber auch diese, wie
die allgemeine Biologie, einseitig auf den Standpunkt
der Physiologie herüber- und herab -gezerrt« Der erste
dieser Abschnitte handelt aber „vom Leben der Mensch*
heit" nach 8 wesentlichen Momenten, nach welchen
jeder besondere Gegenstand in diesem Werke in Be-
tracht gezogen wird und in deren Aufstellung und ste-
ter Wiederkehr hauptsächlich das „System** und zu-
gleich die „Geschichte*' zu suchen sind. Diese Mo-
mente sind: Entstehung — Entwickelung und Gliede-
rung ^ Verhältnifs der Organe und Theile unter sich
und zum Ganzen — Verhältuils des Ganzen zu andern
Ganzen und zum Höchsten — regelmäisige Lebenspe-
rioden « Lebensstörungen — Sterben — Verhältnils
zur (sog.) göttlichen Idee. Wir referiren atis diesem
Abschnitte nur Folgendes. Es sei nicht zu denken, dafs
die Entstehung d^ Menschheit (aus Urbläschen) nur
ein - oder zweifach erfolgt sei , sondern in „gewalti-
ger Menge.'' Der Fötalzustand der Menschheit sei noch
heute in den Bosjesmen, Papus u. dergl. rcprasentirt.
Weil es viererlei epitellurische Geschöpfe (Protoorga-
nismen, Pflanzeirthiere oder Thierpflanzen, Pflanzen,
Tliiere und Menschen) und vier Tagszeiten gebe, so
gebe es auch vier Menschenra^en , nämlich Nachtmen»
sehen oder Aethiepen, Tagmenschen oder kaukasisch*
europäische, Morgendämmerungs- Menschen oder mon*
golisch-malayisch-hindostanische und endlich Abend-
dämmerungs - Menschen oder Uramerikaner. ladem wir
uns jeder Bemerkung Ober diesen für gleich neu und
wichtig gehaltenen Fund enthalten, werde nur noch er-
wähnt, dafs als weitere Gliederung jeder Ra^e betrach-
tet wird: Verschiedenheit der Individuen nach Alter,
Geschlecht und Persönlichkeit ^— Dinge, wodurch sich
Individuen gegen Individuen charakterisiren, wohinge-
gen die Ragen sich in der That weiter gliedern in Völ-
kerstämme, einzelne Völker, Volkszweige, Stände oder
sog. Menschenklassen und Familien, deren unmittel-
bare Bestandtheile endlich erst Individuen smd. — In
Bezug auf die Geschichte der Menschheit wird nur be-
merkt, dafs sie, jedoch nur auf ideelle Weise (?), den-
69 Carui^ System
selben Typus der Spirafiinle befolge, wie der Indivi-
dudle Organismus, und dafs einzelne Perioden durch
• Entstehen 'neuer und Erlöschen älterer Yerinogen be-
gründet seien. Nebenbei und Beispielsweise heifst es
neeh : die griechische Yolksbildung habe die Idee der
Schönheit zuerst rein verwirklicht, das Christenthum
die Idee der reinen Liebe und vollendeten Güte, die
neueste Zeit habe die Bestimmung, durch Wissenschaft*
liches Streben die Idee der Wahrheit zu venvirklicheii,
. und das Ziel der MeDtschheit sei die Weisheit. Uebri-
gens wird das Ende, das Sterben der Menschheit den
fruchtlosen Speculationen müfsiger Kopfe überlassen.
Wie ~wohl dabei namentlich auch Christus und seine
Apostel wegkommen? Und wie sich wohl die Haupt-
ttiatsachen der Geschichte zu dem vorher angedeuteten^
Fortschritt verhalten I
Soviel ist übrigens klar, dafs dieses System der
Physiologie in diesem Abschnitte Physiologie zu blei-
ben sich nicht bescheidet, sondern sich vollauf bIs An-
thropologie zu geriren strebt. Auch das ist klar, daüs
diefs mit sehr wenig GlUck geschehen ist und besser
ungeschehen geblieben wäre. Dafs der unnöthige und
undaokbare Yersuch nicht wohl anders ausfallen konnte,
mufste schon aus den Grundzügen der allgemeinen Bio-
logie klar werden. Nicht wohl abzusehen dagegen ist
es, warum der Hr. Verf. nicht in der Sphäre der Phy-
siologie geblieben ist Zwar wäre es ganz in der Ord-
nung gewesen, wenn er eine, wo nur sonst geeignete,
allgemein biologische Ebüeitung bis zum Ausgangspunkt
der Anthropologie und bis zur Aussicht auf deren Grund-
. gliederung fortgeHihrt hätte, um sodann nur die phy-
siologische Richtung zu verfolgen, die anderen Seiten
und Stufen der Anthropologie aber soviel möglich auf
sich beruhen zu lassen. Dann wäre auch das zu bil-
ligen gewesen, dafs die Physiologie als solche, d. h. als
Lehre vom lebendigen physischen Sein, mit möglichst
unmittelbarer Beziehung auf das Menschengeschlecht
^äls solches und auf seine gröfseren Bestandtheile bis
. zum menschlichen Individuum begonnen worden wäre.
Aliein so ist sich ohne Noth und Beruf auf ein frem-
des Feld verirrt worden. Gerne wollen wir gestehen,
dafs dazu eine gute, obwohl nicht zur Klarheit ge-
brachte, Ahnung mit getrieben haben mag. Die näm-
lich, .dafs möglichste Begründung und Yollendung der
Physiologie des Menschen grofsentheils davon abhänge,
dab sie durch und durch nur als besonderes Element
der Physiologie^- 70
der gesammten Anthropologie, neben der Psychologie
und Pneumatologie des Menschen u. s. w., betrachtet
und behandelt Werde; eiAe Entwickelungsepoche jenet
und dieser, die nicht ausbleiben wird, ja die sich be-
reits immer näher aufdrängt, durch welche diese ver-
schiedenen Seiten und Stufen des Ganzen der Anthro-
pologie manaichfache Beschränkungen , Ergänzungen
und Beziehungen, mit all* dem aber eben so mannichfa-
che Berichtigungen und Vervollkommnung erfahren wer-
den und müssen. Ernster und allseitiger Anbau der
Anthropologie wird mehr und mehr dringendes Bedürf-
nifs der allgemeinen Bildung, und die Medicin insbe-
sondere hat zu ihrer nähern Begründung blofs an der
Physiologie für sich keineswegs genug, sondern fordert
' dazu immer gebieterischer die ganze eigentliche Atithro-
pologic. Allein hier sollte und konnte es sich nur um
Physiologie handeln. Auch eine Psychologie des Men-
, sehen konnte für sich dem Hrn. Yerf. bis auf einen
gewissen Grad gelingen,' wie sie in seinen gedruckten
Torlesungen vorliegt. Zu einer vollen Anthropologie
fehlen ihm aber die wesentlichsten Prämissen. Wie
diefs aus seinen allgemein biologischen Grundsätzen
und dem bisher Erwähnten erhellt, so namentlich auch
aus der in dem allgemeiiieh Theile gegenwärtigen Werks
vorkommenden Abgrenzung folgender Lebenskreise : ei-
nes kosmischen, eines tellurischen und eines epitelluri-
schen, welchem letzteren eben die gewöhnlich nur sog.
organischen Wesen mit dem Menschen angehören sol-
len. Nun fehlt es zwar nicht an gegenseitigen Andeu-'
tungen ; immeV aber drängt sich dabei die Yorstellung
wieder auf, als ob es in derselben Ordnung, ih welcher
jene Lebenskreise genannt sind, vom Gröfseren und Be-
deutenderen zum Entgegengesetzten herabgehe. DieCs
um so mehr, als nicht unterlassen ist, namentlich ab
die Anthroporganismen ein epiorganisches Nebenreich
der Ento- und Epianthropica als Fortsetzung anzu-
reihen. —
per zweite Abschnitt der speciellen Physiologie
hat „den Menschen", d. h. dos menschliche Individuum,
zum Gegenstande. Auch das aber wieder nicht blofs
in physiologischer Hinsieht, sondern soviel möglich
überhaupt in anthropologischer. Wenn einmal vor-
zugsweise vom Allgemeinen aus- und zuo(i Besonderh
fortgegangen werden sollte, so hätte wohl dem vorigen
generellen Theile jetzt in dem Sinne ein specieller fol-
gen soUen, -dafs ihm die Betrachtung des je^Jem mensch-
71
Carusy System der Physiologie..
72
liehen IndiTidauin, so zu sagen, nach einem miuleren
^Durchschnitte, Gemeinsamen Ton' Seiten des physi-
schen Menscbenlehens als Gegenständ anheimgefallen
und ein individueller Theil gefolgt wäre, welclier die
Eigenthümlichkeiten und Unterschiede menschlicher In-
dividuen nach Lebensalter, Geschlecht, Constitution u.
s. w. — immer aber nur nach ihrer physischen und
somit physiologischen Seite — abzuhandeln gehabt
hätte. Diesen Gang findet Refer. auch für die ganze
Anthropologie fortwährend am geeignetsten. Dann hät-
ten sich als tJnterabtheilurigen für den zweiten oder
mutieren Theil dargeboten: Vegetatives, Animales und
Humanes des physischen Menschenlebens. So hätte
das Ganze eine concretere Gestalt gewonnen. Unser
,Hr. Yerf. hat sich aber einmal als Schema vorgesetzt:
Menschheit, Mensch (Individuum) und die einzelnen or-
ganischen Systeme, um sie nach den oben bezeichneten
8 Momenten in Betracht zu ziehen, wodurcli freilich
bedingt ist, darfs der Mensch in seiner Totalität und
als Einheit allmälig ih feinste Fäserchen zersetzt wird
und unter der Hand verschwindet, anstatt von jeder
Einzellieit aus immer wieder, nicht blofs, wie hier al-
lerdings geschieht, auf die Idee, sondern auf das con-
creto Ganze selbst zurückzukommen. Uebrigens kom-
men hier die Eigenthümlichkeiten menschlicher Indivi-
duen, Lebensalter, Geschlecht u. s. w., sogleich im
zweiten Tlieile an die Reihe, und zwar nicht blofs von
physischer, sondern atich von psychischer Seite, und
darum auch die Temperamente und der Charakter, /ür
vvelehen letzteren es jedoch mit dem hinreichenden Be-
griffe von Geist und Persönlichkeit allzusehr an Basis
fehlt. Auch vermifst man andere solcher individuellen
Unterschiede ganz, wie Naturelle und Gemüthsarten,
denen gar wohl ebenfalls besondere Begriffe zu vindi-
ciren sind.
Unter den Lebensaltern wird auch eines des la-
tenten Lebens vor der Fötalperiode gezählt und seine
Dauer auf 10 bis 3 x 10 Erdumläufe angeschlagen,
welches jedoch nicht sowohl ein Lebensalter des mensch-
lichen Individuums, als vielmehr die Lebenszeit des
menschlichen Eies ist. Nach dem Fötalleben folgt die
Periode des „Menschenlebens", welche Gehurt, Reife
und zuletzt „TernichXung des Meusdien als solchen
durch den Tod", so wie ferner umfassen soll: 1) das
Säuglingsalter, 2) das Kindesalter,, ungefähr bis zum
17. Jahre s Entwickeluug zum „reifen Mensoheu**, 3)
die Jugend bis zum 28. Jahre, während welcher der
„innere eigentliche Mensch** zu dem ausgebildet iTirerde,
was wir Charakter nennen ; 4) das Mittelalter, bis vom
49 — 59. Jahre, wo die Rückbildung beginne, welclie 5)
im Greisenalter durch 3 bis 4 x 10 Erdumläufe ge-
schehe. Es kann zwar nicht unbemerkt bleiben^ dab
es mit der allseitigen Bestimmung der menschlichen
Lebensalter, vom Zalinen und Zahnwechsel, der Pu-
bertätsentwickelung und Vollendung des Längen wachs*
thums abgesehen, zur Zeit überhaupt noch sehr dürf-
tig stehe. Dennoch aber hätten wir hier mehr erwar-
tet, als sich wirklich findet: bei vielem unsicheren
Schwanken wenig Resultat und noch weniger Wahis
heit. Weder einigermafsen umsichtige physische, noch
psychische Erörterung. Yon Pneumatologie vollends
ist hier, wie anderwärts in diesem Werke, gar nichts
anzutreffen, und defshalb besonders ungefähr das letzte
Drittel der Lebensdauer ohne allen positiven Charak-
ter, was freilich leider auch bei anderen Versuchen
der Art häufig der Fall ist, dann aber auch den mifs-
lichsten Standpunkt für die Betrachtung des Todes be-
dingt Weniger in dem obigen Auszuge, als in dem
übrigen Theile der Darstellung der Lebensalter in der
vorliegenden Physiologie, fällt noch besonders ein Hal-
ten auf eine Decimalrechnung mit Erdumläufen auf,
von der sich in der Natur gar wenig beobachten läfst.
In Bezug auf sämmtliche hier in Betracht kom-
mende Eigenthümlichkeiten und Unterschiede menschli-
cher Individualität fällt überhaupt der Umstand übel
auf: dafs einerseits theils namentlich die Aerzte so
grofses Gewicht auf das Individualisiren legen, theils
die Wichtigkeit dieser individuellen Eigenthümlichkei.
ten sich im wirklichen Leben so vielfach bewährt, und
dafs doch andrerseits die wissenschaftlidie Erkehntnifs
derselben so dürftig und abweichend gefunden wivd.
Ein Hauptgrund davon ist sicherlich, dafs die einzel-
nen Elemente der Anthropologie, wie Physiologie^ Psy-
chologie u. s. w., gegenseitig noch so isolirt cultivirt
werden. Diefs geschieht nun zwar im ersten Theile
vorliegenden Werkes, obgleich im Verhältnifs zu seiner
eigentlichen Bestimmung mit Unrecht^ weijiiger, leider
aber ebenfalls mit allzu wenig beifalls würdigem Erfolge.
(Der Beschlufs folgt.)
J^ 10.
J a h r b fi
für
eher
TTissenschaftliche Kritik.
Januar 1840*
System der Physiologiej umfMsend das Allgemeine
der Physiologie^ die physiologische Geschichte
der mtenschheity die des Menschen und die der
einzelnen organischen Systeme im Menschen,
jff Jr Naturf&rscher und Aerzte bearbeitet von
Dr. Carl Gustav Carus u. s. tr.
(Sclilufs.)
So hatte doch der Herr Yerf. in seinen Vorle-
sungen über Psychologie wenigstens im Allgemeinen
die relative Selbständigkeit der Temperamente als £i-
genthumlichkeiten des psychischen Lebens anerkannt;
hier neigt er sich aber wieder zu dem alten und noch
so yerbreiteten Mifsgriff hin, die Temperamente mehr
nur als Wirkungen der Leibesconstitutiouen anzusehen,
obwohl man die Sache ganz mit demselben Rechte oder
eigentlich Unrechte umkehren konnte. Er unterscheid
det übrigens nur ganz kurz eine nervöse, sinnliche»
athletische, phlegmatische, apathische, schwächliche,
bootische, plethorische, pneumatbche (respiratorische),
cholerische, atrophische, chlorotische, phthisische, atra-
bilarische, lascive und sterile Constitution, so wie man-
cherlei Combinationen unter diesen.
Wir heben jedoch nur noch eine pathologische An-
sicht aus dem Inhalte des ersten Bandes aus, nach
welcher das Fieber als Urform der Krankheit gilt,
Entzündung als secundäre, und zwar als localisirtes
Fieber, Yerbildungen aber endlich als Tertiarkrankheit.
5ede dieser Formen komme theils' vielfach modificirt
für sich^ iheils mannigfach mit den andern combinirt
vor. —
In besonderer Beziehung a\if den zweiten Theil
dieses W^rks werde nur Folgendes bemerkt. Als sei-
nen Inhalt giebt schon das Titelblatt' an: physiologi-
sche Geschichte des Bildungslebens, des Blut- und
Lympblebens, des Lebens der Athibung,' der Absonde-
rungen, der Ernährung überhaupt und insbesondere
Jahrb, /. vn»Hn9ch KriHk, /. 1840. I. Bd.
der Yerdauung. Jeder dieser Gegenstände ist soviel
n^öglich nach den oben . angeführten 8 Mementen in
Betracht gezogen. Das letzte Moment gilt immer dem
Yerhältnifs des einzelnen Systems und seiner besonde*
ren Lebensidee zur Grundidee des Organismus oder
der psychischen Bedeutung dieses Systems, woraus zu-
gleich erhellt, dafs der Hr. Tf. die allgemeine Lebens-
einheit jedes menschlichen Individuums noch fortwäh-
rend mit Seele identisch nimmt, obwohl manche Aeu-
fserung im ersten Bande dahin zu deuten schien, dafs
er zwischen beiden, wie billig, ja nötbig, unterscheide.
Uebrigena und im Allgemeinen können wir diese je-
weilige Rubrik nur billigen. Denn es ist etwas Ande-
res, Physiologie und Psychologie willkührlich mit ein-
ander zu vermengen und sie nothwendiger Weise auf
einander zu beziehen. Je reiner physiologisch die Hal-
tung des Werks wird und je weiter es in's Specielle
vorschreitet, desto reicher wird es an vortheilhaft an-
regenden Ansichten und Andeutungen. Zwar wäre
auch hier noch manches zu beanstanden. Allein um-
ständlicher auf das Einzelne einzugehen, wutde zu
weit führen, und nur hie und da etwas auszuheben,
dürfte zu willkührlich erscheinen und nicht' fruchtbar
genug sein. Uebrigens dürfte das ganze Werk seinen
Hauptreiz und das am Meisten und Besten Anregende
gerade in einer Masse einzelner, häufig nur wenig
ausgeführter und gegenseitig vermittelter Bemerkungen
und Beziehungen haben, was um so geflissentlicher be-
merkt werden soll, als wir uns in Bezug auf die allge-
meineren Grundlagen und die Systematik des Ganzen
vorzugsweise (adelnd aussprechen mufsten und auf das,
Speciellere weniger eingehen können.
Wir hoffen, der Hr. Yerf. werde die tadelnden Be-
merkungen selbst nur zu Gunsten der Sache, nicht zu
seinen .Ungunsten wenigstens gemeint halten, so viel
oder so wenig er sie auch vorerst begründet finden
möge. In Bezug auf ihn durfte und mufste nur na-
10
75
Marbaehf GeseAi^Ate der Pkäo$ophie*
7«
mentlich geltend gemacht werden: wejr viel hat (und
Tiel verspricht), von dem wird vfel gefordert. Jeden*
falls hat er sehr Lobliches und Nöthiges angestrebt»
In Bezug auf höhere und umfassendere wahrhaft if»«-
senMcAaftlicA^ Anforderungen, ja selbst nur in Bexug
auf Sinn dafür und guten Willen dazu, steht es bei
der gegenwärtig vorherrschenden Weise, die Physiolo«
gie zu behandeln, — Ausnahmen, wie z. B. die in dem
Grundrisse der Physiologie von Schultz an den Tag
gelegten Bestrebungen, in Ehren gehalten, — in der
That wenigstens verhältnirsmäfsig schlechter, als in
mancher früheren Periode. Es ist zwar nicht zu ver-
kennen, daTs die heutige Phase der Physiologie wesent*
lieh durch, die ihr zunächst vorausgegangene naturphi-
losophische Periode mit ihrem Mangel an gesichertem
empirischem Material und an zureichender Methode, sol-
ches zu constatiren und zu vermehren, bedingt sei,* und
dafs jene diesem Mangel bereits in beträchtlichem Maafse
auf sehr dankenswerthe Weise abgeholfen habe und
diefs noch weiter thun werde. Sie hat sich aber we-
gen dieser negativen Seite ihrer Vorgängerin zu sehr
in'' Gegensatz zu derselben gesetzt und deren, freilich
ebenfalls npch sehr zu vervollkommnende^ positive Seite
za sehr vernacbläfsigt und verkannt. Sie hat sich dar-
über mehr und mehr allzu einseitig negativ - kritisch
charakterisirt, sich einem üblen Analogen des Geldgei-
zes und der Geldaristokratie hingegeben und bei einem
merklichen Abstände zwischen ihrem Leben und Geist
und zwischen ihren Mitteln weder die ärztliche noch
die allgemeine Bildung im Yerhältnisse zu ihrem Selbst-
gefühle gefordert, oder wenigstens, indem sie diefs auf
der einen Seile that, dieselben auf der andern Seite
selbst gefährdet. Allerdings also ist Yeranlassung ge-
nug gegeben, unter Anerkennung und Benutzung des
vorhandenen Guten, das Bessere anzustreben und gel-
tend zu machen. Allein leicht wird der Sache selbst
zur Schuld und zum Nachtheile angerechnet, was nur
auf Rechnung einer unvollkommnen oder verfehlten Art,
sie zu behandeln, kommen sollte, wenn diese nicht
' allen Ernstes alsbald gerade von Solchen gerügt wird,
welche Absicht und Ziel theilen, aber dabei gar wohl
unter den Mitteln, sie zu erreichen, unterscheiden und
es damit strenger nehmen.
Leupoldt.
VI.
Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Mü
Angabe der Literatur nach den Quellen bear^
beitet. Erste Abtheilung.' Einleitung und ^ß^
schichte der griechischen Philosophie. Auch
unter dem Titel: Geschichte der griechischen
Philosophie. Mit Angabe der Literatur nach
den Quellen bearbeitet von Dr, G. O. Mar*
bach. Leipzigs 1838. Verlag f?on Otto tVi-
gand.
Neben den grofseren Werken über Gesehichte der
Philosophie vermifste man seither ein kleineres Hand-
buch, welches zugleich mit der Quellenangabe den hö-
heren Standpunkt der Wissenschaft ztt unserer Zeit We-
nigstens nicht verleugnen mochte. ' Der. zuletzt von
H^endt herausgegebene Grundrifs Tennemann*e ist
nicht mehr geeignet, diesen Anforderungen entspreeboi
zu können, es ist daher verdienstlich, dafs der Vf. in die-
ser ersten Abtheilung seines Lehrbuchs dem bisher gefühl-
ten Mangel abzuhelfen sucht, und ihn wirklich in mehr
als einer Rücksicht beseitigt. Die Hauptpunkte, «tets in
deutscher Uebersetzung mittheilend, weist er nicht nur
auf die Quellen hin, sondern ergänzt auch und viervoll-
ständigt die von Tennemann und fVendt gegebene
Literatur; erscheint freilich der höhere Standpunkt öf-
ters von empirischem Stoff fast verdeckt, so ist derselbe
doch überall mehr oder weniger bemerkbar. Der Vf.
hat dabei die löbliche Absicht, dafs seine Darstellung
die einzig würdige Auffassung der Geschichte der Phi-
losophie weiter verbreiten, und zugleich das Vorurtheil
widerlegen soll, als ob die neuere Philosophie die Ge-
schichte construire, wogegen sich Hegel überall erklärt,
und ob sie die gelehrte Forschung verschmähe oder gtfr
gering achtjo. VTährend neuerlich Bayrhojff^er beson-
ders die ideelle Organisation der Geschichte der Philo-
sophie im Aug' gehabt, mit Abscheidung alles Zufälligen
und Partikulären, geht ninser Vf. überall empirisch zu
Werke, und bemüht sich, aus dem geschichtlichen Ma-
terial, und wo es auf die Begriffsentwickelung an-
kommt, nach Aristotelischer Weise auis der Vorstellung
den zu Grunde liegenden Gedanken zum Bewnlstsein
zu bringen. Dieser seinem Zwecke im Ganzen ange*
messene Weg verleitet ihn aber, dals er^ den Axistote-
les im ersten Buch der Metaphysik als Vorbild aufatel-
77
MartmcA^ GeseAieAie der PAil0$opMe.
78
l«nd und deshalb all# Etotheihing nach Perioden ver-
i^erfend) wieder nach Abstammung, Vaterland, Schuten^
Personen ordnet, wie sonst üblich war. Aristoteles
kann mcht Ma^fsstab sein fQr unser ganze^ Denicen und
Wissen, so viel und Grofses ihm auch die Welt ver-
danict ; es geht ihm diejenige systematische Bildung ab,
die jenes ianerlich ordnet und rundet^ welche nach so
▼ielen Versuchen erst in der neueren Zeit als die mit
dem Inhalt identische Form der speculativen Methode
Ton Hegel entdeckt wurde. Und selbst nach der inne-
ren Kritiic des Aristoteles dürfte eine andere Ordnung
getroflfen und gerechtfertigt werden können, als die
▼on ihm gemachte, äufserliche Anordnung zuzulassen
seheint.
Der Verf. geht .in der Einleitung von der einfa*
eben Vorstellung der Geschichte aus, um den Leser aus
derselben sum Begriff zu führen. Das unmittelbare
Denken ist vernünftig, aber weifs nicht, me vernünftig
es ist. Von jenem ausgehend -sucht er dieses, und da-
mit die Vermittluug im Unmittelbaren selbst nach Art
des Aristoteles aufzuzeigen. Daneben kommt er auf den
Unterschied der Philosophie von den andern Wissen-
schaften, den Erfahrungs- und Verstandeswissenschäf-
ten zu sprechen. Diese sagt er, bleiben tlieils im Aeü-
fsem stehen, gehen nicht zur Erkenntnifs des Innern
fort, theils. haben sie, wie die Mathematik, die blofse
Abstraction ohne Wirklichkeit zum Inhalt, wie denn
diö Mathematik die Unwirklichkeit ihrer Gegenstände
selbst ausspricht (Linie, Ebene, Zahlen, \/ — 1). Sol-
che Wissenschaften, bemerkt der Verf., lehren daher
nicht, was wahr^ und wirklich ist. Von den übrigen
Wijfsenschaften unterscheide sich die Philosophie da-
durch, dafs sie allein innere Geschichte (Eutwickelung
des Einen Inhalts) habe,' während in den Verstandes-
wissenschaften nur das Hinzukommen neuer Wahrhei-
ten zu schon früher gefundenen statt finde , und das
Resultat der Erkenntnifs ohne fernere Entwickelung
stehen bleibe. Der Verf. macht deshalb an den Ge-
schichtsschreiber der Philosophie die Forderung, dars er
selbst Philosoph sein soll, nicht blofser Historiker, der
nichts weiter brauche , als einen feihen Tact, um dai
Bedeutende in dem weltgeschichtlich oft so unbedeu-
tendem Stoffe aufzuspüreu ; in der Philosophie gelte nur
das Begriffene und Erkannte, ' so dafs der Geschichts •
, Schreiber der Philosophie kein anderes Kriterium habe,
als die Ewigkeit des- Inhahs. Nachdem der Vf. femer
die vielen Definitionen und Bestimmungen der Geschichte
der Philosophie, welche sich in den verschiedenen ti[and«>
büchem finden, angegeben und beurtheilt hat, stellt eir
als die seinige auf: das Kommen der Idee zur adäqua-
ten Erscheinung«
Die Betrachtung des Inhalte' eelSei eröffnet der
Verf. damit, dafs er nachweist, wie die Gesetzgebung,
Kunst, Religion und Philosophie im griechischen Leben
anfing und Wurzel schlug, und erörtert alsdann ihr
Verhältnifs zu einander. Das Aristotelische Bewulst*
sein von' der Philosophie (ab Vorstellung) stellt er an
die Spitze^ denn sie ist die griechische, und Aristote*
les führt sie selbst als solche an. £s folgt nun die
Anordnung der altem griechischen Philosophen nach
Aristoteles; solche Anordnung scheint aber, wie schon
erinnert, selbst bei Aristoteles äufserlich zu sein, und
wir werden sehen, wie sie durch die innere Kritik des
Aristoteles sich selbst meistens widerlegt. Der Verf.
I>ehandelt zuerst di<^ Jonier unter A,. Aber zu den
Joniern reöhnet er, aufser Thaies^ Anaxitnander^ Ana*'
xim&nes und Diogenes von^ Apollonia^ auch den He*
raklity Empedoklee^ AnaxagoroMy Archelaue^ Leu^
eipp und Demokrit, Nach Aristoteles nehmen die Jo*
nler Materielles [hß Sihf\^ tidn) zum Princip, indem das
\yesen^ die Substanz {ovaUt) bleibe, aber nach seinen
Bestimmungen {nd&tai) sich umgestalte; dies, sagen
sie, sei das Element (orTocx^^oy) und der Anfang des
Seienden, und deswegen, meinen sie, werde nichts ent»
weder noch vergehe es, da dieselbe Natur (Substanz)
sich stets erhalte. Hierzu führt der Verf. die Kritik
des Aristoteles an, de coelo III, 5, wornach das Eine
vielmehr das £i*ste sein müfse, nicht ro fiiaov, d* h.
Ems der Vielen selbst. Sollte selbst dies Princip für
so viele der genannten Philosophen wirklich ausrei-
chen! Heraklit und Anaxagorae haben doch wahr-
lich ideale Principe aufgestellt, und können deshalb
darunter nicht befafst werden.
Der Verf. will die Unhe ^ieWmgBeraklite gleich
nach Anaximenes und Diogenes von Appllbnia dadurch
rechtfertigen, dafs Heraklit sich noch des Bildes be-
dient habe. Dies ist kein Grund, er mufste alsdann
auch Parmenidee hierher rechnen. Obgleich Jonier
von Geburt ist Heraklit doch kein Jonischer Philosoph,
Zeit, Feuer sind nach ihm, wie der Verf. aus Sext.
79
Marhaehy Oe^chiokte der
80
Empir. adv. Matbem. selbst anfahrt, nur Yorstellungeii
und Symbole für die ewige Bewegung des Werdens
als der Eiuheit rom Sein und Nichtsein, wie Arlstote-
les sich ausdröckt. Folgen wir ferner der Kritik des
Aristoteles über die Pythagar&ery die nicht sagen,
^wie aus ihren Principien Bewegung entstehen oder
ohne* Bewegung Entstehen und Vergehen stattfinden
könne/' so sehen wir aus diesem Mangel, wie Hera*
klit innerlich nach seinem Princip später zu setzen ist,
^Is die Fythagoräer und selbst die Eleaten. Hinsicht*
lieh der Eleaten sucht der Verf. sich damit zu helfen,
dafs Hcraklit das Bewegende und Bewegte noch nicht
bestimmt unterschieden habe ; alle früheren Philosophen
hätten nur das Bewufstsein Einer VTelt gehabt, und
dies wäre auch der Fall bei den Eleaten, indem sie,
der .Sinnenwelt alle Wirklichkeit absprechend, das der
Feränderlichen Welt entgegengesetzte Bewegungslose
als das Wahre, Eine, allein Seiende hingestellt hätten,
ohne freilich zu bestimmen, was denn das Eine sei.
Diese Bestimmungslosigkeit ist eben der JMangel, war-
um sie ihre Stelle früher erhalten müssen. Die Elea-
ten haben sich mit dem reinen Sein begnügt und ha-
ben das Nichtsein geleugnet; dagegen hatte Heraklit
das Bewufstsein, dafs reines Sein, weil unbestimmt,
nicht verschieden ist vom Nichtsein, dafs beides im
Werden j^ins und verwickelt die höhere, wahrhaftere
Bestimmung ist. Immerfort die laemssetzung der Ent*
gegengesetzten als das Wahre Aussprechend, erklärt
er die sinnliche Welt und Erkenntnifs für unwahr;
wahr ist ihm nur die vernünftige, AenXoyoq erfassende
Wissenschaft. Heraklit betrachtet nichts, wie noch die
Eleaten thun, vereinzelt und losgerissen, vergl. die
Stellen in Ritter's und Preller^M bist. phil. Graeco-
Kom. S. 24 und 25. Aus demselben Grunde folgen
auch Ewpedokles^ Anaxagoraa innerlich später als
die Jonier. Nirgends zeigt sich deutlicher, als bei He-
raklit, dafs der Genius sich frei und schöpferisch über
die Schranken der Umgebung und Tradition zu erhe-
ben welfs, dafs er an das Taterland und Oertlichkeit
ausschliefslich nicht gebunden ist. Zugleich sieht
man aus . diesem Beispiel die Mangelhaftigkeit ei*
ner Anordnung Uob imeh Abstainmung und 'Vater*
land*
Der Verf. rechnet dem Thale$ zum grofseo Ver-
dienst an, dafs er den Begriff des Prineips erkaiunl
habe, dafs das Eine das Wirkliche sei, und sich so im
Gegensatz sowohl gegen die ihn umgebende mniilielie
Welt, ab gegen die Poeten, Theologen und die sieben
Weisen selbstständig hinstellte und behauptete. Die
Beden des Thaies von den Gdttem, von denen aUes
Wahrnehmbare voll sei, vorsteht der Verf. als die Vor*
Stellung dessen, was wir Lebensprlndp nennen; nicht
hätten Gotter selbst, wie Cicero meint, die Welt aus
Wasser gebildet, sondern die Welt selbst wftre als
ungeformtes Wasser ein gottliches Leben. Mit Un-
recht nennt der Verf. das änn^ov des Anaximander
ein Mittleres zwischen Luft und Wasser, es läDst eich
für diese A^inahme keine Stelle mit Bestimmtheit aus
den Alten anführen. Aristoteles Phys. D 4 ist gera-
dezu dagegen, wi^ ReinUold Gesch. der Phil, l, 9.
richtig argumentirt hat. Andere Stellen, z. B. Simpl.
in -Phys. fol. '32. und Diog. Laer. II, !• sprechen ent-
schieden dafür^ dafs Anaximander dem üjihqov keine
bestimmte Gestalt weder der Luft noch des Wassers
gegeben habe. Der Verf. weist Ritter zurück wegen
des Ausscheidens des Anaximander aus den Joniem;
und in der That umfafst das Unendliche Anaximanders
alles Einzelne, es ist nur die unbegrenzte Materie, aus
der das Einzelne in der Weise ausgeschieden wird,
wie es vorher schon darin war. Der weitere Fort-
schritt im Denken ist nach dem Verf. bei Anaxime-
nesy dafs dieser das unendliche nicht mehr als Sub-
stanz fafste, sondern als Prädikat: die Luft ist unend*
lieh ; aber der Verf. hätte bestimmter entwickeln kön-
nen, worin hier der Fortschritt zu sehen ist. Zweifel-
haft ist die Stellung ,des Diogenes von JpoUonia.
Brandie stellt ihn gleich nach AnaxagoraSj während
der Vf. ihn unmittelbar auf Anaximenee folgen labt.
Sicherlich kannte Diogenes als der jüngste der Physi-
ker den Fleraklit und, Anaxagoras; und seine vorfii^
in. der alles beherrschenden, ordnenden Luft ist nicht
so gering zu achten, wie der Verf. meint
(Der Bfscblufs folgt.)
^11.
«
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Krit i k
Januar 1840«
Lehrbuch der Oeschichte der Philosophie. Mü
Angäbe der Literatur nach den Huellen bear^
beitet. ' Erste Abth. Einleitung und Geschichte
der griechischen Philosophie. . Atu^h unter dem
Titel: Geschichte der griechischen Philoso^
phie. Mit Angabe' der Literatur nach den
Quellen bearbeitet von Dr. O. O. Marbach.
(Schloff.)
Wie schon gezeigt ^ tritt die Stellung Heraklits
gleieh nach den ersten Physikern nicht bedeutsam ge*
nug hervor. Es folgt nun Empedokles^ welcher all*
gemein nach dem Urtheil der Alten die Heraklitisehe
Lehre nur Terflachte. Siehe z. B. Plato*s' Sophist. S.
242. Plato larst hier den Heraklit strenge auf die noth»
prendige Einheit der EntgegeDgesetzten halten, den Em^
pedokles aher die Uos xt^llige Einheit der Trennung
der Elemente durch die idealen Principe der Freund«
Schaft und des Streites statuiren. Der Vf. nennt es ei-
nen sonderbaren Einfall Mitters^ welcher die Physik
des Empedokles ?on den Eleaten ableiten wolle; er
komme auf diese Entdeckung nur dadurch, dafs er auf
den Gedankeninhalt nicht eingehe, und an der blofsen
Aeufserliohkeit sowohl der lleraklitischen ab der Em«
pedokleiscben Lehre festhalte.
Sehr gut entwickelt der Vf. die Philosophie des
Amucageras und besonders das Verhältnirs des vovq
zu den oi^owiai^^ Auch setzt er mit Hülfe des Aristo«
teles den Unterschied von oiioioiAigij und 6fA0u>iAdQua treff-
lich auseinander. Neuerlich hat Biese in der Einleitung
zur Philosophie des Aristoteles S. 14—17 sehr klar und
bestimmt über Anaxagoras geurtheilt, und ihn richtig
an das Ende der ersten Entwickelungsreihe gestellt.
Denn der 9^05$ ist als acht ideales Princip sowohl über
die abstracten Gedanken der Jonier und Pytiiagoräer
als über, die der Eleaten und Atomistiker erhaben. Der
Grund, warum der Vf* den Anaxagoras so weit zurück-
Jahrb. f. wuiejiiek. Kritik. J. 1840. I. Bd.
stellt, ist, dafs Anaxagoraa die tiefe Bedeutung seines
glücklichen Fundes noch nicht eingesehen habe. Yiel-
leicht hat der Tadel des Aristoteles den Vf. Tcrleitet^
lielleicht auch Plato imPhädon; man darf aber nieyer^
gessen, was Aristoteles auch sagt, dafs Anaxagoras wie
ein Nüchterner gegen die früher unbesonnen Redenden
erschienen seL
Der Vf. hätte die Atomistik des Leue^ und De*
mokrit nach dem Vorgänge Hegets deutlicher und be*
stimmter darstellen sollen. Hegel hat den metaphysi-
schen Gehalt dieser altcfn Lehre aus der umhüllenden
Schale meisterhaft herausgelöst und vor Augen gestellt«
Der Verf. sucht die Stellung zu den Physikern, die er
ihnen giebt, sowohl durch ilire Lehre selbst zu rechtfer-
tigen als durch ihre Abstanunung und das Zeugnifs der
Alten. Ritter will die Atomistiker, und das sogar we-
gen ihrerViekchreiberei, den Sophisten zugesellen, wor-
über der Verf. sich stark ausspricht. Ritter habe bei
Demokrit wieder nur eine Kleinigkeit übersehen, den
Gedanken, und werfe ihm noch dazu ganz unbefugt
Heuchelei und niedere Gesinnung vor.
Die klare, wohlgeordnete Darstellung der unter B
folgenden PytAagoräer gehört zu dem Besten im gan«
zen Buche. Der Vf. weist nach, durch unzählige Stel-
len, dafs nicht die Zahlen selbst, sondern die Principe
der Zahlen die Principe der Dinge sind, ^^le Principe
sind noch materiell (iiX'7), aber nicht köperlich («rcofior).
Spricht man von den Dingen, wie sie dem Wesen nach
sind, so kann man sagen : die Dinge sind Zaiilen und
aus Zahlen; spricht man dagegen von Dingen, wie sie
mit den Sinnen angeschaut weMen, so sind sie nur (noch
wesentlicher) fu^^5€i oder xar' aqtO^iov. Der Vf.' ent-
wickelt ferner aus den Quellen, die Monas habe die
doppelte Bedeutung, sowohl indifferent zu sein, als auch
der Art, dafs sie als mit sieh identisch sich von sich
unterscheide und sich selbst als der Dyas entgegentrete.
Brandts und Mitter haben diese Entwickelung der
11
83
MarSacA, GeseAipAie der PhiloMophie.
84
Dyas aus der Monas gaius und gar übersi»lien. Nach
ihnen tritt die erstere t»los äufserlieh zu der letztem hfaizu.
Nach der Reihe geht der Tf. die Eleaten unter €
durch« In betreff des Xenophanei sucht er S. 137 Aom.
1. watirsclieinlicb zu machen, dafs die zu Anfange der
dem Aristoteles beigelegten Schrift de Xen. Zen. et
Gorg. angeführte Rede ohne Namensangabe nicht, wie
man gewöhnlich annimmt, dem Xenophanes angehören
soll, sondern dem Melüna, Gründlich behandelt der
Tf« den Parmenides' und behauptet, dafs Parmenides
sich zu Heraklit verhalte, wie Einheit zum Unterschiede,
Erst Plato soll die unterschiedene Einheit Beider aus«
sprechen, aber nur als Behauptung und negativ bewei-
send im Parmenides (1), AriBtoieUs aber positiv bewei*
send und erkennend. Klar und sehr verständlich hat
der Yf. die Beweise Zenas gegen die liewegung (§. 77«
Anm. L) dargestellt; nur vermifst man die fjosung der
Schwierigkeit, in diesen Problemen ungern.
Der Tf. geht unter D von den Eleaten zu den So-
phiiten durch die Bemerkung über, dafs weil der Go"*
danke bei den erstem nicht im Gegenständlichen aufge-
zeigt werde, derselbe blos subjectiv sei. Als Prinoip
festgehalten werde das denkende Subject zum Inhaber
der Wahrheit gemacht, wogegen nichts Gegenständliches
sich erhalten könne. Und dies sei der Standpunkt der
Sophistea Den Zusammenhang der Sophisten mit den
Eleaten zeigt schon Plato im Parmenides. Die Sophi-
sten behaupten auf den Parmenideischen Satz gestutzt*
^,das Seiende nur könne gedacht werden,- aber das Nicht-
seiende gar nicht, und könne auch in keiner Weise ge-
dacht werden" ; darum gebe es gar keinen Schein, keine
Unwahrheit, keine Lüge. Es sei dies alles Nichtseien-
des, was doch nicht einmal gedacht werden könne; es
sei vielmehr alles wahr, was wir denken und meinen.
So richtig diese Consequenz zu sein scheint, ist doch
solche Behauptung die totale Yerkehrung des eleati-
schen Princips, welches eben die Welt der Meinung, die
Meinung überhaupt als eine nichtseiende , unwirkliche
verwirft. Es bleibt daher problematisch, ob dieser Ueber-
gang von den Eleaten zu den Sophisten strenge ge-
macht werden kann. Nach Brandts hängen die Sophi-
sten eben so sehr mit den Herakli(eern zusammen, weil
keine Bestimmung bei beiden fest und sicher, alles be-
weglich und veränderlich sei. Bei den Eleaten ist das
Feste und Unveränderliche des reinen Gedankens. noch
abstract und unbestimmt« Eben so einseitig und unbe-
siimmf ut noch die Flüssigkeit des Werdens bei
klit. Der yo?^ ieä jinaxagoras^ der letzte Zweck ttlles
Seins und Werdens,' enthält beides mit einander verban-
den , Anaxagoras vereinigt beide Hauptrichtuagen in
letzter Instanz. Mag nun Anaxagoras das «Wesen sei-
nes Princips schon wirklich erkannt haben, oder nicht,
das richUge Wort ist einmal gefunden, und das Lacht
des Gedankens geht auf alles über. Der Mensch sucht
und nimmt nun alles in und aus sich selbst ; es ist da-
her ein ricUtiger Sinn, wenn Hegel den Zusammenliaog
des voug des Anaxagoras mit der subjectiv sophlsüsdicB
Form nachweist, und den Uebergang aus jenem in diese
macht. Sonst werden die Sophisten nach ihrem Wiesen
und dem Yerhältnifs, was sie näher zur Geschichte
Athens haben, vom Yf. ausführlicher behandelt, nls ge>
wohnlich zu geschehen pflegt. Er theilt aus Gorgüu
Schrift vollständig Glieder den Auszug des Sextus mit;
das Recht des subjectiven Denkens sotvohl, afs die Un-
möglichkeit, auf diesem Standpunkte sur Erkenntnis
wirklich hindurchzudringen, erhellt daraus recht devt*
lieh. Die ordinäre Ansicht über die Sophisten, beson*
ders Ritter's^ bekämpft der Tf. sehr glücklich. *
Unter E giebt der Vf. zunächst den Wendepunkt
des griechischen Denkens durch Sokrates und die So*
kratiker an. Bekanntlich ist die Ansicht über Sokra*
tes und seine Lehre in der neusten Zeit eine ganz an*
dere geworden, als sie früher war. Der Vf. sclüiefst
sich dieser neu gewonnenen Ansicht an, indem er theils
die Mängel des Sokratischen Standpunktes aufzeigt,
theils die grofse Bedeutung des Sokrates gebührend her-
vorhebt. Besonders lobt er bei Sokrates das Auffinden
des Allgemeinen im Einzelnen, was wir Erkennen
durch' Induction (enaxTixoi 'kd^oi) nennen. Nach den
Urtheil des Aristoteleß nahm Sokrates das Allgemeine
und die Bestimmungen noch nicht getrennt an, dies
that erst Plato. Aber zu wenig Aufmerksamkeit hat
der Vf. den Sokratikern gewidmet, besonders den Me-
garikern^ die für die Platonische Philosophie doch von
so grofser Wichtigkeit sind«
Es folgen Plato und die Akademiker xMiet F.
Der Vf. scheint zu weit zu gehen in der Verwerfung
der Untersuchungen über die chronologische Rdhenfolge
der Platonischen Dialoge^ über ihre Aecbtheit und Un-
ächtheit. Auf den Inhalt selbst aber als den wahren
Maafsstab legt er das gröfste Gewicht.- Ueber die dia-
logische Form , über das Esoterische und Exoterische
85 Mariaeh^ Getehichte der PAilesopkie. 86
urtbeilt er riditig, nach dem YorgBng ffegels; auch
nimmt er die Neuplatoniker ia Schutz, die in den ge-
wohnlichen Handbüchern, z. B. Krug*s^ auf das Unge.
rechtesCe geschmäht werden , ab wenn sie den Plato
gar nicht gekannt hätten. Sie tragen zwar Manches
in ihn hinein, und halten die historischen Entwickelungs-
«tufen der Philosophie nicht gehörig auseinander. Sehr
gut setzt der Vf. die Lehrweise Plato's durch Zusam-
menstellung passender Stellen aus Plato selbst und Art*
stoieles auseinander. Nach Plato steigt der Philosoph
durish die Dialektik als die richtige Art zu unterschei-
den und zu verbinden zu den Ideen auf, um vermittelst
derselben alles zu erkennen. Die sinnliche Wahrneh-
mung und Vorstellung geht nur auf das blos Werdende
und Veränderliche, nicht auf das Ewige und Wahre.
^Wie der Vf. richtig bemerkt, sind die Ideen nicht blos
Gattungsbegriffe, sondern Allgemeinheiten des Denkens.
I>ie Ideen* sind nichts Festes, Ruhendes, sondern brin-
gen sich immer selbst hervor, gleiclisam im Zwiege-
spräch der Seele mit sich; daher Plato die dialogische
Form für die passendste Methode erklärt; und im Phä-
drus Gorgias deutlich zu verstehen giebt, wie die fort-
laufende^ ununterbrochene Darstellung wegen der Ideen
nicht gemäfs sei. Ungeachtet dessen geht öfters die
dialogische Form in den dialektisch strengsten Dia-
logen in wahrhaft wissenschaftliche Darstellung über.
Nach des Terfs. Andeutung hängt ferner die dialogi-
sche Form (S. 202 Aumerk. I^.) mit der Ansicht Pla-
to's über das Wissen durch Erinnerung zusammen, wor-
nach (siehe Theät.) die Anlage zum Denken und Wis- , , , „ .,..---'', , ■
.j r-u. -jj^ji lehre nach ihren Hauptbcstimmunsen, besonders nach
sen nur geweckt und ausgebildet wird, der Gedanke ^ dem mehr dogmatischen Philebus dargc^ellt. Eins, Zalil,
selbst aber der Seele kein Fremdes ist. Plato hält in Unbegrenztes {ämiqov) sind die Momente jedes Seien-
scheiden zu können von dem, was streng dialekltsch,
in eigentlicher, reiner Form dargestellt wird. Das riohv
tige Verständnifs der Platonischen Schriften, und die
Lösuuff aller der von Gelehrten angeregten Streitpunkt^
und Widersprüche beruht auf der richtigen Yerknüpfuqg
und Auffassung jenei* beiden Seiten. Plato ist selbst
noch im Widerspruch befangen, wie jeder, der nicht zur
absoluten Form des Wissens hindurchdringt. Die mei-
ste Verwirrung in der Erklärung Plato's irurde unstrei-
tig dadurch veranlafst, dafs man nach mllkürlichen Ge-
sii^htspunktett aus den verschiedensten Dialosen Stellen
zusammenlas und nun darauf los erklärte, ohne sich um
den engern und inncm Zusammenhang der angezogenen
Ausspruche mit dem übrigen Text viel zu kUmmern»
Mifsverständnisse waren dabei unvermeidlich, denn jeder
Dialog hat seinen eigenthumlichen Gang und überdies
stellt Plato seine Meinung nicht immer klar und bestimmt
hin, diese mufs.aus dem Ganzen erst heraus gebildet
und erkannt werden. Hegel zeigt erst recht, wie man
dem Gange der Dialogen selbst nachgehen mufs. Ei-
nen Fingerzeig hierzu giebt auch ein Schulprogramm von
IVieki de Platonica philosophia. part. 1. Merseb. 1830.
Wick verbucht in diesem Sinne die Dialogen Timäus,
Theätet, Sophistes, Parmenides und Phüdon an einander
EU reihen. Den ersten Impuls zu solcher Behandlung
des Plato gab zwar Sehleiermaeher^ der aber^ mehr nur
das Aneinanderreihen der Dialogen berücksichtigt, als
die Y^rl^i^üpl'iuig der einzelnen Theile in den einzelnen
Dialogen selbst. Auch der Yf. stellt die Lehre Plato's
nicht nach einzelnen Sätzen, sondern nach ganzen Schrif-
ten dar, und so ebenfalls die Philosophie des Aristote-
les. Er giebt 'zu dem zusammenfassenden Text in den
Anmerkungen immer den Zusammenhang in den betref-
fenden Dialogen genau an, und theilt die nöthigsten Stel*
len in ziemlicher Ausdehnung übersetzt mit , was eine
treffliche Einrichtung und sehr zu loben ist. Ferner hat
er die Dialogen Sophistes, Philebus und Parmenides für
die Platonische Dialektik ausgezogen, und die Ideen-
der Yorstellung die Momente nach Art des bildlichen
Ausdrucks auseinander, er stellt das, vyas an sich in
uns ist, vor als ein Anschauen, des Göttlichen vor der
Geburt, das Erkennen ist ihm Wiedererinnerung des
früher Geschauten. Nach dieser Vorstellung sind die
Dinge Abbilder der göttlichen Urbilder; wer die letz-
tern einst recht geschaut hat, ist entzückt, wenn er
nun das ähnliche Urbild in einem irdischen Abbilde er-
blickt« er thut dann nichts lieber, als dafs er in die reine
Gedankenwelt zurückkehrt, dem Irdischen (in Phädrus,
Phädon) abstirbt, und in Gott das unsterbliche Leben
fahrt. Mit jener Andeutung ist gleich von vorne her-
ein der richtige Standpunkt angegeben, um, was bei
Platö als Vorstellung erscheint, als Phantasie, Mythus,
den; diese drei Arten stellen das Werdende und das
woraus wird, insgesammt dar; die Ursache aber, das
Bewirkende ist die Vernunft, die in Allem ist. Das
wahre Sein hat seine Ursache in der Vernunft, und da«
mit in sich selbst, ist Selbstbewegung der Vernunft.
Plato nennt dies auch sokratisrh das Gute oder Schone,
worin sich alle Ideen als in die eine Idee aufheben. Er
kann von einer Vielheit der Ideen nur reden, sofern
alles als Gedanke zu bezeichnen ist. Nach dem Vf. ist
diese Eine, höchste und letzte Idee bei Plato das Ab*
solute als Vorstellung, als Gott bezeichnet; was also
Plato von Gott sagt, sind den Ideen entsprechende Vor-
stellungen. Es ist die nothwendige Consequenz der Pla-
tonischen Philosophie, wenn anders nicht die wichtig-
sten Dialogen Philebus, Parmenides und Sophistes gegen
die poetisirenden Stellen im Phädrus und Timäus zu-
rücktreten sollen. Bonitx hat neuerlich aus Hepubl. VI.
S. 505 nachgewiesen, dafs die Idee des Guten nach
87
Plato ron Gott nicht verschieden ist Gott ist bei Plate
die blo» vorgestellte^ Iceineswegs schon begriffene Idee
des Guten, wenn er gleich Gott als Subject der Idee
eis Object gegenüber bestimmt und avfi'al'st K. Fr.
Hermann^ TrendelenMsrg und StallSaum setzen die
unwesentlichen Ausspräche Piatos über die wesentlii-
chen, ihre Opposition ist nicht haltbar. Der Vf. betrach-
tet ferner noch das YerhältnUs der Idee cur 8iunenwelt
und erklärt den Ausdruck des iv %ai nokkä richtig als
die Immanenz des Allgemeinen im Vielen oder Andern,
Eins (die abstracte, sich selbst gleiche Idee) wird durch
sich selbst zum Vielen, und das Viele, Mannigfaltige
hebt sich selbst zur Einheit auf. Hüter sieht blos darin
die Vielheit der Prädikate für das Eine, welche gans
falsche Ansicht durch die enUchiedensten Aussprüche
Plato's selbst beseitigt wird. Nur hätte der Vf. mehr
über die Platonischen Zahlen sagen und beibringen sol-
len, wegen ihrer Wichtigkeit und ihres Verhältnisses zu
den Ideen. Wörtliche Auszüge aus d^r Republik und
dem Timäus finden sich ebenfalls für die Etlük und Na*
iurphttosophie.
Unter G betrachtet der Vf. den Arutotelet und
die Peripateiiker^ und entwickelt das Yerhältnils Pla-
•tos zu Aristoteles so, dafs Aristoteles alle früheren Phi-
losophen in sich vereinige, Inhalt und Form nach ih-
rem Zusammenhange zwar erkenne, aber noch nicht
In ihrer gegenseitig sich bedingenden Nothwendigkeit
erfasse, rlato erkenne wohl die Selbstbewegimg der
Idee an, aber fBlure sie nicht durch, die Idee erzeuge
bei ihm die Welt nicht aus sich selbst, und diesen
Mangel hebe Aristoteles auf. Zuerst entwickelt der
Verf. die Logik mit reichen Auszügen aus dem Orga-
noD, alsdann auf gleiche Weise die Metaphysik von 8.
250—63, ferner die Physik, die Psychologie, zuletet
die Ethik und Politik. Die fteifsige Mittheiluhg aus
den Quellen verdient hier allen Dank, nur bleibt ein
tieferes Eingehen in die Aristotelische Lehre selbst zu
wünschen übrig, in den Aristotelischen Kategorien
der iivayLiii^ ivegyna und hrtXixua liegt der Fortschritt
über di^ noch abstracto Platonische Idee hinaus. Die
von Plato erstrebte Einheit im Unterschied ist erst in
der Aristotelischen Idee als Selbstzweck, Thätigkeit
, und Wirksamkeit wirklich vorhanden. Dennoch ist
die Aristotelische Philosophie nichts mehr, als die ge*
legentliche aber vielseitige Anwendung der^ richtigen
Principe, zur Lösung der sich darbietenden Schwierig-
keiten in willkürlich gewählten Gegenständen; errun-
gen ist . in ihr nur die Einheit des Denkens mit der
Fülle des objectiven Daseins.
' Zuletzt betrachtet der Verf. „die griechische Phi-
losophie im Römerthum", nämlich den Dogmaiismus
und Skeptieismus. Die schwierige, selbst im Lernen
prodiicirende, speculative Forschung war für die ab-
atracten, praktischen Römer wenig geeignet. Ihnen
mufste ein festes Princip zusagen, woran sie sich hal-
ten konnten, was sie nls Kriterium für alles aufzustel-
len und zu behaupten vermochten. Darum ihre Vor-
liebe für jene Richtung des abstract subjectiven Prin-
eips in der griechischen Philosophie. Dies Princip hat-
Marbaehy Ossehiekts der PhUes^iU.
88
ten die Stoiker anfgeitellt^ die Epikufier^ Neuakm^
demiker und Skeptiker bat^n dasselbe weiter ver-
folgt und ausgebildet. Das eigentliche Wesen dieser
.Philosophen hätte der Yerf. mehr hervorheben sollen,
das Resultat seiner E^atwickelong ist nur, jene PUila-
aopheii hätten ihre subjeotive Akiaung ausgesprocheni
mit der Prätension^ dafs sie obiective Gültigkeit habe;
sie hätten sich die wirkliche Mühe des Denkens er-
spart, darin bestände ihr Dogmatbmus. Bmrhöffer
meint dagegen wohl richtlr, dals die ganze frühere Phi-
losophie als unmittelbar Dogmatismus genannt werden
können nur sei sie dies noch nicht in der Form des
endlichen subjectiv-objectiven Begriffs und der entspre>
ohenden endlich- logischen Kanonik. Dieser Mangel
trete aber je weiterliin, desto klarer hervor und er-
scheine zuletzt als alle Bestimmtheit erschütternder
Zweifel.
D^r Vf. schliefst damit, dafs bei aller Tiefe des hi>
halts die Form der bisherigen Philosophie blofser Ein-
fall der Philosophen warej diese Form zeigte sich in
ihrer Unangemessenbeit auf, und dies wäre das Ende
der griechischen Philosophie. In der Einleitung de*
monstrirte er gans richtig, dafs blofse Einfälle der G»>
gensatz und Tod aller Philosophie sind. Die griecJii*
sehe Philosophie kann bei dieser leeren Negation nicht
stehen bleiben, und ist dabei nicht stehen geblieben.
Es mufste das positive Resultat aller Bestrebungen fol«
gen, der alles verwirrenden und wankend madienden
Skepsis; auf dem Boden jener Philosopheme, auf der
abstracten Innerlichkeit und Freiheit des Geistes mufste
eine höhere ideale Ansicht als der Einheit des mensch-
lichen Geistes mit Gott und der Welt sich erheben.
Diese Erhebung und Idealität des Geistes ' sehen wir In
der Alexandrinischen Philosophie, wodurch die allge-
meine, aber leere Negation iie% skeptischen Bewufst-
seins einen absoluten Cihalt erhält. In der Alexandri-
nbchen Philosophie kommt die griechische Philosophie
zu ihrem Sohluljl.
Was nun diese Geschichte der Philosophie von
den übrigen Geschichtsbüchern unterscheidet^ ist zu-
nächst der empirisch aufgezeigte Gang der Entwicke-
lung, die Sache geht ihren Weg und der Vf« bedenkt
sie; dann referirt der Verf. nicht seine Auffassung der
Stellen, sondern giebt die Stellen selbst als Stellen im
Ganzen wieder; seine Behandlung des Plato ist durch
den Aristoteles bedingt, ohne dals er den Plato nach
Aristoteles selbst darstellt; er vergleicht und beleuchtet
zuletzt mit der neueren Phjsik die betreffenden Lehren.
Die reiche Literatur- und Quellenangabe, die mit vie-
len Bemerkungen begleiteten Citate erschweren dieUe*
bersicht, besonders in den ersten Partien des BuchJs,
wobei wir nicht leugnen wollen, dafs die Darstellung
der nur aus Fragmenten zu schöpfeaden Philosopheme
mit vielen Schwierigkeiten verknüpft ist; die Anmer-
kungen hätten aber, um ihnen den Schein das chaoti-
schen Zusammenstellens zu nehmen, durchaus verein-
facht werden müssen. Sonst ist der Fleib des Verfs.
sehr zu loben.
Hinrieha.
^12.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik.
Januar 1840*
VU.
JBütotre de^ lä UMraiur^ en Damemari et en
Suedej ptBr X. jUarmter. Parüj 1839. {Fe^
lix Bonuatre, edtteur. VIII u. 452 S.J
^Wenn der Bewohner eines JUandes, dessen Spra-
che nieht so glücklich ist, sich einer enropaischen Ter*
breitung rulunen su können, mit dem kaiserlichen Aus-
apruche sich trösten mufs, dafs er einmal mehr Mensch
ist, wdl er eioe Sprache mehr zu lernen hat, so en^pfin-
det dennoch der SchrlfUieller, wie wenig dieser Trost
für ihn Unreiche, und da£i die geringe Yerbreitung sei«
ner Sprache Tielmehr der Fluch sei, womit er zur Welt
geboren ist. Und möchte er auch^ diesem Uebelstande
SU trotz, seine nationelle Indiridualität ebeo so wenig
als die persönliche mit irgend einer anderen Fcrlau-
acben, so sieht er es doch mit Yergnugen, wenn eui
Schritt dazu gethan wird, seinen einheimischen Bestre-
bungen die Theilnafame des grorsen europ&ischen Pu-
blikums zu verschaffen, es sei nun, dafs dies durch
IJebersetzungen oder durch litterarische Abhandlungen
"geschehe« WQlste er aber, wie illusorisch dieses Glück
in den meisten Fällen ist^ so würde er von seinen san-^
guimschen Erwartungen abstehen, sich in Demuth be-
sdieiden und mit Resignation sich dem fataUstischen
Looiie 4er Geburt unterwerfen, tio wie man sibh ja
.überhaupt in alle, durch das unerbittliche Schicksal
aufgebürdeten unheilbaren Mängel und Gebrechen mit
Heiterkeit zurecht finden mufs, um ja nicht in frucht-
lose Bemühungen oder eine lästige elegische Stimmung
zu verfallen«
Was hier im Allgemeinen gesagt worden, findet
auf scandinavische Litteratur seine besondere und ganz
gemüfse Anwendung. Was hat z. B. Oehlenschlägor
durch die sogar von ihm selbst gemachte deutsche Ueber-
setzuiig seiner Werke an litterarbcber Ausbeute gewon-
nen? Er gilt in Dänemark für den ersten Dichter, und
Jahrb. f. wi$$en$ch. Kriük. J. 1840. L Bd.
wird in Deutscliland kaum für den siebenten oder ach-,
ten gehalten, und dem Hm. Marmier wird es gewiCs
nicht gelingen, eine gröfsere Anerkennung des Dichters
zu bewirken. Woran liegt es denn f Ist der erste Dich-
ter Dänemarks so weit hinter dem ersten Dichter
Deutschlands zurück, oder ist das deutsche Publikum
ungerecht gegen ihn gewesen? Auf ein so schlimm ge-
stelltes Dilemma brauchen wir uns glücklicherweise
nicht einzulassen, depn die Ersclieinung läfst sich aus
der eigenen Natur der Sache leicht herleiten. In un-
serem, man darf wohl sagen, gründlicheren Zeitalter,
wo man in allen Fächern, in dem phUosophiscben wie
in dem geschichtlioheB , auf die Quelle, auf das Ur-
sprünglidie zurückgeht, und dem Abgeleiteten nur ein *
secuttdäres Interesse schenkt^ ipag es noch immer be-
lohnend sein» die origuiellen, aus eigenem Boden em-
porgewachsenen Erzeugnisse einer fremden Litteratur
kennen zu lernen, und in dieser Beziehung darf die
scandinavische sich rühmen, durch ihre Mythologie,
ihre Sagen und ihre Yolkspoesie auch in Deutschland
eine rege Theilnahme gefunden zu haben* Je mehr
aber eine Litteratur, ihre originellen, aber kindlichen
und kindischen Anfange verlassend , den Einflufs der
weiter fortgeschrittenen, reicheren Litteraturen in sich
aufnehmend, sich selbst in den erweiterten Kreis der all-
gemeinen Bildung fortreissen läfst, und erst dadurch
selbst zu einer höheren Ausbildung gelangt, um so viel
mehr vird sie die allgemeine Theilnahme der fremden
Tölker entbehren müssen, weil diese dieselbe geistige
Atmosphäre schon lange geathmet haben. Und so wird
es sich ganz natürlich mit der n^ti^r^;» scandinavischen
Litteratur verhalten müssen, wenn es nicht im Laufe
der Zeiten geschieht, dafs eben ein acandinavischer
Schriftsteller zum Repräsentanten eines neuen Wende«
punktes in der Entwickelung, nicht des oigenthümlicheu
Nationalgeistes, sondern des allgemeinen menschlichen
Cieistes von der Yorsebung erkohren wird. Ein nur
12
91
* •
Marmier^ Hütoire de la UtiSrature en Danemark et en Suhde*
V
fliicluigev Blick auf ein Paar Haapt- Epochen der neu-
ern dänischen Lilteratur wird das Gesagte hinlänglich
erläutern« , Holberg, der Stifter derselben, so wie des
neuerett dänisdien Styb, hat sich nicht nur in 'seinen
Komödien besonders nac)i Moiiiere gebildet, sondern
iiberhaupt in den gnnzen dänischen Ton, in die ganse
dänische Auffassungs - und Ausdrucks weise ein bedeu-
tendes, gewifs nie su verlierendes französisches Ele-
ment, einen gewissen gros bon sens, hineingelegt, oder
vielmehr die im Nationalcharakter gefundene Anlage in
dieser Richtung ausgebildet und su einem festen Cha-
rakterzuge gemacht. Und in unseren Tagen, als Deutsch-
land seinen grofsen litterarischen Befreiungskrieg gegen
die französische Usurpation führte, und Dänemark ge-
gen den Eiuflufs dieser grofsen litterarischen Ereignisse
eben so wenig unempfindlich bleiben konnte, als später
gegen den der politischen, so ward OeMenschläger das
Organ dieses Einflusses. Und so wie Goethes classische
Darstellung, Schillers Begeisterung, Tiecks in plastischer
Hinsicht formlose und nebelhafte,' in musikalischer Hin-
sicht tief und hell tönende Romantik in Oehlenschläger ei-
nen dänischeii Repräsentanten erhielten, wodurch sie al-
lerdings, dem selbstständigen Charakter des Repräsentan-
ten gemäfs, in mancher Beziehung modificirt wurden, so
hat auch in neuester Zeit der Goethe der Philosophen
Hegel, eine dänische Schule gebildet, die es zwar noch
nicht zu einer bedeutenden äufserlfchen Existenz ge-
bracht hat, deren rege Wirksamkeit aber einen feine-
ren Beobachter als Hrn. Marmier nicht wGrde entgan-
gen seiA. Ob nun gleicli diese Wirkungen der franzö-
sischen, so wie der deutschen Litteratur — denn die
übrigen Litteraturien des neueren Europa sind im Gan-
zen ohne allen unmittelbaren Einflufs geblieben — auf
keine blofs äufserliche Weise erfolgt sind, sondern so,
dafs sie sich mit der nationcllen Eigenthümlichkeit innig
assünilirt haben, so ist diese dennoch in ihrer reinen
Urspruuglichkeit dadurch gestört worden, und darf eben
deswegen nur auf geringeres Interesse im Auslande
rechnen. Wenn der Franzose oder der Deutsche steh
noch immerhin an den abstechenden Elgenthümlichkei-
ten der modernen spanischen, italienischen und engli-
schen Poesie ergötzen kann, so wird er in der scandi-
navisphen gar zu häufig an seine eigenen Vorbilder
denken müssen, ohne die besondere scandinavische
.Nuance zu empfinden, die dem Scandinavier selbst deut-
lich genug ist, und wodurch dieser in seinen einheimi-
schen Dichtungen, gleichsam mit fremden Reisern gew
impft, den eigenen klimatischen Geschmack, den autoch-
thonischen Charakter, nur veredelt^ erkennt; hfngegeä
wird es dem Ausländer scheinen, dafs man ilun nur
das Geliehene zurückgibt, und ewdr düreh zulaUige
Abweichungen verunstaltet.
Denn was uns zu einer fremden Litteratur hin-
zieht, ist doch immer die Erwartung des Originelleii,
des Neuen, des wenigstens auf diese Weise nocli mcb
Gekannten. Das Neue mufs nun aber, und voücnds
wenn von Poesie die Rede ist, hauptsächlich entwedv
in dem poetischen Stoffe oder in der poetischen Fom
liegen. Das Interesse am Stoff ist aber melir ein lii-
storisches als ästhetisches. So verhält es sieh mit der
Tolkspoesie, wo der. Stoff mehr als die Form sum
Träger der Originalität wird, und durch seine manaig^
fachen geschichtlichen Beziehungen eine ailgemeiae
Theilnahme in Anspruch nimmt Je weiter aber die
Poesie sich ausbildet, je höher die Gattungen der poe-
tischen Compositionen sich steigern, z. B. wenn das
Epische in das Dramatische übergeht, um so viel mekr
geht das Interesse von dem Stoffe in die Form aber,
und wird erst dadurch eigentlich ästhetisch; al>er die
Originalität der Form ist weit eher erschöpft als die
des Stoffes, eben weil die Form selbst hoher ist ah
der Stoff, weil sie die Idealität des Werkes ist, und
daher einen bestimmten Cyclus von Gliedern in sich
enthält, wohingegen der Stoff, seiner empirischen Na-
tur gemäfs, sich ini die schlechte Unendlichkeit verlau-
fen kann. Es ist zwar, besonders bei dramatisdiea
Dichtern, eine ge\$röhnliche und fiir sie allerdings reeht
tröstliche Meinung, dafs sie ein neues, originelles Werk
hervorbringen, indem sie die von ihren Yorgängem
behandelten Gegenstände, als Liebe, Tapferkeit, Colli,
sionen in den bürgerlichen Verhältnissen und derglei-
chen, nur mit verändertem empirischem Detail, als pu-
deren Personen. Namen, anderem Zeitalter, onderea
Costüm u. s. w., wieder behandeln, ohne -aber diesen
Gegenständen der Darstellung eine neue ideale Seite
abzugewinnen, ohne es in ihrer Behandlung zu einer
neuen poetischen Form, zu einem neuen aHhetiechen
Gedanken zu bringen. Allein solche Dichter sind mir
Copisten, die, anstatt das Neue hervorzubringen, das
Alte wiederholen, indem sie das bis jetzt erworbene
poetische Kaleidoskop nur umdrehen, ohne zu bemer-
ken, d^fs es dieselben Elemente in derselben weaentii-
93
JUm*mier^ Hütoire de la liiteraiure en Dänemark et en Suede.
91
'Chen Form sind, und dafs das. Neue nichts als eine
neve Verbindung in dem Zufälligen und Wesenlosen
ist, ohngefäbr wie die gerühmte Scliönheit der wilden
'Berggegenden, in denen man freilieli bei jedem Schritte
eine neue Ansicht erhält, die aber ebenfalls nur kalei-
doskopisch von der vorigen verschieden ist, wohingegen
-das Meer, das bei stürmischem Weiter auch Berge und
Thäler und ganze Gebirgsgej^enden hervorbringt, we-
nigstens so vernünftig ist, diese zufälligen, haltlosen
.Gestalten gleich zu vernichten, zwar um andren der-
selben Art Platz zu machen, aber so doch einen flüs-v
«igen, lyrisehen Pantheismus jenem fixen Eins -in -AI*
lern . entgegensetzend.
Mau könnte glauben, dafs diejenigen unter X)ehlen-
flcblagers^ Richtungen, ivelche ihren Stoff aus der scan-
dina vischen Mytliologie und Sagengeschtchte genom-
men haben^ besonders dazu geeignet wären, zu dem
scbon vorhandenen Interesse für jenen Stoff ein Inter-
■esse für neuere dänische Dichtkunst zu knüpfen. Und
-biebei denke ich nicht einmal an die Tragödien, die
Stoffe aus der heidnischen oder halb heidnischen Ge-
•ehiehte. behandeln, denn das Interesse am Drama, wie
ich schon oben Gelegenheit hatte zu bemerken, beruht
■vielmehr auf der poetischen Form als auf dem Stoffe.
.Das Drama ist die höchste, die, so zu sagen, gebildet-
ste * Gattung der Poesie, wo es denn hauptsächlich auf
den ästAetisfiAen Gedanken ankommt, und vollends
b^im Bühnendrama, welches immer mehr nach einer
universeilen kosmopolitischen Form hinstrebt, ebenso
wie die gebildete Gesellschaft, worin man verlangt,
dafs ein jeder seine eigenthümlichen Besonderheiten
dem Ganzen zum Opfer bringen soll, und worin daher
eine gewisse gefällige Gewandtheit nicht entbehrt wer-
den kann, die aber eben nicht zu den Vorzügen der
Oehleiischlägerschen . Bühnendichtungen gehört. Hinge-
gen die lyrisch.epischen Werke des Dichters, als seine
altnordischen Romanzen, seine „Götter Nordens*', sein
f^Uelga", ^— (worauf Hr. Marmier den Spruch „habent
sua fata libelU'* mit Recht anwendet, indem dieses
wahrhaft ursprüngliche Gedicht im Auslande ganz un-
bekannt ist, während Tegn^rs ziemlich schwache Nach-
bildung „Frithjof" in mehrere Sprachen übersetzt
Wordeli — diese Werke, sage ich, könnten der enge-
gebeuen Absiclit dienlich scheinen, und dennoch hat
Oehlenschläger diese seine einzigen, ohne allen Ter-
gleich vorzüglichsteh Dichtungen in äie deutsche Samm-
lung seiiier Schriften nicht aufgenommen, und die von
Anderen, z« B. von Dr. Legis gemachten Versuclie et-
.ner Üebertragung scheinen eben nicht vielen Eingang
gefunden zu haben, so weni^ als die Uebersetzungen
neuerer dänischer Romane und Novellen, die zwar den
Leihbibliotheken einverleibt ynd unter den mehr Le-
senden als ürtheilenden cursiren mögen, aber dennoch
ohne eigentliche Wirkung bleiben, insofern man diese
nach dem einzigen zuverlässigen Maafsstabe, dem Ein-
flüsse auf die fremde lAUeratury worin sie aufgenom-
men sind, beurtheilt. Und selbst wenn so seltene Ue-
berset2ier, als A. W. v. Schlegel oder Gries, sich mit
der Arbeit abgeben wollten, 'jenen herrlichen Oehlen^
sclilägerschen Dichtungen, die freilich auch nicht die
geringste Abweichung in dem Tone vertragen^ ohne
einen grofsen Theil ihrer Schönheit einzubüfsen, eine
wahre Aufnahme in Deutschland, zu - verschaffen, so
würde dennoch die Schwierigkeit sich einstellen, dafs
scandinavische Mythologie und Sagengeschichte, von
der ästhetischen Seite betrachtet, vielmehr auf eui nur
particulares als^ auf ein allgemeines Interesse Anspruch^
machen können. Hat doch selbst A. W. von Schle-
gel durch seinen Shakspeare und Calderon auf
ganz andere, eindringlichere Weise gewirkt^ als durch
seine Mittheilungen aus indischen Dichtem, weil das
„homo sum, humani nihil a me alienum puto" einen
^anz andern AnkTang findet bei jenen als bei diesen;
und so würde es auch mit der altscaudinavischto Un-
menschlichkeit gehen. Denn im Scaudinavischen wie
im Indischen ist das allgemein Interesj^ante nicht die
ästhetische, sondern die geschichtliche Seite ; diese wür-
de man aber bei einer modernen poetischen Behandlung
gefährdet glauben, und es würde viel dazu gehören,
die poetische Seite so lieb zu gewinnen, dals man seine
Furcht für die geschichtliche darüber vergäfse.
Es geht aber mit den Litteraturen wie mit den
menschlichen Individuen. * Wenn nur zwei Menschen
auf der Welt wären, so würden sie sich ohne Zweifel
gegenseitig suchen und. dienen, und der eine würde
sogar an den besondersten £igeuheiten des andern
sein Gefallen haben $ jetzt aber ist die Menge so grofs,
dafs man unmöglich wünschen kann, die persönliche
Bekanntschfift eines jeden, der uns begegnet, zu ma-
chen. Und doch hat ein jeder seine eigenthümliche
Seele, die er mit keiner andern, selbst der begabteren,
vertauschen möchte, und die, als Idee, zur Ewigkeit
MurmieTj ilüiüire d4 la liiiSrüimr^ en DmMemmrk ei Mt Si0id0*
96
bestinnt, xvM werth wü^b erlmmt ta tein. Aber
freilieh mQfst» si^ dann in ihrer Idee, abo in ihrem all-
gemeliien, nicfat empirischen W«sen begriffen werden.
Wenn ein Meisler der Darstellnng, «o wie der Auffae-
snng, die geheimen Bekenntnisse einer ^ek^ntn Seele
miltheUeod, uns das Allgemeine in dem Besondem ent-
deelct, %<i verliefen wir uns gern in eine solche Eincel«
heit, indem wir aech hier, nur auf particularere Weise,
dasselbe finden, was wir sonst nur bei den grofsen Re-
präsentanten der menschlichen Gattung nach einem
gröfseren Maalsstabe su suchen gewohnt sind. So
wird denn auch die Geschichte einer beschrankteren
Litteratur auf Theilnahme Anspruch machen können,
wenn sie, in einem wahrhaft allgemeinen Geiste geschrie«
ben, uns in ihrem kleineren Spiegel die Idee darstellt,
welche dodi immer dieselbe bleibt, und deren selbst
partieulmre Entwickelungen, eben weil es die Idee
ist, sich immer auf eine nicht nur empirisch, sondern
ideal neue Weise gestalten, und folglich, weil eine
neue Seite der Idee selbst eine neue Idee ist, uns in
der That neue Ideen TorfUhren. So mochte es denn
vielleicht ^iner Geschichte der Litteratur gelingen ken-
nen, was die Uebersetsungen der J)ichlerwerke seliwer-
lich erreichen werden.
Hätte flr. Martnier uns eine solche Gesehidite der
seandijNivbchen Litteratur geschenkt, so würden wir
ihm hereUcben Dank dafiir wissen; allein der Hr. ML
scheint durch einen auffallenden Mangel an pfalloao-
phisoher Bildung hauptsächlich daran gehindert worden
EU sein. Ohne den Geist durch Denicen gebildet eu
haben, wird man heutigen Tages, und swar mit Recht,
ilir geistlos gehalten, und wird als Gesehichtsohreiber,
selbst, der seandinavischen Litteratur, nur eine geistlose
Geschichte schreiben können. Zwar mag es, einer
sehr beliebten Redensart zufolge, verdienetlieA genannt
werden, die gelehrte oder die gebildete Welt mit einer
Menge ihr noch unbekannter Thatsachen bekannt eu
machen 4 es ist aber schwer eu l>egr^en, worin das
Verdienst einer solchen Unternehmung bestehe, und be-
sonders eu ein^ Zeit, wo die Welt eu viel eu thun
hat, um sich mit meris particularibus, e quibus nihil
eequitur, eu befasami. Was kann es den Fransoa«
oder andern Ausländem helfen, eu wissen, daüi wir in
Dänemark oder in Schweden so und so viele Diehlcr
haben, die so und so heilsen, die so und so vide €ve>
dichte von diesem oder jenem lohalt gesehrieben, mmü
diese oder jene Lebensumstände gehabt haben? Zwar
kommen auch ästhetische Urtheile Tor, namentlich Ter-
gleichüngen mit verwandten Diehtem anderer Lfind^,
alles aber in der Form eines bloCi äufserlichen Raiaoa»
nements, «nd die eigentliche Pointe der Sache li nmna
fast nirgends heraus. Der Verf. sehdnt der — » ich
mdchte sagen — aber^uhisdien Vorliebe vieler am*
ner Landsleute für das Quantitative im Litterariadien,
für die Menge der Thatsachen, scheint dieser litterari*
sehen Gastronomie, die mehr Speisen verlangt, als der
Magen verdauen kann, und die durch eine UnsaU von
„Revues*^ -* ein Modentitel, der in dieser Besieirang
ebarakteristisch ist ^ genährt wird, noch mehr Nah-
rung iiaben bieten eu wollen, wie dies sogar aus ac».
ner eigenen Rechtfertigung des Buches in der Tor-
rede *) erhellt. Hier helfet es nftmlich : „Faire une hi-
atoire da celte littdrature, depuis le Jour oü eile ouvrit
son alle faible et craintive jusqu*ii celui oh eile a'elan-
^a librement dans Fespacoy e*est, k ce qu'U me acm^
ble, rdpondre auic besoins de Tdpoque ou nous vivons,
de cette ^popue investigatrice et curieuse, qui aime h
remuer les cendrea du^ pass< et k promener »em regards
errants autour d'elle; c*est ajouter un aaneau a eette
chaine d'dtudes qui s'ätend aux deux extr^mft^ du
monde; et quand ce ne aerait qu'iin anneau de fer mal
ciseld, n'importe encore, cdui qui le tient entre aea
mains doit le livrer craime jm tribut." — Dab abe^
diese Kette, von welcher der Hr. Verf. in so feierii.
eben Ausdrucken qiricht, nur die Kette der empiri-
schen Detailkenntnisse, des geistlosen Fortganges in
der Richtung der schlechten Unendlichkeit ist , dies Ist
aus dem Buche selbst eben so leicht eu erkennen, ids
dafs der hier dargebotene Rmg audi nur in eine aoldie
Kette passen kann.
0 S. IV.
/
(Die Fortsetxong fblgt.)
J ah r b 1i c h e r
für
^wr i s s e n s c h a f tl i c h e Kritik
Januar 1840*
Bütaire de la Utteratture en Dänemark et en
Buedey par X. lUL armier.
(Fortsetsung.^
Diese ganze Form eines Zasammenhäufens von
Thatsachen und — weil es doch unmöglich ist bei dem
rein Thatsächlichen ganz abstract stehen zu bleiben —
eines losen Hin- und Herredens Tiber die Gegenstände,
eiBos oberflächtichen Beurtheilens, einer prosaischen Ex-
Position des trockenen Inhaltes, der Gedichte, ja sogar hier
und da einet in französischer Prosa gemachten Ueber-
setzung solcher lyrischen Gedichte, deren Schönheit,
wenn sie von Reim und Rhythmus losgerbsen werden,
gar nicht zu begreifen ist, endlich der minutiösen Er-
stthlukig der äufseren Lebens - Umstände der Dichter,
diese ganze Form des Buches steht damit in Verbin-
dung, dafs der Hr. Verf. seine eigene Reisebeschreibung
mit seiner Geschichte der Litteratur zum Theil hat ver-
binden wollen. Er er2ählt ganz naiv, wie und wo er
die BekannUchaft der Dichter gemacht hat, wie er von
ihnen aufgenommen worden ist, welchen Eindruck sie
auf ihn gemacht haben, u. s. w., eine Manier, die nur
Gültigkeit hat unter der Voraussetzung, dafs der Verf.
eine so bedeutende oder berühmte Autorität bt, dafs
es die Welt interessiren kann , mit seinen besonderen
Schicksalen und Memungen bekannt zu werden. So
erzählt er z. B-, dafs er sich mit Tegndr über den
Werth oder ünwerth der neusten dänischen und schwe-
dischen Dichter unterhalten hat; welches Urtheil aber
Tegn^r über diese Dichter ausgesprochen hat — das
Einzige, was irgend ein Interesse haben könnte — er-
fahren wir nicht, und mOssen uns dafür durch den Be-
rieht entschädigen lassen, dafs der Verf. unterdessen
mit dem geistlichen Manne Punsch getrunken hat *).
So erzählt er ferner ••), dafs der dänische Dichter
Andersen ihm durch ein schwerräüiges Benehmen (un
*) ^. 403. •*) S. 239.
iohth. f. mitentch. Kritik. /. 1840. , I. Bd.
maintien un peu lourd) auffallend war, ihn aber. später
durch die Erzählung seiner Jugendgeschichte gewann;
und diese Geschichte, die für den Dichter selbst und
seine Freunde erbaulic)i genug sein mag, in einer Ge*
schichte der Litteratur aber eine gar zu überflüssige
Rolle spielt, erzählt Hr. Marmier in aller Breite nach.
Wo es aber zur Darstellung von Andersens litterari-
scher Wirksamkeit kommt, da ist Hr. Marmier von sei-
ner Nacherzählung so erschöpft, daCs er uns nur ein
Paar nichtssagende, aphoristische Bemerkungen über
den Ton und Charakter dieses Dichters mittheüt, so
wie die Angabe des^ Hauptinhaltes ' zweier seiner Ro-
mane, und eine versificirte Uebersetzung eines klei- .
nen lyrischen Gedichtes , ohne dafs die Frage über
seine eigenthümliche Tendenz, oder überhaupt ob eine
Tendenz bei ihm vorkomme, zur Sprache gebracht wird..
Und doch ist Andersen unter allen auf Oeblenschlägec
gefolgten Dichtem der einzige, den Hr. Marmier einer
Art von Beurtheilung würdiget; alle die übrigen sind
fast nur mit Namen genannt, und Männer wie Schack,
Staffeidt und Grundtvig kommen, nicht einmal dem Na»
men nach, vor. ^
Der Umstand, dafs der Hr. Verf. die scandinavi-
sche Litteratur an Ort und Stelle, in Copenhagen und
Stockholm studirt hat, könnte seinem Buche ein gewis-
ses Relief geben, eine Art von Autorität verleihen, die
aber, genauer besehen, als bloEser Schein verschwin-
det. Bedenkt man nämlich, dafs die Pariser Bibliothek
mit scandinavischer, wenigstens mit dänischer Littera-
tur so reichlich versehen wird, dafs kaum das ^Uer-
neuste fehlet, und dafs folglich ein Franzose; um die
Geschichte unserer Litteratur zu schreiben, Paris kaum
zu verlassen braucht, so wird man zugeben, dafs die
einzigen etwanigen Vortheüe einer Copenhagener Reise
sich darauf beschränken, sich in der Sprache durch Um-
gang mit den Eingeborenen zu vervollkommnen, die Sit-
ten und Gebräuche und andere Locallläten des Landes
13
99
Jtiarmier, Bütcire de M Uttdrature e» Datumark et en Suide,
JLOO
t •
L
durch eigene Ansicht besser kennen zu lernen, und end-
lich die Anweisungen der Gelehrten und Gebildeten zu
benutzen, iim die wahren, manchmal versteckten Ten-
denzen der Lttteratur oder einer ganzen Partie^ denel*.
ben, um die verborgenen Keime einet kflnftigen Ent-
Wickelung zu entdecken. Gewifs sind diese Vorzüge
von Wichtigkeit ; was aber den letzten und ohne Zwei-
fel wichtigsten betrifft, so ist und bleibt er s^hr precär,
wenn der Reisende nicht die gehörigen Yorkeuntnisse
und in der Hauptsache ein schon gebildetes Urtheil
mitbringt, weil es sonst ganz von dem Zufall abhängt,
in welchb Hände er fällt, und unter wessen Anleitung
er beobachtet und schreibt. So hat Hr. Marmier sich
von den Einflüssen eines gewissen esprit de coterie
nicht entfernt halten können, und wo er ein. Urtheil
ausspricht, hört ihan manchmal nicht ihn, sondern die-
ses oder jenes Lidividuum, diese oder jene Gesellschaft
durch ihn sprechen. £s mag allerdings die gute Ge-
sellschaft sein; wie man sie aber die gute nennt,
wenn sie zum kleinsten Gedicht keine Gelegenheit
gibt, -
so trägt sie denselben Namen, wenn sie das kleinste,
Gedicht richtig zu beurtheilen unßhig ist. Ueberhaupt
scheint Hr. Marmier durch seinen zweimaligen Aufent«
halt in Copenhagea den mitgebrachten Yorkenntnissen
in der dänischen Litteratur jedesmal eine zu kurze Aus-
bildungszeit vergönnt zu haben. Durch einen verlän-
gerten Aufenthalt würden seine Ansichten und Urtheile
vielleicht verbessert, so wie die vielen Fehlejr und Mifs-
Terständnisse in dem rein Thatsächlichen vermieden
worden sein, z. B. wenn er die Könige Olaf den Hei*
ligen und Olaf Tryggvasen mit einander verwechselt *),
jüder berichtet, Oehlenschläger habe alte Werke Holbergs
Ins Deutsche übersetzt ^), oder von dem wenig bekann-
ten Dichter Rein sagf, er sei ein dramatischer Yerf.,
*der die Geschichte von Axel und Walburg zum ersten-
mal auf die Bühne gebracht habe **•), u. s. w., u. s. w.
Allein das grofse Zutrauen des Hrn. Marmier zur Ge-
Bchwindigkeit seiner Auffassungsgabe wurde den Dä-
nen schon damals kund, als er, während seines kurzen
Aufenthalts in Copenhagen, seine beiden, dem Werke
einverleibten Artikel über Oehlenschläger und Andersen
in einer dänischen Zeitung und in dänischer Sprache
drucken liefs, wozu allerdings 'eine noch gröfsere Keck-
0 S. 224. ••) S. 217.
•••
) S. 173.
heit gehörte, als einem fremden, der Sache unkundigen
Publikum ein solches Gewäsch zu bieten. "^
Um an einem auffallenden Beispiele zu zeigen, i^fe
die Schrift des Hrn. Verfs. eine geistlose Compilation
bt, theils aus. bekannten Büchern, theils — was schlii^u
mer. ist — aus allerlei mündlichem , unkritbchem Ge-
rede und sogar litterarbchen Klatschereien, ohne Saeb-
kenntniCs, ohne Urtheibkraft abgefafst, werde ich den
Abschnitt wählen, wo er von Baggjßsen handelt. Die-
ses Bebpiel wird um so viel mehr ein exemplirai in^
Star omnium sein könnet , ab Baggesen durch seine
berühmte und berüchtigte Polemik gegen Oehleneehlä-
ger den letzten Haupt -Wendepunkt in der Geschichte
der dänbchen Litteratur bildet, das bei weitem wicii-
tigste Ereignifs darbietet, das sich seit Oehlenscblägeis
erstem Auftreten zugetragen hat. Denn diese Polemik
hat eine bedeutende, noch immer fortdauernde und wohl
nie zu verlierende Wirkung hervorgebracht, indem sie,
mehr durch den ihr einwohnenden Grundgedanken als
durch die gründliche Entwickelung desselben, das kriti-
sehe, bbher schlummernde Bewufstsein der Gebildeten
erweckt, und damit den ästhetischen Oedanken in sein,
durch lauter ästhetbches &^«;^ usurpirtes Recht einge-
setzt hat. Zwar bt die Unschuld des unbefangenen
poetischen Genusses, die Zeit der kindlichen Bewunde-
rungen und weiblichen Ekstasen dadurch verloren ge-
gangen, allein der männliche Gedanke der Wbsenschaft
hat sich auf Kosten des verlorenen Paradieses emanci-
pirt, und wird sich seine Freiheit nicht mehr rauben
lassen. Dieser grobe Fortschritt läfst sich allerdings
an Ort und Stelle besser wahrnehmen ab durch das
blofse Lesen der neueren Schriften , weil in diesen Yie-
les, worüber die öfTentliche Meinung schon im Reinen
bt, übergangen wird, um nicht hie und da infandum
dolorem zu renoviren. Anderes nur auf verblümte Webe
ausgedrückt wird, indem es so zum Yerständnisse des
einheimischen Publikums hinreicht, und endlich weil die
Tagesblätter, insofern sie es nicht verschmähen, sich
mit litterarbchen Gegenständen statt mit politbchen ab-
zugeben, hier, wie überall, nur die Organe einer Par-
tei sind, und zwar einer veralteten, so dafs sie sich
gewohnlich über das am meisten verbreiten, was in der
lebendigen öffentlichen Meinung das geringste Interesse
hat, hingegen dasjenige mit Stillschweigen übergehen,
worin die Gegenwart lebt und ihren Kern für die Zu-
kunft niederlegt. In der gereiften öffentlichen Memung,
101
Mmrmierj Hiitoire de la Utt^ratfire en De{nemark et en Suhde.
102
insoftim sie. den kier besproobeneii Gegenstand betrifit,
bätte Hr. Marmier durch seinen Aufenthalt in Copen-
hagaix, und Ewar mit geringer Mühe^ orientirt werden
können^ anstatt dafs er mm auf derselben Stufe als
die periodische Litteratur und die sie dirigirende Cote-
.^8 stehen geblieben ist. Durch ein nur halbgrUndlir
«hes Studium der Baggesenschen Schriften, \^enn Hr.
Maimier auch nur zu einem solchen Zeit un(l MuTse
•
gehat)t hätte, würde er nicht zu dem für einen Ge-
«ehiöhtschfeiber der Litteratur traurigen GestSndnisse
gekommen- sein: ,^vant debl&meri il faut comprendre,
ei je ne comprends pas la maniere d'agir de Baggesen
en raainte circonstance'' ^). Und was gibt es denn
hier^ d^ er nicht verstehen konnte 1 Es sind Bagge-
aens „fluctuations de caract^re et ses contradictions" *^).
Und welche sind diese? Der Yerf , nachdem er die
Reihe der äufseren Ereignisse in Baggesens Leben. aus*
Molbechs Biogr^ihie des Diciiters in seiner danischen
Anthologie compilirt hat, stellt uns die genannten fluotua-
tipns et contradiotions so dar: „Le caraetfere de Bag-
gesen est un singulier melange de tendresse, de frivo-
lit^, et sa vie, sans ^o^e traversce par les id^es les
plus tiontradietoires, est ' comme une ^nigme. 11 avait
eneensä le nom de Goethe et il llnjuria. II ^tait toinb^
aux genottx d*OehIensohläger en l'ecoutant lire Palna-
toke^ et il traita Oehlenschläger comme le deriiier des
^erivaius. Quand^ Atodldin parut, il avait saluä avec
eBthoosiasme Taurore de Tecole romantique danoise.
II aurait pu 6(re le chef de cette öcole et il en fut
rantagoniste outr^. Quand ^il etait k Paris, il d^clarait
qu*il h'avait päs-aautre ambition quo d'ecrire en da-
nois, et ü em^loya tous ses eSbrts ä faire des Vers
allemahds, et m£me des vers fran^ais. 11 aimait sa pa>
trie, et il ne put lui donner une lärme quand eile fut
döpouill^e par rinvasion, d^sol^e par la guerre" *^*).
Was den Schlufssatz dieser Tirade betrifft, so
wird ein jeder, der Baggesens Schriften auch nur fluch*
tig kennt, ihn faktisch widerlegt finden durch mehrere
' säner zur Zeit des Krieges* mit England geschriebe-
nen, sowohl ernsthaften als spafshaften Gedichte, z. B.
den vortrefflichen ,,Flaschenbrier' — einen wahren
t Hymnus im Volkston, — die Ode an den Admiral
Sneedorff, das populär gewordene Matrosenlied, zu ei-
ner bekannten norwegischen Tolksmclodie gedichtet.
•) S. 19L ••) Ebendas. •") S. 190.
so wie mauj um seine im spafshaften Ton geschriebe-
nen Gedichte richtig zu beurtheilen, nicht vergessen
mufs, wie oft, er, um seinen eigenen Ausdruck zu ge*
brauchen, .^hinter Thränen lächelte", und wie auch
hier die von Hrn. Marmier verlangte „lärme-' nicht ge-
fehlt hat. Was aber die übrigen, an der angeführten
Stelle enumerirten Widerspruche betrifft, so wollen
wir, mit Ausschiiefsung derjenigen, deren Auflösung
Von keinem Interesse bt, uns auf Baggesens Verhältr
nifs zu Oehlenschläger und zu der ' „äoole romantique
danoise" beschränken.
4
Die Auflosung des hierin gerS^en Widerspruches
ist freilich von den aus dem Leben des Dichters an*
geführten Thatsachen nicht zu erwarten; und v^enn
daher Hr. Marmier von Baggesen nidits anderes weiCib
ab dafs er so und so viele Aemter bekleidet hat, so
und so vielmal auf ausländische Reben gegangen bt^
dafs er in Parb wegen Schulden eingesteckt worden,
dafs er zweimal verheirathet, hier gestorben und doM
begraben ist, so ist es nicht nur kein Wunder, dafs
der Hr. Verf. über Baggesens „maniere d'agir" — wor-
auf es übrigens hier nichf. ankommt — keinen Auf-
schlufs hat erhalten können, sondern — - was in einer
Geschichte der Litteratur schlimmer ist — die maniöre
d^ccrire des Dichters wi^d ihm ein unauflösliches Räth-
sel bleiben müssen. Und doch, es gehörte eben nicht
grofse Sachkeuntnifs oder ungewöhnliche Ürtheilskraft
dazu, um den wichtigen, manches erklärenden Umstand
nicht unbeachtet zu lassen, dafs Baggesen voii Natur
ein- speculativer Kopf war, wodurch er schon einen
enUchieaenen Contrast zu Oehlenschläger bildet, dafs
er sein ganzes Leben hindurch von der Philosophie
eben so sehr ab von der Poesie angezogen wurde,
und dafs sein fojrtdauerndes Bestreben darauf ausging,
eine speculatlve Poesie, eine Poesie der esplicirten
Idee zu gründen. Aber welche Nahrung erhielt seine
philosophbche Neigung ? Sein kräftigcfs Mannesalter liel
in die kantbolie Periode, und er setzte sich mit solchem
Eifer in dem Kantianbmus fest, daCs er, unfähig ge*
worden, weiter fortzuschreiten^ schon bei Fichtes con-
^equenter Ausbildung des Systemes abbrechen mufste,
und weil er doch, selbst zum Behufe seiher Poesie,
die Philosophie nicht entbehren konnte, bei dem ob-
jectlosen Kant aber, wie begreiflich, keine Ausbeute
für die Poesie gewinnen konnte, sich zu den gemüthli-
chen Denkern Jacobi und Rcinhold hingezogen fühlte.
101
MmrmuTf
de la litt^raimrt *» ßmnemmrJk et em Smide.
1<M
• 1
8a Bh^t konnte er iie Brücke nieht finden, welche die
beiden Mchstea Geisteethätigkehen verbindet i hingegen
ward ihm die eine in der Ausübung der anderen suai
Hlndemifs, und er selbst wurde gleichsam ein Zwitter,
einestheils ein Stttck Ton einem Philosophen, andern-
theils von einem Poeten, das letzte aber bedeutend aus*
gebildeter als das erste. Hütte er Schillers tiefere Be*
geisterung geliabt, er würde vielleicht, wie dieser, mit
Fichte forlgeschritten sein, und selbst auf dfm sandi->
gen Boden dieses Philosophen reiche poetische Fruchte
gesammelt baben. Was ihn aber auch daran hinderli
mochte, war^ dafs er in der That die Forderung an
eine speculative Poesie höher stellte als Schiller, der
sich mit dem kleinen moralischen Gebiete begnügen
liefs. Er hingegen wollte Natur und Geist, und über«>
haupt die fiufscrston Gegensätze in der Poesie repro-
duciren und durch dieselbe mit «nandiir vermitteln,
wie fies selbst aus seinen mifslungenslen Bestrebungen
itir diesen Zweck einleuchtet. Mit Schelling konnte
er nicht harmoniren, weil das Uebergewicht der Natur-
philosophie seinem logischen Geiste zuwider war, und
Hegel hat er, wenigstens * vor seinen letzten Jahren,
nicht gekannt, und auf Jeden Fall damals nicht so
viele Agilität gehabt, dafs er sich in efai neues System
hineinversetzen konnte!
Unterdessen war Oehlenschläger mit seinen er-
sten, Epoche machenden Dichterwerken aufgetreten.
Ohne den Trieb zur Speculation empfunden zu haben,
war ihm unmittelbar durch seinen Freund Steffens und
mittelbar durch die deutschen Romantiker, Noyalis und
Ti^ck, ein gewisser Anflug der Schellingschen Natur-
philosophie milgetheilt worden, Wodurch er freilich in
reia objectiver Binsicht Baggesen vorbeigeschritten war,
subjectiv aber insofern hinter ihm zurückstand, als er
selbst kein rechtes Bewufstsein über seine Richtung
hatte, sondern dieselbe vielmehr unter aufserem Ein-
fluBse, seinem poetischen Instinkte gehorchend, einschlug.
Aber schon die in seinen ersten Gedichten implicite
vorhandene Idee liefs sich mit solcher Energie spuren,
dafs es weder Baggesen noch Anderen zu verdenken
war, wenn sie melnlett, der Dichter würde Im Verianf
seiner Hervorbrhigungen, in der ferneren Eatwiekefauig
seines GeisteSt dieselbe Idee durch den Kreblauf ihrer
weiteren Gestaltungen wahrhafit expliciren« In dienern
Sinne mnfs Baggesens begeiitertes Lob des jmfgcn
Dichters verstanden werden. Selbst wo er das Leb
modertrt, geschieht es nur, um den Jüngling an das
SU mahnen, was ihm noeh an der YoUendung fehk;
deswegen warnt er ihn vor der in der damaligen deut*
sehen Schule rorherrschenden Neigung zum Kaihnl-
eismus und vor dem allzugrofsen Einfluls von Ticcks
breiter, nebelhafter Romantik, und dringt auf die* SefaiL
dening plastisch klarer Gestalten. Und Oehlenachll*
ger, ohne den Rath Baggesens befolgen zu wollen, be*
folgte ihn dennoch. Den Katholiebmus gab er anl^
und nach und nach auch den Romantlsmus, mriir visL
leicht als billig, und stellte in seinen ersten TragödicB
klare Handlung statt dunkler Gefühle dar, wodurch
eine neue, unerschöpfliche Seite seSnes poetischen Vc^
mögens sich offenbaren zu wollen schien. Und jettt
stimmte Baggesen in das noch gr5isere Lob ein. b^
dem aber Oehlenschlftger, auf den schon gewonnenen
Lorbeeren ruhend, sich die Sache nach und naeh be-
quem machte, und, nach aufgegebener Romantik, auch
die plastischen Charaktere, die wahre Handlung, das
gediegenen poetischen Gehalt in manchem neueren
Werke aufgab, aus der poetischen Region nicht seilen
in die prosaischen Felder einer flach «moralisdiai Le-
bensansicht hinabsinkend, wo ein abstrakter Philanlluro»
pismus die Stelle der weggeflohenen Idee einnahm, da
rückte Baggesen mit seiner polemischen Feder ins
Feld, erstens gegen den Dichter selbst, den er noch
immer zu bekehren hoffte, und zweitens gegen das Po»
blikum, das, im blinden Autoritiitsglauben befangea,
jene schwachen Werke für eben so gültig hielt, ab
die früheren gediegenen, und überhaupt eine jede Kri-
tik der infalliblen Muse des Dichters als aufrührertssh
Stempehe, während der in Kants Schule gebildete Bag»
gesen alle Autorität verwarf, und nur die Einsicht sls
Geschmacksrichter wollte betrachtet wissen.
(Der Bef chloDi folgt)
w
Jahrbücher
1 -
fM
issenschaft liehe Krit iL
Januar 1840«
Histmite de Im läterature en Dänemark et en
Suedej p€fr X Himrmier.
(Schlufs.)
Die InconsequeQsen und Widenprüch« diefer Po-
lemiky iiid«m dieselbe theil« .mit unet acbopflicfaem W iU
se, tlieib juit massiireii GrohheiteA^ bald mit grändlicber
Aiiseinaadersetuuig, bald wieder mit voreatdicb^n Mirs»
verstandniaeen» weder ebrliehen noch am&santen Wort-
Terdrekungen und überhaupt mit einem gewissen litte-
nrisehen Jesuitismus geführt wurdev erlcUren sich
leicht aus dem angegebenen apeculaüven Slandpunicte
des'KriüIcers. Dals Oehlenscbläger, wenn er den letst*
eingeschlagenen Weg nicht änderte^ die Poesie ni
Grunde riditete , wälurend er dazu berufen schien, sie
ihrer Vollendung entgegensuführen , und dals es für
das PublÜLum hoch fun der Zeit wäre^ sieh durch die
Stimme der Kritik belehren und bilden zu lassen, a»*
statt sich im blinden Fanatismus die Ohren zuiusto-
. pfeny^ dies war es ohngefähr, was Baggesen sagen und
explidren wollte ; und dafs er hierin Recht hatte, wird
heutigen Tages fast allgemein eingestanden. Um aber
jene Wahrheiten in der Form des Begrlfi'es auszudrülc«
ken und gehörig su entwickeln, hätte Baggesen im
Besitz ganz anderer Kategorien sein müssen, als 4er
dem kantischen Systeme entnommenen oder wenigstens
mit ihm verwibaren. Seine eigene Aestfaetik, noch in
den Windeln der infantia liegend, war unvermögend,
den nur gefjählten Gedanken deutlich auszus|precbei|.
Wo .nun der Philosoph zu kurz kam, da wurde ihm
von dem Poeten Hülfe geleistet:, die Satire trat an die
Stelle der dogmatischen Belehrung, und zwar so glän«
send, so energisch, dafs die besseren Theile. dieser Pcw
lemik . ohne Vergleich das Gediegenste sind, das Bag»
gesen jemals geschrieben hat, und gewifs in jeder an-
deren Litteratur, wo dieselben Yerhaltnisse stattfänden,
das gröfste Aufsehen erregt und die grofste Anerken-
^^^. f. wiuMich. Kri$ik. J. 1840. L Bd.
nung gefunden haben wurden« Man kann Baggesen
in diesen seinen Werken am fügliehsten nrit Lichten*
berg vergleichen (für den er auch in hohem Grade en«
4husiastisch war), wie grob übrigens die Yersehieden«
heit beider ist: denn einestheils fählt ihm die besonnene
Ruhe dieses einzigen Schriftstellers^ anderntbeils- hebt
er sieh über.ibn durch seinen eminent lyrischen Geist^
der ihn sowohl in Prosa als in Yersen den Dichter nie
Terläugnen Ittfst; aber in der-Gründliebkeit nnd Leich*
tig^eit des Witzes, und selbst in den possirüchen klei«
nen Chicaneu, womit die Gegner geneckt werden, ha-
ben beide einen gemeinschaftlichen Familienuig, Und
so wie die Stimme des Windes dem griecbischen
Schiffer die Worte .zurief: „Der grofse Pan ist gestor-
ben*', sc klang durch, Baggesens ganze Polemik, fkh
sympathetischer Ton, das leise, nicht einem jeden Ohre
vernehmbare Wort: ,^Oehlenschläger ist geistlos ge- .
worden."
Awi dieser nur angedeuteten Charakteristik der
Btfjggesenschen Polemik • ist leicht zu erkfftren, warum
das grolse Publikum^ den eigentlichen Sinn des Kriti-
kers nicht verstehend, hingegen die Schattenseite sei«
ner Angriffe scharf ins Auge fassend, sich mehr und
mehr von ihm abwandte, und zuletzt sogar in eine
feindliche Stimmung gegen den vorher so hoch Geprie-
senen gerieth.' Die von seinett Feinden verbreitete Be-
hauptung, er sei nur aus Neid getrieben, nur aus dem
Aecgernisse, von einem gröberen Dichter übertroffen
zu sein, fand bei dem grofsen Haufen um so viel leieh«
1er Bittgang, als überhaupt die gemeinsten Motive
ihm die begreiflichsten sind. Dafs auch bedeutende
Männer sich über die Tendenz der ILritik tauschen lie-
Isen, indem sie, den Teclaumdungen Ohr gebend,, in
der grofsen Ideen-Collision nur einen persönlichen Streit
sahen, ist gewifa sehr zu tadeln, aber doch durch die
Unbestimmtheit in den von Baggesen dargestellten
Prindpien, sowie durch di^ vielen Abwege, worauf
14
107
Marmier^ Histoire de la litUrature en Danemark et en Suhde,
108
seine Polemik gerieth^ eihigermarsen su enttciiuldi^en.
Denn er selbst trägt viele Schuld; seine Wahrheits-
liebe wurde manchmal von seiner Leidenschaftlichkeit
rerdunkeltf und er selbst verwandelte ' manchmal den
Kampf für die Idee in Streit, gegen die Person, «einem
Sinne nach freilich nur so^ dafs er die Person als na-
tQrliches Symbol einer geistigen Verkehrtheit betrach-
tete« Allein, wie schon gesagt, man ziehe diese Un-
Vollkommenheiten ab, und es bleibt Unvergängliches
surück. Und jetst, nachdem ein Zeitraum von beinahe
dreifsig Jahren verflossen ist, seitdem Baggesen seine
Polemik anfing, und von zwanzig, seitdem er sie be*
achlofs, hat die öffentliche Meinung Zeit genug zur Rei-
nigung gehabt, und. ist schon lange Ober die ganze
Angelegenheit ins Klare gekommen. Zwar gibt es
noch immer eine Partei, die bei den veralteten, zum
Theil Von ihr selbst geschaffenen Voürthctlen stehen
geblieben ist, welches allerdings aus guten Gründen zu
begreifen, und aus weniger guten zu entschuldigen ist.
E» ist nämlich an der Baggesenschen Polemik auch
eine moralische Seite zu betrachten. Man hat seinen
schonungslosen Angriffen das Dankbarkeitsgefiihl we-
gen schon empfangeu^r reichhaltfger Gaben, iiberhaupt
die Pietät entgegengestellt, so wie man noch jetzt bei
vielen Gelegenheiten dieselbe in Anspruch nimmt, und
hierin mag zwar eine gute Regung des Herzens etit*
halten sein ; die Pietät aber, wie unentbehrlich sie auch
in dem Familienverhältnisse als Grundlage ist, kann
doch im Litterarischen nicht unbedingt zu rühmen sein,
denn in der Wissenschaft, geht die Wahrheit über alles,
und wenn man daher auf diesem Gebiete zur Pietät
unaufhörlich recurrirt, so ist man selbst daran Schuld,
wenn zuletzt die pi^t^ zur piti($ wird.
Lassen wir aber dieses dahingestellt sein* Wor-
auf es hier ankommt, bt der Umstand, dafs ein Yerf.,
jTer die Geschichte einer Litteratur sehreiben will, in
einem so wichtigen Punkte, wie dem hier besproche-
nen, weder eine genaue Prüfung anstellt, noch, in Er-
niangeUing eigener Kenntnisse, die gebildete öffentliche
Meinung zu Rathe zieht, «ondem sich einer, weder an
Zahl noch an Intelligenz -bedeutenden Partei zum Die-
ner macht, und in ihre zwanzig- bis dreifsigjahrige
Litanei einstimmt. Und hier spricht der Verf. nieht in
dänischer Spraehe, ganz unschädlich, zu einem kidnen,
besser unterrichteten Publikum, das bei seinen gespreitz-
ten Charlatanerien die Lust des' Lachens bat^ sondern
er thsilt dieselben in einer universellen Sprache dent
gröfsest möglichen Kreise yon Lesern mit, welcher
aber, mit den Thatsachen unbekannt, die Abgeschmackt*
heit seiner Uitheile nicht entdecken kann. Wie tsav«:»
li^reineht aber Hr* Marmier ,selbst mit 'Thaisa^Aen w»-
geht, ist unter andern daraus zu ersehen , dafs er vod
Baggesen sagt, er habe sieben Jähfe hindurch gegea
Oehlenschläger, Bruun und Rahbek polemisirt, „contps
tous ceux enfin qui admettaient en po^sie la moindra
Innovation'' *), als wenn Bruun und Rahbek jemals aaf
irgend eine Innovation in der Poesie gedrungen hauen,
als wenn nicht Baggesens Polemik gegen die beid^i
letztem vielmehr darin gegründet war, dafs sie in den
Yeralteten festgewurzelt standen, so wie auch die An-
griffe auf Oehlenschläger nieht um der Innovationen wQ*
len geschahen, sondern — wenigstens in weit höherem
Grade — wegen des Zurücksinkens auf schon zurück*
gelegte Standpunkte. Und um nun obendrein Ton je-
nen sieben Jahren, in welchen Baggesen erst eine tie^
fere poetische und kritische Tendenz an den Tag legte,
und — allen schlechten Abschweifungen zu trotz —
seine witzigsten und gediegensten Werke hervorbrachte,
sagen zu dürfen: „Ces sept ans lui firent peu d'liott^
neur" **), dazu gehört eine eben so gründliche Uniie*
kanntschaft mit dem ^behandelten Gegenstande und eine
eben so grofse kritische Unmündigkeit als die dea Hrn.
Marmier.
In seine Darstellung älterer Perioden hat der Hr.
Verf. zwar nicht so viele falsche Thalsachen und un-
gültige Urtheile eidgemischt, weil er hier nur aus be*
währten Büchern zu compiliren brauchte, und nicbt no-
thig hatte , auf allerlei mündliches Gerede zu boren.
Aber dieselbe Geistlosigkeit begleitet ihn durch das
Aeltere, wie durch das Neuere. So wird man, nach-
dem man seinen langen Artikel Ober Holherg gelesen
hat, und durch die Enumeration der mannigfaltigen
Schriften dieses' Autors sich Ton der grofsen extensi-
ven Wirkung desselben wohl eine Torstellung machen
kann , dennoch , wenn es auf die Beurtheilung seiner
Intensität, seiner wahren Qualität als Schriftsteller an-
kommt, ohne Hülfe gelassen. Wie und wodurch er
der Stifter der ganzen neueren ' dänischen Litteratur
und des dänischen Styls wurde, welches unausldsdiU-
che Gepräge er dem nationalen Geschmack aufgedrudct
•) S. 189. ••>Ebendas.
109
Marmiepj Hutoire de ta littirature en Daiiemark et en Suede.
110
hat, wie er, tils Komiker, sieb in wahrhaft ästhetischeiE
Sinne su Molibre und überhaupt zur Idee der Komödie
v^liält, darüber kommt nichts vor, und wir müssen
uns dafür mit. seiner Biographie, dem trocknen, fakti*
sehen ' Inhaltsverzeiehnisse einiger seiner Gedichte und
Kom&dien, und mit einer ganz oberflächlichen, nichts*
sagenden Vergleichung mit Meliere begnügen. . Und
später, wenn der Yerf. auf die Darstellung der Oppö*
sUion der norwegischen Dichter gegen Ewald kommt,
gibt er dem Leser auch nicht den geringsten Wink
über die Bedeutung dieser Opposition, welche insofern
ainige Aehnlichkeit mit Baggesens Opposition gegen
Öeblenschlä'ger hatte, als sie, wenigstens objectiv be*
trachtet, zum Theil auf Holbergs Rehabilitation aus-
g;ing, indem sie die Gefahr abwenden wollte, wotmit
Ewalds Klopstockscbe Muse den dänischen Naüonal-
ehaiakter zu bedrohen schien. So hat auch Baggesens
lustige Satire über die deutsche Schwerfälligkeit der
OehlenseUlägerschen komischen Dichtungen wenigstens
indireote dazu beigetragen, den Sinn für Holbergs leichte
Gewandtheit zu erneuern, und in dieser Hinsicht den
Nationalcharakter auf seine ursprüngliche, durch Natur
und Bildung angewiesene Stufe zurückzuführen* Um
aber den Werth dieser Wirkung. gehörig zu schätzen,
erinnere man sich, dafs die Dänen die Einzigen aufser den
Fraiizo|en sind^ die eine eigene, noch immer nicht ver-
altete, sondern in der Gegenwart lebende, originale
Schule, in. der komischen Bühnenlitteratur besitzen, und
wie Tiel es ihnen d^rum.w thunsein mufs, diesen viel-
leicht einzigen Vorzug, den. sie vor anderen Yolkeni
haben, als Palladium der Nationalität vom Einflüsse
geringerer Potenzen unverfälscht zu erhalten.
Geht man auf noch, ältere und auf die älteste Pe-
riode zurück, so ist z. B. die scandinavische Mytholo«
(^f ihrem faktischen Thatbestande nach, erzählt, d. h.
einige der Fabeln sind, obgleich in ziemlicher Verwor-
renheit, taidern Verfassern nacherzählt, der poetische
Sinn dieser Fabeln aber, ihr logbcher oder' metaphysi-
scher Standpunkt, ihre Beziehung zur Gottes -Vorstel«
lung bt dem Leser als Bätlisel zur Errathung überlas-
sen. Und weiterhin das Einzige, dem in de^ Geschichte
der älteren Litteratur eine interessante äithetüehe
Seite abzugewinnen war, die Volkspoesie des Mittelal-
ters, die sogenannten Heldenlieder, siiid ganz unästhe-
tisch behandelt worden, indem sie nur einer äufserli-
eben Betrachtung von Seiten des S.toffes, mit einge-
streuten prosaischen« Uebersetzungen einzelner, wie in
einer Beispielsammlung, gewürdigt sind, während die
eigentlich ästhetische Seite dieser Pdesie, ihre* sowohl
äufsere als innere Form, ihre genaue Verbindung mit
der Musik, ihr Verhältnifs zum lyrischen und epischen
Pole der Poesie, kurz die ganze Dialektik des hier ob-
waltenden ästhetischen Begriffes ganz mit Stillschwei-
gen, und gewiis aus gültigem Grunde, übergangen wor-
den ist. •
Dies mag hinreichend sein, um das Buch des Hm;
Marmier in das gehörige Licht zu stellen. Er selbst
sagt — wie ich oben angeführt habe — dafs es seine
Absicht war „de remuer (umrüliren) les cendres da
pass^", und diese Absicht hat er erreicht, denn sein
Umrühren ist ihm so gut gelungen, dafs aus der Asche
nichts als Asche geworden ist. Seine Behandlung der
schwedischen Litteratur durch specielle Betrachtung zu
beurtheilen, werde ich den besser unterrichteten ^chwe-
dischen Gelehrten überlassen. Was aber die dänische
Litteratur betrifilt, so darf sie, wegen der Berühmtheit,'
die das Buch des Hm. Marmier ihr auf eine kurze
Zeit vielleicht verschaffen wird, ihm die Verse zurufen,
die er sonst bei dej^^ Herausgabe des Buches auf sich
selbst anwendet *):
jyCela vaul' ii ee que je laui€f
iiTan^ de MÜencti et tant foubW>t
J. L. Hei borg, in Cop^nhagen.
vin.
Der Ro^engarte von Wilhelm Orimm. Oöttin^
getiy 1836. fVf der Dieterichischen BuchhandL
LXXXIVu.9i8. in 9.
Vorgenanntes Werk ist eine kleine, aber sehr schätz-
bare Gabe, wekhe, wie alle bisherigen des verehrten
Verfassers, allenthalben von dem unverdrossensten
Fleifse und der gründlichsten Sorgfalt zeugt. Wir er-
halten .hier nämlich nach einer,* vordem in Frankf. a«
M., jetzt Wahrscheinlich in Engtand befindlichen, Pa-
pierhandsohrift .einen bis. dalün noch unbekannten Text
des grofsen Rosengartens, welchem nicht blos eine ge-
naue Auseinandersetzung der Verhältnisse der verschie-
denen noch sonst vorhandenen Texte dieses Gedichtes,
sondern auch eine, selbst für die allgemeine Gei^chichte
•) S. VII.
111
W. G r i m my d4rBo$€ngart0^
119
de« Epos wiehtigo Uatetf uciiuag iibfr die veniftM«*
neu G«9ti|llwn(;«]i der m Grunde liegenden Fabel und
Uur Verb&IthUs «u dem gansea Sageokreise'y dem sie
mgehdft, beigegeben iet Der Gang, den der Verf. da-
bei nimmt, iit folgender.
S. I wird Kunaebsl der Hauptinbalt der Fabel an«
gejjeben, der allen bisher bekannt gew<»deaen Oaratel«
langen, wie sehr sie auch unter sieh im Gänsen und
im Einzelnen abweichen, gemeinsam ist* Der Verf.
föhrt sedann S. U u. Ill diese selbst auf, indem er mit
A den tn einige« Handschriften (A« einer Dresdener,
A^ einem. ah6n Druolce) enthaltenen Text bezeichnet,
welcher der in dem ahen, melurmds im 15. u^ 16. Jahr»
hundert gedruckten Heldenbueh vorkommenden Ueber-
arbeitüng od^r vielmehr Entstellung au Grunde liegl,
Siit B die abgekurste^ einen verlornen Text voransset«
sende UeberarbeitUng €asp^ von der Röhn *), mit C
unse» Text, nut D den aus einer Vermisehung sweier
Papierhand^chriften» einer POlsiseheKi D« und einet
Strafsburger J>\ gebildeten **), mit E endlich dm zu D
sieh neigenden Text, welchen der Anhang des alten
Heldenbudis vor sich Imtte.
£s folgen nun von S. UI— XXY die B^senderbelr
ten dieser verschiedenen Texte, und zwar lunächst
hinsichtlicli der Persnnen und Oertliebkeiten, wobei,
mit einiger AusfQhrtichkeit nur Slfrit uz Niderlant,
der ROsengarte, Dieterich von Beme, Hildebrant, Mönch
llsan, "Witege, Dietleip besprochen, . sonst aber die in
des Terfassers Untersuchung über die Heldensage be-
reits darüber gegebenen Erläuterungen nicht wiederholt , lieh die beiden Hanptslämme A und D, von einmsder
werden«
^ Dagegen geht der Verf. bei der nun von S. XXV
— LYI folgenden Vergleiehung des eigentlichen .Inhalts
der «gegebenen Textes-Darsleüungen überall mit der
nusf&hrlichsten Genauigkeit in das Einzelne ein, und
gewiwt auf diese mit musterhafter Kritik durchgeführte
Weise folgendes Resultat: Unter den vi» mit einan-
der verglichenen Gedichten sind A uqd D die beiden
Hauptstämme, Diese wei<ihen nicht blos in dem Aus<i
druck des gemeiaschaftliehen Inhalts so sehr von eitt-
ander ab, dab hur ein Pdar Strien, Wo beUe mk
berühren (vgL LIX), auf den Ursprung aus £iB«
Quelle hinweisen, aondem A smgt auch einzelne Ann»
wüchse (vgU LXV) und in D erseheint so viel BlgM%
was auf die Gestaltung des (ranzen einen so MitneUe^
denen Einflub^^hal, dafs sann jedes ds em besondwesi
für sich bestehendes Gedicht betrachten mufs. Vor al*
lern gehört dahin die Einmischung Etsek nnd der !!«•
neu, wodurch daa Gediclit offenbar dem NibehiBgen*
Uede u&her gebracht werden aeU. B hiig^geii weiehl
nur in Nel^ndingen von A ab, und Icann als Gasses
keinen Anspruch auf Selbstindigkeit ma^cheni. JEUies
kann dies C, indem es luer nicht an manchen Eigca-
thümlichkeiten fehlt (vgl» LIX), wenn^wfar aach bei
genauer Betrachtung nur ein^ Vereinigung oder Yer*
mischung. von A und D, und wen^istens keinen m&utm
Bestaadtheii finden, der se wesentlidi wäre, dn£s ei
auf die Gestaltung der Fabel sdtet Einflnls hfttte.
^ Nach dieser Vergleiehung der versdiiedeiieift Dar*
Stellungen versucht nun der Vf. von S. LXI— UÜLVIH
eiue Kritik der Sage, indem er zunächst dnr& Ans*
Scheidung des* Unechten zu dem Ursprfinglichea ra ge*
langen ^ucht, und sndann diese gewonnene reinere Ge>
stallung mit dem ganzen Fabelkreise zusamnsephal^
um zu beurlheilen^ in wie weit sie diesem angemensen
erseheint oder widerstrebt.
Das Eehte und Ursprüngliche aber snchl der VH
mit BeclU in dem Geoieinsamen, Zusätze dagegen in
dism, worin die veneUedenen DarsteUungen,
abweichen. Doch deimt 'er diese Regel micbt
aus, dafs, was lediglkh in Einem Gedidit verkeraml^
nothwendig verworfen w^Nrden müsse, da es im Gegen-
tbeUe möglicherweise au dem Besten gehören künne.
Darnach scheint die gemeinsame Grundlage des Ge.
dicbts oder der ursprüngliche und eigentliche Infaalt
desselben kein anderer zu seia^ al^ dafs DieSsritth vnd
Siegfried^ die beiden ersten tIeMen der Sage, sish ein-
mal im Kanf fe gegenüber stehen, IMeteiieha hdhecn
Kraft aber trotz aller Hindernisse in vollen Glama
steh bewährt*
*) Abgedniekt in dem Heldenbueh von Hagen «zd
(Der Beflcblafe folgt.)
I f
¥v^ 1 ä s e n
Jlf 16.
Jahrbttch er
für
Schaft liehe
K r i t ik
Januar 1840*
Mier Mawemgart^ vom
Grithm*
(Schlufs.)
Denmaoh vei^pvirlll der Yerfosser als spätere Zu-
und .ipirBlIJDäriiehe Brweitening die in G luld D
^isea. lirsiten Rsum eliiil^nende EiiimiBchung Etsels,
MO wie natiirlieli alles, was damit in Verbindung steht;
m6 femer die ESnfuhrvog Rüdigers, wcoigste&s in der
Art, wie er in D tkäUg eingreift» mit an den Rhein
flieht ted dort kämpft u. s. w« Dagegen erklärt er
.'BinigeSi was. in A allein yorkoaimti neSen manchem
Voecfaten ds cur nrsprüngliehen Fabel gehörig, und
radit endlich bod^ hei einigen Einselnbeiten des Ge»
diehta seilte Ansieht durchsuführen. ,,So gewinnt erst
JcrittsobcSonderting den reinen Inhalt des Gedichts, wel-
ehen keini) Handschrift unverfälscht und . aUe susam*
aen vielleicht nicht vollständig bewabten.**
Der Yf* gelangt nunpaehr xu dem interessantest^i
Punkte der gmsen Untersuchung, d* i. zu der Frage,
.wie ai6h die Sage von deas Roseagarten su d^m Fa^
bdkrelae überhaupt »verhalte. JSr antwortet hierauf:
•Das Ereignifs fällt in die Zeit, wo Siegfried noch i:ucht
iait Kricaahilde vermälilt, obgleich ihr zun^ Gemahl be-
stimmt i^t, also in den Zeitraum des ersten Theils des
Nibelungenliedes. Diesem Gedieht könnte daher, falls
as davon wufste, nicht über unsere Sage hinausgehen,
oder gänzlieh .davon schweigen; auch war im s weiten
Theil Gelegenheit genug, sich daran £U erinnern, la-
desaen findet sich weder im Nibelungenliede noch in
•andern Darstellungen seines Inhalts, namentlich nicht
ifk des Niflungasaga, irgend eine. Spur vom Rosei^
garten.. Ebenso weUs kein anderes sUm F4Mlielkreise
gehöriges Gedicht, naoienllich nicht Biterölf, bei detoi
die ahnliehen Ereignisse^ die «kr erzählt, in spätere
«Zeilen fallen , von unserem Llede, ja es widerspre-
chen sogar verschiedeoe Nebenumstände in diesem
Gedichte« Diesem Allen nlich ist es dahör uidit waliiw
Jahrb. f. in$$enich. Kriük. J. 1840. L Bd.
sdieinlieb, dab. der Rosengarten schon eu 3er Zeit
vorhanden gewesen sei, in welche man das Nibdungea-
lied Und das Gedicht vom. Biterölf setzen mufs. Viel-
mehr entstand es am wahrscheinlichsten in der «wei-
ten Hälfte, frühestens in der Mitte des 13. Jahrhun-
.derts, was namentlich das .älteste Zeugnifs davon bei
Ottekar von Homeck um 1295 zu bestätiget dient (vgl.
LXXyill). Somit verdankt der Rosengarten seine
Entstehung erst dem Trieb der Phantasie nach Ergän-
zung und Erweiterung der ursprünglichen Sage$ ynd
den natirlichsten Anlafs dazu gab wohl der bei der
einmal bewirkten Yerlbreitung der Siegfrieds- und Die-
terichsSage sehr nahe liegende Gedanke, beide Helden,
die ersten der ganzen Sage, ihre Kräfte mit einander
messen zu lassen. Demnach }st der Rosengarten zwar
als ein Anwuchs der Sage, aber zugleich auch als eine
Erfindung zu betrachten, bei welcher Absichtlichkeit
und BewuCstsein nebeln der unbewufsten poetischep
Kraft, welche zur Ergänzung und Erweiterung .der
Sage antreibt, ia einer Yermischung mag gewirkt ha-
ben, deren gegenseitiges Yerhältnirs sich nicht bestim-
mejd läfst. Wenn *daher einerseits manche Züge auf
mehr oder minder willkürliche Erfindung hindeuten, %.
B. die regelmfifsig^ Zahl von 12 Kämpfern, die unge-
rechte, ganz widernatürliche Einrichtung^ dafs KriemhUde
allein die Kämpfenden nach Wohlgefallen scheiden kann,
die es in ihre Macht gab, die Ihrigen allezeit der Gefahr .
zu entziehen u, s. w., so zeugen doch wied^ manche
andere von volksmäfsigen Sagen und Elementen, wel-
che znr Ausfüllung und .Belebung des Ganzen aufge^
nommen und eingemischt wurden. So ist, um von
Mehrerem, was iet Verf. S. LXXUI f. anführt, nur
Eins und. das Andlere hervorzuheben, ohn^ Zweifel aus
lebemdiger Volksdichtung entsprungen' der Mönch
Ilsan^ der weltlichen Sinnes mit rohen Scherzen Abt
und Brüder neckt und in Furcht erhält und die. erste
Gelegenheit ergreift, der unerloschenen Kampflust Ge^
15
/
115 FT. O^r i m m^ ,ft e
niige zu leisten; ja die Anspielungen im Kosengarten
und Alpharts (vgl. des Yfs. Heldensage 210. 41) auf
seine früheren Yerhältnisse xu Dieterich machen sogar
grofseren Umfang der Sage wahcscheinlich. Auch der
eigentliche Schauplatz . der Thaten unseres Liedes, der
Rosengarten zu Worms, so phantastisch er hier aus-
jgemalt erscheint, ist keineswegs eine blofse Erfindung
des Dichters ; vielmehr besafs Worms ehedem wirklich
einen sogenannten Rosengarten, worunter man nach
Mone (Untersuchungen über die Heldensage S. 44)
am richtigsten einen fetten mit (Rosen (?) und anderm)
Gebüsch durchwachsenen Wiesengrund am Rhein zu
verstehen hat, den man ursprünglich wohl, bei niede-
rem Wasserstande, zu Belustigungen im Freien, be-
sonders zu den Maifesten, mochte benutzt haben. Ja,
die Kenntnifs der lokalen Verhältnisse springt noch
mehr in die, Augen, wenn, wie mich Nachforschungen
auf dem hiesigen, in der letzten Zeit von mir geord-
neten alten Stadtarchive mit ziemlicher G^wifsheit an-
nehmen lassen, der Rosengarten, ganz in Ueberein-
stimmung mit dem Gedichte, früher, da der Rhein noch
mehr ostlich flofs, auf dem diesseitigen Ufer lag, bis
Ihn der Strom als Inäel oder Wehrt losrifs und, durch
die späterhin a,n dem jenseitigen Ufer angelegten mäch-
tigen Dämme in seinem Laufe immer mehr westwärts
gedrängt, allmählig dem letztem ganz anschwemmte«
So wird er auf einem noch vorhandenen Risse von
1753 mit den Worten bezeichnet: „Bischdflich Worm-
Bischer Rosengarten, so ehemal eine Insul gewesen^
nun ein Wald ist, da das Wild gehegt wird."
Ueberschauen wir nun nochmals den ganzen Gang
der Untersuchung, so scheint allerdings mit der Ein-
sicht in die Entstehung und Fortbildung des Gedichtes
ein Blick in die Werkstätte des Epos überhaupt ge-
wonnen, namentlich insofern "wir die Schranken, wo-
mit ein ernstes Gefühl von der Wahrheit der Poesie
und ein besserer Glaube daran das Epos früherer Zett
umgab, durchbrochen, und eine ungebundene rücksichts-
losere Phantasie eindringen sehen, die mit dem Bun^
ten und Mährchenhaften ihr Spiel treibt .und d«r von
dem festen Grunde abgelösten Sage eine schnellere und
leichtere Bewegung gibt. So gilt z. B. im Rosengar-
ten der, Kampf, den die' alte Heldendichtung als die
höchste Angelegenheit und Aufgabe des Lebens mit
Ernst und Würde behandelt, für ein durah nichts als
blofsen Uebermuth eines Weibes veranlafstes Spiel.
r M 0 s-e n g a r i e, -111
^as< Gefühl der Ueberzeugung unddesErkistesist dardh
weg nicht mehr vorhanden, vielmehr erhält erst doxd
einen halb scherzhafte^ Ton und die Einmisdiung hm-
moristischer Gestalten, wie Ilsan und WoUharC, das
Gedicht einen poetischen Grund und. Bodi»ii« Und &
nun zugleich der um diese Zeit völlig ausgebildece Ge-
gensatz der höfischen Poesie das Volksged|eht der Tlieil-
nähme der höhern Stände entrückte, so wurde ibn
gleichsam das wärmere Licht entzogen, dessen es Be-
durfte, um sich vollständig zu entfalten; daher denodas
ziemlich gleichmäfsige Herabsinken der Sitte und Wotde
in dem Rosengarten, wobei indeb zu bedenken ist^ dafii
Einiges dieser Art dem ursprüngliohen Gedichte nidrt
zur Last fällt, sondern erst in späterer. Zelt eingednqi-
gen ist, als die unechten Zusätze 9 welche die Kritik
der Sdge ausschied, eingemischt wurden.
Noch bemerkt der Vf. über die BeschaffenhA der
. verschiedenen Texte Folgendes. C gewährt im Ganzes
den vollständigsten Text, in D ist er lückenhafter, «od
zwar in D« mehr als in D\ verdient aber im Einselneii
oft den Vorzug i in A aber ist er so zerstört, dabdr
nicht selten in völlige Auflösung des Zusammenhangi
und Sinnes fibergeht Und da das Gedieht *sowaU
durch Handschriften, als durch mündliche Ueberlieftnmg
fortgepflanzt ist, so läfst sich das Verderbnifs des Tex*
•
tes zum Theil durch die Vermuthung erklären, dals er
aus dem Munde eines Sängers, der sein GediclK nicfat
besser im Gedächtnifs hatte, auf^efafst oder von eiaea
leichtsinnigen Ohre angehört worden. — Was dae Vers-
mafs angeht, so blickt die^ Regel der epischen Scrophe
des Nibelungenliedes im Ganzen zwar noch durch, al-
lein sie ist roh und fehlerhaft (mit klingenden Endrei-
men, stumpfen Abschnitten) gebildet. Die Abtheüung
des Textes' in Strophen ist durchaus nicht in A, unl
in C und D nur stückweise herzustellen, da, anderer
Störungen nicht zu gedenken, manchmal nur die Hälfte
der Strophe erhalten ist, anderwärts zwei zu einer zo-
sammengeschmolzen sind, sobald nur im Sinne keine
oQenbare Lücke entstand. — Was den wörtlichen Aus-
druck betrifft, 4U) möchte, wenn man auch nicht alles
darin für verderbt erklären wollte^ doch das
Aenderungen erfahren haben, und, falls eine
des 13. Jahrh. an den Tag käme, nur weniges sich.vöU
lig echt erweisen! der Untergang der altem und bessern
Sprachformen . versteht sich ohnehin von selbst. Sonst
sind die Gleiohnbse und Redensarten meist nach den
117
Vetter^ die hehr« uom ekritiliclten KuUut.
118
lierkSimiilicheii alieplsehen des 13. Jahrb.i märalg und
paMend angeweiid^. -«• Der Text C \st, .wie der YerT,
giavbt, tn den Gegeftdcta des Niaderrheins aufgeschrie-
ben worden, indem niaderdentscbe Formen eingemischt
aind und mk den enisehieden vorherrschenden hoch-
deutschen auch wohl in denselben Wörtern wechseln,
wovon die merkeaswerthesten Beispiele angeführt wer-
den« Der Yerf. hütete sich übrigens, einen Text von
so elgenthümlicher Bescliaffenheit mit der Kritik anzu-
.rühren; viehuehr bewahrte ner das eingemischte Nie-
derdeutsche und was sonst für die geschichtliche Gram-
matik brauchbar ist. Das Wenige, was er des Yer-
atändnisseis wegen darin ändern mufste, zeigt er in. den
Anmerkungen an ; die nolhigen Ergäneungen aber un-
darauf auli, von dem früheren Standpunct ^^^w^ blos
subjectiven Gestaltung der theologischen Wissenschaft"
-sich zu dem objectiven zu erheben und wirft ^s den'
andern Schülern SeUeiermachers vor, dab sie dazu
nicht fortgeschritten sind. Schon diels Gefühl des Man-
gels, welches das Bedürfiiifs ist, verbücgt uns, dafs der
Hr. Yerf. mit der Zeit des rechten Weges nicht 'ver-
fehlen werde. "Yor der Hand zwar müssen wir daran
zweifeln, da der Hr. Yerf. sich in der Yorrede noch
dahin erklärt, dafs jener subjective Standpunctden ob-
jectiven selbst schon enthalte und dieser besonders in
dem philosophischen System Schleiermachers auf eine
unverkennbare Weise angedeutet erscheine ; und sei da-
her, sagt er, ein solches Zurückbleiben um so mehr zu
tefsdiieden durch den Druck. Im Uebrigen aber konnte . beklagen, da man gerade von lüer aus und auf diesem
er sich nicht überwinden , die schlechte Orthographie
lieizttbehalten*
Es folgt nunmehr voaS. 1 — 66 der Text C,naiit
4er Aufsdbrift 9,Der grAze Rösengarte, von S. 67 '*-* 71
die Anmerkungen dasu, von S. 71—76 die Angabe des
ilTerhältnisses von C zu' A imd D , wobei die Yerse,
welche in C allein vorkonnnen, mit einem Sterne be-
seiclmet sind, von S. 77 —* 83 der Mönch Ilsan und von
S. 86—94 der Fährmann, zwei Stücke aus D (Y. 341
—508 und Y. 639—778), welche der Verf. 4ls die am
reinsten erhaltenen Tbeile dieses Textes und in Ton
und Weise nicht allzu fem vom Nibelungenliede, zv-
mal da sie zugleich als' einzelne Lieder geben können,
ausgewählt, und so gut es gehen wollte, hergestellt bat.
Dr. G. Lange, in Worms.
IX.
Die Leite tom christlichen Kultus nach den
Grundsätzen der evangelisehen.Kirche im wisr
senschirftlichen Zusammenhange dargestellt voh
Karl Wilhelm Vetter, evang. Pred. zu Jen-
lau. Berhhy 1839. J//. u. 247 S. 8.
Der Hr. Yerf. giebt in dieser Sclirift einen rühmli-
^n Beweis von seiner theologischen BeschftftiguUg
mf seiner practischen Laufbahn« Er hat sich auch
durch den Fonpalismus, den er sich angewöhnt hat,
ideht züruckhahen lassen» sich auf die Sache selbst ein-
zulassen und das zu Erkennende in eigener Gedanken-
^tigkeit . zu verarbeiten. Er geht, laut der Yorrede,
Wege die Theologie auf eine so eigenthümliche und
lebensreiche Weise entfaltet hlibeiv würde, als dieb
von den Anhängern des abgeschlossenen Hegersehen
Systems niemals geschehen könne. Man sieht hieraus,
dafs die höchsten Kategorien des Hm. Yerfs. auch bei
seinem vermeinten Fortschritt zur Objectivität der Er*
kenntnifs nebst dem Lebensreichen das Eigenthümliche
geblieben ist» welches als solches doch dem Objeot sein
Recht wieder nimmt, um es an das Subject allein zu
übertragen, und weit davon entfernt- ist, den inneren
Lebensreichthum der Sache selbst sich ruhig entfalten
zu lassen. Es fragt sich daher ^ sehr, ob der Hr. Yerf.
mit diesen Grundsätzen über ,^ene blos nach subjecti-
ven Maximen eingerichtete Dialectik, welche den gött-
lichen Inhalt des Christenthums in ihren weiclten Fon-
0
men zu einem Inhalt menschlicher Weisheit macht",
wirklich hinausgekomAien ist, da diefs noch' lange nicht
dadurch geschehen kann,- dafs die dialectische Form
allerlei Inhalt an sich bejranzieht und $ich daran her-
umbewegt. Wie wenig sein Fortschritt über jenen
Standpunct ein wirklicher sei, sieht man leicht daraus ,
dafs der Hr. Yerf. sich eben so sehr gegen die specu-
lative Theologie erklärt und, verwahrt. Er gebore nicht
zu denen, sagt er, welche in der Umgestaltung eines
philosophischen Prindps sogleich eine Hoffnung finden
auf ein ganz neues und verändertes Leben in der Ki)p-
che. Mit dieser Aeufserung gesellt sich der Hr. Yerf*
noch denen zu, welche, obgleich sie über cBe Philoso-
phiCf die sie verwerfen, urtheilen, doch nicht mit der
zu einem berechtigten Urtheil nothwendigen Kenntnifs
derselben ausgerüstet sind. Denn Sonst müTste er ja
\'
119
wissen, iati diese Philoitophie am wenigsten Anspruch
darauf macht, liur Umgestaltung eines p^tlosophischen
Prinzips oder Überhaupt selbst von bestimmtem Prinzip
zu sein und dafs Sie vielmehr eben darin die wahre ist,
dals sie alle pliUosophisehen Prinzipien in sieh enthält
und aufhebt. Kann man sie darum ein ,^abgeschl08se-
. lies System'* nennen^ weil sie nichts aufser sich stehen läfst,
faichts ausschlieiät, Sondern alles einander gehörig nnter«-
brdnetf Wenn daher, wie der Hr. Yf. zu hoffen seheint,
sieh „die Differenz der wissenschaftlichen Schulen jemals
iSsen und die Vereinigung in der einen Wahrheit jemals
gefunden werden soU,^* so ist nicht abzusehen, wie die*-
ires je anders als auf dieser Grundlage geschehen soll.
Die tlttlgl^staltung eines philosophischen Prinzip«, wor«-
auf es in des Hm. YAi. Sinn mit aller Philosophie hin^
ausläuft, ist nooh zur Zeit bei ihm dasselbige, was die
Trivialität > sonst in dem Satz ausspricht, dafs ja jede
Philosophie die vorhergehende widerlege, woran man
also leicht merken könne, dafs es mit aller Philosophie
nichts sei. Noch ungerechter aber bt der Hr. Vf> dar-
in, dafs er der speculativen Theologie die Thorheit zu-
schreibt, von der obigen Umgestaltung eines philosopfai»
sehen "Prinzips soglejoh ein ganz neues uiid verändere
les Leben in der Kirche zu erwarten, da ihre Aufgabe
vielmehr immer flur die gew^en ist, das gegebene,
wirkliche (»i vernanftige) Leben fai der Kirche zu er-
klären und zu begreifen und eben sie am weitesten da«
Ten entfernt ist, alles neu machen und es verändern zm
wollen, was vielmehr nur der eigenthümllchen, theoreu
ttscheu ErkMiAtnifs, auch in der practischen Theologie,
zufällt« Am stärksten erklärt sich der Hr. Yf. gegeii
das Identiiicirefi der theologischen Wi9senscbaft mit
4«r Philosophie auch rücksiehtlich ihres Inhalts, was
wiederum die Trivialität, nur nicht so, sondern planer
'SO ausdrückt^ dafs die Philosophie wohl als formelie
Vorbildung, als abstracto Logik und Dialektik, nicht zu
Tomerfen sei, falls sie nur über die Sache selbst sich
kein Urtheil anmafse. Ihm sei daher, sagt der Hr.Yf.,
jctaes Bestreben durchaus fremd, nach welchem in der
•Bewegung des speculativen Gedankens das Christen-
-thum in seiner Idee aufgefunden wird. Auch die&
Würde vielleicht dem Hrn. Yf. nicht aö fremdartig vor-
kommtMi, w^ftn ihm gesagt würde, diefs heifse so viel,
als dafs in' der christliehen Religion Yertiunft entdeckt
Fetter^ du t^eli^e vom bAriittichen Ktsltuw.
12D
oder diefs aAetkanilt würde, dais tnaii lil Ihr nf dits
UpvernÜnftlges vor sieh hafcls und dafs sie, Im JQrwmt
und in der Wurzel mit der speeulativeh Idte ideatwcl^
in dieser auch als die vollfeommea offenbare und ge«f»
fenbarte gewufst wevdev Wenn dah^ der ^Jeecm
Inhalt in der Bewegung des wissbnsehaftlinheti Gedan*
kons nicht aus der Idee an sich herkommt^ wie der
Hr. Yf. sagt, so bleibt es bei der subjectiven Gestil-
iungy über weUfh^ der Hr. Yf. hinaus wbliie, und niaa
hat höchstens eine (sogenannte) Idee vom Ciurlstan»
thum, aber nicht die Idee des Christenthums 0elliiA,
und nicht sie ist es alsdann, w^lehe sieh in den sv^
jectiven Gedankeü bewegt. Der Hr^ Yerf. thut daher
den ahdem Schülern Schleiermaehers Unrecht, wem
er denkt, darin irgend etwas vor ihnen voraos wa h^
ben, sondern sein wirklicher Foitsisbritt wäre nur seit
Uebergang in die speculative Erkenntniüs und M ellie^
de, die aber „des pikant*Geistrexi^en wegen in der un-
überwindlichen Form ihrer DaiBtellung seiner DcriD>
weise nicht zusagt,"' womit er denn das Beiiehige ia
dieser selbst ausspricht Gleiehwolil ist nieht zu ver-
kennen, dafs eben das Geistreiche, auch für Manche
gewiCi in unüberwindlich schwieriger Darstellnng^ der
Standpunkt des Hrn. Yerfs. selbst ist| denn dies«
StandpuqjLt erhebt sich «nerseits unleugbar über das
Gewöhnliche und nähert sieh der ErkcRntnifs 'der
Wahrheit, aber da er der Standpunkt des nttbestimsit
feistreichen und den Begriff nicht erreichenden Raisoiw
nements ist, so eignet ersieh, als stets Interessantes dar-
bietend, viel mehr för dieConversation'als für die Wis-
senschaft. Den Yorzug, den alles Dialektische in sich
selbst hat, sich nach den verschiedensten Seiten hm
zu bewegen und was zur Sache gebort, zu berührea
und in die Bewegung hineinzuziehen, kurz die Sache
selbst in Flu£s zu- bringen, hat der Hr. Yf. mit grofser
Geschicklichkeit geltend gemacht. Insofern ist die fie*
trachtung eine vicflseitige und gedankenreiche gewor-
den, der man gern folgt ; dem Gegenstande, der bewie-
sen d. h. begriffen werden soll, ist isie nicht angemes-
sen. Diesem innam Mangd entspricht gahz auch die
Sufsere Einrichtung dieser Schrift. In solcfaen aphe^
stischen Sätzen, io solcher pikanten; prägnanten^ apo*
phtliegmatischen, änigmatischen Manier, in m oraireiar^
tiger Weise kann die WissensehaTtsich niobt entwiekefai.
(Der Beschlofs folgt.)
s ^
w 1 8 s e n
^^^ 16.
Jahrbfieher
u r
schaftliche
_ «
Jannar 1840*
Kritik.
XHe. Lekr^ pom €irf$tKchem' Kultus nach 4^n
Grundsätzen der- e^ang^Usehen JKurvAe ün
itiksenscAcfflfK^hen Züsammenhanffe dargestellt
von Karl Wilhelm Vetter.
^Schlaf«.)
Hat .ScUeien^acber sich dieser Forin in seiner
ibeologischBii £ii<^clopädie bedient, so hat er dazu
•eine Gründe gehabt, nämlich den äarsem Zweek« eine
Beihe von Sätzen aubu6teUe% die der mündlichem Er-
läuterung bedurften und auf die letztere desto begieri-
ger machen sollten« wie das der Zweck eines jeden gu-
ten Compendiums sein mub. An und für sich ist die
Form von Sätzen unwissenschafUich i was. Wissen-
sdiiaft ist, kann sich nicht in Sätzen und Grundsätzen
bewegen, weil diese Form das Subjeetive, Beliebige,
Willkurlicii^ noch nicht abgestreift hat, was fan Satz
noch nicht, selbst wenn er zum Urtheil wird, sondern
alleia im Begriff geschieht. Sätze und Urtheile kön-
nen daher nur den Werth von Behauptungen und Yer-
sifiberungen haben, so lange sie nicht bewiesen sind,
was aber mit dieser fest gewordenen Form nicht ver-
einbar ilt> Das Unbewiesene erscheint in den Sätzen
meist SQ9 dajs sie mit „Da" anfangen: 9,Da dem so ist
'*w so wird dem so sein.*'. ^^Da" ist die bloGM Yor-
aussetzung« Däfs es zum Beweis d. L zun^ Begriff
nicht kommen soll, ist auch dadurch angedeutet^ dab
es ausdrücklieh bei Theorien und Construclionen bleibt,
welches, da man es. nicht mit einer mathematischen
Aufgabe, sondern mit einer so coacreten Materie, .wie
der christliche Kultus ist, zu. thun hat, gewifs die un-
angemessenste Weise der Erkenntnifs ist In zwei
Theilen entwickek sjch das Ganze der Schrift Der
erste TheU wtUäi eme aUgemeiae Theorie dea Kul-
hm in einer elememarisehen und einer benstmcli-
ven AbtheiJuag» der zweite die besonderen Theorien;
das Besondere ist aber hier die Predigt, der Gesang
Jahrb. f. tmttMch. Krüik. T. 1840, I. Bd.
und das Gebet — Was nun den wesentlichen Inhalt
•der Schrift betrifft, so Uefse er eigentlich wohl erst
sich beurtheilea, M^enn Scbleiermachers praoUsche Theo-
logie endlich erseliienen, wäre: denn dann könnte man
jiehen, worin der Hr. Yerf. von ihm sich unterschiede,
und was das ihm Eigene und Eigenthümliche wäre.
Aus der Encyklopädie noch wissen wir, dab die ganze
practische Theologie eine Theorie des Kirchenregiments
und Kirehendieiistes ist und die ganze Eantheilung dar-
auf beruht Diefs kommt auch bei dem Hrn. Yerf. in
der. Einleitung vor, obgleich die ganze Distinction nur
auf dem formellen Unterschiede des Ganzen un4 seiner
Theile- ruht Da& Kirchenregiment hat es mit dem Gan-
zen, der Kir<^hendienst mit dem Einzelnen zu tlHin.
Wie schon bei diesem Punct, besteht, was man die wis-
senschaftliche Einsicht nennt, in lauter äufserlichen, die
Sache selbst nur auf der Oberfläche berührenden Be-
. Stimmungen, formalen Differenzen und quantitativen Ge-
gensätzen, die ein Yerhältnifs zu einander haben und
in einander hineinscheinen, die man aber, wenn man
sie nur ein wenig drückt, leicht zerdrücken kann, so,
^ dafs sie nichts mehr enthalten und aussagen. Wie
schon das Ganze nichts ist ohne seine einzelnen.TheiIc
und diese, zumal wenn sie organische, also Glieder sind,
nichts sind, ohne ein Ganzes zu bilden, ebenso ist es
• auch mit dem Begriff der Gemeinde, wfe ihn der Hr.
YCi in der Einleitung noch bestimmt. Er unterscheid
det sie als die werdende und gewordene. Es ist leicht
zu sehen, dafe liier das zufälligste und äufserlichste
Zeitmoraent das Entscheidende ist^ als ob ich sagte:
noeh nicht die Gemeinde oder schon die Gemeinde«
AUes nun, was als Einwirkung auf die gewordene 6e*
meinde hervortritt, bildet das Gebiet des Kultus, was
auf die noch werdende Gemeinde, den Jugendunterricht
und die Seelsorge, nach dem Hm. Yerf. Im Begriff
der Gemeinde sich bewegend, müfste man vielmehr fra-
gen: wann. oder wodurch ist die Gemeinde die wirklich
16
123
Vetter^ die Lehre vom ekrietlichen Kuiiue,
124
gewordene, wann ist sie die mehr als erscheinende, die
Wahrhaft wirklich gewordene! und es würde sich zei-
gen, da£s weder die Erscheinung in d^r Zeit, noch die
^ im Kaum oder Ort, die Localgemeinde als solche die'
, wahrhaft wi'rlcliche ist und man mit diesem Prädieat,
die wirkliche Gemeinde zu sein, nicht so verschwende-
risch sein dürfe, weder das Lebensalter, noch der Kir-
chenbesuch darüber entscheide; andererseits wäre zu
fragen : warum die Jugend und der Einzelne nicht zur
wirklich gewordenen Gemeinde gehören sollten, da sie
doch die tiefsten, geistlichen Bedürfnisse zeigen und
für deren Befriedigung empfänglich sind, die wiricliche
Gemeinde mit der wirklich religiöi^en identisch ist, nach
♦. 13. — Es kommt dann ferner auch zu dem Ton
Schleiermacher wieder aufgebrachten Gegensatz von
Klerus und Laien, der hier als auf dem Unterschied von
Mittheilung und Aneignung beruhend bestimmt wird.
Auch dieser Gegensatz ist leicht in seiner Nichtigkeit
aufzuzeigen, indem die eine ohne die andere nichts ist,
somit b§ide sitsh ia einander aufheben und nur gewalt-
sam als eonstant -einen Augenblick einander gegenüber
stehend fixirt werden, welches nur das Werk der will-
kührlichen Beilexion ist. Der Hr. Yf. selbst sagt: sie
fallen beide im evangelischen Kultus vollkommen zu-
sammen, was aber in seinem Sinn wohl auch nur äu-
fserlich gemeint sein kann, als in dasselbe Zeitmoment
fällend , oder als simultanes Zusammensein , doch nicht
so, dals sie wahrhaft identisch sind, denn dann wäre
es mit dem Klericat und der Laienschaft aus, wie es
der Hr. Vf. auch in den letzten Sätzen des Abschnittes
zugiebt, dafs der Unterschied nicht auf einer wesentli-
chen Ungleichheit beruhe. Wichtiger aber wäre gewe-
sen, zu deduciren, wo der Unterschied und die Un-
gleichheit eigentlich herkommt und wie sie sich aus der
selbst sagt, däb der Gegensats nur relattr sei. bt
überdem die eigenthümlidhe Welt der Kunstdarstellang
nur eine niedere Stufe der Offenbarung des Geistes und
im Kultus es der absolute Geist, welcher in der cfarist»
liehen Gemeinde sich offenbaren will, nach dem Hirn.
Verf., so wäre wohl die Fra^ der Berüeksiohiigniig
Werth, warum denn in der griechischen Wf^lt, welebe
nicht auf der Stufe der Offenbarung des absoluten Crei*
stes steht, die Kunst ihre höchste Stufe isrrang und in
dem evangelischen Kultus der Kunst selbst eine so 'be-
stimmte und nothwendige Gränze gesetzt ist. Was hier-
über, der Hr. Vf. %. 30. sagt, ist zwar gans riei^tig,
reicht aber zur Beantwortung jener Frage nicht aus^
daher die erstere Bestimmung selbst nicht als treffend
anzusehen ist. — Von demjenigen, was der Hr. -Yerf.
§. 152. man weifs nichts aus welchem Grunde sagt, wärs
wohl vielmehr gerade das Gegentheil als das eigendidi
Begriffsmftfsi^ und Zeitgemäfse zu verlangen. Er
sagt : „Besondere Regeln darüber aufzustellen, wie das
religiöse Element im evangelischen Kultus sich rein
zu erhalten suchen müsse von Elementen der Fröm-
migkeit, wie sie etwa in der heidnischen und judiecbea
Religion zum Vorschein kommen, gehdre keinesweges
In eine practische Theologie der evangelischen Kirche^
demnach auch in keine Theorie des evangelischen Kul-
tus.'' Denp eben aus Resten und Ausflüssen des Gei-
stes beider genannten Religionen besteht (^ £igen»>
thümliche des papistischen Kultus, welchem die evange>
lische Kirche von Anfang an wachsam sich gegenübei^
gcstellt und welchem gegenüber ihr Kultus so eigen*
thüiulich bestimmt erscheint. Wenn daher der Hr. Vf^
unmittelbar darauf selbst von Differenzen spricht, die
auch innerhalb des Christlichen überhaupt und des
christlich Evangelischen insbesondere vorkommen und
wesentlichen Gleichheit heraus entwickelt und dafs der den wahrhaften Begriff des religiösen Inhalts alterirea,
Cleistliche nichts anderes ist, als ganz einfach das Be-
wufstsein der Gemeinde. — Debet das Verhältnifs der
Kunst zum Kultus kommt manches Richtige und Schätz-
bare vor, besonders ist die Bestimmung, worin es zur
redenden und bildenden, zur musikalischen und muni«
sehen Kunst kommt, ^anz interessant und fast ein An-
lauf zum Begriff, da der Hr. Vf. sich sonst fast nur
bei dem Vliesen aufhält, wiewohl auch hier alles zuletzt
wie dieser allein im Kultus der evangelischen Kirche
zur Darstellung kommen kann, so sind das eben keine
anderen, als die genannten. Also dafs von jen^n bei-
den Seiten sich nichts in den evangelischen Kultus ein«
schleiche, ist gerade die sehr practische Aufgabe fnlr
jedes Begreifen und Gestalten des evangeliehen Gottes-
dienstes. — So sehr man femer die Gebiete des spe-
culativen Denkens in der Wissenschaft und des christ«
an dem dünnen Faden des Unterschiedes zwischen Öe- -liehen Glaubenslebeiis unterscheiden und gegenseftw
danken, und Empfindungsleben hängt und der Hr. Vf. gehörig abgränzen muTs^ damit nicht beide in sich ver-
125
Veiter.y iüe hehre vom ehrUtUehen Kullua.
126
«chiedene Sphären vennUoht werden und die Wissen*
«chaft nicht das fronune Leben -und dieses nicht jene
fitsetcen zu können oder sdbst schon su s^in meine,
welches letztere der noch zur Zeit heri^chendste von
Theologen selbst Tielfältig begünstigte Irrthum ist, so
ist doch, was als Wahrheit in der Wissenschaft erkannt
Ist, von nothwendigem Einflufs auch auf den * Kultus
imd es kann dieser sich solcher Wahrheit nicht erweh«
ren wollen, am wenig^en durch solche unzulängliche
Distinetionen, ab die des Hra. Verfs. sind S. 37., nach
denen die speculative Idee doch immer nur (?) die ei»
^ne (f), dem Irrthum unterworfene That und nicht (f)
die Gnadenthat G.ottes in uns ist und also das specu-
laüve Element als solches nur in der Wissenschaft,
* niemals in der unmittelbaren Manifestation des religio«
: sen, Lebens selbst seinen Ort hat Wenn so, wie^ach
des Hm« Verfs. Yorstellun^ einerseits, die specmatiFe
Idee nur das Gebilde des suljectiFen Denkens ist,
woran Gott, der die Wahrheit und Heiligkeit selbst
.ist, keinen Antheil hat, und andererseits die Mani-
festation des religiösen Lebens im Kultus die ge-
dankeh* und wahrheits-lose sein darf, so bt bei-
den die Seele des Lebens entzogen und so bt es
um beide gleich schlecht bestellt. Der Hr. Yerfasser
giebt es zu (was fQir den gegenwärtigen Stand der Er-
niedrigung der Wissenschaft Gottes schon viel bt)
„dafs die Theologie sich dem speculativen Denken
nicht entziehen kann und der Tbeolog den Inhalt sei-
nes Glaubens sich* auch im . Element des speculativen
Gedankens zur Anschauung ^u ^bringen hat, auch, dab
das Christenthum selbst nicht ohne Einflufs auf die Be-
wegung des speculativen Denkens geblieben bt;" um
80 mehr Ist zu bedauern^t dafs seine Abwehr desselben
nach der Seite des evangelischen Gottesdienstes hin
leicht so gemi&deutet werden kann, " als ob er der Ge-
dankenlosigkeit in der Erbauung das Wort rede. Da-
gegen würde im Gegensatz von §. 168 das Mystbche
vom Kultus nicht auszlischliefsen sein, wie der Herr
"Vf, verlangt; denn ist^ nicht das Sinnbildliehe schon
i|b solches das Mystische, unmittelbare Einheit des Ge-
fuhb und Gedankens? — Der Kanon, den der Hr. Vf.
§. 174 aufstellt, dafs jedes religiöse Element, das im
Kultus zur gemeinsamen Darstellung und Aneignung
kommt, zugleich seine nethwendige Beziehung auf die
Schrift ausdrücken müsse, bt nicht ausreichend und ^
mufassend genug zur Bilduibg eines ioDst^ndigen Kul-
tus auch der protestantischen Kirche; es fände bei die-
sem Kanon das Kunstelement kein Unterkommen im
evangelbchen Kultus ; vom Anfang an bt die evange-
Ibche Kirche, auch als solche darin thätig gewesen,
und schein mit der negativen Forderung, dafs das an-
derweitig Entsprungene nur der Schrift nicht widcir-
spreche, zufrieden gewesen. — Auch der Gegensatz
der . römischen und protestantbchen Kirche in ihrem
verschiedenen Yerhältnifs zur Schrift, wie es der Hr.
Yf. ^. 182, 183 bestimmt, bt nicht richtig angegeben;
denn wenn der römbche Katholicismus sieh die That-
sachen der Erlösung in der Schrift durch die Kirche
vermittelt, die evangelbche aber vermöge der unausgei^
setzten "Wirkung des heiligen Geistes, so bt die Kirche
dort keineswegs ab entblöfst von den Wirkungen dei^
heiligen Gebtes gesetzt, sondi^m eben darein gesetzt,
nur unmittelbar, so, dafs das Menschliche dort sich
auch für das Göttliche ausgeben kann und kein Prin-
zip der Unterscheidung vorhanden bt — Die Art und
Webe, wie der Hr. Verf. zu ''dem' Gedanken der Be-
trachtung und des Gebetes kommt, ist sehr künstlich
und gesucht^ es dreht sich alles um die beiden Be^
stiknmungeii, wie das . Gottesbewurstsein die Momente
des zeitlich bewegten Lebens, mit sich zusammehschliefst
und wie es sie zusammengeschlossen hätf das erstere
giebt die fromme Betrachtuog, das andere das Gebet.
Es ist klar, dafs hier das Präsens und Perfectiim, die
reine Zeitbestimmung, die Entscheidung dessen hat,
was der Unterschied d^ Betrachtung und des Gebetes
ist, und dafs das auch nicht einmal' eine Annäherung
an den Begriff bt, der vielmehr ganz einfach als Be-
weglichlceit und Unbeweglichkek auszudrücken war,
auch, abgesehen von dem Ueberflufs an Worten, der
dabei vorkommt. So wird auteh schwerlich viel ge-
wonnen sein mit den dialectbchen Bestimmungen des
Unterschiedes S. 221 z. ß. „Die fromme Betrachtung
bt das religiöse Denken im Gefühl der An(|acht; das
Gebet bt das Gefuhr der Andat^ht, aber in religiösen
Gedanken." Dem steht gleich die Unterscheidung S. 69,
dafs der speculative Gedanke die Objeetivität im Be-
griff sucht, der religiöse Gedanke aber die Objeetivität
an sich selbst hat. Aus solehen Bestimmungen klug
zu werden oder etwas zu lernen, bt überaus schwer.
-* Die Nothwendigkeit des Yorlesens der Perikopen
127 . Feiteri die Lehrs t^m
in der Liturgie hat der Hr. Vert allerdingi aehr gut
naehgewiesen und gerechtfertigt, aber da die Liturgie
der Einheit«- oder Vereinigungt*Punkt der Thfitigkeit
des GeistliebeD und der Gemeinde ist, so hätte billig
aueh an dieser Stelle von der Nothwendigkeit des Ge*
Sanges in der Liturgie gehandelt werden' mOssen, d^'
da der Chor als Vertreter der Gemeinde hat. ^->* Dab
die Predigt im evangeliseheii Gottesdienst Torsugswelse
und überwiegend hervortritt, wird S. 104 nicht aus
dem oenfessionellen Charakter der evangelisehea Kir^
ohe abgeleitet, sondern nur gesagt, dals sie im uiimit-
telbaren Zusammenhange die meiste Zeit des Kuhus
in Anspruch nimmt; hieduroh ist wiederum die Zeitbe*
Stimmung die Hauptkategorie, obgleich der Hr. Yerf.
bemerkt, dafs die Bestimmung der Dauer nach Minu*-'
ten eine mechanische Ansicht sei; — - Wenn die drei
Bestandtkeile des Kultus in ihrer oirganisehen Zusam-
mengehörigkeit den Gottesdienst eonsütuireu, wie das
der Hr. Yf. genftgend gezeigt hat, so widerspricht es
dem, daCs sie, wo sie auseinander fallen, noch unter
diesen Gesichtspunkt treten dürften und solche Hand-
lungen, wie Tafufe, Abendmahl, Conflrmation, Copula-
tion, Begräbnifs, Ordination, Installation, Einsegnung
der Wöchnerinnen und die WeÜHing der für den Kultus
EU brauchenden Gegenstände noch als integrirende
Theile des Gottesdienstes abgehandelt werden könnten.
Sie schli^fsen sich vielmehr ihm nur an, haben kein
inneres, sondern nur äuIserUches Verhältaifs su ihm
und beruhen' allein auf persönlicher, nicht a^f g^eln-
samer Aneignung, welche letztere allein dem öfientll-
chen Gottesdienst angehört. Wie kann also vom TauC-
kuüus u. s. f. geredet werden, wenn doch, wie nach
dem Hrn. Yf. selbst S. 109, die Taufe keine Handlung
innerhalb des Kultus ist! Damit ist wohl verembar,
^afs die Taufe ab ein kirchlicher Act anzusehen ist,
«nd es ist eben deshalb die Haustaufe nicht, wie S.
109 gesagt ist, als eine Ausnahme von der Regel seu
betraehten; sie ist aueh so doch nichts desto weniger
ein Act der Gemeinde, obgleich sie nicht in dem be-
stimmten öffentlichen Kirchenraum geschieht, ^n der
Hr. Yerf. hier die Kirche nennt -* Die Bezeichnung
des Senntagsgottesdienstes als d^ unbedingten und des
Festgottesdienstes ab des bedingten, ist mindestens u»-
ekruiBehen Kultui. 1
^bequem und ^ein nicht rio&tiger Ausdraefc für dii
Yerhiltnifs; viel eher wire jener der unbeatiaatfistey dl
aer der bestimmte zu nennen. •— Gern begleitetam w
den Hm. Yf* noch durch die aegenannten becondcsi
Theorien der Kultuselemente, in denen überall lies h
teressanten und Geistreichen viel vorkomntt* D«
den emeuecten und nothwendij|;en Gesetzen dieaesli
atituts genOils sollen Beurtheiler sidt desneat tewt
bleiben, dala Andere auch etwas vorsttSra|;ea Imbai
Nur noch folgendes Wenige. In der Theorie Jim An>
digt ist die Kategorie der religiösen Lebendigkeit k
der sogenannten Urbildung (bei der Meditation) ao h»
fig wiederkehrend, dals wohl der Hr. Yf. sieli firagm
mufs, WM darunter zu verstehen seL Diene reUgSü
Lebendigkeit, wie sie der Hr. Yf. selbst beeehrak, lA
eine^war jetzt sehr beliebte Kategorie, aber nech el*
was so uniiestimmtas und unmittelbares, daCs data
noch gar keine Yermittelung durch Gedanken nnfii|t
und wehl zu furchten steht, es werde der MeditiNn^
wenn er ihr sieh fiberläfst, häufig in den FaQ konuam,
auf nichts Rechtes zu kommen. Wenn denn, aid
nach dem Hrn. Verf., die religiöse Tfaäligkeit in ds
UrbiUung auch zur Gedankenthätigkeit, deren Wckb
die Hegriffshildung ut, wird, so wird wohl der ihr n»
hergegangene Zustand der religiösen Lebendigkeit dir
des absoluten Gedankenmangeb gewesen sein. «-* Tk^
fend hat der Hr. Yf- das Oratorisehe in seiner Einheit
mit den^ ReHgidsen gefafst; aber um se wenigsr iit
einzusehen, warum er nicht dabei geblieben nnd sM
dessen das Poetbche in der Predigt so sdir gdlead
macht. -- Ein von der Gemenide selbst geaprech««
Gebet im Kukus, sagt der Hr. Yerf. S. 230., wan
durchaus nichts WidernatQrliehes; „idleln da die Ge»
meittde in der blofsen Nacliproduetion der Gebete in
Kultus niemals erscheinen will, so bringt der Litaig
ihre Gebete zur Darstellung'' ; dießt tfber ist kein^wf-
ges der wahrhafte Grund , sondern weil es wirUidi
widernatürfich ist; denn es kann eine Versaamiiiiiif
Yieler zu gleicher Zeit wohl singen, aber niebt spie-
oben; wie die(s allerdings das Widernatdrlicbe ist in
der Englischen Liturgie.
D. Marheineke.
•• y^ 17.
J a h r b tt eher
f ü r -
lYissensch a f i 1 i che Kritik^
Januar 1840*
0
X.
8ur la cH'culatioH et sur l^$ ^ai$ieau<t laticifirei
dant^ les planten. Pär le Dr. C. H. Schultz^
I^öfess. örd. de tUnitersite de Berlin. M6^
fnoire qui a remporte le grand prix de physi"
gue propose par r Acaiemie royale deB Sctences
de ParüpmHT PAnftee 1833. Avec 2li planches.
Parüy 1839« et d Berlin chex A. Hirschwald.
UtibMohadet %\Mt von sachkundiger Hand erwar-
teten weiteren Bespreehung de« Gegenstandes obiger
Sehrift, glauben wir naeh mehneidger Aufforderung
einem äll^elneineren Wunsch eu entsprechen, wenn wir
in kvrten Zfigen die Resultate dieser mehrjälirigen Arv
l^eit, soweit sie hier dargestellt sind, übersichtlich süi.
lianimenstellen« Der Hauptsweck des Werkes ut, gemäb
der Ton der Königl. frans. Akademie der Wissenschaf-
ten int Jahr 1830 aufj^estellten Preisfrage, das durch '
die Entdeckung der Sftftecyfclose bekannt gewordene
System der Lebenssaftgefäfiie in allen Organisationsrer^
hätnissen der. PflanKe und des Pflansenreichs darra-
stelle. Da man bish^ nur Ein allgemeines Gefäfs^
System in den Pfilansen, das der SpiralgefSCse nämlich,
geh^ig erkannt hatte, so war es nur durch eine um^
fassende Arbeit möglich, die Existens eines zweiten
netfcoi Gefälssystems überhaupt allgemein nuchEuwei^ ,
sen, und xugleieh die eigeiithamliehe Organisation des^-
iMlben Bö weit als mögUch su^enthallen; doch beschei«-
den wiir. uns gern, dals auch aller Mühe und Sorgfalt
ungeachtet der Gegenstand nicht erschöpft* und noch
manche Nachlese su halten und manche Verbesserung
hittzusuffigen sein wird. Es kam hier besonder» darauf
in, dordi einen Reiehthum bildlicher Darstellungen
den Gegenstand su yersimitleheii, vorsttgBch einem viel«
felcht überemsigen Zweifel gegenüber, der anstatt die
Hand mit ans Werk su legen, sich in theoretisirenden
' Bedenkliohkidten erschöpft hat, so dafs ihn die Sache
Jahrb. f. iriiitMch. Kriäk. J. 1840. I. Bd«
erst von Aulsen her Überwachsen mufste« Wir hatten
es daher uns besonders angelegen sein lassen, alle un-
sere Beobachtungen durch naturgetreue Abbildungen
anschaulich wiederzugeben und mit dem Texte des Ma»
nusoripts eine Anzahl von 100 Tafeln der franz. Aka^
demie fiberreicht, welche f&r die Akademie Selbst jede
Einzelnheit der Beschreibung befriedigend mit materieU
lem Nachweb belegen konnte. Obgleich es nun wün«
schenswerth gewesen ware^ die sämmtlichen Tafeln pn«
blizirt zu sehen, um alle Details öffentlich vor Augen
zu legen, so war dieses doch bei dem übermäfsigea
Kostenaufwande, den der Stich aller Tafeln verursacht
haben würde, kaum zu. hoffen; und gewifs sind die
Erwartungen in dieser Beziehung schon dadurch über-
troffen worden, dafs die Akademie auf ihre Kosten
eine so grofse Auswahl aus sämmtlichen Abbildunggt
durch Abkürzung der Figuren bat graviren lassen, dafs
23 Tafefai damit gedrängt migefQUt sind. Die Freige-
bigkeit der franz« Akademie verdient in diesem Betraeht
gewifs den besten Dank, indem nunmehr doch aus ei-
ner groben Anzahl von Pflanzen , die Orgamsations-
Verhältnisse des LebenssaftgeAfiisystems vor Aiigen Ue-
lzen. Das Hauptresultat, welches hierdurch erreicht
worden, ist aunäehst , der Nachweis, dals alle Gefftfs-
bündel, die mati früher einfach als aus von Zellen um*
gebenen Spiralgefäfsen gebildet betraciit'et hatte, aus
Bwei verschiedenen Gefafssystemen %u»€fmm9ngeMetzt
sind, nämlich aus Spiralgefafben und aus Lebenssaftge-
fäfsen. Früher galt die Benennung: Gefifsbündel über-
haupt so viel als Bündel von Spiralgefäfsen, jetzt ha-
ben wir schon an sorgfältig gezeicimeten Qu^durch*
schnitten aufs deutUcbste vor Augen gelegt, dafs bet
keiner Pflanze die Gefäfsbündel einfach, sondern dals
sie überall aus zwei Gefäbsystemmi zusammengesetzt
smd* Der erste Theil der von der Akademie gegebe»
nen Frage : les vaisseaux du latex existent -Jis dans in
grand nmnbre des v^g^aux, et quelle place y occu<»
17
131 SoAuleXf 9ur la circutation et 9ur te$
pent-ils? ist also durch die dargestellten ThaUachen
dahin beantwortet, ^afs überall, wo sieh tiändel wah-
rer Spiralgefäfse im Stengel finden, in diesen Bilii-
deUi selbst, neben den Spiralgeräfsen noch Lebenssaft-
geffirse Torhäuden sind. Die* Spiralgefäfse bilden den
nach der Axe des Stengels gerichteten Theil, die Le-
faensgefäfse machen den nach dem Umfang zu liegen-
den Theil des Bündels aus, und zwar so, dafs eigent-
lich jedes Gefäfsbündel ein Iloppelbündel ist, dessen
äufserer Theil das Bündel der Lebenssaftgefälse, de»>
sen innerer Theil das Bündel der Spiralgefäfse ist
Aus mehr denn 60 verschiedenen, S. 43 und S. 87
übersichtlich zusammengestellten Familien sind Bteob*
aehtungen gegeben. Die querdurchschnittenen Mündua-
j[en der LebenssaftgefäCse unterscheiden sich von den
Spipalgefäfsen dadurch, dafs sie ihren verschiedenen
JBntwickelungsstufen gemäfs nur theilweise weit offen
stehen, theilweise aber mehr oder weniger durch Con-
traktion verengt oder ganz geschlossen erscheinen ; aber
eben dieser Charakter giebt den Querdurchschnitten der
LebenssaftgefäDsbünder ein so eigenthümliches Ansehen,
dafs sie sehr leicht sowohl von den Spiralgefäfsen als
von den umliegenden Zellen unterschieden werden kön-
nen. Die Yerbreitung der Lebenssaftgefäfse in der
Pilanze \ät jedoch nicht auf die Bändel beschränkt, so;i-
dern die Bündel bilden nur die Centralpunkte des Sy-
stems, welche vrir mit dem Namen des Heerdes belegt
haben. Die Gefäfse liegen hier . gedrängt aneinander*
Ton diesem Heerde aus geschieht nun durch Verzwei«.
I^ung eine Yerbrel^ung einzelner abgesonderter Gefäise
in alle Theile der Pflanze, besonders in die mancher-
lei Farmen des Zellengewebes: das Mark, die Sekre-
tionsorgane, und selbst Im Holze haben wir schon ein-
zeln verbreitete Lebenssaftgefäfse aus der Wurzel des
.Schöllkrauts im Jahr 1824 in der Schrift: über den
Kreislauf des Saftes im Schöllkraut abgebildet. Beson-
ders das junge Mark z^ B. des Feigen- oder Maulbeer-
haums ist sehr reich an Lebenssaftgefäfsen» Der zweite
Theil der von der Akademie gegebenen Frage betrifft
näher die Organisation der Lebenssaftgefäfse: sont-ils
separds Jes uns des autres ou r^unis en un rdseaü par
des fc^quentes anastomoses? Wir l|atten im. Jahr 1830
der Akademie einige, später in den Annales des Seien-
des naturelles (T. 22. PI. I. 2.) publizijtte Abbildungen
mitgetheilt, in denen der netzförmige Zusamittenbang
auch, all präparirtenrGefäfsen selir deutlich hervortrittf
vüUseaux laticiferei dam le$ phrntes. 132
doch macht dieser Charakter nur einen Theil der ge-
sammten Organisatiobsverhähnisse aus. Di« wichtig-
sten hierher gehörigeh EigentUfimlichkeiten der Lebem-
saftgefäfse liegen in ihren Metamorphosen d^rch die
Entwickelungsstufen. Wir haben nach den schon in
der Schrift: über die Natur der lebendigen Pffanze ge-
gebenen Beobachtungen in dem gegenwärtigen Memoir
bei einer sehr grofsen Anzahl von Pflanzen familiea
die drei Entwickelungsstufen, der contrahirten Liebens*
saftgefäfse (vasa laticis contracta), der ausgedehnt«
(vasa lat. expansa), und der gegliederten (v. lat. art^
cukita), nachgewiesen. Die contrahirten. Lebenssaftge-
fäfse bilden den jugendlichen Zustand, worin Ihre Le-
beusthätigkeit am gröfsten ist« Die Hauptäüfserung die-
ser Lebensthätigkeit liegt in der Fähigkeit. sich anszu*
dehnen und zusammenzuziehen. In den contrahirten
Lebenssaflgefäfsen überwiegt die lebendige Contraktion,
sa dafs sie sich bis zum -Verschwinden ihres Yolumens
verengern und den ganzen Inhalt austreiben konneiif
daher sind sie hier von aufserordentllqher Feinheit, doch
kommen immer einzelne mehr oder weniger ausgedehnte
angeschwollene Stellen an ihnen vor. Sie finden sich
mehr in den jüngeren Trieben der Pflanze und in
dem saftreichen Zellgewebe in grofser Feinheit einzeln
verbreitet, worüber wir besonders aus der Familie der
'Aroideen mehrere genaue Abbildungen dem Memoir
beigegeben hatten, die jedoch grofsentheils nicht pübU-
eirt werden konnten, uns aber mit. anderen zurückgie»
geben worden sind, so dafs wir sie in anderem Zu-
sammenhang später noch zu liefern hoffen.' Mit vor»
rückendem Alter und Waolisthum biUen sich die
vasa contraeta in die zweite Stufe der vasa laticis
expansa .um. Diese erseheinen von viel gröTserea
Umfang, angeschwollen und von Saft strotzend, da-
her meist von körnigem Ansehen durch ihren Inhalt,
obgleich die Wandungen . selbst glasartig und gleieh-
fSrmig durchscheinend sind, sobald der Saft entleert
ist. Wie die" contrahirten Lebenssaftgefäfse in der
ganzen Ausdehnung verengert und nur Juit euizelnen
angescAwolienen Stellen versehen sind ; so finden wir
bei den expandirten im Gegentheil die g^ze Lange des 6e»
fäfses ausgedehnt und aufgeschwollen, abet mit einzehien
eotttroAirten Sidlen. In ilini^a ist die Contraktion schon
zurücktretend und di^ Expansion überwiegend; doohso^
dafs si6 aber die Fähigkeit cur Contraktion immer npch b&-
sitzen. Ihre Wandungen werden stärke, und überhaupt ist -
138 SeMtz^ 9Ur lä circidatMf^ et $ur fes
dfe OrgänUntion liier am krafÜgsten, der Saftreidithum
am gröbtea. Man kpnn sagen, die contrahirten Lebens»
aaftgefafse sind absatzweise ezpandirt ; dia exp^ndirten
4rind .absatE weise eanlrahirt. Im. späteren Alter bildet
sich nun durch die absatzwebe contrabirten ^teilen der
expandirten Lebenssaftg^fäfse die dritte Cntwiokelungs-
stttfo derselben: die vasa Jaticis artieu^ata? oder die ge-
fiederten Lebenssaftgefafse. In ihnen wiederliolt. sich
die äufsere GUederbiidung der Zweige durch die Kno-
ten, indem. sich das Geftis der Länge nach in eine
Heihe von Gliedern trennt. Hier sind nun die contra-
liirten und die «expandirten Stellen permanent gewor-
den, während besonders in den contrahirten Gefäfsen
An jeder Stelle Contraktion und Expansion im Leben
Gontinuirlich abwechseln. Die contrahirten Stellen bil-
den einfache Einschnürungen, durch welche sich diet
ausgedehnten Gliederabsätze von. einander ablösen,
JOiese Gefäfse haben die Fähigkeit zur Contraktion ver-
•loren, .sie sind in ihrem Expansionszustande erstarrt,
.verholzt, bleiben daher auch nach gänzlicher Entleerung
des Saftäs ausgedehnt ^nd zellenähnlich, und fiodeH
sieh daher auch nur in den absterbenden, verholzenden
-älteren Pflanzentheilen' überhaupt. Zwischen diesen
drei Eatwickelungsstufen' finden sich nun^le mogli-
4ihen Formen von Uebergängen und Mittelbildung^n.
^G^w5hnUeh findet man diese so unter einander zusam^
menhängend, dafs die expandirten aus den geglieder-
ten und die contrahirten aus den expandirten wie her-
vorgewach^en erscheinen. Doch ist hierin bei den ver-
schiedenen Pflanzen und Pflanzenfamilien eine grofse
Verschiedenheit. Es giebt Pflanzen, wo die Gefäfse
sehr lange Zeit fast immer im Zustande der jugendli-
chen. Contraktion verharren, so dafs die älteren Stufen
schwer gefunden werden, wie es sich bei den Immer,
fleischig bleibenden bis zum Absterben nicht verholzen-
den Theilen derLUiaceen zeigt. Andere, wie die viele Jah-
re hindurch ohne' zu verhärten und abzusterben fortleben-
den fleischigen Euphorbien, haben nebenbei viele sehr ent-
wickelte expandirte Gefäfse, aber nur Andeutungen der
gegUederteü; wogegen die leicht Und schnell Verholzen-
den Sommergewachse häufig die artikülirten Gefäfse
zeigen. Im Allgemeinen, sind' die Gefäfse um so feiner
und im Zustande, der Contraktion verharrend, je weni-
ger milchig der 'Lebenssaft ist, und um so mehr ex-
pandirt, je mehr der Milcbsafl hervortritt. In allen
• diesen Entwickelungsstufen zeigen sich nun die Le-
vai$0€au^ latM/ir^s dans ,Jes ./^ntes. ' 134
benssaftgefälse durch Anastomosen zu einem Gefäfs-
netz., ähnlich dem* peripherischen^ Gefä&system der
Thiere, verbanden« Die Maschen dieses Gefäfsnetzes
sind aber in den verschiedenen Pflanzen und Entwicke-
lungsstufen der Gefäfse sehr verschieden, sowohl was
die Häufigkeit der Anastomosen, als was die Grofse
der Terbiadiingsäste und die Form der Maschen be-
trifilt. Im Heerde der Biindel sind die Maschen sehr
in die Länge gedehnt, in der Ausbreitung' im Zellge-
webe mehr in die Breite gezogen, in den Stengelkno-
ten sind^die Masclien dicht, in den Internodieii locker,
im Allgemeinen am ausgebildetsten auf der Uebergangs-
stufe von den contrahirten zu den expandirten Gefä-
fsen. Der dritte Theil der Frage heifst: Quelles sont
ia naturo et la destination des sucs qu'ils contiennent
et ces sucs ont-ils un mouvement de translaition et 4
quelle cause faut-il attribuer ce mouvement? Diese
Frage fülirte zunächst darauf, den Unterschied der ver-
sc)iiedenen Säfte gehörig festzustellen, die seitMalpighi
unter dem Namen des eigenthiimlichen Saftes (succus
propirius) in der Pflanzenphysiologie bisher vermengt
worden- sind. Ein Theil dieser Säfte nämlich ist ein
rein qualitatives lebloses Produkt durch Sekretion der
Pflanze, wie die Balsame, Harze, aetherischen Oele.
Diese Sekretionen zeigen keine Spur von innerer Or-
ganisation und die Organe, in denep sie abgelagert
werden, sind ihrem ganzen Bau nach* dem Zellgewebe
i^ystem angehorig und von dem oben beschriebenen Bau
der Lebenssaftgefäfse ganz und gar verschieden. Da*
gegen - zeigt der Lebenssaft eine innere Organisation
nnd Kügelchenbildung, Fähigkeit zur organischen Ge-
rinnung und Faserstoflfbildung, und nur er ist in wah-
jren Gefäfsen enthalten, die tdiesen Namen wirklich
verdienen. Allein der Lebenssaft ist also, seiner Orga«
nisation nnd seinem Sitz in wahren Gefäfsen gemäfs,
zur Bildung und Ernährung der Pflanze geschickt.
Daher ist es denn überhaupt ganz unpassend, die Se-
Jcretionsoirgane noch mit dem Namen der Gefälse zu
bezeichnen, und überhaupt konnte der Name: vas^ pro«.'
pria, ohne die alte Verwirrung zu begünstigen, gar
niclit beibehalttti werden, um so weniger, ab die Le-
JbensisaftgeJ&fse eine allgemein übereinstimmende Orga-
nisation in allen Pflanzen haben, während ^ die Sekre-
tionsorgahe, theils nach der Natur des Sekrets^ th^Is
nach Verschiedenheit der Pflanzen unter sich, auch gänz-
lich von einander abweichen. Die sämmtlichen Sekre-
\ .
135
Schultz^ 9ut la
$t $mt M$ ^miiBHms ImMfifrß$ Ami ii4 pUmiUi
13t
tionen kSnnen, entsptröhend d«m Gberall blindsliekartU
geü Bau ihrer Organe, keine siröniende fii^wegung Ihu
beo, dagegen maeht die eigenthQniliehe Struktur der
LebenssaftgefSrse eine Säflecirkulatlen in ihnen ni5g«>
lieh und die Beobachtung teigt sie ab wirklieh. Diese
CirkuIaÜDU nun, welche wir sum Unterschiede von d^
drehenden Bewegung oder Rotation in den Schläuchen
homorganischer Pflanzen mit detti Namen der CykhM9
bezeichnet haben, ist im Allgemeinen der Form der
netzförmigen GeiMsanastomosen entsprechend: ein rein
peripherisches, centrumloses Kreisen Von Strömen, die
zwar in sich Wieder zurOckkehren, augleich aber auch
tlieilweise in einander übergehen. Wo daher die Ma-
schen der Gefafsnetze sehr In die Länge gezogen und
die GefäFse wie in dem Heerde dicht neben einander
liegend sind, erscheinen neben einander auf- und ab«
steigende Ströme oft von grofser Ausdehnung ; aber an
bestimmten Stellen kehren die Ströme ite einander um
und anastomositen mit anderen Netzen. Sind aber dje
Gefäfsmaschen breiter und kürzer wie bei den im Zell-
gewebe verbreiteten Gefäfsen, da sieht man auch die
Ströme häufiger in einander übergehen und umkehren,
wie z. E. in der Stipula von Ficus elaStica oder im
Kelchblatt von Chelideniam majus. Als ich Cuvier im
Jahr 1830 diese Bewegung ' zu zeigen das Vergnügen
hatte, rief er aus : ^,Yoilä une circulation comme dans
la patte d*une grenoutlle/' Dieser Vergleich ist Jedoch,
genau so wie es Cuvier ausdrückte, nur von der Be-
wegung im peripherischen System der Thiere zu ver^
stehen ; eine Bewegung ^on und zum Centrum mit dem
Gegensatz von Arterien und Venenblut findet nicht
Statt und ich mufs, um den immer noch wiederholten
MifsverBtändnissen zu begegnen, dafs nämlfeh die Pflan-
zenc}'klose keine ttahre Cirkulatipn sei, weil kein con<>
tinuirliches arterielles Und venöses Zu • und Abströmen
vorhanden sei, hieir von Neuem 'bemerklich machen,
wie der Ausdruck: wahre Cirkulation, immer noch die
alte ganz irrige Vorstellung eines einzig teöglichen ein-
fachen Kreislaufs nach dem HarveyscheU Mechanismus
beim Mensehen involvirt, während diese Vorstellung
schon auf die niederen Thiere nicht einmal paust und
man jetzt wohl einsehen sollte^ dafs es mehrere Arteft
und Formen von Ciriculationen giebt, und da& die Idee
eines einfbcAen Kreislaufs im Thierreich nirgends rea-
Ibirt ist, indem bei allen mit Herzen versehenen Thle-
ren eine %u$ammet^euittB Qfkulattort mit dan fda^
tiv selbststiudigen Gegensatz von Pwlpheri« und €«■>
trum Torhanden ist, wobei der dna Gegentatt so wakr
bt wie der andere, fifur mit dei^ peripherlsehea Qik»
latiott der Thiet« ist der Kreblauf bei den Pflanaea
Ton mir verglichen, und sum Ufltersehiede Toil dsa
eentraleta Kreislauf mit dem Namen der Cyklosa bs^
zeichnet Worden^ die in ihrer Natur eben so wahr In;
wie die centrale Cirkulation der Thiere, während nur
die Vorstellungen darüber häufig falsch' sind. , Anlast
gend die Cyklose in den verschiedenen Entwiekelngi.
stufen des GefSlksystems der Pflansen^ so ist sie aa
lebhaftesten in den jüngeren contrahirten Lel»eiiaaa{tga.
fäfsen; die Schnelligkeit nimmt ab in den expandirtm
und kömmt zuletst in den artikultrten gänslieh svai SülL
stand, so da(s auch der Lebenssafit sieh aus diesen Gs*
fäfsen herauszieht und sie leeren Zell^nreihen älmliel
sehen. Denkt man an die Ursachen dieser Bewegung
so begegnet hier dem Beobachter zuerst die von si)^
als erste Lebenseigenschaft der Gefftfse bezeichuete Cea*
traktion und Expansion dieser Organe« W&hrend dtr
Beobachtung der Cirkulation, in einem lebenden Plaa*
zentheil selbst, bemerkt man sie am Deutlichsten «ad
wir haben sie in dem Memoir als ein wichtiges HUfs-
mlttel der strömenden Bewegung kennen gelehrt Vo^
sUglich sind es die feineren Ströme in den rasa latids
contracta, wo die Contraktion rem Zustande hoehitsr
Ausdehnung oft bis Zuin 20— SOfachen des ursprOi^li»
chen Gefäfsvolumens fortgeht Die Contraktioneii und
Expansionen wechseln aber nicht absauweise pulsire&d,
sondern in sehr langsamen und unbestimmten Zagen, so
dab zwar dieselbe Gefäfsstelle sich wiederholt ausdeh-
nen und wieder zusammenziehen kann, aber doeh in der
Regel die Expansionen an gans anderen Stellen und in
anderer Reihe wiederzukehren pflegen. Doch müss^
wir in Betreff der Einzelnheiten dieser und bescmdc^
der Erscheinungen der besthnmten Richtung der StrooM
auf das Memoir selbst verweisen. Auf eins erlauben wir
uns aufmerksam zu machen, nämlich auf die merkwfir*
dige Wirkung des Lichts und die Möglidikeit eines uäi*
gekehrten Säfteströmens und Wachsthums überhaupt
durch die mittelst eines Spiegels von unten in einen fin-
steren Kastun mit keimenden Saamen di'rigirten Sonnen^
strahlen.^ Von diesem Experiment giebt Taf. 14« eine
Anschauung durch Abbildung«
(Der Besehliifs folgt.)
/ 1
%M 18*
Jahr b fi c her
für
wissenschaftliche Kritik.
Januar 1840*
Bur la cirtnUatian et sur leg vqmeaua: laticifereg
V dan% les planten. Par le Dr. C.H. Schultz.
(Schlafs.)
Die Kenntnib eines neuen allgemein verbreiteten
Systems von inneren Organen der Pflanzen, wie es das
System der LebenssaftgefäTse ist, konnte nicht ohne
finflufs auf die Ansichten von den Organisationsver*
liältnissen der Pflanzen überhaupt bleiben. Die Lehre
-von einem aufsteigenden und absteigenden Saft und die
darauf gegründete Vorstellung einer Cirkulation, die oben
aus dem" Holz in die Rinde, und unten wieder aus der
Binde in das Holz übergehen sollte; die unbestimmten
TorstellungeU) dafs die Bastzellen Saftgefiäfse für den
absteigenden Saft seien, oder wohl gar, dafs ein Bil-
dungssaft. frei zwischen Holz und Rinde absteige, em-
pfangen von selbst ihr Urtheil durch die nun vor Augen
liegenden Thatsachen, nach denen die Rinde nicht nfin-i
der als das Holz ein eigenes Gefäfssystem enthält, wel-
ches den Centralpunkt aller ihrer Entwickelungen bil-
~ det. In der That ein Organ vrie die Rinde, das man
im Grofsen mit blofsen Augen als ein selbststäiidig und
allgemein unterschiedenes Gebilde erkennt, konnte nicht
die Bedeutung einer blöfs äufsern Hülle oder Decke .
behalten^^ um so mehr als schon so viele Beobachtungen
die Ruide als den wichtigsten Quell der Bildungen be-
zeichneten, welcher auf eigene Organe, wie die Lebens-
saftgefäfse es sind, mufste schliefsen lassen. Mit der
Erkenntnifs eines neben dem Spiralgefäfssystem vor-
handenen eigenen Grundorgans in den Pflanzen, wie
wir es in dem System der Lebenssaftgefäfse kennen
lernen, drängt sich von selbst "die Frage nach demTer-
hältnils dieses organischen Systems im ganzen Pflan-
zenreic)i auf.- Wie die Stufen und Formen des Thier-
reichs durc|i die Verhältnisse der inneren Organe be«
stimmt werden oder doch, mit ihnen parallel gehen, so
kann aueh im Pflanzenreich ein allgemeines organisches
Johrb. f; wUsemch, Kritik. J. 1840. L Bd.
System nicht ohne Einfiufs auf die Entwickelung der
äufseren Formen desselben sein ; und in der That hän-
gen die wichtigsten Entwickelungsstufen der Pflanzen-
organisation mit den Verhältnissen des Lebenssaftgefäfs-
systems zum Spiralgefäfssystem zusammen, so daifs man
sagen kann, dafs. die gegenseitigen Verhältnisse beider
Systeme vielmehr diese Entwickelungsstufen bedingen«
In diesem Betracht erscheint sogar das System der Cir- •
kulation aLr dominirend und seine Formen bestimmen
die Entwickelungsstufen vorzugsweise, ähnlich wie im
Thierreich das Nervensystem die übrigen Systeme do«
minireod vereint. Daher laufen denn den Haupttypen
des Cirkulationssystems bei den Pflanzen die Verände-
rungen der gesammten inneren Organisation denselben
parallel, wodurch die Typen der Hauptabtheilungen des
Reichs gebildet werden, und diese lassen sich physiolo-
gisch weit naturgemäfser, als es bisher nach den Keim«
formen allein möglich war, bestimmen.^ Es bilden sich
zunächst, entsprechend den beiden ^aupttypen der Cir-
kulationsformen,^ die Abtheilungen der Hom Organa und
der Heterorgana; bei ersteren findet sich die Rotation,
bei letzteren die Cyklose mit dem System der Lebens-
saftgefäfse. Iii den Fleterorg^ana erscheint zugleich mit
dem System der Lebenssaftgefäfsis auch das System
der äpiralgeräfse, und aus diesen beiden Systemen ent»
wickelen sich die zwei mit einander auftretenden und
sich schon äulserlich charakterisirenden Organe von
Holz und Rinde, welche die Hauptelemente der gan-
zen Pflanzenorganisation auf dieser Stufe ausmächen.
Beide treten aber noch in zwei natürlich von einander
getrennten Formen auf. Entweder nämlich Holz und
Rinde (oder Spiralgefäfs- und Lefoenssäftgefäfssystem)
finden sich noch in einzelnen Gefäfsbündeln vereinigt, so
dafs jedes Bündel ein Doppelbondel aus Spiral- und
Lebenssaftgefälsen darstellt $ diefs sind die S^norgana
oder verbundenorganigen Pflanzen. Oder die ur-
sprünglich synorganischen Bündel vereinigen si^h un«'
18
*'
139 Schultz^ sur la circulation et sur les
ter sich zu einem Kreise von GefäfsbQndeln, der nun
eine Doppelscbicht Ton Geftrsen eutliält, nach innen
die Spiralgefafse, nach aufsen die Lebenssaftgefäfse.
Diese Schichten trennen sieh nun sdbststätidig von
einander, die äubere entwickelt sich zum Rindenkor-
per, die innere zum Heizkörper; so dafs jedes der
beiden Systeme zu einer höheren Einheit in sich ent-
wickelt, beide aber von einander getrennt, sich äufserr
lieh als besondere Organe darstellen: diefs sind die
Dichorgana oder getrenntorganigen Pflanzen, welche
die höhere Entwickelungsstufe bilden. Ohngefähr^
kann man sagen, entsprechen die Homorgana den Ako«
tyledonen , die Synorgana den Monokotyledonen , und
die Dichorgana den Dikotyledonen. Diefs hat zum
Theil darin seinen Grund, dafs sich diese 'grofsen^ na-
' türlichen Gruppen schon durch den ganzen äufseren
Habitus kund geben, und dais die von den Keimen
hergenommenen Charaktere nur künstliche Merkmale
für anderweitig in der Gesammtheit sich unterschei-
dende Abtheilungen waren. Aber eben deshalb ent-
sprechen denn auch die organischen Abtheilungen der
Homorgana, Synorgana und Dichorgana jenen älteren
Abtiieilungen nur ohngefahr^ aber nicht genau ^ so
dafs die Abtheilungen dieselben blieben, vielmehr wer-
den hier nicht nur die Abtheilungen nSher bestimmt
^ und ganz anders und genauer begrenzt, sondern es
treten nun auch die gesammten Yerwandtschaftsver-
failtnisse und natürlichen Uebergangsstufen , * welche in
dem Kotyledonensystem nicht verstanden werden kenn»
ten und daher immer zu Widersprüchen, Ausnahmen
und Anhängseln führen mufsten, in ihrem wahren Zu-
sammenhange heraus. Insofern nun die innere Orga*
nisation auch die Generationswerkzeuge und Keime
der Pflanzen durchdringt und sich hier eben so be-
stimmend wiederfindet, wie in den individuellen Pflan-
zentheilen, werden die Keime von den organischen
Charakteren auch gar nicht ausgeschlossen, sondern im
Gegentheil finden sie fiuch eine, freilich aber unterge-
ordnete, Stelle und eben aus der Yerbindung der or-
ganischen Verhftltnisse der inneren Organisation über-
haupt mit denen der Generationsformen bilden sich die
zusammengesetzten natürlichen Charaktere , wodurch
die Abtheilungen wahrhaft natürlich unterschieden wer-
den können. So lernen wir denn kennen, dafs unter
den tieferen homorganischen Pflanzen sowohl solche
mit als solche ohne Kotyledonen der Keime vorkom*
vaüeeaux latieiferee dane he platitee* 140
men, z. B. Moose und Entengrütze, und dal« unter
den sogenannten Akotyledonen hinwiederum einige hom-
organische aber auch andere viel höher stehende eyn*
organische sich finden, die doch oflfenbar, wie die Far-
ren und die Flechten, nicht, zu einer natürlichen Klasse
gerechnet werden können. So ' giebt es synorganisdie
Pflanzen, die zu den Monokotyledonen gehören, aber
auch andere, wie der Pfeffer und der Fuchsschwanz,
mit zw^i Kotyledonen, und hinwiederum gehören zu
der Abtheilung der Monokotyledonen viele PflaDzen
von dichorganischer höherer Struktur. In dieser Be-
ziehung stand die botanische Systematik bisher auf der
Stufe, wie die Zoologie zu der Zeit, wo man üit
Wallfisehe zu den Fischen, die Fledermäuse zu des
Tögeln und die Amphibien als vierfufsige Tfalere zt
den Säugethieren rechnete, und nachdem man dieses
eingesehen, wird man sich immer bequemen muf-
sen, die Pflanzenorgauisation im Grofsen und in ib-
rem natürlichen Zusammenhange mit der Entwickelung
des Pflanzenreichs anzuschauen, um natürliche Unter*
sciüede, die sich von Aufsen schon dem blolsen 'Auge
aufdrängen, auch in ihren inneren Quellen zu erkennen.
Vieles ist hier noch zu thun und wir begnügen um
auch nur den Anfang gemacht und die Grundsüge ei-
ner unabweislichen Richtung der Wissenschaft ange-
deutet zu haben, zu deren weiterer Ausbildung dis
von der franz. Akademie der Wissenschaften ertlieilte
Anerkennung nicht minder als die nunmehrige Heraus-
gabe des Memoirs das ihrige beitraget! werden.
Dr. CiL Schultz.
XL
JReüe um ßie Erde durch Nord - Asien und die .
beiden Oceane tn den Jahren 1828, 1829 ut$d
1830 ausgeführt von Adolph Er man. Zweite
Abtheilung: Physikalische Beobachtungen. Er-
ster Band. Ortsbestimmungen und Declina^
tionsbeobachtungen auf dem festen Lande.
Berlin^ 1835. verlegt bei Q. Reimer.
Der Verf. des vorliegenden Werkes spricht in der
Vorrede den Zweck aus, welchen er bei der Unteiiieh«
mung seiner Reise und der Herausgabe der Resultate
vor Augen hatte. Er bedient sich dabei des Bildes
von einer Eroberung des Gebiets des Erd-Magnetis-
141
Erman^ Reue um die Erde. Zweite Abtheüung.
142
mus, nachdem es Vorher nur aufgefunden .war, und
sueht im voraus den Verdacht eines Mangels an Thä«
tigkeit Ton sich abzulehnen, wenn man einen solchen
wegen der geringem Ansah! von Ortsbestimmungen auf
ihn werfen sollte. Hierauf bemerken wir, um in sei«
Dem Bilde zu verharren, dafs es zur Eroberung eii^es
Landes mehr beitragen wird, wenn man eine gerin*
gere Anzahl wohl vertheilter Punkte in demselben ge-
hörig befestigt^ als wenn man xu viel Orte auswählt
und defshalb keinen von ihnen mit bedeutender Festig-
kelt anlegen kann. Es konnte daher nach unserer Au*
sieht nur die Aufgabe des Yerfs. sein, die vorhande-
nen Bestimmungen so genau zu geben, als ilie Um-
stände es gestatteten und lieber eine kleinere. und ge-
naue Anzalil, als eine grofse und weniger sichere her-
zustellen. Als hindernden Umstand führt er an, dafs
er bei der Beleuchtung des Instruments von der Hülfe
des begleitenden Kosacken iibgehangen habe. In so
fem das Werk zur Belehrung künftiger Reisenden die-
nen sollte, nioge bemerkt werden, dafs die Beleuchtung
am besten, namentlich fester erfolgen wird, wenn man
sich mit einem einfachen Gestell versieht, an welches
die zur Erleuchtung dienende Li^teme befestigt werden
kann. Dasselbe mufs so eingerichtet sein, dafs die
letztere ohne. Mühe, Je nach der Lage des Fernrohrs
'hoher oder niedriger zu stellen \%\.
. Der Hr. Verf. spricht in der Einleitung zunächst
über die einzelnen Aufgaben , welche er durch seine
Beobachtungen zu lösen hatte, als die Bestimmung der
Uoclinatlon, Inclination und Intensität de» Magnetismus
an den einzelnen Orten und führt die Instrumente auf,
mit denen er isich zur Erreichung dieser verschiedenen
Zwecke ausgerastet hatte. Von dem gröfsten Gewichte
war unter denselben das Passage -Instrument, durch
welches zunächst die Zeit der Beobachtung nach den
Methoden ermittelt wird, deren man sich auch auf den
festen Sternwarten zu bedienen pflegt. Durch dieselbe
Beobachtung vird das Azimut, des Instruments be-
stimmt, dessen man bedarf, um die magnetische Decli-
nation, d. b. die Abweichung der Richtung der Magnet-
nadel von der Ebene des Meridians zu bestimmen.
Zur Festsetzung der Inclination bedarf man der PoU
höhe und glücklicherweise hat Beseel in der neuern
Zeit gezeigt, wie man ein ~ solches Instrument, durch
Aufstellung semes Fernrohrs im ersten Vertikal, zur
genauen Herleitung dieses Elements benutzen kann.
Auf diese Weise wird die Polhohe mit einer grofsen
Genauigkeit erhalten, wie. man aus den neuem be-
treffenden astronomischen Schriften genügend ersehen
kann« Nachdem diese beiden Bestimmungen gemacht
sind,' ergibt -sich die magnetische Dedination unmitteU
bar durch Verbindung einer Boussole mit dem Passage-
Instrument. Da in der Folge ein Reisender, welöher
denselben Zweck wie der Verfasser erreichen oder der
auch nur as^onomische Ortsbestimmungen zu inachen
gedenkt, wenn es angeht, sich mit einem solchen Pas«
sage -Instrument ausrüsten wird: so scheint es ganz
zweckmäfsig,' dafs sich die Beschreibung dieses. Appa«
^ats in gehöriger' Ausführlichkeit im Werke vorfindet
Dieselbe reicht hin, um jeden; der ein solches Instru-
m^nt noch nicht unte^r Händen gehabt hat, mit dem«
selben vertraut zu machen.
Von der 7ten Seite an beschreibt der Verfasser
das Instrument nach seinen einzelnen Theilen und zeigt
z* B. auf der 14ten Seite u. d. f., wie man einen etwa
stattfindenden Fehler in der Lage der Axen unschäd-
lieh machen könne. Bei \em von ihm gebrauchten In*
Strumente hatten die Zapfen nahe gleiche Durchmes-
ser und und eine Verschiedenheit der Zenitdistanz
übte ebettfalb keinen merklichen Einfiufs. Sollte diefs
bei einem andern Instrument nicht ,d^r Fall sein, so
kann man nach den im Werke angegebenen Formeln
die Correction bestimmen, welche aus diesem Grunde
an den Angaben des Niveau anzubringen sind. Die
gehörige Berichtigung des letztern ist bei Beobachtun-
gen dieser Arr von der gröfsten Wichtigkeit und die
Erfahrung lehrt, dafs Unterschiede in den einzelnen
Beobachtungsresultaten häufig in einer mangelhaften
Bestimmung der Neigung ihren Ursprung haben. Der
Verfasser zeigt daher Pag. 17 und 18,"^ wie man die-
selbe bis auf ein Minimum vermindern könne, was bei
der- Anwendung der später folgenden Correotionsfor-
mein stets vorausgesetzt wird.
Hierauf betrachtet der Verfasser die Verbindung
der magnetischen Beobachtungen mit den als ausge-
führt . angenommenen astronomischen. Eine Boussole
tritt an die Stelle des Fernrohrs am Passage -Instru-
ment und die Einrichtung muGs so getroffen sein, daOs
die vorher bestimmte Neigung und Azunut unverän-
dert bleiben, damit man die Angaben der Boussole
auf sie beziehen könne. Von Seite 21 an werden,
analytische Betrachtungen über die Intensität und Rieh-
143
ErmoH^ Reise um die Erde. SSweite Abtheilunff*
II
CuBg der beiden hier wirksamen Kräfte angestellt, des
Magnelismus und der Sohwere (letztere ^uf die Ma*
gnetdadel wirkend). Der Yerfasser uptersuebt die Re-
lationen Ewisehen beiden auf eine weit allgemeinere
Weise, als es zur vorliegenden Anwendung Qothig ist
und das hier Mitgelheilte wird für viele um so lehr-
reicher sein, als unseres Wissens dieser Gegenstand
noch nicht anderweitig öffentlich besprochen worden
ist Für solohe Leser, die grade mit den hierher ge-
hörigen Sätzen der Statik nicht sehr vertraut sind,
würde eine, wenn auch kurz gefafste Herleitung der
drei BedUigungsgleichungen des Gleichgewichts gewils
willkommen gewesen sein. Dasselbe gilt von den drei,
glei<5h hernach folgenden, Gleichungen, die sich auf
Transformation der Coordinaten beziehen. Hier hätte,
wenn wir nicht irren, bemerkt werden sollen, dafs die
Entfernung des Magnetpunktes vom Umdrehungspunkte
der 'Einheit gleich zu setzen sei. Diese ganze Ent«
Wickelung^ hätte etwas ausführlicher sein können , für
die davon gemachte Anwendung ist das Gegebene hin-
reichend* So zeigt der Yerfasser von Seite 24 bis 35,
wie man einer mangelhafteit Horizontalität der Nadel
und der Collimation abhelfen können; Der erstem we»
gen werden Zusatzgewichie angebracht, die letztere
durch Rechnung verbessert und auf deu Seiten 31 und
35 finden «ich die Werthe derselben, welche im Ver-
lauf der Reise in Anwendung gekommen sind. Die
Auseinandersetzung der vorzunehmenden Operationen
•erscheint uns ganz klar und wir glauben, jeder an-
dere Leser wird nach aufmerksamer Durchlesung die-
ses Abschnitts ebenfalls in den Stand gesetzt werden,
diese Operationen am Instrument vorzunehmen, theils
um dieses zu untersuchen, theils um sich mit dem Ge-
brauch desselben vertraut zu machen.
Yen Seite 35 an setzt der Verfasser das Verfah-
ren auseinander, welches er bei Bestimmung der Zeit,
der Polhöhe, des Azimut und des CoUimationsfehlerB
angewandt hat Er hat, wie er selbst bemerkt, das-
selbe der Abhandlung Beeeete entlehnt und solche Le-
.ser, denen die hier gegebenen J^Iittbeilungen nicht ge-
ikugen, können sich daher durch jene weiter beleh-
ren. Auf der Seite 41 finden sich die Ablesungen am
Niveau zum Behuf der Werthbestimmung der einzel-
nen Niveautbeile. Der Verfasser schiebt di» manf;^
hafte Uebereinstimmung der Mitfelwerthe auf die nici
ganz feste Aufstellung des gebrauchten Wiakelinstn
Qients. Es wäre wünschenswerth gewesen, dais e
diesen hindernden Umstand später beseitigt hfitte, eal
weder durch Anwendung eines % andern festen Winkel
Instruments, oder einer andern einfachen Yorrichtviif
zur Bestimmung des Werthes der einzelnen Nirea»
theile. Hierdurch wurde er Gewifsheit darüb^ er-
langt haben, dafs sie unter sich 'gleich waren, da sebei
Fälle vorgekommen sind, wo bei einem aonst ^tco
Niveau ein einzelnes Intervall falsch getheilt wcur. D«
■
Verfasser hat den Mittelwerth aUer Beslimmunggi an-
gewandt und sich so der Wahrheit zu nahem ge.
sucht. Günstiger war er bei der nun folgenden Be-
stimmung der Fadeointervalle gestellt, indem die beob-
achteten Zwischenzeiten selir nahe mit den direct g^
messenen Entfernungen übereinstimilaen mufsten«
Bei der von Seite 43 an erläuterten Berechmiag
hatte der Verfasser sich der Unterstützung des Henz
Directo^ Herter zu erfreuen, eines Mannes,- der audi
m
durch anderweitig ausgeführte Rechnungen etwas Be*
deutendes geleistet hat. Seine Mitwirkung kann die
Sicherheit der gewonnmien Resultate nur bedeutend er-
höhen. Der lästigste Theil der Rechnung muCs die
Aufsuchung der betreffenden Sterne gewesen stia uad
da das angewandte Verfahren, nach der VersieheroDg
des Verfassers, dem beabsichtigten Zweck entsproehea
hat, dürfte es auch bei künftigen ähnlichen Operatio-
nen zu empfehlen sein* Ueber die weiter folgende Be-
rechnung ist wenig zu bemerken, einzelne Yortheile
wird jeder Rechner selbst noch herausfinden können.
Die scheinbaren Oerter der Sterne hat der Verfasser
nach den Formeln hergeleitet, bei denen die Stemzeit
als Argument zu Grunde liegt und die nöthigen Ele-
mente sich in den Tabb. Reg. finden. Im Fall ein-
zelne scheinbare Stemörter zu finden sind, empfehlen
wir zur ControUe eine doppelte Rechnung utoAiBeseeti
Formeln, wozu die nöthigen Data im Berliner astroao-
jnbchcn Jahrbuch* enthalten sind und wobei einmal die
Sternzeit, ein andermal die entsprechende mittlere Zeit
als Argument dient.
(Der Beschlufs folgt.)
c^ 19.
Jahrbücher
für
^iv i 8 8 e n s c h af tl i c h e Kritik,
Januar 1840*
Reise um die Erde durch Nord-A^kn und die
beiden Oceane in den Jahren 1828^ 1829 und
1830 ausgeführt von Adolph Er man.
(Schlufs.)
Auf den Seiten 54 bis 57 sind die von Gaaji auf-
gestellten Formeln zur Anwendung der Methode der
, kleiusteü Quadrate mitgetbeilt, wozu Ene^e eine Con-
tooUe mittelst des s (Seite 57) gefügt hat. Denjeni-
gen Lesern, weld^ diese Methode ausführlich kennto
SU lernen wünschen,, dürften die Abhandlungen des
Letztem im astronomischen Jahrbuch von 1834 bis
1836 zu empfeUen sein. Die hierauf als Beispiele an-
geführten Rechnungsschemata werden für jeden lehr-
reich sein, dem es an Uebung im numerischen Calcül
mangelt.' ' Ob der .Verfasser nicht bei Anwendung von
Logarithmentafeln mit weniger Decimalen, etwa sechs-
ziffrigen, Zeit hätte ersparen köonen, ohne der (venau-
igkeit der Resultate zu grofsen Abbruch zu thun, diefs
ist eine Frage, deren Beantwortung nicht mehr nothig
bt. nachdem derselbe einmal die bedeutende Zeit dar-
an gewandt hat.
Wie die Polhohe, der Stand der Uhr aus Son-
nenbeoJbachtungen und gegen mittlere Zeit berechnet
worden, zeigt der Verfasser auf den folgenden Seiten
bis 74. Hierüber ist wenig zu bemerken, ^weckmä-
fsig sind überall, wo es anging, die Tabb. Reg. zur
Reduetion benutzt worden, ein Werk, welches gegen-
wärtig im Stande ist, gleichförmige Resultate der Beob-
achtungen und so auch gleichförmige Yerbesserungen
der Elemente zu verschaffen.
' In dem Abschnitt von Seite 77 bis 243 findet sich
eine Zusammenstellung der Beobachtungen am Pas-
sage-Instrument, begleitet von den Hauptmomenten
- ihrer Berechnung und deb Resultaten. Bei den lelz-
tem würde die Angabe des wahrscheinlichen Fehlers
Jahrb. f. wiuentch. KrUüs. /. 1840. 1. Bd:
eine passende Stelle 'gefunden haben, während ^ier
Yerfasser denselben in den nachfolgenden. Erläuterun- :
gen mittheilt. Sonst scheint uns die Fassung dieses
Abschnitts ganz zweckmäfsig zu sein. Die Angabe
der angenommenen Werthe erleichtert eine Yerbesse-
rung, welche später wegen genauerer Bestimmung der-
^ selben nothwendig werden konnte. Bei der Durch-
sicht der Resultate fiel uns die starke Yeränderlich-
^eit des Collimationsfehlers, selbst an demselben Orte,,
auf. Es scheint nicht, dafs derselbe wirklich am
Instrument so stattgefunden habe, sondern die beobach-
teten Gestirne ihn nur nicht genauer geben konnten.
Was den Einflufs desselben auf die Resultate betrifft,
sOi ist derselbe durch das Umlegen des Femrohrs un-
schädlich gemacht worden, genauer würde er selbst
bestimmt worden sein, wenn der Polarstern jedesmal
in der beiderseitigen Lage des Instruments hätte beob-
' achtet werden können. Die Polhöhenbestimmung vofi
Tobolsk Pag. 121 hat der Yerf. offenbar nur mitge-
theilt, um seinem Grundsatz, keine Beobachtung zu
verschweigen, getreu zu bleiben. Dieselbe kann we-
gen der mangelhaften Kenntnifs der Neijgung keinen
YTerth haben, da es sehr schwer sein dürfte, die
Gröfse der letztem in der Zwischenzeit von 3^ 39' bis
3^ 46' zu bestimmen. Die aus dieser Beobachtung her-
vorgehende Polhöhe weicht auch bedeutend von den
beiden andern Bestimmungen vom 4. u. 7. November
ab, die unter sich trefflich überemstimmen.
Die Zusätze . und Bemerkungen von Sehe 244 bis
305 gehören wesentlich zu den vorhergehenden Resul-
taten. Sie enthalten theils Belege zur Feststellung
des jenen beizulegenden Gewichts, theils anderweitige« .
ohne Passage - Instrament erhaltene , Bestimmungen.
Zu den letztern gehören Zeit- und Polhöhenbestim-
mungen am Katerschen Kreise und vermittelst des Sex-
tanten, Längenbestimmungen aus Mondhöhen und Ab-
19
147
Ermany Reise um die Erde. Zweiie Abiheüung.
14
standen des Mondes tön der Sonne« Die 'so erhalte-
nen Resultate scheinen keine greise. Sicherheit eu ha-
ben, wie E. B. aus der Längenbestimmung von Kosui^
rewsk Seite 299 zu ersehen .ist.
Es folgt nun eine kleipe Reihe von LSngenbe-
Stimmungen durch Monds - Culminationen« Der Verfas-
ser bemerkt sehr richtig, dafs die erhaltenen Resultate
nicht die Genauigkeit haben können, welche man auf
festen Sternwarten oder an solclien Orten erlangen
kann,' wo man gehörige Vorbereitungen eu treffen im
Stande ist. Er hätte noch hinEufilgen können, dafs
dergleichen isolirte Resultate auch für feste Sternwar-
ten keine Sicherheit gewähren, wie man aus den cor-
respondirenden Monds-Culminalionen ersielit. Bei die-
sen, mag die Ursache der grofsem Abweichungen in
einer verschiedenen Vergröfserung des Mondhalbmes*
sers in den einzelnen Fernröhren eu suchen sein, wäh-
rend man iha bei der Berechnung als absolut gleich
und nur in so fern als verschieden annimmt, als die
Entfernung des Mondes von der Erde in der Zwischen-
zeit der Beobachtungen sich ändert. Sollte man> nicht
vielleicht durch Beobachtung der Culminationszeiten
zweier deutlicher und bekannter Mondflecke ein Hülfs-
mittel erhalten, um die verschiedene Schätzung des
Mondhalbmessers bestimmen eu können? Im vorlie-
genden Falle mufste die Unsicherheit der Bestimmun-
gen dadurch wachsen, dafs statt correspondirender Be-
obachtungen nur die Tafeln anzuwenden waren und so
der Fehler der letztern in den Resultaten enthalten ist.
Unterschiede von 13,''3 bis 57/'l in den Längenbestim-
mungen von Erman und andern Beobachtern, welche
sich von Seite 310 bis 330 finden, scheinen uns, mit
Rücksicht auf die bemerkten Umstände, nicht eu grofs
EU sein.
Die nun foIgendenLSngenbestimmungen durch Chro-
nometer lassen sich nicht nach dem Mafsstabe beurthei-
len, welchen man bei derartigen Operationen mit meh-
reren^ guten Chronometern und auf bequemen Wegen
anzuwenden ^ pflegt« Als nothwendige und Eugleich
hinreichende Anzahl wohl regulirter Chronometer, die
zu einer solchen Bestimmung angewendet werden soll-
ten, betrachten wir die Zahl drei, da bei zweien eine
Abweichung ungewiGs läCst, welches von beiden seinen
Gang geändert habe. Dem Verfasser stand nun eigent*
lieh nur sein einzelnes Chronometer Kessels 1253 zu
Gebot, indem das Boxchronometer, welches
Zeit lang mit benutzen konnte, sieh jenem keinesure^
ansehlob. Aber auch das Register des erstem se%l
dafs sein Gang durchaus nicht gegen Liegen und Fak
ren gleichgültig war. Während es in der Ruhe Be)s
oder weniger regelmäfsig voreilt, bleibt es am 24. April^
3. Mai und 15. August, nachdem es gefahren ^j^ordea,
zurQck (Seite 333). Einen grofsen EinfluCs mag ^-
ter der sehr bedeutende Temperaturwechsel ausgeuk
haben« Der Verfasser seheint dennoch trots diestr
Schwierigkeiten manches Befriedigende geleistet s« hi-
ben, indem er z. B. die Länge von TebolsA dank
Zeitübertragung zu 4*^ 23^ 3r',0 bestimmt, die von do
Bestimmung Chapp^e 4^ 23" 45'',2 nicht viel abwciek.
Dafs die nach demselben Orte übertragene Länge fei
Bereeow mehr abweicht, darf nicht verwundem, inden
die letztere selbst bolirt dasteht und keinesweges
troUirt ut. Hätte der Verfasser, wie im Anfange
ner Reise, auch später feste Punkte zur Controlle ge-
habt, oder sich solche durch wiederholte Bestimmuli-
gen vermittelst Monds-Culmmation schaffen können, ss
wurden die durch das Chronometer erhaltenen Längen
gröfseres Gewicht haben, als jetzt ihnen zuerkannt
werden kann. ' *
Bei der Betrachtung der im folgenden Abschnitt
zusammengestellten Höbenmessungen, welche grobteo-
theils. mit dem Barometer ausgeführt sind, wiederiiolt
sich die Erscheinung, welche bei barometrischen Nird-
lements nicht mehr auffallen kann. Bedeutende Unter-
schiede finden zwischen den Resultaten des Yerfassen
und denen anderer Beobachter und auch zwischen den
erstem allein statt, je nachdem die zu bestimmende
Höhe aus der Vergleichung mit dem einen oder andern
Orte hergeleitet worden ist. In Bezug auf den letz-
tem Umstand fuhren wir als Beispiel die Hohe von
Pomorania Pag. 352 an. Aus der Vergleichung mit
Danzig ergiebt sich die Lage 5,6 Toisen wUer^ mit
ßfitau 16 fi Toisen über dem Meerei Baa angesetzte
Mittel von 5 Toisen über dem Meere hat offenbar eine
sehr geringe Wahrscheinlichkeit Von Seite 356 bis
359 behandelt der Verfasser die Höhe von Kaeam,
Aus der Vergleichung siebenjähriger mittlerer Baromtf*
terstände mit den entsprechenden von 'Danxig und
Mitau findet derselbe die Höhe des Barometers in
Kasan 16,3 Toisbn über dem Meere, während KHorr
149
Ermäuj Reise um die Erde. Zweite Abtheüung.
150
hierfür den Werth 31,2 ToLsen angiebt. Der Verfas-
ser giebt einen Erklärungtgrund für. diesen Untersehied
all und hält sein Resultat für das riehtigere, wogegen
eine neqere Bestimmung in dem Werke : „Mineraliscli«
geognostische Reise nach dem Ural u. s. w. von Gu-
stav Rose. Berlin 1837." auf Seite 639 . diese Höhe
SB 30,1 Toisen, also nahe wie Knarr angiebt. Ferner
seigt sich noch folgender Unterschied in beiden Werken.
Erman setzt den Niveauunterschied zwischen dem Uni-
versitäts - Gebäude imd dem Wolgaspiegel nach dem
Nivellement von 1824 » 11,8 Toisen, während der-
self>e, «ach derselben Quelle, in dem genannten Werke
es 21,2 Toisen angenommen wird. Der letztere Tirurde
nach JErman den Wasserspiegel der Wolga bei K^-
san zu 4,9 Toisen unter dem Meeresspiegel ergeben.
Wahrscheinlich hat der Verfasser die nölhigen Correc-
tionen an den Barometern nicht angebracht, nach de-
ren Benutzung die neueren Bestimmungen erst gewon-
nen sind« Ueber die verschiedene Niveaudifferenz in
Kasan selbst dürfte eine zu gebende Aufklärung nicht
unerwünscht sein. Betrachtet man diese Unterschiede
an einem Orte, für welchen mehijährige correspoudi-
rende Beobachtungen zur Benutzung vorhanden waren,
so kann ein grofserer Zweifei an der Zuveilässigkeit
der meistens isolirt .erhaltenen Höhenbestimmun^en ent-
stehen. Am sichersten dürfte man wohl noch verfah-
ren» wenn man dieselben blob als beiläufig erhaltene
. relative Unterschiede ansähe, deren absolute Werthe
einer Verbesserung bedürftig sein mögen. Das Verfah-
ren, nach welcheip der Verfasser Pag. 359 aus einem
gleichmäl^igen Gefälle der Wolga und dem für eine
tStrecke ihres Laufes gefundenen Werthe desselben auf
das Niveau des Caspischen Meeres schliefst, ist thepre-
tisch höchst interessant, in Bezug auf die Praxis kann
das gewonnene Resultat wohl von keinem Werthe ,
sein, weshalb der Verfasser dasselbe auf der Seite 407
auch nicht ohne das Zeichen der Unsicherheit hätte
auffuhren^ sollen. Schliefslich bemerken wir noch, dafs
. der Verfasser bei denjenigen Höhenbestimmungen, die
aus mehljährigen ßarometerbeobacbtungen erhalten wor-
den sind, den wahrscheinlichen Felüer des angesetsten
Mttelwerthes hätte beifügen können.
Am Ende des Werkes findet sich eine tabellari-
sche Zusammenstellung der gewonnenen Resultate ; hier
sehemt uns ein Idein^r JFehler in der Form bemerkens-
werth. . Der Verfasser hat an solchen Orten, wo er
• nur die magnetische Dedination mehrmals bestimmt
hat, die Länge, Breite und Höhe immer wieder aufge-
führt, woraus mancher Leser schliefsen könnte, da£i
dieses eben so viele einzelne Bestimmungen der letz-
tern GrQfsen seien. Hiernach diirfte'^ derselbe sich ver-
leiten lassen, diesen Werthen ein gröfseres Gewicht
beizulegen, als sie der Natur der Sache nach ver-
dienen. * . "
Nachdem wir so den Inhalt des Werkes übersicht-
lich betrachtet, erlaubt sich Referent zum ScUuIs fol-
gendes individuelles Urtheü ober dasselbe auszuspre-
chen. Die Hauptaufgabe, die magnetische Dedination
für eine Anzahl Orte zu bestimmen, hat der Verfasser
in einem bedeutenden Maafse gelöst, indem sich für
nahe 60 Orte diese Bestimmung vorfindet und letzteref
wegen des angewandten Beobachtungsverfahrens alles
Vertrauen verdient. Den in noch grofserer Anzahl ge-
wonnenen Breitenbestimmungen kann ebenfalls ein be-
deutendes Gewicht beigelegt werden. Dagegen dürften
die Längen- und Höhenbestimmungen nur bedingtev-
weise als richtig angenommen werden und können bei-
de in der Folge durch wiederholte Bestimmungen eine
Correction erleiden. Für die Bestätigung der erstem
ist im Laufe dieses Jahres ein Mittel geboten, indem
im März eine in ganz Asien und dem europäischen ^
'Rufsland sichtbare ringförmige Sonnenfinstemifs ein-
tritt Möchte die Russische Regierung sich doch be-
wogen fühlen, diese Gelegenheit durch Aussendung der
nötliigen Beobachter zu benutzen ! — Aufser den eben
kurz beurtheilten Resultaten enthält das Werk eine
Darstellung des Beobachtungs- und Rechnungsverfah-
rens, und diese wird unbedingt für viele Leser interes-
sant und belehrend sein.
Wolfers.
xn.
Italia^ herausgegeben von Alfred Reumont.
Zweiter Jahrgang, Berlin^ 1840. Verlag von
Alexander Duncker. VI. 327 S. ' ,
Es ist gewifs als ein höchst erfreuliches und dan-
kraswerthes Unternehmen des Hrn. Dr. R^mont atizu-
erkennen, wodurch es ihm gelungen ist, eine Anzähl
151 lUumonty Itäliam ^
von deutschen Literaten^ in so weit sieh ihre Stadien
oder Dichtungen auf Italien beziehen, unter dem Na*
men dieses Landes eu vereinigen, den jQngeren unter
ihnen ein gemeinsames Lokal für Arbeiten geringe-
ren Umfanges dareubieten uad damit allen Freunden
ItiEdiens eine Gabe zu reichen, worin das Lehrreiche
mit dem Unterhaltenden verbunden ist, und die Ver-
schiedenheit der Gegenstände und der Behandlung ei«
nen stets abwehselnden Reiz gewährt. Auch ist zu
erwarten, dafs der vorliegende zweite Jahrgang der
Italia, nicht minder als der erste, die Theilnahme und
den Dank des Publikums gewinnen wird, da er eben-
fals eine Sammlung von interessanten, theils poetischen,
theils historischen Arbeiten enthält
Referent will dieselben einzeln durchgehen, indem
er sie so zusammenstellt, wie sie als historische und
poetische zusammengel^ören , und seine Bemerkungen
hinzufügen, ohne damit den Anspruch einer erschö-'
pfenden Beurlheilung zu verbinden, welche ohnehin
bei einzelnen Aufsätzen der Art von verschiedenen Ver-
fassern nicht gut möglich bt.
«
Eine rein wissenschaftliche, kunifliistorische Ar-
beit ist der Aufsatz des Herrn Dr. Oaye über die
Bronzethüren des Lorenzo Ghiberti. Die Einleitung
enthält eine treffliche Beurtheilung über den verschie-
denen Charakter der ilorentischen und sanesischen
Kunstthätigkeit , und eine kurze Uebersicht der Ent-
wickelung» welche die florentinische Kunst vom drei-
zehnten bis fünfzehnten Jahrhundert genommen ' hat.
Es folgt dann eine gufe historische Darstellung, wie
es mit den Tbüren des L. Ghiberti gegangen, welche
Kontrakte darüber eingezogen wurden, mit welcher
Hülfe, mit welchen Schülern und in wieviel Zeit der
Meister seine Arbeiten vollendete. Alles .wird mit
Stellen aus dem eigenen Memoire von Ghiberti (wel-
^ ches Unkundige nicht mit der anmutbigen Dichtung
von Hagen: die Chronik des L. Ghiberti, in 2 Thei-
len^ verwechseln mögen!) und mit Dokumenten belegt,
die der Verf. bei seinen fleirsigen Stndien in den flo-
rentiuischen Archiven aufgefunden hat; alle Irrthümer
Zweiter Jahrgangs .IS
werden daraus berichtigt, und AHes auf guten und si
oberen historischen Grund gestellt. — In der Bearchcs
lung des Kunstcharakters von Ghiberti zeigt sich da
Verfasser als gründlicher Kenner, indem er nlelit blofi
bei dem Allgemeinen stehen bleibt, dals Ghiberti ma-
lerischen Charakter In seine Skulptur gebracht, mhi-
dern^auch zeigt, worin dies Malerische liegt, ^^ie der
Meister durch eignes Naturell und Zeitforderunges
dazu geführt worden, und wie der Uebergang vom an«
tiken plastischen Charakter xum modernen malerisehoi
in seinen Werken selbst sich nachweisen ISftt, wem
man die Arbeiten am Taufbecken in San GioTaimi s«
Sietla als Mittelglied, wie sie es . auch der Zeit nach
sind| betrachtet, zwbchen den Jugendarbeiten an der
ersten Thüre von S. Giovanni zu Florenz, ipid sei-
nen Meisterwerken an der zweiten. Ton der letzte-
ren sagt Ghiberti selbst: „Ich bemühte mich die Ns-
tur, so viel nur in meinen Kräften stand, mit jegliehea
Maafs nachzuahmen, mit allen Linien, die mir zu Ge-
bote standen, mit schonen Erfindungen und Reiehthum
von vielen Figuren. Gegen hundert Personen habe
ich in einzelnen Geschichten angebracht, in andere!
weniger, in anderen mehr. Mit den grofstem Fleib
und mit der grofsten Liebe habe ich dieses "Werk vol-
lendet. Was an Gebäuden vorhanden ist) stellt sich
so dar, wie^ es das Auge mifst, und wie die Natur m
zeigt; so dafs es denen, welche in einiger Entfernung
stehen, heraus zu treten scheint. Es. hat sehr gerin-
ges Relieff und auf den Plänen erscheinen die Figu-
ren, welche näher sind, grofser, diejenigen, welche ent-
fernter sind, kleiner, so wie die Natur es uns zeigt."—
Man sieht, er rühmt an seiner Arbeit, was[ eben wesentlicb
malerische Eigenschaften sind, Reiehthum an Figuren und,
durch diesen nothig gemacht, dje Perspektive; ob-
wohl die Perspektive der 'Skulptur so Wenig wesent-
lich ist,' dafs sie die Alten kaum gekannt zu habea
scheinen. Nachdem man die Kunstmittel gewonnen,
führte die Freude am technischen Gelingen die Zeit
und die Künstler zum Verwechseln des Künstlerischen
mit dem Künstlichen und Schwierigen« *—
(Der Beschlufi folgt.)
VT 1 s s e n
^20.
J a h r b fi c h e r
f sü r
s c h a f 1 1 i c h e
Januar 1840«
_• •
K r i t i k.
Jtaliaj herausgegeben von Alfred Reumont
(SeWafi.) ,
|n einem andern historischen Aufsatz erzählt Hr.
Barthold die Abentheuer des Roger vpn Flor, Temp*
lers von BrindisL^ Dieser diente zuerst den Christen
im Morgenlande bei der Belagerung von Aklcon, dann
dßu Genuesenis so lange sie im Bann des Papstes wa-
ren« dann dem Friedrich von Sicilien gegen die fränki-
schen {lerrscher in Neapel Als dann der Frieden ge-
schlossen wird, so ist hier für ihn mit seinem Haufen
von Katalanen und Almugavaren Iceines Bleibens mehr,
und er begiebt sich itum Kaiser , Androniicus, der ihn
als Megadux in den Sold nimmt; ab solcher ist er
siegreidi gegen die türkischen Emire in Anatolien,
schwingt sich bis zur Cäsarenwürde auf, und unter-
liegt endlich nur dem Neid und tückischen Yerrath des
Fürsten und Thronerben Michael, der ihn nach Adria-
nopel zu sich einlud und da ermorden liefs, — Wie
ein glänzendes Meteor ging er auf und verschwand,
ohne andere Spur von sich zurückzulassen, als die
Räuberherrschaft, welche „die grofse Compagme", die
er verbunden, in Livadien begründete.
Der Terf. hat hauptsächlich den Ramon Muntaner,
der des Roger Begleiter und Sekretär war und seine
Thaten beschrieben hat, benutzt, und damit die griechi-
schen Berichte verglichen. Er beweist ein ausgezeich-
netes Talent, lebendig zu schildern und die erzählten
Geschichten dem Gebte und Auge des Lesers zu ver-
gegenwärtigen. Diese Absicht wurde er noch mehr
erreichen, wenn er seinen Styl etwas leichter und ra-
scher machte, und nicht durch Zusammendrängen des
zu Vielen bbweilen selbst den aufmerksamen Leser er-
müdete« —
Ganz in die historbche Gegenwart werden wir
versetzt durch die Lebensbeschreibung des Conte Gia-
^como Leopardi ron Hrn. Heinrich Wilhelm SeAulx,
Zwei Gegensätze herrschen jetzt im gebildeten
JaÄr6. /. wmtmch. Kritih. J. 18i40. I. Bd.
Italien, leichtsinnigster Lebensgenufs, ohne jene eigent-
liche Frohheit und Lust dabei, welche nur das YoU-
gefühl der Kraft verleihen kann, und tiefster Unmuth
über die gegenwärtigen Verhältnisse, der bei edleren
Gemüthem eine selbst verschiedene Richtung ninunt^
zu schwindelnden Hoffnungen einerseits, welche haupt-
sächlich die Jugend zu gewagten Unternehmungen ver-
lei(e|i, andrerseits zu herber verzehrender Schwennutb^
welche da einen poetbchen Charakter annimmt, wo
_ ■
sie sich der vergangenen Grofse Italiens erinnert. Diese
Schwermuth und ihre Poesie wurde zugleich mit schö-
nem Talent dem Grafen Leopardi zu Theil, der sich in
neuester Zeit gleich sehr ab Gelehrter in der klassi«
scheu Literatur und ab Dichter in seiner eigenen
Sprache auszeichnete. Herr Schulz giebt einen kur*
zen Abrifs seines Lebens, folgt ihm in seiner gelehr*
ten und poetischen Thätigkeit und begleitet ihn bis zu
seinem Tode,, wo er noch selbst ihm mit Platen, einem
nahen Gebtesverwandten des italiänbchen Dichters,
ab Freund zur Seiti staüd. — Die hinzugenigte Probe
aus dem Gedicht: i paralipomeni etc. hätte ich, hier
nicht mitgetheilt, da sie den Dichter nur in der Be«
schränktheit des Italiäners zeigt, welcher vom alten
Ruhme Italiens träumend, damit dem Ausbnde auf eine
Webe entgegentritt, die eben so beleidigend für das«
selbe ab unwflhr ist. —
Ton poetbchen Produktionen begegnet uns in die«
ser gemischten Sammlung zuerst ein erzählendes Ge*
dicht: Sklavin und Königin, von Ida Gräfin Hahn*
Hahn. Diese Dichtung hat zum Inhalt das Unglück
und die heimliche Liebe der Königin Johanna von Nea-
pel, und den Mord ihres Gemahb Andreas von Un*
gam durch einen Uberto, der sie selbst leidenschaftlich
und hoffnungslos liebt, und in dieser Liebe sich für
sie opfert. — Es findet sich darin bei manchem Sentt*
mentalen, das man der Dichterin gern verzeiht, eine
hie und da recht anmutUge poetbche Beschreibung in
20
155 Beumonty Italith
fließenden Venen. Man wird et der Dichtevia aveli
nicht verdenken, dafs sie mit der Absicht, die K5-
nigin von der Schuld des Mordes zu berreien, für ihr
Ceachlecht Parthei nimmt; wenn nur der liebende
Uberto,. der mit seiner Lfebe suerst nur fürchterlich
erscheint, dann mit weiblicher Entsagung sich für seine
Königin aufoiifert und so dem Nebenbuhler den benei-
deten Platz ungestört einräumt, besser mit sich selbst
und dem ilaliänischen Charakter zusanunenstimmtCi
Der HermtMgebtr selbst hat einen hübsehen Bei-
trag von toskanischen und einigen sardinuchen Tolks-
iiedem geliefert, und außerdem eintf ErzAhlung: „Die
Herzogin von San Gittliano,** (wo ich nicht irre, ist sie
aus deni ItaKänlschen des Gnerrazzi) mitgetheilt Die
„entsetzliche Geschichte" ist die von einem, auch sonst
in«ItaKen %o häufigen, Mord iaus Eifersucht Referent
bemerkt, dals ihm in der Darstellung dieser Erzählung
zu viel Kutast, mit zu wenig versteckteir Absieht, auf-
gewendet scheint. Es scheint damit fast eher auf ein
Drama abgesehen zu sein, ab auf eine Erzählung; so
t^iel ist darin von Dialog und von raschem bühnenarti-
gem Scenenwechsel. Es folgen schnell hintereinander
ein Gastmahl beim Herzog, eine geisterhafte Erschei-
nung zur Geisterstunde bei der Geliebten, eine Wirths-
faausseene, eine Nachtscene auf der StraPse, eine Toi«
lette beim Herzog, bei welcher ihm der Uutige'Kopf
äer Geliebten unter der Wäsche präsenlirt wird. Die
Absicht wird durch diesen Aufwand eher verfehlt als
erreicht; denn das Interesse wird eben dadurch, dafs
bian überall zugleich sein soll, zu sehr getheilt, und
man bleibt nicht im Flusse der Handlung. Auch ist
tu viel die Einkleidung des Geheimnisses und des
Räthselhaften gebraucht, welche, wenn sie zu oft kommt,
eher ermüdet als spannt.
Was Ref. so eben vermifste, einfache und unge-
künstelte Darstellung, bei der man nur für die Haupt-
handllin^ in Anspruch genommen wird, das findet er
auf sehr gelungene Weise in der Novelle: Der Stum-
me, von Franz Freiherm von Gaudy, — Diese No-
velle ist mit hinreifsender Lebendigkeit vorgetragen und
mit vortrefi^licher Oekonomie durchgeführt. Ihr Inhalt
ist die glühende Li^be eines Italläners,* dem der Autor -
in einer Berb'ner Wemstube begegnet ist. Nur eben
dieser Eingang der Erzählung ist Ref. zu breit, zu ge-
schwätzig vorgekommen, wenn nicht etwa die Behag.
Hchkeit dieses, Berliner Philjsteriums in der Weinstube
ZweiUr Jahrgang. 156
ier Ruhenden Leidenschaft des Italiäneca in dem kitt-
reifsenden "Vortrag derselben, der dann folgt, zur Folie
dienen sollte. Der Italiäner selbst erzählt, und wir fühlen
uns gleich ganz auf italiänischem Boden. Die Liebe ninunt
ihren Anfang schon, da «r die Geliebte nar eimnal gesoha,
sie alsKind, er selbst noch Knabe. DerEindruck ist nulcklig
und unauslöschlich gewesen, er sieht sie wieder aUJüngliag
und jener Eindruck wird zur glühenden Leidenscbafit,
. um so mächtiger und unbezwinglicher als sie hoffnungi-
los m sein scheint, um so quälender, als er taglidl i4
die Geliebte sein mufs. Die Katastrophe tritt s^umü
und zerstörend ein: es ereignet sich einTorfaU, wie
bei Dante mit Francesca da Rimini, bei Goethe mit
TasSo ; aus der Verzweiflung wird der Unglacklieiie
zum Taumel der Freude erhoben, als ihm mit der Vcr*
zeihung zugleich ein Hofiiiungsstrahl gegeben wiH.
Da eben, als ihn der Taumel übermannt, wird Um
von Kundschaftern ein Gefaeimnirs abgewonnen, das
seinen Wohlthäter und die Tochter, die Geliebte, ms
Unglück stürzt« Er hat seitdem seiner vorlauten Zunge
ewiges Schweigen auferlegt. — Der Ort der Geschichte
ist Rom, die Zeitverhältnissc sind die der französi-
schen Gewaltherrschaft. Bei jener letzten Kat&stropbe
wird der Karuaval eingeführt ; man erkennt an der Le*
bendlgkeit der Schilderung in wenig Zügen, dafs der
Verfasser ihn erlebt ; den richtigen Takt des trefflidiea
Erzählers nimmt man an der weisen Sparsamkeit w^,
womit dies und sonst Lokales eingeführt wird; erbringt
davon nur so viel, als gerade nothig zu sein sclieint
für die Haupuache, und Alles bleibt auf diese con-
centrirt. «>
Herr von Rumohr hat uns in dieser Sammlung
mit einer Malernovelle beschenkt: Lehr- und Wan-
derjahre des Raphael Santi von Urbino. Sie ist nicht
Erzählung von einer abgeschlossenen Begebenheit, son-
dern ein Stück Leben von Rafael, da er noch ein Wer-
dender war. Einem aüfserordentlichen Genie in sei-
nen Anfängen nachzugeliu^ ist überall reizend, beson-
ders aber bei dem in Werken und Leben überall so
höchst liebenswürdigen Raphael. Herr von R. nimmt
sein Leben da auf, wo er nach Assisi zum Meister In-
gegno kommt und eine Zeit lang bei ihm arbeitet
Dann begleitet er den Jüngling nach Perugia zum Me|.
ster Perugioo, dessen Kunst schon damals zum Hand-
Werk zu werden anfing, wie sie es beim Piaturiccbio
schon geworden. Blit der Abreise RafaeFs naclf Ca»
167 - Ifedr&iMche
nuXio seUieftt die artige Enählniig, woria der geistrei-
che Yerf. gehr belehrende ürtheile Ober die genannten
Künstler einflicfit und auf eine lebendige TVeise in das
Kunattreiben jener Zeit versetzt, indem. er bedeutend
genug, gewifs nicht ohne Uesiehung auf die Gegenwart,
«in tiefes und iimiges Kunstbestreben, das nur die Wahr-
heit und Hoheit der Kunst seihst will, wie es sich bei
Rafael kund gibt^ einem den Anforderungen der Zeit und
des Publikums haudwerksmäfsigem Genügen entgegen-
aetst« Der Verf. schaltet frei mit den historisch so uur
gewissen Daten aus Rafaers Jugendaeil. Warum sollte
-es ihm nicht eben so oder mehr ttoch, ala dem Yasari,
erlaubt sein, Wahrheit und Dichtung zu mischen, da er
nur eine Novelle, nicht Geschichte, geben will? £skam
nur darauf au, den Gebt und den Ton der Zelt richtig
zu treffen, und das ist dem Verf. unsres Erachtens gluck-
lieh gelungen.
Carl Hegel.
XIIL
Sapha bemra ffder die gefäuterts SpracA^ von R.
Abraham Ebn Etra, rfach einem handle hrifU
Hohen Exemplare in der k. Hof- und Staats-
bibliotlhek xu München kritiech bearbeitet und
mit einem CommeHtar nebst Einleitung versehen
von Dr. Gabriel Lippmann. Fürth IS39 {ifn
Verlage der JUüllersehen Buehhandluna xu Fulda).
' 21 Seiten Forrede und Einleitung des Herausge-
bers in deutscher Sprache und &1 Blatt hebräische
Text find Comment. 8.
Fiir Leser, die nrchl schon bei der obigen Titel-Angabe er-
schrocken ,,sauve qai peat*/^ .rafen, also für Gelehrte and
Freunde der Philologie \väre es nur gerecht^ wenn ^ir Toraus*
setzten, dafs der Name Ebn Esra keiner ist, den sie nie gehört,
oder dessen sie sich nur mit Mühe eriniierii. Jeder von ihnen
wird wissen , ^afs anter 'den hebrtiischschreibenden Fhilo-
Togen^des Mittelalters Ebn Esra den Ehrenplatz einnimmt, und
dafs, wie man ans Wolf, De Rossi u; a. sieht, die Produkte
seines anfserordentlichen Geistes eben so zahlreich wie reif
wuren. Dre mit der blblischeti Philologie niiher Vertrauten wer-^
den auch den Hrn. Herausgeber des vorliegenden Werks als ei-
nen fleifsigen Bearbeiter der Ebenesra'schen Schriften seit län-
gerer Zeit kennen. Er hat 1827 das wiclitige grammatische
Werk Zachtith mit einem hebräischen Commeutare herausgege-
hen ; 1834 sich -noch verdienter gemacht, indem er ein noch bis
dahin ungedrucictes Werk, Sepher Haschern, edirte und ebenfalls
mit einem hehr. Commentar begleitete. Durch diese firBbem
Leistungen hat er das Vertrauen zu seiner kritischen Fähigkeit
festgestellt^ ob er aber dieses durch seine neuesten Bemühun-
gen gerechtfertigt oder erhdht bat, wollen wir erst dann zu be-
urtheiien versuchen, wenn wir ein Paar Wofte über den neue-
Grammatik^
158
sten Gegenstand seiner Wahl, ttber das Bock Ss^As hemrm
selbst, gesagt haben werden,
Ebn Esra verschmähte es» sich in einen bestimmten Wi^
knngskreis niedei^ulassen, sich einen festen Lehrstuhl zu er-
bauen, von welchem herab er an wifsbegierige Zuh5rer den 8e^ '
gen seiner Gelehrsamkeit gespendet htttte; er zog es vor, die
Weit -zu durchwandern und sieh Ehre nnd Gesehenke Sberall m
holen, statt sich diese von fiberall nach seinem Wohnsitze brin-
gen zu lassen. Wie ganz anders, 'wie viel edlef strebte seüi
jüngerer Zeitgenosse Maimonides. Hätte Ebn Esra zu Toledo,
seiner Vaterstadt, eine Schule erc^ffnet, sie wiirde bald zur Hoch-
schule, geworden sein, zu welcher man voll nah und fem wan-
derte, und sein Genie hätte seinen Ruhm weiter getragen, als
er es mit seinen schwachen Füfsen konnte. Der Kontinent war
ihm zu klein^ er mufste auch England durchziehn; Europa war
ihm zu enge,' auch Asien mufste er besuchen, und zwar, einem
lUeistersUng^r gleich, überall sein Wissen feil zu bieten. Eiü
Mann wie dieser machte sein Leben lang den Reichen den Hof!
Wir glauben, dafs diese Lebensweise vielen Einflnfs auf den
Ton seinei' Schriften hatte. An seinem heimathlichen Heerde.
fHedlirh wirkend, würde er seine Vorgänger mit mehr Liebe
und Schonung bebandelt haben; als gelehrter /Abenteurer em-
pfahl er sich bei seinen Wirthen durch Witzelei, und setzte
sich bei reichem P9bel dadurch in Achtung, dafs er auf ehrwür-
dige Namen schimpfte. Jedenfalls hinderte ihn diese Lebens-
weise, die nSthige Feile an seine Arbeiteii zu legen, da er seine
meisten Werke, GrammotiCen sowohl als Commentare bald auf
Verlangen einer Gemeinde, bald auf den Wunsch eines freige-
bigen Privatmannes ausarbeitete, und diese Gelegenheits - Werke
weiter nicht beräcksichtigi wurden. Dieses ist auch der Grund,
warum wir verschiedene Recensionen eines und desselben Werks
von ihm besitzen. In London schrieb er aiifs neue einen Com-
mentar zu dem Buöhe, das er in Mantua- commentirt; in Rom
schrieb er unter einem neuen Namen die Grammatik, die er in
Rhodus behandelt u. s. w. Unser Sapha berura ist die 5te auf
diese Weise' entstandene hebruische Grammatik. Er selber
spricht sich am ' Ende seiner Einleitung (Bl. 15) so darüber aus : \
„Als einer der Lernbegierigen borte, welche Sprache ich über
die Dichter gefuhrt (er sagt nämlich früher, die Hjmnendicfiter ^
treten die Sprachgesetze mit Flifsen), so verlangte er von mir
die Anfertigung eines Buches, woraus er die Regeln der Spra-
che erkennen konnte. Diese Zumufliung war hart fdr mich, da
ich Über Grammatik schon geschrieben habe, zu Rt^m das Buch
Motnainiy zu Lucca die Bücher /esod und Sepkaih Jeiktry in
Blantua endlich das Buch Zachoik. Er aber antwortete, es würe
keiner im Besitze dieser Bücher, der sie ihm geben wolle; Auch
ich selbst hatte diese Bücher nicht, denn meine Art ist zu
schreiben was mir in den Sinn kommt Xuch sind leiten, und
besonders jetzt, wo mein Herz nicht frei von Zerstreuungen ist
(im Texte falsch pNtDl, es mufs heifsen pfitü). Der Lem-
begierigO) der im Anfange der Verse genannt ist, drang aber so
sehr in mich, dafs ich ihm willfahrte." Dieser Lernbegierige
war ohne Zweifel mit der Arbeit zufrieden, wahrscheinlich viel
zufriedener als die gegenwärtigen Leser. Das,, höchstens zwei
159
HelräiMahe Orammatii:,
160
Bogen ttarke» S^phm hentra ist nir eine kleia« 8ammlaDg gran-
matiscber^ Notizen, keine Grammatik» und diese sind blofBe Rap
auniscenxea, die hier ohne Ordnnug und ohne hinreichende Be-
lege sosammengeworfen sind. Auch an Sprache und Polemik
erkennen wir den Löwen Ebn Esra nicht \^ieder; die erstere
war sonst nicht so zahm, die zweite nicht so wortreich und
doch unsicbtr. Es ist bekannt, dafs manche Werke, die unter
Ebh Esra's Jtamen bekannt sind,' der Hand eines Schillers des«
selben angeboren, der die Vortrftge des Lehrers gesammelt und
unter dqssen JSamen Terhreitete. So z. B. der Commentar za
Exodus. Von Sapha berura glauben wir dasselbe» wenn man
nicht zugeben v/ill, dafs ein nicht ungeschickter Schelm sich
der Sprache und des Namens eines berühmten Grammatikers
bemächtigte, um damit Giiick zu machen. Doch, ist das Opuscu-
lum Ton Ebn Esra selbst, so hat er's geschrieben, als er nicht
mehr Ebn Esra war; starke Spuren von geistiger Altersschwä-
che kommen an mehreren Stellen zum Vorpchein. Wir erinnern
uns auch nicht, das S. B. als ein Ebn Esra'sclies Werk bei
Schriftstellern vor dem 16. Jahrlu erwähnt gesehn zu haben.
Durch Obiges haben wir uns einen schicklichen Uebergang
zar Beurtheiloug des Verdienstes des Hrn. L. vorbereitet. Nach
unserer ausgesprochenen Meinung über das Sapka berura kön-
nen wir die Wahl des Hrn. Herausgebers keine gliickliche nen-
nen. Auch muls man siclk über den Eifer dieses Unternehmens
verwundern, wenn man die dabei benutzten Hiilfsmittel beim
rechten Namen kennen lernt. Nicht etwa eine alte, werthvoUe
Handschrift liegt der Ausgabe zum Grande, wie man «ivs dem
täuschenden Titel zu glauben berechtigt wird, sondern eine
nacbUissig genommene Abschrift von d^r editio princeps (Kon-
stantinopel 1530) ! Diese Abschrift ist nun so fehlervoll, dafs es
dem Hm. L. einerseits sehr leicht war, durch gewöhnliche
Sprachkenntnifs zu verbessern, andrerseits aber sehr schwer
war, bei der grofsen Zahl der Fehler keinen zu Ubersehn. Der
Commentar des Hrn. L. besteht zur Hälfte aus sololien Verbes-
serungen, und da er einmal im Zuge war, nahm er auch Emen-
dationen auf, die füglich hätten Wegbleiben können. Sollte man
es glauben, nicht einmal gesehn hat Hr. L. den gedruckten Text,
geschweige verglichen. Er hat die verstümmelte Abschrift wie
es scheint nur deshalb so eilig abdrucken lassen, damit er seinen
Witz und seine Konjekturalkräfte Üben kann. Wpzu wäre es
sonst so dringend nöthig gewesen, ein qubcdeutendes Werkchen
ins Publikum zu schleudern, ehe man die gedruckte Ausgabe
hat? Wollte Hr. L^ das Buch durchaus ediren, so hätte er sich
vor allem diese verschaffen müssen ; zu haben ist sie ja, wenig-
stens in Parma und Oxford eine Vergleicbung anzustellen; und
hätte er sie nicht auftreiben können, so hätte er seine Neigung
zu ungewöhnlichen Ausgaben noch eine Zeitlang mäfsigen sol-
len. Wie sehr die LUeratur gewonnen hätte, wenn Hr. L. sein
Talent, statt dieser voreiligen Ausgabe, einem wichtigem Codex
der reichen Müjichener Bibliothek zugewendet hätte, sieht man
an seinen Commentarien zu den 3 von ihm edirten Werken.
Seine neueste Arbeil vorzüglich ist so reich an fleifsigen For.
schergaben, dafs man von der Freude darüber das Bedauern nicht
trennen kann, dafii so tdiölne Thätitfceit «ich an eiaen,
obiger Bemerkung, nnzeitigen Gegenstand gefesselt Wie dank-
bar würden ihm die Freunde der Literatur des ftlittelaltera gie-
wesen sein, wenn er z. B. ein auf der M unebener Bibliothek
befindliches Werk des Jehuiä Chimg veröffentlicht hätte! DicMr
Jekuim Ckiug wird seit dem 'Anfange des 11. Jahrhaadertn t«
den jüdischen Gelehrten einsliaunig mit einer Art tob. Knltai^
als ein von Gh>tt gesandter Wiederhenteller der SfraiduDciBhcit
gefeiert, und dennoch ist nichts von ihm gedruckt. Dieser ss
berühmte Mann hat von der Geschichte seiner Lehennverlialt-
nisse keine Spur hinterlassen. Wir wissen nur, dafs er in Nori-
afrika geboren war und wahncheintieh ums Jahr iOOO n. C ge>
Uaht hat. Es wäre daher wohl für seine eigene LehenäjgeneUchts
nnd for die vieler seiner. Zeitgenossen wichtif^ ihn selber sfn-
chen zu lassen, indem ihn eine kenntnilsrelche Kraft "ans dem
Grabe der Bibliotheken herauf hescbwSrt.
Ueber das mehr oder minder Geleistete des Hm. L. geki
wir, nach unserer erklärten Ansicht Ober sein Untemehmen, hä
gleichgültig hinweg. Er gehOrt nicht zu den gewShnlidien /<-
derleichun Schriftstellern der Zeit, die vom Raube oder Gnades.
brote anderer ihre Ruhmsucht oder ihre Familie emnlireB. €1
er da. oder dort geirrt hat, ob er das und jenes hiltte hcsMr
machen konuen, darüber wollen wir mit ihm nicht rechtes.
Dankbar wollen wir ihm jedenfalls für manche literarhintoriidM
Notiz sein, die wir bei ihm zum ersten Male gefunden habei«
^__________^ Lebrecht.
XIV.
{GymnaMiatlehrer v. Gruber in Siralsunef) Ver*
xeichnifs •ämmUicher Abhandlungen in ft^n auf
preufsiicAen Gymnasien ereehienenen Pragrom^
men von 1825 — 1837, nach dem Inkalte ttnset^
echaßlick geordnet. Berlin 1840. Verlag tfon
IV. Logier. 1. US.
Eine nützliche und interessante Zusammenstellung, deren Fort-
setzung und Ausdehnung a^ch Über die nicht-Preufsisdien Gjmnn-
sien und über die Universitäten nach etwa 5 oder 10 Jahren sehr
zu wünschen ist. Auch schon in der gegenwärtigen Ueberstcht
sind die Schulschrifteu einiger weniger fremder Gymnasi«
(Brannschweig, Frankfurt am Main, Schwerin), so wie die gelo-
genhcjtlichcn Abhandlungen der Greifswalder Univenititt ver-
zeichnet Eine grofsere Vollständigkeit wird ohne' Zweifel in
Folge des seit dem Jahre 1837 weiter ausgedehnten^ Program-
mentausches (der aber doch noch nicht ein allgemeiner ist) Statt
finden können. Die Anordnung macht nicht auf wissenschaftli-
che Schärfe, sondern auf praktische Uebersichtlichkeit Anspruch,
und die Rubrik VeruekUd€»ertig€$ nimmt zuletzt noch einiges |
auf, was wohl in andere Rubriken, vornehmlich in die „Ltll^ '
radier" gehört. Als Berichtigung wollen wir nur bemerken, dais
die interessante Abhandlung über die Sixtinische Madonna von.
Michelet im Programm des Berliner Französischen Gymnasiums
nicht französisch geschrieben ist, wie im Veneichnils angege-
ben ist.
i
tl ah
JW- 21.
r b ü
für
c h er
wissenschaftliche Kritik.
Februar 1840.
XV.
Wilhelm Hein se^s sämmtliche Schriften. Her^
ausgegeben von Heinrich Laube. Zehn Bände.
Leipzig, 1838. im Verlag von F. Volhmar.
Das Publikum muGs für die Gesamintausgabe der
Werke Heinse'S) welche noch nie gesammelt erschie-
nen und einzeln theils beinahe unbrauchbar, theils ver*
griifen sind, dem Hrn. Laube oder vielmehr dem Ver-
leger Dank wissen. Denn dieser „verlegende Dueh-
händler", bekennt Laube, habe eigentlich zuerst die Idee ^
hierzu gehabt und er selbst sei zu dem schon fertigen
Unternehmen nur hinzugetreten. So glaubte sich Laube
gegen den Vorwurf decken zu müssen — einen Wil^
heim Heinse wieder an's Licht gezogen zu haben, und
er vertheidigt in der Einleitung eigens sein Beginnen.
War diese sorgsame Verwahrung nothwendig, so
ist sie ein neuer Beweis, Tirie sehr Heinse unter uns
mifskannt wird. Da wir jetzt seine Werke gesammelt
besitzen^ so liegt uns der Versuch nahe, durch eine
Charakteristik i$einer menschlichen und literarischen
Persönlichkeit sein halb erloschenes und entstelltes An*
denken zu erneuern und ein Eudurtheil über den To-
talwerth dieses seltenen, ja beinahe einzigen Schrift-
stellers vorzubereiten. Ich thue dieses um so mehr,
da sich Heiuse's auch sein eigener Herausgeber nicht,
wie er es sollte, annimmt. Vielleicht um nicht in den
Verdacht einer bedenklichen und unzeitigen • Vorliebe
zu kommen, ist Laube in seiner Anerkennung eben so
bedingt^ als in seinem Tadel verschwenderisch.
Johana Jakob Wilhelm Heinse (eigentlich He|nze,
"Wie der alte Thüringer Name seiner Familie war, B.
IX, S. 93) ist in /Langewiesen, einem Stadtflecken an
der Um, bei Ilmenau, im Jahr 1746 oder nach andern
Nachrichten 1749 geboren. Sein Vater scheint hier
. Bürgermeister, Stadtschreiber, Organist und Landschafts-
deputirter in Einer Person gewesen zu sein. Der Uu-»
JffAr6. /. wmemch, Kritih. J. 1840. I. Bd.
terricht, welchen er durch eioen Kandidaten erhielt,
wurde später auf dem Gymnasium zu Schleusingen
fortgesetzt. Er mufs hier einen guten Grund in den
alten Sprachen gelegt haben, denn er las, wie wir aus
seinen Briefen sehßn, lateinische und griechische Diehr
ter und Philosophen im Urtexte. In Jena und Erfurt
sollte er Jurisprudenz stiidiren, aber jedes Brodstudium
war. seinem freien Geist durchaus zuwider, und so ver-
, säumte er es, sich, die Mittel zu einer bürgerlichen
Existenz zu verschaffen, was, da er selbst ganz ohne.
'Vermögen war, seine Zukunft bestimmte und entschie*
den auf»ihn selbst zurückwirkte. Zu den ersten dich-
terischen Versuchen hatte ihn — Hofmannswaldau ge^
reizt, und in Erfurt übte Wieland einen ausschliefs^n-
den Einilufs auf ihn aus. Nach Wieland's Vorgänge
dachte und lebte der Student sich in ein phantastisches
griechisches Lebensideal um so leidenschafilicher hin-
ein, jemehr ^r vom wirklichen Leben gequält wurd^,
und fuhr fort in der Wielandischen Manier die Träume
seiner glühenden Sinnlichkeit poelisch zu gestalten.
Wieland machte den Hülflosen mit dem Beschützer je-
des aufblühenden Talentes, mit Gleim, bekannt. Aber
die Hoffnung auf eine Hauslehrerstelle scheiterte, und
so sclilols sich Heinse in seiner Noth, wunderlich ge«
iiug, an einen Abenteurer, einen eheihaligen preufsi«
sehen Hauptmann an, welcher sich General -Reise -In-
spektor bei der dänischen Zahlenlotterie nannto und-
eine eigene Lotterie anlegen' wollte. Er reisete mit
ihm an den Rhein und von hier nach Baiern,, fand aber
seine Lag^ bald so unerträglich, dafs er, von Gleim wie-
der mit Geld unterstützt, nach, seinem Thüringer Wald
zurückwanderte. Aber eine Viertelstunde vor Länge-
wiesen hörte er, daCs der Ort abgebrannt sei ^. sein Va-
ter hatte nichts gerettet, als sein Clavier und einige
seiner liebsten Bücher. Der gute Gleim schickte dem
Vater Geld, damit er für seine abgebrannten Bäume
. junge pflanzen könnte, und verschaffte dem Sohn eine
21
163
1f. Heintey tämmt/icA0 ff^erke.
164
Havslehrerstelle in Halberstadt.' Hier lebte er unter
dem Namen Rost ^om Herbst 1772 bis zum Frühjahr
1774, wo im Umgang mU Gleim, Klamer Schmidt,
Geerg Jacobi und mit gebildeten Frauen seine brausen-
den Kräfte in*s Gleichgewicht kamen und sein Urtheil
reifte.' Durch G^org Jacobi liefs er sich bestimmen für
einen Gehalt von 300 Thalern die Mitredaküon der
Irü^ einer neuen Zeitschrift, die Friedrich Heinrich
Jacobi in Düsseldorf herausgab, zu übernehmen« Heinse
reis'te im Frühjahr 1774 - über Hannover nach DüsseU
dorf. ,,Ich sehe bis jetst, schreibt er, keinen andern
Weg nach Rom und Neapel und dem Aetna, als über
Düsseldorf.** Hier im Jacobischen Hause, wo er unter
den bedeutendsten Männern auch Goethe kennen lernte,
.führte er seine Bildung nach einem gröfsern Plane wei-
ter aus, und verschaffte durch die Musik, die er eifrig
betrieb , durch die GemSldegallerie in Düsseldorf und
den Umgang mit Malern 'seinem Genius eine eben so
erwünschte als homogene Nahrung, steigerte aber durch
diese 'Kunstgenüsse die^ tiefe Sehnsuclit nach Italien so
sehr, dafs ihn Jacobi endlich mit Geld eur Reise aus-
stattete. Im Juni 1780 sehen wir ihn zu Fufs den
Rhein herauf wandern, Süddeutschland und die Schwelt
durchziehen und von hier über Marseille nach Genua
Und Venedig reisen. In Italien und zwar meistens iu
Rom blieb er bis zum Herbst 1763. Im folgenden Jahr
finden wir ihn wieder in Düsseldorf, und 1787 erhielt
er endlich eine Anstellung, er wurde Lector des Kur-
fUrsten von Mainz, später Kurerzkanzlerischer Hofrath
ui)d Bibliothekar. Er starb im Todesjahre seines ge-
liebten Gleim und Klopstoks, am 22sten Juli 1803.
In diese Zeitperiode ist das Dasein eines ausge-
zeichneten Geistes eingeschlossen, über dessen äufsere
Lebensumstände wir leider nur fragmentarische Nach-
richten aus seinen Briefen an Gleim und Jacobi be-
sitzen. ^
Heinse war von der Natur durch alle Keime sei-
nes Wesens zum Dichter und Künstler bestimmt, ja
auf denselben beschränkt,- und wenn er als solcher das
Höchste nicht erreichte, so trägt hkuptsächlich sein
Schicksal die Schuld, welches er nicht, wie Schiller
das seinige, über;ivand, eben weil er nur Dichter war.
Nicht Mangel an Talent, denn er hatte eine aufseror-
dentliche Leichtigkeit der Auffassung und ein scharfes
Urtheil, sondern eine unüberwindliche Abneigung hi^lt
ihn ab, je eine Brodwissenschaft zu studtren 5 es war
unmöglich , einen anderweitigen ernsten
zweck zu verfolgen, die Triebfedern des Ehrgeizes, des
Besitzes, der blolsen Wifsbegierde u. s. w'. waren für
ihn nicht vorhanden« So sehr beherrschte ihn sein Ge»
nius, dafs er nur diesen ausleben wollte, und ttch nur
in dessen Genüsse glücklich fühlte. '£r erkaanfe die-
ses mit immer steigender Klarheit. „Ein bis an meia
Lebensende fortdaurendes Amt anzunehmen'' sagt er
1776 (B. 8. S. 133) „ist meinem Geiste jetzt ganzitdi
zuwider •'' — «»Ein innerer Beruf treibt und quSlt mich
und reust mich ohne Unterlafs dahin zu den Landen
der Schönheit, um mein Wesen mit allem dem zu ver-
einigen, was das Geschlecht der Mensehen je Gro&es,
Edles und Liebevolles hervorgebracht/' — Und in ähiH
lieber Weise äufsert er sich im Juli 1778 : „Ich bin zi
allem andern, aufser Natur und Kunst, verdorbeB«
Meine Tage fliehen dahin in verzehrendem Feuer^ q.
s. w. Als er seines Wunsches theilhaftig gewordea
war, schlug er alle Beschwerden und Noth für gering
an. In Genf, wo er mit leerem Beutel herumging und
mit einem Gefühl, „als hätte er Galgen und Rad ver*
dient", half ihm nur sein meisterhaftes Billardspiel aus
der äufsersten Verlegenheit^ in Südfrankreieh kämpfte
er mit den grofsten Drangsalen ; in Venedig lag er, un
nicht halb zu erfrieren, des Tages gewöhnlich achtzehs
bis zwanzig Stunden im Bett und brütete über den
Tasso, und afs alle vier und zwanzig Stunden die wohl-
feilste Kost; in Florenz mufste er fiirchten, aas den
Wirthshause, wo er nicht zahlen konnte, und aus der
Stadt, mit Schimpf und Schande hinausgejagt zu wer-
den; in Rom afs er, um das Geld für eine Reise nach
SIcilien zu sparen, wenig anderes, als Milch und Reis.
Aber nichts Von all' dem konnte ilim je eine Klage, ein
Wort des Unmutlis entlocken, und er meinte, Noth sei
der Uhrschlnssel, womit die Springfedem des Hersens
von neuem wieder aufgezogen würden. Nie aber sparte
er das Geld, wenn eine Oper zu h5ren, ein Kunst-
werk zu sehen war, und nie vergafs er des heiligen
Zweckes seiner Pilgerschaft, so wenig als ihm der Kör-
per je den Dienst versagte. ,^Meine Nerven'*, schreibt
er an Jacobi, „sind von Stahl und Eisen ; wenn nur
mein Blut und meine Lebensgeister minder feurig wä-
ren! Ich kann's Ihnen nicht sagen, wie es oft unter*
Wegs gebrannt hat. Müde bin ich nie geworden, mei-
nen Gemslauf über die Purka ausgenommen." In Rom
lernte er Klingern kennen^ und wenn er Ihm einige
US
IV* HeinMey sämmilicAe fVerke.
166
seiner kleineii Märsche ersUihe)' so kam den russischen
General ein Grausen iin (B. 9. S. 161).
Eine solche Wanderlust lag- ganz in seiner Sinnes-
weise. Er meinte, der Mensch, das endlose Geschöpf,
sei dazu gemacht, von Zone su Zone su wandeni, um
mit seiner Seele Besitz zu nehmen von allem, was gut
und schön ist, und das sei sein wahrer und einziger
Reichthum. Er ruft aus: yjch würde vor Gleichgül-
tigkeit erblassen, wenn ich jeden Tag das Nämliche
sehen, thun und handeln müfste." Nach der Lehens«
.weise des Wieland'schen Aristipp such( er alles Gute
und Schöne an sich zu zjehen, was Ihpi dieses wech*
selnde Leben brachte, und es war ein Grundsatz von
Ihm, mit den Glucklichen sein und ihr Glück zu theilen,
ohne es Ihnen zu beneiden oder zu rauben (B. 9. S. 114).
^ie aber sank seine Genufsliebe zur Gemeinheit hinab,
und was Laube sagt, dafs Heinse aller Orten Lieb-
schaften angeknüpft habe, wird er nicht belegen kön*
nen. Wäre er nicht ein siCtenreiner Mensch gewesen,
er würde in der Jacobischen Familie nicht geduldet
worden, nicht der Freund des Fritz Jacobi geblieben
sein. Er trennte seine Freude nicht von der Tugend.
i^Sie sind ein glücklicher Mann*', schreibt er an Jacobi,
,^und mit allen Tugenden, t(^erth es zu sein — unddieji
üt da% AocAste Loos der MsuMchkeir (B: 9. S. 235).
Nirgends hören wir ihn ein hartes Urtheil über Andere
aussprechen^ so himmelweit er auch von sentimentaler
und indolenter Gutmüthigkeit entfernt iit Für men-
schenfreundliche Neigungen war er wie geschaffen.
An seiner Familie scheint er 'mit inniger Liebe gehan-
gen zu hahen, er nennt seinen Yater einen der besten
Menschen, die er kenne, und die Schilderung desselben
beweiset seine kindliche Liebe (B. 8. S. 61). Es fin-
den sich noch Bruchstücke von seinen Briefen an seine
<em und Geschwister vor, in welchen sich die wärm*
ste, kindliche und brüderliche Tbeilnahme- ausspricht
'Das schönste Document seines Gemüthes ist aler sein
inniges Verliältnifs zu Gleim, welchen er Zeitlebens als
seinen Wphlthäter enthusiastisoh verehrte. Noch im
Jahr 1796 sehreibt er ihm: „Ich Sie vergessen! — Sie
waren der Mann, der sich suerst meiner annahm, mich
jtmgen herumirrenden Witden groCsmüthig in die Welt
einführte, immer als väterlicher Freund für mich sorg-
te!*' -^ Mit so fester Anhänglichkeit schlofs er iich
Mch an Fritz Jacobi und dessen Familie an, und er
scheint überhaupt etwas Yertrauenerweckendes und eine
V
grofse Anziehungskraft gehabt zu haben, dals -er überall
Freunde und Bekannte fand, unter denen in Rom uut
der Maler Müller genannt werden mag.
Laube in seiner voranstehenden Biographie nennt
unsem Dichter an mehreren Stellen eitel. Ich wübte
aber nicht, mit welchem Rechte ihm diefs Prädikat in
einem höherem Grade zugeschrieben werden konnte als
dem Ersten Besten, z. B. Goethen.
Wie er für Lebensgenufs und Freundschaft em-
pßinglich war, so setzte er dem Ungemach und der
MifsgjLinst die Festigkeit einer starken Seele entgegen.
„Dieses, schreibt er schon 1772, war in der kleinen
Zahl meiner Lebenstage immer die Hauptquelle meiner
Glückseligkeit, dafs mir die Natur einen Geist gegeben,'
welcher Uebel erdulden kann, unter welchen andere
Geister in die Sphäre des armseligen Pöbels hinabsin«
ken müfsten" u. s. w. Er meinte, die Natur habe ihn
mit einem guten Humor ausgesteuert, womit er alles
Düstere von sich wegscherzen könne. „Sie wissen,
schreibt er einmal an Jacobi, dafs ich mit leichtem
Schritt einen tüchtigen Bündel Noth forttragen kann/'
Allenthalben ist es ersichtlich, dafs sein unverwüstli-
cher Frohsinn auCser seinem festen Körper einen er«
habenen geistigen Hintergrund hatte. „Was in mir ist,
macht mich erst allein^ stoiz und glücklich, und wenn'a
mir eine Hölle von Teufeln ableugnete, und kein Ruf»
Irein Titel, kein Rang.**
Diese hohe, stolze Gesinnung kehrte er, wenn es
sein mufste^ den Menschen entgegen. Nie, sagt er
selbst (B. 8. 8. 76), sei Menschenfureht in ihn gekom-
men. „Frei wie ein Grieche kann ich unter Sklaven
leben, und spartanischen Muth dem anbieten, der mir
das Joch der Knechtschaft auflegen will." „Ich bin
ein ho freier Mensch", heifst es an einer andern Stelle,
„als vielleicht einer auf Gottes Erdboden herumgeht.**
Diese Selbstständigkeit des Ciiarakters bildete sich bei
ihm zu einer wahrhaften republikanischen Denkungsart
aus, und Laube hat sehr Unrecht, seine hierauf hindeu*
tendeu' Aussprudle als blofse Wallungen eines erhitzten
Blutes auszulegen. Sie flössen vielmehr nothwendig
aus seinem innersten Wesen. Als Klinger in Rom da-
mit umging, ihn zum Bibliothekar des Grofsfürsten zu
machen, äufserte er sieh (B. 9. S. 155): „Wer in das
Haus eines Despoten geht, bleibt ein Sklave, ob er.
gleich frei hineinkam, und weit vom Hofe, weit von
der HöUe'', welche Worte er später noch, in Mainz,
167
JV. HeinMB^ MämaUliche fVerke.
168
seinem Ardiiingello in den Mfund legte« ^Jü den Him-
mel, sagt er in einer andern Stelle, würde ich, wie in
eine Hölle, gehen, wenn ich meine Freiheit darin ent-
behren sollte'' (B. 8. S. 38). Noch am Hofe des Erz-
bischofs von Mainz nennt er sich ein Kind der Natur;
er sei seiner guten Mutter treu geblieben, und weder
Hof noch Rom hätten ihn von ihr abgebracht. So we-
nig Gefallen er an dem neuern Staatsleben aber auch
hatte, so war er mit Gleim doch ein Verehrer Frie-
drichs des Grofsen, und der franzosischen Revolution
wie es scheint, nicht hold. Wenigstens nennt er die
Einführung der Republik in Mainz eine 'Freiheitsfarce
(B. 9. S. 2^1).
Sc\|on im väterlichen Hause und nachher im Gym-
nasium zu Schleusingen scheint ihm das Christenthum
durch den lutherischen ' Katechismus und als Dogma-
tik in dürren orthodoxen Formeln aufgenuthigt worden
zu sein, wodurch es ihm fijr immer zuwider wurde.
Di^ christliche Religion und Kirche als solche waren
für seine Ueberzeugiingswelt gar nicht vorhanden. Doch
schlägt eine tiefere religiöse Empfindung durch seinen
poetischen Natursinn, als jsie den Griechen je zu Theil
werden konnte; und als ihm einst als Jüngling zuge-
muthet wurde, Spottgedichte auf die christliche Rcli«
gion zu machen, erklärte er, unmöglich sich so weit
erniedijgen zu können, er könne sich nicht zwingen,
Leuten, die, ohne zu wissen, warum, Religionsverächter
seien, auch nur ein freundliches Gesicht zu machen.
Ohne Achtung vor Religion würde er gewifs sich nicht
in der Freundschaft des Jacobi erhalten haben, obgleich
er im Anfang seiner Bekanntschaft mit ihm meint,
Jacobi stecke npch tief im VarurtheiL So nennt er
gemeinhin alle Anhänglichkeit an das geschichtliche
Ueberlieferte.
Dagegen lebte Heinse ganz in den Werken der
Alten und in dem Besten , was die gebildeten Tölker
der neuern Zeit in Kunst und Literatur hervorbrach-
ten. Als ihm Jacobi Yossen's Odyssee nach Italien
^sandte, machte er aus der blofsen Erinnerung (denn
das Original hatte er nicht in seine Jagdtasche stecken
können) Berichtigungen (B. 9. .S. 228). Nach Haus
zurückgekehrt,, las er zum Ersatz für alles, was er
entbehrte — („Es ist bei uns alles so kalt, so kalt,
mufste er klagen, und kein edler Geist findet Unter-
stützung") — die. Alten, und wenn er irgend eii\e Ge-
sellschaft junger Freunde wufste, meinte er, um ibnen
die Lust an den heitern Griechen mit dieser Götter-
spräche mitzutheUen , wollte er sich sogleich Tvieder
auf den Weg machen. Nur „zum Sehulmeisterlebea
auf Universitäten spüre er keine Neigung." £r hatte
die Alten in Geist und' Wahrheit lebendig aufgefalsl,
und wufste in reiferen Jahren ihnen gegenüber Bi^ gut,
als Goethe „dichtend und denkend die Eigenthamlieb.
keit seines . Geistes zu behaupten." „Jeder arbeile für
das Yolk, spricht er, worunter ihn sein Schicksal ge-
worfen, und er die Jugend verlebte, suche dessen He^
zen zu erschüttern, und mit Wollust und Entzuckca
zu schwellen; suche dessen Lust und Wohl zu un-
terhalten, zu verstärken und zu veredlen, und Iielf ilm
weinen, wenn es weint. Was geht uns Vorwelt und
Nachwelt an! Jene ist vergangen" u. s. w. (B.'8 . S. 168)i
Die meisten ausländischen Sprachen verstand er, das
Italienische sprach er sogar in den verschiedenen Mmid-
arten. Ein weites Feld des Gelesenen, des Gesebeoea
und Gehörten stand seinem glücklichen Talente anges-
blicklich zu Gebote.
Laube spricht Heinsen, im Gegensatz von Lessing,
nur eine reiche Empfänglichkeit zu, und sagt, sein
Urtheil über gleichzeitige Literaten sei nur selten be-
deutend gewesen. Wie wenn der Dichter auf Keeep«
tivität beschränkt wäre, und nicht auch . die weitere
Fähigkeit nöthig hätte, das Aufgefafste poetisch zu ver-
arbeiten! Aber aufser dieser dichterischen Bildungs-
kraft besaPs Ileinse oflfenbar ein aufserordeutlich festes,
sicheres^ immer den Hauptpunkt treffendes Urtheil Ober
Bucher und Menschen, gleichzeitige pder frühere, woraaf
es hierbei ja gar nicht ankommt, eben so, wie über Mti-
sik, Gemälde, Statuen, Gebäude und andere Gegen«
stände, und beinahe überall sind* seine Urtheile nicht
allein geistreich und eigenthümlich, sondern selUagend
richtig. Von Goethe schreibt er am 13. December 1774
von Dusseldorf aus : „Goethe war bei Uns, ein schoiier
Junge von fünf und zwanzig Jahren, der vom Wirbel
bis zur Zehe Genie und Kraft und Stärke ist; ein Hers
voll Gefühl, ein Geist voll Feuer mit Adlerflögeln, qd
ruit immensus ore profunde.'' Und .am. 13. Ooteber:
„Ich kenne keinen Menschen in der ganzen gelehrten
Geschichte, der in solcher Jugend so rund und voll
von eigenem Genie gewesen wäre, wie er. Da ist
kein Widerstand ; er reifst alles mit sieb fort*' u. s. w,
(Die Fortsetzung folgt)
Jtf* 22.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Krit ik.
Februar 1840.
Wüh^lm He in 80' 9 sämmiltehe Schriften. Her-
magegeben f^on Heinrich Laube.
(Fortsetarang.)
In einem spatern Briefe aus Rom (B. 9« S. 81)
kann er Leesing'9 Meinung, dafs nicht viel aus Goetlie
werden werde, niclit beipflichten. Ueber eine Menge
bekannter Männer^ mit denen er in Düsseldorf, Zürich,
Genf, Rom zusammenkommt, enthalten seine Briefe die
treffendsten Aussprüche. So ist aucb alles, was er über
frühere Schriftsteller sagt, gleichsam aus 9ct Wahrheit
selbst herausgegriffen, und beweis't eben so viel Ter«-
•tand alt Bildung. Eine metaphysische, reichhaltige
Gedankenader zieht sich durch alle Periöden seiner
Entwiekelung, und fibeirasGhei;id treten uns allenthal-
ben in seinen Schriften tiefe philosoplüsche Ideen ent-
gegen.
Seine Beobachtungsgabe ist auch in der Schilde-
rung angedeutet, die uns Jung Stilling von seinem Aeu-
Isern gibt, der einzigen, welche wir bis jetzt von ihm
besitzen: „Heinse, der sich durch sch5ne Schriften be-
rühmt gemacht hat, war ein kleines, junges, rundköpfi«
geS Männchen, den li^opf etwas nach einer Schulter
gerichtet, mit schalkhaften hellen Augen, und immer
lächelnder Mjene; er sprach nicht, sondern beobachtete
nur; seine ganze 'Atmosphäre war Kraft undUndurch*
dringlichkeit, die alles zurückhielt, was sich ihm nähern
wollte." Aus dem Briefwechsel (B. 8. S. 275) erfah-
ren wir, dafs Heinse sein Portrait, von Eich gemalt, an
Gleim geschickt hatte." Hätte Laube sich nicht bemü-
hen sollen , durch Mittheilung seines Bildnisses uns
eine Anschauung von dem Manne zu verschaffen, der
selbst, Goethen ausgenommen, mehr als ein anderer deut-
scher Schriftsteller, alles zu veranschaulichet suchte!
Sein Facsimile wenigstens hätte er uns nicht vorent-
halten sollen.
Die fröhliche Tüchtigkeit seiner Geisteskräfte wurde
Jahrh. /. trtuenicA. Kritik. J. 1840. I. Bd.
durch eine blühende, stählerne Gesundheit unterstützt
In Düsseldorf, im Jahr 1778, wurde er zum erstenmal,
wie der Arzt sagte,, aus Ueberfülle strotzender Gesund-
heit heftig krank. In Italien, bei einer ärmlichen Kost;
bei Beschwerden und Nöth, bei kaltem Wetter in sei-
nem abgetragnen, dünnen Rockchen, war er immer ge-
sund. Die Römer sagten von ihm, er sei mehr für ihr
Klima geboren, als sie selbst, und mit Haut und Haar ^
am Körper der Sallustische Katilina (B. 9. S. 199). Er
reisHe, seine Jagdtasche nm die Schulter^ beinah im-
mer zu Fub — damals ein seltenes Beispiel «— und
wie er alles mit Macht trieb, so machte er die ange-
strengtesten Märsche. „Ich halte das Reisen zu Fufs,
oder, wenn man schwach und steif ist, zu. Pferde für
die einzige, wahre Art, zu Land zu reisen: im Wagen
bleibte ein abenteuerlich Stubensitzen und eine folternde
wandernde Modekerkerei" u. s. w.
Nach allem dem tragen wir kein Bedenken, das
Urtheil, welches der Maler Müller über ihn fällte, zu
unterschreiben, dq/s Heinse eine doppelte Grundeäule
von Kunst und ursprünglicker Menschheit geufe»
sen sei.
So stellt sich Heinse in seuien Briefen dar, und
wie er sich hier unvrillicührlich gibt , so webte und .
lebte er, das ist ohne Zweifel sein achtes Bild.
Diesen Briefen scheint Laube nur einen unterge-
ordneten Werth beizulegen — er wirft ihm eine unor-
dentliche Schreibart vor, doch bessere sich hie und da
der Stil; überhaupt sei Heinse nicht für den ,,erklä-
rendeu, ausfüllenden'* Brief gewesen, aus Italien habe
er lange Briefe an Jacobi geschrieben. Was kann es
aber Schrecklicheres geben, als „ericlärende und aus-
füllende*' Briefe I — Freilich in Hemse*s frühesten Brie-
fen an Gleim herrscht die Sprache eines schwärmeri-
schen Jünglings, der seine Begeisterung, halb mit Fleifs,
poetisch ausschmückt; um sich bei dem Dichtergreis
in Kredit au setzen, und der wohl^ auch mit citirten
22
171
fV.
• ^
sämmilieAe Werke*
172
Didhterstellen und Belesenheit einen leeren Prunk treibt
Hierauf hat JLaube mit Recht aufmerksam gemacht, nur
hat er. in seinem Eifer, seinen Schriftsteller ,,krihl an-
süsehen", unbeachtet gelassen, wie gefällig und anmu-
thig und durchaus sprachrein auch schon diese Jugend-
briefe, sind. Aber.Heinse's Briefe von Düsseldorf, der
Schweiz und Italien gehören zu den treflflichsten, die
wir im Deutschen besitzen! Sie vereinigen mit einem
freien , graziösen Gang und den iibrigen Reizen des
ächten Briefstils einen so mannigfaltigen, unmittelbar
menschlichen Inhalt, dafs ihnen sogar die Korrespon-
denz zwischen Schiller und Goethe in dieser Hinsicht
weit nachsteht. Diese Briefe zeigen ihn uns in den
verschiedensten Gemüthszuständea und im Fortgange
seiner Bildung. Jeder Satz ist ein Zeugnifs seines In-
liern, und alles spielt in dem frischesten Leben.
Man muls in dem Leben Heinse's drei Perioden
unterscheiden :
1) Die Jugendperiode, bis zu seiner Abreise von
Halberstadt nach Düsseldorf im Jahr 1784.
2) Die Periode der Ausbildung in Düsseldorf und
Italien durch das Studium der Alten und Italiener, pla-
stische Kunst und Musik, bis zu seiner Rückkehr aus
rtaUen im Herbst 1783.
3) Die Periode der Reife von 1783 bis zu seinem
Tode 1803.
In die Jugendperiode fallen der Reihe nach fol-
gende Schriften: Sinngedichte^ Begebenheiten deM
Enklop auM dem Satyrikon des Petrouy die Kireehen
uvkA Laidion oder die Eleueinitehen OeheimniiMe.
Nur die erste und 4ie letzte Schrift sind Originalauf-
sätze. Von den Sinngedichten läfst sich freilich im
Voraus von einem ein und zwanzigjährigen Jungling
wenig erwarten; es sind meistens lyrisch ausgespro-
chene unbedeutende Gedanken. Das leichtfertige Ge-
dicht, die KincAeny ist von Dorafs Cerises ins Deut-
sche überarbeitet. In diesem Gedichte, und in den bei-
den angehängten Idyllen, die eilfertige Schdferin^ und
die Schafer9tundey überbietet die sinnliche Gluth des
„Feuergenius" seinen Meister Wieland in nackter Dar-
stellung der Geschlechtsverhältnisse. Das letzte und
wichtigste Werk der Jugendperiode war JLmdion oder
die JEleu^iniechen Geheimnisse — wie Laube sagt,
ein Dithyrambus nach griechischen, und, konnte man
hinzusetzen, Wielandischen Studien. Es wurde zu &•*
fürt begonnen und zu Quedlinburg 1771 geendigt (B. 8.
S. 80). Es sind lyrische Briefe der auf den Abend-
stem in's Elysium versetzten bekannten Scbdiien, Lais
von Korinth, an den Weisen Aristipp, der noch auf
Erden weilt. Die Himmelserhöhung der Lais, das Ge-
rieht, welches von Orpheus^ Solen und Aspa^a uMr
sie gehalten wird, die Genüsse dieser und anderer grie-
chischen Celebritäten im Elysium, der Lebenslauf der
Lais auf Erden, die Gespräche, Vergnügen, Bescshäfti-
gungen der Seligen, und durch alles dieses die Datle- '
gung einer heiteren, auf sinnlichen und geistigen Geauls
abzielendei^ Lebensphilosophie, überall mit lewu foe-
tbchen Anspielungen auf die bestehende Religion , auf
die Scholastik der Wissenschaft und den unnatürliehea
Zwang der bürgerlichen Verhaltnisse — dieis ict der
Hauptinhalt dieses, ganz in Phantasie schwebenden
Gedichts. Nur wo Heinse die Lais ihr Erdenleben be-
schreiben lafst, wird die Darstellung fester und anachm.
lieber. Aber nirgends verliert sieh diese überirdiaebe
Schilderung in Schwulst und in's UeberschwengUdiei
und der Auläruck ist überall vortrefflich. Auch in der
Form erinnert üianches an Wieland, z. R. die in
Prosa eingeschobenen poetischen Stellen, und die
rarischen oder didaktischen Ueberschriften der einsdnea
Briefe, welche die Illusion sriir unterbrechen und stö-
ren, indem sie immer an den Verfasser erinnern.
Diesen Eleusiniscfaen Geheimnissen ist die ersts
Hälfte des fünften Gesanges eines unvollendet^^ Hel-
dengedichtes angehängt, welches in den Zeiten Ale-
xanders des Grofsen spielen und aus zwanzig Blichen
bestehen sollte. Heinse hatte sich für die Ausarbeitung
des Ganzen zehn Jahre festgesetzt. Es sind die «sten
Stanzen, welche nach der ganz regelmäfsig italieniacbea
Form in fünf weiblichen Reimen Im Deutsefaen gedich-
tet worden sind, und sie möchten an musikalischer
Schönheit von keinen andern in unserer Sprache Ober*
troffen werden.
Die erste Stanze heifst:
,,0 %ckwth9' doch nun auch zu mir hernieder^
Du tchöMUs Kind der hellgeitirnten Xachtl
Zum drittenmal hab* ich voll Feuer wieder
Den Morgenstern mit mattem Blick erwacht.
Ei locken dich der Nachtigallen Lieder^
Der ßlüthen Duft, von Lünen angelacht
So süfiy ali ob im Schatten dieser Baums '
Endymion von ihrer Liebe träume."
Dieses Fragment und hauptsächlich zwei Strophen wa»
ren es, derentwegen sein bisheriger Gönner Wieland, in
173
i^ Hein$ej sämmtiicAe Werke^
174
einem Briefe an Gleimt seinen lieftigen Zorn gegen
Heinse ausschQUete, weil er in denselben allen litili-
eben Anirtand. verletat habe. Wieland fühlte sich in
feinem Reeht, schlüpfrig zu schreiben, beeinlräohtigt,
und was or selbst bemäntelte, das sah er aaf einmal
¥on seinem Schuler an den lichten Tag gestellt« Grur
b$r in seiner Biographie Wieland*s (B. 3. S. 113) gibt
über diesen interessanten Streit die näheren Aufschlüsse,
und Laube hat das Vertheidigungsschreiben Heinse's
aufgenommen, worin er dem guten Alten begreiflich
maoht,' ^dafs er das ganse vollständige Magazin chirur-
gischer Instrumente zu seiner Kur nicht nothwendig ge-
habt hatte, denn er habe keines Sokrates bedurft, der
ihm beweise, dab das moralisch Schöne keine Chimäre
seL"- Der ganze Brief ist ein vollgültiges Document
von der ehrenhaften Gesinnung seines Verfassers. Wie
kann Laube (B. 1. S. XXJ^Y) den Ausfall Wieland's
auf die Kir$e/ten beziehen, die doch nur eiue Ueber-
wie für das Schöne in der äufsern Natur, ging eben-
falls aus seinem, ganzen Wesen hervor, und fand ili
der^ Gemäldegallerie zu Düsseldorf die erwünschteste
Befriedigung. Allef , wofür er sich intercssirte und
thätig war, gliederte sich zu einem vollständigen Sy-
steme ab, und fiel in einen Mittelpunkt seines Lebens
zusammen. J^We seine sonstigen Beschäftigungen hal^
fen sein poetüc/icM^ schriftstellerisches Talent ausbilden^
und lieferten demselben Material. Er schrieb über Ma-
lerei, Bildhauerei, Musik und über das Schachspiel.
In dieser mittlem Periode erschien von ihm in der
Iris das Leben des Torquato TasMO und als Probe
eine Uebersetzung des befreiten Jerusalems, die Armida.
„Ich wollte den Deutschen nur Gelegenheit yerscliaffen,
durch den Tusso mich in einen guten Stand zu setzen —
allein sie sind und bleiben Barbaren, bei denen alles
im Unkraut aufwachsen und sich selbst forthelfen mufs."
Doch machte^ er sich später in Italien auf den Antrag
«\
Setzung des Dorat sind, und in welchem Gedichte von des Professors Klein in Mannheim (B. 9. S. 62) aber-
einer Lisette, aber nicht von einer Almina die Rede ist,
die allein, sowohl in den Stanzen, als in dem Verthei-
digungsschreiben Heinse's an Wielund (B. 10. S. 97)
genannt wirdi
In seiner xtaeiten hebensperiode ^ in Düsseldorf
und Italien, suchte sich Heinse auf die seiner Natur ei-
genthümliche Weise zu entwickeln, und schriftstellerte
nur, um sein Leben zu fristen« Das Studium der Al-
ten und Neuern, der Umgang mit geistreichen Männern
und Frauen im Jacobischen Hause und auf Reisen, eine
leidenschaftliche Beschäftigung mit der Musik und der
plastischen Kunst, Billard- und Schachspiel, körperliche
Uebungen, wie das Schlittschuhlaufen und das Fufsrei*
seui und endlich sein Aufenthalt in Italien vollendeten
seine körperlicl^ und geistige Bildung. Wie Schiller
seiner Poesie durch Philosophie und Geschichte, Goethe
der seinigen dY»(;h Naturwissenschaft und plastische Kunst
eine feste Unterlage gab, so kam Heinse seinem dichte-
rischen Talente durch eben diese bildende Kunst und
mals an diese Uebersetzung. Er gofs das schon Ueber-
tragene in Venedig völlig um, und brachte hier das
Ganze zu Stande. „O Tasso, Tasso ruft er aus,. dein
befreites Jerusalem hat mir viel' zu scbaflfen gemadit!
Beinahe wäre ich, wie du, darüber zum Narren gewor-
den*' u, s« w. In Rom übersetzte er auch noch den
Ariost^ einen ihm viel verwandtern und von ihm mit
Recht viel höher gestellten Geist — beide in Prosa.
Läfst man prosaische Uebersetzungen poetischer Pro-
duktionen gelten^ — und wer möchte dieüi nicht, nach-
dem ihnen Goethe auf eine so einleuchtende Weise
für gewisse Kulturkreise das Wort geredet hati — so
kann man diesen freien Heinsischea Uebersetzunscn den
Werth nicht absprechen, wie es Laube ungerechter
Weise geUian hat (B. 1. S. LXXI). Wie unbUlig wäre
es auch, das Ideal einer vollendeten Uebersetzung un«
serer Zeit in das Jahr 1781 zurückzusetzen! Liegt denn
die Form eines poetischen Werkes allein in dem Rhyth-
mus? Wenn uns eine Uebersetzung das wesentlich Poe-
dorch Musik zu Hülfe. Die Musik scheint er schon ' tische wiedergibt, wollen wir es ihr nachsehen, wenn
mit der Muttermilch eingesogen zu haben, seine Fami-
lie war musikalisch^ bei seiner Reise von Halberstadt
nach Düsseldorf wurde er in Hannover wegen seines
Clavierspiels bewundert, und in Dusseldorf scheint er,
wie mau aus semen Briefen aus Italien sieht, in den
musikalischen Kreisen als sachverständiger Meister ge-
golten zu haben. ^ Der Sinn für plastische Kunst , so
sie die metrische Form zurückläfst, welche von mancher
Uebertragung nur mit Aufopferung des inn^m poeti-
schen Geistes erreicht wird. „Yers und Reim sind nur
Verzierung, sagt Heinse mit Bezug auf Boccaccio, wie
Licht und Schatten bei der Malerei, und nicht das We-
sentliche.**
In der Irii erschien von Heinse in dieser Periode
175
H^. Heinis^ $ämmtl$eAs Werts.
176
auch eine LebembeMekreüung der Sappho^ m\X wel-
l^her 'Dichteriii er sich schon frQher beschiftigt hatte.
Diese Arbeit gewann ihm das Wohlwollen vieler Ga*
lehrten von strikter Observane, und wurde von ihm
selbst hochgeschätst (B. 8. S. 123). Dann Obersets-
te er die Briefe der Theanö an junge Frmien
aus dem Griechischen und verfafste einige kleinere Auf*
Sätze: Erziehung der TocAier, FrauenzimmerbibHö*
thek und Öe$ckiehte des Kalenders. Auch gab er
1775 in zwei Bänden Erzählungen fUr junge Da*
men und Dichter heraus, die aber nur weniges von
ihm selbst enthalten«.
Das. bei weitem Beste aus dieser Periode sind aber
seine an Gleim gerichteten und zuerst im Merkur er«
schienenen Kumtbritfe über die Oem&ldegallerie zu
Dllsteldorf zu welchen auch ein langer abhandelnder
Brief aus Rom an Gleim über das alte Tibur und die
Umgegend gerechnet werden kann (B. 9. S. 154 ff.).
Man muCs sich wundern, dafs Laube diese meisterhaf-
ten Schilderungen in Briefform in Heinse's Korrespon*
' denz m|t Gieim einrangirte, und die Gründe, warum er
es gethan haben will (B. 1. S. LXXYI), sind doch gar
zu sdiwach. 99 Als Pfeffel hörte, erzählt Heinse, dais
die Beschreibung der Amazonenschlacht von mir wäre,
so fiel er mir um den Hals und küfste mich, wie -seine
Braut, und sagten es sei ihm gewesen, als ob er auf
einige Momente sefai Gesicht wieder bekäme, und eins
der h5chsten Meisterwerke der Kunst anschaute*' (B. 9.
S. LXXXYI). Gleichermafsen entsiickt spricht sich
Bahel hoch im Jahr 1808 über diese Gemäldebriefe aus:
^,Warum hast Du mhr das Buch nicht viel heftiger em-
pfohlen! da Du doch von SchlegePs Gemäldebeschrei-
bung so eingenommen bist! Wie ganz anderer Art sind
die Heinl^e'sl Dem hat Gott seine richtigen fünf Sinne
gegeben -^ vor allen ein weites Gesicht — und dann
den köstlichen, von Musen und Grazien bereiteten, von
' Apoll bewilligten, dazu, der sie alle zusammenhält; kann
mir wirklich einen gut ausgestatteten, einen solchen
nicht denken, ohne einen Areopag von Göttern, die
ihm Gaben mitgeben auf die Erde*' u. s. w. Zuletzt
sagt sie, dafs sie seine Arbeiten nicht kenne, aber das
„Eigene, Herz und inneres Leben Ansprechende, was
er selbst bat, müssen sie immer haben.'* Rahel hält
also Heinsen selbst für einen Maler. Und er war es,
ein Maler des iVorts! Diese ' Schilderungen scheinen
mit der grölst«n Leichtigkeit- bingeworfeii in aeiny aber
aus manelien Andeutungen sieht man, dafs -unser Mei-
ster des Stib mit grofser Soi^fait aehrieb. „Man liesl
so etwas, sagt er in Bezug auf die Gemäldebriefia, wie
anderes Geschreibsel, ohne daran cu denken, wie vid
Studium hat vorhergegangen sein müssen, ehe as da
sein konnte, und wie wenig Gründliches und Zweck-
mäfsiges von Alten und Neuen,' seliist von den vergol*
terten, über die Kunst ut gesagt worden** (B. 8. S. 2S2^
60 ist die bekannte Beschreibung des SchaflThaiiser
Bheinfalls die dritte von ihm geschriebene, er batu
deren vorher schon zwei gemacht an Ort und SteDt
(B. 9. S.'87). Vorläufige Nachrichten Ober die Düssel-
dorfer Galferie, eine geistvolle Theorie des Sdiüaen,
der Kunst und de» Kunstgefühls« eine unvergleichliehe
Charakteristik einiger Maler, besonders des Rubens, das
Yerhältnifs der Kunst zur Natur, der Maleret zum Wor^
und dann zwischen all' dem, was die Hauptsache is^
die Beschreibung einer Reihe von Gemälden, des Johan-
nes in der Wüste von Rapbael, der heiligen PamiGe
von Michel Angelo, der Amazonenschlacht, des Sanheiib
von Rubens und von andern, alles in der freisten und
buntesten Zusammenfügung, wie ein anmutbig^ Spa-
ziergang durch einen englischen Park, mit überall her-
vorblitzender Originalität des Verfs., jedes Bild im ei-
gensten Kolorit des Gefühls und des Ausdrucks — dieb
ist der Inhalt und die Gestalt der Briefe, die schwer-
lich ihres Gleichen haben. Die hier beschriebenen Bil-
der sind in Bilder des Wortes verwandelt, und Interpie-
tiren sich selbst, und es ist, als wenn sich jedes Gemälde
eine eigentiiümliche Sprache gebildet hätte,-um ein kw^
tes, höheres Leben in der menschlichen Rede zu finden.
In die dritte Lebensperiode fallen Heinse's be-
rülimteste Werice, Ardhingelle oder die glückseligen
Inseln und Hildegard von Hohenthal, wozu nocb
eine Schrift, Anastasia oder nber das SckacAs/riJ^
kommt. ^ Mit seinem Hauptwerke, dem Ardhingello,
scheint er sich schon in Italien beschäftigt zu haben,
fertig wurde es aber erst nach seiner Zurückkunfl, und
im Jahr 1787 gedruckt; die Hildegard erschien Im Jahr
1795, und das Buch über das Schachspiel in seinMi
Todesjahr, 1803. Das erste Werk besonders machte
aUfserordentlkh viel Aufsehn, alle drei erlebten neue
Aufilagen. lieber ihre Abfassung wissen wir eben so
wenig, als über Heinse's letzte Lebensjahre.
(Die Fortsetzung folgt.)
'■.>¥• 23. ■
Jahrbücher
I -
f»«
u r
wissenschaftliche Kritik.
iPebruar 1840.
Wilhelm Hein$e't sätnmtliche Schraten, Her-
au9gegeben von Heinrich Laube.
(Fortsetzung.)
Der Roman Ardhiogello gehört nicht nur deswe-
gen mit Heinse ganz tusammeD, weil sein Name an
dieses berühmte Werk geknüpft ist, sondern auch des-
wegen, weil er den Charakter des Helden aus sich
selbst construirt bat. Nicht nur Ardbingello, sondern
auch die übrigen Menschen, welche Heinse darstellt,
sind von ausgezeichnet scAöner Bildung, und es schei-
nen dem Dichter für die Zeichnung der meisten antike^
Göttergestalten vorgeschwebt zu haben. So ist Tolo-
mei ein junger Bacchus, dem Demelri fehlt zu einem
Zeus nur Donnerkeil und Adler, Fulvia ist eine Bac-
.chantin, Lucinde eine bezaubernde Heilige, den Ardhin-
gella selbst hat sich Heinse offenbar als eben zweiten
Apollo gedacht. Man sieht dies sogar in vielen einzel-
nen Zügen. So. wirft Ardhingello seine Cither über
die Schulter, „dafs sie stürmisch erklingt" (B. 1. S.
116), er ist ein anderer Apollo, der vom Apennin her-
abgekommen (B. 1. S. 126). In diesen Gottmenschen
nun hat Heinse seinen eigenen unbändigen, alles über-
wältigenden und doch zugleich besonnenen und milden
Charakter, und die meisten Züge der Neigung und
Kultur aus sich selbst hineingetragen. Wie Heinse
selbst, reist Ardhingello zu Fufs (B. 1. S. 115), ist er
ein junger Pilgrim, der nach dem Vortrefflichen auf
Erden wandert (B. 2. S. 36), spürt er hichts von der
Seekrankheit (B. 1. S. 133), spricht er: „O güüget
Himmel, lafs mich nie an Einer Stelle bleiben!" (B. 1.
S. 161), spielt er Schach (B. I. S. 191), ist er gekräf-
tigt lind ausgebildet am Körper und schliefst eine un-
geheure glühende Lebenskraft in sich, die ihn naeh
kurzem Schlummer oft vom Lager auftreibt (B. 1. S.
12^) u. s. w. Bei beiden 4ie gleiche Sehnsucht nach
dem Archipelagus, dieselbe Abneigung vor dem moder-
Jahrb. /. msientch, KriSik. J. 1840. I. Bd.
nen Staatsleben und Kirchenglauben, dieselbe leiden-
schaftliche Begeisterung ffir die nackte menschliehe
Gestalt, dasselbe menschenfreundliche Gemüth! (B. 1.
S. 51.) Beide sind stolze, grofse ' Menschen, die den
Tod verachten (B. 1. S. 95, 98 und 132).
Dieser Roman kann zugleich als eine Fortsetzung
der oben angeführten Gemäldebriefe betrachtet werden.
Ansichten über Kunst im Allgemeinen, über das Ver-
hältnifs der verschiedenen Künste zusammen (ein geist-
voller Nachtrag zu Lessings Laocoon), eine kurze Ge- ^
schiebte, der Kuhst in groGsen Umrissen, Charakteristi-
ken von Raphael^ Michel Angelo, Albrecht Diirer und
andern, Beschreibungen von einer Menge Gemälden,
Bildsäulen, Gebäuden — all' das ist in den Roman ein-
gesti^eut Wie üef hatte er über die Kunst nachge-
dacht! Wie lebten ihm die Kunstwerke und Natur* .
sceneix in Gemüth und Phantasie! De.nn auch eine
Masse entzückter Naturschilderungen enthält der Ro-
man, wodurch er sich an Heinse's' Briefe aus Italien
anschlie(^t, und überall zeigt sich eine erstaunliche Lo-
kalanschauung, bis in die zufälligsten Details hinein,
so dafs man sich nicht überreden kann, der Roman sei
von einem Spätgebornen im Norden geschrieben.. Au-
fserdem sind Gedanken niedergelegt über griechische/
und italiänische Schriftsteller, über griechische Spra--
che, Accent und Pronuntiation, und ein langer Spazier-
gang durch das Labyrinth der Metaphysik wird unter-
. nommen (B. 2. von S. 89 bis 170). Durch all dieses
Beiwerk und durch den reichen Ideengehalt ist die ei-
gentliche Geschichte sehr beschränkt, und von einer
kunstvolle^. Anlage des Ganzen, von Yerwickelung der
Begebenheiten und den übrigen Kunstgriffen, die Auf-
merksamkeit zu spannen, von Entfaltung der Charak-
tere findet sich keine Spur. Ueberhaupt versteht es
Heinse, das Daseiende ^ nicht das fVerdende und
Mich Entwickelnde zu schildern, so dafs in dem Ro-
man sich nirgends ein fortschreitender Bildungsgang
23
179
W. HeinM0y $immiliehe Werke.
180
der Charaktere findet Der Held ist . auf dem ersten
Blatt des Buehes derselbe, wie auf dem letzten. Be-
sonders ist der zweite Tlieil des zweiten Bandes des
Werkes, der dem ersten in jedem Betracht naohsteht,
mit Natur* und' G^näldeschilderungen überladen, die,
'so vortreflflich jede für sich sind, den Leser doch zu-
letzt ermüden. Es ist ordentlich, als wenn der Yerf.
alle seine Kenntnifs Italiens hier wie in einem Maga-
zin hätte aufspeichern wollen, und die Geschichte ist
«m Binde viel zu kurz abgefertigt. Die Uebersiedelung
Ardhingello's und seiner Freunde nach den Cykladen
und die Gründung eines neuen Staates mit demokrati-
scher Terfassung, Gemeinschaft der Weiber und einer
neuen Naturreligion auf diesen „glückseligen Inseln'*,
nach - welchem Ziel eigentlich der ganze Koman hin-
strebt, ist viel zu wenig motivirt, und zuletzt ist alles
nur notizenmafsig erzählt Hätte hier der Verf. seiner
Hauptpflicht genügen wollen, so hätte er für alle seine
tre&licben Kunst- und Naturbetrachtungen schwerlich
mehr viel Raum gehabt. Das Gelungenste in Erfin-
dung und Ausfuhrung ist der erste Theil des ersten
Bandes (vom Anfange bis S« 109). Die Bekanntschaft
Ardhingello's mit dem Yenetianischen Nobili, die Reise
nach^e^sen Landgut am Gardasee, die Erzählung sei-
ner frühem Lebensschicksale und der Fortgang der
Qeschiclite bis zur Ermordung des Bräutigams der Cä-
cilie, alles ist meisterhaft Als Ardlüngello dem Freun-
de seine früher.e Geschichte zu Ende erzählt hat,
schlielst sich das bisher Dargestellte überraschend
schon an, und die Geschichte geht ihren einfachen und
ungezwungenen Gang fort '
Wie im ArdhingeÜo, so ha); sich Heiuse auch in
dem Helden des zweiten Romanos, im L/eckmann^
welcher ebenfalls „einer der wobigebildetsten jungen
Männer ist" (B. 3. S. 22), und zwar hier von Seiten
seiner ausgezeichneten musikalischen - Bildung darge-
stellt, und' endlich haben wir auch in^dem jungen ge-
nialen Reisenden, welchem die Briefe in der letzten
Schrift beigelegt werden, leibhaftig die Person unseres
Vfs., welcher seine grofse Kenntnifs und Geschicklich-
keit des Schachspiels hier auf eine eben so anmuthige,
als belehrende Weise vorträgt. Von der Hildegard
sagt Laube, dafs sich darin die geschmackvollste Kennt«,
nifs der Musik entwickle, welche am Schlüsse^ des vo«
rigen Jahrhunderts aufgezeichnet sei. Wie im Ardhin-
gello plastische Kunstwerke, so werden in diesem Bo-
man die vorzüglichsten musikalischen Kompositionen
und in dem letzten Buche die vornehmsten Zöge des
Schachspiels charakterisirt. Die Gesetze beider Künste
werden entwickelt, und ihre höhere Bedeutung und
idealen Bezüge auf das Ganze und auf die Kultur iiber»
haupt allenthalben auf eine geniale Weise nachgewie-
sen, alles aber ist uns in individueller Einfassung vor
die Augen gestellt. Wir aber gehn auf diese letzten
Werke Heiuse*s nicht näher ein, um über seinen
echrtfUtelUriechen Charakter im Ailge9neiHen noel
etwas sagen zu können*
Zunächst geht aus dem Angeführten hervor, dals
in allen seinen Schriften ein bedeutendes diJaJbiüeket
Element enthalten ist. In den Eleusinischen Gekeifli*
nissen begründete er sein antikes Lebensideal, dem er
zeitlebens treu blieb; in Ardhingello spricht er zvt
Hälfte des Buches über plastische Kunst; ^i^ Hilde-
gard handelt mit noch specielierem Interesse über die
Musik, und die Briefe über das Schachspiel sind ganz
belehrend^ so dafs der kurze Roman nur Beiwerk ist
Mit jeder folgenden Schrift nimmt also das Didakti-
sehe bei ihm zu. Hätte er noch länger gelebt, so wür-
de er einen Roman geschrieben haben, dessen Mittel-
punkt das Billardipiel war. Aber Niemand xenteht
es, so leicht uhd graciös zu lehren, als er, und von
Rhetorik ist bei ihm nicht der leiseste Anflug. Er
schrieb nur uj>er das, was er durch und durch ver-
stand, wovon er den sinnlichsten Begriff hatte, wovon
seine Seele voll war. Daher die überwältigende und
treffende Wahrheit seiner Darstellung.
Seine Meisterschaft liegt in der Malerei von Na-
tursceneu und Kunsterzeugnissen und in der Men-
schenschilderung. Er war dazu geboren, die vom Gott-
lichen durchdrungene Sinnenwelt in der Sprache abzu-
bilden und alles Tiefste in der Menschenbrust findet
durch ihn einen andeutenden Ausdruck. Aug' und Ohr
wären aber so seht' ausgebildet, als sein Innerer Sinn^
um alles Schöne aus Natur, Kunst und Leben heraus-
zufühlen. Heinse war mehr ein schöner, als erhabener
Geist, und er ist durch einzelne Bilder und nicht durch
grofsartig angelegte ganze Kunstorganisationen- ausge«
zeichnet. Rahel lobt mit Recht seine charakteristische
Darstellung, die ^unübertrefflich eigenen, bezeichnenden
Worte, welche er wählt, so daHs alles zum wirklichen
Portrait Und zur Statue wurde (B. 1. S. LXV). —
(Der BescLliifs folgt.)
181
Rafaelt^on XJ r b i n o.
182
XVL
Rafael von XJrhmo und Mtin Vaier Giovanni Santi
von •/.' D. PaMißvant, 2 TA. mit 14 Abbild
düngen. Leipzigs bei F. A. lirockhaus. 1839. 8.
Ein neues Buch QberRafael! Waskaun man Neues BberRafael
BOg;eii ? fragen Viele. SteUtman ihnen aber die Gegenfrage nach einer
ausfüfarlichen Beschreibung seines Lebens, nach einer Toliständi-
%^tiy chronologischen Auiziiblung seiner AVerke, nach einer genü-
genden Brklüning» nach einer unbefangenen und gründlichen Kri-
tik derselben, so miissen sie gestehen, dafs nur wenig Acchtes
liie und da zerttreut, Vollsfändiges nirgend zu finden, und dafs
1»ei etwaigem Reicbthum^ soviel AVillkÜhrliches und Unbegründe-
tes mit unterlaufe, dafs — weit entfernt, dals bereits zu viel
geschehen — eher die ganze Arbeit noch ungethaa sei. Kafael
18t nicht nur ein Künstler wie manche Andre, ausgezeichnet
durch Schöpferkraft, Talent und sonstige bildnerische Gaben : —
er ist ein Moment in der Geschichte; nicht nur der reichste
und schönste Genius der neuem Kunst, sondern- ein Ausgangs-
Sunkt derselben, man möchte :sagen die Absicht ihrer jahrhun*
ertelangen Arbeit. Neben dem Geist, der Anmuth und der
Fülle seiner Werke haben wir also auch die Erscheinung eines
solchen Mc;nsclien. im Ganzen zu würdigen, ihr YerhUltnifs zur
£ntwickelung8geschichte der neuem Kunst überhaupt und somit
xur Geschichte der M;Bnschheit
Wie aber ist diefs möglich, so lange noch Über Zahl und
Umfang eben der Werke, die seine Bedeutung erklären, über'
ihre Zeitfolge, über ihren Inhalt, ja sogar über ihre Gültigkeit
Zweifel bestehen % — Diese nothwendi^e Vorarbeit ,ist die Auf-
giibe des gegenwärtigen Buches, zu dein der Verf. als wissen-
schaftlich geoildeter Mann und zugleich als ausübender Künst-
ler, durch jahrelange vielfältige Forschungen in Sammliiugen,
Archiven und Bibliotheken, durch ausgedehnte Reisen nach al-
len Gegenden und Städten Europa's, wo sich Spuren Rafaeli-
scher Thätigkeit finden, sich beAiliigt hat, so dafs* ^*ir in seinem
Bache fast nur Ergebnisse eigner Erfahrung und Selbstanschau-
ung vor uns haben. Diese sind nun von solchem Umfang und
solcher Bedeutung, dafs sie für alle Zukulift die Grundlage für
Darstellungen Raraelischer Wirksamkeit bilden werden und so-
mit sein Buch zum unentbehrlichen HUIfsmittel für Arbeiten
im Gebiet der neuem Kunstgeschichte machen.
Die erofse Manhigfaltiskeit des Inhalts, so wie die aller-
dings lehr verschiedene Behandlungsweise desselben hindern
uns, ausführlich in diesen BIfittern über denselben zu berichten;
wir hofi^en dessen ungeachtet durch eine beschränkte Auswahl
eben so wohl dem Interesse der Leser zu entsprechen, als das
des Buchs zu fordern.
Ein Verdienst, das von dem Vf. noch kein deutscher Knnst-
geschichtscfireiber und — Pungileoni's elogio storico di Giovanni
Santi pittore e poeta <etc. abgerechnet — überhaupt Keiner, und
auch dieser nicht in gleichem Umfang sich erworben, ist die
Ausführlichkeit über die Werke des alten $anti von Urbino, des
Vaters Rafaels. Mit Recht stellt der Verf. diesen ehrenwerthen
Kunstler in die ersten Reihen der umbrischen Meister, und er-
kennt in dessen lange übersehenem tiefem Gemüth uud zartem
Schönheitssinn den Schatz, den Rafael durch sein ganzes Le-
ben als ein heiliges Erbe bewahrt und der in seiner lland eine
znvor nicht gekannte Ausdehnung gewlinn. Suchen wir die ZiU
ge auf, durch die sich schon Rafaels früheste Arbeiten von de-
nen seines Lehrers Pertigino, in denen so Vieles — selbst die
s'üfse Scelenstimmung der Hingebung und Andacht — conventio-
nell erscheint, unterscheiden; sehen wir nach jenen Eif^nschaf-
tcn, die bei ihm, sobald er die Schule verlassen, wie mit einem
Male nnd im vollen Glänze und im unverkennbaren Gegensatz
gc^en jene hervortreten, so ist es eben die vom Vater überkom-
mene Reinheit, Schönheit nnd Innigkeit der Empfindong, die in
iiim auch die volle, reine und schöne Form gewann. An diese
unbeachteten Quellen Rafaelischer Anschauungsweise fuhrt uns
<ler Verf , indem er die Gemälde des alten Santi, denen er mit
Kifer und Sorgfalt nachgegangen, vor uns aufstellt. Die bedeu-
tendsten unter diesen sind : die Heimsuchung in S. Maria nuova
zu Fano ; und in S. Croce daselbst eine Madonna mit Heiligen ;
der h. Hieronymns iq S. Bartolo bei Pesaro ; Madonna rn trono
im Hospital zu Montefiore; die VerkUndigung in der Brera zu
Mailand; eine Madonna in trono za Gradara bei Pesaro» eine
andre im Berliner Museum, wieder eine andre sehr schöne im
Pranciscaner- Kloster Monte -Fiorentino, nnd noch eine in S.
Francesco zu Urbino. Wie onvollkommen auch in mancher
technischen Beziehung diese W>rke denen des Sohnes f;ogen-
über erscheinen, so herrscht doch in ihnen und namentltch in
den aufgeführten Kinder- und Engelköpfchen jene Lieblichkeit,
die fast in gleichen Zügen bei denen Rafaels wiederkehrt und
durch die er so groTsen Zauber ausübt.
Wollen wir nun zu diesen Werken übergehen, 'so müssea
wir gestehen, dafs — so bezaubernd auch seine Madonnen, S0
bewundernswürdig auch seine Altargemalde, so ergreifend seine
Durstellungen aus der Apostelgeschichte sind: die oedeutendsteu
seiner Schöpfungen bleiben die Fresken der vaticanischeB Stan^
zen. Hier steht sein Genius auf dem höchsten Gipfel, denn hier
erglHnzt er im Licht des Gedankens, dem organischea Mittel«
punkt im Sonnensystem der Geschichte. Ihn an dieser Stelle 2|i ,
erkennen, haben frühere Zeiten der nnsiigen überlassen, nnd
dem Vf. gebührt der Dank derselben, die Erkenn tniis vermittelt
EU haben. Es ist vielleicht eins der sprechendsten Zeugnisse
für den Verfall der Kunst und Wissenschaft in Italien im löten
Jahrhundert, dafs man schon unmittelbar nach Rafaels Tod vo«
'seinen Gemälden wenig Bescheid mehr zn sehen wnCste; dafs
man z. B. in der Schule von Athen die Vereinigung der Pliiloso*
phie und Theologie ^ermittelst der Astrologie, oder die Bekeh-
rung der Phibsophen durch Paulus Und Petrus nnd dergl. mehr '
sah, und dafs Keiner mit einer nur leidlich genügenden Erklä-
rung auftrat, bis zuerst Bellori zn Ende des i/ten Jahrh. weni|^
stens soviel herausfand, dafs der Gegenstand des Bildes griechi-
sche Philosophie sei. Bis zum eigentlichen Motiv der Concep-
•tion ist indefs vor dem Vf. . kein Erklärer durchgedrungen, nnd
da' die von ihm gegebene Erläuterung seine Verdienste am hell-
sten zeigt, auch wohl die Leser dieser Blätter vor audeni inter-
essirt, so möge sie statt aller andern hier in gröiserm Auszug
mitgetheilt werden.
Obschon die dem Rafael für die vaticanischen Gemälde ge-
stellte Aufgabe, die Verherrlichung der pnpstUthen Macht, und
zwar insonderheit der von Julius IL und Leo X , zum grofsen '
Theil - jcnseit der Grenzen unsrer unmittelbaren Theilnahme
steht, und wir namentlich solche Themata, wie: Ein Bischof
kann nur von Gott gerichtet werden (Leo^s III. Selbstentlastung^
von der Anklage der Neffen Hadrians), für welche Gesellen
nnd Meister vom Stuhl Petri besonderes Interesse haben mögen,
nicht ohne das die römische Auslegung vernichtende evangeli-
sche Wort: Keine Dbrigkeit, ohne von Gott! weder auf- ^oelt*
annehmen werden, so hat sie doch auch den Blick in eilie> lan-
ge Zeit verschlossen ge^'esene Welt geöffnet und Gelegenheit
zu den geistreichsten und tiefsinnigsten Darstellungen gegeben,
um die allein es sich der Kräfte nnd des Aufwandes der Kunst
vom allgemeinen Standpunkt aus zu lohnen scheint, Ist nämlieh
die pöDstliche Macht, wie sie vorgiebt nnd wie wenigstens Ju-
lius und Leo es verfochten wissen wollten, eine universelle, so hat sie
nicht nur weltlichen Besitz (durch Constantins Schenkung); nicht nor .
geistige, ja- dämonische Gewalt ^ber Hunnen, Sarazenen, selbst
über die Elemente; nicht nur kommen ihr zu Ehren Engel vom
Himmel und Blutstropfen aus einer Hostie, sondern es flicfst
auch von ihr aus alle geistige Kraft der Menschheit nnd unter
ihrem Schutz erblühen Theologie, Philosophie, Poesie und Juris-
prudenz.
Letztere nun bilden das Thema für die Gemälde der Stanza
della Segnatura. DieAnordnun(|[ im Allgemeinen darf als bekannt
Torausgesetzt werden. Wir ennnern nuf daran, dafs zwischeh
den vier allegorischen runden Deckengemälden, unterhalb vier
kleine oblonge Darstellungen in den Ecken des Kreuzgewölbes'
folgen, die man und z^imr mit Recht in Beziehuns zu den s\hx
grofsen Gemälden der Wände gestellt. Mjt gröiserm Rechte
nun macht der Vf. auf ihre zweifache Beziehung zu den zwi-
schen ihnen behndlichen Hauptbildem aufmerksam. Zwischen
dem Bilde der Theologie und dem der Jurisprudenz steht als
Uebergangsbild : der Sündenfall, ebensowohl als Nothwendigkeit
des Gesetzes, als als Grund der Erlösung. Auf der aiidem Seite
183
Rafael v0h ü r 6 $ n 0.
184
iiDcli der Poesie za. ist die von Apoll über Marsyas verbSngte
Strafe abgebildet, einmal nach Dante Paradiao J. auf die Befrei-
uns irdiscber HQIIe zur Anfuahme des göttlichen Geistes; ein .
nnderniol auf den Sieg der Dichtkunst über das Gemeine zu deu-
ten. Zwischen Poesie und Philosophie sieht man eine allegori-
stho Figur als - Betrachtung d^ Wettkörper, ebensowohl den
'Höhenflug der erstem, als die UniversalitKt der andern zu be-
zeichnen. Wenn sodann Kafael 'zwischen Philosophie und Ja-
risprudenz das Unheil Salomonis stellte, so ^ab er zwar im
„Richt«r8pruch" ein Symbol der letztem, allein dadurch, dafs
dieser nicht nach geschriebenem Gesetz erlassen wurde, son-
dern als ein aus der Kenntnifs der Leidenschaften und Triebe
geschupftes, philosophisches Urtheil anzusehen, ebensowohl eine
lezi«hung znr erstem.
An £ese, die Philosophie, wollen wir uns nun stellen, um
der Fälligkeit des Vfs., Fiinrer zu den Werken Rafuels zu sein,
vollkommen inne zu werden. *„Es stellt dieses Bild, sagt er
uns, eine Yersammluns von Philosophen der alten, W>lt in einer
weiten prachtvollen Halle vor, die in Forschung und Demon-
stration begriffen, und in verschiedene Schulen geordnet, uns ein
überraschend klares Bild des Lebei^s der Philosophie vor Augen
stellen." Gegen die verschiedenen Annahmen über das Motiv
der Anordnung stellt sodann der Vf. die Ansicht auf, dufs Ka-
fael damit den Entwiökelungsgane; der Philosophie bei den Grie-
chen habe veranschaulichen wollen. Sokrates mit seinen An-
hUngem und Gegnern bildet den Uebergang zu Pinto und Aristo-
teles, welche von ihren Schülern umgeben, in der Mitte des
Bildes stehend, den Culminationspunkt der griechischen Ptiiloso-
phie nach zwei Richtungen hin bezeichnen. Weiter zur Rech-
ten befinden sich die Stoiker, Cyniker, Epikuräer nnd einige
der spätem Philosophen; zuletzt noch stehen im Vorgrunde
rechts die mehr dem Realen zugewendeten Lehrer, unter wel-
chen der Mathematiker Euklid besonders bemerklich. Dieso
freilich bis jetzt unbeachtet gebliebene chronologische Anord-
nang giebt dem Verfass. den Schlüssel zu dem ganzen Bilde in
die Hand. In der Gruppe links im Vorgrund sind vier Gründer
Shilosophischer Schulen dadurch bezeichnet, dafs sie auf besou-
ern Postamenten sitzend oder stehend, als unabhängig erschei-
nen; diese sind: Pythagorns, ^ganz im Vorgrund m ein Buch
schreibend; Teleauges odefr ein anderer Schüler hält ihm die
Tafel mit den von ihm gefundenen TonverhUltnissen vor; die
weibliche Gestalt hinter Pythagora's ist wohl seine Frau Theano,
der ältere, nachschreibende Mann sein Schüler Arcliytas ; der
andre herabblrckeiide mit' Knebelbart und Turban Aikraiion aus
Crotona. Den Gegensatz zu dieser Gruppe bildet Heraklit, der,
eine Feder in der Hand, in tiefes' Nachdenken versunken, rechts
nn einem Postamente sitzt. — Zwischen Ueraktit und Pythago-
rns, aber zu diesem gewendet, ^steht Anaxagoras, der seiner er-
steh Bildung nach der ionischen Schule angehörend, dadurch
. dafs er de« Novg über die Materie setzte, das Verbindunj^Bglied
zwischen beiden, und den Uebergang zur Ethik der Sokratischen
Schule bildet, unmittelbar unter welche er von Rafael gestellt
ist. Hinter ihm sein jüngerer dichterischer Zeitgenosse Einpe- *
dokles (zu(^1eich Bildnifs des Franc. Maria della Rovere, Her-
zogs' zu Ürbino). Links dem düstera Heraklit gegenüber an
eine Säulenbaais gelehnt, steht (wahrscheinlich) der Abderite
Demokritos, der heitre Naturforscher, mit Laub bekränzt in ei-
nem Buche blätternd. Der ihn umfassende Jüngling hinter ihm
dürfte der nachmalige Lehrer Epikurs, Nausiphanes aus Tejos
sein. Der Greis mit dem Kinde könnte Zeno vorstellen, da er
den Uebergang zu der Gruppe der Sophisten auf der obern Stufe
bildet, in denen mau den Atheisten Diagoras, den Gorgias und
den Kritiaa erkennt Dagegen tritt Sokrates mit seiner bündigen
Schlufsfolge auf; vor ihm in kriegerischer Rüstung Alcibiaues,
in gcr'^*^-'^-' "• -^ • " -• - "•• — J— —
Laubk
der
Shon sein. Ob dann der semeine Mann, der die Sophisten r^-
end nbwebrt, jdBr anno Wursthändler, nachmalige Redner Ae-
schines sei, läfst der Vf. dahingestellt ; so wie, ob der Mann im
Hintergründe Euklid oder Antjsthenes. Die Gruppe' von Plato
und Aristoteles bildet nun bekanntermafsen jie Mitte, miä über
die Bedeutung ihrer Bewegung besteht kein Zweifel. Uoter 4m
zahlreichen Schälern Piatos an dessen Seite erkennt der Teil
Spensippns ans Athen, den Cyniker Meuedemns, Xenokralei^
Pbädros nnd Agathon; nnter denen des Aristoteles TbeopJirBst,
fludemus von Rhodus und weiter nach hinten Dikäarch nnd An-
stoxenos, den Musiker; in d^ drei vordem aber die Stoiker
Zeno, Kleanth und Chrysipp, den Dialektiker. In den hinter
diesen wandelnden Philosophen sieht der Verf. eine Anspida^
auf den Namen der Peripatetiker. In der Mitte auf den Stafca
liegt nachlässig der Cyniker Diogenes. Die Stufen her&b steigt
dem zunächst Epikur im Gespräch mit dem jungem Ariatipf^
der eine auf di« Stoa, der andre auf ^en Cynismua, als ilnoi
fremde Thorheiten,. zeigend. — Hiemit war der producireods
Geist der griechischen Philosophie an ^ seine Grenzen gelangt
Als Reprüsen|ant des nun beginnenden Eklektizismus ist der as
die Wand gelehnte JUngling, der im Begriff ist (auf dem über-
geschlagenen Beine) zu schreiben,' anzusehen. Dfm (Wafachei-
ten sammelnden) gegenüber trit^ der (alle Wahrheit läogneade)
Skeptiker Pyrrho von Elia auf; er lehnt sich mUfsig nn eine
Säule und^ sieht spöttisch in das Buch des neben iinn ach reiben-
den Jüngliiigs; in dem daneben mit dem Kopf noch der eiaes^
mit dem Körper nach der andern Seite gewendeten Pliilosophn
sehen wir den Stifter der neuen Akademie Arkesilaos, hai
Skeptiker, halb Stoiker; und wäre der mit einem Stab berbd-
kommeude Alte einer der von Lucian verspotteten späten Cy-
niker, so würde der davoneilende Jüngling den Ausgang ericcln-
Bcher Philosophie aussprechen. Nun endlich die vordre Gruppe
rechts gegenüber der theoretischen Mathematik des Pythagoras
die praktische des Archimed (oder Euklid) (Bildnifs BramantTs^
der seinen Schülern die isagonische Figur mit dem Zirkel rar-
demonstrirt. Dabei stehen als Repräsentanten der Aatronosüe
und Astrologie Ptolomäus und Zoroaster; endlich zwei Gestal-
ten, in denen wir nur Freunde der Philosophie zu erkennen ha-
ben, es sind die Bildnisse von Rafoel und Perugiuo. — Aack
die Architektur und die als Verzierung angebrachten Sknlptaiva
des Bildes sirfti als nicht ohne Bedeutung tlir die ganze Darstel-
lung aufgeführt, and so hat denn wirklich zum ersten Male diese
groiüo keuntnifsvolle, einsichtreiche Compositiou ihre volle Er-
klärung gefunden, ohne die «wir zuletzt immer nur Aeufserliebei,
schöne Gruppen und Gestalten, nicht aber den innerlichen, sie
gestaltenden Gedanken vor uns haben, der nun schon in der all-
gemeiuen Anordnung fühlbar ist, in welcher uns Rafael das all-
mählige Aufsteigen, den Höhenpunkt und das Uerabkommen der
Philosophie hat anschaulich machen wollen.
Vm solcher und ähnlicher lichtvoller Erläuterungen wOlea
kann man dem Vf. manche Sonderbarkeit in diesem Gebiet nach-
sehen, wie z. B. dafs der alte Santi in einem Engel eines Altar-
bildes sein Söhnchen abgebildet habe, allein, da dieses znr Zeit
der Beschaffung des Gemäldes erst sechs Jahr alt war, der £>-
gel aber deren zuölf zu zählen scheint, „das Bild seines reife-
ren Sohnes im Geiste tragend, ,ihn im Ideale vorgebildet.^ —
Eben so dürfen wir über dem Reichthum an höchst schätzbaren
Nachrichten über säuimtliche Werke Rafaels, über ihre Bestel-
lung und Bezahlung, über ihren Zustand, ihre Schicksale, Aus-
besserung und di« Stelle, wo sie sich jetzt belinden, über Car-
tons, Zeichnungen, Studien und deren Abweichungen, über alle
Copien und Wiederholungen, über Kupferstiche und Lithogra-
phien, über Aechtes und Unächtes, Vorhandenes und Verscbol-
lenes ; endlich über die Vorgänger, Zeitgenossen und Schüler
Rataels, eine gewisse Inconsequeuz der Anordnung, eine oft
hinderliche Weitläufigkeit und eine den Ueberblick verwirrende
Weise der Darstellung vergessen. An zurechtweisenden Regi-
stern und Ueberschriften jeder Seite fehlt es ohnehin nicht —
Die Buchhandlung ihrerseits hat durch eine vortreffliche Aus-
stattung jeden denkbaren Anspruclr befriedigt; die Beigabe von
Kupfertafeln, meist unedirten Inhalts, Werke des Vaters, Jugend-
arbeiten des Sohnes, Bildnisse des letztern, Facsimiles, Bau-
pläne u. s. w. werden von Allen mit grofsem Danke aufgenom-
men und dem Buche seine Stelle in unserer Kunstliteratar nie
streitig gemacht werden. ^
IV
Jf 24.
Jahrbücher
für
issen Schaft liehe
Kr i t ik
Februar 1840.
JFühelm Heinte* 8 sämmtlieke Schraten. Her"
ausgegeben von Heinrich Laube.
^ I
(Schlufs.)
9,DasClassfaiohe überall ist das gedrängt Volle, wenn
einer alles Wesentlioke und Bezeiehnende von einem
Gegenstand heraitsfiiblt nnd naehahmt." — ,,Ein Bing
reteht fassen» eeigt den trefflichen Menschen und macht
4en Yirtuosen." — »»Das Todte kann auch der bloHse
Fleifs darstellen, aber das Leben nur der grofse Mensch«
Wen beim Ursprung seiner Existenz nicht die Fackel
der Gottheit entzündet, der wird weder ein hohes
Künstwerk, noeh eine erhabene Handlung herForbrin*
gen'* Diese und hundert ähnliche goldne SprUche wer*
den vonHeinse bewahrheitet. Seine Schildereien sind,
wie hingehaucht, unmittelbare, treue Abdrucke der wahr-
sten Innern Anschauung, wie sich in dem Daguerrotyp
die Aubenwelt rein und voll auffängt und ausprägt
Die Katur und die Dinge selbst scheinen sich in seinen
Schilderungen fortsusetsen, und weiter su organisiren,
ao gans trifft er mit seinem geeignetsten Ausdrucke im-
mer die Sache. In' allem, was er schreibt, ist eine un-
tergleiefaliche Frische, Lebendigkeit und Neuheit; wo-
durch sein freier und greiser Stil einen schneidenden
Gegensatc bildet gegen den verkünstelten, abstrdct ge.
haltenen, so häufig fehlgreifenden Ausdruck so vieler
Schriftsteller unserer Zeit. Ohne Zweifel kann man
von allen Deutschen an Goethe und Heinse am besten
lernen, was äithetüehe Darstellung und ursprüngli-
che Kraft des dichterisohen Genies ist. Aber man sieht
an Heinse auch, dafs sur Vollendung eines gr&Isem
Ganzen ein unermüdlicher, besonnener Verstand mit-
wirken muls, und es ist mehr sein Yermogen, als das
tu bewundem, was er geleistet hat. Do.oh ist eine flei^
bige Ausfihrung, so wie eine verständige Anlage ein
allgemeine^ Jßlrfordernifs. Eigendinmlich für sieh hat.
der Diditer einxig und allein jene Darstellung.
Jakrh, /. wintMch. Kritik, /• 1840. > I. Bd.
Ohngeachtet sieh, wie wir gezeigt haben, in dem
Leben Heinse's mehrere Perioden von einander abtren-
nen, so lassen sich in seinem Stile doch keine andere
Phasen namhaft madien, als, dem Inhalte na,ch, im AU«
gemeinen der Uebergang von Phantasie und G^füh} und
einer untergeordneten Kultur zur Erfahrung und einer
reichen und durchaus selbstständigen Weltansidit Die
Meisterschaft des Stils ist unsern^ Heinse angeboren.
Es ist ihm aber nur eine Galtung der Schreibart gerecht,
nämlich die Briefform^ für die er aber auch ganz ge»
matht und unübertroffenes Muster ist« Laidion, Ardhin-
gello lind Anastasia sind ganz oder grofstentheils in
Briefen geschrieben, und auch in Hildegard von Hohen-
tlial nähert sich die leichte, fessellose, zurückgreifende
Schreibart dieser Gestalt.
Was er. übte, und worin er lebte, darin wufste er
auch theöretüch Bescheid, und w hüt «ich denn nicht
leicht einer näher aufgeklärt» worauf es eigentlich an-
komme bei aller Kunst, und worin das Wesen der
Schönheit liege. „Schönheit, sagt er, ist unverfälschte
Erscheinung des Wesens eines Gegenstandes,' wie er
nach seiner Art sein uoW- (B. 8. S. 156). Oder an ei-
ner andern Stelle: „Schönheit überhaupt in allen Kiin-
sten ist leichtfafsliche Vollkommenheit für Sinn und Ein-
bildungskraft; sie mufs mit Einem Blicke aufgewogen
werden können" (B. 1. 8. 250 u. ^3). — „Die Grie-
chen waren die schönsten Menschen, weil sie die voll-
kommensten Waren; ihre Bildsäulen werden aber Immer
nur als wunderbar fremd dastehen.** — „Ohne die Na«
tur ist Alles leeres Geschwätz, welches micfi liie irre
machen wird, auch wenn es nodi so meisterlieh lau-
tete*' (B. 8. S. 166). — „Jede Form ist individuell, und
es gibt keinjB abstrakte.; eiue.blols ideale Menschenge-
stalt läfst si<& weder von Mann noeh Weib, von Kind
noch Greis denken** <B. 1. 8. 9 u. B. 8. S. 214). ^ „Es
gibt keine ächte Form ohne Bedeuiung^ und wer die
Bedeutung nieht versteht, kann auch die. Form nicht er-
24
187
IV. Heinse^ sämmtlicAd ff^erke*
188
>kenneii, viel weniger sich eigen machen*' (B. 8. S. 210).
Wenn solche Aussprüche über die Kunst und Schön-
heit auch nicht immer weitläufig ausgeführt und bewie-
sen werden/ so sind sie doch für den denkenden Leser
üBfliittalb^r in der übereinstimmenden und abgeschlosse-
nen Weltanschauung Heiii^e's besser begründet, als sie
immer durc^ Schlufs und System 'wbsensschaftlich fest-
gestellt werden könnten. Sie gehören su den untrügli-
chen Manifestationen eines genialen Geistes. Heinse's
Kunsturtheile können in jedem Betracht deneh von Les-
sing, Goethe und Winckelmann an die Seite gestellt wer-
den, Ja er scheint ein freieres und allgemeineres ästhe«
tiBches Urtheil gehabt eU haben, als dieser letztere, des-
sen theilweise Befangenheit er nicht selten harmlos
belächelt (B. 8. S. 168 u. B. 9. S. 175).
Heinse war durchweg ein Sohn der Natur^ dem
zuerst an der Hellenenwelt seine eigenthümliche Geistes-
richtung klar geworden war. Tapferkeit — Muth ge-
gen die Menschen, und Todes%'erachtung gegen das
Scliicksal — Verstand und Ldebe und Freundschaft
waren seine Kardinaltugenden, die Freiheit das Ele-
ment seines Geistes, und die Schönheit die Sehnsucht
seines Herzens. Aufserdem zieht sich durch seine ganze
Betrachtungsweise ein rührendes und erschütterndes
Gefühl der Unzulänglichkeit des Menschen und der irdi-
schen Dinge (B. 1, S. 116, 189, 270. B. 2. S. 1, 4 u.
8. w.) : das ist seine Religion^ worin sich die tiefste De-
muth des Gemüthes, ohne Sentimentalität und Yörur-
theil, ausspricht. Allen Einflüssen und Formen der neu-
ern Welt, die nicht Natur sind, ist er abgeschlossen, und
bildet, Jedoch ohne Ilafs und Polemik, einen strengen
Gegensatz gegen sie. Bei seiner abgerundeten, in sich
ruhenden Selbstständigkeit nimmt er nicht den ethischen
Antheil an den Dingen, dafs ihn Mifsverhältnisse erbit-
tern könnten. Ueberall, in der Malerei, der Skulptur,
der Dichtkunst, der Wissenschaft, der Erziehung, der
Bellgion, in Staat und Kirche macht er die Natur, und
sein Reich der Schönheit, der Vernunft und der Wahr-
Staat, die ästhetische Naturreligion, die freie GemcNa-
Schaft der Geschlechter und die Kindererziehung, ^ird-
che er will, selbst deutlich genug gezeichnet, und jedes
Blatt in allen seinen Schriften gibt von seiner X>enk-
weise Zeugnifs (vgl. z. B. 1. S. 31, 201, 203 ff. S. 20
u. 8. w.). Im Dienst dieser „heiligen" Nalur wehrt er
sich in Bezug auf Wissenschaft und Kunst gegen alles
Angelernte, Nachgeahmte, indem er Alles an des Me^
sehen eigenes Gefühl und Urtheil anknüpft. I>aber
sträubt er sich auch gegen die geisteserdrückende Auto»
ritat des Altertiiums (z* B. B. 1. S. 35) und meint, kt
der neuem Zeit könne Malerei und Skulptur nur in
untergeordneten Kreise^ gedeihen, da ihr höchster Tri-
umph doch immer das Nackte sei, welches die Verdor-
benheit und Barbarei der neuem Zeit unsem Aagei
entrücke. In Bezug auf Jugendbildung sagt er unter
anderem (B. 1. S. 75) : „Ein einziger Gedanke, nur eins
That, von scharfem tiefem Gefühl oder vielfacher lieber-
legung entsprossen, obgleich noch roh von verschiede-
nen Seiten, ist bei dem Zögling, eine glückliche Yorbe-
deutung, und so Schnelligkeit zu fassen und zu belud-
ten; hingegen Allgehorsam und Fraubasengutartigkei^
so beliebt bei Pedanten, eine unglückliche, denn da ist
kein Muth und keine Kraft. Alles, was in die jungen
Seelen eingetrichtert wird, was sie niclit aus eigener
Lust und Liebe halten, haftet nicht, und ist vergebliebe
Schulmeisteret. Was ein Kind nicht mit seinen Sinnen
begreift, wovon es keinen Zweck ahnet, zu seinem eige-
nen Nutzen und Vergnügen, das verfliegt, wie Spreu
im Winde. So ist die Natur des Lebendigen vom Baum
und Gras an; und der Mensch macht davon keine Aus»
nähme. Jeder geh' in sein Leben zurück, und sehe, ob
etwas von allem dem Vorzeitigen geblieben ist, wo nickt
etwa blos zum Verderb des Genusses. Yiel Natur und
r -
wenig Bücher, mehr -Erfahmng als Gelerntes bat die
wahren vortrefflichen Menschen in jedem Stand hervoN
gebracht." An einer anderen Stelle (B. 8. S. 224) ruft
er aus: „O heilige Natur, die du alle deine Werke her*
heit gegen den Mechanismus der Ueberlieferung, gegen , vorbringst in Liebe, Leben und Feuer, und nicht mit
das blinde Herkommen und gegen die willkürliche Kon-
Tonienz geltend. Man kann Heinse nicht oberflächlicher
auffassen, als wenn man mit Laube (B. 1. S. LXI) mei-
nen woHte, „seine Striche über Staat und Gesellschaft
seien blofse grofsartige Zusammenstellungen eines durch
alle Möglichkeiten schweifenden Dichters gewesen.'* Er
hat ja^ am Ende des ArdhingeHo den republikanischen
Zirkel, Lineal, Nachäfferei, dir will ich ewig huldigen r
Zu dem Barbarischen in unserer Sitte unjd Moral,
von welchem er so oft spricht, gehört nach seiner An^
sieht auch die beständige und sorgfaltige Bedeckung ün«
seres Körpers durch Kleider, und er preiset allentbal*
ben die Gymnasien der Spartaner, in denen sich nackte
Jünglinge und Jungfrauen übten und dem Auge die voU-
180
JV. Weiniey tammtUohe Werke.
190
kommeiiste SchönheU des menschliohen Körpers zeig-
ten. . Wio er 'die Schönheit nackter Oeetalt den
Triumph der, bildenden Kunst nannte (B. 1. S. 243),
wefswegen der modernen Kunst d^r Kern mangle, „näm-
lich der erfahrne und geübte Sinn des ganzen Vol-
kes am. Nackten" (B. 1. S. 271), so stellt uns. auch
#ein6 Poesie gerne die nackten Formen des mensohli-
«hen Körpers dar, und er führt überall fSelegenheiten
jierbei, z. B. das Baden, Tänze u. s. w., wo er uns
seine schonen Menschen nackt zeigen kann, mit dem-
selben enthusiastischen Kunstgefallen, mit welchem er
uns Statuen, Gemälde und Naturscenen beschreibt
Der Natursohn schildert uns ganz folgerecht, mit Be-
seitigung nnserer willkuhrlichen Decenz, reide Natur-
menschen, und was damit zusammenhängt, das Ver-
liältnifs der Geschlechter unverhohlen in seiner gan-
zen Naturwahrheit. Seine Menschen sind, wie die
Götter der allen Griechen, über die rücksichtsvollen
und peinlichen Gebräuche der Sterblichen erhaben.
Seine naiven Darstellungen des Nackten mögen unrei-
fen oder schon entzündeten Gemüthem gefährlich und
verderblich sein- — aber für Knaben und Mädchen,
und für hülfsbedürftige Seelen hat wahrlich weder
Heinse, noch je irgend ein ächter Dichter geschrie-
ben. Aber Heinse'a Darstellungen der dritten Periode
nnd objektive Gemälde der nackten Natur, und unter-
'Scheiden sich hierdurch, der Art nach, von den lüster-
nen und schlüpfrigen Schilderungen Anderer, z. B. Wie-
land*s, . welche eben defswegen getadelt werden müs-
sen, weil sie nicht rein objektiv darstellen, sondern un-
sere Begierde anfachen wollen« Dieser Nebenzweck
macht sie nicht allein sittlich, sondern auch ätihetisch
verwerflich, eben weil sich durch ihn eine interessirte
Neigung und Absicht einmischt. £s ist nämlich überhaupt
ein Dreifaches zu unterscheiden : eine sinnliche {anschau^
iiche) Disrstellung^ welche der Poesie überhaupt, gehe sie
nun auf das Innere oder Aeufsere, wesentlich ist, und eine
Darstellung des Sinnlichen und Nackten. , Die letz-
tere ist doppelter Art: sie ist entweder, wie in der
guten' Zeit des Alterthums, uninteres^^irt, objektiv, und
, so wahrhaft künstlerisch und nicht unsittlich, so dafs
nur aus Bücksicht einer zufälligen Konvenienz, deren
sieb ein weiser Dichter doch auch nicht ganz entschla-
gen mag, etwas gegen sie eingewandt werden kann;
oder sie ist mit subjectivem Interesse und einer verfüh«
rerischen Nebenabsicht des Dichters erfüllt, wodurch
sie zugleich, nur aus verschiedenem Grunde, von ästhe-
tischem und von sittlichem Standpunkte aus verwerf-
lieh wird.
Dies möchten die Hauptgesichtspunkte dieser Fra-
ge sein, auf deren „Höhe" und in deren „innere Kam-
mer*' uns Laube in seiner einleitenden Biographie ge-
führt zu haben meint. .Doch ist die objective Darstel-
lung des Sinnlichen, wie. wir. sie bei Heifise finden,
nicht dem Alterthum eigenthümlich. Heinse* stellt al-
lenthalben seine Schilderungen des Sinnlichen in Kon-
trast mit unserer bürgerlichen Welt, „wo alles seine
sündliche Blöfse doppelt und dreifach bedeckt." Ein
alter Grieche der guten Zeit .würde die Geschlechts-
verhähnisse nicht in diesem Geiste und nicht so eigens
und ausführlich geschildert, er würde auf eine physi-
sche Verrichtung kein so greises poetbches Gewicht
gelegt haben. Nur der uns geläufige Geist der roman-
tischen Liebe und der Konstrast mit unsem bürgerli-
chen Sitten giebt diesen Naturgemälden ihren Ursprung
und ihren Reiz für den Leser. Die romantische Liebe
ist durch sie jn fleischliche Verhältnisse verpflanzt, und
wir wer,den aus dem Zwang, den unsere Korruption
uns aufgelegt^ hat, ursprünglichen Naturverhältnissen
zurückgegeben. Ein entgegengesetztes Extrem wird
uns vorgehalten, welches für den, der noch in der ge-
' Sunden Natur lebt, gar nicht reizend sein und nicht ein-
mal stattfinden kann. Insofern zeigt sich in dieser
Dichtweise, mit der sich die antike Poesie nicht eigens
abgiebt, eine moderne Auflassung und Kultur ; die Forn^
derselben ist aber bei Heinse objektiv, und hierdurch
ä<;ht künstlerisch. Seine ehrlichen,, nackten Gemälde
verführen weniger^ als Vt^ielands verhüllte und zwei-
deutige. Weil aber das Volk in seinem UrtheU über
Kunstwerke gemeinhin von seiner eingeführten Moral,
und angewöhnten Empfinduagsweise ausgeht, so hat
Heiiisen nichts so sehr in Verruf gebracht, als dieses
Liebesideal. Urtheilt doch sogar Schiller, freilich Une
durchaus entgegengesetzte Natur: „Ardhingello bleibe
bei aller sinnlichen Energie und allem. Feuer des Ko-
lorits immer nur eine sinnliche Karikatur, ohne Wahr-
heit und ohne ästhetische VVürde; doch werde diese
seltsame Production immer als ein Beispiel des beinahe
poetischen Schwungs, den die blofse Begier zu neh-
men fähig gewesen, merkwürdig bleiben." Eine ge-
rechte Kritik wird diesen ganzen Dai^stellungskreis
seiner Form nfich als acht poetisch, und seinem Inhalte
191
tV. Beintey M&mmtliclU t9^€rk0.
naeh ali eiaeii inlegrirenclen Theil von Heinse's gan»
ler Weltauffassung gellen laisen* In einem Nator«
Staat giebt es nur eine Naturliebe, und wenn die pla-
stisehe Kunst^ wie sie sein soli, den Menschen nackt
darstellt, hat ihn die Naturpoesie schon so empfangen»
wie sie ihn braucht
Sohliefslich mQssen wir noch Einiges an der Lau*
besehen Ausgabe der Werke Heinse^s taddn, wdehe
schwerlich den billigen Anforderungen entspricht, die
unsere Zeit an solche Sammlungen macht. Der Titel
verspricht ,, Wilhelm Heinse's tämmtlicAe Schriften." •—
Des Ausdrucks Werke ' wurde Heinse wohl nicht für
werth gehalten. Aber zu diesen ^sämmtlichen Schrif-
ten*' gehören doch auch die Uebersetzungen des Saty-
rikon's ^von Petronins und des befreiten Jerusalems von
Tasso, welche 1781 in Mannheim in vier Bänden, und
des wütfaenden Roland von Ariost, welcher 1782 in
Hannover ebenfalls in vier B&nden erschien. Sollten
aber in die Sammlung nur sämmtliche Origmalwerke
aufgenommen werden, wie konnte Laube dann dem
zehnten Bande die Uebersetzungen der Sappho, der
Theano und ein Bruchstttck aus Tasso's befreitem Je*
-rusalem, die Armida, einverleiben? Dieses Fragment,
welches 1775 und 1776 entstand, hat Laube aus der
Iris aufgenommen, und so eine unreife Jugendarbeit
einer späteren vollendeten vom Jahre 1781 vorgeio*
gen. Heinse schreibt darüber selbst am 26. Januar
1781 aus Venedig: „Den vierten und fünften Gesang,
welche beide fast ganz in der Iris standen, habe ich so
völlig neu übersetzt, dafs von dem Alten fast keine
Zelle mehr zu sehen ist, und dafs^ wer sie zusammen-
hält, glauben mufs, dafs zwei verschiedene Heinse sie
Übersetzt haben. Ich will mich deswegen auch zum
Spafs auf dem Titel Heinxe drucken lassen, welches
eigentlich auch nach der thüringischen Aussprache
mein uralter Thüringer Name ist. Ich ' hoffe wirklich
etwas Gutes an dem Tasso zu liefern, auch hätte ich
es nicht eher gekonnt, und ieh mufste nothwendig
Sturm und Wetter auf der See ausgestanden haben,
um verschiedene Stanzen, wie sich gehört und gebührt,
in die Heldensprache zu übertragen.*' Unserm Laube
aber ist der Uebersetter Heitre lieber als der Heim
oder vielmehr sein ungünstiges Urtheil (B. 1. S. LXXl,
scheint nur jenen zu kennen. So hat er uns denn ii
einem Sinne des Wortes viel weniger gegelien, all
sämmtliche Schriften Heinse's, und in dem andern bei-
nahe einen Band zu viel. Von einer guten GeaanuBt*
ausgäbe aber fordert man in unserer Zeit durchausi
dafs die einzelnen Schriften se viel ab es sonst ihna»
lieh ist chronologüch angeordnet seien, damit d«r BiL
dungsgang des Schriftstellers wahrhaft begriffen und
nachgelebt, und dessen Erzeugnisse aus ihrer Entst»»
hungszeit aufgefabt werden können. Bei den einzel»
nen Werken mufste dann, ndt Verweisung auf die vor-
anstehende Biographie und den demnäohst folgendaa
Brief weclisel, die Jahreizahl der Abfassung und der
Erscheinung, etwanige neue Auflagen u. s. w. genaa
angegeben werden. Dann hätte alles dahin gewirkt
uns eine wohlgeordnete Gesammtanschauung de« Wil-
helm Heinse zu verschaffen, und eins hätte das andeie
getragen und ergänzt,' jede einzelne Schrifi: hätte um
aber dand lebten können, was er selbst als das Höch-
ste anneht: „Das Hauptvergnügen an einem KvDst>
werke für einen weisen Beobachter macht immer asi
Ende das Herz und der Geist des Künstlers aelfcst^
und' nicht die vorgestellten Sachen" (B. 2. S. 81>
Von dem allen findet sieh in der Laubeschen Ausgabe
gar nichts. Das bekannteste Werk Ardiüngelio ist
nach Buchhändlergewohnheit vorangestellt, und die
übrigen folgen wiUköhrlich nach. Nach den ihiiaci
eingeschobenen zwei Bänden Briefen & B. kommt noch
ein Band, welcher aus Gedichten und vermbciitea
Schriften besteht. Die nothwendige Inhaltsanzeige für
dieses Bändchen fehlt ganz, Ein Schlußwort des He^
ausgebers, welches man, wenn es fehlte, nicht Temuf-
sen würde, macht das Ende. In diesem Scblulswort»
lesen wir, zu unserer Verwunderung, dals Laube ^^am
der Iris das (!) über den Tasso und Arioet habe ab-
drucken lassen." Aber über und von Ariost enthält
die Sammlung gar nichts, als einige zerstreute Gedan-
ken in Heinse's Briefen.
Cari Hoffmeister.
w i s s eil
J^ 25.
J a h r b fi eher
für
s c h a f 1 1 i G he
V
Kritik.
Februar 1840.
XVIL
Geogn^stüehe BeßbacAtumffeM y ge9&mme& auf
einer Heue dmrch Italien und Siciken in den
Jahren 1830 bis 1832 ron Friedrich Hoff-
mann, herausgegeben ron Heinrich von De-
chen. ßerliny 1839. bei Reimer.
Es ist ein schönes und edles Denkmal, welches
der berühmte Herausgeber dem verstorbenen verdienst«»
vollen Fr. Hoffmann setzt. Denn es ist wahrschein-
lich keine leichte Arbeit gewesen, zerstreute Papiere,
einzelne Angaben im Taschenbuch ohne Zusammenhang
so mit eiusinder zu verbinden, dals sie ein fortlaufen«
des Ganzes bilden, in welchem der eigenthümliche Hoff-
maunschö Styl und seine Ansichten stets die Oberhand
behalten, und die grofsen Terdienste des ordnenden
und sichtenden Herausgebers nur dem aufmerksamen
Forscher hervortreten. Dadurch haben wir ein Werk
erhakea, welches o£feabar das wichtigste ist von
alletf, die sieh mit den geognostischen Verhältnissen von
Italien beschäftigt haben; und die darin enthaltene ganz
vollständige geognostische Beschreibung von Slcilien
wird noch in langer Zeit nicht übertroffen werden.
Fr. Hoffmann vereinigte viele Talente, welche
ihm nothwendig sehr bald den Rang unter den ersten
Geognosten erwerben mufsten. Eine seltene Leben*
digkeit in Auffassung und Zusammenslellung der Er-
seheinnngen mit einer grofsen Besonnenheit iin llrtheil
vereinigt; eine fortdauernde Unermüdlichl:eit und Be*
weglichkeit, die ihn doch niemals verhinderte, jeden
Punct bis in die kleinsten Einzelheiten zu untersuchen,
um Nichts zurückzulassen , welches zur Kenntnila des
Ganzen beitragen konnte; eine Einbildungskraft, wel-
che alle Erscheinungen, die er oder Andere beobachtet
halten, stets um Um her, versammelt erhielt, ohne ihn
zu verleiten , über 4i^^ Erscheimingen weg i|i da«
> Reich der Träume sich zu verlieren-.
ishith, /. wU%tn%ih. KrUik. J. 1840. L Bd.
Auch kt er ein merkwürdiges Beispiel, wie die
Persönlichkeit so mächtig auf wissenschaftliche Bestre»
bungen einwirken ksmn. Mit dem Bedurfnils der Oe«
eellschaftlichkeit suchte er überall die Männer au finden«
welche irgend nur eine wissenschaftliche BUdnng zu
haben schienen, und Vvo häufig Andere durch Seichtig«
keit^ Flüchtigkeit im Beobachten, Unbestimmtheit der
Urtheile zurückgeschreckt worden wären, gelang es ihm
doch allezeit eine Seite zu fijnden, welche für die Wis«
senschaften nutzbar sein konnte, und die er zu diesem
Endzwecke hervorzog und anwandte. Das gianze Buch
ist voller Beweis dieser liebenswürdigen und erfolg- ,
reichen Stimmung..
D^r erste Theil des Buches umfafst einen voUstän«
digen Reisebericht, welcher die Leser in den Stand
setzt zu beurtheilen, wie weit H. ein Recht haben
konnte, ein Urtheil über italienische geognostische Yer%
hältnisse zu fUlen« und welcher seine aufserordentliche
Thätigkeit in das schönst^ Licht setzt. Die zweite Hälfte
ist der genauen Beschreibung von Sicilien gewidmet,
und gehört in Anordnung und Zusammenstellung gans
dem Herausgeber; ein Commentar zu der schönen geo*
gnostischen Charte, welche dem Buche beigefügt ist.
Aus beiden mögen einige ausgehobene Ansichten dast
wizsenschnftliche Gewicht dea Werkes erweisen.
Der Besuch der berühmten Lagunen von Monte
Cerboli hei Yolterra erweist, dafs alle diese siedend-
beibe Wasserdämpfe mit den Schwefeldämpfen aus
einer S/^alte hervordringen , die unausgesetzt sfch
über Serezzaro und Castel Nove biz zur Madonna von
Frassine verfolgen läfst, in nordsudlicher Riclitung fast
2^ deutsche Meilen weit Der Schwefel an der Atmo-
Sphäre gesäuert, bemächtigt sich des Kalksteins, w^her
auf dem Thon Uegt, veränderter Schiefer, aus welchen
die Dämpfe hervorbredhen, und bildet um die äuCseren
Flächen des Kalksteins eine dicke Schicht von Gyps.
Die zahlreichen Klüfte des Innern erfüllen s|ch zu^eich
25
19S
F. Hoffmann j geßgnOMtüehe Beobachtungen^
19
mit Gypskrystallen, welche fasrig gegenainaiider stehen,
eine Bildung, die H. später auch im Tuff von Vukano
\vieder auffand und daraus die Entstehung des faeri'
genOypset imKeupetherleitete. Das Ganze zeigt vor
unseren Augen^ wie alle Gypsbüdungen^ wo sie auch
vorkommen, aus verändertem Kalkstein hervortreten.
Die Untersuchung einer alten, verlassenen Grube
bei Campiglia unweit Piombino enthält die ganze Theo-
rie der groben Eisensteinmasse von Elba. E^ ist eine
in der Nähe und fast in Berührung mit Serpentin und
Gabbromassen durch ihr Hervortreten bewirkte Su^
blimation des Eisenglanzes und Rotheisensteins, theils
als mächtiger Stock, theils in unzählbaren Kluften durcli
den Sandstein^ der xur Formation des Macigno
gehört^ das ist cum Kreidesandstein. Gabbro und Ser-
pentin und somit auch die ganze Eisensteinslagerung
sind daher neuer, als die Kreideformation. Hornblende
in runden, auseinanderlaufend strahligen Kugeln, bildet
einen Gang durch den Kalkstein der Kreide und in
dieser Hornblende liegt der lAevrit in Drusen. — Ge^
gen die Südkuste von Elba bei Porto Longone tritt
der Gneufs auf, den unzählige, zum Theil sehr mäch«
tige Granitgänge durchsetzen, so sehr, dafs an einigen
Vorgebirgen die Masse der Gänge die der Gebirgsart
übertrifft^ Erscheinungen, wie sie an der Küste von
Cornwall oder Norwegen so häufig sind, und wie sie
Mac Culloch von den Ufern der Schottischen Grafschaft
Caithnefs gezeichnet hat. Der Gneufs wird, ohne Ab-
setzung, in höheren Schichten zum Glimmerschiefer, in
dem einzelne' Dolomitlager auftreten, dieser zum Thon-
schiefer, und nun folgen, ebenfalls ohne Unterbrechung
nach oben hin, der Sandstein, Macigno und dichter
Kalksteio. So ist denn hier die Geschichte der Umwand-
lung grofser Gebirgsmassen im schönsten Profil darge-
legt. Die Gesteine der Kreidefbrmation werden, durch
das Hervortreten des Granits, zuerst z\xm festen Schie-
fer^ dann zum xum glänzenden Glimmerschiefer^ in
der näheren Berührung xu Gneufs verändert. Der
wirkende Granit offenbart sich in diesem Theile der
Insel nur durch die Gänge, welche aber im Macigno
oder im dichten Kalkstein nicht mehr vorkommen, weil
dprch ihre Einwirkung beide Gesteine ihre Natur ver-
ändert haben und nicht mehr erkannt werden können.
Allein die westliche Seite von Elba läfst diesen Granit
ganz rein hervortreten am Monte Capanno bis über
3000 Fufs Höhe.
Auch in den Alpen, am Gotthardt ist -man sclra
längst zu dem Resultat gekommen, dafs Kreide • Mei^
durch Granit- Einwirkuf^g zum Glimmersehiefer, end
lieh zu Gneufs verändert werde. Im Fichtelgebirge» ia
Erzgebirge sind es die Transitionsschiefer, aus ^pireleba
der Gneufs entsteht, und von dem Gneufse in Schott«
land hatte Mac Culloch seit vielen Jahren eine »iiTiti^lf
Entstehung aus Juraschiehten behauptet.
Den mehr als 4000 Fufs hohen Monttuniaies nennt
H.' eine, durch das Flötzgebirge aufgestiegene grofse
Trachytmassei das ist deshalb wichtige weil sieh dit«
ses Vorkommen dem Trachyt ansehliefst, den H. spä-
ter an der Westseite des Sees von Braeciano fand, snd
in welchem bei Tolfa die bekannten Alaunstelngäoge
aufsetzen. Es bezeichnet das östlichste Yorkommen dei
Traehyts gegen das Apenninengebirge. Zwischen dic^
sem Trachyt und dem Gebirge erscheint dann Basah,
schon bei Radicofani. Denn basaltische Gesteine ms-
schliefsen wie ein Gürtel, schon vom Aetna her, uai
über die lAparischen Inseln hin^ den Trachyt^ S^^
Osten, und trennen ihn vom Apennin. In dem basal*
tischen Albanergebirge giebt es keinen Traebyt. —
lieber dieses Albanergebirge selbst erhalten wir ros
H., ohnerachtet seiner Yersicherung, keine nene Auf-
schlüsse. Denn dafs auf dem Gipfel des Monte Caro,
der Campö d'Annibale bis Rocca di Papa, als ein Kra-
ter angeschen werden müsse, hatte man lange vorbct
vgesagt, selbst Breislack, und Lavenströme am Abbang
in Schluchten gegen Monte Compatro^ Bänder die nodi
jetzt wie ein Schlammstreif am Tfaalboden herabgehen,
waren jedem bekannt, der von Frascati Palestrina be-
suchte. Dagegen erhalten wir vom Herausgebeir eine
höchst wichtige Nachricht. Alle feste, im Peperino ein-
geschlossene Basaltschichten nämlich, sowohl bei Fnu*
cati, gegen Marino, als auch auf der gegenüberstehen-
den Seite bei Ariccia, enthalten kaum Leuzit, sondern,
als wesentlichen Gemengtheil Nephelin^ mit Augith.
krjstallen verbunden, wie das Gemenge, welches Dr.
Batt am Katzenbuckel über dein Neckar, Dr. Gumprecht
am Löbauer Berge, Hr. Klipstein bei Meiches im Yo»
gelsberg entdeckt haben. So bestimmt es Hr. G. Rose^
und das Verhalten des Basalts m Säuren beweist, dafs
er noch weit mehr unerkennbaren Nephelin iii seinem
Gemenge enthalte. Da, wo der Leuzit, nordwärts von
Rom in gewaltiger Menge und in besonders grofsen Krj-
stallen hervortritt, bei Civita Castellana^ Borghetto oder
larf
F. Boffmann^ geognoätüoAe BeoAaeAttingen.
198
atm See von Braceiano^ oder bei Bolsena, seigt sieh der
Neplielin nicht.
Es mvXu diese Erscheinung nothwendig unsere Auf*
tiierksamlcett auf die grofse Rolle erregen, welche einst
noch der Nephelin in der Gebirgslehre zu spielen be-
atimmt zu sein scheint. In dem Granit Ton Miask im
Ural hat Hr. Rose stau Quarx überall Nephelin ge-
funden. H. sagt, im Herabgehen von Tolfa gegen CU
Tita 'Vecohia habe er, bei Chietäccia schwarzbraunen
Pechsteinporphyr gesehn, dessen Gnindmasse nephelin*
artig sei, in Verbindung mit Trachyt. Worauf mag
^ohl^ diese auffallende Versicherung beruhen ?
fiöchst lehrreich und mit vieler Umsieht und Mühe
kat Hr. v. Decken alle einzelne Hoffmann'sche Anzeich«
nungen über Sieilien systematisch vertheilt und geord-
net, zuerst nach Hauptformationen und in diesen wie-
der, nach einer geographbchen Folge. Dureh solche
verstandige Anordnung werden uns diese Anzeichnun-
gen zu •einem Archiv, aus welchem, wie in der Natur
selbst, jeder Forscher die Beobachtungen hervorhohlt und
zusammenstellt, welche den Gesichtspunct zu erläutern
fähig sind, die ein Zufall oder irgend eine andere Beob-
achtungsreihe ihn eben aufzufassen vermocht hat; und
hierdurch erhalten wieder diese Thatsachen einen Werth,
der nie vergehen kann, denn er ist gänzlich unabhän-
gig von unseren Fortschritten in der Kenntnifs der La-
gerung und anderer Verhältnisse der Gebirgsarten auf
der Erdfläche. — - Aber Hr. v. Dechen hat sich nicht
blofs damit begnügt; er hat auch jeder Hauptformation
eine Einleitung vorangesetzt, welche in hohem Grade
den scharfsmnigen und erfahrnen Geognosten verrftth,
dem es Gewohnheit ist, aus den verwickeltsten Einzel-
heiten das Allgemeine hervorzuziehen, und es mit Klar-
' heit und Deutlichkeit vor Augen zu bringen. Ganz
Sieilien, sagt Hr. v. D., läfst sich in vier grofse Ab-
theilungen bringen, welche auch zugleich durch die äu-
isere. Form des Landes bezeichnet werden.
I. Gegen Nordosten wird die Fnsel von einer schar-
fen, mit tiefen Thälern durchfurchten Gebirgsreihe ge-
Uldet, der FelorüanUcken Kette^ welche gegen Süd«
Westen sich zu einem Plateau verbreitet und verliert.
Sie steht gan% vereinzelt und wird von gar keiner an-
dern Kette fortgesetzt. Wohl aber läuft ihr in Osten
parallel die aus gleichen Gesteinen gebildete höhere
Kette des Aeprmnonte in Calabrien. Wahrscheinlich
ist daher der peloritanische Kamm eine Ferwer/ung
gegen Norden hin der Calabrischen Reihe, so
fähr wie die Reihe des Montblanc eine Verwerfung ge^
gen Norden aus der Hauptkette der Alpen ist, welche
nur noch durch Cols, die im Verhältnifs niedrig sind«
mit der Hauptkette zusammenhängt. Dem gemäfs ist
auch der steilere Abfall oder das Auftreten der Schich-
tenkopfe auf der Seite gegen Messina und die flaehere
Neigung gegen Nordwesten; und durch diese Ver-
werfung entsteht nun die grofoe Trennung dee Lan^
des durch die Meerenge von Messina. Gnenfs, Glim-
merschiefer, seltener Thonschiefer und körnige Kalk-
lager bilden die Hauptmasse dieses Gebirges ; der wir-
kende Granit erscheint nur in wenigen Punkten in der
Tiefe, aber häufig in mächtigen, durchsetzenden Gän-
gen durch Gneufs uud Glimmerschiefer auf den Ho*
hen Ober Messina. Diese schiefrigen Gestdne und
der Kalkstein mögen einst Juraschichten gewesen sein;
denn am Endpunkt der Kette, bei Täamuna^ stehen
ausgezeichnete Juraschiebten dem älteren Gebirge an-
gelehnt, und dies ist der einzige Ort ingdnx Sid-
lieny wo Juraschichten l>arkonmnen\ ganz unerwar-
tet, vereinzelt^ wie ohngefähr die Juraschichten bei
Hohnstein in Sachsen. Hr. von Dechen beschreibt (p.
490) mit girofser Genauigkeit und Kenntnifs die von
Hoffmann mitgebrachten Versteinerungen von Taormi-
na, und zieht daraus die Schlufsfolge, dafs die Schicht
ten, welche sie enthalten, nur dem unteren Und mittle-
ren Jura zugetheilt werden können. Schichten der
Kreideformation oder Tertiairschichten gehen nur bis
zu mäfsiger Höhe an diesem Gebirge hinauf und suid
nicht verändert. Daher fällt wahrscheinlich die Erhe*
bung der Kette und die Veränderung der Juraschich«
ten in die Zeit vor der Bildung der Kreide. Dafs
grobe Conglomerate, welche auph noch zu Juraschich-
ten gehören sollen, und am Ende der Kette bei Ales-
sio und am Monte Ciesi erscheinen^ Granit und GneuGs-
stücke in greiser Menge enthalten und daher diese Ge^
steine bei ihrer Bildung schon vorgefunden haben miis«
sen^ ist nicht ganz einleuchtend« Denn diese Conglo-
merate scheinen offenbar Reibungscßnglomerute zu
sein, wie sie ziemlich überall krystallisirte Gebirgsai^
ten umgeben«
II. Fast die ganse Nordseite der Insel und der
gröfsto Theil des Innern werden von Gesteinen gebil-
det, welche auch im gröfsteit Tbeile des Apenninenge»
birges wieder vorkommen i daher man sie als Apenni»
#1 Bfjfflmmmj. gMf(ü^$ii$tk0 Be^tmeAtungsni
net^FormaiiQn waMAxi\ gramer Sandstm mit Fiie«t«
den und NinÜBnialan, und Kalkstein mit Hij^«rite%
ten, welche die Kreükf^rmmtUn anssekh-
Nur die Westopitee und die Ostjeite der Inaet
werden Ton Tertiaimhiohten bedeckt, welche dieKrei-^
deachlehten darunter verstecken* Das Allee tritt gar
scbdn auf der treffliehen gcognostischen Karte ane
Licht. Diese Kreideschichten biMen ein Plateau^ wel-
ches am noffdliehen Rande bis nahe an 4000 Fufa
Höhe beskst» dann schroff gegen die Nordküste abfälh
und sich sanft gegen die Südwestküste verflacht. Ue->
her dasselbe erheben sich einzelne scharfe Kalkstein-
fciEnnie^ nicht viel unter 6000 Fufs hoch, der Nerdküste
nahe h Madonie (5936 par. Fufe), tau südwestUcken
Theile der Monis Camerma (4756 p. Fufs). ^ Eine
bestimnUe Ricktung dieser Berge, irgend einem Gebirgs«
Systeme gentftTs, ist nicht besonders auffallend; dUeia
Hr. V. Dechen erweist, dafs dem ohnerachtet Mue sol-
che Richtung durch die Schiclicung auf das Klarste
herrortritt^ Der Lauf der Schiebten ist nämlich fast
GJberail, in dem Raum, welchen diese Fonnation ein-
nimmt, von h. 8. oder von Nordwest gegen Südost
mit fast beständigem Emfallen gegen Südwest, und
.dies ist auch zugleich, welches hdcbst bemerkenswerlh
Ist, die grdfste Längcnausdehnung der Insel vom Cap
Lylibiieum (Marsala) bis zum Cap Passaro und zugleich
auch die Richtung der ganzen sudwestlichen Küste.
Es ist daher vollkommen die Richtung der Haoptkette
der Apenninen und auch der Lauf der Pyrenäen. Dies
kt ein schonet Beweis, uie es möglich ist, Gebirgs«
riehtnngen zu erkennen, daher auch die Gebirgssysteme,
BU webhen sie gehören, auch wenn diese Richtungen
dureli die Form der Berge sieh nicht verratben, oder
vielleicht an der Oberfläche gar nicht hervortreten,
oder auch wohl von späteren Hebungen und Terände-
rungen an der Oberlläche unkenntlich gemacht, oft fast
völlig verwischt sind. Zu den einseinen Gliedern der
ganze« Formation rechnet H. und bezeichnet auf der
Karte mit eigenen Farben^ von unten auf
a) sehr mlkhtig und weit verbreitet den grauen ß$coi^
dem Sande tein^ der aber auch zuweilen dem Quadersand-
stein vom Regenstein bei Blankenburg gan» ähnlich wird.
b) TAon und UUergefeeAee/ir in sehr grofser Aus-
dehnuiig und Mächtigkeit, vorzüglich auf der westli-
chen Seite und hn Innern bis mir sädlichen KCiste.
(Der BnchMs folgt)
e) Bfyfmritem-Kmlk oder Kalkataitt von PaletiM,
oft auch mit Korallen und Nummuliten, Diese leisten
sind stets klein« als die, welche die NummmUtmefer^
wmiiom zwischen der Kreide oder den parieee* oAat
MoeenhUdungen (bei Yerona, Rencalhal« Trawartrin,
ägyptische Pyramiden) ae sclir auszeichnen.
d) Kreidekmlketem. Cretm in SieUien. Porös, fast
erdige in welchem H. Ehrenberg die den Kreideschidk-
ten eigenen Polythalamien und kieselartige Infusorien
entdeckte. Nur allem ,t» dieeem^ der Kreidefarwea-
tion gekorenden Räume finden eiek die unxäkUgen
Schwefelgruben SeeMenOy die Sleinsalxniederiagea
und die mächtige Heiko dor Mierall darine^am Aer-
vortretenden G^peterge. Diese Erfahrung ist von
der groCsten Wichtigkeit. Sie lehrt, daCs auch in an-
deren Gegenden Steinsalz in . Kreidegebirgeo gesucht
werden kann, da(s man dalier von der Wahrheit nicht
weit entfernt sein mag, dieses Salf auch bei Wielicsks
oder an anderen OrtHi in Galieien mehr den Kreide-
ab den Juraschichten zuzurechnen. Dennoch gehören
Gyps, Schwefel und Steinsalz nicht als wesentliche
Glieder der Formation, s^mdem sind darinnen nur ge-
waltsam eingedrungene Fremdlinge. Der Schwefel i»t
dem Kalkstein und Tb(m niemals gleichförmig und ia*
nig beigemengt, wie es wohl sein mälste, wenn die
Bildung beider eine gleichzeitige, ununterbrochene ge-
wesen wäre, souderu er ist stets nur in zahlrcidMa
Kluften und Höhlungen vorhanden, und genau eben so,
wie wir den Schwefel noch jetzt in Gebirgsarten sieh
absetsen sehen, die von schwefelhaltigen Wasserdäs^
pfen durchzogen werden^ in der Solfatara van PiMizzel,
in den Fumacchien der Maremma toscana. Es kann
daher wohl nicht liezweifek werden, da/e «uek die
SekwefeHnidung SieiUene als durch Sublimatius
von Schwefeldämpfen enietandeny angesehen worden
mufe. Schwefel aber findet sich niemals in Gips; da-
gegen aber der letztere als Dach des Schwefds, ab
Ud^rzug oder in Rlüflen und Schnuren, wekhe die
Schwefelttieren durchsetzen. Diese und unzählige an-
dere Erscheinungen der SchLehtung und Lagerung fäh-
ren auch hier zu dem oft schon gefundenen SebhUs»
dafs Gips überhaupt nur durch Sehwefeldämpfe ^m^
standen ist, welehe^ aa der Luft oder durch Zetsetaung
des Wassers gesäuert, sich des darüberliegenden KaVu
Steins bemächtigen und ihn zu Gips verändertt.
J a h
^26.
r b ü c h
für
e r
wissenschaftliche Kritik.
Februar 1840.
Oeognostische Beobachtungen^ gesammelt auf ei-
ner Reise durch Italien und Sicilien in den
Jahren 1830 bis 1832, eon Friedrich Hoff-
manUy herausgegeben eonHeinr. v. Dechen.
(Schlafs.)
Eben diese Lagerung hat das, in diesem Theile SicQl-
ens so weit verbreitete, fast überall Forkommende Steith-
salx. Stets von Salfaren (Schwefelgruben) umgeben, liegt
es, wie der Sehwefel, ungleiehförmig und stockformig
im Kalkstein und Thon, und nirgends, wie vielleicht
noch nirgends in der Welt, hat man eine Solile des
Steinsalzes entdeckt. — Die Charte hat diese verschie-
^tuhtügen phttonischen IVirkungen alsSalina undSol-
Jara genau verzeichnet und zur leichten Uebersicht ge-
bracht Wenn wir aber- alle diese Augaben in den
.Grenzen einschlielsen, innerhalb welcher sie noch vor-
kommen, so findet sich, dafs eine gerade Linie^ von
der Mündung des JHio CfUtubelletta bei Sciacca bis
Randazxo am westlichen Fufse des Aetna gezogen,
genau die nordwestliche Grenxe aller dieser Wirkun«
gen bezeichnet; eine einzige, sehr entfernt und schon
jenseit des Gebirges liegende Solfara, etwas südlich
von AUa auf der Strafse von Palermo, allein ausge-
nommen, und noch bestimmter wird dieses plutonische
Hervorbrechen südwestlich durch eine Linie begrenzt,
von lAcata am Meere bis Paterno am Fulse des
Aetna. Dar umschlossene Baum, welcher nahe den
fünften Theil der Insel einnimmt (4,7)9 b^^ ^i® Gestalt
ebes wenig geöffneten Fächers^ dessen Spitze und
Knopf genau von der ungeheuren -Masse des Aetna
gebildet wird. In der Oeflfnung und Verlängerung die-
t^s Fächers liegt die vulkanische Insel Päntellarioy
welche H. besucht und von ihr eine höchst lehrreiche
Beschreibung gegeben hat, und fast genau in einer Li-
me zwischen diesen beiden Endpunkten erhob sich die
ephemere Insel Ferdinandea. Wie wenig in der That
iahrh, /. wUnnMch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
die Bewegungen im Aetna dem Fächerraum fremdar-
tig bleiben, erhellet noch mehr aus einer, Ton H. er-
zählten, höchst merkwürdigen Thatsache. Jedesmal,
wenn vom Aetna her' Erdbeben wirken, geräth der,
sonst ruhige Gas- und Schlammvulcan der Terra pila-
ta bei Caltanisetta^ zw51f deutsche A|eilen vom Aetna-
gipfel entfernt, in die heftigste Bewegung, welche meh-
rere Tage lang anhält. Es spaltet sich der Boden
jedesmal an demselben Orte und in derselben Richtung
von Oiten nach Westen^ und mit ihm spaltet sich zu-
gleich alles, was auf dem Wege liegt, Strafsen und
Gebäude, fast zwei Miglien weit fort und Gasströme
steigen aus der Spajte hervor« Stadt und Gegend sind
dagegen niemals von Erdbeben erschüttert worden, wel-
che doch die Städte der Nachbarschaft und bis weithin
zusammenwerfen und zerstören. — Hr. v. Dechen fugt
zu Allem diesem noch eine höchst beachtungswerlhe
und auffallende Thatsache. Die weit verbreitete Ter-
tiärformation, welche an der Nordseite nur gar wenig
über die Meeresiläche aufsteigt, auf der Ostseite dage*
gen sich in ein hooh liegendes zusammenhängendes Pla-
teau ausdehnt, erscheint im Fäeherraum und nur aU
lein in diesem Raum isolirt ganz abgerissen, inselför-
mig, wie Festungen mit steilen Wänden, hoch oben auf
den Spitzen der Berge der Apenninenformation und zu-
weilen in überraschender Höhe, ^jie sonst in keinem
anderen Theile Siciliens. Der Monte Salvo bei Castel
Giovanni liegt 2864 Fufs hoch, Caltascibetta 2417 Fufs,
der Monte Giuliano bei Caltanisetta 2118 Fufs^ der
Gipfel von S. Filippo d'Argiro 2586 Fufs hoch: solche
Höhen erreicht die Tertiärformation nirgends, wo sie zu-
sammenhängend vorkommt. Ist daher nicht dieses iso-
lirte, ungleichförmige Emporheben auf der plutonischen
Spalte eine Folge der auf dieser Oeffnung sich ungleich-
förmig vertheUenden, hebenden und zerreissenden Kräfief
Der Widerstand der gehobenen Massen ist hier nicht
mit dem zu vergleichen, ipn ganze Provinzen entgegen-
26
203
F. Hoffmdnn^ geognostüche Beobachtungen*
2ih
setzen, wenn sie gehöben werden. — Es ist wahrschein-
lich, dafs mit dem Aufsfeigen des Aetna zugleich diese
Tertiärinseln auf dex^ Spalte emporgerissen wurden, und
zugleich auch die Tertiärschichten, jedoch xusa^nmen-
/längend, am Rande der Spalte. Wirklich liegen Cal-
tagirone, Niscemi, Mineo an diesem Rande, auf Höhen,
welche die TeKifirformatiou bis zum Meere der Ost-
kiiste nicht wieder erreicht. —
III. Die Tertiiirformation, Ilr, v. Dechen belehrt
uns, dafs man sie in Sicilien in drei, im Aeufsern sehr
verschiedenartige Theile zerlegen kann. Der nördliche
und westliche TheU, bei Palermo und über Trapani
bis zum Capo Bianco bei Sciacca, folgt den Einschnit-
ten, Busen und Ufern, welche die Apenninenformation
bildet, und hebt sich nur wenig au diesen Bergen her-
auf. Auf sie haben die hebenden Kräfte nur wenig
gewirkt. Den zweiten Theil bilden die Inseln auf der
plutonischen Spalte; den dritten endlich die zusammen*
hängenden, über den gröfsten Theil des Val di Noto in
Südosten sich verbreitenden Scliichten, Doch bleibt der
zoologische Charakter aller dieser verschiedenartigen
Theile im Ganzen unverändert; U. v. Dechen läfst uns
darüber keinen Zweifel; denn er giebt von mehr als
zwanzig Orten in allen Gegenden von Sicilien dieTer-
steinerungs- Listen, wie man sie den genauen und flei-
Isjgen Arbeiten des Dr. Philipp! verdankt; und das ist
um so preiswürdiger, da man auch jetzt im Stande
ist, die kleinen Yeränderungen zu übersehen, welche
zwischen Gegenden statt finden mögen, die durch ältere
Gebirge von einander getrennt sind. Unter allen die-
sen Yersteinerungen sind keine beständiger, häufiger
und auszeichnender, als Pecten opercularie und Pecten
Jacobaeus^ beide noch lebend. In der Gegend von
Syracus glaubt man überall die Hufe von Naulthieren
in einem schlammig^n Beden zu sehen; es ist immer
nur das Innere dieser Muscheln. Auch ist die Ueber-
einstimmung mit den Muscheln der subapenninischen
Formation viel gröfser, als man sie in zwei eingeschlos-
senen, kaum mit einander in Verbindung stehenden
Meeren erwartet hätte.
IV. Die vulcanischen Gebilde^ Basalt und Basalt-
Tufi* im Osttheile der Insel. Der TufT, zuweilen von
vielen hundert FuGs Mächtigkeit, ist häufig ganz mit den-
selben Muscheln erfüllt, welche in den Tertiärschichten
sich finden, und Tuff, Basalt nind Kalkstein folgen sich
zuweilen -bis fünfmal hintereinander. Es ist zu bewun-
dern, mit welcher Genauigkeit und Ausdauer Hol
alle diese Verhältnisse in dem ganzen Räume verfolgi
hat, in welchem sie vorkommen. Da in dem Wechad
dieser Schichten und in ihrer Mächtigkeit gar kein Ge-
setz vorherrscht, so ist die Ersolieinung wohl gans vea
der grOfseren oder geringeren Nähe der Quelle aliliiB-
gig, aus welcher^ Basalt und Tuff hervorgetreten sind.
Dafs diese basaltiiche Thätigkeii xur Zeit der BH-
düng der Tertiärschichten Statt gefunden habe, lA
aus der Vormengung der Tertiärmuscheln mit dem ha-
saltischen Tuff ganz einleuchtend, und bestätig wv
man so schön im Thale von Ronca beobachtet, wbA
selbst auch in Deutschland am Westerwald , am ILh
bichtswald, wo Basalte die Braunkohlen durchbrecheiL
Aiii Capo Passaro wechselp zwar auch Basalt mit Krei-
deschichten ; allein es ist nur ein Eindrängen des Ba-
salts in weit früher gebildete Gebirgsarten. Basale»
stücke liegen nicht in der Kreide, und es gibt keiaei
Tuff^ welcher sich der Kreidemuscheln bem&chtiget hatte.
Uoffmann's sorgfältige topographisch - geognostische
Beschreibung des Aetna behält immer noch einen sehr
grofsen Werth, selbst nach der ausgezeichneten Arbeit,
welche Hr. Elie de Reaumont über den Aetna bekaut
gemacht hat. —
Wir gehen mit Hoffmann aus Sicilien auf das
feste Land von Italien zurück. Sein Aufenthalt in Nea-
pel war von zu kurzer Dauer, die Gegenstände zu nev,
als dafs überraschende Resultate sich ihm hätten Uer
darbieten können. Auch hatten die glänzenden, aber
wenig lehrreichen Erscheinungen emiger LavenausbrQ-
che des Vesuvs seine Aufmei^ksamkeit in zu hohen
Grade gefesselt. Der Monte Nuovo blieb ihm da
Schlackenausbruch; der schöne Dom von Trachyt ia
Krater von Astruni erschien ihm nicht in der Bedeu-
tung, die er in so hohem Maafse verdient, und in dea
Hügelumgebungen von Soccavo, Pianura, Monte Barbara
sah er mehrere Reihen hintereinander liegender Kra-
ter, welche Andere weder in solcher Folge, noch über*
haupt als Krater erkennen. Und so scheint es, dais
der kleine Aufsatz, welcher 1835 in Poggendorlfs Anna-
len eingerückt worden ist (B. 37. H. 1.), immer noeh
als nicht ganz überflüissig angesehen werden möge. —
Von Neapel geht H. im Dampfboot nach Livomo
und findet in Pisa den Prof. Paolo Savi. Dieser Mann
hatte die Gebirgsarten der Gegend und vorzüglich die
inselförmig, mächtig hoch aufsteigende Alp Afmana
205
JFl Hoffmann^ geognoHiscAe Beobfichtungen.
206
über Carrava genau und gründlich studirt, mid er hatte
zueist aus dem Zusammenhange der Erscheinungen ge-
seigt, dafs der Marmor ?on Carrara ein umgewandelter
Kreidesandstein sein müsse. Nach ihm bestehen diese
Berge 1) aus Fetrucano , Talk- Chlorit- und Thon-
sehiefer, oft dem Glimmerschiefer, ähulich) 2) aus ge-
jcbichtetem Kalkstein Albarese^ in dem sich häufig Ver-
. steinerungen finden,, 3) aus Maetgrio, dem Flysch der
Schweizer, dem grauen Apenniuensandstein mit Fucoi-
den, in dem untergeordnete Schiefer das bilden, was
man Galeitro nennt, ein Name, den H. häufig braucht,
auch die Schweizer jetzt in den Alpen anwenden,« ohne
doch die Sache näher zu bezeichnen, oder sie zu be-
sohreiben. Granit und auch Serpentin und Gabbro ver-
ändern die ursprüngliclien Gesteine zu der Form, wie
man sie jetzt auf den Gipfeln und an den Abhängen
der Alp Apuana findet. Mit seinem gewdlinlichön Ei-
fer reiste H. sogleich nach den Apuapischen Thälern
In der Garfagnanaj fand dort in grofser Mächtigkeit
den Serpeiflin und den Gabbro, und an den stellen Ab-
fallen des Monte Altissimo erschienen eine Menge That-
sachen, welche die Veränderung der dichten Kreidege-
stdne zu kömigen und schiefrigen Massen aufser allem
Zweifel setzen mufsten. Nur mochte der Kalkstein nicht
der Kreide, sondern zu Juraschichten gehören, denn der
Macigno liegt überall höher. In der That beschreibt
auoh. Hr. v. Dechen nach Emmerich, (p. 266.) einen
Ammonites Bucklandi (nicht Conybeari) aus diesen
Kalkstein, der nur zii Liasschichten gehören kann; und
die kleine Kette, welche sich von Spezia nach Porto
Yenere zieht, ist nur allein von Juraschichten gebil-
det. Das genaue und ausführliche Verzeichnifs (p. 287)
der dort gefundenen Versteinerungen läfst darüber kei-
nen Zweifet Dies Yerzeichnifs berichtiget, was de la
Beche in seinem geognostischem Handbuche von den
organischen Resten von Spezia gesagt hatte, und die
wenigen neuen Arten von Ammoniten, welche Hr. r.
Dechen hoch aufgenommen hat, möchten sich wohl, bei
Auffladung besserer Stucke, mit anderen, schon bekann-
ten Arten vereinigen lassen. — Bemerkens werth ist es,
dafs H. im Herabsteigen gegen Sarzana bei Caniparola
e\nen Steinkohlenbergbau im Macigno im Betrieb
- fand; vier Kohlenflqtze übereinander etwas mehr als ^
Lachter mächtig; Pechkohle mit häufigem Dycotelidon-
bolz. Im Dach der Kohlen ^nden sich Blätter, welche
IUI Weiden-, Pappel- und Kastanienblätter erinnern. — >
*
Steinkohlen im Macigno, Karpaten, Wiener, Fucotden*
Sandstein zu finden, ist wohl ein seltenes Vorkommen. -^
Auf dem Wege nach Genua glaubt H. sich überzeugt
zu haben, dafs die berühmten Dachschiejer von La-
vagna über Macigno liegen, daher ebenfalls zur For-
mation der Kreide gehören! Es ist zu erwarten, dafs
wir bald genauere Aufschlüsse über die Lagerung die-
ser Schichten durch die fortgesetzten und mühsamen
Arbeiten des Marquis Fareto erhalten werden, welche
eine i'ortreffllche geognostische Charte des ganzen ge-
nuesischen Landes zur Folge gehabt haben. — -
Mit Genua endigen sich Hoffmann's Untersuchung
gen über Italien. Ein an wichtigen Thatsachen so
überreiches Werk hätte olme Register der vorzüglich-
sten Sachen und der durch sie individualisirten Orte
nicht sein sollen : da es jedem Geognostqn ein fortdau-
erndes Handbuch bleiben mufs, so ist ein solcher lei^
tender Faden nothyirendig; und wir wollen der Hoffnung
nicht entsagen, dafs der treffliche Herausgeber, der
schon für Hoffmann und für sein Werk so viel gethan
bat, auch diesem Bedürfnifs noch abhelfen werde. —
Xeopold von Buch»
XVHL
M. TuUi Ciceronis de finibus bonorum et ma-
lorum libri quinque. Recensuit et enarrauit
D. lo. Nicolaus Ma d^sigius. Hauniae, 1839.
Inpensis librariae Oyldendalianae. LXVHI
praef. 902 pagg. mit Excursen^ Nachträgen
und Indtces. gr. 8.
Wir beeilen uns unerern Lesern ein ausgezeit^hne-
tes Werk anzuzeigen, welches in der Kritik und Er-
klärung der Ciceronischen Schriften über Philosophie
Epoche machen wird. Hr. Prof. Madvig in Koppen-
hagen kündigte sich den Kennern der Römischen Lit-
teratur schon im Jahre 18^6 durch sein^ Emeudatio-
nes in Ciceronis libros philosophicos als ein scharfsin-
niger Kritiker an ; er vermehrte seinen Ruf durch die
1828 erschienene Epistola critica ad Orellium über die
Yerbesserung der beiden letzten Bücher gegen Verres^
wozu ihm der Fund einer in d<3r Koppenhagner Biblio-
thek befindlichen CoUation einer Pariser Handsehrift
Gelegenheit gab ; ferner durch eine Reihe vortrefflicher
Abhandlungen über einzelne Gegenstände der Römischen
207
M. T. Cieeronis de ßnibus bonorum et malorum libri quinyue. Ed. Madtng.
Sprach* und Sachgelehrsamkeit, die er in deinem Be-
ruf als Prograinmatarius der Koppenhagener Univerti«
tSt schrieb *}. Er hat im Jahre 1834 die bis dahin ver-
fafsten Abhandlungen in verbesserter Gestaft als Opus«
cula academica herausgegeben, und es ist su wuiisclien,
dafs er auch die spHter erschienenen in einen zweiten
Band Opuscula vereinigen möge. Seine Textesreoen-
sion von einigen zur Schullecture bestimmten Reden
Cicero's und der beiden Dialoge Cato major und Lae-
lius (Koppenhagen 1830 und 36, mit bedeutenden kriti-
jBchen Yorreden) bewährten nicht minder ein ausge-»
zeichnetes Talent das Richtige zu erkennen und her-
zustellen. Die vereinigte Kunst der Kritik uiid Interpre-
tation hatte er bisher noch nicht in der vollständigen
Ausgabe eines Autors dargelegt. Jetzt liegt uns seine
Ausgabe der fünf Bücher Cioero's de finibus vor, und
wir finden, wie wir erwartet, dafs nach beiden Rich-
tungen Vorzugliches und Eigenthümliches darin gelei-
stet ist.
Cicero trägt in diesen Büchern das Epicurische
und dajs Stoische System und die von Antiochus aus
Ascalon unter dem Namen der alten Akademie wieder-
erweckte Lehre vom höchsten Gut vor; er läfst das
Epicurische System von dem Stoischen, das Stoische
vom Akademischen widerlegen, und letzteres sich
schlierslich noch gegen einige Einwürfe der Stoiker
rechtfertigen. In dieser Aufstellung und Bekämpfung
der Systeme schliefst sich Cicero genau an die Schrif-
ten der damabls geltenden Vertreter der Schulen an; er
übersetzt, eigentlich zu reden, sowohl System als Wi-
derlegung aus dem Griechischen, aber mit derjenigen
Freiheit, die theils bei den Allen anerkannt wurde,
theils dem Cicero nötliig schien, um den Begriff schrift-
stellerischer Selbständigkeit für sich in Anspruch zu
nehmen. Aus' den Herculanensischen Fragmenten der
Schrift des Epicureers Pbädrus nkqi ^^^cor, welche Prof;
Petersen in ^lamburg abgesondert herausgegeben hat,
«rgiebt sich, dafs Cicero sich bei der Darstellung des Epi-
ourisehen Sy^stems im ersten Buche de natura deorum
{unter der Person des Yellejus) ganz genau .an jenen
.Griechischen Autor gehalten hat. Denselben Philoso-
phen, vermuthet, Hr. Madvig, hat Cicero auch im er-
*D Wir haben did zwei Abhaudlangen de colon. pop. Rom. jure
et condicioDe in den JahrbUcheru 1834. Nr. 40. angezeigt,
(Der Beschlufs folgt.)
•teti Buche de finibus vor Augen gdbabt. Die Wider
legung der Epicureer im zweiten Buche de finibui a
höchst wahrscheinlich ausChrysippus Schrift m^iTtU
genommen. Im dritten Buche (der Aufstellnng k
Stoischen Lehre) folgt Cicero, wie Hr. Madvig ia I
Excurse darthut, nicht dem Chrysippus, sondern im
Diogenes Babylonius oder einem Nachfolger deaelbei^
vielleicht mit theilweber Hinzuziehung eines und da
andern Späteren. Im vierten und fünften Buche fA
lieh schliefst sich Cicero so genau an Antiochui da
Ascaloniten an, dafs er, auf die Y ersicherung dieses fÜ
losophischen Yermittlers bauend, dem Aristoteles Ldb*
Sätze zuschreibt, die dieser nicht hat. In der Fl^
schung nach den Griechischen Quellen der von Geen
vorgetragenen philosophischen Ansichten, und in k
Prüfung, wie Cicero sie im Einzelnen aufgefafst ni
dargestellt hat, setzen wir das interpretatarüeheHuf^
verdienst dieser neuen Ausgabe. Hr. Madvig bewifat
dabei eben %o viel Gelehrsamkeit, aU Schärfe des &
theils und Freimuthigkeit über Cicero's philosophiichi
Verdienst. In dieser Hinsicht ist besonders der s^
beute Excurs über die von Cicero als unzwrifeiht
angenommene Eintheilung der Schriften des Aristotela
in exoterische und esoterische, und über -die diirAi^
Kenntnifs, welche der Römbahe Staatsmann tod^ii-
stoteles eigentlich philoso|)hischen Schriften hatte ({^
gen, Hrn. Stahr's Aristotelia und Aristoteles unter dei
Kömern), sehr interessant; so wie sich der 4(e Exeon
über den Begriff der bei Cicero so häufig und vnUr
verschiedenen Bezeichnungen erwähnten, den äKemP«-
ripatetikem und Akademikern untergeschobenen /'ft^
naturae {tä it^wxa xara <pi/a;9') und der fünfte ubef
die Eintheilung der Ethik bei den Stoikern (g«^'^
tersen in den Fundamenta philos. Chrysippeae) durel
die Genauigkeit der Untersuchung auszeicboet ^
gründlidie Eindringen in den philosophischen Stoff g^
reicht der Philologie eben so zut Ehre, als es «»««•
gänglich nöthig ist bei einem Werke, welches ni*
aus der Gediegenheit eigener Forschung hervorgegan-
gen, sondern mit gewandtem Dilettantismus (wie ack'
tungswerth auch immer mit Rücksicht auf die Pe»*^
und die Umstände) aus fremden Ansichten znsawiD«»-
gesetzt ist, und wo aufserdem diese Ansichten seihst nit^
ursprünglich entquollen, sondern vielfach abgeleitet sin*
wissen
J^ 27.
Jahrbücher
u r
seh a f 1 1 1 e h e
Februar 1840.
Kritik.
M. TuUi Cicero n$s. de ßm%u8 bonorum etma-
Iqrnm Hbri quinque. Recensuit et enarrauit
D. lo. Nicolaus Maduigius.
(Schlafs.)
«
Zugleich aber wollen wir bemerken, dab dai
Terfahren des gegenwärtigeii Herausgebere weit ver-
aehieden ist von ^avisius' ParallelemiimniluQg aus den
Griechischen Autoren der Geschiebte der Philosophiei
deren Steife ein leidHches Compendium dieser Ge-
fchichte vertreten kann^ oder von Beiera auf das
Fremdartigste abschweifenden, alles zusammenraffenden
Diatriben. (in seiner Ausgabe des Cicero de Officiis).
Bremi faeschräjikte sich darauf, die Argumente der
drei ersten Bücher de finibus in lichtvollem Zusammen«
hangy aber ohne Eindringen auf die Quellen, darsule*
gen. Görenz, gab sich zwar das Ansehen tieferer Ein»
sieht, leistete aber zur philosophischen Erklörung gar
fuclitsf er that zu dem, was er abschrieb, wie Herr
Madvig praef. p. LI streng aber gerecht sagt,, nur die
auffallendsten Irrthumer hipzu.
Mit derselben Schärfe und unnachsichtiger Wahr^
lieitsliebe ist in der vorliegenden Ausgabe die gram«
ma tische Interpretation und, n^as davon nicht zu tren-
nen ist, die Textes- Kritik bebandelt. Hr. Madvig fafst
besonders die Schwächen, Unbesiinuntheiten und Naeb*
lässigkeiten derDiction Cicero's in den phUosophisehen
Schriften scsharf ins Auge. Was sonst in der Regel
nicht blols entschuldigt, sondern gereohtferilgt oder ge-
waltsam zurecht gerüekt wurde, Widerspruche im Ein«
leinen, Maugel an Folgerichtigkeit, das setzt er steh
vor in der ganzen Blöfse eilfertiger Abfassung darzu-
stellen. Er spricht darfiber in dem letzten Abschnitt
seiner Vorrede pag. IXV flg. und schliefst mit der
Erklärung: Nos vero Ciceronetn adtnirefnur m ora*
tioniAuSy in libri$ de philosophia accipia$nu% tolem
fualis esse potuit^ /labeamusque debitam gratiam
Jakrh. f. wuitMch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
quod et Latine pkHesophiam deeuit et tantam nuh
teriam ad Oraecorum pkilesephimm eognosee^tdam
nobis servopit. Die Sache kt richtig, und Refer. hat .
nichts dagegen, wenn die Diction der grofsen alten An« .
toren der schärfsten Prüfung unterworfen wird: es
wird dadurjch, wenn die Kritik mit solcher Gründlich^
keit gefibt wird, mehr gefordert als dureh stereotyp!-*
sehe und unverstandene Bewunderung: nur das Eine
ist zu besorgen, dafs eine solche Richtung grammati*
scher Interpretation Anfängern gefalle, die, was an
einzelnen Stellen richtig nachgewiesen ist, auf das
Ganze übertragen und das Vorurtheil der Bewunderung
in ein noch schädlicheres Yorurtheil der Geringschät«
zvn'g umkehren. Deswegen kann Refer. nicht umhin, ^
der «anschuldigenden Tendenz, bei aller Wahrhaftig-
keit, das Wort zu reden. Bd der Interpretation und
Kritik im Einzelnen erklärt Hr. Madvig, den Bemer-
kungen seines Freundes Wesenberg, Lehrers an der
Domsehule zu Wiborg in JOtland, vieles zu verdan«
ken, und Ref. benutzt diese Gelegenheit, dem gelehr«
ten und scharfsinnigen Verfasser der Observationes cri«
ticae zur Rede pro Sextio (Viburgi 1837) seine aner*
kennende Hochachtung zu bezeugen.
Der Text der Bücher de finibus schien durch
Görenz (1813), der Un Besitse werthyoller Hülfsmittel
rine doppelte Handschriften*Familie entdeckt tmd nach
der besseren (Palat. 1 bei Gruter, Erlangensis und Spi-
rensis bei Gdrenz selbst) den T^xt constltuiK hlEitte
(oder wenigstens hatte constltuiren wollen) eine gevfSt»
gende Sicherheit erlangt zu haben. OreUi (1828) ging
in Ermangelung neuer Hülfsmittel nicht viel über Gd*
rena hinaus, 'obgleich er manches verbesserte ; eben so
Otto (1831}, der eine Schulausgabe lieferte, bei der
Gdrenz' Ausgabe zu Grunde gelegt und excerpirt wur-
de. Hr. Madvig tritt als der entschiedene Gegner
Gdrenz' auf: seine Ausgabe ist die Destruction der Gd«
renzischeu* Das schwächliche Urtheil Gorenz's^ seine
27
211 M. T. CiceronU de finibu$ bonorum et
mehr übertünchte als solide Gelehrsamkeit, besondem
auch seine Uosuverläiisigkeit in Angabe der I^esarten
fvaren schön hie und da zur Sprache gebracht worden,
aber einen solchen Gegner als Ilrn. MadTig .hat er
noeh nicht gefunden. In dem aUgemeinen Ortheile,
dais die bessere Familie der Codices bei Cicero de fini-
bus zunächst aus Pal. 1 Erlangensis und Spirensb be-
steht, stimmen beide überein; aber in der Entwicidang
des Prindps. der Kritik und in der DurcbfQhrung des-
selben, in der grammatischen Rechtfertigung und Aus**
legung, ist Hr. Madvig ein Kämpe, der den mattherzir
gen, zierlichen, unsicheren Zwickauer Kritiker Schlag
liuf Schlag. zu Boden streckt Ref. will Görens nicht
in Schute nelimen: er giebt gar zu häufige -Beweise
Ton Flüchtigkeit und Urtheilslosigkeit, wie deuft auch
sein Latein trotz der immer wiederholten Yersicherung,
wie fein er^observirt habe, ein Specimen von Fehler*
haftigkeit bt ) was aber das Schlimmste ist, die Unzu-
Ferlässigkeit, ja eine entschiedene Unwahrhaftigkeit in
Angabe der Lesarten seiner wichtigsten Handschrift ist
nicht mehr in Abrede zu stellen. Hr. Madvig bat sich
näbmlii^h eine genaue Vergleichung des Erlanger Codex
verschafift, welchen Görenz selber vor Augen gehabt
bat, und da ergiebt sich trotz dem, dafs Görenz die
Wichtigkeit der Handschrift für die Kritik «rkannte,
^b seine Angaben, nicht nur nachlässig, sondern häu-
fig geradezu falsch und entstellt sind. Bei alle denl
liälte es vielleicht genügen können, das Richtige an die
Stelle des Fabchen hinzustellen und die Glossen dar*
i^er dem Leser, der beide Ausgaben vergleichen wird,
zu überlassen: es würde sich auch ohne Scheltreden
bei den Einsichtigen bald ein Urtheil über den Werth
^er jkeiderseiügen Ausgaben gebildet haben und eben
$o bald allgemein ^geworden sebu Iddessen mag dies
Fegefeuer, was gelegentlich auf andere deutsche Phi-
lologen ausgedehnt wird, auch sein Gutes haben. Die
Bucht neue Ausgaben der Klassiker ohne neu^ Hulfs«
nittel, ohne die Veberzeugung Wesentliches geleistet
zu haben, oft auch ohne ;die gehörige Sorgfalt in Be-
nutzung des Vorhandenen, ans Lieht zu stellen, ist in
Deutschland gewifs zu weit getrieben $ es ist, abgese-
b^ von inerkaDtiler Speculation, bei inanchen nur der
Wunscli, seinen Autor auch in seiner Ausgabe zu le-
sen, wodurch immer neue Ausgaben hervorgetriehen
weiden« Herr Aladvig kennt die deutsche Lltteratur
malorum libri fuinyue* JSd. Madvig. 219
unseres Faches ganz genau, er lebt darin, *) vnd^spricbl
zugleich ab Fremder sein Urtlieil mit einer riiddialtlo-
sen UnbeCangenheit, zuweilen aber auch mit einer Bit»
terkeit aus, von der wir uns in Deutschland durdi im
geselligen Vereine mld in Felge der Klagen über Inhi
manität der Gelehrten längst entwöhnt haben.
Was aber Görenz' Leistungen betriffit, so möge n-
ser Dänische Freund doch das Eine nicht
dafs Crörenz bei al|^r Gelrechlicfakeit seines W<
sich in der Gevchiehte der neuem Philologiie dadurdfc
ein bedeutendes Terdienst erworben hat,. daCs er dv
erste gewesen bt, der denBegrifF von Familien der
Codices in den Gang gebracht hat» Die neulesla-
mentlichen Kritiker haben ihn allerdings schon frvba
aufgestellt, * aber Anerkennung hat er dodi sncfst
auf dem Boden der klassischen Philologie durch GöRU
gewonnen; und es ist noch gar nibht lange her, dafi
gewisse Kritiker, ^ sich auf ihren veralteten Tnstsün
SU viel einbildeten, die ganze Ansicht Ins Lächerficte
zu ziehen sich bemuhten. Wie sehr aber die Sieberfadl
der Kritik yon der Erforsdiung, ob sich die Tersdne»
denheiten der Handschriften Huf Familien zurnckfuhrea
lassen, abhängt, hat Hr. MadFig dureh die ^egenmr«
lige Bearbeitung des Cicero de finibus aufs Neue be«
wiesen. Er spricht in der Vorrede über die Codices
dieser Schrift, sowohl über die, ^*elche frfihere Edito«
ren benutzten, als die von ihm selbst herbeigezogenen;
er classificirt sie in gute, schlechte und gemisehte^ ss
genau als es die- Mangelhaftigkeit der älteren Mittbdr
lungen erlaubt: es erglebt sich leider,, dafs alle frühe*
ren Yergleichungcn höchst nachläfsig angestellt oder
mitgetheilt sind: von der Klasse der guten ist alleia
der Erlangensis jetzt im Ganzen genau verglichen: cf
dient als Basis um zu erkennen, was in dem codex
archetypus gewesen ist; die Erwähnungen der andern
guten helfet aus, und die schlechten, die auf einer
durchgrei£endeil neuern Correctur beruhen, lassen. ia
ihrer Verderbtheit nicht minder Schlüsse auf das, was
ihnen vorlag, machen. Yon dieser Klasse hat Hr.
Madvig die beiden editiones principes und die Yerglei*
*) Hr. Madvig bedient sich sogar des Deatdcben recht gesdiickt
zur sprachlioben Erläuteraog an Welen Stellen, was die Le-
ser diesseits der Ostsee mit gebührendem Dank erkenneB
' werden. Nnr ein Mahl S. 292 ist ihm e\p Fehler gegen die
Grammatik eiitschiilpft.
^ •
213
M* T. CttetotM de finitui tonarum et mal^rum Mrr 4fuinqu9. Ed.' Ma^ig.
;8U
Zungen einer Pariser» einer Leidener und einer Mun«
«heoer Handsohrift, die aber nur die. 3 ersten Buclier-
enthält, Lenutst. Es Icommt dem Kritiker zunächst
darauf an eaerlcennen, Wte in .dem Stammcodex ge-
wesen ist: aber es findet sich, dafs dieser Codex selbst
f^ehler und Auslassungen hatte. Hier war dann nur
dwröh emeBdir0nde Conjecturalkritilc Hülfe su schafifen.
Ueber die Anwendung derselben stellt Hr. Madvig an-
tuerkeunende und anerkannte Regeln auf, die er durch
^in glänzendes Bei^iel in der Verbesserung der cor-
fupten Stelle der Rede pro Caecina c. 27. §. 76. an
der Orelli verzweifelt hatte, nach der Lesart des Er-
furter Codex belegt (praef. p, XLlX) und im Verlauf
aeiner Arbeit häufig zu bethätigen Gelegenheit findet«
Sollen wir nun über das Ergebnifs dieser kriti-
schen Arbeit ein allgemeines Urtheil fallen, so erklä*
yen wir mit freudiger Ueberzeugung , • dafs der Text
eine durchgreifende ' Berichtigung erfahren , oder viel*
mehr, dafs er jetzt erst diejenige Sicherheit erhatten
hat^ 'welche ihm diplomatische Sorgfalt, soweit die
Hülfamiftel reichten, mit feiner Sprach- und Sachkennt-
nils hat geben können. Hr. Miadvig nimmt dabei alle
Gelegenheit wahr, streitige grammatische und lexikali*
•ehe Punkte grundlich zu erörtern, so dafs diese No«
ten aufser dem nächsten Zweck die Lesart festzustel«
Ien,^'aach noch einen bedeutenden Gewinn für die
Kenntnifs der Latinitat enthalten, wio dies immer das
Bestreben guter Commentatoren gewesen ist«
Dabei bedauern wir aber, dafs Hr. Madvig d«i
vergeblichen Versuch gemacht hat, auch die Ortho-
graphie des Cicero herstellen zu wollen. Er schreibt
nicht nur im Text, sondern hefremdlieher Weise auch
h seinem eigenen Latein 9t für ett nach Yocalen,
fuomy nouomy plurümumy reicere^ adseeuntuTj con^
mewrey ecfieere^ iniellegunt u. a. Die Mai'schen Pa-
limpsesten selbst, auf welche Hr. Madvig sich zumeist
stützen wollte, beweisen wie jenes Verfahren weder di^
plomatisch richtig ist, noch zu irgend 6iner Consequens
fBfOfart werden kann. Schreibt doch Madvig selbst
yuidquid^ was gegen alle Codices ist, die nur tjuicquid
haben, und ascituf^ aspectu^^ tirrogo^ was gegen sei-
Wn in den übrigen Zusammensetzungen befolgten Grund-
satz streitet. Ref. ist immer der Ansieht gewesen, dafs
wir für unsern Gebrauch und die gangbaren Ausgaben
. der Autoren (denn, versteht sich, ist die Sache ^bei Qri»
guialdrucken eine andere) bei^ dem geregelten Usus
der Grammatiker späterer Zeit, nahmentiioh^ beiden Vor«
Schriften Priscian^s stehen blsibeh ^ müssen. Die Alten
selbst verschmähten bekanntlich die Uniformität, diewit'
für noth wendig halten, ^und achteten die^ ganze Sacho
für unerheblieli. Dagegen beschäftigten sich die Gram*
matiker derjenigen Zeit,* wo die Lateinische Sprache
zwar noch lebte, wo jedoch die Fehler der vulgaren
Rede, Aussprache und Schrift in Schulen verbessert
Werden mufsten; sehr eifrig mit der HersteUung eines
rationellen auf die. beste Tradition * gegründeten Usus.
Die Codices im Ganzen betraclitet (abgesehen von den
noch aus älterer Zeit stammenden Palimpsesten) reprä«
sentiren wirklich diesen endlieh festgestellten Gebrauch,
und weichen darin gar nicht so sehr von einander ab^ .
als man sich gewöhnlich vorstellt: nur die jüngsten des
14. und 15. Jahrhunderts führen wieder die Fehler der
landesüblichen Aussprache in die Lateinische Schrift ein»
Z..B. das e wo es jiicht hingehört, (nuncius, ooncio), e
, für ae^ den Ueberflufs des A und der Doppeleonsonan*
ten. Ref. hat aber nicht nöthig, gegen Hm. Madvig
zu polemlsiren, da dieser Gelehrte selbst am Schlufs der
Vorrode das Bekenntnifs ablegt, es gereue, ihn, sich ^u£
eine Sache eingelassen zu haben, die zu keinem er-
sprieCdichen Resultat führen könpe. Und so seheint
der treflflich^ Bearbeiter der Rede Cicero's pro Plancio,
Prof. Wunder in Grimma, ebenfalls von der Aufstellung
einer neuen Lateinischen Orthographie zurückgekommen
zu sein, da er seit dem Jahre 1830, wo er sie in der^
Täuschung neuer Entdeckungen versprach, geschwie«
gen hat
Dem erstrebten Abschlufs der Texteskritik des Ci-
eero de finibus ist jedoch auch unter den Händen eines
so ausgezeichneten Kritikers, wie Hr. Madvig ist, ein
Umstand hinderlich gewesen, dessen Beseitigung von
der Folgezeit, und am besten von Hrn. Madvig selbst,
zu hoffen ist, nähmlich der noch fühlbare Mangel an
genauer Vergleichung mehr^r Codices. Die Zahl deir
Stellen, wo die Lesart noch unsicher ist, oder unbe«
glaubigt bleiben mufste, ist gar nicht gering. Es ist
möglich, dafs ein Theil derselben bei der wahrschein-
lich gemachten Fehlerhaftigkeit des Stammcodex nie-
mahls diplomatische. Sicherheit erhalten wird, aber ein
anderer Theil wird zuverlässig bei besserer Kenntnifs
der vothandenen HüUsmittel festgestellt werden kön^
nen. Ref. hat die Lesarten eines Codex erhalten, der
nicht zur Klasse der guten gehört^ aber dennoch eine
2 LS M. T. Oic&ronü deßniiH§ ienof'itm et malorum litri fuit^ue. Ed Mmbdg.
216
Anzahl Stellen, wo jetzt^noeh gezweifelt ;wircl, berichtigt»
I, 2, 4 Quü enim tarn immtcus paeue nomini Ro-
mano e$tj gut Ennii Medeam aut Antiepßm Patm»
vii spemat aut rejiciaty guod äe ntdem Euripidh
fabtdi* delectari dicai^ jLatmas, iüeru$ oderit? Der
Codex läfst den anstöCsigen letzten Zusatz Latmas U^
terM oderii aus« — I, 6, 20 Nam #f omnes atomi
ffeclinaSunt^ nul/ae unguam cohaereseent^ ewe aliae
declmatunt^ üfiae 9»o mstu recte ferentur eto» Der
Codex hat sive omnety wie der Sprachgebrauch ea er-
fordert. — r I, 7, 23 hat die^selbe Handschrift gegen die bis«
her bekannte Autorität percu44itf wie Hr. Madvig emen-
dirt. Dagegen schüUt sie vorher den Conjunctiv in
dem Satze nigue eum Torguatum^ gui hoc primu9
cognomen invenerit mit Reclit, denn dieser Zwi*
schensatz ist von der obliquen Bede nicht zu trenneoi
wie es allerdings in der angezogenen Parallelstelle
Tuscul. lY, f. 49 der Fall ist. Eben so wenig kön«
nen wir ber Cic. p. lege Manil. §. 5 Auic gui 9ucces^
$it für richtig v^bessert . halten, weil gut success^rit
die scUechterdings nothwendige Bezeichnung euier nicht
mit Nahmen genannten Person, nicht ein historischer
herausnehmbarer Zusatz ist. — I; 7, 25 Nunguam
koe üa defendit Epicurü$^ negtie vero tUy aut
guüguam eorum^ gut aut saperet aliguid^ €tut Uta
didieÜ9et. Die Schwierigkeit, dals in der Belation von
dem, was die Epicurische Scliule gelehrt hat, neben
dem Meister selbst mit einem Mahl der Römische Jün»
ger genannt wird, der nie ein philosophisches Buch
geschrieben, oder seine Ansicht öffentlich dargelegt
hatte, ist in die Augen fallend. Der Codex hat olme
Corr,ectur oder Glosse negue lUetrodorus im Text»
und es ist einleuchtend, dafs dieser Mitstifter der Epi-
curischen Schule, paene alter Epicurus, wie er 1|, 28
heafst, ganz allein hieher gehört. Der Codex hat bei^^
läufig in diesem § iind überall nicht Epicureij sondern
Epteurii^ über welche Formen die Zusammeostellung,
ivelche zu y« I, 16 gegeben ist, noch zu vervollständi«
gen war. -~ I, 8, 26 Quid ei religui^tty nisi te guo^
gue modo loguerelur^ intßUigere guid diver et% Der
Codex hsit guid enün religuisHy wie Oxon. J5$ und
ohne Zweifel noch andere $ denn es ist der Verbindung
halber das Richtige. In demselben Sätze führt die
Terderbnifs dieser und anderer auch guter Codices ^»0.
gue 'ut id modo auf guocungue modo. -~ Im nSidisiteB
§. 28 hat der Codex An mey inguanty nisi te tnsdire
vellem^ een$e$ haec dicturfim futiuef XJtruat igituTy
inguity praecurri w^ni Epieuri dieeiplina piet^ety
zum Theil fehlerhaft, aber An^ waa Uc Madvig. bit
ligt, wird beglaubigt» und inguity was er für eineii br-
thum der Davisischen Tergleicfaung hält, wird geredit-
fertigt. — I, 9 beginnt der Codex den Abschnitt so:
Primum igituTy sicut ipn auctori ht^ue diecipUnme
plaeety constituam. Die Vulgata hat weitschweifig«
Primum igitur ticagam ut-^placet: constituatm^vai
es findet auch dabei noch einige Unsicherheit Statt. —
II, 17 ist die gewöhnliche Lesart Sic vester sapiensy
magno aliguo emoiumento dommotusy cum eaueet, m
ojms fuerity dimicabit. Cum causa wird als falsch
anerkannt: man hat emendirt a/mju causay dessen wah-
re Bedeutung (wie Hr. Madvig zeigt) „zum Zeitver-
treib" durchaus unangemessen ist. Er selbst remu-
thet cum amicoy „der Epicureer wird selbst ndt einen
Freunde falls es nothig ist streiten"| und er bedauert
nur, dafs die Verbesserung sich von dem Buchstaben
zu weit entfernt. Uns scheint der Yorschlag aber aueb
dem Sinn sehr wenig zu entsprechen, denn die £pien-
reer rühmen sich auch ihrer Freuudschaftspflege, und
hier handelt es sich nur um die Behauptung, dafs nach
dem Bpicurischen System die Tapferkeit ihren Grund
nur in dem zu hoffenden Genufs habe. Unser Codex
hat: Vester sapietis magno aliguo emolumento prO'
positOy cufn jam sibi opus Juerit^ dimicabit^ was voll«
kommen genügend zu sein scheint: ,,der Epicureer
wird, wenn es um eines grofsen Yortheils wegen nö^
thig ist, streiten, d. h. tapfer sein." Der Codex fahrt
fort si occuUum Jacintis esse potuerity gaudcbit. In
allen Codicibus fehlt si, aber es ist sehr die Frage, ob
sie darauf angesehen worden sind. 11, 27 hat der Co*
dex: EiennA, guemadmadum tuie dieebasy neg^
Epicurus nee diuturnitatem temporis ad beats tfipen*
dum guicguam iiff^erre^ nee cet. womit alle Schwie-
rigkeiten gehoben sind, wegen welcher Hr. Madvig
die Stelle noch mit einem f bezeichnet hat. In dieser
Stelle ist übrigens Eienim ganz ricshtig und nicfat te
At e&im^ wie Hr. Madvig nach Davisius' Coigectur im
Texte hat, zu verandern. Denn der Satz enthält kei*
nen Einwurf der Epicureer, sondern eine Bestätigung
der von Cicero vorgetragenen Ansicht ; selbst Epieunn
sage, die Dauer der Zeit thue nichts zur Seeligkeit
Wäre es ein Einwurf, sopafste tute nicht Bef.muGi
sich weitere Mittheilungen für eine andere Zeit und
Gelegenheit vorbehalten. Das Angeführte sollte nur als
Beleg dienen, wie selbst aus einer nicht vorzuglicfaeB
Handschrift da, wo v noch so wenige genau verglichen
sind, manch Erspriefsliches zur Wegräumung von kri-
tischen Bedenken und Sicherstellung des Textes abge-
leitet werden kann, und dafs die durchaus vorzügliebe
Arbeit des' Hrn. Madvig noeh einer Ergänzung von die»
ser Seite bedarf. ' * C. G. Zumpt. .
■ J»f 28.
Jahrbücher
-.-'
für
ivissensc haftliche Kritik
Februar 1840.
XIX.
Hie Iberer im IVesten und Osten j eine ethno-
graphische Untersuchung über deren Stamm-'
Verwandtschaft^ nach der Mythe und Geschickte
mit Rüchsicht auf die Kultur und Sprache
dieses Volkes^ nebst einer Ansicht der homeri-
ecken Kimmerier und der sogenannten home--
riechen Geographie überhaupt von 8. F. W.
Hoff mann. Xet]p«g, 1838. XlVu.'Ü^S. 8.
Mit Recht darf man den mächtigen und so viel-
fach verzweigten iberischen Yolksstamni) der die äheste
Volkerablagerung des europäischen Westens zu bildeii
scheint, und der sich in seinen Ueberresten aus der
Urzeit der Geschichte bis aut diesen Tag erbalten hat,
einen der interessantesten und auch wichtigsten Gegen-
stände der europäischen Ethnographie nennen/ welcher
darum in neuem Zeiten häufig die Aufmerksamkeit der
Forscher auf diesem historischen Gebiete io Anspruch
genommen hat. Durch die bekannten meisterhaften For-
schui^en über diesen Gegenstand von einem W. v«
Humboldt in seinem Werke über die Urbewohner His-
paniens mochten wohl bisjetzt die wesentlichsten Punkte
darüber festgestellt sein, da dieser grolse Sprachforscher
den Weg bei seinen Untersuchungen einschlug, welcher
allein zu sichern Resultaten führen konnte, und da der*
selbe mit den Forschungen der spanischen Gelehrten
über diese ihnen am meisten nahe liegenden Yerhält-
nisse ijvohl vertraut war; Nun hat aber wieder das
Yorkommen eines gleichnamigen iberischen Yolkes an
den Südgehängen des Kaukasus an dem obern und
nuttlern Kur -Strome öfter die Aufmerksamkeit, erregt
und den Wunsch hervorgerufen eine Beziehung zwi«
scheu diesen beiden Yölkern im äufsersten Osten und
Westen von Europa nachzuweiseni was um *so mehr
gerechtfertigt zu werden schien^ >als jenes alpinische
' Uhrh, /. vwtntch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
Hochgebirge des Kaukasus in seinen bis jetzt meist un->
zugänglichen Thälern die Ueberreste von \ielen Urvöl.
kern Europas in sich bewahrt und bei dem Gesetz der
Yölkerbewegungen in diesem Erdtheile häufig als der
Ausgangspunkt und als das eigentliche Heimathsland
der sich über die europäischen Gebiete ausbreitenden
Yölkerstämme betrachtet worden ist.
Dies gegenseitige Yerhältnifs der kaukasisclien und
hispanischen Iberer ist. nun der Gegenstand der Unter-
i^uchung des Yerfs., dessen Unternehmen auf den Bei«
fall der gelehrten Welt sicher Anspruch macht, ob»
schon man nicht läugnen kann, dafs diese Arbeit im
Yerhältnifs zu dem hier in Bißtracht kommenden Ge*
genStande zu weit ausholt, dars sie dem auf dem Titel
angegebenen Inhalte nicht ganz entspricht und dafs
auch die Resultate nicht so befriedigend genannt wer«
den können, um jenes Yerhähnifs als genügend begrün-
det darzustellen. In der That mufs man sagen, dafs
der Yerf. durch seiüe sonst fleifsig gearbeitete Forschung
jene Yerwandtschaft und Abstammung der beiden ibe-
rischen Yölker von einander bei den hier gebrauchten
Beweisgründen nicht einmal zur Wahrscheinlichkeit
erhoben und noch weniger bewiesen hat. Uebrigens
bezieht sich auf diesen Gegenstand nur ein geringer
Theil des Buches von S. 88 — bis 180, indem der An-
fang desselben auf den ersten achtzig Seiten sich mit der
homerischen Geographie und namentlich mit dem'Yolke
der Kimmerier beschäftigt Denn der Yerf. setzt zu-
nächst mit ziemlicher Weitläuftigkeit auseinander, wel-
che Bewandnifs es eigentlich mit der Geographie der
alten hellenischen Säuger habe, und dafs man die ge«.
dachte oder poetische und die wirkliche {Geographie
wohl zu unterscheiden habe, weshalb es auch ein ver-
gebliches Bemuhen sei, Homers Angaben überall unter-
zubringen und fixiren zu wollen , da seine geographi*
echen Schilderungen mir innerhalb des der damaligen hel-
lenischen Welt bekannten Gebietes von Bedeutung für
'28
219 Hoffinann^ die Iberer
diese Wissenschaft seien. So wie jedoch der Dichter
bei seinen Schilderungen niemals willlcührlich seiner
eigenen Phantasie folgen, sondern sich dem in dem allv
gemeinen Vollcsbewurstsein liegenden anschlieben, diese
Anschauung nur ausfuhren, sie näher bestimmen und die
einseinen Züge derselben nach seinen Zwecken üucb
lokalisiren könne, so verböte es sich nun mit dem beim
Homer genannten kimmerischen Volke, welches keines-
wegs als- den iberischen Volksstamm im äufsersten
Westen von Europa zum erstenmale bezeichnend be*
trachtet werden dürfte. Nicht leicht, wird man dem
Verf. diese Auflassung bestreiten. Auch ist es grade
nicht wahrscheinlich, dafs Homer aus der appellativi«
sehen Bedeutung jenes Yolksnamens sich das Yolk erst
gebildet habe, um die Gegend der Dunkelheit am Ein-
gange der Unterwelt im äufsersten Westen zu bevuU
kern, sondern vermuthlicb spielt hier die Nachrieht hin-
ein^, welche damals die HeHenen von dem Volke der
Kimmerier am nördlichen Küstensaume des Pontus er-*
hielten, und der Yerf. hält mit Recht dafür, dafs der
Dichter dieses am Rande des Erdkreises auftretende
Volk, vornehmlich bei einer damals gröfsern Ausbrei-
tung des Pontus durch seine Verbindung mit dem kas-
pischen Meere, nach seinen Zwecken benutzen und
ihm, gleichviel ob im aufseilten Norden oder im ' äu-
fsersten Westen, seinen Wohnsitz anweisen konnte.
Bei der Vergleichung der Nachrichten über das
doppelte iberische Volk hat nun der Verf. sich nicht
blos damit begnügt, die Züge hervorzuheben, welche
auf eine gemeinsame Abstammung desselben hinweisen
könnten , sondern er hat sich auch bemüht die histori-
schen Spuren der Wanderung der von den kaukasi-
schen Iberiem angeblich abstammenden hispanischen
Iborier zu verfolgen. Aber dies ist besonders eine
sehr mißliche Sache, wie es ja selbst bei den Völkern
bekannt genug ist, welche von einer schon anerkannt
gemeinsamen Wurzel ausgegangen in der historischen
Zeit in weit von einander entfernten Gebieten auftreten.
Auch kann man hier wie bei allen solchen Versuchen
die Willkühr des Verfahrens nicht verkennen. Denn
um die kaukasischen Iberier in Verbindung mit ihren
dortigen Nachbaren den Legen am kaspischen Meere
nach Westen zu bringen , damit dort die hispanischen
Iberier und die Ligurier aus ihnen hervorgehen, wird
die Mythe von dem Zuge des Herakles über dfe Alpen
im fVeetm Und Osten. 22D
gebraucht, worad sich wieder die Terbreitung des akoi
Buddhaismus mit den Fufstapfen des Buddha von Oslea
nach Westen nebst der Butterbereitung bei den neidi-
schen Völkern anschlielst, wie es aus den längst i^er-
schellenen Hypothesen von Bitters Vorballe entnonma
ist. Die bei des Herakles kühnem Zuge über die AI*
pen durch Kälte und Anstrengungen Geschwäehten^
welche nach den Aussagen der spätem Grfeehen •■
St. Gotthard unter dem Namen der Lepontier nach ei-
nem witzigen Wortspiele zurüeJki/ieSen , heifsen ab«
auch bei den Alten Viberi und sind fSr den Verf. im
wichtige historische Mittelglied für die doppelten Iberier
im Osten und Westen, und er fügt S; 112 kühn hiim:
„Diese Yerbindung der Viberi, In denen man Ibertf
erkennt, mit Herakles, dessen Fufstapfen in Aalen wie
in Japygien ein verelirtes Heiligthum waren, und cbca
so die Verbindung der Lepontii Viberi mit den letti-
schen Taurinern, deren Name vermittelst der Lagyrer
oder Ligyer vom kolchischen Phasis ausgeht, nnd anf
ein weitverzweigtes Volk deutet, lenken unsere Blieke
unwiderstehlich auf die Gegend am Kaukasus, zwi-
sehen dem Pontus und kaspischen Meere, um dort des
Btammland der Iberer su suchen." Wie sehr eontrasö-
ren damit die in dieser Beziehung so wichtigen Werfe
des behutsamen und gründlichen Forschers W. v. 0m«
boldt auf S. 1 10 seines Werkes, welches letztere vasor
Verf. bei seiner Arbeit doch vor sieh gehabt hat, ohne
sich durch die in ihm herrschenden Grundsätze inmer
leiten zu lassen.
Auch möchte es mit dem Namen des Doppelvolkce
zum Beweise ihrer gemeinsamen Abstammung noeh eine
eigene Bewandnifs haben. Denn dafs die hispanisch»
Iberier sich selbst mit diesem Namen, unter welchem
sie nur bei den Griechen vorkommen, genannt haben, ist
noch keineswegs erwiesen und nicht einmal wahrschein-
lich, da sich, den gleichlautenden Flufsnamen abgerech-
net^ sonst keine Spuren von demselben vorfinden und die
einheimische Bezeichnung bei den heutigen Vasken, den
einzige^ Ueberresten jenes alten Volkes, eine solehe An-
nähme gar nicht begünstigt. Mag nun auoh das kau-
kasische Volk der Georgier, wie dasselbe schon seit
der Zeit des Alterthums vorherrschend benannt su
werden pflegt, sich selbst jetzt den Namen der Iwe-
rier geben, so ist es doch bemerkenswerth, dafs die-
ser Name in den geschichtlichen Traditionen über
221 H^ffmanny die Jherer
ferne Abttammiing und Yetbreitung^ wie sie uiw aus
dim eioheiniisohea Auuakn selbst in der neuem Zeit
bekannt geworden aind, gar nicht Terkpmnit' Viel*
mehr finden wir nur diejenigen Namen cur Bezeicbe
nuhg seiner einseinen Zweige' eryrfibnt, welebe sieh,
aueh noeh bisjetzt sur Bezeichnung der einzelnen von
ihm bewohnten Landschaften am Kur • Flusse^ erhak
tea haben,
ÜVenn maii mit dem Yerf* im Allgemeinen auch
das Gesets der Vdlkerverbreitung in Europa von Oslen
Baeh Westen als riehtig anerkennen mufs, so bleibt es
doch immer geffibrlich, sich dabei durch Namen leiten
SU laesen. Die in. disr neuern Zeit häufig behandelte
Urgeschichte der Deutschen, deren Verwandtschaft mit
mehreren westasialischen Yölkern hinlänglich begrün«
det ist, lehrt am be$ten, was aus dem Hineinziehen
reu Torhistoriselien Yerhältnissen über die Verzwei«
gung^und Verbreitung der Völker in den Kreis der
Gesclücfate hervorgeht« Bei aller einstmaligen Yer*
wandtschaft in der Urzeit sind sich die Volker in der.
bistorisehen Zeit doeh meistens einander gänzlich fremd,
und« versucht man dennoch eine Beziehung der auf ge-
sebichtUchem Boden fem vou einander lebenden Völ-
ker auf einander nachzuweisen, so wird es freilich auf
eine andere Weise gethan werden müssen, als es hier
bei dem Doppelvolke der Iberier geschehen ist Denn
dafs die Angaben der Alten wie bei Varro von einer
Ansiedlung der Iberier, I^erser, Phönicier und anderer
YöUcer aus dem Osten in jenem hispanischett Iberien
aiehls beweisen können, so wichtig sie auch dem Verf*
erscheinen, erhellt leicht von selbst Eben so wenig
reicht daau hin die Vergleichung der Lebensweise und
der Siitmi und Gebräuche bei beiden Völkern, da alle
noch im Naturzustände lebende Völker eine gröfs^re
oder geringere Uebereinstimmung in dieser Beziehung
werben aeigen müssen. Deshalb hat der Yerf. auch
noch die andern heutigen Nachbarvölker der Georgier
im Kadkasus zur Vergleichung benutzen zu können
geglaubt, von denen es doch allgemein anerkannt ist^
dafs sie mit den Georgiern durchaus nicht verwandt
sind. Ja selbst die Vergleichung des religiösen Glaa«
bens und des Kultus bei verschiedeiien Vötkem dürfte
für diesen Zweck kaum zulässig erscheinen, da solche
Verhältnisse auf dem Standpunkte der Naturveligion,
wie grade bei jenen YöUcprn, zu wenig cbaraktevi*
sdsch sind, um etwas beweisen zu können.
im Wetten und Osten^ 222
Worauf es- nun 'bei solchen Untersuchungen über
die . Yerwandlschaft der Völker vomämlich ankommt,
das ist der Yergleichung der Sprache. . Grade dies Vor«
hältnifs hat abet der Verf. bei Seite zu schieben ge-
sucht, indem er bemerkt,' dafs eine Vergleichung der
Sprachen der östlichen und. westlichen Iberier nicht
geeignet sei, ober ihre Yerwandtschaft Aufschlub zu
gewähren, weil die der hispanischen Iberier zu wenig
, bekannt sei, und weil die der kaukasischen Iberier von
der jetzigen georgischen Sprache ^u abweichend sein
müsse, um zu dem angegebenen Zwecke dienen zu kön«
nen. Indessen dieser letztere Umstand ist durchaus
nicht gegründet, und es liegt vielmehr in der Natur der
Sache, dafs sich eine Sprache^ wie die der kaukasl^
sehen Iberier, länger als bei irgend einem andern Vol-*
ke in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten mufste^
Und da erhellt bestimmt genug ' aus ddn Untersuchung
gen der neuem Sprachforscher, dafs die georgische
Sprache, trotz mancher Yerwanduchaft mit dem gro*
Isen indogermanischen Sprachstamme, doch eine gans
eigenthümllche und selbststäudige Gruppe unter den
asiatischen und europäisclien Sprachstäaunen bilde, und
dafs. sie auch mit der vaskischen Sprache in dem heu*
tigen Navarra in keiner nähern Verbindung stehe.
Schwerlich wird man demnach eher eine Verwandt-
schaft zwischen jenen beiden iberbehen Völkern anzu«
nehmen berechtigt sein, als nicht die Yerwandtschaft
ihrer Sprachen sowohl nach dem Material, als auch
besonders nach dessen Bilduügsweise dargethan ist
Den dritten Haupttheil des Buches von S. 181 bis
288 bildet eine mit den vorigen Abschnitten nur zufäl«
lig verknüpfte Abhandlung über den für uns leider ver-
loren gegangenen Geographen Artemidorus von' Ephe«
sus aus dem Anfange des ersten Jahrhunderts vor un-
serer Zeitrechnung, dessen grofses geogr^hisches und
ethnographisches Werk eine Hauptquelle für dieArbei--
ten sdner Nachfolger in diesem Gebiete gewesen ist
Aus diesen ist daher auch die hier gegebene Zusam«
menstellung seiner Fragmente entnommen, durch wel-
che sich der Yerf. ein unläugbares Yerdietost um die
Wissenschaft erworben hat
Ferdmand Müller.
u
223
Gfrorery die
Die heilige Sage durch A. Fr. Ofrörer. Er-
ste Abtheilung p. VIII, 451. Zweite Abtheil.
p. 336. Dä$ Heiligihum und die Wahrheit
durch A. Fr. Gfrörer p. 417. Stuttgart^
]838. hei Schweizerbart.
Ware es Pflicht des Kritikers, ein Werk in dem
Mafse zu loben, als er voratisselsen muFs, dafs der
Verf., wenn er sicli einmal selbst lobt, es nur in be-
scheidener Zurückhaltung und mit verkürztem Mafse
thun werde, so roufste Ref. durch gegenwärtigen Fall
in die allergröfste Verlegenheit gebracht werden. Denn
gilt jener Grundsatz mit seiner Voraussetzung, wie
sollte es dann noch möglich sein, das Lob zu überbie»
ten, mit dem Hr. Gfr5rer sich selbst im voraus be«
schenkt hat, wo sollte noch ein. Lorbeerzweig herkom-
men, da Hr. Gfrörer, so weit wir sehen können, ganze
Lorbeerwälder zerstört hat, damit denen, die vor ihm
in demselben Gebiete gearbeitet haben, kein ehrendes
Blatt mehr fibrig bleibe, und da er sich selbst, — wir
müssen fast furchten, er erliege unter der Last — mit
Siegeszeichen, mit einem naeii dem anderen gekrönt hati
Ein einziger Streich ist fOr Hrn. Gfrörer hinrei«
chend, um den neuern Leviathan zu fällen ; er braucht
das Ungeheuer nur zu scjiildem und ihm dessen eige-
nes Bild zu zeigen, und es ist todt. Die ganze Theo-
logie ist gegenwärtig, man kann sagen, allein — wenn
es auch auf Umwegen geschieht — damit beschäftigt^
die Aufgabe, die Straufs in seinem Werke gestellt hat,
ihrer Lösung näher zu bringen, oder zunächst wenig-
stens zu bestimmen, wie weit von Straufs diese Auf-
gabe richtig, gefafst sei. Was aber alle Theologen
beschäftigt, . darüber ist Hr. Gfrörer längst hinaus, von
seinem Standpunkte sieht er mit Verachtung auf die
„Anbänger der falschen philosophischen Theologie"
herab, „die das Werk von Straufs niciit einmal zu wi-
.derlegeu Termochten," (das H. und die W. p. 119),
und ert Nun er braucht blos zu sagen, Straufs habe
zu beweisen gesucht, „an der ganzen Geschichte des
N. T. sei l:em wahrem tVort'* (ebend.), er braucht blos
auszusprechen, Straufs behaupte, dafs „Alles, was im
N. T. steht, erlogen sei und nur die Ideen, zu welchen
die Hegeische Lehre den SchlQssel gehe, seien wahr,''
(d. h. S. II, 271) er braucht das nur auszusprechen.
heilige Sage. 221
um alle Theologen , von denen doch vm wenige att
zaghaftem Schritte zu einer solchen Behauptung fer^
zugehen wagten, zu beschämen und den Todfeind der
heil. Geschichte zu erlegen. Und es ^gehört wirklich
Muth dazu, wenn man Behauptungen, welche die g»>
ängstigten Theologen doch nur Ivie rin letztes Mittd
der Verzweiflung und gewifs auch nur unter Gewis-
sensschlägen und andeutend vorbrachten, voü vom her-
ein und frei von der Brust aussprechen will. Dort auf
dem Gebiet der Metaphysik, auf welchem das „End»»
gebnifs" von Straufs, „die Yerneinung," entstanden sei,
(das Jahrhundert des Heils p. VU) läfst Hr. Gfrmr
den ein für allemal gefallenen Leviathan liegen, er An
auf seinem Wege zum Heiligthum folgt als ,^W^egwfi-
serin" einer ,^ Wissenschaft , die. ß'eilieh nur ' Wenip
kennen und welche auf das N. T. noch ven Keinen
angewandt ist, der historischen Mathematik" (d. h. S.
II, 336.). Denn „das Leben Jesu gehöre in das heiUgi -
Gebiet der Geschichte,"^ hier sei der Historiker ein Kial .
vom Hause. Und wie kommt man hier zum Ziel! «,Eii
offener historischer Sinn, ein sf>harfer, eorgeatn ausge»
bildeter Yerstand, ein Reiehtkum von ^eschichtlidica
Kenntnissen fuhren auch hier, wie in allen anderes
Zweigen der Geschichte, auf den Weg zur Wahrheife
Freilich^ setzt Hr. Gfrörer scheinbar bedauernd after
desto glücklicher auf sich zeigend hinzu, freilidi sind
diese Eigenschaften nicht sehr häufig" (d. H. und d.
W. p. 119). Denn „das Holz, aus dem man Gescfaiciit*
Schreiber macht, ist ausnehmend selten'* (d. b. S. THI).
Die historische Mathematik ist nach Hm. Gfrörer die
Kunst, von einem sicher istehenden Faktura anf die
Reihe der folgenden zu schliefsen, sie giebt die GewUfr
heit, wo „Schlufs auf Sclilufs folgt, die alle mit unzcr>
reifsbaren Ketten an einander geheftet sind ' (d. U. u.
d. W. p. 5). Aber wie kommt man zu solchen einzd*
neu sichern Faktcn> deren die historische Mathematik
bedarf I „Urkunden und Zeugnisse*' müssen da sein wid
untersucht werden. Doch bei deren Untecsuehung mids
man sich nur zu oft auf Grunde stützen, „die dem kri-^
tischen Gefühl entnommen sind und die sich auf die
geheimen, von manchem nicht beachteten Gesetze beni«
fen, welchen Erzähler und GeschichUehreiber gehor-
chen" (d. h. S. I, 93). . Doch „mit diesem edlm Sinne
des geschärften historischtti <Sefuhls sind nur Wenige
ausgerüstet" (d. h. S. II, 98).
(Die Fortsetzung folgt.)
/
Jahrbuch
e r
für
wissenschaftliche Kritik.
Februar 1840*
Die heilige Sage durch A* Fr. Qfrörer.
Er$te AbtheUung. Zweite Abtheilung. Dag
Heüigthum und die Wahrheit durch A. Fr.
Ofrorer.
(Fortsetzung«) '
Wer solche seitue Gaben besitzt, ist glücklieb, mufs
sich hoch über die Masse erheben und endlich zu et-
nem Fund gelangeni der Ton Niemandem bisher ent-
deckt ist. Da kann es uns nicht befremden, wenn Hr.
Gfrurer sagt, daCs; z. B. Alles, was er in seinem „Jahr-
hundert des Heils" vorbringt, „neu*' ist. (Jahrh. des H.
p. XXI).. Aber freilich hat die Gröfse, die neu ist,
ihre Beschwerden, schwer ist schon der Pfad, den si^
wandeln muCsi, „schwer ist der Pfad des Geschicht-
schreibers, sagt Hr. Gfrörer selbst, der wie 'ich einen
Gegenstand behandelt, der von anderen kaum oder gar
nicht berührt worden ist'''(d. Jahrh. d. H. p. VI). Neue
Entdeckungen finden Anfangs nur schweren Eingang
und werden von neidischen oder beschränkten Köpfen
befeindet. Das kommt Hrn. Gfrörer bei «dem Selbstbe-
wufstsein seiner neuen Stellung nicht unerwartet. „Ich
bin auf bitte;re Vorwürfe gefafst," sagt er selbst (heil.
Sage, 2, 246.). Aber die Pflicht giebt die Kraft, auch
das Ungewohnte kühn auszusprechen und ohnehin folgt
Hr. Gfrörer zum Glück jenem Triebe, der Wenn auch
selten doch unwiderstehlieh ist. jJDer historische Trieb
eiTfingt ihn, der Wahrheit nachzuspüren, obgleich das
' Ergebnifs allen bisher geltenden Wahrheiten widerspre-
chen sollte" (d. H. u. d. W. p. 107). Sagt nun Hr.
GCrurer mit einer Art von Wehmuih: „der Weg, den
ieh einschlage, ist leider neu" (das Jahrh. des H. p.
XXVII), so spricht sich sein inneres Leiden noch ruh-
Tender aus, wenn er von seinem historischen Triebe zu
dem Bekenntnifs gebracht wird, dafs die Synoptiker
vieles Sagenhafte berichten. „Unangenehm, sagt er,
mag dies Bekenntnifs sein — auch mir thut ei wehe^ —
iahrh. /. iriMeiffcÄ.' Kritik. J. 1840. I. Bd.
aber wahr ist es und es wird geboten durch die Re-
geln, die Überali vor guten Gerichten, wie im Bereiche,
der Geschichtschreibung gelten" (d. h. S. II, 243). *
Kurs vorher, ehe die heilige Sage und das Heilig*
thum und die Wahrheit herauskam, noch in demselben
Jahre gab iHr« Gfrörer seine Schrift ,^das Jahrhundert
des Heils*" in zwei Abtheilungen heraus (der Titel giebt
dieselbe Jahreszahl 1838 an). Bei der Ausarbeitung
derselbeli war er von der Ansicht ausgegangen, „dab
nur demjenigen ein sicheres Urtheil über die evangeli-
sche Geschichte zustehe, der die Zeit, in die sie fällt,
genau kennt" (Jahrh. d. H. p. XXI). Wir werdpn auch
diese Schrift in den Kreis unserer Anzeige zu ziehen
uns erlauben, aber nur eo weit^ als Hr. Gfrörer
selbst ihre Resultate in seine Betrachtung der evange-
lischen Geschichte verarbeitet hat. Hier erwähnen wir
jene Schrift nur, um die Anschauung, , die der Hr. Yf.
von seinem Werke hat, in Kurzem zu schildern. Die
fünf Bände vom Jahrhundert des Heils, der heiligen
Sage und vom Heüigthum und der Wahrheit betrach-
tet er als ein Ganzes > zu welchem die sieben Jahre
früher erschienene Schrift über Philo und die alexan-
drinische Theosophie die Einleitung bildet, oder, wie
es der Hr. Verf. der Gröfse seines. Werkes würdiger
ausdrückt: das Werk über Philo „mufs als Vorhalle
zu dem Dome betrachtet werden, den er (in jenen fünf
Bänden) erbaut hat" (d. Jährh. d. H. p. V). Wie es
mit Bildern geht, dafs sie schillernd sich mannichfach
verändern, so geschieht es auch mit diesem Bilde des
Domes; hat er sogar schon seine Vorhalle in jener
Schrift über Philo, so verwandelt sich auf einmal seine
Gestalt, und in.^en fünf Bänden, die ihn bilden, be*
kommt er wieder seinen Vorhof. „Anfangs (d. h. so
lange der Hr. Verf. der heiligen Sage in den zwei Ab-
theilungen, die ihrer Untersuchung gewidmet sind, atif
ihrem Pfade folgt) führt der Weg über Trümmer, aber
unerschuttert winkt am Ziele das AUerheillgstd, die
29
227 ' Ofrorer^die
ewige Flamme, der 'keine, auch die kihneU unerbi^
liehste Untenuchung etwas von ihrm Glanse nehmen
kann. Nur die Säulen des Torhofes, die, wie Uh
glaube, manchmal das herausströmende Licht v^rdmi-
kelten^ stQrten Eum Theil ein; die ewige Flamme auf
dem Hochaltare strahlt fort^ in ungetrübter Glorie"* (d.
Jahrh. d. H. II, 444). Die beiden Abtlieilungen, die
der Untersuchung der heiligen Sage gewidmet sind^ ha*
ben es noch mit dem „leidigen Verneinen" eu thun,
JAber mit dem ersten Schritt in's „Heihgthum'* beginnt
das Bejahen (d. h. S. II, 336) und nun geht der Hr.
Verf. vom ,,stttrmfesten Boden*' aus (d. H. u. d. VV.
p. 106), bis er ausrufen kann: „wir haben die Wahr-
heiC gefunden'\ „Bb sum göttlichen Bilde im Chore
sind wir vorgedrungen und haben den Schleier, so weit
es vergönnt war, gelüftet" (d. H. u. d. W. p. 118).
So schaut Hr. Gfrorer sich selbst und sein Werk
an. Leiter aber müssen wir diese Selbstanschauung
des Hrn. Verfs. ak die naivste Selbsttäuschung, die in
neuerer Zeit vorgekommen ist, bezeichnen und leider
können wir sie leicht als solche nachweisen. „Unan-
genehm, um im Pathos des Hra Yerfs, eu reden, mag
dies Bekenntnifs sein, — auch uns thut es wehe —
aber wahr ist es und es wird geboten durch die Re-
geln, die überall vor guten Gerichten gelten/' Wer
wie Hr. Gfr. von seiner Mühe sagt: „eine hübsche
Mauer lierse sich aufbauen aus den Folianten, durch
Welche ich mich durcharbeiten mufste'' (d. Jahrh. d. H.
p. XXY)y der dürfte dann doch nicht die kleinere Mühe
scheuen, auch die Octavbände, die seine Vorgänger ge^»
schrieben haben, zu lesen« Hr. Gfr. hat dies entweder
gar nicht gethan^ oder that er es, so geschah es mit
jener Flüchtigkeit und mit dem Widerwillen, den ihm
seine Verachtung gegen die Schulweisheit einfiofste
und den ihm sein Wahn, etwas ganz Neues gefunden
eu haben, als einen gerechten vorspiegelte. Die eitle
Kaste der Gelehrten hat noch keinen gröiseren Veräch-
ter gefunden, als Hr. Gfrorer ist, die Meinung, welche
der gesunde Menschenverstand der gewerbetreibenden
Burgerschaft von ilir hat, scheint in unserm Hrn, Verf.
in Fleisch und Blut eines Individuum sich zusammen-
gezoge*!! zu haben und wenn er gelehrter ist als der
ruhige Bürger, so gebraucht er die Kenntnisse nur, um
seiner Verachtung eine tiefere Folie zu geben. Dafür
ist es ihm aber widerfahren, dafs er in seiner Verstim-
mung die bedeutendsten der Vorgänger falsch beur-
0 $ l i g e S a g 0.
Aeik) daSi er mit der Faust darelnschligt, die doel
sonst nur der 'Masse als Waffe dient, und Smtm dm
Neue, das er mit so .vielem Pomp ankündigt, ia eben
jener veraehteten Kaste der Gelehrten längst mnti^pin
ist, doreh einen höheren Standpunkt zum Alten «kr
nur zur Curiositit herabgesetzt, oder wenn es iPfrirkBeh
neu bt, wenigstens nur den Wetth jener EinbUduiigai
hat, die auch dem bürgerlichen Idioten in seinen Feier»
stunden oder bei ruhiger Händearbeit aufsteigen« Vfk
roh und nnr bei der beschränktesten Oasse der I^fieia
erträglich ist z. B. sogleich die Art, wie Hr. GMnr
. seinen nächsten Vorginger, Straufs,. betiaeblet. f^Bn
im N. T. sei erloj^en,*' wer dies Resultat dem Werke
von Straufs unterschiebt, wer weiter nichts von diesen
Werke zu sagen weifs, und wenn er selbst „das Hei-
ligthum** der evangelischen Geschichte aufsuchen wil,
auf dem Wege dabin nirgends die Fufsstapfen selaes
Vorgängers untersucht, ^- Hr. GArorer nimmt TiamKfh
nirgends auf die Untersuchungen von Straufs Rieh-
sieht — der hat sich aufserhaib der geschichtHchoi Ent»
Wicklung des neueren Bewußtseins gestellt, und, wen
es sich zeigt, dafs er nicht über derselben steht, siek
selbst das Urtheil gesprochen, dafs er eigeiidieh gsr
nicht beachtet Werden dürfe. Fafst ihn die Kritik den.
noch in*s Auge, so thut sie es, um nicht Unrecht mft
Unrecht zu vergelten, und weil sie vorher, ehe sie sich
nicht vom Gegentheil überzeugt hat^ nicht annehmen
darf, dafs ein Werk, das in der Aufregung einer kriti-
schen Epoche entstanden ist, gar kein brauchbares K9ni-
chen enthalte. Also in dieser guten Meinung wollen
wir die Schrift des Hrti« Gfr. in ihren Hauptpunkten
durchgehen. '—
* In den beiden Abtheilungen von der heiligen Sage,
in der Vorhalle und dem verneinenden Theile« wird die
Beschaffenheit der Synoptiker untersucht, ihr sagenhaft
ter Charakter bewiesen und das vierte Evangelium auch
nur so weit betrachtet, als es in den Beden der auf*
tretenden Personen gleichfalls eine Seite besitzt, wo es
der negativen Kritik eine verwundbare Stelle darbie»
tet. Wichtig ist in dieser Vorballe besonders der Ab*
schnitt, in welchem Hr. Gfr. die Vorrede zum dritten
Ev., dem nach seiner Ansicht ältesten, ursprünglichsten
und genauesten unter den synoptischen, untersucht und
daraus „die wichtigsten Schlüsse" über die Entstehung
der evangelischen Geschichtschreibung zieht Sehen Wir
am Ende auch nur, wie er sich in seinen Schlulsrei«
G f r S r e Tf d^ e
hon vefwidcdt und verf&iig% so kabcii wir do«k die
«tflialteiie Wäraung zum GewkiiK '
Lttka» beruft sich in der Vorrede, um sein Werk
tff motiviren, daraief, dafs sekoR viele dasselbe ualer*
Dcnamen haben, was er sieh mui aveh vorgesetst habe.
9,Die Berichte, sagt nun Hr. Gfr (h. S. I, 34), welche
von 4en Viekn geordnet und susanunengestolk wur*
den, sind ihnen elso iirspribiglicfa in 'serrissener, vereittf
aeker Gestail vorgelegen/' GewüSi so. sieht die* Sache
Lucas an, wenn er ton einen Anordnm und Zusaia-
mensieilen spricht, wenigstens mufs er die UeberUefep»
rung der Angenzeogen als etwas noch nicht statarisch
geordnetes betrachten, wenn er sagt, Andere aufser den
«Augenseugen haben die Zusammenstellung untemom-
men nnff versucht. „Die Sp£teren hpflRb«i ihre Auf«
gäbe besser su lösen als ihre Vorgänger*' (Ebend.)^
Auch das! Aus welchem andern Grunde hätte man
es sldi bei der geordneten Darstellung der evangeli-
sehen Geschichte) die man gerade vorfand, nicht genü-
gen lassen f Aber kannten denn dieee Vorgänger des
Lucas immer jeder die früheren 1 Ja! antwortet Herr
Gfr.) denn Lucas kannte ihre Arbeiten und der Grund,
warum er sie kannte, „war ohne Zweifel der, weil sie
In dem Lande, wo er sieh befand, umliefen, und Jeder«
manii oder doch Vielen vorlagen. Ich will damit sa-
gen, unser Evangelium sei so gut wie die früheren, in
einem beschränkten Umkreise von vielleicbt 5—6 Qua-
dratmeUen entstanden" (Ebend. p. 38, 39). VTelches
Ist nui^ «Keser Geburtsort der evangelischen Bearbei-
tungen, fieser Büchermarktf Palästina! erwiedert Un
Gfr. ; der Kreis, wohin sich beim Falle Jerusalems „die
Quellen der evangelischen Geschichte oder ihre erste
Bearbeitung durch die Vielen rettete, beschränkt sich
auf einige wenige Meilen Erde rings um den See Ge-
nezareth^ und hier in diesem Winkd der Erde
„herrschte gehäufte Schriftstellerei- Übet einen und den*
selben beschränkten Gegenstand" (p. 47).
Es wäre zwaV das Schönste, w«m wir susähen^
wie der stolze Bau, den hier Hr. Gfr. vor utis aufführt,
ein walirer babylonischer Thurm wird: die Hypothe-
sen, die Bu seinem Baue helfen, scheinen anfangs gans
einmüthig, verwirren sieh aber alimälig so sehr, dals
sie sich nicht mehr mit einander vertragen können, da-
vonlaufen und den Bau im Stich lassen. Eß wird aber
luchts schaden, wenn wir nach dem Beweise dafür
fragen^ dafs Palästina die Stätte jener ausgebreiteten
keilt g0 Sage. 330
Sehriftstellerei gewesen sei. Der Bewris seil in dem
doppehea rniSiß' der Vonede des Lneasevangrilum lie«
gen. Esstikh der Stoff der evangelisehen Creschieht»
sdweibuag seien Begebenheiien, von denen. Lueaa sa-
gen kann : unter uns, h ffiilv sind sie geschehen, h
nc^f könne hier nur heifsen: „unter, uns, die wir im
heiligen Lande wohnen" (p. 46). „Ob die f^isonen,
welche Christum kannten und Augenzeugen seiner Tha-
ten waren, selbst noch lebten, als Lucas schrieb, oder
nicht, thut nichts sür Sachet' Nein! so gkiehgiltig ist
das für die Bedeutung des bß ^(uu keineswegs. Denn setsen
wir denFaU, der Kreis der Personen, dev mit Berufung
auf die smfsUeAe Qewi/sAeü sagen konnte : unter uns
iet das und das geschehen, sei ausgestorben, so ist dos
,^vuater uns'' aus seiner ersten sinnlichen Beschränkt«
heit schon herausgesetst und zu einem gr51seren, geb
stigen und idealen ün^ng erweitert Zwar wendet
dagegen Hr. Gfr. (ebend,) ein, „in soldien FäUen be-
trachte jnai^ die Einwohnerschaft eines Landen oder
ein Volk als Ein Ganzes oder als eine unwandeibase
Grofse." Jal wenn eben von einem Volke die Bede
ut, welches immer seine natarliehe Besebränktheic be.
hält. Das ist aber hier nicht der Fall; nicht ein Yolk be*
sieht sich hier auf sich selbst, wenn Lucas sagt „unter
uns", sondern die Gemeinde^ die über die NatjonalilÜ
und deren natürliche, lecale Bestimmtheit hinausgreift
und diese enge Grenze an sich nicht duldet. Die 6e.
meinde als Ganzes konnte sich, datier in diesem ihrem
idealen Umfange als den Ort betrachten, wo das Heils«
werk geschehen sei, wenigrtsns als Glied der Gemeinde
könnte jeder an allen Orten der Welt sagen: unter
un|i ist das Heibwerk gesoliehen, nämlieh unter uns fan
idealen Gegensatse gegen die Welt, cBe nichts davon
wuTste« Fährt nun Hr. Gfr. (p. 47) fort, „dann be^
seichnet das sweite i^^Xv (wie tme die Augenaeugen be-
licluet l^ben) Palästina eben so sicher als Vaterland
der Berichte"» so fehlt an der Siclieeheit dieses Schlos-
ses noch sehr viel Auch die hebräische Färbung der
synoptischen Erangelien (p. 49^ M) kann^ ihren Ur-
sprung in PaläsUna nicht beweisen/ Der Unterschied
ibnss Vortragss von der Daetion z.^ B. der P^uMni-.
sehen Briefe ist nicht um das geringste grofser, als es
bei der freieren Bewegung der Lehre und dem Ge-
schichtsvortrage natürlich und zu erwarten ist. Die
Lehrentwieklung war durch sich selbst zur Mannig-,
faltigkeit dialektischer Wendungen getrieben, und nur
231 Ofrdrery die
90 weit ab diese Wendungen geben, tritt sie am dem*
hebcMsehen Tyfns Jkeraus, sonst hat sie auch noch
dessen Gepräge an sich; der Geschichtsif ortrag aber,
der mehr an ein Gegebenes als solijies und an die er-
ste Fotm^ in der es empfangen wurde, gekettet ,ist,
müfste auch noch längere Zeit den hebräischen Typus
an sich tragen.
Die ^rage ist nun: aus welchen Quellen schöpfte
Lucas? ,9 Aus denselben wie seine Vorgänger*' (p«52).
Denn sagt er, r^ie uns 'die Augenzeugen berichtet
haben," so gebe er damit deutlich genug zu verstehen,
dals „beiden,- ihm selbst und den Yielen,' die Berichte
der Augenzeugen gemeinschaftlich seien/' Zuletzt
kommt die Sache freilich darauf hinaus, wenn Lucas
- auch nicht in dem f^f/uv nur sich und die Vielen zusam»
menfassen will, Tielmehr mit dem „uns** auf das Ganze
der Gemat^ide zielt; .zuletzt^ meinen wir, kommen wir
doch «ttch auf die Vielen, 'weil diese ja als Glieder
der Gemeinde schrieben. Also Lucas will ^ sagen, er
habe so gut die Ueberlieferung der Augenzeugen zur
Quelle, er kenne diese so gut, wie «die Vielen und
„nicht nur durch deren Vermittelung'' (pl 59^, sondern
selbsiändig will er Aus der gemeinsamen Quelle schu-
l^fen« In welcher Form jaber stand ihm diese zuGe*
böte, war die Ueberlieferung der Augenzeugen eine
mündliche, oder fand er sie schriftlich vort „Die Be-
richte -der Augenzeugen, auf die sich Lucas beruft,
könnenr nur scArifilteAe Urkunden gewesen sein*' (p.
&9). Denn Lucas zeige sich überall als beschränkt
durch schriftliche Quellen und von ihnen abhängig.
Allein. diese Abhängigkeit kann auch anders erklärt
werden, ja sie mufs anders gedacht werden r Denn
der Gegensatz der schriftlichen Anordnung, welche die
Vielen .versucht haben, und 4er Ueberlieferung, die von
den Augenzeugen herrührt, hat dpch nur einen Sinn,
wenn 4ie letztere mündlich war und nur in dieser
Form dem Lucas ^u Gebote stand, wie sie auch den
frülieren JBearbeitern .V4>rlag. I>ie Kunstarbeit und das
schriftlieh, abgeschossene Werk der Vielen kann in
diesem Gegensatze, nur einem frei sich ausbreitenden,
noch nicht fiurten und unabänderlich gestalteten Stoffe,
d. h. der noch flüssigen 'mundlichen Ueberlieferung ge-
A Ä f / • g^e Sage*
genüberstehen. Stände auf beiden Seiten SduriAliiüies,
so hätte Lucas den Untersehisd oder Gegensatz tob
beiden bestimmt angeben . müssen. Es muCs abo die
Ueberlieferung der Augenzeugen als mündliche die
Quelle sein, die Lucas benutzen will, so gut oder Tiel-
mehr besser als seine Vorgänger, die Vielen. Und sie
braucht nicht schriftlich vorzuliegen, weil Lucas _bri
der vorausgesetzten späten Abfassungszeit seines Wer-
kes sie als eife.ihm per$onli€h vugängUche beseidhaeC»
Denn die Worte: wie um die Augenzeugen uberllefsif
haben) konnte er auch dann sagen, wenn deren Ueber-
lieferung nicht durch persönlichen- Verkehr mit ib-
nen zu ihm kaiQ: debn er konnte behaupten, dals sie
ihm, 'so nahe stände wie seineo Vorgängern, den Vie-
len, wenn sie überhai^pt in der Getneinde lA>te, aal
als ein Glied innerhalb der Gemeinde, als daem im-
wandelbarcn, stets mit sich identischen Ganzen spricbt
er, wenn er sagt: wie utu die Augel^eugen übeiiie^
fort haben. Im Besitze dieser Ueberlieferung wiU er
nun die Bearbeitungen der Vielen verbessern, indem
er ein vollständigeres, zuverlässigeres und mehr in sick
.zusammenhängendes Werk beabsichtigt. An der noch
lebendigen Quelle dar Ueberlieferung glaubt er ein Cor«
rectivmittel für die früheren Beari^eitungen und efaiea
noch nicht vollständig verarbeiteten Stoff zu heakimu
Aber dieser Schein hält nicht aus. In der Arbeit selbst
zeigt sich die in der Ueberlieferung vorhandene Aus*
sage der Augenzeugen nur als ein schwaches Comple*
ment von wenig Gewalt, Lucas kann seine selbständige
Stellung den Arbeiten der Vorgänger gegenüber nicht
durchführen, und der geschriebene Stoff derselben ua*
terwirft ihn sich nur zu bald und macht ihn von sicJi
abhängig. ,
Lassen wir nun nach dieser Unterbrechung Herrn
Gfrörer seinen Weg fortsetzen« Die Aussagen der
Augenzeugen sind, ihm also schriftliche. „Von den
Diegesen unterschieden sie sich dadurch, dafs sie nur
ein$ietne JErxäh/ungen enthielten, wählend jene (die
Arbeiten der Vielen) mehrere Sagen in ein Ganzes tu«
sammensiellten" (p. 59). Die Aussagen der Augenzeu«
gen ,9gleic;jbien. Täden, die Diegesen einem aus Fäden
TOrschlungeneu' Gewebe*' (Ebend.).
(Die FortsetzDDg folgtO
Jahrbücher
für
wissen s c h a f 1 1 i c he K r i t ik.
Februar 1840.
Die heüige Sage durch A. Friedrt Ofrörer.
Erste Äbtheilung' Zweite Abtheilung. - Dßß
Ueiltgthum und die Wahrheit durch A. Fr.
G fror er.
(FortseUuDg.)
Aber wie viele Fäden mürste es da gegeben baben, die
rereinzelt für sich gleichsam iQ der Luft umherflogen 1 Wo
herkommen auf einmal %o yiele Augenzeugen, die einzelne
Zettel schrieben, ,,abgerbs2ne,. vereinzelte Erzählungen"
niederschrieben I Denn viele müssen es doch getban ha«
faen, da jeder, der mehrere Erzählungen niederschreiben
wollte, sie doch verbunden haben würde. Yiele, sehr
Tiele müisten solche fliegende Blätter geschrieben ha*
ben, mehr als jene Sage braucht, die das apostolische
Symbolun^ durch die Beiträge der einzelnen Apostel
entstehen läfst Und was für ein sonderbares, unep-
Idärliches Bedürfnifs mufste es gewesen sein, was die
für jene Hypothese nöthige Schaar von Augenzeugen
dazu trieb) einzelne Erzählungen, niederzuschreiben,
und befriedigt war, wenn ein Faden für den Zufall,
der ihn hintragen konnte, wohin er wollte, gesponnen
war? Welche Betriebsamkeit, solche einzelne Fäden
zu spinnen, mäfste in jenem Winkel am See Geneza«
reih geherrscht haben, wenn so viele Augenzeugen je-
der einzelne Fäden für ^spätere Bearbeiter, denen das
Geschäft des Webens vorbehalten blieb, drehten? la
Fabriken geschieh^ dergleichen, da wird die Arbeit
.ve^eilt, aber im geistigen Gebiete der geschichtlichen
Erinnerung ist das vereinzelte Thun unmöglich, denn
ein Punkt zieht hier sogleich den anderen an, verbin-
det sich^ mit ihm; und das .Einzelne sucht sich mit ein-
ander zu einem Ganzen zu verschmelzen. Auch nicht
Eine Erzählung - in den Evangelien , hat das Gepräge,
daH) sie einmal selbständig für sich einen Faden bil-
dete oder auf einem einzelnen Zettel von einem Augen-
teugeii niedergeschrieben sei, keine steht isolirt für sieb
Hhfh. /, vonitmcK KrUik. /. 1840. I. BS.
da, ohne dafs sie von d^ Beziehung auf andre oder
vielmehr auf einen ganzen Kreis von andren durchdrun-
gen wäre; denn sollten wir das von einer sagen, so
müfsten die einzelnen Züge in ihr. Ort und Zeit mit
einer Genauigkeit und Vollständigkeit geschildert sein,
wie -wir es nirgends in den Evangelien finden, und
Alles mufste so nackt \ind prosaisch -scharf dastehen,
wie es in keiner evangelischen Brzäjilung der Fall ist
„Ein Thor," fährt Hr. Gfrorer p. 60 fort, „ist der
Geschichtschreiber, welcher Arbeiten von Vorgängern
unberücksichtigt läfst." Lucas handelte nicht so, son-
dern er habe auch die Bearbeitungen der Vielen« ge-
braucht. Wir können das nicht in Zweifel ziehen, da
wir es vielmehr oben natürlich fanden, dafs Lucas von
dem geschriebenen Stoff der früheren Bearbeitungen
der evangelischen Geschichte abhängig veurde. Aber
Hr. Gfrorer sollte eigentlich den Evangelisten stolz an .
den Diegesen vorübergehen lassen, da er ihm ja die
%chriftlichen Aussagen der Augenzeugen als Stoff für
.seine Arbeit vorlegt. Läfst er den^ Evangelisten bei
einem schriftlichen Correctivmittel vergessen, dafs ihm
die Diegesen nicht genug Sicherheit zu' haben schie»
nen, so mufs er das ausgleichen oder vielmehr begrün^
den, indem er sagt, dals Lucas nicht blps aa der Zu- ,
saminenstellung der Vielen, sondern auch an ihren
Quellen und den seinigen, an jenen ^Aussagen der Au-
genzeugen Sicherheit vefmifste (p. $2). Denn die Worte:
„wie die Augenzeugen überliefert haben,*' liefsen ja die
Vielen . als ganz abhängig von den Quellen erscheinen.
Was mufs sich der unglückliche Lucas für Qualen ger
fallen lassen,'' weil Hr. Gfrorer will; der will nämlich
bei seinem kritischen Bestreben dabin, wo eis glaubli-
cher scheint (p. 64), „dafs die 'ursprünglichen Berichte
nicht von den Augenzeugen selbst schriftlich abgefafst
seien, sondern erst von Späteren, die sie aus ihrem
Munde empfangen haben wollten," d. h. Hr. Gfr. will
in das neunzehnte Jahrhundert und zu dessen Ansich-
30
i35 GfrSr er, die
ten und nun SEieht er auch mit Gewalt den Evange-
listen mit sich fort Lucas soll nnn auch die Zweifel
des Hrn. Gfrorer ge^en -Zettel hegen, die> wie wir sac
hen, unser Kritilcer selbst erst geschaffen hat Wohin
sich nun Lucas dreht und wendet, bt er imglückUch
genug daran; die Diegesen der Vielen hält er nicht
fSr genügend. Denn er würde sie dem Theophilus
sonst abschreiben oder einfach schicken. Die Ueberlie-
fenmg der Aogenseugen * darf ^ er auch nicht fOr sieher
halten. Denn so wie er es will» beunruliigt ihn Hr.
Gfrdrer und fidfst er ihm Zweifel gegen sie ein. Aber
dann ist die Frage: wie kommt denn Lueus daiu, die
Bearbeitungen der Vielen nicht far so hinlftnglich £«
halten, daCs er nicht auch noch eine solche su versuchen
brauche. Er mufs doch eine Norm zu haben glauben^
nach welcher er die Bearbeitungen der Vielen so -weit
KU beurtheiien Temkochte, dafii er sehen konnte, hie und
da fehle es Ihnen noch an Selbständigkeit, Begründung
des Binselnen und an der gehörigen Verbindung des^
selben. Diene Norm {na^m^ nagddoaav) hält er eben für
nnmittelbai^ gewifs^ et nennt sie ja die Ueberlieferuhg
der Augenzeugen , uud in sie wagt er keinen Zweifel
au setcen. Zwar nennt er sie. auch die 4iuei/e, aus
der seine Forgänger gesdiöpft haben, und die Norm
ihrer Arbeiten, aber meinte er nun auch, diese seien so
abhängig vou dem gegebenen Stoffe, dafs sie das Von
hand^ne nur uögeeehrieien hätten^ so würde er ja sein
Wörk nicht unternehmen •
Genug aSer, Hr; GfrSrer setst Zweiiel in jene,
•ehriftliche Fäden, und nun spricht er es p. 67. €8 aus^
dafs sie nicht von Augenxeugen herrfih^en, sondern von
der Sage gesponnen seien« Folg^iden Procefs habe der
Kern der evangelischen Geschichte durchmachen mOs*
aen, bis er mannigfach verändert zu Lucas' gekommen
eei. .,,Laiige, wohl ein volles Menschenalter mag die
Oeschiel^te Jesu blos durch das Gedächtnifs ver«
breitet worden sein.'' Folge davon: „an den echten
Kern der Erzählung haben sich allmälig erdichtete Sagen
angeschlossen.'* Das führte zum „Zweifel," der Zweifel
),Kttf Aussonderung dessen, was sicher, d.h. durch Au*
genseugen beglaubigt schien, und was nicht Die sehrift«
liehe Abfassung folgte dieser Auswahl und lieferte In
abgerissener Form vereinzelte Ersählungen." Nun ka-
men die Diegesen jener Vielen und den Stofl^ wie 'et
In den beiden letzten Stadien vorlag, sichtete und eem*
bintrte Lucas (p. 68. 69).
heilige Sage*
Ein Procefs ist das nicht, sondern ein "Wirliel, bei
dem es unbegreiflich Ueibt, wie noch jemand die Be«
sinnung behalten und den Entschlufs fassen konnte,
prüfen, zu sichten und das sicher Seheinende
menzusetzen. War schon die erste Zdt so sehr
der Sagendichtung beschäftigt, was gebot dem
Halt? Sein „Anschwellen,^ wie Hr. Gfr. andeutet (p.
)S8), kann diese gebieterische Kraft doch nicht gehak
haben, 'mufste im Oegentheil die Flntii writer tm4 hS-
ber treiben. Der Zweifel meiste in der Fluth «ntisfa
werden. Und welohe Kriterien sollte man gebranclMai
^a ein volles Bfensehenalter verflossen war, alt amn
das Ausgewählte niederschrieb, und die Augenzeugen
nicht mehr zugänglich waren, wenigstens nicht in je>
nem VTinkel am See Genezareth, wo doch der ganst
Pirocelj geschah, befragt werden konnten. Und ia die»
-sem Meinen Räume „von 5-;-6'Quadratmeüen" soll jcns
^«'iuUi hin und her gestrSmt sein; gewifsda mulnte d«
.stärkste Verstand in der Höhe der Fluth omgekoonam
sein. Das merkwürdigste ist aber die Fenn, in wel»
eher Hr. Gfrorer den Kern der evangelischen Geschiehs
durch den Strom der UeberUefernng hindureligehea
lädst, er habe sich nämUch „in einzelne ahgerlaaene £c^
siUungen aufgeldst^** diese abgerissene Geatidt eei ihm
auch in der Ueberlieferung gebtieben, obwohl sich doeil
erdichtete Sagen ihm angeschlossen haben sollen^ und
selbst in der' ersten schriftlichen Abfassung fanben db
Erzählungen diese abgerissene Form „behalten." Das
Bild jenes 5 — 6 Quadratmeilen grofsen Meeres der Sagt
wird dadttjßch noch abentheuerlicher« Ein.Keaael, bi
dem Brocken, nichts als einzelne Brocken, dnreh dnen»
der gewürfelt werden ! Und diese Brocken sollen aidi
qȊter doch zu einem Ganzen vereinigt, noch mehr, sie
sollen rieh so lange erhalten haben! Das Ist vnmdg*
Uefa ! Einzelne^ abgerissene Anekdoten sind etnem gans
andren Geschick unterworfen ; wenn sich die Menge
dnig'e Zeit an ihnen ergdtxt hat, treten sie in den Hin»
tergrund und Verschwinden bald gänzlidi.
Nun das Ende, in welehes die Hypothese unseis
Verfs. ausläuft. Die Evangelien des Lucas und Mat*
thius sind nach seiner Meianng bald nach einandnr
abgefaist, nur Jenes etwas früher ab das letztere und
die Zeit ihrer Abfassung fäUt in den Zeltraum ewisehen
den Jahren 80 -«-90. (p. 63>, ungeEabr dasselbe heil Sr
II, 245). Die ersten schriftliehen Abfassungen fallen
80 — 40 Jahre vor der Abfassung, von Lucas Sefarfft
G f r 8 r e ry di e.
(heil. S. I, 70. d. H. u. d. W. p. 3$X Fallen sie aber
•e nahe an die Zeit Jesu seibat, wie wSre dann in so
kurzer Zwisehenzeit ein Procefs der Sage möglicb, der
«ich durph so viele Stadien bewegt haben &oU. Dies
gefährliehe Bedenlcen scheint es su sein, was Hrn. Gfr.
anderen Sinnes machte, denn p. 339 hat er jene An«
Bfthine vergessen und nun behauptet er: ,,8cbriflliohe
Urlniqden gab es erst kwrx vor unseren Evangelien."
Aber wie im ersten Falle für die Entwicklung der iS>«^e
SIL wenig Zeit blieb« so nun für jene McArißUellerüeAe
Virnltkätigkeit^ fUr die Verfertigung der schriftlichen
Fäden und Gewebe, welche Lucas voraussetzen soll.
.Nicbt nur hebt die eine Annahme die andre auf, son«
dena auch jede für sich fallt ^urch ihre innere Un«
mdglidikeit
So kann die Entstehung des I^ucasovangelium
nieiit aufgeiielh werden. Nur noch einen Augenblick
Geduld und wir erhalten von Hm. Gfrorer das un*
wülkllrliehe GestSndniis, dab' er in der That diese Auf»
Idteung auch nicht gegeben habe. 9,Bie scbriftstelle»
rische Tbätigkeit des drillen Evangelisten,^ sagt er p.
362, besohranke sich auf das U»/Me jiSscAteiien des
V^rhmndeHe».^ ^jNur die Quellen, die Sagen, welche
ihm vorlagen, läfst er reden'* p. 38L Diese Quellen
aind jene schriftstellerischen Fäden* Nun das Unmdg«
liehe gesetEt, dafs sie da waren, so mu&ten doch die
ef »Keinen abgerissenen - Ersahlungen sich mit so be*
_ • •
sdurlEnktem Gesichtskreise nur in das Detail des Eiiw
«dnen versenken, dais sie jdas Einselne um seiner selbst
willen darstellten. Im Evangelium seigt sich aber eine
si^ohQ Art der Arbeit nidit, sondern das Einzelne ist
um allgemeiner Gesichtspunkte willen da und nur ito
weit da, als es von diesen beherrscht wird und ihnen
ümt. Wie ist nun Lucas zu diesen allgememen Oe%
mejktepunkten gekommen, wie hat. er nach ihnen das
, Eineeine bearbeitet und angeordnet t Er hat nichts von
dem^ gethan, er ist auch ia der Anordnung d49 Gan^
%en ,^dltcren Diegeten gefolgt** (Ebend.). Aber schon
die Mehrheit der Diegeten und ihre D^erenxen mula«
Isn ihn doch cur Reflexion und zu, einer selbständigen
Anordnung bringen? Auch dieser Meinung ist Herr
GMrer nidit« Unter Diegeten vmrsteht er zunächst
solche Schnftsteller, welche die früheren abgerissenen
Erzählungen jeder zu besonderen „Schichten'' verbun-
den hatten. Diese Schichten habe Lucas wieder in
Verbindung gebracht. Als ob .solche einzelne Urkun-
he,il i ge S m giB. 238
den, die nur einen beschränkten Theil der evangelischen
Geschichte darstellten, irgendwie möglich seien. Sollen
in einer Urkunde mehrere Begebenheiten unter Einen
Gesichtspunkt gestellt sein, wäre es selbst nur der äu«
fseriicke des Orts, so verliert sie sogleich den Schein
der Selbstständigkeit, die ihr zugeschrieben wird; ih«
r^n bestimmten Gesichtspunkt kann sie nur fasseUf
wenn sie ihn gegen andre abgränzt, zu diesen in Besie*
hung setzt, und sie kann ihn auch nur deutlich me^
eben, ,wenn sie gleichfalls den anderen zu seinem
Hechte kommen läfst, d. h. die vorausgesetzte be«
schränkte Urkunde müfs aufboren beschränkt zu sein,
•
muls über ihre Grmze hinausgehen, das darüber Hin»
ausliegende schildern und bo Darstellung des Ganzen
werden. Lucas konnte also solche Urkunden nicht be«
nutzen« Nun wellen wir den letzten Fall setzen, er
habe dergleichen benutzt, oder vielmehr „abgesehrie*
ben*', so mubte er doch die unier verseAüdenem Oe*
nehtspuni^en verfaßten Urkunden in Zusammenhang
setzen und verbinden. Bemerken müssen wir noch den
andern Fall, der hier nothwendig vorauszusetzen wäre*
Hat nämlich Lucas nur ubgeechrieben^ so müfste für
jede besondere grdlsere Parlhie der evangelischen Ge*
schichte immer nur Eine Urkunde da sein, denn meh«
rere der Art würden doch sehr von einander« abgewi*
eben sein, würden, wenn sie auch in denselben Ge*
richtqiunkten zusanunentrafen» was wieder unerklärlich
wäre, in der Art, wie sie Einzelnes unter eben solchen
Gesichtspunkt stelUen, sehr verschieden verfahren ha*
ben; dergleichen Differenzen würden aber Lucas zu
sehr beunruhigt haben, als dals er sich nur auf das
Absdireiben hätte einlassen können. Aber Hm« .Gfr..
diesen Fall zugegeben, da(s für jede gröfsere Parthie '
der- evangelischen Geschichte immer nur Eine Urkunde
da war^ hat sie 'Lucas zum Ganzen vereinigt! Auch
das soll %r nicht einmal gethan haben. Denn M^tliche
aeiner Vorgänger hatten auch das Ganze der evange«
lisehen Sage bearbeitet^ d. h. in Ordnung und Zusam- '
menhang gebracht" p. 381. Und so sehr hat er sie
abgeschrieben, dafs Verstoise, die man bei ihm findet,
nicht ihm zuzurechnen, sondern auf Rechnung seiner
Vorgänger zu setzen sind. *
Aber (nun zum Schlüsse!) hatte Lukas die Arbeit
tsn mehrerer Vorgänger vor sich, die das Ganze be^
reits bearbeitet hatten, so mufste er doch unter ihnen
wieder die größten Differenzen in der Anordnung
239 G fr S r 0 Ty die
und in der AuftassuDg des allgememen Gesicfatspunk«
tes und in der Burchföhrung desselben finden^ er
konnte mithin doch nicht 9,abschreiben", er mulste sieh
einen neuen Gesichtspunkt bilden ; aber wie sollte er
dazu kommend Oder hatte er nicht nur Einen Yor-
gänger, der das Ganze umfafst hatte, so mufste er sich,
wenn er ,,abschreiben** wollte, für Einen unter meh^
reren entscheiden »— aber wie konnte er dafür Gründe
erschwingen, falls er sich nicht dem Zufall überlassen
find blindlings unter den mehreren Vorgängern wählen
wollte« Was wir aber doch ^ uns und zugleich den Lu<*
cas iju&lenl Hr, Gfr. weifs uns und zugleich den
Evangelisten aus aller Unruhe zu ziehen. „Lucas,
sägt er p. 173, und Matthäus Jbenutzten eine gemein*
sehafOiche Quelle'' (Dasselbe p« 186, 212). ZwM
sprieht hier Hr. Gfr. zunächst hur voü einer einzelnen
grofsem Urkunde, aber wie wir sahl^n, läfst er den
Lucas Diegeten folgen, die das Ganze bereits umfafst
hatten; wie wäre es nun, wenn jene einzelne Urkunde
dem Lucas nur im tVerke eines solchen Diegeten vor*
lag. Ja so ist es! sagt doch Hr. Gfr. p. 213: Lucas
hat nicht jene Urkunde Melbsty die auch Matthäus be«
nutzt hatte^ vor sich gehabt, sondern nur in der Ge«
statt, XU der sie einer seiner ^ Vorgänger, dessen Zu*
sämmenstellung er benutzte, umgearbeitet hatte. Aus
der Bearbeitung dieses Yorgäugers erklärt sich dann
das Eigenthümliche, das Lucas gegen Matthäus hat.
Kurz: Lucas hat den Lucas vor sich gehabt, Ztu*
eu9 hat den Lueae abgeMoArieben. Hr. Gfrörer hat
uns nun zwar gesagt, dafs Lucas die Abschrift einer
früheren Diegese sei, aber wie die^e entstand,, -wissen
wir nicht. „Der geschärfte historische Sinn, diß histo-
rische Mathematik, und die Logik des gesunden Men-
•chen\^erstandes" haben also Hrn. Gfriorer so wenig über
die Irrtliümer der Gelehrten-Kaste erheben . können»
dafs er nicht nur in die unglücklichsten Widersprüche
fällt, sondern auch am Ende trotz aller prahlerischen
Worte die Lösung des Räthsels nicht um das Gering*
ste fördere.
Nun wir die Gesammtansicht des Hrn. Verfs.- von
der Entstehung der evangelischen Geschichtschreibung
kenne gele rnt haben, dürfen wir im Folgenden kürzer
sein und uns nur auf eine allgemeine Charakteristik
beschränken. In der ersten Abtheilung wird die Zu^
heilige Suge. 24C
eammemetxung des Lueasevangeliam» nach der Cr-
klärung der Vorrede im Einzelnen untersucht. Hen
Gfrörer macht es nicht so mit seinen Vorgängei
es Lucas gemacht haben soll, der eine unbegrä
Yerehrung gegen sie gehegt hahen mufs, sondern
schmäht sie: so kann er nicht genug beschrdben^
„widerlich" ihm das Ich Schleiermäehers sei. Das
ere kritische Bewufstsein nimmt fr«lieh einen höhere»
und freieren Standpunkt ein, als deijenige war, asf
dem Schleiermaeher in seiner Schrift über I^ueas atste*
Aber wenn Hr. Gfr. von seinem Vorgänger sich so
nig befriedigt fühlt, so müfste man doch gewiCs
ten^ er schlage einen ganz anderen VTeg ein, zumal er
selbst das. Neue seiner Arbeit überall zu rühmen weib*
Und was thut er nun Anderes, als dafs er ebenso wie
Schleiermaeher die S/mren der Urkunden aufinicht,
die sich Im Lucasevangelium noch verratben. Hwdi
„fühlbaren Enden jind Anfängen" der einzeincii Be»
richte sucht er (p. 125), um danach zu bestimmen, me
viel vom Stoff immer einer besondem Quelle angehöre.
Also ganz das Ake!
Ein Beispiel! Das erste Capiteldcs Lueaiera»!
gelium sei „wörtlich'*' aus einer „Denkschrift über das
Leben des Täufers eingerückt*' (p. 103)» „Der Fert
dieser Denkschrift stand sogar den Begebenheiten^ di»
er beschrieb, nicht fern, denn die Zeiten von fünf ver«
schiedenen Uerrschem, in welche er das Auftreten des
Täufers verlege (Luc. 3, 1. 2. Diese Zeitbestimmung
vom Auftreten des Johannes ist auch noch aus jeder
Urkunde entnommen,.)» treffen auf's Jahr überein" (p.
105). Ja, das zweite Capitel des Lucasevangelium^ wel«
ches die Geburt des Herrn berichtet, ist 9,naeh dem
Vorbilde des ersten gearbeitet" (p. 106). Was tu«
nädist die Genauigkeit der Zeitangaben betrifil, so wa*
ren doch Tiberius, Pontius Pilatus^ Herodes, Phalippus^
Hannas und Kaiphas so bekannte Punkte, sie wareo
gerade durch die evangelische 'Geschichte so bekannt
und so sehr in eine Gruppe gebracht worden, dafs je«-
der Spätere auch ohne alle Gelehrsamkeit sie angeben
konnte, wenn er die Zeit vom Auftreten des Täufers
und, wa? hier wichtig ist, damit zugleich, wie es doch
die Absicht in C. 3,, 1. % ist, vom Auftreten des Herm^
«eil es nicht viel später falle, angeben wollte.
tl>ie Fortsetznsg folgt.)
w 1 s is e n
J^ 31.
Jahrbücher
für
schaftlich e
K r i t i k,
Februar 1840.
m
Die heilige Sage durch A. Fr. Ofrörer. Er--
' ete Ahlheil. Z/weite Ahtheü: Das Heiligthum
und die Wahrheit durch A. Fr. Ofrörer.
•
(Fortsetzung.)
Sodann sagt swav Hr. Gfr, „C. 1 enthalte Berichtef
4ie ureprengUeh nicht £vm Sagenkrebe Jesu gehörten"
(p. 113), aber wenden wir nur einige Blätter um, so wi-
derlegt er sich (p. 104) selbst, wo er im Gegentheil
sagt, 9,jene Denkschrift, die Luöas seinem Evangelium
einverleibt, sei t^«i christlichen Standpunkte aus ge*
arbeitet/' Aber da mufste aucli das Leben des Tau*
fers mit dem Leben des Herrn in Einheit verarbeitet
sein« Gerade das sagt aber auch Hr. G fröre/, wenn
er (Ebend.) fragt: „warum sollten in den ersten Chri-
stengemeinden nicht auch über Johannes, den man als
den Vorläufer allgemein mit dem in Jesu erschienenen
Messias in die innigste Yerbindung brachte, Sagen um-
gelaufen sein?" Nun das heifst ja selbst nichts anderes,
als: Sagen haben sich über den Täufer nur in Ver*
Inndung $nit der Geschichte des Herrn gebildet; fer-
ner : Sagen von der Kindheit und Geburt des Vorläu-
fers haben sich nur in Yerbindung mit den (also bereits
vorhandenen) Sagen von der Kindheit des Herrn bil-
den können. Der einzig mögliche Schlufs ist dann aber
nur der, dafs im Gegentheil die Sagon von der Ankün-
digung und Geburt des untergeordneten Yorläufers nach
dem Vorbilde der Sagen von. der Ankündigung und Ge-
burt des Herrn gebildet werden konnten, nicht zu er-
mähnen, dals dann seihständige Denkschriften über
(las Leben des Täufers ein Unding sind.
. Im Verhältnils zum dritten erklärt Hr. G frörer das
srnte der synoptischen Evangelien für j^ünger und noch
nielir von der Sage entstellt. Sogleich im Eingange
•einer Kritik des ersten Evangelium sagt Hr. G frörer
(d. h. S. II, 7.), der Verfasser desselben „stehe darin
ui^teir Lucas, dafs er nicht wie dieser blos die Quellen
Uhrh. f. wu$enich, Kritik. J. 1840. l. Bd.
sprechen labt, sondern seine eignen Ansichten in die ,
Geschichte ehinuscht/* Unter solchen eignen Ansicht
ten versteht Hr. G frörer (p. 9. 80) die Anführung von
prophetischen Aussprüchen des A. T. und die Verglei-
chung der evangelischen Geschichte mit ihnen. Diese
Vergleichung als solche gehört in jedem Falle der /tc'
flexion an \ aber wie fängt' es denn der erste Evange-
list an, dais seine Reflexion gerade als die Einmischung
seiner eigenen Ansicht in die Geschichte erscheint t
„Auch im dritten Evangelium, sagt Hr. Gfrörer (ebend.),
werden manchmal Prophetenstellen angeführt; allein
niemals ist es der Erzähler selbst, der sie eintfüscht,
sondern immer sind sie den in der Geschichte handeln^^
den Fersenen in den Mund gelegt." Aber da folgt ja
gerade das Gegentheil von dem, was Hr. Gfrörer be.
weisen wollte ; dimn geht der dritte Evangelist im Ein-
mischen seiner Reflexionen weiter als der erste 3 wäh-
rend dieser sie noch in ' einfaclj^er Keuschheit als die
seinigen vom geschichtlichen Stoff unterscheidet, hat
sie jener mit diesem Stoffe schon assimilirt.
' Auf einen anderen Beweis für das jüngere Alter
des ersten Evangelium hatte Hr. Gfrörer schon in der
ersten Abtheilung der heiligen Sage (p. 332) aufmerk*
sam gemacht. Die Fassung der Worte, die der Herr
bei der Vertheilung des Brodtes und Weines während
des letzten Mahles zu seinen Jüngern sprach, sei bei .
Lucas ursprünglicher. Besonders wichtig seien hier
die Worte: „das thut z^ n^einem Gedächtnifs," in de*
ren Anführung Lucas dem Apostel Paulus folge. Hätte
der Herr aber jene Worte wirklich gesprochen, so wäre
ihre Unbestimmtheit völlig unerklärlich. Denn eine
Wiederholung des Actes, den der Herr ^0 eben beging^
wäre mit^hnen nicht blos empfohlen^ sondern voraus^'
gesetzt. Sie. lauten nicht so: thut (las, was ilir mich
jetzt thun seht, wieder, sondern: wenn und, so oft
(öaaxfff wie es bei Paulus genauer heifst) sie es thun
würden, sollten sie es .zum Gedächtnifs des Herrn thun.
31
243 OfrSrer^die
Aber, wie sollte sich der Herr dies ^so oft** gedaciit
habend Soll er gemeint haben^ so oft ihr das Pascha-
mahl geniebtt So mürsten die Worte verstanden wep-
deit*) wenn er sie gesprochen hat; selten sie anders
nach seiner Absicht verstanden werden , so mufste er
vorher ausdrücklich gesagt haben , dafs sie überhaupt
diesen Act öfter begehen sollten und zwar auch aufser
der Zeit des 'Paschamahles« Das sagt er aber nicht,
sondern die öftere Wiederholung wird als gewib und,
um es mit Einem Worte auszusprechen, als ^ehon
wirkfieh bewUhend vorausgesetzt Der Herr kann da-
her diese Worte unmöglich gesprochen haben. Das-
selbe beweist sich auch aus demTheile des Zusatzes,
der den Z^eck der Wiederholung angiebt, da(s sie zu
seinem Oedücktnifi geschehefn solle. Die Erinnerung
an den Herrn, vor allem an seinen Tod, wie es auch
Paulus besonders hervorhebt, wäre dann der Zweck der
wiederhohen Handlung. Hätte nun JeßU9 diese Werte
gesprochen, so wäre jene Erinnerung der einxige Zweck
der wiederholten Handlung. In den anderen Worten
des Herrn wird aber ein ganz anderer, ein viel weSent*
lieberer Zweck angegeben, der Genufs seines Leibes
und seines Blutes. Wollte der Herr unter der Vor-
aussetzung dieses tteseniliehen Zweckes die ßf^$eder*
holurtg anempfehlen und gebieten, so hätte er es mit
anderen Worten thun müssen, mit Worten, welche zu-
gleich diesen wesentlichen Zweck als einen solchen be-
zeichneten, der immer bei jeder Wiederholung sich
erfüllen würde. Jener Zusatz bei Paulus und Lukas
ist daher iron einer späteren Absicht zu den ursprüng-
lichen Worten des Herrn gebracht, soll die Wiederho-
. lung des Mahles gebieten, setzt sie aber voraus, — ein
natürlicher Widerspruch, da er sich nach und nach in
der Gemeinde bildete und festsetzte, als die Feier jenes
Mahles für die Gemeinde eine feste Institution geworden
war. Bei Matthäus dürfen wir daher noch die ur-
sprünglichere Form jener Worte finden.
' Als den Hauptbeweis für den späteren Ursprung
des ersten Evangelium hebt Hr. Gfrörer (h. S. II, 79)
den Umstand hervor, dafs in den vom Verf. desselben
„benutzten Quellen in keiner Beziehung Einheit herrsch-
te." Die Petrinische und Paulinische Vorstellung von
^er Geltung dos mosaischen Gesetzes ständen in jenem
Evangelium friedlich neben einander und „in die Au-
gen springe es, dafs geraume Zeit dazu gehörte, bis so
widerwärtige Aussprüche sich unter einander versohn-
AeiligeSage. 244
len,*" wie %. R Matth. S, 18. und o. 21, 14. AHeu
fafst man die Sache wie Hr.' Gfr., dab In der eraCeii
Stelle (kein Jota vom Gesetz soll vergehen) der Ssrts
liege, „das Gesetz Mose sei für die Gläubigen TerlMiil>
lieh und der Heide, der Christ werden wolle ) masfs
zuvor Jude sein,** dars hingegen in der anderen Stelle
(das Evangelium wird allen Völkern verkündigt
den) das Ritualgesetz ab solches gefafst werde ,
auch für die Yölker verjährt sei, so giebt man den
gelischen Sprüchen eine Bedeutung und Beziehiuig, dii
ihnen fremd ist. Dort, wo auch dem Jota des 6^
setzes Unsterblichkeit verbürgt wird, ist gar nidit ast
die Folker Rucksicht genommen, hier, wo das Evan»
gelium auch zu den Y^lkem kommen soll, wird gsr
nichts vem Oe9et%e gesagt Und wollte jemand den»
noch bei jenem Gegensatsd bleiben, den Hr. Gfrorar
aufstellt, so könnte ihm der mit leichter Mfthe entss-
gen werden, deim wo ist denn e. 24, 14. od«r 28^ 19.
20. auch hur mit £inem Worte gesagt, dafs desi Tül»
kern mit dem Evangelium ni^ht auch das Gesets, «pcmi
beides wirklich in der Art zusammenhfingt, wie es e.
5, 18. vorausgesetzt werde, gebracht werden aoU t Otm
Wenn e. 5, 18», was doch sogar der eigentlidie Siaa
des Spruches ist, die Bewahrung des Gesetzes in sei*
ner höheren Auffassung und in seiner Aufhebunjf ge*
meint ist, kann dann nicht den Yölkem mit deaEFsn-
gelium das Gesetz, nur so wie es in diesem atffjgeka^
6en istj gebracht werden!
Aber Hr. Gfrörer meint, die Unvergängliciikeit des
Jota und des kleinsten Theiles vom Gesetze sei c. 5|
18., wenn wir so sagen darfen, gleichsam ab die Un*
Sterblichkeit dieses empiriscAen^ indufidueUen Jota s«
verstehen; denn c. 5, 17. sage ja Jesus ausdrueklickj
meinet nicht, dafs ich gekommen bin, das Gesets attf«*
sulösen. Nun sei aber später erst nach dem HinsGiiei»
den Jesu clurch den Apostel Paulus die Frage aaeh der
Aufhebung des Gesetzes in Gang gebracht, gegen -die
Lösung, die der Ueidenapostel gab, seien jene W^ovte
c. 6, 17, gerichtet und „erst geraume Zeit naeh I^avll
Hingange können siia in die Eyangeliensage eingeseUi^
eben sein." Und das sei unter anderen aueh einer der
Hauptbeweise für das späte Alter der synoptiseiMSi
Evangelien. „Bm Johannes, fügt Hr. Gfrörer liinaa
p. 86, findet sich kein Wort über die Gültigkeit oder
Ungültigkeit des Gesetzes.'' An einer anderen Stello
ist Hr. Gfrörer ein ganz anderer, und wir brauchen ihn
^
245 Gfr Ir evy die
da nur sprechen zu lassen, damit er sieh selbst wider#
lege. Das U. u. die W« p. 42 sagt HiT. GfrSrer: ^täX»
diese Vorurthetle (des gesetzlichen Cukus) griff die
neue Lehre in der Wurzel an," und swar meint' dies
Hr. Ofrörer ;io, dafs noch bei. Lebzeiten Jesu dieser
Angriff geschehen sei und an jenem Kampf auf Leben
und Tod führte, der den Herrn ani Kreuz brachte«
Da kann Hr. Gfrorer die Frage nach der Gültigkeit
des gesetzlichen Cultus nicht eine solche nennen^ „die
bei den Lebzeiten Jesu gleichgültig war" (d. h. S. 11, 86)«
Die Sprüche Jesu über die Unverbtzliohkeit des SsIh
bath^ über das Fasten und 'die Reinigkeitsgesetze be^
weisen doch, dab er öfter mit dem gesetzlichen Cukus
In CelUsien gerieth und wenn er gegen jene Statute
die Unendlichkeit des Innoren als das Berechtigte geU
Send nwchte, so konnte er wehl gegen manche, die den
ProceCi der Aufhebung luls einen solchen sieh dachten^
der in Bauseh und Bogen abzumachen wtLf einwenden:
g^taubet nicht, da(s ich gesonnen sei, das Gesez aufzu«»
iSeen« Sagt Hr. Gfr. (ebend.), jene Frage erhielt erst
lingere Zeit nach dem Hinscheiden des Herrn prakti*
sehe Wichtigkeit)'' so fordert das als Gegensatz niciit;
daie sie bei Iiebzeiten Jesu ^gleichgültig/' sondern erst
in den theoretischen Grundlinien durchgeführt war»
während die apostolische Gemeinde sie in wdtgesciücht«
licher Allgemeinheit zu lüsen hatte.
Das Marcosevangelium betrachtet Herr Gfr* als
sehriftstellerische Compilation aus dem ersten und drit^
ten. Bei der Kürze, in der wir uns hier halten mos«
sen^ ist. es Befer. nicht erlaubt, genauer auf die Frage
etnxugehea» zumal die Untersuchung durch den aulser*
ordeollicben Aufwand ton Scharfsinn, den ihr Wilke
gewidmet hat, eine den bisherigen Ansichten uo ganz
entgegengesetzte Wendung genommen hat. Befer. be*
merkt nur, dafs Hr« Gfrorer selbst seine Ansieht nicht
Qr genügend hält, den Ursprung jenes Evangelium zu
erklären, da er zu dem Zwecke noch annimmt, dafs
Marens auch das Johannesevangelium vor sich gehabt
und benuut habe <p. 187, 201).
Wir bemerkten bereits« dafs Hr. Gfr. in den syn«
epliadien EvangelieUv SagcHka/ees sieht Dies Ele«
SMal verratbe sich aber immer dann, wenn ,,die Juden
sur Zeit Jesu erwartet haben, der Messias werde, wenn
V. komme^ gerade Dies und Jenes tliun, was in einer
svangelisehen Erzählung ab wirklich geschehen berich<*
tet wurd** (p. 277). Schon oft und mit Recht ist be-
heiligtSuge. 24«
merkt worden, dafs viele Zuge des späteren Messias*
bildes bei den Juden durch die BerQlirung mit , der
christlichen Gemefaide eaUtanden sind. Die Kritik hat
hier noch viel zu thun oder dgentlich bisher noch
nichts getliaQ. Zu verwundern ist das nicht, wenn
man sieht, dab sie nicht einmal in den Evangelien
eeltst und in den cl^istlicben Schriftstellern der ersten
Jahrhunderte^ wo sie sich auf jüdisohe Erwartungen
berufen, ihr Messer angelegt hat. Wie viele Beeie«
hungen auf jüdische Anschauungen sind in den Evan*
gelieu aus dem reinen Pragmaiismus der Beflexiem
hervorgegangen und ohne Grund in der biblischen Dog«
matik als Zeugnisse für die jüdische Vorstellung zur
Zeit Jesu betrachtet worden. So ist der ganze Vor«
stellungskreis vom Verhältnifs des Elia» und des Mes*
Sias erst später, nachdem das Yerhältairs des Täufers
zu dem Herrn geschichtlich vorlag, ins Detail ausge«
bildet worden. So ist die .Frage der Jttnger Matth. 17;|,
10. „was sagen also nun die Scliriftgelehrten, dab
Elias zuerst kommen musse,^ nichts als pragmaUsche
Einleitung für die folgende Erklärung des Herrn, daüi
Elias kn Täufer gekonunen sei Wenn der Jude Try«
phon in jenem Dialoge Mgt, der Messias ist unbe«
kennt, bis Elias kommt,, um salbt und npopk^hip avthv
nSai noifiep, so verrathen selbst die Worte, dals sie
erst aus der evangeUscheil Anschauung her\'orgegan«
gen sind. Denn Joh. 1, 31. sagt der Tiufer: ich
kannte ihn nicht, aber ha ^ar«^»^^, deshalb kam ich
mit der Waasertaufe. Nur ist das Taufen in der An»
schauung, auf die sich jener Dialog bezieht, ein Salben
genannt, eine Wendung, in die sich der Verfasser des
Dialogs nicht finden konnte. Das Sagenhafte in den
Evangelien soll nicht geläuguet werden, aber man be^
rufe sich nur nicht auf Vorstellungen, die Produkte ei^
nes späteren Pragmatismus sind.
Indem Hr. Gfrorer zum vierten Evangelium Ober«
geht, will er vorerst zeigen, da(s Johannes „ein Mann
von ganz anderem Charakter ist als die Synoptiker,
auch auf ganz andere Weise erzäiilt als diese'* p. 2BSL
Ob er aber besser erzählt als die Synoptiker, ob sein
Charakter geeigneter ist, die geschichtliche Erschei*
nuiig des Herrn wQrdig zu reproduciren, das ist die
Frage. Hr. Gfrorer mufs ja selbst (p. 320 ---333) zu-
geben, dals die Reden im Jofaannesevangelium vom
Standpunkt einer späteren Reflexion aus gemacht sind,
kann es denn nun den so ungeheuren Vorzug vor den
247 GfrSrer, die
synoptifchen haben, den er ihm susohreiben will, giebt
es ihm wirklich die WalBTen in die Hand, ^^mit denen
er trotsig vor die Gegner hintreten darf, giebt es ihm
Recht eu so hohen Worten, mit denen er deü niTthi-
sehen Standpunkt allein schon cu vernichten glaubt!
Im Yergleioh mit den Synoptikern mufs doch nach
jenem ZugeständniGi der Verf. des vierten Evangelium
weit zurückstehen, da die überwiegende Masse des Re-
destotTs, den jene überliefern, unverhältnifsmäbig und
über alle Yergleichung hinaus weniger von der Refle-
xion verändert ist. Doch auch aus den Reden schon
will Hr. Gfrdrer beweisen, dafs Johannes „aus dem
Gedäehtnifs" (also Selbstgehörtes als Augenzeuge des
Lebens Jesu) geschöpft habe (p. 298). In allem aber,
was Hr. Gfrdrer beibringt, siegen entweder die Synop-
tiker, oder wenn diese einen Ausspruch in eine fremde
Stellung hin,eingezogen haben,' hat es Johannes nicht
weniger gethan.
So beruft sich Hr. Gfrörer (p. 290) auf Job. 5,33
ilgd. : „ihr schicktet a;u Johannes und er xeugte für die
Wahrheit, Ich aber nehme kein Zeugnifs von Men-
sehen, sondern sage dies blos, damit ihr gerettet 'wer*
det. Johannes war das brennende und scheinende
Licht, ihr aber wolltet euch für eine kleine Zeit an
seinem Schimmer ergötzen." Welche leere Ostenta*
tion ist esy wenn Jesus sagen soll, nur um der Leute
willen berufe er sich auf das Zeugoifs des Johannes!
Wie anders dagegen spricht Jesus Matth. II, 7 — 14
von der prophetischen Stellung des Täufers und von
der Att, wie sich das Volk su derselben gestellt habe.
«Ufeid will man ein Beispiel von Verwirrung ha*
ben, von' einer solchen, wie sie bei den synoptischen
Spruohhäufungen Raum findet, welche Verwirrung ist
es, wenn der Spruch, „wer die aufnimmt, die ich aus»
sende, nimmt mich auf bei Johannes in den Ziuam*
menhang C. 13, 12—20 gestellt ist!
Der „Ehre, Clios Griffel zu fahren und ihr Schü-
let zu heifsen", will sich Hr. Gfr. nun vollends Würdig
machen, wenn er der historischen Mathemajiik als Weg*
weiserin folgt und im „Heiligthum'' die Wahrheit auf.
h e iJ i g e S 0 g e.
worden'' (d. Jahrb. des H. p. XXVI) r- aber di<
persönliche Angelegenheit entseheidet nichts für
Allgemeine, für die H^üsenseAa/t. Das fromme d
fühl, mit dem Hr. Gfr. das gottUche Bild im Ciior
Heiligthums betraehtet, wird jeder achten, der aufricifc
tige Frömmigkeit, auch wetm sie, wie die des Heim
Verfs. mit fanatischer Einbildung i|uf „die Metaphysik",
auf andere Richtungen gehässig herabsieht, su adktca
weifs. Aber bedenken wir, dafs die fromme Erreguag
an jedem beliebigen Oegenetande sich erweeken luun%
so werden wir Um. Gfr. nicht zugeben könneii» daft
von seinen „schwindelnden* Gefahlen auf die ^Hobe^
des Gegenstandes, der sie hervorruft (d. H. u. d. IV.
p. 106) y ein nothwendiger Schlufs gesogen
kann. Auch der Rationalismus kann aus dem
Rest; der ihm vom objectiven Inhalt geblieben ist,
hinreichend die eubjective FrömmigJkeit beleben, ün*
bescbadet aller Achtung vor dem persönlichen GcüU
des Hrn. Gfr. ist es uns daher dennoch in wisaenaehaft»
lieber Hinsicht erlaubt, auf das JUi/werASiini/i me^
merksam su madien, welches Ewischen der lieber^
schwengllchkeit desselben und dem geringen Made
nes wirklichen Gehalts stauflndet. Das Bild, vor
Hr. Gfr. schwindelnd steht, bt das Bild des EriiSeen,
der das politische Element der jüdisch «.messianisebea
Erwartung aufgab und der CoUision, welche aim swi*
sehen jener Erwartung und seiner freieren etUttdien
Auffassung der Messiasidee enutand, sich freiwillig bis
zum Tode aufopferte. Das und das auch nur allcia
ist ja aber auch die rationalistische Auffassung von Bn
losungswerke des Herrn, dafs es nur in dieser meiali«
sehen Umwandlung der jüdischen Vorstellung bcstai-
den habe. Die „historische Mathematik," die Hr. Gfr.
mit so vielem Pathos ankündigte, und die ihn an die-
sem Ergebnifs gebracht hat, ist weder neu noch hat
sie zu einem neuen Ergebnifs geführt, sondern der alte
Pragmatismus des rationalistischen Standpunktes iat sic^
und erscheint sie Hrn. Gfr. als ein neues Instrument,
die Wahrfieit zu fangen, so hat er wie der Idiot ge-
handelt, der doch auch sich einmal seine Meinung bil*
sucht. Der so pomphaft angekündigte Fund mag Tür ^ den will, dabei nicht weifs, dafs er es nur im ZusasH
Hrn. G frörer persönlich wichtig geworden sein, das im menhange und in der Berührung mit einem allgemein
Chor zum Theil enthüllte Bild mag auf ihn besonders verbreiteten Vorsteüungskreise thut, und nun an sei-
eingewirkt haben, ^ Hr. Gfr^ sagt „auf dem mühsa- nem Funde, der doch nur Altes ist, etwas ganz Neues
men Wege historischer Studien sei er ein Christ ge- zu haben meint.
(Die Forfsetzang ifolgt.)
w 1 IS s e n
-M 32.
Jahrbücher
für
schaftli c h e
Februar 1840.
Kritik
MKe heilige Säge durch A. Fr. Ofrorer* Er-
ste Abtheit. Zweite Abtheil. Das Heiligthum
und die Wahrheit durah A. Fr. Ofrörer.
(Fortsetzung.)
Do«h etwas Neues hätte Hr. Gfrörer wirklich ent.
deckt, wenn das wahr wäre, was er im Jahrhundert
des Heils (2te Abth. p. 219 — 444) zu beweisen sucht,
daTs nämlich sur Zeit Jesu mer Formen der Lehre
Tom Messias geherrscht hätten^ die nach dem ,,gemein
|Mrpphetisefaen Vorbilde," nach dem „mosaischen," nach
dem „danielischen," und nach dem „mystisch -mosai-
schen Vorbilde** gestaltet waren. Hier allein liegt auch
4er- Punkt,, wo die „Vorhalle*' (das Jahrhundert
(|es Heils) mit dem rfiowoT (den übrigen drei Bänden)
. ia- Zusammenhang steht. Versprach Hr. Gfrorer die
grofsartigsten Entdeckungen , wenn er sich vornahm,
die Clehurtsstätte des Christenthums aufzusuchen, wenn
er eine Geschichte, ja eine „kritische Geschichte des
Urchristenthums" geben wollte, so mufste man doch
wenigstens erwarten, dafs er das geistige System der
. fUdiseAen Welt^ wie er es im Jahrhundert des Heils
eiitwl(4i:elt hatte > mochte er es auch irrig genug aus
Docuraenten selbst des Mittelalters herausziehen, wirk-
lich als Gebnrtsstätte des Christenthums fassen upd das
Sand, das die Mutter mit dem Kinde verknüpft, überall
aufsuchen würde. Nichts von alle dem hat er gethaa:
die Vorballe steht völlig isolirt da, und statt zum Dom
zu. fuhren, ist sie ein müfsiges Werk, das zu nichts
anderem dient, als jiur zum Ruhme des Erbauers, des
Verfassers, der „das Jahrhundert des Heils" geschrie-
ben, hinzuführen. Das Einzige, dessen sich Hr. Gfro-
. xer aus der Zeit, da er noch in der Vorhalle wandelte,
erinnert, ist der Unterschiedjener vier Formen des Mos-
ftias^aubens und nun hehauj^tet er: Jesus habe sich
ii.ur an das mosaische Vorbild geh$Iten, nach welchem
(Deut. XVlil, 15.) der Gesalbte vorzugsweise Lelnrer,
Jahrb. f. vfUnnzeh. Kritik. J. 1840. I. Bd.
Prophet, Religionsstifter sei (A. H. u. d. W. p. 31).
Schade ist es aber, dafs diese Entdeckung des Hm.
Gfr. an allen Seiten, die bie nur der Betrachtung dar-
bietet, sich als Fehlgriff zeigt. Zuerst den Unterschied
jener Vorbilder mufs Hr. Gfr. selbst aufhebe^, wenn
er sagt: „so verschieden sie lauten, haben sie einen
gemeinschaftlichen Kern in dem polnischen Wahne,
dafs Israel zur herrschenden Nation erhoben werden
soll" (d. H. u. d. W.,p. 13). Femer: „in den alten
jüdischen Urkunden, so wie auch im N. T. sind, viele
Züge, welche verschiedenen Sprossen des Messiasbe-
griffs angehören, bunt durch einander gemischt; aus allen
Haupfquellen konnte ich für jedes der vier Vorbilder
Beweisstellen entnehmen'* (d. Jahrh. des HeUs II, p. 438). .
Wenn Hr. Gfrorer alte Urkunden erwähnt, so versteht
er darunter grofsentheils solche, die lange nach der
Zeit Christi bis xum Ende des Mittelalters verfertigt
sind. Wir können ihm aber ältere Urkunden nen-
nen, in denen gleichfalls die verschiedensten Anschau-
ungen vom Messias dicht zusammenstehen; es sind die
prophetnchen Schriften des A. T. Ein und derselbe
Prophet, wie z. B. Micha, oder Jesaias feiern den Mes-
sias oft in Einem Athem als Lehrer, als Herrscher, als
kriegerischen Helden, und als Persönlichkeit, die mit
Jehova in wesentlicher Einheit stehe. So wenig wir
schliefsen dürfen, dafs uiiter den Propheten verseAie'
dene TAeorieen über das Wesen des Messias herrsch-
ten (der Messias als dieser Refiexionsbegriff y9W noch
nicht einmal Gegenstand ihres Beumfstseins gewor-
den), so wenig dürfen wir das von den späteren jüdi-
schen Urkunden sagen. Verschiedene Theoiieen ver-
theilen sich an gesonderte Sehulen, von denen wir in
Bezug auf den Messiasglauben selbst bei den späteren
Juden, auf deren Urkunden sich Hr. Gfr. beruft, nichts
hören. Jene verschiedenen Anschauungen stehen noch
unbefangen über ihren Widerspruch neben einander
und wurden gleicfamä£sig von dem Bewufstsein festge-
32
251 'Gfr9rer^di$
halten, weil dem judischen Lebentk^eise vor und nach
der Zeit Christi das geistige unendliche Ptinc^ fehlte,
welches das Getrennte allein hätte auch nur zusammen-
bringen, geschweige denn vereinigen und von seiner
Unwahrheit, das es in der Trennung hat, befreien k9n-
neu. Jesus* konnte nicht unter verschiedenen messia*
nischen Vorbildern wühlen , denn sie waren nicht ge*
trennt; und er brauchte nicht aus dem Yerwirrten Ein
, YX^xskRVii .herausxusuchen^ weil er in der Unendlichkeit
ieines Selbstbewurstseins unmittelbar den wesentlichen
Gehalt und sügleich die Kraft besafs, welche das in
der Yolkserwartung Getrennte verband und das in der
Trennung Irrende zur Wahrheit erhob«
Wenn wir der Hypothese des Hm. Gfrdrer von
den verschiedenen Zweigen des Messiasglaubens bild^
Kch Füfse, wenn es auch nur schwache sein konnten,
zuschreiben dürften, so steht sie mit dem Einen ^— auf
dem ist sie aber gefallen — in jenen „alten" jüdischen
Urkunden, mit dem andren im N.. T. namentlich im
Evangelium Jobannis. Aber auch da fällt sie. „Johan-
nes, sagt Hr. Gfr. (d. H. u. d. W. p. 32), erkennt ei-
nen Unterschied an zwischen dem Propheten und dem
Gesalbten" d. h. zwischen dem Messias des mosaischen
und des prophetischen Vorbildes. Denn der Täufer ant-
worte der Deputation der Priesterschaft, c. 1, 19 flgd.,
er sei weder der Gesalbte noch Elias, nobh der Pro-
phet. Dann berichte er von eitlem Zwiespalt unter dem
.Volke, von denen einige Jesum für den Propheten (nach
dem mosaischen Vorbilde) andre für den Gesalbten hiel-
ten, b. 7, 40. 41. Da nun jene sagen: er ist wirklich,
in Wahrheit (aXi^^cS^) der Prophet, so sei klar, „dafs
Jesus selbst darauf hingewirkt habe, für den Propheten
gehalten .zu werden" (Ebend.). Ueber den Pragmatis-
mus, der sich nicht auf Facta ^ sondern selbst wieder
nur auf einen nur subjectiven Pragmatismus stützt!
Denn weder Jene Antwort des Täufers an die priester-
liche Gesandtschaft, noch dieser Zwiespalt der Volks«
nieinung in der Form, die* sie hier Im Evangelium hat,
ist ein Factum, ist nur gemachter Pragmatismus. Was
jene Gesandstchaft an den Täufer betriilt, wie kann sie
ihn fragen, ob er der Messias sei, da sie an ihn nur
abgeschickt werden konnte, als er bereits längere Zeit
gewirkt hatte, und sie dann auch wissen mufste, dafs
es ihm nie eingefallen war , für den Messias gehalten
werden zu wollen. Wie kann sie den Täufer fragen,
ob er der Elias sei, da erst der Herr den Täufer mit
heilige Soge.
dem BUas der Yeriieirsung In Beziehung gebradiC hatfi
und den* Gedanken, er sei der Elias, als einen neiiea
-in ihm erst aufgestiegenen bezrichnete, wenn er sagtet
es bt so^ wenn ihr so annehmet wollt. Wie kann,
wenn sich uns nun zeigt, dais das Alles vom apifcra
Standpunkt des Evangelisten gemacht ist, der Taufar
verneinen, dafs er der Elias seit So kann er es ihick
nicht verneinen, dafs er meint, die Priester yerstindtt
die Weissagung des Maleacbi, wiä man es za
beliebt, „fleischlich,^ denn sagt er Mos : nein ! so
er ja die Priester in ihrer fleischlichen ErwsrCaog, sv
dafs sie sich dann auf weitere Zeit vertrösten maCrtea.
Wenn alles dies nicht geschichtlich sein kann, dann
soll noch die Frage , ob der Täufer der Prophet s4
geschichtlich seini Nein! der Evangelift kfisrfite dk
möglichen Formen Jer Erwartung, auch selbstgebildclc^
zusammen, um sie der priesterlichen Gesandtschaft, ia
den Mund zu legen, um zu zeigen, dafs die alte Pm^
sterweisheit, das Abgestorbene in das Neue sich niekl
finden konnte, und dafs das Neue, wie es nun der Tis-
fer thut, nachdem sich der "Verstand der Priester c^
schöpft hat, sich durch seine eigene Kraft ankflnd^
Und was jenen Zwiespalt der Volksmeinung be^
trifft, so wird er als solcher insofern geschichtlieh sih%
als das Volk sich nicht in Jesum imtaer iinden konnte^
dafs sich verschiedene Ansicliten über die Bedeutung
des Herrn bildeten, aber wie der Evangelist dieses
Zwiespalt nun darstellt, darin ist er nicht gl&eklioh.
Er giebt uns nicht einmal die geringste Vorstellung
darüber, was denn der eine Theil des Tolks nstet
„dem Propheten" sich dachte. Natürlich! der Evan-
gelist weifs selbst nicht sich darüber Rechenschaft si
geben, wie die Volkspartheien in ihrer Ansicht tffdi
unterschieden, er will nur einen Untersehied ongebei
und greift dabei entweder ins Unbesitimmte oder fai
den Schatz seiner Reflexion auf verschiedene W^eis»
sagungen des A. T. Dafs er, der Evangelbt^ selb«
es sei, der von seinem späteren Standpunkt spreche^
wenn Philippus 2u Nathanael sagt c. 1, 46.: der, tos
dem Moses geschrieben hat und die Propheten, giebt
ja Hr. Gfrdrer selber zu (p. 33). Und mit Recht, deim
dies vergleichende Bewurstsein, das sich zwischen dem
A. T. und der Persönlichkeit des Herrn bewegte, b9>
dete sich erst nach dem Hinscheiden Jesu. Hat hier
der Evangelist pragmatisirt, warum an jenen SteHen
auf einmal nicht?
208 OfrUrer^ die
J[>ie UntersttheidvBK der Tkeorieen über den Me««
iia» giebt Hr. Gfrdrer seihst auf, wean er sagt: ,ybei
wekem die überwiegende Mehrsab) des israeUtischen
Volks war^ dem f rophetiscben Begriff des Messias su«
gedian" (p. 35)« Nun entsteht folgende ColUsion: Je-
sus woUte für den Propheten des mosaisehen Vorbildes
gebaltein sein, mubte sich deshalb eigentlicli gegen das
prpphetische Vorbild erklären, durfte es aber nicht,
weil 0s, die „Nationalmeinung*' beherrschte. Diese Col-
Usion habe der Herr zwar zum Gegenstand seiner Re-
flexion gemacht : aber „ohne (nämlich vor dem- Volke»
Sffentlidi) die Frage zu berühren, ob die Propheten
gegen dien Wortsinn gedeutet werden müssen, oder ob
sie die ToDie Wahrheit nicht geschaut, sucht Christus
jene aUgemein verbreiteten Begriffe von ewiger Herr-
schaft, Himmelreieh, Gericht, künftiger Welt zu ver-
geistigen, damit ihnen der politische Stachel genommen
würde" (p. 46). Findet sich nun im Evangelium neben
jener „vergeistigten Umdeutung des Messiasbegriffs"
zugleich „die volksthumliche Ansicht" (z. B. C. 5, 25,
s^^Tffi ä(fa, ete.),~ so k5nne dies Nebeneinander beider
Seiten und das Schwanken zwischen ihnen in Jesus
nicht stattgefunden haben; denn „wer die Volksmei-
nungen so vergeistigt, kann nicht zugleich ihr Sklave
seni" (p. 56), „ewiges Leben im mystischen Sinne
und Auferstehung des Fleisches scldiefsen sich aus."
Jesus könne daher als Urheber der geistigen Anschau-,
ung nicht der Volksansicht zugleich gefolgt sein, son-
dern Johannes habe deren Bestimmungen aus seinem
eigenen Vorri^the beigerügt" (p. 58). Aber ein Jün«.
ger, der sich so vortheilhaft von den Synoptikern un-
terscheiden soll, dafs er fast durchgehends die geistige
Anschauung seines Meisters rein wiedergiebt, der hätte
doch auch nicht wieder der Sklave der Volksausicht
werden können. Und wie hätte der gerühmte Evan-
gelist überliaupt etwas von jener Anschauung seines
Meislers und zumal so sehr viel, als er uns giebt, wis-
sen können, wenn der Herr in* einer so ängstlichen und
peinlichen Stellung sich befand, dals er „nicht einmal
seinen vertrautesten Jüngern sich ganz enthüllen, noch
ÜB Vorurtheile derselben mit der Wurzel ausreifsen
durfte,, weil er sonst Gefahr lief, zugleich das Band
zwischen ihm und ihnen zu zerreifsen'' (p. 72). Ja,
wie konnte der Evangelist auch nur etwas von der
geistigen Anschauung seines Meisters wissen, wenn die-
ser sogar erst nur am Ende seiner irdischen Wirksam-
keilige Sage. '254
keit die Jünger wegen ihres „Wahnes von einem irdi-
schen Himmdreich" blos nicht „ungewamt" liefe (p«
73), wenn er ihnen nur einen. Wink gab, „dab ihre
Auffassung seines Berufs nicht die wahre sei". Sagt
der Herr in seiner Abschiedsrede zu den Jüngern C^
16, 12: ich hätte euch noch vieles zu sagen, aber ihr
könnt es jetzt nicht ertragen, dann haben sie es auch
vorher nicht ertragen und er hat ihnen vorher auch
nicht jene geistige Anschauung mittheilen können $ sagt
femer der Herr C. 16, 25, in der Zukunft erst würde
er zu ihnen (durch den Paraklet) nicht mehr in-BU^
dem reden, so hat er ki$her in Bildem zu ilinen ge»,
sprechen, ihnen also nicht die reine geistige Anschan-
ung seines Werkes mitgetkeilt. Doch was halten wir
noch lange diese Sprache Hrn. Gfrörer entgegen, was
fragen wir noch, wie die Apostel, wenn sie „ihren
Meister in sehr wesentlichen Punkten nicht ve^tanden
hatten" (p. 74), nachher wie der vierte Evangelist so
fast durchgängig rein die geistigen Anschauungen des
Herrn wiedergeben konnte. Hr. Gfr. fragt (ebendas»),
wer es sich wohl einreden lassen werde, dafa jene
f^achricht (von dem früheren Nichtversteben der Apo«
stel), die doch die Ehre der Apostel und in gewisser Bof .
Ziehung auch die Christi so sehr gefährde, später erdichtet
sei. Erdichtet ist sie nicht,- sondern unwillkürlich ge-
macht und zwar gemacht von dem Standpunkt aus, auf
welchem die Lebensworte. des Herrn ihre unendliche
Fülle zu entwickeln begannen. Da erschienen die
Junger als solche, die vorher noeh nicht das wahre
Verständnifs erreicht hatten; liit dadurch ihre Ehre
Sctiaden, das kümmerte sie nicht, da in demselben Ma*
fse nun die hohe, Weisheit Cinristi. sieb hervorhob $ mOs*
sen wir zwar sagen, dafs damit auf die Lehrweisheit
des Herm^ der sich bis zu seinem Tode vergeblich
mit der Beschränktheit der Junger abgemüht habe, ein
ungunstiges Licht fällt, so merkte man das nicht, wenn
nur der Gegensatz s dieser Beschränktheit und der un*
ergründlichen Weisheit des Herrn für die Anschauung
gegeben war. Jene Worte: ihr könnt es noch nicht
ertragen und künftig verde ich nicht mehr in Bildern
zu euch reden, sind aber nicht ein blolser gemachter
Pragmatismus, sondern etwas geschichtlich * Richtiges
liegt ihnen zu Grunde, die Erinnerung nämlich, dals
jene systematische, speculative Betrachtung des Him-
melreichs oder des ewigen Lebens erst später im apo-
stolischen Be wulstsein sich gebildet habe. Die Reden
255 ö/r S r er, dia
Jefla hn vierten Evangelium sind nur die systemati-
sche Yerarbeitung und Durchführung einsetner schla-
gender Aussprüche des Herrn und durch diese Ti&diH
rie — eine Theorie können wir dem Herrn iiicht sn-
schreibcn — brechen nicht die jüdiscfh- beschränkten
Vorstellungen des Evangelisten durch, sondern ver-
einzelte Brinnerungen der ursprünglichen Anschauung
A^ Berrn^ die in ihrer Totalität von den Synoptikern
bewahrt ist* Jene Collision, die den Herrn in eine so
peinliche Lage gebracht haben soll, war für seine Re-
iIe;Lion nicht gesetzt. Der Widerspruch war nur an
sich und völlig unbefangen da und bestand darin, dafs
der Herr in. seiner Person und stillen Wirksamkeit die
Erfüllung der prophetischen Anschauungen sah und
gesehen gissen wollte. Gelöst war er unmittelbar
darin, dafs die Beschränktheit des prophetischen Yor-
• bildes in der Gegenwart der Idee, in dem Selbstbe«
wulstsein des Üerrn sich schlechthin verflüchtigte.
War nun zwar J{eides noch nickt für die Refie^
xi0H getrennt^ so konnte das Selbstbewufstsein Jesu
auch noch Von der Form der prophetischen Anschauung
behemcht, werden, aber dann galt ihm wieder diese
Form als Form der sonst in kurzen, schlagenden Wer*
ten, ausgesprochenen Idee* Die spätere Reflexion^
für deren theoretische Ausbildung die Voraussetzung,
das abgeschlossene Werk des Herrn gegeben war,
konnte es nun versuchen, den Widerspruch zu bear^
beiten^ »ie konnte die geistige Form der Idee für
«ich entwickeln, aber da sie zugleich geschichtlicher
Bericht sein wollte, konnte ihr Versuch nicht ganz
gelingen und miifste er zuweilei^ von der Erinnerung
des Faktisclien durchkr^zt werden.
Der Jesus, der sich von dem politischen Wahn
der Volkserwartungen lossagt, die prophetischen Ver-
heifsungen ins Geistige umgedeutet hat und der ColU-
aion, dals er der von den Propheten Verheifsene sein
wollte und aueh wieder nicht, sich zum Opfer brachte,
ersdheint dem Hrn. Vf. als „der Gottessohn". Indem
nun des Menschen Sohn geschildert werden soll, nimmt
sich Hr. Gfr. vor, „die menschliche EntwickelungJesu
zu prüfen" (p. 120). Geprüft wird aber eigentlich nur
die Glaubwürdigkeit des vierten Evangelium^ oder
.der Hr. Verf. sucht nacb Beweisen für die Aechtheit
heilige Sage.
desselben (p. 147), nach anschauliehen Bestimmungen,
die einen Augenzeugen verrathen, d. h. er horcbt a«f
den Ton der „Kinderklapper" der Anschaulichkeit, des-
sen Gewalt über die „guten Theologen" er sonst be-
lächelt (d. h. S. I, 184). Und' in welelie von den gü»
ten Theologen längst verlassene Kreise verlockt iln
nun gar jener Ton ? In die der natQrlichen Erklärung.
Der Wein, den Jes;us den Hochzeitgästen zu Kssa
spendete, war vorher als Hochzeitgesehenk v«a ilm
mitgebracht (p. 307). Die Speisung der 500O bestanl
darin, dafs manche von diesen es eben so gemacht hü-
ten, wie jener Knabe^ der einige Brote und FiscUeia
bei sich hatte, nämlich sich mit Lebensmitteln versebea
hatten und denen von ihrem Vorrathe mittheilten, die
nichts mitgenommen hattien (p. 172, 173). Das Wsn-
deln Jesu auf dem See nach der Speisung ist nur in
der optischen Täuschung des Evangelisten vorgegaii»
gen : „die dampfenden Nebel, die früh Morgens ans dca
Seen aufsteigen,** liefsen ihm Jesum ab ein Übermensch*
liches Wesen erscheinen (p. 177). Lucas hingegei
liefs das Wandern auf dem See aus, weil es keiii Wua*
der war, sondern Jesus nur am Ufer entlang ging; ;
den Jüngern erschien es nur „durch die dampfende |
Morgennebel hindurch, als ginge Christus über <Bt ;
Wasser" (h. S. 1, 216). Also der weit spätere Lukas
sah durch die Nebel der Sage deutlicher, als der Au-
genzeuge Johannes durch die Morgennebel, deren Vor-
Spiegelung er doch» wenn auch nur durch eine Frage
an den Herrn, hätte näher prüfen und anflosen kön-
nen! Der Tod Jesu war nur scheinbar, seine Aufo-
stehung ihm unerwartet, weil sie den jüdischen Erwar-
tungen entsprach und das Heilswerk nun wieder out
den prophetischen beschränkten Anschauungen verband,
eigentlich ein Hiudemifs für die reine Auffassung der
Lehre Jesu, und dafs Jesus nach der Marter der Kreu-
zigung am Leben erhalten, war das Werk selbst des
Jüngern unbekannter geheimer Anhänger, die sich mit
Pilatus verständigt und von ihm den llefehl an die
Kreuzeswache ausgewirkt hatten, dafs Jesu die Beine
nicht zerbrochen würden (d. H. u. d. W. p, 241— 248).
Nachher zog sich Jesus in eine verborgene Einsamkeit
zurück. U. s. w. u. s. w.
^er Beschlufs folgt.)
J^ 33.
Jahrbücher
für
*
li^issenschaftlic he
Februar 1840.
Kritik
Die heilige Sage durch A. Fr. Ofrörer. Er-
ste Abtheil. Zweite Abtheil. Das Heiligthum
und die Wahrheit durch A. Fr. Ofrörer,
(Schlafs.)
Und dabei redet Hr. Gfr. immer noch von dem
geistigen Wesen des vierten Evangelium, von seiner
Anschaulichkeit, Zuverlässigkeit Nur noch Ein RUson-
nement unsers historischen Mathematikers erlaube man
uns anzuführen. DaCs Johannes nicht wie die übrigen
Evangelisten die Einsetzung des Abendmahls berichtet,
ist Hm. Gfr. gar kein Anstofs. Denn jene Worte des
Herrn : Das ist mein Leib , seien von Jesus nur „zu-
fallig, ohne besondere Betonung ausgesprochen." Sie ,
bilden nur ein „unbedeutendes Beiwerk" (p. 206). Es
seien ja nur „zehn, fünfzehn Worte** (p. 220). Den-
noch seien die Worte Jesu Joh. 6, 47 — 58. „die. he«
stimmteste Andeutung auf das Abendmahr' (p. 221) d.
h. von Johannes „den ursprünglichen Worten Jesu un-
tergelegte** Anspielung auf die in der Kirche bereits
geführten Liebesmahle. Und doch „Ehre, dem Ehre
gebührt" d. h. „dem Augenzeugen** Johannes, denn er
hat uns c. 6, 47 — 58. „den wahren Ursprung der Ce-
remonie erklärt,'' „der letzte Laut von Tadel mufs ver-
stummen*' (p. 222). Ja, wenn ein Erzähler in Worten,
die erst eine gemachte Ampielung auf eine Ceremo-
nie sein sollen, uns doch den wahren Ursprung der-
selben enthüllen soll, dann müssen wir auch vor Er-
staunen verstummen.
»
Obwohl Hr. Gfrorer das vierte Evangelium so
schwer gemifshandelt hat, so ruft er doch am Ende
quasi re bene gesta triumphirend aus : ,; Ja, dies Evan-
gelium ist das Kleinod und die Grundsäule der christ-
lichen Gemeinschaft in ihrer jetzigen Entwicklung ge-
worden, so wie das Werk der drei Synoptiker dem
Christenthum der verflossenen Jahrhunderte als Strebe-
pfeiler diente" (p. 346). Yerhieke sich die Sache ai^ch
Jahrh. /. in'MesicA. Kritik, J. 1840. 1. Bd.
SO, Hr. Gfrörer hat den Glanz und die Gediegenheit
des Kleinods uns nicht gezeigt. Und es ist nicht ein-
mal so, das vierte Evangelium bt nicht dasjenige, in
welchem unsre und die sich jetzt bildende Zeit ihre
Anschauung von dem Herrn wiederfindet. Im Gegen7
theil die Synoptiker waren bis jetzt in der Kirche nach
der hohen Bedeutung, die ihnen zukommt, nicht gewür-
digt worden. Das Johanneische Ev. hatte vielmehr seine
Lebenskraft vollständig entwickelt, als die Kirche in
den ersten Jahrhunderten ihre transscendenten Bestre-
bungen der Metaphysik des jenseitigen geistigen Hirn«
mels widmete und der Herr ihrer Anschauung immer .
nur als 6. äv if %(p ov^artp (Joh. 3, 13.) vorsehwebte.
Die vorwiegende Schätzung dieses Evangeliums erhielt
sich in der Kirche, so lange die Anschauung sich noch
in der Abstraction des Dogma bewegte und die Ueber-
Schätzung, die noch in der jungst verflossenen Zeit
stattfand, beruhte nur in der sentimentalen Weichheit,
welche das bestimmte Dogma nicht mehr festhalten
konnte, weil sie es dennoch nicht ganz aufgeben wollte,
sich in die ersten noch unbestimmten Abstractionen
der himmlischen Welt zurückzog und die Kraft de^r
Synoptiker theils nicht zu würdigen wufste, theils auch
vom Kreise derselben, weil er durch den Zweifel un*
sicher gemacht war, sich entfernt hielt« Ist aber die
Aufgabe unserer Zeit, den geschichtlichen Chrbtus
kennen zu lernen (den geschichtlichen in einem höher
ren Sinne, ab der ist, den man gewöhnlich mit dem
Ausdruck : der historbche Chrbtus, verbindet), so bricht
die Zeit der Synoptiker an und die Kritik wird deren
Tiefe, nicht abstracto, sondern innerlich volle und ge-
staltete Unendlichkeit und lebendige Kraft immer mehr
zum BewuPstsein bringen.
„Unangenehm mag das Bekenntnifs sein — auch
uns thut es wehe — aber wahr bt es : " der gesunde
Menschenverstand bt auch etwas, woran man krank
sein und geföhrlich leiden kann. Mit unserm Hrn.
33
259 Burmeißttrj Handiueh
Yerf« steht es sehr bedMiklich, «r ist ein scUluniiier
Patient, oft redet er irre, wie wir aus den kostUciien
Widerspruehen sehen, in denen er sich umherwirfk,
und manchmal fällt er in das auHgelassenste Deliriom,
wo sein Yersland phantastisch wird. In solchen «chwir-
merischen Augenblicken hat er es besonders mit seinem
Landsmann Hegel su thun, litegel erscheint ihm dann
als ein Mensch, der „unheilbar an der Groben - Manns-
sucht und dem Aurserordenllichkeits - Fieber darnieder-
lag" (das Heiligth. u. die W. p. 272). Die metaphy-
sischen Schriften Hegefs machen dann auf ihn „den
Eindruck des Ameisenkrabbelns und der Muckenschwär-
merei Tor einem kranken Auge** (ebend. p. 273); sol-
che Phantasieen kSonten Spafs machen, wenn man
nicht einen Blick auf den armen Patienten würfe, der
Fon ihnen geplagt ist.
B. Bauer, Lic.
XXI.
Handbuch der Naturgeschichte. Zum Gebrauch
s
von Vorlesungen entworfen von Hermann Bur*-
meiste ry Dr. der Medizin und Philosophie u.
s. fr. Erste Abtheilung. Mineralogie und Bo-
tanik. Berlüh 1836. Verlag von Theod. Chr.
Friedr. Enslin. S. I^XWI und 1 — 368.
Zweite Abtheilung. Zoologie. Berlin^ 1837.,
Ebendas. 8. I—XII u. 369— 8ö8.
Es war dem Verf. offenbar darum zu thun, in Kürze
eine so vollständige Uebersicht des ganzen Gebietes
der N. G. zu geben, wie solche bei der Bogenzahl des
Werkes irgend möglich war, und wie dieselbe 'wolil in
keinem anderen von gleichem Umfange gefunden wer-
den dürfte. Nur die umsichtigste Befolgung eines so
wohl durchdachten Planes, welcher immer so viel, als
der Wahrheit gemäfs möglich ist, zu generalisiren sucht,
konnte das Ganze so inhaltsreich machen: indem sie
dem Gesagten überall die weiteste, mit der Richtigkeit
vertragliche Ausdehnung und Gültigkeit zu geben suchte«
Eine Methode, welche sich vortrefflich dazu eignet, um
durch Yermeidung aller Wiederholungen ungemein viel
an Raum zu spareu.
In einem wichtigen systematischen Punkte der Mi-
neralogie weicht der Yerf. eben so sehr von allen bis-
herigen Ansichten der Mineralogen ab, wie er darüber
der NäturgescAie'Ate.
allgeoieine Beistimmung verdient. Er hat nämliehj über-*
zeugt von ihrem wirklich organischen Ursprünge ^ die
kohlig - harzigen Stoffe, welche bisjetzt ohne W^eiteres
dem anorganischen Reiche ziigerechn^t wurden, wis blolse
„verkohlte Yegetdbilitn und vegetabilische Hasve," Ae
lediglich durch nachträgliche Yeränderungen in ihrsa
gegenwärtigen, anscheinend mineralischen Zustaod ver-
setzt worden sind, von den Mineralien getrennt, eu wd»
chen sie nach seiner gewils richtigen Ansicht eben s»
wenig gehören können, - wie etwa versteinerte TiufTi
knochen (die man bekanntlich früh» ebenfalls für wi-
nciralisehe Bildungen ansah) dahin gehören«^ Er /fihit
daher jene Stoffe, nebst dem Honigsteine (Mellit) als
einem „organisch saurem Salze,'* vorläufig nur in ei*
nem Anhange zur Mineralogie ^. 147. auf: da, wie fai^
greulich, ihre wahre systematische Stellung im Berel>
che der organischen Welt noch niclit sobald zu eraül* '
teln sein dürfte. Dagegen dürfte die Ansicht des Yerls.
über einen anderen Punkt, der in einer gewissen, nieb
unwichtigen Beziehung auf dim ebep genanntem sCeb,
Jetzt wohl nirgends mehr auf Beifall Anspruch m mt-
chen haben. Sie betrifft das nähere VerhSitnifs der
organischen Bildungen der Yorwelt zu denen der Jetzt-
welt In f. 36. der Einleitung (S. 16 — 17), wo Hr.
Burmeister eine, auch sonst nicht durchgängig beifalls-
werthe Ansicht über die „individuelle EndlichkÄ" und
die allgemein „ewige Dauer" der organischen. Natur-
Körper ausspricht, glaubt derselbe diese Ansicht duith
eine andere zu stützen, indem er meint: „es steUe sieh
„immer mehr heraus, dafs die eigenthümlichen um!
„abweichenden Formen der älteren Perioden nicht ak
,^fehlende Glieder der noch jetzt vorhandenen organi*
„sehen Entwickelungsreihe zu betrachten seien , soa-
„dern als Gebilde, die für Verhältnisse gesehaffiBn wa-
„reo, welche von dem jetzigen Zustande des Erdkör*
„pers wesentlich verschieden sind, und die mithin ia
^jetziger Zeit gar nicht mehr leben könnten. Daher
„wollen denn auch viele der untergegangenen Orga-
„nismen durchaus nicht in unser System passen, wie
9,z. B. die Ichthyosauren, Plesiosauren und Pterodae-
„tylen.** Wenn Letzteres eine Zeit lang Viden so
schien, so lag diefs nicht an ^en Tfaieren selbst, oder
vielmehr an der Natur 5 sondern nur entweder an den
Naturforschern, oder an dem noch mangelhaften, I&cke-
voUen Zustande- unserer Kenntnisse und Einsichten.
In neuerer Zeit hat sich aber gerade daSr GegentheO
261 Bunneüter^ HmiMmk
immer dendieher haravitgestelU, und jene längst Teral* ,
tete Ansieht tiegreleh verdrftogt. Denn erstens hat matt
fosstte IJeberreste von nicht wenigen, früher nnbekann«
ten, tintergegangenen Gattungen gefundeD) die gants ent-
schieden entweder so genau zwischen zwei oder meh«
reren noch lebenden Gattungen in der Mitte gestanden
haben, dafs die zwischen letsteren bis dahin vorhan«
4eiie LQcke jetzt Ihefflich ausgefüllt erscheint, oder die
sum Theil sogar manche neben einander stehende Ord-
Imngen enger mit einander verbinden *). Zweitens hat
Lyell in seiner Geologie auf die einleuchtendste Weise mit
einen» seltenen Aufwände von Seharbino, kritischer Ge-
Bauigkeit und von Vielseitiger Gelehrsamkeit dargethan:
dafe ein sehr grofser Theil derjenigen "Veränderungen,
welche mit der Erdoberfläche, und in Folge dessen auch
mit den organischen Körpern der Erdenwelt, vorgegan-
:gen sind, keinesweges plötzlich gekommen zu sein brau-
che, oder gekommen sein könne; sondern dafs viele
durch solche Umstände erfolgt sein mögen oder müssen,
welche, obwohl äufserst langisam und daher fast unbe» '
merkt, auch gegenwärtig noch fortwirken.
Der Verf. hat wenigstens bei den Thieren einen
Theil der sonst gebräuchlichen Terminologie, ungefähr
i\ach Reichenbachs Weise, geändert. Er nennt „Zunft**,
was man sonst allgemein Ordnung nennt; und dem
"Worte Ordnung legt er jenen umfassenderen Sinn un-
ter, welchen einige Zoologen (z. B. Kauf») unter der
Bezeichnung „Stamm"^ als Inbegriff mehrerer Ordnun-
gen verstanden. Diese Aenderung dürfte um so weni-
ger Billigung finden, da sie eben nur inne Verände-
rung, aber in keiner Beziehung eine Verbesserung ist.
Das einmal Gebräuchliche soll man aber nicht ändern,
sobald aian nicht etwas entschieden Besseres an seine
Stelle setzt. Dagegen kann man es nur loben, wenn
der Vf. z. B. bei den edlen Raubvögeln mehrere Gat-
*) Bs genaue, hier als Beleg für enteren Fall Kaap's Gattung
Acerotherium anzuführen, welche genau zwischen den beiden
noch lebenden, bedeutend Ton einander verschiedenen Gattan*
gen der Damans THyrax) und der Nashörner (^Rhinoceros)
■litteninne gestanden haben mufs: indem sie mit jenen den
Manrel von Hörnern auf der Nase and den Besits von '4
Vorder und 3 Hniter-Zehen gemein hattet, während sie in
allem Uebrigen mehr mit diesen Übereinkam.
Ala Beispiel für den zweiten FsU dient die Gattan« Hippo-
therium von Kaup, welche durch den Besitz von Anerhufen
die lebenden Pferde enger mit den Wiederkäuern verband;
femer wabncheinlich das Siwathier (Sivatherium (! !) Fale;
and Cautl.), welclies offenbar die Anniihernng der jetzt 1e-'
benden Formen von Wiederkäuern an die Pacn^dermen, nad
zwar insbesondere an die zum gröfseren Theile gleichfalls
nasgestorbenen elephantenartlgen, vermittelte.
d^ Naiurgewik$eii$. 269
tungen von eulen- «nd falkeüarUgen annimmtr wibrend
manche Andere sie bis, jetet fattmer noch alle In bloDi
2 Genera (Strix und Faleo) Eusanuneniwängen. *)
. Der kaum fibenehbare Umfang des naturhittori»
sehen Gesammtgebiets macht es gegenwärtig auch dem
grofsartigsten Talente unmöglich, das Ganze genügend
BU umfassen« Daher würde es unbillig sein, su ¥er«
langen, dab irgend ein, Ton einem einzigen Naturfor*
scher gans allein bearbeitetes Handbuch der Naturge-
schichte aller, drei Reiehe durehgehends ganz su verlas»
sig sein und nur lauter Richtiges enthalten soUe^ "^
Dies als Einleitung, wenn der Unterzeichnete, cum
Beweise , mit welchem Interesse er das vorliegende,^
ausgezeichnete Handbuch durchblättert und theUweise ■
einig durchstudiert hat, nicht umhin kann, auf einige
Einzelnlieiten der Art, zunächst bei den SäugeÜMeren, *
aufmerksam zu madien.
S. 783 heibt es von den Säugethieren im Allge«
meinen: „Viele Säugethiere, zumal alle Hufgänger,
„haben nur einerlei Haar.'' Aber bei den Aueroch&cn
z, B. waifs man nicht blos, sondern man fuhrt es auch
ausdracklleh als einen phTsiologisch interessanten Be-
weis von der schnellen £itiwirkung einer niedrigen
Temperatur auf den thierischen Organismus und seine
Erzeugnisse, als Beleg von den Gegenvorkehrungen
des letzteren, an: da(s diesen Thieren unter ihrem
schlichteren Oberhaare beim Eintritte stärkerer Kälte
in dem kurzen Zeitraum von 8 oder höchstens 14 Ta*
gen ein dichteres, wolliges Unterhaar nachwächst. Auch
bei den wilden Schweinen, also Pacfiyderm«i, iit das
Dasein einer groben OrundwoUe, aufser den als Ober«
haar dienenden Borsten, allgemein bekannt. S. 807
helfet es von der Familie der hasenartigen Nagethiere
(Leporina): „Sie graben Locher in die Erde, um dar*
5,in su werfen." Beides pflegen gerade die bekannte-
sten Thiere der Familie, die eigentlichen Hasen, nicht
zu thun. S. 827 wird Von den Halb. Alien (Prosimiae)
gesagt: „Alle Zehen mit Plattnägeln; nur der Zage*
„finger der Hinterhände mit spitzem, abstehendem
*) Reeenseot bedauert jetzt sehr, in seinem „Handbaehe der
Natureesch. der Vogel Europas"^ (1834) selbst noch dieser
Ansiebt gefolgt za sein.
**) Letzteres kann nach des Rec. festester Ueberzengens nur
dann erreicht werden, wenn der Yerf. eines soiehen Wer-
kes sich entschlietst, alle diejeniaen Partien, in denen er
weniger zu Hause ist, solchen Gelehrten zur Durchsicht zu
geben, welche die Partien zu ihren Uauptfuchem gemacht
haben.
263
Burmeüt^j Baruliuch der Naturge^chiekte.
264
„Krällennagel. '' Aber^ das GespensUhier (Taniuj)
fiilirt einen solchen auch an dem Mittelfinger dec Hin-
terhände. Beim Wallrosse (S. 793), wp auch der, so
lange unbekannte, Zahnbai^ des jüngeren Thieres sehr
gut beschrieben wird, werden ,,yier Zitzen am-Bauche''
angegeben. Rec. weifo allerdings nicht, ob dies viel-
lekht auf einer guten neueren Auctorität beruht ; aber
Pallas, dieser treffliche Untersucher und Beschreiber,
welcher, nach seiner Beschreibung zu schliersen, ^) ein
Tbier der Art im Fleische untersucht zu haben scheint,
sagt Ton ihm und dem Elepbanten, welche er beide in
seiner Ordnung Belluae unterbringt: „Conveniunt haec
„animalia mammis pectoralibus sub ai'mis.*'
Ein blofser Druck- od^r Schreibfehler ist es wohl^
wenn bei Dasypus sexcinctiis (S« 805, wo durch einen
anderen Druckfehler sexcinctes steht) angegeben wird:
,9mit f Schneidezähnen" statt §• Ueberhaupt ist zu be*
dauern, dafs bei der Korrektur eine bedeutende Anzahl
Ton Druckfehlern gerade in den systemaüsclien Namen
stehen geblieben sind. In Betreff der letzteren hat der
Yf. wohl etwas zu sehr den, häufig so höchst unbilli*
gen Ansprüchen der AnciennitAt gehuldigt^ die manche
Naturforscher, oft ohne alle Rücksicht auf die uiierläfs«
liebsten Anforderungen der Grammatik, geltend zu ma-
chen suchen. So u. A. bei dem Nachtaffen (S. 828).
Hier hat der Yerf. den, von Friedrich Cuvier auf die
Bahn gebrachten, in doppelter Hinsicht schauderhaft
ungrammatischen Namen Nocthora **) beibehalten (statt
des, freilich nicht eben richtig bezeichnenden Wortes
Actus, welches nun auch schon an eine Pflanzengat-
tung vergeben worden ist;}, obwohl das von Spix ge*
brauchte Wort Nyctipithecus nicht blofs bezeichnend
und grammatisch richtig erscheint, sondern auch bereits
fast allgemein angenommen worden ist,
Refer. mufs sich der Kürze wegen 'zu seinem Be»
dauern versagen, auf eine weitere Auseinandersetzung
über den Plan und die Vorzuge dieses Werken einzu-
gehen, uAter denen namentlich manche wirklich neue
Ansichten in der systematischen Anordnung der orga-
nischen Körper hervorzuheben sein würden. Die oben
gegebenen allgemeinen Andeutungen hierüber sollen und
werden hoffentlich hinreichen, zu zeigen, wie innig in dem
*) Zoographia rosso-asiatica I, p. 260^371.
' **) Von dem lateinischen nox, noctis und dem griechischen
^prtw, sehen!!
Unterzeichneten die Ueberzeugung rege geworden ist,
auch diese Arbeit des Yerfs. jedem wahren Freunde
der Wissenschaft angelegentliclist als ein Geistespro-
duct empfehlen zu müssen, mit welchem Niemand ohne
Freude bekannt werden wird.
Druck und Papier sind gut; ersteren mochte man
allerdings correcter wünschen.
G I o g e r.
XXII.
lieber da$ Erhabene und Komische, ein Beitrag
zu der Philosophie des Schönen ron Dr. Fr^
Theod. Vi sc he ry Privaidocent an der ütd-
rersität zu Tübingen. Stuttgart^ DrUch tmd
Verlag ron Imle und Kraufs. 1837. VI und
230 5.
Der Unterzeichnete ist durch ein lebhaftes Inter-
esse für den Gegenstand zu der vorliegenden Schrift
geführt worden, nicht durch ausgebreitete Studien
in dem Gebiete desselben. Seine Berechtigung^ die-
selbe anzuzeigen und zu besprechen» kann demnaek
nur in dem innigen und freien Nachdenken liegen, wo-
mit er dem Begriff des Erhabenen und Komischen io
der Einheit dieses grofsen Gegensatzes nahe gekom-
men zu sein glaubt. Man wird ihn demnach entschul-
digen, dafs er diese Arbeit übernommen, unter der Be-
dingung, dafs er sich bescheidet, sich im Mittelpunkte
der Sache zu halten, indem er sich mit der ausgezeich-
neten Schrift, welche er hier zu beurtheilen hat, aus-
einandersetzt.
Was in der vorliegenden Sdirift die Schlufspunkte
der Forschungen über das Erhabene und Komische
bildet, das leitet uns hinein in das Yerstandaifs bei-
der Begritfe in ihrem Gegensatz und Zusammenhang,
nämlich der Eindruck, welchen diese entgegengesetzten
Phasen des Schdnen hervorbringen, ihre Wirkung auf
das Gemütli. Das Schone in meiner Mitte, in seinen
harmonischen, maafsvoUen Erscheinungen wirkt ergrei-
fend mit der sanftesten Macht^ denn es ist die Gute
des Lebensgeistes^ welche in seinen BUdem zvlt Er-
scheinung kommt. • Auf seinen Gränzgebieten aber, wo
es einerseits im Erhabenen, andererseits im Komischen
sich mehr offenbart^ als harmonisch erscheint, wirkt
es erschütternd.
(Die Fortsetzung folgt.)
J a h r b fi c h e
tut
wissen sc haftlich e Kr i t i k.
Februar 1840.
Ueber dag Erhabene und Komische^ ein Beitrag
zu der Pkilosophie des Schonen von Dr. Friedr.
Theod. Vis eher.
(Fortsetzung.)
Di^se ErSGhütterungen Bind grundvetschiedeni
und doch hangen sie iu dem lebendigsten Gegen-
sätze mit einander zusammen , ebenso >yie' jene Ma«-
nifestationen, durch welche sie bewirlLt werden. Aus
der Wirining im Gemüthe aber bilden wir das Ur*
theil über die Erscheinung, ob sie erhabeir sei, oder
komisch; wohin sie gehöre. Nun scheint es uns aber,
daDi wir das Alles als erhaben su bezeichnen pflegen,
was uns das Gefühl der Vernichtung mittheilt, wäh*
rend. komisch genannt wird Alles, was das Gefühl der
Vollendung in uns erregt. "Was uns hineinführt in
den Moment, in dem wir uns in unserer Endlichkeit
aufgeben und hingeben an den unendlichen Geist des
Xiebens^ wo wir uns übergeben dem Gerichte Gottes,
hingeben seuiem Walten, indem wir durchschauert wer-
den Ton seiner unendlich starken und guten Ueber-
macht, das' ist das Erhabene. Was uns dagegen für
einen Moment all unsre Unvollkoibmenheit^n und Ge-
brechen, alle Mühe und Ai4beit des Strebens nach der
Vollendung yergessen macht, und uns die Vollendung
fühlen läfst, die wir in irgend einer augenblickli'
* ehen Beziehung haben^ das ist das Komische. Dar-
um ist auch das Komisehe mit dem Profanen verwandtt
so wie das Erhabene mit dem Heiligen; obwohl das
Gefühl de« Komischen in seinem reinen 91itz, in sei-
^ nem Augenblick, wo - es als das Gefühl des Schonen
fad kleinsten Maals erscheint, nicht profan genannt wer-
den darf. Es ist für den Menschen in seiner sundi-
gen Beschaffenheit äubeirst schwer, zu dem reinen Ge-
iUde des Erhabenen za kommen, oder sich im reinen
Gefühl des Komischen zu behaupten. Das meiste Er^
habene ist für die mebten Mensehen noch TerhülU in das
. Jakrh. /. iriiMJifa.^i&ilJlr. J. 184a L Bd.
Schreckliche, in das Grauenvolle; darum nämlich, weil
sie ihm mit dem Interesse des egoistischen Eigenlebens
gegenüber stehn. Das Schreckliehe ist nimmer dasje-
nige, was uns das Gefühl der Vernichtung mittheilt,
sondern was iins im Willen aufs Aeufserste empört.
Derselbe Seesturm, welcher dem geöngstigten Passa-
l^ier bei. aller Kunstbildung, welche dieser besitzt, nur
als etwas Grauenvolles erscheint, kann einem todesmu-
thigen, begeisterten Matrosen, dem alle Kunstbildung
abgeht, einen dunklen Eindruck des Erhabenen gebent
weil er die Fähigkeit hat, sich hinzugeben an den Geist
des Sturms und der Wogen. Freilich sind die Natura
Tollcer auch bei der tapfefeten Gemiiths- undLebenswei&e
vorherrschend mehr mit dem Schrecklichen in dem Er*
häbenen ihrer Umgebungen, als umgekehrt mit, dem Er-
habenen im Schrecklichen vertraut geworden, weil sie
im dunklen, heifsen Kampfe erst den Frieden mit die*
seu Machten zu Erringen hatten. In dem Geiste der
Furcht hat eine Stelle der Schweiz den Namen der Teu-
felsbrücke erhalten, wo sich gerade eines der herrlich-
sten Prachtstiicke des Erhabenen entfaltet, und gerade
da, wo die Krone ihrer feierlichen (IrhabenheiCen ist,
im Bemer Oberlande, hat sich für den Volksgeist die
schauerliche Gruppe des Wetterhoms, Schreckhorns
und Finsteraarhoms gebildet. Die Jungfrau scheint frei-
lich versöhnend vor die Linie der Austern Dreizahl zu
treten \ aber sie verdankt keineswegs ihren Namen ihrer
hehren Erscheinung im leuchtenden Schneegewande,
sondern einem derben und zweideutigen Volkswits.
Wenn die Unendlichkeit in einer grofsen Erscheinung
oder Handlung dem Menschen entgegentritt, dann ist
sie ihm schrecklich, so lange er sich ihr gegenüber
und für sich behaupten will. Ist aber die Mdglichkeit
oder Willigkeit zur Hingebung da, so wird er hinübei^'
geführt duroh die Schauer des Gerichts, welche Um
seine Endlichkeit und Sündigkeit empfinden lasilen» i|i
das Gefühl des Erhabenen, Die Erscheinung nimmt ih»
34
267
FfscAeTy über däi Erhabene und daß Komitehe.
hin4 seine Se^le sitterf, eine heilige Blässe geht über
sein Angesicht. Aber gerade durch das Gefttfal der Ver-
nichtung findet er sich wieder. Er findet sich geläa-
tert und beseeligt wieder in dem. Unendlichen; und jetzt
ist für ihn das ünendlicbe^ welches vielkicht zuerst
als AblS' Schreckliche' vor ihm stand, dann zum Schati-
erlichen und weiterhin zum Erhabenen wurde, in den
Mohient des Feierlichen getreten. Er findet ein kö-
nigliches Leos in der Hingebung an das Gute, wie es
sich ihm in seiner Unendlichkeit offenbart, in seinem
Einswerden mit Gott. Freilich müssen, wir, um Mifs-
Verständnisse zu verhüten, den Kuustgenufs des Erha*
benen von dem Lebensgefühl des Erhabenen unterschei«
den; der erstere schliefst mit der Freude an seiner
Empfindung ab, das letztere geht in das Leben d^ Ge-
sinnung über. Die Wirkung des Komischen bildet den
reinen Gegensatz zu der Wirkung des Erhabenen.
Wenn uns das Komische erschüttert, so sind wir für
einen Augenblick am Ziel, vollendet, fertig. Wir sind
es freilich nur in dieser Beziehung zu der komischen
Erscheinung, aber diese hat^uns ja eben ganz ergriffen.
Darum ist auch das Komische nur für Augenblicke,
weil sich der Mensch in eine so kleine Einzelbeziehung
nicht lange verlieren kann. Defswegen sind auch die
Gerafither mannigfach in ihren ernsten Stimmungen, in
ihrem Ringen und Streben schufsfcst für die Blitze des
Komischen. Aus demselben Grunde verwandelt sich
die reine Lust des Komisehen, diä nur in eiifkem leich-
ten, heitern und süfsen Lächeln, oder in einem hellen
Freudenjubel aufgehen sollte, so leicht durch unreine
Fortsetzung in einen bittem Ekel, in ein wai^end wi-
derwärtiges Gefiihl, in einen Uebermulh und Taumel
des Selbstgefühls, aus dem sich der Yorsichtige wie«
der mit schmerzlicher Anstrengung zusammen nimmt,
und in den trockensten Ernst zurückzieht'. Das Gefühl
des Komischen wird für den so sehr unfertigen und
fehlervollen Menschen so leicht zur profanen Lust. Das
Hochgefühl seiner relativen Vollendung, das ihn durch-
blitzt, wenn er in eine Beziehung gesetzt wird, worin
er sich als den Erhabenen fühlen mufs, wenn z, B. ein
Affe i^ Anstreben des menschlichen Thuns seine ihie-
rische Untüehtigkeit zu solcher Hoheit kund gibt, diese
Empfindung darf nur über den Moment der durchge-
fühlten Beziehung fortdauern woUen, mo verliert sie sich
In's Trübe de^ Egoismus, und bereitet Schmerzen. An
sich aber steht die reine Empfindung des Komnchen
mit dem Gefühl des Schonen, ja mit der feierlidutea
Empfindung des Erhabenen im besten Einklang. Der
heilige Geist der Alttestamentlichen FsalmenAiehtu^g
läfst die gefangenen Israeliten (PsaTm 126) weissagea:
„Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, — <ir*
dann wird unser Mund voll Laehcns sein." Sie wer-
den sich als die Vollendeten fühlen, und werden laehoi.
Noch kühner ist es, wenn im zweiten Psalm zuerst die
Emporer gegen den Herrn und seinen Gesalbten ge»
schildert werden, die Völker, wie sie wider ihn toksi^
die Leute, 'wie sie Eitles wider ihn reden, die Kdmgo
im Lande, wie sie sich wider ihn auflehnen ^ uni die
Herren, wie sie miteinander rathsehlagen , und wenn
dann von Gott gesagt wird: aber der im Himmel wäh-
net, lachet ihrer, der Herr spottet ihrer. Alle dien
Ueerschaaren mit ihrem Aufruhr geben ihm nur dat
seelige Gefühl seiner Vollkommenheit und Sidieribei^
weil er sie absolut überflügelt und besiegt weifs durdi
seinen Geist, seinen Rath und seine Macht Hier steht
dem ErhaBenen im höchsten Sinne das komiseh Nkk^
tige und Aufgeregte in weitester Ausdehnung gegen»
über. Für diejenigen, welche das Böse als eine noib-
wendige Form für die Entwickelung der -Freilieit be>
trachten, fliefsen auf diesem Punkte die Gegensätze des
Erhabenen und Komischen . in ^trüber Einheit, in der
Gestalt der Mischung zusammen. Die helle Einkek
der Gegensätze erscheint uns jedoch auf dem Stttud-
punkte, auf welchem wir das Böse als das finstre Zu«
fällige, welches von dem Lichte des göttlichen Walteni
mit unendlicher Machtfulle überflügelt ist, betraehten^
darin, dafs Gott in seiner Erhabenheit frei ist von aller
Angst, Spannung und Bitterkeit, indem er die ohnrnSeb»
tigen Creaturen in ihrem Rathsehlagen gegen smi Re-
giment betrachtet,' dafs er den hellen Blick hat in das
absolut Nichtige ihres Trachtens, welches zum Tlmn
nicht werden kann, ohne sofort wieder seinem Wehen
dienstbar zu werden, und dafs er feiernd mit dem BUdce
der Liebe auch in der Verunstaltung und Verstrickung
des Bösen noch sein Geschöpf erkennt Die falsche,
nichtige Scheinerhabenheit, worin eine empörte Welt
ihm gegenübertritt, blickt er in der seeligen Bewe^^mg
des Geistes an, womit er sie in seiner absoluten Erbe«»
benheit überwallet. Das Komische in seiner SuhstaiiB
wird demnaeh vielfach mit dem Profanen zusammenfal*
len; das Gefühl des Komischen wird sich in dem Men-
schen äufserst leicht profaniren, da es die zarteste' Lust
VuekeTy üier das Erhabene und das KotniseAe.
270
dM GefuUt der Erhabenheit ist; in aich sdber aber ist
•s aU ein reines Spiel des sichern, des persdalichen,
des gMstig unendliehen Lebens in seinem Triumph Ober
das Zufällige, Zweckwidrige, Gebrechliche, da wo die-
ses in. seiner Gebundenheit durch beruhigendes Walten
erscheint, zu betrachten.
Da uns der betreffende Gegensatz von der Seite
seiner Wirkungen zuerst wichtig geworden ist, so bat
ee' uns auffallen mflssen, dais der Verf. diese \|iehtige
Pariliie aeiaes Werkes «erhältDifsmälsig wohl zu we*
lüg bedacht hat Bei der Betrachtung über den sul>-
jeetiven Eindruck des Erhabenen fehlt allerdings der
richtige Grundgedanke nicht. Er klingt an und kehrt
wieder in Torscbiedenen Fassungen, die nur nicht in
einen reinen und bestimmten Ausdruck susammenge*
falat aind. Am schönsten spricht der Yerf. diese Wir-
kung aus, indem er von der Wirkung des Tragischen
fidet. ,9Diese Macht, die sie (die tragischen Helden)
vernichtet, ist keine uns fremde, sie wohnt auch in der
Menschiieit, wir treten ihr naher, der Schmerz geht in'
mne sanfte \Xehmuth, in die wohlüiuende Ge\cilsheit
iiber, einer höheren Weltordnung anzugehören^ der
auch wir willig unsere selbstiscben Wünsche und
Zwecke opfern. Wie daher die Furcht für menschli-
c^s Glück zur Furcht vor Gott, so wird nach eingetrete-
nem Untergange das MiUetd mit dem Leiden des Einzelnen
$^i d^m allgemein mensehlicAen O^U unserer NicAr
iigkeU und. unserer Qr^fse in dieser Niehtigkeü
geläutert, es 'werden diese Affekte gerade dadurch ge*
rMnigt, dafs sie bis zum.Aeufsersten aufgeregt werden.*'
Bei dem kurzen Worte von dem subjektiven Eindrucke
des Komischen ist uns der Verf. einen bundigen Auf»
sshhifs schuldig geblieben. Er beschrankt sich beinahe
mir darauf, das Gefühl des Komischen pathologisch zu
beschreiben^ wie ee sich im Gelächter, im . raschen
Wechsel yon Schmers und Lust entfaltet. Von dem
Yentfindttifs der Grundwirkung entfernt er sich weit,
indem er bemerkt, dafs die Behauptung einea Uobbes,
Addison und And«, daCs das Gefühl der Ueberlegenheit
tter den verlaebten Gegenstand der Grund des La^
dmos sei, in einer Ssthetisclien Unters>i.ch]ing keine
Widerlegung verdiene, und sie stehe der Wahrheit di»
xekt- entgegen. Auf diesem Punkte häUe nach unserem
Baf&ihalten seine Untersnehuag in die Tiefe dringen
msssen. Aus dem rohen Gestein der angerührten Be*
hauptung hätte sich w^hl durch Vertiefung, Bichtung
und Läuterung die Idee des Komischen und seiner
Grundwirküng zu Tage fördern lassen. Der Verf»
kömmt^aber auch in seiner Abhandlung über .das Ko-
mische hin und wieder in verschiedenen Aeufserungea
der richtigen Auffassung der innersten Wirkung des
Komischeu nahe«
Wir können der Sclirift nicht in ihrer ganzen
Entwickelung folgen, ohne zu weitläuftig zu werdak
Sie hat einen sehr klaren Gang. Nachdem in der Ein-
leitung die früheren Leistungen besprochen sind, nimmt
die Untersuchung ihren Ausgang vom einfach Schönen,
worauf dann zuerst das Erhabene und weiterhin daa
Komische zur Sprache kommt. Beide Phasen des
Schönen sind in der Stufenfolge ihrer Momente -mit
gtoCser Bestimmtheit und Klarheit dargestellt. Das
Werk ist überhaupt klar gedacht und in der Ausfül^
rung rein und gehaltreich. Ein ernster, grundliclier
Gedankengang bewegt sich in frischen, konkreten, an.
regenden Auffassungen. Der begeisterte Grundton ent*
faltet sieli in geistvoller Darstellung» So ist also dm
Schrift mit gutem Erfolg auf ein Kunstwerk angelegt,
und man mufs um so mehr bedauern, dafs sie durch
Ungebührlichkeiten des modern -ttsthetiiehea Polytheis-
mus entstellt ist, wie z. B. wenn von dem Gott dea
Unsinns die Rede ist, wenn Eulenspiegel der Gott einer
gewissen Stufe des Lächerlichen genannt wird. H^t Genius
des Verfs. sollte in der That über diese Modesprache
des neuen Polytheismus hinaus sein. Was er S. 1^
über das VerhältnUs Gottes zu dem Komischen sagt,
gehört unter eine andere Rubrik, nämlich unter die
des Verworrenen. Der Verf. verwechselt hier die
Vorstellungen, dafs Gott den $chera verstehe, und dafs
der Scherz über ihn zulässig sei. Er ist nämlich dem
Gedanken nahe gerückt, dab auch das Erhabenste . ein
Gegenstand des Lachens werden könne; es wird ihm
aber unmöglich, das letzte Wort in dieser Richtung zu
finden oder auszusprechen, und so taumelt er denn in
annähernden, verworrenen Aenfsernngen, wie geblent-
det und fem gehalten, um den lichten Punkt der hoch»
sten Majestät herum. Bei einer klaren Fasaung des
Komischen häHe es ihm. nicht widerfahren können^
diesen erhidbenen und komischen Burselbaum zu ma«>
eben.; es wäre ihm ausgeqmcht geblieben,, dafs der on«)-
liehe Geist in- den seligsten Scherzen des vollendeten
271
VtMeker^ über das Brkai&ne und da$ KömüeAs»
Selbstgefuhk nie Ober den Gebt, des absolut YoUkomai«*
tien sich erhaben fühlen kann, ohne wieder der Fin^
*
etemire su verfallen«
Von dem einfaeh Schonen sagt der Verf., ee stelle
Wnäehst nur eine einzelne Idee dar, die in einer be*
stimmten sinnliehen Gestalt sur Erscheinung komme»
„Indem es uns aber, schreibt er weiterhin, auf diese '
Weise die Einheit des (Seistigen und Natürlichen auf
einem bestimmten Punkte, in einem einseinen Falle
anschauen läfst, so briqgt es uns mittelbar, die höchste
Einheit des Idealen und Realen, also die absolute Idee
sur Anschauung. Nur ipittelbar, denn die absolute
Efaoibeit des Wirklichen und des Idealen kann eigent-
lich nie auf einem einzelnen Punkte sich erschöpfen
und fix und fertig auf die Oberfläche treten, sondern
nur die Totalität alles Seienden kann den ganzen In-
halt des Absoluten Yerwirklicht darstellen, nur das
ganze Universum kann der voUkommne Spiegel des
göttlichen Lebens sein, wie s. B. nicht eHa einzelner
Mensch, ^in einzelnes Volk die ganze Aufgabe der
Menschheit, und am allerwenigsten in einem einzelnen
^Momente löst, sondern nur die Gesammtheit der VöU
ker im gesammten Verlaufe der Geschichte" (S. 24).
Diese Exposition scheint im Grunde die ideale Seite
der Schöpfung ganz zu verkennen. Das ist ja eben
das Wese^^er Idee, dafs in ihr das Unendliche sich
spiegelt, dab sie einen hellen Krystall bildet, durch wel*
chen die höchste Idee ihre Lichtfülle kuud gibt Nicht
durch die realistisch summarische Zusammenfassung
aller Weltbilder wird Gott gefunden, sondern durch die
ideal intensive Erfassung der Gottesbilder im Weide*
ben. Wer nur in der äufseren Unendlichkeit der Welt«
entwiekelung den vollkommenen Spiegel des göttlichen
Lebens finden klinn, der hat weit zu laufen durch den
tieni Momente gelöst erachten, se würde man sciii^ieii^
lieh in dem unendlich zerstreuten Wekglam einen
Gottesspiegel, in der unendlich zertheilten Weltmiht
eine Gottesmhe gewinnen; Es ist aber festsulialte%
dafs die Schöpfung sieh eben sowohl in ihrer, idealen
Kraft conzentriren, als in' ihrer realen Fülle ausbreim
mufs, um den Logos, welcher ihr Grund irt, e« ofifcB»
baren.
Es ist uns nicht möglich, mit dem Verf. das Brha»
hene der Natur oder der Substanz lediglich als das Ef^
faabene des Raums, der Zeit und der Kraft oder strseg
genommen als ein blofs scheinbar Erhabenes zu fassen,
und von dem Erhabenen des Geistes getrennt su den*
ken. In der Anschauung des Meeres z. B« ist es weld
nicht blofs die scheinbar unendliche Ausdehnung, wri»
che zu der Idee des Unendlidien hinüberleitet, sondem
auch die Erscheinung einer aufserordentlicli^i Krafk»
entfaltung, einer mysteriösen Schöpfungssphftfe. Das
Raumgrofse wirkt wohl nie schlechthin nur als das
Raumgrolse, sondem immer schon als weite Umfasasi^
einer geweihten Region, die von dem schöpferlseh A
gegenwärtigen Geiste des Lebens zeugt. Wer nöehle
in einer erhabenen Gebirgsscene lediglich das Uneadli»
che der Ausdehnung sehen wollen ? . Wie kann sMm
mit dem Verfasser die Stufen der f^yramide, oder die
Abschnitte eines hohen Thurms blofii als Anregungen
des Messens der ganzen Gröfse solcher Gegenstands
betrachten, und insofern als Veranlassungen^ das Gs»
fühl des Erhabenen zu wecken, da ja doch Tielawkr
durch diese Abtheilungen der kühne Menschengsifl^
welcher so hoch gebaut hat, zur Erscheinung kommlf
Ob das, was der Verf. das Erhabene der Z^ nont^
nur Überhaupt sum Erhabenen der Natur gerechnet wer*
den könne, ist vorab noch die Frage. Der Verf. reck»
unendlichen Raum, und lange zu warten duroh die un- - net zum firhabenen der Zeit, wenn „in dem ernstes
endliche Zeit, bis er im seligen Schauen Gottes Ruhe
gefunden. Die Welt wird nicht durchschaut vermitr
telst der Umschreitung ihrer Peripherie, sondern ver-
mittelst der Vertiefung in ihren Mittelpunkt, und wenn
sie keinen solchen Mittelpunkt hätte, wenn es nicht ei-
nen in die Erscheinung tretenden vollkommnen Spiegel
des göttlichen Lebens gäbe, wenn nicht die Aufgabe
des Lebens ideal gefalst, einmal in einem einzelnen
Velke^ in einem einzelnen Menschen, in einem dnzel*
Klange der mitternächtlichen Zwölfe uns die Ewigkeit
gepredigt wird." Wir möchten die hier beseiebaste
Empfindung des Erhabenen In das Gebiet der suhjek^
tiven Sphäre hinubemehmen. Wenigetens bringt es
die Natur fOr sieh allein zu diesem mahnenden Klangt
der Zwölfe nicht. Unter der Kategorie des Erhabenen
der Kraft lifst der Verf* auch die Zwerge mit auftre-
ten, weil sie ftirchtbar sind, weil man sieh ihr» Intel-
ligens im umgekehrten Verhaltnisse zum Körper denkt.
(Der Beschlafs folgt.)
' ,^' 85. ■ .
Jahrbücher
• • t
- für
wissenschaftliche Kritik.
Februar 1840-
Vehev das Erhabene und Komische^ ein Beitrag'
zu der Philosophie des Schönen von Dr. Friedr.
Theod. Vis eher.
(SchTufs.)
£s ist ein genialer Zug, wie sie bei ihm reichlich
vorkommen, dafs er die Zwerge hier auflfuhrt. Es scheint
aher genau genommen mit den Zwergen so zu stehen,
.dafs sie etwas Komisches haben, was in das Erhabene
Qberschlägt, während die Riesen mit einem Anschein
des Erhabenen auftreten, der in's Komische übergeht. —
lieber das Erhabene des absolulen Geistes hat der Vf.
viel Schönes gesagt, wir müssen aber hier am Entschie-
densten ihm gegenübertreten, wenn er dieses Erhabene
lediglich als das Tragische erkannt hat. Diese Fassung
verräth die Krankheit seines Systems, nach' welchem
der absolute Geist „die beschränkten (subjektiven) Gei-
ster eben so sehr ans sich hervorgehn, als auch an ihrer
UnroUkommenheit und Relativität zu Grunde gehen
läfst^ S. 83, — An einer andern Stelle heifst es : „die
Schuld ist die Existenz^ das Heraustreten des Indivi-
duums aus der Indifferenz der allgemeinen Lebensquelle,
und die Strafe dafür ist, dafs es in den dunklen Grund^
aus dem es stammt, surüekgeschlungen wird*" (S. 95).
Mit solehen philosophischen Keulenschlägen auf die Idee
der ewigen Persönlichkeit des subjektiven Geistes, der
hdividualitätenf, mit solchen Yerweisungen des lichten
Lebensbewulstseins In die Finsternisse des dunklen Grun-
des, erzielt man keinen wahrhaft tragischen, sondern
immer nur einen tragikomischen Effekt. Unter dem
£inÜQsse dieser Toraussetzung ist die Aeufserung des
Verfs. eiftstanden: „der religiöse Glaube hat es ver-
sucht, die subjeetive Gröfse des menschlichen, und die
absolute des göttlichen Geistes in einem bestimmten
historischen Subjekte zusammenfallen, und einander
J«4f6. /. m$$enieK Kritik. J. 1840. I. Bd. .
decken zu lassen, dessen Leiden daher auch nicht als
ein verdientes, sondern als ein stellvertretendes aufge-
fafst wird. Ob sich dies vor der Vernunft halten lasse
ist hier niclit zu untersuchen.'' "Vielleicht hätte sich der
Yerf. an diesem gröfsten Momente der Geschichte auf
eine schickliche ^etse vorbei machen können ; wollte
er ihn aber in seiner Theorie anfuhren, so lag es nahe,
hier das tragisch Erhabene in seiner Erßütung^ in
seiner erschreckendsten und seligsten Erscheinung, und
zwar als unbedingte Hingebung dps lichtesten, reinsten
Menschenlebens an das dunkelste, verhüllteste Walten
Gottes, im Gefühl der Weltschuld durch Mitleid, und
im Glauben an den verhüllten Frieden Gottes in sei-
nen Gerichten selbst, zu erkennen. An dieser Stelle
wäre auch noch ein näherer Aufschlufs über die myste-
riöse Idee des Fluches zu erhalten gewesen, welcher
gar nicht als eine überall in die Charaktere selbst hin-
einfallende Nothwendigkeit nach S. 122 zu betrachten
ist, sondern im Allgemeinsten wohl als die Verkettung
der Schuld in ihren verderblichen Folgen mit dem Le-
ben, so dals am Ende der reine Mensch die Schuld aller
Unreinen in seinem Leben büfsen mufs, weil er durch
das Band des Lebens unzertrennlich mit ihnen eins ist.
So sind wir also schon mit d^r Entwickelung des Tra-
gischen selber, wie sie der Verf. gibt, nicht gründlich
einverstanden, obschon er vielfach herrliche und ergrei-
fende Saiten anschlägt. Noch mehr aber haben wir
gegen die Beschränkung des Erhabenen des absoluten
Geistes auf das Tragische einzuwenden. Wir halten
es recht vornehm in diesem Punkte mit Goethe : wir be-
weisen die Unsterblichkeit damit, dafs wir sie nicht ent-
behren können. Wir halten uns vornehmer noch an
das Symbolum der Kirche, und glauben schliefslich an
die Auferstehung des Fleisches, und ein ewiges Leben«
Das ist ja auch die Seligkeit in dem Gefühl des Tra-
35
Vwher^ über das Brkaime und das KmnüeAe*
275
gischeuj daCs man bei der Erschütterung, Welche der
untergehende Held zurüekläCst, von der Ahnung der
Wiederherstellung, der Wiederbringung ergriffen wird.
Es. geachi^ht also iin Interesse des Tisagischen .selbst, .
weiin wir su dcfm Erhabenen des absoluten Geistes -
auch die Momente des heiter festlichen, des in den In-
dividuen selber triumphirenden göttlichen Lebens rech-
nen, £• B. die Verklärung auf Tabor, die Auferste-
hungsgeschichte, das erste Pfingstfestj oder auch ver-
wandte, gröfsere historische Lichtmomente in der Welt-
geschichte, E. B. das Feiern der Kreuzfahrer im An-
schauen Jerusalems, oder erhabene Festscenen aus der
Befreiungsgeschichte Deutschlands. Dafs in dem ge-
genwärtigen Weltlauf die tragischen Momente des Er-
habenen vorw.alten vor den heiter festlichen, darf uns
nicht i^ren, da der Grundcharakter des gegenwärtigen
Aeons tragisch, mit dem Kreuze gezeichnet ist. In der
Welt der Auferstehung aber mufs das Erhabene den
Charakter der hehren Heiterkeit haben ^ und in dem
grofsen Chore des individuellen Schönen tMv Erschei-
nung kommen, das harmonisch Schöne mufs in der Be-
' siehung des Erhabenen , in der Hingebung an das
Unendliche erscheinen, und die reinen Blitze des Ko-
mischen müssen geweiht in den reinen Spielen des un-
endlich individuellen und mannichfaltigen Lebens fort-
dauern, harmonisch geeinigt mit dem Erhabenen in ^der-
selben Weise, wie die Zufälligkeitenr mit der allgemei-
nen Bestimmung, die Subjekte mit dem absoluten Geiste
harmonisch geeinigt sind; sie müssen als die Einzel-
spiele der ewigen Sophia, die sclion bei der Weltbil-
dung vor Gott gespielt hat auf dem Erdboden nach
Proverb. 8., offenbar werden, und das grundgütige Wal-
ten, welches die Schöpfung durchdruigt, in den Frei-
heiten, Privilegien und heitern Eigenheiten des speziell-
sten Leben kund thun — und so müssen sie es ver-
bürgen, dafs die alte Sage von dem Götterneide, oder
von der Unerbittlichkeit des duhklen Grundes, der das
persönliche («eben immer zuletzt als Verbrechen behan-
deln soll, ein banger und armer Wahn ist, eine tragi-
komische Figur gegenüber der ewigen Kraft und Hei-
terkeit des Individuellen, des Subjektiven^ des in seiner
Persönlichkeit gesicherten, ja zur freiesten Eigenthüm-
lichkeit verpflichteten Lebens. Der Yerf. hat keine
Bewefsei für die Schuld, welche in der Endlichkeit sel-
ber liegen soll, angeführt. • Unser Beweis für die Un-
27f
•ndUchkeit des sul^ektiven Lebens li^ ebfaeb
dafs jeder endliche Geist ein spesieller Gedanktr GoU
tes ist, den er so noch nicht gedacht hat (nicht ledig*
lieh Gattungswesen sondern Individualität) und dab, Gett
seine Gedanken nicht wiedet vergessen kann. I > -*
Wir hätten noch mancherlei mit dem Yf. sä reck*
ten. Wir wollen jedoch lieber schliefsUch die Teisi»
cherung -wiederholen, dafs sein Werk vns als cme
höchst anregende, geistvoUe, in «einem Grundton ii rmü'
lerisch gehaltene Monographie über den betreSendei
Gegenstand erschienen bt, und dafs wir nach dnon
-schönen Gedichte Totf A. Truburg in dem Jahrbtech
seh wäbbcher Dichter und Novelli^en, betitelt dl^vIfW-
serfaltf seinen Genius (d. fa. seinen Geist in der Krall
seiner Führung) betrachten möchten als den BtroB,
welcher den hemmenden Felsblock des vulgären Pae*
theismus, der Lehre von der absoluten Endlicheit des
Persönlichen^ im Lebensdrang sur Tiefe heitrer Tbat
auen triumphirend niederkämpft.
Lange, in Duisburg.
t ^
XXIIL
Die Oden des Qutntus Horatius Saccus. Tn
den Versmafsen der Urschrift Deutsch mit
beigefügtem lateinischemTewt eon Adolpi'Frie^
drick von der Decken. Braunschweig^ ISSS»
Druck und Papier von Friedrich Vieweg und
Sohn. 2 Bde. 8. Ister Bd. X. und 317 &
2ter Bd. 2ßi S. .
In einer Zeit, wo das unendlich gewachsene Ma?
terial der einzelnen Wissenschaften nur innerhalb der
Grenzen des Fachs und ^nter den Händen ihrer be»
stellten Hüter gedeihliche Bearbeitung verspricht, wo
jenseits jener Gränzen die Gemüther von den mannig-
faltigen Interessen einer bunten Gegenwart hingeris»
sen wurden , ist es in der That eine eben so seltns
als erfreuliche Erscheinung, wenn sich irgend ein keekcf
Segler an die Küsten .eines so verschollenen und hSf
dustrielosen Eilandes wagt, als heutzutage der überwie*
genden Mehrzahl das AUerthun^ erscheint. Sie ist uni
vn
Die ßden 4e% H^raüms. UHer$H%t von A. F. v9h d^r Decken.
»8
M selUMT, wenii er, Iri^ Hr. ▼. der Decken, einem
Stande «ngebort, der mit den Mitteln , den lebendige^
AngenbüeicxH ntttfeen, diesen als seinen anssehHefsl^
ehta BesitB anzuerkennen gewohnt ist; um se erfreu-
]^er, wenn er nicht nur an den dort inzwischen er-
worbenen Sel^tzeti In behaglicher Ruhe sich labt, son-
iderft sie der mitlehenden Welt i^it eigner Anstrengung
tesnfihren und geniefsbar su machen gedenkt. Offen-
bar ist die Vetersetzung das für eine solche Thätig-
keit' geeignetste Gebiet, hier vermag ein mit producti-
y^ Kraft und sprachlicher Gewandtheit aosgerOsteter
Geist auch ohne die Mtiisamkeit philologischer Studien
Erfreuliches, ja sogar relativ Selbständiges zu leisten,
wenn er anspruchslos auf die Arbeiten gelehrter Vor-
gänger sich stutzt und bei den von diesen gewonne-
nen Resultaten sich bescheidet. Das hat in der voriie-
genden Uebersetaung der Horazischen Oden Hr. von
der Decken gethan, dem eine eigne Constituirung und
Exegese des Urtextes so fern lag, dafs er Ihrer in der
Vorrede mit keinem Worte gedenkt, ja nicht einmal
die Hecension nennt, der er gefolgt ist So darf sich
denn unsre Beurtheiiung nur auf die formale Seite der
Arbeit, die deutsche Gestaltung des bereits bekannt
vorausgesetzten Textes richten, zumal da der Verf. sei-
nen Zweck selbst angiebt, die Tersmafse des Origi-
nals treuer und genauei^, als es bisher geschehen* war,
im Deutschen nachzubilden. Demgemfifs theilt er denn
auch sein Buch nicht nach' Ueberlieferung, noch nach
Chronologie, sondern nach den metrischen Schematen in
13 Abschnitte. Zunächst nun erscheint ein solches
Vorhaben eben so einsichtsvoll als dankenswerth. Denn
uns ist der Vers nicht mehr die goldne Kette, welche
iet Dichter halb als Schmuck, halb als Feiisel schim-
mernd und klirrend hinter dem Gedanken herschleppt.
Vielmehr dient er mit dem letztern eng verwachsen
zum Ausdruck desselben .Aen so unmittelbar und noth-
wendig, ali\ das Wort: Ein Horaz in Sonnetten und
Trioletten mufs, trota neuerdings ti^lederholter Versu-
che, stets eben so lächerlich und geschmacklos sich ge-
bärden, als Cicero's Reden oder Plinius Naturgeschichte
In Hexametern. Die deutsche Sprache vermag auch
in dieser Weise sich antiker Form zu nähern und mufs
es also auch, wenn sie den Totaleindruck des alten
Dichters dem Deutschen vergegenwärtigen soll. Es ent-
steht nur die doppelte Frage, 1) wie weit diese Annähe-
rung absolut ml(gfick sei und 2) wenn in der tJeber^
Setzung Wort und Yers sich streiten,^ welches dem an*
dem weichen müsse.
FQrs erste nun wird die deutsche Sprache stets
eine accentuirende bleiben und Ton und Quantität zu-
gleich sich nur nach der Bedeutung der Silben rich-
ten. Daher gilt eine deutsche Lange stets voUwichti*
ger und kräftiger, als eine antike blofse Quantitäts*
länge und eine durch Vocaldehnung und Consonanten-
fiille beschwerte Mittelzeit wird nie zi^ der Eilfertige
keit einer antiken Kurze sich verflüchtigen. Daher
auch irrt sich Herr von der Decken, wenn er dem
Klange dos Originals dadurch näher zu kommen meint,
dafs er in den Choriambischen, Sapphischen und Alcäi-
schen Maafsen die drei auf einander folgenden Längen
d6s OrigJBials möglichst beizubehalten sich bestrebte. Wir
erkennen in Versen, die also einsilbige Stammwörter
und somit Begriff auf Begriff häufend den Gedanken
starr und stramm ruckweise nachzufolgen zwingen, wie:
I, 17, 1. Gott Faun behend eilt oft vom Lycäus fort*
Das. V. 7. fP'egs irr das Fraunheer üppgen Cr«!#-
bocks. III, 2, L Den Göttern fremd Folk hass' ick
und treib' es fort. III, 2, End. Nicht leicht vom
Schelm laßt ab, der vorflieht (!). IV, 15, 13: Durch
welchen Jftome Glanz strahlt. L 2, 40: Der Itfaur
starrt. I, 4, 13: Bleichenden Tod*e Fu/s pocht gleich
mahnenden Schlags au Armer Obdach, — keines-
wegs die flieFsende Aequabilität des horazischen Nume-
rus. Unser Spondeus ist nicht derSpondeus der Alten,
nnd nicht durch Beibehaltung der dem Namen nach
gleichen VersfuFse, sondern gerade durch Modification
derselben in den antiken Metren gewinnen wir eine
Annäherung an den beabsichtigten Effect.* Wenn also
auch die Trochäen des Kloppstockschen Hexameters
zu sehr der Bequemlichkeit nachgebend den alten Yers
kraftlos und lahm machen, so entsprechen sie doch,
wenn ihre Thesis durch schwere Mittelzeiten ausge-
füllt wird, wie bei Wolf, Vofs, Platen, Schlegel, dem
alten Spondeus viel mehr, als die donnernden Urlän-
gen des gleichnamigen deutschen Fufses, welche bei
angemessenen Gedanken die Kraft des Originals aller-
dings zu einer Höhe steigern mögen, wie sie der alte
Dichter vielleicht erstrebte, ohne sie mit seinen Mitteln
erreichen zu können, bei herabgestimmtem . Ausdruck
hingegen oder gar in den Tändeleien eines Licbeslie«
279
Die Oden des BoTQtius.^ Ueiersetxt von A. F. von der Dtehm*
des als wahre Afterbildungen und Carrikaluren er-
scheinen.
Schwieriger nun ist offenbar die zweite Frage, ob
bei streitigen Fällen der Uebersetser dem Original im
Worte, oder in dem gleichberechtigten Metrum untreu
' werden solle, und in der That ist sie durch keine ab-
stracto Satzung zu beantworten. Denn gerade darin,
dafs der Uebersetzer denselben Kampf zwischen Ge-
danken und Form, den schon sein Vorgänger zu käm-
pfen hatte, um das Gedicht zu produciren, dessen Be-
schwichtigung eben das Gedicht selbst ist, wiederholen
muCs, grade darin zeigt sich die Uebersetzung als ein
Kunstwerk, nicht allein als Copie oder gar Daguerro-
graphischer. Abdruck. Der Uebersetzer mufs in einem
andern Material, mit den heterogenen Mitteln eines an-
dern Sprachschatzes arbeiten, er mufs, wej^n er so
schreiben will, „wie etwa Horaz in deutscher Sprache
gedichtet haben würde" (S. VII), sich zunächst in die
fremde Individualität versenken ; aber in .seiner Auffasr
sung sowohl des Fremden, als in der Reproduction
durch Wort, Wendung, VersmaaCs wird er nothgedrun-
gen einen Theil auch seiner Individualität niederlegen.
Natürlich wird diese in demselben Maafse zurücktre-
ten, als der Uebersetzer sich mit seinem Vorbilde, das
ihm gegenüber stets als Ideal gelten muis, zu identifi-
ciren verstanden hat — Schlechtes und Häfsliches
sollte daher nie übersetzt werden. — Wenn daher der
Hr. Uebersetzer den horazischen Gedichten von der
rhythmischen Seite näher zu kommen meinte, als seine
Vorgänger, so bedurfte es kaum der Entschuldigung
(S. VI), „dafs dieses strengere und schwierigere von
der gewöhnlichen mehr oder weniger bequemen Weise
die alten Versarten im Deutschen nachzubilden so sehr
abweichende Verfahren es ihm unmöglich machte, so
wörtlich zu übersetzen, als manche seiner Vorgänger."
Wohl aber fragt es- sich, abgesehen von dem falschen
Wege, den der Vf« zur Erzielung des antiken Rhyth-
mus im Allgemeinen einschlug, ob er innerhalb dieser
G ranzen uns Horatius Büd treuer zeige, als Andere.
Und da muIs uns zuerst das Gestlndnib bedenklick
erscheinen (S. VII), dafs er mancher in der deutscliesi
Sprache ungewöhnlicher Wortstellungen sich su be-
dienen gezwungen gewesen sei, um die Erretd&ung 9A^
ner „metrischen Zwecke" möglieh . zu macbell. Dcsft
theils ist jedes Dichters nächste Aufgabe Verständiick*
keit im Kreise Gleichgebildeter, der Uebersetsev miib
vor Allem diese erstreben, und Abweichung von dem
ihm Überlieferten Material der Muttersprache darf er
nur da sieh erlauben, wo auch sein Vorbild Neues srit
Glück wagte. Zweitens zeichnet sieh aber grade U>
raz durch den reinlichen Glanz seiner Kunstwerke aii%
die jede Afifectation und Verschrobenheit hassen, die
Natürlichkeit des Inhalts im leichten Redeflurs desi
Herzen zum unmittelbaren Verständnifs zufuhren und '
den Dichter eben darum zum Liebling der Gebildeten
aller Zeiten gemacht haben: Aber gelbst der Irrthum
des Hm. Uebersetzers, als sei das Werk „des greisen
Römers" nicht auch daxu^ bestimmt gewesen« ^^beiläli-
fig die Mufse eines fluchtigen Weltmannes zu erfaei»
tern" (S. IX), könnte, wenn wir ihn entschuldigen woD-
ten, doch nicht seinerseits zur Entschuldigung des b^-
sen Umstands dienen, dafs wir an manchen Stellen,
um nur irgend die Uebersetzung zu verstehen, uns ans
dem lateinischen Text Rath erholen müssen. Denn
wer verstände ohne diesen (Od. IX, 6, 3 flf.) :
Wfiihl braeh Monäiei Heer und die Paeorui
Schon twier den Vonckau trotzenden. Eömerttiarmf
Sah*t lachend hohnvoll an, wie armes
Kettengetchmeid e$ vermehre durch Siegiraub,
I, 37, 13 fr-
AU kaum der Sch^ «tsf tilgender Wuth entrann.
Und ihre» Irrwahn^ Rausch Mareoter^Weim^
Schuf Caesar furchtbar um zur Wahrheil.
II, 1, 25:
So jede GotAeii^ welche mit Zeus* Gemahl
Freund Afrer Volks, liefs nimmer gerächtes Ltmd, .
Dort sonder Macht; gab hin der Sieger
Enkel dem Tody zum Vergelte Jugurüia's, •
(Der Beschlttfs folgt.)
•f
I
J^ 36.
Jahrbücher
für
w
Kritik.
Februar 1840.
Hie Oden des Q^intus ffpratius Flaccus. In
den Versmafsen der Urschrift Deutsch mit bei-
gefügtem lateinischem Text von Adolph Frie-
drich von der Decken.
(Schlaft.)
Aber die »^metrischen Zwecke'' beherrsehen den Vf.
so sehr, dafs er^ ihnen zu Liebe und besonders um sei-
nen Sjpondäus zu retten, deutsche Satz- und Wortbil-
düng über den Haufen wirft. Daher Zusammenset-
' Zungen, wie: Wandellustbahn (I, 9, 19, areae sollte
v^enigstens heifs^i: Lustwandelbahn), Wahnmuth (1, 16,
19 insani leonis vis), daselbst Y. 23. Hiufall, I, 5, 2 :
Lebart, I, 35, 19: Klammzeug (cunei), II, 5, 2: gleich-
thun c. acc. (aequare), II, 7,9: Eilflucht, 11,3,9: Ficht-
. bäum, 11,11,7: das Grau haar (Calvities), III, 4, 74: Ab-
stamm (partus), I, 1,1: Absprofs, IV, 15, 1: Burgsturm,
I, 17, 23: u. II, 14, 7: Dreileib, I, 31, 15: Weichkraut
(malvae), III, 11, 9: Dreijahrpferd, II, 32, 14: Grofs-
gott (d. i. Jupiter), II, 8, 5: würde ich glaubsam traun
(crederem); darum werden Elisioneu gewagt, wie: be-
reits (I, 6, 5), hindurchwindst (II, 19, 19), Vind'lisches
Volk (IV, 14, 8); darum wird der Artikel unzählige
Mal sinnentstellend ausgelassen , einfache Verba in ei-
nem Sinn gebraucht, den nur ihre Composita mit ton-
losem Vorsatz haben können; so I, 16, 1: O Kind an
Schönheit dunklend der Mutter Ruhm. Daselbst 12 :
Und. keine Windsbraut trümmernd die SchifT im Meer;
darum werden Präpositionen verschmäht, wie I, 17,7:
Da$ Fraunheer üppigen Geitbocks
Nicht im GeUrUuch* auch erbebt den Nattern
Und jenem Haubwolf nimmer die Ziegenbrut
II, 1,29: Romischen Blut's gedangt, II, 12, 3 : Purpurn r5ml«
gehen Bluts. Wörter und Phrasen werden verstümmelt:
Laft kurz den Prachtehor ernster Tragödia
Entfernt tarn Schauplatz (pauUum)
I, 37, 25: Sieht X:alt die Webklag' hallende Königs-
bürg (ausa visere), II, 3, 18: Vom Hof, den ;gold/ar6\
Jahrb. /. wi$$en$ch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
Moass'ert der Tiberslrom. Nomina propria werden end-
lich mit so undeutschem Accent angewandt, dafs der
Verf. um nur leserUch zu werden. Striche und Häk-
s/ s^ —
chen zu Hülfe nehmen mufs. So IV, 6, 1: Ni0be(sic),
\^ w
V.' KJ
II
III, 12, 6: Lipares, II, 5, 16: Lalages, wobei er selbst
nicht Inconsequenz scheut; .denn I, 22 erscheint das-
selbe Wort in richtiger Quantität. Gespreizte Sätze
nun, wie die obigen, dürften selbst bei J. H. Vofs in
seiner letzten und verknöchertsten Periode nicht auf-
zuweisen sein, noch Inversionen, wie diese: I, 29, 1:
Wa$ reichen Goldberg' jelzo dem Araber
Mif$gönn$t und Feldzug^ Icciue^ rüitest du.
2, 20:
Trott dem Volktwahn tilgt den Phraat, der zwiefauf-
Kyrui Thron gtieg, weg aue der Zahl Beglückter^
Und den Wortbruch itraft, der verßUcht, den Pöbel
Wamindy die Tugend,
I, 9 z. Ende:
Ein Pfand geraubt wartte echonem Aermchen^
Oder der ichwack eich getträubt, dem Finger. ^
Wer aber einmal eine solche Unnatur zulassen konnte
uud durch Uebung sich noch darin heimisch machte,
bei dem bt es nicht eu verwundem , dafs er zuletzt
selbst eine SchOnheit darin sieht. „Theils habe ich,"
sagt der Vf. S. VII^ „sie (die ungewöhnliche WorUtel-
lung) absichtlich gesucht, weil meines Bedünkens das
Ungewöhnliche dieser Wortstellungen dem Vers einen
eigenthümlichen Klang und originellen Anstrich giebt
und ilin mehr, als sonst etwas (?) über den Ausdruck
der gewöhnlichen Prose erhebt** Und demg^mäfs finden
wir Anwendung jener Wort- und Satzverrenkungen
auch ohne Versnoth diirch das ganze Buch hin. Die
Unnatur wird zu gleichmafsiger Manier. Lycidas, quo
calet iuventus nunc omnis (I, 4, zu Ende) wurd Lyd-
das, der jeden Jüngling brennt. Statt einfacher Kühe
II, 16, 30: „brüllt reiche Kuhtrifi dir daher vom Eryx."
Aus vino (I, 5; 5) wird „Becherumgang." Volltönende
36
Leben dee k* Thomat v&n Canteriury. fferausgegeien von Imm, Bekker.
,283
WortTormen sollen eu diesem PbrasentiimuU accompa-
gniren. Daher^ird die „TtftMa" (11, 10, 18), die „Tra-
go^üf* (II9 I9 9) aufgeboten. Griechische Namen: Ke^
krepe^ AlJkaioM^ Pereephone wechseln geschmacklos
mit lateinischen, und lil, 11, 17 ruft der Uebecs. recht
im kirchlichen Gesangbuchston: ^^Mielodei^ spiel auf 9
Melodei r^ (die modos)« Dazwischen kreischt dann
aber als arge Dbsonanz ein triviales Wort, wie ^^hand»
thierefC^ (II, I^ 7 ; in derselben Schreibart wiederkeh-
rend II, 13, 9) und um Horatii deutsches Gewand noch
buntscheckiger su machen, wird hin und wieder ein
modemer Gebrauch und Begriff eingesohwärzt, davon
der Alle nichts weifs. So lernen wir II, 14 z. Ende :
„die Glasur des Estrichs" kennen, I, 31, 10 wird der
selige Mann, von dem im Text kein Wort, hinzuge-
setzte (vgl. I, 1 gegen Ende:.,, der Gestirne Dotri^ (si-
dera) lY, 15, 6: „Roms Panier einst prangend imPar«
therdom" (Parthis postibus)). An sonstigen Ungenau»
igkeiten des Ausdrucks kann es nach dem Obigen nicht
fehlen und, wir dürfen hierGber, wie über exegetische
Irrthümer, wenn er sie nur mit Andern theilt, nicht ein-
mal mit dem Hrn. Uebers. rechten. So wenn er 1, 31, 2
patera „gewundener Krug" übersetzt, von den per Syr-
' tes iter aeetuoaas sagt: ^^Aeifoen Flugsand wall^ ich
hindurch Cyrene's," als lägen die Syrten'auf dem Lande;
wenn er II, 15, 15 privati „Quiriten'' übersetzt (das
aber sind die Römer grade als versammelte Yolksge-
m^inde), oder endlich I, 37, 20: daret ut eaienis fatale
monstrum mit Vernichtung des schönen Bildes wieder-
giebt: „dab er schlang' in Fesseln Rom*s grimmen
Unstern.'*
Wenn sich also nach dem Bisherigen ergeben durfte,
da£s der Versuch des Verfassers seinen Landsleutea
den Römer in würdigwer Gestalt vorzuführen als mifs-
glüekt zu bezeichnen ist, so verdient doch immer die
UneigennGtzigkeit Anerkennung, die sich nicht nur in
dem eben so schwierigen , als undankbaren Untemeh*
men selbst ausspricht, sondern in der wahrhaft pracht-
vollen Ausstattung des Buchs, dessen Kosten, wie es
scheint^ die Buchhandlung nieht übernommen «hat. Von
Drückfehlem haben wir nur bemerkt S. 63, 4 v. u. be*
siegen statt benngen^ Tfa. II, S. 41, 1. Stamtnes statt.
Stamme.
Dr. Hertzberg, in Stettin.
2U
XXIV.
Leben des h, Thomas ton Canterbury^ Altfran-^
zösischy herausgegeben von Immanuel Bei-
her. Berlin, 1838.
Hr. Prof. Bekker, welcher der romanischen Lkte-
ratur durch Herausgabe verschiedener epischer Werka
bereits sehr dankenswerthe Dienste geleistet, thailt ans
hier aus den Schätzen der Guelferbytana eine poeci»
sehe Biograpliie mit, welche bis dahin, so viel Bat
weifs, nur aus einer bibliographischen Notia in Ebsrts
Ueberlieferungen bekannt war und von wdclier lidi
eine zweite Handschrift im brittischen Museum befin-
den soll. Erstere ist unvollständig und ermangrit ici*
der schon des Anfangs: wir finden uns sogleich mitten
in den Streit versetzt . über die Frage, ob Gaistlieha
nach weltlichen Gesetzen zu richten seien, und nach ,
einem neuen Defekt in der Handschrift sehen wir den
Erzbischof bereits in der YersammlungzuNorthamptmi
(hier Norbaütune genannt). Der Hr. Herausgeber nennt
das Gedicht ein philologisch wie historisch merlcwar-
diges. In wiefern es historisch merkwürdig sei, dies
auszufuhren, mufs Ref. dem Geschichtsfprscher überlas-
sen : dafs dem Buche unter den Quellenschriften über
jene folgenreichen an das Leben des Erzbischofa von
Canterbury sich knüpfenden Ereignisse eine vorzügtidie
Stelle eingeräumt werden müsse, scheint keinem Zwei*
fei zu unterliegen. Willkommen für die Beurtheilung
des geschichtlichen Werthes dieser Biographie sind die
Aufklarungen, welche der Verf. über seine Person und
seine Tendenz am Schlüsse mittheilt. Er nennt sieh
Guemes li clers delPunt (Guemon du Pont würde man
jetzt sagen), aus Frankreich gebürtig und bemerkt In
einem Zwischensätze, dafs er dem Erzbischof gedient
habe (Dieu pri e le martir, que j'ai servi maint jur).
Ueber Ort und Zeit der Abfassung gibt er die genau«
steh Umstände an. Er begann das Werk zwei Jahre
nach dem Tode des Heiligen und verwandte vier Jahre
darauf, d. h. also von 1172 — 763 er schrieb es suCan-
terbury zum Theil am Thomas Grabe. ^ Eifrig verwahrt
er »ich gegen den geringsten Zweifel an seiner Glaub-
würdigkeit: seine Quellen, sagt er» seien vomehmlieb die
Berichte der Yertrauten des Erzbischofs gewesen ; er
habe sich so streng an die Wahrheit gehalten, dals er
manchmal um jeden Irrthum zu beseitigen, schon Nie»
dergeschriebenes wieder ausgelöscht habe; alle
3S5
Lebern 4ee h. Thmnße^ ven Canterbury. Herauegeg^en ^n Im^k. Bekker.
286.
«teller, wel^^e in^ romanbelier oder lateinischer Sprache
die Saehe anders darstellten als er, s&ndigten an der
Wahrheit Es versteht sieh, dafs ein Dichter, der sich
die Yerherrlichung eines solchen Mannes sichtbarllch zum
Ziel gestecict, nur eine Partheischrift liefern konnte ;
allein er tliut diefs mit einer Klugheit und M&fsigung,
die den Dichtern des #MilteIaUers , welche für irgend
eine politische Ansicht Parthei ergrifflm, nichts weni*
ger als gewöhnlich war« Indem er die Anmafsungen
der Hierarchie als gerecht und vernunftgemäfs verthei*
digt, will er der monarchisdien Gewalt auf keine Weise
BU nahe treten und weifs es am Ende so einzurichten,
daCs das Königthudi in seiner POgsamkeit nur su ge*
winnon scheint; eben darum erwartete er von der kö-
niglichen Familie selbst noch belohnt zu werden (S. 169,
Strophe 1). \ Der Yerf. hätte seinen Bericht gar wohl
In schlichter Prosa abfassen kennen, allein die poeti-
sche Form Tcrhiefs bei einem Publicum, das auch die
Geschichte in dieser Form zu boren gewohnt war,
leichteren Eingang und grofsere Wirkung; überdies
mufste sie ihm als die seines Themas würdigere er-
scheinen. Denn im Grunde galt es ihm weniger um
die Person d^s Erzbisehofs von Canterbury, als um die
Lösung der wichtigsten Frage der Zeit, das politische
"Verhälinifs der weltlichen und geistlichen Macht, zu
welchem Zwecke er nicht allein die Reden und Gegen-
reden beider Partheien ausführlich mittheilt, sondern
auch seine eigne der Kirche ganz ergebene Polen^ik
aufbietet* Ganz im Sinne' seines ernsten, didactischen
Gesichtspunctes verschmäht dah^r der Verfasser*, wie-
wohl er in der wahren Blüthezeit der französischen
Epik lebte, allen dichterischen Schmuck, welcher da-
mals aus den Darstellungen der Phantasie in die* der
Wirklichkeit überzugehen pflegte; seine Erzählung ist
nüchtern und umständlich, im Ganzen unterhaltend und
gebildet, ao dafs sich diese Biographie, die mit den
sahlreichen gereimten Heiligenleben nichts gemein hat,
den nun mit rühmlichem Eifer wieder an das Licht
gezognen poetischen Chroniken der Franzosen und
Prevenzalen würdig an die Seite stellt und einen er-
gSnzenden Theil derselben bildet Um nun auch et-
was von unserm Dichter zur Schau zu stellen, wählt
Referent die wichtigste hbtorische Stelle des ganzen
Baches, die Abfassung jener bekannten Aeüfserung, '
Welche Künig Heinrich in gerechter Entrüstung über
die neuen ühermüthigen Angriffe des schon begütig-
ten und wieder eingesetzt^i Prälaten that und die
den Tod desselben sur Folge hatten (S. 131). Das
Kräftige, fast Poetische dieser Stelle ist bemerkens-
wenh: der Dichter sbheint auf einen Augenblick den
Unwillen des Königs zu theilen:
UnH huettt^ fait lur K rei$f qui a mun pain mangie^
qui a ma curt vinlf povres e mult tat eshaiciey
pur tfiei ferir a$ dem ad *$ttn ialun dreciej
treitut mun lignuge ad e mun regne aviilie',
li duels m*en vaif al guer^ nuh ne m*en a vengid.
Hume in seiner Geschichte von England berichtet dar-
über : the king himself being vehemently agitated, burst
forth into an exclamation against his servants, whose
want of zeal, he säid, had so long lefs htm exposed to
the enterprises of that ungrateful and imperious prelate.
Hierauf verbanden sich „die Besfen des Hofes,'* deren
Namen der Yerf« aus Schonung verschweigen will,
vermittelst einer blutigen Eidformel, den Widersacher
aus dem Wege zu räumen:
Dune jurerent par ioinz e enireafli sunt^
gu* en tuz le§ liui del Heele, ü troter le purrunt^
pur deeut le menfuk la lengue U trarunt
e le§ oUx de sun chkf änedeu^ H creverunti '
Ja muitier ne altel ne ten$ nH guarderunt.
Die That wird nachher von vier Rittern vollzogm und
findet sich hier bis auf den kleinsten (Jmstand beschrie-
ben. — Eine angehängte Wundergeschichte des Heili-
gen in vierreipiiger Strophe bt wohl von einem andern
Yerfasser, da sich Guemon durchaus der funfreimigen
bedient.
Auch die philologische Seite ien Buches verdient
Beachtung. Der Terfasser selbst vergifst nicht, seine
Sprache gut zu nennen, und scheint in der That viel
Sorgfalt auf den Ausefriick verwandt zu haben. Ref.
notirt einige grammatische. Zifge. Seltsam wird päpa
stets mit dem weiblichen Artikel la begleitet, wozu die
Endung a verfuhrt haben mufs. Für li plusnr, li meillur
steht zuweilen li plus «» ital. i ptti und li mielz. Die
1. Pars. Plur. des Futurs iermes =» lat. erimus, eme
sehr seltne, auch der Chanson de Rofand bekannte Form,
erscheint S. 24. Vers 10. Die merkwGl-dige Kldung
Francur aus dem latein. Genitiv Francorum, auf welche
Hr. B. schon früher einmal aufmerksam gemacht hat,
wird hier ganz adjectivlsch gebraucht: les reis rEngleis .
ne le Francur. Die zierliche Unterdrückung des Geni-
tivzeichens findet sich sehr häutig angewandt j sie macht
267
Leben des 4. Th^nae van Canterhury* Herausgegeben von Imtm. Bekker*
28B
Umstellungen möglich, wie la rei prisun fiir la prisan
de rei. Auch dem Lexicon wachsen manche neue oder
wenig übliche Wörter su. Ensorfimer z. B. (S. 44.)
erinnert sich Ref. nirgends gelesen zu haben und Seine
Deutung wurde schwierig sein, wenn es aus S. 101
nicht klar wäre, dafs es aus ensofismer (durch Sophis-
men hintergehen) entstellt sei. Seltnere Adverbia sind
nuitanter (bei Nachtzeit, mittellateinisch noctanter), cn-
sement (proTcnz. ensamen), ainc für onc (prov. anc),
neinsi (clnsi, neufranz. ainsi, Tielleicht mit vorgesetztem
en, wie prov. enaissi). Nicht recht klar ist giens
(S. 29) ; es konnte als Adverbium für gent a neufranz.
gentiment gelten, wiewohl es auf den ersten Blick an
das proy. gens, Verstärkung der Negation, erinnert, die
sich aber im französ. noch nicht gefunden zu haben
scheint*
Die Einrichtung des Textes velrrälh iiberall die
sichere Hand des Critikers \ kein französischer Philologe
würde seine Aufgabe besser gelöst haben. Obenhin
betrachtet scheint es eine gar leichte Arbeit, eine alt-
französische Handschrift heraus zu geben, allein genauer
angesehen hat die Sache so gut ihre Schwierigkeiten
wie alles^> Herausgeben aus Handschriften: auch hier
wird Grammatik und Wortkenntnifs vorausgesetzt, zu
welchen aber nur ein aufmerksames Studium zahlrei-
cher Denkmäler führt. * Ohne sorgfältige philologische
Yorbereitui^g werden Misgriffe aller Art hervortre-
ten: Ebert z. B., der mit dem Handschriftenlesen ver-
traut genug und in der Sprache ziemlich geübt war,
hat von unserm ^Sedichte nicht eine Strophe richtig
mitzntheilen vermocht. In einem Punkte würde Ref.
von Hrfi. B*s. Schreibweise abweichen : für i und j , u
und V nur die vocalischen Zeichen zu setzen, d. b. ia
oder beiure für ja, beivre zu schreiben, ist eine diplo-
I
matische Genauigkeit, die auf Kosten der grammati-
schen erreicht wird. In andern Sprachen mag dies an-
gehen, allein im französischen bat sich wenigstens j
phonetisch so entschieden von i getrennt, dafs ihm in
einem lesbar geraacbten Texte sein eignes Zeichen nicht
vorenthalten werden sollte, wiewohl die consonantische
Geltung voni, wie auch von u, bin und wieder zwei-
felhaft sein kann. An einigen wenigen Stellen läfst
sich etwas gegen die Yerbinduog oder Trennung der
Wörter erinnern : für en soffiiiier (S. 44) ist ensoffimer,
für en personez (S. 50) ebenso enpersonez (mittellat.
unpersonatus) zu setzen. Umgekehrt scheint es nidhc
statthaft, jamar (S. 7. jamar entendra mais) statt ja
mar zu schreiben, da ja zunächst mit mais verbunden
gedacht werden mufs; auch bat Hr. B. selbst In frü-
her edirten Texten (Ferabr. S^ Iföb oben) die Tres-
nung vorgezogen. S. 12 steht fist al seignnr a<arciM$
genau genommen aber ist k von oreire zu trennea.
Faire wird zwar sonst durchaus mit reinem Infinilär
construirt; nur die Infinitive croire und savoir pflegcB
die Präposition, ä zu sich zu nehmen (vergl. altheeb-
deutsch tuen zi wizzanne, zu wissen thun) und ans
diesem Gebrauche ging die unrichtige Schreibung faire
accroire, ital. fare accredere, fare assapere hervor, ua-
richtig, weil accredere (in der Bedeutung glauben) uad
assapere aufser dieser Verbindung unerhört sind. ^
Auf die Interpunction ist alle Sorgfalt verwandt, zu-
mal der Gebrauch des Apostrophs ziemlich gleidunSCüg
durchgeführt (S. 144, Y. 22. für quil lat ist doch woU
qull Tat zu schreiben). Die Inclinatienen werden den
minder geübten Auge immer Schwierigkeiten entgegen-
setzen, die selbst durch keine Interpunction .zu beseili-
gen sind: hierher gehört vornehmlich der Fall, wena
sich ein Nomen mit seinem Artikel zwischen Präposi-
tion und Infinitiv drängt wie in dem Yerse que mis
curages est del martire sufTrir d. L de suffrir le martirc,
provenz. del sieu rlc pretz poiar für de polar lo slea
ric pretz. S. 7. Zeile 4 gibt einen Satz ohne Yerhiim
(entresait ist Adverb.) : man setze Zeile 3. Comma statt
Punct und nehme Zeile 4. als erklärenden Zusatz. Ia
derselben Strophe ist clere für clerc Schreib- oder
' Druckfehler, so wie S. 13. Z. 10. nunt für vunt, S. tt.
Z. 9. ges muthmafslich für mes. Eiuige philologiseiie
Anmerkungen, wie sie Hr. B. z^B. dem Ferabras bei-
gefügt hat, wären bei unserm nicht überall leichten und
doch für ein gröfseres Publicum bestimmten Gedichte
höchst willkommen gewesen; aber auch ohne diese
schätzbai^e Zugabe werden alle, die sich mit Spradbe,
Poesie und Geschichte des Mittelalters bescbaftigeas
diese neue Bereicherung ihrer Litteratur mit wahrem
Danke empfangen.
Fr. Dies.
wissen
J^ 37.
I
ffahrbüche
ff
u r
s c h a f t lieh
e Kritik.
Februar 1840.
wm
XXV.
1. EmpedocKs Agrfgentini carmtnum reliquiae.
De vita etus' et studiis disseruit, fragmenta
explicuit^ philogophtam illustravtt Simon Kar^
sten etc. Amsteiodam$\ 1838* Sumtibus Jo*
. hanim Mnüer. 8. 657 S.
2. Theodori Berghii commentatio deprooemto
Empedoclis. Ankündigungsschrift der am 28.
Septbr. 1839 zu haltenden öffentlichen Prü-
fung u. s. w. Berlin^ 1839. 4. 34 £1.
Hr. Karsten hat es untemomineii, die schriftHohen
Ueberreste derjenigen Philosophen, welche Piaton vor-
aufgingen, in einer Reihe von Monographien zusammen-
tustellen. Der Haupllitel seines Werkes ist : philoso-
phomm graeeorum veterum, praeaerCim qui ante Plato-
nem floruerunt, operum reliquiap. Dias erste Volumen
dieser Sanunlung» welches in zwei Abiheilungen er-
«cfaienen ist, enthält die Fragmente des Xenophanes
imd Parmenifles. Mit dem zweiten Volumen haben wir
die oben angekündigten Fragmente des Empedokles
erbalten. In den folgenden Lieferungen worden Ana«
xagoras, Herakleitos^ Demokritos erscheinen, denen
fdeh die FythagOräer PliUolaos und Arebytas, und viel-
W|eht auch ^Einiges von den Orphikern anschlieüsen
wird. Ein solches Unternehmen , kann um so danke«-
werther erscheinen, je mehr der Verf. von der Gewohn*
heit derer sich entfernt, welche dergleichen Sammlungen
weitschiehtig anlegen und ihnen ein architektonisches
Aeusaere geben zu müssen glauben. Mit ^er Masse
von Gelehrsamkeit, die gewöhnlich dabei aufgeboten
wird , ist der hier zu beabsichtigeude Zweck nicht er-
reicht. Wir stehen hier auf dem Gebiete der Geschichte
der Philosophie und begrüfsen in jeder Monographie
eiuea jener Heroen , welche in das \^ esen der Dinge,
der Natur und des Geistes eingedrungen sind und nach
. Jahrh, f. wütenscb. Kritik, J. 1840. I. Bd.
dem Gesetze der Entwickelung des Weltgeistes zn dem
Sehatze unserer Vemunfter kenntnifs beigetragen haben.
.Was vor unserer Vorstellung vorübergehen soll, sind
die Thaten des freien Gedankens. Diese sind nicbt
ein Vergängliches, wie das zeitliche Leben ^des Indivi-
duums, das sie hervorgebracht hat; sie sind das Blei-
bende und noch ebenso gegenwärtig, wie zur Zeit ihres
Hervortretens. Denn sie sind Wirkungen des unver»
gänglichen Wesens des Geistes. Und solche Erkennt*
niis ist eben ,deswegen nidit eine Gelehrsamkeit. Jede
einzelne Philosophie ist nber ein Glied aus der Kette
der Entwickelung des dankenden Geistes und so an
sich in ihrer Beschränktheit befangen. .Das einzelne
System verliert an liiteresse nur da, wo es nicht als
ein 'Moment der anderen betrachtet wird, wo die Weise.
wonach es sich als Selbstständiges setzte, nicht wieder
aufgehoben wird. Was daher dem Unternehmen des
Hrn. Karsten einen günstigen Standpunkt giebt, ist das
Zusamnienfassen mehrerer aufeinanderfolgender Philo-
|(opbien, welche in so fern ein organisch fortschreiten-
des Ganzes bilden können, als sie nicht 'dufch willkür-
liche Behandlung gestört werden. Darauf scheint nun
Hr. Karsten nicht besonders eingehen zu wollen ; er
macht wenigstens keinen Gebrauch davon, wenn er
gleich dafür sorgen will, ut omnes inter se ordine
qujodam cohaereant. Wie dies aber gemeint se{, läfst
sich schon daraus ehtnehmen, dafs die eleatische Schule
den Anfang macht und Herakleitoii unter Empedokles
und Anaxagpras herabgesetzt wird. Herakleitos hat ^
auch in der Geschichte der Philosophie das eigenthüm* .
liehe Schicksal gehabt, von einer Stella zur andern
wandern zu müssen. Die JSeziehungen,' welche hierüber
entschieden, sind meist sehr oberflächlich ; und die An-
sicht, ^^ ob die Philosophie in den Stufen der Idee
eine andere Ordnung haben müsse, als die Ordnung, in
welcher diese Begriffe in der Zeit hervorgegangen sind,
ist im Ganzen unbegründet. Aber die absichtslose Ver-
37
291
Empedoetii earminmm rMquia$. Ei. Karoten.
nachlälsigung äe$ Chronologitclieii ist in unserem FnHe
weniger tadelnswertli. Das Foftleitende ist die innere
Dialektik der Gestaltungen , un4 die Geschiehte der
Philosophie weiset die RSUie dev-einselnen Philosophien
als Systematisiruiig der philosophischen Wbsenschaft
selbst nach. Nur findet hierbei der ordo quidam des
Hm. Karsten keine genOgende Rechtfertigung.
Die Anordnung der vorliegenden Ausgabe der
Fragmente d6s Empedoktes ist nun folgende: inen 8.
1— -78. handelt Hr. Karsten von den Lebenramständen
des Philosophen. Hierauf folgen die Fragmente mit
gegenüberstehender lateinischer [Jeber8etzungS.84-^155,
an welche sich ein reichhaltiger Kommentar anreihet,
S. 159 — 304. Den BdÜHfis macht eine in Paragraphen
fortlaufende Abhamttnng über die Philosophie^ des Em-
pedoldeSf S. 307 -* 517. Unsere Betrachtung der Lei-
etung des Hrn. Karsten läfst sieh sonach auf swd
'Momente vertheilen , auf die kritische Behandlung der
Fragmente vnd auf die Darstellung der Philosophie des
Empedokles.
li Die Behandlung der Fragmente bietet awei
•Seiten der Betrachtung dar. Die eine Seite betrifft
Zusammenstellung und Verknüpfung Att Fragmente
dem Inhalte nach; die andere Kritik und Henneneutik
des Textes.
1. Yen den zaUreiehen Werken, welche dem Em-
pedokle^ BugeSchrieben werden, sind uns durch Cita-
tionen der Alten zwei gröfsere Werke näher bekannt,
das 9T<^ fipvaio^ und die Ko^agiAoL Ersteres .ist sein
Hauptwerk. Nach den CitaÜMien ist die Eintheilung
desselben in drei Bücher ansunehmen, wovon das erste
'moafAonodm betitelt gewesen zu sein scheint (Aristot.
Phys. IL 4.). Um eine Basis für die Zusammenstellung
der eineelqen Fragmente zu gewinnen, legt. Hr. Kar^
sten die von Diogenes überlieferte Eintheilung des
'Herakleitischen Werkes dg r^cS^ htyovg^ tof m^l tov
nartdCf ttoHitix«^, ^ioloyiubv zum Grunde. Die Zweifel,
'Welche gegen eine solche Eintheilung bei Herakleitoa
-erhoben werden können, sind dahin zu berichtigen, dafs
^i^ gegebenen Titel keineswegs ven Herakleitos selbst
herrühren, sondern wahrscheinlich von der stoischen
Schule, welche die verschiedepen in dem Werke selbst
nicht fixirten Momt^nte im Allgemeinen zu bezeichnen
suchte« Deshalb sind sie aber nicht zu verwerfen. und
können zu einer summarischen Uebersicht allerdings
dienen, diefs um so mehr, da aus den Citationen des
Empedokles, welche bis in das dritte Buch gehen, dae
Chnliche Eintheilung hervorgeht. Man Hat glanben wnt
ten, die xa^apfio« seien ein Thal der B&eher aber die
Natur gewesen. Diese Meinung hat Hr. Karsten mit
Reeht zurückgewiesen. Die tta&ttQfi^i haben offeBhcr
einen andern Zweck, wenn sie gleich in vielen Stdckcn
mit dem Hauptwerk übereinstimmen. Die Bücber der
Physik sind einem berikhmten Atzte, dem PausaniaSy
gewidmet (Vs. 54.). In den »a&oQfiolCg hingegen spricht
Empedokles zu'm Tolke; daher <3 qpAoi, welche As-
rede (Vs. 407 ff.) Hrn. Karsten veranlafste, ^bb Fn^
ment unter die Ueberreste dieses Werkes aufzunehsMiL
' Sonst läfst sich freilich nicht immer ermitteln j ob das
Fragment wirklich den xa&ocfixolg^ und nicht vidmebr
der Physik angehöre. (Ts. 9. 10. 364-377.). Im Gan-
zen finden wir in der Zusammenstellung, wie sie Be,
Karsten giebt, ohne Vergleich mehr Einheit otnd CM*
nung als bei den friiheren Herausgebern. Jedeas der
Fragmente aus der Physik den ihm gebührenden Platz
anzuweisen , ist unmöglich , es zu wollen , lächeriidk '
Hr. Karsten stellt den Fragmenten ein Inhaltsyerzdch»
nifs vorauf, wonach sich f&r die Physik folgende Ah-
theilungen ergeben:
Ezordium. De naturae primordiis. De mmidB et
irerum humanarum ortu. De humana prog'enie el iia>
tura. De rebus divinis. Und diefs. ist genügend. Auf
diese Reihe von Fragmenten läfst er folgen, was
weder entschieden oder nach wahrscheinlich«!
hungen zu den xa&af^u; gehört. Hierauf folgt
Fragment, das sieh ab aus dem iar^ixog X6/og (Dioj
Laert. YlII. 77.) entnommen ankOndigt, wobei Hr.
sten (S. 71.) passend an die Stelle des Aristot« Poet L
erinnert. Den Schlafs bilden htiyQ&fii^tna^ aif^umxa^ m
^^iyyuixm. Was uns nun hier befremdet, ist, daCs
die Stelle Piatons Gorg. 493. A. als hierher gehoi%
unter die at/fifiizra (S. 154.) aufgenommen finden. Man
kann zuerst mit Recht fragen, woherHr. Karsten wiasi^
dafs Piaton unter tig %m oo^cor den Herakleitoa ver>
standen habe und dafs der Erfinder des ersten Wort-
spieles ein anderer sei als der noinpog ar^^, utmc J^uc*
Xog Ti$ ^ */raXixo9, welches letztere doch offenbar nur
rine weitere Ausfuhrung der ersteren Angabe iet^ wae
schon aus dem äga erhellte Es bt der Ironie des So-
krates eigen, alles durch Hörensagen zu wissen und es
steht iinn wohl an, erst kurz uvä tSv aoq/äp zu nen-
nen, von dem er die Lehre erfahren habe, dann seine
.Mmpedocäs carmimmm reUfma^ JEd* Kuräien.
294
%nH« öibev sa fcMef ehMO, In dieser BeseiehmHig abw
wieder sw«ideiftig n TOrfaiiMn. Die Kritik dae Ura.
Jümnen ist laaiicwtedig gannf » am hier FaUttändig aaft-
^afttlirt ,m wardaa.
In liaaPlatoak eentantia iflud fuad prianaati ateiaiiH
lator^ iip T^ jHcr mifui ianp ^w aifMi, ad HeraaMtum
partinere^ eoastat ; ^ub vara intalligeBdus tit ille xofaf^9
09^9 qui libidineiii, propter insatiabilam elus cupidita-
tarn, quasi ni^ov xitqynuvovy idemqua stolidos et impro-
1k>8 «^vfToi/c vocavarity ab erudiiis dubitatur. Schal«
Rithnk. p. 119 sq. Empedoelem intelligit, haac anno-
tana: ZtnAkxh^ (2'<mXov*) d* ^'luthatogf olov ^Efmiöoxkijg.
IIv&ay6QHoq 8i ovjog ^Vy vnlj^ Se xal *^n^ayar%Zvog' . • • •
JEkfilör 8i ij ^Itahxiw q:tjairj inu8ff läafiiov ümXlag o u
KfOTo^p 9UÜ %h Mixanimiofj mL nokkt%^ ov ol üv&ayoQwn
Mr^ßoVf o7 r^s ^lutUag daiv. Eundem intalligit Olym*
f iodoroa. Cum hia e racentioribus eonsenüunt Tieda-
IKann et Stallbaum. in h. L Dissentit Boeekh. PfailoL
f. 187 iq. qui Philalamn patioa signifieari putat. At
In Piiflalaom, «ätiamsi ipsnm illud- dietum eongrneret)
4ion taman congruit hoooa SnuKoi ttq ij "/raJUx^ig, qaippa
quem Matapontinum, Italnm earte 'fuisse omnes canve*
tfiunt. Neutrum probatur Astio in h» 1. — Jam
^ero in neminem hoe alium nisi in vatem Sieulum, Em«
fedoalem diea, eanrenire mihi dubium non videtur. Pri«
murn in quem eongruit illa appellatio SinAag ti$ ^ *Ita^
hitoq^ niid in Empedadem, qui natione Sieulus idamque
Italiaorsm Cuailiae quasi affkiis fuit t ef . quae diid. su*
pra p. 44 sq. Deinde istud nti^d/HP tä oyo^ior», vooar
bula et Foeabulanun signifieationes deHectere, omnino*
qua* tliatoricaa argntiaa Empedoeli non alienae. — His
iMa accedunt. Enqpadoelem taeite hto a Platane signi-
fieari, Tel ideo probabile est, qnod ille Gorgsae, qui huia
dialogo intererat, magister fuit, atque adeo illius arg««
tfs irridendis simvl ipse Cforgias- leniter per^ringebatur,
ut reele animadTertit Stallbaum. Praeterea uti hoo loeo,
sie et alibi He^aclitus et Empedocles coniunctim memo-
tantur, ut Sophist« p« 242 D. ubi — ^ladig Movaai He-
raditüm, SoukiHai Empedoelem signifioant Denique non
est nihili putanda \eterum interpretum, Olympiodori et
Scholrastae, auetoritas, qui si per se parum loeupletes
aactores habendi sunt, at faaud dubia ab antiquidribtts
{Und hauserunt.
Hr. Karsten geht also von der Meinung aus, dars
TK Tor (roqpcSr der Erfinder des einen Wortspieles und
noiixpbq dv^Q der des- andern sei; und hält es für ausge-
macht^ dala der arstera Harakleitas sei; Ober d^i all-
dem, seien die Anstellten gatheUt, Um hier aagleiah
4an Leaer tOx aaina Bewegung eiaauMehman, iitellt ar
die Warte dea Scholiaaten Toraus, walelHir Empedoklea
nennt« Hr. BSekli, weiset swar Philolaas als den hier
ibaseichneten nach; indeb Pliüolaos ktone hier Hiebt
gameint aain; dann dasu stiauna aieht SmtluHoq v»e y
.'/roLxaV Es mufs also durohaua ein ßxm Sicilien Stamr
mendar gemeint sein. Ueber das ^ItaXung gabt Hr. K*
raseh hinweg^ ohne daia er durch, seine eigene Bemer»
kung „quem Metapontinum Italum cene fuiasa onmep
eonsentiunt" in aeinem Beginnen aufgehalten würde;
eine B^narkung, welche übrigens selbst nicht genau
ist; denn hier war Tor Allem die Vaterstadt das Phir
lolaos SU nennen; diese iit aber nicht Mafapantum, aon*
dam wahrsehdniich Krotoa. Da er alier selbst ein-
sieht, dars das Zeugnirs des Seholiasten und des Olym*
piodoros kein Gewicht habe, so erklärt er, dafs £ixtX6g
Tig ij 'ItaXtuig nur auf Empedakles besagen werden
könne, qui natione Sieulna idemque Italicarum familiae
quasi afHnia fuit. Das ist aber nichts weiter ak eine
Yersicherung, kein Beweis. Denn warum sollen die
beiden BeEcichnungoi auf Ein Individuum fallei^t Auch
ist die diijanktiiw Form nicht zu. übersehen. Der Ge»
meinte kann gerade ein Italer und das scherzhafte ümg
StntXog Tig kann, wie Buttmann sehr schön bemerkt,
eine flüchtige Anspielung auf Timokreon's Verse (Ha*
pbaest p. 40.) :
sein. Und diefs gewinnt an Wahrscheinlichkeit gerade
dadurch, dafif das Wortspiel von aäfia und oofAct ur*
sprünglieh von Philolaos herrührt. Hr. Bdckh hat in
seinem Philolaus (S. 181.) die Stella aus Clemens (Strom^
in. p. 433 A. Sylb.) und Tbeodoretos (Gr. äff. cur. V.
S. 821. Schuls.) beigebracht: oSfoy de nal%rig ^ikoldov
kü^ttag (iivrj(iovtvo€u* kiyik de 6 nu&ay6q»og t^i' fca^ri;*
ffioi^tai 8a ol naXatol ^loXoyoi T€ nai luhnpug^ ws 8id nvag
xifAtü^iag a \lfv%d t^ awfAetu cvve^evxvat nai Hm&cmff h
üaiAtm revnp re&antcu. Wenn aber diesem daa erste
Wortspiel beigelagt wird, »o ist natürlich, dafs das foU
gende eben demselben als Eigenthum verbleibe, da, wie
oben bemerkt worden, k^ Wechsel dar Person eintritt.
Das zweite ist im Allgemeinen auch mit dem ersten eng
verbunden ) denn es heifst in der Relation desErsählen*
den, wg vvv f^^Xg xiOvaniv xo* t^ aoSfca lovi» fniXiß a^fia,
Empedoelü earmmum reUftmae. Ed. Karoten.
22
dranU&ia&ai nal futanlnmv mto mhw. Diese Lehre
wird mir dureh die redselige Weise des- Sokrates uii-
terbroehen, der den Erfinder näher beeeicilnen will: nal
%oJko äga u. b. f. Die weiteren Gründe, welche Hr.
K. für seine Meinung anfuhrt, serfalfen sonaeh Ton
selbst. DaTs auf den Sikuler Empedokles das na^yfw
t^ ovofAim bezogen werden kann, ist wahr; aber damit
"wird gegen das oben beigebrachte Zeugnifs nicht erwie-
sen, dafs es nicht auch auf den Italer Plülolaos passe.
Eben so wenig kann man nun weiter auf das Folgende
RQcksicht nehmen, „Empedoelis argutib irridendis simul
fpsum Gorgiam leniter perstringi," oder „etiam alibi He-
raclitum et Empedociem coniunetim memorari." Alles
diefs scheitert an der richtigen Exegese der Platon'schen
Stelle. Und wenn Herakleilos auch Aehnliches gesagt
hat, wie naqh Sext. Pyrrh. Hypot. Ilt. 24. §. 230. ot£
yaQ ^[AtCg t^iitVf rag yw^icg ^fidjv re&vdrai xai iw ^fiZv rc-
&i(p&caj Sri de ^(*tSg dno^v^oxofuv, rag tf/vxoiS dvaßiovp
itai l^fjvy so kann er doch aus dem einfachen Grunde
hier nicht beigezogen werden, weil Sokrates den Erfin*
der als einen ^xikig ij ^Jvahxoq bezeichnet.
Die Erklärung der Platon'schen Stelle, wie sie Hr.
Bockh un Philolaos giebt, ist nicht aus der Lufc gegrif.
fen. Sie beruhet erstlich auf dem unverwerflichen
Zeugnbse der Alten, wonach das Wortspiel mit a£iia
und aSfia dem Philolaos gehurt; zweitei|s wird sie aus
der naiven Darstellungs weise Platon's nothwendig dedu-
cirt. Hr. K. hätte beides ' zuerst mit Gründen widerle-
gen sollen, wenn er seiner Ansicht Glauben verschaf-
fen wolUe. So aber umgeht er die Bewebfuhrung und
begnügt siiDh jnit einfachen Versicherungen, welche sich
am Ende auf die leicht hingeworfene Meinung Schleier-
machers stützen (Herakl. d.. dunkle S. 494.), der das
Wortspiel bei Piaton auf Herakleitos bezog.
2. In Rücksicht auf Wiederherstellung des Textes
verdient die Leistung des Hrn. K«. um so mehr Aner-
kennung, je schwieriger das Geschäft eines Kritikers
sich bei Fragmenten erweiset. Empedokles hat an vie-
len Stellen sichtbar gewonnen: wobei wir es jedoch
nicht verbergen können, dafs die Aenderungen nicht
selten das Gepräge von grofser Kühnheit an sich tragen.
Wenn wir uns daher freueten, an mehreren Stellen (z,
B. vs. 33. 210. 241. 247.) glückliche Eniendationen zu
bemerken, von denen ein Tbeil ^ einen hohen Grad von
Wahrseheialiehkeit erseiehlv so können wir doch an vi
len aadieren unsern Ziweifel nicht zurfiekluilten. "W
begnügen uns hier nur Biniges,heraussttlieben, notb
sonderer Bücksiebt auf diejenigen 'Aenderungen, weld
Hr. K. m den Text aufgenommen liat.
Im Proömium der Physik finden wir folgende Bedei
iudtoy, jtlatBicct xtdiCfffptykCfUPoy S^xo$s'
fvii TK afinlaxip^* ijf^oyip tfiXa yvla /4«7^,
{daifioyts otri ßioto Itloyxaak fiax^ecliuyos)
ykkyofjuyoy nayroia diA X9^^ M*€i &yijTiay.
T^y xdU iy(o yvy %}fn qpyag B-io&sy xal akjfrtfi
Nilxi% fuuyoiMy^ ni^ttyof.
Warum Ys. 4. mit Klammern versehen ist, kdnmwii
nicht begreifen. Die Lesart Sctifiortg oXxt kann dadnfci
doch nicht sicherer werden. Es war dei^ Abschfuben
leicht, iaifwip in Jo^orcg zu verwandeln, und wir küft
nen uns nicht überzeugen, dafs daifiorig hier besser les
solle als dalfifop. Diejenigen, welche zuerst ^«tfu»' wiii
d^rherstellten, haben eingesehen, dafs dieser Begriff hier
nicht zu etwas Gleichgültigem herabgedruckt werdei
dürfe. Aber im Folgenden wird durch Hrn. K's. Con-
jektur XQifi der Zusammenhang gänzlich aufgebobeft
X>ie Ueberlieferung ist %fi6vov. Die Konstruktion wl
nach Hm. K. diese sein: j^toi luv ynpofi^pop ilä^»
Stet ntuvTola tlöta ^tivtov. Auf das Naturliche ksm Hr*
K. selbst, indem er den Infinitiv dkalfja^ai sh vm
dvdyxfiq XQfJiictj ^mv xp/jifdafJia nakaibp «bhängig Torstdlt^
wozu dann yiyvofitvov navxoia tidta ^vfixm als weitert
Explikaüon hinzutriu. Allein die Schwierigkeit kg
nach seinem Urtheile in der gewöhnlichen Lesasrt A^
Xpöror, welche er zu heben bestrebt war. Er daoto
auch an S^ HQ^^^^y ein Zusatz, der höchst seUepp««!
sein würde. Man kanu aber d<a xqopov nicht wegenMS*
diren. "Walirscheinlich wird dadurch die Ausdehnuf
bis zum Ende des Yerwandlungs • Zeitraums eait^^^
tet und so schreiben wir 8ia %^6vov. Der Vers kam
also urspriipglich nicht wohl anders gelautet 1^^
als so:
ytyy6f4(yoy Tucyroia dia /^okov itdun ^yiffüy*
Im folgenden Verse läfst sich die Leseart %fp «1^ ^^'
üg annehmen. Aber Hr. K. hätte auf den Gebraooh tob
klia im Sinne eines Präsens näher eingehen sollen ^
S. 162 wird aus der Angabe des Philoponos and FI<^^
nos zu schnell auf die Richtigkeit dieser Form ^escU^^^
(Die Fortsetzung folgt)
M»
^38.
Jahrbücher
für
wisse n s chaftliche Krit i k
Februar 184Ö.
1. Empedoclü AgrigenUni cwmuutm reliqmae.
I
Ed. Karsten.
2. TAeodort Bergkti cmnmentatio de prooä^
mio Empedochs.
(FortsetzoDg.)
Wir behaupten dagegen^ daCs ursprünglich auch hier
c</«j gemeint war und dafs man sich die Rede so den-
ken müsse: r^v xai i/dt vvv (fiv/m ual dXSjjuxij was in
Prosa eben so yiei ist als: %avxr[¥ ti^v odov {jiXavtiv^ ^t;-
ftpi) xai i/ci vvv nXavSiAOU {qtvyai).
In der Rede der Muse vs. 46. 47. :
TTQoC ^ytiTiSy aytXiaS'at 0. s. f.
soll nach Hrn. K. die Struktur diese sein: fitjfH ri avt~
Uo&cu ärüice ufiTjg ßajaital ai etc. Wir überlassen et
g'em einem Andern, der diese Erkl&rung als eine der
griechkchen Sprache angemessene vertheidigen will.
Was Hr. Dr. Bergic conjicirte: nrjSe ov y kiiHioio |9iif-
ewi Sv&ea ttfi^^ ngb; ^9jr£v avtUa^m hat alle Wahr*
•cheinlicbkbit för sich und Hr. K. hätte diese Verbes-
serung nicht für so überflüssig halten sollen. Man könnte
Ewar einen Augenblick anstehen und glauben, im vor-
hergehenden Verse habe ein Subjekt für ßijoirai gestan-
den^ wie t. B. .ataiqjQoavvii oder Aehnliches. IMels ist
aber schon wegen der Form ßifj<ntai allein nteht walir-
scheinlich und wir können bo mit gutem Rechte an der
Konjektur Hrn. Bergk's festhalten.
Eme eigeuthtunliche Erklärungsweise finden wir
im Vs. 50. :
fiir^ r*r' mfrty IjfWM nUmt lüiw n lua axti^v;
piß^ iw^nv if^dovnoy vniQ r^awmfuna yXeicüifi etc.
Die Vuigatä ist d^Xa y&jf a^^u na,; nakAinff u. s. f. Hr.
Karsten macht daraus oAX ayi a&QH naiAnctXdiHj. Ueber
die' Formation nafinakJlfnj hat er sich nicht weiter aus-
gesprochen, was man billig erwarten konnte. Das nag
lalst sieh allerdings hier nicht festhalten. Denn es
JüM. f. wi$$€n$ck. Kriäk. J. 1840. 1. Bd.
scheint die Mus^ noch die auffordernde Person su sein.
Man kann die Bewegung des Verses {dlX* äyi ü^qh)
auch sonst nicht guth^ifsen. Es ist hier nichts natür*
Itcher als su schreiben : i^XV &y ä&ffH nda^ nakäiiji u.
s. f. Dieb steht dem prosaischen nday MX^^f ^datj
dwdnu Bur Seile. Den zweileii Vers erklärt Hr. Kar.
sten so: nee, si visu valeas, huic magiserede quam
auditui, wonach man glauben muls, er habe ntavu für
nlativi genommen. Im Conunentar steht: olim sie cor-
rigenda putabam : fii^rt xat ihpaf tjfmv nioHV nXtQV ^ um
aMovfiv; nunc cum Stursio vulgatam rctineo, quam sie
Interpreter, fuftt uv oi//iir ixm¥y (narä tairijv) nlaxH nUoiß
^ %9tt oxoi/ifr. Dafs es Hr* Karsten mit den griechi-
schen Formen nicht so genau nimmt, haben wir mit
Bedauern allenthalben bemerkt. Hier findet sich die
auffallende ^ Annahme eines Verbi nioxito» Die Erklä-
rung Hrn. Karsten*s können wir also nicht brauchen.
Zu dem Imperativ &üqh tritt der Participialsatz fii/rc —
H^i — tx(uv. Der Sinn ist klar: er $qll weder einer
fVahrnehmung durch dae Geeicht mehr trauen ale
dem Gehör' noch dem OeiSr mehr ale dem Zeug"
nife der Zunge. Will man die Redensart ijjtiv xt,
nlatti nXiov beibehalten , so steht sie im Sione: etwas
der Olaubwärdigkeit nach in höherem Grade feeU
halten; über welchen Prädikatsinn man Bemhardy
wissensch. Synt. S. 337. vergleichen, kadn. Allein es
ist nel natürliclier, zu schreiben ^tivk ttv oxfiv ^on^
irioT^y TiUov ^ »ax* axoi/^y, wo xaxa die nähere Andeu-
tung des ungleichen Verhältnisses enthält.
Um noch ein Beispiel von Kritik in einem der
grösseren Fragmente aufzuführen, betrachten wir die
Verse 410 — 413. wo es nach der Ueberlieferung so
beifst:
XMgaofi$yot e-voyTf^' o d* dtnixovmos ofioxXsaty
c^a^tif ly [uyi^^tük xax^y iUyvymo cfcrircc.
38
l'
299
Empedoclii carminum reliquiae. Ed. Kartten.
Hr. Karsten hat richtig eingesehen, dab die Sätce mit
ol de und o de auf verschiedene Subjekte zu beziehen
seyen und dafs ^viiy in jenem Zusannnenhange rasen
bedeute. Nachdem ein Subjekt aufgetreten war (ircrrl^),
folgt das andere ol Se (ylol) und die Betrachtung geht
dann auf das erstere zurück, (o de). Hierin störte Hrn.
Karsten die Ungleichheit des Numerus und er umgelit
diese nach dem Beispiele Scaliger's durch Konjektur;
aber eine Konjektur zieht danh viele andere nach sich.
Er bat so alles dieses in den Text aufgenommen:
Ss cfe noQtvrak
a<fa^ dt iv ftiyof^Kft o. 8. f.
Das dvfjxoiartja^p onoxXmy, a(fdSag ^ verdirbt die.Le*
lendigkeit der Rede und macht sie matt* Wir können .
dem de hier unmöglich den Zutritt gestatten. Für Omvi"
hätte sonst auch ^6ovd^ geschrieben werden müssen.
Aber Ha vieler Aenderungop bedarf die Stelle gar nicht.
Wir haben nichts zu verwandeln als d^vomi iii ^iovras
und 6 S* av^ovaxoq in 6 S* &(} viptovatog (6 de v^xovorog
hat schon Hr. Bergk i^ermuthet, was auch Hr. Karsten
in den Addendis 8. 525. anführt) ; ol de noqivwxai weicht
dem ol d^ iq)o^tuvrM von selbst. So lesen wir:
ol if i(ftOQ6vyrat
UccofHvok ^ovjag' 6 (f ag v^itouinos ofioxlimy
Cffa^as iy fityccgota* xax^y akiyivono däira.
Der Uebergang von einem Numerus in den andern hat
nichts Auffallendes. Denn die Betrachtung ist eine all«
gemeine. Der Pluralis giebt der Rede übcrdiefs eine
Ausdehnung auf Thei) nehmer' mit einer gewissen ethi-
schen Färbung,
Weit schwieriger ist aber die Behandlung kürze-
rer Fragmente, deren nächsten Zusammenhang man
nicht kennt. So hat Plutarch. (de fac. orb. lun. p. 920)
%6v ijhov o^vv dnavtävra xal nXffKttjv, co; nov^ nal^EfAner-
SoxXtjg s^¥ eKOcregcoy dnodldoiaiv oiix dtjdSg diacpagdv
[ro enayooyöv avTtjs xai IXagbiv xai äXvnov oSrta ngogayo^
Qivaag. Schon Xylander hat hier das Richtige getrof-
fen, indem er ol^vßtXri; und iXdeiQa schreibt, welches
letztere Epitheton des Mondes bei Eropedokles Vs. 193
wiederkehrt. Da nun dieses Beiwort (Udnga) hier dem
Metrum nicht entspricht und die Erklärung Plntarch's
Hm. Karsten nieht ganz darauf zu passen scheint, so
sucht er ein andelres Beiwort. Er stellt den Veri (186)
so auf:
Warum die Erklärung Plutarch's nietit auf tldu^ paprt^
ist nicht ab^us^heu. Wie er das divßtXijq durch o^
und nXiiKtijg erklärt, so kann er auf die £rklarun|
von IXdeiga recht wohl die drei Adjektive in^ym^i;^
IXoQog und üXunog verwenden. Was das Metrum be-
trifft, so ist der Vers allerdings nicht voll:
Wer sagt aber, dafs Plutarchos einen vollen Vers hat
geben wollen? Er erinnert sich, dafs bei Empedokles
^Xlo^ vl^vptXfjg vorkommt und ebenso ^<F iXduga «cXip^
Beides konnte er seiner Absicht j;emäfs so lose Fcrina-
deh. Die beiden Stellen können bei Empedokles aAt
nahe beisammen gestanden haben, aber wer kann ver-
langen, dafs wir wissen, wief Man könnte zi^ar an-
wenden, Plutarchos könne ein anderes Beiwort dei
Mondes im Sinne gehabt haben. Allein dagegen spriekfc
gerade der Ys. 193 bei Empedokles, woraus hervor-
geht, dafs IXattQu ihm ein stehendes Beiwort des Moa-
des war; denn er sagt ^ de q>X6i IXdeiga. Vgl. Hesyeh.
IXdeiQa, GiXi^v^,
Aber noch kühner behandelt Hr. Karsten den Vs.
189. Plutarchos a. a. O. S. 925 sagt von dem Monde:
wv fiiv y äaxQcoy xatwxeQm %oaov%6v ionf, Soo¥ ovn or
T«$ tlnp^ (jiitgov •— zljg de yfjg xqojiov xivat tf^ai»
Hai 7iiQiq;(QoiJtevtj nXrjtTiov jfSQfiarog äaneg ^X'Oi
dveXiGQtTaiy^ q^rjalv '^iinedoxXrjg ^ ijve negi ox^ay.
Dazu sagt Hr. Karsten: baec vulg« est leotio, in qua
haeserunt interpretes; nullus eorum vidit, quod mirere,
^ T€ splum in y/jv mutandum esse, quo talis esjstit
versus :
agfitfros äitJtiQ X^vöS ay$X£^<fnat y^y mgl ibcgay.
In der Mitte >vird noch eine Kleinigkeit verändert und
dann der Vers in den Text aufgenommen, wir können
mit gutem Grunde sagen, f$iod mirere. Denn der Veis
geht bei dieser Schnelligkeit zu Grunde. Wir können
es überhaupt nicht billigen, wenn man sich bei Frag-
menten, Welche sich eben wegen ihrer Abgescblossea-
heit einer eindringlichen Kritik völlig entflohen, lange
aufhält. Man muls nicht alles eben machen wollen.
DieFs hat Hr. Karsten wol auch bisweilen eingesehen,
denn z. B. Ys. 204 wird nicht erwähnt, wie man sich
das Hmy zu denken habe. Bei obigem Fragmente lafst
sich weiter nichts annehnüen; als die Nachstellung del
Pronod. relat. fjxe mg^ Sxgocv (vgl. nott. critt. ad Fin4är.
p. 376 sq. et ad fragm. p. 631. Corp. Inscr. n. 1064.
1688. p. 809 b.) oder ^ mgl äxgavj wenn nicht 7 ntgi
301 Emped&clü camumim
An^pep das Ende def ^nen Verses a«sniachte^ worauf
der zweite Vers fortfährt aQfAOtoq äantf ijpfog dviklaattai.
Die Wiederholung^ des y^v kann im Zusammenhange
HberflQssig gewesen sein. Und so giebt es maneherlei
Termuthungen, welche schon an sich den Gedanken
'abhalten müssen, als könne man der gestörten Wort-
fügung eine feste Form Verleihen.
Es wurde ermüdend seio» wenn wir die kühnen
Bewegungen, welche sich die Kritik hier erlaubte^ wei-
ter verfolgten. Wir mfifsten unsere Aufmerksamkeit
dann aueh auf die Addenda ausdehnen, in denen* neben
maneben richtigen Bemerkungen (e. B. S. 520 Ys. 39
II« s. f.) noch ailertei Zweifel Hber gangbare Lesearten
im Texte erhoben werden (z; B. S. 522. Ys. 127. wo
imrai ohne Grund angefeindet wird). Aber da|i Resid*
tat wäre immer dasselbe; und wir wollen die Yorzuge
'dieser Ausgabe der Empedokleischen Fragmente keines-
wegs in den Hiutergrund stellen. Wenn wir aber, ab-
igesehen von der Gewandtheit, mit welcher Hr. Karsten
viele scliwierige Stellen tu erklären versuchte, einen
Blic^ auf die Behandlung der alten Sprache überhaupt
werfen, so müssen wir es sehr beda^nern, dafs auf die
Torrn im Griechischen so wenig Sorgfalt verwendet
worden ist. Das Buch erhielt dadurch das Ansehen
einer Erscheinung^ ^aus einem früheren Jahrhundert.
Denn heut zu Tage denkt man nicht mehr an Formen,
wie nuntXy (s. oben) , SiQxibV (S. 260), ytlvofuxi (Ys. 6
oben). Aehnliohes tauchte auch im Xenophanes auf
(S.'47), wo zu schreiben warnavt^ ia&* Soa yiyvovv ijdi
ifiofTUL Um der Druckfehler nicht zu erwfthnen, de-
ren eine reiche Emdte stehen geblieben ist , so scheint
die Konsequenz, mit welcher der griechische Accent be-
handdt wird, zu verrathen, dafs der Fehler oft tiefer
liegt. Dahin gehört die öfter wiederkehrende Form
ävÖQam Ys. 38. 296. S. 310. a6q^o^ Ys. 350. 442. S.
296. Snoxaif, onnori Ys. 280. 297. 443. und die Gleich,
galtigkeit gegen die enditica Ys. 25. 29. 105. 127. 254.
404. u« s. f., violer anderer Formen nicht zu gedenken,
welche ebenso verdient faütten, in das Druckfehlerver-
«zeiebnifa aufgenommen zu werden, wie namentlich na^ä
Vs. 407 u. s. f.
II. Darstellung der Philosophie des Empedökles.
Nichts ist schwieriger als die Behandlung eiaer altem
Philosophie. Es liegt gar zu nahe, sie in unsere Form
der Reflexion umzuprägen und ihr so einen Inhalt zu
geben, der ihr nicht zukommt. Und dazu wird der Er^
reUfüiae. B4. KorMten. 302
klärer um so leichter fortgerissen, wenn er von einem
Philosophen nur wenige Fragmente vor sich hat. Wie
in der Geschichte der Philosophie, so handelt es sich
bei der Herausgabe der Fragmente eines Philosophen
nur darum, seine Gedankenbestimmungen, so weit sie
in das BewuCstsein herausgetreten waren, zu entwik*
kein. Die weiteren Konsequenzen, wenn sie sioh schon
richtig aus dem Gedanken ableiten lassen, können doch
mit der Bildung der Zeit, in welcher der Denker «lebte,
im völligem Widerspruehe stehen. Eben so unfrucht-
bar, als eine solche Ableitung, ist aber die Hererzäh-
lung und Behandlung seiner Ideen in der YYeise von
Meinungen.. In dieser leeren Weise mnd viele Ga-
sehiohten der Philosoplde verfafst. Kein Wunder; wenn
die Idee der Geschichte der Philosophie' so für Yiek
untergegangen ist. Erst Hegel bat diese würdig erläu-
tert. Wer daher eine ältere Philosophie erklärt, kann
es nicht unterlassen, vorwärts und rückwärts zu schauen,
den Gang der Refiexion nachzuweisen und so auf ihren
bestimmten substantiellen Inhalt zu kommen. Die Haupt-
sache hierbei ist das Spekulative. Wo dieses in den
Hintergrund tritt, ist die Philosophie gemeiniglich von
wenigem Interesse. Der bestimmte Begriff aber, wel-
oher sie beherrscht und der in ihr wesentlich hervos-
tritt, macht auch hier den Standpunkt aus, auf welchem
sie betrachtet werden soll, und weiset ihr die ihr ge-
bührende Stelle in der Eutwiekelungsgeschichte des
denkenden Geistes an. Einleuchtend ist es, dafs bei
einem fragmentarischen System der Yersuch einer Re-
konstruktion zu den YTagstücken der Erklärung gehöre.
Man mufs nicht das Ganze wieder finden wollen, son-
dern mit einem allsemeinen Bilde sich begnügen.
^ Wir wollen nun keineswegs glauben, dafs Hr. K.
die Absicht hatte , einen solchen Yersuch mit der Phi-
losophie des Empedokles zu machen, können aber nicht
verhehlen , dafs uns seine Exposition für eine histori-
sche Darstellung des Ueberkommenen viel zu breit er-
scheine. Was er über diese Philosophie auf 210 Seiten
sagt, hätte auf einen weit engern Raum zusammenge-
drängt werden können, selbst mit der Aussicht, dafs es
'an Klarheit gewinnen würde. Die historische Darstel-
lung wird ferner durch eine gewisse enkomiastiscbe
Farbe allenthalben getrübt, was auf die Behandlung des
Gegenstandes kein gunstiges Licht wirft. Ein allge-
meines Bild der Philosophie des Empedokles zu ent-
werfen war so schwer nicht,, zumal da Aristoteles uns
303
Empedoclü carminum reliquime. Ed. KarttHt.
3ft
xtemliGii ToTgearbeket bat, der natttrlioh über diese Phi-
losophie viel besser hat urtheileh können, als es uns
bei den eerrbseiien Bruebstücken, die wir vor uns ha>>
ben, möglich ist; und es ist immer eine mibliehe Sadie,
wenn man glauben wiU, Aristoteles habe dem Empe»
dokles Unrecht gethan. Ein solcher .Glaube kann nur
aus der Unbekanntschaft mit Aristoteles entspringen.
Ihm ist es wesentlich um den bestimmten BegrilBf al*-
lenthalben zu thun. Seine Commentatoren aber haben
meist den neuplatonischen Standpunkt im Auge.
Aristoteles (Metaph. 1. 3.) sagt: Anaxagoras set
ilUniq fih ngirtQog ^EftmdoxXiovg, i'gyoig 8i Sinipog, woraus
hervorgeht) dafs Empedokles jünger als Anaxagoras,
aber in Ansehung de^ Stufe des Begriffes gegen den
Begriff des Anaxagoras früher und unreifer sei« Diefs
ist nun auch wahr. Lassen wir die Jonier weg, die
das Absolute noch nicht als Gedanken fafsten, und
ebenso ^e Pytfaagoräer, welche den Uebergang der rea-
listischen zur Intellektual-Philosophie bilden, so haben
wir die eleatische Schule (Xenophan^s, Parmenides^
Melissos, Zeno^, in welc^ien wir da» Sein und die
Dialektik als Bewegung im Subjekte finden. Der wei*
t^re Schritt von der subjektiven Dialektik des Zeno ist,
dafs diese Bewegung selbst als das Objektive gefafst
werde. Diesen Schritt hat Herakleitos gethan, der das
Absolute selbst als diesen Procefs, als Dialektik, auf-
fafste« Auf d^ Stufe ies Uebeirgangs zum Allgemein
nen oder allgemeiner Bestimmtheit sind hierauf Empe-
dokles, Leukippos und Demokrftos, welche das andere
Extrem, das materielle Princip, wieder aufnahmen, zu
betrachten. Weiter ging Anaxagoras; von ihm wird
der Yerstand als Prinzip anerkannt. Er schliefst eine
Periode und nach ihm beginnt eine neue» Anaxagoras
ist nach Aristoteles wie ein Nüchterner unter Trunke-
nen erschienen. In Herakleitos* Idee als Bewegung sind
alle Momente als absolut rersch windende gesetzt; in
Empedokles dagegen finden wir Zusammenfassen dieser
Bewegung in die Einheit, synthetisch. Leukippos und
Demokritos gehen denselben Weg, mU dem Unterschied,
dafs bei Empedokles die Momente dieser Einheit die
aeienden Elemente des Fisuev», Wassers u. s. f. sind^
bei diesen aber reine Abstraktionen, Gedanken. Hie-
durch ist aber vniuittelbar die Allgemeinheit gesetzt.
iWcpn bei Empiedokles Bestimmtheit der Principisi
hervortritt, so haben die Pxineipe hi^r doch midir da
Charakter von physischem Sejun-f die ideellere Fon
ist noch nicht Gedankenform. Dagegen sind die Vtm
ciplen des Leukippos und Oemokri^s ideellere. Die
Philosophie^ des Empedokles ist cSne Ausbildung der
Naturphilosophie oder Naturbetrachtung. Sie ist nchr
poetisch als bestimmt, philosophisch« Ihr HauptbegrtC
ist die Vermischung, Synthesis, welche zum Heraklet-
tos als eine Vervollständigung des yerhältniaaee gehüst
und sich bis auf diesen Tag noeh geltend macsht. Ss
tritt Einheit der Entgegengesetzten hervpr, weleber Bsn
griff si^h schon bei Herakleitos entwickeke* Die Ein«
heit Entgegengesetzter aber in ihrer Ruhe ist für die
Vorstellung in der Weise von Vermischung.
Hr. K. geht nun sehr formell zu Werke. Wir wot
len seinen Gang nur wie aus der Feme verfqlgeiis ml
den Leser nicht durch Weitläufigkeit zu ennäden. Ha
K. beginnt mit der Ansicht ieM Empedokles von dee
Kriterium der Wahrheit. Dieses ist in seinem Werhs
nicht scharf ausgeprägt. Man sieht Aur so viel, dsfc
er die Sinne nicht prädominiren lasse. In der Phyrik
nun geht Empedokles von dem Salze der Eleaten mi
jedes metaphysischen I^ntheismus aus: ex nihilo nihÜi
in nihilum ml posse revertL Als Erstes setzt er das
Eine von göttlicher Kraft und durch Innere Harmonie
gebunden. Diefs ist sein a(falQoq, Diesem stellt Hr« K.
das Princip des Anaxagoras gegenüber, dessen HomSio-
merien den vovq an der Spitze haben. Hr. IL hik nSsi-
lieh diesen wovg für ein denkendes Wesen dranlseik
(S. 327«). So aber Wäre dem Gedanken des Aaaxaga»
ras alles philosophische Interesse benommen* Es iit
das Allgemeine, was die immanente Natur des Gegen-
standes selbst ist. Diefs ist das Prindp. Aus ds«
Qifatpog entwickeln sich die Elemente (S. 329.), dem
Vidrzahl zuerst Empedokles aufstellte* Die Eigensehafi
ten dieser Elemente hat übrigens Empedokles nicht ge>
gliedert (S. 340). Daher gebraucht er sie nicht inuner
als vier gleichgültige nebeneinander, sondern im Gegen-
satze als zwei, das Feuer für sich und die andern als
Eine Natur, indem er die Eigenschaften auf zwei red«-
eirt, auf das Warme und KiEihe oder auf das Trockene
und Feuchte^ u. s* w«
(Die FortaetzQDg folgt.)
wissen
Jahrbücher
für
s c h a f 1 1 i c h e
Kritik.
Februar 1840.
■■
1. Mmpedaeiü Ägrigentini emrtmmnn reitqmae.
Ed. Eartten.
% T%eodori Berghii commentatio de prooe-
mio Empedodis.
(Fortsetzung^)
Yan dieier BetrachluQg geht Hr. K. über auf die
^Vrei andern Prineipe, Freundschaft (<f(%Mi) uii^ Feind«
«cliaft {vHHQi)j welche Enpedckles neben den 'vier rea-
1^ ab ideeUe gebraucht bat (S. 346). Mit ihnen ist die
bewegende Natujrkraft gesettt Aristoteles^ dem es um
4eB Begriff der Principe zu thun ist, weiset das Unge-
nügende ^eser Verbindung nach, worin Hr. K. ihm nur
Ifaeilweise beizusidmmen scheint. Seine Einwendung
bebt aber nichts von dem auf^ was Aristoteles behauptet
Aristoteles vermifste schon bei Herakleitos das Princip
des Zweckes, des Sichgleichbleibenden ; so hofft er es
hier su finden, findet es aber nicht Löbenswerth ist
allerdings die(s, dafs £mpedokIes das Princip der Be-
wegung nicht als Eines setzte^ sondern als Vers^iedene
und Entgegengesetzte. Und diefs wird auch Ton Ari-
stoteles anerkanot. Allem Empedoklei^ hat die zwei
ideellen Momente und die vier realen Principe nicht
nach ihrem Yerhältnisse su einander bestimmt. Es lärst
sich diese Unbestimmtheit aus der poetischen Form der
Plulosophie erklären, aber pbilosophbch nicht vertbeidi-
gen. Das (Sedankenlose wird auch von Hm. K. im
folgenden Paragraphen zugegeben, wo er von dem Zu*
Call und der Nothwendigkeit bei Empedokles handelt (S*
359 ff^}. Eine Ternere Schwiejrigkeit zeigt sich in der
Unbestimmtheit, mit welcher Empedokles das Eins und .
"Viele behandelt; man weifs nichts ob er das Eins oder
das Viele zum Wesen, gemacht hat, wefswegen ihn auch
Aristoteles mit Recht tadelt. Aristoteles nntersueht na-
mentlich den Begriff der Bewegung und nimmt abwech-
selnde Bewegung und Ruhe all, Bewegung, wenn die
Ereundschaft aus Viel«i Eins mache oder die Feind-
Jakrb. f. wUienteh. Krüik. /. 1S40. I. Bd.
•ehaft aus Einem Vieles, Ruhe aber in den Zwischenzeir
ten. Da aber die Zeit ewig sei/ sq mQsse auch die Be-
wegung als eine perpetuelle ersdieinen. Auf diese Zwif
sohenräume scheint nun Empedokles niidbt geachtet m
haben, im Gegentheil die Bewegung ist ihm eine, un»
imterbrochene, ewige, und der spekulatiTC Gedanke, den
wir in den Versen 99. 100.
jaitjß (f ' ttUv tacty ixivtfia xatit xvxXoy,
finden, kann nicht wohl, ein anderer sein, ab dieser:
„darui dtob der Wechsel der Formen ein ewiger ist,
bt die Ruhe des Wesens bestimmt Es ist Bewegung,^
Frocefs, aber darin Ruhe." Richtig hat Hr. K. 1. 13. 14^
einige Folgerungen der Späteren, namentlich der Neu-
platomker, aus den Philosophemen des Empedokles als
unstatthaft zurQckgewiesen, wie den Satz von einer dope
pelten Welt^ den Bau der Welt durch die Feindschaft
und ihre Zerstörung durch die Frejnndschaft, den Untei^
gang des Universums durch Teuer. Nachdem hierauf
Hr. K. den Satz vom Wechsel der Dinge und die Kos-
mogonie , des Empedokles im Allgemeinen betrachtet,
wobei er darauf aufmerksam macht, dars diese Philoso*
phie mit vollem Recht Pantheismus genannt zu werden
verdient, geht er über auf die entstehende Natur {&,
392 ff'.). Alles Organische ist eine Verbindung aller
EUemente. Mit dem in die Existenz Treten dew Ele-
mente ist ihre Vermischung nach dem GrundsSatze : Giefi»
ehes iuoht OleicheM^ gesetzt. Dazti gebraucht Empe*
dokles die n6^o\ und dno^^oal. Hr. K. fafst diefs so
zusammen: elementa Universum complentia finxit ]par»
tim naturall suoque motu partim amidtiae impulsu irri*
tata coisse et mundum formasse sicut unum naturae cor-
pus, undique foraminibus pervium, per quae variae eins
partes velut membra libere inter se commeare possent.
Sic communione facta congruentia in unum coaluisse^
inde nova genera, novas spedes, novas figuras et oqr-
pora exstiüsse, ex hb paullatim omnia, phmtas, besüas,
39
307
Empedoelü eartmnumfreUf^ßiae. Ed. KarMteu.
homines fonnata. ' FropUar insUam aulem vim et natu-
ralem vigorem ea perpetuo moveri, huc illuc agi; alla
eflfluentia foras elabi, alia rursus intrare; ea ratione
agere et pati oronia, yariari, crescere, yetera> interire,
noyH oririy tqtam denique rerum naturam perpetua vi-
cissitudine bgitari. Der Zeitraum bis zur Yollendung
der orgaoiselien Welt scheint in zwei Uebergänge ge-
theiU, in den, wo sieh einzelne Glieder bildeten, und in
den, wo sich Gestalten zusammensetzten, welche' sich
jedoch nicht erhalten konnten. Der erste Uebergang ist
eine natürliche Ansicht des Elementarischen in den or-
4
ganisöhen Regungen ; der zweite bewegt sich in einer
mehr mythischen Sphäre, und man könnte daran den*
ken, dafs diese selbst duirch die Beobachtung von den
Spuren einer untergegangenen Welt bedingt sei. Die
Dinge sind so zufällig nach Nothwendigkeit entstanden.
Die ersten Produktionen sind gleichsam Versuche der
Natur, von denen diejenigen nicht bleiben konnten, wel-
che sich nicht zweckmä&ig zeigten. Daher mit Recht
Aristoteles bemerkt, wer dieses zufällige Bilden annimmt,
hebe die Natur und das Natürliche auf; denn dieb hat
das Princip in sich p die Natur ist das, was zu seinem
Zwecke gelangt. Die ferneren Stufen sind vollkommene
Gestalten erst durch die Elemente, dann durch Erzeu«-
gung (S. 4J5). Werden nnd Yerschwinden sind in der
bekannten fit^i^ und SidXkul^iq ausgesprochen. Die Schwä-
ehe dieser Ansicht hat Aristoteles öfter berührt. Hr.
K. meint aber doch, die Gründe des Aristoteles seien
nicht alle schlagend. Die Weise der Entstehung nach
Empedokles sei nur schwer zu verstehen (S. 406J! In*
zwischen könne man in der That mit dem Begriff der
[ui|is nicht fertig werden; es scheine eigentlich Hoüifaiq
zu sein und dazu führt er die Erkläl*ungsweise des Ga»
lenus an. So riciitig letzlere Bemerkung ist, so kön-
nen wir uns doch mit einer solchen Kritik im Allgemein
nen nicht befreunden. Es ist ein Herüber- und Hin«
überreden, ein Bestreiten und auch kein Bestreiten. Es
kann dabei zu keinem eigenthümlichen wissenschaftli«
ehen Inhalt kommen. Entweder hat Aristoteles Recht
oder das Unrichtige ist zu beweisen. So wird auch an-
derwärts (S. 190) Aristoteles getadelt, dals er die SteUe
Vs. 77 ff.
ffvctS ovdiyos iffTty Xovrtav
d-yirroSy, aide rts ovXo/nsyov d-aydro&o reXivri
äXXd fioyoy fÄi^k r« dhalXd^ig t§ fitysyrtoy
i<rrJi ^c^ cf ' inl rotg oyo/LuiCtTm ayO^Qtirionnyy
SO erklärt, dals nichts eine Natur sei^ sondern allein
eine Mischung und Trennung des Gemischten (Matapfc
IV. 4.). Da Aristoteles die zweite Zeile überging, an
weleh|sr auf die ärmere Bedeutung des Wortes ^mh
geschlossen werden kann, so tadelt Hr^ K. diese ErlÄ
rvngiweise. Nach ihm heÜst es: es gtatt isrntm^ th»
bftrt und keinen Tod^ sondern Mir FertnieeAweMg mni
Trennung des Oemieekten. Allein dafs diefSs niekt
der vollständige Gedanke des Empedokles ist, beweiset
schon der letzte Yers, wo q>iai^ von dem Begriff in
bestimmten Einheit gesagt wird. .Aristoteles hsit pm
Becht, wenn er diesen Begriff der ir^cony ifvw&tms tb
das Leitende vorausstellt Er hebt dadurch den vmih
telbaren Gegensatz noch nicht auf. Jedes Ding ist naeh
Empedokles dieYermischung einfacher Elemente ; es sdkst
wird also nicht als das* Allgemeine, Einfache an sick
gesetzt. — Der Mangel an einem bestimmten l<froc iit
ebonfalls von Aristoteles nachgewiesen. Hr. K. nent
aber hier doch damit durchzukommen, dals die qpiJUadb
Zufälligkeit moderire und so den einzelnen Formen cfr
nen Grad von ZweckmäGrigkeit sichere (S. 413). IW
Bildung einzelner Theile animalischer Kürper ericem
übrigens Empedokles einen X6yo^ an (S. 4öO)i Im FsL
genden geht Hr. K. auf besondere Betrachtungen cfa^
wie über Wachstfium der Pflanzen und Thiere (S. 454);
über den Trieb (S. 459) ; über Fortpflanzung (S. 46J);
über Entstehung, Bildung und Geburt des lämhrfo 03.
469); über Bespiration (S. 477); über die Sinne (S. 4fi»);
über den Intellektus (S. 490) ; über den Schlaf und den
Tod (S. 501). Interessant ist die Vorstellung, dafs die.
Seele selbst die Einheit, dieselbe Totalität der ElemoMe
ist. Sie ist nach Empedokles im Blute. Die erkennende
Kraft, der ^eele erklärte er so als >ein Abspiegeln des
gleichen Aeufsern in dem Innern, und fand sie dthap
auch überall, wo eine solche Yereinigung ist (in Pflsa*
zen und Thieren), niir graduell unterschieden. Die ideet
len Momente treten auöh hier wieder koordinirt mit den
realen Prineipien auf. Denn die Seele verliält sich nach
dem Princip der Erde zur Erde, nacli dem des Wassei«
zum Wasser , nadi dem der Liebe zur Liehe u. s. L
Das Erkennen ist ihm so die in's Bewufstsein tretende
Identität des Menschen und der Dinge. Die Widerspril*
ehe, die sich auch hier ergeben, hat Hr. K. richtig h«w
ausgestellt (S. 466). Die Erkenntnifs des Wahren wiid
so gänzlich aufgehoben. Hierauf spricht Hr. £. über
die Götter, Dümonen und Seelen des Empedokles. Der
höchste Gott ist der oqwXqt^^ von dem schon Aristoteles
« ♦
809 JSmpedeeli$ cifrminum
bemerkt, dafii Empiidoklefl'tbiii mihdem Antbfil an gf o<-
fffpif; lasse, als den übrigen' Wesen. Götter sind Terner
ffie vier Eiemente, und ^e zwei ideellen Prineipien OOJta
iftid JVcMcoc. Attfser diesen werden mehrere Götter an-
erkilRttt, welche wie die Menseben dureh Vermischung
der iBlemente entsprungen sind. Solche sind diejenigen,
welche damals in Griechenland allgemein verehrt wur-
den. Der Begriff des höchsten Wesens (Vs. 359 ff.) ist
erhaben. Um Aesen mit der übrigen Philosophie des
Bmpedokles in Einklang zu bringen, glaubt Hr. K. (8.
805), Empedokles habe unter dem ecpai^o^ und den Ele-
menten, welche ihm insgesammt Götter sind, nicht die
Materie verstanden, aus der die Weltkörper entsprun-
gen, sondern die reine Idee, das AUgemdne. Wenn
der eiptti^og so in der Perm der Harmonie des Univer-
E' lim aufgeragt werde, so kömie allerdings die Delini-
on des h&chsten Wesens auf ihn angewendet^ werden.
Ton Ihm habe sich die gottliehe Kraft über die Ele-
mente ergossen und die Übrigen Gotter, Dämonen und
Beelen hätten in sofern Antheil an ihm. Daher rd nay-
xwf rofUfAOt, welches sich auf alles Himmlische und Irdi-
Bische erstrecke. Alles diefs sei freilich nicht philoso*
phisch entwickelt, sondern vielmehr poetisch geweissagt.
Den Gittern folgen zunächst die Dämonen, welche der.
Sterblichen Schicksale regieren. Sie seien von gottli-
chem Ursprung, aber £ur Strafe für ihre Befleckung durch
Mord aus dem Göttersitz in das irdische Dunkel herab-
gesfolsene Wesen. Mit den Dämonen endlich verwandt
sind die menschlichen Seelen, welche in sterblicher Hülle
ftre Schuld auf der Erde, diesem Jammerthale, büfsen
müssen. Dieses Loos wird von Empedokles hochlich
beklagt. Sie durchirren die mannigfaltigsten Formen.
Empedoicles erinnert sich, dafs er einst ein Baum, eu&
Vogel, ein Fisch war (Ys. 380. 381.). Er tadelt dieje-
nigen, welche glauben, dals die Menschen, bevor sie
geboren worden und nach ihrem Tode, durchaus nicht
seien (Vs. 350 ff.). Dafs er' das Geistige in den ver-
schiedenen Gestalten als dasselbe anerkenne, beweisen
die Verse (410 — 417.), nach denen einer, der einThicr
tddtet, Gefahr läuft, seinen eigenen Sohn su t5dten.
Richtig bemerkt Hr. K., dafs, wenn Empedokles con-
iequent bitte verfahren .wollen, er auch die Bäume und
PRansen auf gleiche Weise behandeln mufste. Gleich-
wohl scheint er nur die Bohnen und den Lorbeer (Vs.
418. 419.) unter die unantastbaren zu rechnen. Für
diese Inconsequcnz hat Hn K. den Ausweg, dafs sie
reUquime. Bd. Karoten. 310
von dem altherkdmmliohen Religionsgebraueh abgeleitet
Werden müsse. Aus Obigem gelit aber hervor, dafs Emp
pedokies e|ne Art v<m Metempsychose anerkannt habe.
Dieser Vorstellung wideirsprictit nun seine Ansicht von
der Seele. Sie ist ihm als dureh das Blut dem Leibe
genau entsprechend eine eigenthümliche Verbindung der
Elemente und mnfs daher als solche EUgieich mit i^^m,
Leibe untergehen. Was diesen Widerspruch betrifft, se
glaubt Hr. K., Empedokles habe bei seiner -Metempsy*
ebose nicht an die Seele als solche gedacht (diese sei
verschwindend), sondern an jene göttliche Kraft, wel*
che wir Geist nennen, und die nach seilier Vorstellung
auf der Erde in den sterblichen Leibern herumirre. Em-
pedokles habe diese Substanz nicht näher bestimmt,
sondern gedankenlos mit der Natur des Materiellen ver-
schmolzen. Auf ähnliche Weise behaupteten die Aver-
roisten im Mittelalter, der allgemeine roiv, der zum Dei|*
ken assbtire. sei immateriell und unsterblich, dieSede
aber als numerisches Eins sterblich. Es ist daher in
der That bei JSmpedokles keine eigentliche Metempsy-
chose zu statuiren, wie denn auch die Ackeren vpn ilun .
nicht fAiTifttif^moiQf sondern umvawfiiitwatg sagen, wor-
auf Hr. K. hätte aufmerksam machen sollen. Solche
orphische Ansichten scheinen nun vorzüglich in den
Ka<ya^(ioX^ niedergelegt gewesen zu sein, in welchen
Empedokles als Sittenlehrer auftritt. Mit einem Blick
auf diese Richtung schUefst Hr. K. seine Abhandlung
über die Philosophie des Empedokles.
Der Fleifs, den Hr. K. auf die Darstellung der
Philosophie des Empedokles verwandte, verdient alle
Anerkennung. Es ist nicht leicht ein Moment zu fin*
^den, welches er nicfat zur Sprache gebracht hätte. Auch
trifft ihn der Vorwurf nicht, dafs er dem Philosophen
Bestimmungen untergelegt habe, die nicht in ihm ent-
halten wären. Aber eben die allzugrofse Aufmerksam-
keit, die den Einzelnheiten hier gewidmet ist, macht es
dem Leser schwer, sich ein allgemeines Bild dieser
Piiilosophie nach den Hauptzügen zu entwerfen. Diese
Schwierigkeit kann Hm. K. selbst nicht entgangen
sein,. da er in der Schlulsbemerkung, in welcher er
das Lob des Empedoldes zasammenfäfst, noch der auf-
geworfenen Frage erwähnt, welcher Schule Empedokles
eigentlich angehöre. Hier sollen wir also erst erfahren,
auf welcher Stufe der Entwickelung unser Philosoph
stehe. Viele, heilst es, haben ihn den Pjthagoräern
zugezählt, andere den Joniern, wieder andere den Elea-
Ml
t \
ß!m/whe/ü earmimm r^lifmae. Ed. Kor$ien.
SU
ten. Aus seiner (Hrn. K^.) ZuMinineiMteUuiig gieb^
aber bervt^ff dafs die Pbilosophie des Empedokles mk
allen diesen in Verbindung stehe. Mit den, Elealen
habe er das Eine gemein t welehes er auf dii» Naturbe-
trachtung übertrug, mit den Jouiem aber, dars. er die
Dinge in ewigem Strom begriffen sich dachte, mit den
Pytbagoraem öndlicb stimme er in den Ansichten über
die gott)ichen pinge und Religtonsgebräuche überein«
Auf Uebereinstimmendea labt sich leicht aufmerksam
machen ; das heiCst aber nicht das Princip erklären oder
die Sjtufe der Entwickelung nachweisen. Dafs in Em*
pedokles die Idealität des Sinnlichen oder der sieh in
die reale Anschauung versenkende Begriff hervortritt»
^fs er die Weltaosicht seiner Zeit so und so verar*
bettet,, solche. Principe angewendet und so die atomisti-
ache Philosophie liervorgerufen, indem er die Materie
ader das Ahs<Uute als gegenstflndliches W^en so be-
atimn^ dafs er die vier einfachen Elemente, wie nach
ihm Leukippoa und Demokritos unendlich viele Atome^
nur nach Gestalt unterschieden setzt, deren Sjnatlresen
die Uf^istirenden Dinge sind u. s. f., diese allgemeinen
JULomente müssen sich nicht nur durch Reflexion auf
der Zusammenstellung des. fragmentarischen Systemi^
ergelbien, sondern zuer^l bestimmt hervorgehoben wer*
den, ehe man su den einzelnen, weniger interessanteii
EntWickelungen und Anwendungen übergeht Es ist
eine naturliche Frage, die sich hier aufdrängt, in wel-
ebem Verhältnissß nämlich die vorliegende Bearbeitung
d^r Empedokleischen Fragmente zu früheren, nament-
lich zu der von Sturz stehe; und da n^ussen-wir Hrn.
K^ daa Zeugnifs geben, dab diäfs eben das Auszeich-
nende isl;, dafs seine ^Bestrebungen überhaupt keine
aokhe Yergleichung zvlas^^en. Bei Sturz sehen wir
blofse Sammelei; hiOr aber Einsicht in den Stoff und
einen lobenswerthen Versuch, das Dunkel der lieber*
lieferungen durch Kritik aufzuhellen.
Eben als wir zum Schlüsse dieser Anzeige uns
wenden wollten, stielsen yvir auf die interessante Er-
acheinung No. 2. Hr. Dr. Bergk hat uns sclion früher
in verschiedenen Zeitschriften Proben seiner gründlichen
CSelehrsamkeit in kritischen Erklärungen Empedoklei*
scher Fragmente gegeben. Wir finden una um ao mehr
veranlafst, auf den Inhalt dieser Abhandlung des Hrn,
Bergk einzugehen und sie mit obiger Beurtheilung in
Zusammenliang lu bringen, als in decselbeH einigt
Modifieattouea der in Jener berührten Aasicbiett über
Vertheilung emzelner Fragmente enthalten sind* Der
Grundgedanke dieser Abhandlung ist Konstituinmg des
Eingangs der Bücher über die Natnr. In Beziehung aof
das Yerhältnirs dieser Bücher zu den no^iK^^i stinmit
Hr* Bergk mit Hm. Karsten übereia. Auch Hr. Bevgir
erkennt die wt^aq^i als ein besonderes ebzwar mit dam
anderen Werke dem Inhalte nach nahe verwandtaa Bveh
an (S. 8). Getheilt sind beider Ansichten über die De»
dikation dieser Werkes so wie über die Siellö , welcbe
das i|iedicinische Fragment Vs. 423 — 432 einneluMsn
soll. Allerdings giebt der Inhalt dieses Fragvenlas
der Annahme Raum, dafs' es «rsprünglich ein TiieU der
9ea^a^f«oi war. Aber die Anrede Einer Person in dem-
selben schien dieser Ansieht entgegen au sein. Es vA
nämlich keine nur oberflächliche Bealehung, welche asa
verfolgt, wenn man die sai^^/iei als ein an daa Yolk
gerichtetes allgemein nützliches Gedicht sich denkt, za
welcher Ansicht der erhaltene Eingang dieses 'Werkm
selbst auffordert Da nun der Philosoph in dem obiges
Fragment an Eine Person, wahrscheinlich an den Am
P^usanias, sich wendet, so lag es nahe, selbiges voa
jenem Werke zu trennen und ihm einen anderen Platz
anzuweisen, den die Ueberlieferung von einem medlei-
nischen Werke des Empedokles «w Sni^ il^^akoam von
selbst an die Hand gab. Hr. Bergk, der nun von dem
Gedanken ausgeht, daCs dieses Fragment wirklieh den
i^ai^aquolq angehöre, nimmt an, dafs der Dichter seine
Bede zuerst an das* Volk, dann an den Arzt Pauaanias
gerichtet habe. Die Worte biii iioirm aoi'fyw x^om«
Tide nana zeigen allerdings an, dafs das Fragment mit
einem an Mehrere gerichteten Werke in Zusammenhang
stand, allein wir glauben nicht, dab dieser Zusanunen»
hang ein innerer war, sondern der iajgixog Xdyog mag
sich an die xad'affioi vielmehr nur sehr äusserlich an*
gereihet haben. Denn es liegt doch die Frage an nahe,
ob es wahrscheinlich sei, dafs der Dichter in einem
dem Yolke gewidmeten Werke eine Episode über Ge«
genstände, welche für das Yolk von keinem Interesse
sind, eingewebt habe. Nach unserer Ansicht findet der
iar^uo; lo/og hier seüie Stelle, der oflfenbar ein Ganzes
bildete, aber mit den sa^a^/iOH* äusserlich in Verbindung
gebracht gewesen sein kann.
(Der Besehlafi folgt)
J^ 40.
Jahrbfiche
für
w i 8seii8chaftliche Kritik
Februar 1840*
L EmpedocUs AgrigewUm carmmum reHqmae.
Ed. Karsten*
2. Theodori Berghii commentatto de prooe^
mio Empedoclü.
(Schlaft.)
Interessant isf, was Hr. Bergk hierauf von einer
doppelten Dedikation der Bücher über die Natur bei*
bringt. Wir haben oben bemerirt, dafs diese dem Arzt
Pausanias gewidmet waren , wie der voü Diogenes er«
baitene Vers selbst bezeugt:
Jffatfffarkc, cu di xXv^t dt^fQovof Uyxttmt vli (Vt. 54).
Aus dieser Form der Anrede {ph de) will nun Hr.
Bergk ersehen , dafs ein Uebergang von einisr Person
sur andern zum Grunde liege, und glaubt sofort , dafs
die andere Person Telauges, der Sohn Pythagoras, sei,
weichet von Empedokles nach dem Zeugniss des Hip*
pobotos bei Diogenes (YIII. 43.) irgend wo angeredet
werde:
TilmvyH, Jdvri »ovq$ Qn^oit JU^ttytf^m rt. (Vs. 493).
Hr. Bergk eröffnet somit diesem Yerse selbst Aussicht
auf eine SteHe im Prodmium. Er beruft sich auf das
Bebpiel des Archestratos , welcher, seine yaaxQoXoyla
ebenfalls an zwei Personen gerichtet habe, von denen
Moschos die Hauptperson sei. In dem Empedokleisehen
Werke sei Pausanias die Hauptperson. Des Telauges
Namen sei quasi honoris causa dem Werke vorgesetzt
worden. Schon Sturz war der Meinung, die BQcher
Bber die Natur konnten diesen beiden gewidmet gewe*
sen sein, und der Beweis, den man dagegen aus der
öfter wiederkehrenden Anrede Einer Person führt, mag
allerdings ungenQgend erseheinen« Weit schwieriger
möchte es seyn, Hm. Bergk zuzugeben, dafs die Form
9t ii nach dem Yokativ nothwendig einen Uebergang
von einer Person zur andern anzeige; denn anders wird
der Uebergang von einer Erzählung zum Anrufe einer
Person auch nicht eingeleitet. Aufserdem müss» wir
Jahrb. f, yfUientck. Kriük. J. 184a 1. Bd.
aber, wenn nicht zwingendere Beweise fiir die EinfCih'
rung des Telauges vorhanden sind, doch etwas auf die
Tradition geben, nach welcher das Werk einfach dem
Pausanias gewidmet ist Dafs die Nachricht von Te.
langes als Lehrer des Empedokles kein Gewicht habe,
giebt Hr. Bergk selbst zu. Ab^ so gerne wir hinwie«
derum einräumen, dafs Empedokles mli Telauges in
sonstigen Freundschaftüverhältnissen gestanden habo^ so
können wir es doch nicht unterdrücken, dafs, wenn
Telauges wirklich gerade in dem fFerke üier die
Natur figurirte, diefs um so mehr überliefert sein
wurde, je berühmter der Name dieses Mannes war.
Uei>rigens könnte es auch auffallend erseheinen, dafs
aus der Existenz eines solchen Verses sofort darauf
gesehlossen werde, dafs er den Suchern über die Natur
angehöre. Allein s6 war es nicht gemeint Die Aus«
einandersetzung dieser Ansicht von einer doppelten
Dedikation des Empedokleisehen Werkes gah Hm. Bergk
vielmehr als ein nothwendiger Ausgangspunkt für die
Konstituirung der Fragmente im Proömium. Diese Frag*
mente hatte sehen Hr. K. gröfstentheils als zum Proö*
mium' gehörig vorausgestellt Hr. Bergk weiset nun
theilweise näher ihren Zusammenhang nach mit Rück-
sicht auf das Proömium des Parm^nides und konstruhrt
die Aufeinanderfolge derselben, wozu er aufser defti oben
angeführten Vers an Telauges noch drei andere Frag*
mente in ihre Umgebung bringt, von denen das erste die
Anrede <3 t^IXot enthält Er giebt den Versen der so
susammengereiheten Fragmente fortlaufende Nummern ;
was natürlich nicht so zu verstehen ist, als ob idiese
Numeration mehr als eine ohngeffthre Fixirung der ebi*
seinen Fragmente bezwecke. An die Spitze wird die
Anrede des Telauges gestellt, darauf folgt die an Pau-
sanias. Beide Verse müssen als in einem ausgeführte«'
ren Zusammenhang verbunden gedacht werden. Sodann
bUden die Verse bei Hrn. K. 407 — 409. und 32—40.
eine zusanunenhängendere Gruppe:
40
315
Empedoclü carmimim r^iquiat. Ed. Kanten.
316
ovV iyt» i^Qifü' fMiXa d* agyeditj yi tirvxrat
aydqdiSk xai dvg^fiXos inl (fqiya nicrtos iQ/nti.
ciHyatnol iniy yag ncdtifidu xecrä yvla xixvyrat,
nokla <fi dtik' ifATiaut^ ja x* ifÄßlvyovct fUQt^yas etc.
Der Inbalt der drei ersten Terse ist nun allerdings der
Annahme, dafs sie eu den Bilchem der Physik gehö-
ren, nicht entgegen, und wir verargen es Hrn. Bergk
keineswegs, daFs er dem Zusammenhang, den sie hier
darbieten, zu Liebe die Hypothese einer doppelten De-
dikation dieses Werkes aufgestellt hat! In diesen Ter*
aen treffen' zwei Yermuthungspi^nkte zusammen, von de-
nen einer dem andern zur Stütze dient, und wenn wir
gleich den Glauben, dafs diese Stelle auch in den x«-
^a^fiolq ihren Zusammenhang können gefunden haben,
damit noch bei weitem nicht beseitigt sehen, so zollen
wir doch dem Scharfsinne des Hrn. Yfs. gern vollkom-
mene Anerkennung. Nach Sextus Empiricus scheint
der Philosoph hierauf in den Tadel derer einzugchen,
welche sich eine erschöpfende Kenntnifs deir Dinge bei-
legen. Einem solchen Urtheile schliefsen sich aber un*
gezwungen die Verse 41 — 53. an, in welchen der Dich-
ter zuerst die Götter bittet, dais sie ein so kfihnes Selbst-
vertrauen von ihm fern halten mögeil. Aus der hier
lückenhaften Stelle .ersieht man, dafs die Muse sprechend
eifigeführt wird. Hr. Bergk 'glaubt, dafs Empedokles
hierauf wohl noch einen Qlick auf diejenigen könne ge-
worfen haben^ welche behaupten, dafs dem Geiste durch
göttliche Hülfe die Wahrheit nicht erschlossen welrde,
und weiset den Versen 84-- 86. hier ihre Stelle an.
Der Scharfsinn des Hrn. Vfs. bewShrt sich nichts ngiin«
der auch da, wo er von der Welse der im ProBmflim zu
statuirenden Lehre vom Ursprung und den Zuständen
der menschlichen Seele handelt. Diese Lehre schien
hm anfangs in Form eines Traumes eingeführt, eine
Form, deren sieh die Dichter öfter bedienen. Um die-
ser Ansicht näher zu kommen, betrachtet er die Stelle
bei Servius (Virg. Georg. I. 34.) wo es heifst: Varro
tamen alt se legisse Empedocli cuidam Syracusano a
quadam potestate divina mortalem aspectum detersum ete.
Das BUd des Traumes verschwindet indefs, während die
Stelle näher betrachtet wird. Denn es ergiebt sich, daft
der Name Empedocli hier verdorben sei und dals wahr-
scheinlich Empedotimo gelesen werden müsse. Dieser
Empedotimus kommt auch bei dem Commentator des Ari-
stoteles (Meteorol. I. p^ 218» ed. Ideler.) vor und scheint
ein Pythagoräer gewesen eu sein. Die Hauptstellen über
Empedot'imos findoi sieh übrigens bei Lobeck. Aglaopb.
II. p. 935. Einer so interessanten historischen Expo«-
tion des Hm. Bergk, welche uns gleichsam in das Dmina
der philologischen Erfahrung hineinzieht, haben wir
gerne obigen Traum geopfert, und wir können uns mit
den einfachen Wirkungen einer begeisterten Phantasie
begnügen, welche der Dichter in den folgenden Yeraen
(l — 8.) als nimcifiara MovatiQ niederlegt Ob die Verse
380 — 381., welche Hr. Bergk hierauf sogleich folgeB
)äfst, so eng mit dem vorausgdienden Fragmente sn rer-
binden seien, kann bezweifelt werden. Die auberfcm
noch zum Proomium gehörenden Fragmente haben we-
gen Rücksichten des Raumes iur dieser Abhandlung keine
weitere Motiviruog gefunden.
Nachdem wir so den Hauptgedanken dieser Abhand-
lung^ der sieh in einer sinnreichen Hypothese bewegl^
summarisch angedeutet haben, können wir nicht unter-
lassen, auf das eigentlich Reelle hierin aufmerksam zn
machen. Diefs ist aber die kritische WiederherstelloBg
der Fragmente, welche ganz anspruchslos nebenbeigete.
Sehr befriedigende Verbesserungen hat das Fra^ent
Vs. 6—14. dieser Abhandlung erhalten, wobei uns nur
auflfallcnd war, dafs unter Anderem su Vs. 14. auf die
Verbesserungsweise Hrn. K's. keine Raoksicht genon«
men wurde. In der Wiederherstellung der Verse 23. 24.
freut sich Ref. mit Hm. Bergk zusammengetroffen su
sein, und es scheint ihm unbezweifelt, daCs der Vers fi^
u otptv li<ov TTior^y nXiov ^ xat* dnovtpf durch Verände-
rung des Tir' in xi ein noch höheres Ansehen von Kor>
vektheit gewonnen habe. So gerne wir aber sehen in
obiger Beurtheilung der Arbeit Hrn. K's. bei den Wor-
ten firgdd ai y* ivdo^oio ßi^aixai av&ia XifAijg die Koosütul-
rung Hm. Bergk's aufgenommen haben, so müssen wir
es mifsbilligen, wenn er im darauf folgenden Verse das
dvfXeo&ai durch dvadiSa^at verdrängen will. Wir wol-
len uns hier nicht darauf einlassen, die Unzulassigkeit
der Konjektur dvadtZa&ai zu beweisen, was nicht schwer
sein wurde. Es genügt anzugeben, dafs dv^aCat an.
seiner Stelle ist. Diefs ist hier nämlich dem sonst ge-
wöhnlichen d^dnofOcu wegen des Hauptgedankens und
des Zusatzes nffbg &ifrixwp vom Dichter vorgezogen wei^
den. Die Redensart tiju^k dviXia&ai sebliefst den Ge-
danken äeXa dvdia^ai in sich. Der Preis ist i<p* ^'
otflriQ nXior dniXiß gesetzt. Die poetische ErwetteruQg
des Begriffes ti^^ in äH^ea xifuiq ^ebt aber jenen Grund-
gedanken nicht luif, sondern labt ihn fortbestehen und
317 .JEmpedöcKM earminum
r
somit kann auch das Yörbiim artlia^at beibehalten biet-
len. Richtig hat Ur« Bergk den Ts. 28. erklärt und
Vs. 2. die Form "Aytirov (vgl. S. 8) festgestellt. Auch
in dem medicinischen Fragment (S. 10) gewinnt die
Konjektur ra t* al'O^tav ^^aovrai einen hohen Grad von
Wahrscheinlichkeit, lieber die längere Stelle aus den
Büchern der Physik (S. 12) können wir nicht näher zu
sprechen unternehmen, da Hr. Bergk die dort gemach-
ten Aenderungen nicht motivirt hat Ref. schliefst diese
Anzeige mit der Verliicberung, dafs es ilim höchst an»
genehm war, in Verbindung mit der Beurtheilung d^r
Arbeit Hrn. K's., von einer so interessanten Erschei-
nung, wie diese Abhandlung über das Proömium des
Empedokles ist, haben sprechen au können, und wünscht,
dafs Hr. Bergk seinen Bemühungen für die Fragmente
des Empedokles recht bald eine ausgedehntere Form zu
▼erleiben Gelegenheit finden möge.
Johannes Pranz;
XXVI.
Edward in Rom^ eine Novelle in neun Büchern^
2 Bd. . Breslau^ 1840. ^ .
Aaf dieses BUchlein die Freunde der Poesie und Kunst auf-
merksam zu machen, scheint uns um so angemessener, als ihm,
hei seiner Anonymität, und bei manchen Sonderbarkeiten seines
Inhalts sowohl, als seiner Form, leicht das Schicksal widerfah-
ren konnte, übersehen, oder weniger beachtet zu werden, als es
verdient. Darf nämlich Ref. seinem Gefiihl trauen , so spricht
sich, ungeachtet dieser Sonderbarkeiten, die er nicht rerkennt,
und die ihm selbst» wie er bekennen mnis, hin und wieder den
Qennfs gestSrt haben, ein wirklicher Dichtergeist darin aus^
ein solcher, yon dem man wohl reifere Productionen noch zu
erwarten sich berechtigt glauben könnte. — Man erinnert sich
des Urtbeils, welches Tieck und nach ihm Solger über Walter
Scott fällten: dafs ihm nur wenig zum wahren Dichter fehle,
aber dals dies Wenige doch am Ende das sei, was den wahren
Dichter macht Von nnserm Verf. mochten -wir umgekehrt sa-
gen, dafs ihm noch viel zum wahren Dichter fehlt, aber unter
diesem Vielen das ntcA/, was in letzter nnd oberster Potenz den
wahren Dichter macht
Da ' der Verf. sogleich in der Ueberscbrift der Eintbeilung
seiter NoTelle in neun Bücher gedacht hat: so wird man es
sieht ungeeignet finden, wenn wir unsere Charakteristik seines
Werks mit einer Namhaftmachung der neun Musen, die ihn, wie
den lierodotos, zu seiner Darstellung begeistert haben, beginnen.
Es sind folgende: der Monte Maris; die Monti, oder die drei
Berge \ der Monte Pincio nnd der Janiculus ; der Spanische Platz ;
das Kameyal ; das Forum Romanum ; das Vaticanische Museum ;
das Kolosseum j die Fastenzeit^ die heilige Woche nnd die Pyra-
telifuiae. Ed. Kanten. 318
mide des Cestius. — Der Leser wird ans diesen Ueberschrifteii
abnehmen, worauf au6h schon der. Titel des Ganzen hindeutet,
dafs die Erzählung der Begebenheiten in dieser NoTelle sich an
eine Schilderung der OertUchkeit des modernen Rom und an Re-
flexionen über Kunst, Alterthum und Gegenwart in Bezug auf
die ewige Stadt anlehnt Ja es könnte nach diesen Ueberschrif-
ten und nach der Haltung mancher einzelner Parthien des Werks
leicht den Schein gewinnen, als seien diese Schilderungen und
Reflexionen die Hauptsache, die Erzählung aber P^ebeusache,
nur zur Belebung des topographischen, archäologischen und kunst-
philosophischen Inhalts dienend, etwa wie in der Reise des jun-
gen Anacharsis, oder wie, um ein näher liegendes Beispiel an-
zuführen, in Huberts Skizzen aus Spanten. So indefs wurde man
die Intention des Verfs. wohl mit Uhrecht deuten. Zwar hat er
es uuTerkennbar, und zwar mehr, als uns nvt de^i künstlerischen
Charakter der Composition verträglich scheint, auch auf Ueber-
sichtlichkeit, ja Vollständigkeit jener Schilderungen abgesehen,
aber nicht so, als ob ihm die poetische Erzählung darüber auf-
gehört hätte, Selbstzweck zu sein. Sein Streben geht Tielmehr
offenbar dahin, beide Elemente, das schildernde nnd das erzäh»
lende, in ein Ganzes poetischer, künstlerischer Darstellunj^ zu-
sammenzuflechten. Wir wissen nicht, ob dem Verf. ausdrück-^
lieh dabei Victor Hogo's Notre Dame de Paris vorgeschwebt
hat; bekennen jedoch, unwillkührlich durch ihn an die Art und
Weise, wie jenem berühmten Romane die Schilderung des mit-
telalterlichen Paris einverwebt ist, erinnert worden zu sein; nur
dafs in dem vorliegenden Werke, bei geringerer Bedeutsamkeit
der dargestellten Situationen und der auftretenden Persönlichkei-
ten, die Schilderung des Topographischen und was sich daran
reiht, eine verhältnifsmäfsig noch breitere Stelle einnimmt, als
dort Wenn bei Hugo durch Einen frei schöpferischen Zauber-
schlag seiner mächtigen Phantasie zugleich die Fabel des Ro-
mans und die historisch- topographische Scenerie desselben her-
vorgerufen ist, so kann man bei uuserm Verf. eine unfreie Ab-
hängigkeit nicht verkennen, worin er sich von letaterer befindet.
Die Bilder der Erinnerung, die ihm, wahrscheinlich ans eigener
Anschauung, in seiner Einbildungskraft gegenwärtig sind, müssen
ihm sichtlich als Hebel für die Erfindung des Romans dienen,
die, so viel wenigstens die Handlung als solche betrifft, auch
mit ihnen etwas dürftig ausgefallen ist, und ohne sie Wahrschein- ,
lieh noch dürftiger ausgefallen wäre. Glücklich genug, dafs diese
Bilder in seiner Seele sich in hinreichendem Grade zu wirklich
geistvollen, poetischen verklärt hatten^ um von ihrer Poesie einen
Wiederschein auch auf die Erzählung werfen zu können ! Trotz
der schon gerügten Dürftigkeit, und trotz ihrer vielfachen, zum
Theil sehr in die Augen fallenden Mängel, gelingt es aus die-
sem Grunde der letzteren uns wirklich anzuziehen und zu fes-
seln. Dafs ihr dieS hat gelingen können, ist um so mehr zu
bewundern, und zeigt um so mehr für einen der Seele des Verfii.
inwohnenden Kern wirklicher Poesie, als man, jeden dieser bei-
den abgesondert fdr sich betrachtet, weder dem schildernden,
nach dem erzählenden Theile des Werkes eine besondere Mei-
sterschaft der Ausführung zuschreiben kann. In .dem schildern-
den Theile vermifst man die Kunst des vollkommen dufchgebil-
819
Edward in liom^ eine NewUe in nemn BBeAern»
820
deten Dichten, ohne viel AufivBad tou Worten nnd alles pnwai-
ffchen , mir den Yentand aber nicht die Phantasie in Anspruch
nehmenden Beiwerks von Beschreibung^ entledigt, ein anschauli-
ches, plastisch gediegenes Bild Tor die Augen des Lesen an
säubern. Der enähleude Theil aber entbehrt so gut wie xans
der Kunst des Motimren$ : die Begebenheiten Howohl, als die Cha-
rakterzQge der handelnden Personen wurden, wären sie nicht
durch jeue Zuthat Uberkleidet und auseinandergehalten, allentbal-
^n als schroff und onvormittelt neben einander gestelll er<»
seheinen.
Wenn wir vorhin bemerkten, dafs der Verf. uns an Y. Hugo
erinnert habe, so müssen vrir jetzt hinzufü|^en, dafs hiexu auch
der Charakter der dargestellten Handlung einiges beigetragen hat.
Auch seine Phantasie scheint sich dem DUstern, Ahnungsvollen,
Grauenhaften zuzuneigen, ja vielleicht, dieses Elementes zu be*
dürfen, um die poetische Wirkung her\'orzubringen. Nirgends
freilich streift er an das Grelle, Wilde und Frazzenhpfte des
gefeierten fraozb'sischen Romantiken ; und es ist wohl nicht blos
einer geringeren Ener^e der phantastischen Gestaltungskraft,
sondern auch einem reines bewahrten Schönheitssinn beizumes-
sen, wenn seine Gebilde ungeachtet jener Eiaenschaft eine ge-
miilsigtere Haltung behaupten, welche uns mit Wohlgefallen nicht
nur an ihn«n vorübergehen, sondern auch bei ihnen verweilen
liifst. Allein der poetische Grundton des. Werkes scheint uns
nicht minder wesentlich , wie bei dem genannten Dichter, und
wie vielleicht noch bei manchen andern unserer Zeit, an jene
Richtung geknüpft^ eine Richtung, die an sich selbst freilich
mit dem reinen Geiste der Poesie als solcher keineswegs iden-
tisch ist, und der höchsten künstlerischen Yollendung und Yer-
klarung eines Dichterwerkes sogar Abbruch thun mufs. — Die
zwei Hauptpereonen der Dichtung sind ein junger Deutsch-Britte,
Edward genannt, aus dessen hinterlassenen Briefen und Täge^
bttchern, zum grofsen Theil mit wörtlicher Beibehaltung ihres
Textes und ihrer Form, der Verf. die Novelle aebildet zu haben
Vorgiebt, und die aus Ungarn gebürtige junee Wittwe eines ru»-
siscben Grafen, welcher durch ihren Geliebten, zum Behuf des
Ausdrucks einer künstlerischen Wahlverwandtochaft, der Name
Giorciona beigelegt wird. Aus feuriger Liebe zu der |i;eistvol-
len, hochgesinnten, im Glänze einer junonischen Schönheit strah-
lenden, aber scheinbar kalten Giorgiona, deren schon früher aua
der Ferne angebetete Gestalt durch den Strudel des römischen
Karnevals in seine Nähe herangezogen wird , entsagt Edward,
den wir gleich von vorn herein aus seinen Briefen an die Ge*
nannte als einen edehünnigen, phautasiereichen, fiir alles Schöne
und Grofse empfänglichen, aber des gediegneren sittlichen Hal-
tes und einer dfurch die Irrgäiige des Lebens sicher hindurch lei-
tenden religiösen IJeberzeugung entbehrenden JüngKng kennen
ffiraen, seiner früheren, honnunssreichen Liebe zu der. anmuthi-
gen Tochter einer angesehenen brittischen Familie ; er vernach-
läfsigt dieselbe auf eine beleidigende Weise, und tödtet einen
früheren Bewerber, der sich ihrer gegen ihn annimmt, im Zwei-
kamjif. ' Aliein bereits vor Yollführung dieser That ist aus dem
unheimlichen Wolkenschleier , von welchem der Leser schon
langst die Cre^talt der Giorgiona ahnungsvoll drohend umgeben
erblickt hat, der Blitzstrahl hervorgebrochen. Gioraiona hat bei
einer nächtlichen Wanderung durchs Kolosseun ihren Gelieb-
ten, dem sie erst jetzt ihre Liebe gestund, in die Geheimnisse
ihres frühern. Lebensganges eingeweiht; er hat aus ihrem Munde
Teraehmen müssen, ^afs sie des frühem unwürdigen und ver-
hafsten Ehebandes sich durch einen Mord entledigt hat Edward»
von widersprechenden Gefühlen zerrissen, vermag weder die dar-
6 ereichte Hand der keineswegs reuigen, sondern auch nach dem
lekenntnisse ihm geistes- und schönheitsstolz entgegentretenden
Yerbrecherin zu ergreifen, noch ihr sn entsagen. In diesem lei-
denschaftlich aufgeregten Seelenzustande, ohne die Geliebte, die
sich 'freiwillig, wie es scheint, für immer entfernt hat, durchlebt
und schildert er uns, von der Ahnung des nahen Todes erfüllt,
in seinem Tagebuche die römische Leidenswocbe und das Auf-
erstehungsfest; er ecblickt die wiedergekehrte Giorgiona noch
einmal, und unmittelbar darauf macht ein Zufall, den uns der
Yerf. als eine sinnvelle sehickinlaverliSngte NoAweadi^eit
zustellen weifs, seinem Leben ein Ehde. Auch Giorgiona 'wird
durch einen zweiten Schlag dcraelben Macht hioweggerafft.
Um diese Hauptfiguren granpirt sieb in einer Keine nrilgiuu»
ter, rasch auf einander folgenoer Situationen, eine nicht unbei'
trSchtlicbe Anzahl von Nebenfiguren, sümmtlich in scharfe« UniK
rissen mit kräftigem, wirkunesreicfaem Pinselstrich hingexelehnc^
so dafs es, so' oft der Yerr. von der ScbilderuuK des To^ogn^
phischen und Antiqnnrisclien sur«eigentlichen ErzXnlung Bliefgelil,
nicht an buntfarbigem und bewegtem Leben mangelt* Das nei«
ste Interesse unter diesen nehmen zwei jugendliche, schöne, aber
frivole Römerinnen in Anspruch, Marietta und Mariaccia; h&im
läfst der Yerf. sleichfalls. sammt den von ihnen geliebten oder
begünstigten Mannern, dem tragischen Schicksal anheinftülen,
welches über dem Ganzen waltet In der Scbildernng der Zu-
berkraft, welche trotz der selbstbewufsten Perfidie, mit der sie
einen frühen Geliebten, der zugleich ihr Wohlthüter war, ■«••
nem Schicksale überlüfst und sich einem zweiten, unwürdigea
Liebhaber hingiebt, die Schönheit der Marietta auf Ihre l^mg^
bang und die ganze rö^iiscbe Welt aasfibt, hat der Vert ii«
Farben etwas stark aufgetragen, ohne doch, nach unsena Da-
fürhalten wenigstens, poetisch oder psychologisch unwahr za
werden. Die Gestalt der Mariaccia hStte, wäre sie mit eben so
viel Gewandtheit ausgeführt, als sie mit geistreichem Schopfer-
blick coneipirt ist, eine der bedeutendsten dichterischen Fraaen-
gestnlten werden können« In der Darstellung beider Fraaes,
oder vielmehr aller drei von uns genannten, — denn nach vea
der Giorgioaa scheiat ans ein Gleiches zu gelten . — so wie
auch mehrerer anderer, mannlicher and weiblicher Nebenfigarea,
überrascht die Kraft der Selbstentäufserang , mit welcher der
Yerf. sich in die Eigenthümlichkeit fremder Nationalitäten za
versetzea gewufst ha^ ohne fühlbar hervortretende Beimischung
von Zügen, welche den deutschen Ursprung verrethen, und ohne
Anlegung eines fremdartif^en Maafsstabes ihrer Beurtheilang.
Die Darstellung der eigentlichen Hauptperson, des Edward aelbst,
bleibt dagegen um so hultungsloser^ Denn ihn hat der Yerf.
nicht ohne Gewaltsamkeit zum Träger nicht allein jener Schil-
derungen, der Charakterachilderungen nicht minder, wie der topo-
gtaphischen, sondern auch, zum grofsen Theile wenigstens, der
ästhetischen, moralischen, religio'sen und geschichtsphiloeophi-
sehen Betrachtungen gemacht, mit denen er sein Buch berei«
ehern wollte; wodurqi dieser Charakter, besonden gegen den
Schlufs der Novelle hin, zu einem völHg unwahren geworden ist.
lieber die materielle Treue der topographischen SchUdera»»
?en, so wie auch der Darstellungen des Volkslebens und des
!ultus, und über die Richtigkeit der Kunsturtheile des Y'erls.
darf sich. Ref. ans Mangel eigener Anschauung der Gegenstäade
kein Urtheil erlauben. N^ur so viel vermag er zu sagen» data z,
B. die Schilderungen des Karnewais ^und der ^eiligen Woche, ao
wie auch verschiedene andere der Handlung einverwebte Schil-
derungen von Oertlichkeiten, für sich betrachtet, lebendige nod
ansprechende Bilder .aeben, solche, auf die mUa bei wiederhol-
ter Leetüre mit noch gesteigerter Lust zurücjckommt. Yen den
alleemeineren Reflexionen haben uns die kuustphilosophiadien
anu kunstgeschichtlichen, welche von einer gediegenen ftstheti'-
schen Bildung zeigen, mehr zugesagt, als die in das religiöse und
sittliche Gebiet einschlagenden. Letztere neigen sich einem natura-
listisclien Pantheismus zu, wie es scheint, nicht blos aoa Accom-
modation in den Charakter der Hauptpersonen. Dem Geiste der-
selben Denkweise entsprechen auch die mj'thologischen Deatnn*'
fen, welche bei Gelegenheit des vaticanischen Museums, so wie
ie Deutunren des katholischen Cultus. die auf Ycranlassung der
heili^ed Woche versucht werden ; beide enthatten indefs maache
sinnige, und auch wohl ernstlich beachtenswerthe Bemerkungen.—
Sprache und Stil des Werkes sind zwar nicht völlig correct und
zeigen von einem Mangel an hinreichender Hebung ; aber sie sind
unverkünstelt, lebens- und anmuthsvoli und gewifs noch einer
schönen Ausbildung fühig. Die eingestreuten lyrischen Gedichte
sind nie ohne wirkliche Poesie, so viel auch jedem einzefaiett
noch zur künstlerischen Yollendntfg abgeht W\
Jahrbücher
für
I
wissenschaftliche
März 1840*
K r i t ik
XXVII.
Grundsätze des Kirchenrechts der katholischen
und evangelischen Religionspartei in Deutsch-^
land von Karl Friedrich Eichhorn. Oöttin-
geuj bei Vandenhoeh u. Ruprecht. Bd. L 1831.
XXII II. 801 S. Bd. IL 1833. XX u. 886 S.
hehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen
Konfessionen. ' Von Ferd. Walter. Achte
völlig umgeänderte Auflage. Bonn^ bei Adolph
Marcu^\^9. XXII und 798 S.
"Die 4|oii5t 80 erfreuliche Einladung zur Uebernah-
me kritischer Anzeigen von Schriften kirchenrechtlichen
Inhalts konnte bei dem Antrage einer gemeinsamen
Kritik der Werke sweier Minner, über deren literari-
sche Bedeutsamkeit sich schon längst ein allgemeines
Urtheil gebildet und festgestellt hat, aus mannigfachen
Gründen den Unterzeichneten zunächst nur in ein nicht
geringes Bedenken, ja in eine gewisse Verlegenheit
versetzen. Denn vor allem ergab sich sofort, dafs mit
einer blos kritischen Anzeige und Relation derselbe viel
zu spät kommen, und auch gerade hiusichtlich der
Schriften dieser beiden Gelehrten dem Plane der wis-
senschaftliehen Jahrbücher nicht entsprechen würde. Da
MieAAom's Grundsätze des Kurchenrechts vor respeet.
acht und sechs Jahren bereits erschienen sind, von
Walter^s Lehrbuche aber, nachdejn vor achtzehn Jah-
ren dasselbe zum ersten Male herausgegeben worden^
jetzt schon die achte Ausgabe vorliegt — ein Erfolg,
der auf dem Gebiete des Kirchenrechts - auf so glän-
sende Weise wohl fast noch keinem Lehrbuche, selbst
den bis in die neuste Zeit so sehr beliebten; Prineipia
juris canonici von Oeorg jAsdwig Böhmer (ed. I« 1774.
ed. Ylla 1802) und allenfalls nur SehenkPs institutio-
n^ juris ecclesiasüci (ed. I« 1785. ed. X. 1830) zu
Theil geworden — , da also mit Uestimmtheit vprausge-
Sakrb. /. irsittfiffcA. Kril^. /. 1840. L Bd.
setzt werden darf, dafs beide Werke sich längst in den-
Händen aller derer' befinden, welche irgend einen An^
theil an diesem Zweige der Rechtswissenschaft nehmen,
so mufste schon an sich eine Beurtheilung hier beson*
ders schwierig erscheinen, und dies um so mehr, als
der Unterzeichnete, was Walter's Lehrbuch betrifft, die
vorhergehende^ siebente Ausgabe gleich nach deren Yer-
^offentlichung im Jahre 1836 in denl ersten Bande von
Richter's kritischen Jahrbüchern für deutsche Rechts-
wissenschaft einer ausführlichen Recension unterworfen,
und Hr. Walter einen guten Theil der in derselben
gemachten Bemerkungen und Ausstellungen in dieser
neuen Ausgabe berücksichtigt hat.
Dessen ungeachtet hat Ref. sich der Aufforderung
der verehrlichen Societät nicht entziehen mögen, da die
Wichtigkeit beider Werke, welche in den Jahrbüchern
eint Kritik noch nicht erfahren liaben, und die Bedeu«
tung, welche dem längere Zeit versäumten und, wie
die Praxis lehrt, über Gebühr, sehr mit Unrecht hintan-
gesetzten Kirchenrechte jetzt mit verdoppeltem JBiför
gezollt wird, zu einer wiederholten Prüfung^ wohl ver%
anlassen können. . Auch gestaltet sich die Aufgabe für
den Reo. gerade durch die gemeinschaftliche Betrach-
tung dieser beiden Schriften ganz eigenthümlich: denn
während der Unterzeichnete in seiner früheren Kritik
das Lehrbuch von Walter und v. Droste • Hülshoff ge-
genüberstellte, und so die einzelnen Institute des Kir-
chenrechts, namentlich des katholischen, vom Stand-
punkte der beiden in der katholischen Kirche verthei-
digten Prtncipien, des Curial- und des fpiskopalsystems,
als durch die beiden katholischen Schriftsteller vertre-
ten, zu würdigen unternehmen konnte, hat er jetzt das
Werk eines Protestanten und eines Katholiken neben
einander in Erwägung zu ziehen, und vrie einerseits die
protestantische Auffassung dos katholii^chen, so andrer-
seits dip katholische Würdigung des protestantischen
Kirchenrecbts näher zu verfolgen und zu beleuchten.
41
323 * ■ Kirchs
Hier konnte aber togleich ein Einwurf gegen die
Zulässigkeit einer derartigen Darstellung erhoben und
die Frage über die Reehtmäbigkelt einer solchen Auf-
fastungswebe aufgeworfen, ja vielleicht selbst daran
gezweifelt werden^ ob dieselbe mit den Principien einer
gesunden Logik yereinbar seL Die Antwort auf alle
Bedenken wird sich indessen alsbald ergeben, wenn wir
lAit aller Unbefangenheit zu ermitteln bestrebt sein wer-
den, nachzuweisen! wat unsere beiden Autoren zu lei-
sten beabiiehtigt . haben, von w^elchen Grundsätzen
sie geleitet worden sind, und ob und in wie weit das
wirklich Geleitete der Absicht selbst entspricht. Es
wird dies um so n5thiger, damit uns nicht der Vorwiuf
treffe, den Eichhorn (Band I. S. VII) als bei BeurthcU
lungen wissenschaftlicher Werke gebräuchlich bezeich-
net, dafs nämlich die Gränzen, die der Verf. seiner
Darstellung gezogen, und die Anordnung, die er befolgt
hat, einer sorgfältigen' Kritik unterworfen, eben deshalb
aber für die Beurtheilung dessen, was er über seinen
Gegenstand gesagt hat, kein Raum mehr gefunden
^Qrde — wenn gleich auch. die Berücksichtigung die-
ser Punlcte von uns nicht unterlassen werden darf.
Eiehh&m hat sich die Aufgabe gestellt „die Grund-
sätze des Kirchenrechts der beiden christlichen Reli-
gion&parteien , wie sie jetzt practisch gestaltet sind,
aui den Qßsellen w entwickeln" und fValter äufsert
die Absicht. „die Disciplin der Kirche mit steter Be-
ziehung auf deren ursprüngliche Gruudideen darzustel-
len, und dadurch nachzuweisen, wie dieselben unter
^ den verschiedensten Formen aufbewahrt worden, oder
welche ütlodifikationen dabei Xm Laufe der Zeit einge-
treten sind — woraus folgt, dab die Darstellung bis
auf die Gegenwart herab durchgeführt werden muFs.*'
Beide Schriftsteller bezwecken also ein gleiches
Resultat: ein auf geschichtliche Forschung gegründetes
• praktisches System. Die Rechtswissenschaft in ihrer
Vollendung fordert aber, dafs mit dem historisch -exe-
getiiichen und praktisch -systematischen Elemente das
philosophische verbunden werde. Wir vermissen das-
selbe auch in beiden Werken keinesweges, finden in-
dessen deren Verfasser von dem Wahne frei, durch
apriorische Konstruktion und Deqionstration zu irgend
annehmbaren Ergebnissen auf diesem Gebiete gelangen
zu können* Sie erkennen vielmehr an, dafs es hier
nur auf eine Begreifung des 'Bestehenden und eine
Würdigung desselben nach dem gegebenen d. h. auf
n r e e h t. 334
Offenbarung beruhenden Begriffe Jer Kirche ankenuBe,
nicht aber darauf, den Begrifif* der Kirche, geltet Toa
Christenthum, selbst erst schaffen und auf diesen MUist
gebildeten Begriff ein sogenanntes natürliehea Kirdwn-
recht gründen zu wollen (s« Eichhorn L S. lY u. 9.
443. 444. Walter §. 3. Anm. h). Indessen bleät es
doch Aufgabe der Philosophie, die Bedeutung und Notl^
wendigkeit der Offenbarung und Kirehe naehzvweiseB,
und das Kirchenrecht w^ird sich darauf zu beschrti^M
haben, diesen Beweis vorauszusetzen oder «nfaeh n
wiederholen. Diesen Beweis aber auch verauegeaettt,
^heint eine Darstellung des Verhältnisses . der Kirefe
ziSden ethnischen und monotheistischen Zuständen, abo
4
eine Vorgesciüchte des Christenthiuns und der Kirdb
durchaus erforderlich, um das Wesen der Kirche und
folgeweise des Kirchenrechts ganz fassen zu kdnnea,
zumal es an bestimmten Anknüpfungspunkten der tiieh
liehen Verfassung an einzelne Institute der V<JlcneG-
gionen und der jüdischen TheokraCie durchaua mdu
fehlt. Zu allgemein und zu entfernt sind die darauf
bezüglichen Andeutungen bei Eichhorn I, 2. 4. und in
den ersten Ausgaben bei Walter. Die philosophiMhe
Betrachtung bei beiden Autoren besteht vorsü^leh in
einer Beurtheilung der gegebenen Data. Eichhorn wen-
det dieselbe besonders auf das protestantische KirAen-
recht an und erklärt (Bd. I, S. IV), dafs er das Be»
stehende mit der Grundlage, der öffentlich aufgeiieU-
ten Lehre, nicht immer • konsequent zusammenhängend
gefunden habe, sondern dafs jenes oft aus nnriciitiger
Anwendung richtiger Grundsätze,' noch öfter aber-
der Anwendung solcher Grundsätze, welche die
gelische Kirche überhaupt nfcht anerkennen Jtamny «tt-
. Sprüngen sei. Er hat es daher für angemessen gebal-
ten, wenigstens anzudeuten, wie die bestehenden Ein-
richtungen im 8inne> der evangelischcfn' Lehre verbes-
sert Verden können, das Bestehende aber von dem ent
zu Begriindenden stets gesondert gehalten.
Sowohl dieses Verfahren, als die dadurch gewen^
neuen Resultate erscheinen im Allgemeinen gewiCs hA
fallswerth, da sie aus einer höchst umsichtigen und ver-
urtheilsfreien Forschung hervorgegangen sind (man rgL
z. B. wegen der Beibehaltung und Anwendung dc9
kanonischen Rechts B. L S. 290. 251. 370 feig, und
wegen des Verhältnbses desselben zu den* symboliaehen
Büchern S. 414.' 415, wegen einzelner Bestimmungeni
ak Ausflufs der katholischen ^acramente B. J. S. 371.
y
reh^nr^eht.
326
373. Ana. 6. 7. rerb. II, 3Q2, wegen der landesherrli-
chen Gewalt in Beziehung anf die Lehre n« e« w. B..L
S. 285. 3tö IV ^- B. II. S. 44 folg. u. y. a.), doch er-
kl&rt sich das Meiste dabei aus dem eigenthünilichen
Bntwickelungsgange der eirangdischen Kirche theils im
Kampfe mit der katholischen Kirche, theils aus dem
Bestreben des Fortschritts, wie andrerseits auch wie-
der, aus mannigfachen Hemmungen in der evangelischen
Kirche selbst Eine so konsequente Durchbildung, wie
deren das katholische Kirchenrecht sich zu erfreuen hat,
•fehlt dem evangelischen, doch dCkrfen wir nach Elich-
honi's Yorgange auch mit Zurersicht auf anderweite^
«nd erfreuliche Resultate gerade jetzt, wo so TJ^Ier
Eifer sich diesem Studium zugewendet, hoflfeo.
' Lfeichter ist im Ganzen eine Rechtfertigung des
katholischen Kirchenreohts, Wenn von bestimmten Prin- ,
dpien ausgegangen wird , deren Unumstofslichkeit als
Postolat gesetzt ist. Historische Forschungeii, welche
^Unselben ^widersprechen , lassi^n sich leichter zurück-
weisen ^ als widerlegen^ zumail wenn Berichte selbst
alter und anerkannter Autoren für irrthumliche Auffas-
sungen gelten müssen^ weil sie mit den einmal belieb-
ten Grundsätzen nicht vereinbar sind. Hehr oder we-
niger kann dies von sehr vielen katholischen Autoren,
zumal von curialistischen Ansichten buldigaiden Schrift-
steilem behauptet werden.. So wenn TertuUiani de
exhortatione a^d castitatem cap. VII. referirt: Ecciesiae
• auctoritas differentiam inter ordinem et plebem consti-
tuit: so wird uns entgegnet „£?s tMt nicht wahr^ was
hier Tertullian sagt; denn es widerspricht ihm hieria
nicht blos das ganze Alterthum, sondern er sich selbst"
{6&9^ler in der Tübinger theologischen Quartakchrift.
Jahrg. 1835. H. I. S. 113), oder wenn HieronymuM
ad T|t. I^ 7. (im Dekrete c. 6. dist. XCV) und ganz
besonder^ in den Schreiben an den Evangelus (epist
, LXXXY., in c. 24. dist XCIU) von der ursprünglichen
Parität der Bischöfe und Presbyterer sprechend, äufsert,
dals nachdem Zwistigkeiten in den Gemeinden entstan-
den waren, ,iin toto orbe decretum est, ut unus de
presbyteris electus superponeretur ceteris, ad quem
onmis ecciesiae eura pertineret et schismatum semiaa
toUerentur," und wenn auch auf bestimmte Beispiele
iüngewies^n wird ,,Alexandriae a Marco evangelista
usque ad Heraclam et Dionysium episcopos, presbyteri
semper unum ex sc electum^ in excelsiori gradu collo*
catnm, episeopum nominabant u. s. w." und somit das
Resultat hiagestellt wird „Episcopi noverint, se magis
consuetudine, quam dispute tionis (im Original: dispo«>
sitionis) dominicae veritate presbyteris eese majores,"
so erhalten wir dagegen die Versicherung „das Amt
der Bbchöfe hat sich nicht aus dem Presbyterium, soifi»
dorn aus dem Amte d^^r Apostel und ihrer Gehülfen
entwickelt Es ist mithin wahrhaft göttlichen und apo^
stolischen Ursprungs" (Walter §.'9. Anm. K.). Es
werden dann auch gewisse Grründe angeführt, die aber
nur durch allgemeinere Postulate gehalten werden kön^»
nen, und Hieronymus und ahdem wird der Fehler ror^
geworfen, „dafs sie das bischöfliche Amt, welches vor
der Einsetzung der Bischöfe von den Aposteln selbst
verwaltet wurde, nicht zu unterscheiden verstanden**^
(a. a. O.). Doch darüber ist nicht weiter zu rechten
und ee wird hier genügen, dergleichen Punkte anzu-
deuten, damit die Differenz in der Behandlung des'tUr-
chenrechts bestinmiter hervortrete.
/Was nun näher den Umfang der von beiden Ver-
fassern gestellten Aufgabe betrifft, so will Eichhorn
„sich auf die Darstellung des Rechtszustaiides beider
MeligienMpartHen in Deutaehland beschränken** wo-
gegen Walter, aufser Deutschland „auch den Orient,
England, Holland, Dänemark und Schweden zu umfas-
sen*' beabsichtigt, indem er hinzufügt „die Würde und
Grofsartigkeit dieses Stoffes gewinnt, Je höher und wei-
ter der Gesichtspunkt ist, dfen man dafür wählt."
Hier ist zunlichst zu erinnern, dab d<ir Ctesichts*
punkt, den der Bearbeiter des Kirchenrechts einnimmt,
durch die Berücksichtigung mehrer Konfessionien und
Länder an sich kein höherer, überhaupt durch die ma*
terielle Erweiterung derselbe gar nicht verändert werde:
denn der Standpunkt, von welchem aus eine wahrhafte
Begreifung der Kirche und der geschichtlich «-rechtli-
chen Veränderungen de^ Zustandes derselben allein
möglich sein kann, ist schlechthin nur ein einziger; also
der objektive, nämlich der christliche selbst
Bei dem Bearbeiter der religiöiien Bechtsvifrhält-
nisse verschiedener christlicher Konfessionen setzen Wir
darum zunächst das allgemeine christliche Bewufstsein
und die Ueberzeugung voraus, dafs die sämmtlichen
Parteien, so lange und so weit sie Christum bekennen,
christlich seien, also zur Kirche überhaupt gehören
(cnov Sv p *ItjGovg XQtatb;^ imH ^ ixxktioia Ha^ohfufi.
327 \ Ki r e h €
IgnaimM ad Smyraaeos cap. VIII.) *) : denn theilt er
diese Ansicht nicht, -so kann er auch für diejenige Re-
ligionsparteiy welcher er das christliche Prädikat ab-
streitet, ein Kirchenrecht gar nicht statuiren« Der
Kirchenrechts «Lehrer wird aber deiuungeachtet per-
sönlich einer einzelnen Konfession angehören und seine
individuelle religiöse Ueberzeugung bei der Darstellung
nicht durchaus zu beseitigen im Stande sein; je mehr
er aber 'den objektiven Standpunkt festhält, und die-
aem seine Subjektivität unterordnet, de^o mehr An-
sipruch wird seine Entwii^klung auf allgemeine Aner-
kennung erheben dürfen, weil sie eben der konkreten
^ Wahrheit möglichst nahe gekommen ist., .
Die Objektivität wird hier indessen durch ein zwie-
faches Moment bedingt: denn aulser dem rein christli-
ehen, biblischen, wie es uns unmittelbar in der Lehre
Jesu und der apostolischen Männer vorliegt, tritt noch
die Modifikation ein, welche man in dem Bekenntnisse der
einzelnen Parteien zu entdecken meinen könnte. Der
Kanonist hat sich hierbei streng an das zu halten, was
die einzelne Konfession als ihre Lehre in den öffentlich
von^ ihr anerkannten Schriften niedergelegt hati ,denn
sowohl in thesi, als in bypothesi kann für jede, Partei
nach Prindpien des Hechts nur diejenige Beurtheilung
sich als eine rechtliche geltend machen, welche auf das
bestimmte Bekenntnifs selbst zurückgeführt ist Aufs
Entschiedenste mufs sich Recens. gegen eine Auffas-
sung erklären, wie dieselbe sich unter andern bei Alexan-
der Müller (Encyklopädischea Handbuch des gesamm-
ten Kirchenrechts Band IL S. 268) findet, indem der-
selbe äufsert „der Jurist ist da, wo das Gebiet des
Glaubens seine Reohtssphäre hat,, did Norm für seine
Judikatur niemals gegenf seine Ueberzeugung. tmd gegeli
die praktische Vernunft und die Postulate des Staats-
rechts blos in den herrschenden Glaubenssätzen der
Dogmatik aufzufinden verpflichtet; denn die Wahrheit
der praktischen Yemunft und die Rücksicht auf die
den Staatsbürgern garantirte-Rellgious- und Gewissens-
*) Uebrigens beweist diese Stelle, dafs der Ausdruck ixxlfiaia
xa^oknei sieh schon vor dem Jalire 170 (s. Eichbocii I, 33.
JUim. däu) findet.
n r e €
A t.
freibeit mufs jedem vernünftigen Richter mdir gehen,
als die hbtorische Wahrheit dieser oder jener Metliode
einer kirchlichen Dogmatik."
In solchem Räsonnement^ das in Summa falsi^ is^
obgleich entfernt ein gewisses Rechtsgefuhl koineidif^
ist übersehen, dafs durch ein auf praktische. Vernunft-
Sätze, vorausgesetzt, dafs diese unzweifelhaft feststehni
gegründetes Urtheil, welches mit der historischen Wahr*
heit einer, kirchlichen Dogmatik im Widerspruche steh^
die Religions - und Gewissensfreiheit verletzt wird, w^m
jene Dogmatik vom Staate zugleich mit der ihr anUbi-
" genden Religionspartei recipirt und garantirt ist. Nur
daqn wird de.r Richter in judicando von der Lehre ei»
ner Partei abweichen dürfen, wenn dieselbe aus beson>
dorn Rücksichten, wegen unsittlicher oder inhimuiner
Grundsätze ,yom Staate nicht anerkannt worden. — Ein
derartiges Beispiel hat Rec. in diesen JahrbSchem.
Septbr. 1839 no. 58. Sp. 458. 459. aus der katholischen
Disciplin mitgetheilt — Sonst erscheint dil; dflfenüicli re-
cipirte Lehre iii tsoncreto als Theil des zur Motivirnng
eines Urtheils dienenden Gesetzes und es gilt dann die
bekannte Reehtsregel: secundum leges, non de legibus
judicandam. Von diesem Gesichtspunkte aus rechtfer-
tigen sich denn auch die Erkenntnisse -des Tribunals
zn Königsberg vom 27. Mai 1827 in Uitzig's Zeitschrift
für die PreuTs. eriminalrechtspflege Heft XVI. S. 217
folg., so wie des Oberlandesgecichts zu Hamm vom 13.
Juni 1627 in : Simon und v. Strampff's Rechtssprüdie der
Preufs. Gerichtshöfe B. I. S. .377 folg. in Fällen^ wel-
che nach der Maxime des Hm. Müller gerade entge»
gengesetzt hätten entschieden werden müssen, wie dies
auch im ersten der hier erwähnten Fälle durch den
Unterrichter geschehen war.
So me überall die Persönlichkeit des Rechts und
des Berechtigten, wo eine solche besteht, zu respekti-
ren ist, so muGs dies insbesondere auf dem religiSsea
Gebiete, auf Welchem die Kirche selbst als moraUsch^
Person , erscheint, ebenmäfsig geschehen, und daher wird
es von der höchsten Bedeutsamkeit, zu ermitteln, wie
die Verfasser beider hier angezeigten Werke in dieser
Beziehung sich verhalten haben.
(Die FortsetzoDg folgt.)
jr 421
Jahrbücher
für-
wisseii schaftliche Kritik.
/ #
März 1840.
Qrundsätze det Kirckenrecht» der katholischen
und evangelischen Religionspartei in Deutsch^
tand eon Karl Friedr. Eichhorn.
Lehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen
Konfessionen. Von Ferdinand Walter.
(Fortoetsimg.)
Eichhorn gi^ht (B. I. S. 455. 456 vgl. S. 675 folg,)
Tom'Begriffe der christlichen Kirche nach dem Stand-
punkte aller Konfesaionen aus: denn es sei dieser Be-
griff fSr .alle einer und derselbe, liofem die Kirche
fiberhaupt als die äufsere Erscheinung des geistigen
Reichs betrachtet wird, welches Christus gegründet hat.
Er bemerkt, alle Konfessionen sehen in der Kirche ei-
nen Verein, in welchem durch Belehrung und den
Gebrauch der Sakramente, welche Christus eingesetst
hat, den Menschen der Weg cum ewigen Heil nach den-
Verheibungen Christi eröffnet werden soll. In diesem
Sinne glauben alle Konfessionen an eine heilige christ«
liehe Kirche ) welche die wahrhaft Gläubigen vereint,
wie grofs auch die Anzahl der Mitglieder sein mag,
die ihr nur als äufserlicher sichtbarer Yerbinduhg an-
geboren, ab^r weder vom lebendigen Glauben erfüllt
sind, noch Christi Geboten nachzukommen sich redlich
bestreben. ' Allen mufs diese eine allgemeine und einige,
ewig dauernde sein, wenn sich gleich nur die römische
.die katholische Kirche nennt, da Christus diese Eigen-
schaften seiner Kirche beigelegt bat u. s. w. Zum Be-
weise wird Bezug genommen auf die Augsburgische
Eonfession Art« 5. 7. 8.
Genauer verfährt Walter. Nachdem er daran erinnert
hat (§.2.), wie der ursprünglich einige und ungetheilte
Glaube und die Kirche im Laufe der Zeit zerfallen wä-
ren,^ unter den sich bestreitenden Lehrbegriffen aber
nur Iginer der rechte, also nur Eine Kirche die wahre
sein könne, erörtert er den Begriff der Kirche nach
katholischer, griecjüscher und protestantischer Ansieht
Jukrh. f, wUi€n$ch. Kriük. J. 1840. I. Bd. '
im Besonderen <§. 11. 12. 24. 32). Er sucht aus den
eignen Erklärungen der Konfessionen nachauweisea,
wie jede derselben für sich in Anspruch nehme, die
einzig wahre zu sein. Für die katholische Kirche be«
zieht er sich auf Stellen der heiligen Schrift, der Kir»
chenväter und Bellarmin de ecciesia militante. Warum
aber nicht auch auf das Concilium Tridentintun, den
Catechismus Tridentinus und besonders die Ausspruche
der Papste f -r Er giebt auch nidit undeutlich zu er-
kennen, data ihm nur die katholische Kirche die wahre
zu sein scheine, was ihm zu verargen uns nicht in den
Sinn kommen Icann, wenn diese Ueberzeugung nur nidit
zu einer unrichtigen Auffassung eines andern Bekennt?
nisses, nach dessen eignem Inhalte, führt Die grie-
chische Kirche findet er mit der katholischen überein-
stimmend, was natürlich bei stillschweigendem Hinblick
auf die unirten Griechen schon geschehen mufste, wie
ja ungeachtet so mancher wesentlichen Differenz die
rSmische Kirche sich hier nachgebend gezeigt hat Was
aber die evangelische Kirche betrifft, so kann er we«
nigstens den ^irrigen Seitenblick auf die katholische"
in Betreff der Uebereinstimmung in Gebräuchen, nicht
verschweigen, wobei aber, wie die §. 32. Anm. K. ci-
tirten Stellen beweisen, überhaupt nur die Nichtverbind-
liehkeit von Menschensatzungen hervorgehoben werden
sollte, wozu der Unterschied der traditiones universales
und particulares, dessen man sieh gegen die Protestan-
ten bedient hatte, Anlafs gab.
Das wesentlich Differirende zwischen beiden Kir*
eben ist übrigens weder von Walter, noch von Eich-
horn bezeichnet worden, konnte aber wohl dariii ge-
funden werden, dafs in der katholischen 'Kirche die
Stellung des Einzelnen zur (lel^irenden) Kirche selbst^
in der evangelischen das Yerhdtnifs des Einzelnen zu
Christo das entscheidende Moment ist, so dafs also in
jener, nicht aber in dieser die Seligkeit bedingt wird
durch die Verndttlung den Priesterthuras (sacerdotes
42
331 K $ r e h e
sunt mediatoreg inter I>eiim et homines). Zwar be-
hauptet Walter (§. 33.) 9 daPs auch die evangclLsche
Kirche ,,eiii besonderes Priesterthum, welches zwischen
Gott und der Gemeinde in der Mitte steht, anerkannt*"
habe; doch sind die zum Beweise angeführte Apo-
logie der Augsb. Confession art. YII. (habet ecclesia
mandatum de constituendis ministris, quod gratissimum
esse nobis debet, quod scimus Deum äpprobare mini-
sterium illud et esse in ministerio), so wie die Confes-
sio Helvetica II. art. XY. (ministros ecciesiae coope-
rario^s esue Dei fatemur, per quos ille et cognitionem
Stti et p^ccaforum remissionem administret . • . ita ta-
rnen ut virtutem et efficaciam in his omnem Domino,
ministerium mxuistris tantum adscribamus) fiir diese An-
sicbty der auch sonst direkt entgegen getreten wird,
keineswegs vofif irgend einem Belange. Es beruht das
Ganze hier auf dem Begriffe des ordo, welchen die evan-
gelische Kirche durchaus anders fabt, als die katholische.
Von der hoclisten Bedeutung für unsere Betrach-
tung \iird aber noch das FerAällnt/i der iicAtbßren
und unsichtbaren Kirche. — Katholischer Seits ist
eft der Vorwurf erhoben worden, dafs die Evangeli-
schen die sichtbare Kirche schlechthin negiren. So
äufsert mit vielen andern v. Drey (Neue Untersuchun-
gen über die Konstitutionen und Kanones der Apostel
S. 164) ^^der Protestant hat die sichtbare Kirche, mit
allem was an ihr hängt, seinem Priqcip aufgeopfert,
und behilft sich mit der unsichtbaren Kirche. Darüber
ist mit dem Protestanten nicht zu rechten, auch ist dies
nicht als etwas Besonderes an dem Protestantisinus,
sondern eben als der Protestantismus selbst, als das
allen protestantischen Schriftstellern und Nichtschrift-
stellem Gemeine aiizusehen." — Hierüber ein Wort zu
Terlieren, halten wir für unwürdig. Walter ist so«
wohl von dieser, gls auch von der Anschuldigung frei,
als leugneten die Protestanten, dafs die Sichtbarkeit der^
Kirche von Christo selbst ausgegangen sei. — Auf der
andern Seite wird dann von katholischen Autoren über-
haupt die Unsichtbarkeit der Kirche verworfen. Statt
vieler möge nur Lang (Geschichte und Institutionen
des Kirchenrechts Th. I. §. 2.) genannt werden, „Die
•Unterscheidung in unsichtbare und sichtbare Kirche ist
iiicht zu begründen. Es giebt nur eine sichtbare Kir-
che,'c^^V das Wesen ,der Kirche eben das Erscheinen
der Religion in Zeit und Raum ist," und JUöhler (die
Einheit in der Kirche S. 193 fojigO „Die Annahme ei-
n r e^ e h t. 332
ner unsichtbaren Kirche findet sich hnr in einer Be-
griffs-Rdigien.** In seinen späteren Werken ist der
letztere Schriftsteller jedoch dieser Annahme geneigt
geworden (man vergl. seine Symbolik §.32. und: Nene
Untersuchungen der Lehrgegensätse zwischen den Ka-
tholiken und Protestanten Cap. IV. und verbinde damit:
Baur der Gegensatz des Katholicismus und Protestan-
tismus. Zweite Ausgabe S. 455 folg.), auch finden wir
diesen Unterschied bei Walter §. 11. 12. anerkannt.
„Das Wesen der religiösen Gemeinschaft bestefat
nicht in der sichtbaren irdischen Erscheinung aondm
sie hat eine unsichtbare, Gott zugewendete Seite, wo-
won jene nur die äufsere HuUe ist Wahre voUstän*
dige Glieder der Kirche sind also nur diejenigen, die
mit der äufseren Theilnahme die innere lebendige Ge-
sinnung verbinden. Menschlicher Weise betrachtet ge-
hören jedoch auch noch di^ Bösen zu ihr, so lange sie
sich äufserlich zu der Gemeinschaft halten; und umge-
kehrt kann es Glieder geben, die mit ihr blos dem
Geiste nach ohne äufseres Zeichen vereinigt sind. Es
können also freilich die Mitglieder, die in der sichtba-
ren Kirche als solche erscheinen, von denen, die es
vor Gott wirklich sind, verschieden sein. Für die Wirk-
samkeit der Kirche auf Erden ist jedoch diese Unter*
Scheidung gleichgültig, weil sie Kraft der Veriieilsung
Christi, der Beimischung falscher oder blos scheinbarer
Glieder ungeachtet, im Ganzen doch immer die wahre
Kirche bleibt, und die rechten Heilsmittel verwaltet.**
(Die Fortsetzung folgt)
XXVIII.
Saviiri eine indische Dichtung^ aus dem Sansirü
übersetzt von Jüs.Merkely Prof. und UofbibUQ^
thekar in Aschaffenburg. 1839.
Die- ungemein anmnthige nnd zarte Episode, von der wir Hnu
Merkel eine neue deatsclie Uebersetznng verdanken, ist seiuNi
frühe durch Hm. Prof. Bopps, des ersten Textherausgeben, ge-
treuere, sowie durch Riickerts freiere Bearbeitung bekannt gewor»
den. Gleichwohl scheint es nicht unnütz, den Inhalt und Zosas-
menhang dieser Dichtung hier kura darzulegen, welche im Origi-
nal (cf. edit. calic Vol. I. pg. 801) den bezeichnenderen Titel
pati»ratämAkätmjaparüa führt, d. b. das Buch roir der Grfffse der
Gattentreuen. Die Geschichte spielt in Madra, dessen König
AsTapati um Machkommenschaft willen 18 Tolle Jahre stck der
strengsten BufsUbungen unterzieht, bis ihm Sftvitri, die Göttin,
in leiblicher Gestalt erscheint, und, als Gnade des'Urratersy ein
Tochterlein verhelfst. Die Tochter wird ihm von seiner Fra%
die zwar hochbejahrt, geboren und aus dankbarer firkenntüch-
keit nach der Göttin selbst SAvitii genannt. „Einaefasraid wie
833 . Merkdy Samtri eine
Sit, wttdit des KlJDtgs ' Selbilgebonie auf; und ward mit der
Zeit ein manolMires Fräulein. Beim AnbKcke der schlankYeibi»
gen, breithHftigen, atrahienden, goldenen gleichsam, dachten die
Leute, ein Göttermädchen za leben ; aber freien mochte Niemand
nm die lotnablattängige, die flammende gleichaam. mit Glänze, ab-
geaohreclct darch den Glanx.'' So fordert sie der Vater denn
aiif, der beneidenswertben Sitte ihres Lapdcs gemäfs, selbst auf
'die Gattenwahl aoszngehen, „Dennj'heifst es, welcher Vater die
Toefater* nicht ausgibt, der Gatte der nicht naht, und der Sohn
der nach des Vaters Tode nicht seiner Matter Beschiitzer, diese
sind tadelswerth." SATitri macht sich alsbald auf und meldet bei
ihrer Ruckkehr, dafs die Wahl auf Satjavün, den Sohn eines
frommen, blinden, seines Reiches beraubten Königs gefallen sei.
Trotz aller grolsen Vorzüge dieses SatjavAn kahn die Wahl von
KAmda, dem anwesenden GStterboten durchaas nicht gebilligt
werden : ein Fehl haftet an ihm : er wird in Jahresfrist den Leib
ablegen und sterben. Der Konig fordert demgemäfs die Tochter
auf, sich einen Andern zu erwählen, die Tochter ist indessen .
standhaft :"* einmal füllt das Loos, einmal wird die Tochter
gegeben, einmal spricht e r (der Vater) ich gebe sie J dies sind
die drei Einmal der Guten,^ — und fidrada so wie der Vater
finden es unter solchen Umständen gerathen, nachzugeben, jener
geht auf zum Himmel and dieser bereitet die Hochzeitfeier, wel-
che im 4ten Gesänge näher beschrieben ist. Die folgenden Ab-
schnitte, Ges. 4 — 7, zerfallen dem Inhalte nach in zwei gröfsere
Cranze: zuerst nämlich wird es mit Treue und ergreifender
Einfalt geschildert, wie SAvitri der Zeit entgegengeht, da ihr
iliaan sterben soll. Denn N&rada's Wort liegt ihr immerdar im
Herzen und mit banger Angst zählt sie die Tage wie sie einer
nach dem anderen Terlaufeu. Endlich als es nur noch 4 Tage
hinaus ist, beschliefst sie eine harte dreinächtliolie Bafse: die
Bitten der Schwiegereltern, abzustehen von dem erdrückend
Schweren, vermögen nicht, die Unerschütterliche in ihrem Ent-
schlüsse wankend zu machen: bricht das deliibdei also zu re-
den vermöchte ich nicht, ibagt' der Schwiegervater; vollend' es
vielmehr! solche Rede ziemt meinesgleichen. Stehend und in
Iterben Schmerzen fliefst^der Sdvitri die letzte Nacht hin; ,jjetzt
ist der Tag dal" Sie begeht ihre Itforgenfeier, sie opfert dem
Feuer mnd nimmt die Trostspriiche der frommen Brachmanen ent-
gegen, im Herzen immer nur der Zeit denkend, zu deren Abwen*
daDg sie die schwere Buise übernommen. — Es ist ein hübscher
«Bd" ein feiner Zug des Dichters, dafs nun Sa^avdn, als die ihm
wie seiaen Eltern anbewufste Zeit des Todes naht, allein in den
Wald gehen will. Doch SAvitri iSfst nicht von ihm: sie fühlt
aiek weder erschöpft vom Fasten und Wachen , noch wird ihr
die angewöhnte Wanderung beschwerlich fallen; aber Trennung
Tom Gatten würde ihr nnerträglich sein und den schönen Wald
sa sehen gewährt ihr hohes Vergnügen. So wandelt sie dem
Gaiten zur läeite, getheilt gleichsam in ihrem Herzen dahih. Als
Dan SatjavAn Früchte sammelt und Holz spaltet, da befällt ihn
Müdigkeit und -Kopfweh, nnd^ da Sivitri sein Haupt aaf ihren
Sehofs gelegt, — bestimmte Stunde und Zeit treffen genau ein •—
dasteht auch schon ein fürchterlicher, sonneglanzend^r, rothäugi-
ger MaBD, einen Strick in der Hand> ihr zur Seite, Es ist Jama,
indisehe Dicktun g. 334
der Herr der Manen, der andere Menaehen durch seine Boten
holen läfst, dieses frommte Tugendmeer indessen seiner eigenen
Ankunft würdigt ' Die krasse Versinnlichung des Todesgottes
nicht blofs, sondern auch des Sterbens ist leicht an keiner Stelle
so weit getrieben als hier: denn „mit Gewalt reifst nun Jama
den daumengroisen Geist, mit dem Stricke gebunden aus dem
Leibe, und- alsbald ist der L«b dem. der €reist entrissen, der
Athem gewichen, ohne Bewegung und Qlanz, unschön anzusehen«
Indem jetzt Sftritri dem Gotte folgt, entspinnt sich ein Gespräch «
bei welchem Jama von der erhabenen Gesinnung der Gattin so
entzuckt wird, dafs er ihr vier Bitten nach einander erlaiibt und
gewährt, mit Ausnahme des Lebens Satjftvftns, bis er zuletzt,
ohne diese Einschränkung» ein unvergleichbares Geschenk z«
wählen eriaubt^ Es versteht sich, ddls Sdvitri des Cratten Leben
erbittet. Der Gott des Rechts entfesselt den Gebundenen und
gewährt. Bei der Sinnlichkeit solcher Vorstellungen erwartet
man fast eine Angabe, wie . der Geist nun wfeder in den Leib
eingegangen sei: indessen findet sich darüber nichts: Satjavdn
erlangt auf ihrem Schofse das Be wulstsein „ich schlief sehr
lange, wahrlich ; warum hast du mich nicht geweckt, und wo ist
der' schwarze Mann der mich mit sich rifst^ — Des Gedichts
andere Hälfte schildert umständlich, wie die wiederverbundenen
Gatten, in Sorgen über den Kummer der besorgten Eltern, sich
nach Hause begeben, und schliefst dann völlig versöhnend mit
der Darstellong des Wiedersehens und des durch Jama's Gna-
dengewäbrungen erhöhten freudigen Zusammenlebens.
Indem wir uns nun zu Hrn. M's. Uebersetzung wenden, kön-
nen wir versichern, dafs dieselbe im Ganzen möglichst treu ist
und sich auch so leicht liest, als es bei dem Grundsatze des
Verfs.,' das indische Metrum sorgsamst wiederzugeben, nur irgend
"^u erwarten stand. Zwar, um zuerst bei dem Letzten stehen
zu bleiben, will uns die strenge Durchführung des Originalme-
trums für gröfsere* Gedichte minder passend scheinen: eine ge-
wisse, dem Leser zumal der nur um der Sache, nicht um der
Verse willen liest, lästig fallende Einförmigkeit ist gar nicht zu
umgehen; Härten besonder» in der Stellung der Worte, die man
recht gewahr wird, will man solche künstliche Verse einmal wie
Prosa lesen, sind unvermeidlich, und endlich wird das Metrum
oft doch nur für den hergestellt, der auch wirklich guten Wil-
len hat es zurechtzulesen, während es dann nur vollkommen wie-
dergegeben wäre, wenn der Leset sich gezwangen fühlte, so und
nicht anders zu lesen, als es eben verlangt wird. Dergleichen
kleine Bedenken drängten sich uns auch bei dieser in ihrer Art
sehr wohlgelungenen Uebersetzung oftmals auf, und bestärkten
uns in dem Grundsfitze, dafs es für gröfsere Dichtungen passen-
der sei, ein durchführbares und mehr ansprechendes Metrum zu
wählen, des Uebelstandes bei diesem Metrum nur nebenhin za
gedenken, dafs hier von Vers überbaupt nur immer in den letz-
ten vier Silben des Viertelsloka die Rede sein kann: wodurch
der Leser denn nie zum Bewufstsein eines Versmafses gelan-
gen wird. Dafs die Sache nun einmal so im indischen Sinken-
mafse sei, wird man wohl nicht geltend machen dürfen: es ist
doch ein Utfterschied, ob ein V,enmafs, noch im Werden b^rif-
fen und stehen geblieben,' dem Ohre durch langen Gebranch ver^
335 Merkel^ Savüri eine
tniat geworden ist, oder ob ^8 in Ueberaetzungen anf fremdem
' Ctobiete nni entgegentritt^ glelGheam da« Zageständnlfa dessen,
was es selbst nicht ist» sich ertrotzend. Soviel über diesen öfter
besprochenen Cregenstand» den freilieh ein Jeder nur nach sei«
nem Sinne benrtheileo Icann.
Dan Wottv^rständnift des Gedichtes ist im Einzelnen dareh«
aoi nicht leicht, man wird sich nicht wandern, sollte man Hrn.
M. hie nnd da fehlgreifen sehen; manche Stellen scheinen selbst
ein wenig corrnmpirt, in einigen findet sich die richtigere Lese-
art erst in ^er neben CaUiUttaer Aasgabe, die der Hr. Vf. wohl
nicht schon benatzte. — Als Probe ron Hm. M's. Uebersotzang
' kann die Stelle von der Geburt ^er Sftvitri S. 6 dienen, welchen
oben fast ^Srtlich fibersetzt ist Sie lautet so:
Nach einiger Zeit Verlauf zeugte
Def Königy des Gelübdte froh, ^ '
Mit der ältetien pflichttreuen
Gemahlin eine Leibetfruchtj
Im Schoofi Malavis wuchi, bester
Der Bharata$j die' holde Fruchty ,
Wie dm heiteren Luftkreiee
Der Sierne Fürst an Glofue wachst.
Sie gebar mit der Zeit eine
Tochter mit Augen loiusgleich^
Die Bräuche der Cfeburtsfeier
Vollbrachte , froh der Mannerherr^
Sie war der Savitri Gabe,
Geopfert war der Savitri;
Drwn gab der Savitri Namen
' Der Vater nebst Brachmanen ihr.
Vnd anzHsehaum wie Sri lieblich
Erwuchs die Königstochter holdy
I Zum Ehebund heranreifte
Die Jungfrau in der Zeit Verlauf.
Wenn man die Schlanke, Goldgleiche,
Starkhüftige erscheinen sah,
So dachte manj herannahet
Ein gottentsjfrofsnes Wunderkind.
Doch sie^ die lotuslaubgleiche,
Die wie leuchtende Flammen warft
Erwählte sich zur Frau Keiner,
Ueberwälligt von ihrem Glanz, u. s, w.
worin man denn kanm etwas anders wünschen könnte, es sei
denn die Stelle: drum gab der S. Namen der Vater nebst fir.
ihr, d. h.: Savitri, so machten -darum aach die Brachmanen ihren
Namen, so der Vater. — Femer sollte im Anfange der Saperla-
tit gfishthA die älteste vielleicht nur durch: sehr, alte, wioder-
gegeben sein : der Dichter spricht wohl nicht von der ftltesten Fraaj
sondern thut nur des hohen Alters der Malavt Erwähnung, um
€as Wunder der S^ugung dadurch herauszuheben.
Wir nehmen zugleich Gelegenheit, einige der bedeutenderen
Abweichungen der Calknttaer Ausgabe zu besprechen. Auf den
ersten Seiten finden wir unter vielen Varianten nur eine etwas
orhebliche, niünlich I, 24b prativärita für prativ^ähita, welches
Hr. M. nicht eigentlich durch überwältigt, sondern durch zn-
rUckgesc hingen vriedergeben mufste. Vielleicht ist prati*
värkä, das gewohnlichere Wort für abhalten, zurUckscheuchen,
nur aus einem Commentare in den Text gekommen. S. U. 5a,
ipt die Leseart der C. jQrinu bhartAram jö* naJA vrita, i. e, audias
• • • •
. maritum, qui ab illa electns unstatt bhartä v/U J6 B. qui mari»
tus etc. grammatisch nicht unwichtig, noch dem Sprachgebranche
entgegen ; eben so findet sich . auch U, 22b das Richtigere nh
Dichtung.
^akja^ cAHvartitsim, wo das Nentmm ful^am bei Ropp sn ddshM
nnertriiglieh ist; dagegen b'eraht 11, iSa s^hhavai für söMovat H.
auf einem offenbaren Lesefehler» Das grofsere Metram, viemml
12 Silben w.s^ -y.s^w-^ v^^w —, welches Hr. Bf* S. VIE
kurz berührt, and gleichfolls immer wiedeigegeben hat| iat 111»
9o nnd 10a nicht richtig: die Calcutt Ansgabe lieaet dämm htm»
ler kaihan itauarhä vanaväsam (und nieitsjaU für das bessere
sdhüehjati, nnd zwischen sMuun und dmkham achirbt sie notb»
wendig ein ea ein, wodurch der Vers vollzählig wird. Auch hat
sie jadA fdr sadAi In der ersten Stelle, wo Hr. M. also fiberaetzt:
Wie aber, in Königspallast zu wohnen werth,
Soll Savitri Mühsal ertragen hier im Waldf
heilst es nun vielmehr:
Wie will doch diese deine Tochter, der Waldwohnen nicht
gerecht ist, in der Einsiedelei Milhsal ertragen f
Femer, anstatt:
Besitzes Lust, auch des Entbehrens herber Schnerx
Sind so wie mir, meiner geliebten Tochter kund,
vielmehr so: da Leid und Freude, mit dem Zustande des Seins
und Nichtseins (des Ueberflusses und Mangels) meine Tochter
untepicbeidet (kennen gelernt hat) und ich desgleichen, ziemt
an meinesgleichen eine solche Rede nicht' u. s. w. V, 29b ist
für samAgatam nothwendig sangatam zu lesen, so wie anch 53a
m^ fehlen muis,' beides. aus metrischen Kucksichten« In der na-
verständlichen Stelle V, 55b hat die Calcutt Ausgabe arögas iavm
nijagc'a für sthavanijas, man erwartete sonst etwa sthävtrAJufca.
V, 60a hat die Calc. ed. für varän vielmehr ntr. varam, so wie
dieses Wort auch in den früheren Stellen, wo es bei B. ab
Masculinum. sich findet, nur als Neutrum vorkommt, was pas-
sender scheint, obgleich das Masc. auch sonst wohl zn rechtfer*
tigen ist. Endlich die bei Bopp verderbte Stelle VI, 31ä vtdts
najäe'iram, wonach Hr. M. also übenletzt:
„Ich schlief, ich weifs nicht wie lange^
Dieses jedoch weifs ich bestimmt,
Dafs ich so lange nie früher
Geschlafen Jtäbe irgendwo"
ist mit naheliegender leichter Bessemng vidanaJA eirsnm zu le>
sen, wie ed. Calc. auch wirklich lieset, und keifst nun : geseU^
fen habe ich lange mit (vor) Schmerz (Instrum. des fem^ vddimä
Schmerz), das weifs ich ; und nicht habe ich früher irgeadvasn
so lange Zeil geschlafen.
Wir könnten nnn noch einige Stellen ausheben, in denen
wir Hm. M's. IJebersetzung aus anderen Gründen nicht billigen
mSgen, indessen brechen wir mit freundlichem Danke f&r die
dargebrachte auch fiuiserlich recht nett ausgestattete kleine Gabe
ab nnd können dem Verf. zum Schlüsse die Genugthunng nicht
versagen, dais uns das ganze Bfichlein schon um der Art seinor
Entstehung willen eine woblthiiende , erquickliche Erscheinnag
bleiben wird. Schon Über der Hälfte des Lebensweges stehend,
sagt der Verf. im Vorworte an Hrn. Prof. Bopp, äei er von dem-
selben zum Sanskritstiidium aufgemuntert, dem er sich akbaid '
mit Lust und Liebe ergeben. Und als erste Fmcht dieser Be*'
strebnngen dürfen wir die vorliegende Uebersetzung ansehen, die
gewUs so wie uns , jedem Leser' von Math nnd Ansdaner ein
erfreulicher Beweis sein wird. Albert Hoefer.
W 43.
J a h r b fi c h er
für
^wissenschaftliche
Kritik«
März 1840.
Grundsätze det KirchenrechtM der hatJtoligchen
und ettmgeUichen JReh'gtompartei in Deutsch-
land von Karl Friedr. Eichhorn.
Xtehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen
Konfessionen. Von Ferdinand Walter.
m
(FortsetzoDg.)
Dies icheint nun Alles «ebr plausibel und man
Icaim dem Verf. auch in dem beitreten, was er %. 32.
Amii. M. gegen die Annahme der unsichtbaren Kirche,
ohne allen Zusammenhang mit dem positiven Cbristen-
thum selbst^ geSufsert: denn auch nach dem evangeli-
achen Systeme wFrd ein bestimmter Konnex zwischen,
beiden Seiten der Kirche gefordert
Ist aber auch diese ganze Explikation der aner-
kannten Lehre der katliolischen Kirche gemäfsl Ist es
nicht vielmehr nach derselben mSglichi daPs die äursere
Mitgliedschaft aliein schon die Seligkeit bedingt t Nach
der protestantischen Ansicht ist die wahre sichtbare
Kirche diejenige, in welcher das Evangelium recht ge-
lehrt wird und die Sakramente recht verwaltet werden.
Den Beweis fSr die Richtigkeit in beiderlei Rucksicht
nelunen die Protestanten aus der heiligen Schrift selbst,
nicht aus menschlicher Autorität: denn sehr wahr erin-
nert Baur (der Gegensatz u. s. w. S. 469) ^Es ist nicht
einsusehen, was in der Behauptung Widersprechendes
sein soll, dals das Evangelium oder Wort Gottes ob-
jefctiv aus .sich selbst d. h. durch die inneren und äufse-
ren Grunde, die seine Göttlichkeit beweisen, oder durch^
das in demselben sich aussprechende Zeugnifs des hei-
ligen Geistes, und das ihm im Innern des Menschen
entgegen kommende Zeugnifs des Geistes in seiner Gött-
lichkeit soll erkannt werden können.'* Ob aber die Mit-
gUeder der sichtbaren (protestantischen) Kirche wahr-
haft Gott angehören, darüber entscheidet nur Gott selbst,
der das Herz jedes Einzelnen pritft.
Dagegen ist nach katholischer Ansicht nur dieje*
Jahrb. /. irtMentcA. KtiHk. /. 1840. I. Bd.
nige sichtbare Kirche die wahre, welche zusammenhängt
mit dem Episkopate, als der lehrenden Kirche, wielche
durch konstante Succession unmittelbar von Christo und
den Aposteln allein zum Besitze des rechten Geistes,
der wahren Tradition , des rechten Yerständnisses der
heiligen Schrift gelangt ist u. s. w., weshalb auch nach
Ae\ Professio fidei Tridentin. jeder in ein religiöses
Amt Tretende den Eid dahin lebtet : „Sacram scriptu-
ram juxta eum/sensum, quem tenuit et tenet sancta
Mater Ecclesia, cujus est judicare de vero sensu et in-
terpretatione sacrarum scripturarum , admitto , nee eam
unquam nisi juxta unanimem consensum Patrum acci-
piam et interpretabor." Die dem infallibeln Episkopate
angehörigen, mit demselben durchaus verwachsenen Bi-
schöfe sind nun schon als solche begriflEsmäfsig gehei-
ligt und für sie kann der Unterschied der siclitbaren
und unsichtbaren Kirche keine Bedeutung haben. In
ihnen ist konkret die sichtbare und unsichtbare Seite
der Kirche verwirklicht, da ihr Amt und die damit ver-
bundene Autorität sie zu walurhaften GKedem der Kir-
che macht. ' Folgeweise wird aber auch für Laien, wel-
che vollständig der Autorität und Lehre des Episkopats
sich anschliefsen, ebenfalls die wahre und unbedingte
Mitgliedschaft der Kirchs in Anspruch genommen wer-
den dürfen und überhaupt der ganze Unterschied der
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Kirche aufzugeben
sein, wenn nicht die Lehre von der Autorität des Ej^is-
kopats untergraben werden soll, und dies um so mehr,
als es auf den Glauben und nicht auf die Sittlichkeit
ankommt: denn so erklärt Leo XII. den Antikonkorda-
tisten der Diöcese Poitiers in dem Erlasse vom 2.^ Juli
1826 „quisquis a oatholica ecclesia fuerit separatus,
quantum übet laudabiliter se vivere iexistimet, hoc solo
scelere, quod a Christi unitate dbjunctus est, non ha-
bebit Wtam, sed irä Dei manet super eum." Da die ca-
thoUca ecclesia aber die uoa sancta et ^ apostolica ist,
von der Bo'nifacius YIII. spricht (c. 1. Extrav. comm.
43
339 Kirchs
de majorit e| obecl. (I, 8.)), so liegt in dem- Ausspru«
ehe Leo's ^L nichüi anders, als in dem von Bonifacius
^^Subesse Romano Pontifici omni humanae creaturae • ••
omnino es^ de necei|3itate salutis." Hieraus ergiebt
sieh aber auch, inwiefern der bisher erwogene Unter-
schied sowohl für die Erde, als jenseits gleich wichtig
ist: denn der Papst spricht ja denen, die -nicht schon
hier zur katholischen (d. l romischen) Kirche gehört
haben, das Leben d. h. doch das ewige Leben, die 8er
ligkeit ab, und mag also Hr. Walter sehen^ wie er
seine mildere Gesinnung mit der Lehre der Kirehe aus-
gleiche. Diese scheinbare Milde wird dahin gefafst (^.
IL a. E.), dafs indem die Kirche im Bewufstsein. ihrer
Wahrheit den ihr widerstrebenden Irrthum als einen
Abfall, von .Cliristus entschieden verdammt, 'sie doch
über din einxelnen Irrenden nicht richtet, sondern
gleichwie sie neben der Taufe des Wassers auch eine
Taufe durch das Yerlangen anerkennt, sie es der Be-
urtheilung Gottes anheim stellt, diejenigen, welche nach
dem Maafs ihrer Kräfte nach der Wahrheit gestrebt
' und unverschuldet dem Irrthum angehangen haben, noch
jenseits in die Gemeinschaft der Heiligen oder der trium«
phirenden IQrche aufsunehmen.
Da der Gnindsats „extra ecclesiam romano - catho-
licam nulla salus," welcher in der schtoffsten Form auch
in der neusten Zeit von Pius YIII. und Gregos XVL
mehrfach wiederholt worden ist, vielen Anstofs erregt
hat, so werden allerlei Auswege und . Interpretationen
versucht, die indessen bei näherer Beleuchtung als nicht-
romisch erscheinen. Man ist aber nicht damit zufrie-
den, die römisch-katholische Kirche zu rechtfertigen,
sondern wirft das ihr Aufgebürdete nun auch der evan-
' gelischen Kirche selbst vor^ So wird mit Bezugnahme
auf die Münchner historisch -»politischen Blätter B. IL
H. IX. S. 505 Mg. 525 in der Tübinger katholischen
Quartalschrift 1838 H. IT. S. 769 folg. erklärt: „der
Satz, dafs die katholische Kirche auch individuell ver«
dainme, hat in dem katholischen Systeme gar keinen
Platz« Er findet seine Stelle nur und hat sie auch
nothwendig in derjenigen Kirchenlehre, welche den
Lehrsatz von der absoluten Prädestination behauptet.
Denn nach diesem Lehrsatze geht die gottliche Erwäh-
lungy wie die Yerwerfung sclilechthin und ohne weite-
res auf diesen und jenen, überhaupt auf die Individuen
als solche und ohne alle Rücksicht auf ihr eigenes
Wollen und Streben, ohne alle Berücksichtigung ihres
n r e e h t. 340
seitlichen Verhältnisses überhaupt, insoweit dasselbe
durch den Gebrauch ihrer Freiheit bedingt und be-
stimmt ist. Diesem Lehrsatz nun ist bekanntlich die
reformirte Kirche zugethan, und die protestantische we*
nigstens weit mehr als die katholische."
Es würde uns von unserm Plane zu sehr entfer»
nen, wenn^ wir uns auf eine nähere Prüfung diesa
Sätze einlassen wollten : daher nur die Bemerinuigf
dafs ja auch die Prädestinationslehre nur Gott und
nicht einen sündhaften Menschen über Heil und Lcbco
bestimmen läfst und die Berufung selbst nieht auf die
protestantische Kirche beschränkt, während in der ka^
tholischen Kirche die Prädestination eine absolute val
allgemeine bt, da nach der Erklärung des unfehlharea
Episkopats das Verbrechen allein, nicht Mitglied der
katholischen Kirche zu sein, schon die Seligkeit entzieht
Die Wichügkeit der Sache und die RüeksieU, dals
Hr. Walter sich nicht immer streng an den Lehrbegriff
seiner Kirche hält, nöthigt uns zu dieser < Betrachtuiig.
Wir kehren nun aber zu der Behauptung zurfiek, dab
„die Würde und Grofsartigkeit des Stoffes gewinne,
je hoher und weiter der Gesichtspunkt ist, den man
dafür, wählt." Diesen angeblichen Gewinn können wir
nicht zugestehen: denn der Stoff hleibt hier immer
gleich grofsartig und würdig. Höchstens können wir
anerkennen, dafs die Ausdehnung der Aufgabe das In*
teresse zu steigern im Stande sei, wenn nur dahri auch
die Ausführung, bei der gröfseren Reiehhaltigkeit des
zu verarbeitenden Materials, nichts an der erforderÜ*
eben Gründlichkeit eingebüfst hat. Auch in dieser Hin*
sieht wollen wir. beide Werke vergleichen.
Eichhorn hat ein dem Umfange nach begrenst^fes
Thema übernommen, dieses aber auch mit einer Voll«
ständigkeit behandelt, welche wohl wenig zu wünsehea
übrig läfst Das katholisclie Kirchenrecht, dem ee frei«
lieh auch sonst nicht an trefflichen Darstellungea fdilt,
ist in erforderlicher Fülle dargestellt worden. Wenn
schon für diesen Abschnitt des Handbuchs, so ist doeh
das betheiligte Publikum dem Hm. Yerf. noch bei wri*
tem mehr d^für zu wahrem Danke verpflichtet, dab
auch dem evangelischen Rechte die ,nöthige Sorgfalt
zugewendet und die gebührende AusfuhrUehkeit zu Theü
geworden bt. Gerade hier bestand bbher für die Lite-
ratur eine sehr fühlbare Lücke und es fehlte eigentUeh
durchaus an einer der Bedeutsamkeit der evangelisoheD*
Kirdie entsprechenden umfassenden Entwiokelung des
Mi
K i r 9 A ^
r e e h t*
34Ü
leehtfiefaeli Zustand« deraelten. Srit J. H» BShmer,
allenfalls aueh dessen Sohn Georg Ludwige und dem
an nieht wenigen Fehlern und Mängeln laborirenden
Handbuehe von Wiese ist fukr das evangelisehe Kir«
ebenreeht in seiner Totalität bis auf Eichhorn fast gar
aiehts geleistet wordenl Der Yerf. hat daher das gro«
ise Verdienst, durch ein tieferes Eingehen in die Quel-
len die Principien des evangelischen Kirchenrechti fester
begründet und ein gediegenes System zu Tage geför«
diert SU haben. • -
Indem Walter dagegen sein Lehrbuch als ein alle
ehristliehe Konfessionen in sich aufnehmendes ankün-
ikgt^ giebt er uns keineswegs, was wir hiernach bu
erwarten uns für berechtigt halten müssen. Das ka«
diolische Kirchenrecht wird im Ganzen, den Grensen
eines Lehrbuclis gemäfs, in einer gewissen Vollständig«
k^ dargestellt, während das griechische und.evange«
lisdie meistens nur einen mehr oder weniger geringen
Anhang dazu bildet. Ueber das griediische Recht äu*
Isert der Yerf. selbst : „das kirchliche Recht des Ojrients
ist nach>der Beschaffenheit der Quellen einer sehr ge*
Bauen und susammenhäogenden historischen Bearbei»
long fähig. Hier mufste jedoch der Verf., um die ge*
hörigen Grenzen nicht zu übersehreiten, bei den Haupt-
punkten stehen bleiben, und nur in einigen Fällen,
namentlich bei gewissen Theilen des Elherechts, ist die
Ausführung mehr ins Einzelne gegangen." In den frü-
heren Ausgaben verspricht Hr. Walter ein- eigenes
Werk über das grieciusche Kirchenrecht Er scheint
jedoch später diesen Plan aufgegeben zu haben, was
wir sehr bedauern. Möchte ersieh dazu entschliefsen,
in den folgenden Ausgaben das grieciusche Recht lie«
ber aussuscheiden und den dadurch gewonnenen Raum
benutzen, um dem stiefmulterlich behandelten evangeli»
sehen dne verhältnilsmäisige Ausdehnung zu gewähren.
In beiden Werken vermissen wir ungern eine Dar-
stellung des Kirchenrechts der kleineren protestanti-
•chen Parteien.
Heak Plan nach erscheint nach diesen Bemerkun-
gen d^s Handbuch von Eichhorn als abgerundeter und
vollendeter, und wir sind überzeugt, daCs dasselbe,
wie der Verf. bezweckt „für eine Einleitung in das
particuläre Kirchenrecht gelten kann" (S. IV). Indes-
sen hätte zu dem Behufe, ähnlich wie es in der Einlei-
tung in das deutsche Privatrecht geschehen, eine rei-
chere Berüoksiohtigun^ des Partikularrechts selbst statt«
finden konnem denn die Abweichungen desselben iii
solchen Lehren, die in der katholischen, Kirche nanient-
lieh nicht durch die Einheit des Dogma sich überein«
stimmend gestalten müssen, sind viel gröfser und man-i
nigfaltiger, als man gewöhnlich anzunehmen pflegt«
Man denke nur an die geistliche Gerichtsbarkeit f die
Patronat- und Zehntverhältnisse, den Kirchenbau u. s. w«
Die Quellen daßir sind auch in der neueren Zeit viel
zugänglicher geworden, und man darf sich was z. B»
Preufsen betrifft, nicht mehr auf Bielitz und den fehler^
und lückenhaften Nachweis von Scholl zu Schenkl bcr
schränken (s. Walter ^. 57. not. y.) , da durch diQ
Fürsorge des Justizministerii für Gesetzrevision die Ent-
würfe der Provinziahreclite in zum Theil ausgezeichne-
ten Bearbeitungen jetzt yorliegen. Auch hätte eine
speciellere Berücksichtigung der Literatur tvohl erfol-
gen können, wenigstens was Monographien betrifft:
denn, wenn Eichhorn erklärt, er habe, da sein Bestre*
ben durchaus auf Entndcklung aus den Quellen gerich-
tet war, selten andere Schriftsteller angeführt, wo es
nicht aus besondem Gründen nothwendig war, wie
wenn eine durchaus irrige Ansicht ^u rügen oder der
Vorwurf abzulehnen war, dafs der Grundsatz von ei^
nem Katholiken nicht zugegeben werden könne, weil
sonst unsere Literatur an Bachern, wo sich weitere
Auskunft findet, reicher sei als an solchen, die sich* mit
der quellenmäfsigen Eutwicketung der Gruhdsätze be^
fassen (I. S. 'Vli. VIII) \ so ist doch gerade in einem
so ausführlichen Handbuche eben auch ein Nachweis
der wichtigeren Literatur und HUfsmUtel selbst durch*
aus wüuschenswerth, ja nothvvendig^ Walter's Lehr**
buch hat in dieser Beziehung in den neueren Editi<men
sehr gewonnen.
Die Form :der Darstellung ist dem verschiedenen
Charakter beider Werke ganz angemessen. Walter's
£til ist mehr compendiarisoh , aber würdig und edel,
und mifsbÜligen können wir nur die h^be, höchst per-
sönliche Polemik gegen Eichhorn, die, wenn auch in
dieser neuen Ausgabe etwas gemildert (m. vergl. z. B.
ed. TIL S. 12 mit ed. VIU. S. 12 — S. 13Ö mit 8. 137,
S. 171 not. m mit S. 166 not. k) doch um so weniger
tadellos ist, als sie zum Theil auf konfessionellen Dif-
ferenzen beruht und welche wir, als das Lehrbuch ver-
unstaltend, künftig völlig ausgemerzt wünschen inüssen.
3i3 K i r e h 0
HinslcbtUcli einiger mehr rein wissensohardichen Punkte
werden wir weiter unten zu ermitteln suchen, auf wes«
•en SMte sich das. Recht befindet. Eichhorn schildert
mehr expliicativ, wie es bei einer in*s Detail eingehen«
den Darstellung nicht anders erwartet werden konnte,
ToUer Klarheit und Ruhe.
Ueber die Yertheilung und systematische Anord-
nung des ganzen 'Materials (yergL Eichhorn I, S. V —
YII S. 451-^454 Walter |. 6.) werden im Einzelnen
nach dem Standpunkte des Schriftstellers immer ge-
i;visse DiflEerenzen erklärlich erscheinen. Im Ganzen
finden wir beide Autoren in Uebereinstimmung, indem
in der Hauptsache 'die Scheidung von personae, res,
actiones leitend geblieben ist. Es entsprechen sich da-
her bei beiden Buch I. u. II. die geschichtlichen Tor-
kenntnisse und Quellen, bei Eichh. Buch III., Walter
Buch IIL u. V. Yoik der Kirchengewalt und den kirch-
lichen Personen, bei beiden Buch lY^ von der Ausübung
der Kircbengewalt nach ihren einzelnen Zweigen, bei
Eichh. Buch V. u. VI., Waher Buch VII. von der Re-
ligionsübung und den besondern Instituten, welche sieh
auf die wiUl religiosa beziehen, bei Eichh. Buch YIL
Walter Buch YI. von den Kirchengätern. Dazu kommt
noch bei Walter ein achtes Buch : von^ Einflüsse der
Kirche auf die weltlichen Rechte.
* Indem wir es fUr minder erspriefslich halten, die
Gliederung' der einzelnen Bücher selbst noch weiter zu
mustern, wenden wir uns zur Betrachtung des Mate-
rials, wobei wir. die Geschichte der Bildung Jind Yer-
fassung der Kirche, die Geschichte der Quellen und das
System des geltenden Kirchenrechts einzeln ins Auge
fassen. Wir werden uns dabei vorzugsweise auf sol-
che Lehren beschränken, in welchen wir beide Verfas-
ser in GegensBtzen begriffen finden.
Eichhorn beginnt «eine Untersuchung mit dem Ur-
sprünge der Kirche, und indem er die verschiedenen
Bedeutungen des Ausdrucks feststellt, erklärt er S. 6
Anm. 7 „das Wort kommt ohne Zweifel von Ki/^icr-
%6v. Wie das griechische Wort in die germani-
schen Sprachen geköiumen ist, bleibt zweifelhaft." Rec.
hat in seinen kirchenrcchtlichen- Versuchen, Beitrag I.
Königsberg 1831 sich die Aufgabe gesetzt, diesen Ge-
is r tf 0 A /. 314
genstand möglichst aufsukUfaren« Er hat sich für 'des
griechischen Ursprung ebenfalls entschieden, muls abei
noch jetzt darauf aufmerksam raaehen, dab Graff im
althochdeutschen Sprachschätze IV, 481 sich eher fSr
die Ableitung aus dem Deutschen su erklären geneigt
ist, aus, wie mir scheint, durchaus ungenugendoi Gran»
den. Was aber die Uebertragung des Griechischen Ina
Deutsche betrifft, f^Q hängt dieselbe mit dem Verhak'«
nisse Deutschlands zu Britannien zusammen. Die brit-
•
tische Kirche stand mit dem Orient seit dem trierlen
Jahrhundert in einer sehr lebhaften Verbindung, wie
wir namentlich auch daraus entnehmen können, dab
briltische Bischöfe den griechischen Synoden beiwohn*
ten, was die Subscriptionen der Synpdalakten ergeben«
Diese Verbindung finden wir auch im siebenten Jahr^
hundert anerkannt und durch einen geborenen Griechen,
den Erzbischof Theodor von Canterbury, (668 — 690)
noch besonders erhöht. Durch seine und des Abts Ha«
drian Vermittlung war die griechische Spradie dem
Clerus sehr geläufig geworden, so dafs auch apater
noch, wie^ uns Beda (f 735) berichtet (historia eocL
gentis Aftglorum Hb. IV. cap* 2.)^ das Griechische wohl
bekannt blieb („indicio est, quod usque hodie super-
sunt de eorum (Theodori et Hadriani) discipulis, qnl
Latiuam Graecamque linguam aeque ut propriam, in
qua nati sunt, norunt"). Aus der griechischen KirthoK-
spraehe ward daher auch das Wort uvQtaxdp reeipirt^
ja vielleicht gerade von Theodor selbst eingeführt. .Da*
her findet sich im alten Englischen (Angelsächsisch^
das Wort cyrice bereits im Gebrauche. Berücksiehti-
gen wir nun, wie von Britannien aus Deutschland diri*
stianisirt wurde und achten wir zugleich auf die seit
der Zeit der brittischen Missionen öblichen deutsehen
Formen chirihha u. s. w. (Versuche I, 95 folg.), weL
che sprachlich nothwendig aus dem Angelsachsischen
abzuleiten sind, wie dies mit Bezugnahme auf Grimm
von mir bewiesen worden, so dürfte der von Eichhorn
erhobene Zweifel unbedenklich beseitigt sein: denn
Eichhorn irrt, wenn er Keroecdesia nur durch sama-
nanga Sbertragen läfst, da derselbe vielmehr bereits
chirihh u. s. w. kennt
(Die FortsetzoDg fo^t.)
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik.
März 1840.
Ortmdsätze des Kirchenrechts der katholischen
und eeanfeiischen' Religionspartei in Deutsch--
iand von Karl Friedr. Eichhorn.
Lehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen
Konfessionen. Von Ferdinand Walter.
(Fortsetzung.) ,
An den Ursprung der Kirche knüpft Eiolihom dicT
JBttlstebung des Episkopats, des Klerikats, der kirchli-
eben Verwakungskreise u« s. w., wobei wir ihn mit
Walter in der bedeutendsten Diflferenz finden. Eine
Versöhnung ist hier aber swischen denen, 'die eine freie
Forschung anstellen und ohne vorgefabte Meinung blos
aus den Zeugnissen des AlterUiums ein Resultat zu'ge*
winnen bestrebt sind, und denen, welche durch die
kirchliche Decision sich für gebunden erachten, nicht
wohl möglich. Diese Decision liegt aber besonders im
Tridentinischen Concil, welches Sessio XXIII. cap. lY.
de sacram. ordinis deklarirt „praeter ceteros Ecciesia-
sticos gradus, Episcppos, qui in Apostolorum locum suc*
' oesserunt, ad huno hierarchicum Ordinem praecipue per*
tinere, et positos, sicut Apostolus ait, a Spiritu Sancto,
regere Ecclesiam Dei eosque presbyteris superiores
esse.'' Nach seinem Standpunkte ist Walter daher nur
' darauf bedacht, dieses gegebene Resultat zu recbrferti*
gen, wobei denn die Autorität eines Hieronymus u. s. w»,
wie oben in Beziehung auf diesen Punkt bemerkt wurde,
einfach zurückgewiesen wifd. Auch die neueren For-
schungen von^Rölhe, Baur (über den' Ursprung des
Episkopats S. 66 folg. 84 folg.) können das Torausge*
setzte Faktum, natürlich nicht zweifelhaft werden las«
sen. Die einzelnen von Walter S. 18. 19 not. k auf«
geführten Grilade sind aber in der That ziemlich schvacb*
Attlser den schon berührten wollen wir nur noch sei«
ner Deutung der iStelle des Clemens Romanus epbt. I.
ad Corinth. e. 42. 44. gedenken. Da dieser nämlich
nur inienönoi und diauovoi als von den Aposteln einge-
Jakrb. f. wi$i€n$ch. KnÜk. J, 1840. I. Bd.
setzt erwähnt, so wird erinnert, dafs damals das bi-
bischöfliche Amt noch von den Aposteln selbst gehend-
liabt wurde. War denn aber Clemens nicht selbst Bi-
schof? Waren nach . der Tradition nicht bereits nach
Petrus (t 66) Linus (f 78) und Cletus (f 91} als römi-
sehe Bischöfe vor Clemens eingesetzt! — Wo bleibt
femer bei Clem^ens ein Ort für die Apostel, wenn nach
der von ihm 1. c. cap. 40. angestellten Parallele der
jüdischen und christlichen Oekonomie 6 agpi^ivg Chri-
stus fclbst ist (vergl. cap. 58.), o^ Ugitg die Bischöfe
(d. h. die Presbytereii) und oi XdvXiat^ die Diakonen aber
darstellen t -^
Indem Eichhorn den nrsprüngliehen Unterschied
der Bischöfe und Pre$byteren, und wie uns scheint,
mit Reeht negirt, läfst er auch das Ordinationsrecht
erst später ein den von den ^Presbyteren gesonderten
Bischöfen zukommendes Vorrecht werden (a. I. S. 15.
24 u. aO* Er bedient sich dabei des Ausdrucks sacer-
dotium, als gleichbedeutend mit „die Presbyter und der
Bischof," also die verwaltende kirchliche Behörde, und
bezieht auch später d^s sacerdotium, im Unterschiede
vom ministerium (I, 465;), auf alle priesterlichen, abo
dem Bischöfe und den Presbyteren als sacerdotes zu-
stehenden Funktionen. Dagegen bemerkt Walter S. 27
not. m „Eichhorn hat die eigentliche Bedeutung des
sacerdotium und dessen ausschliefsliche Beziehung zum
Opfer nicht recht verstanden und aus der Gleichheit
der Bischöfe und Priester im Sacerdotium fälschlich
den Schluls gezogen, dafs sie sich ursprünglich auch
in Beziehung auf die andern sakramentalischen Ter-
riciitungen gleich gewesen sein müfsten." Indessen tbut
Walter hier Eichhorn in der Sache selbst Unrecht:
denn aus der genetischen Entwicklung der kirchlicben
Zustände im Ganzen und des Presbyterii im Besondern
gehen die Resultate bei Eichhorn hervor und es ist
eben eine petitio principii Walter's, dafs schon voii
Beginn her die Scheidung der bischöflichen und pres-
44
347 Kirche
byieralen Funktionen . stattgefunden habe. Der Aus-
druck, sacordotiuin selbst hat ja überdies audi nicht
früher die blofse Beziehung^ auf das Opfer, obgleich . wir
freilich aus dieser den Ursprung des christlichen Prie-
sterthums selbst durch Uebertragung aus de^ Organi-
sation der Sjmagoge herzuleiten haben dürften. Auch
spricht Walter mit Unrecht von ^^andern sakramenta-
lischen Verrichtungen:" denn die Ordination ist es zu-
erst allein, welche von sakramentalischen Handlungen
dem Bischöfe reservirt ward. Die von ihm S« 27 not« i
cit. Stelle von Chrysostonius (homil. XI in I. Timoth.
III, 8.) beweist dies ,fT$ yo.^ %ii^ovofl'q. (Advtj hng-
ßtßifxQiaiy xal tovxo fidvov doKOvainktovixTtlv tovg n^ia»
ßvxiQov^^^ wozu noch der schon oben erwähnte Hiero*
nymus ad Evangelum ,,quid enim facit, excepta ordi-
fiatione^ episcopus, quodpresbyternon faciat? kommt *^)
—* und selbst in dieser Hinsicht hat sich auch noch
später mitunter die ältere Praxis erhalten, wie wir dies
z. B. von der altbrittlsciien Kirche wissen (vgl. Foigt
de presbytero legitimo ordin^tionis roinistro. Munter
über die ursprüngliche Identität der Bischöfe und Pres-
byteren und über ^e bisch5fliche Ordination: in den
theolog. Studien und Kritiken 1833« H. III. S. 750 folg.
760 folg.). Zu diesen »ndem sakram« Verrichtungen
wird der Yerf. die Consignation (Firmung) um so we-
' niger zählen können : denn wir konnten ihm Stellen aus
Ambrosiastes, Hilarius Pictav. u. s. w. dagegen anfüh-
ren, die ihm selbst nicht unbekannt sein weHen. Die
alte Praxis hierin besteht ja auch noch in der griecbi-
, sehen Kirche Und die lateinische läfst aufserordeutli-
cher Weise auch Presbyteren zu (a. Walter selbst
f 275.).
Höchst gründlich und ansprechend entwickelt Eich-
horn die Bildung der kirchlichen Verfassung, und nur
. Einzelheiten sind uns dabei aufgefallen.. So \venn die
Behauptung aufgestellt wird (I, 29.), dafs die Landge-
meinden immer von den Städten aus gegründet seien:
denn dagegen spricht bereits Clemens Itomanus cpist. I.
ad Corinth. cap. 42., nach welchem schon die Apostel
Kora %^a^ xai n6i,tig^ Gemeinden begründet haben) was
*) Anf diese und andere Stellen stiita^en sich übrigens katho-
lische Schriftsteller, um aus dem System des Hieronymus
gelbst den ursprünglichen Unterschied der Episkopcn und
Presbyteren zu erweisen, und übersehen, dafs in solchen Stel-
len von dem VerhUItnisse die Rede ist, wie es zur Zeit des
Hieronymus bestand.
n r e c h t. 318
auch die späteren geschichtlicben Verhältnisse seUist
näher erhärten. Mit Rücksicht hierauf erklärt sieh>auch
eine Yerschiedenheit in dem Zustande der Landbischofe,.
iyelche einen selbstständigen Ursprung genommen, und
derer, welche vom städtischen Presbjrterio aus eingeeetst
worden waren« Der Ausdruck iioUfiotgj den der Yerd
für gleichbedeutend mit dem im Ocoidente üblich ge»
wordnen provincia auf den Metropolitensprengel bezietit
(B. L S. 31), bezeichnet vielmehr den aus mehreren
Provinzen (feraf^/ai s. c. 9. Conc. Antiochen. o« 9*. 17.
Conc. Chaicedon.) gebildeten Sprengel des Patriarelica
(vergl. Zooaras ad c. 6. Conc. Constantinopol., Balsa-
men ad c. 9. Conc. Chaicedon. bei Beveregius 1, 95. 122.),
(fixe verschiedene Ansicht, welche beide Sclirift-
steller über das Wesen und die Nothwendigkeit des
kirchlichen Primats l^aben, konnte nicht ohne Einflufs
auf die geschichtliche Entfaltung desselben bleiben,
wohl im Allgemeinen, als in der Anwendung auf ec
seine dem apostolischen Stuhle überwiesene Yervai*
tungszweige, namentlich rücksichtlich der päpsdldMn
Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung. Wenn gleieh der
Unterzeichnete schon bei der früheren Beurtheilung eK
nige hierher gehörige Punkte nicht unberührt gelas*
scn, so kann er doch nicht umhin, dieselben nochmals
in besondere Erwägung zu ziehen, da Walter die neue
Ausgabe in dieser Materie fast durchaus unverändert
gelassen hat.
Die dogmatische Darstellung hat hier bei Walter
den erforderliehen Zusammenhang, während das Ge^
schichtliche mehr in eiüzeluen an verschiedenen Stellen
vorkommenden Andeutungen besteht und besonders bei
der Entwicklung des Systems von Pseudo-Isidor be*
röhrt ist (s. f. 20. §. 89 folg., insbesondere |. 92. u.«
a. m.). Eichhorn giebt dagegen eine continuirlicb-gene*
tische Abhandlung (I, 65 folg. 140 folg. 168 iblg.).
Walter geht davon aus, dafs Christus bei derSdfr
tung der Kirche „Einen unter seinen Schülern mit
besonderm Nachdrucke als den besondcm Grundstein
bezeichnete , und dadurch aussprach , dafs die Kirche,
um bei ihrer Allgemeinheit ihre innere Einheit zu be-
wahren, einen äufseren sichtbaren Mittelpunkt anerken-
nen mü^e« Es war also die Kirche schon in ihrem
Ursprung als ein einheitlicher Korper gesetzt, dessen
Glieder durch die Apostel über alle Völker verbreitet
in der Verbindung mit Petrus und sefaien Nachfolgern
ihre Einheit haben sollten. Da nun Petrus seinen
349
Kirche
fiafuptsits tu Rom erwiblte und dort den MSrtyrcrtod
erlitt: so wurde der apostolische Stuhl su Rom als der-
jenige anerkannt, auf den die Einheit der Kirche ge-
gründet ist, und mit welchem alle Glieder übereiostim-
men müssen" (4. 10. vgl. ^, 11. 15. 17.). In der Deu-
tung der Stellen der heil Schrift und der Kirchenvä-
4
ter,- auf welche man gewöhnlich zur Regruodung die-
ser Sätze Bezug nimmt, weichen Katholiken und Pro-
testanten natürlich von einander ab und so lassen wir
billig dies hier anerörtert. Was insbesondere Irenaeus
eontra haeres. III, 3. betriffi, so ist> abgesehen von der
Interpretation einzelner Ausdrucke, jie Erklärung WaK
ter's mit der von Gieseler (Kircheng^sch. I. f. 50. not. b)
nicht im Widerspruche, und diese halten wir noch im-
«er (tir ansprechender, ab die z. B. von Pelt in den
wissenscbaftL JahrbQchern 1834. B. II. nro. 8. S. 60.
61 versuchte: „Wegen ihres besondern Ansehns müs-
sen die Gläubigen aus allen Gegenden sie besuchen
und so wird von den Christen aus allen Gegenden hier
die apostolische Tradition erhalten**, wobei gerade das
ÜVesentliche unbeachtet gelassen ist, dafs die apostoli-
sefae Tradition sich schon ursprünglich in Rom befun-
den habe und noch befinde (wie Irenfius will). — Da
Walter mit neueren katholischen Schriftstellern, insbe-
sondere mit 'Mdhler der Ansicht ist, dafs der Primat
in seiner Nothwendigkeit feststehend, doch erst in der
Zeit sichtbarer hervortritt, in welcher die Zerrissenheit
der Kirche sein Einschreiten nothwendig macht, so
übergeht er die älteren für dessen Wirksamkeit von
manchen angeführten Tbatsachen und hebt erst diejeni-
gen hervor, in denen schon bestimmter sein Wirken
soll erkannt werden können. ,Dies bt freilich bequem,
aber auch nicht unklug: denn man vermeidet dadurch
den Bericht von Ereignissen, die eher gegen den Pri-
mat in der älteren Zeit überhaupt sprechen würden,
wie in den Streitigkeiten über die Osterfeier, Kelzer-
taafe n. s. w., wobei denn unter andern die Bezug-
nahme des Bischofs Stephanus von Rom auf die allei-
nige successio Petri als eine „aperta et manifesta stiil- .
titia" zurückgewiesen wird. Indessen soll doch der
Primat einmal die Basis von Anfang an gewesen sein
und auf ihn wird dann die verpflichtende Kraft der ro-
mischen Dekrete zurückgeführt. Walter bemerkt jdar-
über §. 80. not. u. ^. 92. not k, .d%fs schop Siricius
und. noch bestimmter Leo I. sich deshalb in ihren Er-
lassen ausgesprochen hätten.
n r e e A t. • 350 ;
Um zu sichern Resultaten zu gelangen, müssen wir
den •Entwicklungsgang des kirchlichen Rechts seit Be-
ginn her verfolgen. Dies ist bei Walter, dessen Ge-
schichte der Quellen selbst wir übrigens für höchst
gediegen anzuerkennen haben, leider nidit in dem rech- '
ten Umfange geschehen: denn weder reicht in dieser
Beziehung der Nachweis der> allgemeinen Beschaffen-
heit der Quellen (4* 53 folg.) hin, noch können wir
das im §. 1. über die Bedeutung von canon Bemerkte
für irgend genügend halten. ' Daher erscheint Eichhorn's
treffliche Ausführung über die Bildung ui^d eigentliche "
Bedeutung eines cänon (B. 1. S. 32 folg. 44 folg.) um
so dankenswerther. Die Bedeutsamkeit des Gegenstan-
des fordert indessen einiB nähere Beleuchtung.
In der Kirche befolgte man Anfangs die Vorschrif«^
ten des alten und neuen Testaments nebst der Tradi-
tion (der Ausdruck nagadomg, traditio evangelica wird
von beiden gebraucht, M. s. nur Suicer thesaurus
ecci. unter diesem Worte und verbinde damit Irenaeus
adv. haereses I, 10. 'HI, 3. c. 12. Cone. Carthag. a. 348
s. a.)* Auf naturgemftfsem Wege /durch Gewohnheit,
Autonomie u. s. w. bildete sich dann das Recht weiter
aus; jedoch mit stetem Anschlufs an die na^ddoaig, als
evangelische Wahrheit. Die Uebereiustimmung mit der-
selben entschied über die Autorität eines Grnndsatses,
eines navmv (vergl. &i!9#^/?f*^ Kirchengeschichte I. §• 50,
not f., V, Ikrey. neue Untersuchungen über die Konsti-
tutionen und Kanones der Apostel S. 383 folg.): denn
da die Lehre der heiligen Schrift zunächst selbst ein
«oycoy ist und genannt wird (Suicer s. h. v.), so konhte
dieses Prädikat auch Anordnungen zu Theil werden,
welche auf der Schrift beruhen. Charakteristisch ist
in dieser Hinsicht der Sprachgebrauch bei Basilius von
Cäsarea (in Psalm. LIX.) „T^ ^arct ro iiayyCUoit ccx^«-
l^eux %av()vl%iiy %i\v nohrttavJ* Schriftgemäfse Ericlä- ,
Hingen der Täter heifsen darum canones und werden
als solche von der Kirche recipirt. Dies gUt beson-
ders von den auf einer Synode, als einer Gemeinschaft,
durch welche die Kirche repräsentirt wird,, erlassenen
Satzungen, und zwar seit dem vierten Jahrhundert, ^wie
Eichhorn richtig erinnert (S. 35). Was derselbe vom
Nicänischen Concil bemerkt „dessen SclJüsse die ersten
waren, welche als Gesetze für die allgemeine Kirche
galten und daher alsxanones betrachtet wurden" findet
noch besondere Bestätigung in der Aeufserung des
Sozomenus (bist. eccl. I, 23.) über dasselbe ,/H di aCv"
361 K i r.e A e
cöo^ inavoQÖ'äaoU' tov ßiov anovda^ovaa vtBr ne^l toi
iKnXrioUig 3iavfiß6vr(»v^ i&txo v6\A0vg^ oSg xavovag orih-
(Au^ova^i^ und des Socrates (I, 13.) ^^iyygatfiavtkg &
9tay6vag SfOfiäl^t^tif ild^aotv^. In gleicher Weise
konnte selbst die Erklärung und das Gutachten eines
Einseinen durch Aeeeption zum canon erhoben wer»
den* Statt vieler wollen wir nur des üasilius hier ge-
denken^ da das üher ihn uns Berichtete fiir die Bildung
des Sprachgebrauchs von Bedeutung bt« Schon Gre-
gor von Nasianz, ein Zeitgenosse des Basilius, nennt
denselben (epist 28. (al. 38.) ad Simplicium haereticum)
^Tj& t);; nUfwo^ igtiafna, rov rJjg äXt]&(i€CQ »av6va nai %a-
^axT^^a T^fc; Ixx^i/iTMrs"; daher konnten auch aus seinen
Schriften canones entnommen werden. Dies mag theil-
weise-bereits vor Johannes Scholasticus geschehen sein
(was Franeucu$ Florenz diss. de methodo atque au*
ctoritate conlectionis Gratiani, bei Gallande de vetu*
stis panonum coUectiönibus dissertationum sylloge T. II.
' p. 161 u. a. berichten, ist freilich nicht richtig), umfas«
Sender geschah es aber durch Johannes selbst, der in
der Yorrede zu. seinem Syntagma (in der Bibliotheca
- juris' canonici veteris operft Voelli et Justelli T. II. p.
500) erklärt ^^Baa'tUioq 6 iid/ag ntgi noXlSf Inavopir'
<j£y" und deshalb fö canoi\es BasUii aus den auf Ver*
anlassung des Amphiloohitis, Bischofs von Ikonium,
verCafsten kanonischen Briefen zuerst in die Sammlung
recipirte, worauf das Trullanische Concil von 692, der
unbekannte Sammler, auf dessen Kollektion -sich das
Syntaguia des Photius stützt, dieser selbst und andere
jene canones Basilli' beibehielten. Dafs in diesem und
in andern Fällen nur die, unter Yoraussetzung der evan-
gelischen Wahrheit der canones, erfolgte Reception der
Kirche den Ausschlag gab, nicht die blofse Autorität
des Einzelnen, bewebt der sonst festgehaltene Grund*
•atz, dals der Ausspruch eines einzelnen Bischofs nur
eine Meinung und keinen Kanon an sich zu schaffen
im Stande sei. So sagt Basilius selbst in Beziehung
auf die Ketzertaufe im can. XLYII. (Beveregius im
£vvQdixov T. II. p. 104. 105) „cSa» iuv afioy tovto dfX
nXilovag iniaxonovg h tavtä jrtria^ai uai oSrcofi
in&iaecu xbv Kwova u. s« w^' und ähnlich Gregor von
Nyssa (can; VI., a.a. O. p. 161), worauf geslütst Pho-
n r e c h i. 9SA
tius (Nomocanon cap. lY., in der Bibliotheea -juris eaa.
T. II. p.. 82 L 822). allgemein ausspricht „'Or^ oii uy*
hbq intaxSttov, diX^ vn6 Tijf^ uoivd^ijv^g d ttawdpf^ &ai«
^«rrori." In der griechisf^en Kirdie Iiat sieh dieses Prin»
cip bis auf den heutigen Tag praktisch erhalten und
so kann auch jetzt der Patriarch von Konstantinopel
nur in Yerbtndung mit den übrigen Bischöfen ei3C9
Kanon, erlassen.
Unsere Untersuehung fQhrt uns jetst auf den OesH
dent, in welchem nach Walter „die Dekrete und Bri^c^
welche die Bischöfe von Rom theils auf ergangene An-
fragen, theils aus eigenem Antrieb an die Bischofs
verrchiedener Länder über Gegenstände der Kirchei^
zueilt erliefsen, ihre obligatorisciie Kraft aus dem We-
sen des Primates zogen (Siricius epist I. ad Himerlum
episcopum Tarraeonens^m a 385 — • Leo IV. epist. IV«
ad episoopos per Campaniam u.^s. w.), vvelebes sich
auch in dieser Richtung immer bestimmter ausspraclu...
Seit dem fünften Jahrhundert wurden sie auch in die
Kanonsammlungen aufgenommen und überhaupt den
Koudlienschlüssen gleichgestellt" (Praefatjo eoUect Hl*
spanae o. a. 633.) (S. 136—138). Nach Eichhorn da^
gegen zeigen die Sehreiben der römischen Bischöfe bis
ins sechste Jahrhundert, daCi sie die Bedeutung des
angesprochenen Primate auf bestimmte Weise (I. S.^
82. 83) aufgefafst und allmählig ausgebildet hatten, daCi
aber „die Idee eines römischen Primatis dem Glauben
der Kirche fremd war, und ihr nur nach und nach auf»
gedrungen wurde. Das Rec^ neue Gesetze zu gebeoi
nehmen die römischen Bischöfe nicht in Anspruch" — —
„Decreta Romanorum pontifioum heilst nicht, mehr, als
der Ausdruck canones BasilU, und dafs die Aufnahane
ihrer LBhrschreiben in kirchenrechtliche Quellensamm»
lungen keine Anerkennung^ ihres JPrimats und einer
darin • liegenden gesetzgebenden Gewalt enthielt, folgt
hieraus you selbst« Die Vorrede der Isidorbchen Samm«
lung deutet sogar ausdrücklich darauf lün , dafs , das
Ansehn der römischen Lehrschreiben nur auf der Yor-
aussetzung beruhe, die römische apostolische Kirche
werde nach den von den Vätern überlieferten Regelo
regiert, und diese Disciplin sei in jeden enthalten" (L
S. 124. 125).
(Die Fortoetzung folgt.)
Jahrbücher
für
wisse n s ch a f 1 1 1 c h e Kritik.
März lä40.
Grundsätze des Kirchenrechts der katholischen
Mnd evangelischen Religionsparüi in Deuist^h"
land ron Karl Friedr. Eichhorn.
Lehrbuch des Kirchenrechts uller christlichen
Konfestionen. Von Ferdinand Walter.
(Fortsetzung.)
So dediiciren also au3 dejosellben, Quellen unsere
beiden Schriftsteller seh^ abweichende Resultate. Wir
hoffen hun beweisen zu können ^ dafs die Auffassung
Eichhorns^ sumal in Beziehung auf den letzten Punkt,
nicht nur durchaus richtig, * sondei^n auch dafs die Ton .
Walter angenommene Gleichstellung der Dekrete und
'KoBcilienscblusse darin gegründet sei, dafs die Dekrete
selbst ursprunglich wirkliche Koncilienschlusse waren,
Tersehiedene Umstände hatten sioh vereinigt, dem
Bischöfe Yon Rpm seit dem Tiertcn Jahrhundert eine
hohe Bedeutsamkeit -zu yerschaffen, welche durch ein
bestimmtes prinzipmäfsiges Verfahren bald noch mehr
erweitert werden konnte. Ganz vorzuglich war es
wichtig, dars in streitigen Fäl^en, die von Rom aus ver-
tbeidigte L,ehre qpäter als die orthodoxe gewöhnlich
anerkannt ward. Daher wird zur Begründung der
Orthodoxie auf Rom recurrirt und es ergehen im Zwei-
iel Anfragen dorthin. Ein Primat kann hieraus aber
nicht ersdüossen werden: denn nicht Rom alleki ward
in solcher Hinsicht ausgezeichnet. Als z. B. im Jahre
380 Theodosius der Grofse das Nicänische Glaubensbe-
kenntnils wieder zu Ehren brachte, bezog er sich zu*
gleich auf Damasus von Rom und Petrus von Alexaii-
-dria, als Hauptreprftsentanten der Orthodoxie (e. 2.
. Cod. Th. da fide eatholica (XYt, l.)> e. 1. Cod. J. de
an—m trinltate (I, 1;).) u. a. m. Belehrungen belle
inan sieh eben so von veniehiednen Bisehöfea, bald ei-
ner einzelnen Diöcese (aufser Rom besonders Alexan-
dria u. a.), bald mehrer zugleich (wie z. B. das dritte
Karthagische Koncil vom J. 397 : de Donatbtis placuit,
JaiM. /. Vfu%tn%cK Kritik. J. 1840. I. Bd.
ut consulamus fratres et consacerdotes nostros Siricium
(von Rom) et Simplicianum (v. Mailand) (Mansi Coli.
Concil. T. III. fol. 891), desgleichen das Concil, AtrU
can. a 401 (vidodehr 399 Conc. Carthag. Y .) von Ana-
stasius von Rom und Yenerius von Mailand (cod. T. lY*
fol. 482) u. a.). Der Ton, in welchem die Gutachten
von Rom aus ertheilt werden, hatten auch schon früh
eine eigne Kraft und Eindringlichkeit, welche sich auf
die Ueberzeugung von der Wahrheit des Mitgetheilten
gründen konnte. Nach Walter soll aber auch der Be-
weis des Primats darin liegen. Was den von ihm an-
geführten Brief des Siricius an Hlmerius Jbetrifft , so
ist die hohe Autorität, welche jener für seilte Erlasse
ii;i Anspruch nimmt, unverkennbar. Wenn wij* indes-
sen die Geschichte der Zeit und den damaligen Zu-
stand des Kjrchenrechts berücksichtigen, so können wir
den Grund für dieses Ansehn der Dekrete nur in der
Bedeutung finden, die man damals überhaupt kanoni-
schen Entscheidungen auf geschehene Anfragen bei-
legte und unter Voraussetzung des kanonischen Inhalts
nicht versagen durfte« Wiederholt fordert Siricius auf:
ad servandos canones et tenenda decretaUa constituta,
und erklftrt : Statuta sedis apostolicae vel canonum ve-
nerabilia definita nulH sacerdotum Domini ignorare est
liberum, u. a. m. Er konnte dies, da seine Dekrete
keine von ihm persönlidi ausgehende und von den an-
erkannten Lehren abweichende waren. Beide Momente
erfordern eine genauere Betrachtung. Also :
1) Die dem römischen Stuhle xur Deeision vor^
gelegten Zweifel wurden nicht durch eine höchst'-
persönliche {primatielle) Entscheidung ^ sondern
durch den Schlu/s einer römischen Synode ^ der
wenigstens des römischen Presbifterii erledigt. Die
Anfragen selbst ergingen auch meistens, nicht sowohl
an den römischen Bischof, als an die römische Kirche,
den apostolischen Stuhl, weshalb auch die Persönlich-
keit des einzelnen .Bischofs nicht so in Betracht kam,
45
355 K i r e h e
wie bei Anfragen an ausgezeichnete Vorsteher anderer
minder bedeutender Kirchen. Daher konnte auch die
von seinem Yorgäoger noch niclu erlassene Antwort
durch den Nachfolger ertheilt werden. Zum Belege
dient gleich das obige Schreiben an Himerius, der sich
an des Siricius Vorgänger Damasus fragende gewendet
hatte. Eben so ordnete Zosimus die Verhftitnisse des
PelagiuS)^ obgleich dieser an Innocenz geschrieben hatte
u. a. Die römische Kirche entschied also, wie dies
denn auch Ton dem Erlasse an Himerius selbst sofort
gilt. Dies zeigt der Eingang: cum in conventu fra-
trum ul s. w., die Ueberschrift des cap. VII. in der
alten vatikanischen Handschrift nro. 574: de ipsa syn-
odo: (Ballerini de' antiquis canonum collectionibus P.
II. cap. X. §. II. bei Gallande a. a. Ö. I, 513. 514). —
Von allen andern Briefen des Siricius läfst sich das-
selbe erweisen.
2) Die römischen Dekrete konnten von der be*
reite anerkannten Lehre und Gesretzgebung nicht
abweichen^ sondern mufsten eich vielmehr darat/f
stützen. Gerade in der Ueberzeugung , dafs in Rom
die geltenden Grundsätze besonders bekannt seien,
wendete man. sich dorthin, und daher unterlassen es
auch die romischen Bischöfe nicht, in ihren Dekreten
9tets hervorzuheben, dafs sie die Canones bei ihren
Entscheidungen zum Grunde gelegt hätten. Aueh in
dieser Beziehung kennen wir uns auf das Schreiben
an den Himerius selbst (z. B. cum hoc fieri et Aposto-
lus vetet et canones contradicant u. s. w.) und die
übrigen Erasse desselben berufen.
Hiemach steht wohl fest, dafs von einem formli-
ehen Gesetzgebungsrechte Roms oder der römischen Bi-
schöfe im vierten Jahrhundert nicht die Rede sein kann«
Das Auffallende der Nebeneinanderstellung der decreta
ecclesiae Romanae und der canones schwindet nun aber
auch und um so weniger kommt hier der Primat in'
irgend einen Betracht, als die römischen Dekrete da-
mals keineswegs eine allgemeine Autorität in der Kijv
che hatten, was ja in dieser Zeit und selbst ein Paar
Jahrhunderte später nicht einmal von den Canones der
ökumenischen Synoden schlechthin behauptet werden
kann (m. s. auch Eichhorn I, 45 — 47. Anm. 17^).
Einer gleichen Ausführung bezuglich der Dekrete
der näehsten Nachfolger des Siricius können wir uns
enthalten , da Walter a« a. O. nur noch auf Leo I.
4
besonders hingewiesen hat Hier müssen wir nur er-
i r e, e h t. 356
Innern, dafs Leo in der Ansicht i&ber die Dekretalen
von seinen Vorgängern nicht abweicht. Er aehfirft
wiederholt die älteren Normen ein, wacht über deren
Befolgung uifld bindet sich beim Erlassen eigner Kon-
stitutionen streng an die bestehende Gesettgebnng.
Ob er aber stets mit seinem Klerus berathsclilagt hafae^
geht nicht so sicher hervor, ist indessen doch höclist
wahrscheinlich : denn als z. R. im J^hre 444 ein ScUufs
gegen die Manichäer erlassen ward, schrieb Leo an
die italischen Rischöfe ganz selbstständig, und doch er-
klärt er bei einer andern Gelegenheit, er habe darSber
geurtheilt „residentibus episcopis ac |NresbyteriB ae in
eundem consessum christianis viris ac nobilibus con-
gregatis" (vergl. epist TU., bei Dionysius Eztguns
nro. V. seq. (Bifaliotheca juris can. I, 223 sq ) und Sermo
y. de jejunio decimi mensis cap. 4.). Ueberbaupt muüi
inan auf die Sitte der italischen Kirchenversammlungcii
achten, nach welchen Entscheidungen derselben gewöhn*
lieh nur unter dem Namen des römischen Bischofs pu-
blicirt wurden^ wofür wir Beispiele auch aus den fol-
genden Jahrhunderten in Menge anzuföhren vermögen.
Grofses Gewicht legt Walter auf die Inseription in
Leo's I. epist. IV. ad episcopos per Campahiam, Pice-
num, Tusciam et universas provincias constitutos. Da
Eichhorn hierbei suburbicarias (provincias) supplirt, so
erinnert Walter, dafs die Handschriften von dieser Ein-
schaltung nichts wissen und dafs, da Campanien, Pica»
num und Tuscien selbst suburbicanische Provinzen wa-
ren, es im Sinne Eichhorns et ceteras provincias h^
fsen muCste. Wenn diese Bemerkung auch zugestan-
den werden mag, so ist damit doch in der Sache selbst
nichti gewonnen : denn es wird immer auf eine be-
stimmtere Erklärung des Ausdrucks: universae provia-
ciae ankommen, also die Geschichte zu Rathe gezogen
werden müssen, damit wir erfahren, wie weit die Macht
des römischen Bischofs damals ging.
(Die Fortsetzung folgt)
XXIX.
Ueber einige Bilder der zweiten Leipziger Kunst*
ausstellung." Fon D. Mises, Leipzig y 1839«
Es kSonte scheiaeD, als flehme dieses Btiehlein «in Ms« !•-
cales Ittterease f8r sich in Anspruch, ivenignteDS nnr da lat«s
esse derer, welche die dorin besprodienen Bilder ans eigner
Anschaaang kennen. Da sich, bei den gegenwärtig stattfindenden
Wanderungen neu angefertigter Gemälde durch die Kunstausstel-
lungen 4er, meisten grofsern Städte Deutscblandd, voraussftxek
357
JMüeSy ü6är einige Bilder der zweiten Leipziger Kunetauutettuug.
358
ISfot, 4afii 4ie Zahl der letstern keine ganz geringe ist, lo iriirde
es ihr ancb wohl in diecem. J^alle an einem Pnblicam nicht feh-
len. Doch ivUrden wir an« hierdorch noch nicht zar Anzeige
derselbffn ia einem Blatte, welches der bildenden Knnet, nameut-
lieh der Knnst des Tages^ h^chatens nur eine . beiläufige BerBck-
Der natnnüifftiscbe Standpunkt des Verfs. bringt es mit sich,
dafs seiner Betrachtung die ^eale Seite der Kunst am nächsten
liegt Allenthalben ist es zunächst die Treue und Wahrheit in
der Nachbildung des Wirklichen, die er fordert, und gegen nichts,
ist seine Polemik entschiedener gerichtet, als gegen die falsche
ang widmen kann, berechtigt glauben. Solche Berechtigung 'Idenlititt gewisser modemer Künstler und Kunstfreunde, 9,wel-
eben es besser gefällt, die Kirschen gepflückt und auf einen
Teller arrangirt entgegengetragen zu bekommen, als selber auf
den Baum zu steigen und sie aus dem Cestrüuch heraus zu
pfliicken, wo sie gewachsen sind, und wo sie freilich am frische-
sten schmecken.^ Mit der heitern Persiflage einiger Bilder,
welche diese verkehrte Tendenz reprnsentiren, eröffnet er seine
Kritik; nnd wir glauben versichern zu dürfen, dafiiniicht leicht
etwas Geschriebenes sich. finden wird, welches geeigneter sein
könnte, über das Mifsverhältniis dieser Tendenz zur wahren
Kunst denen , die es bedürfen , die Augen zu öffnen , als diese
wenigen Blätter, gleichviel ob man die Bilder, von denen dort
die Rede ist (deren eines, wie verlautet, trotz seiner Werthlo-
sigkeit ein zahlreiches Publicum von Bewunderern gefunden hat),
selbst gesehen habe oder nicht. Manche, die den Verfasser aus
seinen früheren satyrischen Schriften kennen, werden vielleicht
erwarten, dafs e^ bei diesem negativen Geschäfte der Kritik mit
mehr Vorliebe verwellt haben wird, als bei dem entgegenge-
setzten, zu welchem die besseren Bilder den Stoff geben. Dies
ist indefs keines weges der Fall^ er .verläfst das Schlechte sehr
'bald, um zur analytischen Betrachtung dea Besseren überzuge-
ben, von wo aus er dann nur hin und wieder einige wenige,
aber scharf nnd sicher treffende Schläge rückwärts gegen das
Verwerfliche richtet. * £rst bei .diesem positiveren Theil« seiner
Kritik wird nun auch vollkommen deutlich, was er mit dem vor-
hin angeführten Bilde hat sagen wollen. Sein eignes, kritisches
Verfahren giebt uns davon ein Beispiel, was es für den Betrach-
ter eines Kunstwerks heifst, selbst auf den Baum zu steigen und
die Früchte aus dem Gesträuch za pflücken, wo sie gewachsen
sind, und warum es für ein Kunstwerk ein Lob ist, wenn es
seinen Betrachter, solches zu tliun , veranlafst« Der Verfasser
verlangt von einem Kunstwerk ächter Art, dafs es die Seele des
Beschauers in eine analoge Thätigkeit versetzen soll, wie. in
welcher der Künstler sich bei Entwerfung des Werks, der Na-
tur nnd dem gegenständlichen Inhalte gegenüber befand. Es
verlangt es, und er geht selbst in Bezug auf die. Bilder, die ihm
^ies leisten, anf solche Thätigkeit ein; er lälst, so zusagen, vor
unsern Augen das Bild neu von vorne entstehen, indem er in
der Natur selbst die Motive aufsucht, die den Künstler gerade
zu dieser Fassung des Bildes und zu keiner andern veranlafst
haben. 6r prüft den Gehalt des Bildes, ob dieser ein geistrei-
cher, aus. ächter lebendiger Ahschauung der Natur in einem
prägnant ein Momente geschöpfter ist, indem er den Versuch matht,
den Inhalt dieser Anschauung in Worte überzutragen und dabei,
wohl nicht ohne Grund, voraussetzt, dafs der ächte Gehalt auch
in diese Form umgesetzt ein lebendiger und geistreicher bleiben
nnd sich- als solcher bcthätigen wird.
. Es bedarf wohl nidit erst der Erinnerung , dafs ein Verfah-
ren der Art, wie das hier bezeichnete, keinen Anspruch darauf
fln4eD wir wesentlich nur ia dem Umstände, dalii die Stehritt, so
ivenig es auch ihr Titel zu versprechen scheint, in der That ein
von 4er anmittellliaren Bekanntschaft mit jenen Kunstwerken un-
nbhängiges Interesse hat, ein Interesse, Von welchem wir zu
boffen wagen, dafs es daa Interesse des Publicums an manchen
<4er Werke, auf die sie sich zunächst bezieht, überdauern wird.
IMe Art nnd Weise der Kritik, welche hier an einer Reihe
TOB Malerwerken geübt wird, unter denen keine Kunstwerke er-
sten Ranges, keine anerkannt dassischen oder solcher Anerken-
Bong mit Wahrscheinlichkeit entgegensehende sich befinden, wohl
aber , oeben einigen beifallswerthen und vorzüglichen Werken
> aas BDtergeordneten Kunstgattungen, viele mittelmfifsige oder
mxA. geradezu verwerfliche , ist eine in unsern Tagen ziemlich
setten gewordene. Der Verfasser macht keinen Anspruch auf
das, was man eigentlich Kennerschaft nennt ; es findet sich keine
Spar in seiner Schrift weder von einem genauem Eingehen in
des technischen Theil der Kunst, noch von einer gelehrten Kennt-
Bifli ihrer Geschichte, er trügt es vielmehr ziemlich uurerholen
sac Schau, dafs die Kunst ihm weder Jm theoretischen noch im
pnü£tisches Sinne Sache der Profession ist EbeB> so wenig aber
macht er auf einen im strengeren W^ortsinn philosophischen
Standpikoct der Kunstbeurtbeilung Anspruch ; er zeigt keine fer-
tige Theorie über Kunst und Kunstschönheit im Hintergründe,
und der Maafsstab, den er an die einzelnen Werke legt, ist alles
andere eher, als ein solcher, der einem abgeschlossenen System
angehört oder einem solchen entnommen ist. Der Verfasser ver-
hüit sieh viehaebr der Kunst gegenüber durchaus als Naturalist;
• er nimmt veraussetzungslos die Wirkungen des Gegebenen in
bIc^ aaf, und reJIectirt darüber auf eine zwar durchaus gebildete,
den geübten Denker und Schriftsteller allenthalben beurkundende,
aber von jeder Art von Schule vollkommen entfernt bleibende
Weise.^ Solchem Dilettantismus dter Kunstbetrachtung mag man
imaierhin von Standpuncten aus, welche auf eine oder die an-
dere Weise über das Gesammtgebiet der Kunst die Alleitaherr-
sebalt in Anspruch nehmen , seine Berechtigung absprechen ; es
' bleibt darum nicht minder wahr, dafs kritische Aufsätze solcher
Art, mit Sinn für das Aechte in der Kunst entworfen und mit
Geist und stylistiscber Gewandtheit ausgeführt, auf eine bfträcht-
licbe Anzahl von Lesern in einem Grade anregend uiid sogar
belehrend zu wirken vermögen, wie es technisch oder historisciK
gelehrten oder auch speculativeu Abhandluogen nur selten ge-
lingt. Auch Diderot, an dessen Salons uns die vorliegenden
Kunstbesprechungen vielfach erinnert haben, war ein Dilettant in
diesem Sinne, und mit welchem Interesse lesen wir seine kriti-
schen und raisonnirenden Betrachtungen noch jetzt, während die
fcunstphilosophischen Theorien jener Zeit längst vergessen und
die kffinstlerisch - gelehrten Studien derselben längst ÜberflÜ- .
gelt sind 1
'»,
359
ßfüeSf über eüuge Bilder der.xweiten Leipziger ^unstauittelbmg.
macheD kattO) aof die letzten Griiade der Kanst Koriick z«- ge*
heu aad ihren ächten and groiaen Werken, wie eine imeigent-
Kchern Sinne phüoaopbische Kritik ea beabsichtigt, ihre Welt-
atellang aazaweiaen. Bei- Werken höherer Art, liei solchen
nanentlkh, denen schon eine bestimmte gc$ckiebtiiche Bedeutung
zukommt, wurde ea entweder nicht genügen, oder iiberhaapt auf
sie keine Anwendung leiden. Aber eine andere Frage ist, ob bei
Werken der Art, wie sie ans auf Kunstausstellungen geboten
werden, ob in aasdriicklithem Bezog auf solche Ausstellup^n
selbst, dieses kritische Verfahren nicht das vollkommen richtige,
ja das einzig gehörige ist wenigstens für eine solche Kritik, die
Rttf das Interesse eines weiteren Kreises, als desjenigen, wel-
chen die KUnstler selbst oder die eigentlichen Kenner bilden,
Ansprach tnachh Wir unsemtfaeils bekennen , dafs wir solclien
Werken gegenüber oder bei solchen Veranlassnngen eine Kritik,
die von dem höchsten Standpuncte der Idee oder der greisen
weltgeschichtlichen BezGge der Kunstentwickelnng ausgeht, durch-
aus nicht an ihrem Plötze finden können. Hier scheint uns eine
Kritik, welche so zu sagen, den umgekehrten Weg geht, .nicht
wie jetie, von der Voraassetzung (les Höchsten abwiirts, sondern,
wie die unsers Verfassers, von dem Nächstliegenden and Untere
sten, der Natur und der gemeinen Wirklichkeit, zur Idee auf-
wärts, bei weitem erspriefsl icher und im wahrhaften Wortsinn
lehrreicher. Soll die Kunst, was eben jene Ausstellongen ja doch
hauptsächlich bezwecken wollen, wieder einen lebendigen Boden
im V^k gewinnen, so moft sie mit dem Volke selbst immer neu
von vorn anlangen, sie mufii sich', alle geschichtlichen Antece-
dentien vergessend, der Natur und der lebendigen Wirklichkeit
gegenüber so verhalten, als gäbe es noch gar keine Kanst, als
gälte es, jetzt znm erstenmale die WirHlichkeit künstlerisch nach-
zubilden und' durch Kuast zu verklären. Eben so mufs die Kri-
tik, wenn sie mit die$er Thätigkeit der Kunst Hand in Hand ge-
hen, wenn sie Hur den Eingang, das Verstandnifs unter dem Volk
«rieichtem und dhbei ihr Recht, auch die Künstler za .beauf-
sichtigen und wo es nöthig, zurechtzuweisen, behaupten will,
den hohen Standpnnct, den sie in unsem Togen durch das ver-
einte Streben der philosophischen und der geschichtlichen For-
schung eingenommen hat, zur rechten Zeit zu vergessen 'wissen;
sie mufs es verstehn, den Künstler sowohl, als auch den Be-
Ischaaer des Kunstwerks in die Region zu begleiten, wo er der
Natnr md der Knfseren Wirklichkeit so za sagen vonAngesicht
tn AiDgesieht giBgenäbersteht, ohne dafs die Idee oder die Lo-
kalität dergesebpchtlicheii Kunstentwickelnng für sein Bewuiktsein
vermitCelnd dazwischen träte. 'Wie es für den Künstler gilt,
durch Nachblldang des Wirklichen das Ideale neu zu schaffen,
so gilt es hier für den Kritiker, durch Eingehen in das Verhält-
nifii der Kanst zur Wirklichkeit das Bewnistseln ihrer idealen
Bestimnang erst %ü wecken. Durch Forautietxen der Idee, die
erst dutch Vermittelang des lebendig Wirklichen nea ge^ouKi
werden soll, wird «sowohl praktweh, als. theoretisch alles tä.
dorben. Daraus eben entspringt jetie sentimentale an4 pieid«.
ideale Atterkunst, gegen welche wir unsem Verfasser nyt n
ripl BLecht zu Felde Ziehen sehen, jenes Liebäugeln der Kiiait-
1er und der Kritiker mit dem leeren Begriffe der Kanst ni in
Kunstideals, welches sich heut zu Tage so vielfach in kä
sublimen, aber eitlen Beginnen, das Malen za naleo u4dn
Dichten zu dichten, kund giebt Die grofse Aufgabe aowoiil (ir
den Künstler als für den Kritiker ist ^ in der WirkUcikeit iu
Ideal wieder zu findea. Wie wenig unser Verfattser, bei aliea
seinem ästhetischen Realismns, diese An^be verkeaat, km
zeugen, auiser vielen andern Stellen seiner Schrift, die goUciea
Worte, die er S. 80 if. sagt , von denen wir wenigatens eiiip
hier einzurücken uns nicht enthalten können. fJDtr Künstler, kt
Ideales darstellen will, kann das Wirkliche daza freilieh lidit
brauchen, wie er es vor sich sieht; aber er kann dock asd
nicht willkfihrllche Darstellungsformen für dieis Ideal erieska
Seine Aufgabe ist, ans dem, was er in der Wirkliehkeit ndt,
erst das za finden, was er nicht sieht IJm' einen Gott kxnt
stellen, muCs er zusehen, nach welchem Gipfel die ■esaekÜebi
Natur tendirt, und, was noch fehlt zu diesem Gipfel, dareii ki
genauesten Erfolg jener Tendenz als erreicht vor uns hiastelkl.
Um die Leidenschaft und Thätigkeit eines Gottes dansstello,
mufs er die menachfichen LeidenechAften und Thätigkeitei k«
obachten; aber zusehen, .welches der Aoadruok dersetbea lit^
im Mfuifse als die Leidenschaft aa4 .Thätigkeit selbst o^ler snl
reiner von irdischen Motiven wird, und auch diese Teadeat nr
Gränze ergänzen. Was Störung nnd Irrung der Idee kreii ^i
Wirklichkeit ist, muls er hierbei wohl von dieser Tante 'te
Idee selbst zu scheiden wissen. Alles 4iea aber setzt sieht di
geringeres, sondern tieferes Studiom der Natar voraus, als bcia
Gearemaler, doMen ganze Idealisirung der Natnr bloa ia Adfis*
sang günstiger, fUr das GeFtthl werthvoUer Momente das Vitk-
liehen aelbst, wie es ist, in der Wahl ihres güasfigstan -(!•'
sichtspunctes, in Beseitigung des dabei zafällig Störenden 9kt
Ergänzang des znfälUg Mangelnden , doch immer nach deo Bf'
dingungen der Wirkliokkelt selbst besteht"
Die Schreibart des Verfassers kennt man aus aeineB firllMn
Schriften als eine eben so klare und geistniche, als raiivvik
und witzige. Er hat sie nicht ohne Gluck und Gescbicklidikat
auf den gegenwärtigen, seinem bisherigen .scfariftstellensshei
Kreise etwas ferner liegenden Gegenstand fibectragen; kA
möchten ^ir ihm zu bedenken geben, ob nicht die Neigung m
Pi^uanten, Pointen- und Antithesenreichen ihn hin ondwie^^rd'
was zu weit führt, und, ^enn er sich ihr einseitig biogidM, or
Manier zu werden droht
W.
^46.
Jahrbücher
für
K r i t i kc
März 1840.
Orundiätte tle$ Kirchemrechtt 3er hatholi$chen
und evangelitchen Religionspartei in Deutsch'
■ land ton Keirl Friedr. Eichhorn.
Lehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen
>
.. Konfessionen. Von Ferd. Walter.
(Fortsetzung.)
' Eichhorn Sufsert „Wenn die römischen Bischöre
efaie Provinz za ihrem Patriarehalsprengel rechneten,
forderten sie die Beobachtung der Ton ilinen erlasse-
nen Synodaldekrete vermöge ihrer hierarchischen ^e->
wah."^ Eine solche macht sich hier auch wirklich in
dem Schreiben Leo's geltend, indem denen, welche
diese Anordnungen verletzen, Amtsehtsetzung gedroht
wird *). Diese Gewalt war damals (d. h. im Jahr 44^,
aus weFchem das Decret herrührt) in den suburbicari-
schen Provinzen (s. Oieseler I. §• 92 not. c. S. 496.
497), in OMiliyrien und einem Theile Galliens anwend-
bar {Eichhorn I. S. 85. Oieseler a. a. O. S. 515 folg.)-
Weiter würde noch in Betracht kommen, was
beide Terfasser abweichend über die Geschichte des
Concils von Sardika, über die Konstitution Yalenti-
nian's HL von 445. (Novella XXfV., im Anhange des
Codex Theodos. ed. Gothofredus-Ritter Tom. "VI. P. H.
pag. 67, in Hugo*s jus civ. Antejustin. tit. XVII.) u.
s. w.' auseinandersetzen, wenn wir nicht durch die bei
der ferneren Prüfung dieser Punkte unumgänglich noth-
wendige Ausführlichkeit besorgen mufsten, die Grenze
einer Relation zu überschreiten. Indem wir daher nur
erklären, dafs Ritter's (1. c. pag. 70), Lang's (Geschichte
und Institutionen des Kirchenreeht^ I. §. 58 not. z)
und Eichhom's (I., 77 u. a. a. O.) Resultate im Gan-
zen uns annehmbarer erscheinen, brechen wir hier ab
*) Die betreffende Stelle aas dem Dekret steht bei Diooysias
Exignos nro. V. (biblioth. jaris canon. I.» 3^) und als Palea
im Decret e. 1 $. i d. XIX.
Jahrb. f. wmtnUh. Kritik. /. 1840. I. Bd.
und überlassen dem Urtheile unbefangenfer Kritiker die
Entscheidung über die Haltbarkeit oder Unsulässigkeic
der einen und der andern geschichtlichen. Betrachtung.
Die Geschichte der Quellen des Kirehenrechts
finden irir in beiden Werken mit erwünschter Gründ-
lichkeit, bei Walter v^rhältnifsmäfsig in grofserem tFm-
fange behandelt. Seinem Plane gemäb, nur das, was
für die deutsche Kirche wichtig ist, eu berühren ^ hat
Eichhorn die Geschichte der Reehtsquellen der griechi-
schen Kirche nicht weiter verfolgt, als es noth wendig
war, um die Bedeutung der ältesten Grundlagen des
Corpus juris canonici zu erklären, manches aber auch
wieder aus eben diesem Grunde ausfülurlieher erörtert,
als man e» in einer blofsen geschichtlichen Einleitung
SU einer dogmatischen Darstellung erwarten möclite,
z. B. den Ursprung der sogenannten Canones Aposto-
lorum (s. B^ I. S. VI.). Seit 1831 ist für die Kirchen^
recbtsgeschichte sehr ?iel und Tüchtiges geleistet wor-
den. Daher sind sur Ergänsung der „Grundsätze des
Kirehenrechts" Torläufig noch die betreffenden Ab-
achnitte aus der deutschen Staats« und Rechtsgeschichte
(B. I., S. 478 folg. 634 folg. 747 folg. B. II. S. 247
folg. B. III. S. 504 folg.) von 1834—1836 zu Rathe zu
sieben, jedenfalls aber wird eine neue Ausgabe hier
noch Manches zu ergänzen und zu berichtigen haben»
In Beziehung auf einige Quellen, für welche die Mar
terialien seit der Herausgabe der Grundsätze nicht be»
reichert WQrden sind, mdgen deshalb nur ein Paar Be-
merkungen noch hier eine Stelle finden.
Das über die ursprüngliche Beschaffenheit der Co*
dioes canonum von den Ballerini und andern (auch
Walter f. 62) Bemerkte sudit Eichhorn (I. S. 88
Anm. 3. S. 90. 91 Anm. 5.) zu entkräften. Wir zwei-
feln aber, dafs ihm dies zu voller Ueberzeugung gelun-
gen sei: denn die Annahme, dafs, da alten Manuskripten
die Canones von Laodicea fehlten (s. . die Ballerini
P. I. c. IL f. IIL IT. bei Gallande I. p. 249. 250)
46
363 K i r e h e
diese überhaupt erst spfiter nachgelraj^en seieil, erseheint
einfacher, als die Behauptang, es hätten diese Hand-
schriftei) den Text nach Willkuhr zusammengestellt.
Auch scheint der Schiurs, üafs, da die Canones von
Antiochia der Zeit nach früher fallen (332, wie mit den
Ballerini, Walter [S. 109 Anm. i], oder 341 wie Eich-
hörn annimmt [S. 106 Anm. 32 vgl. Gieseler I. §. 81
not. cc S. 396]), als did von Gangra (nach Eichhorn
um 3ä0, nach ändern s wischen 362-370. s« Gieseler
§. 93 .not cc S. 539), und doch in der Sammlung hin^
ter den letztem stehen, dieselben erst später in den
Codex eingetragen werden, Wohl begründet zu sein.
Die Ausführung über das sogenannte vierte Eaj*-
tliagische Concil, bei Eichhorn I., 117— 119, wäre wohl
besser im Zusammenhange mit den übrigen afrikani-
schen Sammlungen S. 103 dargestellt worden, auch
hätte dabei Le Plat de s^uriis in Gratiano canonibus
III., 1. 3 (bei Gallande IL, 830 folg.) borücksichfigt
werden kdnnen. — Was die breviatio des Fulgentius
Ferrandus betrifft, so behaupten die Ballerini, er habe
' vom Concil von Nicäa die in afrikanischen Codicibus
^ vorhandene Uefaersetzung des Philp und Euaristus be-
nutzt (P. lY. c. I..n. IIL). Dies ist freilich nicht un*
zweifelhaft (s. Spiitler Geschichte des kanonischen
Rechts S. 197 Anm. q, womit aber S. 165 im Wider*
Spruche stfeht), jedoch keineswegs unwahrscheinlich, da
sich diese Üebersetzung der Nicänisclien Canones in der
Sammlung der afrikanischen Synoden befahd (s. Bal-
' lermi P. II. cap. II. n. 1.). Dafs er für die übrigen
griechischen Synoden keinen afrikanischen Codex be-
nutzt habe, folgt aber wohl nicht blos aus der Auf«
nähme der Sardicensischen Schlüsse (Eichhorn I. S. 104
Anm. 29), sondern wohl zugleich daraus, dafs sich keine
nneweifelhafte Spur der Benutzung fremder Concitien,
das von NicSa und römische Decrete ausgenommen,
vor Ferrandus in der afrikanischen Kirche findet.
Die Untersuchungen über die älteren italischen
Sammlungen (Walter f. 63. 81, Eichliorn I., 105 folg.)
sind noch' keineswegs geschlossen. Die bekannte von
l^aschasius Quesnell zuerst edirte, von den Ballerini
verbessert herausgegebene Cbllection verlegt Eichhorn
(I., 113—115) nach Italien, Walter (S. 150 Anm. n)
nach dem Vorgänge der Ballerini nach Gallien^ Halten
wir alle pro und contra sprechenden Gründe zusammen,
so können wir nicht umhin, uns der letztern Ansicht
anzuschliefsen. . Wenn insbesondere Eichborn gegeü
n r e c h t. 364
den Galli^hen Ursprung sich darauf- beruft , dab aiok
in der Sammlung keine gallischen und spanischen Con-
eilien finden, so läfst sich hierauf antworten, dafs man
einer solchen CoUection gerade zur Ergänzung der Mi-
heimischen Schlüsse, welche man auch besonders ^
sammelt hatte, bedurfte.
Die von Dionysius Exiguus auf Verlangen des.
Hormisdas angelegte Sammlung der griechischen Cano-
nes im Original, mit gegenüberstehender lateimsdier
Uebersetzung (s. Bienier, sched. literar. de coUectionibus
canonum ecd. Graepae pag. 11) hat Eichhorn unecw&fant
gelassen.
> Martinus von Braga befand sich noch im Jahre
572 auf dem zweiten Bracarensischen Concil, kann also
nicht bereits im Jahre 570 (Eichhorn I., 119) gestor-
ben sein,
lieber die Beschaffenheit der alten bispamsebea
Sammlung der Quellen des Kirch enrecbts verdanke»
wir Eichhom's Abhandlung von 1834 (Abhandlungen
der Berliner Akademie der Wissenschäften. 1836. S.
89-142) neue Aufschlüsse. Bekanntlich würd die so»
genannte Collectio Isidori gewohnlich swisdien die
Jahre 633 (Concil. Toletanum lY.) und 636 (in wel-
chem Isidorus von Seirilla starb) verlegt.. Auch Eieb-
hom ist der Ansiclit, dafs «in autorisirter Codex in
Spanien bis 633 nicht vorhanden gewesen und dab die
Erwähnung eines codex canonum auf dem Tierten Con-
cil von Toledo die Abnieht^ einen solchen einsufiihrel^
andeute. * Allein schon am Ende des sechsten Jahr-
hunderts war wohl bereits die spanische Colle<tion in
bestimmter Weise abgeschlossen und wurde seitdem
nur ergänzt« Wir halten das Concilium Hispalense IL
vom Jahre 629 und das Toletanum IV. selbst für solche
Nachträge, deren später noch mehrere hinzukamen. Für
diese Annahme spricht, dafs in einer spanischen bre-
viatio, welche die Ballerini P. IV. cap. IV. (Gallande
I, 587 folg.) beschreiben, das letzte Stuck die synodos
Oscensis vom Jahre 598 ist Freili(&h ha.t der Abbre-
viator aus verschiedenen CoUectionen die seinige oom*
ponirt, doch würde dies der Annahme nicht entgegen
sein, dafs er auch die später^ sogenannte CoUectie Isi-
dori damals schon benutzt haben möge. Weni^ens
verliert sich so leichter das Auffallende, dafs man am
Ende des sechsten Jahrhunderts in Spanien noch keine
autorisirte Sammlung besessen haben sollte, während
Eichhornes Annahme einer AiHckt der Anlegung eines
K i r e A 0
ersUn aiifoiirfrMi Cqdex im Jahre 633 imoier bedenk*
Uck encheiiit
Ueber P^eudo-Isidor, soirohl den Ursprung ab die
Erfolge der Sanmlung betreffend, finden wir. beide
Sebrifteteller iu den wesendiclisten Differensen« (Eich-
horn I^ 147—168 vcrb. deut. RechtogeftchiehCe I.
i. 152-155. S. 636-652. Walter §. 89—93. S. 155
bia 182). Etebhorn ist der Ansieht, es sei eine Sarom-
lung falaeher Deeretaleo im zweiten oder dritten Yier«
theil des aehten Jahrhunderts zwischen Gregor III. und
Hadrian I. zu JHom entstanden. Unter Hadrian habe
man aie bereits besessen, noch^bef ein Jahrhundert
aber vermieden, sie namentlich anzuführen« Sie sei
soocst in Auszögen im fränkischen Reiche unter Karl
dem Grolsen in den sogenannten Capitula In(An)gil-
ramno tradtta und andern bekannt gemacht und eben da
als ein Ganzes (decreta priscorum ponlificum) durch
Varbihdttttg mit der ächten spanischen Sammlung als
der spater sogenannte Pseudo-Isidor hervorgetreten. —
Dagegen nimmt Walter an, dafs, nachdem bereits frü-
her aUmähUg verscliiedene unächte Documente entstan*
den, diese mit vielen andern un neunten Jahrhunderte
im frftnkischen Reiche in die sogenannte Isidor'sche
Sammlung eingefügt worden. Im westfränkischen Rei-
ehe seien auch, die falschen Decretalen verfertigt und
die Yerbindung derselben mit der Rechtssammlung des
M.mnzM Dlaeonus (Leviten) Benedict deute beinahe
mit Gewifsheit auf diesen als den Verfasser. Die so*%
genannte eapitula Angilramni u. s« w. seien dagegen
erst aus Pseudo>Isidorus selbst entnommen.
Die Untersuchung ist beiderseits mit Kritik und
Gelehrsamkeit geführt,, noch keineswegs aber, ^ie auch
ISichhom zugesteht (Rechtsgeschichte I. S. 643 Anm.
k), für ebgeschlossen zu halten. Wesentlich gefördert
ist dieselbe jedenfalls durch Knust, sowohl in der com-
mentatio de fontibus u. s. w. G5tting. 1832. 4., als in
der Abliandlung bei Pertz Monumenta Germaniae. T«
IV. P. II. p^ 19 seq. Um so mehr bedauern wir, dals
Eichhorn die Resultate der commentatio in der Rechts-
gesebichte nicht mehr berücksichtigt, ja dieselbe ni^ht
einmal anzuführen fiir geeignet gehalten hat, Uebrigens
haben alle bisherigen Forscher sich fast nur auf die
Untersuchung der Decretalen beschränkt, den verfälsch«
ten Concilienschliissen dagegen entweder gar keine,
oder viel zu unbedeutende Sorge gewidmet Es kann
hier nicht unsere Absieht sein, die Gründe beider Yet'
n r 0 e h t. 366
fasser für ihre und gegen die widersprechende Ansicht
einer specieilen Prüfung zu unterwerfen : denn wir wür«
den dann eine besondere Abhandlung zu schreiben un»
ternehmen müssen* Wir beschränken uns daher auf
die Remerkung, dafs wir Eichhom's Annahme einer
römischen Decretalensammluug, als Grundlage desspä<>
teren Pseudo-Isidor, nur für eme zwar geistreiche, aber
durchaus noch nicht genügend begründete Hypothese
halten, können. Er bemerkt selbst (RechtsgescbicIUe
L, 644 Anm. b), dafs man von den unächten Stücken,
welche sich in der ältesten bekannten Handschrift der
vollständigen Pseudo-kidor. Sammlung finden, nicht
mit Sicherheit auf den Umfang der Sammlung schliefsen
kann, welche in Umlauf war, ehe durch Verbuidung
derselben mit der spanischen Sammlung die Hand«
Schriften entstanden, welche wir unter einem Pseudo«
Isidor. Codex vecstehcn. Um so nothwendiger wäre
aber eine Untersuchung über die wirklich älteren ein-
zelnen Verfälschungen gewesen, (s. Walter §. 89 not.
s). , Daraus hätte sich z* R. ergeben, ob die Stelle der
erdichteten Synodalacten des Papstes Sylvester, wol-'
ehe sich in einem Capitulare vom Jahre 806 nament-
lich angeführt findet (s. autserdem in der Rechtsge-
schichte ]., 646 Anm. c cit. Walter corp. jur. tl., 228.
Pertz Monum. T. III., 148) und in den Kapiteln des
Angilramnus ohne Angabe der Quelle steht, wirklich
aus den nach Eichhorn schon damals verbreiteten fal-
schen Decretalen entnommen worden. Jene Stelle ist
nun in der That schon eine ältere Veifälschnng. (cati.
3 Sylvestri. vergl. Ballerini P. IU. cap. IIL f. Y. nro.
LXXVir. bei GaUande I., 494. Die SteUe selbst steht
auch bei Gratian c. 2. C. II. 9. 4). Was aber die
Capitula Angilramni selbst betrifft, welche angeblich
im Jahre 785 Angilrame von Hadrian I. zum Geschenke
erhalten, so werden diese zuerst un Jahre 869 zugleich
mit Pseudo - Isidor erwähnt (Hincmar. Rhemens. adver.
aus Hincmarum Lauduuens. cap. 24) : ;,Res mira eat,
enm de ipsis sentcntiis (Angilramni) plena sit ista terra,
sicut et de libro conlectarum epistolarum ab Isidoro
u. s. w." Daraus darf jedoch nach Eidihom (Kirchen-
reeht I., 157 Anm. 14) nicht auf ein gleichzeitiges Be-
kanntwerden beider CoUectionen geschlossen werden.
^,Aelter als die Nachrichten von dem Dasein der ver-
fäkchten Isidorischen Sammlung sind sie höchst wahr-
scheinlich; denn es scheint, dafs Benedict das, was
er aus den falschen Decretalen entlehnt hat, nicht aus
367 Kirch
der P«€U<Io-bidor. Siimiilimg, sondern aus diesen Ca-
pHuIis Alijsiilramni genommen^ hat.*' Gesetzt dies würe
liehtig, was nach der AndeuHing Benedicts in derYor«
rede zvl den Capitiilaricn wohl möglich, so liegt die
von Knust und Waller. angenomoiene Vermuthung sehr
nahe, dafs Benedict selbst eben so wohl die Capituia
Angilramni, als die Collecüo Pseudo-Isidoriana verfafst,
und umsichtig die Materialien durch die Capitularien*
Sammlung in halb officieller Weise Tcrbreiiet habe.
Die Bcsugnahme Eichhorns auf Rom hat sowohl
die .unrichtige Auffassung über die Quesnell*sche Samm-
hing, als den Über pontificalis veranlafst. Darin,
dafs die falschen Decretalen wesentlich Neue3 und von
der Disciplin des neunten Jahrhunderts Abweichendes
nicht fesigesetst haben und dafs dies Neue wirklich
e n r 0 e
h t. 368
dem Wiener Concordat ak* Mi^acüeeni anfgefretca
war, nicht mehr bestand und keine für die jetslgca
Staaten verbindende Handlung die Yerpflichtungen des
Reichs als Mitpaciscent auf die lotxtercn Uieriragen
hatte,'' so steht dieser Ansicht entgegen, wa* der Ver-
fasser selbst S. 382 - 384 über die Bedeutung der durch
die Reichsgesetze begründeten Rechte (und Pflichfen,
wie wir hinzufügen müssen) in den einzelnen Staaten
bemerkt hat. Dalier ist nicht ohne Grund J^ongn^r:
Darstellung der Rechtsverhältnisse der Bischöfe in der
oberrheinischen Kirchenprovinz. Tübingen 18iO. S. 31
folg. gegen Eichhorn aufgetreten« Auch können wir
uns auf die Praxis beziehen: denn da b. B* in der
Didcese Ermland die Furstenconcordate angenoauMt
worden sind (man vergl« meine Geschichte der Quellen
in das kirchliche Leben nicht übergegangen und prak- .des Kirchenrechu des Preufs. Staats. I., 1. S. 17.18)^
tisch geworden sei, können wir Walter nicht beitreten
(vergl. Eichhorn i., 168. verb. II., 12. Aum. u. a. m.).
Was die späteren Quellen des Kirclienrechts betrifil,
so hat Walter sich über diejenigen ausführlicher ver-
breitet, welche die Grundlage des Corpus juris cano-
nici bilden, Eichhorn dagegen den TFeltiichen Gesetzen
grölsere Sorgfall zugewendet Beide, insbesondere der
letztere ) erörtern auch speciell die jetzige Bedeutung
der alleren Quellen, namentlich auch der Reichsgesetze.
Was Eichhorn (I., 381 folg.) hierüber erinnert, beruht
auf richtiger Würdigung der Verhältnisse und wird
durch die zum Theil entgegengesetzte Ausführung von
Juffff (ein Wort über die Lehrfreiheit (Frankfurt a. M.
1837.) f. 49 folg.) nicht entkräftet. Dagegen seheint
die Ausführung über die Anwendbarkeit des eanonischen
Rechts bei der Lehre von der Rirchengewalt in der
evangelischen Kirche B. L Seite 372 mit S. 723
nicht wohl vereinigt werden zu können. Die in der
neuesten ' Zeit so htafig falsch anfgefafste Bedeutung
der Vereinbarungen einzelner Staaten mit dem romi-
sch«i Stuhle findet eine Widerlegung in der Erörte-
rung Eiehhom's I., 407 folg. Wenn hier aber zuglrich
angedeutet wird, dafs die Furstenconcordate des fünf*
zehnten Jahrhunderts ihre praktische Bedeutung verlo-
ren haben, indem „die Begierung, welche bei jenen und
so hat mau auch nach der Emanation der ßulle de Sa-
lute animarum vom Jahre 1821 sich nacli jenen gerieb-
tet. So ist im Jahre 1826 gemäls der Bulle Execmfcffis
in dem Falle, da durch Verleihung eines Caaonieais
die von dem Domherrn bisher bekleidete Stelle als in-
compatibel aufgegeben werden* mufste, das dadurch va-
eant gewordene Beneficium als zu Gunsten des Papstes
erledigt betrachtet worden ^. v
Die Geschichte der Reformation und Bildung der
evangelischen Kirchenverfassung in ihrer Mannigfaltig*
keit als Consistorial- , Synodal-, Presbyterialverfasoing
ist bei Eichhorn sehr befriedigend ausgefallen, obwoid
wir nicht umhin können, zu bemerken, dals eine su-
sammenhängende Barstellung über die Oestaltung in
Sachsen, welche bekanntlich meistens für die übrigen
evangelischen Lande Muster ward, und in Hessen
(vergl. Bd. II. S. 56—58 Anm. 6) wohl erwünscht ge-
wesen wäre.
*) Wir verkena^ übrigens hierbei nicht, dafs die aeae C^iicna-
scriptionebm^j.die ioDeren Verhältnisse der Diocese EraÜBod
im Ganzen nicht berührt, und dafs erst mit dem Tod« des
Bischofs Joseph von Hohenzollern 1837 eine G'ieichstellnag
mit den andern Prenfsischen Bisthiimem erfolgt ist. . Die
Sache selbst vird aber dadurch nicht im Wesen medificirt
(Der Deschlttfii folgt.)
.^ 47. ^
' t
Jahrbücher
f» •• . *
wissenschaftliche
März 1840.
Kritik
Orundwtke des Kircheftrechtg der katholischen
und evangelischen Religianspartei in Deutsch-
land ffon Karl Friedr. Eichhorn.
Lehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen
Konfessionen. Van Ferdinand Walter.
(SchlQfg.)
Rueksiehtlich der Hierarchie in der katholischen
Kirche isf Walter bemüht, eine das strengere Curial-
und das freiere Episcopalsysten^ vermittelnde Ansicht
£n begründen (m. s. §. 121. 123. 133. u. a. m.)- Naefa
ihm mochte es scheinen, als ob das Princip, dafs alle
in der Kirche zur Ausübung kommende Gewalt nur
AusfluJii der pjipstlichen Machtrollkommenheit sei, nie.
mab sich habe geltend machen wollen. Wenigstens
drückt er sieh in Beeiehung auf Pseudo-Isidor nicht
distinkt genug aus, wenn er äuFsert (§. 92. nro. IV.
S. 168.169) „lieber das VerhältniCi des Papstes zu den
Bischofen wenden die Dekretalen eine ursprunglich in
einer andern Beziehung gebrauchte Formel an, dafs
das Oberhaupt der Kirche die. Bischöfe zu einem Th^il
der ihm zustehenden allgemeinen Sorgfalt berufen, nicht
ihnen die volle Gewalt übertragen habe": denn die Vi-
gllitts epist. II. c. 1. (c. 2. C. II. 9. 6.) in den Mund
gelegten Worte „Ipsa namque ecclesia, quae prima est,
ita reliquis ecdesüs vices suas credidit largiendas, ut
in partem sint yecatae sollicitudinis, non in plenitudi-
B0m potestatis" bezeichnen wohl hinlänglich, dafs die
Bischöfe blos als Oelegirte des Papstes zu betrachten
Mcn^ Die Streitfrage selbst aber, „ob die Bischöfe
ihre Gewalt unmittelbar Von Gott oder hur mittelbar
dur^ den Papst haben, welche auch von Bellarmin
sehr falsch und trocken behandelt worden ist" (^. 133*
Anm. 4.) sucht er folgendermafsen zu beantworten :
„Einerseits ist es gewifs, dafs jeder Bischof an der
Jahrb. /. wk9en9ch. Kritik. /. 1840. I. Bd.
Gewalt nur durch sdne Verbindung mit der Einheit,
also mit dem römischen Stuhle partieipirt. Andrerseits
ist es eben so gewifs, dafs das Episkopat in ^etrus und
den Aposteln als etwas Gleichzeitiges gesetzt worden
ist, dafs also letztere ihre Sendung nicht mittelbar aus
der Hand des Petru» empfangen haben." Die Stellung
enm ökumenischen Concil fafst er dann so, dafs nur
„wenn wegen einer vorhandenen Spaltung der recht«
mälsige Papst zweifelhaft, also die Kirche eigentlich
ohne Haupt ist, es, wie zu Kofctnitz, auf die Entschei-
dung de« Concils ankommt'* (f. 153. S. 310).
Eichhorn, der über diesen Gegenstand B. I. S. 214
folg. 222 folg. 296 folg. 574 folg. verb. U, 3 folg. das
Geschichtliche exponirt, giebt keine formliche Entschei-
dung, welchem von beiden Systemen der Yorzug ge-
bühre, und doch wäre eine rein scientifiscfae Untersu-
chung hier sehr erwünscht gewesen. Zwar äufsert Falck
(Schleswig -Holstein Frivatrecht B. III. Abt)i. II. S.694
Anm. 78.): „Es ist auffallend zu sehen, dafs prote-
stantische Kirchenrechtslehrer einerseits das Papalsy-
stem eifrig bekämpfen, auf der andern Seite aber sich
für das katholische Episkopalsystem interessiren. Es
mufs ohne Zweifel jedem bei näherer Erwägung ein-
leuchten, dafs vom protestantischen Standpunkte aus
das eine System um nichts vernünftiger oder schriftge-
mäfser ist, als das andere.'' Allein nicht' vom prptestan-
tischen, sondern vom katholischen Standpunkte selbst
haben wir ja da^ ganze katholische Kirchenrecht ger
schielitlich und systematisch zu würdigen,' und darnach
kann; es nicht blos wissenschaftlich, sondern auch prak-
tisch sehr bedeutungsvoll werdeu, von welchem Princip
aus ein katholisches Rechtsveriiältntfs beurtheilt wird.
Mit Bezugnahme auf die Geschichte des Concils von
Kostnitz und Basel, die Fürstenkonkordate, die Wahl-
kapitulationen der Kaiser u. s. w. vermögen wir nun
4.7 - ■ .
371 Kirch»
die Richtigkeit des . Episkopalsystems und damit die
Rechte und Freiheiten der katholbchen Kirclie deut-
scher Nation in der That zu erweisen. Dafs liieraus
sieh auch wichtige Folgerungen fiir das Yerhältnifs cwi-
seiien dem Staate und der katholischen Kirche erge-
ben müssen, springt in die Augen« Ueber dies Yer-
hältnifs geben unsere beiden Autoren die erforderlichen
historischen Nachweisungen, nebst einer dogmtUischen
Entwickelung der allgemeinen Grundsätze (Eichhorn I,
52 folg. 128 folg. 180 folg. 550 folg. Walter §. 40-45)
und verbinden dann die Anwendung derselben im Ein-
sefaien mit der Darstellung der besondem Institute,
Die historische Auffassung unterliegt jedoch manchem
Bedenken, wie'denn z. B. wohl in einer nicht zu recht-
fertigenden Weise Walter die Stellung Bohifaz VIII.
(c. !• Extr. comm. de major, et obed. (I, 8.)) und Cle-
mens Y. (2 Extr. comm. de privilegiis (Y, 7.)) gedeutet
hat (§1 42. not. a).
Was die Begründung der landesherrlichen Rechte
in der CFangelischen Kirche betrifft, so sind von Eich-
horn (1/675 folg.) und Walter (f. 36->39.) die ver-
schiedenen Theorien hierüber dargelegt und mit Um-
sicht beurtheilt. Wir können keins der bekannten
Systeme far richtig schlechthin anerkennen: denn immer
werden die eoncretcn Zustände und die eigenthümliche
Verfassung und Verwaltung der einzelnen TerritoriiNi
den Auss<;hlag geben müssen. Melir liegt auch wohl
nicht in der Aeufserung Eichhorns (I, 695.) : der recht--
liehe 6rund^ aus welchem sich die evangelischen Lan-
desherren zur Thätigkeit in Kirchensachen ermächtigt
halten können, läfst sich in den Tbatsachen, welche
die evangelische Eirchei^verfassung begründet haben,
leicht nachweisen: — freilich wird es dabei wichtig,
in welchem Lichte die Facta gesehen werden und so
wird eine leitende ratio nicht wohl entbehrt werden
könpen. Das Territorialsystem insbesondere ist mit den
Principien des Protestantismus unvereinbar. Sehr ric)i-
tig erinnert daher Walter (S. 70) „das Episkopalsystem
hat darin Recht, dafs es die Landeshoheit und das da-
mit verbundene Kirchenregiment, als auf zwei versehie^
vdenen G^ichtspunkten beruhend, unterscheidet." Vom
Kollegialsystem bemerkt derselbe „Es liegt allerdings
in den Tendenzen der Zeit und hat durch die ^schärfere
Unterscheidung der hier concurrirenden Gesichtspunkte
der Gesetzgebung für die allmählige freiere Umgestal-
n r e c h t. 372
Jxing der KirchenverfaKsung vorgearbritet*' Was "war
übrigens schon oben bezüglich der Berücksiehtigmig
der. einzelnen deutschen Staaten als ein Desidorat in
Eichhornes Grundsätzen bezeichneten, tritt hier ebea-
mälsig wieder ein. •'
Wir glaubten der Wichtigkeit der Sache selbst aad
der Bedeutsamkeit der hier einer Kritik anterwoifaca
Werke die bisherige umfassendere Relation, besoaden
in Erwägung von Pruicipien, schuldig zu sein. Bei
Betrachtung der einzelnen übrigen Lehren und losti*
tute des Kirchenreehts müssen wir uns daher achea
darauf beschränken, einige von beiden Verfassern difie-
rent beurtheilte Punkte hervorzuheben.
Bei der Lehre von der Verwaltung' der DlseipUa
(Walter Buch IV. Kap. 3.) oder der Ausübung der
Kirchengewalt nach ihren einzelnen Zweigen (Eichhora
Buch IV.) h^t jener zuerst von der Gesetzgebung, dau
von der Gerichtsbarkeit, Oberaufsicht, Strafgewalt and
dem Besteurungsrecht gehandelt Eichhorn bat die
streitige und Strafgeriehtsbarkeit zusammengezogen «ad
zu den übrigen Zw^eigen der tßoUzi^heHden Gewalt die
«
aufsehende gerechnet. Hiergegen ist zu erlaaem, da(s
die Aufsicht nicht Vollziehung an sich ist, und data die
Vollziehung dem Entwicklungsgange nach der Auf-
sicht fdgt.
Ueber den Ursprung des Pallii herrsdien* bekaaa^
lieh noch Zweifel. Eichhorn giebt .die gewohaliehes
von Walter ohne nähere Begründung verworfene, Aa*
sieht, dafs es Anfangs ein Mantel gewesen, der ki
Orient einen Theil der bischöflichen (soll offenbar hei*,
fsen: der Icaiserilohen) Kleidung ausmachte a. s. w.
(B. L S. 671), und erklärt, dafs vom Besitze des Pak
lii die Jurisdiktion einea Erzbischdfs nicht abbftngig sM
(S. 672). Er bezieht sich dafür auf eap. II. 15. X. de
eleclione (I, 6.) und bemerkt, dafs nach cap. 38. §. L
eod. nur das Recht ausgenommen sei, ein Ceneiiiuia
zu berufen. Walter (§. 149. Anm. g. 8. 900) h< dies
für irrig,, gemäfs c. 3. X. de usn et authoritafe paW
(I, 8.) und cap. 28. |. 1. cit. Das cap. IT. cit. handle
von einem singulären Falle, der nicht ausgedehnt wer-
den dürfe und cap. 15. cit. spreche von einem konfir-
mirten, aber noch nicht konsekrirten Bischöfe. — Die
Kanonisten sind hier ilberhaupt nicht einig, ans scheint
aber das Recht auf Eichhorns Seite, nämlich so, dala
der konfirmirte, aber noch nicht mit dem Pallium be-
K i r e A 4
Ueideie, abo noeh nicht konsekrirto Erzbischof ioi Be-
^mitEm 4er Jurisdiktion ist^ mit Ausnahme des angedeu-
teten Falls, der KonTokaüon des Koncils, und dafs Yon
«km Pallium die Pantifikalien abhängen, also insbeson*
^ere auch das Ordinationsrecht. Daher lifgt auch im
«sap« 11. X. de elect. nichts Widersprechendes oderSin-
^piläres: denn nach dieser Stelle kann der Erzbischof,
oluie Pallium) nicht selbst ordiniren, sondern nur einem
andern zur Ordination befugten Suffraganbbchof dazu
tlen Auftrag erth^Ien. Diesen Auftrag giebt er jure
•J urisdictionis. Ein ähnliches Yerhältnifs besteht für
den einfachen Bischof, der bereits confirmirt, aber noch
-jiicht eottsecrirt ist. Wenn gleich daher cap. 15. X. cit.
nnr vom Bischöfe spricht, so konnte doch auch auf
diese Stelle analog Bezug genommen werden. • Allen-
falls hätte von dem Citate dies durch den Zusatz : argu-
aiento: angedeutet werden können.
Dafs unsere beiden Verfasser über.Grund und Be-
deutung des Cölibats von einander abweichen (Eichhorn
I. S. 521 Anm. 19. S. 528. Anm. 39. Waher 4. 207.
besonders S. 406 not. v) wird nicht befremden.
Viele Controversen giebt es noch überliaupt bei
der Beurtheilung ehelicher Verhältnisse und eine Menge
dsrselbea finden wir denn auch bei beiden Autoren,
die gerade In dieser Materie mehr» als in irgend einer
andern, auf einander Rtteksicht nehmen und sich be-
kftittpfen« Ak Prindp jeglichen Vrtheils, das in Ehe-
iMichen ergeht, scheint aber festgehalten werden zu
SBüsseo, dafs gemttfs der Verschiedenheit des katholi-
sehen und protestantisehen Eherechts (Eichhorn 11,269
fblg. Walter §. 288 folg.) Katholiken nur nach je-
nen, Protestanten nur nach diesem gerichtet werden,
gleichviel ob die entscheidende Behörde ehie weltliche,
eder geistliehe, eine dem Bekenntnisse der Parteien eu-
gehörige sei oder nicht Dies ist eben das von uns
eehott- oben, näher erörterte Moment der Persönlichkeit
des Rechts scMechthin, dessen Anwendbarkeit wir da-
her auch für eine gemischte Ehe, in Anspruch nehmen«
Ehe» darum scheint eine Abweichung hievon in ein-
selnen Gesetsgebungen den Umständen nach eine Harte
' EU enthalten und die Ansicht Walters sich nicht recht-
fertigen SU lassen. Derselbe äufsert nämlich (§. 294.
S. 57S) „die Ehen der Protestanten werden auch von
den katholischen Kirchen als IShen geaclHet. Wenn
jedoch eine solche Ehe vor einem katholischen Ehe-
n r 0 € A t. 374
gericht sur Sprache gebracht wird, mo kann dieselbe
hierin nach den Voraussetzungen beurtfaeilt werden, un^
ter welchen eine Ehe auch unter Katholiken eine voll-
giihige wäre." Dies wird in der Anmerkung su die-
ser Stelle noch naher dahin bestimmt: „Wenn auch
die katholische Kirohe ihre Gesetze den Protestanten
als einer getrennton Religionsgesellschaft nicht als
Richtschnur vorschreibt, so begiebt sie sich darum nicht
des Rechts, da wo eine bei jenen geschlossene Ehe in
ihren Wirkungen auf ihrem eignen Gebiet cur Spra-
che kommt, diese hier bei sich nach ihren. eignen Ge-
setsen zu beurtheilen". Aufser der Nichtachtung per-
sönlicher Berechtigung liegt hierin zugleich eine Mifs-
achtung des evangelischen Kirchenrechts überhaupt.
Daher ist auch von andern Katholiken, welche die Pa-
rität der Konfessionen anerkennen, in entgegengesetr-
ter Weise geurtheilt werden (m. vergl. die Ausfuhrun«'
gen bei Kopp die katholische Kirche im' neunzehnten
Jahrhundert. Mainz 1830). Yon diesem Gesichtspunkte
aus finden wir auch z. B« die Bestimmung der Cois
veykchen Kirchenordnung von 1690 (gedruckt Hildes-
heim cod. anno) Cap. Y. art. II. ganz in der Ordnung,
dafs wenn ein Nichtkatholik von einem Katholischen
zum Gevatter gebeten wird, derselbe nicht pro patrino
spiritualem cognationem contrahente ins Taufbuch ein-
getragen werden solle. — Walter hätte aber um so
weniger jenen Grundsatz aufstellen sollen, als er selbst
f. 296. S. 587 fordert : „Wenn die Staatsgewalt eine
christliche sein will, so darf sie keine Yerbindung er^
lauben, welche die Kirche wegen eines von ihr sta-
tuirten wesMitlichen Hindernisses verbietet« — Dieii
gilt auch für einen paritätischen Staat; denn es geh5rt^
SU dessen Begriff, dafs in der Gesetzgebung auf die
Katholiken und Protestanten, Jeder nacA seinem
Standpunkte^ gleichmftfsig Bedacht genommen werde.
Es bt aber keine Gleichheit mehr, wenn zum Beispiel
das protestantische Kirchenrecht durch die weltliche
Gesetzgebung unterstfitzt, das katholische hingegen blos
als ein Gewissensrecht sich selbst überlassen wird.*'
Wenn wir dem beitreten (vergl. übrigens was Eich-
horn II. S. 33& 337 dagegen erinnert), so ergiebt sich,
dafs hier doch dem Gewissen des Einzelnen noch we-
nigstens Raum gelassen ist, während selbst dies nach
der obigen Beliauptung Walters den Protestanten nicht
einmal nachgegeben ist.
375 K i r e k^e
Walter vertheidigt die Gewissensehen protestanti-
«eher Fürsten, so wie die Befugnifs derselbeoi sich von
der Kopulation selbst su dispensirea (§. 294. S. 578).
Dagegen sind die Grunde Eichhorns II, 329. 330. lind
die Ausfuhrung Heffter't (die Erbfolgerechte der
Mantelkiuder u. s. w. Berlin 1836. §. 17 folg.) ent-
scheidend.
Was über den Einflurs der früher (vor einem be-
stimmten Alter) erlangten nUtilrliqhen Reife hinsicht-
lich der Fähigkeit zur Eingehung der Ehe von Eich-
horn II, 340. Anm; 3. gegen Walter erinnert worden,
hat derselbe in den späteren Ausgaben (§• 291.) aner-
kannt, dagegen bt er durch die von jenem B. II. Si 353
Anm. 8. über die- Bedeutung des Irrthums für die Er-
zeugung der Nullität einer Ehe gemachten Einwendun-
gen nicht von seiner früheren Ansicht abgegangen
(ed. IV. §. 318. neue Ausgabe §. 299.), und hat die-
selbe bestimmter entwickelt« Wir können nicht um-
hin, uns hierin für Walter zu : entscheiden und ma-
chen auf eine nicht in den Buchhandel gekommene
Abhandlung über denselben Gegenstand aufmerksam:
De errore qualitatis in personam redundantis? scripsit
Dr. a Dittersdorf. Brunsberg 1839. 18 pp. 4. (Prooe-
mium zum Index lectionum des Lycei Ho^iani für das
Ostersemester 3. J«).
Indem Eichhorn (II, 355. 357.) die Grundsätze
des kanonisehen Rechts von Bedingungen. bei der Ehe,
als auf den ehemaligen Unterschied sewischen sponsa-
lia de praesenti und do futuro zu beziehen, nur noch
^ Httf Yerlöbjiisse für anwendbar erklärt, und die Auf-
lösung der Ehe von der Konsummation durchi ein
Votum solenn« aus der Lehre vom votum selbst her-
■
leitet, ohne eine Bedingung ^,nisi religionem ingressus
fuero" für zuläfsig zu haltien, äufsert Walter, jen^r
habe die Doctrin und Praxis über diesen Punkt nicht
angesehen, und bemerkt insbesondere: „die Eingehung
der Ehe wird zwar nach der heutigen Dlsciplin vor
dem Pfarrer regelmäfsig unbedingt ausgesprochen, und
er darf ohne Erlaubnifs der bischöflichen Behörde kei-
nen bedingten Konsens annehmen. Dabei bleibt es
n T e € h t*
jedoch möglich, daCi die Ehegatten unter einander?«,
her Bedingnisse festgesctit haben, »Iso die EinwüH
gung vor dem Pfarrer nur mit stillschweigender Be-
ziehung auf jene Bedingungen ertlieilt wird." Achtet
man zugleich auf die weiteren RestrictioQen, wcldie
Walter diesen Sätzen zugefugt, so sind beide Verfai*
eer im Wesentlichen eii|ig und hinsichtlich der Dodris
dürfte Eichhorn durchaus im Rechte sein. Höpa
Kontrahenten immerhin stillschweigend die Bedingung:
nisi religionem ingressus fuero: gesetzt haben; wen
es zur Anwendung kommt, wird das Gerieht ludtf
wegen der Conditio, welche für dasselbe gar mekt
existirt, sondern wegen des Grundsatzes, den dasCone^
Trid. sess. XXIY. can. 6. hierüber aufgestellt hat, ik
Lösung der Ehe bewirken müssen.
Einige andere Streitpunkte bestehen wegen dir
kanonischen Komputation (Walter §* ^^- EicUieii
II, 386 folg.)« wegen des Requisits des äiterlichen Kon-
senses bei Eingehung der Ehe (Walter §.296, dff
mit Unrecht in cap. 3. X. qui matrimonium accuiaie
possent (lY, 18.) die leiges au( das germanische Beck
beschränkt« Es ist vielmehr mit an das römische n
denken, welchem das ältere kanonische Recht folgt
Eichhorn II, 357. 433), wegen der Begründung der tt-
kramentalischen Natur der Ehe (Eichhorn II, 442. 4tt
Walter §. 295.)i der Legitimation durch nachfolgeiid^
Ehe (Eichhorn II, 450. 451. Walter §. 311. S. 620),
der Unauflöslichkeit der Ehe (Eichhorn 11^ 465. tfat
ter §. 313. S. 622), wegen der gemischten Ehen (Eidh
hörn II, 492 folg. 500 folg. Walter §. 318. not i.
S. 634) u« a. m. Der näheren Ausgleichung musiei
" wir uns enthalten, da nicht ohne eine vollständige Ex-
plikation des gesammten Eherechts dieses mdglich mu
würde. Ebeii so möge genügen, wenn wir erin»<w»
dafs bei den Lehren von der kirchlichen Baukst, dei
bischoflichen Gehilfen u. s. w. bei einer neuen Aoi*
gäbe von Eichhom's Grundsätzen eine besondere Ben-
sion nöthwendig sein dürfte.
H. F. Jacobson.
wissen
Ji^ 48.
Jahrbüche
für
I
8 e h a f 1 1 i c h
e K r i t i k.
März 1840.
XXX.
Lehrbuch des Latetmschen Stils ton Ferdinand
Wand. Zweite r erbesserte Ausgabe. Jena^
in der Cröherschen Buchhandlung. 1839. 8.
X u. 502 S.
Practisehes Handbuch für Uebungen un Latei-
nischen Stil von Ferdinand Hand. Jena.
Croiersche Buchhandlung. 1838. 8. X t#.
240 S.
Bei den Lehrbüchern des L&teinischen Stils - ist
joan bisher gewöhnlich auf zwei Abwege gerathen.
Entweder gab man allgemeine Regeln zur Rhetorik
und Logik, oder man reihte einzelne Notizen mehr in
za£RUig.em äuEieni^ als nothwendigem innern Zusam-
'liienhange aneinander/ und verwies deuj der die Kunst
Lateinisch zu schreiben erlernen wollte, mehr auf eigne
Beobachtung und eigenes Glück, als dafs man ihn mit
bestimmten Prinzipien und Regeln ausrüstete. Der Art
ist X. B. noch das neueste Werk, das sich eine Theo-
rie des Lateinischen Stils nennt, von C. I. Grysar
(Cöln 1831). .Es ist das Yerdienst des Hm. Hand, zu-
erst auf eine wbsenscliaftliche Weise iie Lehre vom
Lateinischen Stil behandelt zu haben, und dafs sein
Unternehmen mit Beifall aufgenommen worden ist, be-
weist die Jetzige zweite Ausgabe des Buches , die der
ersten in nicht langem Zwischenräume gefolgt ist. Sie
Ist im Allgemeinen nicht verändert; aber durch häu-
fige Zusätze und Berichtigungen verbessert.
Ilr. Iland bestimmt die Theorie des Lateinischen
Stils (p> 11) als die Anweisung, wie wir Deutsche La-
teinisch gut d. h. richtig und schön schreiben sollen.
Vorausgesetzt wird das Geschick , richtig .denken zu
können, vorausgesetzt die Regeln der Rhetorik, die bei
allem schriftlichen Ausdruck nothwendig sind. Es soll
nur gezeigt werden, wie Beides, abweichend vom Deut-
Jahrb. /. wUsennh. Kritik. J. 1840. L Bd.
sehen, und als ^characteristische Eigenschaft des Latei*
nlichen beim Gebrauche der Lateinischen Sprache in
Anwendung Jcommt. Grammatisches und LexicalLsches
glaubte Hr. Hand mit aufnehmen zu müssen: er be-
zeichnet es erst (Vorrede S. 8) als den rechten Gewinn,,
der aus einem solchen Lehrbuche gezogen werden kann,
wenn der Leser es zu einem Adversarium macht,* in.
das er eigene Bemerkungen unter den betreffenden Ru-
briken einträgt. Gewifs mit Recht. Mit dem Gram-
matischen und Lexicalischen würde aller wahre Inhalt
eines solchen Lehrbuches wegfalten : es wurde ein Fach-
werk von Regeln sein, dem Brauchbarkeit fehlte. Wir
würden indefs nicht, wie es S. 10 heifst, sagen: „Die
Theorie des Stils hat die Regeln der Anwendung der
grammatischen Gesetze zu zeigen." VTelche Gramma-
tik thut das nicht auch? Das Prinzip des Stils ist über-
haupt Schönheit; Correctiieit an und für sich gehört
nicht in die Lehre vom Stil^ es mufs über sie nur ge-
sprochen werden, in so fern sie zur Schönheit noth«
wendig ist. Hieraus crgiebt sich auch die Gränze zwi*-
schen Stil und Lexicon und Grammatik. Da wir nämlich
unter Lateinischem Stil den Gebrauch der Lateinischen
Sprache, der sich bei den sogenannten Classikern fin-
.det, verstehen, so wird' die Lehre davon als Material,
mit dem sie es zu thun hat, Grammatik und' Lexicon
in so weit umfassen, als Beides sich bei den Classikern
gebraucht findet, oder, wenn man die gewöhnliche
Grammatik voraussetzt, alles das, worin ein upterschet <
dendes Merkmal der classischen und jeder schlechteren
Schreibart liegt. Hr. Hand spricht in seinen Erläuterun-
gen über das, was eine Theorie des Lateiubchen Stils
lehren soll (S. 11), diesen Grundsatz zwar nicht aus,
doch beobachtet er ihn stilbchwcigend.
Wir kommen zum Buche selber. Es zerfällt in
zwei Haupttheile, von der Correclheit und von der
Schönheit: vorangeschickt sind Erörterungen über den
Lateinischen Stil im Allgemeinen, über die Geschichte
48'
r
L.
I '
V \
379
Handy Lehrbuch de9 Lateinuehen Stils.
380
und den Character der Sprache« Die Regeln werden
in Paragraphen vorgetragen und ihnen in Anmerkungen
•Beispiele und Erläuterungen beigegeben. Ueberall er«
kennt man die Absicht des Hrn. Verf., nicht eine blols
ineehanische Behandlung der Sprache und eki bewufst-
loses "RLueignen ihrer Gesetze, sendem die künstlerische
Handhabung derselben su lehren. Die Verdienste des
Hrn. Hand um die Lateinische Literatur sind aner-
kannt. Wir brauchen also nicht zu erwähnen, wte
auch das vorliegende Werk überall seine gründliche
* Gelehrsamkeit beweist. Indessen ist es naturlich, dafs
bei dem neuen Wege, den er zuerst eingeschlagen, den-
noch Manches sich findet, das einer ^nähern Prüfung,
Manches wohl auch, das einer Berichtigung bedarf.
'Wir wollen uns im Folgenden einige darauf bezügliche
Bemerkungen erlauben.
Mit grofscr Schärfe sondert Hr. H. die Begriflfb
und sucht Alles bis auf Einzelheiten zurückzubringen,
geräth aber dabei zuweilen auf einen Abweg, der b^i
einem Lehrbuche am meisten zu vermeiden ist; denn
für den Lernenden ist es unbezweifelt besser, wenige
Rubriken, in denen das Verwandte zusammengefafst
wird, zu haben, als bei vielen fein spaltenden Unter-
schieden das Ganze weniger übersehen zu können. In
der Entwickelung des Characters der Lateinischen Spra-
che S.'82 folgd. werden z. B. zehn Eigenthümlichkei-
ten der Lateinischen Sprache aufgestellt, Mangel an
Abstraction und Streben nach concreter Auffassung,
objective Anschaulichkeit, Streben nach Bestimmtheit
und strenger Fixirung der Behauptung, Klarheit und
Einfachheit^ Einheit der grammatischen Verbindung^
männlicher Ernst und nüchterne Verständigkeit u. s. w.
Wir glauben nicht, dafs hierdurch ein wirklich an-
schauliches Bild gewonnen wird. Sind zudem nicht
Streben nach concreter Auffassung, objective Anschau-
lichkeit, Klarheit und Einfachheit, Einheit der gram-
matischen Bezieliungen, so miteinander verwand t^ dafs
sie fuglich zusammengefafst werden können t Alle diese
£igenthümlichkeiten konnten ferner unter eine Einheit
gebracht und gleichsam genetisch entwickelt werden,
wenn gehörig hervorgehoben wurde, dafs die Römische
Prosa sich durch die olfentliche Beredsamkeit bildete.
— Der Abschnitt von der Klarheit S/ 237 zerfällt in
acht Abtheilungen, von der Angemessenheit des Aus-
drucks, von der Bestimmtheit des Ausdrucks, von der
Einstimmung der Beziehungen, von der Anschaulich-
keit, von dem Gebrauch des tropischen Amdmcks «.
8. Vf. Wir glauben, dafs hier der Gebrauch des tropi-
schen Ausdrucks dem Abschnitt von der Angeflsenen.
heit des Ausdrucks untergeordnet, die drei andern Ak
schnitte aber in einen zusammengezogen werden icMn-
ten. Auch bei der Angabe grammatischer Regeln sdieint
das Bemuhen, Eigcnthümlichkeiten det LateiniseheD
Spraclie aufzustellen, der Ordnung und Uebersiehtlidi-
keit des Ganzen zuweilen Eintrag gethan zu haben.
Es heifst S. 195, wo von der Verschiedenheil des
Deutschen und Lateinischen in Bezug anf den Mote
gesprochen wird, unter nr. 1: ^Jier Lateiner spridit
gern im Indicativ assertorisch aus, was der Deutsche
durch den Conjunctiv der Hülfsvvörter bezeichnet. So
(Soll das X. B. heilsenf . Die folgenden sind ja aber
eben die einzigen Deutschen HCdfszeitwörter.) bei den
Wörtern könnte^ dürfte^ mB/stej würde, wäreJ^ Un-
'ter nr. 3 heifst es dann wieder: „Ein gleicher Gnud
liegt vor, weshalb die Römer weit seltener, ula wir
nach Deutschem Sprachgebrauch, der Behauptung ebie
Limitirung der Bescheidenheit und des Zweifels baA-»
gen." Geschieht dies aber nicht durch eben jene schon
erwähnten Hülfszeit Wörter ? Femer unter nr. 4. 9,Der
' Begriff des Pflegens^ des Geschehenkönnens wird dem
Römer zur bestimmten Anschauung, und er spricht über
ein Herkommen, eine Sitte, eine Beftlhigung, wie über
eine Thatsache, im Indicativus.** Verstehen wir dies
recht (denn weder jene Regel, noch das beigeiugte
Beispiel Cicero p. leg. Manil. 5, 13 ^od ejusmodi in
provinciam homineM cum imperio mittimm macht uns
die angegebene Eigenthümlichkeit klar), so ist es wie-
derum dasselbe wie unter nr. 1.
Wo Hr. H. S. 115 und folgd. von der Reinheit der
Sprache und zwar zuerst von der Wahl ächter, richti-
ger Wörter, dann von der grammatischen Richtigkeit
handelt, verfolgt er im Ganzen einen negativen Weg.
Er warnt vor Archaismen, vor Neologismen, vor Ger-
manismen, vor der Täuschung, die häufig aus falseiien
Lesatlen ju. s. w. entsteht. Zweckmäfsiger, glauben
wir, wäre eine mehr positive Behandlung gewesen, die
das Gute, das man brauchen darf, erwähnt hätte. AJs
unbedingt anwendbar konnte das aufgestellt werdeo^
was bei den uns erhaltenen Mustern des goldenen Zeit-
alters, bei Cicero und Caesar, vorkommt. Aliein auch
in der Sprache des silbernen Zeitalters ist sehr Vieles,
das wirklich als ein Fortschritt und eine Fortbildung
381
'Bandj Lehriuek 4$» lmi»inüeAen Siüs.
382
Anzusehen itt, z. fi. ^er GeMuch des Parliclpii Fit-
twr« Aotivi sur Bezeichnung der Absicht, hesonders in
der Zusammeostelliuig mit Condiüonalsjiuen , die Yec-
bfaidnng der Adverbia m, fuo mit dem Genitiv sur
Bezeiehnung des Grades', der Gebrauch des Participti
Farf, Pass. im Ablativ als Prädicat eines Satzes z. B.
^ejF^ amdÜ0 k^tf apjMrapinguarey €0friaM maM tun-
iraxiiy u. s. w. Selbst bei den Vonehrlften über die
Wahl richtiger Wörter konnte über ganze Classen von
Vr^Hrtetn gesprochen werden, x. B.. die Adjeetiva auf
bUia, der Suhstantiva auf us und io und mentura. Wir
glauben, dafs solche bestimmte Angaben von Brauch-
barem mit Warnungen vor Unbrauchbarem hätten ver«
hiiiiden werden müssen* — Rhetorisches ist bei Hrn. H.
ganz ausgeschlossen. ^ Ob mit Recht, läfst sich bezwei-
feln. Die Lateinische Sprache bildete sich in der Rede
ans, die ganse Bildung der Römer war wesentlich rhe-
torisch: es wird ako auch unter uns Niemand gut La-
teinisch sohreiben können, ohne ein gewisses Maafs
riietorischer Kenntnisse zu haben. Zudem brauchen
wir selber die Lateinische Sprache hiufig zu oratori-
sdien Zwecken«. ^ wie also Hr. H. über den Ge-
brauch des Tropus, der doch dem Redner hauptsäch-
•lich nothwendig ist, spricht, ebenso, dünkt uns, hätte
er auek über den Gebrauch der Figuren, wenigstens
derer, die sich auf die Darstellung beziehen , sprechen
müssen. Sie sind das vorzügliehsteMittel, um dein Ausdruck
Abweeiisetttng und Mannigfaltigkeit zu verschaffen.
sehen Handbuche Statt finden, die jetzt dem Lehrer
oder dem guten Glucke des Lernenden Qberiassen bleibt
Dafs sich bei der Menge des Materials, das verar-
beitet werden mulste, auch Ungeuauigkeiten und Un*
richtigkeiten einschlichen, ist erklftrlich. Wir erwähnen
Einiges aus dem Capitel von der grammatischen Rich-
tigkeit. Wenn S. 172 die Unterlassung der Verwand«
lung des Gerundii in das Parücipium Futuri pass. als
archaistisch bezeichnet wird, so hätten die einzelnen
Casus des Oerundii unterschieden werden müssen, da
B. B. der Ablativ des Gerundii mit dem Accusativ nicht
selten, der Dativ dagegen - höchst selten ist. Dennoch
erklärt Hr. H. eine Redeform, wie in alloquendo vi-
etorem bei Livius 30, 13, 9 fOr an>vendbar, und setzt
hinzu: „andere Redeformen, yiit quam (viam) nobü
yuoqUe ingrediendum sity Cicero de sen. 2, 6 oder
earum rerum infiHandi rationem^ Cicero in Yerrem
4, 47, 104 bestehen durch besondern Grund der At-
traction.'' Wir begreifen nicht, was . die AttracUon hier
soll. Cicero wählte eine etwas ungewöhnlichere Ver-
bmdung, um den Gleichklang ir^fitiandarum — defen^
dendarum zu vermeiden, den er an anderen Stdlen
freilich nicht vermeidet. Aber Attraction d. h« doch
hier nichts anders, als die Abhängigkeit des Genitivs
vom Subst« raiionem findet nicht weniger bei ififiiian"
darum Statt. Und warum soll ,die Stella de senect. 2
tamquam aliquam viam longam eon/eceri$^ quam
noiis quoque ingrediendum mV, durch Attraction te-
Man könnte die Frage aufwerfen: Ist nun Jemand, ^eiehen? Also besteht auch wohl, wird Jemand sagen.
der die gewöhnliche Grammatik inne hat, wenn er die-
ses Lebrbueh gelesen und studirt Imt, im Stande La-
teinisch zu schreilien, einen Lateinischen Satz zu bil-
jden? Wir müssen es bezweifeln. Es liegt hierin kein
Vorwurf f&r Hrn. H.; denn eine Theorie, die er ent-
^jperfen wollte, kann nicht dem Anfänger dienen, son-
dern soll den schon weiter Vorgeschrittenen ausbilden
und zum SelbstbewuPstsein bringen. Wäre es indefs
nieht sweckmäbig, am Ende der Theorie zu zeigen,
wie es der Lateiner anflkigt, um einen Satz su bilden f
Die Sache scheint vielleicht zu sehr practbch, als dafs
«ach Begeln darüber geben liefsen, und wir läugnen
ttiehr, dafs dmr grölsere Tlieil der Uebung anhehn fällt.
Gewbse Andeutungen und Winke werden aber mög-
lich sein, die durch Beispiele anschaulich gemacht wer-
den können« So ' w&rde eine Vermittelung zwischen
Theorie des Lateinischen Stiles und dem practi-
der Satz legi Handii librum^ quem tibi quoque legen-
dum eMt statt qtsi — legendus est» Cicero's Aus-
druck an dieser 'Stelle ist und bleibt singulär. Was
hätte er verloren, wenn es hiefse quae uobis quoque in-
gredienda sit? — S. 173 heifst es: „studere aliquid
(Cic Phil. 6, 7, 18) ist eine Construction, die fast erst
eines Citats der Beglaubigung bedarf.'* Die Stelle des
Cicero heifst: unum eentitis omneSy unum siudetisy
ganz gewöhnlich, als Neutrum eines Pronomens, wie
Aoe operam doy hoc tibi auctor sum. Wer kann
aber daraus schliofsen, dab man im Allgemeinen stu-
dere mit dem Accus, verbinden darf? Weiter in der-
selben Anmerkung: ,^Livius schrieb 5, 39.9 si quidquam
in voiisy non dico eiviiisy sed Aumani ^e»ety wo die
Rechtfertigung, die Worte non dico civiÜM seien Zwi-
schensatz, nicht ganz ausreicht." Wer kann diese
Rechtfertigung brauchen t Auffallend ist hier die Yer-
383
Band^ Lehrbuch des ZißtemüeÄfn S^ils*
m
binduilg ^uidfuam ewüü statt eivih; sie findet ihre
Erklärung in dem darauf folgenden humani^ und wird
durch ähnliche Stellen gerechtfertigt. Ebendaselbst in
der Anmerkung zu ^. 38 wird über n07i statt ne beim
Imperativus und Conjunctivus gesprochen. Hier mulste
•owohi der Imperativ und Conjunctiv, als auch die ^in-
seinen Personen des Conjunctivs geschieden werden;
das Letztere verlangt Quinülian 1, 1, 5, der non fe»
ceris statt ne fecerii für einen Solocismus erklärt. Die
2te Pers. Singul., in der vorzugsweise die befehlenda
.Kraft liegt, wird sich au£ser Uorat. Serm. 2, 5, 91 ultra
non etiam silects^ wo überdem der Sprachgebrauch auch
eilüerie verlangt, schwerlich mit non % erbunden finden ;
denn Valer. Max. 4, 3 Ext. 4 velhn non obetes^ das
Hr. H. anführt, und als obsolet bezeichnet, gehört nicht
hierher, und |)ei Seneca Quaest. Natur. 1,^ 3, welche
Stelle in Reisig's Vorlesungen über Lateinische Sprach-
wissenschaft S. 588 angegeben wird, steht ne dt4bita*
veri$j nicht non dubitaverü^ Die übrigen Personen
erlaubt sich Quiutilian selber mit non zu verbiuden,^z.
B. 7, 1^ 56 non desperemus^ 1, 1, 5 non assue^
8cat. — S. 175 in der Anmerkung zu §. 40 wird die
Regel gegeben: 9,Die Yerba aecusare, damnare, absol-
vere verbinden sich nicht mit dem Genitiv eines jeden
Nomen (I), sondern nur der speziellen Bezeichnungen
bestimmter Yergehen und Strafen, und man sagt nicht
criminis aecusare, aber invidiae crimine und capitis.!'
Ur. H. scheint sagen zu wollen, man Könne den Geni-
tiv solcher Substantiva, die den Begriff „Yergehen" im
Allgemeinen anzeigen, nicht ^ mit .jenen Verbis verbin-
den. Dann würde also z. B. peccäti^ icelerie^ male*
ßcii aecusare falsch sein? Denn criminis aecusare
sagt man natürlich nicht: Wer sagt denn im Deutschen:
Jemanden einer Beschttld/gung anklagen; wohl aber
Jemanden mit der Beschuldigung dieses oder jenes
V.ergehens anklagen, also crimine maleficii oder ma^
leficii allein. — In derselben Note S. 176 heifst es:'
„Cicero «und Caesar bleiben der Regel treu, nach wel-
cher bei. einem Infinitivus das Passivum (soll heifsen
des Passivi) nicht coepisse, sondern coeptum esse ge-
sagt wird, dagegen Sallust*' u. s. w. Diese Regel ist
allerdings gegeben worden, aber sie ist unrichtig; und
es ist nicht gerathen, die Lateinische Grammatik noch
mit Satzungen zu vermehren, von der so eclatante Aus»
nahmen sind^ wie Cic. Brut. 27 eoque forum tenente
'^ViVfifieri judicia eoeperiint, gerade so wie Hr. Hand
als nicht nachzuahmende Eigenthümlichkeit des Sallust
anführt: älia hujusmodi^^?rf coeperc.
Einen Anhang bilden Winke „zur Methodik,'* de-
ren Ausfnhrang ,^da8 practische Handbuch für Uebun-
gen im Lateinischen Stil" ist. Hr. H. sagt in der Yor-
rede dazu S. 5 : .,Nach meiner Ansicht kommt es haupt-
sächlich darauf an, die moderne und mit der vaterlän-
dischen Sprache verschmolzene Abstractionsweise auf
die alterthümliche und, Lateiniscite zurückzuführen und
hier soll eben die Kunst gewonnen werden, acht Deut-
sche Gedanken in acht Lateinischer Sprache auszu-
sprechen.*' Das ist also die Tendenz des Buches und
'das Resultat der früher anzustellenden Uebungen soll
sein, die am Ende angefohrten Stücke aas Deutschea
Schriftstellern in*s Lateinische übertragen zu, können,
(vergl. S. 6). Wir erkennen an, dafs Jemand, der die
Lat. Spraehe gelernt hat, auek etwas Deutsch gedaek.
tes und geschriebenes in's Lateüüsche zu ^übeHngca
verstehen mufs : und er wird es verstehen ; aber ab
Hebungen für Anfänger halten wir solche üebertrapin.
fen, so viel Nützliches sie auch für schon Geübte ha*
en, für zu schwer. Wie viel JMülie macht es, etwn
Lateinisches acht Deutsch wiederzugeben; und eine \k
geringere Gewandtheit können wir im Lateioischcs
erlangen, als wir im Deutschen besitzen! Schon bei ei-
ner neuern Sprache würde jene Methode gefahrlieh
sein: sie aber bei der eines Volkes, das durdi nc|^
Jahrhunderte von uns setrennt nothwendiger Weite
eine ganz verscl&iedene Denk- und Sprechweise haben
mufs, anzuwenden, kann nur zu einseitiger Auffasson«
fuhren, niemals aber diejenige Gewandheit und VcT'
.trautheit mit derselben verschaffen , die sie um aii
lebende handhaben läfst. Wenn Hr. H. sich gegen den
von Vielen gebilligten Weg, sich an der üeberselwn»
von Stücken neuerer Latinisten cu üben, erklärt uni
meint, „besseres Wasser werde doch aus der reiuei
Quelle geschöpft," so hat gewifs Keiner von denen, die
jenen Weg einschlugen, gezweifelt, dafs Stucke aus
alten Schriftstellern, ,^an denen Alles Regel sein kann,'
sobald sie sich durch ihren Inhalt empfehlen, und ua.
serer Anschauungsweise näher stehen, besser sud, als
Stücke aus Neuern. Da Beides aber nicht häufig der
Fall ist, so haben sie nolhgedrungen zu Muret, Emesli)
Kuhnken u* s. w. dhre Zuflucht genommen.
Das Buch selber zerfällt in xwei Ahtheilunges. Die
erste enthält „Aufsätze mit Originalen verglichen'' 1 L
die Uebersetzung von Stiicken aus tlicero, Quintiiiao,
Seneca, Livius, die in das Lateinische zurficküberseti^
und mit den Originalen verglichen werden sollen; „Ma-
ster in ihrer Zergliederung," Stöcke aus Clcera uad
Caesar, die in grammatischer und stilistischer Hinsiclrt
erklärt, und zergliedert werden, eine (reffliche Anlei-
tung, wie man die LectQre der alten Schriftsteller^
Bildung des eigenen Stils benutzen kann; endlich „Kri*
tik und Verbesserung mangelhafter Aufsätze," wohl nur
für den Lehrenden berechnet. Die zweite Abiheilung
besteht aus einigen Beispielen zu einer jetzt etwas ab-
gekommenen Art der StÜübiing „au'r Imitstion,'* &
folgen „Aufgaben zur UeberseUung'' von Stücken^aM
Deutschen Schriftstellern 5 den Schlu fs bilden „Themata
für freie Bearbeitung," bei denen wir indefs förclrteö,
der Standpunkt sei zuiki Theil zu hoch gewählt. Wla
soll Jemand, der sich im Laleinischschreiben «oeli »K
Aufgaben, wie: „componftur Electra Euripid» J:"*
tragoedia Sophoclis, wobei zu bestimmen, ob das Stuck
dem Euripides mit Recht zugeschrieben werde odw
nicht," oder de po^tis Alexandrinis oder de ««'5['"|
veterum, auch nur einigermafsen genügend beha'M»"j
Denn es kommt hier nicht darauf an, Aufgaben zu »^^*
Icn, die der Lernende allenfalls schlecht, sondern w«
er mit Leichtigkeit gut behandeln kann.
Dr. A. W. ZumP**
]
J a h r b fi c her
für
wissen s c h af tl i ch e
Kritik.
März 1840.
iB
«■b
MBSBttBbtt
Mi
mt
a
Die Lehre rom Mord und Todlschlag^ einer At-
storüch'piUtosiophfechen Kritik unterworfen^ zu"
. ghi^h dagmaOechj dßgmengeuhiehtKch $$nd
emi Rüeheicht en^ die nenem Geeetzgebunfem
eiärfeslelü «•!• Ckrittiam JSemhald Mmetlin^
Adeohaien zu Stuttgart. Erster THieil. Die
Ideen dee romischen Rechts. Stuttgart, 1838.
Verlag der J. 1^. Metzlerschen Buchhandlung.
Xri. 224 8. S.
Wir k$ben kier dkn Aafang ehier wiMenseharMI«
cken Vm 6it«cbmg yrot whm^ dte, Je Dftefa 4tn versebi»*
denea ItttihCttiigen, von denen man atmgeht^ vaeh' den
Fofdefungep, die na« ?eii dieaem Standpmikte a^a an
ebi* Jttfiatlaeke Daratdluiig maekt^ fceaonderd Wie aie
die ereteo Zdlen dea TItda beKeiohneiiy elee sehr enC«
gegengeeeCEte BeurfheBuHg erfabreii^wM. Wir deu«
teil fluift achen an, wozu der irtifere Tkel Veranlaa-
amig giekt, ^dafs eben diese Rielitiingeii und Ferdtraa*
gen im Verhaltnbae s» der LebliiDg dea Vetfc. der
Gegenaffind dar Beapreelwng'iiitd Verafabamiiig wer«
den mafeten, beror es adgttek wäre grQadReb an den
Inlialt SV gehen. Ja^ dieser, abgeseh^en von dem Zu«
anmmei^iaiige, fas ^releben er aelbal neih wendig mit def
Form mid Methede steht, könnte rOelcalehtUeh einer
heaohdern Lehre aua einem iMatimmten Zweige einer
Wlaaenaehaft, die aneh wiedar nvr ein Glied einea gra«
tben Ctenien ist, ondrioksiMitlteb der weitem Ein»
neinhelten hi einem gewisseii Grade gleiebgQltIg er<^
gdiehieD, gegenüber der fVage nach der Methode der
Beimntfkng, die ihren EfaifluOi auf daa Ganae emtreelrt;
Dieae Frage, die ateb auch bei andern Oelegenh Am
mibrfaigen Uefse und adion oft eriftrtert ist, kann l^r
nieiit gans nmgangen werden* Der Vetf* ruft jAe von
Nenov herror, und mit ihr einen Streit, der, wf^ ieh
Jmkrb. f. wiuemck. KrÜSk. J. 1840. L B4.
g^be, erledigt sein ntlftio und komrte, wenn man gew
neigt wäre, sieh so verständigen. Wir verwerfen
wahrlurft wteensehaftKehen Streit, d^ sieh in objek-
tiven Grenaen bewegt, keineswegs: er ist nothwendig,
wett der Begriff der Saehe aelbat die vendkfedenen
Gegenafttae als Riehtungett in alefa fafst, sie mit Bh-em
Reeht aneikennt und entläfst; kann das Dasein nicht
geleugnet werden, uo mufa auch daa Reeht d«»eiben
gelten $ aber ea findet seine gebthrende Sehranke durch
daa Yerhäknira eu andern gleteh berechtigten Momen-
ten in dem Ganaen und der Idee desselben. Aber fref.
lieh, diefs ist nicht der gewöhnBebe Strwt, der von
dem Streben des einen oder andern Manwnts ausgeht,
nieht als soldlres mit und neben den übrigen cv gelten
und mit Ihnen seine Wahriielt in dem Ganzen zu ha^
ben — sondem welches fSr sieh allein gehen, dfe an-
dern nicht hestehen lassen wiH. Hier wird es Pardid-
kämpf, behaftet mit der Subjektivitftt, die ihre ganze
Kraft mit nUen ihren YorzQgen und ihren 'Mängeln
daran giebt/ Auch von solchem Streit ist sicherlich
für die Wahrheit Nutzen erwachaen — schon deshalb,
well die verschiedenen Standpunkte erst durch den
Gegensatz und Widerspruch ihre Bedeutung und das
Bewufstsein derselben erlangt haben — aber wir ver^
m6gen Ihm nur einen relativen und bedingten Werth
beiaulegen, so lange er nicht sein wahrhaftes Ziel er*
reldit in einem Frieden, der nicht Mos gegenseitiges
Dulden, oder nur Ignoriren ist, oder Anerkennung ei-
ner nicht zu leugnenden Thatsaehe, der man niehts
zugesteht, vm bei gOnatlger Gelegenheit doreh k^ne
Terpdichtang gebunden au sein ^-^ nein, der vi^hnehr
^ Berechtigung und Bedeutung aQer wlAiAaffen Sei«
ten anerkennen lifst, indem eine jede^ ab wesendtch
gilt. So glH Ao aber nur, indem die Anerkennung
0hie gegenscMge ist, und jede 'Seite ehi' Schmuck des
Ganzen und f9r dasselbe unemfbehrliGh, zugleich alle
andern voraussetzt, ja In so fem sie selbst fttr sich
• 49
387 KoitUny die Lehre vom
hervortritt, jene als, ergänzende an sich bft. Gelai^
gen wir nicht dahin, b6 bleiben der Gegensatz nnver-»
eint, der Widerspruch unaufgelöset, die Parüieien .uii-^
veiyolint; ode^ es überwältigt, wie für diese frscliei-
nung die poHliscIie Gesehichte, und nicht miAder die
der. Wissenschaft uns zahlreiche Bestätigungen darbie-
tet, für eine bestimmte Zeit die eine Richtung die an*
dere, und gelangt zum Sieg und zur Alleinherrschaft.
Aber nieht ohne die Naditfaeiie, die solches gegei!sat2«
lose und in sich nicht gegliederte Sein mit sich führt \
nicht ohne, dab alsbald ein unvermridliches Streben
entsteht, den Gegensats in sieh selbst hervorzurufen;
So wiederholt sich die frühere Erscheinung und dient
zur Bestätigung jener Wahrheit, die nher allen dieses
Kämpfen steht. Möchte man sich doch darüber eini-
gen, dann mag sich jede Seite, jede Richtung. in mög*
lichstem Umfange entwickeln und ihre rricben BeiUräge
liefern: sie werden nicht blos dort, sondern überall
eine dankbare Aufnahme finden. Ich gebe die Hoff*
nung nicht auf, und es mufs unserer Zeit geziemen, sie
in Erfüllung zu bringen, da sie das Bewufstsein hier-
über hat. Ja, so wie in der Sache selbst die Gegen*
Sätze nicht als feindliche, ausschUebende und unver-
einbare bestehen, so sind sie auch in den sie darstel-
lenden Individuen, die hier in Betracht kommen, nicht
in solcher Schroffheit vorhanden, wie man oft behaup*
tet und wie Ittanche sich selbst überreden mochten.
Ich kdnnte dieses besthnmter nachweisen, wenn ich
nicht lieber bei den Sachen stehen bliebe. Einseitige
und nicht in wissenschaftlichem Geist gemachte An-
griffe, von leicht zu durchschauenden Tendenzen her-
vorgerufefie Herahsetfungen des Werths der söge«
nannten historischen, philosophischen, praktischen Schu-
len gehören nicht hieher. Fehlt es doch auch sonst
nicht, bei aufrichtiger Versöhnung der Häupter, an un«
tergeordneten Subjektivitäten , denen ^iese ein Aeiger-
nib ist. Ich meine nicht einen Frieden, der das Er-
g^bnib schwacher Nachgiebigkeit «wäre, wo der redli-
chcf Kampf eine Pflicht ist: ich meine nicht die sub-
jektive, wenn auch ebrenwerthe Gesiiknung, die den
Frieden sucht , welcher Art er auch sei. Gc^en Un-
recht und Unwaiirheit auch in unserm Gebiete wollen
wir stets nach Kräften streiten, und iiierin sind wiederum
alle acht wissensobafHichen Partheien einverstanden,
Unwürdige und gehaltlose Angriffe und Yerunglimpfun-
gen der einen Richtung werden auch von der* Seit^
Mord und. TodtecAlag*
nicht .gebilligt wer^n, der sie eine Hülfe von einar
Art beretten wollen , wie jene sie nicht Verlangt wä
nicht bedarf. ^ Und im Gegentheil wird jede in der G«.
ainnung und in dem Werke gute auch, einseiligo U*
stung anerkannt werden. Einen/Friegdesj^ wi<| geii|^
suchen wir, der aus der Einsicht hervorgeht, wie jcse
Gegens&tze in einer hohem Einhwt der Wisiemdafl
noth\^endig sind; der jenen ihre gebührende Gdtng
sichert ; der endlich, indem er objektiver Art Ist, voiiadhl
die Individuen ergreifen wird. Die Wissenschaft hü^
wie des Vaters Haus, viele Wohnungen : der ReididnB
der einzelnen Momente ist ihr eigen, und sie kua
nichts von Bedeutung abweisen wollen. Ja die Lek»
digkeit der Gegensfitze itt die Bedingung ihres dpa
Lebens, Gedeihens und Wachsthums«
Oder, wäre wirklich eine AussehHelaung und &
yereuibarkeit da? Wäre ^es, weil wir das Recbfw
seiner gescIuchtUchen Seite in seiner Ausbildung «ri
als Theil der politischen und der Sittengeschicht« fa
Yolkes betrachten, — und wir müssen dieses thun, (m
ja das heutige ein gewordenes ist — wäre es ieäA
noth wendig zu miisbilligen , da« Recht auch zms G«*
genstande philosophischer Auffassung zu machen! w&i
es strafbar, in dem Gegebenen, in dem Progftb te
Geschichtlichen — ähnlich wie in den Erscheia«B|ei
der Natur — auch einen Gedanken zu erkeaaes ui
einen Zusammenhang der Geschichte aller YdUcety di«
und so vTeit sie mitzählen , weil sie ein Priadp i»'
stellen! Oder dürfte man die Wahrheit nur hl der it?
^fsem Schaale zu finden hoffen I Wenn man diese ki»
den Gegensätze Wiederum einen gleich dem aadfia te
Anwendung und dem für diese bestimmten StsAia
entgegensetzt, sollte wirklich hiezu ein Grund sebt,
In einer Periode, wo in dem RechtsstudiaB^ wk
in dem der Theologie die dogmatiieh - praktisdie M^
thode vorherrscht, hat man es stets für naükwmät
erachtet, auch die .Geschichte nnd die Philosophis dir
Lehren als Gegenstände akademischer Vorträge ssb»
stellen« Es ist Niemand eingefallen, einen Foisdierii
tadeln, weil er neben der praktischen Richtaag «n^
die andere befolgte. Freilich war i|ber damals die.^
siehung unter den verschiedenen Betrachtaai^aNe
eine blos änfeerliche. Die Geschiehte stand filr Ak
ohne die Vermittlung zu. dem DogmaUschea zu gfkes«
letzteres schien jener nicht zu bedürfen, und veUsn^
die Plulo9ppbie jn der. Gestaftt: eines beliebigea «08*-
BUBifeB üatncsrfit» atand mit dem Posidveii, dam €te*
■dhJcNliohMi imd den PrakUidMii, in keiner lebendi*
§0« Beilehuiig''; alt wurde daher bald für Yerwerffioh^
haU weoigsteM flHr encbehrttoh auagegeben, mid etwa
geduldet. .Jene Yereinbarkeit also hatte ihre StQtse in
gegeneeltigen Besiehungsloaigkeit; man iuelt sie
Jnrbtfltt für ao wenig gefäliriieh , ala etwa den
veffgesehriebenen philoanyluaolien Cursns für einen Theo«
legen. . Die Gefahr liegann ent in dem AngenbliclEe,
Wtt eine iiMiete Einsieht fiber jene nothwendige Beste«
Iwng aieh büdet : eine Einsicht, su der man in der Juris»
pradens ans erkläilichen Granden spater gelangt, als
ki enden Tlieäen der Wissensehaft. Der jetst söge-
Mmnten liistoiisclien Sehule ist unter andern dasYerdienst
Sttsuselireibcii, dais sie den noihwendigen Zusammen*
hang des Praktlsciien und des heute Anwendbaren mit
neineK gesebiehdielien Grundlage aufgezeigt und in ein«
Beinen Werken, die. augleieh als Muster der Beliand«
kmg dienen^ unwiderleglich durchgefBhrt hat. Ihr Prtn-
^ifj . — es mögen Einselne, die sich selbst 'mehr zu üir
meimen, als von ihr gerechnet werden, sich noch so
eehr dagegen strauben, — • ist ein philosophisches — und
■ak eeleliem Tereinbar. /Denn was wäre dieses anders^
sda eben in dem Gegebenen und Gewordenen einen
mgmnsehett Zusammenliang, eine innere Nothwendig*
kalt stt erkennen, und den leitenden Gedanken nach*
Kowmsent
So war denn mit der wahrhaft gesehichdiohen Auf«
finsBung sugleieb die piiilosophische bedingt, und es war
wohl nicht anfällig, dafs fast gleichzeitig eine solche
pUlosophkeiie Metliode, die sich mit dem Positiven in
ailiere Beziehung setzte, aieh auch im Gebiete der
Beditswissenschaft su ftubem begann. Wie gesagt,
mit dieser Beaiehung entstand die Gefalir, so wie auch
■ur swei Methoden, rftcksichtlieli der von ihnen behaup*
MM» »ussehliefiienden Berechtigung gegen, eine dritte,
faL Kampf gerathiea mu£iten. Mußten^ weil Gesehiehte,
Mdleeoplile, Praktisches, noch zum Thetl in einer Be-
deofi&g genommen wurden, welche deren gegenseitige
ViMcavss^simg nicbt gelten liefs. Und wie natQrlich
war es denn w«ihl, dafs Anweiidbam und für die An-
wendaag Ikstimwif la —-das angeblich allein Lebendige,
lasche — einen Yorzug für sich in Ansprach nahm,
gegeniibdr der €leeehicbt,e, der man den ungerechten
Vorwurf machte, dafs sie nur mit dem Veralteten sich
besch&ftige, und dafs ihr das Recht, das Wohl und die
Mw^ und T^tweklitg* 3M
Neih der Gegenwart gleidigdhig sei ; und dab ebea
so und mit ersterem die Oeschftilite^ auf* ihrer pasiti-
vea Grundlage und mit der von- dieser gehoAen Sicher«
heit, sich gegen die Philosophie erhob, von der man
bei dem Streit der Meinungen überiiaupt mcbt, wisse,
was .oder wo sie sri, oder deren Versuch, ein Verhält*
niTs zu dem Positiven herzustden, als Amnaabung zut
rüekgewiesen oder alt vorgebliche Abstraktion aus dem
Pomtiven diesem vindicirt wurde 1
Von jenem Standpunkte aus, der eine solche Tren*
nung in Schulen als Partheisache nicht sugiebt, und
eine sie sammtlich umfassende Methode will, welche ket-
aeswegs eine äuisere Verbindung mehrerer verschiede«
ner Methoden* ist, sondern die eine^ durch den Inhalt
bedingte Methode, als welcher eben so sehr sein phif
losophisches Moment, sein historisehes und sein dogma«
tbch-praktisdies hat, sind auch meine bisherigen Bei^
trfige zur Wissenschaft geliefert. Bei manche mufste,
je nach der Btochaffeqheit der besondem Aufgabe und
ihres konkroten Inhalts, bald die eine, bald die andre
Seite vorherrschen, aber keine durfte ganz bei Seite
gesetzt werden.
Aber, kann man fragen, wozu jetzt diese Betraeh-«
tung über viel Besprochenes, was, wenn es nieht ab
erledigt angesehen werden kann, durch diese Darlegung
nicht spruchreif wird, welche f&r das anzuzeigende
Buch eine vielleicht zu lange Einleitung giebtt
Ich glaube, dafs es gerade an der Zeit ist, einen
Gegenstand zi| berühren, zu welchem die Vorrede des
Werkes, — und diese ist nicht das am wenigsten Be-
deutende indemselben — eine Veranlassung darbietet, ja
eine zur Pflicht sich gestaltende Aufforderung enth<^
und wünschte, dafs in dem jetzt wieder mit grdfserer
Lebhaftigkeit in einem mehr personlichen Sinne gefOhr*
ten Streite eine Stimme nicbt ganz überhört werden
mege, die nur von dem objektiven Standpunkte aus
im Interesse der- Wisseoschaft spricht, welcher, wie
bemerkt, keine wahrhafte Richtung in der Sache, keine
redliche Bestrebung der Person fremd sein kann.
Jene Vorrede, voi^ der ioh oben bemerkte, sie werden
wie das Werk selbst, ohne Büdcsicht auf den Inhalt^
sehoii als Darlegung der Methode sehr rerseUedene
Aufnahme finden, mufs ich im Ganzen loben. Ich
wfll nicht, überall die Form vertheidigen — eine ge«
wisse Kühnheit, und selbst mehr ab dieses, mag dem
Jüngern Schriftsteller, der sich eines guten Strebens
»1
towurtl isV w^U nmthgmtbtfn ivenfan, weui Mh
Tüchtig«* Beige Wb CiniiidiaUe äb«r die Behalidking
dar Wimaitiiaft m^eii iut Allgemeineti im «o mähr
gcbilHgC wMden^ als des Yeris. Plan ,^diirdi dia Be»
traehtaag der goBKen Roehtswiamuiofcaft in ihier neu^
Mtsm Entmcißlmtff* tegb gemaebt worden itt (S. V.)
Damifv wie aae dem wettern inhalle eigiebt sidi too
' aelbsly wkfen ea wortlkb^ ra veraleben sei, eder nidity
wenn es (S. XIII.) iMcfirt: „sn sölelier neuen BeliaBd*
long nar aai Kriminalreeiite eiaen Yersucii su machen,
war mein ITorsatE.**
Der Yerf« tlint den besondem Methoden, yomefam»
Beb der histerisebea Sohale^ nicht aeken Uareeblu Aaeii
das kaaa leb sieht g«lheiCie% dab er diese Bf elhodea,
was allerdii^s in einem gewissen Sirnn^ aber nielii
durdigangig, nad nicht Cur ihre BedeuUmg, die sie iai
Sjstea» des danmn haben, richtig ist, a^br nur als ehi
Naehesnander der Zeitfo%e aUfTaCrty and vetr einem
aelbst historisehen Standpankte aas lobt and tadelt,
W&hread sie viebnehr als ein Nel>eneinaader xu geken
iiaben, und Aaericennui^ fordern« Eine aeve Melhede,
wenn sie nicht selbst als eine einseitige bald wMer
das Sehiclcsal haben seB, wekbes sie den andern berei-
tel, loaan nicht a«f den Titemeni der letstem, als be«
siegten oder voUends g^ns für sidi, die frfdMm
vemicfatend, ihr Wedb erriebtsn. Die^nige, welche der
Verf. meint, und die weder fttr das Ree|it fiberbaapl^
neeb fto daa Strafreoht msbesondere in dsm Sian arm
ist, da& er sie erst ins Leben rief, (er spricht S. XYL
v<m dem schHmmen Zustande des Kriainalrecbts, „wo
man vor bewegende» Ideen aas raäneherlei Ursachen
eine besoudere Furcht hat*^ was nicbt gans der Wahr«
heit gemäia, und jedenfells su viel gesagt ist) — die
waiirhaft speiculative Methode lilst dem GeschichtHebe%
wie dem Praictuchen das ];ebfthrende Recht widerfah«
ran. Sie hält sich fem von dem Yorwnrf , dals sie
nicht für die unmittelbave Anwendung blo(se und fer«
tige Resultate liefere ^ ein Yorwurf den sie neb in
Gemeiasehah mit dem Oesehicbtlichen gefallen lassm
mufs und bann» Denn emerseiu ist die Aufgabe der
Wimensefaaft eine weher geilende, anderseits darf woU
aioht im Ernste und niefat von unbefangenen Beurtbei*
fefn behmqptet werden, dali es der Anwendung, und
dem auf diese an besMkeaden wissenschaftlichen Stu»
MSsilmj du LtkM asm MtA mml ToditeUag.
dhna aehSdUeh a^ wenn man den Begriff der Saebe,
die YerwirfcKehung dsr Ueea hs d» ZeitBehhek mrf
hl geaelriehdielier BIlAmg etUaiu Jene Methode^ wenn
sie dieCi wahrhaft ist, weiset femer. da» Yorwurf ab,
den man ihr in Beritiiung auf aio^iaiw^ Ahfartui^m
nicht mit Unrecht^ i|onst aber^ wie an .al%emein mA
gewimermaafSmn a ptiaii, ak eine für alAa Pille gvl*
tige sogenannte privQegfarte Exeaption hetoit gefaakes
wbrd, aUerduigs mit Unrecht macht, dnGi sie n&afieh
das Pbshiva und GesoUchdiehe vea' uorgeiabten Idsm
aus darstelle und demselben Qewak anthua, wadarcfc
denn freiSch nicht die Wahrheit an den Tag heaaBt^
Es sottte webl nicht iauner wiederholt werden mümea,
dafii sie nicht eine Gcachiebte construhran, seodsin sm
der gegebenen und erkannten die Prindjpten und dm
Geist aufweisen wotte^ dafs, indem da daa Yerfaas«
dune und seine geaehiebtlieha fintudoldang in aeiaer
Natbwendiglceil und YemBnftl«lwU su begseirea siah
bestrebe, sie swar für Ihren Zweck JHanehasy wm vott
einer andem Sehe der Betraebtang wichtig Ist, nidh
für ein wesentlichef Moment anerfcenneii dftrfe, aber
dab sie das Positive in seiner EigenthOndicUeit er*
fasse. Auch hw dieses^ fiir die Behandkmg einm ih
stsrischen Stefies, giebt dieeclbe die entapreehende Fem^
und es wird einer richägen Mathode niebt beikeaMen,
dieselbe su verletmu Wo es andess int, vardirot es
ohne Zweifel Milsbilllgung. Aber man macle die un^
richtige Anwendung und etwaaigs Fehler im hidivi*
dttuma, die audh hier nicht gana vemnedsn wMho
können, nicht der Bbihode seihet sam Yorwurf.
Der Yerf. sprielit in der Yorrede (& XV.) saeh
von gewissen Mängaht der abadeurisahan. Yoztrige.
Aber eimnal ist diefs auch schon von Yielen anerhanati
dals es feUerliaft sei in efaier Zeit, wo die Uteratm
so reich und verbreifet iit, wo das Stadium auch woU
ohne soldie Yortrögu beirieiwn wurden könnte, und wo
diese iauner tmr ein Beschranktea hn YeKhiltBi& ">
dem vorhandenen zugänglichen. Stoffs wa geben veimS*
gen, — ein Surrogat, und unvenneidlieh eu difftiga^
für irg/akd em gediucktea Werk zu liefhm, wriehm dea
Gegmstand voUstfindiger, visllelcht auch besser damteflt
Ferner sind enm Reibe tfiehiiger Lekur hi disa G^
bieten vehl belügt, db AnschnMIgung surfickauweiifli^
weiche der Yerf« „der Bfehreahl* macht.
(Bie PertBetzeag fetgt)
•^ 50*
Jahrbücher
int
wiss^enschaft liehe Kritik«
März 1840.
JWe is$ite mom Jttord und l^bäUchlag^ etmer hf-
ätorüdhphilMophücken Kritik unterwoffen, zu^
gleich dogmatückf dogtnengeschichüich y Und
mit Rücksicht auf die neueren Gesetzgebungen
dargestellt von Christian Reinhold Kostlin.
XForfsetniBgO
Pia BejetttttDg iiM die Antgkhe des lebendigen mfind-
tfehea Voitrags, und die Yenehledenheit in dieser Hineielit
«#li dem geeclttiebeiieB Werte, let den academischen
I«ehjreni wobl bewuDil, die wahrhaften Beruf haben, und
deren Zahl ik Gottlob nieht so klein. Sollte der Yerf.
einnsal eintti Katheder einnehmen^ und wir wQnschen
cKeaat für seiiie Person und- für die Sa^e,* weil er dazu
geeignet au aew «ebeint, so whrd er vielleieht so billig
W#rd^, es auaugeatehn^ dais äueh der eifrigste Leh«>
rar mA ehie Sehrluike gesetst findet, die iheilweise auf
FiMrm und Inhalt seiner Darstellang Eioflafs hat. Es
wAre freiUeh bequeitt, unmittelbar an, den Genufs der
Idee gehen, und die ,,gedruokte Literatur als bedingen-
den Mom^ent fQr de» Yortrag ,Torausseizen'' au dürfen.
Ein altes Spruchwort sagt: „Gelehrten i^t gut predi-
geil/' Der Lehrer, der, wie unsre jeteigen Einriehtun*
gen rind, lA der Regel Anflnger in die Wissensehaft
einfuhren^ uaä aie mk dem Inhalte • auf quellenmäfsiger
Grundlage bekannt machen soll, ist nieht In der gluck*
lieben Lage, jene Yoraussetsungen machen und »o fort
ßher die, bereits in ihrem Material und aufsem Form
bdcannte, Saehe sprechen zu Icönnen: tr ist genötbigt
mn der Saehe zu sprechen, sie selbst erst vorzulegen,
und er mnla dieses um so mehr thun, je mehr er „in
die Tiefe geben" ^ und des GelstigO aufdecken will
* Ohna jene Grundlage, oder auf einer solchen , die er,
uBiter den Torhandeüen, nicht ansuarkennea vermag,
wfirde selbst dieser hShere Zweck nicht erreicht wer«.
,den ktonen«
Doch ea ist Zeit zu dem Werke Qberzugehea
Jßkrh. /. wUitnick. Kritik. J. 1840. I. Bü.
Zuerst muiGs ich Einiges gegen die ftufsere Anord»>
nung erinnern, die nicht so getroffen ist, wie sie durch
den Inhalt und den Plan des Yerfs. sich bestimmen
sollte, und auch logbch nicht gerechtfertigt scheint. Das
vor uns liegende Werk Icundigt sidi an: ^Erster
Theil: Die Ideen des römischen Rechtes** Der
nweite Theil soll die des gernuinischen Rechte^, der
dritte Theil^ das System der C. C. C. und der neu^
ren Oesetxgebungen darstellen. Man erwartet daher
allerdings eine allgemeine auf diese drei Theile sich
beziehende Einleitulig, die aber dann aufserhalb dersel-
ben stehen m&fste, worauf dann das römbche Recht
als erster Haupttheil folgte. Die Gliederung in jene
drei Theile darf nicht erst dann erfolgen , wenh vom
römischen Rechte die Rede Ist, dem als solchem alles
andere fremd bleibt. Statt dessen wird hier unmittel-
bar mit einem ersten JKapUel begonnen, unter welchem
yyEinteitung^ steht,^ wotauf dann das romische Recht,
welches den Hauptgegenstand der Betrachtung aus-
madit, in das xweite Kapitel verwiesen wird. Aber
weder die Coordination dieses ' Haupttheiles mit der
Einleitung ist richtig, nodi die Subordination dieser
letztem- unter den Titel des Werkes selbst. Ferner
wäre zu wünschen gewesen, dafs das xweite Kapüely
welches von S. 10 — ^224, also durch das ganze Buch
geht, in mehrere Abschnitte ge^heilt worden wäre, zu
denen, wie ich bei der Angabe des Inhalts zeigen werde,
sich hinlängliche Veranlassung bot, während nun die
ganze Darstellung ununterbrochen, ohtie irgend eiüeti
Ruhepunkt für die zum Theil fcehr verschiedenen Ma^
terien, erfolgt, wodurch denn die Uebersicht nicht wenig
erschwert \nrd.
Was nun den Inhalt betriSIt, so k8nnen wir nicht
omhin zu bezeugen, dafs diese Arbeit in ihrer Art,, als
eine höchst beachtenswerthe , tüchtige , geistreiche , der
Aufmericsamkeit des gelehrtea Publikums werth sei, in
vielen Punkten verdient diesribe volle Zustimmung, doch
50
■
KSttlin^ die Lehre vom 'Mord und Todttehlag,
395
sind darunter nock manche, wo der Verf. selKst nur die
Ergebnisse der Forschungen Anderer bestätigt, bei ei-
nigen liefse sich Manches erinnern, bezweifeln. Doch
wiU ich der Yersuchung hiezu widerstehen, einmal weil
iimaere , Jahrbücher .selbst ihrem Plane zufolge mehr
den allgemein wissenschaftlichen Charakter einer Lei-
stung würdigen sollen, als jeden einzelnen Satz kriti-
siren, so fern ^ol^her im VerhäUnifs zu jener Aufgabe
von minderer Bedeutung und selbst gleichgültig iist^
und dann, weil der Verfasser auch durch die Weise,
wie er sich iieine Aufgabe gestellt, zu einer mehr all-
gemeinen Würdigung auffordert. Nicht als ob von ei*
nem andern Gesichtspunkte das Einzelste einer Dar-
stellung von . geringerer Bedeutung wäre,' aber die
hierauf sich beziehende Erörterung bleibt billig der
rein juristischen Recension überlassen, welcher dann
auch eine groCsere Ausführlichkeit gestattet wer-
den darf.
Die Einleitung mm ^ oder das ertte Kapitel S«
1-^16 stellt zunächst die in der Praxis und neuern
Theorie^ wie nicht minder in dem Volke lebende An-
sieht über Todtschlag und Mord, beide als Arten do-
loser Tödtung auf, welche wiederum mit der fahrläs*
sigen unter den allgemeinen Begriff der strafbaren
Tödtung fallen, gegenüber der erlaubten oder entschul-
digten.' Was sich für diese dogmengeschichtlich richtige
Auffassung sagen läfst, ist nicht Gegenstand unserer
Erörterung^ gewifs aber haben C. G. von Wächter^
Jarke und Birnbaum — - wie sehr sie auch unterein-
ander abweichen, und E. Henke recht, wenn sie von
andern Gesichtspunkten aus jene Weise der Klassifi-
cirung nicht durchgängig billigen, insbesondere sie nicht-
überall in dem Complex der verschiedenen Quellen ge-
gründet finden, aus denen wir unser praktisches Recht
schöpfen. Was ich der Ansicht von Wächter j dab
die P. G. O. unter Todtschlag auch jede culpose Töd-
tung verstehe, glaubte entgegenstellen zu müssen^ habe
ich in dem Archiv für das Kriminalrecht in zwei Ab-
handlungen über den Art. 148 ausgeführt, und besiehe
mich hier auf dieselben. Der Verf. hat aber die drei,
der gemeinen Theorie gegenübertretenden Ausführun-
gen gut im Auszuge mitgetheilt, und dadurch die w)Bi-
tere Darstellung eingeleitet, die auf geschichtlichem
Wege zeigen soll, auf welche .Grundlage die Lehre
vom Todtschlag gebaut werden müsse, und was id je-
nen verschiedenen Meinungen haltbar oder unhaltbar
SN
seL Dieseis ^rgeb^fs, was hier noch nicht angedeotai
ist, haben wir also erst später, vornehmlich in den
dritten Theil zu erwarten, da der Verf. mit Redit dq
zuvörderst dem römischen* Recht für 'sieh die Alt
merksamkeft suwetidet.
Diels geschieht im zweiten Kapitel^ weichet nieli
einer allgemeinen Bemerkung über den richtigen pfakti»
sehen Sinn der Römer mit dem ältesten Strafreeht
beginnt. Jenes Lob ist gegründet, doch darf maniiidit
übersehen, dafs das alt^ Recht der Römer keiiMswip
das verständige Ergebnib des sogenannten praktiidMa
Sinnes sei, sondern mehr ein Traditionelles, llb6ikM|C
Gewordenes, zum Theil mit religiöser Grundlage, via
denn auch das theokratische Moment in demselben nidit
von denen geleugnet wird, welelie noch einbanden
ursprüngliche Idee — der Subjektivität und Privatraehe
nachsuweisen gesucht haben. leh habe tnsbesoiden
gezeigt, wie dieses vereinbar war, wo die Gottheit««
selbst als Subjektivitäten aufgefaCit werden., Und danlt
scheint auch der Verf. (S. 37) aulettt einventandco^
wenn er gleich einen Gegensatz der Besüamuiiigai
aus dem Sacralrecht zu denen aus der vindieta prifata
annimmt. Wohl: denn der Gegensatz ist niekt eiM
gänzliche Differenz. Die Verständigkeit der Rtar
tritt in einer spätem Periode hervor, wo das Wüet
der Oeffentlichkeit sieh noch nicht ab Staat, sondern
mehr als bürgerliche GeseUscEaft, mit einem auch doidi
die öffentlichen Verhältnisse sieh ziehenden ^irivatieokt^
liehen Charakter zeigt, wo es denn auch mögUeh var,
so vieles, was wir zum Strafrecht rechnen^ nur prinrt*
rechtlich aufzufassen.
Die erste Untersuchung, die mit S* 41 schliefst, ^va^
schreibt den Kreis des altem römischen Strafrechli^
und macht die verschiedenen Elemente namhaft, M
welchen dasselbe zusammengokomtnen bt," wie es der
Verf. ausdrückt. In diesem Theile folgt er nen v^
nehmlich dem, was Dirkeen^ rOekiichtUeh der kgit
regiae und XJLtabb. Fragment, und ich sdbstin dei
Comm. ' de antiq* Homtmerum jure crim. dargelegt
haben. Er nimmt somit die vindieta privata als Hasp^
grandiage und leitende Idee an, und erklärt sieh gega^
ItoJiAirty welcher jene aus den Quellen begrnndett
Ansieht nicht widerlegt, sondern ihr nur mehr wider-
sprochen hat. In der That wird i^iemsnd behaupte^
dafs die Autübung des Strafrechts deshalb, weil jeacf
Moment die Grundlage bildet ^ auch In einer Periode^
K9silit$^ die L0Ar0 tmm
wo beffäCt delr Sieginn, itnd bald dar Fortsehritt ehietf
r«chdioken Otdoimg .ersiehtUoh kt, nur Id der Focm
der Selbtl4 und Pfimtraehe atatt g&fandaa iiaba» Dia
•peealaave Anaibkt, die auch dör Yarf. S« 22. 24 sieh
«leigHat, hataa mit dem Oedankea der Sache, nieht
Urit der bloGien Farm für sich su thun. Sie aehltefst
kei gesebiehtHehen CSegenatSoden natürlich aus dem
gegebenen Aeufsern auf das Innere; aber ist dadureh
ein fester Punkt gewonnen , so darf auch dem Gedan*
ken sein Recht werden y wie es alle anerkennen, die
flieh mit Positivem beschäftigen. Ja selbst wo die
Qaellenso reiditioh und rein fliefsen, dafs weder ^eine
I«lteke,^noeh eine Unvereinbarkeit erscheint, und fast
hier gerade noch mehr, entsteht die Aufforderung, die
leitenden Gedanken nachsuweisen. Wenn dieses (wie
sum Theil in der Yorrede) der geschichtlichen Schule
abgesprochen wird, wie sie es in der That nie abge*
wiesen hat, so thnt der Verf. ihr Unrecht, oder einzel-
nen Individuen, die sich cu derselben ausschliefsend,
oder auch in dem obeif erwähnten weitern Sinne be*
keimen«
Eine weitere, interessante Betrachtung, die pas-
send auch äqfsei'lich mehr hervorträte, wird S. 42 er-
MToet: „ob uns' am der ältesten Periode Bestimmungen
begegnen, die sich auf das Innerliche beim Yerbrecher
beziehen, oder in wiefern sich aus der Eigentburaliohkeil
der verschiedenen diesem Strafrecht zlim Grunde liegeh*
den Prindpien hierauf etwa Schlösse machen lassen t"
Diese macht sunächst bis S. 87 wieder ein besond-
res Gänse. Per Yerf. hat hier vornehmlich Luden
2um Gegner, der in seinem Werke fiber den Yersuch
behaupte, das Subjektive sei das Untergeordnete, und
das Objektive bei der ' Yerletxung , also der hervorge-
famchte Sehaden, die Hauptsache, wonach weder detus^
emlpu und eaeue stets geschieden noch auf den Ver^
smehj oder darauf Rüdcsicht genommen worden sei, ob
ainfser der vorliegenden materiellen ' Rechtsrerletsung
die Absicht des Yerbrechers noch über dieselbe hinaus
aef eia grdfseres Yerbrechen gerichtet gewesen sei.
Der Yerf. giebt dieses su fCir die Sphäre, welche die
vfaidicta privata zur Grundlage hat^ aber mit Recht
nidit WMter, und selbst dort wird jener Unterschied
bei einigef Ausbildung von dem subjektiven Gefühl
gemacht werden, wie unter andern auoh im germani-
sehen Compositionen^System, dem man gewöhnlich auch
eiae blob äulserliche Bemessung des Schadens bei-
Mord uAd TodUcJUag. S98
legt, die culpa keineswegs aufser Berücksiühtiguiig
bleibt«
Für eine sonst vorkommende Wabrhett finden wir
auch in der Geschichte des älteren-röm. Strafrechts . eine
Bestätigung, die ich in der angeführten Comm. und sonst
nachgewiesen habe, und der Yerf. hier noch weiter
ausfuhrt, wobei ich sein Verdienst gern anerkenne^ Bei
allmähliger Entwicklung im Gebiete dessen, was dem
Gedanken angehört, (und nicht minder giebt auch dte
Natur das^ Beispiel) wird ein späteres System nicht un-
mittelbar an die Stelle eines frühem treten, und dieses
g&nsltch wegfallen, vielmehr werden^ beide ebe Zeit^
lang neben einander bestehen und erst mit völlig er-
langter Reife des neuern, womit dessen absolute Be-
rechtigung eintritt, mufs das ältere als solches die sei-
nige aulgeben , und kann nur als Moment noch vor-
konimen. Wenn ich daher in jener Comm, als
BeMchränkungen und Grenzen des öfifentlichen Straf-
redits die trindicta privata^ das domeetieum imperium^
die Prwatklage angeführt habe, so bezieht sich dieses
eben schon auf die Periode eines sich bildenden Straf,
rechts des Gemeinwesens , neben welchem nunmehr
als ergänzende und beschränkende Momente dio Systeme
vorkommen, die früher eine selbstständige Grundlage
bildeten. Oamit erledigt sich denn auch, was von dem
Standpunkte eines schon vorausgesetzten Strafrechts
des Staate (hier noch zu viel behauptet) gegen die
Annahme des Princips der Privatrache vorgebracht
worden ist. Dieses Nebeneinanderbestehen beider
Systeme wird S. 49 richtig gewürdigt und anerkannt,
dafs . Zjunäehst jedes einseitig füi* sich vorkomme, ja dafs
durch deren Nebeneinandersein erst die Einseitigkeit .
recht hervorgetrieben werde ; dann aber dafs sich „auch
Spuren von gegenseitigem Borgen finden." „Eben die-
ser. Dualismus nun ist das höchst Charakteristische am
römischen Strafrechte. Nur wenn wir diesen festhal-
tien, können wir die leitenden {Grundsätze' richtig her-
ausfinden und in ihrer begrifflichen Geltung verste-
hen ^}." Wird nun in dem System der Privatrache die .
Beantwortung der oben au/geworfenen Frage nicht ge-
Aindeiii so ist es vornehmlich das öffentliche ftrafrecht,
an welches wir uns zu wenden haben, 3,welches es
*) Ton diesem richtigeo Gedanken hätte in der Vorrede bei
Gelegenheit des Verhältnisses der Terschiedenen sogensnn-
- tee Schulen oder Richtongen in der Wissenschaft^ Gebrauch
gemacht werden sollen.
399
KistHny die Lehre item Merd und TiedteeUeg.
WeteMlifih mit der FreUiett und dem Willen m ikmi
tiat*** yjn ihm," sagt .der Verf. S. 55, „erscheint das
Becht ab der allgemein vemQnftige Wille dinreh dai
Gesetz objektinrt, liieht mehr in die einselne Snbjek«»
tivität versMikt) nicht mehr auf aurserweltltohem Bo»
den, sondern als ein Allgemeines, Ideelles ^ über dem
Subjekte Stehendes, aber sugleich der Bealität inner»
lieh Eittgebomes." iDarum könne von der Verletzung
des Bechts nur auf demselben ideellen und geistigen
Boden, also nur in der Sphäre des Willens dBe Bede
sein, und im ^iBfentUeheii Strafrechte mOsse der Unter*
schied von Ähsicbt und Nichtabsieht 4lberall angetroffen
werden. (S. 56). Allerdings Wird auch diese Ersehet»
nung, nach dem Obigen, nicht als eine gleich anfangs
fertige beobachtet werden, auch ist die Ausbeute aus
den Quellen für' die friihere Periode, so fem wir in
dem Wenigen, was uns aufbehalten ist, eine positive
Bestätigung sehen, nur gering. Aber der Verf. hat
dieses Wenige so gut su benutzen gewuCst, dafs wir
im Wesentlichen beistimmen , auch rücksichtlieh des
weitem, schon mehr durch bestimmte Zeugnisse unter-
stützten Fortsclirittes , dem zufolge der Best vom Sa-
eralrecht sieh vollends garfz in öffentliches Strafrecht
auflösen, dagegen des Privatpoenalwesen als Gegensatz
gegen das öffentliche Strafrecht schärfer hervortreten
mufste (S. 60); und er thut dieses nicht auf eine will*
.kührlidie Weise, die nicht ohne Grund die sogenann*
ten philosophischen Balsonnements verdächtig macht»
sondern iii fleifsiger Beachtung der positiven Gestaltun-
gen. Ich will aber hier um so weniger näher in eine
Untersuchung eingehen, als der Verf. selbst S. 90,
womit wieder ein besonderer Abschnitt eröffnet wer-
den sollte, .meine sonstigen Ausftihrangen beifällig mit-
theilt, und ich, was etwa noch von meinem Standpunkte
aus zu erinnern wäre, nicht an diesem Orte vorzu-
bringen Veranlassung habe.
Weiter wird nun die Entwiokelung des eubjekH-
Pen MoiHefiti in Aenperpeiuae yuaettionesy und mit
besonderer Berücksichtigung der Ijejc Corn^tia de « A
earüi nachzuweisen gesucht (S. 96) ; indem zuerst das
Erforderliche von jenem in Erinnerang gebracht, dann
von der Tödtung besonders (S. 104) gehandelt wird.
Die Erörterung des hier ausgesprochenen subjektiven
Princips des Willens gegen den äufserlich hervortre*
«enden Erfolg ~ wobei freltteh MaMlie n wdt g^M*
— giebt Gelegenheit zur Prüfung mehrerer Bebaiy*
tungen, welche Lm/en aufstellt) nnd zu einiges «Ilget
meinen Betrachtungen, ^ie unser Interesse. ihi Aa^meh
nehmen (S. 127). Was Ober Strafrechtatbeoriea, Z«.
rechnung, die Natur der Handlung, die von der blobeii
That oder demThun eben durch det bestfanmenden WiUsn
unterschieden wird, bemerkt wird {ß 131), finde ich mitdsn
von mir vorgetragenen Grundsätzen Ubereinsdmmend *)•
So kommt nun der Verf. ferner auf das Wesen
der eulpuy und ihre Begrenzung gegen detue «nd e»-
st«« einerseits, ihjre Subsumtion unter den Begriff der
Zurechnung, des Wissens und Wollens anderseits, nach
allgemeinen Gründen (S. 133) und nach der Auffas«
sung der Bomer (S. 135). Hier bieten die Quellen
und die Vorarbeiten Anderer, unter welchen die Leir
stungen von Haeee gebührend berCtcksicbügt wearden,
einen dankbaren Stoff, wel^n der Verf., ohne auf
seine Selbstständigkeit Verzicht zn leisten» fleUsig he»
nutzt hat
Besondere Aufmerksamkeit widmet derselbe dem
Affekt^ dem er weiter unten eine für das Verhaltnib
Yon Todtschlag zum Mord keineswegs unprakti-
sche Bedeutung beizulegen strebt, die ich nicht glavhe
durchgängig zugestehen zu können (S. 104). Die Grund-
fätze, welche ich hierüber in meinen Untersuchungen!
namentlich in der Bevision der Lehre von den angdb-
lich straflosen Tödtungen, und mit BezugnahoM der
rdnusch-reehtlichen Bestimmungen Aber den Umfang «nd
die Grenzen der Tödtungsbefugnifs, welche dem V«ler
oder Gatten wider den betroffenen Ehebrecher sosteht^
aufgestellt habe, scheinen dem aufmerksamen Verf» einer
ausfuhrlichen nvörtlichen Mittheilung würdig zn sein (8.
167—170). Efaie^äbweidiende Meinung spricht er nur
über das aus,' was ich hier schon aus der Lex JmUm
glaubte ableiten zu dürfen, er aber als erst später in
dieselbe hineingetragen beüracbtet^ — er erkennt das
Prinoip als richtig an, dab dem Affekt eine strafmil-
dernde Kraft beiwohne, aber er will dasselbe der Lex
Julia nicht in dem Umfonge vindiciren, wie ich zu thnn
echeine*
*) S. anter andern: meine ünteranchungen Ss 406; Lehtbacfc
der Straf- ReehtswisseBscbaft f 69. 78. 79.
(Der ' Bescfalnf« folgt.)
Jlf 51-
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik.
Mära 1840.
^
*•
Die Lehre tom Mord und Todtschlmg, einer hi^
' ttorüch'philogophfschen Kritik unterttorfen, zu-
gleich dogmatisch^ dogmengeschichtlich , und
mit Rücksicht auf die neueren Gesetzgebungen
dargestellt von Christian Jteinhold Kostlin.
(Schlofii«)
SNtine Enlgegtniiig y^etUfor Ist die ira^ der
imp09me io der spfttem • Bedeutung hier nur eioge«
Mhwant"5 eleht ohne Beweis und wenn ieh auch meine
ohnehin nur mit besonderer VonJcht ausgesprochene
Annahme bereitwillig und ffliehtmärslg wiederholter
Prttfmg unterwtMrfen wilt« «o -vermag Seh doch nicht
Um Bevechtigung einsuseheii) hier von ^^offenbar" eu
apreehra, wo lidehstens eine Yermuthung der andern
KegenAbergesteUt werden lEönnte, Mehr als eine seK
ah« iit smh nichts was als „viel natarllehere Erkli-
itmg, weshalb die Lex Jutta das da conttnenti &eei*
dere aa&ialnn^ S* 170 a. £, vorgelegt wird. Die Rich«-
i^eit dettelbea, .abgesehen von der Nätürliehkett, aK
l#nfalia sugestanden , wQrde sie nicht einmal die mel«
ttiga noihwendig- aussebliefsen, mit wdcher Me in dettf
ErgabniHi ausaanaencrifft, solclwr Tddtung^befugnifs und
Anslbnng des Judicium domestioum eine Orense so
aetsen und ihrer Anwendung immer mehr entgegensu«
traten, indem das Prineip des dffentlichen Strafreobti
aalBa äassehlietiliehe Galtmig ro behaupten strebt« la*»
tarpolnliea der Quellen ist hier weder erweblich nochr
m 4efen Voiaussetaung ein hm^es BedArfhifir.
Hier und im Verlauf der weitem Untersuchung (8.
112X wo- das Bestreben dahin geh^ zu ^igen^ 5)da£l
die im Affekte begangene Handlung gerade nicht ala
dolose betrachtet wurdet' farohte ich fast, dafs der
Terf. sich durch eine vorgefalste Meinung einigerma«
fiwn habe verleitea lassen, die nnerliUsliidie Unbefan-
genheit bei Prüfung der Quellenteugniase bei Seile stt
netaen. Sa ist er denn auch gshöthigt, gegen Ehnre
Jahrb. /. wi$$en$ch. KriHk. J. 184p. 1. Bd.
ra polemisiren, welcher eine Reihe von Stellen des Ct-
eero und Seneca, die 8. 174 *^ 183 angeführt und be-
trachtet werden, erörtert und zu dem bisher atigetiom-
menen Ergebnifs kommt, dab der Affekt den dolus
nicht aufhebe, vielmehr die im Afl^ktc begangenen
Verbrechen nur Unterarten der dolosen Verbrechen
fiberhatipt seien. Der Verf. glaubt (S. 186) „dafs £/.
were jenen Aussprüchen der gedachten Schriftsteller
in mehrfacher Hinsicht Gewalt angethan habe.** Uebri-
gena kann es uns nicht entgehen , dafs^ wo nicht vöif
positiren Rechtsbestimmungen, sondern von Ansichten
der Philosophen, Cicero und Seneca's, 4ie Rede ist^
deren Aussprüche, wie man sie audi auslegen tndge,
ihrer Vllchtigkeit ohngeachtet , weder an sich, noch
selbst für die Interpretation de^ römischen Rechts eine
letzte Entscheidung darbieten. Selbst der,- ohnebin von
betden4 dem Veif. und von Eiwers berücksichtigte, Ein«
flufs der stöisehen Philosophie auf die römische Juris«
prudena darf hier nur mit groCtor Vorsicht b Anschlag
gebracht werden. Befinden wir uns auf dem Gebiet
des Willens und^der Handlniig, als einem allgemeinen,
ao macht die Wissenschaft der Psychologie sich gel-
lend, ulid da mag man den Affekt würdigen, wie man
wolle, er wird die Seite des Willena nicht zu verleug*
nen vermögen. Selbst die Gesetzgebung hat dagegen
keine Macht; angenommen aticfa^ dafs sie ausspreche,
ea solle die Handlung im Affekt nicht als dolose, son-
dern nur als culpose geahndet werden» wodurch in ein
gand anderes Gebiet durch bestimmte Aussprüche über«,
gegangen würde. Der Verf. legt freilich auf seine
Ansicht (S. 191) um so gröfsere« Gewicht, als er nicht
nur hieHn eiAen Haupterklftrungsgrund findet^ wie in
der Kiiserzek die Theorie der cMp4n auch positiv ins
Crlmiflalrecht eingeführt werden konnte, sondern auch
van disaem Ergetmifs für die Fortsetzung seiner Unter«
sd^ungen sich weitere Vorthelie verspriolit.
Bei der fridiam Alternative, die die Ricbteir, so
61
•
403 Köstlmy die Lehre vem
lange der alte ordo judiciorum publicorum bestand, cu
beobachten hatten, entweder zu verurtheilen, oder frei-
zusprechen, ohne auf besondere Schärfungs - oder MiU
derungs - Gründe Rücksicht nehmen zu dürfen (das nan
liquet gehört unter einen andern Gesichtspunkt, nicht
der Rechts -Entscheidung, sondern der Thatfrage und ,
des Beweises), konnten allerdings die feinern Nuancen '
der Willensrichtung nicht in Betracht kommen* Der
Yerf. zeigt nun 8. 194 recht gut, wie dann, wo dolue
zuin Tbatbestand gehört, nur dieser und caiU9 einan*»
der entgegengesetzt werden, die etdpa früher nicht zu
ersterem 'gerechnet, und die dadurch im Strafrecht vor-
kommende Lücke durch das Privatpoenalwesen groben-
theils ausgefüllt wurde. Was aber nun die im Affekt
verübten Verbrechen betrifft, so wir<) die Frage aufge-
worfen, ob sie zu den dolosen gerechnet worden seien,
oder nicht? Und ferner, du sie zur Kaiserzeit und nach
dem Abkommen des ordo judic. pubL im Gegensatz
zu diesem gelinder gehülst wurden, ob ihre Bestrafung
als eine Milderung oder Verschärfung des frühem Rechts
anzusehen sei? Der Verf. gesteht zu, dafs da unsere
Bechtsquellen nur auf die Zeit der extraordinariae
cognittoneey welche nun die Regel «md, sich beziehen,
wir eii^e bestimmte Antwort aus ihnen nicht erhalten,
sondern nur annehmen können, es s^i zur Zeit der per-
petuae quaeetionee anders gehalten, d. h. das im Af-
fekte begangene Verbrechen entweder als ein doloses
behandelt und mit dem vorbedaq&ten gleich bestraft,
oder ganz straflos gelassen worden, wofür er in Er-
manglung der Rechtsquellen, vornehmlich Citero^s Re-
den und rhetorische Schriften ab die vollgültigsten
Zeugnisse für die römische Praxis in der fraglichen
Zeit geltend machen zu dürfen glaubt. Er macht dabei
die treffende Bemerkung, dafs da Milderungsgründe
nicht selbstständig in Betracht kamen, der Vertheidiger
dieselben in einer Weise benutzen mufste, welche die
Richter zu dem absolvo veranlassen konnten, wie denn
auch die Hauptfrage immer so gestellt wurde, ^^jurene
Jecerit et licueritne facere?^
Wenn nun auch nicht Alles, was zur Unterstüt-
zung der erwähnten Ansicht angefahrt wird, zugege-
ben werden kann, so hat' es doch mit der zuletzt be-
merkten Alternative seine Richtigkeit Zwar glaube
ich, dafs in den meisten Fällen der Affekt zum dolus
gerechnet wurde, und i:fßh möchte nicht so bestimmt be-
haupten, dafs er dem Vorbedacht gleich bestraft, als
Mord und Todtschlag.- KU
vielmehr,^ daTs nach dem Standpunkt der Bildang ini
Rechtsansieht jener , Zeit der Unterschied überhaupt
nicht als ein praktisch hervortretender anerkaont xai
der Wille in mehr abstrakter Allgemeinheit aufgefabt
wurde, womit dann gewils vereinbar ist, dabjnaariie
Fälle des Affekts gänzlich von der Zurechnung amge-
schlossen wurden. Auch wage ich nicht so viel G«.
wicht auf Cicero'' s Behauptungen zu legen, da dietei^
er möge als Ankläger^ oder was häufiger vorkonunt, ili
Vertheidiger auftreten, immer auf einem partheUidieO)
interessirten Standpunkte sich äufsert, und für dieifeaiU
auch seine theoretisch-praktischen Anweisungen bereak«
net. Man folgt mit 'Vergnügen der Erörterung der Cioe-
ronianischen Sätze (S. 193) und findet hier auch den Vf.
unbefangen genug, um anzuerkennen, ,,dafs alle Stelko,
im Zusammenhange betrachtet,. im Allgemeinen gegn
die Ansicht sprechen, als ob in legitimis judieüi der
Affekt in der Regel nicht sum dolus geirechnet wonkft
wäre.'' Aber er beschränkt dieses dadurch, dafs er ei
„einerseits nur für die eigeutlichen judicia legitisui uii
andrerseits auch für diese nur als HegeT* zugesteki
Er sucht zu zeigen, daCs die Theorie bereits damah
den Affekt als etwas vom dolus Unterschiedeoes os*
sehe, und diese Ansicht nur in den starreu ordo fuH'
cionün publicorum noch nicht einzudringen verriM>cbteii
So gelangt er denn zu dem Ergebüifs : „dais in da
verschiedenen AeuDserungen des Cicero zwei wito*
sprechende Ansichten sieb gegenüberstehen« Tiieof0»
tisch betraphtet derselbe das Handeln im Affekte alt
etwas vom dolosen Handeln absolut zu Unterscbtfdfln*
des, «als einen Theil der imprudentia, somit als eine
culpa, ganz im Sinne der von ihm belobten stobohei
Philosophie, und von dieser Ansicht sagt er, dab«i0
wirklich in liberis disceptationibus bereits Eispsg
gefunden habe. Dagegen behauptet er, dafs in der
Praxis der fuaestiones perpetuae in der Regel aucir
das affektvolle Handeln als ^in doloses betracblet, oad
wie dieses gestraft werde. *Nur sehen wir aaeh ü«
bei solchen Fällen , die unter dem Nameo des pn^^
dolus begriffen werden können y eine Ausnabme ff*
macht So liefert uns denn das Zeugnils des Ckers
den besten Nachweis Qber den innem Entwicklung!*''
gang der Sache."
Diese Darstellung des Verfs. muCs jedenfsUs ab
eine sehr beachtenswerthe aufgenommen werden. Wal
er über den Umfang des richterlichen Ermessens bei
405
Köstlüi, die Lehre vom
den äxtra^rMnariae eögmiienee (S. 202) bemerkt,
wo allerdfngs eine freiere Ansicht in Verbindung mit
der Möglichkeit der Anerkennung, jener Unterschiede in
der Natur des Willens sich geltend machen konnte,
durfte ergänzt und zum Theil unterst&tzt werden durch
aninit hierüber vorgelegten Nacbweisungen in der S.chrift
,,über die verschiedenen Strafrechtstheorien in ihrem
Terhältnisse zu einander' und zu dem positiven Recht
imd dessen Geschichte.**
Es wird nun weiter zu der Lehre der Todtungen
und deren strafrechtlichen Behandlung im spätem röm.
itacht üiiergegangen (S. 204), wovon ich nur hervor-
hebe, dafs er bei deni Todtscfalag in rixa^ wie dieser
in den Quellen erwähnt wird , indem mit Grund die
vorbedachte Absicht zu t5dten hier entfernt gedacht
wird, auf sein Ziel hinsteuert. „Das Gewöhnliche nun
bei Rauf bändeln ist, dafa eine dabei erfolgte Tödtung
aach heutiger Ansicht zur culpa dole determtnaia zu
TOchnen ist^ und dafs es „schon dem gemeinen Men-
schenverstände monströs vorkommen mufs^ zwischen
affektvoller Todtung in Itaußiändeln und Tödtung
aus culpa dolo determinata in solchen eine Grenzli-
oie zu zielien, eine solche Unterscheidung auch sicher«
Keh den Römern fremd war." Man kann dieses ein-
ra«men, da der ganze Begriff der sogenannten culpa
dolo determinata — der vielmehr eine Concurrenz bei-
der, des dolus und der culpa ist, nicht haltbar erscheint
und am wenigsten als ein technischer bei den Römern
gesucht werden darf. Und femer, wenn wir lieber,
wie auch der Verf. zu thun geneigt ist, reine cuipa
annehmen, dafs diese gelinder als der dolus geahndet
und durch den Mangel der Praemeditation unterschie-
den wird. Aber aus der gelindern Behandlung, aus der
Schwierigkeit eines Beweises, dürfen wir nicht zu viel
aehlielsen; insbesondere sind die Rescripte der Kaiser,
'WO sie eine Strafe für einen ihnen vorgelegten Fall ab-
weichend von döm Wortverstande eines Gesetzes gelin-
der in Berücksichtigung der Umstände bestimmen, im-
mer mit der Erwägung zu verstehen , wie theils jene
Bestimmung selbst oft mehr aus richtigem Gefühl, als
criailneller Theorie, auch aus kaiserlicher Machtvoll-
kommenheit hervorgeht, theils die Andeutung der Gründe
nicht überall passend und juristisch consequent ist. In
jener Stelle wurden wir vollends aus den Worten casu
fnagie^ yuam twluntate sluJ noch mehr schliefsen müssen,
Moi^ und Todtsehlag. 406
als der Verf. selbst zugesteht Gewifs cüber maeht aich
auch in dieser Form eine nothwendige Unterscheidung
im Gebiete der Zurechnung geltend, deren Bedeutung
der Verfasser einleuchtend nachgewiesen hat. Wiefern
er aber berechtigt sei, die Unter^icheidungen von Tödtung
im Affekt, von culposer Tödtung, die aus ajbsichtlichef
Körperverletzung hervorgeht, für spitzfindig undfür Subti*
litöten, auch rücksichtlich unserer Zeit, auszugeben (S*
207), wollen wir einstweilen auf sich beruhen lassen^
ohne zu verkennen, dafs allerdings im Raufhandel „die
Willensbestimmung überhaupt in der Regel ein Erzeug*
nifs des Moments und nachher selten rein zu reprodu«
eiren ist."
Unter den Gründen schwerer Strafe gegen Aie ß»*
mosi laironesy wie gegen die incendiarii (8. 2\5.21T)
dürfte wohl der gewerbmäfsige Betrieb, oder die Wie*
derholung nicht zu übergehen sein, wovon ich in einet
besondern Abhandlung ausführlicher gesprochen habe^)*
Das Resultat der Untersuchung ist nun (S. 222)^
dafs das röm. Recht nur ein doloses A'omicidium.
kannte, wobei auch der bloDie animus ocoidendi der
gleichen Strafe unterlag, er mochte sich nun ganz oder
theilweise effektuirt haben: dieser animus wurde «|ehr
umfassend, auch für Fälle aufserhalb der Tödtung ge-
nommen {(jui ßirti faciendi causa cum telo ambu-
lav.). Die Bestrafung culposer Tödtungen und das
Maafs derselben ist ein Ergebnifs der erst nach der
Zeit der perpetuae' gtuxestiones zum Gekneinbewufst-
sein gekommenen, wenn auch bereits zu Cicero^s Zeit
vorbereiteten Reform criminalistischer Begriffe. Zur
ctilpa wurde auch impetus gerechnet, und was für die
Lehre des Handelns im Affekt die Philosophie der Ju-
risprudenz an die Hand gab, was namentlich schon
Cicero ausgesprochen hatte, das wurde von den Kai-
sern und ihren Räthen positiv ins Criminalrecht einge-
führt. Dats also das röm. Recht als eine technisch be-
sondre Art des homicidium die Tödtung im Affekt
angenommen hätte, könne man nicht sagen: vielmehr
nur: ursprünglich kannte es nur den starren Dualismus
von dolus und casus. Die Mängel diesem Abstraktion
kamen aber später zum Bewufstsein, und es bildete sich
der neue höhere vermittelte Begriff der cutpa^ worauf
nun erst die subjektive Seite vom Yerbrechen in ihre
*) Archiv des CrimiDal-Rechts J. 1836. S. 495. S02.
n
\ 'S »
407 Erdmann^ Lehrbuch der Chemie.
Momente anscinandergesetst und alle diese Momente im
porftiven Crfaninalrecht fixiit werden konnten. Sofort
wurde also die culpa nach ihren xwei Seiten^ dem
Affekt und der culpa im engem Sinne, und als ge-
linder zu bestrafen eingeschoben, nieht so, als ob ^in
besonderes Yerbrechen des Todtschlags im anderen
Slnna angenommen worden wäre, sondern nur so» daCi
eine das ganze Strafrecht durclidringende neue Ansicht
auch auf ^as homieidium angewendet wurde.*' — Ge*
wUs werden alle Freunde 4er Wissenschaft wQnschen,
daf« der Yerf^ die verbeifsene Darlegung der Ansich»
Ufa des germanischen Rechts, und der Theorie der Ca«
rolina bald nachfolgen lasse. Es kann nicht fehlen,
dafs gar manche Sfttse Gegner finden ^ wie ich denn
$elbst nicht alle Bedenken, die mir entgegengetreten,
Mer habe ausfuhren können. Aber jener Umstand, der
bei keiner wissenschaftlichen IjCistung ausbleibt, wird
unbefangene Beurtheiler,' und Alle die sich freue%
wenn^etwas Tüchtiges gewollt und gcthan wird, nicht
abhalten, die Verdienste des Yerfs. in Form und Inhalt
seiner Adbeit ansuerkennen.
J. Fr. H. Ab egg.
40S
xxxri.
hehrbuch der Chimie-ven O. L. Erdmann ^ erd*
Prefceior der tecnn. Chemie xu Leipzig. Dritte
völiig umgearbeitete Auflage. Leipxigy 1840« Bei
Barth. ly. u. 648 S.
Das Weck, velehes (Ue dritte Aoflage der „PoputUren Dat"
Mldluug dir «€iMm Chemie bildet, ersclieiut hier in einer neuen
Gestalt, welche es geeignet macht, als Leitfeden bei dem ersten
Unterrichte in dieser Wissenschaft eo dienen. Der Verf. hat
den Plan, nach welcliem die beiden ersten Auflagen abgefafst wa-
ren, völlig geändert, und man kann daher diese Auflage fast als
ein ganz neues Badi betraditen. liVir Iconnen mit dieser Aen-
4erung uns nnr völlig einverstanden erklären. I^ie populäre Dar-
atellnng -einer Wissenschaft ist immer etwas GefUhrliehes^ und
nur zu leicht wird die Crrenze, die man sich gezogen, nach meh-
reren Richtungen hin Überschritten; entweder wird das Buch
j^n gelehrt, oder es wird trivial.
Wenn nun aueb die Verbreitung der Chemie unter den 6e-
^erb^reibenden gewlli» höebst wünschen« wertb sein mufs, so
ist dod» ein Lehrbuch zur Erfüllung dieses Zweckes an wenig-
sten .geeignet, und der milndlidie Vortrag wird imn^er mehr lei-
sten. Der Plan, welchen der Verf. befolgte, ist eine kurze, ^t
verstSpdliche Darstellung der Grundsätze und' der Erscheinungen
der Chemie, sowohl in ihrer wissensdiaftlidien als praktischen
Ausbildung, und whr glauben, daU der Verf. seine Aufgabe ge-
schickt gelöst hat Was die Anordnang und das Detail behiffi,
so fQgen wir noch folgendes hinzu:
Auf die Einleitung, welche den Begriff der Chemie nsd ibra
Unterschied von der mechanisciren Naturlehre feststellt folgt die
Abhandlung der allgemeinen Chemie, mit der der Imponderab^
lien. Wir halten es für etwas Schwieriges, die chemische Pn-
portionenlehre, der Verwandschaft u. s. w. Personen klar n m-
chen, welche mit dem Gegenstande «nbekannt sind, and mbI
in den schwierigsten Theil der Wissenschaft hindngefiihrt werdeii
Jedenfalls ist 4er andere Weg, den z. B. HitscberGch bei
seinem Lehrbuch eingeschlagen hat , wo der Schiiler zacnt ei-
nige .chemische Erscheinungen kennen lernt, und daDO mit dei
allgemeinen Grundsätzen bekannt gemacht wird,- der bequenm.
Endlich läfst sich dagegen einwenden, dafs die Kenntntft dif
chemischen Symbolik und der Lehre der Proportioaea du Ta«
standnifs einer jeden Reaction , jeder Zerlegung etc. Mnneaeii
erleichtert ; dazu kommt, dafs die Chemie pur wenig allgeaeiu
Gesetze kennt, und dos Hindeuten auf dieselben das IntereiN
des Schillers sehr erhöht, weTcher sonst, durch die Häufuiig der
einzelnen, fär ihn regellosen Thatsachen erdrQckt wird, EbeiM
kann man daräber streiten, ob der physikalische AbsclMittii
einem chemischen Lehrbuch seinen richtigen Platz fakK^
oder nicht
Wenn der Verf. sich a,uf das Nothwendigste bcsohrSokt, n
mufs er diesem Abschnitt doch eine grofse AusdehnoDg einrita-
men, im Vergfeich mit dem Umfange des ganzen Werkft, ui
dennoch wird es nicht mOglteh sein, dadurch den Gebraoch d-
nes einleitenden physikalischen Unterrichts ganz QbeHKiini^tt
machen. In der Anordnung der eiakelnen Elemente hat der
Verf. einen eigenthiimlich^n Weg eingfeschlagen> welcher ein Mhi
glücklicher genannt werden kann.
So beginnt er die Reihe der Metalle nicht mit dem Kalioa,
sondern mit dem Platin, da jenes bei dem AnfSnger nur 8diwie>
rig die Vorstellung eines Metalts erweckt So ist die sdarff
■
Trennung 'der organischen Chemie von der unorgasisebea, ^«>
auch zuweilen ein wenig gewaltsam, doch sehr viirtheiUiift, ak
heutigen Tages noch nothwendig. In manchen Punkten v(«eht
der Verf. von den gewöhnlichen Ansichten ab, so «. B. in ^
Theorie der Halpidi^atze, der Wasserstoifsäure , indem er ncfc
der Bpnsdorffschen Ansicht anschliefst, und indem er il^ jli^
sen Säuren den Wasserstoff fdr da« Radikal, und SehweMj
Chlor^ Jod etc. für den sänrebildenden Stoff erktilPt Dieee i»
sieht is^ dieselbe, welcher wir uns selbst auschlielsen. Die AV
handlung des Doppelkohlenwasserstoffs hätten wir gern atf ^
anorganischen Chemie ganz verbannt gesehen, und sie lieber
J>eim Alkehol gefunden, ebenso die Kieselsäure, wdebe der
Verf. Kieselerde nennt, aas der Reihe der Metallexyde is ^
der Metalloide versetzt gesehen. Eigen« nene ÜntenuekoageB
sind in dem Werke nicht niedergelegt', wonut wir am §• *^
einverstanden sind, da in der heutigen Joumalzeit Niemand «o
anders ^>nes sieht als in den Zeitschriften, und das aaf en'^
rem Wege bekannt Gemachte oft lange unbekannt bleibt. Di^
itofsere Ausstattung ist elegant, und der. Druck korrekt
Marchand.
Jlf 52.
Jahrbücher
i •
für
wissenschaftliche Kritik.
März 1840.
XXXIII.
IHe Kirchenverfassung nach Lehre und Recht
der Protestanten. Von Dr. Friedr. Jul. Stahle
Erlangen, 1840. XIV. u. 287 S. 8.
«
Wenn es befremdend erscheinen konnte, dals ich,
der ich nur ein Theolog bin, mich zur Beurtheilung
der Schrift eines Juristen entschliefse, so könnte ich
eunächst zu meiner Entschuldigung anf&hreni dafs, wie
aus der Recension eines früheren Werkes von ihm in
diesen Jahrbüchern (1839. Aug. No. 23 u. flp.) heryor*
griit, der Hr. Terf. seiner Jurisprudenz selbst eine theo«-
logische Farbe aufgelegt hat Aber viel ernstere Gründe
dazu kann ich angeben. Zuerst den geringsten, per^
sonlichen, -dafs ich, da der Hr. Verf. mir die Ehre er«>
«eigt hat, mich hie und da anzuziehen und zu bestrei-
ten, darin die 'ungesuchte Veranlassung finden konnte,
nkeine Lehre mehr %u erläutern, ob er ihr vielleicht
dann weniger Böses nachzusagen für gut finden möchte,
auch abgesehen davon , dafs diese meine Lehre viel-
leicht im Stande wäre, die seinige, wenigstens hie und
da, zu widerlegen. Denn das kann doch immer nur
der Hauptgrund sein,^sich in eine solche nicht immer
erfreuliehe Discussion einzulassen, dals das Gebiet der
wissenschaftlichen Erkenntnils rein und unverletzt bleibe,
und sich zeige, dafs die Person sich nicht beabsichtige,
sondern die Wahrheit uns über Alles gehe. Endlich
wUl ich nicht verhehlen, dafs ich auch darum nicht
ongem die Beurtheilung dieses Buchs übemomihien habe,
weU ich Weüs, dafs Hr. Stahl es gar nicht allein ist,
der so denkt, wie in diesem Buch geschrieben steht,
aondem daCs es gar viele giebt, in deren Zuspruch und
BdüTall schon er dnen Beweis der Wahriieit seiner
Gnmdsätze finden könnte und denen ihrerseits gar sehr
damit gedient ist, dafs diese nicht nur zu unbestreitha'-
ren Wahrheiten erhoben werden, sondern auch in die
Tliat und das Leben der Kirche übergehen möchten.
JaUrb. /. tn$$€Mch. KriHk. /. 1840. I. Bd.
Nicht zu leugnen ist wenigstens, da(s die ähnliche Denkart
keinen geschickteren, gewandteren Advocalen dafür auf-
stellen könnte. Auch wer in den Prinzi|»ien mit ihm
nicht einig ist, wird ihm das nicht absprechen, dars der
Hr. Verf. seine Sache mit Kraft und Scharfsinn, einige
EntWickelungen auch mit Geist und Eigenthümliehfceit
durchgeführt hat. Die Disdnctionen sind hie und da
so scharf und fein, dafs es dem ungewahrsamen Beob-
achter leicht begegnen kann, die nadimaligen Folge-
rungen daraus für blofse Erschleichungen zu nehmen
und so dem Hrn. Vf. Unrecht zu thun. Auch das
r
lebhafte Iiiteresse, welches er an der Kirche nimmt, mufs
ihm billig zur Ehre gerechnet werden. Wenn Theolo-
gen in solcher Weiie sprechen, so haben sie gleich von
'vom herein das allgemeine Vorurtheil gegen sich, dafs
sie von Kastengeist getrieben hierarchische Zwecke ver-
folgen^ Um so rühmlicher ist es^ wenn einer, der we-
nigstens dem.&ufsern Beruf und Stande nach nicht zu '
den Theologen gehört, sich mit dieser Energie auf die .
Seite der Kirche dem Staat gegenüberstellt, wenn auch
vielleicht dagegen ihm zum Nachtheil nachgesagt wer-
den könnte, dafs er es ja doch nur als Jurist thue und
die Kirche allzusehr nach der Weise des Staats beur-
tfaeilt habe. Ein Verdienst ist es schon und ein nicht
geringes, aufs neue die gar practische, ah das lebiiaf-
teste Bedürfnifs anknüpfende Verfassungsfrage angeregt
zu haben, welche seit dem entschlafenen Synodalwe-
sen unter uns 9o gut wie gleichfalls entschlafen war.
Ueber Staats- und Kirchen- Verfassungen hat man zwar
seit 30 Jahren schon so unendlich viel gehört und so.-
viel Verkehrtes und Ungereimtes, dafs man nicht ohne
Yonirtheil jeder neuen Erörterung darüber entgegen-
sieht. Man hat sich endlich gegen jede neue Betrach-
. tung der protestantischen Kirchenverfassung gleichgül-
tig gemacht durch die oft wiederhohlte Wahrheit, dafs
die beste Verfassung die Menschen nicht besser macbe-
. und die gute Gesinnung auch die Mängel einer unge-
52
411 Stahly die Kirchenverßüsung näcA
nQgenden Verfassung ergänze. Gleichwohl ist nicht
zu leugnen, dafs die objectiven Formen der Verfassung
nichts weniger als gleichgültig sind, indem sie die freie
Entwickelung des Geistes hemmen oder fördern, und
dals sie, je weniger sie dem Begriff entsprechen, ym
so mehi; die Schuld yieler Uebel selbst zu tragen ha-
ben. Mit Gedanken und Planen zur Verbesserung der
protestantischen Kirchen - Verfassung sich zu beschäfti-
gen, ist überdem von jeher für viel unverfänglicher und
zulässiger gehalten worden, als- mit politischen in Be-
zug auf Staatsverfassungen, da bei den ersteren nicht
nur die Voraussetzung ist, 4ais jede Kirchen - Verfas-
sung sich nach der bestehenden Staats -Verfassung ein-
zurichten hat, sondern auch jedermann weifs, dafs man
jede wirkliche Verbesserung an der Verfassung der
Kirche, wozu es kommt, nur der VTeisheit und Fröm-
migkeit, der Macht und dem guten Willen des Staats-
oberhaupts zu verdanken hat. Aber auch abgesehen
selbst von allen andern Gründen und allen innem Vor-
theilen zur Erledigung vieler und grofser Bedürfnisse
muPs man jede solcher Verbesserungen in der Verfas-
sung, insonderheit jede Verstärkung der kirchlichen
Autorität, im Interesse ' des Staats selbst wünschens-
werth finden. Wie vielen Molesüen z. B. würden evan-
gelische Staaten weniger ausgesetzt sein von Seiten der
römischen Kirche, wenn diese in der evangelischen
Kirche nicht blos diefs Negative, ini Staat Verschwom-
mene, Akatholi^he, sondern eine Autorität von be-
stimmtem positivem Lehrinhalt, von markirter Physio-
gnomie Djud Intelligenz sich gegenüber sähe!
Aber unser Hr. Verf. geht viel weiter.
Hr. Stahl kündigt sdion in der Vorrede die Wie-
derherstellung der alten protestantischen Verfassungs-
lehre, die durch alle die in Mitten liegenden willkühr-
licben und einseitigen Standpuncte entstellt worden, als
das Ziel seiner Bemühung an* Im ersten. Abschnitt
giebt er, was er die Geschichte der Ansicht nennt, und
zeigt, wie über die Kirchenverfassung von den Pro-
testanten von Anbeginn bis auf die Gegenwart gedacht
worden ist. Da sehen wir ihn denn sogleich hei dem
Resultat in folgenden Worten ankommen: „diefs fährt
uns denn auf die bekannten drei Systeme : das Episco-
pal*. Territorial- und Kollegial -System.'' So werden
denn die drei Systeme dargestellt. Wo sie aber her-
kommen, woraus sie hervorgehen, warum gerade ihrer
drei und nicht mehr oder weniger sein sollen, wird
Lehre und Recht der Proteeianten* 412
nicht gezdgt^ Der Hr. Vf. nimmt sie als gegebene,
vorhandene, als solche, die er vorgefunden. ^ Auch dab
sie Systeme sind, ist ein als bekannt vorauszusetsendei
Prädicat. Man ist es auch sonst wohl gewohnt, ua«
System nichts weiter verstanden zu sehen als vt^
ein Aggregat von Meinungen, Bündel von Vonteiliui-
gen. Zu Systemen scheinen sie nach dem Hrn. Tf.
erst geworden zu seiji dadurch, dafs sie eben Mamei
bekamen, das eine so, da;si andere so genannt wuHe.
S. 1. Von diesen sogenannten Systemen, sagt der Hr.
Vf., wolle er zeigen, dafs sie wahrhaft Systeme and.
Sie sind im Verlauf der Darstellung aber doch inr
irgend eine bestimmte Art und Weise, wie über den
Gegenstand gedacht worden, Ansichten der Protestatt>
ten, und in der Geschichte Aht Ansicht verspricht der
Hr. Vf., an die Stelle der bisherigen Darstellung Htm
Systeme, die nur eine äulserliche sei, eine neue n
setzen, die es sich zum Ziel setzt, sie aus ihrem iiumy
sten Prinzip und nach dem ganzen Umfang ihrer Fol-
gen aufzuhellen. Aber was ist und bleibt eine Anaelit
anders, als eine äuberliehe Betrachtung? AeuberM
und der Sache fremd bleibt jede Darstellung in der Wif*
senscdiaft, die vom Gegebenen nicht nur ausgeht, son-
dern auch dabei stehen bleibt, ohne dessen inDere «ad
gedankenmäfsige Nothwendigkeit zuerkennen« SinddiB
drei sogenannten Systeme der evangelischen Kirdmii-
Verfassung, als die von vom herein bekannten, nichti
weiter, als vorgefundene, über Nacht hereinge$ch&eüe,
so habett sie nichts weniger als Nothwendigkeit, mb-
dern beruhen in reiner Zufälligkeit. Ist dieses n^
eine eben nicht sehr fromme , oder theologische »Aor
sieht** der Geschichte, so ist es auch keine würdige und
befriedigende Behandlung der Geschichte, die an ihrem
Inhalt nichtdt weiter, als eine Masse zuiSlIiger Ereig-
nisse hat, die sein konnten und auch nicht, ohne doff
die vernünftige Betrachtung sie vermilste. Eine W'iV'
haft historische ' Erkenntnifs mufs vielmehr vor allcA
zu der Einsicht konunen, daCs diese Systeme so wenig
zufällig sind, daüs die Wahrheit der evangelischen Kir-
che selbst es ist, welche in ihnen allen, wenn auch
von anderer Seite und in der Einseitigkeit mehr oder
weniger genügend sich herausgekehrt und zur Ersehet«
nung gebracht hat $ so aber können sie seihst nicht gaai
ohne Wahrheit sein. Diefs wäre eine der Saehe an-
gemessene Betrachtung gewesen. Statt dessen stellt
sich der Hr. Vf* gleich von vom herein zu den vsr-
413^* . StuMy die KireAenverß$$MUfig nach
tehiedenen Systemen in das Yerhältnifs der Zu- und
Ab -Neigung und so ist seine ganze Behandlung der-
selben nicht ohne Vorliebe und Vorurtheil. Man Icann
anch sonst wohl die Bemerkung machen, daCs, was man
Geschichte des Rechts, der Kirche u. s. f. nennt, oft-
niebts anderes, als das Werk und die Geschichte der
sttbjectiven Ab- und Zu -Neigung ist, wonach man sich
des historische Material auswählt. — Schon in der Dar-
sCelinng des ersten Systems, des Episcopal- Systems,
gebt der Hr. Vf. viel su sehr auf den gesctiriebenen
Bucbstaben aus und weiset nur nach, wie das Episco*
pal -System von den Juristen gebildet' und ausgebildet
worden, nicht aber, ^ie es sich selbst und in der Ge-
sebiebte der evangelischen Kirche gebildet hat. Diefs
imgeschriebene Recht aber ist überall die Vernunft der
Sache, .welche nachher nur mehr oder weniger in das
gescbriefaene übergegangen und wiederum auch nicht
ohne die Kritik, welche die Yernunft der Sache darin
SU erkennen hat, darin wiederzufinden ist Die juridi*
sehen Reflexionen vom Anfang des 17. Jahrh. sind nur
als Erklärungsversuche dessen, was geschehen ist, an-
susehen, nicht aber an und für sich Quellen des Rechts,
sondern höchstens. Autoritäten von Autoren; ihnen liegt
die wahre Geschichte schon im Rücken. Die vernünf-
tige Betrachtung ist nun offenbar die derjenigen Theo-
logen und Jurbten, welche sich soweit auch über die
•blofse Aettberlichkeit und Erscheinung der einzelnen
•Tbatsachen erheben^ dafs sie die hergebrachte Juris-
^Hetion der Bischöfe bis zum Religions- Frieden viel-
UMhr ab eine widerrechtliche Usurpation und die Wir-
Ining dieses Friedens nicht sowohl als eine Ertheilung,
denn vielmehr als eine Zurückstellung (Restitution) der
Kircbengewalt an die Landesherren betrachteten. Aus
diesem von der Idee durchdrungenen Urtheil weifs die
so Ett sagen historische Ansicht nichts su machen ; auch
unser Hr. Yf. hält sich nicht dabei auf, eilt darüber
weg, sieht nicht die Folgerungen daraus, die sich dar-
aus ergeben und seiner. JLehre nicht sehr günstig sind.
Was aber eigentlich damit gesagt wird, ist: was ge-
fdieben, sei nur die vernünftige, erst jetzt und in der
evangelischen Kirche an den Tag der Geschichte und
des Rechts gekommene Nothwendigkeit und Wahriieit
des Verhältnisses der Kirche eum Staat« fliermit ist
denn auch ganz wohl vereinbar, dafs es auf diesem
Grunde, wie in der Praxis, so in der Theorie, auch
sur selbständigen Constitution der Kirche in ihrem Un-
Liehre und Recht der Proteutanten*
414
terschie^e vom Staat kommt und das ist nicht weniger
das Vernünftige des Episcopal- Systems. — Uebrigens
folgert der Hr. Yerf. aus einer Aeurserung J. H. Böh-
mers zuviel, wenn er sagt: nach dieser sei Entscheidung
theologischer Streitigkeiten und Herrechaft des Jjehr^
Standes Grundcharacter des Episcopal-Systems. Unter
Concilia ist nicht Herrschaft des Lehrstandes zu ver-
stehen, sondern freiea Zusammentreten des Lehrstandes
zu kirchlichen Zwecken. — Wohl kann der Hr. Terf.
sagen: das sei das kirchenrechtliche System der pro-
testantischen Orthodoxie. Nur hätte er bestimmter sa-
gen müssen: der ihtmaltgen protestantischen Ortho-
doxie und noch dazu einer solchen, die nicht .einmal
aus den symbolischen Eüchem oder den Schriften der
Reformatoren, sondern zweier orthodoxen Theologen
und zweier Kanonisten bewiesen ist.
So weit des Hrn. Yerfs. Zuneigung. Es folgt nun
die Abneigung, nämlich, das Territorialsystem.. Eine
Betrachtung, frei von Yorliebe und Vorurtheil, die un-
partheiische und wahdiaft historische, kann und wird
das Moment der Wahrheit,, welches selbst in dem Irr-
thum ist 'und ohne welches er gar nichts, auch nicht
der Widerlegung werth wäre, nicht aufser Acht lassen.
Ist denn das Princip der subjektiven Freiheit, der Denk«
und Gewissens-Freiheit, wie es als ein gemeinsames
dem Territoriair und KoUegial-System zu Grunde liegt,
ein so geringes*, gleichgültiges oder verächtliches} hat'
es nicht in jeder wahrhaft evangelischen Kirchen-Ver-
fassung seine nothwendige Stelle 1 Wie äufsert sich
nun der Hr. Verf. darüber zunächst in Bezug auf das
Terri^orialsystemt Gleich von vom herein beruft ersieh
auf des Thomasius falsche Rechtsphilosophie (die Falsch-,
faeit ist schon anderweitig ausgemacht) und setzt so-
gleich hinzu : „derselbe Grundsatz nun (dafs Sittlichkeit,
Religion, Seligkeit nicht Sache der Gewalt, sondern
der Freiheit eines Jeden sei) ist es , von dem Thoma-
sius bei seiner Lehre über die Kircbengewalt des Lan-
desberm ausgeht und das in der nachstehendenJ^poche
herrschende System gründet." S« 23. Von diesem Sy-
stem sagt er auch später noch, S. 203., dafs es auf ei-
ner Voraussetzung beruhe, die unhaltbar, ja sogar wahr-
haft absurd ift« Eine der wesentlichsten Voraussetzun-
gen, ja Grundlagen des Systems ist, dafs auf die
Glaubens- und Gewissens-Freiheit Alles ankomme. Es
ist allerdings ein Mangel dieses Systems, dafs es, nächst
seiner ganzen negativen Tendenz» die sittlich und
415
Stahly die KireAenverfmiiung nach Lehre umi Reckt der ProtestanteHi
kirchlich gesinnte fndiFidualität des Landeeherm tum
Schwerpunkt der ganzen Kirchen -Verfassung macht
und das kann ungenügend erscheinen, wenn es sich
iron einer objektiven Kirchen-Verfassung handelt ; aber
eine historiscjie Betrachtung sollte doch wenigstens
nicht übersehen, wieviel die protestantische Kirche den
verschiedenen Landesherren in allen Zeiten zu verdan»
ken gehabt hat; wir erinnern nur an die Zeiten der
Reformation selbst. VTird man auf diese Zeit, die we*
sentlich im Sinne des wohlverstandenen Territorial*
Systems verfuhr, wohl folgendes Urtheil^ womit der
Hr. Verf. anhebt^ passend finden: ^Cine Kirchenge*
walt im eigentlichen Sinne d. i. welche die positive
Förderung der Kirche, die Erhaltung des christlichen
Glaubens, den ihm entsprechenden Gottesdienst und den
gemeinsamen christlichen Wandel zur Aufgabe hätte,
kann es nach diesem Grundsatz nicht geben; daher
keine Ehatscheidung theologischer Streitigkeiten, keine
Aufsicht über die Predigt im Interesse der Kirche, dafs
die von der Kirche bekannte vrahre Lehre gepredigt
werde" u. s. f. S. 23. Der Mangel in der Darstellung
des Hm. Verf. bt, dnfs er die Meinungen und Einsei-
tigkeiten einzelner Rechtslehrer sogleich zu Systemen
macht, die doch nach seiner eigenen Vorstellung vom
System nur subjektive Ansichten sind, die grofsen, ge-
schichtlichte Verhältnbse der evangelischen Kirche aber
dabei unberücksichtigt läfst. Ein wesentlicher Grund*
satz des rechtverstandenen Territorial-Systems ist z. 0.
die Wahrheit, dafs die evangelische Kirche, ohne darü-
ber ^ufzahören, die allgemeine zu sein, überall in der
VTelt die Bestimmung hat, Landeskirche zu sein d. h.
innerhalb des bestimmten Staatsgebietes sich eigenthüm-
lich zu gestalten, wodurch sie nothwendig zugleich in
irgend eine Abhängigkeit kommt von dem bestimmten
Suat. Kann der Hr. Yerf. diefs Prinzip ohne weite-
res verdammen f Mufste nicht wenigstens diefs als ein
wesentliches Moment der Wahrheit dieser Theorie und
Kirchen. Verfassung hervorgehoben werden? Wer sich
für berufen hält, an sogenannten Systemen das Falsche
aufzuzeigen, kann seine Berechtigung dazu nnr da-
durch erweisen, da£s er zuvor das Wahre und Rieh«
tige derselben erkannt hat, wodurch überhaupt erst das
Recht entsteht, sich dabei aufzuhalten und sich darü»
6er aufzuhalten. . Ist es geschehen, dafs' die protestan«
tische Kirche 4n die Hände des weltlichen Regiments
41«
geliefert ist, wie der Hr. Verf. sagt» so ist es doch sdir
einseitig, den Grund davon in Thomasius und Böhmer
aUein zu suchen. Von dem frommen Spener wird der
Hr. Verf. wohl nicht behaupten, was er von der Lehn
des Thomasius sagt, dafs sie allem ChriitMithum fread
sei; bei dem wird er gewifs einen reineren cbritllieheB
Ausdruck des Territorial «Systems finden und schoa
daraus hätte der Hr. Verf. erkennen sollen, dabei
auch eine unpartheiischere Darstellung di^er Theorie
giebt, ab die seinige. Selbst der personlichen, wen
gleich noch so dürftigen und einseitigen Lehre jeier
berühmten Rechtslehrer gereicht noch manches zur Eot-
schuldigungj wodurch erst möglich wird, die Theorie
in ihrer historischen Erscheinung zu begreifen und ge*
wissermaafsen selbst in ihrer Nothwendigkeit ansuer-
kennen. Diese hat sie in ihrer Zeit gehabt. WenniMB
bedenkt, welch eine VTirthschaft das damab warm der
evangelbchen Kirche, und welch ein Kampf der Bvdh
stabentheologen und Orthodoxen auf* der einen und der
Frömmler und Pietisten auf der andern Seite mit ein^
ander und wie beide Partheien um die Besitznahme der
evangelischen Kirche rangen, so kann man es woU
begreiHich finden, wenn Münner von Energie imdCba-
racter auf den Gedanken kamen, dafs es dock woU
möchte das Beste sein, wenn de^ über alle Partheiei
erhabene Landesherr ausschliefslich die Regierung der
evangelischen Kirche übernähme und die Toleranz ab
den höchsten Grundsatz seiner Regierung proklamirte.
Es mufs sich billigerwebe sogar Aragen, ob sich daiil
nicht mehr Frömmigkeit, ab Feindseligkeit gegen dei
Chrbtenthum verrieth, und ob es nicht ungerecht ist)
solche Denkart mit dem Hrn. Verf. aus dem ilafs ge-
gen die chrbtliche Kirche abzuleiten und sie der Prof»*
nität anzuklagen. Es wäre jedenfalb besser geweseS)
weniger pathetisch und rhetorbch sich auszudrückeil}
wenn der Hr. Verf. sagt: „Das TerritoriaUSystem i»
diesem bestimmten Charakter-, wie es hier theoretisdi
vorliegt, bt zunächst nicht ;eine Auslieferung der Kit-
chengewalt an den Landesherm, sondern vielmehr eine
Aufhebung derselben, nicht eine Unterdröckuog 4er
Kirche. durch den Staat, sondern eine Zerstörung^ i»'
l4eugnung der Kirche, die ja ohne Gemeinschaft dei
Glaubens und ohne eine gemeinsame Beherrschung ^
für nicht bestehen kann."
(Die Fortsetzung folgt.)
Jahrbücher
f- •■
u r
wissensc b a ftliche Kritik
März 1840.
MK9 Kirehetatetfatsung Mach Lehre und
der Ptotet^anten. Von Dr. Friedr. Jul. 8tahi.
I
(FortsetzoDg.)
Endlioh luiue di« historische Gerechtigkeit auch
erfordert, %u bemerk«», dafs diese Theorie des Ter-
intoriäl - Systema nirgends in der eTaogelischen ;Kir.
che eu ihrer vollen Anwendung gekommen, wie
aehr es auch hie und da den weltlichen Regenten
eingeleuchtet hat Es sind nicht in Folge dieser
Theorie sofort die symbolischen Bücher und die Con«
alalorien abgeschafft worden; es ist dem Lehrstand
uoth nicht aller Antheil am Kirchenregiment entzogen
VOrd^S ^s i^t ^^^ evangelischen Yölkem noch nicht
gleichgültig geworden, ob der Landesherr christlich oder
heidnisch gesinnt ist In diesem Widerspruch der.
Wirkll^hkeii und Theorie bewegt sich der Hr. Verf.
Dagegen ist nicht su leugnen , dafs er den Uebergang
dieser Theorie in Cäsareopapie treffend erwiesen hat.
Kn dafs pian doch eben da recht deutlich siehf , wie
«In solcher kanonistischer Lehrsatz, von welchem der
.Br. Yf. sagt, dafs er alle Freiheit und Sicherheit der
Kirehe zerstöre, dafs nämlich der Landesherr ohne Zu-
ziehung des Lehrstandes die Liturgie abändern könne,
aeinen Grund in der Zeit hatte, was in der erklärten
Absicht auch ausdriicklich gesagt ist : dafs nämlich die
Mficht des geistlichen Standes dadurch gebrochen würjcle.
Giebt es Zeiten, wo das Letztere nöthig ist, so kann
man es auch nicht unerwartet finden, wenn das Erstere
geschieht, z. B. auch, wenn, wie wir erlebt haben, der
Lehrstand Melbst, um alle Reform des Kultus zu ver-
biudem, sich in dieser Hinsicht für insolvent und in-
competent erklärt, ;weil das die Gemeinde erst erlau-
ben mursten. Mufs man, um dem Territorial- System
auszuweichen, zum Kollegialsystem übergehen ?
Es folgt die zweite Ahndung des Hrn. Verf.,
das KoUegialsystem« Hr. Stahl beschreibt es nach Pfaff,
Jahrb. /. wisiemch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
als dem Begründer desselben, welchem er dann noch
ßchleiermacher (Pacif. Sine), Wiese und Schnaubert,
fiuch Eichhorn zugesellt Sein eigentliches Leben und
Interesse hat es in den grofsen gesdiichtlichen Bewehr
gungen des Begriflb in der Kirche von England und
Schottland gehabt, worauf sich aber der Hr. Yerf. nicht
. einläfst. Pem Prinzip nach gehurt diefs System der
reformirten Kirche an und ist in der lutherischen eben
so wenig, ja noch viel weniger, als das territorialisti-
sche jemals ins Leben übergegangen. Es ist auch bei
Pfaff offenbar puritäbischen Ursprungs und kaum mehr,
ab ein Project ; die lutherische Kirche hat in ihrer
geschichtlichen Entwickelung keine Notiz davon genom-
men; erst in der Union ist es angeregt worden. Aber
da der Hr. Yerf. den Unionszustand, zu welchem es '
die evangelische Kirche in verschiedenen Landern
Deutschlands, besonders im Königreich PreufsCn ge-
bracht hat, gänzlich ignorirt und sich ausdrücklich auf
das Lutherische beschränkt, welches bei uns nur in*
nerhalb der Union, auber ihr aber nur noch separati-
stisch gilt, so vermag er auch nicht einzusehen, dals
das Kollegialsystem auch für die unirte evangelische
Kirche ein groGses Interesse hat Was dann die eigent-
liche Wahrheit dieses Systems ist, nämlich dafs es
diese durchgängige Erinnerung enthält an den Ursprung
aller kirchlichen Rechte, hat der Hr. Verf. gänzlich
übersehen. Dagegen ist er sehr beteit, es nicht nur
nach einzehicA, unzureichenden Aeufserungen Pfaffs
(von welchem er unter anderm urtheilt, Schleierma-
• eher habe nur desselben Gedankenfolge wiederholt,
was kein der Sache und Person Kundiger behaupten
wird) darzustellen, sondern auch zu beurtheilen. Er
erklärt die Wilkühr für das eigentliche Prinzip dieses
Systems und macht sichs gar Idcht, indem er das Ganze
für ein Analogon der Yolkssouverainität erklärt. Auch
ich bin wohl eben nicht für einen Vertheidi^er dieses
Systems bekannt und der Hr. Yerf. selbst spricht (was
53
419 SlaAIy die Kirchenverfaaung nikek
ich auf sich beruhen lasse) von meinem ,,utibestreitlia^
reh Verdienst, die Unhaltbarlceit. sowohl des Kollegial-
Systems überhaupt, als auch jener Einschränkung dßr
evangeUsch^u Fürsten auf das allgemeine Majestäts-
reeht mit Bvidenz nachgewiesen eu haben.^ 3. 128.
Aber es gilt auch hier, was oben gesagt worden: erst
mufs man das Richtige daran erkannt haben, um die
Mängel dayon einzusehen. Aber Wahres, Richtiges
giebt es in diesem System für den Hrn. Verf. nicht,
soitdem er aleht ^eichsam sein Recht, es su rerwer*
fen, dadurch yefringert, wenn er etwas Gutes daran
liefse. Es ist, nach ihm, Ergebnifs der rationalistischen
Richtung und was man unter solche Kategorien, wie
Rationalismus, spcculative Theologie, flegelsche Philo*
Sophie (denn das kt alles einerlei nach S. 66) bringen
kann, ist doch gewifs als hinreichend verwerflich sig«^
nalisirt. Ist es denn aber damit auch widerlegt oder aus
dem Leben derjenigen Volker, deren geisdge Substanz
darin gründet, ehe an Rationalismus gedacht war, weg*
geschafft! Am wenigsten kann es sich von solchen ver-
fehlten Bestimmungen getroffen fühlen, wie, dafs es alle
Ordnung und Gesetze auf den Willen der Einzelnen
znrQckfübre, da der Grtindsatz desselben vielmehr ist,
dafs das Recht der Kirche in der Gemeinde und nicht
in dem Einzelnen ruhe. Aehnlicher Art bt die Ver-
gleichung des Kollegial * Systems mit dem EpiscopaK
S3rstem. In diesem, sagt der Hr. Verf., sei es abgese.
hen auf Unabhängigkeit "^der Kirche als solcher; in
jenem dagegen auf Unabhängigkeit der Menschen,
welche die Kirche bilden. Der Hr. Verf. sagt unter
anderm in der Yorrede, es sei an der Zeit, dafs dieser
Lehre, welche die Kirche aller Weihe und Autorität
entkleidet und in ein Aggregat beliebig paciscirender
Menschen zersezt, gründliche Widerlegung werde. S. 10.
Wir müssen sehr zweifeln, ob die sejnige eine solche
zu nennen sei; denn dadurch ist keine Einseitigkeit
widerlegt, dals maA ihr nur eine andere entgegensetzt
— Die wahre Aufgabe mit diesen beiden Systemen,
gleicherweise wie mit dem hierarchischen, ist vielmehr
— wie sie auch von mir zu losen versucht worden ist
in der, wie es scheint, dem Hrn. Verf. unbekannt ge-
bliebenen Abhandlung in der Zeiischr. für spec. TheoL
von Bruno Bauer und kürzer in der Practischen Theo-
logie — sie in einander überzuführen, so, dafs sie sich
von ihren Einseitigkeiten reinigen ; wozu freilich ge-
hört, dafs man das Moment der Wahrheit zuvor in ih-
Lehre und Recht der Prateetanten* 420
den anerkf nnt und es nur frei macht ; denn nur lo I3»
sen sie sich* wahrhaft in sich selbst anf. Aber auf den
Wege der ruliigen Begriffsentwickelung kann nuu& frei*
lieh nicht so gewaltsam 2u Werke gehen, als der Hr.
Verf. mit diesen Systemen verfährt, wobei es doeh.i|i
teressant bleibt, zu bemerken, wie der Hr. Verf. in fa
weiteren Entwickelung seiner eigenen Lehre nieht um*
hin kann, von wesentlichen und eigenthümlichen Be»
Stimmungen des Territorial- sowohl,' als des KoUegiaL
Systems Oebraueh zu machen und sie «ttUler la acpepd«
ren \ wie Ja überhaupt das entschiedeli ausgesproehcoe
Bestreben des Hrn. Verfs., die Selbständigkeit der
Kirche gegen den Landesherrn zu behaupten, der Natv
der Sache nach, nicht sehr, weit abliegt von der Ehiq^t*
tendenz des Kollegial-Systems, wenn aneh die Tendai-
zen von verschiedenen Prinzipien ausgeben.
Der zweite Abschnitt des Buohs «teilt nun die aB«
gemeinen Verfassudgsprinzipien auf. Was in foldw.
Aufgabe allein richtig leiten kann , ist der Uare imi
feste Begriff der Kirche, wie sie die ehristUehe und evHfr
gelische bt. Der Begriff spricht sieh -aus als die Notk*
wendigkeft und als das Recht, Bestimmongen zu setceO)
die aus ihm selbst hervorgehen. So sagt nun audi der
Hr. Verf. : die Kh-che mufe nicht allein solche geist^
Gemeinschaft, sondern nothteendig auch efaie äufiei^
eine Anstalt wirken ; sie mufs zunäclist ein gemdoia*
mes Bekenntnifs des Glaubens wirken. Aber nun: die gei-
stige Gemeinschaft mufs ferner eine gemeinsame Tbädg*
kelt für die Bewahrung des Glaubens u. s. f. und eise
Ordnung dieser Thätigkeit sein d. i. ehie Kirehenverfoi-
sung, nicht blos eine Gemeinschaft, sondern auch eint
jtnstait. So gewifs das von dem Innern Bildungs-
triebe der Kirche zu sagen bt, dafs er zur VerfaMung
liio treibt, so unrichtig ist es doch, die Verfassung avi
der Kirche selbst und allein hervorgehen zu lasseiv
Hier vermbsen wir vielmehr die groise, eiitscheideDde
Frage: Was bt denn Verfassung der Kirche t Den Be*
griff der Verfassung entwickelt uns der Hr. Verf. nicht;
der Haupigedanke seiner Schrift ist von ihm nicht klar
und bestimmt gedacht und dieser Mangel ha^ wichtige
Folgen far seine ganze übrige Darstellung. Verfassung
der Kirche ist Ue hergehen der Kirche in ein anderes
Element, sicA fassen tßxrin, sich verfassen dareni}
welches bt denn nun dieses Element! Nicht schon
jede, nicht irgend eine Form der Erschebang der
Kirche bt schon Verfassung der Kirche. Verfasstmg
421 JSioAiy die KirciefwerfiusuMg nach
ist ein lobegriflP ?on YarhahiUMen , dm die Rel^on
oder der Glaube so wenig, als die Kirehe oder das
((emeiiisaiiie Lebea im Qlauben iii sojeiier Weise und
Netiiwendigiceit überall schon mit sieli brii^ daPs sie
gar niebt sein konnten ebne sie; wo zwei oder drei
In meinem Namen yersammelt sind, da bin ich mitten
uiter ihnen, sagt Christus; da ist also wohl Gemein-
schaft mit ihm und unter einander , aber noch keine
Verfassung. Wenn Christus die Idee der Gemeinde in
^e Gemulher seiner Apostel pflanst, so, dals sie selbst
bereite in dieser Idee sn leben und su handeln anfan*
gen und sieh die Kirchs an ihnen sichtbar macht,, ist
das KirchenverfassuBg? Naeh romisch*katholischer Vor-
steUung wohl; denn da ist Kirche und Verfassung gar
Bidit unterschieden und die Stiftung der einen ist auch
Stiftung der andern; aber diese Vorstellung ist unpro-
testantisch d. h. sie entspricht weder den Thatsachen
der heiligen Geschichte und Schrift, noch dem vernünf-
tigen Begriff der Verfassung. Das erkennt der Ur.
Verf. in so fem selbst an, als er sagt: nach pro tes tan >
tischer Ansicht sei das BekenntnUs das* erste und
oberste Moment der sichtbaren Kirche, die Verfassung
das seeondäre; er nennt es nachher auch das äulserli«
chere Moment. Es ist ihm aber ein solches, welches
nicht nur in dieser Aeufserliehkeit, sondern auch in
'fester Bestimmtheit in und mit der Stiftung der Kirche
gegeben ist. Hieraus würde folgen, dafs die Stiftung
der ehristliohen Barche auch Stiftung einer bestimmten
Kfroben* Verfassung sei und das leugnen wir, so, dafs
wir das keinesweges schon mit irgend einer Sichtbar-
keit der Kirehe, welcher Art sie sei, nothwendig mit-
geseut fanden« Nach S. 49. schliefst die sichtbare Kir-
che Belcenntnifs und Verfassung ein». Der Gedanke
der Sichtbarkeit ist zunächst nur der der VV^elt ; was
in der Welt der Erscheinung ist, ist das Sichtbare ; das
Geislige ist das Unsichtbare und die Nothwendigkeit
des IJebergnngs dessen, was geistig ist, in die Welt
der Erseheianng ist leicht dargethan. Aber durch den
Uebergang der Kirdie oder ihrer Idee in die Welt ist
noch keinesweges eine Verfassung der Kirche gestiftet
werden. Verfasstmg ist ein anderer Begriff, als der
der Brscheiauag, wie sehr auch die Verfassung, wenn
es dasii^ kommt, erseheinisn wird. Aueh dieb mufs der
Hr. Vf. sugeben^ wenn er die rechte Lehre des £vange«
liums und die rechte Verwaltung derSacramente als die
Sichtbarkeit der protestantischen Kirche darstellt. S. 51.
Leire wd Reekt der Preieetanten. 432
Denn in diesen beiden sichtbaren Stucken ist ihm selbst
doeh der Begriff der Verfassung nicht erschöpft, sondern
er verlangt auch die seiner Meinung nadi ebeada-
mit ursprünglich gestiftete Kirchengewalt. Aber das
ist eben der Irrt^um des Hrn. Veirfassers, dals er die
^chtbarkeit der Kirche in ihrer ersten Erschwnung
in der Welt schon ab Verfassung nummt. Wohl
mu& man mit ihm sagen: „die währe protestantische
Lehre von der. Kirchen -Verfassung hat die Einlieit der
sichtbaren und unsichtbaren Kirche zu ihrem Funda-
mente" S. &3, d. h. in Wahrheit su ihrer Vorausset-
sung d. h. wenn die .Kirche überhaupt nicht in die
Welt kommt, so kann sie auch keine Verfassung gcw
winnen. Aber diefs Kommen des Himmelreichs in das
Weltreich ist keineswegs an und für sich schon mit
einer bestimmten Verfassung verknüpft. Die Vorschrif-
ten Christi an die Appstel kann man höchstens die
(noch durchaus geistigen) An- und Grundlagen, die sitt-
lichen Bedingungen einer künftigen Kirchen- Verfa»-.
sung nennen. Aber nach seiner Weise^ sich vorzugrei-
fen und hastig zum Ziel zu eilen, sagt der Hr. Vf., da
er kaum von den Vollmachten gesprochen, die Christus
der Kirche verlieh: ,,Sonach gründet sich Alles, was
da in der Kirche gilt, das Symbol, die gesetzliche Ord-
nung, das Lehramt, das Regiment, die Ezcommunica-
tion — auf das Ansehen der Kirche als bestehender,
aus der Glaubensgemeinschaft hervorgegangener und ihr
dienender Anstalt." S. 56. Doch unmittelbar darauf
besinnt sich der Hr. Verf. Er sagt: „Mit der Verfas-
sung hat es nun freilich eine andere Bewandnifs (als
mit dem Bekenntnifs). Denn sie ist nicht, wie jenes,
die unüiittelbarste Beurkundung des Innern Gtaubens,
sein Ausdruck selbst; sondern, wie es noch mancher-
lei daswiichen liegender Bewerkstelligungen und Ein-
flösse lind des Zusammenwirkens vieler Menschen be-
darf, damit sie ins Leben trete, also ist auch die Art
ihres Bestands nicht ein unmittelbares Ergehnifs des
Glaubens." S. 67. Nun giebt der Hr. Vf. . selbst eu,
da(s eine ausdrückliche göttliche Vorschrift über sie
nicht bestehe und die protestantische Kirche die Frei-
heit behaupte, dieselbe in mannigfaltiger Weise einzu-
richten, dals sie nur eine menschlich-kirchliche Einrich-
tung sei, zu guter kirchlicher Ordnung nothwendig^
Doch als hätte er damit schon zuviel zugegeben, setzt
er sogleich hinzu: dadurch werde die Kirchen - Verfas-
sung nicht von' dem Innern, göttlichen Geiste gelöst
423
Stahle die KircAenper/aisung nacA Lehre und Recht der Pröteitanten.
424
und dem menfchlichen Belieben preiigegeben.. Zur «n-
nittelbarenr Stiftung Christi reelinet er nickt nur das
Apostel- und Hirten «Amt, sondern auch Kircheneucht,
ExcoinmunicätzoB, und Aufsicht über die Lehre* ; Aber
diefs alles kann doch nicht sogleich die Bedeutung ei-
ner dadurch gestifteten, bestimmten, starren Kirchen«
TerCtosung haben, kann auch Forderung der Ausübung
aller apostolischen Wirksamkeit durch Lehre uiidYor*.
bild sein und läist in der menschlichen Gestaltung von
dem allen der Freiheit noch eine;i groPsen Spielraum«
Ist nun, nach unserm Begriff, der Uebergang der Idee
der Gemeinde in die Welt die Möglichkeit einer Kir-
chen» "Verfassung, so ist der keineswegs gleichzeitig
damit zu setzende Uebergang der Kirche in den Staat
erst die Wirklichkeit einer Kirchen «Yerfassung. Der
Staat bt, um es kurz auszudrücken, die Ordnung der
Welt, der sittliche OeiBt des Yolks und erst in ihn
Qbergehend kommt auf der Seite der Kirche zu Stande,
was wir ihre Yerfassung nennen. Ja nur aus IBlemen-
ten des Staats eben so sehr, als ihres Glaubens, kann
sich die Kirche eine Verfassung anbilden. Diefs, wie
sehr es allen seinen Yorstelluugen widerstreitet und der
Hauptgegenstand seiner Anfeindung ist, kann man doch
in des Hrn. Yfs. eigener Lehre leicht nachweisen ; denn
seine chrbtliche Kirchen« Yerfassung hat offenbare Staats-
elemente in sich, ist schon gar sehr politisch gestaltet.
Woher, ah von der Seite des Staats ist an das Amt
die Bestimmung des Standes gekommen, woher die
Ungleichheit und Unterordnung der Geistlichen unter
einander^ woher das, was wir die Loealgemeinde oder
Parociiie mit ihrem Parochus nennen? Der Staat erst
ist diese Gliederung in verschiedene Stände vu s. f.
Aber so geht es immer, wenn man sich der sorglosen
Sicherheit des Denkens ergiebt und in der Bewufstlo-
$igkeit über die logische Geltung gebrauchter Katego-
rien dahinlebt; es gescb'^ht alsdann zur Strafe für die
Yerachtong der Philosophie, dafs man in Einem Athem
das Gegentheil von dem bekennen mufs, was man ei-
gentlich will, meint und behauptet; so, indem der Hr.
Yf. die Vorzüglichkeit des geistlichen Standes im Ge-
gensatz zum Staat preiset, befindet er selbst sich mit
diesem Stande schon inunerfort auf dem Boden des
Staats und preiset an dem Lehr-iSfa^»^/^ nur, was, wo
nicht viel mehr, doch wenigstens eben so sehr dem
(Die Fortsetzung felgt.)
Staat, als der Kirohe angehört. — Der Udbergang mm
der Kirche in den Geist des Yolks, welcher der Stait
ist, ist eben 90 sehr auch der Uebergang des Staats ia
die Kirche und deshalb halten wir uns für befugt, Mk
die Einheit d^r Kirche mit dem Staat zu nennen, wi«
durch allein erst eine wirkliehe Kirchen • Verfassung n
Stande kommt. — Will man liun sehen^ welche Fol-
gen es hat, wenn über den Grundbegriff und denen
vollständige Entwickelung irgend eine Unkhtrheit mi
Zweideutigkeit übrig bleibt und wie schlimm ei ist,
eine richtige philosophische Einsieht vermissen ra hi-
Sen, so darf man hier nur hinzunehmen, wie in Hr,
Yerf. sich über, oder vielmehr gegen diesen Begriff der
Einheit der Kirche und des Staats e.rklärt. Er beitRi»
tet da (S. 126) meine Lehre, welche, wie meine gaon
Theologie, nun einmal das Schicksal hat, kurzwef th
Hegeische genannt zu werden, wie wenn ich dabei gm
überflüssig und unthStig gewesen wäre, was ieh m
aber allerdings zur Ehre rechne; denn ich weife, vii
diesem grofsen Geist zu verdanken ist, mögen wirib
ehren oder verfolgen. Statt ron der Einheit Viwo^
ben und sodann den eben so nothwendigen Untencfaifd
zu setzen ^ doch so , daCi sich die Einheit darin nidit
auflöset, stellet der Hr. Yerf. sich, seiner abstnetea
Verständigkeit gemQfs, zunächst ganz nur in den Da-
ferschied von Staat tind Kirche und streitei voa da
aus gegen die Einheit und predigt: „Nun ist es aber
keinesweges philosophisch begründet, dafs eine Anstalt,
die sichtbar (?) von Gott gestiftet ist und eine sddie^
welche die irdische. Geschichte gebildet (das ist diefaolie
Ansieht, die das historisdie ins vom Staat hat), eim
Anstalt, deren Ziel die Ewigkeit und das Jenseid ist
und eine solche, deren Ziel sich auf dasDisseiuk-
scliränkt, eine Anstalt, welche die Eine, aUgemeiiie
ist für die Christenheit, und eine solche, die ihrer Na-
tur nach nur nattonal und territorial ist, mit einsiricf
in solcher Einheit stehen, nach welcher jrie nur die fe^
schiedenen Seiten derselben Saehe (gegenseitig ihr b*
neres und Acufseres) wären und daüs sie dem entipr^
chend die Einheit -einer gemeinsamen höchsten Avtsö*
tat, Eines Oberhauptes, wäre es aueh nur für die U-
fsere Ordnung ui|d Leitung, als wenn diese vom hm«*
völlig geschieden werden k<innte, erhalten mfissen ^
sollen.
\ -
54.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik.
März 1840.
Ihe Kirckenw9fm$$ung nuch Lehre und Recht
der Fr0te$tmwten. Van Dr. Friedr. Jul Stahl.
(Fortsetzung.)
Es ist Dicht richtig, deb im Prinzip der Refor*
matioB eine eolche Einheit noth wendig sei." Wieviel
lUfse sich luerüber sagen! Doch der Hr. Verfasser
bcdiiift sieh selbst gleich wieder und fahrt so fort:
y^ui das innere Band swischen Kirche und Staat^ da-
her zwischen weltlicher und kirchlicher Obrigkeit, ist
im evangelisehen Prinzip mit Nothwendigkeit begrün-
det und diefs ist das Wahre in Harheineke^s Motiven,
wojdurch er gerade 6cfal<4ennaeher überlegen ist, kei-
aesweges aber eine Einheit d. i. ein Zusammenfallen
Ibeid« Gewalten in einem Subjecte. Diese angebliche
£inhett ist — namentlich bei dein Marhetneke*8chen
Mangel aller Ctarantien, eben ein Aufgehen der Kirche
im Staat und ist diese neuere, durch philosophisches
Cf^wand täuschende Auffassung in ihren practischen Re-
sultaten nichts anderes, als die CSsareopapie der alte«
r«B Territorialisten, eine AusUeferung d^r Kirche un-
ter die Obergewalt des Staats, und diefs ist eben ein
imabweisbares Postulat der Hegeischen Yorstellungs-
welse/' Solehe mechamscfae Yorstellungen vom innern
Bande, von Verbindungen zwischen . Staat und Kirche
liebt der Hn Verf.; diese verhalten sich aber darin zu
ebiander, nach euiem Ausdruck der Concordienformel,
wie zwei zusammMgeleimte Bretter. In dem* Regenten
eines protestantischen Staats^ hatte ich gesagt, ist diese '
Einheit der Kirche und des Staats zu schauen, reprä-
aentirt d* h. die Idee, die Wahrheit wird in der Per*
son des Landesherm i^>i/(^r/Täs^»^, anschaubar, woran
man in England, wo der Künig, jetzt sogar eine junge
Frau, das Oberhaupt der Kirche und des Staats ist, nie*
mals* einen Anstofs genommen hat und was vielmehr
ebenda oline Zweifel der Hauptgrund der gränzenlosen
Liebe ist, womit der 'Engländer von der Staatskirche
Jahrb. /. wüiemch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
seinem^ Monarchen zugethan ist. Der Hr. Verf. nenn^
meine Darstellung auch Entkirchlichung, als ob in ihr
das läge, dafs die Kirche zu keiner Art von Selbstän-
digkeit kommen könnte, wogegen ich mich nur auf
das schon angeführte Beispiel von England berufe.
Habe' ich mich, wie der Hr. Verf. selbst noch anführt
(S. 244)^ für die bischöfliche Verfassung erklärt und
zwar für eine solche, die nieht ohne Autorität ist, so
ist wohl zu sehen, dafs die von mir behaujptete Einheit
der Kirche und 'des Staats jQicht eine solche abstracto
Einheit ist, welche die Einerleiheit wäre, sondern die
concreto welche die Einigkeit ist und auch den Unter-
scliied aus sich hervorgehen lälst und deren wesentli*
che Grundlage allein vermag, den Gegensatz von Staat
und Kirche, worin der Hr. Verf. stecken bleibt, völlig
zu beseitigen, den reinen Frieden, die wirldiche und
wahrhaftige Versöhnung zwischen Staat und Kirche
herzustellen — eine Lehre, die auch so die wahrhaft
protestantische ist.
Nach diesem Excurs können wir uns nun in der
weiteren Entwickelung der Stahlschen Lehre, um nicht
das üble Beispiel einer zu langen Recension zu geben,
nur noch referirend verhalten, theils um zu zeigen, was
der Hr. Verf. eigentlich intendirt, theils um zum.Sphlufs
noch Raum zu einigen Anmerkungen übrig zubehalten.
Schon überaus merkwürdig ist, wi^ der Hr. Verf.
den Uebergang macht aus dem ersten Kapitel in das
zweite, das von der Natur und dem Umfang der pro*
testantischen Ktrchengewalt* handelt Dort sagt er zu«
letzt: „Der gegebene Zustand (der Kirche und des
Lehrstands), die Gewalt und die Redite, welche er
enthält, sei gleichsam nach dem Prinxip der l/egiti^
müät eine höhere Macht über die. Glieder der Kirche,
so, dab sie ihn nicht abthun können wider JVitten
der Machthaber^ mich wenn sie einen ieesern M^fi/i-
ten.'^ Ist man nun eben im. besten Zuge , dem beizu-
stimmen, so setzt der Hr. Verf. unmittelbar hinzu:
54
427 Siahl^ die Kirekenver/u$9ung nach
y^Diefs war auch das Yerhalten der Reform^ion gegen
die Hierarchie, bü enMieh geufifi mntrde^ daf% leiz^
tere sich tcUeehterdingM dem Evangelium^ statt ihm
XU dienen^ mdereetxen wolle** In de« letzteren Sats
acheint nidit undeudioh die Erlaubnifa eDthalten tu
aein zu demjenigen,, was in dem kurz vorhergehenden
Terboten war, nämlich in gegebenen Fällen aich über
das Prinzip der Legitimität hinwegsetzen zu können«
Wenn das keiii Widerspruch ut, so giebt es keinen;
was das Recht mit der einen Hand glebt, nimmt es nnt
der andern wieder. Hiemach scheint es für den Hrn«
Tf. unmSglich, ron der Reformation den Vorwurf weg«
zubringen, dafs sie doch nur eine ganz widerrechtliche
Revolution gewesen, wenn man sie auch, wie der Hr.
Verf., billigt. Da waren denn doch di(e alten Rechtsge»
lehrten viel weiter und weiser, auch konsequenter, dio
oben ängefilhrten nämlich^ welche, ganz richtig, viel*
mehr die päpstliche Jurisdiction nicht als das urspHSng«
lieh ehrbfliche,, sondern ganz widerrechtlich eingeführte
und die Reformation als die Rückkehr sum wahrhaften
Recht betrachteten ; denn so wenig der päpstliche Glaube
durch die vorhergehenden Jahrhunderte und sein Be«
stehen darin der wahre wurde, eben so wenig kennte
das päpstliche Recht durch längere oder kürzere Zeit
(Verjährung) aus Unrecht zu Recht werden. — Als Oe«
genstSnde der Kirchengewalt stellen sieh heraas s Lehre,
Kuhns, Disciplin. Das Wesen, ja der Begriff der Kir*
che ist die Erhaltung der reinen, der Kirehe anvertran«
ten Lehre und der auf sie gegründeten Glaubensge-
meinsdiaft. Dazu gehört nun zuerst die Entscheidung
theologischer Streitigkeiten. Die Kirche kann solche
Entscheidung nicht entbehren, wo sie die Heilswahr«
heit durch eine Irrlehre im Innersfen bedroht siebt.
. „Noth thäte es der Kirche, den ganzen Wust ratiom^
listischen Unchristenthums und pfuitheistischer Falsch-
münzerei von sieh auszuscheiden.^ 8. 64 Desgleichen
gehört zur Aufgabe der Kirchengewalt die Aufsicht
über die öffentliche Predigt und den üffentliehen Reli-
, gionsunterricht. „Läugnet man ^^m Recht der^Aufsichl
über die öffentliche Predigt und macht dagegen die
Lehrfreihett zum ausschKeCsIicIien Prinzip der protestan-
tischen Kirche -— %o hebt man alle Kirchengewalt und
alle Kirche auf/^ S. 67. Femer die Einrichtung des Get-
tesdienstes. Sodann die Disc^Iin, d. i. die Gestaltung
des gemeinsamen, diristlichen Wandels und die ihn
beztelende Kirchenzucht Endlich die Ehesachen. Drit-
Lekre und ReeAt. der Proteetanien. 42B
te^ Kap. Subjeet der Eirehengewalt. Sie ist aidit
Sache des Staats und der weltliehen Obrigkeit, ms*
dorn der Kirche, vorzugsweise des Lehrstandes. Hier
f^ der Hr. Yf.| obgleich er dagegen protestirti in dai
Prinzip des KoUeglalsTstemsg indem er sagt, der 8i|i
der Kirchengewalt sei eigentlich die Gesammtgemttuda^
mit dieser und an ihrer Spitze sei der Lehrstaod dai
Subject der Kirchengewalt. „Ist diefs nicht der FiO,
sondern der Landesfnrst Subject der Kirchengewaki
wie namentlich in der protestantiaehe« KitylieTaifa»
sung, so ttuiis der Leh^rstand doch wenigstens dieAsi-
übung der Kirchengewalt ihrem Inhalt nach TOihe»*
schind bestimmien." „Christus hat die Vollmachten iwir
der Kirche und nicht den Aposteia getrennt vea der
Gemeinde der Gläubigen und ihr gegenüber crtMl^
allein er hat sie doeh den Aposteln an der Spitze to
Kirohe ertheOt," (Solch eine Vorstellung: an derS|iilii
ist ein wenig geeigneter Ausdrude für dieses unnAieli
bare Verhältnib ; der richtige wäre gewesen : der 6s>
meinde und ebendanric denen, die das Bemufeteä^ dn
Gemeinde sind.) Der Hr. Vf. sudit Btijtke Anstchti aa
gut es geht, von der bieravchisefaen wegsubringea. Dil
Apostel und deren Nachfolger haben , nach Um i «Ua
Kirchengewalt (die Schlüsselgewalt ,,diesen Ken daf
Kirchengewalt") nicht in der Art, wm ein Ktnig aas
Volk r^räsentirt, sie beaitsen nicbt, wie dteer, tA
Gewalt ausschliefslich ; aber Christua hat sie ioA im
Aposteln unmittelbcuf und als scübsttadig ihnen siifcaaM
mend ertlieiit. Daifs die VeAemdittft dos geiitUdM
Standes d«n Protestantismus widerspreche^ ist nur akl
Ergebnib. der antUcirshliehen Richtung/ Di^ Gleiehball
aller Glieder der Kirche bezieht sich keineswegs vd
die ftufsere Ortung und organisehe Gestalt* der Ki6
che, , Viertes Kap. . Verhältnirs der Kireheogewalt i»
Kirche. Die Volhnaehten sind der Kirche ab inaerw
Gemeinsebaft nnd fiurserev Anstalt suglm^h ertiuüt^
fiafo die Aeuüierlichkeit der Gestakung uad Aaatak
erst von der Seite der Welt und des Staats |n M
Kirche und diese selbst «o emt Ikherhaup^ zuein^rVer*
fassung gekommen, leugnet der Hr< Verf. &e sehr, M
er sagt : jenee untersehente die Kirche weeeatBsb vM
Staat. „Denn dieser ist eine blos äu&erllehe AnafaÜ
und seine Vollmacht wü Gewalt rühl ledigUek asf
der äufseren Anstalt und Einriehtung als solcher." Sk
91. Was soll man ren dner Reehtslebre ssgsD) die
aolehe Qedapken yom Staat hat Der Geist der Weit'
411 SkM, dh Kirek^mferfiuumg nmek
Mt «iil ShdlcUMlt d» y olb M 0iiie bbf ittlierildi«
T#raiittdtUBg und in dtewi Acafterliehkeit mhl mId«
gau# yMamAHywo ist j« ab«r Audi sein Reeht nichts^
alt «iie Mtefaü» AMTsdiiiehkeit. , Jadam dia Kircskenga«
walt daa bafafti aoaKesproehaaen Glauben der Kfreha
atÜküiAl hSHi d«n Abfarrenden sareehtweiia^ dai Wider*
ifteohmde anwcdilielat, die Diaeij^lin bandhalft u. s. w««
da baiiMt ate als Obrigbait der Kirobe , der fiarsem^
lAahtbaraif^ festen loeticntion fthnUeb, wie die Obrigkeit
das Staaiii" S. 95. Dritter Absebnitt. Das Reeht der Far- .
alen MMr die Kirdie. Erstes Kapitel. Die Ejrebenbobeit
(Majeslitsreelit) nach protestantiscber Lebre. Es kommt
nvB liier bei dem Hm. Yerf. zu dem obigen Innern Bande
iaad Bunde swiseben dem weltlidien und geistHcben Regi-
moA. W^^nn man Ae Stellung betraebtet, welche der
Br. Yerf. bier dem Staat and der Kireiie. tu einander
giebt und wriebe die Mos fivrserliehe Verbindung ist,
a4r Ist ea obngefShr dieselbe, welche aus den Prind»
fiiett dea Rationalismitf and der Aufkläilnrg Schude«-
rirfT (besenden In seiner Schrift: Die Jurbten in der
Kirdie) Urnen gab; ei^ nannte das Terbfiltnirs das der
Canfraterttitdt, wo?on ich sehen damals sagte, es sd
daa Eweier BrMer, die sieb einander nicht todtachia*
gen* Aber die eeaerete Einheit , welche die des Qti-
atea und der gegenseitigen Liebe ist and die das , e^
gestücb Christliche In demYerfaihnirs ist, kommt nicht
tfavte hertor, sondern es ist daa Bestreben vielmehr auf
Anteittlmdersettung gericfalet mnd auf Bestiomiang der
Greiieen das gegenseitigen Rechts. Gm dieses Recht
reabt z« erb^nnen, SiuCi man durclMius nielit nur die
Kfrtlie bn Staat (waa leicht ist), sondern audi den
JÖtent hl der Kirche d. h. ihn selbst schon ab den
abriatücben, d. li. eben die fainer^ Efaiheit beider wie-
nen. Wie vieles gründet sich nicht im Staat und In
der Ktrebe auf diese gegenseitige Einheit. Was Ist der
Eid, die Ehe, dlO' Fanäie, das Ersiehuags- und Armeil-
YTesett) wer bami sagen oder genau bestimmen, an
welche Seite sie mehr gehören, eh an die des Staate
6der der Ktrebe t Der ,Hf • Yerf. aelbst sieht sich hier
fln MgeHdiBr AenfteiHBg genMilgt : „Da die Anordnun*
geir dier hertiNAenden Kirch« sämartMch die börgerUehe
Gekvmg babaki soften and mfftssan^ ao mOesen sie auch
aanundich nicht blos auf der kirchlichen , sondern eu- '
gleich auch auf der weltlichen Sanktion und' Autorisi«
rang berulien und es kann nunmehr keine kfrchüche
Anordnung allein auf die kirchliche Autorität hin iaa
L§i^e wd Msökt der Pr&i9§iäHie9^ 430
lAhtm treti^ weil dielea daa Band awisehen dem Staat
und der Kirche atoren wQrie. Der Landesfufst er*
aelidnt daher (in der Maiterohie) insofern, aber auch
nur msofe^n, als der Einlieitspunct des weltlichen und '
gaistiiehen Regimentes, ala die oberste (aber immer
weltliche) Autorität auch für kirchliche Aaordaungea.
IMese Sanktion des Fürsten ist nun niobt eine JUreA*
liehß Sanktion, sie ist aber auch nicht eine sohlecht,
hin (afaatract) polüüeAe^ sondern sie, ist apecifiseb
eine ehrütfick-polititehe Sanktion, eine Sanktion dei
ebristlmben Staats. Vor allem also erlangt die weit«
liehe Obrigkeit, wenn die 'Kirche aur herrsdiendeia wird^
das Recht der eter^ten (formalen) Sanktion in Bede»
hang auf das Klrchenregiment." S. 103,. Hat der evan.
geUsche Landesherr nach seinem Majestätsrecht daa
Recht, „selbst darüber zu artheilen, ob eine neue
kirchliche Anordnung, der er die Sanktion und Durch«»
IMvung im Staat rerlethen soll, dem Willen und Wort
Gottes gemäfs und der Kirche zuträglich sei und im
andern Falle sich ihr an widersetaen ," so mufis man
wohl sehr begierig aein, zu erfahren, wie daneben dia
bebmiptete Kirchengawah sich ao unabhängig behaup«
tmi kaaaa, als der Hr. Verf. beabsichtigt. Da kommen
ao feine Dislinctionen hervor von Zulässigkeit, Statt«
haf tig^eit, Möglichkeit ; da wird dem Laadesherm eins . -
Art jeon Müregierung der Kfarche zugeschriebM } da
ist daa Majestätsrecht doch immer noch etwaa gans an*
deres, 9iM die Kirchcngewalt selbst. Es bestehen ei.
gene kirchliche Autoritäten, von welchen die kirchli«
eben Anordnungen ausgehen und ihre positive kirch«
fidie Sanktion erhalten und welche Macht vnd Fug
halten, dieselbe selbst gegen den Laadesherm au ver*
treten, wenn er seine poUüsehe Saniction ohne Grund
verweigert, ja im änfsersten Falle sich im Namen der
Khrdie lossagen, wenn er sie thatsächlieh unterdräokt,
statt sie zu fordern. In der Wirklichkeit steht den
evangelischen Landesherren Dentscblands nicht nur daa
Majestäisreeht, sondern die Kirchcngewalt aelbat AU
Alleitt nur Jenes, aielit ober dieses, bt mn nothwendi*
gea Ergebnits der protesUntisohen Prinzipien. Es wird
gezeigt, ^fa ea sich ana den äufsem Umständen zur
ZA der Reformation so ergab und nur van ihrer Statt-
haftigkeit, nicht v<m ihrer Nothwendigkeit kann die
Rede sein. Eine selbständige, von dem Ansehen und
Btnflüfs des Lehrstandes gelöste Gewalt der Fürsten
in Lenkung der Kirche ist schlechterdings nicht zu
43t StäAiy Me KtreJifenverflisiung nacA
begründen und nicht zu rechtfertigen. 8. 114. Es bleibt
doch immer anerlcannt, däfs die Kirchengewalt auf ei-
gener, von der des Staat« völlig gesonderter, göttlicher
Vollmacht ruht, dafs sie unter ganz andern bestimmen-
den Normen steht, dafs sie (thatsäcMich und materiell)
von midem berufenen Subjecten, nicht blos andern Or-
ganeti im Staatsorgani^mus^ ausgeübt werden muTs.
S. 128. Drittes Kapitel* Der Mittelpunct der ganzen
Untersudiung in diesem Buch ist die kirchenrechtliche
DeducHon, dafs die Kirchengewalt, wie sie noch in
dem Majestätsrecht enthalten, nur möglich, zulässig,
nicht aber nothwendig, die Wirklichkeit derselben aber
erst durch Rechtsgründe zu erweisen sei. Diese Gründe
liegen darin , dafs sie ein integrirender Theil der ur-
sprünglichen Gestaltung der protestantischen Kirche
war. An dieser Seite beseitigt der Hr. Yerf. nicht
untreflfend die traditionelle Angabe des oberbischöflichen
Prädicats (welches' allerdings nur eine einseitige, mo-
mentan historische Bedeutung gehabt hat, weshalb man
mit Recht wünschen mufs, dafs man eine solche Be-
zeichnung des Landesherrn gänzlich aufgebe, zumal
doch immer dazu gesagt werden mtifs, dafs der Fürst
nur Quasibuchof sei). Kirchengewalt und Staatsgewalt
sind nach dem Hm. Verf. streng zu sondern. Die
Eirchengewalt ist nur mit ihrem Centralpuncte d. h. der
obersten (formalen) Autorität völlig und ununterscheid-
bar in den des Staats aufgenommen, nicht aber in ihrer
Entfaltung und Ausbreitung. Völlig gesonderte Ge-
setzgebung, Regierung, Gerichtsbarkelt (Bann) geht auf
die Seit« der Kirche hinüber und darauf beruht die
Selbständigkeit der protestantischen Kirche. Vierter
Abschnitt Die Verfassung unter der fCirchengewalt
der Fürsten. Erstes KapiteL Die Konsistorien. Die
ursprüngliche Bedeutung derselben ist treffend nachge-
wiesen. Sie waren kirchnebe Sittengerichte. Daneben der
Bischof oder Superintendent, (den man jetzt^ nicht eben
etymologisch richtig, als Bischof und Generalsuperin-
tendent unterscheidet). Der Hr. Verf. klagt über die
allmählige Verweltlichung der Konsistorien. Zweites
Kapitel. Der LehrsUnd. Für ihn federt der Hr. Verf.
einen selbständigen Antheil am Kirchenregiment, zu-
nächst an der Gesetzgebung. Dafs der Fürst bei der
kirchlichen Gesetzgebung den Lehrstaud befragen muTs,
L0Are und Reekt d§r ^o§0§iä9$Um^ 481
hat den Zweck, dais die Anordmmg'aiis dem Geist der
Kirche hervorgehe, alt dessen Torzüglichster Träger
der Lehrstand und nicht der Fürst betrachtet wird«
Hier kann der Hr^ Verf. nicht umliin , in dem Lutitnt
der Synoden eine angemessene FortbildUHg der lutbe*
. rischen Kirchen-Verfassung zu sehen. S. 185* Sodann
das Dispensationsreeht, femer die Besetzung der Acflh
ter (nichts ist billiger). Femer *der kirdilicken Ge-
richtsbarkeit. „Der Kirchenbann, der grolae nndklemii
mufs vom Fürsten und den weltliehen Behörden onak
hängig sein. Diesen hat Christus in die Hände des
Lehrstandes und der Gemeinden gegeben." Endlidi
die ständige Verwaltung der Kirche in ihrem Bercidi
als Aufsicht über Lehre, Gottesdienst, Diseiplin. Dar-
auf beruht die organisdie Einrichtung des Lehrstaodss
in den Synoden, Konsistorien, u. s. f. Drittes KapitcL
Von den Gemeinden. Nicht ausgeschlossen jsind die
Gemeinden von der Feststellung^ der öffentliehea Lehr»
und der Einrichtung der Kirche, allein daraus darf
keine Gleichstellung der Laien mit dem Lehrstande fe*
folget werden. Ihnen gebühret nicht die Festsetzung
der Lehre und de» Gottesdienstes, sondern nur die An-
eignung und der VTiderspruch. 9,Eiii unbedingtes \VJ>
derspruchsrecht der Gemeinde bei Aenderungeo in der
Liturgie, wie Wiese, Schleiermacher, Eiohhoni es be-
haupten, ist nur eine Consequens des falschen Kette-
gialsystems." S. 209. Ebenso bei BesetzuQg des Lehr*
amts, bei dei^ Kirchenzucht. Diese > ist ein eben ss
wesentliches Element der eFangelbchen, als katholisdien
Kirche. „Wenn L^hrstand und Kirchenregiment untren
werden und eine falsche Lehre an die Stelle der walim
setzen, dann im Falle der höchsten, äuisersten Noth
tind die Gemeinden berufen, selbst die Gewalt su übeo»
sich neue Lehrer zu setzen und ein neues Kii^ehenr^
giment zu errichten. Man konnte sagen (t), der Lelw-
stand gehe dann der Vollmachten, die ihm veriielien
(Joh. 20), verlustig und es komme dadurch die Yolt
macht, welche den Gemeinden verlielien (Matth. 18)»
zur alleinigen Geltung.** S. 217. Dajrf aber dieselUg^
Revolution in den Gemeinden auch ausbrechen, wenn
Bigotterie, Heuchelei, Gedankenverfolgung, oder Uos
wenn Hattonalismias im Lehrstand überhand niipmtt
(Der Besehtnfs folgt.)
w 1 s js e n
Ji 55.
Jahrbücher
für
schaftliche
März 1840.
Kr i t ik.
IHe Ktrchenveffasnmg nach Lehre und Recht
* der Protestanten. Von Dr. Friedr. Jul. Stahl.
(Schlaft.)
m
Viertes Kapitel. Die protestantische Kirche unter
katholischen Pflrsten. Sehr interessant und sacbgemäis'
in besonderer Beziehung auf Saclisen und Baiem unter-
sucht. Es folgt ein zwiefacher Anhang, der eine
über bischöfliche Terfassung, der andere über Rothe's
Anfange, der Kirche und Yinet Freiheit der kulte.
In Jenem entscheidet sich der Hr. Yerf. gegen die Kon-
aistorial- and für die bischöfliche Verfassung. In ihr erst
ist diexToUe und oberste Repräsentation der Kirche er-
"reicht; jene dagegen ist Einverleibung der Kirche in
den Staat. Mit der Episcppal • Verfassung wird die
Selbständigkeit der kirchlichen Macht (Autokratie), nicht
ihre Cnbeschränktheit oder Unfehlbarkeit behauptet«
Mit ihr kann die evangelische Kirche über das Terri*
torium hinausgehen und ein ocumenisphes Concilium
bilden. Eben so neu |st folgender Geaanke« . ,,E8
möchte auch wohl um unsre Kirche zunächst in
Deutschland besser stehen, Wenn die oberste Kirchen-
gewalt für sie in den Händen eines gesammten deut-
schen protestantischen, resp. evangelischen Episcopats
sich befände, das einen Damm gegen Bedröckung von
auüsen, gleich dem ehemaligen Corpus Evangelicorum,
aber zugleich auch einen Damm gegen Abfall und
Zerstörung von innen, und gegen das Auseinandergehen
nach allen Seiten in Bestrebung und Einrichtung bil-
dete." S. 260. Der Hr. Verf. schliefst sein Werk fol-
gendeiinaarsen. 5,Die Kirche hat bestanden und in der
tiefsten, mächtigsten Erweekung bestanden ohne Ver-
Undung mit dem Staat und kann immerdai; ohne dieselbe
bestellen, wenn es gleich die wahre Aufgabe ist, diese
Verbindung in rechter Weise hersuisteUen und zwar
noch weit mehr um des Staats, als der Kirche willea
Aber die lürche, ja wohl das christliche Leben selbst
' Jahrb. /. wintnich. Kritik. J. 1840. I. Bd.
können zuletzt nicht mehr bestehen, wenn sie je mehr
und mehr der Herrschaft des Staats und der weltlichen
Obrigkeit unterworfen werden." S. 287.
Wir schliefsen mit einigen Betrachtungen allge-
meiner Art
1> Die Angelegenheit, welche der Hr. Verf. an-
geregt hat, die protestantische Kirchen- Verfassung, ist
eine solche, dafs niemand sich damit in Gedanken be-
schäftigen kann, ohne dals ihm sofort' gar mancherlei
Mängel und Gebrechen einfallen, welche der offenba-
ren Verbesserung bedürfen, manclfierlei Bedurfnisse,
die eine weise Rucksicht und Abhülfe nolhig machen.
Gegen dte Kirche, in der auch nicht einmal das Ge-
fühl deß Mangels d. i. das Bedürfnifs ist und die in
so fem freilich unverbesserlich ist, ist diefs ein grofser
Torzug der protestantischen, ihrer UnvollCommenheit
und der Nothwendigkeit des Fortschreitens, nicht blos
im Einzelnen, sondern auch in. der Ausbildung ihres
ganzen und allgemeinen Organismus sich stets bewulst
zu bleiben. Das wirkliche Verhältnifs der Kirche zum
Staat, der Mangel aller Garantien ihres Bestandes nach
aufsen, (ausser allein in der Macht Gottes und der
Landesherm), die falsche Klugheit und Sicherheit^ der
alle Rechtfertigung und Vertheidigung der. evangelischen
Kirche und Lehre überflüssig, ja anstofsig ist, das Ver-
hältnirs der Kirche zur Schule und Wissenschaft, die
Gesetzgebung über die Ehe, die Beschränkung der
kirchlichen Unterbehörden auf das Aeufserlichste der
Kirche, der geisttödtende Gescliäftsmechahismus, die
unsägliche Actenschreiberei, und was das Schlimmste
.von allem ist, der Schein, dafs alles ja in der besten
Ordnung sei und seinen guten Gang gehe — diefs al-
les fordert zu Revisionen und Reformen auf. Zu die-
ser Erkenntnils trägt auch dieses Buch bei, wenn man
auch nicht sich mit dem Hm. Verf. entschlieben kann,
alles in eine so herbe Formel zu stellen, als er.z« Bk
S. 116 thut: „Der Verfall des Protestantismus bestand
55
435 Stitiiy die Kirchetiverfoitung nach
darin, dafs man die organische Gestaltung aufgab und
die Wüstheit einer aiisschiierslichen Fürstengewalt oder
Yolksgewalt för die Kirthe anstrebte. Denn dafs nach
dem Territorial- System der Fürst ohne Zustimmung
der Kirche die Kirche beherrscht^ dafs nach dem Kol-
legialsystem zuletzt das Yolk (die Majorität der Kir-
chenglieder), ohne, ja gegen die Stimme des Lehrstan-
de» nnd des Fürsten entscheidet, ist offenbar. Man hat
damit der katholischen Einseitigkeit statt der organi-
aohen FCdle vielmehr auch wieder nur einseitig ein
ausschliefsliches Element, und zwar ganz unbezweifelt
ein weit schlechteres (denn der Lehrstand ist das vor-
züglichste) entgegengestellt.** Wie man nun aber auch
die Leiden der Gegenwart fühle, mufs man deshalb
flik dem Hrn. Verf. auf den Gedanken verfallen, den
glüekseligen Zustand der evangelischen Kirche durch
eine unbedingte Ruckkehr in einen längst verlassenen,
veralteten Zustand herbeifuhren zu wollen? Es geht
nicht an, eine Zeit unbedingt auf die andere zu über-
tragen und alle die mancherlei Stadien der Entwickelung
BU überspringen, welche zwbchen jeneir Vergangenheit
und dieser Gegenwart in der Mittie liegen^ und die uns
zum' Theil auf immer von jener trennen, dergleichen
z. B. jene Orthodoxie ist, welche wir mit Recht als
die todte bezeichnen. Die Substanz des Glaubens kann
wohl dieselbige sein^ sowie auch, was Recht ist. Recht
bleiben mufs \ aber jede Zeit hat auch das Recht, die-
jenigen Formen zu bestimmen, in denen sie sich am
freisten bewegen kann und in denen ihr der Glaube
sowohl, als das Recht am verständlichsten! und Zugang,
liebsten ist. ßo war es schon zur Zeit der Reforma*
tion. Kann doch der Hr. Verf. selbst nicht leugnen,
dafs schon die nachfolgenden protestantischen Dogma-
tiker und Kirchenrechtslehrer nicht mehr, wie die Sypi-
bole, den /Lehrstand für das eigentliche Subject der
Kirchengewalt betrachtet haben 9 denn^ sie wären da-
durch in Widerspruch gerathen mit dem Rechtszustande,
wie er sich bis dahin festgesetzt hatte. S. 89. So kann
man denn nun auch jetzt nicht so mit dem Kopf durch
die Wand und die ganze Constellation der Zeit und
Umstände unberücksichtigt lassen, nicht aus der Welt-
geschichte herausreifsen , was durch den Einflufs des
Territorial- und KoUegial-Systems einmal factisch und
wirklieh geändert ist. Wenn das Reden vom histori-
schen Recht und wie der Hr. Verf. es nennt , von der
durchaus historischen Richtung der protestantischen Kir-
Lekre und Recht der Proteetanten* 4S6
ehe einen vernünftigen Sinn hat, so lumn das Voniif.
tige ja nicht im blofsen Aufgreifen des Alten und T«r-
alteten, sondern erst im Anknüpfen des Alten an du
Neue, des Vergangenen ah das Gegenwärtige sichid»
gen. Nur aus diesem ist jenes zu verstehen , wie m
dem! Neuen Testament «rst das Alte; hat die Gegoh
wart keine Wahrheit, keinen Glauben, kein Redt, w
wird ihr die Vergangenheit noch viel weniger dmi
haben. Was ist aller Revolutionen Unrecht, ab bk
sie dagegen sündigen, dafs sie den ruhigen Gang der
geschichtlichen Entwickelung gewaltsam' unterbreoh«,
und kommt es nicht auf eins heraus^ ob man gewali>
sam ein Altes und Gewesenes oder ein Neues und sie
Dagewesenes an die Stelle des Gegenwärtigen snietzei
strebt t Dafs das Vergangene selbst noch em VTiiUif
ches^ und in so fern nicht Vergangenes sei, daml
kommt es an. Man sagt, wir beleben es wieder | «
-wird wieder lebendig in unserer Erkenntnils. Aber m
macht sich die Wissenschaft zunttchst nur zu einer Ai^
stak der Rettung vom Scheintode und wenn es im 6ci»
stigen damit nicht besser und häufiger gelingt, ab ii
Leiblichen, so wird damit auch nicht viel gewoaiMa
sein, vielmehr ist das Erstorbene so auch zunäehat an
im Spiritus eines Gedankens aufbewahrt.. Der Inrthn
ist^ dafs das Todte dadurch, dafs es gedacht und dvck*
dacht wird, wieder ein wahrhaft Lebendiges, Wirkfidw
werde ; das ist di^se Abstraeüon, in die , als ihr Ge-
geniheil, die vermeintlich allein historische ForsehiQg
so leicht und 'gewöhnlich umschlägt; es giebt aiehll
Theoretischeres, Abstracteres^ als dieses Verfahren, b
das Vergangene ins Denken versetzt, so fängt died^
gentliche Arbeit des Wissens und der Wissenscliift
erst an, welches die «Ermittelung der wahren d.b. v6^
niinftigen Wirklichkeit darin ist und so erst wird die fi^
miniscenz zur wahrhaftigen Intelligenz. — Für den g^
genwfirügen Zustand wäre schon viel gewonnen, weil
die evangelische Kirche wenigstens die SelbstSsd^
keit und Unabhängigkeit gewönne, welche die hoehstctt
Gerichtsbehörden haben, obwohl diefs dem Hnu V^^
wenig genügt Nicht zu bezweifeln ist, dafs dieKirebe
das Recht habeii mufs, in einz^en Fällen, wie bei Ii«
turgisehen Aenderungen, öffentlichen theologiMsheo SM*
tigkeiten gehört zu werden, wie davon neaerlieh die
Sachsen- Altenburgische Staatsbehörde ein hoehit rfih»'
liebes Beispiel gegeben hat Es ist nicht zu erwarte^
dafs durch anhaltendes Andringen der GeistUcUwb «itf
437 . ^StaAl^ die KirehenverßiS9ung nach
mehr. Kirchengewalt, da ^ie iinine> den hierarchU
sehen Schein gegen sich hat, den Hauptmängeln
der Yerfassung werde abgeholfen werden 5 sondern es
kann allein geschehen von einer Seite , von der' der
Herr Verfasser gar nichts erwartet, nämlich dadurch,
dab im Staat selbst das freie Interesse an der Kir-
die 'einmal so grofs wird und ^ alle Eifersucht und aU
les Mifstrauen so weit verschwindet, um der Kirche
susugestehen, was für den Staat selbst vom gröfsten
Yortbeil ist, so wie auch dann gewifs an allen Schrit-
ten des Kirchenregiments sich das BewuTstsein ausprä-
gen wird, dafs man der Kirche dienend auch dem Staat *
wahrhaft diene. ~ Das heifst: es muis durchaus das leb-
hafte Geßhl der Einheit von Staat und Kirche hervor-
dringen. Es mufs der Staat frei in d^r Kirche, die
Kirche Ifrei im Staat seni. Die gegenseitige Freiheit
aber ist die Liebe. Soll, wie die protestantischen Sym-
bole sagen, nach gottlicher Ordnung weltliche und geist-
liehe Gewalt nicht mit einander gemengt werden und
macht der Hr. Verf. diefs gegen den Staat geltend, so
firagen wir, Voher hat die Kirche eine solche Gewalt,
welche doch auch bürgerliche Folgen hatf Da zeigt
sich wohl, dab nur durch energische Festhaltung des
Ausgangspuncts auch in der selbständigsten Constitution
der Kirche der Ueberschlag in das Uierar6hische su
verhüten ist. ^
2. Die Verflissung der Kirche ist nicht so ein Ein-*
seines, welches allein aus juridischen oder auch theolo-
gisehen Prinzipien vollständig zu betrachten wäre. Sie
ist die der protestantischen' Kirche und diese steht in
Berührung und Verbindung mit der Gesammtbildung der -
ZriS. Jeder Fortschritt in der Kultur, in der Wissen-
schaft der Natur und des Geistes ist auch ein Fortschritt
in ilur und sie selbst erst hat den menschlichen Geist
zu dem allen frei gemacht. Daher befördert die wahre
protestantische Kirche durchaus die Wissenschaft, nicht
allein die vom Glauben, sondern auch die allgemeine.
Die VFissenschaft der Wissenschaften aber ist die Phi-
losophie, und sie ist auch das Maafs zur Bestimmung
dej Stufe wahrhaftiger Entwickelung, bis zu welcher
es irgend eine positive Wissenschaft gebracht hat. Hi*
stQiieehes Talent ist nur ein Subjectives und in Bezug
auf das Subject Respectables ; aber, eine hiBtorische
SeAktle giebt es nicht in der Welt; nichts an dieser
Seite IcaiHi eine Epoche machen oder einen objectiven
Abschnitt in der Entwicicelung der Wissenschaft. Auch
Lehre und Recht der Protestanten.
438
was der evangelisjche Lehrstand ist oder worauf er An*
Spruch macht, er kann es nur durch das Maafs des
eben so gründlichen als umfassenden Wissens, errun«
gener Geistesbildung und Geistesfrdheit, worin er den
Geist der evangelischen Kirche sich angeeignet hat. Ser
hen wir uns nun mit diesen Gedanken in dem Buch
.des Hm« St. um, so findet sich darin keine Stelle Tdr die-
ses alles, kein Wort zur Ehre der Wissenschaft, keine
Forderung grofser Geistesbildung für den Lehrstandi
bei allen Forderungen so groGser Rechte für denselben»'
Diese Spuren (des Mangels) erschrecken mich billig
(vestigia von demjenigen, was nicht zu finden ist, me
terrent). Es fehlt nichts, als dab die protestantische
Kirche das Element der Wissenschaft aufgiebt, um
bald finier den Standpunct der römischen herabzukom-
men. Dagegen gewährt dieis Buch mit allen seinen
Planen zur Verbesserung der protestantischen Kirchen*
Verfassung keine Sicherheit, und darin zeigt es sich
als nicht aus achter protestantischer Gesinnung her«
vorgegangen« Das Repriitiniren, das Aufwärmeiir des
Veralteten und Erkälteten trägt wesentlich selbst daz«
bei, den Btldungstrieb, die Zeugungskraft in der Kir*
che zu zerstören und begünstigt nicht nur, sondern ist
selbst auch schon die Unfähigkeit, etwas. Neues und
Tüchtiges zu produziren. Wie kann man nur daran
denken, dem gebtlichen Stande mehr Macht und 6e«
walt einzuräumen, so lange noch die nötliigen Garan*
tien gegen den Mifsbrauch fehlen d* h. so lange noch
ein beträchtlicher Theil dieses Standes seinen Glau«
benseifer nur in der Flucht un>i dem Hafs des Den«
kens und in der Verdammung jeder freieren Geistes-
bildung erweiset und so viele sind, welche, ^ wenn sie
nur von Kritik und Speculation hören, ihren sogenannr
ten heiligen Schauder empfinden und einen splchea
Glauben bekennen, der das vemünfiige Wissen ausA
schliefst, ja ihn selbst eben dadurch erst recht zu ehren
meinen. Wie geföhrlich wäre es, wenn man die, weL«
che noch solche Kinder, am Geist sind, mit Schwerdr
tern und Bannstrahlen spielen lassen wollte, wenn das
Schwerdt des Glaubens, ja selbst das Schwerdt des
Wortes Gottes nicht zugleich das Schwerdt des Geir
stes ist, wenn diese kurze .Widerlegung allein gelten
sollte, welche die Verketzerung und Verdammung l^t.
Denkt man sich ein solches Glaubens- und Sittenge-
richt, wie es der Hr. Verf. in diesem Buch organisirt
und construirt hat, aus obigen Fanatikern zusammen-
439
StaAly die Kirehenverfanung nach Lehre utuf Recht der Proteetanten.
440
gesetzt, wie wird es verfahren 1 Sämmdicfie Beisitzer
haben das volle Gerofai der ihnen gottlich zustehenden
Schlüsselgewalt; der Kirchenhann , ^^der grofiie und
kleine ,'* (Niddui, Cherem und Schampiathah) liegt in
ihren Hfinden. Wir wollen nur sehen, was sie alles
an Einem Tage vollbringen. > Da kommt zuerst einer
Tor, der bat stätt^ Unsterblichkeit der Seele gesagt :
Cnsterblichkeit des Geistes« Er scheint die Unsterb-
lichkeit der Seele zu leugnen. Ei^ ist gewifs ein ver*
kappter Hegeling, und da der Staat bisher gottlos ge-
nug war, von allen hinreichend deutlichen Denuncia-
lionen keine Notiz zu nehmen, so mufs die Kirche um
sb mehr zeigen, dafs sie auf die Reinheit und Wahr-
heit des Glaubens halte. Doch weil es vielleicht nur
Versehen im Ausdruck war, so wird er für diefsmal
9iit dem Bescheid entlassen, dergleichen sich nicht
wieder zu Schulden kommen zu lassen. Hierauf wird
der Rationalismus hereingerufen (der arme, der ohne-
hin schon von der Zeit gerichtet ist). Er wird ohne
weiteres in den Abgrund der Holle hinabgeschleudert.
Es kommt nun die Hegeische Philosophie und in ihrem
Gefolge die speculative Theologie vor (die ohnehin in
Inanöhen Ländern nur noch geduldet sind^ wie ein un-
vermeidlich Uebel, wie die Juden). Sie wissen zu ih-
rer Entschuldigung nichts weiter als das Recht der Ver-
nunft und die Leidenschaft für die Wahrheit anzufüh-
ren ; aber damit allein haben sie schon verlorenes Spiel.
Man sucht in den Gift- Etiketten herum, die, man ihnen
anhängen könnte, Rubriken^ unter denen man sie am
Eweckmäfsigsten verdammen könnte. Es findet sich
Pantheismus, Atheismus, auch Servilismus, auch Libe-
ralismus. Das Beste scheint, ihnen diefs alles zugleich
anzutbun. Sämmtliehe Bekenner dieser Lehre werden
gebannt und verbannt^ das Letztere scheint ^arum nolh-
wendig, damit. die erledigten Stellen von Qutgesinnten
besetzt werden können. Zuletzt kommt noch ein ge-
wisser Galilei an. Sein Verbrechen ist, die Entdeckung
Ton der Bewegung der Erde vertheidigt zu haben. Er
ist ein Greis von 70 Jahren $ er ist im Dienst der Wis-
senschaft alt und grau geworden. Er mufs seine Lehre
widerrufen. Er mufs vor diesen finstem Köpfen auf
seinen Knien Abbitte thun. '
D. Marheineke.
XXXIV.
Der ugrische Volksstamm oder Untersuchungen
über die' Ländergebiete am Ural und am Kim-
iasus in historischer ^ geographischer usi
ethnographischer Beziehung eon Ferdinani
Heinrich Müll er j Doctor der Philo$oplue,
Privatdocenten der Geschichte an der Vmth
*
sität zu Berlin und correspondirendem ä^
gliede der Gesellschaft für pommersche 66
schichte und Alterthumshunde zu Stetük
So wenig es geläutet werden kann, daCs der n»
sische Staat bei seiner jetzigen poKtischen Stellung ml
Gestaltung als einer der grofsen Mächte der n^eiteii
Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit der euriopäisdus
Kulturwelt auf sich zieht, eben so wenig ist es auek
zu verkennen, dafs derselbe, trotz mancher Fonehn*
gen über ihn in der. Gegenwart, rucksichtlich seiner
geographischen, historischen und ethnographbchenVeN
liältnisse in der gelehrten Welt noch nicht üqmgt
Würdigung und Beachtung erhalten hat, welche er
uhlBtreitig verdient. Wenigstens möchte er sich io der
Behandlung kleiner Natur- und Tdlkerverhältnitfe M
den deutschen Gelehrten manchen andern europsdidieB
Ländern heut zu Tage noch nicht an die Seite steUes
können. Wohl möchte man behaupten dürfen, dali
diese mindere Beachtung jener so wichtigen wisses-
schaftlichen Verhältnisse bei den deutschen GelehrtO)
denen sonst nichts zu entgehen pflegt, neuerer Art is^
da doch bekanntlich alle diejenigen Männer, denen Bv&-
land unter der grofsen Fürstin Katharina vomehmlick
die Kenntfiifs seines Innern verdankte, die sogenann-
ten Akademiker, nur allein Deutsche waren, die dttrek
die Liebe jener Fürstin zur Wissenschaft angeloeU
sich um ihren Thron versammelten und die Holielt
deutscher Bildung' auch in jenem östlichen slaviseheB
Europa begründeten. Wir müssen es daher dem Hm*
Dr. Müller Dank wissen, dafs er so rüstig in dieFo&-
tapfen jener Akademiker tritt, und es untemunmt, uns
mit einem Lande vertrauter zu' machen, das wir. ><>
vielfache Ursache haben gründlich zu studiren.
(Die Fortsetzung folgt)
^ 66.
J a h r b fi
c h er
für
w i s s e II s chaftliche Kritik
t r
März 1840.
*i
■»T"
Ihr ugrische Volksstamm oder Untersuchung
gen über die Länder gebiete am Ural und am
Kaukasus in historischer^ geographischer und
ethnographischer Beziehung ron Ferdinand
Heinrich Müller.
(Forfsetxang.)
Mit seinem, für viele Leser gewifs et^was befrem-
denden Titel) der jedoch sclion durcli den berühmten
Historiker tind Etlinographen J. v. Klaprotli gerechtfer*
tigt sein möchte, hat der Verf. mehrfach auf die histo*
Tische Tendenz der Schrift sowohl, als den Standpunkt
hinweisen wollen, von welchem aus er su wünschen
seheüil, dafs man die ganse Arbeit betrachten solle.
Denn der bis jetzt erschienene Anfang derselben ent*
bält nur einen Tbeil der ersten Hauptabtheilung des
Werkes, welche sich mit den geographischen Verhält-
nissen oder mit der Natur des Schauplatzes beschäftigt^
auf welchem der hier zu behandelnde grolse und merk*
wfiräge Volksstamm seine Entwickelung gehabt hat.
Dafs es eine sehr schwere und grofsartige Aufgabe
sei, diesen Gegenstand in seinem ganzen Umfange be*
friedigend zu behandeln, und die damit verbundenen
Schwierigkeiten zu losen, wird Miemand in Abrede
stellen«
0
Wie aus der Vorrede und aus der Einleitung die-
ses ersten Thells erhellet, hat der Verf. die Bedeutung
der lustorisohen Aufgabe sehr wohl erkannt und den
Umfang derselben nach Raum und Zeit so weit ausge-
debnty dais man sieht, e^ habe alles das zusammenfas*
seil und unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt brin-
gen, was uns von der V^nivandtschaft der Völker auf
den asiatisch -europäischen Grenzgebieten bisjetzt be*
kannt geworden ist, und zugleich darthun wollen, wie
die £ntwickeloBg des dortigen Völkerlebens sowohl
auf das asiatiscbe Morgenland, als auch noch weit mehr
auf das europäische Abendland von jeher den bedeu»
Jahrb./. wüiemch. KriÜk. J, 1^40. I. Bd.
tendsten Einflufs ausgeübt habe. Jene Gebiete auf der
Grenzmark von Asien und Europa waren bekanntlich
der Schauplatz, auf welchem, den abendländischen Be-
richten zufolge, die Völkerbewegung ihren Anfang
nahm, welche wir die grofse Völkerwanderung nen-
nen; dort traten, nach eben jenen Berichten, die für
das gesammte Abendland so wichtigen Völker der Hunnen
und Ungafn auf. ^ Mögen sie nun dort ihre Urheimath
gehabt haben, oder mögen sie erst aus der Mongolei
und von den chinesischen Grenzen bis dahin vorge-
drungen sein ; dort in dem Passagelande des indischen
Welthandels, wie der Hr/ Verf. sich ausdruckt^ zeigt
sich ein uralter Handelsverkehr, der den fernsten Osten
der alten Welt mit unserer abendländischen Kultur*
weit in Verbindung setzte. Als gemeinsamer Mittel,
punkt und Ankntipfungspunkt ergiebt sich nun dem
Verf. diejenige Völkergruppe, welche er als die ugri-
sche bezeichnet. Er bemerkt jedoch dabei, dafs sie
die unter dem bekanntem Namen der Finnen vorkom-
menden Völker umfasse, obschon er diesen Namen
vielleicht darum nicht hat beibehalten wollen, weil ihm
derselbe zu eng erscheint und er manche andere Völ-
ker mit dieser Gruppe in Zusammenhang zu bringen
geneigt. ist, die man, ohne sich nicht beständigen Mifs-
verständnissen auszusetzen, mit jenem Namen nicht gut
Würde belegen können. Hierbei können wir nicht un-
bemerkt lassen, dafs es an einer historischen Behand-
lung des politischen und kommerzielien Lebens der
verschiedenen Völker jener Gegend durch das ganze
Mittelalter hindurch noch ganz gebricht, und dafs die-
ses Gebiet in Bezug auf Natur und Bevölkerung fast
ganz unbekannt geblieben , bis die Eroberungen der-
Bossen Licht in diese skythisehe WUdnifs trugen.
Von welchem gewaltigen Einflüsse das Beich der Mon-
golen Khane der goldnen Horde in-Kaptschak auf die
Entwickelung der Völker In Asien und Europa gewe«*
sen, ist allgemein anerkannt. (Man bat zwar in neu«
56
443
Müller^ der ugriseAe FolJksstamm.
ern Zeiten die Münzen dieser machtigen Hemcher in
Rufsland zu sammeln und zu beschreiben angefangen,
doch Tehlt es noch ganz an einer ' Geschichte die-
ses Reiches, welches nach dem Yerf. einen der inter-
essantesten Theile der ugrischen Völkergruppe umfas-
sen soll, und welches schon an sich selbst durch seine
merkantilischen Beziehungen zu den europäischen Staa-
ten die Aufmerksamkeit der heutigen Welt in Anspruch
nehmen sollte).
Als Vorarbeit und als Grundlage für die Resultate
seiner historischen Forschungen hat der Hr. Vf. eine
Darstellung der Naturverhältnisse des hier in Betracht
kommenden Gebietes voraufschicken zu müssen geglaubt.
Wenn diese etwas länger, als der Hr. Verf. ursprüng-
lich wahrscheinlich selbst \ermuthete, ausgefallen und
fast zügelnem besondern selbslstandigen Werke ange-
wachsen ist, so hat die Wissenschaft keinen Nachtheil
dabei gehabt; denn es kann bei wissenschaftlichen
Arbeiten zu einem bestimmten Zwecke immer nur wün-
schenswenh erscheinen, dafs schon die Vorarbeiten zu
eigenen wissenschaftlichen Arbeiten anwachsen, wenn-
gleich sie auch grade nicht dem Publikum mitgetheilt
zu werden brauchen. Der Hr. Dr. Müller ist mit dem
heutigen wissenschaftlichen Standpunkt der Geographie,
wie diese ihn durch C. Ritter errungen hat, ganz ver-
traut, und es mufs uns um so angenehmer sein, durch
ihn jene Gebiete in dieser Beziehung näher beleuchtet
zu sehen, da die genauere KenntniCs derselben, wie
der Hr. Verf. es auch andeutet, auf das Verständnifs
mancher historischen Verhältnisse hinführt. Von C.
Ritter sind bekanntlich die Grenzgebiete von Europa
und Asien am Ural und am Kaukasus noch niemals
in seinen Schriften behandelt worden, und die auf ihnen
ruhende Dunkelheit ist gröfser, als man es erwarten
sollte. Dennoch ist ihre Kenntnifs ein wahres Bedarf-
ni& der Wissenschaft, und gewils wird man dem Hrn.
Verf. ^dafür Dank wissen, dafs er zur Lichtung dieses
Dunkels eifrigst beigetragen hat. Er selbst äufsert
sich in der Vorrede darüber wohl nicht ganz mit Un-
recht, dafs es leider ein nur allzuhäuiiges Vorurtheil
sei, in der Geographie schon längst alles für abgemacht
und fertig zu halten, wo dooh die Kenntnifs kaum erst
ihren Anfang ijtehme, und wo von einer Erkenntnifs
noch gar nicht die Rede sein könne. Referent .muls
dieser Bemerkung völlig beistimmen, da ihm nicht be-
kannt ist, dafs bis jetzt auch nur ein einziges wahr".
444
huft geographiMchee Werk von mieenechaftluAm
Charakter über Ost -Europa existire^. so viel Statiitt.
ken in dieser Beziehung auch vorhanden sein mSgen,
denen er ihren Werth in ihrer Art ungeschmälert Iai.
sen will. Dafs in diesem Gebiete noch die wesant*
liebsten Entdeckungen rücksichtlich der Naturveriiilt-
nisse und ihres Einflusses auf den Gang des YöUcerie-
bens zu machen seien, worin sich eben der Charakter
der wissenschaftlichen Geographie ausspricht, das ilt
hier, wie es dem Refer. erscheint, ziemlich klar dai|^
than, und daher möchte diese Arbeit auch um so gtQ.
Dsere Beachtung verdienen , und auf den Dank alkr
Gebildeten Anspruch macheu.
Vor allen Dingen^ wird es bei diesem so interes-
santen Werke darauf ankon|meu, es mit derselben Ge-
diegenheit und Gründlichkeit fortgesetzt zu sehen. Den
Refer. will hier zuvörderst die Darstellung des Strom"
Systems der Wolga als unerläfslich erscheinen. Die
Uferlandschaften der Wolga sind, wie bekannt, toi
jeher eine Hauptheimath verschiedener Zweige des \m
genannten ugrischen Volksstammes gewesen; die mach«
tigsten Reiche haben an ihren Ufern die Sitze aufge-
schlagen, wie die Khane von Kasan und Kaptscliak^
die blühendsten Handelsstädte, wie Nischnei- Nowgorod
und Astrachan, haben an ihrem Wasserlaufe sieh er-
hoben, die merkantilischen Völker der Permier, Bulga-
ren und Chasaren hatten einstmals hier ihre StätbeDi
selbst das heutige russische Staatsleben ist in den Land-
schaften dieses Stromgebietes grofs geworden^ bis der
Staat seit Peter dem Grofsen seinen Mittelpunkt in des
baltischen Gestadelandschaften nahm.' Das baitisehs
Meer selbst steht durch den Stromlauf der Wolga seit
uralter Zeit mit dem kaspischen Meere in merkantili*
scIier Verbindung, und der Strom hat seit vielen Jahr-
hunderten zur Handelsstrafse aus dem Innern von Asien
nach dem germanischen Abendlande gedient* Dab die
Natur des Stroms und seiner ganzen Thalbildung auf
diesen äang der historischen Verhältnisse einen bedon*
tenden Einflufs habe, ist wohl unläugbar, und wild
jetzt auch so ziemlich anerkannt, nachdem uns C. Rit-
ter gelehrt hat, auf dergleichen Verhältnisse zu achtan,
und wir aufgehört haben, den Wald ?or lauter BfiiuB«>^
nicht zu sehen.
Eine genügende Behandlung des Stromsystens der
Wolga nach seinen physikalischen und historisches
Verhältnissen bleibt allerdings eine schwierige Auf-
US
MMller, der ugrUche FhlJkssiamm.
446
gake. Aber sie bIdUbt im eo unerldrslicber, als in die«
leD Gebieten nor auf einer tQchtigen geographischen
Grundlage, wie wir sie in diesem Werke finden^ eine,
fidtt jetsigen Anforderungen der Wissenseliaft ange-
messene Gesehiebte gegeben werden Icann, weil diese
hier immer mebr oder minder einen ethnographischen
Ciiankter tragen wird.
, Das ¥om Hm. Dr. Muller bebaute Feld lag ei«
gendieh bisher brach; die Sdiriften der russischen
Akademiker^ deren Studium der Yerf. cur Grundlage
leiaer Arbeit gemacht hat, wir dürfen es wohl sagen,
waren so gut als wie nicht mehr vorhanden für uns —
das für uns so wichtige nordöstliche Europa lag selbst
für viele Gelehrte wie ein Reich der Versteinerung da.
Es ist nicht su viel^wenn wir den Hm. Dr. Müller
ab den zweiten Entdecker dieser Regionen betrachten j
aber er ist nicht blofs der Entdecker, er ist auch unser
Foitter In diesen weitschiehtigen Regionen. Sein Buch
tragt den Stempel der gröfsteu Einfachheit, indem er
IQ einer gana kunstlosen^ von vornehmen und hochtra-
benden Wörtern freien Rede nur von der Sache selbst
sprieht und bei den wichtigsten Verhältnissen stets
berrorgehoben wird, dafs Dieses oder Jenes die Auf-
iassung und Darstellung der Augenzeugen selbst sei $
für alle, welche ein rein wissenschaftliches Interesse
für die hier behandelte Sache haben, unstreitig die will-
kommenste Behandlungsweise.
üeberBehen wir die Arbeit des Verfs.« so sollen in
der geographischen Abtheilung des Werkes als charak-
teristische Naturformen in den weiten Ebenen auf der
asiatisch- europäischen Grenzmark vornehmlich die Ge-
Urgssystome des Ural und des Kaukasus und der
Wolga • Strom mit den ihnen abgelagerten Landschaf-
ten geschildert werden. Davon finden wir hier in fünf
Absdiaitten zunächst nur den Ural behandelt, mit den
Gebieten, welche sich an seiner Ost- und West -Seite
ausbreiten, von den Ländern der Kirgisen im Südosten
bb SU dem skandinavischen Finnmarken und Lappland
im Nordwesten. Alle diese Landschaften gehören nach
des Verfs. Auffassung zu dem Entwickelungsschau-
platse dieses Yolksstammes der Ugrier, als deren hi-
stonscbes Ueimathsland oder doch Hauptsitz er das
uralische Gebirge betrachtet. Die Darstellung dieses
Gebirgs»ystems gleich im ersten Abschnitte, nach allen
ieiaen physikalischen, ethnographischen und histori-
schen Verhältnissen, auf eine klare und anschaulichei
Weise^ is^' eine wahre Bereicherung der Wissenschaft,
da man sich^ darnach vergeblich in altern und neu-
ern geographischen Werken umsehen würde und die
Benutzung des in den akademischen Schriften dargebo-
tenen Materials, so wie die damit verbundene Anwen-
düng der historischen Berichte der frühem Zeit lehren,
dafs man dem Gegenstande, auch abgesehen von seiner
wissenschaftlichen Bedeutung, ein allgemeines Interesse
abgewinnen könne* Diese bisherige terra incognita
wird hier zum Yortheil der historischen Forschung zum
erstenmale gehörig beleuchtet So lernt man am südli-
chen Ural die Baschkiren -Hauptstadt Ufa kennen, mit
ihren alten Denkmalen, den Grabhügeln, deren merk-
würdige Ausbreitung in den osteuropäischen Gebieten
bis zum baltischen Meere bis jetzt noch zu wenig für
die Geschichte beachtet worden ist. Am Südfufse des
Ural wird uns der Stromlauf des Jaik mit dem grofsen
Emporium Orenburg und mit der merkwürdigen slavi-
sehen Kolonie der uralischen Kosacken vorgeführt,* de-
ren Lebensart und Beschäftigung bei dem Fischreich-
thum des Uralilusscs genau geschildert wird» Da^an
reiht sich dann die interessante Episode aber die Na-
tur und über die historischen Verhältnisse derjenigen
groGsen Lücke zwischen dem Südfufse des Uralgebir-
ges und dem kaspischen Meere, welche hier das grofse
uralische Tölkerthor genannt wird. Uniäugbar hat hier
der Verf. sehr lehrreich^ Aufschlüsse über den Gang
des Handebverkehrs der Völker vom Osten zum We-
sten und über die Wanderungen der Völker selbst nach
dem europäischen Abendlande gegeben« Eben solche
Darstellung der wesentlichen Naturverhältnisse, wie in
diesem Gebiete, möchte man wohl über viele andere in
historischer Beziehung gleich wichtige Landschaften
wünschen. Von der Zeit der alten Seren an durch
die Zeiten der Hunnen, Mongolen und Tataren, sind
diese Wanderungen der Handelskaravanen und ganzen
Völkerstämme durch das uralische Völkerthor verfolgt-
bis auf die letzten Wanderungen der Kalmücken*Stämme
vor einem halben Jahrhundert Die gewöhnliche An-
nähme von der Einheit der alten Seren mit den Chine-
sen wird hier zwar verworfen^ und geläugnet, dafs die
Chinesen sich jemals so weit nach dem Westen ver-
breitet haben sollen, doch mag sich der Verf. nun mit
demjenigen in's Reine setzen, wail seitdem durch Ritter
447
MüUery der ugrücke Vclk^tamm.
Ober die politischen und auch militairiselien Unterneh-
nAingen j^es Volkes bi« su den europäischen Grenz-
gebieten hin beigebracht worden ist. Am mittleren Ural
treten als besonders interessante Punkte hervor: die
verschiedenen Passagen über dieses Gebirge, die eiser-
nen Pforten nach dem Lande Jugrien, womit der Eut-
deckungszug der Kosacken unter Jermak Timofejew
nach Sibirien^ in Verbindung gesetzt ist, und der nord*
liehe wüste Ural, dem jetzt alles historische Interesse
abgeht, ist durch des Verfs. Studien gerade zum Mit-
telpunkte des Lebens fiir den ganzen hier behandelten
historischen Kreis gemacht worden, indem Wir an ihm
das alte Heimathsland der Ugrier in dem Lande Jugrien
kennen lernen, welches nach alten Traditionen das
Vaterland der Hunnen und Ungarn sein soU. Die öden
Naturgebiete sind durch eine geschickte Benutzung des
historischen Stoffes auf eine treffliche Weise belebt
worden und die bisher freilich mehr angedeuteten als
ausgefahrten Hinweisungen auf das dnstmalige merk-
würdige Völkerleben in diesen Regionen des Nordens
lassen in dem historischen Theile die interessantesten
und wichtigsten Resultate hoffen. Zu «rwarten steht
dann auch wohl, dafs sich der Verf. noch näher über
den Ursprung ) über die Entstehung und Alisbreitung
dieses Namens der Ugor oder Ogor, der schon in der
GeschichtJB der Völkerwanderung eine so grofäe Rolle
spielt, und der hier nur mehr von seiner geographischen
als von seiner historischen Seite aus beachtet worden
zu sein scheint, aussprechen werde, um dadurch auch
eine wahrhafte Rechtfertigung des Titels von seinem
Buche zu geben.
An die besondere Darstellung des uralischen Ge-
birges schliefsen sich noch vier Abschnitte allgemeinern
Inhalts an, deren ersterer den Bau des Gebirges in
geognostischer Beziehung charakterisirt« Man sieht
zwar, dafs der Verf. Jcein eigenes Studium aus den Na-
turwissenschaften gemacht, was er auch offenherzig
eingesteht, doch hat er nach Angabe der altern und
neuern Reisenden kurz und bündig dasjenige gegeben,
was für die Anschauung im allgemeinen und yornehm-
lich für die historischen Zwecke wohl v<41koounen ge-
nügen und was auch bei aller weiteren Bereicherung
unserer Kenntnisse von der natnrwisienschaftUdien^Sdte
aus wohl nicht umgestofsen werden wird. Die che.
rakteristische Bildung des Ural in Beziehung auf die
ihm angelagerten Landschaften ist klar henrorgelMK
bell. — Die beiden folgenden kleinem sich' daran m
schliefsenden Abschnitte über die Bewohner im Dcali
und über den uralischen Bergbau werden gewlfs dadi
ihre lehrreichen und sehr reichhaltigen Mitlheüimg«i,
die mit grofsem Fleifse Terarbeitet sind, und in diom
Gestalt gleichsam zum erstenmfile in die Wisseaidttft
eingeführt werden, das allgemeine Interesse rege Ba-
chen. Die bis dahin mehr nur dem Namen ab dif
Sache nach bekannten Wogulen und Baschkiren lenee
wir hier als Urbe wohner des Ural und als vermitlelDfa
GUeder «wischen der asiatischen und eiuropäijmhenTiil'!
kerwelt kennen. Letztere werden hier zwaraucb, ihm
Abstammung nach, dem ugrischen Volksstamme bdie"
seilt, und es sind schon mancherlei Beziehungen d»
selben auf die frühem ethnographischen VerliälUWM
jener sttduralisohed Gebiete, angedeutet, doch aüdriej
der Verf. einen üblen Stand haben, dies mit der jeM
herrschenden Auffassung von der türkischen Ali^
mung dieses Volkes in Uebereinstimmung zu bnagflip
worüber wir in dem historischen Theile naliirlidi h
Rechtfertigung erwarten. Wer den jetzt so beruhotei
uraUschen Goldgruben, einer der Sehatzkammein finA*
lands, seine Aufmeiicsamkeit schenkt, wird in der 6t*
schichte des uralischen Bergbaues ohne Zweifel geal*
gende Befriedigung finden. — Die Schlufsparthie d«
ganzen ersten Abschnittes bildet die Dantellong 4«
Gegensatzes zwischen den Ebenen im Osten und Wa
sten des Ural und der groCien Naturgr^ize in der tal(
pischen Steppenniederung. Die Schilderung der Utf
hervorgehobenen Naturverhältnisse giebt die schattlill'
sten Beiträge zur KenntniTs jener bis jotst miadtt
beachteten Regionen, und die sorgfiiltige DarleginV
jener Naturgrenze, das Obtschei-Syrt, wekher ^
wahrhafte Grenze Europas in der grofsen L&eke cvi*
sehen dem Ural und dem Kaukasus bildet, inA ^
Sern geographischen Theile des Werkes steU ^
Bedeutung und seinen wissenschaftlichen Werthiicbo*'
(Der Besclilafs folgt.)
J^ 57.
Jahrbttche
für
wissenschaftliche Kritik
März 1840.
Der ugrücke Volkstttamm oder Untereuchun^
gen iSber die Ländergebiete am Ural und am
JKaukaius in historischer, geographischer und
ethnographischer : Beziehung ton Ferdinand
Heinrich Müller»
(Schliifi.)
Die beiden folgenden flauptabschnitte flihren ims
nad& dem asiatischen Boden snrüok, wo wir die öden
Idrgisisehen Steppen dorchwandera , deren heutige
Bewohner 9 die drei Horden der Kirgisen, nach ih*
t&t Lebensart und politischen YerhUtnissen in den
Binptzügen geschildert werden. Besonders interessant •
imd beachtungswerth sind da die Mittheilungen * über
flie durch Rufslands Einflufs beginnende Ciyilisation
imter diesem rohen Hirtenvolke. Auch mufs man es
rühmend anerkennen, dafs die ethnographischen Unter-
schiede der Yölker, romehinlich in Beziehung auf die
knmer noch zu wenig genau gebrauchten Namen der
Türken, Tataren und Mongolen nach Anleitung Klap-
Toths und Ritters sorgfältig beachtet worden, so dafs
man hier 'nicht den steten Mifsyerständnissen, wie sonftt
lufaifig, au^esetzt ist Die Darlegimg des grofsen.
sibirischen Stromsjstems des Irtisch und Obi im drit-
ten Hauptabschnitte, nach seinem ganzen . Umfange,
mit steter Hinweisung auf die Altem und neu^m ethno-
graphischen und historischen Verhftlüiisse ist hier um
so willkommner, als i^ir schon durch Ritter den obem,
Lawf desselben in seiner Beschreibung des Altai ken-
nen gelernt haben« Unser Verf. hat zwar den obem
Lauf nicht in einer, mit so erdrückender Gelehrsam-
gegebenen Form geschildert, doch sieht man, dafs
die Hauptquellen datiiber nicht unbekannt gewe-
sen nnd. Die Darstellung des minder bekannten mitt-
lem l^aufes, wo das merkwürdige Tobolsk in dem
oraprilnglichen alten Sibirien gelegen ist, so wie des
Qnt^n Laufes durch die nbirischen Tundras, wo die
JtU^b. /. wUuntcK Kritik. J. 184a I. Bd.
sogenannjten ugrischen Ostjaken und^ die Samoje-
den als Jägerrdlker m^herschweifen, macht das Be-
dttrfinfs besonders fühlbar, eine ähnliche Behandlung
Ton dem gesammten sibirischen Norden mit seiner
grofsartigen, dreifach * gegliederten Stromgmppe zu er-
halten. Wir müssen dies um so mehr wünschen, als
wir nicht hoffen dürfen, dafs Ritters mn&ssen^e Ai^
beit über Asien siöh diesem Gebiete bald zuwenden
werde.
Indem wir in dem vierten Abschnitte nach Europa
zurückkehren, ftnden wfr hier zunftchst das Strome
System der Dwina mit dem nordrussischen Uwalli
behandelt. Schon die allgemeine Uebersicht übeir die
osteuropäischen Gebiete und die Andeutungen über die
historische Bedeutung der polarisohen Küstenland*
Schäften Europas am weifsen Meere beweisen die ge-
naue Bekanntschaft und richtige Würdigung ties von
dem Yerf. zu bearbeitenden Stofics. Der ganze
Stromlauf der Dwina tritt hier zum eretenmale klar
in die Anschauung und die Natur des grofsen nordrus-
sischen Landrückens, des sogenannten Wolok, in dem
tschudischien Lande Sawolotschje nach den altem Rus-
sen oder in dem Bjarmaland nach den Scandina\iei:%
ist hier auf eine gan» neue und lehrreiche Weise her-
Torgehoben werden. Die Nachweisung der historisch-
ethnographischen Bedeutung dieser Naturform und die
Bezidiung dieser nordischen Gebiete auf das politische
und merkantOische Leben des Freistaates Nowgorod
auf der einen > und der Normannen in Scandinavien
auf der andern Snte, ist eb«i so interessant, als wich-
tig fiur die Wissenschaft« Man erkennt, dafs hier fast
noch eine ganz neue Welt zu entdecken ist, und dafs
bei weitem Forsdiungen auf diesem Gebiete und yon
mehr Hilfsmitteln gefordert, wie sie nur den in Ruie-
la^d sich aufhaltenden Gelehrten zu Gebote stehen,
die Geschichte dereinst noch zu den wichtigsten Re-
sultaten kommen werde. — An die Naturform des nord-
57
451
Mütter i der u^riteie yMutamm,
432
rassischen Uwalli schliefst sich' dann luunittelbar einie
Uebersicht des Waldreichthums der osteuropäischen
Ebenen an, weil hier dfis eigentliche Revier der mächr
ti^sten Waldungen Rufslaiids ist.' Auf eine gescWiekte
Weise hat des. Yerf. damit eine Gesdhichte des russi-
schen Forstwesens in Yerbindung - gebracht $ es wird
auf den Kontrast aufinerksam gemacht, der in Bege-
hung auf die Waldungen zwischen den südlichen und
ttCrdlichen Provinzen Rufslands herrscht, und wie durch
die grofee Verschwendung des Hol^zreichthums doch
endlich die Organisation des Porstn'esens seit der -Zeit
Peter des Grofsen nothwendig gemacht worden ist.
Dann ist von der Ausbreitung und Besc^baffenheit der
Waldungen die Rede, die von den Russen selbst in
schwarze, weifse nnd rothe Holzarten eingetheilt wer-
den, und von dein Yerhältnifs dieses Holzreichthums
SU der rassischen Marine auf den vier Meeren, welche
Rufslands Küsten bespülen. Doch hätte sich der Yf.
hier wohl etwas beschränken können, sich, wie es an
mehreren Punkten geschehen ist, nicht seinem Zwecke
zuwider in das statistische Detail zu verlieren, wenn
gleich manche nfihere Nachweisungen davon beitragen,
die Sache mehr zu charakterisiren und ihr den ab-
strakt allgemeinen Charakter zu bendmuen. Es schliefst
d^ ganze Ahschiiitt über das Dwina- Qebiet mit dem
Zn^ammenfassen aller historischen Yerhältnisse in der
ansiilhrliehen und lehrreichen Schilderung des grofsen
Seehafens von Archangel, dessen Geschichte vpn der
Zeit der alten Normannen und Bjarmier bis auf un-
sere Tage fortgeführt i%\^ wobei die TJnteraehmungen
der Engländer nach der Entdeckung des weifsen Mee-
res im sechszehnten Jahrhundert und die Pläne Peter
des Grofsen vor der Erbauung von Petersburg zu den
merkwürdigsten Yerhältnissen gehören möchten.
In dem fünften und' letzten Hauptabschnitte wer-
den wir mit dem Gebiete der finnischen Seegrappe
bekannt gemacht, welches zugleich den nördlidisteri
Theil des skandinavischen Halbinsellandes uknfafst und
bis jetzt auch wohl zu den minder bekannten Gebieten
Europas gehören möchte. Als Heimatfasland der Fin*
nen oder eigentlich Fihnlünder, wie sie der Yerf. von
den Fnmen im allgemeinen noch unterscheidet, und
der Lappen sind diese von FelskUppen erfüllten und
mit Seen und Sümpfen überdeckten Landsdiaften wich-
tig für eine Geschichte des ugrischen Yolksstammes,
von welchem die bei den germanischen Yölkern soge-
nannten Finnen eiHen wesentlichen Theil ansmadieii.
YTorauf es bei einer genügenden Darstellung der Na-
tttrverhältnisse Finnlands im weitem Sinne nach semoi
Nalurgfenzen oder mit Einschlufs eines grofsen Theib
von Li^pland ankam,, ist dem Yerf. nicht entgangn.
Dies betrifft nämlich das Yerhältnifs dieses Gebietes
zn dem skandinavischen Alpenlande, worüber bis jetzt
hnmer die falschesten Yorstellungen herrschtoi. 80
wie daher hier zunächst die finnisch -slavische Grao-
mark behandelt ist, so nadiher die finnisch- skindiiia*
vische, um daraus das EigaithOmliche des dazjriseheii-
Uegenden Gebietes zu erkennen, in wie fem es oiit
den angrenzenden Landschaften in Yerbindung steht
und sich davon auch wieder durchaus unterscheidet.
Die Schilderung der Nordenden Europas in dem soge-
naimten Finnmarken mit d^n völligen Abbrechen det
skandinavischen Alpengebirges in der Zerklüftung der
finmnärkischen Fiorde ist nach den trefflichen Dfitdiei-
hmgen einea L. v* Buch darüber tun so lehrreiclier,
als jene Angaben noch niemals recht benutzt worden
sind, und die Durchschnittsrei^e durch jenes Gebiet
am Tomeaflusse -entlang von dem Nordkap bis M
Nordspitze des baltischen Meeres läfst die Natur der
angelagerten Landschaften, vornehmlich in FiimlaBd
. selbst^ besser erkenpen, als alle allg^emeine Beschrei-
bungen. Dennoch ist auch eine kurze DarstcIIun; der
Naturverhältntsse des innem Finnlands, die dem ange-
reiht ist, immer belehrend genug, besonders da dies
noch die Gelegenheit giebt, die sonst kaum bekannten
finnischen Stilmme der Karelen, Tawasten und Krä-
nen nach ihren Sitten und Lebensart > hervorzuheben.
Doch sind am Schlüsse auch die Finnländer noch im
allgemeinen und sodann das merkwürdige ReImtfaie^
Nomadenvolk der Lappen im europäischen Norden aos-
fÜhrlich behandelt worden. Die häufig besprochene
Yerwandschaft eben dieser Stämme mit den Uogsniy
die hier nur beiläufig berührt ist, wird vermutUidi hn
historischen Theile noch näher betrachtet werden. Ds-
gegen hat der Yeif. nicht unterlassen, schon glmch
auf die Yerbreitung der finnischen und lappischen Be-
völkerung der frühem und spätem Zeit im Innern von
Scandinavien 'hinzuweisen , und mit den sorgftttigen
Angaben darüber schliefst der reiche, Iner kurz cbs^
rakterisirte Inhalt dieses Theils.
Möge der Yer£ Mufse gewinnen bald die Fort-
setzung des Werkes, welche schon im vorigen S^"*"
ß^iUtmmmtf Kaialf^mten %u N^apeL
454
•nelMbeii soika'« i^lgiii tu Uusen» und Mog» m
dfe iiuai Ton.idis ^g«liciiett Andovftutigeii dabei nioht
«ibeachtrt laSMii. Was aaeh tob aatoen Fonchiiogeii
^ter^ wo eino Uobeisiolit über dos Gänse' «od eine
Veigleiehunf delr gewoaBooen Resultate aiuglich ist,
dahin fallea, o<bv sieh als liypoihadsoh etweben soUlOy
dardi das Work dos Hm. Dr. Müller Ist «n grober
Belintt TOFwtrts geschoben — schon das bis jetzC Go«
gebene, dcsson Worth nach dem jotsigen Standpunkt
der Wissonadbaft man dtekhar anerkennon nwls, solgt,
wie ml auf dioseia Gebiete durah sorgfältige Bemühung
fSr die Geschichte und Geographie noch au gewin*'
aen ist
y. Briindt.
XXXV.
üeier die ältesten christlichen Begräbnifsstätten
und besonders die Katakomben zu Neapel
mit ihren fVsmdgemmlden. Ein Beitrag zur
ck^Michen Alterthumslkunde ton Dr. Christ.
^ Fr* Bellermannj Ffdrret der 8t. Paul-
Gemeinde zu Berlin. Mit 12 tlluminirten
Tafeln j fVandgemälde der neapolitanischen
Katakomben darstellendy und 13 schwarzen
TafelfSj Aufrisse derselben. Hamburgs 1839.
bei Friedrieh Perthes.
. Zu den wichtigsten DonkmSlem des christlichon
Altefthunu geboren unstreitig die unter dem Nam^n
Katakomben bekannten iinterirdbohen Begrfibnirsstätten,
wdshe sich an mehreren Orten Italiens, namentlich eu
Kern und Nei^el, befinden, und in ihren ersten An-
fingen bis auf die ftltesten Zeiten der Kirche surück-
gehn« Um so mehr ist es daher su bedauern, dab
aieht überall die gehürige Aufmerksamkeit auf ihre Er-
hshong. vorwendet ^ worden, und die in ihnen befindli-
eben Monumente, wie Inschriften, Gemälde, Sculptu-
ren u. ß. w. , die uns so wichtige Thatsachon för die
eisten Anfänge einer eigedthfimlichen christlichen Kunst-
iibung lieTem, gesammelt und dem Untergänge entzo-
gen sind. Nur den römischen Katakomben ist eine,
solche Pflege xu Theil geworden, indem hier das kirch-
liebe Int erlasse die päpstliche Regierung veranlarst hat,
fftr die Eriialtung dieser ehrwürdigen Ueberreste des
ohrislliclie& Altetthnais Sorge sn tragen. Die «tttecir*
dischen Gänge selbrt wurden daher auf das genaue«
sie durchforscht, und die in ihnen aufgefundonsn Soalp«
tttraa, Gemälde und Inschriften gesammelt und T^n
gelehrten Antiquarön in ausfahrlichea Werken erläu-
tort. Was dagegen die xu Neapel liefindlichen Graii-
stätten betrifft, weleho den lUknisciien swär nicht an
Umfang und Ausdehnung» wohl aber an GrofsarCigkoit
der Anlage gleichkonune«, ja sie hierin sogar noch
ttbertrcffen dftrften, so waren sie bis sur neuesten Zeit
dem Untergänge und der Verwüstung Preis gegeben,
so dafs nur wenige Gemälde und Inschriften sich in
ihnen erhalten haben« Dieis bowog den Vorf. vorlie-
gender Abhandlung, bei einem mehigährigen Aufent«
hake daselbst, wenigstens das noch Yorhandeno su
sammeln, und es dadurch einem gänslichen UntergMgo
xu entsiehen. Die untorirdisdien Gänge der dort%en
Katakomben wurden daher ton ihm auf tias Sorgfäl<^'
tigsto untersucht und durdiforscht, und alles, was
sich von Inschriften und Gemälden noch vorran^ go-»
nau verseichnM, wobei er das Glück hatte von swdi
befreundeten Künstlern unterstQtxt zu werden, denn
er sich su Yoraahmo der nöthigen Yermessungen und
cum Copiren der wonigen noch vorhandenen Bilder bo«
dienen konato. So entstand vorliegende Schrift, worin
auerst eipe ausführliche und gründliche Besöhreibung die-
ser Grabstätten, nebst einem auf genauen Messungen
beruhenden Plane derselben und einer getreuen AbbiU
duttg sftmmtllcher in ihnen noch befindlichen AVandma«
loroien geliefert wird. Zugleich hat der Vorf» alles, was-
sith im Allgemeinen auf die allchristlichen Girabstätten
und deren kirchliche Bedeutung, so wie auf die in
ihnen vorgefundenen Monumente bezieht, gesammelt
und su einer Totalanscbauung zu vereimgen gesucht,
wobei er .mit gleicher Gründlichkeit verfahren, so dafs'
seine Abhandlung auch in dieser Hinsicht eino ausge«
aeiohnete Stelle in der Litteratur der christlichen Alter-
thumskunde behaupten wird. Damit vereinigt sie 'den
seltenen Yorzug einer geschmackvollen Behandlung
ihres Gegenstandes, so wie einer lebendigon und zu-
ghioh klaren -Darstellung, so dafs sie auch in dieser
Beziehung sich vortheilhaft auszeichnet, und daher sicher-
lich einen weiteren Kreis von Lesern, die mehr als blofse
Befriedigung eines rein antiquarischen oder kunsthisto*
rischen Interesses suchen, gewinnen wird. Besonders
456
Mellermami, Kmimkiw^n »tf N^ap^t
4SC
erfr6«Uch war ei dem Refer., in Uir denselben Ansich-
ten Qker den Ursprang und die Bedeutung dieser Gnib-
stfilten md ihrer Denkmäler m begegDen, die er selbst
hl einer rer mc^ireren Jahren verdftentliclien Abhand-
long über diesen Gegenstand avsgesprochen ^), nnd
dadurch eine, neue Bestätigung derselben zu erhalten«
Indem er daher nur. mit den einseinen Behauptungen
des "Verfs. übereinstimmen Icann, wird er sich lediglich
auf eme einfaehe Berichterstattung von dem Inhalte
dieses Werks beschränken, um dadurch die Leser der
Jahrbücher su dessen näherer Bekanntschaft einzuladen*
I>er Yerf. beginnt mit allgemeinen Erörterangen
Über altehristliehe Grabstatten überhaupt, deren Ur«
[^rung und Bestimmung. Er geht dabei von der rieh»
tigen, durdi ftuCiere Zeugnisse bestätigten Ansicht aus,
dab bereits während der Zeit der Yeriblgungen die
christlichen Gemeinden ihre besondem, von den heid-
nisdien jetrennten Begräbnifsorte hatten, wo sie ihre
Todten zur Ruhe bestatteten, indem der Gedanke an
die auch nach dem Tode fortdauernde Gemeinschaft
im Glauben, welcher in den ältesten Christen so mäch-
tilg hervortrat^ zu .Entstehung einer solchen Gemeinde-
Einrichtung »othwendig fuhren mufste. In der Regel
war das Grab eines Märtyrers der Mittelpunkt, um
den sich die gemeinsame Grabstätte allmählig bildete,
da jeder in der Nähe dessen ruhen wollte, der durch
seinen Tod ZeugntTs Ton der Kraft seines Glaubens
abgelegt, uuf %o auch jenseits des. Grabes in Gemein-
'schaft iait ihm zu bleiben. An seinem Grabe wurde
dann dusch gemeuoisamen Genufs des Abendmahls die
Eeier seines Todestags hegangen, wodurch die Grab*
Stätte auch zu ^inem Andachtsort wurde, ja sogar die
einzige heilige Stätte der Gemeinde war, so lange noch
keine Kirchen «xistirten. ^Het gemeinschaftliehe Kirch-
hof wurdis, wie der Yerf. p. 5 eagt^ mit verdoppelte
Liebe besucht nnd gepflegt, sewoU.um des der ganzen
Gemeinde angehdrigen Marders rwilleu, 4ds auch des-
halb, weil jeder Einzelne die stedWche HüUe >der Sei-
nigen hier in d^ Eide barg: er diente nitn su gleiciies
Zeit zu einem Andaehtsorte und zu einer fortwähren*
den Begräbni£ntätle der Gemeinde." Entlegene, soviel
wie möglich von dem Verkehr gesonderte Orte, anfser«
halb der Stadt, wurden dam erwählt, in der Regel
verlafsne Tuff- oder Sandgruben, oder Steinbruche,
welche dann bei wachsendem Bedürfnifs allmählig za
einem so bedeutenden Umfange erweiteTt wurden, all
wir sie noch gegenwärt% namentlidi zu Rem undNei^
pd finden. Daraus erklären sich die Namen arenariae,
cryptae u. s. w., womit diese Grabstätten bezeichnet
werden : die gewöhnlichste und allgemeinste Benennung
derselben ist die von coemeterium, Ruhestätte, da nach
christlicher Ansicht der Tod nur ein Schlaf, eine Ruhe
nach den Qberstandenen Mühen des Lebens ist Der
Name catacumbae oder catatumba«^ dagegen^ der jetzt
der gewöhdliche geworden, hatte ursprungUcfi, wie dieb
von Refer. in jener vorhin angeführten Abhandltmg.
aus/Ührllcher gezeigt bt, eine rein locale auf Roia be-
zügliche Bedeutung, indem damit anfänglich -nur die
G^end in der Nähe des Circus des Maxentiu« vor
dem Thore S. Sebastiane bezeiclinet wurde, wo aiek
viele Puzzolan - Gruben befanden, deren sich die «dortige
Christen • Gemeinde ^u Bestattung ihreiv Todten be.
diente ; dann wurde er auf cliese Grabstätten selbst an*
gewendet^ bis er endlich auch hier nur auf eine unter*
halb der Kirche S. Sebastiane befindliche Kapelle be-
schränkt wurde, in der nach der Legende die Ldchen
der Apostel Petrus und Paulus geruht haben aoll«n.
In jener lokalen Bedeutung finden wir den Namen enhon
in einem Verzeichniis der römischen Kaiser aus dem
vierten Jahrhundert bei Eecard Corpus historieorum
medii aeyi Tom* I. p. 31. wonach die Behauptung des
Verfs. p. 7, dafs er zuerst an emem Briefe Gregors I.
vorkomme, berichtigt werden muls. Erst später^ seit
dem ^ten und lOten Jahrb. finden wir ihn in allge-
meinerem Sumci als gleichbedeutend mit coemeteiim%
gebraucht ^.
^) Rons KatakoBOkben und deren AltertJi9aier in Flattner, Snn«
sen, Geibard nnd Rosteli Bewhreibnog der Stadt Rool
fitttt^;ait 1830. JBsnd 1. p. 355 flgd.
*) & Da CoDge GUMsariommed. at^e i
taconbae.
latia« s* v; Qu*
<Die Fortsetzung folgt)
wissen
J^ 58.^
Jahrbücher
für
Schaft liehe
Kritik.
März 1840.
Ueber die älteren christlichen ßegräbtUfsstäUen
und besonders die Katakomben zu Neapel mit
ihren Wandgemälden. Ein Beitrag zur christ-
lichen Alterthumskunde von Dr. Christ. Fr.
Bellermann.
(Fortsetxnng.)
Die Verehrung und Andacht, welche sich an diete
Begräbnibatätten anachlofa, verlor «ich nicht, nachdem
die Kirche durch Conatantin Anerkennung im römischen
Reich erkalten, und die Yerfolgungen aufgehört hatten:
a{e steigerte sidi vielmehr, da die Verehrung der Mär»
tyrer immer mehr zunahm: überall wurden die Gräber
derselben aufgesucht, und bald glaubte mian in allen
aus der Zeit der Verfolgung herrührenden Coemeterien
nur Mftrtyrergräber eu erblicken, weswegen sie Jahr-
hunderte hindurch noch Gegenstand gläubiger Verehrung
blieben, wie diels namentlich die von dem Vf. angeführ-
ten Zeugnisse des Prudentius, Hieronymus und Paulli-
nus von Nola beweisen« Auch dieiUen sie noch lange
Zeit zur Bestattung der Todten, so dafs die Anlegung
neuer und die Erweiterung der alten Grüfte fortwäh-
rend ndthig war, bis es ausschliefsliche Sitte gewor-
den die Verstorbenen in den Kirchen oder in beson«
dem neben denselben befindlichen Kirchhöfen zu beer-
digen« Endlich vnirden in ihnen noch immer die Feste
der Märtyrer an ihren Gräbern begangen, was eu grö-
berer Ausschmückung und Versierung derselben Ver-
anlassung gab. Erst nachdem die Zahl der Andacht!«
gen, ^e sich zu solchen kirchlichen Feiern versammel-
ten, so grols geworden, dafs sie die engen Räume der
Katakomben nicht mehr fassen konnten, wurden Kirchen
oberhalb der Erde über dem Grabe der Heiligen er-
baut, die gleichfalls Coemeteria genannt wurden, da
sie Ruhestätten derselben seui sollten, woraus die Sitte
entstanden, ^e wir in den meisten ä)tereo Kirchen be-
folgt finden, unter dem Hauptaltare unterirdische Ka-
Jahrb. /. wi$$€n$€h. Kritik. J. 1840. I. Bd.
pellen, sogenannte Krypten, anzulegen. Auf diese
Märtyrerkirchen und nicht auf die unterirdischen Grüfte
dürften auch wohl die von dem. Verf. p. 13 und an an-
dern Orten seiner Schrift angeführten Stellen des Liber
Pontificalis zu beziehen sein, welche von Ausschmückun-
gen und Restaurationen der Coemeterien durch die Päp-
ste des 5ten und 6ten Jahrhunderts reden, und dafs diese
iselbst in ihnen gewohnt, und heilige Handlungen -ver-
richtet hätten. , Namentlich gilt diefs von der p. 13 in
der Note angeführten Stelle aus dem Leben Johann 111.,
wo Refer. der von dem Verf. im Text gegebenen Er-
klärung nicht beitreten kann: denn die daselbst ange-
führte Verordnung. dieses Papstes bezieht sich offenbar
auf einen regelmäfsigen sonntäglichen Gottesdienst ili
den Coemeterien, wozu die Abendmahlselemente (obla-
tiones), so wie die gottesdiensilichen Grefäfse (ampul-
lae) und Kerzen (luminaria) aus dem Lateran geliefert
werden sollten: soweit wir aber Kunde haben, fand eine'
solche regelmäfsige Feier nie in den unteridischen Grüf-
ten, wohl aber in jenen Kirchen eberhalb der Efrde statt,
so dafs diese Stelle nur auf die letzteren bezöge^ wer-
den kann. Aber auch diese gottesdienstliche Bedeutung
der Katakomben verlor sich allmählig seit, dem 6ten
Jahrb., indem die Sitte überhandnahm, die Reliquien
der Heiligen .nach den Kirchen zu versetzen : zwar
suchten auch noch spätere Päpste und Bischöfe ihr An-
denken zu erhalten ; sie hatten aber keine Beziehung
mehr zu dem kirchlichen Leben der Gemeinde, sie
standen daher leer und verlassen und waren der Ver-
wüstung ausgesetzt, bis sich endlich im 16ten Jahrh«
ein religiös -antiquarisches Interesse ihnen wiederum
zuwendete, was dann die Folge hatte, dafs man an
emzelnen Orten, wie z.B. in Rom, darauf bedacht
war, das noch Vorhandene wenigstens zu erhalten,
und es gegen gänzlichen Untergang sicher zu stellen.
Der Verf. erläutert hierauf die Sitten und Gebräu-
che, welehe lich an diese Grabstätten anschlössen, die
- 58 ,
'459 Beiiermannj KiUaJbemSen »u Neapel.
AbendmaUsfeier an^ den Gräbern der Märtyrer vnd 4«r
andern dort ruhenden Todten, die Sitte, Gastmähler zu
Ehren der Todten in den Coemeterien selbst oder in
den Vorhallen der Kirchen su halten, und die Ge-
bräuche der Todtenbestattung, wobei er auch Ton den
kirchlichen Beamten, die mit der Anlegung und Erwei-
terung dieser Gänge und dem Einhauen der Gräber in
die Seitenwände beauftragt waren, und fossarii oder
copiatae genannt wurden, ausführlicher handelt. Die
'Gemälde, mit denen die Coemeterien ausgeschmackt
wurden, geben ihm endlich Veranlassung auf das Ver-
hältnifs der bildenden Kunst Eur Kirche -näher einsu*
gehen. Hatte sich auch letstere anfänglich gegen bild-
liche Darstellungen, als eine heidnische Sitte erklärt, so
konnte, man ihrer doch nicht gänzlich entbehren, da sie
zu tief mit allen Gewöhnungen des Lebens verflochten
waren: die Kirche war daher w^iger darauf bedacht,
sie gänzlich zu entfernen, als vielmehr an die Stelle der
heidnisdien Bilder Symbole und Yorstellungen zu set-
zen, welche christliche Ideen ausdruckten. So wurde
die Kunst zunächst für Gegenstände des gewöhnlichen
Lebens, wie Siegelringe und dergl. angewendet, bis sie
auch in das kirchliche Leben selbst nberging , indem
man die gottesdienstliehen Grefäbe und später die Kir-
chen mit bildlichen Darstellungen yerzierte: ja im fünf*
ten Jahrhundert wurde sie sogar als ein Mittel betrach*
tet, um die des Lesens Unkundigen mit dem Inhalt der
heiligen Schrift bekannt zu machen, gleichsam, wie der
Tlerf. sich ausdrückt, als ein anschaulicher Unterricht,
und daher als Schmuck von Kirchen und Kapellen
sehr beliebt.
. Nachdem so der Yerf« zusammengestellt, was die
Schriften der Kirchenväter und ähnliche Quellen über die
Entstehung und Bedeutung der altchristlichen Grab-
460
bedingten Plane durchkreuzen, und durch hin und wie*
der angebrachte Luftlöcher erhellt sind: die Gräber
befinden sich an den Wänden, und zwar entweder repo-
sitorienartig eins über dem andern angebracht, oder
auch unter besondem gewölbten Niichen, die dann ili
der Regel mit Malereien verziert sind: sie sind In Ge-
stalt eines länglichten Vierecks in die VTand gehaoca,
und mit einer Steinplatte oder grofsen Ziegeln Ter-
schlössen, worauf sich die Inschrift mit dem Nanoioi dei
Yerstorbenen befindet. Hin und wieder fuhren Thircn
in besondre in der Regel mit Malereien verzierte Grab-
kammern, die hödist wahrscheinlich zu Familienbe-
gräbnissen bestimmt waren: sie enthalten ^eieUalip
Gräber, die hier nicht blofs an den Wänden, aondem
oft sogar im Fufsboden angebracht sind: ja audi
morne, mit Basreliefs verzierte Sarcophage, in
die Todten bestattet waren, hat man in ihnen gefund«
Yen den Denkmälern, welche uns diese Grüfte anC*
bewahrt haben, verdienen die Malereien an den Deekan
der Grabkammem und in den einzelnen ,Gr&bemiachea|
so wie die S'culpturen der Sarcophage vor allem be*
achtet zu werden. In ihnen haben wir die ersten An-
ränge der christlichen Kunst, die aber hier noeh nickt
in einer selbstständigen und eigenthümlich ausgafciUa-
ten Form auftritt: vielmehr ist die Technik, wie dfe
Auffassungs* und Darstellungsweise in diesen Bildwer^
ken durchaus antik zu nennen : nur der Gegenstand ist
christlich, und auch hierin mischen sich heidnigehe und
christliche Ideen durch einander, indem wir in ihnen
bacchlschen Symbolen, Personificationen der FlSsse, der
Sonne und des Mondes, wie sie durch die griechiselie
und römische Mythologie ausgebildet worden, Darsd^
lungen des Orpheus und ähnlichen dem Hetdenthune
angehörenden Vorstellungen begegnen. Sie bilden ei-
stätten ergeben, geht er zur Beschreibung der in Italien . nen in sich abgeschlossenen Kreis stets wiederkehrender
und Sicilien noch gegenwärtig erhaltenen Katakomben
und ihrer Denkmäler über, der Inschriften, Geniälde,
Sculpturen u. s. W. Die destalt dieser unterirdischen
Grüfte ist im wesentlichen bei allen dieseliie, und
stimmt noch gegenwärtig mit den Beschreibungen über-
ein, die wir bei Hieronymus und Prudentius von ihnen
haben. Sie bestehen in stollenartig geführten Gängen,
die entweder parallel neben einander, oder auch in meh-
reren durch Treppen verbundenen Stockwerken unter
einander laufen, oder sich oft nach einem verworrenen
durch die besondre Beschaffenheit des Terrains näher
Darstellungen, die sich besonders auf Sünde, Bube^
Erl&sung, den durch den Tod errungene^ Frieden und
verwandte Ideen beziehen, "wie sie die Bedeutong des
Orts, zu dessen Verzierung sie bestimmt sind, nothwen-
dig hervorrufen mufste. Theils sind es einzelne Sym«
hole, wie z. B. die Taube, die Palme, der%ÖeIzweig u.
s. w.f wodurch diese Ideen ausgedruckt sind, theils Ge-t.
schichten des alten und neuen Testaments, £e entwe*
der, wie z. B. der Sündenfall, durch ihre einfache
geschichtliche Bedeutung eine solche Beziehung erhal*
ten, oder, vvie z. B. die sehr häufig vorkoomiende Ge-
461
Bett^mumn^ Kaiajkemien zu Neapd.
462
•ehichto des Prephetan Joiiat, in aUegorisehem Sinne
geooMnen sind. Wer sich näher darüber unterrichten
wyi, der inSge nnsern Verf. selbst nacUesen, der sich
Uerul>er mit ausfuhrliclier Gründlichkeit verbreitet, und
ein vollständiges Yerzeiclinifs aller bbher belcannt ge-
werdenen ToisteUungen, nebst ihrer Auslegung liefert,
W<»bei er die Arbeiten seiner Vorgänger auf das Sorg-
fiUfigste benutzt hat Auch' die Bilder der Verstorbe-
Ben finden wir hin und wieder, die in betender Stel«-
lug, mit aufgehobenen Händen, dargestellt sind.
. Was £e Inschriften ^trifft, so entbehren sie, wie
der Verf. richtig bemerkt, der Schdnheit und Elegans,
wdehe die römischen Grabschriften aus der Blüthezeit
des römischen Volks- und Staatslebens ausseichnet:
sie enthalten wenig mehr als Namen, ;llter und To-
destag des Verstorbenen, so dab sie für die christliche
Alterthumskunde nur einn geringe Ausbeute liefern.
I>er Verf. geht ihren Inhalt im Allgemeinen durch, die
Namen, denen wir in ihnen begegnen, die einseinen Aus«
drueksweisen, in denen sich Liebe und AnhängUchkeiJk
an den Verstorbenen ausspricht, ferner was sich aus
ihnen für christlidie Antiquitäten, namentlich in Betreff
der Todtcmbestattung, gewinnen läfst, und endlich die
Kennzeichen ihres chrisdichen Ursprungs. Was ^ die
Thatsaehe betrifft, dafs mian auch Inschriften mit deu
belcannteli die Dedicalion an die Todesgötter beseich-
nenden Siglen D. M« S. (Diis Manibus Sacrum) in den
Katakomben gefundi^n, woraus man hat schlieisen wol-
len, dals diese Grüfte nicht blofs Ton den Christen,
sondern auch von Heiden eu Bestattung ihrer Todten
gebraucht worden, so erklärt sie der Verf., indem er
diese Annahme mit Recht als der Denkweise der alte*
•teo Christen widersprechend verwirft, dadurch, dafs
man in den späteren Zeiten die heidnischen Gräber
ihrer Gräbsteine beraubt, und diese zu VerschDefsüng
der christlichen gebraudit habe. Denn mehrere dersel-
ben Itaben auf der entgegengesetzten Seite eine unzwei«
fethaft christliche Inschrift, wo dann die' heidnische
Uft^' UHien gekehrt und oft mit Kalk überzogen irar:-
Tiele von ihnen sind auch nur verstSmmelt vorhanden,
indein man den Stein ^ um ihn der Form des Grabes
anzupassen, zerschnitt. Ja wir haben sogar unzweifel-
Iiaft christliche Inschriften mit diesen Siglen, was sich
aus gedankenloseih Beibehalten einer Formel erklärt,
deren Bedeutung man nicht mehr verstand, weswegen
me auch niitf einer späteren Zeit angehören können, in
der das Hddenthum seinem Untergange entgeg«! ging,
und nicht, wie der Verf. annimmt, der früheren, da in
dieser der Gegensatz gegen dasselbe zu stark hervor-
trat, als dafs man nicht jede Annäherung von heidni-
sche Sitte so viel wie möglich vermieden hätte. Be-
sonders wichtig sind Inschriften mit Angaben von Con-
sulaten, da sie uns Thatsachen für die FeststeUung der
Chronologie i%x Coemeterien liefern. Doch bemerkt
hier der Verf. mit Recht, dafs dabei mit der gröfsten
Vorsicht zu verfahren sei^ da sich in den Katakomben
auch viele heidnische Inschriften finden, so dafs nur
solche hier in Betracht kommen können,, die alle un-
zweifelhaften Kennzeichen eines christlichen Ursprungs
an sich tragen. Seine genauen Untersuchungen erge-
ben für die römischen Katakomben das Resultat, dafs'
sich in ihnen kein älteres Datum mit Sicherheit nach-
weisen läfst, als das Consulat des GaUicamus vom Jahr
237 ; das späteste dagegen ist das Consulat des Kaisers
Justinus vom J. 568.
Die iieidnische Sitte dem Todten Sachen, mit de*
nen ^r im Leben umgegangen, mit ins Grab zu geben,
wurde von den ältesten^ Christen gleichfalls befolgt,
woraus sich die Ringe mit geschnittenen Steinen;
Schmueksaehen und Gegenstände des gewöhnlichen Le*
bens erklären, die man in den Gräbern der Katakom*
ben gefunden. Ebenso war die Sitte dem Todten eine
Lampe anzuzünden aus dem Heidenthum auf die Kir«
che übergegangen, wie diefs die vielen Lampen von
gebrannter Erde oder Metall beweisen, die man nebeVi
den Gräbern entweder eingemauert oder an Ketten
hängend gefunden, und welche häufig^ mit christlichen
Sjrmbolen, z. B. dem Lamm, der Palme u. s. w. ver-
siert sind. Von besonderer Wichtigkeit sind aber kleine
gläserne Fläschchen, die entweder im Grabe neben dem
Todten liegen, oder aufserhalb desselben eingemauert
sind, und die gleichfalls oft bildliche Darstellungen ha-
ben. Ein rother Bodensatz, der sich in mehreren der-
selben vorgefunden, ist für das Blut von Märtyitem
erklärt worden, das man bei ihrer Hinrichtung aufge«
Cangen und ihnen mit ins Grab gegeben habe, wesWe*
gen die Congregatio rituum durch ein eignes Decrdt
das Vorhandensein solcher Fläschchen >für das Kennzei*
chen eines Märtyrergrabes erklärt hat. Refer. hat be-
reits in der vorhin angeführten Abhandlung sich gegen
diese Ansicht ausgesprochen und zu 4>eweisen gesucht,
dafs man in jenen Gefafsen dem Todten die Elemente
463
BeUermann^ Katakomben^ zu Neapel.
des Abendmahl« mit in das Grab gegeben, und der ro*
the Bodensatz von dem aufgetrockneten Weine herräh*
re,.eine Ansicht, die der Verf. gleichfalls theilt, und
sie nur weicläuftiger entwickelt, als es Refer. gestat-
tet war.
'Nach diesen allgemeinen Erörterungen geht der
Verf. endlich zur Beschreibung der Neapolitaner Kata-
komben über. Am nördlichen Abhänge der Stadt, un-
te|*halb der Höhen yon Capo di Monte befinden sich
vier alte christliche Coemeterien, unter und neben den
Kirchen S|- ViU>, S. Severe, S. Maria della Sanitä und
S* Gennaro de* Poveri, von denen jedoch nur die letx-
teren, die Katakomben des h. Januarius genannt, noch
besucht und auch allein nur von unserm Verf. ausfuhr-
lich beschrieben werden. Sie bestehen aus zwei in ver-
schiedener Höhe neben ' einander liegenden Stockwer-
ken, die* wiederum aus mehreren einander durchkHu-
zenden Gs^ngen zusammengesetzt sind: vor den Römi-
schen zeichnen sie sich durch gröfsere Höhe und Breite
der Gänge aus, da der Tuffstein, worin sie gehauen,
«ine grofsartlgere Anlage erlaubte^ als die weichere
Puzzolona, in der die Römischen gegraben sind: dage-
gen stehen sie den letzteren an Umfang und Ausdehnung
' nach. Ihre weitere Beschreibung mögen unsre Leser bei
dem Vf. selbst nachsehen, der ein ausführliches und zu*
gleich sehr anschauliches Bild von ihnen entwirft, wo-
hei er alles genau verzeichnet, was sich in ihnen von
Ci^mälden und Inschriften noch vorfindet. Was ,ihre
Geschichte betrifft, so vermuthet er, dafs ihre ersten
Anfänge sich in die Zeiten der Verfolgungen hinauf-
ziehn, indem sich damals schon eine christliche Ge-
meinde zu Neapel befinden, der eine besondre Be-
gräbnifsstätte Bedürfnifs sein mufste. Johannes Diaco-
nus, ein Schriftsteller des neunten Jahrhunderts, gedenkt
in seinen Lebensbeschreibungen der Neapolitaner Bi-
schöfe, alter; nördlich von der Stadt aufserhalb dersel-
ben gelegener Kirchhöfe, woran sich die traditionellen
Nachrichten der ältesten Bischöfe anknüpfien, was mit
der Oertlichkeit unsrer Katakomben sehr wohl über-
einstimmen würde. Dieser älteren Zeit sehreibt der
Verfasser die Einrichtung' der beiden vorderen gröbe-
ren HaUen des obern und untern Stockwerks zu, in
denen er Veberreste alter DeekengemSlde gefando,
die sieh durch ihren Styl den alten ÜVandgemälden tob
Pompeji und Herkulanum aDuähem, und. daher leicht.
lieh aus so früher Zeit herrühren dürften. Referat
möchte jedocli diese Termuthung nur auf die vorda«
Halle des obern Stöckwerks beschränken, das ihm Ober-
haupt der älteste Theil der ganzen Grabstätte zu leii
scheint, dem höchst wahrscheinlich erst später das tat-
tere^ hinzugefügt wurde. Hier befinden sich auek die
schönen Deckengemälde von Taf. lY. und IT., die ach
allerdings in ihrem Style den besseren Werkes 1er
späteren Kaiserzeit annähern, und daher leiehtiteh de«
dritten Jahrhundert angehören könnten: was dagegei
das Taf. III. wiedergegebene Deckengemilde u dar
Yorhalle des untern Stockwerks betriflft, so istwoU
kein Grund vorhanden, es einer so frühen Zeit beio-
legen, da wir in den römischen Katakomben IhnKds
Terzierungen antreflTen, die unzweifelhaft dem Tieft«
Jahrhundert angehören. Nach dem Bischof kfo^
nus, aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts, der ii
dieser Grabstätte begraben war^ wurde sie ursprosg*
lieh benannt, bis im 5tenJahrh. der Bischof JobanDeiL
die Gebeine des h. Januarius^ dieses von der Neapoli-
taner Kirche so hoch verehrten Märtyrers, dorthin ve^
setzte, wo sie nun nach diesem benannt wurde. Bei
dieser Gelegenheit mochte dena auch die in den Berg
gehauene Kirche entstanden sein, welche sidi neb«
dem Eingange des untern Stockwerks befindet, mit des
sie durch zwei SeitenthQren in Verbindung gesetzt iili
wenigstens lassen die Ueberreste von Malerdeo, die
sich in ihr noch erhalten, daraus schliefsen, dals A
eine dem h. Januarius geweihte Grabkirehe gewescB*
In' ihr befinden sich auch zwei Grabnbchen, in deaa
nach der Tradition die Bisehöfe Johannes I. und Pan*
lus bestattet sein sollen. Dafs aber wenigstens dieeitt
derselben kein bischöfliches Grab enthalten könne, i^
deutlich das Gemälde, womit sie verziert ist, welelKi
der Verf. Taf. X. mittheilt. .Dasselbe stellt nämUeh i^
nen Bischof in seiner Amtstracht vor, mit eineni Beili-
genscheine, zwischen einer männlichen und weibüdieB
Figur stehend, die beide ihre Hände anbetend su ib»
emporheben.
(D«r Bescblafs folgt)
J^ 59-
J a h r b u
f ü r
eher
w i s s e nschaftliche Kritik
März 1840.
lieber die ältesten ckrütlichen Begröbnifsstätten
und bpeondere die Katakomben zu Neapel mit
ihren Tf^andgemälden. Ein Beitrag zur chrrst--
liehen Alterthumskunde ton Dr. Christ Fr.
Bellermann.
(S€blttfs.)
Höchst wahrscheinlich sind daher die letzteren die
ia dem Grabe ruhenden Todten und nicht der Bi-
-sehof^ der kein andrer als der heilige Januarius sein
kanoy da sich ähnliche Darstellungen des Todten mit
^ dem Heiligen, in dessen Nähe er bestattet worden, öfter
in den Katakomben finden : unser Verf. selbst theilt ein
solches Bild, das er in dem oberen Stockwerk gefunden,
Taf. IX. Nr. 2. mit welches gleichfalls nach den dar-
auf befindlichen Ueberschriften den h. Januarius mit
^er Frau und einem Kinde zur Seite darstellt. Was
die andern Gemfilde dieser Grabkirehe betrifft, so ist
das Taf. XJL mitgetheilte» dessen Deutung der Yerf.
nicht vcnudit hat, wohl lediglich auf den h. Januarius
md den Diaeon Sosius zu beziehen, der mit ihm das
Martyrium zu Puteoli erlitten^ da das Gewand der neben
dem Bischof stehenden männlichen Figur sie als Diacon
bezeichnet. Der Yf. schreibtdiese Bilder Jem Bischof Pau-
lus IL aus dem 8. Jahrh. zu^ den, wie Johannes Diaconus be-
lichtet, die damaligen kirchlichen Streitigkeiten nöthigten,
seine Reudenz in der Kirche des h. Januarius aufzuschla-
gen. Wiewohl damit nicht unsre unterirdische Grabkirche,
sondern nur eine diesem Heiligen oberhalb der Erde
neben dem Coemeterium erbaute Kirche gemeint sein
kann, welche dieser Bischof erweiterte und verzierte
Vind mit einem Trielinium und einer marmornen Tauf-
kapelle versah,, so vermuthet doch der Verf., dafs sein
Aufenthalt daselbst ihm Veranlassung gegeben, auch für
die Räume der Katakomben zu sorgen, und sie zu ver-
>. zieren und mit Bildern auszuschmücken, Indefs bedarf
es enier .solchen Annahme nicht : nach der - von dem
Jahrb. f. »iuepich. Kntik. J. 1840, I. Bd. .
Terf. p. 96 Not. 2 angeführten Stelle des Johannes
Diaconus soll der Bisohof Anastasius I. aus dem 9ten
Jahrhundert die ecdesiam S. Januarii in cubiculo posi*
tarn erneuert und darin die Bildnisse der vornehmsten
Doctoren der Kirche haben abmalen lassen, worunter,
wie unser Verf. auch mit Recht annimmt, nur die un«
terirdische Grabkirche unsrer Katakomben verstanden
werden kann : warum sollten daher jene Malereien, die
so deutlich das GeprSge des 9ten Jahrhunderts an sich
tragen, nicht diesem Bischof gehören, von dem auch
leichtlicl^ jene Bischofsbilder, deren Ueberreste c[^r Verf.
in dem oberen Stockwerk gefunden, herrQhren dürften I
Was die oberhalb der Erde erbaute Kirche des h< Ja*
nuarius betrifft, so geht der Yerf. nicht näher in die
Geschichte derselben und ihre Yerbinduug mit den Ka-
takomben ein , was wohl dem 'Mangel an bestimm»
ten Nachrichten darüber zuzuschreiben ist. Gewifs
ist sie sehr alt, vielleicht schon von Johannes I. er-
richtet worden, ids dieser die Gebeine des h. Januarius
nach den Katakomben versetzte: die Erwähnung einer
ecclesia S. Januarii ad corpus, die nach unserm Yerf.
p. 90 seit dem 5ten Jahrh. vorkommt, diirfte wohl eher
auf sie, als, wie er es thut, auf das unterirdische Coe-
meterium zu beziehen se^in: wenigstens ist Refer. nicht
bekannt, dafs man je diese Grabstätten» sobald sie sich
nicht an ein kirchliches Gebäude anschlössen, ecclesia
genannt hätte.
Seit dem 9(en Jahrhundert verliert sich das Anse-
hen unsrer Katakomben. Die Gebeine des h. Janua-
rius hatte der longobardische Herzog Sico vqn Bene-
vent, als er Neapel im J. 821 eingenommen, von dort
entführt, und die Ueberreste der übrigen dort ruhenden
Bischöfe und Heiligen wurden nach Earchen in der
Stadt gebracht, um sie dadurch gegen die Yerwüstungen
der Longobarden sicher zu stellen. Dadurch war aber
die Grabstätte dessen verlustig gegangen, was ihr bis dahin
Ansehn und Bedeutung gegeben: sie hört daher seitdem
59
467
BellermanHf Katakombtn xu Neapel,
auf 6egen;ita]i<l der Andacht un4 Verehrung su sdo,
und die Todten, die man bis zum 9ten Jabrh. stets nur
in ihr begraben hatte, werden von nun an in den Kir-
eben bestattet. Zwar erfaäk Neapel später die Gebeine
des h. Jaanaritts wiederum suruok: .£ie wurdop aber
nicht nach den Katakomben, sondern nach der in der
Stadt befindlichen Domkirche gebracht. Damit jedocli
das Andenken an diese Grabstätte nicht gänzlich unter-
gehe, vereinigte Bischof Anastasius (von 850 — 872) mit
der Kirche des h. Januarius ein Benedictinerkloster,
tvelches die Aufsicht über die Katakomben führen sollte.
Indcfs auch diels verfiel : der Cardinal OlivierT Caraffa,
der von 1458 bis 1484 den erzbischöflichen Stuhl von
Neapel fnne hatte, fand es verlassen und die Kirche
verfallen, und stiftete daselbst im Jahre 1474 ein
Lazareth, besonders zu Aufnahme von Pestkranken,
' das er einer Laienbruderschaft Qbergab. Den Kata«
komben erwuchs aber leider kein Yortheil daraus : viel*
mehr wurde bei dieser Gelegenheit die verfallene Kir*
ehe des h. Januarius erneuert, und zu diesem Zweck
die Grftber des alten Coemeteriums ihrer Marmorin*
Schriften beraubt, um sie zum Pflastern des Fulsbodens
su^verwenden. Die weiteren Schicksale- dieses Laza»
retlis mögen unsre Leser bei dem Terf. selbst nach-
sehen: die Katakomben geriethen Immer mehr in Ter*
fall, bis ^st in der neuesten Zeit ihnen einige Pflege
und Aufmerksamkeit zu Theil geworden ist : indefs die
wichtigsten und bedeutendsten Denkmäler «ind bereits
Verloren gegangeUji so dafs nur wenige Inschriften und
Geipälde unser Verf. noch vorgefunden und in seinem
Werke verzeichnet hat.
Zwei Anhänge hat der Verf. seiner Abhandlung
noch hinzugefugt, von denen der erstere,^,,Ober den Ur^
sprung^ der Katakomben in Italien,*' die vielfach aufge-
worfene Frage behandelt, ob diese unterirdischen Grüfte
als eine christliche Anlage zu betrachten sind, oder oi^
sie einer vorchristlichen Zeit ihren Ursprung verdan*
ken und von den Christen ntir zu Bestattung ihrer
Todten gebraucht wurden. Er geht dabei von der rich-
tigen Ansicht aus, dafs beide Sitten, das Yerbrennen
und das Begraben der Todten, im Alterthume neben
einander gehen, woraus sich die vielen einzelnen Grä-
berkammem, und gr5fseren Nekropolen in Sicilien, Ita--
fien, Griechenland und Aegypten erklären, wobei er sehr
schätzbare Notizen über mehrere Todtenstädte Siciliens
giebt^ die er auf einer Reise durch die Insel gesammelt.
. .Da .diese gans dieselbe Einrichtung haben, ab db
ebristlidien Coemeterien, so, schlielst er weiter, dBifa
man annehmen, dafs, wenn die Entstehung bestimoMier
. Kütakomben -durch die Hände der Chrbten alleia ach
. nidit ^t denke» lasse, sie UBSprSngUeh haidaiteki
Grabstätten gewesen, welche jene nur später suBesUHi
tung ihrer Todten benutzt hätten. Aehnliche Zwch
fei an dem christlichen Ursprung dieser Grüfte nnl
schon von älteren Schriftstellern aufgestellt woido,
die in ihneii nur heidnische Begräbnibstittai ir«
blickten, in denen die Christen neben den Heidea ihre
Todten beerdigt hätten, wobei man sich tbeili ai{
den gedruckten und verfolgten Zustand der iltsitei
Kirche bezog, der ^^ ausgedehnte Anlagen ihr «v*
m5glich gemacht, theils aber auch darauf, dab manii
ihnen heidnische Sepulcralmonumente, namendieh Co-
lumbarien angetroffen. So weit gebt nun unser Yeri.
allerdings nicht: vielmehr wird von ihm anerkaant^ vil
die Ueberzeugung von der auch naeh dem Tode foil»
dauernden Gemeinschaft im Glauben, die in den tita^
sten Christen %^ lebendig hervortrat, und der Gegoi*
satz gegen das Heidenthum , notbwendig sehr froh n
besondern, von den heidnischen getrennten BegräbaÜ^
Stätten fahren niufsten : er nimmt nur an, dafs maaiidi
dazu nicht blols verlafsner Sand- oder Tuffgruben, sos*
dem auch aher aus längst vergangner Zeit heriM»
mender Hypogäen, die alle religiöse Beziehung ^umh
schon verloren, bedient, und sie zu christliolien CoeM^
terien eingerichtet hätte. Kann man diefs audi ii
Allgemeinen dem Verf. unbedenkUeh sugeben, so wilde
doch nur bei solchen Katakomben ein vorcbiistüdiff
Ursprung. anzunehmen sein, die sich durch ihren 8^
unzweifelhaft als Denkmäler eines hohem Aiteitfanak
bekunden , wie diefs vidieicht bei den zu Syracui be^
findlichen der Fall sein mag, von denen Referent iceiBe
nähere Kenntnif« hat Unser Verf. bleibt aber dsba
nicht stehen : indem er die wichtigsten der in ItsB«
vorhandenen Katakombe^ durchgeht, um ihren Unpnnf
festzustellen, sind es jene vorhin angeAbrten Thaiis^
eben, die i|^n besonders dabei leiten, nSmlich das V»
handensein von iieidnischen Sepuleralmonumenten, oi
der bedeutende Umfang sowie dieGrd&e dieser €nift>i
welche die Annahme ihrer ohrisUichen Entstebong id^
möglich machen. Beide kdnnen aber M^^ xosAa als <ioiu*
und bestimmte Criterlen gebiraittdit werden: dena wü
die erste dieser Thatsachen betrifft, so hatten nod die
BelUrmmmy KfOüJkümißn stu Neapel.-
BSmiMkhkn KtSrnt iMi CooMaiiün dAs Z^»torett v<m
C^aUenknilMm unter Androhung von Geldstrafen
ötrang irerbofen: alieb man daber bei Erweiterung von
CSoenieterien auf Columbarien und heidbiacbd Gräber,
an Uieb niehta andera übrig, als sie in den Umfang der-
ialbeii mit aufaunehmen. ■ Was dagegen die sweite be«
triffi» aa gelieren freilieh die ersten Anfänge bei den
■imten dieser. Grßfte der älteren Zeit der Verfolgung
lioeh aar au dem greisen Umfange und der Ausdehnung
sdber, in der wir täß jetzt erbliolcen» gelangten sie erst
^rah die Erweiterungen des 4. und 5. Jahrhunderts,
Mö dafs sie ihrem grobten Bestandtbeil naeh dieser spä*
ton Zeit angeboren, in welcher die Kirche dflfentliche
Anerkennung im Staat erhalten, und dergleichen Ar-
beiten nicht heimlich Torsunehmeh brauchte* Ja auch
aelbat während der ersten drei Jahrhunderte gab es Pe-
AedßA der Ruhe und des Friedens für die Gemeinden,
in denen sie nicht ndthig hatten, sich dem Auge der
Welt au Terbergea, und ihre Grabstätten Öffentlich an*
l^en konnten; dala. diese der heidnischen Obrigkeit
sogar bekannt waren, beweisen Zeugnisse bei Eusebius
und TertulUan, wonach einzelne Verfolgungen damit
begannen, dafs die Coemeterien geschlossen, und die
Veftammlungen in ihnen Torboten wurden. Daher kann
niekt Greise und Umfang der Grabstätten, sondern ledig-
lich der Styl, der sich in dem ganzen Bau kund giebt^
ida alcheres Criterium einer vorchrbtliehen Anlage be<- .
Irilehtet werden. Yen jenen Voraussetzungen nun aus«
gebend, glaubt unser Verf. den Neapolitaner Katalcom-
4ben des heilig« Januarius einen vorchristlichen Ursprung
Tindiciren zu mQssen, indem 9,ihr grobarligerer und
planvollerer Bau an eine Zeit au denken nöthige, wo
ria aolehes Y(i^erk nicht versteckt, noch von einer ge-
ringen Anzahl flieliender Menschen, sondern von einer
grofsen, freien und an Hulfsmitteln reichen Population
aoageführt werden konnte/* ladi-m hier seine gesunde
Critik ihn die Träumereien älterer Antiquare , die in
ihnen ein .Werk der homerischen Kyaunerier oder ei-
nen Theil der unter dem Namen Aquae Juliae bekani>-
ten antiken Wasserleitung erbliclrten, verwerfen macht,
bilt er «e fili: eine griechische Nelcrepole, die, nachdem
durch das Eindringen Römischer Sitte und Lebensweise
der Gebrauch des Verbrennena bei der Todtenbestat-
tung überwiegend geworden , le0r und verlassen dage-
atand^i« und deren sich nun die Christen als Grab-
ttSHte be4ient hätten. ]>em widerspricht aber der Styl
470
dea ganzen Baus^der nicht auf die Bliitbezeit griechi-
.aeher Architektur, wie es pach der Annahme des Verf.
der Fall sein mulste, sondern auf das 4. und 5. Jahr^
himdert nach Christus hinweist Referent will hier nur
an das dreifache Säulenthor im oberen Stodoverk er-
innem, wovon der Verf. eine Abbildung in Taf. l,
liefert^ das mit seinen auf Pfeilern ruhenden Bendbögen
wohl der späteren Kaiserzeit angehören k^nn, aber
nicht einem Denlcmate altgriechischer Baukunst, der
bekanntlich Rundbögen fremd sind. Wir besitzen da*
her in jenen Katakomben unzweifelhaft ein christliches
Werk, das in seinen ersten Anfängen deni 3. Jahrhun-
dert, seinem gröfsten Bestandtbeil nach wohl aber dem
4. und 5. angehört. Denn höher als das 3. Jahrhunr
dort ist der erste Ursprung dieser Grüfte wohl nicht
hinaufzuröcken^ da am Anfang desselben der Bischof
Agrippinos starb und in ihnen bestattet wurde , was
gewi& die erste Veranlassung zu ihrer Entstehung ge-
wesen: wenigstens läfst die vorhin angeführte 'Tliat-
sache^ dafs das Coemeterium anfänglich nach ihm he*
nannt wurde, darauf schliefsen. Mehr als die vordere
Halle des obem Stockwerks, worin sich die tr^iBichen
Deckengemälde von Taf. IV. und V. befinden, mochte
wohl der ursprunglichen Anlage niclit angehören , so
dafs der übrige Theil des obem und das ganze untere
Stockwerk erst durch spätere Erweiterungen hinzage*
fugt sind. Was diese Vermutbung bestätigt, sind die
Denkmäler^ die der Verf. hier noch angetroffen: sie ge-
hören alle dem 4., 5. oder 6. Jahrhundert an, woraus
man schliefsen Icann, dafs di^ Gänge selbst kein höhe«-
res Alter haben. Daher können diese Katakomben
auch nicht die älteste Grabstätte der Neapolitaner Ge-
meinde gewesen sem: viehnehr möchte Referent daHlr
das Coemeterium bei der Kirche 8. Maria della Sanitj^,
von dem der Verf. p. 111. ausführlichere Nachrichten
mittheilt, halten welches durch seine unregelmäfsi-
gere Form sein höheres Alter bekundet Erst nach*
dem die Gebeine des heiligen Januarius nach unsern
Katakomben versetzt waren, verdunkelte ihr Ansehn
das der andern Grabstätten, so dafs die Andacht der
Gemeinde sich besonders auf aie hinrichtete j und di^
Todten vorzugsweise in ihnen bestattet wurden ^ wes-
wegen auch der gröfste. Theil derselben erst dieser
spätem Zeit angehören mag.
Der zweite Anhang betrifft ieinen in dem obem
Stockwerk befindlichen Stein von cylindrischer Gestalt,
471 ^ Uebelen^ ESerAard der Erlauehiey Oraf von tVüriemberg.
mit ' einer grieehischen und Iiebr8}9cli6n Inschrift ,. der Theils nur in Umrissen, dodi so
unzweifelhaft ein Machwerk neuerer Zeit ist, und nach
des Verf. sehr wahrscheinlicher Vermuthung der von
den filteren Antiquaren aufgestellten Hypothese, dab
diese ^Katakomben ein Werk der homerbchen Kymme-
rler wären, seine Entstehung verdankt.
Schlierslich mufs Referent noch lobend der treff-
lichen Ausstattung des Buchs gedenken, die namentlich
In Betreff dec Kupfertafeln nichts zu. wünschen übrig
läfst: besonders dankendwerth ist es, dafs bei den
Gemälden nicht blos die Umrisse der Figuren, sondern
auch die Farben wiedergegeben sind, itodurch dem
Leser eine genauere Einsicht In den Styl derselben ge-
währt wird, als diefs bei den weniger sorgsamen Nach-
bildungen in den Werken über die Romischen Kata-
komben der Fall ist.
RöstelL
X^XVI.
Eberhard der Erlauchte^ Graf ton Würtem-
herg. Ein geschichtliches Bild ton Dr. Georg
Uebeleny Professor und Rehtor des Königl.
Gymnasiums in Stuttgart u. s. tr. Stuttgart^
1839. Verlag der J. B. Metzler'schen Buch-
handlung. 116 8: 8.
Yoi^gonannte Monographie gibt uns nicht sowohl
eine Lebensbeschreibung^ als ein „geschichtliches Bild"
des Grafen Eberhand des Erlauchten, eines der merk-
würdigsten Charaktere der altem würtembergischen
Geschichte. Die Beschaffenheit des Stoffes erlaubte dem
Verf. nicht, sich jene umfassendere Aufgabe eu stellen.
Denn obgleich neuerlich durch mehrere bisher nicht
bekannte Notizen yermehrt, reichten die darüber vor-
handenen 'kürzeren oder längeren historbchen Daten
glcjchwol nicht hin, das, worin sich das individuelle
Leben jenes Mannes in seiner Zeit ausspricht^ in eini-
germafsen genügender Weise darzulegen. So hat sich
denn der Yerf. mit der geringem Aufgabe begnügen
müssen, diese Notizen in einem organischen, durch Zeit
und Verhältnissld motivirten Zusammenhang zu vereini-
gen und aus ihnen cfin Bild von Eberhard zu entwer-
fen, dessen einzelne Partieen, wenn auch grdfsten
471
sind, dftli
sich ein iu gewissen Ilauptzügen wohl untersclieidbarrr,
origineller und in seiner Eigenthümlichkeit merkwfiri»
ger Charakter erkennen läfst Und selbst aaeh m
Losung dieser Aufgabe mufste manche Lücke des Stof*
fes durch Yermuthungen ausgefulU werden, die jedock
meistens als zum Theil nothwendige Folgerungen m
Thatsachen gezogen sind. Indem wir nun sehen woL
Jen, in wiefern dies Alles dem Yerf. gelungen iit, wok
len wir zugleich mit Rücksicht auf die Tendenz dieiai
Blätter vorzugsweise die Beziehungen Eberhards u
den allgemeinen Verhältnissen Deutschlands ins Aoge
fassen.
Graf Eberhard — „Gottes Freund, aUer Wek
Feind !" — wird uns hier von vorn herein als eintkn
so kräftiger, kriegslustiger, wildtapferer ab kluger ui
praktisch yerständiger Mann geschildert, der den benli
von seinem Yater Ulrich mit dem Daumen gefab^
ten und in der Ausführung glücklich begonnenen Plf%
Würtemberg hoher emporzubringen, mit richtigem TiM
und aufsergewöhnlicher Besonnenheit zu verfolgen wobt«;
.Was wir nun zunächst über die Geburt untcif
Helden, seinen filtern Bruder Ulrich, durch dessen fruhea.
Tod im J. 1279 eigentlich erst Eberh. zu jener beM-
samen Stellung gelangte, sowie über den Anfang seiner
selbstthfitigen Wirksamkeit in den nächsten GJaJMDi
den drei ersten Abschnitten — das ganze Werkchei
ist nftmlich in 36 grofsere und kleinere Abschnitte eil»
getheilt -^ erfahren, beruht vielfach auf blofsen Asnih*
men und Rückschlüssen, die indefs nicht ohne jedeimaligi
historische Basis dastehen. .
Einen festeren historischen Boden gewinnt^der TIL
erst mit dem J. 1286, in welchem Eberh., obgleich cfH
20 Jahr alt, als Haupt einer grofsen Partei schwSbifchcr
Grafen und Herren, dem Versuche K. Rudolfs, die den
Reiche und dem Herzogthume Schwaben entsogeod
Güter wieder zurückzubringen, mit Macht entgegenliitt
Der Yerf. beschrankt sich hier' zu sehr auf die Anfuk*
rung der allgemeineren, auch in andern Theilen ta
deutschen Reichs stattfindenden Verhältnisse ; wenigstoi
hätten wir hier eine speciellere Darstellung der eigent*
liehen Verhältnisse Schwabens^ namentlich als eheaaii*
ges Herzogthum, gewünscht.
(Der Beschlufs folgt.)
wissen
Jahrbuch e
für
schaftlich
e Kritik»
März 1840.
Eberiard der Erlauchte y Ormf roi»< fFartem-
berg. Ein getckichtiiches Bäd tarn Dr. Georg
Vebelen.
(Schlaa)
Die einxebieii Begebenheiten der beiden Kriege
Bit K. Rudolf (128| und 1287) tuid gröfsten Theils
der Smdelfingtr Chronik in Hmugs Torsuglicber Be«
arbeltong entnommen*. Am Ende des swehea Kriegs
Iconunt dne völlige und dauernde Subne* zwisehen dem
KSnige und Grafen und deren beiderseitigen Helfern
tu Stande \ — offenbar, weil man Eberhard , dem man
beim froheren Friedensseliliisse im Jahre 1286, weä
nuin ihn nur Air einen jungen unbesonnenen und un«
hadeutenden Mensehen gehalten, allzustrenge Bedingung
gen gesetzt hatte, diesmal aueh wiehtige Zugeständnisse
machte. Worin dieselben bestanden, Iftfst der Verfasser
fürs Erste unbesthnmt; dagegen hebt er mit besonderer
Badentnng die AnerkMnung des Werthes hervor, weK
che Rudolf dem jung«& Eberhard dadurch bewies, dafs
er in der Sühne ausdrücldieh von ihm verlangte, künf-
ti^ dem Reiehe -getreu s« sein und durch nützliche
Diefiste wieder gut zu machen, was er seither demsel^
ben rawider gethan.
Jene 2}ugestfindnisse konnten aber, wie auch Fttrst
UchMwky in seiner „Geschichle des Hauses Habs-
burg" 1.9 341. bemerkt, nur in dem Versprechen beste-
hen, das Herzogthum Sehwaben nicht wieder herzu-
stellen« .Die Andeutung dieses umfassenderen und
intsressanterw Motim von Eberhards jeut beginnender
£q;ebenheit und Folgsamkeit bringt «war der Verfasser
bn feigenden Abschnitt» theils im Text, theils selbst in
emek gr&Ciem Note, nach*; es hätte aber nadi den For^
demogen der pragmatischen Gesdiichtsdarstellung das»
selbe nicht Mos vorangestellt, sondern auch dem gan^
ioM. / tmuMtK Kriäk. J. 184a h Bd.
sen Verlauf der Dinge zu Grunde gdegt werden
mfissen« Die wichtige Folge dieser Wendung der Dinge
wird dagegen nach Gebühr hervorgehoben: Eberhard
wurde nämlich dadurch gesetzlich der erste reichsuH»
mittelbare Graf von Würtemberg, und mit erlaubtem
Selbstgefühl konnte er sich sagen, dafs durch seine An*
strengungen hauptsächlich dieses fär sein Haus und alle
schwäbischen Grofsen so bedeutende Ereignifs herbei*
geführt worden sei«
Wir könnten jetzt wieder an der 'Erzählung von
der Fehde Eberhards mit dem Grafen Albreeht von
Uohenberg und deren gleich darauf folgender vöUigeni
Versöhnung denselben Fehler des Hysteron-Proterons
ragen ; denn* auch hier folgt die Erörterung der Ver*
hältniise, aus welchen diese Begebenheit gani eigent-
lich hervorging, erst nach derselben.
Eberhard erwirbt hierauf die Schurmvogtei aber
di6 Klöster Loreh und Addberg, und zeigt hier-
mit seinen Nachkommen den Weg, welchen sie in
Bezug auf die Klöster um sie herum zu gehen
hätten, und welchen zu gehen diese Nächkommen
auch nicht versäumt haben. Ueberdiers steht Graf
Eberhard um diese Zeit mit dem benachbarten Efs-
lingen trotz der frftheran Kämpfe tan bebten Verhält-
nine. ~ Gut und freundschaftlich ist auch Anfangs
das Vernehmen zwischen Eberhard und dem im Jahre
1292 gewählten K. Adolf; er folgte ihm sogar 1294
nach ThQrlngen und diente ihm dort m seiner nicht
sehr rOhmlicben Sache; aber sett 1297 fafste Adolf
Miistranen gegen Eberhard, als ob auch er der Thron-
erhebung Hersog Albrechts mit sehiem eiflrigst dafOr
wirkenden Schwager Albfecht von Hohenberg züge*
tban sei. Ob Eberhard aber VflrklÜDh so frei von
Schuld, ob er wirklicfa nur duieh Adolfs vorhergegan-
gene Ungunst sum Abfall gezwungen gewesen! Aueh
60
475 UebelcHj Eberhard der BrluueAtej €hrof von W^rtemberg. 476
Eberbard focht mit den Seinen in der SehUcht am gethan worde, die Eberhard über die ihm anverdnu.
Hasenbühel bei Oppenheim 1298, in welcher Adolf er- * ten Reichspflegämter abzulegen hatte. Der Verfasser
. %
schlagen ward.
Bis zum Jahre 1304 herrscht wieder das beste Yer-
nehmen mit K. Albrecbt L^ der Eberhard alle möglichen
Vortheile, namentlich aber' die mit Hohenbergs Tode
eiiedigte Landvogtei in Nieder • Schwaben zuwandte.
In dem genannten Jahre aber trat durch Verletzung
gegenseitiger Interessen die erste Spannung ein, wel-
ciie indefs diesmal noch zu beiderseitiger Zufriedenheit
in demselben Jahre beigelegt wurde. Eberhard beglei-
tete darauf den König auf dem in dieses Jahr fallen-
den Zug gegen König Wenzel II. \on Höhnten. D«r
Verfasser entscheidet sich hier mit Recht nach den Re-
gesten bei Lichnowsky für dieses Jahr, während die
würtembergischen Geschichtschreiber annehmen, dieser
böhmische Feldzug Albrechts falle ins Jahr 1303 oder in
den- Winter 130|. Es hätte indefs der Untersuchung
bedurft, ob die beiden Urkunden (Nr. 449 und 450 bei
LiehnawBJky) wirklich in dieses Jahr oder in das fol-
gende fallen; was Bohtner in seinen ^JRege^ien. ron
Konrad I. bis Heinrich VU." S. 271 .und 272 zweifei.
haft macht. Denn was jetzt in jener Urkunde , wie
Ltichnotoeky sagt, ^^augenscheinlich," 4)der wie unser
Yerfasser, ,, wahrscheinlich" dem Grafen als ,,Sold'' für
den beyorstehenden Feldzug gegeben wird, erscliieue
dann als verdiente Belohnung fiir geleistete Dienste
und zugleich als Zeichen fortdauernden Wohlwollens«
• Die Landvogtei in Nieder «Schwaben \aX es nun,
welche durch die mancherlei bedeutenden Erwerbungen,
wozu sie dem Grafen die Mittel gab, so wie sie schon
das erste Mal das gute Vernehmen zwischen Albrecht
und Eberhard gestört hatte 9 1305 aufs Neue au Irrun-
gen und zuletzt gar zum förmlichen Kriege führte. Mit
Recht hält hier der Verfasser (s. Note 5 zu^ Abschnitt
14.) an dem Jahre 1305 fest, während nach Angabe der
Ellwäfiger Chronik die würtembergischen Geschichts-
bücher diesen Kriefg in den Anfang des Jahres 1304
•setzen ; welcher Irrtbum dann wieder die Folge hatte,
dafs auch,' wie oben bemerkt, der; bobmische Feldzug des
Jahres 1304. von denselben vorangeschoben wurde.
Der Winter unterbrach für dies Mal den Krieg
des Königs mit dem Grafen, und am 17. April 13Q6
kam es zu Nürnberg zu einem Vertrage xwischen bei-
den, worin insbesondere der Rechnungen Erwähnung
läfst sich hier ein sehr starkes Versehen zu Seiiuljen
kommen! Naelidem er die darüber ausgestellte UrkoBde
nach den Regesten bei ZtieAtioweky citirt hat, ü$ n
den Wunsch hinzu, „es möchte der volle Inhalt dloier
Urkunde bekannt sein." Und — Beilage D. N. XX-
welches Citat Hr. Uebelen auf das k. k. geh6ialei^
chiv bezog! — ist wirklich diese Urkunde in elUno
mitgethcilt! Wir erfahren dadurch allerdings, daü diese
Sühne eine voUkommne und ganze sein sollte bsI mk
auf hoch mehrere, alle im Einzelnen angeführte, Fuid«
erstreckte. —
Aber Eberhard blieb gleichwohl seit diesem Kriege
unversöhnt mit Albrecht, von dessen Herrsch- ddJ
Habsucht gerade er früher oder später das ScbliiMite
fürchten zu müssen glaubte ; und im August 1307 ritt
er offen und rücksichtslos als besoldeter BundesgeDOHe
des Königs Heinrich von Böhmen gegen AlLreeht 9kL
Mit Freude kehrt er von da, wie die Itemcktmii
Kap. 800. bezeugt, auf die Kunde von der £nnoriiB|
seines gefürchteten Feindes (l. Mai 1308) m die nu
gesicherte Heimath zurück; aber ihm nun mit JUfii*
nowikjf III, 280 u. 285 auch nur mittelbaren Aotkdl
an dieser grausen That durch Aufhetzen zuzuscluvi*
ben, widerstrttubt sieh der Verfasser mit Jlecht, d«it
der Reimchronik, der einzigen Quelle, welche Uch-
nowsky dafür anführt, Kapitel 780 Keineswegs isw^
sondern nur von feindlicher Entgegenwirkung in AI*
gemeinen die Rede ist, und da dieser Anschuldigiag
alle übrigen persönlichen Verhältnisse, besonders ak
der zu solcher Tücke durchaus unfäiiige Charakter dii
Grafen, geradezu widersprechen. '
Ebenso wird mit Recht die in alle würtembergiieki
Geschichibücher und auch in Pfister's Geschichte i»
Teutsohen III. S. 126 übergegangene Annahme, dali
Graf Eberh. Aussichten auf die deutsche Krone gehaU»
als einzig und allein auf einer falsch verstandeDen Stdb
einer lat. Urkunde (abgedr. in Sai^er, Gesoh. WurtaB^«
unter den Grafen 1. No. 42.) beruhend, als uegeseUek^
lieh verworfen. Sein trotziges Benehmen aber g^
den neugewfthlten K. Heinr. v. Luxemburg auf deifO
erstem Reichstage zu Spder 1309 sudit der V£ haif^
sachlich aus dem Motive hersoleilen, dafs die danth
sehen kund gewordene Absieht Heinr. VU. ««^ ^
m
üeie/eny EAerAard der ßrlaueite^ Orafvon' fFürUmierg.
478
£rW6rbiiii$ B5hmQD8 für seinen Sohn Jobann den Gra*
iMi Eberh. als treuen und eifrigen ^Anhänger des da-
' maligen Inhabers dieser Krone, Heinn y. K&rnthen, in
ifotnisoh habe bringen müssen; auch müsse man än-
i^ehmen, dafs^ die ganze speiersehe Geschichte für Eberb.
eine ganz andere Wendung genommen hätte, wenn er
sich in den böhmischen Angelegenheiten nicht ebenso
'entschieden erklärt hätte, als früher über die Klagen
der schwäbischen Reichsstädte ; jedenfalls werde Eberfa.
verkannt, wenn man in seinem Benehmen gegenüber
Ton Hernr. YII. nur Trotz und Uebermuth finde. Der
"Verf. mag darin Recht haben, Eberh. Benehmen aus
den beiden Motiven — der Bundestreue und dem Va-
sallentrotze— zu erklären ; nur gewinnt es unserer An-
sieht nach zu sehr den Anschein partheiischer Vor-
liebe, das edlere Motiv, Ton dem doch die Geschichts-
^ Quellen als solchem gänzlich schweigen, als das bei
weitem vorherrschende hervorzuheben. Auch ist es offen-
bar zunächst nur die laut bezeigte Nichtachtung der
'kuserüchen Würde Heinr. VII., Welche die anwesen-
den Fürsten veranlast, den Grafen für einen Feind des
-Reichs zu erklären, welcher durch Waffengewalt in
'Ordnung zu bringen sei. Dab da^iit indefs die fSrmli-^
^ ^lie Reiöhsaeht ausgesprochen gewesen sei, bestreitet
der Verf. S. 74 gegen den speierer Chronisten Leh^
mann*
~ , Der, jedoch erst in den J. 1311, 12 und 13, hier-
ans folgende Krieg, in welchem zuletzt das ganze wur-
iMtinbergisehe Unterland, das Stammgut nebst Allem,
was seit zwei Blenschenaltem daran angewachsen, ver-
loren ging, ist — ziemlich gedrängt — nach Sattler
und Pfi%ter erzählt Ebenso der problematische Krieg
im würtembergischen Oberland, unter Anführung der
Söhne Eberh.; nur erlaubt sich der Verf. diese ge-
schichtliche Hypothese unbedenklich in die Darstellung
selbst aufzunehmen^ „weil sie als nothwendige Folge
aus den gegebenen Verhältnissen und einigen entschie-
denen Thatsachen hervorgehe und sich auf diese Weise
selbst zur Thatsache steigere.** Wir hätten gewünscht,
dafs wenigstens die Beweisstellen für den wirklich
Ton den oberländischen Städten zur Vertfieidigung ih-
res Herrn geführten Krieg, weil auf denselben wohl das
Melsfe beruht, beigefügt worden wären.
Nach den gewohnlichen zuTsrläfsigen Quellen wird
sodann eraählt, wie von Heinrichs VII. Tode bis zur
zwiespaltigen KaiserwaU. für Graf Eberhard wieder
eine bessere Wendung der Dinge eintrat und ihm eine
fast völlige Wiederherstellung seines früheren Anse-
hens- möglich machte, wie sich Eberhard darauf An-
fange zu Ludwig hielt, und erst, nachdem Efslingen
von Friedrich abgefallen war, zu diesem übertraf, und
wie er endlich nach vergeblichen gemeinsamen Befeh»
düngen dieser Stadt auf günstige Bedingungen hin im
Jahr 1316 einen Frieden mit derselben schlofs, weU
chen er mit sorglichem Sinn zu neuen Erwerbungen
und Yergröfserungen seiner Macht, besonders durch
fortgesetzte zum Theil -sehr bedeutende Ankäufe, be-
nutzte.
Auch die nächstfolgenden Begebenheiten^ welche
sich auf Eberhards fernere Parteinahme für Friedrich
bis zum Jahre 1323, so wie auf seinen nach dieser
Zeit erfolgten Uebertritt zu König Ludwig beziehen,
sind, so weit ,sie gleichfalls auf denselben Quellen bei
Sattler^ Pfaff und Pßater beruhen, sicher und ge-
nügend documentirt; aber der Verfasser erlaubt sich,
einen nicht unbedeutenden Theil derselben auf die blo-
£ien Regesten bei Ldchmntfsky -^ nicht etwa blos ih-
rer chronologischen Folge, sondern selbst ihrem innern
Zusammenhange nach — zu begründen, anstatt sich —
was für eine Monographie wie vorliegende ein durch-
aus nothwendiges und wohl auch erreichbares Requisit
gewesen wäre — vollständige Abschriften der bezügli-
chen Urkunden selbst zu verschaffen; ja S. 87 läfst
sich der -Verfasser durch die vagen Ausdrücke Lich-
nowsky's in Bezug auf den zwischen Karl IV. von
Frankreich und Leopold wegen melirerer schwäbischer
Grafen, insbesondere des Grafen von Würtemberg,
zu Bar - sür • Aube getroffenen Yertrag sogar verlei-
ten, eine in den Blättern für literarUche ünterh.
1837 Nr. 77. anonym mitgetheilte Hihaltsangabe jener
Urkunde, trotz ihrer ganz unangemessenen modernen
Fassung, als Quelle zu citiren (!). .
Ein „Rückblick auf die Politik Graf Eberhards in
Bezug auf die teutschen Könige,^' welchen der Verfas-
ser etwas steif mit dem Satze: „Mit Graf Eberhards
Uebertritt zu Ludwig dem Baier schliefst sich dessen
politischer Gang gegenüber von den Königen Teutsch-
lands** einleitet, soll dazu dienen, das öftere Uebertre-
ten Eberhards von einer Partei zur andern aus dem
Standpuncte der Politik zu rechtfertigen. Und in der
479
U^eUth Eterhmrd 4er EthmdUe^ Qruf m« VFüriemierg^
m
That, es UCrt tich fuglioh luehts ^g^gea einwenden :
es wnr die Zeit, Üi welelier die Füisten Deutsehlands
allgemein von deni egoietisdien Streben nach Landes-
hoheit erfBllt waren und sieh, fast einiig nur ihrett
Vortheil im Auge, stets der Seite suwandten, woher
rie sidi eine Befriedigung derselben verspreehen durf«>
ten$. wer da nieht sugriff, lief Gefahr unterzugehen;
Eberhard sah dies mit volllcommenster Klarheit ein
und handelte mit alier Energie darnach ; — wer wollte
Ihn ^— etwa im Geiste des früheren Ritterthums, das
jetst nirgends mehr bestand — defshalb tadeln und
nicht vielmehr der praetisehen Klugheit wegen, nüt der
er vor allen andern kleinem Fürsten seine Zeit be»
griff, lobend anerkennen t -—
Die noch übrigen 8 Abschnitte sind hauptsädhlich
loealhistorischen Inhalts, doch sind einige darunter von
allgemeinerem Interesse* Sie betreffen unter andern:
die Erhebung Stuttgarts aus einem unbedeutenden Win-
serstädtchen Bur schnell emporkommenden Residenzstadt
(wahrscheinlich schon seit dem Jahre 1316); die bald
darauf (1321) erfolgte Verlegung des Chorherrenstifts
cum heiligen E>eu8, nebst dem damit verbundenen Erb*
begräbnifs, von dem offnen Orte Beutelspach nach dem
wohl befestigten Stuttgart ; die Üntheilbarkeit der Hen>
Schaft als Grui^dsatz des Grafen, den er zwar nirgends
als fönnliches Yermächtnifs und Gesetz fttr seine Nach-
*
kommen aussprach, aber darum nicht minder entsehie*
den in seinen Handlugen und Worten zu erkennen
gab und von der seine späfteren Nachkommen nur zu
ihrem grofseu Naehtheile auf eine kurze Zeit abwi-
chen; Graf Eberhards Regierungseinrichtungen, welclie
freilich meist von. seinen personliehen und iHimHi^i^i^
Einwirkungen abhingen ; die in Folge der ewiges da»
uals so verbeerenden Kriege nichts weniger sls erfre«.
liehe Lage seiner Unterthanen; die in der Regel seht
onfaehe und solide Einrichtung seines fiirstlicb«D H^
fes, welche indeb einzelne Beispiele splendiden Ast
l^ands nicht aussehlois ; das Ende Graf Eberhard« (9^
Juni 1325). ~ Einen eignen Abschnitt hätten gewib
auch die Finanzangelegenheiten Eberhards rerdicn^
worauf unser Verfasser nur gelegentlieh, nasMitlidi
S. 81 bei den Ankäufen desselbm nach d^ FiiedeB
1316, Rfioksicht nimmt« Denn sicher gehört nnlfs al-
len Seiten dieses Mannes diele mit zu den Blerkw8^
digsten , dafs er , der sein ganzes Leben hindarch ia
stete kostspielige Fehden verwickelt^ ^ar, dureh eim
solche' Masse von Erwerbungen sein Land unaullA^
lieh vergröfsem und überall mit baarem Gelde laiika
konnte. Es ist dies jedenfalls nieht nur eb ZaspiDi
für die Güte des Landes, sondern eben sowel auehür
Eberhards ausgezeichnete staatswirtbsohaftlidie Tli»'
tigkeit.
Der letzte (35.) Abschnitt ^^die altM Ulrieiie oai
Eberharde" schliefst mit dem Gedanken» dab ohne db
Grafen Ulrich mit d«n Daumen, Graf Eberbaid dia
Erlauchten, Graf Ulrich IIL, Graf Eberhard den <M
ner — Vater, Sohn, Enkel und Urenkel — an «nb
wQrtembergischen. Staat nicht zu denken wäre. «Sie
warCm die Grundlage und wurden die Väffcr deeaelbca;
und von ihnen stammt in gerader, nie untwbro^iaei
Mannslinie das Königliehe Haus WQrlembeig/
Dr. Georg Lange, in Weins«
JiS 61.
J a h r b fi
u r
.1
eher
wissenschaftliche Kritik.
April 1840-
XXXVII.
System der Pkysiohgie ron Dr. C. O. Carus.
JSrster Theil 1838. Zweiter Thi^il 1S39. Dres-
den und Leipzig bei Fleischer.
Dieses Werk ist bereits Ton einem andern Beur-
theiler in diesen Jalirbuehem angezeigt worden. Aber
«B ist so reichhaltig an neuen und nicht selten glQcIcli-
riien Gedanken ^ dafs eine zweite Anzeige nicht ganz
tibeiAtt£rfg seheiiit. Man glaubt zwar mit dem Verf.
beim ersten Blicke durchaus uneinig zu sein, aber venn
man die mahlerische Darstellung desselben auf eine be-
0tinttttte bringt, so findet man sich mit ihm meistens
einverstanden, und die zuerst entstandene Unzufrieden-
heit, verwandelt sich in Beifall.^ Dazu kommt noch ein
Umstand. Der Verf. hat, wie fast alle deutschen Phy-
siologen, eine wahre Gespeiisterfurcht vor der Physik
und besonders der Mechanik, so dafs er sich immerfort
bestrebt AusdrOcke zu finden, die eine Entfernung von
mechanisehen Erklärungen anzeigen sollen; sp ist vom
Leben des Gefäfssystems^ Ton den Lebenserscheinungen
des Dickdarms u. dgl. m. die Rede, wo der Ausdruck
Leben höchst unbestimmt, und ganz ttberflufsig ist, da
die Physiologie nur vom Leben handelt. In Deutsch-
land ut es gar nicht nothig die Naturforscher von me-
chanischen Erklärungen abzulenken, vielmehr von der
Sucht die Gegenstande mit einem idealischen Spinnge-
webe zu überspbmen, Welches bald ein anderer Physio-
loge wegbläst, um ein neues Netz, auszubreiten. In
Frankreich ist die Sache anders, aber den französi-
schen Naturforschern muls man bestimmt zeigen, wohin
sie ibre Sucht führt, mechaniscbe Erklärungen zu ge-
ben. Der Yerf. • wünscht sogar, indem er von der
Stimme im zweiten Theile^redet, dafs man eine mecha-
nische Physiologie zusammenstellen möge, wobei man
sieht, \rie grofs. sein Eifer für Wahrheit ut, indem
sein Hafs des Mecbaniieben ihn hier verliUst. An vie*
Jahrb. /. wUunteh. Kritik^ /. 1840. I. Bd.
len Stellen in der Pliysiologie kann man gar wohl mit
der Mechanik 'anfangen, denn die meisten Leliren der-
selben stellen fest genug, wie die Lehren vom Hebel,
Fall der Körper, Gleichgewicht der tropfbaren Körper
u. a. m., nur mufs man die Grenze nicht übersehen,
über die keine Mechanik reicht Doch wir wollen .uns
bei diesen Nebensachen nicht aufhalten, und sogleich
zu dem Begriff vom Leben übergehen, welcher der gan-
zen Physiologie zum Grunde liegt. Der Verf. findet
in dem Act, den wir Leben nennen,' zwei Momente,
als unerläfsliche Bedingungen, zuerst nämlich eine 'bald
gröfsere, bald kleinere Menge verschiedener Zustände
in bald langsamem bal4 schnellem^ Wcfchsel, dann, da(s
alle j^ue Zustände, alle jene Mannigfaltigkeit nicht
verschiedenen Wesen angehören, sondern dafs sie Zur
stände eines alle jene Mannigfaltigkeit bedingenden und
verknüpfenden' Wesens, einer Einheit sind. Sehr rich-
tig $ aber es läfst sich bestimmter fassen. An jedem
Dinge unterscheiden wir ein Inneres und ein Aeufse- ,
res. Jenes ist die vom Verf. geforderte Einheit, wel-
che die Mannigfaltigkeit verknüpft, in dem Aeufsem
kann nur eine bald kleinere bald gröfsere Menge ver^
schiedener Zustände in bald langsam^^rm, bald sclinellerm
Wechsel Statt finden. Zustände im Wechsel sind Ver-
änderungen, iind äufsere Veränderung ist Bewegung«
Wir haben also die höchst einfache Definition: Leben
eines Körpers ist Bewegung, die von dem Innern des-,
selben abhängt. Im Gegentheil, hängt die Bewegung
eines Körpers ganz vom äufsern Körper ab,.so nennen
wir ihn leblos. Es kommt hier nicht darauf an, ob es
leblose Körper giebt, es ist hier nur um den Begriff zu
thun. Der VerT. sagt selbst weiter unten ganz richtig,
die Bewegung sei eine primitive Eigenschaft und ein
wesentliches Kennzeichen alles Xebendigen, nur mufs
hinzugesetzt werden, sofern sie von dem Lebendigen
selbst abhängt. Ein Mensch, Tvelcher fällt, ist in die-
ser Bücksicht leblos, wenn er sich diircli Anstrengung
61
483 Caru9^ Systim
Tom Falle rettet, ist er lebendig«« Wir wollen dem
Verf. gern sngeben, dafs der Begriif von absoluter
Ruhe von allem Organischen, upd sonacli (?) vqn aller
'WekeMcheiniing überhaupt, ausgeschlessen bleibe, nur
wollen wir die relative Ruhe nicht vergessen« Was
der Yerf. (allerdings nur in einer Anmerkung) voa
den verschiedenen Philosophieen sagt, und von der im
reinen Sinne theosophischen, welche im Erfassen der
Urbilder, Platonischer Ideen bestehen soll, und welche
allen andern vorgezogen wird, mag er vor der Philoso-
phie verantworten. Die Idee könne nicht an sich er-
scheinen, sondern nur an Etwas von der Idee verschie-
denem Seienden, einem Sein, welclies an sich gestalllos
durch die Idee erst wirklicii werde. Das , wird dem
T^rf. kein Philosoph aufs Wort glauben. Dieses Sein
liennt der Verf. (nach Oken) Aether. Die Idee, fährt
er fort, könne nur am 'Aether cur Bxisten; kommen
und der Aether nur, indem er durch die Idee polari-
sirt werde, zur Erscheinung als ein Wirkliches gelan-
ge. Wie kann ein blofs ' äufseres Verhältnifs, was
nur auf quantitative Unterschiede führt, wie die Po-
larisation, etwas zur Erscheinung bringen! "VV^ie kann
man die Idee so beschrähken, dafs man ihr ein so ein-
fael^es Geschäft giebt, wie das Polarisiren! Der Yerf.
hat sich von einer Naturphilosophie verführen lassen,
die AU^s nur auf quantitative Unterschiede bringt. Mit
Recht tadelt der Terf. den Gegensatz von Materie und
Kraft, aber die einfache Folgerung, dafs Kraft von Ma-
terie nicht verschieden sei, übergebt er um zu sagen,
die Kraft sei Nichts. Dieses .bringt ihn um ein treff-
liches Wort, verschieden erscheinende Thätigkeiteh auf
Kräfte oder Grandthätigkeiten^ zurückzuführen. Nach-
dem der Verf. diejenigen getadelt, welche einigen Or-
ganislnen die Lebendigkeit abgesprochen und dafür in
ihnen eine todte Kraft angenommen, nachdem man un*
willig auf ihn geworden, dab er bei dieser Untersu-
chung nicht einmal die neuere Philosophie gehörig
kennt, dio doch immer in seinen philosophischen Nebeln
durchscheint, viel weniger die Physik, die man doch
beachten mufs, trifft man auf einen sehr treffenden
und lichten Gedanken, nämlich dea Uutecschied des ma-
nifesten und latenten Lebens« Der Verf. hat diesen
Gedanken schon früher geäufsert, und dafür so wie hier
als Beweise den Macrobiotus von Schnitze angeführt,
ferner die Lebenshemmung, welche Tiiiereier und Pflan-
zensanien erfahren, und was man an Krankheitskeimen
difr Pkynolögie. 481
beobachtet. Gewifs* ist es, daJGs dieThiereier unlPflaa.
zensamen die treffendsten Beweise dafür geben, lo dsb
wir den zweifelhaften Macrobiotus und die msaehei
Einwürfen lausgesetzten Krankheitskeime übersebei
können. Die Folgen dieses Unterschiedet smd suIm^
ordentlich grofs und verbreiten sich über einen grotwi
Theil der Physiologie. Das Leben kann nicht au ei-
nem Korper in den andern übergehn; es ist tdion
darin, aber verborgen, und wird erst in der Betrnd*
tung geweckt, worauf es dann fortfahrt sich zu äa&erB,
oder zufällig eine Hemmung wiederuiii erfährt, mt ik
Eier der Vögel und anderer Thiere und die Samen der
Pflanzen. Auch zeigt sich hier sogleich ein tJnte^
terschied zwischen Leben und Leblosigkeit. Die Kräl^
welche die Materie constituiren, die anziehende vndii
zuriickstofsende Kraft wirken immerfort, auch weonaii
gehemmt werden in ihren Aeufserungen, sie ziehsn bo>
ständig andere Körper an, auch wenn diese zviüdcge»
halten werden und nicht folgen, sie stofsen bcstisd^
zurück, auch wenn sie die Körper nicht forttreibe^
sie sind leblose Kräfte, aber das Leben, oder dimr
Inbegriff von Thätigkeiten und Kräften ^ die im Leb«
zur Einheit kommen , äufsert^ sich In jenem latentii
Zustande durchaus nicl^t, es ist und bleibt verborge^
bis es geweckt wird. - Erbhrungsmäfsig kann diese £^
weckung des Lebens nur in einigen Körpern genb»
hen, in solchen die aus Sauerstoff, Stickstoff, Walle^
Stoff und Sauerstoff zusammengesetzt sind, aber danm
wollen wir jenes latente Leben nicht andern Koipen
absprechen ; e^ hindert uns nicht anzunehmen, dab
überall Leben verborgen sei. — Der Verf. hat du
Wort nach dem Worte latente Wä^rme gebitdet, gast
zweckmäfsig, obwohl die Wärme, auch latent, ünsMr
durch eine äuCsere Anziehung gebunden wird, fol|lidi
immer wirkt und also zu den leblosen Körpern st
rechnen ist, da man hingegen an dem mhendon Eeinf,
nicht den geringsten Grund findet, eipe Hemmung diirdi
äufsere Wirkungen anzunehmen, ander« nämlich, sk
dafs diesem ruhendem Keime die Mittel entzogen we^
den, sieh zu äufsern. Bei den ruhenden leblosen K&r*
pern hemmt ein positives HindemiTs, 4>et den seblafeB*
den lebenden aber ein negatives. Befriedigt hisdnrdi
wollen wir schnell darüber weggehen, was der Vett
von dem kosmischen, dem tellurisehen und dem epiiel»
lurischen Leben sagt. Es sind geistvolle Ansichten, aber
es kann solcher geistvollen Ansichten noeh gar viele (i*
ke«y imd M kmuBL M gAr leicht ta viele geben in Wie-
■emchftfleni wo wir gewohnt sind, die Wahrheit der
Natur SU suelien, die vne nieht durch die Wahrheit dee
Gmimakmia ereetst wird. Auch von dem, was der *¥£•
Aber das Leben der Menechheit sagt, läfst sich das-
selbe sagen» Die Mensehenstftmme müsse man, meint
isr> mit Naehweisung eines hohem Grundes bestimmen,
Süd dem sufolge theilt er die Mensehen in Tag- und
NaeiH*MMischen, Europäer und Neger, und in Morgen-
mkl Abenddammerungs - Mensehen, Mongolen, Malayen,
ÜMMlostaner and Amerilcaner. Wir wollen nicht rü-
fS^iOy dafs die Zusammenstellung der Mongolen mit den
Halayien und Hindostanem eine ganz falsche ist, und
fragen nur: Warum theilt er die Menschen nicht in
sieben Stämme, nach den sieben Wochentagen, den
Tagen einer Hondsphase, f Oder noch besser in Sauer*
steff- Menschen, Wasserstoff • M. , iCoblenstoff - M., und
Stickstoff-Menschen t Dab die Neger. Kohlenstoff-Men-
acben aind, fällt in die Augen, und die übrigen werden
sieh aehon fugen müssen. 0er beliebten Zahl Yier su
Gefallen, trenpt der Verf. den Menschen als ein eige*
nmB Naturreich von den übrigen Naturreichen» Er meint,
siaaiand wurde^ wenn er den hohen Kreis eines edlen,
geaeUigen, durch Künste und Wissenschaft geschmück-
ten Ijabens sieh vorstellt, bei dem Zusammenleben ge-
Uldater Personen an Thierheit denken. Auch nieht auf
einer Hoebseitt — Der Verf. kommt hierauf sur Ent-
steh iipg des Menschen, und nun ist er vorzüglich in sei-
nen Fache. Der Mensch entsteht, sagt er, als ein nur
nikroskopiscbes, nicht mit blofsem Auge erkennbares,
eiaCoflfige UrbQdtfngsflüssigkeit einschliebendes Eibläs-^
dien von rein sphärischer Gestalt. Dieser Sats ist
dureh die Forschungen von Prevost und Dumas, vor*
aOglicli aber durch v. Bär, Purkiuje und Valentin fest-
matellt. Sinnreich und treffend seut der Verf. hinzu:
Dsis £lblischen entsteht fwar nicht selbst durch Her«
vorwachsen aus der Zellenwand des Eierstocks, sondern
BttCtelst einer dnreh neue frei in Eiflüssigkeit erfolgende
Oeriiinung oder KrystalllMition ; allein diese Bildung
vriwl, wie durch ein Vorbild oder eine Matrix, bedingt
d«i«h oine dem Ovarium angehorige und aus ihm her^
vorgegangene Blasenbildung, die des calyx oder foUicu.
lue« Bor Mensch und so das, Thier mufs folglich als
ein in sich Neugebildetes betrachtet werden. Bei den
Pfiaasen, meint der Verfasser, scheine das Eibläsehen,
seinen eigenen Untersuchungen sufolge, mehr eine
fortgebildete Zelle der Mutterpflanse, als ein Neu»
gebildetes. Referent glaubt aber, ebenfalls nach ei*
genen Untersuchungen, dals es hier, wie im Thier*
reiche sugehe. Die erste Lebensform des Menschen
erscheint als ein aus dem Urbläschen, "Dotterbläscben
und Chorion bestehendes Ei, dessen Durchmesser den '
eines menschlichen Blutkörperchens etwa um das 12
bis 14fache übertrifft, nach den Messungen des Verf.
EU einem Blutkörperchen sich verhalt wie 360 : 12. ^
Eine Reihe von 10 bis 40 Jahren liegen diese Bläschen,
die Keime künftiger Menschen, in einem latenten LfC-
ben, ohne eine bedeutende Veränderung zu erleiden,
denn schon früher hat der Verf. gezeigt, dafs im Kinde
das Ei bald nach der Geburt sich schon eben so ver»» '
hält, wie Im mannbaren Vl^eibe. Durch die Geschlechts«
Vereinigung, durch die Befruchtung, wird erst das la-
tente Leben ein offenbares! Die Entwickelung des Eies
wird nun von dem Verf. vortrefflich dargestellt, und
durch in den Text eingedruckte Holzschnitte erläutert.
Ueber das bekannte Gesetz, dafs der Mensch in seinem
Fötalleben die {Uasseii niederer Thiere durchlaufen
müsse, drückt sich der Verf. sehr behutsam aus. Der
Fötalmensch, sagt er, mufs, indem er als Ganzes sich
ausbildet, und als Embryo sich sur menschlidien Bxi*
stenz verbereitet, mehrere Umbildungen yoUenden, wel«
che, dieweil alle durchzubildenden Zustände niedriger
sind, nothwendig an tiefere Stufen epituUurischer und
namentlich thierischer Organismen vielfaltig erinnern,
und dieselben im gewissen Sinne wiederhohlen. Es
liegt abo nach dem, was hier der Verf. sagt, doch in
^ dem Zwecke der Natur, im Durchgange durch die Thier-
heit Menschen zu bilden, und es wurde daher zu em*.
pfehlen seht, die Thierformen aufzusuchen, wovon
durchaus keine Spur im Menschenfötus vorkommt, in«
dem man diese ab. Ausschweifungen der Natur, ab
. Abweichungen vom rechten Wege, betrachten könnte*
Bei der Ernährung des Fotalmienschen kommt der VerL
auf Dutroehet's Endosmose und Exosmose, die er für
ein Ur-Phänomen hält. Dieses scheint uns ein' zu ra*
scher Schlufs, noch mehr aber, wenn der Verf. vom
Schaffen neuer Substanzen redet, und sagt, man könne
dieses am volbtändigsten wahrnehmen, wenn man Erb-
sen und Bohnen unter eine Glasglocke, abgeschlossen
von der Luft, in destillirtem Wasser wachsen lasser
lacge Keime würden sieh entwickeln, und in ihnen viel
Kohlenstoff, Kalium u. s. w., welche in kleiner Menge
487
nur im Samen waren« Nein, so rasch geht daa nieht ;
«ans Ton der Luft abgeschlossen, mit luftleerem Was^
ser benetste Keime wachi^/^n nicht. Es ist so viel fiber
diesen Gegenstand versudit und geschrieben worden,
«lafs der Verf. den Satz nicht so geradehin stellen
konnte. Wir müssen fibergehen, was der Verf. voa
dem Yerhältnirs der Organe su einander, von der Me^
tamorphose, der chronologischen, wie er sie nennt, und
der synchronistischen sagt, wie jedes Organ eine Wie-
derholung des andern und endlich des ersten, des Ei-
bläsohens sei. In Allem, was hier der Verf. sagt, liegt
so viel tief Aufgefabtes, dafs sein Buch, wenn es auch
nicht zum Betfalt zwingt, doch eine Fülle von Gedan-
ken erregt. Weiter geht der Yerf. fort zum Yerhält-
lüGs des Mensdien zum Menschen und zur äursern Na*
tur, zU den Lebensperioden, zu den Lebensstörungen
und zum Sterben desselben. Allenthalben, . wo der Verf.
in den Grenzen der Physiologie bleibt, folgt man ihm
gern und willig, unwillig aber wird man, wo er in die
Physik und Geologie übergeht, oder wo er den Makro-
kosmos' herbeiruft. So spricht er von dem Druck der
Atmosphäre als unbedeutend in seiner Wirkung auf den
organischen Körper, ohne zu bedenken , dafs die Wir-
kung bedeutend Hein mufs , wenn die im Blut und an-
dem Säften enthaltene Luft beim Fallen des Barometers
sich auszudehnen und zu entwickeln strebt. So meint
er, jeder Organismus habe seine eigenthGmliche Wärme,
auch die Erde in ihrem Erdenleben. Warum das erste,
und woher «reifs der Verf. das zweite! Die Erde kann
ja im Innern glühend sein, einen Periodismus des Ver»
{»rennens im Innern haben, was wissen wir ! Ein höchst
sonderbares Reden ist das vom Makrokosmos über*
haiipt, wir kennen davon einige höchst einfache, voll-
kommen zu berechnende Bewegungen der Himmelskör-
per, die ebenfalls einfache Gestalt einiger weniger sol-
CaruM^ System der PAjfeiehgie.
486
zwar von der Bildung und WiederauflSsmig organi.
scher Substanz, wie sie ah jedem Punkte des MBMb
liehen Organismus aus parenoiiymatAser Orbüdungiflii.
sigkeit von Statten geht, und von den ersten, allgeaiii
verbreiteten Concentrationen dieser FlQssigkeh su fett
und Zellstoff. Reiner Eistoff, sagt der Verf., bt ch
Ideal, welcher als solcher nirgends vorkommt, deoniii*
mer mufste er natürlich da, wo wir ihn etwa imlk»
tersuchung auswählen, zuvor schon in irgend Btwu
differentürt sein, indem er nicht zu .denken wive, dne
der Idee irgend eines besondern Organismus zu ttmen,
d. i. schon ein bestimmt «- wenn auch noch so feil-
modificirter Eistoff zu sein. Also der Eistoff i|t eil
einfacher Körper, nach der Vorstellung des Verf. Aket
warum? Uafs Leben in irgend einem Stoffe,* wotia«
rulite, erregt H'erden kann, ist die Lehre des Veit,
welcher Referent seinen vollen Beifall giebt, dais akr
dieses In einer Monade erregte Leben sogleidi ia n*
dern Monaden weiter Leben erregen mufs, wenn mk
in eine^n geringern Grade, zeigt die ganze Bttdong in
organischen Körpers, und eben so, dafs sieb das L^
ben nicht in allen Korpern erregen lasse , wenigitiM,
dafs dieses sehr schwer »el Wenn nun also ia des
Kohlenstoffe, oder wo es sein mag, des Eiwellses Le>
ben erregt wird, so müssen die leicht zum Lekea «^
regbaren andern Stoffe desselben nahe sein, ohnewdcli«
das Leben nicht zu einem organisch bildendea Lehn
werden kann^ Das ideaiische Eiwets ist also sar eil
fantastisches. Der Verf. sagt 8. 13 Anm. : „Die HiT*
siologie mu£s es sehr empfinden, dals die Ciitaiiefli
immer noch abgelehnt bat, eine Naturgeseliieto tbr
Elemente zu werden, in dem Sinne,- die Entwickdaig
derselben kennen zu lernen, und immer noch weMfr
lieh „Scheidekunst** geblieben ist ^ es fehlen uns dabr
noch insbesondere darüber genaue wissenschafdiek
eher Körper, und ihr Leuchten. Das ist Alles ! Weit • Untersuchungen, wie mehrere heterogene Elemente «a
erhabner als dieses ist das Winden des kleinsten Wur-
mes Im Staube und in das Innerste und Kleinste kehrt
die Unendlichkeit ei«.
In dem zweiten Theile handelt der Verf. zuerst
Ton der Sphäre des Bildungslebens im Menschen, und
einem urspriinglich Homogenen hervorgehen kiaan»
— Die Physiologie hat einstweilen auch hierüber IW-
saohen gesammelt, und insbesondere hat auch in dicüf
Beziehung die Geschichte der Entwiokelung des Ekf
manches Wichtige geliefert.
^er Beschluß folgt)
c^ 62.
Jahrbuch
e r
für
w^ i s s e n s c h a f 1 1 i c h e Kritik«
April 1840.
m
Sjfstem der Physiologie von Dr. C. O. Carus.
(Schlafs.)
„Am Hühnerei htt man niipUch mit Bestimmtheit
gesehen, dafs wenn das unbebrutete Ei in sömem al-
lerdings schon .sehr differenten Eistoff einen höchst
unbedeutenden Antheil an Calcium xeigt (nach Ber-
selius Chemie übersetzt y. Wdhier B. 4. S. 547 ent-
halt der Eistoff vor der Bebrotung nur 0,98 Kalk*
erde), dagegen das Skelet de4 reifen Hühnchens im Ei
diese Menge Calcium sehr bedeutend gesteigert zeigt,
(nach den Tabellen a. a. O. bis 3,96 Kaliierde). Eben
so findet sich beim, in reinem Wasser sich entifvickeln-
den Froscbei eine ähnliche Kalkentstehung und glei-
cherweise ist bekannt, wie auffallend deutlich jedes
aufkeimende Samenkorn Kohlenstoff und Kalium neu-
kUdet — Haben wir nun einmal erkannt, die Forlbil.
düng eines jeglichen Organismus wiederhohle nur im-
mer-?on neuem seine erste Erzeugung und müssen wir
uns. durchaus davon überzeugen, dafs, was auch an
Yersehiedenen Theilen in unserm Organismus gebildet
w«rde, nothwendig allemal aus jenem Urstoff — Ei-
stoff — hervorgehen, durch Differenziirung aus ibm
eich etttwickeln müsse, so dürfen wir wohl sagen, daTs
ib dieser Beziehung die Physiologie der Chemie um
einen groben Schritt voraus sei ntfd dürfen letztere
•inladen, ihrerseits diese Metamorphose der Stoffe selbst
sorgfältiger zu beachten, welches jedoch kaum anders
als dann wird geschehen können, wenn sie sieh erst
Ton der wesentlichen Eiberleiheit des sogenannten Phy*
alkalischen und Organischen überzeugt haben wird."
E« war nöthig die ganze Stelle hierher zu setzen, weil
ger Terfasser darin ungewöhnlich dogmatisch .ver/ährt.
Nicht Berzelius, sondern Prout sagt a. a. O. „Wenn
siber die Erde (die Kalkerde) nicht von der Schale
(des Eies) kommt, so müfste sie aus andern Bestand-
durch den LebepsproceEs zusammengesetzt wer-
Jakrh. f. wUientck, Kritik. J. 1840. I. Bd.
den. Diefs dürfte aber bei dem gegenwärtigen Stand
der Wissenschaft eben so wenig behauptet werden,
und es ist daher gegenwärtig unmöglich, mit Sicherheit
zu entscheiden, wolier die Erde in dem Skelet des jun-
gen Vogels kommt." So redet ein besonnräer Natur«
forscher». 'Wahrh'ch die Chemiker haben sich grofse^
Mühe gegeben, auszumachen,' ob die chemischen Stoffe,
welche wir in den Pflanzen finden, durch die Vegeta-
tion erst erzeugt werden, oder nicht, wie schon oben
gesagt wurdcL Dem Verf. sind sie unbekannt, sonst
würde er nidht $o< geradehin die Erzeugung behauptet
haben. Etwas Bestimmtes ist noch, nicht ansgemJacht
Chemische Untersuchungen über die Entstehung der
Kalkerde im Küchlein sind so leicht nicht, als der Vf.
sich einbildet, und sie müssen nach Prout wiederholt
werden. Nur durch Zusammensetzung und Trennung
lasset! sich Metamorphosen der Stoffe 'denken, Ver-
wandlungen wie in Feenmährcben kennt die Wissen-
schaft nicht. Fast ist es lächerlich, wenn der Verf.
sagt,- die Physiblogie sei der Chemie vorgeeilt. DaTs
die Annahme des Eistoffs als Urstoff sehr wUlkürlich
wd nicht nothwendig «ei,, ist oben gezeigt worden.
Die wesentliche Einerleiheit des Physischen und Or-
gantschen ist ein Wortspiel. Die Chemie könnte die
ihr hier gegebenen Weisungen mit Recht und Bitter-
keit erwiedern. — Von dem Leben des Gefäfssystems
sagt der Verf. viel Treffendes und Sinnreiches, doch
scheint ,er gar zu viel auf Elektricität und Electro-
Magnetismus zu rechnen. Es würde zu weit führen
hierüber umständlicher zu reden, eben so über das, was
er vom Athemholen Mi^d zugldcii von der Stimme sagt,
worin viel Treffendes sich findet, wo man aber sich
wundern mufs, wenn er von den chemische]^ Theorien
des Athemholens als vcm Hypothesen redet, indem er
einen noch weit mehr hypothetischen Nahrungsprocefi
im Blute annimmt, gestützt auf einige wenige nidit
duffcbgefühnte mikroskopische Untersuchungen über die
62
491
Knapp y evong9li$cker LiederseAatx.
Gabruiig. Auch in dem Abschnitte über die Abeon-
•derungen Icommt der Verf^ auf diesen Gähnrngsprocefs
nicht selten surück. Den zweiten Band schliefst die
Lehre t^on dev Verdauung, wobei ebenfalls die Hy-
polbese von der Indiffereneürung des Nabrungsstoffes
zum Grunde liegt. In beiden Hypothesen des Verf.,
denn mehr sind sie nicht, ist sehr viel itichtiges, wel-
ches sich wohl von dem Hypothetischen trennen llefse.
Referent gesteht zum Schlüsse sehr gern, dafs ihm seit
langer Zeit kein Buch so viel Gedanken erregt, und
so ideenreioh erschienen ist, als dieses. Aber die Idee
tritt in der Naturkunde mit der Realität verbunden als
Wahrheit .auf Und hier stellt sie abgesondert da, wie
man auf aken GemäUen den Personen die Worte ge«*
aehrieben aus dem Munde gehen liels. An einer Stelle,
aber doch nur an einer Stelle, bedient sich der Yerf.
einer Darstellung nach thesis, antithesia^ synthesis, dem
allgemeinen Verfahren des Verstandes in jedem Den*
ken. Wie kann ein gesehmackvoUer Mann so etwas
thun! Man mufs hier auch KleinigkeiteA rügen, der
Nachahmer, wegen.
Link.
XXXVHL
Evangelischer Liederschatz für Kirche und
Haus. Eine Sammlung geistlicher Lieder aus
allen christlichen Jahrhunderten j gesammelt
und nach den Bedürfnisten unserer Zeit be-
arbeitet i^an M. Albert Knapp y Diacanus an
der HospittBlkirche in Stuttgart. Erster Band
XLII u. 6S2 8. Zweiter Band 912 iS. Statt-
gart und Tübingen y 1837. Verlag der J. O.
-Ootta*schen Buchhandlung.
V
Die christliche Hymnologie kann man als eine
wirdende Wissenschaft beeeichnen, die sich ihren Ort
sucht unter den einseinen (faeologiscben Disdplinen,
Ihr Recht in der Reihenfolge der akademischen Vorle'^
aungen, ihre PAeger unter Theologen und christlieh ge»
bildeten Laien • Die Pfleger dieser werdenden Wissen^
■ehaft fangen an, sich einzustellen \ ihr Ort in der Theo-
logie wird'leieht gefunden sein; am dringendsten wäre
^eU SU wftnschen, dafs sie im Cfkkis der ak^emi«
sehen Vorlesungen su ihrepn Rechte kommen mdcbfe.
Heber das Niebelungenlied, oder aber ilalilmisehe and
492
Iranische Romanzen, auch wohl sogar fiber faidisehe
Hymnen und chinesische Lieder kann man auf unseren
deutschen Universitäten Vorlesungen boren, schwerlich
aber über das heimische Kirchenlied. Man bat bis jetil
den Ausbau dieses so wicluigen Feldes aufser den f if-
digern den gebildeten Laien überlassen.
Die Anfange der christlichen Hymnologie und g^
geben in einigen ausgezeichneten Schriften, namentliek
von Arndt, Langbecker, Stier, von Winterfeld u. 5.w^
80 wie in einigen Vorreden, welche in Yerbbdnnf jut
neueren Liedersammlungen erschienen, unter denen vor
allen die Vorrede von Bunsen mit der unsres Verfassen
Bu nennen sind, zuletzt in einem ganz ausgezeithnetei
Aufsatze im zw^ten Hefte der deutschen Vierte^ahi»
Schrift betitelt „die Gesangbnchsreform" (von Gritaei»
sen). Auf dem Gebiete der hymnologischen Sanrndttfr
gen für die Bedürfnisse des kirchlichen, häuslichen unl
individuellen Christenlebens herrscht aber noch eine k6
deutende Verwirrung. Diese Yerwirrung hat tkeib
ihren Grund in der Unklarheit, womit man den Lia^
dersehatz selber betrachtet, theils in der UalLlarheif;
womit die Sammlungen gemacht werden, ohnedabsitt
scharf bestimmte Zwecke vor Augen hat. 9(an ^riek
mit grofser Ehrfurcht von einem Liederschätze von etwl
eO bis 80,000 Kirchenliedern, den die deutsche NstiM
besitzen soll. Von diesem Walde bandelt sich's; luui
kann ihn vor lauter Bäumen, nicht selien. Es ilteis
fabelhafter, kirchlicher Nibelungenhort, schwer hefsis*
zufinden aus <}er unendlichen Verwirrung, weiche ik
Sammlungen, Ueberarbeitungen und Umarbeitungen toi
den verschiedensten Standpunkten- aus, anricbfea Bi^
rum bt es auch ein wahrhaft ritterliche UntemebsMi^
wenn sich jemand anheischig macht, den ganzen, ^
sentlichen Schatz aus seiner Verborgenheit und Vc^
zaubemng in schlechten Bearbeitungen hervonttziehes^
und manchem Ritter kann es fehlschlagen bei te
wackersten Muthe. Das etste Bedürfnifs zur AvCb^
düng des wesentlichen Hortes wird wohl ein ntgallrel
sein^ mSssen , kritische Herabstinunung der maafsldin'
YorsCellung von der maalsunhaften Grofse des Sebstsea
Auir diese Führte sollten sich tiie Qppigen fcritiicliei
Kräfte^ der deutscheir Theologie begeben. Die Bib^
gegen deren wahrhaft ioritische ßehlindlung wir Meff
nicht reden, hat gewifs in den alten Tagen sehen eine
grofse Kritik durcbgemaeht. Vielleicht hatten die IsfM-
Uten auch einen liyranolegischen Liedersehats von etiri
4M
Knap/f^ €¥aHg9lküktr M»üder$9kmim.
4M
M bb 50,000 Liedern; aker der Seiiets wurde gellob>.
tef, geläutert, und eo geWAimeft sie das auserwähltesle
G«$aBgbiieh der 150 Psaiiaeik Gerade so wurden die
4 Evangelien durch iehte Oeisfeskriiik herausgeholt als
4er wahre erangelisehe Hort ans dem Zauberwalde der
Apokryphen. Warum will man nun das kritiseh Feuer«-
fesCe inimer Yen neuem durchs Feuer hindurch vexireA
««— während hier so dicht Vor unsem Augen, so drln»>
gend für unser Bedftrfnirs ein unermefslicher Wald
üoch EU lichten ist? MScbte man einmal in diesem
Walde die kritische Axt schallen hören! Es thut ge-
^rifs noth. Wir werden nicht zu einem kirchlichen
NafioBalgesange kommen, so lange die Superstition, die
llfydie Ton dem Schatee der 80J000 Lieder noch fort-
dauert. Schon jetzt singen die Katholiken in vielen
Kirchen besser als in vielen evangelischen Kirchen ge«;
sungen wird, weil sie in ihrer seligen Liederarmuth
Zelt gewinnen ) einselne, wahre Lieder oft eu singen.
Wir haben dagegen grofse Mtihe, tms durch unsre gro-
faeti GesangbCkiher hindurch su singen; nichts wird
eingelebt und eingeübt; wir haben der Lieder zu viele.^
Und im Grande doch nicht zu yiei ; denn der Schatz ist
sttfln guten Theil nur eine Einbildung, ja selbst eine.
Belastung, eine Bedrückung und Verdunkelung des
ftehten Liederkems durch werthlose Reimereien. Auch
wir sind freilich der Meinung, dafs der Liedersehatz
der deutschen Nation eine grofse und einzige Gabe
GcFttes ist, dafs das deutsche GemOth in seiner Sinnig-
keit und Innigkeit berufen gewesen, und durch deA
€tetst Gottes gesegnet worden ist, dem Herrn Lieder
SU singen wie keine Nation. Nur die israelitische neh-
Inen wir davon atis, denn sie hat nach Maafsgabe ihres
nltlestamendichen Standpunktes das Höchste geleistet.
Bedenken wir, dafs die alttestamentliche Kirche nur in
der Ahnung und Yerheifsung des Evangeliums stehend
unter der Last des Gesetzes so viele hochaufjauchzende
ItfOblieder gesungen Jiat, so müssen wir mit Zuversicht
iehlieben, dafs d«r neutestameotlichen Kirche als der
Kirche der Erfüllung des Heils und der evangelischen
Frevde eine Zeit der Loblieder noch bevorsteht; denn
gerade in dieser Gattung, die ihr doeh so eigemhQm-
llch stfn mlfste , ist sie auffallend firmer als die alt-
teatnmentliche Kirche, während i^ire Fülle der ächte-
sten Kemlieder unter den Passionsliedem ^ und unter
denen,' welche eigne Nothstände besingen, unter den
Liedom des Vertrauens und der Ergebung zu finden
ist. Pas deutseho Yolk bat also ki seiner ' christlichen
«nd erangelisehen Riehtmig, tik der Gnadengabe, die
ihm nach seiner Eigenthümiichkeit, veriiehen ist, viele-
aehSne, tiefe und gewaltige, neutestamentliche Lieder
gesungen, welche seinen wesendlehen Liedersehatz biU
dea. Bs hat aber auch von den Tagen Hans Sachsena
an augleich die Auswüchse dieser Begabung reichlich
offenbart, Freude an gmstiger Duselei, Yielschreiberel,
Reimerei zum Zeitvertreib, und in anderen gemeineren
Regungen des beschaulichen Charakters« In Folge die-
ser Auswüchse ist ein grolser Wust entstanden, mit
dem man schnell fertig werden würde, wenn er rein
für sich stände auf dem Gebiete der Profanlitteratur,
der aber auf kirchlichem Gebiete von vom herein einen
greisen Respekt.geniefst, Veg<m seines frommen, kirchli-
ehen Inhaltes« Ist auch das Lied ohneille Individualitat,
keineswegs der Ausdruck einer tiefen, wahren, lyrischen
Stimmung, so mufs es auf diesem Gebiete doeh ein Lied
sein, weil es ein Kirchenlied ist. Wenn es nicht l3rriseh
ist, so ist es doch orthodox, und wenn es nicht ortho«-
dox ist, so ist es doch npeh moralisoh,- und es flimmert
irgend ein 8ilberschein guter Meinung in ihm, welcher
für seine Erhaltung und Bewahrung redet. Es ist keine
Frage, dafs die rücksichtslose Beseitigung und Ver-
werfung sohlechter, ungefühlter, orthodoxer oder doch
religiöser Reimereien im Interesse des Heiligen liegt;
und doch ist diese Kritik noch so selten, dafs sie ge^
irifs, wenn sie erst anfängt, aufzuräumen, sich auf den
YorwUrf der Impietät wird müssen gefafst halten, Tor-
ausgesetzt auch, was wir um des Gegenstandes willen
aufs Entschiedenste fordern , dafs sie mit aller Decena
zu Werke gehtr Trotz dieser Aussicht wird man daran
gehen müssen, wenn man den Vorwurf des Welken,
Geschwätzigen, Langweiligen von der cbrisllieben Lie-
derdichtung entfernen will. Man könn(e dabei in for-
meller Hinsicht gewisse Kriterien aufsjtellen, nach de-
nen einzelne Lieder von vorne herein in Verdacht ge«>
nommen wurden, nur aber blofs in Verdacht, nämlich
z. B. die Lieder, welche als Parodien weltlicher Klänge
z« betrachten sind^ die entschieden deklamatorischen
Lieder, die Lieder, welche sich durch alle Glaubens-
artikel hindurch bewegen, besonders die Refrainlieder,
welche sich oft mit einem einfachen Refrain nicht ein*
mal begnügen, sondern einen furchtbaren Klingkläng
durah ihren Doppelrefrain am Anfange und Ende der
Strophe hervorbringen. Die billigste Forderung an ein
495 Km^^ €ifan^
Kircbanlied bt Dtftnrlich v^aV diese, dab es ein Lki
sein müsse; nicht eine Reimere], sondern lyrischer Aus»
. druck einer bestimmten, gebotenen, sich mittheiienden
Stimmung. Es muOi aber als Kirchenlied ein Lied
sein, welches in seineih Ursprung, Inhalt und Ziel den
kirchlichen Geist hat, es mufs die Salbung haben von
Christo, welche das Wesen des kirchlichen Lebens
ausmacht Das dritte Erfordernifs ist alsdann dieses^
dafs es ein gutes, allgemein ansprechendes, bedeuten-
des Lied sei} denn denkbar wäre doch immerhin auch
das, dafs ein Lied lyrisch acht, und christlich gesalbt
sein könnte, ohne den Werth su haben, als ein Gut
der Kirche aufgehoben au werden. Geht man mit sol-
jchen Anforderungen, welche noch näher zu bestimmen
und zu entwickeln wären, in den Wald des grofsen
Liederschatzes hinein, so wird er sich gar bald bedeu«»
tend lichten. Mit dieser rieellen Arbeit wird dann der
leeren Mühe ein Ende gemacht, womit so manche Lie-
der immer von neuem umgearbeitet werden, die einmal
im' ersten Gufs und Entwurf verunglückt, oder matt
zu Stande gebracht, xu keiner langen Lebensdauer be-
atimmt sind. Yerbreitet sich aber erst Klarheit über
den liiederschatz, so Werken auch die Sammlungen mit
gröfserer Klarheit veranstaltet werden. Man wird dann
nicht vjBrschi^dene . Gesichtspunkte miteinander vermi-
schen, welche durchaus auseinander gehalten werden
niüssen, wenn die Verwirrung auf diesem Gebiete auf-
hören soll. Es ist ein dringendes Bedürfnifs, dafs die
Klarheit der Zweke bei der Entstehung der Lieder-
Sammlungen immer mehr hervortrete. Welche Bestim-
mung hat z. B. die übrigens trefifliche Sammlung:
„Versuch eines allgemeinen evangelischen Gesang- und
Gebetbuchs zum Kirehen- und Hausgebrauche. Ham-
burg, Perthes 1833?" Wurde sie wirklich irgendwo
zum kirchlichen Gesangbuch gemacht, so wäre sie mehr
als zur Hälfte überflüfsig; nämlich in der grofsen Par-
thie für die häusliche Andacht. Sollte aber einmal
das Bedürfnifs der Privaterbauung in ihr dominireu,
so hätte es d€t verschiedenen Abtheiluii^en mit Be-
rüclcsichtigung des öffentlichen. Gottesdienstes nicht be-
durft. Das Werk vereinigt zwei Tendenzen, welche
es nicht rein geschieden hat, welche die Gemeine all-
nrälig scheiden soll ; darum hat es' sich auch den be-
scheidenen Titel eines Yersuches gegeben, während
(Die Fortsetzung folgt)
4N
es in sanier kritischen Duffefaarbeitnng und in iq.
nen trefflichen Beilagen eine hervorragende Leittoog
und für andre, striktere Gesangbuchsbilduagea mt
grofse, förderliche Vorarbeit bleibt. Und nur als Tor.
arbeit, die allerdings zur Erbauung taiigUch ist, ü^g
es einem rein bestimmten Zwecke, obwohl die ErwaN
iung des Berausgebera, die Gemeine werde sich an
dieser Sammlung allnuUig ein eigentliches Gesangkuck
durch die Auswahl vermittelst des lebendigen GebnuMb
herausbilden, sich schwerlich sobald realisiren modite.
Wie lange kann die Gemeine unbedeutende' Liederndt
guten durcheinander gebrauchen, ohne die ScbelJug
zu vollziehen! Dafür ist ja. die Gabe, die Geister, aiek
die Geister der Lieder au prüfen und zu untecscheideii,
nur Einzelnen in der Gemeine anvertraut, der Genda
zum Dienst und zur Erbauung. Noch bedenkUel»
aber möchten wir fragen & wozu ist die vorliegeods
Sammlung von Knapp veranstaltet? Als urkuadlida
Liedersammlung kann sie nicht erscheinen; dafür ka
sie zu viele "Veränderungen. Als Anthologie kircU-
cher Lieder zur speziellen Erbauung sollte sie vidHiil*
telmäfsiges strenger ausgeschieden haben« Zum eigoK*
liehen Gesangbuch im engeren Sinne aber ist sie liei
zu ausgedehnt. Auch diese Sammlung wird mao dos*
nach vorherrschend als eine groGse Yorarbeit für leU^
fer bestimmte künftige Sammlungen zu betradtep ia*
ben; was schon daraus hervorgeht, dafs der Heransp-
ber selber eine kleinere Liedersammlung aus deradbei
zu machen beabsichtigt. In dieser . Vorarbeit hat der
Yerf. mit .grofser Mühe seine schönen Kräfte zumDiei-
ste der Kirche auf eine dankenswerthe Weise aap
wendet; allein wir müssen sehr besorgeu, dab dl
Tbeil dieser Mühe vergeblicli sein werde, weü die ok-
telmäfsigen und unbedeutenden Lieder, denen er «M
erfrischte Gestalt zu geben gesucht hat, mit weBigci
Ausnahmen ihrem ursprünglichen Geschick werdea fol*
gen müssen, wenn einmal eine ausgebildete Kritik auf
diesem Gebiete waltet. Werden nup die Samnüungea
nach schärfer bestimmten Zwecken angelegt, so rnock*
ten sich im Ganzen wohl drei Klassen derselben erga^
ben: 1) urkundliche Sammlungen ; 2) Anthologieenmcli
speziellen Standpunkten mit näher bezeichnete^, k^
stimmten Zwecken ; 3) Kürchengesangbüoher na
ren Sinne.
w 1 Ä s e n
J^ 63.
Jahrbücher
für
Schaft liehe
Kritik.
\ -
April 1840.
Evamgeligcher Liederschatz für Kirche und Baue.
JBme Sammlung geüthcher Lieder aus allen
chriitlichen Jahrhunderten j gesammelt und
nach den Bedärfniisen unserer Zeit bearbei'
tet von M. Albert Knapp.
(ForUetzong.)
Die urkundlichen Sammlungen miUiiten sich die
Darstellung und -Herstellung der ursprünglichen Tex»
te^ die Rettung derselben aus ihrer vielfachen Ver^
Wandlung zur Aufgabe machen. Ihnen millsten kriti-
sehe Arbeiten voran oder sur Seite gehen, in denen
die Grundsätse der Sammlung, die Rechenschaft über
das Ausgeschlolsne, so -wie über das Aufgenommene
g^egeben würde. So käme man allmttlig auf den re^*
aen Kern des gansen deutschen Liederschatzes, zu wel-
chem das Beste aller Zeiten und Zungen hinzuzufügen
sein würde. Man ersparte durch diese kritische Yor-
surbeit, wenn sie in diristlich ernster Haltung geleistet
würden den weniger strengen Liederfreunden die grolse
Noth — ^Gött selbst ist todt'' oder doch Aehnliches in
ig^eringeren Liedern Vielfach umzubessem» Man be-
seitigte auf eine gründliche Weise den paläologisohen
Gesdimack, der an Crellerts modemer Erscheinung
nicht vorbei will, sondern scheu in die ältere Vergan-
genheit zurücksetzt, um mit ihr abzusehlieisen. Allmä-
}ig würde dann so der volle Liederschatz zusammenge-
fafst, aus welchem die einzelnen Erbauungsbücher nach
den verschiedenen Bedurfnissen zu entnehmen wären.
Für theologisch und wissenschaftlich gebildete Chri-
sten würde indessen diese Sammlung selber das beste
Brbauungsbuch bleiben. In diese Kategorie würden
Sammlungen wie die von Rambach, der Berliner Lie-
derschatz und ähnliche gehören. Sehr wünschenswerth
wäre es, wenn die speziellen kritischen Operationen,
die veränderten Lesarten, unter den originalen Text
gesetzt würden. — Die Anthologieen wären nun
Jahrb. /. wi$$en$ch. KrUik. J. 1840. I. Bd.
Sammlungen von besondrer Auswahl nach positiven
Bedürfnissen berechtigter Standpunkte« SchulliederbO.»
eher — Hausgesangbücher, Liedersammlungen furMis»
sionsvereine, Sammlungen der ausgesuchtesten natio-
nalen Kirehenlieder, ohne Rücksicht auf spezielle prak-
tisch kirchliche Interessen, namentlich auch Vorar«
betten für künftige Stadien der Gesangbuchsemeue»
rung. Als eine solche Vorarbeit ut z. B. Bunsens
Gesangbuch für die jetzige Gesangbuchsemeuerung in
einem grofsen Theile von Norddeutschland zu spät ge-
kommen, und wird daher, wo erst jüngst neue. Ge^
sangbücher eingeführt waren, erst in der Folge, wenn
eine Erneuerung indizirt ist, kirchlich mit in Betracht
gezogen werden. Auf diesem Gebiet wird die grölste
Freiheit in der Yeränderung der Texte erlaubt sein
müssen, weil es sich theils um spezielle Bedürfnisse,
theils um Yorschläge handelt. Den eigentlichen Grund»
bestand der Gesangbücher im engeren Sinne müfsten
überall in Deutschland dieselben grofsen, nationalen
Kirchenlieder ausmachen, damit das ganze Volk durch
die gemeinsamen Grundtöne seines Bekenntnisses und
Glaubens sich seiner kirchlichen, evangelischen festli-
chen Gemeinschaft und Einheit immer mehr bewuEst
würde. Nach den besonderen Landesbedürfnissen wür-
den zu diesem Grundbestande nach der Seite des AU
terthums hin die unveräufserlichen, provinziellen Erb-
stücke, und nach der Seite der Gegenwart hin frische
Ansätze und Nachwüchse der heiligen Liederkunst
kommen, um der besonderen Yoriiebe für den alten so
wie der für den neuen Wein der geistlichen Form Ge-
nüge zu thun nach einer Aeufserung Christi. Ge-
wöhnlich behandelt man die erstere Yoriiebe mit äugst-«
lieber Rücksicht, die letztere mit einer gewissen Schno-
digkeit, während man beide in ihrem Uebermaab als
Verkehrtheiten zu bekämpfen, in ihrer Eüiseitigkeit als
Schwachheiten zu dulden, in ihrem frommen Sinn und
Beruf aber zu ehren und zu befriedigen hat. Wir ha-
63
499
Knapp ^ evangMibher lAedertchatx.
ben bereits gesagt, wefshalb es unis wüuscheiiswerth
scheint, dafs das Gesangbuch auf eine mäfsige Zahl
Ton Liedern reducirt bleibe. Die Gemeinen werden
mit den herriichen Hauptgesängen gar nicht recht ver*
traut, wenn die Auswahl zu grofs ist» namentlich so
lange Tiele Gebtiichen gar keine hymnologische Bil-
düng und Untersciheidungsgabe besitzen. Diese An-
sicht finden wir ganz bestätigt in dem erwähnten, treff-
lichen Aufsatze von Grüneisen. Derselbe sagt S. 1313
i,Mit 300 Liedern sind« die gottesdienstlichen Zwecke
«an etwa 10 Fest- und 50 Sonntagen des Jahres, und
dazu ungefähr 100 — 200 Wochen und Casualandach-
ten einer Gemeine reichlich bedacht. Ein schönes Lied
ist auch, zehnmal im Jahr gesungen, nicht zu oft ge-
sungen.** — Neben einem solchen Liederschatz wtiiisch-
ten wir freilich der evangelischen Kirche auch eine
Sammlung höherer kirchlicher Gesang- und Muslk-
stücke zum festlichen Gebrauch bei besonderen Gele-
genheilen und durch besondere Chöre. Es (»leibt im-
mer eine Schwäche der Gemeine, wenn sie sich die
höchsten 'Bluthen christlicher Hyranologie nicht aneig-
nen kann — ein ängstlicher, trüber Rigorismus, wenn
sie sich dieselben nicht aneignen m^. Für die Aus-
wahl eines eigentlichen Liederschatzes ist schon viel
geschehen. Um keinen Preis aber mochten wir die
hohen Lieder des neuen Bundes, die mystisch tiefen,
sofern sie acht sind, und. keine krankhaften Auswüch-
se, aus dem kirchlichen Gesangbuch mit Stier beseiti-
gen, weil sie etwa fSr die meisten in der Gemeine zu
esoterisch gehalten scheinen. Der Gemeine gehört Al-
les an; das Beste jedenfalls. Dieses darf keineswe-
ges für höher geforderte Privatvereine zurückgehalten
werden. Freilich solche Lieder, welche von krankhaf-
ter Glaubensstimmung durchzogen .sind, gehören nir-
gendwo hin, weil ihnen keine wahre und gesunde
christliche Erfahrung entspricht. Für die zweckmäisi-
gen Yeränderungen der Lieder haben Bunsen, Knapp
und Stier viel — die beiden Lotteren vielleicht zu
viel gethan. Bunsen hat treffliche Grundsätze darüber
aufgestellt Seine beiden Hauptmaxknen möchten wir
in aller Kürze etwas modificirt also wiedergeben:
die Liedertexte sollen einerseits möglichst treu, andrer-
seits möglichst neu geliefert werden. Besonders aus-
führlich, befriedigend und lehrreich hat Grüneisen in
seinem Aufsatze über die Kegeln, nach welchen die
Yeränderungen der alten Lieder für das Bedürfnifs der
600
' Gegenwart vorzunehmen sind, geredet; bdem er leae
Hauptregeln nach den verschiedenen Perioden des eva.
gelischen Kirchenliedes, welche er mit scharfen, tref-
fenden Zügen charakterisirt^ in zweekmälsigen Mo-
difikationen darstellt. Man darf gewifs von ciaeal^t•l-
chen EinfluGs für das Würtembergische Gesangbidk
den besten Erfolg erwarten.
Der vorliegenden Liedersammlung von Knapp M
die günstigsten Erwartungen entgegen gekommen. Der
tiefgemüthliche, geistvolle ehristliciie Dichter lieb die
treffliche Sammlung, die angesehene Yerlagsiianümg
eine ausgezeichnete Ausstattung erwarten: Man «elr
es auch mit Freuden anerkennen, dafs sich beide bedeu-
tende Ansprüche auf den Dank des christlichen PnU-
kums erworben haben. Die Ausstattung des Werk«
ist ausgezeichnet, und der Preis im YerhältniCs Ssbeiit
billig. Was die Sammlung anlangt, so ist sie ia der
Th^t ein reicher Liederschatz, der in seinen ahenU^
dorn viele glüökliche, erfrischende Emendationen leo
dem Herausgeber erhalten hat. Er hat sie geschmiickt
mit einer begeisterten Yorfede, deren Schluls, ein E^
nus, abgesehen von der UeberfoUe des Ausdrucks, w^
haft festlich ist. Gewifs wird dieses Buch vielen Chri-
sten ein erwünschter Segen in ihren häuslichen Ai-
dachten werden, und als Yorarbeit wird es bei kfisM-
gen Redaktionen spezieller, bestimmter GesanglUldier
gute Dienste leisten. Bei alle dem sind die Erwartn-
gen, welche man hegte, nicht befriedigt worden, worlAtt
sich manche Stimme hat vernehmen lassen. Mannidrt
der Sammlung den Vorwurf, dafs etf ihr vielfadi li
kritischer Klarheit, Consequents und ZuverläbigWk
fehle. Die Inkorrektheit tritt selbst in den littenri-
schen Notizen, vrelche das Werk beschlieben, hemr.
Da ist der Dr. Hopfensack 2. B. Vorsteher einer &
Ziehungsanstalt in Düsseldorf, während er in derWn^
lichkeit Professor ist am Gymnasium zu Cleve, und eh
gewisser Jürgens, welcher von Amerika nach Deotick-
land als Prediger heimgekehrt war, tritt hier auf ab
Missionar in Westindien, welcher heimgekehrt bereift
in Norddeotschland gestorben ist. Doch es kann !■•
fällig sein, dals uns hier grade diese Dnriditfgkeäfli
aufgestofsen sind; die Controlle dieser kleinen Btogit'
phien mögen wir nicht übernehmen; sie zeugen jedes-
falls von grofsem Fleih und i^icher Liebe. Wendtt
wir uns jedoch zu dem Schlüssel der Sammlung^ ^
der Vorrede, so begegnet uns eine gewiMe Ungenau^
601
. »
802
iüit wieder» W«i dieTeii4eiiiE der Sammlung unlangt,
9» bat dar Harewgeber iwei 2waoke kombinirt Erst-
üeh walila er y^dea evani^liaefaen Chri«ten Deiitacblanda
aine reiche Auswahl der beaten christlichen Lieder su
kirahlidier und bäualicher Erbauung vorlegen, und swei-
ItBS den künftigen Bearbeitern kirchlicher Gesangbü-
dier einen m5glichst umfassenden Vorraih darbieten^
AUS welchem aie fernerhin die besten, kirehlichen Lie-.
^l«r answählen können." Beide Zwecke sldren einan-
4air. Die nothwendige Beschränkung des ersten in der
Auswahl lalst sich nicht wohl mit der nothwendigen
Aiisdehaung des zweiten vereinigen, wogegen fiir den
«eateren Zweck eine gröfsere Freiheit in der Yerände-
jnmg der Lieder lulärsig wäre, als fiir ^en zweiten«
Fiir die Ausfuhnmg seines Planes sucht der Herausge-
ber die erforderlichen Grundsätze zu ermitteln, indem
er mehrere Fragen aufstellt und beantwortet, zuerst
diase^ nWas ist. ein eigentliches Kirchenlied im enge-
fan Sinne f." Die Antwort lautet in den Grundzügen so :
•iii a^tes Kirchenlied mnfs dem Inhalte nach durch-
Avs •ekr^m&fiig^ und mit dem öffentlichen Bekennt-
fiifii der evangelischen Kirehe übereinstimmend sein;
.was die Form betrifil» . so mub dasselbe möglichst die
iaiafache Sprache der Bibel und der Kirche reden, und
w^Uer Zugabe dee nötkigfn dichterischen Elemenie^
jiopnlär, gemeinfalslich und eiafaeb, würdig und kurz
und körnicht sein." Merkwfirdig ist es, dab derDioh-
Aar eins der wesentlichen Requbite blofs in Parenthese
Jiafttltft, als Zugabe des ^^ihige»" dichterischen Ele-
sneptes bezeichnet» als ob dieses ErforderniTs der Poe-
MC bei einem Kirehenliede als Superadditum zu behon-
dehi wäre, wie bei den Katholiken die justitia origina-
lÜ des .ungefallenen Menschen« Der Herausgeber läfst
«ns nicht im Zweifel darQber, dafs er sich in diesem
HauptiMmente der ganzen Liederfrage in einer wesent>
Heben Unklarheit befinde. Er sagt nämlich S. XXYIII
^Diese Sammlung soll ja keine blofs poetisohe Antho-
iogie sein, die das Geniale und Originelle nebst der
JUinatlerischen Form allrin begünstigt. Hätte ich yon
diesem Standpunkte n^ arbeiten wcdlen, so wurde Vie^
lea- weggeblieben sein , was vor dem Richtetstubl der
isreUMehen Poesie blofs als Mittelgut erscheint; ein Vor-
^nirf, der mir von gewisser Seite her vielleioht gemacht
werden mag.' AHein dieser Standpunkt darf bei kirch-
liehen Dichtungen nidkt vorherrschen, sonst würde gar
SU Tiel tiefempfundenes und heilig Erfahrenes, das in
sehlichter, kunatleser Fonn dahergebt^ zum Scliaden
des Yolks ausfallen. Manche Kemlieder, die ihren
Ruhm seit Jahrhunderten behaupten, sind nicht sonder-
lich poetisch, sondern blofs wohlgesetzt, kdrnicht, und
iin Sinne tief^ und lebendig.. Der fronime, herzliche
Ausdruck einer Wahrheit aber ist auch ohne vie/e
dichteriecAe Zugabe oft weit gesegneter, als das kunst-
.reichste Med, das solcher Einfalt entbehrt." Der Her-
ausgeber setzt hier abermals voraus, dafs das Dichteri-
sehe als Zugabe, etwa in Pathos und Glanzworten, erst
von aufsen an die Lieder herankomme, dafs etwas titf
empjunden sein könne, ohne poetisch, dafs etwaa poe-
tisch sein könne, ohne tief empfunden zu sei% dafs ein
gewisser Widerstreit obwalte zwischen der echlichten^
kunstlosen Form, und der dichterischen Zugabe. —
Diese Unklarheit im ersten Grundprinzip hat über das
Werk, was die Sammlung als zuverläfsige Auswahl an-
langt, entschieden. Der Herausgeber hat manche Kei-
mereien als Tiefempfundenes passiren lassen, einmal um
des orthodoxen Gehalts in schlichter, kunstloser Form,
ein anderes Mal vielleicht um der patlietischen Zuga-
ben willen. Wir halten es für Pflicht, unsere Behaup«
tung mit ein Paar Proben wenigstens zu beweisen. Das
Lied unter Nro. 204 beginnt:
O GqU, wie hat die Eitelkeit
Un» Mensehen io vernichtet^
Daß fa%t kein Altef^ keine Zeii
Wa$ Guten mehr verrichtet \
Sei '• auch vom Anfang bi$ zum End
Oft überlegt und umgewendt^
So mufi inan doch bekennen :
Da$f drauf wir setzen Herz und Sinn
Von Kindheit bit tii't Alter hin^
Ist Eitelkeit tu nennen^
Die ersten Jahre gehn vorbei
So blind oft, wie bei Thieren;
Man sehläfy man treibet Kinderei,
JSichts Weises itt zu spuren «. t. «r.
„Und er nahm ein Kindlein, und stellte es mitten un-
ter sie." Dafür ist ^ die Kinderei am Ende doch gut,
lebendige Texte Tür göttliche Predigten zu liefern, und
das Unkindliche, und Kindische einer solchen Reime-
rei zu strafen. Weiler:
JVro. 213. i^Du Oott bist aufser aller Zeit
• Von Ewigkeit zu Ewigkeit;
Eh als die Welt gestanden^
Warst Du eekon^ was Du jetxo biet,
Und bleibst^ wenn Alles nicht mehr i$i.
Doch immerfort vorhanden:*
/
Knapp ^ etmngelüehet Lied€r$chai%.
603
Nr. 967. F. 3. „Hier gHfi nu^i ihn tuk^m kuuMf •
. Ihn nkJU lUUm uMd nieki Ammm,
Gotiei WwrU lauten teharf;
Fluch üt auf ein Herz gete^zeU
' Das nicht liebemwürdig ichäizei
Den^ der einst verdammen darf.
Von Hiller sind Oberhaupt, aufser einigen lieblichen
Liedern, manche fiihlbare, Reimereien da, welche der
Herausgeber auf die Autorität des Namens hin aufge-
nommen zu haben scheint. Der bedeutungslosen und
/schadhaften Lieder sind wirklich zu viele mit unterge«
laufen. Unter der Nr. 608. ä. B. findet sich ein Lied,
das jede Strophe beginnt und schliefst mit einem Hal-
lelujah; nach dem Versmaafs aber mufs man das erste
Mal immer Hallelujah, das zweite Mal immer Hallelujafa
lesen. Doch es mochte unerquicklich erscheinen , die
Proben dieser Art zu h&ufen. Während nun der Her-
ausgeber manches Unnütze aus der deutschen Lieder-'
fülle aufgenommen, hat er manches Gute und Werth-
volle ausgelassen. Wir vermissen z. B. von v. Meyer
die schonen Lieder : „Heilige Nacht ;* — „Wenn ich
es heilig überlege," — von Rückert das schone Ad-
venislicd: „Dein Konig kommt," „Das Paradies,*'
und „Bethlehem und Golgatha'* — und sogar von
dem ganz benachbarten Dichter Barth die süfsen
und innigschönen Liedei?, welche schon von den
' Lippen gebildeter Christetf tonen: „Der Pilger aus der
Ferne" und „Sonne willst du fliehen," für welches
letztere aus den 159 Abendliedern der Sammlung wolil
irgend ein schläfriges auszuscheidei^gewesen wäre, das
ihm Platz gemacht hätte. Bei alle dem ist die Samm-
lung ein reicher, blühender. Liedergarten, welcher selir
viele unserer besten Lieder umscbliefst. Was nun die
wirklich aufgenommenen Lieder anlangt, so haben wir
. jetzt zu fragen nach den Grundsätzen, womit der Her-
ausgeber Yeränderungen vorgenommen hat. Er hat in
seiner Vorrede das fromme Yorurtheil, als ob die alten
Lieder gar nicht verbessert werden dürften, mit scho-
nen und treffenden Worten bekämpft. Diese Arbeit
ist um so verdienstlicher, da seine Stimme in einer
Sphäre des christlichen Lebens Geltimg hat, in wel-
cher manche andere ungehort verhallt. Auch hat er
sich gegen das mäafslose, willkürliche Verändern der
Kirchenlieder seit Klepstocks Zeiten enUchieden ausge-
sprochen« Der Herau^eber spricht zuerst von den Grund-
, Sätzen, nach denen ganze Lieder verändert werden sol-
SOI
len. Er sagt erstens: „Bin gebtliehes Lied, das \m
Kerne gut, in der Form aber grofaemiheiU miCdusg«
ist, darf von einem evangelischen Dichter, der den Bt»
ruf hiezu in sich trägt, nicht nur in ein»eln$H Sut
len , sondern frcttkatig reproduxin werden." Wr
lassen das gelten, wenn vorausgesetzt wird, dab dt
also bezeichnetes Lied einstweilen gar nicht ab \id
zu betrachten ist, sondern lediglich als eine Motiv, im
in dem Dichter als angeblichem Correktor sksh «il
zum wahren Liede entbindet und gestaltet. Von nV
eben Lieder-Embryonen, von solchen blolsen Moliraa
dürfte jedoch bei einer Sammlung wirklicher liete
noch nicht die Rede sein. — Der zweite Grundsitt
lautet so: „Ein geistliches Lied, das in semer A»
drucknffei$e zu weitachweifig tot, darf also verändert
werden, dafs in die überfiüssigeii Stellen, so weit«
angeht, ein kräftiger^ bibliather^ mit dem Coateit
übereinstimmender Zuwaek9 gegossen wird. Abgei»*
hen davon, dafs nach diesem Grundsätze der Hera»
geber dem „Weitschweifigen*' zu viele Ehre erwets«
mochte, scheint er von diesem Falle den andern Pd
nicht genau genug unterschieden zu haben, in wetdMl
nach dem dritten Grundsatz das kürzere Verfahren efak-
treten soll : „Da manche Lieder viel su lang und wei^
. Iftußg sind, so darf auch eine Verkürzung deneftd
Statt finden, wofern der wesentliche Gehalt dadoni
nicht verliert." Rezensent ist für den kürzeren Prt-
zefs, denn in der Regel ist ein gutes Lied gesund ge-
boren; Blind- und Lahmgebome, welche heilbar lind,
gehören zu den Ausnahmen: die Embryonen aber Uli
.Monstra soll man ihrem Geschick überlassen. Ob
Grundsätze, welche der Herausgeber für die Veffbesfe*
rung der Lieder im Einzelnen aufstellt, kann man av
l)illigenv; was die Fassung derselben anlangt , %q sdiA
nen Einzelne von anderen Arbeitern auf diesen FeU^
hestimmter, wissenschaftlicher gestellt ^worden zii leiB'
So ist nämlich der erste Canon schon so gestellt, dib
er die subjektive Willkür nicht hinlänglich abweiut,
wenn es heilst: „ein unpoeti3ches oder geschmacUoiei
Bild ist entweder zu tilgen, oder mit einem benei«*
zu vertauschen." Andere haben diesen Canon voniei^
tiger gestellt ^und entwickelt. Was nun die wirkiiek
vorgenommenen Veränderungen anlangt,, so hat dff
Verf. ein bedeutendes Talent dafür beurkundet. CoB*
sequent scheint er jedoch nicht geändert zu hl'^
(Der Beschlaf^ folgt.)
wissen
Jahrbücher
für
schaftliche
Kritik.
April 1840.
EcBtigeltscher Liederschatz für Kirche und Haue.
Eine Sammlung geistlicher Lieder aus allen
christlichen Jahrhunderten j gesammelt und
nach den Bedurfnissen unserer Zeit bearbei-
tet von 3L Albert Knapp*
(Schlulii.)
Nach der Revision eioes Freundes sollen sich alter-
thfimliche Ausdrücke, welche er sogar in seinen eignen
Liedern sich erlaubt tiat, in alten Liedern von ilini ver-
bsisert flndea Uns bt es vorgekommen) ab habe er
b alten, bedeutenden Liedern mitunter signifikante
Spitsen des Ausdrucks, sinnvolle, gewürzige Bestliümt-
heiten ohne Noth durch weniger sagende Worte des
Pathos und des Glanzes ersetzt Wir wollen ein Paar
Lieder sur Probe vornehmen. Das Lied: ,,Wie schön
leueht't uns der Morgenstern*' hat der Herausgeber sehr
gut verbessert , den Anstofs, dafs der einzelne Christ
als Braut Christi erseheint, glQcklicb vermieden. In
der ersten Strophe ersetzt er die Zeile : ,,Die sQfse
Wurzel Jesu" mit den Worten : „aus Juda aufgegan-
gen.^ Hier wird nun schon eine feine, biblbche, tief-
smnige Bestimmtheit, nämlich diese, dafs Christus die
Wurzel Isab ist , das eigenthamlichste , auserwählteste
und vollendete Kind des Hauses David, aufgeopfert fQr
eiuen allgemeineren weniger gewichtigen Ausdruck.
Indessen wiifsten wir fQr den Augenblick auch keinen
besseren Rath, um dem Reim : „hast mir mein Herz be-
sessen* zu entgehen« Wenn aber die zweite Strophe
beginnt: „Du meines Herzens werthe Krön, WahrV
Gottes ui^d Marien Sohn,*" so mögen wir uns nicht enl*
»clüiefsen, die Worte des Herausgebers als Terbesse-
ruDg dafür anzunehmen: „O Kleinod, dem kein Engel
gleicht, Sohn Gottes, den kein Lob erreicht/' Hier
schien kebe Nothigung zum Terftndern Torhanden, die
vorgenommene scheint subjektives Belleben; der feu-
rige Ausdruck des alten Textes bt nicht ersetzt. In
Jahrh. /. tpifiestcA. Kritik. J. 1840. I. Bd.
dem Liede: „Wie soll ich dich empfangen" scheint uns
ohne Noth die folgende Strophe in der untenstehenden
Webe verändert:
KithUy niekti hai Dich getrieben
Zm mir vom Himmelnelu
Ah da» geliebte Lieben,
Womit Du alU Welt
In ihren taueend Plagen
Und großen JammerlaU^
Die kein Menech kann auetagen^
&o feit umfangen AmA
Nichte^ nichti hat Dich getrieben
Zu mir vom Himmehzelt^
Ah Dein getreue» Lieben *
Du Heiland aller Welt^
Du litlett tausend Plagen,
Du trüget der Sünder Laet,
Und Keiner darf verzagen^
Den Du erl&eet AojJL
Hier brSekelt in der Yerbesserung der grofse, «ein-
heil volle Gedanke des Diehters, der starke, mächtige
Ausdruck, nach welehem die Liehe Chfbti die noth*
Volle Welt so fest vmfangen hält, in mehrere, wohlge*
setzte, gute Gedanken auseinander, die nur hier nicht
an der Stelle sind, wo der eine Heldengedanke des Dich«
lers bleiben mub. Die Veränderung sehien jedenfalb
niefat nothig. Wir finden eine Strophe in dem Liede;
„O Welt sieh hier dein Leben,** verbessert wie folgt:
Iri, ichj und meine Sünden^
Die »ieh am KSmieiM ßnden
Des SofuU» an dem^Meer',
Die haben Dir erreget
Da» Elend, da» Diek »ehlägef^
Und da» betrüble Marterheer.
< »
Ach ichf und meine SUndeni
Die »ich »o zmhllo» ftnden.
Ah wie der Sand am Meer,
Die haben Dich geichtagen^
Die brachten dieee Piagen,
Und die»e Martern auf Dich her.
64
507 Knappe evangelheher lAedenehaix.
Die zweite Hälfle des alten Textes ziehen wir un-
bedenklich der Verbesserung vor. Die Verbesserung
ist deklamatorisch und doch matt; matt in dem Aus«
druck: „Brückten die Martern auf Dich hef." Dagegen
spricht ein rührendes Mitleid und eine grofse, lebendige
Anschauung in dem Ausdruck: Das betrübte Marter-
heer, und das VS^ort: Die haben Dir erreget bezeich-
net sehr treffend das allmälige, erst heimliche, dann
gewaltige Hervorgehen des Elendes aus der Sünde.
Auch an den Körnfein des Sandes linden wir keinen
Anstofs ; die Verbesserung hat nur etwas poetische Ori-
ginalität verwischt Es heifst weiterhin:
Du springet in't Todetrachen
Mich frei un'd los zu machen
'Von iokhem üngeheur;
Mein Sterben nimmtl Du abe^
Vergrubst es in dem Grabcy
' O unerhörtes Liebes feur.
608
Vom Toi mich frei zu machen
Springst Du in seinen Rachen
Und in die tiefste Fiutfi;
Du stirbst, dafs ich nicht sterbe,
Nicht ewiglich verderbe,
O unerhörte Liebesgluth.
Die zwei ersten Zeilen der Verbesserung sind zu-
lässig. Mit der dritten Zeile aber verfällt der Verbes-
serer aus der scharfen Bestimmtheit des Dichters in's
Vage; dann geht er Dber ins Allgemeine „Du stirbst'
dafs ich nicht sterbe", während es dem Dichter darum
BU thun ist , conkret anschaulich , des Todes spottend
gerade daä Sterben selbst im Grabe zu begraben. Paul
Gerhard wurde mit der geistreichen Sentenz fertig, in-
'dem ec sich das a6e erlaubte! Bunsen hat das a6e zu-
gelassen, um die Fülle der sinnvollen Strophe, das Be-
graben des Sterbens im Grabe zu retten. Knapp dagegen
gibt dpn Versuch völlig auf, hier mit dem Dichter für
seinen eigenthumlichen Gedanken das rechte Wort zu
finden, und lenkt in einen allgemeinen Gedanken hin-
ein, der sich an andern Stellen zur Genüge schon aus-
gesprochen findet. Wir würden etwa so bessern :
Selbst in des Todes Rachen
Springst Du, mich los zu machen
Von diesem üngeheur*
Den Tod, der mein geharret, ,
Hast Du in's Grab verscharret;
O todbezwingend Liebes feur.
In dem Liede : „O Haupt voll Blut und Wunden*'
verändert der Herausgeber die Worte:
Ich tpill hier hei Dir steheUf
V^erqchie mich doch nicht,
Von Dir will ich nicht gehen
Wenn Dir Dein Herze bricht,
Wenn Dein' Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstofs, ^
Alsdann will ich Dich fasse»
In meinen Arm und Schoofs^
Ich will hier bei Dir stehen.
Verachte mich doch nicht.
Von dir will ich nicht gehen.
Wenn Dir Dein flerze bricht.
Wenn mein Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstofs,
Alsdann wollst Du mich fassen.
In Deinen Arm und Schoofs.
Es liebe sich leicht nach weben, dafs diese Eoen.
dation fast nur aus einem mangelhaften Verstandnlls
des herrlichen Liedes zu erklären ist. ■ Das Lied hat
eine an das Schwärmerische anstreifende, hinreifsesJe
Innigkeit. Es hat eine katholisirende Sinnlichkeit, in-
dem es scheinbar beginnt als eine Andacht zu im
Haupte Jesu\ doch ist die Glut der ersten SUDpk
durch das Licht der zweiten geschützt, das Mensck-
liche wird hier im Göttlichen verklärt. Das ganze UeJ
aber hat den Grundton, dafs sidi der Dickter unter
das Kreuz Christi im Geiste versetzt, dais das gao»
Sterben des Herrn vor seiner inneren Anschauung ?o^
geht. Darum sollte man auch die schone dritte Stro-
phe diesem Liede lassen: „Die Farbe Deiner Wao^o"
u. s. w. Jedenfalls kann es nicht in der mitgetlieüteo
Strophe plötzlich heifsen: y^fVenn mein Baiipi ^if'
erblassen Im letzten Todesstofs ," ohne den Sinn da
Liedes ganz zu verwirren, am wenigsten dann, weoo
der Correktor gleich vorher stehen läfst: Wenn J^
Dein Herze bricht. — Wir brechen hier ab, da^Iie
mitgetheilten Proben genügen mögen, zu zeigen, difs
der Herausgeber sein schönes Talent auch in der Lie-
derverbesserung bewährt, dafs er aber darin von Hifi^
grt£fen des subjektiven Beliebens sich nicht frei geiial-
ten hat. Möge die Auswahl der besten Kirchenliedefi
welche er in der Folge zu liefern beabsichtigt, in to
Würdigung des ächten Liedes eine gröbere SU'enge
und Klarheit, in der Kritik eine gröfsere Behutsamkeit
und Anerkennung der originellen, pbysiognomisciiefi
Zuge der Lieder beurkunden. Die Anprdnung der To^
liegenden Sammlung ist einfach und klar, sie eotiiafti
3572 Lieder, zu denen noch ein kleiner Anhang komiDt |
Lange in Duisburg.
589
XXXIX.
Abhandlungen zur Mgemeinefh tergleichenden
Sprachlehre von Dr. U. E. Bindsei l. Harn--
bürg, lam
Die erste der beiden Abhandlungen in welche das
vorliegende umfangsreiche Werk zerfftllt, hat die Phy-
siologie der Stimm- und Sprachlaute zu ihrem
Gegenstande und fällt damit auf ein Gebiet, in welchem
Referent zu wenig heimisch ist, um sich ein vollgiltiges
Urtheil beizumessen. Wir werden uns daher auf einen
lurzen Bericht zu beschränken haben, bekennen uns
aber Im Voraus gern zu der Ansicht, dafs die Sprach-
forschung solcher Untersuchungen Tom physiologischen
Standpunkte, wenn sie auch nicht im Stande ist, die-
selben selbststandig zu fuhren, durchaus nicht entbehren
könne. Wie der Leib und die Elemente der Sprache
gebildet werden, wie und mit Hilfe welcher Organe
die Laute im Munde des Sprechenden entstehen, der-
gleichen Fragen sind yon groCserer Wichtigkeit als es
Anfangs scheinen mag, denn ihre Erörterung gibt für
die Geschichte der L^ute nicht unerheblichen Aufschlufs,
ladt die Stufen der Lautverwandlungen sclion ihrer
Möglichkeit nach erkennen und bestätigt so, indem sie
. endlieh noch die gegenseitigen Verhältnisse und Berüh-
rungen der Laute aufdeckt, überall die bei der histori-
schen Betrachtung des äufseren Verlaufs erkannten
Wahrbeiten. Wir sind mit dem Grundsatze Ton wel-
chem auch Hr. Bindseil ausgeht, dafs der Sprachlaut
seinem ganzen Wesen und Entstehen nach nur dadurch
gehörig dargelegt werden könne, wenn nicht blofs die
Funktionen der Sprachorgane, sondern auch die der
SMnunorgane möglichst genau untersucht wiirden, voll-
kommen eifiverstanden und wissen dem Verf. , dafs er
selbst sich dieser Arbeit unterzogen, um so mehr Dank,
als das bekanntlich nicht eigentlich Sache des Philolo-
gen, sondern des Physiologen ist. Freilich können wir
den Wunsch nicht unterdrücken, diese Untersuchungen
mochten nun. apch, da sie als Einleitung zur allgemei-
nen Tergleichenden Formenlehre gegeben werden, mit-
.hin zunächst für den Sprachforscher bestimmt sind,
etwas bündiger und übersichtlicher gefuhrt sein. Jene
ausfuhrlichen Angaben über die verschiedenen sich bunt
durchkreuzenden Ansichten der Physiologen, die um-
ständlichen zwar in die Noten verwiesenen literarischen
Citate, die leicht ein Drittheil des ganzen Werkes ein-
Bindseit^ vergUieAende SpraehleAre. 5tO
nehmen, die Beschreibung der thierisehen Stimmwerk-
zeuge, welchen hier doch nur untergeordnetes Interesse
einzuräumen, dieses und Anderes diept nur dkzu, das
Buch ubermäfsig anzuschwellen, und dem der in Erman-
gelung eigner Ansichten Festes und Entschiedenes wün-
schen raub, den Ueberblick zu erschweren. (— Wei^n
der physiologische Standpunkt nun in dem Werke des
Hrn. B. überwiegend vorherrscht, so bedarf es dooh
kaum der Bemerkung, dafs der Verf. daneben, wo es
ndthig ist, auch einen allgemeineren philosophischen und
endlich den rein historischen und grammatischen Stand-
punkt einnimmt; was sich von vorne herein als allge-
mein wahrscheinlich aniiehmen lasse, was dann die
Natur und Bildungsart der Laute zu erkennen gebe,
and endlich was die Geschichte der Sprache, — diese'
drei Fragen berühren sich zu mannigfach^ als dafs- ihre
Trennung möglich oder rathsam wäre. So |ieginnt
der Vf. mit der Entwicklung des Begriffs der Sprache
und wendet sich §. 2. zur Fratge, was denn das va ihr
Dargestellte sei, ob Aeufseres oder Inneres. Hr. B«
entscheidet sich für das letztere, uns däucht aber, es
liefse sich auch wohl für das erstere manches Bedeu-
tende sagen. Es kommt nur darauf an, was man sich
unter Sprache denkt. Ihrem ersten Entstehen nach
durfte sie wohl ebenso richtig der Ausdruck des Aeufse-
ren heiisen: Aeufseres, Inneres und Laut, diese drei
Momente mufs man bei dem Werden der Sprache
gleichsam wie ein Moment verbunden denken. Der ^
Gegenstand der Empfindung und Vorstellung hervor-
ruft, tritt äufserllch wieder im Worte oder Laute her-
vor, und 'der letztere ist eben nur das innerlich er-
kannte und lautgewordene Aeufsere selbst. Will man
die Sprache nun blofs als Ausdruck des Innern gelten
lassen, was sie später zwar lediglich wird, so mufs
man von Anfang an Inneres und Aeufseres in Bezie-
hung auf sie als ein Zwiefaches, Getrenntes setzen und
begreift nicht die Wahrheit ynd Nothwendigkeif, wel-
che dem Worte innewohnt, und theils auf der Wahr-
heit des Eindrucks, theils auf der Unwillkiihrlichkeit
des ersten Lautwerdens beruht. Indessen wir haben
diese Ansiclit, die wir anders wo schon weiter verfolgt
haben (s. Beiträge zur Etymol. Bd. 1. S. 4. der Ein-
leitung) hier wo ihr Ursprung liegt ^ nur gelegentlich
andeuten wollen.
Erst S. 225 wo von den Vokalen gehandelt wird,
betritt Hr. B. den eigentlichen Grund und Boden der
611
JBiHdseii^ 0€rgUiehende SpracUkhr$.
Sprache« Mit lUpp (Veriuch •mer Phytiologie ' der
Sprache), dem er sich vielfach anschlienii, geht er von
einem Urvolrale.aus^ den er gleichfalls nicht als ei*
nen historisohen sondern nur als eiaen systema-
tischen Urlaut betrachtet. ^ Wie man nämlich das
Grau als die unentwickelte Indifferenz zwischen den
drei Farben Gelb, Roth und Blau setzen könne^ weU
sie in ihm noch nicht actuell enthalten , wohl aber po-
tenziell bedingt seien, also, meint Rapp 1. 1. 8. 20,
InQsse ep auch wohl einen diesem Verhältnisse entspre-
chenden Yocallaüt geben, der, weil sieh die ReOexion
zuerst in Polen und Extremen manifestire, dem Sprach-
bewufstsein zwar nicht suerst klar geworden sein
werde. Referent der freilich einer andern Ansicht ist,
sielit nicht wohl was der Sprachforschung die Annahme
«Ines schieben theeriegrauen systematischen Urlauts hel-
fen soll, wenn man ausdrücklich der Meinung ist, dafs
im Yokalismus die bestimmten Laute früher vorhanden
gewesen als dieser unbestimmte jene nur im Keime
und potentiA enthaltende Urlaut, der also der Zeit nach
kein Urlaut sein wurde. — Hr. B. nimmt dann weiter
^n fünffaches .Stadium der Entwicklung der Yokale
an, indem er zuerst die Vokale a, i, u, und swei^
tens ihre Zusammensetzung ansetzt, letztere theils mit
iirfes Gleichen (Verdopplung der Yokale), theils unter
einander, um so auf die bekannte Weise die Längen
&, 2, ü und die Dipiithongen ai, 6; au, d entstehen zu
lassen. Als drittes Stadium stellt er den R hin Is-
mus oder die Nasilirung .auf, als viertes die Fort-
setsung des zweiten oder eine freiere Zusammen*
Setzung der Grundvokale, und als fünftes endlich
fortgesetzte y er kürzung und Trübung der Vokale,
und fortgesetzte Nasilirung. Wir hätten hiegegen
snancherlei zu erinnern: Wie das fünfte und vierte 8ta«
dium eigentlich nur eine Fortsetzung des zweiten und
dritten ist von dem es sich nur durch gröfsere Freiheit
der Bewegung unterscheiden soll, so würden wir es
^uch als kein besonderes Stadium beseichnen; noch
wen^er das Nasalaugment, welches Hr. B. unter Nasi-
lirung als drittes Stadium ansetzt^ indem es seine d-
gentliche Stelle zwar nach Vokalen aber vor den
Mutis zu haben scheint und daher am wenigsten bloüs
612
als eine Entwicklung der Yokale gelten kann, , Von den
zwei Stadien die hiernach übrig bleiben , mnlsteii wir
die zweite Hälfte des zweiten, die Diphthongenbildang,
wenn sie wirklich wie Hr. B. sagtauf Zusammensetzung
beruhte, als willkuhrlich und nicht als eine Entwkk-
lung bezeichnen. Obwohl sie wesentlich das letztere
ist^ und keineswegs auf dem Wege auGsererZusaDunen.
Setzung entsteht« Die Darstellung dieses Punktes tckeint
wenig gelungen. Als wirkliche Stufen der Entwick«
lung wurden wir nur drei annehmen : davon besdcluMi
wir die erste als Individualisinmg der drei> Ghudro-
kale a, i, u, (und zwar aus dem indifferenten aber
historischen Urvokale). Zweitens, aus der indindva*
lisirten Einheit der Grundvokale entsteht quantilatir &
Länge , in welcher potenziell eine Z w^ibeit oder TeN
dopplung entlialten. Drittens je deutlicher die leU»
tere hervortritt, desto leichter tritt mit ihr eine En^
zweiung ein, die einzelnen Elemente treten qoalilitir
gegen einander auf und erzeugen den Diphtbongea, ¥«
dem Wieder ein Ruckschritt zur Vokaleinheh, zttoädrt
zur Länge, möglich bt Zusammensetzungen, Tii^
bungen u. s. w. mössen für unorganisch und sufiUf
gelten und bilden keine Stufen der Entwicklung.
Aehnlioh würden wir uns auch zu der folgende!
Auseinandersetzung über die Consonanten nicht seUenii
Widerspruch setzen müssen, obgleich wir ge^lSMl^
kennen, ' daCs Hr. B. der sich weder auf einzelne Spar
oben nach auf abgesqhlossene Sprachstämme besehränbi
mit wahrhaft staunenswerthem Fleifse Alles ^nuHunneB-
getragen ha^ was nur aus irgend einer Sprache (te
Laute und deren Arten der Bildung und Ausspradie
bekannt ist. Dabei sieht man denn nicht wenig SpiSr
ehen nennen, die kaum dem Namen nach bekannt tisJ)
aber freUich beruhen die Citate meist auch nur aaf ta
ungenauen Angaben des Mithridates und ähnlidMr
Werke. Hr. B. scheint hier vorzugsweise das VenUentf
in Anspruch zu nehmen, eine Topographie des Lautei^
eine Beschreibung der Sprachen nach Uirem gesammta
Lautvorrathe zu geben, und hierm muls man ibm ^
rechtigkeit widerfahren lassen, wenn auch unenudiie-
den bleibt, wieweit die Gesammtheit der Spratbea ob'
ihrer Laute wirklich umfafst ist
{fitx Beaciilufs folgt.)
f
M 65.
Jahrbuch
e r
für
w i ssenschaftliche Kritik.
April 1840.
Abhandtungen zur^ allgemeinen vergleichenden
Sprachlehre ton Dr. H. E. Bindseil.
(Schlafs.)
Bei der zweiten AbliandluDg welche einen höchst
inCeresianten Gegenirtand, die verschiedenen Bezeiöh-
nungsweisen des Genus in den Sprachen, behandelt, wer-
den wir uns auch nicht allzu lange- aufhalten dürfen.
Der Vf. geht meist äufserlich su Werke, und wenn er
nicht unterläfst, in seiner Weise mit Zahlen und Buch-
Btahen verschiedener Art Abthdlungen und Unteräblhei-
limgen zu machen, so bringt er seinen Gegenstand doch
kaum, zu der völligen Klarheit, welche die Folge inne«
rer Durchdringung ist. Es ist ihm zunächst um die
Form der Genusbezeichnung zu thun, die er durch alle
miiglichen Sprachen verfolgt, und was wir wohl erwar-
tet hätten, eine innere Entwicklung des Grundes der
Bezeichnung, finden wir niclii. Nur im Anfange S. 495,
spricht der Yf. seine Ueberzeugung im Allgemeinen da-
hin aus: nicht die Wahrnehmung des natürlichen Ge-
sehlechtes sei die alleinige Teranlassung zur Classifi-
cation der Wörter in Genera, so dafs dieselbe von den
Sprachbildnem auf nicht sexuale Gegenstände nur über-
tragen sei; gegen eine solche Ansicht spreche die Schwie-
rigkeit, dann den Ursprung des Neutrums zu erklären,
und das. Zurücktreten des natürlichen Geschlechtes in
sehr vielen Sprachen, in denen vorwaltend nur zwi«
sehen Lebendigem und Leblosem unterschieden werde ;
vidmefar, meint der Vf., wie verschieden di^ Eindrücke
der Gegenstände auf unser Gefühl und Yorstellungs-
vermögen auch seien, so hätten sie doch unter sich et-
was Gemeinsames, Characteristisches , wodurch sie in
grofsere Classen zerfielen« Dieses Gemeinsame sei nu^
theils das ihnen innewohnende und gleichmäfsig in der
Torstellung erweckte Grofse, Feste, Thätige, Bewe-
Jahrb. f. wuitfiicK KriUk. J. 1840. I. Bd.
gen de, Zeugende, theils das Kleine, Weiche, Lei-
dende, Empfangende, Gebährende, oder auch das Leb-
lose und Unentwickelte. "Gleichwohl hat Hr. B. diese*
Ansicht später wieder aufgegeben und neigt sich in der
Schlufsbemerkung der ersteren (namentlich J. Grimm-
schen) zu, ohne jedoch, so viel wir sehen,, seine eige-
nen Einwände voll zu berücksichtigen. Jedesfalls wäre
es zu wünschen gewesen, dafs der Verf. an einzelnen
Sprachen nachzuweisen* gesucht hätte, wie das innere
Wesen der bezeichneten Gegenstände wirklich in jener
Weise mit dem äufseren Genus zusammeohänge ; der-
selbe handelt aber sogleich von Zahl um Umfang der
Geschlechter und sucht die Sprachen darnach zu dassi-
ficiren. Von mehr Bedeutung kt die Untersuchung S.
522 fl. über diejenigen Sprachen, welche auch die Verba
an der Genusunterscheidung Theil nehmen Wsen,
indem dieselbe theib an dem angefügten Pronomen^
theils an dem Verbalstamme selbst, iheils an beiden aus-
gedrückt wird. Hierauf wendet sich der Vf* zur Dar-
legung der verschiedenen Bezeichnungsweisen und un-
terscheidet erstlich Bezeichnung durch ganz.verschie-
dcne Wörter, Zweitens mittelst verschiedener Grade
der Starke und Lebendigkeit der Sprachlaute, drittens
mittelst einfacher und verdoppelter Formen, viertens
mittelst beigefügter Laute oder Wörter, wonach dann
noch einzelne Schlufsbemerkungen folgen.
Man sieht es schon an diesen allgen^einen Ueber-
schriften, die Eintheilung welche in solcher Weise /*)
*) Z. B. bei der zweiteo fiüduogsaxt §. 6. S. 537 spricht der
Vf. a) von dem Unteracbiede der Stärke und Schwäche, 6)
S. 581 von d«r Lebendigkeit der Lante. Von «) enta^hen
drei Abtheilnogen, indem Hr. B. die Laute abzählt und nun
entweder 1) gleiche Anzahl aber Terscbiedeue Stärke der
Lante findet, oder 2) gleiche Stärke bei Terschiedener Zahl,
und 3) ungleiche Stärke bei ungleicher Anzahl. Die erste
65
515
ins Unendliche fortgeführt ist, ist nur nach Mafs-
gäbe der äufseren Erscheinung vollzogen, und wird
nicht selten durch eine innerliche Erklärung der En*
düngen^ zu der der Verf. sich mitunter wohl selbst hin*
neigt, als ganz zwecklos dargethan. Die erste Unter-
scheidungsart, s. oben, wundern wir uns um so mehr
auf einer Seite abgethan zu sehen, als der Vf. sie mit
Grimm für die älteste 'Genusbezeichnung hält. Bleiben
wir inzwischen etwas bei der vierten Art stehen, wo
sich die Genera wie es heifst, mittelst beigefügter Laute
unterscheiden. Der Vf. rechnet hieher unter anderen
auch das Verhältnifs von rex zu regln a, oder von ßa^
OiXivg zu ßaaiXivva. Nun sind wir aber keineswegs
der Meinung, dafs regln a oder ßaaOawa sich unmittel-
bar als ihre Feminina an die maso. rex und ßaaiXiui
^nschliefsen, sondern sie setzen siclier ein masc. regi«*
nus und ßaaiUnoq voraus, welches denn allerdings mit
ßaaiUvc und rex in engere Verbindung bu setzen wfire.
Mithin fallen jene Feminina, die man eiyiiiologisch nicht
richtig flir die Fem. von rex u. s. w. hält, der Wort»
bildungslehre anheim, und der Genuslehre nur rucksicht«
lieh des Schlvfs-a, es sei denn, dafs die letztere alle
solche Formationen zusammenstellen wollte, welche sich,
zufällig, nur mit einem besondere Genus erlmlten hät-
ten. Und Hr. B. selbst scheint dieser Ansicht zu sein,
der er wenigstens in Bezug auf die gr. Endung ivfj z.
B. in fi^mivri oder fi^vt] S. 611 den Vorzug einräumt.
Aehnlich verhält es sich mit manchen anderen Eiulun«
gen, in denen wir zum Theil nodi gar interessante Bil-
düngen aufbewahrt finden, wie z. B. in den Formen
ßctßÜAüGm^ di«jc(W<Tcr, welche der Vf. mit Pott Et. Forsch,
aus idici erklärt, Ref. jedoch viel lieber mit der skr. Ge-
nitiv* oder Adjectivendung a^sja, prAcr. assa verglei-
chen mochte, so dafs icfo« also aus taia entstanden war«
und ßaaiki€üm eine ahnliche Form voraussetzen liefse,
wie wir sie in dfjfiooMg vorfinden, welches, wenn 9t zu
90 gewerden wäre, gleichfalls leicht dtffutrü^g lauten
Bindseily vergleichende Sprachlehre*
m
AbtbeilaDg bat wieder 3 Unterabtlieilangen, je nachdem die
ehnnicterhtiflchen Laote a) Cousonmiteii, h) Codi, md Vo-
kale, c) tivr Vokale siad ; davon giebt a abermals drei Fälle,
denn die Consorninten sind «) beiderseits Explosivae, ß) ei-
aerseita Expteaivae, andererseits Coatinaae, y) beiderseits
Ostttinaae. Aber nocb nfcbt ^nng ; « giebt wieder ein aa —
€e und so geht es ins UnendUcbe fort. Hr. Bindseil scheint
ein wahres scbefnatisirendes Crenie.
mochte. Hr. B. wnr einer solchen Ansicht nabe, io.
dem er später damit einmal die deutschen Endunges
sk^^9che u. a. vergleicht; ganz dieselbe Endung leigt
uns aber das Altromische in einigen Wörtern, und zwar
auch ohne gegenüberstehende Masc. , aber doch 9^
ohne jene Beschränkung auf w.eibliche Wesen, weai
auch als feminine Endungen. — An eben dieser SteDe
bespricht der Vf. auch das Verhällnifs von ^mia n
^%i<; und handelt dann von den lat. Pronominibus haet^
quae. In Betreff des ersteren mochten wir seiner An*
sieht da(k cur« in «-»»»a zu zerlegen,* gern iieistaiiMi,
nur fragt es sich, ob wir in dem ersten a schon lii
feminines ^r, oder nur ein altes stammvokalisches Kam-
chen hätten. Ueber die lat Pronomina sind schon M
mancherlei Meinungen geäufsert, dafs die EntschädBig
mifsKch wird. Dafs liier alte gleichsam vorrSniscb
Formen vorliegen, dergleichen sich zumal bei den Pn*
nominibus zu zeigen pflegen, ist mit Sicherheit annek»
bar; aber schon deshalb möchten wir nicht beisämiM^
wenn der Vf- haeo und quae aus dem Thema hl, fil
mittelst angetretener Femininendung a deuten sM^ i*
dafs nur beide ein hi-a-c, qui*a veraussetzen lielM
Die Möglichkeit einer solchen Contraction oder ws
man e& sonst nennen will, des ia:ae leuchtet vasA
und Hir sich um so mehr ein, je öfter wir diodb
selbst nachgewiesen haben *), hier will sie jedoch pof
unpassend scheinen, da die Formen mit i, hi-c, qui At
in späterer Zeit geschwächte Formen, nicht abei^ Rf
alte Themata gelten können. Vollends unstatthaft fat
aber die Annahme des Antreten» des fem. a aa du
Thema ; das Zeichen des Fem. entwickelt sich «a «BJ
aus dem Ausgange des Themas, nicht nber tritt es vai
aufsen hinzu* Dafs es sich nun hier als ae noch zeigli
ist uns eben ein Beweis mehr, dafs' kein Thema U»
qui anzunehmen ist. Was auch über haec, quse ge-
sagt ist, wir sind überzeugt, ae Ist nur ein laatliehcr
Stellvertreter des alten langen &' der Feminina, desMB
Länge anderswo (cfr. aqu^) verloren, hier aber in
Diphthongen gerettet ist. -r- Eine ähnliche AnsidiC wie
über die singuf. Fem. hegt der Verf. audi über db
gleichlautenden pluralen Formen und hier kt er oftH'
har durch das Danebenbestefaen von quia (weiQ^tf*
das er quia zerlegen und als Neutr. pkir. fsnci
•) Cf. depr&cr. diid. §, 130. ficitr. «. Etjm. L S. 98. 114. 3^^
517
Buukeity tfmrgleieAende SprmiMira.
618
CO mQssen meint Es seheint eine «ehr alte und ecliwie*-
tige Bildung, dalier wir nicht oline Bedenken unsere
Muthmafsung aussprechen, dafs es vielmehr eine abia*
tive Form sei, in der, wenn nicht i etwa unorganisch
wfre (cf. kAt, j&tt)» gar etwas Aehnliche« stecken
Si5chte, wie in dem immer noeh dunklen skr. kasmAt,
JasmAt: aber nicht aus dieser Form soll es entstanden
Sern, 'sie soll nur einen Wink geben^ um die Zweisilbig-
keit des quia zu begreifen. Auch darf hier wohl an Bopps
^ückliche Yergleicbung des tamen mit tasmin erinnert
werden, mit der dem RdmiscJien bereits eine ähnliebe
Bildung naebgewiesen ist; eine Form wie kasmät, tas*
tnin iäfst in* Bezug auf das sm eine zwiefache Verän-
derung SU, die eine läge etwa in jenem tamen vor,
die andere etwa in prAcr« tahiii, kahin, und auf .der
leUteren Stuf6 wurde ungefähr lat. qui*a stehen, iqdem
SS einen Inlaut (etwa s in grieoh. Weise, quisa ?) eiuf
gebOlst haben möehte. Doch diese Muthmafsungen Gber
einen in der That unlösbaren Knoten sollen hier nicht
weiter gefulut werden : nur das ist zu merkwürdig, um
es zu obergeben, dafs jenes kisa wirklich im PrAkrit
evstirt und warum f heifst Doeh davon gelegentlich
•iB Mshreres. Wie wir quae m» qua setzen, jedoch
imentschieden lassen, ob das ae lediglich aus A, oder
in Folge eines alten dem Fein, nachweisbaren s-Lautes
entstanden sei, halten wir auch das plur. ae in baec,
quae für lautliches Ursprungs und erinnern dabei nur
an skr. j^, t&, k^, duaL ^vA, and prAkr. pbir. sivAi,
Üfi u. s. w.
Da es durch die Mannigfaltigkeit des vom Verf.
behandelten Gegenstandes. verwehrt ist, in viel Einzel-
nes einzugehen^ möge es an den berührten Beispielen*
genügen um darzathun, dais der Verf« sich zwar um
die Erklärung der wichtigeren Formen bemüht, dabei
idcfat selten jedoch zu einseitig verfährt, indem er dem
einen Geschlechte ausschUefslich beilegt, was nur durch
die äufsersie Bndung demselben zugewiesen wird. Die
Genera 'haben ursprünglich (wenigstens fiber die einr
iaehen, letzten Endungen hinane, die man zwar aueh
schon Suffixe heifst) nicht ihre eigene Suffixe, son-
dern die Suffixe, d« h. die. Wortbildungen haben nur
ihre besonderen das Geschlecht bezeichnenden Aus-
gfinge. Wo es sich anders verhält, indem gewisse com-
pomrte Suffixe nur mit bestimmten Geschlechtern ver-
bunden scheinen, da waltet Schein oder Zufall, den die
Wortbildungslehre indem sie den Ursprung und die
Gleicbmifsigkelt der Bildungen nachweiset, auhudeeken
hat. So wird sie z, B., bei dem oben angeführten re-
glna stehen zu bleiben, dasselbe, abgesehen von dem
weiblichen a-Ausgange mit marinus, equinus'ii. s. w.
in eine Classe stellen i reginp heifst was des Königs
ist, königlich, und kann selbst, wie ßaoQia^m mit den
skr. Gen. in assa , mit dem Genit. rAg'nas (cf. Accus.
rAg'Anam) verglichen werden. Da indessen vielerlei, so-
männliches wie weibliches, des Königs ist, so konnte
regina^ die Königliche, die £inschränkung die königr
liehe Herrin, des Kouigs GemahUo» erst^iip
Gebrauehe und zum Theil zufällig erhalten, zumal wp
dieselbe durch das Vorhandensein anderer Adjeetive
regius, regalis etc. erleichtert wird, der bestimmte
Gebrauch aber nicht selten die beliebig wandelbare
Form (hier reginus) hat verschwinden losseo. VergU
ßaaikaa und ßaathla,
Schriften die wie die vorliegeüde monegvaphisek
Einzelgebiete der Wissenschaft behandeln, scheinen uns
überaus beilsam und dem heutigen Zustande der Sprach-
forschung zumal angemessen. Wir wünschen Qm. Dr/
Bindjeil Nufse, seine Untersuchungen fort^cus^t^en, iu«-
dem wir hoffen, dafs sich seine Ansicht über Sprache
und deren Bntwicklung im Verlaufe immer mehr
klaren werde, und bekennen zum Schlüsse nochmals
gern, dafs uns sein Werk, wäre dessen Hauptverdienst
für jetzt auch nur ein comp ilatorisches, darum iMcht
weniger nützlich und verdienstlich erseheint, vielmehr
als ZeugnUs gewaltiges Fleifses verbunden mit seltner
Gelehraaonkeit, .h5chst ehren wertfa bleibt.
Albert Hoefer«
^-.1
XL.
jt ffütory of the foisH fruita and seedt of ihe
London Ctay by Jam, Scfitt Bowerbank.
Lond. 1840. 6. TaU. 17.
Vir alles «un diese» vicbti«fe DeJC^g «wr H^eentiilfs der
ioovAfm eewspbse saaaseigM. ^aa Werk ist wie Lia41ey*s
Fossil Flora gearbeitet; ei liefert Beschreibungen ohne eine be-
stimmte Ordnung dabei zu beobachten, nur dafs hier die FiQchte
und Samen von derselben Gattahg zusammengestellt sind, nebst
Abbildongen aof den dazu gehffrigen Kapfertafeln. Ohne alle
Vorrede erhaltea wir hier 17 Kapfertafeln, jede mit mehrep> oft
519 Scott j Hütory ofiUe
kehr tielen Figuren, und eine aehr ausf iihiiiehe , nngevoin ge-
naue Beschreibung der Friichte von einer jeden Arf, so dafs wir
nicht umhin können, .dieses Werk in RUcksioht nuf die Genauig-
keit der Besc4ireibungen und die treffende Kritik ^n den ersten
und vorziigliclisten in diesem Fache zu rechnen. Es scheint mit
diesem Bande geendigt, denn nirgends ist von einer Fortsetzung
die Rede. Die Fl'iichte sind von der Insel Sheppey, wo der
London clay die herrschende Formarion ist, und es scheint nS-
thig hier etwas von dieser Formation . zu sagen. Sie gehört
Überhaupt genommen zu den Tertiärformationen, welche auf die
Kreide folgen. Bei ^Paris liegt nun nuf der Kreide ein Thon,
der zur Topferarbeit gebraucht und argile plastique genannt wird.
Darüber folgt der Grobkalk (calcaire grossier), mit Gyps und
den- Teberresten Ton Paläothecien. In England ist diese argile
plastique oder plastic clay von der Formation des Grobkalks
nicht geachieden, sondern beide vereinigen sich zu einer grofs^n
Thonformation ohne allen Kalkstein und diese ist der London
clu}'. Der zoologische Charakter ist aber mit dem Pariser Kalk-
stein so Cbereinstimmend, dafs man« als Formation, London clay
und calcaire grossier nicht von einander trennen kann. Lyell
theilt die Terti'arfonnationen nach der Menge der fossilen mit
den' noch lebenden übereinstimmenden organischen Körpern ein,
in Pliocene, Miocene und Eocene, abgeleitet und zwar sehr ge-
sucht von xa»vof neu (Tertiärformntion) und nXhoy mehr, /jtloy
weniger und ijiog Morgenröthe, weil in der Eocene sp wenig den
lebenden gleiche organische Körper gefunden werden, dafs gleich-
sam hier ein neuer Tag erst anbricht. London clay gehört zu
der Eocene, auch ist unter den hier beschriebenen Früchten keine
einzige, welche einer bekannten noch lebenden Pflanze . könnte
zugeschrieben werden. In Deutschland liegt auf der Kreide die
ausgedehnte Braunkohleuformatton, dann folgt der Grobknlk, der
in einigen Gegenden von Deutschland vorkommt. Es wUren also
die Friichte von Sheppey mit den FrUcbten in den Braunkohlen
vom Westerwalde, Hahichtswalde, Vogelsberge zu ' vergleichen.
Wir wollen nun die hier aufgeführten Gattungen kurz anfuhren.
Nipadites, mit 13 Arten, weil die Früchte die qieiste Aehnlich-
keit mit den Früchten einer ostindisclien Palme, Nipa, zeigen.
Diese Palme ist nur In RumpVs Herb. Amb. abgebildet, und
später von Thunberg beschrieben worden, auch noch wenig be-
kannt. Der A'erfasser^ sah Früchte davon in der Sammlung des
berühmten Gärtners G. Loddiges, auch bei einem H^rrn Ward,
welche man auf dem Meere hei Java schwimmend gefunden hatte.
Nipadites umbonatus wurde von Ad. Brongniurt zu einer Panda-
nus ähnlichen Gattung gebracht, die er Pandanocarpum nannte
und eine ahdefe Art, Nipadites Parkinsonis, weil die Fruchte
schon in Parkinson's Organic Remains abgebildet sind,, nannte
derselbe Botaniker Cocos Parkinsonis. Es- f<^gt die Gattung
Hightea 'mit 9 Arten. Der Verfasser wollte sie mit- Go883rpium
fbiiti /ruüs 4nJ seeds. ^ 52g
.vergleichen, wejj die Frucht voll Fasern ist^ aber sie ist lickt
drei - sondern einklappig , und die placenta (das iporopkofon)
viel dicker, und kantig, nicht düun, wie an Gossypium, auch
sitzen an den Kanten die Samen. Der Verfasser rechnet lie
zu den MalvaCeae, was aber sehr zweifelhaft scheint, P>
trophiloides mit 7 Arten. Der Verfnsaer wollte sie er«t ii Ai
Nähe von Cäsuarina bringen , aber Rob. Brown erianeite ik,
dafs die Gattung mehr der Petrophila , einer Proteacea gieieli»
Cuprefsinites^ mit 13 Arten. Cupanoides m\t 8 Arten, irholick
Cupania, einer Gattung aui^ der Ordnung der Sapindaceae. Tri-
carpellites mit 7 Arten. Wethercllia variabilis, weil die FrScbte
mit 2 bis 5 Samen abändern. Bei weitem die häufigste fonilc
Frucht auf Sheppey und gewöhnlich Kaffee genannt, hjekä
Fache befindet sich ein herabiiängender Samen (seaen. pctii>
lum),. in einem inwendig rauhen Sack eingeschlossen, raitciier,
vermutlilich vormals flüssigen Masse umgeben. Cucumitei Taiia-
bilis. Faboidca mit 25 Arten. Die Früchte haben nur die is«
fsere Gestalt einer Bohne ; inwendig befindet sich ein Kern, ii
dem man selten, und zwar dann in der Mitte einen Bffibryoiiife>
nimmt. Der Kern hat äufserlich Punkte, welche . ve^rölkert Sadi
oder Behälter^ darstellen, die in den Kern eindriBgeu. Der Ve^
fasser findet es sehr sonderbar und ganz ungewöhnlich, dals ia
Nabelstrang unter der testa fortläuft, welches doch der Fil
nicht gar selten an den ßamen von Dolichos und andern Lfgi-
minosen ist, wo man die rrrphe wie sie Gürtner nennt,. deotlkl
sieht. Doch es mag mir in der nicht sehr dentliclien Bestlmi-
bung >des Verfassers etwas entgangen sein. Der Name Falioiäi
ist auch nicht gut gewählt, da nuin glauben möchte, die Friiellr
gehörten zur Ordnung Legumiuosae, welches doch der Fall aick
ist. Auch führt der Verfasser Leguminosites besonders Bit iS
Arten auf, endlich Mimositcs Browniana und XulinospiMoites
Intus und zingiberiformis. Die Frucht dieser Gattung ist ^
merkwürdiges Mittel zwischen dnipa und 1eg;amenr und hat vtä
Samen. Die Menge und die Verschiedenheit dieser Friichte lälil
uns einigermafsen auf die frühere Vegetation der Insel Sheppqr
schliefsen. Die Pulmenfrüchte deuten bestimmt auf ein tiffi'
scbes Klima und es ist keine einzige Frucht, welche dicfcn
widerspricht. Cypressen kommen ebenfallij in tropischen lin-
dern vor,« und die^ Proteaceen gehen bis in diese Zone hiifii.
Bis jetzt sind noch keine Ueberreste- von Pflanzen in den T»
tiürformationen gefunden worden, welche mit den jetzt Icbeilei
ganz übereinstimmen, ja sie deuten auch durph ihre Aebnütbkof
fast alle auf ein tropisches Klima, wenn es nicht hier gelit vie
mit den fossilen Elephauten, welche durch die Aehnlichkeit 4«
Gattung jxaf ein tropisches Klima deuten, gewifs aber als sie \^
ten einem sehr kalten Klima angehörten.
Link.
J a h r b fi c h e
^ *
'für
Wissenschaftlich e Kritik
April 1840.
XLI.
Christus in der Gegenwart^ Vergangenheit und
Zükifffi. Drei Abhandlungen, als Beiträge
zur richtigen Fassung' des Begriffs der Per^
lönlichheitj ran Kasimir Canradiy erangeL
Pfarrer zu Oewheim in Rheinhessen. MainZj
1839. bei Kupferberg. XIV. 291 S. gr. 8.
Die drei AbhandlaDgen dieses Buches, folgen auf
«famnder in anderer Ordnung, als die Ueberschrift des
.Geiisen ansukünd^en sclieiat. Die erste (S* 1-— -56)
Xä^ folgende besondere Ueb^schrift: lieber die Prä»
,4Jnstsn» Chrüiiy oder die F^rmuseetzung der menseh"
iieket^ Pereonliehkeit. Sie isl hier sunt eweitenmale
abgedruckt \ schon fr&her war aie in der Zeitschrift fCr
speculatiye Theologie von Bruno Bauer ^ erschienen.
Ihren Inhalt bildet eine speculatiye Deutung der bibli-
sehen Lehre von der Praesüstena Christi, Der Verf.
l^ubt diese Lehre nicht sowohl auf Christus als Indi-
TUuum besiehen zu dürfen, als vielmehr auf den Be-
griff, auf die Idee der Persönlichkeit fiberhMipt, insofern
dieselbe in der Person Christi ihre voUkommenste Dar-
stellung findet. Ihr Sinn ist ihm hiernach kein anderer,
als: dafs die Persönlichkeit sich selbst sur VorousseC-
.luag habe. Persönliches, entsteht nicht aus ünperso».
Aehem;' wie jede einsdne menschliche Person nur durch
andere Peraoaen geaeugt werden kann, so führt sich
die crealCirliche Persönlichkeit Oberhaupt in letzter In-
stanz auf die absolute Persönlichkeit €lottes und deren
Entäulserung in dem Schöpfungsbegriffe zurück. — IM^
zweite Abhandlung (S.57— 163) bandelt, der Ueberschrift
zufeige, über die Zukwffi Christi. Das Yerhältnifs
derselben zu der Torigeu giebt der Yerf. mit folgenden
Werten an: 3,b jener seilte aus 4ef Gegenwärtigkeit
des christlichen Bewulstseins, wie es in der persönli*
eben Erscheinung und Wirksamkeit des Erlösers gege«
JaAr6. /. irufeAicA. Kritik. J. 184a I. Bd.
ben war, die Nothwendigkeit der Weise seiner Präexi-
stenis dargethan. werden, in dieser soU der Versuch ge*
macht werden von dem Resultate seiner persönUchea
Wirkfamkeit aus, einen Rückweg zu dieser seiner
historischen Erscheinung; und ilirer Wirksamkeit zu ,
finden, und Uire Bedeutung zu bestimmen." Wir ha-
ben atso in dieser Abhandlung nicht etwa eine Unter-
suchung über den biblischen Begriff der- „Zukunft Chri-
sti," d. h. über seine „Paruaie,** seine Wiederkunft zum
Weltgericht zu erwarten; sondern -vielmehr eine Unter-
suchung über die geschichtlidie Wirklichkeit der Er-
acheinung Christi, nur dafs dieselbe nicht auf dem ge-
wöhnlichen Wege des historischen Forschens vor sich
gehen soU, sondern auf dem Wege riickwärts gerichte-
ter Schlüsse von den Erfolgen des persönlichen Da-
seins Cliristi auf dieses Dasein selbst. In diesem ^nne
geht der Terf» die geschichtlichen Hauptzöge des (jC-
bens der christlichen Gemeinde^ besonders in ihi:er ArQ-
hfBsten Gestalt, im apostoUsdien Zeitalter, jedoch nicht
ohne Hinblicke auch auf die spätere Zukunft der christ-
lichen Kirche durch, und sucht zu zeigen, wie J^dem
einzelnen dieser Zöge ein Moment in der Persönlich-
keit oder dem Leben ihres göttlichen Stifters entspro- .
chen Imben ingsse, und, dem Zeugnisse der Schrift
zufolge, auch wirklich entsprochen habe. Solcherge-
stalt entsteht vor unsern Augeii ein BHd, oder viel-
mehr ein Begriff des persönlichen Christus durch einen
Procels, den man recht eigentlich eine Deduction a po-
steriori nennen klinnte, indem das Nachfolgende zur
Prämisse des Yorangefaenden gemacht wird \ wobei je-
doch nicht au verkennen ist, wie das historische Prin-
cip so^ auf die Spitze' getrieben, wieder in eine Art
von Apriorismus umschlägt. — Die dritte Abhandlung
(S. 164—291) verspricht, über die' Gegenwart Chriiti
zu handeln. Mit dem Ausdruck Gegemoart CAHsti
geht aber der Verf. eben so frei um , wie zuvor mit
dekn Ausdruck Zui:u^fti er meint damit nicht das
66
523
Conrädi^ Chrütui in der Gegenwart^ Vergangenheit und Zukuf^,
K>4
geschichtliche Dasein der Person Jesu von Nazareth,
sondern die Wirklichkeit, weichender Geist Christi in
seiner Gemeinile, in seiner Kirche hat. Es ehthält dem^
nfLdx diese Abhandlung" eine speculativd geschichtliche
Uehersicht des Verhältnisses, in welches sich der reli-
giöse Geist der Gemeinde und Kirche in jden verschie-
« _ _
'denen Hauptperioden seiner Eotwickelung zu der Per-
sönlichkeit ihres Stifters gestellt hat. , In welchem Sinne
diese Uehersicht gefafst ist, wird man, der Hauptsache
nach, leicht abnehmen können, wenn wir angeben,
worin nach dem Verf. die letzte und höchste Stufe je-
ner Entwickelung, die vollendete Gegenwart Christi in
seiner Gemeinde besteht. Diese Stufe ist die Stufe des
speculativen SelbstbewufstseinB über den religiösen In-
iialt, Torausgesetzt nämlich, dafs dieses Selbstbewufst-
sein nicht, wogegen sich der Verf. wiederholt auf das
Nachdräckliclisle erklärt, als das^ abstracto gefafst werde,
worin die Persönlichkeit, sowohl die geschichtliche des
Erlösers, als die immer neu sich erzeugende der Ge-
meindeglieder zu Ghrunde geht, sondern als das con*
crete, worin mit der religiösen Substanz zugleich auch
die Persönlichkeit als die einzig wahre Daseins- oder
Erscheinungsweise der Substanz, erhalten wird.
Der Hr. Verf. WQrde sich mit Recht über uns be-
schweren können, wenn wir .Vorstehendes für, einen
'Auszug seiner Schrift geben wollten, für einen solclien,
'welcher das Wesentliche ihres Inhalts nicht blos äufser-
iich anzuzeigen, sondern in kurzen Worten wiederzu-
geben die Absicht hätte. So aber war es keineswegs
* gemeint; wir haben vielmehr absichtlich nichts weiter,
als eine blofse Inhaltsanzeige geben wollen. Denn zu
einem reichhaltigem Auszuge scheint sich uns die Schrift
nicht zu eignen; aus dein Grunde nicht, weil es ihr,
'bei aller Tüchtigkeit der Gesinnung und Fähigkeit des
speculativen Denkens, welches man in ihr so wenig,
wie In den frühern Schriften des Hrn. Verfs. vermifst^
doch an wissenschaftlicher Präclsion und Schärfe des
'Gedankenganges^ an einem straff angezogenen, überall
gleichmäfsig festgehaltenen Faden der Untersuchung,
und an prägnanten, lichtvoll hervortretenden Resulta-
ten fehlt. Ref. ist weit entfernt, die tadelnswerthe Ma-
'nier mancher Recensenten zu billigen, welche, anstatt
in das wirklich Gegebene, in den thatj^äcblich voriie-
genden Inhalt des zu beurtheilenden Buches einzuge«
ben, und das Verdienst, welches in dem so Gegebenen
'liegt, anzuerkennen, Vielmehr mit Forderungen, welche
iu erfüllen aufiserhllb der Absicht und des Standpuncu
des Terfs. lag, demselben entgegentreten, und weget
Nichterfüllung dieser Forderungen auch das wirididi
Geleistete zu verschmähen oder gering zu achten siek
berechtigt halten. Dennoch glaubt er im gegenwMl*
'gen Falle mit dem Hrn. Verf. darüber rechten sa d(tf>
fen, dafs er nicht gleich von vorn herein die ProUoM^
welche seine Untersuchung zu lösen unternimmt, andm
gestellt, und der Untersuchung selbst eine andere Riek
tung gegeben hat. Er glaubt dies zu dürfen aui im
Grunde, weil, wie er zu urlheilen nicht umhin kuo,
die Gruadanlage des Buches es verschuldet hat, iA
der FIcifs und Scharfsinn, den der Yerf. auf danelW
verwandt, nicht so reiche Früchte trägt, wie er unter
andern Umständen vielleicht hätte tragen können. Du
Problem des Werkes würde sich, bei klarerem Bewvlii^
sein über seinen eigentlichen Inhalt, als dn Utfeii
genau bestimmtes und scharf abgegränztes haben ftt*
*sen lassen; so wurde seine Behandlung, auch ohnek*
deutenden Mehraufwand an speculativer Kraft, ab ler
Verf. zum Behuf seines Unternehmens wirklich a«fg^
boten hat, zu einer eindringenden und lehrreichen iiab«
w;erden können. Der Verf. hat vorgezogen, es iii#^
ger Allgemeinheit zu fassen, darum, ist seine UbM»'
chung, obgleich nicht ohne philosophische LicbtUid»
im Einzelnen, doch im Ganzen resultatlos und uubaftMi-
geud geblieben. ' '
Den Grund • und Mittelbegriff der Uotersnehng
bildet, wie man aus obiger Inhaltsanzefge ersehen ha-
ben wird, der Begriff der Persönlichkeit Christi. So
wenig die Haltung der Schrift im AIIgemeuieB ei«
polemische ist, so zieht sich doch sichtlich genug dwoh
alle drei Abhandlungen die Absieht hindurch, jcair
die Bedeutung der geschichtlichen Persönlichkeit t9>
-flüchtigenden Ansicht, welche in unser» Tagen tatk
Straufs vertreten wird, entgegenzutreten, und ihr |fr
genüber dem Begriffi^ dieser Persdnliehkeit eine Stde
von höherer und intensiverer Bedeutung ancnweitcit
Aber schon darüber bleiben wir im Unklaren, wehta
Charakter der Verf. selbst der Untersuchung befanm
durch die er diesen Zweck erreichen wiH. Soll o
eine philosophische im eigentlichen und strengen Wort-
sinne sein? Aber welches ist denn das Verhfltm&i io
das sie sich zu dem geschichtlichen Stoffe stelltf Vn
dem Gedanken, diesen Stoff in seiner conereten B^
Btimmtheit a priori constmiren zu woUen, ist der Y^*
BK
C^nrodi^
m der Gegen^ifart^ Vergiwgenheit unil, Zukunß*
fm
obneZweiM «ben so eatfenif, wfe jeder andere gebil«
dele JtiDger der neueren Philesophie. Wenn aber die
PMIosephie den geeehiohtUcben Inkalt in diesem Sinne
eenstruifen weder kann noch will, so scheint ihr nidits
(ibrig SU bleiben, als ihn, wiefern er der geschichtliche
ist 9 als gegeben yorauszusetten und ihre Arbeit nur
darauf eu richten, den gegebenen als solchen su begreif
fen. Dafs nun aber dies das Verhftitnifs des Yerfs. su
semem Stoffe sei, nftmlieh zu der evangelischen Ge-
schichte, wiefern dieselbe die Kunde von der geschieht*
liehen PeradnUebkeit . Christi enthält, mCissen wir in
Abrede atellen, und , wird er uns selbst nicht überjre-
den wollen« Die evangeKsehen Erzählungen sollen nach
ibm weder in ihrer Unmittelbarkeit ein vollkommen
trraes, in allen seinen Thetlen beglaubigtes Bild der
Persönlichkeit Christi geben, noch soll der historischen
Kritik, so lange dieselbe auf sich allein gestellt bleibt,
die Aiumittelung des geschichtlich Wahren in jenen
Brsählungen gelingen können. Als diejenige Unlersu*
ehung, welcher dies allein gelingen könne, wird viel-
mehr (S. 58) nicht undeutlich diejenige, bezeichnet, wel*
die der Verf. in seiner zweiten Abhandlung selbst un-
lemimmt, die Untersuchung, welche ,^von dem Resul-
täte der Persönlichkeit Christi auf ihre historische £r-
icheinang und Wirksamkeit zurQckschliefst.** Sonach
dso worde Wenigstens dieser Theil der Arbeit als ein
mehr gesehichtiicher, oder eben so sehr geschichtlicher,
"als philosophischer, zu betrachten sein« Allein damit
steht der übrige Charakter der Arbeit im Widerspru-
tbe. Dieser nämlich läfst hier so wenig, wie ander-
wärts, sich auf das geschichtliche Detail ein, welches
«am Gewinn des klaren und vollständigen Bildes einer
-Ustoriscben Persönlichkeit unerläfslich bleibt. DerYf.
befabt sich. vielmjBhr hier, wie allenthalben, mit dem
bistorischen Material nur, so zu sagen in Bausch und
'Bogen; er nimmt gewisse Hauptzüge desselben, ohne
sichtlich hervertretende Methode freilich, für seinen
-Gebrauch heraus, und sucht sie unter allgemeine Ru-
briken m hringen^ um aus diesen eine Gesammtvor-
etellung des persönliehen Christus zusammenzustellen,
Ton der ea schwer sein dürfte zu sagen, ob sie nach
seiner eigenen Absicht als eine gesohicfatUche Anschau-
ang, oder als ein philosophischer Begriff dieser Person-
Uehkeit gelten soll, die aber in Wahrheit wohl 'gleich
oazureichend für beides sein mochte. — In derselben
aasichern Halbheit zwischen philosophisclicr Betrach-
tung und kritischer Feststellung des Geschichtlicheo
gehen, wenn auch vielleicht weniger auffallend für den
ersten Anblick, auch die erste und dritte Abhandlung
einher. In der. ersten bleibt es undeutlich, ob aus den
angeblich geschichtlichen Aussprüchen Christi über seine
Präexistenz die Bedeutung der Persönlichkeit, YorauSr
Setzung ihrer selbst zu sein, gefolgert werden soll, oder
ob umgekehrt aus letzterer die Authentie jener Ausr
Sprüche. In der dritten aber ist zwar der geschichtli-
che Stoff, mit welchem sich die Abhandlung beschaff
tigt, kein zweifelhafter mehr} aber auch hier vermissen
wir nicht minder die klare Unterscheidung des geschicht-
lich Yorausgesetzten als solchen von der Betrachtung
über dieses Vorausgesetzte. Die Betrachtung spricht
in einem Tone, als gälte es, . dieses Torausgesetzte von
vom zu construiren, und verdui^kelt durch diese Ven-
mischung von Resultat und Prämisse das Bewubtsein
über die Resultate, um \ielche es dem Vf. zu thun war.
Wir stellen nicht in Abrede, dafs die Frage nach
der Bedeutung der Persönlichkeit Christi, welche der
Yerf. zu beantworten unternommen hatte, in der That
der Betrachtung diese zwei Seiten darbietet ^ die gei-
scbichtliche und die philosophische. Auch dies verken*
nen wir nicht, dafs beide Seiten sich einander vielfach
berühren, und dafs nicht wohl eine derselbto ohne itf
gend, welche Berücksichtigung der andern wird erledigt
oder auch nur auf fruchtbringende Weise verhandelt
werdeti können. Aber für unerläfslich halten wir bei
jeder solchen Verhandlung, dafs beide Fragen, die ge-
schichtliche und die philosophische, deutlich unterschied
den werden. Wo das Bewufstsein ihrer Unterscbeir
duttg fehlt, wo die Beantwortung der einen durch Mitr
tel erzielt Wird, die wesentlich in das Bereich der
andern gehöret, oder das Unternehmen dahin geh^
beide mit einem Male und ungesondert von einander
zu beantworten, da kann es iinsers Erachlens nie zu
einem erspriefslichen Resultate kommen. — Die ge-
schichtliche Frage, welche durch Straufs zum Problem
für die Forschung gemacht ist, ist' .diese: Haben wir
eine glaubwürdige und, xureicAende hi%iori%che
Kunde von der geMchichtlichen PerMonlicAkeit Jesu
von Ndxarethf Nach Straufs mufs diese Frage ver-
neint werden. Die Tendenz des Straufs'schen Werkes
geht, wie man sich nun wohl davon überzeugt haben
wird, nicht dahin, die Existenz der historischen Per^
sonliphkeit Jesu überhaupt zu läugnen , auch nicht zu
C^nrmdij CkriMiuM i» der Gegmwmrt^ Fi^gamg^mAeü und Zmkm^ft^
*27
läHgn«!!, dab diese Personlielikeit eine avCierordentlioh«»
Tielleicht eine einzige^ #• in der Welfgetchichte nie
WiederfcehfeHde war. Sie geht vielmehr dahin, lu be»
Weiaeos dafs wir von dieser PersOnllehkeit, von ihrer
Lehre , ihren Thaten und Sehidcsalen ' Iceine eigendidi
historische Kunde t oder, nur eine uhsuverlässige und
unsureiehende besitzen, dab wir von ihr geschichtlich
nur wissen, daf$ üt war, aber nicht, wn sie war.
Dieses rein historische, von dem philosophischen Inhalte
der „Sehlubahhandlung" genau eu unterscheidende Er*
gebnira Jener vielbesprochenen Kritiic läfst sich auch
Bur auf historischem Wege widerlegen« Es murs durch
positive historische Kritik und Forschung nachgewiesen
w^eti, dafs wir von der Persönlichkeit Jesu Christi,
von SMier Lehre, seinen Thaten und Schicksalen wirk*
lieh eine Kunde besitsen, welche an Glaubwürdigkeit
sowohl als Vollständigkeit den Forderungen entspricht,
die vrir vom geschichtlichen Standpunkt aus an das Bild
einer historischen P^sönlichkeit su stellen haben. —
'Solches aber su thua, obgleich wir annehmen müssen,
dars er' im Grunde tmch dieses zu thun beabsichtigt,
hindert unsern Verf. nicht nur die wesentlidi allgemei-
nere speculative Richtung, weiche die Bescliaftigung
tait seinem Gegeostand genommen hatte, sondern offen-
bar auch der Mangel eines klaren Bewufstseins über
die Natur eines solchen. Untemehniens und über dessen
Bedingungen und Erfordernisse. Denn gewifs nur von
solchem Unbewufstsein kann bei der übrigen Tendene
und jffenk weise unsers Verf. die AeufseruDg eingegor
Iren sein, welche wir S. 59 finden: „dafs wir auf hi-
storisch-kritischem Wege, indem wir uns an die un*
mittelbare Ersclieinuiig der geschichtlichen Thatsache
lialten, nipht su der Einsicht und Gewifsheit kommen,
ob das, was uns von ihm ersühlt wird^ der wahre Aus-
druck seines Lebens und Wirkens sei.** Zwar liegt
auch dieser Aeufserung unverkennbar eine richtige Ein*
sieht zum Grunde; namlicfa dafs wir nach Wi^B äußeren
Gründen nie zu einer Entscheidung über das Histori-
sche oder Unbistorische der evangelischen Erzählungen
kommen können, dafs ein Zreugen^- und Urkundenk&-
weit im juristischen Sinne von der Wahrheit des In-
halts dieser Erzählungen im Ganzen wie im Einzehien
unmSglich ist. Allein so wie der Hr* Verfasser jene
Aeufserung stellt, und zwar nicht nur den WpKen
niacfa >steRt, sondern auch im weheren Verlaufe seiner
928
Betrachtung sie faktfach deutet oder auslegt , aagl aie
mehr noch, ab dies. Sie sagt, dafs auch die innern
Gründe, w^che uns sur Annahme oder Verwerfog
der evangelischen Erzählungen ija jedem ihrer einsdaM
TheUe bestioMMa seilen, bicht in diesen Eezablump
selbst, sondern nur aufeerkulb derselben, in dem spa»
teren Verlaufe der Entwiekdung ehristlieher QlaubeMk
und Kirchengemeiiischaft gegeben sind. - Uieniut stallt
sich der Verf., ohne es zu bemerken, in der Tluu auf
gleichen Boden mit der iikeptiselien Ansicht der evan-
gelischen Geschichte. Dean gegen einen solebim-Bftek-
schhafs von den Erfolgen des persönlichen ThuJis Christi
auf die Persönlichkeit, von der diese Erfolge aussa-
gen, liat auch Straufs nichts einsi»wendcn ; er aelhft
macht solchen Schlafs, wenn er, ungeachtet seiner ne-
gativen Kritik aller einseinen Theile der evangelischcB
' Erzählung, doch das faktische Dagewesensein und die
Wirksamkeit der aurserordentUehen Persöalidikeil Jesu
Christi im AUgememen zugiebt. Höchstena kaim es
sich hier noch von- dem Mehr oder Weniger
tcr Eigenschafren und Prädücate handeln, mb
man mittelst jener Rückschlüsse von den Erfolgen .die
Persönlichkeit Ciiristi auszustatten sich btfrecbt%t hal^
Der Verf. erweist sich in diesem Bezüge allerdings
Ireigehiger, als Straufs ; ^ befleifsigt sich , aus der ge-
achiciitlichen Kunde, die wir von dem religiüsea Lebe«
der apostolischen Gemeinde liesitzen, eine HeÜM voi^
Momenten auszuheben und unter gewissen M»dlfiknttap
nen, di^ ihm die Verschiedenheit der SteÜMag am ein-
fordern scheint, auf die Person ihres Meisters,, als
nothwendig in ihm vorauszusetzende, su übertragei^
Allein, durch solch abstraktes Thun kommt Hie «ml
nimmer die kankreie Anschauung ein^r lebendigen ge»
achichtlichen Persönlichkeit £tt Stande; und maa kaaa
überhaupt fragep, was doch von positiver üiinsiciu md
diesem Wege zu gewinnen sei. Denn da die Eigw*
Schäften und Kräfte, die uns, weil wir sie anden Apo»
stein kennen, auch in Christas vorauszusetzen angcseii-
nen wird, bei aDen von dem Verf. aügealandenen Mo^
difikationen doeksta If'esentlieAen dieselben bl«beab
ao ist nicht abzusehen, weiche Bereiolierung vo& Ee»
heblichkeit durch solche Vordt^pelimg ed^ WiederliOf»
kmg eines ohnehin Bekannten unserer Eri<eantnif%
unserer geschichtlichen Anschaauimp zu TheU weiv
4en soll?
^<Der Beicblnfg folgt.)
J^ «7.
Jahrbücher
für
w i 8 8 e n s c h a f 1 1 i c h e Kritik
April 1840.
Chri$tu$ im dar Ctegenwarty Vergangenlieit und
XtiJmtrft. Drei AUäfidhmfeny ah Beiträge
zt§r richtigen Fassung des Begri-ffs der Per^
sonlichkeity ton Kasimir Conradi
(Schlafs.)
Wmn nmi solchergestalt der gesebichdioben Seite
«les GegettStaadee bei UBserm Hrn. Yerf. ihr Recht nicht
%riaderfahrt9 .wemi viehnebr die geBehichülche Frage
von ihni, kidem er sich mit eioer abstrakten Beautwor^
liiii|^ derselben begnl^t» in das Bereich der philosoplii*
Mhen hinlibergelpielt wird; so ist davon die unausbleibr
liehe Folge ^ dals auch die pbilosoplAiscbs Frage bei
ihna nicbt die Wendung erhalt, welche sie erhalten
waßSMUy wenn der Gegensats gegen die skeptische An«
aiobc von der Persönlichkeit Christi zu einem fruchtba*
wn Resultate fGhren sollte. In ihrem ausdruckUcheo,
Bit BewursUeitt gefalsten Unterschiede von der gc-
•chiehtlicben lädt sich- fär diese Frage euie doppelte
Sleliuiig i|ls möglich denken« JBntufeder nämlich es
wird dabei ausgegangen von dem Besultate der skept!«*
MA&t Kritik; es wird nntersucbt^ ob die philosophische
BeSgionsbetrachtung sich, wie Straub es verlangt, bei
diesem Resultate zufrieden ge.ben und was an diesem
Rosvltat fdr das religiöse ^Bedürfnils unbefriedigend
aeheint, aus eigenen Mittelo, aus den Mitteln der spe.
knlativeB Idee ergünEon kann, oder ob sie das Gefühl
di^^er Unbefriediguog zum Bewufstsein erhebend, die
hitflorisehe Untersuchung, so lange dieselbe bei jenem
Besullate anlaugt, für noch nicht geschlossen erklären
und, aine ii^eitore Fortffihrung derselben bis zu dem
Punkte^ wo sie bei der koakreten Anschauung der ge*.
nliiehtiiehen Persdnliqhkeit, um die es zu thun ist, an-
bogt, fordern muls« Od^r zweitens , es wird em pe^
BÜivee Ergcbniis der gesehiehtliohen Untersuchung , ein
tankretes und lebendiges Bild der geschichthcben Per*
aSnlielikeit Christi voraufgesetzt, und von denr Inhalte
Jakrh. /. vn$$9M6ki Kritik. J. 1840. I. Bd.
dieses Bildes die plulosophisohe Bedeutung aufzuzeigen
versucht. Beide Arten der pbilosophiscben Untersuchung-
erkennen wir im Allgemeinen als berechtigt, obgleich
wir nach unserer Ansieht über das Yerhftltnirs des 8pe^
kulativen zum Geschichtliehen, nur von der. ]eUt0ren er»
warten können, dafs sie zu einem positiven Resultato
führen wird. Die erstere wird, dafern sie sieh nicht
bei dem Inhalte der Straufs'schen 9,Schlursabhandlung,''
oder einem ähnlich dürftigen begnügen will, immer nur'
bis zur SielluDg' ehies Problems fortgeben können, des-
sen Lösung sie dann der weiter fortzusetsenden ge»
schichtlicfaen Forschung überlassen mufs. ludessen wird
auch das Terdienst einer selchen Forschiing, trotz des
Mangels an einem positiven Ergebnisse, kein, geringes
sein, dafem es ihr gelingt aus dem.Zusammenhaage der
spekulativen Idee für den ßegriff der geschichtlichen
Persönlichkeit überhaupt, und aus dem Zusammenhange
einer spekulativen Betrachtung des christlichen Reli-
giansinhaltes für die vorauszusetzende Persönlichkeit
des Stifters dieser Religion eine Bedeutung nachzuwei-
sen, welche mis das Eingestfindnifs abnöthigt, dafs ohne
ein urkundliches, historisch beglaubigtes Bild dieser
Persönlichkeit in dem ' religiösen Inhalt eine Lücke
bleibt, welche schon den Gesetzen des goschichtlicheti
Entwickelungsganges zufolge schlecihterdings als ausfüU-
bar oder vielmehr als wirklich ausgefüllt gedacht wer«-
den mufs.
Mit dem zuletzt Ausgesproclienen glauben wir die
Wendung angedeutet zu haben, welche die Untersu*
chung des Hrn. Yerf. hätte nehmen müssen > wenn sie
mit denselben Mitteln jhrem Zweck besser hätte ent- '
sprechen sollen. Eine historische Untersuehung im ei-
gentlichen Wortsinn hatte der Hr. Verf. oifenbar nicht
heabsichtigt ; solche von ihm fordern, zu wollen wäre
also ungerecht« Eben so wenig aber kann er eine
philosophische Abhandlung solcher Art beabsichtigt ha*
ben,^ welche auf einer in der Integrität ihrer Momente
67
531
Conradi^ Chrütus in der GegmwM'i^ Vergangenkeit und Zukunft.
Mi
vorauageeetxten historisehen Grundlage ruht. Da«i
liiuten seine Aeufserungen nicht Mos über die evange«
lische Geschichte in ihrer unmittelbar vorliegenden Ge-
stalt, sondern auch ober das Termdgen der historischen
Kritik, die wahre Gestak dieser. Geschichte su ermit-
teln, EU skeptbck} auch findet sich keine Spur in dem
Werke von einer auf historischem Wege gewonnenen
Ansicht über das Geschichtliche in den evangelischen
Erzählungen. , Handelte es sich blos um die geschicht-
liche Frage,, so dOrften wir behaupten, dars der Yerf.
sieh eigentlich mitStrauls auf gleichem Boden befinde;
der Grund seiner DiflTerenz von diesem Kritiker, , die
•ich allerdings auch über das Geschichtliche erstreckt,
liegt nicht innerhalb des geschichtlichen, sondern inner-
halb des philosophischen Gebietir. Hier nun aber hat
sidi der Yf« über di^ Grenzen der philosophischen For-
schung hinausführen lassen, wenn er von dem -philoso*
phischen Standpuncte aus die Ergebnisse der historischen
Kritik nicht blos als ungenügend aufzuzeigen, sondern
unmittelbar zu rectificiren unternimmt. Hier berechtigt
er uns, mit Erinnerung an den bekannten hesiodischen
Spruch, ihm zu bedenken zu geben, wie viel mehr er
mit der Hälfte gegeben haben wurde, als mit dem Gan-
zen. Die Hälfte nämlich des von ihm Giegebenen nen-
nen wir, wenn er sich begnügt hätte, die Grunde dar-
zulegen, weshalb die Philosophie des Christenthums sich
bei dem skeptischen Resultate der Kritik in Bezug auf
den geschichtlichen Inhalt der evangelischen Erzäh-
lungen nicht beruhigen kann/ Der Vf. hat mehr geben
wollen, als dies; er hat an die Stelle des skeptischen
Resultates sogleich selbst ein positives setzen wollen.
Dadurch ist es ihm begegnet, dafs seine Untersuchung
das gerade Gegentheil dessen, was er. beweisen will,
:wirklich tu beweisen scheint, nämlich, dafs die Philo-
Tsopbie sich bei jenem negativen Resultate allerdings be-
ruhigen kann. Denn wenn die Philosophie, < ohne der
Geschichte und der historischen Kritik dazu zu bedür-
fen, aus ihrto eigenen Mitteln einen zureichenden Be-*
griff des persönlichen Christus zu entwerfen vermag:
Wie anders als gleichgültig wird sie sich dagegen ver-
halten> auf was für Resultate die historische Kritik von
ihrem Standpunkte aus über die geschichtliche Persön-
lichkeit Christi gelangen magl
Und dies nnn ist der wichtige Punet, auf welchen
wir bei Gelegenheit der vorliegenden Schrift mit allem
Nachdruck aufmerksam machen wollten^ da wir einen
Mangel an Bewufstsein über diesen Punet nicht
bei unsenn Hm. Verf., sondern bri nicht Wenigen de*
rer, welche Irom philosophischen Standpunet aus dco
Yf. des „Lebens Jesu" zu widerlegen untemalunäi, be-
merkt zu haben glauben. GewUs erkennen Auciivilr
es als dankenswerth und löblich, wenn von. Seiten der
philosophischen Spekulation das Unrecht nachgewtcMB
wird, welches durch jene Kritik und die sie begldt»
den philosophischen Reflexionen an dem Begriflb im
Persönlichkeit begangen worden ist« Aber nur zu hiiil
vergtfst man, dals die Speculation sich zum MitsdaU»
gen an diesem Unrecht macht, wenn sie den Ergek
nisse der Kritik eine Deduction des Begriffs der P»
sönlichkeit Cliristi entgegensetzt, die von der Von»
Setzung einer vollständig beglaubigten geschidilSelM
Künde von dieser Persönlichkeit frei sein will. Ik
wahre, die a^eoluie Bedeutung der Persönliehkcil^ ib
sotclier, jener Bedeutung, die man mit Recht v<« slba
für den historischen Christus in Anspruch nimmt, k»
steht nämlich gerade darin, dafs diejenige gMlIge Sik»
stanz, welche in jeder einzelnen bestinnnten gesdddrt*
liehen Person sowohl weeentlieh undßkr eiek da i^
als auch erscheint und sieh offenbart^ dafs, ssgesnii^
«Titfstf Substanz das, was sie ist, nur einmal, nur ia^
eer Persönlichkeit ist, und nur in der geeehiehiikkta
Erscheinung dieser Persönlichkeit sich als das efts-
hart, was sie ist. Die Exemplare einer TbieigsttuiS
verschwinden als gleichgültige in dem Begriffs der 0«^
tung; nicht so die Personen, in deren jeder aaeh A
geistige Substanz der Gattung, der sie aögehSrai, srf
eine durchaus eigenthümliche, durch nichts aadeis u^
fserhalb dieser Persönlichkeit zu ersetzende Weise n*
nifestirt. Es heifst, diese Eigenthümliehkeit der Ma»
festation des Geistes in der Persönlichkeit, es heilst ali^
die aSsoltite Bedeutung des Begriffs d^r PenöidicIM
verläugnen, wenn man wähnt, auf dem Wege begri(
lieber Abstraction, etwa durch Schlüsse, die aus d«
geschichtlichen Erfolgen abgezogen sind, zu dea Be-
griffe einer Persönlichkeit gelangen, und den Msagd
einer unmittelbaren Erscheinung dieser Vtw^BÜ^
keit ersetzen zu können* IMes aber thun in Bezug ui
den historischen Christus offenbar alle diejenigen) wel-
che- sich bei einem durch philosophische oder ttIlirl^
salhistorische Reflexion erzeugten Atlgemeinbegriffe M
Christus begnügen, und darüber die Gewifsheb ftkff
den historischen Charakter der evangelischen Deberlie*
S33
Canradiy CArütus m der OtgenfMri^ FergangsmAeÜ umd 2EukunfL
&34
fiflNHig enAdireii la kteaen JBein«B. Wiu hilft et, die
Feffe<m Christi im Begriffe noefa so l^h sn stellen, sie
fiur eine goltlicbe, ja gottglaiche anxuerkeniien, « wenn
ms keine Mamfestation dieser Persönlichkeit Torliegt^
in der wir sie, So su sagen, von Angesicht su Ange*
sieht aehanun, sie vnmittdbar im Geiste vernehmen^
vad mit ihr wie mit einem lebendigen Mensehen Ter*
keiiren können ? Ja, welchen Sinn hat denn noch die
l^lfm^^pruTtg* Gottes in Christo, wenn uns. die geschieht«
liishe Peraftnlielikeit Christi nicht offeniary sondern t^er-
kmrgen ist, wenn uns ihre lebendige AnMchauung ein
ftt aUMnal versagt ist, und wir, um üirem Begriffe
Mif .die S'pur su kommen, su unlebendigen Abstractio*
BMI aus Bolchemi was nicht sie selbst ist, unsere Zu-
Aidht nehmen müssen 1 — Gewifs wenigstens keinen
•olofaen Sinn, der su der Anerkenntnifs des geistig Ab-
aüluleii, welches in der Peüsöulichkeit als solcher, der
individuellen unmittelbar daseienden und erscheinenden
fiegt, in irgend einem V^rhällnüs stunde, sondern höch-
stens einen soleheu, welcher die Person nur ab das
Mütel der gottliehen Offenbarung betrachtet^ und also
auf eine oder die andere Weise suletzt denn doch wie*
der auf die Ansicht der Straulsehen Sohlursabhandlung
Jlluiiiskommt
Was wir hier bemerkt haben, kann swar tunichst
WVF gvgen die aweite Abhandlung der vorliegenden
Seluift gerichtet schönen, es trifft aber in der That
elien so sehr die erste und die dritte. In der ersten
werden die bibUsoheq AusqprSohe Aber die Präexistenz
Cliristi nicht etwa in ihrer historischen Eigenthömlich-
hAt aufgefabt, sondern gans äurserlich als Belege fSr
eimen allgemeinen Sats gebraucht, der seine Wahrheit
In dem Zusammenbange von des Yerfs« philosophischer
Ansicht vollkommen unabhfiogig von jenen Aussprüchen
|ty# Aus dem Zusanunentreffen mit diesem Satze meint
der Y.erf. ganz unbefangen die Aulentlile jener sänunt-
lieh dem vierten Evangelium entnommenen -Aussprüche
foIgerD- zu dürfen, wfthrend gerade dieses Zusammen««
Ireffen, gerade die abstrus dogmatische Haltung, dieser
Aussprüche ilm hätte bedenklich machen sollen, ob die-
eell»eo in dieser Geetali von dem persönlichen histori-
eeben Christus herrühren können. — Am auffallendsten
aber wird der Mangel desjenigen Momentes, worauf es,
^renn der VerC. seinen Gegensatz gegen Straufs gründ-
lich liätte durchfahren wollen, wesentlich ankam, in
der dritten Abliandlung: Hier arbeitet der Yerf. offen*
bar seinen Gegnern in die Hände, wenn er einen Be. '
griff der Gegenwart Christi in seiner Gemeinde, in der
ehristliohen Kirche aufzustellen sucht, welcher nach
ihm zwar das Dagewesensein der historischen Person*
lichkeit Christi voraussetzen soll, in welchem wir aber
das Moment der fortdaliernden, unmittelbaren AueehmS'
UHg dieser P.eisönlichkeit vergebens suchen. Gerade
hier aber wäre es von höchstem Interesse gewesen und
hätte, richtig verstanden, auf dem' Wege des Hrn. Yfs.
gelegen, durch eine streng philosophische Begriffsana^
lyse nachzuweisen, wie die Gegenwart Chrbti in der
Gemeinde eine leere und unbestimmte, nach Beliebea
mit jeder andern zu vertauschende Redensart ist^ wenn ,
nicht dabei vorausgesetzt wird, dals die Gemeinde in
ihrer Mitte ein concretes, individuell -lebendiges und
historiseh« beglaubigtes Bild der geschichtlichen Persön-
lichkeit ihres göttlichen Stifters bewahrt, ein solches,
in dessen Anschauung zu allen Zeiten der Achte Geist
des Christenthums die Gewilsheit seiner selbst und die *
FäUgkeit, «ich neu su eoUnnden und von (remdarttgen
BinflOsten zu läuto» hat.
Weifte.
XLII.
\
Reise in die Steppen des sudlichen Bufslands^
unternommen ron Dr. Fr. Ooejbel^ Professor
der Chemie und Pharmacie zu Dorpat u. s. fr«,
fn Begleitung der Herren Dr. C. Claus Und
A. Bergmann. Ister Theil mit 12 lithogra-
phirten Ansichten, und einer Karte von' der
transwolgaischen Steppe. 2ter Th. mit 6 litho-^
graphirten Tafyln. Dorpaty ISSÖ. in Ato.
Obgleich schon viele Reisen nach den Steppen des
südlichen Rubland's unternommen und die Naturalien
jener Gegenden schon gröfstentheils bekannt sind, so
liefert uns doch jede neue Reisebeschreibung über jene
merkwürdigen Gegenden mehr oder weniger Interes«-'
siinte Resultate. Hr. Goebel, der Verf. dieser Reisebe-
Schreibung, ist als Chemiker der gelehrten Welt be-
kannt, er konnte nur 8 Monate dieser Reise widmen,
aber diese Zeit hat derselbe auch wahrhaft gut benutzt.
Als Chemiker und Physiker richtete er seine Aufmerk*
/
535
Goebel^ ReUe m die SUppm dei Htdticken »nf$lani$.
636
aamkeit «inilohst auf die yntersucbuiig der reicken
Kochsals«, BfUertalz- und Glaubersalsseen, lo wie auf
die ausgetroekueten Salzs^n und' ihre auegewitterten
Sakmasseo ; auf die genauere Erforschung der venMbie^
dienen Salzkräuter hiDsidiilinb ihrer geographisohen
Verbreitung, ilurer Anwendbarkeit zur Sodafabrikation
rnid ihres Gehaltes an Natron in verschiedenen Zeiten
ihres Waduthums; ferner auf die ehemiselie Analyse
des Wassers vom kaspischen, schwarzen und asow-
achen Meere, so wie auf die gasförmigen Exhalatio»
nen der Sehlannnvulkane Tamans u. s. w« Zwei Schü«-
l«r des Verfs., die Hrn. Dr. C. Qaus und A. Berg-
flsann, machten die Reise mit und trugen das ihrige EÜm
Gelingen der E zpedbion bei ; besonders hat - sich Er^»
aterer der BeobadiUing und Einsammlung der Pflan«
zen und Thiere unterzogen. Es darf kaum erwähnt
werden, dafs aneh diese Ri^ise allerhöchsten Ortes leb*
haft unterstutzt wurde.
Das vorliegende Werk zerffiUt in zwei Theile; der
erste enthält einen kurzen histprischen Bericht über die
Ausführung der Reise» während der zweite Theil die
rein wissenschafllichen Arbeiten enthält und überaus
reich an Resultaten ist, durch welche die physikalische
Erdbeschreibung, die Botanik und mehrere andere Fä-
cher sehr bereichert werden, wefshalb auch Reo. haupt-
sächlich auf diesen zweiten Theil sein Augenmerk rich-
teu wird.
Der Verf. trat Ae Reise am 21. Jan. 1834 an, er
war mit physikalischen Instrumenten und Reisegeräthen
gut versehen und richtete seinen Weg über St. Peters-
burg nach Moskau, woselbst er 6 Tage verweilte; ei*
nige Mittheilungen über Moskau geben uns eine An-
sicht von der Pracht, <ler Grübe und der Lebendigkeit
in den Strafsen dieser Stadt, vi^% man von einem der
Thfirme des Kremls, dem Iwan- Welikod-Thurm, am
besten übersehen kann. Die kolossale Glocke soll
6,400000 Pf. schwer sein und in dem gröfsen Exerzier«
haus sollen 10000 Mann manöveriren können. Am
14. Febr. wurde Moskau verlassen und in aller Eile
die Reise nach Saratow ausgeführt, um daselbst noch
vor Abgang der Winterbahn einzutreffen; über den
schleöbten Weg wird sehr geklagt. Einen eigenen Ein«
druck machen auf. diesem Wege die Dikfer, in 4trai
Vordergründe gewöhnlich viele WindmeUen, 12 -»2
und selbst bis SO, oft meistens mit 6 FlQgeln reue»
heQ) stehen. Saratow gewährte einen euUüdEenta
Anblick; im Halbkreise von zienüich hohen GeUif;«
umgeben, liegt die Stadt amphitheatiralisch am sid^oil.
liehen Abhänge derselben ; die Wolga war noek vä
Eis 'bedeckt (26. Febr.) und mehrere hundert enge*
frorene Fahrzeuge mit, ihren hohen Masten ragtei m
derselben hervor« Die Wolga »Inseln wurden bcfloek
und ihre Herrlichkeit geröbmt. Die Salz -Magaiise M
dem Dorfe Pokrowskaja wurden besucht, sie sathid.
ten das Salz vom Elton -See, worüber der Verf. ia
2(en Theile die ausföhr)fehs(en Nachrichten giebt Bk
Magazine bestehen in groCien hölzernen Qebäuden, «d-
che bis unterm Dach mit Salz angefüllt werden; «
sind deren 25 daselbst und jedes enthält MO^ Ui
110,000 Pud (zu 40 Pf.) Salz; unter 50 Pod f«
kauft man nicht aus diesen* Magazin^i. Die Walg»
gebirge bei Saratow sind angeschwemmte Ciebirge^ db
aus verschiedenen, oft unordentlich über und dureUi^
ander liegenden Ablagerungen bestehen, Sand weA
seit mit Thonlagen, bituminösem Kalkstein und G}|i*
ädern; auch diese kahlen Berge tragen soI^hi denChi-
rakter der Steppe, aber in den ausgebreiteten Sd^hnk-
ten dieser Wolgagebirge sind die herrlichsten Ob^ft^
ten augelegt, in welchen Tausende von Bäumen gekcgk
und durch Pumpwerke gewässert werden. In dser da-
selbst angelegten Seidenplantage finden sich gsgsn 7flN
Stück Maulbeerbäume. Die Marien - Celonien , jtBl
musterhaften Yersorgungsanstallen der Zoglfaige ta
Moskauer Findelhauses, Werden ausführlich besdnMbsi^
welche die Kaiserin Maria Feodorowna ua J. 16S
gründete. Anfangs April bekam die Wolga offene Std.
len und im Wolgagebirge zeigten sich die ersten Bh*
men: Ornithogalum pusillum, Yaleriana tuberöse, Bii*
bocodium vemum, Adonis Wolgensis und Tulpen. Di^
Beschreibung eines Steppensturms mit ScbneegcstU«
ist von vieleqi Interesse \ diese StQrme fShren oftnib
ungeheuren Schaden an Herden herbei und selbst die
Menschen finden in grofser Anzahl dab^i ihren Ted.
(Die Fortsetzung folgt)
v¥ 68.
Jahrbuch er
für
wissenscha f 1 1 i c h e
Kritik
April 1840.
,Reüe in die Steppen des südlichen tiu/iland$y
' unternommen ton DnDr. Ooehel.
(Fortsetzung^
Am 15. April ward Saratow verlassen und die Step-
peafahrt in zwei daselbst erbauten Wagen unternom«
jueo) der Weg führte über den Rücken der daselbst
^emlieh hohen Wolgagebirge naöh Kamyschin, wo
iSich die Wolga noph stattlicher ausnimmt als bei Sara-
tow; es werden hier .sehr gute Mühlsteine- gebrochen«
JVachdem die Wolga überschritten war, ging die Reise
sum JBlton - See $ die einförmige Steppe eeigte überall
ihren Fruhlingsschmuck und Luftbilder unterhielten die
Reisenden. Der Elton -See ward sehr umständlich un-
tersucht, wie es die Resultate der schönen Arbeiten im
^Eweiten Theile des BerichU ergeben werden ; hier nur
.noch einige historisch - sta|istische Nachrichten iiber die-
/len reichhaltigen See. Bis sum Anfange i%% 18. Jahr-
hunderts war der See im Besitze der nomadisirenden
Kalmücken; 1705 legten russische Handelsleute daselbst
«i^e kleine Versclianzung an und nun begannen die
JBewohner von Saratow und Kamyschin die Gewin-
jftusg des Salzes aus diesem See.' 1747 legte jedoch
^e Krone eine Sälzverwaltung am Elton an. Der
Elton -See betragt von W. nach O. 20 Werste und von
.8. nach N. 16 Werste; der ganze Umfang 47 Werste;
B kleine Flusse fallen in den See und im Frühjahr ist
.in allen diesen salziges oder bitteres \yasser, aber die
14L. daselbst errichteten Brunnen geben sehr gutes sufses
.Wasser, Schon 1805 sudite man die Tiefe der ange-
häuften Salzlagen dieses See*s zu erforschen ; es wurde
der Grund bis 2 Faden Tiefe eingeschlagen. Die er-
sten SalKlagen waren \ — 2 Werschok dick, aber nach
42 solchen Lagen vergröfserte sich die Dicke auf 5 Wer-
sehok; nach 100 Salzlagen ward die Masse so fest,
dafs die Instrumente zerbrachen. Zur Gewinnung von
einer Million Pud Salz sind 125 Mann den Sommer
/aAr6. /. trutesfciL Kriiik. J. 1840. L Bd.
über beschäftigt; 2 Arbeiter können täglich 600 Pud
liefern und fQr jedes Pud bekommen die Arbeiter 3 Ko»
peken. 1834 waren in den Magazinen dieser Gegend
7 Millionen Pud Salz aufgehäuft, und am Elton wurde
das^Pud mit 85 Kopeken verkauft, und vom Jahr 1823-^
1832 hat die Krone für das Elton • Salz einen Gewinn
von 21,945668 Rubel (Pap.) gehabt I Ueberhaupt lernen
wir aus vorliegender Reise, dafs Ru Islands Salzmaga-
zine für Jahrtausende unerschöpflich sind und einem
unermefslichen Reiclithum einsehiielsen.
Vom Elton - See ging die Reise zum Kirgisen - Khan
Dschanghir^ der unter russischer Oberherrschaft die
Kirgisen beherrscht, welche sich im J, 1805 der russi-
schen Regierung unterwarfen.und die Steppen zwischen
der Wolga und dem Ural bewohnen ; wir erhalten eine
interessante Beschreibung des Privatlebens und des
ungeheueren Luxus, welchen didse^ Fürst in seinem
Pallaste entfaltet. .Alle Möbel waren- von Mahagoni,
grobe Spiegel und Kronleuchter und die prachtvolbten .
persischen Teppiche zierten die Zimmer ; man speiste
daselbst nach europäischer Art und feine französiselie.
Wekte wie Champagner fehlten dabei keineswegs. Die
jährliche Weiorechnung des Khans hat 14000 Rubel
betragen. Diese Kirgisenhorde soll aus 189,300 Indi*
viduen bestehen, die in 16^550 Kibitken oder Jurten
(Filzzelten) herumziehen; sie besitzen -99,300 Kamele,
165000 Stuck Hornvieh,' 824,500 Schaafe (Pettschwänze)
und 496,500 Pferde. Der Handel, welchen die Rus-
sen mit den Kirgisen betreiben^ bt sehr lebhafi; im J.
1823 betrug er fast 3 Millionen Rubel
Die Fortsetzung der Rebe Wurde, über die Vor«
posten Glininoi am kleinen Usen nach der Festung der
Indersk*schen Berge gerichtet, wobei die Wasserbassins
der Kamysch-Samara-Seen untersucht Vurden; auch
zu jenen Gegenden hat sich die Tarakane (Blatta orien-
talis) in solcher Menge verbreitet, dafs sie fast im
Stande bt den Menschen zu vertreiben. D^r \f. giebt
68
530
Goebely Bette in die Steppen des südUeAen Bufolande.
5)0
mehrere Beispiele von der Gefräbigkeit dieser Thiere,
welche ihm sogar die Stiefelwichse Terzehrten. (Reo.
erlebte es, dafs diese Thiere die Tinte aussoffen, hier-
auf in eine Nebenkajute gingen^ durch die Schlössellö-
clier in den Kleiderschrank drangen und die Tinte auf
die reine Wäsche wieder entleerlen). Unser Reisendem
war bei dem Fischfang im Ural sugegen, welcher durch
die dortige Militairhehörde in gröfster Ordnung gelei-
tet wird; ein Hetman mit einer Kanone und einem Pul-
▼erkarren war dabei stätionirt. Ueberall an -den Ufern
wurden die herrlichsten Sewrjugen und andere schöne
Accipensen - Arten aufgehäuft und viele Hände waren
damit beschäftigt den Kaviar und die Hausenblase zu-
zubereiten, wie die Fisi^he einzusalzen. Züge von Hun-
derten von Wagen bringen die Ergebnisse des Fisch-
fangs davon ; der Flufs wimmelte von Kähnen und Net-
zen und tägliifli wird nur eine kleine Strecke ausge-
fischt. Die uralischen Kosaken treiben Viehzucht, Vieh-
handel und Fischfang, letztem die ärmeren; im Winter
.schätzt man die dortigen schönen Fische wie folgt:
Stör obenan,, das Pud gegen 12 Rubel (3. Thlr. pr.),
^ie Sewrjugen 10 Rubel, den Hausen 8 Rubel, den Ster-
let aber nur 5 Rubel.
Der Ural - Fluis scheint sein Bette von Gurjew aus
seit Pallns- Zeiten sehr verändert zu haben ;* eine Menge
von Kanälenj welche früher vom Ural nach dem caspi-
schen Meere führten, sind ausgetrocknet, aber noch im-
mer bildet die Mundung de$ Ural ein vielverzweigtes
Delta, welches aber immer mehr und mehr verschlammt,
wozu die Fischerei auf dem Flusse nicht wenfg beitra-
gen soll. Gurjew gegenüber liegen auf der asiatischen
Küste einige hübsche Obstgärten; an den Ufern eines
der Kanäle des Ural wimmelte er von Coluber hydrus
und scutatus und den grofsen lachenden Fröschen (Rana
eachinnans). Der Verf. unternahm vom Ural aus eine
Fahrt in das caspische Meer, um daselbst das Wasser
zur Analyse zu schöpfen \ vor den Uralmundnngen war
das Meer so seicht, dafs die Tiefe oft kaum 1--3 Fufs
betrug. Eine Menge Seebunde, Pelikane und Möven
belebten die Wasserfläche. Nach der Rückkehr ging
die Reise über den Vorposten Jamankalinsky und ent-
lang die Küsten des caspischen Meeres nach Astra-
chan; die Reisenden erhielten die Nachricht, dafs das
Wasser dieses Meeres seit 1810 um drei Arschin 'ge-
fallen sei.
Unter den Nachrichten über Astrachan finden wir,
daf» die Ausfuhr im Jahr 1829 über 3 Million Robel
beitrug, die Einfuhr dagegen nur etwas weniger; imier
den Droguerie^Waaren war die grofse QuandtHt Gat
banum bemerkenswerth, welches hier in Thierhfiutai
gepackt zum Verkaufe auslag. Es waren einige 19
Säcke zu 1^ — 2 Pud, aber von der weichen und {dk
lieh gefärbten Sorte, ohne Kqrner aber von starkem Ge>
ruche ; der Preis betrug 10 Rub. B« A. für's Pud. Vei
Astrachan aus fuhren die Reisenden mit einem Daii|£
boote die Wolga hinab bis zum Leuehtthurme im eaip»
iichen Meere, eine Strecke,^ die 125 Werst letcagt; die
Mündung der Wolga liegt nur 85 Werst Von Astia»
chan entfernt. Auf dieser Fahrt ward die Quarantaine
besucht, welche seit 1833 von der Insel Bentul nack
einer andern verlegt ist, welche unfern der Hauptm&n*
düng der Wolga liegt, und zugleich erhalten wir ein
ausführliche Besehreibung dieser Anstalt. Bei einer
Ausfahrt nach Tscherepache^ 12 Werst von Astraehai
entfernt, wurden die Gärten mit ihr^n praphtvoHen Aik
lagen besucht, ;welche sich da-selbst auf einem Gute k^
finden; man pflückt daselbst tSglieh 400 bis 600Pfni
Centifolien- Rosen, welche für die Oriental^sn zu Re^
aienwasser verbraucht werden. Die feurigen Wdae
Siciliens und Ungarns, die des Rheingaus und Frank*
reichs, so wie Champagner, alle dort gezogen und ge^.
keltert, finden sich in den gemauerten Kellern jeM
Gutes. Gegen 30 verschiedene Traubensorten wetlea
dort gebaut und an 6000 Weder Wein gekeltert. Wi
ersten Astrachaner Trauben werden frisch nach Moieii
und Petersburg versendet und das Pud wird dort sk
3 — 4 Rubel B. A. bezahlt. Das Beschneiden derll^
ben geschieht im Herbste und die Reben, deren Tni»
ben gegessen werden sollen, werden stark bewäsaerti
an guten Küpern fehlt es jedoch noch recht sehr.
Am 3. Mai "wurde Astrachan verlassen und lei
Krasnojar aus die Glaubersalzseen von Kigatsch be-
sucht und dann von Chotschetaewka ans die Reiie
durch die Steppe zum Asargar, zum TschaptsehlilK^
zum ' Bogdo-Berge und über Wladimirowka nach 8i*
repta gemacht; hach d^m Hodometer betrug die Ent*
fernung von Chotschetaewka bis zum Asargar I^(
Werste, von da zum Tschaptschutschi 72,5 Werste,
zum Bogdo 92,7 Wersle und endlich nach Wladimi-
rowka 47,5 Werste, woselbst die ReLsenden wieder
über die Wolga gingen. Zu Sarepta wurde Hr. Go^
bei leider von einem Nervenfieber befallen, welches ÜA
641
M^te* ie» Etra ou* Orantada^
h\%
Hw kostbar« Wochen der Reisezeit muUe. Herr
Zwiek EU Sarepta besitzt eine asialbche Manssamm-
,tttBg, deren gr^rste Seltenlieiten anfgefUlirt : werden.
Von Sarepta aus ging die Reise durch die Steppe nach
Neu • Tscherkask und nach Taganrog, woselbst der
Kaiser Alexander entschlief. Die Stelle, welche die
Kaiserin in der Sterbestunde ihres Gemahls eingenom*
men hatte, schmückt ein kleiner schön gestickter Tep--
pich, auf welchem die ^orte: Unser Engel 'ist im
Hinaaiell eingenäht sind.
(Die FortsetsBDg folgt)
XLIII.
M^ses bsf$ Esra aus Oranada, Darstellung seines
JLebens Und literarischen IVirkenSy nebst hebräi-
schen Beilagen und deutschen Uebersetxungen^
von Licapold Dukes. Altana^ gedruckt bei Ge*
ArUder Bonn. 8. #Y u. 115 S\ {Jahrxahl fehlte
Vorrede ist 1839 geschrieben^.
Der Verfasser dieses gehaltreichen Werkchens hat sieh der
gdehrten Welt schon vor einigen Jahren durch das von ihm
keransg^ebene Werk: „£Areiijätf/eji und Denkneiue zu einem
kßU^ftig^n Pantheon hehr'dUcker. Dichter und Dichtungen^** Wien,
1S37. auf das Tortheilhafteste bekannt gemacht« Wie dort ein
gefeierter Dichter (Salomon ben Gabirol) der Haaptgegenstand
der Bebandlang ist, so aach hier; mehr aber noch als dort steigt
Hr* O.) une seiner Begeisternag für die von ihm besonders ge-
yfle^te Wissenschaft auch sein Fleifs entipricht, and eine that-
luraftige AnsfiihrBn|[. nicht hinter seinem gnCen Wollen ^znriick-
Ueibt.
Durch das vorliegende Werk kann sich der Blick des flüch-
tigen Ltcsers abermals an den eigenthiimlichen Schönheiten der
XiHentar and Geschichte der grofsartigen Maurisch -Spanischen
Periode weidea; aber der tiefer forschende Gelehrte vom Fach
vird hier aagleich manchen Resultaten begegnen, die für bibli-
Bcke Elxegese und Literaturgeschichte gleich wichtig sind, und
ihre Forderung auf Anerkennung noch deshalb hoher steigern
dSrfcn, 'weil sie sith auf eine mühsame Lektüre von vielen Hand-
schriften gründen, ' die im In- und Auslande zerstreut liegen. - Es
ist Hr. D , der zum ersten Male die, bis auf einzelne Gedichte,
■naainlKeh angedruckten Werke des. Moses ben Esra in ihrem
S^dsmainienhange prüft, und uns in einem anschaulichen Gemälde
die vielseitige Geistesthätigkeit ihres Verfassers darstellt. Im
poetiaeben Theile jedoch hatte er einen Vorgänger an Professor
iMzzaio in Paduuy welcher kurz vorher in dem vierten Bande
der hebritischen BrieCuimmlung, "iCn Ü^JS mehre profane
• V V •*
Gedichte abdrucken liefs, die Hr. D. von ihm früher brieflich zar
Veröffentlichung in seiner Schrift mitgetheilt erhielt.
Die Annahme, dafs Moses ben Esra ganz dem 11. Jahrhun-
dert aDgehüre (Wolf lälst ihn 4080, De Rossi 1100 sterben)
wird durch den Veiifttsser widerlegt , indem ' er ein Gedicht von
ihm anführt, das die Jahrzahl 1137 an der Stirne trägt. „Seine
philosophische Gelehrsamkeit,^ heifst es S. 2., „beurkunden drei
Werke ..... 1) DTOSH PlSI^^ Oewürzbeet§ es ist aaf
der Hamburger Stadtbibliotbek , Cod. Hebr. 310, 6 Quartblätter
stark. 2) yN'^nSN ini SSrO, Blumen der GarUn; in
der Qxforder Bibliothek Cod. 494 bei Uri (Siehe nnten). 3)
HTOhÜ SNT NISnO hN weiches schwerlich
in einer Europäischen Bibliothek zu finden sein dürfte ."
Die poetischen Schöpfungen zerfallen in religi(ise Gedichte
and in profane. Von den erstem siqd mehre in verscMedenq
Gebetbücher aufgenommen. Hr. D: wandte grofse Mühe und
Talent an, alles davon gedrukte zu sammeln und zu prüfen; er
verglich in Sffentlichen und Privat - Bibliotheken die seltenste^
Druckwerke und Handschriften, und es gelang ihm, hier an' 200
der schünsten Gebete des Hymnologen zu beschreiben«
Zu den profanen Gedichten fibergehend, finden wir zunächst
eine Sammlung beseh rieben, die sich unter dem Namen Diva»
bis auf unsre Zeit erhalten hat, aber wahrscheinliqh nur noch
ein einziges Mal vorhanden ist. Sie ist im- Besitze des Prof.
Luzzato. Sie enthält ungefähr 10,000 Verszeilen, von welchen-
schöne Muster im Vorliegenden gegeben' sind, und durch die
nach brieflichen Mittheilungen des Besitzers, hier abgedruckten
Ueberschriften und Zueignungen vieler dieser Gedidite kann das
Alter und die Lebens-Verhältnisse mancher historisehen Personen
ermittelt werden.
Das gröfste Werk des Moses ben Esra ist das Bach WV^J%
welches handschriftlich in den öffentlichen Bibliotheken zu Ham-
burg, München und wahrscheiulich zu Paris ist (wegen Oxford
s. unteh); aufserdem besitzt es auch der genannte Luzzato. Der
ältere Titel des Boches, wahrscheinlich ihm von seinem Verfas-
ser schon gegeben , war P jy^ d. L Hahketee, Getchtneide, Spä-
ter, unbekannt zu welcher Zeit, nannte man es : TD^W*^n weil der
Zahlwerth der Buchstaben dieses Wortes die Sumnie von 1210
giebt, nnd es auch der Bedeutung (Edelstein) nach von dem
Worte pjy nicht ganz fem ist. Wie wegen der Verszaht, so
hat man ihm auch wegen der Versart einen neuen Namen
Ü^2^ (fälschlich beim Verfasser n'>J3iM)^ beigelegt Dieser
Ausdruck, dessen Bedeutung Hr. D. nur nach einer Stelle bei
A. Gavison zu geben vermag, und die der im Arabischen sonst
bewanderte Luzzato durch etymologische Spielereien zu gewin-
5 o -»
nen sucht, ist nichts unders, als das Arabische lyjL^^Alsziiy
worüber das Nähere in der De Sacyschen Ausgabe des Hariri
p. 233 schal, und in Freytags „Darstellung der Arab. Verskunst"
S. 522 nach zusehn ist.
Den Inhalt dieses In zehn Kapitel zerfallenden Buches' be-
schreibt Hr. D. folgendermafsen : „Das erste Kapitel ist blo£s
der Rahmen ^r die Lobeserhebungen dessen, dem das Buch des-
Cap. 8. Dt ■olitaria %-ita
Biort« rtc.
^ 543 Moses Aen Esr0 4ms Granada.
dicirt ist Id dec That sind viele dieser Lobeserheboft-
gen mit grofser Kühnheit' aasgedrilckt) und wOrden, wenn nie. dem
Chalifen von Bagdad in der Bliithezeit des Chalifats, oder dem
Chrofs-Mogiil gemacht worden wäreni auch sehr übertrieben und
allet Maafs überschreitend sein • • . . , Deif Gegenstand des
t weiten Kapitels ist IFWn, Oesang und Liebe. Lob ^ei Lanä'
iebem macht den Inhalt des dritten Kapitels aus. Liebeepem und
Trennung beklagt der Dichter im vierten Kapitel. Das fünfte
besingt ichöne Mädchen und Knaben, Im sechsten wird über
faliche Freunde, im siebenten über das Hinschwinden der Jugend
geklagt. Im achten werden Betrachtungen . über irdische Ver^
gangUchkeit angestellt. Im neunten werdt^n Elitre und Mensclien^
würde besungen, und das Vertrauen auf GoU empfohlen. Im
zehnten endlich sind verschiedene Gedichte zum Lobe der Poesie,^
Wir haben die Inhaltsangabe defshalb etwab ausführlich mit-
getheilt, weil wir die Berichtigung eines Irrthums daran knüpfen
wollen, den Üri zuerst begangen und seine Nachfolger in der
liodlt janischen ßibliotheh beibehalten haben, der auch den gründ-
lichen J. C. Wolf verführt hat, und den endlich |Ir. D. selbst,
unbegreiflicher Weise überschn hat.- Das Buch ^7W SNH^
VK^^^N nämlich, welches dieser als das zweite philosophische
Werk angiebt, ist ^etJt anderes als TD^^U^^H« Referent hat bei
einer andern Gelegenheit schon auf diesen bibliographischen Irr-
thum aufmerksam gemacht, und es bedarf hier nur einer Zusam-
menstellung dessen 5 was Luszato vom Inhalte seines U^^V^^H
berichtet (S. Kerem Chemed 4. Th. S. 71.) mit dem^ was Uri
Tom Inhalte der zehn Kapitel des y^4^^hK \ b (C^^* ^^4)
sagt , um den Leser zu überzeugen , dalif dieser Codex nichts
anders enthült, als das, was Hr. D. von dem Hamb. Tharschisch
^ erzKhlt, kurz dafs tü'^lÜ'in »nd yN^^^N *\ *3 identisch sind.
Das erste Kapitel hat Uri irrthümlich für ein Lob auf Gott ge-
nommen, weil er wahrscheinlich die ausschweifenden Lobeserhe-
bungen nur auf Gott beziehn zu müssen glaubte; wir schliefsen
es daher von unsrer Zusammenstellung aus, obgleich dieses neue
Yersehn Uri^s handgreiflich genug ist. Dagegen rergleiche man
vom zweiten Kapitel an.:
Uri Cod. 494 mit Luzzato a, a. 0.
Cap. 2.Deconmiw etc. ^On nn23«>l HH^O
- 3. - aqai«, hortw etc, H^ifiiyn noT^ man ns"»^"
614
nyö, |om nnaoo
nsc'bom •\vir\ fem
4. — -amore etc.
5. — senectute etc.
6. — rerum mutatione
etc.
7. — discessn ab ami-
eis etc.
ro^^T^ Sy
. — 9. — fidttcia In deum
etc.
— 10. — solutae orationit
puritate et liga-
tae elegantia.
Im Hamb. Tharschisch haben nnriCapitel 5 und 7 ihn Stil-
len vertauscht; aufserdem aber entspricht sein. Inhalt, Mie nn
gesehn, ganz dem Luzzato^schen und dem Oxf. Cod. 494. Diem
ist sonach kein neues Werk des Moses ben Esra, soadeniiii
neue Handschrift seines Tharschisch* Den Arabischen Nua
mufs man Wahrscheinlich der dortigen Arabischen Ptraphraie
viudiciren.
Von S. 50—60 bietet uns Hr. D. Uebersetzangen au dei
Büchern Dioan und Tliarschich^ wobei er mehr Gewandtheit, ib
Rücksicht auf das Metrum zeigt. Eiue der Uebertragnnges Ttf-
dient aus mehrern Ursachen RUge,' besonders defshalb^ veil te
Uebersetzer das Original wahrscheialieh falsch gelesen hat mk
diesem dadurch ein sinnloses, nnd noch dazu unedles i Bild n^
bürdet Wir meinen das S. 54 aus dem Tharschisch übenetitt:
Gemach doch* o Gazelle l
"Sicht umgebracJit den artnen Gasi^
Mit Busen wie die Pfeilcf
Süyser als der Honig fasU
Die ersten Wqrte der dritten Zeile müssen nodii^end); imI
Hr. D. Uebersetsung Q^*!U^3 heiDsen ; es stand aber unpriig'
lieh wohl 9 oder steht im Hamburger Codex wirklich Q^3^)0
mti Augen» Schwertich ist das Wort J?acieji bloller Dnicktthi
für Blicken.
Znm Schlüsse theilen wir das S. 101' aas den IMw
' entlehnte schone Gedicht : „Auf die Gräber"* überschriebet nit:
Vy mayb -^sa^yo •^jisc^pn
?^DNi ON ^ny "^a inaan
.^Dipo DTv^nah •^aw)ni
Welches wir so Übersetzen:
Aufgeregt von Bildern erging ich mich dorten^ wo frisdM
Schlummern^ die mich erzeugt, schlummern He einst mich ßduH'
Grüfsend nahV ich, jedoch nicht erwiedert wurden die Grüfttl
Haben die Eltern sogar treulos verlassen mich schont!
Feierlich ohne des Worts vernehmlichen Laut sie mich fw/«»
Zeigend zur Seite den Ort, welcher nur meiner noch hont
L.
Ji^ 69.
J a h r b ü c h e r
w i 8 8 e n s c h a f 1 1 i c h e K r i t ik
April 1840.
Meüe m die Steppem des sudUcken Rufelande^
unternommen ron Dr. Fr. Qoebel..
(Fortoetzang.)
Ton Taganrog machten die ReiseiKden d|e Fahrt
Sber das Asowache Meer nach KerUchi wobei sie ei«
neift heftigen Sturm anaKustehen hatten $ aie hindeten
bei JenUcale und besuchten die Naphthaquellen und
SehlainniTulkane jener Gegend. Auf den Gipfehi meh-
rerer fiugel seigten eich 4 Zoll bis mehrere Fuls im
Durchmesser haltende Oeffnungen mit einer achhimmi.
geu Masse angefüllt, die in einer wallenden Bewegung
war, als ob sie kochte. Yen Zeit su Zeit hob sich die
Blasse über den Rand und flofs den Berg hinab. Auf
tfinem Berge fanden sich, gegen 20 solcher Ausbrüche,
wahrend in geringer Entfernung wieder ein einselner
froiserer Sclilammvulkan in einer Vertiefung von 20
Fufs Durchmesser in Thätigkeit war. Es erhoI»en sich
liier Blasen, und Steine, welche in den Schlamm ge-
worfen wurden, schienen wie in eiuen Brunnen su
fallen. Zu Kertsch befindet sich ein Museum für die
In der Umgegend aufgefundenen Alterthumer; man hat
aber .die vielen wertbrollen Sachen nach Petersburg
kommen lassen* Taman wurde besucht und 19 \Y erste
hinter Taman der erste Schlamm^lkan besichtigt;
die Gewinuungsweise der Naphtha ist hier wie am kas«
piftchen Meere. Bei demDorfe Aklanisowka, 40 Werste
Ton Taman, liegt ein anderer Schlammvulkan ; er ist
fast 300 Fttb hi>ch und hat mehrere Oeffnungen, wel-
ehe jedoch gröfsteniheils verstoj^ft waren. Yon Kertsch
führte die Reise nach Sympher6pol und von hier aus
wurde die Südküste . der Krjm besucht, welche ihrer
schönen Natur wegen vielfach gepriesen wird; il^ber
Eupatoria, Perekop, Pereslaw, Cherson und Nhsolajew
. ^ng es nach Odessa und von hier aus wurde die Rück-
kehr nach Dorpat bereits am 28. August angetreien.
Die schonen speziellen Arbeiten, welche den la-
Jahrb. /. wiMMch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
hi|lt des xweiten Bandes bilden, beginnen mit den che*
mischen Untersuchungen der wichtigsteh Salzseen und
Salzflüsse der transwolgaischen Steppe und der Krym,
welche grofses Interesse darbieten. Das Wasser
des Elton*See8, welches schon von Erdmann und H,
Rose analysirt worden ist, mirde im Frühlinge ge-
schöpft ^nd gab bei der Analyse eiüen auffallend gro-
Iseren Gehalt an Chlomatrium, nämlich 13,1 pr. C,
während Erdmann 7,1 und H. Rose nur 3,8 pr.C. fan-
den, dagegen sehr bedeutend weniger Chlortalcium.
Der Verf. erklärt diese Abweichung dadurch, dafs zur
Zeit des Frühlings, wenn die Selineemassen der Step*
pe geschmolzen . sind und dadurch dem Elton »See
euie uhgeheüre Masse von süfsem Wasser zukommt,
das Chlortalciuni sich in einer verdünnteren Lösung
befindet, dafs aber der Gehalt an Kochsalz zu die*
ser Zeit in dem Wasser weit greiser als im Som-
mer ist, weil mit dem Beginn des Sommers erst die
Yerdunstung des Wassers und dadurch die. -Aus-
* •
Scheidung des Kochsalzes beginnt. Die leicht lös-
lichen Salze, wie Chlortalcium, Bittersalz u. s. w. wer-
den aber mit dem Verdunsten der Waasermasse in um
so gtöfseren Quantitäten zurückbleiben.
Ein Nivellement, Welches der Verf. zwischen dem
Elton-See und der Wolga ausrührte, lehrte,, dafs das
Iiiiveau des Elton-Sees 6,5 Toisen unter der Wolga bei .
Kamyschin und 9,6 Toisen über dem Niveau des cas-
pischen Meeres liegt. Der Elton -S^e erhält seih Salz
keines Weges, wie Mehrere meinen, durch Salzfl^tze,
welche unter dem See liegen, sondern der Verf. über-
zeugte sich vollkommen, ^dafs das Eltonsalz ein abgela-
gertes Salz ist, welches durcli einige Flüsse, besonders
dbrch die Charysacha, dein See zugeführt wird. Die
speciellsten Beobachtungen beweisen dieses; die Was-
sermasse der Charysacha giebt ein trapezförmiges Pro-
fit von 368 Quadrat-Fufs, und giebt mau ihr einen Fall
von 48 Fuls auf 400 Werst, so erhält man eine Was-
69
547
Goebely Reise in die Steppen des südlichen Rufslands.
sermasse von 460 Kab. Fufs in der Sekunde,^ und diese
Masse enthält 1515 Pfund Salz (66 Pfund auf einen
Kub. F^.)« £s wird also dem Elton -See jährlich un-
gefkhr eine Salzmasse von* 47,777 Millionen Pfund zu-
geführt. Der Verf. liefs sich ungefähr 1| Werst in
den Elton-See fahren, und hier war der Grund dessel-
ben ähnlich einer spiegelglatten Eisfläche mit einer fe*
sten äalzmasse bedeckt; die darüberstehende Salzlauge
war 8 Werschock tief und auf ihrer Oberfläche er-
zeugten sich beständig Salzkrusteti, welche darin nie-
derfielen. Bohr^'ersuche gaben Aufschlufs über die Na-
tur des Bodens am Elton; eine Arschine tief lagerte
festes «Salz, welches mit ' dünnen Schlammlagen abwech-
selte. Hierauf kam eine reine Schlammlage von einer
Arschin Tiefe, hierauf abermals ein Salzlager von j-
ArsehiH Dicke und unter diesem ein zäher, grauer Thon
. von 6 Arschin Tiefe,
'Ungeheure Massen von Kochsalz werden alljähr-
lich während des Sommers aus dem Grunde des Elton-
See's gebrochen; es zeigt sich schmutzig- weifs, IstaKer
von fremden Bestandtheilen ziemlich rein. (96,5 pr. C«
Kochsalz, 1,8 pr. C. Wasser, 1 pr. C. Gjps und eine^
Kleinigkeit von Clilorkalium und Chlormagnium.)
Der Verf. legt uns die sprechendsten Beweise vor,
dafs alle Salzseen der Steppe ihren Salzgehalt erst
durch Bäche und Flusse empfangen, die sich,'*aus Stein-
salzlagern kommend; in sie ergossen, und ebenso ver-
halten sich die Seen zwischen dem kaspischen und
dem schwarzen Meere, so das Salz der Krym'schen^
Salzseen. Kleinere Salzseen, die Salzpfützen der Step«
pe, in welche sich kleinere Salzbäche ergiefsen, mögen
ihren Salzgehalt vielleicht höhergelegenen gröfseren
Salzseen verdanken, deren Lauge durch )interirdische
Abflüsse, ihnen zusickert So mögen auch die ausge-
trockneten Salzseen am nördlichen Ufer -de^ kaspischen
Meeres entstanden sein.
. Der Verfasser giebt femer die genauesten Analy-
sen des Wassers vom Gorkoi-Jerik (bitterm Bach) am
Elton-See, des Schlammes vom Elton -See^ des Was-
sers vom Gorkoi-Osero (bitterem See), welches 2 Pro-
cent Salze enthält, die aus Gjps, Bittersalz, Glauber-
salz und Kochsalz bestehen. Ferner die Analysen des
Wassers vom Kamysch-Samara-See, des Wassers vom
Stepanowo - Osero zwischen den beiden Usen - Flüssen,
welches 22,4 pr. C. Kochsalz und nur geringe Zumi-
schung von Chlormagnium und schwefelsaurer Talk-
548
«de enthalt, so dafs es zu den reichen udd reiniun
Salzseen' gehört. Das Wasser des Indersksehen Sah*
Sees enthält sogar 23,9 pr. C. Kochsalz, 1,7 ^r. C.
Chlormagnium u. s. w. ; derselbe soll im Sommer gau
austroeknen, denn er wird von einem kleinen SalzflQli.
cheu gespeist, dessen Wasser zwar nur 2,7 pr. C
Kochsalz enthält, aber jährlich doch an 586 MillioM
Pfund dem Inderskschen See zuführt.
Die Untersuchung eines der 17 Bittersalzseen, wd-
ehe in einem kleinen Umkreise am Kigatseh lieg«o, irt
gleichfalls von ' vielem Interesse \ das Wasser eattitt
in 100 Theilen 8,2 schwefelsaure Talkerde, 9^9 Chlor-
magnium und 11,5 Chlornatrium. Diese Salzlauge bil-
det ebenfalls weifse Salzkrusten^ welche zu Boden fal-
len und eine Salzrinde auf dem Boden bilden, die ni
schon krystallisirtem Kochsalze besteht; diese Bisii
erlangt im "Verlaufe des Sommers die Dicke von 1 Ui
1^ Fufs. Unter dieser Satzlage findet sieh in aUea je*
neu 17 Seen ein Salzgemenge von schwefelsaurer Talk»
erde und schwefelsaurem Natron, welches früher tmtir
dem Namen des Astrachanschen Salzes verkauft wimbi
Es Ijagert gegen einen Fufs tief uad daräber, und te
Yerf.' hält es für ein Doppelsalz, bestehend aus 1 At
schvi^efelsaurem Natron, 1 At. schwefelsaurer Talkerie
und 4 At. Krystallwasser ; er macht femer auf des b>-
glaublichen Reichthum aufmerksam, welcher is der
Salzmasse der Karduanscheu^ Bitterseen liegt. Die Re-
gierung sollte sich der Sache annehmen und kohleih
saures' Natron und kohlensaure Magnesia aus jenes
Doppelsalze machen lassen $ nach ungefähren Sehit-
zungen wäre von Ersterem für 810 MillioDeo ViM
»
und von Letzterem für 629 Millionen Rubel dsraiu n
fabriciren«
Das Wasser des grofsen und reinc^n Salzsees an
Arsangar besteht in 100 Theilen aus 17,8 ChlornatriuB)
0,1 Chlormagnium und einer Spur von schwefelsavna
Kalk und Talk, das des Bogdo.Sees, welcher im SfA-
Sommer ganz eintrocknet, sogar 18,9 Chlornatriufli, M
Chlormagnium, 0,9 Chlorcalcium u. s. w. Das Wssier
des Salzsees Tusly beilSak in der Krym, der dndi
seine wirksamen Schlammbäder berühmt ist, entbiek h
IW Theilen 18,1 Chlornatrium, 5,7 Chlormagniaa, iß»
schwefelsaure Talk^rde und etwas ChloVkalium vrf
schwefelsauren Kalk. Endlich hat der Verf. auch eine
sehr umständliche Analyse des Badeschlammes 9us des
Salzsee Tusly gegeben, welcher ein sehr zusammenge-
M9
Q006ely Beue in die Siepf^m^thi indliehen Rußlands:
S50
aetxies Aggregat der versehtedenartigsten SnbsUmteii
der ScUaminiiiaäse iit. Der roihe 8al»ee (Krasnoe-
Osera) bei Perokep in der Krym seigce sich aber als
der reiehste der Salzsecen $ win Wasser entbiek 37,2
pr. C. Salze, utid zwar in 100 Theilea 17,5 Chloma«.
trloni, 17,9 CUemagninm und 1,7 Chlorealeium. Der
Biwaseh oder das faule Meer in der Krym ist ein un-
reiaer Salzsee, weleher einen abscheulichen Geruch
nach Schwefelwasserstoff- und Sümpfgas mit eigen*
thümliehen, unbeschreibbaren Ausdunstungen der trolc-
ken werdenden schlammigen Ufer der Salzseen verbreitet
,Daa Wasser enthält in 100 Theiien 17,2 Chlomatrium
u. #• w. nebst organischen, stickstoffhaltigen Substanzen.
Der zweite Abschnitt dieses Bandes giebt eine
irergleichende chemische Untersuchung des- Wassers
der drei Meere, welche die Steppen des südlichen Ruis*
lands bespülen. Das Wasser des scliwarzen Meeres
zeigt längs der ganzen SQdköste der Krym eine >ge-
a<igte schwarzblaue Farbe, in einem Glase ist es je«
doch farblos; es enthalt in 1000 Gewichtstlieilen 14,0
Clilornatrium, 0,1 Chlorkalium, 1,3 Chlormagntum, 1,4
schwefelsaure Talkerde, ferner einzelne Zehntel pro
Cent, von Gyps und koflilensaurem Talk und Kalk, so»
WI0 eine Spur von Brommagnium. Die specifische
Schwere betrug bei \i? R. 1,013, das Wasser des
Asowsch^n Meeres dagegen zwischen Kertsch und Ma-
rinpol bei U"" R. nur 1,00970. Die. Analyse ergab
dann auch den geringen Salzgehalt, z. B. nur 9,6 Chlor-
natrium in 1000 • Theiien, obgleich dieses Meer doch
gerade nicht so ungeheuer viel süfses Wasser erhält.
UmM Wasser des kaspischen Meeres ist von blaugrüner
Farbe und schwach salzigem Geschmacke; das speci-
fische Gewicht betrug bei W R. 1,00539. Die Analy-
neu des Wassers dieser drei Meere zeigten dem "Verf.
. vwBi in jedem derselben Salze, aber in abweichenden
qvaalitativen Terhältnissen. Das kaspische Meer be*
weise durch seinen grofsen Gehalt von Talkerdesalzen
(in 1000 Theiien Wasser 0,0129 doppelt kohlensaure
Talkerde und 1,2389 schwefelsaure Talkerde) im Ver«
haltnisse zum Kochsalz (rhl)i ^^^ ®* auiser Verbin-
dung mit anderen Meeren ist, und durch das Bittersalz
der angrenzenden Steppen gespeist wird. Fast sollte
man glauben, sagt der Verf., das kaspische Meer sei
dast ein Sufswassersee {;ewesen und habe allmäUig
aua der angrenzenden Steppe seinen Salzgehalt em-
pfMigen, und die Alten hielten auch das kaspische Meer
nach Plinius'fQr einen Sufswassersee.
Der drttle Abschnitt giebt' die chemische Untersu-
chung der vorzüglichsten Halophyten der kaspischen
Steppe auf^ ihren Kali- und Natrongehalt. Der Verf.
unternahm diese interessante Arbeit eines Theils für
die noch unentschiedene Frage, ob bei verschiedenem
Alter dieser Pflanzen die Quantität der Kali- und Na-
tronsalze eine verschiedene sei, und in wie weit^ die
Annahme Einiger sich constafiiren lasse, dafs im Ter-
laufe der Entwicklung dieser Pflanzen das eine ^^kali
in das andere fibergehe, oder in späterer Zeit erst aus
den Luft- und • Erdpotenzen aufgenommen werdet- an-
^dem Theils aber, um dadurch einen Maafsstab für die
zweckmäfsigste Benutzung dieser Gewächse zur Soda-
fabrikation zu gewinnen. Der Verf. sammelte auf sei-
ner Reise eine Menge der vorztiglichsten Halophyten
der Steppe im jüngeren Zustande, vor der Blttthe-Ent-
Wickelung, und die völlig ausgewachsenen Pflanzen
wurden später von dem Hm. Apotheker Langenfeld
zu Sarepta gesamiyielt und in Dorpat die schönen
Untersuchungen derselben angestellt. Leider sind un-
ter den im jungen und im allen Zustande gesammelten
Pflanzen nur 3 einer und derselben Art angehörig, so
dafs ihr Salzgehalt vergleichend betrachtet werden
kann und, was Rec. hiebei für das Wichtigste hält,
dafs die zu ^vergleichenden Pflanzen auf einem und
demselben Boden wuchsen, das scheint ganz übersehen
zu sein. Langenfeld sammelte die alten Pflanzen wahr-
scheinlich in ganz andern Gegenden, als wo der Verf.
die jQngeren entnahm. Es wurden die Pflanzen ein-
geäschert und die erhaltene rohe Soda umständlich
analysirt ; solcher Analysen werden 20 mitgetheilt. Von
Halimocnemis «rassifolra, von Salsola clavifolia und
von S. brachiata sind die Analysen der jungen Pflan-
zen und der alten zu vergleichen; aus ihnen ergiebt
sich, dafs die jungen Pflanzen zwar eine weit' grofsere
Quantität roher Soda geben, aber die darin enthalte-
nen löslichen Körper differiren in quantitativer Bezie-
hung nur unbedeutend von einander; in ersteren Pflan-
zen schien sich das Chlornatrium später zum Theil in
kohlensaures und schwefelsaures zu verwandeln. Bei
Salsola clavifolia enthält die junge Pflanze kein Chlor-
natrium, dagegen aber viel Chlorkalium, während sich
in der alten Pflanze wieder weniger Chlorkalium, aber
051
O^0tel, Reiis in dis SUppen dn $94tioAim JKu/iUttdt.
dafttr aiioh eine dem Tensdiwundeiien Chlorkalimvi siem*
lieh entspreebende Menge Chlornatrium «eigte. Der
Natrongehall bt in alten und jungen Pflansen uemiioh
gleich. Die Analysen geben das Resultat, dafs man
fu jeder Zeit die Pflapsen einäschern kann, denn die
Quanlitfit und der innere >Verth der rohen Soda wurde
^|cl^ nicht erheblich verSndem. Jene 6 Analysen der
drei genannten Pflansen zeigen eiiiige auffallende Ver-
schiedenheiten; der Natrongehalt ist in f|Uen fast gans
gleich geblieben, aber der Kaligehalt ist in den jungen
Pflanzen grofser^ als in den alten und besonders auf»
fallend bei Salsela clavifolia, so dafs man, wie der Mt»
sagt, allerdings tu dem Glauben Veranlassung nehmen
konnte: es werde im Verlaufe. der Vegetation das Kali
in Natron übergeführt, oder sonst wie aus diesen Pflan»
aen beseitigt JederNaturforscher wird die hohe Wich-
tigkeit obiger Behauptung erkennen, aber Reo, glaubt,
dafs dieselbe noch lange nicht erwiesen sei, denn mcm
kann diesen Analysen den Einwurf machen , dafs die
jungen und die alten Pflansen nicht von einem und
demselben Boden genommen worden sind.
Aus den vorliegenden Analysen läfst sich folgen«
der Rang der Halophyten zur Sodafabrikation angeben :
1) Salsola clavifolia (22, 3—42 pr. C.) § 2) Hallmocne.
mum crassifolia (7,^ vl-SÖ pr. C. in der jungen Pflanze) ;
3) Salsola Kali im jungen Zustande 25 pr, C. u« s. w.
Der vierte Abschnitt enthält chemische Untersu«-
ehungen verschiedener Gegenstande, worunter wir die
Untersuchungen der gasförmigen Exhalationen der
Schlammvulkane auf Taman finden. Dafs Schlamm^
Vulkane und Naphthaquellen nahe bei einander vorkom-
men, ist bekaunt, und dafs beide zu einander in Bezie-
hung stehen, ist darum sehr wahrscheinlich, ob aber
die Naphtha und die Gasarten Ausflüsse brennender
Steinkohlenfiötze sind« oder ob man sie für Froducte
eines nach in Tbätigkeit begriffenen Umwaodlungspro«
sesses der Piaiep der Vorwelt in Steinkohlen zu haU
ten hat, das mag der Verf. nicht entscheiden. Die sorg-
samste Analyse des Vulkangases gab in 100 Theilen
5,08 Kohlenoxydgas, 13,76 Proto-Kohlenhydrogengas,
79,16 Deuto • Kohlenhydrogengas und 2,0 atmosphäri-
sche Luft; Schlamm und Wasser des Vulkans zeigten
einen schwachen Kreosqtgeruch und dieses wie die Ana-
lyse der Gase deuten darauf hin, dafs in der Nähe der
Schlammvulkane Steinkohlenlager vorkommen^ und Nach«
(Der Beschlttff foI{^t.)
feffsehungen hierauf wiren au wünsehen« Jhi Wum
dar. Naphthaquellen, so wie das Wasser der Sehlanm«
Vttikane ward untersucht ; in beiden kämen nur Spnrai
von Gyps und Chlornatrium vor und in beiden warte
speeifische Gewicht geringer und der Chlomatnuap.
halt kleiner, als beim Wasser des Aso wachen Meerei
Der berühmte Catharinenbrannen ^ bei Sarepls «!>
springt in einer von wilden Apfelbäumen und Ahon
beschatteten Schlucht der VTolgagebirge; er zeigt 10*
R. Wärme bei SSl<' R. Luftwärme; enthält freie Kok-
lensSure, und 16 Unzen Wasser geben 12^ Gr. sdivei
fdsaures Natron, 7,5 Gr. schwefelsaure Talkerde, 13J8
Gr. Chlornatrium, 3,4 Gr. zchwefelsauern Kalk usJ
eben soviel doppelt kohlensauern Kalk u. s. w. Elg^
hört also . diese Quelle zu den wirksamsten Heilwii»
aem, welche sich auch ohne Zersetzung versenden läfa.
Der Vf. untersuchte auch die ausgewittertea Sab-
messen der Steppe und glaubt^dafs das Sals derseliiencnl
aus dem vom VTasser verlassenen Boden auswittert, nri
nicht ein durch Verdampfen hinterUiebener Sakrsck«
stand ist ; es bestehen diese Efilorescensen bald m
reinem schwefelsaurem Natron, bald aus einem. GesMip
von diesem Sake mit schwefelsaurer Talkerde «rf
Chlornatrium, welchem kleine Massen kolileDsaoito
Kalks, kohlensauren Talks und schwefelsauren Kalks iet>
gemengt sind. Kohlensaures Natron wird nicht HSfj^
wittert.
Der Verf. richtete seine Aufmerksamkeit auch inf
die Natur der Steppenerden hinsichtlich ihrer Tsi^
lichkeit zur Bepflanzung, denn es wäre kein kleiM
Gewinn, wenn jene völlig waldlose Fläche, die Tram-
wolgaisehe Steppe von 6 hia 8 Längengraden mi4 W
eben so vielen Breitegraden, wenigstens zumTbdlte
Cultur unterworfen werden könnte ; naturlidi kSniei
Gegenden, die mit starren Kochsalzmassen altjahrlkk
bedeckt werden, nur für eine.eigenthnmKche VegeUte
geschickt gemacht werden. Kein Baum, kein Strasck
erfreut das Auge im Innern dieser groben Wüste, &
von kriegerischen Hirtenvölkern und ihren Heerden bk
aus Jahr ein durchzogen wird, und dennoch ist &
Vegetation daselbst, wenn, gleich immer eine eigeolhün-
liehe, an vfelen Stellen sehr üppig zu noitten; dieGri-
ser, die in üppiger Fülle wuoliern, werden sorgfältig ^
den Kirgisen zum Winterfutter für ihre Heerden g^^f^
J a Ii r b fi c h e r
für
wissenschaftliche Kritik.
April 1840.
JBeüe in die Steppen des südlichen Bu/slands,
unternommen von Dr* Fr* Goebel.
(Schlafs.)
Aufserdem findet man nur in der Ncihe der Wolga
und besonders auf ihren fruchtbaren Inseln eine reiche
Tegetation, so wie theilweise Bewaldung. Die Colo-
nicen am linken Ufer der Wolga und die Getreidefel-
der auf dem Wege von Bogdo nach Wladimirowka
gaben Beweise, wie fruchtbar der Steppenboden ge-
macht werden kann. - Der Boden der Steppe ist überall
derselbe, nämlich ein Sandboden bald mehr bald weni-
ger thonhaltig, ohne alle Beimengung gröberer Gerolle
von zertrümmerten Felsmassen aus früheren terrestri-
schen Revolutionen herrührend ; d^r Untergrund besteht
aus Thon. . Die Analysen einiger Bodenarten der Step-
pe ergeben stets nur Spuren von Kochsalz und Gyps,
von schwefelsauren Salzen und von Chlorverbindungen ;
1 bis 1,2 pro C. unreine Humussäure und eine wasser-
bindeiide Kraft von 27,5 — 39 für 100 Gewichtstheile
ausgetrockneter Erde wurden an denselben wahrge*
noinmen.
Der fünfte Abschnitt beschäftigt sich mit den baro-
metrischen Messungen, welche auf dieser Reise in gro-
fser Anzahl ausgeführt wurden, unter welchen das Ni-
vellement zwischen der Wolga und €em Don und die
barometrischen Messungen zwischen dem kaspischen
und schwarzen Meere das meiste Interesse darbieten*
Der Reisende war mit 4 vortreiTlichen Instrumenten
versehen, und die Berechnung der Beobachtungen ward
von Hrn. Pairrot auf eine sehr gediegene Weise ausgefühlrt ;
mit Recht Jiat der Tf. diese Parrotsche Arbeit in seinem
'VVerke wurtlich abdrucken lassen. Das barometrische Ni-
Veüement ward zwischen Sarepta und Päticsbänsk aus-
geführt und es ergab sich, dafs der Don daselbst 21,0
Toisen höher als die Wolga bei Sarepta liegt. Die
Parrotsche Messung im Jahr 1830 ditferirt hiervon nur
Jahrb. /. wiuentch. Krilik. /. 1840. I. Bd.
um 0^3 Toisen! Von besonderer Wichtigkeit sind je-
doch die barometrischen IVIessungen zwischen dem Jcas-
pischen und dem schwarzen Meere^ weil ihre Ergebe
nisse einen werthvollen Beitrag zur Beantwortung der
Frage über das relative Niveau des schii^arzen und kas*
pischen Meeres geben. Es werden nicht nur einzelne in
Astrachan und an verschiedenen Punktea des Asow-
schen und schwarzen Meeres ausgeführte gleichzeitige
Beobachtungen aufgeführt, sondern selbst die barome-
trischen Beobachtungen eines ganzen Jahres mitge«
theilt, welche zu Sympheropol und zu Astrachan mit
vorher genau verglichenen Instrumenten angestellt sind.
Das Residtat der gleichzeitigen Beobachtungen zu Astra-
chan und zu Taganrog ist, dafs der Wasserspiegel des
kaspischen Meeres 7,1 Toisen tiefer liegt als der des
schwarzen Meeres. Es waren 20 gleichzeitige Messun-
gen, und unter diesen ergaben 10 Tage den Stand des
kaspischen Meeres 31,4^ bis 1,4 Toisen tiefer, und die
10 anderen Tage 16,1 bis 1,8 Toisen höher aU das
schwarze Meer, woraus ein Mittel von 5,3 Toisen her-
vorgeht. Die Berechnungen der jährlichen barometri-
schen Beobachtungen zu Astrachan und zu S^mphero-
pol ergeben, dafs das Niveau des kaspischen Meeres
um 16,5 Toisen tiefer als das des schwarzen Meeres
liegt. Indessen Hr. Parrot giebt hierauf die Gründe
an, aus welchen man schliefsen mufs, dafs obiger Ni-
veauunterschied der beiden Meere von 16,5 Toisen
nicht wirklich stattfindet, sondern eine blofse Folge von
der in jenem Jahre stattgehabten geringen Wärme in
Astrachan ist. Schliefslich giebt der Verf. eine Ueber-
sicht der von ihm bestimmten Höhen über dem kas-
pischen Meere.
Auch hodometrische Messungen wurden auf die-
ser Reise ausgeführt; der Yerf. erhielt das Instrument
aus dem kais. Generalstabe zu St. Petersburg und em-
. pfiehlt die Benutzung desselben unter den angegebenen
Yorsiclutsmaafsregeln aus voller Ueberzeugung ; es
70
655
Ooebei^
in die Sieppen d0% sUdiieA^n Ruf9imül9.
scheint das Ton Colclough gebrauchte und in Gehlefti
Wörterbuch V. L p. 236 beschriebene Hödometer ge-
wesen SU sein. Die gemessenen Wege sind in einer
greisen TabeHe umständlieh angegeben;
.Ber eieliente Absclmitt enthält eine Abhandlung
fiber die Flora und Fauna der k^spischen Steppe 9 sie
ist von J. D. Claus^ dem Begleiter unseres Reisenden,
verfafst^ und giebt uns ei^e lebhafte Anschauung von
der Physiognomie der Pflanzen- und Thierwelt jener
Gegenden. Im Sommer ist die Hitze In jener Steppe
sehr; groFs, ^ast beständig ewischeu 20 — 30° R., und
nur die kalten Ostwinde vermögen die Gluth su mil-
dern, welche bei Windstille unerträglich ist. Die Win-
ter sind streng, gewohnlich eine Kälte von 20 — 30°' R.
Grofser Wassermangel ist das Ciiarakteristbche der
Steppen. Nur eine geringe Zahl von Pflanzenarten
bekleidet theils sparsam, theils in dichterem Gedränge
deb falben Boden, und die meisten Steppenpflanzen
Überziehen sich mit einer haarreichen grauen HuUe,
welche sie gegen den Wechsel der Temperaturen
schätzen soll und zugleich die Feuchtigkeit (1er Luft
einsaugt Daher die graue, schmutzige Farbe der
Steppenvegetation; liur struppige Gräser, oft von
Mannshöhe, scheinen hier den Mangel der Wäldeir
ersetzen zu wollen. Die im Frühlinge plötzlich, gleich-
sam durch ein Wunder hervorgerufene Vegetation geht
mit raschen Schritten vorwärts und hat in einigen we-
nigen Wochen ihre verschiedenen Stadien durchlebt.
Im Anfange des Aprils, mit den ersten warmen Tagen,
erscheinen die ersten Ankömmlinge des Frühlings : Tul-
pen, Omithogalen und Irideen, und schon in der Mitte
des Mai's gleicht in trockenen Jahren die Steppe einer
öden Brandstätte, in der die abgestorbenen Stengel
saftreicher Pflanzen vom Winde im wirbelnden Laufe
durch die Wüste getrieben werden. Im August beginnt
ein neuer Frühling für die Salzpflanzen^ welche bis
tief in den Spätherbst mit ihren Früchten zu Anfange
des Novembers die Tegetation beschliefsen.
D. Claus unterscheidet die Vegetation der Steppe
nach der Bodenverschiedenheit in vier Regionen, näm-
lich in die Lehm-^ die Sa/»-, Sand' und in die Gyps^-
^&Yx- Region. Die Lehmregion nimmt den gröfsten
Theil der Steppe ein, sie bildet die nördliche Hälfte der-
selben ; die Artemisien bedecken diesen Boden fast aus-
scfaliefslich und nur einige andere Pflanzen, als: Achil-
lea Gerberi und Pyrethrum millefolium kommen dazwi-
schen vor* Die Pflanzen stehen hier meistens in Adu
ten Büscheln ; es sind darunter viele Zwiebelgewädi«
se, Cruciferen und Boragineeit, aber nur wenige Um»
belliferen, Labiaten und Gräser. Die Salsregion b^n*
det sieh ifl| Iimem der Lchmsleppe hin und wieder
zerstreut; es sind theils Salzseen von bedeutender Aus-
dehnung, theils Salzptützen, theils mit einem Sakm-»
fluge bedeckte, trockene Stellen^ in deren Dargebmig
gröfstentheils die Salzpflanzen vegetiren; das Halocas*
mum strobilaceum scheint den Salzboden am meisifla
zu lieben, es macht ^e näelisto Umgebung der Sais-
Seen und Salzpfülzen, aber in spätere Jahreszeit kommt
wohl Salicornea herbaeea vorherrschend auf. Den Rani
jener Salzgewässer nehmen neben den genannten Pflss»
zen zunächst folgende Halophyten ein: Atriplex verr«»
ciferum, Camforosma Ruthenicum, dann folgen Salsela
brachiata, davifolia, laricina, Ualimocnemis brachintai
crassifolia und volvox; endlich Kochia prosirata und
K« sedoides, welche bis weit in die Lehmregion hin»
einreichen« Diese Salzregion ist noch unfreundliehcr
als die Lehmregion, denn alles ist öde und leer, und
' die Seen erscheinen im Sommer wie weite Schneefii-
ehen; keine Blume, kein üppiges Grün ist hier sa
sehen.
Reicher ist dagegen die Region der Gypsflofze^
welche den kleinsten Theil der Steppe einnehmen; sfe
eharakterisirt sich durch gröfsere Mannigfaltigkeit. Die
Sandregion endlich, welche einen bedeutenden Thei
der Steppe einnimmt, erfreut sich eines mehr fenelitcft
Bodens, indem die darunter liegende Thonscbicht das
Durchsickern des Wassers verhindert. Die PflanadI
erreichen hier eine gröfsere Höhe, und häufig sieht «^^b
fast mannshohe Grasarten in kräftigem WachsthuflM
ganze Hügelstre^ken bekleiden. Gramineen und Cype-
raceen sind hier vorherrschend und eine l>edeuten^
Zahl von Allien und Leguminosen bilden die voraug»
liebsten Bewohner dieser Steppen; ja in den Thalem
und TertiefuDgen findet man Sträucher und Idriae
Bäumchen von Populus alba, P. tremula, Salix Irian*
dra und S. fusca u. s. w.
Die Fauna ist in derselben Weise sehr specieB
bearbeitet, doch kann Rec. ^iregen Mangel an Raian
nicht weiter darauf eingehen.
Dr. Claus hat femer einen sehr vollständigen In-
dex von allen den Pflanzen gegeben, welche an dea
kaspischen Steppen und den angrenzenden Regtonea
657
Qtthel^ 'tUif in 4** Sttpp^'dt» »UtUieAe» Rit/iland*.
S58
r
fcMbadit«t w«rd0D sind) ümet Index enthält 101 1 pha»
HerogttnM Eflansen (l), Ton welchen 483 der Steppe,
vnd 528 den nn|;renzenden Gegenden, Grenzregion ge-
nannt, angdiören. Das Verhältnirs der Dieotyledonea
SU den Monoeotyledonen ist in diesem Index gleich
5 X 1 und die gröbte Aehnllchkeit hat diese Flora mit
der Vegetation der dem Altai and dem Cauoasus bu-
«ftehst sich anschliebenden Ebenen. Eine Tabelle giebt
die Vergletchung der hauptsächlichsten Familien der
Steppenflora mit deijenigen des Altai, der Flora des Can-
MStts mid der Flora Deutschlands. Unter den Step*
]pettpflansen finden sich 183 Arten^ welche auch in
Deutschland .rorkommen ; die Rosaceen und Labiaten
eind dort und in Deutschland grörstentheils gemein*
eeliaftlidi u. s« w. Ferner sind folgende Familien in
der Steppe und in Deutschland mit gemeinschaftlichen
Arten versehen : die Ranunculaceen mit 6, die Umbelli«
feren und Leguminosen mit 8, die Chenopodeen mit 12
un^ die Coronarien mit 3 gemeinschaftlichen Arten ver^
eehen. Die Flora des Caucasus hat mit derjenigen der
Bteppe die gröfste Anzahl der Pflanzen gemeinschaft»
Beh, nSmlich 312 Arten. In dem Index befinden sich
auch sehr ausführliche Beschreibungen einiger neuen
oder sehr seltenen Pflanzen, welche auf den 6 beige-
gebenen Tafeln abgebildet sind, wonmter sich die neue
Gattung Erersmannia befipdet.
Der achte Abschnitt enthält einige MitiheilnngeiÜ
ttber persische Arzneiwaaren, welche Ton Prof. Bunge
bestimmt sind, und zweitens einen Aufsatz über Kai«
Müeken- und Tatarenschädel vom Prof. Hueck. Unser
Reisende hatte 2 Kaimucken- und 2 Tataren -Schädel
mitgebracht, welche hier ihre nähere Beschreibung er-
balten.
Der neunte Abschnitt bildet den Schlufs des zwei,
ten TheUes ; er enthält die Anal jse der Charte von der
Rii^ensteppe zwischen der Wolga und dem Ural,
nebst historischen Andeutungen über den frühem Zu-
stand dieser, so wie der benaehbarten Steppengegenden
swiscfaen dem Don und der Wolga, insonderheit zu den
Zeiten ^der Griechen und Römer« Diese umfassende
Arbeit ist von Hm. Fr. Kruse ausgeführt, der auch die
sdftöQe Charte zu der vorliegenden Reisebeschreibung
theib nach den hodometrischen Messungen unseres Rei-
senden, theils nach guten von ihm mitgebrachten Mate-
rialien, welche noch nicht publicirt waren, theils nach
^eq neuesten astronossischen Ortsbestimmungen, Reise*
besohreibungen und Charten entworfen hat
Die Ausstattung dieser Reisebeschreibung ist sehr
SU loben und Seine Kaiserliche Hoheit der Qrorsfiirs$
Tluronfolger hat die Dedication derselben angenommen.
J. Meyen.
XLIV.
Daritellung und Kritik des modernen Pietismus^
Em wissenschaftlicher Versuch von Dr. Chr*
Märkliny Diakonus an der Gemeinde Calw.
Stuttgart^ 1^9. bei Franz Heinrich Köhler.
Xri u. 325 8.
Es mufs immer als ein seltsames Milsgeschick aib-
gesehen werden, dafs die auf BefSrderung wahrhafter
Frömmigkeit im Leben der Kirohe und auf eine leben-
digere freie Entwicklung der protestantischen Theolo*
gie gerichteten ernsten Bestrebuiigen Spener's utid sei*
ner Anhänger noch fortan mit demselben Namen be»>
erfchnet zu werden pflegen, welcher als ein Schmäh^
name von den sie ungerechter Weise verketzernden
degnera jenen würdigen Männem zuerst beigelegt
wurde, no wie er auch noch jetzt in ähnlicher Weise^
wie Separatismus lind andere bSse -Ismen, roh einer
heuchlerischen, sich selbst täuschenden oder jedenfalls
einseitigen Richtung in der Frömmigkeit gebraucht wirdL
Denn obgleich alle Verständigen es wbsen, dais nicht
nur von solchen, welche ihre religiöse Indifferenz und'
Impotenz überall recht gerne zur Schau tragen, das
Wort „Pietismus" verwandelt wird, wenn sie von der
Vorstellung des religiösen Lebens überhaupt nicht in-
kommodirt sein wollen, sondern dafs selbst moralisch
und intellektuell Gebildete in unserer Zeit etwas Ter«^
schwenderisch mit diesem Ausdrucke umgehen, bo will
Ihn doch Niemand ohne VTeiteres in Besiehung auf
seine Lebensrichtung hinnehmen $ denn er gilt in der
öffentlichen Meinung nun einmal als ein Sehhnpf • und
Neckname, fast ebenso, möchte man sagen, wie auf
wissenschaftliciiem Gebiete dem Publikum, da wo ihm^
„der BegrtflT' fehlt, sogleioh das prächtige ,vWort^
„Pantheismus'' zu Diensten steht« — Indeb, was dea
älteren Pietismus betrijfit, so ist es eben auch nur noch
der zweideutige JVame, in welchem das Unrecht und
559
Markliny der moderne Pietismtis»,
560
die vollige Yerkennung, wie jene bedeutebde Erschei»
nung sie tod Seiten der damaligen protestantischen Or-
thodoxie erfahren mufste^ sich gleichsam noch auf die
Nachwelt fortgeerbt hat ; der Sae/ie nach hat das Be*
wufstsein der protestantischen Kirche in seiner späte-
ren Entwicklung die Bestrebungen und die Wirksam-
keit der Spenerschen Schule als eine nothwendige Re-
aktion des freien SelbstbewuPstseins gegen eine neue
Scholastik der symbolischen Orthodoxie innerhalb der
-evangelischen Kirche selbst, vollkommen anerkannt und
gerechtfertigt Es war in der That ja nur die konse-
quente Durchführung des Grundsatzes, welchen dem
in abstrakter Objektivität und damit eo ipso in ab-
strakter Subjektivität in der Gerechtigkeit durch die
eigenen Werke sich fixirenden römischen Katholicismus
gegenüber der in seinem unend^lichen Selbstbewufstsein
sicii erfassende Geist als seine Losung ausgesprochen
hattCf der Rechtfertigung durch den Glaubeni wenn der
Pietismus diese Innerlichkeit des Protestantismus^ in der
Theologie so geltend machte, dafs er die Wiedergeburt
des Denkens, die Erleuchtung durch den heiligen Geist
zur nothwendigen Bedingung der wahren Erkenntnib
des Inhaltes der heiligen Schrift machte. Aber freilich
offenbarte sich auch zugleich die noch einseitige Fas-
sung des Prii^cipes der Theologie (denn das Bedürfnifs
nach einem bestiäimteren Bewufstsein darüber inachte
sich in der damaligen Bewegung der Theologie offen-
bar sdion geltend), wenn die Pietisten für den Unwie-
dergebornen ein logisch wahres, Yerständnifs dennoch
für möglich hielten, welches eben als solches doch nicht
das wahre sei. Hiermit kamen sie dem Grundsatze
ihrer Gegner, welche im Interesse für» die o^ektive
Autorität der Bibel und der symbolischen Bücher auch
für d^n noch nicht Wiedergeborenen eine theologische
ErkcnntniEs für möglich hielten, wunderbar nahe. In-
dem nun der Pietismus das Recht des Selbstbewufst-
Seins auf praktischen Gebiete namentlich wahrend, ge-
gen die Starrheit der Orthodoxie zwar sich sträubte,
dennoch aber in der Wissenschaft des Glaubens das
I
formelle Denken, welches ihm ja selbst als das unwahre
galt, «nicht überwand, so konnte er auch später mii der
orthodoxen Theologie vereinigt der Macht und dem
endlichen Siege der Verstandesphilosophje über die
Theologie, nicht widerstehen. Der substauzielle Gehalt
des Dogma war ja . von den formellen Bestimmunges
der protestantischen Scholastik selbst verzehrt, der In-
halt der Offenbarung verendlicht » und in der Behavp.
tung , dars der unwiedergeborene also der natorück
Mensch die Bibel verstehen könne» die „naturliche Rs.
ligion" aufs Beste- vorbereitet. Die Theologie hattf
den Inhalt des Glaubens und damit sich selbst in der
Tliat verrathen und verkauft, und es war nicht su m-
vrundern, dafs in dem hellen Lichte der natnralistiscka
und deistisclien Aufklärung kaum der Schein danf
sich erhielt. ' Nun erst, nachdem das verständige Doi-
ken d^n ganzen Inhalt der natürlichen und ubersioDÜ*
eben Welt erobert hatte, fing es an im Skepticism«
an sich selbst irre zu werden und im Kriticismui der
Kantischen Philosophie sich in sich selbst zu refiekilrei^
um seiner Endlichkeit inne zu werden, indem es si4
in den Reflexionsphilosophieen der neueren Zeit Tot
lendete. .Dasselbe unendlich berechtigte Priocip de
Subjectivität, welcher auf kirchlichem Gebiete der ttf
formation zu Grunde liegt und sein Recht im Pietinup
geltend machte als frommes Gemüth, kommt nun iu der
Philosophie der protestantischen Kirche, zum Selbslh^
wurstsein. Was die Theologie betrifft, so trat t$
Nothv^endigkeit, sich ihres Yerhältuisses zur Philoi^
phie bestimmt bewufst zu werden, immer mehr herrd;
Besonders der Unterschied von natürlicher Rei^
und geöffenbarter drängte darauf hin, dafs die RdSgui
nicht meiir als ein äufserlich gegebener Komplex Tfl|
Lehrbestimmungen durch die Autorität der Bibel gehet
ligt olme Weiteres angenommen wurde, sondern dib
der Begriff der Religion an sich, sie, in ihrem inneres
Yerhältnisse zum menschlichen Geist, bestimmter M
Bewufstsein komme. Zunächst ward von der endUchee
Ternunft die Unmögliclikeit erkannt^ das Absohiteii
sich zu begreifen s aus dem theoretischen Bewufstseift
ging die Rcligipn in das Selb%tb€wußUein zurück, Wtf
nur gewifs als moralische Yernunftreligion, als Ofe-
barung problematisch; es bleibt der Ternunft nur die
Möglichkeit einer Offenbarung als eines Mittels zurB^
förderung der Vernunftreligion.. Die Theologie, W*
che schon seit Wolfs Zeit her dem Einflufs^ der Pbil«-
sophie sich nicht hatte entziehen können, entwickelte »of
dem gemeinschaftli(^hem Grunde dieser philosophiscIieD
Bildung sich nach zwei entgegepgesetzten Seiten UB'
(Die Fortsetzwig folgt)
J# 71.
Jahrbücher
9
für
wissenschaftliche
Kritik.
April 1840.
ik§r$tettumg' umd Kritik des modernen Pielämui.
Bim wiisenickafUicker Vertnch tarn Dr. Chr.
Mörhlin.
(Forttetsmig.)
Wie der subjektive Idealiemiu in der PbUoeophie,
der Endüehkcil seine« Erkennen» bewnCet, die Religion,
«ie alle andere Oinge, nur in ihrer Enobeinung, niclit
im und fAr sieh zu erkerniea behauptete und nur darin
te sieh widerspreehend war, dab er meinte, Erschei*
Bmgeii SU erkennen, ohne Erkenntnirs des ihnen zu
Crrunde liegenden Wesens» so. fixirte sich auch die
Theologie, welche von nun aü sich ausbildete, derma*
Ü9Sk in diesem subjektiven Denken, dafs sie trotz der
OffmiarUng in Bibel und Kirche den Widerspruch
des ffusens vom Nichiwi$^0m bewulst oder unbewulsl
allen ihren Operationen zu Grunde legte; Das Velr«
|t£itf>ir« des theologischen BewufsUeins in der Bestimmt«
Iwit dieser modernen Bildung zur Religion, wie sie in
9tbel und Kircheniehre erseheint, war durchaus kein
«nbefangenes unmittelbares mehr, sondern ein vielfach
^nspUeirteB, wie durch das subjektive Denken überall
bedingtes und bestimmtes. Was das Yerhältails die*
ser modernen Theologie zn der älteren betrifii, in weU
^her der Gegensatz der Subjektivität und der Objekti*
yiiftt im Principe der protestantbchen Theologie sich
geltend machte , so mufste dieser . hier wiederum zum
Vorsehein koamieii, denn in dem denkenden Selbstbe*
wufrtsein der protestantischen Kviche^ in der Philoso-
phie hatte, die Subjektivität sich zunächst zu erfassen
gesucht, war aber dabei von dem kh als einer nicht
begriffenen Voraussetzung ausgegangen, und hatte eben
deshalb den GegensoU der Subjektivität und der Ob-
lektivilät, des Denkens und des Seins, noch nicht zu
überwinden Tormoeht* Dieser Gegensatz gewmni des-
halb auf dem Boden dieses subjektiTcn Denkens eine
neue Gestalt. Der materielle Inhalt der Orthodoxie
Uhrb. /.
/. 1840. I. Bd.
war nämlich vom Pietbmus im Grunde nicht angefoch*
ten; nun aber, nachdem in der Aufklärung bereits die
ältere Orthodoxie zerstört war, und dem Naturalismus
gegenüber der Supernaturalismus sich gebildet hatte,
welcher aus Wundern und Weissagungen das Christen-
thum als göttliche Offenbarung in verständiger Weise
zu beweisen gesucht hatte, traten innerhalb .der Theo«
logie der Rationalismus an der Stelle des Naturalismus,
und der Supranaturaltsmus in etwas von dem altem
kirchlichen Supranaturalismus veränderter Form sich
entgegen. Dieser moderne Supranaturalismus, schein-
bar im guten Rechte durch den allmächtigen Satz von
der Unerkennbarkeit des Absoluten, unterwarf, aber
auch nur scheiidbar, seine menschliche Yeruunft der
gottlichen Offenbarung^ und fixirte die Religion in der
UebematürKchkeit ihrer historischen Erscheinung« In«
dem er in der subjektiv^ Reflexion des modernen Be*
Wttfstseins rersirend und seinem Satze von der Uner-
kennbarkeit Gottes gemäfs das Objekt und den lahalt
der Offenbarung nicht erreichte, so stand er vielmehr
in der abstrakten SubjelctivitSt seines Denkens überall
eben so sehr über als auCserhalb der Offenbarung.
Denn nicht sie in ihrem ewigen und konkreten Inhalte
ward ausgelegt, sondern sie in ihrer historischen Er-
scheinung ward in ihren praktischen, dem subjektiven
Bediirfnisse entsprechenden und dem verständigen Den-
ken erreichbaren Lehrbestimnungen ausgelegt mit 6e-
lehvsamkeity und mit Scharfsinn vertheidigt. Hatte es
früher namentlich den Anschein, als wäre der Suprana-
turalismus der ausschliefsliche Träger und Bewahrer
der biblischen Offenbarung und der älteren kirchlichen
Orthodoxie, so ist in neuerer Zeit die Subjektivität
seines Denkens und Thuns hinlänglieh offenkundig ge-
worden und jener Schefai bb auf ein minimum ver*
schwunden. Es war anderer Seite eben deshalb nun
das gute Recht der innerhalb der Freiheit der pro-
testantbchen Kirche erstarkten Vernunft, welches der
71
563
lU&rklin^ der moderne Pietümui.
561
Rationalismus im Gegensatz gegen den offenbanings-
gläubigen Supranaturalismus betliätigte. Ward dort
die Religion einseitig als objektive historische Erschei-
nung in der Geschichte gefarst, so hier in ihrer subjek-
tiven Erscheinung als ein Moment der praktischen Ver-
nunft, die Oflfenbarung in der Bibel, so weit sie sich
der M oralität der subjektiven Vernunft dienlich erwies.
Dieselbe Vernunft jedoch, welche dem übernatürlichen
Inhalte 4er Bibel und dem ihr widersprechenden der
Symbole gegenüber, sich durchaus autonomisch und
absolut benimmt, flüchtet in Besug auf das Wesen Got-
tes, die Unsterblichkeit der Seele u. a. sich in den
Glauben. In der That eine wunderbare Gestalt der
Theologie ! In der Unruhe eines solchen Widerspruches
mit sich, in welcher die Theologie immer von selbst
in die ihr entgegengesetzte Form übergeht, da sie ein-
mal in 'der abstrakt objektiven Erscheinung der Religion,
der Autorität der Bibel, der Kirche sich fixirt, das an-
dere Mal aber wieder in die abstrakte Subjektivität, die
eigene Vernunft, und ihre Bedürfnisse zurückgeworfen
wird, welche absolute Autorität sein soll und auch wie-
der nicht, konnte das wissenschaftliche Bewulstsein der
protestantischen Kirche nicht wohl beharren; vielmehr
ist es eben dieser Widerspruch in ihm selbst, welcher
eine tiefere Gestaltung des Glauben^inhaltes herbei-
führte. Diefs konnte zunächst nur so geschehen, dafs
das Princip, welches in empirischer, mehr bewufster
oder unbewufster Weise die Grundlage jener sich wi-
dersprechenden Theologie bildete, von seiner dualisti-
schen Haltung befreit und als Eines wirklich gesetzt
zu seinem vollen Rechte in einem ausgebildeten System
der Theologie gelangte. Es ist wohl nicht zu verken-
nen, dafs die moderne Reflexionstheologie der Subjek-
tivität durch Schleiermacher erst ihren vollkommenen
wissenschaftlichen Ausdruck erhalten hat. Diefs, wel-
ches aus der Entwickelung der protestantischen Theo-
logie als nothwendig sich darthun läfst, beweiset auch
die Erfahrung, welche man an der weiteren Entwicke-
lung des Supranaturalismus und des Rationalismus aus
sich selbst heraus überall machen kann, dafs mit deut-
lieberem Bewufstsein als früher, das Selbstbetmifstsein
In seiner unmittelbaren Bestimmtheit durch das Abso-
lute als Princip der Glaubenslehre und in anderweiti-
gen Verhandlungen der Theologie sich geltend macht,
so z. 9* bei Steudel als „frommer Smn." Die Seite
ferner des protestantisehen Principes, welche als Pie-
tismus ge^en die Utere Orthodoxie reagirte, ist ent
damit zu ihrer vollständigen geschichtlichen Verwirkii«
chung in der Wissenschaft gekommen. Denn, wie selb*
ständig einer Seits Schleiermach'er die Religisn iber
absoluten J>ignität nach im Unterschiede von der Hdl
und dem Wissen auch erfabte, so bestunmte er m
anderer Seits doch einseitig nur in ihrer subjektir«
Erscheinung, als Bestimmtheit des unmittelbaren Seite»
bewufstseins sie erfassend. Ebenso die gewaltsam ski
vergeblich versuchte völlige Befreiung der Dognui
(die vielmehr in diesem Yeriaebe selbst sieh irito«
legte, indem sie in ihr gerades Gegentheil amscUig)
von der Philosophie, so wie die Beeinträehtigong fa
wissenschaftlichen Konstruktion der Theologie dadndi,
dafs sie nicht rein aus ihrem Begriffe eittwiekdt md,
sondern sich sogleich beschränkt durch die stetige prtk
fische Beziehung auf den Zweck, die Kirehenleituiig,««
kt diefs nicht durchaus im Geiste des älteren Pied»
mus, nicht die vollständige Durchführung seioes gepi
diä Objektivität der Kirche und Wissenschaft eissrid'
gen Principes I Obgleich nun der Protestantismus ük
keineswegs beschränkt auf die subjektive Fassung itt
Religion, er vielmehr auch ursprünglich hur die wiAf>
hafte Vermittlung Und Durchdringung der SitbjeliÜf^
tat und Objektivität erstrebte, so lüufste doch histeriNl
diese Seite des Principes in der damaligen Gestiftoog
des kirchlichen Lebens überwiegend sich herauskehrcs)
aber wie der Geist, welcher in der Reformation M
der erstarrten Form des kirchlichto Lebens sich in fldi
zurücknahm, nur ist in dieser gegenseitigen Bewe{pn|
und Vermittlung des Objektiven und Subjektiven, M
ist auch seine Ausbildung in der Form der SubjeU*
vität nichts weiter, als dafs er sich die Energie er»*
beitet, aus sich eine neue Welt der Objektivität n
gestalten , in welcher er sein Selbstbewufstsein wirk*
lieh hat. Ist nicht unsre Zeit eben deshalb eine 1^
ehe der Gäbrung und Bewegung auf den versclitedei*
sten Gebieten des Lebens, weil der Geist danach driigt
dem errungenen reichen Inhalte seines tiefen SelliiAi^
wufstseins eine adäquate Gestalt zu geben f — DieCt
kulatlon und Organisation des Lebens mufs geheiiat
werden und stocken, wenn der einfache Rhythmu dar
Bewegung des Geistes nicht verstanden, oder des
Triebe seines Selbstbewufstseins' die Befriedlgvnf ii
der wahrhaften, ihm angemessenenWeise verssgt wirl^
Aber schon die Erfahrung in der Natur und
666
MärJklüt, der madems Pietümtf$.
566
lehrt^ dafs Entwiokititungtepoeheii in den höheren gei-
zigen Organismen, pieht weniger ab in dem lerblicben,
durch krankhafte Erecheinttngen bedingt oder wenig*
•fens Ton ihnen begleitet eu sein pflegen. So erklären
äieh mancherlei Erscheinungen, die auf den ersten An-
blick der neueren Bildung durchaus fremdartig schei«*.
Bend, sieh bei einer näheren Betrachtung als Symptome
einer Entwiokelungskrankheit des geistigen Lebens er-
geben. So gewifs es nun auch kt, dafs die Krankheit
im Terlaufe der. weiteren Entwicklung von der ewigen
Energie des geistigen Organismus in der Wirklichkeit
Oberwunden wird, so macht sich doch eben deshalb für
die Glieder des Organismus ihrem Zusammenhange mit
denoi Ganzen gemfifs das Bedurfnifs und der Trieb fühl-
bar, selbstthätig an der Ueberwindung des feindlichen
Pkiirapes Theil zu nehmen* Es ist diefs natürlich um
•o schwieriger, je mehr im Innern des Lebens selbst
die Krankheit ihre Wurzeln hat ; und um so nothwen*
jBger, als sie gerade von hier aus am tiefsten und wei-
testen das ganze Geäder und Growebe der organischen
Konstitution zu durchziehen drofit. — Der Hr. Verf.
der anzuzeigenden Schrift hat sich einer schwierigen
Aufgabe der Art unterzogen, indem er den modernen
netismns.wi^^nschaftlich darzustellen und zu kritisi*
ren versuchte» Wenn schon die Darstellung detf Pie-
Iknins seiner ^genen Natur nach schwierig ist, weil es
gerade zu seinem Wesen gebort, dafs er die Religiosi-
at' abstrakt subjektiv in ihrer Innerlichkeit fixirt und
sich in die individuelle Bestimmtheit des Selbstbewufst-
Beins einnistet, so erhöhet sich diese Sdiwierigkeit noch
bei dem modernen Pietismus, insofern dieser durchaus
auf der von dem Princip der Subjektivität durchzöge*
Ben neueren Zeitbildung ruht. Denn eben deshalb hat
aueb die Frömmigkeit überhaupt die Neigung, sich ab«
•trakt innerlieh und individuell zu gestalten, und wie
daher der Pietismus sieh leicht ausbildet, ist man auch
in Gefahr die ächte wirkliche Frömmigkeit als Pietis-
mtis darzustellen. Ref. schickte das Rafsonnement über
die EntWickelung der neueren Theologie und ihr Yer-
iiftltnib zum filteren Pietismus voraus, um su zeigen,
^veiche unendliche Berechtigung die Subjektivität in
der protestantischen Kirche unserer Zeit hat, wie wirk-
sam das Princip derselben sich überall,, namentlich in
der Bildung des religiösen Lebens, zeigen muls, wenn
es in der Wissenschaft sich vollständig erfafst hat,
und deshalb eine Bedeutung erlangt hat, wie sonst zu
keiner .Zeit; denn die Wissenschaft ist ja ebenso sehr
der Reflex des wirklichen Lebebs, als sie auf dieses
wiederum nach allen Seitbn hin bildend einwirkt. Fer-
ner ist man in unserer Zeit auch deshalb in Tersu-
diung, dem Pietismus Unrecht zu thun, weil das Abso-
lute die frühere ObjektivitSt für das Bewufoüein der
Gebildeten zum grofsen Theil verloren hat, und gar
SU leicht einseitig nur als inneres Moment des wirkli-
chen Selbiiteufufstseins gilt; sobald daher das Abso-
lute nun noch in seiner eigenen Sphäre als solches, als
besondere Religiosität, xur Darstellung und Anschau"*
ung gebracht werden soll, wie diefs der PietisDQiUS
offenhält ernsthaft anstrebt, erscheint diefs der moder-
nen Bildung gar leicht als überflüssig, oder gar unwahr
und nachtheilig für das wirkliche Leben. Diese Yor-
stellung vor der Religiosität wurzelt tief im Protestan-
tbmus, und macht sich aus diesem Grunde in der öfient-*
liehen Meinung mit bedeutender Prät^nsion geltend. Es
war nämlich wesentlich die Aufgabe der Reformation^
das Religiöse von seiner abstrakt objektiven Form, von
seiner Isolirung dem wirklichen freien sittlichen Leben
gegenüber, zu befreien, und die wahre Yersöhnung
dieser beiden Sphären des Geistes herbeizuführen. Die
Religion sollte eben darin ihre absolute Idealität wirk-
lich bewähren, dafs sie nicht als eine besondere äufsere
Macht der Kirche sich neben und gegen die freie Sitt-
lichkeit stellte, sondern die ihr wesentliche unendliche
konkrete Allgemeinheit in höherer Weise verwirklichte,
indem sie in das Staats- und Familienleben eingehend
dieses durch und durch heiligte und verklärte. Je mehr
nun der Protestantbmus in der neueren Zeit nament-
iiSh nach der Seite seines Gegensatzes gegen den Ka-
tholicismus sich geschichtlich entwickelt bat und zum
Selbstbewufstsein darüber gekommen ist, hat sich auf
Kosten der Religiosität als solcher die Ansicht geltend
gemacht, "dafs der wahre Gottesdienst lediglich in dem
wirklichen moralischen Leben bestehe, und dieses des
Kultus höchstens als eines Mittels bedürfe zu seiner
Verwirklichung^ Diese an der Autarkie ihrer Subjek-
tivität zäh festhaltende Moralität, welche den tragischen
Ernst der Religion als solcher nicht in sich erfahren
mag, steht jener einseitig subjektiven Religiosität als die •
andere Seite des modernen Selbstbewurstseins gegen-
über. Beide Richtungen, auf demselben Grunde ruhend,
stehen mit gleicliem Rechte sich einander gegenüber,
erzeugen sich an einander, und sind überall bereit, durch
S67
MärJttm^ ihr m^d^me Pütümuf.
5«
aiotehiges Urtheilen üeh g^genttitig Uoreebt su tbiin. — *
Uebwdief« ist e0 schwierig, das Yerhältnils des ällerea
und modernen Pietismus festzustellen iind su begreifen ;
denn Jener kt in diesem kaum wieder, zu erkennen,
sobald dieser in der Form betrachtet wird, in welcher
er auf dem wissens^aftlichen Gebiete in neuerer Zeit
die abstrakte Objektivität der Religion als Off^nbarui^;
in der faktischen Form oder als ältere Orthodoxie lu
bewahren gesucht hat gegen die Angrifie einer blos
moralisohen sulyektiyen Vemunftreligion. Yergleicht
Vfum die. rationalistische Theologie namentlich in ihrer
apSteren Ausbildung, se wird man darin wenigstens
eben ao viel AehnKchkeit mit dem ursprünglichen Pie-
tismus finden aU in dem orthodoxen SupranaturaUsmus,
Ea ist schwer den Pietismus darzustellen, wie er als
besondere fromme Lebensansicht erscheint, denn er in«
diridualisirt Mch hier in*s Unendliche und bringt sich
nicht zur objektiven Darstellimg; und in der ül'issen«
9cbaft ist er in der ältere^ Bedeutung des Wortes in
den eiitgeg^igesetiten Richtungen der Theologie als
Element vorhanden; als einseitige Abart der neueren
Theologie, wie er etwa ohne die tiefere Yermitllung
der wissenschaftlichen Bildung die Orthodoxie noch starr
buchstäblich f^tsuhalten sucht, hat er iii einer siAsam*
menhängenden objektiven dogmatischen Darstellung sich
hisjetat noch nicht rechtfertigen können, indem der In-
halt der kirchlichen Glaubenslehre schoh von der tiefe«»
ren Wissenschaft unserer Zeit reproducirt zu seinem
Heehte gekommen ist; eine sich selbst so nennende Or»
thedosde, welche in der Meinung ist, von der wissen-
schaftlichen Erkenntnifs des Protestantismus abstra^*
f CQ zu können, um dadurch den Buchstaben, sei es der
Bibel oder der symbolischen Bucher zu retten, muXiste
Im Liebte der gegenwärtigen' Bildung an allen Seiten
sich widersprechen, sobald sie systematisch sieh zur
ebjektiven Barstellung brächte, denn sie köimte doch
nicht denken ebne zu denken> und dazu ist nun doch
^mal y^iL Jeher Philosophie nothwendig gewesen, sei
es i^n diese neuere oder jene ältere* Eine solche ver-
9ieintliche 0«thodoxie, welche an der Aeufserlichkeit
des Budistiibena im Grunde nur deshalb so sähe fest-
bäb« weil sie von ihre«i eigenen Verstandesabstraktio-
nen und Meinungen nicht loskommen Icann, exiidit
pothwendig nar als resultatlose Tendenz und als swedc«
widriges Treiben gegen die objektive wiasenschaftlidn
Entwicklung der Theologie* Diese Riehtung, ia dar
Meinung, die Objektivität des biblischen Glaubens ssl
der alten Kirchenlehre zu vertreten, ist durehatu ii
abstrakter Subjektivität befangen und kann insofsnili
pietistische Orthodoxie bezeichnet werden; diese,«
mühevoll und unerfreulich es audi ist, sie wissemdiaft*
lieh darzustellen, soheint der Hr. . Verf. der vorliegeB*
den Schrift bei seiner Entwicklung der Grundzup dei
modernen Pietismus besonders ^or Augen gebabt n
haben. Hr. Dr. AfärkUn war, wie diefs seine ia Bexq
auf Inhalt und -Form gleich gediegene, vortrefilicfaeAN
beit beweist, der Losung einer so schwierigen Aafgahe
gewachsen; von religiöser Gesinnung und der wnm
schaftlichen Bildung , wie sie seit Sehleiermacber osi
Hegel sich entwickelt liat, gleichmäfsig dttrciidnuk|c%
gelangte er zu der tieferen Einsicht ia die Eatwiib
lung auch der neueren Gegensätze in der Theole^
so wie zur gerechten Würdigung des modernen Pied^
mus in seinem Yerhältaifs sOr Kirche und WisMi
Schaft. Aufserdem setzten seine äufseren
ihn in den Stand, den Pietismus in seinen
Bestrebungen vielfach zu beobachten ; deim er ist Geilt»,
lieber in Würtemberg, ia welchem Lande neben wiür*
hafter christlicher Frömmigkeit seit langer Zeit tdioa
der Pietismus weit um sich gegriffen liat (vgl. EioL
8. 1 u. 2), und ist mit „manchen Persdalichkeitsn a«
dem Kreise der^Pietisten, weldien er seme HocliMb
tung nicht versagen kann, um ihres ehrenwerthen Cb-
rakters willen , und in welchen die Schattenseite fa
pietistischen Princips nur Wemg herTortritl^ bekanaf
(Vorr. S. IX). In der Vorrede, in welcher der Hr.Vf.
sich kräftig und schön über Glauben ;md Uoglsskdi
der gegenwärtigen Zeit ausspricht, saj;t er unter kt
derem über sein Buch: „Ich habe es. nicht aut Ptf*
sönlichem zu thün; auf dem wissenschaftliobea ^
biete gilt der Streit nur das Allgemeine, die Sack
selbst 5 das Frincip einer Erscheinung, und auf ^
ses allein habe auch ich die ganze Darstelluag des Pi^
tismus inmier wieder zurückgeführt** ( Torr. S. VIII>
(fixt Fortsetzwig felgt)
S. .(
; J^ 72.- .
' ' Jahrbücher
; ^ .• ' für
TWis s e n s cha f 1 1 i c he Kr itik.
ApiU 1840.
JJ^rMtelkmg Ui^ Kritik de$ madernen Pietiinmi.
• JSm ufü$ens€k4rfiifcAer Vetiuch ron Dr. Chr.
•• MärhUn.
(FortseUäng.)
, ... Je leicLler der Pietismus^ iodem er mehr bewubt
A^c unbewubt die Subjektivität zum Frioc^e macht«
•id« Partbei auftritt und mit persönlicher Polemik wie-
^«UDscbaftliehe Ricbtvngeii anzugreifen pflegt » um so
jii^hr ist es anzuerkennen^ in welchem Maärse ea dem
.Um* Terf. gelungen ist, in der Darstellung und Kritik
de» Pietismus sich von einseitiger^ nicht auf die Sache
eiilgehender, oder leidenschaftUcber Polemik durchaus
jfrei zu erhalten. Wie nun in dieser Schrift sum ersten
J^le , der Pietismus wirklich wissenschaftlich darge^
^lellt und benrtheik ist (denn die Brettschneidersche
iibhandlung kann darauf unmöglich Ansprüche machejq,
^m Pietismus in seiaer Bedeutung wahrhaft gewürdig^t
j^U/ haben), so zeichnet sie sich durch eine leichte
jukd gefällige Darstellung auch schwieriger dogmatir
f^h^s Lehrbestiiamungen so vorth^Uhaft aus , dafs sie
«inem grofseren Kreise von Gebildeten zugänglich ist
^ipd Kur Berichtigung des öffentlichen Urtbeils über wia«-
^n^chaftlicbe und religiöse Richtungen unserer Zeit
«oleugbar einen bedeutenden Beitrag liefern wird. -^
Was nun dejoi Inhalt der vorliegenden Schrift selbst
i^l|:^t, so widerlegt in einer Einleitujig p, 1— -12 der
^r« Terf. die befangene Ansicht der Pietisten von sich
Mlhfty nach welcher sie sich salbst aussehliefslirh fUr
die Gläubigen hake% eben so deckt er aber aueli die
Verkehrtbeit d^s Urtheils der Menge, und der Ansicht
d^ .Bationaljsmus über den Pietismus auf, weil nach
4^a,J|atztercn Meinung derselbe schosi cfeshalb eine ufi^
wfiiire. Ceistesricbtung sein soll, insofern, er die kirch-
liche Lehre jioak naturlichen Terderben des Menschen
und der Genugtbuung festhält^ so dafs v. Colin über-
einstimmend dainit das pietistisohe Element schon in
Jahrb. /. whitUMch. Kritik. J. 1840. I. Bil.
den eisten Zeiten der christlichen Kirche findet« .S- 9.
Ebenso erbebt er sich über die Ansiebt, nach welcher
das Princip des Pietismus das lebendige Interesse fiijr
die Religion sein soll, und derselbe sich nur deshalb
eine besondere ausschliefsende Haltung der Welt gegen-
über giebt, sofern der Geist des Christenthumes nicht
mehr so gleichmäfsig, wie früher, alle Mitglieder der^
kirchlichen Gesellschaft durchdringt Diese Ansiebt hält
sieb nur an die äulsere Erscheinung und raicht als blos
pragmatisch- historische nicht aus; ferner müfsten aber
danach alle, die ein lebendiges Interesse für dae
Christenthum haben, Pietisten werden $ dem wideiw
spricht aber die Erfahrung, dafs es doch Viele giebt,
die ein solches Interesse in hohem Grade haben, und
dabei vom Pietismus weit entfernt sind. S. 10« Viel-
mehr wird, damit d.er Pietismus begriffen werde^ mit
Recht auf das Wahre der Religion, und die Weise ihrer
Aneignung im Subjekte zurückgegangen. Die Abhand*
lung hat den Zweck, die zum Verständnifs der ganzen
Erscheinung wesentlichen Momente hervorzuheben^ läfst
sich deshalb auf -eine detaillirte Darstellung des Pietis-
mus in seinen einzelnen Sehattirungen und Nuancen
nicht ein. S. 12. Die Kritik vhrd in wissenschaftlicher
Weise in die Darstellung selbst verflochten, so dafs in
der Darstellung selbst der Widerspruch des Pietismus
mit sich selbst und mit dem Wesen des Christenthumes
mit treffender dialektischer Schärfe auf dem dogmati-
schen und ethischen Gebiete nachgewiesen wird. Die
Sdirift serCaUt in vier Abschnitte ; von denen der erste
(S. 13 — 44) den Grundcharakter des Pietismus dar-
legt; der zweite und dritte geben die Entwickelung
dieser Erscheinung nach seiner dogmatischen und ethi-
schen Seite (S. 45 — 175 und S. 175 — 261). Dann folgt
im vierten die geschichtliche Stellung und Bedeutung
des Pietisi^jus^ S. 261—292 und im Anhange eine Zu-
sammc^nstellung einiger Verordnungen deutscher Re«
gierungen in Betreff der Conventikel (S. 292 - 325).
72 .
571
Warum ist aber nicht lieber der letsCe'AbtchHitt über
die geschichtliche Bedeutung und Stellung des Pietis-
mus vorangestellt worden, und nach einigen allgemei-
nen Bestimmungen über das Wesen und die Erschei-
tiuiigsform der Religion, der Pietismus in seiner lllteren
und neueren Gestalt als eine im Principe des Protestan-
tismus gegründete religiöse und theologische Erschei-
nung genetisch nachgewiesen f Dadurch wurden man-
che Wiederholungen des schon Gesagten vermieden
sein; denn, um den Grundcharakter des Pietismus zu
bestimmen, kann im ersten Abschnitte bei der abstrak-
ten oder allgemeinen Betrachtung der Religion und ihres
.Verhältnisses sum Selbst bewufstsein des Einzelnen nicht
stehen geblieben werden, sondern es wird schon S. 15
auf den geschichtlichen Ursprung des Pietismus, auf
Spener und seine Opposition gegen die damalige starre
Form der Orthodoxie, wirklich ausfCthrticher eingegan*
gen, auf das innere Yerhältnirs des älteren Pietismus
zu Schleiermachers Theologie reflektirt, und auf die
Zusammenstimmung desselben mit der neuesten Theo-
logie und Wissenschaft überhaupt, insofern diese das
Verdienst hat die unterschiedenen Sphären des Geistes
als solche und in ihrer Einheit wiederum begrfffen za
haben. Feimer wird auch die Berechtigung des moder-
nen Pietismus dem Supranaturalismus. und Rationalis-
mus, dem religiösen Bewufstsein dear Volkes und der
Gebildeten gegennber, sein Verhältnifs zuni Mysticis-
mus, schon hier besprochen. Sind diefs nicht Alles
schon historische Momente ^ die auf» Neue in dem
letzten Abschnitte zur Sprache kommen müssen?
Was der letzte Abschnitt Neues und Eigenthümli-
ches enthält, ist daher mehr der Versuch, den Pietis«
mus aus dem Protestantismus insonderheit zu dedudren,
und ihn namentlich im Verhältnifs zur neueren. Theo-
logie, dem Supranaturalismus, Rationalismus,' Schleier*
macher und der spekulativen Theologie, zu begreifen.
Ref. hat in dem vorangestellten Raisonnement im We-
sentlichen den Inhalt des letzten Abschnittes angezeigt,
zugleich aber dos Verhältnis des modernen Pietismus
zum älteren bestimmter festzustellen versucht, so wie
das innere Verhältnifs desselben zum neueren Suprana-
turalismus. Oiefs sfnd namentlich die Punkte, in de-
nen dem Ref. die ihm sonst so sehr aus der Seele ge-
schriebene Schrift, wie nicht leic^ht eine andere, nicht
genügend erscheint. Was das Verhältnifs des moder-
nen Pietismus zum Siteren ursprünglichen betrUR, sd
MärkUn^ der moderne PietumUe.
m
• wird mit , Reeht Ae bedeutende Veeschiadenhnt bdto
aufs Bestimmteste hervorgehoben. Der neuere tUb
freilich mit jenem das Streben nach VerinnerUdmig
des objektiv gegebein^n religiueen Inhalts, will dicMi
als ein Inneres Moment des SelbstbewofitseioB eriiel»
nen und geltend machen, nun aber gilt ihm doch nie»
der die an/sere Form des Faktums,' z. B. der Wvjar
oder die gegebene symbolische Lehre dem BuehäUkm
nacAj in dem Maafse als das Wesentliche, daij er ji
Andere auch schon deshalb ven^mt, weim de dk
der Gewifsheit der Wahrheb der Idee, welche ia 4^
sen Thatsachen erscheint, nicht diese zugleich als m
geschichtliche Begebenheit für wahr hallen. „Das igt
gerade das eigentliche Wesen des Pietismus, dicwr
Widerspruch, dafs die Innerlichkeit, welche das WsMi
des Glaubens ist, und welche auch vpndein Pietisnni
gewollt wird, bei ihm in sich selber doch wieder SK
diese Aeufserlichkeit bf, oder dab der Gegenstand fa
tSlaubens, den das Bewufstsein gerne an einem Ek
0
mente seiner selbst machen müchte, doch^vieder hite
selben Augenblicke dem Bewufiitsein ein äafserüekff
und ihm fremder, ihm nicht angehdriger ist.* S. 28 t||:
8. 52. Am schroflfsten zeigt sich diefs in der mUes
nen pietistischen Orthodoxie, auf welche bei der En*
Wickelung der wesentlichen Lehrbestimmungen im Utki
des Pietismus besonders Rücksicht genommen wird. ^
mehr die Aufnahme des Prineipes der Subjeklivitii ii
aich es ist, welcher der Pietismus seine Entstehung vff>
dankt, und wodurch er sich allein aus dem sopemsi»
ralistischen Bewurstsein als eine eigenthGmIiche Geelril
ausgesondert hat, und je weniger er doch dieses N»
dp in sich gewähren läfst, sondern immer wieder h
jene Denkweise der abstrakten ObjeMivität suräd^SIk)
desto gröfser ist der Widerspruch, in welchem er AI
mit sich selbst befindet. Seine Wirklichkeit steht ia
entschiedensten Gegensatze gegen das ilim zu OMl
liegende Princip. Indem sich der moderne Pietirnns
zum Verfechter der Orthodoxie aufgeworfen hat, klafft
er gegen sein eigenes Princip für das diesem sehen
Princip entgegengesetzte Princip. — £r ist seiner Gnoll-
lage nach protestantisch, in der Wnrklichkeit huldigt er
aber demselben Princip, welches dem Katbelic^sM
eigen ist, dem der abstrakten Objektivität, weshalb er^
wie diefs an mehreren einzelnen Punkten nadigewieiat
ist, an die katholische Anschauungsweise (ganz eatg^
gengesetzt dem ' älteren Pietisnfns) anstreift" S. fSt*
fttS
der wiodeme Püiiimtu.
574
-Dab diese Kdifi»g einer sondeitoreii Vefsehmekung
von PietbBiiM und Älterer Orthodoxie sieh geltend zu
mmehM. ▼ersveht in der Theologie, ist gewifs^ afcer wie
iman es ^e«,'iind wie verhfilt diese, weil auf abstrakt
^tar Sufcjekirril&t beruhend, undFon der objsküfen Form
dcilr ürebliehen Wissenschaft Hbstrahirend, doch immer
ittttoterisehe Ortbodezie sieh zu der früheren Entwidf-
immg der 'ttteologie und su der neueren? Der Hr. Yf.
'VHicIideni er den Spenerselwa Pietismus als gesobicbtU*
Entwieklungsstufe innerhalb des Protsstantissnus
sehdn in seinen Gnindsiigen dargelegt bat, sagt
fiL 379 nur, indem er nun zum modernen Pietismns
"Mbergebt: ,»ganz anders rerhält es sich nun in dieser
'KeBiebung mit dem modernen Pietismus", und sohildert
^famn sogleich sein VerböUnirs zum Supranaturalismus
'WBtä Rationalismus. ,Wie kommt es nun aber, dafs > der
Hr. Yerf. den Pietismus bo scharf von dem Suprana-
«ütfalismus abscheidet, und den Pietismus über die su-
fnamtwalistbcbe Theologie erhebt I (S. 263) In Bezug
wmt den alteren Storr'schen Supranaturalismus, den er
sin Beispiel des Supranaturalismus S. 45 anführt, ge-
-^ICs mit Recht; aber der neuere Supranaturalismus
«toshi ja gans auf dem Boden der Subjektivität, wie der
*ttr. Yerf. S« 2S1 sehr schön entwickelt, dafs er durch
moderne Bewufstseiu bereits selbst dazu getrieben
^nichts als wahr anzunehmen und sich anzueignen,
adaes Mos objektiven traditionelkn Daseins willen,
aondera sofern es sich im Denken durch sich selbst als
waiirerw^st^ oder selbst begründet,- selbst erfahren und
«iMbC ist, theib auch, von aüisen her dazu aufgefordert
4kiroli den Widersps uch gegen manche Elemente des
«hristiicben Glaubens von Seiten des Rationalismus,
6mm objektiv gegebenen Glauben durch seine Yerstan-
dpmuiitiplij litr zu begründen und zu beweisen sucht;
was ar tbeils in der von ihm ausgebildeten Apologetik,
ibeHa in der Form von Beweisen aus der Yemunft,
MfeF aas Thatsachen des sittlichen und religiösen Ba^
wofstseiiM ansführte." S. 287. Dea Supranaturalismus,
ki diesen Princip der Subjektivität wurzelnd, der sein
,^a%enes Denken und Setzen" überall geltend .macht,
wird daher auch leicht den Pietismus als Lebensansicht
müd liebaaswebe im praktischen Leben erseugten, so
wie der Pietismus als fromme Ganütlisstimmung, so*
bald er sich zur Theorie in der Glaubenslehre gestal-
tet^ immer die Form des supranaturalistuchen, sei es
einer mehr abstrakt biblischen 'oder abstrakt symboli-
schen, annehmen wird. Je ifther die Subjektivilit an
der Unmiltdbarkeit ihres Selbstbewufstseios und den
endlichen Formen ihres abstrakten Denkens festhält,
um Bo mehr wird sie ^ne starre Orthodoxie wieder
mit modernen Denkbestimmungen aufgestützt in's Da^
sein rufen, aber auch um so mehr nur in dem vergeb-
liehen Streben, die Leerheit ihrer Subjektivität mit dem
.konkret«p Inhalt wirklich zu vermitteln und zu erfül-
len, alle die Widerspruche mit sich selbst zu Tage brin-
gen, die der Hr. Yerf. S. 284 im Allgemmnw andeu-
tet als 'Widerspruch des Objektes und Subjektes^ und
die im Einzelnen so vortrefflich entwickelt sind in der
Darlegung, wie der Pietismus den wesentlichen Inhalt
der protestaatisehen Glaulienslehre auffafst. Demnach
müfste man die neuere sogenannte oder sich so nen-r
nende pietistische Orthodoxie nur ansehen als die Her-
aussetzung des Widerspruches, auf welchen die fixe
Entgegensetzung des Subjektiven und Objektiven in der
Religion, der Supranaturalismus sich in der Sulgeküvi-
tät fixirend, sieh nothwendig von selbst htntreibt, nur
insofern könnte dieser orthodoxe Pietismus als ein Fort-
sehritt angesehen werden , da er im Grunde doch nur
eili Riickfall ist in eine ihrer Form nach veraltete Or-
thodoxie. In dem Slaalse nun, als hier auf die Lehre
wieder ein wesentliches Gewicht gelegt wird, dem neue-
ren Supranaturalismus gegenüber, der nicht genug wie-
derhiden kann, dafs das Christenthum nicht sowohl cihi
neues System von Lehren als ein neues Leben sei,
nähert sich diese pietistiscbe Orthodoxie wieder dem
älteren Storr'schen Suparnaturalismus, und hat so zwi-
schen beiden nur ein sehwebendes ziemlich Jbaltungslo-
ses Bestehen«
Es erklärt sieh diese in sich widersprechende Foite
der Theologie, so weit sie sich, meistens nur in dei^
Polemik, eine Existenz wirklich gegeb^i hat, aus dem
Bedurfuifs, der in sich gegangenen Subjektivität wirk-
lich einen konkreten Inhalt des Glaubens zu bewahren;
in diesem Bedurfnib coincidirt sie mit der neueren
spekulativen Theologie^ wie diets in diesem Buche auch
häufig hervorgehoben und zur Begründung der relativ
ven Berechtigung dieser Richtung angefShrt wird' (S. 40'
tt. S. 284 u. 85). Aber freilich „diese Berührung des
Pietismns und der neueren Wissenschaft ist nur eine
augenblickliche, in der näheren Auffassung des Gegen-
standes gehen sie wieder weit auseinander/' In der
Schleiermacherschen Dogmatik, die mit Recht als der
575
JUärJtlmy der mmkrtte Pieiümui.
Wen^punlrt der neueren 7heöldgie angesehen wird
(S. 2B6), bt die Seite des 'protestantiieben Principes,
weiche der Spenersche Pietismus urgtrte, eu ihrem toI^
len Rechce in der Wissensohaft gekemmen; indem nun
liier alle Glanbenss&tze sieh bewäliren müssen durch
ihr inneres' Yerhaltnifs sum frommen Seltistbewuftt-
seffl) so ist auch hier den Ansprßdien, welche der mo*
derne Pietismus hinsichtlich der subjektiven (micrlieli-
-kelt und der Selbständigkeit der Religiosität auf wis-
sensehaftliohem Gebiete etwa machen kann, wirklich^
so weit es die tiefere Bildung der neueren Zeit er-
laubt, Genüge geleistet. Es war aber bei Schleierma-
eher dieselbe' ihrer unendüehen Innerlichkeit gewisse
•IVdmmigkeit, welche mit der Schärfe ihres Terstäadi-
gen Denkens die Beschränktheit des Pormalismus der
filtere» Orthodoxie in iiiren Definitionen und Distink-
tlonen vollends zum Bewußtsein brachte 9 so wie die
^Befangenheit und Unwahrheit des Glaubens, welcher
sah in seiner Subjektivität sich fixirend, ängstlich an
dem äufseren Buchstaben und der unvermittelten Form
des Wunders als Faktum festhaltend, in Wahiiieit des
Heils der Erlösung verlustig geht Mag auf diesem
Standpunkte der Glaubenslelire der konkrete objektive
Inhak des Glaubens, die Triuität s. B^ auch noch nicht
SU ihr^m wahren Reehte gelangen, so ist negativ der
tkiodeme Pietismus in seiner Einseitigkeit von seinein
eigenen StandpunlEte der Frdmnngkeit aus widerlegt.
Insofern mu4s es als durchaus passend und angemessen ' und vielmehr der Jrühere Glaube der Kirche hielt fiel-
melir an dem Inhalte des Symbols, der Truiität, im
Erlöser und dem heiligen Geiste als der beseiig^sfa
Wahrheit fest. Jener Pietismus aber, welcher aiek a
solchem Materialismus minder* der fcatbolischea Vontel
lang vom Glauben als einem Furwahrhalien überwiegHii
suneigt, „seigt damit nur seinen niedrigen Standpub
im Denken, und wenn er sich so gerne. als dealttVl^
läisigsten Träger des Glauheps darstellt, so muff Tuk
mehr gesagt werden, dafs, um den Glauben ui wim
ganzen Tiefe zu fassen, und ihm eben danut seine folb
Whrkung zu sichern, das erste Erfordemib dieiiiA
diesen Standpunkt des Denkens zu vwhiweB, vd
sich auf die Stufe zu erheben , auf welcher das Ge»
sehichcBohe sugteich als Ideelles, die Encbehuligsli
Verwirklichung der Idee erkannt ^inrd." (S. 73, 7}>
6»
nischen Meinung VM der Stede hiMieigti k&unt ^
noch nicht dazu, sie in ihrer Ti^fe zu erkeaoea snl
den wtrkliehen Schmers über dieselbe in sich zu «fd^
ren; „denn, indem daaPrincip des Busen in davSel«!
aubstantiurt erscheint, wird es Yon der Natur des Hi^
sehen abgezoften und sl^eht zu derselben in einai ht
äufserlicben vVerhältnbse"; hieraus und aus seiner Auf'
fassung des Guten, das dem Menschen ebenso sehkcli^
hin äuCi^rlich sein soll, folgt dann -ein unaatürljik
ängstliches und verworrenes Gefühl der Sfiadb%%k4
das gar wohl zu unterscheiden ist von dem natürliditt,
wenn auch noch so tief einschneidenden Sehaenp*
fahle des un%'erfäkcht religiösen Subjekts, und sstdcr
andern Seite eine gefilhrliehe sittliche Sieherheil, india
der Pietist als im Zustande der Begnadigung aieh be-
trachtend, dasjenige, was das Fleisch thut, sich solk^
nicht mehr eigentlich zurechnet." . S. 60 u. 61. In At
Endlichkeit ihres reflektirenden Denkens befanges, hf
die pietistische Subjektivität immer das Bedürfsifs, 4i|
Inhalt der absoluten Beligion abstrakt objektiv is kt
Aeuberlichkeit der historischen Erscheinung zu fixii%'
diese HartnficiLigkeit, mit welcher auf das Festhake
und Fttrwahrhalten der sundiclien Erscheinuug dei tk
solüten Inhaltes in Raum und Zeit, der \^Nisder ii
ihrer unvermittelten Fprm gedrungen wird, ist doftk
aus der modernen zäh sich in sich befestigenden SiA*
jektivität eigenthümlieli^ die ältere Orthodoxie aellsli
erscheinen» wenn der Hr. Verf. den Pietismus nach
ner degmatikchen. Seite In seiaett Ansichten über die
wesentlichen Glaubenslehren ins Lichte der Schleier-
macherschen Dogmatik befrachtet, und ihm überall den
Widenpruch mit sich selbst und dem ChrlMenthume
'mtfaelgt IWit dem guten Gewissen der christlichen
\yissenschaft, mit der eindringenden zevsetaenden Ener-
gie ihrer Dialektik, falst er den Feind scharf in*s
Attge^ und zeigt ihm gerade da, wo er fQr ^das Chri-
stem^Mm*' vermeintlich Reste fefst, seine Sjtärke als die
ungeheuerste Schwäche im Giauben auf. Interessant
sind in dieser Beziehung besonders die Ansichten des
Pietismus von der Sünde, der Person Christi, und der
heil. Schrift dargestellt und aus ihnen selbst widerlegt
Der Pisiietaus, obgleleh er sich sichtlich su der Flaoia-
(Der Betfchlnf« folgt.)
*^m
J a h r b ü c h er
für
\^ i s s e n s c h a f tl i che Kritik.
April 1840.
MfarsieUuag und Kritik des modernen Pietismus. -
Min wissensekaftlicher Versuch ton Dr. Chr.
Mäthlin.
(Schloig.) .
Dieselbe aehlechte Form des endlichen Denkens,
welche die Tiefe de» Glaubens überall in demselben
Augenblioke ausleert, indem sie den ganzen Inhalt fest*
xahaltan meint , sieht das absolute Wesen GU>tt6S, in*
dem sie 'auf die Persönlichkeit .Gottes geht, durch den
Gegensatz, den ne zwischen demselben und der Welt
befestigt, . in die Endlichkeit herab, macht ihn zu ei-
ner abstrakt indtviduellen Persönlichkeit, deren Frei*
heit die WiUkfir des Beliebens , des subjektiven Ent-
aehlusses ist« (& 81 ff;) Der grofste Hifsbrauch wird
. hk jneuerer Zeit Tomehmlich mit. der Autorität der heil/
Sehrifk getrieben. Nicht alldn wird es * Tcmachlarsigt
Tom Pietismus, objektiv aus dem Begriffe der Religion
vnd des Christenthumes die Bedeutung, der Schrift für
den Glauben, ^die Kirche zu begründen und zu recht*'
ferfigen, denn das Begreifen ist es. ja eben, welches
als Hochmuth' der menschlichen Yemunft geschmäht
wird, sondern es wird auch verlangt, dab ohne "VVei-
teres die Auslegung der Schrift und das Verhaltnils,
in welches der Pietismus sich zu derselben stellt^ accep-
ürt werde. Die Endlichkeit des Erkennens, dy» der
. Behauptung der Philosophie vom absoluten Wissen
^egeniÄer durchweg geltend gemacht wird, ist nun
ganz vergessen; das Subjekt, wie es mit seiner Ge-
lehrsamkeit, seinem Scharfsinn die Bibel auslegt und
die Authentie der biblischen Bucher zu begründen
pucht, behauptet sich als infallibel. Weiin es nicht
.wirklich im absoluten und alleinigen Besitze der Er-
kenntnifs der Wahrheit zu sein meinte, wie könnte es
d«n Andern, die nicht dasselbe Verhältnirs zur Schrift
für das allein Heilbringende erachten, überall in die
Falten des Herzens schauen ivoUen, und sie verdam-
Jahrb. f. m$*€n$ck. KrUUt. J. 1840. I. Bd.
men f Die Bibliolatrie erwebt sich vielmehr unmittelbar
als Autolatrie , ab Selbstvergötterung des Subjektes.
In der That ist es auf dem Standpunkte, der die Mög-
lichkeit der Erkenntnifs des Absoluten leugnet^ der
schreiendste Widerspruch bis zum Üeberdrüb. immer
von einem auch schon für die Wissenswert fix und
fertigen „Christenthum** und von der „Schrift" zu re*
den, welcher die moderne Bildung oder die neuere Phi»
losopbie widersprechen soll. Diesem Widerspruche
liegt Weiter nichts zu Grunde als die Verachtung des
Inlialtes der Offenbarung, welcher ohne die Negation •
des endlichen Denkens, ohne die Yermtttelung des
Glaubensinfaaltes in einer Beligionsphllosophie und Dog*
matik, sich von der sogenannten Unbefongenheit d. b.
von der Meinung des Subjektes soll erfassen lassen,
welches in dem Postulate des Glaubefeis an die Ihspl»
ration der Bibel vielmehr nur' den Glauben an die ei»
gene Inspiration verlangt. Mit dieser ungeheuren Prä«-
tension ist nothwehdlg die Leidenschaftlichkeit des
Eiferns für „das Christenthum," und die Bescirgnifs und
Aengstlichkeit. verbunden, welche furchtet, dasChristen-
thum möge von der modernen Bildung ganz verdrängt
werden, wenn nicht eine plutzlitlie wunderbare gottlU
che Hülfe euitrete; welche Besorgnifs der Hr. Yf. am
Schlufs der dogmatischen Abhandlung dahiji deutet,,
dafs allerdings „die Auffassung des Pieüsmus, seine*
Meinung vom Chrktenthume sidi als veraltet und un»
genügend erweisen möge, und dab diese einen Kampf
zu besteben habe^ in dem er um den Sieg besorgt zu
sein alle Ursache hat. Das Resultat dieses Kampfes
wird allerdings der Sieg des Christenthumes sebi, aber
nicht in der beschränkten und ungeistigen Form, in
welcher der Pietismus dasselbe hat, sondern in der
freien und geistigen, zu welcher die christliche Wis»
Seilschaft selbst in unsem Tagen bereits den Grund
zu legen angefangen hat.'' (S. 144 ff. und S. 174).
In dem dritt/en Abschnitte weist der Hr. ML nun
73
M'drklin^ der moderne
579
sehr schon nach^ wie vermöge des inneren Verhältnis-
ses, in welchem. Sittlichkeit und Religion stehen, die
Ycrkümmerung des religiösen Inhaltes in der Reflexion
des pietistischen Selbstbewurstseins nothwendig eine nach
allen Seiten hin beengte und besohrSnkte Anschauung und
Yerwirklichung der sittlichen Idee ssur Folge hat. Der
Pietismus, in dem Eifer, dem Rationalismus etwa ge-^
geniiber besonders die Selbständigkeit Aev Religion im
Yerhältnifs zur Moralität der Yernunftreligion hervor-
zuheben, gerftth vermöge seiner abstrakten Trennung
des Menschlichen und Göttlichen sogleich in die Ein-
seitigkeit, die Religion nur als etwas Besonderes neben
und aufser den übrigen Sphären des Lebens aufzufas-
san, und die unendliche. Idealität der konkreten Allge-
meinheit derselben zu verkennen , in welcher sie sich
eben so sehr in ihrer eigenen Sphäre ihre Gestalt giebt,
als sie von der anderen Seite die übrigen Kreise des
wirkliehen Lebens, der Kunst, nicht absorbirt, sondern
diese in der Weise bestimmt, durchdringt und verklärt,
dab sie, durch das Absolute bestimmt, wahrhaft sich
selbst von Innen heraus bestimmen und in ihrer eigen-
thümlichen YTeise sieh frei der Idee gemäfs verwirkli-
eben. Die konkrete Einheit der göttlichen und mensch-
lichen Natur, welche auf dem dogmatischen Gebiete
dem Pietismus immer gerade dann entflieht, wenn er
sie sich zur bestimimten Anschauung und Gewifsheit
bringen will, wird auch in der sittlichen Idee von ihm
nicht erreicht. Der gottliche Wille erscheint seinem
Principe gemäfs immer als ein abstrakt objektives, dem
Subjekte gegenQberstehendes Gesetz, nicht als an sich
geeint mit dem menschlichen, so dafs er auf dem Grun-
de des gottmenschlichen in der Welt sich verwirkli-
chenden Lebens als der Lebenstrieb des Selbstbewufst-
seins sich darstellte. S. 190 fl^. Wenn die Yorstellüng
von dem Reiche Gottes für die christliche Ethik der
angemessene Ausdruck für die Yerklärung der natürli-
chen pnd gebtigen Welt in der Idee ist, so wird von
dem Pietismus unter dem Reiche Gottes einseitig die
religiöse Gemeinde als ^ solche verstanden. Das ei-
gentliche Staatsleben, die Kunst erscheinen ihm für
sich als unberechtigt^ als „Welt", sofern sie nicht in
ein blos dienendes Verhälcnifs zur Religion treten; wo-
mit er wiederum, wie auf dem dogmatischen Gebiete
in seiner abstrakten Fassung des Protestantismus, sich
der katholischen Ansicht vom Yerhältnifs Aes Staates
zur Kirche nähert. Die Engherzigkeit der pietistischen
580
Denkweise in Bezug auf die Kunst, welche sie in der
Regel nur als Mittel für den Kultus, oder' als religiöse
Kunst gelten läfst, zeigt sich besonders auch in dem
Hafs des Theaters, so wie sie überhaupt geneigt ia(,
wegen der mangelhaften Erscheinung irgend esner Seile
der Wirkliclikeit. die Berechtigung eines Momentes der
Idee an sich zu verkennen, und die Sache als seMie
zar Yermeidung des Anstofses überhaupt zu verwerfen.
Die unendliche Elasticität, die Allmacht der Idee, fldc
welcher sie in der reichen Gestaltung des Lel»ens der
mannigfaltigsten Bildungen sich erfreut, und es liebt»
sich in ihnen zu verbergen, um nur desto raeiir in der
Yerschlingung auch entgegengesetzter Sphären des gei-
stigen und natürlichen Universums und ihrer Harmonie
sich zu verherrlichen, ist vor den Augen des Pietismus
durcbbtts verborgen. Während ihm die ethische Be»
deutuDg in der immer' steigenden Macht des Geistes
über die äubere Natur in der industriellen Thitigkeil^
und in der unbefangenen freien Form der Geselligkeit
entgeht, entwickelt er eine bedeutende Rührigkeit und
Betriebsamkeit,' mit welcher er unmittelbar für das
Reich Gottes zu. wirken meint, in der Yerbreit'ung von
Traktaten und der Thätigkeit für die Missionen. Wie
nothwendig und daukenswerth namentlich die Thätig-
keit zur Errichtung von Missiousgeseilschaften aueh
ist, so bemerkt der Hr. Verf. doch mit Recht, da(s von
den Pietisten auf solche Bestrebungen nur gar zu leicht
ein zu grofser Werth gelegt wird, so dafs die Metnong
von einer besonderen Verdienstlichkeit der Theilnahoitt
an diesen Bestrebungen eine neue VVerIcgerechtigkeit
in der protestantischen Kirche herbeifuhrt (S. 186, 187).
Mit besonderer Einsicht und Gerechtigkeit ist das Koo-
ventikelwesen behandelt. Yielleiclit möchte das reli-
giöse Bedürfnifs, welches oft in verkehrter Weise hier
seine Befriedigung sucht, diese in der angemessenen
Weise finden, wenn in, der protestantischen Kirche öf-
fentliche Gottesdienste in der Woche allgemeiner ein*
geführt würden, wie dies in grofsen Städten schon zum
Theil geschehen ist.
Wenn der Pietismus, in sofern er die Selbstän-
digkeit und Innerlichkeit des religiösen Lebens geltend
zu machen strebt, in unserer Zeit, in welcher Laxheit
und IndifTerentismus in der Moral und Religion «ehr
verbreitet ist, uns im Leben eine wohl berechtigte ulid
auch in seiner Einseitigheit erfreuliche Ersehehrang
ist, so kann auf wissenschaftlichem theologbehefli Ge*
(81
«
eeltUchen SpracAsn m ihrem VerAälint/i %um Sausirity Zend u. #• te».
583
biete iliai wohl nicht dieselbe Bereelitigung mebr siige-
flttmden werden; denn die Interessen der Subjeictivität,
welche der ältere Pietismus gdtend machte, so wie das
Interesse der Orthodoxie werden von der neueren Wb^
saiischaft in gleichem Maabe vertreten, und es ist nur
TerblenduBg der abstrakten Subjektivität, auf welcller
das falsche Interesse des modernen Pietismus am Buch-
staben ruht, wenn sie in der tieferen wissenschaftlichen
Entwicklung des Glaubens die dem Geiste des Prote-
stantismus allein angemessene freie Reproduktion der
Orthodoxie nicht anerkennen kann. Bestrebungen, wel*
ohe von dem freien objektiven Erkenntnüsprocefs des
GKaubensinbaltes abstrahiren, müssen in der protestan-
tischen Kirche vielmehr fQr heterodox gelten. Je mehr
dagegen die kirchliche Wissenschaft in der Form des
Begriffes den konkreten Inhalt des Glaubens in seiner
unendlichen Tiefe herausarbeitet, und die subjektive
wie die objektive Seite desselben in dem gleichem
Maafse zu ihrem Rechte kommen läfst, um so m^hr
wird sie auch der Begründung und Beförderung einer
substantiellen, inhaltsvollen Frömmigkeit und realen
Sittlichkeit dienen.
. A. Bai er, Lic. in Greifswald.
XLV.
1^ The eastern origin of the Cetlic natiom pro--
red by^ a comparü^n of their dtalects wtth the
Sanscrity Oreek, Latin and Teutonic langua-
ff es by J. C. Prichard. Ooford^ 1831.
2^ De Vaffinite des 'langues Celttques avec le
' Sanscrit par Adolphe Ptctet. (Memoire cou-
rönne par f Institut)* PariSy 1837.
^) Die celtischen Sprachen in ihrem Verhältnifs
zmm Sanskrit j Zend u. s.w. ron Franz Bopp.
(Gelesen in der Academie der Wissenschaf-
ten am 13. December 1838;. Berlin^ 1839.
bei Dnmmler.
drei oben genannten Werke beschäftigen steh
mk einem Sprachzweige, den man lange Zeit aller.
dings als mit den indogermanischen Sprachen in Be-
Mbrang stehend anzuseilen gewohnt war, und der na-
mentlich m seinem Wortsehatse noch' manche Spuren
der Terwandtschaft zum Sanskrit und den übrigen Glie*
dem derselben Familie zeigte, dessen grammatischer
Bau indefs so mancherlei Abweichungen von den Bil«
düngen der oben genannten Sprachen darzubieten schien,
dafs Hr. Prof. Bopp in seiner im J. 1823 in der Kd*
nigl. Academie der Wissensch. gelesenen Abhandlung
über die Pronomina der beiden ersten Personen im
Sanskrit ihn als der engeren Gemeiuschaft der indoger«
manischen Sprachen nicht angehdrig bezeichnete, und
deshalb auch von den Untersuchung€tn, die er in seiner
vergleichenden Grammatik Ober diese Sprachen anstellte,
ausschlofs. Zwar erschien seitdem das erste der oben
genannten Werke, in dem sich der Yerf. bemühte den
östlichen Ursprung det celtischen Yölkerschaften durch
die Yerwandtschaft ihrer Sprachen mit den indogecma«
nischen darzuthun, und in dem er sowohl die Lautver*
hältnisse als auch den grammatischen Bau einer nä«
hem Untersuchung unterwarf, wobei er jedenfalls daa
Yeirdienst hat eine nähere Berührung des Celüschepi
mit den indogermanischen Sprachen in einzelnen Punk-
ten nachgewiesen zu haben, doch blieb noch so vieler-
lei den celtischen Sprachen Eigenthumliches vunerörter^
was ihnen grade den Charakter einer besondern Sprach-
familie giebt, dafs Hr. Prof. Pott (Etym. Forsch. U*
p. 478) sich noch dem Urtheile des Hrn. Prof. Bopp
anschlofs, und zwar gleichfalls eine dieilweise Ueber«^
einstimmung des Wortschatzes des Celtischen mit den
indogerm. Sprachen zugab, und auch sogar eine hin^
und wieder sich findende Uebereinstimmung grammati-
scher Formen annahm, doch aber das ganze Wesen
der celtischen Sprachen als dem Indogermanischen sa
fem stehend bezeichnete, dafs an keine Stammverwandt-
schaft zu denken sei^. und die Uebereinstimmungen sich
nur durch vorgeschichtliche Mischung indogermanischer
Yölkerschaften mit coltischen erklären lielsen» So
mifslich eine solclie Annahme von derartiger Misdiung
verschiedener Sprachen ist, so war sie docb> da eine
«nderweite Erklärung nicht vorhanden war und aueb
nicht möglich schien, bisher ^ unangefochten geblieben^
bis iieuerdings Hr. Pictet in seiner vom Institut gekrÖn*
ten Schrift die Untersuchung von neuem aufnahm, und
durch Zi.sammenstellung von ' Wurzeln ' nnd Stämmen^
Prä- und Suffixen und Flexionen, die er auf eine sorg-
same Yefgldchuhg der Lautverhältnisse begründete, die
engere Yerwandtschaft der celtischen mit den indoger-
manischen Sprachen auf eine unwiderlegliche YFeise
bewies« Indel's blieb doch immer noch so manches vom-
S83
Die celtüeh^n Sprachen m ihrem Ferhäitm(/i xum SanekrU^ Zend u» $. v.
Standpunkt der Spraefavarglekhung aus ttnerkiärt^ was
den eeltisehen Sprachen einen von den übrigen indo*
germanieehen abweichenden Charakter leiht, und na^
mentlioh war es die allen gemeinsame Lautveränderung
am An(|ing der Wörter, in deren Einzeinheiten die ein-
seinen mehr oder minder übereinstimmen, die einigen
▼on ihnen, namentlich den galischen Dialecten , deq
Schein lieh, als ob die Verbal- und hauptsächlich Nomi-
nalflexion, abweichend vom Indogermanisohen, sich durch
entweder den Stäitimen vorgesetzte neue Consonanten
oder Umwandlang der ursprünglichen vollzöge« Das
Priueip dieser schwer sü begreifenden Eigenthumlich*
keit erkannt, und 'auch darin die genaue Yerwandt*
sehaft der celtischen Sprachen mit den indogermanischen
nachgewiesen zu haben, ist neben der Entwicklung
und Entwirrung noch vieler andrer ^ebenso versteckt
*
liegender, verwandter Zuge des Celtischen das grorse
Yerdienst der unter No. 3. aufgeführten Abhandlung
des Hrn. Prof. Bopp, und wenn auch noch in den ein*
seinen Dtalecten Einzeluheiten übrig bleiben, die noch
ihrer Aufhellung harren, iso ist doch jedenfalls in die*
ser letztgenannten Schrift der Weg dazu gewiesen, und
jeder der sich mit der Yergleiohung der celtischen Spra*
oben mit den übrigen indogermanischen befassen will,
wird sich genöthigt sehen von den hier niedergelegten
Resultaten auszugehen, und sie zur Grundlage seiner
Untersuchungen zu machen.
Die für eine kür^^ere Anzeige angemessene Be-
sefaränkung verbietet uns in eine genaue Betrachtung
des , Ganzen der oben genannten Werke einzugehen,
und wir kennen daher nur einige Hauptpunkte die
wichtiger sind hervorheben. — Nach dem was bereits
oben über das Prichard'sche Buch gesagt ist, lafst sich
schon entnehmen, dsfb es hier weniger berücksichtigt
werden kann. Es ist eigentlich ein Supplement zu des
Verfsb im J. 1813 erschienenen Researches' into the
pbj4»ieal history of mankind, und läfst sich deshalb in
der Einleitung in eine genauere Betrachtung der ver*
aehiedenen Ansichten über die Bevölkerung der Erde
eiii, behandelt dann den östlichen Ursprung der meisten
eurepSiscfaen Völker, und sucht in seinen sieben Kapi*
tsln eben denselben den celtischen Völkern mittelst der
Spradie naehtuweisen. Was indefs rücksichtlich der
Lautvergleichung beigebracht wird, berührt oft die eeU
tischen Sprachen nur sehr obenhin, jedoch ist in vie*
m
len einzelnen Punkten sdion eine. ganz ^nehmban
Verglefchong' indischer Wurzeln, Verba und Nonam
mit cekisehen, so dais der Forscher mmiches Mat^id
zu weiterer Benutzung finden wird. Einzelne Irrtki*
mer, die sich hin und wieder finden, wie z. B. hk
das T im dorischen diSrnvi an die Stdle eines ursprfipg^
liehen a getreten sei (cap. 2^), zu widerlegen ist hin
nicht der Ort, und sie finden um so mehr Entseiuil&
gung, als der Verf. nicht Philologe von Fach, dock
überall schöne Kenntnifs und löbenswerthe BesomiM.
heit zeigt. Was die Flexionen betriflft, so hat der YL
bereits die verbalen der celtischen mit den indogemu
nischen meistens richtig zusammengestellt, ohne nd
jedoch auf genauere Entwicklungen einzulassen. VttQ
den sehr verstümmelten Nominalflexioneu hob Hr. Pri*
ehard besonders die freilich ziemlich deutliche Te^
wandtschaft der irischen Dativforni des Plural auf mM
zum sicr. bhya» und lat. Aue hervor. — Jedenfalls^«
bührt dem Verf., wie bereits oben gesagt ist, das Ver-
dienst, die theilweise Ueberdnstimmung celtischer Wör-
ter und Flexionen mit indogermanbchen zuerst dsrge»
than haben.
Bei weitem methodischer als der Verf. der ob«
genannten Schrift, und augenscheinlich die Werice te
neuern deutschen Sprachforschung zum Muster neli*
mend, geht Hr. Fictet zu Werke. Er begiiuit mc
schöne Abhandlung mit der Auseinandersetzung te
den celtischen Sprachen eigenen Lautverwandlun| iz
Anfange, der VTörter, deren Wichtigkeit für die £^
gründung der ursprünglichei:! Wortfonnen er jedock
noch nicht erkannt hat, weshalb er sie nicht genantf
betrachtet, und nur die Terminologie der einheünisebB
Grammatiker zu verbessern bemüht ist, zugleich aber
auch die Anordnung der Consonanten in gröfsere Ueto>
einstimmung mit der für die altfndischen ang«ioBUiieiM>
zu bringen sucht. Darauf geht jer zur VergleichuDg te
celtischen Vocale und Consonanten mit den altindiscki
über, welche er meist mit greiser Genauigkeit behandelt}
und die jedenfalls einen sehr werthvollen Thell derA^
beit bildet; nur hätten wir gewünsqht, dab die &^
nen Dialecte ein^ gesonderte. Bearbettuttg erhsltsa K^
ten, da dies die Uehersiehtlichkeit der besondem E^
sefaeuiungen sehr viel leiohter gemacht, zi^leieh A»
auch die Erkenntnifs des Verhältnisses der cdtisck^
Dialecte zu einander nag emein gefürdert haben wiri»
(Die Fortsetzung folgt)
^74.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik
April 1840*
1^ The eästern angin of ihe Celiic nations pro^
red by a companson of their dialects with
the Sanscrit^ Oreek, Latin and Teutonic lan*
-guages hy /. C. Prichard.
2J De Paffinite de$ langues Celiiques avec le
Sanscrit par Adolphe PicteU
3J Die celtischen Sprachen in ihrem Verhältnifa
zum Sanskritf Zendu.s.w. von Franz Bopp.
(ForUetzang.)
M&ssen wir nun gleich in den meisten Fällen ^e
Richtigkeit der Pictetschen Vecgleichungen sugeben, so
ist doch das Verfahren, das der Vf. beobachtet, von der
Art, dafs es oft Zweifel erregen mufs, die wohl auch
in mehreren Fällen begründet sind. Hr* P. schickt näm«-
lieh den Yergleichungen der einzelnen Laute gewohn-
lieh ein paar Worte vorauf, in denen er angiebt, wie
er sich das Verhältnif« denke, und darauf folgen dann
die verglichenen Wörter in Reihen gegenüber gestiellt,
meist ohne weitere Auseinandersetzungen. Oft veran-
lassen ihn aber sehr mannigfache Gesetze ein indisches
Wort einem celtischen zu vergleichen, von denen dann
nur eins angeführt ist, und dem Leser überlassen bleibt,
sich erst mühsam die übrigen zusammenzusuchen , zu-
%¥eilen (scheint aber auch Hr. Pictet pur grade auf den
Ltaut Rücksicht genommen zu haben, den er vergleichen
^vollte, und die sonstigen Lautverhältnisse scheinen un-
berücksichtigt geblieben zu- sein. So ist z. B. p. 21
bret. krbx m. murmure, bruit, querelle zu skr. kruf
gestellt; das ^iiretannische z ist aber gewöhnlich aus ei-
nem ältraen d hervorgegangen, entspricht auch oft ei-
nem skr. dh z. B. in 9jkoa% f. ^paule , skr. skaudAa
(vgL dazu das offenbar von derselben Wurzel stam-
mende $k6d m. menue brauche verte, skr. »kandhä f.
a brauch), so dab man es ohne alles Bedenken in den
meisten Fällen zur dentalen Klasse zu rechnen hat $ daher
/dlr6. /. wu$9n$ck. KriUk. J. 1840. L Bd.
scheint es mir wahrscheinlicher kr6z zu skr. ^rt^^ irasci
und krödha ira zu stellen, woher sich die Begriffe querelle
U.8. w. leicht herleiteo lassen, denn es durfte schwerhal-
ten dies bret z mit dem palatalen 9 des Sanskrit unmittel-
bar zu vereinigen, und Hr. Pictet hat auch da, wo er
von der Vertretung dieses Consonanten handelt, keine
Beispiele derselben durch bret. z beigebracht. Ebenso
vergleicht Herr P. ein z im wallisischen mit ^ des
Sanskrit, indem er p. 16 gwaexi to corj ont aloud mit
skr. vof zusammenstellt $ allein gwaexi ist offenbares De-
nominativ von gwaex f. a cry or shout, und dies ent-
spricht dem skr. väda in der Bedeutung sound, sonn-
ding, welches sich auf Wurzel vad dicere, loqui stützt.
Diesem vall. gwaex entspricht im Irischen (das . ge-
wöhnlich f für skr. v setzt, wogegen das Wallisische
meist gw dafür hat) faodh^ fßoidh und mit abgewor- ^
fenem Schlufsconsonanten faoi voice, sound, und dieser
Dialect hat auch noch die ursprüngliche Wurzel erhal-
ten mfadaim I expound, explain, das sich genau an
das skr. vadämi anschliefst, und neben dem noch eine
andere etwas geschwächte Form besteht, ' nämlich fea^
daim (ea steht nach Pictet gewöhnlich an der Stelle
eines früheren e, doch vgl. Bopp p. 8) I relate, I say
tie)>st/ead relation, saying, wall, gwed an uttirance, a
sajing. Dasselbe Verbum^afiKon'/n hat aber auch noch
die Bedeutung I whistle, und ebenso findet sich das
Subst. fead a whistle, shrill noise, woran sich offenbar
das bret. geix oder geid f. gäzouillement^ ramage an-
schliefst, woraus die schon mehrfach behauptete Ver-
wandtschaft von skr. W. vad und gad neue Bestätigung
gewinnt, und hervorgeht, dafs allen offenbar eine^ ur-
sprCüigliche Wurzel mit anlautendem gw zum Grunde
lag, für obige Vergleichung gwaexi mit vaf aber deut-
lich wird, dafs sie zu verwerfen sei, einmal wegen des
Vertretenseins von ^ durch z, dann aber auch beson-
ders wegen der irischen Formen mit dem auslautenden
Dental. — Bei Gelegenheit der Vergleichung solcher
74
587
eeliiichen Sprechen in ihrem VerhUhnifi zum SanikrO^ Zend u, #• w.
568
YerbindungeD, die das dentale s im Sanskrit mit an«>
dem Consonanten eingelit, stellt Hr. Pictet p. 77 skr.
Mkandha f. a braiich mit (ir. Mcoth a young short, a
young lad und) wall, ytgaing that fonns a branch su-
sammen; ist liun gleich der Vorsatz eines y vor mit s
verbundenen Consonanten im Anlaut ziemlich häufig
im Wallisischen, so thut doch wohl zunSchst das
schliefsende . g von jsgaing gegen die Vergleichung Ein-
spruch, zumal da Hr. P. keine Beispiele für das Ge-
genüberstehen von Gutturalen im Celtischen und Den-
talen im Sanskrit beigebracht hat: dazu kommt aber
noch, dafs sich neben ysgaing eine andre Form J'sgainc
mit derselben Bedeutung findet, beide jedoch von den
einheimischen Lexikographen von cainc f. a branch
und dem Praefix y# s skr. ut abgeleitet werden. Dä^
her erklärt sich nun auch das g im Beginn des Worts
genügender, denn in der Zusammensetzung treten nach
allen Praefixen mit Ausnahme von tra, an, cy, gor
stets die Mediae ein (Owen Welsh Grammar p. 21),
wogegen nach dem blos vorgeschlagenen y nicht so
häufig Wandel der Tenuis in die Media eintritt, daher
scheint uns die Annahme der Lexikographen richtiger,
und um so mehr als sich das fem. cainc^ wenn wir
den so häufigen Einschub eines Nasals und demnäch-
stigen Wandel von & zu ai **) wegen des folgenden
Nasals annehmen, sehr gut dem skr. fakha f. a branch
vergleicht — S. 67 vergleicht Hr. P. die unbelegte
skr. j/. hbd circumdare, volare mit wall, huxaw to co-
ver, to shade und corn. hut/ia to cover, an die wir
noch das com* cut/ia to covcr, to iiide or keep dose
und bret. kuxa cacher anschliefsen : wenn sich gleich
hier gegen die Vergleichung der Consonanten nichts
einwenden lälst, so mufs es doch immer auffällig schei-
nen, da(s skr. 6 mit celtischem *u so ohne Weiteres zu-
sammengestellt wird und sich entsprechen sollen. Das
Sanskrit hat aber eine Wurzel, welche den hier ver-
glichenen Yerbis viel näher steht, nämlich guh tegere,
abscondcre, von der bereits Pott (Etym. Forsch. L p.
27) durch gr. xeuv^os und skr. guth tegere geleitet ver-
*) Doch konnte aucli das ai aus einem vorauszusetzenden
canci, das sich aus einem canca für gAkhä entwiclcelt hätte,
durch Umlaut entstanden sein. Zu bemerken ist noch, dais
Hr. F. cainc mit skr, ^anku m. the trank of a lopped free;
a pin, a stake, a ppüe vergleicht, was wohl wegen der Be-
deutung nicht recht angeht, obgleich vielleicht Wurzelrer-
wandtschaft mit fAkhA darin vorhanden ist.
muthet hat, dafs sie ursprünglich gudA gelautet baba
möge, was wohl nun durch die Uebereinstimmuiig def
sämmtlichen kymrischen Dialekte noch gewisser wird. *)
— Doch wir können uns nicht auf weitere £iazelnhei«
ten dieses Kapitels einlassen, und gehen eur fernem
Betrachtung des Buches fort. Auf die Tergleich«ii{
der Laute des Sanskrit und der celtischen Spradwn
läfst Hr. P. die der Praefixe und Suffixe folgen, lo-
bei er sehr schöne Resultate gewinnt, durch welche &
innigere Verwandtschaft der beiden Sprachzweige »
widerleglich wird; in den besonderen Punkten bleik
freilich auch hier noch manches zu thun fibrig, iadcA
ist der hier gelegte Grund doch meistens ein fester,
auf dem sich schon weiter bauen läfst. Im drittea
Theil, dessen theilweise Betrachtung wir nut der det
Abhandlung des Hm. Prof. Bopp weiter unten Terbio»
den. wollen, behandelt der Vf. endlich die grammati-
schen Formen, und fugt dem Ganzen noch drei UeiM
Anhänge hinzu, von denen der erste über die Names
der celtischen Idiome handelt ; im zw'eiten besprieht
Hr. P. kurz einige Eigenthömlichkeiten dieses Sprack
zweigs, und im dritten liefert er mittelst der Sp^-
vel*gleichung einige Beiträge zu einer . Geschichte der
indogermanischen Volker vor ihrer Trennung, weicb
bereits früher im Journ. Asiatiq. 3e serie t IL p. &
et suiv. gedruckt waren, und deren YenrollstäDdigm
zu wünschen wäre. Denn wenn solche ZusammeiMl"
lungen mit Besonnenheit und ohne viele Uypotheses
in gröfserem Umfang und systematisch gemacht, n-
gleich aber auch mit dem Studium der Antiquitäten uM
Mythologie der einzelnen indogermanischen Völker ?€►
bunden würden, müfste es allmäiilig gelingen, einsies*
lieh deutliches Bild des Lebens jenes Stanunvolkes n
entwerfen, dessen Nachkommen die indogermaoiscbci
Völker sind. Wir wollen daher hier noch auf eis
Paar Punkte aufmerksam machen^ welche die cellisdMS
Völkerschaften in ihrem religiösen Leben andern det-
selben Stammes sehr nahe stehend zeigen. Die Inder
nennen bekanntlich den Süden, nach der SteUung d«i
•) Hr. P. vergleicht mit V. guh das irische gu oder go a Be,
falsch ood, Hall, gau id., zu denen sich noch das breL ni
oder gaou faux und com. gou oder gow a Ue geseUea, die
dem akr. guh einmal wegen dea anlautenden Conaoaasca
näher stehen, dann aber auch vielleicht wegen des aasUu-
teuden, da neben den obigen Wurzelformen nach eine der
indischen entsprechendere Gestanden zu haben scheine, ver-
auf cdrn. gouhac a liar hindeutet
Jüe cehtMehen Sprachen tVt ihrem VerkÜtnift zum Sanskrit^ Zend u, s. w^
590
Betenden gegen den Aufgang der Sonne, daxinä f.
von daxina rechts, dessen alle, einfachere Form doxa
ist i die cel{i8chen> Sprachen haben nun vom skr« x
stets nnr einen v Bestand theil bewahrt, entweder den
Ciatturat oder den Zischlaut aufgegeben,, so entsprechen
dann jenem daxa das irische deae^ wall, deheu oder
d9au^ com. dehu^ dyhou^ . bret. deouy d^hou^ diotSj
"^^etcbe sämmtlich rechts heifsen^ aber in den drei er-
sten Dialeeton auch noch den Begriff des Südens aus«^
drücken, so dafs hier offenbar dieselbe Verehrung der
Sonne wie ursprünglich bei den Indern sn Grunde
liegt ; dies wird aber noch deutlicher, wenn man eine iü in-
dischen Schriften mehrmals erwähnte Ceremonie des
j^adaxinam mandalam (cf. Arg'. Sam&g. lY. 36; ib»
L 7 s Sund6p. Uli 32, RAm&j. 1. 13, 34. 15, 16) mit ei-
Her in Jdhn Smith Galic Antiquities beschriebenen,
deas*iul genannten, vergleicht. Sie ist bei den Indern
mne besondere Ehrenbezeugung, die darin besteht, dafs
nan die zu verehrende Person u. s. w« so umwandelt,
dafs man sie immer zur Rechten behalt, also dem Lauf
der Sonne folgt: in dem sehottischen Hochlande nun
umgehen, schwangere Frauen eine Kapelle und Kranke
altheidnische Altäre dreimal auf dieselbe Weise um
sich jene gluckliche Geburt, diese Gesundheit zu ver-
schaffen, dagegen bringt den entgegengesetzten Weg
einzuschlagen (car-tua-iul) Unglück und Verderben.
Beide Ceremonien stammen wohl oline Zweifel aus ei-
ner Zeit, als man noch des leuchtende, segenverleihen-
de Tagesgestirn anbetete, und es für heilbringend hielt,
seine Bewegung nachzuahmen. — Solcher Yergleichungs«
panfcte finden sich mehrere, und ihre weitere Zusam-
menstellung würde interessante' Resultate ergeben ; wir
^wollen nur noch im Yorbeigehn bemerken, dafs im
bret. kurun der Donner heifst, eine Form, die sich
wohl einerseits dem gr. ntQovvoq^ andererseits bei dem
llünfigen Gegenüberstehen von Gutturalen in den kym-
rischen Dialecten nnd Labialen anderer Sprachen dem
Namen des altslaw. Donnergottes Pcrunae litth. Per-
Jkunos vergleicht, und so vielleielit auch hier auf ein
Vorhandensein dieses Gottes deutet.
Wir wenden uns jetzt zur Betrachtung der Ab-
handlung des Hrn. Prof. Bopp, welche hauptsächlich
über die grammatischen Formen und deren Verhältnifs
zu denen der verwandten Sprachen und namentlich des
Sanskrit handelt, zugleich aber auch Lautgesetze, die
Hr. P« als genz aufser yergleichung mit dem ludischen
liegend bezeichnet und deshalb bei Seite gesetzt hatte^
als in innigem Zusainmeuhange mit ihm stehend nach«
weist. Dies trifft vor allem das Dedinationssystem der
eel tischen Sprachen oder vielmehr nur des irischen Dia-
lectSj da die übrigen meist nur geringe Spuren eines
solchen gerettet haben. Hr. P. erkannte nämlich für
das Irische Flexionszeichen für nur drei Kasus an (p.
125), für den genit. sing., und für den nominat. und
dat. plur. ; und zwar für die beiden ersten das bei Wör-
tern auf air (welche oft indischen auf r entspreclien) sich
findende ach oder acha as skr» as z. B. gen« sing.
üibreach von obar s skr^ apaM das Werk (Rig. V.
p. 3, 3; 3.), nom. plur. aithreaeh oder atharaeha von
nom. sing, athair der Yatcr. Ilr.iProf.^ Bopp ist an-
derer Ansicht über diese Sylbe, indem er sie als eine
Stammerweiterung durch das dem skr. ah:a entspre-
chende irische suffix ach ansieht (zu p. 15) und das
goth, Srothrahans vergleicht: uiid das wohl mit Recht,
da diese Sylbe nicht im gen. sing, und nom. plur» allein,
sondern auch in andern Casibus erseheint. Sonst zeigt
sich noch als der Flexion angehurig bei den consonän-
tisch schliefsenden Wörtern im genit. sing, und nom.
plur. ein a oder e hinter dem der Casusconsonant s ab-
gefallen ist, wie sowohl Hr. Prof. Bopp als Hr. Pictet
übereinstimmend annehmen; indefs weicht der erstere
in Erklärung derselben Endungen consonantisch enden-
der Wörter im Irischen , die. indischen Themen mit
schliefsendem Yocal entsprechen, von P.'s Meinung ab,
indem er das e, das sich nur bei Femininis findet als
aus einem früheren i des Stammes hervorgegangen durch
überzeugende Gründe nachweist. Der dritte Casus end-
lieh, welcher ein mit dem Indischen übereinstimmendes
Suffix zeigt, ist der dat. plur. der auf ibh ausgeht, und
bereits wie oben gesagt wurde von Prichard richtig ver-
glichen war. ^— Diese Spuren von Uebereiuslimmung
in der Declination waren nun freilich nur sehr dürf-
tige, indefs waren sie doch für die der verglichenen
Casus beweisend, und es war immer su glauben, dafs
wo sich die Verwandtschaft in dieser Weise über einen
Theil erstreckte, sie auch einst das Ganze betroffen habeJ
Hr. Prof. Bopp hat nun mit seinem rühmlichst bekann-
ten Scharfsinn auch in diesem Sprachzweige die bis
dahin verborgenen Züge der Verwandtschaft aufgedeckt,*
und wir wiederholen es hier noch einmal, dafs dadurch
für die Vergleichung der celtischen Sprachen mit den
übrigen desselben Stammes buchst Bedeutendes geleistet
591
Die celtüchen Sprachen in ihrem Ferhältni/e zum SänsJkrU, Zend u. s. vf.
592
ist, iDdem durch die ZuruckfUhrung des dem Celtischeh
eigenthümlichen Lautwandels am Anfange der Wörter
auf seine v^irkenden Ursachen, als welche hier Flexions*
rjßste erkannt werden, eine der hemmendsten Schran-
ken, welche d)as Verwandte zu trennen schien, hinweg-
genommen ist, und die Verwandtschaft, je. verborgener
sie in diesen Punkten lag, sich um so glänzender gel-»
tend macht;
Das Irische (und mit ihm das Ersische oder die
8prache der schottischen Hochlande, das wir aber we-
geu seiner fast durchgängigen Uebereinstimmung mit
jenem iibergehn können) zeigt nämlich in der DecHna*
tion der Substaptiva, hauptsächlich wenn- sie mit dem
bestimmten Artikel an verbunden sind, Lautveränderun*
gen am Anfange der Wörter, welche dem Ganzen, da
wie wir sahen die Declinalions«2(^>tf nur von gerin-
gem Umfang sind, den Schein leihen, als wiirden die
verschiedenen Casusverhältnisse durch dem Anfangscon-
sonanten oder — Vocal nach- oder vortretende Aspira-
tion \L s. w. ausgedrückt, und dieser Schein mufste um
so verführerischer werden als auch Consonanten noch
vor die Wortstämme traten, wie'z. B. der nom. sing,
von iasg der Fisch ait tiasg heifst. Und so die Fiexion
sich hier gewissermafsen durch Frae^xe zu vollziehen
schien. Hr. Prof. Bopp weist nun nach, dafs diese
oonsonantischen oder vocalisch^n Stämmen an- oder
vortretende Aspiration u. s. w. auf der dem Substatitiv
vorhergehenden Flexion des Artikels beruhe,' und dafs
die den Wortstämmen vorgetretenen Consonanten eigent-
lich zu jenem und nicht zu diesen gehören« Dies be-
trifft zunächst den gen. plur., dem bei Wörtern mit vo-
calischem Anlaut ein n, bei solchen die mit einer media
' anlauten der Nasal der Klasse (n für ng da das Irische
kein besondres Zeichen für dies hat) vorgesetzt wird.
Wörtern die mit einer tenuis anlauten wird entweder
die media vorgeschoben oder die tenuis verdoppelt, sol-
che die mit f anlauten erhalten bh als Vorsatz und die
mit li^uldis oder S anlautenden endlich bleiben unafficirt.
Diese Veränderungen nennen die irischen Grammatiker
Eklipse, und sie finden sieh nicht allein im genannten
Falle, sondern auch nach den Zahlw^tern seacht 7,
ocht 8, naoi 9, deich 10, so wie im Anlaut im Genitiv-
verhältnifs stehender- Adjektiva, denen das Substantiv
Toraufgeht Da nun das Kennzeichen des gen. plur. so
wie der Auslaut der genannten Zahlwörter in den mei-
sten Indogermanischen Sprachen .ein Nasal ist, so sdilieCrt
Hr. Prof. Bopp mit Recht, dafs des hier in der Dedi-
nation zum Vorschein kommende Nasal im Anfang des
Stammes Rest meiner mit den übrigen Sprachen lUier-
elnstimmenden Genitivendung sei, die im Sanskrit isi
lautet, und dafs sich dieser Nasal in der Assimilatioa
vor der tenuis auf dieselbe Weise zeige, wie im Bebr.
das / des Artikels sich unter gewissen Bedingungen den
folgenden Consonanten assimliirt hat. Indefs mub dodi
hierbei bemerkt werden, dafs die angegebenen Veratt>
derungen auf diese Weise nur in der Schrift beistehen,
und dafs man in der Aussprache noch einen Sdirilt
welter gegangen ist (weshalb die ganze Brseheinvng
Eklipse genannt wird), indem hier statt der Media«
mit vorstehendem Nasal nur dieser, statt der Media mit
der Tenuis nur jene ^gehört wird, so wird z. B. der
gen. pl. von tqgha a bow geschrieben na mh^gAadM^
aber gesprochen na mogh\^ und der gen. pl. von /»•
lach a hill, geschr. na diulehadh^ gcspr. na du£cAadi.
An diese Verwandlung der Mediae in die Nasale ihrer
Klassen schliefst sich nun auch das Wallisisehe ani
zwar nicht im gen. pl., denn von der Declination ha*
hea die kymrischen Dialecte nur höchst dürftige Resle^
aber doch nach den Zahlwörtern pump 5, saith 7, wjlfc
8, naw 9, ddg 10, pymiheg 15, ugain 20, deugain 4Q
u. s. w. cant 100, und mit der Ausnahme, dais g nicht
wie im Irischen in ng verwandelt, sondern gans alig^
tvorfen wird, und dafs auch diese Zahlwörter seihst
noch einigen Veränderungen unterworfen sind, nansen^
lieh pump, der in pum, ddg in deng und cant das t
abwirft (vgl. Gambold Welsh Grammar p. 85). Fei^
ner findet sich die Verwandlung der Tenuis in den
aspirirten und der Media in den unaspirurten Nasal
ihrer Klasse im Wallis, nach dem Possessivpron. aif
oder vy mein (Owen Welsh Gr. p. 18), und da w«
in allen vorhergehenden Fällen einem wirklich M<i
vorhandenen oder doch einst da gewesenen Nasal Acse
Wirkung zuschreiben müssen, so läfst es sieh woU
nicht bezweifeln, dafs my oder vy ebenfalls einmi aol-
eben im Auslaut gehabt hat, zumal da die Prapos. ym
in, so wie die Präfixe an (lat. in-, deutsch un-) vnd
cy (lat. cum) dieselben Veränderungen hervorbrlngea
(Owen p. 21).
(Der Beschlafs folgt.)
wisse ii
-Jlf 75.
Jahrbücher
für
s c h a f 1 1 i c he
Kritik.
April 1840.
X) The tattern wrigin qf tke Celtic nations pro-
9ed by 0 c9mpor*s9n of their dialecU wtth
the Banttcrity OreeA, Latin und Teutonic lan^-
guages by J. C. Prichard.
2^ De taffinite des langues Celtiques avec le
Sanscrit par Adolphe Pictet.
3J Die eeltischen Sprachen in ihrem Verhältnifi
zum Sanskrit, Zend ti. s. w* ton Franz Bopp.
(Schlofs.)
Diese Yoramthvng erbebt aber der komische Dia«
leet zur Gewifabeit, indem er. für dies possessiv, pron.
ia iilten Manuscripten noch die Form uyn erhalten hat
(Pryce Archaeologia Cornu-Briiatuiica),. so dafs ich es
limmem Zweifel uiMerworfen glaubof daCs das Wallisi.
ache ivie das Irische den gen. des pron« der ersten
(und sweiten) Persbn als Passessivum verwendet und
Ukj den Sanskrit moTma entspreche,, wovon zunächst
der Vocaly dann aber auch der Nasal verloren ging,
dersiiA nur. noch ia seiner Wirkung erhallen hat. — ^
Auf diesdbe Weise weist nun Hr. Prof/ Bopp im non.,
siccusw und dat* plur. der vocaliseh begiimenden Masou*
lina und Feminhia und bei den letstern auch im gen»
sing, ferner im nam* (und aec«) sing, der voealiaeh so
-wie im gen. und dat« sing, der consonantisch anlauten«
^ea Masculiaa, und endlich im aom. (und ace.) und
^Ut. sing« dier mit einem Consonauien beginnenden Fe«
^auaina noch Flexionsreste in den Lautveränderungea
nach» ^9 deren Principien sich heranaslellen: 1) dafii
ygv^ ehemals in der Fkxieii des isiscbwa Artikels Yoeale
am SeUufs erschienen, dieee einen aspisirenden Ein-*
ilurs auf den folgenden Consonanten ausgeübt haben j
- 2) dafs ein im Auslaut des Artikels vof banden gewe-
aeaea s vor Substantiven, deren Stamm mit einem Vo»
cal beginnt, sich in Gestalt eines h erhalten habe, wenn
Jahrb. /. wu»€n$ch, Kritik. J. 1840. !• Bd.
aber ibs n des Artikels unmittelbar vorherging, im nom.
sing, (dem auch der ace., der ihm immer* gleich ist,
sich anschliefst) in t verwandelt ist So bildet z. B.
im letzteren Falle iasg seinen nom. sing, ant iasg; hier
konnte es scheinen, da das Kennzeichen des Nomina«
tivs im Sanskrit u. s. w. nach ziemlich iibereinstim*
mender Annahme dem Pronominalstamm ta seinen Vr»
Sprung verdankt, als ob das Irländische in dem t den
ursprünglichen Consonanten des Pronominabtammes be»
valirt habe, allein dieser Dtaleet zeigt öfter die Net-
gung, das s nach Consonanten in t zu verwandeln, so
wfkrde man z. H. f&r skr. tarsAa thirst im Irischen ^
tars eewarten, es findet sicb^ber (ort thirst $ auf glei«
che Weite stellt sich das irische santaighim^ I desire,
neben die Sanskritwurzel pofts, cupio, und demnach ist ,
wohl Hm» Prof. Bopp's Annahme, daCs sich t erst aus
s entwickelt habe, richtig, obgleich wohl der p. 33 an-
gefS^te Grund, dafs t besonders zu n stimme, für die
Erklärung des 'Entstehens von t aus s nicht recht ge-
n>, da s sowohl als t beide dentale Laute sind^ und
demnach beide auf gleiche Weise zu dem dentalen n
stimmen würden, wenn weht obige Bemerkung Gültig-
keit hätte.
Aufser dem h, welches sich ab Kennzeichen des
nom. plus, nach dem Artikel erhallen hat, erkennt Hr.
Prof. Bopp (p. 31) auch noch ehi vollständiger erhalte«
j»es Suffix dieses Casus in der galischen Endung an,
wie sie sieh s« B. im nom. pl. cluasan die Ohren ge«
genüber dem sing, eluas findet, indem er annimmt^
dafs sieh dies an aus der Endung as des nom. plur.
im Sanskrit auf dieselbe Weise entwiekelt haibr wie
im griechischen Yerbum aus dem ufsprüngüelien i^i
(gegenüber dnn skr. mas) it/tv geworden sei. Lfi&l.
sieh gleich hier gegen den Lautwechsel kein begrün«
deter Einwurf erheben, wenn man nur nicht an einen ,
unmittelbaren Wandel von s zu n denkt, so kann doch
* . 75
695
Die eeltüehen Sprachen in ihrem -Verhältnift xtm San$krity Zend u. *. v«
596
von anderer Sehe manclles dagegen eingewandt vret-
den, lind Ref. ist überzeugt, dafs die Endung einen an-
dern Ursprung habe. Es gebort nämlich zu der Klasse
von Wörtern, die den nom. pl. auf die bezeichnete
Art bilden, eine ziemliche Anzahl von solchen, die in-
dischen durch die Suffixe an, man, van gebildeten
Stammen entsprechen (vgl. Stewart Gaelic Gr. p. 58),
denen sich indefs im Indischen Entsprechende nicht
unmittelbar gegenijberstellen lassen, ausgenommen in
einem Falle. Das Subst. ainm a name gehört nämliph
SU derselben Klasse und bildet den gen. sing, im Iri-
sehen ainmean^ nom. plur. anmanna^ im Komischen
entspricht ihm hanow (w » skr. m) nom. pl. hynwyn^
alle drei entsprechen aber dem skr. näman pl. nama»
nt\ so dafs es für diesen Fall vFohl keinem Zweifel un-
terliegt, dafs der im gen. sing, und im nt>m. pl. wie-
der zum Yorschein kommende Nasal der des Suffixes
sei, zumal da sich auch sonst Beispiele finden^
wo das mit dem Nasal schliefsende Suffix im nom.
sing, entweder ganz oder zum Theil abgeworfen ist,
aber in der Flexion wieder erscheint (vgl. Pictet p.
13-1); so bildet im wall. ycA an ox sein Plural ycAef^
oder yeAain^ und entspricht dem skr. uxan mit glei*
eher Bedeutung, ebenso entspricht in demselben Dia-
lecl das Wort cai pl. ceion a concreto, collection wohl
eher «dem skr. c'ayana n. collectiug als dem von Pic-
tet verglichenen caya collection. Deshalb läfst sich
auch wohl für die andern Wörter dieser 'Klasse, denen
sich indische nicht unmittelbar gegenüberstellen lassen,
eine gleiche Bildung mit den genannten Suffixen an-
nehmen, die nur im sing, ganz oder zum Theil ver-
schwunden sind, dagegen im plur. wieder hervortreten.
Der umgekehrte Fall, dafs das Suffix mit dem Nasal
im sing, vorhanden ist, aber im plur. aufgegeben wird,
findet sich im Wall., wo dailen und dalen a leaf ih-
ren plur. daili und im Bret, wa eben das Wort de*
lien den plur. delion bildet: das Thema des plur;
sirt habe; auch Hr. Pictet hat dies (p. 135) angenpna-
men und ich glaube nicht, da(s sich etwas dagegen räi*
wenden läfst. Dagegen möchten wohl die Wallis« PI«*
raWndungen oz und yz, die Hr. P. ebenfalls dem sl^ff^
as vergleicht, nicht so unmittelbar damit zusanunenn-
halten sein, denn das Wallis, z ist fast überall ans frii-
herem d hervorgegangen, und dieser Dialect hat nebea
jenen Endungen auch noch solche mit d, nämlich ed
und od erhalten^ so dafs wohl jene als erst aus difisoi
hervorgegangen anzusehen sindj ist dies aber richtigi
wie ich. nicht zweifle, so vergleichen sie sieh irisdrai
Pluralen auf dha, z. B« na boghadha^ gaL plur. ¥Ön
an bogha (neben dem der pros. pl. na bogka besieht)»
welche dadurch, dals- sie sich daröb alle Casus des
Plurals erhalten-, zeigen,- dafs sie spätere Stammerwei-
terungen sind, die wenigstens unmittelbar nichts not
dem skr. pluralen um zu thun haben, wenn sie auch
wahrscheinlich Bildungen desselben PronominaktaniR
mes sind.
Die Bildungen der AdjecCiva vnd Pronomina so
wie die Zahlwörter bieten viele interessante Yerglci-
chungspunkte, die von Hrn. P. meist scharfsinnig.sosaai-
mengestellt sind,, und in der Abhandlung des Hip» ProC
Bopp schöne Erweiterungen und fernere Begründungea
erhalten haben: wenn Hr. P, das skr. Zahlwort eka
nur im irländischen eac/i unusquisque erkennt, so ghm*
be ich dem noch eine andre Form hinzufügen su koa-
nen, wodurch eine frühere geistreiche Vergleichung des
Hrn. Prof. Bopp (vgl Gramm. §. 308. Anm.) neue Be-
stätigung erhält. £s war nämlich a. a. O. lat. caee»9
und goth. ludÜM „einäugig'' aus dem skr» i-ka aal
axa (oder einer vorausgesetzten Form dieses Weites
ohne Zischlaut) erklärt, so dafs der Begriff „blind" in
diesen Wörtern zuerst von dem des 9,Einäugigen" aus-
gegangen wäre. Das Komische bietet nun die seiir in-
teressante Form euic dar, die sieh auf gleichen Ursprung
stützt und bUnd of one eye heifst ; dem scfaliefsen sich
stutzt sich hier auf den Sanskritstamm dala mit der- - die irischen eaoeh^ caeek^ voeck an, die blind, blasted,
selben Bedeutung, und das Irische hat sowohl den
Sanskritstamm als den seiner verscfawisterten Dialecte
neben einander in dmlle und duillean a leaf bewahrt.
-^ Au&er diesem an meint Hr. Prof. Bopp (Zus. 32),
dais sich wohl auch nocli die Wallis. Pluralendung au,
so wie die entsprechende bret. ou dem skr. as des
nom. plur. veifgleiehen lasse, indem sich das s vocali-
emptj heifsen, und ferner das wallis. co^^empty^vaia,
das aber die ursprüngliche Bedeutung, die sich im Ker-
nischen euic findet, noch in der Zusammensetzung out
d!s// {blind) erhalten hat, indem eoegxall ^^kalftiJM^
purblind" heilist
Für die Conjugation erhält Hrn. Prof. Bopp's Ab-
handlung manche von Pictet's Auffassung abweieben-
597
DU e^UtsüAen Sprachen in ikrem Firkältniß »um Sa^iskrit^ Zend u. s. ^.
598
de Ansiditeii, wtfdureh widitige Aurschluas» geliefert
werden; so wollte Hr. Pictet (p. 151) die irisehe En-
dung maotd aus einer Veri^nderung für skr. mas er-
kUreo^ Hr. Prof. Bopp weist aber jdurcb andre Yer-
gleichnngMi naoli, dab diese Endung einer ursprSogU-
chen Medialbildung angehöre und ihr treustes Gegen-
bUd im eendisehen nuridA^ habe. — Da die Bildung
der einfachen Tempora in Cehischen nur sehr be-
tebraalct ist, so mubte die Erforschung der Formen
der auch in den andern indogermanischen Sprachen zur
Bildung zusammengesetzter Zeiten verwandten Haifa-
zdtworter, welche den Begriff ,,sein" ausdrücken, grö-
Iwre Untersuchungen erfordern , die zuweilen höchst
überraschende Resultate gewähren. So zeigt z. B. der
galische Dialect in der Bildung des Präteriti und Fu-
tun des dem skr. 6kü entsprechenden Terbi ganz auf
diesdbe Weise Wie das Lateinische in jenem Tempus
den a • und in diesem den i - Laut, und letzterer giebt
lieh durch die irische Form 6i€m (ich iferde sein) als
Tempuseharakter dea Sanskrit-Futuri kund. — Wenn
p. 69 bei Bopp das wallisische buaswn dem lat. fue*
ram verglichen wirti, aber so,, dafs in diesem der letzte
Theil des Compositi ram für sam (skr. &sam), dage-
gea in jenem wn (und 6naü fui der erste) ist, dies wn
aber in einfacher Form nicht erhöhen ist, so hätte hier
(was p. 79 geschieht) . an das Bretannische erinnert
werden können, welches den anlautenden Consonanten
der y. bhA in mehreren Temporibus aufgegeben hat.
Indefs hat sieh dieser Coiisonant im Bretagnischen in
^ncr andern -Verbindung, wo er durch voraufgeheride
Consonanten geschätzt war, erhalten, nSmlioh in der
Conjugation des Yerbi XfOOHt avoir : dies bildet mehrere
seiner Tempora durch Zusammensetzung der 3ten Fer-
sen des entsprechenden Tempus von 6ä»a sein mit
Formen eines pron. possess. der Person, die ausgedrQckt
werden soll, so impf, am oder em boa ich hatte *),
*) Le GoDidec führt mehrere Formen für die pron. person.
an, uDter denen sich auch am, em fUr die erste befinde»)
and Pietet, der ihm folgt, will diese (p. 137) ans skr. ohma
erklären, wdefis zeigt die hier besprochene Bilduig
deotlich auf den poseessiven Charakter dieser Pronominal-
formen, und diejenigen mit a erklären sich aus der Zasom-
mensetzuDg der pers5nlichen pronomina mit der Präposition
a Ton ; für die Form der ersten Person ani könnte man auch
n Verstiimmlang aus skr. «lame denken, allein für die der
wörtlich „mein es war^, ex pda du hattest (dein es
war), en dda (oder vielmehr end 6a) er hatte oder „in,
an ihm es war"; vergleicht man hier die Fonn bda,
so wie im Parfait AdS mit der entsprechenden Person
derselben' Tempora von 6e»ß sein, so zeigt sich,« dafs
diese, die oa, o^ lauten, offenbar nur den anlautenden
Consonanten verloren haben. — . Doch wir können
nicht weiter auf einzelne Punkte eingehen, da des In-
teressanten zu viel ist, und wir den Raum zu sehr in
Anspruch nehmen worden. Wir müssen daher jeden,
der an der ferneren Entwickelung der Sprachwissen-
8eh(|ft Antheil nimmt, auf die Werke der Herren Profn.
Bopp und Pictet (wenn es dessen noch bedarf) auf*
roerksam machen, indem nicht leicht bedeutendere in
der jüngsten Zeit auf diesem Gebiete erschienen sind,
und schliefsen mit dem Wunsche, dafs recht bald mehr
auf die einzelnen Diaiecte und ihr Verhftltnifs zu ein-
ander einübende Arbeiten jenen folgen mögen.
Dr. A. Kuhn.
XLVI.
Abbildungen neuer oder unvollständig bekannter
Amphibien. Nach dem Leben entworfen und
mit einem erläuternden Texte begleitet bon
Dr. H. Schlegelj Conservator am KonigL
Niederländischen Museum zu Leyden. 1. De-
cade (IQ lithographirte , Tafeln in Folio nebst
2 Bogen Text in Octav). Düsseldorf y bei
Amz et Comp.
Bekanntlich wurde eine grofse Anzahl der gewöhn-
licheren colorirten Abbildungen von Amphibien nur
nach ausgestopften oder in Spiritus aufbewahrten, also
meist sehr veränderten, zum Theil gänzlich entfärbten
Exemplaren verfertigt. Daher sind sie häufig, wenn
auch kenntlich nach den Formen, doch sehr weit enU
femt, eine riditige Vorstellung von der natürlichen Fär-
3ten miifiite denn doch eine andere ErkUbrong angenommen
werden. Die Formen mit e erklären sich geniigend ans der
Prfip. 6 oder enn, deren letztere Form am deutlichsten in
der .3ten Person sing, erscheint» nach, welcher' dann auch
der sonst verschwundene Staoimconsonant des Pronomen»
der dritten Person erhalten ist.
ScAUgely Abbildungen neuer eder nmfolUt&nJig bekimnier AmpkUi&ni
59»
bung der ThUre zu gaben. Mau iit dershalb sehr oft
aufsar Stande geweaen, lebet&de oder minder verfärbte
Exemplare nach solchen Darstellungen mit Bestimmt»
beit tviedenuerkenn^n ; und die greise TerFielfältigttng
der Arten, besonders in manchen Ordnungen dieser
Thierklosse, und die Yerwirrung ihrer Synonymie
schreiben sich eben yon den mancherlei hieraus folgen«
den Uebelständen her. Hr. Dr. SciUegel, der sich, wie
bekannt; seit längerer Zeit ganz vorzugsweise mit den
Amphibien beschäfügt und bereits mehrerlei Resultate
seiner Forschungen veröffentlicht bat, wird daher durck
die allmahlige Herausgabe einer Sammlung von Abbil-
dungen, die entweder nach dem Leben entworfen, oder
zu denen die Farben mit mehr als gewohalieher Ge-
nauigkeit * nach dem Leben bezeichnet worden sind^
sich unstreitig ein sehr wesentliches Verdienst erwer«
ben. ' Schon seine amtliche Stellung und sein Wohnort
setzen ihn in eine ganz vorzüglich günstige Lage zur
Durchfölureng eines solchen Unternehmens. Zugleich
stehen ihm jedoch, dem Prospectus zufolge, auch die
vielen und vortreflFlichcn Zeichnungen zu Gebote, wel-
che auf Befehl des niederländischen Gouvernements in
Indien selbst unter der Leitung von Reinwardt,. Kühl,
van Uasselt, H. Boie und Macklot verfertigt worden
sind ; eben so ferner die handschriftlichen Bemerkungen
dieser Reisenden. Die Schlangen, als der am meisten
der Kritik bedürfende Zweig der Klasse, sollen vor-
zugsweise berücksichtigt werden.
„Die Terlagshandlnng hat zur leichteren Deckung
„der Kosten den Weg der Subscription gewählt" und
den Preis auf 3 Thaler netto für jede Lieferung (De-
cade) festgesetzt : ein Quantum, weiches bei der Treff-
lichkeit der Ausführung zwar nicht hoch an sich zu
nennen ist, aber doch der Verbreitung des Werks im
gröfseren Publikum schon etwas hinderlich sein dürfte«
Die Verbindlichkeit der Subscribenten soll zunächst für
10 Lieferungen gehen, von welchen dem Referenten
blofs die erste, mit dem Prospectus, vorliegt. (Buchhänd-
lerischen Anzeigen zufolge soll so eben die dritte
ausgegeben worden sein.)
.Der erläuternde Text, wetcher allerdings der Ten-
denz des Werks gemäfs nicht als Hauptsache betrach-
60»
tet wird, 4ur(te doch weJil etviraa au kurz gefabt er-
scheinen« Auch sind die Basehreibungen in demselben
leider ebne Diagnosen: was seihet bei nicht eigentliek
neuen Arten immer nicht bequem ist* Bequeme, zeit-
sparende E^nriditung und leichte Uebersidtfliehkeit sind
aber Orford» nisse, deren ErTßllung bei der stets wadi*
senden Menge literarischer Erscheinungen taglich m-
erlafslicher wird. Die mancherki kritischen Baaer-
kungen, welche der Verf. einfliefsen Iftist, sisid sm
Theil das Resum^ von Untersuchungen, die auafuhrii-
cher entweder schon anderswo gegeben sind, oder noch
gegeben werden dürften und möchten.
Wenig Beifall wird, als zu selir in Disbannoiue
mit den jetzt aiemlich allgemein herrschenden und sich
täglich weller verbreitenden Ansichten stellend, «liealha
grbfse Neigung des Yerfs. zur ZusammenaiehuBg der
Genera oder Subgenera findest) , die namentlich hA iok
tieckonen (in der Erläuterung zur 2ten, den GjmuuK
dactyluB marmoratus vorstellenden Tafel) doch weU
etwas gar zu weit getrieben sein möchte. Noch weai»
ger darf man dem Gebrauche maneher Aosdvücke ia
der Anwendung, welche Hr. Schlegel iluien ginbt, hA-
stimmen. Wir erwäänen hierunter besonders den Ge-
brauch des Wortes „Rüssel," für Schnauze, bei Kfo»
kodilen und manchen andern Amphibien, bei denen aa
einen etgentlichen Rüssel in dem sonst gebrfiuchUdwa
Sinne dieses Wortes (d. h. an einen weichen, niekr od«
weniger weit über das Vorderende des Oberkiefers va^
tretenden Fortsatz) gar nicht zu denken iet Da, we ein
wirklicher Rüssel vorhanden ist, wie bei Dryiopliia la^
gaha, wird dann z.B. gesa^ : „der Rassel'* (d.lk die Svchnail-
ze) sei „vorn in einen weichen Anliang verlängert-"
Ein Bebpiel von der Vorliebe des Hrn. S. für die
Vermittderuftg der Genera findet sich . auch bei dei
SehlaDgen dieser Abtlieilung. Er hat die Formen ohn»
und mit wirklichem Rimel (vortretendem Schnauzen-
Anhänge) unter dem gemeinschaftlichen Namen Dryio-
phis vereinigt : obwohl der Rüssel (Schnauzenvorsprung)
u« a. bei der merkwürdigen, hier mit Dr. prasina ab*
gebildeten Dr. langaha mehr als die Itälfto (fast zwei
Vriltheile) von der Länge des ganten übrigen Eopb
beträgt.
(Der Beschluijs folgt.)
J a h r b tt c h e f
i
für
wissenschaftliche Kritik.
\
April 1840-
Ahbitdnnget^ neuer oder^ umtoUetändig behannter
Amphibien. Nach dem Leben entworfen und
n%it einem erläuternden Texte begleitet rmf
Dr. H. Schlegel
(Schlofs.)
^Wenn der BestU oder Mangel eines sa auffal*
lenden, eo eigenthamlieb entwickeken, seltenen und
ohne Zweifel auch fursjlie Lebensweise des Tbieres
' wichtigen Organs nooh keine generische Trennung be*
gründen soU$ so würden wir bald überall in der Thier«
weit SU dem si^mlieh veralteten und d[er Uebersicht-
Bohkeit widerstrebenden, also schon deshalb für die
M^issenschaft offenbar nicht wünsehenswerthen, aber
ftueb gewifs nicht naturgemafsen Resultate gelangen^
gsmse Familien oder sonstige gröCsere Gruppen in Eine
' 'Gattung susammenschmelsen su sehen. So ist es gleich
' iA dieser Istea Deeada des Schlegekchen Werks auch
mit den Laubfröschen. Hier läfst Hr. S. Arten von
höchst yerschiedenem Kopf-, Korper -und Zeheubaue,
y on höchst Terschiedenartigen Verbälmissen ihrer Theile
-unter einander und mit Tollständigen oder halben
Sehwimmhäuten, so wie ohne dieselben^ noch sänuntlloh
ia Einer Gattung (Hyia) bei einander: obgleich diese
Abweichungen der Bildung doch noth wendig auch be-
deutende Versehiejdcnheiten in der Lebensweise dieser
Tbiere begründen müssen und Wegler sich deshalb he*
reita mit Recht ireranlalst gefühlt hat , sie in mehrere
Genera su trennen, ZiemVch dasselbe wird, der oben
geäufserten Bemerkung gemäfs, von den Geckoaen gel-
ten : wo sich die Zahl der Genera bei Hrn. S. auf hoch-
stens den 4ten oder 5ten Theil. von denen beschränkt,
welche Cu^ier und^ Andere, wiewohl zum Theil nur un*
ter der so vagen und unwissensdiaftlichen Bezeichnung
„Subgenera,** aufgestellt haben.
Wir wenden uns nun su dem artistischen Theil
des Werkes als derBnupUeU^ desselben. Sie verdient
J^hrb. /. wiMtnnck. Kritik. J. Iß40. I. Bd.
grofses Lob. Die Darstellungen, obwohl nur Stein-
drücke^ sind, wenn man sie auch in Betreff der Fein*
heit und Schärfe den Abbildungen naturfaiBtorisoher
Gegenstande aus der Anstalt von Henry et Cohen zu
Bonn entweder noch nicht ^anz^ oder nicht immer
gleichstellen kann, doch hinlänglich scharf, da wo es
auf Bestimmtheit der Umrisse ankommt: während ih»
nen in der Schattirung überall jene Milde und Sanft-
heit zu Statten kommt, welche die Anwendung der
Lithographie namentlich zur Darstellung der meisten
Amphibien so wohl geeignet macht. Z\igleich Ist das
Colorit eben so einfach, als zart und sorgfaltig behan-
delt» Daher nehmen besonders einige Tafeln z. B. der
in halber Natur- GröGse abgebildete Kopf eines grofsen
(17 Fufs langen) Crocodilus biporcatus auf Taf. 1. und
Geluber melanurys auf. Tafel 5, trotz des gänzlichen
Mangels bestechender, blendender Fatben sich gant
vorzüglich schon und überhaupt so aus, dals man an
einer sprechenden Treue nicht zweifeln ; zu dürfen
glaubt. Doch gereicht es den BlätCern weder zui^ '
Zierde, noch sonst zum Tortheile, dafs die Zeichnun-
gen selbst auf solchen^ deren einzelne Gegenstände sich
ohne Nachtheil oder selbst mit Vortheil hätten viel
mehr zusammendrängen lassen, gewdhnlich bis dicht
an- den Rand des Papieres gehen. Hieraus werden
einst beint Einbinden eines grofseren Theils der gan-
zen Sammlung melir oder weniger Unannehmlichkeiten
entstehen müssen. Auch sonst konnte in Betreff des
Raumes zuweilen eine bessere Oeconomie beobachtet
sein, wodurch theilweise zugleich au bequemer lieber-
sichtlichkeit gewonnen worden sein würde. Auf Ta-
fel 7, z. B., welche Dryiophis langaha im Ganzen vor-
stellt, wäre noch Raum genug übrig geblieben zur dop-
pelten Vorstellung ihres Kopfs und zu der ihres After-
Stücks, welche man beide erst- auf Tafel 8 findet. Hier-
durch wäre auf der letzteren hinlänglicher Raum ge-
wonnen worden, um auch Dr. prasina, von welcher
76
603
Frittchy Kritik der bisherigen Grammatik.
/
6M
jeUt nur Kopf und AfterstQck nebst einem Mittel- und
Yorderleibstucke abgebildet sind, noch Ln Ganzen dar-
Eustdlen.
Je lebhafter und aufrichtiger der Unterzeichnete
einem so beifalls würdigen. Unternehmen in jeder Hin-
sicht einen glucklichen Fortgang wünscht, um so mehr
glaubte er sich verpflichtet, eben sowohl im Interesse
des Terfs. und Verlegers , wie der Käufer recht bald
auf die ihm bemerklich gewordenen Mängel aufmerk-
sam maehen zu müssen, deren Abstellung gewifs auch
Anderen wQnschenswerth und für das Werk Torthcil-
haft erscheinen dürfte* Nach dem langsamen Erschei-
nen der Lieferungen zu schliefsen (der mit der Isten
Decade ausgegebene Prospectus ist vom Januar 1837
datirt), scheint es leider, als ob das Unternehmen sich
noch nicht der verdienten Unterstützung von Seiten
des Publicums zu erfreuen hätte. Um so mehr mufs
man ihm dieselbe für die Folge wünschen.
Das Papier zu dem Texte^ ist schon und nament-
lich sehr weifs, nur etwas düAn, und der Druck eben-
falls sehr scharf und rein.
Gloger.
XLvn.
Ki/itih der bisherigen Grammatik und der philo-
logischen Kritik von Dr* Ernst August Fritsch^
Ister Th. unter dem bes. Titel: Kritik der
bisherigen Tempus - und 3Ioduslehre in der
deutschen^ grieeh.y tat. und hebr. Grammatik
und der philologischen Kritik ^ zur Reform
jenes Gegenstandes auch in den Grammatiken
anderer Sprachen.
Ref. hatte dieses Buch, als es ihm, zur Ansicht ge-
schickt wurde, nach kurzer Prüfling mit der Ueberzeu-
gung bei Seite gelegt, dafs zwischen den Irrthümem,
von denen es erfüllt sei, wohl nur sehr wenig Körn-
chen Wahrheit zu entdecken sein dürften. Als er
später von der Redaction dieser Jahrbücher zur Beur-
theilung desselben aufgefordert wurde, wünschte er sehr^
dafs die darauf zu verwendende Zeit nicht ohne Aus-
beute sein^ und er' sein früheres Urtheil mochte zurück-
nehmen können. Diese Hoffnung ist jedoch keineswegs
in Erfüllung gegangen, und je genauer er mit dem
Buche bekannt wird, desto mehr findet er, dafs Les^
shags bekanntes Urlheil auf dasselbe anwendbar sei:
es enthält viel Wahres und Neues, aber leider ist das
Wahre nicht neu und das Neue nicht wahr.
Eine Kritik der bisherigen Grammatik konnte die-
ses Bueh heiben , > wepn die > Schriften von ^Herllag^
Becker, Kühner, Matthiä, Thiersch, Ramshorn, Grote*
fend und Gesenius die bisherige Grammatik aüsmaeh-
ten. Denn nur mit diesen, und unter diesen wieder
am meisten mit Kühner, beschäftigt er sich: andeie
werden nur hie und da, und zwar in soldier Weiw
citirt, dafs man durohaus nicht deutlich erkennen kttan,
ob. sie dem Verf. auch wirklieh zur Hand gewesen
sind, und ganz umfassende Werke, wie Bemhard3r*s
griechische, Weifsenboms lat. Syntax, des Ref. Facti-
kellehre, Pott's etymologische Forschungen (um zu
Schweigen von denjenigen, worin grammatische Gregeo-
stände nur gelegentlich, aber doch ausführlich erortMl
werden, wie z. B. Nägelsbach's Anmerkungen zur llias)
scheint er kaum dem Namen nach gekannt zu haben/
Oder überging er sie absichtlich, weil er fürchtete, M
mochlen ihm die Gespenster bannen und die Irtilehie^
Terseheuchen, mit denen er sich nun einmal herumtiefc
ben wollte? Wir wollen das Grgebnifs seiner HeM^
thaten getreulich berichten, und von den Entdeckuagok
dieses Columbus dem Publicum mit Wissen keine vmw
enthalten. '
Die erste Entdeckung, durch welche die bisherige
Tempuslehre total umgestaltet werden soll, ist, dafs es
ursprünglich nur zwei Tempora, oder richtiger BeS
ziehangsformen, gebe, eine xusammensteliende {g^^
wärtige) und eine abschiiefsende (vergangene): dem
die Zukunft sei ja nur eine werdende GegenwaiC:
Diese Zwrifältigkeit (Dichotomie) soll erstlich aus dc^
Geschichte und zweitens aus der Etymologie erwiesen
werden mit Gründen, die an Unhaltbarkeit und Obeiw
flächlichkeit einander gegenseitig überbieten. Vor alle»
wäre doch zu erörtern gewesen, welcher Natur iibef^
haupt dasjenige sein müsse, was für das UrsprunglieiM
zu halten sei. Der Yerf. seheint von der Meinvii|
auszugehen, dafs die älteste Zeit sieh immer mit den
Nothdürftigsten beholfen habe, nach dem gewöhnliden
Irrthum derjenigen, welche Natur und Kunst verweek
sein, und die Menschheit aus dem AffengeseUechfe
hervorgehen lassen. Denkt man sieh unter dem Ur-
sprünglichen das der Zeit nach Frühere, so bt die
Frage nach demselben die unnützeste von allen: dis
FrÜMeky KrMk der
pinlosophitche Grammaiik kat vielmehr nur das DaU^
emde und Bletbeade, den eioselnen Erseheioungen. su
Grund ' Liegende su erfbjraoheti. Bei soleber Unteren^
ehung aber wird man alieoüialben nur auf Dreifaltig-
keit, und keineswegs .auf Zweifäliigiceit der Yerliält-
ttisse gefttlirt, wie Ref. längst in der Einleitnng zu sei-
Her PartikeUehre ausführlich dargetfaan hat. Denn den
«ntfet nothwendigen GegensäUen entspricht gleichsam
als Rückkehr jener in ^sich selbst eine Yermittelung,
ala driiies Verhältnils, und dieses letztere ist weder
iar Geist noch in der Sprache spater, als die erste«
reo,, verbanden. Als Beweis sollen hier, um niclit
frülier Gesagtes zu wiederholen, die Präpositionen an-.
ffMbxt werden, durch welche die Dimensionsverhäll*
väamB in der Linie, der Fläche und dem Körper be-
uichnet werden. Die Linie . hat nur eine Dliaensioa^
md man unl^rseheidet in ihr Beisammensein ((fof), Ge-
trcttfitsein (dfrci;) und an zwei Punkten Sein (dfitpi).
DiW Fläche hat zwei Ausdehnungen, Länge und Breite.
Bei der L&ige unterscheidet man Nähe (n^o'^*), Ferne
{mnc) und Ciegenubersein {(ivxC). £ei der Breite un-
tarscheidet man Hüben (eis). Drüben (uls, ultra) und
Ringsum (n^^O* üofper mifst man sowohl nach dem
fnAaÜe als auch nach dem Umfange, von denen jeg«
Beher wieder zwei Dimensionen, wie die Fläche, hat.
Der Inhalt hat Tiefe und Weite, der Umfang Hohe
und Breite oder Dicke. Bei der Tiefe unterscheidet
■Min zu Tage Sein («r«), zu Boden sein {natä) pder
fi^iefatbarwprden und Yersohwindeii» und Hindurch (diä)»
Bei der Weite unterscheidet man Innen (^y), Aufsen
(^) und Zwischen (ßeta). Bei der Höhe unterschei-
det man Oben (vn^V)» Unten (vno) und Daran oder
Darauf (ixe). Bei der Brdte endlich als Quere unter-
«d^idet man Vorn (fr^«^. Hinten (post, (tttä od^r hti)
wmI J)aneben (/lo^a). 'Sollte es wohl Zufall sein, dafs
gerade nur diese Anzahl eigentlicher Präpositionen in
den uns genauer bekannten Sprachen gefunden wer-
den I Dafs aber von diesen nicht die einen später als
die aüderen entstanden sind, lehrt die Etymologie, in-
dem sie naehgeniesen hat, dab dieselben im ganzen
indogermanisehen Sprachstamme nicht nur überall vor-
handen sind, sondern auch Oberein lauten« Bei einigen
anderen Yerhältnissen findet man allerdings, jedoch
sumeist erst in neueren Sprachen, nur die zwei Gegen-
afttze ausgeprägt, und die VermitteJung fehlend, indem
einige kein Neutrum, andere /kein Medium, viele kei-
its/ierigen Gramtnaiik. S06
neu Dual haben. Diefs ist aber, wie die Geschiehte
lebrtä eher Verarmung als neturliehe Einfacbkeit , zu
^nennen, indem gerade die ältesten Sprachen hinsieht^,
lieh der Vollständigkeit solcher Formen die reichsten
sind. Mit solchen Gründen, wie diejenigen sitid,.mil
denen der Verf. die Entbehrlichkeit des Futurs und
seine Identität mit dem Präsens darzuthun meint, Hebe
sich gar Vieles als entbebrlicli und identisch erweisen.
Ist nicht die Vergangenheit eine gewesene Gegenwart f
nicht die Gegenwart ein stetes Hinschwinden in die
Vergangenheit! Ist die Höhe nicht umgekehrte Tiefe I
Ist nicht Eis gefrörnes Wasser? •"
Durch seine etymologischen Erörterungen beweist
der Verf. gar Nichts, weil er weder die hiezu notldgeis
Kenntnisse verwandter Sprachen und* Dialekte besitzt,
noch mit dem Verfahren gründlicherer Forscher irgend
bekannt ist, um mitreden zu dürfeii. Er hat, nach dem
Spruohworte, zwar ys^ohl das Läuten, aber nicht das
Zusammenschlagen der Glocken gehört, utid somit die
Festesfeier verpafst. Da werden z. B. die Verbalen-
düngen itur (legitur) vom Verbum ir^, tirna (nc<pAipca)
Ton^x^, a (o29a) von iX^i ohne alle weitere Begrün-
dung hergeleitet, und die Endung atsi in xi^/a» und
T£Tu<poai mufs zum Beweise dienen, dafs einst ein^Prä*
sens o oder ia von tlfii existirt habe u. s. w., und sei«
che Zumuthungen an die Leichtgläubigkeit der Leser
geschehen mit einer Gutmüthigkeit, einem Leichtsinne,
die wahrhaft zum Erbarmen sind. Man lese z. B. p* 13*
Die zweite neue und überraschende Entdeckung ist,
dab die bisher dafür gehaltenen Pi^äterita keine Präte*
rita, die Präsentia keine^ Präsentia, sondern blofse Be«
ziehungs- und Personen -Formen sind, dafs beide mit
der Zeit gar nichts zu thun haben, nur unter gewissen
Bedingungen temporelle Bedeutung annehmen, und da-
her xueanuftef^tel/ende und abeehliefeende Beziehungs*
formen genannt werden müssen, indem sie die Thätig-
keit entweder mit dem Bedenden zusammenstellen oder
von ihm abschliefsen* „Beide Fomien, so fahrt er fort,
gestatten also nur eine sübjective Beziehung, und man
könnte gewissermafsen sagen, die zusammenstellende
affirmirt, die abschliefsende aber negirt^jene sübjective
Beziehung p, 203. Dieser ganz ungeheure Fund, jneint
er, verschafft ihm das Glück, wirklich der erste zu sein,
welcher den hypothetischen Gebrauch der Präferita ge-
nügend deuten kann, wodurch^ meint er, gewisse andere
Grammatiker dergestalt in Erstaunen gesetzt werden,
§m
Frii$ek^
der UsAerigen €frammat$Jk
4ftfi ue BiA vor die Stiroe sebbgcn xmi vor Aergev
tber im» Columbu« - Ei ganz aufser sieb geratlieii mto-
Btni s. p. 37tt; * Dafs aber von dieser Sache sehlecb-
lerdiags gar niemand vor und neben ihm irgend eine
aanebmbare und riehüge Ansiclit hegen oder gehegt
haben ktoqe, weifs er, ohne sich amgesefaen zu haben,
a priori.
Original fahr* hin in deiner Pracht!
Wie wurik dich die Einsicht kränken: '
Wer kann wa$ KiugeSf wer wa$ Durnmee denken^
Dae stickt $chon Taueend'e vor Htm gedacht I
Wir sind weit entfernt, ihm diese Kränkung anthun
sn wonen: nur versuchen wollen wir, ob sich die be-
treflende Sache nicht auf andere Weise* etwas deutli«
eher machen läfst. Die Zeit liat keine Ausdehnung
der Breite, isoaden^ Mos der Lange. In der Länge
aber unteHcheidet man, wie bereits bemerkt wurde,
Nähe, Fern» und Gegenubersein. Nälie und Ferne sind
die Gegensätze, die durch das Gegenül>er, in weichem
sowohl die Nähe als die Ferne, oder die zur Nähe ge<*
vordene Feme, enthalten ist, vermittelt 'werden. Die
Nähe ist €fegenußarty die Feme Fergangenkeii^ das
Gegeniber, ^kler die vor uns liegende Ferne, ist Zu-
kunß. In^iefem Yergangenheit und Abschliefsung
identifieirt werdeti kennen, erkennt man um so deutli*
eher, wenn man die parallelen Verhältnisse der Linie
vergleicht, welche kn Zusammensein (avy), Getrennt-
sein (avw) und zu zwei Seiten Sein («/«p/) enthalten
sind. Fragt man aber, welche von* beiden Bedeutun-
gen als die umprängUche ansuerkennen ist, so mufs der
Geschichte und Analogie zufolge unbedingt der tempo-
rellen der Vorzug ertheilt werden. Denn vom Sinnli-
ehen, d. h. von dem in Raum und Zeit Befindlichen,
gehen die granmatischen Verhältnisse aus, und so auch
ihr Verständnifs. t>ie Feme, die nie zur Nähe werden
kann, oder die hinter uns liegende Vergangenlieii, ist
En^ükiedenheit und ünahünderUohktfit^ folglich allefai
anwendbar in hypothetischen Sätzen, wo solche Ent*
soUedenheit und Unabänderlichkeit ausgesprochen wer-
sden soll. Gleichwohl besteht ein Unterschied zwischen
der- Bntschiedenheit des Geschehenen und- der Entschie-
denheit oder Unabänderlichkeit des Gehinderten, d. h,
des wegen mangelnder Bedingung seiner Existenz nidit
zu Stande KommMiden, und* nur uneigentlich wird' die
(Der Beschlufs folgt.)
Ausdruekswebe , jener für diese gebraucht, wenn naan
s. B. sagt: ^^we»n er meinem Bath folgte^ $e war er
jetxi^ em reicher Hfunn'' st&it grf^lgt n^äre^ so wäre
et. Abgethansein und Hintersich • Haben ist zwar in
beiden Verhältnissen: denn wer mit EatschiedeniMii
erkannt hat, dafs eine Sache vermöge der Bedingung
ihrer Existenz nicht sein kann, der hat dieselba ebes
so gut hinter sich wie derjenige, welcher sie in der
Zeit durchlebt hat. Aber die Unmöglichkeit enthik
aufser jener Zurückstellung auch noch die Senderung
ven der IVirkUchkeii. Denn in solchen l]>70theli«
sehen Sätzen wird ausgesprochen, dafs die Sache senei,
unter änderen Umständen (die der Vordersatz angiebt)
zur Existenz gelangt oder gelangen konnte , foigliek
die Sache nicht allein aus der Gegenwart, sondeni aedl
aus der Wirklichkrit'W^S' gerückt« Defshalb begnQg«i
sich die an Formen reicheren Sprachen nicht mit den
bloTscn Präteritis zur Bezeichnung jenes hypothetisekeB
Verhältnisses, sondern formiren vielmehr auf dem Grund
jener Präteriia einen neuen Modus, den Conditionalis,
-oder aber sie fugen zu den Präteritis eine Partikel von
separativer Natur und Bedeutung, dergleichen «fr eine
ist. Die Lehre, dafs äv mit der untrennbaren Präposi*
tion dv (dem sogenannten a privativum) identisch und
mit der selbstständigen Präpositiop ofr«; (die wie itft^(,
ivti und n^oti ein Compositum ist) verwandt sei, folg«
lieh eben das bedeute was der Verf.- sucht, nämlich
Absonderung oder Ab»ehKefeung^ während ihr Gegen^
theil 9iv Zusammenstellung ausdrückt^ enthält f%r die
biSden Augen der wirren Köpfe, welche- den Irrthum
als Lebenselement nicht entbdiren k5nnen,' zu viel
Licht, als dafs man deren- baldige Annahme vor der
Hand noch erwarten därfte. Nur die Aufhellung der
dahin einschlagenden Theile der Grammatik kann ihr
allmählig Eingang verschaffen, indem rfch die Wahr-
heit der Masse Immer unwillkOhrlich aufdrängen mqh,
als wäre sie in eines jeglichen Kopfe entstanden. Dcf
Verf. hat über diese Partikel herausgebracht, dafs sie
so bedeute, dafs sie ein Accusativ vom demonstrativen
oder relativen Pronomen o$ sei, so wie A ein Dtttiv
desselben : ingieichen dafs sr^v mit yl^ yi^ xp^ joe, %i(^»,
X6öt^ jrwff, X9,' K«f(^i, uitvogy nqg, nog, /«, gen ^ jener ^ ce,
que, quum, qu& etc. etc. etc. verwandt sei.
U
w 1 s s e n
J a h r b fi q her
f ü r
8 c h a f 1 1 i c h e
Kritik
April 1840.
Kritäi der buherigen Grammatik und der philo-
logitchen Kritik ron Dr. Ermt August Fr it$ c h.
(SchluisO
B« bt dwrehaus nothig, dab ^ir hi«r einmal einiga
Sitae mit dea Yerfa. eignen Worten anführen, damit
ere Leaer von' der Feinheil aetner Beobaehtungen,
Seharfsinn bei aeinen UnCeraeheidungcn^ der Griind«
Kcblcrit äeiner Forachnngen und dam Umfang aeinea
Kenntnisse eine Vorstellung bekommen, y^ Ferhält
aich zu ttf(v) wie wenn zu denn^ «» au üv wie wann
EU dtum" p« 209. «fWie 0(17) aich an ai verhält ^ ao
verhak aich audi 17 zu c»**- p. 210. ,,£/, ipf^ itiv sind
niehta anderea als, thf iia ihehr oder weniger abgeschlif^
feiie, acc.^ing. fem. gen. eines Pronomens log {IJ^) ;
«i und d dagegen adverbiale Dative gleichen Stam<'
ipaea» jenes ein.Dat. fem. gen., dieses neutr. oder mase."
p« 212, ))Wer weifs, ob nicht w enklitisch gebraucht
wurdet" p. 214. ,,Yirg. EcL 10, 33. o mihi tum (vgl.
covj tarn asit rdv (r/fr) etc. vgl« «r, dann) quam moUitev
oaaa quiescant, veatra meos olim si'flstula dicat amo*
res/' p. 217. Auf solchen Wegen so herumtaumelnd
and atelpemd getraut sieh der «Yetf. dennoch, unser
Führer au sein, und den schwankenden Zustand de?
Grammatik cum Stehen zu bringen : a. Vorrede. Uebri-
gena kann Ref. diese sehn Boge^ füllende Untersuchung
{Über ov und die hypotheiischen Sätze hier um so kür«
aar erledigen, als er/ um nicht schon Gesagtes zu wie-
derholen, auf aeiae bereits im Jahre 1833 erschienene,
aber vom Vf. nicht ioi, mindesten fatorücksicbtlgte, Par-
tifcaUehre (Th. IL p. 216—336) verweisen darf.
.Wir fahren fort in unserem Berichte von den Ent*
deckungen des Verfaasers. Derstlbe bdehrt uns» dafs
der Optativ den Pc&teritis, der Conjunctiy den Präsen-
tibua parallel sei, wefshalb er jenen den absohliefsen-
den, diesen den zusammenstellenden Conjunctiv nennt,
kt hier die Entdeckung alt; so ist doch der Name neu,
Jaktbl f. wiu€H$cK Kriüh J. 1840. I. Bd.
^
mit welchem der Verf. in der That grolae Verwirrung
anrichten konnte, weim man ihm Gehör gäbe. Hin«
aiehtlioh der Bedeutung dieser Modi (oder dieses Mo«
dus) aber hat derselbe die gelehrte Weh- wieder auf
«nem Ungeheuern Irrthum ertappt, welchen ihr zu Ge#
müth zu führen, er wiederum weder Zeit noch Papier
gespart hat« Nach umständlichem und sehr etndiingU«*
ehern Vorhalten ihrer Irrthümer eröffnet er nämlich den
Grammatikern, mit denen er aich abgiebt, aeine An«
zieht, dafs die Modi nicht den objectiven Btataud der
Th^tigkeit an sich angeben, sondern blos erkennen las»
sen, wie der Redende die Sache angeachaut hat oder
aufgefarst wissen will, und dais es somit in der Will-
kühr des Redenden liege, welchen Modus er jedesmal
gebrauchen woHe! p. 40. Indem der Verf. diefs aus»
sprach, -nurs es ihm in der That gewesen aein, als
wenn ihm von allen Seiten Gelächter entgegenscballte,
und als wenn selbst die Schuler der Gymnasien .bis
herab zu den Tertianern ihm erwiederten, sie hätten
diefs längst nicht anders gewufst Darum nimmt er
plötzlich eine Überaus ernsthafte und fast beleidigte
Miene an, indem er die Versicherung ausspricht: „Diese
Ansicht nach ihrer ganzen Ausdehnung in succum et
aangttinem aufzunehmen, ist gar nicht so leicht, als ea
von vorn herein wohl scheinen mag: bei der entgegen-
gesetsten, welche uns von dem frühesten und ersten
Unterricht an eingeprägt wurde, und die gewisserma-
Isen mit uns verwachsen ist, kann sie in unserem In»
nem nur mühsam, hur ach wer nach ihrer vollen Ana«
dohnung Gültigkeit und wandeUoae Herrschaft gewia*
nen.** Sie Irren Sich, mein Bester: ea Ist gewifs nur
ein MUsverständalb gewesen, was Sie in diesen Eifer
versetzt hat, einige ungeschickte Worten die Sie gemiCi*
deutet haben! . s
Mal hat bisher alle Teiapora In zwm Classen ga*
theilt, m aelche, welche die Handlung ala damemd^
und in aelche, weldie ale uUvMendei daraleUen. Dn*
77 - '
611 FriUch^ Kritik der bithsrigen
gegen belehrt uns der Yerf., dab wir künftig yon einei^
werdenden und einer gewordenen Thätigkeit «sprechen
tnussen. \Vas damit gewonnen sei, aufser einer Be^
grifis^erwirrung, indem man beim Werden doch noih-
wendig immer an's Iniransiti?um und Passivum denken
mufs, ist nicht einzusehen.
Nun bleibt uns noch übrig, mitzutheilen, was der
Verf. über die Entstehung und Bedeutung des Aorbts
vorgebracht hat. Ehe diefs geschieht, wollen wir ei-
nige Bemerkungen Torausschicken , welche die Leser
in Stand setzen können^ den Fund des Yerfs. desto
besser su würdigen. Die Conjugation des griech. und
faidisdien Yerbi zeigt einen Parallelismus von starken
und schwachen Formen. Diese beiderlei Formen finden
sipb in der Conjugation auf \a dergestalt untermischt,
dab im Singular, und meistens auch in der 3. Pers,
Plur., die starke, . in den übrigen Personen die schwa*
ehe üblich iit, z. B.:
1) bibharmi ,
bibharsi
bibharti
bibhrwag
bibhrthas
bibhrtae
bibhrmas
bibhrlha
bibhrati
2) ^co/u
iidiog
didmoi
—
dUotov
didotop
dÜfott
^ iidoäai
eben so liiiv^v od. idiäovy, ididofuv etc.
3) u&eitiv
ri&ilfig
u^ätj
—
Ti^€2^ror
ti^iixtf»
uOiXiav
%i^kZre
tt&MV
•
eben so riJcrifM rianotg
tiaat
rUraifUiß tiaaixt riauar
od. tiaauv
4) iefiK»
Sß^tjHog
¥&f]xe
^
Sdtxov
i&hfjv
i&ifMf»
j^£rc
S&iOixv od. S^fpuoß
6) SoTtina
Sarrjxai
finrj/xc
MW >
kaxatov
Saxatop
SarauiP
livtarc
iaxaau
In der spateren Coäjugaiion, oder der auf o», zeigt sich
kein solches Ueberspringen mehr aus dem ersten Ao-
rist, Perfect oder Plusquamperf. in den zweiten Aorist
u. s. w., s<nidem beiderlei Formen werden vollständig
durchconjogirt, und je nach Umständen hat sich hier
die stärkere, dort die schwächere im Gebrauche fiaurt
Diefs ist der Natur und' Geschichte zufolge das Yer-
liältnifs der sogenannten tempora secunda zu den tem->
poribus primis. ' Nur zufällig schejinen jene, Indem sie
in ihrer EioCachheit ünmer unmittelbar aus dem unyer*
612
mehrten Stamme liergeleitet sind, und aufser Umlaut
und Endung weiter kein Kennzeichen an sich babaii^
vielfach mit üem Präsens identisch zu* sein. Und wirk-
lieh hat dieser Schein 'den Yerf. verführt, nicht aÜM
das Futur, sondern sogar auch den Aorist mit dem Pnh
sens zusammenzuwerfen. Seine ?ier Bogen starke Un-
tersuchung (wenn man anders sein tolles Umherspiiz«
gen ein Suchen nennen darf) fuhrt ihn zu folgendca
hübschen Resultate: „SSmmtliche Formen des Aor. I
sind mit Hülfe der Präeens' und Imperfe^/mrmm
von üvai gebildet, und sämmtliche Formen. des Aor. II.
Act. dürfen für nichts anderes gehalten werden als for
' sogenannte /^rä#«f»#- und ImperfectformenL der erstem
Bildung$periode : folglich, da alle Präsens* vnd Imper-
fectformen eine Thätigkeit als werdend danrtelleB) ss
müssen auch die Aoristformen diese selbige Geltung ha*
ben« Somit wäre denn die in der griech. Grammatik
eben so festgewurzelte als unbegründete alte Lelure md
das Genügendste widerlegt, dafs der Aorist das Fet^
lendete bezeichnete/' Somit hätte denn dieser Hercuir
les abermals höchst heldenhaft der Hydra I^Imm ei»
nen ihrer zähesten und zischeadsten Köpfe abgeMhlfr
gen! Der Aorist bezeichnet also von nun an, naoh ien
gewöhnlichen Ausdrucks weise, .eine dauernde llnadi
lung, und alle Beobachtungen der Forscher, alle Yor-
Stellungen der Gelehrten, alles Gefühl der GeQta%
die sämmtlich darin übereingestimmt haben, dala fie«
ses Tempus eine jede Handlung^ ohne Rueksieiil a«f
ihre Dauer und Vollendung,. blos- als Moment betrad^'
ten lasse, haben gefehlt, geirrt, gelogen: denn Ife
Fritsch beweist das Gegentheil durch Buchstabeomea»
gung. Was wird aber dann ' aus dem Untenejiledt^
der zwischen Aorist und Imperfeet, Aorist und Prfc
sens doch nothwendig stattfinden mufs? Der Yf. -weift
zu helfen; er decretirt: „der Aorist bezeiduiie legi'
ecke Unterordnung^ Präsens und Imperfeet hgi^
ecke UeAerordnungJ' Wir begreifen zwar nicht, w«
damit gesagt sei, aber empfangen es init ehrerbietigsr
Verbeugung, stumm und ohne ^u fragen, auf walahoi
Pfaden dieser UnerCprschliche jSolches gefunden liabas
könne. Denn solche Geister schöpfen dergleicher.
mittelbar aus sich selbst, wie wir wissen.
Dr. J. A« Härtung.
413 . Sieinmgery g^agno^iuekf Bs^ekreibung
XLVIIL
€teognostisebe Beschreibung den Landes zwischen
der untern Saar und dem Rheine. Ein Be-
richt an die Oesellschaft nützlicher Forschun-
gen zu Trier y von- J. Steininger. Mit einer
Karte j 15 Prt^l- und 12 Petrefaiten- Zeich-
mungen. Trier (F. Untzjj IS40. gr.i. 1508,
Es ist nicht das erstemal, dafs der Yerf» im Ge*
hiett der Wissenschaft, auf welche sich die gegenwär*
tige Arbeit besieht, mit günstigem Erfolge als Schrift-
atelier auftritt« Wir haben von ihm bereits eine Reihe
iton selbstständigen geognostischen Schriften^ unter wel*
etfeii diejenigen die verdienstlichsten sein dürften, wel«
ehe uns zuerst in einer vollständigem Weise mit den
l^erfadltQissen des vullcanisehen Gebirges der Eifel be«
kannt gemacht haben, und aufserdem verdanken wir
fliBi sahlreiehe eioselne Abhandlungen, die in Zeitschrif*
ten, namentlich in den YerhandlungeA der geologischen
SoeletSt von Frankreich, abgedruckt sind« Seine Erst*
lings« Arbeit im Felde der Geognosie verbreitet sidi
siemlicb über dasselbe Gebiet, dessen näherer Erfor*
•ehung das Werk gewidmet ist, wovon wir hier Nach-
sicht geben; sie war: „Geognostisehe Studien amMit-
telrbräie" (1819), und bald nachher (1822) gab er, auch
svin Theil denselben Gebirgsstrich befassend, heraus:
p,Gebirgskarte der Länder »wischen dem Rheine und
der Maas.** Da nun der Yerf. sich eine so geraume
Zeit in seinen geognostischen Studien derselben Gegend,
äetjenigen, worin er selbst wohnt (Trier), zugewandt
bat, M dürfen wir gegenwärtig wohl viel Gereifteres
Fon ihm erwarten, und der Verfolg dieser Beurtheilung
nrird es auch zeigen, dab einer solchen Erwartung
cieiDlich gut entsprochen ist«
Wir wollen zuerst die Karte mit einem allgemein
leo Blick betrachten. Sie beisteht aus vier grofsen,
loeinandergesehlossen cht Ganzes bildenden, Doppel*
Sayal- Folio -Blättern, welche zwar sehr einfach ge«
;eiohfiet, docl| reinlich und gut lithographirt sind. Berg-
clirtfffu^n befinden sich nicht darauf, obgleich sie bei
lern groben Maabstabe (für 5000 Toisen : rosVr«) ^^^
Landes xmsoAen Saar und Rhein.
ausführbar gewesen wären und die Uebeirsichtlichkeit
ler Gebirgs -Verhältnisse sehr erleichtert haben wurden«
l?nr Orte mit ihren Namen und Uingrenzungen der Ge-
birgs-Formationen, die Massen derselben leicht und für
[as Auge gefällig illuminirt, sind angegeben. Die Karte
6H
befafst einen groben Theil der beiden Regierungsbe?
strke Trier und Coblenz und den grobem Theil von
Rheinbayern. Um das Viereck der Karte,, hinsichtliolt
der Ländertheil^, welche darin liegen, besser überse«
hen zu kdnnen, wollen wir einige ausgezeichnete Punkte
namhaft mAchen, die ihrem Rande zunächst lie.gen:
am n5rdlichen Radesheim, Simmem, Enkireh und Witt-
lich; am ostlichen Ober- Ingelheim, Alzey (schon über
dem Rande) und GoUheim; am südlichen Hochstetten»
St. Ingbert, Saarlouis und Bouzonville, und am west«
liehen Bouzonville (ganz in die EJcke fallend), Metloch^
Saärburg und Trier (etwas vom Rande ab liegende)
Die Karte soll,' so- sagt der Verf.,, „eine möglichst ge-
naue Darstellung des Porphyr- und Flötztrapp - Gebir«
ges auf der Südseite des Hundsrückens, zwischen der
Saar und dem Rheine, liefern." Die Farben bezeich*
nen folgende Gebirgs -Bildungen, welche wir genau
wörtlich nach der deutschen Farben- Erklärung der
Karte (auch eine französische ist vorhanden) wiedef
geben: I. Uebergangs- Gebirge (Thon- und Grauwacken-
schiefer), II. Quarzfekrücken, III. Uebergangskalk, IV.
Kohlengebirge, V. Rother Porphyr (Thonporphyr), VI.
Rothe Porphyr - Breccie, VII. Rothes Porphyr -Konglo-
merat (ne w red conglomerate). Vif I. Rothes Todtliegen«
ieAy welches dem bunten Sandsteine sehr ähnlich ist,
IX. Bunter Sandstein (Vogesen- Sandstein; new red
sandstone), X. Muschelkalk, XI. Tertiärer Kalk und
Meeres -Sand nebst tertiärem Sandstein, XII. Dioriti->
sehe Gesteine (Diorite, Aphanite, aphanitischer Man-
delstein, Dolerit), XIII. Braun -Eisenstein, XIV. Kalk-
conglomerat -Flotze, XV. Kalkflötze im Kehlengebirge,
XVI. Kalkflötze mit Kohfenflötzen, XVII. Steinkohlen*
flotze, XVIU. Zinnober führender Sandstein. In Be-
sug auf das relative Alter der Bildungen könnte woh^
mehv Ordnung in dieser Aufzählung sein^
Der Verf. hat als Vorarbeiten, welche guten Wertb
haben, sowohl für die Karte als den begleitenden Text
benutzen können und sdner eigenen Angabe nach' auch
wfrklich benutzt die „geognostisehe Katte der Rhein-
länder zwischen Basel und Mainz von C. von Oeynliäu-
•en, H.* Vx la Roche und H. v. Dechen^' mit dem Texte
dazu ; dann die Arbeiten von Burkart, C. Schmidt, F.
von Oeynhausen, Merian, Schulze, von Nau u. A. Mit
den Fortschritten der Wissenschaft selbst und mit eige-
ner fleifsiger Beobachtung ist aber Hr» St einen nicht
unbedeutenden Schritt weiter gegangen^ als sdne Vor-
615
«
Sieiningety gBOgn^Mtische Beiekreibung de$ tiande9 x^Uehsn ^aär und.Rkein^
ganger; er hat vielfach die oft nur angedeutet gewene«
neu Conturen verbesaert und ausgeführt, wie diefs Uber-
baupt der Gang bei geognostbchen Karten • Arbeiten
und Lftnder-Besehreibungen nur sein kann, ohne dafs
dadurch das Yerdienst der ersten Bearbeiter getrübt
tirird« Es ist aber wohl sicher, dafs der Yerf. den. für
seinen Zweck höchst wichtigen Aufsatz: „Das Trapp-
gebirge und Rotbliegende am südlichen Rande des Hunds-
rücken von A. Warmhols" (Karsten*s Archiv für Min.
u. s. w« X S. 325 ff.) nicht gekannt hat. Nirgend ist
er citirt, und nothwendig hätte er zur Erweiterung der
Ansichten und wohl auch eu mancher Polemik Veran-
lassung geben müssen. Hr. St. giebt sein Werk mit
vieler Bescheidenheit, indem er sagt: „Ich betrachte
die Karte als ein Werk für sich, das selbst in seiner
UnvoUkommenheit sich auf eine Reihe so mühsamer
Untersuchungen stützt, dafs ich glaube, die Nachsicht
des mineralogischen Publikums dafür in Anspruch neh-
men zu dürfen. Der erläuternde Text ist blos eine Zu-
gabe, welche die Entwickelung einiger Ideen enthält,
auf welche ich durch die genauere Beachtung *der Ge-
fairgsverhälutisse unserer Gegend geleitet wurde." Al-
lerdings wird auch im Texte eine gewisse Ganzheit,
und mehr noch die Uebersichdichkeit vermifst, es ist
aber viel weniger Grund davon, dafs erstere nach ei-
nen gewissen Umfange nicht vorhanden wäre, als dafs
die Materien zu wenig geordnet, häufig zerrissen und
durdi ganz fremdartige Gegenstände getrennt, dann
aber auch wieder ohne Noth in einander verflochten sind.
Dieser Fehler der Darstellung, wodurch oft Undeütlich-
keiten und- Unbestimmtheiten erzeugt werden, ist über-
haupt eine ziemlieh durchgreifende Seite der Steinin-
ger'schen Schriften, welche deren wirklichen Werth
l^cheinbar schmälert; man mufs sie lesen und wieder
lesen,^ und dann erst wird man mehr Gehaltvolles darin
finden, als es auf den ersten Anblick vorkommen kann.
Wir halten uns im Nacbstehehden an die Gliederung
des Buches^ so wie es vorliegt.
Die „Förerüinerungen" (S. 1^-7) sprechen sich
übei^ den Zweck des Werks, über die vorbanden ge-
wesenen Hterarisehen Hülfsmittel, über fremde' Hülfs-
lelstungen durch Beobachtungen au»; ferner wird darin
Einiges über das Erkennen fein gemengter krystallini-
scher Felsarten beigebracht, wovon erst weiter im Bu-
che ausführlicher die Rede ist, auch werden die Resul-
(Die Fortsetzang folgt.)
«6
täte von einer Parthie Hühenmessungen gegeben;^ de-
ren aber in den weitern Abschnitten jioch viele folgen. .
Dann kömmt die Ueberschrift: y^Das SieüiigUeih
und Flotxtrapp^G einige xufhcAen ^ der ^Saar und
dem Rheine^ indem dieses Steinkohlen • Gebirge irit
seinen plutonischen Durchbruchsmassen eigeDtUch ^
Hauptgegenstand des Textes bildet. Dasselbe „wirl
im Norden, von -Merzig an der Saar bis nach Bispi
am Rheine, durch das mittelrheinische Uebergangi-
Schiefergebirge, im Süden durch den Yogeseu •Soi
stein von Kaiserslautern, Homburg und Saarbrücken, ii
Westen durch denselben Sandstein und den Müsdel*
kalk an Aet Saar, von Saarbrücken bis Mersig, ul
im Osten durch den tertiären Kalk und. Meeres- Surf
der mittelrheinischen Ebenen, Ton Kirchbeimbefaiodci
his gegen Bingen hin, begrenzt" und umfafst geges CI
deutsche Quadratmeilen.
Nur in der y^Einleüung' (S. 9—23) bt reo dm
mittelrheinischen Schiefergebirge die Rede, welobeidii
Plateau zwischen dem Rheine und der Mosel bildet
Ref. übergeht das mehr Bekannte über seine Zufan*
mensetzung* Die besonders hervorragenden Haoft*
rücken dieses Gebirges bestehen vorzüglich aus Qsari«
fels (ein schieferiges Quaragestein mit GliramerbÜtt«
eben, die bekannte Felsart des Bingerlochs). Sie tbk
auf der Karte durch eine besondere Farbe gegei du
übrige Uebergangsgebirge herausgehoben. Ihre gegen*
seitige Lage ist interessant. Der erste zieht sidi voo
Dreisbach an der Saar bis in die Gegend von Jienwi*
keil, der zweite von Nonnweiler bu in die Gegsri
Von Herstein und Rfaaunen und der dritte aus der ^
gend von Kirn bis an den Rhein bei Bacbaradi. Si
liegen ziemlich gegen die Grenze des SteinkoUeD|{0»
birges. Diesen drei Zügen^ die man für einen vata^
brochenen ansehen kann, und wozu auch aoeh en
vierter, im Texte angedeuteter, aber auf der Karti
nicht angegebener, nämlich der von Bingen uadBi-
desheim gehören dürfte, liegen im N# W. ziemlidi ^
rallel zwei andere eben so geartete und vieDoeb
ebenfalls ursprünglich zusammengehörige Zöge; fa
erste davon zieht sich aus dep Gegend von Sd&üo^
bis gegen Beuren, der andere bildet die Hardt Sitfidr
von Nennmagen an der Mosel und wird vom Drohsbad
queer durchbrochen.
- ♦
J a h r b
fü
78.-
u c h e r
wissenschaftliche K r i t i k.
> •
April 1840.
€eogno$tücke BeBthreibung des Landen, ztmschem^
i^r untern Saar und dem Rheine. Ein Be-
rieht an die Gesellschaft nützlicher Forschun-
., gen zu Trier, tou J. Steininger.
(Fortsetzung.)
Bei der im Gänsen sehr durcbgreifenden Be-
Mflndigkeit im Stfeiehen des Scbiefergebirges ist es
'sUerdiiigs merkwürdig, dar% die bezeicbneteo Quars-
/ekröcken weder zusammenhängen noch auf deneL»-
ben Linie liegen, sondern nur unter einander paral-
lel sind, und wenigstens zun^ Theil ip den t$trek-
ken zwischen ihren Enden durch Tbon* und Grau-
wackenschiefer vertreten werden» zum Theil aber durch
Terhältnifsmärsig nur wenig mächtige Quarzfelslager
nch an einander reihen, Ref. sieht keine Schwierig-
keit, die Erscheinung des Unterbrochenseins der beiden
Hauptzöge, wenn diese wirklich durch umfassend an-
gestdlte Beobachtungen constatirt ist", und ihrer nicht
Tollkömmenen Lage auf denselben Linien, durch grobe
Gebirgsverschiebungen oder Tielleicht auch theilweise
dadurch "ZU erklaren, dafs die Quarzfelslager sich ur-
sprüoglicb nicht überall gleichförmig in bedeutender
iUächtigkeit gebildet hatten. Dem Hrn. St. gilt aber
als ein grofses Bedenken gegen die Ansiebt von den
Verschiebungen (die zweite wegen der ursprünglichen
liDgleichen Mächtigkeit zieht er gar nicht in Betracht),
daCs die Quarzfelszüge die Ughe der Gebirgsfläcben des
Hundsrückens im Allgemeinen um 70a - 1000 Fufs
übersteigen« Er versucht die Sache, wie er sagt,^ „ein-
facher" zu erklären« Zuerst beweist er, was gar kei-
nes Beweises mehr bedürfen machte, dafs die Lager
des Schiefergebirges ursprünglich horizontal gebildet
seien; er führt dafür unter Anderem das Parallel -Lie-
gen der Seitenflächen der' Muschelscha'alen mit der
Schichtungsfläche des Quarzfels an. Gegenwärtig aber
Jakrb. f. wi$itn$ch. Kriük. J. 1840. I. Bd,
seien alle Schichten des Schiefergebirges unter 60^90*
geneigt $ sie wären aLso, was Ref. ebenfaUs sehr gern
xugiebt, später gehoben worden; und, so fährt St. in
seiner Erldärung fort, „nur die Quarzfels-Rücken, wel-
che die Gebirgskette auf der südlichen G^nse das
Hundsrückens bilden, wurden höher, gehoben, als die
. übrigen Thelle des Schiefergebirges, und man mufs so
viele partielle Hebungen in denselben unterscheiden, -
als verschiedene Rücken vorhanden silid, die alle mehr
oder weniger gleichzeitig, entstanden, und mit der Auf-
richtung der Schichten innig verbunden sind, so diifs
sie gewissermafsen mit ihr ein und dasselbe Phänomen^
ausmachen." Dabeiwäre es wahrseheinlich, dafs db hü-:
her hervorragenden Massen von Thon- und Grauwak-
Jkenschiefer im Hangenden der gehobenen Quarzfelsla- /
ger zum gröfsern Theile (später) zerstoi^t seien. Ferner
wären auch wohl diese Hebungen einzelner Theile des
Schichtensystems mit einer faltenartigen oder Zickzack*
förmigen Biegung (wie im Steinkohlengebirge im Worm-
revier bei Aachen) verbunden gewesen, wodurch Sat-
telungen und^ Muldungen entstanden. Letztere sind
^allerdings faktisch im 'Schiefergebirge vorhanden, wenfi
auch nicht nach Zahl und Schärfe. denen im Steinkoh« .
lengebirge gleich: aber die specielle bohere Hebung
des Quarzfels in dem niit ihm parallel gelagerten ge-
W^imlicben Uebergangsschief er- Gebirge kann Ref. nach
der Vorstellung des Yerfs. sich nicht erklären« Ref.
versteht entweder diese Ansieht nicht genau genug,
oder sie ist unnatürlich bei den gegebenen mechani-
schen Wurksamkeiten. Einfacher sind jedenfalls dieje-
nigen Vorstellungen, zu welchen der Ref. sich bekennt,
die jedem zuerst auffallen müssen, der die Lage der
Quarsfels- Hügelzüge, wenn auch nur auf der Karte,
sieht. Dafs die^ Ausgehenden derselben bedeutend mehr
^et Zerstörung upd Verwitterung widerstanden als
der weichere Thon- und Grauwackenschiefer, kann al-
lein zur Erklärung genfigen, dafli sir «ich gegenwärtig
78
Steining^^ geognOiiüehe Be9ekrMäng de9 Landet xwüche^ Sa0r und Mein*
619
an der Oberflache 700—1000 FuFs über deti letztgS^
nannten Gebirgsarten der Umgebung erheben.
Interessant ist die Nebenbildung des Quarzfelsens,
welche ^ mit dem brasilianischen Eisenglimmerachiefer
vollkommen übereinkommt; sie findet sich bei Gebroth
im Soonwalde. Hr. I^t. fuhrt sie (S. 18) an; es ist
ihm aber wohl eine Notiz dar&ber entgangen, welche
Ref. Yor längeren Jahren in Schweigger's Jahrb. der
Chemie n. Ph. XIII. Bd. S. 389f.mitgetheilt hat. Ob dieser
'Eisenglimmerschiefer goldführend, wie der brasilianische,
ist, bedarf noch der nähern Ermittelung. Das Gold in den
Bächen des Uebergangs- Gebirges zu Andel und Enkirch
4kli der Mosel (der letzte Fundort ist von St nicht er*
^ wähnt, obgleich er einmal ein Goldgesdiiebe. von 42 j^
- Thlr« Werth geliefert hat, welches sich in der Berliner
Universitäts^Sammlnng befindet) und von Stromberg ist,
seiner ursprOnglichen Herkunft nach, noch immer pro-
bl.ematiseh. Die Notizen, welche Hr. St. über die Me-
-tallführung des Uebergangsgebirgos im Bereiche der
Karte mittheijlt, sind mangelhaft in der Aufzählung der
Lokalitäten, mehr noch hinsichtlich, der Charakterisi-
•rung der metallischen Gebilde. -^ lieber die Paralleli-
■Mrung dieses -Uebergangsgebirges mit entsprechen-
\ den Gliedern in England (nach Murchison), womit Hr.
St* die j^EsnlMung'* schliefst, ist Ref., aus mangeln-
der Kenntnifs^ mancher Einzelheiten, nicht im Stände
ein Urtheil zu fällen.
/. „Da# pf&hücA^aarbrüeJtüeAe Steinkohlenge^
^ir^«." (S. 23— 80.) „Man kann annehm<erb, dafs dasEoh.
lengebirge eine fiache Mulde bildet , deren Längenaxe
der Grenzlinie des Schiefergebirges parallel ist^ und deren
^nördlicher, schmaler Flügel sich auf die fast senkreclu
ten Schichten des Scbiefergebirges auflegt, während
das Grundgebirge, worauf der sehr breite südliche
Muldenflügel ruht, ni^ht bekannt ist." In dieses La-
I^eriiugs-Yerhältnifs bringen aber die durchgebrochenen
plutonischen Massen mannichfaldge Ausnahmen, indem
sie das Streichen andTallien des Kohlengebirges in ih*
rer Nähe häufig verändern. Was von dem Verf. im
Allgemeinen über die Zusammensetzung dieses Stein-
kohkngebitges beigebracht wird, glaubt Ref., *als meist
bekannt, übergehen zu können. Hr. St. nimmt darnach
wohl mit Recht an, dafs die Anschwemmungen des
alten Meeres, auf dessen Boden sich das Steinkohlen-
gebirge bildete, nicht überall gleichförmig erfolgt seien ;
davon zeugen die giinz abweichenden Mächtigkeiteir
derselben GebirgiAagett von einem Punkte gegen an*
dere. Dem thonigen Sphärosiderit im Schiefertliev
welcher im Saarbrückenschen so ausgezeichnet ist u^
viele Ebenhütteu speist, wird besondere AufoMrlcMmi*
keit gewidmet; die Fische darud- nach Agafins*« B^
Stimmungen werden aufgeführt; auch 'eusgeseieluiels
Eoprolithe kommen darin vor. Den thonigen SplAe*
siderit . läist St. durch, eisenhaltige Sauerwaster ia
dem Meere, worin da^ Steinkohlengebirge entataa^
bilden; diese tddteten auch die Fische. Seine besii^
eben Conjekturea sind ansj^rechend. Die fosaBe Flen
des Steinkohlengebirges wird von Hm. St. mit mm^
lieber Ausführlichkeit behandelt; er nimmt aur die Be-
stimmungen Tom Grafen Stemberg, A. Brongniart|
Göppert u. A. Rücksicht, fügt auch manche eigene loi*
tische Bemerkungen bei. Ref. kann ihm hier niehl im
Detail folgen, ohne die Grenzen einer Reeension sa.
überschreiten, und Gleiches gut auch von den sahlrei»
oben geologischen allgemeinen Reflexionen über dal
Steinkohlengebii^e, wobei man auf viel Anspreobendesi
aber auch auf Gewagtes stdist.
//• „D«r feldstsin ' P^rpkjfr und dof- r0iA$.
Farphyr-Conglomerai,'' (ß. 80--94.) ,4>as Steinkoh-
lengebirge war gebildet, als der rothe Thonporph^
oder der Feldsteinporphyr entstanden ist, und die Ge-
birgsgruppen, welche aus ihm zusammengesetmt md^
aus dem Boden in die Hohe gehoben wurden." Es
ist diefs ein Satz, der bewiesen werden mufs, und der
Verf. 'liefert diesen Beweis recht gut. Erstens findet
man in den . Konglomeraten des Steinkohlengebirgee,'
selbst in der Nähe der Porphyr -Berge durchaus keine
r l^rümmer von Porphyr, wohl aber in -den Kongl
ten, welche das Steinkohlengebirge bedecken und
grofsen Theile aus Porphyr -Fragmenten z
setzt sind. Zweitens wird der rothe Porphyr des Kö-
nigsbergs bei Woifstein, wovon St. ein sehr deutlidifls
Profil giebt, von den selir steilen Schichten des Steia-
kohlengebirges umlagert. Ref. kennt diesen Punkt au-
toptisch und kann die Wahrheit des Profils verbürgen»
Ein anderes Profil in Börschweiler, welches St. ge.
zeichnet hat, beweist weniger scharf die Thatsache, ist
ihrer Annahme aber auch nicht entgegen, und Ref. Iiat
die Ueberzeugung, dafs sich im Steinkohlengebirge noch
zahlreiche andere schlagend beweisende Punkte auffin-
den liefsen; nirgend trifft man eine widerspreeh«ide
Erscheinung.
SUmmger, geognistueAä BeseAreiiung dt9 Landen zwiscAen Saar und Rhein.
622
Wai d€r Y#rr,.über die verschiedeaeii Sandsteine
swbehen dem Steinkohlengebtrge und dem M^iscbel*
kalk eagt, ist nieht ohneinteretee; et durfte aber nicht
entaeheidend sein, denn immer \rird es schwer bleiben,
die Bfldungen der Sandsteine gehd^g eu parallelisiren
oder lu trennen, we die Kalkgebilde des Zechsteins
fehlen, wie es in unserm Lanclstrich der Fall ist. Auf
der Karle hat er eine Dreitheilung dieser Sandsteine
dttrehgef&hrt (rergl. oben die . Farbenbezeichnnng der
Karte). Er sucht den unmittelbaren Uebergang des
Perphyr-Konglomerats in die damit verbunden vorkom«
Blenden eigentlieben Sandsteine (Forwaltend oder allein
i ans QuarBkomern bestehend) nachzuweisen, und hierin
raadehte Ref. ihm wohl beipflichten. Ueber seine drei
i Alithetlungen jener Sandsteine, welche er eu einer For-
i Kation rechnet, sagt er (S. 88): „Die unterste Ab«
i tlieilvng besteht aus dem Porphyr • Konglomerate, wel*
^ ehe« an der Nahe, Ton Oberstein bis Mambächel, eine
^ Müchtigkeit Ton nngeffthr tausend Fufs erreicht, und
sia den Yogeseh sich in schwachen Schichten auf dem
Granit lagert. Darauf folgt die mittlere Abtheilung,
'welche aus einem thonigen, weichen Sandsteine be-
isteht, wie der rothe Sandstein bei -Kreuznach, die un-
! tem thonigen Schichten in den Vogesen und der rothe
Sandstein bei Schotten und Bildingen in der Wetterau."
(Auf der Karte mrd die mittlere Abtheilung bezeich-
net: „Rothes Todtliegendes, welches dem bunten Sand-
stein sehr ähnlich ist*'). „Die oberste Abtheilung ist
endlieh, im Allgemeinen, ein sehr fester, quarziger
Sandstein mit wenigem Bindemittel. Er bildet die Ho-
heii'der nördlichen Vogesen und des Hardtgebirges,,und
den Zug über Kaiserslautem, Homburg, Saarbrücken
und Trier." (Auf der Karte heifst diese Abth. „bun-
ter Sandstein, Vogesen- Sandstein"). Diese Eintheilung
aeheint mir sehr künstlich zu. sein. Kein Grund durfte
Terliegen, die zweite Abiheilung Kothes Todt- Liegen-
des zu nennen (Warmholz scheint mit grSfserm Rechte
Torzuglich die erste Abtheiluiig so zu nennen); .denn
die Annahme, dafs im hiesigen Gebirge die Zechstein-
Fermation dnreh die Kalkichichten vertreten werden
soll, welche den obersten Schichten des Steinkohlen-
gebirges eingelagert sind,- hat wohl kein Fundament.
WSre diese Annahme begründet, so mufste das Stein-
koMengebirge mit dem Todt - Liegenden und der Zech-
stein-Bildung fnr eine Förmatfon genommen werden,
indem nach Hm- St« alle drei Gebilde in einander und
sogar das oberste in das unterste oseülirenr wurden«
VTenn auch Ref. nichts dagegen haben kann, dafs die
Sandsteine zwkchen dem Steiakohlengebirge und dem
Muschelkalk, in so fern sie sich leidlich petrögraphisch
unterscheiden, auf der Karte mit drei verschiedenen
Farl^en angemalt sind, so kann er sich doch nicht mit
dem Raisonnement des Textes über die Parallelisirung
dieser Sandsteine öberall einverstanden erklären, abge«
sehen davon, dafs er dieses auch wegen der verschie-
den gebrauchten Namen nicht fOr durchaus deutlich hält.
///. „Dvr Orüntteinj Mandehtein und dichte^
9chwarxe, Trapp."" {ß. 95 — 118). Die plutonisehen
Felsarten^ welche vorzüglich durch Hornblende, Dia!-
lagö und Augit charakterisirt werden, bilden innerhalb
der Grenzen des Stetnkohlengebirges bald mehr oder
minder hohe Felskuppen, bald lange, schmale Berg-«
rflcken, \ind dehnen steh zwischen S. Wendel, Birken-
feld, Kirn und Grumbach so sehr aus, dafs in d^r Yer-
breitung mehrerer Quadrat -Meilen keine andere Ge-
birgsart vorkömmt; Hr. St. hält es zwar fQr möglich,
dafs die Bildung einzelner Kuppen dieser Gebirgsarten
in verschiedene geognostische Zeitalter fallen, und selbst
mit der Bildung des . Steinkohlengebirges gleichzeitig
sein könne: aber jene weit verbreitete Hauptnrasse
hält er sicher für jQnger als das Porphyr -Konglomerat,
da sie sich auch ftber dasselbe verbreitet; auch erhö-
ben sich Trappkuppen (wir iv(^len diesen« Ausdruck
hier der Kurze wegen mit Hrn. St. gebrauchen) aus
dem Porphyr- Konglomerat, und dieses schliefse nur
sehr selten und' im Allgemeinen keine Trümmer von
Trappgebirgsarten ein. Es wäre wohl der Muhe werth
gewesen, diese seltenen Ajusnahmen näher anzugeben
und allenfalls nach den Umständen weiter zu deuten, ^
welches aber unterlassen worden ist Hr. St beschreibt
und bildet viele Profile des Zusammen -Yorkommms
des Steinkohlengebirges mit den Trappgebirgsarten ab<
Keines derselben liefert einen schlagenden Beweis, dafs
auch Trappfelsarten in der Epoche der Steinkohlenge-
birgs -Bildungen entstanden sind. Entweder zeigen sie
sich im Gebiete des letztgenannten Gebirges als unver-
kennbare Durchbruchsmassen, in Kuppen- oder Gang-
forro, welche oft Theile des Steinkohlengebirges mit In
die Höbe gehoben haben, oder, wenn- sie im Steinkoh-
lengebirge zwischengelagert vorkommen, so liegt, auch
nach den Analogien aus andern Ländern, wo ihr Zu-
sammenhang mit Gangmassen sich nachweisen läfst.
623
Steininger^ geiQgnostüeAa Besc/ireibung dei Landet^ xu^üeA^n Saar umd Rkei^^
%%i
4ie Annahme viel näher, die sebeinbareo Lager der
Trappmaseen ohne Ausnahme für lagerförmige Gänge
ZM halten, welche bei dem Hervorbrechen zwischen die
vorhanden gewesenen Schichten des Steinkohlengebir-
ges sich eingedrängt haben.. Hr. St. Ijifst selbst diese
Erklärung theilweise gelten, tbeils meint er aber, dafs
manche dieser Einlagerungen, deren Zusammenhang mit
den isolirten Trappkuppen sich nachweisen lasse, als^
Layastrome zu betrachten seien, die mit dem Steinkoh*
lengebirge gleichseitig gdbildet und von Schichten des«
selben überdeckt worden wären, wie man solches na-
tnentlteh bei den' Trapphgern des Gutesberges und an
dem Bosenberge bei St. Wendel annehmen könne. Ref.
kennt diese Punkte nicht aus eigener Ansicht, aber wenn
sich die sogenannten Lavaströme durch nichts anders
für solche.su erkennen geben, als daCs sie, d. h. die
Zwischenlager Im Sieinkohlengebirge, mit den Trapp»
kuppen susammenhängen, so liegt darin gar kern Grund
zu der Annahme Steiningecs, sondern wohl noch eine
Wahrscheinlichkeit mehr, dafs auch . dieser Fall, wie
alle analogen, unter, die Kategorie der lagerförmigen
Gäpge gebracht werden müsse. Ref. ist daher geneigt,
die Epoche der Durchbrüche der Trappgebirgsarten in
diesfsm Steiokohlengebirge ausscbllefslieh nach dessen BiU
dung,aber auch noch nachder&urchbruohs-Ejiochedesro*
Ihen Porphyrs, die St, selbst mit der gröfslen Bestimmt*
heil noch nach d^m Steinkofalengebirge setzte anzunehmen.
Die Trappgesteine von den verschiedenen Fundor*
ten werden nun siemllch umständlich besehrieben; Ref.
kann hier nicht controlirend ^folgen, da ihm nur. Ein*
irelnes davon in Kabinetstücken zu Geböle steht. Sie
lassen sich aber nach Hrn» St. unter folgende Abthei.
lungen bringen: 1) .Gemenge von gemeinem Feldspath
.mit Hornblende, Eisenglanz und zuweilen mit Braun-
kalk. 2) Gemenge voii Albit und Magneteisen, oder
doleriiisehe Trappgesteuie. 3) Gemenge von Schiller,
spnth oder Hornblende mit Albit und Eisenglanz. 4)
Halbverglasier schwarzer Trapp. 5) Dioritische Ge-
steine. 6) Aphanitische Gesteine. Wie man sieht, so
reioht unsere petrographische Terminologie nicht aus
fUr aUe diese Gemenge. Es wäre zu wünschen , dafs
Ur. Prof. G. Rose einmal die letztern einer genauen
Revision unterwerfen möchte.
Weiter folgen bei Gelegenheit dieser Felsarien ei-
nige Notisen über die Aisbatschleifereien, die, strenge
ODer BeschlufiB folgt.)
genommen, dem Buche, wie aosh noch manches andere
darin, fremdartig sind. Was über die Achate seihet
gesagt 'wird, ist grofstentheUs bekannt Hr. St. will
nach seinen mikroskopischen Untersuchungen das Vor-
handensein wirklicher Reste von Laubmoosen, Fleeh-
ten und Algen oder auch Infusionsthierehen in den
Achaten nicht annehmen. .Röhrehen, hohle und wt
Grunerde und Eisenoxyd ausgefüllte, habe er oft be-
obachtet, aber sie wftren theils für die Wirkung cbIp
wickelter Gasbläschen in einer noch weichen kleseUgm
Masse, theils för nichts anders als für feine stalaklifl-
sche und dendritische Formen zu halten, -welche siek
bildeten, ehe nodi die Drusenräume mit Chalcedoa-
Substanz ausgefüllt wurden. Solehe Formen kennt Ret
auch sattsam in den Obersteiner Achaten (am bestes
sieht man sie in den, dünn geischliffenen Spielmarkea
in ihren Durchschnitten): aber aufser solchen konuMa
auch noch andere seltene Formen in diesen Aehaics
vor, Wie B. CotU deren in den Achaten von ScUeO»
witz nachgewiesen, „Chalcedon-Thierchen*' genanatual
mit Oseillatorien verglichen hat. Biese Chaloedea-
Tbierchen von Oberstein sind aber noch grofser aal
ausgezeichneter als die von Schlottwits, und beT bei*
den ist wohl eine organische Form ganz unverkenniiar» \
(Vergl. Cotta's Beschreib, und Abbildungen in von
Leonhard's neuem Jahrb. Apt Min. 1837. S. 299. iE)
IK y^Feränderungeuy welche verschiedene G^"
steine in der Nahe der Trappgebirgskupyen erUh
den. Quecksitiererxe:' (S. 118-- 127.) Dieser Ab.
schnitt ist sehr mager. Beobachtungen über die diuck
die Nähe des Trappgesteins veranjabten vielfadM
Zerspaltungen des Steinkohlensandsteins, über Verla.
derungen der Kalksteinlager in Dolomit, des Schiefer*
thons in Thonstein und Porzeilanjaspis, über RoibA- \
buugeu des Schief erthons etc. werden mitgeth^Ut und Vcf*
gleichungen mit den veränderten Gesteins-Einsehl&sscB
in Basalten und den Produkten des neuen Erdbranda
im Steinkohlengebirge am brennenden Bache bei Saar-
brücken angestellt. Viel Neues ia Bezug auf Phiae*
mene und Lokalitäten erfahren wir daduieh Bielit, da.
bei ist alles ' nur sehr leicht skiszirt. Dann wird der
Gesteins - Modifieationen der pßlzischen Quecksilber-,
werke erwähnt, welche grofstentheUs ihren Sitt ia
Steinkohlengebirge haben j sie sind auch der Art, dafii
sie von den Effekten grofsw Hitagrad« zeugM.
\M 79.
Jahrbücher
f..
u r
w i s s e n s c h a f 1 1 i c h e K r i t i k.
April 1840.
OfogHOStiScke Beschreibung des Landes zwischen
der untern Haar und dem ttheine. Ein Bc"
rieht an die Gesellschaft nutzlicher Forschung
gen zu Trier y ton J. Steininger.
(Schlafs.)
Gans offenbar sind die Quecksilbererze in den Spalten
dci Steiokohlengebirges, auch wohl dea roUien Porphyrs
und der Trappgesleine (in den beiden letztem sind
ebenralls einige Qiieeksilberwerke Torhanden) durch Su-
Uimation abgesetzt worden« Diese schon Ton y. Be«
roldmgen ausgesprochene Ansicht ist unabweisbar, und
der Umstand, duFs sich die Erze in der Tiefe immer
iDehr Teriieren, wie der neueste Bergbau recht äugen*
leheiulich bewiesen hat, spricht für die grofse Hitze
bei dem Hergailge^ die auch die Veränderungen des
Nebengesteins bewirkte. Nur zunächst der Oberfläche
setzten ' sich die Quecksilbe^rerze in den Spalten ab;
der grufsere Theil derselben mag i»ohl in die Atmo-
sphäre verfluchtigt worden sein. Was Herr St. be-
schreibend von den Quecksilberwerken miltheill, ist
laangelhaft und besteht fast ausschlierslich in Auszügen
nach Schulze, womit vier Seiten gefüllt sind. Ob ge*
radc, wie Hr. St. meint, die Quecksitbergänge auf die
Enlstehung des Trappgebirges als ihre Ursache bezo-
gen werden können, läFst sich nicht beweuen; sie
kannten auch viel junger sein.
V. ,,Thalbildung.'' (S. 127-140.) Bei der Aus.
dehnung, welche die gegenwärfge Beurtheilung schon
erhallen hat^ können wir bei diesem Abschnitte nicht
ins Einzelne gehen; er enthält aber viele gute Be-
ebachtungen und / Schlosse über den Gegenstand sei-
ner Aiifsehrift, über das terüäre Gebirge und noch
manches Andere. Leider will uns aber bei ihm die
Darstellungs weise am wenigsten zusagen ; überall fehlt
es an Schatten und Licht. Beobachtungen und Folge-
ruDgen sind so mit einander verwebt, maiv möchte sa-
Jahrb./. wUienick. KriiUi. J. 1840. I. Bd.
gen verfilzt, dafs .man nur mit Muhe einige Ruhepunkte
in dem ganzen Absehliitte finden kann. Es laufen die
Gegenstände gar zu sehr durch einander, Kleines und
Grofses, Wichtiges und Nebensachen, so dafs es dem
Leser schwer wird, sich gehörig von der jedesmaligen
Absicht des Yerfs. Rechenschaft zu geben.
Zuletzt (S. 141— 149) folgen noch zwei Anmerkum
gen, wovon die erste eine nicht uninteressante Nach-
lese zu der Uebersicht der Flora des Saarhruckenscfaen
Steinkohlengebirges enthält. Der Fund eines Nadel-
holzes — des ersten, welches aus der Steinkohlenfor-
mation bekannt wird — ist Wohl das Wichtigste da-
bei. Die gegebene Abbildung davon scheint treu zu
sein. Ur. St. nennt die Speeies Pinites abictinus. Es
verdient hier noch bemerkt zu werden, dab die Bilder ->
von fossilen Pflanzen^ welche zu dem Buche gehören,
überhaupt recht gut lithographirt jAnd* Die zweite An-
merkung bezieht sich auf die klimalischen Yeränderun-
gen durch Abkühlung der Erdkugel. Der Verf. . suchte^
approximative Werthe für das Alter der Steinkohlen*
Formation, indem er von der Yoraussetzung ausgeht^
dafs die Steinkohlenpfianzen auf niedrigem Kustenlaüde
gewachsen sind, dessen Mitteltemperatur 20^X. bis 25^
C. betragen habe. Da gegenwärtig die mittlere Tem-
peratur unserer Gegend im flachen Lande nur 10^ C.
bt, so folgerte er daraus, dafs ' die Oberfläche unserer
Erde seU jener Zeit um W bis IS«' C. sich abgekühlt
habe. Da ferner nach Newtou*s Gesetze die Abküh-
lung eines Körpers in einer . geometrischen Reihe er-
folgt, wenn die Zeiten eine arithmetische bilden, sor
kommt es blos darauf an, den Abkühlungs«>Exponcnten
unserer Erde für einen gewissen Zeitraum zu kennen^
um die Zeit berechnen zu können, welche seit dem
Wachsthum der Steink'oblenpflanzen verflossen ist. Da
endlich nach Poiason seit 2500 Jahren der mittlere Erd«
raditts durch Abkühlung nicbi um ein Zwanzigmillion^
stel seiner Lunge kleiner geworden ftein kann^ so
7»
€27 . Steininger^ gsagnoiiücAe Beichreibung
nimmt er diese Gröfse als ein Maximum an, und fol-
gert dann aus den Versuchen Adi^*s über die Ausdeh-
nung des Granits durch Wärme, indem er dieselbe Aus*-
dehnung für die Erde anhimpit, dafs die Abkühlung
derselben in den zuletzt verflossenen 2500 Jahren höch-
sten» 0^^00558 C. betragen haben könne. So weit
sind die Schlüsse unter den angenommenen Vorausset-
sungen vollkommen richtig. Was nun aber die Rech-
nungen betrifft, so scheint er übersehen zu haben, dafs
in Newton*« Formel unter T und A die Temperatur-
Ucberschüsse eines abkühlenden Körpers über die con-
stante Temperatur des umgebenden Mittels zu verste-
Jieti sind, nicht aber die Temperatur selbst, welche der
Körper in zwei verschiedenen Perioden seiner Abküh-
lung besitzt. Da er nun 10^ C. für die constante Mit-
teltempepatur unserer Breiten im flachen Lande an-
nimmt, worin die Abkühlung der Erdoberfläche in un-
serer Gegend stattfand, so war der Temperatur-Ueber-
«cbuls unserer Erde vor 2500 Jahren 0<>,00558 C. und
jetzt 0. 0er Abkühlungs-Exponent wäre also für die-
Zeitraum — 2 , welches ^uf einen Wider-
sen
0
Spruch führt. So wie der Yerf. die Rechnung geführt
hat, bezieht sich die Abkühlung der Erdoberfläche in
unserer Gegend nicht auf eine Temperatur des Mediums
von 10^, i$ondern auf 0^. Wir halten es daher für
überflussig, in seine Rechnungen selbst und in die dar-
jxns erhaltenen Resultate einzugehen. Eine nähere Be-
leuchtung der Sache mufs überhaupt an diesem Orte
unterbleiben. Es würde aber die von dem Vf. gestellte
Aufgabe eine richtigere Lösung gefunden h^ben, wenn
ihm Bischofs Wärmelehre, Leipzig 1837, bekannt ge-
worden wäre! S. 480 daselbst würde er die Auflösung
dieser Aufgabe gefunden haben, vonach sich allerdings
ein isehr grofier Zeitraum, über eine Million Jahre, für
das Alter der Steinkohlen -Formation ergiebt. Nach
dem, was übrigens Bischof S. 492 über die Abkühlung
unserer Erde bemerkt, dürfte dieser Zeitraum noch
viel zu gering gefunden worden sein.
Wenn wir mm so die Karte und das Buch dazu
etwas ftoharf beurtheilten und Manches daran tadelten,
so wollten wir dadurch zugleich bewiesen haben, dafs
Beides für die Wissenschaft von Werth sei. Bei ei-
ner Arbeit ohne besonderes Verdienst würden wir diese
ausfi^hrliche Kritik nicht unternommen haben, — dabei
hätte die AbferdgUng mit wenigen Zeilen genügen kön-
de9 Landet xwUehen Saar und Rhein. (B8
nen. In der That hat die ganze Arbeit die Kenntnib
unseres nachbarlichen Gebirgs- Gebietes bedeutend ge-
fördert, und Ref. freut sich ihres Besitzes und der man.
nigfachen Belehrung, die er daraus geschupft hat. Die
Karte. ist ein wichtiger Beitrag für den grofserer Voll*
ständigkeit rasch zureifeuden geognostischen Alias tm
DeuUchland. Wir wünschen dem Werke, das lidi
auch einer guten buchhSndlerischen Ausstattung in c^
' freuen hat, viele Benutzer , und dem Verf. Ausdaäei
und forlgesetztea Fleils bei seinen weiteren Gebirp»
forscliungen auf demselben Gebiete, wodurch die nodi
gebliebenen Lücken erfreuliche Ergänzung zu erwari«
haben! ,^__. Nöggerath.
XLIX.
r
Caialogus Codicum ManuicriptOf^m Biblioiietu
Academicae GÜMcnsü. Auct. •/. yalentiuo Adr¥
an. Francof. ad M. 1840« 8. IX. 400.
. Nach dem Beispiele der Schwestecanstalt za Marburg, Sbo^
giebt nan auch die Bibliothek za Giefsen, eia sof^saB gcariwitfr
tes Verzeichnifs ihrer Haudschriften der gelehrten Konchn^
Wenn es gleich in unsern Tagen nicht mehr der AnmakoBBga
zu solchen Arbeiten bedarf, wie sie der Geschichtschreiber ^a
Eidgenossen im Anfange des Jahrhunderts aussprach, als er Mi-
ne schöne Beurtheilung der reichen Moreliischen Arbeit Biete*
schrieb, so sind d<|ch Handschriftencataloge d^lr Bibliotheken, xktt
welche bisher wenig oder nichts bekannt gemacht wordei wii
um so freundUcher zu begrüfsen — dies aher ist der Faflnft
der Bibliothek zu Giefsen. Denn abgesehen davon, dafi Üe
Kostbarkeiten dieser Anstalt aus den Disciplinen der aMat-
schen Literatur und des deutschen Rechtes, neuerlich aliertf^i
von den Gelehrten besprochen und benutzt worden sind, ^Mi
Textausgaben oder literarisch - bibUographische Veneiehnjat
Gegenstände höchst nützlicher Thfitigkeit v^aren ^ ist für dieGici-
sener' Manuscripte eigentlich gar nichjts geschehen, da ja Aja^
manns Aufsätze in den Frankfurter Gelebrtep Ansteigen des Jab*
res 1741 (No. 88—92) von sehr geringer Bedeutung sind. Wenig biM
ein statistisches Tubleaa, wieviel Codices nun eben der classisclMS
Philologie, wieviel dem deutschen Rechte, wieviel der Tbeoiop^
der deutschen Geschichte u. s. w. in derBtbtiotiiek za GiefsenjBageli<?
ren, es möge nur diese Bemerkung genügen, dafs die Theologie uk
namentlich die scholastische Theologie, dann aber das desCsdc
Recht und hier wieder die Statutar- und Parlicularrecbte os■^
risch und wissenschaftlich überwiegen; dafs die ersterea p^
fsentlieils dem Saininlerfleiis des Gabriel fiiei, die letzteres ta
Vermächtnifs des Rennt Carl von Senkenberg verdankt wer^«$'-
autserdem aber sind Jo. Ueinr. Mai, Chr. Lud, Koch, Conr. Bi
Geo. Lndw. Noellner u. a. als Wohlthäter der Anstalt zi V<
nen. Der Verf. des vorliegenden Cataloges, der Oberbibliotbe-
kar und Professor Job. Valent. Adrian, hdt sich des ebreoTtliei'
Auftrages, die Schätze seiner Anstalt bekannt za aMefaea» vi
m
Adrian^ C^aloguM C^dicum Manuscripiorum BMioiAeeae Academieac Güiemü.
630
eine Weis» entledigf, fiir trelehe ihm die Gelehrten gevifs den
wohlverdienten Dunk sogen werden, aber auch die Art der Aus-
arbeitaiig des t^ataloges, betrachten wir sie von der fonneilen
Seite, verdient Anerkennung des grofsen, dem , Geschäfte znge-
ireodeten Fleifses und der Genauigkeit, mit welcher auch das
kleinste Bmcfasttick berücksichtigt worden ist.; nnterdriicken nnr
kVnnen wir tine Bemerkung nicht (wollen . wir anders ehrlich
and freimuthig zn Werke gehen), und das ist die, dafs es in
BUioclien Fällen dem W>rthe der Arbeit, unseres Erachtens, sehr
trspriefslieh gewesen wäre, hätte es dem hochgeschätzten Verf.
beliebt, auch jedesmal die Notiz hinznzafiigen, es sei die eben
SS besprechende Handschrift, nun auch schon gedruckt und wo,
ond wie, nnd von wem, benutzt. MSge es gestattet sein, an der
Hand des Verfs., die streng wissenschaftlich aufgestellten Hand-
schriften ZQ durchwandern nnd diese, vielleicht tadelnswerth
kleinliche Bemerkung zu beweisen — indem wir gleich ein für
allemal erklaren, dafs alle jene Bedingungen, die man einem der-
artigen Verzeichnisse zu stellen pflegt, Bemerkung des Alters,
ies Stoifs, der äufseren Beschaffenheit und was dgl. m. von dem
iachkundigen Terf. vollkommen genügend und erschjipfend er-
fliit sind; dafs man aber an der Lahn nicht Schätze aufweisen
btiD, wie am Arno oder an der Seine, versteht sich von selbst.
I
. — Von den Tier nnd dreifsig der Literargeschichte gewidmeten
iNmnmern, deren die meisten Collectaneeu und Excerptensamm-
I hingen enthalten, scheinen die von M. L. Senkenberg, J. H. Mai,
Abneloven und David Clement herstammenden, die bedeutende-
lea zn sein, die Namen, wenigstens der wichtigeren Männer,
deren Autographa cod. XIX. enthält, es sind ihrer nicht weniger, als
^1, wären erwünscht gewesen, wie Wachler und neuerdings Fal- -
Üeosteia gethan, sei es auch nur, um unserer autographensüchtigen
Zeit ein Zngestandnifs zn machen. Dafii diese Sammlung aus der
Seidels^en Bibliothek, deren Reste man in Dresden und Berlin
bewahrt, sich herschreibt, ist eine vielleicht zn kecke Vermuthung
BBsererseits ; des Vigilins Znichem Autobiographie (cod. XXIL) ist
interessant, ein Seidelsches Manuscript der Berliner Bibliothek
(cod. mspt^.bornss. foi. 201) enthält fol. 2 einen Brief von Zui-
ebem an Hier. Schnrff. lieber einige arabische Manuscripte hat
Vsllers sachkundiger Notizen gegeben; das Bedeutendste ans *
Scbilters Sammlungen zur deutschen Sprache (cod. XLVU.) ist
nach des Yerfs. Bemerkung gedruckt, Franeiscns Junius eigen-
bSadiges angelsSehsiscIies Glossar aber, ist ein angenehmer Be-
sitz. — In welchem Verhiiltnifs Dudiths Marginalnoten zu den
Aristotelischen Büchern (cod. LI), zu seines Lehrers Vicomer-
catns Erläuterung stehen, wäre vielleicht durch nähere Mitthei-
lung einer Probe, zu Nutz nnd Frommen des literariscl^n Thet-
les dieser Studien zn bei« nebten gewesen, bekanntlich war es
Dtfditb, der den mit harten und ungewobnliclien Worten ange-
fülten St^l seines Meisters, zn bessern und zu feilen beauftragt
war. Von den Aristotelicis cod. LII und folgende scheint z. B.
der Commentnrius in libros Vlll Physicornm, der desLambertus
de Maate zn- sein. Des Tractatus feudorum von G. Pancirolus
erwähnt die beste Biographie desselben, nämlich die Btbliotheca
Modenese IV. 4 flg. nicht, doch hatte schon Boehm ttber die
Giefsener Handschrift das Ndthige beigebracht, ^nter den meis.t
sehr jniigefi Handsohrifteo VirgiKseher und Horazischer Bflehery*
mochten sich die Metamorphosen fragmente auszeichnen^ . wenn
sie nnr nicht allzusehr Bruchstück wären, von einer Herolden-
handschrift ist eine Probecollation hinzugefügt. Bei der Erwäh-
nung des /Getacodex (Nr. LXVII) war der Vollständigkeit hal-
ber, vielleicht auch Haupts Recension der Osannscben Arbeit
(Wiener JahrbOcfaer Bd. 79) zu nennen. Die in C^dex LXXVI
enthaltene üebersefzung des Cicero de officiisj ist als nun vieU
leicht älteste Verdeutschung und als eine Arbeit des Hans Hart*
lieb (1430) von Interesse. Der Martianus Capeila, eine Hnndschrift
des 14. Jahrhunderts, ist dem neuesten Herausgeber entgangen.
Ueberdie Handschrift, wf$1che aniser anderen Dingen, den Cato ma-
jor des Cicero enthält, wird eine aufserst genaue Mittheilnng gemacht
nnd dem Buche de copia verborum, so wie auch dem anderen^
de quatnor virtntibus, nls lange irrthumlich dem Seneca' beige-
legten Arbeiten, dem in Klammem hinzugefügten Namen des
Verfassters, Martinas Braccarensis, ein Fragezeichen beig^e-.
setzt. Wir mdchten bemerken, dafs der Verfasser eben kein
anderer,^ als der gew(»bnlich ]Hartinns Dumiensis genannte
Erzbischof ist, über welchen Mansi Genügendes beibringt,
was sich freilich durch spanische Notizen noch sehr vetroll-
ständigen ' läfst ; in diesem Mansi-Fabricius findet sich denn auel^
aber beide ^Schriften Belehrung; übrigens befinden sich beide,
wie behauptet wbrden ist, nicht im zwölften Bande der Biblio*
thek des Galland, sondern es sind das sieben andere Opns-
cula, anch ist im Spicilegium d^Achery III. 312 wiederum nicht
das ganze Buch de copia verborum oder wie dasselbe auch be-
titelt wird : Formnia vitae honestae zu finden,' sondern nur die
Epistola ad Mironem. Von den altdentschen Handschriften ist
der Iwain von Beneke und Lachmann benutzt, ein sehr bedeu-
tendes Bruchstück eines, wie es scheint, unbekannten Gedichtes
aus dem Sagenkreise Carls des Grofsen , ist eine interes-
sante Gabe, aber auch über dje andern Handschriften, den Wil-
helm von Orleans des Rudolph von Ems, die Tochter von Syon
von dem Bruder Lamprecht von Regensburg nnd den sieben
weisen Meistern,, giebt der Verf. erschöpfende Belehrung. In
der epistolographischen Literatdr unseres Cataloges, macht Cod.
CX, die Briefe des Ivq von Chartres Epoche, Doyen (bist, de la
Ville de Chartres I. 275) scheint eine ähnliche Handschrift be-
sessen zu haben. Der Bemerkung (cod. CXII), es bewahre die
Königliche Bibliothek zu Berlin die Originalcorrespondens des
Pighius, 264 Briefe, aus den Jahren 1557—1597 müssen wir amt*
lieh widersprechen. Es scheint hier' ein Mifsverstandnifs, eine
Verwechslung mit den Relfqniae iniyQatfioy mal rf€QiyQ€t(f'<oy Ro-
manarum, quas aliquando collegit Romas et alibi in Itaila Pig-
hius, in bocce volumen compactae adeoque ab interitn vindica-
tae per Herrmannum Ewichium (Mspt. lat. fol. 45) Statt zn fin-
den. Diese Sammlung bat der Prediger zu Wesel, Heinrich
Ewich, im J. 1680 der Churfürstl. Bibliothek verkauft (Oelrichs
S. 109). Das Buch des Thomas Cantipratensis de Apibns (cod.
CLIX. b,) ist mehr bekannt unter dem Titel: de bono nniver-
sali sive de apibns mysticis. Die Deventer Princeps desselben
ans dem Jt 1479 mochten wir zunächst in Frage stellen, die
Ausgabe (Doual 1597. 8.), nennt Duthilloenl als die erste und
631' Jdrian^ Caiaiogui Codicum MünUM^i^rum BMüiA0ea$ Aead0mieü4 Gui4»iü.
633
beaerkt ^M, ^«fii hier Mick dos Leben 4(8 ThonM tob Ge«
oif Colvtnkit «bgedriekt lei (BiM. OonaiMeone p. 60. Mr. 146),
dann erw&hnt er der ij^äfteren 'Ausgaben von 1605 and 16^. Die Briefe
des Aeneas Sylvias, (cod. CLX. d.) sind ebenfalls oft gedrackt(Ro-
setti. Rar coUn. I. Rive. Cbasse. 55.> !>&> gereimle ItiDerarium des
Grafen PhiL v. Katze nellenbogen nach dem heiligen Grabe, Jie Wall*
Mut des voailiehwalbach nach demselben Ziel (A.1440), des(0oichen
die orientaliscbs Reise des Arnold v.Harpf and dos Alex. ▼. Pappen«
heim sind mehr oder weniger interessante Stücke. Unter den
HandsekfilleB t Hkitoria nniversalis, ist das WerthvoUe, wie der
Otto TOS Freisingea, des Adam von Ciairmout fiores historiaram,
einige Handschriften der Chronik von Kdiiigsbofen, der For-
schsng bisher stets «of^nglieb gewesen and bekannt. Dofs nicht
aar In Berlin and Gotha, sondern auch in Giefisen sich Bände
jener Venetianisehea Relationen befinden, (Ranhe Tanten 1.
XIIL) lehren die Handschriften eod. CXCVI. a. a^ diesen sehlie«
fspn sich Staatsschriftea und Protocolle ssr Geschichte desdreiisig-
jührigea Krieges an, Akten, Originale and Copien. Einer Hand*
Schrift der Chronik des Eusebius and einem Fascicnlus tempo-
ral (vos Rolevink) cod. CCXVIII, ist ein Marcus Pelns de
Venetiis: de conditionibns et oonsuetodioibus orientalium regio«
nam and diesem weiter ein Bach de Morihns ludoram beigeban-
den; über beide ein Niiheres, nnmeotlich in Beaiehnng auf die
neaesten italieaisclien und dealsehen Forschungen aa vernehmen,
wäre lehrreich gewesen, um so mehr, da wir ja nun bald den
neneu Abdruck der sehr interessanten alten deutschen Bearbei«
tung besitzen werden. Der in derselben Handschrift sab e. ge«
nannte Joannes Becke, ist in der That nur eine historia vete*
ram Episcoporam Ultn^ectinae sedis des Joannes Becanus, wel«
che Fsrmerius in Franeker 1611 n. 12 edirte'. cod. CCKIX a. iat
Atttwerpon 1605 ubd öfter gedruckt, der Ulmer Ausgabe des Ca*i
orsin gingen zwei römische voran (Audiffr. p. 265 n. 273), diea
au cod. CCXXXIY, Nr. a la dem folgenden ist au HelmstUdt im
Jahr 1544. 4. im Drock erschienen. Für die Handschriften der
Historia destractionis Troie, waren vielleicht des Veteraaen Ja«
cobs grändUehe Motizen (1. 441) zu erwähnen, cod. CCXLllL
ist nach Hoogitore % 44, die in Messina 1640. 4. im Druck er«
schienene rAatichi^h di Scicbili anlicanente chiamata Cssmena,
aeeonda Coioaia Siracosana, von welcher schon der Verf. selbst
die lateinische Bearbeitung gefertigt hatte. Cod. CCL ist in
Graevios Thesaur. antiq. T. IX. ps. 8 p. 2 - 103 (LBst. 1723)
ahgsdrnckt, dos Original des Cesare Brissio, war als Relazione
deir antica citta di Cessna alla santith di demente VIU schon
iA Jahre 1598 4. in Ferrara bei Vittorio Bsldini erschienen;
schon Färse tti nennt das Original rarissiroo libro. cod. CCLXIX
.Macqueraa: Trait^ de lamoisoo de Bourgogne etc. ist dem Sammler«
fl^ifse des Lelong^ lU. 719 entgangen, wo er nnr der Arbeiten des
Pallio't, Harduin, Conrtivron, de Brosses de Toarnay, de Th6«
sat gedenkt, aber cod. CCLXXI war mit der Lign6e des seig-
aeuTs d'Amhoise, (Le Long Hl. 735 Nr. 40907 a. 35667. 68.) in
Verbindung zu setzen, wo auch die Uistoire d'Asihoise desselben
Verfassers, Hervy de' la Queue, deren schon Duchesne B« d«
bist. d. fr. p. 199 gedenkt, genannt ist; ein Aehaliches gut
von Nr. CCLXXll unseres Catalogos, Lelong erwühst 8. 754
Nr. 41493 drei Handschriften in den Bibliotheken Rotbelia, de
Campti (B^ringhen) u. de Conmartin (Bischof v. Blois 1733), tob
« welchem die Giefsener die Abschrift sein möchte. — Ein groüier
Reichtbam voa Staatsschriften, Reichstagsvcrhandlaageih Spe-
cialchroniken, z. B. von Steierinark, Kürnthen^ Tyrol (io wel-
chem Verbaltnifs die Aktensiacke cod. CCCLXXV za SchKzen
Arbeit stehen mllgeu, ist nicht bemerkt), Prenfsen (fit.
CCCiuXXXlV ist wehl eine Edition imprimd au Donjon !) § ^'ir-
temberg, namentlich Hessen, Nassau, Brauuschweig, Sachsen,
Stadtchroniken von Augaburg, Nürnberg, Braunschweig, Bre^an,
Krfurt, Magdeburg, Maiuz, Passau, Salzburg, Ijlm, W&rzharg fin-
den sich in dem der deutschen Gesshichle gewidoieleB Ai^
schnitte gesammelt und mit den nuthigeu literarischen Notizen
begleitet; auch fehlt es nicht an Geneuiogicis fQr die von Ep-
peosteiu, Pütting, Wynneburg und Bilsteio, Riedeael and Saea-
beim.' Wie die Bibliothek zu Glefsen drei, besitzt die Biaßo-
thek zu Berlin zwei vollständige Handschriften von des JoiClKo-
dinas: Colloquium Ueptaplomeres de abditis renua aaUiaiiBm
arcanisw Des Bened. Lomelltnus Arbeit Über die Secretarii Apes*
tolici (cod. DCXXXIV) scheint Buonamici nicht geknnat xa ha-
ben, weDigatens gedenkt ihrer die römische Ausgabe (1753) nicht,
ob die zweite (von 177Ü) können wir nicht sagen, jedeafalls m
' eine detaillirte Notiz über die gewiis interessante Handaclirift
zu wünschen. Das S. 203 (cod. DCLXIX) mitsetbeilte EpL
gramm des Joaunes Lascaris Ist durch Druckfehler entstellt,
m dem ebendaselbst genannten Christ ophorus mdrhtea wir
Tielleicht den Christopiiorus Rufus vermuthen, deaaea Bcüsf
an Cosimo Medici bei Bandini Cod. Gr. Laur. II. 674 abgedruckt
ist. Die Sernio de passione Domini (cod. DCLXX) ist alier-
diugs nicht der Dialocus bei Gerber^n. S. 488. Der Jubanacs
dehese Q cod. DCCXVUl; ist wohl der Johannes Hefa, doMca
Itinerarium ins vierzehnte Jahrhundert gehört, wollte mau jdeich
- früher der, äbrigens an sich nicht bedeutenden Schrift ein hShe-
res Alter vindioiren (s. Fabr. Munsi Hl. 83 Pea. Anee^ L l>isa.
Isag. 87). Das Fragezeichen bei LemoTleensis (cod HCCLJCVL
b.) möchte zu streichen sein, da hier wohl nur, wie der Vert
sehr richtig bemerkt, das bekannte Buch vorliegt Schwerück
ist Friedrich Sommer der Verf., wohl aar der &hreiber dii
Giefsener Handschrift: „der Selilentrost% denn nach den S. 391
mitgetheilten Aufaug- nod Schluts werten ist cod. DCCCL Lanm
et\%a8 anderes, als das bekannte, zuent von So^ in seiner sorg*
fälti(;en Weise gedruckte Buch (Panz I. 139 u. anderswo), fis
ist iibrigens dieser, der Scholastik und den aeueren Throtagjffis
gewidmete Abschnitt des Cataloges, mit eanz vorzüglicher S^Kg*
samkeit gearbeitet, was denn um so dankenswerther ist, dadSe
Schulze des Mitstifters der Tübinger Universität, dea letxSca
deutschen Scholastikers, des Gabriel Biel, eben in diesen Haad-
schriften aufbewahrt werden. Nicht minder bedeutend dess In-
halt nach und in Betreff der diesem angewendeten sehr genaaca
Bearbeitung ist der andere Haupttbeil des Catalogs, die Uaad*
Schriften rechtswissenschaftlichen Inhalts, denn sowohl die
Recbtsquellen, numentliGb Cod. CMXLIV und XLV, die fraazi-
sische Bearbeitung des Codex (Saec. XIII) für rdmischea Recht,
al« auch vor allen die höchst werthvollen Uandsclmften für ger-
manisches Recht, welche neuerdings durch Uomejer bfkaasi
worden sind, als auch die vielFaliigen Particular- und Stadtrech-
te des 16. uud 17. Jahrhunderts sind BesitzthSmer erstea Raa-
ses, über welche jedoch dem unkundigen Referenten keia L'^
theil zusteht. Acht Tafeln sehr gelungener Facsimile paU<«ra»
phischen Inhalts, Schriftproben, stets bemerkte Naaiea der
Schreiber der Manuscrinte, so cod. LXXVIIL DCLXX 1, DCCIX,
DCCXLIl, XLIX, DCCCXllI, DCCCCXL sind Bewdae, d£
auch diesen Aeufserlichkeiten die nöthige Beachtung gewidoMt
worden ist Wir sind, mit einem Worte, durch die voriiereade
Arbeit wiederum in der Kenntniis dessen, was naser Vateriaad
an Handschriften jeder Art der Missenschaftlichen Aasbeute lie-
fert, um ein BetrSchtliches gefordert uud können im Kornea
Vieler ^em wiirdigen Verfosser nur von ganzem Hencen daakes,
dafs er diesem Geschäft seine Mofse gewidmet hat.
Goulieb Friedlacnder.
wissen
^80.
Jahrbücher
■
für
Schaft liehe
Kritik
April 1840.
Notice 9ur Rabbi Saadia Qaon et sa ver$ion
arabe d'Isaie et eur une t>er»ion persane ma-
nuicrite de la bibliotheque rayale; iuieie d^un
extrait du livre Dalalat AI- Bayirin eh arabe
et enfranfois etc. par Salamon Munh. Pa^
rüy 1838. 8. 112 8.
Der Yerf. y^ein JtQnger De Sacys und einer der
gelehrtesten Milredakteure des Journal Asiatifue, hat
in dieser dem äufseren Umfange nach so kleinen Ab-
handlung, obglj^ich mit französischer Zunge redend,, den
deutschen Charakter gri&ndlicher Wisseujichaftlichkeit
erfreulich bewährt. Er legt in derselben die Ausbeute
seiner Forsdiung^n dar, die er in den reichen Samm-
lungen von Handschriften zu Paris und Oxford ange*
stellt hat, und verbreitet namentlich yielfaeh ein neues
Licht über die längst bekannte arabische .Version des
Jesaias iron Saadia, während er mit gleicher Sach-
Iceontnifs sich über die noch gar nicht gekannten per-
sischen Yersionen Terbreitet. Dafs bei einer solchen
Gelegenheit auch über manchen anderen Punkt der
Philosophie, Theologie und Bibelauslegung des Miitel-
aTters Aufschlufs geboten wird, läfst sich von dem Um-
fange der Ki^nntnuse des Hm. M. wohl erwarten.
Saadia (starb 942), vielleicht das gröfste wissen-
sehaftliche tSenie untei' den Rabbinen, gehört eu den
wen1g<^ jüdischen Gelehrten, welche auch von arabi-
schen Sehrifutellem gepriesen Werden *). Er hat in
seinem kurzen Lebenslaufe (er ist nur 50 Jahre alt ge»
worden)^ in ^pvelchem ihm noch ein Theil seiner Zeit
durch ehrenvollen Kampf gegen Unterdrückung geraubt
wurde, philosophische, theologische, grammatische, exe-
getische> poetische und tbalmudische Werke geschrie-
*} Vergl. De Sacy Chrestom. arabe Tom. I. p. 351, 356 u. 357
der !2teD Aafl.
Jahrb. f. wiiuiuek. Kritik. J. 1840. I. Bd.
ben, von denen jedes einzelne hbgereicbt haben würde,
ihn ruhmvoll auf die Nächwelt zu bringen. Leider ha-
ben wir nur einen Theil dieser Werke überkammem
darunter aber zum Glücke die Versionen der wichtig-,
sten. Bücher des A. T. Diese hatten schon im frühen
Mittelalter bei allen Religionsparteien Eingang gefun-
den (was eben zu ihrer Erhaltung beitrug) und wer-
den noch jetzt wegen ihres hohen Alters, besondere
aber wegen ihrer Genauigkeit und gesunden Kritik mit
Recht hochgeschätzt. Die vorhandenen sind 1) Ueber-
setzung des Pentatenehs, mit hebräischen Charakteren,
in der jetzt sehr selten gewordenen Pentateuch» Poly-
glotte zu Konstantinopel 1546 abgedruckt. Dieselbe
ist in arabischen Charakteren, aber auch mit manchen
wesentlichen Veränderungen in die Pariser und Lon-
doner Polyglotten übergegangen. 2) Uebers. des Je-
saias, 1790 vom Prof. Dr. Paulus nach dem einzig vor-
handenen Manuscripf ^er Bodlejanischen Bibliothek
herausgegeben. Die Handschrift ist seitdem nicht wie^
der zu finden *). 3) Uebers. des Buches, Hieb, von
ihrem Verf. h^W^N 3NTO, d. h. Theodicee ge-
nannt. Sie befindet sich zu Oxford (cod. Huntington.
511.) und in einer Abschrift von ihr im Besitze Gase-,
nius'. 4) Uebers. der Psalmen, ebenfalls zu Oxford,
deren Verf. zwar nicht angegeben ist, die aber Pococke
dem Saadia zuschreibt, und was Hr. M. Bestätigt. S.
Pusey: Catal. p. 559 sqq.
Nachdem Hr. M. einiges über die Lebensumstände
des Saadia beigebracht, stellt er selbständige Betrach-
tungen über dessen handschriftliche Werke im Gebiete
der Philosophie an, wo er unter anderekn nachVveist,
dafs der zu Mantua 1562 unter S*s. Namen gedruckte
Kommentar zum Buche «/^siira' untergeschoben ist, da-
*) lieber diesen noch nicht aofgekl&rten Fall sagt der Kata-
log von MicoU and Pasey nur folgende trockene Worte: eo
tarnen magis dolendum est Ms. Saadiae, quem edidit idea
(Paaliis), haud ampUos in Bibliotb. nostra extare (p. 448.)
80
63S JUwtJb, n0t$e4 Mir JtmUi Smmiim Oom,
gegen der fichfe in der erabbchen Originakpraehe ia j^j^ andern wieder ist S
der Bedlejana aafbewahrt wird. -Er wendet si^i ao*
dann xa der Uebers. des Jesaias, deren Werth er dureb
tiefe Spraebkunde, Gescbmaek und Unparteilichkeit im
Urtbeil naeh vielen Seiten beleucblet. Dieser Abschnitt
seiner Abhandlung durfte für den biblischen Orientali-
aten das gröfste Interesse haben, und wir nehmen ihn
daher auch zum Hauptgegenstand unserer Bourtheihmg.
Wir lassen den Yf. einen AugehbBck selbst sprechen :
„Hr. Paulus, der berühmte Prof. su Heidelberg,
Iwt vor beinabe einem halben Jahrhunderte die arabi-
sche Version d<^s Jesaias nach dem einzigen Manu^
aeript der fiodlejanischen Bibliothek bekannt gemacht,
aber dabei unzählige Fehler begangen
Tide Orientallsten haben daran gebessert,
und zuletzt haben Rosenmuller und Gesenius in ihren
Kommentaren zum Jesaias eine Anzahl dieser Irrthii-
mer gut zu machen gesucht. Aber selbst ihre Otatio-
Ben sind nicht immer so korrekt^ wie man es wünschen
dQrfte; oft haben sie sich unndthige Korrektionen er-
lanbt nnd manchmal die Fehler vermehrt, anstatt sie
zu Termindem. Um zu zeigen, wie viel noch für die
Herstellung der ursprünglichen Reinheit des Saadiani-
sehen Texte» zu thun ist, begnüge ich mich, einige fal-
sche Lesarten aus dem Kommentare liosenmitllers und
dem' des Gesenius hier anzuführen."
Wie wir aus guter Quelle wissen, ist eiiie zweite
Auflage des Kommentars zum Jesaias unter den Hän-
den Gesenius* zum Drucke gereift, und man darf ver-
mntben, dafs die vorliegenden Yerbesseningen nicht
ohne Einflttfs darauf bleiben werden. Jedenfalls müs-
sen sie zu erneuter sorgfältiger Prüfung des arabischen
Textes auffordern. Jedoch wellen wir, zur Entschul-
'digung des Hm. Paulus, bevor wir von Hrn. Munk's
Yerbesserungen reden, einige Worte über das Lesen
dieser Art von Handschriften sagen.
Die von jüdischen Gelehrten in arabischer Spra-
che geschriebenen Werke bieten weit grofsere Schwie-
ligkeiten dar, als die Codices in den klassischen oder
anderen Sprachen. Denn 1) sind sie meist mit he-
bräischen Charakteren geschrieben, ivobei die Will-
kübr der Yerfasser und Abschreiber kein festes System
in der Darstellung der arabischen Buchstaben, durch
entsprechende hebräische aufkommen liefs. ^ z. B.
Tcrtritt bei diesem ein A das » ein A oder \ das c^
und 2 oder \
Die Anwendung der hebräischen Schriftzeichen auf die
arabische Sprache war bei den Juden nicht Mos ge-
wöhnlich, sondern bei vielen der Gebrauch der anU'
sehen Schrift den Absdbrelbem untersagt. Ja ein fkA
über die Uebertreter ausgesprochen. Dies tliat sogar
Maimonides, wenn wir dem berühmten Abdallatif gbn«
ben sollen, (S. RelaUoB de TJ^gypte par Abd-AUsOi;
ed. De Sacy p. 466). 2) Rühren spätere Handschrif*
ten meist von Abschreibern her, die wohl hebrfiiMii,
aber nicht arabisch verstanden haben, und die ikk
folglich oft von der Aehnlichkeit der Budistaben ik^
sehen liefsen. 3) Fehlen die diakritischen Zeichen ftttt
überall, wo sie nicht durehaus nothwendig sind^ an
etwa einem groben. Mifsverständnisse vorzubeugen. 4)
Herrscht bei den häufig vorkommenden Abkürzungeo
dieselbe Willkür, wie bei der Yertrctung der arabi-
sehen Buchstaben. 5) Endlieh haben die Sehriftsteller •
den Zusammenhang der Rede oft durch hebrSisebi
Worte oder Sätze unterbrochen, was sie sich wohl e^
lauben konnten, da sie nur ein jüdischef Publikom ta
Auge hatten, was aber jetzt manchen der Sprache w» ^
gar kundigeren Leser, ab Hrn. Dr« Paulus bedenkM '
und irre machen kann. Zum Beweise des Gesaglia .
wollen wir nur ein Paar Beispiele aus den Schrifioi
zweier Meister auf diesem Gebtete auswählen.
ScAnf4rren fuhrt in seinen Dissertationes pbiMo-
gico-criticae 8. 461 folgende Werte des Taaekm
Jeruschalmi zur Erklärung des anaS 'Ur^^vfow nn3N,
Ezech. XXI, 20. an:
bDpbi^i na^SN Nim ann nnao hno pDi«
Nachdem er in der Anmerkung zu dem Worte flüDM
gesagt: sie eerte habet codex, sed minus reote; obe^'
setzt er Tanehums Worte abo: alii volunt, K pesiM
esse pro t9^ adeoque T\TO!A pro mDSN . • . ut dl
ain T^natO L e. mactatio et eaedes. Man b^greük
kaum, wie dieser wackere Gelehrte mit einer ErJdi*
rung sich begnügen konnte, der durehaus kern Simi
abzugewinnen ist? In dem Worte nPlDN soll K MX
ID stehen und nn2)< also für HlCaNIL Hier fcaki<
wir einen soblagenden Beleg für den von uns oM'
Nr. 5. angegebenen Fall. Das Wort TlSsap oinlidii
ist hebräisch, oder vielmehr rabbinisch : KaiSala; ittä
neSM Int IHM ns BN SU leMii, und die EikUning
bt gans •inrach folgende : ^^Andere sageny N Heheßlr
0 fM^i <£em kakhalütüehen Buc/uUAen^yUemy das
n3 IQK AeifMt'' Von aolchen erkansteken Buchata*
benrefeebiebnilgen haben bekanntlich die Kabbaliaten
Biehrere Systeme; üW das hier erwähnte DD DN
vergL in der Kurse Buxdorf Lex. Chald. Thaln. et
Rabb. p. 64. Das Wort n^NSp wird übrigens ron
Tancbüm sehr häufig gebraucht. '
hm demselben Tanchum fuhrt Geienijus^ Thes. I.
p. 126, a^ EUf Erklärung des Wortes yjA^ Arnes VII,
7., foigMidee an :
n*»< n'nxp^H sin ^a« "»t^s •^jvot ^jm ^anyS«
Diid diese Worte Obers* Gesenias ^^JffjS (tale Toca-
bidom, ni fallor, sibi Toluit Tanchum) regula, mensura,
1 e. arab. ^^Of et in verbis ^2H ^1^3 est perpendicu-
lom filo appensum " Allein schon die Lesart ist
pswungen^ nnd die dem Worte gegebene Bedeutung
5 c^
lafgedrungeii. Man lese yielmehr: T*I^P Le.fg^^^tcJ
9 »aaaixtQ-og, plumbüm, stannum, und: die Meinung
les Tanchum ist klar. Eben so in der dort anirefuhr-
WO fai der Hdschr» l^llp^N stehn $oli , was aber
dobU andere«, als nnTpS« =jJkj^\ l«t, welche
btztere Form auch im Kamus statt i^KAika5 vorkommt»
Biese Bebpiele sollen nur zum Beweise des Ge-
»gten dienen; denn wir wissen selbst, wie leicht es
inderer Seits ist, auf dem Felde, das von diesen Man-
lern geebnet und bebaut ist, noeh eine kleine Nachlese
ni halten. Hebim wir nunmehr einige von den Munk-
leben Emendationen heraus :
Kap. 1, 8. sind die Worte miM y^v:) von Pau-
, ^ * ^ y
tts durch tßcikass=vo S^^^JfcSsD jf wiedergegeben. Ro-
isnmiiUer erkllirt dies: aut mstar urbn peeuliaris, s.
^eeullaris factae, i. e* quae singula remansit, super-
»t « . M. liest 'iiaiosBX^ belästigt. Ref. wQrde aber
i^^^^^ vorschlaffen i. e. undioue cireumdafa. ^a iIia
BmMd Smadim G^m. «3»
fiuefastaben 3 und SI in Spanbchen Codd. fast gleiofr
sind. Benn die Munksche Lesart wird wenig di|rch.
den Parallelismus unterstütat.
Kap. XI, 8. liest Gesenius die Saad. Debersetsunf;
des Wortes y^jr«5) ^^^^J er führt sie bei der
MM I ^^^
aand. M. verbessert richtig l^XXJj Conj. V. des verK
^^ spielen.
Eine Schwierigkeit; die noch einer Kesseren Lo.
sung bedarf, als die von: Hrn. M. und seinen Yorgän-
gern versuchte, bietet K. XVHI, 4. dar. Die Worte
10 3^3 sind in der Version fr^ fttfi und voll
Paulus fibersetzt resfdendendo. Boch er hat sehen in
den angehängten Emendationen, was Hm. M. entgan*
gen, die obige Lesart in \06\ zu verbessern gesucht)
-und wird hierin von Rosenm. u. Gesen. nur unterstützt
Hr. M.. behauptet nun> dieses Letztere gebe ' keinen
Sinn, und fährt dann fort: ,je ne deute pas que Saadia
n'ait nus iei un met derivä de la racine ni qui s'eni*
plwe, en general, de tout ^coulement copieuz .^. . Ja-
IM
proposerai de lire "IN^^I desÜUans ou n^N■)^ destiiläl
tio.*» Beide Lesarten haben aber ihre Schwierigkeit
tU3f ist gewaluam für das angebliche N^NJT disa Tex«
tes, selbst wenn man zu|;iebt, dafs solche Transpositio.
nen gewöhnlich sind. Dagegen empfiehlt sich diese
Lesart wieder sehr dadurch, dafs S. überall ho durch
fOjf übersetzt, was gegen Hm. M^s. Conjekt. spricht, die
sich ihrer SeiU graphisch näher an den Text anschliefst.
Wir übergehen viele andere Emendationen, die vom
Vf. mit entschiedenem Glücke versucht worden sind, s»
B. XXI, 13. XXII, 5. XXIII, 13., und wieder andere^
die aulser allem Zweifel richtig sind, z. B. XL VII, %
und LXV, 4.
Von S. 36-62 stellt Hr. M. Untersuchungen über
die Aechtheit der Saadianischen Uebersetzung an, und
beweist sie durch Vergleichung des darin herrschenden
Geistes und der Sprache mit andern Schriften S's. und
den Citaten bei Abenesra und Kimchi! Die Charakte-
ristik fanden wir hier grunfilich und treffend.
Als einen sehr wichtigen Beitrag znr Geschichte
der biblischen Exegese müssen wir den 3ten Abschnitt
„Version persane". bezeichnea Bei den hier gegebenen .
Untersuchungen über die persischen Bibel- Versionen,
Mmük^ neHes sur RaMi S^adia OmBH.
639
dl« hanckehrirtlich in derKSnigl. Bibliolh. eu Paris lie-
fen, war Hr. M. ohne Unterstützung eine« Yorgänger».
Die Exegeten und Kritiker der Bibel sprechen nur von
der persuchen üebers. des Pentaleuchs, die 1546. in der
merkwürdigen Konstantin. Polyglotte abgedruckt wor-
den ist; von denf Pariser Handsehc. spricht noch Niemand.
Von der der genannten Konstant. PolygloUe, welche einen
Jakob Taos, oder Tavos' zum Vf. hat, behauptet Rosen-
muller in einer eigenen Dissertation, sie sei sehr alt, je-
doch nicht vor 7«2 geschrieben, weil Bagdad darin vor-
kommt, welches in diesem Jahre erst erbaut wuMe. Ilr.
M. dagegen beweist, dafs ieder, der hur irgend mit dem
Bildungsgange der persischen Sprache bekannt ist, zu-
geben miisse, dafs diese Version nicht höher, als ins 16te
Jahrh. gesetzt werden dürfe. Er vcrmuthet, Jakob Ta-
yos habe sie eigens für diese Polyglotte angefertigt.
Die Versionen der Pariser BibL, sagt der Verf.,
gleichen der von Jakob Tavos in ihrer strengen An-
hänglichkeit an das Wort und an die Tradition, bie
sind niclit vordem 13ten Jahrhundert entstanden ; denn
sie folgen wortlich den Erklärungen des David l^imciiL
Jünger als aus dem 14ten Jahrh. können sie aber auch
nicht sein. Der Verf. stellt zur Probe Stücke der ver-
schiedenen üebersetzungen einander gegenüber und cha-
rakterisirt sie in derselben grundlichen Weise, wie beim
Saadias. Das 5le Kap. des Jesaias der Pariser Version
theilt » ganz mit und begleitet es mit aahlreichen An-
merkungen. Auch von persischen üebersetzungen apo.
kryphücher Bücher auf der Pariser Bibl. wird gespro-
cheii, und zuletxt noch vor einem dort befindlichen apo^
kryphlschen Buche Daniel berichtet, welches wahrend
der Kreuzzüge entstanden sein mufs , da der Prophet
darin von europäischen Konigen spricht, welche die Mi-
nareU und Moscheen niederreifsen, und die mohameda-
niscben Fürsten erschlagen werden.
Von S. 88 bis zum Schlüsse theilt der Vf. das 29ste
Kap. des 2ten Theils des More Nebuc/nm von Mai-
monides in der Originalsprache (Arabisch) mit, und be-
gleitet es mit einer treuen französischen üebersetzung.
Dieses berühmte phüosophische Werk ist bekanntlich
noch beim Leben des Vfs. zweimal aus dem Arabischen
indas Hebr. überseUt worden, und zwar von zwei sehr
berühmten jüdischen Gelehrten, von dem hebräischen
Hariri, Jehuda Alcharisi zuerst, und dann von fc>arauei
Jbn Tibbon. Letzterer legte dem Vf. selbst im J. 119S,
Proben seiner üebersetzung vor und fand im Ganzen
Billigung und im Einzelnen Berichtigung. Seine Arbeit,
die gegen 1205 vollendet sein mochte, erhielt eben we.
gen dieses empfehlenden Beifalls von Maimonides grö-
fseren Eingang bei der gelehrten Welt , als die voti
Alcharisi, die gatiz verscliwunden ist. Dennoch mudsi
man die TibbonUdhe Uebers. eine nicht gaifz gelungene
nennen, wenn man nicht sklavische, bis zur widerlichen
Abgeschmacktheit getriebene Worttreue für die erste
M
Tugend des Ueberaeteers hält Maneke Mibversfisl.
nisse des Tibbön hat der gewandte SvAem To6 ta
JosepA Palkira^ der auch im. 13ten Jahrb. lebie, is
seinem Buche n^lOn m^O berichtigt. Hr. M. hM
dieses Buch handschriftlich vor sich gehabt, weifs akr
noeh nicht, dab es schon ein Jahr vor Erscheinung sei.
nes Werkes in Preisburg, 1837, durch den Druck w
oiSentlicht wurde.
Ueber die LebensTerhättnisse des Saadia bendM
der Verf. in der gedrängtesten Knnte. Denwoch enilik
er S. 6 ein Faktum , welches die äusföbrlichsten 6«.
schichuchreiber dieses Faches, z. B. der Verf. de« J*.
vhatin^ des Schatscheleth Hakababa und des ÄfAr
Badoroth^ Basnage^ H^olf^ de Jtosn und J^4t sid«
wissen, und bis auf letsteren eigentlich nicht wiiseB
konnten, da es erst De Sacy in einem handschriftlich«
Werke des berühmten Arabers JUasudh Zeitgeno»«
des Saadia , entdeckte und in seiner Chrestomathie ut.
theiltc. Es gehört mit in den Streit, welchen Saaiiia
mit dem Patriarchen David ben Saccai hatte, We
erfahren hier, dafs S. Schritte beim Chalifen Almukta-
dir- Billah gethan, um den Patriarchen seiner Wßf*
zu entsetzen und dafür dessen Bruder Uauan tm
Suecai zum Nasi zu erbeben. Der Chalif setzie m
Kominission nieder, die aus Kadhis und Vesiren te
sund, und in der der Grofsvesir AU ben Jsa den Voiw
sitz führte, die Sache zu untersuchen. Alan entseliisi
gegen S. und er war gezwungen zu fliehen.
Ref. hält es bei Erwähnung dieses Streite« fiM
für unnütz, eine Berichtigung vorzuschlagen, betrcSW
den Namen des Mannes, welcher die Aussöhnung «wt
sehen S. und David ben Saccai herbeiführte, da oft,
besonders in der arabischen und jüdischen Litcraiorai
die Richtigkeit eines Eigennamens ganze Reihen wi
Thatsachen sich knüpfen. Dieser Alann heilist bd w
len jüdischen Geschiclitschreibem HWS (Kaf, Sin o*r
Shiu, Dalet). Nach ihnen nennt ihn Jost Kaiiai\ da-
fegen schreibt Zunz: KaseAer. Bei Jost siad A
luchstaben falsch; bei Zunz ist nur der ^erste falia
gelesen. Die richtige Lesart ist wohl "^^3 (B. Sek
R.) und mufs es Bascher oder Bischer ausgesprochci
werden. Diese bietet schon die, freilich seltene, i^
uns in einem Exemplar der Berl. Künigl. Bibl. vorfr
gende, Editio princeps des Jochasin; Dafür spricht vm
die arab. Analogie, und sie haken wir deshalb (ur <w
richtige, weil wir es offenbar hier mit einem arabisdwj
Namen zu thun haben (wie ja so viele Juden in Iw
bei dieser Gelegenheit mit ihrem arabischen Namen da-
^geführt werden), als welcher aber J^, jehr gdäw?
ist, während wir uns des Namens^ -^^
innern.
nicht er-
L^brecbt
J a h r b tt c h e r
für
1^ i s s e n s c h a f 1 1 i c h e Kritik
Mai 1840.
U. ^
iekrbueh der etangelischen DögmaHk ton D.
Karl Basej H. S. A. Kirchenrathe und orä.
Prof. d. TheoL an der Umvers. Jena* Zweite^
umgearbeitete Auflage. Leipzigs 1838. bei
Breitkopf und Härtet. XIV. 649 S.
Hase in Jena kt eine eboi so wohl bedeutende aU
. iisteressaiite Erscheinung in der gegenwärtigen tbeolo«
. gisefaisn Weh. Die Innerliehiceit seinee sehdaem Go«
nlUhes, die Beweglichiceit und Elasticit&t seines reich*
begabten Geistes, die Schärfe and Gewandtiieit seines
Denkens, «onuU er jedes gegebenen Stoffes sich be^
machiigt, befihigten ihn dazu, die rationalistische Theo«
logie in eigenlhfinilicher Weise auf veischiedenen -Ge*
bieten ans- und fortzubilden. Der ältere RalienaliBians
nimUch, vem&ge der Beschränktheit seines Principei
cum grofs^n Theü in oflfener Opposition gegen die ob»
jektire Erseheiaung der Religloa in Bibel und Kirehoi
kennte sieh bei der weiteren Entwiekehing, namentlich
dEer phUosophischen Wissoischaft, «nmdgUeh auf die
Dause senter schnell usd weit verbreiteten Herrsehaft
erfireuen« Eben so wenig konnte aber eine in meder'^
" neli Sribstbewufstsesn eo tief wurzefaide auf dem Boden
«fer ieritisehen Philosophie entsprungene Form dies theo^
logischen Bewulstseins plötzlich , etwa schon i» dem
Kampfe mit dem bibUsdien oder orthodoxen Supt ani^
taralismas ualärgeiwn. Yielmehr, wie diese beUea
hartnficidgen Gegner sieh weehsebeittg poslttliren und
BOT ümmOL Kample ihre Existenz verdenken,' so büdele
sieh baliLeiB rationaler Supr— attttalisams, und supra*
naluralistiseher BattonaUsania. De? Yetf.-der anauzel-
^uden Dogmatik gehört keiMr rea diesen beiden Rieh»
taiigen an} soadem nimmt ia der freien SelbsMadig-
keit sMMs ernsten 'Tedliehen Strebens einen eigenthOaN
lichea Staudpunkt ein. Nicht als ob er sieh ia seines
geistreUien faidtvidualitAt gegen die Fortbildung des
Jahrb. /. VMffSfcA. KriUk. J. 1840. I. Bd.
Wissenschaft bomirt hätte ; im Gegentheil in allen den
vom PublMnim eo überaus günstig aufgenomttenea Schnf»
ten des Hm« Verfs. sdieinen verschiedenartige, aber
eigenthümlioh verarbeitete Eiranente der neueren Bil-
dimg durch. Namentlich mag das Studium der Natufr
Philosophie und der SchlcSermacherschen Theologie die
verständige Tiefsinnigkeit des Dr. Hase befruchtet und
ausgebildet haben. Beides zusammen, die Bestimmt«
heit seiner Individualität, und jene tiefere Eatwiekkmg
der Wissenschaft in neuerer Zeit, welche ,,mit zu erle*
ben in lebendigster Antheilnahme . einer noch nicht ab*
gesehlofsnen Bildung ihm vergönnt war", erklärt es hin^
reichend, wie der Bu Yerf., obgleich selbst Rationalist
im aügemeitieren Sinne des -Wortes^ den älteren Ratio*
aalismus siegreich bekäaqpfen konnte, und anderer SdtS
die rationalistische Tlieologie von engherz%er Einsel*
tigkeit befreien und den negativen Dogmatismus der*
selben in Bezug auf Offienbareaag und Kircl^nlehre ia
einen mehr neutralen Skeptieismus auflesen mubte. So
ward durch Hase, wie in entsprechender Weise der
Supranaturalinous durdi Tholuclc, der HatienaHsmus in
seiner weitern Entwiskelung. und Fertbüdung zugleich
seiner Auflösung sntgegengefahrt Besonders zeigt sieh
diese Umkehr des JRationalismus in dem TerhältnUdi
gegen die Entwickclang des älteren khrcidichen Lehs^
begriffes» Wenn der Shere RationaBsnyas in dem knii*^
nan Enthasiaflnas für abstrakte Freiheit des protestan*
tiwhen Selbstbewafstsems nur auf den Trumnkem der
älteren Dogase» und der altprotestantischen [>ogniatik
den neuen Tempel der Vernunft errichten zu hdnaen
meinte, so legte Hase . durch Herausgabe der symboU« ,
sehe» Bücher der lutheriseben Kirche, mehr aber neeh
dardi die Znsaaunenstelluag der älteren Dogasatik in
eeia«m Hatterus redivivus smne Ekrerbietung gegen die
objelctive Fassung des Glaubens an denr Tag^ Sehtte
und treffsnd spricht aich dieses sein Yerhältnifs und
Verbalten zur älteren oft so sprude ignorirten pretestaa-»
81
643 Ha9e^ Lehrbuch der
tischen Dogmatik in der Dedikation des Htttterus rediri-
vus folgendermafsen aus : „das dogmatische System des
16, und 17. Jahrhunderts kam mir vor, wie einer unsrer
alten deutschen Münster .mit seinen himmelstrebenden
Spitzbo'^en und wunderlichen sinnvollen Zierrathen. —
Einen Dom wie unsre Vorfahren kann auch unsre Zeit
nicht wieder bauen, vor einigen Jahren hielt man*s
sogar für ein altgothisch barbarisch Bauwerk; es wird
einem aber doch ganz besonders, wie in einem Gottes-
liause darin zu Muthe." Auch das vorliegende dogma-
tische Lehrbuch bestätigt diese Worte; denn schon
aufserjich angesehen, bezeugt es die überwiegende
Masse des dogmengesdiichtlichen Stoffes, wie der Hr.
Yerf. von dem Objekte in seiner geschichtlichen Ent«
Wicklung Gewalt leidet, und durch einen innern Zug
seines Geistes mit ihm' verbunden bt. Daher sagt er
mit Recht von sich in fler Vorrede 8. XII: „ich weils,
jdafs dem Geiste, dem ich selbst nur ein dienendes Or-
gan bin, die Zukunft angehört als dem siegreichen
Geiste protestantischer Wissenschaft.*' Denn wohin
geht doch das wissenschaftliche Streben der gegenwär-
tigen protestantischen Theologie anders als den .Glau-
ben In seiner konkreten Objektivität mit dem freien
Selbstbewulstsein im Begriffe zu ^versöhnen und so das
Idrcliliche Dogma zu reproducirent Die Realisirung die-
ser Aufgabe ist aber bedingt durch einen besonnenen
klaren Rückblick auf die Vergangenheit. Die präcise
und "bündige Darlegung der geschichtlichen Entwick*
Jung des Dogma ist aber* ein wesentliches Verdienst
dieses Haseschen Lehrbuches, lieber den Titel „evan-
gelische Dogmatik*' und die Bestimmung desselben er-
tbeilt die Vorrede näheren AufscUufs S. X«: „Der bei-
behaltene Titel evangelische Dogmatik will nicht ein
ausschliefsliches Verhältnifs zu den Evangelien, oder
zur evangelisehen Kirche in der Art anzeigen, als wenn
lüer die Lehre ihrer symbolischen Bücher vorzugsweise
getrieben würde, sondern er ist ebenso gebraucht^ wie
man gegentheils katholische Dogmatik sagt, nur in der
freiem Stellung zur Kirchenlehre, wie es der Charak«
ter des Protestantismus mit sich bringt". S. XI. : „Man
hat, um diesem Buche gerecht zu sein, es nur als aka*
demfadies Lehrbuch zu. beurtheilen, so wenig auch darauf
ankommt! ob sonst jeniand es zu diesem Beliufe brauchen
werde; denn wie wir uns schon anderswo ausgesprochen
und auch einigermafsen Hand dazu angelegt haben, ein
viel gebrauchtes akademisches Lehrbuch wird in unsrer
eMngelUehen Dogmaiik. &I4
Zeit nur dieses sein» dessen VerfL es über sieh gewon*
nenhat, mit gänzlicher Verzichtleistung auf seine Ei*
genthümlichkeit sich an das Objekt irgend eines gemeinsa-
men historisch gewordenen Glaubens hinzugeben ; und
dazu habe ich in diesen» Buche am allßrwenigaten jSß
Lust und Absicht gehabt. Es ist also nnr mein Lehr*
buch.'* Damit mochte nun die Beurtheilung dieses Lehr-
buches sehr beachränkt und beengt scheinen, wenn es
nicht gleich darauf hiefse, „dafs man dem Verf. woM
zutraue, dafs er an ein academisches Lehrbuch niebt
ganz geringe Forderungen stelle.'* Ueber das Verhilt»
nifs dieser zweiten umgearbeiteten Auflage zur ersten
der evangelischen Dogmatik bemerkt der Hr. VerC
Vorr. S. VIF, dafs er gegen viele Bestaadtheile der
vorigen Ausgabe, die nur einem jugendlichen ' £ntlui«
siasmus angehörten oder doch nicht in ein Lehrirach
gehörten, siemlich unbarmherzig verfahren sei „Durdi
diese Ausmerzungen entstand ein schöner Raum^
die dogmengeschichtlichen Citate .wurden meist
gedruckt/' Mit Rücksicht darauf dafs diese Dogmatik
als Lehrbuch gebraucht werden sollte, hielt der VerC
sich „in möglichst engem Kreise und insbesondere da,
wo der Einzelne doch nur als Repräsentant einer gas»
zen Richtung angeführt wird, wie bei den Scholastik
kern und alten lutherischen Dogmatikem, wurden ge*
wohnlich nur einige immer wiederkehrende Werke an*
geführt." Obwohl ^^von der ersten Gestalt dieser Dog*
matik fast kein Stein auf dem andern geblieben ist, so
ist die Umgestaltung doch mehr eine scheinbare als
wesentliche, eine friedliche organische Entwicklung des
Neuen aus dem Alten« Nur an einem Punkte, und es
ist freilich ein Hauptpunkt in der Lehre von der Siin«
de, ist das Neue von dem Alten hart abgebrochen.*
Zur näheren Orientirung hinsiclitlich der vorliege»*
den Dogmatik mag noch eine kurze Betraehtang der
Einleitung dienen. Diese Seite 1 — 46 giebt dea
Begriff der Dogmatik, in B^zug auf Inlialf und
Form, Quellen und Geschichte derselben; sie zerfaUl
in einen theeretuehen Theil, welcher die Lehre von
den Gesetzen enthält, nach welchen die Dogmatik ab
Wissenschaft darzustellen ist, und in einen prmti^
sehen (}), welcher cUe Geschichte ihrer bisherigen Dn*
Stellung miuheilt. Der Begriff der Dogmatik ist efien«
bar zu weit gefafst, wenn es f. L heibt, „die Dog.
matik' ist die wissenschaftliche Darstiellulig der ehiist*
liehen Religion in ihrem Verhältnisse sum nfigiösen
S15
GMsfe.*' Ihm iai Tiebnehr der Begriff der Theologie
iiberha«pt$ desn aaieh die historische und pralctische
Tiitelogie stelk des ChrieteBthnin aus ^dem religiösen
Geitte'' (was hierunter su yerstelien, wird sieb bald
laigen) und im Verliältnisse su ihm dar; ohne dies
würde die Betrachtmig der christlichen Religion nicht
die dem Gegenstände adäquate sein. "Die Dogmatilc
im Aügemeinen Ist aber vielmehr die begreifende Er*
kemitoirs der christlichen Religion, wie sie als Gümis
iü Bibel und Kirche sich darstellt. Zuvörderst wird nun
IB Allgemeinen und blos formell die Religion als Gebt
(!) md Gesekichte^ als Glaube^ dann in ihrer geschieht-
liehea Eutwid^lung, und in ihrer Vollendung als Chri*
tteDtbum beschrieben. §.2 — ^ 8. Indem Ref. dem
Gange des Lehrbuches folgend, später im ersten Theile
der Dogmatik selbst, wo der Begriff der Religion ab«
gdeitet und näher bestimmt wird, denselben etwas aus*
luiurlicber tu beurfheilen hat, erlaubt er sich hier nur
in Kiursem Folgendes zu. bemerken. Die Religion, ab
das gegenseitige Verhältuifs Gottes zum Menschen, ist
nur nach einer Seite, damit einseitig bestimmt, wenn
TOD ihr f. 2. gesagt wird : „nach dem Regriffe, wol*
eher das Gemeinsame der religiösen Erscheinungen in
der Geschichte umfafst, ist Religion objektiv im Yer*
itältaifs des Menschen sum Uuendlichen, subjektiv eine
BestiauduDg des menschlichen Lebens durch dasselbe."
Ssll aber die objektive Seite der Religion hervorgeho*
beo werden» ao wäre doch eher Gott in seiner ewigen
Sellistoffienbarung , insofern, er der Gegenstand ist,
worauf das Bewulstsein des Menschen in der Religion
tieh riehtet, oder formell die Religion als dieser ewige
Procefs zu bestimmen gewesen, in dem Gott sicli dem
Henschen aulschliefst und der Mensch auf dem Grunde
dieser Offenbarung sieh aus dem Endlichen erhebt*
Was aber der 'Hr. Verf. als die subjektive Seite der
Religion angiebt: „die Restimmung des meiischlichen
Lebens durch dasselbe (das Unendliche)'* ist vielmehr
die Religion schon in einem andern Elemente, „dem
Leben", das religiös Sittliche, wie sie Wollen und
Denken durchdringt. Dieser^ Mangel, dafs die Religion
Bieht in ihrer eigenthOmlichen Dignität festgehalten
wird, sondern in das religiös Sittliche ubergleilet, wird
sich auch im Folgenden noch kundgeben. Die subjek-
tive Seite der Religion ist nur, dafs sie das Centrum
des menschljchen Geistes ergreifend von ihm im unmit-
telbaren Selbstbewulstsein suuächst als unendliches Le-
Baoe^ hekrhstek der epmngelieeksn Dögmatiib»
«46
ben in der Form des G^AUs ergriffMi ^rd| wel«
ches. sich aber auch schon In der Andacht^ dem: Oebet^
in einem eigenen Kreise von Feretellungen objektivir^
und in besonderen heiligen Handlungen darstellt Waa
also als die objektive Seite - der Religion ausgespro«*
eben wird, „ein Verhaltnib des Menschen sum Unend-
Ucheu", ist schon die subjektive. Eben so wenig ist.es
su billigen, dafs von der geschichtlichen Religion ge«
sagt wird, sie ,9könne entstehen durch sufäUiges und
willkürliches Zusammentbun von Gleichgesinnten sur
gemeii^amen Förderung ihrer Frömmigkeit (S. 2)^ depn
einmal ist dies nicht das, wodurch die Religion als
eine bestimmte wird, die sie ist j sondern nur ein äufse-
rer Akt, in dem sie als die schon daseiende sich kund*
giebt; anderer Seils aber kann das, was die Aeufse^i
rung einer an sich nothwendigen Evolution deji Gel«
stes selbst ist, nicht ein „sufäUiges und willkarliches
Zusammenthun" sein« Gleichgesinnte thun sich eben
als solche schon nicht „sufällig oder willkürlich*' su-
sammen su dem Akte, in welchem sie ihres inneren
Wesens bewuGst werden, und die ,yBestimmung" des
Geistes, um den Ausdruck des Hrn. Verfs» selbst S. 1
SU gebrauchen, welche die Religion ist, ist die innere
Bestimmung seines Wesens selbst,. darum eben sowohl
eine nothwendige, nicht „zufällige*', als freie, aber nicht
„willkürliche*'. Nachdem die Religion in ihrer ge«
scliichtlichen Entwickelung kurs dargelegt ist, wird das
Cbristentiium als „der vollkonunen in die Geschichte
eingetretene religiöse Geist bestimmt, durch welches
der erhabene Herr ab ein Yater über alles und der
Mensch als göttlichen Geschlechts offenbar, dasjensei*
tige Leben mit dem ' irdischen eins und das romische
Welireidi sum Gottesreich wurde" §• 6. Es scheint
in dieser Bestimmung, wie schon in dem vorigen ^«
fiber die Entwicklung der Religioni der Begriff durch,
nur ist er nicht in der Form des Begrifi'es, sondern
der geistreichen yorstelluug ausgespi^ocheu» Denn in
der That ist ja eben das der Begriff der absoluten Re-
ligion, dafs die Momente desselben in dem ideelleu Ver-
bftltnisse , in welchem sie su einander sind , auch für
das gesohichtliche Bewulstsein der Menschheit wirklich
gesetzt sind. Diefs geschieht in der biblisohen Yor*
Stellung dadurch, dafs Gott von Ewigkeit her den Soha
erzeugt, darum der Mensch als göttlichen Gesehleoh*
tes, als Kind Gottes im Glauben an den Sohn angenom-
men wird, und das Reich der Welt zur Gemeinde Got-*
647
Ba$0^ h^hrlmek der e^rnngeU^eAem DagmmtiJL
tes wird dopeh d«n Geist In diesen ewigen Processe
fixirC stob weder das anendlieli Allgemeinei Besondere
nnd Einselne ffir sieli, nooli confundirea sie sieii, son*
dem seheinen als Momente des reinen Begriffes in ein«
ander. Damm hat al>er das Cbristenthum nun niefait
den Maafsstab seiner Vollkommeniieit an der Entwicic-
litng der Menschlieit, s<mdern nur an dem Begriffe der
Beligion selbst^ dem es sieb als entspreehend erweist«
Denn wie kann daran ,,die Wahriieit (wie es Mer S«
4 helfst) des Christenthumes erkannt werden, dafs es
der M enselibeit in ihrer höchsten Entwicklung entspricht
und jede geringere Bildongsstufe dieser Entwicklung
entgegenßihrt.*' Wo ist und weiche die Menschheit in
Ihrer höchsten Entwicklung! Der Hr. T^rf. wird nielit
Aagen wollen, die Wahrheit des Chrislenthimies sei,
däfs es der gegenwärtigen Entwicklung der Menschheit
Entspreche. Einem grofsen Theile' unsrer Zeitgenos-
sen mochte diefs mehr als problematisch erseheinen}
das Cbristenthum hat sein Maafs nur an dem Begriffe
der Religion selbst, und an diesem, dem Yerhdltnisse
der Menschheit su Gott kann der Höhepunkt und die
Enf Wickelung • der Menschheit nur gemessen werden,
weil sie aHein in der • absoluten Religion ihr wahres
Wesen erreicht. Sehr richtig wird ja sogleich be-
merkt, „dafs das Glnristenthum nicht eine von den Re-
ligioneu, sondern die Religion an sich ist, wird als ein
aRgemein christliches Bewurstsein hier vorlSnfig nur
torausgesetzt.'' Die Neigung sur subjektiren Fassung
der Religion als eines unmittelbaren Lebens im Unter«
schiede von dem änfseren Glaubensbekenntnisse drfingt
sieh wie §. 4. so auch hier wieder hervor^ wo gesagt
wird: „denn da das Cbristenthum eine Religion ist, so
kann es niclit hdher geachtet werden noch Gr&fseres
hringen als die Tottendung der ReUgton. Hiermit stimmt
die Erklärung Jesu überein, welcher die Seinen, mcht
an einem ftufseren Glaubensbekenntnisise, sondern an
der Liebe und Frömmigkeit selbst erkennt.** An einem
i?t;/#er«f» Glaubensbekemitnisse fr^Iich erkennt Cbrbtus
die Seinen nicht, aber das Glaubensbekenntuirs über*
baupt als eine nothwendige Form der Religion, oder
als Brkennungsseichen ist ja keinesweges ausgesehlos«
sen« Der Herr prebt ja rieimehr den Petrus, in des
bekannten SteNe Mattb. 16, 16. u; 17. sriig, weil er
von ihni rIs Messias- un^ als der Sohn des lelxnidigen
148
Gottes erkannt. und bekannt wird und sagt, iAwi
diesem Glauben an seine Sohnschaft (die wiiklickeEi»
heit der göttlichen und mensdilichen Natar) er mjbi
Gemeinde erbauen, will. Eben so soll nach dem ghiek
Folgenden die AnerkennuBg Jesu ab des Messissib
Seiten der fast ohne Vorbereitnng geCanften Heida
wesentlich nur eine Anerkennung der ToUkosniiMi
FrBmmigkeit Jesu ab des Gottgeliebten gcweseDidB
können. Aber die Heiden waren durek ihre Vontdhsg
?on Göttersöhnen und menschlichen Göttern ja tut Ai*
erkennung der wirklichen Einheit Gottes nnd des 11»
sehen in Jesu Christo vorbereitet, konnten sehe woU
in ihm mehr ab bloFse Frömmigkeit sehen $ und nii^
rer Seits findet sich ja die Ablegung eines Glaid)Cii*
bekenntnisses bei dem Uebert'ritt cum Christeiillni
schon in, den ältesten Zeiten: 1 Job. 4^2. holst a^
dafs jegUcher Gebt, der den in's Fleiseh eisehieacMi
Jesum Christum beh§mnt\ aus Gott sei, Darsa mI
jeder Gebt erkannt werden, Tgl. ibid. 5, 1. uC% h tm^
mv, Su ^Ifiaov^ iorü o X^toTbi, i» xov &tov ^f^Avirai
Im zweiten Kapitel des ersten Theiles der Eoiai
tung wird die Form der Dogmatik« Principe Uütuf
Funktionen und Eintheilung derselben bestlonat. b
wird anerkannt, da£s die Dogmatik ii^ gelehrter, b }t
Ubcher und geschichClicher Form, wie in wisseostbk*
lieber, religtonsphilosophisch darsustellen bt. Dirif*
mengcschichtliche Stoff nimmt, wie schon angditM
worden, einen unrerhähniismlirsig greisen Baum id i^
sem Lehrbuche ein ; es hat diefs einen innem CM
in dem Standpunkte des Hm. Verb«, dem es BetA
niCs bt, sich mit dem Objekte des Glauhens ausswib
nen; die Bedingung dazu bt, den lebendiffen Praedl
des Dogma, das Werden des Begriffes selbst ai»
schatten. In der neueren Dognuitilc ii^ wohl dasdi^
mengeschichtlicbe Element gegen das Inblisebe asm*
lieh oder das symbolbohe ungebOhrlich in« den Wä»
grund gedrängt worden; immer icann es aber aiirdl
Surchgnngspunkt sein für die Dogmatik, dab Sm
wie es hier geschieht, von dem Strome der gesebidl^
lieh sidi entwickelnden Olanbenserkeünlaib gsasik'
sorbirt wird, und die eigene Ueberzeugung des Do|^
tikers sich wie ein dikiner Faden durch diebgisf*
Gewebe der kirchlbhen Lehre hindnrebziebt
(Die Fortsetzung folgt.)
■ J^ 82.
Ja h r b tt c h e r
*f u r
W i s isi e n s c h af 1 1 i c he Kritik.
Mai 1840.
JjeArbuch der etangelüchen Dognurtik von Dr^
Karl Ha$e.
■
(FortMtsimg.)
' Wie die biblische Vorstellung des Glaubens an der
biblischen Theologie, so hat ja die Reflexion des Glau-
bens in sich in ihrem geschichtlichen Processe dieDog»
mengeschichte zu ihrer eigenen wohl berechtigten Dia-.
' eiplin ; in der Dogmatik als solcher, wo der unendliche
Glaubensinhalt in systematischer Form reproducirt wird^
tritt das biblische und dogmengeschichtliche Element
als . untergeordnete Momente surucic. Der Verf. weifs
*^as selbst; denn, obgleich er mit Recht sich eine Dog-
inatik ohne historische Gmndlagen nicht denken kann,
ao sagt er doch Vorrede 8. X : „dab jedoch diese histo-
rischen Bestandtheile so genau artikulirt sind, wie hier
meist geschehn ist, das ist nicht an sich nothwendig,
sondern gehört nur zur Lehrhaftigkeit eines Kompen-
'diums.'' Als solches wurde es sich noch mehr zfum
allgemeineren Gebrauche empfehlen, wenn man mit der
sonstigen Eintheilüng und Anordnung des dogmatischen
'Stoffes, sich befreunden konnte. Das Prineip nämlich,
aus welchem die Dogmatik behandelt und eiogetheilt
wird^ ergiebt sich so. §. 10 : „das Christenthum als der
sur Geschjphte gewordene religiöse Geist der Mensch-
heit enthält nicht blos. den reli^osen Geist an 'sich,
sondern auch die Fülle und Mannigfaltigkeit seiner
geschichtlichen Darstejlung. Hiemach ist zu unterschei-
den : das IVesen des Gfaristenthums, welches die Keli-'
giott selbst ist, und seine ErMcfieinung oder (?) Wirk-
lichkeit, wodurch es eine bestimmte und gemeinsame
Religion ist. Das Wesen des .Christenthumes kann als
etwas der Anlage nach Ewiges alle Zeit und überall
aas dem religiösen Geiste entwickelt werden. Diefs
bat die Religionsphilosophie zu entwickeln mid danach
alles 'ZU beurtbeilen, was von dahin gehörigen christli-
chen Dogmen überliefert ist; der religiöse Geist, im
Jahth. /. w\t%tiack. Kritik. J. 1840. 1. Bd.
Chrbtenthume erzogen, hat das Recht dieses Urtheils»
Er soll beurtbeilen, ob durch dasjenige, wodurch das
Christenthum eine besondre und gemeinsame Religion
ist, die ToUkommne Religion dargestellt und gefördert
wird: aber es wäre verkehrt, wenn er diese historische
Erscheinung aus mc\^ selbst herau^coustruiren oder ihre
schone Fülle und Mannigfaltigkeit auf die allgemeiBea
Satze der Religionsphilosophie zurückführen wollte*
Dieses auf das Prineip der Dogmatik angewandt
■folgt: der religiöse Geist ist eon$tihiiive$ Prineip für
das Wesen, regtilativ49 Prineip für die Erscheinung
des Christenthumes ; jenes kann er aus sich selbst
schöpfen ; diese. nur verstehen. Hiernach ergiebt sich
Umfang und Funktionen der. Dogmatik, ^. 11. u« 12.,
und, was für die Beurtheilung dieses Lehrbuches inson^«
derheit wichtig ist^ die folgende Hauptdntheilüng der
Dogmatik §. 13. Der erste-Hauptheii enthält die Lehre
vom Christenthume seinem Wesen nach, wiefern es
Religion ist, Ontotogie ; d|i die Religion ein Verhält*
nifs des Menschen zum Unendlichen ist, zerfiillt diß
Ontotogie in die beiden Glieder dieses Verhältnisses :
Subjekt der Religion ist der Mensch, die Lehre von
seinem religiösen Wesen enthült der erste Theil, jtn^
thropologie\ Objekt .aer Religion ist das Unendliche,
die Lehre von seiner religiösen Beziehung zur Alenscli^
heit der zweite Theil, Theologie. Der zweite Haupt-
theil enthält die Lehre vom Clirlstenthume «einer Er-
scheinung nach, wiefern es eine bestimmte historisch
gegebne Religion ist, Chrietologie. Da die Christo-
logie beschreibt, wie die Religion an sich im Christen-
tliume sich verwirklicht, so ist zu handeln, 1) von der
Art, wie Christus einst eine Gemeinschaft des religiö-
sen Lebens begründet hat (Lehre von der Person, dem
Werke ^d dem doppelten Zustand Christi), 2) von
der Art, wie unser eignes religiöses Lebet^ in diesfB
Gemeins*chaft aufgenommen und als ein cfaristUches Le-
ben in ihr ausgebildet wird (Vorherbestimmung und
82
655
Ha$e^ Lehrht^A der wangitKseAen Dogmaiik.
nach der WirirUdikeit der Beziehimg des Menschen su
Gett, den 3ten Ahsdinitt bildet die S3mthesis yon bei-
^ den in der Lehre vpn der ursprünglichen Bedingung,
unter welcher die Wirklichkeit mit dem Ideale vereint
werden kann; das religiöse Leben als unendliches
Sireben. Historisch ordnen sich dieser dreifachen
pbflosepluschen Entwicklung die biblische und kirchliche
Lehre von dem' göttlichen Ebenbilde des Menschen, der
. Sttnde, und den letzten Dingen bei. — Die Bestimmt^»
heit des im weiteren Sinne des Wortes rationalU
stisehen Standpunktes, welcher sich aber Elemente
der neueren philosophischen und theologischen Bildung
assimiÜrt hat, und hie und da fast unwillkürlich und
unbewuCst Mne Hinneigung zur Orthodoxie verräth,
bringt noth^endig eine nach verschiedepen Seiten hin
sobiliernde Konstruktion der wesentlichen dogmatischen
Lehren, und eine schwanke, in der Schwebe sich be^
wegende zum Theil inconsequente Haltung der bibli-
schen und kirchlichen Lehre gegenüber hervor. Diese
ist eben deshalb durchaus ehrenwerth, weil sie nur der
offene Ausdruck eines wohl berechtigten seiner Natur
nach skeptisch kritischen Standpunktes ist. Um nun
das religiöse Leben nach seinem Ideale* zu beschreiben,
^ wird davon ausgegangen, dafs „das Wesen der Menschr
heit sich bestimmf als eine zwar selbständig nach ihrem
unendlichen Selbst strebende, dennoch von einer frem«
den Macht ausgehende und beschränkte Kraft, daher
als eine nur relative Freiheit, Dieses Streben der
relativen Freiheit ist nichts als das Streben des Geistes,
unendlich er selbst zu sein, oder die höchste Potenz sei-
nes Lebens. Wie nun das Streben des Meoschen iii
Bezug auf seinen Anfangspunkt, da die Kraft der Frei-
heit selbst als etwas Unfreies, nicht durch eigene Kraft
und Entschlufs gewordenes anerkannt werden mufs,
mit sich im Widerspruche ist, so auch in Bezug auf
«ein Ziel, da jßs an sich unmöglich ist, dafs aus dem
Werden jemals das voUkommne Sein, oder aus dem.
Endlichen das Unendliche werde, denn — jenes ist die
schleehthinnige Verneinung von diesem. S. 47. In die-
sem Widerspruche müfste der Geist untergehen, wenn
nicht wirklich eine Kraft in ihm wäre, die sich Frem-
des so aneignete, ohne es jedoch in sich aufzunehmen,
dafs ihr dasselbe wie ein Eignes würde; eine solche
Kraft im Menschen ist seine Liebe zu irgend etwas
Unendlichem. So wird jener Widerspruch gdött, ii»
dem der Mensch durch diese Liebe an der VoUko»
menhett des Unendlichen thrilnehmend jenen Anhig^
punkt seines Strebens als eine Liebesgabe des Uiifnt
liehen, nicht ab etwas von einer fremden unbekaoM
Macht groben ansieht" „Dieses zu suchende Yerlnki
nifs des Meilschen zum Unendlichen ist daher die Lieh
des Menschen zu Gott; diese das Wesra der Rel^jn;
nur. sofern der Mensch götüich wird, liebt er Gett wj
hat Religion; weil aber aus dem Endlichen Dieaab
das Unendliche werden kann, so ist der Mensch mi
ewig geschiiBden yon Gott, ideal verbindet ihn tm
Liebe mit Qott in einer Einheit, die aber nur duidi
die Verschiedenheit der Subjekte möglich ist ^ 57. b.
§. 59." Das Gekünstelte und Unnatürliche dieser Ak
leitung der Liebe zum Unendlichen aus dem Str^
danach (die Liebe zum Unendlichen soll aus dem Suf*
ben danach hervorgehen §. 56.) springt in die Aogei^
es konnte ja nur einfach gesagt werden, das StrdN|
nach dem Unendlichen, wie es Jeder, in sich findig'
setzt eine innere Einheit mit und eine Liebe zu'ikn
iBchou voraus. Die YorsleUung von einer Kraft, A
sich Fremdes so aneignele, ohne es jedoch in sich ai^
zunehmen, dafs ihr dasselbe wie ein Eignes .wfi(4|
ist schwer zu vollziehen. Als „Liebe zum Unendlieiwi*
kt aber die Religion als solche noch zu allgemen fS^
fafst, indem ja die Sittlichkeit, welche das Gute «|
des öuten' willen thut, 'die Kunst und Wissensclnl
Liebe des Menschen zum Unendlichen manifestirt, sdiii
abgesehen davon, ob sie einen religiösen Inhalt Iiat
Wie der Mensch ideal mit Gott ui einer Einheit S9b
bunden, ja als Religion habend (§. 59.) gbttiiek mr*
derid^ dennoch real ewig geschieden von Gott (pnk
dolor!) bleiben soUj ist schlechterdings nicht euzni^
hen ; eben so wenig, wie bei einem solchen Widersprn*
che des Idealen und Realen im Menschen, die Lieki
Gottes die wahrhafte Seligkeit sein soll, und diese nif
der Religion wesentlich eins. S. 50 §. 61. Ist &
ideale Einheit mit Gott nicht eine blos eingebildete nl
erdachte, sondern aus dem Wesen des Menschen, «if
der Hr. Y erf. annimmt, resultirende, so wird sie suck
eine reale, wenngleich in. der Erscheinung nie gw
vollkommene Einheit im wirklichen Denken und ^Vol-
len zur Folge haben. .
(Der Beschkf« folgt.)
J a h r b tt e h e r
für
wissensc h a f 1 1 i c h e
Mai 1840.
Kritik
Lehrbuch der evangeliichen Dogmatik von Dr*
Karl Ha$e*
(Schhifo.)
E« erhellt aus dem Angeführten, wie die morali*
sehe Wehauscbauung Kants und die daraas abgeleitete
lind davon abhän^ge Religionsansicht mit der späteren
von Schleiermacber in seinen Reden mit erhabener Par«
rbesie ausgesprochenen und von Scbelling philosophisch
geltend gemachten Anerkennung der Religion in ihr^r
absoluten Majestät in dem BewursUein des Verfassers
im Kampfe liegt.
\Yas 2) die Lehre von der Person Christi betriflft,
so wird die Messianiscbe Weissagung sinnig und yer*
ständig entwickelt, hamentlieb gut hervorgehoben, wie
allmälig besonders seit dem Exile das judische Bewufst*
sein veraulafst wurde, durch die seitdem si^h ausbildende
Dämonologie, auch den Messias als übermenschliches
Wesen su denken; doch hätten noch bestimmter aus
frühere^ Zeit manche Stellen angefülirt werden können,
in denen auch die göttliche Seite des Messias schon
durchseheint. Andererseits ist als verdienstlich anzuer-
kennen, dals der Uebergang der alttestamentlichen Yor-
Stellung durch die Lehre der Apokryphen zum N. 7«
so wie besonders die religiös -philosophische Anschau«
vng Fhilos vom Logos hier, wie auch bei andern Leb*
reu dargelegt, und die betreffenden Stellen aus Philo
Tollständig ausgesehrieben sind. Nun wird aber nicht
genetisch nachgewiesen, wie die verschiedenen Seiten
«1er Messianischen Anschauung, welche in dem prophe«
tisohon Bewurstsein noch vereinselt und somit abstrakt
Mfafst werden, allmälig su einer konkreten Einheit su«
sanunengehen konnten und mufsten, in welcher Form
sie das tiefe Selbstbewufstsein dessen bilden, der sieh
als 4en gegenwärtigen und wirklieben Messias weifs,
und somit in der erschienenem Einheit des gottlichen und
menschlichen Wesens unendlich über die Uofliumges
Jakrh. f, wiitemek. Kriäk. J. 1840. I. Bd.
der Propbetie hinausgeht. Es heifst hier S. 244 §. 163»
nur : „als Jesus sich für den Messias erkaimte, erhob
er die moralische, theokratlsehe und mythische Bedeu«
tung eines Gottessohnes sur höchsten religiösen Bedeu*
tung.*' Aber su welcher religiösen Bedeutung? Es foU
gen eine Menge Stellen aus dem N« T«, in welchen Jesus
seine Einheit mit Gott ausspricht, so wie seine göttliche
Allmacht und Präexbtene. Diejenigen, welche in den
Evangelien oder den Briefen der Apostel eine Wesens*
einheit Christi mit Gott nicht finden su können meisen,
sollten billig erklären, wie denn eigentlidi Christus, der
der menschlichen Natur jnigleich theilhaftig war, anders
als in den vorhandenen Aussprüchen bei Johannes %•
B. hätte aussprechen sollen, wenn er sich in seinem
Wesen mit Gott identisch gewulst hätte. Selbst Uase^
der von rationalistischer Enghersigkeit und. subjektiver
Verblendung grofsen Theils sich frei gemacht hat, sagt,
nachdem er die prägnantesten Stellen des Johannes an««
geführt hat, dennoch: „Diese Ausspruche khinen (ja
wohl!) eine Wesenigleicbheit mit Gott bezeichnen, aber
nur Matth. VI, 27. u. a. Job. VI; 5. (wi> göttliche All-
macht und Präexistenz von Christo pradicirt wird) kann
auf ein übermenschliches der Gottheit untergeordnetes
Wesen besogen werden, und ein solches wäre weder
eins mit Gott» noch die Erscheinung desselben in der
Menschenwelt. Gegen eine Wesensgleiehhett seugt der
durchgängige Charakter der sich dem Vater unbedingt
und ohne Hinterhalt unterordnenden Frömmigkeit Jesu
u. s. w." Aber das ist es ja eben, die Bibel lehrt nicht
einen abstrakten dolcetischen Christus, sondern in der
individuellea irdischen Erscheinung macht sich die von
der gottlichm durchdrungene menschliche Natur eben so
geltend} weil die Reflexion sieh in der Anschauung des
historischen Chmtus fixirt und borairt und ihn nicht
von dem Begriffe Gottes aus betrachtet, so kann sie seine
ewige Persönlichkeit, und die Absolutheit semer Ersehei»
Bung nicht begreifen. Hase fOblt das Zwingende dar
83
6li9
Ha9e^ Lehrbuch der evatigelUehen Dogmatik.
angeführten Au^prQche, selbst, und fälirt ä. 245 fort:
,,dagegen auch llos sittliche Ucbereinstimmung mit dem
göttlichen Willen ohne ein näheres Yerliältnifs des ~Men-
. sehen sum fVeeen der Gottheit, sur Erklärung dieser
l^tellen nicht aasreicht. Es sind aber A!i;s5pruche der-
jenigen Religiosität, welche das der Anlage nach allge-
mein menschliche, in Jesu durch freie Kraft und Gottes
Gnade, so viel im Menschen vollendet sein kann, vol-
lendete göttliche Leben anerkennt.*' Aber nach den
ArQher angeführten Stellen über das Wesen des Men-
schen, bleibt ja der Mensch ideal verbunden mit Gott^
real ewig. geschieden; wie ist also eine solche Vollen-
dung des göttlichen Lebens im Menschen möglich, dafs
von ihm ohne Selbsttäuschung und Anmafsung gesagt
werden kann „ich und der Vater sind eins**, und wie
kaim es bei jener realen Geschiedenheit von Gott zu
jener „Erhabenheit des religiösen Selbstgefühls kommen,
das ein Einssein mit Gott in der Art ausspricht, dafs ein
Daswischengetretensein der Sunde undenkbar scheint/'
S. 246 §. 164., in dem die „apostolische Auffassung*'
der Person Christi entwickelt wird, zeigt sich dasselbe
Schwanken, S. 249, es kommt wenig darauf an, dals
^die Stellen, welche für die Bezeichnung Jesu als ^to«
angeführt werden, hinsichtlich der Aechtheit oder hin«-
sichtlich der Konstruktion^ wie (nun folgen die Stellen)
zweifelhaft stnd^ denn auf verschiedenen Standpunkten
des Glaubens an ihn konnte Jesus nach damaligem
Sprachgebrauche Gott genannt werden ; daher diese Stel-
len ^fur eine ernsthafte Apotheose ii^% Messias gegen die
bestimmtesten Erklärungen seiner Unterordnung unter
die Gottheit bei der Strenge des jQdischen Monotheis«
mus nicht gebraucht werden können." Was die Stel-
len von ^der Unterordnung Christi betrifft, so sieht man
nicht ein, warum diese aHein gelten sollen; wem kann
es verwehrt werden, dafs er die Sache umkehrt und
sagt, gegen die bestimmten Erklärungen von der 'Gott-
heit Christi Termögen diese nichts; doch so einseitig
ist das christliche Bewufstsein der Kirche nicht gewe-
sen, sondern sie hat vielmehr beide Momente anerkannt
und ist zum konkreten Begriffe des wirklichen Gojtfmen-
selita' gelangt Soll aber die Strenge des jüdischen Mo-
notheismus zur Sprache Icommen, so liefse sich eher er-
warten, dafs dieser einen solchen Sprachmifsbraueh des
Wortes ^i<; nicht zugelassen hatte ; übrigens abe^ wair
eben das christliche Bewufstsein, welches die Gegenwart
des fleiscb|(ewordenen Xoyot; geschaut und.geglaubt hatte,
\ „
eben Qber den abstrakt jüdischen und damit funBmhrem
Monotheismus hinausgegangen. Weiter heifst es; „ge>
wifs konnte Phil. 2, 10. nur in einer Gemeinde ge-
schrieben werden, die ihre Knie vor Christo beugte cf.
Luc. 24, 52. und wahrscheinlich sind auch Gebet« ai
ihn gerichtet worden ; allein nach morgienländischer Siüe
bt Kniebeugung keine Gottesverehrung u. s. w.** Docbl
Denn im Morgenlande werden Menschen z. B. Desps-
ten nur deshalb mit Kniebeugen verehrt und angebet^
weil in ihnen der unmittelbar substanziell gegenwiriig»
Gott, freilich in ganz anderer Weise als in dem ge»
sohichtlich • wirklichen Gottmenschen,* verehrt ward. —
Es ist nicht zu verwundern, nach den angefuhi ten sick
^ widersprechenden Bestimmungen über das We^en der
Religion, dafs da, wo der Vf. seine eigne Ueberzeugmg
von der Person Christi darlegt §. 170. S. 285 — S7 dsi
Hinundherschwanken einen hohen Grad erreicht. Za^
erst wird der, kirchlichen Lehire von der communlcalis
idiomatum der Vorzug der Konsequenz zugestanden vei
der neueren, die fast allgemein geworden ist, \releha
eine Einheit beider Naturen annehmend, doch . die ge«
genseitige Durchdringung der Eigenschaften, welche deck
nur die Naturen ausitiachen, leugnet. „Wenn gdttlieiiK
und menschliches Wesen für qualitativ verschieden geadb^^
tct wird, so übersteigt ihreVereinigung in ^WmSttbjeW
zwar menschliche Einsicht, allein a priori kann ihre Ui*
möglichkeit nicht dargethan werden, vielmehr entspridll
sie dunkeln Gefühlen einer Sehnsucht des Mensdica
nach dem Göttlichen.'' Aber nicht blos dunkeln G^ik
len, sondern den in allen Religionen mehr oder mindff
bestimmt ausgesprochenen Vorstellungen von derMens^
werdung Gottes und dem göttlichen Ebenbilde des Men*
sehen; Ja der Vf. gesteht in dieser Hinsicht über Er-
warten viel zu,, denn er fährt sogleich fort: „Eis w«^
aber Resultat der Anthropologie und Theologie, dafii
die menschliche Natur desselben Geschlechtes i&t mk
der gottlichen, nur dadurch ijuantüativ gesciiledcn^
dafs der Mensch nach dem Unendlichen strebt, GM
das Unendliche ist. Daher würde die menschliche Na^
tur dadurch mit der göttlichen vereinigt werden, wess
sie das Absolute, die gottliche Natur mit der meBseUU
eben, wenn sie das ^Beschränkte in sich aufnäiimeir
Beides enthält einen unbedingten Widerspruch,
jede von beiden Naturen, in allem gleich mit
dem, bt nur verschieden durch die Negation
was sie bei der Vereinigung in sich aufiiehor^^oi sal^
«6t
mt iemm Aufnahme sie also nothwendig zur andern
Natur würde, niclit -mit ihr vereinigt. Uiese Vorslet-
lung eines Gottmenschen vernichtet sich daher durch
Innern Widersprueh und beruht nur auf mifsverstande-
Her Anthropologie und Theologie.'* Weun aber die
aienschliche Natur gottlichen tieschlechtes ist, oder
,,daa Wesen der Menschheit S. 46 die aus dem Eudii-
ehen zu erschaffende Unendlichkeit**, so Aat ja die
menschliche Natur an sich dos tiöttliche oder Absolute
bereiu in sich, daher ist eine Menschwerdung Uottes
möglich; eine Konfundlrung beider Naturen, eine Auf«
nähme der einen in die andere, wodurch die eine 6io$
4ie andere wQrde oAhs den Unterschied, hat ja die Kir-
ehe nie gelehrt, sondern aufs Uestimmteste abgewie-
aen. Ein „Unendliches aber, dessen schleclitiiuuiige
Verneinung das Endliche ist" S. 47, wird durch die.
aen abstrakten Gegensatz eo ipso zum Endlichen, ein
)',Absolutes, dem das Beschränkte äuiserlich gegeuüber-
steht", ist -ein Beschranktes; dteser Vorstellung, wel-
die beides abstrakt trennen will, widerfahrt also ge-
rade das, was sie der Vorstellung vom tiottmenschen
vorwirft, sie confundirt beide Bestimmungen^ und macht
das Absolute zu einem Endlichen; die religiöse Mor.
atellung dagegen, so wie die kirchliche Lehre weib
Ton einem Gott, der die Be^tiimmung der Schranke sich
selbst setzt in der Zeugung des Sohnes und damit das
Endliehe als ein ewig Oeberwundenes offenbart; denn
indem Gott durch das SeUen eines Anderen, des Soh-
nes, die Welt schafft, erlöst und versöhnt er sie ewig
mit sich. Denn die gesetzte Endlichkeit als solche
feilt eben zu Ende und erhebt sich in der Religion zur
;inheic mit dem Absoluten, obgleich in der irdischen
Erscheinung nie vollkommen. Anderer Seiis aber wird
die menschliche Natur in ihrem unendlichen Streben
permanirend fixirt, und „in ChrUto ist nicht durch ein
Wunderbares Eingehen der göttUchen Natur hi die
menschliche, sondern durch die Tollendete Ausbilduug
der menschlichen Natur das göttliche Leben zu Tage
«kommen.« 8. 286. Wie Ut das möglich nach jenem
Verhältnifs des Unendlichen und Endlichen, welches
To rausgesetzt wardi Dadurch, „dafs das menschliche
Leben selbst erkannt wurde als ein götUiches, welches
die Schranken der Endlichkeit überwindet und theU-
ttimmt an göttlicher Vollkommenheit durch Liebe zu
Gott;" und doch soll es nicht das Unendliche sein,
sondern nur danach streben? Also unmittelbar durch
seine eigne AusTjHdung, nicht durch seine Negation und
durch eine Herablassung, Menschwerdung des Göttli-
elien soll das menschliche Leben zu jener Tollendung
in Christo sich ausgebildet haben. Wie dort das Ab-
seltite durch den abstrakten Gegensatz zu einem EndlU
«hen wurde, so bedarf das menschliche Leben desseU
ben, nachdem es die „Liebesgabe des Unendlichen in
der Liebe zu ihm empfangen," nicht mehr, sondern als
I cöltlich erkannt, daher zu ihm geworden, bildet sich
L^der Mensch Jesus mit dem unverletzten Keime zur
[ToUkommnen Menschheit geboren** in einem niemals un-
P-mtschiedenen Kampfe siegreich zum sundlosen Men-
■Lchen aus." S. 287. Obwohl „Gott nicht wunderbar
r- ■
ifa»0y Lehriwfh der evangetiseken tiognu^ik.
66a
in die mepschiiche Natur eingreift," so soll er doch als
positive Bedingung der "Vollkommenheit-Jesu den ün^
vorletzten Keim zur voUkommnen Menschheit in il)n
bei der Geburt gelegt haben.'' Aber das \gt doch wie-
der ein wuaderbareM Einwirken oder Eingehen, wie es
bei keinem andern Menschen stattfand. Danach ist
nun am Ende „die göttliche Natur Christi, mcht im
kirohlich orthodoxen, aber auch nicht im verfänglich
metaphorischen, sondern im ernsten Sinne der Wis*-
senschaft, seine ungetrübte Frömmigkeit," nnd nicht
die Religion, wie der Verf. sioh ausdrückt, sondern nur
die subjektive Seite derselben, die HeligiÖMitätj hfitte
es heifsen sollen, hat sich id Christo vollendet. Nach
der rationalistischen Meinung, welche die Lehre von
der Trinität, oder dem Gottmenschen, der Erbsönde in
der h. Schrift gar nicht finden kann, sollten wir nun
billig meioen, der Geist habe die Kirche, welche diese
Dogmen als die Kardinalpuukte des Glaubens von je-
her ausgesprochen und festgehalten, in allen Irrthum
i releitet 9 Hase hat zu grofse Achtung vor der Kirchen-
ehre,, als daüs er ihr nicht einen gewissen Werth noch
beilegen sollte^ „sie hat den Glauben an die göttliche
Natur und Uestimmung der Menschheit und an ihre
Vollendung in Christo durch das mifsverstandne Sym-
bol eines menschgewordnen Gottes treu überbracht."
„Die Kirchenlehre darf den Uebergang, welchen sie für
die Weltgeschichte gebildet hat, auch jetzt noch im
Yolksunterrichte bilden." S. 287. ,,Die Menschheit
gleichsam als werdende Gottmenschheit bildet die noth*
wendige Parallele sur Gottheit ChrktL" S. 433, verel.
S. 641. ^
Was 3) die Trinität betrifft, welche in der „Sum-
ma der Christologie" S. 626 — 41 liehandelt wird, so
wird mit dem gewöhnlichen Satze begonnen, dafs „die
Dreiheit und die Einheit des göttlichen Wesens zu-
sammengefafst, nicht im N. T. enthalten seien." Einer-
seits ist dies durchaus zuzugeben und geradezu zu sa-
gen, dafs die Kirche die Lehre von der Trinität ent-
wickelte und aufstellte, eben weil sie noch nicht ah
Molclke in der Schrift enthalten ist. Anderer Seits
aber^ dafs der christliche Glaube in der Reflexion auf
sich selbst nur das in der reflekiirten Form des Den-
kens im Dogma herausstellte, was so in der h. Schrift
enthalten ist, wie es nur darin enthalten sein kann,
nämlich in faktUcher und prakfücher Grcstalt. In
dieser noch flüssigen Form oer Anschauung und des
Lebens, wie es das unmittelbare sinnliche Dasein der
absoluten Religion mit sich bringt^ und anderer Seits in
der Beziehung des göttlichen Wesens auf die We)t
und das subjektive Menschehieben (Gott als Schöpfer,
Heiliger und Erlöser) ist die Dreieinigkeit auf jeder
Seite der Evangelien und der apostolischen Briefe zu
leisen. Wäre, was verlangt wira, unmittelbar wie in
der Kircheolehre, so in der Bibel "die Trinität enthaU
ten, so hätte sich die Kirche in der Arbeit der Glau-
benserkenntnifs zum Ueberflufs bemüht; und hätte sie
anderer Seits blos den Buchstaben der Bibel unmit-
telbar, wie er vorliegt, aufgenommen, so hätte sie sich
nicht in 'freier und geistiger Weise zu ihm bekannt,
L
Hase^ LeArbueh der eumngelUci^n
663
Modem ihn als einen tociten aufgenommeD« und hätte
nur eine leere Tradition, nicht ein tilaybeqsbekeuut*
Ulf« gehabt. Die Differens in der Form hinsichtlich
der bibliechen und kirchliolien Lehre beweist also noch
ger nichts ge^en die absolute Wahrheit« dieses Dogma,
in dem Resultate S. 639 wird nun die Kirchenlehre
selbst kritisch beleuchtet; sie soll, iitdem sie das Ge*
xeuguein der zwehen Person von der ersten, und den-
noch die Identität des Wesens beider behauptet, „die
Abhängigkeit des Sohnes vom Vater vor sich selbst verber-
gen" S. 640. Die scharfsinnigste Kritik des reflekti-
renden Verstandes hat die kirchliche Triiiitätslehre
wohl in der Scliieiermacherschen GlaubensleJire erfah-
ren; doch ist von demselben Standpunkte des reilekti-
renden Denkens aus gegen jene Kinwendungen das
kirchliche Dogma treffend neuerdings vonTwesten ver-
theidigt worden. Wenn gleich nun die Heflexion in
der Skepsis über die Wahrheit des kirchlichen Grund«
' dogma verharrt, so ist es darum noch nicht „vergeblich
dif) Kirchenlehre philosophisch begründen zu wollen,"
wie Hase meint. So sehr Ref. von den grofsen Schwie-
rigkeiten einer spekulativen Begründung der kirchli-
chen Trinitatslehr« überzeugt ist, so leuclitet ihm die
Unmöglichkeit derselben aus dem Folgenden, was hier
dagegen geltend gemacht wird, keineswegs ein. ApOf
diktisch wird behauptet: „was man auch unter genera-
tlo und spiratio g5ttlicber Personen verstehe, doch je-
denfalls eine ursächliche Handlung: es widerspricht
aber dem menschlichen Donkgesetze, dafs eine solche
aufserhalb der Zeit geschehe.** In der neueren Meta-
Ehysik ist aber nachgewiesen, dafs die Kutegorieen der
frsache und Wirkung nur der Reflexion angehören,
und damit in der Erkenntnifs des Absoluten nqthwen-
dig Verwirrung angerichtet wird, wenn dem Gegen-
stande inadäquate Denkbestimmuogeu in Anwendung
gebräclit werden. Die fiestimmungen der Vorstellung
von Vater und Sohn, gezeugt und gehaucht sein, müs-
sen dal^r nicht bles in Reflektionsbestimmungen auf-
gelöst, sondern zu den spekulativen des begreifenden
concretcn Denkens fortgeführt werden; erst mittelst
dieser, welche zeigen, dafs jene Vorstellungen nicht
eine ur^üchliche Handlung bedeuten, kann das dem
Glauben offenbare Mysterium veroünftig begriffen wer-^
deii. „Dasjenige, was die beiden letzten l'ersoueu ^Is
solche constituirt, ist das Seüi durch ein Anderes; die-
ses aber ist der reine Gegensatz des Absoluten«" Der
Hr. Vf. meinte oben, wenn nur anerkannt würde, dafs
der Sohn vom Vater ^ abhängig sei, so verschwände
jede metaphysische Schwierigkeit des Goitesbegriffes;
wie läfst sich nun aber denkeu, dalis das Absolute ein
solches setzt, welches nur der reine Gegensatz von ihm
ist, als nicht durch sich, sondern durch ein Anderes
das Absolute seiend; in diesem reinen Gegensatze ist
es ja nicht mehr das Absolute, sondern vielmehr das
Endliche, Begrenzte. Das Absolute bewährt sich viel-
mehr darin als das Absolute, dafs es sich das reine
Wesen von sich unterscheidet, und in dem Unterschie-
denen, welches #^#/» Unterschied, der reine Unterschied
an sich ist, mit sich identisch bleibt ; . oder wie die
fid
Kirehenlehre sagt, der Sofan, ala Gott ren Gott, luU
das Lel»en in ihm selber; nur den Unterseliied, sidit
Ungleichheit oder Verschiedenheit postulirt die Kirch«!«
lehre in den charueteribus hypostatieis $ dieser Unter-
schied an sich oder von sich, der aber als reioer du
Identität mit sieh ist, wird eben durch die Vorstdyif
von Vater und Sohn, Geist durchaus passend iForn.
stellt, weil hi der Zeugung eine Miitheilung det \Vn
sens also des Aussichselberseins gesetzt ist. Befrt»
dend ist es, wenn S. 641 gesagt wird ^das ehristiidw
Dewufstsein bt so weit entfernt für die Erlösung, und
sogar auch für die Heiligung verschiedene Subjekte is
der Gottheit zu fordern, was auch in der Kirehenlelm
nicht liegt, dafa vielmehr die christliche Fronuuigkdt,
wie auch die h. Schrift, Erlösung und Heiliguag ifr
mer zuletzt unbedenklicli auch unmittelbar auf dci
Vater Je;su Christi, als den Geber uller guten Gabe,
bezieht«" In wiefern die Kirchealefare für die verMU^
denen Formen der Otienbarung nicht auch verselüeHe.
ne, wenigstens unterschiedene Personen oder Subjekte
fordern soll, bekennt Kef. nicht einzusehen; freilich
sind, sie nicht so gegen einander iixirt, dafs eben sie
nicht mit und in einander wirken ; diefs bringt die Ideiw
tität des göttlichen Wesens in denselben mijl sich, hebt
aber darum den Unterschied der Personen nicht auf.
Dennoch ist die Trinität „das.Symbol der Christeubeit,
sowohl Sinnbild, der christlichen Ideen als auch unt«-
scheidendes Kennzeichen des Christenthumes/ Derje
nigen Phflosophie und spekulativen Theologie, weldn
in der Trinitätslehre nicht ein bloi'ses „Syiubol" ^
„Kennzeichen", sondern den Uegriff des Christentbunei
selbst erkennt, als der absoluten allein waltren iteligioO)
wird durch das ganze Lehrbuch hindurch der Vorwarf
des Pantheismus gemacht, auch gemeint, sie lege die
Dogmen im Gegensatze ihres geschichtlich nachweis-
baren Sinnes aus und sei weder treu noch kircUieh
S. 42; für das Letzte hätte es bestimmter Nachweisungeo
bedurft \ dagegen/iafs Gott den Etitwicklungsprocelsseiiei
Selbstbewufstseins nur an der Welt habe, in der Weltge*
schichte als dem Sohne «idi offenbar werde S. 649, ke»
weisen die aus der neuereu Religionsphilpsophie z. B. 17S
„ Anm. das ewige an und für sich Sein ist dicfs, sich aut
zuschliefseii, sich als Untefschiednes seiner zu setsen (ib
Sohn), aber der Unterschied ist eben so ewig (also uidiiia
der zeitlichen geschichtlichen Entwicklung erst) aufj^
hohen, das an und für sieh Seiende ist ewig dariu ii
sich zurückgekehrt und insofern ist er Geist" u. s. w.
das Gegentheil des Vorgeworfenen. ^Da, wo GoU k-
trachtet wird als die absolute Idee, ^ wie er in seinea
ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und ei-
nes endliehen Geistes ist (Einleitung zur Logik I, S.3Q
heifst es von ihr, „data sie das absolute Wissen ikcf
selbst >ei, dafs ihre Ruhe bestehe in der Sicherheit b«I
Gewifshcit, womit sie den von ihr ewig gezeugten Ge*
gensatfc auch ewig überwindet*' Logik III, S. 242 «aJ
43 u. S. 328 „und in iiim mit sich selbst zusammesgelit"
ist hierin nicht das immanente Verliälinils Gotiei >■
sich selbst eben sosehr, als zur Welt ausgesproches!-*
A. Baier, Lic. in Greifswal<i'
IV 1 s s € n
J a h r b tt c h e
u r
seh a f 1 1 i c h
.•
e Kritik.
Mai 1840.
IM.
The Silurian Stfstemy founäed Qn Geological J?e-
seQrchßs im the Counties of Sahp^ Hereford^
üadnoTy Montgomertfy Caermarth^ny Brecon^
Pembrohej lUomnouth^ Olauces/ery IV^rceHer
and Biojffif^rd; mth DescrtpHons of the coml*
Jields and overfymg formationg. By Roderik
Impey Murchi$on. In 2 Parti. Londonyl839.
Eine wiefatige Aufgabe der Geogiioeie besteht da*
rin, die Beihenfolge de« gescbichteten Gebirges mit den
in demselben enthaltenen Yersteinerungen in ihrer AU*
gwneinbeil tuf der gaasen Erde und in ihrer Eigen«
thümliehlceit io jedem einseinen Gebirgssystem kennen
zu lernen. Diese Aufgabe ist In Bezug auf MiUeKEu-
ropa und tfuf die ebere% jüngeren (sogenannten Ter*
tiär) • Sebichien, auf die niiuleren(8ecundär)*Sehiebten
seit mehr als swansig Jahren ziemlich vollständig gelöst
worden* Die unteren» alleren Sefaichten boten dagegen
Schwierigkeiten dar, eine bestiiaaite Reihenfolge ihrer
ciinzelnen Glieder und der in ihnen entbakenen Verstei-
nerungen aufzufinden, Schwierigkeiten, welche sich mit
danen in Parallele stellen lassen» die einer Entwicklung
4er gesehiebteten und Tersteiiieruogsf&lirenden Gebirgsar*
ten der Alpenkette bisher entgegenstehen. 'Es war bis
auf die neuestisn Zeiten herab kein durdigreifender
Vereneh gemacht worden» die Reihenfolge jener älteren
(aegenannten Transitions- eder üebergangs)- Schichten
Ceataustellen ujid die Ordnung der Versteinerungen in
4an aufeioanderfolgenden Soiueiiten* Abtheilungen auf*
aiiaueben. . Elie de Beaumonk hat zwar in seiner getst-
veiehen Entwicklung der verschiedenen Hebungsrich*
langen der europäischen Gebirge bereits vor 10- Jahren
naohgewleeen» dafs in diesen älteren GebirgsscUditen
eine sehr auffallende Unterbreehung atattfiode und auf
gleiche Weise eine Unterscheidung derselben Hechtfer^
Jahrb. /. trwienfcA. Kriük: J. 1840. h tfd. ,
tige» wie ähnliche Unterbrechungen in der gleiehförmi«
gen Aufeinanderfolge der Schichten auch in den mittle*
ren und jfingeren Sehiehten die einzelnen Formaiionett
von einander sondern lassen» aber dieses wichtige Fae-
tum war ohne Anwendung geblieben, weil es an einer
genauen Kenntnifs von der Aufeinanderfolge der Yer-
stetnerungen in diesen älteren Schichten fehlte.
Aus diesem Grunde war es daher ein» für den Fort-,
sehritt der Geognosie' sehr wichtiges Unternehmen» dafs
MurcAieon steh der Untersuchung der T,rapsi(ions*
Schichten 'von Wales, mit besonderer Bcr tick sich tigimg
der einzelnen Abtheilungen derselben und der» einer
jeden Abtheilung zukommenden organischen Formen mit
dem anhaltendsten Eifer während 7 bis 8 Jahre unter*
zog und diese Aufgabe mit eben so viel Ausdauer und
Beharrlichkeit als Genauigkeit und scharfer Beobach*
tnngsgabe löste. Die verläufigen , Resultate dieser Uli*
tersuchungen wurden theils durch die Biilietius (Pro^
eeedings) der geol. Gesellschaft in London» theils durch
tm Schema der einzelnen Abtheilungen und Unterab*
theilungen der beobachteten Schichten bekannt» welches
der Vf. überall hin zu verbreiten bemuht war; die vor-
läufige Kenntnifs dieser Verhältnisse konnte indessen
nur eine allgemeine Spannung auf ihre voUslähdige Dar*
legung und Erläuterung der aufgefundenen organischen-
Reste lier vor rufen ; denn ohne diese^ letzteren zu ken»
nen, war eine Beurtheilung und Anweiulung der Beob*
achtungen nicht möglich.
Das Resultat dieser Arbeiten liegt nun in einem
reich ausgestatteten Werke vor uns. Der erste Theil-
enthält eine sehr ausfahrliefie Darlegung der im Laufe
dieser Untersuchung gemachten Beobachtungen; der
zweite ist ausschlielslieh der Beschreibung und den Ab*
btldungea der organischen Reste gewidmet, welche Mur^,
ekison mit grofsem FleiiM gesammelt hat» und diese
Arbeit wird immer benutzt werden müssen» wenn es
um die Bearbeitung ähnlteher Kldungea . handelt»
84
667 Murchüon. The
dipnn fiie enthält einen grofsen Schatz organischer For-
men, bei denen die relative Lage, oder dos relative
Aller der Fundorte mit grofser Sorgfalt bestimmt ist.
Der erste Band vereinigt einen doppelten Zweck,
daher auch die Ausdehnung, welche er besitzt'; nicht
allein sind diejenigen Abtheilungen von Schichten, de-
ren nähere Kenntnifs die Untersuchung vorzugsweise
beabsichtigte, beschrieben, sondern auch andere Ge-
birgsYerhältnisse^ welche in denselben Gegenden beob-
achtet wurden. Er enthält eine sehr detaillirte geogno-
stische Lokal -Beschreibung der ostlichen Gränze von
Wale9 und reicht weit in die*^ benachbarten Grafschaf-
ten von England hinein. Das, was auf diese Weise
die Mineral -Geographie dieser Gegenden betrifft, be-
sitzt in diesem Theile den gröfsten Umfang. Die Be-
trachtungen über die Yerbreitung des Kohlengebirges,
über die Aufsuchung von Kohlenflötzen sind auch voll-
kommen geeignet, das lebhafteste Interesse der Grund-
besitzer und der Gewerbtreibenden jener Gegend in
Anspruch zu nehmen und im Allgemeinen zu zeigen,
wie eng das Studium der Geognosle mit der praktischen
Kenntnifs der, für den National- Wohlstand so wichti-
gen Mineral - Schätze verknöpft ist.
Die Verbindung dieser beiden Zwecke ist Yeran-
lassung, dafs in dem ersten Theile die Thatsachen von
besonderer Wichtigkeit für die Wissenschaft weniger
hervortreten.
Seit einiger Zeit hat man sich gewohnt, die soge-
nannten Transitions - Schichten unter dem Namen ^^der
QrUuvfäckcngruppe^ zusammenzufassen; der alte rothe
Sandstein, eine Bildung, die auf dem^Continente entwe-
der ganz fehlt, oder eine ganz andere Entwicklung als
in England zeigt, wurde als die tiefste Abtheilung der
Kohlengmppe betrachtet. Murchison zeigt, dafs er von
dieser . getrennt « werden müsse und sich durch eigen-
thümliche früherhin wenig oder gar nicht bekannte Yer-
steinerungen von dem unmittelbar darüber liegenden
Kohlenkalkstein (Mountain limestone) unterscheidet; er
bildet eine eigonihümliche Schichten - Abtheilung zwi-
schen der Gratiwacke- und der Kohlengruppe ; sein Vor-
kommen ist aufser Wales besonders in Schottland so-
wohl am Sudrande der Grampiaus, als in der nordöstli-
chen Spitze von Caithnefs undäuf denOrkney's nachgewie-
sen, und das vorliegende Werk enthält einige sehr interes-
sante fossile Fische, welche in jenen von Wales ziemlich
entfernten Gegenden aufgefwdden worden sind. Neuere
Silurian System. €68
Untersuchungen von Murohison und'Sedgwidc maehet
- es wahrscheinlich, dafs der mineralogische Charala«
dieses alten rothen Sandsteins in der sudliehen Fort*
Setzung von Wales aus, in Devonshire und CornwaU
Veränderungen erleidet, dafs erder gewöhnlichen Gm-
wacke ähnlich wird ; daher sie ihn mit dem Nan»
Devonian - System bezeichnen. Es ' ist dieCi abo eil
Mittelglied zwischen der Grauwacken- und Kohlengrup|ML
In dieser letzteren Form konnte der alte rothe Sipid-
stein von England wohl in Deutschland und Frankreick
vorkommen, doch sind Parallelen bis jetzt noch voreilig.
Den Namen Orauwacke fafst Murchison in oryk-
tognostischer, nicht in seiner geognostischen Bedeotimg
auf und verwirft ihn daher als verwirrend und nicht
klar bezeichnend ; den Namen TransüionM - SeküAtm
verwirft er, weil er oft In sehr weit ausgedehnter Be-'
deutung gebraucht, oft der Kohlenkalk auf dem CoBti»
nent jüngerer Transitionskalk genannt worden sei; so
bedurfte er einer neuen Bezeichnung für die, unter den
alten rothen Sandstein befindlichen versteinerungsfah«
renden Schichten. Diese Schichten werden gleidi ak-
getheilt, die obere Abtheilung erhält den Namen des
Süurian- System (von den Siluriern, den alten BewdH
nem von Wales, deren berühmter Heerfdhrer Caractacu
in einer weiteren Unteräbtheilung, dem Caradoe*saDl-
stone verewigt wird) die untere Abtheilung denKt»
men CamAn'an* System; von dem ersteren nur wirf
hier ausführlich Rechenschaft gegeben, das letstere viitl
nur gelegentlich erwähnt und auf eine ausfuhrlkhen
Arbeit hingewiesen, welche Sedgwick schon seit Ui*
gerer Zeit darüber vorbereitet. So nehmen denn zwei
neue Namen, das Silur- und Cambrische System Be-
sitz von dem Reiche der Grauwacke; und ein dritte^
das Devon -System wird vielleicht noc^ seinen Tbel
davon fordern. Ueber das Cambrische System steht usi
noch kein Urtheil zu, aber wie es scheint, dürfte niek
viel für dasselbe übrig bleiben, in dem vorliegendes
.Werke sind kaum einige orga)iische Reste desseibes
angegeben, die den Anneliden von Hao Leay zugcreeii-
net und unter den Namen Nereites, Mynanites uad
Nemertites beschrieben werden« Auch das wenige, was
Philipps in seinem Treatise on Geology T« I. p. U0
davon .bekannt gemacht hat, ist nicht selir geeignet eäe^
bestimmte und klare Idee davon zu erwecken, es mi
unvollständige Reste, eben so unvollständig eriauteit
Aber unter den 375 Species von tbierischen Resten da
m MareAüon, The
SUir-Systens sind viele, welche aus anderen Graa-
waeken- Gegenden längst bekannt sind und wenn auch
sieht gans mit ihnen Qbereinstimmend, doch sehr nahe
liegende Analogien wahrnehmen lassen. Nur da etwa,
wo die Grauwacke eine swiefache Hebung zeigt, wie
Elie de Beaunont nachgewiesen hat, durfte mit einiger
Aussieht auf Erfolg das Cambrische System aufgesucht
werden ; wo es aber bisher nur nach gewissen Verstei-
lerungen aufgeführt worden, da hätte man auch eben
sowohl das Devon • System, abo grade das jQngere an
£e Stelle setzen können, wie es wirklich geschehen
in, da fehlt bisjetst wenigstens jede genaue Rechtfertig
gung dnes solchen Verfahrens und ruft offenbar mehr
Yerwirreng hervor, ab wenn die ältere zusammenfas-
lende Bezeichnung von Grauwacke beibehalten wird.
Immer haben diese irrthGmlichen Paralielstellungen
entlegener Formationen der Geognoste geschadet und
deoBoeh wird dieser Fehler immer von Neuem began-
gen, wenn von' irgend einer Seite her eine glänzende
Eriänterung einer gewiuen Schichtenreihe in die \Yb-
aenscliaft eingeführt wird. Murchbon selbst hat sich
\ fai diesem Werke frei von diesem Fehler erhalten, wie
nahe es ihm auch grade lag, die Aufmerksamkeit durch
lolehe Yergleiche zu erregen. Die Nahmen thun hier
Tiel beider Sache, alle neueren Lehrbücher greifen ei-
ligst nach den Siloriem und Cambriern, dadurch wird
allerdings der Ruf von Murchbon's Arbeit schnell und
m weiten Kreben verbreitet, aber dem 'Werthe dersel-
ben nur ein lockerer Schein gegeben und derselbe eher
Termindert, ab in seinem wahren und wohl verdienten
Glänze gezeigt.
Die weitere Unterabtheilung dieser oberen oder
jüngeren Grauwacke, des Silursystems oder der Si-
Inrfomiation ist ^weit genug verfolgt. Zunächst wer-
den die oberen und unteren Silurschichten unterschie-
^n. Die ersteren zerfallen in fünf Ahtheilungen :
Obere Ludlow- Schichten, Aymestry- Kalkstein, untere
Udlow-Scbichten, \Venlock*Kalkstein, Wenlöck-Schie-
ler; die letztern in zwei Abtheilungen : Caradoc^Sand-
iteui und Llandeilo-Platten (ein rauher webclier, kaum
von einem Engländer richtig auszusprechender Name),
l^iese Abiheilungen stehen etwa so zu einander, wie
Onder Oolite, Bradford Clay, Bath (great) Oolite, Fo-
^st mai4ile, Cornbrash u. s. w. in der Juragruppe.
Sie bilden keine getrennten Formationen, sie folgen in
einer ununtertnrochenen Lagerungsfolge adf einander.
SHurian System» 670
,1
während iinrer Bildung sind keine allgemeiner wirkeuden,
Aufrichtungen (Hebungen) der Schicliten erfolgt; die
Versteinerungen in denselben besitzen einen gemein»
samen Charakter, viele und zwar gut bestimmte, und
häufig verbreitete Species kommen nicht allein in zwrf
unmittelbar auf einander folgenden Abtlieüungen vor,
sondern erstrecken sich sogar durch 4 oder 5 dersel-
ben, ja einige sind auch dem alten rothen Sandstein,
welcher mit Ausschlufs der Fbche überhaupt arm an
organbchen Resten bt, und den oberen SUurschiohten
gemeinschaftlich. Auf diese gut l>estimmte und häufig
vorkommende Species mub aber ganz besonders geach-
tet werden, wenn man natürliche Ahtheilungen in ei-
ner Schichtenreihe aufsucht : es finden sich zwar we-
nigere Abtheilungen, die sich aber über gröbere Flä-
chenräume ausdehnen' und dadurch grade für geogno.
stbche Yergleiohungen einen vorzüglichen Werth er-
hallen. Sie werden zur allgemeinen Orientining dienen
in weit entlegenen Gegenden und in solchen, wo es
aufserordentlicb schwer hält, die ursprüngliche Jleihen-
folge der Scluchten aufzufinden, dann erst kann mit
Sicherheit zu den kleineren Abtheilungen ubergegan- .
gen werden. Nicht alle die kleinen Abtheilungen des
Jura von Bath und Gloucester lassen sich in Franken,
Schwaben und der Schweiz wiedererkennen, noch we-
niger bei Hiidesheim, ja selbst in England hat man
die Erfahrung machen müssen, dab diese Ab'theilung
bei Whitby und Scarbrough nicht mehr anwendbar
bt, oder ganz wiUkuhrlich erscheint. Nicht anders
darf man erwarten, es mit dieser siebentheiligen Spal-
tung der Silurschichten zu finden; es scheint schpn-
sehr zweifelhaft, ob sich dieselbe in Cornwall und De-
von oder vom Mull of Galloway bb Abbshead wird
auffinden lassen. Den besten Horizont der Yerglei-
chuug giebt der Kalkstein von Wenlock, denn er ent-
hält mehr ab ein Drittel sämmtlicher von Murchison
angeführten Species s nach dem allgemeinen Eindruck,
den die Formen, welche in demselben enthalten sind,
machen, können die Kalksteine der Eifel und von Bens-
berg nicht sehr weit davon entfernt gestellt werden.
Aber freilich einige sehr wichtige Familien der Cepha-
lopoden führt Murchison gar nicht an, keinen. Goniati-
teu, keuie Clymenia, keinen Nautilus aus den oberen
Schichten. Das bt bei einer so grofsen Aufmerksam-
keit auf die Versteinerungen immer eine sehr bemer-
kenswerthe und wichtige Thatsache.^
671 MurcAüau, TAe
Die VanieUiiDg^ dab io j^dar «igaaen SeMdbt
•vth eigentbiiBlidM organwebe Reste enihaltan sind^
kt au« aorgMligen Beobaobtungen bervorgegangen,
aber niebl alle diese Reste sind eigetitbümliobe, wm^
dem viele geben nacb dem AaericenntniCi von MurckiF
ion dureh mebrere .Abtbeiliingen von Sehiebtea bio^^
dureb. Dennoeb ist in dem gansen Werk die Tendefii
gar tilobt zu verkennen, ßtr eine jede Sebiehf reebt
viele eigentiiümlicbe Speeies zu erhalten. Dieses Be^
streben, aus den oft nur unvollkommen erbaltenen
Scbalen nach kleinen und unbestimmten, oft gar
nieht angegebenen Kennxeicben Speeies zu^ bilden, ist
hoohst verderblich für die Geognosie, denn unterbleibt
die genaue Vergieiehung, so werden die Dinge der
Namen wegen für verschieden gebalten. Murobison
schenkt offenbar den Bestrebungen des Kontinents eine,
gr6fsere Aufmerksamkeit, als viele andere englische
Geognosten, die sich ganz allein nur auf das beziehen,
was „die glückliche Insel** liefert, und daher auch im-
mer einen englisob^n Namen für die in England gefun*
denen Versteinerungen haben, wie bekannt und gut
beschrieben auch bereits die Sache im Auslände war.
Der Schaden wurde noch nicht einmal so grofs sein,
wenn nur das sorgf&lUg besehrieben würde, was in
80 T^chllchem Maafse in England aufgefunden worden
ist* Aber auch hieran fohlt es oft genug; die Diagno-
sen sind so mager, die gewählten Kennzeichen so we-
nig sicher und ausreichend, die oft schön ausgeführten
Zeichnungen so, wenig trea, dab es dann mit solchen
Hülfsmitt^ln unmöglich ist, eine strenge Yergleichung
durebzuflibren. MuMhison hat unter den Versteinerun-
gen die Crustaeeen, die Trilobiten mit grofser Sorgfalt
selbst beschrieben, es wäre sehr zu wünschen gewe-
sen, er haue* diese Arbeit auch für die Mollusken über-
nommen. Der berühmte Name von Sowerby, dem er
diesen Zweig der Palaeontologie überlassen hat, steht
wenig im Einklang mit den Leistungen. Die Brachio-
poden, die in so grofsen Mengen als gesellige Thiere
vorkommen und so vdrtreflfliob zur Vergleichung der
älteren Schichten bei ihren scharfen Charakteren die-
nen, sind seiir vernachlässigt« Von den Arbeiten Leop.
vonBuch*s über Terebrateln undDoltbyris ist gar kein
Nutzen gezogen; nicht einmal die schärfere Bestimmung
der Genera bat sunt Leilfadw gedient. Van eia«r.
Charakteristik der Spf eie* nach den wasentUcbea Ksnn»
seichen, d|e so vortreffUeb in der Abhandlung über die
Terebrateln entwickelt sind> findet sieh gar keine Spur,
die .Abbildungen sind grdlstehtbeUs mit GeDaHl^csit
angefertigt und ersetzen sum Tbeii den ftlapgel der
Beschreibungeu, Es ist, als wenn die Kenn- tjk die»
ser Gestalten seit 20 Jahren keine Fertschritt« ^emaoht
bäUe« und selbst der Geist feiner Beobacbtung in
der Mineral • Conobology des äitereo Sowerbj's i$t ia
der Dürftigkeit der Diagnosen veraebwunden.
Pie Korallen sind von Loosdale^ dem Custos der
Sammlungen der Lopdpuer geol. Geaellsebaft, beidiris*
beu \ die genaue Kenntnifs dieser Gestalten lädt ubsr«
haupt noch viel zu Wünschen übrig $ die Genera selb<t
sind noch bei weitem nicht in dem Maafse auf Merk-
male zurückgeführt, die von der Organisation des TIh»-
res abhängen, als zu einer scharfen Bestimmung nothwen-
dig ist, und es bleibt eine Bearbeitung der fossUcn For<^
men dieser wichtigeu Thierklasse unter Berücksiebti-
gung der Arbeiten von £farenberg und Milne Edwards
für die Geognosie ein Erfordernifs, da sie oft ganze
Kalkmassen als Koridlenriife und Inseln zusammeDfe-
setzt haben. Die auswärtige I^iteratur ist bei diesen
Beschreibungen mit grolsem Fleifse benutzt worden.
Die am häufigsten in der Eifel und £ii Bensberg ?oi^
kommenden Korallen sind in dem Wenlock- Kalkstein
'wieder aufgefunden, einige gehen aber auob durch i
und 5 AbtheUungen von Aymestry- Kalkstein bis zum
Caradoe-Sandstein hinab, wie Favpsitea alveolaris, Ca-
lamopora Gothlandica (basaltica), C. fibrosa, die Cate-
nipora escbaroides reicht sogar bis in die 'JJandeilo-
Platten.. Nooli eine weit gröisere Anzahl von Koralleo
soll sich in dem Wenlock- Kalksteine finden, von de*
nen aber I^onsdale nicht so wohl erhaltene Exemplare
zu Gebote standen, dafs er dieselbe hätif bestimmeo
knnnen.
Die CrboUeen sind von Phillips bearbeitet, laeli-
rere neue Genera, wie Marsupiocrinites, Uypantboeii-
nites, Dimerocriniies werden eingeführt, und überhaupt
14 Spezies unterschieden^ angeführt, aber nur udsu«
länglich besehrieben.
(Die FortsetzuDg folgt)
^85.
Jahrbuch
e r
für
wi/äsehschaftliche Kritik.
Mai 1840.
The Bäurian System^ faunded an Geologtcal Re-
searcAes in the Counties qf Salop, Hereford,
Madnorj Montgomery, Caermarthenj Brecon,
Pembrokej Monmouth, Olaucesterj Worcester
and Staffbrd; with Descripttons qf the coal-
ßelds and averlying formations. By Moderik
Impey Murchison.
(Fortoetznog.)
Murchison hebt die Thatsache sehr hervor, dab
alle organischen Reste der Silurschichten gänzlich ver-
schieden von denen des Kohlenkalksteins sind ; dies ist
ein sehr wichtiger Fortschrilt in der KenntnKs des äl-;
teren Gebirges. Sollten auch nun wirklich einzelne
Formen, die jetzt noch getrennt werden, als demselben
Typus angehörig erkannt werden, so würde dies docli
Ton keinem Einflufs auf die Folgerungen sein, welche
sich daraus ergeben und die es möglich machen wer«
den, aueh in solchen Gegenden, wo nur eine unvoll-
ständige Entwicklung des Kohlenkalksteins stattgefun-
den hat^ denselben zu erkennen und von der Grau-
wackengruppe zu trennen, mit der er bisher verweeh-
seit worden ist. Eine Yergleichung der Abbildungen
Ton Murchison un<f von Phillips in seinem unentbehrli-
eben Werke Ober Yorkshiro bestätigt diese Ansicht
durchaus, beide dienen sich gegenseitig zur Erläute-
rung. So war es auch möglich, dafs Murchison auf ei-
ner Reise, die er im vergangenen Jahre in die. Rhein-
gegenden gemacht hat, eine langgenährte irrige An-
sicht berichtigen konnte, welche das mächtige Kalkla-
ger, das sich von Erkrath über Elberfeld, Iserlohn bis
Brilon erstreckt, für Kohlenkalkstein angesprochen hat-
te. Dassel&e gehört der oberen Grauwacke (den De-
von- und den Silurschichten) an; einer Unterabtheilung
aber, die wenigstens in Wales nicht deutlich hervor-
tritt. So verbreitet eine richtig aufgefafste Thatsache
ein neues Licht über weit entlegene Gegenden. Die
Jahrb. /. wimMeh. Kritik. /. 1840. 1. Bd.
schmalen Lager bei Altwasser, der Kalkstein von Neu-
dorf bei Silberberg in Schlesien werden hiemacli ent«
schieden für Kohlenkalkstein erkannt, der sich so we-
nig gegen Osten zu verbreiten schien, und die weit
verbreitete Grauwacke von Rudolstadt gehört dem De-
von-, der Schiefer des Bleibdrges am Bober dem Cam-
brischen System an.
Aber wenn auch die Kohlenkalk- und die Silur-
schichten hiemach ebenso getrennt durch ihre organi-
schen Reste, wie durch ihre Lagerung erscheinen, so
ist dennoch die Ansicht von Bronn sehr begründet, dafs '
von den Ältesten Schichteo bis zu^ dem Zecbitein bcrab
kein so grofser Abscrlmitt in den Yersteinerungen wahr-
zunehmen ist, als zwischen diesem und dem Muschel-
kalk, und dafs gewisse Analogien alle die älteren Schich-
ten mit einander verbinden \ die Angabe von Murchison,
dafs sich Eucrinus liliiformis auch in dem Zechstein fin-
det, dafs also die Trennung zwischen dieser Formation
und dem Muschelkalk eben so wenig vollständig' sei, als
die Trennung von Zechstein und Kohlenkalk, ist we-
nigstens für Deutschland ganz unbegründet und für Eng-
land höchst zweifelhaft und unwahrscheinlich.
Die Silurschiehten reichen von der Nordküste von
Wales bei Conway am Ostrande des Gebirges in unun-
terbrochener Folge, sich dann noch immer mehr nach
West am südlichen Gebirgsfufse fortziehend, von Builth
an in sehr verminderter Breite bis an die Westküste von
Pembrokeshire, bis Haverfordwest und selbst bis auf die
Halbinsel von Pembroke. In dem südöstlichen Theile
legt sich der alte rothe Sandstein in breiter Masse da-
vor, recht auffallend hier demselben Gebirgssystem an-
gehörend. Von besonderer Wichtigkeit für die Unter-
suchung sind die Ränder des Gebirges, an denen sich
Kohlenkalkstein, Kohlensandstein, Rothliegendes,. bunter
Sandstein anlegt, in der Gegend von Shrewsbury und
Coalbrookdale, die Gegend in welcher die Severn aus
dem Gebirge hervortretend, in einem weiten Bogen die
85
' K
675 ' MureAüony Tke
Rftnder desselben darchi chneldet, um dann ihre sttdliche
Richtiing nach Gloiicester hin dem Abhänge parallel an-
zunehmen. In der Gegend ron Shr^wsbury brechen die
tieferen Schichten am Abhänge de^i Gebirges hervor,
die Cambrischett Schichten und von beiden Seiten lagern
ridi die Siturschichten daran« In langen Zungen treten
sie in die neuem Schichten in der Richtung ihres Strei-
chens hinein. Die. Richtung von Nordost gegen Sud-'
West, die Hauptrichtung der meisten Grauwaekenschich-
ten von Mitteleuropa wie Alex. y. Humboldt schon seit
so langer Zeit bemerkt hat, ist auch hier die vorherr-
sehende; sie tritt deutlich in dem langen Rücken von
Wenlock Edge, in der antiklinischen Linie vonLudlow
an der Tema bis Old Rfidnor hervor; die Richtung der
. Caradoc Hills weicht etvras und die der Stipper stones
noch mehr davon ab, N.N. O. gegen S.S.W, laufend.
Diese Riehtungen breiten sich fächerförmig gegen N. O.
hin aus; aber die Qreidden Hills besitzen durchaus die
Hauptrichtung von N. O. gegen S. W. Diese Hebun-
gen stehen in eiitem genauen Zusammenhang mit mas-*
sigen Gebirgsarten, für die Murchison im Allgemeinen
den Namen Trapp gebraucht. Es ist sehr auffallend
wie diese Gesteine hier. in einem Räume vorkommen,
der von W. N.W. gegen O. S. O. vom Snowdon bis cum
Chamwood forest lang ausgedehnt Ut, während die Rich-
tung der einseinen Ausbrüche schief hindurch geht, ja
verschiedene Riehtungen sogar sich darin unterscheiden
lassen, aber keine einzige mit dieser übereinstimmt. Es
ist offenbar dasselbe Phänomen, . welches Gebirge dar-,
bieten, in denen die einzelnen Ketten die Hauptrichtüng
unter einem Winkel durchschneiden, wie die Karte des
, Jura von\Buchwalder und Thurmann so trefflich zeigt.
. Von Abberley Hill bis zum südlichsten Ende der Mal-
vern auf Howlers Heath zieht in der Richtung von Nord
gegen Süd eine Reihe kristallinischer Gesteine grade
auf der Grftnze zwischen dem alten rothen Sandstein
lind dem bunten Sandstein des Sevemthales hin, und
mit -denselben sind Silurschichten in einem schmalen
^ Streifen hervorgehoben. Diese Richtung scheint sich
in ddm Innern des Gebirges nicht zu,wiederholen,v sie
stimmt aber mit der grofsen antiklinischen Liiiie überein,
welche durch Derbyshire und Cumberland in dem Koh-
lenkalkstein hindurch geht, und bat wesentlich die Form
des Gebirgslandes, bestimmt Südwärts lassen sich Wir-
*
kungen derselben wohl noch in der Gegend von Bri-
stol erkennen.
SÜurian System. 616
Eben «o auffallend ist wdter sfidwirti anf dm Ba-
ken Wyeufer die Lage der aatiklinisehen Lini^ nvdck
durch die May Hills uAd den Hough Wood bei flsre.
ford in der Richtung von S.8.O. gegen N.N.W. Ua*
durchgeht und im Gebiete des alten rothen Sanditihi
(im Devonsjstem) die Silursehichten, bis cum Camdoc^
Sandstein an die Oberfläche herauf gebracht hat; db
antiklinische Linie auf den Prescöed eommons beüJik,
zwischen dem Kohlengebirge des Forest of Dean lai
Süd Wales in der Riehtung von N. N. O. gegen S.S.W.
Diese drei Erhebungeii jede von einander TerseUetcs
und der Hauptaug des Grauwaekengebirges von Wiki
bestimmen die grofse^ an keinem andern bekamtoi
Punkte übertroffene Ausdehnung des alten rothen Ssni^.
Steins.
Der Erhebungslinie der May Hills auffallend pa-
rallel ist die Richtung der antiklinischen Linie voaDod*^
ley, welche den Wenlock -Kalkstein mit den vielen bcnw
liehen Versteinerungen aus dem Kohlengebirge auftrei^
der Rowley Ridge, der Lickey Hill und Clont HiBf
zwischen Birmingham und Kidderminster, so weit sett
sich diese Richtung gegen Ost hin fort und giebt db
Veranlassung, dals ältere Massen mitten in dem bu*
ten Sandsteine hervorbrechen. In der -Gegend von Dsd»
ley wird dieses Verhältnifs um sp auffallender, akdie'
nordöstliche Hauptrichtüng so auffallend in dem Wafr
lockkalkstein bei Wallsall und in der ganzen Erstrecksig
des Kohlengebirges hervortritt und von der antiklio-
schen Linie von Dudley durchschnitten wird.
Die Richtung der Caradoe Hills pflanzt sidi gegei
Südwest in das Innere des Gebirges im Carneddau an
Irthon und Wyeflusse fort und die Hauptrichtung ge*
gen Südwest läfst sich nur in der Scheidung der Can*
brischen und Silurschichten genau in der Fortsetznsg
des Wenlock - Rückens bis LIandelo Fawr am Tow)' *%
ununterbrochener Folge erkennen. Von hier aus abet
folgen echellonartige Unterbrechungen, die bei gleidh
bleibendem Streichen der Schichten die Grenzen beidtf
Systeme immer mehr, nach Norden drängen unddadortk
im Allgemeinen die Richtung der Kohlenlager von SSd^
Wales von Ost gegen West hervorbringen. Hier UI*
den die Silurschichten nur noch ein schmales Band swi*
sehen dem alten rothen Sandstein und dem Cambriscbes
Gebirge. Dieses Yerhältnifs erhält sich bis nach.Sl
Cläre am Afon Gyniu nahe der Küste von CaermarllMS
Bay. Weiter westwärts ist aber die Streicbungslio»
t77 MureküoHy Ti#
ier Süimdiiehteii von Ostoa gegen Weifen feriehteCy
devüieh abweiehend roa dea Caaibrischen Sehichten, die
b ibrem Verlaufa and in den daraus benrorbreehenden
DttCdgen Gesteiaan fortdauernd die Hauptrichtung von
Nordost gegen SAdwest boibebahen. Noch auffallender
gestaltet steh diese Abwelcbang auf der Sadsefte des
KobleDgebirgos von Pombroke, wo die Strdehungslinio
ier Schiebten von O. S. O. gegen W. N. W. gerichtet,
theo Winkel von 40 ^ mit der Richtung der Cambri«
idiea Schiebten bildet.
Die Mannigfaltigkeit der Lagerungsverbällttisse stellt
ia diesem Gebirgszuge der Bestimmung der Reihenfolge
der Schichten schon sehr bedeutende Hindemisse enlge«
gea, and es erfordert eine so woblgeiibte Beobachtungs«»
gäbe und eine Ausdauer vi^ie sie Murebison besitst, um
Klarheit in diese Verhältnkse su bringen, um die Ueber-
ehntimmung zwischen den Versteinerungen und der Rei-
beafolge der Schichten darzuthun. Denn das Mittel, wel*
elift'jetst nach der Beendigung dieser Untersuchung
sich darbietet, aus den Versteinerungen auf das Vorhan«
densein bestimmter Schichtenglieder zu schlicGien, fehlte
eben beim Beginne derselben und mufste erst geschaf*
fen werden. Die sehr rollständige Erreichung dieses
Zweckes ist das Hauptverdienst dieses Werkes ui^d giebt
Mttrehison ein wohlbegriindetes Recht auf die Anerken«
Dung aller Geognosten. Eine so ausfuhrliche Detailbe*
Schreibung der zu diesem Zweck angestellten Beobach«
tangen, wie sie das vorliegende Werk enthält, wurde
nicht erforderlich gewesen. Ja es wGrden sogar die Haupt-
Resultate leiditer zu entnehmen und schärfer hervorge-
treten sein ; aber auf der andern Seite kt es wichtig,
die interessanten Lokalitäten kennen zu lernen, welche
diese Verhahnisse nachweisen, und den Beobachtungen
Schrift vor Schritt zu folgen. Die Ausstattung des Wer-
l^cs EU diesem Zwecke ist überaus reich. Eine grofse '
Karte in drei Blättern, ohdo Terrainzeichnung nach der
Miliiür. Aufnahme (Ordnance survey) reducirt, geogno«
itlseh illaminirt gewährt eine vollständige Uebersiclit
aller LokaUtäten.; 9 grofse Blätter enthalten illuminirte
Profile, deren Grundlinien auf der Karte angegeben sind;
14 Ansichten von Gegenden erläutern die Oberflächen-
Verhfiknisse dieses Gebirgslandes, sie sind leicht gehal*
tea, ebne dem Charakteristischen der Formen etwas zu
nehmen; 112 Holz- und Metallschnitte sind in den Text
«iagedruckt, zum Theil einzelne Profilp, zunr Tlieile
euizehid Felspartieen oder sonst auffallende Lokalitäten
System. als
darstellond, letztere meisterbah ausgefihrt. Die Profile
sind beinahe fiber die GebOhr vervielfacht, denn zur Ter*
sinnlieiiung einer einfach aufeinanderfolgenden Sohich*
ten -Reibe bedarf es um so weniger einer Zeichnung,
als diese den Yerlauf der Schichten in die Tiefe nicht
nach Beobachtungen, Sondern nur nach Toraussetzun»
gen darstellt, nnd daher leicht bei dem, welcher mit
dem Gegenstande nicht näher bekannt eine falsche Yor*
Stellung erweckt, und für andere Le$er dörften grade,
diese Bilder ganz entbehrlich sein>. Zeichnungen ver«
wickelter Verhültnisse sLid nothwendig, sie kommen der
Beschreibung zu Hülfe und sparen viele Worte, aber
um ganz einfache Verbältnisse, oder vtelmebr nur die
einfache Ansicht von gleichartigen Verhältnissen darzu«
stellen, bedarf es gewifs nicht für jeden einzelnen Fall
einer besonderen Zeichnung.
Die massigen Gebirgsärten kommen in dieser Ge*
gend mit den Cambrischen und Sihirschiehten verbua«
den in grofselr Häufigkeit Tor, ftie dringen aber aucft
in das Kohlengebirge ein, wovon die CJee Hills be«
sonders deutliche Beispiele lieferu. Ihre Lokalitäten
sind alle angegeben, an vielen Punkten sind die Vor«
hältnisse derselben zu den umgebenden Schiebten mit
Sorgfalt beschrieben, und die Durchbrechung dieser
letzteren, die .Ausfüllung entstandener Spaltenrflumie
nachgewiesen. Die Clee Hills liegen mitten im Ge*
biete des alten rothen Sandsteins, einzelne schoberfoBf
mige Berge dichten Melaphyrs (ein Name, der eher su
rechtfertigen sein dürfte, als der von Mnrchison gebrauchte
Basalt) an ihrer Basis von Kohlengebirgen umgeben,
zwischen ihnen geht die antiklinische Linie von Lud*
low hindurch. Die Kohlenlager sind von ihrem Alis-
gehenden aus unter den Melaphyr verfolgt worden, aber
in der Nähe des Titterstone Clee HUI ist ein mächtiger
Gang biosgelegt worden,, welcher das Kohlengebirge
durchscheidet und den Kanal bildet, aus welchem die
Masse herausgeflossiBn ist^ auf der Nordwestseite das
4
Kohlenrevier von Hoar Edge, auf der Südostseite von
Cornbrook, bedeckend. Die Weite des Ganges beträgt
450 Fufs} grofse Stücke des Kohlengebirges sind los*
gerisiien und befinden sich in einer anomalen Lage von
dem Basalte getragen. An den Brown' Clee HiHs sind
ebenfalls die Kohlenlager von Melaphjr bedeckt, wet
eher die höchste Bergplatte bildet, in der Form etwa
dem Meifsner ähnlich, nur sehr viel kleiner; ein in die
Tiefe niedersetzender Gang als vZufühningskanal dieser
679 MurcMsön; The SilUrian System.
Masse ist nicht mit gleicher Bestimmüieit bekannt wi6
im Cornbrook, aber wahrscheinlich ist derselbe auch
hier. ' Deutlicher Icann der Zusammenhang zwischen
platlenförroig ausgedehnten Massen solcher Gesteine
lind ihrem HerTorbrechen aus der Tiefe nicht nachge*
wiesen werden, als an diesem Puukte. Die Ycrände-
rungen der Kohlenschichten in der unmittelbaren Be-
rührung derselben, fehlen nicht, aber ebenso und viel-
leicht hoch merkwürdiger sind die Punkte^ an denen
die Schichten in der Nähe dieser Durchbrüche sich
durchaus gar nicht verändert zeigen. Die Gesteiüe von
den Clee Hills nennt Murchison Basalt, dem allgemein
in England angenommenen Gebrauche folgend; so wird
aber auch das Gestein von Rowley Ridge bei Dudley-
immer Basalt genannt, so das- Gestein aus den Gängen
und Lagern des Kohlengebirges von Yorkshire, Durham
und Newcastle (den Whindykes und Whinsill). Es ist
höchst zweifelhaft, ob dieses Gestein irgend eine mehr
Öls zunilige Aehnlichkeit mit dem Basalte besitzt, ob
es einen zeolithartigen, in Säuren gelatinirenden Be-
standtheil enthält, ob es Olivin und titanhaltiges Mag*
neteisen einseliliefst; über die Zusammensetzung dieses
so wie auch ähnlicher Gesteine läfsi uns Murchison
leider gänzlich im Dunkeln. Die Namen Trapp, Grün-
stein und Basalt, welche dafür benutzt werden, bezeich-
nen keine^bestiminten Unterschiede, sondern nur eben
einen verschiedenen Zustand der Feinkörnigkeit, wie-
wohl auch hier ebenso keine grofse Consequenz beob-
achtet zu sein scheint. Weder auf die Unterscheidung
der Hornblende, des Augits, des Hypersthens noch des
Feldspaths (Orthoklas), Albits und Labradors scheint ir-
gend ein Werth gelegt zu sein, die drei letzteren Mi-
neralien, deren Verschiedenheit in geognostischer Be-
ziehung so sehr wesentlich 4ind bedeutend ist, werden
überall unter der Benennung von' Feldspath begriffen
und von den beiden letzteren ist kaum die Rede. Der
Hypersthenfels wird «ur von den Statiner rocks bei
Old Radnor erwähnt; der Hypersthen ist hier gewifs,
ebenso wie an anderen Punkten, mil Labrador, vielleicht
auch mit Oligoklas und nicht mit Feldspath verbunden.
Murchison würde ein sehr grofses Terdienst durch
die genauere mineralogische Bestimmung dieser Ge-
steine den vielen andern Verdiensten dieses Werkes
hinzugefügt haben, um so gröfser für England, je' weni-
I (Der Besclilaf» folgf.)
680
ger die Kenntnifs dieser Gesteine dort einheiousch ist.
Die Ansicht, dafs die mineralogische Bestimmung der
geschichteten Gebirgsarten von geringem Einflüsse aif
die Bestin^mung ihrer Altersfolge sei, seheint leider dort
den Erfolg gehabt zu haben, dafs es. auch für überflüadg
gehalten wird, auch die krystallinbchen Gesteine eioer
näheren Betrachtung zu würdigen. Daher die vielen
Angaben in englischen VTf^rken, aus denen kaum cia
entfernter .Schlufs auf die Zusammeiksetzung der plote-
ni^chen Gesteine gemacht werden kann, und die ai
eine in der Mineralogie längst vergangene Zaiteiis-
nem. Je mehr Schwierigkeiten aber diese genauen
Kenntnils der krystallinischen Gesteine darbietet, lai
so mehr mufs grade auf ihre Bearbeitung gedrungea
werden«
Höchst auffallend sind einige Ai;^aben über das
Yorkomn^en des Olivine^ dessen Mangel in den en^
sehen Gebirgsarten bbher nur aufgefallen war; die
meisten sind von der Art, dafs sie Zweifel gegen die|
Richtigkeit der Bestimmung erwecken können.
Bei Little Wenloek wird das Gestein basallisciMr
Grünstein genannt, wiewohl die Feldspath- und Hoi»-
blendeköruer nur mit grofser Schwierigkeit von einaih
der zu unterscheiden sind, in welchem Falle es als Ba-
salt (?) betrachtet werden soll, in diesem kommt hier
und da Olivin vor.
Die Zusammensetzung des Barestree • oder Here-
ford - Trappgauges im alten rothen Sandstein ist
wunderlich. Vorherrschend ein krystallinischer,
Hornblende," Oltvin und Feldspath bestehender
stein, in der Mitte kuglich und die Hornblende vorwal-
tend, nach den Wänden hin prismatisch abgesondei:^
mit vielem Feldspath und wenigem Quarx, die Saal»
bänder wahrscheinlich Serpentin^ eine so ungewöl
liehe Verbindung von Mineralien würde wolil eine
here Begründung erfordert haben, aber es wird als vrife
über, etwas gewöhnliches hingegangen.
Wo möglich noch auffallender ist das Vorkomn^
des Olivins in schichtförmigem Trapp- mit den uateica
Silurschichten zusammen in der Corndonkette zwiackt
Wotherton und Marrington Dlngle in einem maadd-
steiiiartigen Grünstein, indem die bohnengrofsen Man»
dein mit Kalkspath und Olivin ausgefüllt sein sollen.
Jahrbücher
*
für
1^ i s 8 e n 8 c h a ftliche Kritik
Mai 1840.
im« Säurtan SyBtem^ founded o» €fe0hgüfal Re*
$earchet in tke Cauntiet of Salop, Herrford^
Hadnorj Montgomery^ Caermartheny Breconj
Pembroie, Mofimouthy Oloucestety Worcester
and Stafford; with Descriptions of the coal-
Jields and overlj/ing formatiam. By JRoderik
Impejf Murckisom.
(Schltft.)
Aach die wesdichslen Punkte fod Penbrok« bie*
iem Doeh Sbnliche nauerkwafdige MiDerakusasiineiiset-
«vngea dar; bei St. David fiadet eich ein aehr kiyatal*
JEUiisdier GrBnatei») der ai^ Albk (ea scheint diera der
Minzige Pankt . tu aem, wo er beobachtet worden ist)
amd Ideineren KryataUen von Chromeisen besteht imd
aulaer Quars^ Eisen nnd Cfaroaioxyd ein erdiges Minet
ral enthält, welches währseheinüch verwitterter Augit
int. Nieht lefcht wfirde man dieae Mmeralausanunei^
•aiaung unter dem Namen: Grtastein suchen.
.Mit den massigen Gesteinen in genauer Verbin«.
deusg. stehen diejenigen Sehichien, welche Morchisou
Mit dem m^t jpewöhnlichen Namen ,)Vulkaniscber Sandt
stein" (volcanic grit) beseichset. Grit ist ein Trivial-
i&ame dca englischeii iLshlcnbergniann% wie Granwacke
^ha Harter and Gneia des Preiberger Bergmanns; ein
(Jnlersdbied von dem Werte aandsloBe oder Sandstein
int nidrt ansugehen vnd es kann daher nur verwirren^
beide neben einander au gebraneben; eine nähere Er*
Inutemng giebt auch Mnrahiaon nicht Er ist der An«
iricht, dab dieser vulkanische Sandstein das Prodnkt
Mdmianniv Audbrüehe aus der Cambrisclien und Silurl«
Mban Periode aei nnd ana^.Aäobe nnd Schlacken be«
atinde. Aber freilieh aaa der Beaohrmbnng deaaelbea
Utfat aich weder die Aacba nach die Schlacke erkeo«
oen. . In der Nähe des WreUn's hestehen diese vulka«
nisehen Sandsteine ans denselben Materialien^ welche
Griinstein und Syenit ausaniniensetsen, mit wenigen
Jahrb. f. wUie»$ck. Kritik^ J. 1840. I. Bd:
feinen Glimmerblättcfaen ; anFufse des kleinen Caradoc
aus Kdroem von Grönecde, Feldspatii und aus tilim*
merblättchen« Von Cheney bei LongviUe ist es ein
gUmmeriger^ sehr feinkörniger Sandslein von dunkel
nlhrengriincr Farbe mit den Abdrucken von Enkriniten,^
Trilobiten und Mollusken. Es ist nicht klar, ans weU
eiiem Grunde diese Sandsteine nicht das, Produkt der
Zerstörung der Trappgebirgsarten, durch dieselben Wir»
kungen hervorgebracht, sein können, welche aus quar«>
eigen Gesteinen die gewöhnlichen Sandsteine und Kon*
glomerate erseugt haben. Nodi ausgedehnter sind .die- '
se vulkanischen Sandsteine an der .Comdonkette; ea
sind quarzige und feldspatbhaltende Gesteine, wie so
viele grobe Sandsteine aUer Fermationen, die abgerie-
bene, Quarz- und Feldspathkörner noch erkennen las*
sen, im Rotbüegenden, im bunten Sandstein, im Keu- .
per, im Griindsand, ja aelbst in den Plioceen-Sandstei*
nen Sicilienss aie aipd von Chlorit dunlcelgrun gefSrbt
und enthalten eckige Bru<Astucke von Grauwacken-
achiefer und porphyrartigem Grünstein 5 unter denLlan-
deilo-Platten dieser Lokalitäten lassen einige die Kor«
ner von Feldspatb, Quarz und Hornblende sehr deut-
lich wahrnehmen, und sind mit den Abdrücken von
Trilobiten erflUk. Bei Glog zwischen dem Towy- und
Taafflasse (im südwestlichen TheiU von Caermarthen«
aiiire) ninunt ün didites Feldspathgestein* Geschiebe von
Quarz von der Grofse eines Eies auf und geht nach
dem Gipfel des Berges in ein Konglomerat und in Sand»
stein über. Endlieh wird noch am feld^q^athreicher
Sandstein aus dem fiteioicohlengebirge von Stafford«
shire zwhchesi West Brooawtch und Kings Swinford
hierher gerechnet, welcher mit dem sogenannten ^Ornnd^
geAmüz^' van Weuin und eiirfgen Lagen des Roihlie*
gendeii vom Thüringer Walde eine auffallende Aehn«
lichkeit besitzt, und aufsur den Bruchslüdcehen voll
• rothem Feldspatb ähnliche von grünem Thonstein eat<»
liUt; derselbe gekört den obersten Schichten des Steine
86
683
Talvjy CharßJki^rUtifs der Volkslieder*
«4
kohlengebirgas an und kommt nach Murchison*s Beob-
achtungen auch in dem darüber liegenden Rothtiegen«
den (Lower New Red Sandstone) /vor. Alle diese Ge-
steine dörfilen Jcaum eine andere Entstehungswelse in
jln^pruch pehmen als sie gewöhnlich den Sandsteinen
zugeschrieben wird, die aus der Zerstörung schon vor-
handener Gebirgsmassen hervorgehen. Bei so grofsen
Ausbrüchen plutonischer Massen (von Feldspath* Trapp-
gesteinen) kann allerdings erwartet werden „Reibungs-
konglomerate" zu finden, die auch an Tersohiedeuen
Stellen besehrieben Verden.
Die genaue Nachweisung des Rothliegenden über
dem Kohlengebirge an den Rändern des Gebirges bei
Shrewsbury, des Zechsteins; die Trennung des bunten
Sandsteiils und des unzweifelhaften Keupers^ obgleich
vom Muschelkalk kaum eine Spur vorhanden ist, gehört
«tt deb vielen wichtigen Resultaten, welche picht allein
4lie Mineral -Geographie von England, sondern auch
4ie allgemeine Geognosie dem genauen, mit scharfer
Beobachtungsgaben ausgeführten Untersuchungen Mur-
chison's verdankt.
V. Dechen«
LIIL
Versuch einer geschichtlichen Charakteristik der
Volkslieder germanischer Nationen^ mit einer
Uebersichi der Lieder aufsereurop&ischer Völ^
kerschaften, von Talvj. Leipzig, ISAO. bei
' F. A. Brockhaus. 614 S. gr. 8.
Anfangende Bildung, der Nationen wie der EinzeL-
nen, mag von den Volksliedern ablenken, fortschreitende
und durchgedrungene wendet sich unfehlbar zu ihnen
surUck, wie denn die Kenntnifs und der GenuCs der
Höhen, zu denen wir aufgestiegen, sich erst recht er-
gebt und vollendet, wenn wir auf die vermittelnden
Stufen niederbücken und Höhen und Weg im Zusam-
menhang überschauen. Bei den Völkern des Alter»
thums jedoch bricht n,ur selten' ein Bezug auf solche
Lieder durch, ihrer %vird meist nur gelegentlich, zum
Behuf geschichtlicher Vorgänge oder Verhältnisse, noth-
dürftig erwähnt. Mit mehr Eifer und Bewufstsein lia*
ben neuere Völker diesen Anwuclis des eigneti Lebens
auch als dichterisch werthvoll beachtet und gepflegt,
und' Spanier, Engländer^ Deutsche und Franzosen, vie
Dänen, Norweger, Schweden und Russen, können rei-
che Sammlungen dieser Art aufweisen.
Die Volkslieder aller Nationen aber im Zusannen.
hange zu betrachten, sie in ein Ganzes zu fassen, im
war ein deutscher Gedanke, und einer der edelsten G4»
ster des Vaterlandes, Herder, führte zuerst ihn am.
Sein weitfiiegender, oft wunderlicher und auch biswei*
len. verirrter Genius war hier in seinem eigensten G^
bi^t , in ' seiner sichersten Beschäftigung ; Poesie ttid
Sprache in allen Gestalten, Völkerarten und Zeitak«
in ihren Eigenheiten zu erfassen, zu gruppiren, das wv
seine Meisterschaft* Seine zwei Bändchen „Volkalie*
der*', später als „Stimmen der Völker in Liedern** ik
verwandten Aufsätzen vereinigt, sind eine seiner schoih
sten Gaben, mit der sein bedeutendstes Werk, die ^Ideea
zur Geschichte der Menschheit*', sich in vielfache Vir.
bindung stellt. Der glüpklicbe Griff, den er bei Jmmt
Sammlung immerfort darthut, die Kenntnifs, WaU»
Uebertragung, Ausdrucksweise, sind nicht genug tu ba*
wundern, die fremden Schätze werden wahrhaft aeü
eigen, und wir fühlen, dals ein Dichter uns die Didi^
tungen reicht An Sinn, Takt, Angemessenheif, so \ri$
an Wirkung, ist sein Buch bisher nicht Gbertroiea^
und hält noch immer guten Stand, zum ZeugniCi, ws
gut und dauerhaft der rechte Manu das Rechte tbvt
Seitdem sind jedoch andre Bedürfnisse erwacht, in
^Gesichtskreis ist erweitert worden, die Quellen hakt
sich unendlich vermelirt. Die Forschung, wieder im
Besondem zugewandt, eineeine V,ölker und SpraclMa
bearbeitend, hat grofse Vorräthe gehäuft, zum Tlid
auch gesichtet, und ein eignes Fach der Gelehiiaaikeft
ist entstanden. Dänische Volkslieder sind durch üi
Brüder Grimm, neugriechische durch Fauriel und W3»
heim Muller in kritischer Bearbeitung uns zugeluhrti aai^
bische durch unsre Herausgeberin, russische dureh fioelii
und Andere; neue Reichtfaümer spanischer Lieder bat«
Bohl von Faber, holländische Hoffmann von Fallefsh»
ben bekannt gemacht; von deutschen Sammlungen iit
vor allen „des Knaben Wunderhorn" von Armm ani^
Brentano zu nennen, dann Büsching's und von der Ha» i
gen*s Beitrage, Meinert's, jdie Sammlung von Biiseh.
Die grofsen und mannigfachen, ' fast in allen KtAnm i
angeregten Arbeiten über die Sprach- und Geschicbli» j
denkmale der Vorzeit, die mit pbilologbeher Stm»
ge besorgten Ausgaben der' alten Dichtwerke, all«
dies kam auch den VoUcdiedern zu Statten, und Vei^
V
Tahj^ Ckarakierütit der Volkslieder.
686
und Stcbtimg derselben haben ungemein ge*
ifroQnen.
Der nationale, nnd selbst der prorinzielle Fleib in
jfiüsen Gegenstäiiden ist gewifs Idblicb; jeder besondre
Boden und Y olksschiag möge bb in's Kleinste sorgsam
durohforsoht werden; auch die gelehrte Anhäufung des
gewonnenen Ertrages bedarf keiner Rechtfertigung.
jUleia wir finden doch bald, wie bei anderm Stoffe so
vorsugsweise bei 4iesem, dafs den Büchern noch ein
andnFT Zweck inwohnen mQsse,. als in den Schränken
sttittlicfa dazustehen und für gelehrte Neugier gelegent-
lidi zum Nachschlagen zu dienen. Wir empfinden das
Bedärfnifs, den aufgespeicherten Vorrath aus dem wis-
sensehaftlichcu Verschlufs wieder auf den offnen Markt,
M das frische Leben und zum heitern Genüsse zu brin«
|ett. Hiesu, gehört aber mebr^ als gelehrte Sorgfalt und
Genauigkeit, hiezu gebort allgemeiner Sinn, Zusammen«
lutea des Mannigfaltigen, geistreiche und gefällige
Behaudlungsweise; die einseitige Yertiefung in den
Kreis nur Eines Yolkes genügt nicht, verschiedene
Völker müssen sich zur Vergleichung stellen, damit
das Gemeinsame wie das Eigenthunüiche recht an das
Lieht trete.
Schon als das Wunderhom erschien, welches die
deutsehen Tolkslieder, bei mancher Redaktions* Willkür,
doch im Ganzen in geistiger Frische wiedergiebt, und
debbalb nicht ohne grofse Wirkung geblieben ist, äu-
iterte Goethe, in seiner trefflichen Anzeige des Buches,
den- Wunsch, dafs die Herausgeber, wenn sie ihre
Sammlung fortsetzten, wohl aufzurufen wären, auch
was fremde Nationen dieser Liederweise besitzen, aus*
Eosvehen, und sie im Original' und nach vorhandenen
oder ?ön ihnen selbst xu lebtenden Uebersetzungen dar*
jBulegen. Abo die deutsche Besonderheit wünschte er
wieder in reichere Gemeinschaft zusammengestellt, und
dea neuen glücklichen Anlauf durch solche Vervollstän.
iigang gleichsam wieder auf den Herder*schen Plan
eaiforziibringen, wobei für die Ausfuhrung mehr Um«
bog und Reife, als In jener fcttheren Zeit möglich war,
lieh jetzt bedingen würde.
Biese Andeutung aber blieb einstweilen unwurk*
■am; die Herausgeber des Wunderhorns hatten ihren
deuuchen Yorrath. noch lange nicht erschöpft, als der
Sinn der Landsleute, denen in der That auch tIcI zu«
gemuthet wurde, schon längst Uebersättigung fühlte,
und jene, launisch und sprunghaft wi^ sio waren, hat-
ten ihr. Treiben bald auf andre t*elder übertragen, WO
sie abermals genug zu ringen fanden. Die späteren
Bearbeiter und Herausgeber von Tolksliedem hielten
sich insgesammt nur in besondern Richtungen und be-
stimmten nationalen oder gar provinziellen Gränzen, und
ein solches Buch, wie Herder für seine Zeit geliefert^
und Goethe für eine spätere -nach deren Mals erneuert
wünschte, ist uns im Laufe von mehr als sechzig Jah»
ren nicht wieder dargeboten worden.
Alles bisher Vorgeführte setzt uns in den Stand,
nun in Kurze sogleich auszusprechen, welche Stelle wir
dem gegenwartigen Werk anzuweisen haben. In der
von Herder gebrochenen Bahi^ füllt dasselbe eiile seit
so langer Zeit immer fühlbarer gewordene Lücke, es
ist die glückliche Wiederaufnahme jenes Herder'echen
Gedankens, nur erweitert und erhöht nach dem M afse,
das eine fortgeschrittene Kennlnifs und Entwickelung
Jiier gebieten. Oder wir können auch sagen, dasselbe
ist diC' neue Gestaltung des Wunderhorns, aus der deut«
sehen Einschränkung nach Goethe*s Angabe wieder zum'
Allgemeinen erhoben, wie zu thun die ursprunglichen
Herausgeber selbst in ihrer Zeit verhindert waren.
Zwei so namhaften, in wirksamen Ehren stehenden
'Werken innigst verwandt, und mit deren ererbten Vor*
zfigen neueres und selbstständiges Verdienst vereinend,
und solchergestalt beiden gleichsam, eine jagendliche
Stellvertretung, darf diese neue Sammlung wohl als«
eine der willkommensten Gabe% begrüfst werden, so«'
fern die Ausfiifarung den hier zu machenden Anspruehen
nicht unbillig nachsteht.
Die Ausführung aber darf eine vortreffliche ge«
nannt werden. Mistress Robinson, geborneTheresevon
Jakob, deren Namen in der Bezeichnung Talyj ange-
deutet ist, hat ihren Beruf zu dergleichen Arbeiten
schon früh an einer besondern Abzweigung dieses Stof*
fes mit Glück dargethan^ ihre Uebersetzung der serbi-
schen Volkslieder ist als ein Gewinn unsrer Litteratur
allgemein anerkannt; der offne Sinn, das reine Ge-
fohl, der' klare und sichre Verstand, -welche sich in
jener Leistung zdgen, sind grade die Eigenschaften, ^
die jedem weiteren Unternehmen solcher Art am mei*
sten SU wünschen sind. Bei fortgesetzter Beschäfti«*
gung mit dem Gegenstand und bei eifrigen^ Studium
seiner stets reicher sich erschlielsenden Hülfsmittel konn-
ten Kenntnisse und Urtheil im Fortgange der Zeit nur
gesteigert werden; aber auch äufsere Umstände wirk-
fiÖ7
Tatvj, Churmkterutik der Folkflüder.
den fofd^NÜoh ein. Dureh besondre Lebeosgesckiek«
ward iin«rd deutodie Landtmaimin , nachdem sie frll*
h»m Jahre iik Rublasd verlebt und Sprache und EU
gehtkfiailichkeit der Slawen kennen gelernt, später in
NordaBierlka helmisdii und gewann so die Ansehen*
nng der remcbiedensten Yolkergebilde ; das. Leben in
engUseber Sprache und ^itte Idhrte su den U ritten und
Sichotieo lurück, wahrend das Land selbst auf seine
Urbewohuer hinwies; bei solcher mehrfachen, die ent*
)egensteii G^ensäise umfassenden Vertrautheit der An-
aebauung mufste der geistige Einblick in nicht selbst*
durchwandene Gebiete die sichersten Anhaltspunkte
finde».
£iA Werk der Gelehrsamkeit su liefern, war nicht
die Absieht I wiewohl die gelehrte Kenntnif^ fast auf
jedeflii Blatte sichtbar ist, und oft in Verwunderung
•eUt dardi ihren Umfang und ilire Mannigfaltigkeit $
MMh WiU das Buch weder als historisches Lehrbuch
noch selbst als VolksUedersammlimg auftreten, die be*
acbeidene Verfasserin verwahrt sich ausdrücklich gegen
•eichen Anspruch, und bek^at, dafs su dem erstem
eine tiefere Begründung, su dem letztern eme gröEsere.
Vollstftndigkeit erfordert würde. Sie bezweckt zu-
jiachst, das Vorhandene zur üebersicbt zu . ordnen und
einzurahmen f aus der Masse das hervorzuheben, was
den Geist derselben darstellt, imd will sufrieden sein^
auf diese Webe in der Bilderreihe der Volkslieder ei-
U0a Beitrag aur SUt^geschichte gegeben zu haben.
Das Bach Fahrt in der That den ganzen Stoff, der bis-
her in ^mannigfachen Ablagerungen verdrieislich stockte,
aufs neue heiler dem Leben zu, und wir dürfen nicht
zweifeln, dafs ihm gelii^pen wird, was die Verfasserin
erstrebt, nAmlicb das aus den Schachten der Wissen«*
Schaft mühsam gewoaneiie Gold in gangbare Milnze
ausprägen zu helfen,
Hiezu war eine thitigere geistige Vermittlung, eine
reichere Zuthat von Einleitungen and Verstindigangen
ndlhig, als die Voi^gänger bisher au liefern pflegten«
Und hierin gründet sieh kein geringer Theü des Ver-
dienstes, welches wir überhatqpt dem Buche beimessen,
AalMT ekier aUgemeiaea, saehkundigea «nd aiispre«
chenAea Einleitung^ welche das hier zu durchscbrei-
tende Gebiet abmarkt und eintheilt,' und woaack Ai
Völker des Alterthums einstweileli noch aufsecbalb 4ct
Betrachtung gestellt bleiben, nimmt die Verfasserin je.
desmal das Wort, so oft ein neuer Abschnitt wn
Volkersdiaften vorführt, oder Inhalt and Richtuag Jtt
Milgetheillen dazu veranlassen. Diese Zwischeareia
versetzen den Leser auf den richtigen Standpunkt, de«»
ten ilim die Uülfsmittel und Quellen an, und bcka,
durch kurze einsichtige Angaben, das eigeotKdi^ Ibi
zeichnende hervor. Der klare Sinn, die umfasiaiiii
Kenntnisse , das gesunde Urtheil und der feine Ttb
der Verfasserin bewähren sich hier auf jeder Seite.
Mit einzelnen Aussprüchen oder Bemerkungen durlla
wir nicht sogleich übereinstimmen; aber die Moglkb
keit, ein Für und Wider anauknOpfen, wo der Gegei»
stand , über den geurtheik wird , in schlagenden fie^
spielen unmittelbar mitvorliegt, ist bei solchem Bids
nur ein Reiz mehr. Den Begriff des Volksliedes luast
die Verfasserin wohl ^twas xu eng; in so weilsdifab
tigen Gebieten, wo die naturliehen Grunzen of vamik
bar sich verlaufen, ist keine genaue Abscheidung aig'
lieh noch nötliig, und die künstliche doch nur ebi m
haltbarer ' Zwang. So können wir z. B. dem TiMJ
dafs die früheren Sammler unter, die deutschen ,V<Ai»
Keder auch wohl ein neulateinisches aufgenosma^
aicfat beistimmen; ein in gemeinem gangbaren Lam
und Im Volkstöne gediditetes Lied, gesungmi ven Leai
ten, weldie, wie die «ngeheure Zahl veaMoacbeBml!
Studenten, der Mehrheit nach als dem Vdk aDgekif||
zu rechnen sind , autg unsres Eraohteas, gar weU ili
der Reihe deutsdier Volkslieder seine Stelle hsbak »
gut wie eine lateinische Zeile oder Seitens im eisaki
nen Liede. Den Uiaprung des Volksliedes und kt\
Poesie überhaupt könnten wir vielleicht in sehlffaM!
SZilgen aasgefnbrt wQnscben ; die Art, in welch« di
Herder philosopUsch bewegte, uad in die wir aea
Burtckversetzt werden, genügt eiaeai zu retfwem Gab»
kenausdmck erhobenen Sinne nicht melir; daftraki
ist die Erörterung dieser Oegensläade von biMfaltf
Seite um so preis würdiger; nber^ spfiebt die Svil^
seria Mis frischem Gemüth und aus dieliterisehsr Va-
atetlangskraft, und daher lebendig and aasehaaliek.
^sr ßcsehlnfii folgt)
wissen
Jahrbücher
f»«
u r
Schaft liehe
Mai 1840.
Kritik
Verweh einer geschichtlichen Charakteristik der
Volkslieder germanischer Nationen^ mit einer
Uehersicht der Lieder aufsereuropäischer Völ-
kerschitften^ ton Talvj.
(Schlofo.)
Die Auswahl selbst hatte vor allem das Gedie-
gene, poelisch und historisch WerthvoUe im Auge^ so-
dann das Eigenthiimliche, worin Yolksart, Zeitumstände
oder Geistesrichtung sich am eotschiedenstenausdrücken \.
.jiatQrKch treffen beiderlei Merlcmale in den meisten
Fällen susammen, jedoch finden wir sie bisweilen auch
getrennt. Die Verfasserin leitet uns hier mit guter Un«
terscheidungsgabe. Bei 'gröfster Liebe zu den Tolks«
liedem ist sie keineswegs blind eingenommen für alles
iiras diesen Namen trSgt« Sie verwirft mit sicherem
. Geschmack das Geringe und Rohe, mit edlem Unwillen
das Gemeine und NiohUwürdige, das auf diesem Bo-
den stets neben dem Besten wuchert Der Warnung
Goethe's an die Herausgeber des Wunderhorns, ^ysich
-Tor dem Singsang der Minnesinger, vor der bänkel-
aängerischen Gemeinheit und vor der Plattheit der Mei-
siersänger, so wie vor allem Pfäffischeii und Pedanti-
schen höchlich itt hüten'*, dieser Warnung hat es hier
kaum bedurft. Der strenge Sinn dünkte uns bisweilen
sogar SU weit su gehen im Verwerfen, doch fanden .wir
bei näherer Prüfung suletsi fast immer beizustimmen.
Bei aller Achtung f&r das Ursprüngliche und Ei-
genthümliche der Volkslieder, war diese doch Einer
Rücksicht nothwendig unterzuordnen, der Verständlich-
keit. Da die Sammlung keine gelehrte sein wollte,
sondern ein ansprechendes, heutigen deutschen Lesern
erfreuliches Buch, dem die gebtige Treue mehr gilt als
buchstäbliche, somufsten die Lieder fremder Völker
in's Deutsche, die deutschen Lieder aber aus ihren ver-
scfaledenen Mundarten in die heute gang und gäbe
Sprache übertragen, wenigstens derselben angenähert
Jahrb. /. wuien$eh. Kritik. J. 1840. h Bd.
werden. Bei diesem letztern Verfahren war wenig
Schaden zu befürchten; in ^vielen Fällen mochte es un-
gewifs bleiben, welcher Mundart oder Gegend ein Lied
ursprünglich angehört, die Mundart, in der sich das«
selbe vorfindet, ist nicht nothwendig die ächte und er-
ste; sodann hat das Festhalten der landschaftlichen
Aussprachen manclie Schwierigkeit, und uusre gewöhn-
liche Schrift reicht dazu nicht ans, der Beleidigung des
Auges nicht zu erwähnen! Endlich aber gilt von man-
chen unsrer Mundarten, was eben von eiozelnen Volks*
liedem bemerkt worden, dafs der blofse Name nicht
genügen könne, wo die Beschaffenheit keinen Werth
habe. Wo die Mundart ohne Bildung geblieben ist,
roh im Klang, arm und gemein im Ausdruck, da ver-
lieren wir nichts, wenn ein paar edle Diohtungspflan-
zen, die zufällig da hineingerathen sind, dem schiechten
Boden enthoben und in einen bessern versetzt werden.
Zum Beweise gilt die Mundart des sogenannten Kuh-
ländchens, dessen Lieder durch Meinert herausgegeben
worden, aber wegen' der abschreckenden Sprache für
delk grofseren deutschen Lesekreis ungeniefsbar geblie-
ben sind« Bei aller Auf- und Nachhülfe aber, die hier
im Allgemeinen geboten und nicht zu vermeiden war,
ist im Einzelnen, das können wir versichern, die kun-
dige Hand auch eine möglichst schonende gewe^^en, und
hat nur das* unerläblich Noth wendige getban. Der
Grundton und die sprachliche Eigenheit des Ausdrucks
sind, gleich der darin herrschenden Denk - und Empfin-
dungsart, im Wesentlichen wohlerhaltcn, und die Zeug-
nisse des Ursprungs, wo solche vorhanden waren, so
wie der Rest des Alterthums, sind nirgends freventlich
ausgelöscht. Wir halten das gewählte Mafs für das
richtige, und jedes andre hätte dem Unternehmen nur
nachtlieilig werden müssen.
Den reichen Stoff in's Einzelne zu verfolgen tind
mit Bemerkungen zu beglehen, übernehmen wir nicht;
geeignete Beiträge hiefür anzubieten, 'wird anderweitige
87
691
Talvjy Charakteriitik der Volk$lieder,
m
GelegenLeit nicht ^eUen. * Mit einigen Worten aber die
Folge und Einrichtung des Inhalts anzugebeil, dürfen
wir nicht unterlassen. Nach der allgemeinen Einlei-
tung giebt uns der erste Abschnitt zuvörderst eilten
Ueberblick der asiatischen Töllcerschaften, und laEst
Ostindier, Chinesen, Armenier und Georgier, Perser,
Afghanen, Hasarer, Mongolen, Kalmücken, Beduin- Ara-
ber, Turkomannen, Kurden und Baschkiren uns in bun-
ter Reihe vorüberziehen, unter Sang und Klang, indem,
so weit es möglich, jedem Volke seine Liederproben
folgen. Sodann treten die malayischen und polynesi-
schen Völker auf, Malayen, Javanesen, Bugis und Ma-
kassaren, Inselbewohner der Südsee. Die afrikanisdien
Völker folgen hierauf, etwas dürftiger: Mandingos,
Ashantees, Mauren, Berbern, Aegyptier und Abyssi-
nier, wobei es schon verdienstlich genug ist, die schwa-
chen, in so weiten öden Raum verstreuten Anklänge
hier vereinigt zu haben. Die Ureinwohner von Ame-
rika liefern eine kaum reichere Ausbeute; Indianer im
Allgemeinen^ dann Mexikaner, Peruaner und Chilesen,
Grönländer und Eskimos, Irokesen, südamerikanische
Wilde, werden nothdürftig vorgeführt; die Zukunft
wird hier weiter Aufzufindendes leicht ansehliefsen. Die
zweite Abtheilung wendet sich zu den europäischen
Völkerschaften, wo denn die germanischen vori^istehen.
Die skandinavischen Völker, Isländer, Faröer, Dänen,
Schweden, entfalten hier ihren alten Liederreichthum,
nur die Norweger stehen einstweilen etwas zurück, weil
die erwarteten Hülfsmittel zufällig ausgeblieben. Für
die Deutscheu ist verhältnifsmäfsig nicht viel Raum ge-
währt, doch dabei Sorge getragen, das Schönste und
Köstlichste der deutschen Volkslieder hier im dichten
Kranze nicht fehlen pk lassen; der geschichtliche und
sittliche Gehalt wird vorzugsweise beaphtet, das für
Denkart und Gefühlsweise Bezeichnende hervorgeho-
ben. Nachdem auch die Holländer ihren Abschnitt er-
halten, werden wir zu den brittischen Völkerschaften
hinubergefuhrt, wo die Schätze der Engländer und
Schotten sich in Fülle darbieten, und die Verffisserin
ihre in dieser Richtung besonders grofse Kenntnifs und
Vertrautheit vortheilhaft bewährt.
VTir sehen aus dieser Inhaltsanzeige , was schon
geleistet ist, und was noch zu erwarten steht; denn
wir wollen unbedenklic6 sagen, was der Titel des Bu-
ches yerscbwcigt, nämlich, dafs wir eigentlich den er-
sten TheO eines Werkes vor uns haben, dem ein swei«
ter hoffentlich nicht fehlen wird. Dieser wird inslie«
sondre die slawischen Völker zu betrachten haben, von
welchen dieselbe Hand, die uns die serbischen Liedec
mitgetheilt, nur den gediegensten Bericht und die e^
wünschtesten Beispiele versprechen muls. Die roma»
sehen Völkerschaften werden sodann auch an dieBeilie
kommen, und so das vollendete Bild als ein webgi-
9chichtliche9 befriedigend abschliefsen. Möge sonack
dieses wohlbegonnene Werk glücklich zu seinem Zids
gelangen, und die edle Verfasserin den ihr von Laiil^
leuten unj Ausländem gebührenden Dank in der ^
stigen Aufnahme ihres Buches reichlichst ärnlen! —
K. A» Varnhagen von Ense»
UV.
Fa%ti Horatianu Scrtpsit Carolus Franhe^fk
d. — Accedit epistpla Caroli LacAmanm* — i?^
rol. sumptibm Ouil. Bessert. MDCCCXXill
240 S. 8.
Mit Vergnügen benutzen wir die dargebotene G^
legenheit, um das Publikum auf ein Werk aufmeritsui
zu machen, welches eine längst empfundene Lücke li
der Litteratur des Horaz ausfüllt Wie viele Bew«^'
her diese in allen Zeiten auch gefunden hat, wie vickr
sie namentlich in den letzten Decennien sich zu er*
freuen hatte, die theils um die Hermeneutik, theils sn
eine durchgreifende Kritik des Grundtextes sieh bemifr
ten , oder endlich auf dem sicheren 'Wege der (b^
schichte durch monographische oder umfassendere Vep
suche die Werke und das Zeitalter des Dichten ii
bürgerlicher und litterarischer Hinsicht der gebildetti
Welt näher zu bringen bedacht waren: so blieb dock
bisher noch ein fühlbarer Mangel, der auch auf A
Exegese und die kritisch - historischen Forschungci
mehr oder minder zurückwirkte; wir entbehrten eon
auf Grund eines gereinigten Urtextes, mit strttigwer
Prüfung der wechselnden pfosodbchen Gesette bei W
serem Dichter, und mit sorgfältiger Beaehtung^ der pe^
sönllchen^ socialen, sowie allgemeinen politischen Ver-
hältnisse ausgeführte Untersuchung der Ciironoloji^
sämmtlicher Gedichte des Horatius. Obwohl es n
diesem schwierigen Geschäft an bedeutenden VorarM*
ten nicht fehlt und im Einzelnen die Schollen zum He»
raz belehrende Winke geben, so liegen doch die metttefl
693 Franke^ Fa$
Bemühungen >iur diesem Felde . schon mehr als hundert
Jahre hinter uns, und unter j^nen sind selbst die an-
erkanntesten in keiner Zeit su einer solchen Authentie
gdangt, dals man sie als einen gesetegebenden Codex
ehronologieus b(»trachtet hätte. Aber gleichwohl sind -—
und dies Icanii nie gL^nug wiederholt werden, — die
kurz und allgemein entworfenen Grundstriche Riehard
Benüeys nebst Massons mehr ins Einzelne gehenden
redlichen Forschungen die vornehmsten Leitfaden ge*
blieben, mochten auch Spätere wie Sanadony Vander^
htrg, Jffemdorfy Obbarius^ IVeieAert u. a. sich Ab*
weichungen im Besonderen erlauben und specielleren
Partien der horazisehen Dichtungen einen enger be*
grenzten Zeitraum anweisen. Will Jemand weiter ge*
ben und, zu wenig eingedenk jenes kritbchcn ,,AlIes*
termalmers", wie Jani (1778},; späterhin Miiichertieh
im Ganzen ein vorschnelles Verdammungsurtheil .spre-»
ehen, so soUte keiner eines Reixuchen Zitterns, wel-
dies Fr. Aug. Wolf uns zeichnet, sich schämen, bevor
er die von dem Meister gesteckten Schranken zu über«
springen wagt ' Andererseits aber wird freilich durch
eines Engländer, Jamet Taie (1832) verblendete An-
erkenuung der Bentleyschen Ordnung eben so wenig
gefordert, und sein Wort wäre verhallt, verdankten wir
ihm zunächst nicht eine zwiefache Berichtigung jener
Cbrottologie, von Zumpt (BerL Jahrbb. ^'ov. 1833).
Endlich nennen wir noch zwei Gelehrte, Carl Kirch»
ner (1831) und G. F. Grotefend (1833) ; beide haben
sich ein nicht geringes Verdienst um das genauere Ycr-
stiodnils des Dichters erworben, alber die Forschungen
beider^ namentlich die chronologischen sind zum Theil
blendender als beruhigender fürs A^S®» kuhner als be-*
sennener, und nicht selten dQrfte der Prufenae wohl
erioaert werden, dafs der LelchtgegQrtete nicht grade
Kuerst das Ziel erreicht. Was nach dieser Zeit fQr die
boraz. Chronologie geleistet ist und von Hm. Franks
noch nicht benutzt werdeti konnte, ist soviel uns be-
kapnt von geringer Bedeutung, z. B. Sireuber Hör.
ad t'uones Ep. Basil. 1839; Düntxer Kritik und Erkl.
der Oden. Braunschw. 1840.
Unser gel. Verf. nun hat aufser den letzteren die
^gedeuteten Vorarbeiten, sowie alle anderen zur Sache
gehörenden, wichtigeren HQlfsmittel mitFleirs und nicht
ohne Umsicht in den Kreis seiner Betrachtungen gezo«
gen. Ueberair werden die von den Vorgängern gewen-
B^aea Resuhale genau nachgewiesen, und je nach den
ii H^ratimni.
694
vom Vf. selbst gefundenen gebilligt, befestigt oder he*
riohtigt, so dafs der Leser eine der volbtändigsten
Uebersichten aller bbherigen chronologischen Untersu-
chungen von Belang auf einem Puncte beisammen hat
Sowie diese Vollständigkeit zu loben ist, besonders auf
einem Felde wissenschaftlicher Forschung, wo im Ein«
seinen wie im Allgemeinen das Individuelle in allen
Zeiten sein Recht wird geltend machen wollen, ebenso
können wir Plan und Anordnung des ganzen Werkes
nur billigen« Wir h9ren den Vf. selbst : üa instituam
fuaesüonemy ut in priore parte generalem hgr. ope-
rum desctiptianem temporum proponam^ tum in al*
tera in hos cancellos singu/apoemata distriiuam et
jmtsi inetudam. pag. 4, Oemgemäfs theilt sich das
Ganze in zwei gröbere Hälften, deren jede in Capitel,
die erste in sieben, die zweite in acht zerfällt. Den
Beschlub macht eine mit lobenswerther Vorsicht ver*
fafste tabula chronoL Hör. und die Epiet. C. Lach»
fnanni.
Werfen wir einen Blick auf P. I. cap. 1. {Horatii
Vita ad a. usjue 713 u. c» descriptä)^ sa kann es
nicht fehlen, dafs Vieles, ja das SÄelste uns hier als
ein von allen Anerkanntes entgegentritt. Da jedoch
nirgends unnöthige Weitschweifigkeit bemerkt wird, so
folgt man auch dieser In ein gefälliges Latein gekleide-
ten Darstellung um so lieber, als sie einen sicheren
Vordergrund bietet für die Zeit, in welche die Abfas-
sung der e^ten horaz. Dichtungen fällt, und der ' Verf.
Qberall selbst prüfend auch seinerseits mitbeiträgt zur
Beseitigung mancher veralteter Ansichten. So wird
denn des Vaters von H., seines Amtes in Venusia (nicht
erst in Rom), der früheren Ausbildung des Sohnes in
der Hauptstadt, der höheren philosophischen in Athen
kurz Erwähnung geihan, beiläufig auch mit fFeiehert
der alte Livius Andronicus gegen Bentley in Schutz
genommen^ das gleichzeitige Erlernen der griech. und
lat. Sprache in den frühesten Knabeujahren, sowie der
philos. Unterricht beim Akademiker Theomnestus und
Peripatetiker Kratippus, der vielleicht schon in Rom
empfangene beim Epikureer Philodemus wahrscheinlich
gemacht Letzteres aus Sat. I, 2, 121. zu mutfamafsen
(p, 10 Anm.) bleibt freilich mehr ab gewagt. Wie
sollte die Berücksichtigung eines Philodemischen £pi-
grammes dazu berechtigen, wenn auch aufser des Dich-
ters zeitiger Vertrautheit mit jener Lehre die chronoL
, das Verhältnifs des Philosophen zum
605 F r a n k e^ F a$^
Cicero u. L. Piso, mit den frühen Bildungsjahren des
H. vohl übereinstimmeti mochten. — P. 11 flg. führt
uns Hr. Fr. sodann auf den politischen Schauplatz, zu
der näheren Verbindung des H. mit Brutus, wo neben-
bei (Anm. 33) die Ansicht derer, welche den Jüngling
mit den Republilcanem schon nach Asien hinübergehen
lassen, durch eine imponirende Autorität, aber auch
nur dadurch curückgewies^n wird. Denn wenn es p.
12 heirst: acuiu9imus Lachmannu» •• . in tanto eer-
torum argumentorwn defectu nü aliud eertum esse
me edocuit (/), quam potuisse Horatium in Asiam
^enite: so Verden sich die Erinnerten dadurch in der Be«
hauptung ihrer Beweise wohl kaum, irre machen las-
sen. — * Von gröfserem Gewicht ist p. 14 flg. die Auf«
nähme der Frage über das zu oft hin und wieder ge-
deutete sensi rcticta non bene parmula ctt« Od. II, 7.
Der Yf. ecwählt zwischen den zwei extremen Ansich-
ten, die Worte nämlich wortlich zu nehmen oder — >
wie Fr, Jacobs noch immer zu thun scheint, — den
Ausspruch in eine leere Allegorie zu verfluchtigen, ei-
nen von fVeichert de Far, et Cass, p. 38 vorgebahn-
ten Mittelweg. Hr. Fr. läfst den Dichter folgendes
sagen : H. non usyue adeo a partibus libertatis de-
fensorum stetisse^ ut aeie Brutiana fracta vel moT'
fem oppetendam duxerit^ sed mutaio consilio victO'
rftm gratia (/) maluisse servari. Die VTorte selbst
aber parmula n. b. relicta nimmt er nicht bildlich,
sondern nach der Vorstellung Murets u. a. als entlehnt
von Archllochus und Alcäus. Die Frage scheint sich
demnach so zu theilen: H. ist ein ^iifiaamg im vollen
Wortsinne, oder er ist mit dem Anführer nicht in den
Tod gegangen, sondern hat insofern sein Tribunenamt
befleckt, als er in letzter Entscheidung feige die Selbst-
erhaltung dem Tode für die Freiheit vorgezogen. Die ^
Begriffe fallen unseres Bedünkeus besonders nach an-
tiker Vorstellung so nah, ja fast so in Eins zusammen,
dafs sie kaum zu scheiden sein dürften. Wir bemerken
nur dies noch aufser früheren Bekenntnissen: warum
hätte H. grade den Archilocfaus oder Aleäus, und nicht
auch einen anderen nachgeahmt, warum z. B. nicht den
früh und mit Kritik von ihm gelesenen Anakreon (Epod.
2iy, 9 8. das. Ausl. Toup. ep. crit p. 180.), der die
iUoratiani. 686
Worte daniSa Qi^f^ ig norafioü uaXkiQ^ov n^oioi^ (fr^pL
XXVI.) höchstwahrscheinlich auf seine eigenen Feldsup
anwendet (s. ßergJk. 1. c. p. 128. Schneidewin deLlU.f.
368)? Durch eine solclie Erweiterung desBIickesicbciit
mir aber, ich weifs nicht wie, jene vermeinte Nachahnong
immer noch etwas fraglicher zu werden. Ich erimiere
ferner, dafs die ganze Ode bei aller griechischen Färhof
ächtrömisches Interesse und eine wahrhaft horazisch«£a.
pfindung athme. — Bei den übrigen Momenten io die.
Sern Abrifs des äufseren Lebens verweilen wir nidit
Sie sind dem Zwecke gemäls kurz skizzirt und wir
vermissen nirgends Maafs und Behutsamkeit. Nur dici
heben wir noch rühmend heraus, dafs p. 17 flg. &
bekannten Worte pauperüas impulit audax u4 vorm
facerem (Epist. II, 2. 51 s.) zu Vs. 26 flg. das., beid«
Stellen aber zu der "Wahl des ersten dichterischen Stof.|
fes (Sermonen und Epoden) in die richtige Bedehngl
gestellt, und alle diejenigen, welche den Dichter nl
jenen Poesien sein Leben fristen oder einem gebiideUi
Kreise sich empfehlen lassen, siegreich bekämpft wer*
den. Xarl Kirchner wird als Vorgänger in dies«
allein richtigen Erklärung, wie sich von selBst versteh
mit gebührendem Lobe genannt. .
Hiermit hat der Vf. p. 21 flg. sich zugleich d«
Uebergang zu Cap. II. {de temporibus ^ibus Sem»
libri seripti ei editi ßtermt) gebahnt Er beaikf
sich zunächst festzustellen, dafs vor Publicirung iignl
einer Epode oder Ode das ganze erste B. der Sentf»
nen im J. 719 u. c. als Einzelwerk für sich, und ebew
das zweite B. im J. 724 u. c. verSffentlicht wakL
Diese Ansicht streitet gegen die von Zumpt u. J&et»
ner aufgestellte, und sie ist für die Zeitbestimmung dff
einzelnfti Gedichte zu wichtig, um nicht jdie GrGtide (f^
29 — 41.) einer Prüfung zu unterwerfen. Zuerst bemob
Hr. Fr. sei erwiesen, dafs Virg. die Georg., Propcit
und TibuU die BB. ihrer Elegien vereinzelt ediito^
abgesehen davon, dafs Horaz nach übereinstinuDeidK
Annahme es nicht anders machte in den Oden (L t
II. III., sodann IV.) und in den Episteln. Sodann sei*
die Sermonen des 1. B. entweder nächwebbar jMitr
.gedichtet als die des 2. B., oder es finde sich WMig'
stens kein Indicium, welches das GegentheU dsidw^
(Die FortsetziiDg folgt.)
^88.
Jahrbücher
/
f
für
wissenschaftliche Kritik.
Mai 1840.
/Vw/f Horatianu Scripstt Carolas Franke,
(Fortsetzung.)
E« ist SU billigen, dah der Vf. bei den mangelnden
liittpriscfaen Beweisen hierfür nicht weiter ging, und wir
mdchten diesem obwohl negativen Argumente um so
weniger alles Gewicht entziehen, als noch andere Gründe
jenes wiederum unterstützen. Denn nicht vorschnell
erkennt Hr. Fr. eine Bestätigung «reiner Hypothese in
der grofsereu, oft leidenschaftliehen und gegen. Perso-
nen geriehtaten Bitterkeit des 1. B. verglichen mit der
mehr besonnen^i, selbst philosophischen, durch drama^
tische Einkleidung viel objectiver gebildeten Form der
Satire im 2. B., womit in Uebereinstimmung die gereif-
teren Jahre, die gunstigere politische und bürgerliche
Stellung des Dichters, welche mit dem Besitz" des im
1. B. nie gepriesenen Landgütchens ihren Abschlufs
erfährt. In Zusammenhang hiermit wird mit Recht seine
Annäherung an Oetavianus gestellt, ferner das stren-
gere Urtheil über Lucilius im ^.^B/, .das schonende
und gereiftere über denselben gleich zu Anfang i.e9 2. B.
Hieran werden p. 33—34 andere Gründe geknöpft, die
keine beweisende Kraft haben, wie z. B. quidni Sat'
I^ 9, cmue compeiüie ad dramütieam /ormam pro-
sirne ueeedü^ libro seeundo interpostiit? Dieir ist ein
Eingriff in fremde, Ton * uns nicht zu entscheidende
Rechte. Ueberdies mochte bei unserem Dichter kaum
eine feinere, und doch schonungsloser durchgeführte In ve-
ctive auf eine lästige Persönlichkeit^ die keinem. in Rom
unbekannt, sein konnte, sich finden, und wie konnte
der Vf. duroh die dramatischen Elemente hier, wenn
auders sie so zu nennen sind, . an die des anderen Bu-
ches erinnert werden ! Ebenso sehen wir nicht, was mit
der Bemerkung p. 34 gefördert wird: quidni omnes
Serm* uno corpore evulgavit^ cum nefuapMm ^si
terendum eesei^ ne nimie accresceret opus u. «. w.
Doch fibersehen wir dies, um noch ein bereits von
Jührh. /. irtMeJMcA. Kritik. /. 1840. I. Bd.
Bentley angede^utetes Hauptargument «u berühren* Auch
Hr. Fr. erkennt dies mit Recht in den horaz. Prologen
und Epilogen, und durch den trefflichen Excurs (p.
35 sq.) über den Inhalt und die Tendens derselben
scheint mir dfe Ansicht derer, welche in der Anordnung
jener Vor- und Nachreden bei Horaz ein Spiel desZu-
falls erkennen wollen, aufs Gründlichste widerlegt zu
werden. IVae wir als Prolog und Epilog anzuspre-
chen h^ben in den verschiedenen Dichtwerken, .wird
im Ganzen nach den Bentleyschen Winken dargelegt;
fügt der Yerf. aber p. 35 hinzu: et teriiue (Carm. L.)
epeeiem (^) certe prologi habeir so möchten wir III, 1
lieber eine Eröffnung der folgenden fünf grofsartigen
politischen Oden desselben Metrums, als einen Prolog
oder ein Proömium fur*s ganze Buch nennen« Also
nicht ^iprout placuit poetaeT^ sondern eine wohl noch
festere Norm in Rücksicht der Prologe und Epiloge bei
H., als der Yf. selbst will. Gut dagegen ist p. 40 flg,
der Beweis geführt, dafs Sat* I, 10 als Epilog genom-
men werden müsse und scheint dadurch die Hypothese
nicht eben den geringsten Grad der Wahrscheinlich-
keit gewonnen zu haben. -*- Hr^ Fr. bemühte sich nun
vor allem den Beweis zu führen, dafs das 1. B. der
Sermonen wirklich bis 719 u» c. vollendet worden sei.
Manche Gründe ruhen hier aber auf der Kraft einer
subjectiven Ueberzeugung» zu denen wir namentlich die
p. 26 — 27 berührten rechnen ; andere möchten entschei-
dender sein, besonders p. 24 u. 25, wozu wir vielleicht
auch p. 27 rechnen dürfen: altum Mentium^ quod de
Oelaviano eiue^tie rebus geUis lib. I. tenei Hör. ctt,
femer: quod non Molum familiaribne Oetaviani ali^
quotiee ülueit^ sed ^eum etiom tecte earpnt ctt. p. 28.
Beides freilich steht oder fällt mit einer p. 29 Anm. 8
bestrittenen Ansicht : ftUluntur^ sagt Hr. Fr.y qui Ho*
ratium demum n. c. 726 ad pariee Octaviani träne'
üse autumont ctt. ■ Wird hierfür das J. 719 angenom-
men, halb und halb auch das J. 723 u. c. eingeräumt,
88
£99 Frank Cy Fast
se wünschten wir nur nicht, däfs der Yf. sich auf SehoL
Cruf, Efod. I, 7^ noch wi^niger aber vlvX Acron z. Sat.
I, 5, 2 berufen hatte. Jene Epode behandelt ein fcei vom
Dichter gewähltes Thema; des Kaisers wird mit keiner
Sylbe gedacht, und doch handelt es sich u|n eine Le-
bensfrage Octavians. Alles wird zu den Waffen geru-
fen wider Antonius, selbst Mäcenas, allein HoratiuM
fiicAty und warum? Dicitur^ sagt das Scholion, Au'
gustus Horatio dedisse militiae vacationem^ quum
id aliis denegasset. Das Gedicht selbst wird unseren
Unglauben hieran entschuldigen. Horaz hat es allein
mit Mäconas zu thun, der ihm offenbar empfohlen hatte
seine Zeit der Muse lieber, als den Waffen zu widmen,
und nur des Freundes wegen Wünscht er mit zu käm-
pfen, um nicht schon jetzt die eine Hälfte seines Da-
seins zu -verlieren und das. bekannte Saeramenttitn zu
brechen. Hiermit stimmen auch die alten Commenta-
toren überein. Denn Porphyr, und Aseens. erklären
Vs. 7« ulrunine iussi — f durch ein einfaches: a te^
und ganz -ähnlich Acron^ den Hr. Fr. jedoch nicht ge-
nau genug excerpirt^ obwohl diesem die Aussage des
,SeAol, Cruf. offenbar bekannt war. — Die zweite St.
anlangend, so können die Worte des Acron: Roratüss
missus Jiiü cum Hetiodoro a parte CaeMorü^ um so
weniger was Hr. Fr. wünscht beweisen, als die gen.
Satire mit Bestimmtheit schon ins J. 717 u. c. gehört,
wo der Dichter den Kaiser kaum noch zu nennen ge-
würdiget, und um dieselbe Zeit (Sat. I, 4. 10.) nicht
eben wohl renommirteLiebllnge desselben ziemlich un-
sanft behandelt hatte. Aber freilich war Horaz im Ge-
folge des Mäcenas und wurde wie dieser immerhin a
parte Caeearis gesendet, ohne darum ein erklärter
Freund des Kaisers zu sein oder einen Mitbeweis für
die Erscheinung seiner Serm. (Lib. I.) bis zum J. 719
abzugeben. Vi?l lieber hätte sich der Vf. des SehoL
Crtiq. erinnern sollen: Maeoenae et L. Cocceius a
Caesarianie legati sunt deleeti^ . . • JUaeeenatem aU'
tem comiiatuM ett Horatiu» officii causa, ut qui nu
hü haberet untifuius, quam ab eine latere non diece'
dere. Doch wir brechen hier ab, da wir unten auf die
einzelnen Gedichte zurückkommen. — Das 2. B. der
Serm. ist nach Hrn. Fr. (p. 4 1 — 42) im J. 724 u. e.
«dirt worden, also nicht im Einverstündnifs mit denen,
m eiche- die Herausgabe vor die Schi, bei Aetium verle-
gen, noch mit denen, welche sie bis 7|^ u. c. binaus-
iHoratiani. 700
rücken. Die kurzen und etwas flüchtigen Beweise lai*
aen wir hier auf sich beruhen.
Cap. III. handelt de ten^re quo Epodon L.
Mcripiue et editue /uerit. p. 43 — 50. Nach kunor
Angabe der Umstände, welche den Dichter zu dio^r
neuen Gattung veranlafst, — sie werden aber hkml
beschränkt: nativa indolesy siiigularie eof^ormeik^
adver sa fortuna qua conflictabatur vitaeque nmerk^
wo wir statt des letzten etwas grellen Motives lieWr
herForheben würden die nach und nach zunehmeiub
Spuren eines engeren Anschliebens an griecli. Muster,
und wie bei der Satire die Rückwirkungen des Tolki-
und Staatslebeus in sittlicher und politischer Hinsidit|
— setzt der Yerf. die Anfange dieser archilochiidM
Poesie in die früheste Zeit, als Horaz von seinem Feli
zuge heimgekehrt, -und nimmt nach Epod. XIY A
lange vorenthaltene Sammlung der Gedichte als ein
durch Mäcenas Tielleicht beschleunigte, jedenfalls aber
noch vom Dichter selbst Teranstaltete (p. 47)r Daft
dies geschehen, bevor die 3 ersten BB. Oden e4irt (i
i. 730 u. o. nach Hrn. Fr.), stimmt auch mit «oteiii
Berechnung überein, wird aber durch einen Grund di»^
gethan, den wir nicht theilen kontfen. Es heilst aii^
lieh 1. c. die in den Oden vorkommende archilochiseiii
(I, 4) und alkmanische Str. (I, 7. 28) lasse nicht zw«^
fein, dafs die Epoden früher nicht nur vollendet,
dem auch publicirt worden seien. NuUa emm,
es weiter, poterit caussa exeogitariy qua commeta
Horatiue ietos Epodoe (die 3. gen. Oden) earwnnm
eorpori quam Epodon /aeciculo ineerere mahterit»
Wird daneben, um dies zu erhärten, auf Epod. XB
verwiesen, so können wir nur dies erkennen, dafs ss*
£ser der archilochischen Galle und den freieren Rbjlb-
men, die axQoapfi dlxooXoq dUni%o^y welche der hoheifi
lyrischen Poesie des H. fremd ist, jenes Gedicht m
bestimmt von den Oden scheide, wie die or. Ttr^offnjis
der drei genannt^i Oden von den Epoden. Hieni
kommt, dafs schwerlich mit Grund angenommen nM
(p. 48^ Anm. 8), Horaz habe durch . den Titel Epeii
seine Gedichte noch nicht auf eine bezeichnende W ein
von den übrigen Gattungen geschieden, ja das WoK
selbst laicht einmal gekannt. Freilich hing jene Be*
nennung wie bekannt mit der Form und ComposiiiM
zusammen, aber dafs unsei'em DiehteTi ein Ausdrsek
fremd gewesen, der von der metrischen Gestaltung viet
701 Fr an k ey Fa M
Meht sdioa dvreh den Erfinder auf die ganse Gaüulig
jener Poesie ubergiDg, und von dem Phit. de musieq
p. 1141 A., dann Ußphaettian^ Zen^HuM u. a. in Be-
sag^ auf Arcliiloclius wie von etwas Bekanntem und Ue-
berkommenem {oixm naXovfAtfoi in<pdoi) sprechen, ist
wenigstens nicht so erwiesen, um irgend eine Folge-
rung daraus, zu sieben* Der Titel thut in diesem, Falle
aber nicht wenig zur Sache, ich meine su der von H.
mit gutem Grund veranstalteten Scheidung jeuer 3
Oden von den Epoden. Doch mag dies sein; unser
Tf. wünscht die Herausgabe dieser Sammlung nicht
über 724 u, c. hinausgerUckt zu sehen, theils weil H«
«m diese Zeit einer milderen Stimmung zugänglich z^r
Ode sich gewendet, theils weil er mit Epod. XVil
(7|^ u. c.) gewissermafsen öffentlich Abschied genom«
men habe von der archilochischen Bitterkeit. Wiefern
diese Bestimmungen Gültigkeit haben, sehen wir im
sw^eiten speeielleren Theil.
Cap. ly. giebt die Zeitbestimmung, wann die er»
Sien drei BB. Oden gedichtet und edirt worden (p.
51 69). Ein ernsteres Bemühen des H. um die lyri-
sche Poesie nach dem J. 723 u. c. annehmend (p. 53),
y/nulio ante guartum earm. l$6rum*\ dessen ersies
Ged. etwa ins J. 7^0 u. e. falle (p. 54), setzt Hr. Fr.
xwdeeAen jene Endpunete zugleich die Herausgabe von
Carm. saee.^ Eput. L. /, vielleicht auch L. II und
A. P' Das 1. B. der Epp. erschien 734 vor dem 8,
Deebr^ Dafs nun aber vor diesem J., bemerkt der Yf.^
ijfrüche Gedichte schon herausgegeben, ist gesichert
dureb das Zeognifs des Dichters selbst (Epist. I, 19),
vnd da die ersten 3^ BB. Musanunen edirt wurden, so
steht fest, dafs diese Herausgabe nicht über das Jahr
734 u. 0. hinausgerückt werden darf. Genau wird
dann p 55 weiter gefolgert: aus Epist. I, 1, 3 erhellt,
dafs jene Ijr. Gedichte schon vorlängst beendet waren,
}a selbst Alter und Stimmung waren so verändert, dafs
H. jeuer leichteren Gattung für immjer glaubt Lebewohl
ffesagt zu haben. Hiermit begnügt Hr. Fr. sich nicht»
er glaubt auch den Zeitpunkt selbst gefunden zu ha-
ben: fuo poetam vefüimile sit lyricis vuledixiste
(p* 57). Ausgebend von der mit zu grofser Confidenz
aufgestellten Hypothese: tota Borain poesis lyriea —
ssmaioriay basirt er darauf mehrere ^unhaltbare Folge-
rungen und stellt nebenbei auch eine recht wohlfeile
Cenjectur auf, Od. HI, 26, 1 vix$ dueUis nuper ida»
sisus schreibend. Dies nun vergessend theils an und
^ iL H 0 r a't i an t . 702
für sich, theils auch um den Faden nicht zu verlieren,
finden wir, dafs der Verf. sich nicht geschickt auf Sap«
pho und Alcaus als Vorbilder des Horas beruft; die
Poesie dieser war mehr als eine p. amatorih; noch
weniger abelr können wir zugeben, dafs H. selbst mit
jener Bestimmung seiner Lyra es so ernsthaft gemeint
habe, als Hr. Fr.> wünscht. Nachdem viele St. wie
Od. 1. c, IV, 1. I, 6, 17 s. 19, 9 s. II, 12, 14 und an-
dere herbeigeholt werden, um die boraz. Lyra als*^-
iellis und iocoea darzustellen und zu beweisen, dab
der Dichter nur darauf ausgehe focosy Fenerem^, cofi*
vhfioy ludum (Epist. H, 5, 5iS) et iuvenum curas et
libera vina referre (A. P. 85): so erkennt Hr. Fr. .
dann freilich auch permutta poemata graviorie argu»
menti an; aber gleichwohl fordert er, zu erfüllt von
seinem Gesetze^ der eigentliche Charakter der horaz.
Poesie Jk9nne und müsse darnach erkannt und abge-
schätzt werden (p. 59). DaH» die Kunstrichter, wie der
Vf. sagt, die carmina amaioria den vollendetsten, ge- ^
schmackvollsten und reizendsten beigezählt, ist mir neu,
jedenfalls eine Geschmackssache, womit so wenig er-
wiesen wird wie mit dem letzten Argument p. 59 extr.
und p. 60 init. Uebcrflussig ist es wohl darauf hinzu-
weisen, dafs A.P. 1. c. schon 'ausdrücklich gegen Hrn.
Fr. zeugt, indem hier grade der mannigfaltige Stoff
der lyrischen Poesie aufgezählt wird und nach des Dich-
ters Bestimmung in sich begreift: divos^ pueros deO'
rumy pugiiem victorem^ equum certamine primum
- ct't. ; überfliissig aucl^ zu erinnern, wie Horaz in sei-
nen grofsaitigen politischen Oden an Helden der Zeit
und Vorzeit, in den dem Luxus und der Freundschaft
gewidmeten, wie sie das 2. B./ust nur darbietet, jenem
und sogar einem noch umfangreicheren Stoffe um so
vollkommener zu genügen weifs, je bescheidener er
selbst der Aufgrabe nicht gewaolisen zu sein bekennt;
aber weniger überflussig möchte es sein, zu bemerken,
dafs der Vf. nicht wohl daran thue, Stellen wie: non
haec iocosae conveniunt lyrae^ und so viele derselben
Art zu Gunsten seiner Hypothese beizubringen. Denn
dies heifst nicht nur die Worte in ihrer Ideenverbiu-
dung mifsdeuten^ sondern auch eine Seite im Charak-
ter des Dichters verkennen, die eine tiefe Bedeutung
bat und in Becug steht su der öffentlichen Welt Wie
einst der Dichter der Satire mit seiner verletzenden.
Ironie die Gebrechen der Zeit angriff, aber immer ver-
söhnlich zu einem ridendo dicete verum sich bekennt;.
703 Oianny . de tabula
wie er fiberall auf der vollen Höhe seines Zeitalters
der urbanste und polisirteste Römer erscheint, aber den
Gipfel seines Humors ersteigt, wenn er in das Gewand
des schlichten Yenusiners sich kleidet; wie er in sei-
nem Diehterruhm ewiger dasteht, als das Capitolium
mitsammt dem Pontifex und der Vestalin, aber sich
selbst ausschliefst von dem geweihelen Sängerohor und
hinter ungefeilter Rede und Rhythmus sich birgt: so
•oUto wohl nicht verkannt werden, dafs jene beliebte
Schlufswendung nach einem ernsten, epos* oder dithy-
rambenartigen Thema niehts weiter ist, als eben eine
Wendung, um sich zu entziehen, um zu dem «eigenen
inneren Frieden zurückzukehren, vor allem um stets von
neuem, besonders in den politischen Oden darauf hinzu-
weisen, dafs er nicht dazu tauge, der Aufforderung ei-
- nes Augustus oder Mäcenas zu entsprechen, und einem
andern es überlassen müsse, die Römerthaten zur Ver-
herrlichung der Zeitgeschichte zu verewigen« So for-
derte es die Politik des Horaz, so seine innerste poeti-
ache, sittliche und philosophische Anschauungsweise. —
(Die Fortsetzung folgt.)-
LV.
Diem tacrum ab S. Ludoviei nomine voeatum in
honorem Ludovici II magni ducie Hattiae cele^
brandum indicit Univ. OiiMensii. Praemissa ett
Fr* Osanni diipui, de tabula patronatus Latina
cum epitnetro de litterarum B et F permutatio^
ne. 1839.
Hr. Prof. Osann erläutert in diesem Programm eine Erzta-
fel des antiquarischen Museums in Capo di Monte bei Neapel,
auf ivelcher die Wahl eines vornehmen Mannes Helpidius zum
Patron der Colonie Paestum enthalten ist. Die zur Angabe des
Jahres genannten Consuln Leontius und Bonosns sind die or-
dentlichen Consuln des Jahres 344 nach Chr. FUr die Gramma-
tik giebt. die Inschrift einen Beleg zu der weit getriebenen Ver-
tauschung der Buclistahen B nndV (z.B. cües für cives, berbm-
Terba, cibiiatit^ fobere u. a.)« worüber Hr. Osann noch einen
besondem paläographischen Anhang hinzugefügt hat In diesem
« ist uns unter andern das Resultat interessant erschienen, dafs
die Form Danubiu9 fUr die spätere und minder richtige zu hal-
ten ist, statt der eigentlichen Danumui. In stilistischer Hin-
sicht ist die Inschrift eine Nachshraang der laos den Seriptores
historiae Aagüstae bekannten Art der Acdamationea im Senat
So fängt sie auch gleich statt der sonst gewöhnlichen Präscrip-
tion Ton Ort, Zeit und Antragstellenden mit einem Wunsch an :
patronatue Latina/ ^ 701
Helpiäiy homo ftUx^ deui t4 $tr9€l\ Die Coostmetieii erei9
guoäf apero qnod findet sich zwei Miüil. Uebrigens- bat der Ste»-
hauer, wie so häufig, nicht ganz sorgfaltig gearbeitet, nn«! die
Verbalkritik findet schon bei diesem Monument erster Hand ihre
Aufgabe. Bei der Ausübung derselben mufs Ref. an einer StcDe
von Hm. Osann abweichen. Dieser schreibt und iDterpVBgirt
Zeile 6 nnd flgd. so:
Verba fecerunt; Non aliunde aestimamus, statam civitatis
altiorem cultioremque reddi nisi industrium Tiromm patroci-
nio fulciatur. Optimi cires igitur Helpidio honestisaiBM vira
pro dignitate saa pntronatum offcramus, credimus, qaod in
Omnibus nos patriamque nostram fovere dignetnr.
Die Inschrift hat statt Osann's fulciatur FVICIANTVR mid la-
tiirlich alles ohne Interponction, häufig auch die^ W5rter ohne
Zwischenraum« Zu der obigen Stelle macht Hr. Osanii die-B»>
merkung, dafs credimu$ zu offeramui unangenehm Oberffiissi|
hinzugesetzt sei, ferner dais indualrium sjncopirt sei für a-
duitriorumf indem er, wir glauben mit Recht, die Ansicht D9>
derleins Lat Synon. I S. 120, die Lateiner hätten auch dasAd-
jectivum indu$lri$ Im Gebrauch gehabt, verwirft Denn DSdcf^
leins Grund, dais der fibliche ComparatiT iaduatrior doch nflk
von induMiriui abgeleitet werden könne» wird durch die Coaipa>
rative uoxior und egregior widerlegt.
, Rec. hat aber einen andern Anstolb. Will denn Hr. Oaaas
den Genitiv indutiriorum worum passivisch verstehen, darcfi
den Schatz, welchen man thStigen Leuten erweist I Er whd
. dies nicht annehmen dQrfen. Ist aber der Genitiv activ, der
Schutz, welchen thMtige Männer einer Stadt gewähren^ mm ist
die Benennung vir induähiut fUr den neu zu erwählenden f^
tron 'der Stadt unziemend : ein homo indnstrius ist nur ch
Handwerker oder Krämer. Ferner ist die Anrede Opiimi dm
in einer für Helpidius bestimmten Ausfertigung auffallt^. Wa^
um aber dies Alles! Es ist genug, uenn man den Fehler h%
Steinmetzen FVICIANTVR, I statt L, entfernt, ohne den Final
in den Singular zu verändern. Aber dagegen verlangen wir »
luilrium worum statt indu»$Hwmy und glauben» nnser Verhu^ps
ist begründet genug nnd nicht allzu kühn. So wiirde also die
Stelle so zu interpungiren und zu schreiben sein:
Non aliunde aestimamus statum civitatis altiorem cnltiorcn-
que reddi, nisi illnstrium virorom patrocinio folciantar sf-
timi cives. Igitur Helpidio, honestissimo viro, pro digntsü
sna^ pntronatum offeramns: eredimus quod in omnihns na
patriamque nostram fovere dignetur.
CredimuM ist dann nicht nnntttz hinzugefügt, sondern dem ScUsh
entsprechend, $peramui guod pro honegtate nominia aui üt esM^
bui nos aequo aineeroque animo a$picer4 ae fovere dignetmr^
tferm Osanns weitere Bemerkungen über die Ehre nnd da
Geschäft eines Patronus civitatis verdienen in der Schrill seAit
nachgelesen zn werden. CVinstitntioneUe Monarchien henlipr
Zeit ersetzen dies Bedärliiifs zum Thefl dnfch die.gewähta
ständischen Vertreter der Städte nnd Landschaften.
C. G. Z.
v^ 89.
Jahrbücher
für
Wissens ch a f 1 1 i c h e
Mai 1840.
Kritik.
Fa9t% Haratiam. Scripsit Carolus Franke.
(Fortsetzung.)
Doeh wir lenken ein ; yuodti nbn fernere amorem
iyrieae HoraiU poesie nervum iignificaeee videbor^
bemerkt Hr. Fr. p.''60« so wünsche er nun sein Recht
auch zu gebrauchen und su folgern: Haraiium amori
€t melicae poeU uno circiier et eodem tempore vqle^
eUxüee. Der Liebe entsagte Horaz als Vierziger (Od.
11, 4, 21 flg.), heirst es weiter, er konnte also 730 u.
c. Od. I, 19 dichten, und die arida caniiiee fsllt will-
kommen in dieselbe Zeit. Od. III, 14 um 7f§, Od. II»
11 etwa 729 u. c. Aho scheint kein Gedicht in den
3 ersten BB. nach 730 Terrerligt, alle zusammen aber
vielleicht 731 u. ۥ erst edirt zu sein. Wir lassen dies
auch ohne jene Grundbestimmung über die lyrische
Poesie Torlftufig um so lieber gelten, als p. 62 flg. noch
einige Beweise hinzugefiigt werden, welche der Yerf.
,mit Recht für seine Chronologie benutzt. — Eine gro-
fse Schwierigkeit macht endlich aber Od. 1, 3 mit dem
gemeiniglich anerkannten Geburtsjahr 735 u. c. Um
dies zu beseitigen wird p. 66 flg. ein kleiner Excurs
gegebeu, den wir nicht zu den gelungensten Partien
des. Werkes rechnen. Richtig setzt der Verf. voraus,
dafs die Entstehung dieses Gedichtes nach dem Tode
(735 u. c.) des Freundes jedem undenkbar sein werde;
-vi^anftn aber nicht: pauio ante uhünnm Mantuani
tnUis iter (734), ist wohl nicht m klar, nur dafs es
die festgesetzte Zeitrechnung durchkreuzt Denn daCs
die griechische Reise des Virg. im J. 735 allgemein ange-
nommen, ist natürlich, da aus den ziemlich ausführli^
ehen Notizen über den Mann eine zweite nicht bekannt
Ist und die grundlose Bemerkung des Serviue zu ei«*
nem falsch verstandenen Verse (f^irg. EvL 3, 74), als
hätte Virgil dem Augustus nach Actium 723 u. c. fol-
gen wollen, um so weniger berücksichtigt werden durf-
te von Hrn. /V., als jene Idylle mit Gewifsheit schon
Jakrh. f. wutemch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
dem J. 712 u. c. angehört. Aber die Ode ist unbe-
quem; auch nicht corminie argumefitum et celor (p.
66) stimmen unserem Verf. zu jener bekannten Reise.
Anstdfsig ist nämlich, dafs Horaz weder der Aeneie,
gedacht, die der Freund in Hellas zu vollenden vor-
hatte, noch die Reise selbst eigentlich, berührt habe.
Andere denken hier wohl anders, nicht kühn genug zi|
fordern, ein Kunstler hätte, wie sie wollen, sein, un-
sterbliches Kunstwerk ausführen müssen. Wo nun
aber ein einiger Hauch der Liebe und Freundschaft,
nur eine Sorge um des Freundes Leben und Erhaltung
durchgeht, ist das Bild abgeschlossen, und jeder Zu-
satz möchte ein Aufsenwerk bleiben, weil in jenem Ei-
nen alles inbegriffen ist. Und so sehen wir denn auch
eine genugende Bezugnahme auf die Reise in der 2.
Str. Doch mag dies sein; mit kühner Wendung ver- '
ändert Hr. Fr. unsern ganzen Ideenkreis, und schreibt
Vs. 6. debeM Quintilium f. A, wobei jedoch das
Gedicht immerhin dem Virg. überscliickt sein möge,
da der Neueingeführte ein Freund war beider Dichter«
Dies ist zu wichtig, um nicht die Gründe zu hören.
Zuerst wird unser Gedicht in genaue Beziehung ge-
stellt zu Od. I, 24 (a. 730 u. c), namentlich zu Vs. 9
flg., und hier sodann die Stelle: non ita creditum
poeeis Qßiintilium deos in Anspruch genommen. Diese
ist noch nicht und kann auch nicht erklärt iverdea
für Hrn. Fr.^ wenn sie nicht daxrixcDg, im Hinblick auf
unser: navis quae tibi creditum debes ctt. gedeutet
würde. Ich erkläre sie mir einfacher aus der Stro-
phe selbst und zwar so: occidit ülez tu deos poseis
Quintiiiumy heu! non ita (ea condicione) creditum
(tibi), sc. ut nunquam occideret, ut nunquam amicum
redderes, restitueres diis. (s. die SchoL) ; der Ergftnzuj^*
gen aber werden bei dem bekannten elliptischen: non
itUj ovx ovr€$gf f«^ fioi ovtwq wohl um so weniger, zu
viel sein, als Horaz selbst an einfacherer St. Od. II,
15, 10 uud Epist. I, 20, 5 sie vertritt S. auch Görenx
89
707 Fr a n Xf Sj Fast
%. Cic. Acad. II, 39, 123. Ferner aber erhellt aus dieser
Strophe ffir dep Yerf. ohne Zwang (sponte^ wenn hier
überhaupt richtig, wohl immer mit dem betreffenden Pr^'
nome/i) : Quinii/ium ckule tJtqua et unmatura morte
perüsse. Die Grunde hierfür werden vorschwiegen
und wir bekennen sie nicht zu finden, oder läge etwa
einer in oacidit? S. F. A. fVolf z. Cic. p. domo §.
9$. Doch es sei; der Müth des Vfs. wächst und der
Tod des Q. bei einem Schiffbruch auf einer etwaigen
(/brtasse) Reise nach Hellas scheint nicht unwahr-
scheinlich. Hinzu Icommt, dafs Q. nach Sehol. Acr.
manehen als Bruder des Yirgil galt; wie leicht also
eine Namenverwechselung und bei obwaltender Freund-
schaft ein von Yirgil auf Q. zu übertragendes dimidium
amifnae meael Nach solchen recht kühnen Hypothe-
sen, und nachdem der Yerf., wie er meint, siegreich
die schönste Urkunde für das innige Freundschaftsband
zwischen Yirg. und Hör. uns entwunden, blieb noch
zurück jenes Yerhältnifs möglichst kalt und locker zu
zeichnen, und in der That, dies gelingt dem Yf. : Ho'
ratiu9 favorem {9) firgäii natu paulo maiorü et
prmctptöus Viru pritss eommendati ambi6at:(??) in''
de (/) eay y^iae in eiu» taudem aliquoties soripsii.
YFieHoraz selbst über den Freund spricht, ist bekannt;
wie beide Männer vereint in der jungen Dichterschule für
einen Kunstgeschmack wirkten und gemeinsame /^V^t#/f<fc
und Feinde der Zeit theilten, wäre lang zu entwickeln.
Und wie bedürfte es dessen, da unser Yf. selbst p. 26 flg.
uns noch beschenkt mit einer Art Wettgesang, aemU"
latio et concertatio des Yirg. u. Hör., wonach beide
durch wechselsweise Nachahmungen in ihren Werken
sich in Beweisen der- Zuneigung überboten hätten. —
Hier ist und bleibt nun wohl eine Lücke in der Zeit-
rechnung, wenn anders Hr. Fr, nachgiebt und verbun-
den mit uns über das J. 730 u. c. hinausgeht. — Be«
schlössen wird dieser Abschnitt mit einigen Bemerkun-
gen über die Art und Weise, wie H. bei der Herausg.
der 3. BB. Oden wahrscheinlich verfuhr.
Das Y. Cap. beschäftigt sich mit Epist. L. I. p.
69 — 75. Sämmtliche Epp. einem reifere» Alter ange-
hörend sind nach Hrn. Fr* später als 730 u. c. gedich-
tet-, d. i.nach Herausgabe von Carm. L. I. II. III.,
worauf wir im anderen Theil näher eingehen werden.
Hieran knüpft der Yerf. nach kurzer Bemerkung über
den Titel Aet Ged., p. 70-- 73 eine etwas überraschende
Betrachtung de indoie et proprio Epp. natura, wo-
i H Q r a t i a n i. 708
l>ei wir einige Augenblicke zu verweilen haben. Hr.
Fr, schliefst sich im Allgemeinen an die Ansicht Wei'
eherts an, doch so dafs er vielmehr als Yemiilder
zwischen diesen trefflichen Gelehrten und einige wgir
tere Forschungen tritt. Mitsbilligend, dafs yMÜ»* Un-
terschied zwischen der Satire und Epistel aufgehoba
werde, erkennt er zwischen einzelnen jener Ged. woU
eine Differenz der Form und des inneren Charakten
an, aber die vornehmste Y^rschiedentieit beruht für äi
in der Form^ welche aus den veränderten Studien, Be»
strebungeu und Lebensrichtungen des Dichters s« er-
klären sei. So gehören dennSat. |ind Epist. adumm
idemgue poesis gentie (p. 71) und es stellen sich darii
drei Abstufungen heraus, 1. Serm. L. I; 2. Serm,lä»
II; 3. Epp. L. i. II. Zuerst tritt der Dichter eine
Larve in unverschleierter Persönlichkeit hervor; sodsia
übernimmt der Autor g^wissermafsen die Rolle da'
Actors und verbirgt sich dahinter; endlich zeigt eriidi
bald in eigener bald in fremder Gestalt^ so dafs t»
epistolische Gattung gleichsam aus der DurehdrhiguBg
jenes doppelten Characters in der Satire entstände!
wäre. Nicht minder einleuchtend und richtig, wie jeo»
geistreiche Ausführung, wird die Haupttendenz der
Dichtungen entwickelt, und wir würden uns durcha»
einverstanden erklären, wenn nicht alles wesentlich auf
die Grundbestimmung zurückginge : differcntiam (uter
Serm. et Epp.) frimariam in forma sitam esse. p. 71.—
Was aber zunächst die Epp. fictas anlangt, zu denei
tier Yf« pag. 73. sich sehr lebhaff bekenilt, so ist uh
sere Ansicht eine zu abweichende, als dafs wir tiu
dabei verwcUen konnten. Ueberdies werden hier keim
Gründe angegeben ; oder wäre vielleicht das p. 205 Bc^
gebrachte: Ep. /, 14 et ipsa ficta. nunguam enm
Horatium ad villicum elaboratiesimas Aas litterti
dedisse credam^ einer derselben? — Fährt dann der
Yf. p. 73 fort: non dubito quin et Epist. 19. perjl^
ctissimae Sat. naturam habeat et Sat. /, 6. Episids
haheri possit, et haberetur oppido^ si in ßpist. fofci'
culo legeretur: so ist diese Behauptung durch dii
Obige freilich schon vorbereitet, aber doch kommt dn
Anwendung nach einem „non dubito**, welches niekt
belehrt und noch weniger bekehrt, etwas überraschendi
Da es zu weit führen würde, unsere Ansicht über die
Satire und Epistel der Alten hier zu entwickehi, so
betrachten wir nur möglichst kurz die beiden venir-
theilten Geisteswerke des Dichters, ftuerst die Satird
709 . Franke^ FaM
Der Verf. selbst gab p. 72 die Absicht der Satire Im
Ganzen richtig so an, dafs Horas zu sein beabsichtigte
. ridendo et cmtigando perversarum hominum ntudio*
Tun% earreetar. ' Auf diese Worte machen wir An-
spruch, und wenn es denn wahr ist, dafs yor allem diese
horazische Dichtung aus dem wirklichen Menschen-
leben schöpfte und bald ein mehr tragUchet^ bald io^
mnsches Lehrgedicht zu sittlichen Zwecken war, mit
der Absieht Thorheit und Unsittlichkeit xu rügen, wenn
dies, sagen wir, eine Grundbestimmung nanientlich auch
für das 1. B. der Sat. ist, dafs H. dem Lucilius ver-
"^andter, ohne Larve mit gezücktem Schwerdt den Narren
und Sondern ins Gewissen donnert (Juvenal. 1,165 sq.):
dann bleibt die Wahl, die fragliche Satire als solche
für ein^ verfehltes Product zu erklären, oder festzuhal-
ten an der umfassenden politischen Bedeutung des ge-
gen Titel- und Ruhmsucht, gegen Amts- und Ehrgeiz,
gegen nichtigen, Roms Luft verpestenden Adel- und
Ahnenstolz ankämpfenden Gedichtes. Dadurch aber
^afs lebende Beispiele milhandeln, dafs Mäcenas in den
Vordergrund tritt, der Dichter sich selbst einmischt,
seine privaten Zwecke streng verfolgt und erreicht,- bei-
den in gewisser Hinsicht der Ehrgeiz eines verdienst-
und ahitenlosen Tillius als Folie dienen mufs, um des
Novius und Natta zu geschweigen, wird das Allgemeine
in eine engere Einfassung gebracht, und das mit den
politischen Tages- und Zeitinteressen genau verbundene
. Hauptthema (s. IViet. Einl. p. 200) mit ,dem Stempel
lebendiger Wahrheit versehen« Vgl. auch die Schol.
im Hing. d. Sat. — Haben wir hiemach in Eput. dt.
eine gleiche Rucksicht auf die Oeffentlichkeit anzuer-
kennen, so hat Hr. Fr, das Recht auf seiner Seite ; ja
nach dem von Gell. N. A. XVII, 21 extr. bezeichne-
ten Stoff der Lucil. Sat. konnte auch jenes Ged. als
Sat. gelten. Hierzu kommt die gereizte, ja bittere Stim-
mung, worin es verfafst ist« Diese macht aber nicht
nothwendig eine Satire. Wäre dies, so wurde ich eine
sw^eite, eine dritte Ep. nennen, die nur gradweise von
jener Bitterkeit abweicht; es regierte der ai;Uo/ia/iis
awQiitfji. jyUtor permissoj denko unum^ dcmo et item
unfim/^ Ja es überrasclit, dafs nicht Ep. I, 1. 6. 7. 14.
u. a. vielmehr das Schicksal haben für hermaphroditi-
acbe Doppelnaturen zu gelten, als jenes Gedicht, wo
des Dichters Stellung eine reinpersonliche ist zu dem
ganz einverstandenen Kunstkenner, . zu dem gelehrten
und feinsinnigen Kunstrichter, wo alles Voraussetzung
t $ B o r,a X $ a n $. ^ • 710
■
und abgemachte Sache, nichts Lehrton ist, wo Ekel
und Ueberdrufs, sich etwa mit dem unheilbaren Dicli.-
terpobel noch hterumquälen zu müssen, aus jedem Worte
vordringt, ja wo jede Anrede im Besonderen nur auf
den Macenas pafst, nicht auf die verachteten Aestheti-
ker, und Ys. 26 flg. eine Färbung hat mit jenem ^^quodn
fne lyricii vatiius insereä^ ott., nur dafs es in reife-
ren Jahren gesagt ist. Hier lese ich den in die Lit-
ter^tur eingeweiheten Gelehrten, den gereizten Dichter
und Kritiker; dort in der Satire den in die Staats- oder
Tolksgebrechen eingeweiheten Vaterlandsfreund, den im
' innersten Kern gesunden Menschen. Mag Horaz bei
jeder Epistel recht wohl gewufst haben, dafs seine
Aussprüche und Ürtheile auch auf einen weiteren Kreis
übergehen würden: keiner hat zugleich besser als der
Dichter den ganzen Unterschied der beiden Poesien ge»
kannt und, was wichtiger ist, nicht blos im Character
der einzelnen Gedichte klar ausgesprochen, sondert! auch
in Epist. 1, 20 unzweideutig jedem Unbefangenen vor Au-
gen gestellt. Denn der Ausdruck p9ulicus^ das warnende
in breve cogi und conirectatut sagt uns, für welchen
engbegrdnzten Kreis eine horaz. Epistel gehört, und
jene$ paucis ostendi gemis^ communis laudäSy non
ita nutritus läfst über den Zweck ihrer eigentlichen
Abfassung keinen Zweifel. Ein plenus amator wird
ermüden und der Antheil nur so lange dauern als ihr
\fri4cAes JüngiingMalter (aetas). Dies alles, scharf Und
sicher hinweisend auf ein enges, privates, nicht allge-
meines Interesse, wUre auf eine Satire angewendet volt-
kommen «sinnlos. Endlich ein JkigicM Uticam^ mitte-
ris Ilerdam^ wie es genau zu jenem epistolischen Cha-
racter pafst, eine eben so ungehörige, sich selbst wi-
dersprechende Prognosis wäre es für eine Satire. Diese
lebt und stirbt unverbannt, ein anderer Gallus in ster»
guilinio^ auf der Erde, wo sie geboren ist Hiermit
vergleiche man Sat. I, 10, 74—90. 4, 71 flg. Das. 34—
42, wo Horaz sich sein Publicum für die Satire ab-
grenzt. Eic/ntädt also Epist, ad Ast, p» 70 trifft es
im Einzelnen wie im Ganzen, wenn er sagt: in Epi-
stolis non levem conspici et argumenti etfbrmae et
orationis et ipsius denigue mctri disparilitatem. — »
Nach dieser Abschweifung des Verfassers wird dann
aus Ep, I, 20 extr. mit Recht entnommen, dals das
1. B. 733 oder 734 u. c. vor dem 46*. Geburtstag,
des H. beendet und herausgegeben worden sei.
Cap. VI. De temporibus quibus Epp. Ij.IF. Ep^ ad
711 Frank ey Fat t
Ftson. carm. IV* et earm.saiec. scripta etvditaßserint.
p. 76—79. Für die Zelt des 2. B. der Epp. fehlen uns
alle geschichtl. Angaben^ und mit Vorsicht bestimmt Hr.
Fr. dafür Aur ganz allgemein die Zeit nach 734 u. c. ;
auch ist es richtig carm. saeC (737 u. c.) vor Kput.
\\y 1 ZU stellen wegen Vs. 130 flg. Zu kure dagegen
und nicht genügend scheint uns Kp. ad Pison. behan-
delt zu werden (p. 77), und zwar um so mehr da die-
ses Ged. im 2. Theil keines weiteren Wortes gewürdigt
wird. Aus den wenig bedeutenden^ und unsicheren Be-
stimmungen müssen wir schliefseu, dafs der Vf. weder
EicAstädts (1810. 1811.) noch fVeichertty weder JSTfVcA-
ners (dem. Hr. Streuber K c. pag. 87 etwas leichtfer-
tig beitritt) noch anderer Forschungen einer eindrin-
genden Prüfung unterworfen hat. . Auf festerem Grunde
steht der Verf. bei den chronologischen Bestimmungen
des 4. B. der Oden J[p. 78). Diese werden durch ei-
nige gluckliche Combinationen, wie wir unten sehen
werden, auf den Zeitraum von 737 — 741 u. c. begrenzt ^-
Das VU. Cap. endlich bietet (p. 80—81) eine erleich-
ternde Uebersicht der bisher im Werke gegebenen chro-
nologischen Bestimmungen und ist für diesen, allgemei-
neren Theil etwa das-, was für den specielleren die
Tabula chronologica.
Der zweite Theil des Werkes ist der Anordnung
unterworfen, welche im ersten schon vorbereitet worden
ist. Genau dem Wege folgend, den der Vf. uns führt,
erlauben wir uns namentlich noch diejenigen Gedichte
hervorzuheben, welche durch fleifsiges 'Quellenstudium
und durch den Scharfsinn des Hrn. JPK in chronologischer
Hinsicht evident gewonnen haben, sodann einige von
denen zur Sprache zu bringen, welche der Vf., wie wir
glauben, einer minder richtigen Zeit angewiesen oder
mit zu grofser Vorsicht den nicht genau zu bestimmen-
den beigeordnet hat
-Cap. I. handelt über die Zeit des 1. B. der Sermo-
nen p. 82—108. Hr. />. beobachtet hier einen sehr
einfachen jGrundsatz« Er nimmt nämlich an, dafs alle
Sei^monen mit Ausnahme des wahrscheinlich zuletzt
entstandenen Zueignungsgedichtes vom Horaz selbst
chronologisch geordnet in den Editionen vor uns liegen.
Obwolil diese Ansicht nicht ganz harmonirt mit der
Chronologie anderer, so sind die Abweichungen bei
$ H 0 r a t i a ni.
712
den ersten 6 Sat doch nur gering. Die AngaVca
stimmen hier wenigstens mit unseren eigenen Beobach-
tungen, überein, wenn wir die Differenz von einem,
höchstens zwei Jahren auf einem so schlüpfrigen Bo-
den kritischer Forschungen nicht in Berechnung bris-
ten wollen, — Anders ist es mit S« VII, welche Hs»
Fr. p. lOi flg., nachdem die früheren (mit Ausnafatts
VQnS.I. 719u. c.) bis 717 vollendet, dem J. 718 «ue. aa-
weisef. Uebezeugend sind die dafür beigebrachte
Gründe nicht, und die Worte 1. c. aut re$ apertinh
fiiae (.^) me fallünt mit nimie viri d* creduli JVoi-
ioni coniecturam comprobarunt mochten mit dei
folgenden: temporis adndnicula pla^e deeunt v&äü
recht zusammenstimmen. Auch thut der Verf. nieiit
Recht daran, auf das J. 7f^ u. c. oder die berSchdfi
ten litei Periii et RupUii Regis gar kein Gewidt
zu legen und die Worte: poterat (SaL). past deeeth
nium et pluree annoa tcribi^ nee metuendun» erai^
ne rei pictura minus delectaret lectores f ührmi lUB
der Hauptsache nicht näher, wohl aber davon ab. Wir
sind darin hoffentlich einig, dafs die Scholiastea ifli
das Verstandnifs grade dieses Gedichtes ein besonde*
res Verdienst sich erworben haben und mit fUchtwiehuh
discher Skepsis zu prüfen sind. Gleichwohl vermisset nun
die genauere Prüfung bei unserem Vf. Acron bemerkt:
Rup. R. ad Bmtum conjitgit ibique Horat
iurgio lacesaivit ctt. Ebenso die anderen, nnd
mentlich Schot. Q,xvs\*\ Rup. con/ugit ad Brutum^ m
cuius cattrü tulit aegre tribunum esse militumsy ge^
neris ignobilitatem saepius ei exprobrans. ^/uare H^
ratius ut se ulcisceretur ctt Hiemach möchte es
doch auffallend sein, wenn H. seine satirische La»
zehn und mehr Jahre unterdriickt hätte, da die Kria>
kungen persönlich genug waren und nicht wie bei aft-
« deren Verläumdern bis auf die Rückkunft des Boras naA
. Rom verspart wurden. -Wer verbürgt uns überhaupt, daii
Rupilius, ein unruhiger regelloser Kopf, ein ProscriU^
ter von Augustus, ja der sogar s.chon von den eigcMi
Landsleuten, den Präoestinern, ins Exil verwiesen vmk
je wieder nach Italien zurückkehrte? Ist aber di«
nicht der Fall , so dürfte das Gedieht vielmehr aif
griechischer als römischer Erde entstanden sein«
(Die Fortsetznng folgt.)
wissen
J^ ÖO.
Jahrbfiche
f*« •
u r
schaftlich
e Kritik
Mai 1840.
Ftttti Boraliam, SeripÜt Carolut Frahke.
(Fortsetzung.)
Dm s weite Argument des Tfa« ist hier zu abergehea«
Denn wenti dieSat. dem Hro« Fr. mo in genere praeitan^
iüsAna^ den Gegnern als die jugendlichslo gilt, beide
Tbeile es aber weislich unterlassen, aus Versbau, Spra«
che oder Compositiou ihre GrQnde zu entwickeln, so
■sugeii wir nur allen zusammen mit Hrn. Fr. surufen:
nere^r ne fernere ^erba iaciantl Ein anderes Mo-
■AMit BchehU wichtiger. Für unseren Vf. liegt nämlich in
dem Ged» yfiallidu fuaedam'ironia vel potbn a/mtAioj
fua poeta Bruii meniienem facit. t. 23 sq. v. 33 sq."
MTir .denken uns diese Schilderung anders und zwar
gans objectiv aus der Seele des Persfus, also eines
griechbchen, möglichst freidenkenden Handelsmannes
von Klazolnenä gesprochen; womach denn ,eiii et-
ipras plump geäufserter Natioualhafs gegen das römi-
sehe Blui eines Uupilius eher in den Worten läge, als :
yW^Mls antmi affectios ^ua Bor. non iolum necü
meuHi d^fimeti Bruti memutitf ied etiam cum ievi
pmene centenyßtu laudatienem eiui et pHrnatium Ja*
€iHU9 in rinnm pertit p. 1Ü2. Wiire t/ies darin .zu
Mitdeeken, waa trügen Jene zehn J. Frist aus,* die uns
dier Verf. schenkt I Mit einer solchen Gesinnung sich
.fiber Brutus zu äufseru, wäre dem Dichter in Maer
Zeit möglich gewesen, Audi gewinnt Vs. 33 flg« erst
das rechte Licht, wenn wir mit Porphyr, erklären: t#-
ftitre e Brüte gener ii tui gloriam et hunc BupJ
Megem exitmgue^ und nach demselben in diesem „io-
«os urbanissinius'* eben sowohl auf Junius Brutus als
auf den Mörder Casars anspielen lassen. Nach diesem
nun scheint uns Hr. Fr. etwas zu rasch abzuschliefsen.
mit einem: ^ergo «. 718 u. c. eam tcriptam eise pro^
iaiUe eH.*" p. 103. Will derselbe dies J. noch da-
durch stützen, dab er in Vs. 10^18 eine Anspielung
auf die Expedition gegen Sex« Pompeius wahtzuneb-
Ukrk. /. VMsesicA. KriHk. J. 184a I. Bd.
men glaubt, so möchte der Vergleich wohl auf allen
Seiten hinken.. Hierzu kommt, dafs uns durch einen sol-
chen hineingedeuteten Ernst eme recht scherzhafte Seite
des Gedichtes entzogen wird. Jene trojanischen He«
roen recht ausschliefslich auf unsere beiden beinah auf
demselben Terrain sich tummelnden Tageshelden in
Bezug zu stellen, sclieint uns der Humor des Dichters
um so mehr zu verlangen, als Iloraz selbst Vs. 9 flg. dar*
auf hinweiset, und die Paarung mit dem scurrilen Si*
senna und Barrus, mit dem Bithus und Bacchius da«
durch nur immer noch gewinnen kann* Einen Grund,
warum diese Sat. viel früher, als Hr. Fr^ will, zu wU
zen sein durfte, noch verschweigendi, behandeln wir
zuerst kürzlich das folgende "Gedicht. Alles was S.
VIU ins J. 718 u. c. verlegen mochte, wird mit Um«
sieht hervorgesucht; nur wäre das erste Argument et-
was vorsichtiger auszusprechen : duUtari nefuit quin
iam aduäa JUaecenaiis et Hor^tii famitiaritate (post
a« 717) scripta eit. p. 103. Es mag sein; aber aus
Vs. 12 — 15 lälst es sich wenigstens nicht erweisen, und
bei näherer Prüfung wird man einräumen, dafs .dies
alles eben so gut 7f2 geschrieben sein konnte, nach»
dem die Urbarmachung derEsquilien etwa ein Jahr zuvor
hegonnen liatte und eine nähere Verbindung zwischen II.
und Mäcenas durch Varius und Virgilius vorbereitet war.
Da wir nun mit Hm. Fr. in derx Chrouolpgie von S.
I, 9 und 10 (719 u. e.) vollkommen übereinstimmen, so
werfen wir noch einen Blick auf S. 7 und 8. Lassen
wir diese beiden so, ^ie die vorhergehenden in der
vom Verf. gebotenen Ordnung, dann entsteht die. Fra*
ge, worauf denn Uoraz die angelegentliche Vertbeidi-
gung S. I, 4 wegen seiner Satire beziehen könne.
Nach des Vis. Zeitrechnung blieben zwei Gediahte, we*
nigstens unter den erhaltenen, — denn von den Epo-
den darf laer nicht die Rede sein, -r vielleicht nur
eins, 9. I, 2, woran der Dichter selbst denken konnte.
Denn S. 1, 3 bedarfte an sich der Entschuldigung nicht,
90
715 Frank eyFoM
da sie durchweg schonend, versöhnend, ja selbst recht-
fertigend ist. Wie nun aber S. I; 7 mit ihrer nahlle-
genden Anwendung auf die ziigellose Prozefssucht des r5-
inisehen Volkes dem jungen Dichter Gegner wecken konn-
te^ eben so'dikfte wohl I, 8 vor dem an Bann* und
Zauberformeln gebundenen Publikum eine Apologie ver-
anlafst haben.
Cap. IL beschäftigt sich mit S. Li6* II. p. 109 —
122, und das aufgestellte Princip, dafs auch diese Ge-
dichte wohl nicht durch blofsen Zufall in ihrer Ord*
nung stehen, empfiehlt sich wenigstens durch Einfach«
heit und Natürlichkeit*. An Beweisen dafür fehlt es
freilich; wo sie überhaupt sich finden in diesem B.,
weifs der Yerf. sie wohl zu nutzen, und namentliefa
scheint uns S. II9 1 gegen alle früheren Bestimmungen
mit sprechenden Beweisen dem J. 724 u. c. angewie*
sen zu werden. Bei anderen wie II, 4. 7. 8* ist es^
wohl zu kühn überliaupt nur ein J. wie 722 und 724 zu
muthmafsen ; dagegen ist f. 2. 3. 5. 6. die Zeit mehr befestiget
Cap. III. De Rpodon aeiate. p. 123—136. Der
Terf. geht von dem richtigen 'Grundsatz aus, dab bei
dieser Sammlung nicht die Chronologie, sondern das
Metrum auf die äufsere Anordnung bestimmend mitge«»
wirkt habe. Wir heben einige wie uns seheint ver-
fehlte Partien aus diesem Abschnitt heraus; zuerst Ep*
II. ' Der Yerf. erkennt in diesem Gedicht eine Nach«
ahmung von f^irg, Georg. II, 458 flg., und stellt hier*
nach das J. 724 fest. Dafe da(>ei die Einbildungskraft
etwas ^ lebhafter als recht ist verfuhr, mag jeder sich
selbst überzeugen. Ueberhaupt aber ist Hr. />. zu we-
nig mifstrauisch beim Aufspüren solcher Nachahmun-
gen, wie er theils sonst, theils auch in diesem Gedicht
noch einmal bewiesen hat, wenn er Y. 49 als entnom*
men aus Serm. II, 4, 32. 8, 27 ; — V. 50 aus 11, 2,
22 (?) 4, 30; (11) — V. 51 aus II, 4, 65; (?) — V. 67
aus II, 4, 29 betrachtet. Dergleichen führt ins Gren-
zenlose, und um consequent zu sein, müssen wir Y.
58 die malvae 94$lubree. wohl wieder in Anspruch neh-
men für Od. I, 31, 16 u. s. w. Wichtiger als dies
wäre die von Hrn. LfOehmann in Epist. cit. p. 236
schon angedeutete Idee O. F. Gruppee^ wornach^ un.
ser Gedicht als eine Art Parodie tibulliseher Poesien
und Lebensansichten betrachtet werden müfste {d. rdm.
Elegie I. p. 392 flg.), wenn die Chronologie kein Hin-
dernifs stellte. Heber diese erklärt sich Hr. Gruppe
nicht, oder doch nur sehr indirect, indem er die horazl-
t i Horatani. 716
acben Anspielungen, um andere St. vx fibergehen, na-
mentlich auf Tib. EL I, 1 und 11, 1 zurückfuhrt. Wir
gewinnen also nach diesen als den beiden extremen
Puncten den Zeitraum von 712 oder doch 715 o« c bis
727, wenn nicht gar bis 7^4 v- ^' ^\LXi<t hier tief*
einzugehen auf die geistreiche Entwicklung des H. 6r^
ist soviel einleuchtend, da£si der Gedanke an sich jeder
Beachtung werth ist, mag auch bei manchen Zusaia-
menslellungen etwas zu nachgiebig ^verfahren aein nil
Eins, um den Seitenblick beim Jeneraior Aifius md
Albiue und das vom ScAoL Cruq. das. Bemerkte n
übersehen, auffallend bleiben grade bei ^einem parodi-
schen Scherz, dafs Horaz nämlich ein Lieblingatliena,
woran Tibulls Denkart, seine Poesien und sogar im
Freundinnen des Elegikers ihn erinnern muFsteu, ganz
übergeht, wir meinen die abergläubische Seite des Freva-
des, das krankhafte Festhalten an Magie und Zaubern
Und deren un(ehljbarer Wirkung bei Krankheiten «• ■•
Dafs Epüt, I, 4. u. Od. I, 33. hierauf nicht angea^ek
wird, möchte so erklärbar sein, als es schwer za ci^
klären scheint, dafs es in einer solchen Parodie uatei^
lassen, oder es müfste verborgen liegen in Vs. 36 ü^^
in, diesem „geistreichsten ynd kühnsten Scherz, den Her.
sich mit T. machen konnte.** Gruppe p. 395. Dodi
mag dies sein; wenn Hr. Gr. das Rechte traf, so nC
Epod. II. wenigstens vier J. jünger als Hr. Fr, an-
nimmt, und gehört in dieselbe Zeit mit Od. I, 33. (721
U. c ), nachdem etwa sieben bis acht J. verflossen wmL
der ersten Bekanntschaft des Hör. u. Tibull. — Nick
überzeugen können Epod. III. die Grunde für das J.
7^ u. c, wogegen Epod. IV. das J. 716 gesichert ist
Die Zeit von Ep. VI. wird wphl mit Recht unbeslimml ge»
lassen; aber die Beziehung auf Caeeius Set^erus eimt
genügenden Grund in Zweifel gezogen. Wenlgsum
durch die Unterschiebung eines Mävius oder BariaSi
durch die ganz willkührliehe Annahme der J. 720 oder
716 u.. c. für jenes Gedicht, ja aueh durch die zu greise
Jugend des Redners um die Zeit, wo Horas £pc»dsa
dichtete, können die bestimmten Aussagen der ScAot
und die Randbemerkungen einiger Codd. nicht verdieik
tiget werden. Ziehen wir es doch vor die Sparen dar
alten Quellen mit Sorgfalt zu verfolgen, ab uns sa
gefallen an wohlfeileren Conjeeturen! Zwei Jahre In
dem Leben des- C. Severus stehen fest naeJi TadL
Ann. 1,72. IV« 21, nttmlieh 768 als das J. eeinerVciw
bannung nach Greta \ 777 u. c. als dfu semcs bfii^ erli-
ÄI7 Fr a n Jb 0j P a # i
eben Tedes« worauf er nach Tacitus; saxo SeripAi^
m0n9emmi^ Da er nun 25 J. als Verbannter gelebt ba-
beu BoU {Emet, Chron. p. 374 Rom. 1833.), so dürf-
ten wir hiernach freilieh, sowie naeli Tacitus* Ausspruch
den Tod binaussebiebeii) soweit 'die Gesetze menscbli-
eher Natur irgend es gestatten, aber wir wollen auch
nicht Fergessen, dafs Eusebius sich öfter verrechnet,
wie er denn selbst MessaUa Corvimis um ganse neun
i. SU jung macht und dafür ilun nach dem Tode noch
Bulegt* Sind abo die Scboliasten wenigstens mit nicht
gcoiserem Argwohn zu benutzen als jenes Zeugnifs,
und wenden wir dann unseren Blick surQck auf Taci«
itie, so liefse vielleicht aus einer Zusammenstellung Ton
da ormt. c. 19. u. 26. mit Bist. I, 1. sich folgern, dafs
C. Sevenis als Redner und AAwald bald nach der
SeKlaeht bei Actiunl hervorgetreten sein miisse, sei es
dafs dies in sehr frühen Jahren geschah (vergl. Ausl. z.
Tacit. Amt. Xil, 41. SeASm. de camit. Athen, p* 78.)>
4ader dafs ihm neunzig J« und darüber zu gönnen seien.
Hiernach dürfte dann das fragl. Gedicht an die ftulser-
ste Grenze, wo Hör. Epoden verfertigte, 'etwa 726t— 29
WL e. SU stellen sein» Bei Epod. Til tXVI. verweilen
wir uns nicht, obwohl einige etwas zu kurz abgefertigt
^p^erden, s. "B, Ep* YII, wo Briiannui mtacius unbe-
röcksichtigt bleibt, Ep. XIII. u. a. Ebenso scheint Ep.
X.VU» noch eine Ueberarbeitung zu "erfordern; wenig-
stens kdnnen wir auf Epod* Y* u. Si$t. I, 8. keine
Serkfiuig gestatten, weil beide Ged* für uns noch nicht
festgestellt sind vom Hrn. lir,
Cap. lY. umfaist das 1. B. der Oden p. 136—171.
'I>er Vf» verpiBichtet sieh nur diejenigen zu betrachten
yj/fuae temporum indteia vel certa vel dubia conti-
neni^y all^ nicht behandelten zwischen 724 bis 730 u. c.
^•ctxend* Sollen hiemach wegfallen, deren Zeit auf ein
siefaeres Jahr notorisch ni«ht zurückzufuhren ist, so
innfste Hr. Fr. dem Grundsatz getreu noch mehrere,
wie Od. i, 29. pag. 165. Od. 1, 38. pag. 171 ganz über*
l^en; auch wird mit dem dazu Bemerkten nichts ge-
'ironnen. Desgleichen. durfte 1, 32. wegfallen, und et-'
was überraschend wjrd abgeschlossen p. 1^: modeitior
efuidem (als Hr. Kirchner und Grotefend) propofio a.
724—730 u. c. Da nun der Vf. jenet J. als das er-
wie annimmt, wie wir oben sahen, in welchem Hör. der
lyr» Poesie sich zuwendete, so verbietet der Eingang
des Ged. {poscimur/ sifuid Aaimus yuodet hunc^i9t^
i B o r a t i a n i. ' 71»
annum et vivat pluree ctt.) jene weite Begrenzung, und
wir mochten uns mit den beiden genannten Gell, lieber
zu den Jahren 1\\ u. e. hinneigen. — Betrachten wir
noch einige. Ged. dieses B. in ihrer Folge, so müssen
wir bc^Bonders die Behandlung von Od. 2. als eine in
allen Theilen gelungene herausheben (p. 136 -^ 147).
Durch die geschichll. Belege, so wie durch eine hier
gewifs begründete Zusanunenstellung mit Virg. George
/, 416 sq. sichert uns Hr» fW das J. 725 u. c, und
rio metrischer Grund (Vs. 19) spricht wenigstens nicht
gegen dasselbe. — Die besonnene Prüfung der'chronol*
Momente bei Od. 4. 6. 7. (p. 147—150) ist sehr zu U*
ben, obwohl die Resultate minder erfreulieh sind und
bei Od. 7. die Behutsamkeit etwas zu weit geht. Die
Zeit von 722— -23 u. c. möchte hier wohl ebenso gewifs
naohzuweisen sein, als die gänzliche Unabhängigkeit von
den Epoden und deren Herausgabe. — *- Die folg. Oden
bis 12, wofür p. 151 das J. 7|^ u c. ermittelt wird, über*
geht der Vf. Was aber für jene späte Zeit spräche
bei Od. 1, 12, wüfsten wir nicht; alles scheint vielmehr
auf dai J. 725 oder 726 u. c. hinzuweisen. — Uebcr
Od.'l, 14. und die folgende, welche von Hrn. Fr. nicht
behandelt wird, giebt Hr. JLachmann in Epitt. cit, p.
237 flg. mit gewohntem Scharfsinn neue aufhellende
Winke, beide vom Dichter nicht grundlos nahe zusalm*
mengesteUte Oden als ganz griechische (die erste als
reinalcäiscb) bezeichnend und bei Od. 14. jede allego*-
rische Deutung,, wie es scheint, zurückweisend. Der
ausgeführte Gedanke wäre vielmehr mit Bücksicht au
des Alcäus ^^/Jura fugae maloy dura natn$' nach HnK
L. dieser: „Pontica pinu«" (post phaselus, antea comata
Silva) Alcaeo „nnper'' in fuga desperanti „sollicitum
taedium" fuissc potuit, tum patriam repetere gestienti
„desiderium curaque non levis." Die Erklärung wird
nicht ohne allen Zweifei hingestellt und in der That
wäre iiaroentlich die Beziehung von $oU. taedium für
mahches Auge wohl allzu feiiv, würde sie nicht vieU
leicht manchem etwas näher gerückt durch jenes catul-
lische ^yOtium Catulle tibimolettum est* (L. 1, 13) und
das sapphische äkXit näv xok\iiax6v (Schneidewin delect.
p. 295). Kehren wir also mit Anerkenhung aller griech.
Färbung zur Allegorie, die dadurch nicht gestört wird,
zurück, so mochte doch die Ansicht des Torrentius, zu
der Hr. Fr. sich bekennt, noch eine erneuerte Prüfung
erfordern, wenn wir auch dem Vf. einräumen wollen^
719 F r m n k e^ F a 9 t
dar« der itm%^iS9^ ß^Mende nvßtgv^ttj^ genfigend Tom
Dichter beselchnet verde in: non tibi fuut integra lin*
' tea, fiM di quoi V0eei, Uebersengend dagegen sind
Od. 15« die aus der Prosodie des tilyconeus (v. extr.)
eutnommetien Gründe des Hm. /jacAmann^ so wie die
aus der freieren, eigentlieh ünhorazischen Bildung des
Enneasyllabus entwickelten in der alcäischen Str. für
einige Erstlings -Yersucfae in der lyrischen Poesie. Da-
ta geboren Od. I, 16, 3. pona 4amti$\\$ive\flamma.
I, 26. 29. 35. II, 1. 3, 13. 14. 19. Dafs Alcäus wie in
anderem auch hierin wahrscheinlich freier war, wie s.
B. likhxQoVi aora^ II afi9i|xo(»a^, kann die feine Beob-
achtung des Hrn. Ijoehmann nur unCerstQtsen, indem
grade dadurch Horas sich verleiten lassen mochte, sol*
che besonders in der rom. Sprache verletsenden Här*
ten Anfangi zuzulassen. Sehr erfreulich isC es, dafs
auch die historischen GrQnde des Hrn. Fr* bei den mei-
sten jener Gedichte dieselbe Chronologie bestätigen, und
nur Od. I9 26 ist es, welche Hr. LacAmann nach Dw
Ca9i. L. 1. p. 649 R. gewifs mit Recht auf das J. 724
u. c. (anstatt 729 u« e. Franke) suruckzufohren hat —
^ir heben aeuletzt noch Od. I, 34 heraus. Dieses Ge-
dicht stellt Hr. Fr. ins J. 730, mit gleicher Kühnheit
Hr. KiroAner ins J» 731 und Hr. Grotefe$Hi ins J.
726 u. c. Wenn unser Vf. der Ansicht Buttmanns (^y-
tAoL I. p. 321 s.) beitretend in dem* apex der letzten
Str. das Tom'Teridates wieder aufs Haupt de« Phraa-
tes gesetzte Herrseberdiadem erkennt, so ist zu besois.
gen, dafs eine solche Einmischung persbcher oder par-
tbiseher Angelegenheiten mitiammt der Chronologie hier
nichts weiter ist, als eine Fortsetzung des Romans von
dem Abschwören der epicurischen Weisbeit, Wieviel
behutsamer die Seholiasten, vergl. auch />«A s. v. apex;
tiieviel sinnreicher und zug^leich geschichtlich begrün-
deter jedes Wort Letsingf über jenen einen Gedan-
kenblitz,' der des Dichters Phantasie durchzuckte.
Im Cap. y. werden die lyrischen Gedichte des 2.
B. behandelt (p. 172— -185), bei denen wir nicht länger
verweilen, da wir in allea Hauptpunkten meiit mit
dem Vf. fibereinstimmen. Aufser Od. 13, welche durch
Hrn. LaeAmaun 1. e. p. 240 statt des FrankeeeAem
i, (728) das J. 724 gewonnen hat, neiinen wir noch
i U o r a t i mn u 72t
die zuletzt bebandelten 17. 18. 19. ab zu detten g^
rcnd, welche nach allgemeineren ZeitbestuDmonges n
ordnen waren. Die Argumente sind hier durchweg is.
klar, nur da(s im vorletzten Gedi^t das fiabiasB, in
letzten der Enneasyllabus : cantare rivos | atf ue | \xw
f^M einen kleinen Anhalt bieten möditen.
Cap. TL umfabt (p. 186—197) das 3. B. derOte.
Wir haben hier zuuftchst die UoMidit und den Mm
Tact zu rühmen, womit Hr. Fr* die sechs ersten €^
dichte, ausgehend ron dem Princip: non eolam «»
gulari de caueem compeeüa et inxlm eoilwala tm
(earmina), sed temperte etiam eognatwnem kekn^
behandelt und in den Zeitraum von 726 * 728 u. e. cn«
scbliebt. Im Einzelnen billigen wir. die viel geßlBi
gere Beziehung Od, 2, 17 flg. auf Octavianus (727 1»
e.) als die bisherige auf Cato (p. 187); <odann die Z«*
rückweisung der Ansicht, als hatte Uor. Od. 4, 37 All
die Bibliotheca Octaviana (721 u. c.) angespielt (f.
189) ; endlich Od. 5, 3 flg. die Bemerkungen über ii
Slelfung Britannia's zu Rom und die daraus gewosii»»
nen , Resultate fulr das Gedicht (p. 190 s.). AuCnt ji»
nen werden noch zehn Gedichte dieses B. bebsadel^
von denen Od. 13. 16. 18. 21. 28. nach dem p* 136 gii
stellten Grundsatz wohl ganz zu iibergehen waren» £1
sind weder certa noch duAia indMa temperum v«»
banden, und wenn der Mt. mit den zu Od* 25 gef»
denen ^Ergebnissen heute nicht viel mehr »ifriedMi wli
re, als iflit denen zu jenen Oden^ konnte es uns aUl
eben überraschen.
Das VI. Cap. beschäftigt sich (p. 196— 20^ al
dem 1. B. der Epp.^ und wenn die gefundenen Keni-
tate ziemlich vag uud allgemein sind, so liegt es ^
leicht weniger an der Bemühung des Hito. Fr*^ ab ■
dem Mangel chronologischer Notizen für diese Dickt»
gen. Die 1. Epist. wird als eine Art Vorwort für sb
Briefe, eine ai/eeutto ad Maecenatem genoaunea, mi
ihre Tendenz dahin erklart, dafs sie eine Esipfdb»
lung des strengeren philosophischen Steflfce firde
Freund sei und zugleich eine Entschuldigung, dab in
lyrischen Gedichte jen^r ernsten BetraditungsweiMr
dem Alter und der Stimmung gemttrs,, fortan wMm
werden.
(Per Aeicblufa folgtO
-J\^ 91.
J a h r b u c h e r
t ü r
W^
K r i t i k.
Mai 1840.
Fasti Horatiam. &cri^ut Carolus Franke.
(Scbidb.)
' Hiergegen wäre wohl nichts einzuwenden, nur
scheint der Verr. einen gröberen Ernst . fn die Be-
r deutnng der Epistel bineineulegen , als der Dichter
wGiBscben möchte, und gewifs geht er su weit, wenn
'er p. 198. duipb jenes stoisch -epicurische Paradoxon
' am Sehlufs (vs. 106) veranlafst, sich erldArti summa
^ ieiiur EptMiolae sententim in phHoiophiae comvnen'
( datione posita est. Irren wir nicht, so dringt aus die«
> äem wie allen Briefen soviel Jugendfeuer und Phanta.
isie doreh, dafswir, ohne überrascht zu sein, den Dichter*
I in Jedem Moment zu den lichteren Spielen der lyrischen
. P^ftsie wieder surüelckehren seheo müfsten. Es mdcbten
s nur wenige Epp. sein, In denen uns H., wie der Verf.
I aügt, erscbeinen Icann tantum a hisiAus recedens, fuan^
^ tstm^ in piU0sopkia0 pen^ralia penetrmns und noch
/weniger sireng ist sn nehmen^ was derselbe bemerkt,
I 4aft eactisaii^nsm petere^ fuoä res seriös serio ser*
wsmne pera^tQs ßmiari oßPerret. Denn wfihrend der
^ Ikicbt«r mit seinem mächtigen GSnner zu rechten sdieint
I vad diesem Belehrungen giebt^ hatle er es wahrschein«
( lieh weit mehr noch auf andere aufdringlieh geneigte
, ]\re«nde abgesehen»— > Im Besonderen heben wir zwei
aahrarwandte Briefe heraus, Bp. 2 und 18« Dafs die«
aer dem J. 734 v« e. aogehSft^ darf als erwiesen be-
trachtet werdan, aber um so gröfiter sind die Zweifel
bei dem ersteren« Hr. Fr.\ festhaltend an. dem Princip,
dafs die Gedielite dieses B« von 730—734 u. c. rerfer-
tift aeient stellt ihn ins J. 731 nach des Lollius Feld«
ayg in Bispanien (729 u« e.)* Was aber zu Gunsten
dieser spaten Zeit aus„ee/er aipM imdaUtr. des Brie«
fea beigebrscbt wird (p. 199—200), trftgt in der Thal
ZM'selir das Gepräge einer letzten Nothhülfe, um das
Prindp zu vertreten* Und nicht fester steht der aus
d#n (calida) /Mi#i»la (v.52) entnommene Beweis. Bier
Iskrb. f. ufiMMMch. KrUik. J. 1840. I. IM.
i
ist viNi nni$ihsen fomenta die * Rede ; da aber die
aehmerzUndernd^i, gleichfalls fomentn (frigide) benannt,
erst 731 u; e. aufkamen, so n^lehte grade im Gegen^
theil auf eine frQhere Zeit der Eplstd geschlossen wer»
den, "wo Antonius Musa die warmeh Umschläge noch
nicht verdrängt hatte durch di^ wirksamen fomenta fri«
gida. Horaz konnte nur, da noch kein Mittel gegen
das Podagra gefunden war, so schreiben vrie er schrieb,
und unmittelbar nach der neuen Heilart würde der Yer^
gleich nicht «nmal passen. Es fehlt aber auch naoh
diesem soviel, dafs fumenta die Concinnität der Rede
stört, da£s vielmehr, sowie jener in Rom oft herrschen«
den Augenentzündung (lippitudo) die Gemäldesueht)
eine Modekrankheit der Begüterten, ebenso jene lan«
desübliche Curart dem vornehmen Podagraübel seht
passend zur Seite steht, und in welche Stände der
Dichter uns hier versetzt, lehrt di^ and die Qtberw
klänge (vgl. vs. 30. 31.) wohl zur Genüge. Ueber die
Person nun, der jene Briefe gewidmet werden, mit
Um. Fr. vollkommen übereinstimmend, können wir
nicht umhin, aus der ziemlieh ausführlichen Hinwei-
snng auf die Bedeutung und den Erfolg eines Studiums
des Homer, der gewöhnlichen Jugendleotüre bei den
edlerrn Römern, wie aus dem gesammten zweiten Ab»
schnitt des Briefes, einem wohlbereebneten ethischen Cate«
I
ehismus für Jünglingsfehler und Laster, zu schliefson^ dafs
das Gedicht in eine möglichst frühe Zeit (etwa 7|^ u. c.)
zurück 2U versetzen sei. Ein kategorisches „non exper-
giscerbf" „sapere aude, ineipe!** ^^nune adbibe /icire
pectare verba^ tiune te melloribus offer I** pafst auf el«
nen ad0lesceHiulus^ bevor er in die Welt tritt, nidit
auf einen civis oder mUes Rgma^sus. ■ — So dürfte
neeh eine und andere Epistel einer erneuerten Prüfung
zu unterwerfen^ mit Gewifsheit aber Epist. 4 jenseits
J30 u. e. zu setaen sein $ doch läfst sich bei den man*
gelhaflen poaitiven Belegen der Beweis nieht in kurzen
Worten führen.
91
^ 723 Frank eyFaMt
Cap. VIII. scliliebt mit den chronolojpfchen Be-
stimmuDg^i.über das 4. B. der Oden ab, p. 207 — 280.
Hier erfreuen wir uns gewisserer Nachweisungen, und
sowie der Yerf. diese bei der allgemeinen Zeitbegren^
^ung des Buches gut anwendete, ebenso hat er dies bei
den einzelnen Gedichten gethan. Od. 1. 2. 4. 5. sind
wir ganz einverstanden mit den gefundenen Resulta-
ten. Od. 6 wird mit Recht abhängig gemacht von
nynn. meeul. 737 u. c, und an jenes Gedicht knüpfte
sehen ein glQcklicher Blick Groiefendi das durch Zeit
.und Stimmung nahrerwandte drüte^ an dieses wieder-
' um Hr. Fr. Od. 8 und 9. Mit gutem Grund werden
•odann^ p. 21» flg. Od. 7. 10. 11. 12. von wiUkürli-
ehern Zeit- und Jahreszwang befreiet, indem die Uh-
sulSngliefakelt der bisherigen Ansichten genügend nach-
gewiesen wird. Am ausführlichsten und gelungensten
endlicli scheint uns die Behandlung des letzten Gedicbf*
tes» p. 223 flg. Sowie der Yerf. aus gescliichtlichen
TJbatsaehen nachweiset, dafs es nach den J. 734, 739,
736, 737 verfertigt sein müsse, ebenso erlöset er uns
durch eine, wie wir dafür hallen, richtigere Interpreta-
tion dersweitein und dritten Strophe als die bisherige von
dem historisch unbegründeten „Jimtif tertio elausu9^\
wad hiermit zugleich von dem seit JUasion allzu gläu-
big aufgenommenen und beinah traditionell gewordenen
J. 744 oder 745 u.c. Setzt nun Hr. Fr. das J. 741 u. e.
atatt dessen, so machten wir nur wünschen,' daCs er em
Jahr nachgebe. Denn nicht ganz genau ist wohl, was
p. 225 befuerkt wjurd: mmi» ^fuum ab ä. 738 uzque ad
«. 741^0. e. eantiHua saevirent bella^ li^uet Carmen
non anis ,a» 741 fcr^ium esse. Je richtiger die Yor-
Hüssetsüng ist, dafs wir ein möglichst aligemeines ,Frie-
d^isjahr für unsere Ode nöthig haben, um so weniger
dürfen wir das Jalir 741 gelten lassen, wo Augustus
erat Im September um die Zeit seines Geburtstages au^
Germanien nach Rom surückgekehrt war (Hr./V*. sagt
p, 228. earmen scriptum pest redüwn Augusti.) und
Agrippa- im Spätherbst, uLaixoi %oZ fHfuSivoq ivtoxfi%6xof
{Dio Cass. Liy. p. 758 R«), die ziemlich bedenklichen
Aufstände in.Pannonien mit einer ansehnlicheren Hee-
fesmacht, als ein anderer je^ zuvor* aufserhalb Italiens
^Grenzett geliabt hatte, beilegen sollte. Da der Feldherr
aber noch, .vor Ablauf jenes Jahres starb, so wurden
die von dorther drohenden Gefahren erst im Frühling
des folg. Jahres (742 u. c.) durch Tiberius völlig be-
sätiget
Horatiänu
724
Der Verleger kat lur eine würdige, der Wichtig,
keit des Werkes entsprechende Ausstattung, fnr gotei
Papier und klaren Drubk Sorge getragen. — Aubei
den vier angegebenen Druckfehlern ^bemerkte Bef. aoeb
folgende, die der Rede kaum werth mnd: p. 15 Api.
L 10. sehr; 318 f. 315. p. 55 Anm. 13. lia« extr. ick.
Epist. I, 13, 2. 17. f. Epbt. I, 12. p. 231. Sat U, 8.
sehr. Ut Nasidieni f. Olim truncus.
Cari Passo.w.
LVL
Bistorical sketches of sfatesmen who ßouridui
in the time of Oeorge IIL To which ü W-
ded^ remarks on party^ and an appendix. Firi
Series. ^ By Henry Lord Broughasn. &-
cand Edition. London^ 1839. 404 8. in jr.a
Die Staatsmänner während der Regterungs-Epo-
che Georgs III. Mit Bemerkungen über Par-
teikämpfe und einem historischen Anhang. Am
dem Englischen von Henry Lord Brougkam^
Erster Band. Pforzheim, 1839. Verlag m
Demiigj Finch et Comp. VIII u. 3918. gr.S.
Es sind. Georg III. j die Lords Chatham , Noitly
Loughboroügh, Thurlow, Mansfield, der Lord Obenidh
ter. Gibbs, Sir William Grant, ferner Burke, Fox, fH
Sheridan, Windham, Dundas, Erskine, Pi»roevaI, Lari
6renville^ Grattan, Wilberforee, Canning, Sir San«!
Romilly, Franklin, Friedrich II. , Gustav III., Kaber
Joifeph, Kaiserin Katharina, die in diesem Werke ebh
rakterisirt werden sollen. Grofse und strahlende Na-
men; viele darunter, deren Ruf nicht vergehen wM»
so lange ein Gedächtnils unserer Zeiten noch leK
Auch die andern, deren hohe Bedeutung wenigste«
der Masse nicht bekannt bleibt, waren doch ihler ZeK
im Wesen und Wirken ausgezeichnet genug, uai ei« I
nähere Auskunft über sie eben so interessant för M
•
Historiker, als lehrreich fihr den Psychologen und ft
den Staatsmann erscheinet! su lassen. Es sind mriMM
englische Staatsmänner und gerade in England UM
sieh das Individuum in jener nur durch den alij^Mi'
nen Charakter des Yolksthums begrenst|)n Eigentbo^*
lichkeit, die anderwärts, in Folge so vieler absebleifes*
der Yerhähnisse und allseitigi^r, von Jugend aufsü
verfolgender Rücksichtnahmen, immer sdtener gewordoi
725
lj9rd Brmtghamy kütorieal sJbeecAeä qf staUßmek.
726
ist GeNkle iker engHiehe StaaiUnäiiaer, KriegsbeU
den^ SehrtfMeUeriit et tebwer^ recht ausfUhrliefae Aus-
kunft SU erhalten; wir finden selbst bei den berQhm-
. testen Männern, dafs die Naehriehten über ihre persSn-
lieiien'Verhitltmsseoft Qberans dürftig fliefsen ; wir stoben
nuf LSeken, Dimkriiieiten, Ungenauigkeiten, widerspre«
chende Angat>en. Das Prfaratleben . tritt hinter dem
dffentKchen- in den Hpntergrund. Die stOmisch rer»
lebte lugend wird über den Thaten des Mannes ver-
gessen. Vor den Alles ergreifenden Parteigegnem mufs
verborgen werden, was als Blöfse benutzt, oder ent*
stellt werden könnte. Der Engländer bt wenig mit-
theilend und wenn sein Wirken in Allem was auf das
Gemrinwesen Besug hat, öffentlich ist, so verschanzt
er sein Privatleben um so ängstlicher hinter p^rsonli«
ehe .Zurückhaltung und coiiventionelle Formen. Die
Presse aber hat längst allen Glauben an ihre Wahr-
heit verseberst.
Die Erwartung, genauere Nachrichten Ober die Ein*
sriheiten der Lebensverhältnisse der in - dem vorliegen-
den Werke geschilderten Individuen zu erhalten, wird
durch dasselbe zunächst nicht befriedigt. Dieselben
dürftigen, ungenauen, so manche Fragen und Zweifel
aufr^enden Notizen, die uns anderwärts ' begegnen, fin«
den wir auch hier wieder. Der Verf. bemerkt in eini^
gen Stellen selbst, dafs es auffallend sei, wie Jucken-
,liaft die Kunde von dem Privatleben oft sehr faochbe-
i*flhmter englischer Staatsmänner sei ^ ja bei der unvolt
Irommenen Weise, in welcher bis auf die neuere Zeit
ftr die Publieität der Parlameotsrerhandlungeu gesorgt
war, mufs er selbst bei »o manchen Rednern anfuhren,
'dats zwar der Ruhm ihrer Beredsamkeit fortlebe, von
ifarMi Reden aber nur wenige, unzuverläisige Bruch-
stücke aufliewahrt wären. Jene Mängel sind aber ge--
wib ein grofses Hindemifs für eine erschöpfende Cha-
fnkterisirung. Wie wäre eine solche möglich, wo man
den Privatcharakter nicht mit dem öffentlichen ver-
gleichen, den Bildungsgang nicht zur Erklärung seiner
WitMingen betrachten, ,. den Eindruck, den Erlebnisse
nnd Verhältnisse auf den Charakter gemacht haben,
nicht würdigen kanni Nun so wird wenigstens das
dlK^ntliehe Wirken^ wie es nun einmal vorliegt, geist-
voll und bedeutend dargestellt und beuVtheilt, in seinem
faistorisehen Zusammenhange und seinen Wirkungen
erörtert werden und man wird ein begründetes Urtheil,
zwar nicht über das,, was jene Männer gewesen sind.
aber doch über das, was sie gewirkt haben, fällen
können.
loh gestehe, dafs ich auch in dieser Beziehung
nicht viel erwartete. Lord Brougham dedamirt zw&r
in Mnem besonderen Aufsatze, dieser Sammlung sehr
breit und heftig gegen das Partei wesen. und därße in
8er That bei keiner der geschlossenen Parteien, die in
England bestehen, mehr ankommen können, aber er ist
dessenungeachtet Parteimann und in jeden Worte, je«
dem Urtheil, jeder Handlung parteiisch. Wie sehr er
es sei, wie versteckt und verschlagen er seine kleinen
und grofsen Bosheiten dabei anzubringen wisse^ habe
ich selbst nicht gewufst, bevor ich dieses Buch las»
Der Beruf eines Sachwalters kt ein sehr ehrenwerther
und herrlicher; in England, wo die Geset^ebung ihm
Raum gelassen hat, seine ganzen Vorzüge zu entfalten^
ja darauf gerechnet hat, dafs er es thue, ist er es dop*
pelt. Aber der Geist, und die Kunst des Sacbwaltera
sind nur in seinen Geschäften am Orte und durchaus
nicht sind sie es; wo es sich um ein lediglich auf Wahr-
heit gerichtetes, von jeder andern Absicht und Bestreu*
bung freies Forschen handelt. Unsre Zeit hat es* über-
haupt in der dialektischen Kunst gar weit gebracht
Wir haben Viele, die eine grofse Geschicklichkeit ent*
feiten, in jeder Sache, die sie zu verfechten untemoin-
men haben, den Schein des Rechthabens zu gewinnen«
.Aber es kommt nirgends viel Gutes heraus, wo man
nicht das Rechte und Wahre endlich zu suchen beflis-
sen ist^ sondern nur darauf ausgeht, den Gegner nieder-
zudisputiren, ihm 'gegenüber BecAt zu AeJkommen^^ Wer
sich dieser Richtung hingiebt — was übrigens auch
Philosophen, ganz besonders aber Parteijoumalisien
thun — von dem wird dann die vertheidigte Sache nur
in ihren Lichtseiten erfafst, oder die Schattenseiten wer-
den in solcher Weise dargestellt, dafs sie der Benrthei-
lung leicht entgehen ^ mit dem Gegner vnrd in umge*
drehten Verhältnissen eben so verfahren; alles wird
kunstvoll genau so g^stdlt und berechnet, dafs das prä-
fende Urtheil bestochen, verleitet, zuletzt zur gewünsch-
ten Erkläiiung verlockt oder hingerissen wird. Jenes
verschwiegen^ dieses etwas stärker ausgedruckt, liier die
Farben etwas matter aufgetragen, dort ein Halbdunkel
gelassen, bald etwas abgebrochen, bald etwas zugesetzt,
halbwahre Sätze überreichlich verstreut, ganz fabche
durch glänzenden Ausdruck und imponirende Keckheit,
zu Wahrheiten aüsstafilrt, oder in versteckten, boshaf-
227 L^rd Brwghßm^
teil Andeutiuigeii d«r PfAfuiig mtsogen lud doch aicht
der Wirkung beraubt, einzelne Wahrheiten zu Orundf
lagen faboher Sdhifiase verweadetf da» und AelmUches
sind die WaflBm, die da gebrauobt Werden« wq eine an«
dere Abaiehi, als daa reine, unbefangene Streben nach
Wahrheit die Feder geführt bat^ wo man sich vornahm,
EU beweieen« was man früher erfabt hatte, als man
sieh de« Beweiaea ^bewuÜBt war, Lord Brougham ist
Abisi«? In derlei Dingen. Bei Vielen whrd unser Ur«
theil Aber etliches Verfahren, wie sehr wir aueb dessen
Wickungen beklagen, docb wenigstens dadurch gemil^
dert, dals wir annehmen müssen, die Begeisterung für
irgend mn boebgehältenes Interesse, dem solche Dia-
lektik dienen soll, habe den Solirifisteller so erfüllt,
dafs 9t in der That nur die Lichtseiten si^iner Sache
sab) sieb seines Verfahrens nioht bewulst wurde, und
nur auf Erringung des Sieges brannte. Lord Broug*
ham^ obwohl wir auch ihm hiebt absprechen wollen^
dals er eimen bestimmten Glauben von dem hat, was er
Im Interesse des Volks und der Menschheit hält, und
dafs ihm dieser als Leitstern erscheinen mag, iiberlafst
sieb doch vielfach rein persönlichen Leidenschaften,
wird von persönlichem Ilafs getrieben, von Befangen^*
heit verleitet 9 vielleicht von Neid gastaehek. Diese
Kräfte sind es weaigstens ^ deren Einflu£| wir voraus-
setzen müssen, wenn wir so Manches in seinen Redea
und Handlungen, in seinen seltsamen Sprüngen, Ineon-
sequensen und Verdrehungen erklären wollen« Auch
in dem verUegeBdem Werke brielit an manchen Stellen
ein . leidensehaftlicher Hafs faervojr und entsetsender
noeh ersoheint er, wo er versteckt liegt und doch um
so ingrimmiger faervorbliekt. Eben so siebt man, wie
peinbeh den Verf. jede Gröfse wurmt, die In dem Ge-
biete seines eigenen Strebens wirksam und doeb ihm
nicht enreiehbarist Endlich von Befangenheit, ja von
Besefaränktheit finden sich nursu viele Beweise. Lord
Brougbam ist xu sehr Gelehrter, um ein grofser eng*
lischer Staatsmann zu sein: er hat eine gewisse, den
Engländern sonst nicbt gewöhnliche und för ihr Samts»
leben gar nicht passende* Vorliebe für das Abstracto ;
seine Zwecke siiid oft nicbt staatsmSnniscbe, sondern
der Studierstube, oder der Leidenschaft der Person ent-^
sprossen $ aueb blickt sieht selten ein gewisser Pedan*
Miete Ae$ ^ $imte9men» 7S8
tismus durch. Lord Brougham ist aber ancb xm maig
Gelehrter, um ein tüehtiger Staatspfailoaopb s« lein: a
ist kein der Tiefe des Geistes und des Lebens slige»
wonnenes System, was ihn leitet; vielmehr ist er nickt
eben über die Anschauung des Thomas Payue undte
fransösisohen EncyklopadisleB hinausgekommen* Ei
bekämpft, oder bafst wenigstens Meinungen, nicht wcK
er sie in ihrem genzen Wesen erfafst und nach gtwb*
senhaftester Prüfung verworfen b&tte, sondern w^ teil
Geiit nicht danach ist, sie tieflnnerlieh und in ihrai
ganzen Begründung su erfassen. Er huldigt AadoSi
weil sie gerade smnem Geiste entsprechen, oder wä
er sie als Vorurtheile aufnahm, die seinen TendeaM
zusagten. Es lag vielleieht in seinem Geiste, viel wfi«
ter zu kommen $ aber wäre es auch gewesen, das Ak*
sicbtsvoUe Seines Strebens mufste ihm jede Annäheriisg
an die Wahrheit erschweren« , Er bat in Mancken
grofse Aebnlichkeit mit dem älteren Dupin; nur dsfs«
einen ungleich stärkeren Charakter bat und na Guini
und Schlimmen eine viel gewaltigere Kraft entfaltet
Im Uebrigen solbn die Verdienste, die Brougham sn
die Verbreitung nutzlicher Bildungsmittel und usi &
Milderung mancher Maafsregeln des Staatslebens hat)
nicht verkannt und es soll ihm auch dabei keine sellirt*
süchtige Absicht. untergelegt werden. Es sind dss nei>
trale Fragen. Aber zur unbefangenen Würdigung der
Charaktere von Staatsmännern, dio den Parteien aap»
hörten, in deren Kämpfe Brougham vetflochien ii^
oder mii denen er rivalisirt hat, war Niemand "wmgü
geeignet, als er und das ganze Bucb ist eine Partei*
selirift, die von der Vergangeiiheit redet und die Oe«
genvrart meint.
Brougham ist ein berühmter und^ ein^ nicbt bM
vom Genius getragener, sondern auch in aller rhetsii*
sehen Kunst bewanderter und derselben bewufster Red«
ner. Eine durch ihn gemachte Beleuchtung so viehi
Heroen britischer Beredsamkeit kann ein Interesse M*
sprechen, wie es uns der Brutus des Cicero in Betref
jener grofsen Redner des Altertbums einflölst. IniA
so bodi daVf man die Erwartungen nieht spannen. Et
ist allerdings diese Seite die bedeutendste des BucbHi
aber sie wird von dem Verf. nur als Nebensache W»
bandelt
(Die Fortsetzung folgt.)
J^ 92.
J a h r b n
für
* •
c h e r
wissenschaftliche Kritik
Mai 1840.
Jiüloncal Sketches of statesmen who flourühed
in the ttme of George ItK By Henry Lord
Brougham.
(Fortsetzung.)
Doch SU dem EinzelneD, zu den Beweisen des har-
ten Urtheils. Georg III. eröffnet den Reihenzug. Wir
iTTolien es dem* Yerf« nicht zum Verbrechen machen,
dafs er England fQr den einzigen freien Staat der da*
maligen Welt erklärt, wiewohl es dabei sehr auf den
Segriff der Freiheit ankommt, und wiewohl Holland,
Schweden, Ungarn, einzelne Republiken Italiens, der
Schweiz und Deutschlands, und selbst die baskischen
Provinzen dagegen reclamiren konnten. .Wir wollen
auch nicht darüber rechten, dafs das englische Volk
als das „aufgeklärteste der neueren Zeit'* bezeichnet
mrd, wiewohl Deutschland und Skandinavien im wah-
ren Sinne und Frankreich im Sinne des Verfs. gewifs
diese Ehre streitig machen konnten; oder darüber, daf«
damals- „die Civilisation die Reste des Feudalismus in
Curopa zersprengt*' haben' soll, wiewohl man darauf
aufmerksam machen könnte, dafs, was man damals
siemlich unpassend „Reste des Feudalismus*' nannte,
sum Theil und mit gutem Grunde bei dem „aufgeklär-
tes tep Volke der neueren Zeit** noch fortbesteht. Das
Alles sind Redensarten, wie man sie alle Tage in hun-
dert Zeitungen lesen kann und wie sie stets aus dem
Munde der Herren kommen, welche sich für Organe
der öffentlichen Meinung ausgeben. Von einem Broug*
ham aber sollte man erwarten, dafs er nichts schriebe,
was er nicht durchdacht hätte. Er fährt fort: unter
diesen Umstanden — also weil England der einzige
freie Staat der Welt, sein Volk das aufgeklärteste der
neuen Zeit war und die Civilisation die Reste des Feu-
dalismus sprengte '— sei es eine Sache von der gröfs-
ten Bedeutung für die Menschheit und fiir den König
gewesen, ob Georg lils Mensch und als König fähig
Jahrb. /. wH$€P$eh. KHHk, J. 1840. I. Bd.
war, seine Stellung zu begreifen, sein Volk und sein
Geschlecht (bis species) im Fortschritt zum Bessern zu
unterstützen, und ob er auch der Mann war, den' rech-
ten Weg dafür zu wählen. Unglücklicherweise habe er
eine falsche Richtung eingeschlagen und mit einer Hart- '
näokigkeit daran festgehalten, wie sie „kleinen Gebtera
jedes Ranges eigen ist, in königlichen Personen aber
oft zur Geisteskrankheit wird." Georgs III. Begriffsver-
mögen sei sehr gering gewesen und Unterricht habe
dasselbe nicht vergröfsert. (Und die Ansicht eines soU
clien Mannes war von der- „gröfsten Bedeutung für die
Menschheit" bei dem 9,einzig freien Staate der Welt
und dem aufgeklärtesten Volke der neueren Zeit", mit-
ten unter den Siegen der „Civilisetion^l) Er habe ei-
nen eisemen Willen besessen, der, wenn ihn Männer
von krankem Geist ohne alle Einsicht entwickelten, ih-
rem Charakter einen Schein von Unbeugsamkeit gebe,
den man nicht selten für Seelenstärke .halte und als
Menscheugröfse ehre. Fast möchte man glauben , bito
n^üfste der Uebersetser grobe Fehler begangen haben.
Denn die Stelle ist so gefafst, dafs es scheint, als wenn
der eiserne Wille dem Charakter nur dann einen Schein
von Unbeugsamkeit gäbe, wenn er mit krankem Geistö
und Mangel aller- Einsicht verbunden ist. Und eiser-
ner Wille giebt doch wohl dem Charakter nicht blofs
einen „Sehein" von Unbeugsamkeit. Georg III. war,
nach Brougham, in Allem was sein königliches . Amt
betraf „Sklave tiefgewurzelten Eigennutzes und niemals
fand ein Gefühl zarterer Art Eingang in seinen Busen,
sobald . seine Herrschermacht in Betracht kam." ,Sonst
war er ein „im Umgang angenehmer Mann und wenige
Fürsten können sich rühmen, so wie er, Münster von
häuslichem Sinn oder treuer Freundschaft gewesen zu
(Nicht blofs wenige Fürsten, überhaupt Wenige
sem.
von denen, die hoch genug stehen, dafs ihre Privattu-
genden beachtet werden. Aber B. will bei dieser Ge-
legenheit, wie überall, auch den Fürsten einen Seiten-
92
731
Ltrd Braugham^ hUtarieoi Mketeh^M of stmiesmen*
TS
hieb versetsen.) Er fährt fort: «^Kam jedooh seine
Stellung als König oder seine FrS^mmelei in Gefahr
oder wurde in die Enge getrieben, und fand sein Wille
Wideretand, so füllte d^r unbeugsamste Stolz, die bit-
terste Feindsellgiceit, die berechnetste Grausamkeit und
schonungsloser Hafs seine ganze Seele und beherrschte
sie. Yerwandtschafts- und Preundschafltsbande und Al-
les, was den Mann ehrt, wurden dann mit Füfsen ge-
treten, und seine tyrannische Wuth, verbunden mit einer
Verschlagenheit, die hliufig bei Geisteskranl^en scharfer
hervortritt, traf oder vernichtete die, die seinem wilden
Begehren entgegenzutreten wagten." -Und das bei der
„aufgeklärtesten" Nation, in dem „einzig freien Staate
.der Welt**, mitten unter den „Siegen der Clvilbation**!
Wo Mnd die Beispiele, dals Georg mit „tyrannischer
Wuth'* einen Engländer „vernichtete**, weil er seinem
„wilden Begehren*' entgegenzutreten gewagt hatte I B.
fQhrt nur einen Umstand aiif, den man dem König als
Mensdien zur Last legen könnte: die Behandlung des
Prinzen. von Wales, den Georg Itl. „glühend, aber
kaum vereinbarlicb mtt gesundem Menschenverstand''
gehafst und dafür keinen Gitind gehabt haben soll, als
^ die Eifersucht, mit der man einen Nachfolger betrachte,
und die Gewifsheit, dafs der Prinz von Wales ihm un-
* fihnllch sei und sich noch während seiner. Lebzeit den
Whigs, seinen verhafstesten Feinden, in die Arme wer-
fen werde. Etwas Näheres zur Begründung einer so
furchtbaren Anklage fuhrt er taicht auf. Es ist aber
bekannt, dafs der „Hafs*' nicht unversöhnlich war, son-
dern Georg III. eine Hoffnung der Sinnesänderung sei-
nes Sohnes stets mit Freude begrüfste. ISs kann auch
. dieser „Hafs'* nicht so grimmig, oder Georgs III. „Ter-
schlagenheit In Vernichtung seiner Gegner" mufs doch
nicht so grofs gewesen i^ein, wie Lord Brougham sie
darstellt; denn sonst würde Georg III. Wohl Versuche
gemacht haben, seinem Sohne die Regentschaft zu ent-
ziehen, was in der Zwischenzeit zwischen seinen Haupte
kraukheiten wohl geschehen konnte. Ueberhaupt sind
. die Grtode, die B. für den angeblichen Hafs anfuhrt,
sehr zweifelhaft. Die „Eifersucht, mit der man einen
Nachfolger betrachtet**, mag vielleicht Lord Brougham
empfunden haben, wenn er noch bei Lebzeiten Nach-
folger in seinen Aemtern sab; bei den Erbfürsten ist
sie wenigstens dem Sohne gegenüber gewifs keine sehr
häufige Erscheinung. Wie es mit des Prinzen Hinnei-
gimg zu den Whigs stehe, und wie \venig ernstlich
diese gemeint sei, hat Georg IIL wahrseheinlidl rech
gut gewufst. „Unähnlich*' war der Prinz allerduigi id.
nem Vater; aber^ mit Ausnahme des Talents emer ^
wissen Gewandheit und in der Jugend einer grSbsNa
Gefügigkeit, schwerlich zum Bessern« . Allerdiiq;tiit
in jener Unähnlichkeit ein . Grund zur Mifsstimoiiaify
nicht zum „Hasse**, zwischen Vater und Sohn gdegeo.
Aber gewifs ist es nicht unnatürlich, dafs ein Vater,
der ein Muster häuslicher Zucht, edl^r Sitteneinfalt ni
warmer Religiosität ist und die treue Bewahrung 1k»
ser Eigenschaften für doppelte Pflicht hall, wett erlä
nig ut, dab ein solcher nur mit Rummer sieht, irii
sein Sohn und Thronfolger sich in^ die Arme wOitir
Sinnlichkeit wirft, an der Spitze der Modegecken ti
ner Zeit steht und mit leichtsinnige^ Freigeistern u»
herschweift. In Maafsregeln gegen unablässige Vd»
schwendungen und Ausschweifungen besteht Ae Uk
B. mit so schwarzen Farben geschilderte Behandhip|
des Prinzen und der „HaCs** tnäg sich auf eine geWittl
Unzufriedenheit mit einem an sich nicht -lobenswerths
und einem solchen Vater gewifs doppelt tadelnswerth m
scheinenden Betragen besdiränkt haben. — Ein Bdn
spiel der Rachsucht ferner besteht darin, dafs der Köi^
sich weigert, dem zweiten Sohne des Lord Chatham St
Beibehaltung des Jahrgehalfes seines Vaters schon fl
einer gewissen Zeit zu Tersprechen, dagegen sidi k^
reit erklärt, ihm seiner Zeit, wenn Altersschwäche ofe
Tod dem „Wirken des Vaters für Empörung" ehi EaJi
gemacht haben wurden, Jenen Gehalt zu gewährea ssi
noch zu erhoben. Hier liegt nun in der Form und li
Ausdruck eine Härte und dieser Ausdruck wird nur ll
einem Briefe des Königs an seinen vertrauten MtniM
gebraucht.
Doch B. sucht den König allerdings zu entschri*
digen. Er sei In der Erziehung schwer vemachlabligl
worden. Das Zeugnifs/ was er dafür anfahrt, ist Mt
gendes. Georg III. sei fQrwahr kein Mann gewesM^
dem es einfallen könne, oberflächliche oder bedeulesA
Kenntnisse zu würdigen, und doch solle er selbst seist
fehlerhafte Erziehung; bedauert haben« Darauf, nur ds^
auf gründet er die Behauptung, dafs tnan den „kibilll^
gen' Beherrscher eines freien und aufgeklärten Y<db
ohne den Unterricht gelassen habe, den alle besserii
Classen der Gesellschaft ihren Kindern zu geben sidl
verpflichtet halten." Wie Mancher, der den Unteffiihl
genossen hat, den „alle bessereft Classen der Gestft
933
idftd Brüughmmy Aüiprieal ^^eteJkeä 0/ $tai€tP9eH.
731
•clMift ihrM Kbfbm n geben sieh rerpfliebtet hallen*',
wird alle Ursache haben, dae Fehlerhafte in eelaer Er*
iiehang an bedauern • mmI es wird sehr ehrenvoll far
1ha sein, wenn er es wirklieh thnt Gleieh darauf räumt
Lord B. ein: da Georg III. „von Natur lebhaft war
wd er' Im mäfsigem Leben blieb, so war er im Stande,
steh mit allen Einzelheiten der Geschäfte su befassen";
Ja er versichert, auf ^s Zeugnifs eines „höchst ehren*
werthen und uiribedingt glaubwürdigen Mannes'*, Oeotg
IIL hake genauer als sonet Jemand die Beß$gnisee
feder Siaaieetelle gekannte Nun schlägt er swar die
Schwierigkeit, oder den Werth dieser Kenntnisse nicht
hodi an, sondern Tcr^eicht sie etwa mit der KenntDifs
der Et^etteund der Heraldik, „der groben Liebhabe»
rei der Könige.*' kidels fil^r einen Mann, von d«m wir
hören, dafs sein Begriffsvermögen beschränkt gewesen
md sein Unterricht unverantwortlich ▼ernacblärsigt wer»
den sei, ist es gewiTs viel. Auch läfst sich die Be«>
hsuptung nicht recht damit vereinigen: dufa Crcorg IH.
meiaab vertraut gewesen sei mit den höheren Idteres-
S6n des Staats, der Constitution und den Rechten des
Psrlaiftents, der Gesetzgebung, dem Bankwesen oder
dem Handel überhaupt, den Geschäften der ostindischen
Gempagnie und dem Coloniewesen , den Bedurfnissen
mderer Länder, oiet der genauen Beschaffenheit sei-
nes eignen« Freilich stellt Lord B. diese Behauptung
nielit unbedihgt auf, sondern er sagt blofs, es habe Nie-
mand das Gegentheil behauptet und es sei dasselbe
auch sehr unwahrscheinlich» Es dOrfte aber eher sehr
wahrscheinlich sein,, dafs ein Pfirst, der „die Befugnisse
Jeder Staatsstelle besser, als sonst Jemand, kannte",'
auch von jenen Momenten wenigstens eben so gut un-
lerricbtet war, als Lord B., der in der englischeu Ju-
risprudenz recht erfahren sein mag, dessen Kenntnils
von andern Dingen aber sich in allen seihen Reden
md Schriften wemgstens nicht als gründlich erwiesen
hat. ludefs Lord B. fährt noch einen andern Grund
(Sr schien auf „Wahrscheinlichkeit" gestützten Vorwurf
an. Er sagt, jene Ahgelegenheiten waren ^^lauter Dinge,
wovon Könige wissen sollten, obgleich sie es in der
Regel unter ihrer Würde halten/' In demselben Ge*
sduBffcke ist ein folgender fiatE^ „Georg IIL gehörte
an einer Menschenolasse, die swar nicht die werthlo-
seste, aber auch bei weitem nicht die beste ist, die
niemals einen erzeigten Dienst, aber eben so wenig ^ne
eilittene Kränkung vergessen kann.'* Aeufserungen,
die sich in d^m Munde dne« Staatsmannes, wie Lord
B. sein will, seilsam ansnehmen«
Im Polgendeii gesteht 4er Yert «in, dafs der Kö-
nig „ein thütiger, punktlicher Mann war, der sdne Zeit
genau eintheilte, und niemals fehlte, wo man seiner
bedurfte, stets bereit, Geschäfte abtumaehen und sieh
dabei durch kein Veirgnügen oder sonst eine Zerstreu*
ung stören su lassen** ; fügt aber gleich hin«!, es setxe
dies keinesweges einen Mann von Geist und Wissen
Toraus, sondern es habe hiwzu blofs eines Begreifens
seiner amtlichen Pflichten und des Entschlusses, nichts
darin zu versäumen, bedurft. Gewifs ist aber doch ein
solches Verfahren ein wunderbares Resultat „beschränk*
ter Begriffe und miverantwortlich verwahrloster Ersieh
hung", wie es gleichfalls eu verwundem bt, wenn unter
solchen Umständen ein Mann von „lebhaften" Temp^
ramente ein Muster der Mfifsigkeit und überhaupt mit
so vielen häuslichen Tugenden geschmückt, der Gegen-
stand der reinsten Achtung und innigsten Anhänglich*
keit des „aufgeklartesten und freiesten" Volks wird.
Dafs Georg IIL „in seinem Privatleben viele. Tilgenden
entfake» gesteht B. selbst ein, führt aber darunter nur
das Angonelime seines Umgangs, seinen häuslichen Sinn,
seine Treue in der Freundschaft, seine Ordnungsliebe
und seine Mäbigkeit an. Die aufrichtige Beligiosität
des Königs ist ihm Frömmdei. Es scheint, Lord B*
glaubt einen grofsen Yorschritt gethan eu haben, dab
er sich der unfreien Gläubigkeit, die in seinem Yater-
lande sich finden mag, entrungen hat ; da er aber nicht
zu der freien Gläubigkeit durchdrang, sondern auf der
Stufe fransösischer Eacyklopädisten stehen blieb, so hat
er keinen Vorsehritt, sondern einen Rückschritt gethan.
Die grofse Gewissenhaftigkeit und persönliche Recht-
schaSenhelt des Königs, seinen friedlichen, wohlwoh
«
lenden Sinn, seine sittliche Reinheit, das Edle, was iii
seinem. Bestreben lag, seinem Yolke ein Vorbild häus-
licher Tugenden und dadurch ein Leitstern zum rein«
sten Glücke zu werden, hebt er nicht hervor.
Was nun das ö£fentliche Wirken des Königs an-
langt, so erwähnt er zunächst, dafs sein Benehmen
während dek amerikanischen Krieges, und gegen das
irländische Volk oft gegen dasselbe angeführt werde»
Er geht jedoch an dieser Stelle nicht näher darauf ein,
da er fühlen mochte, es lasse sich doch nicht gut dem
Könige allein zur^ Last legen, woran die Zeit und das
ganze Volk so viel Theil hatten. In der That haben
73i
Lord Bm^gham^ hütorieal iketches of statesmen»
73S
die Klagen Irlands die Regierung Georgs III. weit iiber-
dauert; wenn sich heute eine englische Colonie losrei-
fseu wollte, so würde man wahrscheinlich auch Wider-
stand lebten^ so lange man irgend könnte, und dafs der
König der letzte Mann in seinem Reiche war, der in
eine Schmälerung Lritischen Staatsgebiets willigen woll-
te^ sollten ihm die Engländer zum Ruhme anrechnen«
Lag es doch nherdem in ihren Händen, seinen Wider-
sland fruchtlos SU machen! Er legt dem König femer
^ das lange Ausschlielsen der liberalen Partei, das Ver-
fahren gegen die französische Revolution und die Yer-
sögerung der. Emancipation der Katholiken zur Last;
alles Dinge, die weit über die Zeit seiner Begenten-
wirksamkeic gedauert haben und von denen der Kampf
^ gegen die frajDZÖsische Revolution zur Englands hoch-
Stern Ruhme gereicht. Der Verf. führt aber audi über
das allgemeine Regentenwirken Georgs III. an: sein
Ehrgeiz sei gröfser gewesen als seine Fähigkeiten. Er
habe einen hohen Begriff von ^der königlichen Macht
gehabt, und sei entschlossen gewesen, sie zu erhalten,
vielleicht sogar .zu erweitern. Auf alle Fälle habe er
kein blofses Wort, keine blolEse Zahl im Staatsleben
sein wollen und sich mehr mit Regierungsangelegenhei-
ten befafst, als jeder andere König, „der vor ihm' auf
dem Throne dieses Landes safs, ehe unsere Monarchie
eingeschränkt und deren ausübende Gewalt unter ver-
antwortliche Minister vertheilt war." Ebenso perfid,
wie jenes ohne allen Beweis hingestellte „vielleicht",
ist der Zusatz: „mag er nun so gehandelt haben, weil
er die Verpflichtungen ' seiner hohen Stellung so auf-
fafste^ .oder alle ihre Rechte und Befugnisse geniefsen
wollte/' Ein König von England hat wohl Ursache,
den Kreis von Befugnissen, der ihm gelassen ist, fest
zu haltea« Bei dem Privatcharakter Georgs III., wie
er sich nach der eignen Schilderung des Yerfs. dar-
stellt, ist es gar nicht zweifelhaft, dafs Pflichteifer und
Gewissenhaftigkeit einen gröfseren Antheil an der Po-
litik des Königs hatten^ als das falofse Wohlgefallen
an der. Ausübung seiner Rechte. Uebrigens kommt es
weit weniger darauf an, mit wieviel Geschäften man
sich befafst^ als darauf, mit welchen ' und mit welcher
^ Kraft inan es thut. Es kann sein, dafs Wilhelm III.
Mch nicht um so viele Details gekümmert hat, wie Ge-
org IIL Jener dürfte aber leicht einen weit gröfseren
Einflufii auf das Slaatsleben geübt haben, weit öftmr
der wahre. Urheber des Geschehenen gewesen sein, als
dieser.-^ Der Verf. fährt fort: ^^Vor mir liegt der
Briefwechsel, den er wahrend der sehn wichtigsten Jakre
seines Lebens mit seinen vertrautesten Dienern fuhru^
und er beweist, dafs sein Atige stets auf alle VoriSlk
gerichtet war. Nichts geschah in auswärtigen, Coloue-
oder inneren Angelegenheiten, worüber er nidiicta
entscheidendes Urtheil sich bildet, und allen seinen Ein-
flufs geltend macht" Ob er einen falschen Weg eii-
geschlagen habe, sich ein Urtlieil su bilden, sagte
nicht und ebjsn so wenig sagt er, dafs der Köoig eins
ungesetzlichen Einflufs geltend zu. machen gesuchU habe.
Nur unter diesen Voraussetzungen aber würde jene Ik»
merkung einen Tadel rechtfertigen. Freilich Lord IL
bemerkt auch : Georg III. habe em von ihm begünaü^
tes Ministerium auf das Kräftigste unterstützt, dagegM,
als er gegen seinen Willen genöthigt war, ein awieNi
anzunehmen^ allen Schutz dessen Gegnern zugewendi^
Inzwischen sieht man^ dafs auch hierbei der König nidt
übeir die Schranken seiner Befugnisse hinausging, vai
dann ist die Sache nicht zu tadeln. Die englische Ver«
fassung spricht dem Könige das Recht zu, seine Miair
ster nach Gutdünken zu erlesen; es wird ihm aber la»
direct wieder entzogen, sofern ihn andere Bestandlbdli
der Verfassung nöthigen, ein Ministerium zu besteikBi
was die Majorität im Parlamente hat. Dadurch kitt
es sich öfters ereignen, daCs er Minister wählen Brab^
deren Wirksamkeit ihm nicht zusagt, die er vielleielt
nicht im wahren Interess.e. des Landes findet. Er lut
Rechte, die er nach freiem Ermessen ausüben, er iä
eiqen Einflufs, den er nach Umständen geltend mackl
kann. Die Verfassung hat das gewufst und besteM
lassen, weil man einsah, dafs die Enulehung jener Be*
fugnisse schlimmeren Nachtheil erzeugen, als entfenH
würde und weil man vertaute, dafs die anderweioa
politischen Institute hinreichende Bürgschaften gewik-
ren würden. Kann man nun einem Könige zumuÜM%
dafs' er seinen ihm frei überlassenen Einflufs zu Gu»
sten eines ihm widerwärtigen Ministeriums, oder mM
zu Gunsten seiner Freunde verwenden sollet Hat er
Unrecht, so wird ihm ohnehin das Alles nichts bdfa i
hat er Recht, so ist es gut, wenn er seiner Aiuk^
auch Anerkennung verschaffen kann.
(Die Fortaetzang folgt.)
/ J
9^ 9%
Jahrbücher
für
wiisseiiscfaaftliche Kritik«
Mai 1840.
9S=9
Bistarical sk^tches qf statesmen who ßourühed
m the time of George 111. By Henry Lord
Brougham.
(FortoetzttDg.)
Doch auch Brougham stellt lioh^ als wolle er m
diesem Falle den König entschuldigen. Aber eben seine
Vertheidigung . eeigt recht deutlich die seltsamen Win-
dungen uiid die' perfide Absicht seiner ganzen Darstel-
lung. Er meint^ der erste Eindruck, den ein solches
Benehmea — • überhaupt das Streben des Königs, sein
Gewicht gehend zu machen — - machen müsse, sei kei-
nesweges ein dem Könige günstiger. Indefs eine fort-
gesetzte Betrachtung entkräfte diese Ansicht bi etwas.
Allerdings seien selbst Männer von Gewicht der Mei-.
nung, daPs die Minister, sobald sie vom Souverain an-
genommen worden, die alleinigen Träger des Staatsle-
bens seien. Er verbreitet sich nun weiter über diese
Ansicht und spottet über die untergeordnete St^Uung^
die sie dem Könige giebt. Er erklärt sich auch dage-
gen, aber die Gründet i^vs denen er es thut und die
Bemerkungen, die er dabei fallen läfst, beweisen ent-
weder, dafs er unfähig ist, das Wesen des^ Königthums
auch nur entfernt zu verstehen, oder enthalten geradezu
eine demselben feindliche Absicht. Wahrscheinlich bei-
des«. Er sagt: ),Obgleich wir vom lebhaften Wunsche,
beseelt aind, dab das Vorrecht des Königs so viel als
möglich geschmälert werde, und der Volkswille in un-
sem Staatsangelegenheiten entscheide, $o können wir
dennoch diese Theorie einer Monarchie nicht verstehen.
Entweder weist sie der Krone eine zu grofse Clvillbte,
oder va wenig Macht an. Es muCi in der . That im
höchsten Grade widersinnig erscheinen, dab ein biober
Sdieinkönig eine Million Pfund Sterling jährlicher Ein-
künfte habe. Ebenso ungereimt ist es, dem Namen
nach unter einer monarchischen Staatsform leben und
doch dem Könige keinen entscheidenden Einflub ge-.
Jahrb. /. wü$tMcK Kritik. J. 1840. I. Bd.
Statten zu wollen. — Soll die Theorie einer einge-
schränkten Monarchie: und des GUeichgewichts dreier
Gewalten eine Wahrheit werden, so darf er in diesem
politischen Systeme sein Amt nicht blofs dem Namen
nach bekleiden." Mit solchen Yertheidigungen ist dem
Königthum nichts gedient ; sie können gar keinen Ein-
druck auf seine* Gegner machen; diese werden vielmehr
sagen: uns ist gar nichts daran gelegen ^ unter einer
monarchischen Staatsform zu leben, oder die Theorie
einer eingeschränkten Monarchie zur Wahrheit zu ma-
chen, und wenn wir die Wahl haben, wollen wir lieber
die Ciyilliste kleinier, als äie Königsmacht gröber sehn^
am liehsten aber das Königthum gans abgeschafft wis-
seiu Darauf deutet auch B. hin, wenn er femer sagt;
„dab es hingegen im Pflichtgefühl seiner hohen Stel-
lung geschah, wenn er seinen eigenen Willen hatte, .
nach seiner gewissenliaften Ansicht handelte und allen
seinen Einflufs braucht^, um dieselbe dttrehzusetsen^
können blofs die läugnen'*, — eben hat er es selbst we-
nigstens in Zweifel gestellt, -« „die die Monarchie has-
sen und die Republik fürchten, aber dennoch lieber die
Gefahren und alles Schlimme der nach ihrer Meinung
schlechtesten Regierungsweise ertragen, elie sie eine
bessere suchen." — In welche Widersprüche ihn übst«
gens seine Leidenschaftlichkeit verwickelt, davon finden
wir auf derselben Seite ein Beispiel. \Yie es ihm. bei-
fällt, Personen, die unserer Zeit viel näher stehen, als
Georg III. , etwas anzuhängen , vergifst er für emett
Augenblick sowohl seinen Groll gegen diesen, als den
„lebhaften Wunsch, dafs das Volk in den Sceatsange»
legeuheiten entscheide" und sagt in einer Anmerkung:
„Georg HL setzte sidi eia Denkmal mr Beherzignng
silier Zeiten.. Er gab nicht zu, dafs seine Minister
sein Ansehen zu Zwecken, die er roifsjbilligte, mib*
brauchten, oder dab dies von Leuten geschah, die
er verachtete. Niemals regierte er durch Günstlinge,
eben so wejiig konnte Jemand sich bei ihm dadurch
93
739
lAHrd Brougham^ hUtwrieid skeiekeM of Mtaienmen.
geltend maehen, dafi er sich auf' den Volkswillen
berief."
Es würde ein Bach werden, > dreimal ümfaDj;reicher,
als das vorliegende , sollte sein ganzer Inhalt in der
Art bdeuchtet werden, wie dies eben geschehen. Ref.
hat die erste beste, und swar gleich die erste Charak-
teristik gewfihlt, um daran deii Lesern zu zeigen, wie
iFenig Vertrauen der .Terf. derselben verdiene. Die
ganze Charakteristik umfafst 11 Seiten. Sie betrifft
einen Mann^ der allerdings dem aüimosen Gegner manchen
Zielpunkt bot; Brougham hat sich selbst sein Spiel
verdorben, indem er zu weit ging; aber er mufste zu
weit gehen, weil es ihm nicht um die Wahrheit zu
thun war, weil er vielmehr absichtsvoll und in Lei-
denschaft handelte. Georg III. war allerdin^ kein
Mann von. umfassendem , freiem Geiste; er w|ir auch
nieht frei von manchen Beschränktheiten, die zwar der
Ziigellosigkeit seines Zeitalters gegenüber sehr ehren«
werth erscheinen können,- die aber selbst seinem Ge«
muthe etwas Enges geben. Allein ein wohlwollendes
Herz, ein reiner Sinn für die Freuden der Häuslichkeit
und der Natur und eine aufrichtige Frömmigkeit weih«
ten- den Menschen ; seine grofse Gewissenhaftigkeit nnd
Sittenstrenge erhielten ihn im Privatleben als Muster
sittlicher Zucht und trieben den König ' zur pünktlich-
aten Erfüllung seiner Pflichten und auch das durch
dieselbe Eigenschaft genährte Streben, sich gründlich
Tim jedem Geschäft zu unterrichten, konnte nicht ohne
bildenden Einflufs auf seinen Geist bleiben. Jedenfalls
besafs er Tugenden, die in dem verflossenen Jahrhnn«
'S.
derte bei den Grofsen der Erde nicht eben häufig
vraren und deren Einflufs auf Gesellschaft und Staats-
leben ein überaus segensreicher ist: so dafs er wohl
ein billigeres Urtheil verdient, als ihm von Lord B. zu
Theil worden ist
Doch er mag sich mit Monarchen trösten, deren
Wesen ein ganz anderes gewesen ist und die ungleich
glänzendere Th'aten verrichtet haben, aber vor den Au-
gen Lord Broughams noch weniger Gnade finden kenn-
ten, ja von Letzterem, vielleicht nicht mit solcher In-
timsivität des Hasses, aber mit noch viel gröfserer Rück-
sichtslosigkeit behandelt werden. Die Charakteristiken
Friedriehs II., Josephs IL, der Kaiserin Catharina und
Gustavs HL, auf die hier aus Rücksicht auf den Raum
nicht näher eingegangen werden kann, sind wahre'
Pasquille. Eine so hohe Miene der Verf. bei Würdi-
gung dieser glänzenden Gestalten annimmt, so ist doch
sein Standpunkt ein wahrhaft schülerhafter. Er iteDt
ein loses Gerippe von Eigenschaften und Charakte^
zii^n Buf, wählt, wie er sie gerade braucht, einige Be*
gebenheiten und Thaten aus. dem vielbewegtea L«hB
der Geschilderten heraus, gebraucht überall die «täik-
sten Epitheta, in Lob und Tadel, begründet sie duidi
einige, längst bekannte, aus . der chronique scandalaiM
geschöpfte Anekdoten, Wahres, Halbwahres, Falsdhei
bnnt untereinander, Alles in der ganzen Entstdkmg ui
Uebertreibung aufgefalst, wie es gehässige Moaoifei«
Schreiber erzälilten und gänzlich ohne Rücksicht auf Zdt
und Zustände, gänzlich ohne die psychologische KmiM,
die die verschiedensten Züge, nicht blofs hervorzuhebe&i
sondern auch in ihrer Begründung' und Wechsdwir«
kung zu erklären, und aus ihnen heraus das ^anze We*
sen des Geschilderten in individueller Prägung zu enC»
wickeln weiis.
In, Bezug auf die übrigen Charakteristiken beoerkt
Ref. im Allgemeinen, dafs Lor4 Brougham bei des
Männern, deren Genie er nicht nmhin konnte In hober
Bedeutung darzustellen, auch die meisten Schatten lle^
vorzuheben weifs, daCi er am Glimpflichsten mit Sol«
eben umgeht, die einen weniger glänzenden Namai
hinterlassen haben, aber doch auch bei ihnen, mit wo*
nigen Ausnahmen, immer wieder das Lob zu entbät
ten sucht, so dafs ein Leser, der den Mann nicht kenst
und sich Ihm mit Vertrauen hingäbe, leicht auf den
Gedanken kommen könnte, Lord Brougham stehe ifl
Geist und Charakter erhaben übei^ all diesen Männern.
Wenige kommen ziemlich unangetastet davon: Will)C^
force, Franklin, Grattan, Romilly.
Lord Chathanit politisclie Gaben und Verdieiule
werden mit verdientem Lobe herausgehoben. Eben»
seine Beredsamkeit. Das Privatleben wird als mvsle^
haft dargestdlt. Wir wollen *nichts Arges dabei den-
ken, dafs dem Redner etwas Charlatanerle und ein Mso-
gel an logischer Schärfe und an Beweiskraft, dal
Staatsmann eine äufserste Unverträglichkeit und Dosii-
nirungssttcht vorgeworfen werden. Aber einen sdtss»
men Eindruck macht es, wenn von denmelben Msaac^
der durch den ganzen, in der That interessanten kA
satz als ein wahrhaft grofser Staatsmann und ab der
liebenswürdigste Mensch dargestellt und von dem S. 15
gesagt wird : „Weit erhaben über alle niedrige Bestr^
bungen eines brütenden Ehrgeizes, und verachtend dU
741
6oeih^9 JBrieJif mn die tfrößn Auguste %u SioUerg.
742
t^UHet^ und PersomenfüeJbeieAiem^ liatte er eteie die
faöebete Pflieht eines wirkenden Geistes, die Beforde-
ning des MenscI^enwohles, Vor Augen $ in diesem Stre«
ben liels er sieh weder durch die Mifsbilligung des Hofes,
aAeb dureh den sliainiisc^eB Beifali der Menge irre ma*
clm, setEte er sieh der Raehe des erstem aus, gegen
dessen Besteehungssystem er ankMmpfle, wfthrend er
dann wieder eben so kühn den Zorn eines übelberathe-
nen Volkes auf sich lud, dessen Fuhrer er bekämpfte'*,
"WMin. von demseliien Manne später, nachdem man in
der ganzen 27 Seiten langen Darstellung keine Ahnung
vmsk diesem Gegensatse Imtte fassen können, gesagt wird:
„Es seheint jedoch, dafs er bei weitem nicht der edle,
{;rarsartige Charakter war, für den man ihn halten
konnte, vielmehr hat er die Unabhängigkeit seiner Seele
dinreh Verachtung alles niedrigen Interesses nicht hin*
Ifia^ieh .l»ewiesen/' — Ja, „die «Rücksicht, ein so edles
Bild, wie das Lord Chathams,- zu entstellen, darf uns
nicht abhalten, Züge niedriger, ja schmutziger Gesin-
nung hervorzuheben, die sich bei genauer Prüfung des
Originals finden lassen."
(Die FortsetzHDg folgt.)
LVII.
OQ9th£$ Brief» an die OrSfin Av'gutt» %u StoU
6ergi vtrwitHtete GrUßn v«n Bertistorf. Leip-
xig, 1839.
Geetfie ist roo eipeni leiner einsiebtsroRiten Bewnuderef
der geloDgeSflte Mensch seinet Jahrhandertt genannt worden.
Die Wahrheit dieses Anaipraelia erweist sich unter andern anch
darin, daft er anf eine Weise, Ton der vir nicht zu viel kagen,
wenn irir behaopten, dafs sie nicht nur in seinem Jahrhunderte,
•radem in allen Jahrhunderten ohne Beispiel ist, als JUngHng,
als Mann und als Greis den Charakter jedes dieser drei Lebens^
alter in hOehst möglicher Reinheit und Vollendung seiner Er«
scheinang als Meusefa und als Diehter aufgeprHgt zeigt. Jean
Pkn], irebl der begabteste dichterisehe Genius neben ihai, war,
sei es inmerfain durch Schuld Kufserer Lebensverhältnisse, wel-
ehe seine herrlichen KrSfte theils zur vorzeitigen Reife, theils
nie zur vollendeten Reife gelangen liefsen, als JQngling schon
Greis, und ahi Greis noch JQngUng; 'Mann im vollen Sinne des '
Wortes ist er nie gewesen. CNiethe, durch die Gunst der Göt-
ter, ist als JUngling ganz JOngling, ata Greis ganz das, was der
Greis. sein soll, denn die ewige Jugend, die er auch noch als
Greis bewahrte,' hat nichts mit den Eigenschaften der Jugend
gemein, die im Alter zur Untugend werden; und zwischen dem
Jüngling und dem Greisen steht eine Mannesgestalt in der Mitte,
auf die sich, wenn anf irgend eine andere, das Wort des Dich«
ters Mertragen läfsf :.„er war c&n Mann, nehmt AUes aar in AI»
lern, ich werde nimmer seines Gtei^eh sehiL'*
Das gegenwartige Baehlein fHhrt nna dem grStsem Theile
seines Inhalts nnch, in Goethe's Jugendzeit zurück. Es sind
Briefe ans dieser Zelt, iind zWar ,aus der blühenden and Vppig
anfbransenden Periode, welche den Beschlufs derselben macht.
Goethe, der Diehter des Gtfts mid des Werther, entwertet eine«! ,
ihm persJinUeh unbekannten Mftdchen, der Schwester der zwe(
ihm befreundeten Grafen Stolberg, die ihm in der Fülle des rein-
sten Jugendenthusiasmus, den der seelenverwandte Dichter in
ihr entzündet, einen begeisterten Herzensergufs schriftlich äuge*
sandt hatte. Zwar bestehen diese Antworten nur in einer.
Reihe flüchtig hingeworfener Zettel, und sie geben ohne alle '
Beimischung dessen, was man im eigentli^en • Wortsinn einen
Inhalt nennen könnte, überall nar den unmittelbaren, knnstlosea
Ausdruck der Stimmungen und Zustande des Augenblicks, in
welchem sie geschrieben sind. Dennoch bilden diese unschein-
baren teilen innerhalb des Umkreises zweier Jahre, des letzten
von Goethes Aufenthalt in Frankfurt und des ersten von seinem
Aufenthalt in Weimar (1775 und 1776). einen gewissen, aller«
dings nur sehr lockeren Znsammenhang von Mittheilungen, 'weN
che uns tief in die Seele des DichterjUnglings blicken lassen.
Wir fühlen uns durch sie auf ganz ähnliche Weise angespro-
chen, wie durch die schönsten dichterischen Denkmale aus die« .
ser „herrlichen Zeit der Entfaltung^, wie der Dichter selbst an-
derwärts dfese Periode genannt hat ; ja' wir kcinnen nicht um-
hin, sie selbst diesen Denkmalen beizuzählen, obgleich die Po^*
sie, deren Haqch uns aus ihnen anweiit, nichts weniger,' als eine
beabsichtigte Poesie ist.
Suchen wir uns nämlich den Grund des eigenthüml leben
Zaubers, den diese Briefe auf uns ausüben, zu verdeutlichen, so
finden wir zunächst ein negatives Verdienst an ihnen anzuer-
kennen, durch welches diese Wirkung bedingt ist. Dieses Ver-
dienst besteht darin, dafs sie vollkommen frei von jener Rheto-
rik der Empfipdsamkeit sind, von welclier - sich, zu jener Zeit
zumal, wo die gesammte, geistig angeregte Jugend, and nicht
die Jugend allein, in diesem Tone schwelgte, bei einer gleichen
Veranlassung gewifs kein Anderer, Bufoer Goethe, frei gehalten
haben würde. Wir mdchten sie um dieser Enthaltsamkeit wil-
len, fast schon den unschätzbaren Blättern vergleichen, in wel-
chen Goethe der Greis Bettinens dithyrambische Ergüsse beabt-
wortet hat. Die Tugend des Maalshaltens, der Tact, das Rech-
te, das einzig Gehörige zn finden, ist schon hier genau derselbe
wie dort, obgleich dieses Rechte, dieses Gehörige, wie sich von
selbi^t versteht, für den Jüngling ein anderes als für den
Greisen ist ' Hier erwledert Goettie noch wirklich ,den ihm
entgegengebrachten Enthusiasmus des begelstetten Mädchens, er
erwledert ihn mit der ganzen Wärme, ja Ueberschwänglichkeit
des aufgeregten JugendgefÜhh ^ aber diese Erwiederung bleibt .
ganz innerhalb der Gränze der Wahrheü dieses Gefühls, ohne
das Mindeste von der, gerade in Goethe doch so reich strö^men-
den Ader der Dichtung zu entlehnen. Sie verheelt sich gar
nicht die Armoth des Inhalts, welchen das seelenverwandte Paar
einander mitzutheilen hat, aber sie läist sich dadurch nicht ver-
Goethe' $ Briefe an die Grüßn Jfiguste %u SfißUerff.
UMeo, ideale SchwarMereien in wohlgesetzte Worte la kleiden )
sie- zieht es vor, „oft ttiit xM Kfteinigkeit zu vnterhalten^, nie'«
dean Briefsteller gerade ^jin Sinn schiefst.^ Weil jedoch diese
BüttheilnDgea stets anmittelbar aos dem lebendigen Gefühl hec-
frorgehen, welches sie avsdrUcken sollen, nnd, sobald dieses Ge-
fühl schweigt, aagenblicklich abbrechen, so erTtiUen sie kurz
und rhapsodisch und wenn man will inhaltlos, wie sie sind, auch
ganz ihren Zweck ; wir fühlen uns in dem „sehr mancherlei von
seinem Zustande'", welches der Briefsteller in die kunstlosesten
W^orte Ton der Welt hineinwirft, ihn in der That, seiner Ab-
sicht gemiifB, die freilich- nicht uns, d.h. dem Publicum, gilt, „uns
«ilher geruckt*^ und „glauben ihn zu schauen"". Wehe dem, der
so etwas kunstlich nachbilden wollte, und wehe dem Dichter
selbst, wenn er diese Weise der Mittheilung auch nur einen An-
genblick länger, als der Genius es ihm verstattete, hätte fort-
setzen wollen!
Gewifs nämlich ist es nicht das letzte Verdienst dieser Blät-
ter, dais sie sich nicht weiter erstrecken, als Über den Zeit-
^ ra^m, welchem solche Art, Sich auszusprechen, gemäfs war, dafs
sie mit andern Worten zur rechten Zeit aufzuhören wissen. Auch
hierin mochten wir sie dem Briefwechsel mit Bettina verglei-
chen, wiewohl dort die Nothwendigkeit des Abbrechens weniger
. Goethe selbst, als die Briefstellerin betraf, welche, ohoe in Ma-
liier und Unwahrheit sBu fallen, nicht in jener Weise fortschrei-
ben konnte.' Im gegenwärtigen Falle ist das Abbrechen von
fioethe'ft Seite zwar hinge nicht so absichtlich, wie dort; wir
finden vielmehr, nachdem der Briefwechsel schon geraume Zeit
ins Stocken gecathen war (S. 159 f.), bei zufälliger Veranlassung,
za erneutem Schreiben, noch eine Entschuldigung wegen diese«
Stockens, und eine, jedoch durch den charakteristischen Zusatz :
,,wenn Sie mögen"" bedingte Aufforderung, „den alten taden wie-
der anzuknüpfen, indem dies ja sonst ein weibliches Geschäft
sei."" Dennoch liegt der wahre Grund dieser Stockung ohne
Zwei&l darin, -dafs das Gefühl, welches früher zum Schreiben
gedrängt hatte, sich nicht von selbst mehr einfinden wollte, und
Goethe einen zu richtigen Tact besafs, um es gewaltsam fest-
zuhalten oder künstlich zurückzurufen. Das frühere jugendlich
' schwärmerische VerhäUnifs in einen dauernden Geistesverkebr
ernsterer und inhaltsvollerer Art übergehen zu lassen, dazu fehlte
bei der örtlichen Entfernung beider Freunde, die es nie zu einer
persönlichen Zusammenkunft hat kommen lassen, und bei ihrer
immer weiter auseinandergehenden Geistesrichtung Stoff und An-
trieb. Aber eine Verkennung des eigenthümllehen Hechtes der
Jugend wäre es, wenn man daraus auf eine AVerthlosigkelt jeneflt
früheren Verhältnisses, auf eine Unwahrheit des Gefühls, wel-
ches damals den Jüngling und die Jungfrau In rein geistigem
Aufschwünge zn einander zogy zurückzuschliefsen «ich erlauben
, wollte. Wohl möglich, dafs Goethe selbst eine Zeitlang sich
solcher Ungerechtigkeit gegen seine eigene Jugend schuldig ge-
macht hat. Die Vertilgung der Briefe seiner Freundin, die er,
wie der Herausgeber uns berichtet, nebst vielen andern Papieren
ans jener Zeit, vor seiner Reise nach Italien vernichtet hat,
werden manche Leser geneigt sein, ihm als eine solche anzu-
741
rechnen, lind allerdings seheint €9^ als ob Aer Ueheipaf uf
männlichen Reife, der bei unserm Dichter eine so darcb^gip
Umgestaltung seiner geistigen Zustände, Bestrebungen ond IV
berzeugungen mit sich brachte, wie sie nur in einem lo tiirier-
ordentlichen Geiste möglich war, eine Schroffheit deft Gegestat-
zes gegen das Dichten und Trachten seiner Jugend zar sMk
sten Folge hatte, welche Goethe in späteren Jahren selbst «cht
mehr billigen mochte. Denn namentlich in seinen Getfiida
mit Eckermann begegnen wir verschiedenen Aenfserangen, vel*
che beweisen, dafs er als Greis die Einseitigkeit auch dioa
Gegensatzes überwunden hatte, und zu einer gerechterea Vfr-
digung der Ideen nnd Gefühle, welche seine Jugend bewe^
zurückgekehrt war.
Wenn von dem eigentlichen Mannesal.ter des Dichten k»
vorliegende Büchlein nur mittelbar durch sein VerstummeD beis
Eintritt dieser Periode Zcugnifs giebt, so bringt es uns dagegn
noch einen eigeutliümlichen Auklung aus jener späteren Zeir,^
welcher sich der Dichter so vielfach aus innerem Antrieb vi
durch ttufsere Veranlassung »einer Jugend wieder naher gnihlt
fand. Noch einmal wendet sich die Frenndiu seiner Jigci^
wie es scheint, durch ein zufälliges Wiederlesen der sorgfältig i«
ihr aufbewahrten Briefe dazu angeregt, im Jahre iS^ so te
gleich ihr ergrauten Dichter. Sie wendet sich an ihn aas Sc-
beuder BesorguLb um sein Seelenheil, welches sie in der bo-
gen Zwischenzeit für sich und die Ihrigen auf einem Wege ge*
fanden hat, den ihr schlichter, doch etwas befangener Stsn Ar
den einzig möglichen hält. Die Zeilen, in denen sie dev Di4
ter diese Besorgnifs zu erkennen giebt und die leise Bitte m
deren Beachtung beifügt, kann man nicht ohne Rührang leset;
sie sind eben so zart als tief empfunden, eben so anspmcyü
als würdig ausgedrückt. Diese Worte gewifs nicht minder ab
das in seiner Seele nie erloschene Gefühl der alten jBgendfvess4'
Schaft haben dem Dichter, hei welchem sonst Zuspräche ikd-
eben Inhalts nicht immer ein geneigtes Ohr finden moehtei, citt
Antwort abgewonnen« Goethe war sich hewiifst, nnd durfte vA
bewufst sein, auf seine AVeise, wenn auch nicht m d« Ffi%
welche dem einfach bibelgläubigen Bekenner des Cbristeotliiii
am nächsten liegt, die Wiedergeburt im Geiste sehen an ifk
erfahren, die Versicherung des ewigen Heils schon gewoDSCsa
haben, welche die Freondin afas ein ihm noch Fremdes ibafi^
gogenbringen wollte. Er spricht dies in der zanestea Wiin
gegen sie aas, in Worten voll jener milden Weisheit, die vA
Frömmigkeit ^st, und gleich der Frömmigkeit die erhabeasle Sstt
lenruhe giebt; die Besorgnifs jedoch, wider Willen nnd UlflA
verletzen zu können, die durch frühere Erfahrung in ihn fl*
weckt war, läfst ihn mit ^er Absendung dieser Zeilen zigoii
bis die Genesung von einer tödtlichen Krankheit im Fitlijilf
1823 in ihm das Gefühl erweckt, dafs er sie ahsendes düh.
Wie die edle Freundin sie . aufgenommen, wird uns nicht beri^
tet; sie hat den Dichter um einige Jahre überlebt, und vir ki^
fen, dafs sie in dem Glauben, in der frohen Gewilsbeit, ih*
dort zu begegnen, von hinnen geschieden ist.
W.
, - ^ 94.
Jahrbficher
»
f»» .
u r
wissenschaftliche Kritik
Mai 1840.
Bütorical tketcAes vf statesmen u>ho flouriahed
in tke time of George III. By Henry Lord
Brougham.
(Fortsetzung.)
Und was sind diese Zuge? Ist Lqrd Chatham durch
aufseres Interesse bewogen worden^ wider seine Ucber-
seugung zu handeln? Nein, aber er hat geweint, als
ilini Georg IIL „bei Abnahme des Staatssiegels in sei-
nem Cabinet einige Huld bezeigt" (,Jrgend eine schiefe
Idee Ton Unterthanentroue mag an diesem Anfalle von
Servilisipus Schuld sein", bemerkt Lord B. dazu.) Und
er sehreibt dem Minister einen Briefe „voll der stärk«
sten Yersichenmgen seines unaussprechlichen Dankes",
wie er erfährt, dafs der Konig ihm und seiner Familie
eine Pension 'bewillige. Wir sehen aus dem ersten
Falle, dafs Lord Chatham dem König personlich erge-
ben und voll der alten GefGhle ritterlicher Loyalität
und Lehnstreue war, und es wird aus dem zweiten
wahrscheinlich, dafs seine Umstände ihm finanzielle
Rücksichten auflegten^ Um so schätzbarer wird sein
Verfahren, dafs er did Ungnade seines Monarchen und
den Verlust sein<$s Staatsamts einem Aufgeben seiner
politischen Ueberzeugung vorzog. Dafs es ihn rührte,
yiXe der Konig ihm noch bei der Entlassung »»einige
Huld'' bewies und dafs er die Bewilligung eines Gna-
dengehalts mit Dank begrufste, wenn Lord B. darin
Zuge „niedriger, ja schmutziger Gesinnung*" erblickt,
so sieht man, dafs es ihm nicht schwer angekommen
ist, ,,ein so edles Bild, wie des Lord Chathams, zu
entstellen." Eine niedrige, ja schmutzige Gresinnung
würde sicli nicht bedacht haben, die Ueberzeugung dem
Vortheil zu opfern.
Lord North kommt im Ganzen sehr gut weg und
das Lob,, das ihm gezollt wird, ist indirect und ohne die
Absicht des Vfs. zugleich ein Lob für Georg lU. Denn
B. sagt, dafs der König den Lord North unter allen
Jahrb, f, wiaenich, Kritik»' /. 1840. I. Bd.
Ministern am Meisten geschätzt habe. Er berichtet uns
nun, dafs Lord North das Staatsruder unter den schwie-
rigsten Umständen übernahm und führte, dafs er gegen
Gegner, wie sij mit Ausnahme Addingion's, kein Mi-
nister jemals hatte , fast allein , nur von iiwei Rechts-
männem unterstutzt, zu kämpfen hatte, dafs er in die-
sen kritischen Zuständen grofse ytnd glänzende Talente
entfaltete, grofse praktische Kenntnifs aller Staats«^ und
Parlamentsgeschäfte entwickelte, von seinem hellen Ver-
stand nie verlassen ward, angebornen Takt, genaue
Menschenkenntnifs, Geistesgegenwart und Entschlos-
senheit bewies, stets fertigen Witz sprühte und eine
gleichbleibende Sanftmuth besafs. Dabei war sein Pri-
vatcharakter liebenswürdig und ehrenvoll. Als Staats-
mann aber stellt ihn B. weit unter den Redner und
Menschen. Indefs, indem er ihm besonders wegen des
amerikanischen Krieges Vorwürfe macht, sucht er dock
dieselben dadurch zu mildern, dafs er die Hauptschuld
dem Könige zur Last legt und dafis er die Beispiele
neuerer Staatsmänner weitläufig aufzählt, die gleich-
falls wissentlich politische Fehler begangen haben sol-
len, um sich in der Gunst ihres Monarchen, oder im
Besitz der Macht zu erhalten. Dieses Thema ist dem
Verf. so interessant, dals er den Lord North darüber
ganz bei Seite läfst.
Wedderbume, später Lord LaugAdorougAf der Graf
von Rofslyn, „war einer jron den wenigen ausgezeich-
neten Rechtsgelehrten, die sich sowohl im Parlament
als in der Westminsterhalle auszeichneten.'' — „Er
war ein Mann, dem grofse geistige Mittel zu Gebote
standen, die er mit vieler Sorgfalt ausgebildet hatte und
gr^fstentbeils in öffentlichen Reden geltend machte. Weit
entfernt, ein genauer Kenner des Gesetzes zu sein^
hatte, er sich doch so viel Erfahrungen gesammelt, dafs
sein Wissen für die gewöhnlichen Rechtsfälle des Nisi
Prius ausreichte. Man nimmt an, dafs er unsre Adelsge-
setze hinlänglich kannte^ was übrigens kein auberor-
94
717
Lm^ Braughamy hißtorieal. sketeAes 4{f.$taieMme$$.
748
dentliches geistige« YermSgen voraussetzt. £r tliat des-
gleichei)) als kenne er unsre Verfassungsgesetse sehr ge-
nau; dies wird jedoch vielfach in Zweifel gezogen^"
B. fuhrt nun eibige Reden des Geschilderten anf) die
ihm grofsen Ruhm erwarben, stellt ihn aber als mitCel-
f mäfsigen Richter, bloften Parteimann und Ranke^
Mchmied dar, erzählt, dafs der König bei seinem Tode
ausgerufen : „Nun, so ist der gröfste Schurke meiner
' Staaten gestorben" und giebt ihn förmlich der FerwUn'
Mokung der Nachwelt Preis. . Gleichwohl sagt er vor-
her von ihm: „Weit erhaben über die schmutzigen In*
. teressen des Geldgewinnes und des Geizes, schätzte er
den W.erth seiner hohen Stellung nur nach der Macht,
die sie vqrlieh und dem Ansehen, das in ihrem Gefolge
war; er lebte daher auch auf einem groGsenFurse und
liefs seinen Erben nichts zurück. Ueberdies besafs er
noch andre Eigenschaften, die man an einem Rechts*
manne hochschätzt. Er war ziemlich wissenschaftlich
gebildet, pflegte stets Umgang mit Gelehrten, war enU
schlössen und kräftig in seiner Handlungsweise, artig
im Umgang, glänzend und würdevoll in seinem Aeu«
fsern, ohne Ansehen der Person^ liefo sieh durch
keine Rücksichten irgend einer Art leiten und hielt
eich und den Rechteetand Jrei^ von ministeriellem
Einflüsse. Seine Nachfolger konnten kein gröfseres
Vertrauen von Seiten des Gerichtshofs ansprechen."
Vereinige das wer kann mit dem Charakter eines „blo*
fseii Parteimanns und Ränkeschmieds."
Lord Thurlow war „der letzte Richter, der die
sohlechte Gewohnheit hatte, keine Entscheidungsgründe
anzuführen. Das Praktische der Rechtspflege und den
Geist der 'Gerichtshöfe hatte er gehörig erkannt; auch
befriedigten die meisten seiner Rechtssprüche die Män-
ner seines Faches." B. lobt nun ausführlich die Ge«
. wandheit Lord Thurlow's in Leitung der Gerichtsver-
handlungen; es scheint aber, weniger um Jenen loben,
als um Lord Eldon tadeln zu können. Als Paria-
• mentsredner war seine Redeweise „gezwungen, blofs
täuschend, ja trügerisch, ihr ganzer Eindruck blofs im
Aeufsern des Redners liegend.'* So heifs es S. 82*
Auch wird schon vorher erzählt, Fox habe Thurlow's
feierliches Aussehen einen Beweis seiner Heuchelei ge-
nannt, weil Niemand so weise sein könne, wie er sich
ausgebe. S. 86 dagegen lesen wir: „Er brachte sein
Dasein unter einer steten Verachtung des Anstandes
sra,^ so dafs es sehr zweifelhaft erscheint, ob die ihm
eigene ernste und fmerliche Miene mehf^ — » Usbenel-
zungsfehler, und mufs offenbar heifsen : nicht mehr .«-
„als angenommen war. Denn die Behauptung, daft lii
blofs ein Kleid war, das er trug, um zu täuseheo, ver-
trüge sich nicht mit seinem gewohnten Wesen, da
keine Sfiur von Heuchelei an sich hatte." Ab Beim
von Thurlow's „Menschenhafs, oder, besser gesagt, tei.
ner tiefen Verachtung der Menschen" führt Lori B.
weiter nichts an, als dafs er einmal gesagt: „Es sri
weit entfernt von mir, irgend elften Staatsbeamua n
tadeln, was auch imnier meine Ansicht über ihnm
mag; denn ich wurde dadurch" '— grober Ueb««^
Zungsfehler, dergleichen sich viele' finden — nur eines
Lobredner über ihn hören miissen." Der Sinn dies«
Aeufserung ist sehr klar : Lord B. findet aber darin «^
nen Beweis seiner Behauptung, daüs Lord Th, sn
Menschenhafs durchaus Niemanden habe loben bins
kutanen. Auf der folgenden Seite heiCst es, dais Tk
eine grofse Bewunderung für Fox gehabt haben sdk
und ihn auf unmäfsige Weise gelobt habe. Die Est*
schlosseuheit und I^arheit, die er kundgab ^ „wans
mehr Sache seiner Ausdrucksweise, als eines wirUkl
kräftigen Geistes.'^ „In den politischen Fragen und is
allen wichtigen Berathungen zeigte er eine sehr grob
Unentschlossenheit.*'
Lord Mansfieldj den einst des Junius in GiftfB»
tauchte Feder so erbittert verfolgte, wird von Lord I.
in ein sehr günstiges Licht gestellt. Das Lob ist olni
Vergleich gerechter ab jener Tadel, es wGrde aber
jenes vielleicht nicht so freisebig gespendet wordes
sein, hätte ,der Verf. nicht hinzufügen können, dab
Mansfield's Talente als Advocat zwar grofs, 'abeif ü
Folge „eines gewissen Mangels an Energi»% nicbt via
erstem Range waren ; dafs er auf Alles, ^bb den Nfr
men Genie oder Originalität verdient, nie, und iii kdac
Lage Ansprüche machte; dafs er unfähig war, eines^
ste Stelle auszufüllen, „zu. einer Zeit, wo das Geheitt»
nifs hoch nicht entdeckt war, Männer zweiten Ra^el
in solche Stellen zu setzen/' In diesem Abschnitt sfrieK
3ich übrigens der Verf. in der Sache des Junios, ns
dem er urtheilt: „Er scheint ein Mensch gewesen tt
sein, in dessen Busen eine wilde und bösartige U-
denschaft tobte, .ohne durch ein gesundes Urtheil k^
schränkt, oder durch wohlwollende »Gesinnungen im
Mindesten gemildert zu werden'*, folgendergestalt asi:.
„dafs es weder Lord Ashburton, noch sonst ein Rechtt'
14B
Id^rd BrmsgAum^ kUtorieal sJketckeM f(f ^tatesmen*
griekrtor war, beweist seine grolie Unwissenheit in den
fiesefien. Zu befaauptMi, dais es Francis war, würde
eis Scrfiiinpf sein für das Andenken dieses Mannes, und
obgleich manche äufsere Umstttnde auf ihn hindeuten,
10 hat er doch gewifs nie etwas dieser Art unter
ssintm eignen Namen geschrieben.'^ Das kann man
glauben.
Die Charakteristik des Lord Oberrichters Oibbs wird
flüt einer interessanten Sehilderung der gelehrten eng-
Koehea Juristen eröfFuet, „in deren Wörterbuch engli-
sches Recht gleichbedeutend ist mit YoUkommner Weis-
iieit," und deren ganeo/ Vorzüge und mehr als ihre
gewohnlichen Fehler Sir Vicany. Gibbs gehabt haben
•eil. Im Uebrigen beschuldigt er ihn allgemeiner Be*
sehränktheit des Yerstandes, unmafslger Eitelkeit} skia-
viseher Anhänglichkeit an dieTories und bigotter Ver^
ehrung' alles Bestehenden. Einen Schlüssel zn dieser
liarten Behandlung giebt der Schlufssats, wo es heifst:
„Dies ist der glückliche Anwalt, der geschickte Ad-
vocat, der feine Jurist in gewöhnlichen Materien,
der geschickte und erfahrene Geschäftsmann (denn alles
9es war er eben so gewifs, als er ein kleinlich gesinn-
ter Mann war) — dies ist derjenige, den die Männer,
welche Lord Erskine verachten und auf Lord Maus*
field herabsehen und die gern , wenn sie durften, ihre
sehwachen Stimmen gegen Sir Samuel Romilly erheben
m5chten, als das Muster eines englischen Advocaten
aufstellen.^'
Dem Sir William Grant gesteht der Yerf. zu,
dafs ihn wenigstens im Richteramt keiner übertraf,
letzt jedoch gleich die Beschränkung hinzu: „obgleich
er seine Funotionen nach einem etwas beschränkten
Maafsstabe verrichtete. '' Später heifst es Glieder: es habe
sich auf der Richterbank „der Genius des Mannes in
aufserordentlichem Olanz" gezeigt; er habe „das Ideal
richterlicher Beredsamkeit'' erreicht. Auch im Parla-
ment ,^murs er unstreitig unter die Sprecifer ersten
Ranges gesetzt werden.*' „Es darf mit Sicherheit be-
hauptet werden, dafs lange Zeit vergehen wird, bis wie-
der ein solches Licht ersteht, den Senat oder die Ge-
richubank zu erleuchten." „Seine VortreffUchkeit war
immerhin beschränkt in ihrer Sphäre; keine Einbil-
dangskraft, keine Heftigkeit, keine Declamation, kein
Witzf aber die Sphäre war die höchste, und in jener
höchsten Sphäre war ihre Stelle noch hoch. Der Ver-
stand richtete sich allein an den Verstand.** „Seme
750
Herrschaft über den vernünftigen und intelleotuellen
Tfaeil des Menschengeschlechts war die einer kräftigen
Vernunft, eiiier mächtigeren Intelligenz ab die ihrige.**
Es kommt aber doch auch ein Aber und ein merkwür«.
diges. -„Jedoch" heifst es „bleibt in diesem rein intel-
leotuellen Gemälde ein Mifston zu bemerken, ein Man«
gel an Haltung, Intelligenz, etwas mehr als ein Scbat«
ten. Dieser herrscherische Verstand, dieser bündige
Beweisfnhrer, welcher anderer Mensehen Verstand durch
die überlegene Stärke seines eigenen überwältigte^, war
der Sklave seiner Vorurtheile in solchem Maafs, dafs
er in jeder Reform u^erer Institutionen blols die Ge-
fahren vor einer Revolution erblicken konnte." „Er
war der Erste, der die wohlbekannte Phrase von „„der
VTeisheit unserer Altvordern"" gebrauchte." „Seltsame
Gewalt frühen Vorurtheils, dafs man die Irfthümer des
Menschengeschlechts im Zustande seiner Unfwissenheit
und Unerfahrenheit zum Leitstern seines Verfahrens im
reiferen Alter macht, und an dieselben als an die Weis-
heit vergangener Zeiten appellirt, in denen sie doch,
nur die unreife Frucht unvollkommener intellectoeller
Bildung waren ! " So ruft Lord B. aus, im Stillen wahr-
scheinlich die Zeitalter beklagend, denen das Licht sei-
ner Weisheit nicht leuchten konnte. Die Anhänger
der von ihm verworfenen Meinung aber werden ihm
Dank wissen, dafs er ihnen in der so gewaltig gesohil-
derten Intelligenz des Sir William Grant eine so ge-
wichtige Autorität gezeigt hat.
Ueber. die Charakteristiken von Burke, Fox, Pitt,
Sheridan, Perceval und Canning sagen wir nichts.
Wollten wir hier auf das Einzelne eingehen, so würde
diese Recension sich über alles Maafs ausdehnen müs<*
sen. Uebrigens ist es bei diesen Männern leicht zu er-
messen, wie Lord Brougham sich über sie ausgespro-
chen hat, und wir begeben uns einiBS Vortheils^ indem
wir sie übergehen.
tVindkam war „unter den Mitgliedern seiner Par-
tei der Ausgezeichnetste. Die Vortheile einer guteii
elassischen Erziehung, ein lebhafter Witz von* einer
beifsenden, aber . etwas versteckten Art, eine Neigung
zu Spitzfindigkeiten, die ihn feine Unterscheidungen
machen und entfernte Analogieen aufsuchen liefs^ eine
grofse und frühzeitige Welikenntnifs, ein vertrauter Um-
gang mit Literatoren und Künstlern, wie mit Politikern,
eine grofse Kenntnifs in der Geschichte der Theorie
der Verfassung, ein ritterlicher Geist, eine edle Gestalt,
751
Lord. Broughqm^ Aist&rieal %kttcke% qf state§m^n.
732
einQ hochist ausdrucksTOlIe Gesiohtsbildung — Allel
dies Duachte den merkwürdigea Mann fähig, in Oebat«
^ten eine Hauptrolle zu spielen. Aber alle diese Eigen-
sehaften zusammengenommen konnten ihm nicht den er-
sten Rang verschafien; sie waren überdies mit Man*
geln yennisofat, welche den Eindruck seiner Redekunst
aufserordentlich schwächten, seine Brauchbarkeit Ter-
minderten und seinem Ruf als Staatsmann Eintrag tha-
ten* Denn gar zu häufig wurde er durch seinen eignen
Scha^fsion irre gefuhrt, er versetzte ihn iii ein Zwei-
feln und Hinundhejrkohwanken und bewirkte hme für
kriifiiges Auftreten im Rath verderbliche SolUaffheü.
Es Jag auch, vielleicht wegen »einer Neigung xum
Zaudern^ mehr in seinem Wesen, nachzuahmen und
naohzubeten, als selbstständig zu denken und zu han-
deln. Johnson in Privatangelegenheiten und nachher
sie der öffentlichen Meinung odeir
widerstrebte.'' Eine Neigung, die nicht blofs aiu den
hier angegebenen Ursachen, sondern auch aus da«
Kenntnifs der gewötinlichen öffentlichen Meinung, 4er
Art^ wie sie entsteht^ ^und der Menschen, die sie n
machen pflegen, erwachsen kann« Lord B. selbM k-
merkt: ,9Mit diesen Irrthümem war gewohnlieh vid
Wahrheit untermischt^^ oder es war wenigstens in dei
Ansichten und Handlungen, die er bekämpfte, vielVe^
kehrtes.'' Doch fuhrt er nur Beispiele an, dmen dien
Entschuldigung nicht zu Hülfe kommt.
Dundas^ nachher Lord MelviUe^ »^war ein Mam
von sehr untergeordneten Ansprüchen, dessen Fähi^ci*
ten aber von der nützliclisten Art waren. Man Icooni«
ihn gar nicht inter oratorum partes zählen. Aber ei
war ein bewundernswürdiger Geschäftsmann, und toi
•Burke in politbchen Dingen Waren die Gottheiten, wel-< • unermüdlichem Fleifse." Dafs er doch noch etwas mek
che er anbetete." Schwer zu vereinigen mit dem Obi-
gen durfte aber die folgende Stelle sein : „War er aber
liicht durch amtliche Verbindungen gehemmt, oder hat-
ten Anstand, Klugheit oder andere durch seine Stel-
lung vorgeschriebene Rocksichten seine Lippen nicht
gesiegelt, so war es ein schöner Anblick, diesen tap^
fern Mann auf das Schlachtfeld hinafasleigen zu sehn.
Er b^mnnte vor Kampflust und Begierde, sich n%it je-
diipi Mann, der ihm gewachsen wäre, oder mit jeder
solchen Zahl vjön Männern zu^ messen. Er eetxte ^it
Verachtung {die die armseligen Einflüsterungen ei'
ner kleinlichen Vorsieht kei, Seite^ kümmerte' sich
nichte^um den Tadel, dem er sich etwa aussetzen mochte,
verschmähte Volksbeifall sowohl als Hofgunst, ja aus
natürlicher Liebe xur Gefahr und aus Geringschät-
zung alles dessen, was der Furcht äi^nlich ist, drückte
er oft die unpopulärsten Ansichten auf die bekidlgend-
ste Art mit derselben sorglosen Heiterkeit aus, die er
auch zeigte, wenn er der Macht des Hofes Trotz bot
und seine Feindschaft herausforderte." Wiudham wird
ferner einer Liebe zu Earadoxieen beschuldigt. „So
wurde er" heifst es „durch seine unbezähmbare Wutb
und durch seinen Widerwillen vor dem Gemeinen oder
Allem, was nach Kriecherei vor blofser Gewalt schmeck*
te, nicht seilen ^bestimmt, eine gewisse Richtung oder
irgend eine Ansicht blofs deswegen anzunehmen, w^il
(Der BeschlaTf folgt.)
war, scheint die folgende Stelle ^u beweisen: ,^SeiBi
berühmten Berichte über alle die verwickelten Fra^«
unserer indischen Politik sind wahre Fundgruben der
Belehrung über dieses weite Feld, die weder in ik
sieht auf Klarheit, noch in Absicht auf Ausdehnung ihm
Gleichen haben.'* ^^Sie bilden in Yerbindung mit Lorl
Wellesleys Depeschen die Quelle, woraus die gam
Masse von Kenntnissen^ welche unsere jetzigm
Staatsmänner über Indien besitzßn^ geschopjt wkif
Uebrigens rühmt B. den Charakter Melville'i xsk
nimmt ihn auch in der Anklagesache in Schutz.
.Erskitie'fL „parlamentarische Talente suad zwarge-
wifs zu gering angeschlagen worden $ aber sie bildeM
offenbar nicht die hervorstechende Seite seines Charit
ters. Man mufs übrigens zugeben, daCs, hätte er in i^
gend' einer anderen Periode, als in dem Zeitalter dir
Fox, der Pitt und Burke gelebt, er schwerlich von J»
mand übertroffen worden wäre." „Er besafs nur eiaa
geringen Vorrath politischer Kenntnisse.*' Aber nk
glänzenden Farben schildert B. die gerichtliche Bered*
samkeit Erskine's. Ja er sagt, dafs Erskine »bM
deswegen nicht der erste Redner seiner Zeit war arf
(nicht) unter den ersten Staatsmännern stand, weil «
bei weitem der vollendetste und beredteste Advocit
war, den die neueren Zeiten hervorgebracht hibeii'
Jahrbücher
<
für
wissenschaftliche Kritik
Mai 1840.
Historical skeicheg qf statesmen who flourished
in ihe time of George HL By Henry Lord
Brougham.
(Sclilufs.)
Er rühmt ferner die bewundernswerthe Unerschrok-
kenheit seines Wirkens und das „Anziehende" seines
Cliarakters. Doch erwähnt er seine allerdings gutar-
tige Eitelkeit, ein Epitheton, was man ^er Eitelkeit des
Vfs^ nicht beilegen inöchte, uiid berührt ,,die grofse
Unvorsichtigkeit, womit ,er sieh gewissen Schwächen
hingab und sogar in seinem späteren Alter noch un-
glückselige Yerbiudungen knüpfte." Lord K^nyon
nannte jene Unrolikommenheiten nachsichtsvoll Sonnen-
fleoken. Lord B. hält es eben für Recht und Pflicht
der Geschichte, jene Flecken zu erwähnen^
Lord Grenville'^ „Geistesanlagen waren alle von
der nützlichen Art: ein gesunder Verstand, ein siche-
res Gedächtuifs, ein ungeheurer Fleifs. Er besafs eine
Tollständige Geschäftskenntnifs und gründliche wissen-
,schaftliche Bildung." „Seine Beredsamkeit hatte einen
^einfachen, männlichen, gebieterischen Charakter." Aber
„seine Festigkeit konnte leicht in Eigensinn ausarten."
Er war nicht versöhulicher und gewinnender Art.
„Seine unglückseligsten Yorurtheile waren vielleicht
diejenigen, welche er schon in früher Jugend über
kirchliche Yerfassung eingesogen hatte."- Gegen neu-
ere Staatsmänner ist die Stelle gerichtet: „obgleich er
das Parlament viel stufenmäfsiger reformirt haben wSr-
d^ als es der lange Aufschub dieser grofsen Maafsre-
gel endlich erlaubte, so ist doch ebenso gewifs, dafs er
vor keiner Yerbesserungsweise, die vernünftigerweise
verlangt werden konnte, stille gestanden wäre blofs
deswegen, weil si^ eine Yeränderung war.'*
Henry Gratian „war einer der gröfsten Männer
seiner Zeit." „Es würde nicht leicht sein, irgend einen
Staatsm^inn aus irgend einem Zeitalter anzuführenj^ der
' Sakrb, /. tüütentch,- Kritik, J. 1840. I. Bd. ,
wegen seiner öffentlichen Dienste einen höheren Ruf
hätte'* — stark hyperbolisch gesagt /— „eben so wenig
ist es möglich. Jemanden zu nennen, bei welchem die
Reinheit des Rufs durch eben so wenig Fehler befiiBckt
und der Glanz. des Ruhms durch eben so wenig Un-
voUkommenheilen verdunkelt Wurde als bei ihm." Doch
mufs der Yf. von demselben Mann, von dessen aufser-
ordentlichen Verdiensten, um Irland er manches Nähere
anführt, berichten : „dafs er von Aufwieglern angeklagt,
von Nichtswürdigen verläumdet und »von der Masse
derselben Nation, deren Abgott er so eben noch gewe-
sen wdr, verlassen wurde.'' Uebrigens gehen aus der
Darstellung des gerühmten Mannes mehr die Resultate,
die er erreichte, als die Kräfte, durch welche sie
erstrebt wurden, hervor. — Auch vermögen wir nicht
zu beurtheilen, wie viel Antheii an dem Panegyricus,
den Lord B.^dem Sir Samuel /foi»i(//y hält, und der al-
lerdings etwas stark einer auf dem Kirchhof des F^re
la Chaise gehaltenen Grabrede gleicht, die persönliche
Freundschaft zu dem Yerblichenen gehabt hat, sind
aber stets geneigter, dem Verf. zu glauben, wenn er
lobt, als wenn -er tadelt.
Wie wenig wir uns übrigens durch das vorliegende
Werk befriedigt finden konnten, es hat doch auch seine
Seiten, auf denen es einen erhebenden Eindruck macht.
Es führt uns Männer vor, deren Grofse auch von dem
Nebel, mit dem der Vf. sie gelegentlich anhaucht, nicht
verhüllt werden kann. Es lälst uns Einblicke in ein
grofsartiges Staatsleben thun, in welchem sich selbst-
ständige Naturen in aller Frische der Gesundheit und
Kraft bewegen. Die Beleuchtung der richterlichen und
rednerischen Leistungen der Geschilderten ist zuwei-
len lehrreich und interessant. Es werden Bruchstücke
aus Reden und Schilderungen parlamentarischer Scenen
witgethcilt, die unsere ganze Seele zur kräfiigsten TheiU
nähme aufregen. Und auch das ist beachten^rwerth,
wie viele Männer hier, sich als bedeutende Gestalten
95
755 Rathke^ Eintwiekl%mg9ge$cfuchte der Natter, - 756
darstellen, die in anderen Staaten vielleicht auch Nutz- Entwickelung ein Ähnlicher Keim reicher Produktionen
liches^ ja Bedeutungsvolles gewirkt, aber mehr in den in der Wissenscbuft, au& dem nach allen Seiten neue
Standesclassen verschvc^unden sein, als sich in indivi- . Erkenntnisse sprossen. Auf diese Art kann die En^
dutiler Prägung als Charaktere herausgestellt haben
würden. Diese der Entwickelung grolsartiger Persön-
lichkeiten so günstige Erscheinung mag ihre Ursachen
mit darin haben, dafs die Verhältnisse dort eine selbst-
ständigere Yertheilung der Macht vermitteln, die ein-
zelnen Theile des Staatslebens nur in dem groFsen
Ganzen des Staatsxweckes ihre Yereinigung finden,
un4 dafs es dort vielfach auf die Kraft, mit welcher die
Persönlichkeit sieh geltend macht, ankommt, wie viel
sie bedeuton soll, während sie doch auch in unserei^
Tom Staate unabhängigen Yerhältnissen Stützen hat,
die ihr Sicherheit und Freiheit der Bewegung geben.
So ein englieher Sachwalter, Hichter, Parlamentsmaun
wird nichts vermögen, wenn er ni^lit innere Kraft hat,
nndrdie Natur seiner Wirksamkeit hängt weit weniger
von der Bahn, auf die er gestellt ist, als von ihm selbst
ab. Und diese innere Bedeutung findet, dort überall
Bahnen und haltende Stützen, wenn sie einmal zur An-
erkeimung gedrungen ist. Alich die Bemerkung drängt
sich noch' auf, Vie unfruchtbar es seih wiirde, wollte
man eine ähnliche Gallerie franzosischer Staatsmänner
auflfSbren. Man spricht von den Talenten^ welche die
franzosische Revolution ans Licht gerufen; nur in mili^
tairischer Beziehung ist es wahr; in staatsmännischer
Hinsicht zeigt sich eine Entsetzen erregende Armuth,
die von geistvollen Beobachtern, z. B. von Huber,
schon in der glänzendsten Periode der Revolution, zur
Zeit der constituirenden Nationalversammlung, bemerkt
wurde.
Bülau.
LVIII.
Entwicklungsgeschichte der Natter (CoUiher Neu-
trixj von Dr. Heinr. Rathke, KönigL Pretifs.
Medizinalrathey Professor an der Universität
zu Königsberg y Ritter des Annen- und des
TVladimir Ordens* Mit sieben Kupfertafeln.
Konigsbergy 1839. 232 8. 4.
Wie in der organischen Entwickelung ein einfa-
cher -Keim die zusammengesetzte Gliederung des Gan-
zen BUS sich hervortreibt, so ist die Geschichte dieser
Wickelungsgeschichte eines einzigen Thiers das vielsei-
tigste Interesse gewähren» indem- sich daran vergfat*
chende Betrachtungen - der Metamorphosen und Ent-
wickelungsstufen im ganzen Thierreich anknüpfen, wo-
durch die Entstehungsart des Ganzen und der Theik
sich aufklärt. Mit besonderem Vergnügen verweilt nat
hierbei, wenn man einem Meister in seinem Fach, wii
es Hr. Ratlike ist, folgt, der die Natur treu abschreibt
und im natürlichen Zusammenhang wiedergiebt Ei
kann dabei freilich nicht fehlen, däfs bei der unendli*
chen Verzweigung der zu verfolgenden organiselten
Produktionen Manches von versciuedenen Augen ver-
schieden angesehen, nach verschiedenen Seiten und Rick*
tungen in Zusammenhang gebracht wird, allein der eins
Faden der genetischen Untersuchung fuhrt uns dabei
doch Immer wieder auf einen Hauptpunkt zurück, des»
sen Gewinn, dann wieder neuen Forschungen zum Ur-
sprung dient. Die Amphibien, welche einerseits des,
Schlufspunkt einer tieferen Stufe des Thierreichs, die
in den Fischen repräsentirt ist, andererseits den An-
fangspunkt einer höher durch die Vogel zu den Slu-
gethieren fortgehenden Metamorphose bilden, eignen Ak
besonders zu einer ^solchen vielseitigen Betrachtung uai
so hat denn unser Vf. uns hier eine Reihe neuer Er*
scheinungen vorgeführt, die auch da zu weiteren For-
schungen anregen können, wo man ihre Verfolgung fioek
nicht für abgeschlossen hält, lieber die Entwickdung
der Schlangen hatten wir bisher nur einzelne doch werth-*
volle Beobachtungen von Emmert und Hochstetter, r.
Baer, Volkmann, und besonders hatte Carus in des
Tafeln zur vergleichenden Anatomie einige sorglUtige
Abbildungen von "Embryonen der Viper und Natter ge-
geben. Sie sind ganz schneckeufSrmig Im El gewnü-
den, wie auch schon der Schwanz der Eidechsen. Di-*
ser Verf. verfolgt nun die Entwickelung aller StaduSi
mit Ausnahme der frühesten, und aller inneren ^Orgaseii,'
so dafs Tfir ein vollständiges Bild aller inneren und
äufseren Metamorphosen bis zur 'Geburt aus dem B
erhalten. Die nächsten Analogieen der früheren Pe*
rioden dieser Entwickelung finden sich am bebrotetis
Hühnchen und die erste Form der Embryonen beidci
ist noch wenig zu unterscheiden. Insbesondere seft
die Keimfaaut einen GefSfshof mit einer Kranzader (Si-
7W
ttAhke^ EntwickelungMgeMehieAte der Getier.
758
IMI9 t0nMHii}Is) \ile heha Hüneredibr jo. In^ der Ent-
wiekelungsperiode, aus welcher Hr. Rathke ,die frühe«
■Im Sehlangedeier sur Diitersuchiing erhalten konnte^
war Bwar der äinus tenninalis wie, ein völliger Kreis
gSnsUeh geeeblossen und der Smu» zeigte sich als ein weni«
ger ausgebildetes Gefitni ab beiin bebruteten Hahnchen ;
alleia hierbei erlauben wir uns die Bemerkung, dafs
dies aus einer Periode der schon vorgeschrittenen Herz-
deii. Wa9 nun im Allgemeinen die Eigenthuralichkeit
der Entwickelang der ^attereier betriflft, so nimmt der
Embryo schon einen gewissen Grad der Entwickelung,
während die Eier noch im Leibe der Mutter befimjlieh
sind und die Eier werden erst gelegt, wenn sich am
Embryo bereits 4 Paar Kiemenoffoungen gebildet haben,
so dafs der Vf. die früheren Entwickelungsperieden an
solchen Eiern beobachtete, die aus dem Lfcibe der Mut»
büdimg ist, und dals der Tf.9 wenn ihm aus früheren ,ter geschnitten waren. Nach dem Legen dauert die
Perleden Embryonen sur Untersuchung zu Gebote ge*
atanlden kitten, wehl dieselben Verhältnisse wie beim
bebruteten Hühnchen würde bemerkt haben. Denn auch
beim bebrüteten Hühnchen findet sich die gröfste Ent-
wiekelung des Sinus tenninalis vor der vollendeten
HersbiMung, wo der Sidus terminalis, gleich dem Ge-
fäbkreise der Medusen, die höchste Eutwi^keluhgsstufe
des peripheritchen Theils des GefAfssystems repräsen-
tirt« Mit der steigenden Hersentwtckelung und der
damit hervortretenden centralen Cirkulation aber nimmt
der Sinus auch beim bebrüteten. Hühnchen an Gröfse
ab und schwindet am Ende ganz und gar, wie wir
denn diese Metamorphosen des Sinus terminalis beim
bebruteten Hühnchen im System der Cirkulution aus-
führlich beschrieben und auch auf Taf. 5. u. 6. abge*
blMet haben. Mit dieser Metamorphose hängt auch
soeammen^ dafs nur ursprünglich, wo sich vom Kopf«
ende aus der Sinus gegen die Wirbelsäule einschlägt,
um hier das Herz zu bilden, an dieser Stelle eine breite
Spalte im Rande des Gefäfshofes sich zeigt, welche
Spalte dann durch die zwei vom Siausumschlag zum
Hersen gabelförmig gehenden Venen begrenzt wird.
Später aber zieht sieh der am Herzen befindliche. Stamm
dieser Yeiien gegen die Peripherie in die Länge und
die briden Gabelzweige rücken am Ende dadurch gegen
den Sinus wieder heraus, so dafs nun auch beim be«
brüteten Huhnchen die Spalte im Gefäfshofe wieder
vetlllg' geschlossen erscheint Aus dieser Periode der
Entwiekelung war nun wohl der Embryo, den der Tf.
mit ganz geschlossenem Sinus abgebildet hat, so dafs
Mcfa hier wohl keine Verschiedenheit vom bebrüteten
Hühnchen wird abnehmen lassen. Auch das Herauf«
treten einer dritten unteren Vene vom l^chwanzende des
Sinus zum Herzen, findet sich sehr häufig beim bebrü-
teten Hühnchen, ähnlich wie bei Schlangen von dem
Vf. angegeben wird, und ist von mir abgebildet wor-
Entwickelung bis zum Auskriechen, wie auch sehoi|
Carus und v. Baer beobachteten , zwischen 2 — 3 Mo-
nate, je nach den verschiedenen äufsem Temperatur-
verhältnissen. Die Schalenhaut /der Schlangeneier zeigt,
ähnlich wie bei Schildkröten und Vogeteiern, eine Zu-
sammensetzung aus 8 — 10 dünnen Schichten, von denen
vielleicht anzunehmen ist, dafs sie sich durch eine Art
Häutungsprocefs der Eier bilden, wie denn ja die Hai-
fischeier sogar schon Kiemenspalten zum Athemholeu
haben. Die Schalenhaut ist lederartig biegsam ,, doch
lagert sich auf ihr um die Zeit des Legens eine Eiwetfs-
schicht, welche ganz mit kohlensaurem Kalk angefüllt
ist, ab, wodurch dann die Eier, welche in ganzen Hau-
fen gelegt werden, zusammenkleben und indem diese
Ueberzugsmasse erhärtet, dadurch so fest zusammenge-
kittet werden, wie man es sclion früher an diesen Eiern
kannte, von denen ein ganzes Nest vpU in einem ein-,
zigen Klumpen zusammengeballt ist Der Verf. giebt
nun die spezielle Entwickelungsgeschichte der einzel-
nen Organe in der Art, dafs derselbe an der Entwicke-
lung des Embryo überhaupt vier Perioden unterscheidet
und dann in jeder einzelnen Periode die Zustände der-
verschiedenen inneren Organe durchgeht. Die . erste
Entwickelungsperiode wird von der Entstehung des
Embryo bis zur Ausbildung der vierten oder letzten
Kiemenspalte gerechnet, wobei jedoch zu bemerken ist^
dafs der Verfasser die frühere Zeit dieser Entwicke-
lungsperiode nicht untersuchen konnte^ sondern- nur
Embryonen aus dem Ende dieser Periode beschreibt./
Die zweite Periode geht bis zum Yerwachsen sämmt-
licher Kiemenspolten, die dritte bis zum Färben der
Haut, die vierte bis zum Auskriechen aus dem Eie.
Obgleich es der natürliche Gang der Beobachtung ist,
dafs man die Entwickelungsstufen der verschiedenen
inneren Organe gleichzeitig neben einander hat, auch
die Verhältnisse der verschiedenen Organe zu einander
759
Rathke^ EnttoiekelungtgtteUiekte der NatNr»
I
häufig eine ßücksicht auf den Zusaaunenhang aller Or-
gane in einerEutwicklungsperiode erfordern^ so hat es
doch für die wissenschaftliche Darstellung und noch
mehr für das Studium solcher Darstellung eine grofse
Unbequemlichkeit,' dafs man nicht die Entwickelung ei-
nes organischen Systems in einem Zuge durch alle
Entwickelungsperioden hindurch verfolgen kann. Die
Darstellungsweise des Yfs. ist nach dem von Hrn. von
Baer gegebenen Vorbilde, erschwert aber das Studium
aufserordentlichs so dafs man im Schweifse des Ange-
sichts die ganze saure Arbeit der unierbrochenen und
slückweisen Beobachtung wieder durchmachen mnfs,
bevor man sich das Bild von den Entwickelungsstufen
eines Organs zur reinen und klaren Anschauung brin-
gen kann. Hr. v. Baer selbst hat sich und seinen Le-
sern durch jene Methode die Arbeit erschwert, und
indem sein weiterschauender Blick das Bedürfnifs, die
Entwickelungsstufen eines organischen Systems in einer
naturlichen Reihe beisammen zu haben, wohl gefühlt
hat) so hat er demselben dadurch abzuhelfen gesucht,
' dafs er nach Abhandlung der Entwickelungsgeschichte
des Ganzen, dann noch wieder auf den zusammenhän-
genden und untrennbaren Verlauf der Entwickelung der
einzelnen Systeme hat zurückkommen müssen, wobei
denn die ewigen Wiederholungen dessen, womit man
schon fertig zu sein glaubte, unvermeidlich sind. Und
so legen wir denn auch unserem Verf., wie. einem auf-
richtigen Freund, frei das'Geständnirs ab, döfs es uns
sauer geworden ist, durch die immer von der Zusam-
menstellung aller unterbrochene Geschichte eines Sy-
stems hindurch das Werk zu studiren, und dafs nur
das Interesse an den naturhistorischen Goldkörnern,
die man auf diesen Kreuz - und Querwegen findet, un-
sere Aufmerksamkeit hat rege halten können. Offen-
bar wäre für die Entwickelungsgeschichte diejenige
Methode entsprechender, welche man längst in der ver-
gleichenden Anatomie befolgt hat, und die besonders
musterhaft von Carus ausgeführt worden ist, dafs man
nämlich die Geschichte eines und desselben Systems
im ununterbrochenen,Zusammenbange durch alle Thier-
klassen hiudurchfuhrt, weil auf diese Art die Analo-
gieen und Uel^ergangsstufen in dem Metamorphaien*
gange, worauf es ja besonders ankommt, am deutlidi.
sten hervortreten. Hierbei ist dann ein separates Zu-
sammenfassen der Verhältnisse aller Systeme uater eh*
ander leichter möglieh, und man. ist im Stande, das
Bild des Ganzen aus den einzelnen aber voUttandipi
Elementen leichter zusammenzusetzen. Für vueNi
. Zweck hier scheint es nun nicht möglich, dem T«{,
durch den Gang seiner Entwickelungsperioden zu Til-
gen, weil wir auf diese Art unseren Lesern schwettkk
eine Idee von dem wahren Werth vorliegender Bdirift
verschaffen würden, und> wir ziehen es daher vor, anl
die wichtigsten Ergebnisse für die Entwickeluof^
schichte der einzelnen Systeme durch alle Stufen Uh
durch aufmerksam zu machen. Am meisten. Int^eiN
scheinen die Resultate 4er Beobachtungen des Vctk
über das Skelett und über die Bildung der Ye&ei^
Stämme zu haben, und wir besitzen auch über dioi
beiden ^Gegenstände hereits weiter ausgeführte vergk^
chende Betrachtungen von demselben in den dritte
und vierten, im Jahr 1838 und 1839 abgestalteten Bfr
richten über das naturwissenschaftlicher Seminar bei ir
Universität zu Königsberg, worauf wir uns hier gleiA»
zeitig beziehen.
Bei der Skelettent Wickelung hatte natürlich ii
Bildung des Schädels und die Entstehung seiner Oh
seinen Theile aus metamorphosirten Rüekenwirbehi lii
vorzügliches Interesse, und diesem Gegenstande bat iä
Verf. eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 0«
Resultat dieser Untersuchungen ist, dafs zwar (ik(^
haupt der Schädel auch durch die Entwickelung^
schichte die Metamorphosen der Wirbel erkennen li&^
dafs aber nur der hinterste Schädelwirbel, nämlich Ai
Hinterhauptbein, eine in fast allen Stücken einem Bit
kenwirbel analoge Zusammensetzung zeigt, dafi ata
dann das hintere und das vordere Keilbein und lü
Riechbein in der Reihe, wie sie v^n hinten nach f«i|
folgeil, eine immer gröfsere Abweichung von dem fl^i
ne, nach welchem die Ruckenwirbel gebildet sind,#
kennen lassen, so dafs das Riechbein der WirbelbildHl
am unähnlichsten ist.
, (Die Fortsetzung folgt.)
J^ 96.
J ä h r b tt c her
für
wiss en schaftlich e Kritik.
Mai 1840-
s
Mntwickelungsgeächichte der Natter (Coluher Na-
trup) von Dr. Hemr. Rathie.
(Fortsetzung.)
Die Gallertsäule nämlich, welche bei den Knor-
pelfischen bleibend die Axe der Wirbelsäule bildet, und
'welche nach y. Baers richtiger Unterscheidung auch in
den Embryonen aller übrigen mit einem Knochenske-
lette rerseheDeh Wirbelthiere in Form der Wirbelsaite
oder Chorda vertebralis die ursprungliche Grundlage
äer später verknöchernden Reihe von Wirbelkörpem
Ist ; reicht auch über die Wirbelsäule zwar noch bis
in die Basilartheile der Kopfwirbel hinein, alier doch
•o, dafs sie im Hinterhaupt zwbchen den Ohren auf-
1i5rt, so dafs nun die Rpihe der übrigen Kopfwirbel
ifch als Fortsetzung über das Ende der Wirbelsaite
hinauf, abweichend von den Ruckenwirbeln entwickelt.
Die Rückenwirbel selbst nämlich bilden sich an der
Seheide, welche in Form einer Gallertröhre die Chorda
als deren Axe umgiebt, indem sich zvl beideü Seiten
eine Reihe Ton Halbringen bildet, die dann nach oben
und unten um die Chorda sich entgegenwachsen und
lu Ringen verbinden, welche sich zu den Körpern der
Wirbel ausbiiden. Diese senden dann nach oben seit-
Hch ein Paar hörnerartige Bogen ab, welche das Rücken-
mark umschlielsen und sich zu den oberen Wirbelbo-
gen ausbilden, und ähnliche, aber weitere, Bogen nach
unten (untere Wirbelbogen) die sich zu Rippen umbil-
den. Die Scheide der Wirbelsaite gliedert sich auf
diese Art zu einer Reihe von Bingen, die sich dann
nach Innen ausftiUen^ die Chorda absatzweise einschnti-
ren und am Ende verdrängen, bis die^ festen Wirbel-
kdrper daraus entstehen *). Bei der Natter bildete sich
*) Mit det nrsprungliclicii RingbilduDg der Wirbtlkörper, deren
Kern erst später erhärtet, scheint die merkwiirdij^e Beobach-
tung des Vfii. zosftnmenznhftogeii, dafs der KSrper (die Axe)
des Atlas si<h später abldit und zum ZabnforUatz des EpI-
strophäns durch Verwachsung mit diesem sich metamorphosirt.
Jahrb. f. witiensch, Kritik. J, 1840. I. Bd.
jederseits nur 1 Halbring um die Chorda, nicht zw^i
Stucke, wiö es v. Baer bei Fischen, gesehen.. Wo
abSr die Wirbelsaite in den Schadet endet, bilden sich'
nicht weiter solche Halbringe, sondern die Scheide der
Chorda setzt sich ohne Axe über die Ohren hinaus
fort und ^eht in eine breite Platte oder Tafel über,
die bb an die Einknickung des. Gehirns um den >Tricb-
ter reicht. Später zeigten sich von dem vorderen Ende
dieser Tafel drei Fortsätze ausgehende die der Yf. Bal-
ken des Schädels nennt. Der mittlere biegt sich gegen *
die Einknickung des Gehirns hihauf; die beiden seitli-
ehen gehen leierfdrmig erst auswärts, dann wieder zu-
sammengebogeii nach vorn und enden wieder in aus-
wärts gebogene stumpfe Spitzen, Zwischen die Bogen
dieser Balken legt sich der Ilirntrichter. Zu beiden
Seiten des hinteren tafelförmigen Theils bilden sieh
hinter den Ohren die Seitenbogen des Hinterhauptkno«
chens als direkte Ausstrahlungen, ähnlich den oberen
Wirbelbogen; zu den Seiten der Balkenbogen vor den
Ohren entstehen die hinteren KeilbeinflGgel,^ zwar iso-
lirt, doch an Stelle der Ausstrahlungen ab Wirbelbö-
gen, und seitlich der vorderen Vereinigungsstelle der-
selben die vorderen Keilbeinflögel und zuletzt an den
Spitzenbogen das Siebbein. Der Basilartheil des Hin-
terhäuptknoQhens entsteht' in dem tafelförmigen Theil,
die Körper der beiden Keilbeine entstehen zwbchen
und um die leierformigen Balken in einer Reihe. Eine
ähnliche cmbryonbche Kopfknorpelbildung bt bei den
cyclostomen Knorpelfischen bleibend. Hiernach nimmt,
nun der Vf. vier Schädelwirbel an : nämlich Hinterhaupt-
bein, hinteres und vorderes Keilbein und Siebbein. Das
knöcherne Ohr vergleicht der Vf. mit den Sohaltknochen-
stücken, die sich bei den Stören und Haifischen zwi-
schen den Schenkeln der Wirbelbogen bilden, und wel-
che einen von den Wirbeln selbst verschiedenen Ent*
wickelungsgang nehmen. Auch die Schuppe des Hia«.
terhauptknochens, die Scheitelbeine nnd Stirnbeine be-
96
763
trachtet der Vf. als 8cbaItknoch«B, di« tu d«n Seiten-
theQen des Hinterhaupts, den hinteren 'und vorderen
Keilbeinflögeln gehören, so daft sie die drei Knoehen-
wir^^elringe um das Gehirn nachgeben sehliefsen* Das
SIehbeln scigt keine solch« RingeiKwisk«lung, um einen
Hirntheil zu umschliefsen, wird aber als ein madifizir-
ter Wirbel betrachtet, weil es sich noch in der Verlän-
gerung der Scheide der Rüokenwirbelsaite bildet. Die
Gaumenbeine und unteren Flugelbeine des Keilbeins
bilden sich in seitlichen Ausstrahlungen, die Ton den
mittleren Theilen der Basilarstücke oder den WirbeU
k&rpem des Schädels nach unten rippenartig ausgehen
und werden daher als Kopfrippen betrachtet. Die Ent-
wickelung der Ober- und Unterkie/er hängt mit diesen
Kopfripjpen (unteren Wirbelbögen) zusammen und beide
w^erden von dem Yf. als Belegungsknochen rippenarti-
ger Bogen betrachtet, die an den wairren Rumpfrippen
weiter keine Analogie haben. Sicher aber bilden sich
die Kiefer ganz unabhängig von dem Kopftheil der
Scheide der Wirbelsaite und können nicht zur wirkli-
chen Wirbelbildung gerechnet werden.
Denkt man daran diäse vom Yf. gegebene Deutung
der Kopfknochen als metamorphosirte Wirbel mit den
Ansichten zu vergleichen, welche theils Ton den Urhe-
bern, theils von den Nachfolgern der Idee, dafs die
Schädelknochen metamorphosirte Wirbel sein müfsten,
gegeben worden sind, so eröffnet sich hier ein Feld
von Untersuchungen, dessen Yerbreitung und Ausdeh-
nung immer gröfser wird, je mehr nlan zu den Ein-
zelfiheiten übergeht, und um das Ganze zur klaren Ueber-
sicht zu bringen, weifs man kaum wo man am besten
anfangen und noch viel weniger, wie man damit enden
kann. Dennoch drängt sich eine solche Arbeit fast ge-
waltsam auf, wenn man mit der Sache aiu:h nur theil-
weise ins Reine kommen will, und um so mehr, da
das grofse Interesse, welches eine so vielseitige Theil-
nahme an diesen Untersuchungen erweckt hat, schon
die Wichtigkeit und Bedeutung des Gegenstandes be-
kundet. Wir wollen also einen Yer^uch machen, in
wenigen HauptzQgen die verschiedenen Deutungen des
Kopfs als Wirbelsäule zusammenzustellen^ wobei wir
denn bald erblicken werden, dafs eine allgemeine Ueber«
cinstimmung fast nur in dem Einen Punkt zu finden
ist, dafs überhaupt Metamorphosen der Rückenwirbel
im Kopfe wiederkehren, dafs aber in der besonderen
Deutung der einzelnen Theile sich überall Abweichun-
Rathke^ Entwiekdungsgetehiehte der Natter.
764
gen finden, wonift denn die grofse .Schwierigkeit 1er
Sache schon von selbst einleuchtet. P. Frank scirntt
die Idee der Yergleichung des Sohädels und der Wir«
bekäule zuerst angeregt zu^ haben. F. Frank jedodi
wollte nicht den Kopf auf die WirbekSule zaraddift-
ren und die Schadelknochen ab metamorphosirte Wi^
bei betrachten, sondern er sprach das Yerhältnib so
aus, dafs umgekehrt die' Rückenwirbel als Schäddn
deuten seien^ deren jeder sein eigenes Hirn einseUieisc^
HO dafs nach ihm das Aückenmark ans einer Reihe vei
Ganglien gebildet ist, deren jedes ein Gehirn repriieip
tirt und folglich auch seineaSchädel hat. Frank woHle
also nicht die Gehimbildung auf das Rückenmark n-
rnckbripgen^ sondera die Rückenmarkstheile zu Gekir*
nen erheben. Wir lassen es unentschieden, ob die enli
weitere Durchfuhrung der Idee, dafs der Scbftdd cbk
Wirbelsiule sei, dem groCsen Dichter, v. Goethe, oder
dem philosophischen Naturforsdier, Oken, zuzoschid*
ben ist, allein die Betrachtung der Darstellungen, durck
welche Oken und v. Goethe die Sehädelwirbel erid»
ren, zeigt sogleich, 'dafs beider Ansichten. gänziidim
einander abweichen, und dafs schon in dieser Abm*
chung der Grund aller späteren WidersprSehe m die-
ser Sache zu finden ist. v. Goethe nämUofa sagt, «
seien überhaupt $ Wirbel vorhanden, von denen dni
das Gehirn einschliefsen und als- Hinterhaupt bu betrack*
ten seien, drei aber das Yorderhaupt oder dasGeAk
bilden.* Ab die ersteren drei Wirbel werden das Hii-
terhauptsbein, das hintere Keilbein und das vofdflR
Keilbein betrachtet ; die letzteren sind durch das fiai-
menbein, die Oberkiefer und die Zwischenidefer dai|»>
stellt. Der Unterkiefer bleibt von Goethe ungedcvltf.
Qken aber sagt, es sind vier Sehädelwirbel, enup**
chend den vier dem Kopf angebörigen Sinnesorgssoi:
nämlich von vorn angerechnet 1) Nasenwirl»el, alle Na»
senbeine; 2) Augenwirbel, erstes Keilfodn w|d StiA*
bein; 3) Zungenwirbel, zweites Keilbein und Schsild»
bein; 4) Ohrwirbel, Hinterhauptsbeine. Die KieCerkl^
chen aber sind die im Kopf Miederkebrenden Gliedaa»
ften, die Oberkiefer den Armen, die Unterkiefer ds
Füfsen entsprechend, und als Kopfsehuherbiatt wA
man die drei Stücke des Schläfenbeins : die Sefavii|M^
das Warzehbein und das Paukenbein ansehen. Ctt«
sowohl in seiner vergleichenden Anatomie als audi i>
seiner berühmten Schrift ifber das Schttdel- imd lü^
belgerüst, ist im Wesentlichen Goethe gefolgt und hA
/ -
765
Rmthkey EntwiobekmgtgeteiUeAt« Jer 2Va(t«r.
'66
_ I
die Tergleiditing toh 6 Kopfwirfcelii diireh alle Ein«
selnheUen dnrehgeföltrt, giebt aber Euglekh auch dem
Unterkiefer ^ie Bedeutung der KopfextremHät, wobei
deim dieser tob dem Oberkiefer gaoz ^eCremit er-
«dieiiit, iodem der letztere als Kopfrippe belraehlcft
wird. Aufserdem aber unterschfidet Carue swisctiefi
je sweieii seiner drri Kopfwirl>el noch eine Reilie von
Zwisehenwirbeln, zu denen hinten Torzuglieh das Schlä-
fenbein gehört. Spix dagegen in der Cephalogenesis
vnid die fraazSsisohea Naturforseher, uhter denen vor-
sQglieh Dumeril, Blainville und Geoffroy St, Hilaire zu
ndmen sind, schliersen sich in ihren Untersuchungen
mehr an die Deutungsweise von Oken, namentlich in
Betreff der Gesichtstheile des Schädels, doch mit yie«
len Abweichungen im Speziellen, so dafs Spix z. B.,
nur drei eigentliche Kopfwirbel statuirt, mit Weglas«
sung des Siebbeins, BlainTille aber noch einen fünften
hinzufügt, entsprechend dem foramen condyloideum und
den hinteren Cielenkiheilen des Hinterhauptbeins.
Das Princip dieser beiden Deutungsweisen ist darin
Terschieden, dafs Carus die drei eigentlichen Schädel-
wiriiel den drei Gehimabtheilungen entsprechend gebil-
det glaubt, als welche die Hemisphären, die Vierhugel
und das kleine Gehirn betrachtet werden; Oken dage-
gen und Blainville nur auf die Sinnesnerven des Gehirns
dabei sehen, so dafs diese gleich den Rückenmarksner-
Ten durch Spalten zwischen den entsprechenden Wir-
belbogen gehen, die sie sich als später zu Lochern ver-
wachsen denken, so dab die Wirbel den Sinnesorga-
nen entspreiehän, deren Nerven .durch die Löcher ihrer
Querfortsätze gehen. Beide Principien sind aber im We-
aentllchen osteologisch d. h. durch Yergleichung der
Knochenmetamorphoseh bedingt, wobei man sich das
Skelett ab eine Grundlage fQr die Bildung der Organe
denkt Carus hat diese Ansieht des Knochengerüsts
am meisten durchgeführt in der Unterscheidung seiner
drei Skelettfonuen des Nerven-, Eingeweide- und Haut-
Skeletts und besonders in der Sonderung von drei Wir-
beltypeu: der Urwirbd, und der Sekundarwirbelsäulen
(lÜppen und obern Wirbelbogen), Ton denen dann als
TertiarwirbelYerbindungs -Glieder zwischen beiden ent-
stehen ^ zu denen die Wirbelkorper gerechnet wer-
den. Das Knochengerüst wird hier als ein für sieh
bestehendes und sich aus sich selbst typisch entwickeln-
des System betrachtet und die Wiederkehr der Urwir-
bel iind Sekundarwirbel in allen organischen Haupt-
qrsteoien gesudit Aber auch bei Oken ist das Bestre-
ben die Wiederkehr der Runpfiprirbettbule und der
Extremitäten auch in der Eopfwirbelbildung durch ostee».
logbehe Anaiegieen zu suchen vorwaltend« Dennoch
aber ist die Abweichung in der Deutung 'der eigentll-
ohen Gehimschädelwirbel nach diesen Tcrsdiiedenen
Ansichten nur gering, gegen die grofse Abweichung in
der Deutung der ^eeiohtsknochen, in denen Einige voru
watteod den Gliedertypus, Andere den Wirbeltypus,
noch Andere den Rippentypus suchen. \ Um aus dieseii
▼erschiedeiienartigen Ansichten herauszufinden , glaube
ich, müssen wir uns zuvorderst aber ein Princip, nach
dem man zuerst die das Gdkim umschliefsenden Sch&-
delknochen auf Wirbel zu redueu*en hat, Fcrständigea,
dann aber zunächst das Verhähnifs der Qesiehts* und be-
sonders der Kieferknochen zum Schädel überhaupt fest-
stellen, bevor wir an die Deutung der etazelnen' Kuo^*
eben gehen.
Zunächst glaube ich mufs die Idee, den Schftdel
auf den Wirbeltypus zurückzuführen, gleichzeitig, verw
bunden werden mit der Analogie zwichen Rückenmark
und Gehirn, so dafs die Wirbelbildung im Sch&del nur
als den Metamorphosen des Rückenmarks in ^a Ge-
hirn parallel gebend, betraelitet weiden darf. Die Scha-
delwirb^lbildung darf nicht allein osteologisch, sondern
mufs nothwendig auch phrenologisch entwickelt werden«
Audi scheint die Idee der Wirbelbildung im Schädel sich
zwar nnbewufst, aber doch ganz parallel der Idee der
Büokenmarksganglieubildung im Gelürn eotwickelt zu
haben. GaU scheint nach Frank, durch seine phreno-
logisch^anatomisohfmBemaliungea, die Ganglienbildung
im Gehirn nachzuweisen und das Gehirn als metamor«
pfaosirtes Rückenmark darzustellen, den ersten Anstofs
auch zu den Ansichten von der SchädelwirbelbiUung
gegeben zu haben, wenn gleich er sie. nicht durehg^
führt hat, und ich glaube, dafs wir uns vor allen Din-
gen über die Bedeutung der Himtheile als metamorpfao-
sirterRückenmarksgauglien verständigen müssen, ehe wir
sicher in der morphologischen Osteologie des Kopfs
fortgehen können. Die nächste Frage bt, ob die ge-
wöhnlich sogenannten drei- oder vier Gehimabtheilun*
gen sich auf Bückenmarksganglien zurückführen lassen.
Dazu scheint es direkt an allen Analogieen zu fehlen,
sowohl wenn man den Bau als wenn man die Funk-
tionen betrachtet« Die Rückenmarksganglien sind nänik
lieh die Ursprungsknoten der Nerven und beziehen sich
'67
Rathke^ EniwicklunfigeMchichte der Nattior.
als solche aaf dieRQcken-Wirbelbildang und wie sieh
mit dem Beginn des Terlängerten Marks die Nerven-
nrspriinge nndein, ändert sich auch die Wirbelbildung.
Wollen wir die Rückenomrksganglien im Gehirn wie-
der suchen, so müssen wir uns zunächst an das ver-
längerte Mark halten und neben wie weit dieses im
Geiiim geht, wobei immer die .Nervenarsprünge festzu-
halten dnd. Nur soweit als die Gebirnnenrenganglien
gehen, wird also auch eine wdhre Wirbelbildung zu
finden sein, das übrige Gehirn fordert seine besondere
Schädelmetamorphosen. In diesem Betracht müssen- wir
im Allgemeinen auf den Satz von Gall zurückkommen,
dafs das Gehirn in zwei ganz verschiedene, in sich
-selbstständige mit eigenen Funktionen versehene Theile
zu unterscheiden ist, von denen die einen Nerven ab-
geben, die anderen nicht. Die ersteren bilden das Ner-
Tensystem der Sinne, die andern das Seelenorgan,
wir müssen sicherlich im Allgemeinen annehmen, dafs
das sogenannte verlängerte Mark das selbstständige
Centralorgan der Sinne, sei, denn alle Sinnesnerven
lassen sich mit ihren Ursprüngen auf das verlängerte
Mark zurückführen. Die gemein übliche anatomische
Torstellung, das verlängerte Mark als ein blofses Ueber-
gangs- und Verbindungsglied zwischen Rückenmark
und Gehirn zu halten, müssen wir gänzlich aufgeben,
denn diese Verbindung ist keine, andere, wie die der
einzelnen Rückenmarksganglien untereinander, welche
die Selbstständigkeit der Ganglien als solcher nicht im
mindesten beeinträchtigt. Die MeduUa oblongata ist
das Sinnengehirh^ von diesem allein ist die Schädel-
wirbelbildung ursprünglich abhängig, die ScAädelwir-
bei gehen nur so weit als die Sinneshirnganglien
'gehen. Das Seelengehim fordert besondere Metamor-
phosen der so gebildeten Wirbel oder vielmehr Abwei-
chungen des Schädels von der Wirb.elbildung, aber
keine Wirbel ursprünglich für sich selbst. Hier ist nur
eine schwierige Frage, wieweit das Sinnengehirn in
das Seelengehirn hineingeht, wo die MeduUa oblongata
endet und welche Theile man zum Seelengehirn» wel-
che dagegen zum Sinnengebirn zu rechneu hat. Es
wird nicht schwer halten, sich zu überzeugen, dafs ei-
nerseits noch das obere Paar der Vierhügel, andrerseits
die Warzenkorper und der Hirntrichter die Endungen
der Sinneshirnganglien im Gehirn bilden, lieber diese
ninaus bilden sich die Gehirnhemisphären mit ihren
7fig
Holen und eigenthümlichen von denen der Sume ver-
schiedenen Ganglien und Commissuren, ähnlich , ^
auch das kleine Gehirn, welche beide dann von mela-
morphosirten Stücken der oberen Bogen der SiQDe^
-Wirbel zugleich überwölbt werden. Es bt hier niek
der Ort, diese Art der Anschauung von der Gehirneifr
Wickelung selbst durch die verschiedenen Stufen a
verfolgen, nur in wie weit die Schädel wirbelbiUaif
diesem entspricht, wäreiMch auseinanderzusetzen. Zt>
nSchst sieht mau, dafs die Schädelwirbel auf die soge-
nannten Himmassen oder die Theile des Seelengehim
nicht direkt * bezogen werden können , und dafs iiiiQ^
haupt diese Theila den Sinnesorganen selbst nicht jp^
radezu etitsprechen. Alsdann ergiebt sich, dais da
Schädelwirbel den Rückenwirbeln bei denjenigen Tliie-
ren noch am meisten entsprechen werden, wo die Sut-
nesganglien allein fast das ganze Gehirn bilden, dab
aber in dem Maafse als die Sinnesganglien von dei
Tbeilea des Sceleogehirns überwölbt werden, auch dit
Schädelwirbel und besonders ihre Bögen sich mebt Qflil
mehr metamorphosiren. Daher weichen denn aueh dii
vorderen Schädelwirbel, indem das Seelengehim Qkr
den vorderen Sinnesganglien am mächtigsten sie|i
hervorbildet, auch am meisten von der Rückenvi^
belbildung ab. Andererseits macht es weniger Schwte*
rigkeit, die einzelnen Wirbelkörper in der Ba»
des Schädels, als in den Wölbungen desselben die
metamorphosirtep. Wirbelbögen und Dornfortsätze sack
ihrem Urtypus zu erkennen. Hiermit hängt zusaa-
men,^dars, so gering auch die Seelengehirnent\rft*
kelung über den Sinnesganglien bei den niederen Wir«
belthieren sein mag, dennoch dadurch die Schädelwd-
bung überall sogleich weit mehr von den Rückeaiih
beibögen abweicht, als die Schädelbasis von den 'Wk-
belkörpern. Die£s zeigt sich zwar schon an ausgebil-
deten Schädeln, aber noch deutlicher tritt es iu fa
Entwickelung hervor, und ich will daher eine hierha
gehörige Beobachtung miltheilen,' die ich häufig bei Ga^
legeuheit der Betrachtung der Fischembrjonen voq.(^
prinus erythrophthalmus und Perca fluviatilis, welds
ich, um die Genesis des GefäFssystems zu veransehaa^
liehen, in dem System der Cirkulation abgebildet bah^
gemacht habe. Sie betrifft nämlich die verschiedene Alt
der (Jeberwölbung des Rückenmarks und des G^
birns durch die Schädeldecke und die Rückenplattia
(Die FortaetzuDg folgt)
J
M 97.
a h r b fi c h e r
für
¥iri8senschaftliche Kritik
Mai 1840.
Entmekelungsgesehichte der Natter (ColuherNo-
trix) von Dr. Hetur. Rathkei.
(Fortsetzung.)
Die Rückcnplatten legen^ sich Dämlieh der Länge
nach von beiden Seiten um das Rückenmark so zusam-
men, da£s man anfänglich noch die bekannte Längs-
tpalte der Wirbelbpgenreihe deutlich sieht. Die Sciiä-
delwirb^lbogen aber yerhalten 4iich hier ganz anders;
es entstehen keine seitlichen Platten, und tu keiner
Zeit findet man eine obere Längsspalte im Schädel.
Tielmehr überwölbt sich der Schädel durch einen ein-
sigen Umschlag der Schädelwirbel von vorn nach hin-
ten, wodurch dann ein von oben gänzlich geschlossener
und nur hinten in die Rückenspalte wie durch ein Loch
(Offener Schädelkanal gebildet wird, so dafs man in die-
ses Loch bei jungen Fisc|iembryonen deutlich hineinse-
hen kann, wenn man sie von der Rückenseite betrach-
tet. Es ist eine blinde Aussackung der Wirbelspalte
nach vorn, deren hinterer Eingang das llinterhauptloch
bildet. Mit, dieser eigenthümlichen Art der Ueberwöl-
bung scheint die ganze Verschiedenheit der Schädel-
wirbelbogen Ton den oberen Rückenwirbelbogen zusam-
menzuhängen und auch der dem Kopf eigene Schlufs
des Kopfwirbelkanals nach vorn durch die Stirnbildung
verbunden zu sein. Die SUm entspricht hier nämlich
einer Seitenwolhung elne^Ruekenwirbelbogens und macht
auf diese Art, dafs die oberen Seitenbogen des ersten
Schädelwirbels zur Siebplatte Te>kümmern, daher man
denn diesen Wirbel so oft nicht hat für einen Wirbel
firollen gelten lassen, wenn man an die spezielle yer-
gleichung seiner Theile gekommen war. Dieser Wir-
bel nämlich, das Siebbein, wird durch die rückwärts
umschlagende Wölbung der Kopfwirbelspitze auch mit
seinem Korper, der crista galli und lamina perpendicu-
laris, nach aufwärts in die Höhe gezogen und läuft da-
her nach vorn in einen spitzen Kamm, die hintere Na«
Jahrb. f. vitiemch. Ktüik. J. 1840. I. Bd.
senscheidewand aus. Vor dieser bildet sich ein unte-
rer Wirbelbogen, dessen Seitenplatten sich hier wie die
unteren Dornfortsätze vielei^ Rückenwirbel dicht zusam-
menlegen, und einen kielformigen unteren Dornfprtsatz
bilden : das Pflugschaarbein. Dieser Knochen bildet dai-
her unter dem Nasenwirbelkdrper ursprünglich eine un»
ton gekielte Rinne, deren Platten später oben seitlich
zusammenwachsen. Wir stimmen daher dem Vf. völ-
lig bei, dafs das Siebbein ein vierter Schädelwirbel ist^
der sich nur über sein Sinnesganglion hinaus durch die
Hemi&phärenentwickelung etwas nach vorn gezogen hat.
Die Deutung der drei hinteren Schädelwirbel hat zwar
an sich keine Schwierigkeit, aber hier treten die Diffe^
renzen in Bezug auf ihre Beziehung zu den einzelnen
Sinnesorganen oder deren Sinnesganglien im Sinnesge*
hirn hervor. Wenn nämlich schon das Siebbein der er^
ste Wirbel für das erste Sini>esganglion ist, so mufs
das vordere Keilbein den Vierhügeln entsprechen, -und
dieser Knochen kann nicht der Wirbel für die Hemi-
sphären des Gehirns sein, wenigstens nicht . in der ur-
sprünglichen. Beziehung seines Körpers. Andererseits
hatte schon immer der Durchgang des optischen Nerven
durch die Bögen des Torderep Keilbeins auf die Bezie-
hung des Auges zu diesem Wirbel geführt, allein die
Hauptsache bleibt seine Beziehung auf das Augengan-
glion in dem Sinnesgehim oder der meduUa oblongata.
Die Vierhügel sind etwas schwer als solche zu erkennen,
weil sie sich nach oben (dem Licht zu) richten und nur
mit den Nervenenden unten am Wirbel zum Vorschein
kommen, ' ab^r in der That darf man den Körper djes
vorderen Keilbeins nur auf die Vierhügel beziehen. Son-
derbar genug, weil diese Beziehung eine räumlich ent-
fernte ist, scheint si^h der vordere Keilbeinköqper so
unvollkommen und so spät auszubilden, dafs er anfangs
durch eine mittlere Verwachsung der Flügel rej^räsen-
tirt ist, welcher letztere Umstand vom Vf. nicht nur bei,
der Natter bemerkt ist, sondern auch an Embryonen-
97
771
RothJkef Entwiekehtugtgetehiehte der Natter,
Schädeln von Schaafen und Rmdem «ehr deutlich her-
vortritt Den zweiten Schädelwirbel, das hintere Kell-
beln, hatte Oken schon Zungenwirbel genannt, weil He
Zweige vom Kiefer- und Zungennerven durch einen Sei-
lenbogen durchgehen. Die Hauptfrage bleibt aber nach
seioem Sinnesganglion. Wir glauben die VaroLsbrücke
müssen als solches angesehen werden, wenn gleich ein
grofser Theil derselben sich in der Lage hinten nach
' dem Basilartheil des Hinterhaupts erstreckt und er nur
vorn dem' Keilbein aufliegt. Dieses Verschieben der
Sinnesganglien gegen ihr« Wirbel ist durch die Ent-
wiekdung iles Seelengehirns bedingt« Die Ganglien för
den Uömerven umgeben die vierte Himhole und auf
diese ist der Basilartheil des Hinterhaupts als erster
fichfidelwirbel, wenn maa, wie wir es getban haben, von
liinten su zahlen anfangt, zu beziehen, wenn gleich nicht
der HSrnerv durch die von den Seitenbdgen umsehles«
cenen Oeffuungengeht und hier das umgekehrte Ver-
lifiltnirs wie mit dem dritten SchUdelwirbel aus derselben
•Ursache, wie bei jenem eintritt. Die Dornfortsatze der
Schädelwirbel, das Stirnbein, die Scheitelbeine und die
fiinterhauptsschuppe, sind wegen dw überwiegenden
Ausbildung des Seelengehims sfimmtlich zu platten brei*
teil Knochen metamorphosirt, deren Abstammung nur
an den Knochenk$mmen und fthnlichen Spitsen bei Am*
phibiea, seltener am Hinterhaupt der SäugtUere zu er*
kennen ist. Diese Knochen sind auf bestimmte Gehim-
l&eile kaum mehr zu beziehen und daher mag es kom*
nten, dafs sie «ich nicht fn Wirbelabschnitten, sondern
im Ganzen in dem Dacbgewölbe, welches ungetheilt
sdhon ursprünglich das Gehirn überdeckt, bilden ; daher
kann denn dieser Knochen auch bei krankhafter TergrSfse-
rung des Gehirns durch. neue vermehrt werden. Ur-
sprüngliche Schaltknoehen mochten wir sie mit dem Vf.
nicht nennen, aber offenbar haben sie eine Reiche Di*
gnität mit diesen. Die Sinnesorgane sind die Kopfein-
geweide. Sie sollten wie die Rumpfeingeweide simmt*
lieh von unteren Wirbelbögen oder Rippen eingct/schlos*
sen sein; allein da siesämmtlich nach Aufsen zu durch-
brechen, um mit der Welt in Berührung zu kommen,
so fehlen für sie die Kop&tppen fast ganz, und man
braudit sich nicht viel abzumühen Kopfrippen aufzusu-
chen, da die Kopf^geweide ihrer Natur nach nicht von
Rippen eingezwängt smi sollen. Die Flügelfortsfitze
des Keilbeiitts möchten die einzigen Rudimente davon
für die Zunge sein. Dafür aber hüllen sich die Sinnes-
772
ergane für sich in kapselardge Umgebungen, die zoglddi
dem Mechanismus ftrer Fonklionen entsprechen, imj
diese treten mit anderen Bildungen, die ihnen von ilmn
Bautoffnungen entgegenkommen, zusammen. So haben
wir Ohrkapseln (Felsenbeine), Züngenkapseln (Caim«.
beine), Augenkapseln (die Augenliedknorpel, Knoeboi.
ringe bei Vögeln und auch die Thranenbeuie ab Ktp*
sein für den Thränengang), endlich Nasenkapseb ßiu
senbeine, die Siebbeinmuscheln und Zellen). Nur db
letzteren haben noch eine zum Domforfsats veilin-
merte Rippe in dem Vomer^ Wo die KapselhilieB sMit
verknöchern oder mit Schädelwirbeln verwachsen, iti>
ben sie mit der. Wirbelbildung in der Entstehung nicb
gemein, wie diefs auch von dem Felsenbein aligeach
anerkannt und vom Vf. bestätigt wird, aber in Betndit
der übrigen Sinne immer noch xu Mifsverständiiista
Veranlassung giebt.
Wie verhalten sich nun aber die Gesichts* undKh-
ferknochen zur Schädelwirbe'lbiidungt Sind es sdist
Wirbel, oder Rippen, oder ExtremitSten ; sind sie nk
den Scbädelwirbeln in eine Reihe zu stellen, oder gm
Ton ihnen zu trennen; sind Ober- und Unteilciefer m
derselben Natur oder verschiedenen Ursprungs und ?«•
schiedener Bedeutung f Diese Fragen haben za dei
meisten Widersprodien in Betreff der SchädelbiUnf
Yeranlassung gegeben und sind in der That schwer wk
nicht ohne die vielfachsten Rücksichten und umfssseni>
sten Anschauungen zu beantworten, wobei manzugWek
nicht im Allgemeinen stehen bleiben darf^ eondeni ii
die letzten Einzelnheiten hinabgehen mufs.
An der Entwickelu^gsgeschidite der Kiefer \A fa
Natter, zeigt der Vf. zunächst, wie eben bereits enge*
deutet, dafs beide. Kiefer unabhängig von ilem Wiikl*
körperrohr und dessen Verlängerung entstehen, mit <hf
. Wirbelsaite also aufser Verbindung sind, so da& m
hiemach als Wirbel oder Wirbehheile nicht betrsditet
werden können. Beide Kiefer bilden sich als Verltog»'
rung einer gabelförmigen Ausstrahlung der Sehädeiki-
sis, deren untere Abtheilung in den Unterkiefer fifctf*
geht und deren obere Abtheilung in ihrer Verläogendf
den Oberkiefer hat, doch so, dab beide Kiefer vomTt
als Belegunga/knochen rippenartiger Bögen angcsdics
werden, während die Ursprünge der Ausstrafalnngen ii
die Gehörknöchelchen sieh metamorphosiren. E&m*
Punkt müssen wir hierbei hervorheben, nämlich die iss-
löge Zusammensetzung der Kiefer aus mehreren StDdeO)
773 ■ ^
wdbai dam •intfs«te dar
im Afliphifcmi und FiMhen dentKeb gpirenute Zwiscb««-
kiefer, gleich dem Oberkiefer zeigt, auch sein Jochbein
iiat wie der Oberkiefer, andererseits der Oberlcle£er an
aeinen hiaterea Thaila ähidkihe GelenksUieke (in den
fligelbeineii and Joebbögen) seigt wie der (Jaterkiefer.
Oicea und Sjix iiattea schon, wenn ^eicfa niclit die Bo-
4e߻tmg der unteren Zwiselieakiefer, doch die Glied*-
mag der Kieler überbaapt bervorgehohea, und diu*aa€
smd auf der Bewaffnang mit Ziähnen ab nagelariigea
4rdbildeii, die Analogie der l^iefer mit den Extr^wicft-
ton gegründet. InswiachcQ ei^pricbt auch der Mangel
mm fiiageweideft, die von den Kiefern «mschloiMen wer-
den, üxrer llippenaatur nicht, allein bei der grofsen Man*
niehfidtigkeit der Kiefersusammensetzung und ihrer Ein-
fonkung am Schädel, in den niederen Wirl>elthlerklas-
aen besonders, iist es schwer aus cinKclnea VerfaSltnis-
aeo ihre Natur su bestimmen, wenn man nicht ihren
.Zitsammenhang im Cranzen euffafst. Wir müssen hier
auf die in jeder Besiehung merkwürdigen Thiere, wel-
ehe aueh in der kolossalsten Gröfse und im spAtesten
4irreisenalier isMuer oodi die Embryonen -der Wirbel»
thiere reprflieatirea, nämlich auf die Knorpelfisclie zu^
ruekkommcQ. Bei diesen muTs man das Studium der
Kiefer anfangen, um sogleich oflbn au sehen, dafs die
Kieler, welche hier wie Arme und Beine an artikulir*
4ea Gelenken hingen, 1) keine Rippen siud, denn YO
Widt geht die Rippengliederung nirgends; dafs sie 2)
gans und gar nicht eur Schädelbiidung gehören, denn
sie mnd mit ihren Enden ToUkommen abgesondert und
frei vom Schädel entferne nnd der Sdiädel endet mit
dem Riechbein ; 3) dafs zum Oberkiefer noch die Gau-
menbeine als Zungenkapsdn gehören, weH sie sich mit
den Kiefern vom Scbfidel bcfi den Stören abgelöst ha-*
ben ; 4) dafs Ober- und Unterkiefer Theüe Ton durch-
aus gleichartiger Bildung und Bedeutung sind, und dafs
insbesondere also nicht der Oberkiefer sum Schädel,
der Unterkiefer dagegen au einer anderen Knochenreibe
geboren kann, ^ sondern, dafs, welche Bedeutung auch
die KUffer haben mögen, diese einerlei sein mufs bei
leiden. Im allgemeinen ist dann noch ansuffifaren, dafs
die Rippen als untere Wirbelbogen immer durch eine
Form von Dornförtsat^en (wie aueh die Gaumenkno-
-ohen der Karpfen und die Schwanzrippen aller Fische)
verbunden und geschlossen sind, welche Dornfortsätse
jBatAie, Entmekebmgtg€9ekicki0 Jhr Naiier. . , 774
noch besenders «ich bei den Vögeln besonders im Brustbein dentiidi
kund geben. Solche Brustbefaie aber fehlen den Kie^
fern durchaus und diese idnd Ms an ihren Spitzen mit
Zähnen iieaetzt. Zwischendurch erlauben wir uns hier
die Bemerkung, dafs die Fbciie wahre Rippen nur in
den <3attmeniniocfaen, den.Kiemenbögoi und den unte-
len Doiiifertsätsen der Schwanzwirbel haben. Mttller
hat ganz recht, dafs die Rompirippen der Fisdie mic
den Rippen anderer Thiere nicht zu vergleichen sind^
der Hauptgrund ist aber, dafs sie keine Brustbeine ha-
ben. Ich sehe die Sache so an, dafs die Fischrippen
Seitenzweige von verkümmerten - wahren Rlppenrudt^
menten sind, daher artikuliren sie auch nicht. Bs sind
Musifelgräthen, wie überall in den Fischen. Nun wird
man aber sagen, dafs dann auch die Schlangen keine
wahren Rippen hätten, weil ihnen das Brustbein fehlt.
Dem ist auch wirklich so, indem die sogenannten Rip«
pen der Solllangen wahre Füfse sind, die zum Kriechen
dienen. Sie sind nur durch Häute, wie auch die Flug^'
häute swisehen den Extremitäten anderer Thiere ver«
wachsen. Daher ent^rfngen audi diese ScUangen-
Itfse unterhalb der Querfortsätze der Wirbel, von de^
n^i ii» Bippen entspringen mübten, auch spalten sich
die Spitzen der htnteraten sogenannten Schlangenrippen
in Speiche und Elle. Die SchlangeH 4$U0y weii emt*
fernifiifUoM %u $ei^y sind tfielmekr die wahren My^
riapoien unter den tViriellhiereH. Diejenigen Schlau*
gen, welche wahre Rippen und ein Brustbein haben,
sind daher auch Eidechsen, wie die Blindsehleiche.
Um aber wieder auf die Kiefer au kommen, so prä«
sentirt sich auch bei den Roolien, Haien und Störet^
sogleich das Kiefergelenkstück, wodurch b^de Kiefer
am Schädd eingelenkt sind, als ein Ttieil, dessen Be-
deutung zuerst errathen sein mufs, Wenn man in der
Deutung der übrigen Theile sicheren Scbrtfts w<tfter
gellen will; diefs ist nämlich der Kieferoberarm oder
das Quadratbein. Was wird aus diesem Knochen, we
er, wie bei den Säugethieren, verschwindet, und die
Kiefer mit Stücken des Schädels iheils verwachsen,
thdls sich direkt einlenken t Dafs er eine Beziehung
zum Pattkenapparat des Ohrs habe, mufste man bald
bei cden Vögeln und Etdectisen erkennen, aber Spis
und Oken haben die Wahiheit lange aafgebahen, weÜ
man ihnen glaubte, dafs es der metamorphosirte PaU-
kenring der Säugethiere und des Menschen wäre. Da*
775
MatMse^ Entwiekehing$ge$eMchte der Natter.
776
durch ist man dann mit derDealung aller übrigen zu-
'sanunenhängenden Tlieile in Unordnung geratben, weil
dieser Knochen . eine wahre Axe und Angel ist, um
den sich die Bedeutung vieler änderen dreht. Sehon
jdie grorse Gelenkiglceit dieses Knochens beji den Knor-
pelfischen, zusammengehalten Aiit dem sich durch in-
nere Höhlenbüdung aufblasenden Paukenring an einem
.embryonischen Kalbskopf, hätte aufmerksam machen
können, dafs der Vergleich nicht pafste. Der geehrte
Yf* zeigt durch die Entwickelungsgeschichte und rich-
tige Vergleichung im Sinne von Caru», dafs das Qua-
dratbein der zui; Trommelhöhle herauswachsende Am-
bos ist. Aber wir müssen noch weiter gehen und den
Quadratknochen, der sich wie Ambos und- Hammer häu-
fig in zwei Theile getrennt zeigt, als aus diesen beiden
xnetamorphosirten Gehörknöchelchen gebildet betrachten.
Der Steigbügel hat damit nichts zu thun, aber bei den
Schlangen wächst . auch dieser zum Ohr heraus und
lenkt sich mit dem Ambos ein. Es ist der Steigbügel
ein nicht dem Paukenbein^ sondern dem Labyrinth an-
gehöriger und sich von diesem aus enttvickelnder Kno-
chen, der auch ehie ganz gesonderte Entwickelungsge-
Bchicbte hat. Beide yerhalten sich wie die Linse zum
Glaskörper im Auge, oder wie die vordere zur hinte-
ren Augenkammer, wie denn letztere das Labyrinth,
erstcre die Trommelhöhle des Auges ist. Die beiden
Knorpelstücke an der Spitze der Columella, welche
Breschet bei Vögeln entdeckt, müssen wohl zur Colu-
mella selbst gerechnet werden. Dafs nun das Quadrat-
gleichen mit sehr zusammengesetzter KienijBndsekel-
und Kieferbildung anfangen, wenn man nicht sogleidi
mit den vielen Knochen in Yerlegenheit geratliea wfll.
Diese Fische sind viel zu schwer für die erste Yer*
gleichung. Man fange beim Aal an. Er hat emed so
einfachen Kopf wie eine Eidechse oder Schlange, und
hat man hier erst den Quadratknochen gesehen, findet
man ihn auch bei den anderen Fischen heraus, besos-
ders wenn man zuerst zum Hecht übergeht, und maa
sieht, dafs sowohl Spix ab auch Geoffroy, obgleicb in
Allgemeinem auf richtigem Wege, *doch in der Bet-
tung der Kiemendeckelstucke geirrt haben, weil sie
über den wahren Quadratknochen und seinen Ursprung
nipht im Reinen gewesen sind. Der ganze Kiefenp*
parat ist also bei den Knorpelfischen, ganz frei bewe^
lieh, an den beiden verwachsenen Gehörknödielcheo
der Pauke eingelenkt. Der nächste Schritt ist dann,
dafs bei den' Knochenfischen, aber melnr noch bei Am»
phibien und Yögeln, der Oberkiefer melir oder weni-
ger fest an die untere Schädelseite anwächst; aber
noch in derselben Yerbindung mit dem Quadratknodies
bleibt. Nuu sähe es* schon so aus, als wenn Obe^
und Unterkiefer ganz verschiedene I^inge wären, aber
die Tergleichung mit den Fischen hebt allen Zweifel,
und wenn der Unterkiefer ein Extremitätenknochen ii^
muCs es der Oberkiefer auch sein. Zum Theil fidM
bei den Amphibien, mehr noch bei den Vögeln, trenrit
sich Hammer und Ambos in dem Quadratknochen^ «Bd.
der Ambos giebt die Flugelknochen zum Oberkiefer
bein wirklich nicht der Paukenring ist, sieht man sehr ^'während der Unterkiefer mit dem Hammer eingelenkt
schön an einem Eulenschädel von Strix uralensis, der
vonr Ledebour unserem Museum geschenkt' bt, auch
weniger deutlich an anderen Euleu, wie Strix nivea,
weij nämlich hier ein ziemlich voltständig gebildeter
Paukenring ohne Hammer und Ambos, anstatt dessen
aber mit dem bei Vögeln gewöhnlichen Quadratkno-
eben vorhanden ist. Dieser Paukenring unterscheidet
sich dadurch von dem der Säugethiere, dafs er oben
am stärksten ist und sich unten fadenartig verdünnt,
was bei den Säugethieren umgekehrt ist. Wenn man
die übrigen K^nochenfische in Betreff dieses Knochens
mit .den Stören und Haifischen vergleichen will>.so
mufs man Ja nicht mit Karpfen, Barschen oder der-
- ' (Der Beschlufs folgt.)
bleibt. Bei den Säugethieren ziehen sich nun häk
Stucke des Quadratknochens in die Trommelhohle ik
Gehörknöchelchen zurück, der Oberkiefer verwächst h
allen Stücken fest mit dem Schädel und der Unterid^
fer verliert seinen Oberarm, den er als Quadratkotr
eben besessen, mufs sich also nun selbst an der SeUi-
fenbehischuppe einlenken. Diese bildet nun dlo Kiefe^
Schulter, und ist daher der Kopfwirbelsäule, wie &
Beckenknochen der Rückenwirbelsäule, nur angewad*
sen. Dieses bestätigt der Vf. auch durch die Entwik*
kelungsgeschichtc. So sind nun die KopfeztremitsMi
zu Stücken der Gesichtsbildung geworden«
TV 1 s s e n
J^ 98.
J a h r b fi c h e r
für
s c h a f 1 1
i c h e Kritik
Mai 1840.
Mntwickelungsgeschichte der Natter (Coluber Na^
trix) van Dr. Heimr. Rathhe.
(Schlafs.)
Das Gesicht ist nun der Ausdruck des Seelenlebens^
durch dieStirn, der Ausdruck des Sinneslebens durch die
Sinnesorgane, und der Ausdruck des vegetativen Le-
bens durch die Kiefer« Vor allen kommen nur die BlU*
thentheile im Gesicht zum Vorschein, und stellen sich
hier in den gegenseitigen Yerhälüiissen ihrer Entwik-
kelungsftufen dar, auf denen der physiognomische Aus-
druck beruht.
Wir dürfen hierbei nun nicht länger yerweilen,
um noch kurz andeuten zu können, welche Ergebnisse
des Vfs. Untersuchungen hinsichtlich der Entwickelung
des Yenensystems geliefert haben. Die Fische zeigen
sich hier auch als die typischen Embryonen der Wirbel-
Üiiere, und unter deh Amphibien haben vorzüglich die
Schlangen wegen ihres langen, schwanzartigen Körpers
ursprünglich ein nach demselben Musler eingerichtetes
Venensystem. Es fehlt nämlich hier , anfangs, wie bei
den Fischen immer, die untere Hohlvene, und diese ist
ersetzt durch zwei seitliche grofse Yenenstämme, die
Tor dem Eintritt in das Herz sich mit den.obern Hohl-
venen yerbbden, so dafs alle in einem Stamm ins Herz
gehen, welcher eigentlich der oberen Hohlvene der hö-
heren Wirbelthiere entspricht Der Yerf. nennt dieses
symmetrische Schwanz- und Rippenvenenpaar : Cardi-
nalvenen. So lange nun die Embryonen der höheren
"Wirbelthiere noch einen einfach fischähnUchen Körper
ol^ne Gliedmafsen haben, fehlt ihnen auch die untere
Hohlvene, die sich erst später aus den beiden Haupt-
zweigen, der Becken und Extremitätsvenen zusam-
mensetzt, wogegen bis dahin mehr die lischähnliche
Bildung der Cardlnalvenen fortdauert. Neben diesen
paarigen Venen entstehen dann bei Amphibien und
Yögeln besonders, meistens als gröbere Zweige der
Jahfh. /. wuttmch. Kritik. J. 1840. I. Bd.
Cardinalvenen, noch besondere Yertebralvcnen, allein
bei der späteren Entwickelung verkümmert dieses em-
bryonische Yenehsystem, und die Ueberreste davon
stellen noch die Yena azygos und hemiazygos. dar.
Diese Metamorphosen hatte auch Stark in Jena schon
zum Gegenstand einer in den Jahrbüchern besproche-
nen Schrift gemacht (Coromentatio de venae azygos na-
tura). Unser Vf. scheint nicht ganz sioher, ob sich die
Cardinalvenen oder die Yertebralvenen mehr mit der
Vena azygos vergleichen lasset, und neigt sich dazu
die Yertebralvene für den Typus der unpaarigen zu
halten. Inzwischen sind die Yertebralvenen als spatere
Bildungen und grofsentheils Abzweigungen der Cardi-
nalvenen wohl mehr als Uebe^gangsstufen zu den spa-
teren bleibenden Formen der unpaarigen Yenen und
der unteren Hohlvenen anzusehen, daher denn auch
später die unpaarigen Venen an ihren Anfängen bei^
erwadisenen Thieren besonders durch die Niereuvenen
noch mit der unteren Hohlvene communiziren, deren
beide Hauptäste anfangs auch wie die Rippenvenen in
die Cardinalvenen münden, dann sich aber zu eioem
i^elbstständlgen Stamm vereinigen und von den unpaa-
rigen ablösen, lieber die Entwickelung aller übrigen
inneren Organe: der Sinnesorgane, der Zähne (die ur-
sprünglich wie die Giftzähne rinnenformig gefaltet sind),
des Darmkanals und der Darmdrüsen, der Wolifschen
Körper und der Generationswerkzeuge fehlt es nicht
an reichen und interessanten Beiträgen, welche wir
jedoch dem Leser im Werke selbst nachzusehen über-
lassen müssen. Die Ausstattung des Werks ist durch-
aus ansprechend. Auf 7 Tafeln finden sjich sauber ge-
arbeitete Figuren zur Yeranschaulichung der Entwicke-
}ungsstuferi der Organe. Die beiden ersten Tafeln stel-
len die äufseren Gesammtformen und die Eihäute der
Embryonen dar, die drei folgenden enthalten die Formen
der Eingeweide und des Gefäfssystems, auf der 6. Ta-
fel ist das Gehirn und die Sinnesorgane dargestellt,
98
779 ' Duranton y Cmnr9
upd die 7. enthttlt Figuren zur Erläuterung der Meta-
morphosen des SIceletts. Es wird nicht fehlen IcSnnen,
dafs sich der Vf. durch so manche Erweiterungen der
Anschauungen Ton der BiMungsgeschiehte, welche in
diesem Werk sich finden^ neue Aaerkenming und neuen
Dank erwirbt.
Dr. C. H. Schultz.
LIX.
Duranton^ Cours de Drau frangais suftant le
Code Civil. Paris y 1825 — 1837. f21 Vol.
' in S.).
Es war yergebens, dafs Napoleon seinen Code als
eine Norm aufgestellt hatte, nach welcher forthin un«-
verändert die streitigen bütgerlichen Interessen sollten
geregelt werden, Und sein Wort : ,,mon Code est perdu,"
das er ausgesprochen haben soll, als er erfuhr, dafs
Hr. Melleville (einer der Staatsräthe, die an der Abfas-
sung des' Gesetzbuchs Tlieil genommen) emen Commen-
tar darüber habe erscheinen lassen 9 war in sofern
ahnungsvoll, als heut zu Tage fast mehr auf die Aus-
legung desselben als auf .dessen Text gesrehen wird.
Der Gang* der Dinge scheint auch hierin etwas natur-
geschichtllches an sich zu haben, wenn wir dies Wort
hier dafür brauchen dürfen, um etwas zu bezeichnen,
das mehr Tom Menschen als Natur -Gegenstand be-
trachtet abhängt, als von dessen WiHensfähigkeit. Das
dunkle Gefühl von Recht, von Unrecht auf die äufsern
Gegenstände und Verhältnisse angewendet^ Ihifsert sich
zxierst durch Gebräuche und Gewohnheiten, die^ in dem
Gedächtnisse fortleben, aber auch durch das mangel-
hafte Erhaltungsmittel oft Teränderungen erleiden ; man
muls sie wohl bei jedem vorkommenden Rechtsstreite
In der Gemeinde zu finden suchen, wohl auch werden
die dahin gehörenden Regeln Eigenthum einer Kaste,
am gewöhnlichsten der Priester; dann kommt eine Zeit,
wo die Schriftsprache ein Hülfsmittcl darbeut, diesel-
ben festzuhalten; einige werden wohl am Ende durch
.die gesetzgebende Gewalt in der Gesellschaft bekräf-
tigt; aber diese so festgestellten Regeln selbst passen
nicht auf alle vorkommenden und mit dem Fortschritte
der gesellschaftlichen Entwicklung sich* immer verviel-
fältigenden Fälle, sie werden also auslegungsweise auf
diese ausgedehnt, neue Sanctionen kommen hinzu, neue
Auslegungen; am Ende findet man den Zustand un*
de Droit /ranfaii. 180
erträgliche die Codifieation wird zu Hülfe gerafss;
aber der neue Code hat das Schicksal der vorher ast-
gBsteliten Regeln. Hiermit ist gar nicht gesagt, dsb
Cedification unnütz oder gar ein Uebel sei ; es geht mr
daraus hervor, daCs es eia Wahn wäre, darsetben mm
Art von Petrifaction zuzuschreiben^ vermittelst dsna
das Recht bei einem Volke mumienhaft erhalten werdes
möchte. Eine solche Würkung wäre ein Ungludcs tb
ist übrigens so gut als unmöglich. Ein eben so gdit
reicher als gelehrter JuriaC hat das Recht daa in Am
Volke lebt mit dessen Sprache vergUchen: derVerglack
ist in mehr als einer Hinsicht treffend, und gewöhnÜdi
hält die Unbestimmtheit der Sprache mit der der Rediti-
Regeln gleichen Schritt; ist es auch darin, dab das
sogenannte Fixiren der Sprache durch Grammatik «al
dergleichen Mittel einerseits nothwendig^ und nOtdkl
ist, dafs es aber immer glücklicherweise vergeblich ieii
wird, eine solche Feststellung bis zur Ertodtung a
bringen. Vielleicht, und man kann es fast mit Süd»
heit seinem durchdringenden Geiste rutrauen, hadi
auch Napoleon, als er jenes Wort aussprach, nur die
Idee der verwirrenden Sfannichfaltigkeit im Sinne,
welche das franzosische Civil -Recht zufolge der videi
Particulair* und Provinzial- und Local - Rechte zu einea
Chaos machte, welches ohne' fruchtbringendes GM
ren für das Volk, blos für die Kaste der- Rechts* Pnt
tiker ein triiber Morast war, in welchem sie auf D»
kosten desselben fische» mochten (etwa so und woU
noch mehr, wie noch jetzt in England der Jiiristen*Slsii
die Verworrenheit der Gesette und Gewohnheiten fte*
nutzt). Betrachte man die Jurisprudenz als «ne Wii-
senschaft.oder als eine Kunst, und als das eine odar
das andre mufs man sie wohl ansehn^ so ist gleich aS'
möglich, dieselbe auf die dürre Kenntnifs des Bttchsti*
bens der Gesetze zu beschränken , denn als Wima*
Schaft kann sie nur aus dem Gesichtspunete der Kib'
Sophie und der Geschichte entwickelt werden^ als Kamt
kann sie bibs durch Anschliefsen an's Leben die geh»*
Tige Fertigkeit erlangen. Eine lebendige und tiefe B^
arbeitung der bestehenden Gesetze wird demnach sM
ein nothwendig zu befriedigendes Bedurfnifs. sein. Der
französische Code Civil ist der Gegenstand -der AAA
Vieler gewesen , wir haben hier natürlich nur die h
Frankreich erschienenen Bearbeitungen im Auge. . Ua-
ter diesen, in so fern wir hier wieder nur von daijcni*
gen sprechen, welche den ganzen Code zum Geges-
781 Mtmrmntdnr Caurs
stand htttitiiy bt das Werk Hrn. Durantan*» (Profes-
won an der ReehUjaealtfit in Paris), dib tiniige, wel»
cbts, mm Zweek sieh setzend, eine mn^fttArlicAe Er*
Uärung des Code su geben, diese Erklärung bis au
Ende dvrobgefiibrt liat* Andre Beehtsgeleiirte haben
awar das Gleiche untemoramen, aber nieht darchge-
seist % 80 bt RouKer (yor einigen Jahren gestorben
als Deean dfsr fleektsfaeultät in Rennes) in 14 Octar-
Bänden mit seinem Droit Civit fran^ais suiiwnt Tordre
dtt Code nw bis sum Titel de la vente gelangt, und
Frottd'hen (vorlängst gestorben als Deean der FacuUftt
Bn Dijon), naehdem er von seinem Coors de Droit fran-
f als 1809 zwei Theile herausgegeben, gab erst seil 1824
die Fortsetzung heraus und zwar ohne Zusammenhang
mit jener ersten Abtheihing und blos in einzelnen
Traetaten, die den Niefsbraueh, das öifentliehe Eigen*
thom (domaine pubKe) und das Privat- Eigenthum (do-
maine privä) zum G>egenstand hatten. Zwar haben
RouUier und Proud'hon Contlaualoren erhalten (Erste-
ter: Carrd, Duvergier, Treplong; Letzterer: Curasson),
alleiQ der Mangelhaftigkeit jeder Continuation (ab soleher)
nicht zu gedenken, sind aueh diese Fortsetzungen noch
nieht vollendet.
Hr. Duranton, sekier Vorrede nach, hat sich zwei
Hbraptzwecke gesetst. Erstlieh seinen Zuhörern den
Ijehremvus, den sie bei ihm gemacht, mit gehSrigen Ent-
wieklungen in die Etönde zu geben, zweitens den gehil-
deten Jurist^i selbst ein Handbuch su liefern, das ihnen
nützlich sein m5ge. Er verwahrt siob zugleich gegen
die Vevmuthaag, die bei Ansieht der ron ihm* ziemlich
«ft angefahrten GeriehUspri&che sich erheben könnte, dafs
er zuviel auf ^e Jurisprudence des arrdts (Gerichtage-
braueb) gebe; eadlicli giebt er ab die Haupt -Quellen
an, in denen ' er gesehdpft : die vom Staats - Rath dem
gesetzgebenden Körper vorgelegten MoHfo nebst den
vorläufigen Verhandlungen un Staats -Rathe, die alte
franzosisebe* Rechtswissenschaft, das römische Recht,
Itt dessea ,,a«yi^ftM/#/M7A^»i Vorratlie'' er Entscheidungs*
Cirfinde nach der Analogie gesucht und gefunden. Der
Terf. sagt uns nieht, welolien positiven und formellen
"Werth die Aussprüche der Justinianeischen Bucher vor
den franzesiMhea Gerichten baben^ er fuhrt auch nicht
eiamal das Gesetz vom 31. Mai 1804 an, wdehes, in*
*) Es ist wohl niclit nOthig zn bemerkeD, dafs wir von einzeln
nen Tractateo nn^ von Rechts -Wörterbiichcrn^ wenn auch
irissenschaftliche, abstrahiren.
de JDraii /ranfoii. ^ 7S2
dem es cle Vereinigung einer Anzahl seil drei Jahren
promulgirten Civil • Reehtsgesetze in einem Code Clvfl
i%^ Francis verordnete, die konigUehe» Ordontranzen,
die Re^ts- Gewohnheiten und die vt>mlseheit Gesetze
rücksichtiicb alier der Materien abschaffte, Qber welche
jene neuen Gesetze handelten. In einem Lande, wo
ein' Cassations- Gerichtshof besteht, der kein Revisionja-
Gerieht ist, mufs die formelle Bedeutsamkeit des rdmi-
sehen Rechts um so bestimmter angegeben werden.
Ueberhaupt hat Hr. Duranton den Code geradehhl
zu erklären angefangen, ohne sich weiter in eine phi-
losophische oder geschichtliche Charakteristik desselben
einzulassen. Eben so wenig läfst er sieb in eine Dar-
stellung der allgemeinen Begriffe des Civil -Rechts ein»
Wir würden ihm deshalb nicht eben einen Vorwurf
machen, wenn sonst in seiner Darstellung auf jene
Begriffe hingedeutet wäre, aber er scheint auch nicht
dnmal daran gedacht zu haben. Der Plan, nach wel-
chem er lehrt, ist der Plan des Code selbst und so
fäügt er denn an mit' dem bekannten titre pr^liminaire,
betitelt: von der Publication, den Wirkungen und der
Anwendung der Gesetze im Allgemeinen. Oleichwohl
hat er hier geglaubt dem philosophischen Geiste ein
Opfer bringen zu mQssen und so fugt er gleich anfangs
ein Capitel an, das zur Ueberschrift hat: „Vom Rechte
im Allgemeinen;*' auf welches das zweite folgt, beti»
telt: „Vom Gesetz im Allgemeinen;" dieses ist wieder
in sieben Abschnitte eingelbeHt, wovon der erste die
Aufschrift hat: „Von den allgemeinen Eigenschaften'
„des Gesetzes und seinen versehiedenen Arten ;** der
zweite aber diese: „Von der Bildung des Gesetzes in .
Frankreich ;** die fünf andern sind der Entwicklung der
Publication der Gesetze und der übrigen Vorschriften
des Präliminar -Titels gewidmet
Von jenem ersten Capitel und den ersten Abschnitt»
ten des zweiten laf$t sich w^der Gutes noch Böses
sagen, da sie unbedeutend sind und ganz Gewöhnli-
ches enthalten> auf eine dürftige Art dargestellt; Da
es dem Verf. an umfangendem Blicke fehlt, so konnte
er natürlich hier nichts Bedeutendes Kefem. Wir wer-
den später Ctetegenheit haben, zu • bemerken, in wie
fem er diesen Mangel durch Scharfblick ins Einzelne,
Positive aufwiegt«
Man hätte erwarten dürfen, däfs der Verfasser hier
etwas über die franzdsische Gesetzgebung, die dem
Code voran gegangen, sagen würde. Aber wie wir
783
Durantan\ Cbut^ de Dröü firanpuii»
781
schon bemerkt, hat er die geschichtliche Ansicht ganz
bei Seife gesetzt, und jenes erste Capitel beweist, dafs
wenn er das Gegeniheii gethan, seine Darstellung nichts
gewonnen haben würde, denn bc^iläufig erhellt daraus,
dafs er das .Justinianische Recht als die einzige Quelle
des fran&5sischeii Civilreohts ansieht; wenigstens thut
«r Tom altgermanischen Rechte, das in den Coutumes
fortgelebt, auch mit keinem Worte Meldung, Dafs der
Verf. das Recht definirt: ,,den Inhalt der Gesetze",
wird nach dem bis jetzt Gesagten nicht befremden,
noch weniger dafs er das französische Recht ,,den In-
halt der franzosischen Gesetze*' definirt, wenigstens ist
dies in seiner Art -consequent, und so befremdet es auch
nicht, ihn mit- Ernst sagen zu hören: das Recht (le
droit) kann unter zwei Hauptansichten betrachtet wer-
den : bald nfimlich ist es Ursache^ bald ist es Wirkung,
je naqhdem wir dasselbe als eine Regel betrachten,
nach welcher wir unsere Handlungen einzurichten ha-
ben, eder aber als dasjenige, welches uns durch diese
Regel zugetheilt und gesichert ist.
Wir wollen dem Verf. nicht folgen in seinen Er-
klärungen von Jurisprudence, loi, justice; da er keine
feste Basis hat, so ist darin sehr viel Schwankendes,
ohne zu gedenken, dafs es nicht über das ganz Gewöhn-
liche hinaus geht
Man hat oben gesehen, wie Hr. Duranton auf die
Erklärung des Textes des Code selbst übergeht; so
kommt er denn in der vierten Section des zweiten Ca-
pitels auf „die Zeit'' zu sprechen^ ?>&uf welche das Ge-
setz seine Wirksamkeit -ausübt;" es ist dies der Ge-
genstand des bekannten zweiten Artikels de& Code, der
sagt: das Gesetz verfügt nur über die Zukunft; es hat
keine rückwirkende Kraft. Da dieses Capitel un alU
gemeiben Titel: „Von der \Yirksamkeit der Gesetze"
enthalten, und, wie der Verf. sagt, auf alle Gesetze
jeder Art .anwendbar ist, und so die gröfsten Schwie-
rigkeiten darbeut, so halte es wohl eine tiefere Unter-
suchung verdient, als die ihm geworden. Nicht nur
übergeht z. B. Hr. Duranton dessen Anwendbarkeit
auf die politischen und administrativen Gesetze mit
Stillschweigen, sondern er schweigt auch über die Be-
deutung ^er Vorschrift, betrachtet im Verhältnifs zu
den Sachen, so d^s man ohne Mühe aus derselben
folgern dürfte, der Code ci?il sei in seinen sog. Real-
Staluten z. B. nicht auf diejenigen Grundstücke und
Häuser anwendbalr, die zur Zeit seiner Promalgsti«
existirten. Was die Form der gesetzlichen Interpreta-
tion selbst anbelangt,' so schreibt er mit Unrecht einen
Gutachten des Staatsratlis vom Jahr 1823 eine geseU-
liehe Wirkung zu, da dieses Corps die Befugails, G^
setze zu interpretiren, die sich nach der Constitutios
Tom Jahr VIII eigentlich nur auf Verwaltungsgeset»
bezog, durch die Charte von 1814 zugleich mit seinen
politischen Charakter verlor. (Bekanntlieh ist 1628 Ar
den Fall, dafs eine mehrmalige in der nämlichen ReelUfi
Sache erfolgte Cassation eine luter[(retation nothjg
macht, eine neue gesetzliche Vorschrift gegeben wo^
den, welche selbst wieder durch das Gesetz tob L
April 1837 dahin abgeändert worden, dafs wenn der
Cassations-Gertchtshof zum zweitenmal aus dem nin-
lichen Grunde cassirt, das Gericht, an welches dendk
die Sache gewiesen, dessen Entscheidung der Rechts-
frage als gesetzliche Regel befolgen muis.)
Wir haben nicht im Sinne, Hrn. Duranton ia s»
ner Eutwickelung des Code civil zu folgen, denn di
er selbst, wos nicht dem Texte, doch der Eintheilia^
desselben folgt, so konnte ünsre Arbeit, nur eine Dar*
Stellung und etwa eine beifällige oder tadelnde Kritik
seiner Lehre in deren einzelnen Punkten sein, wm
wohl nicht im Zweck dieser Jahrbücher liegen durfisi
Sehen wir von der Art der Behandlungs weise ftk
und betrachten wir das Werk blos als -ein praktiiciici
Handbuch, so müssen wir vielen Auslulirungea, die
es darbeut, aufrichtiges Lob ertheilen. Wo es nur da^
auf ankommt, in dem Texte des Code mit Scbarfsifli
zu unterscheiden, das romische Recht ala raison toäe
in einem gewissen Sinne anzusehn, die JiirJUprudence
des arrdts zu erläutern, ist di^r Verf. ein schatziMNr
Cqmmentator. Da hier ni^ht davon die Rede sein kao%
das Werk nach und nach in allen dergleichen fint-
m-ickelungen zu verfolgen, so müssen wir uns auf ei-
nige einzelne Andeutungen beschränken. Wie gesagt^
der Verf. folgt der Anordnung des Code civil, nur ii
der Folge der Capitel der verschiedenen Titel hat tf
manchmal in so fern eine Veränderung getroffen, dab
er aus einem Fragmente dieses oder jenes Capiteis ea
besonderes Capitel gebildet; sein Plan ist somit bis-
länglich angegeben* Wir beschränken uns nun danui^
zu zeigen, wie er einige der, Hauptgegenstände des
französischen Civilrecbts dargestellt hat.
(Der Besehlafi folgt^
^ »9.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik
Mai 1840.
Duruntonj C&urs de Droit franfats suivant
. ie Code CimL
(Schlafs^
Das erste Buch des Code ist bekanntlich betitelt:
T'en den Personen^ da derselbe die bekannte Eintbei-
Inog des CivilrechtB in Personenrecht, Sachenre.oht und
Obligaiionenreeht angenonunen, zwar nicht ganz, indem
das dritte Buch üherschrieben ist: Von den Terschie-
denen Arten^ das Eigenthum zu erwerben, und darin
gleicherweise Ton ^en Obligationen 9 den Yerlassen-
•chaften, den Testamenten und Schenkungen gehandelt
wird. Im ersten Titel, der den GenuFs und den Ver-
lust des Civilrechts zum Gegenstaude hat, untersucht
der Terf., welches der Unterschied sei zwischen Fran-
zosen und Fremden. Das Ergebnils bt freilich in civil-
rechtlicher Hinsicht sehr diirftig, da der Code durch
das Gesetz Tom- 14. Juli 1819 darin abgeändert ist,
dafs nun die Fremden in Frankreich ohne Rücksicht
auf Reprocitat succediren und daselbst zv^ Erben ein-
gesetzt werden und Erben einsetzen dürfen. Es be-
schränkt sich etwa auf die Verbindlichkeit für Cautio
judicatum solvi und die Ausschliefsung vom Beneficium
^ der bonorum cessio. Diese beiden Bestimmungen sind im
Code civil und im Code de procedure klar ausgespro-
chen, denn sonst mochte es freilich dem Verf. nicht
leicht gew<orden sein, dieselben wissenschaftlich zu be«
gründen, da er nicht weiCs, was er aus der Frage ma->
chen soll, ob die erwerbende Verjährung dem Fremden
EU gut komme. Er ruft freilich die alte Unterschei-
dung zwischen droit da gens und droit civil zu Hälfe,
"weifs sich aber doch nicht herauszuziehen. Da er
gleich von vorn herein in seinem Capitel: rom Recht
im Allgemeinen^ von dieser EintheUung eine verwor-
rene Erklärung gegeben, so dafs er z. B. ein droü
des gens primitif aufstellt, was „die natürliehen Eil-
y,ligkeitsregeln, die etwa bei allen Völkern in Kraft
« Jahth. /. triaffnicA. KriHk. J. 1840. I. Bd.
„sind und die bezeichnet werden, wenn man sagt, in
„Kauf, die Miethe, das Darlehn gehören zum droit des
gens", und im Gegensatz dazu ein droit d^s gens posi^
tif, das „auf die Völkerverträge sich grundet'S so ist
natürlich, dafs er sich verwirse, wenn er zeigen soU^
welche Rechte in Frankreich dem Fremden zukommen.
Zugleich hat er vergessen, den Hauptgnindsats aufzu-
stellen, auf den er ' sich in seiner Untersuchung besbbt«
Denn daraus, dafs er mit dem Art. 8 des Code sagt;
Jeder Franzose geniefst die Civilrechte, ist noch nicht
alles gethan, da daraus, wie Hr. Duranton selbst ge«
Steht, nicht folgt, dafn nur der Franzose die Civik
rechte geniefse. Das Wort Civilrechte \im in einem
besondern Sinne anzunehmen, wird man dadurch verhin-
dert, dafs im Artikel 11 gesagt wird: ,^Der Fremde'
„geniefst in Frankreich die nämlichen Civilrechte, die
..den Franzosen durch die Verträge der Natioti, zu
„welcher er gehört, zuerkannt worden sind oder wer-
den mögen.'' Uebrigens kommt hier *zur Entschlildi-
gung Hrn. Duranton's, dals die Verfasser des Codu
selbst in dem tiefsten Dunkel rücksichtlich der Frage
befangen waren, was sie unter droits civils verstehen
lassen wollten. Die Unbestimmtheit des Ausdrucks
droits des gens trug viel dazu bei. Da er von Alters
her in Frankreich gleicherweise für Völkerrecht (äufse- -
res öffentliches Recht) und Privat-Naturrecht (jus gen*
tium im römischen Sinn) gebraucht worden, und da
' auch wohl die völkerrechtlichen Verhältnisse selber
als Frivatverhältnisse zwischen Völkern angesehen wer-
den können, und auch von , den Römern in gewisser.
Hinsicht so angesehen waren ^ so hatte sich bei der
-steten Einmischung des römischen Rechts in die neuen
Begriffe *) eine Art von ZwiUer-ldee gebildet, welche
*) Da das franzSsische Wort gens sonst gar nichts mit der
Idee Völker gsnein bat, so mafs die so roh scheinende Ver-
pflansang des jas gentiam ins französische als droit des
gens so erklärt werden. , ^
99
787 Durautany Ca$irs
durch das Wort droit des gern bozeiobnet wurde und
You welcher die Urheber des Code Civil mehr oder we-
niger befangen waren. D'Aguesseau hatte das Fehler-
hafte dieser 4>nsicht nieht nur gefühlt, sondern wegsu-
jeaiimen gesucht, als er in seiner Institution au droit
public (1716) vorschlug, das droit fmblio eztirieur^
anstatt droii des gens und jus gentium, droü entre
leM natiotu und jus inter gentes zu nennen. Jene Un-
bestimmtheit des 'Begriffs droits civils zeigt sich wie-
der in dem Artikel 25 des Code, wo es darauf an-
kommt, die Rechte su bezeichnen, deren Verlust der
bürgerliche Toä (mort ciTile) nach sich ziehe. Die Ver«
f^ser des Code verliefsen sieh auch, so wenig auf das
Ausschliefsende, das sie doch gewissermafsen dem Arti-
kel 8 und dem Artikel 11 beigelegt haben wollten, dafs
sie in deo eiuzelnen Rechts • Instituten, wo es ihnen be-
sonders darauf ankam, einen Unterschied zwischen den
Fremden und den Einheimischen aufzustellen, sich be^
stimmt hierüber ausdrückten, so z. B. in den im Jahr
18}9 abgeänderten Artikeln 72& und 912 die Suocessio-
nen und die Schenkungen und Testamente betreffend«
Andere Institiite, wie z. B. Usucapion und Hypothek
liefsen sie in dieser Hinsicht unbestimmt; selbst die ces-
sio bonorum ist formlich erst durch den Code de proce^
dure elTiIe den Fremden verweigert worden. Es wäre
zu wünschen 'gewesen, dafs Hr. Duranton die- Frage
untersucht hätte: in wiefern derGenufs der natürlichen
Rechte (des dreit des ffens)^ den er dem Fremden in
Frankreich zuerkennt, gegenüber der Bestimmung des
Sten Artikels des Code bestehe, welcher die Regel auf-
stellt, dafs die Sicherheils- und Polizei- Gesetze alle
diejenigen verpflichten, welche auf französischem Bo-
den sich befinden. Ein Türke, der nach sdnem Yolks-
Gesetze fünf eheliche Frauen haben kann, deren Kin-
der legale sind, kann er dies Gesetz in Marseille an-
rufen, wenn ihm daselbst der Genufs desselben bestrit-
ten wird? z. B. eine seiner Frauen Terläfst ihn, oder
der offieier de T^tat civil weigert sich, das ihm von
einer seiner Frauen neugeborne Kind als elilich einzu-
schreiben; und wenn er mit vier Weibern angekommen,
in Marseille eine fünfte ehiichen will, kann ihm dies
verweigert werden, und wenn er sich verehlicht, ist er
i^ f*alle'der vom Code p^nal. bestraften Bigamie ? Eine
Nebenfrage wäre die gewesen: wenn ein fremder Staat,
wenn'z. B. der türkische Sultan, durch ein formliches
da Droit Jranfaii. ' 16B
Edict erkBrt, die Franzosen sollen In der Türkei du
nämliche Recht fünf Eheweiber zu haben ^ genieÜMai,
wie die Türken, geniefsen deshalb die Türken in Frank
reich das nämliche Recht f Hrv Merlin, der das HtW
che einer solchen Anwendung des Artikels 11 ebgesiia,
hat es zu beseitigen gesucht, indem er das Wort fer-
träge im Artikel 11 streng nimmt und demnadi be-
merkt, dafs dadurch die Intervention der franzökischei
Regierung erheischt werde.
Unter den Ursachen, welche den Yeriust der &
genßchaft als Franzose bewirken, ist auch rucksfchdid^
der Weiber die Ehe mit einem Fremden. Hr. Dnrai*
ton hat sich begnügt, dieselbe fast nur anzudentes.
Yielleicbt hätte sie mehr erörtert zu werden verdient]
so wie umgekehrt die Frage: wann die Erwerbung der
Eigeoschaft als Franzose durch die Ehe einer Fremdm
mit einem Franzosen statt finde % Bekanntlich ist, nt
folge des durch den Cassations- Gerichtshof aufgesteD-
ten Grundsatzes, dufs der Eingehungs-Act der Ehe vor
dem Civilstands- Beamten unzerthellbar sef und .den-
•
nach der Fremden schon von dessen ersten Moment an
die Eigenschaft einer Französin mittheile, das Crini«
nal - Urtel, das (1819) den General Sarrazin zu des
Galeeren verortheilte, bestätigt Worden, ob es gleidi
aus dem Grunde angegriflfen war, dafs, da die besAdi*
tigte zweite Ehe enifser Frankreich und mit eher
Fremden eingegangen worden war, dieselbe kein stiaC*
bares Verbrechen sei. Der Cassations - Gerichtsbol^
Indem er anerkannte, dafs überhaupt nur die isi /fss«
de begangenen Terbrechen den Vorschriften des Code
p^nal unterliegen, entschied gleichwohl für das Urtbeil
aus dem Grunde, dafs die Geehelichte, obgleich vis
Geburt eine Engländerin, durch die Eingehung derEke
selbst Franzdsin geworden sei$ ein Spruch, der ab
Criminal- Urtel um desto auffallender ist, da nachdesi
Code p^nal die Bigamie kein succesiivee Verbreehes
ist, sondern allein in der Celebration der Ehe vor desi
Civil-Beamten besieht
»
Zufolge der von ihm befolgten Ordnung des Code
civil schliefst der Vf. den ersten Band mit dem Titel:
€l^ Trennung von Tisch und ßetie; von der Ehe*
Scheidung, die bekanntlich ehemals den ersten und
hauptsächlichsten Theil dieses Titels ausmachte, sagt
er weiter nichts, als dafs dieselbe durch das Gesetz
vom 8. Mai 1816 abgeschaff^t worden ist Sieht er sie
/^
p
7B9 Duranton ^ Court
abo an, ab habe sie nie existirt> oder habe, da sie ezi<-
Mirte, gar keine Wirkung, die noch fühlbar wäre, hervor-
^ebrachtt Es wäre dies gaus dem Geist seiner Me-
thoHde gomftfs; um aber billig ku sein, kann man auch
annehmen, dars Br. Duranton 1823 sich nivht frei ge»
nug ffihlte, ein dem KhruM widriges Institut zu erör-
tern, eine Rücksicht, die freilich nur damals in Frank-
reich genommen werden kennte. Allein in einem an-
dem Bezug wäre es auch der Mühe werth gewesen^
die S4$paration der corps zu beleuchten, nämlich in dem
Bezug auf die Regel pater ect. So lange der beleidigte
Ehegatte zwischen der Ehescheidung und der Tren-
nung von Tisch und Bette die Wahl hatte, konnte
nmn sidi allenfalls mit jener Regel versöhnen, indem
der Kläger durch die Wahl der blofsea Trennung von
Tisch und Bette* sich stillschweigend derselben Unter-
worfen zu haben schien. Nachdem aber die Schei-
dung abgeschaSit ist, stellt die nämliche Regel, auf die
. separirten Gatten angewendet, im Widerspruch mit
dem gesunden Menschenverstände, Und bat ihre einzige
Basis verloren. Bekanntlich ist schon einmal in der
Pairskammer ein Yorsclilag vorgelegt worden, der zum
Zweck hatte, die Wirkungen der Separation de corps
SU reguüren ; es ist derselbe aber nicht bis zur andern
Kammer gelangt.
Das zweite Buch „von der Unterscheidung der
Güter" (de la distinction des biens) verdient das nämli-
che Lob und den nämlichen Tadel wie das erste. Doch
liat sich der Terf. hier mit besonderm Interesse erin-
nere, dafs es noch andre CivilgeseCze gebe, als den
Code. Es geschieht dies bei Gelegenheit der flrdrte-
Tung der Frage, welches die durch den Code aner-
lEannten dinglichen Rechte seien. Bekanntlich sagt der
ilrdkel 543: Man kann auf die GQter entweder ein
Eigenthumsrecht oder ein blofses Recht des Genusses
oder blofse Dienstbarkeitsrechte habea Dafs von ding-
lichen Rechten allein (und nicht etwa auch von Leh--
nung) die Rede ist, wird allgemein anerkannt. Aber
Dicht eben so allgemein wird zugestanden^ dafs hiemit
eJle dinglichen Rechte exciusiv bezeichnet sind. Dafs
3ie Hypothek nicht genannt wird, erklärt sich zwar
laraua, dafs sie nur ein accessorisches Recht ist, aber
idbst die temporäre fimphyteusis (in der Person des
Bmphyteuten betrachtet) scheint vielen auch ein dingli-
dies Recht zu sein. Hr. Duranton theilt diese Mei-
do Droit ß'mpms. 790
nung, ohnerach(et des Gesetze^ vom 29. December 1790,
das die damals bestehenden ewigen Emphyteusen als
Eigenthum erklärte, und das dominium directum in eine
Rente auflöste, die der jährliche Zins (canon) vertreteid
sollte, indem dasselbe zu^gleicher Zeit verbot. In Zu*-
kunft Emphyteusen zu errichten, die.Qber 99 Jahre
hinausgingen. Der Code civil schweigt über die Em*>
phyteusen ganz, jeBoch kommt man darüber überein,
dafs dessen Artikel 530, der alle ewigen Renten zn .
Mobilien erklärt, auch auf die emphyteutischen Renten
anwendbar ist Es wäre wohl nicht schwer, die Met*
nung Hrn. Duranton's zu bestreiten, wir müssen sie
aber hier auf sich beruhen lassen.
Von dem dritten Buche gilt, was wir von den
zwei ersten bemerkt. Wenn wir also einerseits sagen
müssen, dafs die einzelnen Lehren mit der Logik und
dem Scharfsinn dargestellt sind, die wir oben aner^
kannt haben, so wird man ohne Befremdung verneh-
men, dafs der Vf. den germanischen Ursprung der im
Art. 724 aufgestellten Regel : le mort saisit le vif auch
gar nicht ahnet, und also eben so wenig den Ursprung
der Regel des Art. 2279: en fait de* meubles la posses-
sion vaut titre zu kennen scheint, eine Eigenheit, die
er übrigens mit Cujas^ Lauriere und a. theilt. In oben
bezeichneter Hinsieht genommen, Ist der Titel von den
Obligationen im Allgemeinen um so besser gdungen,
als der Verf. denselben scholl früher in einem beson*
deren Werke behandelt hatte.
Rauter in Strafsburg«
V .
LX.
Leonardi Spengelii Specimen C&mmontario-
rum in AristoteUs libros de arte Rhetorica.
Monachü, typi^ Idbrariae Scholarum Jtegiete,
MDCCCXXXIX.
Diese Schrift eines um die Geschichte der antiken
hellenischen Rhetorik hochverdienten Gelehrten mufs
um so mehr die Aufmerksamkeit aller Freunde der Ari-
stotelbchen Litteratur in Anspruch nehmen, als dieselbe,
nach dem kurzen Vorworte des Terfs., als Vorläufer
einer neuen kritischen und erklärenden Bearbeitung der
rhetorischen Werke des Aristoteles und anderer grie-
ehischer Rhetoren angesehen werden darf, deren Er^
7M Spsnget^ »peeimen eommsntariorum m
•eheinen der beseheidne Verf. von dem Urtheile #er
gelehrten Welt über diese Probe abhängig macht. Es
ist aber in dieser Hinsicht von der neueren Philologie
für Kritik, und Erklärung der Aristotelischen Rlicto-
rik -r- um nur bei dieser stehen z^ bleiben — noch so
>venig geschehen; das weite fruchtbare Feld ist noch
jgo spürlich bearbeitet, dab jeder Beitrags geschweige
denn' der eines so anerkannten Gelehrten, der in die-
sem Felde philologischer Studien Torzugsweise zu Hause
ist, nur mit. Freude erwartet und mit Dank entgegen-
genommen werden kann. Weifs doch Hr, Prof. Spen-
gel selbst neben Fictorius und Murets Arbeiten in
dieser Gattung nur noch des weiland alten hallischen
Professors Severin Tater» aus F. A. Wolfs Anregung
hervorg^angene kritische und iuterpretative Observa-
^nen als Yorarbeiten anzuführen, zu denen sdt beinahe
einem halben Jahrhunderte, wenn man von Bekker*s
Gesammtausgabe absieht, nur noch zwei mehr für das
Popularbedürfnifs berechnete deutsche Uebersetzungen
Ton .ÜT. L» Roth und -Heiur. Knebel hinzugekom-
men sind.
Seit Victorius sind die kritischen Hulfsmittel für die
Aristotelische Rhetorik, sofern sie aus Handschrift^
gestehen} nicht vermehrt worden. Denn abgesehen von
Tielen andern, die der gelehrte Italiäner nach der Weise
jener Zeit nicht näher bezeichnet, stützte sich seine
Kritik besonders auf zwei Handschrifteo, von denen die
eine (Cod. Porisin. 1741; A« bei Bekker) dieselbe ist,
welche aueh Immimuel Bekker seiner neuen Recen-
sion der Rhetorik zu Grunde gelegt hat, ipse raro (wie
Hr. Spengel bemerkt) corruptis manum sed numquam
frustfa admoTens. Da Victorius Collation jener Hand- .
Schrift, wctlche auf der Münchuer Biblioihek beiiqdlich,
Hrn. Spergel zu Gebote stand, so befand er sich im
Fülle, für die Genauigkeit von Bekker's Vergleichung
Zeugnifs ablegen zu können, \yo wir denn erfahren,
dafs dem Berliner Gelehrten nur sehr weniges entgan-
gen, andere Unrichtigkeiten nur durch den Druck ver-
anlafst seien. Eine genaue Aufzählung beider wäre
für. den Gebrauch der Berliner Ausgabe freilich noch
erwünschter gewesen. Aufser der gedachten Collation,
waren nun dem Hrn. Terf. noch zur Hand: eine alte
sehr wortgetreue, nach einer an Wcrlh der Pariser
7»
AriHotelü libroi de arie RAetorica. * "
gleichen Handschrift verfafste lateinische {Jebersetznng
und die editio princeps, womit der bisher ermilfehe
Bestand des kritischen Apparats erschöpft sein durfte. —
Das hier mitgetheilte Specimen umfafst nun den Conu
mentar zu einem Theile des ersten Kapitels, und di»
Behandlung einzelner Stellen aus den folgenden. Di»
Methode der Erklärung selbst, die der Verf. als eme
von der gewohnlichen Weise abweichende bezeichnet,
dürfte, man insofern eine historische nennen, als der
Terf. die Erklärungen der Alten in ihrem vollen Ha»
fange der Reihe nach mittheilt (ut lectores ipsi qiiii
verum, quidfalsum esset perspicerent)'und zugleich die
Aristotelischen Dogmen durch angeführte Bebpiele ans
den Rednern io ihrer praktischen Anwendung aufzeigt.
Freilich verhehlt ier sicli dabei die Befürchtung nicht,
dafs durch solches Verfahren, das übrigens in seines
Anfängen schon der Itc4ischen Philologie zugehört, der
Umfang des Commentars übermäfsi^ angeseUweUt we^
den dürfte. Allein gegen seinen halb und halb gefafs-
ten Entschlufs, deshalb und nur deshalb seine Samm-
lungen für sich zu behalten, und andern, wie er sisk
ausdrückt, „nicht damit beschwerlich zu fallen", mGssci
wir um so mehr protestiren, als gerade ein so Follstän-
diger historischer Commentar alleh denjeuigen höchst
erwi^nscht sein mufs, die solche Studien selbst zu ms-
chcn, auf eine oder die andere Weise, namentlich auch
durch den Mangel an den dazu nothwendigen HiiUi*
mittein verhindert sind« Für Aristoteles aber ist m
dieser Gattung wahrlich noch kein solcher Ueberfisb
vt>n Arbeiten und Sammlungen vorhanden, dafs aus
nicht denjenigen Dank wissen sollte, die durch Mittbfi-
lungen' ihrer Schätze eine fühlbare Lücke in diesen
Felde d^r philologischen Litteratur ausfüllen hdfsn.
Ob nun dabei um Raum zu sparen sich doch nicht
Manches noch ins Engere ziehen, und z. B. SteUesi
die ein und dieselbe Erklärung nur in etwas verfinder-
ter Form wiedergeben, nicht vielleicht entweder nv
kurz namhaft zu machen, oder sonst in der Form vsn
V I
Noten unter dem Texte des Commentars beigebracht
werden könnten, darüber wollen wir dem Verf. dw
Entscheidung selbst anheimgeben, und jetzt Heber deaip
selben in das Euizelne des als Probe Gebotene am
folgen versuchen.
(Der Beschlofs folgt.)
vif 100.
Jahrbuch
e r
für
VT i s s e n s c h a f 1 1 i c h e K r i t ik.
Mai 1840.
iseonwrdi Spengelii Specimen Commentario'
rum m Arittotelts librot de orte Rhetorica»
■
(Schlaft.)
Der Vf. beginnt mit. der Erklärung des ¥ielgedeu(e-
(eo Ausdrucks: dafs die Rhetorik dfxioTQO(foq der Dia-
lektik sei. Er laGst den Auseinandersetzungen Cicero?s
(Orat. 32, ^. 113. de Fin. 11, 6, 17. Academ. I, 8, 32)
und Varro'ß (apud Isidör, Origg. II, 23.) die Erklärung
des Alexander von Aphrodistas (in Topic. I, p. 4) fol-
gen, der ivxiaxjfoq o$ durch -looaxQoqfO^ %ai ntql tii avtä
taxQtqoiiivfi nai xaraytvofAevri erläutert, und giebt diesw
Erklärung mit Victorius den Vorzug vor dem Cicero*
nischen ex altera parte ; demnächst zeigt er nach dem
Vorgänge Jtfurets und Camerar's (m. s. Camerar. ^d
Arist« Polit IV, 5.), dafs der aus der Geometrie ent-
lehnte (cfr. M. MoraL I^ 10. p. 1187. b. 2,) Ausdruck
ürxMQOfpoi mit Absicht von Arbtoteies gewählt sei, um
gleich mit dem ersten Wo^e seinen polemischen Stand-
punkt g^gen Platon^s Ansicht von der Rhetorik, wie
sie un Gorgias (p. 465 d. H. St.) ausgesprochen^ zu be-
meichnen, denn dort im Gorgias heilst es ausdrucklich
vnd zum Schlüsse der Stelle sagt er mit dürren Wojr-
ten, die Rhetorik sei aftlaxQOfpov irfianoitag h ^jvxy
m% ixthvo h aniiiau. — • Der Aristotelische Begriff der
Dialektik wird erklärt durch Analyt. • post. I, 11. mit
'Hinweuung auf Trendelenburg de Anima p. 204. Hier
hätte der Verf. nun wohl die schdne Ausfuhrung und
Sntwieklung des Begriffs der Aristotelischen Dialektik
anführen können, welche Biese (die Philosophie des
Aristoteles in ihrem innem Zusammenhange Th. I, S.
616 ff.) neuerdings gegeben hat — Hierauf folgen Stel-
len aus den griechischen Rhetoren, die entweder blofs
anführend oder auch polemisch auf jene Aristot. Bezeieh-
jMkrb, f. wiiienich. Kritik. /. 1840. I. Bd.
nung der .Rhetorik sich beziehen. Polemisch 'verhält
sich z. B« Sopater in Hermog. (Rhett. Gr. T. V, p. 15),
der die Aristotelische Absicht mit Uebergefaung des Ari-
stoteles den Stoikern beilegt. — Dafs Aristot. selbst
weiterhin (I, 2. u. I, 4.) die Rhetorik auch als Theil
(/i({^iOf^, naQaqivio) der Dialektik un4 Politik betrachtet
wissen will> wird gleichfalls bemerkt (p. 1 — 4). — In
dieser Weise erhalten wir also in jeder ausführlicheren
Note eine kleine historische Abhandlung, in welcher
neben dem richtigen Verständnisse der betreffenden
Stelle selbst da^ Verhalten der spätem Theoretiker, un-
ter denen Cicero als der älteste übrig ist, zu den Ari-
stotelischen Ansichten und Bezeichnungen hervorgeho-
ben, und dadurch zugleich das Interesse, welches spä-
tere Zeiten an dem Aristotelischen Lehrgebäude nah-
men, als ein dauerndes nachgewiesen wird. Durften
wir uns eine Bemerkung erlauben, so wurde bei dem
noch sehr filhlbaren Mangel eines Lexicon Aristoteli-
cum die Anführung von Parallelstellen für den Ge«
brauch eines Worts hier und in ähnlichen Stellen sehr
wünschenswerth sein. Wir bemerken für avuatQi(fsiv
Soph. Eeuch. V, §.< 6. Buhle und für ävtUn((oq>og be-
sonders de ortu Animal. III, ep. 11. p. 761 I. 19 Bek-
ker. ft^^ fier yag %ä C^a qiWoZg iolKaa^ ngig de xa
q}vxä C<f^ii^ und unmittelbar darauf dtä di xh xoZg qwxoZg
dvxtoXQoq>ov t%Hv xriy qivaiv eett. Ueber dieStructur
des Wortes handeln Schaefer ad Dionys. de compos.
verb. p. 225 Stallbaum ad Plat. Rp. p. 116 ad Gorg,
p. 89 vgl. auch Menage ad Diog. Laert. VII,^ 42, T. 11^
p. 282. Endlich wQrden wir die eigene Erklärung mit
einer deuttehen Debertragung des Ausdrucks beschlos-
sen wQnschen. Es ist kaum zu begreifen, weshalb sich
gegen dies letste ein gewisser Eigensinn der deutschen
Philologie noch immer sperrtt während doch schon die
Römer uns hierin vorangegangen und Franzosen, Eng-
100
795 Spengetj spocimen commentariorum in
Jänder und Holländer ihnen mehr oder liveoigcr nach-
. gefolgt sind. Und doch drückt erst eine Uebersetzuug
iu der Muttersprache gleichsam das Siegel der Vollen-
dung auf die Erklärung eines fremden Ausdrucks. In
iinserm Falle erfahren wir z. B. wohl, dafs Hr. Sp.
die Auffassung des griechischen Erklärers billigt, nicht
.aber wie er selbst den Ausdruck erschöpfend wieder-
geben möchte. Roth übersetzt: „die Rhetorik ist das
Seitenstücb der Dialektik", während Knebel^ der die
Ausdrücke „Seitenstuck" und ^^Gegemtäck^^ schielend
findet, dafür „verwandt" gewählt hat.
Der zweite Satz des Kapitels d^q;6rtQai yaQ ntQk
xoiomtov tiväv tlaiv S Hotvu %q6nov xiva änavxwf iaxl
' /vtogi^iiv Kai ovdefAiaq imax^fiPig d*f0(fiafuvrig giebt dem
Yerf. Gelegenheit, zu zeigen, dafs auch hier gegen
Piaton polemisirt und die Ansicht der Sophisten (Gorg.
p. 10 und 24, Protag. p. 278. Bekk.) gegen ihn in
^cblutz genommen werde. Weshalb übrigens der Hr.
Vf. im Folgenden statt xai dnoXo/tia^^ai uai xax/jyoQtZv
die' umgekehrte Folge der Worte als nothwendig an-
sieht, wissen wir nicht zu finden. Zu odonouXv konnte
die ähnliche Ausdrucksweise Metaphys. I, 3, p. 26.
Brandis, de partibb. animalL I, 4 extr. Eth. Nie. I,
4, 5. und Cicero's optimarum artium vias tradere (de
dlv. n, 1.) angeführt werden.
Aristoteles vindicirt im Nächstfolgenden für die
Rhetorik den Begriff der texv^, ebenfalls gegen Platon,
mit den Sophisten, namentlich mit Peius, dessen Satz
fj iiin-fiQia xixvfjv inoifjaiv ^ 8* amtgia tvxtjv er über-
dies an einem andern Orte ausdrücklich belobt (Meta-
phys. I, I.). Hier zeigt nun wieder der Commentator
(p. 7—8), dafs die spätere Zeit überall dem Aristoteles
~ gefolgt ist. Hier aber zu Ende des §. 2. der Buhli-
schen Ausgabe bricht der Commentar ab und beginnt
erst wieder mit ^. 12 der gedachten Ausgabe, in wel-
cher Aristoteles, ebenfalls mit polemischer Wendung
' gegen Platon, vom Nutzen der Rhetorik handelt Unter
. den vom Yerf. bei dieser Gelegenheit angeführten Stel-
len griechischer Rhetoren, welche die von Aristoteles
hier beigebrachten Nützlichkeitsgründe besprechen, giebt
die eine (Rhetor. gr. TU, 12) dem Hrn. Vf. Gelegenheit, zu
bemerken, dafs die Nachricht nal S^^xfjoiv 6 jiQiaroväifjg
diä xl Idiriai fAeafjy tlvcu ^fixoQinijpy ncd qfjaiv, Sxi xbv STf^
fiop Kai xoig Sixaaxitg i^ IditoxSv avyxHftipovg ov ivvaxhv
x^ nQiity (nämlich ^fjroQmp) inaKoXov^tXv tcal ini(nfifi6''
ArütoteliM libroi de arte RUetoriea. 796
vtög xit Xiyofitva i^aaOdi u. s. f. wahrscheinlich ans ei-
ner anderen Aristotelischen Quelle entnommen sei. In
der Noie jedoch ist er geneigt, die Rhet. I, 2. befindli-
chen Worte : 6 yuQ x^ixi^g vnonuxai thm inXov^ dafür
zu halten. Allein mit weit mehr Wahrscheinlichkeit
glauben wir als Quelle des Rhetors dasjenige ansebn
%u dürfen, was au unserer Stelle (1, 1. ^. 12.) Ton Ari-
stoteles als zweites Nützlichkeitsmoment angeführt wird
ivi^ de nQog ivLovg x.t.I. wozu die von Aristoteles seihst
angezogene Slelle seiner Logik (I, cp.2) zu vergleiebea
ist. Allein das l^xrjaiv 6 Aq. öiä xl.. kann auch die
Probleme hier ins Gedächtnifs rufen, die ja in aehr
zerrissener, unvollständiger Gestalt erhalten sind.
Sehr gut ist im Folgenden die von älteren md
neueren Herausgebern ausgelassene oder eingeklam-
merte Partikel t< in den Worten 8ia xt xo qiiau durek
Parallelstellen (Andocid. I, 58. Lucian Neron. ep. Z)
uud durch die Erklärung: ,;T€ banc primam ea^e ratio»
nem et alias sequi indicat^' geschützt. Selbst das yt hd
Dionys. Hai., der diese Stelle, wie er sagt, w^iirtlieh
abgeschrieben hat (Epist. ad Ammaeum op. 6), ist of-
fenbar nur Schreibfehler, und die Auslassung von xi
in Bekkers Palatin. (wenn nicht etwa rc dort ausge-
lassen ist?) und' von xt in mehreren alten AuagabeBg
unter denen auch die treffliche Isingrin. (Basil. 3), ist
wohl nur auf Unkeuntnifs dieses Sprachgebraudia und
dadurch veranlalste Aenderung zurückzuführen. Eben
so einverstanden sind wir mit der Erklärung des Ge-
dankens^ der aus Mifsverstand des di' avx^ip von bei*
den neueren Uebersetzern ganz schief gefafst erscheint
HotA nämlich übersetzt so, dafs jener Zusatz gar niclil
ausgedrückt wird, und Knebel hat augenscheinlicii
Dobrees (Adversar. 1, p. 159) Conjectur di* avxAß aut
seinem: „durch unsre eigne Schuld" wiedergeben wol«
len. Allein schon ein altes, von Ilrn. Spengel sage»
fuhrtes Scholion des Cod. A. erklärt ganz richtig: di^
TcSv havxiwv ^ xoZ ifniSovc f xov ddlnov.
Doch es wurde zu weit führen, die treffliehe
Schrift weiter im Einzelnen zu verfolgen. Auch glaw-
ben wir durch die bisherigen Mittheilungen die Freunde
der Aristotelischen Litteratur genügend von dem unter»
richtet zu haben, was diese hier gegebene Probe uns
für die Erklärung und Kritik der Aristotelischen Rhe-
torik erwarten läfst. Wir erwähnen daher nar noch
kurz einige Hauptpunkte des Übrigen Inhalts. So, ui
l
797
Oe^chichte der Mark Brandenburg.
798
von der Handhabttjng der Kritik zvl beginnen, die vor-
treflFliche, uns ganz unwiderleglich scheinende Emenda-
tion II, cp. 23, ^. .18, wo Statt nh^i StoxQuvovg (was
alle bisherigen Erklärer, auch Knebel noch in den An-
merkungen ^u seiner Ueberset«ung;,- auf Theodektes
kurz vorher erwSbnte Yertheidigung des Sokrates be-
logen} jetzt ntQt ^laoxQarovg zu lesen ist, welches aus
einer Stelle der Jsokratischen Rede de permutalione
ff. 173 schlagende Bestätigung erhält« Die Belesenheit
des Verfs. zeigt sidi hier Torziiglich in der Fülle ähn-
licher Beispiele, welche zu dem dort In Rede stehen*
den locus der Rhetorik aus den Rednern angeführt wer-
den. Fc^rner die Rechtfertigung des bisher bestrittenen
Zusatzes t^ de qaiv6[Aivov avU,oyi<TfA6v I, cp. 2. §. 8., die
Tilgung von tufrj als Glossem I, cp. 3. §. 1. (p. 31 —
32), die als nothwendig erwiesene Aufnahme des Er-
gänzungssatzes: t6 de q>mv6fitfov iv&viAr}fia 4faiv6iuvov
0vXko/tafi6g aus Dionys. Halle. (Arist. Rhet. I, cp. 2,
^. 8.. nach den Worten t5 Öe ivOifiAtjua avXXoyiafiov)^
wo ihn die Herausgeber bisher als unächt bezeichne-
ten. In sprachlicher Hinsicht verweisen wir auf die
feine Scheidung im Gebrauch der Partikeln dij und de
bei Sätzen, in denen Aristoteles zu etwas neuem aus-
hebt, oder schon Gesagtes fixirt, mit iarl de Soxco dij
und ahnlichem (Speng. p. 16 ff.). In Rücksicht auf
Erklärung endlich sei es erlaubt, die Geschichte der
Aristotelischen Definition der Rhetorik (Commentar. p.
17 — 23), und den Beweis, wie oberflächlich Quintilian
das Aristotelische Werk gelesen (p. 35—36)^ hervor-*
suheben. Nur die Fraee über die fut^odixa (p. 30) hät-
ten wir nic^t blofs angedeutet gewünscht.
Möge es dem gelehrten Yerf. gefallen, diesen Pro-
ben bald die vollständige Bearbeitung der Aristoteli-
sehen Rhetorik folgen zu lassen.
Adolf S t a h r in Oldenburg.
LXL
Oesdkichte der Mark Brandenburg. Erste Abtkeu
lung. (In dem Berliner Kalender attf das ScAalt-
jakr 1840.) 168 S. VL
Eb ist gewifs ein erfirenliches Zeichen dfr Zeit, dafii sich
das historische Interesse für das Vaterland nnd die engere Hei-
■lath höchst nannigfaltig und lebhaft nach in der Mark Bran-
denburg regt und kund giebt. Es werden immer mehr Quellen
mühsam aufgesucht und durch Herausgabe wissenschaftlicher Be*
nntznng zugänglich gemacht. Die Bearbeitung wird stets gr&nd-
lieher nnd vollstiindiger und hat besonders innerhalb der letzten
10 bis 15 Jahre höchst bedeutende Fortschritte in der Aufklä-
rung der Torher dunklen Verhältnisse der Vorzeit gemaeht
Von allen Seiten treten Beiträge ans Licht^ um dieses Fort-'
sdireiten mehr und mehr zu beschleunigen. Eine Association
von Bearbeitern • und Freunden der Geschichte der Mark Bran-
denburg zu Berlin nnd eine andere in der Altmark bestreben
sich, das yielseitig erwachende Interesse für die vaterländische
Geschichte zu nähren, zu verbreiten und nach gemeinschaftli-
chem Plane und. bester Einsicht auf die Punkte hinzuleiten, wo
noch am meisten eine besondere Pflege des Studiums noth thut.
Städte, wie Berlin und Fürsten walde, gaben aus ihrem Vermö-
gen die Mittel dazu her, um die Bearbeitung ihrer Geschichte
udd die Sammlung der dazu gehörigen Quellen zu erreichen. <
Der iStaat selbst wUrdigt die auf die Erforschung der vaterläo-
dischen. Geschichte gerichteten Bestrebungen, als einen wichti-
gen nationalen Zweck» mannigfaltiger wirksamer Unterstäi-
vZung.
Gewils ging es daher auch aus dem- Geiste, welcher disse
Erscheinungen erklärt, allein hervor» dafs die Königliche Ka^ '
lender -Deputation, welche schon seit einer Reihe von Jahren
den Berliner Kalender mit sehr werthvollen Beiträgen zur v»-
terläodischen Geschichte ausstattet, die Blätter ihres Jahrbuches
für 1840 einer- Geschichte der Mark Brandenburg einräumte*
Doch dies Mal wurden diese Blätter in keiner rähmenswertheil
Weise genutzt»
Das Urtheil einer Kritik, weiche es wohl mit der Pflege
der Wissenschaft meint» insonderheit in Beziehung auf einen-
GegensM^nd, welcher sich noch keiner ausgedehnten Bearbeitung
zu erfreuen hat, wird mild und nachsichtig sein. Auch bleibt
auf einem Gebiete, welches erst so wenig durchforstjht ist, wie
die Brandenburgiscbe Geschichte, fast kein mit Fleifii und Be-
nutzung der vorliegenden Uälfsmittel gearbeiteter Beitrag zum
Anbau dieses Gebietes ohne lohnende, aneskennnngswerthe
Fruchte. Aber die Kritik darf es nicht ungeriigt lassen, wenn
eben in der Zeit einer solchen Anregung für gründliche For-
schungen unter dem Namen einer neuen Geschichte der Mark
Brandenburg dem' Publike ein Produkt geboten und in Zeitungen
and Zeitsehriften als eine musterhafte Behandlung des Gegen«»
Standes angepriesen wird, welches auch die bescheidensten An-
sprüche, welche an eine solche Bearbeitung zu machen sind»
völlig unbefriedigt läfst, und mit der gröfsten Unkenntnifs des
Gegenstandes abgcfafst ist. Unter einem solchen Handel leideii
die Interessen der vaterländischen Gesehiehte ; und jeder, d^
die letzteren am Herzen liegen, muft sich daher dagegen auf-
lehnen.
Die vorliegende Schrift, welche^ wir hierbei im Sinne haben»
handelt nicht nur ^o/ff^ntheils gar nicht von der Mark Bran^
denburg, sondern von allgemeinen deutschen Verhältnisse^ oder
von Ereignissen in Nachbarländern, welche zu der Mark Bran-
denburg kaum in der entferntesten Beziehung stehen 5 sondern
799 Oe%ckiefUe der Mark Brandenburg.
es ist aaclr derjenige Theil ihres Inhalts, welcher sich Über die
Markgrafen Ton Brandenbnrg und über die Marie yerbreitet, so
liicl^enhaft und dSrftig, dafs man nur an den Namen die Fürsten
und das Land erkennt, woron er handelt, aufserdem aber mit
den gröbsten Irrthamem . erfüllt. Selbst als blofser Ausxug be*
trachtet Ton Smmuei BHchholtZy Ober-Pfarrers au Cremmen, Tor
beinahe^ 100 Jahren erschienenem „Versuch einer Geschichte
„der Chumatk Brandenburg Ton der ersten Erscheinung der
deutschen Semnonen an u. s. w.** würde die rorliegende Arbeit
als tadelnswertfa gelten mQssen, da sie Wichtiges übergeht und
leeres, obwohl gelehrt, ▼omehm und anmafsend klingendes IVai-
sonnement an deisen Stella treten läCst Betrachtet man das
Werk aber als eine Geschichte der Mark Brandenburg vom
Jahre 1840,- wofür es sich ausgiebt, so kann man sich nur über
^ die Dreistigkeit wundem« womit es der Verfasser wagt, ohne
irgend 'eine Kenntniisnahme Ton den seit jener Zeit im Ckbiete
der Brandenbnrgischen Geschichte dem Geschichtsschreiber erOfif-
«eten Halft %nellen, sich das Ansehn eines Kenners der Bran-
denbui^schen Creschicbte «u geben.
Es könnte Uberflüfsig erscheinen, dies Urtheil über die
vorliegende Schrift näher x« begründen, da jeder Leser, der
nur oberflüchlich mit dem heutigen Standpuncte der Branden-
bnrgischen Geschichte bekannt ist, die Belege daxu auf Jeder
Seite des Buches aufgedeckt vorfindet. Doch miigen einige Hin-
dentnngen auf wenige von den Tielen Lücken oder von den vie«*
lea Irrthfimem der Schrift hier Platz finden. Was die Lücken
anbetrifft, zu deren Ausfüllung die unangemessene Auslührllch-
keit, womit man allgemeine Reichsangelegenheiten hier erörtert
sieht, reichlich genügenden' Raum verstattet hatte, so nennt* Re-
ferent nur, dafp der Verfiisser z. B. fast nichts von den Mark-
grafen in der nachmaligen Altmark weifs, welche dem Mark-
grafen Aibrecht dem Baren in diesem Amte vorhergingen, na-
mentlich, von. den Markgrafen aus dem Hause Stade; nichts von
^em Slavenhauptlinge Witekind zu Havelberg, und von den Feld-
YÜgen König Lothar's gegen denselben ; nichts von dem Nordl-
achen Kreuzzuge, welcher 3urch das Gebiet der nachmaligen
Mark Brandenburg ging; und eben so wenig davon weift, data
die Markgrafen Johann L und Otto HI. die Lande Teltow und
Barnim und Tbeile der Oberlausitz erworben haben. Auch die
wichtigen Zehntenstreitigkeiten in der ersten und ^die gleich
wicbtigei\ BedevertrSge in der zweiten Hftlfte des dreizehnten
Jahrhunderts, die Bedingungen, worunter die Brandenburgschen
Städte damals gegründet wurden, — kurz alle bereits vielfach
ermittelte, mit ihrem Ursprünge oder ihrer entwickelnden Ge-
staltung in jener Zeit wurzelnde Verhhitnisse der Gerichts-, Fi-
nanz-, - Kriegs- oder Kirchenverfassnn^ sind von dem Verfasser
800
mit gänzlichem Stillschweigen tibergangen; die meisten x«m Tbeü
folgenreichen Kriege der Anhaltischen Markgrafen z. B. gegri
Mecklenburg,. Pommern, Meilsen u. s.w. sind ebenfalla nser-
wähnt geblieben ; und selbst von den Kriegsereignissen, welche
in. den Jahren 1371 — 1373 über den Besitz der Mark Brandes-
bürg zu Gunsten des Luxemburgschen Hauses entschieden, mah
der Verfasser nichts gewufst haben. — Za den Irrthlnem mis-
sen wir es aber zählen, wenn der Verfasser, unter anderen der
Art unbegründeten Behauptungen, es für historische Gewüaheit
ausgiebt, dafs Albrecht der Bär schon die Eroberung der Mitlel-
mark zu Stande gebracht habe , -deren Erwerbung erst seisci
Urenkeln vollstäudig gelang; dafs Albrecht der Bar^den Städten
Bernau, Prizwalk, Kyritz, Perleberg die ersten Bürger verliehes
habe, während feststeht, dafs diese Orte erst um die Mitte des
dreizehnten Jahrhunderts zu Städten erhoben sind ; dafs sJle Fa-
milien, deren Namen sich auf iiz endigen, unfehlbar IVeodisches
Herkommens seien, obgleich es längst ausgemacht ist, dafs der
von W^ohnsitzen entlehnte Name adlicher Geschlechter fSr deres
Nationalität in der Regel nichts entscheidet; dafs Markgraf
Albrecht schon das Heermeistertham Sonnenburg gestlflet habc^
wührend doch die Neumark, worin Sonnenbuif liegt j dicsea
FUrsten nicht angehÜrte,- und dergleichen mehr.. Von den nllma-
■ligen Erwerbungen, wodurch die Mark Brandenbnrg unter den
Anhaltschen Fürsten erweitert wurde, kennt der Verfasser ei-
nige gar nicht, andere setzt er in eine falsche Zeitj letzteres z.
B. in Ansehung des Landes Starg&rd, welches nach der AbfK-
tungparkunde im Jahre 1236, nach des Verfassers mbegrind^
ter Annahme im Jahre 1250 erworben wurde. SeUbst über die
Zeit, wie lange 'die. Anhaltische Dynastie in der Mark regierte,
sehen Wir den Verfiasser im Irrthum : denn das Ausstarben der-
selben setzt er in das Jahr 1322, während dasselbe im J. i32D
erfolgte.
Eines Mehreren scheint es nicht zu bedürfen, nm dadnrdk
sowohl unsere oben ausgesprochene Ansicht über den Cnwerth
dieser literarischen Leistung, als insonderheit aneh nech dea
Wnnsch zu begründen , dafs dem Verfasser gefallen möge, die
Absicht unausgeführt zu lassen, womach im nächsten Jahie
noch eine weitere Fortsetzung dieser sogenannten Geschichte
der Mark Brandenburg feigen soll, und also eine, ähnliche Be^
haudlung der grolsen geschichtlichen Ereignisse,, welche die
Mark Brandenburg unter dem erhabenen regierenden Keai^
hause betroffen, zu besorgen ist Referent mochte ^ wenigstess
ifteiea Zeitraum, an dem das Vaterland innigen Theil niams,
vor einer so wenig der Wärde des Gegenstandes entsprechet-
den Gescbichtscbreibung bewahrt sehen.
A. F*Riedel.
1
w^ 1 s s e n
M 101.
Jahrbücher
für
8 c Ii a f 1 1 i c h e
Kritik
Juiii 1840.
LXII. ^
Die englischen Unicersitäten. Eine Vorarbeit
zur englischen Literaturgeschichte. Von V.'A.
Hub er. 2 Bände. Cassel, 1839. 1840. /. C.
Kriegers Verlagsbuchhandlung. 8.
Bei Darstellung eines Gegenstandes, wie der des
vorliegenden Buches ist, kann man den Versuch ma-
chen,'die Thatsachen allein reden zu lassen, wie^ es
die Leute ausdrücken. Entweder ist .ein solcher Ver-
such bewnfster oder unbewufster Weise nur eine Maske^
d. h. das persönliche Urtheil des Verfs. macht sich schon
in der VV^ahl der zu referirenden Thatsachen« in der
Färbung, die sie eihalten, in den Combinationen, in die
sie gebracht werden, dennoch geltend — oder man ver-
sichtet sogar auf ein geistrolles Wählen, Färben, Com-
biniren, d. b. man liefert ein gedankenloses Sammel-
surium hbtorischen Stoffes. Dafs Hr. Prof. Huber auf
die Rolle der Maske sowohl, als auf die des geistlosen
Referenten verzichtet, und also den Versuch, die That-
sachen allein reden zu lassen, nicht gemacht hat, wol-
len wir ihm danken. Er tritt überall mit einer durch-
gebildeten^ eigeaen Gesinnung und Richtung in die
Sehranken. Da lag nun wieder ein Scheideweg vor
den Pulsen. Entweder konnte er kurz und energisch
die Sachen 9 wie sie sich ihm darstellten, vortragen
und es den Lesern überlassen, ob sie Einsicht und
Liebe genug mitbrächten, ihn mit allen den abgeschmack-
ten Vermuthungen und Uatersobiebungen zu verscho-
nen, denen ein solcher mit scharfem Beil knapp durch
den Waldwust des historueben Materials gehauener
Weg einmal ausgesetzt ist ; oder aber er konnte, um
all das müfsige und gehäfsige Gerede feindlicher Laf-
feu und atrabilärer Philister: y^dafs der Weg besser so
oder so zu hauen gewesen,'' „dafs er ein Irrweg ge-
worden,** u. s. w. abzuschneiden, weitläufiger selbst
sogleich auf alle solche Einwürfe im Verlaufe seiner
Jahrb. /. mi»ea$ch, Kritik. J« 1840. I. Bd.
Arbeit antworten. Es ist das letztere die Methode eU
ner grofsen Anzahl theologischer Schriftsteller, die sich
m der Regel anch nach allen Seiten vor abgeschmack-
ten Mifsverständnissen und Unterschiebungen glauben
den Rücken decken zu müssen. Bei den Theologen
mag das eine grobe Entschuldigung für sich haben;
sie sind zu sehr daran gewöhnt, dafs auch das nrtheils-
loseste Zeug seine einzelnen Vertreter findet, und dafs
in der Leidenschaft einander entgegenstehender Rieh-
tungen aller Liebe vergessen wird. Hr. Prof.' Hiiber
hatte ihnen aber hierin nicht folgen sollen. Was ge-
winnt er damit ? — Die, welche seine Arbeit zu schätz
zen wbsen, seinen Schritten mit Liebe und Verstand
folgen, werden durch diese Fortificationen und Aufsto-
werke nur aufgehalten, gestört in dem Genüsse, den
er ihnen doch zu bereiten wünscht; die anderen, die
durch seine oder durch jede Richtung und Gesinnung
geärgert werden, aber zugleich alle die Verschanzun-
gen, die er aufgeworfen, erblicken, sehen nur zu bald^
dafs sie hier sogar etwas lernen müfsten, wenn sie an-
grrifen wollten; und ^ylemen'^ -*- das ist das Gorgo«^
haupt, vor welchem alles, was von Leidenschaft bewegt
ist, flieht Die Leidenschaft weifs jederzeit Alles^ was
sie nuthig hat, und wer ihr zumuthet zu lernen, den
läfst sie bei Seite liegen, — und so wird's dem Buche
des Hm. Prof. Huber gehen ; alle die, denen die Lee-
türe desselben gerade am heilsamsten wäre, werden eK
gar nicht lesen^ und werden, indem sie mit dem Buche
selbst auch die Fortificationen bei Seite lassen, durch
alle Mühe, die sich der Verf. gegeben hat, doch allen-
falls nicht abgehalten werden, über die Richtung des-
selben böse Reden zu fuhren, ohne diese Richtung nur
genauer anzusehen. Summa! Referent hätte den posi-
tiven Theil des Buches allein, und alle Exposition
über die Methode und die Richtung weg — ebenso alle
Anspielungen auf unsere Zeit weggewünscht; oder,
wenn letztere einmal da sem sollten, dann als eine beil-
101
803
Huber^ die englüchen Univeriitäietti
scharfe Polemik, als einen Schlachtschauer von Schwerdt-
hieben^ zu dem wahrhaftig der Gegenstand nicht man.
gek. Das schöne Buch wurde an Eindruck und Ver-
breitung gewonnen haben — freilich aber auch durch
die Hände aller literarischen Futterschneider eine rasche
Reise gemacht haben. \on den lausenden von Steck-
nadeistichen, die jetzt diese Classe von Menschen in
dem Buche erhält, erfährt dieselbe wahrscheinlich nie
ein Wort. Unsere Relation natürlich wird sich haupt-
sächlich Und möglichst allein an den positiven Kern
des Buches halten.
Oleieh Anfangs im Buche wird manche allgeraeuie
Betrachtung über den Bildungsgang im germanisch-
remainischen Europa gegeben. Es sind Weitsichten,
wie man sie von einer Höhe mitnimmt, um sich in den
Thälern der Tiefe nicht zu verirren. Der karolingische
Bildungskreis und der der Reformationszeit werden zu«*
' sammengestellt $ und wiederum wird die Atmospliäre,
welche die scholastische Speculation seit dem Ende des
.Uten Jahrhunderts entwickelt hat, derDominationspe*
oulattver Richtungen, welche jetzt vor der Thüre zu
sein scheint, verglichen. Vielfach und nachdrücklich
wird hervorgehoben^ wie das Dringen auf einfache, na-
türliche Auffassung in der Karolingerzeit ebenso wie
In der Reformationszeit historischer, juristischer u. s. w*
Einsicht förderlich gewesen, dCm Leben Grundlagen ge-
schaffen habe; wie dagegen in den Perioden der Spe-
culation nichts Gnade gefunden, als was sich in ihren
Strom habe hereinziehen lassen; wovon die Folge ge*
wbsen, dafs das Dringen des Geistes, was zur Specu-
lation geführt, bald nach der Seite des Lebens in phan-
tastische Gebilde, nach der Seite der Wissenschaft in
Sehulformulirung übergegangen sei, sich verhauen habe
und in leeren Allgemeinheiten oder mageren Formulis
erstorben sei. Die festen Grundlagen der karolingi-
schen Bildung seien durch die scholastische Philosophie
vergeistigt, aber auch theils carrikirt, theils verfluch-
tigt worden ; den Grundlagen unserer Bildung -aus der
Reformationszeit drohe durch die Richtungen unserer
Zeit ein ähnliches Schicksal. Demohnerachtet seien
beide Momente, das der einfachen, gläubigen, histori-
schen Auffassung, wie das des speculativen Bestrebens^
nothwendige; ihr Wechsel in der Dom|nation sei. vor-
wärts führend, wenn man auch im Einzelnen dadurch
Verwirrung oder Geistlosigkeit entstehen sehe. Das
et\va viird der Sinn dieser Betrachtungen im Allgemei*
801
nen sein, gegen die wir nichts einzuwenden haben.
Ref. möchte von seiner Seite nuif folgendes hinzusetzen,
wodurch die Vergleiche ein wenig gestört werden. Im
germanischen Wesen liegt eine gewisse subjective Spri.
digkeit, die keinGeseiz statuiren möchte, ah die Trens
gegen frei übernommene Verpflichtung ; im romaolseheii
Wesen dagegen liegt etwas bauendes, allgemein orga*
nbirendes, züchtendes. Dafs in dem Wirken der Ihre*
linger und eines Bonifacius etwas romanisches lag, wd
niemand leugnen. Die Reaction dagegen kam abernkk
erst in der Scholastik,' sondern zunächst in einer äuii».
lieberen Weise durch das Sträuben der besonderei
Volksnaturen gegen den karolingischen Reichs- und Kir-
chenbau. In die Zeit dieser Auflösung des grofsen Bau«
ward aber die Einsicht von der Nothwendigkeit dei
romanischen Elementes in die kleineren Kreise dock
mit herübergenommen, und so haben wir unmiudhv
nach den Karolingern, z. B« in Deutschland unter dci
Sachsen und Saliern, eine Zelt, wo politisch* und arelv*
tectonisch gebaut, die eigenthümlich deutsche Verfassung
geschaffen, das Land auf allen Seiten wie mit orgoii*
sehen Gliederungen des Volkslebens, der Stände, siraiit
Kirchen und Burgen geschmückt ward. In dieser Zcili
die in den Literaturgeschichten sieh in der Regel n
dürftig ausnimmt, im lOten und Uten Jahrhundert««
nach allen Seiten ein reges geistiges Leben in derNa^
tioa für grofse Baue 5 die vereinzelten Heldeoliefa
sammelten sich allmälig in DieAtu/$gsJkrguen ; die U*
storischen Ueberlieferungen in lateinischen und deol'
sehen Weltchroniken ; ein einiges Kaiserrecht verM
tete und befestigte sich allmälig in ganz Deutseblaad;
in einem Style erhoben sich die Münster durch dal
ganze Land; dieselSeti Ueerschilde gliederten dai
ganze Volk ; am Kaiserhofe erwuchs allmälig jene av
ober- und niederdeutschen Elementen sich bildeadi
mittelhochdeutsche Nationabprache, das Ausdrucksaat
tel einer Mgemeinsn deutschen Literatur; St GsDcH)
was früher freiere, subjectivere gebtige Richtvngoi
repräsentirt, griechische Studien, die Vulgärspracka
(gleich den alten Brit(en) für kirchliche Zwecke gepflegt,
ward durch Leute, die in Fulda ihre erste Bildung er*
halten, ward durch die Richtung der Zeit faa Gaasai
in den allgemeinen Zug hereingerissen, kurz! dasie*
manische^ bauende Element bethätigte sich in kldoenn
nationalen Kreisen so mächtig, wie sonst im'Kareb*
gerreiche ; und dagegeti erst, gegen diese Enkdfaildnag
805
Huber j die englücAen ÜHÜferntäten.
806
äms karolingbcheil Qttilungikreked, tritt eigentlich dann
die seliolastische Richtung, tritt die lubjectivere lyrische
Poesici treten die Ritterromanei tritt das ganze phan-
tastische Ritterwesen, treten die Bettelorden und alles,
was daran hfingt, in die Schranken« So ist nun auch
die Bildung der Reformationseeit mehr jener Glanzpe-
riode des deutichen Kaiserthumes unter Sachsen und
Saliern ähnlich als der eigentlich karolingbchen ; denn
wenn sich im Allgemeinen nicht leugnen läfst, dafs die
Bewegung der Reformation eine Reaction der spröde-
ren Subjectintät deutscher Gemuther gegen die den
katholischen Kirciienbau zusammenhaltende Formel, ge-
gen die romanische 4^onstruotion ist, so ist doch in den
Reformatoren eine tiefe Einsicht, dq/i der Mensch in
grofoeren Verbänden ohne Formel nicht bestehen
kemn\ iind sie suchen diese sofort im Gegensatz der
abgethanen römischen Formel herzustellen, gerade wie
friihar die einzelnen aus dem Karolingerreiche hervor-
gegangenen Nationalitäten sich sofort in ihren beson-
deren Kreisen formulirten* Das, was Hr. Prof. Huber
dann bei der spateren Entwickelung der englischen Uni.
versitäten^ als australes und boreales Moment charak-
terisirt, \aX schon wirksam, wie er auch selbst so schön
ausführt, durch die ganze neuere Yölkergeschichte —
man kann mit ihm recht wohl die Nothwendigkeit bei-
der Momente zugeben, und in ihrer Wechselwirkung
die Wurzel finden alles dessen, was uns jetzt werth
und theuer sein mufs, und dennoch (wie es ja^ auch bei
ihm im Grunde der Fall zu sein scheint) durchdrunr
^en sein von der Einsicht, dafs in unserer Zeit vor
allem das austräte Moment, die bauende, zuchtende
Richtung einer Verstärkung bedürfe, wenn nicht alles
•iomistisch auseinander gehen soll. Man lasse die Ge-
iKra^hse frei und wild ihren Standort wählen $ gewifs
"Werden sie die Puncto herausfinden, wo jedes am besten
dnaeln gedeiht — sie werden aber einxeln stehen;
und des Menschen Sache Jst eben, sie dieser Verein-
seiung zu entreifsen, sie zu ziehen, zu zuehten; ihrea
Samen za sammeln und ganze Flächen vorzubereiten,
dafs sie nur den einen Samen jedesmal aufiiehmen —
aur so läGst sich zu wirthschaftlichen — nur so läfst
sieb, wenn man das Bild auf politische und kirchliche
Verhältnisse überträgt, zu politischen und kirchlichen*
Reeultaten, zu Mächten gelangen; nur so lassen sich
mrilde Weide uni^ wilder Wald in reiche Aecker und
werthvolle Schläge verwandeln* In unserer Zeit will
alles Plänterwirthschaft treiben; darum um so fester
die Hand auf den Pflug und auf die Pflanzschnur, um
wilder Weide und wildem W<^Ide das Terrain streitig
zu machen! — Dals wilde Weide und wilder Wald
auch ihren Werth im Leben haben, ja! dafs es. höchst
langweilig wäre, wenn man nicht dann und' wann auch
zu ihnen fluchten könnte, kann man im eignen Herzen
vollkommen überzeugt seih, ohne dafs man einen Sehrilt
breit den Nimroden gegenüber einzuräumen braucht, de-
nen schon jeder Zaun, jede Feldzarge, jede geschützte
r
Waldtraufe ein Gräuel ist In diesem Sinne möge hier
die Bemerkung stehen, dafs, wie uns bedünkt, der Vf.
dem borealen Element, zwar nicht im Allgemeinen,
aber für unsere Zeit, viel zu viel Ehre angethan, die
Scholastik für unsere in. Philosophie onhehin über*
schwenglichen Zeitgenossen noch immer viel zu hoch
gestellt, den Yandalismus des sechzehnten Jahrhun-
derts in England (II. 17 — 19) lange nicht genug her*
vorgehoben, kurz! sich bei hundertlei Dingen viel. zu
billige, leidenschaftslose Leser im Ganzen gedacht hat«
So, wie die Sachen stehen, wurde er in seiner offenen
Weise vielfach auch denen, die er doch in unserer Zeit
zu bekämpfen scheint, Waffen liefern, wenn diese Leute
nicht glücklicher Weise so beschaffen wären, -dalk sie
Bücher, vie das seinige, lieber gar nicht lesen. Die
Wissenschaft verlangt allerdings Freiheit von personli*'
eher Leidenschaft, aber ihren Ausdruck entlehnt sie
den Redeweisen der Völker und Zeiten , und wenn
diese in einer Zeit so sind, dals um borealen Anklang
z|i finden, mun nur die Lippen zu bewegen braucht;
hingegen um austraten Anklang zu finden, man in ein
Sprachrohr schreien mufs, so fordert eben die Ausglei»
chung in wissenschaftlicher Leidenschaftslosigkeit, dafs
man bei borealen Dingen kaum die Lippen bewege, und
bei australen ins Sprachrohr schreie.
Wur wollen nun kurz die historischen Ergebnisse
des Buches verfolgen. Vollkommen überzeugend ver*
ficht der Verf. die Stiftung Oxfords in Aelfreds Zeit«
Er ^eigt, wie diese Studienanstalt hervorgegangen kt
aus einer Pallastschule (die aula regis in Oxonia v^ird
auch als später noch Torhanden wahrscheinlich gemacht
L S. 71 u, a.), die einen Rector hatte. Nach, der Er*
oberung Wilhelms kümmert sich niemand um diese
Schule; aber ein Rest derselben erhält sich trotz dieser
Unbekümmernifs. Als alle Veirhältnisse sich wieder
mehr geordnet haben, ziehen die leer stehenden Ge-
807
Hf^er^ die englUehen Unwer$it&ten.
80B
bäude älterer Zeit manche der froheren Lehrer wieder
herbei. „Eine günstigere Stimmung der Zeit machte
sich aber schon, wenngleich langsam und schüchtern,
g^gen das Ende des Uten Jahrhunderts geltend. So
gewaltsam sich auch im Ganzen noch Alles anliefs, so
konnte doch schon die vieljährige Thätigkeit eines Lan-
franc und Anselm an der Spitze der englischen Kirche
flicht ganz fruchtlos sein. Männer, die selbst zu den
Hauptträgern der neuen wissenschaftlichen Entwicke-
lung des Abendlandes gehörten, erweckten und forder-
ten da und dort verwandte Bestrebungen. Die Keime,
welche damals gelegt wurden, entfalteten sich nun in
der milderen Atmosphäre der Regierung Henry L zu
einer keinesweges verächtlichen Blüthe. Schon die Ver-
bindung des normannischen Fürsten mit einem Spröfs-
Ung des sächsischen Herrscherstammes , die Erschei-
nung . der guten Königin 'Maud auf dem englischen
Throne war ein 'Pfand der beginnenden Versöhnung
und Verschmelzung der bisher in furchtbarer Feindse-
ligkeit sich gegenüber stehenden Volksstämme. Damit
war die Grundbedingung jeder weiteren friedlichen Ent-
wickelung einer neuen Nationalität gegeben, Beikannt
ist aber im Allgemeinen, wie viele sowohl normanni-
sche als sächsische Namen England in jener Zeit auf«
zuweisen hatte, die theils durch ihre bis auf uns ge-
kommenen Schriften, theils nach anderen Zeugnissen
neben denen der gebildetsten und gelehrtesten Zeitge-
nossen auf dem festen Lande genannt werden dürfen,
mit denen sie in vielfachem Verkehre stunden. Nicht
ohne Grund erhielt der König selbst wegen Begünsti-
gung und Theilname an solchen Bestrebungen den Bei-
namen bellus clericus (beauclerc)." Unter solchen Um-
ständen erwuchs in Oxford in mehr republicanischer
Weise eine Studienanstalt , mit deren Obhut der Bi-
schof von Lincoln einen besonderen Beamteten, den
Cancellarius von Oxford, beauftragt, welcher, — da
er nicht, wie anderwärts andere bischöfliche oder äbti-
sche Cancellare an den Universitäten, noch andere wich-
tige Besorgungen mit seinem Amte verbindet — allmä-
lig so mit der Studienanstalt verwächst, dafs er deren
organisches Haupt und zugleich das wird, was früher
der Rector war. Der Canzler von Oxford läfst sich
so in der frühesten Zeit seines Daseins, mutatis .mu-
tandis, seinem Wirkungskreise nach im Wesentiichei
unseren aufserordentlichen Regierungsbevollmäebtigteo,
wo diese zugleich die Curatel oder gewisse Hanptlhcib
der Curatel üben, vergleichen, und das Beispiel toi
Oxford könnte auch unserer Zeit den richtigen Weg
zeigen. Dafs man den Canzler als Haupt der Cniver*
sität unbefangen nahm, machte ihn allmällg sunt an»
fiufsreichsten Vertreter aller wahren Interessen der
Universität. Kleinliche Eifersucht und lächerliefae Ri-
valität von Seiten der Lehrer gegen und mit deai, wd*
chen die Verhältnisse der Zeit nun einmal Dothwemfig
zur bedeutendsten Persönlichkeit fnr die Sludienanstail
gemacht, hätte diese nur in ein schmachtendes, stören*
des Siechthum hereingerissen.
Aelfred hatte an seine Kirchen und Schulen viel»
fach Männer aus Frankreich und aus den Niederlande* ;
berufen (I. 60) ; namentlich tritt uns unter diesen Grish i
bold von St. Omer bedeutend entgegen (66). Auf der \
anderen Seite nahmen Sachsen, und nachher Englas«
der den lebhaftesten Antheil ad den sich allmalig is
Frankreich entwickelnden scholastischen Studien (iSL
98). Diese Aualogieen im wissenschaftlichen Betriebs
wurden dann in Oxford durch Einwanderung Fariw
Magister und Scholaren befestigt (S« 76. 97) und ss
ward ein innerer Zusammenhang der Studien an bei»
den Orten begründet, während die äufsere Verfassung
der Universitäten von Paris und Oxford sich in sehr
abweichenden Richtungen entwickelte.
Ganz anders war die Entstehung der Studienaa-
stalten in Cambridge. Dieser Ort erhielt vom Kloster
Croyland in Lincolnshire aus durch Abt Goisford, der
in Orleans seine Bildung erhalten hatte und von 1169
bis 1124 an der Spitze des genannten Klosters stand,
seine erste in einer Scheune eingerichtete Schule, die
sich aber bald aufserordentlich hob. ^ Diese erste Scbvk
sank später wieder zur grammatischen Unterricbtsanslslt
herab; während die inzwischen daneben entstandteen
anderen Schulen sich zu einer Universität erhoben^ dis
schon in allen Hauptbedingungen vorhanden war, ab
1209 eine Einwanderung von 3000 Magistern und Scho-
laren aus Oxford hinzukam (S. 104).
(Der Beschlafs folgt.)
iM loa.
Jahrbücher
für
< T
w i s js e n s c h af tl i ch e Kritik.
Juni 1840.
Ute englischen Universitäten. Eine Vorarbeit
zur englischen Literaturgeschichte. Von V. A.
Hu b.e r.
(Schlufg.)
Eine gewisse nähere Beziehung zwischen Cam-
bridge und Orleans scheint einige Zeit fortgedauert zu
haben (t. «388. not. II. 565). Cambridge^ später ent-
zünden, aus schwächeren Anfängen als Oxford ent-
wickelt, ward Ab- und Nachbild von Oxford; jedoch
so, dals es immer um eine Periode der Entwickelung
hinter Oxford in der Zeit zurücksteht \ ' ein Terhält-
hiPs ähnlicher Art, wie wir es im Mittelalter auch zwi-
schen italienischen und deutschen Städten finden, in
welchen letzteren auch in der Regel 80 bis 120 Jahre
später sich die Erscheinungen des italienischen Städte-
lelens, freilich eigenthiimlicb gefärbt, repetiren.
Wie Cambridge mit Orleans in näherer, so steht
Oxford nvit Paris in nächster wissenschaftlicher Bezie-
hung und Wechselwirkung: dennoch aber sind der
Tloterschiede im Leben beider Universitäten viele und
durchgreifende. Oxford ist hoflscher Entstehung, hat
später ein kirchliches Iluupt erhalten, und befindet sich
mit diesem in bester Harmonier Paris dagegen ist
kirchlicher Entstehung; eine stiftische und eine äbti-
sche Schule sind neben einander in die Hohe gewach-
sen; mit Bewilligung der geistlichen Herren sind Leh-
rer, die nicht in strenger Verbindung mit Stift und
Kloster stehen, hinzugetreten, haben allmälig eine Cor-
poration gebildet, deren leitendes Haupt wolü auch ei-
gentlich der bischöfliche Canzler sein solfte — allein
dieser Canzler ist nicht wie in Oxford der Oxforde^
der nehen dem hischoflichen Canzler von Lincoln be-
steht, blofs für die Universität bestellt, sondern er hat
tausend andere, wiclitigere Gc^schäffe; so sondert er
sich selbst mehr Von der Schule ab in demselben Mafse^
in welchem dieselbe ein eignes corporatives Leben ge-
Jahrb: /. «HUtfAfcA. KriHk. ' /. 1840. I. ßd.
winnt; die Universität erhält in dem Rcctor ein eignes
Hauptj und die mannichfacbsten Rivalitäten entwickeln
sich, die bei den englischen Universitäten, denen ein
Rector fehlt, gar keinen Platz haben. Ferner hat Pa-
ris als Universität einen fast cosmopolitiscben Charak-
ter; schon die Residenzstadt brijigt ein aufgeschlosse-
neres Leben mit sich; aber aufser den einander noch
ziemlich fremd gegenüber stehenden franzosischen Na«
tionen der Nord- und Südfranzoseo^ der Bretonen und .
Fläminger, nehmen auch Deutsche, Italiener, Spanier^
Engländer in zahlreichen Massen Theil an der Pariser
Schule, welche dadurch eine Schule der ganzen abend-
ländischen Christenheit, ist. Oxford hat zwar auch
fremde Gäste ; aber das nationale Wesen ist doch das
charakteristisch herrschende; und so findet auch wie-
der de.r innigste Zusammenliang statt zwisclien den
Pliasen der Entwickelung der englischen Nation über*
haüpt und den Phasen der Entwickelung von Oxford.
Wie man in gothischen Kirchenbauen oft als Sacra-'
mentshäuschen 6in verjüngtes Bild der Kirche selbst
findet, so ist Oxford^s Leben nur das verjüngte, con-
centrirte Abbild des geistigen Lebens von England —
die Universität ist der geistige Flügelmann der Nation,
der alle Escheinungen des kirchlichen und politischen
Lebens vorabbildet, und wenn es in Oxford zucJct und
unruhig wird, sind Confllcte im Leben der Nation
nicht fern :
Chronica si penset^
Cum pugnant OxonUmei,
Pott paueo9 mentt»
VoüU iru poir'Angiigenon$e$,
• *
Die Pariser Corporation theilte sich In vier Natio-
lien;. 1) die französische d. h. eigentlich die südframsd^
sische, romaniiche^ denn alle Franzoiien von Isle de
France nach Süden liebst Italienern und Spaniern ge-
hören dazu, auch die ' Griechen ; 2) die normannisch^^
wozu "wohl auch die Leute aus den Nebenländeni der
BuieTj die «nffUtäien
811
Normandie s. B. aus der Bretagne gehov^n; 3) £e
picardUehe^ vx weleher aich aach Flämioger und Bra-
banzonen halten; 4) die englische d. h. eigentlich g'(^
moMUdke^ denft zu ihr giliören auch Schotten, Dänih,
%Jtm^iifXii D^Ucfte u^' ^ w. Bagegen d^ C^rpotfa-
tion von Oxford theilt sich nur in ewei englische Na-
tionen: 1) die Borealen^ die northemmen, su dtttiea
die SchojLien gehören ^ 2)'4ie Auitralen^ die southera-
men, zu. denen Iren und. Wälsche halten. Fremdlinge
scheinen sich untergebracht za haben, wie sie konn-
ten ; und auch 'darin druckt sich der mehr nationaTe
Charakter der englischen Universitäten im Gegensatz
von Paris ab« Wie aber die UniversitätsbevSlkerung
von Oxford ein Bild der britischen Inselbevölkerung im
. ■ »
kleitien, die geistige Blüthe des Reiches ist, so streckt
dies Gewächs auch seine Wurzeln wieder durch den
3oden des ganzen Landes. Oxforder Magister sind
ebenso in allen Theilen, fast in allen Ständen des Lau-
des zerstreut, wie umgekehrt Oxford von allen Gegen-
den und Ständen des Königreiches besucht isti Oxford
ist so der Mikrokosmos des englischen Makrokosmus,
Geistreich und fruchtbar nach hundert Seiten fuhrt der
Verfasser die Analogie der Gegensätze der Australeii
und Borealen, der Romanen und Germanen, der Roya-
listen und Demokraten, der Nominalisten und Rea-
listen, des Itatholicismus und Protestantismus aus, unci
leise fiihlt man durch, wie sich in Cambridge entschie-
dener als in Oxford das boreale, germanische, demo-
kratische, protestantische Element darstellt — Oxford
hat deshalb auch seine gröfsere geistige Bedetitung im
Mittelalter; Cambridge trotz dem, däfs es äiiTserlich
weniger reich ausgestattet worden ist als Oxford, ist
geistig seit der Reformation voran.
Was nun das Wesentliche der politischen Stel-
lung anbetrifft, so verstund sich die Gerichtsbarkeit
des Canzlers und der anderen academischen Behörden
fiber die Universitätsangehörigen von selbst; aber auch
in gemischten Fällen ist seit 1244 die Gerichtsbarkeit
des Canzlers durch k^DlgUche Privilegien ausgespro-
chen« obwohl von der Stadt und sonst vielfaeh h^strit-
tepL bis zu der Parlamentsacte von 1571 unter der. Ko;
nigin Elisabeth* . Doch selbst bis auf den heutigen .Tag
walten Zweifel darjiber ob, ob es nooh .eiae höhere lo-
atana. g&()e> weoo das Urtheil des C^^zle^ von. den
Delegaten bestlhigf: worden. Wahrscheinlich ,yv9iX es
der Tumult vei^ 1355, weleher Yeranlassung gab zu
SU
Efnrhhtung de» AoKes • eines Stewarlea der Uidvc|ii>
tat, Wodurch die Pofizeigewalt der Universität eben «
f^tgestelk ward, als durch die Privilegien von 1241
dfe Gerichts^ewalt. An Yermögen waren dfe ea|^
sehen Univensitäien bitf zufr Zeit der ReformaiDn am.
FHther war es die aulserordentliche Frequenz, vnd fk
grefse Wohlhabenheit einer bedeutenden Anzahl in
SchoUren» welche die.[Iiu?eisilKt tru{( und ajushda
Lehrern, obwohl diese zum grofsen Theil weU tack
als der Kirche ungehörige Personen durch den GeinB
ron Pfründen unterstätzt watren, ein hinreichendes &*
kommen gewährte. Als die Frequenz seit * dem fleN
zehnten Jahrhunderte sehr abnahm, traten theils fibe^
haupt ärmliche Zustände ein, theils erhielten n«n die
wenigen bereits fundirten Colleges eine hohe Hefa-
tungs sie wurden der eigratliche ^tock und Halt dir
Univershät. Aufser den Colleges blieb zwar auch Aodi
eine kleine Studentenbevölkerung; allein diese ersebia
in demselben Mafse,. als die Colleges zahlreicher ual aa
Einkommen leicher wurden und in ihnen allein eiM
bessere Diseiplin gehandhabt werden konnte, mehr aad
mehr als ein verwilderter Zweig des Universitätsla*
bens. Das Zusammenschrumpfen der Universität ab
freierer Studienanstalt hatte das Hervortreten der Col-
leges zu Folge, die zuletzt die Universität im Graaib
absorbirten. Die ersten Colleges waren gegen Endi
des ISten Jahrhunderts entstanden, und als wesesdir
che Eigenschaften eines solchen Institutes, eines eolk
gium academicum, werden angegeben: „dafs ea eiaa
coBvictorische Corporation zum Zwecke academisekr
Studien auf unbewegliches Eigenthum begründet, MStf
universitas litteraria incorporirt, aber in kemerlei aa*
mittelbarer juristischer Abhängigkeit von irgeadeia«
anderen moralischen oder individuellen Person sei" —
Womit zugleich eine statutarische, Ordnung deaaeliico
und das Recht, Statuten su machen und überhaupt dk
Angelegenheiten , und das Eigenthum. des Vereiaa aat
ner Bestimmung gemäfs zu handhaben, nothareadtf
vorausgesetzt wird« Neben diesen coUegiia hat sics
dann noch eine andere Form academischen^ Lebeni
wenigstens in Oxford in den halls (aulae aoademicaa)
erhalten. Auch die Halls waren coavictorische Ter-
eine. Sie entstunden „entweder indem mehrere vA
yercinigten und ein Haupt wählten, oder iadeai m
Einzelnes die ganze Sache auf seine Kosten, auf seiai
Gefahr und zu seinem Vortheil übemahui. Xlio «ol-
813
^tOer^ diteng^$dkM ÜtuvetvitSim.
81«
eher Unternehaier war «hm EwelM meist ein aeade-
vääckmt Lefanr, An nagiitir regest der tfann mßti^
Utk 4ogl0iisbr die KtüldiM i(ti$ Yereias leitet«. Di«eer
war dann fiigenthüaier dee' ztm gemeiiisaiiien GeiHttueh
besiiinmten Hausgeräilies, des wisseascfaaftlichen Ap-
parates, und oft auch wohl des Hauses selbst, wenn
er es nicht vortheilhafter fand, zur Miethe zu Wohnen."
nHHe .Art Vereine' hatten dann abo nichts roneerpo-
taliiFeai Wesen an sich; mehr jedoeh^ wenn die Un«
lenisliainng von einMn Verein ausgieng; aber auch
dam feMte dae feste Substrat eines stifuuigsmäEugen,^
BMbeiregliehen Besitiaes. Sobald der Verein einen* soU
dwB Beaita erwarb^, verwandelte er sich sofort in ein
€ollegei und se ist es erUärlieh , wie am Ende die
Univemlit ganz auf den Colleges beruhete. Wir k9n-
bM hier Wieder» was von der Stiftung, noch was von
der .fieeeUehte der eio^elaea Colleges beigebracht wird,
weiter verfolgen, müssen aber noch anfahren, dafs die
GoUegis ursprünglich keine L^braiistaktfn waten. „Hatte
der üoclns den Pflichten feaQgt, die aus seinen acade«
niaeiien Studien hervorgingei^ hatte er diese wohl gar
abaelvifflii so, waren ven Seiten des College — abgese*
bnn von statutenmäfsigen» gottesdieastlichen Lei^tun-
gBA -*-• iceine weiteren positiven AnsprOche-an seine
Tlniiigkeit «i machen. JSr hesab ein beneficium Sim-
plex« Alle% was er zur Forderung dei^ sitilicben oder
leriesenscbaftlichett Bildung des ^&iger^n Hausgenossen
that^ konMe nur freiwillige Leistung sein, welche von
dem College ttnd dessen VetMeher zwafr beaufsiehtigti
hcsdnmikt) erlaubt, aber. sieht getotan. werden koitfi*
tm^^ Die Crosehichte der Umwandlung der Colleges it
Uehvaniitakeni der Entstehung der tutors, der eihzel.
110». hei CoUeges fundirted Lehrstuhle u. s« w. u. s. w.
ftiieriasseB wir dem eignen Nachlesen, da wir die Wifsi-
bag^erde der Leser hier nicht zu sättigen die> Aufgabe
beAetif sondern sie nwr aufmerksam macheii wollen auf
das Micbe Material der Belehrung, was sie in d(;m
Boehe selbsl finden werden« Als Hauptpersonen für
die UiibtMutig vnd reiche Ausstattung der Oxforder
Sittdienanstalten nennen wir hier nur Wolsey und
eeid terständige Leser werden von selbst sieh
wie reich an Bel^tung. auch über allgemeine
H^Bsdie Zustände, auebr ül^r die Staats * und Khrchen«'
geMfaisbtel' Englands das Werk des Hra» Prof. Huber
sein mufs. Wir mochten es überhaupt nicht blofs de-
neu, die sich für die Geschichte der Universitätea and
der LftMafnr tmerettif^, sondem l^ensugsweiBe Junge*
re» BistoHkem* empADMen^ die in der Leetftre desseh
Ben. taüsendfültige Förderung finden werden ; finden wer««
den «rottriftgsweise durch die Psfrtieen, die wir am Ein»
gange dieser Relation um der rrinen, gedräogtea Um-
risse ä^ Gegeitttandes des Buches im engeren! Sinne
iniHefk Wegwüneehten } denn diese Erörterungen Übe«
das, worauf es bei Mstorisehen Damtelhflfigen überhaupt
wesetitRcfa ankomme, weldie Lftcken noch ausaufüilen
seien, welche Partieen der Yerf«, vnd wamm er sie
von seiner Arbeit abschneiden müsse, sind zugleich ein
reicher Sebats von Winken und Belehnrogen über-Ge»
schfichtsforscbung utid Geschichtsschreibung y wie mmi
Ihn nirgends, wo dergleichen im Allgemeinen und ex
prefesso abgethsn wird, beisammen findet
Dalk wir Um. Professor Haber vollkommen bei*
stimmen, wemi er die Schuld der unseligen Zustände
der englischen Rebellion nicht Karl 1, sondern der Re^
giening Jakobs und vor allen der Regierung Elisabeths
beimifst, versteht sieh von selbst. Freilich ist in ge-'
wissem Betracht Elisabeths Regierung etn Glanspunkt
der englischen Geschichte, nnd auch de» Univeiaitälen
bat sie aufserordendiche Förderung gebracht, wie an
mehreren SMIen (namentlich 11^ & 40) ausgeführt ist;
aber dieser Glanz ist in der That nur äafserlich, und
dafs Elisabeths Regierung gerade naeb den bedeutmid*
sten Seiten hin, nach denen^ wo geistig organisches
Whrken nothweodig gewesen wäre, nur ein elehdes
jaste mifien ist, dafs die Tbätigkelt der elisabethani»
sehen Zeit grorsentheils nerr materielles Mittel ohne
wahren geist^en Trieb ist, wird ven Jahrzehnt su
Jahniebeht allgemeinere Anerkennung in der Historie
finden. Eine Zeit, die, statt tiefe, innere Gegensätze
ztr befriedigen, gründÜcfh zu besettigen,' zu hmlen, doch
nichts thut, als die Wunden fiiifserlich ausuhalten, so
dalsr sie i|[aeii innen, nach den Melstcfn TheÜen hitf^
immer giftiger eitern, verschleiert und erzieht nur das
Verderben, Was dann iri aller StBte ein Mars errelchr^
mit dem es endlich uoaufhritsam herausbricht. Die
Physiognomie dieser Yeradileiemn]^, so weit die Uni»
versitäten darren TheO hatten, Üt (S^ 87 und 88) \6t^
ireffllcb geschildert. Wir woHeft uns aber auf diese
Din^e und Oberhaupt knl <fie neheren Phasen des eng^
lischeti Universitätslebens nicht näher hier einlassen,
um die Gefahr zu vermeiden, zugleich auf manche un-
serer gegenwärtigen deutschen Zustände eine Satyre
815
M.
%M
^Ußnwh
Bd. /,
9»
Bit «direiben. Yielas bat ^mt xu fpoU» Aa^og»«, \aA
exeoipla wäre» »u allen Zeitan odiosa. Um den Be»
web £u fulirans wie viel Grund au soldiem Verfoiiren
für Ref. vorhauden 1*1, fcegnü|;t aich denldlbe) nur nocif
ewei treffliche Bemeritungen (auf S. 122 und 1^) dea
Verfs. -auszuheben, die folgendermafsen lauten : — ^e*
denfall« i«t noch ein Jummelweitcr Unterschied swischen
dieser bittersulsen Frubht der Relormation und den
Verbftltnifs, •'welches unsere Zeit bu gebären droht
«sid beginnt, indem sie. auch hier den Staat an die
Stelle des Flirrten eet%t. Diesen Unterschied und
was die Kirche dabei zu verlieren hat, nachzuweisen,
ist nicht meine Aufgabe. Bedeutungsvoll scheint mir
auch hier das Streben, an die Stelle der Peraoalichkeit
^ eine s. g. Idee, Begriff, Abstraotion^ System zu setzen
-^ «twas scheiabar Udheres, AUgemeineres, Freieres,
was sich aber eigentlich nur dadurch empfiehlt, dais
et mit der eigenen Persönlichkeit zusammenfällt, und
der Selbstsucht den freiesten Raum läfst. Hat dieses
. TasehempteleretUck auf dem Gebiete der Lehre so
viel Glüdc gemacht, so dürfen wir uns nicht wundem,
es nun auch, auf die Kvcbenverfassung angewendet zu
sehen.'" — ,,Die Wirkungen dieses Giftes (heuchleri-
scher Schmeichelei) nicht zu gering anauscblagen,
möchte xumal in Mneeren Tagen Noth sein. Wenn
man mancher Orten in jener Art von Schmeichelei noch
nicht ganz so weit gebt, als es unter James I der Fall
war, so ist es schweiüch das Verdiefist der Schmeich*
1er — vielmehr das der Forsten, mit denen sie es zu
Üiun haben, und der Zeit, Welche zwar eben i^cht mehr
religiöse^ IdccliUche, sittliche oder männliche Würde,
aber jedenfalls melir ^Geschmack und Takt fordert. In-
dessen verdanken wir derselben Art von Gesinnung und
Bedürfnifs in neuester Zdt eine Erfindung, welche al-
ler dieser Rücksichten zu ttberfaeben scheint. An die
Stelle «tes Fürsten setzt man den Staat, und dieser wird
in einem gewissen pseudo-philosophischep Jargon mit
so schamlosen Lobpreisungen ttbeischüttet, wie sie sich
noch nie an einen Fürsten gewagt haben. Natürlich
bleibt es dm Personen des Staats unbenommen, sich
so viel -oder wenig von dieser suisei^ Kost anzueignen,
als sie verdauen können '— und noch weniger meint
man ihrer eveatueUen Dankharkelt Grenzen su setcen."
Heinrich Leo«
» -'
ilian Pirinx zu Wi^j JReita m dsi «h
nere Nord-Amerika tndM JalÜren 183&-«*18li
Mit 48 Kupfern , 33 Vignetten , vielen Buh-
schnitten und einer Charte. Erster Band. C^
blenz, 1839. 653 S. 4.
Wer kennt nicht die lebharten SthiMerungra Aa^
siliens, wer nicht die prachtvollen und haturgetrcM
Darstellungen der üppigen Natur jenes Landes, vMs
uns einst Prinz Maximilian übergab.? Derselbe (unA'
che Reisende legt uns jetzt den Berieht seiner ssig^
dehnten Reisen in das innere Nord •Amerika ver, «d*
eher noch glänzender ausgestattet ist, als die engMAifi-
reiche Reise nach Brasilien« Zwar stad schea sekr
viele Reisebeschreibungen über Nord •Amerika ersdssi
nen, aber eine naturhistorische, wie die vorliegiD4i^
noch nicht, welche ganz besonders fOr dfa Zoologls da
reichste Ausbeute liefert, denn es ist immer nur ehisekr
seltener Fall, dafs so erfahrene Natvrforsetter vriePiiu
Maximilian, und unter so glücklichen TerhahatssOi
selbst von einem geschickten Maler begleitet, so grsl^
artige Reisen ausführen können. Leider traf den &
folg dieser Reise ein hartes Unglück, weiches die Ni*
turwissenschaften schwer -SU betrauern haben; dergrttk
Theil der kostbaren Sammlungen aus den «ntferatcslai
Gegenden des Missonri ging verloffsn. Die Ki«ii
welche dieselben enthielten, wairen der Compagnif lor
das nach St. Louis bestinraite Dampfscliiflr übergebfls^
aber nicht versichert wordesi, und man hatte vidUek
bei dem Brande des Dampfschiffs mehr auf die Bettosg
der Waaren, als auf die der Kisten KSckaioht gsas»
men, deren Inhalt dem Kauftnanne nicht von besonde-
rem Werthe ersolieineii mochte, und so verimmntsa ik
sämmtlich.
Am 4. Juli 1832 landete Prinz Maximilian bei Is-
Ston in Massachusetts und betrat hier zum zweiM-
toal den Boden der neuen Welt, er riehtele dsm
seine Reise nach New - York; von da Ikber New - BfVBf-
^ck , Trenton und Bord«Bt6wn in New* Jersej, ascl
Philadelphia in Pensytvanien. Dann über IVeft«K
BetMehem, Eastonden Delaware Flnfs hinauf mtdtism
Pokono und durch die Blue- Mountains und das Sm*
qnehanna- iinil Lehigh (Leeha)-Tlial nach Bathldiaa
(Die FdttgVtzang folgt.) '
s
103.
Jahrbücher
für
w i s s e n s c h a f 1 1 i c h e Kritik.
Juni 1840.
m
9P
Masimtlian Prinz zu Wied. Reise in das m*'
nere Nord-Amerika in den Jahren 1832 — 1834.
(Fortsetxaog.)
Von hier aus ging*« über Kutztown, Reading am
Sbujikill-Fhisce und dem Union-Canale nach Harrisburg ;
von da den Juniata-Flab entlang, über da« Aleghany-
Gebirge nach Piitsburg; von hier nach Wbesllng am *
Obicfy von wo die Reise den ganzen Flufs abwärts bis
Mount-Yernon und New^Harmony am Wabasch ging,
^o der Prinz überwinterte. Die Fortsetzung der Reise
geschah im Frühjahre 1833 den Ohio hioab in den
Missisippi.und diesen abwärts bis St. Louis unweit der
'Vereinigung des letztern mit dem Missouri. Von St.
Louis fuhr der Prinz den ganzen Missouri-Strom liin-
aüf) anfänglich durch grofse Waldungen und später
durch die ausgedeiinten Prairies des tiefen VTcsten, bis
nach Fort Makenzie, in der Nähe der Wasserfälle des
Missouri und der Rocky- Mountains, eine Entfernung
von beinahe 1000 Stunden von St. Loub. Dia Rück-
reise erfolgte auf demselben Wege, über Fort Unio^
nach Fort Clarke in den Dörfern der .Mandans, wo
der Prinz den zweiten Winter zubrachte. Von da setzte
er die Reise im Frijfajahre 1834 bis St. Louis fort, dann
auf dem Missisippi hinab bis zur Mündung des Ohio^
schiffte diesen Flufs hfnauf bis Mount-Vernon^ von wo
er sich nach New-Harmony am Wabasch begab, von
da nach Vincennes- und alsdann quer durch Indiana
nach Albany und Louisville am Ohio, von wo die Reise
wieder aufwärts bis Portsmouth am Soioto-Flusse ging«
Ton hier aus wurde sie nordlich durch den ganzen
Staat Ohio auf dem Ohio-Canale fortgesetzt, über Chil-
licothe, Circlevilje, Newark u. s. w. bis Cleavelaudj
wo der Canal in den See Erie eintritt« Auf diesem
See ging die Reise weiter nach Buffalor und zu den
berülimten Wässerfällen des Niagara, alsdann den 350
Meilen (Engl.) langen Erie-Cänal entlang durch den
Jahrb. f. tffUsenich. Kritik. J. 1840. !• Bd.
Staat New» York bis Albany am Hudson tindaufdier*
sem Flusse abwärts nach New- York. Diese, gailze
Reiseroute ist auf der Charte mit einer ^othen Linie
bezeichnet $ die Reisecharte selbst ist Yom Hm. Oberst-
lieutenant W. Thorn angefertigt und zwar nach der
neuesten grofsen Charte der Vereinigten Staaten Fon
Nord- Amerika. von H. S. Tanner^ welche 1837 heraus-
gegeben ist. Verschiedene authentische Quellen, so wie
des Prinzen Tagebuch liaben manche Berichtigungen
dieser Charte veranlafst.
Es war- das grofse Independence-Fest, als der Prine '
zu Boston an das Land trat, und die bunte Bevölkerung
der Stadt Wogte in den Strafsen auf und nieder, doch
statt der ursprünglichen amerikanischen Bevölkerung
war nur ein Gemisch von Weifsen, aus allen Nationen
Europas bestehend, und aus Schwarzen zu sehen. Ob-
gleich ein grofser Theil der Amerikaner viel von den
Gepräge der Engländer an sich trägt, so sollen- sie
sich doch auch sehr wesentlich von diesen unterschei-
den. Das Charakteristische der englisc^hen Gesichtsbil-
dung scheine in dem fremdartigen Klima Amerikas ver-
schwunden zu sein; der Korper der Männer sei mehr
schlank und von höherer Statur; ein allgemeiner Aus-
4ruck der Physiognomie scheint zu fehlen, und das
weibliche Geschlecht sei zierlich, habe schöne Züge,
dabei aber häußg eine Blässe, die eben nicht auf ein
gesundes Klima oder auf gesunde oder zweckmäßige
Lebensart schliefsen liefse. In dem Gasthause halte
der Prinz sogleich Gelegenheit, so manche neue^ von
den europäischen, abweichende Gebräuche iLCnnen zu
lernen, welche gerade nicht zum Vortheile der uns so
häufig angepriesenen grofsartigen Gasthäuser Nord-
Amerikas gereichen mochten. Die Zimmer sind klein,
enthalten sämmtlich Betten; die Efsstunden sind be-
Stimmt, dreimal des Tages und aufser dieser Zeit kann
man nichts zu essen bekommen. Eine Menge von Men- '
sehen, welche in den Gasthäusern essen, belagern das
103
819 M. Prinx zu fTied, R^ite
Haus tehon vor der bettiminten Stund« md axfS das
mit aiaer Schelle gegebene Signal stiireen sie in wildeia
Gedränge in den ElÜBsaal; Jeder nimmt die Speise, die
er «ueitst erreichen kann, .und in 10 Minuten ist aU^s
verzehrt; mit laconlschem Stillschweigen, steht mänvem
. Tische auf, aber leider nicht etwa der vielen Geschäfte
wegen, sondern weil nichts mehr zu essen da ist und
es auch nicht Mode ist zu sprechen, um sich zu unter-
halten. Ja die ungeheuere Menge ron müfsigen Gent-
lernen, die in und tot den amerikanisciten Gasthöfen be-
ständig zu finden sei, bilde sogar einen Uaupt-Charak*
terzug derselben. Am Abende des Independenee-Fesfes
hatte sich die ganze Bevölkerung von Boston auf dem
Spaziergange (Commons) versammelt und gewährte ei-
nen interessanten Anblick, indem sich , reich und arm,
iia den elegantesten Anzügen, auf »dem weiten Grasbor
den niedergelassen hatte, der Yankeedudle wurde überall
'gespielt, Austern geschmaust und Festlichkeiten aUer
Art begangen, doch nirgends beobachtete man in dieser
bunten Tersammlung Unanständigkeiten oder Lärm.
Boston hat manches Sehenswürdige, unter diesem
das New-England-Museum als eine zum Theil natur-
historische Anstalt, wo aber die Erwartung der Frem-
'den sehr betrogen wird. Diese sogenannten Museen
aller gröfseren Städte der Vereinigten Staaten, des
Peales'sche zu Philadelphia etwa ausgenommen^ sind
Anhäufungen von lallerhand verschiedenartigen Curiosi-
täten, zum^ Theil von höchst sonderbarer Auswahl.
Hier findet man Naturalien, ängstliche verzerrte Wachs-
figuren, .mathematische, u. a. Instrumente, Modelle,
schlechte Gemälde und Kupferstiebe, Carricaturen, ja
sogar die kleinen Bilder unserer Mödejournale u. s. w.
aufgestellt und bunt durcheinander aufgehäuft. Unter
den^Tbieren befanden sich einige interessante, aber ohne
weitere Nachweisung-und ohne Namen. Diese Samm-
lung war in meliren Stockwerken eines hohen Hauses,
in winkligen Gängen, Zimmern und.Kämmerchen auf-
gestellt, durch viele Treppen verbunden und zur An-
lockung des Publikums liefs man einen Mann während
der Besuchszeit Ciavier spielen, welches Concert ei-
nen europäischen Naturforscher wahrlich schlecht er-
bauen mufs. '
Auf der Reise nach Providence, wie in so vielen
andern Gegenden, hatte der Prioz die Gelegenheit zu
beobachten, dafs *das weibliche Geschlecht in Nord-
Amerika einen sehr groCsen Luxus in der Kleidung
nach Nard'Amerika. Bdi /.
^ibt» der noeh ^eit aber den der Minaer daselkt
geht. Ueberall auf dem Lande, waren die kkuiea
Wohnungen auch noch so irmlich , bemerkte mas
doob das weiblich^ Geschlecht höchst elegant in s«de>
neu Kleidern und nach den neuesten Moden, was oft
seltsame Contraste bildete. Kleine Bauem-Banl^wapi
rollen dem Reisenden vorbei, auf weljphen nebeo dca
Eigenthümer, der den Zügel fuhrt, die in Seide bdcbt
elegant gekleidete Land -Lady mit langen ScUeisi
am Hute sitzt Die Sitze sind oft mit schwarjsen Bäto^
Fellen bedeckt, welche man hier zn 8—10 DelL kssft.
Ja zu Providence .bringen die Feld- und Wald-Ladyt
in seidenen Kleidern und grofsen bescbleierten Strok-
hüten ihre Milch auf kleinen Bank- oder Leiter- Wigm
zu Markte! Allerdings zeigt dieser Luxus von mm
gewissen Wohlstände und es ist gegründet, wie fa
Prinz sagt, dafs nmn in' diesem Lande weder Arme Bod
Bettler sieht, indessen es fragt sich gar sehr, ob dies«
Zustand für die Länge der Zeit wird bestehen kdoBCB.
Rec. macht nur auf die -gegenwärtige beispiellose Geid-
krisis aufmerksam, welche eine unglaubliche Noth vs*
ter dem gaüzen wohlhabenden Handelsstande herbei-
geführt hat und einem vollständigen National -Bsiikfr
rotte. gleicht, eine Erscheinung, welche man als eiae
natürliche Folge eines solchen ganz uneingeschräafcta
Handelsverkehrs, verbunden mit Patentunwesen orf
unbeaufsichtigtem Speculationswesen, ansehen kann. Bi
war ein, durch Speculanten künstlich in die H5he ge-
schraubter Zustand, der sich für die Dauer nicht erhal*
ten kann, und nun zeigt sich auch jene vielgeprieseoe
Regierung viel zu schwach, uni den Folgen einer sol-
chen Crisis begegnen zu können.
Yielfach hatte man über vemaehläfsigte Obst-Cat
tur zu klagen; Aepfelwein oder Cyder ist jedoch aud
dort gar sehr im Gebrauche und in den Gärten jener
nürdlichen Gegenden sah man sich vergebens naeh ei-
ner fremdartigen Vegetation um, überalt waren Bivm
und Blumen der europäischen. Auf der Reise Ober
New- York nach Philadelphia Wurden viele sehr reizende
Gegenden bemerkt und auch eine jeiier langen, bedeek»
ten hölzernen Brücken passirt, welche über den Dell*
wäre führen und schon von vielen Reisenden besehriebei
sind. Von dem Secten- Wesen zu Philadelphia wU
man einen Begriff bekommen, wenn man hdrt, dsb
daselbst im Jahr 1^34 an 87 Kirchen und Bethisser
vorhanden waren : 17 der Presbyterians, 4 der Befo^
821 M. Fr%n% im Wied, Reue
med Presbyterhrns, 12 EpisoopaHans, 8 der Baptistar, 5
der Roman-Catolies, 12 der Methodists*EpIscopaliahs,
4 Lutherians, 1 Swedish, 2 der Reformed Dutch, 1 der
German Reformed, 1 der lodependeats, 7 'Meetingliou-
n»^ der FreiadB (Qaäker), 2 der Universalists, 1 der
UnilariaM» 1 der Swedeiibergians, 1 der Chrtstfans, 1
der Bible Christians, 1 der Moravians (Herrnhuter), 1
der Menonists, 1 der Cliurch of Gad, 3 (ur Seeleute
und 1 Juden-Synagoge. . In einfgea Theilen von Phi-
laddphia wird beinahe ausschliefslich deutsch gespro«
dien \ die Stadt eolhlelt 1834 80,406 weifse Bewohner
mnd 59,482 aehwarxe und 1082 ward diese Stadt der
Qu&ker erst gegrShdet^ Zu Bordentown bestanden die
Alleen aus Robinien, Broussonetien, groEsblättrigen Pap-
peln, die ein aromalisches Harz (!) ausscliwiizten, Thrä-
nenweiden und Hybiscus syriacus, die hier prachtvoll
geddfat. Unsere Stubenfliege fand man dort in noch
weit grSrserer Menge als bei uns, die Schwalben suid
dagegen weniger zahlreich als in Europa. Auch dort
wächst oberall der Stechapfel, von dem wir ^bekannt-
lich glauben, dafs er von Indien zu uns gewandert ist«
&— 6 Eichenarten, verschiedene Wallnur«bäume, Buchen,
Kastanien und Cornus florida bilden den dichten Wald
bei Bordentdwn, dessen Unterholz aus Rhododendron
maximum, Kalmia, Rlius und Juniperus zusammenge-
aetat ist« Um die Kiefern schlingt sich der 5blättrige
£phett und um die Eichen der wilde Weinstocic (Vitis
labnisea). Mit Verwunderung hört man, dafs es in
Tielen Gegenden Pensylvaniens nicht mehr viel Jagd
glebt, denn aufser dem grauen Fuchse, dem pensylvani«
sehen Murmelthiere und einigen Eichhörnchen haben
die Eingewanderten Alles schonungslos zerstört. Zu
Freibiirg machte der Prinz die Bekanntschaft eines Dr.
Saynisch au Bethlehem, der .sich daselbst schöne natur-
historische Kenntnisse erworben hat. Ungemein reich
WJir die Ausbeute an Amphibien und besonders an
Schildlcröten, und Nord-Amerilca* ist wohl das Land,
wa die Familien an . Arten und Individuen am zahl-
reiehsten vorkommen. Die Jungen von Emys serpen^
Cina bissen um sich, so wie sie aus der Eihülle befreit
waren. Auch bei Bethlehem sind, die gröfseren Wild-
arten verschwunden; ehemals war das weite Pensylva-
nien, eiir Staat von 44,500 Q Meilen, ein zusammenhän-
gender Urwald, der aber in kurzer Zeit durch die Menge
der zuströmenden Ansiedler gelichtet wurde. Auf Stink-
thiere wurde Jagd gemacht und die Hunde bissen die
naek Nerd-Ameriea. Bd. /• 822
Thiere todt und waren zuwMleo ein wenig parfQmirt«
s Die Nachrichten von dem Übeln Gerüche des Stinkthie*
res hält der Prinz für etwas übertrieben, er hielt ein
halberwachsenes Stinkthier gezähmt in einem Kasten^
welches nie den muideslen Geruch verbreitete, und blob
in- der Angst werde das Stinkthier den Geruchanervea
unangenehm. Rec. kann dann auch bezeugen, daGs das
Fell eines zu Copiapo in Chile geschossenen Stinkthie-
res noch 14 Tage nach seinem Tode so furchtbar un-
i^genehm.roch, dafs man es nicht verpacken durfte*
Die Reise nach dem Pokono, worunter man die
grofste Höhe des Kammes der Blauen Berge versteht,
fahrte zuerst in noch ziemlich wilde Gegenden, wo je-
doch die Waldungen ebenfalls durch Waldbrände viel
gelitten haben. In dem wilden Walde bilden Rhodo-
dendron- und Kalmia-Arten ein dichtes Unterholz, über
welchem dicht gedrängte Eichen-, Kastanien-, Wall-
nuGsbäume u. a. m. und Tannen und Kiefern gemischt
sich erheben. Auf der Höhe findet sich ein Unterholz
. von niederen Eichen und Kastanien^ und hier, eröffnet
sich eine imposante Aussicht auf ununterbrochene WaU
düngen, welche auf einander folgende Gebirgs- Rucken
bekleiden.
(Die FoTtsetzoBg folgt)
LXIV.
Friedrich der Grofie und seine IVidereacher. Eine
Jubelsehrift. Fon Kurl Friedr. Keppen. lieipr
^ig^ fVigand, 1840. 172 S. gr. 8.
Das Andeakon Friedrichs des Crfofsen, seit etwa sehn Jah-
ren mit enieDtem Aufschwung in Glänze seiner wahrhaften Ge-
stalt unsren Angen emporgerufen, hat in {fterraseh ender Weise
die Gesinnung und Liebe der Zeitgenossen erweckt, uäid dies
nicht nur innerhalb des Volkes, das dem grofsen Könige nament-
lich angehört, sondern ancli der Qbrigen Deutschen und. nicht
minder des Auslandes, das ihm schon ttei s^iinen Lebzeiten mit
Jenem wetteifernd gehuldigt hat. Auf allen Seiten erbebt sich
neuer Antheil, neue Begeisterung für den Regenten, den Feld-
herm, den lehrreichen Schriftsteller, den ste«ngenMichterfilller,
den Menschenfreund, — ja man kann sagen, sein wiedererstande-
nes Bild hat in den kritischen Zeitläuften der letzten zehn Jahre
das Königthnm stiirken helfen, ihm Bekenner und Freunde goi-
worben nah und fern !
Es ist keine Frage, die erste Anregnng dieses Wiederaufle-
bens der denkwürdigen und einflofsreiehen Gestalt ist dem be*
seelten Eifer und Fleifse nnsers wackem Preufs zu yerdanken,
dessen Lebensgeschichte des greisen Königs eine der tüchtig-
sten und.ehrenwerthesten Erscheinungen ist, welche die neuere
S23
KBppen^
der ^ Cfrofie Ufid (ieine 1Vider%äQher%
824
GescfaichteohreibHiig anfzuweiieD hat Doch nieht nnr die erst^
Attregtang allein, senderu auch dea fortgesetzten Nachdruck nnd
die ersprießliche Nahrung hat der treffliche Mann dem erfolg«
reich Begonnenen zugewandt, und der ganze gewaltige Geschicbta-
^toff ist Yorzagsweise von ihm seither gehoben und getrageA
worden. Eine der schönsten Wirkungen seines unverdrossenen
Eifpts war die, dafs er nicht nur selber, sein Werk weit Ober
4en ersten Entwurf erheben konnte, wie eine zu erwartende
nete Auflage bald darthun wird, sondern dafs auch Andre, wel-
che das^ Bild Friedrichs in irgend einer Weise schildern oder
heranrufen wollen, nun bequem und sieber aus den reichen
Quellen schöpfen k($nnen, die so glUcklich eröffnet, rereiuigt und
geläutert sind.
Denn bei so allgemeinem, vielseitigem Gegenstande, an wel-
chem die versishiedensten Klassen und in den verschiedensten
Beziehungen Theil nehmen, ist das Bedürfnifs mannigfach und
wandelbar, und mit Einem Bilde keineswegs zu befriedigen ; die
eherne Statue schliefst den Kupferstich nicht aus,^ .dieser den
Holzschnitt nicht, und innerhalb jeder dieser Arten ist wieder
idie gröfste Mannigfaltigkeit so zuliissig als erfreulich.
Niemaijid kann dies Verhältnifs mehr anerkennen, und bereit-
williger zu allem die Hand bieten, was die Friedricbs-Litteratur
mehrt, als derjenige settist, der nun für lange Zeit der Mittel«
punkt derselben geworden ist. Nocli erst vor kurzem hat er,
bei Gelegenheit des Unternehmens der Herren Kugler und Men-
del, seinen reinen, nur stets auf die Sache gerichteten Eifer auf
das schönste bewährt, und das löbliche, in gutem Sinn und mit
bedeutendem Aufwand begonnene Werk empfohlen und geför-
dert. Auch wir stimmen dieser Denkart aus vollem Herzen bei,
und bewillkommnen aufrichtig jeden neuen Versuch, jede neue
Gestalt und Wendung, wodurch der Name Friedrichs verkiindet
wird. Wir gestehen gern, dafs wir hiebei nicht eben jedesmal
neue wissenschaftliche Ausbeute oder aufserordentliche Auffas-
sung und seUuco Glanz der Darstellung erwarten, sondern in
solchem Betreff nicht streng sein und Schwächen uud Mängel
mit Nachsicht durchlassen wollen, sofern nur sonst -redliche Mei-
nung und irgend ein richtiger Zweck in dem Geleisteten zu er-
kennen ist. Wo jedoch jene zweifelhaft wird, und dieser fehlt,
oder an seiner Statt ein verkehrter hervortritt, da haben wir
keinen Grund mehr zu Nachsicht und Milde, da fordern wir mit
Ernst Rechenschaft, und sprechen das Urtheil ohne Schonung.
Die Kritik hat gewifs mehr Genugthuung und Ertrag, wenn sie
Verdienste anerkennen und preisen darf, allein sie würde ihr
Amt unvollständig ausiiben, wenn sie nicht auch, so oft es nö-
tliig, den Sehein und die Anmafsung zurückwiese, wenn diese
dreist und verdfeostlos sich vordrängen.
Der Leichtsinn und die Unzulänglichkeit, mit denen ein sOnst
geistvoller und kenntnifsTeichcr, aber diesmal tief unter seiner
Aufgabe gebliebener Schiiftsteller die frühere Geschichte der
Mark Brandenburg zu schreiben unternommen bat, sind in die-^
sen Blättern so eben durch einen gewissenhaften und strengen
Gesehicblsforsoh^r *mit gerechter $iliHrfe gerügt worden, ^'ir
haben hier ein nicht minder strenges Strafwort aber die vorlie-
gende Schilderung Friedrichs des Grofsen zu sagen.,
Daä Ganze Jst eine hohle Deklamation, echwUlstig unl'leer,
aus niederem Standpunkt und geringer Kenntnifs, unter doi
Deckmantel einer Lobrede für den grofsen König nur eine rtU
Anfeindung derer, die hier. willkürlich nnd fibertriebea als leisi
Widersacher angenommen werden. Die^e Widersacher, des YCi
eigne Worte mögen sie bezeichnen: „Wer kennt sie nicht,—
heifst es S. 2 — die unsaubem Geister, die ganz emstUch dca
Göttern des Lichts das Garaus machen wollen, und die vh
noch kürzlich für längst überwunden hielten % Es ist als ob du
ganze Hölle sich aufgethan habe, um noch einmal die Walp»
gisnacbt des Mittelalters, wenn' auch mir ab Farce zu repelip
•ren. Aus deU -Grüften und Kluften ^.riecht es hervor in tolira
Gewimmel;. aus allen Morästen grinzen Basilisken, glaubensseli^
Frösche quaken aus allen Pfützen; hinter jcäem Dickicht laa*
sehen katholische Wölfe in Schafskleidern and protestaoliscll
Schafe in Wolfskleidern; die alten ßurgveriiefse 6'ffoen sicbi
Nachtculen flattern um die Kircfathürme, und die Jesuiten w^m
sich vergnügt die Hiüide und wünschen uns : „Cricfea M^rgenlT
Man sieht, es ist eine Kapuzinerpredigt zu Gunsten der Aufkli^
rung^ denn in solch ekelhaftem, nichtssagendem Stile gebt n
fort und fort, gegen die Pfaffen, die Jesuiten, gegen Haller, ge-
gen Leo. \yahrlinftig, wenn so leeres und schwaches Zeng die
Sache des Freisinns und des Lichts vertreten milfste, so stasdi
es schlimm; und der grofise, König zuerst würde jede Gemetaii
Schaft mit solchen Leuten verneinen. Er wufste Geist nud
schmack besser zu schützen, als dafs ihm dei^leichen Anwil
hätten gefallen dürfen; und wenn Pfaffen und Jesuiten sth
Feinde waren, so hätte er gewifs unsern Verf. am liebsten
deren Seite gesehen und deren Lob auf solche Weise geholt!
Von eigner Forschung und neuer Ansicht der Tbatssi
findet sich übrigens keine Spur; der historispbe Stoff, so
er namhaft gemacht und herangezogen worden, ist aus den
gemeinen, verarbeiteten und geordneten Vorratliskammem
holt, wobei der Verf. diese jedoch am liebsten Terscbweigt,
auf einseitige, rohe^ untergeordnete Hülfsmiitel zurückgebt,
sich den Anschein zu geben, als habe er wirklich so g
•Studieta im Einzelnen gemacht. Wenn er hierin manchen
stehenden und berühmten Historikern zu folgen meint,
man bisweilen vorwerfen kann, in Absicht ihrer Hulfsquelles
zu verfahren, und diejenigen am wenigsten zu nennen, die
zuerst und hauptsächlich nennen sollten, weil sie ilinen das
ste verdanken, so hätte er besser gethan, sich zu merken,
dergleichen neidischer und übelwollender Tic auch jenes W^
nem nicht ungestraft hinzugehen pflegt, am wenigsten aber o
Nachsicht .findet, wo keinerlei Verdienst, sondern nur hau9
Mangel zu Tage steht '— .
K. A. Varnhagen von Ease.
J a h r b fi c h e r
für
wissengichaffliche Kritik.
Juni 1840.
Maximilian Prinz zu Wied^ Reite in das in*
^nere Nord-Amerika in den Jahren 1832 — 1834,
(Fortsetzuog.)
Der PokoDo liegt io der zweiten Kette der
Blauen Berge^ welche die östlichste der AIleghany-Ge*
birge bildet Die Gegend ist überaus reich an schon^
blühenden und interessanten Pflanzen, von welchen viele.
bei uns als Pracht-Pflanzen gezogen werden ; eine Bei-
lage zu diesem ersten Theile des Reiseberichts entliäU
ein Veizeichnifs der von Urn. y. Schweinitz auf dem
Pokouo |>eobaGhteten Pflanzen, welches weit, über 200
Arten enthält.
Auf allen diesen Reisen muCste die traurige Be-
merkung gemacht werden^ dafs das Branntweintrinken
in Amerika unter der gemeineren Menschenkiasse weit
mehr im Gebrauche ist als bei uns, und auf dem Po-
kono war diese Gewohnheit unter den Bauern gaiis
besonders im Schwünge« Der Haupterwerb der Be-
wohner jener Gegenden besteht in der Fabrikation der
Dachschindeln, welche aus dem Holze der Weymoutbs-
Kiefer gemacht werden, wozu sie das meiste Uols
stehlen sollen. Bin Arbeiter kann an einem Tage 3—
400 Schindeln verfertigen, wovon man das 100 auf der
Stelle mit { Dollar bezahlt und auf grofsen ^sp&nni-
f en Bauernwagen verfährt. Auf der Reise nach Mauch-
Cbunk fand man am Salomon-Creek die schdne Lalulia
eardinalis an Sumpfstellen des Waldes in solcher Men-
ge, dab die Masse ihrer Blumen eine schöne rothe
Fläche bildete.
, Eine interessante Beschreibung erhalten wir von
den Steinkohlen-Gruben bei dem Dorfe Manch -Chunk
im engen Leoba-Thale, woselbst 800— 1000 Arbeiter
beschftfttgt sind) schon hat man mehrere Eisenbahnen
nach diesen Werken angelegt und Kanäle g^raben,
um das schone Produkt zu verschiffen. 9 engl. Mei-
len von. dem Dorfe liegt das Hauptwerk auf einer Uö-
Jahrb. f. uniientch. Kriäk. J. 1840. 1. Bd,
he,, zu welcher eine Eisenbahn binauflfiihrt; der Weg
ist in den Hang eingegraben und die Reisenden wer-
den in einem besonderen Wagen mit 2 Pferden hinauff>
gesogen. Die Kohlenwagen sind von ^ starken Balken
und Bohlen erbaut; jeder fafst 2 Tonnen Kehlßn, und
es fahren jedesmal 45 Wagen zugleich, und dieses täg-
lich 5mal, so dafs täglich 450 Tonnen Kohlen nach
dem Dorfe geschafft werden. Sieben Wagen sind mit
28 Maulthieren beladen, welche ruhig fressend mit dem
Kohlentransport die Reise herabmachen und später die
leeren Kohlenwagen bergauf ziehen müssen. Die Gru-
ben in diesem Hauptwerke sind 300 Schritte lang, 150
Schritte breit und wohl 30 Fufs tief, tind nach Oben
gänzlich geofliiet. 130 Maulthiere wurden zum Trans-
port der Kohlen benutzt. Die Kohle, welche hier ge-
brochen wird, ist nach den Mittheilungen des Dr. Say-
nisch eine musselige Glanzkohle, eine Formation, die
sich, so viel bis jetzt bekannt ist, nur im Staate Pen-
sylvanien in zwei nicht weit von einander entfernten
Abtheilungen, zwischen dem Sharp - mountain, etwa 10
Meilen nordwestlich von den Blue-mountains, und dem
Susquehana-Flusse findet. Die Abtheilung am Susque*
hana soll 3^5 Meilen breit und 60 big 70 Meilen lang sein,
die andere nimmt den ganzen Broad-mquntain ein, ist
60—70 Meilen lang und 3—10 Meilen breit. Die For-
mation besteht, aus vielen von einander getrennten und
unabhängigen Koblenlagem, welche 1 — 30 Fufs mächtig
sind, und sämmtlieh ein gleiches Streichen von N0> nach
SW., zum Theil nach S. haben und meistens unter 40
bis 55^ N. sich verflachen. Einige Stellen des Werkes
enthalten Abdrücke vor weltlicher Pflanzen, welche auc^
in den Kohlenlagern Europa's vorgefunden sind, näm-
lich Odontopteris Brapdii, Calamites approximatus, ein
Lyriodendron Stemb, und ein dem CyaXheites. Schlot-
beimii ähnliches Farrenkräut. In dem die Kolilenfor-
mation begleitenden Sandsteine finden sich ebenfalls
Abdrücke von Palmblättern u. s. w. Der Yerbraueh
104
827
M. Prin» %u ff^iedy Reue ntich Nord-Amerika, Bd. I.
828
dieser Kohlen steigert sioh mit jedem Jalire ; 1825 wur-
den 40000 Tonnen verbraucht und 1832 schon die
Summe von 300000 Tonneu. Die Tonne dieser Koh-
len wird KU 75 Cents aus den Gruben geschafft, aber
gu Philadelphia nie unter 4^ bis 5 Doli, und zu New-
Yorlc nie unter 8 Doli, verkauft Verschiedene sehr
sinnreiche Maschinen sind noch im Bereiche jener Koh-
lengruben von Mauch- Chunlc zu finden, und der Me-
chanismus einer interessanten Schneidemühle wird um-
ständlich mitgetheilt.
Auf der Reise von flb^nsburg nach Pittsburg war
das Land unausgesetzt ^mit geschlossenen Wäldern aus
Laub- und Nadelholz gemischt bedeckt, Buchen mid
-Tannen zeigten eine aüfserordentliche Höhe ; an der
Grenze der eigentlichen AUeghanys nimmt jedoch der
Wald einen andern Charakter an: Eichen (Q. coeci-
nea, rubra, alba, tinctoria, priiios), Kastanien, Robinien
u. a. Baumarten treten ah die Stelle der Tannen und
Buchen« Im Tfaale war das Gebüsche mit Ellern (AI-
nus crispa) und Populus tremuloides gemischt, Nyssa
sylvatica, Magnolia acumlnata, Kalmia latifolia, der
'Sassafras, Querciis prinos durchrankt mit wildem Wein,
Smilax und Hedera quinquefolia fand man daselbst.
Im October fand man den Ohio bei Pittsburg so flach,
dafs er nicht mit Dampfschiffen befahren werdeii konn-
te, und -man reiste deshalb zu Lande nach Wheeling,
wo sich der Prinz einschiffte, um sich nach Mont-Yer-
^ non und von hi6r aus nach New-Harmony zu begeben.
Im Thale des Ohio fand man die Waldungen schon
mit einem höheren und iippigeren Wuchs als jenseit
des AIIeghany-Gebirges ; Weinranken erinnern an die
Schlingpflanzen der tropischen Gegenden; Buchen und
Pappeln (P. angulata oder canadensis) sind in grober
Menge in diesen Wäldern. Ein ähnliches Leben zeigte
sich hier in der Nähe von Cincinnati, Wie auf dem be-
lebten Missouri; überall Leben und Thätigkeit« Eine
Menge von Dampfschiffen lagen vor Anker, Dampf-
schiffe kamen und andere gingen den Ohio hinab;
Dampfmaschinen rauchten an vielen Stellen. Cincin-
nati mit 36000 Einwohnern ist jetzt zur wichtigsten
Stadt des Westens geworden, war aber zur Zeit des
Besuchs des Prinzen' von der Cholera heimgesucht.
Die Schwaben - Colonie New-Harmony, von Rapp
angelegt und gegenwärtig im Besitz des Hrn. Madure,
Präsidenten der Akademie der Naturwissenschaften zu
Philadelphia, diente dem Prinzen ^zum Winteraufent-
halt, und er machte hieselbst die Bekanntsdiaft tw
zwei sehr bekannten Naturforschern, nämlich der He^
ren Thomas Say und Lesueur, vrelche dort sck
langer Zeit ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben «nd
sich auf das eifrigste mit den Naturwissensohaften k-
schäftigen. Hr. Maclure unterliält hier eine sdidoe m-
turhistorische Bibliothek, einen Kupfersteeher, so vie
Buch- und Kupferdruckerei. ~ Sa j's Werk über «fie
amerikanischen Conchylien (1830) wurde gänzlich Hier
hearbeitet, wobei Mistriss Say die Conchylien zeidMc
und colorirte« Hr. Lesae^r, der ehemalige Reisegei3hrte
von Peron, hatte diese Gegenden vielfach durchstrafi,
hatte viel gesammelt und bedeutende Sammlungen ntek
Prankreich gesendet: seine Cartons von der Reise la
die Welt, wie von seinem amerikanischen Aufenthilti
gewährten dem Prinzen im Laufe des Winters grolm
Genuf^. Lesueur hat sehr viel ifiber dl^ Fische ia
Wabasch, Ohio und des Missisippi gearbeitet, und k-
absichtigte nach Frankreich zu gehen, um dieselboia
publiciren, wo er denn auch im vergangenen JaliN^
wie es die Zeitungen meldeten, wirklich angeko»
men ist«
Der lange Aufenthalt zu New-Harmony diente n
einer genauen Untersuchung dieser Gegenden, imm
hohe Wälder sehr ausgozeicimet waren ; es fehhea hier
die immergrünen Gewächse, ausgenommen yi^vm Ca*
vescens, Bignonia cruciata, deren Blätter im Wottf
meist grün bleiben, Miegia macrocarpa und das 8^M
Fufs hohe Equisetum hyemale. Die Platanen -StaMM
erreichen hier einen ungeheuren Umfang und sind ab-
dann meist hohl, deren Aeste mit schneeweiber lUade
bekleidet sind. Die Höhle in einem solchen BsM
enthielt 12 Fufs im Durchmesser. Hier wachsen iMh
Tulpenbäume gleich Masten gerade auf; hohe Ahsm
und verschiedene Eichen streben dicht geschlossen wL
Eine grofse Verschiedenhf ic herrscht hier unter dci
Bäumen des Waldes, deren p. 209 sogar 56 Stack li
ihren systematischen Namen aufgeführt werden; uiff
diesen die hohe Uymnocladus oder Guilandina Boate;
unter den schönen Ranken-Pflanzen die Bignonia nfr
cans, Celastnis.scandejis, Clemati» virginiana, Hefai
quinquefolia, und mehrere Arten von Vitis und Saflaig
selbst Rhus radicans zeigt sich hier als Schliogplott
Eine Menge von Moosen, Ffeehten und Pilzen beklei-
den die Rinde der Bäume und ein dichtes Unterbli
bedeckt den Boden der Waldungen von Indiana,
M. Prinz xu ffMj Reue
den aus Lauras Benzoin und Cercis eanadenab; aber
weder Naddbelz noehr Rhododendron, Kalmia^ Azalea,
Magnolia u. s. w. kommen hier vor. Noch fegenwär-
tig ist in diesen Wfildern der Truthahn (Melcagris
Gallopavo) ziemlich häufig, diese Vögel halten sich ge-
wohnlich auf der Erde auf, laufen schnell und fliegen
lioch; die Hunde treiben sie auf die Bäume^ von wo
■ie herabgeschossen werden* Ein grofser Hahn ward
«u Harmony mit ^ Doli, bezahlt; werden viele zu-
gleich erlegt)^ so salzt man das Fleisch ein. Tetrao Cu-
pido, Perdix virginiana und Psitt* carolineosis gehören
Uer zum gewöhnlichen- Wildpret Ueber die doriige
"Viehzucht wird sehr geklagt; das Vieh mit der grofs-
tea- Nachlfissigkeit und GeRihllosigkeit behandelt Die
Sehweine läfst man selbst im . stärksten Winter im
Freien ihre Jungen werfen ; Ende December hatte noch
aine Kuh*im Frejfn gekalbt und junge Hühner kamen
im Winter aus, docli gehen dann fast alle diese Thiere
cn Grunde. Bei Eis und Schnee geht das Rindvieh
liei Tag und Nacht im Freien umher und muEs sich
dann von Stroh und der-Miegia, wie von der Rinde der
Bäume ernähren.
Am 16. März 1833 verliefs der Prinz seinen VTin-
teraufenthalt, begab sich n^ch Mount-Vernon, schiffte
4en Wabasch hinab- und gelangte schon am 20. an die
Mündung des Ohio in den Missisippi, in welchen man
einlief und nach dem noch 129 Meilen entfernten St.
Louis steuerte« Der Missisippi ist hier nicht breiter
als der Ohio; die Ufer waren steil abgerissen und auf
den Höhen mit schlanken Pappeln bedeckt. Schling-
pflanzen verwickeln die Bäume, und überall sah man
auf den Baumästen die grünen Kugeln von Viscum.
Orobe Ablagerungen von Treibholz waren ganz ge-
wöhnlich, aber das Daropfschiflf lief 5—6 Meilen in der
Stunde gegen den Strom und gelangle am 24. März zu
8t.' Louis an. Hier sind die Neger, wie im ganzen
Staate Missouri, noch Sclaven, und sie werden nicht
MO gut behandelt, wie andere neuere Reisende es ge-
aehildert haben. Einer der Nachbarn des Prinzen
peitsehte u. a. auf öffentlicher Strafse einen seiner Scla-
ven aus, ohne dafssein Arni ermüdete. Er hielt dazwischen
anweilen ein, um auszuruhen, und begann das Geschäft
akdann von neuem« Ein herrliches Land der Freiheit!
' Zu St Louis befindet sich der berühmte General
Clarke als Superintendent of Indian affairs, und von
ihm haben die Fremden Pässe zu erhaUep, wenn sie
naek Nord^Amerika. Bd. L 830
das Innere des westlichen Gebiets besuchen wollen. Zu
St. Louis war es, wo der Prinz zufallig die ersten
nordamerikanischen Indianer in ihrer Originalität zu
sehen bekam, indem sich eine Deputation der'Sakis
und der Foxes zur Verwendung des in Jefferson-Barracics
gefangen gehaltenen Black -Hawk herabbegeben hatte,
an deren Spitze ein Said- Chef stand, der den Black-
Hawk in die Hände der Amerikaner geliefert hatte.
Sehr interessant iit Alles, was der Prinz bei dieser 6e-
ff
legenheit von der Verwandtschaft und Aehnlichkeit der.
verschiedenen Nationen sagt, welche Nord- und Süd-
Amerika bewohnen -, er macht dabei aufmerksam, dafs
in dem Zurückweichen der Stirn und in .der 'Abplat-
tung des Kopfes die gröfste Verschiedenheit, bei einer
und derselben Nation gefunden werde* Zu St. Louis
machte der Prinz die Bekanntschaft der Herren Chou-
teau und Mackenzie, welche daselbst die Gcschäfle
der Auierican-Fur-Company leileten, und erhielt durch
diese die Gelegenheit, auf einem Dampfschiffe der Com-
pagnie die . Asise auf dem Missouri aufwärts zu ma-
chen, indem gerade zu der Zeit ein solches von New-
Orleans zurückeryrartet wurde, welches Handels -Arti-
kel nach den entferntesten Niederlassungen der Pelz-
handel - Compagnie fuliren sollte. Wir erhalten eine
Nachweisung über die amerikanischen Pelzhandel-Com-
pagnien, welche ein ausgedehntes Netz vom Handels-
posten über einen grofsen Theil im Innern von Nord- .
Amerika verbreitet haben; ihnen allein darf sich der
Reisende anschliefsen, wenn er mit Sicherheit und Nut-
zen jene Gegenden besuchen will. Mit .dem Dampf-
schiffe Yellow-Stone ward die Reise am 10. April an-
getreten j die Bemannung bestand etwa aus 100 Per-
sonen, gröfsteutheils Engag^s, welche die unterste
Klasse der Angestellten der Fur-Company bilden, und
Hr. Mackenzie begab sich in Person nach den entf erns-
testen Niederlassungen. 16^ Meilen oberhalb St. Louis
befindet sich die Mündung d^s Missouri, auf welchem
die Reise fortgesetzt wurde \ an seiner Mündung bt der
Missouri von ziemlich gleicher Breite mit dem Missis-
sippi, und die Schnelligkeit desselben ungefähr 5 Mei-
len in der Stunde Erst bei der Mündung des Grand-
River beginnen die grofsen Waldungen hier und da
mit offenen Stellen oder Prairies gemischt zu sein, aber
schon in dieser Gegend beginnt die Schiffahrt sehr be*
schwerlich zu werden, indem das Wasser nicht mehr
überall tief genug ist, um selbst auch nur kleine Schiffe
83t
M. Prinz zu ff^üdy IUu0 nach Nord- Amerika. Bd.I.
ftu Iragon imd dabei r«lch durch Sandbänke ^ Treib*
hole u. «» w. g^ährdet ist. Am 22. April wurde dai
Cantonment Leavenworth erreicht, wo 4 Compagnien
(120 Mann stark) unter Major Riley' stationirt waren;
darüber hinaus kamen so gefährliche enge Stellen im
Missouri vor, dafs das Schiff kaum Irindurchgebracht
werden könnte. Feststehende indianische Dörfer gab es
bis jetst in dieser Gegend nicht , aber die Sakis und
Foxes streifen hief der Jagd wegen umher. Die WM«
der an den Ufern .waren dicht mit Sehachtelhalm er*
füllt, und Hirsehe, Bären und Wölfe bahnen sich darin
Pfädchen« Man passirte noch Tor der Mundung .des
Nadaway.River die BlacksBake-HUIs, welche eine sehr
amgenelme Landschaft darbieten, aber EU den Ketten
gehören, welche eu ewei, eine an jeder Seite, parallel
mit dem Missouri laufen uild dessen Thal einschliefsen,
indem sie den Fiufs bald mehr bald weniger einengen»
Zwischen diesen beiden Ketten windet sich der Mis*
souri in unaufhörlichen Windungen und wo er die Hü*
gelkette erreicht bringt er steile Ufer hervor. Unweit
der MQndung des Yermillipn-River soll man im Win-
ter ^ehon oft grofse Bisonheerden sehen und der Cha-
rakter des Landes hat sich hier schon sehr verändert»
Die Gegend ist meist waldlos und nackt, derHohswuchs
nicht mehr hoch und kräftig wie am unteren Missouri,
doch «ebt man noch die Ranken der wilden Wein-
stöeke die Gebüsche umschlingen, welclies noch weiter
aufwärts gänzlich aufhörte Griine Prairie-^HCgel treten
hier dem Flusse nahe und wechselten mit Ufergebü-
schen von Weiden, Pappeln, Cornus serioea. Die Fahrt
auf dem Missouri weiter hinauf war beständig mit gro«
fsen Anstrengungen verbunden, das Schiff safs bald
hier bald dort fest, und während der Arbeit dasselbe
wieder flott su machen, konnte der Prinz mit seiner Be-
gleitung die umliegende Gegend besuchen und sich be-
sonders mit der Jagd beschäftigen, welche in der That
sehr ergiebig war. In der Nähe der Mündung des
BunUing- Water-River fand man den Juniperus barda-
densis, dessen Holz einen sehr aromatischen Geruch
verbreitete, Gebüsche von Ulmen,. Cedem, Eschen,
Traubenkirschen, Celtis, Celastrus, Vitis, Sheperdia
argentea u. s. w. waren in den Gründen der Schluch-
ten und die Prairie-Hügel enthielten eine Menge schö<>
ner. Pflanzen, als Stanleya pinnatifidä, Euchroma gran-
diflora und Psoralea esculenta. Dicht oberhalb der
Cedem-Inseln sah man die ersten Antilopen oder Ca*
bri*s und bald darauf auch die ersten Bisamthiere. Wei*
ter hinauf zeigten sich an beiden Ufern des Flusm
sonderbare Hügel, zum Thetj mit merkwürdigen Kiip>
pen hoch aufgethürmt. IMe Uferhöhen hatten zum Tbdl
schwarze Stellen^ verursacht durch ein schwarzes glii^
zendes GeröUe der steinkohlenähnlichen Schichten, wet
che hier weit verbreitet sind. Manche dieser schwur
«en Lageir haben gebrannt, eines derselben ü. a. war
etwa erst vor einem Jahre erloschen und hatte nisiv
als 3 Jahre lang gebrannt. Eine solche starke Schidt
von bituminöser Kohle lief gleich einem Laadstreifea
an beiden Flufsufern in gleicher Höhe fort, so weil dai
Auge reichte und man könne sie wohl mehrere htm*
dort Meilen verfolgen, nur durch Schluchten werden A
unterbrochen. Häufig fand man hier die Graber der
Dacota-Indianer; die meisten bestanden aus einem ho*
hen Gerüste von 4 Pfählen, auf. welchen der Todt»
in Felle fest eingeschnürt, ausgestreckt liegt, andere
waren von Stangen und Reisig gleich einer Art m
Zaun oder Hütte gebildet, in deren MiUe der Versto^
bene in der. Erde liegt. Diese Dacotas bilden noch ^
genwärtig einen sehr zahlreichen Stamm, der noch jettt
an 15000 Krieger stellen könne; ihr Wohnsitz delnt
sich von Big-Sioux-River swischen dem Missouri usd
Missisippi aus, geht bis eum Root*River und nordlick
bis zumElk*River hinauf. Alle die verschiedenen St£n*
me dieser Indianer werden genannt, ihre WohnpUtn
angegeben und ihre Sitten und Gebräuche höchst avi*
führlich tnitgetheilt.
Am 51. Tage nach der Abreise von St. Louis eh
reichte man das Fort Pierre in der Nähe der Münding
des kleinen Missouri; es ragte aus den Bäumen \»
vor und 13 Dacota-Zelte lagen links daneben. Voa
Schiffe aus begann ein Begräfsongsfeuer aus den Es»
nonoh, Welches vom Lande aus durch ein Lauffeact
beantwortet wurde, worauf denn auch auf dem SchiSe
ein heftiges Gewehrfeuer begann; dieses ist eine.Sitü^
Welche ganz allgemein befolgt wird, wenn die €eai-
pagnie-Dampfschiffe zu den entfernten Pelz-Haodcl-
Niederlassungen kommen, und eben so stark pflegtms&H
schiefseu, wenn sich befreundete Indianer-Stämme diesfD
Niederlassungen nähern, und wenn dieHäiipter dervlbtt
in die Forts einziehen. Ja selbst die Indianer verschweii*
den bei diesen Freudenbezengungen sehr viel Pdrcr.
(Der fiesclilufs folgt.)
JW^ 105.
Jahrbücher
für
w i s s e n s c h af 1 1 i c h e Kritik^
Juni 1840.
Maximilian Prinz zu JVied, Reise in das tii-
nere Nord-Amerika in den Jahren 1832—1834.
(Schlufs.)
Dia8.e Niederlaisungen der Pehbandel-Compagnie
bildeD kleine FesluDgen, die mit Kanonen besetzt sind ;
Fort- Pierre entliielt über 100 Personen und Waaren-
Vorrtthe Ton 80,000 Dollars an Werth. Die Prairie
dieser Gegend war jetzt nicht reich an Blumen; es
blühtea Alllum reticulatum, Tradescantia virginica, Na«
stnrtium sylvestre, Anogra pianafifida^ Terbena brac-
teosa u. s. w« Der virginische Hirsch ward im Gebü-
sche aufgetrieben und die Wölfe trabten in der Prairie
umher. Bei den Dacotas, die im Fprt-Plerre gelagert
waren, lernte der Prinz auch aUe die Auszeichnungen
oder Orden kennen , welche den Kriegern für ihre
Tapferkeit zu Tlieil werden« Hiezu gehören besonders
die Zöpfe von Menschenhaaren, welche sie an Armea
und Beinen tragen, so wie die Federn auf dem Kopfe.
Eine ausgezeichnete That ist das blofse Berühren ^i-
nes Feindes in Gegenwart der Gegenparthie und dafür
irtecki sich der Krieger eine Feder horizontal in die
Haare. Wer mit der Faust ein^n Feind erlegt, steckt
eine Feder aufrecht in die Haare; wird er mit der
Flinte erlegt, so steckt man ein kleines Holz In das
Haar, und eine grofse Federmütze mit Ochsenhdmern
deutet auf einen sehr ausgezeichneten Krieger.
Von^ Fort-Pierre ward die Reise Auf dem Assini-
boin, einem andern Dampfschiffe der Compagnie, fortge-
setzt; der Prinz bestieg in dieser Gegend die steilen
und iiohen Anhohen der Ufer des Flusses, deren For«
men oft vollkommene Krater zu bilden schienen, und
Erde und Steine zeigten hier überall eine Veränderung
durch Feuer; ein beigefügter Holzschnitt giebt eine An-
sicht von den sonderbar gebildeten rund-pyramidenför-
migen Kegelkuppen, welche für ehemalige Schlauam-
kegel angesehen vrurden, die durch Feuer in die Hohe
JakrM. f. witensch. KrÜik. J. 1^0. I. Bd.
getrieben wären; la den Furchen und Rissen jener
originellen Kegel bildeten grünende Pflanzen netzartige-
Streifen, in welchen auch Cactus ferox und eine, dem
mammillaris ähnliche Art vorkomme« Es ist in der
That sehr zu bedauern, dafs die Reisenden dieae merk-
würdigen vulkanischen Bildungen nicht vollständiger
zu untersuchen Gelegenheit hatten, denn von ihrem
Vorkommen in jenen Gegenden hat- man, so viel we-
nigstens dem Rec. bekannt ist^ noch nichts gehört. Nach-
dem man noch mit einer Bande der Yanktonans-India-
ner zusammengestofsen war, welche zu den treulose«'
sten aller Dacotas gehören, gelangte mau nach Fort-
Clarke in einer weiten Prairie gelegen und im Hinter-
grunde durch bläulich-grüne Hügel gehoben. Hier wurde
die Bekanntschaft mit den Mandans, den Mönnitarria
und den Crews gemacht, welche des Handels und der
Jagd wegen nach der Niederlassung kamen und sehr
viel Interessantes in ihrer Lebensweise zeigten.
Von Fort-Clarke ward die Reise nach Fort-Union
fortgesetzt, welches in der Nähe der Mündung desYel-
low-Stone- Flusses liegt. Auf dieser Reise traf der
Prinz mit den Mönnitarris-Indianem zusammen, welche
als die elegantesten Indianer des ganzen Missouri-Lau-
fes geschildert werden; ihre Gesichter waren meist
zinnoberroth bemalt, und die langen Haare hingen in
Flechten oder Zöpfen herab. Fort-Union ist einer der
wichtigsten Posten, der Pelzhandel- Compagnie, indem
er als Centralpunkt der beiden noch höber aufwärts
nach den Rocky -Mountains hin vorgeschobenen Han-
delsposten, so wie des Handels jener ganzen nordwest-
lichen Gegend anzusehen ist. Fort-Cass liegt 200 Mei-
len aufwärts am Yellow-Stone und Fort Piekann, oder
jetzt Fort-Mackenzie genannt, sogar noch 650 Meilen
aufwärts (d. h. auf der Wasiserstrafse) am Missouri;
dieser Posten ist erst' ^eit 2 Jahren begründet, und da
die Dampfscbifle nicht mehr weit über Fort-Union hin-
auf können, so sendet man von dort aus Keelboats hii^
105
835
M. Prin» xü Wied^ Reue naek Nordamerika. Bd. /.
838
auf. Die Compagnie unterhält auf diesem Posten viele
Angestellte, welche sich daselbst mit indianischen Wei-
bern yerheiratfaen, diese aber wieder verlassen, sobald
sie nach ändern Orten versetzt werden; das Geschäft
dieser Leute ist sehr beschwerlich, ja ein Theil dersel-
ben überwintert sogar alljährlich in den Rocky -Moun-
tains« Ueber 500 Leute sind in den Forts des Ober-
Missouri angestellt, welche jährlich mit 150000 Doli,
besoldet werden; die American-Fur-Company hat etwa
23 grdfsere und kleinere Handelsposten (1834). Im
Herbste un4 im Winter pflegen die Indianer ihre Pelz-
werke zu vertauschen, und im Sommer gehen sie be-
sonders auf die Biberjagd. Durchschnittlich werden
jährlich eingetauscht: 25000 Bibierfelle (die Hudsonsbay-
Gompany führt allein 50000 Stuck nach London ein),
2— 300 Otter-, 40— 50000 BUonkuh-Felle, 5— eOTFi-
sher (Mustela canadensis) und etwa eben so viel Mar-
der, 1000 — 2000 Luchse (F. canadensis) und eben so
viele von Felis rufa, 2000 Stuck rotho Füchse (C. ful-
vus), 2—300 Kreuzfüchse, 20—30 Silberfüchse; ein
Paar Tausend Minks (Must. Tison), 1000—100,000
Muskrats und 20—30000 Hirsche (C. virgiuianus und
niacrotis). Wenn man diese Zahlen näher betrachtet
und sie denen^ des Ertrages der Hudsonsbay- Company
anreiht, und dabei bedenkt, wie ungeheuer grofs der
Verbrauch von Fellen, besonders der Bisonthiere und
der Hirsche, behufs der Kleidung der Indianer ist, so
wird sich wohl der Gedanke aufdrängen müssen, dafs
die Zeit dieser furchtbaren Zerstorungssucht wohl bald
ein Ende machen wird, wovon die Folgen für jene
. Oegenden überaus wichtig sein müssen. Der fürstliche
Reisende spricht sich zwar nirgends darüber aus, von
welchem Einflüsse der Handel der Pelz-Compagnie auf
die rohe Bevölkerung jener Gegenden ist, doch aus
den meisten darüber erhaltenen Berichten mochte sich
wohl klar ergeben, daCs dieser Handel ebenfalls von
sehr nachtheiligen Folgen für die ursprüngliche Bevöl-
'kerung Ist, aber mit der Yerminderung des Wildes
werden auch jene noch übrig gebliebenen Stämme zu-
sammenschrumpfen und. nur noch wenige Spuren wer-
den Ton ihnen übrig sein, wenn sie einst durch Hun-
ger gezwungen sein werden, sich dem Ackerbau zu er-
geben. Es ist bekannt, wie wenige Indianer sich bis
jetzt den Weilsen daselbst anschliefsen, und die es
thun, die scheinen es nur aus Noth zu thun. Je mehr
das Wild ausgerottet wird, je mehr werden die feind-
lichen Indianerstänmie, ifowohl der Nahrung als te
Felle der Tbiere wegen, sich gegetiseitig bekriegea
und aufreiben, und die Feuergeweiure und die Muni.
tion, welche ihnen von den Pelz • Compaguien reidilidi
geliefert werden , werden Jene. Zdt um so schoaDer
herbeifuhren. Die Regierung der Vereinigteo Stiu^
ten hat zur Verbesserung des Schicksals jener kiafU*
gen Menschen eigentlich noch nichts gethan^ als die
Einfuhr des Branntweins nach jenen Gegenden verbo-
ten, was aber bei so ausgedehnten Grenzen nicht vid
sagen will. Die letzten Capitel dea ersten Theiks die*
ser Reisebeschreibung des Prinzen sind in dieser Hin*
sieht ganz besonders interessant ; die verschiedenen In-
dianer-Horden drängen sich an die NiederlassengeB
der Pelz-Compagnie, yio sie für Feuergewehre und äs»
dere Gegenstände AUes hingeben, selbst ihre Weiber
und Tochter; wo sich diese Horden auf iliren Jagd*
oder Handeiszügen begegi^en, da sucht überall der Sti^
kere und Reichere seine Rechte geltend zu machen.
Fort-Union liegt in einer weit ausgedehnten Prsi-
rie, welche nördlich von Thonschiefer - und Sandsteis-
hugeln durclischnitten wird. Die Sandsteialagen enthal-
ten Abdrücke von Blättern phanerogamer Pflaaui^
und AicTj wie m manchen andern Gegenden Neri^
AmerikcCe^ bemerkte der Prinz das Vorkommen t«
xeretreut liegenden Blocket^ oder BruchsiMeken ms
Granit. Im Norden konunen diese Granit- Blocke in
Menge vor, am St. Petersfiusse, im Staate Oiiio u. f.
w. Die Hypothesen über das Vorkommen der Granite
Blöcke in unsern baltischen Gegenden u. s. w. muistai
also auch wohl auf die ähnliche Erscheinung in Nord*
Amerika Rücksicht nehmen« Fort - Union liegt im Ge*
biete der Assiniboins, welche man auf 28000 Seelen
und 7000 Krieger schätzt; sif unterscheiden sieh wei^|
von den Dacotas und zerfallen wieder in 8 verschie»
dene Banden, welche aufgeführt und in ihren G^bria«
eben geschjldert werden. In dieser Gegend ist der Bi-
ber iioch sehr häufig, und der Prinz giebt von diesem
merkwürdigen Thiere eine sehr interessante Beschr^
bung; der amerikanische Biber führt ebenfalls Bavteo
aus, wie es früher der europäische that. Die Ttiiere 1^
ben in Monogamie und pflanzen sich erst im 3. Jsbre
fort; im 2. Jahre leben die Jungen gepaart: bei dnaiK
der. und Jbauen sich ihr eigenes Haus. Sieben bis seU
Junge soll die gröfste Zahl sein, welche man bei dem
weiblichen Biber findet. Die Dämme bauen sie nur is
837 M. Prin% %u Wüd, Beüe
seichtem und todtem Wasser, und kiesu bringen sie
Zweige, Holsstilclce Ton der Dielte eines Sctienlcels^
Knoeiien, selbst Bisonsebftdel, welche sie mit Erde yer»
jnischen. Die Wobnungen sind 30 — 40 Sehritte lang
und 80 fest gebaut, dals das Eis im Winter dieselben
nicdit serstdren kann. In einer Htttle soll man bis 26
Biber beisammen finden, welche in demselben Gebäude
TOD 3—4 Stockwerken leben ^ unten liegen die Aken^
darüber- die letzten Jungen und oben die Torjährigen,
Der Eingang xur Wohnung ist unter Wasser. Ist das
Wasser gefroren, so graben sie Gänge in den Bodens
durch welche sie ab- und sugehen, auch haben die
Wohnungen mehrere Ausgänge. Die Erde, cum Bau
tragen sie nicht mit dem Schwanxe, sondern mit den
^orderfufsen, al^er schlagen dieselbe mit dem Schwan«^
se fest. •
- Vom Fort-Union ward die Reise auf dem Keelboat
Flora fortgesetzt; bei der Mündung des Zweitausend*
Meilen-Flusses haben die Blackfoot- Indianer auf ihren
Zügen nach und nach eine Menge von Geweihen des
Elkhirselies aufgehäuft, wodurch eine Pyramide von 16
bis 18 Fuis Höhe und 12—15 F. im Durchmesser ent*
standen ist, und jeder Yorüberziehende sucht einen Bei-
trag EU liefern. Später machte man mit dem graulichen
Bären (Ursus ferox) Bekanntschaft, von welchem in-
teressante Mittheilungen gemacht werden ; auch die wiK
den Sehaafe oder das Bighorn eeigten sich hier in
Ideinea und grdfseren Gesellschaften. Die geübten
Springer sind mit colossalen Hörnern versehen, wovon
das Paar oft 40 Pfund wiegen soll $ das Fleisch gleicht
dem Uammelfiebche« Ueber dem Judith- River hinaus
beginnt die weifse Sandstein -Formation weit über das
Land fortsustreichen ; es ist die Fortsetzung der mit
sonderbaren Figuren in den Black-Hills vorkommenden
Lager und tritt oft in höchst barocken Gestalten auf,
von welchen der Prinz in dem Atlas eine grofse Men«'
ge von Darstellungen mitgetheilt hat. Am 9. August
traf man in Foirt-Mackenzie ein, der äufsersten der da-
maligen Niederlassungen der Pelzhandel - Compagnie,
wo der Prinz bis zum 14. Sept. verweilte, und dann
die Rückreise auf dem Missouri antreten mufste, indem
die grofse Menge der feindlichen Indianer es nicht el^
laubte, seinen Plan, bis nach dem Felsen-Gebirge vor^
zudringen, in Ausführung zu bringen. Die Erfahrun-
gen, welche der Prinz bei seinem Aufenthalte zu Fort-
Mackenzie machte, sind in hohem Grade interessant,
tacA Nord-AmtfMa. Bd. I. 8^
doch war der Aufenthalt daselbst nichts weniger ab
angenehm, bestandig war man von den rohesten India-
aerhorden umringt, denen in keinem Augenblicke zu
trauen war, und in der That, selbst ganz ernsthafte
Gefechte hatte die kleine Besatzung des Forte zu über*-
stehen. Sehr umständliche und lebhafte Beschreibun*
gen werden zuerst von. den verschiedenen Stämmen der
Blackfoct-Indianer gegeben, von welchen man bis jetzt
noch sehr wenig gehört hat; man schätzt sie auf 18—
20000 Seelen und 5 -6000 Krieger; auch diesen ge-
währt der Branntwein den höchsten Reiz, für dessen
Genufs sie Alles fortgeben, selbst die Weiber, und den-
noch bestrafen sie den Ehebruch unter sich mit Ab-
schneiden der Haare und der Nasen, eine Strafe, wel-
che auch die Weifsen an ihren indianischen Frauen
daselbst ausübten« Man fand aber dennoch sehr viele
abgeschnittene Nasen. Der Tauschhandel ward nach
Ankunft der Waaren auf dem Keelboat Flora mit den
verschiedenen Indianerhorden zu Fort-Mackenzie sehr
lebhaft geführt, wobei viele Streitigkeiten, vorfielen und
die Weiden stete in Gefahr waren, von ihren braunen
Handekfreundeil überfallen zu werden $ doch durch den
Muth und die Einsicht der daselbst leitenden Handels«
Agenten ward alles ziemlich glucklich durchgeführt.
Es war gewUs sehr niederschlagend für den Prin«
zen, dals hier die Reise enden mufste, denn vom Fort-
Mackenzie. hat man nur nech 25 deuteche Meilen bis
zur höchsten Kette der Rocky -Mountains und nur 4
bis 5 zu dem Anfange des Gebirges.
Der prachtvolle Atlas, welcher diesem ersten Theile
des Reiseberichte beigegeben ist, besteht in 23 grofse^
Folio -Tafeln und 20 Vignetten, meistens bei Ackere
mann in London erschienen $ es befinden sich hierunter
viele höchst ausgezeichnete Kupferstiche, und die Auf*
fassung der Landschaften, der Trachten und Lager
der Indianerborden ist wahrhaft genial zu nennen tmd
giebt uns die lebhaftesten Anschauungen von der Na»
tur und den Bewohnern jener entlegenen Gegenden;
8 Tafehi sind mit Portraite von ausgezeichneten Uäup*
tern der verschiedenen Indianer-Siämme versehen, und
diese bieten den Naturforschern die cfaarakteristischett
Züge der Gesichtebildung, um richtige Vergleichungen
mit andern Nationen anstellen zu können, ein Gegen-
stand, über den leider Jedermann miteprechen will,
selbst wenn er noch nicht einqial den Schädel des Eu-
ropäers kennen gelernt hat.
639
Lasten^ Anthologia SanseHtica.
Die Naturforscher können sieh Glüek wünschen,
dafs sich gegenwärtig so viele hochgestelhe Periionen
mit dem grSrsten Eifer dem Studium der Naturwissen-
schaften widmen und die grölsten Opfer darbringen,
um diejenigen Wissenschaften zu fördern, welche am
meisten im Stande sind, Humanität und Wohlstand un-
ter den Menschen zu Terbreiten.
J. Meyen.
LXV,
Anthologie Sanscntica^ Olossario instructa. In
usiiin scholarum ed. Chr. Lasse n, Prof. Bon-
nacj 1838.
Den öfter ausgesprochenen Wunsch, eine in ihrer
Art wissenschaftlich eingerichtete Sanskritanthologie zu
erhalten, welche in kräftigen treuen Zügen ein Bild der
indischen Literatur nach ihrem Hanptentwicklungsgange
vorfQhrte, erfüllt das vorliegende Buch noch nicht. Wer
nach seinem Inhalte sich die letztere vorstellen trollte,
würde ein wenig ansprechendes, oft schmutziges, mit-
unter ekles Bild gewinnen; aber der Herausgeber ge-
steht ausdrücklich, den Titel in Ermangelung eines
besseren gewählt und blofs eine Sammlung beabsichtigt
zu haben, welehe dem Lernenden der mit dem epischen
Stile vertraut wäre, einmal andere Lesestücke in' die
Hand gäbe. So gab er wohl, was ihm eben zu Gebote
stand, und wir, über den Inhalt hinwegsehend, müssen
dem Vf. für das mitgetheilte Neue insofern Dank sa-
gen, als wir dadurch Gelegenheit erhalten, unsere
Kenntnifs von indischer Sprache und Literatur, wäre
es auch zum gröfsten Theile nach der schlechteren Seite
derselben, zu erweitern, \\er das Buch mit reiferen
Schulern lieset, wird auch dies besonders gut heifsen,
.dafs Hr. L. nicht blofs reichere Sanskritprosa, sondern
auch Proben vom Präkrit und zum Schlüsse das von
Rosen edirte Specimen Rigvddae m'itgetheilt hat. Da
das Buch zunächsjt m usum scholarum edirt ist, ent-
hält es aufser einem vollständigen Glossare noch einige
erklärende, meist kritische Noten : um so gerechter wird
man sich aber auch beklagen, dafs es nicht überall mit
gleicher Sorgsamkeit gearbeitet ist, und Versehen und
Mängel mancher Art enthält, die den Anfänger schwer-
lich immer tarn Verständnisse koinmen lassen werden.
810
Wir b'etrachten das Buch zuerst Ton der literar-
historischen Seite, legen den Inhalt kurz dar, geben
Proben einer möglichst genauen Uebersetzung und ha-
ben Einzelnes hervor, wo die Erklärung des \b. min.
der genügt.
Den Anfang machen 5 M&hrchen, welche Hr. L,
der Sammlung Vita/apane'avinpati entnommen hat
Der Titel besagt: Vdtälafunfundzwanzig, d. h. 25 E^
Zählungen des Vöcäla oder Todtengeistes, nicht wie t.
Bohlen praef. ad Bbartr. pg. VI übersetzt, narrationes
de viginti quinque daemonibus. Die StUart dieser Mähr-
chen, von denen beim Erscheinen des Werkes noch
fast nichts bekannt war, bis jetzt endlich Brockhaus'
Ausgabe des Kathäsaritsdgara eine gründlichere An-
sicht gestattet, ist im Ganzen leicht und einfach erzib-
- lend : sie geht in Prosa fort, enthalt aber leicht m
Viertheil eingestreueter Verse, die denn als gangbare,
meistens schon aus anderen Stücken, wie dem Hit6pA-
d£^, Bhartriharis Sprüchen u. s. w., bekannte Sen-
tenzen oft dazu beitragen, den Sinn und ZnsaramenhaBg
zu verdeutlichen, oft aber ihn nur verwirren und ver-
dunkeln. Hie und da mögen sie von späteren Absdirei-
bem nach eigenstem Gutdünken eingeflochten sein, dran
oft passen sie wie Faust aufs Auge-; anderwärts sind
sie aus dem Zusammenhange ihres ursprünglichen Orts
gerissen, und die neue Verbindung, der gemäfs de
dann zuweilen auch verändert wurden, kann nur unge-
schickt genannt werden. Man vgl. z. B. die aus Mann
VII, 47 entlehnte Stelle, hier S. 3, 12—13, zu der Hr.
L. wohl etwas anderes als die unwesentliche Variante
des Accus, für den Locativ anführen mufste, denn in-
dem raA6 gatah^ im Manu richtig mit dem folgenden
mantrajSd avibh&vitah stimmend, bei Veränderung des
letzteren in das passive mantrd vidhijatö stehen bleibt,
entsteht eine auffallige Anakoluthie, die. selbst, wenn
man gatah grammatisch zu mantrö bezieht, etwas Har-
tes und Gewaltsames behält; ^ vielleicht dürfte man
adverbialisch rah^gatam lesen! — Das Band welches
das Ganze zusammenhält, wird mit Breite fortgesponnen,
im Einzelnen wird der Ton abgerissen und fragmen-
tarisch kurz, und dürfte hin und wieder etwas vermis-
sen lassen, was ausgefallen sein mag; so z. B. in ei-
nigen Stellen des Qukasaptati. -—
(Die Fortsetzung folgt)
J# 106*
Jahrbücher
f»«
u r
wissenscliaftiiche Kritik.
Juni 1840.
AntMogia ' SrnmcriticOy Olo»$ano inttntcta. In
utum tckolarum ed. Chr. Lassen.
f
(FortsetzttDg.)
., Der äabere eckt orientaUsehe Rahmen, der die Fon ein»
ander ganz unabhängigen Mfthrehen umgibt, mag immerhin
dem qpüen ^üfad&$a gehören \ die Mfthrehen selbst sind
wohl, wie auch Hr. L. annimmti Tiel ilter und keines«
wegs die Erfindung eines Einzelnen. In der Einlei*
tung in der wir fibrigens die bekannte Erzählung Ton
dem Bbartriliari und der Entstehung seiner Sentenzen
(s. Bohlen L \^ Wiener Jahrbb. 1835, 3, 220) vermis^
sen^ helfet es 1, 7 — 8 also:
JSis^ wMtm HoMifaUungf Ani^rt wollen wei$tn Spruek,
Anif Mäkrchem^ gtiekmßckwoütf dm$ Alhg vfiri auch hur
gewährt,
Demgemirs beginnt der Vf., zuweilen, fast künstlich ^e-
nau, dreitheilig : v. 1 ^ 2. mit Verehrung des Gaue^a,
fQgt 3 — 6 einen Spruch hinzu: fortis esse, susceptum
finire, und geht nun lin. 9 zur Erzählung Ober. Hr.
L. durfte seine Conjectur uklam budhaih fQr das ein
TIerteSy Nichtvorhandenes setzende vac'd budhäh sicher
also in den Text nehmen. Der König Tikramtlditja
(später auch Yikramasöna geheifsen, wie die deutschen
7 weisen Meister ihren Kaiser bald Pontian bald Donri-
tian pennen) wird alltSglich Fon einem Digambara oder
JAgin besucht und mit einer reichen Frucht beschenkt,
aus der, als sie einmal zur Erde gefallen, von einer
Merkatze (markata) gespalten wird, glanzvolle Perlen
herrorspringen. Der König ist über ihren Gllinz er-
staunt, der JAgin bedeutet ihn:
Kt neht, wer nahet- leerhrnndig^ den Könige Arzt und Lehrer
nicht;
Svhney Freunde und (SottweUe erkennt man un der Gabe
Fruekty
oder eigentlich : diese zeigt die Frucht duroh die Frucht;
d. b. also, weil Du ein K^nig bist, mufs ich, um Dich
EU neben, mit toUmi Händen kommen $ dafs ieh aber
Jahrb. /. wueeneeK Kritik. J. 1840. I. Bd.
gleich so gebe, wie's geschah, thue ich, weil ich ein
daiva«gnis, Gottweiser, Astrologe bin. — Der Dig-
ambara thut dani^ weiter sehr geheimnifsvoll, und spricht
von einem Mantra, dessen Erfüllung den König grofser
Vollkommenheiten theilhaft machen werde, wenn er
Btandhaftigkeit beweise und ihn in die Einsamkeit be-
gleiten wolle — Beides unerläfsliohe . Bedingungen, die
bei den indischen Zaubereien und Gaukeleien stets wie-
derkehren ; denn, wie es hier heifst 3, 8 „von dem Jah*
reskraute eines Mantra, vom Gesetze oder guten Tha»
tenf), vonBauszwitt und Beischlaf, verbotenen Speisen
und tadelhaftem Beginnen, wird ein Yerständiger nicht
laut reden *) ; ein 6-ohriger JMantria geht z« nichte, ein
4-ehriger mag fest sein.*' — Als der König sich am schwar-
zen Vierzehnten, in dunkle Gewänder gehüllt, auf dem
bezeichneten Kirchhofe, wie wir sagen würden, eing^
stellt hat, erhält er die neue Weisung, von einem ein
halbes J6g'ana entfernten Verbrennungsplatze erst ei>
nen Leichnam herbeizuholen: der JAgin fögt aber hinzu:
„wenn Du sprichst, dann geht der Leichnam alsbald
wieder auf seinen Baum/' Hier liegt der Punkt, an
den sich die Erzählungen anknüpfen, denn der den Leich-
nam begleitende und zum Theil mit ihm identificirto
Viitala findet es in seinem Interesse, den König zum
Sprechen zu bsingen. Sobald der König den Leich-
nam vom Baume genommen, beginnt er daher eine so
unterhaltende Geschichte, darfs der König seines Ver-
sprechens vergifst und zum Schlüsse, wo der Knoten
*) Hr. L's. Ueberaotzusg der ganzen Stelle würde nach dem
Glossar irielmehr so lasten : peffecti consilii annaam herbam^
jara lioininib^ praescripta, domus fissoram, copulationem«
ifvc-comestam, Titoperatam factum non maaifestabit prudens«
Ganz äbnlicb 14^ 11. Uebrigens hätte men^itnrüehadhi einer
näheren Erkläning bedurft, da es hier gleich mantra-phala
zu sein scheint, während ö$hadht sonst in der Compos. meist
soTiel als remedinmy medieina ist : cf. Schol« Caurap. t. 47, 4as
bh^shag's, «nd Vrih. Kathä Tar. 18. ▼. 313.
J06
813
Latten^ Anthologia SanseHtiea^
814
derselben liegt^ weno er um seine Meinung gefragt
^ird, treuherzig antwortet« Der TdtAla, dem es gar
iiiolit um die Meinung, sondern nur um den Laut au
thua ist? gellt dann auf seinen Sitz zuriiels. — Aehn-
lieb wie die Kaiserin und die 7 weisen Meister in dem
Volksbttcbe gleiches Namens, um den Sohn des Kaisers
zum Tode zu bringen und wieder davon zii befreien,
ihre 14 Erzählungen vorbringen, , die denn freilich be»
, deutsamere Beispiele sind, wiederholt sich hier die an-
gegebene Weise 25 Mal, und wissen wir nicht, wie
sich das Ganze zum Schlüsse, dem Eingange anknä«
pfend, etwa abrunden möchte, da Hr. L. nur 5 Ge-
schichten mittheilt. Die 5te und letzte ist diese:
„Als der König dann wieder den Todtto vom Qin-
^ipabaume auf die Schulter genommen hatte und seines
' Weges dahinging, sprach der Yötäla: höre doch, o
König, ich will Dir ein Geschichtchen erz&hlen. Es ist
«ine Stadt, Ug'g'ajinl mit Namen, dort herrschte ein
•König Mah&bala, dessen Mmister, der Zustände des
.Krieges wieües Friedens kundig, Haridäsa, hatte eine
Tochter^ die hiefs Mahäddvi und war gar schön und
freiergereicht. Als der Vater nun einsmals an das Freien
dachte, da sprach sie, höre Väterchen, dem mufst Du
^mith geben, der mir gleich an Werthe i^t. In dieser
2eit fügte es sich, dafs der Vater vom Könige zum
^ Fürsten' von Daxina gesandt ward. Bei diesem hatte
«r dann nach seiner Ankunft eine Audienz. Der Fürst
forderte ihn auf, sag mir doch etwas her^ was zur
Kalizeit pafst, und er begann :
O Konig
Wir 9Ukn im KalizeUaUer^
Da und die guten Leute rar,
Die WßU verheeren Heutchreckeny
Die Färtten echwanken hin und her;
Die Erde plündern Diebsbanden,*
Der Mann kommt auf der Straße um ;
Der Vater traut dem Sohn telbtt nicht,
E$ i9t *ne gar verruchte Zeit! —
Gexcichen i$t da$ Recht, Demuth
Und Wahrheit eind verschwunden weit.
Die Erde gibt nur karg Fruchte,
Der Fürst betrügt, der Brahman irrt.
Am Weibe hangt die Welt, Weiber
Sind untreu; Vischnu ist der Gott;
Der Oute liegt, wer schlecht, eieget;
, Und kurz ^ die Kalizeit ist da! —
Daselbst ward Haridäsa auch von einem Brahmanen
angegangen, der bat ihn, gib mir doch deine Tochter.
Haridäsa sprach : wer ihrer würdig bt, dem gebe ick
sie« So will ich dir es zeigen, entgegnete der Bnk-
mane und mit diesen Worten liefd er einen Wagen
erscheinen *) ; „Dieser Wagen geht, wenn man's nv
wünscht, in der Luft." Haridäsa sagte, so koiooi Bor-
gen mit deinem Wagen zu mir. Und der Brahnae
ging anderes Tags mit dem Wagen zu ihm, und beide
bestiegen denselben und kamenr nach Ug'g'ajinL Doit
war aber auch der ältere Bruder von einem Braimii*
nen gebeten, „gib mir doch deine Sehwestei"; er
theilte ihm die Bedingung mit und als jener geaatviM^
tet hatte: „Ich bin ein Wissender, der das Buch der
Weisheit kennt,*' sagte er, nun wohl, so hast Du ne!
Nun war auch die Mutter von einem dritten angep»
gen : „gib mir deine Tochter." Der konnte die Boges-
wissenschaft, dafs er den Laut zu treffen wufste, od
die Multer gestand sie ihm zu. Als die drei Freier höitci^
dafs die Tochter vergeben sei, fiengen sie an zu sai-
ken: „«m Mädchen, dSr^' Freier" : {Sie streiten aicq
Was soll daraus werden? Indessen ward das ott»
schöne Fräulein Nachts von einem Riesen zum Vindhji-
gebirge entführt.
Entfuhrt ward allzuschcn Sita, *"); der alltuMtohe Räfm^
Der allzureiche Bali ward getödtet : allzu meide stets I
Am Morgen darauf käme» die drei Freier zusamsMi
und fragten in ihrer Mitte den Wissenden^ heWiss»
der du weifst es wohl? Der nahm Kreide, rechnete snl
sprach: o ja, sie ist auf dem Vindhja, von einem Rieics
entführt. Da sagte der zweite : so will ich den Rieici
tödten und sie wieder herbringen. Der dritte tüg»
hinzu : meinen Wagen besteige ! Er bestieg den Waget
und ging : und als er den Riesen getödtet, hob er A
auf den Wagen und führte sie heim. Um ihretwilki
zankten nun die drei Freier miteinander. Der Yalcr
dachte, alle drei haben sie Dienste geleistet, wemifll
ich sie geben, wem nicht?
Als der Vdtdia diese Geschichte erzählt hatte, spnd
er zum Könige : Nun sag mir doch, du König, wem ?ii
«) Diese Stelle ist ttndentlich : vielleicht wörtlich : Ueft er »
nen aus der Hand gefallenen Wagen erscheinen, d. b. et«%
wie er die Hand umdrehte, mit ihr schlag. Nach L. mam
mit der Hand fabricirten Wagen, was auch geht.
**) Wir lesen atirüpft und beziehen auf rftvanah nicht das i«*
hergehende hrttd mit Hrn. L., was ein wunderliches Zeug»
wäre, sondern das folgende, auf ihn wie auf bali
baddha.
815
LiOMMen^ Antkol^gta SanMtrüica*
846
ilinen gebfthrt sie sur Fraaf Vilrrainasdaa meinte, sie
müsse die Gattin des Wissenden sein. »^Und doch sind
alle drei an Wefthe gleich'*, entgegnete der Y6t41a^
wie so ist sie denn dieses Gattini Yikramasöna ant*
wortete :
Eifer^ Muth und Auidauer und Weuheii, Stärke, Heldenmuih^
Wen iäuner ditt ueh$ schmück^n^ 4tn fürchtet wahrlich ielbsi
der Gott,
Als derTet&la das gehört hatte, giag erundhieng wie-
der an seinem Qin^ipabaumzweige." —
Obgleich diese Mährchen zuweilen etwas Monoto-
nes haben, Mtten wir Hrn. L. Danlc gewufst, wenn er
uns das Ganze initgetheilt hätte. Aehnlich verhält es
luch mit no. II., dem Qukasaptati, d. b. Papagaiensie-
benzig, welche Sammlung persisdi als Tutinameh bc*
kannt ist, und von der Hr. L. nur die Einleitung und
eine Fabel mittheilt. Madana hatte eine Gattin Pra-
bhdvat}, die allzusehr der Sinnlichkeit anhieng; daher
worden zu ihrer Belehrung zwei Gandharvcnkinder ge-
bracht, die weil sie einst in schlechter Gesellschaft leb-
ten , SU einem Papagaien und einer Staarin in einem
Bauer,, verwandelt waren.
Einzelnes betreffende Bemerkungen zu beiden Ge-
schichten sind folgende: 1,11 — 12 nehmen wir harivat
(t«. Haris instar) für Indraj samana (L. honorans) als
honoratus: wie Kandarpa schön an Gestalt: die Lust
des Indra und der Menschen ; gleichsam ein Meer, das
sich in seinen Grenzen hält, geachtet immerdar bei den
Guten. -^ 3, 16 aghoramantra ist wohl ein Qivaman-
tra; Hr. Lassen nimmt o^gA&ra als non cmdelis, eine
Bedeutung, die es nach Wilson nicAt hat, er iibersetzt
^.ausdrücklich mit terrible, formi^able und meint a
bezeichne nur reiembiance ; noch besser würde hier
das Fem. aghora passen, der 14te Tag der schwarzen
Hälfte, von dem ja kurz vorher die Rede ist ; vielleicht
liegt in aghdra ein alter Euphembmus. 5, 12 ist
mritakapäoana zu trennen und mritakam zu lesen. 11, 9
vip^ari- und 15, 5 aparf* sind überzählige Verse, ein
Anapäst an Stelle der zwei ersten Silben, wie es öfter'
vorkommt. 14, 2 dapadipij in 10 Weltgegenden, ist
Hrn. Lassen eine Hyperbel für die sonst gewohnlichen
89 wir glauben an einer Stelle des Mabäbh. demselben
^ Worte begegnet zu sein (vgl. Schlegel zur Uebers. des
Ramäj.), möchten hier indessen di^i di^i d. b. hie illic
vorziehen, of. 64, 20. -^ 15, 1--2 ist schwerlich richtig.
16, 18 ist kritUkä die 3te Mondstaiion, während es Hrw
L. blofs durch nomen Naxatrae erklärt. — 17,-2 hebt
Hr. L. bei dhavalägrihk ^ dhavalagriha 19^ 13, ^bm
IVeifoe zu sehr hervor: Kalkhaus, do^us cujus parie-
tes calce sunt illiti; wir halten uns an Scbol. zu Cau-
rap. 18, 1. dhavalav^^mani : räg'asadand, also der Pal-
last, der denn auch zu c aitja pafst. Das Fem. (nach
W. sonst eine weifse Kuh) wird hier wohl nur des
Versmafses wegen, stehen.. — 21,3 will Hr. L. im Glos-
sar für fbshänjaldAaithiti lieber fethanjalbkaMthiti
lesen, indessen macht dann alokfMthiti Schwierigkei-
ten, wie Bhartr. II, 19« Am besten lesen wir viel-
leicht ^Anjänjalökasthiti, d. h. dannr diese Wonne
nenne ich ewig, nichts ist dagegen der Zustand der
anderen Welt. — 22, 5 ist andhak&pa auffällig^ des-
gleichen 21 y 1 mädhavagar^itam Yishnus damoreml^
und 28, 13 servi stant' in porta vrüAanä iva^ scroto-
rum instar! worüber uns eine weitere Erklärung er«
wünscht wäre; andha fafst Hr. L. als occultuSf es ist
aber (nach WUs.) als Neutr. auch darknes und water^
was bei kApa der Brunnen^ die Grube recht gut pafst;
sonst wird freilicn andha gleich eoecus und 6i$nd so*
wohl passive als active gebraucht. In der zweiten
Stelle schlagen wir statt: Pferdesprung und Yischnu*
geschrei, magAavadgargfttam'Y ort Pferdegallop (Ge*
trappel) und Indradonner, ^ w f ür . v^\^ .^ was me-
trisch unverwehrt ist; snaghavat^ und gargitam vom
Donner, sind bekannt. Die dritte Stelle endlich ist
leicht schon durch vrühabha oder besser vri$hala ge-,
bessert, wobei man webigstens zu einem Sinn gelangt. —
34, 11 aus der Sävitrigeschichte entnommen, lautet auch
in der Ed. Calic. eakrit Makrity wie hier^ und niclit
wie bei Bopp s« satÄm, also die drei nur einmal^ was
nachdrücklicher ist als die drei Einmal der Guten. An-
deres übergehen wir.
No. III. ist aus Mahftbh^rata Ed. Cal. I. pg.203 ge-
nommen und durch seinen besonderen dem grofsen Epos
wenig angemessenen Charakter merkwürdig, eine Thier-
fabel, die Klugheit des Schakals, als Beispiel,^ wie' der
Feind durch Schmeichelei, List u. s. w. getödtet wer-
den kann. Der Schakal beredet sich mit seinen Freun-
den, dem Tiger, der Maus, dem Wolfe und Ichneu-
mon, um einen^ starken Löwen zu tödten^ das Maus*
chen soll, wenn er schlftft seine Füfse zernagen, dann
S47
soll ihn 4er Tiger erwürgen. Die Hauptraciie ist da»
bei, wie der Sdialud eicli seiner Freunde zu entledi»
gen' weib, und gutes Muthes allein des Löwen Fleisch
rerzehrt
Es folgt sodann unter No. IV. der Text jener lieb-
lichen Kandu«episode ' aus dem BrahmapurAna, welche
Hr. V. Schiegel Ind. Bibl. I. S. 258 auf so meisterhafte
Weise ki freier Prosa übersetzt hat. Wir können sie
darnach als belcaimt Übergehen*
Gleich dankbar aufzunehmen ist die folgende Som»
merbeschreibung aus KAlidAsa's Ritusanhira, welches
äufserst saubere anmuthige Gedichtchen zwar schon im
Jaiire 1702. von W. Jones als erstes SanskritstGck edirt
war,' in dieser Ausgabe aber so selten geworden ist,
dafs es'fQr unbekannt und unedirt gelten* konnte, bis
es neulich vollständig -^ als letzte Gabe — durch v.
Bohlen zugänglich gemacht ist, worüber ich auf meine
Anzeige in den Hallbchen Jahrbüchern 1840, 6. Mal
No. 109. verweisen darf. Das Gedichtchen bt im Gan-
zen klar, leichtes und einfaches Stils, .treu und leben-
dig, zuweilen leidenschaftlich in seinen Schilderungen,
und nur selten durch Wiederholungen etwas einförmig.
Offenbar gehurt es der guten alten Zeit an, und mag
mit Recht dem Kälidäsa zugeschrieben werden. Der
Dichter erwähnt zuerst alles dessen, was zur Zeit des
Sommers labend und kühlend das Herz erfreut; dann
schildert er die Sommergluth in ihrer verheerenden,
fürchterlichen Wirkung und malt mit grellen Farben
die Schrecken des Waldbrandes. Folgende Yerse aus
meiner freieren Uebersetzung mögen als Probe dienen.
% Nächte deren dunkle Schatten
8ind vericheucht vom Mondenicheiney
SandehaHenf Ueblteh duftend^
Schmuck der kühlen B^leieine^
tlnd am Meer' ein Sommerhäuecfien
Um der Sonnenglutii zu wehren^
Kommen wohl bei den Oeliehten
In dem CuUchimond zu Ehren,
3. Wohlgeruehdarehflofenem SoUer
Der de$ Meneehen Herz. erhebe
Und dem Honig der im Flüttern
Auf der Liebiten Lippe bebt^
Und det lAebetgottet Flammen^
Und de§ Liedee eanfien Tönen
Mögen Ldebenda znr Nachtzeit
In dem putechmonde fröhnen^
6, üeppig volle Bueen wekhe
Staub dee duftgen Sandele kähli,
Ein in gelbee Oold gefafitee
Perlendiadem umepieU^
Hüften ^ da wo eia umfangen
Hält dee goldnen Gürtel^ Zier, -^ .
Weeeen Sinn erfüllten dieee.
Nicht mit glühender Begier^
10. Die von grimmer Sonnenhitze
Faet verbranntet glühend heifee.
Und von Staubgewirbel da$ ein
Heftger Sturm erregt^ im Kfeifee
Ringt durchzogene Erdf kann der
Wandrer nicht mit Augen e^ken^ ^
Er in deuenSinn die Gluthen
, Von der Liebetentrennung wehen,
17« Auf dem gelb mit Schlamm bedeckten^
Graebewachenen See, dem heiften^
Lauft die Eberheerde wühlend
Mit der Schnauz* in weiten Krei/een^ —
Die von glühndem Sonnenetrahte
üeberaue geplagte BeerdCf
f Auf dem See, alt war der duftge
Eine Flacha dürrer Erde.
21. In die Höh da'e Haupt gerichtet
Welehee Schaum und Speichel deckt,
Aue dem rotiun Maul die rothe
Zunge weit hervorgettreckt.
Sieht man aus dee Waldee Dickicht
Wilde Auerochsen laufen,
Durstgepeinigt, wassergierig.
Hier und dort in grofsen Haufen,
35. Windzerrissen heulen Gluthen
In der Berge Hefen Grüntkn,
Mit Getöie sich durch dürre
Rohrgefilde weiter winden.
Durch des Grases weite Sirecken, «-
Rings die flüchtgen Heerden scheuchend, •*
Mit dem Augenblicke wachsend.
Bis zum End des Waldes reichend «).
28. Der mit süßem Duft ergetzet,
See'n mit Lotuswäldern, schmückt,
Der in Strömen Wonne spendet,
Wenn das sanfte Mondlicht bUdsty -^
Dieser Sommer wandle freundlich
Der Geliebten Dein vereint,
Hin zu Dir auf hohem Sollen
Nachts wenn alles minnt und meint.
•} aUn vergfoiclM hiemH die ScUUenmg hex Freülpatli, G«di^kU 2le Auf
S. 275.
(Der Beschlafg folgt.)
M 107.
J a b r b tt c he r
für
wissenschaftliche K r i t i k.
Juni 1840.
An^logia SantcriticOf Gloi$ario instructa. In
u$um acholarum ed. Cht, Laßsen.
(Sdikilk)
Ganis unzareichepd iit das Glossier hier in folgen-
den Stellen: 2, h g'alajantro' (g^ihft)> maohina hydrau-
liea, also Wassermascbinenbaus, womit der Anfänger
schwerlich X etwas anzufangen weiCs, so wie denn auch
6 {iuschiLta) --^ gauräryntis^ dvacfihßiwus^ onm^ wie-
dergegeben, unverstandlich bleibt; v. Bohlen nimmt
^a»ra als iäaflfran, wir lieber als GöiJ: ein, in kühles
Gold eingehen gemachter Perlensobmuck ^ - cf« 70,4.
Ters lld bhinna'ang'ana^MannibAam nabhah erklärt
Hir. L« einzeln durch fissus, eruptns — unctio, tollyrium *7- '
simUis nubes, aber was denkt man sich bei ieiner Wolke
die gespaltener Augensalbe gleicht? Das Richtige bat
iiier schon v. Bohlen ( cf. Wilson s. t. an^ana, the
etepfant, und bhinna » prabhinna^ a furio]iis elepfant,
also die Wolke oder Luft 'gleicht einem (von seinem
Weibchen geschiedenen a) grimmigen Elepfanten. Nichts
. häufiger als dieser Vergleich, wie Hr. L. wohl weifs ;
cf. Ritus. IL. 2, b.'u. III, 5, a. -^Endlich t/ 27, d ist
In vipulapulmad^famnimnagam äprajanti d. b. sie
fluchten sich in den Flufs der grofse Inselstellen hat,
d€U Wert nimnaga gar nicht, oder vielmehr es scheint,
man siebt nicht wie, unter W. tna^g' erklärt 2u sein,
da es doch mit letzterem so wenig als mit ni-mag^^
etwas zu sehaffen hat, und sich als eine Nebenform von
nimra an^ W. nam anscbUelst, daher schon in den
Tedas njmna als dediYitas vorkommt. Es scheint^Jm
Glossar mit nimagna. verwechselt. — Versehen und
Ungenauigkeitto solcher. Art liefsen sich mehrere an-
führ en.
Das unter No. VI. mitgethfilte Drama Dhtl^rUMa^
tnagama^ die Versammlung der Gauner, fällt in späte
Zeit, und zwar wie Hr. L. ern>ittelt jku haben glaubt,
unter den Konig Narasinha von Karnäta der von.l4S7 —
Jahrh. f. tnnentch. Kritik. J. 1840. L Bd.
1508 regierte. Es ist ein Beispiel arger VerwUäerung.
des Geschmacks, oTt albernes, zuweilen zotiges Inhalts,
kurz eine Curiosität, in der die Gedanken oft so un-
klar ausgedrückt und in einander geknäuelt sind, dafs
wir es für absolute Unmöglichkeit halten, dieselben in '
enger, netter Uebersetzung immer plan zu entwirret.
So sind gleich die ersten' zwei Seiten, und .vielleicht
lEibsiobtlich di^se, ein Muster von Verworrenheit und
Bombigst. Im Segensspruche lacht der Mond, als er .
sieht, wie Qiya von seiner Schwiegermutter geküfst,,
wird^ und über de^ Mondes Lachen lacht wieder (^iva ;
wir Jkonnten die Stelle etwa so wiedergeben:
Der fiva — deufn Fünfgjüicki von LäcMln hold tTglunzte^
^ Jli er det Monde$ Jntlitz iahj der lächelnd niederechmiUf
Da ihn (P»p<i) im Rath def Götter eimt die Schwiege(fnutter '
freudig
Am Haupt gekuftt hei ihrer Tochter Heirath -^»pende Heil Euch,
Wenn der Herausgeber sich des Stückes, in dem er .
zugleich ein Beispiel seiner früher besprochenen Prä-*
kritcritik geben wollte, ,treu ^und sorgsamst angenom-
men bat, so ist es ihm doch leider nicht gelungen, alles
Dunkle und Verschlungene vollkommen zu erläutern. '
Gleich im Eingange würden wir vieles anders fassen,
was wir hier freilich nicht erörtern konndn. Ungenü-
gend ist die Erklärung von 82, 12- viüwa maggf^d küay
oder was heifst das : in der Mitte schmal wie ein loeus
sacrificii, vel altarel Es läfst jsich über die Erklärung
freilich zweifeln, man vergleiche indessen Caurapanc'. /
V. 46 a, krigavbdimadhjam^ ein Ausdruck der hier zum
Crunde zufliegen scheint, mit v. Bohlens Note, ^nd
Mahabh. 111.^451 1. 1 rukmavidinibhhm. — v. 72, 1
ratnani ist offenbar eine spätere Bildung, die auch
BliäminlvUäsa S. 153 bei Bohlen vorkommt. 95, 7,
päritoihika fehlt im' Glossar u. s. f.
- Wenn man sich durch die trostlose Oede dieses
Machwerkes mühseligst hindurchgearbeitet hat, kaum
hie und da durch einen grIMien Gedanken belohnt, so
-N ,
107
851
Lauen y AfMofogia SafkMeritidi*
glaubt man dagegen in den zum .Schlusae ijach Romp
mitgetheilten Vfidahymnen einen . altm ekrwürdigea
Dom zu betreten, dessen einfach erliabene Bauart dj0
Seele mit Andacht erfüllt. Kein grofserer Abstand' als
zwischen diesw teideq Crzeugiiifseji etnev Lfteraftur.
Wie ernst und feierlich nimpt sich z. B. der erste
Hymnus ans, den wir hier im Versmabe des Originals
Wiedergeben.
Aß die ^orgenrötAe^
' Empor JUbi iick der 8trahlenglan% de$ Morgttu
Et'gtänzend wie de$ Meeree SUberfluthen^
Zu ebnen und zu bahnen um das WeltalL -*
Da ut eie — majeetatiiek — - die Maghdnil
So hehr ereche^U Du, breiieii aus Dein.Giänzeß^
Der Strahlen ^chier fliegen auf zum Hiuimel^ -^
Enth&lle denn Dein knUerprarigend Andifz^
Du Göttin Morgenroth^ gehüllt in StraMen !
Einher fährt iie auf ^oldnem Strahl getragen
' Die leuehiindef die hehre, weiige feiert ;
Dem ßeroi ^leiehj des P/eii verscheucht die Feinde,
Scheucht sie im Nu der Fi»st€miss4 Sehaaren.-
Dir ist so Weg wie Steg gebahnt im Dickicht,
Du Unbesiegte wanderst dur^ch den Aelher:
Du deren Wagen wiithih führt. Du spende
O Himmehtochter l Schatze zum Geniefsen*
Du fahrtt einher mit Rossen, Unbesiegte,
Du m/hrgenröthe spende was wir flehen t
'Du hohe Bimmelstochter bist die Göttin,
Die hehro die i^ FtÜhgebet wir feiern.
yWehn Du erscheimt, verlassen Mensch und Vögel
Die Wohnung um der Nahrung nachzugehen;
lUm tterbHehen Verehrer der genahet,
Dem ßpendesi Du, o, Gittin, reiehUeh Seegen.
Die I^oten, welche den mitgetheilten Texten folgen,
geben zuerst eine Zusammenstellung der Metra, wobei
' et Wunder nimmt^ dab Hm. L. die einfachen Vedischen
Mafse eines Theils entgangen sind. Die Anmerkungen
hittea wohl etwas ausführlicher «ein sollen ; nur zu den
Vedabymnea, wo ihnen die Rosensoheii Bemerkungen
meistens einverleibt siAd, fliefsen sie reicMich^. Das
Glossar, .bis auf die angeführten Punkte, (denen man
noch n&n6 hinzufügen kann) vollständig, erwirbt sichinr
Einzelnen manches Verdienst, wie denn namentlieh die
Bedeutung der Partikeln und der'ürsprhng der Wörter
ber&eksiehtigt And, In letzter Beziehung meinen wir
Indessen zu oft und auch da, wo die Etymologie gesi*
chert sein dftrfte, den Zusatz orig. ineert.gefiuidea ti
liabea. > ftlnd mr gleich der Meinung, wie die (Aigcn
^d^utungen zeigen, dafs Hn Lassen das' Gegabese
viel sorgfältiger und besser behandeln konnte^ § o geile,
b^ wir unserei^ Th^ g^m das Bud^ «^ TlMilna^
und nicht oime manche Belehrung aufgenommsn n
haben, -
Albert Ho«fer.
LXVI,
Meteorologische Monographien.
JJ Obserrations metSorologiques faües d tAce-
dSmie Imperiale des Sciences de 8t Peten-
bourff de 1822 a 1834 et calculees pur Ü
Kupffer (Extrait des Memoires de PAcedt
mie des Sciences de St* Petersbourg VI. Bim
T. IV. St. Peiersbourg, 1S38. 214 & 4
2J Obserrations metSorologiques et, magnett^
faites dans r Empire de Russie^ redigees et fit
: bliees aus frais du gouvemefhent par A. T.
Kupffer. ,T. /. St. Petersbourg^ 1831. 196&
gr. 4.
S) AnnUßfre magnetique et meteorölogique ifa
Corps des Ingenieurs des Mines de Bussie ov
recueil d Obserrations magnetiques et melior
, rologiques faites dans tetendue de FEmpi^e
deRussie et publiees par ordre de 8. 31. fSsh
pereur Nicolas L et sous les 4»usp£ces de IL
le Comte Cancrine ministre des Fmancespsf
A. T. Kupffer, Annee 1837. 8t. Petert
bourgj 1839. mit 5 graphischen Darsteltiah
gen. 211 S. gr. A.\
A) Collectanea Meteorologica sub emspicm Ss-
cietatis Scientiarum Damcoß ediita Fase. IL
contmens Observßtüm^s Thornstenseniik
Islandiainstitutas, Uqfniae, I8i9. TypisP^
pianis. 233 JS. 4.
5; Zehnter Jahresbericht liber die fFätermgh
Verhältnisse in WürUmberg wm Jahre IW
von Prqf.Plieninger mStuM^ard 97' & &
Eilfter Jahresbericht 183d. 65 8. Zwo^
und dreizehnter 1836. 1837. 120 S. (Besät
"ders, abgedruckt aus dem Correspondembbtt
des landwirtschaftlichen Vereinig)
«9
Jtt it^or o f a g i't e k s M'* » *'g rap A4 itn. ' fö4
15^ MstsßQoXoycPeai naQctrriQriöHi "yzTfOfitvac ug
%) LokrmmnHy S^ArägB zur Meieorologü des
Mömgr0(chr Sachsen 1828—1837. Dresden,
1839^ 73 S. . 4. Als eUfte Urferung der Mä-
thmiuHgen des HäÜstischen Verein för das
. Königreich Sachsen.
^J Meteorülogtsches J^ahrJbucTi der Orofsherzog-
Uchen Sternwarte zu Jena totn Inspector der
Sternwarte Dr. Ludwig Schrön. ' Der neuen
JFotge erster j zweiter ^ dritter Jahrgang der
meteorologischen Beobachtungen der Orofs--
herzoglichen Sternwarte vom Jahre 1833. 1834.
1835. (Ifi den Abhandlungen der Leopoldi-
nisch ' Carolinischen Akademie.)
S) Meteorologische Beobachtungen zu Regens^
bürg in den Jahren 1774 — 1834 bekannt ge-
' macht von dem dermaligen Observator Ferdi^
nand v. Sc'hmöger. Nürnbergs 1835. 96 S. 8.
B) Innsbrucher meteorologische Beobachtungen
%on fünfzig Jahren mit einer Uebersicht der*
selben von. Franz v.Zallinger zum Thurn.
Nach des Verfassern Tode mit einer Biogra-
phie desselbeuj herausgegeben von dem Aus-
* Schusse des Ferdinandeums Insbruck 1833. 8«
107 £r. nebst dem Beobachtungsjournale. .
\^) Mer'iany Hauptresultate aus den met^orö'^
logischen Beobachtungen zu Basel von 1826 —
1836. 4.
IlXJ Schouwj Tableau duclimat et dela vege^
taiion de F Italic resultat de deux voyages en
ce^pays dans les annies 1817—1819 <?f 1829— *'
1830 vol. L Tableau de la tempirature et
des pluies de t Italic. ^ Aeec un atlas de 5 (partes.
€openhague^ 183d. b. Gyldendal. 227 S. gr. 8.
130 Meteorologische Beobachtungen angestellt
4sUj Veranstaltung der naturforschenden Oe^
setischaft in Zürich. ia37. 1838. Ztirich, hei
Orelly Fufsliei C. 4. 2 Hefte 1837. 1838.
tJ3^J Jahtbuch der Kämglichen Sternwarte bei
München für 1840, verfafst und herausgege-
ben von Dr.. J. LamoHt, Dritter Jahrgang.
2d4 S. 8.
t,A) Neue Schraten der patriotisch ökonomischen
Oesellschqft fyi^ Königreich Böhmen. fMeteo^
rologische Beobachtungen van 1S22 — 1836 J
A&tfreci vno T. K. Bovqtj,
16) Dr. Richardson, Results of Thermome^
trical Observations made at Sir Edward Par-
' ry^ several Wintering'Places on his'Arctic
Voyages and at Fort Franklin^ im Journal
^ of the Royal Geographical Society ofLonr
don. 9 vol. Port. III. London, 1839. 8«
VI) Transactionf of the meteorological Society
inttituted in the year 1823. London^ 1839.
vol. I. 1839. '
\S) Herrenschneider^.resume des observa^
tions meteorologi^uesfaites d Strasbourgs jähr^
lieh ein Heft.- 8. ^
Di« atmosphärischen Er«chelnaiig«n greifen So iU
■ rect in alle Verhältnisse des Lebens ein, dafii jede^
sie zu beachten, sich ein ohngefähres llrtheil über^sie
EU bilden geewüngen ist. Die Meteorologie ist daher
, unter den Naturwissenschaften vielleicht die ftlteste^ sie
zählt unter allen die meisten Mitarbeiter, ihre Littera-
tur, wenn man freilich alles Oberflächliche, was.darQb^t
gesagt worden ist und noch gesagt wird, mit dazu zäh-
len will, die reichste.
Dafs man durch unmittelbare Anschauung in Be-
ziehung auf atmosphärische Erscheinungen einige fie-
sultate gewinnen könne, wird Niemand leugnen. So
wenig aber der flir einen Geographen gelten wird, w^I*^
eher die »Wege und Stege seiner nächsten Umgebung
kennt, mit ebeii so wenigem Redite werden Jäger, Hir-
ten und Nachtwächter auf den Namen von Wissenschaft-
kich^n Meteorologen Anspruch machen, weil sie für die
lokalen Witterungserscheinungen sich einige Regeln
abgemerkt haben, so forderlieh . auch dem betreffenden ,
Individuum solche Kenntnisse sein m^gen. Es Ist nur
durch Combination an vielen Orten angestellter und
. nicht blofs Unmittelbarer Beobachtungen, durch welche
man zu allgemeinen Resultaten gelangt.
So lange man bei den meteorologischen 'Untersu-
ehungen hauptsächlich nur den kfimatologischen , Ge^
siclHspunkt geltend machte, hatte die HerbeischaJtung^
des Materials keine Schwierigkeit, denn da jeder Beob-
, achter sehen die monatlichen und jährlichen Mittel
selbst berechnet, so ist gewdhnlfcfh der Herausgeber ei-
nes physikalischen Journals gern bereit, die wenigen
SLtd ^iesef Weise erhalieneh Zahlen daHn aufzunehmen.
855 'Jir e t e o r 0 l 0 g i 9 e A e M 0 n 0 gr 0 p Ai e n.
Zur Bestimmung der Gesetze der sogeaaDii$en unregel- 'schaffen. Das hat in der'neuen Zeit, wo. dieHttkr
.mäfsigen d. h. der nicht periodischen Veränderungen
bedarf man hingegen detaillirter Bebbachtungsjournale.
* Eine wissenschaftliche Zeitschrift versteht sich aber in
der Regel nur dazu, ein einziges zu publiciren. Ver-
gleichende Untersuchungen sind daher gewöhnlich nur
in gröfseren Städten, wo man sich alle diese verschie-
denen Journale verschaffen kann, anzustellen möglich,
oder nur von denen auszufuhren, welche sich in den
Besitz derselben zu setzen vermögen. \Venn m^n
aber bedenkt, dad zu anderweitigen wissenschaftlichen
' Zwecken sich selten jemand veranlafst finden wird, das
Giornale Arcadico di Roma zugleich mit dem Berliner
Wochenblatt zu halten und gleichzeitig sich auf die
biblioth^ue universelle und den allgemeinen Anzeiger
der Deutschen, oder auf die Annais of Philosophy und
'die ostpreufsischen Provinzialblätter, auT das Journal of
theAsiätic Society of Bengal unddie^chriften der patrio-
tischen Gesellschaft in Böhmen zu abonniren, so wird
man zugegen, dafs die letztere Forderung etwas stark
ist. Natürlich aber werden eine grofse Menge der werth-
vollstep Beobachtungsjonrnale gar nici^t bekannt gci-
macht, weil die zu ihrer Publlcation erforderlichen Mit*
tel fehlen, und es ist schon ein Gluck. zv nennen, wenn'
wenigstens ihre 'Manuscripte erhalten werden. Es ist
also hier das Bedürfnifs einer Unterstützung vorhanden,
deren Gewährung gerechtfertigt erscheint, wenn vor-
auszusetzen ist, dafs in d^ Arbeit der Wissenschaft
etwas zu Tage gefördert wird', welches durch die ge-
schehene pecuniäre Aufopferung nicht zu theuer erkauft
scheint«
So wie es privilegirte Stände giebt, die sich einer
besondem Berücksichtigung erfreuen, so giebt es auch
privilegirte Wissenschaften, wie z. B. die Astronomie,,
für deren Förderung kein Opfer zu grofs erscheint. Da
die empirische Physik nicht zu den letztern gehört, so
Üfst sich von vom herein nicht erwarten, dafs man mit
einem ihrer besondern Abschnitte eine Ausnahme pa-
chen werde, mit der Meteorologie am wenigsten, die
sicli nicht populär '^ zu .machen gewufst hat. Vor nicht
langer Zeit haben sich bedeutende Mathematiker noch
dazu verstanden, rein analytischen Untersuchungen irgend
einen.. sich auf das Problem der Störungen öder einen
andern^ astronomischen Gegenstand beziehenden Titel
zu geben, um ihnen unter dieser Firma Leser zu ver-
matik emancipirt worden bt, aufgeholt. Die Fbyiiker
ha1)en hingegeui um sich geltend zu madien» den Kdder
der Natzlicbkeit c|om gröfseren Pjiblikum Ungewditai,
und bei einer oft rein wissenschaftlichen Untersudiniig
leise angedeutet, dafs dadurch eine Aussicht vorhaBdcB
sei, dafs das Brod wohlfeiler werden wiirde. ^ Der E^
folg übertraf die Erwartungen und so wie es Sdun-
Spieler giebt, die über das Parquet hinwegsehend, tid
an die Gallerie wenden, zu der ihr Natu]:ell sie n.
widerstehlich Iiinzieht, und des Beifalls derselben p-
wifs, sich um das Murren in ihrer Nähe nicht bekte-
mern, so fehlt es nicht an Zeitungsphysikern, deren
Namen in wissenschaftlichen Journalen zwar unbekannt
sind, die aber mit ihren praktischen Entdeckungen den
unphysikalischen Publikum gegenüber sich breit machen
Solches Volk, welches mit Aktien galvanisirten Eisen
auf die Börse, kommt, würde, wenn Napoleon noch lebte,
die 100000 Franken, welche er auf eine Entdeckuig '
gesetzt hatten die d^r Voltaschen sich an die Seite stet.
len liefse, für sich in Anspruch nehmen.
Niemand wird die wichtige Seite der Naturwieses-
schaften, nach welcher sie die. Technik fördern, verke»>
nen, ja man kann zugeben, dafs es für ein nicht t»>
wahrlostes Gemüth etwas Erhebendes hsit, jeden BIw*
gen bei dem^KalSee aus dem Beiblatt der Zeitung n
sehen, dafs schon wieder eine neue Naturkraft entdeckt
worden ist. Auch wird man es -natürlich finden, daii,
als die Nachricht voa Fresnels frühem Tode alle Plif«
siker mit tiefem Schmerze erfüllte, die französisdpa
Zeitungen die Grö£^e dieses Verlustes dadurch begidf*
lieh zu machep suchten, dafs j^ie anführten, Fresnelhabe
bei der Beleuchtung der Leuchtthürme eine Verbesl^
rung angebracht. Das ist ganz passend für Leser, wel-
che den Namen Brewster^s uur Tom Kaleidoskop kr
kennen und von Malus erst gehört haben, seitdem fa
polarisirte Licht bei der Zuckerfobrication eine Anwen-
dung gefunden. Wenn aber dus wissenscbafüiche h- .
stitut, welches in der Öffentlichen Meinung am höchitea
steht, das Streben eines ganz der Wissenschaft geweüi* I
ten Lebens durch die höchste E^re anerkennt, die et
zu ertheilen vermag, und dann ein Zeitungsredacteurdie
Bemerkung macht, es habe wohl „populärere Namea".
gegeben, so ist es wünschehswerth, dafs jemand solok ;
Bornirtheit in ihre Schranken verweise.
(Die Fortsetzung folgt.)
J a fi r b tt c h e r
»
u r '
w i s s e n s c h a f 1 1 i che K r i t i k.
JuHi 1840.
Meteorologische Monogr afikien.
» .
(Fortsetzung.)
de Meteorologie steht noch, auf dem besehei^eneil
Standpunkte wie die Electricitätslehre su Fraaklia's Zei*
ten, eines Mannes, der '»war den Btlitsabteiter erfondea
Iiaty «eine Entdeckungen aber nach damaliger jelst unbe*
^eifliotier Sitte nur in Briefen an Tertraute Freunde
mittheilte. Aber damit soll nicht gesagt werden, dafs
aie immer dieselbe Stellung behalten werda Wenn
man die mittleren Temperaturen der einseinen Monate
des Jahres 1816 mit clen aus einem Mageren Zeiträume
abgeleiteten Mitteln vergleiobt, so sieht man^ dafe wjie
im Jahr 1837 und 1838 alle^ Zahlen unter die mittle-
ren fallen und die Kompreise im Yerhältairs dieser
negativen Differensen aind. Bei der Schnelligkeit, mit
Ifreleher mfm jetet Beobachtungsjoumale erhält, darf
man voraussehen, da(s eine Zeit kommen wird, ^o die
Met^rologie im eigentlicfaBten Sinne ein Brodstydium
Werden wird, und wo ein Meteorologe sich an det
Komborse wird sehn lassen können, ohne furchten «i
müssen, weggewiesen eu werden. * Die niedrigen No-
tirungen dea Tbermometep in London .werden dann die
Preise des Danziger Weizens zum Steigien bripgw,
und man wird, wie jetzt Courszettel, sp später meteo-
rologische Beobachtuligen durch £ourier'e sich zusenden«
Die Meteorologie wird dann eine populäre Wissenschaft
fein, sie wird keiner Unterstützuilg mehr bedürfen.
Jatzt aber, wo aie noch nicht in diesem glücklichen Sta*
dium begriffen, ist ihr diese noch nothig, und es fragt
aiob, ob Jemand geaeigt sei, sie ihr zu gewähren*
Es ist in- dieser Beziehung eine anzi^erkennende Ei-
genthiimlichkeit des Russiicbem GouFernemenl», dals von
•einer SeitadieWissensehaften eines gleichen grofsartigei^
. Schutzes genieis^n. Wissenscbaftliöhe Expeditionen, wei-
'che fast jährlich ausgerüstet i^erden, sind -fast immer aua
Repräsentanten aller jder einzelnen Disciplinen zusam-
, Jahrb. f. fn$ien$a^Kriah. J. 1840. I. Bd.
mengesetzt, welche aus denselben sich einen Gewinn
Tcrsprechen dürfen» Ja selbst specielle UnteiMdbum-
gen über bestimmte physilcalische oder naturhistdrtsehe
Fragen erfreuea sieh der aufmunternsten Untmritatziuig^ .
"^^ährend die .bedeutendsten Sununen auf die Erbauung
und Ausstattung einer Sternwarte in Petersburg Vfer«-
wendet wurden, sind gleichzeitig magnetische Und am»
teorologiscbe Observatorien in den entlegensten Gegen-
den^ des^ Reichea gegründet worden, welche vpn einer
in Petersburup gegründeten Centralaastalt geleitet wer«
den. Die Schriften 2) und 3) sind diö ersten Belege
dieses grofsartigen Unternehmens, welches dem Finanz«
minister Grafen Cancrtn seine Entstehung verdankt»
Die Beobachtungen am Barometer, Thermometei und
PsYchrometer geschehn von 2. zu. 2 Stunden von 8 Uhr
Morgens bb 10 Uhr Abends. Wind, Himmelsansieht
und Niederschlag sind ebenfalls stets angemerkt Der
Beobaehtungsplan ist zu Anfang des erstenfiandes von
^em Redacteur der Beobachtungen, Hm. Akademiker
Kupffer dargelegt, welcher an der Spitze des. ganzen
Unternehmens steht Die Beobachtungen von Peters*
bürg beginnen im August 1835 und erstrecken sich bis
Ende 1Ö37, die von Catharinenburg umfassen die Jahre
1836. 1837, die von Zlatust das Jahr. 1837. AuEser
dem Beobachtungsjoulrnale sind auch die monatlichen
und jährlichen jMlittel der einzelnen Stunden berechnet
und, was vorzüglich janzuerkenneu ist, bei allen einzel«
nen Beobachtungen die Elasticität des in der Atmo^
sphäre^ befindlichen Wasserdampfes unmittelbar aus den
Angaben des Psychrometers bereelmet, so dafs die
Veränderungen der Atmosphäre der trockenen Luft von
denen der Danlpfatme^häre gesondert werden können*
Die Schrift Np. 1. enthält die vom Jahr 1822 ^ 1834
von Hrn. IViinieWsky in Petersi^urg angestellten Beob-
acfatuugen .täglich dreimajr zu den Qlaaheimev Stutfden. 7.
X 9. Ueberall ist die Berechnung nach neuem Stil und
es ist zu Jioffen; dafs bei der Bekanntmachung der Be-
108
859 ' \v '.MeteorotogtMeh
obachtongsjouinale anderer Orte dieCs beibehaRea werde,
weil sons^ bei yergleicbendeü Untersuchungen immer
die Berechnung Ton Neuen eu unternehmen iat. Da
von Mescau, Tambow^ Kasan, Tobolski Irkutzk^ Areh-
8DgeI, Odessa^ Sebastoporund Ntcolajeff längere Beob-
- achtungsreihen yorhanden sind, das Bekanntmathen be-
reits vorhandener Journale der ' Wissenschaft aber eben
ao-forderliph ist als die Anstellung neuer Beobachtun-
gen, so darf man hoffen; daCs die Petersburger Akade^
Biie in dem mit der Herausgabe des Wisniewskyschen
Beobachtungsjournales begonnenen Unternehmen fortfah-
ren wird und dafs sie auf diese Weise das bereits fOr
die Klimatologie Rufslands vorhandene Material eben
so zuganglich machen \i^ird , als das Bergyverksinsti.
tut lauf seine Yervoiktändigang und Erweiterung be-
dacht ist.
tJuter den Fürsten, deren Namen man {mmbr be-
gegnet, wenn von Förderung eines wissenschaftlichen
oder künstlerichcua Unternehmens die Rede ist, nimmt der
jüngst verstorbene König von Dänemark einen der er-
sten Plätze ein. Das schuteende Interesse, welches er
der Astronomie zuwendete, wird stets in anerkennen-
der dankbarer Erinnerung bei denen bleiben, welche
dieise Wissenschaft pflegen. Aber auch die Meteoro-
logie verdankt ihm viel Durch seine» Munificenz wurde
Prof. Schauw ivk Stand gesetzt zu wiederholten Malen
mehrjährige Reisen nach Italien zu unternehmen, de-
Iren wichtige Ergebnisse er in dem im Jahr' 1839 er-
schienei^en unter No. 11« angeführten Tableau'du Cli-
mat de Tltalie niedergelegt hat. Ihm verdankt die Aka-
demie Ton Copenhagen die Mittel, das von dem unver-
gerslicbeh Churfursten Carl - Theodor von der Pfalz
durch Stiftung der Mannheimer l^ocietät über die Erde
Tcrbreitete Beobachtnngsnetz wiederum an einzelnen
"Punkten verschiedener' Zonen anzuknüpfen:- die unter
No. 4. angeführten ÖoUectanea M^teorologica liefern in
ihrem zweiten Bande vollständige vierzehnjährige Beob-
aehtungen aus Island mit Instrumenten angestellt, wel*
che mit denen der. Soeietät verglichen wurden«
Für den dritten Band ist rin ebenso wichtiger Beitrag
bestimmt, vierjährige Beobachtungen in Christiansborg
an der Küste von Gulilea, das Yermächtntfs der Dok**
toren T^rentepoM und £'/(tf»^i9, welche jenem furcht-
baren 'Klima erlagen. Welehe pecuniären Opfer aber
selbst mit der Heraasgabe solcher Journale verbunden
6 Monographien. 860
tAjoAj gebt' einfach daraus hervor^ dab Ton den xa An-
. fang dieser Anzeige zusammengestellten Werken auf
Bibliotheken deutscher Universitäten wohl selten eia
einziges vorhenden ist^ wenn es nicht etwa con. den
Herausgebern geseheaki wurde, wahncheinUdiy weil
man ihre Anschaflfung für einen unnothigen Luxus bäh.
Die Ueberschriften der -folgenden Werke zeigc%
dafs die Herausgabe selbst jährlicher Uebersichtcn a
Deutschland pur möglich ist» wepn ein Verein vim
Männern vom Fach oder einea verwandten Zweiges
der Naturwissenschaften sie übernimmt« So ist es ia
Sachsen Jer statistische Verein, . in Würtemberg der
landwirthschaftliche) i\x Böhmen . die patriotiscbe. öko-
nomische Gesellschaft, in Zürich die naturfersehende
Gesellschafir, welche sich dieses Verdienst erwerbe^
und swar sind es mit Ausnahme von Zürich nur dis
Resum^s, welche bekannt gemacht werden. Von dem aöf
' Goetke*s Veranlassung im Grofsherzogthum Weimar
gestifteten Verein sind, so viel mir bekannt ist, nur
ÜUnf Jahrgänge des Beobacbtungsjournale i>ekanitt ge*
macht worden, die Meteorologie mufs sich daher der
Leopoldinisch Carolimschen Akademie sehr Terpflicbet
fühlen, dafs sie dem unter 7) erwähnten Beobaditui^
Journal der Sternwarte von Jena bereits in drei JaLv
gängeh einen Platz in ihren Abhandlungen gewfihrt hat
Das längste Beobachtungsjournal ist das iron JSdA
tinger upi Innsbruck geführte. Es umfaCst 52 Jahre.
' Die dem Journale vorgedruckte Lebensbeschreiboag
dreier Männer aus dieser in Tyrol sehr populären Fa»
milie mag seine Herausgabe erleichtert haben. Deki.
.gens mufs bemerkt werden, dafs die älteren Jahrgänge,
desselben geringeres Vertrauen verdienen als die spä»
teren, denn ich habe durch eine Verglelchung mit
gleichzeitigen Beobachtungen an benachbarten Orten ge-
funden, dafs wenigstens in den Jahren *1790 — 1793 db
Wärmemittel entschieden zu h'obh sind.
Hingegen sind die Beobachtungen der langen Reäs
v<Mi Regensburg vom Jahr 1774—1834 n^ch meinen da-
mit angestellten Vergleiehungen mit gleichzeitigen Bs*
obachtungen durchaus zuverlässig; wenn daher umk
die vortreffliche Bearbeitung derselben (No. 8) ven
Hm. y. SeAmifger an sich schon ein höchst wertfarsl*
1er Beitrag für die Wissenschaft ist, so kann sie deck
nicht für die' Mittheilung des Journals selbst entsehi«
digen. W^m man bedenkt, dafs diese BeobaehtangcB
M«t«»r9l9gi4eUe M 0 n o g r a p k i it n.
891
Ton Steiglekne» begonnen nnd yon Placidui
rieh 45 Jahr lang fortgeeetzt wurden, dafs die yon
diesen tüchtigen Naturforschern gebrauchten Instrumente
durch Yergleichung mit neuen von durchaus zuverläs-
siger CoDstruction sieh bewahrt haben, so mochte man
e0 Ar eine Ehrensache der bairischen Gekehrten an-
sehn, ein solches Document der Nachwelt zu erhalten
und seine Publication auf irgend welche Weise durch-
zusetzen. Aber leider ist bei Unternehmungen der Art
wenig auf eine /Unterstützung von Seiten des gröiseren
Subttcoms zu rechnen, denn bei solchen Gelegenheiten
wird' ^ man immer lebhaft an Jean. Paui erinnert, der,
als ton der Gründung eines Denkmak für einen tie-
ruhmten Deutschen die Rede war, vorschlug, vermit-
telst der in Deutsclüand zusammenkommenden Beiträge
einen Manp nach England betteln zu schicken, um die
ertordedUche Suüune zu erhalten«
Das von ScAüSler in Wörtemberg erweckte Inter-
esse Tür Meteorologie bt mit, seinem Tode nicht erlo-
schen«« Die von Pliefiitiger fortgesetzten Jahresiberichte
zeichnen sich eben so durch Vollständigkeit d^r Data^
wie durch übersichtliche Zusammenstellung der sich
ans ihnen ergebendea Schlüsse aus. Man kann sie in
Plan und Ausführung ipdsterhaft nennen. Der Jahres-
bericht von 1834 enthält aufserdem eine höchst schät-
senswerthe Uebersicht drei und vierzigjähriger Beob-
achtungen von Stuttgart, welche mit dem Jahr 1792
beginnen. Aüeh ist fs mit Dank anzuerkennen, dais
nach V. Boffi Tode in den beigefügten Chroniken je-
des Jahres alles meteorologisch Bemerkenswertbe auch,
von andern Orten aufgezeichnet wird,' eine Sitte, wel-
che Howards, Climate of London zu einer so ' reichen
Fundgrube wichtiger Notizen macht« Da aber die at-
mosphirischeii Vefhältnisse in den auf einander folgen-
den Formen des organischen Lebens Jhr <Segenbild ha-
ben^ so mufs man noch mit besonderer Anerkennung er-
wähnen, dsitainPiieningers Uebersi9hten Blütl\enzeit und
862
maruigen, Weingarten, Endingeu, PfuUingen, Biberach,
Schussenried, Winnenden, Rechenberg, Friedrichshafea
Lernen wir durch den Schwäbischen Yerein,die
klimatischen - Verhältnisse des süddeiitschea Plateaus
kennen, so erhalten« wir -in den Schriften der patrio-
tisch-ökonomischen Gesellschaft in Böhmen fast eben
so Tollständige Data zur Kenntnifs dieses Kessellan-
des; Die Centralanstalt ist Prag, die übrigen Statip«
nen folgende: Hohenelbe, Tabor, Saaz, Hohenfurth, Ro-
tenhaus, Egei:, Köriiggrätz, Rumburg, Landskron,
Schuttenitz, Zlonitz, Tetschen, Smetschna, Neu Bistritz,
Deutschbrod, Marienbad, Turtsch, B ud weis, Tepl, Reh-
berg, St. Peter, Seelau, Krumau, Leitmeritk, Brzezina^
Sehüttehhofen, Schluckenau, Zbirow, Kuttenplan.
(Der B^sehlofs folgt.)
Lxvn.
Application de PAlgebre a la Giomitriey par ^ M*
Bourdon^ Inspectettr g^niral des etudety exa*
minateur pour FadmisMion aux icoles royoleo
polytechnique^ militaire^ de la marine^ fbre$türe
etc. Ouvrage adopti par TVmverHU.. Cinquihme
Edition, ßruxelle» 1838. 511 Seiten. 8.
-Dieses Lebrbach ist zur Yorbereitang für den Eintritt ja
die polytechnische und andere auf dem Tite^ genannte Schalen
bestimmt, nnd wie sehr es benutzt wird, zeigt das Erscheinen
einer fänften theil weise Terbesserten Auflage, der noch ein Nach-
druck in Brüssel gefolgt ist Auch ist das Buch in der That
sehr fafslich geschrieben; Begriffe und Methoden werden darin
mit grofser Sorgfalt und Umsicht erläutert, zablreichtf Beispiele
mit einer Aasfdhrlithkeit behandelt, welche einerseits kein Mit.
telglied in Schlüssen und Rechnungen überspringt, andererseits
aber auch' unnotbige Wiederholung und Übethaopt Leerheit za
meiden Yersteht Ref. erinnert sich keines^ Lehrbuches, dessen
Darstellung einem mündlichen Vortrage näher käme, als die des
Torliegend%n, und Zweifelt daher nicht, dafs ein besonnener Le^
ser, wenn er nur die Algebra bis zur Auflösung Quadratischer
Gleichungen nebst den Wesentlichen Elementar - Sätzen der Pla-
nimetrie und Stereometrie ipne bat, sich' in diesem Lehrbuche
Fruditrelfe, to wie Ankunft der Zugvögel ton den ver- , ^^^ anderweitig« HUIfe xureclit finden, . nnd daraas viel« Fet
«ehiedenen .Orten des Beobachtungstermins sorgfältig
bmchtet werden, welolies bei der gebirgigen Lage z«
interessanten ScIilQssen über' den Einflufs der Hdlie
auf diese Verhältnisse fulirt. Die Centralstation bildet
Stuttgart Die übrigen Beobachtungsstationen sind:
Wangen, Lndwigsburg, Sclionthal» Westheim, Bo(s«
feld, Giengen, Sehwenningen, Issny, Tuttlingen, Sig«
tigkeit in Anwendung der Algebra auf Geomeirie gewinnen kann.
In der Einleitung wird das Geschäft, geometrische Aufgaben
algebraisch zu losen, in folgende Abtheiliihgen zerfällt: 1« Die
Aufgabe in Gleichbng^ zu setzen« , 2.- Diese Gleichung (oder
diese Gleichungen, wenn mehrere unbekannte Grfffsen vorliegen)
aufzulösen« J. Die gefundenen Werthe zu constrniren oder in
Linien auszudrucken. Hierzu kommt häufig noch eine vierte
Abtheilung, die „discntsion des problianes*'} welcher nachher ein
^t
86S
ßMrd^n^ JppUcatÜLi^, de t Algeire ä bf Q^mdirie»
m
bwoDderf» CapiU} gewidmet, wird. ZunSchst begiDni der ¥or*^.
trag mit iler-dritten dieser AbtlieilungeD, weiV die darin* liegende
Attfgäbd dnrch einige einfache Regeln allgemein 'erledigt wird.
Diese betreffen die Constrnction von' rationalen Ansdriicken tand
ikren Qnadratwurseln ; mehr susammengesetzter ' Aoedriicke, wie
«. B. (wenn '«, 6,, c LiBien bedenten) Va* + l^^* "f cS
M |/ "» ' 1/ ""» ^* ** ^*' deren Construction freilich nur
wiederholte Anwendniig denelben Verfifthrent fordect,. hätte noch
lutea erwähnt werden kSnnea. Dus Lehrbuch geht lii^innif «a
einigen den Kreis und die gerade Linie betreffenden Aufgaben
Über, an welche die ^,Int^rpT<^tation des resaltats n^gatifs^ ge-
knüpft wird. Diese Deutong wird sanächat an einigen Beispie-
len unternommen und 'geht dahin, dafs ein negatives Resultat die
Berichtigung eines vorläufig angenominenen unrichtigen Torrn»«
^^zung in Betreff der Lage eines' gesuchten Punktes enthalte.
In einer Anmerkung wird noch hinzugefügt und an einem Bei-*
Bpiele erläutert, dafs eine unrichtige Voraussetzung der. Lage
des gesuchten Punktes, auch wenn dierselbe wirklich vorbanden
ist, nicht blos anf ein negatives, sondern sogar auf ein imagi'nä- -
res Resultat führen ktimie. 8o sorgfiltig auch dieser Abschnitt^ .
gleich allen Übrigen, ausgearbeitet ist, so findet Ref. dock, die
darin vorgetragene Ansicht nicht gann treffedd. Bn stände behr
Übel' um die Anwendueg der Algebra auf Geometrie, wenn es
dabei nothig wäre, von einef einseitigen oder gar unrichtigen
Voraussetzung auszugehen; man vermag nicht einznse;ben, wo-
her dann die Berichtigung eines Fehlers kommen sollte, der
schon, in die Gleichung gelegt wate. l^mM Wahre Ist vielmehr,
dafs die Gleichung so angelegt werden mufs, dafs sie auf alle
vorläufig denkbaren Lagen des gesuchten Punktes zugleich pas-
se; nur dadurch trägt sie, weil von jeder willkürlichen Voraus-
setzung unabhängig, in sich selbst die Bürgschaft ihrer Richtig-
keit« Namentlich kann man bei' solcher Anlage der Rechnung
niemals ein imaginäres Resultat in FälleA erhalten, welche ein
reelles zulassen. Das in dieser Hinsicht (S. 32) aufgestellte
Beispiel beweist nur, dafs man nicht willkürlich x^ a anstatt
a-rx schreiben darf, wie dort blos in der zwar nidit ausgespro-
chenen, aber uuzweifelbaft vorgestellten Absicht geschieht, den
fiurch a-^x ausgedrückten Abstand, welcher bei der vorläufig an-
genommenen Lage, des gesuchten Punktes negativ ausfallen wür-
de, nur seinem positiven Werthe nach in Rechnung zu bringen.
Nun mUiste aber bemerkt werden, dafs alsdann bei einer ande-
ren' Voraussetzung der Lage, des gesuchten Punktes x-^a nega-
tiv sein, also wieder mit a—x vertauscht werden müfste; hierin
liegt ein Mangel an Coi^equenz,' der nicht geeignet ist-, die Be-
deutung des Negativen gehörig aufzuklären. Vielmehr muf^tenj
dem wahren Sinne der Aufgabe gemäfs, alle darin vorkommen-
den Abstände mit ihren Zeichen in Rechnung gebracht , werden,
deren geometrische Deutung keiner Schwierigkeit unterliegt. Das
im Buche der Deutung des Negativen zu Grunde ]gelegte Prin-
Cip reicht jedoch schon bei diesem Beispiele nicht aus. Fm
Wesentlichen sa^ das Lehrbuch nur, dafs Abschnitte einer ge-
raden Linie, die von ' einem gemeinsamen Anfangspniikte ausge-
hen, in der Rechnung als positiv oder negativ erscfaetneii, ji
nachdem sie auf der einen oder der anderen Seite des Anfnigi.
puuktef liegen; Was aber von Abschnitten gelten soll, die |e>
räde nicht in jenem Punkte anfangen, wird nicht gesagt ReC
hält sdie Einmischung eines festen Anfangspunktes, wem n
^ich um allgemeine Deutung der Vorzeiehen hnndelt^ Ar «H»
behrlioh^ sogar fiir störend. Bjbn W «ich an dieselbe hük
den Gebrauch der Coordin^ten allzhsehr gewohnt, als ob aeit
bei diesen der Gegensatz zwischen positiv und negativ in 4ef
Geometrie zum Vorschein käme. Aber* die einfache and v*
sprüngliche Bestimmung, auf welche es hier ankonimt, besteht
tediglieh darin, dafs zu unterscheiden ist, öh eine Linie J10I»
schdeben wird (oder als beschrieben gedacht wird) dosch Ben»
guttg von A nach B oder von B nach A, , Aas dieser hier fion*
lieh nicht weiter zu entwickelnden Auffassung ergeben sich £e
im Buche entlialtenen .Sätze als Folgerungen,' bedingt durch &
noch hinzukommende Annahme eines festen Anfangspsaklei.
Nach diesen Bemerkungen, deren AusfBhrun'g vielleiefat diRh
die 'Wichtigkeit des Gegenstandes, oder dardi die .Vecbrsitmg
einer unzureichenden Ansicht' von densetben, bei de^jesigea Ia*
Sern dieser Anzeige sich rechtfertigt, welche an. dem EleAesti-
reu in der Mathematik Interesse nehmen» *>^iU Rcfer» in Bettcf
des Uebrigen sich um so kürzer fiassen.
Es folgt nunmehr ^im Xiehrbnche die schon erwähnte „iii.
cussion des probUmes^, unter welcher eine^ nähere Fräfing te
Eudforineln zu verstehen ist, die erfordert wird tbeils nsinr
Kenntnifs aUtr Losungen einer Anfgabn zu gelangnn, theüa m
Bedingungen für die Möglichkeit der Aufgabe nicht za äbei»
hen, welche sich oft nicht vorher erkennen, immer aber aas ki
Rechnung finden lassen. Die ausdrückliche Hervorhebung diefci
Tfaeils der UntersuchuUg Ist etwas 'sehr WeseBtIlches. ütd
diesen mehr die- Methode angehenden Ansfiihcnng««i wird ssml
, die ebene Trigonometrie yprgetragany iedann. din aphänscbiL
Von dieser erbiet man jedoch nur eineh korzen Abrifb» d« sai^
zu viele geometrische Uuifsiitze in_ Anspruch ninunt, iadt« er
njimentlich das Polar-Dreieck aus der^eometrie entlehnt u^ fir
die Rechnung benutzt, anstatt es folgerechte^ ans den tri^SM-
metrischen Grundformeln herzuleiten. Dadurch wHre -seibst ki
bei diesem Absd^nitte beabsiichttgten Kärze nnr wenig Eistitg
geschehen. Hiermit seliiieibt die ersl» Ahtheilang dba Wcrita;
die zweite lehrt zunächst den Gebrauch der Coerdinateä in te
Ebene, und wleudet diese besonders auf nähere UntersClchoBf 1»
Cum en zweiten Grades an ; die dritte behandelt die Coordat-
ten im Räume, ihre Verwandlung, ihren Gebrauch in der Tbeode
der geraden Linie, ^ der Ebene und der Flächen zweiten Grata
sfn welche Gegenstände noch ' manehe* lehrreiche AneCähnaga
geknUpt mnd. Das Werk ist ein anverläasiger und empfehle
werther Fitfirer durcjb diese Gebiete der Mathematik, welche ci
in beträchtlichem Umfange 'kennen lehrt, ohne jedoch auf aescfv
Untersuchungen, wie sie von Poncelet, Steiner n. A. nameBtlicl
über Kegelschnitte angestellt sind, Rücklicht zu nehmen.
f'erd. Min ding.
» /
^
109.
Jahrbücher
für
w i s 8 e n s c h a f 1 1 i c h e K r i t iE
Juni 18'40.
« «
Meteorologische Monographien.
(Schlafe.)
\
Diese Stationen gehen uni^ittelbar über in die dee säch-
sischen Yereins, dessen Beobachtungen der su früh Ver-
ei^Ava» Lohmmnn in. der unter No. 6 angeführten
Schrift in den monatlichen und jährlichen Mitteln mit-
getheilt hat. Die Beobaohtungsstationen desselben sind;
Dresden, Freiberg, Zittau, Ober- Wiesenthal, Wesen*
fitsin. Hingegen scheint Schlesien für Meteorologie
noch längere !Zeit eine terra incognita bleiben zu sol-
len, da die auf Veranlassung des Yereins f&r vaterUn-
4isÄhe iCukur angestellten Beobachtungen wahrschein-
lich nicht sur Yeroffentlichung bestimmt sind« Durch
die Combipation solcher Vorarbeiten, wie die erwähn«' *
ten, werden erst Werke möglich, wie das von ScAouw
über Italien, auf velches wir in emer besonderen An-
seige Eurüekkommen werden.
Ein ' Verbindungsglied swisehen B5hmen undWurr
temberg bildet das in Baiern neuerdings begonnene
Unternehmen gleichzeitiger Beobachtungen, worüber Hr.
MJamont in dem unter 13) angeführten Jahrbuch die
eisten Berichte mittheilt Die Beobachtungsorte sind:
Aschaffenburg 1833 t- 1838, Amberg, Hersogenaurach
October 1829—1838, Hof 1833--1838, Passau 1838,39*
Für die Güte der Beobachtungen von Basel (No.
10) bürgt der Name von JUerian. Endlich führen wir
^^o. 15. an, als Beweis, dafs auch Griechenland sich
der naturwissenschaftlichen Richtung der neuem Zeit
bereits thätig anschliefst.
Die Schrift No. 16 ist vevanlafst durch Hm. v.
\Baer$ Arbeit über das Klima von Sitcha. Da man das
Heft des Journals der geographischen Gesellschaft in
Itondon für 5 Schilling haben ha^n, so wird dieses
Memoir denen willkommen sein, denen die kostspielig
'fjtn Originale der Parryscben Reise nicht Sn Gebote
'stehen«
Jahrb. f, viuentch. KriHk. J. 184Q. I. Bd. •
Der' erste Band der Memohren der Im Jahr 1813.
gestifteten meteorologischen Societät in London enthält
zunächst eine graphische Darstellung der meteorologi«
sehen Beobachtungen von 8 Orten in England mit. den
Zahlenwerthen für die Mitleid aufsei'dem aber auch Be- ^
ob^chtungen yon aubiereuropiischen Orten, wie z. B.
York in Westaustralien, vieljäfarige Alittel von Chelten-
.ham und. TieIjShrige Extreme von Xondon und Thet»
ford. Es ist zu wünschen, daPs auf die Redaetion 4ie«
ser Retrospects künftig mehr Sorgfalt verwendet wer-
de, denn wi^ können - Beobachtungen. Vertrauen fin*
de, bei welchen Monate lang die niedrigste Wärine
bedeutender ist als die mittlere.
Mo. 18 ist eine Fortsetzung der langen Rf ihe von
Beobachtungen des verdienten Herren$€haeider. Ob
ScAuiter's t6sUm6 des observations m^t^orologiquea
faites a Metz pendant une periode de dix ann^es,
1825^1835, welche im lOten^ Bande der M^moires de
FAcad^mie Royale des Sciences de Metz erschienen
sind, auch besonders in den Buchhandel gekommen ist,,
kann ich nicht angeben.
SchlieCsIich mag noch bemerkt werden, dafs die
in neuerer Zeit in Belgien gleichzeitige angestellten Be-
obachtungen .von Brüssel, Mastrieb, Lüttich) Löwen,
Alost in den Bulletins und Memoiren] der Brfisseler
Akademie so wie in dei| Annalen der dasigen SteA«
warte bekannt gemacht werden, und dafs eine Bearbei-
tung des reichen in Holland aufgehäuften Materialsr von
Hrn. Wenckeiäch zu erwarten ist, wovon der örste
Theil tinter dem Titel: Uitkomsten uit m Nederlaod
gedane weerkundige Waamenungen in dem 5tenTheile
des^N^atuur en Scheikundig Archief 1837 bereits ec^
schienen ist.
Dafs das Journal of the A^iatic . Society of Ben«^
gal, in welchem Primep sein eignes, in^^Calcutta ge-
führtes Journal veröffentlichte, auch nach seiner Rück-
kehr nach England in meteorologischer Beziehung eine
109
867
F. H u r t e r^ D e n k w ü r d iß k eit e n.
oW
FttDdgnibe für die verschiedensten Gegenden Hindo-
stans bleiben wer de^, ist kaum eu hoffen, da ein Mann,
der, wie Prinsep, mit gleichem Erfolge antiquarische
Studien mU physikalischen Arbeiten yerbindet^ asu den
edtensten Ersoheinttngen gehört.
H.-W. Dove.
LVXIII.
DenkiffurdigTieiten aus den letzten Decenmen
des achtzehnten Jahrhunderts. Herausgegeben
durch Friedrich Hu rter. Schaffhausen^ 1840.
Hurter'sche Buchhandlung. XIV u. 239 S. 12L
Dem oberflächlichen Sinn ist ein geschichtliches
^ Ereignirs nur in .seinem Allgemeinen und hauplsSchlich
durch seine Folgen wichtig; er begnügt sich, dasselbe
im Groben und Ganzen aufzufassen, ohne sich^ um das
Detail yiel zu kummern. Der tieferen Geschiclitsbe-
trachtung aber ist ein Ereignifs auch wegen seiner In-
nern Besonderheit wichtig, und die gründliche Erfor-
schüng der. Wahrheit darf auch die kleinsten Um«
stände nicht Terschmäben, deren genauere 'Kenntnifs
erst das eigenthümliche Leben der Thatsachen ist, und
jemehr diese um ihrer selbst willen bedeuten und an-
sprechen, um so reicher und klarer wird die Gbschichts-
einsicht. Daher können wir Beiträge zur Aufhellung
geschichtlicher Yorgänge nicht d^fshalb als unerhebli-
dhe. abweisep, weil das Einzelne nicht so genau zu
wissen nöthig sei« Aufserdem fordert es au^h die Ge-
rechtigkeit, dafs :mx in den Ereignissen den Terschie-
' denen Antheil der darin Thätigen weder achtlos ver*
schweigen noch willkürlich durcheinanderwerfen^ son-
, dern im Gegeniheil denselben unterscheidend beryorhe-
b«n ; der Pflicht und Würde des Geschichtschreibers ist
es gemäGi, nicht niir Bewahrer, sondern auch Erfor-
echer und nöthigenfalis Hersteller des Ruf^s zu sein,
der die Namen der. Menschen begleitet, des guten wie
des schlechten, und^ jede Rephtfertigung wie jedes -
Strafwort -— gehe das Urtheil auch in noch so ferne
Vergangenheit zurück — ist eine Genugthuung für die
-Todten wie für das lebendige Geschlecht. *
Unter solchem Gesichtspunkt mögen wir auch die ,
hier dargebotene Sammlung kleiner Denkwürdigkeiten
mit einiger. Gunst aufnehmen, sofern dabei der gute/
Willen, manche geschicIiiUche Umstände näher zu be«
lenkten, offenbar Forherrscht Ueber den guten WiUes
hinaus finden wir freilich nicht viel zu loben, der Et«
trag, den wir gewinnen können, ist Ikstnur dasGe»
gientheil'dessen, den man uns zu bieten meint. Verfasser
und Herausgeber wecken uns k^ grofsesVertsaues h
ihre Einsicht und Kritik« Als Verfasser der Tonög*
lichsten dieser Aufsätze wird einer jener diplomatisdies
Agenten angedeutet, die sonst häufiger als jetzt in d«
Geschäften mitliefen, im Staatsdienste grofser MädiiB
selten das Dunkel der untern Regionen Terliebeo, m
kleinern Staaten aber durch erlangte Titel und "Wur*
den leicht ^in äufserliches Ansehn kamen. Von ihn,
dessen Namen er dodi aus Räcksicht verschweigt^ sagt
der Herausgeber: „Er war geistreich, gebildet, faatti
viel gelesen, besafs eben so greise Mensehenbmnli
nifs als Gewandtheft." Leider zeugen die Aufsitse
selbst ganz anders! Seine geheimen Aufschlüsse vsA
merkwürdigen Anekdoten sind von der zweifelhafr
testen Beschaffenheit, nnd stellen seine Welt- sni
. Menschenkennthifs erstaunlich blofs. Gleich die ia der
Vorrede beispielsweise eingeschaltete Anekdote, vend*
nem gewissen Wegener, der in Hoktdn den AnseU^
sür Entthronung Peters des Dritten erfahren und pack
St. Petersburg gemeldet haben soll, dafür aber nach
dem wirklich erfolgten Sturze des Kaiser^s verfolgt mi
gefangen gesetzt und nur unter der Bedingung wiete
freigelassen wird, dafs er seine nach England gerettet
ten ' Papiere nicht veröffentlicht , — diese Anekdote^
wel6h(d dem Herausgeber das bestimmteste Gepräge der
Glaubwürdigkeit ai^ sich trägt, erscheint uns ab «se
sehr unverbürgte, von der wir allenfalls nur den sehBeb»
lieh erwähnten UmslaAd ohne weiteres gelten hsses^
dafs der Grofsfürst Paul auf seiner Reise cu Fra&t
furt am' Main den als Anhänger seines Vaters ibsi
•bekannten oder bezeichneten Wegener freundlich sa*
geredet habe. Doch der Herausgeber hat einmal db
beste Meinung von seinem Geträbrsmann, dw sdae^
Seits leider seine besten Sachen aus der allersddeek
testen Quelle schupft, nämlich aus der gemeinsten vol
dabei wahnvollstei; Kundschafterei^ die wir durch eines
der mi^etheilten Au&ätze in ihrer ganzen. ErbSmlic&>
Iceit kennen lernen.
Die Sammlung enthält acht Stücke , die wirtiih
sein kürzlich betrachten wollen.
L Maihx. — Fliieipeyer^ — Der Gesandte vem
Stein. '— ScUetifsinger (1792). .Die> Uebeif;abc rop
OVSf
F. Hurte r^ Den
_ *
Bfaim an die Franzosen unter Cixsttne im Anfange
dfC ReTolutionekrieges war ein so unerwartetes und
sehreckendes Ereignifii y dafiif man , wie gewolmlich in
selchen Fällen, die gr1lndIos^sten Erdichtungen und
^ fabehesten Besehttidigungen zu Hülfe nahm, um das
UabegMfliehe zu erklären. Eine solche Anklage des
Verraths traf nicht nur'. im Allgemeinen die Frei-
htftsfreunde, welche Maiiis in groFser Zahl hegte 'und
aus denen nachher die Klubbisten hervorgingen, son*
dem namentlich den mainsischen Oberstlieutenant Eieke-
meyer, der als Ingenieur vom Platz die Vertheidigung.
gehindert und die Uebergabe bewirkt haben sollte. Von
dieser längst widerlegten Beschuldigung wird auChJiier
zwar Eickemeyer nach Gebühr freigesprochen, dagegen
soll nun der damalige preufsbehe Resident in Mainz^
Freiherr vom Stein, die Verrätherrolle übernehmen»
Wie man diesen Stein' mit seinem jüngeren Bruder,
ie!tk beirühmten preufsischen Sfaatsminister, noch ver*
wechseln kann, ist kaum begreiflich, da sogar das
Vorwort zu diesem Aulsatze die Brüder genau herzählt
und unterscheidet, und jener Resident auch sonst in
deutschen Ueberliefeningen öfters erwähnt und ^. B.
in Goethe*s Champiigne beistimmt als der äHere bezeich-
net wird. Von Franzosenhafs bis zur Wuth erfüllt,
. Übte er in Mainz mit durchgreifendem Ansehn den grofs-
ten Einflbrs, dlrang beim Annahen des Feindes mit stür-
mischem Begehren darauf, dafs wirklich Galgen aufge«
' richtet wurden für diejenigen, die von Uebergabe spre-
chen würden ; als aber die Franzosen darauf die Stadt
eingeschlossen, und der Gouverneur derselben, Freiherr
von Oymnioh, seine' Generale, den Grafen von Hatz- '
feldt, die Freiherren von Faber und von Rüdt, und
Andere, unter denen auch Stein mit besonderem An-
sehn figurirte, zum Kriegsrath beruren hatte^ ri^th allein
Eickemejer zur Vertheidigung, alle^ Andern stimmten
für die Uebergabe, und Stein selbst erklärte sich ent-
schieden zu dieser Meinung. Solchen Widerspruch
gegen sein früheres Benehmen erklärt unsre Denkschrift
nun so: Stein habe von seinen gleichgesinnten Ver-
trauten ini preufsischen Kabinet die Weisung gehabt,
Mainz in €ustine*s Hände zu spielen, weil es keines
geringeren Mittels, als des Verlustes einer so wichti-
gen Reichsfestung, bedürfe^ um Preuben zur ferneren
Tbeilncihme am Kriege aufzureizen,' und ihm die Wie-
dereroberung als eine Ehrensache vorzustellen! Wir
bekennen^ dab wir solche Faseki nicht der^Wideiie-
kwürdi^keiten. 670
gung werth achten J die Ursachen so plStdicher und
vollständiger Sinnesän<)erung sind nicht so weit h^nu*
holen, sie liegen in der Beschaffenheit der Vorgänge
selbst, in dem Ungeheuern Abstände verblendeter Lei«
denschaft und unabweisbarer Wirklichkeit, wo für let>»
tere, jemehr sich die Kraft der ^eele in Einbildungen
erschöpft hat, um so weniger^zum Handeln übrig bleibt.
Diese Erscheinung hat sich seitdem oft genug vor un^
Sern Augen wiederholt, und wir brauchen keine aben*
theuerlichen Anklagen zu Hülfe zu rufen, wo die ein*
fachen Thatsachen laut genug sprechen. Was für eis
Zustand abe^r in Mainz herrschte^ welcher Hof, welche
Regierung dort gewirthschaftet hatte, welches Kriegs*
Wesen vorhanden war, welche Menschen die, ersten
Stellen oder Gunst und Einflufs hatten, das wird auch
in unsrer Denkschrift angedeutet, wiewohl bei weitem
nicht genügend ausgemahlt. Eine vollständige ScfaiU
derung, zu welcher die Farben theilweise schon wohl*
bereitet daliegen, würde ein werthvoUes Geschenk für
die deutsche Geschichte sein, welche überhaupt dir •
scharfe und umständliche Betrachtung vaterländischer ^
Schmach und Unglücks weniger verabsäumen sollte^
indem grade diese Ereignisse die lehrreichsten Schätze
bieten. Wollte eine gewandte Feder , gleichsam zum
Gegenstück von Guhräüer's vortrefflichem „Kurmains ,
im Jahre 1672", uns eine Darstellung ^jMainz im Jahre
1792'^ liefem,^ wo sich die Geschichte des dortigen Um^
schvrunges, der Klubbisten, und der nacbherigen Bda^
gerung an das Gemähide dös früheren Hofes anscblüsse,
ko dürfte gewib 'ein für Gesinnung und Urtheil höchst
fruchtbares Werk zu erwarten stehen. Unsre Deiric»
Schrift hätte dabei manöhe Berichtigung zu erfahrea
So wiM^ z. B. Eickemeyer kein armer Knabe, der sein
äufseres Glück ganz dem Kurfürsten dankte, sondern
äer Sohn eines Obersten und Kriegsraths, wobei noteh -
zu bemerken ist, dafs iiberhaupt Ingenieur -Offiziere
nicht leipht in dem Verdacht stehen, mehr durch Gunst
als durch Verdienst aufzusteigen. Gab Elckemeyer'a '
hachheriger Uebertritt in französische Dienste^ wo er
General wurde, seinen Gegnern den erwünschten An^
lafs, ihm ein schon früheres Einverständnils mit den ^
Franzosen aufzubürden, so mochte auch Stein eifrigst
in diese Besthuldigung einstimmen, ohne dazu diejeni-
gen Triebfedern zu haben,' welche die Denkschrift ihm ,
andichtet. Dönn seine eigne angebliche Verrätherei^
deren oben erwähnt worden, und die ein verabschiede-
«,
871
* I * s ■'
J^; H ur t e r^ Denkwürdi g'k e i t e n*
ler preuGsisöher Lieutenant Sehleufsinger sur umstände
liehen Anklage gegen ihn milchte und bei dem Könige
'Selbst anenbringen dreist genug war, gehört offenbar
unter die albernen Mährchen,* welche ränkesüchtiger
Müfsiggang ausheckt, und bei der Leichtgläubigkeit gel-
tend macht. Dafs der Landgraf von Hessen -Homburg
, mit menschenfreundlichem Eifer sich des yerhafteten
Schlenfsinger habe annehmen wollen, aber von dem
General, von Kalkstein berathen worden, aich lieber
.nicht: ^ diese Sache zu mischen, dQrfte in der ganzen
Erzählung das allein Zuverläfsige sein. —
2. Oeorg List, (X19S). Wir kommen hier zu dem
Haupthelden unseres Buehe9.',Ein pfälzischer Hofkam-
merrath, der sich auf ge^altthatige Weise gegen Be-
drückungen auflehnte^ kommt deshalb aus dem Dienst,
wird Handelskommis in Lindau, dann in Basel Kassier
des Handlungshauses Preiswerk, welches während des
Krieges durch Yermittlupg des Briefwechsels und son-
stigen Yeckehrs zwischen Deutschland und Frankreich
grofsen Yortheil und auf beiden Seitdn ' vielen^ Dank
erwarb»* Dieser Mann - hatte den . Hang, sich überall
mit unberufener Thätigkeit einzumischen, machte in Ba-
sel die fran:KSs4sche. Sieche zu der seiuigen, bezüchtigte
den ersten Bürgermeister^ seine Stimme auf der Tag-
Satzung österreichischem Gelde verkauft zu haben, und
als er d^für einer Tracht Schläge nicht entgehen kön-
nen, wuiste er seiner Freiheits- und Gleichheitswuth
keine Giränzen -mehr, tn einer Apotheke bei einem
•Glase Schnaps wurden dem Sekretair des österreichi-
schen Gesandten die Geheimnisse der Depeschen ent-
lockt, und, in Folgte del? Mittheilungen, welche unser
List nach Hünkigen an den Volksrepräsentanten Mer-
lin von Thionville sandte, ein schon Sbeschlossener
Bheinübergang der Oesterreicher unti^r Wurmser durch
die französische Wachsamkeit verhindert. Noch an-
dre sobßhe Einwirkungen werden aufgezählt. Der Ver-
fasser der Denkschrift rühmt sich, . dafs ^r, während
List von männiglicb wegen seines Treibens gehafst
nnd^verachtet war, sich an ihn angeschlossen^^ ihm über«
einstimmende Gesinnungen geheuchelt, und viele vicb-
tige, geheime Nachrichten durch ihn erfahren liabe, wo-
bei er sieh denn nicht enthalten mag,' auszurufen:
„Pfui, über das Diplomaten -Handwerk!" Allerdings:
Pfui! doch nicht {über das Handwerk, . sondern über die
(Der BeiMshlafs folgt.)
m
Leute, die dasselbe schänden! Solche laurencle Lu.
pen, wie jener List, und solche dienstbeflissene Sciiwack-
köpfe, wie unser Verfasser, möchten ihrem so gering«
als nutzlosen, und schon darum schädlichen Treihoi
gern den Anschein einer politischen Wichtigkeit geks,
von der doch gerade ihr Treiben sie .meistens aussdiliebt;
denn der. Mangel an Gesinnung, die auch von den«»
tersten Stufen her Grobes wirken und dadurdi du
höchsten naherücken kann, läfst sich durch nichts gtt.
machen. Dafs auch auf den obersten Stufen dicw
Mangel vorkommt, wer wird das läugnenl aber nt
den selbstgewählten dunkeln und untern- bt er U-
misch; unser Verfasser, scheint zwar den FpanxoMi
anzuhängen, allein näher betrachtet erweist sieh sca
Wesen- i|ur als karakterlose Geschäftigkeit, wie a
denn später in Strafsburg eine Apotheke emchteh^
dann daselbst Regierungskommissär, hierauf in Spder;
Fabrikant wurde, und endlich, als Conunis einetf Kriege i
kommissärs im Jahre 1805 in einein Feldspitale siaA.
Die ganze Erbärmlichkeit seuier SpQrerei undMds»
gen entfaltet §ich den Augen im nächsten Anftstx.
3. Poteratx. ^ Conde. — Engkien (1797> His
treiben Zwischenträger aller Art, hohen ^ und nieda
Standes, bezahlte und unbezahlte^ ihr geheimes W^
sen, und meinep in ihren schmutzigen Tasclieii ii
grofsen Weltbegebenheiten zu haben ! Sie erfinden As*
schlage, sie erlangen Eintritt und QehSr bei den Ki»
tigen \ für den Verratb, den sie bringen, gehen sie sk
einetn andern, den sie empfangen, wieder ab, sie ^
len mit Leben und JBhre, aber ein grofses Breigmb siri
sie belohnen, alles ist vorl^ereitet, der Schlag wirf y*
schehen, — doch er unterbleibt, höchstens werdas d|
paar Leute eingesteckt odjer erschossen, und die 6^
scUohte strömt ihre Wogen nach wie vor im lelU-
gegrabenen Bette, das- von Ränken und Umtiieta
nicht verändert wird. W^as unser Autor von des |i;
heimen Anschlägen erzählt, welche von den isVB^
scheil En^igrirten, oder durch sid vermittelt ?od cid*
gen Höfen ausgingen, um die Haupter der f ransdsiicIiB
Republik oder die Befehlshaber ihrer Heere fiir o^, |
Gegenrevolution zu gewinnen^ das ist zum Tbeil th^.
sächlich, und schon in gröberem Unlfange bekanntiw'
es hier mitgc^theilt wird.
* X
J^ 110.
Ja h r b u c h e r
für
V X'
w i s s e n s c h a f 1 1 i c h e K r i t iki
Juni 1840.
V
Denhwirdigkeiten aus den^ letxten Becennien
des achizehnten Jahrhunderts. Herat^sgegehen
durch Friedrich Hurt er.
(FortsetzuDg.) -
Royalisten schmeicheln sich den Republikanern
an^ Republikaner den Royalistenj und .unvei^sehens
finden sie sieh in doppelten Verrath .Tcrwickelt.
Viel Verkehrtes und Heilloses ist in dieser Art
"wirklich gesponnen worden und an den Tag ge-
kommen« Dafs aber der Marquis TÖn Poteratz^ fm
Jahre 17^, als geheimer Friedensagent swischen Pa-
ris und Wien zu Basel geschäftig, daselbst mehr denn
Enranzigmal yon dem Prinzen von Condd und Herzog
Fon Enghien heimlich besupht worden, und .mit diesen
übereingekommen sei; „Cond^ solle Basel überrumpeln^
das republikanische Heer dann sogleich, unter dem
Verwände der Yerletzten schweizerischen Neutralität^
eb^fall» gegen Basel Torrucken, sich mit den Emi-
grirten vereinigen und beide gemeinsam in Schwaben
eindringen, um , das ganze Land zu revolutioniren, wo«
bei denn Ludwig .der Achtsehnte nach Basel in den
Gasthof zu den drei Königen gelockt und vom Balkon
des Speisesaals in den Rhein geworfen \ferden sollte,*'
so weit haben wir den Wahnwitz noch nicht getrieben
g^esehen, denn sogar das Lächerliche ^wird hier vom
£kelba(ten erstickt!* Es sind kleine, dem. engen Raum
von Basel angehdrige Himgespinnste, . dessen Neutrali-
tät und dessen zu plündernde oder zu. schonende Häu-
ser sich als Hauptmomente darslelieu. Und dieser Un-
sinn wird von unserm Terfasser als wahre Geschichte
geglaubt, und solcherlei Dummheiten berichtet er den
kleinen Höfen, deren Agent er war, und die wohl nie
einen — wenn auch noch so kärglichen '^ Sold nutz-
lose/ verschwendet haben! Natürlich waren nur ein
"paar kleine Un^stände schuld, dafs die. Ausführung des
ungeheuren Anschlags verhindert wurde, , aber die Sa-
Jahrb. /. Mfi$9€ntch, Kritik, /• 1840. I. Bd.
che selbst ist dem Terfasser unzweifelhaft, und seine
zuv'erlässige Quelle ist unser Qbiger Georg List, dessen
verbranntes Clehirn hier in vollem Glanz erscheinti
jDoch Ein Umstand ist in der ganzen .Erzählung, den«
auch wir für acht halt^, und den unser Verfasser
üufrichtig mittheilt, der Umstand nämlich, dafs das fran-
zösische Direktorium auf jene Eröffnungen des Mar«
quis von Poteratz nur geantwortet hat:. „11 faut lul
rire au ^exJ^ Das können wir glauben, €las woUeA
wir allenfalls, einregistriren! —
4. Die Hev^liiiion auf Malta (1798). Einei* fran^
zosischen Druckschrift entlehiit, deren Seltenheit dieseii
Auszug rechtfertigen mag. Wir haben hier abermals
einen Hergang, wo die Geschidite ihre altept verbrauch«
ten Formen zerbricht und äict Trümmer in neue, em-
porsteigende Bildungen einschmelzt.' - Hi^r geschah dies
gewaltsamer, blutiger,'^ verhängnilsvoller, als bei der ,
Uebergabe von Mainz, aber^durcfai^us ist es dasselbe
Wesen, dieselben Brüche, ^eselben Kräfte, die hier wie
dort auftreten. Der Orden war reif, übe^rreif und harrte
des Schnilters, der Schnitter kam und die Aernte war
bald vollbracht Lehrreich i$t diese Erzählung gewifs,
und der Leser mufs bald erkennen^ dafs ^e einzelnen
Yorgänge, die sich hier drängen, gar nicht mehr selbst^
ständige Bedeutung haben, sondern als etn Allgemeines
zu fassen sind, wobei es gleichgültig isrt, durch wel-
cherlei besondre Werkzeuge hier das geschieht^ w^s
in keiner Weise inehr zu hindern war. Deh Grois-
meister von Hompesch des V.erraitlis anzuklagen, wäre
sehr ungerecht, aber ihn für einen Marnn su erklären,
der, seiner Stelle nicht gewachsen war, der seine Hülfs- .
mitlel ni9ht in der Hand und weder allgemeiueq Plan
noch persönlichen Entschlufs hatte, sondern in blöder
Gewohnheit an der Spitze einer grofsen Auflösung so
hinlebte, — dessen wird niemand, auch auf diesen iipo-
log^tischen Bericht hin^ irgend Bedenken tragen.
6, . Bericht Über eine Sendmig an Seine KSnign .
110 ' .
1' /
875 ' F. B u r t e r^ D en
iic/ie Hoheit den Herrn Erxherxog K^rt (1799^).
. Der Bericht ist vom Alt - Landvogt David tturtet atis
Schaffhausen, der mit drei andern Abgeordneten dea
Kaoiona ai| deii Erzhersog^ gesandt wurde, um für die
Herttellung dor eb^niq^igen Regi^ruiig dessen Sclit|tz
' und Rath zu erbitten. Sie . sprachen' deh berühmten
Hofrath von Fafsbender, einen der fähigsten Staats-
männer Oesterreichs, v,on unstreitig politischem tieiste,
' äer vieles geleitet und* auf vieles eingewirkt hat, dann
den Erzherzog selbst, den Schultheifs \ovl Steiger und
ilerrn von Haller, 'die sich im Österreichischen Haupt-
quartier aufhielten, den General von Hotze, den engli-
schen Gesandten Wickham; von 'Allen empfingen sie
die Tersicherupgen de» grüfsten Wohlwollens, ab6r
sonst wenig Rath und Anhalt, man war auf politische
Umbildungen gnr nicht vorbereitet, hatte nur Wunsche,
deren Ausführung zu übernehmen' niemand sich bera-
fen glaubte, und deren Angemessenheit schon die Wün-
schenden selber bezweifelten^ Da hatte die Gegenseite
es in allem Betreff leichter!' Der vorliegende Bericht
ist übrigens seinem Sachinhalte nach blofs für die' be-
sondre Geschichte Schaff hausens von einigem Interesse ;.
\ für deh Gang der Ereignisse liefert er höchstens eines
det Bildchen, wie jeder bewegte Lebenstag deren dut-
zendweise entstehen läfst. Zwei angehängte Briefe
' des Herrn von Haller sind wegen der Gesinnung merk«
würdig. ; ; V
6. Die Uebergaie von Rohenttoiel (1800). Noch-
mals ein Beispiel der traurigen Yersunkenheit und hal-
tungslosen Schwäche jener alten Zustände, welehe ge-
, genüber den /rischen Kräften der franzosischen Revo-
lution sich zu behaupten wähnteuv Die Uebergabe von
Hohentwiel war ohne Wichtigkeit, .und erlangte nur
einigen. Ruf durch die grausame Strenge, mit welcher
der [Kommandant von Wolf höchsten Orts bestraft wur-
^ de, eine Strenge, die ganz unverhältnirs'mälsig erschien,
wenn man damit di.e schimpfliche Lässigkeit verglidi^
. die in Betreff der Feste selber höchsten Ortes gewal-
tet hatte. *Wir Jiaben den unglücklichen Mann, dem
nur Irrthum und zu grofses Vertrauen in unsichre Zu-
sagen vorzuwerfen war, tiach. seiner vieljährigen har-
ten Gefangenschaft noch oft gesehen, und die Anga-
ben, die er mittheilte, stimmen mit dej^ vorliegenden
Schilderung ziemlich überein. . . ^
7. Die Oefangnüie xu Venedig im Jahre 1600.
^Dcr Versicherung, des' Herausgebers zufolge, und auch
k w Ü r d ig k e i t e n. ^ 87ff
aNen iimem Anzeigien naoh, ein zuveriässiger, von der
llahd' eines hohdn österreichischen Beamten abgefafs«
ttir Bericht.
8. Zur Oesthiehte der Hlutninaten. Eine 6e*
schichte des in J^^ers liaefa den| Untergänge des Jei4>
tenordens zum Ersatz und Gegensatz durch Adam Weis.
baupt ge8tifteten> mid.bald über weite Länderstrecken
verbreiteten Illuminatenordens wäre ohne Zweifel ein
Wünschenswerther Beitrag zur innern Geschichte von
Deutschland, zur Sitten- und Gebtesentwicklang dcf
Nation. Allein der. hier-ipitgetheilte Anfsatz ist ucb
geeignet, diese Lücke «uszurullen, er giebt blb(s einig»
Aufs^nlinien der merkwürdigen Erscheinung, und mdi
diese ahne geistige Uebersicht. Das eigentliche \IF]^
ken, welches nach der Aufhebung noch fortdauerte, be-
sonders fn den persl^nlichen Schicksalen seiner Mitglie-
der, ist gar nicht oder mit grofsem Bückhalt bespro-
chen ; selbst über den l^tifter Weishaupt werden man*
cherlei Angaben vermiKt, mit denen die wichtigsten
folgen zusammenhängen. Man merkt dem Aufsatz ä%
dafs er in Baiern geschrieben worden, Vo alles die
Illuminaten Betreffende noch empfindliche, lebenzuekeo4e
. Bezüge hat. Das in Wien zur Zeit d^i Kongresse!
gesagte Wort, der Illuminatenorden- sei für Baien 'ge»
Wesen, was der Tugendbund für Preufsen^ näoüieb
eine Leitersprosse zum jetzigen Bestände, lassen wir
dahingestdlt ; unser Herausgeber geht aber weiter, nnl
meint, die Reste der Illuminaten hütten sich in des
'Tugendbund geworfen, welches eine so falsche Angak
als verkehrte Vorstellung ist ; der Gipfel jedoch der
grundlosen Einbildung und des luftigen Gesplnnstes ift
die Behauptung, „dafs die Neigung zii gehebnen Ge-
sellschaften, nebst deren vermehrtem Dasein, in der
Schweiz aus jener Zeit sich herschreibe, wo eines der
markantesten Glieder des . Tugendbundes ais preulilr
scher Gesandter dort erschienen sei^ und füt dieses
* Zweck nicht geringe Thätigkeit entwickelt habe." Diese
Anspielung auf Justüs von Grüner ist abermals eis
MiCsgriff, und beweist liur vollige Unbekanntsciiaft oft
der Person und Denkai*t dieses Mannes, de^ seine Be
deutung und Auszeichnung in hafserfüllter TKatigkeit
gegen die Fremdherrschaft gefunden' hatte, mit deren
Erlöschen aber in die ruhige äabn des StaatsdiMistes
^ einlenkt Cy und kein anderes Ziel lapht suchte, als die-
ser ihm darbieten n^ochte. -—
Mali sieht, das kleine Buch kadn sehr gut dast
877
BßädeTy Emi^e^aiiom du K(aholiei$mM.
876
4ieiiei»> allerlei Iiistorlsehe Uebufigen «ft ihm v^rtuifeb«
nieii) und eowohl 4i0 diurgebeteaea Stoffe neu su be«
bandeln, als aueh äie jetzige Behandlung kritisdi su
beleuebt^n; janste Anzeige kann £u letsterem als Ein*
leitung galten» mochte d|ui erstere ?on Andern Teniieht
werden! —
K. A* Yarnhagen von finse/
LXIX.
Ueber die - TAunlicAlett oder Nichtthunlichketf
einer. EmoHCipatio» des t^athoUcismus ton der
' romkucken ßictatur in Rezug auf Reiigions^
wiUens^h^L Aus -einem Sehreiben an 8. DurcA^
' - taucht Fürst EKm r«. MeHchershy^ Kais. Russ.
' Kämmerer, Ton Franz Baader. Nurnbergy
183jl. hei Fr.Lamfie.
Obwohl des Referentan Erwartungen yon Torlie«.
gMider Sehrift swar nicht gans erfiiUt worden sind, wie
er unten weiter erörtern wird, so sieht er sich doch
Ter^nlaist^ dieselbe ansuzeigen, weil sie ihm eme zu
bB^eutende Summe aus der katboUschen Kirche gegen
die' romisohe Hierarchie su sein seheint, als dafs /lia
proteslanüseher Seils ignorirt werden konnte. Nach
dem, was hier gesagt wird, befindet sici) Fr. Baader
TftlUg aulserhalb der katholischen Kirche» wie sie ge-
genwärtig besteht. Keiner wird sich defsbalb wundem
^dlirfen» wenn Rom Baader*s Schrtflen »^Is nach Ket«
serei riechend nnd verdammliehe GrundsäUe in sich
tTttgeod" eboBso Terbietet, wie dieTs bereits mit denen
Toia Georg Hermes geschehen ist ; denn von den seit
dem trideiatinischen Coneil eieh immer mehr verstei«
BMnden 'Dogmen des rdmischen Kathplicismus .haben
sieh alie beide ,. wie überhaupt alle philosopbirenden
'Katholiken entfernt. Auch in dieser Schrift nimmt
.Baader sieh des Hermesianismus an und erklärt hieit
beif dais es sidi in diesem Streite um die Lebensfrage
der. deuUeb • katholischen Theologie handele.
Die röorische Kirciie rerlangt unbedingte Anni^hme
ilirer Lebrsätse* Hiermit stand ein Streben wie das
Ton Helrmes durchaus in Widerspruch. Er hat sich
nämlich zu eeigen bemOht« dafs der Beweis dem Glau«
ben Torhergehen miisse, und dafs die Angriffe auf die
Offenbarung, nicht durch die angegriffene Offenbarung
selbst, eoadern' dorch die Philosophie snrQckzutreiben
aeieUt wie jdieis ¥on den berühmtesten Kirohenlebrem
der früheren Zeit geschehen sei *). In seinem theolo-
gisch - philosophischen Systeme hat er mit allem Ernste
die Gegensätze der Zeit su versöhnen gesucht^ indem
er, durch die kritische Philosophie vorzüglich gebtldeli
über dieselbe vocziiglich dadurch hinauszugehen bestrebt
war> dafs er ihr einen formellen Empirismus eo^ge^
genstellte» dessen Grund ein naiver Glaube an die
Wahrheit des Qbjects ist, und welcher als polcher zwar
«Mr üeberxeuguag drängt, allein sie nicht wahrhaft
beufirkt, wefshalb dem glaubenden Subject das ge*
glaubte Object ein fremdes bleibt und nicht ein im freien
Selbeibewulstsein wirklich vermitteltes wird. Wäre
diese Termittelung bewirkt, so würde das System in
Jer That ein protestantisches geworden sein ; allein diefa,
dals das Objekt^ obwohl dessen Geltung anerkannt
U^irdy doeh aufserhalb des Sul^'eets bleute ist gerade
,das katholische Moment in dem Systeme* Hierbei
ist jedoch ^anzuerkennen, daCs er dem absolutem Krite«
rium aller Wahrheit durch seine psychologische AtHdyse
des menschlichen Jlewufstseins, w^he er der JCritik
aur Seite bellte, und in welcher er durch Anregung
von Fichte das . Grundkriterium der metaphysischen
Walurbeit gefunden zu haben glaubte, näher g^&ekt
\mU 'Bei allen diesen theologisch «philosopbiscben Be-
strebungen glaubte er aber seine> Kirche .durchaus üreu
geblieben zu sein und in ihrem Dienste zu handeln, wie
denn auch seine Schüler, ihn als durchaus orthodox zu
rechtfertigen gesucht haben*
Dafs Rom durch die Reprimirung solcher Bewe«
gungen in der- katholischen Kirche, wie der Hcrmesi-
schen, sieh selbst nur schadet und alle wirklich wis*
senschaftlich Strebenden nur gegen sieh aufbringt^ da«
von giebt auch vorliegende kleine Schrift den Beweis.
Franz Baader scheint nämlich^ durch die neusten khrcb*
lieben Ereignisse und zwar yorzugltoh' durch den Her*
niiesiscben Streit zu der Einsicht gekommen ^ sein,
ilals sich sein theologisch • philosophisches System mit
dem römischen Kathollcbmus im Widerspruch befinde,
und dafs dieser in geistigen Dingen sich eine Macht
anmafse, welche ihm- nicht zukomme. ' Frliher hat er
zwar Bcbou Grundsätze ausgesprochen, welche eben so
*) Hermes, Eiiileitong in die christkatholische Tbeologie S. XIV jT.
I
879
sehr Biß die Von Hermes den Lehren des
Katholicismus widersprechen, allein . gegen denselben
sich doch nicht öffentlich erheben. Offen hat er schon
in seinen früheren Schriften die Noth^endigkeit /einer
begreifenden Einsicht der gegebenen Offenbarung be^i^
hauplet, von welcher alle seligmachende Gotteserkeünt*
nift der vernünftigen Creator ausgehen müsse j dennyer«
mittelst seines lebendigen und organischen Zusammen«
hange mit Gott werae der Mensch erst fret und wahr-
haft fiber alle- irdisclie Naturgewalt erhoben. Aber
wenn aus dem begriffnen Glauben ein absolutes und
darum seliges und seligmachendes Wissen ^hervorgehe^
ad doch nicht aus einem ^xwungenen Glauben; denn
unfreiwillig glaube Keiner, eben iso wenig als Jemand
ge^en sein eignes unfreiwilliges Wissen glauben kon*
ne. *) Mögen solphe Grundsätze auch in ihrer Schärfe
nicht durchgeführt^ sondern in. der weiteren Durchfüh«
rung seines Systems vielmehr modificirt werden und
sich in einem gewissisn Grade der katholischen Kirche
anschliefsen, so bleibt doch immer dabei- fest stehen*
dafs das Frineip Dee^en^ welcher sie aufstellt, nicht
ein römbch-katholisches, sondern vielmehr ein prote*
stantlsches ist^ und zwar in einem noch höheren Grade
als das Princip von Hermes 9 welcher viel weniger
lUhlte^ dafs er mit seiner Kirche nicht übereinstimmte,
vielmehr durch seinen naiven Glauben mit ihr zusam-
menhing. Die römische' Ciiric verfahrt also durchaus
ineonsequent, wenn sie gegen theologische Richtungen
wi^ die. von Hermes einschreitet, dagegen die von Baa-
der, welcher selbst auf ^as lebhafteste den Wider-
spruch, in welehem er zu ihr steht, fühlt, ruhig sich
fortentwickeln läfst; -IndeFs wenn auch die römische
Curie sich noch Glicht wider Baader erhoben hat, so
hfit er sich doch mder sie erhoben. Im vorigen Jahre
hat er, der Katholik, bekanntlich in einer protestanti-
sch^n Zeitschrift, in der y^EvangeiiscAen Kirehenxeu
tung'' (Julibeft 1838), in dem Aufsätze: „Ueber die
Trennbarkeit oder Untrennbarkeit des Papstthums oder
Primats vom Katholicism'* die Autorität des Papstes
*) V^l. Franz t. Baader VorlesQDgen Über die relig. Fliiloso-
pliic I. f. 29. 30. 5X
Baader^ Emanzipation de$ KatMiei$$m*e.
und der Tradition angegriffen, und durch SteUea ssi
den- berübintesten K^ircbenyätemV in welchen derPii.
mat für eine Anmafsung, ja fär ketzerisch erklärt ^ri,
seine Behauptungen erhärtet, - Was er hier gegeo im
Unfehlbarkeit des Papstes Mgt, wird die römische Cn.
rie nicht widerlegen ; denn in diesem Falle mörsts tie,
wie er sagt, eine Papifipatio Cliristf nachweisen, w»
zu versuchen, sie doch wohl schwerlich den Muth oder
vielmehr die Unbesonnenheit haben wird.
Nach solchen vorausgegangenen Erörtemngengliak-
te Ref. sich von vorliegender Schrift viel verspredies
zu dürfen. Er ist zwar, was dieselbe im Ganzen U
trifft, getäuscht worden; doch hat er. darin einsehe
Aeufserungen gefunden, welche, als von einem boek
gebildeten Katholiken herrührend j in gegenwfinipi
Zeit, wo die röniische Hierarchie alle innere wiiseSi
schaftliche Entwickelung der katholischen Kürche nril
Gewalt hemmen will, höchst beacbtenswerth sind, wd
daraus erkannt wird, in welchem Gegensatz zu R«
sich die wissenschaftlich strebenden KathoUkea be^
finden.
Gleich im Anfange, der Schrift deutet Baader «i,
-d^fs eine Emancipation des Katholicismus von der rl-
mischen Hierarchie nöthig sei. Hier heifst es: Der
Mensch weise beim Erwerbe ^es Wissens von gittli«
chen Dingen jeden von anderen ^Menschen ihm avfgl»
legten Zwang als einen Gewissenszwang surüclc, sad
wer sich eines solchen Wissens- oder 6ewissensswaB|i
schuldig mache, i^be eine Wissens - und Gewiseemo*
genheit aus, welche noch schlimmer als dieblo&elicik
'eigenheit. sei. Dafs eiii solcher Zwang in der römisdM
Kirche ^eübt werde, sei die Hauptursaehe dte Verfall
des religiösen Wissens und der religiösen Gesmnufi
Weil nach einem ewigen Natur- und Södelatsgesei»
nur der Befreiende frei wird und ist, so wie der Bis* j
dende gebunden und unfrei, so könne der Yerf» ih
deutscher Katholik den Wunsch nicht bergen, hk
Rom durch Freigebung des zwischen ihm und demPit*
testantismus in der Presse (als ecelesia pressa) leiei*
den Katholicismus, .vorerst in Bezug auf Religio]
senschaft qder Theologie^ sich selber befireien m«ge*
(Die Fortsetzong; folgt)
J a h r b ti eher
f** ■
u r
wissenschaftliche' K r i t i k
Juni 1840.
Ueber die ThunUcAkett oder Nichtthunlichkeit ei*
ner Emancipatian des Katholicismus fron der
römüchen Dietatur in Bezug auf- Beligions-
icissemchqft Aus einem Schreiben an S. Durch-^'
taucht Fürst Elim v. Mestchershj/j von Franz
Baader*^
(Fortoetsmig.)
Alf Gegner der Emancipation des Katholiciemus vom
"jRomanismue oder der rqiiiiBch<«hierarchuchen Dietatur
in Deuleehbnd werden dann angegeben : 1) die romi-
•sehe Hierarchie selber, 2) ein grober Theil des hohen
und niederen katholisehen Klerus, welcher theils.aus
Interesse, theilsaiu Noth, theils aus Unverstand, theils
endlich aus habitueller Neigung am scientivischeh "Ser-
Vflumus hange^ 3) ein Theil der Protestanten^ welche
nicht die Emancipation der Katholiken, sondern deren
Uebertritt zu ibnen wollen, 4) ein Theil der weltlichen,
»
biertn nicht recht berichteten Regierungen, welche noch
immer im Romanismus das Original des Monarchthums
zu sehen meinen und dereiv Rathgeber etwa mit Me-
phistopheles in Goethe's Faust denken: "duckt der
Mensch da (im religiösen Wissen und Thun), so duckt
er auch anderswo.
Die Angabe dieser verschiedenen Gegner der Eman-
eipation des Katholicismus ist richtig. Die römische Hie-
rarchie kann ihrem Principe nach nicht anders als gegen
> die Emancipation des deutschen Katholicismus sein; denn
sobald dieser selbstständig wird^ ist der Primat des römi-
sehen Stuhls gefährdet« und es muFs dann nothwendig
jdie sich nunmehr in der katliolischen Klrclie frei ent-
'wickelnde Wissenschaft Sehr bald «u Resultaten kom«
men, welche die in der katholischen Kirche selbst schon
'nicht mehr recht anerkannte päpstliche Untrüglichkeit
Tollends zu nichte machen würden* Ebenso aber 'Wie
' Rom selbst durch seine unbedingte Autorität die g^nze
katholische Kirche su Veherrschen strebt, so der gröfste
, Jahrh. /. trifiefifcA. Kri^. J. 1840. I. Bd.
Theü des Klerus die Gemeinden, und eben darum hält
*
dieser so sehr an der Hierarchie fest. Die BildMng,
welche derselbe meist in den Priesterseminarien *— rolU
ständige Universitäten, auf welchen sich der Geist freier
entwickelt, sind Rom stets ein Greuel gewesen — er»
« hält, geht niiht darauf hin, dafs der Geist sich in sei-
ner Yemunftigkeit entwickele und hierdurch dann eur
, freien Anerkennung dessen komm^, was im Christen-
thume ala die absolute Wahrheit vorliegt, sondern es
wird vielmehr durch sie bezweckt, die 'Berechtigung
des subjectiven Geistes durch die unbedingte Unterwer-
fung unter ein todtßs tfbject su zernichten, welches
der Katholieismus dadurch geworden ist^ dafs er die
üu/sere verwehlichte Form der Kirche für der^
. Wesen genommen und ihr einen göttlichen Ursprung
zugeschrieben hat. Der unbedingte Gehorsam gegen
die Satzungen, zu welchem der Klerus schon bei sei^
ner Bildung gezwungen wird, mufs in ihni eineii Me»
ohanismus des Handelns erzeugen, wobei alle geistige
EntWickelung aufhdrt, und wobei dann zugleich, was
das Verderblichste bt, ' der Wahn entsteht, als sei mit
dieser mechanischen Erfüllung der, Kircheagebote, • mit
diesem blofsen Nachkommen der äulseren Form, Wobei
es dann zu .keiner inneren Heiligung durch den Geist
-'im lebendigen rechtfertigenden Glauben kommt, schon
^eniig gethan. Ref. hat längere Zeit unter Katholiken
gelebt und u^ter dem Klerus allerdings sehr rühmliche
Ausnahmen in Betrefit dessen gefundeh, was er so ebeji
aussprach« Hierbei ist aber zu bemerken, dafs Alle,^
welche Ref. hier vom katholischen Klerus aiisnimmt und
welche geistig erregend und belebend auf ihre ganze
Umgebung einwirkten und^ besonders in ihren Gemein*
den Segen stifteten, dieses nur in Folgp der lebendige-
ren Auffassung der Dogmen ihrer Kirche thaten^ wel*
che sie durch die von der Philosophie bewirkte freie-
re Behandlung der Theologie erhalten hattep. R'ef.
erinnert sich noch lebhaft; welchen Unwillen Jn seiner
111
883
Baader j Emaneip&iUn dei KaiAoUeiismu^
m
Geburtsgegiend (dem Funtenthume Osnabrück) die Ver*
dammung der Scbiiften von Hermes vor einigen Jahren
erregte, wie man durcbatia beliauptetei der Papst sei
üb^ beriditet, nnd wie sehr man hoffte« dafs durch die
Schritte^ welche von Seiten einiger katholischen Gelehr«
ten gecliahenf das Verbot zurückgenommen werden
mochte, was Ref, indePs von vorn herein bezweifelte.
}üieib leider! hat er dabei auch bemerkt, dafs auf das
Volk im Ganzen diese bessere Richtung geringen, we-
nigstens fceimai nachlmhigen, Einflufs geCibt hat, son-
dem dafs dieses vielmehr fast überall im Aeufserlichen
ateeken gei>Beben ist, w^, wenn auch einzelne Geist-
liche dasselbe aus den* lufserliefaen s. g. guten W,erken
heraue- und zu;n lebendigen Glauben zurückzuführen
bestrebt sein mögen, diese Einwirkung nicht ven lan-
ger Dauer sein kaan^ weil deren Nachfolger wieder den
idten Weg Verfolgen.
Wenn Baader sagt,^ dafs ein Theil der Protestan-
ten, selbst gegen die Emancipatioo des Katholicismus
vom Romanismus sei) weil sie den Uebertritt derselben
wollen^ so hat er darin allerdings Recht ; allein es ist
dabei ^u bemerken, dafs dieser Theil gerade d<er ist,
welcher am wenigsten von den Griindprincipten der
evangelischen Kirche durchdrungen ist und eben darum
auch nicht deren Kern bildet. Den nicht weiter vorbe-
reiteten Uebertritt der Katholiken zur evangelischen
Kirche können nur diejenigen Protestanten wünschen^
welche aus Indifferentismus sowohl über ihre eignen
Grundlehren hinwegsehen^ als auch den Katholiken
zumuthen, diefs zu thun. Ein Uebertritt, wie sie ihn
wünschen, .würde nur aus Indifferentismus geschehen
können, und einen solchen mufs der wahre Protestant
desavouireni Beiden Kirchen wird hierdurch nichts ge-
holfen $ die Principien nähern sich um nichts. Die Ka-
tholiken legen allerdings grofsen Wertb darauf, wie
pü/e sich zu ihrer Kirche bekennen, ohne dabei auf
die ^rkenntnifs zu sehen; allein es steht zu befaaup-
'ten, dafs es viel besser nm die katholische Kirche ste-
hen würde, wenn sie, so viie von allen Aufsendingen,^
auch von diesem blofs äufseren Bekehren zurückgekom-
men wäre, und sieh statt dessen von ihrer Werkhei«
ligkeit zum lebendigen, allein rechtfertigenden Glauben
bekehrt htttte. Dem Protestanten soll aber an dem
Aoben B^kenntnifs nichts liegen | und defsbalb kann
er nicht sowohl einen Uebertritt der Katholiken zu
aeiner. Kirche wünschen, als vielmefar eine allmälige
Annäherung ; denn Idle £rkenntnifs wurd nur aOnlKg
bewirkt. Bef; hat sich darum auf das innigste öka
die Bestrebungen vieler der namhaftesten katholisdwn
Gelehrten gefreut, welche sich bemüht haben, tersA-
telst der Philesophie den olgectiv gegebenen Lehrsato«
der katholischen Kirche das germanische sabjective
Princip einzubilden und hierdurch den Katholieismu
aus seiner Starrheit herauszureifsen, ; welche ihm M
äufserlichem Fortbestehen nur .den innem Tod bringoi
kann. Geht Rom auf diese Bewegung nicht* etn, n
bricht es dadurch nur der Annäherung des Katholkih
mus an den Protestantismus um so schndler Bak;
denn die- nach Wahrheit ringenden Katholiken weriai
dann um so eher erkennen, dafs^ diese von ihm mit
niedergehalten wird, und sich deshalb allen deneo au
einer anderen Kirche ansebliefsen, welche einen gki-
chen Kampf kämpfen und bei welchen nichts wie ia
Rom^ ein geistiger Tod iit, sondern sieh dn gdatig«)
sieh immer von neuem regendes Leben zu erkomi
giebt. Ein geistiges Yerkonaiensein des KathoUeiMiii
gesteht übrigens seihst MiAler ein, Jener früh dafais»
geschiedene Vertheidiger des katbelischen Dogma, asf
den siieh die strengsten ulträmontanen fCathoUken be»
fen; er zielt zwar hierbei eigendieh auf den frül«i«i
Katholieismus hin: indefs sind die Prineipien des la-
tholicismus und der innere Zustand deradbe gebfiaki^
nirgends ist in der neuesten Zeit von Seiten Rf^am ean
Reformation, welche auf das innere Leben fiaBflob gi>
übt häti^, eingetreten^ und de^alb mufs mai^ gick
man das frühere Verkommensein 'des Katheiicivü i%
auch das gegenwärtige anerkennen. Mdlüer irt aüir*
dings innerlich über diesen, gegenwärtig sich deaaadi
als die wahre Kirche breit machenden KathoMdsaim
binaussekommen, und eben deshalb entwirft er in sei-
ner Symbolik im Gegensatz desselben von einem idca*
len, sein 1Y^^>^ geistig durchdringenden, z,wär iauair
noch werkheiligen und semipelagiaaischen^ aber Üfk
schon auf einer höheren Stufe stehenden KatholidiMi
mit glänzenden Zügen ein schönes, wenn auch aicliK
ganz wahres Bild, welches aber doch mancher Vf^,
Stent, ungeachtet der nnr häufig ungerechten Pefcni
gegen seine Symbole, gewifs gern angeschaut hat, wd
sieh darin das Streben nach einer Regenerafioo te
Katholicismus offenbart, wdohe gegenwärtig durdmai
an der Zpit ist, aber nicht vofibraclit w^en kaoa^
wenn ni^ht das germanische Princ^ der freJen Subjc»
Batuhr j Mmanetjpmti
tivilie ionBiiiiJb der kadioffiiehm Kirciie zur Enlwifc-
kehmg kommt. Wird dieaes Prineip aber avsgeechlcMiK
een^ so \mX alle« .freie wisteBscfaafüiehe Fersehen ge-
Hammt Die römisehe Hierarobie will noch fertwäb-
rend der Kirche den Glauben aufdrängen, dafe eine
fertdauemde Inspiration der Häupter der Kirehe sn
deren Erhaltung nSthig sei, und eben deshalb will sie
den Kampf mit der daran sweifelnden Subjeotivität
nieht^ wagen, sondern weist sie von Tom hereih ab ;
aUein hierin giebt sich gerade kund, dals sie sich fälsch-
lich f&r die wahre christliche Kirche ausgiebt; denn
diese, welche die Pforten der Halle nicht überwältigen
werden, darf den Kampf mit keiner Gewalt scheuen.
Zugegeben, dafs die irregeleitete Subjeetivität, die Grund*-
pfeiler des christlichen Qlaubens untergrabend, schlei*
eilendes Gift innerhalb der Gemeinde verbreiten könne,
an darf dieselbe darum doch nicht unterdrückt werden:
denn da dem ^Glauben die Macht gegeben kt über alle
Ctewait der Welt, so wird derselbe stets Sieger im
Kampfe bieiben, und in einem solcheli nur stets inniger
«nd tiefer durchdrungen werden. Wird der Kampf,
yn^ in der katholischen Kirche, vermieden, so mufs,
weil keine Weiterentwiekelung Stattfindet, eine Yer-
tknnpfung eintreten, ' wie wir sie gegenwärtig in aÜen
iwmanisehen Ländern Europa's, wo der KathoUeismus
keine belebenden Elemente aufgenommen hat, vor Au*
gen sehen» Nur in Deutschland bt der Katholicismui
dadurch in eineni gewissen Grade lebendig geblieben,
dafs er die Subjectivität nicht ganz von sich jiusge
mdtlossen, sondern durch deren Yermittelung vielmehr
dRe dureh die unbedingte Autorität der Häupter festge*
mtelhen Satzungen, welche als solche nur mechanisch
geglaubt werden, fn Flufs zu erhalten gesucht bat, in«
«lern er ihren inneren Zusammenhang nachwies, wobei
^ann aber das Unwesentliehe in sich' zusammenfallen
asrabte. In diesen ^Bestrebungen kommt der Theih der
IsatfaoIisoheQ G'debrten, welcher sieh der Philosophie
nicht verschUeist, allen den Protestanten entgegen, wel-
c^he dafQr halten, dafs es gegenwärtig an der Zeit sei,
dafi der Gedanke, diese Offenbarung des Göttlichen
MS Mensehmi, auf die Offenbarung auf 9er ihm, d. fa.
göttliehett Worte, Zurückgehen und beide vermitteln
Ber-Hauptuttterschied hierbei würde dann sein,
dafs der Katholik, ohne in sich eigentlich den Zweifel,
das negative Moment, überwunden ^u haben, von der
^Voraussetzung der Wahrheit des Geglaubten, -ausgebt
im^ d€9 Kmikolieümm$\
fifiiS
te X
und cHese eben durch die Aufnahme des subjeetiven.
Elementi als solche zu erweisen stirebt, /wogegen der
Protestant ab solcher * gegen jede objectiv gegebene
Macht, welche nicht vom freien Selbstbewu&tseinin
ihrer absoluten Wahrheit erkannt J2^, protestirt, d. h.
nicht sowohl von der objecUv gegebenen Wahrheit,
als vielmehr ¥on der freien Subjeotivität ausgelit und
dann in dieselbe das ala ein Yernünftigerkanntes auf-
nimmt^ was im Christenthunt als die Wahrheit nnmits-
telbar vorliegt. Hierbei wird nicht, wie diefs beim Ka-
tholiken der Fall sein mufs, der Zweifel joAgewiesen,
sondern überwunden, wodurch die Wahrheit erst eine
wiriclich gemste .wird und als solche den Geist wahr-
haft durchleuchten kann. Durch diese vernünftige' Efw
kenntnifs ist das Object des christlidien (Rauhens für
den Geist aus dem abstracten Jenseits herausgerissen
und ihm wahrhaft präsent geworden^ wogegen demKa-
thoUdsmus das- Object des Glaubens ein stets im ab-
stracten Jenseits Beharreodes bleiben mufs, wdl die
Yermittelung im freien Selbstbewufstsein des Su^jects
fehlen soll. — ^ Dieses haben mit Baader alle philoso*»
phirenden Katholiken erkannt, und eben darum wollen
sie den Katholicismus von der römischen Dictatur emauk»
cipiren. Wir Protestanten koaneii. über solche Bestre*
bungen uns nur freuen; denn es wird durch dieselben
klar, dafs der deutsdie Katholidsmus kdneswegs dn
solcher ist, welcher sieh in sich verschliefst und da>^
durch Tcrkönmit, sondern dafs er von protestantischen
Elementen inlluirt wird. Wir glauben, dafs für die
gegenwärtige Zeit durchaus nicht zu wünschen ist, daA
dieser Theil der Katholiken, welcher uns dem Prineip
und der Gesinnung nach so nahe fteht, zu uns ftber-
treten möge, sondern nur, dafs er hrnm-halb derkatho*
lisehen KirChe dieselbe refonnire und sie In ihren Prin-
dpien uuf den urspriingitehen ^ustand der ^sten Jahr-
hunderte zurückführe, wodurch von selbst eine Ani|ä-
lierung zum Protesfantismiis gegeben ist. Diese An-
nälierung wird dann um so mehr Statt finden, *wehn
auch der Protestantismus sdnerseits sieh immer mehr
regerirt und alle materialistischen und atbeistiscben
Schlacken vermittelst des auch die Tiefen der Gott-
hdt erkennenden Gedaokens ansstöfst und Uedureh
den Glauben zur Gewirsbeit sdner selbst macht.
Was die vierte Partd, «welche der Emandpaden
des Katholidsmus entgegen ist, nämlich manche wdtli-
ehe Regierungen, die im Romanismus eine Stutze der
887
B€iader^ Emaneipation de9 KaiAolicismui.
m
Moharchie m sehen meinen, betrifft, 80 hebt Baader
riehtig herror, dab dieses nichts anderes als Irrthum
«et. Er sagt, dafs im Gegentbeil für die Monarchie
Gefalir entstehe^ \¥enn der Klerus, sich selbst zum Mo-
•narchen erbebend, die Monarchie entweder in Schach
.ehalte oder von sich abhängig mache. Wilr bemerken
hierbei noch, dafi derselbe nur solange sich mit der
•Monarchie verbindet^ als er durch dieselbe seine Zwecke
SU erreichen glaubt, im umgekehrten Falle aber Revo-
lution predigt Ton den Yorfällen der Gegenwart, be-^
sonders in Belgien und Irland, wollen wir hier schwei-
gen, da allein die Erinnerung hinreicht, dafs bereits im
•16. Jahrhundert die von Jesuiten geleitete romische Hie-
rarchie en gewesen ist, Welche bestritt, dafs die fürstli-
che Gewalt auf göttlichem Rechte beruhe, und behaup-
men, wenn der deutsche Katholicismus sich frei ent-
wickeln, oder die Religionswissenschaft, wie Baader
will, der völligen Befreiung und Yerselbstständigung
von und gegen jede ausländische Dictatur entgegeoge-
fuhrt werden soll. Wir Protestanten haben im Gän-
sen zwar schon imkner diese Ueberzeugung gehabt;
doch mufs eB gegenwärtig als ein bedeutendes Zeichen
der Zelt angesehen werden, wenn sich die^li>e jetzt
auch solchen reich gebildeten, wahrhaft Crbnunen und
wissenschaftlich strebsamen Männern wie Baader ant
-drängt.
'\Venn B. anfuhrt, dafs der Deutsche vermöge sei-
ner Natur zum oorporativen Element geneigt sei, vai
dafs, da Wissenschaft und Kunst eigentlich nur is
freien Ländern gedeihen und somit kein Regiert- «4
•tete, dafs diese vom Yolke herzuleiten sei, um ebeu ' Gezwungenwerden vertragen, in Bezug auf diese dit
durch diese Theorie in England und Frankreich das
Tolk gegen die derBeformation zugeneigten Fürsten in
Aufruhr zu bringen. Die Theorie von der Yolkssou«
Tcrainität wurde dann mit den Lehren von der päpstli-
chen Allgewalt zu einem Systeme versdimolzen , um
dann endlich dieser die alleinige Herrschaft zu verschaf-
^. fen. Tel. Ranke, die römischen Päpste im 16. u. ,17.
Jahrb. Bd. 2. S. 11^ ff.
Wegen dieser vier widerstreitenden Parteien meint'
Baader seien die Aspecton für eine Emancipation des
Katholicismus vom Romanismus nicht günstig, was in-
defs wohl nicht ganz in d^m Grade sich so verhalten
möchte, wie er es sich vorstellt, da er immer zu sehr
auf die- Ultras bei den verschiedenen Parteien blickt.
Die Collier Hähdel, meint er jedoch, hätten diesem
allen entgegen ejme so markirte Bewegung unter dem
katholischen Klerus wie unter den Laien erweckt und
vorzüglich sei die Vitalfrage von der Stellung der Re-
ligionswissenschfift in Deutschland zur romischen Dicta-
^ lur bei dem Hermeaischen Streit so eindringlich zur
Sprache gekommen, dafs eine abermalige Reprimirung
dieser Bewegung, dieselbe möge herkommen, woher
sie wolle, weder zu hoffen, noch zu fürchten, sondern
im Gegentbeil zu gewarten sei, dq/i^ /aus man in
Rom »f#> den alten und veralterten Waffen einer
Exeommunieation der deutschen Intelligen» greife^
die Deutschen ihrerseits nicht ermangeln würden^
die Römer von dieser ihrer Intelligen» »ü exöofn"
psuniciret^. ^ Ond in der That hierzu mufs es kom-
(Der Beschlafi folgt)
ursprünglich bessere Natur desselben zwar wohl auf et
nige'Zeit unterdrückt, aber nicht erdrückt werden könne:
so ist dieses allerdings richtig, allein damit noch nicht
erklärt, warum die Natur des Deutschen diese Richtung
habe. Der Grund ist, dafs den Deu.tschen das Prin^
der freien Subjectivität durchdringt, nach welchem im
Geist in seiner Entwickelung sich keine Schranken std-
len lassen kann, und dieses ist der Punkt, welcher Te^
;Kugsweise ins Auge zu ■ fassen ist, wenn die N&thwcs-
digkeit einer Emancipation des deutschen Katholieisms
von der römischen Dictatur dargethan werden aolL
Wenn B. das Yerkommeiisein des Katholicismus am
der Trennung der Theologie yon der Naturwissenschal
deducirt und anfuhrt, dafs aus der falschen Auffassua^
als sei die Natur an sich böse, auch eine falsclie Aski
'hervorgegangen sei, , nach welcher der Mensph sei
Leib als der Natur angehörend für an sich böse
ten, ihm daher die gebührliche Nothdurft «ntsog^i nad
auf alle Weise zu mortificiren getrachtet habe: so c^
kennen auch wir diefs zum Theil an und sind
falls der Meinung, dafs diese Auffassung auf
lung des Klerus und der Laien Einfiufs geübt habe^
sofern jener als durch die Ordination geheiligt und
der Natur unterworfen angesehen wurde, so ^^^
in dieser Divinität zustand, die Laien als der Naiv
unterworfen auch in Unterwürfigkeit^ zu haken»
wie der Bischof Zeno von Verona um 360 sagte^
Füfsen zu treten seien.
Jlf 112.
J a h r b fi c h
e r
für
wissenschaftliche Kritik.
Juni 1840«
Vehw die Tkmnlickheit oder Nicktthmdichkeit
eü§er Emmneip^tiam de9 Katkolicümm twn d^r
romhchen Dictatur in Bezug auf Meligions"
ms$en$chaft. Aus einem Schreien an 8. Durch-
taucht Fürst Elitn r« Mestchershf, ton Franz
Baader.
(Schkift.)
. Dach jBiasea mrk es Ar eine Eioteitigkek aase-
Jben, wenn die £fliaiicsipatiati der dentocheB Theologie
ailem durch ihre engere wieeenschaftlicbe VerUadiiag
jDtt PhycUc und Physiologie bewirict werden solL UVir
•Sbei^eiten daher den in seinen Hanptmenienten ent-
ideellen BDogeniscIiMi Proeefs, ebwnU davon irem*
jelMrt wird^ dafs die Tiieölegen, IsUs sie denselben in
«einer absolulen ksnumenSf Insielibeseiilossenfaeit und
SelhsUtändiglceit aneriaumt JiAtten, die wahre Einsicht
in das CluristentlMMn gewonnen haben würden. Doch
Jagen wir alatt dessen noch Einiges Innzu, woraus nns
d&$ EniancipaUon den dentselien KatheUcisflius von Aaai
a^fiolgen zu »lissen schefart.
Der Katholieisnuis ist in Beotscliland ein fremdes
Gewtehs; denn er hettmt die üreie Entwidceiung dee
'Geistes, iKtts dem Pnndpe des deutschen Geistee su»
ippideriftufit, weleiies in seiner aebfeetiren Innerlielikeit
mielils Skr ddk thnn laasen will und eben ds^rum aneh
iüe Venöhnnng mit (Sott nicht durch ein von anfsen
Ii0r ihm auferlegtes Tbun, sondern in sieh selbst sa
yallbringgn hat. Es ist darum ntcbt zufkllig, dafs die
Refonnation ^rade mit der Oppnsitien gegen den Ab*
Jsifii begann; denn durch diesen wer dte Verpiöhnung,
dieses innerlichste Moment im ehsistUdiett €elaid)en, wm
Binem iulseren Werk gemaeht worden. Mochte mm
auch der deutsche Gebt sich noch nicht in seinem Prin-/
cipe mit Be.wufstsein zu jener Zeit entwickelt haben,
no war er sich doch in selneir subjectiven, tief innerli^
Jükrh. , f.' wiuenicK Kritik. /. 1840. I. Bd.
eben Empflndnng oder in seinem ganzen Getnutbjsle^
ben etHM^ und eben dershalb stiers er den Kalholicis*
mus Ton sich, weil durch diesen die subjective Inner-
lichkeit negirt wurde, Hegel sagt dershalb : „Die reioe
Innigkeit der germanischen Nation war der eigenillc)ie
jBoden Cur die Befreiung «las Geistes $ die romanischen
Nation^ii haften dagegen den Grundcbarakter der'En^
aweiung beU>ehallen: sie waren aus der Vermischunf
4er r&mischen und germanischen Welt berrorgeganp
gen, behiehen aber dieses Heterogene immer noch in
aieh." (Philos. der Gesch. S. 422). De&ixalb konnte
bei ihnen diese totale Finheit* des Empfindens nicht
Statt finden, wie bei den germanischen, und eben weil
das antike auf das AeuberlMBhe gerichtete Element
neeh bei ihnen Geltunig Jhatte, war der Conflic^ weL>
eher mit der AeuGserlichkeit des üiatholiscben Cuhsm
«rintrat, weniger grob. Es konnte nun auffEiUcn« wat-
um trots der deutschen subjectiren Innerlichkeit d^
Empfindens dennoch in einem grofsenTheile von Deutseh-
land der Kntholicismus vorherrschend geblielMBn ist.;
indefs erklärt sich dieses leicht, wenn wir uns sow«ohl
vergegenwärtigen, was hier äufsere Gewalt geihan, als
nuoh berücksichtigen, wie viele romanische Elemente
der Bildung besonders der Süden in sich aufgenom*
men Imtt^. D^aus jd^er, dafs Deutschland einem ^ro-
isan Theile nach damals sohon den Katholicismus von
sieh ataefs« als es sich da seiuer innerlichen Em*
ffindung eins fUblte^ k5nnen wir sehlielsen, dafs die-
ses vöiUg geschehen wird, wenn sein Geist sich bis da-
Jiin entwickelt hat, dab es nidit bLob cur Einheit-
des Empfindens^ sondern auch des Denkens gekom-
men ist, woau die gegenwärtige speculative Bewe-
gung der .Nation .hindrängt. Ute aber diese Entwiche*
lung ni^t eine plötslidie, sondern allmälige ist, so
wird dem TitfUgen Aufgeben des katholischen Prin-
cips die Emaneipation- des Katholicismus von der xo*
112
iA
• \
891
Roichy über die Bedeutung de$ Blute,
8»
mischen Dictätur yorangehen; und dieses scheint auch
Baader bei der Abfassung der vorliegenden Schrift ge-
fühlt zu haben«
Georg Funke.
LXX.
lieber die Bedeutung des Bluts im gesunden und
kränken Leben^ und das Verhältnifs des Ner-
' eensy Sterns zu demselben* Oder: Vertheidi-
gung meiner ^ypathologischen Untersuchungen**
gegefi die Angriffe der Solidar- und Nerven-
pathoiogie. Von Dn Carl Bosch. Stuttgard^
1839. Hallberg'sche Verlagshandlung.
Diß Streitfrage zwischen dem Solidism und Humo-
rism ist in der Pathologie, mithin in der, der Praxis
sugewendeten Seite der Arzneiwissenschaft, zu einem
prineipiellen herangewachsen. Es handelt sich nicht
mehr um blofse Divergenzen, um Ansichten, welche
man neben einander bestehen la&sen könnte $ um Ab-
weichungen inderLehre^ die man, ohne dafs der Grund
der ganzen Wissenschaft erschüttert würde, zugeben
oder nicht zugeben durfte: wir streiten in gegenwärti-
ger Frage um ein Princip, um eine Grundansicht, die
bis ah den Kern der Lehre reicht, und das Herz unse-
rer Kunst berührt. Eine principielfe Frage hat aber
eine durchherrschende, in ihrer gener,ellen Natur be-
gründete, Eigenthümlichkeit, die man wohl zu erwägen
hätte, bevor man sich mitzusprechen entschliefst, die
jedoch von der Beschränktheit nie und nirgends gehö-
rig erwogen wird, dafs sie nämlich, wie Abstractionen
überall, ein mathematisches Element in sich trägt, logisch««
scharfe Begriffsbestimmung erheischt, und defshalb zwi-
schen den zwei strittigen Puncten einen conträren Ge-
gensatz begründet. Hier ist nicht ferner von einer puren
Negation die Rede; sondern an ihre Stelle tritt eine
exclusive Contradiction. Bei einer Frage von solcher
Beschaffenheit kann defshalb nicht mehr die Rede sein
von gegenseitiger Accommodisation , von Friedensver-
trägen. Sie hat dasselbe ausschliefsende, sich gegen-
seitig vernichtende, Element, welches wir in höherer
Sphäre in dem Vernichtungskriege zwischen dem freien
Staatsprincipo und der' hierarchischen Monokratie zu
Tage gehen -sehen. Zwischen diesen findet, wie be-
kannt, kern andrer Frieden Statt, als der aus der Ver^
nielitung eines der Gegensätze entstehende; hSelistetts
wird ein kurzer Waffensttlktand, eine kurze ,,Rali#
des menschenvertilgedden Kampfes" errungen; man nenne
es, ein Concerdat^ d. h. eine Uebereinkunft, den Krieg
bis auf gelegnere Zeit ruhen zu lassen ; bis man sidi
Im Stillen wieder recrutirt hat. So geschieht es in der
Praxis, die auf solchen Theorieen beruht In unserer
Praxis, dagegen, in welcher solehe Rücksichten nldit
vorhanden sind, weil man nicht die Erschöpfung des
Kampfes auf Tod und Leben zu erfahren hat, muTstt
daher der Kampf um das Prinoip, ein Kampf der die
Grundfesten der ganzen Lehre vom Leben unspeumt,
bis zum letzten Resultate durchgekämpft werdAB.
Es wäre demnächst die Pflicht des Yorstreiteffs,
der Frage, von der es sich handelt, ihre BeFecIitig;uag
EU einer prineipiellen zuzusichern. Denn das ist ge-
wifs das Erste, das ein Solidist gewöhnlichen Schlages
fordern würde, der sich so tief herabläfst, dafs er der
Urflttfsigkeit des Thierleibes einen gewissen Antlieil|
zum Beispiel : das Geschäft der Vermitteiung swischee
Nervensystem* und .... ich glaube beinah, es sind die
übrigen Solida, Eingeweide, Mniskeln, Knochen u« s. w«,
jedoch unter dem ausdrucklichen Vorbehalte zu über»
lassen bereit wäre, dafs eine reciproke Goncesdon ni^
nur für seinen Klienten, sondern ausdrueldioh der Ver-
tritt, wenn beide im Publicum erscheinen, und die Veir*
Ortschaft — Hegemonie — ausbedungen bleiben' Was
kehrt sich die Wissenschaft an Formalitäten eelclisr
Art! mag' es hiemit ein für allemal zugestanden scn^
dafs, wenn die Rede von beiden ist, die Solidaipaihei^
gie im Spreizdrucke den Vortritt haben solle. — Viel-
leicht aber fragt diese Species von Pathologen nickt
einmal nach jenem Probleme ! Das Letzte ist. niebCgeu
unmöglich ; wenigstens glaublich ist es von solchen, die
sich einbilden, dafs ein Manu,' dem seine Wissensduft
eine heilige und unendliche Angelegenheit ist, eine An»
gelegenheit der innigsten Zuneigung und Vereliniaf^
der er Jahre lang die besten Kräfte seines Geistes^ db
Blüthenstunden seines höheren Daseins geweiliec
ein Werk, die Frucht einer langen Reihe von
blofs eines erbärmlichen Witzes halber „einige
reich ausgesprochene Ansichten" *) in die Weh
schicken vermöge. Der Kitzel literarischer Rahmsesk
*) S. Vorrede za Dr. Hamff^a: die S olidarpatkol^git
Humoralpaihologie. Stiittgard, 1838. Halberg'sche Verlags-
bandlung.
• < *-»
898
itSMCh^ ü6er du Bedeirtung des Bluts.
statt walurlieh nicht an der Stirn meiner Wissenschaft«
liehen Werke 9 defs bin ich mir bewüfst; ein solches
Verkennen IM mir höchst schmerzlich, und erfüllt mich
jnit solchem Unwillen, dafs ich mich nicht überwinden
konnte, den Streit gegen einen Lobredoer, viie Hrn.
Dr. Han^y aufsvnehmen. Auch erwartete ich, dals
der Hr. Dr. C Roseh es unmöglich dabei bewenden las-
sen würde; eineHofinuog, welche der Hr. Ao#pA durch
die Torliegende Streitschrift so glftneend erfüllt hat. —
l^as konnte sich der Yerf. der Humoraipathologie, nach-
dem volle 14 Jahre seit ihrem Erscheinen verflossen
aind, von einem neuen Versuche, die Fragepuncte vor
allem ins Reine bu bringen, noch wohl versprechen t
>Vas durfte' er erwarten, nachdem er alle Jahre hin-
durch, zwölf an der Zahl, bevor de;r Hr. Hauff sexvke
aoMde pathologische Lanze einlegte, bei jeder Gelegen-^
beit, in einigen besonders abgedruckten Journalartikeln,
wie in vielen hie und da zerstreueten Aufsätzen , das
Principielle jener Frage dem gelehrten Publicum dar-
nithun, sich bestrebt hat! Man fodre von keinem Autor
eine ewige Rumination; die ist gut für jene „dumpfen
€reschlechter'' mit dem complicirtenDigestionsapparate;
alcht für den geistig erregten Menschen. Ich mag nicht
mehr jedem oberflächlichen Mitplauderer Rede stehn.
Modo mthi'plaudateques, rief die römische Schauspie-
lerin, ab die Gallerie sie aussischte. Ich will nur noch
all die kloge Maxime eines alten Logikers nochmals
erintiem. Sie ist : Un bon disputateur ne s*obstine pas,
^uand U remarque, qu*on n*a rien de bon k lui rdpon-
dre, et que näanmoins on ne veut ddmordre de rien, et
II n*entreprends pas de faire avoueip ^ «^« adversaires,
qu'ils ont tort, il lui sufflt, que ceux, qui sont pr^senU
le connaisseut {MaHotte, essais de logique, p. 198).
Im Jahre 1837 erschienen von Hrn. Dr. MöseA zwei
Sehriften im Geiste det Humoraipathologie, wie ich sie
neit 1826 vorgetragen, unter den Titeln: Untersuchun-
gen aus dem Gebiete der Heilwbsenschaft, und: Fri-
niae lineae pathologiae humorum, qui in corpore hu-
nuino chrculantur, beide in der BrodAag'^ehen Verlags.
Iiandbmg in Stuttgard. — Das geschah ganz in der
Niihe von Besigheimj vielleicht keine Poststation, davon
entfernt. Begreiflich konnte die Solidarpathologie in
ihrer Nähe eine solche Arroganz und Usurpation nicht •) ^^ Hecken Annalen 1833,, T«ovemberheft.
Iftnger so liingehn lassen. Mit meiner Pathologie und ^ ••) Aus dem Magazin der aiuliüidL iiteratoc der Heilkande
mir selbst war das ein andres ! Der Hr. Hauff aus «, Qeteon and Jafiaw.
894
heim erklärt sich darüber dahin, dab er zwar die
Humoraipathologie Steinheims mit grpftem Interesse
gelesen, allein den Inhalt fUr weiter nichts als eben
ßir- geistreich ausgesprochene Ansichten gehalten
habe. Auch habe er nicht bemerkt, dafs diese Schrift
späterhin Anklang gefunden habe. Daher sein gewal-
tig grobes Erstaunen, als Hr. Rösch ^ sein Nachbar,
sein Freund sogar, von dem er sich am allerwenigsten
eines solchen albernen Frevels versehen haben mochte,
auf einmal . von der Tarantel der Bumorfilpathologie
gestochen, ihren Lehren selbst eine weitere Ausdeh*
nung gegeben habe. Jetzt war es hohe Zeit! die
Schrift Rösches wurde nicht, wie die meine, blofs zum
Zeitvertreibe, sondern wiederholt und as^finerksam
gelesen, denn — sie sollte widerlegt werden. Ja! mir,
der ich einst in dem Dunkel einer bornirten Vorzeit,
vor 12 Jahren^ meine Schrift dem Publioum übergab,
mir armen Schriftsteller konnte, in Betracht jener Zei-
ten, sowas zu Gute gehalten werden ; aber jetzt, nach-
dem 12 Jahre verflossen, nachdem wir eine herrliche
Mechanik des Seelenorganes^ oder mindestens des
JVervensystemesy erschwungen haben, noch von Humo-
raipathologie zu reden, das ist Bornirtheit — das sagt
er nicht geradezu, sondern giebt es in einer etwas gra-
ciösen Wendung zu verstehn, denn Hr. RBsch und Hr.
Rauff (Sri mirs erlaubt, den Meinen voran zu nennen)
sind Nachbarn und Freunde. Das vorangehende Wet-
terleuchten des Hrn. Roseh in zerstreueten Joumalar-
' tikeln mub dem Freunde nicht bedenklich vorgekom-
men sein, oder er kennt das principüi obsta in vulgä-
rer Bedeutung nicht genug; eben so wenig mögen ihm
meine Nachklänge zur Humoraipathologie, von denen
ich hier nur die Streitschrift gegen Stieglit» *) und
die Darstellung der Humorallehre von Stevens Ham-
burg 1833 nenne "*% nicht anders getont haben (NB.
wenn er ihrer geachtet!), als das . allmählige Schwin-
den eines bdsen Ungewitters, und sich . der solidarpa-
thologischen Frbche in dem wissenschafüichen Dunstr
kreise, die nunmehr folgen würde, schon im Yorauis
gefreut haben. Er hat sich nachher umgethan — und
fand — gottlob — nirgends Anklang! — Und doch
Rttei, Uer die BakiUung da MiuiM.
W&re. dt» priMipiii ^lU boner gew«Mii> wcnlgtteMi
jlwtfwaL Besser w8pb ••> gewesen, er hätte amoh der
HuiBiordpitbelogie TOB 1826 sehr Auftnerksmikeit ge*
eeheidrt, ah einer Remanleetöre ; hätte besondert den
kritisehen^ivten Theil nieht ungelesen gelassen. Demi
ans, diesem hätte ihn gewilslich einleuehten niüsseni
daük der Verf. nieht bleb sunt Piuselsotant ftr die
Sfeste gedacht und gesehrieben habe, «nd dab das
gante kein UArscrSpafii sei. Ich sage: MeMgf'ist Schuld
na detti Unglüdc des Hm. ÜSscA, xvül w die SadM
nnf die letebte Achsel genommen!
&. Jld$ek dagegen scheint die Sache redit Ernst
SU aehmeo, nnd hat seinem Freuhde lucfats hingehen
lassen, wnssum Schaden seiner Sache gereichen konnte.
Nnr hiUe ich gewinscht, beide waren nicht Frennde
nnd ni<^ht Nachbarn gewesen. l>onn es giebt auch in
der Wissensehaft Unarten, die eine kleine £tchtignng
Verdienen, dac« rechne ich 1) den M angd an Aoiitung,
den der Beeensent dem Aut4Mr dadnrdi erweist, dafs'
er sich das Ansebn giebt, 9ks schonte er sein ; 2) dann
die platten JSinw&rie, die d^n Antor eine plwnpe Un-
wissenfaeit sutraun, wie wenn dem, der ü» Btasdcitftt
des lebendigen Blntes behavplet, die aUerweh beimm»
<ten Sächeiciien ven der IncompressibiHtät der troj^fbar
flSsrfgeti £5rper roidemonstrift werden; oder endKch
S) wenn dem Autar die Lekrs&tne verschoben und
4imge»iailet weiden, «o, wenn dem HnmoralpaFtho-
logen der Jetztteit nnteiffesdioben wärde, «r ginge dar-
«af ans, ^,dfo Miu^lü $M§§ Lekem im Mmie*' mi su.
4>hen {Bmff L e. p. 8). Schon p. 8. meiner Hamanil-
falhologie wird gegen diesen StrofanMnn des Recensen-
Sen, in böser Ahnung des Berorstehenden, protestirt.
Plig. 18 wird ein andrer £inwand gleichen Sohrotes
arerieir, besonders die hohe Würde des Nervensysle-
jnes aneikannt. Allein omn iiircbtet sich , weim man
aich amüsiren will, Tor der Anstrengung, und Hest des«
Mb keine solohe abstruse kridsche Einleitungen, flr.
AMj^hat setner 8ache sdir gesehadet, dafs er den
sAstracten Theil der flomoralpathologie überschlagen;
denn -dagegen kitte «r vieles su -schreiben gehabt, und
das Meiste voller Unrichtigkeiten gefunden. BmubIs
hätte er den ganzen humoralpathologischen Brand mit
einer blotsen Spule ansdriidt^n kSnnen! Und dats er
Tolknds meuie spHteren Eriäutenmgen gar nickt keach.
Cet kat, mafs ich orbsilich beklagen. Wie viele Eia-
w&rfe hätte der gute Mann da sparen können, s. 8.
die ab ovo, schon von Hm. Stieglitx^ gemalt, und' ia
der Gegenschrift surüekgewiesen. Hr. StiegUiz weib
auch, was es an d^ Zeit ist, und liat .die Ovologiem
alle, von Huruey bis Fnl€n€i$^ volllcommen inne* WA
teil der Hr. Uaiygr wohl gütigst die 28«8te Seit» jencf
oben angefahrten Heftes der Heckmrwehen Anaaka
nadilesen, und mir das Abschreiben ersparen f DieBm-
m$rm^H»ii9Ugie iei keine ttlbimiepBiMegiey wiU \A
Uer nor kurz wiederliolen.
Doch m^es Amtes ist es gegenwärtig nUbitj mit
Hrn. Huuff stt streiteA, sonSkm nur cu seigen^ wie üw
der Hr. MöeeA wideriegt habe. Hr. ReeeA erwiediit
seinem Freunde i(p. 5) auf dessen Anklage „angemsSh
Her Ansprüche der Humoralpathplogie, wider sttisitendt
sowoM den Prineipien der Physiologie, als der fidnm
PaChologie*' höchst mM and feindschaftlich : «^Duüi die
asinige die Weniger richtige sri (denn was wir Hea>
»clien für wahr halten itiheit sich nur immer mdv
eder weniger der Wahrheit^*) und schliefst mit den Wer«
ten: „Die GrundmnMiekt aber halle ich fest, und m
wHl ich vertheidigen.'' Nun drelit sich aber der
Streit um eiae GrumlaneieAti steht diese iest: so
die ^% Gegners nicht die „weniger richtige" nur
eondern sie mufs nodiwendlg die ,^<Ma/ faletk^^ da
ganz schletiite srät Principüs obstal wir waBcn^ m
deuten: widerstehe den (^falschen) Prineipien! Dem b«
richtige«! Principe mufs sidi eine fabcliO Gensefucnt,
«eine übergreifende Anwendung, eine sohiefe Deutuag
von selbst ausweisen und sich bericlHigen hissen: aber
%ei alsebald falschem Principe, bei von Airi^ginn ss
schlammiger Quelle des Wbsens und Handeina, wis
kann da was Gesundes, Vernünftiges auch nur einsul
iBur That werden f
Besä wo va$ 'i$t em Crund mtmAn,
iDa hmn dir Bau wokl mehi bnUkm.
keilst es in fahniin ffein*9 ftechenjbuch. Der Hr.
Bdec/i verfuhr hier webl ^was zu freundstbi^dich !
(Die Fortoetznag folgt.)
I . •
:m 118.
• • •
J a h r b fi c he r
für
w i s s e u s c h a f 1 1 i che K r i t i k.
Juni 1840»
9E
Ueber die BtdttOung dßs Bh^ im gemmden und
hrmtiken Lebenj mid das Verh<nifs des Ner-^
temjfstem^ zu demselben. Von Dr. Cätl RS seh.
(FoitBetzuog.)
Sein Haupttreffen bestehet aus fünf Hauptmomen»
ten auj der eigentUcben Physiologie: 1) d^m physiolo«'
^eheB Beweise für das primäre I^ben des Bluts. 2)
Yerhältnils, des Bluts und des ^ervenmarks zu einen«
der. 3) Wirkung verscbiedner äufserer Ebflusse, na»
sneaüicli det Arsneien und Gifte, auf das Blut ujud df o
Gesanuntor j;anisniU8 ; und 4) einem pathologischen^, aus
den Krankheitserscheinung^ ; nebst 5}^ einer NacbweU
•ung des Einflusses, der Theoria auf die Praxis. > [Diese
schone Nacbhuth ist mir eine erwünschte Zngabe,
, damit sich die Selchtigkeit nicht länger der Igno-
rant rühme, und, wie es allenthalben geschieht» den
- andren iri^tribus ingnorantinibns nicht fürder .curuMn
anoge: Es ist doch einerlei! man .macht es auf gleiche
mreiscf die Theorie sei diese oder jene, mar die Erklä»
rungsart ist verschieden l Hr. RS^ch hat diefs Ohrkis*
jfmi der Faulheit ihr unter dem wüsten Kopfe weg»
erzogen 1}
Der erste Streitsatz aus der Physiologie, auf den
fir. ffaffff^hm^ ist diefrü^here Entstehung des PrU
msitivttretfens. — [Mich wunderte, dafs ^ noeh Nie-
jmanden eingefallen ist, aus der Primogenitur des. Kopfes
mnd Btma darzuthun, dafs der Bmbryo zuerst denke
vnd erst dann zur Digestion, Nutrition, Seeretion, Blu^
^duüg sich anschicke 1 Es wttre nicht viel einfiälti*
j^er» als jene Behauptung, die lo grobe Bedeutung siuf
die PHmogemtur legt^^ statt üe aurf.die FoÜeniuug
mmt Reffe der Organe^ ihre B^f&kigißng uur FunC'
tion^ snff die es deck au diesem Orte einxig und
4sIMn ankevunty hiuxulenJketu, Kennt der filerr Soü»
dast :denn keine anderen Orgjsne, die Jahre lang eer,
* ihrer l^metion Mubereitet und ausgebildet uerdms^f
' Jmkrh. /. wu$€fMcK Kritik. J. 184a I. Bd.
Seil -ich' ihn an die Genitalien «rinnern f] jb»h sehe
gar nicht ab, wefsbalb unser neue.Yertheidiger der
Humorallehre sich darauf einlassen mochte, an diesem
Orte die Priorität des Bluts, als Plasma^ in AnscUog
zu bringen. Es. kommt gar nidit darauf jm^ wekhea
iiM firüher verhandene^ sondern welches dsm /rüher
ih&tige s^'; und auch darauf ist^nech kein bespnderei
Gewicht zu legen, . da sich . die ächte Humoralpatholor
gie, d. i die Pathologie des lebendigen fliissl|gen Lei-
bes, gegen Uire Ablenkung in wk%" HSpuMtepatAelogie^
in eine schlechte Einseitigkeit von Anfat^ an feieci-
liehst und wiederholt verwahrt hat. ' Wir Wollen nicht
in eineni ausgestopften Strohmann uns von den argli-
stigen oder bornirten Feinden niedeirwerfen lassen;
^r sind selbst auf dem Kampfplatze, stehen^ den Bidi-
tern Bede und Antwort, und wollen ulU nicht in je/Se-
gie verdammen und ^verbrennen liUssn ! , Uebsigen» ist
Üieser Einwurf schon .Von StsegUt» ur^rt- und von
mir zurückgewiesen worden. Hr. fiaiy^lase die Streit*
achrift gegen Stieglitz )• c p. 285,
Hm,. Rauijffi Semexe hehfre ist; tlas Blut ist nkhi
das StejS^gebende^ sondern mir das VemutUbule des
Stoffwechsels. Hr. Re^eA dagegen: tJÜietß scheiiieii
mir nur Worte [Wörter!] zu sein.'' —^Wiederum gar
XU nachbarlich-freundschaftüch ! Jedes Jahezehend bat
.sein -^ . wie soU idi sagen t -^ seiQ Allerweltswort,
und heuer ist c;s ^^die Fermiltelef*. Da hat es denn
M milde, sanfte, friedfertige Gemßtber gegeben, denett
die Augien flössen, sobald sie von Gegensätzen härten,
jand defshalb „vermitteln, versöiwen, die Gegensalze
ausgleidien" wollten. Seit jei^ Zeit hat sich denn
das Wort: Fermitteln vulgär gepuacht, und Jedw^d«
braimht es, und pabte es, wie Fänst anb Ai^ge. —•
Wir wollen doch einmal hören, wie man vom Blute
sagen könne: es vermittele AuskStqff'weeheelf Wir
.denken also: Der Stofisvecbsel im Organismus ist «f>
stene die üamandlung des Festen in ein J^lQssige^.
113
DORF
B99ch^ über die Bedeutung des Blute.
und des Flüssigen in Un Festes i »weitene die ff^eg'
- /ährung des Stoffes von dner Stelle zur andern, von
doF Zehe e. B. nach dem Hirsen, und umgekehrt.
Drittene ^e Verwandlung der Stoffe durch lebendige
^Affinitäten in einander, Seeretümj Vegetation^ He^
earbtion und JIppOMition^ deren Mannigfaltigkeit noch
nälier £u ordnen -und lu gliedern hier zu weit führen
^ürde^ Das Blut- also soll nur vermitteln^ die Mit-
telperson sein, swisclien dem ^toffe^ der da wechselt,
tmd dem Nerven^ der. disn Wechsel scliafft, bewirkt.
Nun gehört es zu den Eigenschaften eines Mittelwe-
- Bens, dafs es selbst weder Stoff teiy noch Krqf^i we-
der Stoff habe^ noch Kraft; so ist das Wasser das
Medium [wie man vohl geglaubt hd(] /der Mittler zwi-
>then ISSuren Und Basen Und den chemischen Umwand*
fongen. Das Blut wäre sonach gewissermafsen nur
^er TVager^ der Communications- und TranSportcanal
^er leiblichen. iS/o^^ die Vom Nervensysteme hin und
lier gesehafft und verarbeitet werden. Defshalb trSgt
das Blut in sich aufgelöste feste Theile, Fleisch, Seh«-
' nen, Nervenrohrchen^ Fett ü. s. w. u. s. w. ][)iese
. schwimmen in ihm in einer lebendigen Lösung f nicht
wie StolBe in einer Schüttelmixtur) Ton der Peripherie
ins (Centrum, rem Centrum nach der Peripherie. — Ist
dem flicht sol -^ Das Blut ist also: diese Stoffe selbst
. 'S;» einem flüssigen Zustande^ der geschmolzene Stoff
des Organismus^ und nicht nur Vermittler! < — ^ Fer*
' Der tfaeitt das Nerrensystem, modo dessen Ausläufe
irom siflanchnischen Systeme aus, die alle Gefäfse netz«
artfg umspinnen, dem Blute die Kraft mit, diesen
Transport auszuführen, tfhne dafs sich unterwegs ein^ .
.Zersetzung, eine Stagnation, ein Festfahren u. s. W;
zutrage. Dttreh diese Xicbensfacta schafft der Solidar-
patholog ein mit Lebenskrttft begabtes Uenstruum .
der lebendigen Solida. Vortrefflich! Allein' da hat«-
ten wir ja wieder das belebte Blut des Humoralpatho-
logen, nur mit deib Unterschiede, dafs nach dem So/s*-
dismus seine Kraft beständig eben so durch das Ner-
Teilsystem erneuert wird, vie sein St<^ff durch Nerven
. und Fleisch und Knochen u. s. w« Und da hätte es
Ja mit eins wieder aufgehört blofs zu vermitteln^ da
. es seU)St sich nicht ron seinem Inhalte, wie der Strom
Tom Flosse unterscheidet, sondern Flqfs und Strom
zugleich ist. VTer könnte sagen, das Wasser ver-
mittle nur naeh der Theorie Ltovoieiers den Wasser-
wid Sauerstoff; es fsC yielmehr das Prodnet selbst.
Im gewöhnlichen Leben nennt man Vermittler denjeni*
gen, der weder dem Stoffe noch der Krofi naeh
selbst betheiligt ist, sondern gewissermafsen beide ss-
sammenbringt^ die Copula darstellt. Diefs aber pab
auf die Blutmasse, wie in jenem berühmten GeaäUi^
das uns Horaz beschreibt, Kopf zum Ralf, und du
Ganze zum „scheufslichen Fischschwanz".'
Wären wir vielleicht schon in unsern Coneenio.
neu zu ^reit gegangen t Wir redeten der Nemi^-
tbologie das Wort, und gaben den Nenrennetses oi
d^e Gefälse .die Ehre des Vorherrschensj in der Art,
da(s wir ihnen die Kraftertheilung zur Bewegung in
Blutes zugestanden ! Das war etwas unvorsiditig, wti
der Herr Solidist mag uns diesen übereilten Zug mr
zurüofcgeben; noch beröhrt ihn der Finger! Es itf
auch ein wahres Ungliick, dafs der PrimitiYstreifen ml
nicht das Gangliensystem das Recht dtf- Erstgelivit
ansprechen darf! Wer kann mir sagen, wanki dieSo-
iarknoten, der Ring, seine Ausstrahlungen und bem*
ders jenes /wundersame Netz um die Adern gesehaffei
wird ? Sonderbarer Weise tritt es augenachemlidi U
den Hintergrund bei den ersten WirbeitiiierformatioBf%
bei Fischen und Reptilien. Erst bei den Vogela zeigt
-es wieder seinen Charakter, als J^noten-bildendei, mir
entschiedener Deutlichkeit« Es steht zu erwarten, hSs
dieses System in der Reihefolge' Von organischen Eat-
wickelungen in der höheren Thierwelt nicht vor te
Zustandekommen, des Digestionsapparates in sididisiv
Form erscheine. Bei sehr, jungen FroschembiyoiMi
habe ich vergebens danach gesucht, selbst bei velbtii^
digem . Digestionsäpparate. ^iels wäre jedt>ch auf A
Zartheit der Fäden au schielten, die begreiflich dmI
Viel schwerer, als bei ausgewachsenen ladividuen, nt^
zufinden sein messen, und bei diesen seihst ist es nkU
ohne Schwiierigkeit zu voUbiringen« Dem sei nun wii
ihm volle, das'Miftliche für unsere Concession aa &
Nervenpathologie bleibt dasselbe! Primitifstreifen U^
PrimitiTstreifen her! Damit: setzt man weder Ehrii
noch Geilärse, noch Blut in Bewegung, und wenn*f «^
diesen wäre, dafs er schön als Nerrensystem fungii^
eine höchst precatre Hypothese. Deishalb nelmie mss^
dem Humoralpathologen nicht übel, wenn er jenen G»
danken des Solidismus, yertedge dessen die BhitbiUsq
und Bewegung vom Nervensysteme abhängig erachteC
wird, weä der Primitivstreifen vor d^ts Bluie ss
Eie mtftritty «o lange fQr leer nnd" falsch lifilt; bisStf
/ •
M
fi8tcAi *^^ ^ BedstOtmg, dt* Biut4,
903
entweder >di« Wirkung des RBükenmarks auf die CiM
iulatioa (niclit blofii ftuf den H«rxs'chlag!) dargetliaii,
adar die Primogenitur das Gangliensystemea' vor dem
[ ,Blttta ila.ehgewieseu wird. Das Entgegengesalzte 'labt
sidh dagegeit mit grSfster Wahrscbeinlidikeit an dia
Slalle janer Hypotliese setzen. — Wie, oder sollte hier
wieder Jenes Sehleiehmtttel angewandt werden, jener
LehrsatSy dessen 'Herkunft sctiwerlioh irgend Jemand
kennt: Dq/i $$cA da§ Mchon fertige Ch^ehopf naek
ündern Qüeetzen richte^ at$ das sieA Mdendef
In der Arsneiwissenschaft, wie in den andern, va»
gabondirt eine gehörige Menge solcher Taugenichtse
iron Lehrsätzen, wie der genannte, und diese bieteil
Ihre swaideutigen Dienste dem ersten Besten» der ih«
rer bedarf, feil. Mir fällt gleich ein iwetter gleichen
Geliditers ein! Er lautet: der BSikrokoemue steAt
mum Matrokoemüs in einem feindlichen f^erkält»
imee; Tita est Status violentus. ^) Polarer Gegensatx
zwischen beiden! Lassen wir für jetzt den letzten wie*^
der las und hahen den »sten desto fester. Fast möchte
iA mit Hm. JlSseA darüber rechten, däls er jenen
kecken Satz dem Solidismus so liingehen lafst Be-
merken mu& ich nur, dals auch dieser Lehrsatz mir
^or nnnmahr Q Jahren durch Hrn. StiegUi» eingewor*
fen ward, and dafs Hr. Hauff ihn debhalb gern hätte
sparen kopnen, wie ich mir eben jetzt eine Wiederho*
lung der Widerlegung su sparen gedenke. Ich ver*^
w^eiM auf die oi a. Stalle aus Heckere Annalen p*
Tollende Terdriefet es mich, wenn man' mir vor-
UlrfC^ ich ginge darauf aus, „die arme solidistische An-
iiolit auf alle Weise herunterzusetzen und lächerlieh
SU machen." - Wo hätte ich mir so etwas zu. Schulden
ltoninh«k lassen! Ich bitte den freundlichen Les^r,
^iooh die 278 S. jener Annalen aufzuschlagen* Dort steht
ao ansfohrlich wie möglich, dafe tUe Humarßlpatholo^
gie siek keineHeegei ale Pmtkkilogie fkhejrhaupt eon^
aünirt (schon in der Sthrift, die 1826 zuerst diese
Lehre in ihrem gröfserem Umfange darstellte, wird aie
mr als ein Capitel der Pathologie, als Lehre von der
Te|;etation, und «war auch hier nicht als »dusi?«
Torgetragen. S. die Humoralpatkologiey ein kritisch*-
didaktischer Yersuch, Schleswig 1826, jg. 8 — leider
*) ßU^s and /)/^ Li^tn and GtwaÜt sind im Griecbiichen sinn-
and stamaiverwaiidt
Steht es im geacluöhtUch - kritischen Absehnittei deb
man nidht Jtest); dort erkennt sie die Lebensfüöctio«
nen des Nervensystems nicht blojs neieHy sondern selbst
ü6^ sieli unbedenklich ao. Wo g(at>e ea ahßr einen
solchen Narren, der darin eine Elire suchte, daCi seine
Theorie den Vortritt Jm Gerkle der^hohen Wissenschaft
habe! Der Wahrheit die Ehret Rangstreit ist Al-
bernheit überall; in der Wissenschaft ist er qualificirta
Fatuitätl Auch würde ich dem wohlwollendeli Beur^.
theiler nicht zumuthen, delahalb jene Stellen sich anzu«*
sehn; sondern wegen einer dort erläuterten DiSeten
beider abweichenden Doctrinen der Pathologie^ von
lArelchen die eine ihrer Natur nach,' also mit innerer
Consequenc, die andere nichf neben sich dulden .kann |
ohne Kich selbst aufauheben nicht dulden darf, und daf
ist eben die sich selbst begreifende SoUdarlelure. 'In
jenem historisch-kritischen TheUe memer Pathologie der
Ursäfte ist diesea GnmdverhältniDs. beider BoctrineA'
nicht minder ausführlich besprochen; allein leider. in
jenem ab/rtracteb Theile, der zu ernst ist, als dafs man
ilin zum Zeitvertreibe lesen mochte, und .für die Sie*
stezeit feelbst nachtheilig werden konnte ; den man da*
her überachlfigt. ~
Die alten Egypter erzählten von ; ihrem Gotte
0idr, dem Gotte des feuchten Elemei^tes^ dafs ihn sein
feindlicher Bruder Typkon^, der Gott der TrockniTs
und der Wüste, im Kampfe ülierwunden,. in viele Stücke
getheilt, jedes einzeliie in einen Sykomorenstamm ein*
gesohlossen und so in den Nil geworfen habe, dafs sie
ins! Meer hinabgeführt würden. Die gute Schwester
und 6attin, Isis, sei darauf, unter Wehklagen, um^er^
gewandert, habe den Leichnam . zusammengesucht und
ihn bis. auf einen einzigen Theil — freilich einen höchst
wichtigen I -— wiedergefunden und in On, der Sonnen*
atadt, feierlichst begraben. So macht es der dörre So*
Udist noch heute mit der Wissenschaft^ elr todtet und
zerstückelt sie ; macht sieh einzelne Sphär^i, Partieen^
abgeschlossene Organengruppen $ und die trauenide
Naturwissenschaft sucht das Ldchnämes auseinander*
gerissene' Glieder wieder zusammenzusetzen; aber das
eigentlich Befeuchtende hatder typhonische Windmacher
vollende Zerstört, und. Isis bleibt ohne Tröster! Der
typhpnische Geist macht ebenfalls ganz verschiedene
Gesetze, wo nur Eins herrscht, nur um sich aus Ver-
legenheiten zu ziehen. Die Natur ist kein Stückwerk,
gleich unserm Wissen, wie man sagt^ und ist unßex
I '
DOS
ßStehylAer 4ie Bedtuttmg du BliOa.
904
^ »
Wissen ein Stückweric, so iet ee desto unver^eiUiteber»
gar ein Br&okelwerk daraus m tnavheft» /Wer die So**
iidistik kennt, der weifs auch, wie viele Krftfte mid
Kfäftchen sie zu ilireni Gerader erfinden muGite. Be«
j|;re{fliehl Denn jedes Sblidum ist ein Solidum, ein
für sich Seiendes^ und das allvierbindende Menstmum
fehlt. Hier entsteht aus purer Consequenz ein hnder-
VoUer Föderativstaat;, quot .sensus tot capita müfste
man Iiler sagen! -Nun gar ' verschiedene GeAietze im
9ieA üideudsf^ und im.se^oi» ge6iUeien Kdrperi
Nicht einmal in den niedrigsten Oi^ani«»tionen finden
ftich ivndere Gosetne der Formation, als in den hoch*
iten. Hier^ wenn irgendwo, herrscht die dupchgreiretkU
•te Einbflit, nnd nur die Entwnskelungsstufen nlid.Fop'
inen weehseln. IMe noneSten EnCcteekungeti in der
Pflansenwelt^ namentlich die Gesetze der Bef mciitung ^
)die Seminalsubstaniseii, taebst ihren Cercarien; die will-
küriieh beweglicfaen Sporen der Algen, besonders der
Yattchekieo, seugen gegen' den Zerbröeklerl In allen
gletehnamlgen Sphären des oi^aniseben Lebens herrsebt
.dat gleichartige Gesetz; sur eigentlieben Saamenbflr
düng berracht blr auf die letzten Pflnnzengebilde bin^*
ab die Ö^dnung. der Sexualität^ wie beiAi polieren Sau«»,
getbler, mit der Ndtbigung: der Copuladon, vor dem
greisen Altare der Natur w^gstensl Der erwachsene
Mensdi ernährt sich, wie das Kind ; der Greb wie der
Mannf und der EtnbiTo nach demselben Gesetze, wie
alle, freilieh nicht mit Messer, Gabel und Löffel I Durch
die unerktMieke 8ehmd%kraft der Dauungssäfte wird
das anis^re Material- in Ursäfte verwandelt ; durch die*
softe Scbmeizkraft {biolgtüehe Kraft) wird der eigiie
fdsle Leib bestätig wieder veriläfsigt. Möglich, dafs
dem Magensafte die Nerven eine solche Kraft nnttheii-
len müssen; allein auch nur möglich; denn £e Experf^
mente-mit hünstlichen Composhionen des suecus gastr.
unter, wie t>bne Einflafs der Elektricitftt, oder des GaU
vairismus, haben, genau besehen, nur negative Resultate
gefiefiert. Wenn nun auch,^ was niemals di^ Hamoral-
paäioloj^o in Abrede gestdlt bat, NerveneinfRisse an
deh fieeretimien vonnöthen sind; so ist damit nodi nioht
ausgesagt, dafs dieser EiiiAuGi isolcber Art/sei, dnfs mit
ihm auch das geistige Agens direct öberatrdmoy a. B»
die $eminalkraft aus den Nerviin des GeDeraÜonsappa«^
latesf die Contractilitfit aus den M«skebMT«s Ae Me-
fytüeke Kraft aus ^en Magenaerven und denan der
resorbirenden Gefäfset Da träfen wir auf ein artigw
Summchen solider Kräfte im lebenden Lttbe. and aaf
einen Wjrrwar von Nerrenein^ilssen, den nar.em tqCsp
rer SoUdarpathoIog geistig verdauen kann. Die seiw
Iiackte Lebenskraft kommt eben So sohUmm «Hier dqi
Fäusten des neuen Typhon weg, und wird hier, einge^
sargt als Muskel «Irritabilität; dort als NervMseasiUt
tat, weiterbin als Reproduction, noch femdr als Gene»
ratioaskraft ; heilige Isis! wie wiUst du fertig werden f
„Was die KMt der Nerven, die Reizbarkeit der Ma»
kein und der diesen ähnlichen Membranen^ die vita pro»
pria Mdlich Jeden Theiles betrifft: so bedeuteo diest
ja doch nur isolirte Provinzen jener aUgemeinen Le»
benskraft Ihr Dasein wird vom^ Humoralpiah^legai
anerkannt, gewürdigt, und in die riditigan G
surackgefiihn" sagte ich p. 286 der Ufer.
a. a« 0.
Im «&^^di»Abaiobnitt; fVie wirkm, Su/kere ßütgf
m$f den Organümusf uuf !»ekks Art mffSdrm^ n§
4Äm*': ist namentlich die Rede von Arsnetea umd Git
ten, und liier ist die verwundbarste SteUe der Nervei^
pjktfaologie. Zu einer Zelt, da noch die Rede
Atmosphäre utti die Nervenenden, da man die
individuelle Wickung der verschiedenen N^rvaabia»
del noch nicht kannte : da liefs' sieh noeh - i>ll^i^fiHt
von einer N^rvenpathologie sprecheng allein haut sa
Tage, nachdem Sir Charles Bell oder der Hr. Jfo
gendie jene glimsende Entdeckung gemadit; nadidem
die Nerven bis ia die feinste Faserung verfolgt ; aad^
dem die Bahn einer jeden Empfindung, einer jeden B^
wegung, entdeckt, und auf die Breite eines mikrask^
pischen Fädebens beschränict forden: ist aa eima Ne»>
venpathologie gar nicht mehr eu deakeq! Wir wisaia
jBS nur vx gut, dafs es Nervenfäden Cur die Empfiiidaii|^
and andere für die Bewegung g;iebt; dafs nach Durck
achneidang, oder sonstigen FunctionsstSrungen dar Assle
4eB 5ten Paares, viellei^t der etwas hypothetischsa
Respirationstränge des 'Englanders, eigeadiSuiUicIie p^
thologische Erscheinungen siciilbar werden, s. B..ena
Ooi^unctivitis, die in yerdunkkoi^g d<9 Cornea endet. —
war vsa
(DerBeschlufe folgt.)
i¥ 1 s s e n
Ja h r b ü eher
u r
£^ c ha f 1 1 i c h e
K r i t i k.
Juni 1840*
fMer die^ Bedeuhmg^dei BhsU im guunienunA
Irank&m JUUf^ $$md dm V^rkSUmßi des Ner^
if0n$g$tem$ zu demselbem. Fim J^. CmrlRi^ch^
(SchUifs.)
Wir beben mtamebr aiidh die reflectirten Beweguoi.
Ken kennen gelernt^, so dais ich weiGs, dafa^ wenn ich
vahniehnie» dab irgend ein Taschendieb mein Tucli.
mif SU siehen in Begriff ist, und zwar ans der rechtett
Rocktasche» und ich die LinJce ausstrecke, ihn zu fa*
ben, dtefa eine Refleetion vom Rückenmarks aus sein
m&tte, ' und. swar vermittelst Nerveoanastomosen, dia
swar noch kein Mensck gesehen,- die sich indeb dock
Torfioden müssen, vreil kein anderer Verbindungswqn;
da. ist Wo bleibt jetst die Einvirkong des Pijmitiv-
stteifens, oder auch seines ganzen. Nachwuchses, auf
die Bildung und Bewegung des Bluts f Wenn Hr. Bamff
Tor muu&ebr 14 Jahren (wenn- er noch heute so deoJctiK
wie vor xwei Jahren), eine «o kühne,. tuTersidulicbn
'Vertbeidignag der Nerveopathologie der Presse übergef^
beir b&tte, so kdonte man. das. Iiingelien lassen \ aber
j[el2t -^ nach 12 Jaliren,. das ist un'ierseihlich !
Allein fast Intle ich. vergessen, dals Ftlix Fontawk
sieben hu dec lataten Blälfte dea verigen Jahchundert&'
die nuserabia Mervensathologie an den FeUen der Ex«
l^erimente mit dem^Viperngifte secschmettert hat (wenn
gnir Reck ist, schon Un. Jahre 1765 !> Thut nichts ! In
dem Koffe eines Juogers oim der Hrnkfummtucheak
Schuh Lebt sie nodi in voller Krafiu Er ignorut iPi^^yr
tana «nd J* Jttülhrl Alle Experimente der Neiueit|
die man durch X^nd gesammelt, ändet^ existiren nichl
f&r iho. Theuier Hr. Bi^ehl Lad uns nfich Hause
gehn! Consnmmatum est! Der Patient ist ohne Rettung t
Oder wollen Sie ea nocb einmal pit der ArzneimitteU
•lehre CArütüons, versuchen t Teegebens! Wo Hahn^r
m$aim bertscht, da hat alle Vernunft em Ende. — Web*
1^ atteb.fin|0&tSie gar an, Ihren Freund su widej^-
/aAr6. /. wi$i€m$ck KriOk. J. 1840. L Bd. ,
legen! Wie ich an die* Stelle p. 80 der iKiiyf^scben
Schrift kam, wo er den End - und Schlagbeweis au»
der reinen Arzneimittellehre des groiCsen Hahnemdnu
ins Treffen führt: da entsank mir der Muth; ich legte
die den Text begleitende Feder hh), und dachte: wiirunt
hat er das nicht gleich gesagt} Warum erst* so sp&tmit
diesem zefsohmettevuden Schlage! Erst p. 80, 14 Sei«
ten vor dem Schlüsse^ kommt er mit seinem Central-
treSen! — > Hr. jRSscA^ ich gebe, mich gefangen; lajs
uns nach Hause gehn! — > Man wird es vielleicht noch
wissen, . dafs vor nunmehr sechs Jahren der Hr. . v. Pom^
jnur diesen Gegenstand gründlich behandelt, und die An-'
mafsungen der Humoralpathologie zurückgewiesen zu
haben glaubte. Die Antwort findet sich im Ifalther'^
&r^'schen Journale (ich glaube im Jahre 37 oder 38^
nachdem jene Erwiederung ohne mein Verschulden dref
Jalire ruhen mulste). Seltsamer Weise räumte jener
Experimentator dem Blutleben einen gröberen Umfang
ein, als selbst der Humoralpatbolog, den er eben we-
gen seiner ßebergriffe angriff; er lehrte daselbst näm-
lich — plus royaliste que le roi m£me ^^ dafs das Blut ,
freiwillig, ohne Hera^impuls springe und hüpfe ^ und
nennt einen neuen, nagelneuen Trieb — den. expansi-
ven LebenUrieb dUeer FlüßigkeiL (Medicin. chirurg.
Zeitung 1828 p. 206). Meine Entgegnung ruhete aus
derselben, Ussacbe, aus welcher die gegen Hm. J. Mül»
ier in Betreffeines ähnlichen Themas zu längerer Ruhe
verurtheilt war. Man wollte ihn nicht erzürnen ! Der
wahre Freund der Wahrheit und 'der Wissenschaft
kennt indelk solche pusillanime BexQge iiicht ! Man lese
die schöne Stelle aus dem JF^utama^ den RdseA p. 50 .
ausfiibrlieh anzieht, und fälle ein. mildes IJrtheil über
die StocksoUdisten, wenn man noch kann!
Indefs gehen wir eine Seite im Texte zucGck ; denti
zu dieser p. 49 hätte ich noch, gerne einige Zusätze hin-
zugefügt Hr. Boeeh findet es auffallend, ,tdals die Jun-^
gen der trächtigen HOndin^ die Freund Hauff ibSa tilau-
114
907
JRöicAj Hier du Sedetsttmg da BlutL
MB
saure vergiftet hatte, lebendig auadem äufgescUitKt^ii
Uterus hervorkrochen, da die Section erst eine { Stunde
nach dem Tode gemaeht wurde." Nun möchte ich doch
nur*wii&en> wd» hieran Auffallendes ist. i)afs unge->
hofencThiere ^ Stunde ohne Atmosphäre leben IcSnnen,
ist doch wohl nicht das AufTallende ; man Jiat ja Yer^
suche mit neugeborenen Katzen gemacht, die solches
begreiflich machen. Nun aber sagt Hr. MöscA Temer
^es ist bekannt, dafs das Blut des foetus zwar in noth-
Wendiger Verbindung mit dem, ihn ernährenden, Blute
der Mutter steht, diese Verbindung sei aber doch mehr
eine mittelSare als eine unmittelbare.^ Was die
^ Verbindung des Embryobluts mit dem der Mutter be-
frifft: so ist diese weder eine mütel6ar& noch untniU
teKare; beider Blut steht yielmehr in keiner grofseren
Verbindung vor als nach der Entbindung. Woraus die-
ses erhelle f 1) das Slut der Embryonen ist kühler, um
2^ des lOOtheiligen Thermometers kuhler. Zwei gute,
treffliche Experimentatoren haben diefs gefunden : Edu-
ards und Brechet (S. Hejffelder^ Krankheiten der Neu-
gebomen, Leipzig 1825); 2) das Blut des Embryo ist
^ beim' Menschen von dem der Mutter in sich verschie-
den. Ist dunkelfarbige dünn^ wenig gerinnbar^ ent-
hält nach Fourcroy keine phosphors. Salze, äufserst
wenig Faserstoff, und einen weichen, an der Luft sich
wehig retbenden Cruor; endlich 3) sind, nach Prepost
und Dujnae die Blutkügelc/ien des Embryo noch ein*
mal io gro/e als die der Mutter (S. Burdach's Phy-
siologie Bd. 2. p. 41) ; die Ziegenembryonen will ich lieber
gar nicht nennen, damit man mir nicht wieder einwende,
dafs sich diese nach addern Gesetzten richten, ab der
Mensch« (S. annales des sciencea naturelles par ^imToii»,
jt. Brogniard et Dumae^ Paris 1825). Oalen schon
kannte die niedrigere Temperatur des Fötusblutes 8.
dessen de foetus formatione (vol. IV. Edit. Kühn p. 671).
Welcher Physiolog mochte nun irgend eine nähere Ver-
bindung atwischen diesem Fischblute der Embryonen und
dem Menschenblute der Mutter statuiren, als zwischen
dem Menschenblute, das sich vom Fischblute nährt?
«
Wie die materiellen Verbindungen zwischen toetus und
Mutter beschaffen seien, wissen wir noch weniger fast,
als, wie die spirituellen. Es bt nicht unwahrschein-
lich, dafs der Säugethierfoetus in niclit engerer Verbin-
dung in materieller Beziehung zu jeder Mutter stehe,
als die der Marsupialthiere ist, nur dafs vielleicht das
längere Verweilen in dem Uterus auch eine respirato-
rbcba Veribindung yermothea läfst; man bedenke dslm
indefs, dafs ein Blut, wie das des Foetus, schon wt
dem blofsen Wasserathmen^ wenn diefs medhutf nit
'Lebensluft erAillt ist% auskomme« —
Wollen wir diese ^ehavqptung von der eatgeg»
gesetzten Seite beleuchten: so ergiebt sieh uns, daii
allenthalben, wo eine fvirkliehe Verbindmig
Blut und Blut Statt hatte, auch die' Vergiftung
mittheilte* Hierüber vergegenwärtige man sich die be-
kannte Vivisection, die maw nicht mehr xm «mMmv
holen braucht. Solche unmittelbare Einwirkungen k*
thfttigen sich femer durch Ansteckung mit idem Mus-
brand durchs Qlut der kranken Thiere; durch dieii
Todesst^rre abfallenden Blutegel, wenn sie Blut m bos-
artigen Fiebern saugen; die Ansteckungen durch Mut-
termilch gehören auch hieben Dab das Blnt von Mcn*
sehen, die sich mit Blausäure vergiftet, die Bhitegel, die
ihnen angesetzt werden, todte, spricht eben so selirßr
die Unmittelbare Aufnahme des Griftes ins Blut, abJ^
nes barbarische Experiment mit der Hümfin wedar fir
noch vider. (Vgl. die Humaralpathologie aus prak-
tischem Interesse und auf zoochenüscher Basis, nadt
Stevens observations ete. Hamburg 1833, p. 46.)
Der vierte Abschnitt beschäftigt sich mit dem ci»
gentlich pathologischen Beweise. Es ist vid, dais Br«
Bosch die Beharrlichkeit hat, seine Streitschrift foitti-
setzen, nachdem er p. 57 von d«m Stghfhemummam-
nms des Gegners gesprochen hat. Unseres Amtes vX
es aber nur, dem Vertheidiger der Humorallehre nsdi»
sugehn, und über ihn zu referiren. Hier giebt es wb^
cherlei, für den Gegner Sprechendes, s« hesMfes^
besonders, dafs es ja nervina, analeptic» und nervcs»
umstimmende Mittel giebt; wenn's aber solche Bßttal
gegen Nervenkranklieiten giebt, so giebt es Ja geirib
auch Nervenkrankheiten, und jene Zustand^ wdehe
diese Mittel, insbesondre aber die Haknemtfnmasif
schen^ tuto, taXo et jucunde heilen, gehören m die,
Nervenpathologie. Q. E. D. -r Dafs nach tüehti^
Erfahrungen das Blut sdion vor dem Ausbraäe dar
Fieber krankhafte Beschaffenheiten der hedeoteodirsi
Art zu erkennen giebt, diut keinen Eintrag f Die As^
logie mit anderweitigen Vergiftongen verschlagt pt
nichts! — Dennoch beliebt*s dem Bolidarpatliologes «if
einmal, die BydroyhÖbie xu einer Krunkheä ist
Bluts XU machen/ Der Mann kann, was er wiBt -
Das geschieht aber defshalb — unter' uns I — weBd»
M9seAj üter die Bedeutung ikt Blute.
. 910
werfReh, mti ich ralbf deiii Solidismus, geschwinde
eine neue Reihe von Nervenübeln zu construiren, bSm-
lieh latente; damit kann man sich immer faeifenl Wir
vfollen nunmehr annehmen, dats die Chlorose eiqeNer-
venicrankheit sei, in welcher nach allen Zeichen die
Nerven gesund sind; allein an einem latentpatholog^- ^
sehen Processe dennoch leiden können, und das ist tu
belegen durch die fVirkung dee Eieene. Eisen ist
nämlich entschieden ein Nervinum, weil es den Ue
dottibureux und ähnliche Nervenubel heilt. Nun aber
heilt es auch die Chlorose, also ist diese ein Nerven-
leiden! Diefs ist das solide Räsonnement^des Hahne- \
mannianers. In diesem Urtheile sind jedoch nur von '^
den beiden ersten Sätzen der eine zweifelhaft, nämlich,
dafs es ausgemacht sei, der tic douloureux und ähnli-
che Neurosen seien reine Nervenkrankheiten ; und der
zweite' unwahr, dafs das Eisen, in grofsen Gaben, die-
se Uebel heile. — Wie ist das Eisen denn überall zu
solcher Celebrität in diesen' Krankheiten gelangt f Viel-
leicht ist sein Weg« zu diesem Ruhme nicht allen mei-
nen £iesem noch erinnerlich; ich will ihn defshalb be-
schreiben. Yor vielleicht zwei Jahrzehnd^n. macht ein.
grofser Arzt in England die hochwichtige Entdeckung^
dafe in Sümpfen eich keine Regenwärmer aufhalf
ien. Halt, dachte dieser ärztliche Newton, das mufs
benutzt werden!' Halten sich nämlich in Sumpferde
keine Regenwurmer auf, so geschieht diefs wegen der
— - des, wollt* ich sagen, Eisenerzes [bald hätte ich die
Feuchtigkeit genannt ! ] ; also wegen des Eisenerzes l
Nun aber ist der Krebs ein fVurm^ oder ein wurm-
fthnliches .Geschöpf. fVenn ich mithin den Karpery,
in dem ein solcher Krebswurm sitxty mit Sumpf-
er» ausfülle^ • so mufs begreiflich der Wurm veren*
oder nur glaublieh finden werde. Vom Blute kann ^ilenf — Daher sind die grofsen Gaben von Eisenoxyd
grobe Mittel :\ CS. Sepfae X nichts dagegen vermag!
Nun, das l^fst sich hören! — Herr Bosch fährt indefs
fort und lälst da« Fieber. vorrücken; spricht von der
itaumveränderung des Blutes, einem turgor vitalis des-
selben, wie von einer abgeflachten Sache. Hr. «71 JUäl*
ler stellt diefs physiologische Factum noch in Zwei-
fel, und verweist auf die Vertheidigung des 'Hrn. Dr.
(fottsche (£^g^ Mittheilungen, N. Folge, Altena bei
Eammerich 1836, 3. und 4. Heft). Beiden, Hm. Prof.
J, MüUer wie dem Dr. Steinheim^ wird v. G. der^ge-
Mchte Vorwurf gemacht,- die Lumen Verhältnisse der
Torhöfe nicht in Anschlag gebsacht zu haben. Ich stand
hl der Meinung, die von einem Physiologen, wie Mec-
Jbelf oonstatirte grofsere Weite, ohne kunstliche Zerrei-
ßung des rechten Ventrikels, reiche zum physiologi-
•eben Beweise hin; ich suchte nidit weiter, wiewohl
es nach JUecJbePsM^eMiakgen nahe genug lag, und die-
•e hatte ich bekanntlich vor mir. — Doch will ich je-
nen Vorwurf nicht ganz ablehnen, * besonders da ich
Mm mit einem Manne, wie •/. Müller^, gleichmäfsig
trage« Allein wenn mich Hr. Dr. Oottsche glauben
znaehen'will, die Ausfüllung des leeren Raumefs in dem
Ventrikel lasse sich aus einer Verwandlung des A/ii-
tss in Blutdunst^ und dessen nachheriger Niederschlag
giuig sIl^Bluty mit voller Aüalogie des fVassers und
«einer Veränderungen, erklären (p. 13) : so heifst diefs,
mir ein wenig zu viel Ehre anthun! Ich glaube kaum,
daCs man jemak diesen Ferdunsiungs - und Nieder^
Sjchlags^ProceJs mit der eigentlichen Masse des Bluts,
eo dafs es. in seiner Gesammtmasse verdunste und dar-
auf aas Btutdunsty wie der Wasserdunst zu Wasser,
«ieh als Blut in der Berührung mit der kalten Luft
JLungen%ellen niederschlagen könne, darstellen,
i^eiils mehr verdunsten, als sein wässriger jBestand*
^il, das übrige bleibt eingedickt zurück* Das ist der
Hergang. —
Unter den krankhaften Erseheinungen, die Herr
Bauff A<em Nervensysteme zuweist, hebt Hr. Bösch^
ftlr wirksamsten Gegepbeweis, eben dieselbe hervor,
ofimlich die Bleichsucht. Wirklich findet man bei
dieser Krankheit wenig oder keine Nervenleiden. Da-
gegen finden sich gar nicht selten die heftigsten Ner-
venleiden unter Ahnlichen Umständen, wie sonst wohl
die Chlorose, als Entwickelungskrankheit^ ohne diese
Vegetationskrankheit. Die -Gründe sind also unver*
erklärlich. Diefs ist die erste Station des Triumphzu-
ges des Gott Martis; nunmehr kommen wir an die
zweite. Derselbe, oder ein andrer Macbaon^ macht
die grofse Beobachtung, dals bei Nachkon|men am
Krebse verstorbener Mütter sich zuweilen ein tio* dou-
loureux einstellt. Ha! ha! denkt er, das ist der Stell-
vertreter des Krebses/ Kann nun aber das Eisen
in grofsen Qaben den Krebs selbst heilen^ wefshalb
denn nicht seinen maskirten Doppelgänger^ den
tief — ^ Dieses ist nun die zweite Triumphpförte dcis
Mars, und nun krönt und besalht ihn der Hr. Hauffs
durch seinen Schlufssatz, ergo ist Eisen ein Nervinum!
1
9U
A. Amoldy ümt^in^ und Studien zur GupiudUe der Memekheii.
>ia
W^^ denkt nicht aft jMeii alCM Syrueb : oi esMiil: im*.
dici nil philosojphis stidüiis!
Noch fuhrt Hr. RomcA su Gunsten der Hunnoral-
lehre die ThaCsachen an, die nte in R&cHicht dea
VorbaAdeasefaM kradkbaftar SeeeedaifteR im Bhite ent-
deckt hat^ ^s. B. Carsweirs Entdeckung des Tuberkel-
alöffies im Blute. Solche Thatsachen sind freitlch et-
was precair; und schon defshalb, weil der Tuberkel-
acoff eich sehwerKch chemiad»' Toa gewdhnlidtfm Kä-
aeataffa untfMrsaheidei» lassen dOrfte» Ich k^nne diese
UntersttchunMU Garsweirs nicht, werde indefs sobald
als tbunlidh dieser Entdeckung näher nachspüren und
nri^ Iren ihrer Gewiisheit zu anterrtehten suchen.
Wir gelangen an den letzten» den &• Abschnitt
der Gegenschrift des Hrn. RoMch. Ueber diese haben
wir schon früher einiges Bemerkenswerthe gesagt, und
wollen nur noch hinzufügen, dafs es fast drollig stell
aasniaMat, wenn wir Allapatben, dem Hahneiaaniis«
Pathan gegmObar, die Differenz in der Praxis, je nach
den Prindpien und der Theorie, vertheidigen. Zwar
, weifs sich, wie wir gesehen iiaben, der Hon>dopath mit
grofser Gewandtheit dar Wirkung aliopathiseaer IK>-
a» för seine a» v. Theoria zu bedienen: aUein l[as wird
er uns schwerlich zugestehen, dals die Theorie nicht
mächtige Differenzen in der Ausübung erzeuge. Os
sepiae z. B. wirkt in der Allopathie nichts; trotz dem,
dals man dlefa Mittel längst gegen Epilepsie als Spe*
eificnaa dwpenairt hat, wi^ das Elensbom. Das ist aber
ein unschätzbarer Fund für die Homöopathie. Zwar
wirkt es in der Homöopathie eben so wenig gegen die
Epilepste ; defsbalb mafs es immer mehK vewiej^n,, d.
h* inuner mabr aufsesohlossen werden^ denn der Geist
.wächst, wena man den Leib casteit; endlieh lijtderxten
Potenz gelingt e1i. Aber nun bemerke man die Diffe-
renz des Einflusses beider Theorien auf die Praxis, »r
Genau betrachtet enthäll es einen ktsinen Uasiafi^ weim
.^ama behaaptet, des vernünftigen Menschen Handeln
sei nicht im directen Zusammenhange mit seinem Den*
kenr Wenn man noch $agte ; mit dem Scheine oder
der Maske von Benkungswebe, die er yoriiält, so liefse
diefs Sich hören.. Aliein in trei^m Wortsinn bedeutet
die Diffav^nz zwischen Praxis und Theorie nichts als
j^ne Sinn* und Gedankenlosigkeit TOn Menschen, dßuen
die Gabe des Denkens leider versagt ist; und, in der
That,. anan sollte nicht glauben^ wi6 selten sich dies»
Qsbe bei dam animal ratiaoala vorfindec! Kaum Nach-,
denken, nach einem, guten, Vordenker, läfst sich häufig
finden; und Tordeoken, Selbstdenken, das sind gar
weifse Raben in dieser Menschenwelt ! -^ Nur Geister,
wie Hahnetnmnn^ fiadea ein grobes und Ureues PaU^^
<;uoh — » Wai: kaoQ*s ändern? S tein he im.
IJSXI.
Aug. Arnold^ tJmrU%e und Studien »ur Ge^
scAic/Oe der MenicAAeit, Bertin 1840. 8. VI u.
aoo^Ä
Wie schon der litel dieses Bsshea damnf Uairsiset und
wie sieh, auch der Vf. in der Yemd« sttes daraaec
eatb< dieie Arbeit Beiträge zu einer Philosophie der Ckscbich-
te^-nnd wenn dicselhtQ auch aiebt in einet streag wissem
lichbn Form gegeben sind^ so wird na» dochi aaerkeimen
sen, däfs sie zu einer mannigfaltigen Anregung and zv ein«
■ler grofiMcn UebcrwaitigaBg das Bfatenalea der GeafMchtS
durch den Gedanken dienen. Ei nmfeüit ttbrigent der Yt hia
dns Gebret der gesammten Geschichte in ihrer ferflaafesdea
.£atwi^elang von der Urzeit bis aaf die Ge^eawarL nod mit
Beziehung auf den Titel -sind diesec pjiilosophuchen Darsteilaag
der Gesenicht« ueeh drei kleinere Absehnilte aMgemeMeia In-
haltes unter den Uebersehriftea ,ydie Wahrhi^ der Menscli aal
der Stnat^ voraofgesGbickt, in welchen der Yerf. seiae Anmcll
Über die Natur der Wahchek und das Wesen der Pkilssaphk^
sodann über dje physische tind geistige Natur de» Mens«^en ead
Qber die Natur, Ober die Organisation und Funktionen dfs Staa-
tes und über seine VeaaissaagsfooBen aassprieht J6t Heehl
wird hier hervorgehoben, daft eine wahre rhilosonbie der Ge-
schichte nicht sowohl am« Zweeke haben kaane, afieriei mdkea^
«innige Kombitaatiouea über die bütoriaches BegebeBheiten. aa^
tzusteUen; als vielmehr die Sachen selbst nach ihrem Kerne z«
geben. Ueaa der Begriff, welcher de» Inhalt der ffcitsaopM»
iidet> soll nicht in das Material der C^eschichto hineingetragea
werden, sondern liegt schon an sich darin und soll nur auia
erkannt oder daraus hervorgeheli werden. FcaiÜdi ikeeinst ea
dabei immer auf die Auffassung des Begriffes an und für aidi
an^ und darilber ist man bekanntlich in der Philosophie iBSMr
sehr rersehiedener Ansicht gewesen,, waa denn wiederasl mcfat
ohne Rückwirkung auf die Auffassung und Behandlung der Ge-
schichte sein kennte, sobald man darauf ausging, aber das «a»
mittelbare Erfassen 4er Thatsacha hinauf au uirer Bedeataag
and ihrer Erkenntnifs zu. gelanaen.
Im Allgemeinea hält sich der Vesf. aaf dem fTtnndpasIln
wie er dem gewöhnlichen Bewufstsein am nüehsten Kcgti >■■
bei der sonstigen Klarheit und Bestimmtheit der Daratellang
kann diese Arbeit um so mehr ihr vitrcestecktea Ziel eneieiiei^
zur Anrecung und Förderung der historischen Erkenntnils bcnn-
traren. Da» es dann aber bei einem solchen Standpankte der
Aüffassang anch nicht aa streitigea Punkten fehhen knna aad
dafs sich auch andre Auflassungsweisen danebea werden gdtrod
machen müssen, liegt in der Natur der Saehe and ist mm^nca
von dem Vf. selbst anerkannt worden. Denn um nur ein Bei-
spiel hervorzuheben, reicht jener Standpunkt fOr die Erkeoataiib
in der Gesebichte keineswegs übecall aas und zeigt aiek bei der
Erklärung der Entstehunit und Verbreitanc der m^ .-^^
Religion ais ungenügend. Wenn der Islam van seinem StSlar
als gut berechnet aagegeben wird, usif auf seine eaa ai
Anhänger 'zu wirken, so wird dabei ohne Zweifel das
aeistige BedUrfaifS veikannt, welehes, weil es sogleieir .
Coaea fdr diese Religion gewann und aich sogar auf _
der christlichen Religion Geknng verschaffte, voa dem bloai
atäadigen Denken aad Bereehaea aiaea kdividaama mickt
hängjg jremaeht werden darf. Mit besonderer Aaafnlirlicl
ist die Geschichte der nenem Zeit und' der Gegenwart nad
len maanigfaitjgea Tagesinteressen behandeli^ and ea a
nicht leicht ein Verhältnifs ^es öffentlichen Lebete an
dem der Tf. nicht seine AuAnerksamkeit geschenkt H&tte.
aufser den allgeadeinen politischen Interessen der heatigen
päischen Grofsmächte ist aapb der Bildungsgang and der |
anstaad der Völker berfiekaiehtigt werdea?^ Es wird da» Tefw
hältnifa von Staat und Kirche besprochen, die ^Eamacipfitiea
Jaden and der Frauen, und besonden^ hat hier aaeh das
tangswesea aaeh sannc Bedeataag im Staate aad nach
Stellung seiner Orgaae im Slaate Beachtung gefanden. Ba «nr-
de sich demnach diese Arbeit vomSmHch Snem giQftere stM
deten Pablikam eaipfehlei^ weichem eiaa Aacegaag and AaW»
tung, um zum Bewulstsein über sich aad über dea Zaati
Meatliciiea Lebens zu gelangte^ wfinaebeaawerth eia
aollte. Die äafiiere Aasstattuag dea Dachaa UÜbt
nichts zu wünschen Bbrig.
# ^
J a h r b tt c her
4
für *
w i s 8 e n s c h a ft 1 i c h e K r i t ik.
luni 1840.
Lxxn.
Urkunden und Actenstucke zur Geschichte der
' Verhältnisse zwischen Oesterreich^ Ungarn und
der Pforte im XVI. u. XVIL Jahrhunderte.
. Aus Archiven und ' BiUiothehen. . (HeratiSge^
. geiem mm Anton ^on Geway). IVien^ ISSSr
4 H^ fW 4. .
Die UebeneugtiAg^ dafs die geacbiofatliobe Erkennt-
Hifs geaiwer und uninittelbarer Aiurcluiuungen bedürfe^
ut ia keiner Zeit . so lebendig und so allgemein gew^
fen> als ia der unsrigen. Publikationen Yon den v^t*
schiedensten Seiten her betesgen dies zur Genöge*
Haben,. wir derartigeii Bestrebungen die Kenntnifs vie-
ler neuen und belehrenden Documente des Mittelakers
vi verdanken, so ist nieht su verkennen, dafs sie Tür
^ie Gesehiehte der neueren Zeit noch, unendlich frueht«
bringender gewesen. Wir weirden nicht irren j wenn
-wir behaupten, dab grefie die religiöse Centroverse, in
dem sie vom^ Beginn der Reformation an sich aller Ge*
möther bemächtigte, und die Darstellungsweise der
gleichzeitigen Historiker beider Parteien in nicht ge-
ringem Grade beherrschte, bei den Spätem den Wunsch
hervorgerufen habe^ die grofse.Zeit der Kirchen verbes*
•erung aus andern, vom Parteigeiste unverfälschten
Berichten kennen.su lernen. Die Relationen der Ge-
aaiidten jener Zeit . entsprachen diesem Yerlangen aufs
Befriedigendste. Die Ereignisse aus tinmittelbarster
I^pLhsT betrachtend, und durch ihr Amt verpflichtet, Nichts
als die volle Wahrheit su sagen, geben jene Männer
in ihren Berichten nelien einer Fülle sicherer und neuer
Ni^ricfaiten uns aiJtch sugleich die feineren Fäden, die
geheimeren Besiige an die Hand, durdk welche die Er«
eignisse mit den grofsenV aus dem innersten Lebens*
quell der geimanisch- romanischen Nationen ent#prun»
genen Bewegungen lusammenhäagen. Es wird dahin
Jßhrh. /. m$$9n$cK Kriiik. J. 1840. I. Bd.
kommen, dafs wir der Autoren des XVI. xl XYlI. Jahiv
hunderts bald ganz entbehren können.
Den Pttblicationeu dieser Art schliefst sich dan
Werk> welches wir anzeigen, auf höchst würdige
Weise an« Durch seine Stellung als Scriptor an der
k. k. Hofbibiiothek hatte Herr Anton von G^vay wohl
n^ehr als jeder andere Gelegenheit die merkwürdigsten
Aetenstuoke aus dem geheimen Haus« Hof- tind Staats^
ardiive in Wien kennen su lernen^ und seiner Bemü^
hung, diese auch einem gröfsertf Kreise mitsutheile^ '
mnfs die Wissenschaft um so mehr Dank wissen^ als
er die üerausgabe auf eigene Kosten unternommen
und, in sehr gefälliger und anständiger Form äusge»
führt hat
Die vier angezeigten Hefte haben' die vier Ton
Ferdinand L'in den Jahren 1530 — tSM anSuleimanL
g;erichteten Gesandt^diaften zuip Haupfgegenstande. '
Die Berichte der ersten und dritten, von Joseph ^vqu
Lamberg und Nicolaus Jurischitsohi von Hierooymus
yon Zara und Cornelius Dupplicius Schepper abgefafsti
waren schon durch die ausführlichen Auszüge bei v.
Hammer Gesch. dee psman. Iteiehes IIL. p. 102 und 656
p. 125 — 140 bekannt ; von de^r Zweiten Gesandtscliaft
erwähnt dieser p. 661 nur der Instruction für Leon* "
hard Grafjpn; von Nogarola und Joseph von Lamberg^
die Actenstucke des 4ten Heftes, welche die Sendung
Schepperte im J. 1534 betreffen) waren ihm bis auf den
Bericht Vespasian*s von Zara p« 673 völlig unbekannt« .
Aufses den eigentlichen Berichten enthalten diese Hefte
in den Instructionen für die Gesandten, in der auf die
ungarischen tind türkischen. Verhältnisse Jbezüglichen -
Correspondenz eine Fidle des schönsten Details zur
Charakteristik der Personen und Zustände dejr dama«
iigen Zeit. Die Beläge hierfür sind in beinah zu gro^
fser Ausführlichkeit mitgetheilt. Nach unserm Dafür-
balten hätte der Publieation^er eine gewisse Schranke
gesetzt werden können. Von der Instruction und dem
115
» i
915 XJrkunden und Actemtüeke.
Bericht der ersten Gesandtschaft würde dAr Abdruck
des Originäb genügt und die Wissenschaft der Ceber-
8et2Üng beider Actenstücke, so wie mancher Briefe im
. 3ten und ^eit Heft ohne groCsen Schaden haben 0nt-
.feehren können. Ein sehr bedeutendes Interesse nimmt
dann aber die Correspondenz Ferdinands mit seinem
Bruder Carl V. und seiner Schwester M^r^a, der TOr-
Wittweten Konigin von Ungarn und Böhmen, in An^
Spruch;, wir lernen aus ihr die drangrolle - Lage der
liabsburgischen Familie aufs Anschaulichste kennen.
Dies dem Anscheine nach so Sberaus mächtige Haus
konnte zur Ausübung der Herrschaft, su welcher es*
seine Weitverbreiteten Besitzungen wie der 'Geist und
die Kraft seiner Mitglieder zu berufen schienen, nicht
gelangen, weil es, wenn wir so sagen dürfen, mit allen
" Gewalten in Europa zerfallen war. Zu der aus der
turgundischen Erbschaft stammenden feindseligen-Stel'*
lung zu Frankreich waren die religiösen Zerwürfnisse'
in Deutschland gekommen, die von Franz I. aufs Leb-
liafteste genährt mit der Auflosung des schwäbischen
Bundes seine Herrschaft in Deutschland sehr zweifel-
haft machten. Der Papst Clemens VIL anstatt 'Carl Y.
'in dieser Bedrängnifs zu 'Unterstützen und ihm wenig--
Btens die Angelegenheiten der Kirche zu dem gewünsch-
ten Ende bringen zu helfen^ wurde durch seine Stellung
' als welllicher italienischer Fürst zu dem grofsen Mifs-
griff verleitet, in ihm nur den Feind italiänischer Na-
tionalfreiheit zu erblicken und ihm in Allem entgegen-
zuarbeiten. Neue yerwicklungen hatten sich fSr Oester-
reich in .Ungarn erhoben, das obwohl nach alten Ver- '
trägen Ferdinand L zufallend, von Suleiman nach dem
Tode Ludwigs dem Johann Zapolya gegeben worden
war« Zu den M&chten Buropa's wie zur öffentlichen
Meinung stand Oesterreich in der entschiedensten Op-
position. ' .
Wie diese Verhältnisse nun aufs Lebendigste auf*-
einander wirkten, sich durchdrangen und gegenseitig
bedingten, davon geben diese Actenstücke die anschau- „
liebste Idee,
Das türkische Reich, noch in der vollen Blüthe und
Kraft seiner eigenthümlichen militairischen Institute, nahm
in Europa die grofsartigste Stellung 'ein.. Der Stolz und
der Uebermuth, womit die bisherigen Erfolge die Osma-*
nen erfüllt, tritt in den Unterredungen der Gesandten
mit dem Grofsvezier Ibrahim aufs Grellste hervor; der
türkische Kaiser habe Ungarn mit seinem Säbel erobert,
JBkrmiMgegeben voi$ Qivay. 91§
Steint er (G^vay IL jf. ^S^ wo sein Rob hintrafe, wir
Alles sein; wie könne Ferdinand daher sichK^nig von
Ungarn nennend mit ihm, der nur „ein klains herl zw
Wien** s^i, wolle Si|leiman auch Nichts zu thua baboi;
er suche nluif dea Köni^ vod Spailien, • der so oft gevt*
det, er wolle wider die Türken ziehen und „von armen
Leuten darum vief Geld herausgerissen babe" IL p* 29
unä doch wäre er bei Suleiman^s Ankunft auf und da»
von geflohen und habe seine Länder wie ein böser
Ehemann sein Weib verfassen; mSge er den Sultaa
auf der Wahlstatt erwarten, dann würde goschehen,
was Gott wolle, wo nicht, so müsse er Tribut sduckeB
IL 36. 87.
Dieses politische Uebergewicht gab den OsmaAes
auch für' die Losung der ihnen so fe^n liegenden reli-
' giSsen Fragen,- wichet damals die germanisch A Tdlkei
bewegten, 4ie entschiedenste Bedeutung* Der ganten,
jelier Zeit eigenthümlichen Durchdringung kirchlidier
und politischer Interessen entsprach es, dafs aoch das
Oberhaupt der Christenheit an Suleiman und Ibrahfan
Gesandte schickte und ihnen ,jtreulich seine Noth kiag-
te'^ I, p. 29, dafs der türkische Grofsvezier den christ»
liehen. Gesandten gegenüber den Papst in Schutz nahm*
und Carl V die - Härte, MTomit * er Rom eingenommen
und Clemens Til behandelt, die Zerstörung dessen, was
seine Vorgänger ,,ztt ihrer . Seelen Heil Und Gott n
Lob*' gestiftet hätten, zum Vorwurf machte, (IbidesiX
Der Papst war aber nieht. einmal der einzige, der ge>
gen ihn bei der Pforte Hülfe und Schutz suchte; in der
Instruction für Cornelius Schepper (lY, p*. 8) vom 21^
December 1533 gieb^ Carl ditöem ausdrücklich au^
sich über die Praktiken und Einverständniue, welche
Sowohl katholische als protestantische Fürsten in Con»
stantinopel hätten, zu unterrichten; ja Ibrahim scheuC
sich nicht,, dem Gesandten zu sagen (111, p. 26): .^Die
46utschett Fürsten so wie Luther werden Alles tfava^
was wir ihnen befehlen ; und wenn ich wollte, ich steDle
den Papst auf die eine und Luther auf die andere Seil»
und würde beide zur Kirchenv^rsammlung zwingen.
Sage Carl, fügte er dann heftiger^ werdend hiozu, dafii
ich es war und bin, der das Goncil verhindert haW."
WicTiel auch hieran Uebertreibung sein' mag ^ sielier
ist es, dafs der Einflufs der Türken auf die kirchÜcheB
Angelegenheiten kein geringer war; machte doch Cail
y. seihst zur Bedingung des J'riedens (IIL p«I3), dafii
Suleiman sich nicht in 'die GIaubensstreit|gkeiten der
917 tJrkuwden und AetenstUclbe.
Gbristen miscbeii und nicht Verhindern dQrfe^ daß» sie-
viedeir sum wahren Glauben zarückgefuhrt werden I
Bei dieser Lage der Dinge war es nicht zu ver«
' teundern, dafs auch Franz I. in dem Sulian seinen treu«»'
sten Freund, ' seine grSX^te Stütze erblickte. Wie die
Türken selbst rjihmen, wurde der Krieg gegen Ungarn
issä Jahr 1526 iM Ansuchen seiner Mutter unterncm-
nen (IIL p. 22); den Gesandten wurden Yorwürfe
%egen der Grausamkeit gemacht, mit welcher Carl den
, König von Frankreich gefangen gehalten^iabe (I.p.'29)$
Sttleiman selbst stellte als. erste Bedingung des Frie-
dens auf 9 dafs Franz I. alle Länder AurüekerBalfe,
weldie Carl ihm geraubt habe (IV. 43.). Diesem gan-
ten Verhällnirs ist es dann angemessen j daCf Johann
Zapolya den Hieronymus Lasiry nach Paris sendet, dafs
dieser von Franz den St. Michaelorden und das Yer*
iprecfaen erhält, dem angeblichen Könige von Ungarn
eine seiner Töchter zur Ehe geben zu, wollen (II. p.
78); Unter der Bedingung/ ohne seine Bewilligung kei-'
tien Frieden zu schliefsen, bot der König von Frank-
reich dem Woiwoden' selbst ^noch eine Pension von •
30,000 Diiimten an (lY. p. 47).
Nehmen wir die Yethältnisse zu England hinzu,
^o Heinrich YIII. seine Scheidung von Carls undFer-*
flinands Tante aufs eifrigste betrieb (I. p. 64), so er-'
bellt, dafs die Lage Oesterreichs nach al)en Seiten hin'
nicht schlimmer sein konnte. Yor allem fürchteten
beide Fiirsten die Rückwii^kung der europäischen Yer-
wicklungen auf die deutschen Angelegenheiten. Ebenso
^ewiCi es Ferdinanden war (nach einem Schreibeii vom
28. Januar 1530. I. p. fö-^.65), dafs' wenn Frankreich
find England den Frieden brächen, sie Einverständnisse
liHt dem Papst, Yenedig und Mailand haben müFsten,
aO' zweifelte er keinen Augenblick daran, dafs ^wenn
dann der Kaiser in Italien mit dem Kriege beschäftigt
^üre, die Lotheraner die ersten wären, welche den
Streit beginnen würden (qui vouldroient comeni^er le
dehnt). Ueber sdne geheimen Absichten* in Betreff
der religiösen Zerwiirfnisse und die Mittel ihnen so
begegnen, ist dieser Brief voh der höchsten Bedeutung.
Ferdinand erklärt, bis- sur Ankunft CarPs, der nach
Bologna zur Krönung gegangen war, die Protestanten
ko sehr als möglich hinhalten za wollen, ohne mit-ih*^
nen .etwas abeuseUiersen ; wenn er aber selbst dies
wOrde thun müssen, so 'könne der Kaiser abgescn
hen TOD ihrer Ketzerei dennoch Mittel finden sie %u
' Bwvßi^gegehen; vimOivay. 918
best^afißn und Leutd gönug, dif ihm' dabei helfen wur«'
den. Ntnr möge Carl aufs Eiligste nach Deutschland'
Eurudtkehren, sonst würden die Lutheraner nioch ir-
gend eine Thorheit beginnen. Car ü ont grande erainte
de Toitr^ venue, fugt er p. 66 huizu, et que ddivent .
cjitre fort chaties comme hien Tont me^ite et vouldroFent
davant vostre venue .avoir ainsy trouble les afair ea
que apres ensies bien a fairo ä les rapaisier; me^^ sl-
venes plus tot et qne voient que ne les veullc» estro'
sy rigoureux et vöient vostre presence sur .hon espoir
et en partie, ausy en creinte ne se oseron^ bougier et
haucop qui» tiennent leur pactie se pardront de eulx ef
espere que sy ne: veulent venir ä la raison demeuront
sy snls quo ppures fere selon vostre hon plaisir «— —
et en ca» i^ue les afaires de la guerre de Trance ou .
ceulx du turk vois survinsent pouries trouyer moien
de quelque bonne höneste supersesion de la foy jus«
ques a ung general concille — et jespero que en tra- .
tant avecques eulx on trouverait moien que' sy la
guerfe venoit fut avecques france ou que le turk
yint, que par moien de quelque graee ou- Suspension .
de pounition il vous feroient quelque bone aide.
Ein nicht minder helles Licht wird auf die ganze
Lage der Dinge durch den ursprünglich in spanischer
Sprache abgefafsten Brief Ferdinahd's an Carl vom
17«- März 1531. (I. p. 97) geworfen, von deüi im zwei«
ten Heft p. 56 eine lateinische gleichzeitige Bearbei-
tung steht. Indem Ferdinand di«t Frage in Ueberle«
gung zieht, ob mit den Türken selbst dann Frieden zu
schliefsen wäre,^ wenn er ganz Ungarn abtreten muüste)
ist es für die Tüchtigkeit seines Charakteis und den •
Ernst seiner Bestrebungen bezeichnend^ dals er lieber
den Krieg bis auf den letzten Blutstropfen fortsetzen ,
will, als Ungarn (Chrfstianitatis antemurale et propu*. v
gnalum) ihnen zu lassen; doch verhehlt er sich auch
die Schwierigkeiten'^ seiner Lage nicht; er prüft mit «
Besonnenheit die 'gegen eine Fortsetzung* des' Krie*
ges vorgebrachten Gründe (IL p* 60), dafs seine Haus«^
macht durch die bbherigen Peldzüge gegen die Tür-
ken, so wie durch die Bauernkriege erschöpft , vom
Reiche nur ungevrisse und langsame Hülfe ^«i erwar-
ten sei, i^enn nicht diese überhaupt durch *den kircfaU-
chetf Zwiespak^gam verhiildert würde. De|in die Lu-
theraner, selbst- wenn sie die- grofse Noth sähen und
ihr abzuhelfen wünschten, würden doch hiervon durch ;
den Gedanken abgezogen werden, dafs bei einem glück-
^ I
J
819 Uriundm und AetmHS^Ae.
ttdiiii ' Auigai^t det Krfegei 4m ftBfickl* Bolii9ti4c
iogUok gegett «je geweii4«t werdea dü[rAe — , daßi
wutn fwloMhr Ungarn den Tftrken iUiorlamei^ tttTAiw
dml die. eiraen Angel weBheite& ordnen und die ire«
dremM CbristenbeiC dnrob ein allgemeines Cdndl Tvie*
der in «kh beruhigen nnd versolineii vfisse^ um dann
mit rereinien Kräften gegen den Erbfeind sa siehen,
nnd nicht nUein Ungarn, eondecnüberhaupt alle, cbrist*
Meher Herrachaft je entrissenen Länder wiederzugewin-
nen« VocscUägn> die bei allem pbantastiseben An«
seheine docb aseh mit der Ansteht, welche der in tör*
kisehen Angelegeftdifiteii gewiPs erfabrene Aloisius 6 rillt
Ton der Lage der Dinge hegte, siemUeh gniau über-
etn9tflnmten. Diei^mr behauptete (UL p. 49)i weon die
Christen huf einig wSreni so konnten sie leidit Gri»*
ebeniand und Asien erobetn, da sieh dort 100^000 der
Besten Leut^ iait ihnen yereintgen würden; denn
mochten die Türken anch sagen, was sie wollten^ ihra
Macht hätte den böohaten Gipfel erreicht«
Auch Carl war für den Frieden {d. Antwort Fom
25^ November 153L IL p. 64). Er hatt« sieh immer
eine' freiere hebere Welt ansieht bewahrt und im Be»
wttisttein dessen, was wahrhaft Notb that, gehalten.
Er war vielleicht der Einzige, der über beiden Par«
taten stand und die redlichsten Gesinnungen für das
Ganae hegte. Oas Urtheil , welches Ferdinand Qi»ef
ihn fällte: L p« 63*: come tous estes tousjours bien et
prudentement pesant come poudres metre remede a
tant de ndaulx qua Ion i^t i^ndant enUa chrisfiaole et
je vöy fue fHe% de eortm fna md ne^ teut pm$rra
cutp$r,et'^fits teus antla;/fue mrent tm vraie veri$e
et ia wnUdront eoi^$$er ne feur%ni mdirement
dire ey neu fue o voue na tenu que letH ne eeit
Uen oHe, bat die neuere Geschichtsforschung ia vol-
lem Mabe bestätigt* Sdne ganse WeitsteÜung nothigte
ihn, dem Auelande g;fgenüber Deutschlands Einheit so
viel als mögiieh mifrecht su erhalten $ irir besiteen
FercEiiands ebenen Zeugnife darüber, dals wesentUeh
die Rüdesicht auf die Türkengefabr seinen Bruder be-
stinmit b^be, den augaburgischen ReUgionsverwandton
die «weite greise Concession, -den Nürnberger Religtons«
frieden^ su machen I. p. 70«
Wie mäehtig aber unser Yaterlaiid, wenn Etntg*
kek Iwrtachte, war, hatten die Tivken unmittelbar dar«
auf an dem tapferU Widerstände * erfahren,' weichen
Beremsgegehen veln Cli¥0^*
ihnen ^ die lahlreieben Heere beider Ffitstan neek f»
demselben Jahre entgegensetsten (Räumer Gesah, Ear«
L p% 434 vJ G^vay. IL p. 80) nnd wann auch 'Ferdi*
nand's Erwartungeit vom Regensbörger Reiehstage (fuf
esperoit que seroeit nostre totale redemoion III. p. 53)
in Manchem, bitter ^etftuscht wurden, so hatte dedi
jene aUgemeiue Erhebung der Deutschen soviel l»ewirkt|
dafs der Sultan Frieden gewährte und ihm aeine Be»
sittungän in Ungarn lielb (v. Hammer. III. p. 140» Die
Actenstucke über Verkündigung des Friedens bfi G^
vaylil.)
Hiermit war aber ^i^gi^QSe Entwicklung noch k4-
neswegs geschlossen ; noch immer griffen die eumpii»
sehen AngdegenlM^can bestimmend in, den G«b£ der
kirchlichen Bewegungen in Deutschland ein ; wir ertidh
ren aus IV. p. 69, dafs Philipp ton Hesaen den Wei.
woden Zapolya und seinen Gesandteii Lnsky dringend
aufforderte keinen Frieden mit Ferdinand su nuicbeni
denn vom Könige von Frankreieh mit 4D Stiick Ge-
schüts und 200,000 Göldthalern unterslütnt beabaichtigs
er in Würtemberg eineufallen, nun dien seit nehreren
Jahren in Ferdinand*s Händen befindliche U^xagthum
für den reehtmürsigen Herra wieder in Besits su neh-
men. Wir. kön^n sagen^ Jener für die FestatnUimg des
protestantischen Principe als einer politischen Macht in
Deutschland 'it^ überaus wichtige Kriege erfolste im An*
geeicht de^ grolsartigjiten politiachen Combination.
Indem wir uns bemühten^ von den atlgeoMiii widi*
tigst^ Naclirichtent welche diese. vier Hefte eathaltes^
eilte Andeutung au geben^ konnte es nicht nnaere Ab*
sieht sein, auch alle dli^enigen jene Zeit betrefiondaa
Fragen; welche durch Publicationen dieser und ifanfi»
eher Art ihrer Lösung entgegensehen, zu berühren. Ia
noch vielfach anderer Hinsicht, als in der von «aa b^
sprochenen, werden diese AktenstüclLe eine Fundgrube
für den Historiker sein* . Möge also von Seilen der
Behörden und des Publicums dem Werke der BaibJI
und die Forderung su Theil werden, welche da» Her»
ausgebedts ebenso uneigennütaige als fleifsige-mid eoig»
same Bastrebongen verdienen, und wir imld die Freuds
haben ^ die versprochenen Hefte, welche die frnherm
Gesandtschaften Ferdiaimd's an Suieiman entfanIteA
den, anzeigen su können,
Roger Wil
a? 116.
Jahrbücher
• /
\
für
w i s 8 e n s c h ä tt 1 i c he
Kritik.
Juni 1840.
■——
LXXIIL V
IJ Lehrbuch der Geschichte der Philosophie von
Ernst Rein hold, Grofsh. Sachs. Geh. Hof-
rath und ordentl. Prof. rf, Philos. zu Jena^
zweite vermehrte u. verbesserte Außage. J'ena^
1839- bei Fr. Mauhe. XX. 764 S.
2)' Umrisse der Geschichte der Philosophie^ ent-^
worfen von Dr. Eduard Schm^idt, au/seror-
dentlichem Professor der Philosophie zu Ro^
stock. Berlin^ 1839. bei Dummler. 334 &
; Allgemein, hat sich das BewuGstselb entwickelt, dafs
die Geschichte der Philosophie, soll aqdeu ihr Studium
fQr das der Philosophie- von Wichügkeit sein, philoso-
j^hiiich dargestellt werden müsse, und dafs eine Darstel*
lung derselbeiL einmal ein treues Bild der Systeme,
dann aber auch den Nachweis enthake, dafs ihre Ent-
Wicklung eine verniinftige gewesen* Ward froher fast
nur der entere Gesichtspunkt festgehalten, so tritt, da-
gegen in unseren Tagen das andere (constructiTc) Cle-
ment oft auf «eine tumultuariscbe Weise auf, um so
mehr, je weniger gründliche Bekanntschaft mit den
philosophischen Systemen Statt findet. Dieser Befurch*
tüng hat man nun bei dem
hehrbuehe No. 1. nicht Baum zu geben, dessen
schnell auf einander folgende Auflagen für seine Brauch«
barkeit sprechen«' Die gründliche Bekanntschaft des
Yerfs. mit seinem Gegenstände, sichert ihn vor einer
ftfaereilten Construction , die oft so herrlich zu passen
scheint, blofs weil man die Instanzen dagegen nicht
kennt Dabei aber hat eir sich den Anforderungen der
Zeit nicht entzogen. Nicht nur dafs er p. 5 ausspricht,
dafs es zu einer wissenschaftlichen Darstellung der
Qeschiäite der Philosophie nothwendig sei, einen be-
stimmten Begriff der Philosopliie zu Grunde zu legen,
nicht nur dafs er von ^inem solchen aus die Kritik der
lakrh. /. tPWtexfcA.' XriA'ir. JT. 1840. L Bd.
einzelnen Systeme unternimmt, sondern die Schlufsbe*
trachtung weist geradezu auf das System des Verfs«
hin, als auf einen Yersücb, die Mängel der früheren zu
vermeiden;. Wir können dies nicht tadeln, da eine Ent*
Wicklung nur dann als vernünftig erkannt ist, wenn sie
zu einem Ziele hiogeföhrt ist« Eher mochten wir eine
eklektische Bescheidenbeit tadeln, die sich p. 4 aus«
spricht und eine Selbst -Ironie enthält, die eigentlich
jedem Eklekticismus zu Grunde liegt. Weil aber so
die philosophische Construction nicht ausgeschlossen
ist, so wird kein fremder Maalsstab ^n das Werk her-
angebracht werden, wenn wir bei der Beurtheilung
desselbei^ gerade sie ins Auge fassen. Dazu fordert
nun besonders auf die Eintheilung, die natürlich ein
Werk der philosophischen Construction ist. Indem der
Verf. mit Recht die orientalische Welt von seiner Be-
trachtung ausschliefst, behandelt er in dem ersten Theil
die Geschichte der alten Philosophie (p. 23 — 278)«
Dieser Theil der Qeschichte befafst ihm den Zeitraum
von Thaies bis zu den Neuplatonikem inclusive. So
paradox es scheinen mag, ich mufs gestehn, dafs ich
den Grund nicht einsehe, warum es Sitte ist, die Phi-
losophie der Neuplatoniker zu der griechischen Philo-
Sophie zu rechnen. Was soll hier entscheiden f Die^
geographische, Lage? ein Aegypter, in Alexandria ge-
bildet, stiftet zu Rom eine Schule, und lehrt eine Phi-
losophie, die von der Plato's reichlich so weit abweicht,
wie die der Aralber von der des Aristoteles, die letz»
tern aber rechnet Niemad zu den antiken Philosophen* —
Die Zeit? die Blüthe der Neuplatoniker fällt in Saec.
3-^5 unserer Zeitrechnung, jedenfalls also in die neuere
Geschichte. -^ Oder etwa die Religion jener Philoso-
phen? der Grund wäre sonderbar. Mir fällt es nicht
ein, jene Philosophen christliche Philosophen zu nen-
nen (so nenne ich auch den Spinoza nicht), wohl a^^ejr
Philosophen «der neuem d. h. der christlicben Zeit.
Hierzu aber zwinjgen mich nicht äufsere Gründe, wie
116
•^
923 ^ Oe schichte de
jene angeführten, sondern wichtigere, innere. Wie der
Verf. ganz richtig bemerkt, ist die Philosophie bedingt
durch die ganze intellectuelle Bildung eines Volks, da-
her wird grieehische Philosophie griechischen Geist
•thmen. Eine Philosophie aber, weljßhe Fragen zu
ihrem Hauptproblem nüacht, welche im Alterthum zu<^
rucktreten (z. B. iiber Weltschöpfung und Böses), in
der neuern Zeit aber sich ganz in den Vordergrund
stellen, werden wir mindestens zu jenem nicht rechnen
jEdnnen. Ob den Neuplatooikem, die wir deshalb aus
der Reihe der antiken Philosophen ausstreichen, in der
der teueren eine Stelle zukommt, und 'welchef darauf
kommen wir bald. -^ In der (üten PAiloiophie nimmt
der Verf. drei Perioden an. Da er die letzte ab Zeit
der Entartung bezeichnet^ Ton der mittleren aber p. 70
sagt, sie umfasse „die gesammte kräftigere Lebenszeit''
der griechischen- Philosophie, so werden wir wohl nicht
gegen seine Ansiphten verstofsen, wenn wir die erste
Periode als die Jügendperieäe derselben bezeichnen*.
Diese enthält «nach dem Verf. (denn die zweite bezeiob»
net er als die der attischen Philosophie) die Bntwick.
lung der Philosophie aulserhalb Athens , eine Zusam»
menstellung, die nicht so äufiierlich ist, als es sebeint«
Denn wenn die Philosophie erst auftritt, wo das, fri-
sche ujcimittelbare Leben erstorben oder im Ersterben
begriffen ist, so bezeichnet das Hineindringen der Phi-
losophie in Athen den Zeitpunkt, wo, der Tod Grie«
chenland ans Herz getreten ist, und also wirklich den
Eintritt einer neuen Periode. Aber eben deswegen
raufsten zu ihr gerechnet, oder mindestens ab zu ihe
-hinuberleitend, betrachtet werden diejenigen Systeme,
welcbe nicht nur räumlieh genommen die Philosophie
in Athen einrührten; sondern ein Princip geltend mach-
ten, welches in Athen Anklang finden mufete^ ich
meine den Anaxagoras und die Sophisten. Die letz-
tem behandelt der Verf. gar nicht besonders, den er-
Stern rechnet er nach dem Vorgange der siebten Hi*
storikdr zu den Joniern, obgleich, seine Ansicht speci-
fisch von allen 'früheren unterschieden ist. Wenn bei
diesen nach des Aristoteles Ausdruck dies das Gemein«
same bt, -dafs Gleiches durch Gleiches erkannt worde^
wenn darum der Unterschied des Subjectiven und Ob»
jectiyen ganz fehlt, dem Anaximenes die Seele eben
so Luft bt wie das All, dem Pythagoras Beides Zahl,
dem Eleaten Eines das votXv rt xo» ovvtxiv iari votj^ta^
dem Herakitt die erkennende Seele feurig, dem Empe-
rJPhiloeophie. . 921
docles auch die Seele ein Gemisch der Elemente, den
Atomikern auch das Subject ein evatfi(Aa %3w dvofunf^ •—
so sehn wir dagegen bei Anaxagoras -den. tovg deeme-
gen das Zusammengeselzte ^erkennen, weil er dfity^
bt« Dbser Dualbmus,| der nach dnstimnigem Ze«^
nifs bei ihm xuerst yorkommt, scblielst ihn" yon der
Jugendperiode der griechbchen Philosophie ans, wel-
che dieselbe UnbefangenUeit athmet, wie das schoae
griechische Leben, • in dem das (kindliche) Subject sidi
Eins weifs mit der VTelt.
Innerhalb dieser ersten Periode werden nan drei
Gruppen yon Systemen angenommen und vom Verf.
ab Bealismus (Jonier), Ideälbmus (Eleaten) und Real-
Idealbmus (Pythagoräer) bezeichnet. Befremdend ist
hier die Stellung derletz^teren. Verstehn wir mit den
Verf. unter Realismus die Ansicht, welche einen nmr
physicaUschen Urstoff annahm, unter Idealismns die,
wacher nur Gedankenbestimmungen das Princip aöid,
so werden wir zu einem fibnlichen Schematismus kom-
men, freilich ihn anders anw^den ab der Verfasser.
Zuerst nämlich würden wir die reinen PAyeio/ogen
haben, (ein Ausdruck der nns passender scheint als
der der Jonier, zu denen man streng genommen dea
Pythagoras und Xenophanes rechnen könnte); d^ V£»
'Selbst stellt den Thaies, Anaximandros und Anaximcaee
noch besonders zusammen. In der That yoDendcD
diese drei diese Riditung, indem Thabs das Princip ale
QuaUtatiyes nahm, aber auch ab Beschränktes, Anaxi«'
, laandros die Sdiranke negirte, dabei aber aueh die
Qualität einbüfste, Anaximenes endlich die Unendliek-
keit festhielt, zugleich aber sein Princip qoalitalir
. bestimmte (^noiotfiai w^iefuvov) und damit sieh dm
Tbales wieder annäherte. Zu diesen gesollt sieh dann
noch der, welcher zwar materiell nicht weiter geht,
. aber Weil er den bewufsdesen ilyloeoismus der Phy-
siologen, als ein Heactionftr, gegen einen hdhem Slaiut
punkt mit Bewufstsein zu yertheidigen suchte, m fer*
melier Hinsicht bedeutend da steht, und darum eine
ausführlichere Betrachtung yerdient hätte, Diegenee
yon ApoUoaia. — Aufser diesen iiun reclmet der Teif*
zu den Joniem noch den Heraklit) Anaxagoras, Empe*
docles und die Atomtker^ auf die wir nachher xoruck«
kommen. Die zweite Riehtung bezeiehnet der Verf.
ab a6jeciiven Idealitmuey ein Name, den wir nna gern
gefallen lassen. Eb sind dies diejenigen, wekke in
einer Gedankenbestfamnung das Prioeip yes AUeot s»»
G e 9 e h i e k t e d €
eben. Dafo der Verf. liieriier die EleaUn rechnet)
k^mi natürlicb nur gelobt Verden, aUein eben so gehö-
ren die Pythagaraer hierher, und zvAr mulsten sie
vor den Eleaten beliandelt werden, nicht nur weil sie
historisch früher aufgetreten sind, und Xenophanes die
LebreA des'Pytiiagoras Icannte und an sie anknüpfte,
aondem wegen ihrer innern- Stellung, die schon Por-
pbyrius ganz richtig erlcannt, wenn er sie auf dem
Wege^zu den reinen Gedankenbestimmungen' bei den
Zahlen (den tturserliclisten Gedankenbestittmungen) stehn
bldben Is^st. Wenn der Verf. sie als den höhern Yer-
einigungspunkt der ionischen und eleattsrchen Richtung
ansieht, so mufs icfagastehn^ dafsich nicht weifs, urorin
das ionisdie Element sich soll erkeimen lassen.. Soll
es darin liegen, wie der Verf.' andeutet^ dafs die P7-
tbagoräer auch den Gedauken der Mannigfaltigkeit,
'der Ton den Joniem allein festgehalten wurde, zu sd«
Btai Recht kommen lassen, so sind die Jonier efieu so
mehr Idealisten wie die Eleaten. Allerdings nehmen
aueh wir eine solche Richtun;g an ab die dritte dieser
Periode, aber wir erkennen, sie in den spater» PAy*
0$oiogent deren Eigenthümliehkeit eben ist, die altem
physiologischen mit italischen Elementen zu verschmel-
aen, wie dorn auch historisch eui Emfiuis Jbeider auf sie
Aaobgewieaen werden kann« Es sind dicgenigen, weU
che Gedankenboktimmuageii zum Princip machen, diese,
aber im PhjsikaBschen anschauen. Wir rechnen zu
ihnen den HerakUt^ dw dem Sdn der Eleaten das
Niefatsein entgegen stellte, b«de aum Werden Tcrei^
ttigte und dieses im natürlichen (nicht Stofle sondern)
Proeesse des Feuere anschaute, den Empedoeles^ wel-
'dMT Sein und Werden zugleich festhielt, indem er in
den.El«menten das physikalische Bestehn, in der Ver-
änderung, wie sie sich als Polaritätsgesetz zeigt, das
physikalische Werden erkannte, ^- Beiden geben wir
dandt die Stelle, weiche schon Plato ihnen anwies^ in-
^m er sie beide Richtungen vereinigen liefe, — r end-
Ueh .die Atomiker, die alle drei i^tegorien, die bisdaliia
aar Sprache ^kommen, in physikalischer Form, zum
Princip macheii, das Sein als Volles, das Nichtsein
ala Leeres, die Einheit beider ale das Eintreten des
Einen in das Andre. (Jonier sie zu nennen sind wir
Biekt berechtigt, das ist nur Heraklit, da sich in Abdera
die Terschiedensten Elemente mischen. , Eknpedokles
gehört weder seiner Geburt nach zu den Jonie^n, noch
seiner Ansicht nach zu einer der frühern Richtungen,
r Philo s^opht^e. 9».
daher er (alles mit Unrecht) bald Jonier, bald Pytha^
gorüer, baldEIeate genannt wird.) Auch der Vf. kann
eigentlich gegen diese Anordnung Nichts haben, da er.
p. 31 selbst sagt, Heraklit habe gegen die vofausge«
gangne Speculation einen Foftschritt gemacht, indem
er den Gedanken, der jenen nur vorgeschwebt, als on*
tologisehe Grundwahrheit aufgestellt (also ist er Idea*
list) und zugleich das Feuer zum Princip gemacht (also
ist er Realist) habe/ Eben so gesteht er den unver-
kennbaren E^nfluls ein, den die eUatische LfChre auf
Empedokles und die Atomiker gehabt. Wenn er dann
auch noch zugesteht, dafs der Standpunkt beider unter*
halb dessen des Anaxagoras stehe, so werden sie wohl
auch vor demselben abzuhandeln sein, um so mehr, als
die bekannte Aeufserung des Aristoteles, die den Em«*
pedokles gegen den Anaxagpras als S^tok; yarigog be«
zeichnet , wahrscheinlich auf den IVerth der Schrif«
. tea geht. —
Mit dem Anaxagoras wünschten wir nun , den
Debergang gemacht zu der zweiten Periode, Der
Verf. legt aulser auf seinen Dualismus auch darauf Ge- '
wicht, dafs er die Philosophie nach Athen verpflanzt.
Beides hängt zusammen. Eine Philosophie, welche aus«
spricht, data der vovg die geistlose Masse beherrsche^
spricht als absolutes Verhältnifs aus, was factisch im
Perikleischen Zeitalter in Athen Statt fand, und wer
seine Zeit verstand, mufste ihm darum zufallen, am
meisten der, welcl^er im Staate den voZ^ spielte. Die
Freundschaft des Perikles mit ihm hat eine innere Noth«
wendigkeit. — Wenn bei Plato Sokrates den Anaxa-
goras als Vater eines^ neuen Principe bezeichnet, so
folgt daraus, dafs Plato eine Verwandtschaft zwischen
seinem und des Sokrates Princip annimmt, und in der
^That entwickelt sich vom Anaxagoras aus die 'in
Athen herrschende Philoüophie gans nothwendig. Ana- ^
asagoras hat die Scheidung zwischen Subjeotivem und
Objeotivem zuerst ausgesprochen, das Subjective ab^r
dem Ofajectiven gegenüber ist Zweck^ (daher lobt So*
krates den A«, dafs er den Zweckbegriff eingeführt);
das BfangeBiafte ist, dafs die nähern Bestimmungen des
Zwedks fehlen. Diese geben die folgenden Systeme.
Zunächst ist der Zweck als der Objectivität gegenüber
nur subjectiver, als von ihr begrenzt, endlicher Zweck.
Die erste ConsequeAzjene;r Standpunkts ist daher, da(s
der subjective endliche Zweck zum Princip gemach$
wird. Dies aber ist der Standpunkt der S^phisteuj
927
G e » e h i e h.t e der P, h i l o s b p h i e.
928
die den Menschen in seiner endlichen Subjectintät zum
Maafs der Dinge macheiid, das Wissen in Meinen, das
Gute in Nützliches verwandelten. Dieser, zwar notb«
V^ndige, Standpunkt ist nur Durchgangspunkt, und
hebt sich durch seine eigne Dialektik auf: der endliche
Zweck nämlich, oder das Nutzliche, ist. bei näherer
Betraditung selbst nur Mittel, und die Wahrheit jenes
. Standpunkts wird daher einer sein, auf welchem zum
Princip gemacht wird der Zweck, der selbst Mittel ist
und vice versa, d. h. der SMttztpeek (oder die Idee).
^ Diesen zum Princip gemacht zu haben, ist die Bedeu-
tung^ der ^okratüchen Philosophie. Indem Sokrates
über den Gegensatz des nur Subjectiven und Objecti-
ven hinausging, steht er einmal den Sophisten entge-
gen, denen er im Theoretischen die objective Bestim-
mung .des Wissens statt des blofsen Meinens entgegen-
hält, eben so wie im Praktischen die vemttnftige Ob-
jectivität des Staates, — gegen die blofse Objectivität
aber macht er geltend, dafs alle ErkenntJiirs im Men-
sehen liege (daher seiii ivaXapLßaniy)^ yUiid. dafs das
Gute aus dem eignen Wissen hervorgehn müsse. Wenn
pun gleich diese Durchdringung des Subjectiven und
Objectiven bei Sokrates be^ondert im Praktischen sich
zeigt, wo der Mensch niclit ih seiner Einzelheit, son-
dern in seiner vernünftigen Natur (nicht die Willkühr,
sondern das Gewissen) das Maafs ist, so ist doch, wie
dies Schleiermacher schon gezeigt hat, seine Bedeutung
für das Theoretische nicht so gering anzuschlagen, \vie
es gewohnlich und auch noch bei dem Verf. geschieht,
der ihm p. 70 den Ruhm , streitig machen will, eigent-
licher Stifter der attischen Philosophie zu sein. Auch
im Theoretischen tritt jenea gleichzeitige Hervorheben
des Subjectiven und Objeetiv^en hervor, es ist nicht der
einzelne Mensch, der die Wahrheit findet, sondern er
findet sie in der Unterredung^ wo er eben seine Ein*
zelheit aufgibt; eben so tritt es endlich hervor darin,
dab er gleichzeitig das Einzelne in der htcLytayr^ nuid
das Allgemeine im OQigiAoq festzuhalten suchte. — Die
entgegengesetzten - Momente , welche die intellectuelle
und moralische Virtuosität des Sokrates zu binden ver-.
mochte, treten nun in deii kleineren sokratischen Schu-
len auseinander, indem jedes derselben für sich ausge-
bildet wird , um von dem verklärten Sokrates , Plato,
wieder zusammengefafst zu werden. Die .Seite der
Subjectivität hebt ArUtipp hervor- und zwär.so, dab
er das Subject nur nach seiner Einzelheit nimmt, und
damit sich den Sophisten annähert doch aber die So-
kratische Basis nicht ganz, verläfst, sondern was o/Zoi
Einzelnen gefällt, die Lust, zuni Princip macht, wie er
denn auch, sophistisch^ alle sittlichen Bestimmun^len ab
Satzung. ansieht, zugleich aber sich mit ihnen so Eias
weifs, dafs er sagen kann, auch ohne dafs Gesetze da
wären, wUrde der Weise nach ihnen leben. Ihm ge-
genüber 'macht die kynUche Schule gleichfalls das
Subject geltend, aber es in seiner abstracten Allge>
meinheit und Identität mit siph , aber auch hier ver-
schwindet die Objectivität nicht ganz, da die Naturge-
mäfsheit gefordert wird. Die dritte einseitige Richtasig
endlich, 4^^ aus der Sokratbchen Philosophie hervor^
geht (der Verf. stellt sie mit 'der Platonischen Philoso-
phie zusammen als ein Hinausgehn über Sokratea dar),
ist die Megarisohe^ die das Moment der ObjectiTitiC
einseitig hervorhob, und damit sich gleichfalls eiosa
früheren^ dem eleatischen Standpunkt nähere Naeli-
dem sich so die in der Sokratischen Lehre liegeadcA
Momente jedes für sich consolidirt liaben, werd^i sb
zusammengefafst in Plato^ welcher darin über Soba*
tes hinausgehend, dafs er den Selbstzweck (die Ide^.
im , Theoretischen und Praktischen gleichmätkig gdteni
machte, alle früheren Standpunkte in sich rereia^
Leider hebt der Verf. dies Letztre nielit genug herrsr,
namentlich ignorirt er das Verhälinifs zu den Pleirtf,
Daher kommt es, daßi er zu dem Mittelpunkt d^ pb-
tonischen Dialektik, zu der Idee, nietet auf dent W^
gelangt, welcher der natürlichste schien und im lliei-
tet und Sophisten angedeutet ist, durch den glctdnfli-
tigen Gegensatz gegen die Eleaten und Herakläisr,
welcher zur Idee als dem Seienden im Werden fübii,
sondern mehr auf die subjective Seite, auf den Dalsr-
sdüed zwischen sinnlichem Wahrnehmen und denken-
«
dem Erkeniien, reflectirt. Der Zusammenhang der
lektijchen Untersuchungen, im Parmenides z. B.,
der Ideenlehre tritt daher ganz zurüpk. — Sehr
kenswerth ist diß ausführliche Behandlung der
nisehen Physik. Nur vermissen wir .eine
Erörterung des a/ico^qpoy, oi% Sv etc., die für den Ali*
stotelischen Begriff der SXij, so wie für die Frage
dem Dualismus des Plato so wichtig ist. —
(Die Fortsetzang folgt)
J a h T b ü c h fe r
u t
-•\
w i s s e n s c h af 1 1 i che Kritik.
Juni 1840.
O!
1) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, ton
Ernst -R einhold.
%) Umrisse der Geschichte der Philosophie^ enU
Hßörfen ron Dr. Eduard Schmidt.
(Fortaetzung.)
Gflhn wir nun mit dem Verf. p. 125 su stritte"
' telee über,- so wird hier d^r Fortsehritt nur darin ge-
setzt, daüi er den Ursprung der ErkenntniEs anders
gefalst babe, als Plato, während doch der Unterschied
besonders darin lie^ was auch der Yerf. p. 133 her-
Torhebt, dals Arbtoteies die Idee nicht als ruhendes
Urbild, sondern in ihrer Bethätigung su fassen sucht.
Damit hängt das gröfsere Gewicht zusammen, welches
«uf das Einselne gelegt wird, worin sich ja eben das
Allgemeine bethätjgt, ^damit seine Erke^mtnifslehre, die
d,er Verf. mit Recht gegen den Vorwurf des Empiris-
mus in Schutz nimmt ^ damit seine Behauptung, dafs
es so viel VTdsenheiten gebe als Wesen, damit seine
Berücksichtigung des Individuellen im Ethischen, wenn
die Tugend als in der 7r^6$ ijfAa^ificadTi/n" liegend be--
fitinunt wird, u. $. w. Die Physik und E^htk sind aus-
fübrlicb behandelt, und wir finden nichts dabei zu er-
iniiem. Die Darstellung der Metaphysik wäre nach
unsirer Ansicht befriedigender ausgefallen, wenn der
Yerf. ihr eine andre Anordnung gegeben hatte. Nach-
deai er nämlich die verschiednen Weisen der Brkennt-
lürs und die Kategorien kurz erwähnt, geht er p. 141
auf den Begriff der (itxaßokfj uhd xiyfjoig über und kommt
Ton da erst auf die vier Frincipien. Wäre der Gang
suiders- genommen, so wären ein Paar Begriffe nicht
unerlätttert geblieben, aut die doch Allea ankommt, die
Begriffe dJväfui und if dg/tun. Auf diese reducirt sich
der Gegensatz der ilkf] und des tldog^ und da
beiden andern Frincipien mit dem letztern zusam-
-menfallen, aller Principien. Diese beiden aber werden
"nach Arisfoteles durch die Kivriaiq mit einander vermit*
Jahrb. /, wUumcK Kridk, J. 1840. I. Bd.
telt ; der Verf. übersetzt dies Wort mit Veränderung^
diese ist ^ber eine bestinftnte Art <Ier nlvfjatg, nämlich
die aUou0af$/daher uns die Uebersetzung nicht richtig
scheint, aus eben, demselben Grunde möchten wir aber
auch nicht sagen Bewegung^ denn das ist nieder tpoqi
(obgleich nicht geleugnet werden soll, dafs Aristoteles
bemüht ist, alle nivtiün; auf diese zurückzutuhren), am
'passendsten jicheint deswegen das Wort* Uebergang
(daher bt x^i^ae^: Bethätigung des Möglichen als Mög. ^
liehen Phys. 3, I, denn wo sich Mögliches als solclies
bethätigt,, geht es über). Ist nun utiviiaiq das, W£^s die
vX'7 und fiö^tjpf? vermittelt^ so ^rhellt leicht, warum die-
jenige ota/or, welche blofse lYTtki%tta ist und äviv vXtii
genannt' wird, warum diese auch dxivtjrog ist, womit
die höchste Bestimmung zusammenhängt, dafs das pri-
mum mpvens, weil es unbewegt ist, auch nicht durch
einen Gegenstand bewegt, sondern «ganz bei sich voi^*
oita; vorjoiq sei, eine Bestimmung, die l!er Verf. mit der
des Uobewegtseins gar nicht zusammenbringt.
Mit deqi Aristoteles wünschten wirnun die zweite
Periode beschrossen und die dritte begonnen. Die foU
genden Systeme kann man nämlich nicht mehr als Er-^
scheinungen „des BlüthepOnkts griechischer Philosophie''
bezeichnen, sie sind vielmehr die einseitig aus ihrer
Au^ösung hervorgehenden ' Momente. Diese Systeme
athmen nicht mehr griechischen Gebt; wie Aristoteles
. schon im macedonischen Geiste wurzelt, und zu einer
- * ^ ' '
Zeit auftritt, wo durch denselben Griechenland vfernich«
tet wird, indem Philipp es besiegt, uhd Alexander das
Palladium des griechischen Lebens, die griechische BiU
düng ah den Orient dahqigibt, so wurzeln diese in de^
ifömischen Welt,' in der sie auch ihre hauptsl^hlidhsten
Repräsentanten haben. Wir bezeichnen diese Periede
als die der griechisch-römischen Philosophie/ Der
Verf. sucht den Fortschritt gegen die frühern Systeme
so darz'ustellen, dafs gegen den unüberwundnep Dua-
lismus bei Plato und Aristoteles von den beiden We-
il?
931
6 0 s e A i e A t e
gen, die sich darbot^en p« 179, die Stoikei^. deü eiueo
eingeöchlageii hätten, - indem sie Pantheismus und Theis-
mus verbanden, Epicur den andern, indem er einen
son^tisQheq Monismus gelUKid machte. Abgesehu, dafs
hier der I]|iialiimus wi^^ ein H&tfsbegr|ff ton Aufsen
herangebracht wird, daEs ferner der Gegensatz zwischen
Epilcuräern und Stoikern p. 188 aufgehoben wird,, in«
^ dem diesen , Letztern Ailes körperlich ist, so dafs sie
, ' einen somatbchen Monismus lehren, entsteht noch der
Uehektand, dafs nachher z« den Skeptikern gar kein
U<|bergai)g genacht werdeif kann. Nach unsrer An-
sicht aber läf$t sich derZusamm^ftnhang swiseben den
frükern Syatome» und diesen auf eine Weise darthun^
wo innere Nothwendigkeit und liistonscher 'Znsammen«
liang coincidiren. Es treten diese Systeme in einer
Zeit auf, wo das Leben zerfällt und der Geist in der
WirUiehkeit sich nicht befriedigt fuhk, so wird er, in
sich zurfieligötrieben, sur , Abstraclion und" Reftexion
auf sich gendthigt, — sie treten zu einer Zeit auf, wo
der verständige römische Geist der woItUstorische Ist*
Entstehen sie nun aiia der Auflösung der blOliendon
griechischen Philosophie, — und diese war in Uurem
ersten K^ime die- sokratiscbe gewesen, — so werden
. itzt die in jener enthaltnen filemenle mit veränderteai
Charakter wieder hertrqrtreten , welche früher schon
einmal in den kleinern sokvatiscbeh Schulen sich ge^
seigt hatten. So sehen wir an die kyrenai^ehe Schule
. §ich a\ich historisch anknüpfend die JSpikuraer^ aber
statt jenes acht griechischen Systems der unbefange-
nen Lustwud itzt ein auf der berechnenden qr^omiaig
beruhender raffinirter Eudämonismus g^hrt'; eben so
tritt daa kynischa Princip itzt mit dem Charakter der
Reflexion in den Stoikern auf, die, auch historisch
aus jenem hervorgegangen , zuerst noch (griechisch)
Uebereinstimmung mit ^r Natur, dann (ronisch) nur
^ mit sich fordern ; en^icb die megarisehe Richtung zeigt
sich vom Schmerz der Zeit infi4^irt, indem sie die Dia-
lektik nicht gegen die scheinbare Wirklichkeit, sondern
gegen jede wahre Objectivität richtet, in den Skepti-
S kern. (Pyrrho hat Megariker zu Lelirera gehabt). Zu
diesen drei Richtungen kommt dann eine Erscheinung
ganz römischer *Ar^ der Eklektieutm^s^ weleher con-
förmdem rdmischen. Geist, der- seine Große im Sum«
miven von Ländern such^ in dei^ Philosophie den Verw
wesungsprocefs darbietet, mit dem die alte Zeit schliefst;
Ein belebendes Princip tritt orsi in dem folgend^enZ^it^
er Philoeophie.
tau in ein, den wilt aIs den der neuem Philosophie be*
ateichnenb
Gehn wir ntln mit dem Verf. p. 280 ztur nenerea
Philosophie Met*, die er im zweiten Theil bahanddt|
so begjhmt er dieselbe mit dbr seholoatisefaeii Philni»>
phie. Wunderbar ist es, dafs der Verf. hier nicht eine
Lücke fühlt 9 Nach p. 281 haben die Scholastiker db
Bedeutung gehabt, die kirchliche Lehre zu ordnen und
zu vertheidigen. Obgleich nun freilich demVerf* die
Dogmen „die reine Chrisinslelire tilSben*', „LehrfuMitla
sind, welche auf dem Wege vetnunftwidrlger €Mie-
Itien anfgesteltt wurden'*, so Werden doeh,. wena ü^
welche sie vertheidigen^ hier einen Plab fanden, &
sie machteny noch mehr ihn verdienen. Entweder
müssen, wie Viele dies wollen, auch die Scholastiker
ausgeeehlessen werden, od^ auch Anfcreaüfter flmen
behandelt werden. Wer aberf IKe PhHesophie dt
das Sich «Wissen des Menschengeistes wird jede neve
Entwicklung desselben abspiegeln müssen. Tritt' nm
daa Christenthum zuerst im Gegensatz gegen £c da-
seiende Wirklichkeit auf, mit der Idee de3 Ifiaunebci-
ehe», so wird sich dem analog, auch einie Hkilosopiiie
büden müssen, vom 'Dasein abgewandt, und da fiese
Anschauung nicht die antike ist, die Philosophie 'aberj
als ein Continuum , an die früheren (klassischen) Sy-
steme sich anschliefsen mufs, so treten itzt die Versn>
ehe auf, diese Anschauungsweise mit den bishei^gen
Resultaten der Philosophie zu verschmelzen. Innerhalb
der christlichen Gemeinde können diese Yersncfae vf'
erst nicht entstehn, denn daa Leben derselbea ut zs
frisch für das Grau in Grau der Philosophie, nnlsep-
halb des Christenthums aber zeigt sich nur im Orient
die dem Dasein abgewandter lUchtung, daher treten uns
aufserhalb seiner zuerst die rohen Tersuche entgegen,
orientalische hehren mit griechischen zu TerbindeB^
wie bei Philo, dann ehie organische Terbindung orien»
talischer Ansehauungsweise mit den Resultaten griechi-
scher Philosophie in den- Neuplatonikem. -ReMe,
nicht Christen, athmen modernen, d. b. cfaristilden
Geist. AUmähllg tritt dadurch , da& d!e Kirchs sldk
consolidirt und mit dem Staate verbindet, ein ZnsCaad
der Sättigung mit der ersten Offenbarung ein, sogtcieft
regt sich innerhalb der Gemeinde der phitosophisebe
Trieb, pie ersten^ bei denen er sich zeigt, weif^ daran
die Kirche als sich fremd, si^ sind Ketzer, die GlDosii»
ker; oder wenigstens sind sie heterodozc, vrie Or^enes^
6 0. MC h i e k t 0 d 9
Mdlfek. koMit flfe Kirdhe iksu^ ^ ne ihre Vatet
•rkewt in den M«nMf% weioiM Termtokt der Phil#*
■efhie die Dogmen machetty indem lie* den ewigm^ In»
feeJt au« der lüitociicben OSenbarnng mttseheid^% und
als OmlmnJI^u fixiren. Diese BestretwBgen nun, wcl^
cIm nix Augvstin sich »bsehliefiieEi, fattden die ersle Fe-
yisde d^ Gesehiehte der nejaem Philosophie, die also
naeh ims die orientaliaeh-grieehlseber, die neuplatoni-
eel^'t endlkli die patvisliacbe Philosophie enthallen
Wteds. -^ Als Mßmüc /W«Mb worden wir dann die
Iwniehiieny wekhe der Turt die erste nennt^ die der
MhehsliMshen Flnlosophiifc. Das Hauptthema War die*^
eer gegeben dareh den Widersprach , welcher darin
kig^ dab eine klrehüche Lehre, vekhe Produet bodi*
eCer phiJosopluscker Bildong wnri an nngebilfele Yöt-
her gebmeht wurd^ und durch di^ damit gesetste Au(-
gah^^ diese Lehre dem Verstände sagänglicli zn machen,
in Brigena, mit dem der Verf. mit, Reeht die Reihe
An Scholasliker begimiy sehen wur das frohere Yer^
hfitairs sich wieikrholen, er ist der Ersle^ mtd Irt
'dämm heterodox ond yen der Kirche« verdasHot^ An>
" selm iüt schon orthodox,, weil die Kirche jenes Element
bereue anerkennt» Mit Beoht dacirt der Verf. eme neoe
Jkem der Scholastik mit demEinflofs derAcdber* Von
dn an begimitBämliehiUeSeholastift; nebott jener Ebmpt.
ftulgahe noch eine aadere^^Creilieh ihr selbst ond der
Kirche «nb^wnlst» s« ÜMen. Diese' ist eine Annähe^
nmg nn das vor- lind nacbrisfliehe Principw Die Sehe*
hedk gebt itst im Beid^i nnd Mohamedaaem In die
Sahuisi. Deneihe Anstetelee^ dem «rsprQiigHdb nns
Jkt^lmoßwiiUkW umi Noetianer angehangen «nd dm die
Panrea petüorreasirt, den spater die -Kirche bei der
Vedbunsfiuttg 'dns Dayid von Dinaata verdammt hat,
hnt itst seinen eigoeii Lebrstukl. Die.« Kirche Ipidet ,
. dna ond befardbrt es, wie sie es befiSrdert hatte, dats
dttnChrnHenheit sich mit dem Mnselthimi ein^ ond von ihm
inficisen Ueiii. Ais nnn Aristoteisehe BestBamongen
4nreh die- Haoptheröen der ^eholiaslik Albert, Thomas,
J^un» Seotos impner mehr Ton der Pbilosc^Ue aesimi^
Mrl weeden dind, ieginnt diese Annei im Körper der
-näesophie so wirken^ ond. aus dem Schoefse der
Scimiastii hMios onteeiefaeln sich non neben eiMndet
dMn BicfatMngen, die ihron VerteU beseiefanen. Sie hü«
ben die Bedeotong, dafs sich, in ihi^en die* Philosephie
Ton den Fesseln der Aotorität l)efreit, dies geschieht
in dem Uebergewicht, welches der iu seiner
Cnufchnschanmig antikircbllche IVondnaUsmos inneriK
halb der Sdiolastik erhält, sweitens in der nns dei
Scholastik hervorgehenden,. sin aber ontergrabendenllf^
aük, drittens in dem emeoten Interesse in dar Mdnl»
sehen Ansehaoongswebe^ wie es sich in den gelehitett
' Emeilerem antilter Philosophien setgt, endlich abor
,ond besondeffs in denen, Wekke diese AnsdiannngS'
freise srih^ rar ihr^n jnaebea, indem nicht m^ dm
Reich der Gnade, sondern gerade die Nntor ihr Haupt*
gegenständ wird. Ist die NaUirphilosephie bei Jerdano
Bnmo nbdi antireligiös gewesen, so* hat sie bei Bace
jedes VerhältniGs tut Kirche und Religion negfarL Rit
Recht sdiUefst der Tert jene Vebergangsperlode mtt
Ihm. — JUit Descartes 'beginnt nun- d^r Verf. sekie
zweite, Wie nennen sie die dritUj Perimfe. Er irimmt
sie bis auf Kaart^ wir bis auf unsere Tage. Wenn
der Verf. als das ESgentfaamliehe dieser Periode be*
srichaet, dafs noch kein tieferes- Eindringeti farf die Oir«
gnnisation des Erkenntnifsvermögens Statt finde, so hftcre
hier nicht bei jedem System das vorausgeschickt werden
mSüsen, was die ErkenntnlTstheorie betrifft. Dies steill '
irich bei der Darstellung so ia den Vordergrund,, dafs
aneh dort, ' wo die Nothwendigkeit des Uebergangs hn
Metaphysischen liegt^ dersdbe nur von jener Seite be^
trachtet wird. AufDescarfes findet dies liaturfioh keine
Anwendung, ^ ist es nat&rtich, dafnmlt dem begon*
neu wird, 'was er in seinem . Disceurs de Ia methocfo
gesagt hat. Wohl aber ist es zu bedauern da, wo der
Verf.) nachdem er Geulinex und Malebrancbe beha»* '
deFt hat, so SpinoK» Mergeht £s erscheint dadurcii
sein System nur als die Felge von dier Annahfbe an*
geborner Ideen p. 384, da doch der Verf. selbst gesagt
haftet, das Ungenugendo in des Descartes Substanzbe* '
griff hlEibe den Spfaieca . weiter getrieben; Die Dtf rsfef«
lung des Spiaosbtischen Systems ist nlobt unricheigf,
denn sie gibt, nachdem die Definitionen und A^iemct
des ersten Theils der Ethik angegeben sind, die vtttu
sten wichtigen Pnepositionen in fast wörtlicher Ueber^
setxuRg f dadurch aber entbdirt sie der Anschaulichkeit,
und cKe wichtigsten Fragen r wie das Verhilltnffs def
Substanz zu dbn Attributen zu denk», warum sie nur
unter xwei&n betrachtet wifd^ u. s. w., werobor dio
Ethik wellig oder gar keinen directen AufschluCs gibt^
Sind nicht einmal aufgeworfen. Dafs die imtura natu,
ratft die^ Modi Gottes sei, quatenus eonsüteraniur, ut
res (also eigentlich auf einei: fals^en Anschauungs*
f I
939
6 e $ e h i c h t^e dt r. Philotophi e.
936
MreUe beruhe), wird nur in einer Anmerkung erwShnt
il. e. w. «^ Diö'Zeit zwiscllen Spinoea und Kant ist
in diesem Werke ^ am wenigsten in einem gewissen
^usänünenha^ge dargestellt, ; obgleicli die zerstreuten
Aeulserungen des Ver£s. einen sichren Weg Torzeich-.
Ben. Er itpricht p. 427 ^vonl einer PopularphUosopbie
in Frankreich und England, die er bis ^n die Känti«
siehe Zeit ^eieheh Iftfst ; an einem andern Ort p. 468 nennt
•r eine deutsche Potpularphilosopjbie, die in dieselbe
Zeit fiUtfUnd welche ihre Wurzeln in der Leibnitz-
Wolfschen Philosophie hat, ^endlich sagt er, Leibnitz
habe sich im Gegensatze gegen Descartes und Spinoza
und gegen Locke entwickelt. Diese Punkte sind in
der -That Haltpunkte für den ganzen Weg. Nach
Descartes und Spinoza und weit über sie hinausge-
bei^l, entwickeln sich zwei Richtungen, eine realuH"
icAe^ Welche mit Locke beginnt^ 'den Empirismus, wel-
cher, wie* der Yerf. p. 425 richtig bemerkt, bei Locke
noch mcht vollendet ist, und Materialismus enthält
lind in der französischen PopularphUosopbie ausläuft,
die einen ganz materialistischen Charakter hat,- -— ' und
eine ufealieiische ^ welche mit Leibnitz dem Locke
gegenüber beginnt, und endlich in der deutschen Popu-
larphilosophie ausgeht, die einen ganz andern Charakter
hat als die franzosische. Dort vergUst das Subject
Gott üb>r die Materie, hier in der empirischen Psy-
chologie, und Nützlichkeitskrämerei über sich selbst..
lndem> der polarische, Gegensatz .beider Richtungen
nicht hervorgehoben wird, kommt es, dals der Ueb^r-
gang zu Locke nur durch die Behauptung gemacht
nvird, e» seien psychologische Untersuchungen nöthig
gewesen (die doch, zum Theil wenigsteu&, schon bei
Malebranche vorkommen), statt, dals .man nachwies,
wie^ was in Spinoza noch gebunden war (res et^idea
una eademque est res), itzt auseinandergeht, — und
dafg. Einigen eine falsche Stellung angewiesen wird,
wie z. B. Berkeley^ welcher als vom Empirismus be-
berrscbter Popularphilosoph bezeichnet in^ird, da er
doch,^ freilich \som Empirismus ausgehend, zum Idealis-
.,mus kommt. — Bei der Darstellung der Leibnitz^chen
Plulosophie bt es wiederum ein Mangel^ dafs die Er-
kenntnifstheorie vc^rausgeschicktist. Sie schwebt da-
durch^in der Luft, während, wenn zuerst der Begriff
der Monade aufgestellt wird, die Alles idealiter in sich
trägt, die angeborhen Ideen eine nothweDdige Folge-
rung ^sikld. Eben »o konnte davaus, dafs jede Monas
dassdbe Universum spiegelt, d.ih. Jede Alles, die pii*
stabilirte Harmonie gefolgert werden, statt dafs es itit
den Anschein gewinnt, als bedürfe Leibnits einer TiiL
heit von Hypotliesen, was doch nicbt der Fall ist ->
Dafs fene beiden Riohtnngen von Kant verbunden wo^
den, spricht der Verf. an^ mehreren Stellen aus p. 471
506 u. a« a. O. Die Periode von Kant an ist nun, wi^
natürlich , am . ausführlichsten behandelt. Aus dieitt
wünschten wir nun zuer&t ausgeschlossen die Lehren,
von denen Yerf. sagt, sie Ibefänden siiA auf einett
..durch Kant bereits überwündnen Standort" p. 623,
und die er nur darstellt, damit der Fortschritt, des
Kant gemacht, deutlicher werde. Wir stimmen in det
Sadie mit dem Verf. überein, dafs di^ wirkUch dis
Stelle der Jacobiachen Philosophie sei, (der Verf« nfiofi
auTser ihm noch Bouterwek und Schulze), dies sba
ist Ulis ein Grund Jacobi Wr Kant abzuhandeln. Sdii
yi\T nämlich, wo Jacobi stark und siegreich ist, so in
er es g^n den Mi|iterialhimu8 und die deutsehe. Anfr
klürung. E.r gehört deswegen zu den Männern, die
die Einseitigkeit beider RichtungeU einsehen, ebne ß>
big zu sein, einen höhern Standpunkt philosophisch n
begründen, und daher ihn entweder in kühner An*
ücbauuitg zu anticipiren suchten (wie Hamaun v. A.)»
oder aber in/ eine Yergängenheit zurückgingen, w«
beide noch gebunden waren, daher die Hinneigimg si
Spinoza bei! Herder, Lessing, der sich selbst JacoU
/nur durch gewaltsame Sprödigkeit ^ntziehn kann. Er
gehört zU den Vorläufern der Kantischen Revolutii^
daher gegen die . spatereil Systeme seine Polemik des
Eindruck vergeblicher Reaetion macht. Wie Jaooü
Vor Kant, so wünscliten wir auch Fries vnd Krug voi
Fichte abgehandelt. Auf eine auafuhrliche "und treue
Darstellung der Kantüchen lAthre{411 — &06) folgt
eine Hinweisung auf ihre MäogeU-es wird dann ge-
zeigt, wie Reinhold (512) dieselbe tiefer zu begründen
gesucht, und derselbe 'durch' die verschiedenen Phasen
seiner A^nsicht begleitet. . Es folgt- die Darst^ung der
jff^ot'schen Lehre, und darauf das. System von 'FteÜM
p. 537-^598, welches ausführlich und ' liektvoll darg^
stellt wird; einen Anhang dazu bildet seine veiäi^
derte Wissenschaftslehre« — !
(Die FortsetzsDg folgt)
J a h r b tt c h er
für
w i SS e n s c h aft 1 i c he
\'
Kritik«
Juni 1840.
\)hbM»€h der GeickiehU der Phihwphit von
EmMt Beinhold.
%) Ümris$e der 0€9chiehte der PhilMopkie^ ent^
MiDorfen von Ifr. Eduard Schmidt
, (FortMtzuDg.) ' % •
Eine gleiehfaDt aasrührliche Behandlung wird Her*
hart SU Tbeil^ ah deasen eigentliche Bedeatung iiiit
'Recht der Gegensatz gegen den subjeetivistischen Idea-
UtDitts bezeichnet wird 9 und dann geht der Verf, zu
' SeAellmg und aeiner Schule über^ welcher ^dae Ein.
zeitige und durch Einseiti||^lceit Verlcehrte an dem Idea*
Ittutuz, an dem Monismus und Dualbmus anerlcennendf
einen hafaern Standpunkt ergriff'* p. 695. Bei der Dar«»
atellung des Systems sind . die wichtigsten Schriften
aorgf Altig benutzt f nur höchst unbestimmt drückt' sich
aber der Verf. darüber aus, wie er sich das Verhält-
bUz Ton der Abhandlung üjber die Freiheit zu den an«
' dem Werken denkt. Unter den Anhftngem' des 5>Pan*
tbeiamus'', -wie der Verf. ScheUings Lehre bezeichnet,
«eiehnet er als den besonnei^ten BlascAe aus, der allerw
dinge von dem Vorwurf des Pantheismus nicht f reizu«
apreehen sein möchte, -dann aber als den, der auf die«
Bern Wege dem Pantheismus zu entgehen sachte, lü^ause,
und geht dann p. 725 zu Hegel über, dem er den Be*
ruf zuschreibt, von dem Standpunkt der absoluten Iden-
.lität aus die philosophisehen Begriffe in einer ihrem
Inhalt schlechthin angemessenen Form systematisch zu
CBtwiekelAi iind dessen ,,dialektisch aujigebildetes pan-
theiatisehes System*' er dann darstellt. — ^ Dur^h das
Hervortreten der entgegengesetzten Ansichten in der
Geschichte der Philosophie, zo schlierst der Verf. sein
^Werk, in welchem auch ,in der Zeit nach Kant der
Idealismus, der monadologische Monisanis und d^ Pan*
theiamus sieh mit der grölsten Sorgfalt ausgebildet, sei
;ß war das philosophische Hauptproblem nicht erfafst, wohl
aber Fingerzeige zur Entdeckung der wahren Methode
Jmhth. f. ufi$t€Hich. Kriiä:. J. 1840. 1. Bd.
der PhilosopUe 'gegeben: Diese werde sich bewahren^
indem sie erstlich über ddle jene Gegensätse sich er-
hebend, die Philosophie mit dem gemeinen Menschen«
einne und den Anforderungen des Gemüthes, so wie
^der Erfahrung in Uebereinstitnmung setze , zweitens
eine richtige Erkenntnifstheorie enthalte,* drittens das
YerbSltnUs der Welt zu einem lebendigen und persön*
liehen Urwesen richtig erfasse, viertens die wandello«
sen Zwedce und Normen unsres Freiheitsgebrauches
folgeriehtig ableite. Diese Methode bemühe sich der
Verfasser in dem System anzuwenden, von dem er
bei ^seiner' Darstellung und Beuirtheilung ausgegangett
sei. p. 764. —
Wenn \dr, namentlich bei der letzten JP^iode^
den Gang des Visifs. ganz kurz angegeben haben, io
geschali dies theils, weil wir mit der Darstellung des^'
selben einverstanden waren, (wie bei der Darstellung
von Kant, Reinhold, Fichte, Herbart und zum Theil
Scbelling)^ wo dies nicht der Fall bt, wie bei der Dar-
stellung Hegels und bei der Schlufsbemerkung, da be*
durfte,' was zu bespiechen bt, eines , ganzen Buchs, und
Ref. muis ohnedies schon fürchten, die Geduld des
Yerts., so wie seiner Leser ermüdet sn haben, die er
noch schliefslich auf das vorliegende Buch als auf ein
sehr braucjibares Lehrbuch sowohl zu akademischen
, Vorlesungen als zum Selbststudium aufmerksam macht»
Wenden wir uns nun zu
iVe. 2, den ümrieeen von Prof. Schmidt, se hat
dies Buch einen ganz andern Charakter ab das Rein-
holdsche. Der Verf. spricht es ganz entschieden aus,
dafs eine Darstellung der Geschichte der Philosophie
nur dann . wissenschaftlich sei , wenn sie ^ dieselbe a
priori construire. (Ja er schert sich nicht z^zugestehn,'
dafs . eine solche Constmction sogar auf die Zukunft
gehn müsse^ obglefch er selbst sein^ Darstellung nicht
mit. einer Weiseagung » sondern nur einem frommen
Wunsclie schUebt). Zugleich aber spricht er bestimmt
^ 118
939 G e i c A ic A t e\d 0
die Deberzeugung aus , /^dafs der Mensch tait^ seinen
Constructionen gar nichts von der Witkliclikeit 'zu er-
keniien vermöge" p. 4. Es wurde unbegreiflich sdin,
wie bttdea zugleich behaiiptet werden kann« wenn nan
nicht auf den: Standpunkt des Yerfs/, näher eJbginge.
Das Eigenthumliche desselben ist, dafs der Gegensatz
Ton Logischem und Realem, Gedachtem und Seiendem
hier' zu einer Spitze getrieben ist, v^ie er uns sonst
nicht vorgekommen ist. Er sagt es ausdrücklich, dafs
„aus der logischen Nothwendigkeit kein Schlub auf
die Wirklichkeit^, geschweige denn auf „eine^Noth-
Wendigkeit in dem Sein** gezogen werden könne, ja,
wenn auch in der Wirklichkeit ein Zusammenhang
wäre, so würde dieser „ein ganz andrer sein, als der^'
welchen die höhere ^Wissenschaft zu er'kennen rer«
langt.*^ Eine jede philosophische Construction wolle
gar nicht das Wirkliche erkennen, sondern nur dßM
ff % - ^ \
Mögliche und logisch Noth wendige, sie könne deswe-
gen auch völlig wahr seih und bleiben, wenn die
Wirklichkeit ihr widerspricht p. 12. Ihre Wahrheit
hänge blofs davon ab, ob logisch richtige Ableitungen
gemacht sind^ sie habe deswegen kein Interesse daran,
in der Wirklichkeit sich bestätigt zu finden, während,
wenn eine apriorische Construction mit der Anmafsung
auftrete, das Wirkliche zu construiren, sie das Inter-
esse an, und den Wunsch nach solcher Congruenz ha-
ben werde p. 11. Diesen Standpunkt aber, der un-
zweideutig genug, ja manchmal mit einer Art Ueber-
muth der Ueberzeugung ausgesprochen ist, hält der
Verf., wie leicht begreiflich, nicht fest. Dafs er ihm
untreu wir^, vermuiAe ich daraus, dafs meines Wis-
sens der Terf. sich den Satz, der durch blofse Contra-
position: aus seinem (dafs das logisch Nothwendige nicht
wirklich zu sein brauche) gefolgert werden kann, näm-
lich, dafs das logisch Unmögliche wirklich sein Icönne,
nicht wird gefallen lassen, ich seAe es aber daraus,
dafs er eine' Constructioii der mrklicAen Geschichte
«
versucht, was ihm, wenn ersieh ganz treu blieb, nicht
in den Sinn kommen konnte. Es macht ge^eA diesen
Vorwurf der Verf. Einwände, indem er sagt : die a prio-
rische Methode habe Interesse, die Empirie zu suchen,
denn ihr Ziel sei nicht das Construiren, sondern das
Begreifen de* gegebenen TnAaM% aber darin ist ja
eben exprefs dem widersprochen, was oben gesagt
war,' dafs der gegebne Inhalt (das Wirkliche)' uner-
reichbar sei, es ist das offne Bekenntnifs, dafs er sef-
h-'PAilosopAie. MD
iSBn Standpunkt nieht fesdialte. Wenn dann an deN
«elbeli Stelle gesagt wird, die a priorische Methode
habe dies Interesse, weil „durch die Anw^do&g im
. a priori construirten Schemafs auf die empirische G^
, schichte diese zur Wissensehaft erbpheo .werde" (|»
sieht der "Verf. nämlich die Construction derselben an),
so möchten wir fragen, "welches Interesse wohl der
Construirende , der ja weifs , dafs der ZusammeDbsD|[
in der Geschichte eiii ganz andrer ut, als der in seiner
Construction, haben kann, ^ dies Schema anzuweadent
Eher wäre es noch zu begreifen, dafs der gegebne h-
balt ^' Mite; um aas *,9empirischer Gesebidite WiiMfr
Schaft zu werden." <-* Es geschieht dem Verf.y dalk er
mehr, als er selbst meint, mit der „Anmafsung aoftritf ,
was er construirt, . in der Wirklichkeit wieder zu er*
kennen, daher hat er ein so grofses „Interesse" und
einen so mächtigen „Wunsch** nach Congruenz mit
derselben, dafs er mehr als dfe, welche j<ene Am&i'
fsung offen bekennen,' den gegebnen Systemen GmA
anthut, um sie in seinen Schematismus zu briogeo.
Gehn wir nun zu 'der Construction selber über, se
sucht der Terf. zuerst den Begriff der Philosophie sv
fixiren, und dann aus ihm die nothwendige Entwidt«
lung abzuleiten. Nachdem als das Ziel der Phfloso»
phie bestimmt ist, das zu finden, was den CharaUir
der Allgemeinheit, Nothwendigkeit und Einhdt hsbe^
werden vermittelst des Gegensatzes voii Denken snd
Sein als die möglichen Fälle abgeleitet der iKsafiesn»,
welcher Alles aus einem obersten Sein, und der lüth
iümut, 'Welcher Alles au» einem obersten Gedaokpi
abzuleiten suche. Seinem Standpunkte, gemäb ist der
Verf. zuerst versucht, nur in dem Idealistnus Pbilsis-
phie zu erkennen, d. h. in der Ansicht,- welche du
Wirkliche ignorirt, weil aber dann nur wenige Sjvteae
Gegenstan<^ der Pl^ilosophie würden, „desweg^ afilf*
ten (1) ' wir eine weniger strenge Anwendung jener
Norm gelten lassen** p. 41. Um nun den Ansichtea,
die nach seiher Ansicht eigentlich nicht PUlosopUe
sind (weil Realismus), dennoch diesen &hrentitd t»-
flchreiben zu därfen, wird ein' sonderbarer Ausweg ap-
. griffen : nämlich überall, wo, was Von der HiilosopUe
und ihrem höchsten Begrifft (dem absoluten (Bedaaksn)
gilt, durch ein Mitsverständnib von den Dlngisn, ote
etwa Gott ausgesagt wird, da erkennt der Verf. phDs-
^ophischen Trieb, und, wenn auch mUsverstandene, PM-
losophie. Es i^ei aber ein solches MUsverstindaUs ds^
MI ericBriieby dafif 40m VhaSnAen der Gedasilui an die
AttCitaWeU näber Kege^ als der an sieb selbst^ und dar-
bet Ton ihf auagetagt «erde,* was nur yom Gedaiikeii,
gelte** p. 42. 43. Wo also durch eioeti solchen Parar
legisnms^ was nur subjective GedankenbeSlimnituigen
etedy vom Realen \ ausgesagt "Wvtd) erkennt der Verf.
trotz dea Realismus Philosophie an, oder richtiger ge^
•ag% 4i| dem, was nicht ^^alismus ist. Dadiit hängt
«tenn auch die eigenthomliche Weise susammen, in weU
A^p der Verf/ der Forderung nadisukomnien sucht,
W«4ehe er selbst an die Constructionen a priori gestellt
hat, nftmÜeh jedes System zu fechtfertig^. Diese
- Jkaohtfenigung besteht bei allen realjstischeii Systemeii
duia, dars er in iboen v^n dem oben angedeuteten Pieui
«alogismus, um den Kantischen Ausdruck au gebrau-i
eben, eine transoeadoitale Deductien gibt. Dies aber
Mfst die Systeme nicht rechtfertigen, sondern wegen
eine« leicht möglichen Irrthumsr ^it/sc^tiAA^s^* Wir
werden nachher einzelne Proben dieser Art von Recht»
iertigung anfuhren. — , Dnrch j^enen oben angeführten
CSegensata ergeb^i sich min dem Yer f. drei Reihen
•pün Systemen, oder drei mögliche Weben den absolu-
^n BegriQ* su faissen. Er kann von seiner objecüven
' Seite ^afst werden, als die ganze Welt des Penkba^
cen umfassendes PriQoip$ indem sich nun hiemit der
Mibvcfstand verbmdet, daü unter dem Objectiven das
Reale verstanden, wird, und also unter dem objectiven
Absoluten nicht der alles Sein umlieusksende Begrifft
Mitsteht daraiis der Realismfis^ der grüoAücAen PAilih
nphiß* Es ist zweitens der. absolnte Begriff von der
nsibjeetiven Seite betrachtet, iMiser Gedanke, ein Be«
•tandtheil imsres Ich und mit demselben identiBCh«
wird nttn, indem dieses festgehalten, zugleich der Irr?
^tbttm hegangep, dafs das Absolute nicht als der allge«> '
aaelae Gedanke unsres. Ich, sondern als das endliche
heg(|iidre leb sdbst angesehn wird, mmT mischt sich
darmrter jener ReaUsmys hinein, sei entsteht der rea^
liaCieohe Idealismus der tiwetn PAifosopAie vor Kant.
lävilich aber wkd der absolute Begriff von seiner ob-
j^etivan Seite als oberster Begriff gefalst und zugleich
ads reine« P^en genommien werden; hier wird üie
Phüesophie mit ihrem Objecto identisch ; es wird das
' Ahsolute nach seinen beiden Seiten und beide als iden«
UMk imfgefaist; es wird erkannt» dals der absolute
ibifaag nicht Mofs das-aubjective )nhaltslosd Ich, son^
dem auch dessen absoluter, alle Objecto (freiliob nicht
/* A ij • s o p A i A
942
als a^iende) ia sich fassende, Begriff alles Denkbarem
ist ; dies gibt das Identitätssystem der neunten. Pkäo^
MüpAie 9eü Kat$t p. 45. 46. 47. 266. Zw^^^i i«t es,^
was der Ref. an dieser. Entwicklnag, ' ^ sie nnr»
mit des YerCs*- eignen Worten gegebenv^^ ^deln muTs.
Erstlich, dab durch eine sehr ungenau rerminologie^
scheinbare . Widerspruche entsteba, die das Verstand*
nifs eines sonst ^ar .iii<^t complicvten Gedankengan*
ges erschweren. DerTerf« unterscheidet zwischen dem
Objectiven und Realen; jenes ist ihm ein nur Gedach««
tes, dieses ein Seiendes. » , Er bleibt aber diesem Ge«*
brauch nicht treu; p# 267 sagt er, das Denken kötana
auf eifeetüfe Geltung, d. h. darauf, Erkenntnils de«
Jflti^A/icAen zu sein, keinen An^rudi mächen; ähnli«
che Inconsequenzen kommen viele vor. Auf einer moU
eben beruht nun auch die ganze Bezeichnung jener>
{leihen. Da ihm €j/e Philosophie Idealismus (in «ei«
nem Sinne) isf^ weil sie es mit blolsen Ideen oder Ge«
danken zu tbun hat, so konnte, das Wort Idealismus
nicht zur Bezeidmung einer Seite gemacht werden,
sondern unter dem Idealismus konnte befabt werdeiz
der Objectivismus, oder objective Idealismus, d^r Sub^
jectivismua oder . subjective Idealismus, endlieh das
Identitfttssystem oder der reine Idealismus^ wie ilm der
Verf. nennt. Itzt abei:, wo er unbefangnen Realismus
pnd Idealumus sich ^gegenüberstdli, ist ein Jeder be*
fechtigt, als drittes dazu den Ideal-Realismus zu erwar»
ten, und den reinen Idealismus als drittes darstelleD,
stört die Symmetrie. Wichtiger aber ist, dafe Äfft YL
\dpv die reine Constrnction ganz vergifst/.Fon der er
gerühmt hatte, dafs sie ganz unbesorgt sein könne, ufn
die Wirklichkeit. Es geht dem Verf. wie Yielen, die
zu viel versprochen haben: die Wirklichkeit kreuzt ihm
nur zu sehr seine Constrnction. Jener so wicht^e Pa-
ralogismus». durch welchen der Objectivismus in Rea*
Usnims verwandelt wird, wird schon nicht mehr con-
struirtf oder man müfste das eine Copstruotion a priori
nennen, dafs der Terf. sagt, es liege dieser, Paralogis*
mus nahe. Fehler dem reinen Objectivismus soUte der
strengen ConSequenz nach der rekie Subjectivismus
oder, v^e ihn der Yerf., nennt, Idealismus gegenüberge-
stellt werden. Weil aber die Wirklichkeit keinen soU
ehen darbietet,. nimmt der Verf. den reaiistiecA^nUeh^
lismiis als die zweite Möglichkeit an. Endlich wenir
eine soleAe Yermischang mögUch ist, so mufs es eben
90 auch die des idealistischen Realismus sein; diesen
\ ^
' \
«43 G€ * 9 A •• kt 0 de
bot die WirkBefakeil etwa oielit dar^ and m wird et
Biebi colurtniirt litt Anforderang dei Yerfi. ^ dab
, dia CoDtiructien Cdmequent und' YoUstfindigkeit Iiabe,
komiiit er aiie Liebe nur WlrJcliehJceit aelbst nieh'l naeh.
Zu der enlen Periode» der grieeAiteh&n PAiloso^
phiß übergehend» knfipft der Terf.» um eine vorläufige
Eintheilutig su finden» an daa FrQliere an. Die Philo«*
aephk hat ea mit den leUten Gründen au ihun ; ea faU
Inn nnn <waä nicht weiter abgeleitet vMi) die yer*
aeUecInen GrMde unter drei' Kategorien, die letzten
firQnde dea Semt oder der. Dinge, d#a Seim^lenM,
^eder Handeina (richtiger Zweeke)^ endlich dea Für*
mmkrhaUemM und der Gewifaheit; daraua ergeben aieb
Um die 4rei Perioden der Physik vor Sokrates, der
Ethik aeit Sekratea» der Dialektik aeb Plato. fSx l^e«
cdUgt aieh mio nidit bei den Altern Autoritäten» auf
4ie eraich herufan liat» aottdem^ um Jieae Anordnung
.1« rechtfertigen^ gibt er eibe weitere Definiäen Te»
Phjaik ala aonat j^ewobnlieh» indem er aie als die Wia*«
aenachaft Yen den Gründen dei 'Sdna beatimmt» ao dafa
> dao die Ontotogie der Eleaten eben 90 daruntjß^ befafat
tat» wie die Phyaielogie der Jonier» In diese Periode
der Phyaik ifteUt der Verf. die Jonier» die Pythagerfier»
die Eleaten, dann den Jleraklit (und nur beiläufig den
Empedodes), die Atoiniaten und den Anaxagoras. Wie
wir una die riditi^ Anordnung denken » Ist oben * bei
dem Reinholdaohen \¥ark gesagt» hier ^erde nur aul
4aa Eigentbiknliehe der BehandMing hingewiesen« Oben
W^r acbon hemerkt» waa der Yerf. unter der Rechtfer»
-iignng eines Btandnunkta versteht ^ , daa Hervorheben^
eJEra logischen Gedankens^ welche durch eine Subr^
tipn eine ontelogiaehe , ' reale Wahrheit sugesehrieb^n
. ^wit^. Demgemärs wird in /dea Bemklita Weg nadx
oben und unten Wabriieit anerkannt, weil die« nur
eine, ontologiaehe Anschauung der lyrischen Wllhrheit
sei» dafs janalytisoh rem Einselnen zum Allgemeinen
'^ und synthetisch ¥oiii Allg^einen «am Eintelnen fort«
gegangen werde« Eben so erkennt er in der Atomen«
lehre die hgUche Wahrheit» dafa in der Analyse deii
Gedalkkra bis zum Einfa^n turOekgegangen WerdCr
Wem IsUen lui(bei nicht Kants transeende^tale Losun«
gen. der Widen^rüche ein? — Zu der - Periode der
Jätldh^ Sokratea und die Sokraüker befossend» macht
der VerL den Uebergang durch die Sopliisten, deren
yositivea Verdienst darin gesetst wttd» ' durch ihren
r P Ail 0 9 • pA^0. §44
/Skcjpticisanu der Speenlalien Pseikeit veradiaflRl M hn>
ben, während ihr negatiree Verdienat aei» daii sie dnrsh
ihre rrirolttät ab Reaetkm die Anabildung der Ethik
tti)d Dialektik vo'anlarac hätten. Nachdem äla.daa Efc»
genthfimliche der Sokratisehen Lehre die Mentitit dea
Wimena mit dem Ethischen hervorgehoben» wird aia
der- Fortschritt der Sh^ratiker beaelehnet» dafa aie die
wesentlichen Prädieate dea logischen Absolaten oder
' der Phibsophie selbst» als Prädieate - der Tugend gd>
tend gemacht' bätleui indem Ae Kyniker dieaelbe ida
abtokit (in derUnabhängiglreit) bestimmt^ die KyrMai*
ker aber die Idee, dafs die Philosophid daa Sinnliche
beherrsche, auf' die Tugend angewandt» und dnram
diese als Beherrschung der sinnliclien Gründe dea Han*
deine (1) gefaftt hätten» wie denn bei tJtenselhen det
Bchauptuhg' von der Gleichheit Jeder Lust daa Bewnfat»
s^n Ton ^em sieh gleich bleibenden Inhalt dea Gedaa»
kons M Grunde liege. Endlich hätten die Mi^;ailket
die Einheit^ gleichfalls ein Prädicat des absoluten Oe»
dankens» zum Prädieate der Tugend geiaacht« — In
dieser Weise der Redhtfertigung erhält der gans wnhie
Gedanke» dafs, jede Philosophie die höchste Kategorie^
deren Bedeutung sie erkannt hat, von ihrem Abaelutcn
prädicirt, durch die einseitig subjectire Geltung, die
den Kategorien augeschrieben uHrd, eine gans schiefe
SteUung. — Die Periode der ßialekiik umfefat Pinto
«ind die spileren Systeme. Wie der Verf. die Phyaik
in einem x^eitöm» ae nimmt er die Dialektik in cfaMBi
riel engern Sinn» als dies gewöhnlich und richtig. Die
, Dialektik ist ihm nur Erkenntnifstheorie, WiaaeoaclHft
Ton den letzten GrQnden unserer ErkeantnMa» daher
sei sie bei 'den. Eleaten nach gar nicht eds^ doch Mols
als Kunst, nidit ti» Wissensohnft Torgekommeiu In
sofern liÜden ihm die Ideen, nur sofern aie aait den
Definitionen ausainmenfallen p. 190» Inhalt der Dkl«
lejctik. Er leugnet swar nicht) ditfs Phito aie nudi ala
GrOhde des SeinM ttimmt» aber in aofMi ifeehsict er
seine Ideenlehre sur Physik desadben, obgleich er be-
kennt, Plato sdbst habe unter Physik etwas Andrea
Torstanden. (Sonderbar ist ea^ dab an einer «ndei«
Stelle p. 176 ein grobes Gewicht darauf gelegt wird,
dafs die Stoiker selbst eine Lehre' sur Logik gefeeli-
net hätten, während^hier bd Plato hinsiditlieh dea Orta»
den eine Lehre hi seinem System einnimmt^ t^ nicht
als AutcHrität gelten soll).
(Der Besehluft frigt.)
I 1
t
«7«
*. »
J a h r b ü c h e
wi s s e n s cii ä f 1 1 i c h e K r i t ik.
Juni .1840.
fi»
1) Lehrbuch der Geschichte der Philosophie von
Ernst' Reifkhold/ ' ^' .
%) Umrisse der Geschichte der Philosophie^ ent-
Stoffen rOf$ Dr. 'Eduard Schmidt.
, . (Schlufi.)
In Beiner Physik nun stelle Platö , indem er die
^deen aueU al^ Beales fasse, «in Idenlitätssyetem (diodt
Im Sinne ,des Verfs., sondern etwa ^obellings) auf*
Das Verdienst ' des Aristoteles, setzt dann der Terf.
darin, dals bei ihm die Philosophie wahrhaft zu einer
TVii^ensehaft nur in Begriffen und um ihrer selbst willen
^worden sei — wenn der Terf; sich^hier darauf beruft,
dafs Aristoteles die Wissenschaft um ihrer selbst wil-
len getrieben wissen will, so ist es etwas Anderes, auf
fiufsere Zwepl^ oder auf das Reale verzichten — zu-
, ^eich aber soll seine Idee i^on der Philosophie nii^ht
eine so scfiöne sein, als die des Plato, und es werden
ihm Vorwürfe gemacht über seine Vermischung von
Logik und MetapHysik, indem .er den logis^shen Satz
des Widerspruchs in der Metaphysik feststelle, (ilieriii
liegt eine Zweideutigkeit« , In dem Buche^ . das wir s^
nennen, wird freiUch dieser Satz festgestellt, etwas An^
dres ist, ob ihm Aristoteles die metaphysische Hedeu,-
tung gab> vie der Verf. zu meinen scheint.) Ueber^
iiaupt ist der Verf. gegen Aristoteles ungerecht. Die
Widersprüche^ welche er bei ihm findet, sind zum Theil
^ar nicltf von Aristoteleis ausgesprochen, wie zj»B. ,,dte
9,SonderUng des logischen Grundes, der Form, von allen
der Erkenntnifs immer als daseiendes Object genom* ^
men, sie erst nach Kriterien der Wahrheit gefragt ha^
ten, so wird man zweifelhafr, waium dann der Verf. ^
die Periode der Dialektik (in seinem Sinne) nicht mit '
ihnen erst beginnen Jäfst; denn wenn der Verf. ah dein-
selben Orte sagt, dafs was Plato und Aristoteles fttt
Objecfe hielten, eigentUcb blobe Gedanken gewesen
seien , so« war dies ja bei allen frühem. PliHosopheii .
auch d^ Fall, die ja nur durch diese m^prise Philoso»
phen waren, und, datin. malste wieder die Periode der
D.ial^kti|c weiter zürückdatirt werden» ^
Dje zweite Aauptperipde befafst - die n^tMri» Pki^
hsaphie vor Kant p« 191. Ihr Charakter aei^ dafs^
^ie Reflexion .i»i{/^ das Denken .vorherrsche, daher die^
Philosophie betrachtet werde mehr in ihrem: Vedbält-
aifs.zu u^ft als zum Object. Darum sei die Dialektik
itzt Hauptwissenschaft, und die Periode J^egihne, wo-
mit die alte Philosophie seUois, dem Zweifel. Indem
al^er doch . die Gciwifsheit der realen Wdt sich auf-
dränge, entstehe ein unvernöhnter Gegensatz oind Dua-
lismus in dem unglücklichen Versuche eines reälisti*
sehen Idealismus p. 191—210. Den oigentlieheA An*-'
fang der neuem Philosophie findet er bei Deseartes,
Scholastiker und ihre Bestreiter seien nur Vorläufff-
4erselben. Immer wird bei der Dars^llung die« Er^
Jkennlnirstheorle als die Hauptsactie betrachtet. (In delr
.Betrachtung d^s ontologiscfaen Beweises p, 1)24, rächt
sich die Vernachläfsigung der Scholastiker. Hätte der
Verf. einen derselben Zk B*.Occam genauer gelesen^ so *
^übcigen realen Gründen, — und dann wieder die, drei wäre es ihm nicht geschehn, dals er d^- Wort objetg^
,yder v^ gegenüber identisch.*' Die erste £ntge{(enr
seizung^ist nicht Aristotelisch. Eben so unrichtig ist
die Behauptung, .dafs die Platonische und Aristoteli-
ache Eibik sich wie kynische und kyrenaische vep-
halte. Wenn dann der Verf. zu den Stoikern überr
gehend, als ihren und des Epikurs Fortschritt bezeich-
net, dafs, wJihrend Plato und Aristoteles dea Grund
Uhth. /. fTMltfiifcA. KfiHik. J. 1840. I. Bd.
tiv bei Deseartes so genommen hätte, w$e es ia nearcir
Zeit genjommen . wird. Objektiv ist im Mittelalter »-^
ui^d eben so bei De$cai(te^ — was nur im Denken is<,
Snbject was Subjeet eines Sa|t3cNi /sein . kann. Kant
erst hat den Spracbgebraiu>h lyin umgekehrt). In deqi
Fortschritt durch Geulinex und JVlalebranche zum Öcea-
sionalismus sieht der Verf.» in. der oben angedeuteten
119
( _•
917 G e M e h i e h t 6 d 0
Weise Wahrheit; Malebfanehe's Lehre, dab wir Alles
in Gott sehen» sei in ihi^ir Wahrheit die logische Wahr;^
heic, dafs alles Wissen nur - durch den . allgemeinsten
Betriff mSgliah. Ai^h ^r Fortschritt xum Spinosa
TviÄl ttgegtu die feforJtttsbUche ' Auffassung" in^.ähali-
cher .Weise gerechtfei;tigt Sein Pantheismus nämlich
sei nur das UnwesehtUche seiner Lehre, ihr Grundge-
danke sei ,,auf das Ich Alles zu begründen, so'dann aber
nachKUweiseiif, wie eine Harmonie zwischen Ich und
Aiifimiwelt (Deakeii und Ausdehnung) mdglich.*' Um
Misses durehsaführea« mufs der Verf. sieh naturlich we-
Juiger an >die Ethik als an de emend. inc halten , alter*
•o sehr er auohi bei ollen Hälzen es betont, dars die
Modifieatbnen darefa die Substanz, sie abei^ durch sich
g4iilmeAt werde, und daraus schliefst, jenes VerbiUtnils
«ei Atrclymu logisch (p. 236); so sehr er sich bessaht
ztt rergiessen, (was ihm p. 237 zn gelingen scheint),
dab immar $uigJeieA vom Sein durch' sich und durch
Anderes die Rede ist, so ist er doch aufrichtig genug,
zu bekennen, dafs die Identität das Seins und Devr
kens dem Spinoza ünsweifolhaft gewesen, woraus frei-
Höh folgt, dals bei ihm von einea^ durcAaus (d. h. ^nur)
hgüekem Verfaäitni£9 Oberhaupt nicht die Rede sein
kann. Mit dem Hervorheben der ErkenntnifstheorLe
hAngt dantt zasanmien, da(s deiT Verf. des Locke Em»
ptrismus gering anschlägt gegen die Verdienste Her*^
berts V« Oierbüry am die Lehre von den angeboroea
Ideen. In Ltibmtx sieht der Verf. den Blttthepunkt
.^ser Perlode» Dennoch wird dem^ Schematismus zur
Liebe dem System desselben GSewalt angethaa. Zuerwt
wird ohne Weiteres die Monas mit dem Ich identificirt
und dabei der wichtige Unte«schied zwischen perc4ytlo
jnnd apperceptio vergessen, . femer (so richtig es ist,
dafs Leibidtz (ttr die Vielheit de^ Monaden keinen dl«,
recten Beweis gibt) vergessen, dafs diese Vielheit aus
dem BegriflRl des fiirsichseieaden Eines mit logisdier
Kothwendigkeit folgt, endlich wird, was ans dem Er*
aten frmlich folgen mufste, die prästabiltrte Harmonie
nur zu einer Vermittelun|; des Ichs und der Aufsen«
Welt. ^-- Den Uebergang sur neusten Philosophie i^acht
der Verf. duroh Berkeley und Hume. In einem An%
hang, die Ethik dieser Zeit betreffend, finden wir die
bef^mdende Behauptung, diese sei nur in Gel^talt der
Pflichtenlehre aufgetreteii, wfihrend bei den' englischen
Motalisten dieser Begriff gerade zurücktritt gegen den
Tugeadbegriff^ Die -dritte Hauptperiode, die neM^^^dRiil*
r Philo$ 0 p hie. _ »48
löschte eeü Kani (p. 266) werde zur Uentttatsphi^
losophie, d. h. reinem Idealismus, ipidem sie darauf ver*
zicbte Reales %n erkennen. Ihr ist. die ErkennCniCs
van einer zweifachen Wahrheit eigenthOnalich, die der
frühern abging. Nur die Ane gibt die Speeulalion,. die
andre die Erfahrung« Natürlich wird auf Kant dsM
gröfste Gewicht gelegt, und nur die Spuren des Haa*
lismus an ihm getadelt. Jacobi^ dessen Bedeutung sem
soll, gerade die reale Wahrheit zu verlangen, sei Phi-
losoph ifur dulrch die sk^tische Ueberseugung^ dala die
Speculation nicht reale Erkenntnifs, die Br£ali|iuig
nicht Philosophie sei. In liichie^. zu dem der Varf.
durcli Reinhold übergeht, erkennt er die hochrte Voll-
ständigkeit und; Ganzheit des Idealismus, in ilim hört
der Dualismus auf und wir haben Identitätssy^teoi. £s
scheint aber, als wftre der Verf. in Verlegenheit^ wie
er den weitern Portschriu nach der „höchsten Gam^.
heit" erklären soll, und so geräth er, wo er die Hflo»
gel der Fichteschen Lehre hervorhebeti aoU,' in- ein ge>
wisses Schwanken. Einmal wird demselben vorgewor-
fen, dafs^ da auch dai empirische Vorstellen vom
ich geWat sei, er auch dem. sinnlichen Erkennen die
Objecto attPsel^ ihm abspreche (darnach abo witre Fkht»
%n idealistisch), dann wieder wird p«-305 getadelt^ .dafs
sich ein Realismus bei ihm geltend mache, der na ei-
nem Widerspruche von Wahrheit des Lebenr nnd der
Philesophie führe, und es i%ir<l eine ewpiriiehe Rich-
tung genannt, dafs das Ich auch das sinnliche ' VocsteU
len setze« ^-^ Dieses $elbe Schwanken zeigt sieh andi^
wenn der Verf. zu SchelHng übergeht. Als Idealrea-
lismus wird das System desselben als ein Rüeksduritt
g<^en Fichte^ zn Spinoza^ hin bezeichnet, dann ab«
^ird es ein Fortschritt genannt, dab hier das Ich zum
itdchsien logischen Begriff erweitert ,^ei; die 'Krone
endlich der bisherigen Entmcklung sieht der Verf. in
Hegel. Dem Inhalte nach sei seine Philosophie fast
ganz dft Schellingschef sein Verdienst bestehe in der
Form, — freilich wird wieder an andern Orten die
Methode Hegels „ganz wilikahrlich'' genannt. Wenn
dann auch wieder gesagt wird, wegen de» eingescUidiai»
nen Realismus %et seine Lehre ein Rück^hritt gegen
Fichte, SP genügt die Angabe, „das Verdienst Hegels
hestehe darin, dafs er den abstractesten Begriff des Seins
obenan gestellt hfittc**, doch auch nicht um zn erkemien,
warum . der Verf.' ihn Aber Fichte stellt, um so teehr,.
da Jenes obenan bei Hegel doch eigentlich ein
»19
Mwimdk^^ Ltkriuek ierC/tograpkte,
9M
Lernende luick der ihtieil dargiebetenen Sdirift. Bleei»
GeBttgdiuiinf ist aber auok die geriiigste, welebe Man*
liem gebohrt» die, , angetrieben Toh deäl edleh Beitre-^
ben die erworbene tiefere Eiosii^bt der BegrOiidaiig
4^r Elemente der Wissensobaft ih Schulen sn weihen,
ans d«r Itöhem Sphäre der Erkenntnisse und Wahr-
heiten herabsteigen zu dem pädagogisthen BedorfnUe;
aolebe Mimner erkennen getwifs, wie fBr das nacb-
waehseiide Geschlecht, im Unterrichte nnd in der Er-
Biehiing, iouBw nur die besten Hülfsmittel iind Aidei-
tnngen, die wir ra geben TenHögeP^ veiwimdet wer-
den müssen*
Mit der Stfirke des Yei^tranelis des lehrenden und
lernenden Publikuma su Liehrbiichem dieser Katego-
rie stellt oft aber auch ihr Einflitfs auf Behandliing
und Begründung, der Systematik und ^es Formellen
der SchjuMiscipIin und sogar auf die Wissensehaft
selbst, wenn de noch in der EntwScklungsp^riode, iä
geradem Yerhältnifs; woraus wiederum iiUr die KiritSc
die Pflicht einer yorsugsweise poiidven Beriehterstat»
tung über solche Arbeiten entspringt. In diesem Falle
befindet sie sieh der oben atigfseigtofi' Schrift gegen-
äfaer ; denn des Herrn Yerfiissers früheres Werk^ über
das Festland von Australien^ nimmt belmnntlieh eine
höhere Stelle im Gebiete der neaern g^graphlsch^n
Literatur, ein^ welche ^er Schule dee Herrn Profcibisor
Ci Bittet schon manches Schätzbare Tordänkt \ jedo^
steht es als eine monographisdie Darlegung der geo-
■ graphisehen Verbältnisse eined bestimmten Erdrauma
r^VTV ' ' tu dem rorliegenden Lehrbuche» welches die gdnse
LAi'^IV^ Erde zum Object seiner Aufgabe hat, nicht in ganz
Lehrbuch der Oe^raphie für die obern KIm- ^ther Bej;iehuog, wie denn aueh beide Arbeiten nacii
sen höKerer Lehr - AmUüten tom Cf* E. Meir ihrem Einflüsse auf euien Fdrtsehritt in der If^ssen-
nibkej Dr. und Prof essor afn^OymnaßHsm am ^«ehaft sieh sehr Ton einander unterscheiden.
ist. Nar einen Sehritt ^eilergehn müsse die Philoso-
phie^ so scUieist der Verf. sein Werk, nämlich nodi
weiter Voir Religion und Erfahrung sich entfernen, ein
idisolttter Idealismus werden, der ftür eiri" Kunstwerk
des Gedankens sein will« So wetiig der qpeculative
dedwike uns Essen und Trinken, so wenig könne er
Glauben und * Gerechtigkeit uns geben. Der sch5ne
Mmid zwischen Religion und Wissensobaft, auf den
der 'Verf. sum Sehluis hinweist, begeht ihm nur, in ei-
ner TUligen Scheidung beider Gebiete.
Indem der Ref. diese Anzeige schliefst, sei ihm
mur noch die Bemerknng erlaubt, dafs es mit das In*
ferasse an der Person des Verff • ist, die ihn beweg,
den Widersprüchen naeheugehn, in welehe ein Stand-
punkt führen mufs, der eigentlich in einem fortwähren-
den'Siehselber Jroniiiren besteht. Eine Speeulation,
wetehe eine Realität aufser dem Gedanken annimmt
und dann auf sie Torzichtet, und deimooh weiter spe^
eniirt, isl* in eben so einer Selbsttäuschung begriffen,
wie die, welche erkennt, Religion und Philosophie
seien TöUig geschieden, und daniji nicht den Muth hat,
die eine oder die andere zu verwerfen. In vielen Er-
aehtinungen unsrer Tago, die von manchem Religiösen
porhorrescirt werden mdgen, der in unserm Verf. einen
Geistesverwandten begrüCit, mfissen wir nicht nur |rö-
faoren Muth, sondern auch grofsere Aufrichtigkeit ge-'
gm eich selbst anerlcennen und achten.
> Dn Erdmann«
Prentlcm* In Kalbersberg's Buchhandlung
da$elbit 1839. 668 S. 8.
* tiehrbOeher, dem Uaterriehte der Jugend v^n Schrift-
nteUem gewidmet, die durch ihre früheren Leistungen
ifli Fache berells Anerkennung gefunden haben, pfle-
gen eine wunschenswerthe Erweiterung der betreffen-
den Literatur zu sein ; allen Zweifeln über Befähigung
und Neigung des Autors zu der Arbeit, welcher er
sieh unterzogen, Ist durch seinen Namen von vorn-
herein begegnet $ mit unbeschränktem Vertrauen und
Jbesonderm Verlangen trachten namenilich Lehrer und
Das Lehrbuch einer Wissenschaft, gleickml ob
für Schalen oder Privatbelehrung, ob fitr niedere ^der
häh^e Stufen g^Uger Entwicklung bestimmt, nnir«,
als Lehrgebiude neth wendigerweise, das syslematisehe
GefÜgOi nicht nui des Gänsen, sondern tiuoh der ein*^
telnen Theik; woraus der Bau entstiindett, erkoinen
lassen, sobald dabei mit gfändlleher Kenntnifs des Ma«
^rials und demjenigen Takt verfahren wivdle, welcher
aus dem klaren Bewurstsdn und Festhalten der einen
Vnd vereinigenden Idee, die der Wissenschaft sum
Grunde Jiegt, hervorgeht; diese Eigenschaft ist A\p
charakteristische und /eonstante für jedes Lehrbuch 5
951
Mei^icke^ Jjeiriueh der Oeograp^ik.
9S2
abhängig aber yon «einer' Bestimmung ui|d der Ein-
sicht des Tutors ist die Auswahl des darzubietenden
Stoffs. Für die wissenschaftliche Erdkunde, wie sie
ihr Begründer Carl Ritter vorgezeichnet hat, ist der
Entwurf eines Lehrbuches mit den grdfsten SchwM-
rigkeiteh verlupden und bisjetzt auch noch nirgends
gelungen f denn die Wahrheilen, welche den Einfluls
ansreidiend, somiirste durch Verelnrguiig Mehrerer
die LSsung der so schwierigen 'Aufgabe im RittersdieB
Sinne versucht werden; freilieh scheint es ab'er, als
sei dieser ^ Gelehrte, ungeachtet 'der häufigen Bemfimg
auf ihn, nicjit überall und auch nicbt von allen denje-
nigen'Geographen, in^ Absicht seiner Leistungen, Be-
strebungen, Ansichten und Wünschen ' verstanden, zu
der räumlichen Verhältnisse .des Planeteli und seiner ^ denen sogar sein lebeiidiget Wort gedrungen ist. Diese
einzelnen Theile auf die geistige Entwicklung desMen-
sdbengesehlechtsj und somit auf die Geschichte« zu be-
-«tätigen vermögen, müssen wir uns wohl hüten y nur
in denjenigen Zweigen der Erdkunde zu verfolgen
und zu suchen, welchen C. Ritter bereits vor 20 Jahren
in seiner Erdkunde mit so überaus glücklichem Er-
folge seine Aufmerksamkeijt zugewendet und aus ihnen
die verborgen gewesene Fülle von wissenschaftHchem '
Inhalt zu Tage gefordert hat ^ aber er selbst sprach
'.schon damals in der dassischen Einleitung , zu seinem
Werke deutlich aus, dafs solchen Wahrheiten nibht
•minder in allen übrigen Richtungen nachgeforscht wer-
den müsse.
Jedoch nuz vern^pge eines tiefen Eindringens in
alle Hälfswissenschaften, in Astronomie, Chemie, Phy-
sik, Ged^ogie und ' Geognosie, in die Wissenschltften
der drei Reiche deir Natur j in Ethnographie, Statistik
ui^d Politik und dann, vermittelst Begreifens und con-
sefuenten Festhaltens der Idee "der Erdkunde, wozu
eui philosophisch -gebildeter^ Geist und genaue B^ennt-
' niis der Geschichte befähigen, kann es gelingen, em
Lehrbuch - der Erdkunde, höiiern AnCorderungen ent-
sprechend, aufzustellen.^
Ist diese Aufgabe theils wegen der Schwierigkeit
m allen ,den genannten HQlfswissenscliaften, worin den
Gesetzen der räumlichen Yerhältnisse der Erde und
'Uir^r Theile nachgefOTscht werden muTs, gleichmäfsig
gründlich bewandert zu sein, theüs wegen des nie un-
terbrochenen Fortschreitens aller Wissenschaften, theib
wegen des .aufserordentlich umfangreichen und täglich
noch mehr : anschwellenden geographischen Materials,
so wie 'Wegen der wechselseitigen Beziehungen, in wel-
^ eher die Raumverfaültnisse bedingetid zu einander ste-
hen, über das Maafs geistiger Kraft des Einzelnen hin-
Meinung .wird bestätig) durch die Unahnlichkeit der
Lehrbücher untereinander, nach Inhalt und Form, wd^
che von verschiedenen seiner Schüler für den Unter-
richt verfafst worden sind; ferner macht diese Yermik
thung erklärlich, warum die dringend nothwendigea
Versuche einer gründlichen Vorbereitung oder Reform
in Jenjeoigrai Theilen der Erdkunde, die mit den ge-
nannten Hülfswissenscfaaften näher verbunden sind, und
zum Theil naciii ihnen benannt werden, von einem wis»
senscbaftlichen Standpunkte aus noch so höchst aeltea
sind; dies Mifs verstehen spricht sich auch aus. durch
den Widerstand, den die Einführung der vortrefflioiieB
o ^
Lehrmethode Swen Agrens für den ersten geographi-
schen Unterricht findet (wir meinen nibht die verbale
Anwendung des Inhalts seines Lehrbuchs) und beson*
ders bezeugt dies das Schicksal der politischen Geo-
graphie, der leben^frischen Blüthe, aber zugleich des
schwierigsten Theiles der Erdkunde, in neueren Lehr-
buchern und im Lectionsplane mancher Schule, wo
sie hier, durch die beliebte Vereinigung der Geogra-
phie mit der Geschichte unterdrückt und dort oft vot
lijg übergangen, oder in alt ])|erkommlicher Weise lexi-
calisch behandelt wird; und doch hat es grade diese
mit den, durch die räumliche Verbreitung der Formel
und Gaben der Natur, durch solche Verbreituiig der
mannigfaltig ausgeprfigten Velkerfamilicfi, ihrer so widn
tigen Berührungslinien, Einrichtungen, Anlagen, Cooh
munications- Mittel, durch die räumliche Vertheilung
ihrer Wohnplätze und Individuen u.' s« w. bedingten,
sodalen Verhältnissen des lebenden Menschengeschledits
zu thun, deren Verständnifs unstreitig von hochsCsr
Wichtigkeit ist, und ebenso unzweifelhaft duirdi die
Erdkunde bewirkt vrerden mufs.
(Der Beschlufs folgt)
* -•
af 120.
( I
J a h r b fi e h e r
für
wissenschaftliche
K r i t ik.
Juni 1840.
Lehrbuch der Geographie für die obetm Klat-
sen höherer Lehr^Amtälten von C. JE. Mei^,
nie^e.
(Schhifii.)
Wie anders, als durch ein Mirsrerstehen der y^Rit-
tertcben Ansiebten**, will man diese, im engem Bereich
•einer Wiricsamkeit wahrzunehmenden Ersdieinungen
erklären, wenn man erwMgt, dab nicht nur sdne. Erd-
kunde, mit der so wichtigen, oben erwäbnten Einlei-
tung schon seit 20 Jahren in den USnden des Publlr
kums ist, sondern, dab dieser Gelehrte seit einer An-
salÜTon Jahren auch durch akademische Yorträge und
mehrere Ahhandinngen, gelesen in der hiesigen Akade-
mie der Wissenschaften (unter denen die Ober das hi-
storische Element in der geographischen Wissenschaft
für politische Geographie ' besonders wichtig ist), durch,
ergänzende Bemerkungen in den Vorworten su den
neuesten Bänden seiner Erdlcunde, durchs öffentlich aus-
gesprochene Gutachten u. s. w. unausgesetzt bemuht
war, die Wissenschaft su beeeichnen, und einen baldig
gen und glQcklichen Ausgang ihres Gestaltungsprooes.
aes EU bewirken. Schon vor 23 Jahren sagt er unter
Anderm am surrst citirten Orte S, 6:
„Aber nicht nur das allgemeine Gesetz einer, son-
dern aller wesentlichen Formen, unter denen die Na-
tur im GroTsten auf der Oberfläche des Erdballs, wie
Im Kleinsten jeder einseinen Stelle derselben er-
scheint, sollte Gegenstand der Untersuchung auf die-
sem Wege sein : denn nur aus dem Verein der aU-
gemeinen Gesetse aller Grund- und Hauptiypen der
unbelebten, wie der belebten Erdoberfläche kann die
Harmonie der ganzen, vollen Welt der Erscheinun-
gen siufgefafsl werden."
Es schien uns aus GrQndeu, welche auf sahlreichen Er-
fahrungen Aber das Resultat des heutigen geographi-
schen Schulunterrichts beruhen, nicht unpassend, diese
Uhrk. /. wiutnuk. Kriäk. J. 184a L M
wenigen, allgemeinen Bemerkungen, unserem kurzen
Bericht über das vorliegende Lehrbuch vorauszusen«
den. Dasselbe bestätigt zwar durch ein deutlich aus«
gesprochenes Streben naclk neuer und eigentbam)idier
Auffassung und Behandlung der Wissenschaft, und
durch Aufnahme einiger Lehrsätze der Geologie un4
Geognosie, welche indeb dem heutigen Zustande die^
scfr Wissenschaften nicht immer entsprechend und auch
nicht hinreichend für die folgenden Abschnitte verwen-
det sind, durch Einschaltung eines Abrisses der Ge-
schichte der Brdkunde , in welchem, sehr angemessen
auch auf die groben Verdienste v. Humboldt's und v«
Buch's um die Erdkunde aufmerksam gemacht wird^
dab er auch seinerseits nicht mit dem bisherigen Zu-
schnitt der Geographie in Lehrbüchern einverstanden
sein kann; gleichwohl vermögen, vrir keinesweges in
ihm eine befriedigende Abhülfe der wahren Bedürfnisse
des geographischen Compendiums und Schulbuchs zu er^ «
kennen, müssen vielmehr befurchten, dab durch dasseljbe
clie Zahl der Mifsverständnisse in geographischen Din-
geh noch vermehrt werde. Die ungünstige Meinung
des Hm. Yerfs« von der politischen* Geographie: sif
wird in der Vorrede sogar ein unglücklicher Ballas^
womit man noch immer zu viel Zeit^beun Unterricht
verschwende, genannt, kann hierzu wesentlich beitra»
gen, wiewohl der Inhalt mehrerer Anmerkungen zu den
§§ des. 2. u. 3. JBuches seinem Schrift nicht allein zur
politischen Geographie gehört, sondern auch vortreffli^
che Winke -zu einer neuen, wissenschaftlichen Bear-,
beitung diesez Theib der Erdkunde giebt, und somit
darsuthun scheint, dab det Hr. Yerf. nur mit dem.
Hiebt einverstanden seihi kann, was bisher ab politische
Geographie in Schulbuohem dargeboten wird^ und wel-
ches sich mebt auf einige, ohne weitere Vorbereitung^
unzusammenhängend hingestellte Lehren und Daten be-
, schränkt, die, .nur nach 'den ÜVeltgegenden^ geordnet
zunächst auf die westlich europäbchen Staaten^
120
.95$ MHnieke^
dann auf die mitilereQ und sofort bezieJieD,, anstatt von
, ''den nahe li^enden politisch- geographischen YejrhSlt-
nissen des Vaterlandes auszugehen. —
. ^Das Lehrbuch desHm. Yerfs. bestellt aus drelBa-
•bem. . A) Allgemeine Geographie^ B) die cnntinentale
Erdhälftc^, C) die oceanische Erdhälfte. Die 9 Abschnitte
des ersten Suches heiCsen: I) die Erde als Weltkörper.
Ihre Stellung im Sonnekisystem, 2) über die Ausbildung
, der Erdoberfläche, 3) die Bildung des Landes, 4) die
Bildung der Oceane, 5) das Verhältnifs des Landes zu
den Oceanen, 0) das Verhältnifs der Erdoberfläche sur
Atmosphäre, Klimatologie, 7) die Verbreitung der
Pflanzen und Thiere auf dem Erdboden, 8) das Ver-
hältnib des Menschen zur Erdoberfläche, 9) die Ge-
schichte der Geographie. Die 8 Abschnitte des 2. Bu-
ches sind; 1) Afrika, 2) Asten, 3) Europa, Sad-Europä,
4) Mittel - Europa , 5) die isolirten Bergländer Nord-
Europas, 6) Ost -Europa, 7) Amerika, 8) der Nordpolar-
Oeean. Das 3. Buch zerfallt in die 6 Abschnitte: 1) der
Contihent Australien,^) die ostasiatischen Inselgruppen,
3) der grofse Oeean, 4) der atlantische Ocean, 5) der
, indisehe Ocean, €) der Sudpolarocean.
Hätte der Hr. Verf. die beiden letzten, den bei wei-
tem grSfsten Theil (c. 560 Seiten) der Schrift einneh-
. menden Bücher, die reich an interessanten und lehrrei-
eben Bemerkungen sind, ohne das erste, der'BegrfiQ-
dung der Wis$eiis6haft gewidmete Buch, aber auch ohne
das Bestreben sie unsern Schuleinrichtungen anzupas«
Sen, (denn nicht diese, sondern nur das logische Gesetz
der Wissenschaft mufs bei warhaft scientiyischen Lei«^
Stangen als norm- und maafsgebend angesehen und ron
ihm auch eine Rückwirkung, auf die Schuleinrichtun*
gen erwartiet werden), dem denkenden geographischen
, Publikum übdrg^ben, so würden sie als ein schätzbarer
Beitrag zur allgemeinen geographischen, oder wenn
man den gröfsern Werth auf die Anmerkungen' legt,*
cur philosophtsch-histöriscben Literatur, von allen Sei*
len anerkannt werden. Das Eigenthümliche und Cha-
rakteristische dieser beiden Bücher bestellt nämlich in
einer beträchtlichen Anzahl Von Anmerkungen, welche
theils der Philosophie der Geschichte, theils der G6>
schichte selbst und auch, wie schon oben erwähnt, der
/]politischen Geographie angefa^en, und im Zusammen-
hange stehen mit dem Inhalte ihrer einzelnen Paragra-
phen, welche bestimmte Erdräume beschreiben. Das
erste Buch aber, das Fundament des Ganzen, bt nicht
\ deK Geographie. ^ -956
frei ton Mängeln ulid erheblichen Irrthümem, noch "we^
niger aber den Anforderungen der Systematik, für wel*
che die mathematische Geographie ein sich Wknlchst
darbietender, «ehr geeigneter Prüfstein ist, entsprecheal»
So • in §• 8., wo die Differenz zwischen Sonnennähe ygaf^
Sonnenferne, aber weder hier noch irgend andersw«|^
4Dine dieser beiden Distanzen in Meilen ausgedrückt wiidi
so in §. 10. Zeile 6, so in §. 13. Z. 4 u. f. 14. %. 5
u. .6. von unten \ so ist von der Richtung' der Rotatioii^
Bewegung der Erde nichts, vom Monde in der »adub^
matischen Geographie nur .angegeben» d«(s er eia Trs»
bant der Erde sei ; so bei §. 23. und der dazu gehöri-
gen Anmerkung ; so bei §. 34. .u« 35.^ bei der Defintr
tion der Geognosie und der Hauptaufgabe der Geogra-
phie, so bei §. 42., in Beziehung auf die '^BegrÜTe Toa
Zone und Region, so bei §• 68., die erste Zeüe der
Anmerkung ; bei §. 106. wo die wichtige mittlere Tem-
peratur der Jahreszeiten übergangen ist; bei $.139.,
wo die Menschen -Ra^en, ab€|r nicht die Terschiedeaen
y ölkerstämme namhaft gemacht werden, obgleich ale ia
Inhalte der folgenden Bücher Erwähnung finden n. s. w;
Neben solchen Irrthümem und dem Mangel einer filyife-
üiatik, finden sich aber auch sehr- ansprechende Ba-
trachtungen, selbst in diesem 1. Buche vor; so aas
Schlufs des §. 8. und im 9. Abschnitt, und so in alba
f §. des 5. Abschnitts ; wie denn auch das Bestrebens
die Gesetzmäfsigkeit der Erscheinungen kennen su leh-
ren, hier nicht unerwfthnt bleiben darf. Wir könnfli
daher dem, zu einer gewissen Selbstständigkeit in der
Wissenschaft herangebildeten Leser^ welcher erfahren
hat, dafs yolie Gentige nicht in einem einzelnen LcAt^
buche zu finden ist, das vorliegende Buch mit derTJebei^
Zeugung eines zum Nachdenken anregenden Einflusses
empfehlen. Nur m5ge auf Schulen nicht versucht wer*
den, die Belehrung im positiven geographischen Wis-
sen durch unzeitige Yermischung der G^cfaichte uad -
Erdkunde- und Philosophie, durch Erörterung apokf]^
phischer' Behauptungen zu unterdrücken und zu heoK *
inen, denn der Leser der oben erwähnten, in gewiss«
Beziehung, z. B. /ür akademische Yohrfige sehr schlli-
baren Anmerkungen des 2. u. 3. Buches, wird mit nas
die Befürchtung theilen, dafs von Gjinnasial- Lehremi'
bei ihrer, auf vielerlei Gegenstände des Schulunterrfefcta
zu richtenden OeistesthStigkeit,^ die Auseinanderselsui^ •
und Erörterung jener Anmerkungen im. gfinstigsIcB
Falle^ sich auf interessante Conjecturen von einem theBs
I
■*^-«
' t.
byp^othetisehen Stasdpvnete a«r, be«
ussen. Referent wenigstens wfirde sich in
befinden^ sollte er über den Inhalt aller
drter und Anmericungen, mit Hoffnung auf
reeller geographiseher Kenntnisse in Gym-
n sieh umständlich Terbreiteni diese ~Ver*
nte durch die Erinnerung an die archon
der genannten Abhandlung über das- hi*
(Dnty ausgesprochene Wahrheit; da£s, der
inflttik maneher NaturverhUltnisse auf die
elben Grade schwächer wird und,weni-
l^errortritt, in welchen^ der Culturzustand-
igt, im vorliegenden Falle nur erhöht wer*
K^irdman diese Einwirkung immer als höchst
rächten müssen.
V. Bennigsen-FSrder.
L-^
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fi f
> ->i
»:.; m
s
-vtV
' LXXV.
GoetAet.: *Viin J. St. Zat^per. Er*
en auek unter dem' Titel: Orundxiige
tichev^ theoretisch :praiti§chen Poetik
*s fVerJken entwickelt* Neue durchge-
vermehrte Außage. Zweitee Band'
unter dem Titel: Aphorismen morali*
\ äithetie^en Inhalte meist in^ Bezug
\e* Aus einem Tagebuche. Nebst Brie»
f^e an den Verfasser, ßf'ieny IS40. iei
Crostie hat der Verf. sein Werk genannt; wir
Sinn und Charakter desselben richtiger zu be^
wir es Stttdieif mu Goethe nennen. Wie . wir
^JlrQber braaehen wir eiafaeh nur auf die lieber-
en Bfiadchens zu yerwei^eni welche es deutlich
der Verf. den Mtbeoretisch -praktischen^ Inhalt
s nnr dem ▼•• ihm gefeierten Meister TeManken,
tTerken und aus dem Geiste dieses Meisters als
ntlifßhen und nächsten 4|ttelle geschöpft haben will,
g auf den ästhetischen, nicht anders verhalt
u^ auf den »^moralischen^ Theil seiner • Arbeit
ist ihm in sittlicher. wie in poetischer, Hinsicht
ideales Lebenselement, Goethe^s Werke das.Or-
es ihm allein xu der Welt und den Menschea
Grofsen sieh in ein sittliches und inteilectnelles
m .fSu 'setzen gelnnsen ist. Kurz der Verfasser stellt
r jm -tpllen Sinne des W^ortes als ein Jünger Goethe^s
^f*^9Ky^^ ein Jünger der edelüten Art, nämlich als ein
^(^iäidr gerade durch die unbedingte, rückhaltlose Hin*
958
*7^,
gpU>e an den Meiater zur achten Geistes^^eiheit, zur chafaktcr»
Tollen Selbststlindigkeit seines Denkens and Thuns gediehen ilt. . .
„Das Anziehendste in Goethe's Schriften ist mir tob je das
Sittliche gewesen» und weil ich es, nur suchte, hab^.ich es anch
gefunden, selbst in .;JIVerken und Stellen, die Andere für. unsi^t*
lieh Tcrschrieen haäsn. Ich klopfte an, und es ward mir aufge-
thuD. Goethe lät^das selbst an meinen Worten empfunden|
und gebilliget nicht %ur, sonder^ ich glaube selbst, es war dasi
was ihn anzog. Deswegen kann ich auch nicht an seiner rei-
nen .Tugend zweifelÄ, ich mtifste an mir selbst eine sündhafte
Untreue begehen, "wenn kb zweifeln könnte." Diese Worte j^n-
sers Verfassers ciind uns unentbehrlich, um^ den BegriJBf desjeni-
gen Verhältnisses, was wir hier iiingersChwfi^fenaniit -haben, iif
iein rechtes Licht zu stellen. Es ist nämlich difcscsjVejhält-
nifs ein wesentlich sittliches; durchaus analog Jeuer Gesinnung
der 2V«tte, welche Croethe im Wilhelm Meister als das „Bestre- .
ben «iner edlen SjBele'' schildert,^„eiBem ^röisern gleich zn wer?
den.^ Solche Ge9innu|ig ist es ^ 'welche den Junger Ton dem
Schlier unterscheidet, tou welchem ^tlr Dankbarkeit, aber nicht
Treue gefordert werden kann. Der Schäler ist bestimmt, nach
Vollendung seiner .Lichrjahre sich Ton dem Meister tu, emanci«
piren, und dann- ihm: gidch, oder, dafern es muglich ist, ein
GrS^iierer zu werden ; der Jünger . aber, dessen Band ein unauf* '
löbliches, dessen Unterordnung unter den Meister eine onwider-
. rnfliche ist, soll, wie dort Goethe Ton dem tseuen Diener sagt^
,,dttrch fortdauernde AnbäDglichkeit und L4ebe seinem ^Meister
gleich werden."^ Solche Gleichheit scheint ein Widerspruch^
und sie wäre es, wenn es sich hier, wie bei der BcfaulerBchaft
* im eigentlichen Siune, nar Ton einem theoretischen Geben und >
Empfangen bandelte ; denn dort freilich bleibt es immer wahr»
dafii der Geber gröüser Äst, als der Empfänger. Die eigenthäm* '
liehe Natur des Sittlichen i^^r bringt es mit sich, dafii auf die»
Sern <Sebiet auch die Unterordnung' zur Gleichheit, die Ab|iäa«
gigkelt zur wahren Freiheit werden^-kaan.
Dals Goethe, Er, in welchem so Viele nichts, als das Ta-
,lent des Dtchters anerkennungswerth finden woHen, in diesem
eben so seltenen als grofsen Sinne eine Jüngerschaft um^sich «
Versammelt hat,, ist ein Factum, welches seine Widersacher Ter*
gebens zu läugnen sich bestreben würden. DerVer( des gegen-t
wärtigen Büchleins ist mit nichten das einzige Beispiel eines
Menschen Ton der edelsten sittlichen .^nlage,' der sich an Goethe
herangebildet, Ton seinem Geiste genährt, und In ihm ganz ei«
geatUch und ToUstandig^ dei^ sittlichea Halt- 'vnd Mittdpunet sei*
nes tiobens gewonnen hat Doch iet er eines d^r eisle«eh^n4-
sten und unzweideutigsten dieser Beispiele, und wir tragen ktbk
Bedenken, AUe, die über den Werth Ton Goethe's Charakter .
noch nicht im Reinen sind, zum auftnerksamen Studium sein^
Buches einzuladen, und sich niit Gewissenhaftigkeit die Frage
verznlegen, ob anch nur die Möglichkeit eini^r solchen Er.
scheinung denkbar Ist, ebne die Vorauslietznng einer, der sittli-
chen Würde, in welcher .hier die Vergleiehung und Bewunde-
rung Goethe^s auftritt,, entsprecheuden Würde ihres Gegenstan- _
des. Dafs dieser Gegenstimd nicht blosy oder nicht überall US-
mittelbar, der Mensch nach' seinen sittlichen Eigenschaften, son-
■^*
• * 1 n
f^
959 , ~ Zauper, Studien Über Geeihe.
4i#ii dafs es sttDÜehst allcrfliogs der Dichter bt, diei kflUB d^ni «ind eben nar prSgoante BemerkvDgeii in apliorw
Charakter dieaer Verehmag, uad der Bedentaag, welche wir für ^Ll^'wSh.vL^^^^^ uad »eraliachea Ap
^ .. w , »* • «weiten BaDdcheDS, weiche, jenen des ersten geffenu]
aie m Ansprochrsn vehmeir nnf berechtigt wissen, keinen Ein- «nVerkennbar die Sparen des freieren spd amnusK
trag tfann. Delin IKchten und Sein oder Händeln sind bei einem punctes tragen, den der Verf. in der Zwischenzeit
Dichter, wie Goeth.. .feht .wei getrennt. Dinge, -onder. eipe. - -JäSri'^XrL^^^^^^ :fuf:rr'5S:^
und dasselbe ; seine Dichtung selbst trSgt, wie adeh unser Tf. > tigt jids in der Ansicht, dafs den Verf. sein Weg Tf^^^-'
in den Vorhin angefahrten Worten andeutet, im höchsten Sinne Ü»«*»«? Relle^^ion aus und durch sie hindurch aar,
^ riL _< * j o«*^-^i •* j»x« *xja D ßhrt hat.' nur zum kleinern Theil betreffen diea<
den Charakter -ider Sittucfakeity und ist Gegenstand der Bewnn-
"dei^ng seines Yerebrers eben ronugsweise, wiefern sie diesen
Chiirakter trfigt
Die „Poetik", welche das erste der beiden Torliegenden Bänd-
chen füllt, nnd, als Nachtrag dazu, die „Studien^, welche dort
mit jener «u einem {Ganzen Tcreinigt sind, waren bereits im
Jahre 18'21 nnd dem nachfolgenden als zwfi besondere Hefte
erschjenen nnd hatten dem Verf. ^ des Dichters persdaliche Be-
kanntschftft und seitdem ununterbrochene fortgesetzte Theihiah*
me gewonnen, welche Goethe auch in Tcrschiedenen, hier und
da/ zerstreuten Aenfserungen ^en^ich bethStigt hat. Diesen
Aenfserungen schreibt der Verf. in seinem Vorworte die wieder-^
V holte Nachfrage zu, die auch, nachdem jene beiden Hefte be-
rats aus dem Buchhandel ' Terscbwnnden waren, noch fortdau-
erte, und ihn sEur Veröffentlichung des GegejiwSrtigen veranlafst
hat Wir freuen uns dieser Veröffentlichung um so mehr, als
wir das neu Hinzugekommene in der l^hat bedeutender noch
finden , ' als das fdiher Vo^andene , obgleich , uns auch dieses
Letztere achon interessant nnd Terdienstlich erscheint. Die Poe*
tik selbst besteht nur in einer kurzen Charakteristik der Ter*
schiedenen Dichtungsarten, ohne Anspruch auf wissenschaftliche,
philosophische Theorie, mit stetem Hinblick auf Goethe^s Lei-
' stungen ]ind BeifQgung Ton Belegen, die aus den Welken dieses
Dichters en^ommen sind. Von Goethe selbst wird in den „Apho-
rismen" des zweiten Bilnd<;hens berichtet, dafs er dem Verf. von
einer Vermehrung und Verbesserung jenes Weikchens abgere^
then hat; so, wie es vorliegt, mochte es ihm "als etwas Ur«
sprüngliches, erfreulich Anregendes erschienen sein, welohes durch
irgend welche Absichtlichkeit der Ueberarbeitung diesen Charak-
ter* nur wurde haben yedieren können, ohne die umfassendere
jfheoreiische Bedeutung zu gewinnen, welche ihm tu geben nicht
In des Verfs. Berufe lag. Eben so wenig,- wie dort eine eigent-
liche^ ttsthetis'che Theorie, darf man in 4en der Poetik -angehäng-
ten Studien, welche aufser einigen aphoristisClien Bemerknogen
Über Kunst und Poesie im Allgemeinen, und 8ber einzelne an-
dere. Dichter und Dichterwerke, die gesummte Reihe der Cioe-
the'schen Hauptdichtungen in gedrftngter Uebenicht und kura
andeutender. Bezeichnung an nnserm Blicke vorBbergehen lassen,
^ cäne eigentliche Kritik oder Analyse dieser Werke eneiien.' Es
■IT >V ^■
j.?p . .
Zeit entstandenen und veröffentlichten Aphorisme^
Goethe den piehter, und auch - wenn sie am Sc&l
zurückkehren, so ist <es ungleich mehr diis sittlicl
mein menschliche Seite seltier Persönlichkeit, mit/
beschäftigen, als die ästhetisch« seiner Werke. Vj
aber gilt mit Wahrheit, was der Vf. in dem Vor^
Ychuldigung dieses Zusammenbringens scheinbar hei
mente säst, dafe sie „wenn auch nicht unmittelbas
Goethe, doch durch die Art ihrer Entstehung uni
Inhalt in so naher Verwandtschaft mit detfsefiien _
füglich unter demselben Titel begriffen werden kö|m(
Fttr den inneren Werth' und Gehalt diese'r
sowohl der ästhetischen des ersten, als, in noch
he^ Grade, der vorwiegend sittlichen und reli^
ten Bändchens, ist es gewtfs das geringste Zeu^
selben durchgehends den Eindruck machen, nichtT
tigtes, Erarbeitetes, sondera das unwillkührlv
gereifte Ergebnifs einer Geistes- und CSlmnths
wie die unäbläfsige, liebevolks hauptsächliche,
des Inhalts gerichtete Beschäftigung^ mit denWe
ters, sie in eiRer reinen und offenen, zum alls
nlfs des Dichters befähigten Natur erzeugen mu
Vf. auf sein Wort zu glauben, dals dr diese i
seinem Tag^buche" gesammelt hat; gewifs hat^^i
nuf zttv «einer Selbstbefnedigung, nicht nur irgei
damit zu erreichen, aufgezeichnet. Dies aber i
achtens allein, oder so gut wie allein, was dei
sen, nur auf das Innere eines individuellen Ge
weisenden Mittbeilungeit «inen Werth verfeihen
zu solchen Mittheilungen entschliefst, der gieb
nichts objectiv Bestehendes; es gilt von Ihm, war
oben anj|;erübrten Stelle von dem treuen Diener si,
da er nichts Anderes zu aeben hat. sein ganzes i
ben, und, wenn es einigen Weith haben soll, denem-
Gabe empfangen sollen, das Gut auf ewig vecsii^<
Eindruck nun bat das Büchlein besonders in a^
Theile in der That iluf uns'-gemiicht Der Verf., •
sanzes Selbst, mit allen Seinen Geistes* and Se^
Einwirkung des Goethe'schen Genius anfschliefst ,*
vor unsera Blicken offen dar, und macht es zum i ^
gemutblichen Eigentbum eines Jeden, der jelne si
ergreifen versteht. So erreicht er^ phne, Wenigsti
Aufzeichnen, eine bestimmte Wirkunk beabsichtigt
schönste und wiinschenswertheste Wirkung: er li
esse, welches der Leser an der Sache ijimmt, ui
sleich auf seine Person herilber, und läfat uns 4^
Tuteresse ungetheilt als. eines und dasselbe empfind«
Die angehängten Briefe G6ethe> geben den Bew<
Ersieh des Verhältnisses zu dem Verf. als eines <
sönlichen und sittlichen bewuTst WV| iod e« in
gehegt und gefördert hat ^ r** y;
*
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A n z e i Ä e b 1 a 1 1
• . - ... ^j «...
ZU den
#»
JaBa'bäChem für ^^ \^^ Kritik«
<^WW*>^»Wi>»^»#W^iW»#^
(Erstes Semester.)
•^ 1.
▼OD Dvnelcer und Hnjftblot »t s« eben er
■Rjmb« npd dni[«ii alle ßochbandliingen zu bezieken :
'iv -Gebet des Herrn
dreizehn Predigten. .
^r^fl» .. Nebgt den
^^r0 \' am dreihimder^ährigen Jubelfeste
?^< JBinführcLng der Reformation
;' V und am
tfdächtnifstage der Verstprbenen
iB die
Mark Brandenburg
gr. 8. geb. l'/c Tblr.
ß %7V*jj{aaf eftst ist Ton demselben Verfturaer ferner erschienen :
Geschichte
"^i^Vl der teutschen Reformation«
^^reite rerbesserte und Termehrte Auflage.
4 Thefle. 8. 6»/« Tblr,
i ■ ■
%
u
jea "Wark bat durcb die darin Tersnehte eigentbUmtiche
JÜj^der Reformation ia dem araprüngl|chen Liebte und
Fjittbrfhuailicben Denk- und Redeweise, mit Yerläognung a^-'
' l'eä^e^iiien vorgreifenden Urtheils räsonnireader Klugheit, —
gi^And^ dafii die erste (nur 3 Bäade umfassende) Auflage sebr
sc^ell^Ttfrgriflfen wurde.
- nie gegenw&rtige zweite Auflage ist niebt nur durcbgttngig
VeAesSert and mit Znsützen bereichert, sondern in ihr i^t auch
Qesehiehte bis zu liUthers Tode und dem Religionsfrieden
.Berabce'fttbrti und damit zogleicb das Werk beendigt. *^ Die
jetzt nin^|iig^kommenen neuen Bibide sind für die Besitzer der
. ersten Auflage. des Werkes auch einzeln, zu 4 Rthlr., zu haben.
« /
.•"»i
Entwurf
der praktischen Theologie.
8, V/t Tblr.
Zur Vertheidigung
der
evangelischen Kirche
gegen
die' päbstliche» . /
Predigten '
im Winter 18^ Vit '^ der Dreifaltigkeitskii'cbe zu Berlin gebalten.
gr. 8. Preis »A T^l'*
Beleuchtung
des;
Athanasius von 3. Görros«
Eine Reeension. (Ans den' ,ylabrbiicbehi fdr wissenscbaltlicha
Kritik 1838"* besonders abgedruckt) gr. a geb. Vs TUr.
Predigten
der häuslichen Frömmigkeit gewidmet..
2 Bde. gr. 8. geh. 2 Thlr. Nändich:
Bd. 1« Die Lieidensgesebichte desi Herrn in einer Reihe Ton Fa-
stenpredigten.
Bd. 2. Predigten über die Sonntagsevangelien.
Predigt
ersten ^ Sonntag in dec Fastenzeit,
den 16. Februar 1834,
am Tage nach dem Begräbnifs des sei Hrn. Dr. ScUeiet-
machet in der Dretfaltigkeitskircjie gehalten.
2weite Auflage, Termehrt mit dem am 2. Milrz 1834 gesproche-
nen Aitargebete. gr. 8. geb. '/^^ Thhr.
'lieber . . '
die Ansprüche,
welche das leibEche Leben auf unsere Fürsorge imd Auf-
merksamkeit machen kann..
Eine Predigt, am 17. Juli 1831 in der Dreifaltigkeitokiiehe ge«
, hallen. 8. geb. V, ^ Thln
lieber
J. Ä. Möhler's Symbolik, -
oder Darstellung der dogmatischen X^egensätze
der Katholiken und Protestanten nach ihren öf-.
fentlichen Bekenntni&schriften. .
EJi» BefencioL (Aas 4cn JahcbliA^' fQr wbsenschaflUclio.
Kfitik beenden abgedraikt.) gf, 8. V« tw.
Predigt
am hundertjährigen Kirchweihfeste
der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin den 1. September 1839
gehalten.
Nebtt dem in die Litorgie eincelegtevAltanrebet Ton dem Pastor
Kober. gr. 8. geh. 7« Tbtr.
In 'demselben Verlage i«t efeefalenen: .
J. D. JB. Prmfiy
Friedrichs des Grofsen
Jugend und Thronbesteigung.
Eine Jubelachriß.
gr. 8. Preis 2V4 Thaler.
Der Herr Verfasser wollte m diesem Baebe eine Tollstb'n-
dige Jagend- und BiiduDjisgeschichte des gcofsen Köaigs geben
UDd.'dea Biomeat der TBronbe^teigaag bis cum )£inEU|C in die
Haaptstadt Schlesiens nrkondlich und so umfassend, als die Quel-
len es gestatten, schildern. Dadurch Ist ein so lebendiges und
atf aosgefllhrtes Bild' der Eelt entstanden) daftr' die gesatoorten
äuiseren und inneren Verhältnisse des Vaterlandes zur interes-
santesten Verrieichung mit der Ge^nivart uns vor Augen tre-
ten. Was pontiscb, kirchlich^ sittlich und kulturgeschichtlich ir-
gend ffiehtig jst, das geht wie aar Bi^anernng aa unserer Väter
S&eiten, in frischen Farben wie in Spiegelbilderny nus^ Toriiber,
and erfreut uns durch/ den mächtigen Fortschritt, der nicht zu
Terkennen ist, udd der ans unifillkürlieb auf eia spätet-es. JUir-
hundert ahnend blicken läfst. Friedrich finden wir durchweg
jm Vordergründe, nttd die 918 ersten Tage aus seiaem KSnigs-
leben, die uns hier gegeben werden, zeigen klar, dafs sein Jahr-
hundert würdigst eingeleitet ist — Beigegeben ist a]s Einleituna
zur festlichen Gelegenheit ge wissennaisen : . „Das Jubeljahr 1840
in der prenfsischen Monarchie» eine historische Erinnerung.^
Aus dem Anhange heben wir als Yorzilglich interessant her-
vor Friedrichs Gedicht • an den Maler* Aa'toine Pesne, als
derselbe des Kronprinzen Matter ) die .Königin Sophie, im
November 1737 in Lebensgrufse treu und schon gemalt, im
Origlaal and in poetischer Uebersetzaiig von J. G. Jacobi.
Auen der vom Geh Rath Schlosser in Heidelberg ans den
Pariser Archiven mitgetbeilte Brief von Voltaire 1753 ans
FrankfarC a M., wo er auf prcufsische Veranlassung festgenal-
ten wardf an den Kaiser um BeschOtzung dürfte- Auszeichnung
verdienen, nicht weniger des feinen Taktes, als des Inhalts sei-
ber^Megei). — Schon .das Aeufsere dieses BnchiBS verkündet,
dafs der Herr Verf. es auf anmuthige Erzählung abgese-
hen, dais Ergötzen und Belebren diesmal seine Haupttendenz
gev^lea.
philosophische ut>d theologische Vorlesungen.
Herausgegeben von Dr. Ph. Harhelmeke n. Lie. Tb* IV«'
JMttenberger« Vierter Band: Syiiian Aer theolo«
mf sehen Moral. Erster The il. gr. 8. Suhs.criptions*-
Kein 2Thir. Laienpreia- jy^Thlr.
Vollständige Ausgabe. 6r Band:
En^dopädie der' pUfonphtidiea üfiMiiBnlmf-
ten int Ottindrisse.
Erster The iL 'nie Iiagtft«
Herausgegeben aad naeh Anleitung der Tom Verfissaer phai
Yories '" - -
r.-Preis ^f«r die Abnehmer dea ^Kanten) IV« Tfcii^
{für die Abnehmer einzelner Abtheilungen.) 37« TUr.
teaea
oriesaagen mit Erläuterangen nnd ZuaStzen Tefaehen
von Dr. Leopold von Hemming:^ gr. 8. Ansnbe auf Dradna^
ater«
9abaer.-Prei8 (f«r die AI
ie Ahm
Aasgabe aaf VeUapafder. Sabser.-Prele
Von der meueii iBweltctt Ausimhe von
O. wr. V. MegeVm TorleiBiiiiSjeflu
ist SO' eben encbienen : «* ' ^
Vorlesungen über die Philosophie der R^igiMi'
Zweite verheuerte AuflMge\ Nebst elaer Sebifif^A
Beweise vom Dasein Gottes, herausgegeben von |fic.
Mmrli^iAeke« Erster TheiL gr. a Sabecr.-Brefc'
Grundlinien der Philosophie des Rechts
oder Na tarrecht nnd Staatswissensehaf t ivGt
risse. Herausgeg. von JSSiL Bane. Zweite Aaflam^V
Subscr.-Prels ^f^li
Ausfdhrlicfie Anzeigen über diese neue zweite Aif^gFlm'
der Hei^el'schen Torliennuagem sind in allen BnclilbnnK|P-'<
gen zu erhalten, .. • * • §
JB4tf aril MpineV^ \^; ^ f
Geschichte^ . . *^\^ \.
des PremsntseHefi Stauten vmdl TalHas»* ^ ^ **
Für alle Stäade bearbeitet. • • • «^« '
Dritten Baades, dritte bin fBafle Lief. (Nennzehnte Vis
zwanzigste des ganzen Werkes.) Sabscriptions-Preia k.
•t4
_ , . ju %t'
schichte der brandenburr. pr.enfs. Artilln^i^lft.
12 Bogen, geh. Sufaacr. - F^eia '^ ^^
II« ▼• Malbiownl^y !• ^and Rofeert t« Bfmte,
chte de *
Lieferung von ':
WmXUMkvt Baeli Sesenlietmi« von Arngw FerA. SWew
weil. Professor in Bonn. Herausgegeben von Tankaaem
wem Bane. Geh. Preia -Vs Thlr.
Nächstens erscheinen in d^selben Verlage s
Jalirblieher des Dentdchen Reich« im«
ter dem SAehsIseheii Haase« Uena^ge-
geben von MäCOp. Monhe. ^itcr Band. Erste Ab-
^ tiieOang. Auch unter dem Titel: Jahrbücher des Deot-
scheu Reichs unter der Herrschaft Kaiser Otto'a IL ^. S.
geh. ^ . 1 TUr.
t^* StoMnovDäky tmd t. jBontn, Geseliielite
der braiideiibar§r« preuss. AiiUIerte«
3e Lief. Mit Abbildungen« geh. . ' | Thfar.
IPUchan^ DenlanJUer der dentselieii
Sprache Ton den fMIhesten Zeiten
bfs Jetzt« Eine voUstiiiidige Beispidsammlimg zn
4
•eitlem LeftÜiden der Gesetiicbie der detitscheii Litera-
Itar. Zweiter TheiL gr. 8. 39 Bogen.
* . / ■
Unter dar Presse befinden lüeh: '
JBeussi, Jae.^ Die Experimental- Physik, methodisch darge-
stellt DritteT C^rsns. Mit Kupfertafehu gr. 8.
Manie, Lecp^ Deutsche Geschichte im Zeitalter der Re«
formation. UL TheiL gr. a ^
lUerAer, Friedr: WäA^ MittheQungen von nnd über Goethe
'«US milndlichen und scluriftliehen QueUen. gr. 8. Etwa
£0 Bogen.
Utim, Alb. V,, Grundziige" der Erd-, Völker- und Staaten-
ktinde. 3. AbAeilung. Zweite, ganz umgearb. Aufl. gr. 8.
*
TfVUiien, W, tr.,- (Oberst uüd Chef vom Generalstabe des
6len JPreufs. Armee -Corps) Versuch, einer Theorie des
^fsep Krieges^ angewendet auf den Feldzug 1831 in
len zur Einführung in ein' lebendiges Studium der
legggeschiehte. L TheiL KL LiexicQn« • ,
r, F^ Grundrifs der Chemie. IL Theil: Organische
en^ gr. 8. ^ .
0 •f *
Am Verlage 4es UnUneichoeteB erscheiDt lad ist lUamäclial
ia v^en ButnliandloDgen sa haben:
Ilefs. mid Vtfmel, Uebungsbueh zum Uebersetzea aus
dem Deutschen in das Griechische.
;J^ • B^mM Biadchen aaeh aiiter dem Titel:
' Ile/s» Prof. P. E.y Anldtong zum Ueberseizen ans dem
Deqtsdken in das Grieohische, filr Anfänger, zur Einii-
' Imng 4er Formeulehre. 6te verb. und vielfach verm.
Aufl. circa 30 Bogen. 8. . i? gGr.
• ■
'Trete der Tielen griechiaeheli UebnagsbQcher, deren -fiast j«-
deetlahr einige aene eracheiaen, hat aiäi dieacs ntttäiiciie nnd
' ^el verbreitete Sckttibaeh in rielen der angeeehenaten Gelcbr-
Ifi^rtittlea nicht nar bisher behauptet« eoi^derv der Abaata dea-
a^lben Ist noch fortwährend im ßteicea begriffen. Aach bei die«
eer*ueden Aaflage, welch« mit Heckt eine neifack vtrbtun^rH
nnd tenMkrtt genannt werden kann, ist alles au%eb<iten wor-
den, na die Zweckmäfsigkeit des Buches na erhöhen. Der Hr.
Verf. hat niimlich mit Bennftnang der seit IB3d erbehieneiien Ue-
bangsbiicher darcbgehenda die ndtbigen BerichtigoDaen und Vek*-
besseruttgen angebraeht, Tiele Znsiitsegemaeht« and aamentlich
üe kleinen Erzählungen für geübtere Schüler srertiehrty so dath
es deren jetzt 60 aiud.
Diese so bereicherte Auflage enthält demnach Uebersetzunffs-
stoifv der fUr untere Klassen auf mehrere Jahre ausreiche für
Erhdhnng der Brauchbarkeit dieser Anleitung ist von dem Hrn.
Verf. Überall auf» die jetzt sangbarsten Sprachlehren von Bull'
rnesa» Feläbauichf Kuhner, matma, Rotfy Thieneh und Weckher^
Un rerwiesen worden. Der Unterzeichnete hat durch ein sehr
anständiges Aenfsere, die grüfste Correctheit und Billigkeit des
Preises sein Möglichstes gethan, um die Einführung des Buches
in Gelehrtenschuien zu erieiclKem.
Frankfurt a/M. im April 184(h
HL L. Brönner.
In »ehieai Verlage, eraHieiBt ae eben and iat % dmelt jSIe
Baebhandlungen dea Isk aad Anslandei aa beiiehea:
■
Kathä Sarit Sägara«
Die Mährchensämmhing
dea
Sri Somadepa BAatta aas KaecAmir^ '
Erstes bis fünftes Buch«
Sanskrit nnd Deniach
herausgegeben
von ' ^, '
Dr. ifetmann BrbcihofUi.
Gr. & Geh. 8 Thlr. ^
Diese anziehende- und für die Geschichte der Literatur wich-
tige Sammlung indischer Mabrchc^n' und Erzählungen erscheint hier
zum ersten Male aus den Handschriften gedruckt
Leipzig, im December 1839.
F. A. Brockhaoa.
Bei K. F. Kohler In Leipzig erachien und ist in allen
Bnchhandinngen za haben :
•
Plutarchi Vita Phocionis.
R*ecensnit et comment snU illnstr.
Dr. Fr. Kram er«
gr. 8. bieeh. V» Thaler.
Diese Ausgabe des Leben Phoeiona empiehlt sich durch die
mit Vielem iPleifse gemachten Uutersucfiungen in kritischer und
grammatischer Hinsicht nnd wird den Freunden des Plutarch
eben so willkominen, als andrerseits zar Leeture auf Gymnasien
passend sein.
Dissertatio crit« et exeget
de
Ev. Matth. C. XIX v. 16 et sequ. pp.
C. Tischendorf, Theol. Licr
t ...
broch. V« Thlr.
FUr Phtlohge», GumnätiaUekrei^^ 'SchMAlietheken^ Butk*
hSmllet and Antiquare ist so eben im Verlage Toa G. P> Ader-
höh in Brtulaü erschienen:
Grundrifs der elassisehen Bibliographie.
Ein Handbuch für Plülologen
Ton \
Dr. . Friedrich Wilhelm Wagner*
Gr. 8. Geheftet 35 Boj^en. Preis 3*/, Thlr., auf geleimtem
Velinpapier 3 Thur.
Es vmfafst dasselbe das aesammte» für den Philorogei» wich-
tige bibliographische Material, enthalten in den krituch- und
exegetisch-wichticen, sowohl in Deutschland, als in den tibfigeu
Ländern Europais erschienenen Ausgaben, Uebersetzungen und
fidüiittraBlMBlirifiteii 4er nieciiiittbMi iiiid hit«hufl«ben Sotarift-
«teller tob Erfindung dar BnchdmckerkttDBt an bis zur Mitt« de«
Jahres 1839. Dazu sind alle vothaudenen bibliographischen nnd
Jiterarisch - histarisohen Werke benatst, und nanentlich die Er-
klftran^chriften (sowohl die im Buchhandel erschieneneni als
alle Dissertationen nnd Proffranme in sich begreifend). s6 wie
die Literatur des 19ten Jahrounderts mit dc^ gröisten Vollstün-
digkeit gegeben iivorden. Jedem .^ehriftsteller ist femer sein Ge-
burtsort nnd die Zeit, wann er gelebt, nach den neuesten Unter-
suchungen beigefügt, und Jbyei den Schriftstellern, die nur noch
in geringen Fragmenten übrig sind, ist auf die Sammelwerke ver-
iftiesen worden, in welchen diese Fragmente zusammeugesteUt
find. In Bezug auf die Schriftsteller selbst aber findet man fast
alle, von deAen nur noch- Notizen auf uns gekommen sind, anf-
Senomm'en.nnd nachgewiesen, wo das Ton ihnen Eriialtene zu
nden ist. Es wird demnach durch dieses Buch dem Philologen
leicht, sich in Hinaieht auf das über einen Sciiriftsteller des Al-
terthums vorhandene Material Rathes zu erholen; dem Gymna'
tialUkrety sich mit den neben den gr^fteren Ausgaben erschie-
nenen Schulausgaben eines Schriftstellers bekannt zu machen;
so wie andererseits hierin BucJUrdndler und Aniiguäre das voll-
ständigste Repertoriuqi 'für das seit dem Mittelalter im Gebiete
der Philologie Geleistete finden. Wir gUuben d&her, naclidem
wir so ^en Inhalt des Buches angegeben, ins einer weiteren
Empfehlung desselben enthalten zu dürfen. :.
- So eben erscheiiit in meinem Verlage und ist durch alle
Bnehhandlongen zu erhalten:
Denkwürdigkeiten .
und
vermischte Schriften
vDn •
^ K. A. Yäinbagen von Ease. .
Neue Folgcf. Erster Band.
Gr. 8. Geh. 27, Thlr.
» ^
Wie die erste Folge der Schriften des berühmten Verfassers,
4je in 4 Bänden 163'^-38 bei H. Hoff in Maunireim erschien,
so wird auch, diese Fortsetzung gewUs die altgemeinste Theil-
aahme finden. Besonders machen wir auf einen« grofsen Aufsatz
aufmerksam : ^Der wiener CongTef$r
Leipzig, Im März 1840. ' ,
, ' F. A. Brockhaus.
.8
Bei H. L. BrdnneT in Franktol s^. «t enehieBor ui
in allen Buchhandlungen zu haben,:
Shakspeare, /W., select' plajs. Adapted for the ose of
Youth. 15^ Bogen.: 12. Velinpap. in Uasc^bg -geh.
1 Thlr. .
fan Verhige Ton Edward L«i brock in Braanschweig ist so
eben erschienen:
Strümpell, Dr., die Hauptpunkte ^der Herbttrt'schen
Metaphysik, kritisch bdeuchtet gr. 8. (14 Bogen.)
Velinpapier, br. i^^ Thlr. .
Im Verlage von Friedrich Vieweg und Sohn in Bnum«*
schweig ist so eben erschienen:
Dr. Thomas Grahams
• Lehrbuch der Chiemie«
Bearbeitet
TOn
Dr. Fr. Jul. Otto,
JVo/esfor i«r CktmU tun C^llegio CmroKn^ tu BrmwMekwag.
Iste und 2te Lieferang mit 56 in den Text eingedrock-
ten Holzschnitten, .gr, 8. fein Yilinp. geh. 1 Thir.
Dieses ausgezeichnete Werk, über üessen Plan und beson-
^ dere Vorzüge .wir uns - auf die* allen Exemplaren vorgeh^ete
ausführliche Ankündigung beziehen» erscheint in zehn Meft-
rnngen« Der Subscriptionspreis jeder Läeferung irt 13
jGrgr. ; der ..bei Vollendung des Ganzen eintretende Ladenprev tö
Ggr. fdr die Lieferung. ^
Wir k2>nnen dasselbe nicht besser empfehlen,' als dnrek die
nachstehenden Worte des Professors Justas Liebi'g in
Giefsen: , • .
,3üt dem hohen wisschschaftllchen Werth von Dr. Gia-
hams Lehrbuch der Chemie genau bekannt) hat der Unterzeichnete
zum Theil mit Veranlassung zur jlentschen < Bearbeitung deasek
ben gegeben. Sie konnte in keine würdigere Händ^ K^^S^ ^^
den, als in die des Professors Otto, welcher durch seine ticrth-
vollen litei*ari^cben und praktischen. Arbeiten seit Langem .schon
einen ausgezeichneten Platz unter Deutschlands Ohenukem ein«
nimmt. Das Lehrbuch Grahams hat durch die gedieigenen £i-
Sätze und Erläuterungen namentlicji- fdr den Selhstantonricht aa-
fserordentlich gewonnen, ohne' an EigenthUmlichkeit und Brauch«
barkeit im Uebrigen' einzubüften. 'Den Pl^n der Bearbeitan|r hat
Professor Otto die Güte gehabt, mir vor der Ausfibmiic ntsa-
theilen; ich habe seine Ansicht in Hinsicht auf die Verwandt
lang der englischen Atomgewichte in die von Berzelins in. Dentsch-
land einge^hrten vollkommen getheü^ indem ich der Meino^
"war, dais nur durch eine Uebereinkunft aller Chemiker, ohie
Nachtheil fdr die Verbreitung nnd Cnitur der Wissenschaft, eiae
Aenderung getroffen werden . darf. Gewifs verdient PTefeamr
-Otto den Dank des PnMiknms, indem die verhWtnifsmüfaig kleine
Anzahl der -vorzüglichen Lehrbücher Deutschlands am Eins
durch ihn vermehrt worden ist, was man den besten an
^Seite stellen kann.'*
Dr. Ju$tU9
THB NEW YORK PUBLIC LIBRARY
RBPBRBNCB DBPARTMBNT
This book it ander no oironmstanoe« to be
taken Irom the Bnildmg
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