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Goethe
von Johann Heinrich Meyer
ziui ſchen 1792 und 1794
Jahrbuch
der
Goethe-Geſellſchaft
Im Auftrage des Vorſtandes
herausgegeben
von
Hans Gerhard Graͤf
Dritter Band
Weimar Verlag der Goethe-Geſellſchaft
In Kommiſſion beim Inſel-Verlag zu Leipzig
1916
“
eit dem Erſcheinen von Band 2 unſres Jahrbuchs
bis heute dauert das Ringen der Voͤlker in unver—
minderter Erbitterung fort; und bis zur Stunde erſchien
dem ſehnſuchtvollen Blick kein ſicheres Zeichen, daß der
Frieden nahe, daß endlich die Voͤlker alle zu menſchen—
wuͤrdigem Verkehr ſich die Hand reichen. — Trotz allen Er:
ſchuͤtterungen aber, Gott ſei Dank, geht hinter den kaͤmpfen—
den Heeren die friedliche Arbeit ihren ruhigſicheren Gang;
auf allen Gebieten offenbart ſich in erſtaunlicher Weiſe die
Anpaſſungsfaͤhigkeit des Menſchen ſelbſt an das Ungeheure.
Und ſo erleben wir als ein Wunder, daß ſtillſte, geſammelte
Geiſtesarbeit gedeiht, indes ringsum Erde, Waſſer und Luft
unter dem markerſchuͤtternden Getoͤſe von Hoͤllenmaſchinen
unablaͤſſig erbeben.
Ruͤhrend, ergreifend waren die Beweiſe: wie lebendig das
Gefuͤhl fuͤr deutſche Geiſtesgroͤße auch im Feldlager, im
Schuͤtzengraben geblieben, wie ſtark es geworden iſt, die ich
im Vorwort zum zweiten Bande aus Soldatenbriefen mit—⸗
teilen durfte. Das Verlangen nach einem Becher der Er—
quickung aus dem Jungbrunnen unſerer vaterlaͤndiſchen
Dichtung iſt auch im verfloſſenen Jahre ſtetig gewachſen;
Goethes „Fauſt“, ‚Goͤtz“, ‚Egmont‘, „Hermann und Doro:
thea“, Gedichte, „Campagne in Frankreich“ find in zahl:
loſen Exemplaren unmittelbar hinter die Kampflinie be—
gehrt und geſandt worden.
Wie auch der ſchlichte Mann da draußen im Unterſtand
v
ſich gelegentlich über Goethe unterhält, wie ſogar Einzel—
fragen aus Goethes Leben leidenſchaftlich erörtert und
„Goethe-Forſchung“ ſelbſt im Schuͤtzengraben getrieben
wird, das zeigen in anſchaulichſter Weiſe zwei Feldbriefe,
die mir in den letzten Tagen zugegangen ſind. Der erſte
trägt, ohne Nennung des Ortes, das Datum 15. Juni 1916
und iſt an ein Mitglied unſeres Vorſtandes gerichtet, dem
ich für die freundliche Überlaffung zu Dank verpflichtet bin:
„. . . Gelegentlich der Tagung der Goethe-Geſellſchaft
haben wir uns hier ſehr oft uͤber Goethe, Weimar, Frau
von Stein und Chriſtine von Goethe unterhalten.
Ich ſelbſt war ſchon 4 mal in Weimar und habe ich
meinen Kameraden viel erzaͤhlt.
Ich war erſtaunt, daß viele meiner Kameraden gut Ber
ſcheid wußten uͤber Goethe und was dazu gehoͤrt, aber
ſelbſt nichts von Goethe geleſen hatten.
Nur einer meiner Kameraden arbeitet mir entgegen und
ſucht die Meinung der übrigen zu beinfluſſen [fo]. Er erzählte
3. B., daß Chriſtine ein Fabrikmaͤdchen geweſen wäre, und
Goethe haͤtte die Armut des Maͤdchens ausgenutzt und ſie
ſpaͤter nur der öffentlichen Meinung wegen geheiratet; auch
Gretchen wuͤrde ſo aͤhnlich behandelt.
Daß die Verhaͤltniſſe anders lagen, und daß man bei
dem Wort Fabrikmaͤdchen nicht an die heutige Zeit denken
darf, und daß Chriſtine aus guter, gebildeter Familie
ſtammte, wenn ſie auch in einer Fabrik arbeitete, das alles
ſagt der gute Mann natuͤrlich nicht.
Ich moͤchte nun bei Ihnen als Vorſtandsmitglied der
Goethe-Geſellſchaft anfragen, ob ich als Leſeſtoff für meine
Kameraden einiges von und uͤber Goethe bekommen koͤnnte.
Ich denke an „Fauſt“, „Wilhelm Meifter‘, Briefe mit Frau
von Stein, mit Chriſtine, und das neue Buch ‚Chriftine
von Goethe‘ (bei Delphin-Verlag, München) u. ſ. w. Ich
vI
überlaſſe es natürlich Ihrem Ermeſſen, für den Fall, daß
Sie mir einiges beſorgen koͤnnten. Ich denke, daß die
dortigen Mitglieder genug Einzelbaͤnde haben, die ſie gerne
abgeben wuͤrden.
Natuͤrlich brauchen es gerade nicht die ſchweren poeti—
ſchen Arbeiten zu ſein.
Daß ich ſehr aufgebracht bin uͤber meinen Kameraden,
der ein ſolches Bild von Goethe malt, brauche ich Ihnen
wohl nicht erſt zu ſagen, daher meine dringende Bitte.
(Buͤcher moͤglichſt gebunden.)
Nebenbei bemerkt, mein Kamerad iſtſehr ſtreng katholiſch.
d
RE ne
Am liebſten würde ich dem Bittſteller auf dieſes Schrei—
ben hin, Goethes Briefwechſel mit feiner Frau‘ ins Feld ge-
ſchickt haben; leider war das Buch aber noch nicht erſchienen,
und ich mußte mich damit begnuͤgen, der vom Empfaͤnger
des Briefes veranſtalteten Sendung geiſtiger „Liebesgaben“
ein paar Baͤndchen der „Goethe-Kriegsausgabe“ des Inſel—
Verlags beizufuͤgen. In dem an mich gerichteten, acht Sei—
ten langen Dankſchreiben vom 4. Juli 1916 heißt es unter
anderem woͤrtlich:
„ .. Wir freuten uns alle, daß unſere Bitte in Weimar
auf fo ſehr guten Boden gefallen iſt .. . Hier find wir nur
einzelne, die Luſt und Freude und Liebe an den Lebensauf—
gaben unſerer großen Maͤnner haben.
Oft wird natuͤrlich uͤber alle moͤgliche Namen und Ge—
danken geſtritten, man muß bedenken, daß Leute aus allen
Berufen und allen möglichen Anſchauungen herausgewach—
ſen hier find. Es iſt daher auch natürlich, daß die Anſichten
nicht nur uͤber die Maͤnner ſelbſt, ſondern vor allem uͤber deren
Arbeiten ſehr auseinandergehen. Sie ſollten mal die vielen
Anſichten gerade uͤber Goethe hoͤren, und wie z. B. Nietzſche
ſich in dem Kopfe manches frommen Kameraden ſpiegelt.
VII
In den legten Tagen und Nächten wurde bei meiner Ab-
teilung ‚Goͤtz' und ‚Egmont‘ geleſen. Man hielt natürlich
die vorſtehenden Eigenſchaften feſt, und erft auf manchen
beſonderen Zug der Perſonen und des Ganzen aufmerkſam
gemacht, entſpann ſich eine ſehr anregende Unterhaltung.
Solche Frauen wie Eliſabeth koͤnnten wir jetzt beſonders
gebrauchen, meinte einer meiner Kameraden, und ſolche
Maͤnner wie Goͤtz ſeien in den letzten Jahren weiße Raben
geweſen; wenn man mit offenen Augen in das Leben blicke,
ſo koͤnne man meinen, die Menſchen wuͤrden ſich Muͤhe
geben, einander in Charakterloſigkeit zu übertreffen. Die—
ſelben, die damals die Feinde aller geraden Herzen waren,
ſind es auch heute, und einen Goͤtz ſollte man haben gegen
die Hamſterer und Lebensmittelwucherer.
Im ‚Egmont‘ bewundert man vor allem Klaͤrchen. Man
meint aber, Egmont haͤtte ſich wohl auch retten koͤnnen,
es waͤre eigentlich gar nicht noͤtig geweſen, daß es ſo weit
gekommen waͤre. Trotz Trauerſpiel habe das Stuͤck doch
einen ganz angenehmen Ausgang. Man dachte dabei an
den ‚Nibelungen-Ring“ in dem die durchgeführte Tragik
zum Untergang der Nibelungen fuͤhrte. Mich perſoͤnlich hat
der Gedankengang eigentlich ſehr gefreut, zumal ich ſehen
konnte, wie ſich die einzelnen Gedanken im Laufe des Ge—
ſpraͤches erſt langſam bildeten. Aber außer den Arbeiten
Goethes und Schillers ete. nimmt das Leben der Maͤnner
einen großen Rahmen in unſerer Unterhaltung ein. Viel—
leicht ein gutes Zeichen, daß man nicht nur die Buͤcher leſen,
ſondern auch mit dem Verfaſſer verarbeiten will. Ich ſagte
meinen Kameraden, Schiller habe mal geſagt: „Leſt meine
Buͤcher und laßt den Menſchen liegen.“ Aber ich kam nicht
weit, und ſchließlich teile ich auch das Intereſſe an den Per—
ſonen.
Man hat viel, ſehr viel von Goethes Verhaͤltniſſe zu Frau
VIII
von Stein und Chriſtine geſprochen, man konnte ſich nicht
recht denken, daß Goethe ein ſo armes Maͤdchen zur Frau
nehmen konnte, bei den innigen Beziehungen zur Frau von
Stein. Ich hatte meinen Kameraden davon erzaͤhlt. Auch
daß ein ſo uͤberragender Geiſt mit einem Maͤdchen wie
Chriſtine geiſtig zufrieden ſein konnte, bezw. es uͤberhaupt
zur Lebensgenoſſin waͤhlte, iſt vielen ſchwer verſtaͤndlich.
Ich ſelbſt denke dabei, was aus Goethe haͤtte werden koͤn—
nen, wenn er z. B. Charlotte Buff als Lebensgenoſſin be—
kommen haͤtte. Ich und meine Kameraden ſchaͤtzen es ſehr
hoch, daß Gothe aller zum Trotz Chriſtine zu ſich genom—
men hatte. Man freut ſich ſchon uͤber die Tatſache, daß
Goethe ſich uͤber die Sitte hinweg geſetzt hat und ganz ſeinen
Neigungen nach gewaͤhlt hatte.
Es duͤrfte Sie wohl intereſſieren, wie ich mit Goethe be—
kannt wurde. In der Schule, in einem kleinen Landſtaͤdt—
chen im Unterfraͤnkiſchen lernte ich nichts, als daß Goethe
ein großer Dichter war. Dann las ich viel in den Zeitungen
uͤber Goethe, beſonders bei Schillers 100. Todestag. Von!
„Fauſt' las ich beſonders viel. Ich kam dann mit 18 Jahren
nach Mannheim, und das erſte Buch, das mir von Goethe
in die Hände kam, war ‚Zauft‘. Ich machte an einem Sonn:
tag eine Fahrt in den Hoͤlzer Wald? und hatte das Buch
dabei. Ich las ſchon in der Bahn, und uͤber manchen Satz
mußte ich oft etwas nachdenken. Ein Herr, der mir gegen—
uͤber ſaß, ſagte: „Gelt, junger Mann, das will wohl nicht
in den Kopf?“ Ich ſagte, es waͤre das erſte Buch von Goethe,
und ich ſaͤhe ſchon ein, daß ich ohne Kommentar ‚FZauft‘
nicht verſtehen koͤnnte. Der alte Herr ſagte mir dann, das
waͤre ein Fehler, das ſollte ich nie thun, lieber ein Buch 10
und 20 mal leſen. Ich habe dann dieſen Rat befolgt und
[Hotzenwald? im Hotzenland am Suͤdhang des Schwarzwalds?
IX
kam gut dabei weg, ich kann fagen, daß ich mich gut in
Goethes, Fauſt' eingearbeitet habe; viele Wochen lang nahm
ich das Buch mit auf meine Sonntags-Wanderungen. Ich
ließ es mal im Neckartale liegen, ſeither habe ich Ihre Ge—⸗
ſamtausgabe.
Ich habe mir angewoͤhnt, nicht immer zu fragen, was
hat der Verfaſſer mit dieſem und mit jenem Satze gemeint?
ſondern ich hole aus dem Buch, was ich fuͤr mich finden
kann, ob ich dann etwas anderes finde, als der Verfaſſer
gemeint hat, was fchadet das, die Hauptſache iſt doch die,
daß ich etwas von dem Buche habe und mir etwas ſeeliſch
Poſitives hole. Was meinen Sie zu meiner Gewohnheit?
Ich glaube, daß ich ganz richtig denkbee . 4
Wer dieſe naivherzlichen, zutraulichen Außerungen eines
geſunden, nicht durch ſogenannte „Bildung“ verdorbenen
Geiſtes lieſt und zugleich weiß, wie eiſern der Widerſtand
iſt, den dieſe tapfern Goethe-Verehrer ringsum dem an
Zahl vielfach uͤberlegenen Feinde leiſten, der ruft unwill—
kuͤrlich aus: „Lieb Vaterland, magſt ruhig ſein.“ Und mit
Freuden findet er auch durch dieſe Briefe wieder die Wahr—
heit des guten Spruͤchleins beſtaͤtigt, das Peter Roſegger
juͤngſt aus ſeinen Steirer Bergen zu uns heruͤbergeſandt hat:
Von Schiller gegluͤht,
Von Goethe geklaͤrt,
Haſt du, deutſches Stahlherz,
In Not dich bewaͤhrt!.
*
Wie in Band 2 dem Gedächtnis des hundertjaͤhrigen Be:
ſtehens des Großherzogtums Sachſen die Aufzeichnungen
Carl Auguſts uͤber die Schlacht bei Jena und Fritz Hartungs
Abhandlung uͤber das erſte Jahrzehnt der Regierung dieſes
In dem Gedenkbuch ‚Das Land Goethes 1914—1916* (Deutfche
Verlags⸗Anſtalt Stuttgart Berlin 1916) Seite 101.
X
Fürften gewidmet waren, fo bringt Band 3 zwei Aufſaͤtze
zur Erinnerung an den 6. Juni 1816— 1916,
Zu der Abhandlung Friedrich Schultzes 2, 152 freue ich
mich nachtragen zu koͤnnen: daß die vom Verfaſſer ge—
forderte Streichung des Satzes: „Nicht ohne eigene Schuld
[von Leipzig! kraͤnklich heimgekehrt, verbrachte Goethe
anderthalb ſtille Jahre in Frankfurt“ (Goethes Werke,
ausgewählt und herausgegeben von Erich Schmidt I, IV)
ganz im Sinne Erich Schmidts ſein wuͤrde, der am
21. Mai 1911 an Adolf Hanſen (Gießen) geſchrieben hat:
„Es war mir ſehr aͤrgerlich, von dem alten Freund als
Eideshelfer fuͤr die Syphilis aufgerufen zu werden. Auch
mit den Worten, die beſſer ungedruckt geblieben waͤren:
G. ſei nicht ohne eigne Schuld kraͤnklich nach Hauſe ge—
kommen (1768), hab' ich nur gemeint, daß er etwas drauf
los gelebt habe“ (Poſtkarte, im Goethe- und Schiller—
Archiv).
Sodann bin ich in der erfreulichen Lage, denen, die Hans
Timotheus Kroebers anſprechende Vermutung: der in
Band 2 vor Seite 203 abgebildete Siegelring-Kopf von
Hecker ſtelle Goethe dar, mit unglaͤubigem Laͤcheln be—
gegnet ſind, die Richtigkeit von Kroebers Anſicht klar
beweiſen zu koͤnnen. Goethe ſchickt ſeinem Großneffen Al—
fred Nicolovius am 14. April 1827 mehrere Abdruͤcke von
geſchnittenen Steinen, die ſich in ſeinem Beſitz befinden,
und bemerkt zu Nr. 2: „Mein Bildnis von Hecker,
nach Trippels Buͤſte“ (Briefe 42, 137).
Der auf meinen Antrag vom Vorſtand am 28. Mai 1915
gefaßte Beſchluß: das Jahrbuch kuͤnftighin nicht mehr
innerhalb vier Wochen nach der Hauptverſammlung, ſondern
erſt als Gabe zum 28. Auguſt jedes Jahres erſcheinen zu
laſſen, verpflichtet mich zu großem Dank. Der fruͤhere
Brauch hatte die groͤßten Unannehmlichkeiten ſowohl fuͤr
XI
den Herausgeber (der genötigt war, die Drucklegung des
Feſtvortrags und die Fertigſtellung der Regiſter zu über:
ſtuͤrzen), als auch beſonders für den Feſtredner (an den die
unbillige Forderung geſtellt werden mußte, das druckfertige
Manuſkript des Vortrags bereits vor der Hauptverſamm⸗
lung einzuſchicken), ebenſo fuͤr die Druckerei und die Buch⸗
binderwerkſtatt.
Moͤge das Jahrbuch, wenn es an Goethes Geburtstag
unſern Mitgliedern in die Hand kommt, willkommen ſein.
Weimar, 12. Juli 1916. Hans Gerhard Graͤf.
XII
Abhandlungen
* Br
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7 .
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5 A
Goethes Farbenlehre
Von Eduard Raehlmann
(Mit zwei Tafeln)
oethe war nicht allein Dichter, ſondern auch Natur:
forſcher.
Mit ſeinen naturwiſſenſchaftlichen Arbeiten haben ſich
ſeine Juͤnger aber kaum beſchaͤftigt. Den heutigen Goethe—
forſchern von Beruf iſt die Naturwiſſenſchaft, auch der Teil,
dem ihr Meiſter ein halbes Leben voll Arbeit gewidmet hat,
ein fremdes Gebiet, auf dem ſie ihm nicht zu folgen ver—
mögen, Es iſt auch nicht leicht, den vielſeitigen Pfaden nach:
zugehen, welche der Forſchergeiſt Goethes auf den verſchie—
denſten Gebieten der Naturwiſſenſchaft einſchlaͤgt. Selbſt
die Naturforſcher der Vergangenheit nach Goethe haben
ſeine Werke nicht genuͤgend gekannt und geachtet, weil ſie
fuͤr ihre engeren ſchulgemaͤßen Diſziplinen in andere For—
men und Methoden gekleidet und auf andere Weiſe, als
die akademiſch uͤbliche, vorgetragen waren.
Das gilt beſonders auch von der Farbenlehre, die ihn
vom Beginn der italieniſchen Reiſe an immerfort beſchaͤf—
tigte, und die er ſelbſt fuͤr das Hauptwerk ſeines Lebens
erklärt.
Goethes Farbenlehre ift nur richtig zu verſtehen und zu
wuͤrdigen, wenn man ſich in die wiſſenſchaftliche Welt der
Zeit ihrer Entſtehung zuruͤckverſetzt. Nur durch den Stand
der naturwiſſenſchaftlichen Kenntniſſe der damaligen Zeit
wird die Leidenſchaftlichkeit der Kontroverſe zwiſchen Goethe
3
und den Phyſikern erklaͤrlich — die Phyſiologie des Ge—
ſichtsſinnes war in damaliger Zeit noch wenig ausgebil-
det — die fundamentalen phyſikaliſchen Entdeckungen
Newtons vom Weſen des Lichtes ſtanden uͤberall im Vor—
dergrunde der Forſchung.
So geſchah es, daß zur Zeit Goethes die Phyſiologie des
Farbenſehens der neuen Lehre Newtons und ſeiner Schuͤler
angepaßt wurde.
Goethe, der auf naturwiſſenſchaftlichem Boden ſo her—
vorragend ſcharf beobachtete und auf verſchiedenen Gebie—
ten den Kenntniſſen ſeiner Zeit um Jahrzehnte vorauseilte,
ſchuf in der Metamorphoſe der Pflanzen fuͤr die Botanik
und mit der Entdeckung des Zwiſchenkiefers in der Ana—
tomie bleibende Werke, die erſt die Nachwelt richtig zu
ſchaͤtzen vermochte.
Er war auch in ſeiner Farbenlehre bahnbrechend, aber
auf einem anderen Gebiete, als es die Gelehrtenwelt ſeiner
Zeit erkennen konnte, naͤmlich auf dem der ſubjektiven phy—
ſiologiſchen Farbe.
Goethe hat dieſe Farbe als ſolche nicht entdeckt, aber er
iſt der erſte geweſen, der die Bedeutung derſelben fuͤr den
Geſichtsſinn und ſpeziell fuͤr das Farbenſehen richtig er—
kannt hat.
Auch dieſes fein Verdienſt iſt erſt im letzten Vierteljahre
hundert, und nicht einmal voll, anerkannt worden.
Bis dahin wurde die Goetheſche Farbe uͤberſehen, weil
ſie von Goethe ſelbſt, namentlich aber von ſeinen Freunden,
gegen die Argumente der Phyſiker falſch verteidigt wurde.
Auf beiden Seiten beſtand ein großer Irrtum, welcher eine
Verſtaͤndigung der zwei Richtungen, der Newtons und der
Goethes, verhinderte.
Es gehoͤrt die ganze wiſſenſchaftliche Erfahrung des ver—
gangenen Jahrhunderts dazu, um dieſen beiderſeitigen Irr—
4
tum aufzudecken und den Nachweis zu führen, daß Goethes
Farbenlehre den phyſiologiſchen Schlußſtein enthaͤlt, durch
welchen die phyſikaliſche Erklaͤrung der verſchiedenen Licht—
arten fuͤr das Farbenſehen des menſchlichen Auges erſt ver—
ſtaͤndlich wird.
J. Einleitung in unſere Aufgabe
und Geſchichtliches
m das Verdienſt der Farbenlehre Goethes richtig zu
bemeſſen und den eigentlichen Grund der Kontroverſe
zwiſchen ihr und der Lehre Newtons zu enthuͤllen, muͤſſen
wir die Grundideen und die Kernpunkte der beiden Lehren,
der von Goethe und der von Newton, zunaͤchſt kennen lernen.
Dabei werden wir die Entdeckung machen, daß beide von
grundverſchiedenen Prinzipien uͤber die Natur der Farbe,
von grundverſchiedenen Eigenſchaften und Taͤtigkeiten des
Auges, und von entſprechenden grundverſchiedenen Be—
obachtungen und Experimenten ausgingen!,
Es ſoll in den folgenden Zeilen nachgewieſen werden,
was der eigentliche Inhalt der Goetheſchen Farbenlehre iſt,
Dieſe letzteren näher zu beſchreiben und ihren Wert zu bemeſſen, er⸗
ſcheint unzweckmaͤßig, erſtens, weil eine ſolche Aufgabe fuͤr den Rahmen
dieſer Abhandlung zu weit waͤre, und zweitens, weil daruͤber in einer
ganzen Reihe moderner Abhandlungen genug geſchrieben worden iſt.
Vor allem ſoll kein Verſuch gemacht werden, den Gründen der Ein-
teilung der Farben in phyſiſche und chemiſche, der Unterſcheidung von
katoptiſchen, paroptiſchen und epoptiſchen Farben, ſowie den einzelnen
Experimenten uͤber die Wirkung truͤber Medien nachzugehen, mit wel-
chen Goethe die Newtonſche Lehre widerlegen wollte.
Ich kann hier mit Vorteil auf die vortreffliche Einleitung und die
Anmerkungen zur Farbenlehre von S. Kaliſcher in der Hempelſchen
Ausgabe verweiſen, ferner auf die Schrift von J. Stilling in den Straß:
burger Goethevortraͤgen, auf W. Koͤnig: Goethes optiſche Studien,
Vortrag im Phyſikaliſchen Verein zu Frankfurt a. M., 1899, ſowie auf
Rudolf Magnus: Goethe als Naturforſcher, Leipzig 1906.
5
und was aus dieſer Farbenlehre uns als unbeftreitbare
Wahrheit bis heute erhalten geblieben, und von welchem
Nutzen es fuͤr unſere Zeit geworden iſt. Wir werden dieſe
Aufgabe erfuͤllen koͤnnen, ohne auf die Probleme Goethes,
mit feinen Experimenten die Newtonſchen Geſetze zu wider—⸗
legen, im einzelnen eingehen zu brauchen, und werden ſo
ein Gebiet vermeiden, welches von jeher nicht allein die
ſchwache Seite der Goetheſchen Farbenlehre, ſondern auch
das Hindernis zu ihrer Anerkennung geweſen iſt.
Die Goetheſche phyſiologiſche Farbe iſt ſchon vor ſeiner
Zeit von den philoſophiſchen Syſtemen verſchiedener Ge—
lehrtenſchulen viel diskutiert worden.
Bei Plato ſteht ſie im Vordergrunde der Betrachtung,
im Gegenſatze zu Ariſtoteles, der in ſeinem Syſtem ſtets
von der objektiven Farbe ausgeht und die ſubjektive ver—
nachlaͤſſigt.
Ariſtoteles nimmt eine feine Materie im Weltraum an,
die auch alle Koͤrper durchdringt, und deren Bewegung das
Licht hervorbringt — der Impuls zur Bewegung geht von
den beweglichen Teilchen des Lichtes, Feuers uſw., aus. Die
bewegten Teilchen wirken auf die Netzhaut des Auges —
die Art ihrer Bewegung liefert die Farbe!
Plato, Empedokles, Epikur u. a. betonen die ſubjektive
Seite der Empfindungen, ſie finden, daß das Auge ſelbſt
das Licht und die Farbe hervorbringt. Vom Auge ſtroͤmt
ein inneres Feuer ſtetig aus, welches dem von leuchtenden
Koͤrpern ausſtroͤmenden Fluidum begegnet. „Durch Weiß
wird die Taͤtigkeit des Auges entbunden, durch Schwarz
geſammelt.““
1 Die fpäteren Forſcher ſchließen ſich mehr oder weniger dieſen beiden
Richtungen an.
Den Anſchauungen des Ariſtoteles folgt Roger Bacon (1250), der
die Wirkung der truͤben Medien genau beſchreibt.
6
Dasſelbe antagoniſtiſche Verhältnis in der Betrachtungs—
weile des Farbenſehens kehrt wieder in den Anſchauungen
Goethes gegen Newton. Letzterer ſteht auf ariſtoteliſchem
Boden, Goethe iſt Platonianer.
In Goethes Farbenlehre iſt die ſubjektive Seite der Far—
benempfindung uͤberall betont. Von der ſubjektiven Farbe,
Robert Boyle (Experimenta et considerationes de coloribus, Lon-
dini 1665), Carteſius (1696): nach ihnen entſtehen die Farben je nach
der Schnelligkeit der Bewegung der Ariſtoteliſchen Teilchen; Grimaldi
(Physico-Mathesis de Lumine, Coloribus et Iride, Bononiae 1665).
Malebranche (Über Licht und Farben, 1712): die kleinen Teilchen
des leuchtenden Koͤrpers, z. B. einer Flamme, ſind in lebhafter Bewe—
gung. Dadurch wird die zarte Materie im Weltraum zuſammenge—
druͤckt — „die ſo entſtehenden Druckſchwankungen wirken aufs
Auge“! 5
Den Platoniſchen Anſchauungen huldigt: de la Chambre (La Lu-
miere, Paris 1667). Er unterſcheidet phyſiologiſche und fixe Farben.
Die fixen Farben find „innerliche Lichter der Körper”. „Die Farbe ent:
ſteht durch Schwaͤchung des Lichtes in Verbindung mit Schatten.“
Caſtel — Hauptgegner Newtons — wurde in Frankreich von Vol—
taire, dem Schuͤler Newtons, mit Spott uͤbergoſſen — Goethe verſuchte
vergeblich ſein Andenken zu retten. Nuguet (Farbenſyſtem, Journal de
Trevoux) iſt Goethes Vorbild. Er betont die ſubjektive Farbe der Kon:
traſte und der farbigen Schatten.
Experimente uͤber Farbenſehen wurden in großer Menge angeſtellt
von Tobias Mayer (Goͤttingen 1758), von Karl Scherffer (Von den
zufälligen Farben, Wien 1765), von Marat (Decouvertes sur la lu-
miere, Paris und London 1780) und von D. de Carvalho (Madrid
1791).
Umfangreiche Abhandlungen über Farbenſehen finden ſich ferner bei
Lionardi da Vinci (Trattato della pittura), bei Robert Waring Dar:
win (Philos. transactions, London 1785), bei Anton Rafael Mengs
(Parma 1780) und dann bei den Enzyklopaͤdiſten, namentlich bei Vol—
taire und Diderot. e
Alle dieſe Autoren huldigen entweder der Ariftotelifchen oder der
Platoniſchen Lehre — und je nachdem ſtehen bei ihnen entweder die
objektiven Farben oder die ſubjektiven im Vordergrunde der Betrachtung.
7
welche durch die Tätigkeit des Auges hervorgerufen wird,
geht die ganze Lehre aus.
Unſere naͤchſte Aufgabe ſoll es ſein, den Grund und das
Weſen dieſer zwei Farben, der objektiven und ſubjektiven,
zu erdrtern.
2. Die phyſikaliſche oder die objektive Farbe
Si iſt direkt an die Beſchaffenheit der Lichtquelle, von
welcher der Reiz fuͤr das Auge entſteht, alſo an die
Qualitaͤt des Lichtes farbiger Objekte gebunden. Indem die
Phyſik die Eigenſchaft der Naturkoͤrper, die farbigen Be—
ſtandteile des Sonnenlichtes verſchieden zu reflektieren, gez
nau erforſcht, gelangt ſie zu dem Begriff der Eigenfarbe.
Dieſem Begriff gegenuͤber unterſcheiden wir, mit Bezug
auf die Mannigfaltigkeit der Verteilung farbiger Gegen—
ſtaͤnde im Geſichtsfelde des Auges, die Lokalfarbe, d. h. die
Farbe, welche der Koͤrper zeigt, wenn er, nicht nur von wei—
ßem Lichte, ſondern auch gleichzeitig von indirekter anders—
farbiger Beleuchtung getroffen wird.
Mit der objektiven Eigenfarbe beſchaͤftigt ſich die Experi⸗
mentalphyſik, um die einfachſten Bedingungen feſtzuſtellen,
unter denen die Einwirkung der Farbe auf das Auge ſtatt—⸗
findet.
Dieſe einfachſten Bedingungen erforderten die Ausſchlie—
ßung jedes anderen Lichtes, um die Einwirkung des far:
bigen auf die Netzhaut des Auges genau feſtſtellen zu koͤn—
nen. Die Experimente mit dem farbigen Lichte wurden da—
her in der Dunkelkammer angeſtellt; als Beobachtungs:
objekte dienten Spektralfarben, als die, dem Sonnenlichte
entnommenen, reinſten Objektfarben.
Über das Weſen der Farbe ſchlechthin entſtand auf Grund
vollkommen exakter Verſuche und in Übereinftimmung mit
8
mathematiſchen Berechnungen die Lehre, daß einer Licht—
bewegung von beſtimmter Wellenlaͤnge eine be—
ſtimmte Farbe entſpreche.
Dieſe an ſich vollkommen richtige Lehre, die als Funda—
ment jeder Farbenbetrachtung anzuſehen ſei, wurde derart
verallgemeinert, daß der Lehrſatz auch umgekehrt Geltung
haben ſollte, d. h., daß, wo immer eine beſtimmte
Farbe empfunden werde, dazu auch das Licht einer
beſtimmten Wellenlaͤnge gehoͤre.
Man nahm alſo ohne weiteres an, daß die in der Dun—
kelkammer gewonnenen Lehrſaͤtze uͤber die Farbe auch beim
Farbenſehen in der freien Natur unbedingt guͤltig ſeien,
daß alſo die Lokalfarbe der Gegenſtaͤnde den Geſetzen uͤber
die Abhaͤngigkeit der Farbe von der Wellennatur des Lichtes
unbedingt unterworfen ſei.
Das war ein Irrtum der damaligen Zeit, den Goethe er—
kannte, den er uͤberall, wo Farben in der freien Natur be—
obachtet wurden, nach wies und mit allen Argumenten feiner
außerordentlich feinen Beobachtung als mit der Lehre der
Phyſiker fuͤr unvereinbar erklaͤrte.
Die Erkenntnis dieſes Irrtums wurde der Anlaß und
die Grundlage ſeiner Polemik gegen die Phyſiker, gegen
die Nachfolger Newtons, welche, geſtuͤtzt auf die mathe—
matiſch beſtaͤtigte Geſetzmaͤßigkeit vom Weſen des Lichtes
und ſeiner Farben, ſich auf Naturbeobachtungen gar nicht
einließen und daher die Goetheſchen Lehrmeinungen gar
nicht verſtehen konnten.
Die Phyſiker der Zeit Goethes beſchaͤftigen ſich ausſchließ—
lich mit dem Problem der Farbe an ſich, mit ihrer Ent—
ſtehung aus dem Sonnenlichte und mit ihren optiſchen
Eigenſchaften. ö
Goethe aber, deſſen Beobachtungen in der Natur und
an den Lokalfarben der Koͤrper mit dieſer Lehre nicht
9
vereinbar waren, der aber feinerfeits die mathematischen
Begründungen feiner Gegner nicht verftand, glaubte, die
Grundlage feiner Lehre auch dort anwenden zu Fönnen, wo
die Phyſik die Richtigkeit ihrer Forſchungsreſultate uͤber die
Wellennatur farbiger Lichter bewieſen hatte.
So entſtand der ungluͤckliche Streit, der, auf beiden Sei—
ten mit den Kenntniſſen und Mitteln damaliger Zeit ge—
fuͤhrt, keine Entſcheidung bringen konnte. Erſt die Forſchun—
gen der ſpaͤteren Zeiten innerhalb faſt eines Jahrhunderts
haben die Erkenntnis herbeifuͤhren koͤnnen, daß Irrtum und
Wahrheit auf beiden Seiten ziemlich gleichmaͤßig vertreten
waren.
Die Vorſtellung, daß die Wahrnehmung des farbigen
Lichtes darauf zuruͤckzufuͤhren ſei, daß eine vom leuchtenden
Koͤrper ausgehende, im Raum ſich fortpflanzende Bewe—
gung kleinſter Teilchen (des Athers) auf die empfindenden
Teile der Netzhaut einwirke, war eine ſchon von Ariſtote—
les begruͤndete und durch die Jahrhunderte vererbte Lehre,
welche aber erſt durch Newtons unſterbliche Verſuche auf
mathematiſch genaue Grundlage geſtellt wurde.
Die phyſikaliſche Lehre von der Wellennatur des Lichtes,
der Brechbarkeit desſelben und die Erklaͤrung der Farben
als Teile des weißen Lichtes, als Lichter verſchiedener Wellen—
laͤnge, iſt gegenwaͤrtig ſo feſt begruͤndet, daß niemand, der
die moderne Naturwiſſenſchaft kennt, irgendeinen Zweifel
an der Richtigkeit derſelben hegen kann.
Vor einem Jahrhundert aber, zur Zeit Goethes, war das
nicht der Fall. Die Forſchung befand ſich noch auf weniger
feſt entwickeltem Boden. Die Goetheſchen Forſchungen, Er:
perimente und Beobachtungen ſprachen gegen die phyſika—
liſche Lehre, wie ſie vorgetragen und verallgemei—
nert wurde.
10
Die phyſikaliſchen Experimente — hauptſaͤchlich Unter:
ſuchungen am Spektrum — waren wiederum mit Goethes
Erklaͤrungen unvereinbar.
Auch der Ausgangspunkt der Betrachtung uͤber das We—
ſen des Lichtes und der Farben war bei Goethe und New—
ton grundverſchieden: Newton beobachtete die Spektral—
farben in der Dunkelkammer, Goethe beobachtete die Licht—
wirkung in der freien Natur.
Die Nachfolger Newtons erklaͤrten die Goetheſchen Far—
ben für zufällig, für krankhaft, für Phantasmen uſw., und
Goethe wollte von dem „Geſpenſt in der Dunkelkammer“
nichts wiſſen. So war vor 100 Jahren der Streit, und bei
dem damaligen Stande der Wiſſenſchaft eine Entſcheidung,
d. h. eine Beweisfuͤhrung zugunſten der einen oder der
anderen Meinung unmoͤglich.
Gegenwaͤrtig iſt das anders. Die Lehren Newtons und
ſeiner Schuͤler uͤber die Brechbarkeit des Lichtes, uͤber die
Farben als Lichtqualitaͤten verſchiedener Wellenlaͤnge ſind
das Hauptfundament geworden fuͤr die Entwicklung der
modernen Naturwiſſenſchaften; das Mikroſkop, die Polari—
ſation, die Spektralanalyſe entwickelten ſich und ſtehen auf
dem Boden dieſer Lehre.
Gegenwaͤrtig iſt uͤberhaupt die Lehre Newtons keine
Theorie mehr, ſondern eine voll bewieſene Tatfachet.
Die verſchiedene Wellenlaͤnge des farbigen Lichtes als Teile des Spek—
trums wurde die Erklaͤrung der ſogenannten Schillerfarben, der Farben
duͤnner Blattchen, der ÖL und Fettſchichten auf Waſſerflaͤchen, der
Seifenblaſen uſw.
Die Spektralanalyſe hat mit der Farbe als Lichtqualitaͤt verſchiedener
Wellenlaͤnge wahre Triumphe gefeiert.
Die Aufklärung der „epoptiſchen“ Farben als Interferenz⸗Erſchei⸗
nungen führte zu mannigfaltiger Nutzanwendung in Technik und In:
duſtrie.
Den handgreiflichſten Beweis der Abhaͤngigkeit der Farbe, als Be—
11
3. Die phyſiologiſche oder die ſubjektive Farbe
ie iſt abhaͤngig vom Auge und von ihm hervorgebracht.
Sie iſt die eigentliche Farbe Goethes.
Was Goethe mit feiner ſubjektiven, vom Auge ſelbſt ge—
ſchaffenen Farbe an bleibenden Verdienſten um die Farben—
ſtandteil des Weiß, von der Wellennatur des Lichtes lieferte uns aber
die Photographie. Es gelang zuerſt Lippmann mittels der Interferenz
uͤber einem planen Metallſpiegel ſtehende Wellen der Spektralfarben
herzuſtellen und dieſelben zu photographieren. Es gelingt mittels des
Lippmannſchen Verfahrens, das ganze ſichtbare Spektrum in ſeinen
natuͤrlichen Farben in der Bromſilberplatte zu fixieren und von dieſer
Platte aus zu projizieren.
Da in der exponierten Bromſilberſchicht nur dort eine Schwaͤrzung,
reſp. eine Verbindung von Eiweiß mit Silber entſteht, wo Lichtbewe⸗
gung ſtattfindet, und die Schicht da unzerſetzt, alſo weiß bleibt, wo
keine Atherbewegung vorhanden iſt, ſo muͤſſen in der fixierten Platte
geſchwaͤrzte Stellen den Wellenbergen und nicht geſchwaͤrzte, alfo durch:
ſichtige, den Knotenpunkten der Wellen entſprechen. Die geſchwaͤrzten
Lamellen werden in Abſtaͤnden gleich derſelben Wellenlänge der Glas:
platte parallel verlaufen.
Im Spektrum haben wir die einzelnen Wellenlängen geſondert, und
wenn wir z. B. den Bezirk Rot photographieren, ſo ſind die zur Wir⸗
kung kommenden, ſtehenden Wellen durchſchnittlich 0,7 u lang.
Da wir mit unſeren beſten Immerſionsſyſtemen noch Teile unter⸗
ſcheiden koͤnnen, welche um mehr als 0,1 / voneinander abftehen, und
die rote Lichtwelle, wie ſchon erwähnt, ea. 0,7 / lang iſt, jo mußte die
Einwirkung der Welle auf die Bromſilberſchicht direkt ſichtbar ſein.
Und wenn die Wellentheorie uͤberhaupt richtig iſt, muͤßte hier die
Welle ſelbſt an dem Abſtande der geſchwaͤrzten Lamellen gemeſſen
werden koͤnnen. Dr. Neuhaus in Großlichterfelde hat zuerſt die Meſſung
an Mikrotomdurchſchnitten der Bromſilberſchicht gemacht und nachge⸗
wieſen, daß die geſchwaͤrzten Lamellen tatſaͤchlich, wie die Linien eines
Notenblattes uͤbereinanderliegen, und daß der Abſtand dieſer geſchwaͤrz⸗
ten Linien für die verfchiedenen Farben des Spektrums, ſpeziell für Rot
und Gelb, gleich der halben Wellenlaͤnge der Farben iſt.
Es iſt alſo nunmehr eine Tatſache, daß auf dieſem Wege
der unwiderlegliche Beweis der Wellennatur des Lichtes
erbracht worden iſt, und daß die Durchſchnitte durch die
12
lehre fich erworben hat, läßt fich nur ermeſſen, wenn wir
den Umfang deſſen feſtſtellen, was gegenwaͤrtig, nach—
dem ein Jahrhundert lang geſchmaͤht, geſtritten, gezweifelt
und gepruͤft worden iſt, als feſtſtehende, nicht mehr anzu—
zweifelnde Wahrheit aus ihr erhalten geblieben iſt.
Dabei muß gleich betont werden, daß vieles von dem
geiſtigen Eigentum Goethes im Verlaufe dieſes Jahrhun—
derts von juͤngeren Forſchern (Phyſiologen und Ophtal—
mologen) vermeintlich neu entdeckt worden iſt. Das liegt
daran, daß die Neuzeit mit anderen Mitteln der For—
ſchung und vor allem mit anderen Benennungen der
farbigen Erſcheinungen zu rechnen und zu arbeiten ge—
wohnt iſt.
Wir koͤnnen aber Goethe nur gerecht werden, wenn wir
betonen, daß alle die Farbenerſcheinungen, die wir
gegenwaͤrtig mit dem Namen „Kontraſt“ bezeich—
nen, in Wahrheit ſchon von Goethe erkannt und
in ihrer Bedeutung fuͤr das Farbenſehen beſchrie—
ben worden ſind.
Alle die vielſeitigen Kontraſtfarben, die Goethe ſchon
klar beſchrieb, ſind zu ſeinen Lebzeiten und viele Jahrzehnte
nach ſeiner Zeit durchaus verkannt und „als zufaͤllige oder
krankhafte Erſcheinungen“ abgewieſen worden.
Zwar ſind ſie auch vor Goethe ſchon bekannt geweſen,
aber Goethe hat durch die Fuͤlle ſeiner Beobachtungen und
die Genauigkeit, mit welcher er ſie auffaßte, ihr Walten in
der Natur überall feſtgeſtellt, die Kenntnis der Kontrafte
beſonders gefoͤrdert und ihre Erſcheinungsform, ihre Wich—
tigkeit fuͤr alle Geſichtseindruͤcke vollkommen richtig be—
ſchrieben. f
Photographien des Spektrums Dokumente der Natur vor:
ſtellen, in welche die Lichtbewegung ihre Schwingungs—
art als Farbe eingeſchrieben hat.
13
Wenn wir Goethes Farbenlehre, frei von der ungluͤck—
lichen Polemik mit Newton, richtig charakteriſieren wollen,
muͤſſen wir ſagen: die Farbe Goethes ift die Kontraſt—
farbe.
Goethe hat ihr Weſen entdeckt, und der Wert dieſer Ent—
deckung iſt der Wiſſenſchaft als Fundament fuͤr eine neue
Betrachtung der Newtonſchen Farbe erhalten geblieben.
Die ſubjektive Farbe, die Kontraſtfarbe Goethes, aͤußert ſich
unter folgenden Bedingungen:
I. als nachfolgender (ſukzeſſiver) Kontraſt in den Nach—
bildern;
2. als gleichzeitiger (ſimultaner) Kontraft
a) auf großer farbiger Flaͤche,
b) in den farbigen Schatten.
4. Nachfolgender Kontraſt
(pofitive und negative Nachbilder)
ur die negativen Nachbilder kommen fuͤr unſere Aus—
fuͤhrungen in Betracht. Wenn das Auge ein hellleuch—
tendes Objekt betrachtet und dann den Blick zur Seite wen—
det, ſo entſtehen farbige Nachbilder, die in beſtimmter Phaſe
abklingen.
Wenn z. B. das Auge in die rot untergehende Sonne
blickt, ſo entſteht bei Wendung des Auges und ebenſo, wenn
das Auge geſchloſſen wird, am haͤufigſten ein grünes Nach⸗
bild der Sonne. Nach kurzer Zeit geht dies gruͤne Bild in
ein prachtvolles Purpurrot über uſw. Die Art und Reihen-
folge des Abklingens dieſer Nachbilder aber iſt verſchieden,
je nach dem Reizzuſtande des Auges, und je nachdem das
Auge dabei verdeckt wird oder nicht.
Solche Nachbilder werden unter den mannigfaltigſten
Umftänden nach äußeren Lichtreizen, die den Newtonſchen
14
Geſetzen folgen, vom Auge wahrgenommen, find aber ſelbſt
von dieſen Geſetzen völlig unabhängig. Sie waren für
Goethe ein Beweis, daß nicht alle Farben, die das Auge
ſieht, von beſtimmten Lichtwellen, bezw. Lichtbewegungen
(wie Newton lehrte), abhaͤngig ſein koͤnnten.
Die ſubjektiven Farben der Nachbilder ſind die reinſten
Farben, die wir zu empfinden vermoͤgen, und am aͤhnlich—
ſten den Spektralfarben. Aber eine dieſer ſubjektiven Far—
ben, welche uns die Nachbilder liefern, und zwar die ſchoͤnſte
und ſaturierteſte, der Purpur, kommt im Spektrum gar
nicht vor. Der Phyſiker kann ſie nur herſtellen, wenn er die
Enden des Spektrums, das Rot und das Violet, miteinan—
der miſcht.
Dieſe Eigentuͤmlichkeit, die eigene Stellung des Purpurs
in der ſubjektiven Empfindung, iſt von Goethe zuerſt er—
kannt worden.
Goethe hat auch eine gewiſſe Geſetzmaͤßigkeit im Ab—
klingen der Nachbilder, nach welcher ein Antagonismus in
der Reihenfolge der Empfindungen ſtattfindet, zuerſt er—
kannt. Auf das Reizlicht Weiß folgt die Empfindung Schwarz.
Auf das Reizlicht Rot folgt die Empfindung Gruͤn, auf
Blau Gelb und umgekehrt. Goethe folgert daraus mit
Recht, daß die Empfindung einer beſtimmten Farbe
zwangsmaͤßig die ſubjektive Erſcheinung der Gegenfarbe
fordert.
Er erkennt auch die Bedeutung dieſer ſubjektiven, vom
Auge geforderten Farben als Stimmungsfarben. Haben
wir lange eine rote Flaͤche angeſehen, ſo iſt das Auge be—
ſonders empfindlich fuͤr Gruͤn, waren wir lange in blau—
gefaͤrbter Umgebung, iſt das Auge beſonders empfaͤnglich
fuͤr Gelb und umgekehrt.
Ein Gemaͤlde mit viel Gruͤn erſcheint am kraͤftigſten auf
einer roten Wand uſw.
15
Das Grün einer Wiefenfläche empfindet das Auge am
ſchoͤnſten und intenſivſten, wenn es vorher das helle Abend:
rot betrachtet hat.
Nachbilderſcheinungen ſind auch die Haupturſache des
ſcheinbaren Blitzens, welches Goethe an den roten orienta—
liſchen Mohnbluͤten (Didaktiſcher Teil § 54) beobachtete,
wenn er in der Abenddaͤmmerung beim Hin- und Hergehen
ſeitwaͤrts nach den Bluͤten blickte — er erkennt bei dieſer
Erſcheinung ganz richtig das Bild der Blume in der ge—
forderten mehr hellgruͤnen Farbe!.
Solche Beobachtungen des ſukzeſſiven Kontraſtes ſind
bei Goethe vielfach anzutreffen. Wir wollen daraus nur
entnehmen, daß Goethe ihre Bedeutung nicht uͤberſchaͤtzte,
wenn er meinte, daß, wenn das Auge von der Fixierung
eines Landſchaftsbildes zum Anſchauen eines anderen uͤber—
geht, es dafuͤr aus dem Bilde des erſteren eine beſtimmende
Farbenſtimmung mitbringt.
Verſuch J
m von dieſer Goetheſchen Farbe, die jetzt als ſukzeſſive
Kontraſtfarbe bezeichnet wird, einen richtigen Begriff
zu erhalten und ihre Wirkung in der Natur zu ermeſſen,
machen wir folgendes Experiment. Wir nehmen aus der
dieſem Bande beigegebenen Taſche der Einbanddecke die
Bei dieſer Beobachtung ſpielt auch der Umſtand eine Rolle, daß die
Seitenteile der Netzhaut „beim Seitwaͤrtsblicken“, d. h. bei indirektem
Sehen, für Lichtunterſchiede, die im Geſichtsfelde auftreten, empfind⸗
licher ſind, als das Fixierzentrum, die Stelle des deutlichſten Sehens.
(Vergl. R. Butz: Unterſuchungen uͤber die phyſiologiſchen Funktionen
der Peripherie der Netzhaut, gekroͤnte Preisſchrift, Dorpat 1883.)
Darauf iſt auch das „Eliſabeth-Linné-⸗Phaͤnomen“, das Blitzen der
Blüten, zuruͤckzufuͤhren, welches die Tochter des großen Botanifers Linné
ſchon vor Goethe beobachtet und beſchrieben hat.
16
Tafel J. Auf den reinweißen Grund dieſer Tafel legen wir
das an einer ſchmalen Zunge bewegliche rote Papierquadrat
von 5 em Seitenflaͤche, welches mittels eines duͤnnen Staͤb—
chens (mit einer Meſſerklinge oder einer Bleifeder) zur Seite
geklappt werden kann.
Waͤhrend ſich das rote Quadrat auf dem weißen Grunde
befindet, ſehe man unverwandt etwa zehn bis fuͤnfzehn Se—
kunden lang, ohne den Blick abzuwenden, auf dieſes Qua—
drat und klappe es dann raſch zur Seite. Unſer Auge wird
nun an der Stelle, wo das rote Quadrat ſich befand, einen
intenſiv gruͤngefaͤrbten quadratiſchen Fleck bemerken, der in
der geforderten Farbe foͤrmlich leuchtet. Die gruͤne Farbe
bleibt eine Zeitlang im Auge, wohin wir auch den Blick
wenden. Blicken wir jetzt auf kleine Gegenſtaͤnde, die in
der Naͤhe ſind, ſo werden die gruͤnen intenſiver und ſatter,
die roten matter gefaͤrbt erſcheinen.
Der Verſuch laͤßt ſich noch weiter ausdehnen. Wenn wir
nach dem Fixieren des roten Quadrats, ſolange wir das
gruͤne Nachbild im Auge haben, dieſes Auge ſchließen
und mit der flachen Hand bedecken (beſchatten), ohne zu
druͤcken, ſo wird das Nachbild viel tiefer und geſaͤttigter
erſcheinen.
Dem aufmerkſamen Beobachter wird hierbei nicht ent—
gehen, daß, ſobald das gruͤne Nachbild eine gewiſſe Staͤrke
erlangt hat, auch deſſen Umgebung und zwar in großer
Flaͤchenausdehnung, ſich in der Gegenfarbe, alſo rot zu faͤr—
ben beginnt.
Dieſelbe Erſcheinung, das Auftreten der geforderten
Farbe, iſt auch ſchon zu Beginn unſeres Experimentes, in—
dem wir das rote Quadrat fixieren, in deſſen Umgebung,
wenn auch weniger deutlich, zu beobachten, indem das
weiße Papier ſich in der Umgebung des ſubjektiven gruͤnen
Flecks roͤtlich faͤrbt. Und zwar nicht etwa nur in naͤchſter
17
Nähe desſelben, ſondern in ganzer Ausdehnung des weißen
Papiers !.
Solche einfachen Experimente geben uns einen Begriff davon, wie
die beſchriebenen phyſiologiſchen Erſcheinungen unſer Farbenſehen in
der Natur beeinfluſſen muͤſſen, indem ſie ſich uͤberall, wo Farben im
Geſichtsfelde auftreten, bemerkbar machen. — Sie ſind es, die neben
den weiter unten zu beſchreibenden Kontraſterſcheinungen die Farben:
ſtimmung in der Natur herbeifuͤhren, hier kraſſe ſchreiende Farbengegen⸗
ſaͤtze mildern oder ausgleichen, dort beſondere Farbentoͤne verſtaͤrken.
Es kommt auf dieſe Weiſe ein regulierender Einfluß zuſtande, der
das ganze Landſchaftsbild in ſeiner Farbenſtimmung hochgradig be—
einflußt (vergl. S. 23).
Wir begreifen, daß Goethe mit ſoviel Liebe und Ausdauer dieſen Er⸗
ſcheinungen nachging.
Wir ſtaunen, in welcher Fülle er ſchon vor hundert Jahren ihre Wir-
kung in der Natur erkannte und nachwies.
Eine Erklaͤrung fuͤr dieſe Erſcheinungen fehlt noch heute vollkommen.
Mit Newtons Geſetzen haben fie nichts zu tun. — Sie find rein ſub—
jektiv, Goethes Farben.
In der Phyſiologie wird die Nachbilderſcheinung, wie ſie bei unſerem
Experiment hervortritt, als Ermuͤdungserſcheinung der Netzhaut gedeutet.
Das laͤngere Anſchauen des roten Quadrates macht die von ſeinem
Bilde getroffene Netzhautſtelle weniger empfindlich für Rot, fo daß bei
nachfolgendem Fixieren einer weißen Flaͤche die Komplementaͤrfarbe
Gruͤn erſcheint! Dieſe Ermuͤdungstheorie ſtammt vom Pater Scherffer
(vergl. S. 7). Helmholtz hat ſie adoptiert. Sie iſt noch in Geltung.
Aber das Nachbild Gruͤn erſcheint nicht allein auf weißem Grunde! —
Wir haben gefunden, daß es auch im Dunkeln (bei geſchloſſenem und
[mit der Hand! beſchattetem Auge) auftritt, alſo unter Umſtaͤnden, wo
ein Außerer Lichtreiz jeglicher Art ausgeſchloſſen ift. Die Theorie iſt alſo
fuͤr die Erklaͤrung nicht ausreichend.
Schon Arthur Schopenhauer hat ſich auf Grund aͤhnlicher Be:
obachtungen gegen die Ermuͤdungstheorie ausgeſprochen (Zur Farben⸗
lehre S. 104).
Und nun gar das Auftreten der ſubjektiven roten Farbe in der Um—
gebung des ſubjektiven Gruͤns. Hier iſt an gar keine vorhergehende Er:
muͤdung der Netzhautteile zu denken.
Hier handelt es ſich um eine rein ſubjektive, vom Auge ſelbſttaͤtig her—
vorgebrachte Farbe, die den Kontraſterſcheinungen, die weiter unten be:
18
Wir denken hier bei allen dieſen ſubjektiven Erſcheinun—
gen an eine der Grundlagen fuͤr Goethes Ausſpruch: „Die
Farben ſind Taten des Lichtes, Taten und Leiden“ (Vorwort
zur erſten Ausgabe der Farbenlehre 1810).
Noch eine andere Farbenerſcheinung iſt bei dieſem Ver—
ſuch zu beobachten. Wenn man das rote Quadrat auf dem
weißen Bogen laͤngere Zeit fixiert, ſo bemerkt man recht
haͤufig, daß der eine oder der andere Rand des Quadrates
plotzlich anfängt grün zu leuchten. Die Erſcheinung zeigt
ſich bald an einem, bald am anderen Rande des roten Pa—
pieres und iſt darauf zuruͤckzufuͤhren, daß wir beim Fixie—
ren das Auge nicht abſolut ruhig halten, ſondern daß un—
bewußte Bewegungen ſtattfinden, ſo daß das entſtehende
Nachbild ſich an den Raͤndern des roten Papieres bemerk—
bar macht. (Vergl. Didaktiſcher Teil § 30,33.) Dieſes eigen—
tuͤmliche Gluͤhen iſt die Erklaͤrung fuͤr die Nachbilderſchei—
nung bei bewegten farbigen Gegenſtaͤnden, die unter ge—
wiſſen Bedingungen der Beleuchtung, beſonders als Daͤm—
merungsphaͤnomen, auftreten.
Perſonen, die auf ſolche Nachbilderſcheinungen beſon—
ders achten, werden ihre große Bedeutung fuͤr das Farben—
ſehen kennen lernen, und zwar um fo mehr und um fo leich—
ter, je mehr ſie ſich in der Beobachtung der Nachbilderſchei—
nung uͤben. Es mag dann auch vorkommen, daß ſie hinter
einem raſch laufenden ſchwarzen Pudel einen Lichtſtreifen
erſcheinen ſehen. (Vergl. Nachtraͤge zur Farbenlehre $ 1.)
5, Gleichzeitiger (ſimultaner) Kontraft
iel wichtiger als dieſer ſukzeſſive Kontraſt der Nach—
bilderſcheinung iſt fuͤr unſer Farbenſehen der gleich—
ſchrieben werden ſollen, aͤhnlich iſt, aber als roter Kontraſt zu einem
ſubjektiven Gruͤn beobachtet wird — alſo in der Phyſiologie der Kon—
traſtempfindungen eine beſondere Stellung verdient.
19
zeitige oder ſimultane Kontraſt, den man auch Flaͤchenkon—
traſt benennen kann.
Mit dieſem Namen bezeichnet die neuere Forſchung die
Geſetzmaͤßigkeit, mit welcher ſich mehrere Farben, die im
Geſichtsfelde, d. h. auf der Flaͤche, die man mit unbewegtem
Auge gleichzeitig uͤberſehen kann, gegenſeitig beeinfluſſen.
Die Geſetzmaͤßigkeit dieſer Farbenbeeinfluſſung iſt von
größter Bedeutung für unſer Farbenſehen, d. h. für den
Eindruck, den wir von gefaͤrbten Gegenſtaͤnden, die ſich
uns gleichzeitig und nebeneinander im Geſichts felde dar-
bieten, empfangen.
Goethe hat dieſe Geſetzmaͤßigkeit und ihre Bedeutung
fuͤr das Farbenſehen ſchon erkannt und richtig betont. Sie
geht fo weit, daß immer und ausnahmslos, wenn im Ge⸗
ſichtsfelde mehrere Farben nebeneinander vorhanden ſind,
die eine durch die andere veraͤndert wird. Das betrifft nicht
allein die Veränderung der Helligkeit und Tiefe des Far—
bentons, ſondern es entſtehen infolge dieſer Geſetz—
maͤßigkeit voͤllig neue Farben, die ganz unabhaͤn—
gig ſind von der Wellennatur des Lichtes und nur
durch die ſubjektive Taͤtigkeit des Auges hervor—
gebracht werden.
Eine Erklaͤrung fuͤr dieſe ſubjektiven, neu entſtehenden
Farben iſt noch heute ebenſowenig moͤglich, als zur Zeit
Goethes. Was wir von ihnen wiſſen, iſt das Verdienſt
Goethes geweſen und geblieben.
Um den ungeheuren Einfluß zu uͤberſehen, den dieſes
Verdienſt Goethes auch noch auf die heutige Farbenlehre
ausübt, erſcheint es zweckmaͤßig, die wichtigſten Erſcheinun⸗
gen an den Farben der Natur, die von Goethe als ſubjektiv
erkannt ſind, ohne Ruͤckſicht auf die Polemik mit Newton
für ſich zu betrachten und ihren Wert für die heutige Farben—
lehre feſtzuſtellen. a
20
6. Die ſubjektive Goetheſche Farbe,
die Kontraſtfarbe, in der Natur
5 phyſikaliſchen Bedingungen, unter denen die ſub—
jektiven Farben zuſtande kommen, ſind auch gegen—
waͤrtig noch nicht hinreichend erforſcht, um eine voͤllig un—
truͤgliche Baſis fuͤr die phyſiologiſche Erklaͤrung abgeben
zu koͤnnen. Was ich daruͤber durch zahlreiche Beobachtun—
gen und Experimente feſtſtellen konnte (Archiv fuͤr die ge—
ſamte Phyſiologie, Band 80 und Band 102, ſowie Zeit—
Schrift für Augenheilkunde, Band 19 J, läßt ſich in Kürze,
wie folgt, zuſammenfaſſen:
Der Kontraſt auf großem farbigen Felde und der Kon—
traſt der farbigen Schatten beruht auf denſelben phyſika—
liſchen Vorbedingungen. Beide kommen zuſtande, wenn
das Geſichtsfeld durch mindeſtens zwei verſchiedene Lichter,
welche in einem beſtimmten relativen Verhaͤltnis zu einan—
der ſtehen, beleuchtet wird und an einer Stelle des Geſichts—
feldes die eine Beleuchtung fehlt. (Vergl. Didaktiſcher Teil
$ 64. 167.)
Iſt die eine Beleuchtung farbig, die andere weiß, fo er—
ſcheint überall dort, wo die farbige fehlt, die weiße Beleuch—
tung in der zur farbigen komplementaͤren Faͤrbung.
Iſt die eine Beleuchtung z. B. gelb, die andere weiß, ſo
erſcheinen die im gelblichen Lichte befindlichen Schatten,
die in Wirklichkeit nur rein weiß beleuchtet ſind, unſerem
Auge blau. Hier haben wir die Schattenfarbe Goethes! Es
iſt fuͤr das Verſtaͤndnis der Polemik zwiſchen Goethe und
Newton wichtig, feſtzuſtellen, daß dieſe blaue Schatten—
farbe mit den Geſetzen der Phyſik (Newtons) nichts zu
tun hat und durch ſie nicht erklaͤrt werden kann. Goethe
hat recht, wenn er ſagt, daß ſie vom Auge ſelbſt hervorge—
bracht iſt. Denn das Licht, welches von der Stelle, wo der
21
blaue Schatten fich befindet, phyſikaliſch ausgeht, ıft in
Wirklichkeit weiß, erſcheint aber unſerem Auge blau.
Das Auge richtet ſich alſo hier nicht nach den phyſikaliſchen
Reizen, die den Newtonſchen Geſetzen folgen, ſondern es
ſchafft ſich aus dieſen Reizen eine Eigenfarbe, die aus inne—
rer ſubjektiver Taͤtigkeit entſteht, ganz wie Goethe dieſe
Farbe auffaßte und gegen die Phyſiker verteidigte.
„Die Farben werden am Lichte erregt, nicht aus dem
Licht entwickelt,“ ſagt er, und wir haben bei unſerem Ver—
ſuch geſehen, wie er es meint und verſtanden wiſſen will.
Die Phyſiker aber kannten die Goetheſche Farbe gar
nicht, da die Bedingung ihrer Forſcherarbeit, d. h. die Feſt—
ſtellung der phyſikaliſchen Natur des Lichtes in der Dunkel—
kammer, die Doppelbeleuchtung ausſchließt.
Zur Entſtehung der ſimultanen Kontraſterſcheinung (auch
der farbigen Schatten) gehoͤren ja mehrere Lichter, welche
das Geſichtsfeld relativ zu einander ungleichmaͤßig beleuch—
ten. Dieſe Bedingungen kommen beiden Experimenten New—
tons in der Dunkelkammer nicht vor.
7. Verbreitung der Goetheſchen Farbe
Der Goetheſche Standpunkt wird uns aber verſtaͤnd—
licher, wenn wir das Walten feiner Farbe in der freien
Natur, z. B. in der Beleuchtung der Landſchaft, naͤher be—
trachten. Wir ſagten, daß ſie uͤberall da zuſtande kommt,
wo in der Natur eine Doppelbeleuchtung mit verſchiedener
Intenſitaͤt vorhanden iſt.
Daher ſehen wir fie am intenſivſten bei der gelblichen
Beleuchtung der tiefſtehenden Sonne, wenn gleichzeitig
ſtarkes Reflexlicht weißer Wolken die Schatten aufhält.
Wir finden aber dieſe Kontraftfarben in der Natur zu
allen Tageszeiten.
22
Da die Beleuchtung niemals eine einheitliche ift, Sondern
durch indirekte Aufhellung lokaler Flächen, durch Reflex—
licht, vielfach veraͤndert wird, ſo ſehen wir in der Natur die
Kontraftfarben überall,
Unter beftimmten Verhaͤltniſſen der Beleuchtung iſt die
Faͤrbung der Natur vorwiegend ſubjektiv, und dann haben
die phyſikaliſchen Geſetze, nach welchen wir die uns ſicht—
baren Farben auf den Reiz beſtimmter Lichtwellen zuruͤck—
fuͤhren, gar keine oder nur bedingte Guͤltigkeit.
Darum iſt aber die Faͤrbung in der Natur niemals dau—
ernd dieſelbe, ſondern wechſelt mit dem Stande der Sonne,
mit der Reinheit der Luft uſw. und der Beſchaffenheit der
Wolken.
Jedem Beobachter iſt die Veraͤnderung der Farben be—
kannt, welche in der Landſchaft auftritt, wenn die Sonne
plotzlich aus einem Wolkenhimmel hervorbricht.
Bei der ſo entſtehenden Steigerung der Beleuchtung
werden die Farben ungleichmaͤßig veraͤndert. Objektive rote
und gruͤne Farben ſteigern ſich ins Gelbe, blaue treten zuruͤck.
Dagegen ſteigern ſich die ſubjektiven Farben. Die Ent—
ſtehung zahlreicher Kontraſte, namentlich der farbigen
Schatten, bringt eine beſondere Stimmung der Farben zu—
einander hervor, und dieſe ganze Stimmung ſteht
unter der Herrſchaft der vom Auge hervorgebrach—
ten ſubjektiven Farben.
Bei vollem Tageslichte, etwa zur Mittagszeit, treten
dieſe ſubjektiven Farben, namentlich die farbigen Schatten,
mehr zuruͤck. Sie werden im Freien nur von beſonders auf—
merkſamen Augen wahrgenommen. An Orten aber, wohin
das Sonnen- oder Tageslicht nur in gedaͤmpfter Staͤrke
gelangt, treten ſie auch dann dominierend auf und geben
dieſen Orten eine beſonders ausdrucksvolle Stimmung. So
3. B. in Wäldern, wo das durch die Lücken der Baumkronen
23
und Zweige tretende weiße Tageslicht mit dem durch Re—
fler und Transparenz entſtandenen gruͤnen Laublichte in
einen hoͤchſt wirkſamen Kontraſt tritt und tiefe, rote und
violette Schatten auf Raſen und den Schattenſtellen der
Gebuͤſche hervorbringt. Aus demſelben Grunde bemerken
wir den magiſchen Effekt der Kontraftfarben in Kirchen
mit bunten Glasfenſtern, wenn von dieſen farbiges, von
anderen Stellen farbloſes Licht einfaͤllt.
Denſelben Effekt finden wir in Schluchten, an Waſſer—
faͤllen, in Hoͤhlen und Grotten mit Doppelbeleuchtung.
Dort entſteht, namentlich wenn die Grundflaͤche ſolcher
Grotten durch Waſſer gebildet wird, deſſen Reflex die Far—
ben der Waͤnde widerſpiegelt, und gleichzeitig Tageslicht
durch Eingaͤnge oder Felsſpalten eindringt, ein wunderba—
rer, rein ſubjektiver Farbeneffekt. Ahnliche ſubjektive Farben
bietet in reichlicher Menge der Spiegel der Gebirgsſeen und
der Meeresoberflaͤche. Ganz beſonders wirkſam ſind die
Kontraſtfarben in Schneelandſchaften kurz vor Untergang
der Sonne. Dann iſt bei dunſtigem Horizont die eine (von
ihm ausgehende) Beleuchtung roͤtlich, die andere (vom
Schnee reflektierte) weiß, und die Schatten ſind gruͤn.
(Vergl. Didaktiſcher Teil § 75.) Auf Unebenheiten des Erd—
bodens entſtehen dann die kraͤftigſten ſubjektiven Farben.
Sie beherrſchen vollkommen die obiektiven, ſo daß die
ganze Natur von ihnen erfüllt ift. In Gräben, unter Brüf:
ken, auf Sturzaͤckern, auf Wegen mit ausgefahrenen Glei—
ſen ſind dann die ſchoͤnſten ſubjektiven Farben zu be—
obachten.
8. Harmonie der Farben
s iſt vielfach die Meinung verbreitet, daß die ſubjektive
Farbe etwas Zufaͤlliges ſei, gewiſſermaßen eine phyſika—
liſche Selten heit, die nur durch das Experiment erzeugt werde.
2%
Das ift ein Grundirrtum, denn überall, wo wir in der
Natur Farben erblicken, ſtehen ſie unter dem regulierenden
Einfluß der Goetheſchen Farbe.
Wo zwei Farben im Geſichtsfeld nebeneinander ſind,
wird die eine Farbe durch die andere beeinflußt, da ſie ihr
von ihrer Gegenfarbe mitteilt. Indem bei zahlreichen Far—
ben, die nebeneinander ſtehen, dieſe gegenſeitige Beein—
fluſſung ſtattfindet, entſteht eine von der ſubjektiven Taͤtig—
keit des Auges abhängige Stimmung im Geſamtbilde die—
fer Farben, welche wir die harmoniſche nennen. (Vergl.
oben S. 23.)
Goethe hat das Weſen dieſer Harmonie und die Rolle,
welche die ſubjektiven Farben dabei ſpielen, zuerſt erkannt
und zum Leitmotiv ſeiner Farbenlehre gemacht.
„Die Harmonie iſt im Auge des Menſchen zu ſuchen, ſie
ruht auf einer inneren Wirkung und Gegenwirkung des Or—
gans, nach welcher eine gewiſſe Farbe eine andere fordert.“
Er hat den ganzen Einfluß der ſubjektiven Farben, die
wir jetzt Kontraſtfarben nennen, auf unſere Farbenwahr—
nehmung und den regulierenden Einfluß derſelben auf alle
farbigen Geſichtsempfindungen zuerſt beſchrieben.
Erſt die Neuzeit begann, faſt ein Jahrhundert nach ihm,
dieſen Kern ſeiner Lehre neu zu entdecken; aber der ganze
Inhalt und Umfang dieſer Goetheſchen Lehre von der ſub—
jektiven Farbe iſt auch heute dem großen Kreiſe ſeiner Ver—
ehrer und ſelbſt den wiſſenſchaftlich Forſchenden verborgen
geblieben.
Es iſt naͤmlich keineswegs leicht, die ſubjektive Farbe in
der Natur ohne weiteres als ſolche zu erkennen.
Das iſt heute noch ſo, wie zur Zeit Goethes.
Augenfaͤllige Farbenerſcheinungen werden auch heute als
ſubjektive erkannt, zahlreiche ſubjektive Farben aber werden
fuͤr objektive Lichter gehalten.
25
Goethe klagte aus dieſem Grunde ſchon damals: „Dieſe
Farben, auf welchen alle Harmonie und alſo der wichtigſte
Teil des Kolorits beruht, wurden bisher von den Phyſikern
zufaͤllige Farben genannt.“
Im weſentlichen iſt es noch heute ſo. Die meiſten Maler
halten z. B. die blauen Schatten im gelben Lichte uſw., die
fie kuͤnſtleriſch genau nachbilden, für objektive Farben, für
Reflexe des blauen Himmels uſw. Nur der Augenſchein
des Experimentes kann fie überzeugen, daß fie Farben ma—
len, die in Wirklichkeit nicht vorhanden, ſondern vom Auge
hervorgebracht ſind, die Farben Goethes.
Man betrachte einen grauen Feldſtein oder einen Felſen
auf farbloſem grauem Grunde. Bei diffuſem Lichte iſt ſeine
Eigenfarbe grau.
Wird der Stein ploͤtzlich von der Sonne beſchienen, ſo
erſcheint uns die Sonnenſeite des Steines gelblich, die von
der Sonne abgewendete, die Schattenſeite, dagegen blau!
Die gelbe Farbe an der Sonnenſeite iſt in dieſem Falle ob—
jektiv, es iſt die Farbe des Sonnenlichtes, vermiſcht mit der
Eigenfarbe des Steines. Die blaue Schattenfarbe aber iſt
die Kontraſtfarbe, iſt ſubjektiv.
Sie iſt in Wirklichkeit nicht vorhanden, d. h. in Wirklich-
keit iſt der Stein an der Schattenſeite, ſeiner Eigenfarbe
nach, grau. Das Blau iſt von unſerem Auge hervorgebracht.
Es iſt die vom Gelb der anderen, ſonnig beleuchteten Seite
geforderte Gegenfarbe. Der Beweis fuͤr die ſubjektive Na—
tur derſelben iſt leicht zu fuͤhren. Man ſehe durch eine enge
Roͤhre, etwa eine enge Papierrolle, auf die blaue Schatten—
ſtelle, die Stelle erſcheint jetzt grau; das Blau iſt verſchwun—
den, weil man mit der Roͤhre die Umgebung ausſchaltet und
mit ihr diegelbe Farbe, welche die blaueſubjektivgeforderthat.
Ebenſo verhaͤlt es ſich mit den ſubjektiven Kontraſtfarben
auf großer farbiger Flaͤche.
26
Verſuch ll
an nehme aus der an der Einbanddecke dieſes Buches
befindlichen Taſche die Tafel II. Man breite den gruͤ—
nen Papierbogen vor ſich aus und decke das an einen gruͤ—
nen Papierſtreifen befeſtigte graue Papierquadrat daruͤber.
Vorher uͤberzeuge man ſich, daß das Quadrat rein grau,
alſo im gewoͤhnlichen Sinne farblos iſt.
Wenn dieſes Quadrat ſich auf der Mitte des gruͤnen Bo—
gens befindet, wird es einem aufmerkſamen Auge roͤtlich
erſcheinen. Man breite jetzt den am gruͤnen Papierrande
befeſtigten, rein weißen durchſcheinenden Seidenpapier—
bogen uͤber dem gruͤnen Bogen und dem grauen Quadrat
aus. Jetzt erſcheint das Quadrat unſerem Auge rot! Dieſes
Rot iſt die Farbe Goethes, die Kontraſtfarbe.
Das Experiment, welches wir angeſtellt haben, iſt unter
dem Namen des Florkontraſtes in der Phyſiologie bekannt,
aber bisher nicht oder nur unzureichend erklaͤrt worden. Ir—
radiationswirkung, Adaptation, Induktion find ja nur Na:
men, die uͤber die Natur der Farbe nichts enthuͤllen.
Die phyſikaliſch-phyſiologiſchen Bedingungen, unter de—
nen dieſer Kontraſtverſuch zuſtande kommt, habe ich fol—
gendermaßen definiert (Archiv fuͤr die geſamte Phyſiologie,
Bd. 102, S. 54ff., und Zeitſchrift für Augenheilkunde,
Bd. 19 L, S. 7ff.):
Phyſiologiſch handelt es ſich um eine Flaͤchenfunktion
der Netzhaut.
Wie bei unſerem Verſuch das Quadrat und das Gruͤn des
Papiers flaͤchenhaft nebeneinander geordnet ſind, ſo liegen
auch deren Bilder auf der Netzhaut des Auges nebenein—
ander. Die eine Flaͤche wird alſo durch die andere beeinflußt.
Es muͤſſen die Netzhautelemente Zapfen und Stäbchen)
der einen durch die der anderen Flaͤche mit erregt werden.
27
Es handelt ſich alſo um eine Flaͤchenwirkung, welche Ver:
bindungen der Netzhautelemente miteinander vorausſetzt.
Es waͤre hier an eine Funktion der die Netzhaut ſenkrecht
zum Lichteinfall quer durchſetzenden Nerven verbindungen
zu denken, welche anatomiſch nachgewieſen ſind, mit denen
die Phyſiologie bisher aber nicht viel anzufangen wußte.
Phyſikaliſch iſt die Farbenerſcheinung unſeres Ver—
ſuches dieſelbe wie bei den farbigen Schatten.
Sie ſteht unter denſelben phyſikaliſchen Vorbedingungen
der Doppelbeleuchtung.
Mit dem Seidenpapier iſt weißes Licht (Reflexlicht!) dem
grünen Bogen und dem grauen Quadrat gleichmäßig hin—
zugefuͤgt.
An der Stelle des Quadrats aber fehlt die eine Beleuch—
tung (das Reflexlicht Gruͤn!). Darum erſcheint am Quadrat
die geforderte Farbe, die Kontraſtfarbe Rot. Daß dieſes
Quadrat, welches uns rot erſcheint, bei dem ganzen Ver—
ſuch in Wirklichkeit farblos grau geblieben iſt, beweiſen wir
leicht durch eine Anordnung, durch welche ich das be—
kannte Experiment des Flor-Kontraſtes erweitert habe. Wir
haben nur nötig, die der Tafel II beigegebene undurchfich-
tige Papierfläche, welche in der Mitte einen viereckigen Aus—
ſchnitt von der Größe des Quadrates beſitzt, über dem gruͤ—
nen Bogen und dem Seidenpapier auszubreiten, ſo daß
nur das Quadrat und ſeine Seidenpapierdecke ſichtbar, der
gruͤne Bogen aber verdeckt bleibt. Dann erſcheint das
Quadrat wieder farblos in ſeiner Eigenfarbe grau. („Wie
der Schatten farblos wird, wenn man die Wirkung des
zweitenLichtes hinwegnimmt/„BriefwechſelzwiſchenGoethe
und F. H. Jacobi S. 169.)
Das Rot iſt alſo als objektives Reizlicht bei dieſem Ver—
ſuch gar nicht vorhanden. Wir haben das gruͤne Licht des
Grundes, das graue des Quadrates und das beiden zuge—
28
mifchte Weiß des Seidenpapieres. Rotes Licht ift alfo ob:
jektiv nicht vorhanden: es ift ſubjektiv, d. h. von unſerem
Auge hervorgebracht.
Nichtsdeſtoweniger macht es uns ganz den Eindruck
einer objektiven Farbe; und niemand, der den mit dem
Seidenpapier bedeckten gruͤnen Bogen betrachtet, wird die
am Quadrate ſubjektiv gebundene Farbe von einem anderen
objektiven Rot gleicher Intenſitaͤt zu unterſcheiden ver—
moͤgen.
Der Verſuch aber bedeutet noch viel mehr! Er beweiſt
uns, daß wir unter beſtimmten, optiſch geſetzmaͤßigen Be—
dingungen weißes, d. h. zuſammengeſetztes Licht farbig
(bei unſerem Verſuch rot) empfinden.
Das Wichtigſte ſcheint mir bei dieſem Experiment alſo
nicht die Tatſache zu ſein, daß an dem Orte, wo wir das
Rot ſehen, und uͤberhaupt bei dem Experiment, gar kein
rotes Licht vorhanden iſt. Dadurch wird nur die ſubjektive
Natur der vom Auge hervorgebrachten Farbe bewieſen. Das
Wichtigſte dieſes Verſuches liegt vielmehr darin, daß damit
nachgewieſen iſt, daß weißes Licht farbig geſehen wird,
was mit der Newtonſchen Lehre nicht vereinbar iſt.
Wir verſtehen nun den großen Gegenſatz in der Auffaſ—
ſung der Farbe, welche der Polemik Goethes gegen Newton
zugrunde liegt.
Goethe glaubte alſo zu ſeiner Zeit mit Recht, in ſolchen
Experimenten einen unwiderleglichen Einwand gegen die
Newtonſche Lehre gefunden zu haben. Man ſieht, daß die
Polemik Goethes gegen Newton kein blinder Eifer, ſondern,
im Lichte der damaligen Anſchauungen, ein vollberechtigter
Standpunkt war.
An der ſubjektiven Natur dieſes Rot, alſo an Goethes
richtiger Auffaſſung, zweifelt heute keiner! Aber zur Zeit
Goethes wollte niemand (mit Ausnahme einiger Philoſo—
29
phen und Phyſiologen: Johannes Müller, Purkinje, See⸗
beck, Schopenhauer, Soͤmmering, Loder u. a.) an die ſub—
jektive Farbe glauben.
Auch heute wird die Bedeutung der Goetheſchen Farbe
noch vollſtaͤndig unterſchaͤtzt. Selbſt naturwiſſenſchaftlich
gebildete Kreiſe, auch Kuͤnſtler und Maler, ahnen kaum die
große Bedeutung und den ungeheuren Anteil, den die ſub—
jektive Farbe im Bilde der Landſchaft, die uns umgibt, —
fortwaͤhrend wirkſam dieſes Bild veraͤndernd — in An—
ſpruch nimmt.
Die Beleuchtungsverhaͤltniſſe, wie ſie bei unſerem Ver—
ſuch das ſubjektive Rot des Quadrates hervorbringen, ſind
in der freien Natur uͤberall vorhanden, wo zweierlei Be—
leuchtung, eine farbige und eine weiße, in ungleichem Grade
zuſammenwirken, namentlich dort, wo gedaͤmpftes farb:
loſes Licht die Schatten farbiger Reflexlichter in einem be—
ſtimmten Intenſitaͤtsverhaͤltnis aufhellt.
Man kann ſich bei einiger Überlegung daher auch vor:
ſtellen, wie verbreitet in der Natur die Goetheſche harmo—
niſche Farbe ſein muß, da die Bedingungen, unter denen
wir ſie in unſerem kleinen Experiment auftreten ſehen, ſich
alluͤberall in der Landſchaft und namentlich in Innenraͤu—
men von Wohnhaͤuſern, Hallen und Kirchen tauſendfach
wiederholen.
Die Harmonie der Farben in der Natur, welche auf dieſe
Weiſe zuſtande kommt, alſo als eine direkte Folge der Nach—⸗
bilderſcheinungen, der Flaͤchenkontraſte und der farbigen
Schatten zu betrachten iſt, hat eine große Bedeutung fuͤr
die Nachbildung der Natur durch die Malerei.
Goethe verlangt von der Kunſt, daß ſie das Walten der
harmoniſchen Farbe dort uͤberall getreu ausdruͤcke.
Zu der Zeit, als Goethe ſeine Farbe ergruͤndete, be—
ſchrieb und gegen die Phyſik der akademiſchen Zeitge—
30
noſſen verteidigte, fand er fat die einzigen Anhänger in
den Künftlern.
Damals war Hackert derjenige, deſſen Werke dem Zeit:
geſchmacke am meiſten zuſagten, und ſeine Kunſt, welche
die Natur genau nachbildete und panoramaartige Land—
ſchaften, ſogenannte Veduten, in denen jeder Stein und
jede Farbe, die das Geſichtsfeld aufwies, gemalt werden
mußte, herſtellte, kam der Goetheſchen Auffaſſung entgegen.
Die Harmonie der Farben ſollte das Leitmotiv der Malerei
werden. Daher auch die Schwaͤrmerei des Dichters fuͤr die
alte italieniſche, beſonders venetianiſche Kunſt, bei der die
Goetheſche Bedingung bekanntlich am beſten erfuͤllt iſt.
Er ſah uͤberall in der Kunſt die Herrſchaft der harmoni—
ſchen Farbe.
„In manchen Fällen tritt ſogleich die phyſiologiſche For—
derung der Farben ein, und eine ganz farbloſe Landſchaft
wird durch dieſe mit- und gegeneinander wirkenden Be—
ſtimmungen vor unſerm Auge völlig farbig erſcheinen.“
(Didaktiſcher Teil § 872.)
Unter den ſubjektiven harmoniſchen Farben hat Goethe
insbeſondere den farbigen Schatten viel Aufmerkſamkeit und
Studium gewidmet. Er iſt der erſte, der die Bedingungen
genau analyſiert, d. h. das Verhaͤltnis der zwei Lichter feſt—
geſtellt hat, wie fie entſtehen. (Didaktiſcher Teil § 64 ff.)
Es iſt auffallend, daß noch heutzutage akademiſche Ge—
lehrte, die uͤber Kontraſtfarben ſchreiben, dieſe Bedingungen
nicht zu kennen ſcheinen!.
Einen ſchlagenden Beweis fuͤr die ſubjektive Natur dieſer Schatten
und fuͤr Goethes Definition ihrer Entſtehung liefert uns auch die Auto—
chrom⸗Photographie. Wenn man eine Stelle in der Landſchaft, wo ſich
die erwaͤhnten Kontraſtfarben deutlich zeigen, z. B. die blauen Schatten
von Mauern auf ſonnigen Landſchaften am Abend, mittels der Auto:
chrom⸗Platte photographiert, und dann auf der Platte die ſeitlichen,
ſonnig gelben Partien abdeckt und nur die Schattenſtellen freilaͤßt, ſo
31
9. Das Verhältnis der Goetheſchen zur Newton—
ſchen Farbe
er den vorſtehenden Auseinanderſetzungen aufmerk—
ſam gefolgt iſt, wird dem Streit uͤber Goethes und
Newtons Farbenlehre parteilos gegenuͤberſtehen koͤnnen.
Er wird mit den Mitteln der Erkenntnis der Neuzeit zu der
erſcheinen dieſe farblos; auf der ungedeckten Platte aber erſcheinen ſie
blau!
Gute und deutliche Kontraſtfarben laſſen ſich durch ein einfaches Er-
periment herſtellen und photographieren.
In einem Dunkelzimmer habe ich mittels zweier, der Groͤße nach
regulierbarer Offnungen im Fenſterladen, deren eine mit einem matten
farbloſen, deren andere mit einem roten Glaſe verſchloſſen war, weißes
und rotes Licht eintreten laſſen. In einiger Entfernung vom Fenſter⸗
laden war ein Leinwandſchirm aufgeſtellt, auf welchem die Schatten
einer zwiſchen Fenſterladen und Schirm befindlichen breiten Leiſte ſicht⸗
bar wurden, wenn der Schirm von beiden Offnungen her, alſo gleich:
zeitig rot und weiß in einem beſtimmten Verhaͤltniſſe der relativen
Lichtſtaͤrke beleuchtet wurde.
Bei dem Experimente iſt der Schirm rot und weiß, die eine Schatten⸗
ſtelle nur rot, die andere nur weiß beleuchtet. Das Weiß erſcheint nun
durch Kontraſt gruͤn, und dieſes ſubjektive Gruͤn erſcheint unſerem Auge
ganz wie eine objektive Farbe.
Den Schirm mit der gruͤnen Kontraſtfarbe habe ich nun mittels
einer Autochrom-Platte photographiert und fo ein Demonſtrationsob⸗
jekt gewonnen, welches mit Vorteil benutzt werden kann, um einem
Auditorium das Weſen des farbigen Kontraſtes zur Anſchauung zu
bringen. Zu dieſem Zwecke iſt die Photographie mit einer undurchſich⸗
tigen Klappe verſehen, welche genau an der Stelle, wo der farbige
gruͤne Schatten ſich befindet, einen Ausſchnitt beſitzt. Iſt die Photo—
graphie durch die Klappe verdeckt und fo die Doppelbeleuchtung aus:
geſchaltet, ſo ſieht die Schattenſtelle in dem Ausſchnitte der Klappe rein
weiß aus; wird die Klappe zur Seite geſchoben, fo daß die Doppelbe—
leuchtung wieder zur Geltung kommt, fo wird der Schatten wieder in:
tenſiv gruͤn.
Mittels dieſer Photographie läßt ſich alſo die Kontraſtfarbe, ihre
Abhängigkeit von der Doppelbeleuchtung im Geſichtsfelde leicht demon-
32
Überzeugung gelangen, daß im Grunde genommen beide
Teile recht hatten, daß nur ein großes Mißverſtaͤndnis über
das Weſen der Farbe der traurigen Polemik zugrunde lag.
Auf beiden Seiten war Irrtum und Wahrheit ziemlich
gleich verteilt.
Wir ſind heute von der Richtigkeit der Lehren Newtons
vom Lichte und den Farben vollkommen uͤberzeugt; wir
wiſſen jetzt aber auch, daß die Phyſiker zur Zeit Goethes
in Verteidigung dieſer Lehre gegen Goethe, indem ſie Goethes
Farbe uͤberſahen, einen ebenſo großen Fehler machten, als
Goethe ſelbſt, der die phyſikaliſchen Grundgeſetze des Lichtes,
die Vorbedingung ſeiner Farbe ſelbſt, bekaͤmpfen wollte.
Goethe wurde in ſeiner Auffaſſung vom Weſen der Farbe
und in ſeiner Oppoſition gegen Newton namentlich durch
zwei Argumente, die unzweifelhaft richtig ſind, beſtaͤrkt,
naͤmlich erſtens bei der Feſtſtellung der Tatſache, daß der
Purpur, den wir im Auge als Hauptfarbe empfinden, im
zerlegten Weiß Newtons, im Spektrum, gar nicht enthalten
iſt, ſondern erſt durch Miſchung der beiden Enden des
Spektrums erhalten wird (vergl. Didaktifcher Teil $ 814),
und zweitens durch die ebenfalls nicht anfechtbare Beobach—
tung, daß dieſes Weiß, das nach Newton die Summe aller
Farben iſt, in unſerem Auge einen durchaus einheitlichen
unteilbaren Eindruck macht. Dazu kommt, daß ein weißes
ſtrieren. Man kann auch durch Projektion der Photographie die Ent⸗
ſtehung der Kontraſtfarbe, der Goetheſchen Farbe ſchlechthin, einem
größeren Zuſchauerkreiſe deutlich machen.
Die Photographie eignet ſich aber auch dazu, um in phyſiologiſchen
Vorleſungen dieſe Farbe und ihre Entſtehung zu erlaͤutern.
Dieſe Experimente liefern uns alſo den Beweis, daß wir in der Sta:
tur Farben ſehen, welche nicht von einer beſtimmten Wellenlaͤnge des
Lichtes abhängig find. Denn wir ſehen Weiß, die Summe aller Far:
ben, genau fo, wie wir das Licht einer ganz beſtimmten Wellenlänge
(Gruͤn) empfinden.
33
Reizlicht, z. B. eine helle, rein weiße Fläche, ein ſchwarzes
Nachbild erzeugt.
Das Reizlicht Weiß und ſein Nachbild Schwarz ſtehen
alſo ganz in demſelben Verhältnis des geforderten Gegen
ſatzes und der „Polaritaͤt“ wie die warmen zu den kalten
Farben und umgekehrt. Schwarz iſt aber im Newtonſchen
Sinne keine Farbe, ſondern Abweſenheit des Lichtes.
Wir verſtehen auch hier wieder den Gegenſatz in der
Polemik: den Gegenſatz zwiſchen phyſikaliſch-optiſchen
Reizen und der phyſiologiſchen Empfindung der Farbe. Es
iſt etwas anderes, wie der aͤußere Reiz des Lichtes
und der Farben optiſch beſchaffen iſt (Newton),
und etwas anderes, wie das Auge auf dieſen Reiz
antwortet und wie es ihn veraͤndert (Goethe).
Wenn man heute die beiden Gegenfäge in der Auffaſſung
der Farbe gegeneinander abwaͤgt, fo wird man zur Über:
zeugung gelangen, daß die Lehre Newtons, eins der Fun⸗
damente der modernen Naturwiſſenſchaft, von unendlicher
Bedeutung geworden iſt, daß aber die Lehre Goethes fuͤr
die Beurteilung der Farben in der Natur ihr nicht allein
gleichberechtigt gegenuͤberſteht, ſondern für praktiſche Nutz⸗
anwendung in Gewerbe und Kunſt ungleich viel wich—
tiger geworden iſt.
Beide Lehren, die von Newton und die von
Goethe, gehoͤren zuſammen. Beide vereint, geben
erſt den richtigen Begriff der Farbe, welche das
Auge in der Natur (unter den verſchiedenſten Ein—
wirkungen der Beleuchtung uſw.) empfindet.
10. Nachwirkungen und Erfolge von Goethes
Farbenlehre
eit etwa einem Menſchenalter erſt iſt auch die
Wiſſenſchaft der Farbenlehre Goethes wieder naͤher
34
getreten und hat ihr ſchon vielfachen Nutzen zu ver:
danken.
Goethes Auffaſſung von der Polaritaͤt und den ſich
gegenſeitig fordernden Farben iſt der Ausgangspunkt ver—
ſchiedener Theorien uͤber den phyſiologiſchen Vorgang der
Farbenempfindung geworden, die noch heute herrſchen.
Die gegenwaͤrtig am meiſten gefeierte Theorie der Farben—
empfindung von Ewald Hering, die ſogenannte Theorie der
„Gegenfarben“, knuͤpft direkt an die Goetheſche Lehre von
den Farben, die ſich gegenſeitig fordern, an.
Der $5 der erſten Abteilung des Entwurfs zur Farben—
lehre: „Die Retina befindet ſich, je nachdem Licht oder
Finſternis auf ſie wirken, in zwei verſchiedenen Zuſtaͤnden,
die einander voͤllig entgegenſtehen“ und die Weiterung da—
zu in $ 18: „Das Schwarze als Repraͤſentant der Finſter—
nis laͤßt das Organ im Zuſtande der Ruhe, das Weiße als
Stellvertreter des Lichts verſetzt es in Taͤtigkeit,“ ſind nichts
anderes, als die Grundlagen zu dieſer Heringſchen Theorie.
Da Goethe ſeine ſubjektive Farbe in der Natur uͤberall
ſuchte und uͤberall als vom Auge abhaͤngig erkannte, konnte
es ihm auch nicht verborgen bleiben, daß nicht alle Augen
die Farben gleich ſehen, ſondern daß individuelle Unter—
ſchiede im Farbenſehen vorkommen.
Goethe iſt der erſte, der in dieſer fuͤr die Pſychologie
ungemein wichtigen Frage ein durchaus klares Urteil ent—
wickelt. Er glaubt, daß die Empfindung der Farbe bei der
Menſchheit ungefähr übereinftimmen muͤſſe. „Denn
auf dieſem Glauben beruht ja alle Mitteilung der Er—
fahrung.“
Er faͤhrt aber dann fort: „Daß aber auch in den Organen
eine große Abweichung und Verſchiedenheit in Abſicht auf
Farben ſich befindet, kann man am beſten bei dem Maler
ſehen, der etwas Ahnliches mit dem, was er ſieht, hervor—
35
bringen ſoll“ (Kommentar zu Diderots ‚Verfuch über die
Malerei‘, Abfchnitt ‚Irrtümer und Mängel‘).
Bei ſolchen Studien über individuelle Farbenempfin=
dung konnte ihm auch die Tatſache nicht entgehen, daß es
Augen gibt, welche beſtimmte Farben verwechſeln. Dieſe
Augen mußten ihm um ſo mehr auffallen, als die Verwech—
ſelungsfarben in der Regel antagoniſtiſche, komplementaͤre
Farben ſind.
Goethe hat daher dieſen Augen ſein beſonderes Studium
zugewandt und hat den Zuſtand der Farbenblindheit zu
einer Zeit gekannt und beſchrieben, als die Phyſiologie noch
von ihr kaum Notiz nahm.
Eigentuͤmlich iſt, daß Goethe in den beiden Farben—
blinden, die er unterſuchte, Repraͤſentanten einer ſeltenen
Form der Empfindungsanomalie angetroffen hat, nämlich
Perſonen, die Roſa und Gruͤnblau, Gruͤn und Rotbraun
verwechſeln (Didaktiſcher Teil $ 1103/8).
Mit dieſer Entdeckung und Bewertung der Farbenblind—
heit, die er zuerſt ganz richtig als einen Zuſtand zwiſchen
Geſundheit und Krankheit auffaßt, hat Goethe den Kennt—
niſſen feiner Zeit um mehrere Jahrzehnte vorausgearbeitet!.
Von nicht geringer Wichtigkeit ſind auch die Angaben
Goethes uͤber das Vorkommen krankhafter Lichterſcheinun—
Die erwaͤhnten Erfahrungen Goethes ſind die Veranlaſſung geweſen,
daß der Verfaſſer vor mehr als zwei Jahrzehnten zahlreiche Unter⸗
ſuchungen uͤber individuelle Unterſchiede der Farbenempfindung ange⸗
ſtellt hat.
Dabei ſtellte es ſich heraus, daß der Zuſtand der Verwechſelung von
Hauptfarben, den wir jetzt Farbenblindheit nennen, bei mindeſtens 4%
der Menſchheit vorkommt, und daß Abweichungen und Unſicherheiten
der Farbenempfindungen in etwa 200% der Menſchheit nachgewieſen
werden koͤnnen. (Vergl. Archiv fuͤr die geſamte Phyſiologie, Bd. 80
und 102, und die Abhandlung des Verfaſſers uͤber Farbenſehen und
Malerei, München bei Ernſt Reinhardt, 1901.)
36
gen geweſen, die im Abſchnitt über pathologiſche Farben
(Didaktiſcher Teil § 101/35) beſchrieben find.
Er kennt und beſchreibt die „Reizerſcheinungen“, wie ſie
bei Augenkranken nicht ſelten zu beobachten ſind, und die
heutzutage den Wert von beſtimmten Symptomen beſon—
derer Netzhauterkrankung beſitzen.
Goethe kennt auch die Farbenerſcheinungen, die bei Druck
und Schlag auf das Auge eintreten. Er fuͤhrt auch ſchon
an, daß die nach heftigen Lichteindruͤcken abklingenden
Nachbilder bei reizbaren Perſonen laͤnger als bei geſunden
im Auge verweilen und ſtundenlang laͤſtig empfunden wer—
den (Didaktiſcher Teil $ 28). Es iſt ihm auch nicht unbekannt,
daß die Purpurfarbe dabei eine beſondere Rolle ſpielt.
Goethe beſchreibt auch ſchon einige Zuſtaͤnde des geſtoͤr—
ten Farbenſehens bei Gelbſuͤchtigen und Staarkranken,
welche fuͤr die Pathologie von Bedeutung ſind.
Die Farbenſtudien, welche Goethe uͤber das Kolorit in
der Malerei angeſtellt hat, ſind aus ſeinen Erfahrungen
uͤber die Harmonie der Farben direkt hervorgegangen.
Die Gruppierung, welche er den Farben nach Maßgabe
ihrer „Polaritaͤt“ anweiſt, laſſen ihn eine Einteilung in
warme und kalte Farben zweckmaͤßig erſcheinen, und wir
wiſſen, daß dieſe Auffaſſung in der Kunſt der Malerei noch
heute ihre praktiſche Anwendung findet. Denſelben Wert
hat fuͤr jede pſychologiſche Betrachtung uͤber die Farbe der
Abſchnitt uͤber die ſinnlich-ſittliche Wirkung, welche Goethe
den Farben zuſchreibt.
Die Unterſcheidung und Gegenuͤberſtellung von Plus—
und Minusfarben, d. h. von regſamen, lebhaften und
ſtrebenden, gegenuͤber den unruhigen, weichen und ſehnen—
den Farben, hat großen Einfluß auf die Dekorationskunſt
ausgeuͤbt. Man hat damit auch Einfluß auf krankhafte
Gemuͤtsſtimmungen ausuͤben wollen.
37
Seine Eroͤrterungen über Lokalfarbe und über Kolorit
überhaupt find noch heute für den Kuͤnſtler in jeder Richtung
maßgebend.
Auch die Rolle, welche Goethe den truͤben Medien bei
der Erzeugung der Farbe zuſchreibt, iſt vollkommen richtig.
Die Argumente aber, welche Goethe aus ihnen gegen
Newtons Geſetze ableitet, und die ganze phyſikaliſche Be—
weisfuͤhrung Goethes gegen dieſe Geſetze ſind falſch —
daruͤber duͤrfen wir uns gegenwaͤrtig keinem Zweifel hin—
geben, trotz aller Anerkennung der geiſtreichen Umkleidung
dieſer Beweisfuͤhrung.
Aber warum die Schatten in Goethes Farbenlehre immer
wieder betonen, wo ſo viel Licht vorhanden iſt?
Es iſt wahrlich kein Verdienſt um die Farbenlehre, und
um die Goethes im beſonderen, wenn die modernen Freunde
Goethes immer wieder verſuchen, Goethes phyſikaliſche
Stellungnahme gegen Newton zu verteidigen, und glauben,
ihr zum Siege verhelfen zu koͤnnen.
Das iſt vergebliches Bemühen. Aber es iſt für das Ver⸗
dienſt der Farbenlehre auch gar nicht noͤtig.
Dieſe Freunde kennen offenbar den wahren Wert der
Goetheſchen Farbenlehre nicht, da ſie denſelben an falſcher
Stelle ſuchen. Nicht die Bekaͤmpfung Newtons iſt das Ver:
dienſt der Farbenlehre, ſondern es iſt die Goetheſche Farbe
ſelbſt, die ihrerſeits von den Phyſikern uͤberſehen und ge—
leugnet wurde. Sie bedarf keiner Verteidigung. Sie iſt
auch mehr uͤberſehen und verkannt, als angegriffen
worden.
Aber die Verſuche, Goethes Farbenlehre gegen Newton
zu verwerten, welche in modernen Zeitſchriften unternom—
men werden und immer wiederkehren, koͤnnen dem An—
denken des großen Naturforſchers Goethe nur ſchaden,
ſchon deshalb, weil ſie geeignet ſind, vorgefaßte Meinun—
38
gen, daß Goethes Farbenlehre nichts als ein großer Irrtum
ſei, zu beſtaͤrken.
Auch ohne dieſe Verteidiger einer gaͤnzlich verlorenen
Sache bleibt die Farbenlehre Goethes ein Meiſterwerk der
Naturwiſſenſchaft und Philoſophie, voll Wahrheit und
Schoͤnheit.
Es iſt nur noͤtig, ſie richtig zu verſtehen.
Dabei darf man „die Schlacken nicht ſchonen, wenn
man endlich das Metall heraushaben will“ (Goethe an
Schiller, 22. Mai 1803).
Und dieſes Metall, welches wir uͤbrig behalten, iſt die
Goetheſche Farbe.
Sie iſt fuͤr die allgemeine Beobachtung aller Natur—
ſchoͤnheit eine Quelle des Verſtaͤndniſſes. Sie muß auch,
mehr als es bisher der Fall war, fuͤr die ganze Menſchheit
eine Quelle ſittlichen Genuſſes werden.
Schlußwort
No bekraͤnzte Monumente, noch Kanonenſalven, noch
" Glockengelaͤute, geſchweige Feſtmahle mit Reden,
reichen hin, das ſchwere und empoͤrende Unrecht zu ſuͤhnen,
welches Goethe erleidet in betreff ſeiner Farbenlehre. Denn,
ſtatt daß die vollkommene Wahrheit und hohe Vortrefflich—
keit derſelben gerechte Anerkennung gefunden haͤtte, gilt
ſie allgemein fuͤr einen verfehlten Verſuch, uͤber welchen,
wie juͤngſt eine Zeitſchrift ſich ausdruͤckte, die Leute vom
Fache nur laͤcheln, ja fuͤr eine mit Nachſicht und Vergeſſen—
heit zu bedeckende Schwaͤche des großen Mannes.“
Dieſe Klage ſchrieb Arthur Schopenhauer bei der Feier
des hundertjaͤhrigen Geburtstages Goethes im Jahre 1849
in das Album der Stadt Frankfurt.
Wir koͤnnen uns, nach dem, was die vorſtehenden Be—
39
trachtungen ergeben haben, ihr voll anſchließen, auch wenn
wir nicht, wie Schopenhauer, Gegner, ſondern Bewun—
derer Newtons ſind.
Wenn wir von der ungluͤcklichen Polemik gegen Newton
abſehen, und alle Verſuche, ſie mit uͤbrigens richtig beob—
achteten Erſcheinungen an truͤben Medien und Schatten zu
ſtuͤtzen, beiſeitelaſſen, jo bleibt ein Kern aus Goethes Far:
benlehre beſtehen, der von unſchaͤtzbarer Bedeutung iſt fuͤr
die Lehre von der Farbe, der, wie oben nachgewieſen iſt, die
notwendige Ergaͤnzung fuͤr die Newtonſche phyſikaliſche
Farbe vorſtellt und deren Wirkung in der Natur erſt ver—
ſtehen lehrt.
Es ſtrahlt demnach aus der Goetheſchen Farbenlehre ein
Licht, welches alle Schatten vorgefaßter Meinungen er—
leuchtet und keiner Verteidigung bedarf. Es wird leuchten,
ſolange eine Welt voll Farben beſtehen wird.
Das Impreſſioniſtiſche bei Goethe
(Sprachliche Streifzuͤge durch Goethes Lyrik)
Von Ric von Carlowitz
enn wir Goethes Sprache im Zuſammenhang uͤber—
blicken, ſo koͤnnen wir darin zwei große, ſcheinbar
widerſtreitende Grundabſichten unterſcheiden. Die eine
greift zuruͤck auf die geſchichtlichen Quellen der deutſchen
Sprache, die andere weiſt vorwaͤrts in das Neuland mo—
derner Sprachkultur. Mit dieſem doppelten Geſicht, nach
Vergangenheit und Zukunft gleich gerichtet, ragt die Sprache
Goethes wie eine Herme des roͤmiſchen Grenzgottes in der
Geſchichte des deutſchen Schrifttums. Sie rafft noch ein—
mal alle jugendliche Kraft und Farbenpracht des Mittel—
alters zuſammen, wie etwa Hans Sachs und das Volkslied
ſie verkoͤrpern, und erſchafft andererſeits in vorauseilen—
dem Formendrang die Richtlinien unſerer lebendigſten
Kunſtgegenwart. Dieſe neuere Wortkunſt, die in bewußter
Weiſe von dem „Neutoͤner“ Lilieneron und Dehmel in An—
griff genommen wurde, hat man mit dem Impreſſionis—
mus in Parallele geſetzt, der, in der Malerei um die Mitte
vorigen Jahrhunderts aufgekommen, bis heute ihr frucht—
barſter Begriff geblieben iſt. Wenn wir darum die Ewig—
keitsſpuren verfolgen wollen, die Goethe fuͤr die Entwick—
lung der Sprache hinterlaſſen hat, werden wir das Im—
preſſioniſtiſche bei Goethe nachzuweiſen haben. In
ihm duͤrfen wir zugleich hoffen, die hoͤhere Einheit fuͤr den
ſcheinbaren Zwieſpalt ſeiner Sprache zu finden. Denn was
uns hier geſchichtlich als die doppelte Anknuͤpfung an eine
41
urwuͤchſige Vergangenheit und eine verfeinerte Zukunft er—
ſcheint, geht doch im Grunde nur auf den uralten Dualis—
mus der beiden Angelpunkte Natur und Kunſt zuruͤck, den
jedes Genie eben durch das Neue, Vorwaͤrtsweiſende ſei—
ner Kunſt zu neuer Verſoͤhnung bringt.
Bei der Breite des Goetheſchen Werkes ſcheint es ange—
zeigt, die Unterſuchung auf das Sprachgut eines beſtimm—
ten Gebietes zu beſchraͤnken. Wir werden dazu am beſten
ſeine Lyrik heranziehen. Einmal hat ſich hier das vielſeitige
Genie Goethes am reinſten und man darf wohl ſagen:
ſchoͤnſten ausgeſprochen. Dann iſt gerade die Lyrik, die als
Stimmungskunſt auf intimſte Wirkung ausgeht, der gege—
bene Ort fuͤr die Anwendung einer bewußten Wortkunſt.
Innerhalb dieſes Gebietes werden wir uns wieder an die
übliche Auswahl der Goetheausgaben halten, wie fie jeder:
mann zugaͤnglich iſt.
Zunaͤchſt fühlen wir die Verpflichtung, uns für die Über:
tragung des „Impreſſionismus“ vom Maleriſchen ins
Poetiſche zu verantworten. Aber was war Impreſſionis—
mus? Es war nichts anderes als ein neuer Weg zu dem
alten Ziel: „Zuruͤck zur Natur!“ Und weil nun alle Kunſt,
nach Duͤrers ſchoͤnem Wort, „in der Natur ſteckt“, ſo
konnte und mußte auch dieſer neue Weg auf alle anderen
Kunſtgebiete übertragen werden. Oder vielmehr, er hatte
ſich bereits uͤberall in der geſamten Kunſtauffaſſung ange—
bahnt, ehe er in der Malerei zu jener beſonderen Ausbil—
dung gelangte, die ihm den Namen verſchaffte. Dieſer
Impreſſionismus, als der Inbegriff der neueren Kunſt
uͤberhaupt, ſchiebt noch einmal von Grund aus den ganzen
Wuſt von Vorurteilen in der konventionellen Naturbetrach—
tung beiſeite, um die Natur in moͤglichſter Naivitaͤt auf ſich
wirken zu laſſen. Von dem Erleben des Gegenſtandes, nicht
von dem Wiſſen darum geht er aus, um zu ſeinem ſubjek—
42
tiven Eindruck (Impreſſion), nicht feinem objektiven Aus:
ſehen zu gelangen. Der Impreſſionismus iſt mit einem
Wort: angewandte Pſychologie. Es genuͤgt, darauf hinzu—
weiſen, daß dieſe Kunſtrichtung mit Kants transzenden—
talem Idealismus aufs innigſte zuſammenhaͤngt und im
tiefſten Sinne erſt durch ſeine Revolution der Geiſter
moͤglich — und noͤtig wurde. Der philoſophiſche Gehalt
einer Zeit findet eben ſeinen Weg auch in Koͤpfe, die es ent—
ruͤſtet von ſich weiſen würden, philoſophiſch angekraͤnkelt zu
ſein. Wie das kantiſche „Ding“ von innen her, in ſeinem
„An ſich“, ewig unerreichbar bleibt, ſo hat auch fuͤr den
Impreſſioniſten der Gegenſtand nur Oberflaͤche, deren
Form er mit aͤußerſter Schmiegſamkeit der Auffaſſung von
allen Seiten und mit allen Sinnen abtaſtet. Von der In—
Fongruenz jeder Anſchauung durchdrungen, verzichtet er
deshalb grundſaͤtzlich auf das konſervative Dogma von der
Einheit der Anſchauung, indem er ſeinen Gegenſtand
in viele und oft heterogene Einzeleindruͤcke aufloͤſt, deren
Syntheſe der nachſchaffenden Phantaſie uͤberlaſſen bleibt.
Er kann das tun, weil er dafuͤr um ſo ſtaͤrker die Einheit
des Angeſchauten, d. h. die Zuſammenwirkung der vie—
len erlebten Objekte in dem einen erlebenden Subjekt, be—
tont, indem er fuͤr jeden Augenblick nur einen geſchloſſenen
Geſamteindruck kennt, dem alle Einzeleindruͤcke unterge—
ordnet ſind. Sein Bild hat nicht Gegenſtaͤnde, ſondern einen
Gegenſtand, d. h. er ſtellt nicht ein Nebeneinander zuſam—
men, um es ins Einzelne auszubreiten, ſondern er zerſtreut
ein Miteinander, um es zum Ganzen zuruͤckzufuͤhren. In—
dem ſo jedes Element am andern haͤngt, weil ſie alle nur
in und durch das Ganze geſehen ſind, geſtatten ſie dem
Kunſtgenießer jenes ſchnelle Durchlaufen des raͤumlichen
oder zeitlichen Nebeneinander im Kunſtwerk, das noͤtig iſt,
um vom Einzelnen ins Ganze hinaufzuſteigen, aus dem
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umgekehrt der Kuͤnſtler erft ins Einzelne herabgeſtiegen war.
Auch hier koͤnnen wir nur eben andeuten, daß dieſe drei—
ſtufige Kunſtentwicklung vom Geſamterlebnis uͤber ſeine
ſinnlichen Elemente zur Einheit des Bildes zuruͤck ein ge—
naues Gegenſtuͤck darſtellt zu der Fichte-Schellingſchen
Dreiheit von Setzung —Entgegenſetzung —Ineinsſetzung,
die dort als Erkenntniskreis zugleich den Weltprozeß
umſpannt.
Diejenigen Kuͤnſte, die, wie Malerei und Muſik, unmit⸗
telbar zu den Sinnen ſprechen und deshalb nur auf ein
Anſchauungsorgan (Auge oder Ohr) angewieſen ſind, koͤn—
nen naturgemaͤß nur innerhalb ihres Sinnesgebietes dieſe
pſychologiſche Analyſe der Einzeleindruͤcke vornehmen.
Dagegen iſt die Poeſie, die erſt mittelbar durch die Sprache
wirkt, aber dafuͤr die ganze Klaviatur unſerer Sinnes—
anſchauung beherrſcht, in der Lage, die pſychologiſche Tota—
lität eines Eindrucks aus feinen geſamten Elementen auf-
zubauen. So begreift fie in gewiſſem Sinne (nämlich ein:
geſchraͤnkt durch die befonderen Bedingungen der Sprache
vermittlung) alle anderen Kuͤnſte unter ſich.
Nicht ohne Bedeutung wird es von dieſem Geſichtspunkte
aus, daß Goethe, mit dem wir die Entwicklung dieſes all—
gemeinen Impreſſionismus beginnen, noch bis in die Zeiten
ſeiner anerkannten Dichtergroͤße ſich zum Maler berufen
glaubte und deshalb die ausuͤbende Beſchaͤftigung mit der
bildenden Kunſt kaum, die kritiſche nie aufgegeben hat.
Wenn wir uns danach umſehen, wo ſein „Zeichnergeiſt,
den jeder Reiz bis zum Entzuͤcken reißt“, in ſeiner Poeſie
zum Durchbruch kommt, ſo iſt zuerſt auffallend gegenuͤber
Lilienerons Neuton die Einfachheit feines Farbenkreiſes
und nicht minder die Sparſamkeit ſeiner Verwendung.
Auffallend umſomehr, als Goethe bekanntlich durch Jahre
hindurch ein intenſives Farbenſtudium getrieben hat, das
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ihn bis zur leidenſchaftlichen Bekaͤmpfung der Newtonſchen
Farbenlehre fuͤhrte. Wir wollen deshalb die ganze Farben—
palette Goethes mit moͤglichſt allen Anwendungsfaͤllen
geben.
Weiß iſt: der erſte „heilige Dreikoͤnig“ (von der Haut),
„Hand“, „Buſen“, „Nacken“, „Kleider“, „Gewand“,
„arkadiſche Hülle”, „Tuͤcher“, „Schleier“, „Hemden“,
„Tauben“, „Gaͤnſe „Lilien „Feigen“ „Brot“ „Wand“,
„Marmor“, „Schnee“ (auch: „Flockenſcharen“, davon ab—
geleitet: „Mieder wie Schnee“). „Weiß und klar“ iſt die
Muͤllerin, weniger gluͤcklich erſcheint „eines holden Ange—
ſichts Phosphorglanz“. „Schwarz auf weiß“ leitet uns be—
reits zu dieſer Gegenfarbe uͤber.
Schwarz iſt: der dritte „heilige Dreikoͤnig“, „Bauer“,
„Weib“ (Zigeunerin), „Maͤdchen“, „Haar“, „Augen“ (auch
das „Schelmenaug'“ und feine „Braue ) „Flor“, „Katz'“,
„Gaul“, „Fels“, „Baſalt“, „Nacht“, „hundert Augen der
Finſternis“ (noch voller: „ſchwarzvertiefte Finſterniſſe“),
„Gruͤfte“, „Hoͤllenſumpf“. „Schwarz wie Kreuze“ endlich
erſcheint es in den „allerſchoͤnſten Farbenſpielen“ der
entoptiſchen Farben.
Grau find: „Haare“ (auch „ergraut“; vgl. übrigens
„Silber“), „Anzug“, „Gaͤnſe“. Beſonders aber dient Grau
zur Bezeichnung des truͤben Wetters: Kaum „grauet der
Tag“ oder „der Daͤmmerſchein“, ſo leitet „ein grauer,
truͤber Morgen“ den „graulichen Tag“ ein, der in „grauen
Regenſtunden“ dahinſchleicht. Durch „das kalte Grau“
des Nebels, der wie „ein graugrundiertes Tuch geſpannt“
iſt, erblickt man kaum „die dumpfe graue Ferne“, und ſteigt
man vollends auf den „ſchroffen grauen Felſenweg“, ſo
liegt unter uns „farb- und geſtaltlos die Welt“. Aus dieſer
Gefuͤhlswelt heraus erklaͤrt ſich das „graugeſtrickte Netz“
des Zweifels ebenſo wie der „graue Ekel“ der Spinnweben.
1 5
Eine feinere Nuance bringen nur die „ſilbergrauen“ beſchnei—
ten Gipfel.
Braun iſt: der zweite „heilige Dreikoͤnig“, „Maͤdel“
(auch „braͤunliches Maͤdchen“, „die Braune“), „Here“,
„Haare“ (auch: das Haar „faͤrbt ſich aus dem Blonden
ins Braune“), „Braten“, „Bergeshaupt“.
Gelb werden einmal „Huͤte“ erwaͤhnt, ein andermal
„gelblicher Hut“. Auch „die Blonde“, „die Falbe“ und
das „dem Flachſe gleiche Haar“ gehoͤrt hierher. „Falb“
iſt ſonſt noch das „Herbſtlaub“, und einmal wird ein
falbes Pferd altertuͤmlich „Falke“ genannt.
Blau iſt: „Auge“, „Umſchlag“, „Bluͤmchen“, „Berge“,
„Ather“, „Sonnenbahn“, „Raum“ (auch: „das Blau“,
„das Blaue / „der blauere Himmel „die blauliche Friſche“
oder „die blaue Truͤbe“). Noch kraͤftiger erſcheint „des
Meeres herrliches Blau“. „Herrlich blau“ ſind auch die
Berge in der Ferne, ebenſo von weitem „bald rot und blau,
bald blau und gruͤn“ der Schmetterling, der in der Naͤhe
doch nur ein „traurig dunkles Blau“ aufweiſt. „Pfauen—
augen“ gehoͤren endlich ebenfalls zu den Erſcheinungen
der entoptiſchen Farbenverſuche. „Geblaͤut“ iſt gar der rauf—
luſtige Ritter.
Einen breiteren Raum nimmt natuͤrlich Gruͤn ein. So
werden bezeichnet: „Gelaͤnde“, „Boden“, „Ort“, „Au“,
„Wald“ (auch „Schattenwälder”), „Schimmer der Wieſen“,
„Haus“ (für Laube), „Reis“, „uͤberkleid der Roſe“,
„Flor der Baͤume“. Genauer beſtimmt erſcheint der
„immergruͤne Hain“ (Ilmenau) oder die „lichtgruͤnen
Blätter” Allgemein heißt es wohl auch „des Raſens Grün“,
„das junge Gruͤn“, „reines Gruͤn“, „des Gruͤnen bluͤhende
Kraft“ oder „im Grünen bluͤhts“. „Laub“, „Haͤlm⸗
chen“, „Ceder“, „Berg und Tal“ „gruͤnen“, davon abge—
leitet treten auf „gruͤnender Platz“, „das gruͤnende Laub“
46
und „grünendes Wachstum“. „Wintergruͤn“ heißt der
Lorbeer.
Rot (wovon auch „röten” und „erroͤten“ gebildet werden)
iſt: „Mund“ (dieſer auch: „blaß“) und „Roͤslein“ (vgl.
auch: „Roſen gluͤhen“). „Geſund und rot“ ſoll der Menſch
ſein, ſowie der Apfel mit „rotbaͤckigen Wangen“ „rot und
luſtig“ am Zweige haͤngt. „Rotſtrumpf und Violett—
ſtrumpf“ gehoͤren zum roͤmiſchen Straßenbild, waͤhrend
es in Venedig „rotbemaͤntelte Froͤſche“ gibt. „Roͤtlich“ iſt
das „Auge“ der Tauben, ſowie das „Fingerchen“ Amors.
„Scharlachkleider“, „hochrote Seide“ oder „Purpurſeide“,
„Purpurſaͤume“ wollener Decken und „roſenrotes Band“
find bereits Ausſtattungsſtuͤcke einer geſteigerten Farben—
freudigkeit. Auch die Himmelserſcheinungen gewinnen
hier an charakteriſtiſcher Behandlung, mag nun „blutrot
ein Komet rutengleich durch Sterne ſtehen“, mag ein
„roſenfarbes Fruͤhlingswetter“ aufziehen oder eine uͤber—
irdiſche Luftgeſtalt mit „roſigem Strahl“ durch „Purpur—
gewoͤlk“ leuchten. „Morgenroͤtlich“ umtanzen uns die
Traͤume, waͤhrend abends die „roͤtlich ſcheidende Sonne“
ihren „Purpur“ ausgießt. Derſelbe „Purpur“ gehoͤrt auch
der Roſe zu und nicht anders als der „Purpurwein“ fließt
„purpurn“ das Blut. Indem Goethe dieſe zwangslaͤufige
Aſſoziation mit der anderen ebenſo gangbaren Ideenver—
bindung von Blut und Waͤrme verquickt, die in der Liebe
zu „ſuͤßer Flamme“ ausſchlaͤgt, gelangt er in den eigen—
ſinnigen ‚Chineſiſch-Deutſchen Jahres- und Tageszeiten“
zu dem geradezu futuriſtiſchen Bilde: „Aus dem Mittel—
herzen leuchtet rotgeſaͤumt die Glut der Neigung“. Wenn
hier uͤber das Mittelglied: Blut hinweg das Unſinnliche
(„Neigung“) nicht nur in die naͤchſtliegende ſinnliche Emp—
findung („Glut“), ſondern dieſe wieder in die uͤbernaͤchſte
(„rotgeſaͤumt“) uͤberſetzt erſcheint, ſo haben wir darin ein
47
typiſches Beiſpiel für die impreffioniftifche Aufhebung
der Anſchauungseinheit. Über dieſe weitſpannige Ideenver⸗
knuͤpfung werden wir ſpaͤter noch ein Naͤheres ausfuͤhren.
Dieſe reichere Nuancierung der roten Toͤne wird noch
ergaͤnzt durch Umſchreibungen wie: „dunkel blutgefaͤrbter
Wein“ oder „feuerfarbener Drache“. „Schoͤngefaͤrbte
Wangen“ hat das Maͤdchen, auch wenn ſie nicht „gemalte“
ſind oder „das hoffende Geſicht vom Morgenſtrahl ge—
ſchminkt“ erſcheint.
Wenn damit die Grundfarben erſchoͤpft ſind, ſo koͤnnen
ſie ganz wie in der Malerei durch Miſchung vervielfaͤltigt
werden. Am einfachſten geſchieht das in Bunt. So wer—
den genannt: „Wangen“ (in dem Sinne wie oben),
„Taube“ (als Spielzeug), „Fittich“, „Gefieder“, „Ding“
(für Schmetterling), „Blumen“, „Blumenkelche “ „Kieſel“,
„chineſiſches Dach“ (auch ſeine „bunte Vergoldung“),
„Reihe“, „Geſellſchaft“, „Hauf“, „Gewuͤhl“, „Gewim—
mel“. „Der bunte Trug“ heißt der Regenbogen. Reicher
ſieht ſchon die „bunt gebluͤmte“ Wieſe aus. „Barbariſch
bunt“ tritt eine Mundart auf, „kunterbunt“ die Wirtſchaft
der naͤrriſchen Welt und gar „uͤberbunt“ die Pracht des
Paradieſes.
Ebenſo allgemein: farbig erſcheinen: „Blumen“, ihre
„Kronen“ und ihre „Blaͤtter“, oder auch „die Erden“ (im
Kosmos). „Tauſendfarbig“ iſt „Morgen“ und „Abend“,
aber auch Jupiters Schoßkind „die Phantaſie“.
Anſchaulicher iſt es ſchon, wenn die Farben einer bun—
ten Miſchung einzeln genannt werden. So heißt es von
einem Beet: „Gloͤckchen weiß wie Schnee, Safran ent⸗
faltet gewaltge Glut, Primeln ſtolzieren naſeweis“. Oder
auf der Wieſe ſchimmert „Gold und Schmelz und Pur—
pur und ein Gruͤnes, alles wie Smaragd und wie Kar—
funkel“. Dabei iſt dieſes unbeſtimmte: „ein Gruͤnes“, das
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gleichſam wie ein Farbenklex im Bilde ſteht, ganz impreſſio—
niſtiſch geſehen. Dasſelbe begegnet noch einmal an einer
Stelle, für die ſchon die Frageform bedeutſam iſt: „Was
iſt Weißes dort am gruͤnen Walde?“
Außer dieſen eigentlichen Farben kommen nun noch
Gold und Silber zur Verwendung, Gold vielleicht am aus—
giebigſten von allen. Golden ſind: „Haar“, „Spangen“,
„Schale “ „Kreuz“, „Kette“, „Laſt“ (dieſer Kette und auch
der Fruͤchte), „Spiel“ (für Saitenſpiel), „Fiſche“, „Sand“,
„Samen“ „Saat“ „Weizen“, „Zweig“ „Ball“ der „Gold—
orangen“, „Myrthenhainsdaͤmmerung“, „Stroͤme“ (my—
ſtiſch), „Strahlen“ der „Abendſonne“ (darum auch „ver—
goldet vom letzten Sonnenſtrahl“), „Saum“ der Wol—
ken (daher auch „Goldwolken“), Gedaͤmpft erſcheint
„der Flammen blaſſes Gold“. In uͤbertragener Bedeutung
werden noch golden genannt: „Kinder“, „Gottgeſtalten“
(der Griechen), „Phantaſie“ und die Fruͤchte ihres „Zau—
berwaldes“, „Maͤrchen“, „Traͤume“, „Stunde“ der Dich—
tung und auch der Luft, Denn „golden ſchoͤn“ iſt die Liebe.
In der dichteriſchen Form „guͤlden“ treten auf: „Gewand“
und „Band“. Zu dieſer prächtigen Ausſtattung gehören
weiter: „goldgeſtickte Stiefel” und ein „vergoldeter Wagen“.
„Gold- und Silberfiſchlein“ leiten uns zum Silber über,
„Silbergediegen“ iſt das Greiſenhaar und „filbern“ „die
Schleier“ der Schönen in den myſtiſ chen, Weisſagungen des
Bakis“. In denſelben geheimnisvollen Ton iſt auch der
Mondzauber getaucht: Wenn der Nebel um den Mond
mit Silberſchauer ſchwimmt“ rund „leichte Silberwolken“
oder „Silber-Himmelswolken“ aufziehen, dann glaͤnzt
die Landſchaft „als wie durch Silberflor“, und die „Sil—
————ä— F ——rr—r—ů—ůůů—ů—ů—v——ö6ͤ
u„ſchwimmen“ in dieſer bildlichen Bedeutung iſt ein Goetheſcher Lieb—
lingsausdruck, vgl. „Daͤmmrung ſchwimmt um ihre runden Glie—
der“, „ſchwimmend ruhig atmen“.
49
berblaͤtter“ entfalten ihren „Silberglanz“. Beſonders aber
vertritt Silber die Waſſerfarbe: „Silberhell“ iſt die Quelle,
die darum auch gleich als „helle Silberquelle“ oder
„Silberquell“ auftritt, um „ſilberprangend“ zum Strome
anzuwachſen, der ſchließlich in „des Waſſers Silberfall“
zerſtaͤubt.
In gleicher Anwendung wird kriſtallen gebraucht fuͤr
„Waſſer“ und „Schloß“ (Luftſchloß). Oder es leuchtet der
Mond „durch das glaͤſerne Gegitter“ ſeiner Wolken.
Der Umfang dieſer Aufzaͤhlung moͤchte unſere vorange—
gangene Behauptung Luͤgen ſtrafen, daß es Goethe an den
„Farben ſeiner Erfindungen“ fehlte. Man muß aber erſtens
bedenken, daß die herausgezogenen Stellen uͤber einen
Raum von ungefaͤhr 80 000 Woͤrtern verſtreut ſind; zwei—
tens — und das iſt noch bedeutſamer — ſind von den an—
geführten Tönen fünf keine „Farben“ im optiſchen Sinne:
Schwarz Grau Weiß und Gold Silber. Gerade ihre ver⸗
haͤltnismaͤßig reiche Verwendung bedeutet darum eher
einen Verzicht auf Farbigkeit. Es ſind gewiſſermaßen zwei
Lichtſkalas, die, außerhalb der optiſchen Dimenſion liegend,
neben ihrem auchfarbigen Wert einen ausgeſprochenen Ge—
fuͤhlsakzent tragen, was ſich in ihrer vorwiegend uͤbertra—
genen Anwendung ausſpricht. Darin unterſcheidet ſich eben
der Klaſſiker Goethe doch von dem Modernen Liliencron,
daß es ihm nicht ſo ſehr um die objektive Treue der Far—
benbeſtimmung zu tun iſt, als vielmehr um die Gefuͤhls—
werte, die ſich daran knuͤpfen. So durchlaufen wir in
Schwarz Grau Weiß alle Stufen vom Dämonifch— Fin=
ſteren über das Zweifelhaft— Trübe ins Freundlich Lichte.
Gold iſt das ſchlechthin Praͤchtige, das lachende Gluͤck,
waͤhrend Silber etwa das „Bild der Zaͤrtlichkeit in Trauer“
verkoͤrpert, wie es von Luna heißt. Weiter muͤſſen wir
neben dem Vorhandenen auch auf das Fehlende der Goethe—
50
Ichen Farbenſkala achten. Da zeigt fich vor allem ein charak—
teriſtiſcher Mangel an Violett, das — in der Natur — tat—
ſaͤchlich eine Entdeckung der Moderne darſtellt. Darum hat
Goethe uͤberall da, wo Liliencron in violetten Tinten ge—
ſchwelgt haͤtte, das einfache Grau, wie es auch die zeitge—
noͤſſiſchen Landſchaftsbilder nicht anders kannten. Und noch
eins iſt bedeutſam. Die Lilieneronſche Farbenmiſchung, in
der divergente Toͤne zu einer hoͤheren Einheit zuſammen—
geſchweißt ſind, kommt bei Goethe nicht vor, wenn man
nicht die angefuͤhrte „bunte Vergoldung“ dazu rechnen
will. Bei ihm behaupten die Farbenwerte, auch wo ſie ge—
haͤuft ſind, immer ihre farbige Selbſtaͤndigkeit, waͤhrend
ſie fuͤr den Impreſſioniſten keine eigene Bedeutung haben,
ſondern nur in- und miteinander wirken. Soviel ich ſehe,
kann hierfuͤr aus dem ganzen Werk Goethes hoͤchſtens die
bekannte Stelle aus ‚Fauft‘ angezogen werden: „Grau,
teurer Freund, iſt alle Theorie und gruͤn des Lebens gold—
ner Baum“. Es iſt aber bezeichnend, daß hier wieder Gold
im Spiele iſt, deſſen Farbenwert weniger durch das gegen—
ſaͤtzliche „Gruͤn“ als durch ſeinen eigenen Gefuͤhlswert
aufgehoben erſcheint.
Wenn ſo im eigentlich Maleriſchen die Goetheſche
Sprache nur Anſaͤtze zum Impreſſionismus zeigt und
naturgemaͤß nur zeigen kann, ſo iſt damit ſein Wirkungs—
kreis noch nicht erſchoͤpft. Denn er iſt ja nicht an einen be—
ſtimmten Inhalt (eben das eigentlich Maleriſche) gebun—
den, ſondern wir verſtanden darunter eine beſtimmte Form
fuͤr alle Kunſtinhalte. Das große Gebiet der Worte, die
einen ganz unanſchaulichen Inhalt tragen, iſt ſehr wohl einer
impreſſioniſtiſchen Behandlung zugaͤnglich. Man braucht
ſie nur ſo anzuwenden, als ob ſie anſchaulich waͤren, d. h.
man muß ſie derſelben Zerſtreuung in Elemente und Ver—
ſchmelzung zur Einheit unterwerfen, wie ſie fuͤr die op—
51
tiſchen Elemente im impreſſioniſtiſchen Bilde charakte—
riſtiſch iſt.
Was die Zerſtreuung in Elemente betrifft, ſo ſcheint
das nur auf einen gluͤcklichen Griff in den vorhandenen Wort:
ſchatz hinauszulaufen, da ja die Elemente der Sprache eben
Worte ſind. Aber nicht alle Worte ſind Elemente. Sie ſind
es nur urſpruͤnglich, gleichſam fuͤr den Augenblick ihrer
Empfaͤngnis. Das iſt eben der grundlegende Unterſchied der
Poeſie von allen anderen Kuͤnſten, daß ſie es mit einem
lebendigen Material zu tun hat, das den Veraͤnderungen
alles Lebendigen ausgeſetzt iſt. Im Laufe der Zeiten, ja
mit dem Eintritt ins Leben und ſeine unentrinnbare
Wechſelbedingung, verlieren die Worte ihre elementare
Eigenſchaft mehr und mehr, d. h. ihre Bedeutung verfluͤch—
tigt ſich aus einem einfachen, knappen Umriß zu einer
nebelhaften Sinnformel, die, wie Wolken ſich anziehen,
zu ſteter Anknuͤpfung an Verwandtes neigt!. Deshalb iſt
es gerade das Beſtreben des impreſſioniſtiſchen Dichters,
dieſe Wortnebel, oder mit Goethe geſprochen: „ohngefaͤh—
ren Worte“, wieder auf ihren elementaren Kern zuruͤckzu⸗
fuͤhren, indem er ſie gewaltſam aus ihrer ganzen bekann—
ten Umgebung losreißt. D. h. er muß „Neutoͤner“ ſein,
und die aͤußere Form der Worte ſoweit veraͤndern, daß wir
ſie als etwas ganz Neues empfinden, zu deſſen Verſtaͤndnis
wir erſt auf ſeine elementare Bedeutung zuruͤckgehen muͤſſen.
Dieſe impreſſioniſtiſche Auffriſchung verblaßter
Worte hat Goethe in weitem Umfang betrieben. Es zeugt
alſo von wenig Verſtaͤndnis, ihm das Dunkle, Geſuchte
ſeiner Wortbildung als Dichtergrille auszulegen, da gerade
Über dieſe unaufhoͤrliche Degenerierung der Sprache wolle man das
Nähere in meinem Artikel: Das ſtilechte Fremdwort (Die Grenzboten
1913, Nr. 2) nachleſen, wo ich aus ihr eine Rechtfertigung des wiſſen⸗
ſchaftlichen Fremdwortes folgerte.
52
( / (
die dadurch geforderte Beſinnung einen wohlberechneten
Faktor impreſſioniſtiſcher Formwirkung darſtellt.
Meiſt genuͤgte ihm dazu eine Verkuͤrzung des Wor—
tes, die den Stamm um ſo eindringlicher hervortreten laͤßt.
So ſagt er: „beglaubt“ fuͤr beglaubigt, „begeiſten“ fuͤr
begeiſtern, „befeſten“ fuͤr befeſtigen, „ſich verlaͤngen“ fuͤr
ſich verlaͤngern, „ſchwaͤnzen“, „ſcharwenzen“ fuͤr ſchwaͤn—
zeln, ſcharwenzeln, „belfen“ für belfern, „verwandt“, „um—
gewandt“ fuͤr verwandelt, umgewandelt. Beſonders aber
betrifft die Verkuͤrzung die Vorſilben der Zeitwoͤrter und
ihrer Ableitungen. So fehlt „be“ in „waͤſſern“, „fruchten“,
„zwingen“ (fuͤr zuſtandebringen), „ſaͤnftigen“, „kraͤnzen“,
„klagen“; „ge“ in „loben“ (ſich dem Tanze geloben),
„Flimmer“, „Schmack“, „ſchwaͤtzig“, „ſpenſtiſch“; „er“
in: „ſchuͤttern“, „ſich gießen“, „Friſchung“, „baͤrmlich“,
ylaͤßlich“; „ver“ in: „bleuen“, „doͤrren“, „zweigen“ (ſich
verzweigen), „des Lebens wirrende Beugung“ (davon:
„Wirrung“ und „Irrung“) z zer“ in: „ſplittern“; „an“ in:
fuͤgen“, „taſten“, „klammernd“ (ſich anklammernd),
„widern“, „ſich etwas eignen“ (andererſeits: „etwas
jemandem eignen“ fuͤr zu eigen geben); „auf“ in: „ſich
raffen“; „ab“ in: „werfen“; „hin“ in „aufſteigen“, „auf—
reichen“; „umher“ in: „ſich treiben“; „zuruͤck“ in: „hal—
ten”, „kehren“; „zu“ in: „jemandem jauchzen“; „nach“ in:
„Folger“; „ent“ in: „weichen“; „aus“ in „hecken“; „ein“
in: „ſchlaͤfern“, „ſeinen Schmerz freſſen“ (in ſich hinein—
freſſen), „den Geſchiedenen fühlen” (ſich in ihn einfuͤhlen).
Eine Formverkuͤrzung bei Verben liegt auch im ruͤckbezuͤg—
lichen Gebrauch ohne „ſich“. Dieſen fand ich bei: „dre—
hen“, „langeweilen“, „muͤhen“ (ſ. auch oben: „loben“,
„zweigen“, „klammernd“). Weiter hat Goethe: „gereiſt“
fuͤr weitgereiſt, „weislich“ fuͤr wohlweislich, „kuͤnſtlich“
für kuͤnſtleriſch, „roſenfarb“ für roſenfarbig, „wenig“ für
53
ein wenig, „was“ für etwas, „lang“ für entlang, „außer“
fuͤr außerhalb, „den Huͤgel ab“ fuͤr hinab (ebenſo: „nie—
derab das Tal entlang“ und „ab niederſtuͤrzen“), „ums
Herze ring“ fuͤr rings ums Herze, „allermeiſt“ fuͤr am
allermeiſten. Beſonders charakteriſtiſch iſt aber die Ver—
kuͤrzung der Hauptwoͤrter bei Goethe. Er ſagt nicht nur
„die Steile“, „die Feuchte“, „die Schoͤne“, ſondern auch
„Wage“ fuͤr Wagnis, „Bedinge“ fuͤr Bedingung, „Fehle“
fuͤr Fehler (davon „fehllos“), „das Erſchein“ fuͤr die Er—
ſcheinung, „der Schlepp“ fuͤr die Schleppe, ebenſo „Pfropf“,
„Gaum “/, „Hauf “, „Weis“. Noch mehr verkuͤrzt iſt „Bux“
fuͤr Buchsbaum, „Turtel“ fuͤr Turteltaube, „Keuch“ fuͤr
Keuchhuſten.
Dieſe letzten Verkuͤrzungen fuͤhren uns bereits zu den
altertuͤmlichen Wendungen uͤber, die ſich meiſt in ge—
drungener Form eine klare Sinnauspraͤgung bewahrt ha—
ben und deshalb zu impreſſioniſtiſchen Sprachelementen
beſonders geeignet ſind. An dieſer Stelle iſt es, wo die bei—
den eingangs erwaͤhnten, auseinanderſtrebenden Richtun—
gen der Goetheſchen Sprache, die antikiſierende und die
moderniſierende, ſich zu gemeinſamem Ziele zuſammen—
finden. Mit dieſer bewußten Rückkehr zu primitiven Kunft:
formen verfolgt ſie dieſelben Bahnen, in die auch der
maleriſche Impreſſionismus ſpaͤter eingemündetift (Expreſ—
ſionismus, Kubismus uſw.). Es iſt freilich nicht immer
leicht zu entſcheiden, ob die Archaismen bei Goethe dieſem
impreſſioniſtiſchen Formzweck dienen, da ſie teils noch zu
feiner Zeit allgemein in Übung waren, teils abfichtlich Zeit—
kolorit tragen (wie in „Hans Sachſens poetiſcher Sen—
dung‘, dem „Ewigen Juden“ der ‚Legende vom Hufeiſen“
und den volksliedermaͤßigen Gedichten). Wir nennen mit
dieſem Vorbehalt: „fodern“, „worden“ fuͤr geworden,
„blieben“ fuͤr geblieben, „gangen“ fuͤr gegangen, „kom—
54
men“ für gekommen, „nit“ für nicht, „gemein“ für ges
meinſam, „ſtrack“ für geſtreckt, „baß“ für beſſer, „gen“
fuͤr gegen (nach), „hie“ fuͤr hier, „Gift“ fuͤr Gabe,
„durch alle Land“, „ſieben Tag und ſieben Nacht“, „Tag—
lang“. Ohne gerade verkuͤrzt zu fein, find andere Altertuͤmer
an ſich von ſchlagkraͤftiger Wirkung: „geſyn“ fuͤr geweſen,
„was“ für war, „heißen“ für nennen, „bar“ für bloß, „über:
lei“ fuͤr unnötig „maklig“ für krank „Neidhart“ „Witzung“
fuͤr Lehre, „Fuͤrm“ fuͤr Sparren (Narrheit); „Schragen“
fuͤr Holzgeſtell, „Zindel“ fuͤr eine Fiſchart Zingel).
Eine altertuͤmliche Kuͤrzung erhaͤlt beſonders das Eigen—
ſchaftswort durch Weglaſſung ſeiner Endung: „ein huͤbſch
Leben“, „ein jugendlich, ein neues Eden“ und ſo haͤufig.
Nur einmal fand ich dieſe Form bei einem Maskulinum:
„ein hoͤflich Mann“. Noch verſtaͤrkt wird dieſe Wirkung
durch Nachſtellung: „ein armes Maͤdel jung“, „im Kna—
ben gut“, „die Tochter Zion kraͤnklich“ uſw.
Auch die von Goethe vielfach beliebte Weglaſſung des
Artikels iſt altertuͤmlich. Sie atmet geradezu roͤmiſche Mo—
numentalitaͤt. Mit ihrer Hilfe werden die Worte, beſonders
Naturerſcheinungen, aber auch Begriffe gewiſſermaßen
perſonifiziert: „Muſe ruft zu Bach und Tale“, „Sonne
finft”, „Wolke ſteht hoch“ „Artges Häuschen hab ich klein“,
„So bleibt Herz Herzen zugekehrt“, „Natur hat weder
Kern noch Schale“, „mit Geiſts Gewalt“ uſw. Oft liegt
in der Auslaſſung des Artikels die Abſicht, das Unbeſtimmte
des Eindrucks zu malen, der gleichſam keine ſcharfen Kon—
turen erkennen laͤßt: „Arme ſinken, Tritte ſtraucheln“,
„Blicke ſinken, Worte ſtocken“, „Er gebot buntem Fittich,
klarem Antlitz, ſchlanken Gliedern, goͤttlich einzigem Er—
ſcheinen, mich zu prüfen”, „Es ſpiegelt ſich allerlieblichſte
Geſtalt hehren Juͤnglings“, „Wie Voͤgelſchar an Waͤlder—
gipfeln ſtreift“.
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In das Gebiet der altertuͤmlichen Verkuͤrzungen faͤllt auch
die Apoſtrophierung. Sie fuͤhrt uns in die goldene Zeit zu—
ruͤck, wo es noch keine Orthographie gab. Damals ſchwam—
men die Worte noch ſozuſagen im Amphibienzuſtande und
konnten eine Amputation ihrer Extremitaͤten gut und gerne
verſchmerzen. Goethe, der von dieſer Verjuͤngung fleißig
Gebrauch macht, verwendet ſie nicht nur zur Vermeidung
von Hiaten (Vokalzuſammenſtoͤßen), ſondern auch vor
Konſonanten ſo haͤufig, daß wir uns Beiſpiele erſparen
koͤnnen. Auffaͤlliger in die bildſamen Jugendtage der
Sprache verſetzen uns folgende Faͤlle: „reit't“, „bind't's
Pferd an / „G' leiter“, „ſuͤß'ſte Melodie „ein' n Affentanz“,
„Saͤklum“, „nichts Seinigs“, „was Beſſers“ und ſo oft;
„zuſamm'“, „Das gilt uns arme Leut'“, „Wuͤrm' / „Wieſ'
und Weiden / „Phoͤb'Apollen “ „ihr erſt' und letztes Wort“,
„froh' und truͤber Zeit“ und fo oft in dieſen Verdoppelun—⸗
gen. Am Anfang ſteht der Apoſtroph in: „Zu's Oberfen—
ſters Raum“, „wenn's Herze ſchlaͤgt“ uſw., ebenſo: „'nen
faulen Bengel heißen“. Ungewoͤhnlich ift „'rab “.
Das Urſpruͤnglich-Kernige kommt auch in altertuͤmlichen
Umlauten zutage: „juͤcken“, „beſpoͤtten“, „keichen“, „ver—
gulden“, „ſticken“ (für ſtecken), „heften“ (für haften),
„betriegen“, „durchtandeln“, „trutzen“ (davon: „trutz“,
trutzig“, „Trutz“), „draͤuen“; „hätt’” für hatte, „wär’“
für war, „taͤt“ („er tät gehn“ uſw.), „koͤmmt“, „es taͤgt“,
„billt“, „lauft“, „mich daͤucht“ (auch: „deucht“), „ge—
ſchicht“, „erſicht“; „ſtund“ (auch „ſtande“), „befurcht“,
„ſchwung“; „geruͤndet“, „verruckt“, „gerennt,“ „entbron⸗
nen“; „Kramer“, „Rucken“, „Brucken“, „Frummkeit“,
„Lebenstäg’”; „zaͤrter“ („zaͤrteſt“), „Elärfte”, „guͤlden“,
„wunniglich“, „ohngefaͤhr“; „fuͤr Freude“, „fuͤrtragen“
uſw.
Seltener ſuchen die Archaismen ihre elementare Deutlich—
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keit in einer verlängerten Form: „Gewild“, „Gezelt“,
„Narreteiden“ „Ahndung“ (davon „ahndevoll) , „jetzund“
(auch: „jetzunder“), „maͤnniglich“, „ewiglich“, „beſchei—
dentlich“, „freventlich“, „bedaͤchtlich“, „baͤnglich“, „klaͤr—
lich“, „genung“, „krumb“, „dumb“, „alldort“; „keine
Luft von keiner Seite“, „kein Schnee nicht“. Beſonders
aber tritt die Verlaͤngerung in den Endungen gebeugter
Woͤrter auf: „klare Sinnen“, „die Burg iſt meine“; „einen
Hahnen“, „einen Salmen“, „in eine Ecken“, „an die Son:
nen“, „den Goͤtzen“, „den Schmerzen“ (alles acc. sing. );
„von vornen“, „von hinnen“, „von deiner Erden“, „an
einer Leinen“, „in der Mitten“, „auf der Haiden“, „aus der
Naſen „zu dieſer Frauen”, „unferer liebenFrauen“(Sing.).
Doch auch ungebeugt: „Geſchlechte“, „Geflechte“, „Ge—
leuchte“, „Gebuͤſche“, „Gefaͤße“, „Geruͤſte“, „Geſchicke“,
„Gluͤcke“, „Gleiſe“, „Bette“, „Herze“, „Narre“ (einmal
als Vokativ), „Herre Gott“ (alles im Singular). Ebenſo:
„viere“, „zwoͤlfe“. Sonſt bezeichnet das angehaͤngte „e“
die Adverbialform: „ſchnelle“, „ſtille“, „helle“, „milde“,
„Nüße”, „bequeme“, „gerne“, „balde“, „zuruͤcke“; bei Ver:
ben die Vergangenheit: „enthielte“, „ſtande“, oder die Auf—
forderung: „vernehme“, „vergeſſe“.
Eigene Verlaͤngerungen, zum Teil in Anlehnung an
dieſe alten Formen, bildet Goethe in: „Getal (und Ge—
birge)“, „verwegentlich“, „ſchauderlich“, „unholdig”, „tol—
lern“ (für tollen), „entkraͤftigen“.
Oder er veraͤndert Worte nur eben ſo viel (meiſt in Bor:
ſilbe oder Endung), um ſie als Neubildung charakteriſtiſch
zu machen: „Geſchnitz“ für Schnigwerf, „ein Augenweiden“
(wozu er den Gegenſatz: „Augenſchmerz“ bildet), „ſuͤßes
Redewenden“ (auch: „Redumſchweife“), „Kuͤmmereien“;
„winterhafte Auen)”, fluͤgelhaft“ (für gefluͤgelt) „muiter:
haft“ (für gemuſtert), „wunderfam”, „genugfam”, „ſegen—
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bar, ‚fegenreich“(neben,Tegensreich”),friedenreich“, „for:
genlos“, „ruhevoll“, „ſeelevoll“, „naͤchtig“, „toͤrig“, „wuͤ—
tig“, „wankelſinnig“, „ſittig“, auch „ſittlich“ (für ſittſam),
„anmaßlich“, „huͤlflich“, „kruͤpplich“, „ſchalkiſch“, „koloſ—
ſiſch“, „puppiſch“, „engliſch“ (was wir in der Bedeutung:
engelhaft gerade heute nicht ohne Heiterkeit leſen); „ſich los
tun“ (fuͤr ſich auftun), „geſchwiſtert“ (fuͤr verſchwiſtert),
„beſtrickt“ (fuͤr umſtrickt), „abpacken“ (als Gegenſatz zu
aufpacken), „nachbereitet“ (als Gegenſatz zu vorbereitet),
„der unverſeh'ne Schmerz“ (fuͤr unvorhergeſehen), andere
Auswechſelungen des Vorworts von Zeitwoͤrtern ſiehe wei—
ter unten; „augenblicks“, „des Tages“, „was Leids tun“,
„ins Alter“ (fuͤr im Alter), „mit hellem Hauf“, „bei tau—
ſend Malen“, „unter dieſer Zeit“, „unterweilen“, „neben—
hin“ oder „nebenaus“ für daneben, „von dannauf „alles
rund“ (rings), „um und um“ (fuͤr ringsum), „bald und
bald“ (fuͤr nach und nach).
Dann wieder laͤßt Goethe die Worte ſelbſt unveraͤndert,
um ſie durch eine bloße neue Sinnzuweiſung zu beleben,
die, indem ſie auf ſeinen anſchaulichen Kern zuruͤckgeht,
dem alten Worte mit Zauberſchlag neuen Glanz verleiht.
So ſagt er: „Der Blaͤtter Drang“ (fuͤr gedraͤngter Kreis),
„Sturz“ für Baumſtumpf, „Beſchluß“fuͤr Aufficht, „Geiſt“
für Geruch; „ſtutzig“ für ſproͤde, „ekel“ für pruͤde, „wirk—
ſam“ für geſchaͤftig, „morgendlich“ für zeitig auf den Bei⸗
nen, „witzig“ fuͤr klug, „die aͤngſtliche Hand“ des Chine—
ſen (fuͤr peinlich genau); „unermuͤdet“ fuͤr unermuͤdlich,
„unbeklommen“ für uneingeengt, „zubereitet“ für zuge:
dacht, „ungeleckter Baͤr“, „haͤkeln“ fuͤr feſthaken, „ſchmel—
zen“ (von Liebenden), „liebeln“ fuͤr ſaͤuſelnd ſprechen,
„nagen“ fuͤr necken, „ſich kraͤnken“ fuͤr ſich verzehren, „die
Worte laſſen“ fuͤr fallen laſſen, „was bedienen Sie?“ fuͤr
brauchen, „ſich entſcheiden“ fuͤr ſich ſcheidend entwickeln,
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„Sich beſtreben“ für fich ſtrebend beeilen, „Sich umſchlingen“
für ſich ſchlaͤngeln, „Sich verſiegeln“ für ſich unverbruͤchlich
treu zeigen, „nachfeilen“ fuͤr mit der Feile nachbilden, „hin—
anſtreichen“ für hinanfahren, „durchſtreichen“ für durch—
pruͤgeln, „den Kopf zerreißen“ fuͤr zerbrechen, „die Augen
eindruͤcken“ für niederſchlagen (auch „abgeſenkte Augen“),
„entgegnen“ fuͤr begegnen, „vollbringen“ fuͤr verbringen.
Hierher gehoͤrt auch die intranſitive Verwendung tranſitiver
Verben wie: „zerſtuͤcken“ für in Stuͤcke zerfallen, „wech—
ſeln“ fuͤr ſich veraͤndern, „weben“ fuͤr ungewiß ſchweben,
„ traͤufeln“ für tropfen, „ſpuͤlen“ und „uͤberreißen“ (von
Fluten).
Zur knappen Sinnfaſſung von Zeitwoͤrtern verwendet
Goethe einmal auch eine ungewoͤhnliche Wortſtel—
lung: „(ichtlein) irrfuͤhren ihn“, der umgekehrte bemer—
kenswerte Abweichungen entgegenſtehen in: „Morgennebel
huͤllen deinen Turm um“, „die hin ſich gebende Freude“,
„hin ſich und her ſich zu drehen“.
Auch die eigentuͤmliche Kraft, die in der ſeltenen ſub—
ſtantiviſchen Ableitung von Zeitwoͤrtern liegt, hat ſich
Goethe mehrfach zunutze gemacht. Er bildet: „Lacher“,
„Laurer“, „Kenner“, „Pfuſcher“, „Druckſer“, „Erzeuger“,
„Verſucher“, „Verkleinerer“, „Verheerer“, „uͤberwinder“,
„Übertreter“, „Zergliederer“, „Grillenfaͤnger“, „Freuden—
haſſer“ „Weiberhaffer”, „Weberin “, „Treiberin“, „Städte
bezwingerin“, „Ungeblaͤtterte“ (von Buͤchern), „ihr ſeid
von den Geuͤbten“, „ein Aufgehaͤuftes“ (die Cumulus—
Wolke).
Endlich kann ein Wort durch einen ungewoͤhnlichen
Numerus zu neuer Friſche gelangen, wie ihn Goethe an—
wendet in: „der oder das Geſchwiſter“, „die Wafler”, „die
Gewuͤhle“, „Minnen“. Auch „bereite Haͤnde“, „der un—
treue Knabe“ ſind von aͤhnlicher Wirkung.
59
Wenn Goethe fo den ganzen zeitgenöffifchen und alten
Sprachſchatz nach lebendigen Elementen von konzentrierter
Ausdruckskraft durchſucht, konnte ihm eine Quelle der ewi—
gen Verjuͤngung nicht verborgen bleiben: die Volks—
ſprache, die in ihrer urſpruͤnglichen Derbheit ſoviel an—
ſchauliche Friſche zeigt. Der Olympier Goethe, der von ſei—
ner Studentenzeit her ſtets den Anſchluß an das bunte Volks—
treiben ſuchte und ſelbſt auf Reiſen mit Vorliebe unter
„Gaukler und Volk, ja, was noch niedriger iſt“, ſich miſchte,
hat es nie verſchmaͤht, aus dieſem Jungbrunnen zu ſchoͤpfen.
Und dieſe Quelle iſt ihm auch immer wieder Nahrung und
Spiegel eines Humors geworden, dem nichts Menſchliches
fremd war. So leſen wir bei ihm: „Franken“ oder „Fran—
zen“ für Franzoſen (davon „Franztum “), „Jux“, „nach Gu⸗
ſto “, „Filz“ für Geizhals, „Buͤcklinge“ für Verbeugungen,
„Schmarre“, „Schnuppen“, „Mannſen“, „Samstag“,
„Gewaͤſche“ fuͤr Geſchwaͤtz, „Quark“ fuͤr Schmutz, „die
Welt liegt in jener Sauce“; „krabblig“ und „zabblig“ von
der Ameiſe, „pumpſatt“, „porriſch“ fuͤr patzig, „latſche
Fuͤße“, „kauderwelſch“ (davon: „welſchen“); „ſpucken“ für
ſpuken, „ſich ſpuden“, „kollern“, „holpern“, „aufs Land
rutſchen“, „nachkrabbeln“, „krabbeln“ fuͤr ſchmeicheln,
„foppen“, „ſcheren“ für placken, „anquarken“ für an:
quatſchen, „antatſchen“, „zupatſchen“, „zublinzen“, „an⸗
ſturen“, „anblecken“, „gucken“, „kucken“, „lugen“, „du
ſiehſt ſo ernſt“ (aus), „findet alles zu“.
Hierhin gehoͤren auch gewerbliche Fach aus druͤcke wie:
„ein verbrochner Schacht“, „zudrillen“, „zwirnen“, „wei—
fen“ vom Weber, „firn“ vom Wein.
Volkstuͤmlich ſind auch die vielen Verkleinerungs—
formen auf — chen — lein —el, von denen ich bei
Goethe 173 verſchiedene zaͤhlte. Sie fuͤhren das Wort
ſchon aͤußerlich geradezu auf jene punktfoͤrmige Größe zu—
60
ruͤck, die ihm in dem Gefamtbilde des dichteriſchen Mikro:
kosmos allein zukommt. In dieſer gemütvollen Form tres
ten nicht nur „Haͤnschen “, „Chriſtel“, „Fraͤnzchen“, „Kaͤth—
chen”, „Karlinchen“, „Lottchen“, „Riekchen“ „Schön Sus—
chen“, „Urſel“ auf auch ihre „Koͤrperchen“, vom „Koͤpf—
chen“ zum „Fuͤßchen“, ihr „Haͤuschen“ ſamt Geraͤte, „Tier—
chen”, „Baͤumchen“ und „Bluͤmlein , ſchließlich gar „Woͤlk—
chen“ und „Windchen“ verſchwinden in dieſer perſpektivi—
ſchen Verkuͤrzung. Als weiteres Beiſpiel wollen wir hier
nur die Koſenamen auffuͤhren, die den „Frauenzimmern“
gewidmet werden: „Weibchen“, „Weiblein“, „Dirnchen“,
„Maͤdchen“, „Maͤgdlein“, „Maͤdel“, „Maidel“ (auch
„Mamſell“), „Liebchen“, „Schaͤtzchen“, „Schaͤtzel“, „Suͤß—
chen“, „Holdchen“ und „Goldchen“.
Die Wirklichkeitsfreude der Volksſprache hat ſich aber
von jeher beſonders in Klangmalereien von zum Teil
uͤberraſchender Lebendigkeit geuͤbt. Auch darin folgt ihr
Goethe, ſie haͤufig mit reizvollen Neuſchoͤpfungen berei—
chernd. Dabei koppelt er meiſt bekannte Onomatopoätica,
die mehr oder weniger an Friſche eingebuͤßt haben, mit
eignen Erfindungen, um ſie ſo neu zu beleben und zugleich
das charakteriſtiſche Lautmoment durch dieſe alliterierende
oder aſſonierende Verdoppelung beſonders eindringlich zu
machen. Laſſen wir uns von „dem Trott“ der Poſtpferde
nach Frankfurt zu Lili fuͤhren. Kaum treten wir in ihren
Tierpark ein, gleich empfaͤngt uns „ein Gegacker, ein Ge—
quieck und Gequacker“. Wie ſie „trappeln“ und „zappeln“,
ſogar die Fiſche „patſchen“ heraus. Und gar erſt wenn es
gilt, aus dem Futterkoͤrbchen einen „Pick“ zu tun, dann
draͤngt ſich das „Geflitter und Geflatter“ der Voͤgel, die
mit „Pipi, Pipi!“ gelockt werden. Ein kleiner Vogel heißt
darum auch kurzweg „ein Pipi“, und „wie der Prinz Pipi“
(wohl im Sinne von Zaunkoͤnig) durchſtreift der Knabe die
61
Welt feiner Traͤume. Die Henne ruft ihr „glu! glu! glu!“
und der Kuckuck ſein prophetiſches: „Coucou“ in endloſer
Wiederholung. „Wito hu!“ ſchreit die Eule und „das“
Chor der Wölfe heult dazu: „wille wau wau wau! wille
wo wo wo!“ Beſonders dieſe unheimlichen, geiſterhaften
Geraͤuſche weiß Goethe uns hoͤrbar zu machen. Die naͤcht—
lichen Unholden „ſchluͤrfen und ſchlampfen“ das Bier in
den Kruͤgen. Wenn gar die Toten aufſtehen zur Mitter:
nacht, dann „grapſt an den Gruͤften“ die Knochenhand, und
bald „klippern“ und „klappern“ die Gebeine im Toten—
tanz. Wenn aber die Zwerge ihren „Hopp“ machen, „da
ringelt's und ſchleift es und rauſcht es und wirrt“. Wo ſie
im leeren Saale ſchmauſen, „da piſpert's und fliſtert's“
von ſchwatzenden Stimmchen, „da dappelt's und rappelt's“
von Tellern und Baͤnken. Bis dieſe huſchende Geiſterwelt
von dem „Bum Baum“ der Glocken mit einem Mal zur
Ruhe gebracht wird, die nicht nur zum „Kling und Klang
der Katholiken“ gehoͤren.
Die Sprachſchoͤpfungen Goethes beſchraͤnken ſich
aber nicht auf das Gebiet der Klangmalerei. Überall, wo
ihm der weite Umkreis der geformten Sprache kein Ge—
nuͤge tat, hat Goethe mehr wie einmal aus eigenſter bild—
kraͤftiger Anſchauung neue Worte gepraͤgt. Natuͤrlich lehnt
er ſich dabei an vorhandene Wortſtaͤmme an, und man
kann darum ſchon manche der angefuͤhrten Umpraͤgungen
als Neuſchoͤpfung betrachten. Wir nennen noch beſonders:
„das ubergaͤngliche“ für die ineinander uͤbergehende Form,
„kuͤßlicher Mund“, „hirtliche Wohnung“, ebenſo „wirt—
lich“, „mondliche Helle“, „taͤpſig“ und „knollig“ vom
Baͤren, „ſtrohern“, „porzellanen“, „bebluͤmte Matten“;
„es nachtet“, „es duͤſtert“, „fittigen“ (ein reizendes Wort
fuͤr den Gang der Maͤdchen), „aͤugeln“, „harfenieren“,
„gaſtieren“, „ſpalieren“, „Trauben einherbſten“, „nieder:
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bleien“ für niederdruͤcken, „wildſen“ und „ſich gebärdig
ſtellen“ fuͤr ſich wild gebaͤrden, „grillen“ fuͤr grillig ſein,
„ſchnippen“ fuͤr ein Schnippchen ſchlagen, „ſich vom Leibe
ſchmorgen“ (abſparen), „beguͤten“ fuͤr begluͤcken, „glaͤubi—
gen“ fuͤr glaͤubig machen. Über Goetheſche Neubildungen
durch Wortzuſammenſetzung wird weiter unten zu reden
ſein.
Indem Goethe ſolchergeſtalt die Worte immer auf die
knappſte ausdrucksvolle Form treibt, verfolgt er ihre Be—
deutung bis in ihren letzten anſchaulichen Kern. Damit iſt
eben im Poetiſchen die Zerſtreuung in Elemente gegeben,
wie ſie der impreſſioniſtiſchen Sehweiſe eigentuͤmlich iſt.
Dieſe iſt aber, wie wir ſahen, erſt das Vorſpiel eines Pro—
zeſſes, der in der Verſchmelzung dieſer Elemente zur Ein—
heit des Bildganzen gipfelt. Es gilt alſo, den Wortelemen—
ten ihre eigene, breitbeinige Wichtigkeit zu nehmen, damit
ſie, nur eben hingetupft, im großen Eindruck untergehen,
oder, mit anderen Worten, die aktive Beteiligung des
Dichters an ihrem Daſein hervorzuheben, in deſſen Seele
eben alle Strahlen des Bildes als in ihrem Brennpunkt
zuſammenlaufen. Dieſe Einordnung der Elemente in das
Ganze der dichteriſchen Intuition iſt naturgemaͤß der
Wortverbindung uͤberlaſſen. Ihre gewoͤhnliche Form,
der grammatikaliſche Satz, ſtellt aber ein ſo feſtes Gefuͤge
unperſoͤnlicher Logik dar, daß die Worte in ihm ſtets mehr
oder weniger ihre ſelbſtſchwere Gegenſtaͤndlichkeit be—
haupten.
Um deshalb das Perſoͤnliche, das willkuͤrlich Lebendige
des uͤbergeordneten Zuſammenhalts zum Ausdruck zu
bringen, muß der Impreſſioniſt die zunaͤchſt unvermeidliche
Logik der gegebenen grammatikaliſchen Formen durch einen
unlogiſchen Inhalt ausgleichen, d. h. die Verbindung iſt
wohl grammatikaliſch geſchloſſen, logiſch bleibt fie aber un:
63
vollziehbar. An ihre Stelle tritt die pſychologiſche Ideen:
verknuͤpfung, für die jeder pſychiſche Inhalt gewiſſermaßen
in einen Dunſtkreis verſchwiſterter Anſchauungen einge—
bettet iſt, durch die er wieder blitzſchnell zu ganz anders—
artigen Inhalten uͤberleitet. Und weil dieſe pſychologiſche
Ideenverknuͤpfung wohl allgemein geſetzmaͤßig verlaͤuft,
im einzelnen aber den mannigfaltigſten individuellen Be—
dingungen Spielraum laͤßt, kann ſich hier das Medium
des Dichtergeiſtes am reichſten auswirken. Dies geſchieht
ſprachlich in dem großen, von jeher bedeutungsvollen Ge—
biet der übertragenen Bedeutung. Da nun die Sprache
ſtrenggenommen uͤber eine Bildwirkung nie hinauskommt,
geht an dieſer Stelle das Poetiſche unmerklich aus dem
gewoͤhnlichen Gebrauch hervor. Wenn wir z. B. bei Goethe
die zwei durchaus gebraͤuchlichen Wendungen „innig trau—
ernd“ und „tief trauernd“ nebeneinander finden, jo iſt
die erſte logiſch korrekt, die zweite nicht, da ich nicht auf
tiefe Weiſe, d. h. raͤumlich trauern kann. Sie iſt nur durch
pſychologiſche Ideenverknuͤpfung zu erklaͤren, d. h. durch
eine Begriffsverwandtſchaft mehrfachen Grades, die wir
uns etwa an folgender fortlaufender Begriffsreihe veran—
ſchaulichen koͤnnen:
tief — in der Bruſt — Herz — Seele — trauern.
Und warum war „innig“ logiſch? Weil es eine reine Inten⸗
fitätsfteigerung von Gefühlen („trauern“) innerhalb ihrer
eigenſten Dimenſion iſt. Wirklich: iſt? Nein, nur weil
wir uns gewoͤhnt haben, es ſo zu verſtehen. Urſpruͤnglich
„it“ innig ebenſo nur pſychologiſch an trauern gebunden:
innig — im Innern — Herz — Seele — trauern.
Aber die haͤufige und ausſchließliche Verkettung in dieſer
Richtung hat das Bewußtſein der pſychologiſchen Mittel—
glieder und damit die bildliche Auffaſſung des Gedankens
zum Schwinden gebracht. Das Wort iſt zum Begriff er—
64
ſtarrt. Dasſelbe Schickſal droht aber jedem Wort, deſſen
bildliche Anwendung in populaͤren Gebrauch kommt, wie
es neuerdings gerade bei „hoch“ und „tief“ der Fall iſt,
die rein begriffliche Intenſitaͤtsſteigerungen fuͤr alle moͤg—
lichen Fälle geworden find (hochelegant uſw.). Diefe ab—
ſterbende Anſchaulichkeit der Sprache durch neue und uͤber—
raſchende Bilder zu beleben, iſt deshalb die nie erſchoͤpfte
Aufgabe des Dichters überhaupt und erſt recht des Impreſ—
ſioniſten, der nur dadurch in den engen Rahmen der gram—
matikaliſchen Wortverknuͤpfung das unendliche Spiel ſei—
ner eigenen Ideenverknuͤpfung zu bannen hoffen darf. Es
iſt hier natuͤrlich nicht der Ort, das Bild bei Goethe halb—
wegs erſchoͤpfend zu behandeln. Eine berufenere Feder
könnte Bände darüber ſchreiben. Wir begnügen uns deshalb
an dem einen Beiſpiel, dem Kreislauf des Waſſers, die
Fuͤlle ſeiner Geſichte zu zeigen (wieder ohne Beruͤckſichti—
gung der Wortzuſammenſetzung): „Aus der Wolke tanzt
es nieder“, wo „gute Geiſter ſeine Jugend naͤhren“, und
„jauchzet wieder nach dem Himmel“. Und was dazwiſchen
liegt, verfließt wie ein Menſchenleben. Aus der Quelle wird
der Bach. Wie ein Knabe „jagt er bunten Kieſeln nach“,
„die Kniee umſchlungen von Blumen“. „Mit frohem, leich—
ten Sinn“ „druͤckt er buhleriſch die Bruſt des Badenden “.
Aber „andre Baͤche ſchmiegen ſich geſellig an“. Der Bach
waͤchſt zum Fluß, an deſſen Ufer „Rohre lauſchen und liſ—
peln“. Und nun plotzlich: „Die Welle ſtaunt zuruͤck und
ſchwillt bergan, ſich immer ſelbſt zu trinken“. D. h. es ent⸗
ſteht ein See. „Alle Geſtirne weiden ihr Antlitz in dem
See“, daß es „wellenatmend“ wiederkehrt. „Die Welle luͤgt
den Himmel“ alſo und doch nur des halb, weil nichts ſo
„rein wie das Herz der Waſſer“ iſt. Doch auch der See
hält den Fluß nicht. Im Waſſerfall „leicht empfangen,
wallt er verſchleiernd zur Tiefe nieder“, um als „reißender
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Strom“ ſich in die Ebene zu ergießen. Zwar „die Sonne
ſaugt an ſeinem Mark“, und ihn „frißt der Sand“, daß
er ſchließlich nur noch „vorbeiſtockt“, aber „ſein rollender
Triumph“ endet doch erſt in den „ausgeſpannten Armen“
des „Erzeugers“ Ozean.
Wie es das Ziel dieſer Bemuͤhung iſt, die immanente
Logik des Satzes inhaltlich aufzuheben, ſo gilt es noch mehr,
ſie aus ſeiner Form zu vertreiben. D. h. es muͤſſen die uͤb⸗
lichen grammatikaliſchen Formen, die in den modernen
Sprachen mehr und mehr auf logiſche Luͤckenloſigkeit hin—
draͤngen, abſichtlich durchbrochen werden. Dieſen Weg
ſchlaͤgt Goethe in der Entlehnung antiker Formen ein, in
denen die logiſche Beziehung noch nicht ſo breit ausgeſpon—
nen iſt. Indem hier fuͤr uns notwendige Mittelglieder der
grammatiſchen Satzverbindung ausgeſchaltet ſind, um die
beiden Endglieder der logiſchen Reihe allein und deſto ſtaͤr—
ker zu verſpannen, entſteht ein reineres Abbild der pſycho—
logischen Gedankenverbindung, die ebenſo ſprunghaft ver—
faͤhrt (ſ. o.), d. h. die fehlende logiſche Verknuͤpfung ver—
ſtaͤrkt die anſchauliche.
Zunaͤchſt läßt ſich innerhalb des Satzes die Bindung
von Wort zu Wort verkuͤrzen. So ſchlaͤgt Goethe eine kuͤhne
Gedankenbruͤcke durch tranſitive Verwendung intranſitiver
Verben, die eine poetiſche Erweiterung der grammatiſchen
Figura etymologica darſtellt. Er bildet: „ein Lied toͤ⸗
nen“, „dich ſtroͤmt mein Lied“, „das Laͤuten ſchwellt die
Trauertoͤne“, „Rettungsdank gluͤhen“, ebenſo „Gefahren
gluͤhen“ (für im Geiſte in Gefahr ſchwelgen), „Maͤßi—
gung tropfen“, „Schwindeln vor die Stirn zoͤgern“, „den
Goͤttertraum ſchweben“, „einen Traum tanzen“ (wer
denkt dabei nicht an unſere modernen Tanzgroͤßen, fuͤr
die es ſchlechterdings nichts mehr gibt, das ſich nicht ins
„Beinliche“ uͤberſetzen ließe?), „eine kleine Stille ruhn“,
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„raſſle den Trab“, etwas „fabeln“, etwas „taͤndeln“, je—
manden „lechzen“ (fuͤr luͤſtern machen); „wellenatmend“,
„ſturmatmend “.
Antik iſt auch die Auslaſſung der Praͤpoſition, die,
indem ſie die ganze Tragkraft der Verbindung in den nach—
folgenden Kaſus verlegt, eine eindrucksvolle Verſchmelzung
ſchafft. Mit dem Akkuſativ erſcheint dieſe Verkuͤrzung bei
Goethe in folgenden Wendungen: jemanden „vorbeiflie—
gen“, „manche Klippe vorbeifahren“, „Ceſtius' Mal vor—
bei“, „dich geht man voruͤber“, „ich ging jenen Kirchhof
hin“, „dich den Anger hinfuͤhren“, „die Zeit gedenken“,
„nicht ein Haar beſſer“.
Dasſelbe begegnet in Verbindung mit dem Dativ in fol—
genden Faͤllen: „dem Ausgang laͤcheln“, „dem Wunder
ſtaunen“, „den Schmerzen ſtill ſein“, einer Sache „hinge—
ſunken“, „der Not verſchlungen“.
Mit dem Genitiv bildet er ſo: „ſeitwaͤrts der Fahrt“.
Auch der einfache Genitiv der Beſchaffenheit iſt von an—
tiker Urkraft. So iſt der Brame „weiſen Wollens, milden
Handelns, ernſteſter Gerechtigkeit“, und ſeineßrau geht fro—
hen Buſens, reiner Sitte, holden Wandelns“. Der Mond
truͤbt ſich „verſchwindenden Scheins“, oder es ſtrahlt „hol—
den Lichts der Abendſtern“, „hinan denn reiner Bahn!“,
„dankſt du dann, reiner Bruſt, der holden“ „gleichen Laſters
fein”, „gleicher Weite”, „unwillkommener Schwere „einer
Erbſe groß” uſw.
Nicht anders wirkt das nach antikem Muſter ohne „als“
oder „wie“ vermittelte Praͤdikativ: „Knabe ſaß ich, Fiſcher—
knabe“, „ein Meer erbrauſt's“, „Er hat, ein Gegengift,
widerſtanden,“ „was ihr umkraͤnzende Seligkeit rings ums
Leben verherrlicht habt“, „Chriſtus kam ihnen ein Fremd—
ling vor“ uſw.
Eine aͤhnliche Auslaſſung kennt Goethe ſogar fuͤr das
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participium präsentis: „mir wieder ſelbſt“ (sc. gehörend),
„Berge wolkig himmelan“ (sc. ftrebend).
Dann kann dieſelbe grammatikaliſche Verkuͤrzung auch
auf das Verhältnis von Satzzu Satz übertragen werden.
Hier wieder zunaͤchſt zwiſchen Hauptſatz und Nebenſatz ver—
mittelt mit ungewoͤhnlicher und darum ſtark empfundener
Gedrungenheit das participium absolutum, das direkt
an klaſſiſche Vorbilder anknuͤpft. Goethe bildet ſo: „Sein
Schurzfell abgelegt, ein Feierwams er traͤgt“, „recht be—
trachtet, wohl beſehn“.
Eine andere primitive Satzverknuͤpfung, die der altdeut-
ſchen Sprache entnommen iſt, begnuͤgt ſich mit Inverſion
(Umftellung des Verbums) ohne vorausgegangenes Binde:
wort: „Das braune Maͤdel das erfuhr, vergingen ihr die Sin—
nen“, „die Kinderlein aͤngſtlich gen Hauſe ſo ſchnell, geſellt
ſich zu ihnen der fromme Geſell“. Auf die Auslaſſung eines
vermittelnden Satzgliedes laͤuft es auch hinaus, wenn Goethe
nach klaſſiſchem Vorbild (horribile dietu ufw.) direkt von
Haupt⸗ und Eigenſchaftsworten Infinitiva abhaͤngig macht:
„Eichhörnchen, Nuß zu knacken / frei, ſich einem andern zu
ergeben”, „feſt, fie zu trauen“, „gewiß, durch alle durchzuge—
hen“, „ſeelevoll, zu fingen”, „ich zu hören ſtille bin“, „eilig
warſt du und friſch, die Fruͤchte zu tragen“. Eine aͤhnliche
„Neuheit“ infinitiviſcher Abhaͤngung geht auf altdeutſchen
Gebrauch zuruͤck: „geht zu kommen“, „als er kam, zu fter:
ben“. Antik iſt ſchließlich wieder die Verſchraͤnkung der
doppelten Frage in einen Satz: „von wannen kommt ſie,
um wohin zu gehen?“
Denſelben Grundſatz, daß die fehlende Verknuͤpfung die
ſtaͤrkſte iſt, wendet Goethe auch in der Verbindung von
Hauptſatz zu Hauptſatz an, wenn er im Gebrauch von
„und“ eine auffallende Kargheit uͤbt. Beſonders in der
Wiedergabe zeitlicher Vorgaͤnge ſtellt er die momentweiſe
68
feſtgehaltenen Einzelbilder unvermittelt nebeneinander,
damit ihre raſche Folge in der Geſamtwirkung wieder zur
Bewegung zuſammengeht. Hier arbeitet die dichteriſche
Anſchauung ganz wie ein Kinematograph: „Der Koͤnig
ſprachs, der Page lief, der Knabe kam, der Koͤnig rief.“
„Sie laͤchelte, ſie ſprach.“ „Sie ſang zu ihm, ſie ſprach
zu ihm.“ Dieſes letzte Beiſpiel iſt beſonders merkwuͤrdig,
weil es die impreſſioniſtiſche Sehweiſe in knappſter Form
zum Ausdruck bringt. Es iſt naͤmlich klar, daß ſelbſt ein
Meerweib nur entweder fingen o der ſprechen kann. Der—
ſelbe Vorgang wird alſo in zwei verſchiedene zeitlich zerlegt,
von denen jeder einzelne falſch iſt. Zuſammen ergeben fie
aber, wie zwei uͤbereinanderphotographierte Platten, den
richtigen Eindruck.
Überhaupt bevorzugt Goethe kurze und kuͤrzeſte Saͤtze, z.B.
„Der Morgen kam.“
Aber wie ungewoͤhnlich man auch die grammatikaliſche
Verbindung des Satzes wenden mag, ſein notwendig zeit—
licher Verlauf ſpaltet immer die Gleichzeitigkeit des ſub—
jektiven Erlebniſſes in ein Nacheinander objektiver Geſcheh—
niſſe. Wo darum die Schoͤpfung am lebendigſten aus dem
Drang der dichteriſchen Impreſſion fließt, wird auf gram—
matikaliſche Verknuͤpfung uͤberhaupt verzichtet, indem der
logiſche Nerv des Satzes, das Zeitwort, herausgeſchnit—
ten iſt. Nicht nur im Anruf: „O Erd', o Sonne! o Gluͤck,
o Luft!“ iſt dieſe Zeitloſigkeit des Eindrucks für Goethe cha=
rakteriſtiſch, ſie findet ſich auch ſonſt in mannigfacher An—
wendung: „Um Mitternacht. Ich ſchlief.“ „Wechſelhauch
und Kuß! Liebesuͤberfluß“, „ . . . . . . und Kuß auf Kuß.“
„Verlegenheit! Scham!“ „Was geſchehen? Was ver—
ſchuldet?“ „Doch der und den Kindern kein Gewinn.“ Ge—
rade fuͤr Bewegungsvorgaͤnge liegt in der Auslaſſung des
Zeitworts ein anſchaulicher Schwung. Sie huſchen ſo vor—
69
über wie eine Erſcheinung, die wir zeitlich aufzufaſſen keine
Zeit haben: „Der Graf nun ſo eilig zum Pfoͤrtchen hin—
aus.“ „Die Kinderlein aͤngſtlich gen Hauſe ſo ſchnell.“ „So
zur Tuͤr hinein.“ „Schoͤn Suschen gleich wieder zur Flut
gewandt.“ Weniger charakteriſtiſch iſt das fehlende Zeit—
wort fuͤr den Redevorgang: „Der Graf im Behagen des
Traumes: ...“ „ . ... So das Chor.“ Eine ſchoͤne im⸗
preſſioniſtiſche Wirkung übt es dagegen in ‚Wanderers
Sturmlied‘, wo es das muͤhſame, ſtoßweiſe Sprechen im
Sturme verſinnlicht, der die Worte nur in Fetzen weiter—
traͤgt: „Weh! Weh! Innere Waͤrme, Seelenwaͤrme, Mittel⸗
punkt!“ Ein andermal benutzt es Goethe zur knappen Cha⸗
rakteriſtik einer optiſchen Verſuchsanordnung: „Spiegel
huͤben, Spiegel drüben, Doppelſtellung auserleſen.“ End⸗
lich dient es auch zur kraͤftigen Einfuͤhrung eines neuen
Gedankens: „Du nun ſelbſt!“ oder eines neuen Eindrucks:
„Der Mond und noch immer er ſcheinet ſo hell.“ Hier wird
damit, im Gegenſatz zu den Bewegungsvorgaͤngen, die
ruhige, immer gleichbleibende Gegenwart dieſes naͤchtlichen
Zeugen gemalt. Wir wollen außerdem nur darauf hin—
weiſen, daß die kraͤftige Herausſtellung eines Hauptworts
durch ſeine Wiederaufnahme mit er, — ſie, — es ebenfalls
einen unterdruͤckten Satz vorausſetzt. Fuͤr Goethe iſt dieſe
Form haͤufig zu belegen: „Mutter und Kinder, ſie bitten ſo
ſchoͤn.“ „Das Graͤflein, es blicket hinuͤber.“ „Die Hulden,
fie kommen.“ ufw.!
1 An dieſer Stelle mag erwähnt werden, daß Goethe dieſelbe Hervor⸗
hebung durch Wiederaufnahme des Artikels (3. B. „Den Enkel, den
heute vermaͤhlten“) zu ungewöhnlicher Anwendung bringt durch Vor-
wegnahme des Beiworts: „Der alte Getreue, der Eckart“, „Du Guter,
du Alter!“ „Der arme, der Tuͤrmer“, „Sie trinken das muͤhſam ge:
holte, das Bier“.
Auf altdeutſche Vorbilder geht dagegen zuruͤck die Betonung des
Zeitworts durch Nachſtellung: „Der Knabe zuruͤck zu laufen kam“,
70
Es liegt auf der Hand, daß dieſe Zerſtoͤrung des ganz
zen Satzgefuͤges durch Ausſchaltung ſeines wichtigſten Be—
ſtandteils, des Zeitworts, nur fuͤr vereinzelte Hoͤhepunkte
einer letzten dichteriſchen Anpaſſung in Frage kommt. Auch
innerhalb des Satzes muß ein Weg gefunden werden, die
grammatikaliſche Verknuͤpfung und damit ſein zeitliches
und logiſches Prinzip (die im Grunde eins ſind) zu brechen.
Das geſchieht in der Wortzuſammenſetzung. Hier, wo
gerade die deutſche Sprache einen ſo weiten Spielraum
gewaͤhrt, koͤnnen die verſchiedenſten, ja entgegengeſetzte
Begriffe als gleichzeitig oder beſſer zeitlos und abgeſehen
von, reſp. außer aller logiſchen Beziehung ſo moſaikartig zu—
ſammengewuͤrfelt werden, wie die Eindruͤcke in dem Ur—
bild der dichteriſchen Impreſſion zuſammenliegen. Ja, je
weiter die Worte logiſch auseinanderklaffen, deſto mehr
iſt die ſelbſtaͤndige Realitaͤt jedes einzelnen im anderen auf—
gehoben, und nur noch auf ihre Verſchmelzung uͤbertragen,
d. h. um ſo leichter ordnen ſie ſich als bloße Teile dem
Ganzen der dichteriſchen Intuition unter, aus der allein
ihre Einheit begriffen werden kann. Und auf dieſem Gebiet
der Wortzuſammenſetzung, das alſo erſt eigentlich einer
impreſſioniſtiſchen Poeſie die breiteſte Bahn eroͤffnet, liegt
auch die auffallendſte Staͤrke der Goetheſchen Neukunſt.
Nicht jede Wortzuſammenſetzung iſt natuͤrlich als im—
preſſioniſtiſch anzuſprechen, da dieſe Art der Wortbildung
bereits überall in der Umgangsſprache vorgebildet iſt. Wenn
wir ihre anſteigende Entwickelung von hier aus verfolgen,
fo koͤnnen wir als Ausgangspunkt ſolche Fälle betrachten,
in denen der eine Beſtandteil gar kein ſelbſtaͤndiges Wort
„Ach Liebe, du wohl unfterblich biſt “ ufw. oder Voranftelung: „Trägt
er eine goldne Kett' am Hals, Trägt er einen ſtrohernen Hut“, beſon—
ders in Trochaͤen: „Schweigt der Bruder“, „Reißt ſie los der Bru—
der“ uſw.
71
ift, ſondern ein einfachſtes, gewiſſermaßen rohes Sinn:
element, das, wie ein Schmarotzer, zum Daſein ſtets der
Anklammerung an ein hoͤher Organiſiertes bedarf. Dieſe
Vor⸗ und Nachſilben find, als notwendigſte Hilfsmittel
der Sprachbildung uͤberhaupt, ebenſo zahllos verbreitet, wie
fuͤr uns ohne jede Bedeutung, ſolange ſie weiter nichts als
das ſind, d. h. ſolange ſich ihre Aufgabe in einer logiſchen
Ausſchrotung des beigegebenen Wortſtammes zu neuen
Begriffen, alſo zu neuen Inhalten erſchoͤpft (3. B. Sinn:
— Unſinn — Beſinnung — geſinnt — geſonnen — ſinnig
— ſinnlich — Sinnlichkeit uſw.). Anders liegt es erſt, wenn
ſie ſeinen begrifflichen Inhalt unveraͤndert laſſen und nur
ſeine anſchauliche Wirkung in uns beeinfluſſen.
Dieſem Formzweck, der allein für einen impreffionifti-
ſchen Gebrauch in Frage kommt, dienen zunaͤchſt die Vor—
ſilben der Zeitwoͤrter, zu denen in weiterem Sinne auch
ſelbſtaͤndige Praͤpoſitionen gehoͤren. Indem ſie dem ange—
ſchloſſenen Wortſtamm eine beſtimmte Richtung erteilen,
geben ſie gewiſſermaßen ſeiner Auffaſſung eine raͤumliche
Orientierung. Beſonders intranſitive Verben koͤnnen da—
durch eine aktive Wendung von großer anſchaulicher Friſche
annehmen. Es iſt, als ob die ſtarren Verbalſtaͤmme mit
dieſen kleinen Vorſilben flinke Fuͤße bekommen haͤtten, die
ſie hierhin und dorthin tragen. In dieſem Sinne hat Goethe
ſeinen Verbalvorrat gehoͤrig auf die Beine gebracht. Zu
ſeinen bevorzugten Vorſpaͤnnern gehoͤren:
be: „berufen“ (fuͤr zitieren), „ſich beruͤhmen“, „ſich be—
ſtreben“ (fuͤr ſich ſtrebend beeilen), „beſticheln“, „be—
ſchmauſen“ (für abfeiern).
er: „ſich erwühlen”, „erbraufen”, „ertreten” (fuͤr zertreten),
„der eratmende Schritt” (der muͤhſam atemfchöpfende,
langfame), „erfreien”, „Ruh erreiten”, „Mut erzechen“.
ver: „verwehen“, „verſpuͤlen“, „verwenden“ (für weg—
72
wehen, wegſpuͤlen, wegwenden), „verbreiten“ (für aus:
breiten), „verſiechen“, „verſchweben“, „das Leben ver—
taumelt ſich“, „vergaukeln“, „verſchleifen“ (von dem—
ſelben), „ſich verknicken“, „verlechzte Lippen“, „ver—
ſchwirbelt Hirnchen“, „verſchaͤnden “, „vertrackt“, „ver—
teufelt“, „vergoͤttern“, „verſchwiſtert“, „verzaͤrtelt“,
„verzierlichen“, „verlindern“, „verwitzeln“, „verkrit—
zeln“, „Gram vertrinken“.
weg: „wegſchauern“, „wegloͤſchen“, „vom Herzen weg—
ſchelten“, „hinwegtaͤndeln“, „wegpfeifen“.
vorbei: „vorbeiſtocken“ (vom Fluß), „vorbeibegehren“
(fuͤr vorbeizugehen begehren), „vorbeigequollene
Traͤnen “.
her: „hererzaͤhlen“, „herbeiraffen“, „heruͤberſchlemmen“,
„herlieben “.
hin: „hinlieben“ („die Ferne, wohin man liebt“), „ſich hin—
gewöhnen”, „eine Zeichnung hinwuͤhlen“ (von ſtaͤrkſter
impreſſioniſtiſcher Wirkung!), „dahinſengen“, „ſich
hinuͤberſtreiten“ (ins Jenſeits), „hinanbeten“, „ſich
hinanrucken“ (vom kletternden Gerippe). Dagegen:
an: „anrucken“ (von Tauben), „anſchmachten“, „an—
gluͤhen“, „dranpaſteten “.
ab: „abgelebt“ (von „Zeiten“ und „Frau“), „abgeſchie—
den“, „er hat mirs abgewonnen“.
auf: „aufſchmelzen“, „aufgeſchmuͤckter Saal“, „aufge—
recktes Ohr“ (vom Faun), „aufgeſtutzte Baͤumchen“,
(„aufſtutzen“ auch von Fliegen), „ſich aufruhen“ (fuͤr
ſich erholen).
nieder: „niedertanzen“ (das Waſſer aus der Wolke),
„niederbleien “.
ein: „eingaukeln (für einſchlaͤfern), „eindaͤmmern“ (für
einſchlummern), „eingedorrte Lenden“, „einkneten“,
„Trauben einherbſten“.
73
aus: „auskuͤhlen“, „ausheilen“, „ausſpenden“, „ſich aus:
rollen“ (von der Welle), „ausgeſchnitzt“.
ent: „entfliegen“, „entfließen“, „entrauſchen“, „ent⸗
fallen“, „entſtuͤrzen“, „ſich entrollen“, „entriegeln“,
„enträtfeln”, „entkraͤftigen“, „ſich entrunzeln“, „ent:
renkt“, „entzahnt“, „dem Schlaf entjauchzen“ (durch
Jauchzen aufwecken).
entgegen: (neben „entgegnen“ fuͤr begegnen:) „ent—
gegengehen“, „entgegenkommen“, „entgegentreten“,
„ſich entgegenbewegen“, „ſich entgegendringen“,
„entgegenwachſen“, „entgegenkeimen“, „entgegen—
heben“, „entgegenbeben“, „entgegengluͤhen“, „ent—
gegenleuchten“, „entgegenblicken“, „entgegenſtar—
ren“, „entgegenſingen“, „entgegenprahlen“, „ent—
gegengaukeln“.
zuruck: „zuruͤckſtaunen“, „zuruͤckgedeichet“ (vom Fluß);
ruͤckwaͤrtslaſten !“.
durch: „durchſchlungen“, „durchdrungen“, „durchmannt“
(ein ſchoͤnes Kraftwort fuͤr: mannhaft durchdrungen),
„durchgluͤht“, „die durchgeſpielte Leier“.
um: „umgeben“, „umſchlungen“, „umknuͤpft“, „umwun⸗
den“, „umſpinnen“, „umkraͤnzen“, „umlegt“, „umzo⸗
gen”, „umfangen“, „umgrenzen“, „umzaͤunen“, „òum⸗
kreiſen“, „umwandelnd“, „umfluͤgeln“, „umfittigen“,
„umfließen“, „umſtroͤmt“, „umrauſcht“, „umſpuͤlen“,
„umgoſſen“, „umwaͤrmend“, „umleuchten“, „umfin—
ſtern“, „umduͤſtern“, „umnebeln“, „umwoͤlkt“, „um—
ſchrien“, „die fremde Umlaubung“ (des Efeus); „um—
herbuhlen“, „umwuͤhlen“, „umgeſtalten“.
über: „uͤberbrauſen “ „uͤbertoben “ „überfcheinen”, „über:
kreuzt“ (für kreuzweiſe gelegt), „uͤberwoͤlbt“, „die Pein
uͤberſchleicht mich”,
An einmaligen Bildungen iſt ſonſt noch zu nennen:
74
„unterſpreiten“, „ſich emporteilen“ (von der Flut), „ſich
fortkruͤmmen“ (vom Bach), „ſeitblicken“, „jemandem vor—
fühlen” Auch: niederwaͤrts / flutwaͤrts / „wälderwärts”,
„bergan“ enthalten eine knappe Richtungsangabe.
Der andere Fall, wo eine Zuſammenſetzung mit ſolchen
einfachſten Wortelementen nicht das Stammwort inhalt—
lich, ſondern nur die Form ſeiner Auffaſſung betrifft, liegt
in ihrem verſtaͤrkenden Zuſatz, beſonders zu Eigenſchafts—
worten. Die Worte erfahren dadurch innerhalb ihrer eigenen
Dimenſion eine reine Intenſitaͤtsſteigerung ihrer Wirkung
auf uns. Da es die Dichter von jeher mit „geſteigerten
Geſtalten“ zu tun gehabt haben, find die meiſten dieſer
Vorworte ziemlich verbraucht. Goethe verwendet darum
nicht nur die gewoͤhnlichen Zuſammenſetzungen in bunter
Abwechſlung, wie: wohl- („wohlgefaͤllig“, „wohlgebildet“
uſw.), viel⸗(„vielzufrieden“, „vielgereiſt“ uſw., „die Viel—
kuͤnſtliche“ iſt die Spinne), all-(„allgegenwaͤrtger Balſam
allheilender Natur / „allgeliebt” uſw.), aller-(„allerliebſt“,
„das Allerheiligſte“ uſw.), allzu-(„allzuzierlich“), wunder-,
ur- („uralt“, „Urquell“ uſw.), ſondern er bereichert fie auch
durch eine, ſoviel ich ſehe, ihm gehoͤrige Praͤgung, die fuͤr
das Kraftſtrotzende, Urgeſunde feiner Auffaſſung ſehr be—
zeichnend iſt: die Verſtaͤrkung mit übers, Neben feiner ge:
woͤhnlichen Anwendung in einerſeits: „uͤberweltlich“, „der
uͤberepiſche Kreuzzug“ ( Klopſtocks Meſſiade), anderer:
ſeits: „uͤberdach“, „uͤberkleid“, „Übergewicht“, finden wir
die ſchoͤnen Worte: „uͤberfrei“, „uͤberſchnell“, „uͤberreich“,
„uberbunt”, „überrein“, „überfelig“ (von der Nacht). Auch
der „ubermenſch“, der ſpaͤter bei Nietzſche zu fo beſonderer
Bedeutung kommen ſollte, begegnet (außer im ‚Fauft‘) be—
reits in feiner Lyrik (‚Zueignung‘ 1784).
An dieſe eigentliche Wortzuſammenſetzung mit unſelb—
ftändigen Elementen ſchließt ſich aber in unmerklichem Über:
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gang ſofort die adverbiale Verſtaͤrkung durch ſelbſtaͤndige
Worte. Es bleibt naͤmlich gleichgültig, ob die Wortzuſammen—
ſetzung auch aͤußerlich (im Drucke) vollzogen iſt; ausſchlag—
gebend iſt allein die Auffaſſung im Hörer. Und für dieſe koͤn⸗
nen zwei ſelbſtaͤndige Wörter fich zur Zuſammenſetzung ver⸗
dichten, wenn ſie durch ihre Stellung zum uͤbrigen Satz eng—
ſtens aneinander gerückt find, d. h. wenn ihr grammatikali—
ſches Verhältnis, das, an ſich vollſtaͤndig, ihre Trennung be—
wirkt, nicht zum Bewußtſein kommt, weil es in einem ans
deren grammatikaliſchen Verhaͤltnis eingeſchloſſen iſt, das
die Aufmerkſamkeit beherrſcht. Das geſchieht, wenn eine
ſolche ſelbſtaͤndige Verſtaͤrkung zu einem beigeordneten
Eigenſchaftswort tritt, ſo daß beide zuſammen zwiſchen
Artikel und Hauptwort eingeſchachtelt ſind. Wenn wir bei
Goethe z. B. „ein ſehr erklaͤrliches Erſtaunen“, „die ganz
verhaßte Sonne“ uſw. finden, ſo koͤnnen wir bei ſolchen
Bildungen die Richtung der Aufmerkſamkeit in folgende
Darſtellung bringen: „ein ſehr erklaͤrliches Erſtaunen“,
—ͤ — — —
d. h. ſolange die durch den Artikel eingeleitete grammatifa=
liſche Spannung nicht mit dem Hauptwort geloͤſt iſt, blei⸗
ben zwiſchenliegende grammatikaliſche Verhaͤltniſſe (wenn
ſie kurz genug ſind), als ſolche, d. h. logiſch, unbeachtet
und verſchmelzen zu bloßen anſchaulichen Komplexen. Fuͤr
dieſe verſchraͤnkte Form, auf deren Charakter als Wort—
zuſammenſetzung wir naͤher eingegangen ſind, weil er uns
ſpaͤter noch einmal begegnen wird, hat Goethe beſondere
Vorliebe. Wir koͤnnen darum die Liſte ſeiner zuſammen—
geſetzten Verſtaͤrkungen ergaͤnzen durch „ſehr“, „ganz“,
„gar“, „gut“, „recht“, „tief“, „hoch“, „hoͤchſt“, „einzig“
(„einzig treue Lippen“ uſw.), „unendlich“ („die unendlich
hohe Liebe“ Petrarcas), „ewig“ („das ewig ſchoͤne Leben“).
Doch treten dieſe Worte teilweiſe auch in eigentlicher Be—
16
deutung auf, wie in: „tiefgegrabene Worte”, „der einzig
Angetraute“, „ihr Ewiglebenden“ Mufen)!.
In demſelben Maße, wie dieſe eigentlich und uneigentlich
zuſammengeſetzten Verſtaͤrkungen noch grammatikaliſch ge—
baut, alſo logiſch orientiert ſind, erheben ſie ſich kaum aus
dem üblichen Sprachgebrauch. Schon poetifcher iſt die Ver—
doppelung der Worte als Hilfsmittel der Verſtaͤrkung. Man
braucht nur an die Kinderſprache oder das Pidgin-Eng—
lish des Chineſen zu denken, der tschop tschop muchy
muchy money machen will, um zu erkennen, daß man es
hier mit einem primitiven Stilmittel zu tun hat, das ganz
auf ſinnlich eindringliche Wirkung geſtellt iſt. Goethe, dieſer
Prototyp des Schillerſchen „naiven Dichters“, hat es ſich
darum nicht entgehen laſſen. Fuͤr die Anrede: „Roͤslein,
Roͤslein, Roͤslein rot!“ „Dich, dich ſtroͤmt mein Lied!“
oder die Aufforderung: „Fließe, fließe, lieber Fluß !”, „ſinge,
ſinge“ uſw. hat es nichts Auffallendes. Auch in der Ver—
doppelung von Eigenſchafts-, Umſtandswoͤrtern uſw. liegt
noch nichts Ungewoͤhnliches: „die liebe, liebe Stimme“,
„daß ich ſie dichte, dichte, dicht bei ihr genießen mag“,
„keine, keine Schlachten mehr“. Schon kuͤhner iſt die Bil—
dung: „waren ſieben ſieben Weiber vom Dorf“ und die
Zuſammenziehung in: „klein — kleiner Knabe“. An dieſe
Form knuͤpft bekanntlich Lilieneron wieder an. Sehr merk—
wuͤrdig dagegen und, ſoviel ich ſehe, ohne Vorgang und
Nachfolge iſt bei Goethe die Verdoppelung auch von Haupt—
woͤrtern. Ich denke an die bedeutſame Stelle: „Die Glocke
Glocke toͤnt nicht mehr“. Wenn wir darin vielleicht das
Auch die gewöhnliche Steigerung der Eigenſchäftsworte bringt Goethe
zu beſonderer Anwendung, indem er ſie auf eigentlich nicht ſteigerungs—
faͤhige ausdehnt, wie: „die ſchweſterlichſte“ (Antigone), „der vaͤter—
lichſte Rat“, „der letzteſte Kuß“ (nach dem letzten), oder indem er ſie
auf Partizipien überträgt: „das geliebteſte Mädchen”,
77
akuſtiſche Ausſchwingen der Glockentoͤne empfinden follen,
ſo weiß Goethe auch umgekehrt das ſtufenweiſe Einfallen
der Glocken impreſſioniſtiſch zu malen: „Glocke, Gloͤckchen
fügt vom Dome ſich der Andacht“. Eine klangmalende Ab-
ſicht kann man auch in folgenden Verdoppelungen ſpuͤren:
„Kommt jener nun mit Glaͤſern her, ſo bin ich ſtille, ſtille“,
„mein Vormund leiſe, leiſe bringt mich an den Bettelſtab“,
hebt ſich lang und langſam aus dem Bett empor / „kuͤßten
nach Luͤſten“. Noch mehr auf muſikaliſche Wirkung gehen
ſolche Wendungen, die im Steigen und Fallen der Laut—
werte geradezu einer einfachſten Tonfolge entſprechen: „Luft
iſt ſtill und Luͤftchen ftille”, „das liebe, lange Leben lang“,
„drei lange, lange Naͤchte lang“. Ganz rhythmiſch gebaut
iſt der Satz: „lange, liebe Liebe lang“. Bei ſolchen Stellen
wird es uns klar, warum die meiſten Goetheſchen Gedichte
von jeher zur Kompoſition herausgefordert haben.
In derſelben Weiſe wie zur Verſtaͤrkung des Sinns, kann
bei Adjektiven und verwandten Beiworten die Wortzu—
ſammenſetzung auch zu ſeiner naͤheren Beſtimmung
dienen, indem das Vorwort nicht mehr bloß auf die In—
tenſitaͤt, ſondern die Qualitaͤt des Stammwortes einwirkt.
Dieſe qualitative Beſtimmung, gleichſam die farbige Nu—
ancierung der Beiworte kann alſo ebenfalls in zwei Formen
auftreten: in einer nebengeordneten, die, ohne grammati⸗
kaliſche Verknuͤpfung, eine wirkliche Wortzuſammenſetzung
darſtellt, und einer untergeordneten, die noch grammati⸗
kaliſche Vollſtaͤndigkeit und damit logiſchen Charakter hat,
der, wie dargelegt, in einer verſchraͤnkten Form wenigſtens
der Wirkung nach aufgehoben iſt.
Auch hier muͤſſen wir von dieſer letzteren, gewiſſermaßen
halbgrammatiſchen Wortzuſammenſetzung ausgehen, die
dem Beiwort, meiſt in Partizipialform, durch vorgeſetzte
Adverbien die verſchiedenſte naͤhere Beſtimmung geben
78
kann. Dabei leitet dieſe Form unmittelbar aus der ent—
ſprechenden Verſtaͤrkung uͤber, inſofern, wie wir ſahen, die—
ſelben Vorworte je nach der Anwendung als intenſive oder
qualitative Zuſaͤtze wirken koͤnnen. (Daß dazu eine gewiſſe
Verblaſſung ihrer Bedeutung gehoͤrt, iſt eine Erſcheinung,
auf die wir ſchon weiter oben aufmerkſam machten.) Fuͤr
die Antike charakteriſtiſch, wird dieſe Bildung von unſeren
Klaſſikern, und fo auch von Goethe, zu neuer Blüte ges
bracht. Und zwar koͤnnen wir fuͤr ſie wieder zwei Formen
von zunehmender Anſchaulichkeit des Verhaͤltniſſes unter—
ſcheiden. Offenbar enthaͤlt naͤmlich die naͤhere Bezeichnung
durch Adverbien in der unflektierbaren Form von Partikeln
noch nichts davon, ſondern ſtellt nur die aͤußerſte Verkuͤr—
zung eines logiſchen Verhaͤltniſſes dar, das aber — und
daher nehmen wir das Recht, hier davon zu ſprechen —,
indem es in der anſchaulichen Enge der eingeſchachtelten
Form auftritt, in uns die Illuſion erweckt, als ob wir es
mit einer anſchaulichen Verſchmelzung zu tun haͤtten. Fuͤr
die faſt eigenſinnige Pflege dieſer verfeinerten Form bei
Goethe iſt es bezeichnend, daß er fie nicht nur auf Parti-
zipien (die als Zeitwoͤrter noch mehr zu einer logiſchen Be—
ſtimmung auffordern), ſondern auch auf Eigenſchaftsworte
anwendet. Neben: „der ſchon entſchiedene Hang des Men—
ſchen“, „dieſes Tages noch geſchloſſne Bluͤte“, „bei halb
geraubten Kuͤſſen den ſonſt verdeckten Buſen zeigen“ uſw.,
finden wir ſo: „die bald welke Roſe“, „das ringsum ſteile
Schloß“, „die doch bittere Schere“ (der Parze).
Von hier aus erhebt ſich zu groͤßerer Anſchaulichkeit die
eigentliche adverbiale Beſtimmung, ein Feld, das Goethe
nicht weniger fruchtbar angebaut hat. Wie ſehr ſie in ihrer
verſchraͤnkten Form einer Wortzuſammenſetzung gleicht,
kommt darin zutage, daß ſie hier oft ſchon aͤußerlich zu—
ſammengezogen wird, was in ihrer aufgeloͤſten Form nie
19
geſchieht: „das leichtbewegte Herz“ — das Herz iſt leicht
bewegt, „vollſchwellende Traͤnen“ uſw. Im uͤbrigen kann
es nicht unſere Aufgabe ſein, dieſes Material auszubreiten,
das, in ſeiner logiſch-grammatiſchen Struktur, noch nichts
weſentlich Impreſſioniſtiſches zeigt. Wohl aber muͤſſen wir
auf eine beſondere Goetheſche Anwendung hinweiſen, die
das Gefuͤhl fuͤr dieſen grammatiſchen Unterbau bis zum
Verſchwinden bringt. Er ſetzt naͤmlich mit Vorliebe das
Adverbium dem Sinne nach nicht in Beziehung zum Par—
tizip, zu dem es grammatikaliſch gehört, ſondern zum Haupt⸗
wort. Indem dadurch beide zuſammen zu dieſem im Ver—
haͤltnis von Eigenſchaftsworten ſtehen, kommt ihre wechſel—
ſeitige Abhaͤngigkeit nicht zur Wirkung und hat einer tat⸗
ſaͤchlichen Koordinierung Platz gemacht. Wenn er z. B. „die
hoͤchſtbeſtimmte Vollendung“ ſagt, ſo meint er nicht die
Vollendung, die hoͤchſt beſtimmt (eindeutig) iſt, ſondern
die hoͤchſte Vollendung, die beſtimmt (vorgezeichnet) iſt.
In demſelben Sinne finden wir: „die ſchoͤn bezeichnete
Stunde“ (fuͤr die Schaͤferſtunde), „die ſchoͤn gefaͤrbte
Wange“, „das feucht verklaͤrte Blau“ (des geſpiegelten
Himmels), „die altberuͤhmte Stadt/ „wild zerſtoͤrter Geiſt“,
„heiter entzuͤckten Geſichts“, „die leichtgekaͤmmte“ Cirrus—
gegenüber der „feſtgebildeten“ Cumulus-Wolke, „große
gemeſſne Weite“, „ſchwarzvertiefte Finſterniſſe“ uſw.
Dieſe Bildungen leiten uns alſo bereits zu den reinen Ko⸗
ordinierungen uͤber, wie ſie zwei gekoppelte Eigenſchafts—
worte darſtellen. Hier ſteht zwar das erſte in jener elementa=
ren (ungebeugten) Form, die zugleich Adverbialform iſt. Aber
ſelbſt wo eine adverbiale Abhängigkeit zum zweiten zu fon=
ſtruieren iſt, wo alſo das erſte deſſen Erſcheinungsform
darſtellt, iſt dieſes doch wieder bloß Erſcheinungsform des
Hauptwortes, auf das es darum ſeine eigenen Beſtim—
mungen unvermindert uͤbertraͤgt. Wenn Goethe z. B. von
80
einer „barbariſch bunten Mundart“ ſpricht, jo tritt wohl
zunaͤchſt darin das Bunte der Mundart in barbariſcher
Weiſe auf, aber eben dadurch wird zugleich die Mundart
ſelber als barbariſch charakteriſiert. Indem alſo die Beſtand—
teile der Wortzuſammenſetzung, mehr oder weniger unab—
haͤngig von einander, jedenfalls beide in gleicher Weiſe auf
das Hauptwort gerichtet ſind, koͤnnen ſie mit einem Blick
als eine anſchauliche Einheit umfaßt werden. Dieſe ſteigert
ſich geradezu mit ihrer logiſchen Unvereinbarkeit, um ihren
Hoͤhepunkt in ſolchen Koppelungen zu erreichen, die aus
Gegenſaͤtzen beſtehen: „der Erde taͤtig-leidendes Geſchick“,
„geheimnisvoll offenbar“, „willig gezwungen“ uſw. In—
dem hier eins das andere logiſch erſchlaͤgt, geben ſie ſich
als bloße Schattenbilder der menſchlichen Seele, als ſym—
boliſche Grenzpfaͤhle einer einzigen großen Impreſſion, die
in jedem Augenblick nach jeder Richtung unendlich iſt. Der
Dichter malt hier mit Worten, wie der Pointilliſt mit Far—
ben. Alle Erſcheinung loͤſt er Klecks an Klecks in komple—
mentaͤre Gegenſaͤtze auf, damit ſie im Beſchauer, dem ihre
Einheit zu vollziehen uͤberlaſſen iſt, zum „richtigen“ Ein—
druck zuſammengehen. Aber nicht nur fuͤr dieſe extreme
Richtung laͤßt ſich die Parallele dieſer Wortkoppelung zur
Malerei verfolgen. Sie iſt geradezu das gegebene Mittel
fuͤr poetiſche Portraͤts, das Goethe mit der Freude des Ent—
deckers ausgebildet hat. Mit zwei knappen Strichen um—
reißt ſie lebendig eine jede Phyſiognomie. Da ift „der fleißig
kalte Gerhard Dow“ neben den „dumpf willkuͤrlich ver—
webten Geſtalten“ Breughels. Im Hain von Ilmenau
ſieht man Karl Auguſt, der ſonſt mit „maͤnnlich ſteter
Hand“ zu regieren weiß, „nachläffig ſtark“ die Schultern
druͤcken und „gutmuͤtig trocken“ an der Unterhaltung teil—
nehmen, während ein anderer „ekſtatiſch faul“ feine Knochen
dehnt. Und nun erſt Schiller! Wie „bequem geſellig, anſchlie—
81
ßend wohlgefaͤllig“ ift er im Umgang, wie „raſchgewandt,
geiſtreich und ſicherſtellig“ fließt ſeine poetiſche Produktion!
„Unſchaͤtzbar herrlich“ iſt der Schaͤdel, der ſolchen Geiſt
umſchloß!
Wenden wir uns von den Eigenſchafts- zu den Haupt:
woͤrtern, ſo betreten wir damit dasjenige Gebiet, wo die
ſchon erwaͤhnte Neigung der deutſchen Sprache zu Zu—
ſammenſetzungen am ſtaͤrkſten vorgearbeitet hat. Aber auch
hier hat ſie darin zunaͤchſt nur ein Mittel zur Verkuͤrzung,
noch nicht zur Aufhebung der logiſchen Funktion ausge—
bildet. Es iſt nun bezeichnend, daß Goethe auch dieſe ge—
wiſſermaßen vorpoetiſche Form der Wortzuſammen⸗
ſetzung gern heranzieht. Da wir aber nicht uͤberall einen
dichteriſchen Formwillen vorausſetzen duͤrfen, muͤſſen wir
unſere Beiſpiele im allgemeinen auf neue und kuͤhne Bil—
dungen beſchraͤnken.
In der Koppelung von Hauptworten tritt der logiſche
Einſchlag in der meiſt genitiviſchen Anwendung (deswegen
aber nicht immer genitiviſchen Form) des einen zutage, die
in die Wortzuſammenſetzung eine feſte Über- und Unter—
ordnung hineintraͤgt. Man braucht hier nur auch den Ar—
tikel genitiviſch zu wenden, ſo wird aus dem Doppelwort
eine vollſtaͤndige grammatikaliſche Beziehung, und damit
aus der anſchaulichen Zuſammenſetzung eine begriffliche
Auseinanderſetzung: „der Schleierflor“ — der Schleier
Flor, „die Blitzesſchnelle“ — des Blitzes Schnelle, „das
Schneegeſtoͤber“ — des Schnees Geſtoͤber uſw. Aus dem
Goetheſchen Formenreichtum auch auf dieſem Gebiet greifen
wir die Zuſammenſetzungen heraus, die er allein um den
einen Begriff Felſen rankt: „Felſenhoͤhe“, „Felſenſpitze“,
„Felswand“ (auch: „Felſenwand“), „Felſenort“, „Felſen—
ſtrecken“, „Marmorfelſen“, „Felſenquell“, „Felſenpfad“,
„Felſenweg“, „Felſengrund“, „mit alter Felſendauer“,
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„Klippenwarte“. Unuͤberſehlich werden die Beiſpiele, wenn
wir den Vorſtellungskreis noch ausdehnen auf: „Buſch—
revier“, „Waldrevier“, „Huͤgelgebuͤſch“, „Waldgebuͤſch“
uſw. Sicherlich duͤrfen wir hierin einen Niederſchlag des
großen Eindrucks ſeiner Schweizer Reiſen erblicken.
Dasſelbe grammatikaliſche Verhaͤltnis genitiviſcher Ab—
haͤngigkeit kann aber in der Auffaſſung bis zu einem bloßen
Vergleichsverhaͤltnis gelockert ſein, wenn naͤmlich das
Stammwort im Verlaufe des ganzen Satzes bereits ſeine
Zugehoͤrigkeit, alſo grammatikaliſch eben einen genitiviſchen
Abhang gefunden hat (ohne daß er immer in dieſer Form
auftritt). 3. B. „Todesſtille“ enthält an ſich eine geniti—
viſche Abhaͤngigkeit: die Stille des Todes. Wenn aber
Goethe vom Meere eine Todesſtille ausſagt, ſo meint er
eben die Stille des Meeres, die ſtill wie der Tod iſt. Die
„Rieſenſchultern“ des Atlas, das „Goͤtterſelbſtgefuͤhl“ des
Menſchen uſw. gehören zu dieſen genitiviſchen Wortzuſam—
menſetzungen im uneigentlichen Sinne, die ebenſo noch
ganz der landlaͤufigen Sprache angehoͤren, wie ſie fuͤr
Goethe haͤufig zu belegen ſind.
Eine ſchon mehr verſteckte logiſche Über: und Unterord—
nung ihrer Haͤlften enthalten ſolche Wortzuſammenſet—
zungen, die, grammatikaliſch aufgeloͤſt, einer praͤpoſitio—
nellen Verbindung beduͤrfen. So ſetzt z. B. „Schneege—
wand“, „Lindengang“ uſw. ein unterdruͤcktes aus oder
von voraus, „Nachtgaͤnge“ ein in, „Gipfelgaͤnge“ (des
Gebirgsbaches) ein auf, „Gartenverwandte“ (für: Blumen)
ein durch, „Beſitztumsfreuden“, „Erntetraͤume“ ein an,
„Hungergeheul“ ein vor, „Rettungsdank“ ein für uſw.
Je weniger ſich dieſe grammatikaliſche Beziehung auf—
draͤngt, d. h. je ungewoͤhnlicher ihre vorliegende Anwen—
dung iſt, um ſo impreſſioniſtiſch erlebter wirkt die Verbin—
dung; z. B.: „Fluͤgelſpeichen“ fuͤr Speichen (Rad) mit
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Fluͤgeln, „Bluͤtenſaͤnger“ (vom Kuckuck) für Sänger in den
Bluͤten uſw.
Eine andere Unterordnung liegt vor, wenn das eine Teil—
wort nur eine verkuͤrzte verbale Beſtimmung des anderen
darſtellt, wie in: „Klapperbleche“, „Flatterſchar“, „Daͤm⸗
merſchein“ uſw., oder für eine ebenſolche adjektiviſche Be—
ſtimmung ſteht: „Prachtkleid“ fuͤr praͤchtiges Kleid, „Erd—
gefuͤhle“ für irdiſche Gefühle, „Wunderdinge“, „Blumen—
Wuͤrzgeruch“ uſw.
Freier erhebt ſich uͤber dieſe grammatikaliſche Subordi—
nierung die bloße Koordinierung der Worthaͤlften. Zu—
naͤchſt ſchließt ſie gewoͤhnlich einen Vergleich, d. h. gram⸗
matikaliſch ein vermittelndes „wie“ ein: „Heringsware“,
„Perlenſchaum“ des Weines, „Loͤwenkrieger“ mit „Flam⸗
menſchwertern“ uſw.
Ihren impreſſioniſtiſchen Hoͤhepunkt erreicht die Zuſam—
menſetzung ſchließlich in Koordinierungen, deren Beſtand—
teile ſich vollftändig gleichwertig gegenuͤberſtehen: „Men—
Ichenwölf’” und „Drachenweiber“. Wo fie vollends logiſche
Gegenſaͤtze ſind, ſchließen ſie von vornherein jeden Verſuch
eines immer wachen logiſchen Ordnungstriebes aus: „Gott—
menſch“ fuͤr Chriſtus ſowie das echt Goetheſche „Gott—
natur“ und „Kunſtnatur“, in denen das ganze Bekenntnis
ſeiner philoſophiſchen und kuͤnſtleriſchen Weltanſchauung
in nuce beſchloſſen liegt, ſind die geraden Vorlaͤufer des
Dehmelſchen: „ich will, muß, ich willmuß fliegen.“
Ahnlich liegen die Verhältniffe, wenn Hauptworte zu
Eigenſchafts- und Zeitworten treten.
Bei Eigenſchafts worten erſcheint die genitiviſche Ab—
haͤngigkeit in Zuſammenſetzungen mit — los — voll —
reich, deren ich bei Goethe allein 46 verſchiedene zaͤhlte.
Sonſt iſt noch „liebenswuͤrdig“, „lebenswuͤrdig“, „wuͤn—
ſchenswert“ „lieb und ſchadenfroh“ zu nennen. Außerdem
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gehört aber hierher die adjektiviſche Wendung genitiviſch
gebundener Hauptwoͤrter wie: „ſchlangenknotig“, „ziegen—
fuͤßig“. Eine ebenſolche, akkuſative Bindung liegt „wunder—
tätig” zugrunde. Auch eine dativiſche Abhängigkeit iſt moͤg—
lich wie in „goͤttergleich“, „ſeraphgleich“, „luchsgleich“.
Praͤpoſitionell gebunden find Wendungen wie ahnenſtolz“,
„gaſtverwandt“ oder das ſcharfgepraͤgte „ſcheinfrei“, das
ein philoſophiſcher terminus zu werden verdiente.
Für eine adjektiviſche Beſtimmung ſteht das Hauptwort
in: „zauberleicht“ (zauberhaft leicht), „lebensreger Drang“
(lebendig reger)“, für eine verbale Beſtimmung in „gabe:
ſeliger Mund“, das nach Analogie von redſelig gebildet,
ein reizendes Beiſpiel Goetheſcher Worterfindung zu dem
unerſchoͤpflichen Thema: Liebe iſt.
Die Koordinierung des Hauptworts zum Eigenſchafts—
wort ſchließlich kann nur in Vergleichsform auftreten:
„felſenfeſt“, „ſonnenklar“ uſw.
Eine umgekehrte Koppelung von Eigenſchaftswort zu
Hauptwort gehoͤrt, ſo ſelten ſie iſt, zu den bevorzugten
Bildungen Goethes, wenn ſie ihm nicht allein gehoͤrt. Ich
fand (außer den ſcherzhaften „Gutmann und Gutweib“,
die mehr als Eigennamen wirken): „Frohmahl“, „Hoch:
geſang“, „Hochberuf“, „Vollgewuͤhl“, „Vollgewinn“,
„Vielgenuß“, „Vielgebilde“. Eher ſind dieſe Wortzuſam—
menſetzungen in adjektiviſcher Form gebraͤuchlich: „voll—
gehaltig“, „gutherzig“, „hohlaͤugig“, „langbeinig“, auch
in Partizipalform: „langgehaͤlſt“, „viergefuͤßet“.
An Zeitworte iſt das Hauptwort zunaͤchſt in dem ent—
ſprechenden Caſus gebunden. Als Akkuſativ haͤngt es aus—
Man kann dieſe Bildung auch als Umſtellung anſehen für „reger
Lebensdrang“, vergl. „bitter viel Beſchwerden“ (für viel bittere Be⸗
ſchwerden) und uͤberhaupt die unechte adverbiale Zuſammenſetzung,
der wir oben begegneten („die hoͤchſtbeſtimmte Vollendung“ uſw.).
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nahmslos an Partizipien praesentis, eine Zuſammen—
ſetzung, die in den feſtſtehenden Schmuckworten der Antike
ihr klaſſiſches Vorbild hat. Goethe kennt ſie nicht nur in
dieſem generaliſierenden Gebrauch: „des Freundes elend—
tragender Arm „des Mädchens ſorgenverwiegende Bruſt“,
ſondern weiß ihr auch eine aktuelle Richtung zu geben,
wie in „liebahnend“, „waͤrmefuͤhlend“ und den ſchon ges
nannten „wellenatmend“, „ſturmatmende Gottheit“. Als
Dativ fand ich das Hauptwort nur einmal angefuͤgt in:
„tagverſchloſſene Höhlen”.
Wo eine ſtillſchweigende Praͤpoſition die Vermittelung
bildet, iſt es in erſter Linie: von bei Partizipien perfecti
passivi: „neidgetroffen“, „ſonnbeſtrahlt“ uſw. Obgleich
ebenfalls der Antike entlehnt, laͤßt ſich in dieſe Wendungen
zum Teil eine ganz realiſtiſche Anſchauung legen.
Doch erſcheinen auch andere Praͤpoſitionen als voraus—
geſetzte Verbindung vor anderen Verbalformen: „ſinnbe—
gabt“, „waͤrmumhuͤllen“ (mit), „freudebrauſend“ (vor)
uſw.
Eine Koordinierung andererſeits iſt auch hier nur ver—
gleichsweiſe moͤglich, aber ſelten: „flammengezuͤngte
Schlange“, „ziegengefuͤßeter Pausback“.
Wenn wir unſere Leſer durch das Labyrinth dieſer me—
thodiſchen Ordnung fuͤhren mußten, ſo geſchah es, um zu
zeigen, wie verſchiedenartig eine Wortzuſammenſetzung ge:
baut ſein kann. Und je nach der Durchſichtigkeit dieſer
grammatiſchen Struktur, d. h. je nachdem wir zu logiſcher
Auflöfung der zugrundeliegenden Verbindung oder zu ihrer
anſchaulichen Verſchmelzung getrieben werden, iſt erſt die
Frage zu entfcheiden, ob reſp. wie weit die Wortzuſammen⸗
ſetzung ein impreſſioniſtiſches Stilmittel darſtellt. Wenn
wir darum nunmehr die breite Fuͤlle ihrer hauptſaͤchlichſten
Goetheſchen Anwendungen im folgenden nicht mehr me—
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thodiſch zerlegt, Sondern nach ihrem inhaltlichen Zuſammen—
hang bringen wollen, werden wir es dem Leſer uͤberlaſſen
koͤnnen, jeden einzelnen Fall auf ſeinen impreſſioniſtiſchen
Charakter ſelber zu pruͤfen.
Um mit dem allgemeinſten und zugleich hoͤchſten Begriff
anzufangen, ſo iſt ihm Gott, „der ewige Meiſtermann“,
zugleich „Weltgeiſt“, „Weltſeele“. Darum verehrt er auch
die Natur als „ein heilig oͤffentlich Geheimnis“, das
uͤberall auf „das uͤberweltlich Große“ hinausweiſt. Nie—
mals fuͤhlen wir das mehr, als wenn in „hohen Sternen—
naͤchten“ die „himmelhohen Sphaͤren“ der „ſchoͤpfriſch
jungen“ Planeten „im Goͤttertraum“ auf uns hernieder—
ſchauen, wenn „ſternhell“ der „lichtbeſaͤte Raum“ uns die
„Nachtsherrlichkeit“ aufgehen laͤßt, die alle Kreatur mit
dem „Goͤtterbalſam“ Schlaf erquickt. Aber auch auf „Nacht—
gaͤngen in der Mondendaͤmmerung“ tritt fie uns entgegen.
Nicht weniger wie der „Liebesblick der Sterne“ wirkt das
„Schauerlicht des Mondenſcheins“ aufuns, der zur Geiſter—
ſtunde“ ſeinen „Zauberhauch“ entfaltet und die Welt mit
„Nebelglanz“ erfuͤllt. Und wie dann dieſer „Nebelduft“
zum „Morgennebel“ wird, erwacht die Erde, die „aͤngſtlich
ſtill“ im „Morgenſchlummer“ lag, aus „Morgenduft“ zum
„Morgenlicht“, das alle Phaſen vom „Morgenſchimmer“
bis zum „Morgenſtrahl“ durchlaͤuft. Dann liegt der „Mor—
genhain“ im „Morgenglanze“, „morgentaulich“ ſtehen
Gras und Baͤume, und gar erſt „morgenſchoͤn“ gruͤßt uns
die Roſe. Denn „Morgenblumen lieben den Himmelsduft“.
Bald macht ſich dann „der Sonne Muttergegenwart“ be—
merkbar. „Freundlich ſchoͤn“ ſcheint ſie in „milder Sonnen—
helle“. Und wenn ihre „Feuerliebe“ gar zu heiß auf uns nie—
derbrennt, dann ſuchen wir „des Buſches Zitterſchein“ auf
oder die „Schattenlinde“ im „Schattental“. Nur zu bald
kommen die „Abendſtunden“, wo „der Mutter Sonne
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Scheideblick“ nur noch fchräg die „Flammengipfel der
Tuͤrme“ trifft, und wenn auch „der Scheideſonne letzter
Strahl“ vorüber iſt, vergeht das „Abendlicht“ am „Abend:
himmel“ und uns umſaͤuſelt „Abendwindeskuͤhle“. Aber
ſolche heitere Tage ſind gezaͤhlt. Nicht immer hebt ein
„himmliſch leichter Zwang“ die „Wolkenhuͤgel“ nach oben,
daß ſie zum „Wolkenbett“ ſich tuͤrmen; mit gleicher Macht
zieht „Erdgewalt“ die „Wolkendecke“ abwaͤrts. Aus dem
„Regengewoͤlk“ bricht der „Wetterſchein“, der ſich in „Re⸗
genſchauern“, wenn nicht gar im „Schloßenregen“ und
„Schloßenſturm“ austobt. „Kieſelwetter“ ſtuͤrzen ins Tal
und verwandeln den Weg in einen „Schlammpfad“. Aber
wehe dem, den der „tauſendſchlangenzuͤngige“ Nord erſt
auf dem Meere uͤberraſcht. „Reiſefreuden waͤhnend wie des
Einſchiffmorgens “, war man mit dem „erſten Segens hauch“
auf die „Waſſerbahn“ hinausgefahren, und Freunde hatten
noch „im Freudetaumel Hoffnungslieder nachgejauchzt“.
Aber bald ſpielen „gottgeſandte Wechſelwinde“ mit dem
„angſterfuͤllten Ball“. Nicht minder gefahrvoll iſt die Reiſe
in den Bergen. „Mit Gemſenfreche“ muß man das
„Schlangengewinde“ des „Wolkenſtegs“ verfolgen, der
rings im „Felſenſaal“ eingeſchloſſen bis zu „des Gebirges
ſonnebeglaͤnzter Stirn“ fuͤhrt. „Ein Labequell durchdringt
die Glieder“, wenn man am Ziel anlangt. Aber wie ſchoͤn
iſt es dafuͤr im „Dickichtsſchauer“ „waldbewachſener
Gruͤnde“! Ilmenau beſonders, dieſer „Fichtenſaal“, iſt ein
„Zaubermaͤrchenland“. „Freudehell wie ein Sternenblick“
entſpringt hier oben der Quell, um „juͤnglingfriſch“ ſich
durch die „Gipfelgaͤnge“ zu zwaͤngen. In „Wolkenwellen“,
„Rieſelwellen“ ftürzt er von Fels zu Fels, „reißt mit fruͤhem
Fuͤhrertritt die Bruderquellen fort“, und bald waͤchſt ſein
„Waſſerſchwall“ zum „ſchlangenwandelnden“, „ſilber—
prangenden “, „freudebrauſenden“ Strom, umkraͤnzt vom
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„Haargezweige“ der Weiden. Die Wimpel wehen von den
„Zedernhaͤuſern“, die er traͤgt, an ſeinen Ufern baut ſich
als Schoͤpfung ſeiner Fuͤlle die Stadt, „des Landes Mittel—
thron“, „aller Wuͤnſche Friedensport“. Um die „farbig
helle“ Kirche reihen ſich „lampenhelle“ „Marmorhaͤuſer“,
die „im hohen Vaͤterſaale“ die „Vaterlandesart“ bewahren.
Da iſt jedem Beduͤrfnis bis zum „Semmelort“ Rechnung
getragen. Und weiter draußen liegt auch gleich das „Muͤhl—
gehege“, das mit „zinnenhoher Mauer“ den „ländlich ge:
ſelligen Herd“ umſchließt. „Neugiergeſellig“ ruckt der Tau—
ber auf dem „niedlich glatt gemaͤhten Graſe“. Von der
„Gartenzinne“ uͤberblickt man mit „Seelenfreude “, „voll
von Erntetraͤumen“ die Natur und erkennt dankbar in der
kleinſten Pflanze ein „Wundergebild“. Wenn die „Fruͤh—
lingsſonne“ die „neulebendigen Zweige“ aus dem „Mutter—
ſchoße“ lockt, wenn „im Bluͤtendampfe die Welt geſegnet“
ift, dann ſpuͤrt man uͤberall „in Liebesdumpfheit und⸗kraft“
dieſelbe „innre Schoͤpfungskraft“ am Werke, die nur im
Menſchen zu „Liebesklarheit und-kraft“ geſteigert iſt. So
hat jede Jahreszeit neuen Reiz. Nicht nur der „Fruͤhlings—
tag“ iſt ſchoͤn, wenn wir ſchon am „Fruͤhlingsmorgen“ eines
„Maitags“ im „Bluͤtenregen“ durch „Blumentaͤler“ wan—
dern, wo die „lieberfüllten Sänger‘ ihre Lieder ſchmettern
und ſelbſt die Blumen dem Bach mit „Liebesaugen“ ſchmei—
cheln. Wir genießen auch „die ſchoͤne Sommernacht“, wenn
der „Sommerſonnenſchein“ im „Sommerabendrot“ ver:
gluͤhte. Dann entſendet „die Blumenkoͤnigin“ und ihre
„Gartenverwandten“ „Blumen-Wuͤrzgeruch“ und „der
treue Gartengenoſſe“, der Baum, miſcht dazu den „Orangen—
duft“ ſeiner Blaͤtter. Aber nicht nur bunte „Sommervoͤgel“
(Schmetterlinge) wohnen in dieſem Idyll. Die Erde iſt auch
der „Gebaͤrort ſchaͤdlicher Inſekten, Moͤrderhuͤlle ihrer Bos—
heit“. Da iſt die „geſchaͤftig frühe Fliege“, die „langbeinige
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Spinne“, dieſe „Prachtfeindin“, die „viergefuͤßete Wanze“
und das ganze andere „Teufelsgezuͤchte“, das am Zerftös
rungswerk des Sommers arbeitet. Bald kommt der „Ok—
tobernebel“, der das „Nebeltal“ mit „Nebelgerieſel“erfuͤllt,
und wieder ein anderes Geſicht zeigt zur „Winterſtunde“
die Natur: „Reifgehaͤnge“ an den Baͤumen und auf allen
Wegen „Schneegeſtoͤber“ der „Himmelsflocken“, in der
Ferne der „ſchneebehangene Scheitel“ „ſchneebedeckter
Hoͤhen“, dazwiſchen der helle Ton des „Schlittengelaͤutes“
und das frohe Treiben auf dem „Waſſerſpiegelplan“. Aber
auf alles legen ſich doch laͤhmend die langen „Winter—
nächte”. Bis der Winter „fein Schneegewand verliert und
hinter ſich die Nebelſchleier wirft“, bis „des Jahres Fluͤgel—
ſpeichen“ mit dem neuen Fruͤhling den Kreis des Werdens
und Vergehens ſchließen.
Und dieſes „taͤtig- leidende Geſchick“ der Erde mit allen
„Erdeſchranken “, „Erdefeſſeln“ teilt, als „Erdeweſen“ wie
ein andres auch, der „Erdenſohn“ Menſch. Auch ſein „Erde—
leben“ iſt eingeſchloſſen in einen „Kettenring von Wonn'
und Wehe“. „Sterblich Gluͤckliche“, die da „waͤhnend
felig” aus „Traumgluͤck und Traumgefahr“ nie erwachen!
„Schwimmend ruhig“ atmet der Saͤugling in der Wiege.
Aber kaum iſt er Herr des erſten „Kinderwillens“, jo be—
ginnt ſich das „leichtunruhige Gefuͤhl“ der Jugend zu regen.
„Mit Freudebeben“ ſtuͤrzt ſie ſich in „jugendlich frohen
Genuß“. Aber „die ſchmerzlich uͤberſpannte Regung“ des
„duͤſter wilden“ Juͤnglings „vergaukelt“ ſich in „Blüten:
traͤumen“ und verſaͤumt, waͤhrend ſie „mit Zauberſchatten
ſtreitet“, die kurzen „Wonnetage des Gluͤcks“. Bald lernt
er die „Zweifelſorge“ kennen, die „graͤßlich gelaſſen“ feine
„ſchmerzbeladne Bruſt“ mit „Sorgenſchwere“ bedruͤckt.
Und gar von „Schauerbildern“ wird er umfangen, wenn
er ſich in dem „Weltgewuͤhl“ des „ſuͤndlich menſchlichen
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Geſchlechts“ umſieht. Von „ſchlangenknotiger Begier“ iſt
der ganze „Menſchenſtrom“ durchſchlungen. Wo er „gut—
herzig“ entgegenkam, ftößt er auf „eiſig ſtarren“ Selbſt—
ſinn, auf den „Hungerſinn“ des Geizes „mit den Klauen—
haͤnden“ und den „luchsgleichen Blick“ des Neides. Der
„Lumpenhunde“ gibt es uͤberall. Und wenn er dann tiefer
blickt, muß er erkennen, daß wir nur „ ſcheinfrei“ find.
„Augentrug“ iſt alles, was uns umgibt, und die Erſchei—
nungen, die tot ſind, ſobald wir ſie analyſieren, gelangen
nur zu einem „Folgeleben“ durch uns, wenn wir ſie ſyn—
thetiſch begreifen. Aber er ſoll ſich deswegen nicht „altklug“
verſchließen, ſich vielmehr mit „Geiſtsvertrauen“ den
„freien Lebensblick“ fuͤr die „Lebensbahn“ bewahren, und,
ohne gerade „Hans Ohneſorge“ zu ſein, vom „Fluͤgelſchlag“
der „Hoffnungsluſt“ belebt bleiben. Er ſoll in ſich die
„Lebensglut“ huͤten und „das Gewiſſen Sonne ſeinem
Sittentag“ ſein laſſen. Nur zu bald endet doch ſein „Fremd—
lings Reiſetritt“ auf dem „Totenhuͤgel“ oder in der „Todes—
glut“ der „Flammengrube“. Wohl ihm, wenn er da, wie
Chriſtus „den Todesblick vom Schmerzenshuͤgel“ tat, auf
„traurig ſchoͤne Jahre“ zuruͤckſehn kann. „Ein ſchreckhaft
mitternaͤchtges Laͤuten“, ein letzter „Trauerglanz“ und alles
iſt vorbei. Das ſind wohl noch „die goͤttlich-unveraͤndert—
ſuͤßen“ Lippen, aus denen das Leben ſprach, aber wohin iſt
„der herrlich edle Kern“ des „tot erblaßten Hauptes“?
Wohl kann man noch am „hohlaͤugigen“ Schädel die „gott:
gedachte Spur“ des „Geiſterzeugten“ erkennen, aber fuͤr
immer iſt in „Moderkaͤlte“ die „Goͤtterpracht“ der „zierlich
taͤtgen Glieder aus Lebensfugen zerſtreut“.
Da nehmen die Menſchen in „Herzfroͤmmigkeit“, die
niemals zum „Kinderſpott“ wird, ihre Zuflucht zu einer
Eigentlich fuͤr den Fiſch von der Sonne geſagt.
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höheren Macht, die fie in „wundertaͤtgen Bildern“ ver—
ehren. Ihr zollen fie „Opferſteuern und Gebets hauch“ in
der Not, und „gluͤhen Rettungsdank“, wenn fie beſchworen
iſt. Und wie „Opferſaͤule flammt und rauchet“, ſo teilen
ſie in „Andachtswonne“ „Geiſts- und Liebesflammen“.
„Wonneſchaurig“ erleben fie im „Palmenjubel“ des Ad⸗
vents! die Auferſtehung Chriſti, die ihnen Buͤrgſchaft iſt,
daß ſie ſelbſt dereinſt in ſeinen „Sternenſaal“ eingehen.
Hat er doch, als er mit den Feuerraͤdern“ ſeines „Sieges—
wagens“ die „Hoͤllenfahrt“ antrat, ſeine „Siegesfahne“
bis in die „ewig finſtere Nacht“ des „Hoͤllenſumpfes“ ge⸗
tragen, wo die „traurig abgeſchiedenen Seelen“ inmitten
eines „Feuermeers“ von „Schwefelflammen“, eines wah—
ren „Feuerorkans“ im Suͤndenſchlafe“ liegen. Man braucht
deshalb noch nicht zu den „dumpfen Pfaffenchriſten“ zu
gehören, und ebenſo an den „Himmelsglanz“ von Er:
ſcheinungen, wie an „Menſchenwoͤlf' und Drachenweiber“
zu glauben, die den „Hexenort“ mit „Rundgeheule“ und
„Luſtgeſchrei“ erfuͤllen, nicht anders wie die Heiden „die
Schlangenfackel der Erinnen“ „den ziegengefuͤßeten Paus
back“ und Sirenen „zoͤpfumflochtenen Haupts“ hatten.
Man braucht aber auch nicht wie der „Himmelsſohn“
Mönch ſich mit „Reueliedern“ zu kaſteien und ſeine „Lebens—
ruh“ in gaͤnzlicher Abkehr von dem „Weltwirrweſen“ zu
ſuchen.
Nein, die „geſellig edlen Triebe“ des Menſchen verlangen
es, daß er „Geſellſchaftsgeiſter“ ſucht, wenn nur fein Um-
gang ſich in „edler Geiſterſchaft“ bewegt. Auch Treue,
Freundſchaft, Weisheit find „Goͤtternamen“. Im „Feier⸗
wams“, im „Prachtkleid“, ohne deswegen „ahnenſtolz“
auf das „Bettlergeſchlecht“ herabzuſehen, kommt man beim
ſo nntag.
92
„Frohmahl“ zuſammen, um unter „Luſtgeſaͤngen“ „mit
Rednergebaͤrden und Sprechergewicht“ „Maͤrchenſcherz“ zu
tauſchen. Wer wird da „maulfaul“ „kein Sterbenswort“
ſagen! Nicht „eines Gaſſenvolkes Windesbraut“, ein „heftig
ſtrenges“ Wort der Fama ſoll „naſeweis“ weitergetragen
werden: die „Weinesglut“ im „Glaskriſtall“ findet uͤberall
den „Herzensausdruck“ und bringt manch „geiſtreich aufge—
ſchloſſnes Wort“, manch glückliches „Wortgepraͤg“ zutage.
So ſchlingt ſich der harmloſe „Freudenkreis“ durch die Wo—
chen. Fuͤr die Jugend gibt es „Feiertaͤnze“, wo die Taͤnzer
bald „behaglich! aufgeſchmuͤckt ſtolzierend“ wandeln, bald
„taktbeſtaͤndig“ in „Wechſelflucht“ ſich bewegen. Und wenn
ſie ſo „geheim geſchaͤftig“ ſich durcheinander drehn, ent—
ſtehen wunderbare Tanzfiguren „Daͤmmrungsfaͤden, Mon—
denblicke, Nachtviolenduft verwebend“.
Aber aus den „Blumenfeſſeln“ der Freundſchaft entſteht
leicht ein anderes „Zauberband“, das „zauberleicht“ und
doch „rein genau“ zu binden weiß: die Liebe. Wer einmal
„der Liebe Bruderwort“ vernahm, der bleibt von ihren
„Zauberliedern“ in ihren „Zauberkreis“ gebannt. „Neu⸗
gierig ſchnell“ war uns ſchon manches Weib begegnet, wie
hatte jetzt auf einmal das „Liebesgefuͤhl“ mit „verderblich
holder Flamme“ uns ergriffen? „Sittſam ſtill“ war das
Maͤdchen eingetreten, „ſchmiegſam herrlich“ in ihrer „Ju—
gendfuͤlle“. Und ihre „Jugendbluͤte“ im „Nebelkleid der
Unſchuld“ hatte den Juͤngling ergriffen wie ein „göttlich
einziges Erſcheinen“, aus „des Gottes uranfaͤnglich ſchoͤ—
nem Denken“ geboren. „Schamrot“ war fie zurückgetreten
und hatte „fittenrichtrifch ſtraͤflich“ auf ihn geſehen. Und
1 Dies wiederum ein Goetheſcher Lieblingsausdruck, vergl. „in feinem
Seſſel ſich wohlbehagen“, „herzliches Behagen“, „der Graf im Be—
hagen des Traumes“, „mit des Bräutigams Behagen“ und aus Fauſt'
„urkraͤftiges Behagen“.
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als fie ihm die Schale reichte, die er „haſtig luͤſtern“ trank,
da wurde ihm ſo „liebebang“. Seitdem iſt ſein „wild zer—
ftörter Geift“ „liebekrank“ nach ihrem „friſchen Geſund—
heitsblick“ und in feiner „Herzensnot“ betraut er die „Wol⸗
kenboten“ mit ſeinem „zaͤrtlich jugendlichen Kummer“.
Aber auch ihr „Bluͤtenherz“ hat im erſten „Herzensregen“
„liebahndend“ „das Liebewehen“ geſpuͤrt. „Mit Seelen—
freude“ ſieht ſie die „Hoffnungsfuͤlle“ ihres Buſens und
„aͤngſtlich liebevoll“ tritt fie ihm nun entgegen. Eine Roſe
hatte er in der Hand, „ein unwiderſprechlich allgemeines
Zeichen“. Wer kann da ſagen, wie es weiter geſchah? Aus
feinen „Feuerblicken“ ſprach die „Liebesglut“ und entzuͤn⸗
dete auch in ihr das „Liebesfeuer“, daß ihre „Liebesblicke“
ihm auch ohne Worte Antwort gaben. Und aus dem
„Wechſelblick“ wird „Wechſelhauch und Kuß, Liebesuͤber—
fluß“. Mit dieſem „Goͤtterbrot“, das auf ſeinen Lippen
wie „Balſamfeuer“ brennt, muß fie den „Minneſold“ be-
zahlen, und „willig gezwungen“ ift er dafür in ihrem „Filet⸗
ſchurz“ gefangen. Da wird „liebgekoſt und liebgeherzt“.
Wer bliebe auch vor ſoviel „Liebreiz“ kalt: „liebrunde
Waͤnglein“ und ein „gabeſeliger Mund“, dazu die „Zauber:
bande“ zweier „Liebesarme“, „Engelsarme“! Und wie iſt
fie jetzt „liebenswuͤrdig zahm“. „Laͤchelnd ſtumm“ umarmt
ſie den Geliebten. Nur wird er gar zu „launiſch froh“, da
gibt es manch „mutwillig derben Schlag“. Ja, das „leidig⸗
liebe“ Mädchen läßt ihn alle „Liebeswonne“ und „Liebes-
qual“ zugleich auskoſten. Nach dem „grauſam ſuͤßen“
„letzteſten“ Kuß hat ſie ein Wiederſehen verſprochen. „Lau⸗
ſchend begierig“ liegt nun der arme Liebhaber auf der Lauer,
und wer nicht kommt, iſt ſie. „Erſtaunt erzuͤrnt“ ſieht er
ſich getäufcht, und muß er da nicht „eiferſuͤchtig! werden?
Mit „Donnerſtimme“ macht ſich ſein „Liebetoben“ Luft,
und ſchon denkt er an den „Trauer-Scheidbrief“. Freilich
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der „Schaukelkahn der ſuͤßen Torheit“ läßt uns fo leicht
nicht los. Dem Wiederſehen iſt noch manches „Wieder—
Wiederſehen“ gefolgt, und mancher „Abendkuß, ein treu
verbindlich Siegel“, hat das „Seelenband“ „goͤtterbekraͤf—
tigt“. Bis ihm endlich das „Liebesgeſtirn“ der „Braut—
nacht“ aufgeht und der „Wutbegier“ ſeiner „Liebeswut“
in „Liebeſtammelns Raſerei“ Erfuͤllung bringt. Im „my—
ſtiſch heilgen Schimmer“, im „Weihrauchswirbel“ ladet der
„Flaumenſchoß“, die „lieberwaͤrmete Stätte” des „Schlaf—
gemachs“ zu „ſtillgeſellgen Stunden“ und „beſcheiden
weiſe“ zieht der „Fluͤgelbube“ den Vorhang uͤber die
„Wonneſtunden“ der „Liebesnacht“. So leben ſie „heim—
lich glücklich”, bis ein „Neulebendiges“ ſich ankuͤndigt, bis
ein „Erſtlingskind“ ihren Bund begluͤckt. Und fuͤr immer
bleiben ihnen „heilig klar“ die „klar beweglichen“ Erinne—
rungsbilder ihrer Liebe mit „Flammenſchrift“ ins Herz ge—
ſchrieben.
Nun fordert der „Tageswille“ ſein Recht am Manne
und weiſt ihn auf die „Muſterkarte“ von Berufen: Tag
und Nacht ſauſen die „ſinnbegabten“ Haͤmmer Vulkans,
„irrgaͤnglich klug“ legt der Feuerwerker ſeine Minen, der
Philolog treibt „ſcharfſinnige“ Forſchung, im „Daͤmmer—
licht“ der Spiegel arbeitet der Phyſiker und das „Liebe—
werk“ des Dichterphiloſophen zieht „Still Verborgnes“
ans Licht. Nun gar erſt der „Martismann“! Er bleibt nicht
immer bloß in der Kaſerne, wo ihn ſchlimmſtenfalls ein
„branntweinger Korporal“ „Profoßen-Brot“ eſſen laͤßt.
Als „gefahrgewohnter“ „Kriegsgeſelle“ muß er hinaus
aufs „Schlachtgefilde“, wo ſich in „Schlachtfeldwogen“
„der Erd beherrſcher wilde Heeresgluten“ ergießen. „Sieg—
durchgluͤhte Juͤnglinge“ ſtuͤrzen ſich in die blitzenden
„Waffenwogen“. „Gewaltſam treffend wirkt“ „Musketen—
blei“, und mancher waͤlzt ſich in „Todesblut“. Aber er iſt
95
der „Traͤnenwut“ „rachgluͤhender“ Kameraden ficher, und
ihre „Traͤnen-Totenehr“ iſt ſein ſchoͤnſter Lohn.
Nur darf er im Strudel der geſchaͤftigen „Lebenswelle“
nicht ganz verſinken. Der „Feuerflug“ ſeines Geiſtes, die
„Himmelsglut“ des Prometheus muß ihn uͤber die „bangen
Erdgefuͤhle“ der „Erdentroͤpfe“ erheben, die zeitlebens im
„Froſchpfuhl“ ſtecken bleiben. Da iſt es die Phantaſie, die,
dem Menſchen „mit Himmelsband“ verbunden, jeden in
ihren „Zauberwald“ entruͤckt, den ihre „Mondesblicke“
trafen. „Roſenbekraͤnzt“ ſaugt ſie mit „Bienenlippen“
Honig aus allen Bluͤten. Darum ſind die Kuͤnſtler, die
der Genius mit „Huͤterfittichen“ bedeckt und mit „Feuer⸗
fluͤgeln“ uͤber „Deukalions Flutſchlamm“ hebt, daß ſie
„göttergleich“ „wie mit Blumenfuͤßen“ wandeln, nicht nur
die Huͤter der „Kunſtgebuͤhr“, ſondern damit auch fuͤr das
ganze Leben „Haltungs- und Ausdrucksmeiſter“, Menſch—
heitsführer. Und zwar alle gleich. Mag nun die „Schlanke
Goͤtterbildung“ eines „altgriechiſchen“ Tempels ſich in der
Natur als „des Meiſterſtuͤcks Meiſterſtuͤck“ erheben, oder
der Maler uns in feinen „Griffelſpielen“ „Zauberſpiegel“
vorhalten, mag die Muſik uns auf „Engelsſchwingen“ em:
portragen oder „ſinnreich ſchnell“ der Kuliſſenmeiſter auf
dem „Wunderbau“ ſeines „Brettgeruͤſts“ uns mit ſeinem
„Zauberſtab“ eine ganze „Flitterwelt“ erſtehen laſſen, daß
unter dem „Schattenvolk“ der Weißlingen „mit Weitnas⸗
löchern und Stuͤtzleinbart“ leibhaftig über den „Lattenbau“
ſtolziert, wie der Zauberer aus „Lumpenhuͤllen“ ſich ſeinen
Diener ſchuf. Vor allem aber ſind es die „himmelreinen
Luftgefilde“ des Parnaß, wo uns die Welt im Schleier der
Dichtung „aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit“
entgegenleuchtet. „Götterfühne” find die Dichter und haben
„Goͤtterwuͤrde“. Durch „Goͤtterſchlaͤge“ entlocken ſie ihren
„Zauberſaiten“ Töne von „Goͤtterwert“. Ihr „Zauberwort“
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ift aller „traurig heitren Töne” mächtig. Bald bringt ihr
„freudeklingend Saitenſpiel“ der Geliebten ein „Liebes—
opfer“, wie wir ſie von dem „blumengluͤcklichen“ Ana—
freon, von dem „Honig lallenden, Blumen ſingenden“
Theokrit kennen. Bald vertiefen ſie ſich im „Niedrig
Schrecklichſten“, bald flechten ſie dem Genie die „Ehren—
krone“. „Der zwölf durchlauchtigen Frauen Ehrenſpiegel“iſt
ihnen ein jo würdiger Gegenſtand wie „der zwölf Tyrannen
Schandenport“. Einmal wenden fie ſich wie „die neupoet—
ſchen Katholiken“ der Romantik zu, verfallen wohl auch
der „Sonettenwut“ und uͤben ſich in den „Silbeſpielen“
dieſes „ſprachgewandten Maßes“. Dann ſatteln ſie gar
vom Pegaſus auf einen „Ludergaul“ um und ergehen ſich
in Knittelverſen. Immer aber muͤſſen ſie „ein kraͤftig rein
Beſtreben“ bewahren, ſonſt wird ſich Apollens „Fuͤrſten—
blick“ von ihnen wenden und „neidgetroffen“ auf der un—
erſchoͤpflichen Schaffenskraft der Natur verweilen.
Mit dieſem Überblick über die Goetheſche Wortzuſammen⸗
ſetzung, der rein ſprachlich betrachtet ſein und durchaus
nicht etwa einen Abriß Goetheſcher Lebensanſchauung be—
deuten will, wenn er auch moͤglichſt in ſeinem Sinne ge—
halten wurde, haben wir den Schlußpunkt und zugleich
den Hoͤhepunkt ſeiner impreſſioniſtiſchen Sprachkunſt er—
reicht. Es moͤchte manchem gewaltſam erſcheinen, daß wir
ihre Beſtandteile in nahezu allen goetheſchen Spracheigen—
heiten geſucht und gefunden haben. Aber da ſie bei Goethe,
wie geſagt, keine bewußte „Richtung“ darſtellt, die mit
einem beſonderen, klar ausgebildeten Werkzeug arbeitet,
ſondern nur die Anbahnung einer neuartigen Sprachauf—
faſſung uͤberhaupt, mußte ſie, ſo ſchwach ſie im einzelnen
betont ſein mag, dafuͤr im Ganzen uͤberall nachweisbar
ſein. Zudem iſt gerade der Umfang der „Goetheſchen“ Be—
ſonderheiten ein ſprechender Beweis fuͤr das Impreſſioni—
97
ftifche feiner Sprache. Überall ift fie aus dem lebendigen
Augenblick geboren, der ihr in raſtloſem Formtrieb den
letzten, buͤndigen Ausdruck abringt, abtrotzt. Die Sprache,
wie er ſie fand, war ihm immer ein Fremdes, Vorgedachtes,
das gerade ſeinen beſten, wahrſten, tiefſten Abſichten Ge—
walt antut, weil es aus dem Individuellen, ſchlechthin Ein⸗
zigen ſeiner Konzeption hinausfuͤhrt in gegebene Formen
von Marktgeltung. Bei keinem Dichter erſcheinen darum
die Worte wieder ſo bis zur Einſchmelzung durchgluͤht, ſo
umgegoſſen neu wie bei Goethe, weil auch keiner wie er
ſo leidenſchaftlich das Unzulaͤngliche der Sprache, ihre kon—
ventionelle Gedankenfaͤlſchung erfahren hat. Er, der groͤßte
Sprachſchoͤpfer vielleicht, den wir haben, hat in dem viel—
verdachten und -mißverſtandenen Epigramm reſignieren
muͤſſen:
Nur ein einzig Talent bracht' ich der Meiſterſchaft nah:
Deutſch zu ſchreiben. Und ſo verderb' ich ungluͤcklicher Dichter
In dem ſchlechteſten Stoff leider nun Leben und Kunſt.
Freilich iſt Goethe, der gluͤckliche Dichter, ſelber der
lebendige Beweis dafuͤr, daß, „wer immer ſtrebend ſich
bemüht“, auch hiervon Erlöfung findet. Und wenn die vor—
liegende Arbeit einen beſcheidenen Beitrag zu dieſer Er—
kenntnis leiftete, ſieht fie ihren Gewinn erreicht. Zur Schöne
heit der Goetheſchen Sprache konnte und wollte ſie nicht
fuͤhren. Die will im Ganzen ſeines Werks genoſſen ſein,
auf das wir darum unſere Leſer nachdruͤcklich verweiſen.
Wir tragen damit nur eine peinlich empfundene Schuld
ab. Denn wir haben den Leſer gleichſam hinter die Kuliſſen
des Goetheſchen Sprachtheaters gefuͤhrt und ihm die Illu—
ſionsmaſchinen ſeiner gewaltigen Buͤhnenphantaſie gezeigt.
Und wie der Theaterdonner nicht gerade an Wirkung ge—
winnt, wenn uns dabei das „Klapperblech“ einfaͤllt, ſo
moͤchten auch unſere Leſer nur eine Ernuͤchterung davon—
98
getragen haben. Nun haben wir das ſchlechte Gewiſſen des
Schmetterlingſammlers, der mit Skalpell und Nadel der
Schoͤnheit zu Leibe und nur leider auch ans Leben ging.
Darum ſchließen wir mit einem Worte Goethes, das wie
eine Perle aus dem Kronſchatz ſeiner milden Weisheit
leuchtet, und legen es allen Leſern ans Herz:
Und wenn wir unterſchieden haben,
Dann muͤſſen wir lebendige Gaben
Dem Abgeſonderten wieder verleihn
Und uns eines Folgelebens erfreun!
99
Welche Gedichte Goethes find in Wetzlar
entſtanden?
Von Heinrich Gloél
RS ohann Chriſtian Keſtner ſchrieb im Herbſte 1772 an
ſeinen Studienfreund Auguſt v. Hennings: „Im Fruͤh
Jahr kam hier ein gewiſſer Goethe aus Frankfurt [an], feiner
Handthierung nach Dr. Juris, 23 Jahr alt, einziger Sohn
eines ſehr reichen Vaters, um ſich hier, dieß war feines Va—
ters Abſicht, in Praxi umzuſehen, der ſeinigen nach aber,
den Homer, Pindar p. zu ſtudieren, und was ſein Genie,
feine Denkungs Art und fein Herz ihm weiter für Beſchaͤf—
tigungen eingeben wuͤrden.“ In der Tat hat ſich der junge
Frankfurter Advokat um das hochpreisliche Reichskammer—
gericht und die ihm geradezu verhaßte Rechtswiſſenſchaft
in Wetzlar, wo er vom Mai bis zum 10. September 1772
weilte, blutwenig gekuͤmmert. Man denke aber nicht, daß er
hier nur dem Vergnuͤgen lebte! Trotz aller Zerſtreuung und
Abwechſlung, namentlich durch feine Liebe zu Charlotte Buff
und durch ſeine Rittertafel, gab es auch Stunden der
Sammlung und der Arbeit. Er malte und zeichnete nach
der Natur, trieb mit Eifer Homer und Pindar, las Her:
ders Fragmente uͤber die neuere deutſche Litteratur“, ſchrieb
Beſprechungen wiſſenſchaftlicher Buͤcher fuͤr die 1772 von
Merck herausgegebenen „Frankfurter Gelehrten Anzeigen“,
hatte aͤſthetiſche Unterhaltungen mit Friedrich Wilhelm
Gotter, uͤberſetzte mit dieſem Oliver Goldſmiths „Verlaſſe—
nes Dorf‘ um die Wette und dachte über Aufgaben und
Betaͤtigung des echten Kuͤnſtlers nach, wie er es in einem
100
kennzeichnenden, gehaltvollen Briefe an Herder im Juli
1772 auseinanderſetzte. Erhalten ſind weder andere Briefe
aus Wetzlar, z. B. an Merck und Cornelia, noch die vermut—
lich in Wetzlar gemachten und ſpaͤter zu ‚Werthers Leiden‘
benutzten Tagebuchaufzeichnungen.
An eigenen Gedichten war der Wetzlarer Aufenthalt nicht
fruchtbar. Dies meinte Goethe, wenn er aus Wetzlar an
Herder ſchrieb: „Sonſt hab ich gar nichts gethan.“ In
„Dichtung und Wahrheit‘ ſagt er darüber: „Ich verlor
mich einmal uͤber das andere, da mir in dieſer Zerſtreuung
keine aͤſthetiſchen Arbeiten gelingen wollten, in aͤſthetiſche
Spekulationen, wie denn alles Theoretiſieren auf Mangel
oder Stockung von Produktionskraft hindeutet.“ Derſelbe
Juͤngling, der Friederiken mit einem Kranz von Liedern ge—
ſchmuͤckt, der in Straßburg in „Wie herrlich leuchtet mir
die Natur“ das ſchoͤnſte Liebeslied gedichtet hatte, das es
gibt, derſelbe entzuͤndbare und ſprachgewandte Juͤngling
hat ſeiner heißen Liebe zu Lotte in Wetzlar keinen poetiſchen
Aus druck gegeben! Das muß wunderbar erſcheinen. Ich
habe aber folgende Erklärung dafür: Kann man täglich
mit der Geliebten muͤndlich verhandeln und ihre holde
Gegenwart genießen, ſo ſind Gedichte entbehrlich, ja bei—
nahe unnatuͤrlich. Zumal einem jungen Maͤdchen wie Lotte
gegenuͤber, deren friſchem Realismus praktiſche Dienſt—
leiſtungen in Feld und Garten gewiß willkommener waren
als poetiſche Erguͤſſe. Dazu kam der Zwieſpalt in Goethes
Seele, da Lotte ja die Verlobte eines andern war. Die
Dichtkunſt hier „zum Ausdruck ſeiner Gefuͤhle und Grillen
zu machen“, vermied er taktvoll wohl auch, um den guten
Keſtner nicht zu verletzen. Zudem fuͤhrte er ja wohl fuͤr ſeinen
eigenen Bedarf ein Tagebuch.
Immerhin fallen auch in die Wetzlarer Zeit einige Ge—
dichte Goethes. Bald nach ſeiner Ankunft ſandte er an die
101
gefuͤhlvollen Freundinnen in Darmſtadt, nämlich Karoline
Flachsland (Pſyche), ſowie die Hofdamen Fraͤulein Luiſe
v. Ziegler (Lila) und Fraͤulein Henriette v. Rouſſillon
(Urania), die drei empfindungsreichen, ja uͤberſchwaͤng⸗
lichen Oden ‚Pilgers Morgenlied“, ‚Elyfium‘ und „Fels⸗
Weihegeſang , in denen er aus dem „fernen unlieben Land“,
„verſchlagen unter ſchaudernden Himmels oͤde Geſtade“
in der Erinnerung an die „Gemeinſchaft der Heiligen“ in
Darmſtadt ſchwelgt. Karoline ſchickte die Gedichte als
„Empfindungsſtuͤcke von unſerem großen Freund Goethe“
am 25. Mai an ihren Braͤutigam Herder. Anderes laͤßt ſich
auch ohne beſtimmtes Zeugnis hinzufuͤgen. In, Dichtung
und Wahrheit' aͤußert Goethe, Gotter habe ihn in Wetzlar
zu manchen kleinen Arbeiten angeregt, indem er etwas fuͤr
Boies Almanach verlangte, und er ſagt einige Seiten
ſpaͤter: „Kleine Gedichte wie ‚Der Wanderer‘ fallen in
dieſe Zeit; ſie wurden in den Goͤttinger Muſenalmanach
aufgenommen.“ In der Tat iſt ‚Der Wanderer‘ in jenem
Almanach erſchienen; aber gerade dieſes Gedicht iſt ſicher
ſchon vorher verfaßt. Karoline Flachsland kannte es ſchon
im April und erhielt es im Mai 1772 aus Wetzlar zuge—
ſchickt — ſie war beſonders von den Schlußverſen ent—
zuͤckt —. Wenn Goethe trotzdem im Mai 1773 und am
15. September desſelben Jahres an Keſtner ſchrieb, daß
er den ‚Wanderer‘ in Wetzlar gemacht habe, „Lotten ganz
im Herzen und in einer ruhigen Genuͤglichkeit all eure
kuͤnftige Gluͤckſeligkeit vor meiner Seele“, ſo ſchaltete er
etwas frei mit den Tatfachen; es konnte ihm etwa nur
vorſchweben, daß er ſich in Wetzlar mit der Durch—
ſicht und Abſchrift des Gedichts beſchaͤftigt hatte. Übri—
gens werden auch wir durch die junge Frau und den
reiſenden Kuͤnſtler des Gedichts an Lotte und Goethe er—
innert.
102
Nach meiner feſten Überzeugung entftand aber in Wetz—
lar Goethes ‚Ganymed', der ganz der Stimmung der Wer:
therbriefe vom 10. Mai und 18. Auguſt entſpricht. Der
Dichter wird ihn an einem Fruͤhlingsmorgen auf dem
Lahnberg verfaßt haben, waͤhrend die Nebel noch auf dem
Lahntal ſchwebten !. Der Fortſchritt gegen „Wanderers
Sturmlied (Herbit 1771) iſt unverkennbar, ebenſo der An—
klang an, Pilgers Morgenlied‘ und den, Fels-Weihegeſang“?,
und anderſeits hebt ſich das Gedicht mit ſeinem gluͤhend
ineinander webenden Natur- und Gottesgefuͤhl ſcharf von
dem aufſaͤſſigen Trotz des ‚Prometheus‘ (1774) ab.
Gedruckt wurde F Ganymed erft 1789, aber außer dem
„Wanderer“ enthält der Jahrgang 1774 des Göttinger
Muſenalmanachs, der uͤbrigens ſchon im September 1773
herauskam, noch die Goetheſchen Gedichte ‚Adler und
Taube‘, ‚Sprache‘ und den Wechſelgeſang zwiſchen Ali und
Fatima, der in Goethes Schriften 1789 die mißver—
ſtaͤndliche uͤberſchrift, Mahomets Geſang' erhalten hat.
Dieſe Gedichte koͤnnen meines Erachtens in dem Lahnſtaͤdt—
chen entſtanden ſein. Der ſeiner Schwingkraft beraubte
Adlerjuͤngling iſt Goethes hochſtrebender Genius, der in
Gedanken an die ihm aufgezwungene Juriſtenlaufbahn
ſeufzt, ſich in der erſten Wetzlarer Zeit vereinſamt fuͤhlt und
unter manchen anderen Schmerzen leidet, waͤhrend mit den
Tauben anſpruchsloſe, taͤndelnde und ſelbſtgenuͤgſame
Geiſter wie Gotter gemeint ſein koͤnnen. Das ſiebenzeilige
Gedicht ‚Sprache‘ muß durch Außerungen in Herders
Fragmenten uͤber die neuere deutſche Litteratur“ angeregt
Auf dem Ruͤcken im Graſe lag Goethe auch, als Keſtner ihn in Gar—
benheim kennen lernte.
2 Vgl. Albert Koͤſter: Goethe-Jahrbuch 1908, S. 58 f.
Vgl. Mar Morris: Der junge Goethe, 6, 281 f., wo aber die Folge—
rung fuͤr die Datierung nicht gezogen wird.
103
fein, die Goethe im Juni und Juli 1772 in Wetzlar las.
Der Gedanke des Epigramms iſt: Die Sprache iſt nicht
an ſich reich oder arm, ſtark oder ſchwach, ſondern es
kommt ganz darauf an, ob der Dichter maͤchtig oder ſanft
„dreingreift“.
Daß der Dichter in Wetzlar ſchon das Mahomet-Drama
plante, iſt daraus zu ſchließen, daß er in ſeinem Briefe
an Herder vom Juli 1772 eine Stelle aus der 20. Sure
des Korans anfuͤhrt. Denn er las dieſen ſicher nur um Ma⸗
homets willen und kam nicht etwa erſt durch den Koran
auf Mahomet. Ob er die noch vorhandenen Auszuͤge aus
dem Koran in Wetzlar machte oder ſchon aus Frankfurt
mitbrachte, laͤßt ſich nicht entſcheiden. Ich vermute das
erſtere. Er benutzte dazu die lateiniſche Ausgabe des Korans
von Moraccius, die zuerſt 1698 in Padua und dann wie—
der 1721 in Leipzig gedruckt wurde, beſonders aber die
deutſche Überfegung des Frankfurter Profeſſors David
Megerlin (1772)1.
Jakob Minor (Goethes Mahomet 1907, S. 107)
meint zwar, Megerlins Koran ſei erſt zur Herbſtmeſſe 1772
erſchienen. Dem iſt aber nicht ſo. Er muß entweder zur
Herbſtmeſſe 1771 herausgegeben ſein, wie denn die Ein—
leitung „in der Herbſtmeß, den 29. September 1771“
gezeichnet iſt, oder ſpaͤteſtens Anfang 1772. Wenn Mi⸗
nor auf die der Einleitung vorangehende, vom 18. Auguſt
1772 datierte Widmung an Kaiſer Joſeph Gewicht legt,
jo iſt zu bemerken, daß Megerlin feiner „tuͤrkiſchen
Bibel“ verſchiedene Widmungen vordrucken ließ. Die
mir vorliegende Ausgabe traͤgt z. B. ſtatt der Widmung
an den Kaiſer eine an das Hochloͤbl. Hochfuͤrſtl. Wuͤrtem⸗
Die tuͤrkiſche Bibel oder des Korans allererſte teutſche Überfegung
aus der Arabiſchen Urſchrift ... von M. David Friedrich Megeriin,
Profeſſor, Frankfurt a. M. bey Garbe 1772. 80. 876 S.
104
bergiſche Konfiftorium, „Frankfurt am Mayn den 29. Sept.
191.4
Ferner: Das 2. Stück des 17. Jahrgangs (1772) der All:
gemeinen Deutſchen Bibliothek, in dem Megerlins Buch
eine ausführliche Beſprechung erfuhr (S. 426-37), muß
ſchon etwa in der 2. Hälfte des Junis 1772, alſo lange vor
der Herbſtmeſſe herausgekommen ſein !. Dies folgt daraus,
daß einerſeits der letzte der am Schluß des Bandes (S. 629)
erwähnten Todesfälle auf den 18. Juni 1772 fällt, und daß
anderſeits in den dem 2. Stuͤck (S. 311 ff.) vorgedruckten
Nachrichten erwaͤhnt wird, daß Geßner von ſeinen zur letz—
ten Oſtermeſſe gedruckten Idyllen eine ſchoͤne franzoͤſiſche
Ausgabe mit Kupferſtichen herausgeben werde, auf die
die Subſkription bei dem Verleger (Friedr. Nicolai) „bis
Ende des Junius“ angenommen werde?. Kurz, Goethe
kann Megerlins Koran ſehr wohl ſchon in der J. Hälfte des
Jahres 1772 in Frankfurt oder in Wetzlar benutzt haben.
Und daß dies wirklich der Fall war, folgt aus der Anfuͤh—
rung einer Koranſtelle („Herr, mache mir Raum in meiner
engen Bruſt!“) in dem Wetzlarer Brief an Herder, genau
in der Form der Megerlinſchen uͤberſetzung.
Das Gedicht, Mahomets Geſangs' fügtfich als Huldigung,
die der Dichter dem werdenden und wirkenden Genius dar—
bringt, ſehr gut in die Wetzlarer Zeit“. Iſt es aber hier ent=
ftanden, dann gilt dasſelbe von den übrigen auf das Maho—
met⸗Drama bezuͤglichen Stuͤcken, naͤmlich von dem Hymnus
Am 22. Dezember 1772 wurde dieſes Stuͤck in den Frankfurter Ge:
lehrten Anzeigen beſprochen (wohl von Merck).
Es geht nicht an, mit Minor anzunehmen, daß Goethes Brief an
Herder, deſſen Abfaſſung im Juli aus dem letzten Satze folgt, „kaum
vor dem September 1772“ anzuſetzen ſei.
3 Erſt nachtraͤglich (Dichtung und Wahrheit, Buch 14, Ende) hat
Goethe ſeinen, Mahomet' in Beziehung zu Lavater geſetzt, mit dem
er 1774 eine Reiſe nach Ems und an den Rhein machte.
105
des jungen Mahomet, in dem dieſer zur Erkenntnis des
wahren Gottes kommt: „Teilen kann ich euch nicht dieſer
Seele Gefuͤhl“, und von dem Proſageſpraͤch zwiſchen
Mahomet und ſeiner Pflegemutter Halima. Die letzte
Strophe des erſteren Gedichtes lautet:
Hebe, liebendes Herz, dem Erſchaffenden dich!
Sey mein Herr du! mein Gott! Du allliebender, du!
Der die Sonne, den Mond und die Stern’
Schuf, Erde und Himmel und mich!
Und in dem Zwiegeſpraͤch heißt es z. B.:
Mahomet: Ich war nicht allein. Der Herr, mein Gott
hat ſich freundlichſt zu mir genaht.
Halima: Sahſt du ihn?
Mahomet: Siehſt du ihn nicht? An jeder ſtillen Quelle,
unter jedem bluͤhenden Baum begegnet er mir in der
Waͤrme ſeiner Liebe. Wie dank ich ihm, er hat meine Bruſt
geoͤffnet, die harte Huͤlle meines Herzens weggenommen,
daß ich fein Nahen empfinden kann ...
Halima: Wo iſt ſeine Wohnung?
Mahomet: Überall.
Halima: Das iſt nirgends. Haſt du Arme, den ausge—
breiteten zu faſſen?
Mahomet: Staͤrkere, brennendere als dieſe, die fuͤr
deine Liebe dir danken. Noch nicht lange, daß mir ihr Ge—
brauch verſtattet iſt . .. Erlöfe du, mein Herr, das Men:
ſchengeſchlecht von feinen Banden, ihre innerſte Empfin-
dung ſehnt ſich nach dir.
In dieſen beiden Gedichten herrſcht warmes Gottesge—
gefühl wie im, Ganymed'; im Proſadialog und in ‚Ma—
homets Geſang' kommt wie im ‚Ganymed die begeiſterte
Umarmung als Ausdruck der Liebe vor. Auch in der Sprache
klingen die Mahomet-Stuͤcke mehrfach an Ganymed“, an
„Adler und Taube“, ſowie an die drei aus Wetzlar nach
106
Darmſtadt geſchickten Oden an!. Dem fich in ‚Mahomets
Geſang' aͤußernden Kraftgefuͤhl gegenüber fehlt es nicht an
einem melancholiſchen Ton (in, Adler und Taube‘). Im we—
ſentlichen aber atmen die von mir der Wetzlarer Zeit zuge—
wieſenen Gedichte ſchwaͤrmeriſche Liebe, Sehnſucht und An—
dacht; ihr Stil iſt Gefuͤhlsſtil.
Ohne daß ſich ganz beſtimmte Grenzen ziehen laſſen,
kann man in Goethes Sturm- und Drangzeit, wenn man
von den humoriſtiſchen Gedichten abſieht, drei verſchiedene
Stufen unterſcheiden. Zwiſchen der derb dreinſchlagenden
Urwuͤchſigkeit Gottfrieds von Berlichingen und zwiſchen
dem titaniſchen Streben des Prometheus und des das ge—
woͤhnliche menſchliche Maß uͤberragenden Fauſt liegt die
ſchwaͤrmeriſche, weiche Empfindung der Wetzlarer Zeit und
der Entſtehungszeit des ‚Werther‘.
ı Der Ausdruck „allliebend“ findet ſich im, Ganymed“, im Hymnus
Mahomets und in Adler und Taube“. Vgl. allgegenwaͤrtig, allhei—
lend, allſehend in mehreren der betreffenden Gedichte, ebenſo: gluͤhen,
draͤngen u. a.; man beachte auch den Gebrauch des Dativs und des
Partizips.
107
Goethes ſizilianiſche Odyſſee
Von Karl Loewer
Er hatte eine recht bedeutende Ferne umriſſen; weil
1 aber der Mittel- und Vordergrund gar zu abſcheulich
war, ſetzte er, geſchmackvoll ſcherzend, ein Pouſſinſches
Vorderteil daran, welches ihm nichts koſtete und das Blatt
zu einem ganz huͤbſchen Bildchen machte. Wie viel male⸗
riſche Reiſen moͤgen dergleichen Halbwahrheiten enthalten!“
(Ital. Reife, Sizilien, 1. Mai). Die hier beſchriebene Zeich—
nung hat Peltzer (Goethe-Jahrbuch 26, 251) in einem Blatt
aus Goethes Sammlungen feſtgeſtellt, das von ſeiner Hand
den Vermerk trägt: „Tal von Caſtel Giovanni nach Cata=
nia, der Hintergrund nach der Natur, der Mittel- und
Vordergrund phantaſtiſch.“ Was der Untertitel der Ital.
Reife, „Aus meinem Leben. Zweiter Teil‘, von vornherein
fuͤr das ganze Werk zu verſtehen gibt, daß wir naͤmlich auch
hier „Dichtung und Wahrheit“ erwarten ſollen, das gilt,
wie mir ſcheint, beſonders fuͤr das „Sizilien“ des Dichters.
Vielleicht weiß er ſich ſelber gerade hier mancher ſolcher
„Halbwahrheiten“ ſchuldig, die er „geſchmackvoll ſcherzend“
angebracht, vielleicht iſt auch an ſeiner „maleriſchen Reiſe“
nur der Hintergrund nach der Natur, der Mittel- und
Vordergrund mehr oder minder phantaſtiſch, wenn auch
die Tagebuchform und die reichen Realien aller Art uns
immer wieder Wirklichkeit des Ganzen in allen Teilen vor—
taͤuſchen. Seine alten Tagebuchaufzeichnungen hat Goethe
gerade für Neapel und Sizilien bis auf geringe Reſte ver⸗
nichtet, als er — ein Menſchenalter nach jenen gluͤcklichen
108
Tagen — ihre Schilderung vollendet hatte, vielleicht weil
er fich hier nicht bloß der allgemeinen Truͤbung der Er-
innerungen durch Lethe, ſondern der kuͤnſtleriſchen Abſicht
bewußt war, womit er in ganz neuer und freier Darſtellung
den Traumzuſtand jener Fruͤhlingstage, da ihm die Bluͤten
am Wege „wie unſinnig“ zu glaͤnzen ſchienen, die poetiſche
Erhöhung des ganzen Weſens, die er auf jenem „über:
klaſſiſchen“ Boden empfunden, dem Leſer vor die Seele
gezaubert hatte. Denn hier war ihm ſelber einſt die Wirk—
lichkeit zur Dichtung geworden, auf dieſer „Koͤnigin der
Inſeln“ war ihm die Meer- und Inſelpoeſie der Odyſſee
lebendiges Wort geworden: Trinakrien, Scheria, Aaͤa,
Ithaka hatte ſie ihm bedeutet, der oͤffentliche Garten von
Palermo hatte ſich ihm in den Wundergarten des Alfinoos
gewandelt; dann hatte er wieder, in die Unterwelt zu den
Muͤttern hinabſteigend, das Idol der Urpflanze zu erhaſchen
geſucht, dann wieder, in einem ſchlechten Bauerngarten bei
Taormina, auf die Aſte eines gleich uͤber der Wurzel ſich
teilenden Orangenbaums gekauert, den poetiſchen Schatten
der Nauſikaa beſchworen, wie ſie einſt dem Odyſſeus er—
ſchienen, als er unter den verſchraͤnkten Aſten zweier Ol⸗
baͤume in ſeiner Laubſchuͤtte lag, — gleich dem „goͤttlichen
Dulder“ auch er ein „auf der Woge des Lebens hin und
wieder Geſchaukelter“, dem die Heimat fremd und der ihr
fremd geworden, bemuͤht, einen treuen „Mentor“ an der
Seite, deſſen Namen er „aus frommer Scheu“ lange ver—
ſchweigt (Riedeſels Handbuch), das „zu erſchleichen, zu
erſtuͤrmen, zu erliſten“, was ihm auf dem gewoͤhnlichen
Wege verſagt geweſen, antike Sinnesart (Girgenti,
26. April). Wenn Schelling (nach Novalis' Mitteilung in
Briefen an die beiden Schlegel vom Dezember 1797) die
Odyſſee ganz allgemein Goethes Matrix, den Kommentar
für ihn, feinen Mutterboden genannt hat, fo gilt das ge—
109
wiß beſonders von dieſer im Grunde echt „ſentimentali—
ſchen“ Reiſe.
Unmittelbar auf jene Bemerkung zu Knieps Zeichnung
folgt hier die etwas geheimnisvolle Geſchichte von dem
zweideutigen Wirt oder Kellner zum Goldenen Loͤwen in
Catania. Die Reiſenden ſind durch eine engliſche Bleiſtift—
inſchrift an der Wand ihres letzten Gaſthofs gewarnt, der
Goldene Loͤwe ſei ſchlimmer als Zyklopen, Sirenen und
Skyllen zugleich. Trotzdem finden ſie ſich hernach auf ein—
mal in ſeinem Rachen und blicken etwas betreten umher,
ob eins der homeriſchen Schreckbilder hervorſchauen möchte.
Nichts dergleichen iſt zu ſehen, aber der bewegliche Halb—
wirt iſt auffallend bemüht, die Fremden mit einem huͤb—⸗
ſchen Madamchen, angeblich ſeiner Frau, die mit einem
kleinen Kinde, angeblich dem ihren, eine bald von ihnen
durchſchaute Komoͤdie auffuͤhrt, zuſammenzubringen und
allein zu laſſen. Noch ein paar Tage ſpaͤter koͤnnen ſie ſich
neuer Zudringlichkeit ihres Wirtes kaum erwehren, der ihnen
eine Luſtpartie in Begleitung ſeiner „Frau“, uͤber das Meer
zu den Felſen von Jaci, nicht warm genug empfehlen kann;
andre Reiſende haͤtten wohl gar einen Kahn mit Muſik
zur Begleitung genommen. Die Felſen mit ihren Zeolithen
ziehen Goethe heftig an, und ſie denken erſt daran, die
Begleitung der Frau abzulehnen und die Fahrt zu machen;
dann aber laſſen ſie ſich durch den Geiſt ihres Englaͤnders
warnen, verzichten und duͤnken ſich nicht wenig wegen dieſer
Enthaltſamkeit. Sollte dieſe Darſtellung nicht geradezu ein
Seitenſtuͤck zu dem Sirenenabenteuer beabſichtigen? Es iſt
eben, als muͤßten jene alten Natur- und Lebensſymbole
wie von ſelber hier auf dem alten Boden, ganz eigentlich
unter der Sonne Homers, von neuem Koͤrper und Geſtalt
annehmen. — Dem Reiz der „ſtillen Selbſtvergleichung
mit Odyſſeus“ (Morris, Goethe-Jahrbuch 25,90) gibt be=
110
ſonders deutlich die Darftellung des Abenteuers mit dem
Gouverneur von Meſſina nach, den Goethe ausdruͤcklich
einmal mit dem Zyklopen vergleicht. An den alten Jung—
geſellen und Sonderling Polyphem erinnert es auch, wenn
der ſonderbare Deſpot ein ſehr wenig menſchenfreundliches
Gebaren mit einer friedlich haushaͤlteriſchen Beſchaͤftigung
verbindet: er zerſchneidet alte Briefſchaften, um das weiße
Papier daran zu retten, und behandelt zwiſchendurch den
ungluͤcklichen Malteſer, der vor ihm ſteht, doch geradezu,
als wenn er ihn freſſen wollte, begnuͤgt ſich dann freilich
mit der Drohung, ihn in Verwahrung „zappeln“ zu laſſen,
und ſendet dabei unter grauen, ſtruppigen Augenbrauen
ſchwarze, tiefliegende Blicke hervor. Odyſſeus, den Patron,
ruft dann der Dichter geradezu an und erbittet ſich ſeine
Fuͤrſprache bei Athene, wenn er am Tage darauf die Ein—
ladung des „Zyklopen“ leichtſinnigerweiſe vergeſſen hat
und nun, in der ganzen Stadt geſucht und endlich gefunden,
ſich von neuem in die Höhle des Löwen wagen muß, über:
zeugt, daß nur ſchlaue Liebenswuͤrdigkeit ihn vor dem
Schickſal des Malteſers bewahren kann. — Auf dieſes
„Abenteuer“ folgt das meiſterliche Schlußſtuͤck der ganzen
Reife, die Überfahrt von Meſſina nach Neapel; Bielſchowsky
ſchoͤpft ohne weiteres daraus fuͤr ſein Leben Goethes, doch
iſt gewiß auch hier der biographiſche Stoff durch die
poetiſche Form in nicht mehr feſtzuſtellendem Grade ver—
tilgt. Gleich der erſte Abſchnitt verſetzt uns mit dem Hin—
weis auf Skylla und Charybdis wieder in die homeriſche
Welt und ſoll mit den daran angeknuͤpften Bemerkungen
über Einbildung und Gegenwart und über die fabelfroheſte
Dichterin, die alles erhoͤhende Einbildungskraft, vielleicht
auch die folgende Schilderung ins rechte Licht ſetzen. In
der Odyſſee wird der Held vor die Wahl zwiſchen zwei
Wegen geſtellt, dem zwiſchen Skylla und Charybdis hin—
111
durch, den er wählt, und dem an den „Plankten“ vorüber
d. h. „Prallfelſen“, gegen die eine unwiderſtehliche Stroͤ—
mung mit Ausnahme der Argo noch jedes voruͤberfahrende
Schiff geſchleudert hat, Schiffsplanken und Menſchenleiber
in ſchrecklicher Miſchung an ihrem Fuße aufhaͤufend. Auf
dieſe Beſchreibung folgt unmittelbar die des furchtbaren,
unerſteiglichen, ewig finſterumwoͤlkten Felſens der Skylla
und bald darauf, in demſelben zwoͤlften Buche, das an dem
„Meer- und Inſelhaften“ fo beſonders reich iſt, die Vor—
uͤberfahrt an der Sireneninſel: ſobald die Seefahrer in ihre
Naͤhe kommen, legt ſich auf einmal der Wind, der ihnen
bisher auffallend guͤnſtig geweſen, und es tritt, von einem
Dämon gewirkt, voͤllige Windſtille ein, fo daß fie, um dem
lockenden Verderben zu entgehen, zu den Rudern greifen
muͤſſen. Liegen in dieſem Maͤrchen, in dem ſich die ſchreck—
liche Schoͤnheit des Meeres zu ewigen Symbolen verdichtet
hat, nicht faſt alle Momente beiſammen auch fuͤr die
Schilderung Goethes von der unheimlichen Windſtille, die
das Schiff auf einmal vor Capri feſtbannt, von der wun⸗
derſamen Stroͤmung, die ſich um die Inſel bewegt und
„durch einen ſonderbaren Wellenſchlag ſo langſam als un—
widerſtehlich nach den ſchroffen Felſen hinzieht“, von dem
Grauen, mit dem die Reiſenden ihr Schiff ſich den Felſen,
die immer finſterer vor ihnen ſtehen, ſchwankend und
ſchwippend naͤhern ſehen, von dem vergeblichen Verſuch
der Matroſen, durch Rudern zu helfen, bis endlich Aolus
das aͤngſtliche Band loͤſt? Neben dem homeriſchen Einfluß
auf die Darſtellung liegt freilich wohl auch bibliſcher vor.
Auf den See Tiberias weiſt ja Goethe ſelber hin, und an
den ſpannenden Seeroman am Schluſſe der Apoſtelge—
ſchichte erinnert die dem Kapitaͤn ſchuldgegebene Ungeſchick—
lichkeit, erinnern ſelbſt die Ausdruͤcke Schiffsherr und Haupt⸗
mann für ihn, der übrigens in feiner verdrießlichen Recht:
112
lichkeit ſehr lebenswahr gezeichnet ift, erinnert vor allem
Goethes eigenes Verhalten, wenn er der aufgeregten Menge
fo wirkſam in ihrer Sprache und nach ihrer Denkweiſe
Gottvertrauen und Ergebung predigt. — Erſt Odyſſeus und
nun Paulus? Was bleibt da noch von Goethe ſelber, wie
er landend oder ſcheiternd ſeinen Goͤttern vertraut? Aber
man leſe den Abſchnitt „Aus der Erinnerung“ nach, wo
Goethe ausfuͤhrt, wie er, ganz befangen in ſeinem Nauſikaa—
plan, den groͤßten Teil ſeiner ſizilianiſchen Reiſe „ver—
traͤumt“ habe — von jener Traumſtimmung, die die
Vorausſetzung aller dichteriſchen Geſichte iſt: da kommt
er auch auf ſeine damalige Verwandtſchaft mit dem „Aben—
teurer“ Odyſſeus und meint unter anderem, wie der bei
den Phaͤaken, ſo ſei ja auch er damals in dem Falle ge—
weſen, „Reiſeabenteuer, Lebensvorfaͤlle zu Unterhaltung
der Geſellſchaft mit lebhaften Farben auszumalen, von der
Jugend fuͤr einen Halbgott, von geſetzteren Perſonen fuͤr
einen Aufſchneider gehalten zu werden“. Ob das, was hier
von der wirklichen Reiſe geſagt iſt, nicht auch irgendwie
auf ihr ſchriftſtelleriſches Nachbild, wenigſtens die novel—
liſtiſch ausgefuͤhrten Abſchnitte, bezogen werden ſoll?
Auch mitten in ganz „realiſtiſcher“ Umgebung findet
ſich, wie es ſcheint, noch manches in unſerem Sinne „Fa—
bulierte“ eingebettet. Etwas kleinlich waͤre es da, Wert
legen zu wollen auf Zuͤge wie die gelegentliche Erwaͤhnung
eines auf der Inſel beſtehenden „Verbotes, keine Kuͤhe und
Kaͤlber zu ſchlachten“, wobei einem ja die Rinder des Helios
einfallen moͤgen. Aber etwa die kleine Geſchichte, wie je—
mand — es iſt wieder einmal ein „Malteſer“ — ſich bei
Goethe nach dem Verfaſſer des Werther erkundigt und
der Dichter ſich zu erkennen gibt, ſoll doch wohl auch an
das berühmte Ei Ooͤvoebs bei den Phaͤaken erinnern;
und die bekannte Szene auf dem Markte von Caltaniſetta,
113
wo die Einwohner nach antiker Weiſe umherſitzen und von
den Fremden unterhalten ſein wollen, dieſe aber die Vor—
ſicht brauchen, ihnen vom Tode des großen Friedrich nichts
zu erzaͤhlen, „um nicht durch eine ſo unſelige Nachricht ihren
Wirten verhaßt zu werden“, iſt doch, mindeſtens mit dieſer
Motivierung, ganz homeriſch und zwar „odyſſeiſch“. Auch
den alten Bettler in Alkamo, der die Gelegenheit wahr—
nimmt, den Reiſenden bei ihrem Imbiß aufzuwarten, und
in zerlumpter Toga geſchaͤftig hin und wieder laͤuft, nach—
dem er erſt gegen einen Betteljungen, wie dieſer zuvor
gegen bettelnde Hunde, ſiegreich das Feld behauptet hat,
ſieht Goethe vielleicht durch das Medium ſeines Homer,
den er ja auf ſeiner Reiſe nicht nur im Herzen, ſondern
beinahe in der Hand getragen haben will, und denkt an
den gefraͤßigen und neidiſchen Bettler der Odyſſee, den die
Freier zum Spott „Iros“ nannten, „weil er mit Botſchaft
gern ausging, wenn es einer begehrte“. Und ein Wort wie
das gelegentlich des Abſchiedes von einer gaſtfreien fuͤrſt—
lichen Dame in Catania: „Wir trennten uns ungern von
ihr, und fie ſchien uns ungern wegzulaſſen. Dieſer Inſel—⸗
zuſtand hat doch immer etwas Einſames, nur durch vor—
uͤbergehende Teilnahme aufgefriſcht und erhalten“ — ein
ſolches Wort empfaͤngt in der Tat ſeinen Kommentar durch
die Odyſſee.
Von hier aus geſehen, erſcheint auch die weitlaͤufige
Caglioſtroepiſode der Palermitaner Tage, bekanntlich ſchon
1792 fuͤr ſich veroͤffentlicht und hier mit lockerer Anknuͤp⸗
fung! einfach eingeſchoben, als ganz wohlberechneter und
wohlabgeſtimmter Teil eines Ganzen. Ich denke hierbei
weniger an den liſtenreichen und vielgewandten Helden,
— von deſſen kluger und ihm auch aͤhnlicher Schweſter es
„Und ſo ſollte mir denn kurz vor dem Schluſſe ein ſonderbares Aben⸗
teuer beſchert ſein, wovon ich ſogleich umſtaͤndliche Nachricht erteile.“
114
übrigens in merkwuͤrdigem Anklang an die homerifche
Vergleichung des Odyſſeus mit Menelaos heißt: „Indem
ſie ſaß, verſprach ihre Figur mehr Laͤnge, als ſie zeigte,
wenn ſie aufſtand“, — ich denke vielmehr an die Odyſſee
im kleinen, in der hier Goethe ſelber wieder die Hauptrolle
ſpielt, wenn er als angeblicher Herr Wilton aus England
den redlichen Verwandten des großen Schwindlers deſſen
angebliche Gruͤße beſtellt, und wenn aus dieſem Einfall
einer etwas freventlichen Neugierde ſchließlich beiderſeits
herzliche Teilnahme aneinander entſpringt, bis am Ende
gar die Moͤglichkeit einer Neigung der Haustochter zu dem
Fremden angedeutet wird.
115
Anton Reifer und die Entſtehung des
Wilhelm Meifter
Von Rudolf Lehmann
1 ie Idee, welche die erſte Faſſung des, Wilhelm Meifter‘
beherrſchte, war der Tendenz, die aus dem vollen—
deten Roman ſpricht, entgegengeſetzt: das iſt, ſeitdem wir
‚Wilhelm Meifters theatraliſche Sendung‘ durch Mayncs
Herausgabe der Schultheßſchen Abſchrift kennen gelernt
haben, in hohem Maße wahrſcheinlich geworden. Goethe
wollte in der urſpruͤnglichen Dichtung das Werden eines
deutſchen Shakeſpeare darſtellen; die Entwicklung zog
ſich durch eine Reihe charakteriſtiſcher Schilderungen des
deutſchen Buͤhnenlebens aus der juͤngſt vergangenen wie
der eigenen Zeit des Dichters hin, die mit realiſtiſcher Treue
ausgefuͤhrt ſind. Autobiographiſche Elemente, aber auch
phantaſtiſche Bilder ſind hineingewebt. Der Held war von
der Natur zum Dichter und Schauſpieler geſchaffen wie ſein
großes britiſches Vorbild, auf das ſein Name deutet, und
auf das er ſich ausdruͤcklich beruft. Und der Weg, auf den
er durch Schickſal und eigenen Willen gefuͤhrt wird, ſollte
ihn in aͤhnlicher, wenn auch nicht ganz gleicher Weiſe wie
den Ackerbuͤrgerſohn von Stratford on Avon aus der Enge
des vaͤterlichen Geſchaͤfts durch die Rolle des verlorenen
Sohnes, der ſich an die Wandertruppe anſchließt, hindurch
zu der Hoͤhe theatraliſcher und dichteriſcher Kuͤnſtlerſchaft
führen. Harry Maync hat in der ſachlichen und tüchtigen
Einleitung zu ſeiner Ausgabe es vorſichtig als eine Moͤg—
lichkeit bezeichnet, in dem Fragment eine ſolche Anlage zu
116
erkennen. Guſtav Roethe hat in dem geiftvollen Vortrag,
der am Goethe-Tag 1914 gehalten und im erſten Bande
dieſes Jahrbuchs gedruckt iſt, den ‚Urmeifter‘ nach dieſer
Auffaſſung reſtlos in den Zuſammenhang von Goethes Ent:
wicklung und dichteriſchem Schaffen hineinzuſtellen ver—
mocht, und in noch weiterem Rahmen hat Max Wundt in
ſeinem vortrefflichen Buche uͤber, Wilhelm Meiſter und die
Entwicklung des Perfönlichkeitsideals‘ die Entſtehung der
urſpruͤnglichen Intention aus den Tendenzen und dem
Charakter der Sturm- und Drang-Periode klargeſtellt. Da—
mit iſt die oben gezeichnete Hypotheſe ſoweit geſichert, wie
es bei dem Fehlen aͤußerer Zeugniſſe uͤberhaupt moͤglich iſt,
und wir duͤrfen davon ausgehen, daß die entſcheidende
Idee, durch welche die Entwickelung des Helden im voll—
endeten Roman beſtimmt wird, erſt mit der ſpaͤteren uͤber⸗
arbeitung des urſpruͤnglichen Planes in die Dichtung ein—
gefuͤhrt worden iſt.
Denn in den, Lehrjahren“ iſt Wilhelms theatraliſche Lauf—
bahn bekanntlich von Anfang an ein Irrweg. Eine leiden—
ſchaftliche Neigung, die er ſelbſt faͤlſchlich für urſpruͤngliche
Begabung hält, führt ihn auf die Bühne, Er möchte vers
ſuchen, wozu ihm die Anlage von der Natur verfagt ift,
und die Befreiung von dieſem Selbſtbetrug, die Abkehr
von einer Scheinwelt, die es fuͤr ihn in einem doppelten
Sinne iſt, zu der Wirklichkeit eines taͤtigen und fruchtbar
ſchaffenden Lebens bildet das Ziel der Handlung. Allein
dieſes Ziel erreicht Wilhelm nicht ohne die foͤrdernde Hilfe
einer erzieheriſchen Leitung. Dieſe iſt — noch ganz im Ge—
ſchmack des 18. Jahrhunderts — einer geheimen Geſell—
ſchaft von Menſchenfreunden zugewieſen, an deren Spitze
ein weltweiſer Geiſtlicher ſteht, und deren ruͤhrigſter Ver—
treter der Edelmann Jarno iſt. Die Abgeſandten dieſer Ge—
ſellſchaft erſcheinen in verſchiedenen Geſtalten warnend und
117
mahnend an allen wichtigeren Wendepunkten im Leben des
Juͤnglings. Zuletzt loͤſt der Erzieher dem ahnungsloſen
Schuͤtzling das Geheimnis, indem er ihn zugleich muͤndig
ſpricht und in ein taͤtiges Leben verweiſt. Hierdurch kommt
nun ein paͤdagogiſcher Geſichtspunkt in das Werk, der ſich
in den letzten Buͤchern immer entſchiedener zu dem eigent—
lich herrſchenden auswaͤchſt. Die Freiheit der perſoͤnlichen
Entwicklung wird gegen einengenden erzieheriſchen Zwang
verteidigt. „In jeder Anlage liegt allein die Kraft ſich zu
vollenden.“ Der junge Menſch muß ſich ſelbſt zurechtfinden.
Der Erzieher, ſo ſorglich er uͤber den Zoͤgling wachen mag,
darf ihn nicht hindern, ſeine eigenen Wege zu gehen, denn
nur auf dieſen gelangt er auch uͤber Irrpfade zum Ziel.
Dieſes gilt vor allem für die Berufswahl; er ſelbſt muß
ſeine wahre Beſtimmung finden und wird es auch, aber
nur dann, wenn man ſeine Anlage ſich ungehindert ent—
falten laͤßt, auf die Gefahr hin, daß er ſich voruͤbergehend
taͤuſche.
Von alledem iſt in der ‚Theatraliſchen Sendung‘ noch
keine Spur zu finden, und alles, was in den erſten Buͤchern
der „Lehrjahre“ auf dieſe Tendenz hinweiſt, iſt erſt nach—
traͤglich hineingearbeitet worden. Mit großer Feinheit und
Sorgfalt iſt der Dichter dabei verfahren, um die Einheit
der urſpruͤnglichen Dichtung dem neuen Zweck gemäß um:
zugeſtalten. Es iſt lohnend, dies zunaͤchſt an einem ein:
zelnen Beiſpiel zu veranſchaulichen, um ſo mehr, da das—
ſelbe zugleich dazu beiträgt, die Verſchiedenheit der urfprüng:
lichen und der ſpaͤteren Intention zu erhaͤrten.
Wilhelm hat (Theatraliſche Sendung Buch 5 Kapitel 10,
S. 326 f.) auf Jarnos Empfehlung hin Shakeſpeare ge—
leſen und zwar mit der allerſtaͤrkſten Wirkung. Über dieſe
nun ſpricht er ſich Jarno gegenuͤber aus: „Dieſe wenigen
Blicke,“ ſo ſchließt er, „die ich in Shakeſpeares Welt ge—
118
tan, reizen mich mehr als irgendetwas anderes, in der
wirklichen Welt ſchnellere Schritte vorwaͤrts zu tun, mich
in die Flut der Schickſale zu miſchen, die über fie verhängt
ſind, und dereinſt, wenn es mir gluͤcken ſollte, aus dem
großen Meere der wahren Natur wenige Becher zu ſchoͤpfen
und ſie gleich jenem großen Briten von der Schau—
buͤhne dem lechzenden Publikum meines Vaterlandes aus—
zuſpenden.“
Dieſe Worte nun kann man nicht anders deuten, als
daß der junge Kuͤnſtler durch die Lektuͤre Shakeſpeares ſich
angereizt findet, die wirkliche Welt kennen zu lernen, um,
hierdurch bereichert und geſtaͤrkt, um ſo bedeutſamer und
fruchtbarer vom Theater aus auf das deutſche Publikum
wirken zu koͤnnen. Jarno antwortet denn auch auf eine
Weiſe, die nichts als ein freundſchaftlicher Widerhall eines
ſolchen Vorſatzes iſt: „Wie freut mich die Gemuͤtsver—
faſſung, in der ich Sie ſehe! Laſſen Sie dieſen Vor ſatz
nicht fahren und eilen Sie, die guten Jahre, die Ihnen
gegönnt find, wacker zu nuͤtzen.“ Und wenn er dem Juͤng—
ling im folgenden einen Platz anbietet, den eine Zeitlang
bekleidet zu haben ihn nicht reuen werde, ſo braucht damit
nichts anderes als ein Entgegenkommen gegen feine Wuͤnſche
ausgedruͤckt zu fein. Die Lehrjahre“ nun enthalten dieſe
Worte Jarnos im gleichen Wortlaut; nur heißt es dort ſtatt
„dieſen Vorſatz“: „den Vorſatz, in ein taͤtiges Leben
uͤberzugehen“. Mit dieſer unſcheinbaren Anderung aber
iſt offenbar Sinn und Abſicht deſſen, was Jarno ſagt, ver—
ändert. Der Mahner hält ſich nunmehr mit einem abſicht—
lichen oder unabſichtlichen Mißverſtaͤndnis nur an die erſte
Haͤlfte deſſen, was Wilhelm als ſeinen Vorſatz ausge—
ſprochen hat, und um eine ſolche Umdeutung zu ermoͤg—
lichen, hat der Dichter nun auch in Wilhelms Rede die
Worte „gleich jenem großen Briten“ geſtrichen, die
119
für die Idee der, Theatraliſchen Sendung‘ von entſcheiden—
der Bedeutung waren, fuͤr die ſpaͤtere Tendenz aber ohne
Belang find. So wird das Lob des kritiſchen Freundes nun:
mehr zu einer Mahnung, die Buͤhne zu verlaſſen und ſich
dem Leben zuzuwenden, wie ſie der Richtung des umge—
arbeiteten Werkes entfpricht!. —
In der Kette, die ſich von der, Theatraliſchen Sendung‘
zu den ‚Lehrjahren‘ hinuͤberzieht, fehlt uns nun aber ein
Glied. Wie und wann iſt Goethe auf die neue Wendung
gekommen, die nunmehr die Entwicklung beſtimmt und
den Ausgang herbeifuͤhrt? Zwar, warum er ſich von ſeiner
fruͤheren Abſicht abgewendet hat, bedarf keiner beſonderen
Begruͤndung. Je ferner ihm die Geniezeit und ihre Ideale
ruͤckten, deſto weniger konnte es ihn reizen, eines dieſer
Ideale in langer und liebevoll gehegter dichteriſcher Arbeit
zu verherrlichen. Italien machte ſeine Epoche und unter—
brach auch die Gedanken arbeit am ‚Wilhelm Meifter‘:
unter dieſem Himmel war nach Goethes eigenem Bekennt—
nis die Fortſetzung nicht wohl moͤglich. War ihm nun die
Dichtung zu lieb, um ſie, wie ſo manche andere, unvoll—
endet zu laſſen, fo waren offenbar mit der bisherigen Anz
lage ſelbſt mancherlei Moͤglichkeiten gegeben, ſie zu einem
tragiſchen oder auch verſoͤhnlichen Abſchluß zu bringen.
1 O. Pniower freilich (Der Plan von Wilhelm Meiſters Theatraliſcher
Sendung und die Fortführung des Fragments, Euphorion 19, 124/35)
nimmt die hier analyſierte Stelle fuͤr die entgegengeſetzte Meinung in
Anſpruch, nach welcher die Tendenz der Lehrjahre bereits fuͤr die erſte
Geſtalt der Dichtung maßgebend geweſen ſei. Er beruͤckſichtigt aber die
bezeichneten Veränderungen nicht in ihrer vollen Bedeutung. Über:
haupt ſtellt die Abhandlung geſchickt und vollſtaͤndig zuſammen, was
man fuͤr jene Auffaſſung geltend machen kann, doch unterlaͤßt ſie es,
die entgegengeſetzten Inſtanzen nach Gebuͤhr zu wuͤrdigen. Immerhin
verdient Pniowers ſcharfſinnige Argumentation eine eingehendere Be-
ruͤckſichtigung, als fie im Rahmen dieſes Aufſatzes möglich iſt.
120
r
Wie aber kam der Dichter dazu, das Werk, nachdem es
jahrelang liegengeblieben war, in einer Richtung weiterzu—
fuͤhren, welche die urſpruͤngliche Tendenz geradezu wider—
legte? und was veranlaßte ihn ferner, neben die Verherr—
lichung des taͤtigen Lebens, die nunmehr zum Grundge—
danken wurde, noch eine paͤdagogiſche Idee in den Mittel—
punkt zu ſtellen? Es iſt klar: wenn wir den Anſtoß
aufweiſen koͤnnten, der den Dichter in dieſe beſtimmte
Richtung trieb, ſo waͤre damit die Entſtehungsgeſchichte
der Lehrjahre luͤckenlos feſtgeſtellt.
Der Einfluß nun, der hier entſcheidend eingegriffen hat,
iſt nicht an verborgener oder entlegener Stelle zu ſuchen,
vielmehr iſt er, wie im folgenden nachgewieſen werden ſoll,
von einem der am meiſten genannten Buͤcher jener Zeit,
von Karl Philipp Moritz' autobiographiſchem Werke, An—
ton Reifer‘, ausgegangen.
Daß eine gewiſſe Verwandtſchaft zwiſchen der Erzaͤhlung
des Goethe befreundeten Pſychologen und Aſthetikers und
den ‚Lehrjahren‘ vorhanden iſt, haben die Literarhiſtoriker
ſchon mehrfach bemerkt. Daß aber ein genetiſcher Zuſam—
menhang zwiſchen beiden Buͤchern vorliegt, konnte man
ſolange nicht annehmen, wie die Urgeſtalt des Goetheſchen
Romans unbekannt war. Denn erſt ſeitdem uns der Augen—
ſchein lehrt, daß die Züge, die den ‚Lehrjahren‘ mit dem
‚Anton Reifer‘ gemeinſam find, in der „Theatraliſchen
Sendung‘ noch nicht enthalten waren, wiſſen wir, daß
dem pſychologiſchen Roman Moritzens tatſaͤchlich die Pri—
oritaͤt zukommt. Erſt hierdurch alſo wird die Annahme
einer Beeinfluſſung der „Lehrjahre“ durch den ‚Anton
Reifer‘ möglich, während wir früher, ſolange wir allein
auf die chronologiſchen Verhaͤltniſſe angewieſen waren,
nur eine Gleichzeitigkeit in der Konzeption beider anneh—
men konnten.
121
Dieſe chronologiſchen Verhaͤltniſſe veranſchaulichen die
folgenden Daten:
1776 (vielleicht ſchon 73) —85 Arbeit an der, Theatraliſchen
Sendung‘.
1785 ‚Anton Reiſer Teil I.
1786 ‚Anton Reifer‘ Teil II und III.
1786 (November) —88 Verkehr Goethes und Moritzens
in Rom.
1788 Dezember, 89 Januar Moritz bei Goethe in Weimar.
1790 ‚Anton Reifer‘ Teil IV.
1793 (vielleicht Schon 91)—96 Arbeit an, Wilhelm Meifters
Lehrjahren'“.
Es liegt alſo tatſaͤchlich der ganze „pſychologiſche Roman“
Moritzens zwiſchen dem Abbruch der, Theatraliſchen Sen—
dung‘ und der Wiederaufnahme der Dichtung mit den
Lehrjahren“. Nachdem die erſten Teile des ‚Anton Reiſer“
erſchienen waren, trat Goethe mit Moritz in Rom in engen
Verkehr, der alsdann in Weimar fortgeſetzt wurde. Goethes
Intereſſe fuͤr das Buch wurde durch die Perſoͤnlichkeit des
Verfaſſers erweckt oder erneuert, was durch Briefe aus—
druͤcklich bezeugt iſt. „Moritz erzaͤhlte Stuͤcke aus ſeinem
Leben.“ An Frau von Stein (23. Dezember 1786): „Lies
„Anton Reifer‘ — das Buch iſt mir in vielem Sinne wert.“
Einige Jahre darauf erſcheint der letzte Teil der Autobiogra—
phie. Wiederum zwei bis drei Jahre ſpaͤter begann Goethes
planmaͤßige Umarbeitung des, Wilhelm Meiſter“. Sie wird
von Anfang an von einem Gedanken getragen, und dieſer
Gedanke iſt derſelbe, der bereits im zweiten Teile des, Anton
Reiſerẽ deutlich angelegt iſt, und den Moritz im Vorwort zum
vierten als die Tendenz ſeines Werkes bezeichnet hat.
Wie verhaͤlt es ſich nun mit dem Zuſammenhang dieſer
beiden Grundgedanken, wie mit dem Inhalt und der Eigen—⸗
art der beiden Buͤcher uͤberhaupt?
122
Betrachtet man ihren Charakter im ganzen, fo erfcheint
er zunaͤchſt durchaus verſchieden. In kuͤnſtleriſcher Hinſicht
ſteht die Autobiographie Moritzens, die wir heute nicht
mehr als Roman bezeichnen wuͤrden, weit unter Goethes
Meiſterwerk. Sie zeigt kaum eine bewußte Technik, weiſt
einen eigentlichen Aufbau nicht auf, ſondern folgt einfach
dem Entwicklungsgang des Autors und wiederholt dabei
gern die gleiche Situation oder ſpinnt ſie ins Breite aus.
Der Ausdruck iſt nicht ohne Kraft und Schaͤrfe, aber die
Vortragsart umſtaͤndlich und der Satzbau oft ungelenk.
Allein mit dieſer altvaͤteriſchen Art kontraſtiert in ganz
überrafchender Weiſe der Inhalt und die innere Methode
der Darſtellung. Die Schaͤrfe von Moritzens Pſychologie zu
ruͤhmen iſt altes Herkommen. Zweifellos bohrt Moritz tiefer
und analyſiert ſchaͤrfer als Goethe. Auch verweilt er weit
mehr bei der rein innerlichen Seite der geſchilderten Vor—
gaͤnge. Goethe hatte bekanntlich gegen eine ſolche reflek—
tierende Selbſtzerlegung eine Art von Abneigung, und ſo
hat er auch ſeinen Helden ſtets eine gewiſſe „Dumpfheit“
verliehen, in der ſie ihre Wege dahinſchreiten. So wird
ſein Wilhelm Meiſter mehr durch den Zufall, der ihn zu
den Kreiſen Lotharios hinfuͤhrt, als durch ein bewußtes
Abwaͤgen und Urteilen von der Schauſpielerlaufbahn ab
und einem taͤtigen Leben zugelenkt, waͤhrend in Reiſers
Entwicklung wenig Zufaͤlle eingreifen und der Inſtinkt,
der ihn der Buͤhne zutreibt, beſtaͤndig aus verſtandes—
maͤßig erklaͤrbaren inneren Zuſtaͤnden abgeleitet wird. Hier—
bei nun tritt eine Unerbittlichkeit der Selbſtbeobachtung,
eine Schonungsloſigkeit in der Darſtellung des eigenen
Ichs zutage, die weit mehr an das Ende des 19. Jahr-
hunderts als an das des 18. erinnert. In dem Optimis—
mus des Aufklaͤrungszeitalters liegt im allgemeinen eine
Tendenz, das Weltbild zu verſchoͤnern und trotz allem
123
Streben nach Wahrheit und Vorurteilsloſigkeit bei gewiſſen
Vorurteilen, beſonders ſoweit ſie die Natur des Menſchen
betreffen, halt zu machen. Wielands bekanntes Wort von
dem Wert des begluͤckenden Wahns iſt ſeinem Zeitalter
aus der Seele geſprochen. Freilich auch Rouſſeau, ein echtes
Kind dieſes Jahrhunderts, ſchont ſich nicht, wo er von
ſeinen Verirrungen und Verfehlungen erzaͤhlt. Aber er iſt
trotz alledem von ſeinem Werte uͤberzeugt, jedenfalls nimmt
er ſich und ſeine inneren Zuſtaͤnde immer ernſt. Er glaubt
an ſich, ja, er iſt von einer gewiſſen Poſe der Selbſtdar—
ſtellung niemals ganz frei. Moritz ift von den, Konfeſſionen“
nicht nur aͤußerlich beeinflußt, aber er iſt unendlich viel
herber; er dringt ſchaͤrfer und tiefer in das eigene Innen—
leben ein und ſpuͤrt jede Selbſttaͤuſchung auf. Seine auto—
biographiſche Erzaͤhlung iſt wirklich, wie er im Vorwort
zum zweiten Teil ſagt, „eine ſo wahre und getreue Dar—
ſtellung eines Menſchenlebens bis auf ſeine kleinſten
Nuancen, als es vielleicht nur irgend geben kann“. Das
ſelbſtgefaͤllige Poſieren des Juͤnglings vor ſich ſelbſt und
mit dem eigenen Ungluͤck, die Jugendfreundſchaft „von der
empfindfamen Art“, die geſchloſſen wird, während Reiſer
eine Abhandlung gegen die Empfindſamkeit ſchreibt, und
die durch das beſtaͤndige Bemuͤhen, ſich durch landſchaft—
liche Eindruͤcke, durch gemeinſame Klopſtock- und Sieg:
wart⸗Lektuͤre ins Melancholiſche und Sentimentale zu ſtei—
gern, „eine wahre Muͤhe und Arbeit und ein peinlicher
Zuſtand“ wird, ſchildert er mit kaͤlteſter Objektivitaͤt. Dabei
fließt nur ſelten, wie in der Darſtellung dieſer Freundſchaft,
ein Schimmer von Humor mit ein; zum groͤßten Teil iſt
der Ton der Schilderung der ſachlich trockene des Beob—
achters. Es iſt keineswegs die Abſicht des Verfaſſers, uns
peinliche Eindruͤcke zu erſparen. Er mildert nichts, und ſeine
Darſtellung zeigt bisweilen die Schaͤrfe eines aufwuͤhlenden
124
Naturalismus, wie etwa ein Zolafcher Roman. In der
Schilderung einer Hinrichtung z. B. weiß man nicht, was
grauenhafter wirkt, die aͤußeren Einzelheiten, wie ſie in
kuͤhler Sachlichkeit angedeutet werden, oder die abſtump—
fende Wirkung, die der Anblick auf das Gemuͤt des an—
gehenden Juͤnglings hat. Welch ein freundlich heiterer
Optimismus herrſcht demgegenüber im, Wilhelm Meifter‘,
welch ein Humor liegt in der Schilderung ſeiner Irrtuͤmer,
welch ein kuͤnſtleriſcher Glanz ſelbſt uͤber den dunkleren
Geſtalten Mariannens, Mignons, des Harfners!
Zu dieſer Gegenſaͤtzlichkeit des Charakters tritt nun noch
die Verſchiedenheit des Milieus. Das behaͤbige und phi—
liſtroͤſe Buͤrgertum, dem Wilhelm Meiſter durch Geburt
und Erziehung angehoͤrt, bildet immerhin eine ſolide
Grundlage, von der man ohne aͤußere Schwierigkeiten und
Hinderniſſe in die Weite und Hoͤhe gelangen kann. Die
Boheme aber, aus welcher der arme Reiſer hervorgeht und
die durch die pietiſtiſchen Elemente, mit denen ſie in eigen—
tuͤmlicher Weiſe durchſetzt iſt, nichts an bildenden oder
foͤrdernden Werten gewinnt, iſt ein moraſtiger Boden, in
welchem der Emporſtrebende haltlos immer wieder zu ver—
ſinken droht, — wie ihm denn einmal wenigſtens ſelbſt
die Verbrecherwelt nahe genug kommt. Aus Armut und
Niedrigkeit ſind viele bedeutende Deutſche jener Zeit her—
vorgegangen. Reiſer-Moritz aber hat ſich geradezu aus dem
Elend emporgearbeitet und dabei wenig aͤußere Foͤrderung
gefunden, aber unerhoͤrt viele Hinderniſſe uͤberwinden
muͤſſen. Eine ans Krankhafte ſtreifende Senſitivitaͤt erſchwert
ihm von innen, Unverſtand und Boͤswilligkeit von außen
nahezu jeden einzelnen Schritt, und das Peinliche des Ge—
ſamteindrucks wird erhoͤht, weil das Buch fragmentariſch
abbricht und den Helden in der bedraͤngteſten Lage verlaͤßt.
Rechnet man endlich noch hinzu, daß im ‚Anton Neifer‘
125
das Erotifche überhaupt keine Stelle hat und die Frauen
faſt nur durch die recht zweifelhafte Mutter Antons ver—
treten ſind, waͤhrend Goethes jugendlicher Held aus einer
Liebe in die andere geraͤt und wenigſtens ebenſo ſtark durch
den Einfluß von Frauen wie von Maͤnnern gebildet wird:
ſo uͤberſieht man die Weite des Abſtandes, der zwiſchen
beiden Buͤchern beſteht. Dieſe Verſchiedenheit bewahrt von
vorne herein davor, den Einfluß des einen auf das andere
zu uͤberſchaͤtzen. Es hieße in der Tat zu weit gehen, wenn
man den Anton Reiſer“ als literariſches Vorbild der, Lehr—
jahre‘ bezeichnen wollte. Man muß vielmehr mit der Moͤg—
lichkeit rechnen, daß es uͤberhaupt nicht ſowohl das fertige
Buch Moritzens geweſen iſt, was die neue Wendung in
Goethes Plan hervorrief, als die Erlebniſſe, die ihm zu—
grunde liegen und die Selbſtreflexionen des Verfaſſers,
wie ſie im perſoͤnlichen Verkehr zu Worte gekommen ſein
muͤſſen. Der ‚Reifer‘ ift eben eine Autobiographie, und
dieſes Verhältnis zur Wirklichkeit macht es auch verſtaͤnd—
lich, daß der Dichter der, Lehrjahre“ von dem jüngeren und
unfertigen Manne eine ſo wichtige Anregung erhalten
konnte, waͤhrend dem Geſamtcharakter ihres Verkehrs nach
Goethe unzweifelhaft der Gebende war, und Moritzens
empfaͤngliche Natur ganz in Abhaͤngigkeit von ſeinem
Genius ſtand. Für die Entſtehung der, Lehrjahre“ und ihrer
Tendenz macht es wenig Unterſchied, ob die Lektuͤre des
„Reiſer“ oder die mündlichen Mitteilungen feines Verfaſſers
den entſcheidenden Anſtoß zu der neuen Wendung gegeben
haben: wahrſcheinlich war beides wirkſam. In jedem Falle
aber gibt uns das Buch Moritzens, als der Niederſchlag
jener Erlebniſſe und Reflexionen, den poſitiven Anhalt,
um das Abhaͤngigkeitsverhaͤltnis zu beurteilen, und in
dieſer Hinſicht iſt es entſcheidend, daß der Grundgedanke,
der die Vollendung des Wilhelm Meiſter in den ‚Lehre
126
jahren“ beherrſcht, im vierten Teile des Anton Reiſer durch:
gefuͤhrt, aber ſchon im zweiten, vor der Bekanntſchaft mit
Goethe veroͤffentlichten Bande mit aller Deutlichkeit vor—
gezeichnet iſt.
An ſich koͤnnte es vielleicht als Zufall erſcheinen, daß im
Mittelpunkt beider Werke ein junger Menſch ſteht, der durch
eine mißverſtandene Neigung zum Theater gezogen wird.
Wie Wilhelm aus einem buͤrgerlichen Beruf, ſo reißt ſich
Anton von den Vorbereitungen zu einer theologiſchen
Laufbahn los, um ſich der Buͤhne zu widmen. Wie Wil—
helm, taͤuſcht auch er ſich uͤber ſeine Begabung, die ihn
weder zum Schauſpieler, noch zum Dichter beſtimmt hat.
Allein das Weſentliche iſt, daß die Übereinftimmung fich
nicht nur auf den aͤußeren Vorgang erſtreckt, ſondern auf
die pſychologiſche Motivierung in den weſentlichſten Einzel—
zuͤgen, und daß uns gerade hier bisweilen faſt woͤrtliche
Zuſammenklaͤnge entgegentreten.
Dieſe Gleichheit der Motivierung zeigt ſich auffallend
ſchon im Negativen, d. h. in dem, was in beiden Buͤchern
fehlt, obgleich man es erwarten ſollte. Beide Male ſpricht
die Luſt am abenteuerlichen und ungebundenen Leben nicht
mit, um die Berufswahl des Helden zu beſtimmen; und
ebenſowenig ſpielen Illuſionen, welche das Leben des
Schauſpielers mit falſchem Glanze uͤbergolden, mit hinein.
Und doch ſind es wohl gerade dieſe Motive, welche tatſaͤch—
lich am erſten junge Leute ohne eigentliche Begabung der
Buͤhne zufuͤhren oder doch in jenen Zeiten zugefuͤhrt haben.
Dafür tritt nun in beiden Romanen ein weit weniger ſelbſt⸗
verſtaͤndliches, verwickelteres Motiv als eigentlich entſchei—
dend auf.
Die Entwicklung, die Goethes Helden zur Buͤhne und
von ihr wieder ab ins Leben fuͤhrt, iſt bekanntlich durch
zwei Hauptſtellen der, Lehrjahre“ bezeichnet. Die eine bildet
127
der Brief an den Freund Werner im 5. Buche, in welchem
Wilhelm ſeinen Entſchluß, Schauſpieler zu werden, aus—
ſpricht und begruͤndet, die andere das Geſpraͤch mit Jarno
im 8. Buch, in welchem er erklaͤrt, dieſem Beruf endguͤltig
entſagt zu haben, und der aͤltere Freund dieſem Entſchluß
ſeinen Beifall zollt. In jenem Brief ſpricht Wilhelm als
feinen entſcheidenden Beweggrund aus, daß der Haupt⸗
trieb feiner Natur dahin gehe, einmal feine Perſoͤnlichkeit
harmoniſch und allſeitig auszubilden, ſodann aber „eine
oͤffentliche Perſon zu fein und in einem weiteren Kreiſe zu
gefallen und zu wirken“. Da ihm die Befriedigung dieſer
Neigungen im Leben ſelbſt durch ſeine buͤrgerliche Geburt
verſagt ſei, ſo ſehe er ſich auf die Buͤhne verwieſen, wo er
ſich allein nach Wunſch ausbilden und ruͤhren koͤnne, oder
wie wir ſagen duͤrfen, wo er in einer Scheinwelt vorſtellen
darf, was ihm in der wirklichen zu ſein verſagt iſt.
Hiermit vergleiche man nun, was Moritz ſeinen Reiſer
uͤber ſeine Neigung zur Buͤhne erzaͤhlen laͤßt. Der Knabe
traͤumt ſich in die Rolle eines Predigers hinein, der ſeine
Gemeinde durch ſein Wort erſchuͤttert und erhebt. Dann
aber wird die Kanzel durch das Theater abgeloͤſt. Denn
„er konnte auf dem Theater alles ſein, wozu er
in der wirklichen Welt nie Gelegenheit hatte und
was er doch ſo oft zu ſein wuͤnſchte — großmuͤtig,
wohltaͤtig, edel, ſtandhaft, uͤber alles Demuͤ—
tigende und Erniedrigende erhaben. Wie ſchmach—
tete er, die Empfindungen, die ihm ſo natuͤrlich zu ſein
ſchienen, und die er doch ſtets entbehren mußte, nun ein=
mal durch ein kurzes taͤuſchendes Spiel der Phantaſie in
ſich wirklich zu machen! Das war es ungefaͤhr, was
ihm die Idee vom Theater ſchon damals [im Knaben—
alter] fo reizend machte. Er fand ſich hier gleichſam
mitallenfeinen Empfindungen und Geſinnungen
128
wieder, welche in die wirkliche Weltnichtpaßten.”
„Dieſe Idee warjetztſchon die herrſchende in ſeinem Kopfe und
gleichſam der Keim zu allen ſeinen kuͤnftigen Wider:
waͤrtigkeiten“ (J, 122f.). — Noch praͤgnanter ſpringt die
uͤbereinſtimmung der Motive an einer vorhergehenden
Stelle (I, 99 f.) in die Augen: „Er wuͤnſchte ſich dann eine
recht affektvolle Rolle, wo er mit dem groͤßten Pathos reden
und ſich in eine Reihe von Empfindungen verſetzen koͤnnte,
die er ſo gern hatte und ſie doch in ſeiner wirklichen
Welt, wo alles ſo kahl, ſo armſelig zuging, nicht haben
konnte. — — Was Wunder, daß er ſich in einer
idealiſchen Welt wieder zu erweitern und ſeinen
natürlichen Empfindungen nachzuhaͤngen ſuchte!
In dem Schauſpiel ſchien er ſich gleichſam wiederzufinden,
nachdem er ſich in ſeiner wirklichen Welt beinahe verloren
hatte. — — Wenn er die Szenen eines Drama — — durch—
ging, ſo war er das alles nach einander wirklich, was er
vorſtellte.“
Nun iſt es offenbar, daß in dieſer Sehnſucht, ſich in der
Phantaſie auszuleben, ſich in einer Buͤhnenrolle ſo darzu—
ſtellen, wie man es in Wirklichkeit nicht kann, in dieſer
Flucht von der Wirklichkeit in eine Scheinwelt nichts ent—
halten iſt, was eine Begabung fuͤr den Beruf des Schau—
ſpielers begruͤnden oder verbuͤrgen koͤnnte. Vielmehr liegt
etwas Dilettantiſches darin. „Er glaubte, es koͤnne ihm nicht
fehlſchlagen,“ heißt es im IV. Teil S. 13, „weil er jede Rolle
tief empfand und ſie in ſeiner eigenen Seele vollkommen
darzuſtellen und auszufuͤhren wußte; — er konnte nicht
unterſcheiden, daß dies alles nur in ihm vorging und daß
es an aͤußerer Darſtellungskunſt ihm fehlte.“ Es fehlt die
erſte Bedingung jeder kuͤnſtleriſchen Leiſtung, daß der Kuͤnſt—
ler ſeine eigene Perſon uͤber dem Kunſtwerk vergißt. Dieſes
ſpricht Moritz woͤrtlich aus: „Es war alſo kein echter
129
Beruf, Fein reiner Darſtellungstrieb, der ihn an—
zog. — Haͤtte er damals das ſichere Kennzeichen ſchon
empfunden und gewußt, daß, wer nicht über der Kunſt
ſich ſelbſt vergißt, zum Kuͤnſtler nicht geboren ſei,
wie manche vergebene Anſtrengung, wie manchen verlore—
nen Kummer hätte ihm das erſpart“ (IV, 53).
Wie eine Zuſammenfaſſung dieſer bei Moritz noch weiter
ausgeſponnenen Gedanken lieſt ſich der kurze Satz, mit
dem Jarno in den, Lehrjahren' fein ablehnendes Urteil über
Wilhelms Begabung begruͤndet: „Bei mir iſt es rein ent—
ſchieden, daß, wer ſich nur ſelbſt ſpielen kann, kein
Schauſpieler iſt.“ In der Praͤgnanz dieſer Worte wieder
holt ſich das Urteil uͤber Reiſer: auch Wilhelm ſucht nur
ſich ſelbſt in der fremden Rolle, auch ihm fehlt die Dar—
ſtellungs- und Geſtaltungskraft, die den Kuͤnſtler vom
Dilettanten unterſcheidet. Es iſt ein feiner und charak—
teriſtiſcher Zug, daß er das nicht einzuſehen und daher
Jarnos Urteil nicht anzuerkennen imſtande iſt. Freilich
kommt dieſes Urteil auch dem Leſer einigermaßen unver—
mittelt. Es iſt zwar durch die Beweggruͤnde, die Wilhelm
zur Buͤhne gefuͤhrt haben, gerechtfertigt, aber was wir von
ſeiner Taͤtigkeit ſelbſt, beſonders ſeiner gewiſſenhaften Ver—
tiefung in die Rolle des Hamlet, geſehen haben, ſteht eher
damit im Widerſpruch. Eben dieſe Unebenheit weiſt auf
den Wechſel der Intentionen und den Einfluß Moritz
Reiſers zuruͤck.
Iſt ſomit das Verhaͤltnis beider Romanhelden zur Schau⸗
ſpielkunſt genau das gleiche, jo zeigt ſich eine Verſchieden⸗
heit in ihrer Stellung zur Poeſie. Es entſprach dem Grund—
gedanken der ‚Sendung‘, daß Wilhelm, wie fein hiſtoriſches
Vorbild, ebenſowohl zum dramatiſchen Dichter wie zum
Schauſpieler berufen war, und als ſolcher erſcheint er hier
denn auch: er bringt unter dem größten Beifall des Publi-
130
kums ein eigenes Drama ‚Belfazar‘ zur Aufführung, in
welchem er die Hauptrolle ſpielt. Wenn dasſelbe die Züge
einer wirklichen Jugenddichtung Goethes, und damit zu—
gleich des Geſchmacks der vorklaſſiſchen Epoche, traͤgt, ſo
waͤre es doch nicht gerechtfertigt, hieraus den Schluß zu
ziehen, daß der Dichter des ‚Urmeifters‘ dieſe Jugend—
ſchoͤpfung ironiſch behandelte, um jo weniger, als die
Schweſter des Helden, in der die Zuͤge Corneliens deutlich
nachwirken, dem Bruder ausdruͤcklich dichteriſche Gaben zu—
erkennt. Nach der Wandlung der Tendenz in den ‚Lehrjahren‘
aber durfte Wilhelm offenbar uͤberhaupt kein urſpruͤnglich
kuͤnſtleriſches, alſo auch kein dichteriſches, Talent beſitzen.
Auch hier haͤtte ihm der Irrweg Reiſers die Entwickelung
vorzeichnen koͤnnen. Denn auch dieſer glaubt ſich nicht nur
zum Schauſpieler, ſondern auch zum Dichter berufen. In
ſeiner Leidensgeſchichte machen nach Moritzens Ausdruck
„die Leiden der Poeſie eine eigene Rubrik aus“, und dieſe
Rubrik laͤuft der theatraliſchen durchaus parallel. Reiſer iſt
beftändig dichteriſch tätig, und feine Poeſien gefallen nicht
nur ihm, ſondern auch anderen, ja ſie ſind es, die zuerſt
und faſt allein ihm die Beachtung und eine verſpaͤtete Gunſt
ſeiner Mitſchuͤler und Lehrer einbringen. Aber gerade hierin
liegt ein grauſamer Hohn des Schickſals, denn Anton iſt
ebenſowenig ein wirklicher Dichter, wie er ein Schauſpieler
iſt, und der Erzaͤhler begruͤndet das mit ganz aͤhnlichen
Betrachtungen, wie er ſie vorher dem ſchauſpieleriſchen
Streben ſeines Helden gewidmet hat. „Es iſt wohl ein
untruͤgliches Zeichen, daß einer keinen Beruf zum Dichter
habe, den bloß eine Empfindung im allgemeinen zum Dichten
veranlaßt, und bei dem nicht die ſchon beſtimmte Szene,
die er dichten will, noch eher als dieſe Empfindung oder
wenigſtens zugleich mit der Empfindung da iſt. Kurz, wer
nicht waͤhrend der Empfindung zugleich einen Blick in das
131
ganze Detail der Szene werfen kann, der hat nur Empfin-
dung, aber kein Dichtungsvermoͤgen. Und gewiß iſt nichts
gefaͤhrlicher, als einem ſolchen taͤuſchenden Hange ſich zu
uͤberlaſſen; die warnende Stimme kann nicht fruͤh genug
dem Juͤngling zurufen, ſein Innerſtes zu pruͤfen, ob nicht
der Wunſch bei ihm an die Stelle der Kraft tritt, und weil
er dieſe Stelle nie ausfuͤllen kann, ein ewiges Unbehagen
die Strafe verbotenen Genuſſes bleibt.“ Auch hier denkt
man ſofort an wörtliche Anklaͤnge in den, Lehrjahren , aber
freilich beziehen ſie ſich nicht auf die Poeſie. Denn Goethe
hat bei der Umarbeitung die Abſchnitte einfach fortgelaſſen,
die in der fruͤheren Geſtalt auf eine ſelbſtaͤndige dichteriſche
Taͤtigkeit Bezug hatten, und dieſe beſchraͤnkt ſich nunmehr
auf Feſtſpiele und aͤhnliche Gelegenheitsarbeiten. Damit
bleibt feinem Helden auf dem poetiſchen Gebiet der Leidens—⸗
weg der Selbſttaͤuſchung erſpart. Offenbar iſt es der Unter—
ſchied der Dichterperſoͤnlichkeit Goethes von der Moritz—
Reiſers, die dieſe Abweichung erklaͤrt. Aus eigenen Erleb—
niſſen wenigſtens konnte Goethe die Tragoͤdie der dichte—
riſchen Impotenz unmoͤglich anſchaulich machen, wie jener
es tat. Noch weniger konnte er die Poeſie ſelbſt wie die
Kunſt des Schauſpielers als einen bloßen Irrweg, der von
der Wirklichkeit in die Scheinwelt abfuͤhre, betrachten und
darſtellen. Daher blieb ihm, ſobald Wilhelms Entwicklung
von der Kunſt zu praktiſch realer Taͤtigkeit führen ſollte,
nichts anderes uͤbrig, als die Beziehung zur Poeſie ganz
fallen zu laſſen. —
Eine aͤhnliche Verbindung von uͤbereinſtimmungen und
bewußten Abweichungen wie der kuͤnſtleriſche zeigt auch der
paͤdagogiſche Gedankengehalt in beiden Romanen. In
der ‚Theatraliſchen Sendung‘ findet ſich, wie ſchon oben
geſagt, keine Spur hiervon. In den ‚Lehrjahren‘ dagegen
nimmt die erzieheriſche Tendenz einen immer wachſenden
2
Teil der Handlung und des Intereſſes in Anſpruch. Die
Erfindung der Geſellſchaft vom Turm und ihrer geheimen
Leitung iſt freilich ganz und gar Goethes Eigentum. Im
„Anton Reifer‘ findet ſich hierzu Fein Anſatz. Vielmehr zeigt
uns die Leidensgeſchichte des armen Jungen ausſchließlich
Lehrerperſoͤnlichkeiten, wie ſie nicht ſein ſollen; niemals iſt
ihm ein wahrer Erzieher zur Seite getreten, der ihn ver—
ſtanden und von innen heraus gefoͤrdert haͤtte. Aber eben
indem der Erzaͤhler die paͤdagogiſche Unzulaͤnglichkeit in
mannigfacher Geſtalt darſtellt, lenkt er das Intereſſe des
Leſers auf das Gebiet der Erziehung. Beſonders in den
Vorworten, welche den einzelnen Teilen beigegeben ſind,
hat Moritz immer wieder auf dieſe Seite ſeines Buches
hingewieſen. Gleich im erſten hebt er dieſen Geſichtspunkt
hervor. Im Beginn des vierten und letzten Teiles aber wird
das paͤdagogiſche Problem ganz in derſelben Weiſe auf die
Berufswahl bezogen, wie wir das in den ‚Lehrjahren‘ finden,
und es wird nun das ſo gefaßte Problem mit dem des
Unterſchieds zwiſchen wahrem und falſchem Kuͤnſtlerberuf
ſo unmittelbar zuſammengefaßt, daß der Gedankenzug der
Lehrjahre“ in dieſer Hinſicht vollſtaͤndig vorgezeichnet er—
Scheint. „Dieſer vierte Teil,“ ſagt Moritz, „handelt jo
wie die vorigen, eigentlich die wichtige Frage ab,
inwiefern ein junger Menſch ſich ſelber ſeinen Be—
ruf zu waͤhlen imſtande ſei? Er enthaͤlt eine ge—
treue Darſtellung von den mancherlei Arten von
Selbſttaͤuſchungen, wozu ein mißverſtandener
Trieb zur Poeſie und Schauſpielkunſt den Uner—
fahrenen verleitet hat. Er enthaͤlt auch einige viel—
leicht nicht unnuͤtze und nichtunbedeutende Winke,
fuͤr Lehrer und Erzieher ſowohl, als fuͤr junge
Leute, die ernſthaft genug ſind, um ſich ſelbſt zu
prüfen, durch welche Merkzeichen vorzüglich der
133
falſche Kunſttrieb von dem wahren fich unter:
ſcheidet?“ Das iſt gewiß nicht Goetheſcher Stil. Aber
dem Inhalt nach koͤnnten dieſe Saͤtze ohne Einſchraͤnkung
und Anderung auch dem ‚Wilhelm Meiſter“ vorangeſtellt
werden, und die Annahme erſcheint daher keineswegs zu
kuͤhn, daß auch der paͤdagogiſche Gedankenzug in den ‚Lehr:
jahren“ durch die Lektuͤre des ‚Anton Reiſer“ und gewiß
auch durch perſoͤnliche Unterhaltungen mit Moritz, die ſich
an dieſe Lektuͤre knuͤpften, angeregt iſt.
Damit iſt denn die Entwicklung, welche den Dichter von
der ‚Theatraliſchen Sendung‘ zu den ‚Lehrjahren‘
führte, vollftändig gegeben. Es iſt nicht nur das Intereſſe
fuͤr die Entſtehungsgeſchichte des epochemachenden Goethe—
ſchen Romans, das dieſem Ergebnis Wert verleiht, ſondern
vielleicht noch mehr die Tatſache, daß ein der Vergangen—
heit angehoͤriges Meiſterwerk deutſcher autobiographiſcher
Kunſt hierdurch wenigſtens mittelbar ein dauerndes Leben
erhaͤlt, und der fruͤh verſtorbene, zur Vollendung ſeiner
reichen Perſoͤnlichkeit nicht gelangte Freund und Juͤnger
Goethes mit einer unſterblichen Dichtung ſeines Meiſters
unzertrennlich verknuͤpft bleibt.
134
Chriſtiane von Goethe und
Bettina Brentano
(Mit ungedruckten Briefen)
Von Reinhold Steig
hriſtiane war ungefaͤhr zwanzig Jahre aͤlter als die
1785 geborene Bettina Brentano. Wiederum etwa
zwanzig Jahre ſpaͤter geſchah es, 1807, daß beide Frauen
ſich kennen lernten, jede auf ihre Weiſe Goethe liebten und
verehrten, und zuletzt, 1811, ſich trennten, ſo daß Bettina,
ſolange Chriſtiane lebte, bis 1816, den Zutritt zu ihm verlor.
Die beiden Frauen verſtanden ſich in Wahrheit uͤber—
haupt nicht. Der Unterſchied des Standes, von dem ſie
ſtammten, machte ſich zu ſehr geltend. Chriſtiane war die
arne Tochter eines Trunkenbolds, die Goethe in die Haͤnde
fiel, der ſie in ſeinen Schutz nahm, bis er ſie nach der
Schlacht bei Jena zu ſeiner Frau machte; und auch nachher
noch iſt ſie in Goethes Hauſe vielen Frauen und Maͤnnern
ein Stein des Anſtoßes geweſen. Auch Bettina war im
Grunde genommen gegen Chriſtiane als rechtmaͤßige, voll
guͤltige Gattin Goethes. Ihre Großmutter, ihre Mutter
hatten den jungen Goethe liebevoll und als Gleiche um—
fangen; wie ſollte nicht ihr Kind Bettina, begabt wie ſie,
den aͤlteren Goethe faſt mehr als ſie verehren. Ein Recht,
ja eine Pflicht dazu ſchien ſie zu haben. Ihre Schweſtern,
ihr Schwager, ihr Bruder Clemens und Arnim ſtanden
ihm nahe, wenn ſie auch bisweilen ihre eigne Meinung
hegten. Unter ihnen allen galt Chriſtiane als die in
135
Goethes Hauſe geduldete, und es gehörte viel Aufmerk—
ſamkeit dazu, ſie aͤußerlich anzuerkennen.
Nun wurde Bettina durch Goethes Mutter fuͤr die wei—
mariſchen Verhaͤltniſſe empfaͤnglich gemacht, eine Frau,
die ſich als frankfurtiſche Buͤrgerin kleinſtaatlichen Zu—
ſtaͤnden gewachſen fuͤhlte. Die ſich mit der Herzogin ſchrieb
und Umgang mit ihres Sohnes adligen Genoſſen hielt, die
aber auch klug genug war, ſich mit Chriſtiane, der Mutter
ihres Enkels, abzufinden. Aber nach außen hin ließ ſie nicht
zu viele an ihrem Verkehr und Umgang mit Chriſtianen
teilnehmen, und erſt in ihrem Briefe vom 27. Oktober 1806,
als ſie ihren vermaͤhlten Kindern unendliches Gluͤck wuͤnſcht,
preiſt ſie ihren „neuen Stand“, in dem ſie ihnen allen
Segen, alles Heil, alles Wohlergehen wuͤnſcht. Bei Bettinen
und den Ihrigen bedurfte die Frau Rat keines „neuen
Standes“, es war ein „alter“, in dem ſie auch wie in ihrem
eignen Hauſe verkehrte und nach dem Tode der Eltern
Brentano die Ehre des Alters genoß; ihre Mitfeier von
Savignys Geburtstag, wie ſie im Briefwechſel mit einem
Kinde 1808 erzaͤhlt wird, iſt wahr und richtig.
Am 25. April 1807 traf Bettina von Kaſſel aus über
Berlin in Weimar ein, um Goethe zu beſuchen. Am
12. April 1807 war Chriſtiane wieder von Frankfurt in
Weimar eingetroffen; es wird von Bettina nicht geſagt,
ob ſie damals Goethes Hausherrin geſehen und geſprochen
hat. Waͤhrend Bettina nach Kaſſel zuruͤckkehrte, uͤberſiedelte
Goethe am 16. Mai nach Jena, und dorthin ſandte ihm
Chriſtiane einen Brief an ſie von der Mutter (19. Mai
1807) nach, der zugleich ein Schreiben von Bettina ent—
hielt, worin ſie der Frau Rat ihren Aufenthalt bei Wieland
und Goethe mitteilte. Frau Rat ſchrieb dazu: „Hierbei
kommt ein Briefelein von der kleinen Brentano — hier—
aus iſt zu ſehen, daß ſie noch in fremden Landen ſich
136
herumtreibt — auch beweiſen die Ausdrücke ihres Schrei:
bens — mehr wie ein Alphabet, wie es ihr bei Euch ge—
fallen hat — auf ihre muͤndliche Relation verlangt mich
erſtaunlich — wenn ſie nur die allerkuͤrze Zeit bei Euch
war, ſo weiß ich zuverlaͤſſig, daß kein ander Wort von ihr
zu hoͤren iſt als von Goethe — Alles was er geſchrieben
hat, jede Zeile iſt ihr ein Meiſterwerk — beſonders Egmont
— dagegen ſind alle Trauerſpiele, die je geſchrieben wor—
den — nichts — gar nichts — weil ſie nun freilich viele Eigen=
heiten hat, jo beurteilt man fie, wie das ganz natürlich iſt,
ganz falſch — fie hat hier im eigentlichen Verſtand niemand
wie mich — alle Tage, die an Himmel kommen, iſt ſie bei
mir, das iſt ihre beinahe einzige Freude — da muß ich ihr
nun erzaͤhlen — von meinem Sohn — alsdann Maͤr—
chen — da behauptete ſie denn, ſo erzaͤhle kein Menſch uſw.
Auch macht ſie mir von Zeit zu Zeit kleine Geſchenke —
läßt mir zum Heiligen Chriſt beſcheren — am erſten Pfingſt—
feſt ſchickte ſie mir mit der Poſt zwei Schachtelen — mit
zwei ſuͤperben Blumen auf Hauben, ſo wie ich ſie trage —
und eine praͤchtige porzelaͤnerne Schokoladetaſſe, weiß und
gold.“ Goethe las die Briefe in Jena, die er noch am
24. Mai, tags vor ſeiner Abreiſe ins Bad, zuruͤckſchickte,
und ſchrieb ſeiner Frau: „Der Mutter Brief hat mich weit
mehr erbaut als der Brief von Bettinen. Dieſe wenigen
Zeilen haben ihr mehr bei mir geſchadet, als deine und
Wielands Afterreden. Wie das zuſammenhaͤngt, auszu—
legen, dazu wuͤrde ich viele Worte brauchen.“ Bettinas hier
von Goethe beurteilter Brief iſt nicht zugaͤnglich. Soviel
ſteht aber feſt, daß Chriſtiane „Afterreden“ gegen Bettina
gleich beim erſten Mal fait öffentlicher Erwähnung los—
gelaſſen hatte.
Die Frankfurter aber wußten von dieſen Vorkommniſſen
nichts. Am 19. Mai 1807 konnte Frau Rat an Bettina
137
Schreiben: „Laſſen wir das, und kommen zu etwas, das
uns ſchadlos haͤlt. Meine Freude war groß, da ich von
meiner Schwiegertochter hoͤrte, daß du in Weimar geweſen
waͤreſt — du haft viel Vergnügen dort verbreitet — nur
bedauerte man, daß dein Aufenthalt ſo kurz war. Nun es
iſt noch nicht aller Tage Abend.“ Und am 13. Juni 1807
ſchrieb Frau Rat abermals an Bettina: „Liebe — Liebe
Tochter! Nenne mich ins kuͤnftige mit dem mir ſo teuren
Namen Mutter — und du verdienſt ihn ſo ſehr, ſo ganz
und gar — mein Sohn ſei dein inniggeliebter Bruder —
dein Freund — der dich gewiß liebt und ſtoͤlz auf deine
Freundſchaft iſt. Meine Schwiegertochter hat mir geſchrie—
ben, wie ſehr du ihm gefallen haſt — und daß du meine
liebe Bettine biſt, mußt du laͤngſt uͤberzeugt ſein.“ Die
Folge war, daß Bettina, im Anſchluß daran, ſchon am
15. Juni (im Druck am 15. Mai 1807) ihren erſten Brief
an Goethe ſchickte, die obigen Worte der Frau Rat fuͤr ſich
wiederholend und damit den Briefwechſel mit ihm be—
ginnend.
Allerdings wiſſen wir nicht, wann Goethe, der in Karls—
bad, nicht in Weimar ſich aufhielt, den Brief empfing; die
Nachrichten daruͤber fallen aus. Jedenfalls hat ihn zuerſt
Chriſtiane erhalten, die ihn an Goethe weitergab. Doch
muß ſie irgendeine Nachricht gehabt haben, denn Frau
Rat ſchrieb ihrem Sohne und ihrer Schwiegertochter am
8. September 1807: „Bettina Brentano iſt über die Er:
laubnis, dir zuweilen ein Blaͤttchen ſchicken zu duͤrfen, ent⸗
zuͤckt — antworten ſollſt du nicht — das begehre ſie nicht
— dazu waͤre ſie zu gering — belaͤſtigen wolle ſie dich auch
nicht — nur ſehr ſelten — ein Mann wie du hätte Größeres
zu tun, als an ſie zu ſchreiben — ſie wollte die Augenblicke,
die der Nachwelt und der Ewigkeit gehoͤrten, nicht an ſich
reißen.“ Aber Bettina faßte die Sache anders, ſie aͤußerte
138
kurz darauf in einem nicht gezeichneten Briefe an Goethe
(vergl. Briefwechſel S. 130): „Ihre Mutter ſchrieb, wie von
mir, daß ich keinen Anſpruch an Antworten mache, daß
ich keine Zeit rauben wollte, die ewiges hervorbringen kann.
Sie hat Unrecht gehabt, denn ich moͤchte alle Zeit, alle ver—
floßne und alle zukuͤnftige, Ihnen rauben, wenn mir's
moͤglich waͤr, ohne boͤſes Gewiſſen zu haben. Bedenken
Sie indes, daß nur wenig Worte von Ihnen mir mehr
Freude machen werden, als man in langer Zeit zu haben
pflegt.“ In dieſem Briefe auch war es, daß Bettina in der
Nachſchrift („die Mutter iſt ſehr heiter und geſund“, S. 130)
noch den Satz hatte: „Von der Tochter erzaͤhlt ſie mir viel
Treue, die an Ihnen ausgeuͤbt; wenn dieſe meinen Gruß
annehmen will, ſo biet ich ihn herzlich an.“ Wenn wir in
demſelben Briefe noch eine Mitteilung der Frau Rat uͤber
Clemens Brentanos Verehelichung und eine Abſage
Goethes, nach Wien zu kommen, aus einem fruͤheren
Briefe an die Frau von Savigny vernehmen, ſo ſehen wir
daraus, daß alle Glieder der Familie Brentano ſich zu
Goethe hingezogen fuͤhlten.
Noch einmal meldete ſich Bettina, etwa im Oktober 1807,
wo ſie von der Frau von Tuͤrckheim verwundetem Sohne
ſprach!, und ließ Chriſtianen ſagen: „die Frau gruͤßen,
wenn ich bitten darf, und dem Sohn ſagen, daß er mich
verehren ſoll, weil ich ihm gut bin.“ Nun traf es ſich, daß
Bettina und Melina Brentano Ende Oktober 1807 nach
Weimar reiſten, um Goethe zu beſuchen. Goethe, das heißt
zu gleicher Zeit ſeine Frau, ob ſie ſchon in ſeinem Tage—
buche nicht genannt wird. Am 1. November trafen beide
Brentanos nachmittags in Goethes Hauſe ein und waren
ſogleich am folgenden Tage zu Tiſche. Am Abend des
Vergl. Goethes Tagebuch, 30. September 1807, mit Goethes Brief
an Frau von Tuͤrckheim, 14. Dezember 1807 (Briefe 19, 471).
139
1. November gingen fie noch zum Tee der Frau Johanna
Schopenhauer, wohin auch Goethes kamen, und wo
Bettina nach Riemer große Naivitaͤt bewies, aͤhnlich darin
der Frau von Humboldt und der Mine Wolf. Verabredeter—
maßen erſchienen nun noch Savignys am 3. November
von München her, mit Gruß und Buch von Jacobi; ſofort
beſuchte ſie Goethe und lud ſie mit Bettina und Melina
zum Mittag ein, wo man viel uͤber Muͤnchen und die dor—
tigen Verhaͤltniſſe ſprach; nach 7 Uhr ging Goethe zu
Savignys zum Tee, wo die Schweſtern Gundel, Bettina
und Melina viel von ihren Reiſen erzaͤhlten.
Man muß bekennen, daß die Aufnahme bei Goethes
ungewoͤhnlich herzlich und freundlich war, ja alle Art der
ſonſtigen Bewirtung uͤbertraf. Am 4. November erſchien
Goethe auf der Bibliothek, um Savignys und die beiden
Brentanos von da in ſein Haus zum Mittagbrot zu fuͤhren.
Und am Abend des folgenden Tages ſuchten Goethes mit
Savignys und den Schweſtern Brentano die Geſellſchaft
der Frau Johanna Schopenhauer auf; Bettina ſang zur
Gitarre. Wieder am Abend des 6. November wohnte
Goethe (und ſeine Frau?) mit Savignys einem Konzert
bei der Jagemann bei, auf dem auch Seckendorf und Stoll
ſich befanden. Wiederum waren Bettina und Savignys
am 7. November bei Goethes zum Mittagbrot.
Am 8. November vergroͤßerte ſich die Zahl der Gaͤſte.
Es ließen ſich Reichardt und Achim von Arnim melden,
die von Koͤnigsberg gekommen waren und Ludwig Tieck
unterwegs beſucht hatten. Sie wurden auf den folgenden
Tag zu Tiſche geladen. Nach dem Eſſen erſchien noch Bettina.
Der Abend verſammelte alle Freunde: Goethes, Savignys,
Brentanos, Reichardt und Arnim, im gaſtlichen Hauſe der
Frau Schopenhauer.
Nun kam auch noch Clemens Brentano, von Kaſſel aus,
140
und erhöhte die Zahl der Tiſchgaͤſte im Goetheſchen Haufe,
am 9. November. Was aus der Unterhaltung am meiſten
Eindruck machte, waren komiſche Geſchichten aus der Un—
gluͤcksepoche des preußiſchen Staates. Nach Riemer, der
auch bei Tiſche ſaß, kam das Geſpraͤch auf Friedrich
Tieck, die Nibelungen und ſonſtiges; zwei junge Leute in
Kaſſel, die Bruͤder Grimm, haͤtten ſchoͤne Kenntniſſe und
Sammlungen, die altdeutſche Literatur betreffend. Am
Abend beſuchte man den Taſſo“ im Theater, dem aber
Goethe nicht bis zu Ende beiwohnte. Folgenden Tages
bereitete ſich der Abſchied vor. Goethe machte der Frau
von Savigny ſeine Aufwartung; zu Tiſche war nochmals
Bettina da, die Familiengeſchichten vortrug; dann kam
noch Arnim. Damit war der Brentanoſche Familientag
beendigt: den 10. November reiſte Goethe nach Jena,
unterwegs noch mancherlei von Bettina ſprechend; die
ganze Brentanoſche Karawane aber fuhr in drei Wagen
nach Kaſſel ab.
Wie weit Chriſtiane daran beteiligt war, laͤßt ſich ſchließen,
wenn Goethe ſelbſt es im Tagebuche nicht einzeln erwaͤhnt.
Jedenfalls war ſie bei allen faſt taͤglichen Einladungen
zugegen und machte die Abendbeſuche im Hauſe der Frau
Schopenhauer mit. Die Frau Rat mag in Frankfurt un—
gefaͤhr von den Weimarer Vorgaͤngen das Richtige gehoͤrt
haben. Sie ſchrieb an Chriſtiane am 14. Dezember 1807:
„Die Familie Brentano ſind (bis auf die Bettina, die noch
in Kaſſel iſt) wieder hier — die koͤnnen nun mit Ruͤhmen,
Lobpreiſen — Dankſagungen nicht zu Ende kommen —
ſo wie es ihnen bei Euch ergangen iſt, ſo iſt nichts mehr
— die Ehre, die ihnen widerfahren — das Vergnuͤgen, ſo
ſie genoſſen — Summa Summarum ſolche vortreffliche
Menſchen, ſo ein ſchoͤnes Haus, ſo eine Stiege, ſo ein
Schauſpiel — das alles iſt nur bei Goethe anzutreffen —
141
das iſt alles nur ſtuͤckweiſe erzählt worden, denn der Bettina
duͤrfen ſie nicht vorgreifen, die will mir alles ſelbſt erzaͤhlen
— Ihr, meine Lieben, koͤnnt leicht denken, welchen Freuden⸗
tag ſie mir damit gemacht haben — und welche Freude
mir durch Bettinens Erzaͤhlung bevorſteht — auch vor
dieſe Freude danke ich Euch von Herzen.“ Nun nahte auch
Weihnachten und damit entſtand das Verlangen der beiden
Schweſtern Brentano, ſich durch Geſchenke, namentlich
der Frau Goethe und ihrem Sohn Auguſt, fuͤr die Freund—
lichkeit der Aufnahme erkenntlich zu zeigen. Melina, die
ſchon von Kaſſel nach Frankfurt heimgekehrt war, gab ihr
Geſchenk an die Frau Rat, die es am 25. Dezember 1807
an ihre Schwiegertochter ſandte: „Es uͤberſchickt Demoiſelle
Melina Brentano inliegendes Kaͤppchen nebſt vielen herz—
lichen Empfehlungen. Bettina iſt noch nicht hier, ſondern
in Kaſſel.“ Auf eigne Hand ging Bettina vor.
Sie ſandte von Kaſſel aus Chriſtgeſchenke an die ganze
Familie Goethe. Goethe bemerkte im Tagebuche unter dem
3. Januar 1808: „Kam die Schachtel von Bettina Bren—
tano mit den Weihnachtsgeſchenken.“ Er antwortete, am
9. Januar 1808, aus Weimar: „Ihre Schachtel kam kurz
vor Tiſche, verdeckt trug ich ſie dahin, wo Sie auch einmal
ſaßen, und trank zuerſt Auguſten aus dem ſchoͤnen Glaſe
zu. Wie verwundert war er, als ich es ihm ſchenkte! Dar—
auf wurde Riemer mit Kreuz und Beutel beliehen. Nie⸗
mand erriet, woher. Auch zeigte ich das hoͤchſt kuͤnſtliche
und zierliche Beſteck, da wurde die Hausfrau verdrießlich,
daß ſie leer ausgehen ſollte. Nach einer Pauſe, um ihre
Geduld zu prüfen, zog ich endlich den Gewandſtoff hervor,
das Raͤtſel war aufgelöft, und jedermann im Lob und Preiſe
Bettines fröhlich.” Er ſprach auch von feinem Geſchenke:
„Kunſtkenner wurden herbeigerufen, die artig Balgenden
zu bewundern, genug es entſtand ein Feſt, als wenn Sie
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eben felbft wiedergekommen wären,” und dankte für Me:
linas Gabe: „Der lieben Meline Muͤtzchen kam früher.
Ich darf's nicht laut ſagen, es ſteht aber niemand ſo gut
als ihr.“ Davon erhielt die Frau Rat auch gleich, weil
Bettina wieder in Frankfurt war, regelrechte Kunde. Sie
ſchrieb den Ihrigen am 15. Januar 1808 ſofort: „Bettine
iſt vor Freude außer ſich uͤber deinen Brief, ſie brachte mir
ihn im Triumpf — auch uͤber Herrn Riemers Verſe —
Weimar iſt ihr Himmel — und die Engel (das ganze Haus
gehoͤrt dazu) ſeid Ihr!!!“ und brachte noch gegen Ende
das Saͤtzchen nach: „Melina freut ſich ſehr, daß das Kaͤpp—
chen ſo gut iſt aufgenommen worden.“ Auf allen Seiten
hatten die Geſchenke Bettinens und Melinens die groͤßte
Freude hervorgerufen.
Einen Brief aus dem Anfang Februar 1808 ſchloß
Bettina mit den Worten: „Kuͤß mir deinen Sohn und
meine, es waͤr ich. Die Frau gruͤß ich von Herzen,“ und
denjenigen, der auf Goethes Schreiben vom 24. Februar
(nicht 2. Januar) antwortet, mit dem Zuruf: „Gruͤß Kind
und Weib.“
Die Zeit draͤngte, daß Bettina verſuchen mußte, bei der
Frau von Goethe ein gegebenes Verſprechen einzuloͤſen.
Sie ſchrieb am 23. Februar 1808 an Goethe (vergl. S. 210):
„Deiner guten Frau, die fuͤr dich ſorgt, Gruͤße! recht herz—
liche! ſag, daß ich nicht vergeſſen hab, was ich ihr in einer
Geſellſchaft bei Schopenhauer verſprach, nehmlich ihr
ein Kleid zu ſticken, daß ich ſchon die Haͤlfte beinah fertig
hab. Nur dieſe Frau von Schopenhauer ſelbſt mußte ich
ſchaͤndlicherweiſe vergeſſen mit dem Tuch, nun was iſt zu
machen, mein Miniſter [Riemer], denk ich, bekoͤmmt hier
eine ſchoͤne Gelegenheit, ſeine Negotiationsfaͤhigkeiten an
Tag zu legen, und ihr es ſo beizubringen, daß ſie nicht
verdruͤßlich auf mich wird, ich kann jetzt auch gar die Sache
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nicht ändern, denn es find keine Tücher zu haben, wie die
Dame ſie wuͤnſcht, und auf meine Beſtellungen bei den
hieſigen Kaufleuten ſind nur lauter rote angekommen, die
ihr wohl nicht behagen.“ Im April kam ſie mit der fer—
tigen Sache vor Chriſtiane (vergl. S. 210): „Erinnern Sie
ſich noch, da wir zuſammen Abends zu Frau von Schopen—
hauer gingen, ich Ihnen ſagte, daß ich dieſen Winter fuͤr
Sie ein Kleid ſticken wollte? Daß ich damals nicht gelogen,
beweiſt beikommendes Rockelein; ich hab es fo ſchoͤn ge—
macht, als mir moͤglich war, aber freilich iſt mir in dieſer
Art nicht viel moͤglich, da ich wenig Handarbeit mache, oft
ganze Jahre keine Naͤhnadel in Haͤnden hatte. Ich bitte
alſo die Arbeit mit Nachſicht zu betrachten, und es nur als
einen Beweis meines Wunſches anzunehmen, Ihnen ſo
viel Freude zu machen, als immer in meiner Gewalt ſteht.“
Und weiter unten in demſelben Briefe heißt es: „Bei—
liegende Granaten hab ich aus Salzburg noch ganz roh
erhalten, und ſie hier ſchleifen laſſen. Tragen ſie dieſelben
zu meinem Andenken; vielleicht ſehn wir uns bald wieder
einmal, da Sie alle Meß ſo leicht Gelegenheit haben koͤnnen,
Ihren einzigen Sohn hier zu ſehen.“ Die Granaten machten
noch einmal ein Nachfragen Bettinas notwendig: „Die
Frau gruͤß ich — ganz unten in die Schachtel waren
Granaten befeſtigt. Hat ſie dieſelben vielleicht nicht ge—
funden? ich hab es nicht ſelbſt gepackt und weiß nicht, ob
ſie ſichtbar waren, die Frau Mutter verſichert mich auch,
daß ſchon manchmal ſo etwas verloren ging in Schachtlen,
die ſie nach Weimar verſchickt.“
Goethes Tagebuch beſagt am 19. April 1808: „Kam
ein Kleid von Bettina Brentano an,“ und am folgenden
Tage: „An Demoiſelle Bettine Brentano, Dank fuͤr das
uͤberſendete.“ In dieſem Briefe vom 20. April 1808
aͤußerte ſich Goethe hocherfreut: „Auch geſtern wieder,
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liebe Freundin, hat ſich aus Ihrem Fuͤllhorn eine reichliche
Gabe zu uns ergoſſen, gerade zur rechten Zeit und Stunde:
denn die Frauenzimmer waren in großer Überlegung, was
zu einem angeſagten Feſt angezogen werden ſollte. Nichts
wollte recht paſſen; als eben das ſchoͤne Kleid ankam, das
denn ſogleich nicht geſchont wurde. Nehmen Sie recht
vielen Dank von uns dafuͤr. Da unter allen Seligkeiten,
deren ſich meine Frau vielleicht ruͤhmen möchte, die Schreib—
ſeligkeit die allergeringſte iſt; ſo verzeihen Sie, wenn ſie
nicht ſelbſt die Freude ausdruͤckt, die Sie ihr gemacht
haben.“ Dieſe Gabe Bettinens an Chriſtiane war alſo zur
Zufriedenheit verlaufen.
Es hieß, Goethes Frau werde bald Gelegenheit haben
koͤnnen, ihren Sohn Auguſt in Frankfurt bei der Meſſe
wiederzuſehen. Damit hat es folgende Bewandtnis. Die
Zeit war herangekommen, daß Goethe ſich entſchließen
mußte, ſeinen Sohn Auguſt auf die Univerſitaͤt zu geben.
Es wurde Heidelberg in Ausficht genommen. Zunaͤchſt
ſollte ſich Auguſt einige Zeit bei der Großmutter in Frank—
furt aufhalten. Schon am 28. Maͤrz 1808 konnte Frau
Rat dem wertgeſchaͤtzten Herrn Enkel ihre große Freude
ausdruͤcken: „Inkommodieren ſollſt du mich nicht — dein
Vater hat ja ſein Weſen drinnen gehabt — deine Mutter
ebenfalls — und du dito vor zwei Jahren. — Auf deine
Herkunft freuen ſich herzinniglich Bettina — Stocks —
Schloſſers — und noch viele andre brave Menſchenkinder.“
Das Schreiben ſchloß mit Gruß an den „lieben Vater!
ditto Mutter.“ N
Bettinen empfahl Goethe am 3. April 1808 feinen Sohn,
den Überbringer des Briefes, den ſchwarzaugigen und
braunlockigen Juͤngling: „Laſſen Sie ſeine vaͤterliche Stadt
auch ihm zur Vaterſtadt werden, ſo daß er glaube, ſich
mitten unter den Seinigen zu befinden. Stellen Sie ihn
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Ihren lieben Geſchwiſtern und Verwandten vor und ges
denken Sie mein, wenn Sie ihn freundlich aufnehmen.“
Sie hatte ſchon laͤngſt auf ihn acht gehabt. Am 23. Februar
1808 erließ ſie ihren „Gruß an unſern Sohn, er wird bald
ſein Buͤndel ſchnuͤren, nur nicht zu feſt, denn ich will ihm
bei ſeiner Durchreiſe noch einen Pack guter Lehren mit—
geben, die er auch noch hineinſchnuͤren muß.“ Nun endlich
traf Auguſt von Goethe ein. Bettina ſchrieb dem Vater
auf beſondrem Zettel: „Auguſt war heute morgen ſchon
bei allen Verwandten, Bettine war nicht zu Haus, als ſie
aber kam, beſtuͤrmten ſie alle, wegen ſeinen ſchoͤnen Augen,
beſonders die beiden jungen Frauen, die den Segen unter
dem Herzen tragen, und ihn immer anſehen wollen, um
ihren Kindern die Augen abzuſtehlen. Nun heißt es immer:
Bettine bring mir ihn, er war ſchon lang genug bei der
Schwaͤgerin u. ſ. w. Du kannſt alſo denken, daß, wenn
er auch nicht Dein lieber Sohn waͤre, um deſſentwillen
ihm alle gut find, jo würde er doch, blos wegen der Propa—
gation, auf Händen getragen. Dein Kind kuͤſt Dich, liebt
Dich, haͤlt Dich ewig feſt im Herzen.“ Und noch ein andres
Mal an den Vater: „So moͤchte ich denn heute recht mit
Zuverſicht ſchreiben, weil ich erzaͤhlen kann, wie der einzige
Sohn, ſich hier wohl und luſtig befindet; er findet ſich alle
Tage im Theater ein, welches wegen der Meſſe grade ſehr
glaͤnzend iſt. Fruͤhmorgens ſpaziert er ſchon auf den Stadt⸗
tuͤrmen herum, um die Gegend ſeiner vaͤterlichen Stadt
recht zu beſchauen. Wir ſchlendern zuſammen uͤber die
Straßen und find recht einig zuſammen, er kuͤßt mir zu⸗
weilen die Hand.“
Auch Chriſtianen enthielt Bettina Nachrichten uͤber den
Sohn nicht vor; fie ſchrieb ihr bei Überfendung des Kleides
im April 1808: „Auguſt ſcheint ſich hier ziemlich zu ge—
fallen, geſtern wurde der ‚Corſar“ gegeben, und wirklich
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zum Teil vortrefflich, wir haben einen Schauſpieler dabei,
der ſich immer in der Rolle des Kapellmeiſters uͤbertrifft,
ja wenn er vor einem Spiegel ſpielte, ſo glaub ich, wuͤrde
er immer aus ſeiner Rolle ins Erſtaunen uͤber die Macht
des Kapellmeiſter in ſeiner Perſon, und aus dieſem wieder
in ſeine Rolle uͤbergehn. Ich ſehe heut Auguſt und werde
erfahren, wie es ihm gefallen hat. Er ſchwaͤrmt zum Teil
auch auf den Stadttuͤrmen mit den Gebruͤdern Schloſſer
herum, weswegen ich bei meinen beiden Schwaͤgerinnen
oft Verdruß habe, die mich ſtets zerren, um ihn zu ſehen.
Die Urſache iſt wirklich dieſe, bewunderungswuͤrdige, daß
beide in geſegneten Umſtaͤnden ſind und ſich gern in
Auguſts Augen vertieften, um den Zukuͤnftigen dieſelbe
einzupflanzen.“ Auch ſpeiſte Auguſt einmal, wie die Frau
Rat an ihre Tochter ſchrieb, bei dem Fuͤrſtprimas mit ihr,
wobei der Fuͤrſt Goethes Geſundheit trank und ganz aller:
liebſt war.
Dies erließ Goethes Mutter am 22. April 1808, als
Auguſt nach Heidelberg abgegangen war. Auch Bettina
ſchrieb: „Auguſt iſt weg, ich ſang ihm vor: Sind's nicht
dieſe, ſind's doch andre, die da weinen, wenn ich wandre,
holder Schatz, gedenk an mich; und ſo wanderte er denn zu
den Pforten unſres republikaniſchen Hauſes hinaus; hab
ihn wahrlich auch dreimal auf ſeinen lieben Mund gekuͤßt;
hab ihn gekuͤßt zur Erinnerung fuͤr mich — an Dich.“
Und dann erinnerte ſie ſich ein paar Jahre ſpaͤter an Goethe:
„Deinen Sohn hatte fie [die Mutter] ungemein lieb. Da
er zum letztenmal bei ihr war, forſchte fie ihn aus, ob er
feinen Vater recht liebe; er ſagte ihr nun, daß all fein Ler—
nen, all ſein Tun dahin gehen ſolle, Dich recht zu ergoͤtzen,
ſie mag ſich Stunden lang mit ihm von Dir unterhalten
haben; wenn ich dazu kam, brach ſie ab. Den Tag, wo er
fortgegangen war, war ſie ſehr lebendig, ſie erzaͤhlte mir
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viel Liebenswuͤrdiges von ihm und prophezeite Dir viel
Freude. An der Katharinenpfortecke, wo der letzte Punkt
war, daß er nach ihren Fenſtern ſehen konnte, ſchwenkte
er ſein Sacktuch. Dies hatte ſie im tiefſten Herzen geruͤhrt,
ſie erzaͤhlte es mir mehr wie einmal. Als aber am andern
Tag ihr Friſeur kam und ihr ſagte, daß er am vorigen Tag
noch den jungen Herrn begegnet habe, der ihm aufgetragen,
daß er am andern Morgen die Frau Rat noch einmal von
ihm gruͤßen ſolle, war ſie gar ſehr erfreut und rechnete ihm
dieſe Liebe hoch an.“
Damit war die Sache fuͤr Bettina abgetan. Nicht ſo fuͤr
Goethe. Er hatte ſchon einmal, 20. April 1808, geſagt:
„Leben Sie recht wohl! Haben Sie tauſend Dank fuͤr die
gute Aufnahme des Sohns und bleiben den Eltern guͤnſtig.“
Jetzt aber, als Auguſt nach Heidelberg war, ſchrieb der
Vater den 4. Mai: „Da ſich nun der durchreiſende Paſſa—
gier entfernt hat, ſo iſt es billig, daß der Vater Ihnen den
beſten Dank ſage fuͤr alle das Freundliche und Gute, was
Sie ihm erzeigt haben. Ich hoffe, er wird Ihnen bis zu
Ende wert geblieben ſein. Moͤchten Sie denn nun auch,
meine liebe kleine Freundin, gelegentlich meinen Dank,
meine Verehrung unſerm vortrefflichen Fuͤrſten Primas
ausdruͤcken, daß er meinen Sohn ſo uͤber alle Erwartung
geehrt und der braven Großmutter ein fo einziges Feſt ges
geben. Ich ſollte wohl ſelbſt dafuͤr danken; aber ich bin
uͤberzeugt, Sie werden das, was ich zu ſagen habe, viel
artiger und anmutiger wenn auch nicht herzlicher vor—
tragen.“ Er dankte noch fuͤr die „ſchoͤnen Granaten“ in
ſeinem und ſeiner Frau Namen. Und am 22. Juni ließ ſich
Goethe nochmals aus Karlsbad vernehmen: „Meinem
Auguſt geht es bis jetzt in Heidelberg ganz wohl. Meine
Frau beſucht in Lauchſtaͤdt Theater und Tanzſaal.“ Er
ſchlug den Brief an ſeine Mutter ein. Nicht bekannt war
148
ihm, daß feine Frau für den Notfall Auguſt auf Bettina
verwieſen hatte.
Von Goethes Mutter war ſchon am 3. Juni 1808
Chriſtianen nach Weimar geſchrieben worden: „Bettina
iſt im Rheingau, die Gruͤße muͤſſen alſo warten, bis ſie
wiederkommt“, unter demſelben Datum auch ihrem Sohne
nach Karlsbad: „Bettina iſt im Rheingau, ſie ſoll aber all
das Gute, das du von ihr geſchrieben haſt, treulich er—
fahren.“ Dasſelbe gilt auch von ihrem Briefe am 1. Juli
1808, der die Antwort auf Goethes Schreiben vom 22. Juni
iſt: „Deinen lieben — freundlichen Brief an Bettinen habe
ich ihr noch nicht koͤnnen zuſtellen. Sie faͤhrt wie ein Irr—
wiſch bald ins Rheingau — bald anders woherum, ſobald
ſie kommt, ſoll ihr dieſes Gluͤck werden.“ Noch am
30. Juli ſandte Bettina von Schlangenbad einen Gruß fuͤr
Chriſtiane: „Die Frau und alles gruͤße ich herzlich.“ Und
in Frankfurt trat ſie wieder mit ihr bis unmittelbar vor
ihren Tod in engſte Beziehung, ſie reiſte mit Savignys
nach Bayern ab: tags nach ihrer Abreiſe ſtarb die Frau
Rat, am 13. September 1808.
Über ein Vierteljahr verging. Da richtete Bettina an
Goethe aus Landshut einen Trauerbrief, am 18. Dezember
1808, und ſchloß mit den Worten: „Ich bitte die Frau zu
gruͤßen, ſobald ich nach Muͤnchen komme, werde ich ihrer
gedenken.“ Dies Verſprechen erfuͤllte ſie ziemlich einen
Monat ſpaͤter. Sie ſchrieb dazu:
„Gerne haͤtte ich nach dem Beiſpiel der guten Mutter
mein kleines Andenken zum Weihnachten, recht praͤzis und
ordentlich, geſendet, allein ich muß geſtehen, daß Miß⸗
launen und tauſend andre Schwaͤchlichkeiten meines Ge—
muͤts mich eine Zeit lang, ganz, wie vor meinen Freunden
verpaliſadierten. Die kleine Kette war Ihnen ſchon gleich
nach dem Tod der Mutter beſtimmt, ich dachte, Sie ſollten
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dieſe in der Trauer tragen, und immer verſchob ich die
Sendung, zum Teil weil es mir wirklich unertraͤglich war,
auch nur mit der Feder den Verluſt zu beruͤhren, der fuͤr
mich ganz Frankfurt zu einer Wuͤſtenei gemacht hat. Das
kleine Halstuch hab ich noch bei der Mutter geſtickt, und
hier in den muͤßigen Stunden vollendet. Bleiben Sie mir
freundlich, erinnern Goethe in den guten Stunden an
mich, es iſt ein Gedanke von ihm an mich, mir eine ſtrah—
lende Zierde, die mein inneres Gemuͤt mehr ſchmuͤcket und
ergoͤtzet, als die koͤſtlichſten Edelſteine — Sie ſehen alſo,
welchen Reichtum Sie mir ſpenden koͤnnen. Auch fuͤr ihn
habe ich etwas, es iſt mir aber ſo lieb, daß ich es ungern
einer gefahrvollen Reiſe ausſetze, und hab ich Hoffnung,
ihn in der erſten Haͤlfte dieſes Jahrs noch zu ſehen, wo ich
es denn ſelbſt geben werde.
Erhalten Sie ſich geſund, und ſind recht luſtig in dieſem
kalten Winter. Meine Schwachheit, Ihnen Freude machen
zu wollen, behandeln Sie wie immer mit guͤtiger Nachſicht.
München d. 8. Jan. [1809] Bettine.
meine Adreſſe iſt bei Savigny Landshut
Graf Joners Hauſe.“
Mit dem Geſchenk, das Bettina ſich ſcheue einer ge—
fahrvollen Reiſe auszuſetzen, deutete ſie auf die ihr vom
Maler Epp gefertigte Kopie von Duͤrers Selbſtportraͤt.
Als immer noch keine Antwort kam, ſchrieb Bettina am
1. Februar 1809 noch einmal: „Die Frau bitt ich, herzlich
zu gruͤßen, ich weiß nicht, ob eine kleine Schachtel, die ich ihr
unter Deiner Adreſſeſchickte, verloren gegangen iſt. Bettine.“
Nun aber kam ein eigenhaͤndiger Brief von Chriſtiane:
„Meine liebe Freundin, empfangen Sie meinen Dank fuͤr
die ſchoͤnen Geſchenke, welche ich von Ihnen erhalten habe,
es hat mich außerordentlich gefreut, weil ich daraus erſah,
daß Sie wuͤrklich noch meiner gedenken. Ich war acht
150
Wochen in Frankfurt, und die gute Meline, wie auch Marie
und alle uͤbrige Freunde, haben mir viel Gutes erzeigt,
doch habe ich Ihre Gegenwart ſehr vermißt, denn in dieſen
traurigen Tagen wuͤnſchte ich ſehr eine herzliche und teil—
nehmende Freundin, die mit mir dies alles empfunden haͤtte.
Sie machen mir Hoffnung, uns zu beſuchen, der Ge—
heimerat und ich ſehen dieſen ſchoͤnen Tagen mit Freude
entgegen, nur wuͤnſchen wir, daß es bald geſchehe, da der
Geheimerat wahrſcheinlich in der Mitte Mai wieder nach
Karlsbad gehen wird, ich aber denke, bis Ende Juni in
Weimar zu bleiben. Goethe befindet ſich dieſen Winter
außerordentlich wohl, welches er doch den heilſamen Quellen
zu danken hat. Bei meiner Zuruͤckkunft kam er mir ordent—
lich juͤnger vor, und geſtern, weil große Cour an unſerm
Hof war, ſah ich ihn zum erſtenmal mit ſeinen Orden
und Baͤndern geſchmuͤckt, er ſah ganz herrlich und ſtattlich
aus, ich kann ihn gar nicht genug bewundern; mein erſter
Wunſch war, wenn ihn doch die gute Mutter noch ſo ge—
ſehen haͤtte, er lachte uͤber meine große Freude. Wir ſprechen
viel von Ihnen, er trug mir auf, Sie herzlich zu gruͤßen,
ſowie auch den Herrn von Savigni und ſeine Frau; unſere
beiden Wuͤnſche ſind, Sie alle bald bei uns zu ſehen, dieſes
Mal aber muͤſſen Sie ſich gefallen laſſen, bei mir zu logie—
ren, ich will es Ihnen ſo bequem machen, als ich kann.
Leben Sie wohl und denken mein. C. v. Goethe.“
Es mag fraglich ſein, ob der Brief nicht unter Anteil—
nahme Goethes entſtanden iſt. Daß er beteiligt an dem
Schriftſtuͤck war, zeigt die Adreſſe, die ſeine Hand auf die
Ruͤckſeite des Blattes geſetzt hat, und die lautet: „An De—
moiselle Bettine Brentano bey Herrn von Savigni
in Graf Joners Hause Landshut. franc.“: die allein
der Nachſchrift Bettinens im Originalbriefe an die Frau
von Goethe, Muͤnchen 8. Januar, entſtammen konnte.
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Goethes auffällige Schreibung „Savigni“ erſcheint auf
der Adreſſe ebenſo wie in dem Briefe ſeiner Frau. In
dem Briefe heißt es: „Ich war acht Wochen in Frank-
furt .. doch habe ich Ihre Gegenwart ſehr vermißt“; in
gleicher Weiſe ſchreibt Goethe aber ſelbſt ſpaͤter Bettinen
am 22. Februar 1809: „Meine Frau war dort [in Frank—
furt] .. doch hat fie dich recht eigentlich vermißt.“ Wir
haben es wohl in weſentlichen Stuͤcken mit einem Briefe
Goethes zu tun. Doch wie dem ſei, fuͤr die fehlende Datie—
rung kommt in Betracht der Satz: „geſtern weil große
Cour an unſerm Hof war“; das würde auf den 3. Fe:
bruar hinweiſen, wo in Goethes Tagebuch ſteht: „Abends
Redoute und Maskenaufzuͤge.“ Alſo haben wir Chriſtianens
Brief auf den 4. Februar anzuſetzen, wozu ſtimmt, daß
Bettina am 10. Februar an Arnim berichtete: „Goethes
Frau hat mir geſchrieben, einen recht freundlichen Brief,
er laͤßt mich einladen, zu ihm zu kommen und bei ihm zu
wohnen, bis in Mitte Mai, wo er wieder nach Karls bad
geht.“
Am 22. Februar 1809 ſchrieb nun auch Goethe ſelbſt:
„Eine Dankſagung meiner Frau wird bei dir ſchon einge—
laufen ſein, deine unerwartete Sendung hat unglaubliche
Freude gemacht und iſt jede einzelne Gabe gehoͤrig bewun—
dert und hochgeſchaͤtzt worden. — Dieſe Gute [meine
Mutter] iſt nun von uns gegangen und ich begreife wohl,
wie Frankfurt dir dadurch veroͤdet iſt. Meine Frau war
dort, es iſt ihr wohl gegangen, doch hat ſie dich recht
eigentlich vermißt, dagegen hat ſie dein Andenken von
Muͤnchen her gar ſehr erfreut. — Meine Frau, hoͤre ich,
hat dich eingeladen, das tu ich nicht, und wir haben wohl
beide recht. Lebe wohl, gruͤße freundlich die Freundlichen
und bleib uns Bettine. Adieu!“ Bettina aber bemerkte in
ihrem originalen Briefe vom 8. Maͤrz 1809: „Die Frau
152
bitt ich zu grüßen herzlich und ihr zu danken fuͤr den lie:
ben Brief.“
Die gelegentliche Erwaͤhnung der Frau von Goethe durch
Bettina ging weiter. Den Schluß des Briefes vom 16. Juni
1809 unterzeichnete ſie: „Bettine — bleib ihr gut, ſchreib
ihr bald, gruͤß auch deine Frau von mir.“ Ein andres Mal
im Sommer: „Die Frau gruͤß und kuͤſſe ich von Herzen,
ſie ſoll meiner nicht vergeſſen.“ Dann aber kam eine wich—
tigere Anfrage und Bitte. Bettina hatte die Duͤrerkopie
nach Weimar geſchickt, ohne Nachricht darauf zu er—
halten. Etwa Anfang September fragte ſie bei Goethe an:
„Jetzt hab ich noch eine geringe Frage, aber ſie gilt mir
viel, denn ſie ſoll mir eine Antwort eintragen. Nehmlich:
Haſt Du das Portrait von Albrecht Duͤrer, welches ich
ſchon vor ſechs Wochen an Dich abſchicken laſſen, erhalten?
wo nicht, ſo bitte ich, laſſe doch in Weimar an dem Ort
nachfragen, wo die Fuhrleute ihre Guͤter hinbringen; wenn
Du nicht, ſo antwortet mir wohl die gute Frau, die ich
herzlich grüße und fie bitte, meiner nicht zu vergeſſen, da—
mit ich einen feſten Mittler habe, bei dem den ich lieb habe,
unter der Sonne; auch von unſerm Sohn, von dem ich
ſeit langem nichts gehoͤrt hab, moͤchte ſie mir ein paar
Worte ſchreiben, ich wuͤrde es ihr recht ſehr Dank wiſſen.“
Statt der Frau ſchrieb er ſelbſt zweimal, aus Jena den 11.
und 15. September; erſt war das Bild irre gegangen,
dann aber war es in Weimar wirklich angekommen:
„Meine Frau gruͤßt aufs beſte. Auguſt kommt Anfang
Oktober von Heidelberg zuruͤck, wo es ihm ganz wohl ge—
gangen iſt.“ Und am 19. Oktober aͤußerte ſie: „Dann
bitte ich an die Frau meinen lieblichſten Gruß und Um—
armung; des Sohns gedenke ich auch.“
„Und iſt die Schachtel fuͤr die Frau angekommen?“
fragte Bettina gegen Weihnacht. Sie fagte noch am 13. De—
153
zember: „Die Frau grüß ich herzlich! Dem Sohn bin ich
hold. Alles iſt mir wert, was dein iſt“. Goethe ſetzte ſtatt
feiner Frau die Feder an, den 5. Februar 1810: „Deine
Schachtel, liebe Bettine, iſt wie eine Gluͤcksbombe ins
Haus gefallen und hat einen herrlichen Effekt getan. Meine
Frau mag dir ſelbſt ſchreiben, wie verlegen ſie um ein
Maskenkleid geweſen und wie erfreut ſie bei Eroͤffnung
der Schachtel war.“ Chriſtiane hat aber, wiewohl es Goethe
anzeigte, nicht geantwortet.
In fernerer Zeit geſchah es nur einmal „im Maͤrz oder
April 1810”, daß Bettina die Frau und den Sohn er—
waͤhnte. Dann aber fand, auf der Reiſe mit Savignys nach
Berlin, ihr Wiederſehn mit Goethe in Teplitz ſtatt, vom
9. bis 12. Auguſt 1810. Nach dem Tagebuche ging er mit
Bettina, am 11. Auguſt, im Park ſpazieren, und ſie gab
ihm eine umſtaͤndliche Erzaͤhlung von ihrem Verhaͤltnis zur
Guͤnderode, dem Charakter dieſes merkwuͤrdigen Maͤdchens
und ihrem Tod. Was aber von Goethe hier fortgelaſſen
war, ſchrieb er noch am ſelben Tage ſeiner Frau: „Vor
allen Dingen muß ich dir ein Abenteuer erzaͤhlen. Ich war
eben in ein neues Quartier eingezogen und ſaß ganz ruhig
auf meinem Zimmer. Da geht die Türe auf und ein rauen
zimmer kommt herein. Ich denke, es hat ſich jemand von
unſern Mitbewohnern verirrt; aber ſiehe, es iſt Bettine,
die auf mich zugeſprungen kommt und noch voͤllig iſt, wie
wir ſie gekannt haben. Sie geht mit Savignys nach Berlin
und kommt mit dieſen auf dem Wege von Prag her hier
durch. Morgen gehen ſie wieder weg. Sie hat mir Unend—
liches erzaͤhlt von alten und neuen Abenteuern. Am Ende
geht es denn doch wohl auf eine Heirat mit Arnim aus.“
Und gleich zwei Tage ſpaͤter, am 13. Auguſt: „Bettine iſt
geſtern fort. Sie war wirklich huͤbſcher und liebenswuͤrdiger
wie ſonſt. Aber gegen andre Menſchen ſehr unartig. Mit
154
Arnim iſt's wohl gewiß.“ In Goethes Begleitung war Nie:
mer, der ſich enttaͤuſcht zu Frommanns aͤußerte: „Geſtern
12. Auguſt 1810] befuchten uns Savignys und Bettine,
die nach Berlin reiſen. Sie iſt noch ſo klug und unklug wie
ſonſt und gleich unbegreiflich.“ Alle dieſe Mitteilungen
wieſen ſchon auf das Bevorſtehende und wirklich Eintre—
tende hin. Faſt ſieht es aus, als wenn Goethes wieder—
holter Schlußſatz uͤber Arnim ſeine Begegnung mit ihr ver—
ftändlicher machen ſollte.
Es kam auch von Bettinen die Nachricht ihrer Verlobung
mit Arnim am 4. Dezember 1810. Sie ſandte fuͤr Chriſtiane
ein Geſchenk: „Der Frau das kleine Andenken, mit meiner
Umarmung und Gluͤckwunſch zum Neuen Jahr, und ſetzte
noch am Schluſſe hinzu: „Gruͤß die Frau nur recht herzlich
von mir — es iſt ihr doch niemand ſo von Herzen gut wie
ich; fie ſoll mir's auch fein,” Anders benahm ſich Bettina,
um es einmal zu erwaͤhnen, Riemer gegenuͤber, dem ſie in
etwas uͤbermuͤtiger Laune ſagte: „Dem Herrn Riemer die
ungemachte Weſte, ſeine Vollkommenheit hat mich in Tep—
litz zu ſehr geblendet, als daß ich mir das rechte Maß haͤtte
denken koͤnnen; die Vorſtecknadlen ſeien hierzu geſchmacklos,
als daß ich ihm eine haͤtte ſchicken moͤgen, aber lauter und
lauter Vergißmeinnicht in der Weſte; er mag nicht wenig
ſtolz darauf ſein. Sollte ſein Geſchmack noch nicht ſo weit
gebildet ſein, ſie ſchoͤn zu finden, ſo ſoll er nur auf mein
Wort glauben, daß ihn alle Menſchen darum beneiden
werden, noch muß ich erinnern, daß ſie als Unterweſte ge—
tragen wird. Nun, er wird mir gewiß ſchreiben und wird
ſich bedanken.“ Goethe, der vergebens Antwort von Riemer
in Ausſicht ſtellte, uͤbernahm wieder, Bettinen, ſtatt ſeiner
Frau, zu danken, Jena 11. Januar 1811: „Du erſcheinſt
von Zeit zu Zeit, liebe Bettine, als ein wohltaͤtiger Genius,
bald perfönlich, bald in allerlei guten Gaben. Auch diesmal
155
haft du viel Freude angerichtet, wofür dir der ſchoͤnſte
Dank von uns allen abgetragen wird. — Und nun lebe
wohl und habe nochmals Dank fuͤr die warme Glanzweſte.
Meine Frau gruͤßt und dankt zum ſchoͤnſten.“ So ließ ſie
Gruß und Geſchenk an die Frau durch Goethe gehen, ohne
von ihr eine Antwort zu erwarten. Im Mai des Jahres
1811 zeigte ſie Goethe ihre Verheiratung mit Arnim an
und fragte: „Noch eins, lieber Herr; was macht unſer
Sohn, bleibt er ſo ſchoͤn als da ich ihn zum letztenmal ſah,
ich wuͤnſchte ſehr nicht ganz von ihm vergeſſen zu ſein,
denn es koͤnnte ja kommen, daß ich ihn wo traͤfe, wo du
nicht biſt, und wenn er dann Zutrauen zu mir hat, wird
er mit mir von dir ſprechen,“ und ſagte zuletzt in dem
Briefe: „Die Frau gruͤß ich.“ Damit iſt das, was ſchrift—
lich an und von Chriſtiane heute vorliegt, beendet.
Aber es kam noch zu voͤlligem Bruche zwiſchen beiden
Frauen. Das jung verheiratete Paar von Arnim ruͤſtete ſich
naͤmlich zur Reiſe in die Frankfurter Heimat. Vorher woll—
ten fie Goethe zu feinem Geburtstage 1811 beſuchen. Des—
halb wandte ſich Arnim an Riemer, mit der Bitte, ihnen in
einem Privathauſe nicht weit von Goethe ein Unterkommen
zu beſchaffen. Er fuͤgte die Bitte bei, „unſerm Goethe nichts
davon zu ſagen, meine Frau wuͤnſchte ihn mit ihrer Gegen—
wart zu feinem Geburtstage zu überrafchen, Sie erſparen
ihm durch dieſes Verſchweigen allerlei Zweifel, denn da
er ihr ſein Haus bei einem Beſuche in Weimar mehrmals
angeboten, ſo wuͤrde ſeine Guͤte jetzt vielleicht in Verſuchung
kommen, dieſen Vorſchlag auch auf mich auszudehnen,
was ſeinem Hauſe in jedem Falle laͤſtig waͤre, auch wir
werden dagegen verſchweigen, daß Sie die Guͤte gehabt
haben, uns ein Unterkommen in Weimar zu verſchaffen,
wo die Teuerung der Wirtshaͤuſer jeden laͤngeren Aufent—
halt verleidet. Wir werden tun, als wenn ſich alles bei
156
unferer Ankunft von ſelbſt gefunden hätte.“ Nach dieſen
Vorverhandlungen bezogen Arnims ein weimarifches
Quartier.
Das Wiederſehen mit Goethe war ungemein herzlich.
Am 25. und 26. Auguſt 1811 „kamen Arnims“, mit denen
er ſich unterhielt, und die er zum Mittag- und Abendeſſen
gleich am zweiten Tage bei ſich und den Seinigen behielt.
Den naͤchſten Tag ſpeiſte Arnim allein bei Hofe, waͤhrend
Bettina zu Hauſe blieb, da ſie ſich nicht wohl fuͤhlte. Den
Geburtstag Goethes, den 28. Auguſt, feierten mit den
Seinigen Arnims und Hofrat Meyer zu Mittag, und abends
kam man wieder zuſammen. Gegen Abend des 29. er—
ſchienen bei Goethe und ſeiner Frau die Damen von Stein,
Schiller, Wolzogen, Egloffſtein und Arnims; eine Folge
der Geſpraͤche mit Betting wird ſein, daß Frau von Stein
am folgenden Tage die Poeſien der Guͤnderode von Goethe
erhielt. Den 30. Auguſt waren Arnims wieder bei Goethes
zu Tiſche.
Den Abend des 1. September verbrachte Goethe mit
Arnims im Roͤmiſchen Hauſe. Waͤhrend Goethes Haus—
damen am 2. September einen Ball beſuchten, blieb
Bettina bei ihm und erzaͤhlte nach ihrer Weiſe. Arnim
nahm am 4. September mit dem Hauptmann von Beul—
witz am Mittageſſen teil, handelte nach Tiſche Verſchiedenes
mit Goethe ab und ſah noch ſeine Frau dazukommen. Am
5. September machte er Arnims den Gegenbeſuch; am
6. empfing er die Frau von Arnim und vernahm Erzaͤh—
lungen von ſeiner Mutter. Wieder war folgenden Tages
Arnim allein zum Eſſen; erſt am Abend kam Frau von
Arnim und erzaͤhlte ihre Geſchichten mit Ludwig Tieck
waͤhrend ſeines Muͤnchener Aufenthalts, indem der klarſte
Sternhimmel und große Deutlichkeit des Kometen ihnen
leuchtete (auch nach Riemer). Nach Tiſche des folgenden
157
Tages, des 8. Septembers, fanden ſich Frau von Arnim
und Hofrat Meyer bei Goethes ein — zum letzten Male
auf lange Zeit, fuͤr Bettina!
Was war geſchehen? In Goethes Tagebuch völliger
Schluß. Kein einziges Wort von ſeiner Seite. Nur auf
anderen Wegen laͤßt ſich nachkommen.
Hofrat Meyer veranſtaltete eine Bilderausſtellung, die
Goethe ſelbſt am 3. September 1811 in Augenſchein nahm.
Es folgte der Beſuch der Frauen, nach dem 8. dieſes Monats.
Doch hören wir den von Riemer (auch in feinen ‚Mit:
teilungen“) gegebenen Bericht in Freſes Überfegung von
Lewes' ‚Leben und Schriften Goethes“ (1857. 2, 203):
„Eines Tages ging Bettina mit Goethes Frau nach der
Kunſtausſtellung, fuͤr die ſich Goethe ſehr intereſſierte;
ihre boshaften Bemerkungen, namentlich uͤber Heinrich
Meyer, verletzten Chriſtiane, die ihr ſcharf darauf diente.
Es kam zum Wortwechſel und endlich zu groͤblicher Be—
leidigung. Goethe nahm ſeine ſchwer gekraͤnkte Frau in
Schutz und verbot Bettinen ſein Haus. Vergebens bat ſie
bei einem folgenden Beſuche Goethen um eine Zuſammen—
kunft; er war entſchloſſen; er hatte einem Verhaͤltniſſe,
welches nicht Freundſchaft ſein konnte, ſondern nur Ver—
legenheiten brachte, fuͤr immer ein Ende gemacht.“ Es war
dies offenbar eine mißguͤnſtige Darſtellung fuͤr Bettina
oder eine guͤnſtige fuͤr Chriſtiane, mit dem richtigen Er—
gebnis, daß Goethe, wenn auch nicht fuͤr immer, ſo
doch fuͤr die Lebenszeit ſeiner Frau, den Verkehr mit Betti—
nen aufgegeben habe.
Anders aber lauten die Zeugniſſe der Frau von Stein
und von Schiller, die ja in Bettinens Geſellſchaft geweſen
waren. Die Frau von Stein ſcheint brieflich vermittelt zu
haben, worauf Goethe antwortete, da er ſich ſelbſt, d. h.
ſeine Biographie, anbiete, ſo werde er ja wohl wegen jenes
158
Briefchens einigen Aufſchub erhalten, bis er mit freiem
und frohem Mute der Anweſenden wieder gedenken koͤnne.
Klarer iſt die Mitteilung der Frau von Schiller an die Erb—
prinzeſſin Karoline von Mecklenburg-Schwerin, der ſie am
19. September uͤber Bettina ſchrieb: „Sie liebt den Meiſter
auf eine ruͤhrende Weiſe, aber denken Sie nur, daß ihr die
dicke Hälfte das Haus verboten, de but en blanc eine
Zaͤnkerei in der Ausſtellung angefangen und ihr geſagt
hat, fie würde fie nicht mehr ſehen u. |. w. Die Bettina iſt
eigentlich blos des Meiſters wegen hier, freute ſich auf ihn,
ſehnte ſich ihn zu ſehen, und ſeit dieſem Vorfall nimmt er
auch keine Notiz von ihr. Sie hat ihm vorgeſtern ge—
ſchrieben, geſagt, ſie wolle der Frau ihr Betragen ganz
vergeſſen, er wuͤrde ihr immer lieb bleiben, und er ant—
wortet nicht!“ Jedenfalls Bettinens Schreiben an Goethe
iſt nicht aufgetaucht; Arnims waren noch am 19. Sep—
tember in Weimar und Bettina bei Frau von Schiller, zu
der auch Arnim ein gutes Verhaͤltnis hatte. Was Bettina
uͤber Chriſtiane gedacht oder geſagt hat, daruͤber iſt man—
cherlei aufbewahrt. Es ſtimmt zu dem, was ſie ein Jahr
ſpaͤter ausgeſprochen hat, wie Marie Helene von Kuͤgelgen
(deren Lebensbild S. 177) erzaͤhlt: „Als Bettina vor einem
Jahre den heftigen Streit mit der Goethe hatte, der ſo viel
Aufſehen machte, hat ſie in ganz Weimar erzaͤhlt: es waͤre
eine Blutwurſt toll geworden und haͤtte ſie gebiſſen. Und
wirklich ſoll die Goethe keinem Ding ſo aͤhnlich ſehen als
einer Blutwurſt.“ Auf dieſes letzte Wort kommt es an; es
pflanzte ſich auch in Bettinens Familie fort. An die Tante
Zimmer ſchrieb Wilhelm Grimm aus Kaſſel 7. Maͤrz 1812,
nachdem ihnen Arnims im Januar 1812 auf der Heimreiſe
einen Beſuch gemacht hatten: „Die Geſchichte von Goethes
Frau wußt ich wohl, es iſt eine gemeine Perſon, das ſagt
ich Ihnen ſchon damals, wie ich ſie geſehen hatte. Die Frau
159
von Arnim hat ihr eine Ehre angetan, wenn fie mit ihr
geſprochen; fie hat mir alles ſelber erzaͤhlt.“
Von unbedeutenden Urteilen uͤber den Streit abgeſehen,
ſei bloß noch die Meinung Goethes von 1812 erwaͤhnt,
die er Chriſtianen aus Teplitz ein wenig rauh ausſprach:
„Von Arnims nehme ich nicht die mindeſte Notiz, ich bin
ſehr froh, daß ich die Tollhaͤusler los bin.“ Indeſſen iſt
Goethe nicht dieſer Anſicht verblieben.
Arnim aber ſchrieb, vor dem Abſchied 1811 von Weimar,
an Goethe (aus der Kladde hergeſtellt):
„Empfangen E. E. bei meiner auf morgen beſtimmten
Abreiſe den innigſten Dank fuͤr alle Zeichen Ihrer Guͤte
gegen mich und meine Frau. Es bedarf keiner Verſicherung,
wie leid es mir getan, daß die oͤffentlichen Schimpfreden,
welche die Frau Geheimeraͤtin uͤber meine Frau ergoſſen,
und die Folgen derſelben auf die Geſundheit meiner Frau
und auf das Stadtgeſpraͤch eine Trennung des Umgangs
in den letzten Tagen notwendig machten. E. E. koͤnnten mir
vielleicht heimlich den Vorwurf machen, daß ich durch
zweckmaͤßige Beruhigung zur rechten Zeit die fatale Scene
auf der Ausſtellung haͤtte hindern ſollen, ich kann mich
dagegen leicht rechtfertigen. F. v. Pogwiſch iſt mein Zeuge,
daß ich bis zu dem laͤrmenden Auszuge der Frau Geheime—
raͤtin aus den Zimmern nichts ... vernommen — fie hatte
vorher wiederholt mit uns allen bei Laͤcherlichem gelacht —
weil ich im Nebenzimmer ſtand, meine Frau fand ich dar—
auf bleich und zitternd wieder zwiſchen einer Menge Un—
bekannten, die ſich teilnehmend um ſie bemuͤhten und ſie
ausfragten. Es war alſo nichts zu machen, als meine Frau
eilig aus der neugierigen Menge herauszufuͤhren und durch
eine Bewegung den Schrecken zu vertreiben. Es tat mir
leid, daß meine Frau nicht fruͤher meiner Warnung gefolgt
war, dem heimlichen Groll der Frau Geheimeraͤtin aus
160
dem Wege zu gehen, den ich ſchon mehrmals deutlich bes
merkt hatte; ich hoffe indeſſen die beſte Wirkung dieſer
Erfahrung auf ihre kuͤnftige Klugheit, ſie hat naͤmlich eine
ungemeine Bequemlichkeit in der Verteilung ihres natuͤr—
lichen Wohlwollens, ohne zu beachten, ob es den Be—
guͤnſtigten nicht mehr hinderlich in ihrem Treiben als er—
ſprießlich ſei. Auch ich, der viel lebendigere kindliche An—
haͤnglichkeit an E. E. hatte, ich [hatte] bei meiner Frau
dieſelbe Beſorgnis, ich weiß es, wie ich mit dergleichen
fruͤher angelaufen bin, und ſo laſſen auch E. E. eben ihre
Geſinnungen [2] auf den Boden fallen; indem Sie ihren
freundlichen [2] Briefen und Sendungen [2] Intereſſe
ſchenkten, machte [2 fie ſich ein Bild von unwandelbarer
Liebe fuͤr ſie, das ihr gleichſam von Geſchlecht zu Geſchlecht
als eine Forderung des Gemuͤts und der Pflicht angeboren
und zugewachſen waͤre, was in E. E. vielleicht nur eine
voruͤbergehende Ruͤhrung uͤber etwas Vergangenes, eine
Verwunderung uͤber die eigne (ſehr ſchaͤtzbare) Natur meiner
Frau war und alſo hier bei dem kleinſten Hinderniſſe auf—
gegeben werden mußte. Nehmen E. E. dieſe Bemerkungen
als keinen Vorwurf, kein Menſch kann verpflichtet ſein,
eine Freundſchaft zu heucheln, im Gegenteil hat Ihr durch—
aus offenes Benehmen ohne zu beleidigen das Falſche und
Halbwahre in der Geſinnung meiner Frau ausgeloͤſcht. An
ſolchem Mißverſtaͤndnis iſt nichts zu tadeln, aber viel zu
loben, es kommt aus dem Herrlichſten und Beſten, aber
Wahrheit geht uͤber jedes Mißverſtaͤndnis. Gern druͤckte
ich E. E. noch die verehrte Hand, aber ich moͤchte Ihnen nicht
laͤſtig fein, Aufträge nach F(rankfurt) erfuͤlle ich gern, die
Farbenlehre und den D.. ſende ich mit Dank zuruͤck und
empfehle mich mit unwandelbarer Hochachtung und Er—
gebenheit.“ Goethe hat nicht auf das Schreiben geant—
wortet, er ſcheint es auch vielleicht vernichtet zu haben.
161
Riemer erhielt ebenfalls „morgen oder übermorgen”
vor der Abreiſe von Arnim Nachricht. Er wuͤrde ihm gerne
danken fuͤr alle Freundlichkeit: „Haben Sie noch einen
Augenblick, ſo wird mir Ihr Beſuch willkommen ſein, ich
kann nicht gut zu Ihnen kommen, weil ich der Frau Ge—
heimeraͤtin nach ihrem abſcheulichen Ausſchimpfen meiner
Frau auf der Gemaͤldeausſtellung nicht ohne Ingrimm
begegnen kann.“ Riemer kam auch, traf aber Arnim nicht,
ſondern nur ſeine Frau, die ihm den Hergang der Sache
erzählte. Aber einen Monat ſpaͤter, am 28. Oktober 1811,
ſchrieb Arnim noch einmal an Riemer, mit groͤßerer Ruhe
im ganzen: „Daß es Goethe leicht geweſen waͤre, ohne
ſeiner Frau etwas zu vergeben, meine Frau fuͤr ihre lang—
gehegte fromme Anhaͤnglichkeit troͤſtend zu belohnen und
mit ein paar Worten für die erlittene Kraͤnkung zu ent-
ſchaͤdigen, wird Ihnen eingeleuchtet haben .. Gern hätte
ich ihm am Hofe noch ein paar Worte zum Abſchiede ge—
ſagt, er vermied es aber, ungeachtet er mich freundlich be—
gruͤßte.“ Das wuͤrde wahrſcheinlich am 17. September
1811 geweſen ſein.
Im Januar 1812 kehrten Arnims heim. Ihr Weg fuͤhrte
ſie uͤber Weimar, Bettina meldete Goethe ihre Ankunft.
Sie erhielt keine Antwort. „Da mir nun,“ ſchrieb fie Rie⸗
mer, „die Hoffnung genommen iſt, ſein Wohlwollen,
welches ich ſo unverſchuldeter Weiſe verloren habe, wieder
mit in die Heimat zu nehmen, ſo haͤtte ich doch gern noch
Sie geſprochen, als welcher gewiß nie an der Hochachtung
und Liebe, die ich zu Goethe habe, zweifelt.“ Sie wuͤnſche,
Epps Kopie des Duͤrer wiederzuhaben. „Es iſt ihm viel—
leicht gar lieb, es jetzt aus den Augen zu haben, da er mich
nicht mehr mag. Einen ſolchen Fall hab ich mir nie als
moͤglich gedacht, und gar bei einer Reiſe, die aus Liebe zu
ihm gemacht wurde, jetzt da ich nicht mehr tun kann, was
162
ihn freut, fo muß ich doch unterlaſſen, was ihm leid tun
koͤnnte, daher werde ich Weimar gewiß nicht wieder ſehen
außer auf ſein Geheiß.“ Arnim ſetzte dem Briefe ſeiner
Frau an Riemer hinzu: „Ich wuͤrde Ihnen meinen Dank
[für den nachgeſchickten Pelz! mündlich abgeſtattet haben,
wenn mich nicht einerſeits das gaͤnzliche Schweigen Goethes
auf den Brief meiner Frau, worin ſie ihm unſern Beſuch
anſagte, andrerſeits allerlei Verlaͤumdungen der Frau Ge—
heimraͤtin, die mir hier wieder zu Ohren gekommen, davon
abhielte, das einſt mir ſo freudige, ſo beſonders verehrte
Haus mit dem ſchoͤnen Eingange, der ſanft anſteigenden
Treppe, welche Goͤtter und Halbgoͤtter bewachen, wieder
zu betreten — — ſeine Schriften gehoͤren mir wie der
ganzen Welt, er mag ſie mir goͤnnen oder nicht.“ Die
Briefe hat Goethe doch geleſen oder inhaltlich zur Kennt—
nis genommen. Denn bald iſt das Bild an Bettina zuruͤck—
gegeben worden, dann von Giſela und Herman Grimm,
ſolange ſie lebten, bewahrt worden, bis ich es nach dem
Tode des letzteren nach Weimar zuruͤckgeben konnte.
Iſt nun aber auch Bettina aus Goethes Hauſe ver—
ſcheucht geweſen, bis zu dem Termine, wo Frau von Goethe
ſtarb, 1816: es kam doch die Zeit, wo Bettina wieder ein—
treten durfte und alles Vergangene verſchwunden war. Sie
wie Arnim trafen wiederholt bei Goethe ein, und einer der
letzten Beſucher war ihr aͤlteſter Sohn Freimund. Bettina
aber bewahrte, ſolange ſie lebte, das Gedaͤchtnis Goethes.
163
Mitteilungen
aus dem
Goethe- und Schiller-Archiv
ee
i ce 8 A |
Brief Goethes an die Univerſitaͤt Warſchau
Herausgegeben von Julius Wahle
An eine verehrliche Koͤnigl. Alexander Univerſitaͤt in
Warſchau.
Eine verehrliche Koͤnigl. Alexander Univerſitaͤt in War—
ſchau hat die beſondere Gefaͤlligkeit gehabt dem Großherz.
Muͤnzkabinet in Weimar eine bedeutende Anzahl polniſcher
Muͤnzen zu verehren.
Der Wunſch hiernach war ſehr beſchraͤnkt, indem man
nur einige Luͤcken im Allgemeinen auszufüllen gedachte;
die Sendung jedoch enthaͤlt eine ſo vollſtaͤndige Samm—
lung daß wir ein neues Capitel in unſern Catalogen ein—
zufuͤhren im Falle ſind.
Wie wir nun deshalb jederzeit dieſer Schenkung dankbar
gedenken werden, ſo haͤtten wir nichts mehr zu wuͤnſchen
als dagegen irgend etwas Gefaͤlliges erzeigen zu koͤnnen.
Die ihm untergeordnete Anſtalt und ſich ſelbſt fuͤr die Zu—
kunft empfehlend unterzeichnet ſich hochachtungsvoll
Weimar d. 19. Aug. 1830.
Geneigteſt zu gedenken.
In einer neu angelegten kleinen, aber zu dem groͤßern
Großherzogl. Muͤnzkabinet gehörigen Sammlung von Eur:
rent Muͤnzen, beſonders neuerer Zeit, merkwuͤrdig durch
den Wechſel der Souveraͤnitaͤten und des bald hervortreten—
den, bald wieder beſeitigten Muͤnzregals, fehlt eine gewiſſe
Folge der polniſchen Currentmuͤnzen ganz. Von Stanislaus
167
Auguſtus ift noch ein Thaler vorhanden, von da aber nichts
weiter.
Koͤnnte man von jener Epoche an dergleichen Current—
muͤnzen hoͤheren oder geringeren Werthes erhalten, ſo wuͤrde
man ſolches dankbar anerkennen, auch gern dafuͤr die Aus—
lage erſtatten. Beſonders wuͤnſchte man dergleichen von
der Gründung des neuen Königreichs unter Alexander I
und, in Gefolg deſſen, von dem heutigen Allerhoͤchſten
Souveraͤn, es ſeyen nun Thaler oder kleinere Muͤnzen.
-
Konzept von Johns Hand auf einem Foliobogen, enthalten in
einem dem Großherzogl. Staatsarchiv gehörigen Faszikel „Das
Ordnen des Großherzogl. Muͤnzkabinets betr. 1822-1829 in:
gleichen eine anzulegende Muͤnz- Sammlung der neuſten Zeiten
1830-1831“ (A 116282). Dankſchreiben an die Königliche
Alerander-Univerfität in Warſchau für polniſche Münzen, die fie
auf Anſuchen von Weimar aus am 1. Juli 1830 für das Groß:
herzogl. Muͤnzkabinett geſandt hatte. Die Niederſchrift „Geneigteſt
zu gedenken“, gleichfalls von Johns Hand in demſelben Faszikel,
duͤrfte wohl ein an den Großherzog Carl Friedrich oder an den
Staatsminiſter v. Fritſch gerichteter Bericht fein, auf Grund deſſen
das Anſuchen an die Warſchauer Univerſiaͤt erfolgte.
168
Beiträge zur Würdigung Goethes im
Ausland
Herausgegeben von Julius Wahle
1. Zwei Briefe von Victor Couſin an Goethe
Je prends la liberté d’adresser au grand maitre l'œu-
vre d'un ecolier. Ce volume ne peut interesser Goethe
que comme un ouvrage improvise, et peut-etre aussi
comme un symptome de ce qui se passe en France.
Le porteur de ce billet est un de mes amis, artiste du
plus grand merite, qui vient solliciter de Goethe la
permission de faire un nouveau chef d’&uvre. C'est un
ambassadeur que Paris envoye a Weymar; mais je
n’ai-pas la pretention de lui signer ses pouvoirs, et
je ne me permets que de me recommander moi m&me
au souvenir et à l’indulgence de l’illustre ami.
11 Aout 1829 Victor Cousin
‚Je prends la liberté, Monsieur, de vous presenter un
de mes amis, Monsieur Girardin, un des redacteurs du
Journal des Debats, qui voyage en Allemagne pour
son instruction et qui desire saluer le patriarche de la
literature allemande. Cette affluence de mes jeunes
compatriotes vers l’Allemagne et Weymar est un des
symptomes de la revolution qui s' opère dans le gout
Francais. Cette revolution marche, comme toutes les
revolutions, de travers en apparence, et en realite re-
gulierement. Nous en sommes à 93; il faut esperer que
169
nous finissons par la Charte. — Savez-vous que Meur
Ampere fait un cours sur la Poesie du Nord à Mar-
seille? Savez-vous que ce cours ale plus grand sucees,
et que sous le ciel bleu de notre Midi et aux bords de
notre belleMediterranee il n'est question quedel’Edda
et des Niebelungen? Il est decidé que l'Allemagne est
pour la France au 19 me siecle ce que l’Angleterre a
été pour elle au 18 me.
Je me hate de faire place à Monsieur Girardin et de
rappeller a votre bienveillance un de vos plus fideles
et devoués admirateurs.
5 avril 1830 Victor Cousin
P. S. Le buste que David a été chercher & Weymar
écrase de sa grandeur simple et calme tous les bustes
environnants; et le pauvre artiste dans sa reconnois-
sance veut que je vousrapporte l’admiration d’emprunt
que son ouvrage excite.
V. U.
2. Zwei Briefe von Walter Scott an Goethe
Venerable and much respected Sir
I received your highly valued token of esteem by
Mr. Henderson and have been rarely so much gratified
as by finding that any of my productions have been
fortunate enough to attract the attention of Baron
von Goethe of whom I have been an admirer ever since
the year 1798 when I became a little acquainted with
the german language and soon after gave en example
at once of my good taste and consummate assurance
by an attempt to translate Baron von Goethe’s Goetz
von Berlichingen, entirely forgetting that it is neces-
sary not only to be delighted with a work of genius
170
but to be well acquainted with the language in which
it is written before we attempt to communicate its
beauty to others. I still set a value on my early trans-
lation however because it serves at least to show that
Iknew how to select an object worthy of admiration
although from the terrible blunders into which I fell
from imperfect acquaintance with the language it was
plain I had not adopted the best way of expressing
my admiration. Ihave heard of you often from my son
in law Lockhart a young man of considerable emi-
nence in literature who many years since and before
his marriage connected him with my family had the
honour of being presented to the father of German
literature. It is impossible you can remember any in-
dividual admirer among the numbers who must be de-
sirous of paying homage to you but I do not believe
you have a more devout one than this young connec-
tion of mine. My friend Sir John Hope of Pinkie has
had most lately the honour of seeing you and Ihoped
to have written to you and indeed did use that free-
dom by two of his kinsmen who were to travelin Ger-
many but illness intervened and prevented their jour-
ney and my letter was returned after it was two or
three months old; so that I have presumed to claim
acquaintance of M von Goethe even before the flatter-
ing notice which he has been pleased to bestow on me.
It gives to all admirers of genius and literature de-
light to know that one of the greatest European mo-
dels enjoys a happy and dignified retirement during
an age [in] which he is so memorably honoured and re-
spected. Fate destined a premature close to that of
poor Lord Byron who was cut off when his life wasin
the flower and when so much that was hoped and ex-
171
pected from him was cut off for ever. He esteemed
himself as I have some reason to know happy in the
honour which you did him and not unconscious of the
obligations which he owed to One to whom all the
authors of this generation have been so much obliged
that they are bound to look up to him with paternal
reverence.
I have given another instance that like other barri-
sters (at least as the scandal goes) I am not incum-
bered with too much modesty since I have entreated
Mess": Treuttel and Würz to find some means of con-
veying to you a hasty and of course rather a tedious
attempt to give an accompt of the life of that remar-
kable person Napoleon who had for so many years
such a terrible influence in the world which he ruled.
I do not know but what I owe him some obligations
since he put mein arms for twelve years during which
I served in one of our corps of yeomanry and notwith-
standing an early lameness became a good horseman,
a hunter and a shooter. Of late these faculties have failed
me a little as the rheumatism that sad torment of our
northern climate has laid its influence in some degree
on my bones. But I cannot complain since [see my sons
pursuing the sport since I have given it up. My eldest
has a troop of Hussars which is high in our army for
a young man oftwenty five years old. My younger son
has been just made Bachelor of Arts at Oxford and is
returned to spend some months with me before going
out into the world. God having been pleased to deprive
me of their mother my youngest daughter keeps my
household in order my elder being married and having
a family of her own. Such are the family circumstances
of the person which you have so kindly enquired after.
172
For the rest I have enough to live in the way I like
notwithstanding some very heavy losses and I have
a stately antique chateau (modern antique), to which
any friend of Baron von Goethe will be all times
most welcome with an entrance hall filled with armour
which might have become Jaxthausen itself and a gi-
gantic bloodhound to guard the entrance.
I have forgot however one who did not use to be for-
gotten when he was alive. I hope you will forgive the
faults of the composition in consideration of the au-
thors wish to be as candid towards the memory of this
extraordinary man as his everinsular prejudices would
permit.
As this opportunity of addressing you opens sud-
denly by a chance traveller and must be instantly
embraced I have not time to say more than to wish
Baron von Goethe a continuance of health and tranquil-
lity and to subscribe myself with sincerity and pro-
found respect.
His much honoured and obliged
humble servant
Edinburgh 9 July 1827. Walter Scott
Dear and much respected Sir
A gentleman happening to pass this way whose usual
residence is at Weimar was so good asto offer to convey
to you any message which I might give him in charge
and I cannot permit him to leave Abbotsford without
stating with how much pleasure I learned from the
Chevalier Lawrence that you are well in health and
enjoying the honourable retreat which your brilliant
talents so eminently merit. It is seldom given to an
173
individual to kindle such a brilliant light as you have
done in Germany or Ishould rather say in Europe and
still more seldom is he permitted in the evening of
life to sit down and enjoy himself tranquilly at the
blaze.
I was greatly! by the obliging token of your remem-
brance which Ireceived in form ofmedals and which are
most grateful to me as conveying an idea of the fea-
tures which I regard with so much respect. That you
may long live to enjoy the general? of the world so well
deserved and so generally bestowed is the sincere
wish of
Dear and respected Sir
your honoured pupil
Abbotsford Melrose and humble servant
11. September [1828] Walter Scott
3. Brief von Nicolaus Borchardt an Goethe
Sr. Exzellenz, dem Herrn wirklichen Geheimen Rat und
Staatsminiſters von Sachſen Weimar uſw. uſw.
J. W. von Goethe
Moskwa, am 31. Jan. 1828 a. St.
Dem gefeiertſten Sänger Germaniens, dem hohen Mei—
ſter unter den Vorbildern der deutſchen Literatur — wagt
hiermit ein Ruſſe, ein angehender Dilettant in deutſcher
Zunge, obwohl nicht von gleichem Volke, ein geringes, je—
doch inniges Scherflein am Altare der Verehrung Europa's
niederzulegen!
Der einzige Werth dieſes Zolls beſteht zwar nur in der
Kunde der Verbreitung einer vollkommnen Wuͤrdigung des
Hier fehlt ein Wort, etwa pleased.
2 Hier fehlt etwa esteem,
e
großen Anerkannten, deſſen Glorie nun auch auf Ruthe—
niens Muſenchor einen Einfluß aͤußert, welcher die letzte
Blume in den Kranz der Unſterblichkeit des germaniſchen
Dichterfuͤrſten windet!
Unterzeichneter, der in Bezug zu Deutſchlands literariſchem
Leben noch wenig, in Bezug auf poetiſchen Gehalt, welchen
die hehren Gebilde des allverehrten Goethe's fuͤr unſere
Zeitepoche unerreichbar gemacht hat, nichts geleiſtet haben
kann — wagt es, als Juͤnger, dem Meiſter ſelbſt, Gaben
darzubringen, welche eine edle Wuͤrdigung Rußlands zu—
gleich geſtatten: — dies iſt die einzige Entſchuldigung, die
er in Anſpruch zu nehmen ſich erdreiſtet.
Mit Schuͤchternheit wage ich es, mich dem edelſten der
Geiſter, ohne Formenregel zu naͤhern, da Formenzwang
mir es nicht geſtatten wuͤrde — dem großen Goethe, aus
der Hauptſtadt des alten Zarenlandes, meine innigſt tief—
gefuͤhlte Verehrung, das Gefuͤhl meines ganzen geiſtigen
Seyns rein auszuſprechen; — die Erfuͤllung dieſes meines
einzigſten Wunſches begluͤckt mich unſaͤglich in dieſem Augen—
blicke.
Sollte nun unſer gefeierter Goethe, denn in der geiſtigen
Weltbuͤrgerlichkeit gehoͤrt Er auch Ruthenien an, — ſollte
unſer allverehrter Goethe meine jugendliche Sendung, deren
Schwaͤche kaum den Dreißigjaͤhrigen verkuͤnden moͤchte,
einer fluͤchtigen Durchſchau wuͤrdigen, ſo ſchaͤtze ich mich
gluͤcklich, Ihm hiermit den Schatz meiner Freuden, die Seele
meiner Wuͤnſche dargebracht zu haben. Ich haͤtte es dem
Druck uͤbergeben koͤnnen, aber ein gerechtes Mißtrauen in
eigene Kraͤfte, eine gewiſſe Unbefugniß und offenherzig!
der allein ermuthigende Gedanke einer geiſtigen, obgleich
ehrfurchtsvollen Annaͤherung, bewogen mich, dieſes Manu—
ſkript zu uͤberſenden, wie es iſt.
Die Einleitung iſt vom Gepraͤge der lauterſten Wahr—
175
heit, welche durch meine Annäherung ſelbſt bedingt wird;
die Überfegung des Aufſatzes aus dem Moskowiſchen
Boten iſt treu und der vielleicht nicht makelloſe Inhalt iſt
und bleibt das reine Opfer eines hoffnungsvollen jungen
Dichters, deſſen Maͤngel der Meiſter noch vaͤterlich ruͤgen
duͤrfte.
Und der Empfang einer ſolchen Ruͤge aus dem Munde
unſers großen und herrlichen Goethe's waͤre mir und mei—
nem Freunde, allen unſern Dichtern, ja fuͤr ganz Rußland —
ein hohes Feſt, eine Freudenepoche! — — Doch vielleicht
ſchmeichle ich mich mit dem Strahle einer Hoffnung, welche
uns nie entgegen leuchten wird!
Dem ſey wie ihm wolle: — dem großen Goethe hier
meine Verehrung zum Gruße, mit dieſem meinen kindlichen
Dank, fuͤr Lehre und Genuß, welchen Seine Schoͤpfungen
mir brachten und zu bringen nie aufhoͤren werden: — von
einer ſehnſuchtsvollen Buͤrde entfeſſele ich heute meine
dankbeduͤrftige Seele und auf leichten Schwingen erhebt
ſie ſich zum Urquell alles Herrlichen, Ihm zu danken, fuͤr
den Abglanz ſeiner Guͤte, fuͤr das Leben unſers Goethe!
— moͤge der Schoͤpfer die koͤſtlichen Lebensmomente des
Unvergleichlichen verlaͤngern bis in das ſpaͤteſte Alter! Dies
iſt nicht die Sprache der Poeſie, es iſt die Sprache der
reinſten Anerkennung, mit welcher ſich gluͤcklich und ſchon
belohnt, es thun zu duͤrfen, unterzeichnet
Goethe's
innigſter Verehrer
Nicolaus Borchardt
Kaiſ. Ruſſ. Beamter der zehnten Klaſſe,
Mitglied des Miniſteriums der Aufklaͤrung
und des oͤffentlichen Unterrichts zu Moskwa.
P. S. Sollte Hr. von Goethe ſeinen Verehrern in Ruß—
land die einzige Gunſt nicht verweigern wollen und ihnen
176
die Nachricht vom richtigen Empfange dieſer Zeilen nicht
verſagen, ſo iſt folgende leichte Adreſſe ein ſicheres Mittel
zur Befoͤrderung des theuern Wohlwollens:
„Herrn Nicolas Borchardt.“
„Adreſſe:“
„Herrn Iw. Koshevnikoff“
„Ohne Aufenthalt“ uin“
„Moskwa“
Goethe's Wuͤrdigung in Rußland
zur Wuͤrdigung von Rußland
Die ausgezeichnete Richtung, welche die ruſſiſche Lite—
ratur in jeder Hinſicht genommen hat, iſt dem uͤbrigen
Europa groͤßtentheils bis jetzt unbekannt geblieben. In Be—
zug auf auslaͤndiſche Literatur hat ſie ſich, beſonders ſeit
dem großen Voͤlkerkriege des erſten Decenniums unſers
Jahrhunderts, mehr und mehr ausgebildet, und der groͤßere
Theil des gebildeten Publikums iſt bereits hinlaͤnglich mit
den Elementen der vier Hauptvoͤlker der neuern Literatur,
dem geiſtigen Kerne Europas, bekannt und befreundet.
Nachdem die franzoͤſiſche Literatur in ihren leichten und
empfaͤnglichen Gaben eine mannigfaltige Ausbeute ge—
liefert hatte, wandten ſich in den letztverfloſſenen Jahren
der wißbegierige Spaͤherblick und die Kraft des ruſſiſchen
Forſchers nach England und Deutſchland; und nicht nur
die vorzuͤglichſten, ſondern ſogar die bekanntern Producte
der beiden Voͤlker wurden analyſiert, uͤberſetzt, oft glücklich
commentiert.
Dieſe Richtung wird im allgemeinen durch die Tendenz
der neueſten vorzuͤglichſten Zeitſchriften und periodiſchen
Blaͤtter erweckt. Beſonders geſchah dieſes durch die beiden
folgenden, die aus der anwachſenden Zahl ihrer Mitgenoſſen
177
kraͤftig und gefchägt emporſtreben: Der Moskowiſche
Telegraph (ſeit 1825) und der Moskowiſche Bote
(ſeit 1827) ſind die zwei Haupthebel geweſen, die ein allge—
meines Publikum gleichſam gezwungen haben, ihren Antheil
an Frankreich mit dem uͤbrigen Europa zu theilen. Goethe,
Byron, Scott werden vorzuͤglich mit einem Enthuſiasmus
gewuͤrdigt, der eben ſo gerecht, als gelaͤutert iſt. Die Bild—
niſſe dieſer drei Coryphaͤen ſchmuͤcken die Jahrgaͤnge 1827
beider obiger Journale nach den beſten auslaͤndiſchen
Copien.
Einen jeden Deutſchen muß aber, trotz des literariſchen
Cosmopolitismus, die innige reinausgeſprochene Vereh—
rung des Altvaters der deutſchen Poeſie: des unſterblichen
Goethe, am innigſten anſprechen. Es gibt kein periodifches
Blatt, keine Zeitſchrift, der groͤßern Werke nicht zu gedenken,
in welchen nicht mit hoͤchſter Achtung und Enthuſiasmus
des großen Saͤngers Germaniens erwaͤhnt wuͤrde. Überall
erfcheinen Überfegungen einzelner Gedichte und Fragmente
aus den Schöpfungen des großen Meifters*), und daß
bis jetzt keine vollſtaͤndige Überfegung feiner Schriften
erſchien, iſt uns ein Beweis, mit welcher Schuͤchternheit
und Ehrfurcht wuͤrdige Literatoren Erzeugniſſe betrachten,
an die ſich eine kundige Hand ſelbſt nicht ungeſtraft wagen
darf. Die immer mehr ſich verbreitende Kenntnis der deut—
ſchen Sprache hat bereits nicht nur den groͤßern Theil der
beſten neuen Dichter Deutſchlands, oft mit Erfolg, ins
Ruſſiſche einzeln uͤbertragen, hat nicht nur, von allgemeinem
Intereſſe beſeelt, die neueſten Novellen und Ergebniſſe der
Zeit einem bedeutenden Leſepublikum dargebracht — ſelbſt
) So finden wir im Europaͤiſchen Boten (Nr. 20 des Jahres 1827)
den herrlichen Verſuch einer Überſetzung des, Fiſchers“ ins Kleinruſſiſche,
das in ſeinen weichen ſuͤdlichen Toͤnen, mit einem ganz charakteriſtiſchen
Reize die von Schufowffy ſo ſchoͤn übertragene Ballade wiedergibt.
178
Philoſophie der Kunſt und Wiſſenſchaft, von Deutſchlands
Philoſophen und Kunſtrichtern ausgeſprochen, wird fort—
waͤhrend in dem treueſten Gewande in den Blaͤttern der
Zeit eingefuͤhrt; — Goethe's, Schiller's, Klopſtock's Werke
werden als Heiligthuͤmer betrachtet, deren Sprache ſelbſt der
Laie zu erlernen ſich beſtrebt, um dieſelben wuͤrdig zu ge—
nießen. Byron's Wunſch, in deutſcher Zunge den hehren
Dichterfuͤrſten zu verſtehen, ward dem Ruſſen zum Ge—
ſetze! —
Aber nicht nur leſen und verſtehen — deuten und er—
gruͤnden wollen ihn Rußlands ſchoͤne Geiſter — ihn ganz
zu beſitzen, iſt ihr hoͤchſtes, reines Streben. Wie weit es
ihnen moͤglich iſt, erſehe man aus nachfolgendem Bruch—
ftücke, welches Unterzeichneter in getreuer Überfegung dem
Urheber desſelben darzubringen ſich erdreiſtet.
Der junge geſchaͤtzte Dichter St. Schewireff, der thaͤtigſte
Theilhaber am Moskowiſchen Boten, hat im XXI. Hefte
desſelben (Jahrgang 1827) ein Fragment aus dem Zwiſchen—
ſpiele zu Fauſt: Helena (— Lynceus p. 269 bis zu den
Worten: „meine Hand“ p. 274) uͤberſetzt, hierauf in dem—
ſelben (mit dem Bildniſſe Goethe's geſchmuͤckten) Hefte ſich
beſtrebt, eine Darſtellung des Inhalts und die Haupthebel
der Dichtung, ſeiner Anſicht nach, anzudeuten. Hiermit folgt
die getreue Überſetzung dieſes Aufſatzes; iſt des jungen
Dichters Anſicht auch nicht vollkommen, ſo iſt doch ſolch
eine Wuͤrdigung Goethe's die beſte Andeutung fuͤr die
Wuͤrdigung einer Literatur, welche in ihren juͤngſten
Gliedern einen Schwung zu einer geiſtigen Hoͤhe nimmt,
die Rußlands Söhneln], einfem] Rieſenvolk eines Jahr—
hunderts, ein intellektuelles Gleichgewicht mit ſeiner Rieſen—
kraft zu ſchaffen verſpricht. Nichts iſt makellos! Mag auch
dieſe, durch einen jungen wuͤrdigen Dichter ausgeſprochene
allgemeine Theilnahme dem Genius des Schoͤpfers jenes
179
Zwiſchenſpiels kaum gleichmäßig entſprechen, fo verbleibt
doch das Streben ſelbſt: eine neue Huldigung in einer
Zunge, die vom baltiſchen Geſtade bis zu den Fluthen, die
Kamſchatka beſpuͤlen, in Herrſcherkraft maͤchtig ertoͤnet; eine
Zunge, welche Goethe's Namen mit Ehrfurcht und Innig—
keit wiederholt und hierdurch den Kreislauf beſchließt, den
der Triumph des großen Anerkannten aus Germaniens
geſegneten Fluren uͤber den Ozean hin, nach Amerikas weſt—
lichen Triften mit edlem Geiſtesſtolze durchſchritten hat!
Und mit hohem Beifalljubel zeichnete der edelſte unſerer
Dichter, der tiefe Schukowſky in Rutheniens Namen unter
dem Bildniſſe Goethes juͤngſt jene Zeilen:
In der Freiheit feſſelloſen Regel
ſchwebt Er ein alldurchdringender Gedanke über das Welt—
und alles ward Ihm klar in dieſer Welt all hin —
und unbezwingbar blieb Er immerdar. N.
[Hier folgt die Überfegung von Schewireffs Inhaltsangabe der
‚Helena‘ im Moskowiſchen Boten 1827 Nr. 21. Er will das
Zwiſchenſpiel nicht als ein Fragment des ‚Fauſté, „ſondern als ein
fuͤr ſich beſtehendes Ergebnis der uͤppigen Phantaſie des Dichters,
als einen poetiſchen wunderbaren Traum ſeiner kecken, luftigen
und eigenartigen Phantaſie“ betrachtet wiſſen.]
Wir haben es ſchon geſagt, daß man dieſelbe [die Phan—
tasmagorie! nicht als eine Ergänzung des Fauſt's, ſondern
als ein ſelbſtaͤndiges Produkt betrachten muͤſſe. Unſere
Meinung wird durch den Inhalt unterſtuͤtzt. Fauſt erſcheint
hier nicht als Doktor der Philoſophie wie im Trauerſpiele,
ſondern als Ritter des Mittelalters und treuer Verehrer der
Schoͤnheit. Er gedenkt nicht ſeiner vergangenen Leiden und
truͤbt nicht durch die Vergangenheit den Genuß der Gegen—
wart. Wir ſehen hier nicht den Kampf eines zweifachen
Lebensprinzips — des innern Lebens mit dem aͤußern, nein,
ſein Leben geſtaltet ſich in einer gerundeten beneidens—
180
werthen Einheit, dem Leben der ſeligen Minne. Mephiſto—
pheles aber veraͤndert auch hier nicht ſeine Natur. In Hele—
nens Herz hat er das Mißtrauen gegen Menelaus erweckt,
durch feine Drohungen hat er den Liebesrauſch eines gluͤck—
lichen Paares vernichtet, denn ewiger Hader und Zwiſt iſt
fein Element. Übrigens bemerken wir, daß Fauſt und Me:
phiſtopheles obgleich allgemeine, doch einzeln an und fuͤr
ſich unzubeſtimmende Gebilde ſind. Stellt erſterer in ſich
ein ungluͤckliches Opfer des Zwieſpaltes des innern Lebens
mit dem aͤußern dar, ſo iſt letzterer ein lebendiger Daͤmon
der aͤußern Hoͤllenwelt, ein perſonifiziertes Übel mit allen
Geſtaltungen der Leidenſchaften und ihrer Laſter.
Wie iſt aber die geheimnißvolle Phantasmagorie des
Dichters zu deuten? Wir wollen uns herzlich beſtreben,
ſein Geheimniß zu ergruͤnden, — denn wir wuͤnſchen nicht
ſtumm und unbewußt dem hehren Kuͤnſtler zu huldigen.
Jenes Mittel und Streben, Kunſtprodukte durch Alle—
gorien beſtmoͤglichſt zu deuten, d. i. in denſelben eine ge—
naue und ausgeſprochene Bedeutung zu ſuchen, oder die
Kunſt als ein Symbol eines bekannten Gedankens zu be—
trachten, iſt ein ſehr fehlerhaftes Mittel, welches nur zu
Irrbegriffen uͤber die Kunſt leiten kann. Indeſſen gibt es
Dichterwerke, in welchen klar, und ſo zu ſagen mit den
Haͤnden greiflich, eine ſolche Allegorie ſtattfindet. und
welche, ihrer bildlichen Darſtellung unbeſchadet, Merkmale
und Eigenſchaften ſelbſtaͤndiger Produkte tragen; welche
man keinem abgeſonderten Begriffe anpaſſen darf, oder
welche mit dem beſonderen Zwecke geſchrieben ſind — eine
anerkannte Wahrheit zu erlaͤutern. Zu den Erzeugniſſen
dieſer Art gehoͤrt die Phantasmagorie Goethe's.
Der Grundſtoff derſelben befindet ſich in der nachſtehen—
den Volksſage vom Fauſt. Einſt unterhielten ſich bei ihm,
beim geſelligen Nachtmahl, ein Kreis junger Studenten
181
über weibliche Schönheit, und einer derſelben äußerte Fau—
ſten ſeinen Wunſch, die ſchoͤne Helena zu ſehen. Der Doktor
erfuͤllte ſein Verlangen und ließ ihm durch ſeine Zauber—
kraft ihre Geſtalt erſcheinen, welche, in Schoͤnheit glaͤnzend,
dem Beſchwoͤrer folgte. Kaum wollten die Gefaͤhrten ſie
beruͤhren, ſo verſchwand ſie. Zu derſelben Mitternacht ſtellte
der Daͤmon dem uͤppigen Fauſt Helenens Bild dar; ſie
feffelte ihn und gab ihm einen Sohn, Julius genannt.
Dieſe Sage ſcheint offenbar dem Dichter den Stoff geliehen
zu haben, denn des Dichters reichſte und ergiebigſte Quellen
ſind Geſchichte und Volksſagen.
Doch ſind dieſes nur todte Materialien, der Dichter muß
ſie durch ſeinen Athem beleben, durch ſeine Gedanken be—
ſeelen; dieſer Gedanke nun iſt die Verherrlichung der
Schoͤnheit in den Ritterzeiten.
Vielleicht iſt es nicht allen ſchoͤnen Verehrerinnen der
Dichtkunſt bekannt, daß weibliche Schoͤnheit erſt ſeit den
Zeiten des Chriſtenthums jene heiligen und unwandelbaren
Rechte erlangt hat, deren ſie jetzt genießt. Das Licht der
reinen Liebe, welche unſere Religion beſeelt, verklaͤrte alle
Gefuͤhle des Menſchen, und von jenem Zeitpunkte an ward
das Weib die herrlichſte Haͤlfte ſeiner gelaͤuterten Seele.
Dieſer Gedanke iſt jungen Schönen zu tief — und fie find
dem großen Goethe dankverpflichtet, daß ſeine hellſtrah—
lende Phantaſie, klar und reizend, im Gewande der Alle—
gorie, ihn dargeſtellt hat.
Dieſelbe Helena, welche kaum dem Racheopfer ihres eifer—
ſuͤchtigen Menelaus in jener grauen Vorzeit entgeht, in
welcher die Schoͤnheit dem Menſchen noch unterthan war,
dieſelbe Helena wird im Mittelalter der Gegenſtand der
reinſten, innigſten Verehrung — ſie wird zur Gebieterin,
zu deren Fuͤßen die Ritter des kalten Nordens, von Liebe
begeiſtert, nicht nur alle Schaͤtze, alle Gaben der Erden—
182
welt (wie dies jo vollkommen in der Rede des Lynceus
ausgeſprochen) niederlegen, ſondern ſich ſelbſt und alle
Schaͤtze der Seele zu opfern beſtreben. Jene Helena,
welcher in den lautloſen Gemaͤchern des Menelaus nie—
mand entgegen kam, außer der unheilverkuͤndenden Zwie—
tracht, wird in der gothiſchen Veſte des Ritters Fauſt auf
den Thron erhoben. Ihr iſt das Recht gegeben, Verbrecher
zu ſtrafen und mit der Koͤnigskrone zu ſchmuͤcken. Ein
Blick von ihr iſt koͤſtlicher als alle Schaͤtze der Welt: ſie
allein vermag der Helden ungeſtuͤme Kampfluſt zu baͤn—
digen. Wer iſt aber des Ehrenpreiſes werth, ihre Hand an
ſeine Lippen zu legen! Wer wagt einen Anſpruch an ihre
Liebe! — — Der Fuͤhrer der Maͤnner, der erſte unter den
Rittern, der uͤber ſeinesgleichen gebietet, kann es nur
ſeyn! und — wer entſproß denn aus der Verbindung der ver—⸗
klaͤrten Schoͤnheit mit dem großherzigen Ritterthume? —
Euphorion, die lebendige muſikaliſche Poeſie des Chriſten—
thums, die von Herzen ſingt, die mit dem Pulsſchlag des
Herzens den Takt ihrer Lieder regelt, welche mannigfaltig
ſind, wie die Gefuͤhle des menſchlichen Gemuͤthes; ſein
Streben, das Koͤrperliche zu umfangen, verwandelt es in
Flammen, und er umſchließt nur ein Luftgebilde; unauf—
hoͤrlich ſtrebt er aus den Grenzen der Erdenwelt hinauf
zu endloſen Hoͤhen und verſchwindet im ſtrahlenden Em—
porftreben, In dieſer Poeſie iſt alles himmliſch, alles gei—
ſtig, außer Leier und Gewand. Sie verſchwand und mit
ihr das Elternpaar: die geiſtige hehre Schoͤnheit und die
großherzige Mannheit. Sie waren auf dieſer Welt gleich—
ſam nur erſchienen, um nach einem ſchnellentſchwindenden
Rauſche in ihrem geſegneten Arkadien die innige himmliſche
Kunſt zu beleben und, mit derſelben einen Augenblick auf
der engen Erde gaſtlich hauſend, in jene unendliche Region
ſich zu erheben, wo nicht Zeit, ſondern Ewigkeit die Seelen—
183
freuden mißt! Welches iſt denn aber das Schickſal der ge:
fangenen Trojanerinnen, in welchen das Weib der alten
Vorwelt dargeſtellt iſt! Sie verwandeln ſich in verſchiedene
Erſcheinungen der Außenwelt und entſprechen hiedurch
deutlich ihrer Beſtimmung. Dergeſtalt belebt und laͤutert
nun die lebendige Idee des Dichters den rohen Stoff einer
Volksſage; ſeine Kunſt beſteht nicht in einer ſklaviſchen
Nachahmung der Natur, ſondern in einer freien Umſchaf—
fung ihrer Eigenthuͤmlichkeit.
Der Dichter-Seher enthuͤllte in dieſer klaren Phantas—
magorie manche Geheimniſſe der Geſchichte und der Dicht—
kunſt. Hier loͤſete er das Raͤthſel der Geburt des Roman—
tismus und des klangvollen Reimes. Gleichzeitig mit der
feierlichen Umſtaltung der Schoͤnheit mußte auch geiſtig
dieſelbe Kunſt, die ihr dienet, die Dichtkunſt, ſich veraͤndern.
Als der gefeſſelte Ritter die Schoͤnheit nicht ſinnlich, ſondern
geiſtig zu lieben begann, da verkuͤndete das Lied nicht mehr
das Irdiſche ſondern das Himmliſche — es erklang in
ſeinen Toͤnen das unruhige Streben der Seele in unend—
lich mannigfaltigen metriſchen Verhaͤltniſſen, und die Harz
monie des liebenden Gemuͤthes ſprach ſich im harmoniſchen
Einklange, im Reime aus; wie in der Wechſelrede der Lie—
benden das Herz dem Herzen entſpricht, ſo muß das Wort
dem Worte entgegnen.
Da nun die Handlung dieſes Dramas aus der Vorzeit
ins Mittelalter uͤbergeht, ſo hat auch der Kuͤnſtler nicht
abſichtlos dieſen Übergang in der Form feines Produktes
ſelbſt bedingt. Die erſte Haͤlfte iſt ganz im antiken Ge—
ſchmack, deſſen Geheimniß der unſterbliche Goethe aus—
ſchließlich vor allen uͤbrigen Dichtern ſich allein angeeignet
hat: treue Belege dazu ſind ſeine Iphigenie, Reineke Fuchs,
Hermann und Dorothea und andere Produkte. In der
erſten klaſſiſchen Hälfte beobachtete er in genauer Voll—
184
kommenheit die epiſche Form der Handlung, dieſe charak—
teriſtiſche Eigenheit der antiken Tragoͤdien, in welchen die
Perſonen nicht ſo ſehr reden als ruͤckſichtlos dem Zu—
ſchauer alles erzaͤhlen, was zur Handlung des Dramas
gehoͤrt. Dieſe poetiſche Redſeligkeit iſt ein Erbtheil der
griechiſchen Dichter von ihrem freimuͤthigen und redſeligen
Urvater Homer. Helenens Monolog, der Chor der erſchrok—
kenen Trojanerinnen beim Anblicke der Phorkyas moͤgen
als Belege unſerer Bemerkung dienen. Wer anders wuͤrde
ein ploͤtzliches Entſetzen durch eine Erinnerung an alles
Entſetzliche des Lebens ausdruͤcken, als der antike Dichter,
der auch im ſtuͤrmiſchen Zuſtande der Seele eine gleich—
muͤthige Ruhe zu erhalten weiß, und eine jede Empfindung
nicht gleich, ſondern nachdem dieſelbe bereits aufgehoͤrt
hat, demnach nicht als ein Gegenwaͤrtiges, ſondern als ein
Vergangenes vorzuſtellen weiß? Die Handlung in den
griechiſchen Tragoͤdien geht gleichſam nicht im Momente
ſelbſt vor ſich, geſchieht nicht zum erſten Male, ſondern
nachdem ſie bereits geſchehen iſt, und wird nun in der Vor—
ſtellung von den handelnden Perſonen ſelbſt, nur erzaͤhlend
vorgetragen und kann demzufolge keine ploͤtzliche ein—
dringende Wirkung haben. So auch hier: es iſt, als ob
die Sklavinnen nicht nur jetzt, ſondern bereits fruͤher
die Phorkyas erſchaut haben, und, bereits beruhigt, ge—
kommen ſind, dieſelbe Szene vor den Zuſchauern zu wie—
derholen.
Der zweite Theil der Phantasmagorie iſt der erſten durch—
aus entgegengeſetzt: er iſt im romantiſchen Geſchmack.
Die Handlung iſt unſtaͤt, lebendig, wie die Rede. Jedes
Gefuͤhl druͤckt ſich in der Gegenwart, im Augenblicke des
Entſtehens ſelbſt aus — es erſcheint mit dem erſten Werke,
das dem Herzen, als dem Borne der Empfindungen, ent—
quillt. Hier verlieren wir uns in der Mannigfaltigkeit der
185
Empfindungen, welcher auch die Verſchiedenheit des Me:
trums entſpricht.
Dies iſt der Grund, warum Goethe dieſer Phantas—
magorie den Namen einer klaſſiſch-romantiſchen ge—
geben hat.
Nicolaus Borchardt.
4. Brief von T. G. G. Byron an Ottilie von Goethe
Wilkesbarre, Wyoming Valley, Luzerne
County, Pennsylvania, United States of
Amerika, d. 25. Junius 1843.
Gnaͤdige Frau,
So manches Jahr hat ſich an das andere gereiht, ſeit ich
als junger Mann Deutſchland und Weimar beſuchte, aber
noch immer friſch, wie ein Alfresco Gemaͤlde, erſcheint
auf dem Hintergrunde meiner Phantaſie das große, ruhige
Auge, die hohe olympiſche Stirn Goͤthes. Oft, bei ſternen—
heller Nacht, wenn ich die Wuͤſten Aſiens durchzog, lag
Goͤthes Geiſt, in Fauſtiſche Formen gebannt, auf dem
Knopfe meines Sattels — und der leiſe Wind, der mit
den duͤrren, aromatiſchen Kraͤutern der endloſen Ebene
fluͤſterte, erſchien meiner aufgeregten Phantaſie wie der
leichte Fluͤgelſchlag feines geliebten Geiſtes, der mich um:
ſchwebte. Unter den ſchattenden Zweigen einer rieſen—
haften Platane des Himalaya Gebirges ausgeſtreckt; oder
auf der kuͤhlenden Matte des die Fluthen des Ganges fur—
chenden Fahrzeuges ruhend — bei dem, mittelſt einer Mus
mie genaͤhrten, Feuer an den Katarakten des Niles, und in
den Ruinen von Theben wachend — auf der gruͤnen, in
der Pracht von tauſend Blumen prangenden Prairie von
Miſſuri — am Fenſter meines Zimmers, in das ein Wind:
ſtoß den naſſen Rauch des Niagarafalles führte — überall,
186
in Freude, wie in Trauer — war Goͤthe mein Gefaͤhrte.
Haͤtte Lord Byron, mein Verwandter, die Sprache Goͤthes
verſtanden, — er kannte des Dichters Geiſt blos in der
engliſchen Hülle — fo würde er ſich nicht mit der einfachen
Widmung einer ſeiner Dichtungen an Goͤthe begnuͤgt haben.
Beide, Goͤthe und Byron, ſprechen jetzt eine gemeinſame
Sprache — die Sprache der Geiſter. Wuͤrden Sie, gnaͤdige
Frau, einem ſo innigen Verehrer des Dichters zuͤrnen, wenn
er von den Ufern der Susquehanna ſich Ihnen mit der
Bitte naͤhert, ihn mit irgend einer Reliquie Ihres Vaters
zu beehren? — Ein Autograph — ein Buch — irgend ein
Gegenſtand, fruͤher Eigenthum des Dichters, wuͤrde mich,
wenn es moͤglich, mit noch groͤßerem Enthuſiasme fuͤr den
Geſchiedenen fuͤllen. Meine Bitte iſt kuͤhn — aber ſoll
Amerika, das Deutſche jetzt nach Millionen zählt, kein Mecca
des Dichters haben? — In meinem Wohnorte in dem ro—
mantiſchen, und durch Thomas Campbell's Gertrude of
Wyoming claſſiſch gewordenen Thale, das die liebliche
Susquehanna bewaͤſſert, ſind viele Abkoͤmmlinge, erſter,
zweiter und dritter Generation, von deutſchen Familien,
und neben der engliſchen bluͤht noch immer die Sprache
Luthers. Fuͤr alle dieſe, nein, fuͤr alle deutſche Pennſylvanier
muͤßte eine Reliquie Goͤthes als Kaba erſcheinen, nach dem
ſie das Antlitz wenden, und wallfahren wuͤrden. Wie einſt
Luther in den Churfuͤrſten Friedrich und Johann von
Sachſen Beſchuͤtzer fand, ſo erfreute ſich Goͤthe der Gunſt
und Liebe zweier Großherzoͤge von Weimar, und wenn Sie,
gnaͤdige Frau, von dieſen beiden Freunden der Muſe Goͤthes
die Portraits und Autographen der Reliquie des Dichters
beifuͤgen wollten, ſo wuͤrden Sie mich doppelt angenehm
uͤberraſchen. Ich fuͤrchte unbeſcheiden zu erſcheinen, wenn
ferner, gnaͤdige Frau, ich Sie bitten möchte, mich mit einem
(Kupferſtich) Portrait Goͤthes, das als das beſte anerkannt
187
ift, fo wie mit einer Skizze von des Dichters Haufe, und
einer Anſicht von Weimar zu beehren. Alle dieſe Gegen—
ſtaͤnde wuͤrden ungemein an Werth gewinnen durch die Be—
trachtung, daß ſie von einer Hand kommen, die dem Dichter
fo nahe ſtand. Wer würde ſich nicht glücklich ſchaͤtzen etwas
von Shakſpeare zu beſitzen, das von einem Mitgliede der
Familie des Dichters uͤberreicht wurde? — Sollte der Groß—
herzog in Bezug auf Goͤthe eine Medaille haben praͤgen
laſſen — ſo wuͤrde S. K. Hoheit auf Ihre guͤtige Ver—
mittelung vielleicht die Gnade haben, mir eine derſelben
zukommen zu laſſen. Alles, was ſich auf Goͤthe bezieht,
fuͤllt mich mit grenzenloſer Begeiſterung, die noch hoͤher
ſteigt durch die traurige Betrachtung, daß der Atlantiſche
Ocean mich von dem deutſchen Athen trennt, und folglich
alle meine Wuͤnſche, Weimar wieder zu beſuchen, unreali—
ſirt bleiben muͤſſen. Doch nein! Habe ich nicht im oͤſtlichen
Perſien die Wuͤſte Khoraſſans durchzogen, um in den Ru—
inen von Tus das Grabmal (einen Thurm, von gebrannten
Steinen verſchiedener Farbe, die eine recht huͤbſche Moſaik
bilden) Ferdusi's, des Dichters der Schah Nameh, auf⸗
zuſuchen? — Und warum ſollte ich nicht eines Tages an
dem Sarkophage des deutſchen Dichters knien? — In dem
großherzogl. Garten zu Jena hat Goͤthe ein eiſernes Denk—
mal errichtet — von den Gnomen, welche die drei Seiten
zieren, erinnere ich mich nur zweier. Der eine lautet:
Wem wohl das Gluͤck die ſchoͤnſte Krone beut?
Wer freudig thut, ſich des Gethanen freut. —
Der andere iſt:
Zierlich denken und ſuͤß erinnern,
Iſt das Leben im tiefſten Innern.
Allein der dritte Gnomon iſt meinem Gedaͤchtniſſe ent—
ſchuͤpft — würden Sie wohl die Güte haben dieſen zu er—
gaͤnzen? — Sie ſehen, gnaͤdige Frau, daß mein Brief mit
188
lauter Geſuchen gefüllt ift, laſſen Sie mich jedoch hoffen,
daß Ihre Langmuth, dem Oelkrug der Wittwe gleich — un—
erſchoͤpflich ſei. In dieſer Vorausſetzung wage ich es noch
eine andere Bitte an die früheren zu reihen. Sie ſehen, ohne
Zweifel, haͤufig den Herrn geh. Rath v. Falk — wuͤrden
Sie ihm wohl kund thun, wie ſehr es mich freuen wuͤrde,
von dem Freunde Goͤthes ein Exemplar ſeiner Unterredungen
mit dem Dichter, und einige Zeilen von ſeiner Hand zu be—
ſitzen? — Ich kenne ſeine Unterredungen blos in dem eng—
liſchen Gewande der Mrs. Austin. Wie gluͤcklich fuͤr uns,
daß Goͤthe einen ſolchen Freund beſaß, der die Perlen,
die von ſeinen Lippen fielen, aufzureihen verſtand. — Am
Schluſſe meines Briefes nahe ich mich Ihnen, gnaͤdige
Frau, mit noch einem Geſuche, dem letzten — denn ich
fuͤrchte, daß, wenn ich noch laͤnger Ihre Zeit in Anſpruch
zu nehmen wagte, ich verſucht ſein moͤchte, mit der be—
ſcheidenen Bitte hervorzutreten, mir — ganz Weimar zu
ſenden. — In der laͤndlichen Zuruͤckgezogenheit, in der ich
an den Ufern der Suſquehanna lebe, bilden die ſtereoty—
pirten Geiſter der deutſchen Dichter meinen gewoͤhnlichen,
wenn auch nicht alleinigen Umgang. Weimar war das
germaniſche Caſtalia, wo die Muſe Goͤthes, Schillers,
Herders, Wielands und anderer ſchoͤpfte — und dort
muͤſſen noch Spuren der Geſchiedenen vorhanden ſein.
Wuͤrde es Ihrer guͤtigen Vorſprache bei ſeiner K. H. dem
Großherzoge nicht gelingen aus den Privat-Archiven des
Koͤniglichen Hauſes Autographen von Schiller, Herder,
Wieland, und Anderen, die Weimar zum Muſenſitz machten,
fuͤr mich zu erlangen? Ich wuͤrde mich perſoͤnlich an den
Großherzog wenden, Ihre guͤtige Verwendung jedoch beut
mir die Verſicherung der endlichen Erfuͤllung eines lang
gehegten Wunſches, in einem hoͤheren Grade, als ich je
hoffen dürfte auf andere Weiſe. —
189
Mein Brief iſt zu einer unverzeihlichen Länge angewachſen,
und ich bedarf Ihrer guͤtigen Nachſicht im hoͤchſten Grade.
Schließlich wage ich um die Erlaubniß zu bitten, Ihnen
einige Proben der Geſchicklichkeit der Finger der Indiane—
rinnen des Tuscarora Stammes, der am Niagara-Falle
ſeinen Wohnſitz hat, ſenden zu duͤrfen.
Genehmigen Sie, gnaͤdige Frau, die Verſicherung meiner
hoͤchſten Achtung, mit der ich die Ehre habe zu ſein
Ihr
ergebener Diener
Teodad Geo. G. Byron.
Adreſſe.
To Lieut-Colonel T. Geo. G. Byron
at Wilkesbarre, Luzerne Co. Pa.
Care of Mr. Edmund Baldwin
155 Broadway
New York.
Anmerkungen
1. In dem Aufſchwung, den die franzoͤſiſche Literatur nach
dem Sturze des erſten Napoleon nahm, ſpielte der Schreiber der
beiden franzoͤſiſchen Briefe, Vietor Couſin, eine beachtenswerte
Rolle, nicht als Dichter, der er nicht war, ſondern als Anreger
auf dem Gebiete der Philoſophie. 1792 in Paris geboren und
ſchon in jungen Jahren als Lehrer der Philoſophie an der Sor—
bonne taͤtig, richtete er, wahrſcheinlich angeregt durch das Werk
der Mad. de Stael De l'Allemagne, das den Franzofen zum erſten⸗
mal genaue und unparteiiſche Kenntnis von Deutſchland er—
oͤffnete, ſein Augenmerk auf dieſes Land und ſein Geiſtesleben.
Nachdem er in ſeiner Heimat mit der Kantiſchen Philoſophie
ſich bekannt gemacht hatte, ergriff ihn die Begierde, die deutſche
Philoſophie an der Quelle kennen zu lernen. Zu dieſem Behufe
190
unternahm er 1817 eine Reife nach Deutſchland, wo ihn zuerſt
Hegel, damals Profeffor in Heidelberg, anzog, der ihn dann fir
die Dauer ſeines ganzen Lebens als Freund und philoſophiſcher
Lehrer feſthielt. Im Verfolg der Reiſe kam er auch nach Weimar
und fuͤhrte ſich am 18. Oktober bei Goethe mit einigen Zeilen
als „ami de Monsieur Hegel“ ein (vergl. Goethes Tagebücher 6,
124, 2-4). Er hat uͤber dieſen Beſuch ausfuͤhrlich und mit
intereſſanten Einzelheiten uͤber das zumeiſt um Philoſophie ſich
drehende Geſpraͤch berichtet in ſeinen Fragments et Souvenirs
(3. Edititon, Paris 1857, S. 152 ff.; abgedruckt in Biedermanns
Geſpraͤchen mit Goethe, 2. Auflage, 2, 401 ff.). Eine anſchau—
liche Schilderung der aͤußeren Erſcheinung des Dichters eroͤffnet
den Bericht: „II a quelque chose de Talma, avec un peu plus
d' embonpoint: peut-&tre aussi est- il un peu plus grand. Les lig-
nes de son visage sont grandes et bien marquees: front haut,
figure assez large, mais bien proportionnee, bouche sévère, yeux
penetrants, expression generale de réflexion et de force. (Fehlt
bei Biedermann.) Welch tiefen Eindruck des Dichters Perſoͤnlichkeit
auf den jugendlichen Beſucher gemacht hat, zeigt der Schluß ſeines
Berichtes: „Il m'est impossible de donner une idee du charme de la
parole de Goethe: tout est individuel, et cependant tout a la magie
de l'infini: la precision et l’&tendue, la netteté et la force, l'abon-
dance et la simplicite, et une grace indefinissable sont dans son
langage .. Son esprit se developpait devant moi avec la pureté,
la facilite, l’&clat tempere et l'energique simplicitè de celui d’Ho-
me£re.“
Ein zweites Mal kam Couſin zu Goethe am 28. April 1825
als uͤberbringer eines Briefes von Hegel (Tagebuͤcher 10, 48,
13.14 und Goethe-Jahrbuch 16, 68 f.). Auch von dieſer Be—
gegnung entwirft er in dem angefuͤhrten Buche (S. 155 ff.,
Biedermann 3, 188 ff.) eine lebendige Schilderung. Im Laufe
Zuerſt in deutſcher Überſetzung ohne den Namen des Verfaſſers
mitgeteilt im Morgenblatt für gebildete Stände 1827, Nr. 143 und 144.
191
des Geſpraͤches, in dem Goethe Gelegenheit nahm, feiner großen
Wertſchaͤtzung Manzonis beredten Ausdruck zu geben, erzaͤhlte
Couſin, daß man ſich in Paris für die deutſche Literatur zu inter—
eſſieren beginne und daß man Goethe und Schiller uͤberſetze.
Und wirklich gab es zur Zeit der Reſtauration in der geiſtigen
Stroͤmung Frankreichs, aus der ſich die Romantik entwickelte,
eine Gruppe von jungen Schriftſtellern, meiſt Kritikern, die vor:
urteilslos ihre Blicke nach Deutſchland richteten und von dorther
ſowohl auf dem Gebiete der ſchoͤnen Literatur wie auf dem der
Philoſophie ihren Landsleuten neue Anregungen vermittelten.
Dieſe mit der klaſſiziſtiſchen Tradition brechende neue Schule,
der auch Couſin naheſtand, hatte ihr ſchriftſtelleriſches Organ zu—
naͤchſt in der Zeitſchrift Le Globe. Die jungen Revolutionaͤre auf
geiſtigem Gebiete ſandten dieſe Blaͤtter auch an Goethe, der im
Mittelpunkt ihrer Teilnahme an deutſcher Art und Kunſt ſtand,
den ſie geradezu als Bahnbrecher des neuen Geiſtes, ja als ihren
Meiſter verehrten und auf deſſen Werke ſie nachdruͤcklich
hinwieſen. Goethe war uͤber die ihm dargebrachten Huldigungen
ſehr erfreut, und obwohl er den politiſchen Radikalismus,
der in dieſer Zeitſchrift verkuͤndet wurde, ablehnte (vergl.
Werke 422, 486), ſo fand er in Briefen (namentlich an
Graf Sternberg und Reinhard) ſowie in Geſpraͤchen (vergl. be—
ſonders Biedermann 3, 385) warme Worte zum Ruhme der hier
wirkenden Maͤnner und ihrer Tendenzen. In mehreren Auf—
ſaͤtzen gab er in den Jahren 1827 und 1828 in ‚Kunft und
Altertum“ (vergl. beſonders Werke 412, 177ff.) den deutſchen
Leſern Kunde von dem Anteil, den Frankreich neueſtens an deut:
ſcher Literatur nahm und von der daraus entſtehenden Annaͤhe—
rung der beiden Lander . „Daß die Herrn vom Globe mir wohl—
ı Über Goethes Beziehungen zu Frankreich vergl. Suͤpfle: Geſchichte
des deutſchen Kultureinfluſſes auf Frankreich; derſelbe: Goethes litera⸗
riſcher Einfluß auf Frankreich (Goethe-Jahrbuch 8, 203 ff.) und das
erſchoͤpfende Werk von Baldenſperger: Goethe en France (1904).
192
wollen, ift ganz billig; denn ich bin wirklich für fie eingenom—
men .. . Ich würde nicht aufhören, Gutes von dieſen Blättern
zu ſagen; fie find das Liebſte, was mir jetzt zu Händen koͤmmt ...
Auch haben ſie mir in den letzten Stuͤcken zur Einleitung in die
intereſſanten Hefte des Herrn Couſins gedient, indem ſie mir deut—
lich machten, auf was Art und Weiſe und zu welchen Zwecken
jene Vorleſungen gehalten wurden“ (an Reinhard 12. Mai 1826,
Briefe 41, 29). Gemeint ſind Couſins Fragments philosophiques
(paris 1826), deren Preface Goethe am 14. April 1826 ge
leſen hat (vergl. Tagebuch); die hier vorgetragene Philoſophie
ſchien ihm „ganz eigentlich eine Theorie des Zeitgeiſtes“ zu ſein
(Tagebuch vom 15. April). Als 1828 Couſins Vorleſungen
Cours d'histoire de la philosophie heftweiſe zu erſcheinen be—
gannen, ließ Goethe ſie ſich ſofort kommen (Briefe an Juͤgel, Juni
1828, Briefe 44, 142, 163 f.) und beſchaͤftigte ſich mit ihnen,
(ſowie mit Guizots gleichzeitig erſcheinenden hiſtoriſchen und
Villemains literarhiſtoriſchen Vorleſungen), in den folgenden
Monaten bis in den Juli 1829 hinein (Tagebuch 30. Juni, 5.,
6. Juli, 3. Auguſt 1828, 19.—21.,28.— 30. Januar 1829 ufw.).
Erfuͤllt von dem Gedanken einer alle Kulturvoͤlker umſpannen—
den Weltliteratur, meinte Goethe, in dem Beſtreben, alles Wert—
volle fremder Literaturen der deutſchen Bildung zugaͤnglich und
dienſtbar zu machen, daß „das eigentlich innere Wirkſame bey
den Franzoſen jetzt am thaͤtigſten iſt und daß ſie deshalb zunaͤchſt
wieder einen großen Einfluß auf die ſittliche Welt haben werden“
(Werke 422, 502); und gerade die genannten Werke von Couſin,
Guizot und Villemain, ſowie die gleichzeitigen Zeitſchriften, dar—
unter in erſter Linie Le Globe, haben nach ſeiner Anſicht (vergl.
Brief an Hitzig, 11. November 1829, Briefe 46, 144) weſentlich
zur Erkenntnis der damaligen Literaturbewegung in Frankreich
beigetragen.
Die damals von einigen jungen Gelehrten in Frankreich unter—
nommenen Bemühungen, in ihrem Vaterlande die Kenntnis
193
deutſcher Philoſophie zu verbreiten, gingen in erfter Linie von
Couſin aus. Im Gegenſatz zu dem auf Condillae beruhenden
Senſualismus und Materialismus, von denen die franzoͤſiſche
Philoſophie bisher beherrſcht war, knuͤpften Couſin und andere
gleichzeitige franzoͤſiſche Philoſophen an die Lehren der ſchottiſchen
Moralphiloſophie an (vgl. uͤberweg-Heinze: Grundriß der Ge-
ſchichte der Philoſophie, 4. Teil, 9. Aufl. S. 364 ff.). Couſin ge⸗
langte von da aus unter Aufnahme einzelner Ideen deutſcher
Philoſophen, vor allen Hegels, zu einem Spiritualismus, den
ſchon Goethe, der uͤbrigens die Entwicklungslinie dieſer Philoſophie
klar uͤberblickte, als Eklektizismus erkannte (vergl. die Betrach⸗
tungen „Aus Makariens Archiv“, Werke 422, 187,15, die ſich
auf Couſin beziehen, das Geſpraͤch mit Kanzler v. Muͤller
16. Juli 1827 bei Biedermann 3, 414, ferner Werke 421, 193,
22 ff. und 422, 500, —501,ı3, 514 Nr. 6). Das Werk des
Franzoſen, worin dieſe Entwicklung abgeſchloſſen vorliegt, ſind
die ſchon erwaͤhnten Vorleſungen vom Jahre 18281.
Bei ſeiner zweiten Anweſenheit in Weimar ſtattete Couſin
auch Goethes Schwiegertochter einen Beſuch ab, den er in den
Fragments et Souvenirs gleichfalls ſchildert (S. 160 ff.). Dieſe bei
Biedermann fehlende Schilderung ſei, in Anbetracht der Selten—
heit des Couſinſchen Buches, hier teilweiſe nachgetragen.
J’y suis resté trois heures, qui pour moi se sont &coul&es comme
une minute. Elle s’interessa, s’anima, s’embellit presque .. On
ne peut avoir plus d’esprit, de sensibilite, d’imagination, mais aussi
plus d’inconsequence ... Mme de Goethe m'a confirm& que son
beau-pere aime beaucoup Manzoni; et il a été si charme du pre-
mier volume des chanson grecques de M. Fauriel, qu’il n’a pu
s’emp£cher de lui en Ecrire lorsqu’elle ẽtait aux eaux d Ems:
Ein von Couſin geſchenktes Exemplar — wohl das im erſten
Brief erwähnte „l’euvre d'un Ecolier* mit der Widmung „A. Göthe
V. Cousin“ befindet ſich in Goethes Bibliothek.
2 Claude Charles Fauriel: Chants populaires de la Grèce moderne
194
10
A N BE rt rn
Fr
Elle m'a souvent repete combien Goethe aimait Schiller. Il a et& si
fäche que,Demetrius‘ne füt pasfini,qu’ilavaitentreprisdel’achever,
d’apres les conversations de Schiller. Car Schiller parlait beaucoup,
surtout ä Goethe, des ses projets; Goethe, jamais; mais ses ouv-
rages terminès, il aime ä les lire. — Goethe a une collection de
quatre cents lettres d’hommes celebres, auxquelles il attache le
plus grand prix. Selon lui, de tous les signes exterieurs du carac-
tere, il n'y en a pas de plas sür que l’Ecriture .. . Goethe se pro-
pose de publier cette collection avec des notes. Il est curieux de
le voir le matin, en grande robe de chambre, et sa large poitrine
decouverte, ayant à sa ceinture les clefs des armoires qui con-
tiennent ses autographes et ses gravures. Il &voque les souvenirs
de toute sa vie, et parle avec une force et une Energie extraordi-
naire. — Il ne lit absolument aucune gazette politique: seulement
il regoit l’Allgemeine Zeitung. — En me promenant dans le parc
avec le chancelier de Muller, celui-ci m'a montr& une maison de
campagne où Goethe a compos& ‚Iphigenie‘ et le ‚Tasse‘. Goethe
qui aimait tant ce s&jour, n'y va plus. Il ne sort plus de sa maison.
Le grand-duc vient l'y voir. Son seul exercice est d’aller de ses
appartements à celui de sa belle-fille. — Goethe a deux amies
dans mesdemoiselles d’Egloffstein, toutes deux jeunes, belles,
et remplies de talent pour le dessin et la musique. Il faut voir
Goethe entre ces deux demoisselles, gai, aimable, les traitant
comme un pere et pourtant avec les soins et les attentions d'un
jeune ami. Elles, de leur cöte, le caressent et folätrent avec lui.
M. de Muller l'a entendu dire à l’une d’elles: „Si tu &tais mon
enfant, je t'enfermerais pendant trois ans dans une chambre, sous
trois serrures, et au bout de ce temps je t'enverrais a Rome. Tu
(Paris 1824, 1825); Goethes Brief an Ottilie vom 11. Juli (Briefe
38, 194; vergl. auch ebendaſelbſt S. 191). Hier fand Goethe die
Originale zu den nach franzsfifchen Proſauͤberſetzungen bearbeiteten
„Neugriechiſch⸗epirotiſchen Heldenliedern“ und uͤberſetzte daraus einige
kleinere Gedichte als ‚Neugriechifche Liebe-Skolien“.
195
deviendrais Angelica Kauffmann.“ — Ces familiarités de Goethe
avec mesdemoiselles d’Egloffstein me rappellent ce que me dit un
soir à Berlin la celebre Bettina, Mme d’Arnim!, chez sa seur Mme
de Savigny. „Rien, dit-elle, n’est aimable comme Goethe lorsqu’il
est à son aise. Souvent dans l’abandon, moi à ses pieds, les yeux
fixes sur lui, il m'a dit des choses plus grandes, plus profondes,
plus Energiques que tout ce qu'il a Ecrit. Mais alors je renfermais
en moi mon émotion; car s’il eüt vu sur mon visage qu'il me di-
sait quelque chose d’extraordinaire, il aurait eu la conscience de
lui-m&me, et la muse se serait envolèe. Quand nous sommes seuls
dans son cabinet, il va me chercher une grande robe de chambre
blanche, l’&tend par terre pour que je me couche dessus, et ainsi
nous causons, disputons, jusqu'à ce que je l’impatiente et qu'il
me dise: Va-t’en, folle. Je m' en vais; mais quand il me voit trop
affligee et pröte à pleureur, il me rappele et me dit: Va, tu dois
etre contente du sentiment que j'ai pour toi. Souvent, je lui ai
dẽveloppè des endroits de ses ouvrages; il me regarde en souriant,
et il m’assure qu'il n'a jamais pensẽ à tout cela. Non pas lui, mais
le genie en lui.“
Im Jahre 1831 unternahm Couſin im Auftrage der fran—
zoͤſiſchen Regierung eine Reiſe nach Preußen, Holland und der
Schweiz, um das Schulweſen dieſer Länder zu ſtudieren. Da-
bei beruͤhrte er zum drittenmal Weimar, wo er am 31. Mai
und 1. Juni weilte. Das Tagebuch notiert am 31. Mai nur:
„Herr von Müller kam etwas ſpaͤter und erzählte von den Auße⸗
rungen des Herrn Couſins“ (Tagebuͤcher 13, 83, vergl. auch 294).
Einen Beſuch Couſins bei Goethe verzeichnet das Tagebuch nicht.
Doch hat ein ſolcher ſtattgefunden, und Couſin berichtet daruber,
mit falſcher Monatsangabe, in dem genannten Werke. S. 164.
Der bei Biedermann fehlende Bericht lautet:
Dans le mois de juillet, traversant de nouveau Weimar pour aller
en Prusse remplir une mission relative à l’instruction publique,
Couſin ſchreibt: d' Arnheim. f
196
rn
je revis Goethe une derniere fois et aux prises avec la mort. II
etait assis dans en grand fauteuil; auprès de lui, Ottilie badinait
et parlait pour le distraire. Lui, immobile, affais&, mais tranquille
et le sourire sur les lèvres, il s’eteignait sans souffrir, et mourait
sans aucune maladie, par la seule raison qu'il n’etait pas immortel.
II put à peine trouver quelques paroles pour me charger de ses
compliments pour Hegel et pour Manzoni, et me dire: Adieu
soyez heureux. Je serrai avec respect sa main dèfaillante, et quel-
ques mois apres, Goethe n’etait plus.
Eine andere Mitteilung über dieſen letzten Beſuch bei Goethe
machte Couſin in einem Nachruf auf den Verſtorbenen im Journal
des Debats vom 29. März 1832, der in deutſcher Überſetzung
im Morgenblatt für gebildete Stände (1832, Nr. 85 vom
9. April) abgedruckt iſt (Biedermann 4, Jos; vergl. auch das
Geſpraͤch mit E. Foͤrſter 4. Auguſt 1831, Biedermann 4, 382,
wo faͤlſchlich angegeben ift, Goethe habe Couſin wegen Unwohl—
ſeins nicht geſprochen); das franzoͤſiſche Original iſt wiederholt im
Goethe-Jahrbuch 24, 36 ff.
Zur Ergaͤnzung deſſen, was hier uͤber die Beziehungen der
beiden Maͤnner mitgeteilt iſt, moͤgen zum Schluß noch einige
Stellen aus Briefen Couſins an Kanzler v. Muͤller dienen.
Couſin an Kanzler v. Muͤller
Paris, 1. Dezember 1825
Monsieur de Reinhard a la bonte, Monsieur, de se charger de
vous transmettre ce billet, olı je veux vous exprimer toute ma
reconnaissance de votre bon souvenir et de l’aimable cadeau que
vous m’avez fait de vos vers et de ceux de Monsieur de Goethe
pour la fete d'un Prince“, aux pieds du quel je vous supplie de
Die zum 5Sojährigen Regierungsjubilaͤum des Großherzogs ge:
dichteten drei Geſaͤnge ‚Zur Logenfeier des 3. Septembers 1825“ die
Müller mit eigenen Stanzen am 26. September an Couſin geſandt
hatte (vergl. ſeinen Brief bei Barthélemy-Saint Hilaire: M. Victor
Cousin, sa vie et sa correspondence 1, 154 f.). Er ſchreibt hier: „Je
197
me mettre, en attendant qu'une meilleure étoile me ramene à
Weymar et me permette de lui presenter moi mèéme mes re-
spectueux hommages. Vous ajouteriez encore à ce que je vous
dois, si vous aviez la bont& de rappeller de temps en temps mon
nom à sa mémoire, comme celui d'un de ses serviteurs les plus
devoues.
Je suis heureux que Goethe se souvienne de moi. J’ai presque
envie de vous dire qu’il a raison, car je suis un de ses fideles.
Quelques uns de mes amis, romantiques comme vous pouvez
bien penser, se sont avisés de faire un petit journal!, qui n'est
pas tres fort, mais qui est plein de bonnes intentions. On n’y
jure que pur Goethe. Manzoni m’ecrit de Milan combien il est
touchẽ des paroles flatteuses qu j ai r&cueillies pour lui aWeymar?
et que je me suis hät€ de lui faire passer. Meur Fauriel, l’auteur
des Chansons Grecques?, se trouve assez rẽcompensè du suffrage
de notre commun maitre; et il espère que la seconde Edition qu'il
prepare sera moindre indigne de lui ètre offerte. Enfin nous sommes
tous à lui et de toutes manières
Couſin an Kanzler v. Muͤller
Paris, 6. April 1826
[Kuͤndigt an die Sendung] d'un opuscule philosophiquet que
je soumets à vos lumieres et à celles de mes juges de Weymar.
Je n’ose Ecrire a Monsieur de Goethe lui mème pour le prier de
me lite. Mais je vous serais reconnoissant au delà de toute ex-
pression, si vous pouviez l’engager à me lire, et si vous aviez la
pense que la profondeur des idées, qui sont renfermees dans la
seconde de ces po&sies, ne pourrait trouver un plus digne appré-
ciateur que vous, Monsieur, le zel& admirateur de Platon et de
Hegel.
Le Globe.
In dem Gefpräch mit Goethe (Biedermann 3, 189 f.).
Vergl. oben S. 194, Anm. 2.
Fragments philosophiques (vergl. oben S. 193).
198
en,
bonte de recueillir son opinion, dans toute sa sincerite, et de
me le transmettre fidèlement. Goethe est le Dieu de ma petite
Eglise. Plus je vive, et plus l’admire. Un mot du maitre seroit
pretieux pour un pauvre Ecolier, qui ne sait pas s’il rèpète ici
passablement sa lecon. Vous me connoissez assez, Monsier, pour
croire que je ne cherche pas des &loges, mais des critique utiles...
Couſin an Kanzler v. Müller
Paris 26. Auguſt 1826
.. . Si je n’avois crainte d’abuser des moments de Monsieur
de Goethe, je lui aurois écrit pour le remercier de l’interet qu'il
veut bien accorder au Globe. Jai lu à mes amis le paragraphe
de votre lettre qui les concerne, ainsi qu'une page que m'a com-
muniquee Meur de Reinhard, et je ne puis vous dire à quel point
ce temoignage d' intérèt de la part de celui que nous regardons
tous comme notre commun maitre, nous a encourages, et consolés.
Manzoni m'ècrit de Milan pour me feliciter d'avoir vecu quelques
jours a Weymar. Seriez vous assez bon pour rappeller mon ami
au souvenir de Monsieur de Goethe?...
Der Überbringer des erſten Briefes an Goethe war der Bild:
hauer David d'Angers, der dem Dichter auch drei von ihm
verfertigte Medaillons, darunter das von Couſin, zum Geſchenk
machte (vergl. Biedermann 4, 149). David, mit Couſin und
ſeinen Freunden einig in der Verehrung fuͤr den deutſchen Meiſter,
war nach Weimar gekommen, um eine Buͤſte desſelben zu ver—
fertigen (Biedermann 4, 164 ff.). Er meldete ſich bei Goethe
am 23. Auguſt und verabſchiedete ſich am 9. September. Die
koloſſale Marmorbuͤſte kam am 31. Juli 1831 in Weimar an
und wurde auf der Großherzoglichen Bibliothek aufgeſtellt (Brief
an David 20. Auguſt 1831, Briefe 49, 43 f.). David wirkte in
dem Sinne der Globiſten weiter, indem er von Paris aus die
Werke der jungen franzoͤſiſchen Romantiker, V. Hugo, St. Beuve,
A. de Vigny, Balzac und anderer an Goethe uͤberſandte (Bieder—
199
mann 4, 228, 229 f., vergl. auch Baldenſperger a. a. O., S.
138 ff).
Der uͤberbringer des zweiten Briefes war der Schriftfteller
Frangçois Auguſte Saint-Mare Girardin, der Über feinen Beſuch
in Weimar und bei Goethe in einem Artikel De la Litterature
allemande et de Goethe! (Notices politiques et litteraires sur
Allemagne, Paris 1835, S. 132 f.) erzählt, dabei aber über Goethe
und deutſche Litteratur, bei aller Anerkennung, in oberflaͤchlicher,
leichtfertiger Weiſe unbegruͤndete und ſchiefe Anſichten zum beſten
gibt. Der in dem Brief weiter genannte Jean Jacques Antoine
Ampere gehoͤrte zu den Mitarbeitern des Globe, wo er in den Num—
mern 55 64 des Jahres 1826 eine eingehende Beſprechung der von
Philipp Albert Stapfer herruͤhrenden Überſetzung CEuvres dra-
matiques de Goethe, traduits de l’allemand (Paris 1821-1825)
veröffentlicht hatte. Goethe ſchaͤtzte die geiſtvolle Beurteilung, die
der junge Franzoſe ſeinen Werken angedeihen ließ, außerordentlich
hoch ein und gab in ‚Kunft und Altertum‘ (1826) einen von
hoͤchſter Anerkennung fuͤr den Verfaſſer zeugenden Auszug (Werke
412, 177 ff.). Auch Ampere hatte eine Wallfahrt zu Goethe ge—
macht; vom 16. April bis 16. Mai 1827 wird er oͤfters im Tage⸗
buch genannt (vergl. Ampeères Berichte bei Biedermann 3, 380 ff.
und 395 ff.)
2. Es iſt bekannt, daß am Eingang der litterariſchen Lauf:
bahn Walter Scotts uͤberſetzungen deutſcher Dichtwerke ſtehen,
darunter die 1799 im Druck erſchienene Überſetzung „Goetz von
Berlichingen“ und die zum Teil freien Übertragungen der Balla—
den ‚Der untreue Knabe“ und ‚Erlfönig‘. (Vergl. L. K. Roeſel:
Die litterariſchen und perſoͤnlichen Beziehungen Sir Walter
Scotts zu Goethe. Leipziger Differtation 1901). Seotts In⸗
tereſſe fuͤr Goethe blieb auch in ſpaͤteren Jahren wach. So
In Überſetzung abgedruckt im Morgenblatt für gebildete Stände
1835 Nr. 17; vergl. auch Blätter für literariſche Unterhaltung 1835
Nr. 102.
200
n
äußerte er zu feinem nachmaligen Schwiegerfohn und Bio—
graphen Lockhart, als dieſer ihm beim erften Zuſammentreffen
(Mai 1818) von feinem Beſuch bei Goethe erzählte, wo er
den Dichter mit ſelbſt gepfluͤckten Pflanzen angetroffen hätte:
„Jam glad, that my old master has pursuits somewhat to my
own. I am no botanist.... but how should like to have a talk
with him about trees!“ (Lockhart: Life of Sir Walter Scott.
London & Edinburgh 1892, 1,383 f.). Goethe feinerfeits knuͤpfte
perſoͤnliche Beziehungen mit dem von ihm hochgeſchaͤtzten Erzaͤhler
an, indem er im Jahre 1827 dem auf dem Kontinent reiſenden
engliſchen Kunſtverleger Henderſon, der ihm am 14. Oktober 1826
aus Paris geſchrieben hatte, Scott würde ſich über einige Zeilen
ſeiner Hand ſehr freuen, einen Brief an dieſen, datiert vom 12.
Januar 1827, zur Beſorgung uͤberſandte (vergl. Briefe 42, 13 ff.
und 291). Dieſen Brief, der mit Dank des in fruͤheren Zeiten an
dem Schreiber und ſeinen Arbeiten genommenen Anteils erwaͤhnt
und um „Fortſetzung eines freundlichen Wohlwollens“ ſowie um
„fernere geneigte Teilnahme“ bittet, nahm Scott mit Wohlge—
fallen entgegen. In feinem Tagebuche erzählt er unter dem 15.
Februar 1827, er habe es ſich zur Regel gemacht, auslaͤndiſche
Briefe von Literaten ſelten zu leſen und nie zu beantworten.
„But Goethe is different, and a wonderful fellow, the Ariosto at
once, and almost the Voltaire of Germany!. Who could have told
me thirty years ago I should correspond, and be on something
like an equal footing, with the author of, Goetz?“ (The Journal of
Sir Walter Scott, Edinburgh 1890, 1, 359). Scotts Antwort vom
9. Juli 1827 wurde von Eckermann in den Geſpraͤchen (6. Auflage,
3,1 1off.) in deutſcherüͤberſetzung mitgeteilt; Lockhartveroͤffentlichte
den engliſchen Originaltext nach einer von Mrs. Jameſon, der
Freundin Ottiliens von Goethe, in Weimar genommenen
Abſchrift (Life, Ausgabe von 1839, 73. Kap.). Seitdem war
So nennt auch Vietor Couſin Goethe in dem Bericht über feine
erſte Unterhaltung mit ihm (Biedermann 2, 401).
201
der Brief verſchwunden (Goethejahrbuch 8, 103), bis er juͤngſt
in Ottiliens Nachlaß auftauchte. Da Lockharts Scott-Biographie
in weiteren Kreiſen unzugaͤnglich fein dürfte und da ſpaͤtere Aus:
gaben derſelben, wie z. B. die von 1892, den Brief nicht ent—
halten, darf angenommen werden, daß ein nochmaliger Abdruck
des friſchen, liebenswuͤrdigen und gemuͤtvollen Briefes nicht un:
willkommen ſein wird. Zur Erklaͤrung des Inhaltes iſt nicht viel
hinzuzufügen, Über Lockharts Beſuch in Weimar geben weder
Tagebuͤcher noch Briefe noch Geſpraͤche eine Auskunft (vergl.
Biedermann 3, 419). Nach dem oben angefuͤhrten Geſpraͤch
zwiſchen Scott und Lockhart hat er vor Mai 1818 ſtattgefunden. —
Scotts Freund Hope, in der Anſtalt Mouniers in Weimar er—
zogen, hatte im Jahre 1825 feine Söhne gleichfalls zur Erziehung
nach Weimar gebracht (vergl. Tagebuch 5. Mai 1825); am 5.
September dieſes Jahres nahm er von Goethe Abſchied (vergl.
Tagebuch und Brief an Carlyle vom 15. Januar 1828, Briefe
43 241). — Goethe forderte von der Firma Treuttel und Wuͤrtz,
Verlagshandlung in Paris und Straßburg, am 29. Oktober 1827
das noch nicht eingetroffene Leben Napoleons‘ (Briefe 43, 139).
Dieſes Werk beſchaͤftigte Goethe, wie zahlreiche Außerungen in
Briefen und Geſpraͤchen bezeugen, in der Folgezeit ſehr ange:
legentlich, und ſelbſt die darin kundgegebene „ſtockengliſche Sinnes⸗
und Urteilsweiſe über jene große Welterſcheinung“ (Geſpraͤch
mit Kanzler v. Muͤller, 31. Maͤrz 1831, Biedermann 4, 359)
konnte feine Wertſchaͤtzung des von Seott Geleiſteten nicht ver:
ringern. Eine für Kunſt und Altertum“ beſtimmte Beſprechung
iſt jedoch uͤber eine Skizze nicht hinausgediehen (Werke 422,
478 ff.). — Dirch den Konkurs feines Freundes und Verlegers
Ballantyne verlor Scott 117000 Pf. St. — chateau: Schloß
Abbotsford bei Melroſe im ſuͤdoͤſtlichen Schottland. — Der Rei—
ſende, der Goethe den Brief uͤbermittelte, war ein Kaufmann
Guſtav Schnell aus Koͤnigsberg (vergl. Tagebuch 21. Auguſt
1827 und Briefe 43, 360). — Goethe war uͤber Scotts
202
Brief fehr erfreut. „Sehen Sie Herrn Walter Scott,“ ſchreibt er
am 15. Januar 1828 an Carlyle, „ſo ſagen Sie ihm auf das
verbindlichſte in meinem Namen Dank fuͤr den lieben heitern
Brief, gerade in dem ſchoͤnen Sinne geſchrieben, daß der Menſch
dem Menſchen werth ſeyn muͤſſe“ (Briefe 43, 239). Auch ſchickt
er 6 Medaillen mit feinem Bildnis, 3 von dem Genfer Medailleur
Bovy (1824) und 3 Jubilaͤumsmedaillen von Brandt (1825),
mit der Bitte, „zwey Herrn Walter Scott mit meinen verbind—
lichſten Gruͤßen einzuhaͤndigen“ (an Carlyle 1. Januar 1828,
Briefe 43, 222). Carlyle entledigte ſich dieſes Auftrages als
„Ambassador between two Kings of Poetry“ in einem Briefe an
Scott vom 13. April, in welchem er auch die ganze Stelle des
Goethiſchen Briefes, die ſich auf Scott und fein ‚Leben Napo—
leons“ bezieht, im Wortlaut mitteilt (Carlyles Brief iſt abgedruckt
in The Journal of Walter Scott 2, 483 ff.); er unterrichtet Goethe
davon in einem Briefe am 18. April (Goethes und Carlyles Brief—
wechſel, deutſche Ausgabe von Oldenberg, S. 40 f., vergl. auch
S. 59). Den Dank für Goethes Sendung enthält der zweite hier
abgedruckte Brief Walter Scotts. Wer der Überbringer war, iſt
nicht bekannt. — James Lawrence, ein ſchriftſtellernder Engländer,
nahm von Zeit zu Zeit laͤngeren Aufenthalt in Weimar und ver—
kehrte dann viel bei Goethe, der ihn als einen ſehr geiſtreichen und
intereſſanten Mann ſchaͤtzte (vergl. den Brief an Gerning 3. Mai
1816, ſowie Goethe-Jahrbuch 19, 100 f. und Publications
of the English Goethe Society VI, S. 132 f.). Am 26.
Oktober 1829 meldet Goethes Tagebuch: „Herr Lawrence, der
uns ſeit 9 Jahren nicht beſucht hatte. Brachte ein Billet von
Herrn Walter Scott.“ Da kaum anzunehmen iſt, daß Scott ſeinen
Brief vom 11. September 1828 ſo ſpaͤt habe an ſeine Adreſſe
gelangen laſſen, ſo muß es ſich hier um einen dritten Brief Scotts
handeln, der aber nicht erhalten iſt. Der Überbringer war der
Bruder des oben genannten James Lawrence. Goethe gedachte
noch wenige Monate vor feinem Tode Seotts und Lockharts, in:
203
dem er in dem uͤbrigens nicht abgeſandten Konzept eines Briefes
an den engliſchen Maler Benjamin Robert Haydon dieſen beiden
ſeine Hochachtung und ſein Zutrauen bezeugt (Briefe 49, 384).
Als Scott ſchwer krank und ſeinem Ende nahe aus Italien nach
Hauſe zuruͤckkehren wollte, beabſichtigte er den Weg durch Deutſch—
land zu nehmen, hauptſaͤchlich um Goethe in Weimar zu beſuchen.
Noch bevor er die Ruͤckreiſe antrat, traf ihn die Nachricht von
Goethes Tod. In Rom aͤußerte er ſich daruber zu einem Lands—
mann, Mr. Cheney, in Worten tiefen Bedauerns. Cheney erzaͤhlte
ihm, er habe Goethe das Jahr vorher geſehen und ihn trotz dem
hohen Alter im vollen Beſitz feiner Geiſteskraͤfte gefunden; und Scott
aͤußerte in dieſem Geſpraͤch, Goethe habe einen großen Teil ſeiner
Beliebtheit Stuͤcken zu verdanken, die er ſpaͤter gerne zuruͤckge—
nommen hätte (Lockhart a. a. O., Ausg. 1892, 2, 762 und 764;
Eberty: Walter Scott 2 306),
3. Beziehungen Goethes zur ruſſiſchen Literatur ſpinnen ſich erſt
ſpaͤt ant; wenn wir abſehen von dem 1811 einſetzenden brieflichen
Verkehr mit dem Kanzler der Petersburger Univerſitaͤt, dem Ge—
lehrten und Staatsmann Sergej Uwarow, ſo beginnt ein Verhaͤlt—
nis zur zeitgenoͤſſiſchen ruſſiſchen Dichtung erſt, als der oben
S. 178 Anm. genannte Waſſily Andrejewitſch Schukowſky, der Be:
gruͤnder der romantiſchen Schule in Rußland, Goethe in Jena
beſuchte (29. Oktober 1821). Seine Perſoͤnlichkeit ſowohl wie
Dichtungen, die Goethe durch eine in demſelben Jahre erſchienene
uͤberſetzung von Bowring kennen gelernt hatte (vergl. Werke 412,
311 f.), erregten Goethes Intereſſe, das ſich bei einem zweiten Be—
ſuche in Weimar (September 1827) noch ſteigerte. Goethe hatte mit
Schukowſky ein „commentierendes Geſpraͤch tiber ‚Helena‘ (Tage:
buch vom 6. September 1827), die als „Zwiſchenſpiel zu Fauſt“
gerade in dieſem Jahre erſchienen war; und an dieſelbe Dichtung,
die unter den jungen ruſſiſchen Dichtern ſofort lebhaften Anklang
Vergl. O. Harnack: Goethes Beziehungen zu ruſſiſchen Schrift:
ſtellern (Eſſais und Studien zur Literaturgeſchichte S. 231 ff.).
204
gefunden hatte, knuͤpft unſer Beitrag zur Geſchichte des Verhaͤlt—
niſſes zwiſchen Goethe und der ruſſiſchen Literatur unmittelbar
an. In einer Zeitſchrift Moskowskoi Wjestnik (Der Mosko—
wiſche Bote) gab der junge ruſſiſche Dichter und Literarhiſtoriker
Stephan Petrowitſch Schewireff ſchon im Jahre 1827 eine aus—
fuͤhrliche Inhaltsangabe des Helena-Zwiſchenſpiels, der in einer
fruͤheren Nummer derſelben Zeitſchrift eine freie, aber gelungene
uͤberſetzung der Verſe 9273 —9384 vorausgegangen war,
Ein anderer junger Verehrer Goethes in Moskau, Nikolaus
Borchardt, ſpaͤter Mitglied des Miniſteriums der Aufflärung und
des oͤffentlichen Unterrichtes in Moskau, uͤberſetzte Schewireffs
Inhaltsangabe und umrahmte ſie mit eigenen Bemerkungen, die
von gluͤhender Begeiſterung fuͤr den deutſchen Dichter einge—
geben ſind. Das Ganze betitelte er „Goethes Wuͤrdigung in Ruß—
land zur Wuͤrdigung von Rußland“ und ſchickte es mit dem oben
mitgeteilten enthuſiaſtiſchen Brief an Goethe, worauf dieſer am
1. Mai 1828 antwortete (Briefe 44, 78 ff. und 370 f.). Der greife
Dichter geſteht in dieſem Briefe, wie unerwartet es ihm geweſen
ſei, „in Bezug auf mich jene ſo zarten als tiefen Gefuͤhle in dem
entfernten Oſten aufbluͤhen zu ſehen, wie fie kaum holder und an:
mutiger in den ſeit Jahrhunderten ſich ausbildenden weſtlichen
Laͤndern zu finden ſein duͤrften“; und er ſpricht offen ſeine Ver—
wunderung aus, „das Problem oder vielmehr den Knaul von
Problemen, wie meine Helena ſie vorlegt, fo entſchieden-einſichtig
als herzlich-fromm gelöft zu wiſſen“. Die Helena-Dichtung hatte
aber nicht bloß in Rußland, ſie hatte auch in den Literaturkreiſen
Frankreichs und Englands Aufſehen erregt. In Frankreich war
es der junge Ampere, der im Globe, dem Organ der jungen
franzoͤſiſchen Romantik (20. Februar 1828), in England war es
Carlyle, der in Nr. 2 des Foreign Review dieſer Dichtung eine
eingehende Beſprechung widmete. Goethe verfolgte dieſe Beſtre—
bungen ſeiner auslaͤndiſchen Freunde mit dankbarem Intereſſe
(vergl. Tagebuch vom 1., 12., 14., 15. März, 28. April 1828)
205
und ſprach ihnen auch oͤffentlich, in, Kunſt und Alterthum“ feine
Anerkennung aus. „Hier ſtrebt nun der Schotte, das Werk zu
durchdringen; der Franzoſe, es zu verſtehen; der Ruſſe, ſich es
anzueignen. Und fo hätten die Herren Carlyle, Ampere und
Schewireff ganz ohne Verabredung die ſaͤmmtlichen Kategorien
der möglichen Theilnahme an einem Kunſt- oder Naturprodukt
vollſtaͤndig durchgeführt” (Werke 412, 358). Ahnlich, in der
Hauptſache wörtlich, aͤußert er ſich in Briefen an Zelter vom 21.
Mai und an Carlyle vom 15. Juni 1828 (Briefe 44, 101 und
138; vergl. auch Eckermann an Carlyle vom 15. Juni 1828 in
Goethes und Carlyles Briefwechſel S. 52). Goethes Brief an
Borchardt wurde im Moskowiſchen Boten (1828, S. 120 ff.)
im Original und in ruſſiſcher Überſetzung abgedruckt; er machte
in ruſſiſchen Literaturkreiſen ſo tiefen Eindruck, daß Puſchkin,
als er ihn geleſen hatte, an Pogodin, den Herausgeber der Zeit—
ſchrift, ſchrieb: „Das Journal muß die Erwartungen der wahren
Literaturfreunde und die Billigung des großen Goethe recht—
fertigen. — Ehre und Ruhm unſerem lieben Schewireff! Sie
haben ſchoͤn gehandelt, daß Sie den Brief unſeres Patriarchen in
Deutſchland abgedruckt haben“ (Harnack a. a. O. S. 237). —
Das Zitat aus ‚Helena‘ S. 179 beruht auf der Ausgabe letzter
Hand (Taſchenausgabe) Bd. 4. — Die Verſe Schukowſkys befin-
den ſich in ruſſiſcher Niederſchrift und in deutſcher Überfegung in
Goethes Nachlaß. Letztere lautet:
Allumfaſſend ſchwebet, und feſſelfrei, ſein Gedanke
uͤber der Erde, alles begreift er und nichts unterjocht ihn.
4. Dieſer Brief eines Verwandten von Lord Byron, worin ſich
Verehrung fuͤr Goethe und naiv-aufdringliche Autographen: und
Raritaͤtengier ineinander mengen, hat ſich im Nachlaß Ottiliens
gefunden, — Byron widmete Goethe die Tragoͤdie ‚Werner‘:
„To the Illustrious Goethe, by one of his humblest admirers“
(1822). Die Widmung des Trauerſpiels, Sardanapal' an Goethe,
für die ſchon eine längere Zueignung ausgeführt war, unterblieb
206
durch Verſchulden des Verlegers Murray. — In dem erften der
drei von Goethe gedichteten Spruͤche, die auf der abgeſtumpften
dreiſeitigen Pyramide im Prinzeſſinnengarten zu Jena angebracht
ſind, iſt „Krone“ ein Gedaͤchtnisirrtum fuͤr „Palme“. Der dritte
Spruch lautet:
Irrtum verlaͤßt uns nie, doch ziehet ein hoͤher Beduͤrfnis
Immer den ſtrebenden Geiſt leiſe zur Wahrheit hinan.
Johannes Falk: Goethe aus naͤherm perſoͤnlichen Umgange dar—
geſtellt; ins Engliſche uͤberſetzt in Sarah Austin: Characteristics
of Goethe from German of Falk, v. Müller etc., London 1833,
3 Bände,
207
Geſpraͤche mit Goethe
Aufgezeichnet von Heinrich Meyer
Neu bekannt gemacht von Max Hecker
1. Es war am 24. Juni 1805, als Wieland und Jacobi
bei Goethe aßen, da Wieland ſich gegen Jacobi uͤber ſich
ſelbſt ohngefaͤhr alſo aͤußerte:
Er ſei nun wohl 56 Jahr Schriftſteller, habe nie aus
Ruhmbegier, ſondern aus Liebe an der Sache gearbeitet,
kenne die Gebrechen ſeiner Werke recht gut, ſei ohne Zweifel
viel zu ſehr erhoben worden, aber im Gegentheil werde er
von der nunmehr emporſtrebenden Jugend zu geringe ge—
ſchaͤtzt. Vor allem ſei ihm nahe gegangen, daß einer geſagt
habe: Wieland habe nichts Eigenes; wenn die Schrift—
ſteller eine Tagſatzung halten und jeder das Seine wieder
fodern wuͤrde, ſo bliebe an ihm, Wielanden, nichts uͤbrig.
Fleißig habe er die Griechen und Roͤmer, Franzoſen, Eng—
laͤnder und Italiener geleſen und habe das Geleſene gegen—
waͤrtig, doch ſei ihm kein Gedicht vorgekommen in der Art
wie Muſarionz dieſes koͤnne er fein reines Eigenthum
nennen, deßgleichen Der Moͤnch und die Nonne. Er
glaube ferner auch den Co mbabus als ihm angehoͤrig be⸗
trachten zu doͤrfen, weil ein franzoͤſiſch Gedicht aͤhnlichen
Inhalts von dem ſeinigen ſo ſehr weit uͤbertroffen ſei, daß
— hier ward er gleichſam ungedultig — niemand mehr
den A — daran wiſchen möchte. Aber wenn er jetzt zu ſehr
verachtet werde, ſo werde hingegen auch eine Zeit kommen,
da er wieder etwas gelte.
Mit Goethe, der doch unter allen Dichtern wohl das
208
meiſte Eigenthuͤmliche (oder wie er ſich ausdruͤckte, am
meiſten Objektives) habe, werde ſichs in kurzem Ähnliches
ereignen. Die jungen Dichter wuͤrden ihn tadeln und endlich
gering ſchaͤtzen, allein die Zeit werde ebenfalls kommen, da
er und jeder nach Recht und Wuͤrde werde geſchaͤtzt werden.
Jacobi ſagte, er ſei mit der Art, wie die Epiſode von der
Titania im Oberon eingeflochten ſei, nicht zufrieden; Wie—
land hingegen ſagte, er betrachte eben dieſes, daß die ein—
geflochtene Epiſode den Schluͤſſel und Knoten des Gedichts
aus mache, als ein gelungenes Kunſtſtuͤck.
Goethe lobte Lavaters Geiſt, Talent und Beobach—
tungsgabe — er wuͤßte keinen zu nennen, dem er Lavatern
vergleichen koͤnnte.
2. 11. Januar 1806. Das bei Goͤſchen in Leipzig heraus—
kommende Journal fuͤr Frauen und geſchrieben von Frauen
gab Goethen, da er es auf der Bibliothek fand und darin
eine Nekropompe von Seume auf Schiller bemerkte, An—
laß, ſehr witzig zu ſagen: Mancher Hermaphrodit mag in
dieſem Werke ſtehen!
3. Eben damals war die Rede von einem Almanach, den
Nicolai, Herdern zu necken, unter dem Titel Ein Feiner
Almanach herausgegeben, der Volkslieder enthalten
ſoll. Hierauf ſagte Goethe, Nicolai ſei mit Bileam, der
Feine Almanach mit deſſen Eſel zu vergleichen, der kluͤger
als der, der ihn ritt, geweſen, und Nicolai habe gegen ſeine
Abſicht darin recht gute Lieder drucken laſſen und alſo mehr
geſegnet als geflucht.
Da Pitts Tod kund wurde, ſtund eben in der Allge—
meinen Zeitung ein wahrſcheinlich von Boͤttiger geſchrie—
bener Aufſatz, welcher mit den Worten: Der arme po—
209
dagriſche Pitt anfing. Sehr paſſend, ſagte Goethe, laſſe
ſich hierauf die Fabel vom Fuchs anwenden, welcher den
toten Löwen bep—ßt.
Da Bertuch, mit laͤcherlicher Eitelkeit, ſich geruͤhrt ſtellend,
Mouniers Tod dem weimariſchen Publicum im Wochen—
blatt verkuͤndete, rief Goethe aus: O, wie wohl thaͤten dieſe,
wenn ſie kein Herz haben wollten!
4. 22. Februar 1806. Goethe bemerkte, da der Macbeth
aufgefuͤhrt wurde, er kenne weder aus dem Alterthum noch
neuerer Zeit eine beſſere Compoſition als dieſe. Sie ent—
halte nicht weniger verſtaͤndige Überlegung als geniale poe—
tiſche Freiheit, grenze mit der groͤßten Kuͤhnheit zuweilen
bis ans übertriebene und nie ſei doch die Schranke des Er—
laubten und Rechten uͤberſchritten worden.
Die Erſcheinung des Banko ſchien er fuͤr einen der herr—
lichſten Zuͤge echt dramatiſchen Werths zu halten.
*5, 10. Mai 1806. Als die Vier Tageszeiten, Kupfer⸗
blaͤtterumriſſe von Runge, ankamen und Goethe die Zweck—
maͤßigkeit, das Charakteriſtiſche im Ausdruck und die Man-
nigfaltigkeit und Gewandtheit des Kuͤnſtlers betrachtet
hatte, ſagte er: Endlich Haft du, Galilaͤer, doch überwunden.
6. 21. Maͤrz 1806. Goethe erklaͤrte, er habe niemals uͤber
die Theorien der Poeſie anhaltend und ernſt nachgedacht;
von allen ſeinen poetiſchen Werken ſei keines mit klarem
Verſtande deſſen, was gemacht werden ſolle und muͤſſe, ſon⸗
dern bloß durch ein Gefuͤhl, eine Ahndung, das ſei das Rechte,
entſtanden, ohne weiteres Raͤſonnement daruͤber. In Sachen
der bildenden Kunſt hingegen habe er zwar wenig geleiſtet
aber viel uͤber die Theorien derſelben nachgedacht und
210
meinte, dieſe hätten bei ihm gleichlam ftatt eines Symbols
der Poeſie gedient und das Nachdenken im Fach der bilden—
den Kunſt ihn in ſeinem eigenthuͤmlichen Feld, im poeti—
ſchen Schaffen und Wirken viel gefoͤrdert.
Er ſprach hierauf von der Farbenlehre und ſagte, in natur—
hiſtoriſchen Dingen waͤre einigermaßen derſelbe Fall bei
ihm, daß er naͤmlich eines durch Nachdenken uͤber das an—
dere beſſer begreifen haͤtte lernen: die Forſchungen uͤber die
Farben haͤtten ihm die Elektricitaͤt klarer gemacht, den
Magnet, den Galvanism p. und umgekehrt Nachdenken
uͤber dieſe Theile der Phyſik haͤtte ihm bei den Forſchungen
uͤber die Farbenerſcheinungen Nutzen gebracht, weil in ele—
mentariſchen Dingen immer eines das Symbol fuͤr das
andere ſei.
7. Den 16. April 1806. Déjeuner bei Goethe. Gegen—
waͤrtig waren Fraͤulein aus dem Winkel und Capellmeiſter
Eberl aus Wien.
Letzterer erzaͤhlte mancherlei von Mozart. Deſſen Vater,
ein tuͤchtiger Muſikus und Capellmeiſter des Erzbiſchofs zu
Salzburg, habe den Sohn gleich vom 4. Jahre an unter—
richtet und alle ſeine Geiſteskraͤfte fuͤr die Muſik in An—
ſpruch genommen, daher Mozart auch von jeder andern
Seite ungebildet geweſen. Eberl ſchien ſich daruͤber zu wun—
dern, wie Mozart ohne Welt, ohne vielſeitiges Wiſſen doch
die Charaktere aus den Dichtungen, die er in Muſik geſetzt,
ſo gut habe faſſen und halten koͤnnen.
Wir fanden beinahe Urſache, uns uͤber Herrn Eberl zu
verwundern, der nicht einzuſehen ſchien, daß eine voll—
kommne Bildung, worin ſie auch beſteht, eben alles um—
faßt und daß einer, worin er excellent iſt, allemal zu
den vorzuͤglichen und gebildeten Menſchen uͤberhaupt ge—
hoͤrt.
211
8. 7. Juni 1806. Einſiedels, Bekanntſchaft im Bade“.
Goethe bemerkte vom Advocat Strampel, es ſei fehler—
haft, dieſem Wuͤrdigkeit zu geben und ihn zugleich zur
luſtigen Perſon im Stuͤck zu machen und dabei noch das
Deforme in der Geſtalt zuzuſchreiben.
Nichts werde zur Erſcheinung gebracht, ſondern bloß er—
zaͤhlt, was geſchehen iſt und was geſchehen ſoll.
Die Alten waͤren auch hierin zum Muſter zu nehmen.
Wenn ſie den Paraſiten verfratzten, ſo ſei derſelbe nichts
anders als der Paraſite, bloß der, über welchen gelacht wird;
wenn er hingegen wie hier Wuͤrdiges thue oder ausſpreche,
ſo belache nachher das Laͤcherliche niemand mehr.
9. Im Anfang Novembers 1806.
Goethe verglich die Srlanzofen] mit Haaren, die, an dem
Schweif des Fuchſes durch Loͤcher und Schluchten gezogen,
noch geſtreichelt werden und ſich am Ende wundern, wie
ſie da durchgekommen ſind.
In Bezug auf Werke guter Schriftſteller: Wenn der
Baͤcker wuͤßte oder bedaͤchte, was fuͤr Lumpenpack ſein Brot
aͤße, er wuͤrde lieber keines backen.
Ahndung.
Einige Zeit vor dem 14. October ging er in Jena den
Graben hinauf, bedenkend die Anſtalten, die Gefahren,
die moͤglichen Folgen, blickte uͤber die Haͤuſer der Stadt,
und ihn duͤnkte, es flimmerte und regte ſich uͤber den
Dächern wie etwa, wenn eine Kohllen pfanne im Freien
ſteht und man uͤber derſelben die Luft ſich bewegen ſieht.
Dieſes Phaͤnomen erſchien ihm zu derſelben Stunde mehrere
Male, indem er wiederholt ſeinen Blick auf die Haͤuſer
richtete, und er hatte kein Hehl, daß dieſes Ereigniß Urſache
212
war, von Jena nach Weimar zu gehen, wo feine Gegen:
wart auch ohne allen Zweifel Urſache war, daß ſein Haus
von Pluͤnderung verſchont geblieben; ſonſt gedachte er in
Jena noch laͤnger zu verweilen und ſeinen Elpenor fuͤr
den Druck zu corrigiren.
10. Im November 1806, als der erſte und 2. Band
der neuen Auflage ſeiner ſaͤmmtlichen Werke gedruckt war
und man uͤberhaupt davon ſprach, ſagte er zu mir und
Riemer ſcherzend: Geſtern habe ich ein wenig vorne hinein
im Wilhelm Meiſter geleſen. Hoͤren Sie, das Ding iſt
gar nicht ſchlecht geſchrieben, duͤnkt mich.
Dieſes naive Urtheil bezog ſich naͤmlich darauf, daß eben
das Erſte oder der Anfang im Wilhelm Meiſter noch in
ſeiner fruͤhern Zeit angelegt und, als in den neunziger Jahren
das Übrige hinzugefügt wurde, mit aufgenommen und wie
natuͤrlich uͤberarbeitet worden.
11. Nach Goethes Rath, den 4. Februar 1807, waͤre ein
Baͤndchen gleichſam Initiationen in Kunſt und Kunſt—
geſchichte abzufaſſen, wo die beruͤhmteſten Kuͤnſtler aller
Schulen verzeichnet waͤren mit Angabe, wenn ſie geboren,
wo ſie gelebt und wenn ſie geſtorben ſind, dazu einige Haupt⸗
zuͤge ihres Kunſtcharakters und endlich, wo ihre vorzuͤglichen
Werke zu finden ſind.
12. 21. Maͤrz 1807. Vom Standhaften Prinzen
des Calderon, den er in dieſen Tagen bei der Hofraͤthin
Schopenhauer ſtuͤckweiſe vorgeleſen, meinte er, zwar habe
dieſes Stück in manchem den modernen Zufchnitt, ſei aber
ſo groß gedacht und angelegt wie Odipus in Kolonos.
Es entlaſſe ſeines Endes wegen den Hoͤrer oder Zuſchauer
befriedigt, da hingegen die Stuͤcke des Shakeſpeare immer
213
in Disharmonie fich auflöfen und entweder traurige oder
ſchmerzhafte Empfindungen zuruͤcklaſſen.
13. Den 4. April 1807. Emilie Galotti von Leſſing wurde
gegeben. Goethe machte die Bemerkung, nie habe der Ver—
ſtand ein genialiſcher Werk hervorgebracht. Die beiden
Motive, wo im Anfang des Stuͤcks der Prinz der Graͤfin
Orſina Brief nicht lieſt und ungedultig, gegen den Plan
des Marinelli, in die Kirche laͤuft, um die Emilie zu ſprechen,
woraus die Verwicklung des ganzen Stuͤcks entſteht, nannte
er groß und unuͤbertrefflich.
14. 30. April 1807. Bei Gelegenheit eines in Paſtell gez
malten Bildniſſes der Madame Schopenhauer, ſie ſelbſt
darſtellend, und eines nur untermalten Bildnißgemaͤldes
in Ol von der Mademoiſelle Bardua, die Hofmedicus Her—
derin nebſt 2 Kindern darſtellend, ſagte Goethe insgemein
zu mir: Kunſtarbeiten von Damen ſetzen einen jedesmal
in Verwunderung, geben aber nie Gelegenheit zur Be—
wunderung. Er gab in Verfolg des Geſpraͤchs dieſem
Wort eine weitere und allgemeine Ausdehnung auch auf
Poeſie und überhaupt alles, wo Frauen ſich mit Kunſt be:
faſſen.
15. Den [Rüde] September. Bei Gelegenheit, da Goethe
feinen Prolog [Lücke] ſchrieb, erklaͤrte er ſich über weſent—
liche Stücke der Poeſie gegen mich folgendermaßen.
Die Poeſie kann ans Herzſprechen, und dieſes iſt eigentlich
die Stufe, worauf das Publicum unſerer Tage ſteht; daher
erhielt Taſſo, daher andere ſo große Zuneigung. Hoͤher
kann ſie zur Leidenſchaft ſprechen, ja ſie erregen, auch zum
Verſtand, und hierin beſtund vornehmlich Schillers Talent.
Aber das Hoͤchſte iſt, wenn ſie an die Imagination ſpricht,
217
wenn fie, ohne ſich ins Detail einzulaſſen, mit gewaltigen
Worten den Zuhörer mächtig faßt und erſchuͤttert. (Er
machte hierbei eine Gebaͤrde, wie wenn man einen mit
Faͤuſten an den Haaren faßt und ſchuͤttelt.) Das iſt es, wo⸗
mit die Alten Großes gewirkt haben, und ihr beſonderer
und eigener Vorzug; mein jetziges Stuͤck will ich verſuchen
ebenfalls in dieſer von den Alten geuͤbten Weiſe zu behandeln.
Ich erinnerte, daß es mir ſchien, als ob die beſchreibende
Poeſie (wie z. B. Wieland) eben durch großes Detail dem
Spiel der Imagination der Zuhörer Einhalt thue, ihm Be—
ding und Schranken ſetze, welches Goethe zugab.
Um eben die Zeit las er viel in einer Sammlung von
alten Volksmaͤrchen, welche er ſich gemacht hatte, lobte be⸗
ſonders die Haymons kinder und das Märchen von den
7 weiſen Meiſtern. Letzteres gefiel ihm vorzüglich der
ſchoͤnen Erfindung wegen.
16. Am 8. Februar 1808 las ich Goethen aus der Schrift
Lichtſtrahlen v. Maſſenbachs Recenſion uͤber v. Muͤff⸗
lings Schrift vom Feldzug und Aufreibung der Preu—
ßen 1806 vor. Es wird darin gemeldet, der Herzog von
Braunſchweig habe voraus alles Ungluͤck geſehn und den
Tod geſucht p. — Goethe bemerkte, der Herzog von Braun—
ſchweig habe ſchon vor vielen Jahren und noch vor der
franzoͤſiſchen Revolution gegen Herder einmal vertraulich
geäußert: er ſehe die innere Aufloͤſung der ganzen preußi⸗
ſchen Einrichtung wohl ein, wolle ſuchen, alles, ſo gut es
gehen moͤge, hinzuhalten, und wenn alles zuſammenbreche,
ſei eine Kugel fein endlich Bedürfniß. .
17. Goethe bemerkte mir einft, 1. Mai 1808, die beiden
Verſe in Wallenſteins Lager:
217
Ein Hauptmann, den ein andrer erſtach,
Ließ mir die gluͤcklichen Wuͤrfel nach,
ruͤhrten von ihm her.
An eben dem Tage erzaͤhlte er mir, da wir zuſammen
von Jena nach Weimar fuhren, den Inhalt, den er ſeinem
Roman Die Wahlverwandtſchaften geben wollte.
18. Die Ottave Rime ſeien fuͤr Gedichte, wo Empfindung
ausgedruͤckt wird, nicht ſchwer, als Erzaͤhlung hingegen faſt
ohnmoͤglich zu machen.
19. Goethe ſagte einſt: Der ganze Gedankenkreis der
neu⸗katholiſchen Kuͤnſtler beſchraͤnkt ſich auf ein Mädchen,
eine Blume und ein Fluͤgelkind, als ob die ganze uͤbrige
Natur und Ideenwelt ihnen verſchloſſen waͤre.
In einer bedeutſamen Selbſtbetrachtung, die wahrſcheinlich fuͤr
Dichtung und Wahrheit beſtimmt geweſen, aber nicht verwendet
worden iſt, berichtet Goethe: „In meiner beſten Zeit ſagten mir
öfters Freunde, die mich freilich kennen mußten: was ich lebte fei
beſſer, als was ich ſpreche, dieſes beſſer, als was ich ſchreibe, und
das Geſchriebene beſſer als das Gedruckte“ (Werke, Weim. Ausg.,
36, 232). Dies Wort, von wem es auch ſtammen mag, das, recht
verſtanden, tief hineinfuͤhrt in Goethes Weſen bis dahin, wo der
unentraͤtſelbare Urgrund der Individualitaͤt beginnt, dieſes ge—
wichtige Wort legt uns die Verpflichtung ob, allen Berichten
über muͤndliche Außerungen des Dichters eifrig nachzugehen;
wer ſich darauf berufen will, daß es nur fuͤr Goethes „beſte Zeit“
Geltung habe, ſei verwieſen auf Bettinens v. Arnim Zeugnis:
„Souvent dans l'abandon, moi à ses pieds, les yeux fixés sur lui,
il m'a dit des choses plus grandes, plus profondes, plus &nergiques
que tout ce qu'il a écrit“ (Couſin: Fragments et Souvenirs, troi-
sième édition, Paris 1857, S. 163). Dem verklingenden Worte,
216
dem verwehenden Atem hat Goethe die unmittelbarfte Offen:
barung ſeines Selbſtes anvertraut, der getreueſte Abdruck ſeiner
perſoͤnlichkeit iſt zugleich der vergaͤnglichſte geweſen, er iſt in zahl—
loſen Fällen auf immer verloren. Um fo höheren Dank ſchul—
den forſchende Liebe und liebende Forſchung jedem verſtaͤndnis—
vollen Hoͤrer, der Goethes Rede mit Kraͤften des Verſtandes und
Herzens feſtgehalten und weitergegeben hat, jeder empfaͤnglichen
Seele, die auch uns, den Nachgeborenen, das Bild des Goethi—
ſchen Geiſtes, wie er ſich ihr damals eingepraͤgt, zu erfaſſen
vergoͤnnt. Und Dank nicht weniger dem unermuͤdlichen Sammler,
der mit Spuͤrſinn und Findergluͤck „Goethes Geſpraͤche“ vereinigt
hat, dem Freiherrn Woldemar v. Biedermann, deſſen zehnbaͤn—
diges Werk, 1889 — 189 erſchienen, von feinem Sohne Flodoard
in zweiter, inhaltlich ſtark vermehrter, aͤußerlich auf fünf Bände
zuſammengedraͤngter Auflage vor wenigen Jahren (1909 — 1911)
aufs neue vorgelegt worden iſt.
Es ſind nicht die Goethe am naͤchſten ſtehenden Perſonen, die
ſich gedraͤngt gefuͤhlt haben, ihre Unterhaltungen mit Goethe auf—
zuzeichnen. Wo find die Erinnerungen Ottiliens, die, hochbegabt
und ſchreibgewandt, freilich in der Lage geweſen waͤre, in taͤg—
lichem Umgang mit dem Vater Ewigkeitsworte aus ſeinem Munde
zu bewahren, wenn ſie es nicht vorgezogen haͤtte, die Zuckungen
der eigenen unftäten Leidenſchaft zu belauſchen! Wo iſt mit feinen
Niederſchriften Johann Heinrich Meyer, er, Goethes Gefaͤhrte in
gluͤcklichen roͤmiſchen Tagen, dann in Weimar zehn Jahre lang
ſein Hausgenoſſe, uͤber ein Menſchenalter hinaus ein gepruͤfter
Freund, bei mancher oͤkonomiſchen Verlegenheit ein verſchwiege—
ner Helfer, als Leiter der Zeichenſchule ein gleichgeachteter Unter—
gebener, als gruͤndlicher Kenner der Kunſt und Kunſtgeſchichte
ein ausſchlaggebender Berater! {
Indeſſen: Meyer hat wenigftens begonnen, Goethiſche Aus-
ſpruͤche zu notieren. Was davon aufgetaucht iſt, findet ſich in Vor:
ſtehendem gedruckt, zur Vervollſtaͤndigung des Biedermanniſchen
217
Werkes. Jede Nummer unferer Sammlung (mit Ausnahme der
Nummern 2 und 5, uͤber die weiter unten beſonders zu berichten
iſt) ſteht für ſich auf ſelbſtaͤndigem Zettel, erſte Niederſchriften,
ungeglättet im Ausdruck, nicht für fremde Leſer beſtimmt. Das
meiſte aus dem unmittelbaren Erleben heraus aufgegriffen, nur
weniges (etwa Nr. 3, 9, 10, 15, 17) aus nachtraͤglicher Erinne—
rung hervorgeholt. Daß die nicht eben lange Reihe nur der Reſt
einer weſentlich umfangreicheren Arbeit ſei, iſt kaum wahrſchein—
lich; ſo ſicher es iſt, daß von ſolchen Zetteln dieſer oder jener ſich
unwiederbringlich verloren hat oder ſich unerkannt unter Meyers
eigenen Aphorismen und Bemerkungen verborgen haͤlt, ebenſo
ſicher iſt es, daß Meyer ſeine Bemuͤhung bald eingeſtellt hat.
Vielleicht, weil ihm bei der gründlichen Übereinftimmung in
Kunſtbegriffen und -Anſchauungen, vermoͤge welcher die Freunde
ſich mit gemeinſamer Schriftſtellerchiffre in der Offentlichkeit als
die Einheit der „Weimariſchen Kunſt-Freunde“ darſtellen durften,
ein Urteil Goethes oft genug nur wie ein Echo der eigenen Über:
zeugung vorkommen mochte. Der Kanzler Friedrich v. Muͤller, der
dem alten Meyer nicht ſonderlich gewogen war, berichtet unter
dem 10. Auguſt 1827: „Goethe erklaͤrt ſich fuͤr ſo durchaus in
den Praͤmiſſen und Grundſaͤtzen mit Meyern einverſtanden, daß
es beiden oft ſchwer wird, zu einer Unterhaltung oder Diskuſſion
zu kommen. Sie ſitzen oft ſtundenlang vergnuͤgt einander gegen—
uͤber, ohne daß einer mehr als abgebrochene Worte vorbringt.“
Ein zweiter Grund wird hinzukommen. Ein gewandter Anekdoten⸗
erzähler, deſſen Scherzgeſchichten bei den zartſinnigen Damen der
Schopenhaueriſchen Teegeſellſchaft freilich eher gefuͤrchtet als be—
liebt waren, mochte Meyer ſich doch nicht gern zu ausſpinnender
Rede bequemen, war er eher einſilbig als geſpraͤchig; er war mund:
faul, er murmelte mehr, als daß er ſprach, was ihm Ludwig Tieck
in ergoͤtzlicher Weiſe nachzumachen verſtanden hat. Ein vortreff—
licher Stiliſt, der in feinen Beiträgen zu Goethes ‚Propylaͤen“
Muſterbeiſpiele klarer Darſtellung, warm-lebendiger Naturſchilde⸗
218
rung lieferte, war er doch frei von dem Schriftftellerdrange des red—
ſeligen Eckermann oder der Selbſtgefaͤlligkeit des geſchmeidigen So—
ret. Seine Aufzeichnungen der Goetheworte ſcheinen vom gleichen
Geiſte der Rede- und Schreibunluſt getragen zu ſein. Knapp, ge—
draͤngt, weitſchweifiger Situationsmalerei abhold, zufrieden mit
der Wiedergabe des einzelnen Ausſpruches, des Endergebniſſes, der
Quinteſſenz, ähneln fie den Berichten, die Riemer in ſeinem Tage:
buch hinterlaſſen hat; aber was bei dieſem, dem geiſtesfrohen Dialek—
tiker, durch die Luſt an epigrammatiſcher Zuſpitzung bewirkt wor—
den iſt, ſtellt ſich bei Meyer als die Folge ſeiner Wortkargheit dar,
die denn den ſchoͤnen Vorſatz nur zu bald gaͤnzlich gelaͤhmt hat.
Wir beklagen den geringen Umfang unſerer Sammlung, wir
freuen uns ihrer Reichhaltigkeit. Ihr bunt wechſelnder Inhalt,
der den harmloſen Spott uͤber literariſche Nichtigkeit ebenſo in
ſich einſchließt wie die wertvolle Selbſtbetrachtung, mag in ſeiner
Bedeutſamkeit ſelbſt Zeugnis fuͤr ſich ablegen. Was ihren Wert
erhöht, ift die frühe Periode, uͤber die fie ſich verbreitet. Erſt im
zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ſetzt die Hochflut der
„Geſpraͤche mit Goethe“ ein; fo ungleichmaͤßig iſt der ganze Stoff
uͤber Goethes Lebensdauer verteilt, daß von den fuͤnf neuen
Biedermanniſchen Baͤnden der erſte fuͤr den langen Abſchnitt
1754— 1808 ausreicht. Und noch auf eines iſt aufmerkſam zu
machen. Am 11. Oktober 1809 leſen wir im Tagebuch: „Schema
einer Biographie“; an dieſem Tage hat Goethe den erſten aͤußer—
lichen Schritt getan zur Verwirklichung ſeiner Abſicht, dem deut—
ſchen Volke eine Darſtellung ſeines Werdeganges zu ſchenken. In
ſeinen Unterhaltungen mit Meyer aber ſtellt er uns, ſich ſelbſt
unbewußt, ohne Abſicht und Willen mitten hinein in die geheimnis—
volle Zeit der inneren Vorbereitung. Wir ſehen ihn ſich uͤber ſeine
Eigenart, uͤber die Grundlinien ſeines dichteriſchen Schaffens
Rechenſchaft geben, wir ſehen ihn den Standpunkt beſtimmen, von
dem aus er Nicolai und Leſſing beurteilen wird, den Ton ge—
rechter Anerkennung wiederfinden, mit dem nach langen Jahren
219
feindſeliger Abkehr der hart gefcholtene Lavater gewürdigt werden
ſoll; wir ſehen ihn in die Volksbuͤcher vertieft, aus denen vor Zeiten
der Knabe ſeine Einbildungskraft genaͤhrt hatte. Lange bevor
der Strom des Geiſtes ſich in den Sturz der Produktion ergießt,
ſehen wir, wie die Flut ſich kraͤuſelt und in Wirbeln bewegt
wird.
Das Verdienſt, Meyers Niederſchriften zuerſt veroͤffentlicht zu
haben, kommt nicht uns zu. Karl Kuhn, geboren 3. Februar 1840,
1873 vortragender Rat im Staatsminiſterium zu Weimar, 1890
Miniſterialdirektor, geſtorben als Geheimer Staatsrat 13. No⸗
vember 1906, erfolgreich bemüht um das Volksſchul- und Kirchen⸗
weſen des Großherzogtums Sachſen, ein verſtaͤndnisvoller Foͤr—
derer der Goethe-Geſellſchaft und des Goethe-Nationalmuſeums,
dem, anderer Verdienſte zu geſchweigen, die Entdeckung der Grab:
ftätte Chriſtianens verdankt wird, Dichter und geſchickter Schrift:
ſteller nicht nur aufjuriſtiſchem, ſondern auch auf kulturhiſtoriſchem
Gebiete, in weiteren Kreiſen bekannt durch ſein liebenswuͤrdiges
Buͤchlein Aus dem alten Weimar. Skizzen und Erinnerungen“,
fand die Meyerſchen Papiere im Nachlaſſe ſeines Großvaters, des
Weimarer Oberbuͤrgermeiſters B. F. R. Kuhn, und gab ſie, mit
Ausnahme der Nummern 2, 5, 19, unter der uͤberſchrift ‚Aus
Kunſt⸗Meyers Nachlaß“ in Druck in der von Friedrich Steger
redigierten ‚Europa‘, 1874, Nr. 47. Im Februar 1888 hat er fie
dem Goethe- und Schiller-Archiv als Geſchenk uͤberwieſen; im
Beſitz ſeiner Gattin iſt eine Abſchrift von ſeiner Hand verblieben,
die auch die Nummern 2, 5, 19 enthaͤlt. Wir durften dieſe un⸗
bedenklich mit einordnen, zumal da ſich zu 19 nachtraͤglich das
Meyerſche Original (das die einfuͤhrenden Worte „Goethe ſagte
einſt“ nicht enthaͤlt) angefunden hat. Kuhns Veroͤffentlichung, die
auf jede erlaͤuternde Zugabe verzichtet und Goethes Worte in
eine ſachliche Anordnung zu bringen ſucht, iſt unbeachtet ge—
blieben; von ſeinem und Meyers Unternehmen gilt, was Goethe
in ähnlichem Falle geſagt hat (an Zelter, 14. April 1820): „Es
220
iſt in dem lieben Deutſchland verſchollen und mit vielem andern,
Gutem und Nuͤtzlichen, von den Sandweben des Tags zugedeckt,
wird aber immer doch wieder einmal wie der Bernſtein ausge—
ſchwemmt oder ⸗gegraben.“
1. Friedrich Heinrich Jacobi, nach Muͤnchen berufen, um zur
Neugeſtaltung der Akademie der Wiſſenſchaften mitzuwirken, die
er dann am 27. Juli 1807 als ihr Praͤſident eroͤffnet hat, war
im Mai 1805 von feinem damaligen Wohnſitz Eutin aufge:
brochen, um ſich uͤber Berlin, Leipzig, Weimar, Frankfurt a. M.
nach ſeinem neuen Wirkungsort zu begeben. Von Zelter, dem er
in Berlin ſehr bald bekannt und lieb geworden, in einem Briefe
vom 8. Juni 1805 noch fuͤr den laufenden Monat angekuͤndigt,
wird er etwa am 20. in Weimar eingetroffen fein; in den erſten
Tagen des Juli wurde die Reiſe fortgeſetzt (6. Juli Eiſenach,
11. Juli Frankfurt). Jacobis Aufenthalt in Weimar gedieh den
Freunden, die ſich ſeit Goethes Beſuch in Pempelfort November
1792 nicht geſehen hatten, trotz immer wieder zutage tretender
Verſchiedenheit der Grundanſchauung uͤber Natur und Geiſt zu
wechſelſeitiger Erquickung; Goethe, von Jahresbeginn an ſchwer
leidend und niedergedruͤckt vom friſchen Schmerze uber Schillers
Tod, erheiterte und erholte ſich dergeſtalt, daß Jacobi „die zwei
letzten Tage faſt ſeinen alten Goethe wieder hatte“ (Jacobi an
Koeppen, 24. Juli 1805). Er hat, freilich nicht ohne die obwal—
tenden Denkgegenſaͤtze in ruͤckſchauender Erinnerung ſtaͤrker be—
tonend, als ſie damals empfunden wurden, dies letzte Zuſammen—
fein in einer für die, Tag- und Jahreshefte“ beſtimmt geweſenen
Aufzeichnung feſtgehalten (Werke, Weim. Ausg., 36, 267): „Mei:
gung, Liebe, Freundſchaft, Teilnahme, alles war lebendig wie
ſonſt.“ — von der nunmehr emporftrebenden Jugend:
den Romantikern (vergl. L. Hirzel: Wielands Beziehungen zu den
deutſchen Romantikern, 1904). — eine Tagſatzung halten:
Wieland denkt an die biſſige Notiz im ‚Athenaͤum' der Schlegel
221
(2. Band, 2. Stüd, 1799, S. 340): „Citatio edictalis. Nachdem
über die Poeſie des Hofrath und Comes Palatinus Caesareus
Wieland in Weimar, auf Anſuchen der Herren Lucian, Fielding,
Sterne, Bayle, Voltaire, Crébillon, Hamilton und vieler andern
Autoren Concursus Creditorum eröffnet, auch in der Maſſe mehre:
res verdaͤchtige und dem Anſchein nach dem Horatius, Arioſto,
Cervantes und Shakeſpeare zuſtehendes Eigentum ſich vorge—
funden, als wird jeder, der aͤhnliche Anſpruͤche titulo legitimo
machen kann, hiedurch vorgeladen, ſich binnen Saͤchſiſcher Friſt
zu melden, hernachmals aber zu ſchweigen.“ — Muſarion:
die anmutigſte der leichten Verserzaͤhlungen Wielands, 1768 er:
ſchienen, in ihrer ſchalkhaften Weltklugheit und Herzenskenntnis
noch heute erfreulich und genießbar; Der Moͤnch und die
Nonne auf dem Mittelſtein (Sixt und Claͤrchen), eine thuͤ—
ringiſche Sage behandelnd, Maͤrz 1775 erſchienen; Combabus,
vom Jahre 1770, erzaͤhlt in Wielandiſcher, zwiſchen Ernſt und
Ironie ſchwebender Weiſe dem Lucian die Heldentat des Combabus
nach, der ſich, vom Syrerkoͤnig Antiochus zum Reiſebegleiter der
Koͤnigin beſtimmt, vor Antritt ſeines Amtes ſelbſt entmannt, um
den vorausgeſehenen Verſuchungen zu entgehen. Im Vorbericht
(Saͤmmtliche Werke Band 10, 1795, Seite 248) heißt es: Kom:
babs Tat konnte eine Heldentat nur dadurch werden, „daß ſie
die Wirkung eines ganz uneigennuͤtzigen Triebes war, und daß
Kombab ein Opfer, das einen ſo ſchweren Grad von Selbſtver—
leugnung erforderte, nicht der Furcht fuͤr ſein Leben, ſondern dem
Gefühl feiner Pflicht, der Tugend brachte. Ein ungenannter fran⸗
zöfifcher Poet, deſſen, Kombabus“ mit dem unfrigen ungefähr zu
gleicher Zeit ans Licht trat, dachte hieruͤber anders. Ohne alles
Gefuͤhl fuͤr die Schoͤnheit dieſes in ſeiner Art einzigen Sujets,
machte er eine Erzählung ‚im Geſchmack Grecourts‘ daraus —
und reinigte dadurch wenigſtens ſich ſelbſt und den deutſchen
Dichter von allem Verdacht, daß einer von ihnen den andern
nachgeahmt habe.“ — werde ſichs in kurzem Ahnliches er—
222
eignen: dieſe Prophezeihung Wielands hatte ſich fchon feit
mehreren Jahren zu erfuͤllen angefangen. Novalis war ſchon 1800
(an Tieck, 23. Februar) von dem „wahren Statthalter des poeti—
ſchen Geiſtes auf Erden“ abgefallen, weil in dem anfaͤnglich ſo
bewunderten ‚Wilhelm Meiſter“ die Poeſie ſchließlich doch mit
der groͤßten Kunſt durch ſich ſelbſt vernichtet werde, und Doro—
thea, Friedrich Schlegels Gattin, die 1800 (an Rahel, 28. April)
noch von „Vater Goethe oder Gott dem Vater“ ſprach, unterfing
ſich am 8. Dezember 1804 (an Karoline Paulus) der ſchnoͤden
Worte: „Alt war der alte Herr ſchon laͤngſt, ſonſt haͤtte er die
„Eugenie nicht dichten koͤnnen; aber nicht alle, welche alt werden,
ſind deshalb ſo veraltet als er. Dazu muß man eben nie recht
jung geweſen fein. Geh', er hat kein Gemüt und keine Liebe ...“
2. Ungedruckt. Das Journal für deutſche Frauen von deut—
ſchen Frauen geſchrieben. Beſorgt von Wieland, Schiller, Roch—
litz und Seume“ (ſo die Herausgeberbezeichnung der fuͤnf erſten
Hefte, Januar — Mai 1805; von da ab ‚beforgt von Wieland,
Rochlitz und Seume) bringt Seumes hoͤlzernes Gedicht, Schillers
Nekropompe. Geſchrieben auf dem Bothniſchen Meerbuſen“ im
zwölften Heft des erſten Jahrgangs, Dezember 1805 (jetzt in
Seumes Reiſebeſchreibung ‚Mein Sommer. 1805 Sämmtlicye
Werkes, Leipzig 1853, 3, 146). Seume iſt der einzige Mitarbeiter,
der ſich als Mann zu nennen wagt; im zweiten (und legten) Jahr—
gang der kurzlebigen Zeitſchrift faͤllt der Titelzuſatz „von deutſchen
Frauen geſchrieben“ weg.
3. Eben damals: da hier ein neuer, aus anderem Zuſammen—
hang herausgeſchnittener Zettel beginnt, iſt die Zeitbeſtimmung
nicht eigentlich auf das Datum von Nr. 2 zu beziehen; doch be—
trägt der Zeitraum zwiſchen dem Goethewort der zweiten und
den Ausſpruͤchen der dritten Nummer kaum einen Monat. —
Herdern zu necken: weniger gegen Herder, der freilich in be—
223
geifterter Verkuͤndigung feiner neuen Lehre von der Poeſie als
einer urſpruͤnglichen Naturgabe als erſter im verachteten Volks⸗
liede die unverkuͤnſtelte Offenbarung des dichtenden Volksgeiſtes
gehoͤrt und geprieſen hatte, weniger gegen ihn als gegen Buͤrger
und Buͤrgers „Herzensausguß über Volkspoeſie“ (im, Deutſchen
Mufeum‘, Mai 1776) mit feiner die Herderiſchen Anſchauungen
weiterführenden Forderung, daß die Volkslieder in ihrer von der
unverbildeten Maſſe ausgehenden, zur empfaͤnglichen Maſſe zuruͤck⸗
kehrenden Wirkſamkeit das Muſter aller Dichtung ſein muͤßten,
war Friedrich Nicolais, des Berliner Aufklaͤrers, Kleyner feyner
Almanach“ (2 Jahrgaͤnge, 1777 und 1778) gerichtet geweſen,
eine angeblich von einem Deſſauer Baͤnkelſaͤnger Gabriel Wunder:
lich zuſammengebrachte Sammlung von Volksliedern, die, ab—
ſichtlich in wildeſter Schreibung wiedergegeben, die Roheit,
Sinnloſigkeit, Unanſtaͤndigkeit der von der neuen Schule ſo ſehr
geprieſenen Volkspoeſie handgreiflich machen ſollte. Dabei war
uͤbrigens die von Goethe verſpottete Miſchung guter und ſchlechter
Lieder beabſichtigt; Nicolai an Leſſing, 5. Juni 1777: „Ich habe
mir freilich ein heimliches Vergnuͤgen gemacht, einige ſchoͤne
Stuͤcke zuerſt ans Licht zu bringen; aber ich habe wiſſentlich
einige recht plumpe darunter geſetzt, damit man anſchauend ſehe,
daß wahrhaftig nicht alle Volkslieder des Abſchreibens wert
find“ (Leſſings ſaͤmtliche Schriften?, herausgegeben von Lach—
mann⸗Muncker, 21, 167). — Pitts Tod: William Pitt, der
jüngere, ſtarb am 23. Januar 1806; Boͤttigers Aufſatz ſteht in
der Cottaiſchen ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 5. Februar 1806,
Nr. 36, unter ‚Miscellen aus England‘; „Welches Gluͤck für den
armen podagriſchen Pitt, daß die Hiobspoſten vom Kontinent
durch das naͤhere Intereſſe, das die ganze Nation an den Folgen
des Sieges bei Trafalgar und der Verherrlichung des unſterb—
lichen Nelſon nimmt, gleichſam übertäubt worden. Nun kann auch
die Eroͤffnung des Parlaments noch bis zum 21. Januar vertagt
werden“ uſw. — Jean Joſeph Mounier, franzoͤſiſcher Staats:
224
mann, geboren 1758, Präfident der Nationalverfammlung in
Verſailles, bis ihn angefichts der wachſenden revolutionären
Stimmung ſeine konſtitutionell-gemaͤßigte Überzeugung nötigte,
am 8. Oktober 1789 ſein Amt niederzulegen, war, aus Frank—
reich ausgewandert, als Begleiter eines jungen Lords im No—
vember 1795 nach Weimar gekommen; in Belvedere hatte er
1797-1799 eine Erziehungsanſtalt für vornehme Ausländer
geleitet. Nach feiner Ruͤckkehr in die Heimat von Napoleon zum
Staatsrat ernannt, war er am 26, Januar 1806 geftorben. Der
Nachruf, den ihm Friedrich Juſtin Bertuch, der findige, geſchaͤfts—
gewandte Leiter des Weimarer „Induſtrie-Comptoirs“, im Weima⸗
riſchen Wochenblatt vom 8. Februar 1806 widmet, lautet:
„Todesanzeige. Am 25. Jan. ſtarb zu Paris, ohngefaͤhr 45 Jahr
alt, Herr Mounier, Kaiſerl. Franz. Staatsrat, und zuvor Prä-
feet des Departements von Ille und Villaine, ein Mann, den
ſeine großen Kenntniſſe und Talente als Staatsmann und Ge—
lehrten der Welt ſowohl als ſein Herz ſeinen Freunden ver—
ehrungswert machten. Er lebte auch einige Jahre in unſerer
Mitte hochgeſchaͤtzt und geliebt, und ich mache mir es zur trau—
rigen Pflicht, ſeinen hieſigen Freunden dieſen ſchmerzlichen Ver—
luft anzuzeigen. Weimar, den 6. Febr. 1806. F. J. Bertuch.“
F. Ungedruckt. Philipp Otto Runge (1777 — 1810), der ro:
mantiſche Maler, dem Dichter Novalis vergleichbar in der Kraft
genialen Schoͤpferdranges, in der Reinheit und Tiefe einer glaͤu—
bigen Seele, in ſeinem vorzeitigen Tode, noch heute verſchwiegen
wirkſam mit feinen Maͤrchen „Von den Machandelboom“' und
„Von den Fiſcher und ſyner Fru“, dem Naturforſcher Goethe
willkommen durch ſeine farbentheoretiſchen Unterſuchungen, bei
denen er ſich „durch Naturell, uͤbung und Nachdenken auf die
gleichen Wege gefunden“ hatte (Werke, Zweite Abteilung, I,
360), dem Liebhaber anmutiger Kunſtfertigkeit durch die Gabe,
Blumenſträuße zu ſilhouttieren (Goethes Tagebuch, 5. November
225
1806, 16. Oktober 1808; Goethes Geſpraͤche, neue Ausgabe, 1,
462, 464, 478), bei einem Beſuche in Weimar (17. 18. No⸗
amber 1803) von Goethe guͤtig aufgenommen, hatte mit einem
vun 26, April 1806 datierten Begleitbriefe die Radierungen in
Fo io nach den vier Blättern feiner tiefſinnigen „Tageszeiten“
(Margen, Tag, Abend, Nacht) eingeſendet (Runge: Hinterlaſſene
Schr en, Erſter Teil, Hamburg 1840, Seite 31 ff., 35 ff., 52 ff.,
68, 82, 226 ff.; Goethes Tagebuch 9. 10. 14. Mai 1806),
Soethes Dankbrief vom 2. Juni 1806: „Wir glauben Ihre ſinn⸗
vollen Bilder nicht eben ganz zu verſtehen, aber wir verweilen gern
dabei und vertiefen uns oͤfter in Ihre geheimnisvolle anmutige Welt.
Dabei wiſſen wir beſonders die bedeutende genaue und zarte Aus⸗
führung zu ſchaͤtzen.“ Wie Meyer dieſe romantiſch⸗genialen ſym⸗
boliſchen Zeichnungen aufgenommen hat, ſchildert Frau Schopen⸗
hauer in einem Briefe an ihren Sohn Arthur (Weſtermanns
Illuſtrirte Deutſche Monatshefte, Dezember 1868, Seite 266):
„Meyer dabei zu ſehen, iſt hoͤchſt ergoͤtzlich; er ſchimpft darauf
wie ein Rohrſperling, weil er immer davor ſtehen bleiben muß,
bis ihm der Kopf wehe tut.“ Eine ruͤhmende Charakteriſtik gab
Meyer im Neujahrsprogramm der Jenaiſchen Allgemeinen Lite⸗
raturzeitung 1807; in feinem Aufſatze ‚Neudeutſche religios-
patriotiſche Kunſt“ 1817 kommt er in gleichem Sinne darauf
zuruͤck (Goethes Werke 491, 4025 4124). Goethe verwendete
die Blatter zu ſteter Schau als Wandſchmuck; im Mai 1811
fah fie Boifferee im „Muſikſaal“ hängen, und Goethe ſagte: „Da
ſehen Sie einmal, was das fuͤr Zeug iſt, zum Raſendwerden,
ſchoͤn und toll zugleich“ (Boifferee 1, 114). So wies er fie noch
am 13. Juni 1828 dem Maler Stieler vor. Die freundliche Auf:
nahme ſeiner Radierungen erwiderte Runge dadurch, daß er auch
die Originalzeichnungen auf einige Zeit nach Weimar fandte (Tage⸗
buch 3. 4. 8. Mai 1808; Briefe 20, 119); es heißt in den, Tag⸗
und Jahresheften“: „Runge, deſſen zarte, fromme, liebenswuͤr⸗
dige Bemuͤhungen bei uns guten Eingang gefunden hatten, fen-
226
dete mir die Originalzeichnungen feiner gedanken: und blumen—
reichen Tageszeiten, welche, obgleich ſo treu und ſorgfaͤltig in
Kupfer ausgefuͤhrt, doch an natuͤrlichem unmittelbarem Aus—
druck große Vorzuͤge [vor den Radierungen] bewieſen“ (Werke
36, 3912-18). — Endlich haft du, Galiläer, doch über:
wunden: Worte des Kaiſers Julian Apoſtata. Goethe, deſſen
kalter Klaſſizismus ſeine Unfruchtbarkeit eben erſt in dem voll—
ſtaͤndigen Mißerfolg der ſieben Jahre lang (1799-1805) fort—
geſetzten Preisausſchreibungen und Kunſtausſtellungen offenbart
hatte (1801 hatte ſich auch Runge um den Preis beworben; er
weiß jedoch ſchon im Folgejahre einſichtig vom Standpunkt le—
bendig fortſchreitender Kunſt das Grundgebrechen im hohlen
Formalismus der Weimarer Kunſttendenzen aufzudecken: Hinter:
laſſene Schriften 1, 5), Goethe hat zwar gegenuͤber der nazare—
niſchen Kunſt im allgemeinen, als deren Seitenzweig ſich Runges
Kunſtbemuͤhen darſtellt, ſeine einſeitig ablehnende Haltung bald
zuruͤckgewonnen, aber doch im Sondergebiet Runges, noch in ſei—
nen letzten Lebensjahren durch den Arabeskenzeichner Neureuther
dahin zuruͤckgefuͤhrt, immer gerne verweilt.
6. anhaltend und ernſt nachgedacht: ſo berichtet er denn
auch in, Dichtung und Wahrheit‘, wie er als Knabe nach vergeb—
lichem Verſuch, mit Hilfe der Franzoſen Über die Theorie der dra—
matiſchen Poeſie ins Klare zu kommen, die „theoretiſche Saalba—
derei“ aufgegeben, den „ganzen Plunder“ entſchloſſen weggewor—
fen habe (Werke 26, 170 f.). Daß „all unfer redlichſtes Bemuͤhn
nur im unbewußten Momente gluͤckt“ (Werke 3, 279720. 721)
daß „vom eigentlich Produktiven niemand Herr“ iſt (Werke 422,
13118), wird dagegen Goethe zu wiederholen nicht muͤde; im
eigenen dichteriſchen Schaffen hat er ſich willig dem inſtinktiven
Drange, dem reflerionsfreien Zuge des Genius uͤberlaſſen ſeit je—
nen Tagen, da er den ‚Werther‘ in vier Wochen ſchrieb, „ohne
daß ein Schema des Ganzen oder die Behandlung eines Teils
22.1
irgend vorher wäre zu Papier gebracht geweſen“ (Werke 28,
2245-13), bis ins hohe Alter, da die raͤtſelhaft-abſichtsloſe Ent⸗
ſtehung des Gedichtes ‚Um Mitternacht‘ ihn ſelbſt in Erſtaunen
verſetzte. — Stephan Schuͤtze, der dem Dichter bei den Empfangs⸗
abenden der Frau Schopenhauer (ſiehe Erlaͤuterung zu Nr. 12)
oft nahe zu ſein die Gelegenheit hatte, berichtet: „uber Werke der
bildenden Kunſt aͤußerte er ſich , viel haͤufiger als uͤber Werke der
Poeſie.“
7. Von dieſem Déjeu ner berichtet auch das Tagebuch, jedoch
erſt zum 17. April: „Déjeuner. Frau und Fräulein aus dem Winkel.
Demoiſelle Bardois. Geheimer Rat v. Einſiedel. Kapellmeiſter
Eberl von Wien. Legationsrat Schmidt. Dirzka und Stromeyer.“
Anton Eberl (1765 — 1807), ſchon als ſechzehnjaͤhriger Juͤng⸗
ling ein viel verheißender Pianiſt und Komponiſt, damals auf einer
Konzertreiſe durch Deutſchland begriffen, veranftaltete am 1. Mai
auf dem Stadthauſe in Weimar eine Darbietung eigener Muſik—
ſtuͤcke, der auch Goethe beiwohnte; das Tagebuch erwaͤhnt ſeiner
als Tiſchgaſt ſchon am 13. April. Ein intimer Freund Mozarts,
Begleiter feiner Witwe auf ihrer Kunſtreiſe 1796, war er frei—
lich in der Lage, Einzelheiten aus dem Leben des Meiſters zu
berichten. — Thereſe Emilie Henriette aus dem Winkel
(1784-1867), in Dresden lebend, Dichterin, Malerin, Harfen⸗
ſpielerin, befand ſich in Begleitung ihrer Mutter auf der Reiſe
nach Paris, wo ſie ſich im Harfenſpiel auszubilden gedachte. Durch
den Tod ihres Vaters, eines ſaͤchſiſchen Offiziers, verarmt und zur
Ruͤckkehr genötigt, hat fie ihre mannigfachen Kunſtfertigkeiten,
in denen fie anfangs nur den Schmuck eines ſorgloſen Lebens ge-
ſucht hatte, um des Broterwerbs ausuͤben muͤſſen; in der Kunſt
eine liebenswuͤrdige, zart empfindende, kindlich anſchmiegſame
Natur, hat ſie der Not des Lebens feſten Sinnes die Stirn ge—
boten. Auf der Heimfahrt von Paris nach Dresden war ſie im
Januar 1809 wiederum in Weimar. Goethes Tagebuch 8. Januar
228
1809: „Mittags Frau und Fräulein von Winkel, Herr von Knebel
und Kuͤgelgen, und Frau Hofrat Schopenhauer. Nach Tiſche
ſpielte Fräulein von Winkel und produeirte ihre Gemälde, Abends
bei Madame Schopenhauer, wo Fraͤulein von Winkel den Tau—
cher deklamirte.“ 10. Januar: „Abends zum Tee bei Frau von
Schardt: Declamation der Fraͤulein von Winkel und Spiel auf
dem Tamburin.“ Dann, als am 12. Januar Thereſe „auf hoͤchſtes
gnaͤdiges Verlangen“ im Stadthauſe eine „Soirée de Musique
fuͤr die Pedalharfe“ gab (Journal des Luxus und der Moden,
1809, Februar, Seite 109), fehlte Goethe nicht unter den Zu—
hoͤrern; er ſah am 13. Januar in einer Geſellſchaft bei Johannes
Falk, mit gemiſchten Empfindungen freilich, wie Falk und Thereſe
in einem chineſiſchen Schattenſpiele Szenen aus feinem ‚Fauft‘
mit fingerlangen Papierpuͤppchen auffuͤhrten. Den Abſchiedsbeſuch
der Damen verzeichnet das Tagebuch vom 15. Januar.
8. In des weimariſchen Oberhofmeifters Friedrich Hildebrand
v. Einfiedel ungedruckt gebliebenem vieraktigem Luſtſpiel ‚Der
Geheimniskraͤmer, oder Abenteuer im Bade‘ (nur einmal, am 7.
Juni 1806, aufgeführt) fpielt der „Prokurator Strampel“ die
Hauptrolle des Geheimniskraͤmers.
9. Die Vergleichung der dichteriſchen Taͤtigkeit mit dem Bäder:
handwerk oder einem verwandten Berufe bei Goethe beliebt. An
Ehrmann, 20. März 1816: erlauben Sie mir, mit dem neu:
ſten Zwieback, wie er aus dem Ofen kommt, aufwarten zu duͤrfen“;
an Zelter, 8. Auguſt 1822: Die Menſchen „behandlen den Autor
wie einen Garkoch; dafuͤr liefert man ihnen denn auch Jahrmarfts-
bratwuͤrſte nach Herzensluſt“. — Einige Zeit vor dem 14.
Oetob er: in den Tagen vom 26. September bis 6. Oktober 1806.
Goethe weilte damals in Jena im Auftrage des Herzogs Karl
Auguſt (Tagebuch 24. September), um als Verpflegungskommiſ—
ſarius in Gemeinſchaft mit dem Jenaiſchen Kommandanten v-
229
Hendrich die Quartierverhaͤltniſſe der Truppen des Fürften von
Hohenlohe zu ordnen. uͤber ſein Auftreten haben wir ſeit kurzem
aus den Aufzeichnungen des preußiſchen Rittmeiſters Ludwig von
der Marwitz einen unterhaltſamen Bericht (Deutſche Rundſchau,
1915, Maͤrz, Seite 445): „Er war befliſſen, vom Gelehrten und
Dichter nichts, ſondern allein den Miniſter ſehen zu laſſen. Er er-
ſchien nicht anders als im Hofkleide und groͤßten Staat. Gepudert
und mit einem Haarbeutel, geſticktes Hofkleid und Weſte, ſchwarze,
ſeidene Beinkleider, weiße, ſeidene Struͤmpfe, Galanteriedegen und
ein kleines ſeidenes Dreieck ſtatt eines Hutes unter dem Arm. Er
war ein großer, ſchoͤner Mann und verſtand die Wuͤrde ſeines
Ranges, wenngleich nicht den natuͤrlichen freien Anſtand eines
vornehmen Mannes ſich anzueignen.“ Von dem Ahnungsvermoͤgen
Goethes, das ihm als Erbteil von feinem Großvater Johann Wolf:
gang Textor uͤberkommen war (Werke 26,57 ff.), wird manches
berichtet; am befannteften iſt Goethes Erzählung jener Viſion,
die ihm, da er von Seſenheim ſchied, ſeine kuͤnftige Ruͤckkehr dort—
hin greifhaft-koͤrperlich vor das Auge des Geiſtes ſtellte (Werke
28, 83 f.). Der Dichter, der das raͤtſelhafte Walten des produzie-
renden Genius in ſich wahrnimmt, der in Augenblicken hoher Er—
regung die Kette von Urſache und Wirkung mit Einem Blicke
bis zum weitentfernten Ende zu verfolgen vermag, greift, um ſich
und andern das Wunder dieſer ungewoͤhnlichen Geiſteskraft zu
deuten, nach den naiven Vorſtellungen des Volksglaubens; der
Aberglauben, deſſen poetiſchen Wert Goethe wiederholt betont hat,
leiht ihm die Form, unter der er Unfaßbares faßbar zu machen
ſucht. Daß es ihm mit ſeinen Spukgeſchichten nicht immer voller
Ernſt geweſen iſt, bezeugt der Kanzler v. Muͤller (18. Mai 1831).
— von Pluͤnderung verſchont: Meyer ſpielt vermutlich auf
den (von Riemer uͤberlieferten) Auftritt an, wie Goethe in der
Nacht nach dem 14. Oktober, aus dem Schlafe geweckt, zwei ein:
gedrungene franzoͤſiſche Marodeurs auf dem Flur feines Hauſes be:
ruhigt. „Wir leben! unſer Haus blieb von Pluͤnderung und Brand
230
wie durch ein Wunder verſchont“, ſchrieb Goethe damals an feine
Freunde. — Anſtalten: die ihm unterſtellten wiſſenſchaftlichen
Inſtitute der Univerſitaͤt. — Elpenor: dieſes herrliche Fragment
wird in der Zeit vom 26. September bis 6. Oktober nur einmal
(am 1. Oktober) erwaͤhnt; es erſchien im 4. Bande der damals
begonnenen Ausgabe der Werke (ſiehe zu Nr. 10).
lo. der neuen Auflage: der erſten der drei bei Cotta erſchie—
nenen Geſamtausgaben der Werke. Band I enthält die Gedichte,
Band II die erſte Haͤlfte des, Wilhelm Meifter‘, Im November 1806
war Goethe nur erſt im Beſitz der Aushangbogen beider Baͤnde
(an Friedrich Auguſt Wolf, 28. November); die vollſtaͤndigen
Exemplare trafen, zugleich mit den beiden Folgebaͤnden, erſt am
16. Maͤrz 1807 in Weimar ein. Beachtenswert iſt es, daß Meyer
Kenntnis hat von einer erſten Faſſung des, Wilhelm Meifter‘, von
„Wilhelm Meiſters theatraliſcher Sendung“. — vorne hinein:
in räumlichem Sinne, wie oft bei Goethe (ſiehe Goethe-Jahrbuch
15, 251).
12. Johanna Schopenhauer, die nachmals vielgeleſene Schrift—
ſtellerin, war am 28. September 1806 in Weimar eingetroffen;
in dem gefellfchaftlich-literarifchen Kreiſe, den fie alsbald um ſich
zu verſammeln wußte, in dieſem erſten weimariſchen „Salon“
nach franzoͤſiſchem Muſter, hat das geiftige Leben der Stadt auf
lange Zeit einen bedeutſamen Vereinigungspunkt gefunden. Goethe,
dankbar für die gleichmuͤtig-ſelbſtverſtaͤndliche Aufnahme, die ſeiner
Chriſtiane von der klugen taktvollen Wirtin bereitet wurde, hat
zumal in der erſten Zeit gerne in dieſer lebhaften Geſellſchaft ge—
weilt, ſcherzend, brummend, zeichnend, vorleſend; am 20. Oktober
180s verzeichnet ſein Tagebuch zum erſten. Male: „Abends bei
Madame Schopenhauer.“ Die Vorleſung des Calderoniſchen
„Standhaften Prinzen“ fand in der Zeit vom 12.— 22. März
1807 ftatt. Johanna Schopenhauer berichtet daruͤber ihrem Sohne
231
Arthur (Weſtermanns Illuſtrirte Deutſche Monatshefte, Dezem—
ber 1868, Seite 266): „Seit ein paar Abenden lieſt Goethe ſelbſt
bei mir vor, und ihn dabei zu hoͤren und zu ſehen iſt praͤchtig.
Schlegel hat ihm ein uͤberſetztes Schauſpiel von Calderon (Der
ſtandhafte Prinz‘) im Manufkripte geſchickt; es iſt Klingklang und
Farbenſpiel, aber er lieſt auch den Abend keine drei Seiten, ſein
eigener poetiſcher Geiſt wird gleich rege: dann unterbricht er ſich
bei jeder Zeile, und tauſend herrliche Ideen entſtehen und ſtroͤmen
in uͤppiger Fuͤlle, daß man alles vergißt und den Einzigen anhoͤrt.“
Und weiterhin (Seite 268): Es iſt „ein hoher Genuß, von Goethe
dies leſen zu hoͤren; mit ſeiner unbeſchreiblichen Kraft, ſeinem
Feuer, ſeiner plaſtiſchen Kunſt reißt er uns alle mit, obgleich er
eigentlich nicht kunſtmaͤßig gut lieſt. Er iſt viel zu lebhaft, er de:
klamiert, und wenn etwa ein Streit oder gar eine Bataille
vorkommt, macht er einen Laͤrm wie in Drurylane [dem Londoner
Theater], wenn es dort eine Schlacht gab. Auch ſpielt er jede
Rolle, die er lieſt, wenn ſie ihm eben gefaͤllt, ſo gut es ſich im
Sitzen tun laͤßt. Jede ſchoͤne Stelle macht auf ſein Gemuͤt den
lebhafteſten Eindruck; er erklaͤrt fie, lieſt fie zwei, dreimal, ſagt
tauſend Dinge dabei, die noch ſchoͤner ſind, kurz, es iſt ein eigenes
Weſen, und wehe dem, der es ihm nachtun wollte!“ Ein ſtaͤndiger
Gaſt der Schopenhauerifchen Geſellſchaft, der Dichter Stephan
Schuͤtze, berichtet Weimars Album zur vierten Saͤkularfeier der
Buchdruckerkunſt am 24. Juni 1840, Weimar, Seite 193): „Bei
der Szene, wo der Prinz als Geiſt mit der Fackel in der Nacht dem
kommenden Heere voranleuchtet, wurde er ſo von der Schoͤnheit
der Dichtung hingeriſſen, daß er mit Heftigkeit das Buch auf den
Tiſch warf, ſo daß es auf die Erde fiel.“ Ein bezeichnendes Wort
für Goethes hohe Wertſchaͤtzung des ‚Standhaften Prinzen‘ darf
nicht uͤbergangen werden; an Schiller, 25. Januar 1804: „..id)
moͤchte ſagen, wenn die Poeſie ganz von der Welt verloren ginge,
ſo koͤnnte man ſie aus dieſem Stuͤck wiederherſtellen“; von ſeinen
weimariſchen Schauſpielern wurde das Stuͤck in der Zeit vom
232
30. Januar 1811 bis 13. Dezember 1815 elfmal zur Aufführung
gebracht. — den modernen Zuſchnitt: den Goethe fuͤr die
dramatiſche Dichtung in der Zuſpitzung des Trauerſpiels auf den
Widerſtreit zwiſchen dem Vollbringen und dem aus dem Innern
kommenden Wollen ſieht. Die antike Tragoͤdie dagegen beruht
auf dem Gegenſatz zwiſchen dem Vollbringen und dem von außen
auferlegten Sollen: „Hier iſt der Sitz alles Furchtbaren der Ora—
kel, die Region, in welcher, Odipus“ über alle thront“ (Werke 411,
60937 — 611). — traurige oder ſchmerzhafte Empfindun—
gen: daß Goethe gelegentlich ſolche nicht-tragiſchſe Empfindung
auch vom Sophokleiſchen ‚Sdipus“ erregt fand, ſcheint der Sinn
eines von Riemer uͤberlieferten Ausſpruchs aus ungefaͤhr derſel—
ben Zeit zu ſein: „Daß Odipus ſich die Augen ausreißt, iſt eine
Dummheit und nicht laͤcherlich“ (2 Schreibfehler ſtatt: tragiſch?)
(Deutſche Revue, 1886, Mai, Seite 170).
13. An Herder, etwa 10. Juli 1772: „‚Emilia Galottié iſt ..
nur gedacht, . . . Mit halbweg Menſchenverſtand kann man das
Warum von jeder Seene, von jedem Wort, moͤcht ich ſagen, auf—
finden. Drum bin ich dem Stuͤck nicht gut, ſo ein Meiſterſtuͤck es
ſonſt iſt.“ Dies Urteil klingt auch jetzt noch nach, aber fuͤhlbar
gemildert durch die gereifte Auffaſſung des beſonnenen Kuͤnſtlers,
der erkannt und bekannt hatte: „Die Kunſt bleibt Kunſt! Wer ſie
nicht durchgedacht, Der darf ſich keinen Kuͤnſtler nennen“ (Werke
16, 15597 ,93).
14. Karoline Bardua (1781— 1864), Bildnismalerin, da:
mals als Schuͤlerin Meyers in Weimar lebend, im Schopenhaueri—
ſchen Salon und in Goethes Hauſe gern geſehen wegen ihres
heiteren Weſens und ihrer maleriſchen und muſikaliſchen Gaben,
oft ein Ziel harmloſer Neckereien Goethes; bekannt iſt das Bild,
das ſie von Goethe malen durfte, auch hat ſie Kuͤgelgens Goethe—
porträt (1809) mehrfach kopiert. Sie verließ Weimar am 12.
233
Mai 1807, ſetzte ihre Studien in Dresden fort und hat ſpaͤter
als vielbefchäftigte Malerin in Berlin gelebt. Die Hof medieus
Herderin iſt Herders Schwiegertochter Maria Henriette Karo—
line, geb. Schmidt, feit 5. Juni 1797 Gattin feines aͤlteſten Sohnes
Wilhelm Gottfried (der 1796 praktiſcher Arzt in Weimar und
am 10. November 1804 zum Hofmedikus ernannt worden war),
damals aber ſchon (ſeit 11. Mai 1806) Witwe. Ihre fruͤhere
Wohnung iſt es, die, von Frau Schopenhauer gemietet, das geift-
reich-luſtige Leben des Schopenhaueriſchen Kreiſes geſehen hat.
Die beiden Kinder ſind ihre Toͤchter Karoline Emilie Agnes (geb.
1799) und Amalie Louiſe Natalie (geb. 1802).
15. Der Prolog, den Meyer meint, iſt das ‚Vorſpiel zu Er:
Öffnung des Weimariſchen Theaters am 19. September 1807
nach gluͤcklicher Wiederverſammlung der Herzoglichen Familie“
(Werke 131); es entſtand in der Zeit vom 12.— 19. September.
— Taſſo: Goethe, der Buͤhnenwirkung dieſes Stuͤckes mißtrau—
end, hatte nur zoͤgernd, beſtimmt durch den Eifer und die Zuverſicht
der Schauſpieler, das Wagnis einer Vorſtellung unternommen;
fie hatte am 16. Februar 1807 ſtattgefunden und durch ihren Er-
folg den Dichter uͤberraſcht. „Der Beifall, den das Stuͤck genoß,
war vollkommen der Reife gleich, die es durch ein liebevolles an—
haltendes Studium gewonnen hatte, und ich ließ mich gern be—
ſchaͤmen, indem ſie dasjenige als moͤglich zeigten, was ich hartnaͤckig
als unmöglich abgewieſen hatte“ (Werke 36,4 26). — Maͤrchen
von den 7 weiſen Meiſtern: dieſes literarhiſtoriſch wichtige
Volksbuch wird ſonderbarerweiſe dort nicht namentlich aufgefuͤhrt,
wo Goethe von feiner Jugendlektuͤre der Volks buͤcher ſpricht Werke
26,51), ohne daß ſich wie beim ‚Fauft‘ ein Grund für dieſes Über:
gangenwerden erkennen ließe; das Tagebuch verzeichnet die alte Hi:
ſtorie am 14. September! 80 7. Ein anderes Volksbuch, den Fortuna⸗
tus, lieſt Goethe am 1 2. April 1808. — der ſchoͤnen Erfindung:
ein Fuͤrſtenſohn, von ſeiner Stiefmutter, deren Verfuͤhrungskuͤnſten
234
er widerſtanden hat, bei feinem Vater angefchuldigt, wird von
dieſem zum Tode verdammt; jeder ſeiner ſieben weiſen Lehrer
weiß durch eine Erzaͤhlung von der Hinterliſt der Weiber den
Vater zu veranlaſſen, das Bluturteil aufzuheben, aber die Ver—
leumderin ſtimmt jedesmal am folgenden Tage durch eine andere
Geſchichte den Fuͤrſten wieder um, bis der Sohn, dem ein Geluͤbde
die Zunge bindet, am vierzehnten Tage ſelbſt ſprechen darf und
die Tuͤcke der Königin enthüllt.
16. Lichtſtrahlen: „Lichtſtrahlen. Beiträge zur Geſchichte der
Jahre 1805, 1806 und 1807, Eine Zeitſchrift in freien Heften.
von einer Geſellſchaft wahrheitsliebender Militaͤrperſonen, Civil—
Beamten und Gelehrten. Erſter Band. Hamburg und Leipzig 1807“;
Goethes Tagebuch notiert die Lektuͤre des zweiten Heftes der
Lichtſtrahlen am 27. und 29. Februar, für den 27. in Gemein-
ſchaft mit Meyer. Die Rezenſion, von der Meyer ſpricht, ſteht im
erſten Hefte. Chriſtian v. Maſſenbach (1758 — 1827), unfeligen
Angedenkens, der als Chef des Generalſtabes des Fuͤrſten Hohen—
lohe einen großen Teil der Schuld an der Niederlage von Jena
und die ganze Schuld der ſchmaͤhlichen Kapitulation von Prenz
lau (28. Oktober 1806) auf ſich geladen hattte, ſuchte damals
in mannigfachen Veroͤffentlichungen ſein Verhalten zu rechtfer—
tigen; auch feine „Bemerkungen“ über das Buch: ‚Operationsplan
der Preußiſch-Saͤchſiſchen Armee im Jahr 1806, Schlacht von
Auerſtaͤdt und Ruͤckzug bis Luͤbeck. Weimar 1807‘, dienen dieſem
Zwecke. Das beſprochene Werk mußte in Weimar beſondere Teil—
nahme erregen: ſein Verfaſſer, der Hauptmann, ſpaͤtere General—
feldmarſchall Freiherr Karl v. Muͤffling (1775— 1851), vor der
Schlacht bei Jena vom preußiſchen Hauptquartier dem Herzog
Karl Auguſt als dem Fuͤhrer der Avantgarde zugeteilt, war vom
Herzog nach Weimar gezogen worden, wo er am 18. Februar
1807 bei Hofe praͤſentiert wurde. Durch Dekret vom 10. Maͤrz
1809 iſt er dann, inzwiſchen zum Major befördert, zum Vizepraͤ⸗
235
fidenten des neuerrichteten Landſchaftskollegiums ernannt worden
und hat bis zu ſeinem Wiedereintritt ins preußiſche Heer (1813)
in Weimar gelebt. — Herzog von Braunſchweig: Karl Wil:
helm Ferdinand, der Beſiegte von Auerſtedt.
17. Beſtaͤtigungen zweier ſchon anderweit uͤberlieferter Tat—
ſachen. Daß Goethe ſeine beiden Verſe eigenhaͤndig in Schillers
Manuffript eingetragen habe, hat auch Eckermann (am 25. Mai
1831) vernommen. übrigens muß Goethe doch wohl auch noch die
Angleichung wenigſtens des erſten folgenden Verſes an die ſeinen
vorgenommen haben. Was Meyer hinſichtlich der, Wahlverwandt⸗
ſchaften“ verzeichnet, hat er auch dem Weimarer Regiſtrator, ſpaͤte⸗
ren Direktor der Zeichenſchule Johann Chriſtian Schuchardt (1799
bis 1870) mitgeteilt, der ſeinerſeits daruͤber berichtet (R. Springer:
Die klaſſiſchen Staͤtten von Jena und Ilmenau, Berlin 1869,
Seite 68): „Meyer... erzählte mir .., Goethe habe ihm auf einer
Fahrt von Jena nach Weimar im Wagen ganze Abſchnitte aus den
„Wahlverwandtſchaften“ von denen damals noch nichts niederge—
ſchrieben geweſen, ſo gelaͤufig vorgetragen, als ob er von einem
Buche abgeleſen habe.“ Dazu endlich Goethes eigener Tagebuch—
vermerk vom 1. Mai 1808: „Gegen 8 Uhr von Jena wegge—
fahren. Schoͤne Witterung. Hofrath Meyern die erſte Haͤlfte der
‚Wahlverwandtfchaften‘ erzählt.”
18. Wichtig im Hinblick auf die Fragment gebliebenen ‚Ge:
heimniſſe“ (Werke 16, 168).
19. Ungedruckt. Gegen die Nazarener.
Wir ſchließen hier, ohne ſie mit ſachlichen Erlaͤuterungen zu
beſchweren, noch zwei Berichte Meyers an, die gleichfalls von
Kuhn in der ‚Europa“ gedruckt worden find:
236
Als Anno 1792 oder 93 die Herzogin von Weimar in
Frankfurt war, wurde fie von den Damen La Roche und
Goethe oͤfters beſucht und zog dieſelben zur Tafel. Goethes
Mutter iſt eine Frau von aͤußerſt heiterm Sinn, froh, frei,
im hoͤchſten Grade behaglich und, obſchon alt, noch jugend—
lich, luſtig, ſcherzend, lachend. Die La Roche hingegen uͤber—
trieben ſentimental, ſieht bloß Ungluͤck, ſeufzt, weint und
iſt, oder glaubt es zu ſein, voll Jammer. Eine Hofdame
hatte daher eines Tages den witzigen Einfall zu ſagen, daß
es ihr vorkaͤme, als ob heute Heraklit und Demokrit bei
Ihro Durchlaucht geſpeiſt haͤtten.
Am 28. Juni 1805 erzählte Wieland an Jacobi folgen:
des, die Entſtehung feines Gedichts ‚Über die Natur der
Dinge betreffend:
Er, Wieland, war, 18 Jahre alt, ein Anbeter der nach—
herigen Madame La Roche, Wielands Vater ein rechtlicher
Geiſtlicher, der in einer unweit Biberach liegenden Kirche
predigte, aber gewoͤhnlich ſich an das Hergebrachte im Zu—
ſchnitt ſeiner Predigten hielt.
An einem ſchoͤnen Sommerſonntag nun wanderte Wie—
land am Arm der angebeteten Sophie nach dieſer Kirche.
Der alte Herr predigte uͤber die Liebe Gottes. Dem
jungen Wieland nicht zu Dank. Ihm wurde die Zeit dabei
lang. Er ſaß auf Nadeln. Er dachte ſich die Sache anders,
der Geiſt erfuͤllte ihn, und als er ſein Fraͤulein wieder nach
Hauſe fuͤhrte, ſprach er ſeine Ideen mit ſolcher Beredſam—
keit und Waͤrme aus, daß Sophie ihm aufgab, er ſollte das
alles aufſchreiben, und Wieland verſprach ihr, ſolches ſogar
in Verſen zu tun. — Bald darauf kam er auf die hohe
Schule nach Tuͤbingen, wo fuͤr ſtudierende Bibracher eine
Stiftung iſt. Hier wohnte er in einem großen Zimmer des
alten Gebaͤudes und ſchrieb erwaͤhntes Gedicht, ſein Ge—
237
luͤbde zu loͤſen, in den Monaten November, December und
Januar. Es ſollte die Form eines Lehrgedichts haben. Er
kannte keine andere Muſter als Lukrez und die Georgica
des Virgil.
Mit liebenswerther Unſchuld machte er die Bemerkung,
dieſes Gedicht wuͤrde, wenn er noch andere Muſter gekannt
haͤtte, ohne Zweifel der Form nach untadeliger ausgefallen
ſein. Hiernaͤchſt muͤſſe man auch noch bedenken, daß ſolches
um 1750 geſchrieben ſei, wo in fo manchem Betracht meh-
rere Schwierigkeiten bei einer ſolchen Unternehmung zu
uͤberwinden waren, als gegenwaͤrtig der Fall ſein wuͤrde.
238
Mitteilungen
aus dem
Goethe-National-Muſeum
Rn dr
Das Goethe: Bildnis von Heinrich Meyer
Von Wolfgang von Dettingen
ie Aufgabe, das Titelbild dieſes Bandes erflärend zu
D empfehlen, iſt nicht ganz leicht: wer ſtellte ohne Un—
behagen einen ohne Zweifel wenig liebenswuͤrdigen Gaſt
vor? Und doch kann ſie mit Zuverſicht angegriffen werden,
denn es gilt nur, dem Beſchauer des Goethe-Bildniſſes
uͤber das erſte Befremden hinwegzuhelfen und ihm den
Sinn einer jedenfalls ſehr merkwuͤrdigen und ernſt zu neh—⸗
menden Arbeit zu erſchließen. Es handelt ſich ja um das
Werk eines Kuͤnſtlers, der Goethe genau kannte, ihn liebte
und verehrte; der mit groͤßter Gewiſſenhaftigkeit, Über—
legung und Einſicht zu verfahren pflegte, und deſſen ſchwung—
loſe Auffaſſung uns eine in gewiſſem Sinne dankenswerte
Treue gewaͤhrleiſtet. Dieſe allerdings etwas trockene Treue
duͤrfen wir aber nicht mit Plattheit verwechſeln: wer auch
immer Goethe nach dem Leben gemalt oder gezeichnet oder
modelliert hat — niemand konnte das von einem ſolchen
Geiſt gebildete und ausgearbeitete Haupt ſeiner Bedeutung
ganz berauben, wie ſonderbare Schoͤpfungen auch aus den
Haͤnden unberufener Kuͤnſtler hervorgegangen ſein moͤgen;
und Heinrich Meyer, der die Kunſt ſchmeichelnden Ideali—
ſierens weder beſaß noch zu beſitzen ſtrebte, hat offenbar mit
voller Hingabe und mit Verſtaͤndnis die Zuͤge feſtgehalten,
die Goethe in einer freilich hoͤchſt bedruͤckten Stimmung
und in der haͤßlichſten Zeit ſeines Lebens trug.
Das Bildnis, ein Aquarellgemaͤlde in Lebensgroͤße mit
Gouache-Auftrag an einigen Stellen, wird zwiſchen den
241
Jahren 1792 und 1795 hergeſtellt worden fein, denn nur
in dieſer Zeit hat Johann Heinrich Meyer, der Schweizer
Maler und Archäologe, den Goethe in Rom kennen und
ſchaͤtzen gelernt hatte, und der in Weimar angeſtellt wor—
den war, ſich dort aufgehalten, ehe er im Herbſt 1795 eine
zweijährige Reife antrat. Innerhalb des angegebenen Zeit⸗
raumes iſt man geneigt, es moͤglichſt ſpaͤt anzuſetzen, da
es mehr den Bildniſſen um 1800 herum als denen von
1790 gleicht. Die etwas gewaltſam in das Bild gebrachte
Erinnerung an Italien — der Blick auf ein Meeresufer
mit einem dem Veſtatempel aͤhnlichen Gebaͤude auf hohem
Vorgebirge — darf fuͤr eine ſolche Zeitbeſtimmung nicht
verwendet werden: denn wer moͤchte behaupten, daß das
Andenken an das italieniſche Gluͤck gegen 1795 minder
ergreifend und lebendig in Goethe gewirkt haͤtte als zwei
bis drei Jahre fruͤher? Eher koͤnnte man ſie zu der An—
nahme benutzen, das Bildnis ſei die in Weimar ausgefuͤhrte
Vergroͤßerung einer in Italien aufgenommenen Skizze,
wozu zwar nicht die Phantaſielandſchaft, aber vielleicht der
allenfalls reiſemaͤßige Anzug und die ſorglos vernachlaͤſſigte
Haartracht verfuͤhren wuͤrde; indeſſen ſpraͤche dagegen doch
wieder der Umſtand, daß die ſicher in Italien entſtandenen
Darſtellungen Goethes, nicht nur das weichlich-weiblich
aufgefaßte Werk der Angelika Kauffmann und die apolli=
niſche Buͤſte Trippels, ſondern auch Tiſchbeins ohne Zweifel
am beſten von dieſen allen gelungene Arbeit mit dem
Meyerſchen Bildnis faſt nichts und am allerwenigſten den
Ausdruck gemein haben.
Dieſer Ausdruck iſt es vor allem, der unſerem Bilde ſo
viel Eintrag tut. Man iſt eher geneigt, den kurzen Hals,
das Doppelkinn und die recht vollen Backen, ſogar das
ſpaͤrliche, ſtraffe und ungeordnete Haar gelten zu laſſen,
als die muͤrriſch vorgeſchobene Unterlippe, die herabgezoge—
242
nen Mundwinfel und den halb traurigen, halb drohenden
Blick: dieſes alles verzeiht man nicht leicht, denn man
wuͤnſcht, und vollends im Angeſicht einer italieniſchen Land—
ſchaft, einen gluͤckſtrahlenden Goethe mit Kuͤnſtleraugen
zu erblicken, den Dichter der Roͤmiſchen Elegien und den
durch die junge Freundſchaft mit Schiller erfriſchten und
angeregten Denker. Es fragt ſich jedoch, ob man das Recht
hat, ſolche Wuͤnſche zu hegen und ein an ſich beachtens—
wertes Kunſtwerk nach ihnen zu beurteilen; und wenn man
ſich Goethes Zuſtand und Verhaͤltniſſe in den Jahren un—
mittelbar nach der Ruͤckkehr aus Italien genauer vergegen—
waͤrtigt, jo ſtellt ſich doch wohl ein Verſtaͤndnis für Meyers
Auffaſſung ein. Goethe hatte Rom, hatte Italien mit dem
Gefuͤhle tiefſter Verzweifelung verlaſſen; trotz des ſtark
abgeſchwaͤchten Eindrucks, den er von der zweiten italieni—
ſchen Reiſe (nach Venedig, 1790) empfing, behielt er die
uͤberzeugung, er koͤnne fortan keinen rein gluͤcklichen Tag
genießen. Sein Traum, ein bildender Kuͤnſtler zu ſein, war
zuſammengebrochen, er mußte ſein Leben aufs Neue richten,
mußte auch wieder ſich Amtspflichten beugen; und wenn
er dieſes Schickſal mit Heldenmut auf ſich nahm, ſo be—
laſtete ihn doch quaͤlend der Mangel an Verſtaͤndnis fuͤr
ſeine Lage, dem er bei ſeiner ganzen Umgebung, ſogar bei
dem Herzog Carl Auguſt und erſt recht bei Frau von Stein,
begegnete. Niemand erkannte in dem Dichter des, Zaffo‘ und
der jambiſchen Iphigenie“ den gefaͤlligen Dichter der Hof:
und Buͤhnenliteratur wieder, und in dem klaſſiziſtiſch ge—
ſtimmten und urteilenden Kunſtfreunde vermißte man den
bequemeren Freund Oſers und Krauſens; der Ton ſeiner
Geſpraͤche, der Umfang ſeiner Intereſſen, die Weite ſeiner
Horizonte waren unverſtaͤndlich geworden: er galt als Son—
derling und wurde einſam. Dazu kam das Verhaͤltnis zu
Chriſtiane, das ſein Haus dem harmloſen Verkehr mit den
233
Damen der Geſellſchaft verſchloß und ihn noch mehr ifo=
terte; der für lange nicht heilbare Bruch mit Charlotte von
Stein mußte ihn vollends bekuͤmmern, und zu alledem kam
eine zunehmende Kraͤnklichkeit, die als Vorbote des langſam
ſich naͤhernden Alters beachtet werden mußte. Gewiß, mit
feinen etwa 45 Jahren hatte Goethe damals den Höhe:
punkt ſeiner koͤrperlichen Exiſtenz gerade uͤberſchritten und
hatte zugleich mit ſtaͤrkſter Entſagung ein neues Leben auf
ſich nehmen muͤſſen: verdient er fo nicht unſere volle Teil—
nahme, unſer ehrfuͤrchtiges Mitleid? und muͤſſen wir dem
treuherzigen Meyer nicht dankbar fein, daß er ſich nicht ge—
ſcheut hat, uns den ungluͤcklichen, haͤßlichen Goethe ſo
ſchlicht zu uͤberliefern, daß wir, wenn wir Goethe wirklich,
wie er war, kennen lernen wollen, ihn eben nur in Meyers
Bildnis finden?
Und dieſes Bildnis galt den Zeitgenoſſen als ein „frap⸗
pant aͤhnliches“. Es wurde allgemein geſchaͤtzt, auch in
Kupfer geſtochen; Schiller erbat es ſich als Titelbild fuͤr
einen feiner Muſenalmanache. Es hing in Goethes Garten—
haus; dort mag es vernachlaͤſſigt worden ſein, jedenfalls
verſtaubte es allmählich fo arg, daß die Finſterkeit des Aus⸗
drucks noch betraͤchtlich zunahm. So mag es ſeine Beliebt—
heit verloren haben, und Goethes Nachkommen uͤberließen es
dem letzten ſeiner Gehilfen, Schuchardt, zum Andenken. Es
wurde faſt ganz vergeſſen, bis die „Vereinigung der Freunde
des Goethehauſes“ es 1914 von den Erben Schuchardts
erwarb und in das Goethe-National-Muſeum ſtiftete, wo
es, gruͤndlich gereinigt, in dem ſogenannten kleinen Eß⸗
zimmer haͤngt. Wer es oͤfter und ohne Vorurteil betrachtet,
entdeckt ſicher in den ſtill leuchtenden Augen, in der herr—⸗
lichen Stirn, in der kraͤftigen Naſe, in dem ernſten Munde
und den feinen Haͤnden den echten Goethe, den er verehrt.
244
Zum ſechſten Juni 1916
Eine Jahrhunderterinnerung
Von Hans Gerhard Graͤf
Wir ſehn ſein leuchtend Bildnis an der Wand,
Den ernſten Blick groß von uns abgewandt,
Und nur mit Zoͤgern naht ſich unſer Fuß
Dem Allerheiligſten des Genius,
Der ſtillen Werkſtatt, wo dem Lärm entruͤckt
Der Immertaͤtige geforſcht, geſonnen
Und ſich und uns das Koͤſtlichſte gewonnen.
Mi dieſen Worten geleitet Paul Heyſe uns in ſeiner
von Ehrfurcht und Liebe durchwaͤrmten Dichtung
„Das Goethe-Haus in Weimar‘ zum Arbeitzimmer des
Dichters. Heute, am 6. Juni 1916, darf hier die Schranke
fallen, die ſonſt den Beſucher abhaͤlt, an die Fenſter tretend
einen Blick in Goethes ſtillen Hausgarten zu tun oder das
Haͤuflein Erde zu betrachten, das noch heute in einem Teller
auf dem Stehpult am Fenſter liegt, als haͤtte der greiſe
Forſcher nur eben fuͤr einen Augenblick ſeine Betrachtung
dieſer Erde unterbrochen, um ſchnell einen angemeldeten
Gaſt im Junozimmer zu begruͤßen. Aber nicht dies beredte
Zeugnis fuͤr ſeinen bis ins hoͤchſte Alter unermuͤdlichen
Forſchungsdrang feſſelt uns heute, auch nicht jene, in herr—
lichem Farbenſpiel leuchtende, kleine Napoleonbuͤſte aus
Opalglas dort auf dem Pultſchrank zur Linken — heute
wenden wir uns zur Rechten, dem großen Schreibtiſch
Goethes zu, um uns auch einmal die lange Buͤcherreihe,
247
die auf deſſen oberſtem Brett aufgeftellt ift, näher anzu—
ſehen. Kein Zweifel, was hier an Buͤchern ſich findet, das
hielt Goethe beſonders wert, ſtets wollte er es bequem
zur Hand haben.
Unmittelbar neben den beſcheiden-zierlichen Sedezbaͤnd—
chen ſeiner Werke in der Ausgabe „letzter Hand“ finden wir
da, nach dem Fenſter zu, einen hoͤchſten Schatz: die ſechs
Baͤnde ſeines Briefwechſels mit Schiller. Und wieder un—
mittelbar neben dieſen drei dicke Baͤnde, noch im alten, ver⸗
gilbten Papierſchutzumſchlag, die Jahrgänge des ‚Gothai—
ſchen verbeſſerten Schreib-Calenders auf das Jahr Ehrifti‘
1815, 1816 und 1817. Was haben die hier zu bedeuten,
in naͤchſter Naͤhe jener Kleinodien? Neugierig ſchlagen wir
den erſten Band auf und finden unterm 1. Januar 1815 die
in kindlich ungelenken Zügen geſchriebenen Worte: „Mittags
zu Hauſe. Abends bei Lortzings“, unterm 2.: „Zu Hauſe
aufgeräumt. Abends in der Komoͤdie“, 3.: „Waͤſche aus⸗
geſucht. Die Zettel in Ordnung gebracht. Abends geſpielt“,
9.: „War ich ſehr krank“ — dann kommen leere Blaͤtter,
bis vom 3. Juni an, in andern, geuͤbteren Schriftzuͤgen, mit
der Überfchrift: „Reiße ins Carls Bath“ ausführliche Auf—
zeichnungen folgen bis zum 31. Juli; weiterhin wieder leere
Seiten. Wir blaͤttern in den Reiſenotizen und ſtoßen unterm
7. Juni auf folgendes: „Im Rehauer Walde hatten wir das
Vergnuͤgen, unſerm Großherzog zu begegnen, woruͤber wir
uns ſehr freuten, er hatte die Gnade, gleich zu halten und
auszuſteigen. Er fragte gleich nach Dir. Ich war ſo beſtuͤrzt,
daß ich mich verſprach und anſtatt Wiesbaden Teplitz
ſagte. Er half mir aber gleich, indem er ſagte: er habe ge—
hoͤrt, Du ſeiſt am Rhein; da fiel es mir erſt ein, daß ich mich
verſprochen hatte. Er war ſo gnaͤdig, ſich nach meiner Ge—
ſundheit zu erkundigen. Beſonders hatte er einen ſehr
liebenswuͤrdigen Begleiter, es ſchien ein Ruſſe zu ſein, mit
246
vielen Orden, und der nicht wenig Dazu beigetragen hat,
meine Berwirrung zu vergrößern, Der Großherzog wünfchte
mir viel Glück zu meiner Kur und empfahl ſich.“
Nun iſt das Raͤtſel geloͤſt! wir haben in dieſen Baͤnden
Tagebücher Chriſtianens vor uns!. In die Freude über
dieſe Entdeckung miſcht ſich die wehmuͤtige Betrachtung:
wenn die Tagebuͤcher von Goethes Frau ſeit des Dichters
Tode bis zum heutigen Tage ſo gut wie unbeachtet bleiben
konnten, ſo iſt das eine Folge der Unterſchaͤtzung und Ver—
kennung ihres Charakters, wie ſie zum mindeſten waͤhrend
der erſten ſechzig Jahre ſeit Goethes Tode dank dem Weima—
rer Klatſch uͤblich geweſen und noch heute nicht ausgeſtorben
iſt. Wie nun in den letztvergangenen Jahrzehnten das Urteil
uͤber Chriſtiane ſich gewandelt hat, beſonders unter dem
Eindruck der Briefe von Goethes Mutter und der eigenen
Briefe Goethes an ſeine Frau, das habe ich darzulegen
verſucht in der Einfuͤhrung zu dem vor kurzem erſchienenen
Werke, Goethes Briefwechſel mit feiner Frau‘ (zwei Bände,
Frankfurt am Main, Literariſche Anſtalt, Ruͤtten & Loening).
Dort ſind auch, mit guͤtiger Erlaubnis der Direktion des
Goethe-National-Muſeums, erſtmals einige Stellen aus
Chriſtianens Tagebuch von 1815 mitgeteilt worden, ſoweit
ſie zur Erklaͤrung ihrer Briefe an Goethe notwendig waren.
Von der Genehmigung, Chriſtianens Tagebuͤcher in un—
ſerm Jahrbuch vollſtaͤndig zu veroͤffentlichen, glaubte ich,
ihres Umfangs wegen, keinen Gebrauch machen zu ſollen;
es wird genuͤgen, einige Proben zu geben und, im Andenken
an Chriſtianens 100. Todestag, uͤber die letzten Monate
Zu dem eben angeführten Vermerk vom 7. Juni 1815 Über die Be:
gegnung Chriſtianens mit Karl Auguſt im Rehauer Walde ſei be—
merkt, daß der Fuͤrſt als Großherzog gerade vom Wiener Kongreß
zuruͤckkehrte; ſein ſchoͤner Begleiter war der ruſſiſche Rittmeiſter Tomſon
(oder Tompſon).
247
und Wochen, die fie an der Seite Goethes leben durfte, in
Kürze zu berichten.
Den vielfachen Nutzen eines gewiſſenhaftgefuͤhrten Tage—
buchs hat Goethe oft und immer wieder betont !. „Eine
tägliche Überficht des Geleiſteten und Erlebten macht erſt,
daß man ſeines Thuns gewahr und froh werde, ſie fuͤhrt zur
Gewiſſenhaftigkeit“, ſagte er zum Kanzler Muͤller (23.
Auguſt 1827). So fuͤhrte er ſelbſt auf das ſorgfaͤltigſte
Tagebuch, ermunterte aber auch ſeine Umgebung dazu,
nicht nur die ihm unterſtellten Bibliothekbedienſteten in
Weimar und Jena, auch Sohn und Schwiegertochter und,
wie wir nun ſehen, fogar feine ſchreibunluſtige und-unge—
uͤbte kleine Hausfrau. Bei dieſer iſt denn auch nicht viel
aus den eigenhaͤndigen Aufzeichnungen geworden. Der
Kalender von 1815 enthält dergleichen nur unterm 1. bis
4. und unterm 9. Januar; auf der Reiſe nach Karlsbad
nahm ihre Freundin, Madame Kirſch, ihr die Muͤhe ab,
und im Jahre 1816, wo die Eintragungen faſt luͤckenlos
vom 1. Januar bis zum 30. Mai, ſieben Tage vor Chriſtia⸗
nens Tode, fortlaufen, diktierte fie dem wackeren Biblio:
thekſekretaͤr Kraͤuter, in deſſen klarer Schrift wir alſo, wie
Goethes, ſo auch Chriſtianens Tagebuch dieſer fuͤnf Mo—
nate gleichzeitig vor uns haben.
Das Wenigſte freilich von dem, was Goethe in ſeinen
Briefen an Chriſtiane als deren „Tagebuch“ bezeichnet,
iſt dies im ſtrengen Sinne; es ſind vielmehr taͤgliche
Aufzeichnungen, die den Charakter eines durch mehrere
Tage fortlaufenden Briefes tragen. Ein ſolches Brief:
Tagebuch Chriſtianens aus Karlsbad, vom 30. Juni bis
zum 15. Juli 1811 (in Caroline Ulrichs Hand), habe ich
im zweiten Bande des obengenannten Briefwechſels S.
Vergl. die Einführung zu dem Werke ‚Aus Goethes Tagebüchern‘
(Inſel⸗Verlag zu Leipzig, 1908) S. V/ VII.
248
210/6 mitgeteilt. Und wenn Goethe am 5. Juli 1803 an
Chriſtiane ſchreibt: „Fahre nur ja fort, Dein Tagebuch zu
fuͤhren, damit ich mir vorſtellen kann, wie Dirs geht“, und
am 7. Juli wiederholt: „Fahre ja ſo fort, mir taͤglich zu
ſchreiben, was Dir begegnet, wir leſen alsdann zuſammen
das Tagebuch und manches faͤllt Dir dabei wieder ein“,
ſo iſt auch hier nicht ein Tagebuch im eigentlichen Sinne
gemeint, ſondern ein durch mehrere Tage fortlaufender
Brief, wie zum Beiſpiel die Wochenbriefe Chriſtianens
aus Lauchſtaͤdt. Ein beſonders wichtiger Brief dieſer Art
ſcheint leider verſchollen zu fein; er entſtand 1808 auf der
Reiſe nach Frankfurt und Heidelberg, als Chriſtiane dort
nach dem Tode der Frau Rat die Erbſchaftsangelegenheit
regelte, und hier den Studiosus juris Auguſt beſuchte. Am
Tage ihrer Heimkehr, 27. November 1808, vermerkt
Riemer in ſeinem Tagebuch: „Mittags traf die Geh. Raͤthin
ein. . .. Abends .. Ward der Geh. Raͤthin ein Staͤndchen
von Janitſcharen-Muſik gebracht. Nachher ihr Tagebuch
von der Reiſe vorgeleſen.“
Daß im Tagebuch der Hausfrau Chriſtiane viel von wirt—
ſchaftlichen Dingen die Rede iſt, kann nicht Wunder nehmen.
Da leſen wir denn im Januar 1816 unterm 4.: „Große
Waͤſche“, 9.: „Salzfleiſch aufgehaͤngt. Große Waͤſche ge—
biegelt“, 10.: „Mittags für uns [d. h. Chriſtiane mit Gat—
ten und Sohn]. Die Wagen-Reparaturen beſprochen“;
im Februar unterm 7.: „Wirthſchaftliche Sorgen“, 26.:
„Brief an Ramann in Erfurt, wegen einen halben Eimer
Elſaſſer“, 29.: „Brief [an] Handelsgaͤrtner Gotthold &
Comp. in Arnſtadt mit 2 Thalern 11 Groſchen 6 Pfennigen
curr. für Saͤmereien“; im März unterm 6.: „Hauswirth—
ſchaftliche Sorgen. Inventarium revidirt“, 7.: „Brief an
Ramann um 6 oder 8 Bouteillen Champagner / 12.: „Das
Inventarium vollendet“, 25.: „Dienemann mit der Horn
249
getraut”. Dies war ein Ereignis von Bedeutung, denn
Dienemann hatte ſich feit 1813 als Kutſcher, in Weimar
wie auf Reifen, durch Umſicht und Tuͤchtigkeit ausgezeich—⸗
net!; er uͤbernahm jetzt die Gaſtwirtſchaft bei Schloß Bel—
vedere, und ſo vermerkt Chriſtiane unterm 8. April: „Diene—
mann und ſeine Frau ziehen ab. Ihr Wirtſchaftsgeraͤthe
nach Belvedere. Die neue Koͤchin tritt an.“ Wie Chriſtiane
mit dieſer Koͤchin gefahren iſt, wiſſen wir nicht; manche
ſchwere Not hat ſie mit ihren Dienſtboten gehabt, ſo
daß der kleine zehnjaͤhrige Auguſt einmal der Mutter als
Wichtigſtes folgenden Neujahrswunſch brieflich ausſprach:
„An meine liebe Mutter! Ich wuͤnſche Ihnen zum Neuen
jahre eine gute Koͤchin, die Sie niemals aͤrgern thut. Von
Auguſt Goethe am 1. Januar 1799%.
Als der Fruͤhling kam, der letzte, in dem Chriſtiane ihre
geliebten Blumen und Gemuͤſe pflegen ſollte, da mehren
ſich im Tagebuch die Vermerke uͤber die Gartenarbeiten;
faſt taͤglich heißt es vom 22. April an: „Im Garten“;
unterm 30. April: „Im Garten den erſten Spargel ge—
ſtochen“. Die ganze Natur-Liebe und-Genußkraft des „klei⸗
nen Naturweſens“, wie der Dichter Chriſtianen zu nennen
liebte, kommt noch im vorletzten ihrer Briefe an Goethe
(am 18. Mai 1816, drei Wochen vor ihrem Tode, geſchrie—
ben) aufs ſchoͤnſte zum Ausdruck; ſie ſchreibt da uͤber den
Hausgarten: „Dein Garten ſteht gegenwaͤrtig in ſeiner
groͤßten Pracht, und es macht wirklich verdruͤßlich, daß die
uͤble Witterung ſo wenig im Freien zu ſein erlaubt. Die
So berichtet Goethe 1813 von Teplitz aus unterm 21. Mai an Chri⸗
ſtiane: „Hiernaͤchſt muß ich den Kutſcher loben, der nicht allein Pferde
und Geſchirr, wie immer, ſehr gut haͤlt, ſondern auch ſeinen uͤbrigen
Dienſt dergeſtalt verſieht, daß man es nicht beſſer wuͤnſchen kann. Schon
durch ſeine Ehrlichkeit wird mehr erſpart, als zu berechnen iſt.“
2 Goethes Briefwechſel mit feiner Frau 1,508.
250
Apfelbaͤume blühen in hoͤchſter Fülle, es ſteht Blüthe an
Bluͤthe, die Rabatten vor Deinen Fenſtern ſchmuͤcken die
ſchoͤnſten gefuͤllten Tulipanen, deren ſchoͤne Farben die ſtol—
zen Kaiſerkronen verdunkeln, und trotz der geringen Waͤrme
und den kuͤhlen Naͤchten reift doch alles der Vollkommen—
heit entgegen. Moͤge Dich die ſchoͤne Bluͤthe in Jena fuͤr
dieſe Entbehrung reichlichſt entſchaͤdigen““!.
Von wirtſchaftlichen Vermerken ſei noch einiges Wenige
angeführt; im Mai unterm 1. heißt es: „Brief an Ramann
wegen ½ Eimer Wuͤrzburger und ½ Eimer rothen Elſaſſer“,
2.: „Eine neue Jungfer gemiethet“, 3.: „Burgunder ab—
gezogen“, und unterm 24., unmittelbar vor ihrer ſchweren
letzten Erkrankung: „Vorbereitungen zur großen Waͤſche“.
Von Unpaͤßlichkeit und Krankheit iſt nicht ſelten die Rede;
im April heißt es, Goethes eigenes, in jenen Tagen ſehr
kurzgefaßtes Tagebuch ergaͤnzend, am 2.: „Der Geheimerath
unpaß, mit geſchwollenen Backen .. .. Nachmittags noch
unpaß“, 3.: „Der Geheime Rath noch krank. Mittags mit
Auguſt allein. Der Geheime Rath hat den ganzen Tag das
Bett nicht verlaſſen“ (ähnlich am 4.),5.: „Der Geheimerath
um vieles beſſer, er ſtand zu unſerer aller Freude gegen 9 Uhr
auf und ließ ſich ankleiden. Über fich ſelbſt bemerktChriſtiane
am 13. April: „Nicht gar wohl .. . Abends kraͤnker“, 14.:
„Magenkraͤmpfe“, 21.: „Mit Zahnſchmerzen herumge—
quält”, 22.: „wegen Zahnweh im Bette“; im Mai unterm
4.: „Unpaß / 6.: „Über Tiſch Anfall von Magenkraͤmpfen“,
9.: „Wegen unfreundlicher Witterung verdruͤßlich“, 10.:
„Noch immer wegen kalter, regenhafter, unfreundlicher
Witterung kraͤnklich“.
Fuͤhlte die kleine Frau ſich friſch und geſund (und das war
durchaus die Regel), hatte ſie die haͤuslichen Geſchaͤfte be—
endet, waren der liebe Herr Geheimderath, ſowie Kuͤche,
Briefwechſel 2,396.
251
Keller und Gärten wohlverſorgt, dann wußte Chriſtiane fich
wie von je her ſo auch bis in ihre letzten Tage hinein nichts
Schoͤneres als zwei Dinge: heitere Geſelligkeit und Theater—
beſuch. An beidem fehlte es ihr in Weimar nicht. Die Ver—
trauteſten ihres Umgangs, deren Namen im Tagebuch im—
mer wiederkehren, waren: Riemers Frau Caroline, geb. Ul⸗
rich, in Goethes Familie „Uli“ genannt, Chriſtianens fruͤ—
here Geſellſchafterin, die ſie auch auf Reiſen begleitete und
meiſt die Feder fuͤr ſie fuͤhrte, vor ihrer Verheiratung auch
bisweilen Goethes Schreiberin; ſodann Frau Dr. Vulpius,
geb. Deahna, die Schwaͤgerin Chriſtianens, ferner die lu—
ftige, liebenswuͤrdige Schauſpielerin Erneſtine Engels, die
es verſtand, Lieder zur Gitarre „mit Geiſt und Leben“ vor—
zutragen (wie Goethe in den „Tag- und Jahres-Heften“
erzaͤhlt), und das Schauſpielerehepaar Lortzing, zu denen
ſich gelegentlich die Beamten Peucer und Büttner, der Kolla—
borator Lungershauſen und andere, wohl auch Luiſe Seid—
ler aus Jena geſellten, um heiter zu plaudern, Boſton oder
Whiſt zu ſpielen und, ſo oft das Wetter dazu einlud, d. h.
alſo nicht nur „Donnerstags“, eine fidele Spazierfahrt nach
Belvedere zu unternehmen. Wie der geſellige Verkehr (im
engeren und weiteren Sinne) ſich in Chriſtianens Tagebuch
ſpiegelt, ſei durch wenige Proben veranſchaulicht: 1. Ja:
nuar 1816: „Fruͤh 74 Neujahrsgratulanten, meiſtentheils
geſehen und geſprochen“, 4.: „Spazierfahrt mit Frau Dr.
Vulpius, Frau Profeſſor Riemer und Demoiſelle Müller
nach Belvedere. Abends] Mit ſolchen außer Profeſſor Rie—
mer Boſton geſpielt“, 28.: „Bei Schopenhauers zum
Thee“, 29.: „Mittags Gaͤſte: Director Schadow und Ca—
pellmeiſter Weber aus Berlin!, Geheimer Hofrath Kirms,
Kammerrath Kruſe, Hofrath Meyer, Capellmeiſter Muͤller,
ı Diefe waren gekommen, um den Proben zur Aufführung von Goethes
Feſtſpiel, Des Epimenides Erwachen“ beizuwohnen.
252
Profeſſor Riemer, Herr Genaſt“, 20. Februar: „Demoiſelle
Engels, ſehr vergnuͤgt, weil ſie ihre Penſionaͤrin losge—
worden“, 25.: „Vorbereitungen zur reſp. Gevatterſchaft
bei Herrn Unzelmann. Um 11 Uhr das Knaͤbchen im Haus
aus der Taufe gehoben, mit v. Hopfgarten, Kammerraͤthin
Kruſe und Director Peucer .... Nach Belvedere gefahren:
Demoiſelle Muͤller, Demoiſelle Engels, Madame Riemer.
Die Herrn Gevattern: v. Hopfgarten und Peucer daſelbſt,
letzterer mit einer fameuſen Perſon“; 16. Maͤrz: „Mit—
tags Frau Majorin v. Knebel. Frau v. Stein zum Kaffee“,
30. April: „Nachmittags! Frau v. Stein und Frau v.
Schiller“.
Zu luſtigen Ausfluͤgen, weiter als nach Belvedere, kam es
1816 nur noch zweimal. Wie fo oft in früheren Jahren zog
ein angeſagter Ball die bis ans Ende Tanzluſtige nach Jena;
am 12. Januar heißt es im Tagebuch: „Um 11 nach Jena,
mit Demoiſelle Kaͤmpfer und Demoiſelle Angermann. Bei
Koͤtſchau gab es einen abenteuerlichen Unfall dadurch, daß
ein Rad am Wagen zerbrach, und wir deßwegen gegen
3 Stunden hierzubleiben genötigt waren; trotz dieſem unan—⸗
genehmen Aufenthalt doch viel gelacht. Wir aßen Suppe,
aufgebratene Wurſt und Krautſalat. Wir kamen noch bei
Zeiten in Jena an, blieben aber den Abend zu Haufe”, 13.:
„Abends auf dem Ball, wo ich 6 Tänze getanzt habe , 14.:
„Bei Knebels zu Tiſche, wo das Kind! durch eine Fiſch—
graͤte, die im Halſe ſtecken blieb, bald umgekommen wäre.
Ich war dadurch ſo erſchreckt worden, daß ich bald darauf
nach Hauſe fuhr“.
Am 17. April verlebte Chriſtiane einen „ſchoͤnen Tag“
in Berka beim Organiſten und Badeinſpector Schuͤtz; we—
nige Tage ſpaͤter wurde das freundliche Staͤdtchen von
einer ſchweren Feuers brunſt heimgeſucht, durch die auch der
1 Knebels dreijähriger Sohn Bernhard.
253
treffliche Schüß erheblichen Schaden erlitt!. Chriſtiane
vermerkt unterm 26. April: „Schreckliche Nachricht von
dem Berkaſchen Brande“, 27.: „Nach Tiſch [mit Goethe!
nach Berka!!! Schreckliche Verheerungen des Brandes.
Abends ſpaͤt retour“. Dies war fuͤr Chriſtiane der letzte
groͤßere Ausflug, denn Karlsbad, wohin ihre lebensfrohen
Gedanken ſich bereits richteten, ſollte ſie nicht mehr ſehen.
Mit Wehmut mag Goethe ſpaͤter, in ihrem Tagebuch blät=
ternd, unterm 15. Mai die freudige Notiz geleſen haben:
„Voranſtalten zur Karlsbader Reiſe.“ —
Faſt nur durch das Theater war Chriſtiane mit der Lite—
ratur verbunden. Zum Leſen fehlte ihr wie zum Schreiben
die Geduld; ſtill zu ſitzen widerſprach ihrer Queckſilbernatur.
So finden wir denn im Tagebuch auch nur ganz vereinzelt,
innerhalb fuͤnf Monaten acht Vermerke uͤber Lektuͤre. Wenn
es am 13. März unbeſtimmt heißt: „Geleſen und genäht”,
ſo iſt zu vermuten, daß es eines der beiden Werke geweſen
ſei, die als einzige im Tagebuch genannt werden: entweder
ein Band von „Pfeffels Erzaͤhlungen“?, oder der vierbaͤn—
dige Roman ‚Das Paradies der Liebe‘ von James Law—
rences. Dieſes merkwuͤrdige Buch war 1801 bei Unger in
Berlin als Teil des „Journals der Romane‘ erfchienen;
der Verfaſſer, ein zeitweilig in Weimar lebender, viel mit
Goethe verkehrender Englaͤnder“, ſagt in der Einleitung:
„Die Abſicht dieſes Werkes iſt, die Moͤglichkeit einer Na—
tion zu zeigen, die ohne Ehe die hoͤchſte Ziviliſation er—
reicht hat.“ Schiller, der bei Unger den Verlag der deut—
Vergl. H. G. Graͤf: Goethe in Berka an der Ilm (Weimar 1911,
G. Kiepenheuer), S. 36/42.
2Nach Pfeffels Tode unter dem Titel ‚Proſaiſche Verſuche“ 18 10/2 in
10 Bänden bei Cotta erſchienen; im Tagebuch unterm 28., 29., 30. Maͤrz
und 18. Mai genannt.
Am 5., 10. Januar und 2. Februar im Tagebuch erwähnt.
Vergl. die Bemerkung von Julius Wahle auf S. 203.
254
ſchen Ausgabe (die vor der englifchen erſchien) vermittelt
hattet, ſchreibt über das Buch an Körner, 7. Jan. 1803:
„Hat Minna ‚Das Paradies der Liebe‘ geleſen . . . 2 Es iſt
ein poſſierliches Product; ich kann es euch ſchicken. Der
Verfaſſer ... kuͤndigt der Ehe den Krieg an und trägt
alles auf Einen Haufen, was ſich dagegen ſagen laͤßt.
Sein eigenes perſoͤnliches Intereſſe, weil er ein Maltheſer—
Ritter und dabei ein haͤßlicher Affe iſt, gibt den Schluͤſſel
zu der Sache. Das Sujet, in der Form des ‚Candide' be—
arbeitet, hätte ſehr glücklich ausfallen koͤnnen; und auch
ſo iſt es, bei aller Roheit, nicht ohne Intereſſe und Ver—
dienſt.“ So war Chriſtianens letzte Lektuͤre ſeltſamerweiſe
ein Buch, das in gewiſſem Sinne zur Literatur der „Frauen—
bewegung“ gerechnet werden darf.
Je weniger Chriſtiane las, um ſo fleißiger beſuchte ſie
das Theater. Und Goethe hatte recht, als er dem Grafen
Reinhard gegenuͤber die Charakteriſtik ſeines „kleinen
Naturweſens“ mit der Bemerkung ſchloß: es habe in ſeiner
Geſellſchaft „und beſonders im Theater“ „eine Art von
Kultur“ erlangt; „Überhaupt glaubt man nicht, wie ſehr
das Theater, wenn man ſo zehn Jahre lang es alle Abende
beſucht, bildet“?. In den fuͤnf Monaten Januar bis Mai
1816 hat Chriſtiane nicht weniger als 43 Auffuͤhrungen
geſehen, und das waren keineswegs nur Kotzebueiaden:
3. Januar ‚Das Leben ein Traum“ Calderons, 20. ‚Der
Wafferträger‘ Cherubinis, eine Lieblingsoper Goethes, 27.
„Die Mitſchuldigen“, 3. Februar „Don Carlos‘, wozu fie
bemerkt: „Vier Kutſchen Studenten zur Komödie im
‚Schwan‘; ferner 7. und 10. Februar ‚Des Epimenides
Erwachen“, 12., Die Geſchwiſter “,s. März ‚Der Vetter aus
Bremen Koͤrners; 20., 25. und 30. hörte fie den berühmten
Brief an Unger, 28. Nov. 1800.
2 Goethes Geſpraͤche 1, 498.
255
Sänger Brizzi in drei verfchiedenen Opern. Am 23. März
vermerkt Chriſtiane: „Abends Wolffs letztes Spiel in ‚Ro:
meo und Julia““ (das Kuͤnſtlerpaar verließ Weimar, um
nach Berlin uͤberzuſiedeln). Nur an drei Stellen finden
wir ein Urteil uͤber das Geſehene, 21. Februar: „Abends
‚Rudolf von Habsburg‘ [Schaufpiel von Kogebue], worin
Mademoiſelle Berviſſon in der Agnes mit viel Beifall zum
erſten Mal aufgetreten“, 24. Februar: „Abends im Theater.
Herrn Teuſchers Machwerk ‚Das Liebhaber-Concerté, von
[Karl] Eberwein componirt“, und am 28. Februar:
„Abends im, Grafen von Burgund‘ Schauſpiel von Kotze—
bue]. Demoiſelle Berviſſon ſehr artig als Elsbeth“. Am
22. Mai, nach Babos Luſtſpiel, Der Puls‘, ſenkte der Vor—
hang ſich fuͤr Chriſtiane zum letztenmal nieder; fuͤnfund—
zwanzig Jahre hindurch war dieſe beruͤhmteſte Schaubuͤhne
Deutſchlands fuͤr die Schauluſtige eine Quelle des Genuſſes,
der Erheiterung und Erbauung geweſen. Mit ihrem hellen,
geſunden Menſchenverſtand hatte die kleine Frau Goethen
bei der Ausuͤbung ſeines dornenvollen Amtes als Theater—
direktor treulich beigeſtanden; mancher Zwiſt, der unter
dem leichtentzuͤndlichen Theatervoͤlkchen ausgebrochen, war
durch ihre geſchickte Hand geſchlichtet worden. „Es iſt mir
von großem Wert,“ ſchreibt Goethe ihr am 1. Auguſt 1810
von Karlsbad aus, „daß Du wieder in Lauchſtaͤdt warſt.
Denn gewoͤhnlich kochen ſie im Sommer einen garſtigen
Hexenbrei, den ich im Winter ſchmackhaft machen ſoll“,
und ſchon 1808 hatte er ihr offen bekannt (7. Auguſt):
„Ohne Dich, weißt Du wohl, koͤnnte und moͤchte ich das
Theaterweſen nicht weiter fuͤhren.“ Dieſe treue Helferin
ſollte Goethe nun verlieren; Chriſtianen aber blieb es er=
ſpart, Zeugin bei dem tragikomiſchen Vorfall zu ſein, der
kaum ein Jahr ſpaͤter ihren lieben Geheimderat bewog,
ſein Amt als Theaterdirektor niederzulegen.
256
Die ungeheuren Ereigniſſe der letzten Jahre auf dem
politiſch-militaͤriſchen Welttheater hatte Goethe, nach ſeiner
Weiſe, in dem Feſtſpiel, Des Epimenides Erwachen‘ ſym—
boliſch dargeſtellt; die Dichtung war, verſpaͤtet, zuerſt in
Berlin am 30. Maͤrz 1815 und jetzt, wie wir geſehen haben,
Anfang Februar 1816 in Weimar zweimal aufgefuͤhrt
worden. Vom Wiener Kongreß war Karl Auguſt als Groß—
herzog zuruͤckgekehrt; ſein Land erfuhr eine, wenn auch be—
ſcheidene, doch willkommene Gebietserweiterung underhielt
als erſtes ein Grundgeſetz uͤber die Landſtaͤndiſche Verfaſ—
fung. Wie dieſe Dinge und einige Rangerhoͤhungen inner—
halb des Familienkreiſes ſich in Chriſtianens Tagebuch ſpie—
geln, zeigen die folgenden Vermerke: 1. Januar 1816: „Der
Kammer⸗Aſſeſſor[Auguſt] das Diplom als Kammerrath “t,
18.: „Feier des Friedensfeſtes. In der Kirche“, 22.: „Mein
Bruder als Rath ſich praͤſentierend und Bibliothek-Secre—
taͤr Kräuter” ?, 24.: „Decret für meinen Mann als Staats:
miniſter“; 18. Februar: „Kanzleirath Vogel, die Abtretungs—
acte, welche nach Berlin geſchickt werden ſoll, vorgezeigt“;
7. April: „Der Geheime Rath zum Huldigungsfeſte bei Hof.
Mittags bei Riemers. Der Geheime Rath von der Tafel
am Hof kam bei Riemers und brachte uns den Nachtiſch.“
Vergleichen wir dieſe und manche der ſchon fruͤher an—
gefuͤhrten Vermerke mit Goethes gleichzeitigem Tagebuch,
ſo zeigt ſich, daß Chriſtianens Tagebuch jenes in beſchei—
dener, aber ſehr willkommener Weiſe ergaͤnzt. Von ſolchen
Ergaͤnzungen ſeien noch einige angefuͤhrt, die zugleich deut—
lich machen, wie die beiden „Ungleichen Hausgenoſſen“
Amtlich bekannt gegeben im , Weimariſchen Wochenblatt‘ Nr.7 vom
23. Januar.
Die Rangerhoͤhungen von Chriſtianens Bruder und von Kraͤuter
werden im „Weimariſchen Wochenblatt‘ Nr. 13 vom 13. Februar und
Nr. 21 vom 12. Maͤrz amtlich bekannt gemacht.
27
keines wegs nur nebeneinander, ſondern auch miteinander
lebten. Am 11. Januar 1816: „Mit dem Geheimen Rath
Kupfer angeſehen“ t; 31.: „Spazieren gefahren mit dem
Geheimen Rath“; 13. Februar: „Mit dem Geheimen Rath
Schlitten gefahren und die Blankenhainer Schnitzwerke
beſehen“?, 28.: „Spazieren gefahren [mit Goethe] in der
Staatskutſche“; 24. April: „Um 4 [mit Goethe] die Mena—
gerie im Aleranderhof?.? —
Alljaͤhrlich, ſobald der Frühling feinen Einzug im Saale—
thal gehalten hatte, pflegte der Dichter ſich fuͤr einige Wochen
zu geſammelter Arbeit nach dem ſtillen Jena zuruͤckzuziehen,
wo er aller unvermeidlichen haͤuslichen Unruhe und den
zeitraubenden Hofverpflichtungen entruͤckt war. So auch
im Fruͤhling 1816. Am 11. Mai traf er in Jena ein; es
drängte ihn, die erlaͤuternden Beigaben zum, Weſt⸗oͤſtlichen
Divan“ zu foͤrdern, fuͤr deſſen poetiſchen Teil ihm in den
beiden letzten Sommern 1814 und 1815 am Main, Rhein
und Neckar eine koͤſtliche, uͤberreiche Ernte gereift war.
Kaum iſt der Hausherr fort, ſo eilt die Hausfrau, ihre
Berufspflichten zu erfüllen. Am 14. Mai vermerkt Chri—
ſtiane im Tagebuch mit Befriedigung: „Das ganze Haus
gereinigt und geputzt“; poetiſcher meldet ſie Tags darauf
1 Goethes Tagebuch ftait deſſen: „d' Agincourt, Histoire del’Art.“
2 In Goethes Tagebuche nicht erwähnt. Es handelt ſich um einen ge-
ſchnitzten, reich vergoldeten Fluͤgelſchrank mit drei großen Figuren, die
Krönung Mariaͤ darſtellend, und um geſchnitzte Heiligen-Koͤpfe, die
im Schloß und in der katholiſchen Kirche zu Blankenhain bei Weimar
in gänzlich verwahrloſtem Zuſtand aufgefunden worden waren. Goethes
Sohn hatte im Dezember 1815 die Überführung der Kunſtwerke nach
Weimar beſorgt; ſie wurden ausgebeſſert und fanden zunaͤchſt in der
Wartburg Aufſtellung. (Die Grafſchaft Blankenhain gehoͤrt zu den
1815 erfolgten Gebietserweiterungen des Staates.)
3 Später Ruſſiſcher Hof, ſeit Ausbruch des Europaͤiſchen Krieges 1914
Fuͤrſtenhof genannt; Goethes Tagebuch erwaͤhnt die Menagerie, nennt
aber die Ortlichkeit nicht.
258
dem Geheimderath: „Der Zauberlehrling ift in allen Zim—
mern eingekehrt !; Deine Zimmer find aber alle fchon fertig.
Minchen iſt mit der Arbeit ganz beſchaͤftiget.“ Am 17. Mai
wird Chriſtiane von einer Unpaͤßlichkeit befallen, am 19.
notiert fie: „Ziemlich wohl. Um 8 Uhr ploͤtzlich beim An—
kleiden eine ſtarke Ohnmacht, eine Art Blutſchlag, der mich
beſinnungslos zu Boden warf. Ärztliche Huͤlfe, Huſchke
und Kaͤmpfer. Aderlaß. Spaniſche Fliege. Bald wieder
ganz heiter und munter. Den uͤbrigen ganzen Tag im
Bette.“ Raſch erholt fie ſich, Fährt ſogar am 20. ſpazieren,
unter dem wir im Tagebuch finden: „Erlaubniß des Arztes,
außer Bett zu bleiben. Ziemlich wohl, ſtark verminderter
Blutandrang, es war mir ſehr leicht“; und am 22. be—
richtet ſie freudig nach Jena: „Ich habe Dich um Verzeihung
zu bitten, daß ich Deinen gut gemeinten Rath wegen des
Aderlaſſes nicht ſchleunig genug nachgekommen, wodurch
hoͤchſt wahrſcheinlich ich dieſem Unfalle entgangen waͤre.
Ich danke Gott, daß es ſo gluͤcklich uͤberſtanden iſt. Gegen—
waͤrtig befinde ich mich ziemlich wohl, der Kopf iſt mir ſehr
leicht, alle Sinne ſind frei und heiter, und nirgends iſt mehr
ein Druck oder betaͤubende Schwere zu bemerken. Nur die
ſpaniſche Fliege incommodirt mich noch etwas?.“
Am Abend dieſes Tages beſucht Chriſtiane das Theater,
zum letztenmal, denn vom 23. Mai an ſollte ihr Zuſtand
ſich eilig verſchlimmern. Ihr Tagebuch berichtet am 23.:
„Wirtſchaftliche Anſtalten Wehmuͤthige Stimmung, gegen
alles gleichgültig. Mittags mit dem Kammer-Rath Nuguft]
allein“, 24.: „Vorbereitungen zur großen Waͤſche. Die
Stimmung von geſtern. Kraͤuter zum Geheimen Rath nach
bei derſelben Veranlaſſung mit denſelben Worten auf die Ballade
ſeines Vaters an.
Briefwechſel 2, 397 (aus Chriſtianens letztem Brief an Goethe).
259
Jena.“ Vom 25, bis 28. wird fie durch Krankheit verhindert,
Notizen zu machen; unterm 29. finden wir die Worte: „In
der Nacht von L— 4uhr die heftigſten Anfälle von Kraͤmpfen,
von ſtarken Ohnmachten begleitet. Hoͤchſte Lebensgefahr.
Arztliche Huͤlfe. Aderlaß u. d. g. Sehr ſchwach und er—
ſchoͤpft. Um 12 Uhr der Geheime Rath retour von Jena. Den
ganzen Tag im Bette“, und am 30. Mai: „Matt und
ſchwach. Gegen Mittag das Bett verlaſſen. Die Riemern.
Die Stube gehuͤtet. Bald zu Bette.“
Mit dieſen Worten verſtummt ihr Tagebuch; das Goethes
berichtet uͤber die letzte Lebenswoche, wie folgt, 31. Mai:
„Ruͤckfall meiner Frau“, 1. Juni (Chriſtiane wurde an
dieſem Tage 51 Jahre alt): „Gefaͤhrliches Befinden meiner
Frau waͤhrend der Nacht“, 2.: „Verſchlimmerter Zuſtand
meiner Frau. Minchen ward krank ... Abends] Hofmedi—
cus Rehbein. Verſchlimmerter Zuſtand meiner Frau“,
3.: „Eine unruhige ſorgenvolle Nacht verlebt. Die Koͤchin
dieſelben Anfaͤlle, zu Bette. Frau v. Heygendorf bei meiner
Frau, die noch immer in der größten Gefahr ... Den
ganzen Tag uͤber Minchen leidlich“, 4.: „Meine Frau noch
immer in aͤußerſter Gefahr. Kraͤuter war die Nacht bei mir
geblieben. . . . [Abends] Plöglicher heftiger Fieberanfall.
Ich mußte mich zu Bett legen“, 5.: „Den ganzen Tag im
Bett zugebracht. Meine Frau in aͤußerſter Gefahr. Die
Köchin und Minchen leidlich. Mein Sohn Helfer, Rath:
geber, ja einziger haltbarer Punct in dieſer Verwirrung
Kräuter die vergangene Nacht bei mir“, 6.: „Gut geſchlafen
und viel beſſer. Nahes Ende meiner Frau. Letzter fuͤrchter—
licher Kampf ihrer Natur. Sie verſchied gegen Mittag.
Leere und Todtenſtille in und außer mir .. ...“.
1 Der Eintrag vom 6. Juni findet ſich fakſimiliert in dem Werk
„Aus Goethes Tagebüchern‘ (Inſel-Verlag zu Leipzig, 1908) nach
S. 62. — Weiterhin vermerkt Goethes Tagebuch noch am 6.: „An—
260
Kalt und ſtarr lag nun im Haufe am Frauenplan der
Koͤrper, deſſen jugendlichem Liebreiz der entzuͤckte Dichter
vor einem Menſchenalter in den Roͤmiſchen Elegien Unſterb—
lichkeit verliehen hatte; durch die Zimmer und Kammern
toͤnte das „duͤſtre Reimwort“ — Tod. Nie noch bisher in
ſeinem Leben war Goethen der Tod eines geliebten, ihm
eng verbundenen Menſchen ſo unmittelbar nahe getreten;
in weiter Ferne war ihm der Vater, die Schweſter, zuletzt
die Mutter von hinnen gegangen. Seine vier Kleinen, die
kaum gegruͤßt Verlorenen, waren ſchickſallos, inhaltlos
entſchwunden; jetzt galt es, einen ſchwerſten Verluſt zu
uͤberwinden; ihn zu beweinen, ſchien dem Verwitweten in
den ſchwarzen Stunden des erſten Schmerzes der „einzige
Gewinn ſeines Lebens“. In unendlicher Einſamkeit fuͤhlt er
ſich verloren; keine weiblich zarte Hand legt ſich teilnehmend
in die ſeine, nur der liebe Sohn ſteht, ein lebendiges Zeugnis
des nun geloͤſten Bundes, neben ihm. Gewaltſam treibt
es den Verlaſſenen hinweg aus dieſer Ode, heimatwaͤrts,
kunft und feſtlicher Einzug der Prinzeſſin Ida [von Meiningen] und
Bernhards [Karl Auguſts Sohn]. Hofrath Meyer. Riemer. Abends
brillante Illumination der Stadt. Meine Frau um 12 Nachts ins Lei-
chenhaus. Ich den ganzen Tag im Bett“, 7.: „Zahlreiche Condolenzen.
Außer Bett“, 8. „Meine Frau früh um 4 Uhr begraben ... Um; Uhr
Colleete meiner Frau von Vogt gehalten“; dann findet ſich noch unterm
9., 10. und 13. Juni der Vermerk „Trauer-Notificationen“. — Nach
Goethes Tode geriet das Grab Chriſtianens allmaͤhlich in Vergeſſenheit,
bis endlich niemand mehr feine Stätte wußte. Um die Wiederauffindung
hat der Geh. Staatsrat Karl Kuhn in Weimar ſich verdient gemacht
(vergl. die Bemerkung von Max Hecker auf S. 220); er ſelbſt ſchildert
ſeine mehrjaͤhrigen Bemuͤhungen zu dieſem Zweckin dem Buͤchlein, Aus
dem alten Weimar. Skizzen und Erinnerungen von Karl Kuhn. Wies—
baden, J. F. Bergmann 1905‘, S. 96/103. Durch die Herſtellung einer
wuͤrdiger Grabplatte (auf der leider als Geburtsjahr ungenau 1764 ftatt
1765 angegeben iſt) und eines ſchmiedeeiſernen Grabgitters hat die
Goethe⸗Geſellſchaft im Jahre 1888 eine fromme Pflicht erfüllt,
261
liebwaͤrts, an den Main, wo herzliche Freundſchaft, tiefes
Mitfuͤhlen, reines dichteriſches Mitempfinden ſeiner harren.
Schon faͤhrt er mit dem treuen Freunde Meyer im Reiſe—
wagen dahin; aber die Daͤmonen miſchen ſich drein, die
Achſe bricht, der Freund wird aus dem Wagen geſchleudert
und an der Stirn verletzt. Dieſem Winke des Schickſals
gehorcht Goethe — „Es wuͤnſchte dich enthaltſam! Folge
ſtumm“. Und niemals hat er die geliebte Heimat, nie
Marianne-Suleika wiedergeſehen.
Nicht lange, und das ſtille Witwerhaus wird durch eine
liebenswuͤrdige, geiſtreiche Schwiegertochter, durch das
Lachen lieblicher Enkelkinder belebt. — Chriſtianens Tage—
buch aber, in dem wir heute blaͤttern durften, hatte er auf
ſeinem Schreibtiſch ſinnend neben den Briefwechſel mit
Schiller geſtellt: neben das Denkmal einer Freundſchaft
und Arbeitgemeinſchaft ohnegleichen fuͤr hoͤchſte geiſtige
Ziele das ruͤhrende Zeugnis der treuen Pflichterfüllung
und Liebe ſeines kleinen „Naturweſens“. Dieſer ſinnvolle
Ausdruck, den die Liebe des Gatten fuͤr Chriſtiane fand,
er gibt uns den Schluͤſſel zum Verſtaͤndnis des ſeltſamen
Bundes zwiſchen dem Weltgenie und dem Thuͤringer Natur—
kind. Paul Heyſe hat, ohne den Ausdruck zu kennen, das
Rechte getroffen, wenn er in jenem Gedicht, von dem unſere
Betrachtung ausging, das Weſen dieſer Ehe mit den
Worten deutet:
Ein Stuͤck Natur, das in dem kuͤhlen Drang
Des Alltags warm den Buſen ihm umſchlang.
262
Neue und alte Quellen
Goethe und das Lied von der Glocke
Von Werner Deetjen
m 10. Auguſt 1805 wurde in Lauchſtaͤdt zu Schillers
Gedaͤchtnisfeier deſſen, Lied von der Glocke in Goethes
Einrichtung dramatiſch aufgefuͤhrt. Man glaubte bisher,
daß Goethe den Plan, dieſe Dichtung ſzeniſch darzuſtellen,
erſt nach dem Tode ſeines großen Freundes gefaßt habe.
Demgegenuͤber ſteht eine bisher unbeachtet gebliebene Be—
hauptung von Wilhelm Ehlers.
Die Mitternachtzeitung berichtet 1836 in Nr. 110 uͤber
ein Concert spirituel, das am erſten Oſtertage dieſes Jah—
res unter der Leitung des Profeſſors Wilhelm Ehlers in
Mainz ſtattgefunden hatte, unter anderem:
„Nur die vonGoͤthe dramatiſirte Schillerſche, Glocke,
welche Scene den Eingang des Concert spirituel bildete,
wollte nicht allgemeine Theilnahme finden! Man fand,
daß eine ſolche Dramatiſirung mehr eine Zerſtuͤckelung ſei,
und daß ſich im Munde ſchmutziger Gloͤckengießergeſellen
dieſe reflektirenden Ideen und lyriſche Erguͤſſe uͤber die
wechſelnden Geſtalten des Lebens ſonderbar ausnahmen,
daß aber der gewoͤhnliche Totaleindruck dieſes unſterblichen
Liedes verloren gehe! Wie dem ſei, die Anordnung dieſer
Scene traͤgt Goͤthe's Namen an der Stirne, und das
Ganze ſollte als Geburtstags-Ueberraſchung fuͤr Schiller
beſtimmt ſein, waͤre der große Dichter nicht grade in jenem
Jahre geſtorben, — ſo erzaͤhlt naͤmlich Herr Ehlers, der
freilich in dieſer Zeit viel um Goͤthe war. Iſt das der Fall,
ſo muß uns dieſe dramatiſche Scene ſchon aus Pietaͤts—
265
gründen theuer fein, weil der eine der großen deutſchen
Dichter dem andern ſeine herzlichen Freundſchaftsgefuͤhle
damit an den Tag legen wollte!“
Auch die Dresdener Abendzeitung teilte in ihrem Bericht
über die dramatiſche Aufführung der ‚Glocke“ in Mainz
(1836, Nr. 118) mit: „Dieſe Scene hatte uͤbrigens die Be—
ſtimmung, einen Geburtstag Schillers zu verherrlichen;
leider aber ſah der Dichter dieſen Geburtstag nicht mehr,
und Goͤthe's wohlgemeinte uͤberraſchung unterblieb.“ Na:
tuͤrlich geht auch dieſe Angabe auf Ehlers zuruͤck.
Wenn wir bedenken, daß Wilhelm Ehlers (geb. 1774 in
Hannover) Weimar erſt Oſtern 1805 verließ und Goethe
in der letzten Zeit — als Mitglied des Hoftheaters wie auch
geſellſchaftlich — nahe ftand, erſcheint es nicht ausge—
ſchloſſen, daß der Dichter mit ihm, deſſen Mitwirkung er
dabei erhoffte, ſeinen Plan beſprochen hat.
266
Goethe und die Jenaer Burſchenſchaft
1820
Mitgeteilt von Robert Pahncke
nter den nachgelaſſenen Papieren meines Urgroß—
u vaters von Mutters Seite, Dr.phil. Heinrich Chriſtian
Albert Clemen, des Schwiegervaters des bekannten Hal—
lenſer Theologen Willibald Beyſchlag, findet ſich ein Ma—
nuſkript: „Aus meinem Leben; ein Stuͤck Geſchichte der
erſten deutſchen Burſchenſchaft“, aus dem die nachſtehend
abgedruckte kleine Epiſode entnommen iſt, die eine Begeg—
nung des Aufzeichners mit Goethe ſchildert. Über Leben
und Perſoͤnlichkeit Clemens geben folgende Daten Auf—
ſchluß: Geboren am 14. September 1799 in Lemgo in
Lippe⸗Detmold, hatte er von April 1818 bis Oktober 1821
in Jena und Halle klaſſiſche Philologie ſtudiert, im No—
vember 1821 in Muͤnſter zum Dr. phil. promoviert und
war unmittelbar darauf am Gymnaſium in Bielefeld an—
geſtellt worden. Am 9. Januar 1824 wurde er wegen Teil—
nahme an den burſchenſchaftlichen Beſtrebungen verhaftet
und nach einjaͤhriger Unterſuchungshaft in Koͤpenick zu
15jähriger Feſtungshaft und — wie es im Tenor des Ge—
richtsbeſchluſſes lautet — „zur Kaſſation als oͤffentlicher
Lehrer und Unfaͤhigkeitserklaͤrung zu Öffentlichen Amtern,
ſowie zum Verluſt des Rechts zur Tragung der National—
kokarde“ verurteilt. Er verbrachte dann die Zeit vom Ja—
nuar 1825 bis zum Oktober 1829 in Feſtungshaft auf der
Zitadelle in Weſel, wurde im Oktober 1829 begnadigt und
267
im folgenden Jahre, 1830, am Gymnaſium feiner Vater:
ſtadt Lemgo wieder angeftellt, wo er als Prorektor im Juli
1867 geſtorben iſt. Seine Begegnung mit Goethe fand
waͤhrend ſeiner Studienzeit in Jena ſtatt, am 28. Auguſt
1820, als Goethe an ſeinem 71. Geburtstag in Jena
weilte und zur Feier des Tages eine Huldigung der Stu—
dentenſchaft und einen Fackelzug entgegennahm. Goethe
erwaͤhnt das Ereignis in ſeinem Tagebuch unter dem an—
gegebenen Datum: „Fruͤh hatten Studenten ein Gedicht
gebracht. Abends Staͤndchen mit Fackeln.“ —
Clemen erzaͤhlt:
Ich will hier ein Ereignis erwaͤhnen, das fuͤr die da—
malige Stellung und Stimmung der Burſchenſchaft in
Jena charakteriſtiſch ift. Der 28. Auguſt, Goethes 71. Ge:
burtstag, nahte heran, und die Univerſitaͤt, wo der Dichter
ſo gern und oft verweilt hatte, um in der Stille des ſchoͤnen
Saaltals ungeſtoͤrt ſeinen poetiſchen Schoͤpfungen zu leben,
und um welche er ſich als Miniſter, namentlich betreffs der
Bibliothek und ſonſtiger wiſſenſchaftlichen Inſtitute, be—
deutende Verdienſte erworben hatte, beſchloß, den Tag zu
Ehren des gerade anweſenden Dichters durch ein ſolennes
Mittagsmahl zu feiern. Zugleich wurde der Wunſch laut,
daß von ſeiten der Studenten ein Fackelzug und Staͤnd—
chen veranſtaltet werden moͤchte. Wiewohl nun Goethe
keineswegs der Mann der Burſchenſchaft, als ſolcher, war,
vielmehr manche Glieder derſelben wegen ſeiner bekannten
Abgewandtheit von aller Politik, die ſie ihm als Mangel
an Vaterlandsliebe und als Teilnahmloſigkeit an den der—
maligen jugendlichen Idealen auslegten, ſo ſehr uͤbel auf
ihn zu ſprechen waren, ſo blieb doch der Gedanke eines
Fackelzuges nicht ohne Anklang, da man eine erwuͤnſchte
Gelegenheit darin ſah, in burſchenſchaftlichem Koſtuͤm, alſo
268
als Verbindung, öffentlich und zwar vor dem Curator
perpetuus der Univerſitaͤt ſelbſt aufzutreten; wozu noch
kam, daß alles auf die Standrede geſpannt war, die der
große Dichter, der Miniſter, in gebundener und ungebun—
dener Rede halten wuͤrde. Ich meinesteils ging um ſo lieber
auf die Sache ein, da ich ſchon von der Schule her ein eif—
riger Verehrer Goethes war und nun Gelegenheit zu er—
halten hoffte, ihn von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehn, mit
ihm zu reden und ihm an ſeinem Ehrentage meine Ver—
ehrung ausſprechen zu konnen. Ich wurde auch in der Tat
zu einem der drei Abgeordneten gewaͤhlt, die ſich zu Goethe
auf das Zimmer begeben und ihm den Gluͤckwunſch der
Burſchenſchaft perſoͤnlich uͤberbringen ſollten. Dieſer be—
wohnte damals die obere Etage eines Hauſes, welches dicht
am botaniſchen Garten, alſo dem jetzigen Univerfitäts-
gebaͤude gegenuͤber am ſogenannten Graben, der Wallpro—
menade, lag, welche einen ſehr geeigneten Raum fuͤr die
Aufſtellung des großen Zuges von zirka 800 Fackeln darbot.
Es waren aber auch von nah und fern Gaͤſte herzugeſtroͤmt,
alle begierig, eine Standrede von Goethe zu hoͤren, die
ſich dem Zuge anſchloſſen. — Leider wurde ihnen dieſe
Freude nicht zuteil. — Nachdem wir drei eingetreten und
uns unſeres Gluͤckwunſches entledigt hatten, erſchienen Be—
diente, Champagner praͤſentierend und die alten Glaͤſer
immer wieder mit neugefuͤllten vertauſchend, waͤhrend die
majeſtaͤtiſche Geſtalt des Dichters mit ihrem prachtvollen
Kopfe und ihrer herrlichen Stirn vor uns ſtand, und er
ſeinerſeits gegen uns das Wort nahm, um uns ſeine Stel—
lung zu den Dingen dieſer Welt anzudeuten, indem er aus—
ſprach, daß er das Gute uͤberall, wo er es in der Welt ge—
funden, auch gefoͤrdert habe. Nun aber erſchallte unten nach
Beendigung eines abgeſungenen Liedes das langerwartete
Vivat mit tauſendſtimmigem Hoch, und alles erwartete in
269
höchfter Spannung, was kommen werde. Goethe aber trat
mit feinem Glaſe ans Fenfter, öffnete es, verneigte fich
ſchweigend hinunter, trat dann zuruͤck, erhob fein Glas
gegen uns, und wir tranken auf feine Geſundheit. Natürlich
waren die unten von dieſem Verlauf der Sache wenig er—
baut, ſie zogen daher ziemlich unbefriedigt auf die Roſe,
wo ein Kommers arrangiert war, und ſie ſich uͤber die nicht
erhaltene Standrede „beim Bierkrug von Stein“ troͤſteten.
Uns wurde es dagegen deſto wohler, denn Goethe wandte
ſich nun an jeden einzelnen mit der Frage, was er ſtudiere,
und da er vernahm, die beiden andern ſeien Theologen, ich
aber Philolog, ſo blieb er bei mir ſtehn und frug, ob ich
den Doktor Reiſig kenne. Dieſer hatte ſich als Doctor
legens in Jena etabliert und Oſtern 1818, gerade als ich
hinkam, ſeine Vorleſungen uͤber Ariſtophanes mit der Er—
klaͤrung der „Wolken“ begonnen. Die Originalitaͤt ſeiner
ganzen Perſoͤnlichkeit — er trug ziemlich langes Haar, gelbe
lederne Beinkleider und Sporen, da er täglich in der Reit—
bahn ritt — und die jugendliche Friſche, ja oft Keckheit
ſeines Vortrags zog uns unwiderſtehlich zu ihm hin, haupt—
ſaͤchlich uns paar Philologen, die wir damals in Jena ſtu—
dierten. Ich erinnere mich, daß ich mit ihm gegangen, ge—
fahren und geritten bin, und da er in dem heißen Sommer
1819 fein Kollegium über die ‚Fröfche‘ des Ariſtophanes
morgens früh von 6 bis 7 angeſetzt hatte, aber ſehr leicht
die Zeit verſchlief, fo gingen unſer zwei regelmäßig um 16
hin und weckten ihn. Dies alles erregte Goethes Intereſſe
in hohem Grade; er ſagte uns, daß auch er an dem jungen
Aus dem anonymen Studentenlied „Auf! ſinget und trinket den
koͤſtlichen Trank“, Strophe 1:
Trinkt, vornehme Suͤnder, aus Gold euern Wein
Wir freun uns nicht minder beim Bierkrug von Stein.
Vivallerallerallera! beim Bierkrug von Stein. — H. G. G.]
270
Doktor ein lebendiges Intereſſe naͤhme, da er fich nament—
lich ſeiner gruͤndlichen Kenntniſſe uͤber Ariſtophanes bei
ſeinem Studium dieſes Dichters zu bedienen gedaͤchte. Lei—
der kam ſchon bald nachher der Geheimrat F. A. Wolf nach
Jena und fuͤhrte Reiſig unter der Bedingung eines aus—
koͤmmlichen Gehaltes, was ihm in Jena ganz fehlte, nach
Halle.
Goethe aber hatte freilich durch dieſe Feier keineswegs
an Popularitaͤt bei der Burſchenſchaft gewonnen, vielmehr
wurden ihm von ihr zwei Jahre nachher, wie ich ſpaͤter
hoͤrte, unter Fuͤhrung Arnold Ruges, zu ſeinem Geburts—
tage die Fenſter eingeworfen !.
Am Abend des 28. Auguſt 1822 war Goethe in Poͤßneck, nicht in
Jena. Es liegt hier offenbar eine Verwechſelung vor mit dem Ereigniß
an Goethes Geburtstag im Jahre 1823, uͤber das Auguſt v. Goethe
an ſeine Frau unterm 13. September 1823 aus Jena berichtet: „Am
28. Abends 11 Uhr haben Studenten dem Vater auf dem Markte ein
Pereat gebracht, es iſt hier Unterſuchung daruͤber; dem Vater es zu
ſagen, iſt unangenehm, aber er muß es wiſſen“. Dieſes Pereat war dem
Dichter, der ſich am 28. Auguſt 1823 in Karlsbad befand, gebracht
worden, weil (wie Wolfgang von Oettingen erlaͤuternd hinzufuͤgt) „die
Studenten ihn des Indifferentismus gegenuͤber einem das Singen auf
den Straßen beſchraͤnkenden Erlaß des Rektors und Senats beſchul—
digten“ (Schriften der Goethe-Geſellſchaft 28, 75.393). — H. G. G.]
271
Ein Brief Carl Auguſts
an den Kammerpraͤſidenten Karl Alexander von Kalb
Mitgeteilt von Otto Francke
Sy der Schriftleitung des Jahrbuches von der Eigen—
tuͤmerin, Frau Emilie Schneider in Weimar, zur
Veroͤffentlichung freundlichſt uͤberlaſſene Schreiben des
Herzogs gehoͤrt in die Reihe der mannigfaltigen Zeugniſſe
für die weitſchauende und liebevolle Sorge des Fürften für
das Gedeihen der Landwirtſchaft im weimariſchen Lande.
Bald nach ſeinem Regierungsantritt war der Landmann
durch Abloͤſung der Frohnen von einer druͤckenden Feſſel
befreit, und die Beſchraͤnkung, die Hut und Trift dem Eigen—
tuͤmer auferlegten, gemindert worden. Um ein Muſter des
landwirtſchaftlichen Betriebes aufzuſtellen, unterzog ſich
Carl Auguſt ſelbſt der muͤhevollen Bewirtſchaftung zweier
in der Naͤhe Weimars gelegener Kammerguͤter, Tiefurt und
Oberweimar. Hatte er doch rechtzeitig dank der Weiſung
Goethes die Faͤhigkeit gelernt, „viel zu entbehren“. Was
ihm der Freund einſt im Gedichte „Ilmenau“ ans Herz
gelegt hatte, das war ihm allmaͤhlich zum Grundſatz ge—
worden; in dieſem Sinne iſt die Mahnung zu verſtehen,
die der Fuͤrſt ſeinem alten Kammerpraͤſidenten, der ſich nach
dem Ruͤcktritt vom Amte im Jahre 1782 auf das Erbgut
ſeiner Ahnen, Kalbsrieth bei Allſtedt, zuruͤckgezogen hatte,
in dem Briefe zuruft. Der freundſchaftliche Ton des liebens—
wuͤrdigen Schreibens iſt um ſo bemerkenswerter, als ſo
bewieſen wird, daß ſich der Herzog durch eine Denunzia—
272
tion feines Amtmannes in Allſtedt, der den Herrn von Kalb
etwa vier Monate vor Abfaſſung unſeres Briefes „der Ver—
leitung zu Aufruhr und Rebellion“ angeklagt hatte!, nicht
hatte beirren laſſen. Seine freundliche Geſinnung dem alten
Diener gegenüber ſpricht ſich auch in dem herzlichen Hand:
ſchreiben aus, in dem Carl Auguſt auf die Anzeige von
dem am 26. Oktober 1792 in Kalbsrieth erfolgten Ableben
Alexanders von Kalb aus dem Feldlager dem Sohne ſein
Beileid ausſpricht?.
Der nun folgende Brief iſt auf einen grauen Bogen in
Großquart mit peinlicher Sorgfalt geſchrieben und war in
einem blauen, ſchwarzgeſiegelten Umſchlag eingeſchloſſen
worden. Er lautet, wie folgt:
An b
Herrn Geheimen Rath und Cammer Praͤſident
von Kalb
in
Kalbsrieth.
Sehr werthgeſchaͤtzter Herr Geheime Rath
Ihren brief habe ich neulich richtig empfangen, u. mit
vieler zufriedenheit darauß erſehn daß Sie gerne Sich da—
hin einrichten wollen den St. Georgentag als den termin
anzunehmen von wo an die Wieſen von Schaafen gehegt
werden ſollen. Es iſt ſehr zu wuͤnſchen daß uͤberall die Edel—
leute das beyſpiel kluger u. allgemein nuͤtzlicher Wirtſchaft—
licher Anſtalt geben, die bauern und buͤrger folgen dann
ehr nach, die Camer wird gerne die Haͤnde zum allgemeinen
Vergl. Johann Ludwig Klarmann: Geſchichte der Familie von Kalb
auf Kalbsrieth. Mit beſonderer Ruͤckſicht auf Charlotte von Kalb und
ihre naͤchſten Angehörigen. Erlangen 1902, S. 73.
Ebenda, S. 456,
273
beiten biethen, u. auf diefe Art muß die Cultur jährlich zur
Ehre u. nutzen der Einwohner, deren Anzahl immer mehr
ſteigt, ſich mehr aufnehmen
Ihnen wuͤnſche ich eine dauerhafte Geſundheit, u. ver—
bleibe mit ausgezeichneter Werthſchaͤtzung
Des Herrn Geheime Raths
Schloß Alſtedt ſehr wohlwollender Freund
d. 31. Mertz 1792. Carl Auguſt H. Z. S.
274
Goethe und die Muſik
Feſtvortrag gehalten am 17. Juni 1916
von
Mar Friedlaender
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oethe und die Muſik — die Worte tönen wie ein
G voller Akkord, und ihr harmoniſcher Zuſammenklang
praͤgt ſich tief ein, wenn wir an den unermeßlichen Segen
denken, der von Goethes Werken gerade auf die Tonkunſt
und die Tonkuͤnſtler bis in die allerjuͤngſte Zeit ſich ergoſſen
hat, an Goethes ruͤhrend tiefe Neigung zu unſerer Kunſt,
an ſeine Ausſpruͤche uͤber Muſik, die an Schoͤnheit und Be—
deutung nur von denen Shakeſpeares erreicht werden. So
innig war Goethe von der Wichtigkeit der Muſik fuͤr ſeine
Lyrik durchdrungen, daß er von ſeinen Leipziger Studenten—
jahren an bis in ſpaͤte Zeiten manche ſeiner ſchoͤnſten Lieder
ſchon im erſten Drucke von einer Kompoſition begleiten
ließ; denn er empfand — gleich den Minneſingern und
Meiſterſingern des Mittelalters —, wie nur die Muſik einem
Gedichte die ganze Fuͤlle des Lebens und Wirkens zu geben
vermag. Eine Vertiefung in Goethes Verhaͤltnis zur Ton—
kunſt erſcheint ſomit nicht allein reizvoll, ſondern auch
fruchtbringend. Freilich wird man bald gewahr werden, daß
eine ſolche Unterſuchung auch gefaͤhrliche Fußangeln birgt,
und daß fie zu den verwickeltſten gehört, die ſich der muſik—⸗
literariſchen Forſchung bieten. g
Vorausgeſchickt ſei, daß ich die Frage: „War Goethe muſi—
kaliſch?“ nicht ſtellen moͤchte; denn der Begriff des Wortes
„muſikaliſch“ iſt ſchwankend und vieldeutig, und auch einer
der feinſinnigſten Muſikfreunde, der große Wiener Arzt
277
Billroth, hat in feinem Werke ‚Wer ift muſikaliſch?“ die
Klaͤrung des Begriffes nicht zu foͤrdern vermocht.
Die Liebe zur Muſik mag Goethe von ſeinem Großvater,
dem Schneider und Gaſthalter „Zum Weidenhof“ Friedrich
Goethe, geerbt haben, von dem ſein Mitbuͤrger, Dr. med.
Senckenberg, als beſonderes Charakteriſtikum berichtet: der
verſtorbene Goethe habe „die Muſik wohl verſtanden“. Im
elterlichen Hauſe wurde nach der in den hoͤheren Kreiſen
Frankfurts uͤblichen Sitte die Muſik liebevoll, wenn auch
von ſeiten des Herrn Rat etwas pedantiſch gepflegt (es
wird erzaͤhlt, daß er die Laute meiſt laͤnger ſtimmte, als
ſpielte), und zu den erſten Jugendeindruͤcken Wolfgangs ge:
hoͤrte es, daß ſeine Mutter nicht nur taͤglich den italieniſchen
Sprachmeiſter, der huͤbſch ſang, zu ſeinen Arien, ſondern
auch ſich ſelbſt zu ihren Liedern auf dem Spinett begleitete.
Der Leſer von Dichtung und Wahrheit' erinnert ſich an
Goethes heitere Schilderung der kleinen Liſten, zu denen
ſein Klaviermeiſter griff, um neue Schuͤler anzulocken, und
bekannt iſt auch, daß der vierzehnjaͤhrige Knabe einen an—
deren Wolfgang, naͤmlich den damals ſiebenjaͤhrigen Mo—
zart, bei deſſen Konzert in Frankfurt hoͤrte. Vom Auftreten
dieſes groͤßten muſikaliſchen Wunderkindes aller Zeiten hat
Goethe achtundſechzig Jahre ſpaͤter Eckermann erzaͤhlt, aber
er ſprach dabei nur von Außerlichkeiten: der kleinen Statur
des Kindes, ſeiner Friſur und ſeinem Degen; das uͤbrige
und wichtigere hat er vielleicht als ſelbſtverſtaͤndlich vor—
ausgeſetzt.! —
Als im Jahre 1825 bei dem Beſuche des fuͤnfzehnjaͤhrigen Felir Men:
delsſohn-Bartholdy Goethe aͤußerte, daß er ſolche Leiſtungen bei ſo
jungen Jahren nicht fuͤr moͤglich gehalten habe, antwortete Zelter:
„Und Du haft doch den Mozart in feinem ſiebenten Jahre in Frank:
furt mitangehoͤrt“, worauf Goethe erwiderte: „Ja, damals ... war
ich allerdings wie alle Welt hoͤchlich erſtaunt uͤber die außerordentliche
Faͤhigkeit desſelben; was aber Dein Schuͤler jetzt ſchon leiſtet, mag ſich
278
Wir dürfen annehmen, daß Goethe auch die muſika—
liſche Vergangenheit ſeiner Vaterſtadt kannte. Tuͤchtige
Komponiſten und Theoretiker hatten hier gelebt, vortreff—
liche Werke waren hier im Druck erſchienen, und eine weit
zuruͤckreichende Pflege der Tonkunſt hatte der Stadt nach
außen hin Anſehen und Bedeutung in der muſikaliſchen
Welt verliehen. Im 18. Jahrhundert, noch zu Zeiten von
Goethes Großvater, vertrat Georg Philipp Telemann den
muſikaliſchen Ruhm Frankfurts. Dieſem ausgezeichneten
Kuͤnſtler war das Gluͤck zuteil geworden, in naͤchſter per—
ſoͤnlicher Verbindung mit Sebaſtian Bach und Haͤndel zu
ſtehen. In Frankfurt heiratete er Maria Katharina Textor,
die Tochter des dortigen Ratskornſchreibers Andreas Textor,
der wahrſcheinlich nur ein Namensvetter der Frau Rat
war. Neben ſeiner Taͤtigkeit als Muſikdirektor in zwei Kir—
chen und als Geſanglehrer am Gymnaſium wirkte Tele—
mann als Dirigent und Hauptkomponiſt des „Woͤchent—
lichen Großen Konzerts im Frauenſtein““, dem Ausgangs—
punkt des Frankfurter Konzertweſens. Einige Werke Tele—
manns haben ſich in Frankfurt nachhaltiger Beliebtheit er—
freut; ſeine „Davidiſchen Oratorien“ z. B. wurden noch in
Goethes Kindheit in den fuͤnfziger Jahren aufgefuͤhrt.
Wie groß Telemanns Einfluß auf das Frankfurter Muſik—
leben war, bekundet eine Stelle in Joh. Bernh. Muͤllers 1747
erſchienener ‚Beſchreibung des gegenwaͤrtigen Zuſtandes
von Franckfurt am Mayr‘. Es heißt da: „Die Muſic-Lieb⸗
haberey iſt auch allhier ſehr groß: dieſe edle Beluſtigung
iſt, ſeitdem der beruͤhmte Herr Telemann hier geweſen, in
zum damaligen Mozart verhalten wie die ausgebildete Sprache eines
Erwachſenen zum Lallen eines Kindes.“ — Daß dieſes Urteil durchaus
einſeitig iſt, braucht nicht erſt betont zu werden.
Das altertuͤmliche Haus Frauenſtein iſt ſpaͤter der bekannten Häufer:
gruppe des „Roͤmers“ einverleibt worden.
279
große Aufnahme gekommen. Es find wenig angefehene
Familien, da nicht die Jugend auf einem oder dem andern
Inſtrument oder im Singen unterrichtet wird; die Con—
certen ſind deswegen ſowohl oͤffentlich als in vornehmen
Haͤuſern ſehr gewoͤhnlich, und laſſen ſich dabey insgemein
auch fremde und beruͤhmte Virtuoſen hoͤren, wenn ſie hier
durchreiſen, oder eine Zeitlang ſich hier aufhalten.“ Unter
dieſen reiſenden Virtuoſen, die ſeit 1772 nach Frankfurt
kamen, befanden ſich beſonders italieniſche Saͤnger. Außer—
dem brachten natuͤrlich die großen Jahrmaͤrkte zahlreiche
und mannigfaltige Kunſtgenuͤſſe mit ſich. „In Meß-Zei⸗
ten“, ſo berichtet Muͤller, „hat man hier auch allerhand
Schauſpiele: als Comoͤdien, Seil-Taͤntzer, Marionetten
u. drgl.; außer der Meſſe aber werden dergleichen Spee—
takel ſelten allhier erlaubet.“
Hoͤchſt wahrſcheinlich bekam man in Frankfurt auch
das Lieblingsoratorium der damaligen Zeit, den, Tod Jefu‘
des Berliner Graun, zu hören, und im Jahre 1756 wurde
von einer italieniſchen Wandertruppe die uͤberall mit hellem
Jubel begrüßte heitere Oper: ‚La serva padrona‘ von
Pergoleſi aufgefuͤhrt, der ſpaͤter (1763 bis 1766) andere
von den Theatertruppen Maggiore und Sebaſtiani gegebene
Singſpiele folgten l. Aber auch franzoͤſiſche Operetten hatte
Goethe als Knabe gelegentlich kennen gelernt, denn ſeit dem
Jahre 1759 wurden zur Ergoͤtzung der franzoͤſiſchen Trup—
pen, die Frankfurt beſetzt hielten?, Singſpielgeſellſchaften
aus Paris berufen. Von ihnen hoͤrte Goethe u. a. des großen
Eines von ihnen hat den Knaben Goethe veranlaßt, einen italieniſchen
Dperntert zu dichten: La sposa rapita. Vergl. Goethes franzoͤſiſchen
Brief an feine Schweſter vom 27. September 1766 (Max Morris:
Der junge Goethe 1, 144).
2 Als Generalauditor war mit ihnen bekanntlich der im Goethe-Hauſe
einquartierte Königsleutnant Graf Thorane gekommen.
280
Jean-Jacques Rouſſeau epochemachende einaftige petit
opera pastoral ‚Le Devin de Village‘ und Frau Favarts
liebenswürdige ‚Comedies meslées d’ariettes‘, die, wie
Goethe Später ſagt, zuerft ein „heiteres ſingbares Weſen
auf unſer Theater hinuͤberbrachten“!.
Noch reicher als in Frankfurt ſtroͤmte die muſikaliſche
Quelle in Leipzig. Hier hatten neben den muſikaliſchen
Kraͤnzlein und den Collegiis musicis namentlich eine Reihe
großer Kantoren der Thomaskirche, unter ihnen Johann
Hermann Schein, Johann Kuhnau, Johann Sebaſtian
Bach, den Grund zu einer hoͤheren Muſikkultur gelegt.
Ihr Wirken erſtreckte ſich nicht allein auf geiſtliche, ſondern
ebenſo auf Kammer- und Geſellſchaftsmuſik. Allerdings
war im Jahre 1765, als Goethe Leipzigs Boden betrat,
vom Geiſte des großen Sebaſtian wenig mehr zu ſpuͤren;
ſeine hohe, ihrer Zeit weit vorauseilende Kunſt war ſelbſt
unter den Fachmuſikern (den „Kennern“, wie ſie im Unter—
ſchied von den „Liebhabern“ genannt wurden) nur Auser—
waͤhlten verſtaͤndlich geweſen. Fuͤr die Verkennung der
Groͤße Bachs iſt bezeichnend, daß zu ſeinen Lebzeiten uͤber—
haupt nur drei ſeiner Werke im Druck erſchienen ſind, und
Wenn Goethe in, Dichtung und Wahrheit‘ noch die Aufführungen
von Frau Favarts ‚Annete et Lubin‘ und Monſignys ‚Rose et Colas‘
erwaͤhnt, ſo beruht das auf einem Gedaͤchtnisfehler. Beide Werke ſind
erſt fpäter, 1762 und 1764 geſchrieben und kamen im Jahre 1773 in
Frankfurt auf die Buͤhne. — uber Frankfurter Muſikleben ſind oben
und weiterhin die folgenden Werke benutzt worden: Karl Iſrael,
Frankfurter Konzertchronik von 1713 bis 1780 (1876), E. Mentzel,
Geſchichte der Schauſpielkunſt in Frankfurt a. M., Archiv fuͤr Frank—
furts Geſchichte und Kunſt, 9. Band (1882), Karoline Valentin,
Geſchichte der Muſik in Frankfurt a. M. vom Anfange des 14. bis zum
Anfange des 18. Jahrhunderts (1906), ferner die in der Stadtbiblio⸗
thek in Frankfurt aufbewahrte Sammlung von Theaterzetteln, die
Herr Dr. Hering, Archivar des Frankfurter Goethe-Muſeums, fuͤr mich
durchzuſehen die Freundlichkeit hatte.
281
zwar nicht etwa die bedeutendften!. Unmittelbar nach Bachs
Hinſcheiden hatte die galant-ſentimentale Richtung auch in
der Leipziger Muſik Platz gegriffen. Einen typiſchen Vertreter
dieſer Richtung, den Thomaskantor Doles, lernte Goethe,
wie es ſcheint, nicht perſoͤnlich kennen, wohl aber ſeinen
Nachfolger im Thomas-Kantorat, Johann Adam Hiller,
der ſich freilich im Jahre 1767 vorwiegend auf weltlichem
Gebiet betaͤtigte. Hiller wirkte nach mehr als einer Rich—
tung hin foͤrdernd und anregend; fo leitete er die „Liebhaber:
konzerte“, die damals noch im Bruͤhl im Schwanengaſthof
abgehalten wurden. Der junge Goethe wird wohl zu den
Beſuchern gehoͤrt haben, die ſich ihren Weg durch die Fuhr—
mannsherberge und den mit Kuͤchenduͤnſten geſchwaͤnger—
ten Gaſthausflur in den Konzertſaal bahnen mußten, und
in den Hillerſchen Veranſtaltungen mag er eine kuͤnſt—
leriſch geſteigerte Fortſetzung der von Frankfurt her ge—
wohnten „Freytaͤgigen Konzerte“ begruͤßt haben?. Noch
groͤßeren Einfluß auf das Leipziger Muſikleben gewann
Hiller durch ſeine Taͤtigkeit als Komponiſt. Die Beliebt—
heit, die das von der Kochſchen Theatergeſellſchaft auf—
geführte Singſpiel „Der Teufel iſt los“ mit der Muſik des
begabten Standfuß gefunden hatte, regte ihn ſelbſt bald zu
eigenen Singſpielen an, die ſeinen Ruhm in ganz Deutſch⸗
land verbreiteten. Auch als Geſanglehrer bewaͤhrte ſich Hiller
mit Erfolg: feine Schülerinnen Gertrud Eliſabeth Schmeh—
ling (Mara) und Corona Schroͤter entzuͤckten den Frank—
furter Ankoͤmmling durch ihre koͤſtlichen Arien- und Lieder⸗
Was wir mit dem Namen Bach vornehmlich in Verbindung brin⸗
gen: das wohltemperierte Klavier, die Kantaten, Paſſionen und die
Hohe Meſſe, ebenſo der bei weitem größere Teil feiner Inſtrumental⸗
muſik wurden erſt im 19. Jahrhundert veroͤffentlicht.
2 Erſt ſpaͤter ſiedelte Hiller mit ſeinem Orcheſter in den Tuchſpeicher
der Leipziger Gewandkaufleute uͤber, nach welchem die Konzerte den
Namen Gewandhaus konzerte erhielten.
282
ſpenden; ihr Geſang ließ ihn ahnen, daß fich beide dereinſt
zu den groͤßten deutſchen Saͤngerinnen entwickeln wuͤrden.
Wie die Liedmuſik, ſo lag auch die deutſche Lyrik damals
noch ganz in den Banden galant verſchnoͤrkelter Kunſt. Hans
durfte nicht ſeine Grete beſingen, ſondern Corydon beſang
ſeine Amaryllis und Damoͤt ſeine Cynthia. Zur Zeit, da
Goethe ſich als Student in Leipzig einſchreiben ließ, wirkten
an der Univerſitaͤt die Dichter Gottſched und Gellert als
Profeſſoren; auf ſeine erſte Dichtung haben ſie aber keinen
oder nur geringen Einfluß gewonnen!. Das taten viel—
mehr die Franzoſen des Rokoko, ferner Guͤnther, die Ana—
kreontiker, Uz, Hagedorn, deſſen Lieder Goethe zugleich
mit den ihnen beigegebenen Goͤrnerſchen Melodien kennen
lernte, und der Leipziger Kreisſteuereinnehmer Chriſtian
Felix Weiße, deſſen Komiſche Opern mit Hillers Muſik der
junge Student im Theater hoͤrte. Nach Weißes, Scherzhaften
Liedern“ vom Jahre 1758 griffen die Muſiker jener Zeit
ebenſo begierig, wie etwa hundert Jahre ſpaͤter roman—
tiſche Tonkuͤnſtler nach den Gedichten Geibels.
Gar manche von den Kompoſitionen moͤgen in den
Leipziger Haͤuſern, die Goethe offen ſtanden, erklungen
ſein, und ihr nicht eigentlich gefuͤhlvoller, vielmehr emp—
findſamer, eleganter, verhuͤllt ſinnlicher Stil wird den
jungen Dichter zur Nachahmung gereizt haben. — Von
Komponiſtennamen hoͤren wir wenig, wir werden aber
annehmen koͤnnen, daß außer den in Leipzig entſtande—
nen, vielfach aufgelegten Liedern aus Sperontes', Singen—
der Muſe an der Pleiße‘, der Graͤfeſchen Odenſammlung,
den Geſaͤngen der Berliner Graun und Phil. Eman. Bach
auch die ungenannten Autoren von Ramler-Krauſes ‚Lie=
Gellert etwa auf ‚Die Laune des Verliebten“, vergl. Max Morris:
Der junge Goethe 1, 254 ff., 6, 50 ff., und Richard Maria Werner:
Studien zur vergleichenden Literaturgeſchichte 5, 190.
283
dern der Deutfchen‘ in Frage kommen, ferner Fleischer,
Paulſen, Herbing, Roſenbaum, Scheibe und befonders
wieder Hiller. Nur einen Namen nennt uns Goethes
eigener Bericht: den des Renommiſten-Dichters Zacha—
riae, deſſen ‚Sammlung einiger muſikaliſcher Verfuche‘
aus den Jahren 1760 und 6! ſo huͤbſche, in melodiſcher
und harmoniſcher Beziehung reizvolle Liedchen bringt,
daß fie ihren dilettierenden Schöpfer über viele der zeitges
noͤſſiſchen Berufsmuſiker emporheben. Bei Schoͤnkopfs
hörte Goethe Zachariaes Lieder, vielleicht aus Kaͤthchens
Munde, vielleicht aus dem Coronas, die zu den Freundin—
nen der Familie zaͤhlte.
Beſondere muſikaliſche Anregungen empfing der junge
Student im Hauſe des beruͤhmten Buchdruckers und Mu—
ſikverlegers Breitkopf. Von deſſen beiden Söhnen galt der
aͤltere, Bernhard Theodor, als ein tuͤchtiger Klavierſpieler
und auch in der Theorie erfahrener Muſiker. Seine Bega—
bung als Komponiſt ſcheint Goethe nicht uͤberſchaͤtzt zu
haben: „Mons. Breitkopf n'ayant pas beaucoup de ta-
lents pour le tendre“, ſchreibt er am 11. Mai 1767 ſei⸗
ner Schweſter; trotzdem uͤberließ ſeine Gutmuͤtigkeit ihm
zwanzig Gedichte, die, ohne Nennung des Dichters, unter
dem Titel „Neue Lieder in Melodien geſetzt von Bernhard
Theo dor Breitkopf' erſchienen. Es iſt ganz huͤbſche, zierliche,
eine freundliche Begabung verratende, wenn auch nach der
techniſchen Seite hin nicht ruͤhmenswerte Muſik, die ſich hier
zu Goethes Worten geſellte; im einzelnen gelang dem Kom—
poniſten manche erfreuliche Wendung, und man darf aus:
ſprechen, daß die zopfig-taͤndelnde Anmut der Verſe im
ganzen die Muſik gefunden hat, die ſie verdiente. Nur in
einem Punkt ließ der Komponiſt den Dichter voͤllig im
Stich: wenn ſich ſchon im Leipziger Liederbuch Goethes
Naturgefuͤhl, freilich oft noch knoſpenhaft, verraͤt:
284
Und die Birken ftreun mit Neigen
Ihr den ſuͤß'ſten Weihrauch auf!,
ſo vermag Breitkopf ſich nicht zur vollen Hoͤhe des Dichters
aufzuſchwingen. Seine Kompoſitionen ſind trotzdem er—
waͤhnenswert, weil ſie vierundzwanzig Jahre hindurch die
einzige Liederſammlung zu Goetheſchen Texten bildeten.
Welches Armutszeugnis fuͤr die Beleſenheit und das lite—
rariſche Verſtaͤndnis der zeitgenoͤſſiſchen Komponiſten!
Es ſteht mir nicht zu, mit den Literaturhiſtorikern in
Wettbewerb zu treten oder die feinſinnigen Ausfuͤhrungen
Konrad Burdachs? uͤber die Sehnſucht des Dichters nach
einer muſikaliſchen Poeſie noch einmal zu entwickeln oder
etwa die geiſtige Umwandlung zu ſchildern, die ſich in Goethe
nach der Geneſung von ſeiner langen Krankheit vollzog. In
Straßburg, das gerade damals begann, ſich innerlich der
franzoͤſiſchen Art zuzuwenden, iſt Goethe ganz zum Deut—
ſchen geworden; an Herders Hand ging er in die heilige
Fruͤhe des Menſchengeſchlechts zuruͤck und fand nach der
galanten Leipziger Zeit den Weg zur Einfachheit und Na—
tuͤrlichkeit. Herder weiſt ihn auf die Macht und Schoͤnheit
des deutſchen Volksliedes hin und fordert ihn zum Sam—
meln von Volksliedern auf. Die Spuren zeigen ſich un—
mittelbar bei dem Lyriker Goethe, der 1772 an Herder
ſchreibt: „Ich habe noch aus Elſaß zwoͤlf Lieder mitgebracht,
die ich auf meinen Streifereien aus denen Kehlen der aͤlte—
ſten Muͤttergens aufgehaſcht habe. Ein Gluͤck, denn ihre
Enkel ſingen alle:
Ich liebte nur Ismenen,
Ismene liebt' nur mich.“
„Ein erſtes Beiſpiel feiner unvergleichlichen Kunſt, die Phyſiognomie
der Pflanzen dichteriſch aufzufaſſen“ (Wilhelm Scherer: Geſchichte der
deutſchen Literatur, S. 481).
2 Schillers Chordrama und die Geburt des tragiſchen Stils aus der
Muſik (Deutſche Rundſchau, 1910, Februar bis April).
285
Wir ſehen: der Dichter ftellt hier einem galanten Mode
produkt die echten Volkslieder gegenüber, die ihre „Demant—
feftigfeit“ durch die Jahrhunderte bewaͤhrt haben. Ihre ganze
Groͤße iſt nun dem Straßburger Studenten aufgegangen.
Aber „nicht geſungene Volkslieder ſind keine Volkslieder
oder nur halbe“, meint Herder, und ſo ſeien hier zwei der
von Goethe dem Volksmund abgelauſchten Geſaͤnge mit
den Weiſen wiedergegeben, die Goethe hoͤchſt wahrſchein—
lich in Seſenheim zugleich mit den Texten gehoͤrt hat!.
Das Lied vom jungen Grafen
Langſam
7
Ich ſteh' auf ei⸗ nem ho- hen Berg, ſeh'
fh ich ein Schiff- lein fchwe = ben, da
—
ſah ich ein Schiff- lein ſchwe- ben, da
1 1 —
rin nen drei Stra = fen ſaß'n. —
Der allerjüngft der drunter war,
Die in dem Schifflein ſaßn,
Beim Feſtvortrage am 17. Juni 1916 find dieſe und die folgenden
Melodien durch den Vortragenden, den feine Gattin am Klavier be:
gleitete, geſungen worden.
286
Der gebot feiner Liebe zu trinken
Aus einem Venediſchen Glas.
Was gibſt mir lang zu trinken,
Was ſchenkſt du mir lang ein?
Ich will jetzt in ein Kloſter gehn,
Will Gottes Dienerin ſein.
Willſt du jetzt in ein Kloſter gehn,
Willſt Gottes Dienerin ſein,
So geh in Gottes Namen,
Deinesgleichen gibt's noch mehr.
Und als es war um Mitternacht,
Dem jung Graf traͤumts ſo ſchwer,
Daß fein herzallerliebſter Schatz
Ins Kloſter gezogen waͤr.
Auf, Knecht, ſteh auf und tummle dich,
Sattl unſer beide Pferd,
Wir wollen reiten, ſei Tag oder Nacht,
Die Lieb iſt reitenswert.
Und da ſie vor jenes Kloſter kamen,
Wohl vor das hohe Tor,
Fragt er nach juͤngſter Nonnen,
Die in dem Kloſter war.
Das Nuͤnngen kam gegangen
In einem ſchneeweißen Kleid,
Ihr Haͤrl war abgeſchnitten,
Ihr roter Mund war bleich.
Der Knab er ſetzt ſich nieder,
Er ſaß auf einem Stein,
287
Er weint die hellen Tränen
Brach ihm ſein Herz entzwei.
So ſolls den ſtolzen Knaben gehn,
Die trachten nach großem Gut.
Nimm einer ein ſchwarzbraun Maidelein,
Wie's ihm gefallen tut.
(Das prachtvolle Lied iſt charakteriſtiſch fuͤr die Technik der
alten Dichter, die an die Phantaſie der Hoͤrer groͤßere Anſpruͤche
ſtellten, als es in der neueren Lyrik geſchieht: die Hörer follen
mitdichten. Die Urſache der Sinnesaͤnderung des jungen Grafen
wird kaum angedeutet. — Wilhelm Grimm hat die kuͤhnen
Spruͤnge, wie ſie hier und in unzaͤhligen anderen alten Liedern
vorkommen, mit dem ſchoͤnen Bilde bezeichnet: im Volksliede
werden nur die Gipfel beleuchtet, die Taͤler bleiben im Dunkel.)
Johann Friedrich Reichardt, der die vorſtehende Melodie mit
faſt identiſchem Texte im Jahre 1782 in feinem ‚Mufifalifchen
Kunſtmagazin“ (3, 154) aufzeichnet, bemerkt zu dem Liede: „Es iſt
in Muſik und Poeſie voll lieber, ſchoͤner Einfalt und ſo voll heim—
lichen traurigen Leben; die Melodie geht ſo ganz den Gang der
Traurigkeit ſtets durch die zunaͤchſt liegenden halben und ganzen
Toͤne.“ Und in aͤhnlicher Weiſe aͤußert ſich der ſehr muſikaliſche
Herder, der die Verſe in feine ‚Volkslieder‘ aufnahm: „Die Me:
lodie iſt traurig und ruͤhrend; an Einfalt beinahe ein Kirchenge—
ſang.“
Der eiferſuͤchtige Knabe
Es ſte- hen drei Sterne am Him = mel, die
bind' ich mein MNöffe = lein hin?
Nimm du es dein Roͤßlein beim Zuͤgel, beim Zaum,
Binds an es den Feigenbaum.
Setz dich es ein Kleineweil nieder,
Und mach mir ein kleine Kurzweil.
Ich kann es und mag es nicht ſitzen,
Mag auch nicht luſtig ſein.
Mein Herzel iſt mir betruͤbet,
Feinslieb von wegen dein.
Was zog er aus der Taſchen?
Ein Meſſer war ſcharf und ſpitz,
Er ſtachs ſeiner Liebe durchs Herze,
Das rote Blut gegen ihn ſpritzt.
Und da ers wieder herauser zog,
Von Blut war es ſo rot.
Ach reicher Gott vom Himmel,
Wie bitter wird mir es der Tod.
Was zog er ihr abe vom Finger?
Ein rotes Goldringelein,
289
Er warfs in fließig Waſſer,
Es gab ſeinen klaren Schein.
Schwimm hin, ſchwimm her, Goldringelein,
Bis an den tiefen See.
Mein Feinslieb iſt mir geſtorben;
Jetzt hab ich kein Feinslieb mehr.
So gehts, wenn ein Maidel zwei Knaben lieb hat,
Tut wunderſelten gut.
Das haben wir beide erfahren,
Was falſche Liebe tut.
Die Weiſe iſt oben nach ihrer erſten Niederſchrift in Bernhard
Kleins und Karl Groos' Sammlung ‚Lieder für Jung und Alt‘
(1818) wiedergegeben. Herder, der Muſik in hoͤchſt poetiſcher
Weiſe zu analyſieren vermochte, bemerkte zu dem Liede: „Die
Melodie hat das Helle und Feierliche eines Abendgeſanges,
wie unterm Licht der Sterne.“ — Vielleicht ſind ſolche Geſaͤnge
gemeint, wenn es in Lavaters Tagebuch vom 21. Juni 1774
heißt: „Noch fang uns Cornelia [Goethe] mit der Zither un—
vergleichliche Volkslieder.“
Und nun der Gegenſatz dazu, auf den Goethe in der vorhin
zitierten Stelle anſpielt: das Kunſtprodukt, das ſich ihm 1771
zum Vergleich bot. Die Melodie ſei nach der erſten bekannten
Lesart wiedergegeben, die ſich in Baumbachs handſchriftlichem
Liederbuch vom Jahre 1770, S. 159, findet 1. Wie man fieht,
zeigt ſich der Komponiſt dieſer verzopften und verfünftelten Weife
noch ganz durch die Schnoͤrkel der galanten Periode gebunden?:
Im Beſitz des Verfaſſers.
2 Wir wollen uns huͤten, hochmuͤtig auf die gezierte, ungeſunde Melo⸗
die des Liedes vom Jahre 1770 hinabzuſehen, uns vielmehr in aller Beſchei⸗
denheit daran erinnern, welche Beliebtheit in weiten Kreiſen Modelieder
unſerer Zeit genießen, z. B. Neßlers uͤberſentimentale Weiſe zu Scheffels
Verſen: „Behuͤt' dich Gott, es waͤr ſo ſchoͤn geweſen.“
290
Der großmuͤtige Liebhaber
r
Ich lieb = te nur er me nen, Is⸗
mit Ahndung und mit Gräsmen, ge
weg ihr Herz o Lie - be, ſtraf
nur Is me = nen nicht.
Wie oft haſt du geſchworen,
Du liebteſt mich allein,
Sonſt ſollt' dein Reiz verloren,
Dein Antlitz ſchrecklich fein. .
Aus Liebe zu Narziſſen
Vergißt du Schwur und Pflicht.
O ruͤhre ſein Gewiſſen,
Nur ſtraf Ismenen nicht!
291
Hier unter dieſen Buchen
Gabſt du mir Strauß und Band.
Dort kamſt du mich zu ſuchen,
Hier nahmſt du meine Hand.
Dort gabſt du mit Erroͤten
Den Ring, den Untreu bricht —
Gedanken, die mich toͤten,
Ach, ſtraft Ismenen nicht!
Du grubſt in dieſe Linde
Mit eignen Haͤnden ein:
Wer untreu wird, der finde
Hier ſeinen Leichenſtein.
Schont, Goͤtter, ſchont Ismenen,
Die ſelbſt ihr Urteil ſpricht!
Mein Grab ſoll euch verſoͤhnen,
Nur ſtraft Ismenen nicht!
Daß Goethe mit dem Satze: „Ihre Enkel ſingen alle: Ich
liebte nur Ismenen“ nicht übertrieben hat, erſehen wir aus einer
Notiz des beruͤhmten Muſikhiſtorikers Johann Nikolaus Forkel
in feiner ‚Allgemeinen Geſchichte der Mufif‘ 2, 773 (1801): „Ein
Lied ging durch ganz Deutſchland, vom aͤußerſten Suͤden bis zum
aͤußerſten Norden und wurde ſolange geſungen, bis man ſich ent:
weder ſatt daran geſungen hatte, oder bis es durch ein neues ver⸗
draͤngt wurde. Unſer ehemaliges: „Ich liebte nur Ismenen“
war eben von der Art und hatte ein gleiches Schickſal.“ Im
Jahre 1787 erwähnt Johann David Müller in ſeinen Oden, tiedern
ꝛc. „Ich liebte nur Ismenen“ als bekanntes Volkslied, und in E. T. A.
Hoffmanns ‚Kater Murr (18 19) heißt es: „Durchaus ſummte mir,
ſtatt aller herrlichen Gedanken, die mir aufgehen ſollten, ein altes,
erbaͤrmliches Lied vor den Ohren, deſſen weinerlicher Text begann:
„Ich liebte nur Ismenen,
Ismene liebt’ nur mich.“
292
Es gehörte im 18. Jahrhundert zur allgemeinen Bil—
dung, daß man neben Poeſie und Kunſt auch praktiſche
Muſik trieb. Vor allem war das Klavier zu Goethes Zeit
als Solo- und Begleitinſtrument faſt unentbehrlich ge—
worden. In Straßburg aber nahm Goethe Unterricht im
Violoncelloſpiel, — eine damals bei der fuͤr Cello unergie—
bigen Literatur noch etwas ungewohnte Liebhaberei, die
vielleicht auf einen uns nicht bekannten Jugendeindruck
zuruͤckgehen mag. Vermutlich hat die Freude daran nicht
lange vorgehalten; nur in Frankfurt hoͤren wir zweimal
davon, und am 29. Januar 1774 berichtet Merck ſeiner
Gattin: „Goethe... accompagne le clavecin de Mme
[Maximiliane Brentano] avec la basse!.“ Aber nach
Weimar ſcheint Goethe kein Violoncello mitgenommen zu
haben. Auch ein Klavier fehlte lange Zeit in der Weimarer
Wohnung, ein Beweis dafuͤr, daß Goethe ſich kaum je
ernſtlich der reproduzierenden Muſik gewidmet hat. Daß
er aber alle Neuerungen und Neuerſcheinungen auf dem
Gebiete der Tonkunſt verfolgte, geht ſchon daraus hervor,
daß er ſich in der Straßburger Zeit mit der Liederſammlung
Goͤrners beſchaͤftigte?. Einer der ſchoͤnſten Kompoſitionen,
die ſchon den erſten Druck von Hagedorns Gedichten be—
gleiteten, hat Goethe fuͤr Friederiken eigene Verſe unter—
gelegt, wie ich in Band 11 der Schriften der Goethe-Geſell—
ſchaft vom Jahre 1896, Seite 4 und 131, habe berichten
koͤnnen. In Straßburg war es auch, wo der hinreißende
Eindruck der neuentdeckten Welt des Volksgeſangs dem
jungen Goethe reiche Fruͤchte bringen ſollte. Dort begann
er ſelbſt, Lieder im Volkston zu dichten. So entſtand das
1 Vergl. Max Morris: Der junge Goethe 4, 76.
Unter Goethes handſchriftlichen Ephemerides befinden ſich auch Ne:
geln für den Liedkomponiſten, ausgezogen aus Hillers Muſikaliſchen
Nachrichten und Anmerkungen“ von 1770, vergl. Morris a. a. O. 2, 29.
293
‚„Heidenröslein‘, Mailied‘ und „Kleine Blumen, kleine Blaͤt—
ter“, die fruͤhſten der Goetheſchen Gedichte, die hunderte
und aberhunderte von Muſikern zur Kompoſition angeregt
haben.
In Frankfurt, wohin Goethe 1771 zuruͤckkehrte, hatten
inzwiſchen das Singſpiel und die Operette an Boden ge—
wonnen, teils durch Stücke im volkstuͤmlich-derben, luſtigen
Ton des ſehr begabten und erfolgreichen Wiener Theater—
prinzipals, Poſſendichters und Komikers Kurz-Bernardon,
teils durch die kuͤnſtleriſch bedeutenden und wertvollen
Opern Grétrys, Monſignys, Philidors, Glucks (Pilgrime
in Mekka“), in denen Goethe die Gattung des Singſpiels
gegenuͤber den deutſchen Produkten Weiße-Hillers auf eine
ungleich hoͤhere Stufe gehoben ſah. Vor allem mußten die
von Sedaine mit ausgezeichnetem Geſchick entworfenen
und ausgefuͤhrten Textbuͤcher dem jungen Goethe blei—
bende Eindruͤcke hinterlaſſen; Grétrys ſchoͤne Muſik zu
„Le Magnifique“ entzuͤckte ihn ſo ſehr, daß er einer Arie
neue Verſe unterlegte. 1773 hörte er auch den ‚Töpfer‘,
eine der vergroͤberten Nachahmungen dieſer franzoͤſiſchen
Luſtſpielopern, ein Werk ſeines Landsmanns und Freun⸗
des, des Offenbacher Seidenwirkers Johann André. An
dem zwar erfolgreichen, aber in Text und Muſik gleich un⸗
bedeutenden Stuͤcke fand Goethe ſolches Gefallen, daß er
ſich mit André zu feinen erſten Singſpiel: ‚Erwin und
Elmire‘ verband. Das Ergebnis war muſikaliſch keines—
wegs erfreulich; Andrés ſpießbuͤrgerliche Muſik hat in—
deſſen nicht verhindert, daß, Erwin und Elmire‘ in Berlin
am Doͤbbelinſchen Theater, wo der Komponiſt ſpaͤter als
Kapellmeiſter wirkte, einundzwanzigmal gegeben wurde —
der groͤßte Erfolg, den bis zum heutigen Tage ein Goethe—
ſches Singſpiel gefunden hat. André durfte auch als erſter
Goethes „Veilchen“ mit einer Kompoſition begleiten, als
294
das Gedicht in des Düffeldorfer Freundes Jacobi Frauen—
zimmeralmanach „Iris“ zum erſten Druck gelangte“. Sein
Verſuch geriet in muſikaliſch-techniſcher Beziehung nicht
übel, Die Melodie — fie iſt im 11. Bande der ‚Schriften
der Goethe-Geſellſchaft' 1896 unter Nr. 12 abgedruckt —
ſtellt eine einfache Illuſtration der Verſe dar, natuͤrlich in
ſtrophiſcher Form, wie ſie Goethe bis an ſein Lebensende
fuͤr ſeine Gedichte gewuͤnſcht hat; den Ausdruck der ſtillen,
das Herz erfuͤllenden, in ſich begluͤckten Liebe darzuſtellen,
war dem Komponiſten verſagt. — Vielleicht wuͤrde Goethe
andere Anſchauungen uͤber die Verſchmelzung von Muſik
und Dichtung gewonnen haben, wenn ihm das Gluͤck
widerfahren wäre, von vornherein mit einem wirklich be—
deutenden Muſiker in Verbindung zu treten. Ein Verſuch
hierzu wurde auch durch Goethes Vertraute, Tantchen
Fahlmer, gemacht, die einige Gedichte Goethes an Gluck
in Wien geſandt hatte mit der Aufforderung, ſie in Muſik
zu ſetzen. Leider lehnte Gluck ab, wie er bereits die Kom—
poſition von Herders Muſikdrama „Brutus“ unter dem
Vorwande verweigert hatte, er ſei zu alt und kraͤnklich.
Dagegen hat er am Abend ſeines Lebens noch ſieben der
ſchoͤnſten Klopſtockſchen Oden „betont“ (um Goethes Wort
zu gebrauchen). — Goethes Liebe zu Glucks Muſik iſt lei—
der unerwidert geblieben. Gluck hatte allerdings die Ab—
ſicht, Goethes ‚Erwin und Elmire‘ zu komponieren; in:
deſſen kam es nicht dazu, da am Wiener Theater, wie er
an Wieland im Auguſt 1776 ſchreibt, „Perſonen fehlten,
André, einer der beliebteſten und fruchtbarſten Liederkomponiſten
feiner Zeit, hat nach dem Veilchen“ noch über 300 Lieder veröffentlicht,
merkwuͤrdigerweiſe aber keines mehr mit Goetheſchem Text. — Sehr
gluͤcklich war André mit feiner noch jetzt auf unſeren ſtudentiſchen Kom:
merſen oft erklingenden Melodie zu Claudius’ ‚Rheinweinlied“: „Be:
kraͤnzt mit Laub den lieben vollen Becher“, die es bereits zu einer Hei:
nen Unſterblichkeit von uͤber 145 Jahren gebracht hat.
295
die Geſaͤnge zu exekutieren“. — Als Glucks junge, hoch:
begabte Nichte ſtarb, wandte ſich der Meiſter an Klopſtock
und Wieland mit der Bitte, „einige Blumen auf die Aſche“
der geliebten Toten zu ſtreuen; Wieland uͤbermittelte dieſe
Bitte an Goethe, der, wie Erich Schmidt nachgewieſen, ſeine
‚Proferpina‘ als Naͤnie auf Glucks Nichte gedichtet hat.
Bei der Überſiedlung nach Weimar fand Goethe nicht
einmal begabte Durchſchnittsmuſiker als Hofkapellmeiſter,
Konzertmeiſter und Organiſten vor. Fruͤher hatte Weimar
eine Art muſikaliſcher Glanzperiode erlebt: Johann Se—
baſtian Bach hatte hier zweimal geweilt, zuletzt neun Jahre
hindurch in hervorragender Stellung als Hoforganiſt und
Konzertmeiſter, und hatte die Orgel der Schloßkirche durch
ſein Spiel geweiht. Die Kammermuſik des Hofes brachte
er zur Bluͤte. Neben Bach wirkten ausgezeichnete Maͤnner,
u. a. Hofkapellmeiſter Daſe und der hervorragende Stadt—
organiſt und Muſikhiſtoriker J. G. Walther. Dann kam
Johann Ernſt Bach, der Komponiſt der ‚Fabeln und Er—
zaͤhlungen“. Und waͤre nicht ungluͤcklicherweiſe im Jahre
1772 das Hoftheater abgebrannt, ſo haͤtte Goethe dort
Anton Schweitzer als Konzertmeiſter getroffen, einen der
beiten Muſiker Deutſchlands, deſſen, Alceſte- mit Wielands
Text zwei Jahre vor Goethes Ankunft mit großem Erfolg
in Weimar gegeben worden war. Schweitzer hatte einen
Ruf nach Gotha angenommen, wo neben tuͤchtigen In=
ſtrumentaliſten einer der bedeutendſten Vertreter des
Singſpiels, Georg Benda, wirkte. Im Gegenſatz zu die—
ſem bluͤhenden Muſikleben der Nachbarſtadt Gotha ſtag—
nierte die oͤffentliche Muſik in Weimar bei Goethes Ankunft
faſt ganz, woran die Tätigkeit Ernſt Wilhelm Wolfs,
eines herzlich unbedeutenden Muſikers, Schuld trug !. Über
Einen gewiſſen Ruf hatte Wolfs Kompoſition der Herderfchen Oſter—
kantate, der Herder ſelbſt allerdings ein Höher: 8 Lob als „ziemlich gut“
296
drei Jahrzehnte ſtand Wolf, erft als Konzertmeiſter, dann
als Hofkapellmeiſter an der Spitze des Weimarer Muſik—
lebens, ſiebzehn Jahre hindurch wirkte er in unmittelbarer
Naͤhe Goethes, aber er wußte dieſes Gluͤck nicht zu ſchaͤtzen;
unter den zahlreichen von ihm veröffentlichten Liedern be—
findet ſich nicht ein einziger Vers Goethes! Übrigens macht
Goethe uͤber Wolfs Geſichtszuͤge Lavater gegenuͤber eine
recht deſpektierliche Bemerkung. — Ein aͤhnliches Zeug—
nis unzureichender literariſcher Bildung! ſtellte ſich Wolfs
Amtsgenoſſe, der Weimarer Stadtorganiſt und Konzert—
meiſter Eylenftein aus: 1782 gab er unter Goethes
Augen fuͤnfundzwanzig von ihm komponierte ‚Lieder der
beliebteſten Dichter Deutſchlands' heraus, unter denen ſich
ein Sprickmann, Unger, Bruͤckner, Vaders uſw., nicht aber
Goethe befindet.
Wolf und Eylenſtein gehoͤrten ihrem ganzen Empfinden
nach der Vergangenheit an, nicht aber jener Gegenwart,
die Goethe darſtellte; ein gleiches gilt von den geſchickten
Konzertmeiſtern Goͤpfert und ſeinem Kollegen Kranz, der
in Italien und bei Haydn in Eſterhaz ſtudiert hatte. Die
Verhaͤltniſſe wurden auch nicht beſſer, als im Jahre 1799
der Muͤnchener Deſtouches an die Spitze der Weimarer
Hofmuſik trat, — ein Mann von ſo erſtaunlicher Unbe—
deutendheit und Seichtheit, daß man nicht recht begreift,
wie ſeine Buͤhnenmuſiken zu Schillers Dramen einige Zeit
hindurch mit dem Einverſtaͤndnis des Dichters aufgefuͤhrt
werden konnten. Als er im Jahre 1809 verabſchiedet wurde,
kam eine ungleich wertvollere Perſoͤnlichkeit an feine Stelle:
Auguſt Eberhard Muͤller, der als Kantor an der Leip—
ziger Thomaskirche Johann Adam Hiller abgeloͤſt hatte.
nicht ſpenden kann. Immerhin iſt fie beſſer als Wolfs Singſpiele und
Lieder, die zu den mittelmaͤßigſten jener Zeit gehoͤren.
Dieſe Bildung ſtand auch ſonſt im Bürgertum nicht ſehr hoch.
297
Seinen Inſtrumentalkompoſitionen verdankt er einen gu—
ten Namen unter den deutſchen Muſikern !. Um ihn zu ges
winnen, wurde nicht nur das Gehalt des Hofkapellmeiſters
verdoppelt, ſondern Goethe ſchrieb auch der Hoftheater—
kommiſſion am 7. November 1810: „Ich uͤberlaſſe, ob
man Müller nicht wenigſtens in der Überfchrift das Praͤ—
dikat Herr geben will ... Wir gehen ja ohnehin bei
unſeren Expeditionen mit dieſem Prädikat nicht ſehr ſpar—
ſam um.“ Selbſt dieſer vortreffliche Muſiker, unter deſſen
Fuͤhrung die Weimarer Hofmuſik einen erfreulichen Auf—
ſchwung nahm, ging geſchloſſenen Auges an Goethes Lyrik
voruͤber. Seine Urteilsloſigkeit auf poetiſchem Gebiete zeigt
die Wahl der Texte in den beiden ſchmalen Liederheften?, die
er veroͤffentlicht hat; u. a. findet ſich dort die folgende platte
Reimerei:
„Mags donnern oder ſchneyn,
Mag Tant' und Mamma ſchreyn,
Ich will der Minne pflegen,“
und in der zweiten Strophe:
„Obs donnert oder ſchneyt,
Ob Tant und Mamma draͤut,
Will mich des Lebens freuen,
Denn morgen iſt nicht heut.“
Ein eigener Unſtern wollte es, daß auch der weltberuͤhmte
Muſiker, der im Jahre 1819 Müllers Nachfolger als Hof:
kapellmeiſter ward, naͤmlich Johann Nepomuk Hum—
mel, der beſte Schuͤler Mozarts und Freund Beethovens
Goethe nicht ſehr viel zu bieten wußte. Schon in den voran⸗
gegangenen Jahren hatte ſich Hummel nur gelegentlich mit
Vokalmuſik beſchaͤftigt, und zwar mit Opern, Kantaten und
Muͤller war einer der wenigen, die Bachſche Kantaten auffuͤhrten.
2 Ein Exemplar des erſten befindet fich in der Koͤnigl. Bibliothek in Berlin,
des zweiten in der Großherzogl. Hofbibliothek in Darmſtadt.
298
Meſſen; ſeit dem zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts aber
beſchraͤnkte er ſich ausſchließlich auf Inſtrumentalwerke, und
er ſetzte nur ausnahmsweiſe einmal eine kurze Goetheſche
Dichtung fuͤr eine Logenfeſtlichkeit oder aͤhnliches in Muſik.
Der große, von Goethe immer wieder bewunderte Pianiſt
konnte dem Dichter nicht geben, was ihm ein echter drama—
tiſcher Muſiker geboten haͤtte: muſikaliſche Anregung fuͤr
die in der Form der Oper gedachten Stellen im zweiten
Teil des „Fauſt'.
Eine ganz andere Welt eröffnete ſich Goethe in der Wei—
marer Hofgeſellſchaft. War bei den Weimarer Muſikern
platte Selbſtzufriedenheit zu Hauſe, philiſterhafte Aufge—
regtheit an Stelle echter Leidenſchaft, ein handwerksmaͤßi—
ges Koͤnnen, eine ſubalterne Auffaſſung und Ausuͤbung der
Kunſt, die Hand in Hand mit einem ſchier unbegreiflichen
Mangel an allgemeiner Bildung geht, — ſo fand er hier
eine techniſch nicht ſehr geſchulte, aber an hohen Idealen,
an echter Leidenſchaft und reger geiſtiger Kultur erſtarkte
Muſikuͤbung. Im Mittelpunkt dieſes Kreiſes ſteht die Her—
zogin-Mutter Anna Amalia, jene auch fuͤr die Tonkunſt
begabte edle Frau, die ſchon im heimatlichen Braunſchweig
eine ſorgfaͤltige muſikaliſche Erziehung genoſſen hatte und
nun in Weimar die durch Herzog Wilhelm Ernſt im An—
fang des Jahrhunderts begruͤndeten Traditionen auf das
ſchoͤnſte weiterfuͤhrte !. In ihrem Tiefurter Schloſſe wurde
von wahrhaft erlauchten Geiſtern nicht nur uͤber Poeſie,
bildende Kunſt und Wiſſenſchaft, ſondern ebenſo uͤber die
Muſik mit all ihren Verzweigungen, all ihren Beziehungen
zur Lyrik und zum Drama verſtaͤndnisvoll geſprochen. Ne—
1 An dieſer Stelle wurden von dem Vortragenden zwei bisher unge:
druckte Kompoſitionen Anna Amalias aus ‚Erwin und Elmire‘ ge—
boten, die in der diesjaͤhrigen Schrift der Goethe-Geſellſchaft, Band 31,
veroͤffentlicht werden ſollen.
299
ben Herder, der ſchon in Buͤckeburg mit Johann Friedrich
Bach, dem Sohne Sebaſtians, kraͤftig für die Reform der
Oper, des Oratoriums und der Kantate eingetreten war“,
neben dem muſikaliſch ſtets intereſſierten Wieland, iſt hier
zuerſt Siegmund von Seckendorff zu nennen. Dieſer Hof:
mann, Regiſſeur, Muſiker, Dichter und Überfeger in Einer
Perſon ruͤckt mit ſeiner warm empfundenen melodienreichen
Muſik zu Goethes „Lila“, die leider bisher unbeachtet ge—
blieben iſt, in die Reihe der guten zeitgenoͤſſiſchen Singſpiel—⸗
komponiſten, und er zeigt ſich auch des Vorzuges nicht uns
wuͤrdig, eine Anzahl der ſchoͤnſten Herderſchen Lieder, dar—
unter den ‚Edward‘, und von Goethe den ‚Fifcher‘ ſowie den
‚König in Thule‘ zugleich mit feiner Muſik im erſten Drucke
veroͤffentlichen zu duͤrfen. Vor allem trat ſeine Begabung
fuͤr den Balladenton hervor. Keinem der genannten Hof—
kapellmeiſter wäre ein Wurf wie Seckendorffs, Elvershoͤh',
‚Dluf‘,, König in Thule‘ gelungen; keinem war eine ähnliche
Sicherheit des plaftifchen Ausdrucks zu eigen, wie dieſem
nach der Seite der Technik hin recht unbeholfenen Muſik—
liebhaber. Wer wollte es da Goethe verdenken, daß er ſich
und ſeine Werke lieber einem Dilettanten anvertraute, als
den zuͤnftigen Weimaraner Muſikern? Und als er ſich in
das Problem des Singſpiels zu vertiefen begann, dachte
er begreiflicherweiſe nicht an Wolfs oder Eylenſteins „Ber:
ſuche“, ſondern er erinnerte ſich ſeines alten Frankfurter
Jugendfreundes Philipp Chriſtoph Kayſer.
Mehrere Jahre, bevor Goethe ſeine erſten, fuͤr Muſik
beſtimmten dramatiſchen Verſuche begann, hatte Herder
gegenüber der italieniſchen und franzoͤſiſchen Oper ein neues
Opernideal aufgeſtellt: „Empfindung! davon ſingen, wo—
von man empfindet — das iſt die Oper! ... Der Plan
Vergl. Georg Schuͤnemann: Johann Chriſtoph Friedrich Bach (Bach⸗
Jahrbuch 1914 S. 98).
300
muß Empfindung fein: nur diefe Spricht durch Stimme,
nur dieſe ſingt durch Lieder!“ — Wenn man fragt, ob
Goethes Singſpiele dieſer Herderſchen Hoffnung und For—
derung entſprachen, ſo kann die Antwort leider nicht be—
jahend lauten. So gluͤcklich Goethe ſich auf lyriſchem Ge—
biete die Herderſche Liedtheorie zu eigen machte, — beim
Singſpiel ließ er ſie meiſtens voͤllig unbeachtet. Goethe,
der empfindungsreichſte unter allen Dichtern, glaubte ſich
hier ſehr oft des tieferen Gefuͤhls enthalten zu muͤſſen.
Vielleicht ſchaͤtzte er die Singſpiele nur als leichte er—
heiternde Gelegenheitsſtuͤcke und nicht als vollwertige
Kunſtwerke. Hierzu moͤgen ihn die lediglich den Verſtand
beſchaͤftigenden Textbuͤcher der italieniſchen Singſpiele,
namentlich der ‚Serva padrona‘ Pergoleſis, verleitet
haben, ferner zwei deutſche Vorbilder: einmal die kind—
lich-luſtigen, oberflächlich amuͤſierenden Geſangspoſſen
Kurz⸗Bernardons mit ihren wenig waͤhleriſchen Witzen,
Pfefferkuchenverſen und Wortſpielereien und ſchließlich
das bereits erwähnte halbſchuͤrige Singſpiel „Der Toͤp—
fer‘ von André, das Goethe zur Dichtung feines erſten
Verſuches in dieſer Gattung,, Erwin und Elmire‘, ange—
regt hat. Dazu kam der nicht immer guͤnſtige Einfluß des
Liebhabertheaters und der Maskenſpiele der Hofgeſellſchaft,
und ſpaͤter die Überſchaͤtzung der naiven Sinnlichkeit der
italieniſchen Singſpiele. So laͤßt es ſich vielleicht verſtehen,
daß Goethe die nicht ſehr hohe Meinung von der Singſpiel—
poeſie erhielt, man muͤſſe bei ihr Zugeſtaͤndniſſe an den
Modegeſchmack machen, und daß er infolgedeſſen ſeine
Texte mit gar zu laͤſſiger Hand hinwarf. Waͤhrend ſeines
Aufenthaltes in Italien wurde er in ſeiner Meinung von
der Geringwertigkeit dieſer Kunſtgattung nur noch beſtaͤrkt,
und er brach mit den bisher hochgehaltenen Lehren Herders.
An dieſen ſchreibt er am 10. Januar 1788: „Ein italieniſch
301
Opernbuͤchelchen lieſt kein Menſch als am Abend der Vor:
ſtellung“, und am 6. Februar 1788: „Da ich nun die Be—
duͤrfniſſe des lyriſchen Theaters genauer kenne, habe ich
geſucht, durch manche Aufopferung dem Komponiſten
und Akteur entgegenzuarbeiten“ [d. h. entgegenzukommen!.
Dasſelbe unterſtrichene Wort kommt in einem ungefaͤhr
zu gleicher Zeit niedergelegten, Erwin und Elmire betref—
fenden Geſtaͤndnis vor: „Es ſind hundert Dinge zu beobach—
ten, welchen der Italiener allen Sinn des Gedichts auf—
opfert“, und eine andere Stelle lautet: „Der beſte Effekt
iſt, wenn es [d. h. eine Oper] den Schauſpielern recht
auf den Leib gepaßt, und wenn dem Lieblingsgeſchmack
des Publikums geſchmeichelt wird!.“ Mit dieſer Anſchauung
ſtimmt uͤberein, was Goethe a. a. O. einmal bemerkt:
nach italieniſcher Manier werde es möglich, daß das Al-
berne, ja das Abſurde ſich mit der hoͤchſten aͤſthetiſchen
Herrlichkeit ſo gluͤcklich verbinde. —
„Ich bin immer fuͤr die opera buffa der Italiener und
wuͤnſchte wohl, mit Ihnen ein Werkchen dieſer Art zuſtande
zu bringen“, heißt es vorher in einem Briefe an Kayſer
vom Juni 1784. Wie unguͤnſtig aber dieſes Vorbild auf den
Dichter gewirkt hat, bekennt er ſelbſt in den tief verraͤteriſchen
Worten an Reichardt vom 8. November 1790: „Um fo et=
was [nämlich ein Singfpiel] zu machen, muß man alles
poetiſche Gewiſſen, allepoetiſche Scham nach dem
edlen Beiſpiel der Italiener ablegen.“
Daß trotzdem in den Singſpielen gar manches Meiſter—
hafte, Ergreifende aufleuchtet und einzelne Stellen echt
dichteriſchen Glanz ausſtrahlen, — es ſei nur an den Erl⸗
Im Gegenſatz dazu ſchreibt Goethe ſpaͤter an Zelter (29. Maͤrz 1827):
„Die Vollendung des Kunſtwerks in ſich ſelbſt iſt die ewige
unerlaͤßliche Forderung!“ und er nennt es einen Jammer, an den
Effekt zu denken.
302
fönig‘ erinnert, an, Das Veilchen“ „Ihr verblühet ſuͤße Ro—
fen”, und die geſtern bei der Aufführung von ‚Jery und
Baͤtely' gehörten Verſe: „Es rauſchet das Waſſer und blei—
bet nicht ſtehn“ — kann nicht Wunder nehmen, weil ihr
Autor eben Goethe iſt. Dieſe Anſchauungen aber haben
den Dichter oͤfters geneigt gemacht, die hoͤchſte poetiſche
Schoͤnheit zu opfern, ſobald es ſich um Beduͤrfniſſe der
Muſik handelte !. Selbſt einem fo unbedeutenden Mann
wie dem Theaterdirektor Lecerf gegenuͤber erfuͤllt Goethe
den Wunſch, den Schluß eines ſeiner Singſpiele zu aͤndern,
und ſpaͤter verwaͤſſert er eine der gewaltigſten Stellen der
Kerkerſzene im, Fauſt': „Sie iſt gerichtet, iſt gerettet!“ einem
mittelmaͤßigen Komponiſten (Karl Eberwein) zuliebe durch
den opernmaͤßigen Zufaß?:
Iſt gerettet!
Im Wolkenſchoß gebettet,
Heran! heran!
In Engelsarmen
Entfühnt zu erwarmen,
Find Erbarmen.
Die ſchlimmſten auf den Fauſt' veruͤbten Attentate ftel-
len indeſſen die Verſe dar, die Goethe dem Fuͤrſten Rad—
ziwill für deſſen oratorienhafte Kompoſition des ‚Fauft‘
geliefert hat. Zunaͤchſt hat der Dichter der Unterredung
Fauſts mit Mephiſto nach den Worten des Fauſt: „So
An Charlotte von Stein ſchreibt Goethe aus Rom am 19. Januar
1788 uͤber, Claudine“: „Leider hab ich vielen poetiſchen Stoff weg:
werfen und der Möglichkeit des Geſanges aufopfern muͤſſen“, und ſie⸗
ben Tage ſpaͤter uͤber ‚Erwin und Elmire“: „Ihr müßt immer denken,
daß dieſe Stuͤcke geſpielt und geſungen werden muͤſſen; zum Leſen,
auch zum bloßen Auffuͤhren haͤtte man ſie viel beſſer machen koͤnnen
und muͤſſen.“
Mit den Noten veröffentlicht in Wilhelm Bodes ſehr fleißigem und
zuverläffigem Werk, Die Tonkunſt in Goethes Leben“ 2, 300.
303
mag es bei der Fratze bleiben“ die folgenden Zeilen für
einen Chor angeleimt:
1. Halb⸗Chor: Wird er ſchreiben?
2. Halb⸗Chor: Er wird ſchreiben.
1. Halb⸗Chor: Er wird nicht ſchreiben.
2. Halb⸗Chor: Er wird fchreiben.!
Chor: Blut iſt ein ganz beſondrer Saft,
Wirkend im Innern Kraft aus Kraft.
Reißt ihm die Wunde raſch nach außen,
Draußen wird er wilde, wilder haußen.
Mephiſto: Blut iſt ein ganz beſondrer Saft.
Und ſpaͤter verſifiziert Goethe dem Komponiſten zuliebe
das Zwiegeſpraͤch Gretchens mit Fauſt in nachſtehender
Weiſe:
Margarete: Was ſoll denn aber das?
Warum verfolgſt du mich?
Fauſt: Ich will kein ander Was,
Ich will nur dich! ...
Fauſt: O welchen ſuͤßen Schatz
Hab ich genommen!
So ſei denn Herz an Herz
Sich hochwillkommen.
Mephiſtopheles und Marthe:
Wer Gelegenheit gegeben,
Der ſoll leben;
Wer Gelegenheit benommen,
Schlecht willkommen!
Fauſt und Margarete:
Sag, wer hat es uns gegeben,
Dieſes Leben?
ı Kür Karl Eberwein noch mit Zuſaͤtzen: „Und wird er ſchreiben?“
„ Ja, er wird ſchreiben.““ „Er wird nicht ſchreiben. Nicht! Nein, nein!“
304
Niemals wird es uns genommen
Dies willkommen.
(Verſe, die der Komponiſt Fuͤrſt Radziwill ſeinerſeits noch
verſchlimmbeſſert hat, ſo z. B. 16 Zeilen vorher:
Ich will kein ander, was ich will, nur dich.)
Aber trotz allem: vergebens hat Goethe ſeine Singſpiel—
texte nicht geſchrieben. Denn ohne dieſe Vorſtufen und Vor—
ſtudien wuͤrde er nicht die leuchtende Hoͤhe erreicht haben,
auf der er ſpaͤter in der, Pandora und namentlich in feinen
zum großen Opernſtil weiſenden Einzelſzenen im zweiten
Teil des „Fauſt' ſteht. Goethes Arbeiten auf dem Gebiete
des Singſpiels waͤren in die hoͤchſte Kunſtſphaͤre emporge—
wachſen, wenn ein genialer Muſiker ſich zu dem Dichter ge—
ſellt und ihm fuͤr ſeine Opernbuͤcher hoͤhere Ziele gewieſen
haͤtte. Ein uͤberragendes muſikaliſches Talent aber fand
Goethe nicht in feiner Nähe, und auch Kayſert darf man
nicht als ſolches anſprechen, obwohl er Temperament und
eine erfreuliche Begabung fuͤr muſikaliſche Kleinkunſt
zeigt. Sein Beſtes gibt er nicht in den beiden von ihm ver—
oͤffentlichten Liederſammlungen, in denen übrigens gar
manche ſtimmungsvolle Geſaͤnge? erfreuen, ſondern in
ſeinen Singſpielfragmenten. Hier begegnet man Partien
von nicht gewoͤhnlichem Reiz und Temperament, hier
tritt vielfach eine wirkliche Kraft der Charakteriſierung
hervor. Haͤtte Kayſer es vermocht, ſeine Gedanken und
Einfaͤlle, an denen er nicht arm war, ſchneller zu Papier
zu bringen, ſo wuͤrde ſein Name unter den deutſchen
Goethe war ſchon neun Jahre früher zu Kayſer in Beziehung ge:
treten, das wirkliche Freundſchaftsverhaͤltnis aber datierte erſt von dieſem
Zeitpunkt an und dauerte neun volle Jahre, bis 1789 der Bruch erfolgte.
2 Man vergleiche die Proben in den Schriften der Goethe-Geſellſchaft,
11. Band: Goethes Gedichte in Kompoſitionen ſeiner Zeitgenoſſen
(1890).
305
Singſpielkomponiſten vor Mozart heute einen beſonders
guten Klang haben. Aber leider ſtaute ſich in ſeiner Feder
eine verzweifelt dicke Tinte. Es waͤhrte meiſt endlos lange,
bis er dem ſchnell arbeitenden Dichter eine Kompoſition
liefern konnte. In einer Friſt, da ein begabter italieniſcher
Muſiker zwanzig Singſpiele produziert haͤtte, brachte Kayſer
kaum eins zuſtande. Gleichwohl uͤbte Goethe in wahrhaft
großherziger Weiſe Geduld mit dem Freunde. Wiederholt
ließ er ihm Geldbetraͤge fuͤr Reiſen nach Weimar und Ita⸗
lien anweiſen. Nach Rom, wo Goethe ſich durch ihn in
die Schoͤnheiten der in der Oſterzeit aufgefuͤhrten Muſik
Paleſtrinas, Allegris und anderer alter Meiſter einfuͤhren
ließ, brachte Kayſer den eben beendeten zweiten Akt von
‚Scherz, Lift und Rache“ mit, der Goethes größtes Ent—
zuͤcken erregt. So ſehr uͤberſchaͤtzt er die Begabung ſeines
Freundes, daß er den abenteuerlichen Plan faßt, den Kayſer—
ſchen Noten eine italieniſche Überfegung der Dichtung unter:
legen und das Singſpiel in Rom auffuͤhren zu laſſen. Was
haͤtten wohl die durch Galuppis, Guglielmis, Paeſiellos,
Cimaroſas Meiſterwerke und deren wirkſame Texte ver—
woͤhnten Römer zu der zwar tuͤchtigen, aber immerhin be—
ſcheidenen Muſik Kayſers und dem von Goethe ſelbſt ſpaͤter
hart kritiſierten Buch zu ‚Scherz, Lift und Rache“ geſagt!
Einem Kayſer gegenuͤber iſt Cimaroſa ein Genie.
Eigentuͤmlicherweiſe hielt es Goethe trotz der hohen Schaͤtzung
ſeines muſikaliſchen Genoſſen fuͤr noͤtig, ihm in zwei Briefen vom
Jahre 1779 bis 1780 Anweiſungen für die Kompoſition zu er-
teilen, wie fie einem hilfloſen Anfänger gegenüber am Platze ge:
weſen waͤren. Er ſchreibt:
„Melodie und Akkompagnement muͤſſen ſehr gewiſſen—
haft behandelt werden .. . Ich erinnere Sie nochmals:
machen Sie ſich mit dem Stuͤck recht bekannt, ehe Sie es
zu komponieren anfangen, disponieren Sie Ihre Melo—
306
dien, Ihre Akkompagnements uſw., daß alles aus dem
Ganzen und in das Ganze hineinarbeitet.“
Der vom Vater ererbte lehrhafte Trieb geht ſo weit, daß
Goethe es Über ſich bringt, dem Fachmann Vorſchriften über
Tempo, pauſen und Anwendung obligater Blasinſtrumente zu
machen: „Bei der Stelle die Floͤte, bei einer die Fagott, dort die
Oboe, das beſtimmt den Ausdruck, und man weiß, was man ge—
nießt !.“
Als Goethe endlich die Unmoͤglichkeit eines weiteren
Zuſammenwirkens mit Kayſer einſah, und er ſich im Jahre
1789 aus einem perſoͤnlichen Anlaß voͤllig von ihm los—
ſagte, kam gerade der Berliner Hofkapellmeiſter Johann
Friedrich Reichardt nach Weimar, und er brachte ſeine
Kompoſition der „Claudine“ mit. Reichardt, ein Lieder—
komponiſt von großem Ruf, hatte ſich an Gluck, ſpaͤter
auch an Beethoven gebildet. Obgleich er ſich auf allen muſi—
kaliſchen Gebieten verſuchte, zeigte er nur als Autor kleinerer
Choͤre und Lieder wie auch als Schriftſteller wirkliche Be—
deutung. Als einer der eifrigſten der ſogenannten Ber—
liner Komponiſtenſchule verfocht er den Grundſatz, Lieder
muͤßten eingaͤngig und ſo beſchaffen ſein, daß ſie auch ohne
Inſtrumentalbegleitung auf Spaziergaͤngen in Wald und
Feld geſungen werden koͤnnten; der poetiſche Text ſollte
alſo nur in ſeinen Außenlinien muſikaliſch wiedergegeben,
durch die Muſik nur illuſtriert werden — ein Prinzip ganz
im Sinne Goethes. So war es kein Wunder, daß er an
Reichardt Gefallen fand, und als dieſer ihm die Muſik
zur „Claudine“ vorſpielte, gab Goethe feiner Freude Aus—
druck, daß der Komponiſt „ſeine Jamben vor der pro—
ſaiſchen Faͤulnis bewahrt“ habe. In der Tat birgt die
rich Bach und Ernſt Wilhelm Wolf gegenuͤber gemacht. Vergl. G.
Schuͤnemann: Joh. Chriſt. Friedr. Bach a. a. O.
307
„Claudine“ größere Schönheiten, als irgendein anderes
der Reichardtſchen Singſpiele, die ebenſo unbedeutend
find, wie feine große italieniſche Oper ‚Brenno‘. Im uͤbri⸗
gen zeitigte die Verbindung Goethes mit dem aͤußerſt
ſchnell komponierenden Freunde manche wirklich ſchoͤne
Frucht. Hat doch Reichardts Kunſt durch Goethes Ge—
dichte gleichſam Schwingen erhalten, ja, in einigen Lie—
dern macht ſich nach den ſpießbuͤrgerlichen Gemeinplaͤtzen
ſeiner fruͤheren Melodien manchmal ſogar ein moderner
romantiſcher Zug geltend, der in der Tat (der Novalis-
ſchen Definition entſprechend) „auf angenehme Weiſe be—
fremdet“. Wie feinfuͤhlend Reichardt durch Goethes Poeſie
in guten Momenten werden konnte, beweiſt unter anderem
eine Vortrags bezeichnung: „in ſich hinein klingend !.“ In
Kompoſitionen wie Jaͤgers Abendlied“, „Das Veilchen“,
„Die ſchoͤne Nacht „Geiſtesgruß „ Erlkoͤnig' „Freudvoll und
leidvoll“ hat er Vortreffliches geſchaffen. Auf feine Nach⸗
folger unter den Liederkomponiſten (Schubert, Brahms)
wirkte er beſonders ſtark durch ſeine Muſik zu den Ge—
dichten, die ſich durch ihre Gedankenfuͤlle der Kompoſition
gegenuͤber ſcheinbar ſproͤde verhalten, die ſich, wie Goethe
an Reichardt ſchreibt „am weiteſten vom Geſang entfer—
nen,“ wie die Rhapſodie aus der ‚Harzreife im Winter‘,
„Prometheus“, Ganymed), die Fragmente aus der „‚Iphi—
genie“, „Alexis und Dora‘ und ‚Euphroſyne“. — Hier hat
Reichardt wirklich neue Wege angebahnt. Im allgemeinen
freilich bleibt der Eindruck großer Fluͤchtigkeit und Ungleich⸗
heit; man hat nach Durchſicht der Maſſe mittelmaͤßiger Lie⸗
der Muͤhe, ſich daran zu erinnern, daß doch oͤfters das Un—
zureichende wenigſtens auf ſpaͤtere Generationen anregend
Von Goethes Hand ſteht auf der in Weimar aufbewahrten Hand—
ſchrift des Reichardtſchen Liedes Wonne der Wehmut eine andere be:
deutende Vortragsbezeichnung „Sehnſuchtsvoll“.
308
gewirkt hat. Das Viſionaͤre der Lieder Mignons, des Harf—
ners, der Nachtlieder des Wanderers muſikaliſch nachzu—
bilden, war Reichardt voͤllig verſagt, und es iſt nicht zu
bedauern, daß der gemeinſame Opernplan (Der Groß—
Cophta‘) nicht zur Ausführung gelangte. Heute wird nie—
mand mehr in das Lob einſtimmen, das die Zeitgenoſſen
den Goethe-Kompoſitionen Reichardts ſpendeten, daß „der
erſte Dichter der Deutſchen mit dem erſten Komponiſten
Deutſchlands vereinigt“ iſt. Der Kritiker, der dieſe klin—
genden, aber unbedachten Worte niederſchrieb, uͤberſah, daß
hinter den ſchwarzgelben Grenzpfaͤhlen Haydn und Beet—
hoven wirkten. — Über Reichardts Unzuverlaͤſſigkeit, feine
zerſplitternde Vielgeſchaͤftigkeit und fein zudringliches We—
ſen haben Goethe und namentlich auch Schiller oftmals
bitter geklagt; die Gerechtigkeit fordert aber, zu erwaͤhnen,
daß Goethe vier Jahre nach den außerordentlich ſcharfen
Angriffen in den ‚Xenien“ fich wieder in einem ſehr herz—
lichen Schreiben zu ihm bekannt hat: „Ein altes, gegruͤn—
detes Verhaͤltnis wie das unſerige konnte nur wie Bluts—
freundſchaften durch unnatuͤrliche Ereigniſſe geftört wer—
den. Um ſo erfreulicher iſt es, wenn Natur und Überzeugung
es wieder herſtellen.“ Und der als Charakter durchaus nicht
einwandfreie Reichardt bezeugte doch im Jahre 1809 großen
perſoͤnlichen Mut, als er, der an Beethovens Stelle Hof—
kapellmeiſter des Königs Jeröme in Caſſel geworden war,
ſeine vierbaͤndige Sammlung der Goethe-Lieder der Koͤni—
gin Luiſe von Preußen widmete. Es ehrt ihn auch ſelbſt, daß
er nach dem Tode Schillers zwei Hefte Lieder mit Texten
des Dichters herausgab, der in den , Xenien“ ihn mit ganz
beſonderer Schaͤrfe angegriffen und Goethe gegen ihn be—
einflußt hatte. Sind doch von den Kenien nicht weniger
als 76 allein auf Reichardt gemuͤnzt.
Endlich, und zwar unmittelbar nach der zwiſchen ihm
309
und Reichardt eingetretenen Entfremdung, ſollte Goethe
einen Muſiker kennen lernen, der ſeiner wenigſtens als
Menſch und Freund wuͤrdig war: Karl Friedrich Zelter,
— im Gegenſatz zu Reichardt ein praͤchtiger, wahrheit—
liebender, aufrechter, zuverlaͤſſiger Mann, im Gluͤck und
Ungluͤck gleich bewaͤhrt, durchaus nicht liebenswuͤrdig, eher
ſchroff, aber eine Perſoͤnlichkeit, die bei aller Rauheit innere
Waͤrme ausſtrahlte. Ein Muſiker von altem Schrot und Korn.
Mit dem Generalbaſſe aufgewachſen, fuͤhlte er ſich nur in
der alten Schule wohl, und nach ihren Vorſchriften maß er,
was die Zeit an neuen Muſikwerten hervorbrachte. Seine
theoretiſchen Anſchauungen, die in der Kenntnis der aͤlteren
Muſikliteratur verankert waren, ſtanden felſenfeſt; fie bilde:
ten einen Grundpfeiler zu jener uͤberragenden, einflußreichen
Stellung, die ſich Zelter dank ſeiner Tatkraft, ſeiner Tuͤch—
tigkeit und ſeiner Organiſationsbegabung im Berliner
Muſikleben errungen hatte. So gelang ihm nicht allein
durch den kraͤftigen Ausbau der Singakademie, ſondern
ebenſo durch die Gründung der Liedertafel ein weitblicken—
des Unternehmen, das ſeinen Lohn in der ſchnellen Aus—
breitung des deutſchen Maͤnnerchors und in der Bildung
unzaͤhliger ähnlicher deutſcher Chorvereine gefunden hat.
Die Wurzeln jener Gruͤndung Zelters reichen indes tiefer
zuruͤck, ſie ſind zu ſuchen in der wachſenden Auflehnung
gegen eine verwelſchte und geiſtig wie ſittlich herabgekom—
mene Hofkunſt, fuͤr die nicht lange vorher der deutſche
Hofkapellmeiſter Reichardt in Berlin mit ſeinen deutſchen
Saͤngern und ſeinem deutſchen Orcheſter italieniſche Opern
zu ſchreiben und aufzufuͤhren gezwungen war. Der inner—
lich tuͤchtig und geſund gebliebene Buͤrger- und Beamten⸗
ſtand begann ſelbſt Muſik zu treiben, Muſik, wie ſie ſeiner
kraͤftigen und ernſten Natur angemeſſen war. Wir ſtehen
vor einer Betaͤtigung freien, unverdorbenen Sinnes, zu der
310
man in keiner Reſidenzſtadt des damaligen Deutſchlands
ein Seitenſtuͤck finden wird. Und ihr typiſchſter Vertreter
bleibt Zelter mit ſeiner rauhen Tuͤchtigkeit, ſeinem Freiheits—
ſinn und ſeinem derben Humor. Hierin liegt die Bedeutung
und Erklaͤrung ſeiner einflußreichen Stellung. — Aber
nach Goethes tiefem Worte ſind es im Grunde die Autori—
taͤten, die den Fortſchritt hemmen. So hat auch Zelters
reaktionaͤre Geſinnung gerade infolge ſeiner leitenden Stel—
lung in Berlin und infolge ſeines Einfluſſes auf Goethe die
Weiterentwicklung der Muſik ſehr oft gehemmt, und man
muß es ſehr bedauern, daß Goethe keinen fortſchrittlicher
geſinnten, weiterblickenden Künftler zu feinem muſikaliſchen
Vertrauensmann erkoren hat.
Als Liederkomponiſt war Zelter ein Anhaͤnger der Ber—
liner Komponiſtenſchule. Wie Reichardt geſtaltete er ſeine
Melodien in Anlehnung an das Volkslied; im Gegenſatz zu
Reichardt aber ſind ſeine Begleitungen klaviermaͤßig gedacht
und demgemaͤß frei behandelt. Er hat faſt ebenſo ſchnell wie
Reichardt komponiert, indeſſen nicht ſo viel veroͤffentlicht:
gegen Reichardts 130 Lieder mit Goetheſchem Text nur
68. „Zelters Noten ſind handfeſt wie Mauern, aber ſeine
Gefuͤhle zart und muſikaliſch“, lautet die gute Charakteri—
ſierung Auguſt Wilhelm Schlegels. Manche der Zelter—
ſchen Geſaͤnge find uͤberraſchend fchön und innig, fo nament—
lich der ‚König in Thule‘ — ein zum Volksliede gewordenes
kleines Meiſterwerk, bei dem man gern vergißt, daß das
Gretchen⸗Lied nicht für tiefe Baßſtimme gedacht iſt — fer—⸗
ner ‚Der Totentanz“, „Wer ſich der Einſamkeit ergibt“,
„An Mignon‘, Erſter Verluſt' und eine noch ungedruckte,
ergreifende Faſſung des Mignonliedes: „Rur wer die Sehn—
ſucht kennt“!; daneben haͤuft ſich allerdings Nuͤchternes
Sie wird in der diesjährigen Schrift der Goethe-Geſellſchaft (Band 31)
veröffentlicht werden.
311
und Belangloſes, ja ſelbſt Geſchmackloſes, z. B. in italie⸗
niſchen Koloraturen ſchwelgende Stellen. Auf ſeinem eigen—
ſten Gebiet fuͤhlt ſich der mehr buͤrgerlich als romantiſch
geartete Zelter in den Liedern fuͤr Maͤnnerchor, die Goethe
durch einige ſeiner ſchoͤnſten „geſelligen Lieder“ bereicherte.
Fuͤr umfaſſendere Aufgaben dagegen reicht ſeine Begabung
nicht aus, und es iſt gut, daß er Goethes Plan, groͤßere
muſikaliſch⸗dramatiſche Balladen zu ſchaffen, gar nicht erſt
auszuführen verſucht, trotz Goethes wiederholter Mahnung.
Auch alle Vorſchlaͤge Zelters fuͤr Opern und Oratorien, die
er gemeinſam mit Goethe zu ſchreiben wuͤnſchte, ſcheiterten
— bei den Opern darf man wohl ſagen: gluͤcklicherweiſe —,
denn Goethe ſelbſt war ſich daruͤber klar, daß dem Freunde,
der ſich niemals hinter den Kuliſſen bewegt hatte, der Dä-
mon der Buͤhne nur fremd ſein konnte. So iſt keine einzige
größere Kompoſition Zelters vorhanden, weder im Manu—
ſkript noch im Druck.
Daß ſich in Zelter, der von Natur nicht unbeſcheiden war,
infolge ſeiner Vorherrſchaft im Berliner Kunſt- und Geſell—
ſchaftsleben und infolge der Intimitaͤt mit Goethe allmäh:
lich ein ſehr ſtarkes Selbſtgefuͤhl entwickelte, kann kaum
Wunder nehmen; war er doch auch ſonſt durch das hohe
Lob anderer bedeutender Maͤnner, eines Klopſtock, Voß,
Matthiſſon, Tieck, beſonders aber durch das Schillers ver—
woͤhnt. So nennt ſich Zelter in ſeinen an Goethe gerichteten
Briefen des öfteren in Einem Atem mit dem Dichter. Welche
Naivetaͤt in dieſer Selbſtuͤberſchaͤtzung liegt, wird vielleicht
ein Vergleich noch klarer ſtellen: haͤtte es der Zufall gefuͤgt,
daß der als Patriot und Schriftſteller unſchaͤtzbare Ernſt
Moritz Arndt mit einem muſikaliſchen Genius vom erſten
Range wie Beethoven in freundſchaftliche Verbindung ge—
kommen waͤre — was wuͤrde man ſagen, ſtaͤnde in einem
Briefe Arndts an Beethoven zu leſen: „wenn wir beide...
312
etwas zuftande bringen, fo ſollte ich denken, es müßte fich
ſehn und hören laſſen.“ Dieſe Worte finden fich aber in
einem Briefe Zelters an Goethe vom 11. Juni 1805, und
ſie ſtehen keineswegs vereinzelt da.
Doch nicht allein Klopſtock und Schiller, auch Goethe
ſelbſt vertraute Zelter mehr, als ſeine muſikaliſchen Lei—
ſtungen rechtfertigten!; ja, Goethe mochte es gar zu gern,
wenn „ſeine Produktionen auf Zelters Elementen ſchwim—
men“ konnten.
Mit welch ehrerbietiger Hingabe aber der ſonſt jo ſprode
Zelter alle Anregungen Goethes aufgenommen hat, und
wie er mit allen ſeinen Kraͤften auf die Fuͤlle der muſika—
liſchen Fragen und Anregungen eingegangen iſt, zeigt u. a.
der Bericht, in dem Zelter ſeinem Freunde die Aufnahme
des Liedes, Rechenſchaft' beſchreibt. Da ſollte der Kehrreim:
Denn das Achzen und das Kraͤchzen
Haben wir nun abgetan
„mit derber Entſchloſſenheit“ geſungen werden, und dieſe
Entſchloſſenheit druͤckte ſich noch durch die Zelterſche Vor—
ſchrift aus, daß die Saͤnger der Liedertafel nach jeder
Noch mehr wird Zelter von Ruͤckert uͤberſchaͤtzt, der im Jahre 1836
ſchreibt:
Goethe und Zelter.
Dieſe beiden ſtehn und fallen
Miteinander, will mir ſcheinen,
Wort und Toͤne ſind metallen,
Die in Meiſterguß ſich einen.
Gleich dem Koͤnige von Thule
Thront, ein Wunder kuͤnft'gen Tagen,
Goethes Geiſt vom Felſenſtuhle,
Den die Wogen Zelters tragen.
Auch Rochlitz ſchießt weit uͤbers Ziel hinaus, wenn er in ſeiner „All—
gemeinen Muſikaliſchen Zeitung“ 1835, Nr. 7, Zelter „an Geiſt wahr:
haft genial, an Charakter wahrhaft großartig und ſchon von der
Natur großartig angelegt“ nennt.
313
Strophe mit dem Rufe: „Es lebe die Pflicht“ zu den
Glaͤſern greifen ſollten. Dabei darf man nicht vergeſſen,
daß jenes kraͤftige Lied im Jahre 1810 waͤhrend der tiefſten
Erniedrigung Preußens entſtand, daß es der Verbruͤderung
aller Gutgeſinnten — gleichſam als eine buͤrgerliche Aus—
gabe von Schillers Hymnus an die Freude — diente.
Zelters kernhafte Maͤnnlichkeit lebt auch in dieſem Liede, und
dieſe Zelterſche Eigenſchaft hatte es ja Goethe gerade an—
getan, ſo daß ein untruͤbbarer, im wechſelſeitigen Geben
und Empfangen vorbildlicher Freundſchaftsbund zwiſchen
zwei Männern entitehen konnte.
Als Zelter zu dem harmloſen Liede Friederike Bruns:
„Ich denke dein“ ſeine gleichfalls harmloſe Kompoſition
ſchrieb, ging es ihm wie Saul, dem Sohn des Kis, der aus—
ging, ſeines Vaters Eſelinnen zu ſuchen und ein Koͤnigreich
fand; denn jenes Lied gewann ihm die Freundſchaft Goethes.
Unter dem friſchen Eindruck ſchrieb der Dichter, er „haͤtte
der Muſik kaum ſo herzliche Toͤne zugetraut“ —
eine uͤberſchwengliche Anerkennung, die ſich erſt aus dem
erfolgten Bruch mit Reichardt und aus der Sehnſucht nach
einem neuen muſikaliſchen Weggenoſſen erklaͤrt. Man
wuͤrde Goethe Unrecht tun, wollte man dabei etwa auf
Gluck, Haydn oder gar auf Mozarts Veilchen“ hinweiſen,
das bereits neun Jahre vor Zelters Melodie vollendet war.
Und doch liegt in dem einzigen Goethe-Liede Mozarts, in
dieſem — um mit Goethe zu reden — „eigenften Geſang“
Mozartſchen Geiſtes ſchon der ganze Zauber, den das
deutſche Lied ſpaͤter entfalten ſollte. Es uͤberragt Zelters
Kompoſition von „Ich denke dein“ ähnlich, wie etwa Goethes
Gedichte die von Johann Heinrich Voß oder genauer:
Hoͤlty.
Zu derſelben Zeit, da das Mozartſche, Veilchen“ entſtand,
1785, hoͤrte uͤbrigens Goethe in Weimar das um drei Jahre
314
altere Mozartſche Singfpiel: ‚Die Entführung aus dem
Serail‘ zweimal ohne innere Anteilnahme und ohne die
Bedeutung dieſer neuen Muſik zu erfaſſen; er hat ſich nur
aber den mittelmaͤßigen Text abſprechend geäußert. Wäre
doch damals in Weimar ein hervorragender Fachmuſiker
zur Stelle geweſen, um Goethe uͤber die Schoͤnheit und
Bedeutung der Mozartſchen Muſik die Augen zu oͤffnen,
ähnlich wie es ſpaͤter auf dem Gebiete der Malerei die
Brüder Boiſſerée taten! Eben hatte Mozart feinen Figaro
geſchrieben. Don Juan’ entſtand erſt zwei Jahre, Die
Zauberflöte‘ ſechs Jahre ſpaͤter. Wie anders haͤtte dieſe Zeit
für die Entwicklung der deutſchen Vokalmuſik entſcheidend
fein konnen, wenn Goethe den Augenblick erfaßt hätte!
Es iſt unaus denkbar, welcher Segen für die deutſche Lite—
ratur und die deutſche Muſik einer Verbindung Goethes
mit Mozart entſproſſen waͤre.
Goethe hat ſpaͤter in, Dichtung und Wahrheit' mit den
Worten: „Die ‚Entführung‘ ſchlug alles nieder” den Erz
folg des Werkes anerkannt, aber er war wohl mehr dra—
matiſch als muſikaliſch dabei intereſſiert und urteilte
vielleicht auch nach dem Ergebnis des aͤußeren Erfolges.
Die allgemeine Aufnahme von Mozarts Opern hat indeſſen
Goethe ſo beeinflußt, daß er — vielleicht auch aus Intereſſe
an Schikaneders Kontraſtfiguren — einen zweiten Teil
zur ‚Zauberflöte‘ ſchrieb, der freilich ebenſo unbeachtet
blieb, wie die ſpaͤtere, noch fragmentariſchere Fortſetzung
Grillparzers und das muſikaliſche Gegenſtuͤck Peter von
Winters. Ofters hat Goethe dann Mozart in eine Reihe
mit Shakeſpeare und Raffael geſtellt; auch das meiſter⸗
haft charakteriſierende Urteil uͤber den ‚Don Juan‘, das er
Schopenhauer gegenüber fällte, und vor allem fein Wort,
Mozart ſei der einzige geweſen, der den Fauſt' hätte kom⸗
ponieren koͤnnen, beweiſen ſein allmaͤhliches Hineinwachſen
317
in die Welt des Meifters. Daß Goethe für feinen ‚Zauft‘
neben Mozart aber auch Meyerbeer als Komponiſten er:
ſehnt, laͤßt ſich vielleicht aus den großen Erfolgen des jun—
gen Meyerbeer erklaͤren. Faſt unbegreiflich ſcheint es da—
gegen, daß es noch im Jahre 1804, alſo dreizehn Jahre
nach Mozarts Tode, in den breit und ausfuͤhrlich gehalte—
nen, freilich recht anfechtbaren Goetheſchen Anmerkungen
zu, Rameaus Neffen‘ unter der Überſchrift, Muſik' heißen
kann: „Vielleicht laͤßt ſich kein Kompo niſt nennen, dem
in feinen Werken durchaus die Vereinigung beider Eigen:
ſchaften gelungen wäre”: der italieniſchen, nur auf Schön:
heit bedachten, und der deutſchen, Wahrheit und Leiden⸗
ſchaft des Ausdrucks verbindenden Stiliſtik. Mozart wird
von Goethe nicht erwaͤhnt! Wer denkt da nicht an Goethes
Worte, daß Friedrich der Große den deutſchen Dichtern
gegenüber (unter ihnen war Leſſing) kein Verſtaͤndnis ge⸗
habt hat! Vielleicht haͤtte ſich alles beſſer geſtaltet, wenn
Goethe Mozart perſoͤnlich kennen gelernt hätte; deſſen fonz
nige Frohnatur, geſellſchaftliche Bildung und leichter be—
weglicher Geiſt haͤtten den gleichgeſtimmten Dichter gewiß
angezogen.
Voͤllig anders entwickelten ſich ſeine Beziehungen zu
Beethoven. Dieſer war im Gegenſatz zu Mozart bereits
von den Juͤnglingsjahren an mit Goethes Werken genau
vertraut. Schon der zwanzigjaͤhrige Konzertmeiſter hatte
auf Wunſch zweier Saͤnger des Bonner Kurfuͤrſtlichen
Nationaltheaters Einlagen in Goethes Singſpiele kompo—
niert: das Marmotten-Lied aus dem, Jahrmarktsfeſté und
„Mit Maͤdeln ſich vertragen“ aus, Claudine von Villa Bella‘,
Noch achtzehnmal geſellten ſich die erlauchten Namen
Goethe und Beethoven zu einander, die zu Schoͤpfungen
gefuͤhrt haben wie Mignons Lied: „Kennſt du das Land“
(von Goethe abſprechend beurteilt, da er es unrichtiger—
316
weiſe für kein Strophenlied hielt), „Wonne der Wehmut‘,
Mailied‘, Mit einem gemalten Band‘, und befonders
der Muſik zu Egmont“ !. Auf Beethovens Bedeutung ift
Goethe zunaͤchſt durch keinen ihm naheſtehenden Fachmann
aufmerkſam gemacht worden, merkwuͤrdigerweiſe auch
nicht durch den ſonſt weitblickenden Rochlitz. Zelter, der
Beethoven „mit Schrecken bewundert“, bewährt ſich keines—
wegs als Vertrauensmann; er zeigt in feinen Briefen wohl
Teilnahme an Beethovens Ungluͤck, aber keine Sympathie
fuͤr ſein Schaffen. Immerhin hat Goethe auf einen ruͤh—
rend ſchoͤnen Brief des ſonſt ſo verſchloſſenen Beethoven,
der dem Dichter „mit der groͤßten Ehrerbietung, mit einem
unausſprechlichen tiefen Gefuͤhl fuͤr ſeine Schoͤpfungen“
naht, ſehr hoͤflich und nicht ohne Waͤrme geantwortet. Bald
darauf wurde er nicht nur durch enthuſiaſtiſche Berichte der
öffentlichen Blätter, ſondern auch durch gemeinſame nahe
Freunde immer wieder auf Beethovens Bedeutung hinge—
wieſen, namentlich durch Bettina, Marianne von Willemer
und in Teplitz im Sommer 1812 durch intimſte Goͤnner
des Komponiſten: die Fuͤrſten Lichnowsky, Kinsky, den
ruſſiſchen Geſandten am Wiener Hofe Grafen Raſou—
mowsky, der durch die ihm gewidmeten Quartette unſterb—
lich wurde. In dieſem Sommer kam es auch zu perſoͤnlichen
Zuſammenkuͤnften in Teplitz und Karlsbad. Goethe wurde
jetzt das größte Glück zuteil, das einem muſikaliſch emp—
findenden Menſchen uͤberhaupt begegnen kann: Beethoven
Rochlitz übermittelt folgende Außerung Beethovens vom Jahre 1822
„Ich ſchreibe nur das nicht, was ich am liebſten moͤchte, ſondern des
Geldes wegen, was ich brauche ... Iſt dieſe Periode vorbei, jo hoffe ich
endlich zu ſchreiben, was mir und der Kunſt das Hoͤchſte iſt —„Fauſt'“
und Schindler berichtet, daß Beethoven noch auf dem Sterbebette an
eine Kompoſition des ‚Kauft‘ gedacht habe. — Vollendet hat er nur das
Lied des Mephiſto: ‚Ed war einmal ein König‘ (op. 75, Nr. 3), eine
von daͤmoniſchem Humor erfuͤllte Kompoſition.
317
ſpielte ihm vor und erging fich in freier Phantaſie auf dem
Klavier. Was das bedeutete, ahnte der Dichter: „Beethoven
ſpielte Eöftlich”, notierte er ſich in das Tagebuch, und feiner
Frau ſchrieb er: „Zuſammengefaßter, energiſcher, inniger
habe ich noch keinen Kuͤnſtler geſehen.“ Dann aber ſtieß
ihn die ungeſtuͤme Natur Beethovens, deſſen Leiden den
Verkehr ohnehin ſehr erſchwerte, mehr und mehr ab. Haͤtte
er ihn unter normalen Umſtaͤnden in Weimar bei fich ge=
ſehen, jo würde er dem faſt völlig ertaubten Künftler gewiß
edel, hilfreich und gut begegnet ſein. Aber gerade in Tep—
litz, wo die Anweſenheit der ſchoͤnen Kaiſerin Maria Lu—
dovika und ihrer noch ſchoͤneren Hofdame, der Graͤfin
O'Donell, ihn in einer ganz anderen Welt leben ließ, kam
ihm der Gegenſatz zwiſchen dem „ganz ungebaͤndigten“
Muſiker und ſeiner eigenen Natur, die ſich zur Selbſtzucht
durchgerungen hatte und ihre Staͤrke in der Sophroſyne
ſah, mehr denn je zum Bewußtſein. Er hielt ſich zuruͤck,
und ſein ſtuͤrmiſcher Verehrer ſah ſich enttaͤuſcht, weil er
glaubte, ſtatt des erſehnten Ideals einem Hofmanne gegen—
uͤbergetreten zu ſein. Goethe behielt von dieſen Begegnun—
gen keinen bleibenden Eindruck. Als er nur wenig ſpaͤter, im
Jahre 1815, in Beethovens Heimat am Rhein weilte, predigte
er trotz Marianne von Willemers Begeiſterung fuͤr Beetho—
ven ſeinen Freunden nicht von dieſem, ſondern er verkuͤn—
dete nach ſeinen eigenen Worten „Zelters Evangelium“!
Wir wollen es Bettinen hoch anrechnen, daß ſie trotz
Goethes Widerſtreben immer neue Verſuche machte, ihm
die Bedeutung Beethovens, den ſie unmittelbar neben den
vergoͤtterten Dichter ſtellte, zu offenbaren, und wollen nicht
ins Gericht mit ihr gehen, weil ſie in einem der beiden von
ihr veroͤffentlichten ſogenannten Beethovenſchen Briefe,
die in Wirklichkeit Ausgeburten ihrer zuͤgelloſen Phantaſie
ſind, Luͤgenmaͤrchen uͤber eine Begegnung Goethe-Beet—
318
hovens mit der Wiener Hofgeſellſchaft auf der Promenade
in Teplitz verbreitet hat, die leider noch jetzt nicht ausge—
rottet ſind.
Die Verſtimmung, die ſich nach den Teplitz-Karlsbader Be—
gegnungen Beethovens bemaͤchtigt hatte und in Briefen Ausdruck
fand, hielt gluͤcklicherweiſe nicht fuͤr immer an. Am 8. Februar
1823 wandte er ſich wieder in einem langen Schreiben an den
Dichter, in dem es u. a. heißt: „Die Verehrung, Liebe und Hoch—
achtung, welche ich für den einzigen Unſterblichen Goethe von
meinen Juͤnglingsjahren ſchon hatte, iſt immer mir geblieben, ſo
was läßt ſich nicht wohl in Worte faſſen, befonders von einem
ſolchen Stuͤmper wie ich, der nur immer gedacht hat, die Toͤne
ſich eigen zu machen; allein ein eigenes Gefuͤhl treibt mich im—
mer, Ihnen ſo viel zu ſagen, indem ich in Ihren Schriften
lebe !.“ — Als Friedrich Rochlitz Beethoven ein Jahr vorher be
ſuchte, hatte die Zeit die Erinnerung an die Zuſammenkunft in
den boͤhmiſchen Bädern verklaͤrt. „Ich kenne ihn [Goethe] auch,“
läßt Rochlitz Beethoven jagen (und er bemerkt zugleich, daß Beet-
hoven ſich dabei in die Bruſt warf, und daß helle Freude aus fei-
nen Zuͤgen ſprach). „In Karlsbad hab' ich ihn kennen gelernt,
vor — Gott weiß, wie langer Zeit. Ich war damals nicht ſo taub,
wie jetzt: aber ſchwer hoͤrte ich ſchon. Was hat der große Mann
da für Geduld mit mir gehabt! was hat er an mir getan!“ (Beet:
hoven erzählte Rochlitz darüber „vielerlei kleine Geſchichtchen und
hoͤchſt erfreuliche Details“, die Rochlitz leider nicht wiedergibt.)
Zugleich mit dieſem Briefe ſandte Beethoven dem Dichter die ihm
gewidmete Kompoſition von ‚Meeresftille und gluͤckliche Fahrt‘, die er
mit dem homeriſchen Motto verſehen hatte:
Alle ſterblichen Menſchen der Erde nehmen die Saͤnger
Billig mit Achtung auf und Ehrfurcht. Selber die Muſe
Lehrt ihn den hohen Geſang und waltet uͤber die Saͤnger.
„Beethovens Brief blieb unbeantwortet, da er unmittelbar vor Goe⸗
thes ſchwerer Erkrankung, 15. Februar 1823, eintraf und ſpaͤter in Ver⸗
geſſenheit geriet“ (H. G. Graͤf: Goethe uͤber ſeine Dichtungen 8, 477).
319
„Wie glücklich hat mich das damals gemacht! Totfchlagen hätt’
ich mich fuͤr ihn laſſen; und zehnmal. Damals, als ich ſo recht
im Feuer ſaß, hab' ich mir auch meine Muſik zu feinem ‚Egmont‘
ausgeſonnen; und fie ift gelungen — nicht wahr!?“ ... „Seit
dem Karlsbader Sommer leſe ich im Goethe alle Tage — wenn
ich naͤmlich überhaupt leſe. Er hat den Klopſtock bei mir tot ge
macht. Sie wundern ſich? Nun lachen Sie? Aha, daruͤber, daß
ich den Klopſtock geleſen habe! Ich habe mich Jahre lang mit ihm
getragen; wenn ich ſpazieren ging, und ſonſt. Ei nun: verſtanden
hab ich ihn freilich nicht uͤberall. Er ſpringt ſo herum; er faͤngt
auch immer gar zu weit von oben herunter an; immer Maestoso!
Des dur! Nicht? Aber er iſt doch groß und hebt die Seele. Wo
ich ihn nicht verſtand, da riet ich doch — ſo ungefaͤhr. Wenn er
nur nicht immer ſterben wollte! Das koͤmmt ſo wohl Zeit genug.
Nun: wenigſtens klingts immer gut uſw. Aber der Goethe: der
lebt, und wir Alle follen mitleben. Darum läßt er ſich auch Fompo-
nieren. Es laͤßt ſich Keiner ſo gut komponieren, wie er. Ich ſchreibe
nur nicht gern Lieder.“ (Aus Friedrich Rochlitz' ‚Für Freunde der
Tonkunſt“, 4. Band, S. 355 ff. Leipzig, 1832).
Bis an ſein Lebensende iſt Beethoven ein enthuſiaſtiſcher
Bewunderer und Leſer Goethes geblieben. In ſeinem in der
Berliner Königlichen Bibliothek aufbewahrten Handexem—
plar der Goetheſchen Werke ſehen wir am Rande eine große
Zahl von Bleiſtiftſtrichen angebracht, an einer Stelle manch—⸗
mal ein, zwei, drei, vier Striche nebeneinander — man denkt
dabei unwillkuͤrlich an jenen Schulmeiſter, der in ſeinem
Homer alles, was ihm gefiel, anſtreichen wollte und zum
Schluß die ganze Ilias von Anfang an bis zu Ende mit
Strichen verſehen hatte. — Ja ſelbſt im Heiligenſtaͤdter
Teſtament Beethovens, einem der tiefſten und ergreifend—
mont‘ ift bereits zwei Jahre vor den Zuſammenkuͤnften in Teplitz und
Karlsbad komponiert und aufgefuͤhrt worden.
320
ften Bekenntniſſe, das wir von irgendeinem Künftler haben,
zittern Nachklaͤnge des ‚Werther‘ nach, aus dem einige Saͤtze
faſt woͤrtlich aufgenommen ſind!.
Ein Geiſtesverwandter Beethovens machte in aller Be—
ſcheidenheit den Verſuch, mit Goethe in perſoͤnliche Ver—
bindung zu treten: Franz Schubert. Mit einem in ſub—
alternen Ausdrucken gehaltenen, zugleich formloſen Briefe
vom Jahre 1825? naht er ſich dem Altmeiſter und ſchickt
die ihm gewidmeten Lieder ſeines opus 19, die Kompoſi—
tionen von: ‚An Schwager Kronos‘, ‚An Mignon‘, ‚Gany—
med‘, Eine gewiſſe, Schubert eigentuͤmliche Ungeſchicklich—
keit verleitete ihn auch hier, nicht etwa mit feinem opus 1,
dem ‚Erlfönig‘ (im Alter von achtzehn Jahren komponiert),
oder opus 2: Gretchen am Spinnrad‘ (ein Jahr früher ent—
ſtanden) oder den fünf Goethe-Liedern des opus 5 (dar—
unter ‚Deidenröslein‘) hervorzutreten, ſondern mit jenen
dem Nichtmuſiker ſchwerer verſtaͤndlichen Gebilden des
opus 19, die mehr als ein oberflaͤchliches Erfaſſen der
Melodie vom Hoͤrer verlangen. Goethe, der ſich die Lieder
wohl kaum vorſpielen ließ, nicht einmal uͤber fie nach Ber—
lin berichtete, ließ die Gabe unbeachtet.
In unſeren Tagen pflegen wohlmeinende Muſikfreunde
vorwurfsvoll darauf hinzuweiſen, daß Goethe Beethoven
eine nur geringe Anteilnahme erwieſen, Schuberts Brief
gar nicht beantwortet habe. Ich moͤchte ſehr davor warnen,
aus dieſen Tatſachen voreilige Schluͤſſe auf Goethes Stel—
lung zur Muſik zu ziehen. Goethe war 63 Jahre alt, als er
Fraͤulein Maximiliane Brentano, der Enkelin von Goethes Freundin,
hat Beethoven zwei Werke gewidmet: 1812 ein Trio in einem Satze (B⸗
Dur, „an meine kleine Freundin zur Aufmunterung im Klavierſpielen“),
und 1820 die beruͤhmte Sonate in E-Dur op. 109.
Erich Schmidts Freundſchaft hat mich ſeinerzeit mit der erſten Ver:
oͤffentlichung betraut: Goethe-Jahrbuch XII (1891) S. 99, 125.
321
Beethoven und feine Muſik kennen lernte, 76 Jahre alt,
als Schuberts Brief eintraf. Wie wenigen iſt es gegeben, in
dieſem Alter ihre Kunſtanſchauung zu aͤndern und ſich in
eine fremde, neue Welt einzuleben! Sagt doch Goethe
ſelbſt: ein jeder waͤre, zehn Jahre eher oder ſpaͤter geboren,
ein ganz anderer geworden.
Trotz alledem iſt der Muſik reichſter Segen aus dem
Bunde Goethes und Schuberts geworden. Kein anderer
Muſiker hat Goethes Lieder zu einem ſo unbeſchreiblichen
Leuchten gebracht, das immer von neuem die Herzen erhellt.
Eine Enttaͤuſchung blieb freilich das unergruͤndliche Still-
ſchweigen des Dichters, Schubert hatte eben keinen tüch-
ligen Fuͤrſprecher bei Goethe. Der einzige, auf deſſen Stimme
Goethe hoͤrte, Zelter, kannte von Schubert hoͤchſtwahr—
ſcheinlich ſo gut wie nichts und zeigte ſich uͤberdies der
ſchnell voraneilenden Literatur nicht mehr gewachſen. Zelter
hat ja auch die Bedeutung unſeres Freiheitsſaͤngers Carl
Maria von Weber weder verſtanden noch gewuͤrdigt.
Weber kam auf die Einladung der Großfuͤrſtin Pawlowna
1812 nach Weimar zu einem Konzert, Goethe befand ſich
unter den Zuhörern, benahm ſich jedoch geradezu verletzend.
Waͤhrend Weber durch ſein Spiel die Hoͤrer entzuͤckte, unter⸗
hielt ſich Goethe laut. Dieſe Nichtachtung, die Weber
ſchmerzlich empfand, wich ſeltſamerweiſe auch nicht vor
dem Schöpfer der ‚Euryanthe”, dem Komponiſten von
„Luͤtzows wilder verwegener Jagd“ und dem Liede „Einſam
bin ich, nicht alleine“, Werke, die Goethes Gefuͤhl ablehnte.
„Solche weichliche ſentimentale Melodien“, meinte er zu
dem Prezioſa-Liede, „deprimieren mich; ich bedarf kraͤftiger,
friſcher Toͤne, mich zuſammen zu raffen !.“ Schuld an dem
abweiſenden Verhalten moͤgen außer Zelters unguͤnſtigem
Urteil wohl die perſoͤnlichen Erfahrungen geweſen ſein, die
Geſpraͤch mit Kanzler von Muͤller, 24. Juni 1826.
322
Goethe mit Webers Eltern machte: Webers Mutter hatte
im Jahre 1794 in Weimar die Suſanna im „Figaro“ ihres
Vetters Mozart ohne rechten Erfolg geſungen, und ihr
Gatte, ein dunkler Ehrenmann, wird ſich in Weimar nicht
anders aufgefuͤhrt haben, als uͤberall. Carl Maria erwiderte
Goethes Zuruͤckhaltung mit einer völligen Vernachlaͤſſigung
der Goetheſchen Gedichte; hat er doch unter ſeinen hundert
Liedern uͤberhaupt nicht ein einziges der klaſſiſchen Periode
in Muſik geſetzt!
Die gleiche Erfahrung wie Weber mußte Spohr machen,
als er im Jahre 1803 mit ſeiner Gemahlin, einer aus—
gezeichneten Harfenſpielerin, nach Weimar kam und ſich
im Hoftheater hoͤren ließ. Goethe blieb unintereſſiert, ſprach
vornehm⸗kuͤhl, anſcheinend unbeteiligt, ſo daß Spohr ſich
enttaͤuſcht fuͤhlte.
Ebenſowenig Gluͤck hatte der junge Studioſus Carl
Loewe, als er ſich beſcheiden in Jena dem Herrn Geheimrat
melden ließ. Er wird vom Kammerdiener zu Goethe gefuͤhrt,
kommt laͤngere Zeit nicht zu Worte und zieht ſchließlich aus
dem gebauſchten Rockſchoß feine Kompoſition des ‚Erlfönig‘
hervor. Erſt jetzt verſchwindet der Kammerdiener aus dem
Zimmer, der den manuſkriptbewaffneten jungen Muſiker
in dieſer Zeit, acht Tage nach dem Kotzebue-Attentat, vorher
ſehr mißtrauiſch angeſehen haben mag. Doch es iſt kein
Klavier zur Stelle, und ſo muß Loewe unverrichteter Sache
wieder umkehren . Im Laufe der Jahre hat er dem Dichter
ſeine Huldigung durch Kompoſition von mehr als fuͤnfzig
Vergl. Loewes Selbſtbiographie, bearbeitet von C. H. Bitter, S. 76
(Berlin 1870), abgedruckt in v. Biedermanns Ausgabe der Goetheſchen
Geſpraͤche. Über Loewes geniales, den, Edward“ und, Erlkoͤnig enthal⸗
tendes Erſtlingswerk hat Zelter in ſeinem Briefe vom 18. Januar 1824
leider in hoͤchſt ungerechter, abſprechender Weiſe an Goethe berichtet.
Im uͤbrigen tritt in Loewes Balladen der Einfluß von Zelters Art an
mehr als einer Stelle deutlich hervor.
323
Gedichten erwieſen, darunter befinden ſich Meifterftücke
wie die Balladen ‚Erlkoͤnig“ und ‚„Hochzeitlied‘ und das
Lied: „Ach neige, du Schmerzenreiche“; ja, er ſchrieb ſogar
einen (allerdings recht ſchwachen) Kommentar zum zweiten
Teil des ‚Zauft‘, und wurde ſpaͤter der Lehrer von Goethes
Enkel Walther, der ſich bekanntlich der Muſik zuwandte.
Wie unſer Umblick zeigt, bemühte ſich beinahe jeder be=
deutende Muſiker um eine Annaͤherung an Goethe, aber
allen ſtand Zelter im Wege, der durch die truͤbe Brille der
alten Theorie in den neuen Morgen der Muſik ſah. Nur
einem einzigen bahnte er den Weg zumAufſtieg wie den Weg
zu Goethe: feinem! Schüler Mendelsſohn-Bartholdy.
Dieſem felix war das ſeltene Gluͤck beſchieden, in Goethe
einen Verehrer ſeines Koͤnnens, einen treuen Freund und
einen aufmerkſamen Zuhoͤrer bei all ſeinen muſikaliſchen
Spenden zu finden. Mit elf Jahren, 1821, kommt der junge
Mendelsſohn nach Weimar. Dem Alter nach ein Kind, doch
in Kunſt und Kunſtuͤbung ein Genie, das bereits auf eine
ſtattliche Zahl von Werken zuruͤckſehen konnte: auf mehrere
kleine Opern, auf eine ganze Reihe von kleinen Sympho—
nien, Streichquartetten, Sonaten, Liedern und kirchenmuſi—
kaliſchen Werken. Als Kuͤnſtler wie als Menſch von außer—
gewoͤhnlicher Bildung, wird er in Weimar mit offenen
Armen aufgenommen, und das muſikaliſche Wunderkind
muß dem alten Goethe oft und viel am Klavier vorſpielen.
Er phantaſiert, ſpielt Bachſche Fugen, die Figaro-Ouver—
tuͤre, eigene Kompoſitionen, waͤhrend Goethe immer mehr
ſein „unglaubliches Talent“ bewundert und nicht genug
von ihm hoͤren kann. Wenige Jahre ſpaͤter, 1825, erneuert
Felix den Beſuch; er bringt diesmal gleich ein Klavierquar—
tett mit, das er Goethe widmet. „Dieſe perſoͤnliche hoͤr—
und vernehmbare Dedikation hat mir ſehr wohlgetan“,
ſchreibt Goethe daruͤber und dankt ihm ſpaͤter noch fuͤr die
324
„ſtaunenswuͤrdige Tätigkeit”, Als Mendelsſohn dann im
Jahre 1830 zum dritten Male ſeine Schritte nach Weimar
lenkt, findet er den einundachtzigjaͤhrigen Dichter zuerſt
ſtill und wenig teilnehmend. Aber bald weicht die Zuruͤck—
haltung dem alten herzlichen und vertraulichen Ton, ja
Goethe kann kaum genug aus dem muſikaliſchen Fuͤllhorn
des Juͤnglings erhaſchen. Faſt zu allen Stunden iſt Felix
bei ihm; jeden Vormittag kommt es zu einer Einfuͤhrung
in Geſchichte und Überlieferung der Muſik am Klavier.
Stuͤcke der verſchiedenſten Komponiſten ſpielt er der Reihe
nach, waͤhrend Goethe wie ein „Jupiter tonans“ in einer
dunklen Ecke ſitzt und „mit den alten Augen“ blitzt. Men—
delsſohn fuͤhrt ihn vom Leichten zum Schweren, ja er zwingt
ihn ſogar zur Kunſt Beethovens, „von dem Goethe erſt gar
nichts hören wollte“, und er ſchließt mit der C-Moll-Sym⸗
phonie. Der Abſchied wird wieder hinausgeſchoben, und ſo
kann Felix noch Mozarts C-Moll-Phantaſie, ein Haydn⸗
ſches Trio und Webers Capriccio vor den blitzenden Augen
des Dichters ausbreiten. Es war das letzte Beiſammenſein,
und Goethe fiel es ſichtlich ſchwer, von dem liebgewordenen
jungen Kuͤnſtler Abſchied zu nehmen. „Von der Bachſchen
Epoche heran“, ſchreibt Goethe ſpaͤter, „hat er mir wieder
Haydn, Mozart und Gluck zum Leben gebracht, von den
großen neuen Technikern (Beethoven iſt gemeint und
Weber!) hinreichende Begriffe gegeben und endlich mich
ſeine eigenen Produktionen fuͤhlen machen.“ Wie ein gol—
dener Schein verſchoͤnt dieſer letzte Muſikerbeſuch Goethes
Lebensabend. Die formvollendete „liebenswuͤrdige Kunſt“
des jungen Felix laͤßt in dem Greiſe die alte Sehnſucht nach
muſikaliſchem Genießen und Verſtehen wieder erwachen,
und der junge Muſiker nimmt Eindruͤcke unvergaͤnglicher
Art mit auf den Lebensweg. Sie haben in manchen bedeu—
tenden Kompoſitionen kuͤnſtleriſchen Niederſchlag gefun—
325
den, in der, Erſten Walpurgisnacht', der Ouvertüre ‚Meeres:
ftille und gluͤckliche Fahrt‘, in einigen Liedern, Duetten,
Maͤnner- und gemiſchten Choͤren, unter denen nur das
ſchoͤne Quartett „Die Nachtigall, ſie war entfernt“ und
ferner das durch den „Fauſt' angeregte Scherzo des Oktetts
genannt ſeien. Freilich in der Statiſtik der Goethekompoſi—
tionen behauptet er, der Goethe naͤchſt Zelter am naͤchſten
ſtand, durchaus nicht die erſte Stelle.
Ein Jahr vor Mendelsſohns letztem Beſuch hatte Goethe
einen der ſchoͤnſten Künftlerbriefe! erhalten, die je an ihn
gerichtet wurden. Hector Berlioz ſandte ihm einen „eri
d'admiration“, und er begleitete ſein enthuſiaſtiſches
Schreiben mit den acht Szenen aus „Fauſt', der Vorſtudie
zur ſpaͤteren, Damnation“. Goethe, der nicht wußte, was
er mit dieſem Herzenserguß eines jungen Schwaͤrmers be—
ginnen ſollte, ſchickte die Noten an Zelter, den am wenig⸗
ſten geeigneten Beurteiler fuͤr dieſe Neuland ſuchende und
in ihrer Kuͤhnheit verbluͤffende Kunſt. Zelter ſchrieb denn
auch daruͤber einen der groͤbſten Briefe, die dieſer grobe
Mann je geſchrieben hat — mit dem Erfolg, daß Berlioz
ohne Antwort blieb.
Weſentlich freundlicher geſtaltete ſich Goethes Verhaͤltnis
zu Spontini, dem hochberuͤhmten Meiſter der großen Oper,
der ihn in Weimar aufſuchte. Überhaupt hatten ſich von
Jahr zu Jahr die Muſikerbeſuche bei Goethe gemehrt. So
ſtellten ſich mit ihrer Kunſt Paganini und Boucher, die
Szymanowſka, Clara Wieck, Henriette Sontag, Wilhel—
mine Schroͤder-Devrient und manche andere ein. Sie alle
und noch viele der kleineren Größen hat Goethe gehört und
geſehen. Ihm bluͤhte wie keinem andern Sterblichen das
Gluͤck, faſt alle großen produzierenden und reproduzieren⸗
Veroͤffentlicht im Goethe-Jahrbuch 12 (1891) S. 99, 127, ebenda
auch Mendelsſohns ſehr reizvolle Schreiben an Goethe.
326
den Kuͤnſtler der Zeit kennen zu lernen. Er durchlebte eine
der wichtigſten Epochen der Kunſtgeſchichte: die Zeit der
Klaſſiker: Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven und die der
Romantiker: Weber, Schubert, Mendelsſohn, die Entwick—
lung der Symphonie, der Sonate, des Streichquartetts, der
modernen Konzertouvertuͤre, des nachhaͤndelſchen Oratori—
ums, der romantischen Oper, des begleiteten Konzertliedes!
und vor allem die wachſende Anteilnahme des geſamten Vol—
kes an der Muſikuͤbung, die ſich im Haͤndel- und Haydn-Kult
auf den Muſikfeſten kundgab und in der Umwandlung der
geſamten ſymphoniſchen und der Konzertpraxis auch aͤußer—
lichen Ausdruck fand.
Der unerſchoͤpfliche Reichtum aber, den Goethe der Nach—
welt uͤberließ, und der ſich weiter und weiter ausbreitete,
wirkte und wirkt in der Muſik fort bis in unſere Tage.
Neben Schubert griff Schumann zu der Lyrik Goethes. Sie
zeigt ihn zwar nicht immer auf der Hoͤhe ſeiner Kompoſi—
tionen zu den Gedichten der Romantiker Eichendorff, Heine,
hat aber zu einem koͤſtlichen Beſitz gefuͤhrt: zu den unter un—
zaͤhligen aͤhnlichen Werken noch immer muſikaliſch am hoͤch—
ſten ſtehenden, ergreifenden Szenen aus dem zweiten Teil
des „Fauſt“. Robert Franz zollte Goethe mit ſieben Liedern,
Jenſen mit drei, Raff mit zwei, Cornelius mit einer Kompo—
ſition Tribut. Weit über ihnen ſteht Brahms mit feinen vier
zehn Werken, dem ſich Richard Strauß mit dem Chore, Wan—
derers Sturmlied‘ und anderen Schöpfungen anſchließt.
Im Liede ſteht Hugo Wolf mit ſeinen zweiundfuͤnfzig
Goethe-Liedern auch in der Statiſtik an erſter Stelle. Aus
der juͤngſten Zeit ſei unter mehr als hundert Namen der
des 78jaͤhrigen Max Bruch erwaͤhnt, der noch vor zwei
Auch die Einbußen ſollen nicht unerwaͤhnt bleiben: der Verfall der
Kirchen: und Schulmuſik, und der Verfall der durch Gluck geſchaffenen
großen Oper.
321
Jahren Claudine von Villa Bella‘ und in dieſem Frühjahr
Jery und Bätely‘ komponiert hat!.
Ebenſo ſtark wie in der muſikaliſchen Romantik wirkte
Goethes Erbe bei den Neudeutſchen. Vor allem muß Richard
Wagner genannt werden, deſſen Fauſt-Ouvertuͤre die erſte
und hervorragendſte inſtrumentale Fauſt-Muſik geworden
iſt, und neben ihm Franz Liſzt — der hier in Weimar fo oft
den Stab bei muſikaliſchen Goethe-Feiern geführt hat — mit
ſeinen Feſtmuſiken, Liedern, Choͤren und ſeiner Fauſt-Sym⸗
phonie. — Doch nicht allein bei uns, auch im Ausland
blieb Goethes Werk wirkſam und hat unzählige Tonſchoͤp⸗
Nur wenige deutſche Muſiker find an Goethes Lyrik achtlos vor:
beigegangen, und eine Geſchichte der Kompoſitionen Goetheſcher
Werke iſt beinahe identiſch mit der Geſchichte des deutſchen Liedes.
Aus der aͤlteren Zeit ſind von Goethekomponiſten u. a. noch zu erwaͤhnen:
Joſeph Haydn, Peter v. Winter, Abt Vogler, Corona Schröter, Fr. Wilh.
Ruſt, J. A. P. Schulz, Neefe, Andreas Romberg, H. G. Naͤgeli, J. R.
Zumſteeg, dann Ludwig Berger, Bernhard Klein, Albert Methfeſſel,
Kienlen, Karl und Mar Eberwein, Wilh. Ehlers, W. J. Tomaſchek,
A. B. Marr, B. A. Weber, Conradin Kreutzer, Friedrich Silcher, C. G.
Reißiger, P. J. v. Lindpaintner, Julius Rietz, Heinrich Marſchner, Fried⸗
rich Curſchmann, Moritz Hauptmann, Otto Nicolai, Wilhelm Tau:
bert, Ferdinand Hiller, Robert Volkmann, Hans von Buͤlow, Hermann
Goetz, Theodor Kirchner, Ludwig Meinardus, Felix Draeſeke, H. Litolff,
H. Pierſon, Eduard Laſſen, Robert Radecke, Karl Reinthaler, Karl
Reinecke, H. v. Herzogenberg, und aus der neueſten Zeit u. a. Felix Mottl,
Karl Goldmark, Cyrill Kiſtler, Aug. Bungert, Eduard Kremſer, Ingeborg
von Bronſart, Graf Hochberg, Heinr. Zöllner, Arnold Mendelsſohn, Arno
Kleffel, Bernhard Scholz, Friedrich Hegar, Friedrich Gernsheim, Ernſt
Rudorff, Wilhelm Kienzl, E. E. Taubert, Robert Kahn, Georg Goͤhler,
A. v. Othegraven, W. v. Baußnern, Max Stange, L. Schrattenholz, Th.
Streicher, Max von Schillings, Hans Huber, Volkmar Andreae, Felix
Weingartner, Hans Pfitzner, Max Reger uſw. uſw. — Auch die Dilet⸗
tanten wurden nie muͤde, der Goetheſchen Lyrik auf ihre Art zu huldigen;
fo haben die Dichter Otto Ludwig den ‚Erlkoͤnig“, Annette von Drofte:
Huͤlshoff „Wer ſich der Einſamkeit ergibt“ komponiert, der Maler Arnold
Boͤcklin „Wer nie ſein Brot mit Traͤnen aß“.
328
fungen wachgerufen. Es ſei u. a. an die Fauſt-Muſiken der
Franzoſen Berlioz, Béancourt, Louiſe Bertin, H. Cohen,
Adolphe Adam, Gounod, der Belgier Peellaert, Gregoir
und Hennebert, des Italieners Gordigiani, des Englaͤnders
J. L. Hatton, des Ruſſen Anton Rubinſtein erinnert! an
die ‚Werther-Opern der Italiener V. Puccita, C. Coccia
und R. Gentili und der Franzoſen Rodolphe Kreutzer? und
Maſſenet; an die Opern ‚Egmont‘ des Italieners dell' Ore—
fice und des Franzoſen Gaſton Salvayre; ferner an Aubers
und Catels Gott und die Bajadere‘, Rubinſteins, Requiem
für Mignon‘, an die Lieder des Italieners Spontini, der
Ruſſen Michael Glinka und Peter Tſchaikowsky und des
Daͤnen Niels W. Gade.
Nach dem hiſtoriſchen Umblick noch einige zuſammen—
faſſende Worte uͤber Goethes Stellung zu den hauptſaͤch—
lichſten muſikaliſchen Gattungen. Lang ſoll die Betrachtung
nicht werden, denn Goethe ſelbſt mahnt: „Indeſſen hoͤr ich
viel von Muſik reden, was immer eine boͤſe Unterhaltung iſt.“
Goethes Liebe zur Muſik begleitete ihn ſein ganzes Leben.
Riemer, der Goethe beſonders naheſtand, mag vielleicht
recht haben, wenn er ſchreibt, bildende Kunſt und Tonkunſt
haͤtten die notwendigſten Organe ſeines Weſens gebildet.
Allerdings war Goethes Neigung nicht durch ein ausrei—
chendes Studium der muſikaliſchen Theorie und Praxis
vertieft, und bei den Klavier- und Violoncelloſtunden der
Kindheit mag es ihm wie Herder ergangen ſein, der „allzu
flüchtig und ungeduldig bei allem war, was viele lange
1 Roſſinis und Boieldieus Pläne zu einer Fauſt-Muſik wurden nicht
ausgeführt, Meyerbeers Kompoſitionen zum ‚Fauft‘, zur Iphigenie,
Erlkoͤnig“ und einem Mignon-Liede find feiner Beſtimmung gemäß
nach ſeinem Tode vernichtet worden.
Dem Beethoven die nach ihm benannte berühmte Violinſonate ge:
widmet hat.
329
mechaniſche Übung fordert“, und der „bei der empfindlich—
ften Seele die ungeſchickteſten Hände zum Klavier“ hatte.
Wie aber nach Herder „ein Saitenſpiel mit einem Liede be⸗
ſeelt gewiß in die Okonomie eines gluͤcklichen Lebens, als
taͤgliches Hausgeraͤthe gehoͤrt“, ſo ruft auch Goethe: „Nur
nicht leſen, immer ſingen“, und laͤßt Serlo im, Wilhelm
Meifter‘ mahnen: „Man ſollte alle Tage wenigſtens ein
kleines Lied hoͤren, ein gutes Gedicht leſen, ein treffliches
Gemaͤlde ſehen und einige vernuͤnftige Worte ſprechen.“
Und wie ein Selbſtbekenntnis mutet die folgende Stelle
an: „Serlo, ohne ſelbſt Genie zur Muſik zu haben oder
irgendein Inſtrument zu ſpielen, wußte ihren hohen Wert
zu ſchaͤtzen; er ſuchte ſich ſo oft als moͤglich dieſen Genuß,
der mit keinem anderen verglichen werden kann, zu ver—
ſchaffen. Er hatte wöchentlich einmal Konzert.“ — So hat auch
Goethe aus ſeinen beruͤhmten, am Sonntag ſtattfindenden
Hauskonzerten, denen am Donnerstag eine ſorgfaͤltige Probe
in demſelben Raume voranging, die nachhaltigſten Freu—
den geſchoͤpft. Oft mag er bei dieſen Auffuͤhrungen, die ihm
die Kenntnis vieler aus Italien mitgebrachter Muſikſtuͤcke
vermittelten, die Wahrheit der fuͤr ſeine muſikaliſche Biblio⸗
thek beſtimmten Worte empfunden haben: „Sammler
ſind gluͤckliche Menſchen.“ —
Wieviel die Muſik Goethe auf dem Gebiete des Liedes
verdankt, iſt vorher bereits geſtreift worden. Es ſei nur noch
darauf hingewieſen, daß gerade die Gelegenheitsdich—
tung — wie Goethe ſeine Poeſie bezeichnet — das ſchein—
bar Improviſierte, nur Angedeutete, weite Ausblicke Eroͤff—
nende auf die Tonkuͤnſtler ſtets den größten Reiz ausgeuͤbt
hat. Im beſonderen hat Goethe „mit jenen zuſtaͤndlichen Ge⸗
dichten, in denen die Seele wie ftill atmend daliegt“! — in
1 Vergl. Philipp Spittas vorzuͤglichen Aufſatz: „Die aͤlteſte Fauſt⸗Oper
und Goethes Stellung zur Muſik“ (Zur Muſik), Berlin 1892, S. 225.
330
der Mehrzahl find es Naturlieder — ein neues Gebiet er:
obert, das fuͤr die Muſiker ganz beſonders fruchtbringend
werden ſollte. In dieſem Sinne war Goethe muſikaliſch
ſchoͤpferiſch. Lieder wie: „Über allen Gipfeln iſt Ruh “,, An
den Mond‘, Der Fifcher‘ find im tiefſten Grunde muſika—
liſch empfangen. Goethe fuͤhlt, daß das Lied „erſt durch die
Kompoſition vollſtaͤndig“ werde, und er ſchließt ſich damit
an Luthers Ausſpruch an: die Noten machen den Text leben—
dig. Aber wie Schiller wollte auch Goethe nicht, daß die
Muſik ſich als ſelbſtaͤndige Kunſt neben die Poeſie ſtelle;
vielmehr forderte er vom Komponiſten einfache, ſchlicht
begleitete Weiſen, die die Deutlichkeit des Textes nicht be—
eintraͤchtigten. So waren ihm beſcheiden ſich unterordnende
muſikaliſche Illuſtratoren willkommen — Namen, die
vielen Goethe-Freunden teuer geworden ſind. Denn wie
außerordentliche Maͤnner nicht nur in die Gegenwart und
Zukunft wirken, ſondern auch das Andenken der Mitleben—
den, die einſt in ihren Schaffenskreis traten, einer aͤrmeren
Nachwelt zubringen, ſo ſind auch Naturen von eigentuͤm—
licher Tuͤchtigkeit wie André, Kayſer, Reichardt, Eberwein —
ähnlich wie Eckermann — durch Goethe zu einer kleinen Un—
ſterblichkeit gekommen. In eine weitaus hoͤhere Kunſtzone
aber wurde die Muſik zu Goethes Liedern durch Beethoven
und Schubert gehoben; ſie ſchoͤpfen aus demſelben Quell
wie der Dichter und laſſen aus ſeinen Verſen ein gleichbe—
rechtigtes muſikaliſches Kunſtwerk herauswachſen. Dieſer
Kompoſitionen wollen wir uns von Herzen freuen, und wir
muͤſſen dankbar ſein, daß die Wiener Meiſter dem deutſchen
Lied in der Klavierbegleitung die berauſchende Pracht der
durch Haydn und Beethoven neu geſchaffenen Klavier—
muſik mitgegeben haben. Allerdings vollzog ſich dieſe
reiche muſikaliſche Ausgeſtaltung des Klavierparts wie
des Liedes uͤberhaupt gegen den Willen Goethes, der
331
Marianne von Willemer gegenüber äußerte, die Kompoſi—
tionen von Gedichten gaͤben gewöhnlich nur ein qui pro
quo; ſelten ſei der Dichter ganz verſtanden worden, ſo daß
man mehr den Kunſtcharakter und die Stimmung des Kom-
poniſten hoͤre, als den Dichter. Und doch hat dieſe neue
Kunſt zu einer außerordentlichen Bereicherung gefuͤhrt. Kein
Volk der Welt hat eine aͤhnliche Verbindung genialer Dich—
tung mit genialer Muſik aufzuweiſen, wie ſie ſich in Mo—
zarts Veilchen“, Beethovens Geſang der ‚Mignon‘, Schu:
berts ‚Erlfönig‘ und hundert anderen Liedern bietet. Wenn
wir daran denken, eine wie geringe Reſonanz dagegendie Ly—
rik Alfred de Muſſets, Victor Hugos, Carduccis, Keats' bei
den muſikaliſchen Landsleuten jener Dichter gefunden hat,
ſo duͤrfen wir ſtolz auf die deutſche Verbindung von klaſſi—
ſcher Dichtung mit klaſſiſcher Muſik ſein.
Neben dem Liede lag Goethe, wie wir gehoͤrt haben, das
Singfpiel! beſonders nahe, ſeltſamerweiſe nicht fo ſehr die
groͤßeren Formen der Vokalmuſik. Der Opera seria, der
Spitze der ganzen muſiſchen Kunſt, an deren Geſchick Wie—
land, Herder und andere hervorragende Geiſter teilnahmen,
gewann er nur gelegentlich Intereſſe ab, wie er uͤberhaupt
tragiſche Muſik auf der Buͤhne nicht „goutierte“. Er liebte
„mehr das Aufregende“, „da unſere eigenen Gefuͤhle, unſer
Nachdenken uͤber Verluſt und Mißlingen uns nur allzu oft
In der urſpruͤnglichen Faſſung des Goetheſchen Singſpiels ‚Erwin
und Elmire‘ rufen die beiden Liebenden im Augenblick des Wieder:
ſehens nach langer Trennung aus: „Ich bins“, „„Du biſts““, und der
Dichter bemerkt dazu bezeichnenderweiſe: „Die Muſik wage es, die
Gefuͤhle dieſer Pauſen auszudruͤcken.“ Daß die Muſik dies
kann, dafuͤr iſt ſie den Beweis nicht ſchuldig geblieben. Wenn am
Schluſſe von Beethovens „Fidelio“ Leonore und Floreſtan ſich mit den⸗
ſelben Worten: „Ich bins“, „„Du biſts““, in die Arme ſinken, erklingt
jene allen Muſikfreunden vertraute, herzbewegende Melodie, die zum Aus:
druck bringt, was das arme geſprochene Wort nicht zu ſagen vermocht haͤtte.
332
herabziehen“, er bedurfte „kraͤftiger, friſcher Töne”. Trotz—
dem ging fein Wiſſens durſt fo weit, daß er ſich auch auf dem
ihm fernerſtehenden Gebiete zu orientieren ſuchte, und in der
erſten italieniſchen Zeit wie auch ſpaͤter als Theaterleiter kaum
eine Gelegenheit verſaͤumte, Opern zu hoͤren. Ebenſo machte
die neue Gattung des Melodrams, von der wir geſtern bei der
Aufführung im Hoftheater ein Beiſpiel gehört haben!“, auf
ihn einen ungewoͤhnlich ſtarken und nachhaltigen Eindruck,
fo daß er fie für einen großen Teil des ‚Zauft‘ verwenden
wollte. Was Goethe an der Oper beſonders reizte, war das
Verhaͤltnis von Text und Muſik, und zwar leitete ihn ſein
Kunſtgefuͤhl zu einer uͤberraſchend modernen Anſchauung.
Da leſen wir: „Der Operntert ſoll ein Carton fein, kein ferti—
ges Bild“, und weiter: „Die Muſik iſt hier eigentlich als der
See anzuſehen, worauf jener kuͤnſtleriſch ausgeſchmuͤckte
Nachen getragen wird — als die guͤnſtige Luft, welche die
Segel gelind, aber genuͤgſam erfüllt und der ſteuerndenSchif—
ferin bei allen Bewegungen nach jeder Richtung willig ge—
horcht“, ein Bild, deſſen ſich ſpaͤter Richard Wagner in, Oper
und Drama in ganz aͤhnlicher Weiſe bediente. Ein andermal
will er den Dichter wie einen Sohn oderzoͤgling in den Dienſt
des Komponiſten ſtellen, und ſo ſchreibt er an Kayſer: „In
Italien habe ich etwas gelernt, die Poeſie der Muſik zu ſub—
ordinieren?.“ Wie Leſſing und Herder ſah auch er in der Oper
1 Ariadne auf Naxos“ von Georg Benda.
2 Über ein ſolches Subordinieren hat übrigens Goethe bei anderen Ge—
legenheiten ganz anders geurteilt, wie wir uͤberhaupt in ſeinen Auße⸗
rungen uͤber Muſik manchen Widerſpruͤchen begegnen. Aber ein ſo ge—
waltiges Genie kann nicht nur verſchiedenartige Stimmungen in ſeiner
Bruſt vereinigen, ſondern es find auch Spannungen möglich zwiſchen
ruhenden Momenten des Bewußtſeins und augenblicklichen Empfin—
dungen, und beſonders auf kuͤnſtleriſchem Gebiet koͤnnen Gedanken
neben einander wohnen, die logiſch widerſpruchsvoll ſind und doch als
Ausdruck einer tiefen Empfindung ſich nicht ausſchließen.
333
ein Geſamtkunſtwerk. „Ich begreife euch nicht, ihr guten
Kinder,“ ſagte er uͤber Roſſinis, Moſes“, „wie ihr Sujet und
Muſik trennen und jedes fuͤr ſich genießen koͤnnt.“ Daß er
dieſe Ideen in ſeinen eigenen Schoͤpfungen zum Leben
weckte, zeigt die Geſchichte des Egmont“ und des ‚Fauft‘,
in deſſen zweitem Teil ſie zu den ſchoͤnſten und reifſten
Fruͤchten ſeiner dichteriſchen Phantaſie fuͤhrten.
Erinnert man ſich ferner, daß Goethe auch der Kirchen—
muſik und ihrer geſchichtlichen Entwicklung wie auch dem
Oratorium warmes Empfinden und innere Hingabe ent—
gegenbrachte, daß die geiſtliche Kunſt ihm „wirklich einen
Vorgeſchmack der Seligkeit“ gab, wie es in den ‚Bekennt—
niſſen einer ſchoͤnen Seele“ heißt, fo ſieht man, wie er
immer ſtrebend bemuͤht war, ſich das weite Gebiet der
Vokalmuſik anzueignen. Nur einer bisher nicht erwaͤhnten
muſikaliſchen Form ſtand er fremd, ja beinahe hilflos gegen
uͤber: der reinen Inſtrumentalmuſik. Er hatte wohl
in der Jugend die Gelegenheit, Inſtrumentalwerke zu hören,
nicht oft ausgenutzt, und ſo ſah er, als ihm ſpaͤter die Kunſt
Beethovens und Bachs, deſſen Klavierwerke er ſich immer
wieder durch den trefflichen Schuͤtz in Berka vorſpielen ließ,
gegenuͤbertrat, nicht ſo ſehr auf ihren gedanklichen, wie auf
ihren klanglichen oder auch programmatiſchen Ausdruck.
Den Eindruck, den Bachs Muſik auf ihn machte, beſchrieb
er mit herrlichen Worten: es ſei, „als wenn die ewige Har—
monie ſich mit ſich ſelbſt unterhielte, wie ſichs etwa in
Gottes Buſen kurz vor der Weltſchoͤpfung mochte zuge—
tragen haben“. Bezeichnend iſt aber, daß er nichts oͤfter
verlangte, als das „Trompeterſtuͤckchen“ (wie er es nennt)
aus Bachs liebenswuͤrdigem Jugendwerke:, Capriccio über
die Abreiſe des geliebten Bruders“. Die luſtige Arie des
Poſtillons rief ihm immer wieder neue Bilder und Szenen
in der Phantaſie wach: „Es war eine wunderbare, die
334
Imagination anfprechende, einfache Melodie, eine Fanfare,
die aber durch Variationen ſo ins Weite, ja Endloſe getrie—
ben wurde, daß man den Trompeter nicht nur bald nah,
bald fern zu hoͤren, ſondern ihn auch ins Feld reitend, bald
auf einer Anhoͤhe haltend, bald nach allen vier Weltgegenden
ſich wendend und dann wieder umkehrend zu ſehen glaubte
und ſich wirklich Sinn und Gemuͤt nicht erſaͤttigen konnte.“
Auch mit Streichquartetten und Solovortraͤgen beruͤhm—
ter Virtuoſen ſuchte er ſich auf ſeine Art abzufinden, indem
er ſeiner kuͤnſtleriſchen Empfindung Rechenſchaft gab, aber
es blieb doch bei einem nur aͤußerlichen Gefallen, bei dem
Eindruck eines ſchoͤnen Tonſpiels. Halb traumverloren, ohne
uͤber die Mittel der Wirkungen ſich recht im klaren zu ſein,
laͤßt er das inſtrumentale Spiel wie eine holde Erſcheinung
an ſich herantreten. Bezeichnend dafuͤr ſind ſeine Worte:
„Melodien, Geſaͤnge und Laͤufe ohne Worte und Sinn
ſcheinen mir Schmetterlingen oder jenen bunten Voͤgeln
aͤhnlich zu ſein, die in der Luft vor unſeren Augen ſchwe—
ben“. Dabei gelten ihm ebenſowenig wie Herder leere
Tonmalereien etwas. „Den Donner in Muſik nachzu—
ahmen, iſt keine Kunſt“, ſchreibt er, wohl aber wuͤrde der
„Muſiker, der das Gefuͤhl erregt, als wenn ich donnern
hörte, ſehr ſchaͤtzbar fein”, denn der „Muſik großes und
edles Vorrecht iſt es, das Innere in Stimmung zu ſetzen
ohne die gemeinen aͤußeren Mittel zu brauchen“. Goethe
fordert alſo, daß der Kuͤnſtler den Reflex des Naturereig—
niſſes in der Seele des Hoͤrers andeutet, und bekennt ſich
ſomit zu einer Aſthetik der Fachmuſiker, die ihr Hauptziel
in der Darſtellung und Entwicklung der verſchiedenen Af—
fekte ſieht. Ja, er will noch weiter gehen: nachdem er Him—
mels huͤbſche Lieder („An Alexis ſend ich dich“ uſw.) kennen
gelernt hat, moͤchte er ſogar das Geheimnis des kuͤnſtleri—
ſchen Zeugungsprozeſſes ergruͤnden; er verſucht, „dahinter
335
zu kommen, nach welchen Maximen der gluͤckliche Schöpfer
gefaͤlliger Melodien ſich richte oder von denen er geleitet
werde“. Was wuͤrde er geſagt haben, wenn ein Muſiker
ihn gefragt haͤtte, nach welchen Maximen er ſich beim
Schaffen feiner Dichtungen richte oder von welchen er ges
leitet werde, er, der ſelbſt bekannt hat: „Es ſang bei mir“,
„die Lieder machten mich, nicht ich fie“.
Beim muſikaliſchen Hoͤren will Goethe angeregt ſein, feine
Phantaſie ſoll belebt werden, ſoll durch die Muſik geweckte,
bildliche Eindrücke empfangen. So zeigt ihm erſt das Als
legro des harmloſen Mendelsſohnſchen Jugendquintetts
„Charakter, wo er bei den ewigen Wirbeln und Drehen die
Hexentaͤnze des Blocksberges zu ſehen“ glaubt und ſo eine
Anſchauung findet, die er „der wunderlichen Muſik ſup—
ponieren kann“. Dem gewaltigen erſten Satze von Beet—
hovens C-Moll-Symphonie gegenüber, für den feine aͤſthe—
tiſchen Prinzipien nicht ausreichen, ruft er aus: „Das be—
wegt gar nichts“ (was doch wohl heißt: es macht keinen
Eindruck aufs Herz), „das macht nur Staunen!“ Er ſucht
ſtets nach Bildern, wie er denn ſagt: „Das Auge war vor
allem das Organ, womit ich die Welt erfaßte.“ Damit iſt
der Standpunkt fixiert, von dem aus wir den Muſikfreund
Goethe gerechterweiſe beurteilen muͤſſen.
Daß ihm die „wahre innere Kenntnis“ unſerer Kunſt
nicht gegeben war, und daß ihm das rechte muſikaliſche
„Fundament“ fehlte, darüber war ſich Goethe völlig klar.
Er betont immer von neuem, wie er nur „von der Wir—
kung ſprechen“ koͤnne, die ſie auf ihn mache, wenn er ſich
1 „Das iſt grandios,“ fuhr Goethe fort; dann brummte er ſo weiter
und fing nach langer Zeit wieder an: „Das iſt ſehr groß, ganz toll,
man moͤchte ſich fuͤrchten, das Haus fiele ein; und wenn das nun alle
die Menſchen zuſammen ſpielen!“ (Brief Felir Mendelsſohns an ſeine
Familie aus Weimar vom 25. Mai 1830.)
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ihr „rein und wiederholt uͤberlaſſe“. Und geradezu ruͤhrend
klingt es, wenn er bekennt, daß er „Muſik nur empfindend
und nicht urteilend“ in ſich aufnehmen koͤnne, und doch
„gar zu gern hoͤre, was Muſiker und Kenner“ daruͤber mit—
teilen. Auch an Rochlitz ſchreibt er mit gleicher Beſcheiden—
heit, er erlaube ſich bei einer „fremden Kunſt wohl Anteil,
aber kein Urteil“. Deshalb waren ihm „die Meinungen
eines Kuͤnſtlers, der das Mechaniſche feiner Kunſt vers
ſteht, immer hoͤchſt wichtig“. Bezeichnend iſt, daß er ein—
mal, als Zelters Kompoſitionen in Weimar eintreffen, ſei—
nen eigenen Wagen nach Berka ſendet, damit der treue
Schuͤtz ihm die Muſik gleich vorſpiele; ſo ſtark lebte in
ihm das Verlangen, ſich dem Genuß neuer Tonwerke hin—
zugeben.
Er erkannte der Muſik aber auch die Rolle einer An—
regerin und die einer dienenden Kunſt zu. So ließ er
„Muſik kommen“, um an der „Iphigenie“ weiterzuarbeiten
und ſeine dichteriſche Phantaſie zu beleben. Man denkt da—
bei an jene Muſikliebhaber, die in unſeren Symphonie—
konzerten die Augen ſchließen, um zu traͤumen und Bilder
zu ſehen. Aber dieſes laienartige Genießen unſerer Kunſt
iſt doch nicht charakteriſtiſch für Goethes Stellung zur
Muſik, es bietet nur einen kleinen Ausſchnitt aus dem Ge—
ſamtbild ſeiner muſikaliſchen Beſtrebungen und Bemuͤhun—
gen. Immer wieder muß man ſich vor Augen halten, wie
er faſt in allen Gebieten unſerer Kunſt auf ein tieferes Ver—
ſtaͤndnis der mannigfachen Probleme gedrungen hat. Selbſt
in das ſproͤde Gebiet der muſikaliſchen Theorie ſuchte er
ſich einzuarbeiten !, und noch heute blickt man mit Ruͤhrung
In den Diskuſſionen uͤber Muſiktheorie mit Zelter und Schloſſer iſt
der Dichter allerdings manchmal foͤrmlich ungoethiſch vorgegangen, in—
ſofern er nicht wie ſonſt immer die Tatſachen ſprechen ließ und nach
ihnen ſeine Theorien formte, ſondern mit feſtumriſſenen Anſichten an
337
in feinem Sterbezimmer auf die Tafel mit der ‚Tonlehre‘,
die er ſich nach Zelters Handſchrift kalligraphiſch abſchrei—
ben und uͤber dem Waſchtiſch aufhaͤngen ließ.
In ſeinen Urteilen uͤber Muſik und Muſiker hat Goethe,
wie wir geſehen haben, im Laufe der Jahre oͤfters geſchwankt.
Muſikaliſchen Fachleuten geht es genau ebenſo. Kein Kuͤnſt—
ler iſt verpflichtet, hiſtoriſche Urteile genau abzuwaͤgen. In
Goethes Epilog zum ‚Effer‘ heißt es:
A doch wer geſteht ſich frei,
Daß dieſe Liebe nun die letzte ſei.
Vorwürfe aber, die dem Dichter wegen eines einzelnen Aus
ſpruchs uͤber Muſik gemacht werden, ſind nicht ernſt zu
nehmen — zeigen ſie doch nur, daß fuͤr die Fehler eines
großen Geiſtes auch die kleinen Geiſter einen Falkenblick
haben.
Goethes Stellung zur Muſik war den verſchiedenſten
Einfluͤſſen unterworfen. Sie hat ihren kuͤnſtleriſchen Nieder—
ſchlag in dichteriſchen Worten und Werken gefunden, die
die Entwicklung der Muſik mitbeſtimmt und zu den unver—
gleichlichſten Meiſterwerken gefuͤhrt haben. Daruͤber hinaus
iſt Goethes Geiſt auch in der Inſtrumentalmuſik wirkſam
geblieben, ſein pantheiſtiſches Naturgefuͤhl lebt — den Kom—
poniſten ſelbſt vielleicht unbewußt — in vielen bedeutenden
Tonſchoͤpfungen, in Beethovens Paſtorale, in Webers ro—
mantiſcher Poeſie, in Mendelsſohns programmatiſchen
Konzertouvertuͤren und einer großen Zahl anderer Werke
bis in neueſte Zeit.
Immer wieder werden die Muſiker unwiderſtehlich durch
Goethes Werke angezogen, aus denen ihnen von den frühe:
ſten Verſen an muſikaliſche Lockrufe entgegentoͤnen. Wie
die Tatſachen herantrat und dieſe nur inſoweit gelten ließ, als ſie ſeinen
vorgefaßten Meinungen entſprachen. „Das kann ich für mich brauchen“,
war ſein hauptſaͤchlicher Geſichtspunkt.
338
ſingt und klingt es aus dem Lied, das die „Sproͤde“ am rein:
ſten Fruͤhlingsmorgen anhebt, und aus dem, ‚Mufenfohn‘:
Durch Feld und Wald zu ſchweifen,
Mein Liedchen wegzupfeifen,
So gehts von Ort zu Ort!
Und nach dem Takte reget,
Und nach dem Maß beweget
Sich alles an mir fort.
Ich kann ſie kaum erwarten,
Die erſte Blum im Garten,
Die erſte Bluͤt am Baum.
Sie gruͤßen meine Lieder,
Und kommt der Winter wieder,
Sing ich noch jenen Traum.
In Goethe iſt der Muſik „ein Liebender zugegen“, und wo
ein Goethe liebt, quillt Schoͤnheit und Segen. Bis in ſein ſpaͤ—
tes Alter hinein war ihm die Gabe verliehen, ſeinem muſi—
kaliſchen Empfinden in Worten ſuͤßeſten Wohllauts Aus—
druck zu geben. Und als den Vierundſiebzigjaͤhrigen die
Leidenſchaft fuͤr Ulrike ergreift, fuͤhlt er zugleich mit der
Liebe noch einmal die Allgewalt der Muſik:
Die Leidenſchaft bringt Leiden! — Wer beſchwichtigt
Beklommnes Herz, das allzu viel verloren?
Wo find die Stunden uͤberſchnell verflüchtigt?
Vergebens war das Schoͤnſte dir erkoren!
Truͤb' iſt der Geiſt, verworren das Beginnen;
Die hehre Welt, wie ſchwindet ſie den Sinnen!
Da ſchwebt hervor Muſik mit Engelsſchwingen,
Verflicht zu Millionen Toͤn um Toͤne,
Des Menſchen Weſen durch und durch zu dringen,
Zu uͤberfuͤllen ihn mit ewger Schöne:
339
Das Auge netzt ſich, fühlt im hoͤhern Sehnen
Den Goͤtterwert der Toͤne wie der Traͤnen.
Und ſo das Herz erleichtert merkt behende,
Daß es noch lebt und ſchlaͤgt und moͤchte ſchlagen,
Zum reinſten Dank der uͤberreichen Spende
Sich ſelbſt erwidernd willig darzutragen.
Da fuͤhlte ſich — o daß es ewig bliebe! —
Das Doppel-Gluͤck der Toͤne wie der Liebe!
Wir ſehen, die Worte: Goethe und die Muſik ſind nicht
willkuͤrlich verkettet, fie ſchließen ſich vielmehr ſelbſt zufam=
men und fuͤgen ſich zu einem der Altaͤre des Tempels, in
dem wir Goethe verehren. Aus den muſikaliſchen Bluͤten,
die Goethes Lyrik entſproſſen ſind und neu entſprießen, ver—
jüngt ſich immer wieder der ſchoͤnſte und ruhmreichſte Kranz,
der je fuͤr unſeren Dichter geflochten ward.
340
31. Jahresbericht
(Berichtsjahr 1915/16)
mit dem
Bericht über die Hauptverſammlung
am 17. Juni 1916
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rotz ernſter Kriegszeit hatten Vorſtand und geſchaͤfts—
fuͤhrender Ausſchuß im April 1915 die Einladungen
zur Hauptverſammlung fuͤr den herkoͤmmlichen Tag der
Pfingſtwoche ergehen laſſen, und erfreulicherweiſe war
eine recht ſtattliche Zahl von Mitgliedern aus allen Teilen
Deutſchlands der Einladung gefolgt.
Am Abend des 28. Mai fand im Hoftheater zu Ehren
der Goethe-Geſellſchaft ein Konzert der Großherzoglichen
Hofkapelle ſtatt: Beethovens Ouvertuͤre zu ‚Egmont‘;
Hektors Beſtattung aus dem 24. Geſang der, Ilias“ (über:
ſetzt von J. H. Voß), mit begleitender Muſik fuͤr großes
Orcheſter von Botho Sigwart, geſprochen von Dr. Ludwig
Wuͤllner (Berlin); Erſte Symphonie C-moll, op. 68, von
Brahms.
Die Hauptverſammlung wurde am Vormittag des
29. Mai im Saale der „Erholung“ abgehalten und von
Seiner Exzellenz Freiherrn von Rheinbaben mit folgender
Anſprache eroͤffnet:
„In ernſter Stunde ſind wir zur diesjaͤhrigen Tagung
der Goethe-Geſellſchaft zuſammengetreten, und ernſt und
ſchlicht ſind die Worte, mit denen ich Sie von Herzen
willkommen heiße. Dankbar blicken wir uͤber dieſe Runde,
ſehen wir doch an Ihrem zahlreichen Erſcheinen den beſten
Beweis dafuͤr, daß wir willens ſind, in den Wirrniſſen
343
dieſes Krieges die Segnungen des Friedens, die idealen
Güter der Nation zu pflegen und das göttliche Beſitztum,
das Erbe Goethes zu wahren und den gegenwaͤrtigen wie
kommenden Geſchlechtern als Eigentum zu uͤbermitteln.
Herzerhebend ſind die verſchiedenen Zeichen der Zuſtim—
mung, die auch aus den Schuͤtzengraͤben uns geworden ſind.
Neue Anmeldungen, ſelbſt aus dem Schuͤtzengraben, ſind ge—
kommen, in dem dankbaren Gefuͤhl, daß in allem Gebraus
des Krieges die idealen Guͤter am meiſten zu erquicken
vermoͤgen. Ein Hollaͤnder, der aus der Goethe-Geſellſchaft
ausgetreten war, hat ſich wieder angemeldet, weil, wie
er ſagte, es eine Sünde wäre, die Fahne der Goethe-Ge—
ſellſchaft jetzt zu verlaſſen. Ich ſagte: In ernſter Stunde
ſind wir zuſammengetreten, und doch werden unſere Enkel
dieſe Tage als die groͤßte Zeit der deutſchen Geſchichte
feiern, iſt in ihr doch uns allen und der Welt zum Bewußt—
ſein gekommen, was unſer Vaterland geworden iſt. Was
der Traum der Jahrhunderte wollte, oft erſtrebt und nie
erreicht wurde, das iſt wunderbare Wahrheit geworden:
Ein Volk von einem einzigen, heiligen Willen durchgluͤht.
Und wenn meuchlings neue Widerſacher ſich erheben, wir
wollen „allen Gewalten zum Trutz uns erhalten, nimmer
uns beugen, kraͤftig uns zeigen“. Das „rufet die Arme der
Goͤtter herbei!“ Es gibt noch eine Gerechtigkeit im Himmel
und auf Erden.
Wir klagen nicht um die vielen Helden, die auch von
der Goethe-Geſellſchaft ihr Leben fuͤrs Vaterland dahin—
gegeben haben. Was der Roͤmer ſagte, gilt auch fuͤr uns:
„Suͤß und ehrenvoll iſt es, fuͤrs Vaterland zu ſterben.“
Viel treue Mitglieder hat die Geſellſchaft durch den Tod
verloren. Prinz Friedrich von Sachſen-Meiningen, den er—
lauchten Vater der hohen Herrin dieſes Landes. Sie hat
Vater und Bruder dahingegeben, und ihrer gedenken wir
IA
heute in beſonders ehrerbietiger Mittrauer. Ein neues
Lebensjahr iſt fuͤr die erlauchte Frau angebrochen. Moͤge
der Friede des Herzens und des Landes die Wunden mit
heilen, die das vergangene Jahr ihr geſchlagen. Wir werden
alle gefallenen Helden treu im Herzen tragen, ſo lange es
ſchlaͤgt. Ehren wir die Gefallenen durch Erheben von den
Sitzen. —
In Sieg und Tod, in Jubelruf und Leid hat uns Gott
eine Laͤuterung geſchickt. Sie ſoll dazu beitragen, uns wieder
an die wahren Quellen deutſchen Weſens zuruͤckzufuͤhren,
in den Idealismus deutſcher Kultur. Sie ſoll helfen, die
falſchen Goͤtzen vom Throne zu ſtoßen. In dem Lichte dieſer
Pruͤfungen oͤffnet ſich vieles dem Auge, was uns vorher
verſchleiert, vielfach unverſtaͤndlich erſchien. Klar wird uns
die Fuͤhrung, die uns zur heutigen Groͤße emporgebracht
hat. Wie oft haben wir, ſcheinbar mit vollem Recht, unſere
Nachbarſtaaten beneidet, Frankreich und England, die fruͤh
zur nationalen Einheit erwuchſen. Wie anders war es bei
uns. Waͤhrend dort die nationale Einheit der geiſtigen
voranging, war es bei uns umgekehrt. Wir mußten erſt im
langen Kampf die geiſtige Einheit ſchaffen, um dann die
äußere politiſche Form zu finden. Aber die großen Geiſter
unſeres Volkes haben bewundernswert ihren Weg gefunden.
Sie ſchufen, allen Wirrniſſen und Hinderniſſen zum Trotz,
die Einheit des deutſchen Geiſteslebens, und wir mußten
ſuchen, ihm auch eine politiſche Einheit zu ſchaffen. Dazu
trugen die deutſchen Fuͤrſten viel bei. Gerade wir, die wir
auf dem klaſſiſchen Boden Weimars ſtehen, denken heute
mit beſonderer Dankbarkeit aller der Segnungen, die vom
weimariſchen Fuͤrſtenhaus ausgegangen ſind. Hundert
Jahre ſind vergangen, daß Carl Auguſts Regiment mit
der Erhebung des Landes zum Großherzogtum gekroͤnt
wurde. Stroͤme lebendigen Lebens haben ſich von Weimar
2
aus in die Gaue deutſchen Geiſteslebens ergoſſen. Noch
heute zehren wir von ihm und wollen die Quellen rein
und ſprudelnd erhalten. So entbieten wir auch heute dem
Großherzog ehrerbietigſten Dank für die Förderung deut⸗
ſchen Geiſteslebens, die er und ſeine Vorfahren dem
deutſchen Reich geſpendet. Wir ſind dankbare Zeugen der
Zeit, in der uns bewußt wurde, was das deutſche Geiſtes—
leben bedeutet, wie die Vergangenheit und Zukunft des
deutſchen Geiſteslebens verteidigt werden ſoll gegen alles,
was es auch ſei. Prophetiſch hat das auch Goethe voraus—
geſehen: „Mir iſt nicht bang, daß Deutſchland eins werde,
vor allem ſei es eins in der Liebe zueinander und immer
eins gegen den auswaͤrtigen Feind.“ In dieſem Sinne
laſſen Sie uns auch heute die Generalverſammlung der
Goethe-Geſellſchaft begehen in der Liebe zu dem Werk
Goethes, in der Liebe untereinander und in der Einheit
gegen alle Feinde. In dieſem Sinne heiße ich Sie herzlich
willkommen und erklaͤre die Hauptverſammlung fuͤr
eröffnet.”
Hierauf wurde an die Frau Großherzogin folgendes
Telegramm gerichtet:
„Die in ernſter Zeit zu ernſter Tagung verſammelten
Mitglieder der Goethe-Geſellſchaft bitten, des heutigen
Tages in Treue gedenkend, Eurer Koͤniglichen Hoheit
die ehrerbietigſten Gluͤckwuͤnſche darbringen zu duͤrfen.
Moͤge das anbrechende, neue Lebensjahr durch reiches,
inneres Gluͤck Eurer Koͤniglichen Hoheit helfen, das
Leid des vergangenen Jahres zu tragen.“
Seine Koͤnigliche Hoheit der Großherzog erhielt folgen—
des Telegramm:
„In Eurer Koͤniglichen Hoheit Reſidenz ſind auch
in dieſem Jahre die Mitglieder der Goethe-Geſellſchaft
346
zufammengetreten, um zu befunden, daß fie die Pflege
der hohen geiſtigen Güter, der die Goethe-Geſellſchaft
ſich widmet, auch unter allen Wirrniſſen des Krieges als
heilige Pflicht erachten. Dankbar wendet ſich heute der
Blick hinaus auf die Zeit vor hundert Jahren, als des
unvergeßlichen Herzogs Carl Auguſt ſegensreiches Re—
giment durch die Erhebung der weimariſchen Lande zum
Großherzogtum gekroͤnt wurde. Doppelt lebendig treten
vor die Seele alle die innigen Wechſelbeziehungen zwiſchen
Weimar und dem deutſchen Geiſtesleben, und die Foͤr—
derungen, die dieſem von dem weimariſchen Fuͤrſtenhofe
zuteil geworden. Dieſer Dankespflicht froh eingedenk,
bitten wir Eure Koͤnigliche Hoheit, den Gruß ehrerbietiger
Huldigung in die Schlachtgefilde des Oſtens ſenden
zu duͤrfen.“
Den Feſtvortrag hielt Geheimer Regierungsrat Profeſ—
for D. Dr. Lenz (Hamburg) über das Thema Deutſches
Nationalempfinden im Zeitalter unſerer Klaſſiker“. Diefer
Vortrag iſt bereits im zweiten Bande des Jahrbuchs zum
Abdruck gekommen.
Seine Exzellenz Profeſſor Dr. Raehlmann als Vorſitzen—
der des geſchaͤftsfuͤhrenden Ausſchuſſes eroͤffnete nach kurzer
Pauſe den geſchaͤftlichen Teil der Tagung und gab einen
Ruͤckblick auf das im letzten Jahre Geſchehene.
Nach Vortrag der Jahresrechnung für 1914 erteilte
die Verſammlung dem Schatzmeiſter, Oberbuͤrgermeiſter
Dr. Donndorf (Weimar), Entlaſtung.
uͤber das Goethe-National-Muſeum, die Biblio—
thek der Goethe-Geſellſchaft und das Goethe- und
Schiller-Archiv berichtete Geheimer Regierungsrat Pro:
feſſor Dr. von Oettingen (Weimar). Der Vorſitzende dankte
ihm für die insbeſondere beim Um- und Anbau des Goethe:
Hauſes gehabte Muͤhe und Arbeit.
347
Den legten Gegenftand der Tagesordnung bildete ein
Antrag des Juſtizrats Graß (Allenſtein in Oſtpreußen) auf
Einſetzung einer „Propaganda-Kommiſſion“. Die
Verſammlung erklaͤrte ſich grundſaͤtzlich mit der Bildung
eines Werbeausſchuſſes einverſtanden, deſſen Zuſammen—
ſetzung dem geſchaͤftsfuͤhrenden Ausſchuß uͤberlaſſen wurde.
Der Abend vereinigte Mitglieder und Gaͤſte zu einem
ſchlichten Mahle in der „Erholung“.
Am folgenden Tage gingen dem Vorſitzenden von Ihren
Koͤniglichen Hoheiten dem Großherzog und der
Frau Großherzogin die nachſtehenden Telegramme
aus Racot zu:
„Der Goethe-Geſellſchaft danke Ich herzlich fuͤr ihr
Gedenken, moͤgen die Geſellſchaft ſowie alle Freunde
Weimars uͤberzeugt ſein, daß auch nach dem Kriege
zur Pflege des deutſchen Geiſteslebens alles Mögliche
getan werde im Sinne der großen Zeit, der Zeit vor
hundert Jahren und der Gegenwart. Ich bedaure, daß
Ich nicht bei Ihnen ſein konnte, und ſchicke Meine
beſten Gruͤße. Wilhelm Ernſt.“
„Sehr herzlichen Dank fuͤr treues Gedenken der
Goethe-Geſellſchaft. Feodora.“
Geheimer Hofrat Dr. h. c. von Bojanowski( Weimar),
der ſonſt an den Verſammlungen als eifriges und uner—
muͤdlich taͤtiges Vorſtandsmitglied ſtets teilnahm, war
leider diesmal durch Krankheit verhindert; am 19. Juni
1915 mußte er zur letzten Ruhe geleitet werden.
Auch der geſchaͤftsfuͤhrende Ausſchuß verlor durch den
am 7. Auguſt 1915 erfolgten Tod des Geheimen Juſtizrats
Stichling (Weimar) ein ruͤhriges, ſtets hilfsbereites
Mitglied. An feine Stelle trat durch Zuwahl am 5, Okto—
348
ber 1915 Geheimer Regierungsrat Dr. Freiherr von
Boineburg-Lengsfeld (Weimar).
Weiter iſt zu gedenken des am 12. Maͤrz 1916 erfolgten
Ablebens von Maria Freifrau von Ebner-Eſchenbach;
fie gehörte der Goethe-Geſellſchaft als Ehrenmitglied an.
Durch freundliche Vermittlung des Wiener Goethe-Vereins
wurde ſeitens der Goethe-Geſellſchaft ein Kranz am
Sarge niedergelegt.
Am 6. Juni 1916 wurde das Grab Chriſtianens von
Goethe, geb. Vulpius (geſtorben am 6. Juni 1816) im
Namen der Goethe-Geſellſchaft mit einem Lorbeerkranz ge—
ſchmuͤckt. (Vergl. S. 261.)
Von Veroͤffentlichungen erſchienen im Jahre 1915 das
Jahrbuch Band 2, herausgegeben von Profeſſor Dr. H.
G. Graͤf (Weimar), im Juni und die Schrift Band 30
„Weimar und Deutſchland 181591915 heraus:
gegeben von Dr. Rudolf Wuſtmann (Buͤhlau bei Dresden),
im Dezember. Zufolge des Beſchluſſes des Vorſtands
vom 28. Mai 1915 gilt als Zeitpunkt des Erſcheinens des
Jahrbuchs der Goethe-Geſellſchaft vom Jahre 1916 ab
der 28. Au guſt jedes Jahres.
Bei der Verteilung der Jahrbuͤcher und Schriften wie
bei der Einziehung der Mitgliederbeitraͤge unterſtuͤtzten uns
wiederum in bereitwilligſter Weiſe:
die Berliner Paketfahrt-Geſellſchaft Starke & Co., Berlin,
J. Morgenſterns Buchhandlung, Breslau,
die Buch- u. Kunſthandlung von Zahn & Jaenſch, Dresden,
die Literariſche Anſtalt Rütten & Loening, Frankfurt a. M.,
die Lippertſche Buchhandlung, Halle a. S.,
die Buchhandlung Lucas Graͤfe, Hamburg,
die Verlagsbuchhandlung Guſtav Fiſcher, Jena,
A. Bielefelds Hofbuchhandlung, Karlsruhe i. B.,
die Leipziger Buchbinderei-Aktien-Geſellſchaft, Leipzig,
349
die Hofbuchhandlung Theodor Ackermann, München,
H. Lindemanns Buchhandlung, Stuttgart,
die Buchhandlung Carl Konegen, Wien,
der Leſezirkel Hottingen, Zuͤrich.
Fuͤr dieſe unter den gegenwaͤrtigen Zeitverhaͤltniſſen dop—
pelt wertvolle Mitarbeit ſei auch an dieſer Stelle beſtens
gedankt.
Auf Vorſchlag des Werbeausſchuſſes hat der Vorſtand
die Verteilung von Schuͤler-Praͤmien beſchloſſen. Aus
den Schriften der Goethe-Geſellſchaft will man einzelne,
fuͤr die Schuͤler und Schuͤlerinnen der hoͤheren Lehran—
ſtalten beſon ders geeignete Baͤnde an ſolche austeilen
laſſen, die ſich durch tüchtige Leiſtungen und hervorragendes
Intereſſe fuͤr die deutſche Literatur ausgezeichnet haben.
Es iſt der Wunſch, daß dieſe Preiſe bei den Schulfeiern
und Abiturienten-Entlaffungen übergeben werden. Und
es wird eine willkommene und dankbare Aufgabe fuͤr die
Schulvorſteher ſein, bei der Überreichung dieſer Preiſe auf
die Bedeutung und auf die Ziele der Goethe-Geſellſchaft
nachdrücklich hinzuweiſen. Für die Empfänger werden dieſe
Preiſe eine wertvolle Erinnerung an die Schule und zu—
gleich ein Anſporn ſein, die auf der Schule begonnene
Geiſtesarbeit weiterhin zu verfolgen. Man hofft, daß fo in
vornehmer Weiſe eine wirkſame Werbetaͤtigkeit entfaltet
werden koͤnne. Als erſte dieſer Gaben iſt die von Erich
Schmidt beſorgte Auswahl aus Goethes Werken in ſechs
Baͤnden gewaͤhlt worden (zuerſt 1909 als Band 24
der Schriften der Goethe-Geſellſchaft erſchienen). Bei der
erſtmaligen Verteilung wurden die höheren Lehranſtalten
der Provinzen Oſt- und Weſtpreußen, Poſen und des
Großherzogtums Sachſen beruͤckſichtigt. Die uns zuge—
gangenen Daͤnkſchreiben bekunden eine freudige Aufnahme
der Gabe und geben der Überzeugung Ausdruck, daß die
350
beabſichtigte Wirkung nicht ausbleiben, fegen fuͤr die
Jugend ſegensreich ſein werde.
Im Kriegsjahr 1915 iſt die Zahl der Mitglieder um nur
40 zuruͤckgegangen, waͤhrend im Vorjahr ein Abgang von
124 zu verzeichnen war. Beſtand am Schluſſe des Jahres
1915: 2 Ehrenmitglieder (Alexander Freiherr von Gleichen—
Rußwurm und Profeſſor Adolf von Donndorf), SO lebens—
laͤngliche und 3408 ſonſtige Mitglieder, zuſammen 3460,
31. Hauptverſammlung der Goethe-Geſellſchaft
Weimar, den 17. Juni 1916,
im Saale der „Erholung“.
Außerordentlich zahlreich hatten ſich Mitglieder und Gaͤſte
eingefunden, auch Ihre Koͤniglichen Hoheiten der Groß—
herzog und die Frau Großherzogin waren erſchienen.
Der Praͤſident, Exzellenz Freiherr von Rheinbaben, er—
oͤffnete die Verſammlung mit folgender Anſprache:
„Ew. Koͤniglichen Hoheiten lege ich namens des Vor—
ſtandes den ehrerbietigſten Dank zu Fuͤßen, um ſo mehr,
als Ew. Koͤniglichen Hoheiten, trotz aller Kriegsaufgaben,
die Gnade haben, der Verſammlung beizuwohnen und ihr
die rechte Weihe zu geben. Wir erblicken darin einen neuen
begluͤckenden Beweis der Huld, den Ew. Koͤniglichen
Hoheiten und Hochderen Vorgänger allen denen erwieſen
haben, die als ihre große Aufgabe es halten, den Goethe—
ſchen Schatz zu huͤten. Allen Damen und Herren namens
des Vorſtandes ebenfalls Gruß und Willkommen. Bis in
die letzten Winkel iſt dieſer Saal gefuͤllt, noch nie war eine
Verſammlung derart beſucht wie heute. Iſt dies ein Zufall?
Nein! Der innere Drang Ihres Herzens in dieſer ernſten,
ſchweren Zeit hat Sie beſtimmt, einen Austauſch zu halten
351
mit Gleichgeſinnten, fich zu erbauen an den unvergaͤng—
lichen Schaͤtzen unſerer Großen. Wir erblicken darin ein
treues Bekenntnis zur Goethe-Geſellſchaft, daß
auch ſie durchhalten will in allem, was ſie als ihre Auf—
gabe treu erkannt hat. Es iſt das ein kleines Spiegelbild,
das Bild, das unſere Nation bietet: Tenax propositi!
Einigkeit! Durchzuhalten, bis zum ſiegreichen Ende! In
dieſen ernſten Kriegstagen erinnern wir uns des tiefſinni—
gen Wortes Goethes: Stirb und werde! Unter allem aber
glaͤnzt das Wort: Werde! Die ihren Leib draußen im Felde
dahingegeben, haben dies in dem ſchoͤnen Bewußtſein ge—
tan, unſerem geliebten Vaterlande zu dienen, im Bewußt—
ſein, daß ein Werde aus ihrem Blute fließe. So, wie die
draußen, ſo wir daheim! Manches Vorurteil von Eigen—
willen und Selbſtſucht iſt daheim zuſammengeſchmolzen,
wir haben uns heilig gelobt, alles das, was vergaͤnglich
war, von uns abzuwaͤlzen und alles in das Wort zuſammen—
zufaſſen: Es werde! Wenn jeder einzelne von uns alle
Sonderwuͤnſche zuruͤckſtellt gegen das große Vaterland,
dann wird das Wort zur Wahrheit: Es werde! Die Ge—
ſchichte unſeres Vaterlandes hat durch Jahrhunderte hin—
durch gepredigt: Stirb! Aber, ſeitdem uns Gott der Herr
vor etwa einem halben Jahrhundert Kaiſer Wilhelm den
Großen und ſeinen getreuen Eckart Bismarck ſchenkte,
leben wir der Hoffnung, daß unſer Vaterland bergan gehen
wird zur Sonnenhoͤhe, zum Glanze ſeiner Entwicklung,
fo daß über unſerem Vaterlande ſtehen wird: Es werde!
Wir, die Goethe-Geſellſchaft, wollen dieſem Worte dienen
mit Einſetzung aller unſerer Kraͤfte, wollen uns bewußt
ſein, welch große Pflicht es iſt, die Schatzhalter Goethes
zu ſein. Dann wird der Segen ſeines Geiſtes unſerem ge—
liebten Vaterlande zuteil. Das ſoll unſer Ziel ſein. Daß Sie
ſo zahlreich erſchienen ſind, ſtaͤrkt uns in dieſem Beſtreben.
352
Das Werk Goethes darf nicht ein Werk weniger Kreife fein,
ſondern es muß allen Kreiſen unſeres Volkes gelten. Dies
zu erreichen, muß die Aufgabe der kommenden Tage ſein,
wir muͤſſen uns Vertrauensmaͤnner beſchaffen, die das
Werk Goethes foͤrdern. Den Anfang dazu haben wir be—
reits waͤhrend des Krieges getan, durch Appell an die Jugend,
die dem Werke Goethes gewonnen werden muß. Um dieſem
Gedanken in beſcheidenem Rahmen einen Ausdruck zu
geben, haben wir das hinterlaſſene Werk Erich Schmidts:
ſeine Auswahl aus Goethes Werken in ſechs Baͤnden, an
eine große Anzahl Schulen verſandt, jo auch an die höhe:
ren Lehranſtalten des Großherzogtums Sachſen.
Alle hoͤheren Lehranſtalten von Oſt- und Weſtpreußen
und Poſen, zuſammen 251 höhere Lehranſtalten
unſeres deutſchen Vaterlandes, ſind mit der Goethe—
Ausgabe bedacht worden. Alles, was wir angefangen,
ſoll fortgeſetzt werden, um unſeren Knaben und Maͤdchen
das Lebenswerk Goethes zugaͤnglich zu machen. Sie
alle, Damen und Herren, wollen die Werbetaͤtigkeit fuͤr die
Geſellſchaft fortſetzen, um dieſe geringe Muͤhewaltung
bitte ich Sie. Denn wenn uns ein ehrenvoller Friede be—
ſchieden iſt, dann wollen wir erſt recht uns unſerer Aufgabe
bewußt ſein, den Segen Goetheſchen Geiſtes in alle Kreiſe
unſeres Vaterlandes fließen zu laſſen. Groß iſt der Schatz
unſerer Großen, — Kinder und Kindeskinder ſollen teil
daran haben. Dieſe hoͤhere Beſtimmung wollen wir als
unſere Aufgabe betrachten. In dieſem Sinne heiße ich Sie
alle am heutigen Tage herzlich willkommen.“
Den Feſtvortrag hielt Geheimer Regierungsrat Pro—
feſſor Dr. D. h. c. Max Friedlaender (Berlin) über das
Thema: „Goethe und die Muſik“. Die geſanglichen Er—
laͤuterungen wurden von ſeiner Gattin am Fluͤgel begleitet.
353
In der dem Vortrag folgenden Pauſe wurden Geheim—
rat Friedlaender und feine Gattin den Hoͤchſten Herr—
ſchaften vorgeſtellt. Ihre Koͤniglichen Hoheiten verab—
ſchiedeten ſich nach laͤngerer Unterredung mit Mitgliedern
des Vorſtandes uſw. von der Verſammlung.
Der Schatzmeiſter, Oberbuͤrgermeiſter Dr. Donndorf
(Weimar), berichtete ſodann über den Rechnungs ab⸗
ſchluß fuͤr 1915. Auf Vorſchlag des Vorſtandes erteilte
ihm die Verſammlung Entlaſtung.
Den naͤchſten Gegenſtand der Tagesordnung bildete
die Vorſtandswahl fuͤr die naͤchſten drei Jahre. Exzellenz
Freiherr von Rheinbaben gedachte zunaͤchſt des im vori—
gen Jahre verſtorbenen Geheimen Hofrats Dr. h. c. von
Bojanows ki unter dankender Anerkennung feiner Ver—
dienſte um die Goethe-Geſellſchaft. Weiter wurde des im
Vorjahr heimgegangenen Mitgliedes des geſchaͤftsfuͤhren—
den Ausſchuſſes, Geh. Juſtizrat Stichling, gedacht. Die
Anweſenden erhoben ſich zu Ehren der beiden Verſtorbenen
von den Sitzen.
Zur Einleitung der Wahl uͤbergehend, wies der Herr
Praͤſident darauf hin, daß durch den Tod des Herrn von
Bojanows ki eine Stelle im Vorſtand verwaiſt ſei, und
daß Herr Profeſſor Schaper (Berlin) mit Ablauf der
Wahlzeit aus dem Vorſtand ausgeſchieden ſei. Der bis—
herige Vorſtand ſchlage vor, einen hervorragenden Oſter—
reicher: Dr. Peter Roſegger (Graz) zu waͤhlen, da auch
früher dem Vorſtand ein Ofterreicher angehört habe, und
er empfehle weiter, anſtelle des Herrn von Bojan o wski
den Vorſitzenden des geſchaͤftsfuͤhrenden Ausſchuſſes, Ex—
zellenz Raehlmann, zu wählen; ſtatutenmaͤßig komme
hierfuͤr nur eine Perſoͤnlichkeit in Betracht, die in Weimar
oder Jena wohne.
Aus der Mitte der Verſammlung ſprach ſich Profeſſor
354
Dr. Deetjen (Weimar) für Annahme dieſer Vorfchläge
und Verbleiben der uͤbrigen Herren im Vorſtand aus. Zu—
gleich empfahl er, die Wahlen durch Zuruf zu bewirken.
Profeſſor Dr. Witkowski (Leipzig) erklaͤrte, daß es
ihm und einer Reihe von Mitgliedern nicht moͤglich waͤre,
der Wahl durch Zuruf zuzuſtimmen; er bemaͤngelte ins—
beſondere die vom Vorſtand fuͤr das Jahrbuch gegebene
Dispoſition und gab der Meinung Ausdruck, daß zahl—
reichen Mitgliedern eine andere Zuſammenſetzung des
Vorſtands erwuͤnſcht ſein koͤnne.
Hierauf wurden durch Abſtimmung die bisherigen Vor—
ſtandsmitglieder (Exzellenz Freiherr von Rheinbaben,
Erzellenz Buͤrklin, von Oettingen, Bodmer, von
Guͤntter, Heuer, Koͤſter, Michels, Roethe) und die
neu vorgeſchlagenen Herren Dr. Roſegger und Exzellenz
Raehlmann einſtimmig gewaͤhlt.
Herr Roſegger ſoll telegraphiſch benachrichtigt werden;
namens der uͤbrigen Herren erklaͤrte Exzellenz Freiherr von
Rheinbaben die Annahme der Wahl. (Das Praͤſidium
bleibt in der bisherigen Weiſe zuſammengeſetzt.)
Über das Goethe-National-Muſeum, die Bi—
bliothek der Goethe-Geſellſchaft und die Arbeiten des
Goethe- und Schiller-Archivs berichtete Geheimer
Regierungsrat von Oettingen.
Antraͤge lagen nicht vor.
Nachſtehend folgen die Berichte uͤber den Abſchluß der
Jahresrechnung (A), über die Bibliothek der Goethe-Ge—
ſellſchaft und das Goethe- und Schiller-Archiv (B), über
das Goethe-National-Muſeum (C).
A.
Der Rechnungsabſchluß fuͤr 1915 geſtaltete ſich, wie
folgt:
333
Die laufenden Einnahmen beſtanden in
4277,75 M. Gewaͤhrſchaft voriger Rechnung,
32 710,00 „KJahresbeitraͤgen der Mitglieder,
50,00 ,, außerordentlichem Beitrag,
3 348,54 „ Kapitalzinſen,
885,03 „ Erloͤs für „Schriften“ (708,65 M.) u. a. m.
41 271,32 M.
Dieſen Einnahmen ftanden folgende Ausgaben gegen:
über:
11199 5IM. für das Jahrbuch der Goethe-Geſellſchaft
Band 2,
19 466,71 „ fuͤr die „Schriften“ [10 044,63 M. für Band
29: 20 Zeichnungen alter Meifter aus Goe—⸗
thes Sammlung und 9 421,88 M. für Band
30: Weimar und Deutſchland 181591915),
382,80 „ fuͤr die Bibliothek der Goethe-Geſellſchaft,
556,00 „ fuͤr die Verſicherung der Bibliothek bei der
Gothaer Feuerverſicherungsbank a. G.,
533,59 „Beitrag fuͤr die „Deutſche Dichter-Gedaͤcht—
nis⸗Stiftung“ u. a. m.,
2 250,59 „ Koften der Hauptverſammlung,
5 227,97 „ Sonſtige Verwaltungskoſten,
1700, „ von dem 2000 M. betragenden „Dispoſi—
tionsfonds“, nämlich 600 M. an das Goethe—
National⸗-Muſeum und 1000 M. an das
Goethe- und Schiller-Archiv zu Ankaͤufen,
100 M. an den Bezirksvorſtand vom Roten
Kreuz in Weimar,
4131705 M.
45,73 M. Mehrausgabe.
Der Nennwert des Kapitalvermoͤgens (Reſerve—
fonds) bezifferte ſich am Schluſſe des Jahres 1915 auf
356
99 131,15 Mark — zu Ende des Vorjahres auf 97 891,15
Mark.
An der Zeichnung der fuͤnfprozentigen Reichsanleihen hat
ſich die Goethe-Geſellſchaft in den Jahren 1914 und 1915
mit zuſammen 60 000 Mark beteiligt.
B.
Die Bibliothek der Goethe-Geſellſchaft hat
auch in dem abgelaufenen Berichtsjahr unter der Ungunſt
der Zeit zu leiden gehabt, inſofern als Schenkungen derſelben
in ſpaͤrlicherem Maße zufloſſen als fruͤher. Denen, die der
Buͤcherſammlung auch in dieſen Zeiten ihre Gunſt zuge—
wandt haben, ſei hier im Namen des Vorſtandes ein um ſo
herzlicherer Dank ausgeſprochen. Die Namen der Spender
ſind: der Inſel-Verlag (Leipzig), der Verlag Gebruͤder
Paetel (Dr. Georg Paetel, Berlin), der Verlag B. G. Teub—
ner (Leipzig), die Intendanz des Stadttheaters zu Metz, der
Allgemeine Deutſche Chorſaͤngerverband (Mannheim), die
Direktionen der Großherzogl. Bibliothek und des Groß—
herzogl. Gymnaſiums in Weimar, A. M. St. Arctander,
C Behrens (Kopenhagen), L. Berg(Eibenſtock), Dr. R. Blume
(Freiburg i. Br.), Frau E. v. Caſtella, geb. Graͤfin Zierotin
(Littenſchitz, Maͤhren), Prof. Dr. E. Caſtle (Wien), Prof. Dr.
W. Deetjen (Weimar), Prof. Dr. L. Fraͤnkel (Ludwigshafen),
Dr. A. Freſenius (Wiesbaden), Prof. H. Funck (Gernsbach),
Dr. M. F. Hecker (Weimar), Prof. Dr. K. Heinemann (Leip—
zig), Dr. W. Hertz (Frankfurt a. M.), Dr. C. Horn München),
Emma Gertrud Jaeck (Oxford, Ohio U. S. A.), Dr. S. A.
Janko (Zürich), P. Kaemmerer (München), G. Kentenich
(Trier), Dr. H. Kindermann (Wien), H. Kruͤger-Weſtend
(Bremen), Prof. Dr. H. Lambel (Prag), Prof. Dr. A. Leitz—
mann (Jena), Prof. Dr. E. Maaß (Marburg), Prof. Dr. H.
Maync (Bern), J. C. Normann (Kopenhagen), F. O. Peſta—
357
lozzi (Zürich), Prof. G. Proffen (Stadthagen), Dr. P. Schu:
mann (Leipzig), Dr. L. Seelig (Mannheim), A. Stockmann
S. I. (Frankfurt a. M.), Prof. Dr. W. Thamhayn (Solingen),
L. A. Willoughby (Oxford).
Was die Arbeiten des Goethe- und Schiller—
Archivs betrifft, fo kann berichtet werden, daß Band 54
der 1. Abteilung, den 1. Teil des Regiſters (A—9) ent:
haltend, bereits ſeit November 1915 fertig gedruckt iſt, daß
aber Umſtaͤnde, die durch den Krieg bedingt ſind, die Aus—
gabe des Bandes bisher gehindert haben; über den Zeitpunkt
ſeines Erſcheinens kann noch keine beſtimmte Angabe ge—
macht werden. Band 55 mit dem Schluß des Regiſters
und einem Inhaltsverzeichnis über die Bände der 1. Ab⸗
teilung iſt im Druck bereits weit vorgeſchritten. Band 14
der 3. Abteilung (Regiſter zu den Tagebuͤchern) iſt im Druck
bereits begonnen.
Die Handſchriftenſammlung des Archivs hat auch im
vergangenen Jahre nureinen geringenZuwachs durch Schen—
kungen aufzuweiſen. Frau Elly Beyrich (Guben) ſchenkte
ein Albumblatt von Goethe mit den zwei Schlußzeilen aus
ſeiner Bearbeitung von „Romeo und Julia“: „Gluͤckſelig
der, wer Liebe rein genießt“ uſw.; Fraͤulein Marie Preußer
(Stettin) einen Brief von Walther v. Goethe an Bertha
v. Schmeling; Frau Charlotte Steinbrucker (Berlin) einen
Brief Carl Auguſts (Adreſſat unbekannt); Herr Prof. Dr.
Eduard Scheidemantel (Weimar) die Abſchrift einiger Ge—
dichte Goethes von der Hand ſeines Schreibers Geiſt; Herr
Emil Wiebe (Berlin-Grunewald) das Bruchſtuͤck eines
Briefes von Knebel an Boͤttiger; Herr Juſtizrat Julius Genſel
(Leipzig) das Bruchſtuͤck eines Briefes an Frau Kirchen—
rat Gernhard (Schreiber unbekannt). Ein Vermaͤchtnis
von Frau Generalin v. Heinemann (geſt. 1908 in Dresden)
enthält u. a, ein Einladungsbillett Goethes für Frau v. Man⸗
358
delsloh, die gedruckte Anzeige von Goethes Tod und zwei
Briefe von Ottilie v. Goethe an Frau v. Bardeleben. Julius
Rodenberg, ein durch viele Jahre hindurch bewaͤhrter Freund
und Gönner des Archivs (geſt. 11. Juli 1914) — ihm ver—
dankt die Anſtalt eine Reihe wertvoller Handſchriften neue—
rer Dichter, darunter Gottfried Keller — vermachte ſeinen
handſchriftlichen Nachlaß, darunter Entwuͤrfe und erſte
Niederſchriften eigener Dichtungen, ſowie viele Briefe von
ihm und von hervorragendenzeitgenoſſen an ihn, dem Archiv,
dem die wertvollen Papiere durch die treue Vollſtreckerin
ſeines letzten Willens, Frau Juſtina Rodenberg, noch bei
ihren Lebzeiten uͤbermittelt worden ſind. Allen Spendern
ſei im Namen Seiner Koͤnigl. Hoheit des Großherzogs Wil—
helm Ernſt, des hohen Eigentuͤmers und Protektors der
Anſtalt, an dieſer Stelle nochmals der verbindlichſte Dank
ausgeſprochen. Ebenſo allen denen, die die Archivbibliothek
durch Schenkungen bereichert haben: C. Behrens (Kopen—
hagen), Dr. R. Beſſe (Barmen), A. Doebber (Charlotten:
burg), Dr. H. Freiherr v. Egloffſtein (Wuͤrzburg), Dr. B.
Fiſcher (Guben), F. Goldhann (Graz), G. Leſſing (Meſe—
berg), E. Medtner Zürich), J. C. Normann (Kopenhagen),
Prof. G. Proffen (Stadthagen), Frau Juſtina Rodenberg
(Berlin), Dr. H. Schulz (Leipzig), E. Wiebe (Berlin-Grune—
wald), Dr. F. Willmer (Greifswald), ſowie dem Groß—
herzogl. Staatsminiſterium und der Direktion des Groß—
herzogl. Gymnaſiums in Weimar.
C.
Das Goethe-National-Muſeum konnte auch in dem
zweiten Kriegsjahre nicht zu der in Friedenszeiten gewohn—
ten Hoͤhe des Beſuches und zu den aus ihm ſich ergebenden
Einnahmen gelangen, aber eine gewiſſe Steigerung des
Verkehrs von Reiſenden iſt doch eingetreten, und — was
359
noch erfreulicher iſt — die Beſichtigung des Goethehauſes
durch Krieger, ſowie die Benutzung des Studienſaales durch
das hier anſaͤſſige Publikum hat merklich zugenommen.
Wenn Verwundete mit offenkundigem Intereſſe die Samm-
lungen, beſonders die naturwiſſenſchaftlichen, anſehen und
Anknuͤpfungen an das eigene Wiſſen, Verbindungen mit
eigenen Gedanken voll Freude finden, wenn etwa 300 Per—
ſonen ſich Mappen mit Zeichnungen und Kupferſtichen zu
ruhiger, eingehender Betrachtung und zum Studieren an
der Hand von Buͤchern vorlegen laſſen, ſo zeugt das doch
wohl dafuͤr, daß der Wert des Goethehauſes als einer
Bildungsſtaͤtte ſich immer deutlicher erweiſt, und daß der
Direktion daraus die Pflicht erwaͤchſt, den Inhalt und die
Bedeutung von Goethes Sammlungen in immer erhoͤhtem
Maße darzulegen und dem Publikum zu uͤbermitteln. Man
hat deshalb begonnen, den Studienſaal auch zu oͤffentlichen
Vortraͤgen zu benutzen, die ſich auf Goethe bezogen, und
es beſteht die Abſicht, weitere Vortragsreihen über die Dich—
ter der klaſſiſchen, vielleicht auch der nachklaſſiſchen Zeit,
dann aber auch über die Naturwiſſenſchaften in ihrem Ver-
haͤltnis zu Goethes Ideen zu veranſtalten. Beſonders
nuͤtzlich erwieſen ſich die von dem Direktorialaſſiſtenten
Dr. Kroeber abgehaltenen Muſeumskurſe, die ſowohl im
Winter als auch im Sommer in je 10 bis 12 Vorleſungen
eine Einfuͤhrung in das Verſtaͤndnis von Goethes Samm—
lungen gaben; ſie ſollen weitergefuͤhrt und kuͤnftig auch
fuͤr Beſucher einzelner Vorleſungen zugaͤnglich ſein.
Die verwaltungstechniſchen Arbeiten der Direktion nah—
men ihren regelmaͤßigen Verlauf: es wurde an der Auf—
ſtellung der Handzeichnungen und der Kupferſtiche, auch
der Muͤnzen, weiter gearbeitet; die Bibliothek Goethes,
deren Katalog von Profeſſor Dr. Schuͤddekopf des Krieges
wegen nicht weiter gedruckt werden konnte, wurde von der
360
Oberlehrerin Fräulein von Keudell geordnet; das zweite
Heft des ‚Führers durch das Goethe-National-Muſeum“,
das die im Anbau befindlichen Sammlungen beſchreibt,
konnte endlich bis zum Druck gebracht werden, nachdem
die verſchiedenen Mitarbeiter, von denen der Krieg bisher
einige an der Vollendung der Beitraͤge verhindert hatte,
ihre Manuſkripte beigeſteuert haben; für den in England
internierten Zoologen Dr. Lehrs iſt, um den Druck nicht
laͤnger zu verzoͤgern, Profeſſor Dr. Plate in Jena freund—
lichſt eingetreten.
Von neuen Erwerbungen iſt wenig zu berichten: außer
einer Handzeichnung von Goethe, aus Privatbeſitz, und
einigen Buͤchern wurde nichts gekauft. An Geſchenken er—
hielt das Muſeum von Fraͤulein Martini in Weimar meh—
rere Portraͤtſtiche von Zeitgenoſſen Goethes, eine alte An—
ſicht von Goethes Gartenhaus und die Illuſtrationen zu
„Hermann und Dorothea“ von Oppenheim; Frau Pro—
feſſor Blumner in Berlin ſtiftete ein Bildnis Zelters, von
Bendiren geſtochen, und die vom Fuͤrſten Radziwill heraus—
gegebenen Lithographien zu „Fauſt“. Den guͤtigen Gebe:
rinnen gebuͤhrt ein verbindlicher Dank; und gedankt ſei
auch der „Vereinigung der Freunde des Goethehauſes“,
die nicht nur die Bildnisſammlung durch eine Anzahl von
Kupferſtichen vermehrte, ſondern auch fuͤr die Vollendung
der Ausſtattung des Phyſikſaales, des Studien- und des
Kunſtſammlungsſaales immer wieder groͤßere Summen
zur Verfuͤgung geſtellt hat. Die Mittel der Vereinigung
ſind leider infolge des Krieges weſentlich zuruͤckgegangen;
daher muß bei jeder Gelegenheit auf ſie als auf die wirk—
ſamſte Helferin des Goethehauſes hingewieſen und um
Anſchluß an ſie gebeten werden.
361
Verzeichnis
der ſeit dem 1. Mai 1915 neu eingetretenen Mitglieder
(Abgeſchloſſen Ende Juni 1916)
Deutſches Reich
Aachen
Jancke, Richard, Geh. Poſtrat
Allenſtein i/Oftpreußen
Luiſenſchule (Lyzeum)
Oberrealſchule, Staͤdt.
Almerichshofen (Lothringen)
Lummerzheim, Dr. Ferdinand,
Aſſ.⸗Arzt d. Ref.
Altenburg (S.A.)
Glaß, Frl. Luiſe, Schriftſtellerin
Altona
v. Bergmann, Dr. med. Guſtav,
Profeſſor
Rittergut Alt⸗Scherbitz
b / Schkeuditz (Prov. Sachſen)
Hofmann, Dr. Joh., Arzt
Apolda
Reform-Realgymnaſium, Großhz.
Bamberg
Tafel, Frau Emma, Direktorin d.
hoͤh. Maͤdchenſchule
Berlin nebſt Vororten
Berlin
Abelsdorff, Dr. Georg, Prof.
Alexander, Dr. M., Arzt
362
Baumann, Dr. Paul, Rechtsanw.
Bieſalſki, Dr. med. Konrad, Prof.
Cohn, Frau Geh. Mediz.⸗Rat
v. Dincklage, Frau
Dombrowſki, Erich, Hauptſchrift⸗
leiter des „Berliner Tageblattes“
Faktor, Dr. Emil, Feuilletoncedakt.
des „Berliner Boͤrſen uriers“
Frank, Willy, Zahnarzt
Friedheim, Frl. Mathilde
Fuͤrſtenheim, Dr. Franz, Fabrikbeſ.
u. Handelsrichter
Goldſchmidt, Dr. Viktor H., Literar⸗
hiſtoriker
Gottſchalk, Frau Prof. Margarete
Gubitz, Jul., Hauptſchriftleiter des
„Deutſchen Kurier“
Havenſtein, Dr., Wirkl. Geh. Rat,
Reichsbankpräft ident, Exz.
Hirſchberg, Dar Direktor
Jaffe, Frau Eliſe
Koehler, Georg, Kaufmann
Laſch, Frau Dr
Laſer, Rudolf, Kaufmann
Lilienthal, Leo, Juſtizrat
. Frau verw. Geh. Reg.⸗Rat
Norden, Jul., Fabrikant
Oberenck, Dr. Hermann, Juſtizrat
Palleske, Zahnarzt
v. Rheinbaben, Frh. Regier.⸗Aſſeſſor
Toebelmann, Frau verw. Baurat
Anna
Wahnſchaffe, Wirkl. Geh. Rat,
Unterſtaatsſekretaͤr, Erz.
Wolff, Dr. Moritz, Bergdirektor
Charlottenburg
Becker, Dr. jur. Otto
Cohn, Artur, Kaufmann
Goericke, Mar, Fabrikbeſitzer
Hajduk, A., Kunſtmaler
Janke, Frl. Irmgard
Jarislowſky, Frl. Hanna
oͤhler, Saul, Holzhaͤndler
Lazarus, Frau Landgerichtsrat
Emma
Nathan, Frl. Bertha
Neumann, Leonhard, Kaufmann
Wohlmann, Frau Lonny
Dahlem
Freund, Dr. Wilh., Rechtsanwalt
Hirſchberg, Dr. Leopold, Dozent
der Muſikwiſſenſchaft
Schoene, Frl. Julie, Oberlehrerin
Friedenau
Steinbrucker, Frau Dr. Charlotte
Friedrichsfelde
Steenbock, Heinrich, Gemeindekaſ—
ſenrendant
Grunewald
Buttgereit, Frau Elſe
Heffter, Frau Prof. Elſe
Hofmann, Albert, cand. ing.
Halenſee
Hrdina, Frau Bankdirektor Elſe
Lankwitz
Lazarus, Frl. Gertrud
Lichterfelde
Lotz, Dr. Ernſt, Prof.
Schwarz, Frau Kommerzienrat
Eliſabeth
Neutempelhof
Meyer, Frl. Dr. phil. Helene
Nikolasſee
Bouſſet, Johannes, Baurat
Pankow
Wilhelm, Oberlehrer
Schoͤneberg
Riengecker, Wirkl. Geh. Leg.-Rat
Ullmann, Frl. Gertrud
Steglitz
Schubart, Dr. W., Prof.
Wilmersdorf
Kornmann, Ralf, Komponiſt und
Schriftſteller
Sacks, Oskar, Kaufmann
Scherber, Paul
Blankeneſe by Hamburg
Schreyer, Dr. Lothar, Dramaturg
des Deutſchen Schauſpielhauſes
Bochum
Weitemeyer, Landgerichtsrat
Bonn
Kuhnt, Dr. Joachim
v. Witzleben, Heinz Detlev
Domaͤne Borntin
b/ Großkroͤſſin (Pommern)
Snethlage, Frau L.
Brandenburg a/ Havel
Knopf, Hauptmann
Braunſchweig
Brüggemann, Bruno, cand. germ.
Degener, Frl. Martha
Wolters, Dr. jur. Karl
Bremen
Farecht, Tom, Ober-Spielleiter
Tardel, Dr. Hermann, Prof.
363
Breslau
Kuͤhnau, Dr. med. W.
Kroll, Dr. Prof.
Britz b/ Berlin
Fuchs, Marc., Generaldirektor
Buͤhlau b Dresden
Wuſtmann, Dr. Rudolf, Prof.
Buxtehude (Hannover)
Winter, Frau Kommerzienrat
Celle
Buß, Georg, Senatspraͤſident
Haberling, Frl. Eliſ., Oberlehrerin
Coblenz
Bertram, Fritz, Kaufmann
Seligmann, Dr. Guſt., Kommer⸗
zienrat
Seligmann, Frau Kommerzienrat
Marie
Momm, Dr., Oberpraͤſidialrat
Coͤln a Rhein
Ruſſell, Frau Regierungs⸗Aſſeſſor
Coͤln-Braunsfeld
Michaelis, W., Kaufmann
Cottbus (Lauſitz)
Schindler, Ernſt, Rechtsanwalt
Voeltz, Georg, Lehrer
Cuxhaven
Hoffmann, Prof. Marine-Ober⸗
ſtabs arzt
Deſſau
Boͤmly, Karl, Intendanzrat
Deutſch-Puddiger
b/Wuſterwitz (Kr. Schlawe)
v. Blumenthal, Frau
Dortmund
Litten, Landrichter
364
Dresden
Arnhold, Dr. jur. Heinr., Bankier
Bibliothek, Koͤnigl. öfftl.
Fiſchinger, Frau Roſa
Hotop, Frau Elſe
Dresden-Niederloͤßnitz
Ziller, Frl. Frida
Duͤſſeldorf
Bagier, Dr.
Speyer, Max, Kaufmann
Steinicke, Frau Baronin
Elmshorn i/Holftein
Henſel, O., Zahntechniker
Eltville i Rhg.
v. Lucius, Freiin Irma
Erfurt
Kuͤhlewein, Dr. jur. Paul, Rechts⸗
anwalt
Erlangen
Graſer, Dr. med. Ernſt, Profeſſor,
Generalarzt
Will, Heinrich, cand. med, et phil.
Rittergut Ermlitz b/ Schkeuditz
(Kr. Merſeburg)
Apel, Theodor, Rittergutsbeſitzer
Eſſen a/ Ruhr
Heßberg, Dr. Richard, Chefarzt d.
Augenklinik
Frankfurt aM.
Pfeiffer⸗Belli, Dr. Wilhelm
Stadermann, Ernſt, Student
Freiburg i/Br.
Becker, Dr. Jul., Geh. Oberregie:
rungsrat
v. Groote, Frau
Friedrichroda
Bieling, Frau Dr. Luiſe
Geeſtemuͤnde
Bahrs, Dr. K., Oberlehrer
Gelſenkirchen
Heinroth, Beigeordneter
Gera (Reuß)
Literariſche Geſellſchaft
Gerbitz b Nienburg a Saale
(Anhalt)
v. Biler, Frau Major
Giſpersleben Kiliani
bj Erfurt
Oehlmann, Frl. Johanne
Gneven b. Rabenſteinfeld
(Mecklenburg⸗Schwerin)
Peterſen, Arthur, Nittmeifter
Godesberg ah.
Dernen, Frau Clara
Gottingen
Rabbow, Dr. Paul
Großenhain i. Sachſen
Barthels, Frau Rechtsanwalt Dr.
Guben
Schwarze, Dr. ing., Reg.⸗Baumſtr.
Zedner, Hans, Rechtsanwalt
Halle a Sa.
Karſten, Dr. Georg, Prof.
Kukluk, E., Direktor des General:
anzeigers
Schmidt, Dr. Karl, Prof.
Hamburg
Holle, Alfred
Jantzen, Joh.
Koehne, Frl. Charlotte
Koehne, Ernſt, Direktor d. Deutſch.
Schauſpielhauſes
Lenz, DDr. Mar, Profeſſor, Geh.
Reg.⸗Rat
Lewandowſfky, Dr. Felix, Arzt
Mecklenburg, Paul, Kaufmann
Meyer, Frl. Dr. phil., Oberlehrerin
Schlippe, Dr. med. Ludwig, Aſſi⸗
ſtenzarzt
Valentin, Frl. Eva
Wolfers, Eduard, Kaufmann
Hannover
Katz, Dr. Jul., Gerichtsaſſeſſor
Heidelberg
Bierbach, Dr. med. Joh., Privat:
gelehrter
Eymer, Dr. med. Heinrich
Schombardt, Frl. Marie,
stud. theol.
Hildesheim (Hannover)
Mosqua, Frau verw. Fabrikbeſ.
Maria
Jarotſchin (Pofen)
Rubenſohn, Erich, stud. phil.
Jena
Ackermann, Wilh., Pfarrer a. D.
Dieſel, Karl, Buchhalter
Dir, Frau verw. Rechtsanwalt
Ottilie
Koebe, Dr. Prof.
Zade, Frau Beatrice, Schriftſtellerin
Kabernberg (Kr. Eſſen)
Montel, Frl. Ellen
Karlsruhe /B.
Schulz, Geheimer Rat, Miniſt.⸗
Direktor
Kattowitz (O.⸗Schl.)
Pohlmann, Frau Oberbuͤrgermſtr.
Maria
365
Heilanſtalt Kennenburg
b/ Eßlingen a/ Neckar
Krauß, Dr. med. Reinhold, Sani⸗
taͤtsrat
Lehe a/ Weſer
Jentſch, Dr., Reg.⸗Rat
Leipzig
v. Beckerath, Dr. E.
Bornſtein, Dr. med. Karl
Credner, Frau Geheime Rat
Englaͤnder, Frl. Kaͤthe
Herfurth, Paul, Konſul (Mitglied
auf Lebenszeit)
Linnemann, Richard, Verlags⸗
buchhaͤndler
Meiner, Frau Hofrat Hertha
Naumann, Frau Marie
Pfeffer, Frl. Ilſe, stud, soc.
Pfeiffer, Heinrich, Direktor d. Leipz.
Illuſtrierten Zeitung
Poͤſchmann, Frau Oberamtsrichter
Dr.
Proffen, Wilhelm, Redakteur
Rille, Dr. J. H., Profeſſor
Roſenſtock, Frl. Lotte
Sauer, Guſtav, Redakteur
Seeger, Frl. Eliſabeth
Simon, Frau Rechtsanwalt Dr.
Marg.
Sonntag jun., Carl, Kaufmann
Tumpowſky, Dr. Rechtsanwalt
Vollrath, Dr. Hugo, Verlagsbuch⸗
haͤndler
Wolff, Frl. Emmy, stud. soc.
Lengenfeld u. Stein Eichsfeld)
Marſeille, Dr. G., Direktor d. Er⸗
N Schloß Biſchof⸗
ein
Magdeburg
Grube, Frau Fabrikbeſ. Franziska
Mayen (Rheinland)
Jooſt, Hermann, Rittmeiſter
366
Metz
Beck, Hans, Kaufmann
Muͤnchen
Horn, Friedrich, Major
Lohſe, Frau Paula
Walther, Frau Thereſe
Wuͤrth, Dr. Karl, Direktor
Oberfoͤrſterei Natteforth
Poſt Wulfen i / W.
Joly, Frl. Lieſel
Neu-Oberweim ar b/ Weimar
Caſtorf, Heino, Fabrikdirektor a.D.
Nordhauſen
Eylau, Juſtizrat
Pforta b Naumburg a/ Saale
Hubert, Dr. Kurt, Oberlehrer
Poſen
Baier, Dr. Wolfgang
Schoͤnebeck b Magdeburg
Duͤmling, Frau Irmgard
Spandau
Theel, Adalbert, Oberlehrer
Stettin
Braun, Paul, Kaufmann
Carganico, Frau Gerirud
Stralſund
Lehrerbibliothek des Gymnaſiums
Straßburg /Elſaß
Wollenberg, Dr. Prof., Geh. Med.:
Rat
Tuͤbingen
Fiſcher, Alexander, Buchhaͤndler
Waldheim i/Sachlen
Boͤttger, Ernſt, Fabrikbeſitzer
Weimar
v. Beaulieu-Marconnay, Freiherr,
Oberhofmeiſter, Oberſt z. D.
v. Bojanowslki, Frl. Eleonore,
Stiftsdame
Buſch, Aug., Lehrer a. D.
v. Criegern, DDr. Hermann, Kir⸗
chenrat
Danne, Frau G.
Engelmann, Richard, Profeſſor
Forchhammer, Ejnar, Kammer:
fänger
Forchhammer, Frau Nane
Fehre, Frau Margarete
Hamacher, Frau verw. Profeſſor
Hanna
Hamacher, Frl. Ellen
Laacke, Ernſt, Reichsbankvorſtand
Langenſtraß, Frau Dr.
Lazarus, Frl. Anna
Mutzenbecher, Dr., Reg.-Rat
Peterſen, Frl. Cecilie
Reinſch, Frau Johanna
Stichling, Frl. Anna
Stoͤrmer, Hans, Bankdirektor
v. Suter, Frau Mary
Ziegler, Frl. Maria, Lehrerin
Wernigerode a/Harz
Baumann, Eugen
Wittenberg (Bez. Halle)
Herroſé, Frl. Hanna
Oſterreich-Ungarn
Braun au i Boͤhmen
Langer, Eduard
Dobrzan b/Pilfen (Böhmen)
Dluhoſch, Dr. Karl Ernſt, Arzt
Kriegla ch (Steiermark)
Roſegger, Dr. Peter
Prag
Marguliés, Alfons
Wien
Emmerling, Frl. Wilhelmine
Gerold & Co., Buchhandlung
Schweiz
Baſel
Geigy-Hagenbach, K.
Geßler, Frl. M.
Buͤmpliz b/ Bern
Wirz⸗Wyß, Otto
Cham (Kanton Zug)
Baumgartner, B., Polizeidirektor
Zuͤrich
es Dr. R., Bankdirektor
Lorrodi, Dr. Eduard
Kunz, Dr. Hans
Meyer, Dr. Herm., Rechtsanwalt
Niederlande
Haarlem
Polak, Dr. Léon, Oberlehrer
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Pinger, Dr. W. R. R., Profeſſor
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Beethoven, L. van 298. 307. 309.
312/3. 316/22. 325. 327. 329.
331/2. 334. 336. 338. 343
Behrens, C. . 357. 359
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Belvedere bei Weimar 225. 250,
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Benda, S.
Bendiren, S.
Berg, .
Berger, .
Bergmann, J. .
Berka a. d. Ilm 253/4. 334. 337
Berlin X, 136. 154/5. 196. 221.
224. 234. 236. 252. 254. 256/7.
280. 283. 307. 310]2. 321. 323.
330, 343. 349. 353/4. 357]9.
361. — Bibliothek 298. 320. —
Döbbelinfches Theater 294. —
Liedertafel 310. 313/4.— Opern:
haus 310. — Singakademie 310
Berlin⸗ Grunewald... . 358/9
Berlioz, 9. N
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Bein, % .
Bertuch, F. J.. . . VI. 210. 225
Berviſſon, Dlle . 259
Beſſe, R . 359
Bettina ſ. Arnim
Beulwitz, F. A. v. l. 1357
Beyrich, . 0358
Beyſchlag, W. . 267
Bibel 1 12.— Apoſtelgeſchichte 112
Biberach in Schwaben ... 237
Biedermann, F., Freiherr v. 217.
323
—, W., Freiherr v. 191.
217.323
Bielefeld.
Bielefelds Hofbuchhandlung,
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Bielſchowsky, U. ...... 111
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Bismann, J. Au. 278
Bismarck, O., Fuͤrſt .. . 352
Be, C . 323
Blätter für literariſche Unter:
haltung . 200
Blankenhain bei Weimar . . 258
—, Grafſch aft 2358
Blocksberg ſ. Brocken
Blume, R.
Blumner, Frau
4
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4 . 328
Böhmen... „
Boͤttiger, K. A. 209/10. 224. 358
102
Boieldieu, F. A. 429
Boineburg⸗Lengsfeld, B., Frei⸗
ger 349
Boiſſerée, Gebrüder... . 315
— S.. ö
Bojanowski, P. v. . . 348.354
1
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BE ͤ 31s. 318
Bononia ſ. Bologna
Borchardt, N.. . . 174/86. 205
Botniſcher Meerbufen.. . . . 223
4 326
9
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357
361
303
375
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Be, 5... 2.174.203
Boweing, J. . 204
17
Brahms, J.. . 308. 327. 343
Brama nen 67
Brandt, H. F. V . 174. 203
Braunſchweig 299
, K. W. F., Herzog von 215. 236
Breitkopf, B. T. . 284/5
—, J. G. J. F
Breitkopf, J. G. J., deſſen
P
FP ae 0293
PFF 0
Brentano, Familie 135. 139. 141.
146.131. 1592161
—, Bettina, ſ. Arnim
—, Clemens 135, 139/40
—, Magd. Marg. Aug., geb.
Bußner (2. Frau von Cle⸗
mens) 39. 146/7
—, Maria, geb. Schröder
(Frau von Georg B.) 146/7. 151
—, Maximiliane, geb. v. La
Roche . 13/6. 293
—, deren Töchter . 135
—, deren Enkelin Maximi⸗
Rane iee Drree
—, Melina ſ. Guaita
—, Peter Anton
Breslau .
Breughel, P.
Brion, F.
Britannien ſ. England
Brizzi, A.
Brocken (Blocksberg)
Bronſart, J. v.
Bruch, M.
Brückner, E. T. J.
Brun, F., geb. Muͤnter . .. 314
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Buͤckebung.. . . . 300, 307
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Bürger, G. A...
Buͤrklin, a. nr
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Buff, Ch., ſ. Keſtner
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Gifs... 256
Burſchenſch aft 267/71
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Byron, Lord 171/2. 178/9. 187.
206/7
—, T. G. G. . 186/90. 206
Caglioſtro ſ. Balſamo
Calderon 213. 231/2. 255
Catan. 2.2 113/4
Emambel, EB... 187
N BE Are 112
SS 8; 41.7102 332
Carlowitz, R. vv. 41/99
Carlyle, Th... . 202/3. 205/6
Carteſius (Descartes). 7
Carvalho e Sampayo, D. de 7
Caſſel .. . 136. 140/2. 159. 309
%% an. 0 ER 189
SE; R 7
Caſtel Giovanni 108
Caſtella, E. v., geb. Graͤfin
h 357
Si, / 357
Catania 108. 110. 114
SS 329
San es 222
G 467
Champagne 249. 269
Charlottenburg 359
Sabdis 0% 111
ue, MW... 204
Cherubini, M. S. 255
G 41/8. 58. 77. 229
Chriſtliche Kirche 182/ (f.
auch: Katholiſche Kirche)
Shmoſa, 9B. 5
374
Claudius, Mm. 295
Clemen, H. C. A. . 267/71
Br .. e
Cohen, H.... An 329
Colloredo, H., Graf... . 211
Sondillac, E. B. de Mably de 194
Cornelius, Pp. ei
Corſar, Der, ſ. Weigl
Cotta, J. „
Couſin, V. 169/70. 190/9. 201. 216
Crébillon, C. P. J. de . 222
Curſchmann, . . 328
D. ())
Danemark. 329
Dalberg, K. Th. v. 14%¾8
Darmſtadt .. . . 102, 107. 298
Darwin, R. W.
Das Lied vom jungen Grafen
(Volkslied). . 286/8
Daſe, Muſiker
David, Koͤ nig 279
David d' Angers, J. L. 169/70,
199
Deetjen, W.. . . 265/6. 355. 357
Dehmel, R.
De la Chambre, M. C. 7
Dell'Orefice, Komponiſt .. . 329
Delphin⸗Verlag VI
Demokrito s TE
Der eiferſuͤchtige Knabe (Volks⸗
lieb. 288/90
Der Europäifche Bote. .. . 178
Der großmuͤtige Liebhaber
(anonymes Lied) 28/86. 290/2
Der Moskowiſche Bote ſ. Mos—
kowskoi Wjeſtnik
Descartes ſ. Catteſius
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Deſtouches, F. SS.
Deukalion
Deutſche Dichter-⸗Gedaͤchtnis—
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Deutſche Revue
Deutſche Rundſchau .. 230. 285
Deutſche Verlags-Anſtalt .. X
Deutſches Muſeum (Seit:
ſchrift) . 88
Deutſchland (Germanien) V. X.
41. 47. 68. 70/1. 82. 98. 100.
10305. 116. 119. 125. 134. 141.
169/71. 174/5, 177/80. 186/94,
197. 199/201. 204. 206. 219.
221/4. 226. 228. 254. 256.
266|7. 282/5. 292. 294. 29608.
301. 305. 310/1. 314/6. 328.
331/2. 343/53. 356/7
—, Wilhelm J. ſ. dort.
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Die Grenzboten . 52
Dienemann, J. H.. . . 249/50
—, deſſen Frau, geb. Horn 249/50
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Doͤbbelin, K. T. 294. 310
Doekber, . 359
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Donndorf, A. vs. 351
— 347. 354
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Dresden 228. 234. 266. 349. 358
Droſte⸗Huͤlshoff, A. v.. . . 328
Dürer, A. 42. 150. 153. 162
Duͤſſeldorf. . 295
Durand, E., geb. Engels . 252/3
Dyk, J. G. 1 b
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Eberl, . 221.228
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Eberwein, K. 256. 303/4. 328. 331
—, M. 328
Ebner⸗Eſchenbach, M., Frei⸗
frau v., geb. Gräfin Dubſky 349
Eckart, der getreue. 352
Eckermann, J. P. 201. 206. 219.
236. 278. 331
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Epinburg gs 173. 0
Edward (ſchott. Ballade) 300. 323
Egloffſtein, Caroline v., geb.
A 3.» an
—, Caroline, Gräfin v. . 195/6
—, Hermann, Freiherr v. . . 359
—, Julia, Graͤfin v.. . 195%
Egmont, L. Graf v. V. VIII. 137.
308, 311: 20, 2 373
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Ehlers, W. 26/6. 328
Ehrmann, J. C. „
Gbenſt kk 50 on
Eichendorff, J., Freiherr v. . 327
Einfiedel, F. H. v.. . 212. 228/
Eiſenaoc h. 221
Elſaß . 249. 251. 285
Elvershoͤh (daͤn. Zauberlied). 300
Sedos.
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Engels, E., ſ. Durand
England (Britannien) 77. 110.
115/6. 119. 170. 177. 187. 189.
201/3. 205. 207/8. 224. 254/5.
329, 345, 361
Enzyflopädiften . .
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Epimenides . . 252. 255/7
Epp, Maler . . 150. 153. 162/3
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Erinnyen 92
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Erlkoͤnigs Tochter (daͤniſche
Ballabe) > )) 99
Effer, R. Devereux, Graf v., 338
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Euphorion (Zeitſchrift)h ... 120
Europa . 171. 174. 177/8. 258
Europa (Zeitſchrift) .. 220. 236
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Eylenſtein, J. F. A.. . 297. 300
Fahlmer ſ. Schloſſer
Falk, J. D.. . 89. 201. 229
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Fauriel, C. C. 194. 198
Fauſt⸗ Sage . 181/2. 184
Favart, M. J. B., geb. Du
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Flachsland ſ. Herder
Fleiſcher, F. G. 284
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Foreign Review ...... 205
Forkel, J. N. 292
Fortunatus (Volksbuch) . . . 234
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Fou, Ur... IK
Frankfurt am Main XI. 39. 61.
100, 104/5. 136/17. 141/52. 156.
161.221. 237.247. 249. 278/82.
293/94. 300. 357. — Frauenſtein
279. — Goethe-Haus ſ. II. Re
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Literariſche Anſtalt Ruͤtten & Loe⸗
ning 247. 349. 358. — Meſſe
280. — Roͤmer 279. — Phyſika⸗
liſcher Verein 5. — Stadtbiblio⸗
thek 281. — Theater 280/1. —
Weidenhof 278
Frankfurter Gelehrte Anzei⸗
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Frankreich 7.60.105.169/70.177/8.
190. 192/6.199/200.205/6.208.
212.215.224/5.227.230/1.280,
283. 285. 294. 300. 329. 345
—, Napoleon I., Kaiſer von 172.
190. 202/3. 225. 245
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Freſe, J. . 158
Freſenius, M..
Freund, W. AMA. Bi
Friedlaender, M. 27/340. 38/4
—, deflen Gattin A., 286. 3583/4
Fritſch, J. F. ..
Frommann, Familie, in Jena 155
Funck, H ꝛ.
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Gade, N. W. an
Galilaͤ gg 210. 227
Galuppi, B. 306
Ganges 180
Ganymedes ... 103. 106/7. 308
Garbe, Verleger.. . . 104
Garben heim. 103
Geibel, ..
Geiſt, J. J. ..
Gellert, C. F F..
Genaſt, AA..
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Gentili, . 329
Geoffroy Saint Hilaire, E. de 197
Georg, Heiliger. . 273
Germanien ſ. Deutſchland
Gernhard, Frau 358
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Gernsbach 357
Gernsheim, F. 328
Geßner, S 102
Gießen. XI
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Giovinazzi, Sprachlehrer .. 278
Girardin, F. A. S. . 169/70, 200
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Gleichen-Rußwurm, A., Frei⸗
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Globe, Le(Pariſergeitſchrift) 192/3.
198/200. 205
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Gluck, C. W., Ritter v. 294/6. 307.
25. 327
—, deſſen Nichte Marianne. 296
Goͤchhauſen, Luiſe v. . 237
Goͤhler, G n
Goͤpfert, K. G. qH i 297
Goͤrner, J. V.. . 283. 293
Goͤſchen, G. J. 209
— 7. 103
Goetz, H. . 328
Goͤtz von Berlichingen V. VIII. 96.
107. 170. 200/1
deſſen Fran . . III
Goldhann, . . 359
Goldmark, KK. Qq—' é 328
Goldſmith, 0 . . 100
Sordigiant, 2. 329
Goten (gotiſch)) . . 183
Gotha. 246. 296. 356
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Gotter, F. W.
Gotthold & Comp.
Gottſched, J. W.
Gounod, Ch. F.
Graͤf, H. G. 245/62.
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Graun, 8.9...
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Grécourt, J. W. de.
Gregoir, KRomponift . . .
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Grétry, A. EG. M.
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Grillparzer, J. 215
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Guaita, M. M. (Melina) C.
F., geb. Brentano 139/43. 151
Guben
Günther, C.
Guͤntter, O. vd.
Guglielmi, P...
Guizot, F. P. Ge.
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Guͤnderode, C. v.
154. 157
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Habsburg, Rudolf, Graf von 256
Hackert, P.
Händel, G. F..
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279. 327
Hagedorn, F. v.. . 283.293
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377
Halle an der Saale 267. 271, 349
Hamburg .. 226. 235, 347. 349
Hamilton, A., Graf v. . . 222
Hannover 266
Da,,
Hardenberg (Novalis), F. v. 109.
223. 225. 308
Harnack, 0. 204. 206
Hortung, .
Harz⸗ Gebirge . 308
Halten, J . 01329
Hauptmann, M. 328
Haydn, J. 297. 309. 314. 325.
327/8. 331
Haydon, B. R. e
Haymonskinder (Volksbuch) 215.
220
Heiler, XI
„ dess
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Hegel, G. W. F. 191. 194. 197/8
Heidelberg 145.147/8.153.191.249
Heiligenftadt 22320
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Heinemann, K. 1
—, Frau Generalin v. . . 358/9
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Hels 4. ae
Helmholtz, H. L. F. v. 13
Henderſon, Kunſtverleger 170. 201
Hendrich, F. L. v.. . . 229/30
Hennebert, Komponiſt . . . . 329
Hennings, A. vðd. . 100
Series a a 237
Herbing, A. B. V... . 284
Herder, J. G. v. 100 /. 189. 215.
223/4. 23/4. 285/6. 288. 290.
378
295[7.300/1.307.329/30.332/3.
335
Herder, deſſen Frau C., geb.
Flachs land 103
—, deſſen aͤlteſtersSohn W. G. 234
—, deſſen Schwiegertochter M.
H. C., geb. Schmidt . . 214
—, deſſen Enkelinnen K. E. A.
und A. L. NM. Re
Hering, ....
Hering, ..
Hetleth, Ka.
Hertz, W.
Herzogenberg, H. v. . 328
Heuer, 99.
Heygendorf, C. v., geb. Jage—
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Heyſe, P.
Hiller, F. . 328
Hiller, J. A.. 2824. 29/4. 297
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Himmel, F. 4
Hiob.
Hirzel, , „ ee
Hitzig, J. G...
Hochberg, Graff. q 328
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Hy, L. H. TH.
Hoͤlzer Wald ().. IX
Hoffmann, E. T. A. 292
Hohenlohe-Ingelfingen, F. L.,
Fuͤrſt v. 230. 235
Holland. 196. 344
Homer 100. 108/15. 185. 191.
319/20. 343
Hope of Pinfie, J.
—, deſſen Soͤhne ..
Hopfgarten, v...
Horat ins
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Humboldt, C. v., geb. v. Dache⸗
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Hummel, J. N.. 298%
Huſchke, W. E. CG. 259
Ich liebte nur Ismenen ſ. Der
großmuͤtige Liebhaber
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Ilmenau.. . . 81. 88. 236. 272
Indianer. 190
Inſel⸗Verlag .. . VII. 248. 357
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L . 281
Italien (Welſchland) 3.31.108/15.
120. 204. 208, 242/3. 278. 280.
297. 300/2. 306. 308. 310. 312.
316. 329/30, 333.
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Jacobi, F. H. 28. 140. 208 /. 221.
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Jagemann, C., ſ. Heygen—
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Janko, S. A.
2 RR
Jaxthauſen 173
Jena X. 13/7. 141. 153. 185. 204.
213. 216. 229. 235/6. 251/3.
EAN
NE Jar ae a
258/60. 267/711. 323. 349. 354.
357. 361. — Bibliothek 248.
268. — Botaniſcher Garten
209. — Burſchenſchaft ſ. dort.
— Graben 212. 209. — Markt
271. — Prinzeſſinnen-Garten
188. 207. — Reitbahn 270. —
Roſe 270. — Univerſitaͤt (Stu:
denten) 231. 255. 267/71. —
Wiſſenſchaftliche Inſtitute 268.
Jenaiſche Allgemeine Litera—
tur ⸗ Zeitung 226
Jenſen, Au. 327
Jeſus Chriſtus 67. 84. 91/2. 137.
210. 227. 246. 280
John, J. A. ... ah
Toner, Graf 150/1
Joſeph II., roͤmiſch-deutſcher
Nin
Journal der Romane .. 254
Journal des Debats . . 169. 197
Journal des Luxus und der
Moden
Journal fuͤr deutſche Frauen 209.
223
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Juden — 2 74
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Julianus Apoſtata . . 210.227
Juno Ludoviſ mi. 25
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Kaemmerer, pP. 3
Kampfer, Dae. 253
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Kalb, Familie vd 273
—, Ch. v., geb. Marſchalk
v. Oſthemmm 273
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Kalberieth h.. 272/3
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Kamtfhatla...... 180
Kanne, A. K., geb. Schoͤnkopf 284
Knebel, B. vw.
— K. L. v. 229. 25 778
—, L. v., geb. Rudorff . . 253
Kniep, C. H.. 108.110
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Kan, 78 43. 190 Königsberg in Preußen 140. 202
Karlsbad 13 7/8. 148 /. 18 1/2. 246. Koͤpenictf̃ e 2
248. 254. 256. 271. 317. 31% 0 Koͤppen, F. „
Karlsruhe in Baden .... 349 Koͤrner, C. Gw . 255
Katholiſche Kirche VII. 62. 92. 97. —, M., geb. Stock. . . 255
216. 258 Sc 255. 322
Kauffmann, MWM. 15 Roͤſter, Mi 103. 355
Kayſer, P. C. 300. 305/. 331. 333 Koͤtſchuh e
V 332 Kolonos 213
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Kentenich, .. 337 Kopenhagen BEE
Keſtner, Ch., geb. Buff IX. 100 / Koran 104 /
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Kirſch, J. C. S., geb. Muͤller 246.
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Klarmann, J. W.. 273
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Kleinrußland ſ. unter: Rußland
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Klopſtock, F. G. 75. 124. 179.295 /6.
312/3. 320
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Kruͤger⸗Weſtend, 9... . . 357
Kruſe, .. 9
—, deſſen frau ......» „253
Kuͤgelgen, G. v.. . . . 229.233
— H. M. v., geb. Zoege v.
Manteuffel
Kuhn, R.. 220. 236. 261
—, deſſen Großvater.. . 220
—, deſſen Frau
Kuhnan, J. 7
Kurz⸗Bernardon, J.. . 294. 301
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Lambel, H. 8
Landshut 149/51
La Roche, M. S. v., geb. Gu⸗
termann. 135. 237
—, deren Tochter M. ſ. Bren⸗
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Lauchſtaͤdt .. 148. 249. 256. 265
Lavater, J. K. 105. 209. 220. 250.
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Lawrence, J.. . . 173. 203. 254/5
—, deſſen Bruder ... 173. 203
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Lehmann, R.. . 116/34
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Leipzig XI. 5. 104. 200. 209. 221.
223. 235. 248. 260. 277. 281/85.
320. 355. 357/9. — Brühl 282.
— Gewandhaus (Tuchſpeicher)
282. — Schwanengaſthof 282.
— Theater 282/3. — Thomas⸗
kirche 281/2. 297
Leipziger Buchbinderei-Aktien⸗
Geſellſchaft . 349
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Leſſing, G. E. 214. 219. 224. 233.
316. 333
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Levetzow, U.0.. 2.2... 339/40
158
Lichnowsky, K., Fuͤrſt. . . 317
Lichtſtrahlen (Zeitſchrift) 215. 235
Lilieneron, D. v. 41. 44. 50/1. 77
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Lindemanns Buchhandl., H.
Lindpaintner, P. J. v. 328
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Lionardo da Vini 7
Lippe⸗ Detmold.. 267
Lippertſche Buchhandlung . 349
Lippmann, E. O. v... 12
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Lockhart, J. G. 171. 201ſ½
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London . 201. 20 232
Lortzing, B., geb. Elſermann 246.
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Lucretius Carus
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Ludwigshafen
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Luͤtzow, L. A. W., Freiherr v. 322
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Lungershauſen, Kollaborator 252
Luther, MW... „ 18
Luzerne County... 186. 190
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Maggiore, Theaterdirektor.
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Mahomet ſ. II. Regiſter
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Malebranche, .. 7
Malteſer⸗Orden .. 111. 113.255
Mandelsloh, Cl. v., geb. v.
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Mannheim. . . IX. 357/8
Manzoni, A.. . 192. 194. 197/9
Mara, G. E. La, geb. Schmeh⸗
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Maria, Jungfrau 258
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Marwitz, L. v. d. 230
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Maſſenbach, C. v.. . . 215.235
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Matthiſſon, F. vo.. . .. 312
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Mayne, . 116. 357
Medlenburg : Schwerin, C.,
Erbgroßherzogin von, geb.
Prinz. von S.: Weimar. .
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Megerlin, D. F. 104/5
Meinndus, . 428
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Mendelsſohn, MW.. 328
Mendelsſohn-Bartholdy, F.
278/9. 324/71. 336. 338
—, deſſen Angehörige. . .. 336
Menelaos 115. 181/3
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Wife, 1
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Merck, J. H. . . . 100. 105. 293
—, L. F., geb. Charbonnier . 293
Meſeb erg
Meſſina et
Methfeſſel, .. re
Metilſtein (Mittelſtein) ... 222
Metz 8
Meyer, J. H. 15 7/8. 208/38. 24/4.
252. 261/2
Meyerbeer, G.
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Michels, W.
Miller, J. M. „
Miinchen . . 259/60
Minneſinger
Minor, J.. EB
Miſſuri . 186
Mittellaͤndiſches Meer... . 170
Mittelſtein ſ. Metilftein
Mitternachtzeitung .. . 265
Monſigny, P. A. . . . 281. 294
Moraccius ſ. Marracei
Morgenblatt fuͤr gebildete
Staͤnde . . 191. 197. 2C0
Morgenſterns Buchhandl., J. 349
Moritz, K. Ph. 11%
Morris, M. 103. 110.280.283.293
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Moskau 74/80. 205
Moskowiſcher Telegraph . 177/8
Moskowskoi Wjeſtnik (Der Mos⸗
kowiſche Bote) 176/80. 205/6
Mottl, F. „
Mounier, J. J. 202. 210. 224/5
Mozart, W. A. 211. 228. 278/.
298. 306. 314/6. 323/68. 332
—, deſſen Vater. . 211
—, deſſen Frau 228
Muͤffling, F. F. K., Freiherr v. 215.
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Müller, Dlle . 2352/3
Muͤller, A. E. . 232. 297ſ⅝8
Müller, F. Maler) ..... 147
Müller, F. v. (Kanzler) 194/7.202.
207. 218. 230. 248. 322
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Müller, J. B.. 279/80
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Muͤnchen VI. 30. 140. 149/52. 157.
221. 297. 350. 357
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Muͤnſter in Weſtfalen . . . . 267
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Newton, J. 4½0. 45
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Paleſtrina, G. Pp. .. 306
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Paulſen, K. F. F. 281
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Paulus, C., geb. Paulus . . 223
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Radziwill, A. H., Fuͤrſt v. 303/5.
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Ramann, C. H. . 249.251
Rameau, J. 87. 316
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Ramler, K. W.
Raſoumowsky, A. K., Graf v. 317
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Rehauer Wald . 246/7
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Reichardt, J. F. 140. 288. 302.
307/11. 314. 331
Reichs kammergericht » »
Reinecke, K. 328
Reinhard, K. F., Graf v. 192/3.
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Reißiger, C. G. 328
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Rheinbaben, G., Freiherr v. 343,8.
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Riemer, C., geb. Ulrich 145. 157.
248. 252/3. 257. 260
, F. W. 140/3.155/8.162/3. 213.
2. 2752/3. 257.
261. 329
Rietz, J. 328
Rochlitz, F. 223. 313. 317. 319/20.
337
Rodenberg, J.
—, deſſen Frau
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Roethe, G. 117.355
Rom 41. 47. 55. 122. 157. 195.
204. 208. 217. 242/3. 261. 303.
306. 344
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Roſegger, P. K. 354½
Roſenbaum, Komponiſt. . . 284
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Rouſſeau, J. J. ͥQ . 124. 281
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Rubinſtein, M. . 329
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Rußland (Ruthenien) 174/86.
204/86. 246/7. 258. 317. 329. —
Klein⸗Rußland 178
—, Zar Alexander I. von . 167/8
—, Zar Nikolaus I. von . . 168
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Ruthenien ſ. Rußland
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Sachſen 222. 228. 235
—, Friedrich der Weiſe, Kur⸗
fuͤrſt von . .
—, Johann der Beſtaͤndige,
Kurfuͤrſt von 187
Sachſen-Meiningen, Fried:
rich, Prinz von 344
—, Ida, Prinzeſſin von, ſ.
Sachſen⸗-Weimar
Sachſen⸗Weimar, Land X. 174.
220. 257/8. 272/4 347. 347.
349/50. 353. 356
—, Fuͤrſtenhaus. . . 345/7. 351
—, Anna Amalia, Herzogin:
Mutter von 136. 299
—, Caroline, Prinzeſſin von,
ſ. Mecklenburg-Schwerin
, Feodora, Großherzogin von,
geb. Prinzeſſin von Sachſen⸗
Meiningen 3446. 348. 351.354
„Ida, Herzogin zu, geb. Prin⸗
zeſſin von Sachſen-Meinin⸗
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—, Karl Auguſt, Herzog (feit
1815 Großherzog) von XXI. 81.
187. 195. 197/8. 229. 235. 243.
246/7.257.261.272/4.345/7.358
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Sachſen⸗Weimar, Karl Auguft,
Herzog (ſeit 1815 Großher⸗
zog), deſſen Familie. . . 234
—, Karl Bernhard, Herzog zu 261
—, Karl Friedrich, Erbprinz
(ſeit 1828 Großherzog) von 168.
187/9
—, Luife, Herzogin (ſeit 1815
Großherzogin) von, geb.
Prinzeſſ. von Heſſen-Darm⸗
ftadt.. .
—, Maria Paulowna, Erb:
prinzeſſin (ſeit 1828 Groß:
herzogin) von, geb. Groß⸗
fuͤrſtin von Rußland . . 322
—, WilhelmEErnſt, Herzog von 299
237
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—, Wilhelm Ernſt, Großher⸗
zog von 346/8. 351. 354. 359
Saint:Beuve, Chin 199
Saint: Hilaire, ſ. Geoffroy
Eule Biene 329
o 144.211
Sankt Petersb urrrg 204
Sardanapall 206
CPP 314
Savigny, F. K. v. 135/86. 140.
148/52. 154/5
, K. L. K. v., geb. Brentano 135.
139/41. 149. 151. 154/5. 196
Schadow, J. G. 252
Schaper, . 354
Schardt, C. E. v., geb. Ir⸗
W 229
S nn 0.0: 290
FF. 284
Scheidemantel, O 358
DET 281
Schelling, F. W. J.. . . 44. 109
Scherer, W. 285
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Schewireff, S. . . 179/86. 205/6
Schikaneder, ꝶ .. 346
Schiller, Ch. v., geb. v. enge:
feld 157/9. 253
—, C. Fr. v. VIII X. 39. 77. 81/2.
179. 189. 192. 1952 20 RE
221. 232. 243/84. 254/5. 262.
265/6. 297. 309. 312/3. 331.—
An die Freude 314. — Briefe an:
Körner 255; Unger 254/89. Das
Lied von der Glocke 265 / v6. — De:
metrius 195. — Der Taucher 229.
— Die Braut von Meſſina 285.
— Don Carlos 255. — Dramen
297. — Journal fuͤr deutſche
Frauen 209. 223. — Muſen⸗Al⸗
manach für 1797 244. — Wal⸗
lenſtein 215/06. 236. — Xenien
gegen Reichardt 309
Schillings, M. v. 328
Schindler, M. 317
Schlangenbad 149
Schlegel, A. W. v. 109. 221/2. 232.
311
—, D. v., geb. Mendelsſohn,
geſchiedene Veit. 223
—, K. W. F. v. . 109. 221/½
Schloſſer, Familie, in Frank⸗
furt „
.. 147. 337
S.. 147
—, J., geb. Fahlmer
Schmehling, G. E., ſ. Mara
Schmeling, B. vs. 358
Schmidt, E. XI. 296. 321. 380. 383
Schmidt, J. „
Schneckenburger, Mm. X
Schneider, Frau . 272
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Schoͤnemann, A. E., ſ. Tuͤrck⸗
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Schoͤnkopf, Familie, in Leipzig 284
—, A. K., ſ. Kaune
Scholz, B
Scholze (Sperontes), J. ©. .
Schopenhauer, Arthur 18.
39/40. 226. 231/2. 315
—, J., geb. Troſiner 140/1. 143/4.
213/4. 218. 226. 228/9. 231/4.
252
Schottland
328
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30.
I
194. 202. 206
Schrattenholz, 2d. 328
Schroͤder⸗Devrient, W.. . . 326
Schroͤter, C. E. W. 282/4. 328
Schubert, F. 308. 321). 327. 331/
Schuchardt, J. C.. . . 236. 244
—, deſſen Erben 244
Schuͤddekopf, Ge. 360
Schünemann, G. ... 300. 307
Schuͤtz, J. H. F. 253/4. 334. 337
Schuͤtze, J. St. 228.232
Schukowſky, W. A. 178. 180. 204.
206
Schultheß, . 116
Be. |
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Schumann, C. J., geb. Wieck 326
Schumann, P. 357
Schumann, RK . 327
Schwarzwald IX
Schweitzer, M.. 290
Schweiz 83. 196. 242
Scott, W. 170/4. 178. 20004. —
Leben Napoleons 202/3.
Tagebuch 201. 203
Scott, W., deſſen Familie.
—, deſſen Frau
—, deſſen Soͤhne 172
—, deſſen aͤlteſte Tochter . 171/2
—, deſſen juͤngſte Tochter .. 172
Sebaſtiani, Theaterdirektor. 280
Seckendorf, F. K. L., Freiherr v. 140
Seckendorf-Abendar, K. F. S.,
171/2
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Senckenberg, J. . 278
Seſſen hein 230. 286
Seume, J. GG. 209. 223
Shakeſpeare, W. 116. 118/9, 130.
188. 21/4. 222. 256. 277. 315.
358. — Macbeth 210
—, deſſen Angehoͤrige . 188
—, deſſen Vater 116
Sieben weiſen Meiſter (Volks-
EEE 215. 220. 234/5
Siwa . 343
Silcher, F. . 328
Sienen 92. 110. 112
Sizilien (Trinakria) ... 108/15
SS 110%
Soͤmmering, S. T. v. 30
Gelingen... u... ale 8 358
Sontag, H. G. W.. 326
Sophokles. 213. 233
Sehne . 190
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Sperontes ſ. Scholze, J. S.
Si Di: u 3.4.2.0 330
Spohr, Kk. 323
—, deſſen Frau 323
Spontini, G.
Spridmann, A. Mm.
297
Saane 8 236
Stadthagen 357. 359
Staöl-Holftein, A. G., Baro⸗
nin v., geb. Necker . 190
Stau 2.5.2 Ars ters 282
Stange, Mm. N 8
2) 11.1127. 200
A 349
S u 1220
Bitten 7.0.23 ER
1 a RR 135/63
Stein zu Kochberg, Ch. v.,
geb. v. Schardt VI. VIII. IX.
122. 157/8. 243/4. 253. 303
Steinbruder, H. 358
Sternberg, K. M., Graf v. . 192
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222 ensietasiert 338
Stichling, 8. ..... 348. 354
S 226
CCC 3
Stock, Familie, in Frankfurt 145
Stockmann, A. 358
F 140
Straßburg im Elfaß 5. 101. 202.
285/6. 293
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Streicher, Th. . 328
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Studien zur vergleichenden
Literaturgeſchichte . . 283
Sturm: und Drang-Dichter 117
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Suͤpfle, T ů yr. . 192
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Taubert, E. .. 2 28
Taubert, W.
Telemann, G. P.. . 279
—, M. K., geb. Textor . . 279
Teplitz 54/5. 160.246.250. 317/20
Teubner, B. G.
Teuſcher, C F. GG RER
Textor, M...
r . 0
—, M. K., |. Telemann
Thamhayn, W 4
Theben in Afrika . q 186
Theokritoas
Thoranc, F., Reichsgraf v.. 280
Thuͤringen . . 222. 262
Thule 300. 311. 313
Tiberias⸗ See . II2
Dieck, C ..
—, J. L. 140. 157. 218. 223. 312
Tiedge, C. A. „„
S „„
Tomaſchek, W. J. 328
Tomſon (Tompfon?) . 2461
Trafalgar. .
Treuttel & Wuͤrz ... 172.202
Trevou rr
3 „ % u 7
Ca ar
Trier.
Trinakria, ſ. Sizilien
Trippel, u.
Troja
Tſchaikowsky, P. 329
Tübingen
Tuͤrckheim, A. E. v., geb.
Schoͤnemannn .. . 61. 139
Tuͤrckh eim, K. v. I . 139
n - 104
ra 188
r 190
r 194
Ulrich, C., ſ. Riemer
o 297
N . 254
eee 2109
Unzelmann, K. A. F. W. W. 253
—, deſſen Sohn 9
Uwarow, S., Graf 204
440000 283
Vaders, A. MW. 297
AA 281
Varnhagen v. Enſe, R. A. F.,
A 223
Venedig. . .. 31. 47. 243.
Vereinigte Staaten vonNord—
— 186/7
Vergilius Maro . 238
I 225
o 242
DW ee 199
PA 225
Villemain, A. NRW. 193
Virgil ſ. Vergilius
Vogel, C. G. K. .D 257
J 328
221
N..... . 328
Volksbuͤcher .. .. 215. 220. 234
Voltaire, F. M. Arouet de 7. 201.
222. 25
Von den Fiſcher und ſyner Fru 225
Von den Machandelboom. . 225
Voß, J. H.. . 12. 314. 343
Vulpius, C. l.
—, H., geb. Deahna ..
—, J. F.
—, S. C, ſ. II. Regiſter:
Goethes Gattin
e
Wagner, R... . VIII. 328. 333
Wahle, J.. . . 167/207. 254
Walde, H. () . 244
Wallenſtein, A. W. E., Graf v.,
Herzog v. Friedland. . . 215
Walther, J. S. 290
Wiha 167/8
Wartburg s
Weber, B. A. 252. 328
, K. M. v.. . 322. 325. 327/8
—, deſſen Vater 323
—, deſſen Mu iter 323
Weigl, J. (Der Corſaraus Liebe) 146
Weimar VI/ VII. XII. 122. 136.
138/89. 14½. 149, 151. 15.
156/7. 159/60, 162/3. 167/70.
173. 186. 188/. 191. 194, 196.
198/204. 210. 213.216½. 2201.
225/6. 228. 231. 233/6. 242.
247. 250. 252. 254. 258. 261.
266. 272. 293. 296/300. 3060/8.
314/5. 318. 322/6. 328. 336/7.
345/9.354/8. 361. — Alexander⸗
hof (jegtFürftenhof) 258. — Bel⸗
vedere ſ. dort. — Bibliothek 140.
199. 209. 248. 257. 357. — Er:
holung 343. 348. 35 1.— Frauen:
plan 261. — Gymnaſium 357.
359, — Haus: Archiv 189. —
Hof 151/2. 157. 162. 235. 243.
257/ö8. 296. 299/301. — Hof:
kapelle 296/8. 343. — Hoftheater
141. 210. 212. 214. 229. 232/4,
389
246. 252. 254/71. 259. 265/6.
296. 303, 31½ , 323, 333.343,
— Kammer 273. — Kunſtaus⸗
ftelung158/60.162.227.— Lan:
des⸗Induſtrie⸗Comptoir 225. —
Landſchaftskollegium 236. —
Leichenhaus 261. — Liebhaber:
theater 243. 301. — Loge 299.
— Minifterium 220. 359. —
Muͤnzkabinett 167/8. — Park
195. — Roͤmiſches Haus 157.
— Schloßlirche 296. — Schwan
255. — Staats⸗Archiv 168. —
Stadthaus 228/90. — Stadt:
kirche 257. — Theater ſ. 1. Hof:
theater, 2. Liebhabertheater. —
Zeichenſchule 217. 236. 242
Weimarer Kunſt⸗Freunde .. 218
Weimariſches Wochenblatt 210.
227. 27
Weimars Album zur 4. Saͤ⸗
kularfeier der Buchdrucker⸗
ff E10 232
Weingartner, F.. 328
Wi 2
Welſchland ſ. Italien
Wenner, M R 0% 4
G
Weſtermann, J. D. M.
Weſtfalen, Jeröme Bona:
parte, König... +...
Weſtpreußen f. unter: Preußen
Wetzlar 100%
W %
Wieck ſ. Schumann
Wieland, C. M. 124. 136/7. 189.
208 /. 215. 221. 237/8. 2956.
300. 332
—, deflen Vater
390
283
267
232
„
309
9
—
Wien 7. 139. 211. 228.277. 294½.
317. 319. 331. 349/50. 357
Wiener Kongreß. . . . 247.257
Wiesbaden .. .. 246. 261. 357
Wilhelm J., deutſcher Kaiſer,
König von Preußen .. . . 352
Wilkesbarre . . . 186. 190
Willemer, J. J. v.
—, M. A. K. T., geb. Jung 262.
317/. 332
Willmer, F. „
Willoughby, L. A. . 358
Winkel, Th. aus dem 211. 228/9
—, deren Vater 228
—, deren Mutter . . .. 228/9
Winter, P. vðv. 315. 328
Wittkowski, G85.
Wolf, E. W. 296/7. 299/300. 307
Welf, F. A.. 231.271
Wolf, Hd...
Wolf, W.
Wolff, A. A., geb. Malcolmi,
geſchied. Miller, geſchied.
Becker. „„
P. AA.
Wolzogen, C. v., geb. v. Len⸗
gefeld, geſchied. v. Beul⸗
Wizz -
Wüllner, ...
Wuͤrttemberrg »
Würzburg .
Wunderlich, G.
Wundt, M..
Wuſtmann, R.
Wyoming
— *
S * die
S er
197
+
-*
Zachariae, J. F. W. 28
Zahn & Jaenſch h.. . . 349
Zeitſchriftfuͤr Augenheilkunde? 1.27
Zelter, K. F. 206. 220/1. 229. 278.
31004. 317/8. 322/4. 326. 337/8.
361
%% 102
Zimmer, H. p õꝛßꝛßꝛ . 159
D 55
K :
C 125
2, 350, 357]9
Zumſteeg, J. R. 328
— . »» 110/1
391
II. Goethe
Seite
Bildniſſe 187. 242. 245. Bardua
233. — Bolt (?) 244. — Bovy
174.203. — Brandt 174. 203.—
David d' Angers 169/70. 199.—
Hecker XI. — Kauffmann 242.
— Kuͤgelgen 233. — Meyer
241/4.— Tiſchbein 242.— Trip:
pel XI. 242. — Walde (?) 244
Krankheiten XI. 244. 251. 260,1.
285
Großvater Goethe 27879
Großvater Tertoo 230
ee „„
Vater . . . 100. 261. 278. 307
Mutter 136/9. 141/5. 147/52. 157.
237. 247. 249. 261. 278%
Schweſter 101. 131. 261. 280. 284.
290
Verwandte in Frankfurt.. . 146
Familie 142/3. 157. 244. 249. 257.
Gattin VI/VII. IX. XI. 135/63,
220. 231. 243. 245/62. 349
Kinder (außer Auguſt) . . . 261
Sohn 136. 139. 142/9. 15/4. 156.
248/51. 257/61. 271
Schwiegertochter 186/90. 194/5.
197. 201/2. 206. 217. 248. 262,
271.359
392
Seite
GGG 2
Enkel Walther. 324. 358
Haus der Eltern in Frankfurt 280/1
Wohnhaus in Weimar 139/41.
156. 163. 188. 195. 220. 226.
230. 243/58. 258.26 1/2. 293.347.
361. — Arbeitszimmer 245/46.
259. 262. — Bibliothek 194.
360. — Klavier 293. — Schlaf:
zimmer 338. — f. auch: Goethe:
National⸗Muſeum
Hausgarten. . . 245. 250/1
Gartenhaͤuschen am Park 195. 244.
361
Dienftboten ... . 249/51. 259/60
Studentenzeit in Leipzig 277. 281/5
Studentenzeit in Straßburg 285/6.
293
G. ſammelt im Elſaß Volks⸗
Meder 285
Aufenthalt in Wetzlar. . . 100/7
Aufenthalt in Sizilien . 108/15
Autographenſammlung . . . 195
Sprache, dichteriſche .. . 41/99
Dole „„
Muſik, Verhältnis zur 277/340. —
Klavierſpiel 278. 293. 329, —
Gellofpiel 293. 329
n
Hauskapelle (Singſchule) .. 330
Theaterdirektion ... 255,6. 265
Wieland über G. 208/9
Ach neige, du Schmerzenreiche 324
Adler und Taube .. 103. 106/7
Alexis und Draa 308
Amor als Landſchaftsmaler 45.
47/8
An den Mond 77. 331
r. 50
An Madame Marie Szyma⸗
W 339/40
An Mademoiſelle Oeſer zu
o 44
An meine Goͤttin 48
An Mignon 311.321
An Schwager Kronos. . . 321
Aus Makariens Archiv . . . 194
Aus meinem Leben ſ. 1. Cam:
pagne in Frankreich, 2. Dich⸗
tung und Wahrheit, 3. Ita⸗
lieniſche Reiſe
Bekenntniſſe einer ſchoͤnen
Seele
Belſazar
Briefe an: Borchardt 205/6. —
Cariyle 202/3. 206. — David
d' Angers 199. — Ehrmann 229.
Gerning 203. — Goethe, Chri—
ſtiane 318; Cornelia 280. 284;
Ottilie 195. — Hayden 204. —
Herder 101. 104/5, 233. 285.
301/2. — Hitzig 193. — Hof:
theaterkommiſſion 298, — Jü⸗
gel 193. — Kay ſer 302. 333.
— Keſtner 102. Mandelsloh
35809. — Mendelsſohn-Bar⸗
tholdy 324/87. — Nicolovius,
e ee
ER EEE €
A. XI. — Reichardt 302. 308
— Reinhard, Graf 1923. —
Rochlitz 337. — Runge 226. —
Schiller 232. — Stein, Char⸗
lotte v. VI. 122. 303. — Stern:
berg 192. — Tuͤrckheim 139. —
Uwarow 204. — Warſchau, Uni⸗
verfität 167. — Willemer, M. v.
332. — Wolf, F. A. 231. —
Zelter 206. 220/1. 229. 302. 321
Briefwechſel mit: Arnim, Bettina
v. 138/56. — Goethe, Chriſtiane
VI/VI1. 247/51. — Jacobi 28.
— Schiller 39. 246. 262
Campagne in Frankreich. V
Chineſiſch-deutſche Jahres—
und Tageszeiten 47
Claudine v. Villa Bella 303. 307,8.
316. 328
Das Jahrmarktsfeſt zu Plun⸗
dersweilern 310
Das Veilchen 294,5. 303. 308. 314.
332
Das verlaſſene Dorf (von
Goloſmith, Überſetzung) .
8
e
100
Dauer im Wechſel 70
Dem Menſchen wie den Tie⸗
ren iſt ein Zwiſchenknochen
der obern Kinnlade zuzu⸗
Kim. RER 4
Demetrius (von Schiller, Plan
zur Vollendung 195
Den 6. Juni 1816 ..... 261
Der Bräutigam...» » 69
Der Ewige Jude 4,5
Der Fiſcher .. 69. 178. 300. 331
Der getreue Eckart... . 62. 70
Der Gott und die Bajadere. 329
Der Groß⸗Copht˖ an. 309
Der König in Thule 300. 311.313
Der Müllerin Reue. . 45
Der Muſenſonn . . 339
Der neue Amadis . . .. 50. 61
Der neue Copernicus.
Der Sang Pos
Der Totentanz.
Der untreue KnabtTXe
Der Wandrer . 102/3
Der Zauberfloͤte zweiter Teil 315
Der Zauberlehrling... . 259
Des Epimenides Erwachen 252.
255/7
Des Joſeph Balſamo, genannt
Caglioſtro, Stammbaum. 114
Dichtung und Wahrheit 101/2.
105. 158. 216. 219. 227. 278.
281. 315
Dichtungen I
Die Braut von Korinth.. 69/70
Die erſte Walpurgisnacht .. 320
Die Fiſcherinn . 302
Die Geheimniſſe. . 236
Die Geſchwiſ ter 299
Die Laune des Verliebten . . 283
Die Mitſchuldigen . . . 255
Die Nachtigall, fie war. . . 326
Die natürliche Tochter (Eu:
S
5 „
o nein RR
Die ſchoͤne Nacht .. 284/5. 308
IE SWEDEN ns
Die ungleichen Hausgenoſſen 257
Die Wahlverwandiſchaften 216.
236
Die wandelnde Glocke . .. 77
Divan, Weſtsoͤſtlicher . . . 258
Dramatiſche Dichtungen 200. 204
Du verſuchſt, o Sonne, ver:
, a u 2
394
Egmont V. VIII. 137. 308. 317.
320. 329, 337. 343
Elegie (Marienbader) ... 85
Elegien (Roͤmiſche) 47. 243. 261
Elpenor 213.231
Eypſium 10 00H
Entoptiſche Farben (Gedicht) 45. 70
Epheme rides.
Epigramme. Venedig 1790 47
Epilog zum Trauerſpiele
. 338
Epiphaniasfeſt.. 45%
Erklaͤrung eines alten Holz⸗
ſchnitte s
Erlkoͤnig 49. 200. 302/3. 308. 321
323/4. 328/9. 332
Erſter Verluſt ns
Erwache, Friedericke .. . 293
Erwin und Elmire 294/5. 299.
301/3. 332
Es rauſchet das Waſſer ... 303
Es war einmal ein König. . 317
Eugenie ſ. Die Natürliche
Tochter
Euphroſyne . . 308
Farbenlehre 3/40. 161. 211. 225
Fauſt V/ VI. IX/X. 315/7. 326.
329/30. — Erſter Teil VI. 51.
75. 93. 107. 180%. 188, 229
234. 30/5, 311. 317, 321, 32%
326. 361; als Melodrama 333.
— Zweiter Teil 98. 109. 26“.
299. 305. 324. 327. 334; He⸗
lena⸗Akt 179/86. 204/6
Geiger Gedanken. 344
Fels-Weihegeſang. 102/3. 106/7
Freudvoll und leidvoll. . . . 308
Ganymed. 103. 106/7. 308. 321
Gedichte V. 41/99. 178. 231. 277
n
9 68932 % Rue
308: 314.323. 327. 330. 358
(ſ. auch Lieder)
—„ in Wetzlar entſtanden . 100/7
Geiſtes⸗Gruß . . 308
Geſang der Geiſter uͤber den
—-—
ST N 65
Geſellige Lieder ....... 312
Gluͤckliche Fahrt .... 319. 326
Goͤtz von Berlichingen V. VIII.
96. 107. 170/1. 200/1
Hans Sachſens poeriſche Sen:
dung 54
Harfenſpieler (Lieder) 309. — Wer
nie ſein Brot 328. — Wer ſich
der Einſamkeit 311. 328
Harzreife im Winter. . . 47. 308
Heidenroͤslein .. . 77. 294. 321
Helena in Edinburg, Paris
und Moskau 200
Hermann und Dorothea (Epos) V.
184. 361
Hochzeitlied .. . 49. 62. 70. 324
Ihr verbluͤhet, ſuͤße Roſen 294. 303
Ilmenau am 3. September
1783 18 12
Iphigenie auf Tauris 184. 195.
243. 308. 329. 337
Irrtum verlaͤßt uns nie 188. 207
Italieniſche Reiſe ... 108/15
Jaͤgers Abendlied . 308
Jahrmarltsfeſt |. Das Jahr:
marktsfeſt
Jery und Baͤtely .... 303,
Johanna Sebuuuuns
Klaggeſang von der edlen
Frauen des Aſan Aga .. 49
Koran: Auszüge . .. 104
Kunft und Altertum 192. 200,
202. 206
nl
„
SE,
RR
328
69
9
W
La sposa rapita 280
Legende (Als noch verkannt) 54
Lieder 41/99. 277. 301. 308 /. 311.
321/2. 328. 331 (. auch: Ge:
dichte)
—, in Leipzig entſtanden . 28304
—, in Straßburg entſtanden 293/4
an Friederiſfe . 101
C 300. 344
R 61
Lyriſche Dichtungen .. . . 41/99
Mahomet (Drama)... . 103/7
Mahomets Geſang 50. 65/6. 103.
105/7
Mailied 69. 294. 317
Meeresſtille und Gluͤckliche
Fan 1
Meine Ruh iſt hin . 321
Metamorphoſe der Pflanzen
(Abhandlung) .. .. 4. 109
Mignon (Lieder) 309. 329. —
Kennſt du das Land 316/7. 332.
— Nur wer die Sehnſucht kennt
311
Mit einem gemalten Band 294.317
Nähe des Geliebten. .. . 314
Naturwiſſenſchaftliche Schrif—
RER RR” *
ER ; 3
Nauſikã as . 109. 113
Neudeutſche religios⸗ Rn
tiſche Kunſt. . 226
Neue Lieder in Melodien? ge⸗
ſetzt von B. T. Breitkopf 284/5
Neugriechiſch-Epirotiſche Hel—
denlieder . 194%
Neugriechiſche Liebe-Skolien 194/5.
326
(Euvres
Goethe
„ „
de
192. 200
395
dramatiques
„ e
Panne 5%
Paria . 61. 68
Pilgers Morgenlied 102/3. 106 /
Prometheus . . 96. 103. 107. 308
5
N ne a ae 218
Drofepman» 22220. 296
Prüft das Geſchick dich .. . 262
Rameaus Neff 316
Rechenſch affe. 313/4
Reineke Fuchs 184
Rezenſionen in den Frank
furter Gelehrten Anzeigen. 100
Ritter Curts Brautfahrt .. 46
Roͤmiſche Elegien . 47. 243. 261
Romeo und Julia. . . 358
Sanet Nepomuks Vorabend 78
Scherz, Liſt und Rache .. 306/7
Schriften (1787/90)... . . 103
Selige Sehnfuht.. . . . . 352
Singſpiele . 300/3. 305
„ wen. 4 1037
Tagebücher 101. 108. 139. 141/2.
144. 152. 154. 158. 196. 200.
202/5. 2258/6. 228/. 231. 234/6.
248.25 1. 2857/8. 260 /1. 268. 318
Tag: und Jahres⸗-Hefte 221. 226/7.
252
Tonlehre (Tafel zur) . . . 338
Torquato Taſſo 141. 195. 214.
237
Um Mitternacht 77. 228
Venetianiſche Epigramme .. 47
Vorſpiel zu Eroͤffnung des Weima⸗
riſchen Theaters 1807 214/5.
234
WallenſteinsLager(vonSchil⸗
ler, Mitarbeit) .. 215%. 236
Walter Scott: Leben Napo⸗
leons (Beſprechung) . . 202
396
Wanderers Sturmlied 70.103.327
Wandrers Nachtlied (beide Ge⸗
dichte) 309. — Über allen Gip⸗
feln 331
Weisſagungen des Bakis .. 49
Wem wohl das Gluͤck. 188. 207
Werke 163. 210/1. 316. 319%ê 20. 338
—, I. Cottaſche Ausgabe 213. 231
—, 3. Cottaſche Ausgabe
(legter Hand). . .. 206. 246
Werther 101. 103. 107. 113. 227.
321. 329
Weſtsoͤſtlicher Divan. . 258
Wilhelm Meiſters Lehrjahre VI.
116/34. 213. 223.231. 330. 334
—, Theatraliſche Sendung
(Ur⸗Meiſter) 116/34. 213. 231
Willkommen und Abſchied . 101
Wohl zu merten 99
Wonne der Wehmut. 308. 317
Xenien gegen Reichardt .. . 309
Zierlich denken 188
Zigeunerlied. . . 62. 77
Zueignung (Der Morgen
kamm)
Zur Logenfeier des 3. Septem⸗
bers 1825 1978. 299
Zwiſchenkiefer-Abhandlungſ.
Dem Menſchen uſw.
5 „
> DE yo
Goethe: Ausgabe, Weimarer 358
— —, Hempelfhe. ..... 5
— —, Volksausgabe XI. 350.353
— —, Der junge Goethe 103. 280.
283. 293
— —, Kriegs-Ausgabe (In⸗
ſel-Verlag ) N FÜGE
Goethe: National: Mufeum 220.
239/62. 347. 355/. 359/61
— *
Goethe- und Schiller: Archiv XI.
165/238. 347. 355/9
Goethe: Gefellihaft VI/VII. XI.
220. 261. 343/68
Schriften der Goethe-Geſell—
ſchaft XI. 271. 293. 295. 299.
305. 311. 349/50. 356
Goethe-Jahrbuch 103. 108. 110.
197. 231. 321. 326
Jahrbuch der Goethe-Geſell—
ſchaft XI / XII. 117. 272. 349.
35/0
Vereinigung der Freunde des
Goethe-Hauſes ... 244. 361
Wiener Goethe-Verein ... 349
English Goethe- Society. 203
397
Inhalt
Vorwort.. ++ ++ +. + +, + * ++ ++ ++ ++ 0 „*
Abhandlungen
Raehlmann, Eduard: Goethes Farbenlehre .. .
Carlowitz, Rie von: Das Impreſſioniſtiſche bei
Goethe (Sprachliche Streifzuͤge durch Goethes
C+6̈ß„ß d ee ee Fe
GloEl, Heinrich: Welche Gedichte Goethes find in
Wetzlar entſtande·er᷑:n nnn
Loewer, Karl: Goethes ſizilianiſche Odyſſee ..
Lehmann, Rudolf: Anton Reiſer und die Ent—
ſtehung des Wilhelm Meiſte r
Steig, Reinhold: Chriſtiane von Goethe und
41
100
108
116
Bettina Brentano (Mit ungedruckten Briefen) 135
Mitteilungen aus dem Goethe-und Schiller—
Archiv
Brief Goethes an die Univerſitaͤt Warſchau. Heraus—
gegeben von Julius Wahlle.
Beitraͤge zur Wuͤrdigung Goethes im Ausland.
Herausgegeben von Julius Wahle
1. Zwei Briefe von Vietor Couſin an Goethe (11. Auguſt
1829, 5. April 1830).
2. Zwei Briefe von Walter Scout an Gore G. Juli 1827,
11. September [1823]). *
3. Brief von Nicolaus Berhanı an Gh. 61. deus
1828 ..
. wie in alan zur dtn von
Rußland. „ e e ie BEE rn
398
4. Brief von T. G. G. n an Ottilie von ee
(25. Juni 1843) . „„ „ „ „ e \ |
Anmerkungen „1
Darin: Couſin an San v. „ Müller (. b 1825)
197; (6. April 1826) 1985 (26. Auguſt 1826) 199
Geſpraͤche mit Goethe. Aufgezeichnet von Heinrich
Meyer. Neu bekannt gemacht von Max Hecker. 208
Mitteilungen aus dem Goethe-National—
Muſeum
Das Goethe-Bildnis von Heinrich Meyer. Von
Wolfgang von Oettingen. „
Zum ſechſten Juni 1916. Eine Tubehunderterine
rung. Von Hans Gerhard Gräf. * >|
Neue und alte Quellen
Goethe und das Lied von der Glocke. Von Werner
A ir „ ZI
Goethe und die Jenaer Burſchenſchaft 1820. Mit⸗
geteilt von Robert Pahnc ke 16267
Ein Brief Carl Auguſts an den Kammerpraͤſiden—
ten Karl Alexander von Kalb. Mitgeteilt von Otto
o 1 .
Friedlaender, Max: Goethe 8 die Muſik (Feſt⸗
ee ĩ ĩ ͤ re Te
31. Jahresbericht (Berichtsjahr 191% 2
Verzeichnis der neu eingetretenen Mitglieder .. .. .. 362
Regiſter:
I. Perſonen- und Ortsnamen 371
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Druckfehler.
Seite 12: Neuhaus lies Neuhauß
„ 22 aufhält lies aufhellt
„ 104: Moraccius lies Marraccius
399
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PT Goethe-Gesellschaft „ Weimar
2045 Jahrbuch
G645
Bd. 3
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— pp TON
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