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Full text of "Jahrbuch für geschichte, sprache und literatur Elsass-Lothringens;"

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JAHRBUCH 



FÜR 



GESCHICHTE, SPRACHE UND LITERATUR 

^ ELSASS-LOTHRINGENS 



HERAUSGEGEBEN 



VON DEM 



HISTORISCH-LITERARISCHEN ZWEIGVEREIN 



DES 



VOGESEN-CLUBS 



XX. JAHRGANG. 






STRASSBURG 

J. H. ED. HEITZ (HEITZ & MÜNDEL). 

1904. 



STANFORD UNIVERSITY 
LIBRARIES 

tiüV 2 21983 



Inhalt. 



Seite 

J. Gedichte von ChristianSchmitt 5 

II. Ein Bild Friederike Brions von Dr. Thomas Stett- 

ner. l^^t Friederikens Bildnis 7 

III. Zur Biographie des Kafacher Chronisten Maternus 

Berler von The ob al d Walter 12 

IV. Die Adelsfamilie von Jestetten im Sulzmattertal von 

Theobald Walter 

V. Zur Geschichte des Post- und Reiseverkehrs im alten 

Strassburg von E. Eichler 25 

TL D' Ankunft der Strossburjer Schiff in Paris den 29. April 
1836. Zum Wiederabdruck gebracht von Julius 

Euting • . . . 53 

VII. Dagobert Sigismund Reichsgraf von Wurmser kaiser- 
licher Feldmarschall (Marschall <Vorwärts>), geb. 
zu Strassburg 7. Mai 1724, gest. zu Wien 21. August 
1797. Ein elsässer Lebens- und Charakterbild aus 
dem 18. Jahrhundert von S t ie ve-Zabern ... 60 
Till. Zu Montanus Gartengesellschaft. Mitteilung von Jo- 
hannes. Holte 78 

IX. Einem elsässischen Jesuiten zum Gedächtnis von 

J. Knepper 82 

X. Herder. Vortrag gehalten am 18. Dezember 1903 von 

Brnst Martin 92 

XL Das Strassburger Standbild des jungen Goethe. V. Be- 
richt von Ems t Martin mit Anhang . • . . . 108 
!XIa. Wolfhart Spangenberg Anbind- oder Fangbrieffe. Aus- 
züge von E. M 124 

XIL Unsere elsässischen Volkslieder von Wilhelm Teich- 
mann 130 

JXIII. Die Fremdwörter in den elsässischen Mundarten. Ein 
Beitrag zur elsässischen Dialektforschung von Karl 
Roos 161 



_ 4 — 

XIV. Sagen aus dem krummen Elsass, gesammelt von Lehrern 
und Lehrerinnen der Schulinspektion Saarunion, ver- 
öffentlicht von Ijjreisschulinspektor M e n g e s . . 263 
XV. Neue Belege für das Lebensbild des Philcsius Vogesi- 

gena von Dr. K. Klement 298 

XVL Die lUzacher Jäger. Mitteilung von Ernst Martin 302 

XVir. Chronik für 1903 .' 30:> 

XVIIL Sitzungsberichte 306 

Berichtigungen zu Jahrgang XIX 308 



I. 

Gedichte 

von 

Christian Sctimitt. 

1. Dezembern ebel. 

Unfrendig zielit der graue Tag 
Hinab, so trag, wie er gekommen. 
Eintönig schleicht sein Stundenschlag, 
Von keinem recht mit Lust vernommen. 

Müd irrt der schattenhafte Gast 

Von einem Dunkel in das andre. 

Als ob ein Geist, sich selbst zur Last, 

Nachtwandelnd stumm zu Grabe wandre. 

2. In der Höhe. 

Von der geliebten Heimatberge Kranz 
Zwei Gipfelränder leuchten aus der Ferne 
Zu meinem Dachgemach im Morgenglanz 
Herüber hinter Stadtwall und Kaserne. 

Zwei blaue Streifen nur, die spurlos schier 
Sich oft dem Blick verbergen und verschliessen, 
Und doch wie manches Mal Altäre mir, 
Von denen Kraft und Tröstung niederfliessen ! 

3. Stilles Bescheiden. 

Vom Himmel glänzen ohne Zahl 
Lichtspendend Stern und Sonnen. — 
Ich bin beglückt, wenn nur ein Strahl 
Mir täglich ist gewonnen. 



-« c — 

Viel tausend Halme stehn beim Schnitt 
Gebend von voller Aehre. — 
Ich sorge nicht: es wächst aach mit 
Das Brot, das mich ernähre. 

Ein Wipfel neigt im weiten Raom 

Sich jedem, der ermattet. — 

Aach dir, Herz, g^runt im Weh dein Baam» 

Der kühlend dich beschattet. 

Und ist sein Teil von Glück nnd Hald 
Dem Aermsten zugemessen : 
harre, Seele, mit Geduld ! ' 
Auch du bleibst nicht vergessen. 

4. Beruhigung. 

Die Jahre fallen und rinnen, 
Wie Tropfen in den Sand, 
Und jäh tilgt sie von hinnen 
Des Lebens Giutenbrand. 

Von all dem Glanz und Buhme 
Der Zeit bleibt kaum die Spur; 
Auch der ErinnVung Blume 
Blüht uns ein Weilchen nur. 

Doch bei dem Blick hinüber 
Auf das, was werden will, 
Wird hell dein Geist, dein trüber, 
Und in sich stark und still. 

5. Geburtstagsgruss. 

(Dem I. Präsidenten des Vogesenklubs, Professor Dr. Julius Euting'« 

Jung im Herzen, stark im Wollen, 

Ungebeugt von Leid nnd Streit, 

Liessest du voruberrolien, 

In dir fest, den Strom der Zeit. 

Unter Licht und Wettertreiben 

Sahn wir stets dir gleich dich bleiben. 

Ehre dem, der unverdrossen 
Und voll Mut das Seine schafft ! 
Täglich sieht er ausgegossen 
In sein Wirken neue Kraft. 

« 

Nichts wird ihm den Sinn beschweren ; 
Gunst und Lob kann er entbehren. 



IL 

Ein Bild Friederike Brions. 

Von 

Dr. Thomas Stettner. 

Als im Jahre 1866 auf ihrer letzten Ruhestatte in 
Meissenheim Friederike ein Denkmal gesetzt wurde, da musste 
sich der Künstler damit begnügen ein Idealbild als Erinnerungs- 
mal zu setzen, denn kein Bild, ja nicht der kleinste Schatten- 
riss, der ihre Züge zeigte, war damals bekannt. 1884 ver- 
öfTentlichte Th, Falck, der Biograph des unglücklichen Lenz, 
ein Oelbild aus dessen Nachlass, das eine jugendliche Elsässerin 
mit langen Zöpfen darstellt, ein mutmassliches Bild Friederikens. 
Aber da keine Aufschrift diese Vermutung sichert, fand es 
nicht allseitig Anerkennung und Könnecke nahm es in seinen 
Bilderatlas nicht auf, sondern verweist nur auf die Schilderung 
Goethes im 10. und 11. Buch von Dichtung und Wahrheit. 
So sind denn auch alle Darstellungen der Jugendliebe Goethes 
von Kaulbach, Rothbart, etc. Schöpfungen der freien Phan- 
tasie der Künstler. 

Welch freudiger Schreck durchzuckte mich deshalb, als 
ich den dem Hammer des Auktionators verfallenen Nachlass 
eines Künstlers, des Goethe-Illustrators Goldberg, musternd auf der 
Rückseite des Rähmchens einer anmutigen Silberstiftzeichnung 
in alter Schrift vermerkt fand : 

Frederike Brion 

von Sesenheim. 

Zeichnung von Tischbein. 

Es waren Tage unruhiger Spannung, bis das Bildchen 

nebst zwei hervorragend schönen Aquarellen, welche Christiane 

Vulpius darstellen und mit F. A. Tischbein gezeichnet sind, 

glücklich in meinen Besitz gelangt waren, und nun begann ein 



— 8 — 

gewissenhaftes Untersuchen, ob die Inschrift die Wahrheit 
spreche. Die Hterarischen Quellen über Friederikens Erscheinung, 
die* Technik des Bildchens, die Imponderabilien, die dem Sinn 
des Sammlers die Fährte zeigen, alles war der Bejahung 
göDstig, nur eine Frage Hess immer wieder dem Zweifel 
Raum — die Frage, die soviel Sorge bereitet hat, seit die Frau 
auf Erden wandelt : die Toilette. Friederike ist wohl 1752, spä- 
testens 1754 geboren. Siimmt das Kleid, das sie trägt zu dem 
Alter, in dem sie dargestellt ist? Die Frage Hess sich nicht 
mit voller Klarheit lösen und so musste ich den Schatz, den ich 
so gerne sogleich veröffentlicht hätte, lange Jahre für mich be- 
halten. Nachdem aber in unseren Tagen durch die Kleider- 
reformbewegung alles Material für die Tracht eben jener Zeit 
ans Tageslicht gezogen ist und kaum zu erwarten steht, 
da SS dasselbe sich noch vermehre, glaube ich die Frage dem 
öffenilichen Urteil unterbreiten zu sollen und komme gerne der 
Aufforderung nach das Bildchen dem Kreise von Goethefreunden 
vorzulegen, der sich des echten Bildes am meisten freuen würde. 
Als Begleitwort sei mir eine völlig unparteiische Vorlage der 
Gründe gestattet, die für und gegen die Authentizität sprechen. 

Das Bild ist eine Silberstiflzeichnung auf Pergament, das 
mit Kreidegrund überzogen ist, eine Technik, die von etwa 
1740 an bis in^s 19. Jahrhundert hinein sehr beliebt war. Von 
ungeschickler Hand ist später mit Bleistift die rückwärtige 
Masche und das herabhängende Haar eingezeichnet worden. 

Welcher von den zahlreichen Mitgliedern der Familie 
Tischbein der Schöpfer desselben sei, dafür war zum Glück 
durch die mit F. A. Tischbein gezeichneten Blätter aus dem 
gleichen Besitz ein Fingerzeig gegeben — es ist Johann Fried- 
rich August Tischbein, 1750—1812, ein entfernter Verwandter 
Wilhelms, des «Goethetischbeins». Er ging im Auftrag des 
Fürsten von Waldeck 1780 nach Paris, dann nach Italien und 
passierte also wohl in der Zeit, auf die es hier ankommt, öfters 
das Elsass.i Als Porträtmaler hochgeschätzt wurde er Oesers 
Nachfolger in Leipzig. Da er auch andere Porträts aus dem 
Goethekreis maltej wäre es leicht erklärlich, dass er auf einer 
seiner Reisen einen Abstecher in das weltabgeschiedene Oerlchen 
machte, wo Goethes einstiges Lieb wohnte, um ihr Bild zu be- 
sitzen. Ueber die Darstellungen, die von Friederike einst exi- 
stierten, finden wir bei Lucius (Fr. ßrion, pag. 170, Falck 
1. c. pag. XIII, Leyser, Goethe zu Strassburg) Nachricht, ohne 
däss für unser Bild ein Gewinn daraus zu ziehen wäre, da 



1 Die Nachricht von Friederikens Aufenthalt in Paris wird jetzt 
wohl allgemein als nnrichtig angenommen. 



— 10 — 

von seiner Sehnsucht nach ihr auf seinen unstaten Bahnen 
immer wieder nach Sessenheim zurückgezogen wurde, bis vor 
den Augen Friederikens sein Wahnsinn offen ausbrach . — 
Falck fand im Nachlass von Lenz, wie erwähnt, das Bild eines 
jungen Mädchens in elsässer Tracht, das er mit guten Gründen 
als das Bild Friederikens z:u erweisen suchte.» Wie verhält sich 
unser Bild zu diesem? Stimmten sie überein, so wären uns ja 
zwei Bilder geschenkt ! Die Vergleichung ist leider sehr erschwert 
durch den Altersunterschied in beiden und durch die verschiedene 
Stellung : dennoch aber scheint mir die Nase, das rundliche Kinn 
und die Bildung des Halses für die Identität zu sprechen. 

Kurz nur mochte ich noch auf zwei Punkte hinweisen, die 
gegen eine Fälschung der Inschrift unseres Bildes zu sprechen 
scheinen. Die Schreibweise Frederike setzte doch einen geradezu 
ratfinierten Fälscher voraus — und dagegen spricht die Psycho- 
logie des Fälschers ; der hätte die unechte Aufschrift sicher 
einem Bilde gegeben, das mit Goethes Schilderung sich auch 
äusserlich mehr gedeckt hätte! 

Nun aber bleibt uns noch das schwierigste Thema zu er- 
örtern, die Kleiderfrage. Auch das 18, Jahrhundert sah an 
seinem Ausgang unter den Stürmen der geistigen und sozialen 
Bewegung eine Kleiderreform entstehen, die jäh und gründlich 
mit der bestehenden Mode brach und dem einzelnen mehr 
Spielraum gewährte für die Gestaltung seiner Tracht. 

Das Kleid zeigt einen schlichten Halsausschnitt ohne Aus- 
putz ; ob es Bluse oder ganzes Kleid ist, ist nicht zu bestimmen. 
Die Aermel sind glatt, nicht weit und lang. Der nach Mieder- 
art geschnürte Gürtel sitzt ziemlich tief. Beim ersten Blick 
scheint es das Kostüm zu sein, das die ersten Jahre der fran- 
zösischen Republik geboren und das auf den Gesellschaftsbildern 
Debucourts und anderer Maler jener Jahre noch neben der 
allen Tracht erscheint. Aber bei näherem Zusehen erheben sich 
begründete Zweifel an dieser Annahme : das ganze Kleid macht 
einen so ausserordentlich einfachen Eindruck, dass wir eher an 
ein Hauskleid denken möchten, das sich das Pfarrerstöchterlein 
draussen gemacht, unabhängig von der städtischen Mode, und 
bei dem sie vielleicht aus der Volkstracht die hemdartige Bluse 
herübernahm. Der Maler mag sie dann bei einem flüchtigen 
Besuch so gezeichnet haben, wie er sie traf — es müsste schon 
ein sehr wenig eitles Mädchen gewesen sein, das diese Kleidung 
zu einem Porträt gewählt hätte ! Diese Möglichkeit der An- 
nahme eines individuell gewählten Kleides gaben die Kenner 



1 Abgebildet in seinem Werk : Friederike Brion, Berlin 1884^ 
und neaerdings in Heinemann: Goethe. 



— 11 - 

des Kostüms jener Zeit, die ich befragte, zu und erklärten die 
Anhaltspunkte für die Datierung desselben nicht für zwingend 
genug, um durch sie die Frage der Echtheit oder Unechtheit 
des Bildes zu entscheiden. 

Wie alt ist Friederike in unserer Darstellung? soll unsere 
letzte Frage sein. Beim ersten flüchtigen Blick erscheint sie 
wohl jedem als der Grenze der 2üer Jahre nahe; aber je ge- 
nauer wir zusehen, desto höher rückt ihr Alter hinauf. Der 
Zeichner hat dadurch, dass er auf jegliche Andeutung der 
Falten im Gesicht verzichtete, den Eindruck der Jugendlichkeit 
erreicht, aber die Kinnlinie, der etwas schlaffe Hals und die 
Büste lassen bei näherer Betrachtung doch das wirkliche Alter 
erkennen und wir stehen nicht an, dasselbe als der Grenze 
zwischen 30 und 40 sich nähernd zu bezeichnen. — 

Als Goethe 1812 den Teil von Dichtung und Wahrheit 
verfasste, der die Strassburger Zeit behandelt, weilte die, der 
er die Unsterblichkeit verleihen sollte, in einem weltabgeschie- 
denen Dorfe des Schwarzwaldes, den Ihrigen und den Armen 
selbstlos ihr Leben widmend. Ob sie vor ihrem 1813 erfolgten 
Tode noch Kenntnis bekam von jenem Buche, wissen wir nicht. 
Goethe aber war von der Erinnerung an jene Zeit so ergriffen, 
dass er, wie uns sein Sekretär erzählt, beim Diktieren dieser 
Episode seine tiefe Bewegung nicht bemeistern konnte, sondern 
in unruhigem Auf- und Abgehen mit allen Zeichen der Erregung 
in leisem Ton, als fürchte er geliebte Schatten heraufzube- 
schwören, diese Zeit erzählte. 

So ist denn auch keine Zeit aus Goethes Leben so viel und 
so leidenschaftlich besprochen worden wie die Sessenheimer 
Tage! Wie oft wurde und wird die Frage erörtert, welch andere 
Bahnen wohl Goethes Leben eingeschlagen hätte, wenn er 
seiner Neigung folgend die Pfarrerstochter zu seiner Frau ge- 
macht hätte ! Und wie hat um die Personen jener Zeit der 
Streit der Meinungen gelobt ! 

Wie war Friederikens Leben verlaufen? Vom . jungen 
Goethe innig geliebt, in tiefer, aber still verschlossener Liebe 
ihm zugetan ; darauf vom faustisch Vorwärtsstrebenden seiner 
Zukunft geopfert, ein Blümlein am Wege seiner Grösse, das 
sein Fuss zertrat — dann hinwelkend in der Erinnerung an 
kurze Sonnentage : eine Märtyrerin der Liebe ! Wer wünschte 
nicht die von Angesicht zu Angesicht zu kennen, deren Schick- 
sal uns menschlich so nahe geht und die als Gretchen die 
ewig wahre Klage verkörpert: «wie liebe mit leide ze jungest 
lönen kan» ! Möchte unser Bildchen dies Geschenk sein ! 



III. 

Zur 
Biographie des Rufacher Chronisten 

Maternus Berler. 

Von 

Theobald Walter. 

Uas urkundliche Material aus dem Rufacher Stadtarchiv 
über Berler habe ich bereits im Jahre 1900 in Nr. 45 des 
Vojfesenblattes (Beilage zur Strassburger Post) der OefFentlich- 
keit übergeben. Der Zufall liess mich im Staatsarchiv Bern 
einige weitere Nachrichten über die Personalien des edlen 
Chronisten finden, die ich hier nachtragen will. 

Berler kehrte nach dem Abschluss seiner Studien und 
nach seiner feierlichen Primiz am 28. April 4510 in sein Vater- 
haus zurück. Die registra computationum sigilliferi des 
Bistums Basel berichten nämlich aus dem Jahre 4510 : Domi- 
nus Maternus Berler y investitus ad Patrimonium palris sui, 
det n fl. Er wurde demnach gleichsam Hauskaplan seines 
Vaters, und als solcher fand er die Müsse zur Abfassung seiner 
Chronik. 

Von 1551 an verwaltete er in Creberschweier auch die 
Kaplaneien : i2, Junii i55'l com^missus Maternus Berler ad 
capellaniam sanctae Catharinae et primissariam beatae Vir- 
ginis in Geberschweier ; doch gibt er 1560 die Katharinen- 
pfrunde an Blasius Dubenschmidt ab. Dagegen erfahren wir 
1567: Maternus Berler commissus ad vicariam in Hattstatt, 

Sein Todesjahr ist unzweifelhaft 1575. Die Kaplaneiab- 
rechnung von 1575 im Gemeindearchiv Geberschweier be- 
richtet noch: Win-Zinss . . . Herr Matern Berler; freilich 



— 13 — 

fehlt der Eintrag des Quantums. Aber sicher lebte der Priester- 
greis noch bei Aufslellung des Registers. Allem Anscheine 
nach hat ihn der Herbst 1575 hin weggerafft, da 1576 ein 
Prozess mit seinen Erben bei der OfTizialität in Altkirch schwebt 
und in demselben Jahre ein Marx Seyler als Pfarrherr in 
Geberschweier auftritt. (Walter, Urkundenbuch von Rufach, 
71). Ein Testament von seiner Hand soll im Pfarrarchiv zii 
Geberschweier aufbewahrt werden. 



IV. 

Die Adelsfamilie von Jestetten im 

Sulzmatter tal. 

Von 

Theobald Walter. 

Uie Edlen von Jestetten führten ihren Namen nach einem 
Dorfe Jestetten, welches schon 870 Erwähnung findet, i und das 
im heutigen badischen Bezirksamt Waldshut liegt. Das Dörfchen 
besass merkwürdigerweise von altersher seine drei Burgen, auf 
denen drei verschiedene Geschlechter verschiedenen Stammes und 
Wappens hausten. Das eine hatte als Wappenbild ein Drei- 
blatt und ist schon 1435 mit Ritter Bilgerin von Jestetten ur- 
kundlich belegt, das zweite führte einen Eselskopf mit Hals, 
nannte sich die Meier von Jestetten und erscheint 4233 im 
Urkundenmaterial, und das dritte tritt 1349 mit Markwart und 
Hartmann von Jestetten in dön Bereich der geschichtlichen 
Forschungen und trug ein Mühlrad im Wappen. Alle drei 
waren mannhafte Geschlechter, die reiche Lehen im Klettgau, 
Thurgau und Zürichgau inne hatten und den umliegenden 
Stiften und Ableien tüchtige Vorsteher und eifrige Mitglieder 
abgaben. 2 Von dem letztgenannten Geschlechte war Heinrich 



1 Die Ausführungen im «Reichsland Elsass-Lothringen» S. 491 
sind hinfällig. Ueberhaupt hat schon SchöpÜln (Als. ill. IV, 202) 
geirrt, indem er behauptet Wasserstelzen und Jestetten seien zwei 
Burgen in Sulzmatt. Es gab nur eine Burg Wasserstelzen, und ihre 
Erbauer waren die Jestetten. 

* Vgl. Kindler von Knobloch, Oberbadisches Geschlechterbuch 
IL Band, S. 207. — Ein Bruder Julian von Jestetten soll nach der 
Thanner Chronik, I 552, 1438 Barfüsser in Thann gewesen sein. 



— 16 — 

sondere besassen sie im Sulzmattertale reiche Rebhalden und 
Wiesengründe, ja so^ar Höfe und Schlosser. Bereits 1345 hat 
Berchtold Stör dreissi^ Schatz Reben usser dem Burgtor, uf 
der Luss und hinter der Kirche als bischöfliches Lehen im 
Tal, die auf dessen Söhne Heitzmann und Hennin übergingen. 
Ulrich Stör nannte 1431 ein grosses Rebgelände am Sulzberge 
sein eigen. Dionysius Stör bewohnte 1496 Haus und Hof unter- 
halb der Schmiedgasse in Sulzmatt, und Paulus Stör, wohl der 
letzte der Sulzmatter Störe, war Herr der Wogenburg, die dessen 
Witwe Anastasia von Neuenfels 1547 an die Körner veräusserte» 
durch die sie dann an die Breitenlandenberger überging. ^ 

Zu welchen von diesen Stören Jakobea in verwandtschaft- 
licher Beziehung stand, lässt sich bis jetzt nicht erweisen. 
Auf alle Fälle aber stammte auch sie aus dem Sulzmattertal ; 
brachte sie doch ihrem Gemahl einen Hof im obern Tale, das 
sog. Wasserhaus, nebst Zubehör in die Ehe mit. Ins Sulz- 
mattertal war aber Konrad von Jestetten wohl durch die oben 
erwähnte Verwandtschaft mit dem Geschlechte der Blumeneck 
gekommen, das seit 1500 in Gemeinschaft mit den Schauen- 
burgern den alten Dinghof des Tales vom Bischof zu Lehen 
trug.« 

Konrad wurde zwar n^ch seines Vaters Tode von dem 
Grafen von Sub mit dem untern Schlosse in Jestetten belehnt ; 
aber das schöne Elsass war ihm inzwischen zur lieben Heimat 
geworden, ein treues Weib waltete am trauten heimischen 
Herde im fruchtreichen Vogesentale, und eine muntere Kinder- 
schar hatte sich eingestellt. Er verkaufte demnach sein Stamm- 
schloss jenseits des Rheines und erwarb sich dafür die elsäss- 
ische Besitzung Rothenburg. Er starb 1556 in Sulzmatt, wo 
ihm seine Gattin längst vorangegangen war. Sie hatten es nie 
zu glänzenden Vermögensverhältnissen gebracht, und das alte 
Wasserhaus war stets ihre schlichte Heimstätte geblieben. 
In ihr Erbe teilten sich fünf Kinder, von denen uns jedoch 
nur drei näher bekannt sind, nämlich Hans Martin, Heinrich 
und Hans Kaspar. 

Hans Martin wurde 1545 vom Grafen Johann von Sulz 
mit dem Turme in Jestetten belehnt ; er bewohnte indes Frei- 
burg und lebte dort noch 1549 als Satzbürger. 

Heinrich durchirrte ein unruhvolles Leben. Er trat in 
jungen Jahren in das nahegelegene Stift Murbach, und als am 
10. März 1542 der Abt Georg von Masmünster das Zeitliche 



^ Aus meiner Sammlung: Lehens- und Adels Verhältnisse im 
Sulzmattertal. '* 

* Bezirksarchiv Unterelsass, G 847. 



FRIEDERiKE DRION. 
Nach einer SiLber^IirizcichnunK von Tischbein, 



- 18 — 

lande beleimt, gab ihn aber mit allem Zubehör durch Vertrags 
vom 21. Dezember 1577 wieder an die Sulzer Grafen zurück. 

Hans Kaspar war trotz seines Wechsel vollen Lebens stets 
darauf bedacht gewesen, seinem gesunkenen Hause wieder zu 
Wohlstand und Ansehen zu verhelfen. Beim Tode seines 
Vaters war er allein in Sulzmatt anwesend ; er bestattete den 
Leichnam ehrenvoll in der Kirche des Ortes und ordnete die 
etwas zerrütteten Vermögensverhältnisse nach eigenem Ermessen, 
ohne seinen abwesenden Geschwistern irgendwelche Mitteilung 
zu machen.^ Er lebte mit Anna Höchlin von Sulzmatt im 
Konkubinat, und diese gebar ihm drei Söhne : Hans Georg, 
Hans Melchior und Hans ßalthasar, die alle 1557 noch am Leben 
waren. Auch sein Bruder Heinrich hatte zwei uneheliche 
Söhne Hans Heinrich und Adam. Da Hans Kaspar, wie schon 
erwähnt, ein tapferer Krieger war, der stets treu zu Kaiser 
und Reich gestanden hatte, so willfahrte Kaiser Ferdinand 
gerne seinen Bitten und legitimierte ihm durch Urkunde vom 20. 
Februar 1557 nicht nur seine Kinder, sondern auch die seines 
Bruders Heinrich. Ja schon am 20. April des folgenden Jahres 
verlieh er ihnen und ihrem Vetter Marx, dem Sohne des oben 
erwähnten Hans Martin, durch einen Adeli^brief, einen auf- 
rechten, vorwärts schauenden Pferdekopf mit Hals, geöffnetem 
Maule und roter Zunge in rubinrotem Schilde als Wappen. « 
Zwar fehlte jetzt dem neugeschaffenen Geschlecht noch ein 
fester anerkannter Adelssilz ; aber auch hierin wusste sich der 
schlaue Komtur zu helfen. 

Zu seinem Patrimonium in Sulzmatt gehörte das schon 
genannte, von den Stören ererbte Wasserbaus im obern Tale, 
mit dem Wassergraben und mit Haus, Hof, Scheune und 
Trotte ausserhalb der Umfassung, und diesem Sitze gab er nun, 
wohl in Erinnerung an die frühere Heimat seiner Ahnen, den 
Namen Wasserstelzen. Er vereinigte ferner mit dem Anwesen 
201/2 Schatz Reben, IIV2 Tagewerk Wiesen, 7 Juchart Acker, 
2 Wäldchen, 1 Sagemühle, 40 flf 10 ß Geldzinsen, 19 Viertel 
Roggen, 25 Vierlel Hafer und 1 Viertel Gerste Kornzinsen, und 
an sonstigen Gefällen 2 Hühner, 50 Wellen Stroh und 53« /2 
Ohmen Wein. Durch einen Schenkungsakt vom 23. Juni 1561 



J Seine Geschwister und Verwandten machten ihm deshalb 1579 
den Prozess. Es werden zehn Jahre später erwähnt : Anna von Jestetten 
und . . . Stehelin von Steckburg, Anna von Jestetten und Sebastian 
von Landenberg. Elisabeth von Jestetten und Martin von Achtsinnit 
von Neufferenburg und Maria Jakobea von Jestetten und Jakob Münch 
von Rosenberg. — Bezirksarchiv Oberelsass, C 1G8. 

2 Bezirksarchiv Unterelsass, G 860 und 8G2. 



— 19 - 

übergab er dann das Ganze durch die Hände des Landkom- 
luren Sigmund von Hornstein an die Deutschordensballei Elsass- 
Burgund, vielleicht in der Hoffnung, es als Adelslehen zurück 
zu erhalten. 

Der deutsche Orden nahm die schöne Schenkung an, aber 
die erhoffte Wiederbelehnung seiner Söhne blieb aus. Infolge- 
dessen machte der erbitterte Komtur im folgenden Jahre eine 
zweite Schenkung an den Bischof von Strassburg, ohne die 
erste zu widerrufen. An die üebergabe knüpfte er zugleich 
die Bedingung, dass das .Gut zu einem Adelssitz erhoben würde, 
und dass er und sein Sohn Hans Balthasar denselben als 
Vasallen des Bischofs in Lehen wieder erhielten. Zur Bestreit- 
ung der vielen damit verbundenen Kosten verkaufte er von 
dem väterlichen Erbe der alten Heimat den Zehnten von Eglisau 
zu 500 Gulden, i 

Die Errichtung eines adeligen Freisitzes im Tale von Sulzmatt 
liiess aber die Talgemeinde belasten. Der Bischof legte deshalb 
das Anerbieten des Komturs der versammelten Gemeinde zu 
Sulzmatt vor. Diese erklärte schriftlich ihre Zustimmung, obschon 
das Haus Wasserstelzen niemals ein Adelsitz gewesen sei, sondern 
stets Bürgerlichen als Wohnung gedient hätte, so noch im An- 
fang des Jahrhunderts dem Jerg Glattsam. Sie wollten jedoch 
nicht auf den Sitz vereidigt werden, da sie dem jeweiligen 
Besitzer als gute Nachbarn freiwillig Hilfe bei Kriegs- und 
Feuersgefahr bringen wollten. ^ Darauf erfolgte dann noch 1562 
die Belehnung der beiden; an Stelle des noch minderjährigen 
Hans Balthasar wurde dessen Vogt Philipp Welsinger vereidigt. 
Hans Balthasar trat erst 1570 in seine Rechte, und mit diesem 
Jahre begann der Umbau und teilweise Neubau des Schlosses. 

So hatte nun Hans Kaspar seinem Hause wieder eine 
sichere Heimstätte geschaffen. Allein die Hoffnungen, die er 
auf seinen Sohn gesetzt hatte, scheinen sich nicht erfüllt zu 
haben. Schon 1577 bewog er ihn durch allerhand Vorstellungen, 
zugunsten ihres Vetters Hans Christoph von Hagenbach auf 
das Lehen Verzicht zu leisten. Zwar verwandte er sich im 
Juni 1582 nochmals zugunsten seines Sohnes, als er den 
Bischof von Strassburg bat, demselben die erledigte Oberamt- 
mannsstelle in Rufach zu übertragen. Aber bald darauf erfolgte 
ein vollständiges Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn. Hans 
Kaspar zog sich grollend zu Johann Christoph von Hagenbach nach 
Waldkirch zurück und starb dort 1583. In einem Testamente 



1 Bezirksarchiv Oberelsass, C 168. 

8 Bezirksarchiv Oberelsass, Bericht des Vogtes Morand von 
Andlau vom 3. September 1562. 



— 20 — 

enterbte er seinen Sohn und setzte seinen Gastfreund und Hans 
Georg von Brönigbofen zu Haupterben seines gesamten Ver- 
mögens ein« 

Hans Balthasar war kinderlos mit Maria von Brünighofen 
verheiratet, und hierin ist vielleicht der Grund der väter- 
lichen Ungnade zu suchen. Nur mit Mühe und Not vermochte 
er den Adelssitz in Sulzmatt für sich und sein Weib zu retten. 
Denn nicht nur die Erbschleicher seines Vaters machten ihm 
das Lehen streitig, auch der Landkomtur Dietrich von Hohen- 
landenberg versuchte die Schenkung von 1561 für den Orden 
zur Geltung zu bringen. Die ersteren wurden von dem Bischof, 
der ihr Getriebe durchschaute, abgewiesen, und den deutschen 
Orden befriedigte Hans Balthasar 1585 durch eine Abfindungs- 
summe« 

Aber er wurde seines Lebens in Sulzmatt nicht wieder 
froh; mancherlei Anfeindungen aus der eigenen Familie und 
die häufigen Podagraanfalle verbitterten sein Gemüt. So Hess 
er 1588 seinem Schwager Hans Sebastian von Reinach unge- 
achtet aller Bitten und Versprechungen den Zehnten in Pfaflen- 
heim wegen rückständiger Zinsen pfänden. 

Im Jahre 1587 erlangte er vom Bischof das Versprechen, 
dass im Falle seines Todes seine Witwe lebenslänglich im Genuss 
des Lehens bliebe, das jedoch dadurch nicht aufhöre, Mannlehen 
zu sein. Zwei Jahre später vermachten sich dann beide Ehe- 
leute gegenseitig testamentarisch all ihr Hab und Gut. Nach 
dem Tode des letzten Ueberlebenden sollten sich Maria Doro- 
thea Gantziuncklerin,! Maria Cleophea Truchsess von Rheinfelden, 
geb. Brennerin, und Maria Beatrix von Brünighofen in die 
Hinterlassenschaft teilen. 

Am 22. September 1592 verstarb Hans Balthasar ohne 
Leibesegrben in Sulzmatt und wurde in der dortigen Kirche 
juxta defuncti pareniis ipsius monumenium ehrenvoll bestatte! . 
Das Lehen fiel nun an Hans Kaspar von Jestetten, den Burg- 
vogl von Bintzen, und dessen Bruder Marx Christoph. Die ver- 
witwete Maria von Brünighofen blieb aber laut der ebener 
wähnten Bestimmungen im Genuss der ganzen Hinterlassen- 
schaft.2 

Aber schon wenige Monate nach dem Tode Hans Baltha- 
sars belegte die vorderösterreichische Regierung die ganze Erb- 
schaft mit Beschlag. Sie behauptete nämlich, die Legitimier- 



^ Eine Dorethea von Jestetten war 1551 Witwe von Claudias 
Cantiuncula, der R. K. M. Kanzler im Oberelsass. 

- Bezirksarchiv Oberelsass, C 168; ebenda die ganze folgende 
Prozessgeschichte. 



00 

mit. Genehmigung des Bischofs etliche Gülerzinsen in PfafFen- 
heim und Umgegend. Aber der Tod ereilte ihn 1649, ehe alles 
zum Umzug bereit war. 

Auch sein Sohn Hans Kaspar verlegte seinen Wohnsitz 
zunächst nicht nach Sulzmalt. Denn als 1621 der Sulzmatler 
Arzt Jakob Federer und sein Adjunkt Christoph Schlilzweck ihre 
Wunderkuren am Sauerbrunnen zu Sulzmatt vornahmen, i stand 
das Schlösslein noch immer leer. Die beiden baten deshalb den 
Bischof, das Lehen den Jestetten zu kündigen und das Gebäude 
ihnen zur Verfügung zu stellen. Sie beabsichtigten daraus ein 
Badehaus zu machen und einen jungen Arzt und eine Apotheke 
hinein zu verlegen. Dadurch mag Hans Kaspar wohl bestimmt 
worden sein, die Uebersiedelung zu beschleunigen ; doch ist er 
in Sulzmatt erst 1627 als Pate nachweisbar. 

Er war vermählt mit Anastasia Rinck von Baldenstein zu 
Statzenturm und Neuershausen, mit der er nachweislich vier 
Kinder zeugte : Hans Kaspar Hieronymus, Franz Ignaz, Heinrich 
Christoph und Maria Franziska (geb. in Sulzmalt am 18. Januar 
1649). Infolge der Kriegszeiten erfolgte die Belehnung mit 
Wasserstelzen seitens des Bischofs erst am 23. Dezember 1648 und 
zwar so, dass Vater und Sohne zugleich investiert wurden. Im 
Jahre 1658 beschäftigte ihn wieder der Schlossbau, die Kriegs- 
jahre waren nicht ohne Spuren der Verwüstung an dem alten Sitze 
vorüber gegangen. Der Bischof ordnete eine genaue Untersuchung 
der Schäden an, doch im Verlaufe derselben starb Hans Kaspar in 
Sulzmalt und wurde am 24. März 1659 in der Kirche begraben. 

Von den drei Brüdern blieb der jüngste, Hans Kaspar, bei 
seiner verwitweten Mutter in der Heimat, die andern zogen 
gegen den Türken zu Felde. Bereits im Jahre 1664 hielt er im 
Namen seiner Bruder beim Bischof um die Belehnung mit dem 
väterlichen Erbe an ; der äusserte aber allerlei Bedenken. Die 
Witwe starb am 14. August 1669, und zwei der Söhne folgten 
ihr bald ins Jenseits nach. Eine Belehnung seitens des Bischofs 
erfolgte erst wieder 1686 für den überlebenden Heinrich Christopli 
und seine Söhne. 

Heinrich Christoph von Jestetten war vermählt mit Anna 
Elisabeth Dormenz von Pfaffenheim, von der ihm drei Kinder 
geboren wurden: Heinrich, Klara Anna Franziska (11. Dez. 
1670) und Gottfried Melchior (4. Juni 1674). 

Heinrich war 1691 als Novize in der Abtei Murbach, legte 



1 Vgl. Acidularum Sulzmattensium historica observatio, in qua 
praecipue effectus, qui ab ineunte anni Christiani MDCXIX Julie ad 
idem insequentis anni tempus circa varios corporis humani affectas 
exhibentur. Ms. im Bezirks archiv Colmar, Mundat, I 16, Nr. 2. 



- 23 - 

am 22. April desselben Jahres Profess ab, wobei er den Namen 
Augustinus erhielt. Im Jahre 1700 verliess er Murbach und 
begab sich nach Schwarzach in Franken.» Die Heimat erfuhr 
von da an nichts mehr von ihm. 

Auch Gottfried Melchior studierte in Murbach, um sich auf 
den geistlichen Stand vorzubereiten. Später ging er nach Prun- 
trut und gelangte durch Vermittelung des Bischofs von Basel, 
seines Verwandten, als Alumnus 1695 an das Collegium Ger- 
manicum ad st. ApoUinarem nach Rom. Dort fiel er bald in 
Ungnade, kehrte zurück und erhielt das Rektorat in Aesch, 
wo er am 11. November 1717 starb. 2 

Anna Elisabeth Dormenz starb am 5. Juli 1680, und der 
Witwer ging am 17. Januar 1681 eine zweite Ehe ein. Die 
Auserkorene war Anna Margaretha Blum von Horndorf. Auch 
aus dieser Ehe ging eine zahlreiche Nachkommenschaft hervor : 

Anna Margarelha, geb. am 11. November 1081, trat in das 
Stift Ottmarsheim. Am 18. August 1714 übergab ihr die ver- 
witwete Mutter vor dem Talschreiber in Sulzmatt ihr Erbteil, 
nämlich 100 Gulden ä 15 Batzen, 20 Viertel viererlei Fruchl- 
zinsen von dem grossen Meierhauser Lehen in Markolsheim, 
4 Schatz Reben am Niering in Sulzmatt und 1 '/2 Schatz im 
oberen Tale. Dafür verzichtete die Tochter auf alle Ansprüche 
sowohl an das väterliche als an das mütterliche Vermögen. Sie 
starb am 8. Dezember 1751.3 

Josephus Melchior, geb. am 27. Februar 1683, starb jung, 
desgleichen Anna Maria Margarethe 1693. 

Anastasia, geb. am 8. November 16Ü5, wurde J712 Dom- 
frau an St. Stephan in Strassburg. 

Ursula Katharina vermählte sich in erster Ehe mit Nikolaus 
de Balasti, der 1719 starb. Am 28. November 1726 ging sie 
mit dem verwitweten Job. Meinrad Jakob Zu Rhein von Pfastalt 
eine zweite Ehe ein.* 

JohannWilhelm Jakob, geb. den 31. Dezember 1696, wurde ein 

fahrender Kriegsmann und verscholl in venelianischen Diensten. 

Anna Elisabeth, vermählt mit Franz Konrad de Toussaints 
und in zweiter Ehe mit Philipp Heinrich von Rathsamhausen, 
starb am 16. September 1740 in Pfastatt.5 

Joseph Antonius, getauft den 30. Juni 1691, wählte den 
Priesterstand und feierte seine Primiz in Sulzmatt am 5. No- 



* Ingold, Diarium von Murbach, I 7 u. 70. 
2 Ebenda, II 83. 

8 Gemeindearchiv Sulzmatt, JJ 11. — Walter, Alsatia superior 
scpulta, 189. 

♦ Ingold, Diarium von Murbach, II 198. 
s Ebenda, III 130. 



— 24 — 

vember 1719. Er übernahm niemals eine cura animarum noch 
irgend ein ßeneficium, sondern lebte zurückgezogen auf seinem 
väterlichen Erbe im Tale und starb dort am 15. Dezember 17G1 
als der letzte männliche Sprosse des Stammes. 

Franz Wilhelm, der eigentlich dazu berufen schien, den 
Stamm weiter zu führen, war Fürstbischöflich Baselscher Vogt 
in Pruntrut und hatte sich mit Maria Anna Brimsing von 
Herblingen vermählt. i Als er am 28. April 1732 in Pruntrut 
starb, hinterliess er ausser fünf Töchtern ein am 29. September 
1728 geborenes Söhnlein Michael Konrad Franz Wilhelm Igna- 
tius; und kurze Zeit darauf, am \^. November 1732, kam die 
Witwe mit Zwillingen, Joseph und Johann Baptist, nieder. 
Doch starb der älteste Sohn schon 1734 in Masmünster, und 
die beiden jüngst geborenen überlebten ihren Eintritt ins Leben 
nur wenige Monde. 

Von den Mädchen starb Maria Anna Franziska am 28. De- 
zember 1758 in Sulzmatt, doch nicht im Schlosse der Ahnen, 
sondern bei den befreundeten Landenbergern. Maria Anna Ka- 
tharina Franziska wurde Stiftsdame in Ottmarsheim, ebenso 
Maria Regina Margaret ha in Schennis und M. J. N. L. K. 
Sidonia in Strassburg. Auch Maria Antonia war ursprünglich 
Stiftsdame in Andku, trat aber später in die Welt Äiiräek und 
verheiratete sich mit Franz Ignaz Fridolin Reich von Reichen- 
stein, dem Landvogt von Schliengen.« 

Maria Anna Brimsin von Herblingen starb als Witwe am 
11. Januar 1737 zu Thann und liegt in St. Theobalds Münster 
daselbst begraben. 3 

Somit erlosch, wie schon erwähnt, 1761 das Geschlecht 
der Jestetten im Mannesstamme vollständig, und das Sulzmatter 
Lehen mit dem Schloss Wasserstelzen fiel an den Bischof von 
Strassburg heim. Man fahndete zunächst noch einige Zeil nach 
dem verschollenen Wilhelm Jakob, und der Rufacher Obervogt 
Franz Leopold Junker wurde durch ein bischöfliches Mandat 
vom 22. April 1762 mit der Verwaltung des gesamten Jestet- 
tischen Lehens beauftragt. Da aber keinerlei Nachrichten über 
den Gesuchten einliefen, wurde im August desselben Jahres 
der Baron Franz Nikolaus von Spon damit belehnt, dessen 
Familie es beim Ausbruch der Revolution noch besass. 



i Ingold, Diarium von Murbach, III 29. 

2 Vgl. Kindler v. Knobloch. Oberbadisches Geschlechterbuch, 
n 205. 

3 Kirchenbücher von Thann. Bezirks archiv Unterelsass, G 862. 



V. 

Zur 

Geschichte des Post- und Reiseverkehrs 

im alten Strassburg. 

Von 

EFJchlflr 

Uas weite Gebiet der Geschichte des Verkehrswesens ist, 
obwohl es einen überaus wichtigen und lehrreichen Zweig der 
Geschichte der Kultur und der staatlichen Verwaltung bildet, 
vielleicht gerade, weil beide Gebiete berührend, bei weitem 
noch nicht ausreichend erforscht. Ausser dem klassischen Ge- 
schichtswerke von Stephan «Geschichte der preussischen Post 
u. s. w.» gibt es verhältnismässig nur wenige auf wissenschaft- 
lichen und archivalischen Quellen beruhende Schriften dieser 
Art. Deshalb darf auch die Bekanntgabe einzelner verkehrsge- 
schichtlicher Begebenheiten, die Darstellung einzelner Zeitab- 
schnitte des Verkehrslebens, soweit sie geeignet ist, ein helleres 
Licht in das Dunkel längst vergangener Zeiten zu werfen, nicht 
als überflüssig betrachtet werden. Solche Beiträge wirken an- 
regend und drängen zu weiterem Forschen. Von diesem Stand- 
punkt aus betrachtet, können auch die nachfolgenden Zeilen 
einiges Interesse beanspruchen. 

Seit den ältesten Zeiten deutscher Geschichte hat das 
Elsass fast andauernd im Vordergrunde der geschichtlichen Er- 
eignisse gestanden. Welterschütternde Begebenheiten haben 
auf elsässischem Boden sich abgespielt und ihre blutigen Spuren 
hinterlassen. Was könnte also für den Historiker wohl dank- 
barer sein, als eine Geschichte des Elsasses zu schreiben? Da 



- 2C — 

ist es denn nicht zu verwundern, wenn unzählige Gelehrte und 
Nichtgelehrte mit Eifer und zum TeJ hewundernswerlem Fleisse 
sich dieser Arbeit unterzogen haben. Und doch — wie stief- 
mutterlich sind in all diesen Werken last ohne Ausnahme die- 
jenigen privaten oder öfTentlichen Einrichtungen behandelt 
worden, welche die mehr oder weniger entwickelten Keime 
einer der gewaltigsten Verkehrsanstalten der Neuzeit, der heu- 
tigen Post, in sich tragen ! Dabei stehen unerschöpfliche ar- 
chivalische Quellen auf diesem Gebiete zur Verfügung. 

Es möge hier auf die verdienstvollen Forschungen von 
Löper und Rubsaini hingewiesen werden, die für die nach- 
stehenden Erörterungen eine wertvolle Grundlage darboten, je- 
doch in wichtigen Beziehungen der Ergänzung bedürfen. 

Die ersten Beförderungsanstalten. 

Die geographische Lage Strassburgs begünstigt den Ver- 
kehr der Einwohner mit den Bewohnern anderer Städte und 
Länder ungemein. Zwei natürliche Verkehrswege, schiffbare 
Flüsse, nämlich die III und die grosse Völkerstrasse, der Rhein, 
führen in unmittelbarer Nähe der alten freien Reichsstadt vor- 
bei. Uralte Kunststrassen gehen nach allen Richtungen, deren 
Entstehung uns in die graue Vorzeit des Römertums zurück- 
führt, wo der cursus publicus geregelte Verbindungen schuf 
zwischen dem römischen Kastell Argentoratum, dem heutigen 
Strassburg, und den umliegenden Lagern Tres Tabernae, Mons 
Brisiacus, Moguntiacum u. s. w. 

Mit dem Untergange der Römerherrschaft verschwindet 
auch diese hochentwickelte, einheitlich organisierte Staatspost. 
Wie auf den verschiedensten anderen Gebieten, so finden wir 
auch im Verkehrswesen im Beginne des Mittelalters ein Zurück- 
treten staatlicher Tätigkeil. Wo uns heut die geordnete Ver- 
waltung des machtvollen Staates entgegentritt, zeigt uns das 
Mittelalter in Strassburg, wie in andern grösseren Städten, wie 
die Aufgaben gesellschaftlicher W^ohlfahrt zuerst ganz vernach- 
lässigt, dann von einzelnen Verbänden wahrgenommen werden. 

Regelmässige Verbindungen, deren man nicht sowohl für 
politische Bedürfnisse, als namentlich auch im Interesse des 
ausgedehnten Handels und zur Uebermitlelung privater Nach- 
richten wohl bedurft hätte, bestanden nicht. Während des 
grösslen Teiles des Mittelalters konnte man sich zur Beförderung 



1 Vgl. Löper, Zar Geschichte des Verkehrs in Elsass- Lothringen, 
Strassburg 1873, und verschiedene Veröffentlichangeii desselben im 
Archive für Post und Telegraphie, sowie Rübsam im Archive f. P. 
u. T. Jahrgang 1893, S. 538 ff. 



— 27 - 

von Briefen nur zufälliger Gelegenheiten bedienen, sei es, dass 
man seine Korrespondenz irgend einem mehr oder minder be- 
kannten Reisenden anvertraute, der den Auftrag übernahm^ 
ohne indes die Ausführung sicher zu stellen, sei es, dass be- 
stimmte Handelsleute, die in rej^el massigen Zwischenräumen 
die Messen besuchten, gegen Vergütung die Vermittelung über- 
nahmen. 

Eine grosse Rolle sollen angeblich auch im Elsass die so- 
genannten <£ Metzger posten:!) gespielt haben. Dieser Erzählung 
begegnet man fast in der gesamten einschlägigen Literatur, ohne 
jedoch Belege hierfür angegeben zu finden. Man wird nicht 
fehlgehen, wenn man dies als eine Legende bezeichnet, deren 
Entstehen wohl versländlich ist, weil in mehreren anderen 
Gegenden des Reichs tatsächlich die Metzgerposten bestanden 
haben. In den alten Urkunden des Strassburger Stadtarchivs, 
die, man möchte sagen, über alle Vorkommnisse des täglichen 
Lebens Auskunft geben und die auch in zahlreichen Fällen auf 
Metzger sich beziehen, ist über die den Metzgern zugeschobene 
gewerbsmässige Beförderung von Briefen nichts zu ermitteln 
gewesen. Wohl aber taucht im 17. Jahrhundert in Strassburg 
eine unter städtischer Aufsicht stehende Metzgerpost auf, über 
welche Näheres weiter unten mitgeteilt werden wird, und die 
vielleicht zur Entstehung jener Legende mit beigetragen haben 
mag. 

Nebenbei mag hier erwähnt werden, was Piton, der eben- 
falls die Erzählung über die Beförderung von Briefen von 
Strassburg aus durch Metzger übernommen hat, in seinen» 
«Strasbourg illustre», Bd. II, S. 45 hervorhebt : 

^Eins ihrer Wahrzeichen treffen wir noch jetzt als alten 
Bekannten wieder. Das Hörn des deutschen Postillons ist nichts 
als eine Ueberlieferung aus längst vergangenen Tagen, wo die 
Metzger ebenfalls mit einem Hörn ausgerüstet waren, das ihre 
Anwesenheit in einer Gemeinde anzeigte und die Bauern, die 
Vieh zu verkaufen hatten, von den Feldern zusammenrief.» 

Das Bedürfnis zum Austausche von Nachrichten und Gul 
musste naturgemäss mit der fortschreitenden Kultur im Laufe 
der Zeit derartig sich steigern, dass die primitiven und un- 
sicheren Beförderungsangelegenheiten nicht mehr ausreichten. 
Nichts war natürlicher, als dass diejenigen Kreise, in denen 
jenes Bedürfnis besonders empfunden wurde, durch besondere 
Einrichtungen zu dessen Befriedigung schritten. Wir sehen 
daher, wie die ersten Bestrebungen dieser Art, die ersten An- 
sätze eines geordneten Postwesens von dem Brennpunkte des 
geistigen Lebens jener Zeit, der Geistlichkeit, ausgeht. Nach- 
dem die Bischöfe ihre Korrespondenz mit der Geistlichkeit der 



— 28 — 

Diözese lange Zeit durch wandernde Mönche oder durch Laien- 
hrüder, wohl auch durch besondere Boten, von Kloster zu 
Kloster bis zum Bestimmungsorte hatten befördern lassen, 
machten sie sich bald ihre politische Machtstellung auch für 
diesen Zweck dienstbar. Sie nahmen das feudum portandi 
iitteras für sich in Anspruch. 

Das in lateinischer Sprache abgefasste Erste Slrassburger 
Stadtrecht bestimmt nämlich in den Artikeln 88 und 89 was folgt : 

cZu den Rechten des Bischofs gehört es, dass ihm aus 
der Burgerschaft, und zwar nur aus der Zunft der Kaufleute, 
ti4 Boten zur Verfügung stehen, denen die Pflicht obliegt, in- 
nerhalb des Bistums die Botschaften des Bischofs an seine 
Leute zu überbringen. Wenn sie dabei irgendwelchen Schaden 
an ihrer Person oder an den Sachen, die sie bei sich führen, 
erleiden, so muss der Bischof diesen ersetzen. 

Jeder muss dreimal im Laufe eines Jahres' solche Bot- 
schaften auf Kosten des Bischofs ausführen. Der Bischof seiner- 
seits muss ihnen insofern Ehre erweisen, als er ihnen bei 
Festlichkeiten, die er seinen Leuten gibt, Ehrenplätze neben 
sich beim Essen anzuweisen hat, damit sie vor seinen Leuten 
desto besser erkannt werden.» 

Das Erste Strassburger Stadtrecht ist zwar erst nach dem 
Jahre 1129 aufgestellt worden ; es steht jedoch fest, dass seine 
Bestimmungen damals schon längere Zeit zu Recht bestanden * 
und dass sie keine neue Gesetzgebung darstellten, sondern viel- 
mehr den Zweck hatten, die schon längere Zeit bestehenden 
Rechtsgewohnheiten festzuhalten. Es ist daher nicht zu be- 
zweifeln, dass dieser Botendienst schon in der Blütezeit der 
bischöflichen Herrschaft, also wahrscheinlich schon im 10., spä- 
testens aber im 11. Jahrhundert, entstanden ist. Jedenfalls hat 
nach den bisherigen Forschungen kaum eine andere deutsche 
Stadt schon in so früher Zeit ein so geregeltes Boten wesen auf- 
zuweisen, wie Strassburg. 

Das Botenwesen im Mittelalter. 

Zu einer gewissen festen Gestaltung kam dieses Botenwesen 
erst durch die Schaff'ung der «geschworenen Läuferboten». Die 
daneben bestehende Einrichtung der sogenannten «Einspennigen», 



1 Nach dem vermutlich späteren deutschen Text (vgl. -»Die Al- 
teste Teutsche so wol Allgemeine Elsessische und Strassburgische 
Chronicke von Jacob von Königshoven. Herausgegeben von Schiltern. 
Strassburg 1698>) soll jeder Bote nur einmal im. Jahre in Anspruch 
genommen werden. 

'^ Schilter, a. a. 0., S. 621 und Hegel, Die Chroniken der deut- 
schen Städte, Bd. IX, S. 924. 



— 30 - 

gewesen. Der Dienstälteste führte den Titel «Oberbote», wie 
wir aus einer in der Schilterschen Bearbeitung der Königs- 
hovenschen Chronik abgedruckten Vollmacht des Rats für den 
«geschworenen Oberboten Hanns Meyger» vom Jahre 1477 ent- 
nehmen dürfen. 

In den Urkunden jener Zeil begegnen wir auch der Be- 
zeichnung «brieflreger»,» die zweifellos mit Läuferbote gleich- 
bedeutend ist. 

Dass die Einrichtung des Läufer boten wesens in Strassburg 
erst aus dem Jahre 132*2, in dem das Stadtrecht geschaffen 
wurde, stammen sollte, ist nicht anzunehmen. V^or i'622 ist 
ein geschlossenes Strassburger Stadtrecht nicht vorhanden 
gewesen, «wan (denn) vormols hatte men uf der Pfaltzen 
(Rathaus) kein buch und men rihtete noch gewonheil oder ie- 
derman noch sime sinne und der stelte reht und geselzede 
worent geschriben an viel briefen und zedeln, die men under- 
wilen nüt vinden künde, so men dernoch rihten wolte».« Mit 
der Ordnung des Materials und der Aufstellung des Gesetz- 
buches wurden «zwelf wise manne» beauftragt. Es geht daraus 
hervor, dass man in erster Linie nicht sowohl neue Rechtsbe- 
stimmungen schaffen, als vielmehr die alten sammeln und 
ordnen wollte und dass das städtische Botenwesen schon lange 
vorher bestanden haben mag. 

Eine Briefbeförderung zugunsten des Privat- und Geschäfts- 
verkehrs durch öffentliche Boten ist hiernach doch schon er- 
heblich früher vorhanden gewesen, als man gemeiniglich an- 
nimmt. 

Von regelmässigen Botengängen nach bestimmten Orten 
konnte bei dem gering entwickeilen Verkehr im Anfange natür- 
lich noch keine Rede sein. Nichtsdestoweniger erfreute sich 
die Einrichtung schon bald lebhafter Benutzung. Waren früher 
die Kaufleute und Burger genötigt, zur Nachrichtenvermiltlung 
jede sich darbietende Gelegenheit (Reisende, wandernde Mönche, 
Fuhrleute u. s. w.) zu benutzen, so ist es begreiflich, dass be- 
sonders den Kaufleuten eine solche Beförderungsgelegenheit 
willkommen sein musste. Wenn auch anfangs die Handels- 
korrespondenz unbedeutend war, weil die Kaufleule ihre Ge- 
schäfte meistens persönlich abmachten, und zwar hauptsächlich 
beim Besuche der grossen Messen und Märkte in Frankfurt:^ 



1 Im Strassburger Achtbuche, Verzeichnis aller in den Jahrerv- 
1388—1400 aus der Stadt Verbannten und ihrer Vergehen findet sict»- 
z. B. cHeinrich Bünckelin, der brieftreger> eingetragen, er cliet fün^ 
jare ussgesworen tages an den burgban und nahtes ein mile>. 

2 Hegel, a. a. 0., S. 744. 



- 31 - 

(Main), Leipzig, Lyon, Rheims, Troyes, wo der Umsatz der 
Handelsartikel vorzugsweise sich abwickelte, so bot diese Ge- 
legenheit den Kaufleuten doch so viele Vorteile, dass sie sich 
die Einrichtung bald fast ausschliesslich dienstbar machten, 
während die übrigen Bürger sie verhältnismässig am wenigsten 
benutzten. 

Diese offiziellen Boten kamen oft recht langsam vorwärts. 
Als einst ein Bischof den Ortschaften seiner Diözese dringende 
Nachrichten zu übermitteln hatte, übergab er sie einem lau- 
fenden Boten, der drei Batzen für die Marschstunde von jedem 
Interessenten einziehen sollte. Anstatt sich zu beeilen, hielt er 
sich nach der Reihe in Hagenau, Colmar u. s. w. auf und 
versuchte, jeden Magistrat um die Gesamtsumme der Kosten zu 
prellen, als wenn er besonders zu ihm entsandt worden wäre,* 

Der französische Sprachmeister Daniel Martin in Strassburg, 
der einen gewissen Ruf genoss, gibt uns in seinem Werke 
«New Parlement», Strassburg 1637, S. 329 ein anschauliches 
Bild über die Ausrüstung der Läuferboten, sowie über die Art 
und Weise, wie Privatleute ohne behördliche Vermitlelung Ab- 
machungen mit ihnen zu treffen pflegten. Die dort mitgeteilte 
Unterhaltung zwischen einem Fremden, einem Strassburger 
Bürger und einem Läuferboten möge deshalb, soweit sie für 
uns Interesse hat, hier Platz finden : 

«Guter freund | ist das nicht ein geschworner Strassburger 
Bothe.» 

«Ja I es ist einer : wie ihr leichtlich an seiner Liberey 
(Livree) sehen könnet / welche ist ein halb weiss vnd rothes 
Röcklein ; vnd an seiner Büchsen 2 / die er vbers hertz hencke 
hat / darauf! der Stadt Wappen ist» 

«So will ich dann hingehen / meine Gamaschen anziehen / 
vnd meinen springstock oder bottenspiess holen)). 

«Vnd ich gehe heim meinen BriefT | der schon ge- 
schrieben vnd zusammengelegt ist | zu verpitschieren. Er ist 
mit ziflern oder vnbekanten buchstaben geschrieben j die man 
nit aussiegen oder aussrathen kan | damit wann er auffgefangen 
werden solle ( mein geheimniss nicht offenbahrt werde : dann 
er stehet an einen man | der mit grossen reichshändeln vmb- 
gehet / vn dem ich wichtige Sachen zu wissen thue». 

«Schreibt ihr auff den BriefT keinen berieht | wo er zu 
erfahren sei ?» 

«Ja ( aber einen falschen : doch will ich euch dermassen 



J Mossmann, Materiaux, Revue d'Alsace, 1876, S. 327. 
* Die Büchse war aus Silber verfertigt; von 1562 an trugen die 
Boten auch noch ein kleines silbernes Schild auf der Brust. 



- 32 — 

unterrichten | wo er zu finden sey / das ihr nicht verfehlen 
könnet | ihrne meinen brieff zu lieffern*. 

Ueber die Vergütung erfahren wir nichts Bestimmtes ; er 
fahrt nämlich fort ; 

«Kompt nur zu mir heim / wann ihr fertig seyd j so werdet 
ihr auff einer tischecke ein hatbmass Wein / Brot vnd Käss 
finden | euch die Beine zu stärken / vnd das hertz zu erlusti- 
gen. Was eweren Lohn anlangt / so wollen wir wol eins 
drumb werden». 

«ich begehre nur dz ordinari, Geschichts aber das mir ein 
ehrlicher man etwas weiters gibt / nemme ichs für ein trinck- 
gelt an | vn dank ihm drumb | vnd befinde mich desswegen 
verbunden vnd schuldig ihm einander mahl noch fleissiger zu 
dienen». 

Besonderes Vertrauen scheinen die Boten aber nicht ge- 
nossen zu haben, denn an einer andern Stelle worden sie 
«Lugenschmidt» genannt. 

Am 20. März 1381 schliesst Strassburg mit Mainz, Worms, 
Speyer, Frankfurt, Hagenau, Weissenburg einen Bund auf 
drei Jahre und bereits am 17. Juni desselben Jahres tritt dieser 
Bund in ein enges Verhältnis zu dem schwäbischen Städtebund. 
Kurze Zeit darauf erfolgte der Anseht uss der schweizer Städte. 
Damit ist der Grund gelegt zu einer ausserordentlich regen, 
bedeutungsvollen und folgenschweren politischen Aktion, an der 
wir die Stadt Strassburg, die schon als die natürliche Führerin 
der kleinen elsässischen Städte und als Mittelpunkt eines bereits 
ausgedehnten und stets wachsenden Verkehrs eine einflussreiche 
Rolle spielt, stets an hervorragender Stelle teilnehmen sehen. 

Die Stellung dp» Stadt im Städtebunde bedingte den wei- 
teren Ausbau des ßotenwesens, da die Unterhaltung der Bundes- 
beziehungen eineii häufigen Austausch von Botschaften und 
eine gewisse Regelmässigkeit in den Botengängen notwendig 
machte. 1 In welchem Masse gerade Strassburg am Bundesver- 
kehr beteiligt war, zeigt uns eine Bemerkung in den Bundes- 
rechnungen 1388|1389 : 

«Gedenckent an der von Strassburg schribere, daz den 
ouch gelonet werde ire arbeit also andern schribern, wände 
(denn) sü von des gemeinen bundes wegen . . . . me geschriben 
hant denne in keiner stat uff dem Ryne geschrieben ist ussge- 
nommen der schriber zu Spire)).^ 

An einen Läuferboten Strassburgs aus dem Mittelalter 



1 Vgl. Näheres hierüber im Archive f. P. u. T. ; Jahrg. 1876, 
S. 201 ff. 

« ürkundenbuch der Stadt Strassburg, Bd. VI, S. 260|261. 



-an- 
knüpft sich eine interessante Sage. Es wird nämlich berichtet, 
dass ein solcher Bote beim Herannahen der Armagnaken an den 
Rat von Basel abgesandt worden sei, um diesen von der drohenden 
Gefahr in Kenntnis zu setzen. Der Bote soll den etwa 150 km 
langen Weg in einem Tage zurückgelegt haben und nachdem 
er das Schreiben übergeben, tot niedergefallen sein. Zur Er- 
innerung an dieses bemerkenswerte Ereignis wurde im Hofe der 
Kanzlei in Strassburg und über der Haupttreppe des Rathauses 
zu Basel eine diesen Boten darstellende Figur aufgestellte 

Fremdenverkehr und Verkehrsmittel 

in alter Zeit. 

Der allmähliche Aufbau des Münsters hatte ein ausser- 
ordentlich lebhaftes Zuströmen von Fremden im Gefolge, die 
aus aller Herren Länder herbeigereist kamen, das Weltwunder 
anzustaunen. Nicht wenig trug zur Hebung des Fremdenver- 
kehrs auch die Gewährung des Privilegiums einer Messe durch 
Ludwig den Baiern im Jahre 1336 bei («umb dangkbern dienst 
willen, die sie uns und dem Rieh gethan habend», wie es in 
der Urkunde heisst), so dass Strassburg nachgerade dieselbe 
Bedeutung für den Oberrhein erlangt hatte, wie das reiche und 
mächtige Göln für den Niederrhein. 

Meister und Rat der Stadt taten alles, um den Fremden- 
verkehr zu heben und das Aufblühen der Stadt zu begünstig^. 
Fremde Reisende wurden in Strassburg in zuvorkommendster 
Weise aufgenommen, durch besondere Verordnungen wurde 
dafür gesorgt, dass sie von den Einwohnern nicht übervorteilt 
wurden. Z. B. findet sich im Stadtarchiv eine Bekanntmachung 
des Rats aus Anlass eines im Jahre 1390 abzuhaltenden Turniers. 
Es heisst da^: 

«. . . . Wir wöllent och, daz alle die unsern, wer die sint, 
die fremden geste an allen köffen bescheidenliche und tügent- 
lichen haltent. 

Und mit namen so sollen t alle würte und würtin ir geste 
disen hof halten in solicher bescheiden heit und gedinge und nit 
me von in nemen denne also hie noch geschriben stot : . . . . 
(folgt ein Verzeichnis von Lebensmitteln u. s. w. mit Angabe 
der Preise) und wer sine mol (Mahlzeit) by inen nymet, von 
dem söllent sie von der herbergen nütschit nemen noch hei- 
schen, er gebe es in oder irme gesinde denne gerne ungehei- 
sehen und ungetunget ...» 



1 Mitteilungen der Gesellschaft für Erhaltung der geschichtlichen 
Denkmäler im Elsass. IL Folge, 18. Bd., Jahrg. 1897, Nr. 4320. 
8 Vgl. ürkundenbuch der Stadt Strassburg, Bd. VI, S. 318. 

3 



- 34 — 

Auch später ist der Rat stets in hervorragender Weise 
bemüht gewesen, den fremden Reisenden den Aufenthalt in 
Strassburg so angenehm wie möglich 'zu machen. So erzählt 
uns ein märkischer Edelmann Lewin von der Schulenburg ent- 
zuckt von dem (thochwisen Rathe, der mir ihren Stadthaupt- 
mann, gar einen versuchten Mann vc»n Adel, zugeordnet und 
der mir nicht allein das Zeughaus, sondern auch die Korn- 
häuser, Weinkeller, die Pfalz und alle anderen Sachen, so zu 
sehen, hat zeigen lassen».* 

Was die Beförderungsmitlel der Reisenden anlangt, so 
scheint man besondere Reisewagen vor dem 16. Jahrhundert 
nicht gekannt zu haben. Bemittelte Reisende pflegten ihre Reisen 
zu Pferde zurückzulegen. Die weniger wohlhabenden Personen 
und die Leute, die es nicht eilig hatten, reisten bescheiden zu 
Fuss, oder verslauten sich und ihr Gepäck in einem der 
grossen Rollwagen, die vornehmlich für den Warentransport 
eingerichtet waren. Der Hinlergrund war mit Ballen, Kisten, 
Fässern u. s. w. angefüllt, während man vorn auf beschränktem 
Räume eine bestimmte Anzahl von Plätzen angebracht hatte für 
den Führer, den Kaufherrn und seinen Gehülfen, manchmal 
auch seine Frau und u. a. für seine Freunde oder andere 
Landsleute, die dafür Zahlung leisteten ; alles überspannt von 
der riesigen Plandecke, die dem Regen und Sonnenschein, dem 
Sturme und wirbelnden Schnee mehr oder weniger Einlass ge- 
währte. Man kam natürlich nur langsam vorwärts und suchte 
die Zeit mit Reiselektüre oder Erzählen zu vertreiben. Ein 
elsässischer Dichter, Georg Wickram, der im 16. Jahrhundert 
lebte, hat deshalb einer seiner Anekdotensammlungen den Titel 
(cDas Rollwagenbüchlein» gegeben. 

Die Preise waren recht massig und den Verhältnissen und 
Ansprüchen angepasst. Z. B. ging im 15. Jahrhundert von 
Strassburg nach Zabern aliwöchentlich ein Rollwagen, der 
ausser den Handelsgütern auch Reisende mitnahm ; der Fuhr- 
lohn von einer Stadt nach der andern war im Sommer auf 
10 Pf. (nach jetzigem Gelde etwa 52 Pf.) für die Person und 
im Winter auf 1 ß (Schilling), d. s. 12 Pf. festgesetzt. Im 
nachfolgenden Jahrhundert wurde dieser Lohn um 2 Pf. im 
Sommer und 4 Pf. im Winter erhöht. Der Fuhrmann, den man 
gemeiniglich Roller nannte, erhielt seine Bestallung vom Bischof 
und musste ihm den Eid der Treue und des Gehorsams leisten. 2 



1 F. Hassel, Aus dem Reisetagebuche eines märkischen Edel- 
mannes (1602 —1609) vornehmlich über Strassburg. Hannover 1872, S. 38. 

*^ Dag. Fischer in La feuille du samedi (Elsassisches Samstags- 
blatt;, Jahrg. 1868, S. 47. 



— 35 — 

Reisepässe scheinen sehr häufig ausgestellt worden zu sein, 
wenigstens benutzte man in Strassburg gedruckte Formulare 
zu solchen Pässen. Ein in der Landesbibliothek in Strassburg 
erhaltenes Exemplar, das leider nicht den Vordruck des Jahr- 
hunderts trägt, lautet : 

«Vorweiser dises zu reysen Vorhabens ( wolle man ( 

als von hiesiger Statt / welche durch die Gnade GOttes ) ge- 
sunden Luffts I und von der Contagion nicht inficirt, herkom- 
mend ( aller Orthen sicher und ungehindert passiren . lassen / 
Datum Strassburg . . . .» 

Trotz der grossen Unbequemlichkeit, die das Reisen zu 
jener Zeit mit sich brachte, war die Reiselust doch schon ver- 
hältnismässig gross. Die im 15. und 16. Jahrhundert wirkenden 
geistigen Krälte und die gesellschaftlichen Umwälzungen hatten 
nachgerade Ursache und Ziel der Reisen verändert. Jeden Ge- 
bildeten fesselten die Rerichte von den Zuständen und von dem 
Wirken geistig hervorragender Personen in Strassburg. Man 
denke nur an die Erfindung der Buchdruckerkunst, die durch 
Gutenberg und Mentelin von Strassburg aus weitere Verbreitung 
fand, an Männer wie Sebastian Brant, Geiler von Kaysersberg, 
Jakob Sturm, deren Namen bis weit über die Grenzen des 
Reichs hinaus einen guten Klang hatten. Selbst die beschwer- 
lichsten und weitesten Fussreisen scheute man nicht, um in 
Strassburg, wo Kunst und Wissenschaft, wo auch das Zunft- 
wesen in höchster Blüte stand, Bereicherung seiner Kenntnisse 
oder auch nur Beschäftigung und weiteres Fortkommen zu 
suchen . 

Handwerksburschen wanderten natürlich auch schon da- 
mals herum, «sonst sagt man ihnen zum schimpfF / sie seyen 
weit gewandert / wie ein kühwadel / von einem backen zum 
andern ».' 

Weite Reisen zu Wagen verboten sich schon von selbst, 
weil der Zustand der Wege und Strassen im Elsass das un- 
möglich machte. Was in späterer Zeit unter französischer Ver- 
waltung in der Verbesserung der von Strassburg ausgehenden 
Strasse» im Elsass geleistet worden ist, tritt in besonders vor- 
teilhatlem Lichte hervor, wenn man es mit den traurigen Zu- 
ständen der Verkehrswege während des Mittelalters und bis 
ins 17. Jahrhundert hinein vergleich!. Zu jenen Zeilen waren 
die Vogesen nur von wenigen schlechten Strässchen und Saum- 
pfaden durchzogen, die meist noch der Römerzeit ihre Ent- 
stehung verdankten, so dass eine Reise von Strassburg nach 



1 Martin, a. a. 0., S. 118. 



— 36 — 

Frankreich als ein gefahrliches Wagnis erschien. Neue Wege 
anzulegen oder die alten zu verbessern, fiel nicht leicht je- 
mandem ein ; vielmehr geriet mancher alle Römerweg während 
des Mittelalters in Verfall, weil niemand sich um seine Unter- 
haltung kümmerte. 

Wagte hier und da einmal jemand, Verbesserungen und 
Neuanlagen von Wegen vorzunehmen, so musste er auf heftigen 
Widerspruch der benachbarten Landstände gefasst sein. Diese 
Erfahrung machte besonders der Pfalzgraf Georg Hanns von 
Veldenz-Lützelslein bei seinen im letzten Drittel des 16. Jahr- 
hunderts unternommenen Versuchen, die Verkehrsverhällnisse 
des heutigen Reichslandes zu heben. Seine Wegeanlagen be- 
schränkten sich nicht bloss auf das eigene Gebiet des Fürsten, 
sondern griffen vielfach auf fremde Gebiete über, so besonders 
auch auf die Herrschaften des Strassburger Bischofs. Er stiess 
hierbei auf heftigen Prolest und lebhaften Widerstand des Bi- 
schofs und der Stände, die, so sonderbar es scheint, in der 
Tat nur die möglichen Nachteile, nicht aber den wirklichen 
Nutzen der Strassenbaulen für den Güter- und Pteiseverkehr 
Strassburgs und der kleineren elsässischen Städte in Betracht 
zogen. Es war bei ihnen nur eine Stimme darüber, dass das 
Unternehmen des Pfalzgrafen ebenso rechtswidrig, wie nach- 
teilig und gefährlich sei: rechtswidrig, weil es ein Eingreifen in 
fremde Gerechtsame bedeute, nachteilig wegen der Beschädigung 
von Wald und Flur, gefahrlich vor allen Dingen, insofern da- 
durch das Reich «fremden Nationen» geöffnet werde. Die Furcht 
vor feindlichen Ueberfällen der Welschen war der Hauptgrund 
des unbegreiflichen Widerstandes. i 

Wieder ist es Daniel Martin, der im New Parlement in 
seiner urwüchsigen Art uns ahnen lässt, in welchem Zustande 
sich die Sirassen befunden haben mögen. 

«Was mich anlangt», erzählt da ein Reisender, «ist es 
war / dann ich muss stracks abhaspeln (mich erbrechen) ( mit 
gunst zu reden | oder mit reverenter ( sagen, die weiber». 

«Vnnd mich>»), fügt ein zweiter hinzu, «kompt ein Schwindel 
vnnd hauptwehe an J dz mich auff der gantzen reyse nicht 
verlast ».2 

Daher das damals sprich wörl lieh gewordene «schwere wie 
ein fuhrmann». «Dieweil sie vnsinnig schweren ( vnd schröck- 
lich lästern vnd fluchen | wann ihr karch im kolh stecken 
bleibet». 



^ Vgl. Winckelmann im Jahrbuche für Geschichte, Sprache und 
Literatur Eis ass -Lothringens, Jahrg. VII, 1891, S. 97. 
2 a. a. 0., S. 226. 



— 37 — 

Natürlich war bei solchen Zuständen an schnelle Beförderung 
nicht zu denken. Unter den zahlreichen Beispielen, die man 
vorbringen könnte, über die Art zu reisen und über die Zeit, 
die man brauchte, um grosse Entfernungen zurückzulegen, mag 
nur die Reise erwähnt werden, die im Jahre 1523 eine Depu- 
tation der Stadt Strassburg an den Kaiser Karl V. nach Spanien 
unternahm. Die Abordnung, die am 18. Mai von Strassburg 
abgereist war, kam erst am 6. August in Valladolid an ; man 
brauchte also damals 79 Tage für diese Reise. ^ 

Die erste Notiz über Reisewagen, die im Strassburger 
Archive zu finden ist, stammt aus dem Jahre 1570, wo der 
Herzog von Mecklenburg mit acht Wagen dieser Art in Strass- 
burg eintraf. Buheler sagt in seiner Chronik : «Uf! Montag 
den 6. Tag 9bris ist allhier der Hertzog von Mechelburg inzogen 
mit 8 Gutzen und ist in gülden Schaaf zu Herberg gelegen». 
Interessant ist, was Piton, der in Strasbourg illustre dieselbe 
Stelle zitiert, dazu bemerkt : «Ne trouverait-on pas dans cette 
ancienne ort«jgraphe du mot allemand Kutschen T^tymologie de 
ce mot, par Tabr^viation de Gut-si-tzen ?». 

Diese ersten Wagen, die in Strassburg auftauchten, fanden 
bald Nachahmung, denn schon sieben Jahre später, als der 
Kurfürst von der Pfalz und der Markgraf von Baden in Karossen 
in Strassburg anlangten, konnten sie dort andere mieten, die 
sie nach Rastatt bringen sollten («Und haben inen abermals 
frische Gutzen und Pferd geliehen»). 

Diese Verbesserung in der Beförderung von Reisenden blieb 
jedoch lange Zeit das Vorrecht der oberen Gesellschaftsklassen ; 
die Beispiele, die wir in alten Urkunden finden, beziehen sich 
nur auf Fürsten und Bischöfe. 

Anfänge geregelten Postwesens. 

Erst die allmähliche Verbesserung des Botenwesens und 
das Eingreifen der Fürsten von Taxis in die Strassburger Ver- 
hältnisse brachten es dahin, dass auch für die Reisenden regel- 
mässige Verbindungen eingerichtet wurden. Schon gegen Ende 
des 16. Jahrhunderts hatte sich die Notwendigkeit herausge- 
stellt, die Boten beritten zu macheu, weil sich mit dem taxis- 
schen Postamt in Rheinhausen, ein recht reger Verkehr 
entwickelt hatte. Rheinhausen, ein kleiner Ort am Rheine 
gegenüber von Speyer, war ein wichtiger Knotenpunkt auf dem 
im Jahre 1516 eingerichteten grossen Postkurse von Wien 
nach Brüssel. 



Piton, Strasbourg illustr6, Strasbourg 1855, Bd. 11, S. 48. 



— 38 — 

In dieser Zeit taucht zuerst das Wort «Post» im Slrass- 
burger Verkehrswesen auf. Die von der Stadt ernannten und 
vereideten reitenden Boten nannte man nämlich « Postreu theri».^ 
Der Postreuter musste die abzusendenden Briefe sammeln ; er 
schaffte sie selbst nach Heidelberg, Speyer, Worms und nach 
den auf dem Wege dahin gelegenen Orten. Diejenigen Briefe, 
die nach entfernteren Orten bestimmt waren, wurden vom 
Postreuter beim Postamt in Rheinhausen abgegeben und von 
dort durch die Reichspost weiter befordert. Auch nach Basel 
wurde eine Verbindung durch Postreuter eingerichtet. Bemer- 
kenswert ist, dass der Postreuter für das Einsammeln und 
Ueberbringen der Strassburger Briefschaflen nach Rhein hausen 
durch das kaiserliche Postamt in Rheinhausen entlohnt wurde. 

Als im Jahre 1633 im Postwesen Strassburgs mehrere 
Verbesserungen eingeführt wurden, entliess man den Postreuter ; 
an seine Stelle traten die dem Postmeister unterstellten Postillione. 

Ein regelmässig organisierter Postdienst beginnt erst 
im Jahre 1615, wo der Postmeister Birchden in Frankfurt 
(Main), derselbe, der später auf dem Friedenskougress in 
Münster als Sachverständiger wirkte, den Magistrat der Stadt 
ersuchte, einen Strassburger Bürger zum Postmeister zu 
ernennen. Dieser richtete im Jahre 1619 einen regelmässigen 
Postwagenverkehr zwischen Strassburg und Rheinhausen ein. 
Die Wagen verkehrten zweimal wöchentlich, Montags und 
Freitags.2 

Im Anfange des dreissigjährigen Krieges, nach den Er- 
folgen Tillys und Wallensteins, setzte der kaiserliche General- 
Postdirektor selbst einen Postmeister in Strassburg ein, der 
mehrere Jahre lang die Dienstgeschäfte leitete ; als aber die 
Schweden mehr und mehr Erfolge errangen, wurde Strassburg 
auf seine Unabhängigkeit eifersüchtig, setzte den Eindringling 
ab und ernannte einen seiner Bürger, Balthasar Krauth, einen 
vielgewandten und energischen Mann, zum Postmeister. In Be- 
treff seines Dienstes stand er unter der taxisschen General- 
Postdirektion in Frankfurt, der er seine Rechnungen zuzustellen 
hatte, und von welcher er sein Gehalt bezog. Krauth hatte 
viele Jahre lang diese Stellung inne. Er starb als Mitglied des 
Rats der 21 im Jahre 1G68.3 

Das Briefpostamt befand sich während des dreissigjährigen 



i Auch Landgraf Ludwig von Hessen, der 1606 von Strassburg: 
nach Frankfurt (Main) reiste, sagt, er sei «uff der Post gewest>. 
(Quetsch, Geschichte des Verkehrswesens am Mittelrhein, Freiburg 
1891, S. 213). 

2 Martin, a. a. 0., S. 115. 

3 Reisseisen, Aufzeichnungen, S. 80. 



- 39 - 

Krieges am alten Korn markt Nr. 1 1 bei der Ammeisterstube. 
Diese Lage war jedenfalls gewählt, damit die hochgestellten 
Personen möglichst schnell nach Ankunft der Kuriere in den 
Besitz ihrer Briefschaften und Zeitungen gelangen konnten. 
Daniel Martin gibt uns ein sehr genaues Bild von dem Post- 
dienste damahger Zeit. Man fertigte eine alphabetische Liste 
über die angekommenen Sendungen an, getrennt nach männ- 
lichen und weiblichen Personen und übergab diese Liste zur 
Einsichtnahme allen denen, die nach Briefen an ihre Adresse 
fragten. Die Adressaten oder ihre Beauftragten suchten die für 
sie bestimmten Briefe aus und bezahlten das Porto. 2 Die 
Höhe des damals zu zahlenden Porlos ist schwer festzustellen, 
denn wenn nach Martin «ein halb kopfstuck» für ein Paket 
Briefe aus Württemberg zu zahlen war, so wissen wir nicht, 
ob ein lothringisches oder französisches kopfstuck gemeint ist. 
Letzteres galt im Jahre 1637 etwa 1 M. 45 Pf.» 

Weitere Entwicklung des 
Reiseverkehrs biszum dreissigjährigen Kriege. 

Strassburger Reisebücher. 

Der Verkehr Strassburgs mit Frankreich war, obwohl die 
französische Grenze sich in der Nähe befand, aufFallenderweise 
wenig entwickelt. Erst die Erhebung der Strassburger Akademie 
zur vollständigen Universität im Jahre 16'il brachte hierin 
eine Aenderung. Die Universität erlangte bald grossen Ruf und 
zog lernbegierige Schüler aus allen Richtungen herbei. In der 
Matricula serenissimorum et illustrissimorum wird keine der 
adeligen Familien des früheren deutschen Reiches vermisst. 
Nicht gering war auch die Zahl der jungen Franzosen, die in 
der berühmten freien Reichsstadt dem Studium oblagen. Es 
konnte nicht ausbleiben, dass sich ein reger Gedankenaustausch 
und Verkehr mit Paris entwickelte, wo schon seit langer Zeit 
eine Universität bestand. 

Im Jahre 1631 erhielt ein Fuhrunternehmer die Erlaubnis, 
regelmässig verkehrende Wagen auf dem Wege Strassburg- 
Paris über Nanzig einzustellen ; da jedoch bald darauf die 



1 lieber die Lage der Postämter in Strassburg* im 18. Jahr- 
hunderfc vgl. Adolph Seyboth, Das alte Strassburg vom 18. Jahrhunderfc 
bis zum Jahre 1870, Strassburg 1898. 

« a. a. 0., S. 107 ff. 

3 Wir erfahren bei dieser Gelegenheit auch, dass damals noch 
Stundengläser in Gebrauch waren. Der Bote, der nach einer Stunde 
zum Postamte zurückkehren soll, um Briefe abzuholen, erhält den 
Auftrag: «Wende das stundglass um vnd lauff dahin | wann es auss- 
gelauffen ist». 



— 40 — 

kriegerischen Ereignisse in Lothringen ihren Anfang nahmen, 
so wurde dieser Dienst schon nach kurzer Zeit wieder einge- 
stellt. Bereits im Jahre 1607 scheint übrigens eine ähnliche 
Verbindung bestanden zu haben, denn der oben erwähnte 
brandenburgische Edelmann erzahlt in seinem Reisetagebuche, 
dass er in Strassburg vor seiner Weiterreise nach Paris seine 
Pferde verkauft habe, um cdie Strassburger kutschen» zu 
nehmen, was auf einen mehr oder weniger regelmässigen Dienst 
hinzudeuten scheint. i 

lieber die Reisetageböcher bezw. über die aus ihnen her- 
vorgegangenen Reisebücher sind hier einige Bemerkungen am 
Platze, weil die wenig zahlreichen Exemplare, die uns aus dem 
17. Jahrhundert erhalten geblieben sind, uns eine wertvolle 
Quelle bieten zur Beurteilung der Kultur- und Verkehrszustände 
jener Zeit und weil gerade Strassburg es ist, wo das Bedürfnis 
nach Reisebüchem zumeist empfunden wurde und wo die be- 
rühmten Zeillerschen Reisebücher entstanden sind. 

Die ersten Reyssbücher (auch Rayssbücher oder Raeyss- 
bücher geschrieben) die im Anfange des 17. Jahrhunderts unter 
der Bezeichnung «Wegweiser» erschienen, waren noch mit den 
Spuren unreifer ürsprünglichkeit behaftet. Sie verfolgten keinen 
andern Zweck, als dem Leser die W^ege in grossen Zügen und 
die Entfernungen seiner Reisen anzugeben und boten nur eine 
dürftige Namen- und ZifFernan Häufung. Die Darstellung ist 
durchaus von dem historisch-antiquarischen Interesse beherrscht, 
der Sinn für die Gegenwart bleibt unentwickelt : Lebensart 
und Treiben der Menschen, Handel und Gewerbe, Kultur des 
Landes und Bauart der Städte, alles dies beschäftigt die Autoren 
nicht. Martin Zeiller, der durch seine in Gemeinschaft mit dem 
Verleger Mathäus Merlan begonnenen Topographien (Topogra- 
phische Beschreibung und Abbildung der vornehmsten Oerter, 
19 Bände, Frankfurt (Main) 1642 -1672) rühmlich bekannt ist, 
sagt von diesen Büchern : «die kleinen Reyssbüchlein, so vor- 
handen, sein mehr Irrweg als W^eg weiser j».? 

Zeiller darf den Anspruch erheben, als Begründer des 
deutschen Reisebuchs in seiner, den modernen Forderungea 
wenigstens nahekommenden Gestalt betrachtet zu werden. Die 
Stadt aber, die den Ruhm hat, dass dieser neue Zweig deutscher 
Bücherarbeit aus ihrer Presse hervorgegangen, ist keine andere 
als Strassburg. Zeillers Wegbuch für Deutschland und die an- 
grenzenden Reiche, «Itinerarium Germaniae et vicinorum reg- 



^ Hassel, a. a. 0.. S. 43. 

2 Zeiller, Itinerarium Germaniae nov-antiquae, Teutsches Eeyss- 
buch durch Hoch- und Xieder-Teutschland, Strassburg 1632, Vorrede. 



- 41 — 

norum», deutsch geschrieben in zwei Bänden, wurde 1632 zu 
Strassburg bei Lazarus Zetzners Erben verlegt. Das Original 
gehört Iieute zu den Seltenheiten, 

Die Strassburger Reisebücher wollen ihre Sache erschöpfen : 
sie sind zugleich Wegweiser auf der Reise und Führer bei der 
Besichtigung der Städte, zugleich Berichte eines Augenzeugen, 
der dem Leser von seinen eigenen Wanderungen erzählt, und 
Sammlungen aus geographischen, antiquarischen und histori- 
schen Quellen. 

Man erhält ein getreues und lebendiges Bild von den 
Städten, Schlössern und Burgen, wie sie in jener Zeit gewesen. 
Sie weihen den Leser in die so äusserst beschwerlichen Pass- 
und Zollverhältnisse ein, machen ihn mit den Beförderungs- 
mitteln bekannt, verweisen ihn auf die Herbergen, wo er 
sicher sein kann, gutes Unterkommen zu finden, und geben 
ihm bisweilen selbst Fingerzeige über die Preise. Selbst im 
Auslande erwarben die Strassburger Reisebücher Anerkennung, 
wie eine in Amsterdam verlegte lateinische üeberselzung be- 
weist.* 

Schon vorher waren in Strassburg einzelne Reisetagebücher 
erschienen, u. a. im Jahre 1612 das Tagebuch des Ritters 
Hans Jakob Breuning von Buchenbach über seine orientalischen 
Reisen. 

Aus zahlreichen, zum Teil recht guten Abbildungen in 
diesen Reisebüchern erhalten wir auch ein Bild von der Be- 
schaffenheit der Reisewagen im 17. Jahrhundert. 2 Man hatte 
im Elsass zwei Arten von Reisefahrzeugen, die leichteren und 
weniger bequemen «caletschen» und für weitere Entfernungen 
die schweren und bequemeren «gutschen» oder «landgutschen». 
Letztere waren sehr einfach eingerichtet. Der Wagen bestand 
aus einem hölzernen Kasten, der fest auf der Achse ruhte ; 
das Dach war aus Leder. Eine schmale, mit einem Fenster 
oder auch nur einer Fensteröö'nung versehene Tür führte ins 
Innere. Anscheinend wurde im Elsass vom Sattel gefahren. 

Im allgemeinen waren die Wagen für sechs Personen ein- 
gerichtet, doch gab es auch grössere Wagen. So erfahren wir 
aus den Verhandlungen eines Strassburger Fuhrwerkbesitzers 
mit mehreren Fremden wegen einer Reise nach Paris : «Es 
können acht personen auff" meiner kutschen sitzen j zwo vornen ( 
zwo binden | vnnd zwo an jeglichö schlag)>.3 

Die kriegerischen Ereignisse im 17. Jahrhundert, die Uu- 



1 Vgl. Hassel, a. a. 0., S. 9 ff. 

* Vgl. insbesondere Zeiller, topographia Alsatiae, Strassburg 1644. 

3 Martin, a. a. 0., S. 214. 



— 42 — 

iSicberheit auf den LaDd>lras»eo nod die gewaltigen Verheerungen 
im £l$a&5 hatten den leLbaflen Piosl- und Reiseverkehr iu 
Sfrafit»bttrg oor vurüber^ebend za faeoimen Tennocht. In welchem 
Uoifän^e durch die Wirren des dreissigjährigen Krieges auf 
dem platten Lande jeder Verkehr unterhunden worden war, 
zeigt ein Vermerk in den Kirchenregistem von Ohermodern im 
Elsass, wonach die W^^ noch im Jahre 1650 teilweise so von 
Gestrüpp u. s. w. überwuchert waren, dass weder Reiter noch 
Wagen durchdringen konnten. Der Benediktiner Mönch P. Luc. 
Gran, der im Herbste 1643 die grossen Verbindungsstrassen 
im Elsass bereiste und auch nach Strassburg kam, schreibt an 
seine Klosterbrüder, er habe zwischen Strassburg und Rufach, 
also auf einer Wegstrecke von mehr als 80 km, in keinem 
Dorfe auch nur einen einzigen Einwohner gefunden. All diese 
Verheerungen wirkten in gewissem Sinne helebeod auf den 
Fremdenverkehr in Strassburg ein, weil viele die unsichere 
heimatliche Scholle verliessen, um sich hinter den festen Mauern 
Strassburgs niederzulassen oder vorübergehend dort Schutz zu 
suchen. 

Bis in die 60er Jahre des 17. Jahrhunderts pflegten die 
Heisenden in Ermangelung regelmässig verkehrender Fuhrwerke 
von und nach Strassburg die «Post zu reiten», d. h. die Reise 
in Begleitung eines Postillions zu Pferde zurückzulegen oder 
Honst sich eigener oder fremder Reitpferde, seltener auch eigener 
Wagen zu bedienen. So erwähnt u. a. Martin Zeiller, dass er 
W2i von Basel nach Strassburg gereist sei : «Weile wir den 
nechsten Weg nicht, sondern vmbgereist sein, so haben wir 
dem possillon von Rassel hierher von drey Pferden bezalt 21 
Gulden». Kbenso ritt Zeiller damals mit Postpferden von Strass- 
burg imch Ulm. 

War sonacli die Benutzung von Postpferden verhältnis- 
miUsig wohUeil, so blieb das Reisen mit Wagen noch längere 
Zoll duM Vorrecht der wohlhabendsten Gesellschaftsklassen. Piton 
burtn'hnot als Kosten für eine Reise von Strassburg nach Paris 
im »woispannigiMi Wagen bei einer Reisedauer von 14 Tagen 
tüuo Siinuuo von rund 5;i0 fr., wobei angenommen ist, dass 
dor Wort {\oh (;oldos damals (>5/i8 mal so gross war, wie 1855. 
Uiosii Sunuuo schoint mir viel zu niedrig gegriffen zu sein. 
Hoi Mnrtin (Now ParltMuont, S. '2U) erklärt ein Fuhrmann, 
iU'v uohl iNM'souon narh IVu'is fahren muss : «Nun kan ich eine 
solobo roy.vs vudor achtzig reichsthaler / mit einem wort | 
It^Uiior vn^omurvkt (ulmo weiter zu teilsehen) nicht verrichten 
' y - » hat tMiMM' ein tVlleiyM"\ oder reisstruhe f nemme ich drey 
iviobstl^alor \\W den reutuer», 

iio^ou Khdo vlo>i Jaluhumlorts zahlte man für jedes Pferd 



— 43 — 

von Strassburg nach Basel 3 fl 5 ß,i nach Frankfurt (Main) 
6 fl 5 ß, nach Nanzig 6 fl; für eine Kalesche 3 Batzen, eine 
Kutsche 5 fl für den Tag ; Trinkgeld 1 Reichsialer für die 
Woche. 

Die Entfernungen rechnete man nach «Posten», welche 7 
Stunden betrugen. (Im Jahre 1800 rechnete man auf dem linken 
Rheinufer die französische Post zu 2 Stunden, auf dem rechten 
Rheinufer die deutsche Post zu t2 Meilen oder 4 Stunden). 2 

Verkehrsverhältnisse nach dem 

dreissigjährigen Kriege und Einfluss der 

politischen Lage auf den Verkehr. 

Die lebhafte Tätigkeit, die nach Beendigung des dreissig- 
jährigen Krieges auf allen Gebieten einsetzte, machte sich auch 
im Post-^, und Reiseverkehr bemerkbar. Im Jahre 1659 wurde 
denn französischen Unternehmer Claude Lefebre in Paris vom 
iiöniglichen Hofe in Versailles von Neuem die Befugnis einge- 
räumt, eine Landkutsch- Verbindung zwischen Paris und Strass- 
l)urg einzurichten. Die Fuhrwerke sollten im Sommer wöchent- 
lich einmal, im Winter mindestens in vierzehn Tagen je einmal 
verkehren. Leföbre erregle jedoch bald den lebhaftesten ün- 
^llen der Strassburger Fuhrwerksbesitzer, da er an den Bat 
das Ansinnen stellte, niemand als Konkurrenten zuzulassen. 

Auch der französische Hof, der ein besonderes Interesse 
an dieser Verbindung hatte, ersuchte den Hat, den Pariser 
Unternehmer nach Kräften zu unterstützen und nicht zuzugeben, 
dass ihm «etwas Widrigesj) zugefügt werde. Der Rat war in- 
dessen vorsichtig genug, dem Lefebre keine alleinige Konzession 
zu erteilen. Bei der Beratung des königlichen Schreibens hob 
ein Batsmitglied mit Recht hervor, dass es mit diesem Unter- 
nehmen nicht anders bestellt sei, als mit andern Handwerken 
und Gewerben, und dass «alle monopolia verbotteni) seien. Du 
auch der französische Resident in Strassburg auf besondere 
Weisung des Pariser Unternehmens sich lebhaft annahm, so 
hielt man es für notwendig, das königliche Schreiben zu be- 
antworten, «Gleichwie aber dasselbe in lerminis generalibus 
eingerichtet gewessen, also wirdt die Antwort auch also einzu- 
richten und sich dahin zu erklähren sein, dass mau dem 
Kutscher einige Verhinderung zu thun nicht, sondern vielmehr 
gewillt seye, ihme allen Vorschub zu leisten, jedoch dergestallten, 
dass denen hiesigen Bürgern dadurch ihr Recht und Freyheiten 
nicht geschmälert, sondern aufl'recht erhalten werden». Dieser 



1 1 fl = 1 M. GO Pf.. 1 3 = 16 Pf., 1 Batzen = 12 Pf. 
» Pack, die Posten von Strassburg nach Deutschland. 



-- 44 — 

Vorschlag wurde denn auch zum Beschluss erhoben. Ein an- 
deres Ratsmitglied bemerkte geradezu, dass der Pariser Kutscher 
sich durch das c[allzu viele Anlauffen je länger je verdächtigere» 
mache und scheine es darnach, als wenn «er etwas anders 
dahinter suchest. 

Dies Unternehmen scheint bis zum Eintritt kriegerischer 
Ereignisse im Elsass im Jahre 1668 bestanden zu haben. 

Im Jahre 1661 genehmigte der Magistrat eine Uebereinkunft 
seines Postmeisters Krauth mit dessen Amtsgenossen Nicolas 
Sorin in Basel, um die Beförderung der Briefschaften und 
Reisenden durch Ober-Elsass zu erleichtern. Der Dienst hat 
sich aber offenbar wenig zufriedenstellend gestaltet ; denn Philipp 
Jakob Wormser, der Ammeister der Stadt, hielt es für nötig, 
am 30. Juni 1662 ein langes darauf bezügliches Reglement 
herauszugeben, angeblich die erste den Posldienst betreffende 
gedruckte Urkunde,^ die wir kennen. Die Reisenden, heisst 
es da, beklagen sich darüber, dass sie «bald mit schlechten 
vnd liederlichen pferdten versehen ( bald auch in der bezahlung 
weit über die gebühr übersetzt worden ; Welchem ohnwesen 
länger also nachzusehen | so wohl Vns ohnverantwortlich | als 
auch gesarnpler dieser Statt an frembden orten fast schimpfflich 
vnd nachtheilig sein wollen». Es wird deshalb eine Reihe 
Massnahmen angeordnet, die peinlich befolgt werden sollen, 
«so lieb einem ieglichen ist | Vnsere vngnad vnd Obrigkeitliche 
schwäre andung zu entfliehen». 2 Augenscheinlich konnte man 
mit der taxisschen Post nicht in erfolgreiche Konkurrenz treten. 

Einige Jahre später wurde durch das Gebiet des Bistums 
eine neue Postverbindung eingerichtet, die von Strassburg durch 
das Breuschtal über mehrere Poststationen nach Nanzig führte. 
Ein Bürger von Mulzig lieferte dem Kuriere jeden Montag die 
nötigen Pferde. Weitere Postverbindungen bestanden in den 
.siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts nach Heidelberg, Zabern, 
Basel. Daneben wurden Brief post Verbindungen durch Fussboten 
unterhalten, z. B. zwischen Strassburg und Hagenau u. s. w. 

Den Anstoss zu weitergehenden Reformen im Beförderungs- 
wesen gab eine im Jahre 1662 an den Rat in Strassburg ge- 
richtete Beschwerde der Gastwirte und Fuhrleute wider den Wirt 
zum Raben, Johann Adam Goll, weil dieser sich «Caleschen» — 
also offene Wagen — angeschafft hatte und mit diesen Reisende 
nach anderen Orten beförderte oder von dort abholte, um sie 



1 Inwieweit diese, aus Reuss, L'Alsace au dix-septieme si^cle, 
Paris 1897, Bd. I, S. 650, übernommene Behauptung zutrifft, hat Ver- 
fasser nicht festzustellen vermocht. 

8 Landesbibliothek in Strassburg. 



— 45 — 

in seinem Gasthofe zu beherbergen. In der Klageschrift ist 
hervorgehoben, dass der Verklagte nicht nur den Erwerb der 
Fuhrleute beeintrachiigte, sondern auch den anderen Gastwirten 
Schaden zufüge, da er ihnen die Gäste entführe. 

Diese Beschwerde, bei der die Interessen einer grösseren 
Anzahl Bürger Strassburgs in Frage kamen, gab dem Rate 
Veranlassung, das Beförderungswesen gründlich zu regeln. Es 
wurde damals eine Anzahl Verordnungen erlassen, die den 
Zweck verfolgten, die Befugnis zur Beförderung von Briefschaften 
für den Postmeister allein sicher zu stellen und ihm ausserdem 
die Aufsicht über den Reiseverkehr zu übertragen. 

Die vom Postmeister in Ausführung dieser Verordnungen 
herangezogenen Unternehmer waren Metzger, die zur Aus- 
übung ihres Berufs ohnehin Pferde besassen und zur besseren 
Unterscheidung vom Postmeister oder Posthalter die Bezeichnung 
«Postillion-Meister» annahmen. Für das «Postillion-Recht» hatten 
sie jährlich 200 Reichstaler an die Gemeindekasse zu entrichten. 
Das ist die sogenannte «Metzger-Post» in Strassburg, über 
die manche unrichtigen Angaben in den elsässischen Geschichts- 
werken sich vorfinden. Es ist etwas ganz Zufälliges, dass es 
Metzger waren, die die Lehnpferde unterhielten. Es wäre 
ja möglich, dass sie hin und wieder einzelne Briefe befördert 
haben, dann lag aber eine Kontravention vor, keinesfalls haben 
aber die Metzger ein Monopol in Betreff der Beförderung von 
Briefen besessen, wie es z. B. Krug-Basse in L'AIsace avant 
1789, Paris und Golmar 1876, S. 55 behauptet. 

Die «Pferdepost» war zunächst ausserhalb der Stadtum- 
wallung vor dem Melzgertor untergebracht, anscheinend um 
die zahlreichen Pferde, die der Reiseverkehr erforderte, be- 
quemer unterstellen zu können. Während der Kriege Lud- 
wig XIV. wurde sie jedoch in das Innere der Stadt verlegt. 

In diese Zeit fällt einer der ersten internationalen Postver- 
träge. Im Jahre 1674 war nämlich der französische Postmeister 
Charlier nach Strassburg gekommen, um mit dem Postmeister 
Krauth daselbst wegen der Beförderung der Briefe von der 
französischen Poststation in Zabern nach Philippsbnrg und 
Breisach, wo damals französische Garnisonen lagen, durch 
Strassburger Gebiet einen Vertrag abzusch Hessen. Für die Be- 
förderung der Briefe durch Strassburger Gebiet wurde eine 
Transitgebühr von 2 ß für je eine halbe Unze gewährt. 

Um das Jahr 1679 erhielten zwei französische Unternehmer, 
Bourcard und Bennell, vom königlichen Hofe in Frankreich die 
Befugnis, eine Landkutsche zwischen Paris und Strassburg ein- 
zurichten, die wöchentlich einmal fahren sollte. Der Unter- 
nehmer Bennell begab sich nach Strassburg, um wegen Führung 



— 44 — 



\ r-si't.i/ wiri^ -i-Hii: au-.h r-21 Beschlijss erhoben. Ein an- 
lief €a Ral.*«:.v --^ bijra>erE*jf ^«ri iera, dass der Pariser Kntscher 
äiiin dir.ii di* fa.i^^^Ie Al i'*frm je linder je rerdächtigerj» 
mache cai s-r^-rice e? cirriaih, a'^ wenn cer etwas anders 

L.»»« L'nt«x«rh.!i:eQ i^h-eict t:* luii Eintritt kriegerischer 
Er-i-^ri.-'se lar. E>iss im Jj-re It*«?* be^tioden zu haben. 

Lx JaLre itiol geüekxi^e der Ma^-i^lrat eine Uebereinkunfl 
*.>i.':>a p.:-**aDe.v-iTS Enuth ni:t dessen Amtsgenossen Nicolas 
Sir.r. in Bi^l. cjn d.e BeTrierunj der Briefschaften und 
P.^lsetiie& d-»r:h Ober-E.aAs< ra eriei.LterD. Der Dienst hat 
*-..£. ib*r i^echir we&i^ rifrle-ies^te.'.ei^i ^e^taltet ; denn Philipp 
J>t:b W-^riJCier, der Ammeister lier Stadt, hielt es für nöti^, 
^i£, ^J. J-icJ lr>>2 ein langes darauf bezügliches Reglement 
i^er-tfa^zu^ebeü, an^eLllih -i:e er^te den Postdienst betreffende 
^'^injckte L'rkunJe,! die wir ke&ceo. Die Reisenden« heisst 
e^ da. [«ei.a^'en sich darüber, dass sie cbald mit schlechten 
\ci L«rief.khen pferdren vtjrsehen La.d auch io der bezahlung 
weil Gr>er d.e ^eh'.hr übersetzt worden; Welchem ohnwesen 
l5i.;rer also nachzusehen so wohl Vns ohnTerantworllich | als 
a ^'ib ^esäfr.p*.er dieser Statt an fre:iib'JeQ orten fast schimpfQich 
vcd caiLthelii^ sein wollen». Es wird deshalb eine Reihe 
Marrtsr.-'fjen ar^eordnel, die peinlich befolgt werden sollen, 
«*o lieb einem ie^!i:hen ist Vnsere vn^^nad Tnd Obrigkeitliche 
schwäre anlun? zu entziehen ».* Augenscheinlich konnte man 
mit der taiisschen Po>t nicht in erfolgreiche Konkurrenz treten. 

Einige Jahre später wurde durch das Gebiet des Bistums 
eine neue Post verbin düng eingerichtet, die von Strassburg durch 
da« Breus*jhtjl über mehrere Poslstationen nach Nanzig führte. 
Ein Bür^-er von Mutzi^ lieferte dem Kuriere jeden Montag die 
n'j*i^'en Pferde. Weitere Poslverbindungen bestanden in den 
«ebziger Jahren des 17. Jahrhunderts nach Heidelbei^, Zabern, 
Basel. Daneben wurden Brief post Verbindungen durch Fussboten 
unterhalten, z. B. zwischen Strassbun: und Hagenau u. s. w. 

Den Anstoss zu weilergehenden Reformen im Beförderungs- 
wesen ^'ab eine im Jahre 1662 an den Rat in Stinssburg ge- 
richtete Beschwerde der Gastwirte und Fuhrleute wider den Wirt 
zum Raben, Johann Adam Goll, weil dieser sich cCaleschen» — 
aläo offene Wagen — angeschaflft halte und mit diesen Reisende 
nach anderen Orten beforderte oder von dort abholte, um sie 



' Inwi»nveit diese, aus Reuss. L'Alsace au dix-septieme siöcle. 
Pari« lyjT. Bd. 1. S. GöO. übernommene Behauptung zutrifft, hat Ver- 
fas-ser nicht festzustellen vermocht. 

* Landesbibliothek in Strassburc. 



~ 47 — 

(Alt-) Breisach berühren sollte und der dort residierende fran- 
zösische Intendant sich lebhaft für das Zustandekommen dieses 
Unternehmens interessierte, so hielt man in Strassburg dafür, 
daps das unternehmen nicht nur zum Besten der Reisenden, 
sondern auch «zur Unterhaltung guter nachbarlicher Beziehungen 
zwischen Strassburg und den Franzosen)» beitragen würde. 

Unter französischer Herrschaft. 

Unmittelbar nach der schmählichen Ueberrumpelung Strass- 
burgs (in französischen Werken heisst es natürlich unverfäng- 
licher «capitulation») ging auch das Kaiserliche Postamt in 
Strassburg in französische Hände über.i 

Der französischen Verwaltung erschien die Vielfältigkeit 
im Bctorderungsdienste der einzelnen Städte bald lästig und 
schwer zu überwachen. Schon am 21. November 1681, also 
wenige Wochen nach der Besitznahme Strassburgs, erging auf 
Veranlassung des Marquis de Louvois, des Grand Maistre des 
Courriers et Sur-Intendant des Postes de France, eine könig- 
Hche Verordnung, wonach das in sämtlichen französischen Pro- 
vinzen bereits bestehende monopole postal auch in Strassburg 
und im ganzen Elsass eingeführt wurde. 

Die auf die Uebertretung dieser Verordnung gesetzte Strafe 
war ausserordentlich streng. Die Verordnung schliesst nämlich : 
«bei vermeydung obgesetzter Straff der dreyhundert Pfunde und 
Verliehrung Ihrer bey sich habender Güter. Vnd wollen Ihre 
Maiestät, dass die Jenige von ob vermeldten, so nicht in dem 
Vermögen seynd, bedeutete Straffen zu bezahlen, dass selbige 
mit Ruthen aussgestrichen, und mit der Gilgen (Lilie, im 
Wappen der Bourbonen) gebrennt werden sollen, wie solches 
alles in denen Königlichen Verordnungen weitläufftiger ent- 
halten ist».2 

Man hatte sich jedoch mit dieser Verordnung offenbar über- 
stürzt. Da sie nicht genügend vorbereitet war, so hätte ihre 
Durchführung im ganzen Elsass jeden Verkehr zwischen den 
kleinen Orten sofort gänzlich unterbunden. Wenige Tage darauf 
erging deshalb eine erläuternde Verfügung, wonach es gestattet 
war, innerhalb der Gemeinden und im Verkehr zwischen den- 
jenigen Gemeinden, die von königlichen Posten nicht berührt 
wurden, sich jedes Beförderungsmittels zu bedienen. Ferner 
waren darin mehrere den brieflichen Verkehr der Studenten 
erleichternde Bestimmungen getroffen worden. 



1 Vgl. Näheres hierüber im Archive f. P. u. T., Jahrg. 1893, 
S. 579 ff. 

2 Löper, a. a. 0., S. 235. 



— 48 — 

Der Postverkehr Strassburgs nahm jetzt einen ^^nz ausser- 
ordentlichen Aufschwung, welchem allerdings im 18. Jahrhundert 
ein längerer Stillstand folgte. Dass dieser Aufschwung vornehm- 
lich den umsichtigen Massnahmen der ruhrigen französischen 
Verwaltung zuzuschreiben ist, muss neidlos anerkannt werden. 
Wenn aber Krug-Basse, a. a. 0., S. 55 behauptet: clm Elsass 
war der Postdienst unter deutscher Herrschaft noch nicht or- 
ganisiert; es war der französischen Verwaltung vorbehalten, 
diese nützliche Anstalt einzurichten», so beweisen diese ober- 
flächlichen, mit den geschichtlichen Tatsachen im Widerspruch 
stehenden Angaben nur, wie wenig er sich in die Angelegen- 
heit vertieft hat. 

Bedeutende Verbesserungen im Post- und Reiseverkehr 
gelangten jetzt namentlich in der Richtung nach Frankreich 
zur Ausführung. Die französische Regierung hatte naturgemäss 
in dieser Zeit zu viel dienstliche Beziehungen mit Strassburg, 
um sich mit einer wöchentlichen Verbindung dahin begnügen 
zu können. Von 1682 ab wurden deshalb dreimal wöchentlich 
Kuriere nach Paris abgefertigt. Auch nach andern Richtungen 
wurden die Postverbindungen vermehrt. Ein im Strassburger 
Stadtarchiv erhalten gebliebener Postbericht aus dem Jahre 
1681 gibt uns nähere Auskunft über die Abgangs- und An- 
kunftszeiten der verschiedenen Kuriere. i 

Um die Postverbindungen von und nach Strassburg gün- 
stiger gestalten zu können und den Reiseverkehr dorthin zu 
erleichtern, waren durchgreifende Verbesserungen im Wegebau 
unumgänglich notwendig. Wie schon oben erwähnt, waren 
die Wege im Mittelalter vollständig vernachlässigt worden. Es ^^^ 
hatte ja auch seine Schwierigkeiten, in einem Lande, das sich .äi^Äi 

infolge der fortwährenden Kriege andauernd in Aufregung be- " 

fand, und das in unzählige unabhängige Herrschaften zerstückelt J ^^^ 
war, grössere Arbeiten von allgemeinem Interesse einzuleiten 
und auszuführen. In dieser Beziehung lag also noch alles im 
argen, als das Elsass französisch wurde. 

Im August 1685 erliess deshalb ider gros Weeg- und 
Strassen-Meister» in Strassburg eine strenge Verordnung an die 
Gemeinden und beauftragte sie, alle Strassen und W^e bis 
Ende September in guten Zustand zu setzen. «Wofern als dann 
einiger fehler wird gefunden werden, so wird eine gewisse 
Straaf von dem Herrn Intendanten euch angesetzt werden».* 

Man begnügte sich aber nicht damit, die vorhandenen alten 
Wege zu verbessern, sondern ging bald ernstlich an die Aus- 



j- 



^ Löper, a. a. 0., S. 28G. 

2 Landesbibliothek in Strassburg. 



— 49 — 

führung grosser Strassenverbindungen, die Strassburg zum Aus- 
gangspunkte hatten. So entstanden bis zum Ende des 18. Jahr- 
hunderts folgende gut unterhaltenen königlichen Strassen : 

1. Von Strassburg nach Landau über Hagenau und Weis- 
senburg, 

2. nach Landau über Drusenheim und Beinheim, 

3. nach Pfalzburg durch den Kochersberg über Stützheim 
und Zabern (alter Weg), 

4. nach Zabern über Wasselnheim, 

5. nach Beifort über Benfeld, Schlettstadt, Golmar, 

6. Die Rheinstrasse Strassburg-Basel über Neu- Breisach, 

7. Die berühmte Zaberner Steige. 

Da nach den wiederholten Kriegszeiten die Waldungen 
öfters den Dieben und Wegelagerern zur Zuflucht dienten, so 
wurden dieselben auf beiden Seiten der durchgehenden Strasse 
auf einen Flintenschuss weit ausgestockt; diese Einrichtung 
half auch dazu, die Wege trocken zu erhalten. i 

Wegen der Beförderung von Personen von Strassburg aus 
kam es nach dem Uebergang des Postwesens in französische 
Hände zu zahlreichen Streitigkeiten zwischen dem Postmeister 
und den Besitzern von Landkutschen. Obwohl im Jahre 1681 
der Stadt Strassburg in der Kapitulations-Urkunde die Auf- 
rechterhaltung aller Privilegien, Rechte, Ordnungen und Ge- 
wohnheiten gewährleistet worden war, wurde schon im folgen- 
den Jahre die Beförderung von Personen von Strassburg nach 
Paris durch andere Gelegenheit als die von seiten des Staates 
eingerichteten Verbindungen bei Vermeidung einer Strafe von 
300 Livres untersagt. Gleichwohl beförderten die Landkutscher 
nach wie vor Personen nach Paris. Sie drangen in den des- 
wegen entstehenden Prozessen auch teilweise durch, bis sie um 
die Mitte des 18, Jahrhunderts angesichts der dauernden Be- 
günstigung der Postmeister durch die französischen Behörden 
"''♦▼losen Kampf aufgeben mussten, die Land kutschen 

l mehr durch Diligencen oder Geschwind- 
jssageries royales» verdrängt. 
,erie-Unternehmung in Strassburg wurde Ver- 
pächter genossen aussergewöhnliche Vorrechte, 
mer Bekanntmachung vom Jahre 1687 verzeichnet 

. . Dass sie der würklichen Einquartierung der Soldaten 
larzu gehörigen Sachen / Contributionen und beyhülff 
te Einquartierung betreffend | befreyet seind. 



^ Strobel, Vaterländische Geschichte des Elsass, Strassburg 1846^ 
i. V, S. 169. 

4 



— 50 — 

Der freyheil dass sie einige Fütterung vor die Völker oder 
Pferdie wann man ihnen auch schon die Bezahlung davor offe- 
riren wollte ( denselben herbey zuschafifen auch einige frohn- 
dienste zu thun f nicht schuldig sein. 

ßemelte Admodiateurs können nicht ernennet werden zu 
einvernehmeren ( vormunderen j vögten ( Verwahrer oder Se- 
queslris der durch die Obrigkeit gepfändeter güther. 

Sie können nicht gezwungen werden einige wachten zu- 
verrichten ( auch einigen gemeinen ämbtern ( sogar auch in 
kriegszeiten unterworfen zu sein. 

Sie können zu keinen höheren aufflagen angehalten werden 
weder umb schulden noch gar wegen der Königlichen gelter. 

In den grossen Stätten können drey | in den kleinen zwey | 
und in jedem Stättlein und Flecken ein Admodialeur sein. 

Desswegen hat man sich in Herren Kornmanns behausung 
in Sirassburg bey Mr. dela Bruyere anzumelden ( der alss ge- 
walthaber hoch berürten Monseigneur de Louvois die vergleich 
darüber auffrichten wirdt».i 

Diese Vorrechte wurden jedoch durch das Dekret der 
National-Versammlung vom 12. Juli 1790 sämtlich aufgehoben. 
Als Entschädigung erhielten die Postmeister (Posthaller) 30 Livres 
für jedes Dienstpferd ausgezahlt. 

Die Wagen der messageries royales legten in 24 Stunden 
15 Meilen zurück. Auf der Strecke Paris-Strassburg fuhren die 
Wagen am Sonnabend früh aus Paris und kamen nach andert- 
halb Wochen am Mittwoch in Strassburg an. Der Preis für 
einen Platz betrug 1 livre für jede Meile. Die grössten Wagen 
konnten acht Reisende fassen. 

In den wichtigeren Orten der Provinz wurden sogenannte 
Nachtwagen, namentlich für den Verkehr nach Strassburg, 
eingerichtet, welche einen Teil der Fahrt in der Nacht zurück- 
legten und daher ihren Namen hatten. Es waren das grosse 
Wagen, die 10, 20, ja sogar 25 bis 30 Personen aufnehmen 
konnten. Man fuhr mit ihnen, wenn auch mit wenig Bequem- 
lichkeit, so doch schnell und zu billigen Preisen nach Strassburg, 
wo besonders an den Mess- und Markttagen ein starker Nacht- 
wagenverkehr herrschte. 

Ein wie reger Personenverkehr sich im Laufe des 18. Jahr- 
hunderts entwickelte, lässt sich daraus entnehmen, dass das 
Bedürfnis nach Herausgabe von Kursbüchern hervortrat. Mit 
vielem Fleisse ist das Kursbuch eines «gewiesenen Postbeamten» 
Jean Daniel Pack angefertigt, welches den Titel führt : «Liste 



Landesbibliothek in Strassburg. 



- 51 - 

des Postes principales, dress^e en faveur des vpyageurs qui 
partent de Strasbourg par les chariots des Postes imperiales». 
Es enthält die von Strassburg ausgehenden Reisewege mit An- 
gabe der Entfernung in Meilen und mit einer Tabelle über die 
Umrechnung des deutschen Geldes in französisches Geld. Wir 
sehen daraus, dass man z. B. für eine Reise nach Mainz oder 
Frankfurt (Main) 21/2 Tage gebrauchte^ nach Hildesheim 8 Tage, 
nach Wien 12 — 14 Tage, wobei man von Ulm aus das Schiff 
benutzen musste. 

Die Briefpostverbindungen Hessen bis zu der im Jahre 1774 
erfolgenden Vereinigung mit den messageries royales noch 
iTianches zu wünschen übrig. Bei der Handelskammer in 
Strassburg ist ein Aktenstück aus dem Jahre 1689 erhalten 
geblieben, das die damaligen Zustände des Postwesens einiger- 
rnassen kennzeichnet. Der Zunftmeister Kellermann und del* 
Kaufmann Herf waren nämlich seitens der Zunft beauftragt 
worden, mit dem Postmeister de Courcelle wegen der häufigen 
Verspätungen der Postboten, die Gegenstand andauernder 
Klagen des Handelstandes waren, zu unterhandeln. Der Post- 
meister antwortete in einem Schreiben folgenden Inhalts; 
cfWenn Herr Zunftmeister und Herr Herf bewirken wollten, 
(lass die drei Ordinari- Boten aus Holland in Frankfurt, der 
alte Ordinar-Bote von Augsburg in Rheinhausen und diejenigen 
aus Genf und andern Orten der Schweiz in Basel überall 
rechtzeitig einträfen, zu besserer Erreichung dieses Zweckes 
auch die Flüsse und Gebirge passierbar, die Wege frei von 
Landstreichern wären, welche die Boten anhielten, so könnten 
sie überzeugt sein, dass alles andere in Ordnung sein würde. 
Uebrigens wisse er, dass die Ordinari-Boten seit der Zeit seiner 
Anwesenheit im Orte nicht unregelmässiger einträfen, als es 
vor dem Kriege der Fall gewesen wäre. 

Ein Reform versuch wurde im Jahre 1779 gemacht. Durch 
IBeschluss des Staatsrats vom 11. April 1779 erhielt ein ge- 
wisser Auvrest die Konzession zur Errichtung einer besonderen 
Stadt-Postanstall (petite-poste) zur Beförderung und Bestellung 
der Postsendungen innerhalb der Stadt Strassburg, den Vor- 
städten und 162 Ortschaften. Das Gebiet dieser Anstalt, die im 
Jahre 1780 ins Leben trat, erstreckte sich bis an die Vogesen, 
Bisch weiter auf der einen und Geispolsheim auf der andern Seite. 

Die Briefträger der Stadt-Poslanstalt (im Ganzen vierzehn) 
dürfen j^och nach denjenigen Orten^ woselbst eine staatliche 
Postanstalt sich befindet, Briefe nicht austragen. ccSie iverden 
in Schritt gehen und nur bis zum ersten Stockwerk aufsteigen]».^ 



1 Löper, a. a. 0., S. 271 ff. 



— 52 — 

Die hervorragende Stellung die Strassburg unter deutJ 
Herrschaft als freie Reichsstadt eingenommen und der e 
eigenartigen, an interessanten Einzelheiten so reiche Entwicli 
seines Verkehrslebens zu verdanken hatte, hat es mit 
Uebergang in französische Verwaltung verloren. Die aus 
beiden letzten Jahrhunderten erhaltenen Dokumente kö 
deshalb nicht in dem Masse allgemeines Interesse beanspru 
wie diejenigen aus der früheren deutschen Zeit. Das Verk« 
leben Strassburgs verliert seine Eigenartigkeit ; es geht i 
in dem allgemeinen Verkehrsleben des Elsasses. 



VI. 



D' Ankunft 

der Strossburjer Schiff in Paris 

den 29. April 1836. 

Zum Wiederabdruck gebracht 

von 

Julius Euting. 

JLlerr Ingenieur F. Reussner zur Zeit in Paris, Sohn 
meines ehemaligen liehen Kollegen des verstorbenen Professors 
Dr. Reussner, zugleich Enkel des Professors am protestantischen 
Seminars und Oberhibliothekars in Strasshurg Andreas Jung 
{1793 — 1863), zeigte mir vor längerer Zeit die heitere Beschrei- 
bung von der Ankunft des ersten Strassburger Schiffs, welches 
unter Fuhrerschaft seines Grossonkels des Schiff meisters Jakob 
Jung auf dem nach den Plänen des Ingenieurs Brisson (1827) 
in den Jahren 1828 ff. erbauten Rhein-Marne-Kanals nach 24- 
tägiger Fahrt am 29. April 1836 glucklich in Paris eintraf. 

Die Beschreibung ist zusammen mit dem beigefugten Ge- 
dicht Gottlieb Stöbers ursprünglich erschienen in der Beilage 
28 zu dem Anzeige- und Uuterhaltungsblatt für die Stadt 
Strasshurg und das Niederrheinische Departement (Strasbourg, 
impr. Dannbach 1836), dürfte aber ziemlich selten geworden 
sein, und daher manchem Leser in diesem Abdruck willkommen 
erscheinen. 



— 54 — 



D' Ankunft der Strossburjer Schiff, der Neptun um-x:^ 
der Louis- Philippe, an der Barriere de la Rape 
in Paris, den 29. April 1836, Morjes am acht 



E Fuehr znm B. sim Vin chaud im Risse. 



I. 

Alles isch gottlob noch nüchtere, der Admiral losst vo 
Schiffsjunge der jetz Mousse heisst sine schwarze Frack usbürst 
sin Hut der in der Pappedeckel-Lad durch's Rajewetter isc 
nass worre, wurd am Fleischkessel-Hocke, üwerm Fir getröckel 
D* Matrose zeihe d'Sejel, dTlacke unn d' Wimpel uff, der Admiri 
selbst sucht in der Coj d'passavants, acquits ä cautions, aequits. 
de paiement, quittances de droit de peage unn wie dies Zey'»- 
sunst noch heisst, nebst de Frachtbriefe evor, G. der als Vo — 
lontaire die Campagne mitmacht, sitzt vorne in der Fleecht uff- 
Theerfassel und spielt mit sim Bunsch, unser Herrgott im 
geblümte Schlofrock vum Pauvre diable sine, schaut vun ow 
erab dem Spass zu un raucht e r6gie cigarre vum Butterie. 

Der welsch Matros zum Lui: hein ! c'est-il bea 
ce pays de France, les contr6es que nous avons tra versus pou 
arriver dans la Seine, ne sont que des pays conquis pour donnei 
une lisifere k la v6ritable France, mais ici nous sommes che 
nous, mon pöre possöde un chäteau pareil ä celui que je t'a 
fait remarquer ce matin, (il prit Thospice de Gharenton pou 
une maison de plaisance), c*est autrement soign^ que votr 
Krutenau, Rupertsau et Wanzenau. 

DerLui zum Welsche: Si c'est ainsi, pourquoi viens 
tu donc manger des Bletzer et des Knackwurst dans not 
pays de choux-croute. 

Der Volontaire: Erzürn di nit Lui, die Gascogner sim 
alli so, derweje awer sinn si doch gueti Saldate g'sinn, denk 
nur an d'Bruck vun Montereau, wo merr vorgest fast drunte: 
stecke sinn gebliwwe wie ä gewiss Schiff unterm Mehlschiiess 
ze Strossburck. 

Der Lui: Jo, vun zeller Fuhr henn si merr au g'schriwwe, 
si henn awer licht nass wäre g'hett, 's het de ganze Charfrita 
geräyt. 

Ein Douannier, am Ufer stehend: H6, lä-bas I 
Amarrez par ici ! 

DerHans-Dännel: Schla mi der Dunder, jetz geht'i 
los, was mach i denn mit dem Fackel G'sundheits-Knaster, wi 










— 55 — 

i im Taml)urkapral von de Pumpie soll Präsent mache, dass er 
de Strossburjer Pumpie ä Theori-Büchel und ä Muster für ihr 
Uniform schickt. 

Der Pilote: Virez de hord. 

Der Admiral: Fahre zue, an de Land. 

Die Matrosen; So, dis versteht merr doch au. 

Der Mousse: SchifFmann, do isch *s vorderiaire! 

Der Admiral: Red* merr nit so dumm, merr sinn jetzt 
bi de fine Welsche. 

II. 

Während dem hett 's Admiral-Schiff sin Ise gelait unn an- 
gemärt, e Douanen-Lieutenant mit e Paar pr^poses unn etlichi 
Ang'stellti vum Oktroi kumme uf! 's Verdeck. 

Der Lieutenant zum Admiral: Monsieur j'ai 
rhonneur de vous saluer (der Admiral denkt, der isch höflicher 
als di bi uns) comme lieutenant des douanes royales de France, 
je viens vous demander d'ou vous venez et si vous n'avez rien 
ä declarer. 

Ze glicher Zit, saat e Octrojaner: Comme sur- 
veillant de Toctroi municipal et de bienfaisance de la bonne 
ville de Paris, je veux voir si vous n'avez point d'articles soumis 
ä notre tarif. 

Der Admiral schaut denne vun newes an 
unn saat zuem Volontaire. Gib merr uff diss ßurstel 
do acht, sisch glauwi einer vum Moreau sim Corps. 

Der Admiral zum Lieutenant: Monsieur, je viens 
de Strasbourg et vais vous faire voir les marchandises que 
j'amene, je n'ai rien de prohibö. 

Der Lieutenant: Monsieur pas de mauvaises plaisan- 
teries, je vous en prie, on ne vient pas de Strasbourg ä Paris 
par eau, vous vous ötes pris d'un jour trop tot pour me faire 
avaler un poisson d'avril et s'il etait m^me possibje que vous 
disiez vrai, Strasbourg est en Allemagne et par consequent vos 
bateaux devraient 6tre baches, ficelles et plombös ä la frontiöre. 

Wie der so red' kriet der Admiral e Gawel, springt in 
d' Coj, höhlt sini Papier unn geht uff de Receveur zue der 
unterdesse au uff 's Schiff kumme isch unn im Lieutenant g'sait 
hett dass Strossburck la Capital vum Elsas isch wo der Kleber, 
Lefevre, Kellermann Vater unn Sohn, Schramm Vater unn Sohn, 
Schauenburg, Dorsner, Brayer, Becker, Geudert, Kessel, Barbier, 
Walter, Frühinsholtz, Offenstein, Scherb, die Brüder Beyer- 
naann unn Klein, unn noch anderi General herstamme. 

D' Sach' duet sich jetzt fridli ab, der Admiral muess nurr 



> 



— 56 — 



e Passe-deboul für de Wolxemer nehme wo im der Jerry hell 
mit gänn noch St. Ouen. 

III. 

Der Volontaire sieht vun wytem ellichi bekannli Slrossburjer 
kumme und schiesst ppf — pum — poum, e Maron d'air ab. 
Der Admiral thut sine Gollesdischrock an, d' Matrosse wasche 
s' Verdeck unn ihri G'sichter unn begäwwe sich derno au in de 
Staat, um im Schifferstand vun Strossburck Ehr ze mache. Die 
Pariser-Strossburjer mit Name A. B. G. unn D. springe in's 
Schiff unn rufe im Chor «Willkumme, Willkumme, ihr liewi 
Landslit, Vivat der Admiral leb' hoch! Ehr unn Respeckt für 
denne der s' Gurage hett ghet ze Wasser vum Rhin in d' Seine 
ze fahre. }[> 

Alles umarmt sich unn grynt vor Freide üwwer 's glückli 
Gelinge vun dem Unternemme. 

Der Admiral losst sine Flaschekeller uff 's Verdeck bringe, 
der Mousse soll d'Römer zum Rhinwyn schwenke, wie dis der 
A und der B sehn ruefe si ze glicher Zit Nix do, ken Wyn, ^ , 
Bier uff* de Lade ! 

Der Admiral: Naze denn I i ha ich 200 Ehmle Mirackels «sc s 
Lauerbier us der Hoffnung mitgebrocht ; he ! d'Schoppe-Glässer ^^^ r 
eruff, ihr nun de di^s Matrosse riehre ich oder s*derf mer ^"^«^ ^ 
kenner vun ich zum Schiff nus für d' Stadt ze b'sQhaue. 

Jetzt trinke si G'sundheite vum Admiral, vum Volontaire, 
unn vun der ganze Schiffmannschaft, au vun denne wo in 
Strossburck e Fraid an dem Geschäft henn. Bi errre jede 
Gesundheit wurd e maron d*air abg'firt. 

D e r G : Wer hett denn die famose Maron gebäschelt? 

Der Volontaire: Was frou ä ner, ihr sinn jo au 
ardeficie g'sin in der Zitt vum Spitzel, vum Guslei, vum Maus 
unn vum Capitaine Schnaps, wer hell denn als geschafft wo di 
getrunke henn ? 

Der D : 'S isch wayer na wohr, dis isch im Admiral sin 
Bruder, allo, uff's Karl sin Gesundheit. 

Alli z'samme: Bravo, 's gilt, dass em d'Ohre klingle ! 

Derwylst hell der Mousse d'pliants uffg'stellt, merr setzt 
sich unn b'stürmt de Admiral mit Frouje üwwer sin schnelli 
Fahrt. 

DerA. zuemAdmiralrDu sollst, bi Gott, jetz d* Seine 
nah fahre üwwer Ronen, Ha vre, durch d' Manche noch Amster- 
dam unn de Rhin nuff zeruck uff Strossburk. 

Der Admiral: I ha vun dem Way im Risse geredt eh 
i fürt bin, do hett mer awer e praktischer Rhinschifffahrts- 



— ■? 




— 57 — 

Gelehrter bemerkt, dass d* Meereng so schmal isch dass merr 
nit e rächt drinn lawiere kann, unn dass durch di Engl au 
d' Wind ze stark drinn gepfrengt sin. 

D e r A : Dem hätt i g'sait, wenn de so redst, verstehscht 
6 Lokäs dervon. 

D e r B : Jo do wärst de gut ankumme, min Vatter hett 
em e mol so ebbs ufF der Wachtstubb widderredt, do hett er 
em zer Antwort gän: «Zä wärde di Alii z'samme Essel g'sinn 
wo mi zuem Woldischeer Scherschand gemacht han ! 

Der Admiral zue sine Lyt: Esse-n-ihr jetz z'Morje, 
unn aerno de Kessel uff 's Fihr vur d' Läwwerknöpfle. 

D'G'sellschaft stimmt 's Lob vun Strossburri, vum Vetter 
Daniel an, unn singt: 

„I bin e hiesis Burrjerskind, 
„Unn Zell isch halt min Lust etc. 

IV. 

S' Abfihre vun de Marens helt vyl Neugirigi derzue gelockt, 
unter Anderm au e G'sellschaft vun gemutzte Herre und Ma- 
dame, die um d' Erlaubniss g'frout henn d' Schiff ze b'sichtige, 
diss hett ne der Admiral gern zueg'sait. 

Uewwerdem hohle d' Matrosse, zu ihrem Frueistuck, e 
frische Makkünimikäss, vum Hetzel, in erre Lad erruflf, unn 
wi di eint Madam di schön Lad sieht kumme satt si zuem e 
Herre : «Ah mon dieu, Monsieur comme cet amiral traite son 
Equipage voilä qu'on va leur donner un pat^ de foie d'oie ä 
dejeuner, pour le moment je voudrai bien ötre un matelot, 
approchons un peu si c'est un pate du gros Müller. 

Le Monsieur : II ne faut pas vous 6tonner de cela, Madame, 
ces gens viennent de Strasbourg ou Ton a ces pat^s lä pour 
rien, on y en mange dans les brasseries. 

Underdesse sinn die zwei grad an de Disch kumme wo e 
Matross de Deckel vun der Lad hett g'hebt, unn do d' Madam 
ihr Nass e bissei ze noth hett gebrocht, se hett si denne Käss- 
trüffel-Geruch vun der erste Hand krijt. 

La Dame : Oh quelle infection, quelle horreur ! ce päte 
est tonti pourri, vite mon eau de senteur. 

Le Monsieur : Je vois maintenant, Madame, ce que c'est, 
c'est un pät6 de rebut que le patron a probablement achete au 
rabais, je connais cela. 

Indem hört merr : plan-ran-plan, plan-ran-plan, plan-ran- 
plan, d' Dambure vunn der Nationalgard schlupfe us de Gasse, 



1 Lies : tout. 



— 58 — 

grad wie der Admiral de Madame hett welle mit Wolxemer 
unn mit Zwiebächle vum Elephantebeck uffwarte, die Herre 
welle awer nim Stich halte. 

Un monsieur ä Vamiral : Nous vous sommes trös recon- 
naissanls, monsieur, de Tacceuil gräcieux que vous avez bien 
voulu nous faire, volre nom est das ä präsent inscrit dans las 
annales de Paris, permettez que nous vous adressions nos bien 
sinc^res felicitations sur la r^ussite de votre courageuse entre- 
prise, je suis redacteur d'un Journal et si cela vous plait, vous 
redigerez vous-meme un articie ä votre 6loge, je me ferais un 
plaisir de Tinsörer dans ma feuille et vous ne m'en payerez 
que trente sous par ligne d*impression, autrement ni moi, ni 
mes confröres ne pourraient rien dire en votre fäveur. 

L'amiral au journaliste : Merci, mon hon monsieur, je ne 
suis pas venu ä Paris pour recueillir des eloges, je voulai 
seulement faire voir ä mes compatriotes qu'il faut savoir marcher 
de ses propres jambes, pour toute recompense, j'ambitionnai un 
bon chargement en retour et comme il m'est d6jä assure et 
audelä, j'ai bien Thonneur de vous saluer. — Der Admiral 
nickt em mit em Kopf zuem Abscheid und denckt noch ebb's 
derzue. 

Der Volontaire; Jetz saue merr nix meh üwwer d* 
Nazionalgard seeli vun Strossburgck, Allwi ihr do gebabbelt henn 
ze hawi denne eine g'frout worum's rapplirt, ze satt er merr, 
sisch dass sie Zitt henn zuem Capitain ze kumme, vun dem 
zuem Chef de Bataillon, derno zuem Chef de legion unn Mass 
si endli üwwermorje ufF em Platz yntreffe wo si der Kinni an 
sim Namesda musterre wurd. 

Bach! 



An Jacob Jung 
dem wackern Strassburger Schiffmann, der erste der 
die Fahrt von hier aus auf den Vereinigungs-Ca- 
nälen zwischen dem Rhein, der Rhone, der Saone 
und der Seine nach Paris unternahm und in 24 
Tagen glücklich vollführte. 

Brav Schakob, 's isch e Meisterstück 

Dies du do unternumnie, 

So geschwind unn mit so vielem G'schick 

Bis noch Baris ze kumme. 

Unn 's Brüschel, d' 111, unn d' Seine unn d' Khon, 

Si mache grossi Aue, 

Als sie de brave Strossburg's Sohn 



— 50 — 

Uflf ihrem Wasser Vschaue. 

De Wälsche hescht es jetz gezait 

Was d^ Schiffische hie kinne, 

Unn dass mer mit Beharr likeit 

Gar viel eruss kann sinne. 

Viel Pfanne hescht de nfPgedeckt, 

De lost di nix verdriesse; 

Am Mascht dort unser Fähnel steckt, 

Es grüsses daasig Schliese. 

Im Pang Nef (Pont-Nenf) bringst e Binsekranz, 

Es macht Blesir diss Strissel, 

Es glicht bi Gott so gar unn ganz 

Der warme Zürcher Schüssel. 

D' Barisser saue Sacredie ! 

Sinn doch nitt vun de Dumme, 

Dis sinn ma foi kenn Tete car6 

Die do ze schwimme kumme. 

Hest ne e Gruess vun Strossburri g'sait, 

Unn au vom Schifflit Staade? 

Unn dass merr mit der gröschte Fraid 

D' Seine zu derr 111 duen lade. 

Unn dass merr alli Kerrel sinn, 

Unn Strossburjer Franzose, 

Unn dass merr bliwe wie merr sinn 

Unn nitt vum Fähnel lose? 

Hest Schakob, hest *s ne herzaft g'steckt, 

D' Hundsfütter nitt ze mache, 

Unn was am Mascht dort owwe steckt 

Nacht fescht mit uns ze bache? 

Jetzt kumm Schakob, gibb merr e Hand, 

E Gumbbe möcht i leere, 

E Gumbbe Win dem Vaterland, 

De Schiffische ze Ehre. Gottlieb Stob er. 



VII. 

Dagobert Sigismund Reichsgraf 

von Wurmser 

Kaiserlicher Feldinarschall (Marschall «Vorwärts»), geb. 
lu Strassburg 7. Mai 1724, 7 zu Wien 21. August 1797. 

Ein £l$&s$er Lebens« und Charakterbild aus dem 18. Jahrh. 

Von 

Stieve-Zabern 

Ehrenpräsident des T. C. 

LH^ F;inulie der Wurmser geborte zu den ältesten und 
T>t^ohj^e^\ PAlritier-Geschleohlem der Stadt Strassburg. Ihre 
iVn«\()>Y)«^ reiohl in den Auffing des 14. Jabrbiindats zurück, 
t^"» o?>5^ ."e^t x\M> t4Äi ^dom Jl;ibr« in wekrbem die freie deutsche 
Kx^.>hssu.U >h*v \Vrf,'*>^:5iun^ Yo!>niete^ bis zum Jahr 1790, 
\n \>v^h<\« ,v?^ ivwvutiv^aÄre Munii:ivilv«rfassiii^ ins Leben 
^lAU ivK';^;.uM<Hi uvht »vuvp^r jiN vieneha Wurmser die 
\\\;>\>^ <Ni^,^^ <ivwi?Mvn.ieÄ S:e:::;uxs:er?>, das faocfaste und 
b\AV.N\^i\^';, h^ Auu xu^r K?n^iV, k. r:e Fj^iiülie teille sich um 
<W \; ,vs^ »Avx^x^ Wurmser v.c Schi5o«^ieiin und 
\\ «i ,v>o^ ^^^^^, \<H\x<^, ^.;^ /,.. >:i 5C>f w5eier seit iOi2 mit 
.N ,svi VX\\v\^K\;.\j, \i^, ^^^x:uu^ai<: :,-,: ?.>JC Kä ScbkUstadt. 
A\ U.^^^,. \\ o>\ V\<iv *>^ $».^>\*» .t: ^^x 15 :iri !o. Jahrliuiidert 
V sv \\v,\"^,,\\ \ V^.N\^\\,. ^^ ^\^v^''vc r* h*i.S»c durdi die 
>'v A'-s ' .'* .^vvws. ^^ >sv ^ ^ X ,^ Xv .»^ W j: r t: s e r lieferte 1583 
, ,s . >^' V .v^sXa \^Nvv^^ WS* Vv:r,N^^c^^-£ A? Fil^aunen war 
^, >Ns» As nA ^^s>\v\n.>^ ^,A ,v ". x-^ Jx:*fra* Ke Stadt 
N \^^, V w ^s v.v'xvN». ,'\ VxV».\K >*t< >f«4 "cf Krxrc for die 



— 61 — 

volution. Auch der letzte Strassburger Stettmeister war ein 
Wurms er. Der Wurmser-Hof, auch SchäfFolsheimer-Hof ge- 
nannt, lag in Strassburg, Elisabethstrasse 1. Die Sundhauser 
Linie hatte einen eigenen Hof am heutigen Broglie (Reichsbank). 

Unser W u r m s e r gehört der Sund hauser Linie an. Sein 
Vater Jakob von Wurmser (1660—1746) hatte 13 Kinder, von 
denen nur dieser eine Sohn und eine Tochter ihn überlebten. 
Dagobert, geb. 7. Mai 1724 zu Strassburg, wurde dort in 
St. Nikolas getauft. Im Alter von siebzehn Jahren trat er in 
den Dienst des Königs Louis XV. und zwar in das Regiment 
Royal-Allemand (cavallerie) und bewies im ösfreichischen Erb- 
folgekrieg (1740 — 1748) in den Niederlanden solche Bravour, 
dass er 23 Jahre alt das Patent als capitaine de cavallerie er- 
hielt. Hatte er damals gegen die Kaiserlichen gefochten, so 
focht er nicht minder tapfer an deren Seite im siebenjährigen 
Kriege (1756 — 1763) gegen den König Friedrich IL von Preussen. 
Am Ende des siebenjährigen Krieges war er bereits französi- 
scher Brigadier und Oberst eines Husaren-Regiments. 

In Strassburg hatte damals das Franzosentum noch wenig 
Wurzel geschlagen. Die Annalen jener Zeit sind voll von 
Klagen über die Erpressungen, Bedrückungen, Willkür und 
Ungerechtigkeit der Franzosen. «En 1752 prit fin la d^sastreuse 
admi^istration du pr6teur royal Klinglin. II laissa une Situation 
d6plorable: le tr6sor public 6tait ä sec, et les dettes de la 
ville montaient ä 2 855820 livres. Pour faire face aux besoins 
et aux exigences de la cour (Mätressen), on puisa dans la caisse 
de la fortune patrimoniale ; on ali^na pour 750 000 livres de 
propriet^s ; on vendit des rentes ; on fit des emprunts, et en 
quelques ann^es les dettes de la ville montärent ä 5 millions. 
En 1752 la ville paya 150000 livres pour Tinslallation de Tln- 
tendance dans le palais (dem heutigen Statthalter-Palast) de 
M. de Klinglin et la construction de ses bureaux. En 1758 
«don gratuit» de 360000 livres. La ville frappa de nouvelles 
taxes les vins, les eaux-de-vie et la viande. En 1756 la caserne 
de la Finkmatt fut achev6e; eile coüta ä la ville 760000 livres. 
En 1762 «don gratuit:» de 200000 livres pour la marine. Sogar 
das Gonseil sou verain d'Alsace (Staatsrat) schrieb 1768 an den 
König : La province est ^puis^e. Get ^puisement est le r^sultat 
de la masse incroyable d'impositions qu'elle supporte. Par sa 
Position, TAlsace devrait ötre Fentrepöt de tout le commerce 
entre la France, l'Allemagne, la Suisse et Tltalie, et, par suite 
des nombreux impöts ^tablis dans le cours du siäcle, ce com- 
merce a pass6 ä Tötranger. Strasbourg, qui etait une des 
premi^res places de commerce de TEurope, n*est plus aujourd'hui 
qu'un thöatre de banqueroutes et une simple ville de guerre, 



— 62 — 

reduite ä ud faible commerce de delail.»i Entgegen dem Art. 
VI der Kapitulation von 1681, welcher stipulierte : cque toute 
la boui^eoisie demeurerait exempte de toutes contributions», 
wurde die Stadt auf jede Weise nicht nur vom König und 
seinem Hofe, sondern auch von der Zivil- und Militärverwaltung, 
ja sogar für die Taschen der Beamten und Generale ausge- 
beutelt. In der Zeit von it58i bis 1789 wurden in Strassburg 
widerrechtlich beigetrieben : 

an Kopfsteuer (impot de capitation) .... 11 938405 livres 

für sog. dons gratuits (erzwungene Geschenke) 8 388691 > 

für Kasernen, Hauptwache, Militär-Spital . . 11 001209 > 

für Fortifikationcn 5 940764 > 

Dienstwohnungen der G^nei*ale u. Intendanten 10 811090 > 

für Gehälter des Conseil souverain .... 378228 > 

Bodenwert der Zitadelle 400000 > 

für das Gestüt 250000 > 

Gelegenheits-Geschenke, Handsalben, Gratifi- 
kationen, Reisegelder, Festlichkeiten, 

mindestens 3000000 d 

Summa . . . 54108387 frs. 

Darf man sich wundern, dass Wurmser dieser bour- 
bonischen Misswirtschaft den Rücken kehrte und, in Erinnerung 
an die deutsche Reichs-Herrlichkeit seiner Vaterstadt, nur in 
der Rückkehr zu Kaiser und Reich das Heil des Elsasses er- 
blickte? Schon sein Vater und andere Adelige, sowie auch 
viele Bürger waren im Unmut über den Niedergang der Stadt 
und des Landes ausgewandert . Ihn selbst finden wir, während 
er noch in französischen Diensten stand, in Beziehungen zu 
Kaiser und Reich. Die Niederelsässer Reichsritterschaft war 
nach Art. 87 des westfälischen Friedens reichsunmittelbar ge- 
blieben. Wurmser liess sich der rechtsrheinischen (Orte- 
nauischen) Ritterschaft einverleiben, und wurde durch Kaiser- 
liches Patent vom 30. Januar 1761 von Kaiser Franz I. (ehemals 
Herzog von Lothringen, Gemahl der Kaiserin Maria Theresia) 
in den Reichsgrafenstand des heiligen römischen Reiches deutscher 
Nation erhoben. In dem Patent 2 wird gesagt : «Da Wurmsers 
Geschlecht sich bei mehren Gelegenheiten für das gemeine 
Beste sowohl in Kriegs- als in Friedenszeiten durch mannig- 
faltige Dienste besonders hervorgetan, und da er ansehnliche 

1 Vgl. E. Maller, Le Magistrat de la \ille de Strasbourg (Stras- 
bourg, Salomon 1862) S. 93. 

* Vgl. Mitteilungen des K. K. Kriegs- Archivs (Wien, Waldheim 
1878) S. 82; Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaisertums 
Oestreich, Bd. 59, S. 5. 



— ef!4 — 

und mit ihm in den Dienst des Kaisers trat, bestand aus einem 
Infanterie-Regiment (zwei Bataillone ä 2 Grenadier- und 6 Fü- 
silier-Kompagnien), einem Husaren-Regiment (6 Schwadronen, 
jede zu '2 Kompagnien) sowie einer Artillerie-Kompagnie mit 
6 Geschützen. Das Korps hatte einen Sollstand von 1250 Mann, ,^ , 
war aber nicht komplet. Es wurde deshalb mit ihm folgender — 3» :r 
Akkord geschlossen ; 1. der Graf von W u r m s e r tritt al^== ^5 
Generalmajor in K. K. Dienste ; jedoch wird ihm, falls er:m: ^=Br 
beim Friedensschluss in andere Dienste treten solUe, deiÄ ^^er 
Charakter als General-Feldmarschall-Leutnant beigelegt. 2. ünnaTr m 
das Korps zu komplettieren und auszurüsten, werden dem Ge-^^-we- 
neral Wurmser 700000 livres ausgezahlt, die eine Hälfte sofort J^ -i^rtj 
die andere in zwei Terminen. 3. Die beiden Regiments-Komman.c^x' jan« 
deure Baron von Wimpffen und Baron von Kirch heim werde« ^=^ ^ei 
zu K. K. Obersten ernannt, und erhalten bei Friedensschi us ^ .«ljss 
den Charakter als Generalmajore, falls sie in andere Dienst :9"25s $t£ 
gehen wollen. 4. falls dies nicht geschieht, werden sie i m: in 
ihrer Charge und Gehalt als Obersten belassen; alle übrige ^^"^en 
Offiziere können alsdann ohne Anstand und ohne dem Alles: '^^ er- 
höchsten Aerario weiter zur Last zu fallen, entlassen werden»" ^seo. 
Als dieser Akkord geschlossen wurde, waren die Friedens .Mrmis- 
verhandlungen auf Schloss Hubertusburg bereits im Gang^-^^^e. 
Am 15." Februar 1763 wurde der Friede unterzeichnet, d^-fcjer 
dem siebenjährigen Krieg ein Ende machte. Es folgten (im'^tüv 
Wurmser einige Friedensjahre, während deren er 17™ "^73 
zum Feldmarschall-Leutnant aufrückte, und 1775 Inhaber d-^=ies 
8. Husaren-Regiments wurde. In diese Zeit fällt auch seir: -Ana 
Vermählung mit Sophie Freiin von und zu der Thann so w^ ^ Jf ie 
der Ankauf der Herrschaft Dobranitz in Böhmen, wo sei -Äine 
Familie gewöhnlich wohnte. Seine Anhänglichkeit an sei 
Elsässer Heimat aber fand ihren Ausdruck darin, dass er s^ 
Hauslehrer seiner Kinder einen jungen Strassburger Theolo[ 
Georg Friedrich Donauer nach Dobranitz kommen Hess, 
wie hohem Masse Donauer sich des Vertrauens seines Hei 
erfreute, ergibt sich aus dem Briefe d. d. Dobranitz le 10 A^ 
1778, welchen wir als Anlage mitteilen. 1 Der Brief ist zuglei 
ein Dokument liebenswürdiger Fürsorge des Generals für 
Seinigen : die Kinder sollen nicht erfahren, dass der Pj 
sich den Gefahren des Krieges aussetzen muss; für j( 
einzelnen seiner Domestiken sorgt er väterlich gutherzig, 
seiner edlen Freigebigkeit wird aus der Zeit des siebenjährij 




1 Ich verdanke diesen Brief wie auch das Porträt des Marsch.»^ 
dem Herrn Bankdirektor Gustav Ungerer zu Strassburg (Ban^ffe 
de Mulhouse), einem Urenkel des Donauer. 



*^< 



— 66 — 

Anfang März abgeschlossene Waffenstillstanfl, welchem der 
Friede von Teschen 43. Mai 4779 folgte, setzte Wurmsers 
Tatendurst ein Ziel. Das Kommandeurkreuz des Maria There- 
sien-Ordens und ein äusserst gnädiges Handschreiben des 
Kaisers Joseph II. war sein Lohn. 

Im September 4787 wurde Wurms er General der Ka- 
vallerie und^ als der Türkenkrieg ausbrach, vom Kaiser zum 
kommandierenden General und Gouverneur in dem durch die 
erste Teilung Polens erworbenen Galizien ernannt, wo er sich ^^ 

durch Gerechtigkeit und Humanität die Liebe der Bevölkerung -«->, 

erwarb. Er konnte deshalb an dem türkischen Feldzug 4788|89 ^^;c 
nicht teilnehmen. 

Es folgte der Ausbruch der französischen Revolution 4789. _ ^9^ 
Kaiser Leopold II. (4790 — 92) konnte nicht ruhig zusehen, wie ^^ie 
das französische Königspaar, sein Schwager und seine Schwester, ^ -s r 
entthront wurde und die Expansivkraft der Revolution die ^^ i je 
Grenzen des deutschen Reiches bedrohte. Durch die revolutio- — <i>o- 
nären Dekrete von 4789 bis 4794 waren zahlreiche deutsche^^ Ä::*he 
Reichsstände um ihre Besitzungen und Rechte auf dem hnketkMrm ^^en 
Rheinufer gekommen: der Fürstbischof von Strassburg, der-x-^ er 
Fürstbischof von Speier, Kurmainz, Kurtrier, Kurköln, Würt — jf'-iÄrt- 
temberg mit 9 Herrschatlen, Hessen -Darmstadt mit 90 Ort— J"iBrt- 
schaften, Pfalzzweibrücken (mit den Aemtern Lützelstein, Bisch— -Ä^-h- 
weiler, Gutenberg, Selz, Hagenbach, Kleeburg, Rappoltstein)^ O ^^)> 

Baden, Nassau, Leiningen, Löwenstein, der Deutschorden 

alle schrieen in ihrer Not um Schutz und Hilfe zum deutschem«: ^^ en 
Kaiser. Der Kaiser kam deshalb am 24. August 4794 mit denrMTM^m 
König Friedrich Wilhelm IL vonPreussen in Pillnitz zusammen, ä^ääh, 
und beide unterzeichneten eine von den emigrierten bourboni — i ^' 
sehen Prinzen formulierte Erklärung, dass sie den französischere ^^ ^Q 
Thron schützen, der Anarchie in Frankreich ein Ende macher:« ^^ ^'^ 
und die soziale Ordnung Europas retten wollen. Aber Leopold II I HL 
starb schon am 4 . März 4792. Im folgte sein Sohn Franz I1 1 m» 
(4792—4806), der letzte deutsche Wahl-Kaiser, der letzte :» S^fe 
deutsche Kaiser aus dem habsburg-lothringischen Hause. E:I^2JEs 
dauerte bis zum 28. Juli 4792, dass der preussische Oberbe- ^^'ß- 
fehlshaber Herzog Ferdinand von Braunschweig im Namen de ^^ -®s 
Kaisers und des Königs von Preussen der französischen Natio«' ^^^^'^'^ 
seinen Einmarsch in Frankreich ankündigte, und zwar in einenrnÄi -ßi 
hochtrabenden Manifest, welches den Nationalstolz der Franzosev -s^^Q 
stachelte, die revolutionäre Regierung als Verteidigerin de^3^ ^^ 
Vaterlandes legitimirte, und die von dem emigrierten franzö^^^- 
sischen Adel gebildeten Emigrantenarmeen in die Rolle vor — ^^ 
Feinden ihres Vaterlandes drängte. Im August 4792 rückte^^o 
die Verbündeten in Frankreich ein. Sie glaubten, einen leicht^sso 



— 68 — 

das Elsass für Kaiser und Reich wiedergewinnen. In ihm 
glühte das kriegerische Feuer der alten Alamannen. Endlich 
erhielt er von Kaiser Franz II. die Erlaubnis, trotz Braun - 
schweig gegen die Weissenburger Linien vorzugehen. Lauter- 
burg war das östliche, Weissenburg das westliche Bollwerk 
dieser im Jahr 1706 von Ludwig XIV. angelegten, vier Stunden 
langen Verschanzungen auf dem rechten Ufer der Lauter. Doch 
zuvor musste der Rucken gedeckt und die Pfalz von den Fran- 
zosen gesäubert werden. Am 11. August 1793 griff W u r m se r 
die französische Moselarmee an und drängte sie bei Pirmasens, 
und am 20. August aus Jockrim zurück. Von Braunschweig 
wegen dieses er Ungehorsams» getadelt, Hess Wurmser sich 
nicht stören, sondern setzte im Monat September sein <k Jagen 
im Bienwalde», wie man es im preussischen Hauptquartier 
nannte, erfolgreich fort. ccSchlug man die französischen Heere 
vernichtend», sagt Sybel (Franz, Rev. II, 258), «so war nichts 
gewisser, als dass General Wurms*er von dem Elsass mit 
vollem Jubel als Befreier empfangen und dieses Land ohne 
weiteres gewonnen wurdei^. 

Die Franzosen unter General Carlin hielten die Weissen- 
burger Linien mit 51590 Mann besetzt, Wurmsers Armee 
zählte nur 43185 Mann, worunter 9596 Reiter und 2323 Emi- 
granten unter dem Prinzen Cond6. Aber Wurmser besass 
das vollste Vertrauen seiner Soldaten und konnte sich auf ihre 
Tapferkeit und Hingebung verlassen. Der Angriff erfolgte in sieben 
Kolonnen gleichzeitig auf der ganzen Linie. Am 13. Oktober 
1793 früh 3 Uhr schlug Wurmser seine Brücken über die 
Lauter. Das Geräusch weckte die Franzosen. Sie eröffneten aus 
der befestigten Bienwaldmühle ein heftiges Karlälschenfeuer. 
Dies hinderte aber die Kaiserlichen nicht, mit dem Bajonett den 
Wall zu übersteigen und mit dem erbeuteten Schanzzeug Wall- 
übergänge für die Reiterei und Artillerie zu bahnen. Die 
Franzosen wurden geworfen. Nachmittags wurden die Redouten 
bei Gross- und Klein -Stein feld und Nieder-Otterbach genommen, 
und der Geisberg von dem Condöschen Korps erstürmt. Ein 
Tor von Weissenburg wurde eingeschossen, und um 6 Uhr 
Abends die Stadt erobert. 

Noch in der Nacht retirirte die französische Armee auf ^ 
Hagenau. Sie hatte ausser zahlreichen Positions- und Feldge- 
schützen 12 Fahnen und gegen 8000 Mann verloren. Der Ver- 
lust der Kaiserlichen betrug nur 11 tote und 33 verwundete ^ 
Offizieie und 1477 Mann, worunter 341 Tote. Am 14. Oktober- 
stand Wurmser in Hagenau, von der Bürgerschaft mit Jubek- 
aufgenommen. Am 17. Oktober wurde Fort Louis eingeschlossen- 
und am 14. November erobert. Ueberall in den Dörfern kamei» 



— 69 — 

die Bewohner festlich geschmückt Wurmser als ihrem Be- 
freier entgegen. In Sulz u. W. wurde sein Sieg durch ein 
Tedeum gefeiert. Seine Husaren streiften bis vor die Tore von 
Strassburg. Er hatte in Strassburg gute Freunde. Zwei De- 
putierte der Bürgerschaft kamen zu ihm mit der Bitte, er möge 
schnell kommen und die Stadt besetzen. Ein Konvents-Kommissar 
Baudot hatte nämlich öffentlich erklärt: Sitrassburg eigne sich 
nicht für die Freiheit ; wegen seiner Sprache, wegen seiner 
Sitten und wegen seines Handels hänge es an Deutschland ; 
man müsse es deshalb ganz umwandeln und seine für die 
Knechtschaft geeigneten Bewohner in das Innere Frankreichs 
versetzen und eine Kolonie von Patrioten nach Strassburg ver- 
setzen ; Marat habe im Konvent nur 200000 Köpfe verlangt ; 
wäre aber auch eine Million nötig, man müsse sie abschlagen. 
Derartige Drohungen bewirkten, dass die Slrassburger in 
Wurmser ihren Retter herbeisehnten. Er verlangte Frist, 
um in Wien anzufragen. Er glaubte, Strassburg könne ihm 
nicht entgehen. 

Aber durch Braunschweigs Untätigkeit gingen alle Erfolge, 
die Wurmser an der Spitze einer heldenmütigen Armee 
errungen hatte, wieder verloren. Der Sieger von Weissenburg, 
dessen Waffen taten der Kaiser durch das Grosskreuz des 
Maria -Theresien-Ordens geehrt hatte, sollte keine Lorbeeren 
aus dem 1793er Feldzuge einheimsen. I 

Der preussischen Politik, wie sie sich seit 1740 durch 
Friedrich IL entwickelt hatte, lag nichts ferner, als dem Kaiser 
zu helfen, das Elsass wiederzugewinnen, ßraunschweig erhielt 
den Befehl, seine Truppen niemals in ein ernstliches Unter- 
nehmen zu verwickeln. Er befolgte gern diesen Befehl und 
dachte nur noch an gute Winterquartiere in der Pfalz. 

Wurmser machte zwar noch einen Verstoss gegen 
Zabern (22. November 1793), musste sich aber vor der Ueber- 
macht der Franzosen, die über die Zwietracht der Verbündeten 
gut unterrichtet waren, bis hinter Hagenau zurückziehen, und 
deckte seine Stellung von Reichshofen bis Drusenheim a. Rh. 
durch 28 Schanzen. Hier hatte er mit seiner durch Verluste 
geschwächten Armee den Angriff der ganzen von Pichegru ge- 
führten französischen Rhein-Armee zu bestehen. Jeden Tag 
folgte ein neuer Angriff ; am 2, Dezember auf der ganzen Linie, 
wobei die Condösche Emigrantenarmee bei Berstheim tüchtig 
stritt. Mit derselben Erbitterung schlug man sich am 4. und 
8. Dezember auf der ganzen Linie. Die Franzosen waren ge- 
wöhnlich anfangs durch ihren ungestümen Angriff im Vorteil, 
konnten aber die zähe Tapferkeit der Kaiserlichen nicht über- 
winden. Letztere, ohnehin die Minderzahl, schmolzen indes, 



— 70 — 



/ 



tägUch im Gefecht, immer mehr zosammen. Am 11. Dezember 
bat War ms er den Herzog von Braunschweig drillend um 
Unterstützung. Aber Braunschweig, eingedenk seiner Nieder- 
lage von Habeischwert, liess Wurmser im Stich. Wie zum 
Hohn gab er ihm den Rat, sich hinter die Sauer zuräckzuzi^en, 
und liess es geschehen, dass auch noch die Moselarmee unter 
Hoche sich auf Wurmser warf. Der 24jährige Genei*al 
Hoche, welcher in Zeit von zwei Jahren vom Sergeanten zur 
obersten Würde im Heer gestiegen war, übernahm den Ober- 
befehl über die vereinigte Mosel- und Rheinarmee. Hoche 
griff mit dreifacher Uebermacht bei Wörth und Frösch- 
w ei 1er den rechten Flügel Wurmsers an. Wörth und 
Fröschweiler wurden trotz heldenmütigen Widerstands mit 
Sturm genommen und 20 Kanonen erobert. Wurmsers 
Stellung war umgangen. Er musste sich auf dasselbe Weissen- 
bürg zurückziehen, welches er vor zwei Monaten erobert hatte. 
Seine Armee war durch 37 Schlachten und Gefechte erschöpft 
und entmutigt, ohne Brot, ohne Munition, mit lausenden von 
Kranken belastet ; die Wege bodenlos. Der alte Wurmser 
weinte wie ein Kind- bei dem Anblick all des Elends, bei dem 
Scheitern seiner feurigsten Wünsche. Am 26. Dezember wurde 
noch um den Geisberg gestritten. Am 30. Dezember ging 
Wurmser bei Philippsburg über den Rhein auf das rechte 
Ufer zurück. 

In der Revolutionsarmee war es Regel, dass, wenn ein 
General nicht siegte, er die Guillotine besteigen musste. Das 
geschah unserm Wurmser nicht. Aber er wurde auf Be- 
treiben Preu§sens_unier_2^ Rhein- 
armee abberufen, und nahm an dem unglücklichen 1794 er 
Feldzug (in den Niederlanden) nicht Teil. Am Oberrhein fiel 
nichts erhebliches vor. 

Das Jahr 1795 begann für das deutsche Reich verhängnis- 
voll. Am 5. April 1795 schloss Preussen mit der französischen 
Republik den Separatfrieden von Basel, den diplomatischen 
Vorläufer der Katastrophe von Jena. Der deutsche Kaiser 
(ohne Preussen) musste allein den Krieg fortführen. Durch 
äusserste Anstrengung gelang es, die kaiserliche Armee bis 
auf 200000 Mann zu bringen. Aber der Oberbefehl wurde 
nicht in geeignete Hände gelegt. Der deutsche Reichsfeld- 
marschall Clerfayt, als General früher vielfach erprobt, war 
ein gebrochener Mann. Trotz aller Mahnungen des Kaisers 
war er nicht zu bewegen, den Rhein zu überschreiten und zur 
Offensive überzugehen. Seine Armee, von Dasei bis Düsseldorf 
auf dem rechten Rheinufer auseinandergezogen, gab kein 
Lebenszeichen von »ich. — Da ent schloss sich der Kaiser um 



— 72 — 

Gefangene, darunter 100 Offiziere und 2 Generale. Am gleichei 
Tage warf W u rm s e r die Franzosen von den Höhen de 
Galgenberges und Rabensteins bei Heidelberg. 

Aber Clerfayt nutzte den Sieg nicht aus, und verfolgte dei 
fliehenden Feind erst, als VV u r m s e r ihm seine besten Truppei 
schickte. In der Nacht des 3. November setzte Wumser 1^ 
Bataillone und 40 Eskadrons bei Worms über den Rhein, un< 
schlug Pichegru in zwei aufeinanderfolgenden Treffen be 
Frankenthal in der Pfalz. 

Jetzt war auf dem rechten Rheinufer nur noch die Festun; 
Mannheim in den Händen der Franzosen, Die Stadt gehört 
dem Kurfürsten Maximilian Joseph von Baiern-Z weibrücken 
und war durch dessen Untreue von den Franzosen (etwa 80ü< 
Mann) besetzt. "W urmser schritt sofort zum Angriff auf di 
französische Armee, welche Mannheim decken sollte. Mit den 
Rufe «wer folgt mir?» führte er persönlich seine Husaren gegei 
den Feind, und konnte nach glücklichen Gefechten und einer 
mörderischen Bombardement am 22. November die Schlüsse 
der Festung zu seines Kaisers Füssen niederlegen. Die fran 
zösische Besatzung musste die Waffen strecken. 383 Geschütze 
30000 Gewehre und grosse Vorräte wurden erbeutet. Dei 
pfälzischen Minister Oberndorf, ein Hauptwerkzeug des Verrats 
liess er verhaften. 

Wurmsers Erfolge wirkten so entmutigend auf di 
republikanische Armee, dass ihr Oberbefehlshaber Pichegru di 
Stunde gekommen glaubte, um die Bourbonen nach Frankreicl 
zurückzuführen. Er stand schon längst in geheimen Verband 
lungen mit dem Prinzen Conde, welcher mit seiner Emigranten 
armee unter W u r m se r bei Mannheim focht. W u r m se 
wurde von Gond^ ins Vertrauen gezogen, verhielt sich abe 
gegen diese geheimen Umtriebe ablehnend. Wurmsers Zie 
war nicht, die Bourbonen in sein geliebtes Elsass zurückzu 
führen; auch nicht auf geheimen, verräterischen Schleichwegen 
sondern als ehrlicher Soldat wollte Wurmser sein Ziel er 
reichen. Er stand damals auf dem Gipfel seines Ruhmes un« 
seines Lebens. Der Kaiser verlieh ihm den Marschallstab. I 
der kaiserlichen Armee hiess er, (im Gegensatz zu dem zag 
haften Clerfayt) nicht anders, als der «Marschall VorwärtsI 
«Besonnenheit im Unglück, Kaltblütigkeit in der Gefahr, Stand 
haftigkeit, Zuversicht, Goltvertrauen, die schönsten Tugende 
des Soldaten zieren diesen Mann», schrieb damals Für 
Dietrichstein über ihn. In seinem Hauptquartier ging es sei 
einfach zu. Wurmser selbst war zeitlebens ein Wasse 
trinker. In seinem Hauptquartier herrschte, wie Graf Bell ■ 
garde schreibt, herzgewinnende Einfachheit und Frohsinn, j^ 



- 73 — 

herrliche Fröhlichkeit und Heiterkeit, welche die süsseste Mit- 
gift eines vorwurfsfreien Herzens sind. Herzenssache war ihm 
auch die Fürsorge für seine Soldaten, besonders für kranke 
und verwundete. Was ihn aber in jener Zeit besonders auS' 
zeichnet, ist sein echter deutscher Patriotismus, wie 
derselbe aus seinem Dankschreiben an den Kaiser hervorleuch- 
tet. «Möge nur Gottes Segen», schreibt er, «auf allen meinen 
Bemühungen für die Wohlfahrt unseres Vaterlandes ruhen, 
um Ew. Majestät in den Stand zu setzen, Ihren Feinden eherne 
Gesetze vorzuschreiben ; aber nur jene der Redlichkeit, der 
Gerechtigkeit und der Ehre». Das Ziel seines Patriotismus 
war immer das Elsass. Das Elsass für Kaiser und Reich 
wieder zu erobern, darauf stand sein Sinnen und Trachten, als 
er (nach Clerfayls Abberufung 7. Februar 1796) zum Oberbe- 
fehlshaber der beiden vereinigten kaiserlichen Armeen am 
Rhein erhoben wurde. 

Die Vorbereitungen zu dem neuen Feldzug, die Schwer- 
fälligkeit der Verpflegung und der Rekrutierung, nahmen Zeit 
und Geld in Anspruch. Am 6. Mai 1796 wurde der neue 
Kriegsplan festgestellt, wonach Wurms er durch das Ober- 
elsass in das Innere Frankreichs eindringen sollte. Wurms er 
und seine siegreiche Armee brannten vor Regierde, direkt auf 
Paris zu marschieren. Gerade so, wie 17 Jahre später der 
preussische «Marschall Vorwärts ! » Denn in Paris lag die Ent- 
scheidung. 

Aber auch diesmal sollte die heisse Sehnsucht seines Her- 
zens ihm entschwinden wie ein leerer Traum, Die Hiobs- 
posten aus Italien veranlassten den Kaiser, seinen besten Feld- 
herrn plötzlich vom Rhein abzurufen, um die Lombardei zu 
retten und Ronapartes Siegeslauf Einhalt zu tun. «Ich glaube 
Ihnen ein hervorragendes Zeichen meines Vertrauens zu geben,» 
schrieb der Kaiser am 29. Mai 1796 an W u r m s e r , «indem ich 
Ihnen den Oberbefehl der Armee (in Italien), welche zur Voll- 
bringung so grosser Taten berufen ist, übertrage.» Der Kaiser 
beging mit dieser Abberufung ohne Zweifel einen grossen 
Fehler. Aber Wurms er gehorchte ohne Zaudern. Mit 
jugendlichem Feuer ging der 71jährige Held an die grosse 
Aufgabe, welche ihm gestellt war. Ihm folgten 30000 Mann 
seiner besten Truppen, aber nicht seine Generalstabs-Chefs 
Grunne und Dellegarde. 

Am 27. Juli kamen die letzten Truppen vom Rhein in 
Trient (Tirol) an, und unmittelbar darauf ergriff Wurmser 
die Offensive. Es galt, die Festung Mantua zu entsetzen, 
welche von Bonaparte hart bedrängt wurde. Wurmser, aus 
den Tiroler Bergen in die Ebene der Lombardei herabsteigend. 



— 74 — 

teilte seine aus 47 000 Mann mit 192 Geschützen bestehende 
Armee in drei Kolonnen: die erste sollte den Gardasee umgehen 
und die Franzosen im Rücken fassen ; die dritte den Po über- 
schreiten und Piacenza gewinnen; mit der zweiten wollte er 
selbst die Franzosen von Mantua vertreiben. Als aber Bonaparte 
die Belagerung dieser Festung schleunigst aufhob, änderte 
Wurmser am 2. August seinen Plan, und gedachte kühn 
auf Mailand zu marschieren, um die Lombardei von den Er- 
pressungen des Feindes zu befreien. Die Franzosen wurden an 
diesem Tage überall von Wurmser zurückgeworfen, der 
Weg nach Mantua frei gemacht, und von der kaiserlichen Gar- 
nison der ganze französische Belagerungspark erobert. Dieser 
schnelle Erfolg erregte in Wien eine stürmische Freude. 
Wurmser war der Held des Tages, cihre glänzenden Er- 
folge:», schrieb ihm der Kaiser, chaben ganz Wien mit JubeL 
erfüllt. Ich kenne meinen wackeren und tapferen Wurmser 
zu gut, um nicht sicher zu sein, dass nun die Verfolgung des 
Feindes nachdrucklichst betrieben, und der Sieg mit aller 
Energie ausgenützt werden wird.» Wurmser wusste nicht, 
als er seinen Sieg nach Wien meldete, dass inzwischen die 
erste Kolonne seiner Armee (unter Quosdanovich) bei Salo, 
Lonato und Gavardo von Bonaparte gänzlich geschlagen war. 
Das Unglück schritt schnell. Am 5. August warf sich Bonaparte 
mit seiner ganzen Macht auf Wurmsers Kolonne, und 
brachte ihm am 5. August bei Gastiglione (Solferino) eine solche 
Niederlage bei, dass die Kaiserlichen nach Südtirol zurückge- 
drängt wurden. Mantua sah sich von neuem blockiert. Ein 
harter. Schlag für den alten Marschall. Er hatte das Vertrauen 
seiner Armee verloren. Aber er verzagte nicht. Am 31, AugusI 
rückte er wieder vor, um Mantua zu entsetzen, aber diesmal 
nicht in drei Kolonnen, sondern (wegen des schwierigen 
Defil6 und der Verpflegung wegen) in fünf Kolonnen zersplittert, 
mit der Absicht, in Bassano am 7. September sich zu sammeln- 
Bonaparte schlug eine Kolonne nach der anderen. Wurmser, 
auf dem Schlachtfeld von Bassano in verzweifelter Lage, mnsste 
froh sein, zu retten was noch zu retten war. Mit kühnem 
Entschluss, den Degen in der Faust, bahnte er sich mit seiner 
Kavallerie und einem Teil seines Zentrum den Weg durch die 
feindliche Armee, und wai'f sich nach — Mantua ! nach 
Mantua, in die Festung, welche er hatte befreien wollen I 

In Zeit von zehn Tagen hatte Wurmser 20 000 Mann 
und unzähliges Material verloren, ja er hatte tatsächlich alles 
verloren. Anstatt auf Mailand zu marschieren, sass er in den: 
sumpfigen Mantua mit einer geschlagenen Armee wie in eine'^ 
Mausefalle. Mantua erhielt unter diesen Umständen die Bes 



— 75 — 

deutuDg, wie im 1870 er Kriege — Metz. Von dem Schicksal 
Mantuas hing das Schicksal Italiens ah. Mit äusserster An- 
strengung bot der Kaiser alle Kräfte auf, um Mantua zu ent- 
setzen. Mitten im Winter stieg Alvinczy über die schneebe- 
deckten Alpen zweimal mit frischen Armeen, um W^roiser die 
Hand zu reichen, aber nur mit dem Erfolge, dass viele tausende 
seiner Soldaten im Schnee und in den Abgründen umkamen, 
und diejenigen, welche die Poebene erreichten, nur dazu 
dienten, JBonapartes Ruhm hei Arcole (15., 16. und 17. November 
1796) und bei Rivoli (14. und 15. Januar 1797) zu erhöhen. 

«Solange hier noch ein Pferd, ein Hund, eine Katze, ein 
Bissen Brot vorhanden ist», schrieb der alte W u r m s e r aus 
Mantua am 30. Dezember an Alvinczy, «kann von der 
Uebergabe keine Rede sein, und kein Ungemach wird mich 
Mezu vermögen». Unter den Leiden des Hungers und der 
Epidemien, des Skorbut und des Spitaltyphus, schmolz die 
Garnison in Zeit von 7 Monaten von etwa 18 000 auf höchstens 
4000 Kampffähige zusammen. Während der Belagerung waren 
3828 Pferde verzehrt. Zuletzt gab es nur noch aus Stroh und 
Reis gebackenes Brot. Am 2. Februar 1797 musste Wurms er 
kapitulieren. 

Es gereicht Bonaparte zur Ehre, dass er die Standhaftig- 
keit des alten Helden ehrte. Derselbe durfte mit 700 Mann 
seiner Wahl, mit fliegenden Fahnen und sechs Geschützen frei 
von Mantua abziehen. 

Audi der Kaiser machte seinem geschlagenen Feldherrn 
keinen Vorwurf, sondern suchte ihn zu trösten und aufzurichten, 
indem er ihm schrieb: 

«Vienne le 14 F^vrier 1797.» 

«J'ai re^u votre Rapport par le comte Degenfeld, contenant 
les ddtails relatifs au blocus et ä la capitulalion de Mantoue. 
Quelque fächeux que soient les revers de la derniäre campagne 
en Italie, et quelqu'affligeante que soit la perte d'une place 
aussi importante que celle, qui vient de tomber au pouvoir de 
l'ennemi, je n'ai jamais cesse de rendre justice ä la loyaute de 
vos efforts et de votre zöle pour le bien de mon Service. Je 
vous invite de vous rendre ä Vienne, oü je serai bien aise de 
faire usage de vos avis, et oü il est juste, que vous jouissiez 
du repos, dont dans ce moment vous devez avoir un besoin 
Irfes pressant apres tant de faligues.» 

Der Brief gereicht dem Briefsteller nicht weniger zur 
Ehre, als dem Adressaten. Es war der «gute)) Kaiser Franz, 
der diesen Brief schrieb, derselbe, der noch heute im Volkslied 
als «der gute Kaisern» fortlebt. Als W u r m s e r nach Wien, 
kam, und schluchzend seinem Kaiser zu Füssen sank, schloss 



— 76 — 

dieser ihn liebreich in seine Arme. Ja, er tat mehr. Er über- 
trug ihm das Generalkommando in Ungarn, damals den höch- 
sten Ehrenposten militärischer Verdienste. Aber W u r m s e r 
hat diesen Posten niemals angetreten. Der Kummer über sein 
Unglück nagte an seinem Herzen. Er starb in Wien am 21. 
August 4797. Noch im Delirium des Sterbenden trug sein 
tatendurstiger Geist sich mit der Eroberung des Eisass. Mit 
dem «Eisass» auf den Lippen hauchte er seinen Geist aus, 
einer der edelsten Söhne des Eisass. Sein letzter Hauch 
war — : «Eisass !» 

Er war 73 Jahre alt, als er starb; und 73 Jahre sollten 
noch vergehen, bis das Eisass für Kaiser und Reich wieder- 
gewonnen wurde. 

Kaiser Franz Joseph I. ehrte das Andenken Wurmsers 
durch dessen Marmorstandbild in der Ruhmeshalle des K. K. 
Arsenals zu Wien. 

Von seinen zwei Kindern war die Tochter Henriette 
Dorothee vermählt mit einem Grafen Schliertz gen. Görtz zu 
München, und starb 1827. Sein Sohn Graf Christian Wurmser 
(geb. 1768) war Kammerherr am Wiener Hof und Staatsrat 
für Galizien. Er starb zu Wien am 8. September 1844, un- 
vermählt, als der letzte männliche Spross der Familie Wurmser 
von Vendenheim, die mit ihm erlosch. Der Feldmarschall war 
protestantisch, und hat auf seine eigenen Kosten in Pest eine 
protestantische* Garnisonskirche bauen lassen. 

Wurmsers Wappen: Geteilter Schild. Im unteren goldenen, 
wie im oberen schwarzen Felde je ein silberner Mond. Auf 
der Krone des Helmes steht eine gekrönte Jungfrau, welche 
statt der Arme zwei goldene Hörn er hat und die Farben und 
Symbole des Wappens an der Kleidung trägt, oben bis an die 
Hüften schwarz, an der Brust die zwei silbernen Monde, unten 
golden. Die Helmdecken sind schwarz mit Gold unterlegt. 

Wurmsers im Eisass gelegene Güter wurden 1797 von der 
revolutionären Staatsgewalt konfisziert und als Nationalgut ver- 
steigert. Von seinem Schloss in Sundhausen ist nur noch ein 
Teil übrig, pietätvoll restauriert von dem jetzigen Besitzer Herrn 
Kastler, welcher seit dem Kriege 1870/71 nach Paris verzogen 
ist. Noch heute sind, an der Schlossgasse beginnend, die 
Grenzen des ehemaligen Schlosshofes und Parkes zu erkennen. 
Noch heute steht die mächtige Zehnt-Scheuer des Grafen 
Wurmser. 



- 77 — 

Dobranitz le 10 Avril 1778. 

J'etais enchantöe mon eher Donauer d'aprendre de vos 
nouvelles et de mes cheres Enfants, j'ai regu. vos letlres de 
Strasbourg et de Nickenau, j'envoye Fuchs ä Praague, qui Vous 
diras combien que nous somraes tracass^e pour mon despart, 
je mande ä mes Enfants que je suis parlie pour faire de revues, 
mais entre nous soye dit cest pour alier en avant, je comple 
cependant que Vous pourrois rester tranquileraent ä Dobranitz 
pendant l'^te, je pourrais desja Vous prevenir assez tot quand 
il seras temp que Vous alliez a Praague, je Vous prie draller 
avec les Enfant voire la maison du Baron de Strerowitz que j'ai 
loue pour voire coment que Vous Vous rengerois, Elle est tres 
belle et spacieuse, il est trös heureu que vous ayez quelque 
chose de reste en argent. Vous donnerois, des accomptes a la 
Marie pour le menage par 25 ou 30 florins et je ne Vous 
laisserois pas manquer d'argent. donnee moy tous les jours de 
postes de vos nouvelles, lantot Vous ou les Enfants ou la Marie 
ou la NeuhofF, je me fie ä Vous mon eher M' Donauer dans 
tous les cas pour Tordre et Tedueation de mes cheres Enfants, 
quand au menage Vous savez que la Marie est intelligente, 
qu'elle aime la propret^e et qu'elle est fidele on pourras s'en 
rapporter a Elle, j'ay appris que Fran^ois est venue avec Vous 
comme je peu me passer de luy je Test recomandee au Marquis 
de Vogheras qui le prendras comme Vallet de Ghambre il auras 
un Mestre qui aime Tordre s'il est un peu vif il est d'ailleur 
un hon Mestre et un bien Gallanthome, il faut seulement quil 
soye sage, laborieu, et quil tienne tout en ordre, quand il 
seras grond6e qu'il ne reponde pas, et quil prenne garde au 
petit Hänsele que le Marquis aime come son fils et qui luy 
raporte tout ee que les autres disent quil se garde de parier 
aux autres Domestiques du Mestre, enfin quil soye prudent 
et sage il trouverras un bon Mestre. quand a Stephany Vous 
luy dirois que je le fait Fourier de mon Reg«^' il ne seras pas 
obligate, je pense que cela luy conviendras si non il resteras 
avec nous, pour Wentzel Vous luy donnerais son Gongte, Vous 
retirerois sa Livray et luy ferois achetter un vieu habit, il me 
parois que jay mille choses a Vous dire mais Vous aurois encore 
de mes nouvelles desfend^e $i tous ceux qui aprochent les En- 
fants de leurs parier de la guerre et de milles mensonges qui 
vont courir des que les Operations de campagnes Gomenceront, 
raes Compliments a Mamselle Maykuchel, ne montr^e pas cette 
lettre a mes enfants, adieu mon eher Monsieur Donauer M' ütz 
viens de partir avec mes chevaux je suis tout a Vous* 

C de Wurmser. 



\ 



VIIL 

Zu Montanus Gartenaresellschaft. 

MitteilunfiT 

Ton 

Johannes Bolte 

BerliiL 

In meiner Ausgabe der Sehwankbächa' des Martin Mon- 
tanus (Tübingen 4899, S. 634) konnte ich zu der letzten Er- 
zählung der zwischen 1559 und 4566 zu Strassburg gedruckten 
cGartengesellschaft» auf Grund einer gütigen Mit- 
teilung von Herrn Stadlarchivar Dr. 0. Winckelmann einen 
urkundlichen Nachweis der dort erwähnten B^ebenheit bringen. 
Da nun Herr Dr. Winckelmann kürzlich weiteres Aktenmaterial 
aufgefunden und mir freundlich zur Verfügung gestellt hat, 
darf ich vielleicht noch einmal auf jene Erzählung des elsässi* 
sehen Schwanksammlers zurückkommen, zumal da auf seine 
historische Glaub\iürdigkeit dadurch Licht fallt. 

Montanus berichtet im 445. Kapitel von dem Betrüge, den 
der JudeJäcklin von Obemberckheim g^en einen unge- 
nannten elsässischen Edelmann verübte, indem er auf Grund 
eines gefälschten Schuldscheins von der Familie desselben 700 
Gulden erpresste, als er hörte, der Edelmann sei auf dem Zuge 
gegen Metz (Ende 4552) gefallen. Aber der Edelmann kehrte 
bald darauf unversehrt heim und verklagte Jäcklin beim Bischof 
von Strassburg, der diesen nun in der Herbei^e zu Matzenheim 
gefangen nehmen und zu Zabem einkerkern liess. Doch musste 
der Jude darauf an das Gericht zu Ensisheim ausgeliefert wer- 
den, und dort ward er, nachdem er noch andrer Vergehen über- 
wiesen worden war, zum Tode verurteilt und zwischen zwei 
Hunde an den Galgen gehängt. 



— 79 — 

Die Strassburger Akten nun, die hauptsächlich in dem 
unten abgedruckten Schreiben der bischöflichen Räte zu Zabern 
bestehen, geben uns zwar nicht über den ganzen Verlauf des 
Rechtshandels, aber doch über den interessantesten Teil Aus- 
kunft und zeigen, dass der kaum zehn Jahre später schreibende 
Montanus mehrfach von den Tatsachen abweicht. Während der 
Name des Betrügers, seine Gefangennahme zu Mayenheim 
(Matzenheim bei Montanus) und seine Haft zu Zabern überein- 
stimmend berichtet werden, treten bei der Erzählung über die 
vom Juden begangene Fälschung des Schuldscheines und deren 
Entdeckung Differenzen hervor. Der angebliche Schuldner ist 
nach den Akten ein armer Mann aus Bischofsheim, Claus 
Zeringer geheissen, bei Montanus ein Edelmann, der an dem 
Metzer Feldzuge teilnimmt ; die Summe beträgt hier 200 Gulden 
nebst Gerichtskosten, dort 700 Gulden ; der an die Erben des 
verstorbenen Schuldners gerichteten Forderung geht hier ein 
über ein Jahr wahrender Prozess vorauf, dort ist von einem 
gerichtlichen Verfahren überhaupt nicht die Rede, auch zahlt 
die Familie alsbald die verlangte Summe. Die Aufdeckung des 
Betrugs erfolgt hier durch die Beobachtung, dass die Urkunde 
zehn Tage nach dem 18. Juli 1552 eingetretenen Tode des 
Schuldners datiert ist, bei Montanus aber durch die unerwartete 
Heimkehr des Totgeglaubten. 

Man darf indes wohl annehmen, dass nicht Montanus selber 
aus Effekthascherei so willkürlich mit den Tatsachen umsprang, 
sondern dass schon die mündliche Volksüberlieferung jene 
dramatische Zuspitzung besorgt hatte, als Montanus aus ihr 
schöpfend dies Ereignis der jüngsten Vergangenheit literarisch 
verwertete. 

Den gestrengen, ernuesten, farsichtigen, ersamen, wysen meister 
vnd rhat der statt Strasburg, vnsern lieben herren vnd fründen. 

(prod. den 23. juüj aO 54.) 

Vnser frnntlich gutwillig dienst zftnor, gestrengen, erennesten, 
farsichtigen, ersamen wysen lieben herren vnd fründ, wir können euch 
in vertreuwen nit verhalten, das wir Jäcklin Jaden von Ober- 
bergkheim vmb nachgemelter vbelthat willen dise wochen vff des 
hochwirdigen farsten vnsers gnedigen herren von Strasburg oberkeit 
zu Mayenheim haben gefengklich annemen vnd here gon Zabern jn 
seiner farstlichen gnaden gefengknnP legen lassen. 

Vnd hat die sach die gestallt. Er (Jäcklin) hat vergangner 
jaren» einen vnsers gnedigen herren vnderthanen zu Bischoffsheimi, 
Clanß Zeringer genant, vor dem keyserlichen hoffgericht zu 



1 «Bischeim bey Boßlieim> heisst es in der Anlage C, «Bischen 
hey RoBsa» in D. 



- 80 - 

Eotweil vmb zwen thalcr^ mit verkündang fargenomen, darnß emz. ^Iq 
solche schwere rechtfertigang eruolgt, das er den armen man vb^ ^er 
alle sein verseümnüß, mühe vnd arbeit vff oder vber die hnnde -^^rt 
gnldin zu costen bracht. Als nun der arm man sein vnschuld s^^=^q 
tag bracht, jst er des Juden clag ledig erkannt worden mit wfr1 f_ \ r. 
legung costens. Daruff hat der Jud an das keyserlich cammergeric bt 
muttwilliger weiß appelliert, citation erlangt, aber die acta erst=:^r 
Instanz nit genomen, darumb der arm mann am cammergericht ^ff 
den zweifften tag february des verschynen zwey vndfiinffzigsten J8^-» tb 
auch absoiuiert vnd ledig erkant worden ist mit erstattung v ^ - 
gangens costens, Inhalt darüber vßgangens vrtheilbrieffs, dess ^a 
copey ir hiebei mit .A. bezeignet zusehen habt.' Ali^ er (Clauß) al^ «x: 
hernach vff den achtzehenden tag julij desselben zwey vnd fünffzi. er- 
sten jars todts abgangen, hat der Jud hernach vff sambstag na» ^3 In 
Simonis et Jude desselben jars | ein Rotwilische anleitin vff Gla~«:x£ 
Zeringers hab vnd gütter vßbracht, deren copey mit .B. bezeichis- ^ t 
hiebey ligt.» Dweil aber von Clauß Zeringers kinder wegen die ak.:Es.- 
leitin versprochen, darumb auch aberkant worden ist, hat er.^^i^i 
beleüttung vßbracht, deren abschrifft wir euch hiemit auch zusend, 
mit .0. signiert.* 

Dise beleütung hat Kirmans Blesy als geordenter vogt 
künder versprochen ; also ist die auch aberkant worden. Da hat 
Jud vß seinem beharlichen muttwilligen gemütt ine, den vogt, 
ladung furgenomen, deren abschrifft wir euch hiemit auch zusen(3. 
vnder dem buchstaben .D.,^ sonder zweiffei allein die kinder : 
rechten damit zuerylen vnd dahin zubringen, das sy von vori, 
erlangtem rechten abstan sollten. Der vogt hatt sich aber zu Bo'i 
weil in recht ingelassen, des Juden clag begert zuhören. Da hc 
der Jud ein vertrag ingelegt, den Clauß Zeringer mit ime ingan^ 
sein sollt, vnd crafft desselben an die künder zusampt dem. coss't:^ 
zweyhundert guldin begert, vber das er inen irem erlangten recLt>^^^ 
nach allen cossten abzurichten schuldig, dessen abschrifft ir hieneb ^^ 



1 In der Anlage E heisst es: «von wegen zwey er thaler, die 
für sich selbs vff einem tisch freuenlich genomen zu Bischeim i^*^ 
iryhenn hoff jungker Jörg Drytzehens». 

2 Dieser «Vrtheilbrieff», datiert Speyr den 12. Febr. 1552, unter- 
zeichnet von Conradus Visch D. Verwalter und Wendalinus He»s^/ 
LL. Licentiatus, Judicij Camer e Imperialis Pronotarius^ liegt "b^i» 
Ihm zufolge ist die Klage am 23. Sept. 1551 in Speier eingereicht 
worden. 

3 Diese «Anleitung» von Michel Hertzog, beysitzer des U.er» 
Hoffgerichts zu Kotwyl, datiert Sambstags nach Simonis et Jude 
1552, liegt bei. Die Forderung des Klägers beläuft sich hier aar 
400 Gulden. 

* Diese «Beleitung> von Michel Hertzog, datiert Zinstags n»ch 
Marie Lichtmes 1553, ist gleichfalls vorhanden. 

5 Die «Ladung», geben Fritags nach Judica 1553 vom Hofriciter 
Graf Wilhelm zu Sultz, bescheidet den Kirmers Bläßin auf ZänsUg M j^ 
nach Exaudi nach Eotwyl. I Te 



i'-i 



- 81 - 

mit .E. bezeichnet auch zusehen habt^ Dweil nun vß aller Gelegen- 
heit ergangens handeis, auch des orts vnd personen halben, so im 
vertrag gemeldet, ein betrug zum höchsten vermutlich, haben wir 
vnß gleich damaln Clauß Zeringers tödtlichen abgangs eigentlich 
erkundigt, auch, wie oben gemeldet, befunden, das er am mittwuch 
vor Marie Magdalene, den achtzehenden julij vnd | also zehen tag, 
ee dann das datum des Vertrags statt, gestorben, daruß vnd allen 
Vermutungen vnd vmbstenden des Juden betrug an tag khomen, 
auch wol zugedencken ist, das er ein andere person in Clauß Ze- 
ringers namen also suborniert hab. Darumb wir lengest beuelch 
gethan, ine (wo er fuglich zubetretten) gefengklich anzunemen, das 
aber sich nit ee dann eben jetzt schicken wollen. Daneben haben der 
khünder vögt nit vnderlossen, executoriales am cammergericht vßzu- 
bringen vnd dem Juden insinuieren zulassen, ' darzu ine vmb tax 
des cosstens zu Eottweil, dessen biß in sechzig guldin v%ezeichnet, 
one waß denn künden nit wissen dt ist, wider angenomen. Dawider 
er den betrüglichen vermeinten vertrag exceptions weiß vnder gleichem 
dato jnbringen lassen, aber jetzt den betrug gern damit verant- 
worten wollt, der Schreiber müßt jm dato gefeiet haben. 

Dweil nun zubesorgen, das soliche vnd der gleichen botrügliche 
handlungen offtermals gegen den armen lüthen furgenomen, do 
leichtfertige Christen funden werden, so den Juden darzu helffen, 
darumb billich vnd gut were, das man gepurliche straff anderen zu 
eim exempel gegen disem Juden furnemen vnd wir dann nit zweifflen, 
deren personen, so jm vertrag gemeldet, seigen noch ettliche bey 
euch zubetretten, so ist vnser fruntlich dienstlich bitt, jr woUent 
euch bey denselben, wie jr von oberkeit wegen wol zuthun wissent 
vnd sonder zweiflfel selbs geneigt sind, der Sachen gelegen- | heit 
erkundigen vnd, waß ir erfaren mögen, vnß vnuerlengt zuschreiben, 
vnß gegen dem Juden dester baß darnach haben zurichten.^ Was wir 
dann verrer von jme Juden erfaren, so wir nott achten mögen, 
wellen wir euch auch nit verhalten vnd solches hinwider fruntlich 
vnd nachparlich haben zuuerdienen. 

Datum Sambstags sännet Arbogasts tag anno Liiij 

Vnsers gnedigen herren von Straßburg 
weltliche Ehäte zu Zabern. 



1 Der in Abschrift beigefügte «Vertrag» zwischen Claus Zeringer 
und Jakle Jud ist datiert vom 28. Juli 1552 in der Herberge zum 
Lowenstein zu Strassburg und nennt als Zeugen Daniel Kreyss 
Canzleyschreiber zu Straßburg, Michel Weibel von Obernbergkheim^ 
Hanns Weyßbeck Turnhüter zu Straßburg, Heinrich Preüß und 
Jörg Schafftier. Claus Zäring verpflichtet sich darin, 200 Gulden 
samt allen Kosten zu Rotwyl und Speyr zu zahlen. 

2 Dies «Executorial> datiert Speyer den 6. Nov. 1553 von Wen- 
delinus Hessus LL. Lic, liegt bei. 

8 Dies ward laut der Strassburger Ratsprotokolle vom 24. Juli 
1554 (Montanus, Schwankbücher S. 634) gemäss dem Ersuchen der 
Zaberner Räte beschlossen und am folgenden Tage das Ergebnis des. 
Verhörs der Strassburger Zeugen nach Zabern gemeldet. 



IX. 



^'f>^-%5S :»hen Jesuiten zum GedHchtiiis. 

J*>% T*r iff, ^ricffter lOü. Das alle Ic^ccstait as ier 
\r^,A%. ^UA % r/x:ti 4^ri kerubmter Maseiksitz. bgr m tieCer 
F v;^. \f^ W,>r> ;%t^ #jji^ Lerier unter dem Arme« am die Gebier- 
' wft*r *?>. ^u^fs^trr ?yrh'/Ur durch die Ga;S5en. Wie hlj?»^ den: 
^j'*^ufL^A \>it^A,*:t% \ffn ^rier riächtlicheii WaAderüE^ di5 
H^7 %^^\ii it^iß^m^ denn es gall ja, der LiebsSes emea Grvss 
^^^ t^yUrft UfMi i^ zu gerriabnen, dass auch jetzt einer m Treaai 
.^f^jf %*rA:*fAi*t* KiA nun *>ehl der Wanderer stLI. Vor flu. 
.>^ d^i^ H<0'i)( <e^fK!« ehr«arnen Bäckermeisters« und dessen 
'] '/Ai^Mi^>^M Uh*'% ihrn zm;.^izt%. Die treue Laute wird genommen. 
i^fjO wi*; oi« V\u'^*tr *M> «tül fitier die Saiten jHeitec, tönt au? 
'^.r ^AiW ein Minndied, eigen«; der Erkorenen gedichtet zam 
wMO(Aefi Aogel/ind^. D^ich «tili bleibt's in der Gasse, and dem 
a^(ihhiAA\% Wirrenden le't/i sieb kein liebendes Antlitz. «Sie 
li^i dkb %'erve)i«eo> tmV» in feiner Seeie nach, and da hordit 
«rff auf« Stk^j^/tbmmnar Buben spottendes Gelächter schlagt an 
^'m Ohr: da« j«t dem Armen zu viel. Wilde Verzweiflung 
ini^relÜ ihn, und mit den Worten 

CäDtatam ftati«» eU. Frangito barbiton! 

zerschmettert er seinen treuen Wejtgesell, die alte, liebe Laute. 
:ui der E>jke des Haukes. Dann steht er da wie umgewandelt, 
denn aus dem nahen Kloster war der frommen Nonnen nächt- 
hcher Psalmengesa n;^ an sein Ohr geklungen. Dem ^nsamen 
Sänger war in dieser Nacht sein wahrer Beruf aufgegangeo. 
Am andern Tage bat er um Einlass an der Pforte des Jesuiten- 



— 83 — 

klosters; aber nur auf wiederholtes Begehren wurde er zu- 
gelassen. 

Der das erlebte, war Jakob Bälde. Im Elsass stand seine 
Wiege. Wohl Anfang Januar 1604 wurde er in Ensisheim dem 
Gerichtssekretarius Hugo Bälde aus Giromagny geboren. Ensis- 
heim war damals mehr als heute: die habsburgischen Grafen 
des Sundgaues hatten das Städtchen zum lifittel punkte ihrer 
Verwaltung gemacht, und so zeigte es das Leben und Treiben 
einer Art Residenz im kleinen; man atmete immerhin ein 
Stückchen Hofluft in dem wohlbewehrten Wasgaustädtchen. 
Und behäbig und wohnlich war auch alles, was den Neu- 
l^eb'orenen umgab, zumal eine Mutter aus altem Patrizier- 
geschlecht über das Kind wachte; sie mag, da er erst ihr 
Zweiter war, auf den später noch eine lange Reihe folgte, mit 
besonderer Liebe und Freude des kleinen Jakob gewartet haben. 
Die vortrefflichen Anlagen des Knaben bestimmten den Vater, 
ihn zu weiterer Ausbildung nach Beifort zu schicken, und einen 
tüchtigen Juristen aus ihm zu machen, war seither des Vaters 
begreiflicher Wunsch. Zu Beifort lernte der junge Bälde na- 
mentlich auch das für seine Laufbahn so notwendige Französische 
oder vielmehr das Burgundische. Nach jahrelangem Verweilen 
am Strande der Savoureuse kehrte Bälde in seine Heimat zurück, 
um seine Studien auf dem soeben in Ensisheim gegründeten 
Jesuitengymnasium fortzusetzen. 

Was der Knabe versprochen, hielt der Jüngling : ausgerüstet 
mit einer sehr gediegenen klassischen Bildung, veriiess Bälde 
in den ersten Stürmen des dreissigj ährigen Krieges sein furchtbar 
heimgesuchtes Elsass und wanderte nach Ingolstadt, wo er 
dem gelahrten Philosophiestudium, dann der Jurisprudenz oblag. 
Er mag ein fleissiger Student gewesen sein, aber Ueberwindung 
genug mochte es ihn doch kosten, sich in die dicken Weisheits- 
bücher hineinzuarbeiten, denn sein Charakter war diesem Stu- 
dium nicht gerade allzu hold : Bälde war eben ein lustiger, oft 
überschäumender Gesell, stets aufgelegt zu losen Streichen, zu 
Kurzweil und heiterem Spiel auf fröhlicher Leier, die er so 
meisterhaft schlug, dass ganz Ingolstadt davon sprach. Auf- 
brausend wie ein echter Sanguiniker und dabei im Augenblick 
der Erregttfng bissig wider den Gegner, verleugnete er nie seine 
echte Alemannennatur, die dem Kinde des Wasgaues treu blieb 
das ganze Leben hindurch. Köstlich ist sein Geständnis aus 
jenen Tagen in einer seiner Oden, wo ersieh mit dem Stachel- 
schwein vergleicht und in geradezu klassischer Weise die Hiebe 
schildert, die er dazumal ausgeteilt. Trotz allem holte sich der 
junge Student bereits Pfingsten 1623 das Barett des philoso- 
phischen Doktors. Am juristischen Studium hatte er erst genippt. 



- 84 — 

da trat das nächtliche Abenteuer ein, das \vir schon erwähnt 
haben; es gab seinem Leben eine ganz andere Richtung. 

Bälde blieb im Orden : er wurde bald eine ihrer Grossen 
und das Bayernland ihm eine zweite Heimat. Mehr und mehr 
rang sich in dem jungen Elsässer der Gedanke durch, dass er 
bestimmt sei zum Singen und Sagen und dass er neben dem 
Ordenskleide auch das eines Apoliopriesters .tragen müsse. Als 
Ordensmann blieb er zeitlebens im gewöhnlichen Rahmen, bald 
als Prediger, bald als Seelsorger und Erzieher tätig und treulich 
beschützt vom bayrischen Furstenhause, das mit mäcenatischer 
Huld sich des geistvollen Jesuiten annahm und ihn mit Ehren 
und Aufmerksamkeiten überhäufte. Wenn wir heute noch eines 
Bälde gedenken, so geschieht das deshalb nicht wegen des 
Jesuiten in ihm -~ als solcher würde er aus der Masse kaum 
auftauchen — , sondern es geschieht wegen des gottbegnadeten 
Sängers, dem unter der Hand alles so zwanglos und prächtig 
zum schönen Rhythmus sich fügte, das ihm das Dichten formlich 
zur anderen Natur wurde. 

Und wie glucklich fühlt er sich mit seiner Leier, die ihm 
glitzerndes Gold und rauschende Weltfreude so reichlich auf- 
wog, die ihm so vieles Leid und Ungemach mit heimelnder 
Stimme hinweggesungen, ihm die Tage des Glückes glücklicher 
und die der Freude freudiger gestaltet hat I Man mag seine 
Oden durchblättern oder seine sonstigen Werke nur flüchtig 
überschauen : überall tritt uns der Mann entgegen, der weiss^ 
weshalb er singt und weshalb er singen darf, und doch bleibt 
dieser selbe Mann allerorten so recht und echt bescheiden, dass 
er fast etwas Schüchternes an sich hat. Man sehe sich statt 
vieler Stellen nur die eine Ode an, die er geheimnisvoll cMein 
Weibchen» überschreibt. Dieses sein liebes Weibchen ist seine 
Leier. Nie gab's eine schönere Ehe, nie ein schöneres Sich- 
verstehen, Und wie zerzaust er sein Weibchen, wie schlägt er 
es gar, wenn seine Finger über die Saiten fahren, aber «je 
wilder er ihr übers Antlitz fährt, um so mehr jauchzt sie auf>^ : 

Ja, schlag' ich sie, erkannt sie's dankbar an. 
Schuldig nur fühlt sie sich. 
Bittend: Ach streichle mich! 

Bälde war als Sänger äusserst vielgestaltig, ja man muss 
staunen über die Mannigfaltigkeit seines dichterischen Schaflens, 
das sich fast in jedem Genre versuchte — und mit Gluck ver- 
suchte. Indessen ist Bälde vor allem und ganz hauptsächlich 
Lyriker, und auf dem Felde dieser Gattung liegt so sehr seine 
Stärke und seine ganze originelle Kraft und Eigenart, dass 
seine andern Schöpfungen — z. B. auch seine Satiren ^ gegen 



— 85 — 

seine Lieder zuräcktreten. Wollen wir Baldes Lyrik verstehen, 
dann müssen wir die Lyrik seines römischen Vorbildes Horaz 
verstehen : beide haben ungemein viele Berührungspunkte. Und 
Bälde hat diese Berührungspunkte gesucht : Horaz blieb ihm 
zeitlebens Muster und Ideal, dem er in heissem Sehnen nach- 
strebte und den er sich in Form und Sache so zu eigen ge- 
macht hatte, dass sich beide in mancher Hinsicht zum Ver- 
wechseln ähnlich sehen. Es scheint gewagt, den Sänger aus 
Venusia mit dem deutschen Jesuiten auf ein Postament zu 
stellen, aber Bälde verdient diesen Platz neben Horaz, und wir 
Deutsche haben allen Grund, uns dieses Bildes zu freuen. 

Baldes Lyrik ist ihrem innersten Wesen nach tiefempfundene 
Gedankenlyrik, doch liebt er es, seinen Gegenstand durch 
reale Gestaltung häufig mit einer Art epischer Folie zu um- 
geben : so zeigen viele seiner Lieder nicht selten breite, epische 
Stellen, die wir nur ungern vermissen würden ; sie geben dem 
Ganzen eine ungemein ansprechende Plastik und Naturtreue. 
Das tritt z. B. recht stark und bezeichnend hervor auf einem 
Hauptfelde Baldescher Lyrik, der religiösen. Mit idealem 
Schwung und kühnem Gedankenfluge verbindet sich in diesen 
Liedern eine so äusserst wohltuende Frömmigkeit, die Gott 
überall sucht und dem Schöpfer, dem Erlöser, seiner heiligen 
Mutter den Tribut schuldiger Ehrfurcht im heiligen Sänge 
demutsvoll zu Füssen legU Wer ein Stück echter religiöser 
Gedankenlyrik sehen will, der lese z. B. Baldes Marienoden. 
Selbst wer dem Gegenstande keine Sympathie abgewinnen kann, 
wird gern und freudig bekennen, dass ein deutscher Dichter 
uns hier Perlen gibt. Und nun das andere, das wir schon an- 
l^edeutet haben! Die Andacht in diesen Liedern, das Sehnen 
des menschlichen Herzens nach dem Höchsten hier auf Erden, 
die von frommem Schauer durchglühte Seele des Dichters — 
das alles bekommt so häufig seinen Halt an gegenständlicher, 
echt epischer Schilderung, mag des Dichters Pinsel uns nun 
einen einsamen W^allfahrtsort malen, ein uraltes Gnadenbild, 
ein hehres Gotteshaus mit seiner Predigt «sursum corda», oder 
mag der Poet uns mit sich führen über Tal und Hügel in eine 
stille lauschige Ecke, wo die Natur durch ihre entzückende 
Schönheit das Herz zur Andacht stimmt. Und gerade das letztere 
tut Bälde mit sichtlicher Vorliebe: religiöse Lyrik und Natur- 
lyrik laufen bei ihm ineinander, oft vielleicht unwillkürlich, 
so dass der Dichter es selbst nicht merken mochte. 

Bälde ist überhaupt N a t u r d i c h t e r im schönsten Sinne 
des viel missbrauchlen Wortes. Gerade nach der Seite wird 
er jeden fesseln und zur Bewunderung hinreissen, der ihn 
liest. Da haben wir eine köstliche, jede Mache turmhoch über- 



— 86 — 

ragende Naivität, die so gern auf das Flüstern der Natur 
horcht und ihr alles abzulauschen versteht, ein Gemüt so golden 
und rein, einen Sinn so zart und innig und bei allem einen 
Griffel, der das seelisch und leiblich geschabte Bild mit der 
vollendeten Meisterschaft eines wahren Künstlers auf die Lein- 
wand zu bannen weiss. Wie prächtig hat er uns nicht Bayerns 
Wälder gezeichnet, seine Flösse und Bachlein besungen, seine 
Gärten und Parks geschildert, das edle Weidwerk in seinen 
Forsten gemalt! Wie oft hat er nicht, seine kranke Brust zu 
stärken, unterm Laubdache alter Baumriesen geruht und zum 
Dank als kleines Entgelt die stille Glückseligkeit und Herrlich- 
keit seines lauschigen Plätzchens im Waldwinkel besungen ! 
W^ie hat nicht der Held Frühling in ihm einen Lobredner ge- 
funden, wie es nicht allzu viele gibt! Wer Bälde hier im la- 
teinischen Original liest, der hat ein prächtiges Stuck Horaz: 
vor sich : gerade hier erinnert der eine — trotz grundsätzlicher 
Verschiedenheit in der Auffassung von der Stellung des 
Menschen zur Natur — so lebhaft an den andern, dass es denrii 
Kritiker schwer fallen möchte, in jedem einzelnen Falle zu 
entscheiden, wo die bewusste Nachahmung aufhört und die 
geniale Originalität anfängt. Freilich verliert sich an solchen 
Stellen der Poet nicht selten in eine minutiöse Kleinmalerei,, 
sein Pinsel malt oft in feinen Haarstrichen, und auch das 
scheinbar Unbedeutendste am Wege, das kleinste Blättchen,, 
das zarteste Blümlein, der nickende Grashalm in der Wiesen- 
flur und der kleine Käfer im Laube — sie alle müssen helfen,, 
das Bild auszumalen und in feinster Abtönung dem, der es 
schauen will, vorzuhalten. Aber ist diese Kleinmalerei nicht 
gerade das köstliche Gut eines im besten Sinne des Worten 
icnaiven» Dichters, zumal eines Dichters, der, wie wir sahen,i 
dem Lyrischen so gern das Epische beimischt? Für einen 
solchen Geist hat auch das Alltägliche und Unbedeutende seinen: 
Reiz, und er weiss sonder Zwang und Mache gerade auch dem- 
was wir so gern trivial nennen, seine köstliche Seite abzuge- 
winnen. Statt vieler nur ein Beispiel! Der Dichter hält sich ir 
seinem einsamen Stübchen einen Zeisig, und wie alles um sich 
her bedachte er auch seinen kleinen Liebling mit einem Ge- 
dichte. Es ist nur ein cBauernvögelcbeni^, ein schlichter^ 
deutscher Sänger, nicht schillernd wie der fremdländische-Pa« 
pagei und nicht berühmt wie der Phönix, aber was diese niete 
dürfen, das darf der kleine, kecke Spielgesell : er darf de := 
Dichter in der Arbeit stören. Wer denkt da nicht an Catul 
«Sperling» ! So singt er denn : 



— 87 — 

Be spinnlo sno. 

Qaod nee psittacns andeat 

Nee Phoenix patrii de cineris rogo 

Heres ipse sni neqne 

Junonis volacer gemmens impetret, 

Andes, deliciam meum: 

Me turbare canentem imperiosius 

Siren rustica, spinale, 

Ales neqnitiae dnlcis et ingeni. 

Und nun das Leben und Treiben, Hupfen und Springen des 
kleinen Sangers und das Spielen des Dichters mit ihm : i 

» Schalkhafte, kleine Landsirene, 

Bald stiehlst da Mandeln vom Papier^ 
Und will ich sie dir wieder nehmen 
Mit Fluggeräasch enthüpfst du mir. 

Bald pickt dein Schnabel meinen Finger 
Setz ich ihn ein ins Saitenspiel. 
Du lassest nicht die letzten Lante 
Zum ersten klingen, wie ich will. 

Ziehst da nicht Töne in die Länge, 

So plätscherst da doch jedenfalls 

Und reibst dein Köpfchen mit den Nägeln. 

Auf dass symmetrisch glänzt dein Jlals. 

Das Jahr geht um, bis da wirst fertig. 
So viel hast du mit Schmuck za tun, 
So oft tauchst du dich in die Fluten 
Und wieder auf, um dann zu ruhn. 

Wie nah hast du das Käfigtürchen, 
Bist kein Gefangner, bist zu Haus, 
Schweifst hohen Sprungs entlang die Stäbe 
Und farchtlos fliegst du ein und aus. 

Wenn Atropos recht sanft, das hoff* ich. 
Dich einst beim Flügelchen erwischt, 
(Auch euer Sein beschliesst die Parze) 
So geb ich Hosen, taubefrischt, 

Und Veilchen dir zum Ruhelager, 
Bekränze das mit Immergrün 
Und eine Muse, die ich bitte 
Trägt zum Parnass mein Vöglein hin. 



1 Ich gebe hier die Uebersetzung von Schleich, um zugleich 
den ganzen Charakter des Bändchens (Renaissance. Ausgewählte 
Dichtungen von J. Bälde. Uebertragen von J. Schrott und M. Schleich. 
Mjinchen 1870) zu veranschaulichen. Manches ist gut gelungen, 
manches genügt kaum. Bälde zu übersetzen ist eben ein Kunststück. 



— 88 — 

Und nun wieder ein anderes Feld Baldescher Lyrik. Die 
Zeit des Dichters zeigt den furchtbaren Rahmen des Schweden- 
krieges. Was Deutschland, vorab Baldes ersie und zweite 
Heimat: das Elsass und Bayern, gelitten und getragen, das 
ging dem Sänger mit tiefstem Weh durch die Seele, und die 
Töne seiner Leier verraten uns den namenlosen Schmerz eines 
Mannes, in dem der Mensch und der Deutsche gleich aufrichti^^ 
und gross war. Wie er mit wunder Seele die Greuel der Zeit 
geschaut, mit nagendem Kummer es mitangesehen, dass sich 
Deutschland langsam verblutete, dass es verwilderte an Art und 
Sitte, dass ein Edelstein nach dem andern ihm aus der Krone 
gebrochen wurde — das hat uns ßaldes Mund in ei^reifendeu 
'Tönen geklagt, und wer einen Mann sehen will, der in jenen 
schmachvollen Tagen treu und ehrlich zum Reiche hielt, der 
greife nur zu ihm und lese seine Gesänge, vor allem auch seine 
«Klageliedern (silvarum lib. 4). 

Freilich schleicht sich auch wohl das in diese Lieder, was 
wir Politik nennen : Bälde ist eben Deutscher und Katholik, er ist 
vor allem schwärmerischer Verehrer des Bayernhauses, und so 
sind Gestalten wie Gustav Adolf und Wallenstein von ihm sehr 
duster gemalt. Aber ehrlich und offen bleibt er auch da, wo 
er hasst, und er hat es nie geliebt, mit geschlossenem Visier 
zu kämpfen : es war eins der Kunststücke, die diese ehrliche 
Natur nie fertig brachte. Und so freuen wir uns denn aufrichti;:: 
seiner Vaterlandslieder und zollen ihm gerade auch hier noch 
heute gern den Tribut verdienter Hochachtung. 

Bälde hatte schon früh mit sehr charakteristischer Derbheit 
den Versuch zurückgewiesen, ihn ob seiner Beherrschung der 
französischen Sprache für Frankreich in Anspruch zu nehmen, 
und stolz hatte er damals geantwortet : «Das Deutsche verstanrl 
ich schon als Knabe besser als mein Grossvater, ja noch besser 
als mein Vater». Und so blieb er sein Leben lang reichstreuer 
Elsässer, der am Wasgau hing so fest wie nur je ein Kind der 
Vogesenberge. Und wie klagt er nicht um seine furchtbar 
heimgesuchte Heimat! 

Die so froh dereinst 
Den holden Königsglanz von Oestreichs 
Sonne aus lenchtenden Trauben schlürften : 
Ach, sie sind verurteilt, jetzo das tote Meer 
Und Nebelqnalm zn trinken der tiefsten Nacht.^ 

Als er Deutschlands verödete Gaue an seinem Auge vorüber- 
ziehen lässt, da redet er voll Gram sein Elsass also an : 



1 s. Westermayer, S. 9. 



- 89 ~ 

Istine vnltas Alsatiae meae 
Hi sunt ocelli! Non decor in genis, 
Non gemma collo, non in ore 
Gratia purpurei coloris .... 

Jam nota vox est practereuntinm : 
Haec illa Sedes nobilis, annuli . 
Smaragdus orbis! Funeratae 
Yah species miseranda terrae ! 

Der Biograph Baldes, Weslermayer, gibt die Stelle trefflich 
wieder : 

Verräth jen* Antlitz drüben mein Elsass nicht?. 
Sie sind's, die Aenglein! Ach auf der Wange glüht 
Kein Beiz, am Halse kein Ja\yel mehr, 
Und auf der Lippe kein Roth der Anmuth ! . . . 

Schon kreißt ein Sprichwort, wenn sie vorübergeh'n : 
Dies also, höhnt man, wäre der Edelsitz, 
Dies ihr Smaragd im Erdenring! Ha, 
Kläglicher Blick in ein Land von Gräbern! 

Dabei war in Baldes Seele nichts von einem engherzigen 
Lokalpalriolismus : er war — würden wir sagen — Gross- 
deulscher im schönsten Sinne des Wortes und so richtete er 
von seiner Seherwarte aus auch an Alldeulschland seine Klagen 
und Mahnungen. Er, der schlichte Priester, der allzeit so un- 
gemein bescheiden lebende Mann, sah ein Hauptübel seiner Zeit 
in der Abweichung von der einfachen Art der Vorfahren. In 
einem geradezu klassischen Sänge : Deutsche Einfachheit — 
führt er diesen Gedanken des nähern aus, jedem ^Stande ins 
Gewissen redend, alle anfeuernd zur Bückkehr. Da hebt er an : 

Non et antiqui, mea cura Teuto, 
Non avi tales obiere nostri. 
Prima majorum repetantur acta: 
Accipe vatem! 

Aureae leges mediocritatis 
Scribe servandas memori juventae, 
Penna sit nido minor et ligonis • 

Fortior usus. 

Vivitur paucis etiam beate, 
Sunt opes, nullas cupisse, magnae, 
Laeta paupertas facit ipsa laetos, 
bobria fortes. 

Ich möchte hier den Anfang der gelungenen Uebersetzung 
von Schrott bringen : 



— 90 — 

Da meiner Liebe Sorgenkind, Germane, 
Für den mein Herz in allen Standen schlag, 
Gar übel bist da nachgefolgt dem Ahne, 
Der goldne Mittelpfad war ihm genug! 
Gestatte, dass dich dran der Barde mahne: 
Die ersten Dinge bleiben Karst and Pflng. 
Hochmütig willst du grössern Fittich strecken, 
Als not tut, am ein kleines Nest zu decken. 

Und nun kommt im Verlaufe seiner Mabnun$;en die eb( 
charakteristische wie prächtige Stelle, die uns in heimiscl 
Laute wieder vorgeführt werden möge : 

Da liebst es, in der Welt umherzuschweifen, 
Bewundernd, was in falschem Schimmer lacht, 
Ein Ueberall und Nirgends, abzustreifen 
Das Eigne, wenn du Fremdes nachgemacht. 
Nicht rühmlich ist, nach allem rasch zu greifen. 
Leicht kennt der Fremde die entlehnte Pracht. 
Lebt wo ein Volk von echten Vätersitten, 
Das sei von dir geliebt und wohlgelitten. 

Lass lieber dich bewundern, dich beneiden: 
Kommst da aus Gallien heim, so sei dein Grass 
So deutsch im Elternhause wie beim Scheiden. 
Verschlucktes Wasser aus dem Seinefluss 
Darfst du in deiner Kehle nimmer leiden. 
Auf deine Schwelle setze rein den Fuss. 
In deutscher Sprache rede, sonst in keiner 
Als etwa in der stolzen der Lateiner. 

Ich meine : mit einem solchen Liede, gesungen in hart ^^» 
trüber Zeil, darf sich unser Jesuit sehen lassen. Der Rat-*'^' 
gestattet es nicht, den Sang j;anz zu bringen. Aus demselt^^" 
Grunde müssen wir darauf verzichten, die zumteil sehr schwun*" 
vollen Lieder auf die Helden des dreissigjährigen Krieges, vof^^ 
einen Tilly, zu berühren und überhaupt die Art und Weise ^" 
zeichnen, wie sich das deutsche Fühlen bei Bälde offenbai^*^ 
— ohne alle Anmassung und ohne jeden Chauvinismus. 

Bälde besass ein beneidenswertes Gemüt. Ihm war es ^^ 
recht gegeben, in Trauer und Schmerz wie in Lust und Freu^^ 
am menschlichen Schicksal teilnehmen zu können. So bli^*' 
denn auch der Mann, der so Furchtbares um sich heru*^^ 
schauen musste, innerlich gesammelt und gefestigt : sein kinO' 
lieh frommer Sinn, sein Vertrauen in die Vorsehung und S^' 
rade deshalb sein goldener Humor blieben ihm alleweg treu 
und schützten ihn davor, ein kalter und öder Pessimist *" 
werden. Ja, der Jesuit zeigte eine geradezu klassische Heiter- 



— 91 — 

keit trotz aller Scbicksalsschläge und einen Witz, der oft gar 
übersprudeln konnte. i Kein Wunder, wenn so manch köstliche 
Anekdote von ihm in aller Munde war. Wie er z. B. als 
junger, flotter Student einmal auf der Strassburger Kirchweih 
ein altes Zigeuner weih prügelte, das ihm unter anderen schönen 
Dingen auch eine trießlugige Gattin in Aussicht stellte, das 
wusste nnan noch lange zu erzählen. Derselbe Mann, der mit 
so erschütterndem Ernste von Friedhof und Grabhügeln' zu 
singen verstand, der wusste auch im passenden Augenblick ein 
Wort zu finden, um das erlösende Lächeln nach Kummer und 
Sorgen wieder aufs Antlitz zu zaubern. Manche seiner Lieder 
und Liedchen, z. B. das in arger Katerstimmung gedichtete : 
cAn den bayrischen Bierkrug» enthalten köstliche Bildchen. 

Ueber Bälde als Dichter herrscht jetzt nur eine Stimme. 
Freilich darf man sich nicht verhehlen, dass unser Jesuit Neu- 
lateiner war und dass er hier und da die Schlacken dieser 
ganzen Richtung an sich trägt : nicht alles ist natürlich voll- 
endet bei ihm, manches namentlich zu breit gehalten, zu 
überladen und schwülstig. Aber ein Klassiker ist er doch und 
bleibt er, und wir wollen es unserm Herder nicht vergessen, 
dass er uns diesen Elsässer erst wieder entdeckte und der Welt 
von damals — auch ein Goethe fehlte darin nichts — zeigte, 
was sie an diesem vergessenen Jesuiten besass. 

So nehmen wir denn Abschied von Bälde mit dem Ge- 
danken, dass Deutschlands Musensitz auch unter den Stürmen 
einer gewalttätigen Zeit nicht ganz verwaist und vereinsamt 
war dank einem gütigen Schicksal, das uns diesen Sänger^ aus 
dem Wasgau schenkte. Freilich steht der Mann, dessen Jubi- 
läum wir am 4. Januar d. J. feiern konnten, trotz allem unserm 



^ Verg^l. dazu meinen Aufsatz: Ein deutscher Jesuit als medi- 
zinischer Satiriker, im Archiv für deutsche Kulturgeschichte, 1904, 
S. 38—59, dazu Wissenschaft. Beilage der Germania 1904 N. 1—4. 

' Da denke ich an den packenden Gesang: «Allerseelen», der 
anhebt (Schrott, S. 175) : 

Es ist vorbei, das Spiel ist aus! 
Wo sind sie, eure kurzen Jahre ? • 
Von eurem Prunkgerät im Haus 
Welch Möbel blieb euch? — eine Bahre. 

Vorüber ist des Lebens Streit 
Das Mein und Dein erlangte Frieden. 
Zwei Feinde liegen sich zur Seit* 
Als wie zwei Brüder ungeschieden. 

* Seine Worte über Bälde an Herder lauten : «Hecht herzlich 
danke ich für deinen Dichter; er bleibt bei jedem Wiedergenuss 
derselbe und wie die Ananas erinnert er einen an alle gutschmeckenden 
Früchte, ohne an seiner Individualität zu verlieren». 



— 92 — 

Gescblechte zu fem, um noch schlechthin als der unsere gelten 
zu können : es fehlt für unsere Zeit und unsere Menschen die 
Bracke, welche die grosse Masse leicht und mähelos in die 
vergessenen Lande der Neulateiner hinäberfihrte, aber wenn 
ein kleiner Kreis nur in diesem Jahre seiner gedenkt, so ge- 
nügt das. Er selbst hat nie nach Ruhm gegeizt, und Räucher- 
wolken waren ihm immer zuwider. Als er aber, längst schon 
ein siecher Mann, doch in schwerer Krankheit noch heiter, am 
9. August 1668 seine Seele aushauchte, da fühlte Deutschland 
— und nicht allein das katholische — dass ein Grosser ge- 
storben war. 

Und nun noch eins ! Männer ohne Unterschied des Standes 
und des Glaubens haben sich zusammengefunden, um dem 
elsässischen Jesuiten in Ensisbeim dn Denkmal zu setzen. Möge 
diese kurze Skizze, die ja freilich post festum kommt, noch 
manchen Freund für die gute Sache werlien und dem Aus- 
schttss noch manches Scberflein eintragen ! ^ 



I Aus der Flot der nachträglich erschieDenen Bälde -Literator 
ist die kritisch gearbeitete und sorgfältige Biographie des Dichters 
iron Bach zu erwähnen (Strassb. Theolog. Stadien, Tl. Band, 3. 
und 4. Heft). 



X. 



Herder. 



Vortrag gehalten am 18. Dezember 1903 



von 

Ernst Martin. 



H, 



eute vor hundert Jahren^ am 18. Dezember 1803, und 
beinahe in der Stunde, in der wir uns hier versammelt haben ^ 
ist Herder gestorben. i 

Er starb ungern : er umklammerte seinen Sohn, der als 
Arzt an seinem Sterbebett stand und flehte ihn um Rettung 
an; er habe noch so viel zu tun, so viel zu sagen. 

Und doch war Herder schon lange tief unzufrieden mit 
seinem Wirkungskreis, ja mit seinem ganzen Leben, das ihm 
als verfehlt erschien. Er stand seit 1776 an der Spitze der 
Geistlichkeit des weimarischen Landes; aber es war ein Amt 
voll schwerer Arbeit, auch mit juristischen und Verwaltungs- 
geschäften verbunden, die Herder zwar mit genauester Pflicht- 
erfüllung, aber zuletzt doch mit unverholener Ermüdung und 
Verbitterung ausführte. Die einheimischen, seinetwegen zurück- 
gesetzten Amtsgenossen leisteten ihm vielfach einen heimlichen 
Widerstand, der seinen Feuergeisl wahrhaft empörte. Das ehe- 
malige Klostergebäude, in dem er wohnte und dessen Aussicht 
durch das tief herabhängende Dach der Kirche versperrt war, 

^ Die Herderfeier war veranstaltet von dem Strassbnrger Zweig- 
verein des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins. Der Zweigverein 
hat acLch am Hause Thomasstaden 7 eine Gedenktafel aus schwedischem 
Granit anbringen lassen mit der Inschrift: «In diesem Hause, dem 
ehemaligen Gasthof zum Geist, trafen sich Herder und Goethe im 
September 1770». Jetzt will der Altertumsverein in Reichenweier 
auch für Caroline Herder eine Gedenktafel an ihrem Geburtshaus e 
stiften. — üeber Herder und Goethe in Strassburg habe ich bereits 
im Jahrbuch XIV (1898) gehandelt; Wiederholungen daraus konnte 
ich nicht ganz vermeiden. 



- 9i — 

verdüsterte auch seine Stimmung. Er empfand das um so meh 
als er gern an Geselligkeit teil nahm und im Gespräch ehens 
bedeutend als gefallig erschien. Besonders die Frauen fessel* 
er durch äeine sittliche Anmut. Zur Zeit als Goethe in Frau vc 
Stein seine Muse gefunden hatte, stand Herder mit ihrer Schwi 
gerin, einer Frau von Schardt, in ähnlichem Seelenbunde. I 
lehrte sie Griechisch und trug ihr seine geistrei(5hen Ausdeutung 
der alten Mythen vor, bis er bemerkte dass ihre Teilnahr 
mehr Gefallsucht war und ihre Freundschaft auch Unwürdig- 
sich zugänglich erwies. 

Ausserordentlich schön war das Familienleben Herde : 
Der Ostpreusse hatte in einer Elsässerin die Gattin gefundc 
die lebenslang ihm hingebend zur Seite stand. Karoline FlacF 
Jand aus Reichen weier hatte ihn in Darmstadt predigen hör« 
als er einen Prinzen von Holstein auf der Reise begleite 
kurz bevor er in Strassburg sich von diesem trennte. Sie ha 
einen Engel aus ihm reden hören und ihr bescheidener Daj 
gewann seine volle Liebe. Noch die letzte Dichtung Herde 
«Admetos Haus» feierte ihre Aufopferung unter dem ßilde d 
treuen Alkestis, die sich dem Tode weiht um ihren Gatten a 
retten. 

Aber, was in Herders Stellung und in der kleinen Resider 
gewiss von grosser Bedeutung war, sein Verhältnis zum Hol 
entsprach wenig seinen Wünschen, seinen Ansprüchen. Zwa 
die fürstlichen Frauen hielten den ernsten und stets geistvolle 
Prediger hoch. Als die Herzogin Luise ein fünfjähriges Töchterche 
verlor und sich gar nicht fassen konnte, tröstete Goethe sie 
indem er ihr aus Herders Schriften dessen Ausführungen übe 
den Unsterblichkeitsglauben mitteilte. Besonders aber war di 
Herzogin Mutter Herder treu gewogen, sie, die liebenswürdigste 
menschlichste Fürstin, eine Nichte Friedrichs des Grossen, ein 
Schwester Leopolds von Braunschweig, der in Frankfurt an de 
Oder bei dem Versuche Bedrängte aus Wassersnot zu retten 
sein Leben aufgeopfert hat. Die Herzogin Amalie hat, um fü 
die lelzte Badereise Herders die Mittel zu gewähren, eine 
kostbaren Perlenschmuck veräussert. In ihrer Gesellschaft wa 
Herder 1787 in Italien gewesen, wo er selbst unter den Kar 
dinälen sich Freunde erwarb und sich nicht ungern als Bische 
von Weimar bezeichnen liess. 

Um so weniger gelang es ihm den Herzog dauernd zu g€ 
winnen. Als Herder nach Weimar kam, hatte Karl Augus 
eben die Regierung angetreten und genoss Freiheit und Herc 
Schaft in vollen Zügen. Erst allmählich ging er auf die Wünsclr 
ein, die Herder für Kirche und Schule hegte. Aber er teil 
dessen strenge Ansichten keineswegs und persönliche Grunc: 



- 95 — 

zur Verstimmung traten in den letzten Jahren Herders mehr 
und nnehr hinzu. 

Für Karl August war es begreiflicherweise nicht gleich- 
gültig dass auch Herder den Anfängen der französischen Revo- 
lution begeisterten Beifall schenkte und die Abschaffung des 
Adels billigte. Der Herzog erhielt eine Gelegenheit ihn dafür 
zu bestrafen. Ein Sohn Herders, der Landwirt war, erwarb 
ein Rittergut in Bayern und um ihm diesen Besitz zu sichern, 
Hess Herder sich von dem damaligen Kurfürsten von Bayern 
den Adel erteilen. Karl August erkannte diesen Adel erst nach 
lüngerenn Zögern an und nicht eher als bis er Schiller den noch 
hoher geltenden Adel vom kaiserlichen Hofe in Wien erwirkt 
hatte. Die Verzögerung empfand Herder als eine persönliche 
Beschimpfung. 

Zwischen Herder und dem Herzog hatte Goethe immer 
wieder vermittelt, wie schon die Berufung Herders aus dem 
einsamen Bückeburg von ihm veranlasst worden war. Für 
Goethe war die Begegnung mit Herder hier in Strassburg, im 
September 1770, von unvergleichlicher Bedeutung gewesen. 
Herder, obschon nur fünf Jahre älter, hatte bereits in Riga als 
Lehrer wie als Prediger sich ausgezeichnet und als Schriftsteller 
j^Tosse Erwartungen erregt: er hatte kurz zuvor in Paris den 
Kreis der Enzyklopädisten, in Hamburg Lessing kennen gelernt. 
In Strassburg, wo der Versuch ein Augenübel heilen zu lassen, 
ihn in das Krankenzimmer bannte, führte er Goethe ein in 
seine durchaus neuen, geradezu umgestaltenden Ansichten über 
Sprache und Dichtung; er wies ihn hin auf das Volkslied und 
auf Shakespeare. Erst hierdurch nahm Goethes Lyrik ihren 
hohen Aufschwung; sein Götz von Berlichingen verband den 
freien Bau des Dramas mit einem vaterländischen Inhalt« Goethes 
Dichtung führte Herders Lehre zum Siege : Sturm und Drang 
ward die Losung des jüngeren Dichtergeschlechls. 

Freilich machte die Art, wie Herder seinen Schüler be- 
lehrte, es diesem sehr schwer zu lernen. Goethe gibt uns von 
dem herben Umgangston Herders eine Vorstellung in den Ge- 
sprächen seines Faust mit Wagner. Allerdings ist Wagner 
nicht Goethe selbst, sondern eher der nüchterne, platte Ber- 
liner Kritiker Nicolai. Aber so manches, was Faust zu Wagner 
sagt, klingt ganz wie aus Herders Mund genommen. Herder 
l^onnte durchaus ablehnend, ja beleidigend sein, wo er nur zu 
scherzen vermeinte. So hat er noch in später Zeit Goethe durch 
ein Witzwort über sein Drama oiDie natürliche Tochter ji> auf 
das tiefste verletzt. 

Am nächsten standen sich beide in dem Jahrzehnt nach 
^783: sie haben damals in der fruchtbringendsten Weise sich 



— 96 — 

gegenseitig für ihre Werke beraten. Während erst der eine, 
dann der andere in Italien weilte, hat der in W^eimar anwesende 
die Angelegenheiten des Entfernten besoi^. So war Herder 
durch Goethe bestimmt worden, einem Rufe an die Universitäl 
Gottingen nicht zu folgen, der ihm in Italien zukam. Gerade 
hieraus aber erwuchs ein erbitterter Zwist mit Goethe, da 
Herder spater Forderungen an den Henog slellle, die dieser 
nicht als berechtigt ansah und nur widerwillig zugestand. Ka- 
roline Herder richtete damals mit ihrer cElectranatun Vor- 
würfe gegen Goethe, die ihn von der früher c Schwester» ge- 
nannten innerlich auf immer schieden. 

Bas war im Jahre 1795. Gleichzeitig gab die Annäherung 
Schillers an Goethe für Herders Eifersucht neuen Ansloss. Die 
beiden grossen Dichter hatten wohl gehofft, Herder als dritten im 
Bunde ansehen zu können. Nun, da Herder sich zurückzog, hielt 
Goethe an Schiller fest, der ihm als Künstler näher stand, un'l 
dessen mensch liebe Grossheit er mit nie erlöschender Liebe be- 
wundert hat. 

Herder aber entschädigte sich nur unvollkommen durch 
den Umgang mit den älteren, aber minder bedeutenden Dich- 
tern, mit Wieland und Knebel in Weimar, mit dem rückhalt- 
los bewundernden Gleim in Ualberstadt. Ein rasch berühmt 
gewordener jüngerer Schriflsteller schloss sich dem Herderschen 
Kreise an, Jean Paul Richter. 

Die älteren Dichtergenossen erhob nun Herder in seinen 
späteren Schriften geflissentlich und recht im Gegensatz zu den 
Xenien, durch die Goethe und Schiller die Bahn für das Bes- 
sere hatten frei machen wollen. Nur mit kai^em Lobe bedachte 
er Goethes Werke, dem er im Stillen den Vorwurf der Unsilt- 
Hchkeit machte, während er Schillers Dramen verächtlich als 
Bombast hei Seite schob. 

Den eigentlichen Anstoss zu der Auseinandersetzung mit 
Schiller gab Herder durch einen Aufsatz für Sckiillers Zeitschrift 
cDie Hören», welcher den Titel trägt clduna oder der Apfel der 
Verjüngung». Der Apfel Jdunas ward zum Erisapfel. Schiller 
liess den Aufsatz zwar abdrucken; aber er knüpfte daran Be- 
merkungen, infolgederen Herder auf weitere Mitarbeit verzich- 
tete. Es lohnt sich diesen Gegensätzen näher zu treten. 

Herder führt die Sage von Idun als ein Stück der nordi-^ 
sehen Mythol(^e an, woran unsere Dichtung der Neuzeit ein 
schönes Sinnbild gewinnen könnte. Idun, die Göttin der Ju- 
gend, wird mit ihren goldenen Aepfeln vom Sturmriesen Thiassi 
geraubt, und erst durch eine List Lokis, der die Entführung 
begünstigt hat und sie wieder gut machen muss, kann Idun 
zu den Göttern zurückgeführt werden, die ohne ihre Aepfel 



— 97 ~ 

schon ergraut und gealtert sind. Es ist natürlich ein Jahres- 
zeitenmythus : Thiassi vertritt den stürmischen Winter, Idun 
den Sommer. Herder aber empfiehlt die Aufnahme solcher 
Sagen in unsere Dichtung, wodurch diese Sagen gewissermassen 
verjüngt würden. Wir können hinzufügen, dass auch unsere 
Dichtung durch den künstlerischen Gebrauch der altnordischen 
Vorstellungen bereichert und verjüngt worden ist, wofür es ge- 
nügt auf Richard Wagners Musikdramen hinzuweisen. Darin 
werden wir Herder auch wohl beistimmen, dass die Mythologie, 
deren sich die Dichter bedienen, der Sinnesart ihrer Völker an- 
gemessen, dass sie aus deren altem Glauben hervorgegangen 
sein sollten. Allerdings ist die Mythologie der Edda nicht ein- 
fach die germanische. Das behauptet auch Herder nicht, aber 
er macht mit Recht geltend, dass wir in der nordischen Götter- 
und Heldensage Züge finden, die wir als deutsch auch von 
unserer Seite ansprechen werden : «der Stahl der Seele, Freund- 
schaft bis auf den Tod, Tapferkeit, Redlichkeit, Keuschheit, 
Hochachtung und zarte Gefälligkeit gegen die Frauen, ein hilf- 
reich Gemüt gegen die Unterdrückten». «Und so ist», fährt er 
fort, ccauch das Weib der alten deutschen Dichtung zwar nicht 
die Gebildetste, aber die Würdigste und Edelste ihres Geschlecht sj>. 
Gegenüber diesem Lobe der nordischen Sagen lässt Schiller, 
den Anschauungen entsprechend, die Goethe aus Italien zurück- 
gebracht hatte, nur die griechische Mythologie gelten: sie allein 
sei rein menschlich. In der Begründung der Herderschen An- 
sichten auf die Verwandtschaft der nordischen mit unserem 
Volkstum sieht Schiller ein Zugeständnis an die von ihm ver- 
achtete Gegenwart. Es sei ganz gut, «wenn der poeti-sche Genius 
durch die griechische Mythologie der Verwandte eines fernen, 
fremden und idealischen Zeitalters bleibe, da ihn die Wirklich- 
keit nur beschmutzen würde». Als ob Herder den Wert des 
Griechentums für unsere Bildung hätte leugnen wollen, da er 
doch nur dem deutschen Altertum eine Stelle daneben anweisen 
wollte. Dass der Zeitgeist diesem günstiger gestimmt gewesen 
sei als dem griechischen, ist kaum anzunehmen. 

Ja, wir können an Herders Aufsatz uns vergegenwärtigen, 
was den Kern von seinen Verdiensten um unsere deutsche Li- 
teratur, um unser Geistesleben überhaupt bildet. Wir können 
Herder einen grossen Verjünger nennen. Die Verjüngung der 
Seele, nicht nur des Einzelnen, auch der Völker, ist ein Ge- 
danke, der von früh bis spät bei ihm wiederkehrt, dem er 
unter anderem auch am Schlüsse der Zerstreuten Blätter 1796 
unter dem Bilde von Tithon und Aurora Ausdruck gegeben 
^at. Tithon ist der Sterbliche, den die Göttin der Morgenröte 
zum Gemahl erkoren hat und der nun altert, während sie selbst 

7 



- 98 — 



in unverj^anglicher Jujjend blüht. Zuletzt verwandeln ihn die mi 
leidijjen Götter in eine Cicade, «So überleben sich», fahrt Her( 
fort, «Menschen wie menschliche Einrichtunjren jeder Art. Wie 
zu helfen? Nicht durch Revolutionen — dieser Name ist dui 
die Zeitereiji^nisse verhassl «geworden — wohl aber durch Ei 
lution, durch Entwicklung^, durch die Anspannung von Krdfl< 
welche schliefen und nun neues Leben mit sich bringen könnet 

Gestatten Sie mir, hochverehrte Zuhörer, die ernste 
trachtung durch einen heiteren Seitenblick zu unterbrechen. 
Wunsch sich verjüngen zu können, ist ein uralter. Die Sage Iriisit 
verschiedene Mittel angegeben und sie oft sinnig ausgeführt. JDa 
erscheint der Jungbrunnen, in den die Alten hinabsteigen, xjm 
jung wieder heraus zu kommen. Im 16. Jahrhundert ist viel^von 
einer Mühle die Rede, die solche Wunder bewirken soll. In ziem- 
licher Weise hat Goethe einmal auf der Liebhaberbühne rJes 
Weimarischen Hofes die Verjüngung dargestellt. Eine Fee -und e?iri 
Zauberer haben einen mächtigen Geist beleidigt und müssen zur 
Strafe rasch altern : sie erfahren, dass das. Gegenmittel tief inci 
Berge in einem Karfunkel gefunden werden könne. Berggnomen 
werden beschworen und bringen den Karfunkel herbei ; er öffnet 
sich und Amor, der all verjüngende springt heraus. Auf der ver- 
wandelten Bühne werfen die hasslichen Gnomen und die alten 
Mütterchen ihre Hüllen ab: es sind Jünglinge und Mädchen, 
deren Tänze die Freuden der Jugend darstellen. i Nun ist zvratr 
der Liebesgott, den wir unter Amor verstehen, nicht immer 
lahig die gewünschte Verjüngung hervorzuzaubern : er lässt 
die Alten vielmehr erst recht ihr Alter empfinden. Aber di^ 
Liebe ist es allerdings, die auch den Alten verjüngt : die Liel»«^ 
zu Kindern und Kindeskindern, die Liebe zur Jugend, die si< 
unserer Lehre anvertraut. Und noch weiter von dem Sinnliche' 
ablenkend, ist es die Liebe zur Kunst und Wissenschaft, zu 
Vaterland und zur Menschheit, die auch dem Alter die jugen<l 
liehe Selbstvergessenheit wiedergibt, uns hoffnungsfreudig, tal^*^ 
freudig macht. 

Um mit Kindern umzugehen, müssen wir Kindessinn an^ — 



J Darüber berichtet Luise v. Goechhausen, die Hofdame 
Herzogin Anna Amalia, an Merck am 11. Februar 1782 (Briefe **? 
und von J. H. Merck hgg. von K. Wagner, Darmstadt 1838, S. 19^-^ 
Goethe selbst hat nur die Verse, die der Herzogin Luise bei d^^ 
Feier ihres Geburtstages am 30. Januar im Verlauf und am ScW**^^ 
der Comedie ballet überreicht worden waren, in seine Werke ^^^7 
genommen (Weimarer Ausgabe 16, 198). Das Ganze ist ebd. 16, ^^ 
abgedruckt. Das Hervorspringen oder -kriechen verkleideter KindeT 
aus Eiern, Blumen u. s. w. war übrigens ein Haupttrik der Hauß" 
wurstkomödie; vgl. u. a. Th. Creizenach, Briefwechsel zwischen 
Goethe und Marianne von AVillemer, 2. Aufl., Stuttgart, 1878, S. ^' 



- 99 — 

nehmen. Und so führt auch die Verjüngung der Dichtung, des 
Geisteslebens zurück auf die Jugend des Volkes. Unser Alter- 
tum, dessen Anschauungen vielfach in den unteren Volksschichten 
fortleben, zeigt uns die Frische, die Einfalt, die wir suchen. 
In diesem Sinne hat Herder unsere Vorzeit verjüngt und damit 
auch unser Volk verjüngt. Sohn eines Volksschullehrers, Enkel 
eines armen Webers, stand er der Volksseele näher als irgend 
ein anderer unserer grossen Dichter. 

Seine verjüngende Kraft hat Herder vor allem auf dem 
Felde bewährt, das ihm seinem Amte nach zunächst lag, das 
er aber auch mit seinem Herzen als das wichtigste Gebiet seiner 
Tätigkeit erfasste.^ Er hat das Christentum, das einerseits durch 
eine verknöcherte, unduldsame Kirchlichkeit, anderseits durch 
die verneinende Aufklärung des 48. Jahrhunderts tief gesunken 
war, neu belebt. Schiller spricht gewiss die unter den Gebil- 
deten seiner Zeit verbreitete Meinung aus, wenn er in einem 
Jugendgedichte sagt : «Rousseau, der aus Christen Menschen 
wirbt. Herder sagt dagegen: <« das Christentum ist die Huma- 
nität selbst, die auf Vernunft und Billigkeit beruht.» Herder 
hat sich sein Lebenlang als Schüler Hamanns angesehen, der 
gegen die rein verstandesmässige Aufklärung das Recht der 
sogenannten unleren Seelenkräfle, des Gefühls und der Phan- 
tasie unermüdlich, aber fast in Rätselworten verkündete. Herder 
erst hat durch begeisterte Ausdeutung dieser Rätselworte der 
Lehre Hamanns allgemeine Verständlichkeit und eine immer 
weiter dringende Wirksamkeit gegeben. Aber Herder verband 
damit die volle Anerkennung der wissenschaftlichen Forschung. 
«Freiheit muss der menschliche Geist haben, gesetzt auch er 
missbrauche diese Freiheit.» Die biblischen Schriften deutete 
er historisch und brachte dadurch auch ihre poetische Schönheit 
an das Licht. In dem Hohen Liede, das bisher nur in allego- 
rischer Deutung hatte der Kirche dienen sollen, fand er «Liebes- 
lieder, die ältesten und die schönsten aus dem Morgenlande». 
Den grossen Wahrheitsucher und Wahrheitverfechler Lessing 
pries er, wie dieser anderseits auch in einer der spätesten und 
tiefsten Schriften, der cErziehung des Menschengeschlechts» auf 
Herders Ansicht, dass die biblische Schöpfungsgeschichte aus 
dem Bilde des werdenden Tages zu verstehen sei, beifallig hin- 
gewiesen hat.« Selbst Spinozas Pantheismus, zu dem sich Lessing 
und Goethe bekannten, wusste Herder so zu biegen, dass er 
sich dem christlichen Bekenntnisse einfügte. 



1 Die religiöse Verjüngung durch die Busse erwähnt Herder in 
Suphans Ausgabe 31, 703. 

2 In § 48. 




— 100 — 

Von der Macht dieser Gedanken Herders liegt ein hocl 
bedeutsames Zeugnis vor in einer Dichtung Goethes, die 
vor der italienischen Reise begann und freilich, nachdem 
dort andere Anschauungen sich angeeignet hatte, nicht mel 
vollendete. Dies Gedicht in achtzeiligen Stanzen, «Die G 
heimnisse» betitelt, sollte zeigen, wie alle grossen Religion 
der Welt sich zuletzt in der Uel»erzeugung des Bruders H 
manus, eben Herders, zusammen finden würden, wie il 
Vertreter unter seiner Leitung eine fromme KlostergemeiiM 
bilden. 

Gerade deshalb suchte Herder aus dem Christentum di st s 
auszuscheiden, was diesem am meisten geschadet hatte: <=iie 
politischen Zwecke, die Verflechtung der Kirche mit dem Stasfci:. 
Am meisten begreiflich und berechtigt erschien die Dienstbarki^it 
der Kirche im Staate Friedrichs des Grossen. Die Berliti^r 
Geistlichen sahen gerade darin dass sie das Volk zum Gehorsam^ 
zu Opfern für den König bereit machten, ihre Aufgabe, cien 
Wert ihres Amtes. Herder verlangte vielmehr vom Predig^^r 
dass er wie ein Prophet des alten Bundes auch dem Köaigr^ 
ohne Furcht seine Pflicht vorhalten solle. Nur verfolgen könne- 
das Christentum niemals : darin kam er wieder mit dem grossen 
Könige überein. 

In der Gleichgültigkeit Herders gegen den Staat lag nuo 
ein Hauptgrund zu den Streitigkeiten, welche seine letzten Jahre 
verbitterten. Die Pflicht des Einzelnen gegen den Staat wurde- 
von dem Königsberger Philosophen Kant besonders betont. Kant 
gab aber der Philosophie überhaupt eine neue Wendung, durcl> 
welche allen früheren Lehrgebäuden, und so auch dem Herde r:3 
der Boden völlig entzogen wurde. Kant zeigte dass der menscl^-" 
liehe Geist unfähig sei vom Uebersinnlichen etwas zu wissen — 
Wir begreifen dass Herder geradezu mit Verzweiflung geg^*^ 
Kants Kritik ankämpfte. Auch seine Abneigung gegen Schule**» 
der Kants Ansichten über das Schöne weiter geführt hat, ei 
klärt sich zum guten Teil aus dieser Todfeindschaft. 

Doch auf die Theologie und Philosophie Herders kann hi^*^ 
nur mit kurzen Andeutungen eingegangen werden. Etwas g^' 
nauer darf ich von Herders Verdiensten um die Geschicb^^r 
vor allem die Geschichte der Dichtung, und von seiner dichte- 
rischen Tätigkeit, besonders als Ueberselzer, Rechenschaft ab- 
legen. 

Herders Theologie hatte sich ganz besonders von der Au/- 
klärung abgewendet während seines weltfernen Aufenthaltes i» 
Bückeburg 1771 — 76. Hier gab er auch seine geschichtliche 
Auffassung am stärksten kund in der 1774 erschienenen Schrift^ 
«Auch eine Philosophie zur Geschichte der Menschheit». In 



— 101 — 

«ch neidendem Gegensatz weist schon der Titel hin auf die 
selbstzufriedene Ansicht der Aufklärungszeit, «wie wir's so 
herrlich weit gebracht». Er fand die materiialistische, egoistische 
Philosophie seines Jahrhunderts so kraftlos und trostlos, so alt 
und so kalt. Dem gegenüber erhob er das von der Aufklärungs- 
literatur so tief verachtete Mittelalter, seine Tapferkeit und 
Frömmigkeit, seine Ehre und Liebe. Er ruft diesen Zeiten zu : 
«Wie es auch sei, gebt uns in manchem Betracht euere An- 
dacht und Aberglauben, Finsternis und Unwissenheit, Unord- 
nung und Rohigkeit der Sitten, und nehmt unser 'Licht und 
Unglauben, unsere entnervte Kälte und Feinheit, unsere philo- 
sophische Abgespanntheit und menschliches Elend!» 

Diese Abkehr von der Gegenwart, diese Lobpreisung des 
Mittelalters mässigte sich in Weimar, im erneuten Verkehr 
mit Goethe. Aus der Zeit des innigsten Zusammenwirkens von 
Herder und Goethe stammt Herders Hauptwerk, seine «Ideen 
zur Geschichte der Menschheit» 1784 — 91. Es ist eine Welt- 
geschichte,* die aber ausgeht von dem Naturganzen. Zuerst wird 
die Erde betrachtet, die Erziehungsstätte des Menschengeschlechts : 
denn wie das ausgehende 18. Jahrhundert überhaupt, ist Herder 
von pädagogischen Gedanken erfüllt. «Unsere Erde ist ein Stern 
unter Sternen» so ist das 1. Kapitel überschrieben. Ausführlich 
und lichtvoll werden auf Grund der damaligen naturwissen- 
schaftlichen Kenntnisse, die Goethe vermittelte, die physischen 
Bedingungen des menschlichen Lebens zusammen gefasst. Durch 
Pflanzen und Tiere steigt die Betrachtung zum Menschen empor, 
dessen aufrechte Hallung allein schon die Bestimmung zur 
Vernunft, zur Humanität erkennen lässt. Der Mensch erscheint 
als ein Mittelglied zwischen den Tieren und den höheren Wesen. 
Dann wendet sich der Blick zu den Völkern unter den ver- 
schiedenen Himmelstrichen. Asien ist die Urheimat des Menschen- 
geschlechts. China wird geschildert, dann die geschichtlichen 
Völker, die Babylonier usw. Hierauf die gebildeten, die Griechen 
und Römer, endlich das Mittelalter bis zum Zeitalter der Er- 
findungen und Entdeckungen. Zwar wird jetzt das Mittelalter 
nicht mehr verherrlicht: die Kreuzzüge erscheinen als eine 
heilige Narrheit. Aber im ganzen tritt doch in der Weltge- 
schichte ein Fortschritt hervor. Doch nicht zur Kalokagathie 
eines griechischen Weisen oder Künstlers, sondern zu einer 
Menschlichkeit und Vernunft, die mit der Zeit den Erdball 
umfassen werde, sollte Europa erzogen werden. 

Zur Forlsetzung der «Ideen» bis zur Gegenwart ist Herder 
nicht mehr gekommen. Nur einzelne Stücke konnte er, und 
^uch diese nur in lässiger Form behandeln in seinen «Briefen 
zur Beförderung der Humanität» 1793, worin Peter der Grosse 





und Friedrich der Grosse, Comenius und Frauklin ihr wob 
begründetes Lob erhalten. 

Herders cldeenj» fassten eine Weit des Wissens zusammen 
staunenswert namentlich in Anbetracht der damals zugänglichei 
Quellen : Reisebeschreibungen, Missionsberichte sind neben dei 
zahlreichen geschichtlichen Werken benutzt. Und wie dj 
Ganze unter dem einheitlichen Gesichtspunkt der Entwicklunj 
des Fortschritts gefasst ist, werden die unzähligen Einzelheite 
klar dargelegt, und alles von einem warmen Hauche des G( 
müts durchweht. 

Das grossarlige Werk wurde mit begeistertem Beifall aul 
genommen. Aber es fehlte auch nicht an Widerspruch. Es wj 
Kant, der hier zuerst den Gegensatz zu seinem ehemal ig r . 

Schüler enthüllte. 

Kant nahm besonders Anstoss an der theologischen 
leuchtung des Gegenstandes. Er leugnete jene höheren Wese 
die Herder neben den Menschen voraussetzte. Aber hat nic= 
auch Scliiller in den etwa gleichzeitig gedichteten ^Künstler 
gesagt : «Das Wissen teilest Du — o Mensch — mit vorgezogn 
Geistern»? Nach Herder hatten die Menschen von diesen 
heren Wesen die Sprache gelernt. Damit trat er selbst, v« 
anlasst durch Hamann, von einer früheren Einsicht zurü< 
die er in der 1770 hier in Strassburg rasch hingeschrieberÄ 
Preisschrift über den Ursprung der Sprache dargelegt hat 
Er hatte damals gezeigt, dass die Sprache im Wesen ^r^es 
Menschen selbst begründet sei, in seiner Besonnenheit, Welc^-to^ 
ihn an den Dingen ein durchgängiges Merkmal der GattULin;^ 
fest halten und für den weder des Lichts noch der unmit"*:^!" 
baren Nähe bedürftigen Sinn des Gehörs zum Ausdruck bringe ^^'^ 
Hess. 

Aber wenn Kant in diesem Falle und sonst Herd ^^^ 
«Ideen» berichtigen konnte, in anderen hat er ihm doch Unr^^^^* 
getan. Herder hatte nach Kants Ansicht allzu viel Gewicht ^ '^^ 
die aufrechte Haltung des Menschen gelegt, welche ihn -%/'<^^ 
den Tieren unterscheide und ihm eine weitere Entwickelt»*^" 
möglich mache. Eben die aufrechte Haltung nimmt auch ^^ ^^ 
heulige vergleichende Anthropologie als den Ausgangspunkt ^ *^^ 
der Gemeinschaft der tierischen Wesen an.i 

Nirgends aber tritt Herders Fähigkeit das Ursprünglich»^ 
und Naturgemässe zu verstehen und zu würdigen herrlicb^^ 
hervor als in seiner Sammlung und Uebersetzung von Volksf' 




1 Vgl. die Rede von G. Schwalbe, über die Vorgeschichte des 
Menschen. (Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforseher 
und Aerzte 1903, AUg. Teil, Leipzig 1903;. 



k 



— 103 -- 

iiedern. Poesie ist die Muttersprache des Menschengeschlechts, 
hatte Hamann gelehrt, und Herder zeigte dass die von den 
Klugen und Gelehrten seiner Zeit (und nicht bloss der seinigen !) 
so verachteten Lieder der wilden Völker sowie die unserer 
Armen, Ungelehrten Schätze von Poesie in sich schlössen. Den 
Begriff der Volkspoesie entnahm er besonders einer Quelle, die 
doch bereits damals als trüb erkannt worden war, dem Ossian 
von Macpherson. Aber auch in der breiten Ver Wässerung des 
schottischen Herausgebers fühlte er die Trauer und Weichheit 
der von diesem benutzten gaelischen Volkslieder hindurch und 
den Gegensatz gegen die harten Lieder der alten Skandinavier. 
Diese hatte er gelesen, als er auf langer Seefahrt von Riga nach 
Nantes unterwegs war und die Einsamkeit im weiten Meer, 
die Sterne über ihm, gaben ihm die Vorstellung von den Um- 
ständen, unter denen diestf Lieder entstanden waren. Das sprach 
er in einem Aufsalz aus, den er in seiner Sammlung «cFliegende 
Blätter von deutscher Art und Kunst» 1773 erscheinen liess, 
verbunden mit Goethes begeistertem Lobe des Strassburger 
Münsters. Wenn Goethes Schriftchen «Von deutscher Baukunst» 
den Keim enthielt, aus dem unsere ganze Kunstgeschichte, so- 
weit sie sich nicht auf die Antike beschränkt, hervorgewachsen 
ist, so hat Herder uns gleichzeitig Volkspoesie und Volkssage 
zuerst in. ihrem Wesen und Wert gezeigt und so für die Ge- 
schichte der alten Literatur den Grund gelegt. 

Als Beweisstücke legte Herder eine Sammlung von Volks- 
liedern aller Völker und Zeiten in Uebersetzung vor, die 1778 
unter dem Titel «Volkslieder», und nach seinem Tode als 
«Stimmen der Völker in Liedern» erschien. Bewunderungs- 
würdig ist die Fülle der Zeugnisse, noch bewunderungswürdiger 
die Feinheit der Empfindung, mit welcher sich Herder so vielen 
und so verschiedenartigen Erzeugnissen des dichtenden Volks- 
geistes angeschmiegt und die Treue, mit welcher er sie wieder- 
gegeben hat. Ursprünglich sollten auch die Melodien beigefugt 
werden ; denn so nur ist der Vortrag vollkommen, und so er- 
scheint auch Herders Wiedergabe erst in ganzer Schönheit. 
Der schwebende Gang des Liedes ist ihm mehr wert als was 
die Kunstlyrik durch die Mischung ihrer Farben zu einem Ge- 
mälde zu leisten sucht ; und mehr als die sorgfuUij^B, logische, 
grammatische Richtigkeit der « Lettern verse» gilt ihm der kühne 
Wurf, der sogleich mit dem ersten Vortrag sein Bestes 
hervorbringt und gelegentlich auch Sprünge in der Entwicklung 
mitzumachen dem Hörer zumutet. Herder hob das Recht der 
Leidenschaft hervor, in welcher schon Hamann den Quell der 
Dichtung gesehn hatte. 

Unter den englischen Liedern waren viele aus der eben 



— 104 — 

damals erschienenen Sammlung des Bischofs Percy, mehrere auc 
aus Shakespeare entnommen. Shakespeares Drama hatte Lessi 



dem französischen gegenüber in seinem Werte geltend gemach 
trotz verschiedener Form erreichte Shakespeare den Zweck d 
Tragödie ebenso wie Sophocles. Jetzt zeigte Herder, dass d 
eigenartige Form Shakespeares sich durch die Art der englisch 
Bühne seiner Zeit erkläre und rechtfertige. 

An die Uebersetzung der englischen Volkslieder knüpft 
Herder den Wunsch an, dass man auch in Deutschland solch 
Liedern nachspüren mö^re ; er führt einige vor, die ihm bekan 
geworden waren, darunter auch solche, die Goethe für ihn i 
Clsass gesammelt hatte. Er wies auch hin auf die altdeutsch 
Minnelieder, die von Bodmer aus der sogenannten manessisch 
Handschrift veröffentlicht worden waren. «Freilich», so mei 
er spöttisch, «traute Bodmer uns zu, dass wir uns nach d 
Bissen schwäbischer Sprache leicht hinauf bemühen würd 
Er hat sich geirrt. Wir sollen von unserer klassischen Spraa ^ 
weg, sollen noch ein ander Deutsch lernen, um einige Lieb^ ^ 
dichter zu lesen — das ist zu viel !» 

Herder seihst hat so manche unserer alten Dichter u- 
Dichtwerke wieder erneut : das Annolied, den Reinecke Fuc 
aus dem 17. Jahrhundert den ihm so geistverwandten J. 
Andreae. Es wäre durchaus unrichtig, wenn man sagen woll 
dass er über dem Ausland unser Volk vergessen hätte, dass 
uns in alle Weiten der Weltliteratur hätte führen wollen, 
uns von der Heimat zu entfernen. Hat er doch wesentlich 
wirkt, dass die lateinische Dichtung der Gelehrten, die fran 
sische der feineren Kreise aufhörte. 

Und dass es ihm wirklich darum zu tun war, uns 
deutsche Dichtung zu verjüngen, ergibl sich aus seinen H 
weisen auf die Dichter, welche deutsche Volksweise bereits 
angeschlagen hatten, wie Claudius und Goethe. Wir fü 
Bürger hinzu, dessen Lenore kurz nach Goethes G^lz für e 
neue deutsche Balladen- und Romanzenpoesie die Bahn eröffnen 

Herder selbst hat in eigenen Dichtungen besonders 
Legende gepflegt, und der edle, einfache Ausdruck, die from 
und zugleich durchaus menschlichen Gedanken haben seine 
senden zum bleibenden Besitztum unserer Schule werden lass 







CT 



Noch auf einem anderen Gebiel ist Herder von Uebertragu :^^^ 
zu selbständiger Dichtung vorgeschritten, wobei er ein bis dah^ * 
wenig beachtetes Feld der griechischen Poesie betrat : Ä ^^ 
Epigramm. Hier wie so oft knüpft er an Lessing an, den ^^ 
mehr ergänzen als berichtigen will. Lessing, der Meister d- -^^^ 
satirischen Epigramms, hatte den Römer Martial sich zi»- 
Muster gewählt. Herder bringt das Epigramm der Empfindu 



^^ 



— 105 — 

aus der griechischen Anthologie hinzu. Er zeigt, dass das Epi- 
gramm, als reine Aufschrift gedacht, älter ist als das satirische. 
Dessen Zweiteilung in einen Spannung erregenden und einen 
auflösenden Teil, wie Lessing sie als bestimmte Forderung auf- 
gestellt hatte, lehnt er ab. Das Denkmal selbst erregt die Neu- 
gierde, welche durch die Aufschrift befriedigt wird. Aber diese 
Aufschrift kann allerdings tieferen Gedanken Ausdruck verleihen, 
wovon die berühmte Inschrift auf dem Grabe der bei Thermo- 
pylae gefallenen Spartaner ein Beispiel gibt. In diesem Sinn 
hat Herder eine Fülle griechischer Epigramme bearbeitet und 
wie Lessinges seinen Vorbildern gegenüber getan, den Gedanken 
oft erweitert und verlieft. Diese Gattung ist in der Form der 
Distichen, die Herder nach dem Griechischen gebrauchte, seit- 
dem in der deutschen Literatur heimisch geblieben und fruchtbar 
geworden : es genügt, an die herrlichen Sinnsprüche Schillers 
zu erinnern, der auch hierin sich als Nachfolger Herders er- 
wiesen hat.i 

Herders Blumenlese aus morgenländischen Dichtungen führe 
ich nur eben an. 

Aber ein deutscher Dichter in lateinischer Sprache, den 
Herder erneut hat, kann hier im Elsass nicht übergangen 
werden. Es ist der Jesuit Bälde, der 1604 — also vor fast 
300 Jahren — in Ensisheim geboren, in Bayern eine zweite 
Heimat fand. Herder hat seine meist in horazischen Strophen- 
formen gedichteten lyrischen Stücke unter dem Namen «Terpsi- 
chore» zuerst 1795, übersetzt und sie so seinen Lesern — man 
kann wohl sagen — zuerst bekannt gemacht. Er nannte anfangs 
nicht einmal den Namen Baldes, weil er fürchtete, dass dessen 
Zugehörigkeit zu dem verhassten, damals bereits aufgehobenen 
Orden der Aufnahme seiner Gedichte schaden würde. Er sagt 
selbst, dass er ihm keine neuen Schönheiten geliehen, wohl 
aber manchen Flecken ihm abgewischt habe. In der Tat er- 
fahren wir bei Herder nichts von dem, was der Fanatismus 
des dreissigjährigen Krieges dem Dichter eingegeben hat, nichts 
von dem Ungeschmack jener Zeit, der auch ihm anhaftete. Nur 
der Stoiker, nur der Patriot tritt uns in Herders Bälde entgegen. 

Noch gegen den Schluss seines Lebens dichtete Herder in 
dieser Weise ein Werk, das heule fast allein von seinen Dich- 
tungen noch bekannt ist, den Cid. Versmass und Ton erwecken 
gleichmässig den Eindruck der Treue gegen das Urbild. Und 
doch hat sich zeigen lassen, dass Herder in diesen Bomanzen 



* «Nado wessiers Totenlied» von Schiller bringt nur in Verse 
was Herder über den gleichen Gegenstand berichtet hatte: Suphan 
16, 337. Auch die «Macht des Gesanges» wie andere Verherrlich- 
ungen der Tonkunst bei Schiller erinnern an Herder. 



— lOö -^ 

fast ein selbständiges Kunstwerk hergestellt hat. Er hat nach 
französischen, keineswegs besonders treuen Prosaubersetzungen 
altspanischer Lieder gearbeitet, dabei aber den Ton aus andern 
spanischen Romanzen «durchgeführt. Er hat aus seiner Vorlage 
«das Manierierte ins Einfache, das Affektierte ins Natürliche 
umgewandelt». Der erst nach dem Tode Herders erschienene 
Cid ist Herders schönstes Denkmal. 

Neben seinen Dichtungen verdienten freilich so manche 
Prosaschriften Herders immer wieder gelesen zu werden. Seine 
älteren Werke, deren Stil oft wahrhaft poetisch ist in der Wucht 
des Ausdrucks und dem hinreissenden Schwung, verlangen doch 
Kenntnis der gleichzeitigen Literatur, um vollständig gewürdigt 
zu werden. Die späteren haben z. T. eine edle Einfalt, wodurch 
die allgemein und für immer gültigen Gedanken nur um so 
eindringlicher wirken. So der Aufsatz über das eigene Schick- 
sal, der noch in Schillers Hören erschien, so die vor dem 
Kreise der Herzogin Mutter vorgetragene Betrachtung über die 
Unsterblichkeit im menschlichen Sinn, den Nachruhm. 

Für die Einwirkung Herders, den Goethe den weitslrahl- 
sinnigen genannt hat, auf die Zeitgenossen und für seine Nach- 
wirkung in der Folgezeit zeugen unzählige Spuren. Seine Ge- 
danken sind vielfach massgebend geworden, mögen auch andere 
sie ausgeführt und durchgeführt haben. So sehr Herders 
Stimme in seinen letzten Schriften ungehört zu verhallen schien, 
seine älteren und wichtigeren lebten fort. 

Vor allem waren es die Roman tiker,i welche Herders Werk 
aufnahmen: seine Verherrlichung des Mittelalters, seinen 
Widerspruch gegen die alleinige Geltung des griechischen 
Ideals. Wilhelm Schlegel hat die Uebersetzungs weise Herders 
mit noch grösserer Kunst ausgebildet. Dass die Romantiker 
Herders dabei wenig gedacht haben, konnten sie freilich durch 
seine Gegnerschaft gegen Kant und gegen sie' selbst als dessen 
Anhänger entschuldigen. 

Herders Gedanken von dem Zusammenhang der Sprachen 
mit der Eigenart der Völker hat Wilhelm von Humboldt liefer 
und weiter ausgebaut. Jakob Grimm hat in seiner deutschen 
Grammatik die von Herder früh erkannte Lebensentwickelung 
der Sprache verfolgt. Wie Herder so liebt auch er das Jugend- 
alter der Sprache mehr als die spätere, verstandesgemässe 
Ausbildung. 



1 üeber Herdersche Gedanken bei Wackenroder s. P. Koldewey, 
Wackenroder und sein Einfluss auf Tieck (Göttinger Diss.) Hamburg 
(1903) S. 119, 121. 127 u. ö. Namentlich für die Musik hatte Herder 
weit mehr Sinn als unsre anderen klassischen Dichter. 



— 107 — 

Am meisten hat Herders Hervorhebung und Kennzeichnung 
des Volksliedes gewirkt. Die von ihm gewünschte Sammlung des 
im deutschen Volke noch lebenden Liederschatzes haben die 
jüngeren Romantiker, Arnim und Brentano, und wissenschaft- 
licher Uhland geleistet. 

UhUnds Dichtung zeigt zugleich in ganz besonderem Masse 
den reichen Gewinn, der aus dem Volkslied für die Kunst- 
dicht ung erwuchs. Rückert hat nach Herders Vorbild die 
Dichtungen des Morgenlandes eingedeutscht: seine lehrhafte, 
beschauliche und erbauliche Art ist überhaupt der Herders 
wohl am nächsten verwandt.». 

Ja, wenn wir heute die Heimatkunst besonders lieben, 
wenn Gottfried Keller, Rosegger, Frenssen wohl die am meisten 
gelesenen Erzähler sind, so entspricht dies wieder den Winken 
und Wünschen Herders, der auf das Eigenartige in Sprache 
und Schriftwesen der einzelnen Landschaften Deutschlands sein 
besonderes Augenmerk gerichtet hatte. 

Herders Gedanken sind uns meist so in den allgemeinen 
Besitz übergegangen, dass wir seiner selbst dabei nur weni^ 
gedenken. Vielleicht gilt auch hierfür, was Lessing einem 
Maler sagen lässtt man lobt den Künstler dann erst recht, 
wenn man über sein Werk sein Lob vergisst. 

Wer sich aber selbst in Herders Werke vertieft hat, wer 
diesem reichen, hochstrebenden Geist auch auf seinem Lebens- 
wege gefolgt ist, wird den edlen Mann nie vergessen und sich 
seinen Wahlspruch zu eigen machen : 

Licht, Liebe, Leben! 



1 Ganz in Herders Geist ist die berühmte These bei Rückerts 
Promotion: Philo logia esthumanitatisin verbo cognitio. 
Der Zweizeiler: «Vor jedem steht ein Bild des das er werden soll; 
60 lang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll», ist fast wörtlich 
ans Herder übernommen. 



XI. 



Das Strassburger Standbild 
des jungen Goethe. 

V. Bericht 

von 

Ernst Martin. 

Als ich im Jahre 18J8 Seiner Exzellenz Herrn Unterstaal ^ - 
sekrelar von Schraut die Einladung überbrachte der Aufföhru. i'^ ^ 
der crFischerin» Goetlies bei Sesenheim am 26. Juni beizuwohne 
forderte er mich auf, an einem grösseren Unternehmen teite 
nehmen: im Hinblick auf den 150. Geburtstag des Dichte 
sollte die Errichtung eines Denkmals für den jungen Goef 
in Strassburg in Angriff genommen werden. Als diese A 
forderung dann wenige Tage nach dem schönen Gelin^. 
unseres damaligen Festes wiederholt wurde, stellte ich mich g^ 
in den Dienst des edlen Gedankens. 

Wie dann in immer weiteren Kreisen das Untemehnci 
freudig, ja begeistert begrüsst und gefördert wurde, habe \^^^ 
in diesem Jahrbuch XV (1899), '245—251; XVI (1900), 196— 20C> ; 
XVn (1901), 252-267; XVHI (1902). 226 eingehend darg-^- 
stellt und dem Danke des Ausschusses für die so allgemei'^^^ 
und kraftige Unterstützung des Planes Ausdruck verliehen« 

Nachdem der erste Aufruf im Oktober 1898 erschien^" 
war, wuchsen die gesammelten Beiträge in wenig mehr ^'^ 
Jahresfrist bis zur Hohe von 135000 Mark an. Im Novem 

1899 konnte ein Preisausschreiben ergehen, das zur Aussteliu.1^ 
der für den Wettbewerb eingesandten Entwürfe im Septem 

1900 führte. Der mit dem ersten Preis gekrönte Entwurf voH 
Ernst Wägener in Berlin wurde mit einigen AbänderungTöi^^ 
besonders der Seitenfiguren, zur Ausführung bestimmt. 







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— 109 -=. 

Am 1. Mai 1904 konnte das Denkmal enthüllt werden. Es 
steht in den Anlagen vor der Universität an der Nordseite des 
Mittelwegs, und ist sowohl vom Dietrichstaden wie von der 
Universitätsbrucke ,aus weithin sichtbar. Auf einem Unterbau 
von schönem, hellrotemJUntersberger Marmor, dessen geschweifte 
Treppe zu der mit einer Balustrade abgeschlossenen Plattform 
hinaufführt, erhebt sich in der Mitte das Postament mit der 
Figur des jugendlichen Dichters, der als Wanderer gedacht, 
sich mit der rechten Hand auf den Stock stützt, während die 
Linke hinter dem Rücken Hut und Mantel hält. Der Jüngling, 
dessen schöne Zuge das Bewusstsein seines .Wertes, seines 
Strebens erkennen lassen, scheint einen Augenblick inne zu 
halten, wie der junge Goethe wohl manchmal vom Spaziergang 
aus der Ruprechtsau zurückkehrend den hohen Turmbau des 
Münsters betrachtet haben mag. An den beiden Seiten des 
Postaments sind zwei Reliefs eingelassen : rechts vom Beschauer 
Goethe in Sesenheim den beiden Schwestern vorlesend, links 
eine der in «Wahrheit und Dichtung^) beschriebenen Zusam- 
menkünfte [auf der Plattform des Münsters, bei denen die 
Jugendgenossen der scheidenden Sonne ihren Gruss aus gefüllten 
Piömern zutranken. Mit Goethe sind Herder, Salzmann, Lenz 
und Jung in lebendigen Gruppen vereinigt. Auf den Wangen 
der Balustrade sitzt links die begeisterte, leichtbekleidete lyrische 
Muse, rechts die ernste, eingehüllte tragische. 

Die Steinarbeiten lieferte die Aktiengesellschaft für Marmor- 
industrie Kiefer in Berlin und Kiefersfelden, den Guss die 
Aktiengesellschaft Lauchhammer. Die Untermauerung der 
Grundlage und der Aufbau fanden unter der Oberaufsicht des 
Herrn Baurat Ott statt. , 

So stand das Denkmal, als die Einweihungsfestlichkeiten an» 
30. April, dem Vorabend der Enthüllung mit dem Vortrag Goethe- 
scher Dichtungen durch E. v. Possart, Intendant des Königl. 
Theaters zu München im Sängerhause eröffnet wurden. Die 
wunderbare Kunst des berühmten Rezitators, der erst lyrische 
Gedichte, dann Balladen, zuletzt Stücke aus «Faust» vortrug, 
versetzte das überfüllte Haus in weihevolle Stimmung. Den 
Prolog im Himmel aus «Faust» begleitete Herr Musikdirektor 
Münch auf dem Harmonium; als Einleitung des Vortragsabends 
dienten zwei Sätze der Kreutzersonate von Beethoven, vorge- 
tragen von den Herren J. Blumerund Konzertnreister Schuster. 
Der Ertrag des Abends (gegen 2000 M.) war für die Armen 
^er Stadt bestimmt. 

Am Sonntag, dem i, Mai, gegen halb 12 fand die Ent- 
büllung des Denkmals statt, begünstigt vom herrlichsten Wetter. 
Eine Ansprache des Herrn Unterstaatssekrelärs v. Schraut be- 



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zeichnete als Kern des Goetheschen Strebens seine tiefe Har- 
monie in Denken und Handeln und damit innig verbunden 
seine Toleranz : er stellte diese Grundzüge besonders der Jugend 
zum Vorbilde auf. Nachdem der Herr Statthalter das Zeichen 
zur Enthüllung gegeben, übernahm Herr Bürgermeister Back 
das Denkmai in die Obhut der Stadt. Kränze wurden nieder- 
gelegt für den Herrn Statthaller; sodann von Freiherrn v. 
EglofFstein, dem Vertreter des Protektors, des Grossherzogs 
Wilhelm Ernst von Sachsen ; vom Rektor der Universität, Prof. 
Dr. ßresslau ; von Geh. Hofrat Suphan, dem Direktor des 
Goethe-Schillerarchivs für dieses, für die Stadt Weimar und 
die Goethegesellschaft ; von Prof. Wörner für die Universität 
Freiburg ; von Geh. Sanitätsrat Rehn für das freie Hochstift 
zu Frankfurt; von Prof. Fiedler (Birmingham) für die englische 
Goethegesellschaft ; von Bürgermeister Back für die Stadt Strass- 
burg ; von Direktor Wilhelmi für das Stadttheater in Strassburg, 
Direktor Neuffer für das Stadttheater in Metz; von Freiherrn 
zu Putlitz für den Strassburger Zweigverein des Allgemeinen 
Deutschen Sprachvereins ; von Christian Schmitt für den Alsa- 
bund. Besondere Freude erregte ein schlichter Hollunderkranz, 
den Herr Pfarrer Rubel von Sesenheim überbrachte. Ein Kranz 
im Namen des Ausschusses war der letzte. 

Dann schloss der Männergesangverein unter der Leitung des 
Herrn Musikdirektors Frodl mit der dritten Strophe des Goethe- 
jachen Wanderliedes diesen Teil der Feier, wie er mit der ersten 
die Enthüllung begleitet und mit den Anfangsslrophen des Mai- 
liedes die Weiherede eingeleitet hatte. Die Studenten die im 
Wichs mit ihren Fahnen das Denkmal farbenprächtig umgaben, 
fährten den Zug der Teilnehmer in den Lichthof der Universität. 

An der Enthüllungsfeier hatten ausser den genannten als 
Gäste noch teilgenommen von Goetheforschern : Freiherr von 
Bernus aus Stift Neuburg bei Heidelberg, Prof. Harnack von 
der Technischen Hochschule in Darmstadt, Prof. Heuer aus 
Frankfurt, Geh. Sanilätsrat Keslner aus Mülhausen, Prof. Panzer 
au« Freiburg, Überstudienrat Straub aus Stuttgart, sowie Frau 
Elisabeth Mentzel aus Frankfurt. Eine über 80 Jahre alte Dame, 
Frl. Otlilie Meyer, die dem Goetheschen Hause noch selbst nahe 
gestanden hatte, war ebenfalls zugegen. 

In dem einfach und würdig ausgeschmückten Lichthofe der 
UniverMilät hielt zuerst der Verfasser dieses Berichts eine An- 
Nfuache, die er weiter unten vollständig mitteilt, weil sie bisher 
nur auszugsweise verödentlicht worden ist. Dann folgte die 
r«ij,jenlllche Festrede von Prof. Erich Schmidt aus Berlin, welche 
ebenfalls bald vollständig abgedruckt in der fDeutschen Rund- 
Hchau» vorliegen wird. 



- 111 -* 

Um 3 Uhr nachmittajrs fand das Festessen im Bäckehiesel 
statt, woran etwa 80 Personen sich beteiligten. Trinksprüche 
j^alten dem Kaiser und dem Grossherzog von Sachsen, an welche 
beide auch Telegramme abgesandt und von ihnen huldvollst er- 
wiedert wurden ; ferner dem Statthalter von Elsass-Lothringen, 
der Universität Strassburg, der grossen Goethegemeinde im In- 
und Auslande, der Stadt Strassburg, dem Kunstler, den Damen, 
wobei Prof. Harnack das hier unten nochmals abgedruckte Ge- 
dicht von Alberta v. Puttkamer einflocht. Viel Beifall fand ein 
Trinkspruch auf die Abgesandten aus Sesenheim, worauf Herr 
Burgermeister Atzel humorvoll antwortete. 

Um 7 begann im Stadtthealer die Aufführung des Götz mit 
dem Kgl. Preussischen Hofschauspieler Matkowsky als Gast. 
Das Haus war ausverkauft, sodass eine Wiederholung gleich auf 
den folgenden Tag festgesetzt wurde. Neue Prospekte, wie be- 
sonders der für die Schlussszene von Daubner gemalte, waren 
auf Grund einer Spende des Ausschusses von 3000 M. an das 
Sladttheater hergestellt worden. 

Eine studentische Nachfeier folgte Montag den 2. Mai, Ein 
stattlicher Fackelzug galt dem Denkmal, auf dessen Stufen der 
Vorsitzende des Studentenausschusses, Herr stud. theol. Rost 
den berühmtesten Kommilitonen feierte. 

Die Teilnehmer fanden sich dann zum grossen Teil wieder bei 
der kommersartigen Feier im Unionsaal, zu der die Strassburger 
Germanisten eingeladen hatten. Ihren Glanzpunkt bildete die Auf- 
führung des Festspiels «Conceptio divina» von dem elsässischen 
Dichter stud. phil. Hans Karl Abel. Die Darstellung hatten Mit- 
glieder des Stadt theaters, die Herren Peschel, Schmidt, Born, 
Klante, sowie die Damen Felsegg, Heuberger, Eberspächer mit 
liebenswürdiger Bereitwilligkeit übernommen. Das Stück, im 
Trübnerscheri Verlage in Druck erschienen, zeigt Goethe in 
seinem Verkehr mit den Elsässer Bauern und im Erfassen der 
Gedanken zu seinem «Faust» : mit Begeisterung gedichtet, 
wirkte es auch begeisternd. 

Es bleibt nun, nachdem das Denkmal aufgestellt und die 
Festtage vorübergerauscht sind, noch übrig, Rechenschaft ab- 
zulegen von der Verwendung der gesammelten Beiträge. Zu den 
135000 M. sind noch die Zinsen für mehrere Jahre hinzuge- 
kommen, sodass im ganzen über 150000 M. zur Verfügung 
standen. 

Von der Gesamtsumme waren 110000 M. für das Denkmal 
selbst bestimmt und dem Künstler zugedacht, nach Abzug der 
Kosten für die Steinarbeiten und den Guss. Etwas über 12000 M. 
hat die Preisausstellung der Entwürfe in Anspruch genommen ; 
die Feier der Einweihung, abgesehen von den schon genannten 




— 112 — 

Ausgaben, etwa 2000. So bleibt immerhin noch ein Betrag v( 
15000 M., der für die Erhaltung des Denkmals, sowie für Zweck 
die dem Gedanken des Denkmals verwandt erscheinen, bestimi 
ist und von der Stadt Strassburg verwallet werden soll. Uel 
seine Verwendung in späterer Zeit wird eine Kommission en. 
scheiden, welcher ein vom Herrn Stalthalter ernanntes Mitgliec 
der Bürgermeister der Sladt, ein Mitglied des Gemeinderat 
der Rektor und ein vom Senat erwähltes Mitglied der ünive 
sität angehören sollen. 

Schon jetzt sind 300 M. bewilligt worden zur Herstellunz — -— » ^ 
eines Reliefmedaillons für Karoline Herder in Reichenweie^— zr, 
s. 0. S. 93, Anm. 1. 

Die «Strassburger Goethevorträge», welche von Professor^^^^n 
der Universität Strassburg im Winter 1898 auf 1899 gehaltc- S- n 
worden und in zwei Abdrücken bei Karl J. Trübner 1899 erschiei r. n 

sind, konnten jetzt, nachdem ihr Verkauf zu der Sammlung f 
das Denkmal beigetragen hatte, bis auf einen Rest von 100 Exej 
plaren als Geschenk weggegeben werden. Herr Ministeriair 
Albrecht hat es gutigst übernommen, die Exemplare den höher 
Schulen in Elsass-Lothringen und vielleicht sonst im Reiche si^ u- 
komrnen zu lassen. 




ANHANG. 
1. Weiherede 

gehalten bei der Enthüllung des Goethedenkraals am 1. Mai 19 

von 

Herrn Unterstaatssekretär v. Schraut 

Wirklicher Geheimerat. 

Als aus Anlass des 150. Geburtstages Goethes der Plan 
Errichtung eines Denkmales des jungen Goethe in Strassb 




entstand, fand der Gedanke lebhaften und herzlichen Beifall 
jung und alt, in Stadt und Land, allen Ständen, in Deutschh 
und im Ausland. Hat doch Strassburg das Recht und die Pfli(3 
den jungen Feuergeist zu feiern. 

In Strassburg suchte und fand er die erste EntscheidiJ. '■^© 
für das Schicksal seines Lebens. Kaum v«)n schwerer Krank ti.^'' 
genesen, in zaghafter und schwankender Slimmung, gedrö<^*' 
von Unsicherheit und Zweifeln kam Goethe hierher; mit reicti^'*' 
Kraflgefühl, mit dem Mut, sich in die Flut der Schicksale ^" 
mischen, und mit der Fähigkeit, im Ganzen, Guten und Schöoe^ 
resolut zu leben, betrat er von hier die Siegesbahn des Titan ß*^* 
Dauernd beeinflusst das hier Erkannte und Erlebte seine m<i 



— 113 — 

schöpferischen Gestaltungen y und vom hellsten Sonnenglanz 
durchstrahlt wie ein grosses Freuen geht es durch die Erzähl- 
ungen des Dichters ühei* seinen Aufenthalt in Strassburg und 
im Elsass. Unverwelklich frisch, eine Quelle der Begeisterung 
blieb ihm die Erinnerung an diese Jugendzeit. 

Dem jungen Goethe gilt dieses Denkmal, weil bei ihm schon 
in frühen Tagen jene Eigenschaften erkennbar sind, die ihn 
später zu den^ höchsten Zielen führten. In seiner Jugend schon 
entstand der Plan zu seinem grössten Lebenswerk, der Welt- 
dichtung des Faust, und auf die vorausahnende, weitblickende 
Genialität des Jünglings stimmen die Worte im zweiten Teil 
des Faust : 

Der Berge Gipfeh-iesen 

Dürfen früh des ewigen Lichts geniessen, 

Das später sich zu uns hernieder wendet. 

Wenn es rnir nun heute am Tage der Vollendung vergönnt 
ist, dem Denkmal des jungen Goethe den Weihespruch zu geben, 
wie könnte ich zumal in einer Zeit leidenschaftlicher Ueber- 
treibungen bessere Worte finden, als die tiefempfundenen des 
27jährigen Dichters: 

Der Da von dem Himmel bist, 
Alles Leid und Schmerzen stillest, 
Den, der doppelt elend ist, 
Doppelt mit Erqnickang füllest, 
Ach, ich bin des Treibens müde ! 
Was soll all' der Schmerz nnd Lust? 
Süsser Friede, 
Komm, ach komm in meine Brust. 

Diese Sehnsucht nach innerem Frieden begleitete 
während seines ganzen, Lebens den Mann, der in Arbeit und 
Tätigkeit alle übertraf, dessen Losung der Satz war: 

Des echten Mannes wahre Feier ist die Tat, 

und der die stolzen Worte sprach und betätigte: 

Nur der verdient sich Freiheit, w^ie das Leben, 
Der täglich sie erobern muss. 

Er kannte die Grenzen der Menschheit ; innerhalb dieser 
Grenzen durchforschte er alles, und nie verzagend erstritt er 
rastlos eine neue Welt lebendiger Gestalten und Vorgänge. 
Aber nie war ihm der Kampf Selbstzweck, er fährte ihn nicht 
niit unedel n Mitteln, stellte nie ein Problem auf, ohne selbst die 
Lösung zu versuchen. Ihm war der Kampf nur eine Stufe zur 
eigenen Läuterung und Erkenntnis, der Weg zur Entscheidung, 
die ihm Befreiung aus üngewissheit und Zweifel brachte. 

8 



— 1 

Diesem nie erlahmenden Streben nach Vervollkommnung, 
diesem heissen Drang nach reiner Objektivität danken wir die 
beiden grössten £i$|;enschaften Goethes : 

Seine durch strenge Selbstzucht gewon nene Ausge- 
glichenheit, die tiefe Harmonie im Denken und 
Handeln und seine Toleranz. 

Alles Sprunghafte war ihm verhasst^ öder Pessimismus 
blieb ihm fremd ; frei und unbefangen Hess er die Dinge auf 
sich wirken. In seinem gewaltigen Ringen und Streben, in 
allen Kämpfen und Stürmen, die ihn bedrängten, bewahrte er 
sich stets die Klarheit des Geistes, die vornehme Seelenruhe, 
weil er ein von innen heraus grosser Mensch war, dessen Welt- 
und Lebensauffassung sich durchgerungen hatte zu der ewigen 
Wahrheit : 

Vergebens werden nngebundne Geister 
Nach der VoUendang reiner Hohe streben. 
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, 
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben. 

Mit diesem lebendigen Einklang im Sinnen und Trachten 
war eng verbunden seine Toleranz. 

Er hatte das Verständnis für anderer Sinn, und respektierte 
ihn. Er kannte den Hauplquell der Intoleranz, als er sagte, er 
sehe alle Fehler bei sich als möglich an, nur einen nicht, den 
Neid. Er kannte die Sorge für das Geschick anderer, das tiefe 
Gefühl der Nächstenliebe, als er im Jünglingsalter für einen 
Unglücklichen, der durch den Misserfolg überspannten Ehrgeizes 
zum Menschenhass gekommen war, das innige Gebet sprach: 

Ist auf deinem Psalter, 
Vater der Liebe, ein Ton 
Seinem Ohr vernehmlich, 
So erquicke sein Herz. 

Er kannte den von allen Persönlichkeiten losgelösten, des 
blinden Sehers Drang nach Wahrheit, als er im Greisenalter 
den Faust mit dem Gesang der Engel abschloss : 

Wer immer strebend sich bemüht, 
Den können wir erlösen. 

So soll dieses Denkmal eine Huldigung sein für das Grosse, 
das wir dem Unsterblichen verdanken, zugleich ein Mahnruf 
zum Streben nach harmonischer Ausbildung der Persönlichkeit 
und ein Bekenntnis der Toleranz. Vor allem soll es ein leuchten- 
des Wahrzeichen sein für die Jugend. Wenn sich die Geister 
der Verneinung, Entnervung und Zwietracht vordrängen, dann 
möge der Name «Goethe» allen zurufen : Stellt euch auf festen 



— 115 -. 

Boden I nicht das äussere^ sondern* das innere Leben, nicht 
draussen die Welt, sondern die eigene Kraft macht den ganzen 
Mann,' der seibi&m Vaterlande Ehre bringt. 

Wir übergeben dieses Denkmal der Stadt Strassburg, deren 
treue Bürger wir sind, deren viel hundertjährige Geschichte be- 
weist, dass sie stets eine offene Stätte für das Schöne und Gute 
war. In ihrem Schulz wissen wir es wohlbehütet. Wir über- 
geben das Denkmal mit ehrfurchtsvollstem banke an den 
mächtigen Friedensfürsten, unsern erhabenen Kaiser, der mit 
starker Hand alle Werke des Friedens beschützt, mit innigem 
Danke an unsern Protektor, Seine königliche Hoheit den Gross- 
herzog von Sachsen, sowie an den kaiserlichen Statthalter, ferner 
an alle, die dieses Unternehmen mit Rat und Tat förderten, 
insbesondere auch an den ausgezeichneten Künstler, der ein 
Meisterwerk schuf, und an seine Mitarbeiter. 

Möge der Geist Goethes nie fremd werden in unserem 
heissgeliebten deutschen Vaterlande und dieser Stadt. Möge sich 
an ihm das Wort des sterbenden Faust erfüllen : 

Es kann die Spur von meinen Erdentagen 
Nicht in Aeonen untergehn. 



2. Ansprache 

gehalten im Lichthofe der Universität am 1. Mai 1904 

von 
Ernst Martin. 

Es möge mir vergönnt sein mit einigen Worten des Dankes 
zu beginnen. Seine Exzellenz Herr Uni erStaatssekretär v. Schraut 
hat nicht nur die erste Anregung zur Errichtung des Goethe- 
denkmals gegeben ; er hat auch durch seine tatkräftige und 
umsichtige Leitung das Unternehmen wesentlich zum glücklichen 
Ziele geführt. 

Sodann danke ich unserer Universität : sie hat von Anfang an 
für das Denkmal getan, was in ihren Kräften stand, und heute 
öffnet sie ihre schönen Räume für den Festakt zu Ehren Goethes. 

Unser Denkmalsunternehmen hat wesentlich beigetragen zu 
der Begeisterung, mit welcher in Deutschland und weithin im 
Ausland der 450. Geburtstag des grossen Dichters gefeiert 
worden ist. Wer damals den glänzenden und zugleich wahrhaft 
volkstümlichen Festlichkeiten in Goethes Vaterstadt Frankfurt 
hat beiwohnen können, wird diese Erinnerung für sein ganzes 
Leben bewahren und hochhalten. 



— 116 — 

Wir empfanden damals wohl alle, wieviel Ursache unsere 
Zeit hat, auf Goethe dankbar und empfani;lich hin zu blicken : 
trägt sie doch so manches in sich, was sie von ihm entfernen 
könnte. Der Schatz von Lebensfreude und Lebensweisheit, der 
in Goethes Schriflen zutage getreten ist, soll nicht wieder ver- 
sinken. Unsere Dichter werden von Goethe wieder lernen, dass 
alle wahre Kunst des Menschen Hen erfreuen und stärken will. 

Möge vor allem das Elsass immer tiefer empGnden, wie .schön 
sich in Goethes Erinnerung der Eindruck wiedergespiegelt hat, 
den der Strassburger Student hier von Land und Leuten em- 
pßngl Mögen die Elsasser in .diesem Spiegel einen Teil ihrer 
eigenen Vergangenheit und damit zugleich die Grundzüge ihres 
innersten Wesens schauen ! 

Dass Goethes Name auch hier im Lande nur allmählich zur 
Anerkennung durchgedrungen ist, begreift sich leicht. Gleich 
anfangs mag der feurige, selbstbewusste Jungling manchen An- 
stoss gegeben haben. So wissen wir von dem würdigen PfetTel, 
dass er durch das, was er von Strassburger Bekannten über 
Goethe gehört hatte, gegen diesen eingenommen worden war. 
Aber PfeffeJs Bestreben, die Formen der französischen Poesie 
nur mit deutschem Stoffe zu erfüllen, war überhaupt dem stür- 
mischen Drange ganz entgegengesetzt, mit welchem Goethe, 
durch Herder angeregt, das Alte, Volkstümliche in Wort und 
Denkart neu zu beleben und für die Kunst zu gewinnen suchte. 

An Pfeffels Lehranstalt war Lerse tätig, den Goethe in Götz 
verewigt hat : aber auch er scheint Goethes Dichterflug erst später 
erkannt zu haben. Dass im Kreise der Jugendgeliebten Goethes 
das schmerzliche Gefühl der Verlassenen lange überwog, ver- 
stehen wir wohl. Auch dass Goethes Braut Lili sich ins Elsass 
verheiratete, kam seinem Dichterruhm kaum zugute. Erst später 
hat die Familie von Türkheim ebenso wie die der hier ange- 
siedelten Kinder und Enkel Lottes, die Familie Kestner mit 
schöner Pietät die Erinnerung an Goethe gepflegt. 

Der erste Elsässer, der Goethe völlig würdigte und begeistert 
pries, war der Dichter des «^Pfingstmontags». G. D. Arnold gehörte 
nach der F^evolutionszeit der Strassburger Juristenfakultät als Pro- 
fessor , spAter als Dekan an ; er stand mit Jakob Grimm und Savigny 
in Verbindung und berietden tretflichen Präfeklen Lezay-Marnesia. 
Schiller, der ihn 1803 an Goethe empfahl, sagte von ihm : (scer hängt 
an dem deutschen Wesen mit Ernst und Liebe.» Arnold hat 18ü7 
am Schlüsse einer Uebersicht der elsässischen Dichter auf Goethe 
hingewiesen als den Gipfel der deutschen Literatur. Anderseits h^t 
Goethe das Meislerwerk der elsässischen Dialektpoesie, das wir 
Arnold verdanken, mit feinstem Verständnis begrüsst und dadurch 
manche Gegnerschaft gegen den «Pfingstmontag» entwaffnet. 



— 417 - 

Wie hoch man dann Goethe in Strassburg zu schätzen wusste, 
bezeugt uns der Archäolojje C. M. Engelhard t, dessen Frau das 
« Riesen fräulein von Niedeck» gedichtet hat. Engelhardt fand im 
Nachlasse Saltzmanns Briefe von Goethe .aus Sesenheim. Goethe 
verbat sich ihre Veröffentlichung. Er wollte den sanften Abend- 
schein, der in «Wahrheit und Dichtung;^ das Sesenheimer Idyll 
umstrahlt, nicht durch die grelle Leidenschaftlichkeit seiner 
Jugendbriefe durchbrechen lassen. 

Später ist besonders ein elsässischer Dichter und Forscher 
diesen und anderen Spuren von Goethes -Aufenthalt hier sorg- 
sam nachgegangen : August Stöber, der von Friederikens 
Schwe!*ter die Reliquien Goethes erhielt, der namentlich auch 
die erschütternde Tragödie seines Jugendfreundes und Neben- 
buhlers Lenz zuerst bekannt machte. Schon aber regte sich 
die unter den damaligen politischen Verhältnissen begreifliche 
Abneigung gegen den deutschen Dichter, und Slöber hat nur 
unter persönlichen Opfern und in kleinen Kreisen seinen An- 
sichten und so auch der Hochhaltung Goethes Anerkennung 
verschaffen können. Auch Ludwig Spach, der in französischer 
Sprache und mit französischer Feinheit Goethe verherrlichte, 
erzielte keine grössere Wirkung. 

Das ward nun anders, als die Kaiser- Wilhelms-Universität 
ins Leben treten konnte. Ihr erster Professor für deutsche 
Sprache und Literatur, Wilhelm Scherer, hat auch die Ge- 
schichte der neueren deutschen Dichtung im philologischen 
Sinne begründet: er forderte, und erfüllte selbst diese Forder- 
ung, dass auch die. neuere Literatur mit allseitiger, durchaus 
quellenmässiger Forschung durchdrungen werden sollte. 

Neben Scherer war schon auf diesem Gebiete Erich Schmidt 
hier tätig. Ihm als dem auch um unser Denkmal hochverdienten 
Erforscher und Darsteller der neueren'deul sehen Literatur räume 
ich gern den Platz, wenn es gilt, vor Ihnen das literarhistorische 
Bild des jungen Goethe aufzustellen. 

3. Goethe. 

Zur Enthüllungsfeier seines Denkmals in Strassburg 

von 
Alberta yon Puttkamer. 

Aufrecht, die Stirn von Braungelock umflogen, 
Von goldgeflecktem Pantherpaar gezogen, 

Fährt Einer auf dem Siegeswagen her 

Er zähmt das Wildgespann mit güldnen Zjägeln, 
Der Zug geht lachend zu Parnasses Hügeln, 
Und seiner Spur folgt ein berauschtes Heer. 



— 118 — 

Und Mädchen, welche Rosenketten gürten, 

Streuen unter seine Räder helle Myrten, 

Um die sich reich gezweigter Lorbeer schmiegt . . . 

Und plötzlich wnsst' ichs: Der da lachend steht, 

Aufrecht, in seiner Jagend Majestät, 

Das ist die frohe Kraft,.die JoÄhlos. siegt! — 

So sah ich einst in einem lauten Saale 
Ein Bild, — darüberhin im Morgenstrahle 
Ein Schimmer, wie von rotem Leben lief . . . 
Wie schöngebietend diese Hochgestalt 
Die Welt bezwang in köstlicher Gewalt, 
Ergriff den Geist mir unvergesslich tief . . . 

Gott oder Jüngling!? er nahm lächelnd Siege. 
Ein Einzgcr noch trägt so erlauchte Züge, 
An ihn gemahnt der frohe Griechenheld, 
Aufrecht, — die Stirn von Braungelock umflogen, 
Von andern Panthern, wilderen gezogen, 
Fahr er im Sieggespann in alle Welt. — 

Dies Raubgezücht hiess : Neid und wildes Hassen - 
Die tat Herr Wolfgang reckenhaft erfassen, 
Ohnmächtig murrten sie in seiner Hand — 
Er schirrt* sie frohgemui an seinen Wagen, 
Da mussten ihn die ganz Bezwungnen tragen, 
Wohin sie sein entflammter Wille bannt. 

Und wo sein grosser Zug mit feinen Spuren 
Die Erde rührt, wuchs sie zu Blumen fluren, 
Die Schönheit schmiegt* sich frei in seinen Arm. 
Sie führte um ihn her berauschte Tänze, 
Sie brach ihm von den Lorbeerhecken Kränze, 
Und brannte so von Lebensfeuern warm . . . 

So jung, von schönen Mächten hingerissen, 

Die rege Lust noch nicht gedämpft vom Wissen, 

In königlichem Ungestüm der Kraft, 

So ist er wandernd durch dies Land geschritten — 

Hier hat er hell gelacht — und süss gelitten 

In seiner wundervollen Leidenschaft. — 

Wohl, er gehört der Welt : Der reife Goethe! 
Doch seiner Jugend feinste Morgenröte 
Fiel auf dies Land, auf dem sie heimlich ruht . . 
Fühlt sie! und werdet ihr erlauchte Erben! 
Sie ist ein Heiliges — sie kann nicht sterben, 
Denn grosser Tag steht auf aus ihrer Glnt . . . 

In diesem Lenz der Kräfte ist er euer! 

Ein Gottgeküsster, der mit seinem Feuer 

Die Siege rasch mit einem Lächeln kauft . . . 

So soll er ragend, kündend bei euch stehen, 

Indes das Licht von den Yogesenhöhen 

Aus goldnem Bronnen seinen Scheitel tauft! . . . 



— 119 — 

4. Zur Enthüllung 
des Strassburger Jung-Goethe-Denkmals. 

(1. Mai 1804) 

von 

Christian Schmitt. 

Ihm, dem Herrlichen, dem Grossen. Reichen, 
Dessen Name nimmer wird erbleichen, 
Dessen Geist den Erdkreis kühn umspannte, 
Der wie keiner je sich selbst erkannte, 
Der im Wort der Kunst die Welt entsiegelt, 
Hölle keck und Himmel aufgeriegelt. 
Der emporstieg über seinem Volke 
Wie der Sonnenstern aus trüber Wolke, 
Der in AVerken, die für ewig leben, 
Sich und uns den höchsten Ruhm gegeben, 
Ihm, der dem Jahrtausend hat gelichtet 
Seinen Pfad — ihm ist dies Bild errichtet. 

Glied in seines Wachstums strenger Kette, 
Keimgrund seiner Kraft ist diese Stätte. 
Hier im Glück der ersten tiefen Liebe 
Blühten seiner Lieder ^Eaientriebc ; 
Hier auf Meister Erwins alten Bahnen 
Ward zur Klarheit ihm sein zweifelnd Ahnen. 
Taten, zur Unsterblichkeit erkoren. 
Hier in stiller Brust sind sie geboren. — — 
. Unser warst du, und im wirren Treiben 
All des Wechsels unser sollst du bleiben! 

Viel, das dauernd schien in deinen Tagen, 
Ist gestürzt und längst zu Grab getragen ; 
Anderes, einst dem klügsten Blick verborgen. 
Steht gebaut, erhöht im jungen Morgen. 
Sturm und AVetter dröhnten durch die Lande; 
Heere schwanden wie der Tau im Sande ; 
Fürsten sanken in den Staub und Kronen ; 
Lüge sass und Weisheit auf den Thronen. 
Mancher stolze Traum ward jäh zunichte. 
Doch für uns lag Segen im Gerichte : 
Schnöd' Verlorenes ist heim gefunden; 
Lang* Getrenntes hat sich neu verbunden. 
Fremd hier sahst du fremde Machtgebärde, 
Doch dein Mal ersteht auf deutscher Erde. 

Grüssen solfs bis in die fernsten Zeiten 
Die Geschlechter, die vorüberschreiten, 
Und voll heitern Ernstes ihnen künden: 
Ueber euch müsst euer Ziel ihr gründen ! 
Jeder mag sein Eigenstes entfalten, 



— 120 — 

Reifend zar Volleudaag sich gestalten! 
Lauscht and folgt nur earem Blat and Wesen, 
Wenn ihr anders wollt znm Heil genesen ! 
Was each trügend hemmt, ihr könnt es meiden; 
Was za wenden nicht, das gilt*s za leiden. 
Recht und Wahrheit sollt ihr laut bezeugen, 
Vor dem ünerf erschlichen euch beugen ! 
Grenzen müsst ihr setzen eurem Willen, 
Soll der Frieden eure Seele stillen ! 
AVas die Stunde gibt, dürft ihr erfassen. 
Dankbar seid im Nehmen, stark im Lassen ! 
Edlen Sinn kann Edles nur entflammen. 
Haltet aus im Loben nnd Verdammen ! 
Ringt und strebt ! Lasst nie den Mut erliegen ! 
Nur wer mannhaft kämpft, wird mannhaft siegen ! 

5. Vision. 
In der Nacht des 1. Mai 1904 

von 
G. G. 



Nun liegt der weite Platz im Dämmerschweigen, 
Zerstoben die des Schauens frohe Menge, 
Es zittert Icis' in maiengrünen Zweigen 
Der Nachklang weihevoller Festgesänge. 

cDer Wand'rer> steht allein. — In ernstem Sinnen 
Schaut er hinüber noch zu Erwins Dom, 
Den licht umspielt des Mondstrahls Silberstrom — 
Es regen funkelnd Säulen sich und Zinnen. 

Und wie Jung-Goethe sinnt und blickt und schaut, 
Geht es wie Leben durch das Steingefüge — 
Die Glocke schlägt — und bei dem dumpfen Laut 
Ist^s, als ob dort ein Schatten nieder stiege: 

Erwin von Steinbach ist vom Schlaf erwacht — 
Es geht ein Lauschen durch die stille Nacht — 
Sieh, wie sich plötzlich Goethes Aug* erhellt, 
Da flüsternd sich der Meister ihm gesellt : 

«Willkommen dir ! — 's sind über hundert Jahr, 
Da weckte mich ein Klang in meinen Tiefen, 
Es war, als ob mir's tausend Stimmen riefen, 
Dass ein Unsterblicher mir nahe war. — 

Als du vom Turm, den meine Hand erbaute. 
Zujubeltest dem jungen Sonnenstrahl, 
Dein Aug' voll Lust des Elsass Gauen schaute, 
Dein Bück sich weidete an Berg und Tal, — 



— 121 — 

Da priesest meinen Namen überschwänglich — 
Es tragen mir^s die Geisterstimmen zn •— 
Da ahnte ich^s : Ein Denkmal anvergänglich 
Da stellst es kraftvoll in die Welt aach da ! 

Im Fröhrot, Mittag and beim Sternenscheinen, 
Stets lenktest da zam Dom den Blick zurück, 
Fandest in den lebensvoll gefügten Steinen 
Ein immer wahres, immer rein'res Glück. — 

Dann nahmst den Hammer da in starke Rechte 
Und prägtest deines Lebens Wunderbaa, 
Dass aach aaf ihn man schönheitstrunken schau, 
Dass er als Leuchtturm rage in die Nächte. 

Wie sich das Schwache froh zum Starken findet, 
Wie aus «dem Dunkel es ins Helle strebt>, 
Wie sich das Einz.elne zum Ganzen bindet, 
Im Kleinsten der lebendige Geist noch webt. 

Wie Schönheit im Notwendigen enthalten, 
Schönheit uud Wahrheit aber wesensgleich . . . 
Du hast's erlebt — drum konntest überreich 
In immer neuen Bildern du's* gestalten. 

Du hast ein Denkmal dir gesetzt in Blättern, 
In Büchern — meinem Werke zweckverwandt, — 
Sie halten beide Wolken, Stürmen, Wettern, 
Sie halten den Jahrtausenden noch stand: 

Die Menschen lenken sie auf hohe Warte, 
Aas Nebelschwere und aus Alltagsdunst; 
Dram längst ich dein als meines Bruders harrte, 
Als des Genossen «deutscher Art und Kunst>. 

Sei mir gegrüsst! — Du hast in Erz gegraben 
Den Namen dein in jedes deutsche Herz, 
Der junge deutsche Boden musste haben 
Dein Bildnis drum vor Augen nun in Erz! 

Die Jungen, die den Schritt vorüberlenken, 
Sie folgen deinem Blick zum Münster nun — 
Sie werden sich in deinen Geist versenken, 
Des Grossen eingedenk das Rechte tun. 

Sie werden Deines tapfren Streitens denken, 
Und, wie einst du, im Wirken nimmer ruh'n: 
«Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann, 
Die Nacht tritt ein, wo niemand wirken kann»!» 

Erwin zum Abschied leis' die Stirne neigt — 
Jang-Goethe blickt ihm voll ins Auge — nickt — und 

schweigt. 



— 12^2 — 



6. In der SchTvankTveise Hans Sachsens. 

Zam 1. Mai 1904 

von 

K. B. 



Gen Strassburg, vor vielen Tagen and Jahren, 

Kam flott aus dem Bcich ein Bacchant gefahren. 

Dem brannten die dunkein Augen wie Feuer, 

Und Jungen und Alten war er teuer. 

Von der alten Kaiserstadt kam er am. Main, 

Ein Rechtsgeiahrter wollt* er sein, 

Wollte studieren mit eifrigen Sinnen, 

Sich gar den Doktorhut gewinnen. 

Dem summten im Ohr viel köstliche Verse, 

Disputierte mit Herder, schlug Kontra mit Lerse, 

Oft stand er und staunend bedacht* er aufs Neu' 

Des Meisters Erwin Wundergebäu, 

Sein Herz durchwärmte mit inniger Brunst 

Die Grösse von deutscher Art und Kunst. 

Erklomm dann des Münsters luftige Schnecken 

Und sah wie'nen Garten das Elsass sich strecken ; 

Von des Altanes hohem Rand 

Ward mancher Blick nach «Säsm> gesandt. 

Wenn drauf der Abend wiegte die Erde, 

Wie schlug sein Herz: Geschwind zu Pferde! 

Durch düstre Nacht, durch Windsgebraus 

Sprengt er zum Rickele frisch hinaus 

Und brachte — «welches Glück, ihr Götter!» — 

Ihr «kleine Blumen, kleine Blätter> 

Viel liebe Lieder dem lieben Mädchen, 

Dacht' auch an Götz und Faust und Gretchen, 

Und hascht* manch Liedlein frisch und fein 

Aus den Kehlen der ältesten Mütterleiu — 

Und Jahre kamen — Jahre gingen — 
Ihn trug der Genius auf sichern Schwingen. 
Bald hielten die Freisten, die Besten im Land 
Auf Wolfgang Goethe den Blick gewandt, 
Auch die, so sprechen fremde Zungen, 
Hat er in seinen Bann gezwungen ; 
Die Spur von seinem Er den wallen 
Wird in Aeonen nicht zerfallen — 

Und nun ist Deutschland neu erstanden, 

Das Münster ragt wieder in deutschen Landen 

Leibhaftig uns vor Augen steht 

Heut Strassburgs grösster Student und Poet. 

In Jugendfrische, voll Jugendraut. 



. — 123 — 

Kommt von Knprcchtsaa der AVandrer got? 

Ist er von Sesenheim hergestürmt ? 

Still blickt er zum Münstorv das hoch sich türmt 

Und hofft — wie kühn die Augen ihm blitzen — 

Gleich hoch einmal emporzuspitzen 

Auf breitestem Grunde, nimmer müde, 

Des eignen Daseins' Pyramide, 

Weit ragend allem Land zu schauen, 

Dran männiglioh sich soll erbauen. 

Im Reich der Angeln und der Sachsen 

Sind diese Knittel emporgewachsen, 

Wo grüne Fluren der Cam durchwühlt, 

Efeubesponnenes College umspült. 

Aus Byrons alten College heraus 

Kam just ein Deutscher, schlendert nach Haus, 

Hat eben vor 80 Jungen und Alten 

Ueber Faust und Helene Kolleg gehalten, 

Durchwandelt das duftende Frühlingsgrün, 

Nach Strassburg, nach Strassburg steht sein Sinn: 

Und was ihm Kopf und Herz erfüllt, 

Im Gehn hat flugs er's in Knittel gehüllt ; 

In die wunderschöne, vielteure Stadt 

Dem lieben M. schickt er das Blatt. 

Dass sein herzlicher Gruss Euch allen kein Greul, 

Wünscht Strassburgs alter Schüler 

Cambridge. Karl Breul. 



Xla. 

Wolfhart Spangenberg 
Anbind- oder Fangbrieffe. 

Auszüge 

von 

E. M. 

V on Wolfhart Spanjj^enberg aus Mansfeld, der unter dem ins 
Griechische jj^ewendeten Namen Lycosthenes Psellionoros Andro- 
pediacus in Strassburg die Absicht Fischarts zwischen Gelehr- 
samkeit und Volksart zu vermitteln in zahlreichen Schriften 
fortgesetzt hat, sind mehrere derselben in letzter Zeit wieder ab- 
gedruckt worden ; und seine milde Laune, seine Sprachfertigkeit 
verdienen gewiss diese Erneuerung, 

Hier folgen Proben aus «Anbind- oderFang Brief fe, 
Das ist Gl u ck w un sc h un ge auf etlicherso wol 
Weibs als Manspersonen, Ehrennamen und 
Geburts Tage: nicht allein Kurtzweilig: son- 
dern auch Nutzlich vnd Lehrhaft zulesen. In 
vnderschied liehen Jahren, gutherzigen freun- 
den vnd bekanten, zu sende r'en Ehren vnd wol- 
gefallen gedichtet. Durch Lycosthenem 
Psellionoros A n d r ope d i a cu m : Itztaber von 
einem guten Freund zusammen colligiert: 
vnd allen Liebhabern der Teutschen Poeterey 
zu dienst inTruck verfertiget. Gedruckt im 
Jahr 1611.» So der Titel der ersten Ausgabe nach dem 
Wolfenbütteler Exemplar s. Gödecke Grundriss 2, 556. Für 
die folgende Probe ist das Göttinger Exemplar der Ausgabe 
von 1623 benutzt; eine dritte folgte 1636. 



— 125 ^ 

Der wiederholte Abdruck beweist die Beliebtheit des Buches. 
Ob es heule in seiner Vollständigkeit Liebhaber finden würde? 
Die hier folgende Einleitung des Ganzen möge einen Vorge- 
schmack geben. 



Von eines Mensehen ey | genem Ehren Namen, 
was der j selbige seye^ vnd wie Er allzeit 

etwas bedeuten solle. 

Es Hat ein jeder Mensch / allein 
Für sich / ein Eigenen Namen fein. 

Mit welcTiem man jhn pflegt zu nennen / 

Dass man jhn mögt für ander kennen. 
Vnd solcher Ehren Nam soll auch 
Mit sich bringen nach rechtem Brauch / 

Eine gewisse Deutung frey / 

Dass man darauss abnehme frey / 
Warurab Er ihme scy gegeben / 
lo Vnd was man / hie in diesem Leben / 

Zu solchem Menschen sich vorab 

Zuversehn vnd zu hoffen hab. 
Dann es soll dieser Ehren Titel 
Zugleich auch sein ein solches mittel / 

Durch welchs man solle wissen schon / 

Was die benennete Person 
Vor einen Vrsprung habe zwar / 
Und auch zugleich werd offenbahr / 

Ob sie nach solcher Ey genschafft / 
«0 Werd Boss sein oder Tugenthafft. 

Solcher gestalt, der Erste Nam 
Dess Menschen war gencnt Adam: 

Weil jhn GOTt machte von der Erden | 

Welchs er auch widerumb must werden. 
Vnd Adam nant hernach sein Weib / 
(Die kommen war auss seinem Leib) 

Heva / vom Wörtlein Leben fein; 

Weil sie ein Mutter würde seyn 
Aller Lebendigen so recht / 
so Im gantzen Menschlichen Geschlecht. 

Also gab GOTt dem Abraham 

Auch einen solchen Ehren Nam: 
Weil er ein Vatter solte seyn 
Sehr Vieler Völcker Fruchtbar fein. 



— 12G — 

Isaac den Nahm darvon bracht / 

Weil seine 3Iatter hat gelacht. 
Vnd Jacob ward also genandt / 
Weil er / in der Gburt / mit der Hand / 

Seins Bruders Fersen hielt gar hart / 
*o Vnd war recht Vndertretters art. 

Mose hett aach den Namen sein 
Daher / weil er ein Eindlein klein 

Aqss dem Wasser gezogen ward / 

Von Pharaonis Tochter zart. 
David den Namen hett bequem / 
Weil er lieb war vnd angenem 

Bey Gott: war freundlich auch darneben / 

Vnd Anmutig in seinem Leben. 
Ja / Saloroo sein Sohn zugleich, 
öo Führt auch den Namen Friedenreich: 

Weil GOTt jhm vnd seim Volck wolt geben 

Fried vnd Bug in seim gantzen Leben. 
Vnd wann ich wolt dergleichen Namen 
AUhier einziehen allesamen / 

Auss heyiger Schrifft / recht ohne gefehrden / 

So würd ein grosses Buch drauss werden. 
Nun ist der Brauch gewesen fein / 
Nicht bey den Hebreern allein; 

Sondern bey andern Völckern auch / 
00 Die observirten solchen Brauch. 

Wie dann bald nach der Sündflut, schon 
Die löblich Teutsche Nation / 

Solch Fhrntitel vnd Kennzeichen 

Gar hoch gehalten / auch dessgleiohen 
Die Deutungen betrachtet eben / 
Wann sie eim han ein Namen geben. 

Dann so man diss recht nimbt in acht / 

Vnd der Histori nach betracht / 
AVie vnsere lieb Alt Vorfahren / 
70 Die alten Teutschen vor viel Jahren / 

Im Brauch gehabt / dass sie allsamen / 

Gebraucht allein nur Teutsche Namen ; 
Die sie jhm Kindern han gegeben ; 
Vnd darinnen betrachtet eben / 

Dass solcher Nam auch möchte fein / 

Einer gewissen Deutung seyn : 
Dadurch recht möcht verstanden werden; 
Was sie wünschen auff dieser Erden / 

Das auss dem Kindlein werden solt / 
8i> So es Gott leben lassen wollt | 

Daher ein Sprichwort ist entstanden 
Bey Teutschen welchs noch ist vorhanden 

Ein guter Nähme sicherlich: 

Bringt auch ein gute That mit sich / 



— vn — 

Welchen sie solchen Namen gaben. 

Darumb sie auch nicht leichtlich haben 
Gebrauchet andrer Yölcker Namen. 
Sondern sie wahren Tentsch ailsamen. 

Biss endlich die Teutsch Nation 
9) Annahm Christlich Eeligion / 

Da wurden auch letzlich hernach / 
Auff Griechisch vnd Hebräisch Sprach / 

Die Namen bräuchlich in Teutschland. 

Wiewol mit grossen Vnverstand. 
Dann es wüsten offt wenig Leut / 
Was der vnd dieser Nam bedeut / 

Weil er war einer frembden Sprach. 

Darumb der gmeine Man hernach / 
Die Namen auch auas vnverstand 
100 Verkürtzt: das sie gantz vnbekand 

Worden / dem PÖfel in gemein 

Wie noch heut solche Namen seyn. 
Die man missbraucht schändlich zumahl : 
Als Brich / Lips / Cuntz / Claus vnd Gall / 

Jäckle / Lutz / Marx / Matts / Brosius / 

Heintz / Stoffel / Lentz vnd Facius | 
Thönges / Fritz / Dix / Zechel vnd Lutz / 
Panthel / Cylgox / Gromman / vnd Vtz 

Bertz / Frantz / Thosel / vnd Enderle / 
110 Lexius / Leindle vnd Fährtlc. 

Gleicher Gestalt auch Weiber Namen 
Die man also Eadbrccht allsamen 

Trud / Sus / Nes / Plön Jenle vnd Dorle / 

Rosel / Gred / Elss / Liene vnd Cordle / 
Sinle / Ditle vnd Kätt darbey / 
Phieme / Dynle vnd Kungle frey. 

Das seind ja wunderbare Namen / 

Verkürtzt verstimmelt allesamen: 
Das besser wer in dieser Sach / 
120 Mann bliebe fein bey Teutscher Sprach / 

Darin verständlich vnd gantz rein / 

So manche schöne Nahmen seyn: 
Wiewol man sie jetz achtet schlecht: 
Als Gottfried / Fridreich / vnd Albrecht / 

Volraht / Ludwig / Wolffgang / Bernhart / 

Adelfried / Niethart vnd Wolfahrt. 
Danckwehrt / Degenhar vnd Diethreich. 
Vnd weiber Nahmen auch zugleich 

Gerdraut / Adclheit / Rosenmund / 
130 Gwaltburg dessgleicheu Friedegund: 

Die an jhn sebsten (1. selbsten) seind bekand, 
Vnd mit sich bringen den verstand. 

Dann es ist doch Ja fein vnd eben 

Wann einer rechenschafft kan geben 



— 128 — 

Seins Namens / vnd auch weiss darbey 
Was seine rechte Deutangr sey. 
Daramb so achte ich es aach / 
Für Löblichen and feinen Brauch / 
So man sein Frennd nnn nicht allein 
^^^ Anbindet / anff den Jahrstag sein / 

Sondern jhm seinen Namen recht 
Aussiegt nach seiner Deutung schiecht. 
Dann solchs nutzlich vnd Lehrhafft ist / 
Vnd auch Anmutig jeder frist : 
Vnd thut offtmahls der Nam | daneben / 
Eim gar ein g^t Andeutung geben / 
Ihm Gluck zu wünschen auch darbey / 
Offt nach dess Namens Deutung frey: 
Dann ein f Ehrlicher Name zwar / 
150 Ist ein gut Zeichen offt fürwar / 

Dess Glücks dass eim GOTt in dem Leben ' 
Durch seine Gnad verheist zugeben. 
Weil auch offt mancher Mensch nicht weiss j 
Zu zeigen an / mit rechtem fleiss / 
Auff welchen Tag er sey gebohren / 
Vnd welche zeit jhm sey erkohren / 
Dass er seiner Geburtes Tag 
An demselben begehen mag: 
Vnd also jhm kein Ziel zuletzt | 
^^® Seiner Geburtsstund ist gesetzt | 

An welchem / sein Freund mit verlangen / 
Ihn möchte / anbinden vnd fangen : 
So kan er doch | ohn zwciffel diss / 
Ihm machen an dem Tag gewiss / 
Der seinen Tag anmeldet frey / 
Vnd sein Jahrstag begehn darbey. 
Den er auch halt in seiner Ehr 
Als wenn es sein Geburtstag wer. 
Vnd ist nunmehr durch alten Brauch | 
i'O Solches gantz vest bestättigt auch | 

Das die Leut jetzund fast allsamen / 
Mehr sehen auff den Ehren Namen / 
Als auff den Gburtstag / der zur frist / 
Gleichwol seins Lebens anfang ist / 
Dann so man nur den Namen find 
Eins Menschen | als bald man jhn bind : 
Vnd solchs thut man mit gutem Recht ) 
Nicht nur nach Alter Gwonheit schlecht / 
Vnd kan es jhm auch niemand wehren / 
180 Weils jhm geschieht zu sondern ehren : 

Ja es soll jhm auch solcher massen / 
Niemand beschwerlich diss seyn lassen. 
Weil es geschieht in keinem Bösen | 
Sondern soll sich Frey gebig Lösen ( 



— 429 — 

Wie bräuchlich ist mit gatem Wein | 
Dasselb wird jhm dann Löblich seyn f 
Bey allen denen die ihn kennen / 
Vnd jhn bey seinem Namen nennen : 
Dann was kan eim Löblicher seyn | 
löo Als wann er recht sein Namen fein 

Also in Ehren halt* dermasseu / 
Dass er sich nichts thnt dawren lassen | 
Was man demselbigcn zu Ehren / 
An seinem Jahrstag thut verzehren 
Dann so ers recht betrachtet schon | 
Hat er ein grossen Nutz darvon / 
Weil jhm dargegen wird | ohn schertzen f 
Gewünschet auss Christlichem Hertzen / 
Viel Glück | Heyl | Wolfahrt vnd Gftondheit f 
800 Zu seiner gantzen Lebenszeit. 

Dann solcher wünsch | sag ich ohn List, 
Viel köstlicher zu halten ist / 
Als Silber f Gold vnd alles Gelt 
Auch vergenglichs Gut in der Welt. 
So es auss rechtem Hertzen geht | 
Welchs in eim wahren Glauben steht; 
Den Gott allein auch thnt ansehen: 
Vnd lasst dann solchen wünsch geschehen. 
Weil er auss rechter Lieb geschieht | 
SOI Im Glauben | der da | zweiffeit nicht: 

Sondern weiss das | in Christi Nahmen / 
Wir leucht erlangen alles amen 
Was vns ist Nutz vnd Selig / Amen. 



XII. 

Unsere elsässisehen Volkslieder. 

Von 

Wilhelm Teichmann. 

W er es in unsern Tagen unternimmt, die Aufmerkst ^»i ' 
keit weiterer Kreise auf das Volkslied zu lenken, hat ein ^^*' 
liches Gefühl wie der Kaufmann, welcher einen Artikel """^ 
vorigen Winter anbietet. Beide sind darauf gefasst, die ^^^^ ' 
wort zu bekommen: ganz gut, aber nicht modern. Volkslied' ^^ ' 
Volkssagen, Volkssitten, Märchen, Reime, Spiele und d^^'-^*'' 
besitzen nicht mehr das Interesse, dessen sie sich früher — 



erfreuen hatten. Nicht ohne Grund : es ist wohl eine ZeifÄ ^^ 
' mehr in diese Sachen hineingeheimnist, mehr aus ihnen IB^"^^' 
ausgelesen worden, als eigentlich darin zu finden war, '*-'' 
«zu wenig und zu viel verderben alle Spieb. So gilt ,J ^ 
vom Volksliede wieder das Wort, welches sich der junge Gr^*^^^ 
einst aus Paracelsus in seine Ephemerides notierte : Es 
wol dem, der gnug darvon hat, und frewet niemands 
dann den Singer selbs. 

Indes, auch das «zu wenig» hat seine Zeit, und e^^ 
zu hoffen, dass sich dem Volksliede wieder grössere Teilns» ^ 
zuwendet. Hat sich doch unser Kaiser in seiner Anspic^^ 
an die Leiter der deutschen Männergesangvereine in Fran.!^^ 
a. M. als warmen Freund des Volksliedes zu erkennen geg*^' 
und zur Pflege desselben aufgefordert. Wer schon vorhe«:" 
Volk und sein Lied kennen und lieben gelernt hatte, ist. 
die Anregung von so hoher Stelle aus dankbar gewesen 9 
wird sie mit Freuden an seinem Teile befolgen und w^' 
geben. 

Auch in unserm Elsass blüht das Volkslied. Das '^ 



— d31 — 

aus eigner Erfahrung jeder, der nnit dem Volksleben in Be- 
rührung steht, oder gestanden hat. Der aber, dem diese un- 
mittelbare Bekanntschaft abgeht, kann die Sammlungen nicht 
übersehen, durch welche das elsässische Volkslied sich einen 
Platz in der Literaturgeschichte erworben hat. 

An die Spitze derselben stellen wir die kleine aber wert- 
volle Blumenlesey welche Goethe während seines Aufent- 
haltes im Elsass 1771 für Herder zusammenstellte.* Herder 
nahm drei dieser Lieder in seine Sammlung auf. — Im 19. Jahr- 
hundert hat A. S t ö b e r in seinem Elsässischen Volksbuchlein 
1842 und in den Jahrgängen 1851 — 56 der Alsatia manches 
aufgespeichert. Wenig mehr als Stöber bietet J. B. Wec ker- 
lin, Chansons populaires de l'Alsace 1883. Die erste um- 
fassende Sammlung verdanken wir Kurt Mündel, welcher 
1884 als Frucht jahrelanger Wanderungen Elsässische Volks- 
lieder veröflFentlichte. Ausser dem Verdienst, frühzeitig ange- 
fangen und so manches, was sonst mit dem alten Geschlecht 
zu Grabe gegangen wäre, gerettet zu haben, hat das Büchlein 
noch den Vorzug, dass die Lieder nicht zurechtgemacht sind.« 
Für Gesangvereine sind sie unmittelbar nicht zu gebrauchen, 
da die Weisen fehlen. Diese findet man grössten Teils in 
E r k s Liederhort, 1893 — 94 von B ö h m e in drei starken Bänden 
neu herausgegeben. Böhme durfte auch das Material benutzen, 
welches Mündel seit 1884 zusammengebracht hatte. Die Kinder- 
lieder hat er aus der schönen handschriftlichen Sammlung von 
Schulrat Stehle entnommen. Auch die unverdrossenen 
Helfer, deren guten Willen man bei solchen Arbeiten kaum 
entbehren kann, die Seminaristen und Lehrer, haben ihm Bei- 
träge geliefert. — Aus geistlichen Kreisen stammt der Elsäs- 
sische Liederkranz 1901. 2. Aufl. 1902, welcher 
u. a. einige Dutzend Volkslieder mit Weisen enthält. Alles 
in allem bieten diese Sammlungen etwas über 300 Lieder, 
welche freilich den gesanglichen Besitz des Volkes entfernt 
nicht erschöpfen. Der Sammellustige findet also noch ein 
weites Feld. 

Sehen wir uns dieses Feld etwas näher an. Wo liegt es? 
Wo ist das Volkslied zu Hause? — Doch wohl beim Volke. 
— Aber was heisst in diesem Falle «Volk»? 



1 Herausgegeben von Martin in Seufferts Deutsche Literatur- 
denkmale des 18. und 19. Jahrhunderts. Nr. 14, 1883, S. 29. ff. — 
In der Sophienausgabe von Goethes Werken Bd. 38, 1897. S. 235 ff. 

• Die Lieder, welche im folgenden ohne nähere Quellenan- 
gabe nur mit ihrer Nr. angeführt werden, sind aus Mündel ent- 
nommen. Wir empfehlen das Büchlein jedem, der unser Volkslied 
kennen lernen will. 



— 133 — 

Das ist nun nicht so zu verstehen, als ob wir dort die 
einfachen, biederen Leute anträfen, welche, fern vom Geräusch 
der Welt, ein idyllisches Dasein fuhren und beständig ein 
passendes Lied auf den Lippen haben. Es, gibt Landbewohner 
j^enug, welche das ganze Jahr hindurch keinen Ton singen. 
Aber im grossen und ganzen hat das Volkslied doch seine 
Heimat auf dem Lande, und seine feste Stellung im Leben 
der Leute. Wir können, ohne alles über einen Leisten schlagen 
zu wollen, gewisse Kreise unterscheiden, welche das Volkslied 
pflegen, und gewisse Gelegenheiten, bei denen sie es an- 
wenden. 

Von vornherein dürfen wir die Frauen so ziemlich aus- 
scheiden. Unsre Frauen auf dem Lande altern schnell, und 
es lastet so mancherlei auf ihnen, was die Lust zum Singen 
vertreibt. ^ Die Domäne der Frauen ist das Kinderlied. In 
hartnäckigen Fällen, wo es heisst: helfe was mag, kommt es 
allerdings vor, dass dem schreienden Säugling auch andre Lieder 
vorgesungen werden,, welche ursprunglich nicht gerade als 
Schlummerlieder gedacht waren. 

Auch die Männer singen wenig. Für einen gesetzten 
ordentlichen Mann schickt es sich nicht recht, ohne besondern 
Anlass zu singen. Aber solche Anlässe finden sich. Es sind 
die Familienzusammenkünfle, wie Hochzeit, Kindtaufe, Be- 
erdigung, welche, im Geist angefangen, oft im Fleisch voll- 
endet werden ; Messti oder Kirb ; die zweiten Feiertage von 
Weihnachten, Ostern, Pfingsten ; Steigerungen, Wahltage, et 
quaelibet altera causa. Man sijizt fröjilich beisammen, man 
fühlt sich wieder jung, und mit andern Jugenderinnerungen 
wachen auch die Lieder wieder auf. Einer sucht schliesslich 
den andern zu überbieten. Manchmal kommen bei solchen 
Gelegenheiten die schönsten, manchmal freilich auch die ge- 
wagtesten alten Lieder zum Vorschein. Die besten Sänger und 
Liederkenner sind oft gerade diejenigen Leute, welche sonst 
nicht einwandsfrei sind. Ist so ein alter etwas leichtsinniger 
Graukopf dafür bekannt, dass er voller Lieder steckt, so 
machen sich Alte und Junge zu Zeiten ein Vergnügen daraus, 
ihn freizuhalten, bis ihm der Alkohol die Zunge löst. Manches 
vergessene Lied feiert so wieder eine Auferstehung, und lebt, 
wenn es Anklang findet, bei der Jugend fort. 

Die Jugend hat nach ländlicher Anschauung das grösste 



1 Beim Grasen im Walde hörten wir eine junge Frau zu ihrer 
Nachbarin sagen: «Komm, Käth, wir singen uns eins, ünsre 
Männer singen, wenn sie einen im Kopf haben, T\ir wollen singen, 
dass wir unser Elend vergessen.» 



— 134 





Recht zum Singen. Für die jungen Männer herrscht in die 
und anderer Beziehung vollste Freiheit an ihrem bürgerliche 
Ehrentage, an der Musterung. Hier in der Stadt wird ma 
wenig davon gewahr. Nur die Vorstadt halte früher alljähr 
lieh eine Ahnung ländlicher Freuden, als noch die Bursch 
aus den Ortschaften des Kantons Schiltigheim zum Weisstur 
tor hereingefahren kamen, um von hier aus in geschlossen 
Reihen im blauen Ueberhemd und cSürmilchhosseD, bände 
geschmückt, Musik, Fahne und Tambourmajor an der Spit 
nach ihrem Kanfonshauptort zu ziehen. Da hiess es : 

Conscrits sein's mir, 
zum Spiele müsse wir, 
un e jeder kann's danke, 
wie's eine tuet kränke, 
wammer do verspiele tuet — 
du unschuldiges Blüet! 

und dann wieder : 

Wenn es heysst, dar Feynd ricket a-an, 
und die Kanonen blitzenn, 
so erfreyt sich jederma-an, 
zu Pfard müess alles sitzenn! 

Von der Weissturmstrasse aus wurde dann auch wi 
die Heimfahrt angetreten. Die, welche sich freigespielt hattöX^ y 
wussten sich kaum zu lassen vor Freude, und die ande«*«^» 
welche «7 Johr Koscht un Logis freyjD bekommen hatte« ^ 
suchten es ihnen womöglich noch zuvorzutun : nur ja mdcx^^ 
merken lassen ! Auf dem Lande haben die Musterungen ihr^^ 
Glanz noch nicht eingebüsst. Wir verdanken ihnen besonde*'^ 
die Erhaltung der alten Soldaten- und Wanderlieder. 

Ist die Musterung nur einmal im Jahr, so finden das gan ^^ 
Jahr hindurch die Zusammenkünfte der jungen Leute statt, 1 -^ 
Winter in den Kunkelstuben, wie sie immer noch heisse.^^' 
obwohl wenig mehr gesponnen wiM, in der guten Jahresz^^^_ 
auf dem cOwemärk)». Hier erscheinen neben den jungi 
Männern auch die jungten Mädchen, in den oft geschilderte^^^^ 
Kunkelstuben mit Rücksicht auf den beschränkten Raum i 
kleineren Kreisen, auf dem Owemärk annähernd vollzählig un 
in breitester Oeffentlichkeit. 

Wenn am Sonntagabend zu Nacht gegessen, die unerläss- 
liche Arbeit in Haus und Stall verrichtet ist, treten die junger 
Leute unter die Haustüre, auf die Strasse. In kleinen Gruppe: 
vvie sie sich gerade zusammenfinden, stehen sie herum, gehe 
auf und ab, um sich schliesslich alle an einer durch lange 
wohnheit üblich gewordenen Stelle im Dorf oder vor dem Do"' 




;ti 



d 




— 135 - 

zusammenzufinden. Da wird gespielt, getanzt, geschäkert, zu- 
letzt bilden sich Reihen, die singend einherziehen, bis die 
Dunkelheit zum Heimgehn zwingt. Hier kann man so recht 
beobachten, wie der Takt des Liedes mit dem Schritt der Menge 
in Zusammenhang steht. Die Singenden schliessen zuweilen, 
wenn sie recht bei der Sache sind, die Augen, oder schauen 
traumverloren ins Weite. Manchmal macht der Gesang einen 
fast kultisch feierlichen Eindruck. Einzelne Burschen oder 
Mädchen nehmen unter der Schar eine führende Stellung 
ein, indem sie die Lieder, die Spiele, die Zeit zum Heimgehn 
u. s. w. bestimmen, etwa in der Art, wie es Freytag in den 
«Brüdern vom deutschen Haused von seiner Friderun von 
Friemar darstellt. Die jüngeren Jahrgänge haben gar nichts 
zu sagen. Sie dürfen hintendranslehen, zuhören und mitsingen, 
bis auf einmal die Tonangeber und -angeberinnen verschwunden 
sind : sie heiraten, oder kommen sonst wie «von der Gass' 
eweg», und der Nachwuchs nimmt ihre Stelle ein. Die früheren 
Sänger und Sängerinnen aber legen zu den übrigen Reliquien 
ihrer frohen Jugend noch eine mehr: das Liederbuch. 

Hierunter verstehen wir nicht eine gedruckte Sammlung, 
etwa von der Art, wie sie in guter Meinung zusammengestellt 
und unter den Soldaten verbreitet werden. Dieselben kranken 
ein wenig an einem gewissen offiziellen Wesen, das nun ein- 
mal dem Volke, besonders dem eisässischen, ebensowenig zu- 
sagt, wie die ebenfalls in guter Absicht von anderer Seite zu- 
rechtgemachten Lieder, welche die volkstümliche Weise beibe- 
halten, aber alles angeblich anstössige aus den Worten ent- 
fernen wollen, sodass das Volk am Ende singen soll: 

In einem kühlen Grunde, 

da geht ein Mühlenrad. 

Mein Onkel ist verschwunden, 

der dort gewohnet hat. 
Wo gedruckte Liederbücher überhand nehmen, da ist es 
mit dem lebendigen Volksgesang Matthäi am letzten. Eine Be- 
deutung für das Volkslied haben nur die im Volke selbst ent- 
standenen geschriebenen Liederbücher, wie deren zur Zeit in 
jedem Dorf noch eine stattliche Zahl zu linden ist. Sie sind 
die vornehmste Quelle für den Sammler, der keine Gelegenheit 
hat, Lieder unmittelbar aus dem Munde der Singenden aufzu- 
nehmen. 

Wollen wir die Liederbucher recht würdigen, so müssen 
wir uns vorstellen, welchem Bedürfnis dieselben ihre Entsteh- 
ung verdanken, Sie wnd, soviel wir sehen können, im allge- 
meinen nicht dazu bestimmt, Lieder zu verzeichnen, welche 
die Leute kennen, sondern solche, welche sie nicht kennen. 



— 136 — 

Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass ein und das 
andere Heft in der Absicht angelegt wird, alles aufzuschreiben, 
was der Betreffende kennt. Doch ist dies der seltenere Fall. Für 
den altüberlieferten Grundstock von Liedern genügt das Ge- 
dächtnis. Was neu dazukommt, muss aufgezeichnet werden. 

Und solcher neue Stoff strömt dem Liederschatze des 
Volkes beständig zu. 

Einmal wird im Volke selbst noch viel gedichtet. Ferner- 
stehende machen sich keine Vorstellung davon, wieviele Lieder 
oft ein einziges Dorf hervorbringt. Da ist zunächst die Ge- 
legenheitsdicbtung. W^ir hatten einst das Vergnügen, in der 
Nähe von Eisenach einer Ihüringer Kirmse beizuwohnen. Im 
Verlauf derselben trat unter der Linde vor versammelter Ge- 
meinde auch ein Bursche auf mit einem langen Gedicht in 
Knittelversen, worin die Dorfereignisse des letzten Jahres in 
derbhumoristischer Weise besprochen wurden. Aehnlich dem 
werden in unsern Dörfern, besonders in der müssigen Winters- 
zeit, . Gedichte geschmiedet, nach dem Spruch wort : wer den 
Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Auch 
die Eifersucht zwischen Nachbardörfern entlädt sich oft auf 
diesem Wege. Das Ende ist zuweilen eine Klage vor dem 
Amtsgericht. Deswegen dringen nur wenige dieser Spoil- und 
Trutzlieder an die OefTentlichkeit. Sie führen meist nur ein 
kurzes Dasein, einzelnes erhält sich. — Weniger gefahrlich 
sind die Lieder auf Unglücksfalle, Vejbrechen und dergl., 
welche den Moritaten nachgebildet werden. So ist z. B. die 
Ermordung der Leonie Laubacher vor dem Kronenburgertor 
in Strassburg 1898 alsbald besungen worden. — Auch völlig 
harmlose rein lyrische Sachen fehlen nicht. Es ist kein Un- 
glück, dass dieselben gewöhnlich den Weg in die OefTent- 
lichkeit nicht finden. Ein Beispiel sind die Poetischen Ver- 
suche von Peter Bach, Ackersmann aus dem Eichellal, Strass- 
burg 186G gedruckt. 

Zu diesen Liedern, welche im Volke selbst entstehen, 
kommen andere, welche von aussen hereingetragen werden. 
Die alten zünftigen Dorfmusikanten, deren Aussterben jetzt be- 
klagt wird, waren nicht bloss Spielleute, sondern auch Sänger, 
und brachten zu den Dorffestlichkeiten immer neue Lieder mit. 
Berühmt war vor 1870 in den Gemeinden um Strassburg her 
der Schwätterle von Geispolsheim mit seinen Kollegen. Sollen 
sie doch sogar einmal bei später Heimkehr von einem Messti 
einen hungrigen Wolf in die Flucht geblasen haben ! Neben 
ihnen traten auch Sängerinnen auf, Heiden- d. h. Zigeuner- 
frauen, die ihren Gesang auf der Guitarre begleiteten. Diesen 
einheimischen fahrenden Leuten wurde starke Konkurrenz ge- 



- 138 - 

durch falsche Lesung oder wegen grosser Eile wohl auch noch 
vermehrt ; denn die Freundin hat sich ausbedungen, dass sie 
ihr Heft «unfehlbar» binnen der und der Zeit wieder bekommt. 
Wenn wir in einem Heft vom Dr. Eisenbart lesen : 

Za Wimpfen anoaschierte ich 

Ein Kind zur Welt ganz meisterlich, 

so sieht man sofort, dass es sich um einen Lesefehler handelt: 
das deutsche cc ist für n angesehen worden. Es lag also eine 
deutsch geschriebene Vorlage vor. Fehlt eine solche, und das 
ist die Rejrel, so wird nach dem Gehör und Gedächtnis ge- 
schrieben, so gut oder so schlecht es geht. Aus der Menge 
von Beispielen wollen wir einige besonders bezeichnende her- 
ausheben. 

In dem oben angeführten Falle ist das Wort caccouchieren» 
falsch wiedergegeben worden, weil es dem Schreiber nicht ge- 
läufig war. Mit einem Stücke seines eigenen Wortschatzes 
wäre ihm der Schreibfehler nicht begegnet. i Es sind die 
Fremdwörter, welchen zunächst das Schicksal droht, falsch ver- 
standen und falsch wiedergegeben zu werden. So lautet die 
ursprüngliche Fassung von 167, 2 : 

Lieber will ich mit Bellonen 
im Gezelt und Lager wohnen. 

Was bedeutet aber dem Bauern die Kriegsgöttin Bellona? 
Er singt : 

Lieber will ich bei Kanonen 
anf dem Feld im Lager wohnen. 

Ein andrer Göttername hat das gleiche Schicksal gehabt. 
54, 2 lautet ursprünglich : 

Amor schlug in jener Stunde, 
als ich dich Engel gesehn, 
tief in mein Herz eine Wunde. 
Mädchen, ach um mich ist's geschehn. 



daraus wurde : 



An d'r Uhr schlägt ja die Stunde, 
habe ich es dich Mädchen gesehn, 
tief fühlt mein Herz eine Wunde, 
ach Mädchen, um dich ist's geschehn. 



1 In demselben Hefte steht auch, ebenfalls verlesen : 

So dir geschenkt ein Knösplein was, 
so steck es in ein Wetterglas. 

Sollte man in dem betreffenden Rebdorf e auch das Wasserglas 
als «Fremdwort» empfunden haben? 



— 139 — 

Das alte Soldatenlied 162 hörten wir in Enzheim richtig 
singen : 

Jetzund lad ich mein' Pischtolen, 

Der Teufel soll die Koschtbeutel holen, 

Und tu vor Freuden zwei, drei Schütz. 

«Koschtbeutel» war noch im Anfang des 19. Jahrhunderts ein 
Spitzname der österreichischen Soldaten. Mündels Quelle, die 
das nicht mehr wusste, sang und schrieb: «Rossbeuteb, viel- 
leicht in Anlehnung an «Rossgötteb und ähnliche Bildungen» 
164 preist das Soldatenleben, und sagt vom Zelt des Sol- 
daten : 

Sein Häuslein ist sehr klein, 
Von Leinwand ausgeschnitten. 

Dafür steht, der alten ländlichen Bauweise entsprechend : 

Mit Leim wohl ausgeschmissen. 

In dem Liede : «In Myrtils zerfallner Hütte» wird die Heim- 
kehr eines totgeglaubten Sohnes zu seinen alten Eltern ge- 
schildert. Von dem Wiedererkennen heisst es ursprünglich 
V. 18 und 19: 

Engel feiern jetzt die Szene, 

die kein Dichter schildern kann . . . 

Walter! ruft Myrtil erschrocken. 
Walter! ruft das Weib, mein Sohn! 
Lass mich sehn das Mal der Pocken! 
Ja, du bist's, verlorner Sohn. 

«Szene» ist ein Fremdwort, «Pocken» aber nicht minder. El- 
sässisch niüsste es «Barble» heissen. So schreibt denn ein uns 
vorliegendes Liederheft : 

Engel feiern jetzt die Schöne . . . 
und : 

Lass mich sehn das Mal am Backen . . . 

wodurch, wenn man sich das Bild ausmalt, ungewollt in den 
rührenden Vers ein komischer Zug kommt. 
In einem Liebeslied heisst es vom Herzen : 

Unterm Brust blatt tuts mich jucken. 
Schönster Schatz, komm, lass dich drucken. 

93 setzt dafür : 

Auf meinem Schulterblatt tuts mich jucken, 

was ebenfalls eine ganz andere Vorstellung hervorruft. 
Tieferes Nachdenken erfordert schon die Zeile 141, 3: 

Es tragt am End gar ziemlich Leid, 

die in der 5. Strophe noch einmal wiederkehrt : 



— 140 - 

Fahrt am £nd gar ziemlieh sehleeht, 
kein Kreuzer Geld und das war recht. 

Da das Lied vom Elend des Soldateastandes handelt, können 
die Worte nur gelautet haben : 

's Tractament war ziemlich klein (oder: schlecht). 

Köstlich ist auch eine unbedeutende Veränderung in 178, 6, 

wo es von Napoleons Feldzug gegen Preussen ursprünglich 

hiess : 

Wo ich soviel tausend Franken 
meinen Sieg hab zn verdanken. 

Der Sinn ist klar: Napoleon verdankt den Franken seinen 
Sieg. Dass die Franzosen in den Revolutionskriegen als Franken 
aufgetreten waren, wurde vergessen, aber nicht, welche Beute 
sie in Deutschland gemacht hatten. So fasste man «Franken» 
tn Verbindung mit dem Zahlwort als Geldstück, und Hess Na- 
poleon sagen : 

Wo ich soviel tausend Franken 
meinem Sieg hab zn verdanken. 

Der praktische Sinn des Volkes hat die unverständlich ge- 
wordene Stelle verständlich gemacht, und gar nicht weit neben 
das Ziel getroflen. 

Aber die Veränderungen gehen noch weiter. 

Wir haben von Napoleon gesprochen. Werfen wir einen 
Blick auf die Gruppe, zu der die Napoleonslieder gehören, auf 
<lie geschichtlichen Lieder. Wohl kennt unser Volk auch noch 
andre grosse Männer. Es singt 227 von Kolumbus, dem Ent- 
decker von Amerika, und von Franz Drake, dem c Stifter der 
Kartoffel». Das älteste gekrönte Haupt, das wir erwähnt finden, 
ist der alte Fritz. Von ihm singt das Lied der Invaliden : 

Hier stehen wir, auf unsem Krücken 
gelehnt, an Vater Friedrichs Grab, 
und Tränen fliessen in grossen Güssen 
auf unsern grauen Bart herab. 

Und zwar ist das Lied nicht, wie Böhme II, S. 146 meint, 
nach 1871 durch preussische Soldaten ins Elsass gekommen. 
Wir finden es schon in älteren Liederheflen. — Auch Joseph 
IL, welcher 1777 im Elsass war, ist nicht vergessen, wenn- 
gleich das Lied, welches seinen Tod besingt, sich seltener 
findet : 

Hier liegt Josephus der Zweite, 
der römischer Kaiser war, 
Theresia auf der Seite, 
die ihn zur Welt gebar. 



— 14'2 — 

1854: Und da kommen die stolzen Bässen, 

doch wir Franzosen fürchten ans nicht. 
1859: Es kamen die stolzen Oestreicher daher, 

wir Franzosen wir fürchten uns nicht 
1813: Napoleon, da Schustergeselle, 

du sitzest so fest auf deinem Thron. 
1854: Und der Kaiser von Bussland, der Schusterg-esell, 

der sitzt so frech auf dem Thron. 
1859: Der Kaiser der Grosse, aus Schwabenland, 

der sitzt so fest auf seinem Thron. 

Ebenso ist das vielgesungene Lied auf den Feldzug von 
1812 Mündel 173 und 174 in 175 auf den Krimkrieg ange- 
wendet. 

Wie mit den Personennamen gehl es mit den Ortsnamen. 

Ueberall singen die angehenden Valerlandsverteidiger : 

166. Warum ist denn die Falschheit 

so gross in der Welt, 
dass wir alle junge Bürschlein 
müssen marschieren ins Feld, 

Aber die Fortsetzung lautet in jedem Kreise anders : 

nach (Zabern) marschieren, 
lassen uns gleich visitieren, 
ob wir taugen ins Feld, 
ob wir taugen ins Feld. 

Darum ärgere sich niemand, wenn er die Gestellungs- 
pflichtigen singen hört: 

120. Die Eeise nach Deutschland, 

und die fällt mir so schwer! 

Das schwere liegt und lag darin, dass sie überhaupt fort- 
müssen. Gerade so haben die Gonscrits gesungen : 

129. Die Reise nach Frankreich, 

die fällt mir so schwer! 

Ihre Söhne haben nur das Wort eingeschoben, welches 
dem Wechsel der Zeiten entspricht. Dass dies Verfahren auch 
in andrer Hinsicht befolgt wird, zeigt ein Vergleich von 159 mit 
142. Was dort von Napoleon I. giesagt wird : 

Der Kaiser sucht lauter die schönsten heraus, 
die Krummen und Lahmen bleiben alle zu Haus, 

das wird hier dem deutschen Kaiser zugeschrieben: 

Und- unser Kaiser Wilhelm hat auch schon gesagt, 
dass alle jungen Bürschelein müssen werden Soldat. 
Die Hübschen und die Feinen, die sucht er sich heraus, 
die Krummen und die Lahmen, die schickt er nach Haus. 



— 143 — 

Die Lieder sind eben so ganz das Eigentum der Leute ge- 
worden, dass sie mit ihnen nach Bedarf und Gutdünken schalten 
und walten. Sie dienen als Rahmen, in welchen jeweils der 
entsprechende Name eingeschoben wird. 

Diese Beobachtung ist lehrreich. Sind doch manche Perlen 
unserer Literatur in früheren Zeiten ebenfalls im Mund und in 
den Händen des Volkes gewesen. Wir sind gewohnt, sie mit 
einer gewissen Verehrung anzusehen, und mancher wird etwas 
unangenehm berührt, wenn er die Männer der Wissenschaft 
damit beschäftigt llndet, ihre Entstehungsverhältnisse mit kri- 
tischem Messer zu untersuchen. Nachdem wir dem Volk ein 
wenig auf die Finger gesehen, und bemerkt haben, wie es vor 
unsern Augen mit seinen Liedern umgeht, werden wir jene 
Kritik für berechtigt und geboten erkennen. Es wird uns so- 
«^ar die Lust anwandeln, unsrerseits selbst etwas Kritik zu üben. 
Wir wissen bereits, dass unsere Lieder verschiedenen Lieder- 
heften entstammen, und dass sie von Ort zu Ort wandern. 
Wie steht es mit ihrer Wanderung durch die Zeit? Wo stammen 
sie her? wann treten sie auf? Wie hat sich der Besitz unsres 
Volkes an Liedern allmählich angesammelt? 

Allerdings vermögen wir nicht jedem Lied, welches bei uns 
gesungen wird, sein Ursprungszeugnis auszustellen in der Weise, 
dass wir Verfasser und Entstehungsjahr angeben. Immerhin ist 
dies bei einigen möglich. Andre tragen unverkennbar den 
Stempel einer bestimmten Zeit; oder wir haben literarische 
Hilfsmittel aller Art, ihr erstes Vorkommen und ihre Verbreitung 
festzustellen: Sammlungen, fliegende Blätter, Handschriften, Er- 
wähnungen in andern Schriftwerken. So können wir von den 256 
Liedern bei Mündel 168 ohne grosse Anstrengung näher beslimn.ej. 
Eingehende Untersuchungen würden gewiss noch weiter führen. 

Am wenigsten Schwierigkeiten machen nach dieser Seite 
die geschichtlichen Lieder, auch die, welche mit der Zeit Ver- 
änderungen erfahren haben. Wir kommen, wie wir oben sahen, 
nicht über das Todesjahr Friedrichs H. hinaus. 

'Ihnen steht am nächsten die Gruppe der Soldatenlieder. 
Den Uebergang bilden 128, 153 und 159, welche Napoleon 
nennen. 161 setzt die Zeit voraus, in welcher Erckmann-Cha- 
trians Consent de 1813 spielt : 

Sieh, es kommen alle Morgen 
viele junge Eekruten an, 
und dabei ist es ja wohl zu bemerken, 
dass der Krieg aufs neu fängt an. 
Alle Handwerksleute schaffen 
an des Kaisers Kriegerwaffeu, 
dieweil der Feldzug wohl ist bereit 
auf die schönste Sommerszeit. 



— 144 - 

So haben wir auch bei anderen Liedern darauf zu achten, 
welche Situation sie voraussetzen. 133 schiebt am Schluss die 
Schlacht bei Gravelotte ein; aber die Erwähnung der Span iolen 
fuhrt uns gleich um 60 Jahre zurück. Es ist aber noch älter, 
es steht zuerst in den Vermischten Gedichten von K. Chr. 
Kolbe 1792. 

155 spricht vom Schweizerdienst, welcher mit Charles X. 
aufhörte. Dass «alle junge Bürschlein müssen marschieren ins 
Feld», deutet auf die allgemeine Wehrpflicht ; 146 auf die ent- 
schwundene Zeit, wo man sich einen Mann kaufen konnte : 

Vater ich bin euer lieber Sohn, 

helfet mir mit Gnt davon, 

mit Gut oder Geld, 

dass ich nicht darf ziehen in das Feld. 

Den Berufssoldaten der alten Zeit hören wir 149: 

Was hat mich dazu bezwungen, 
was hat mich dazu gebracht? 
Weil ich Handgeld hab genommen, 
und die Freiheit so veracht. 

Schon in meinen jungen Jahren 
muss ich in den Soldatenstand, 
da bekam ich graue Haare 
mit zurück ins Vaterland. 

Den alten Napoleonsdiener sehen wir 128 formlich vor uns 
stehen : 

Grosse Stiefel muss ich haben 
und Sporen daran, 
schneeweisse Hosen, 
und sous-pieds daran. 

Der guten alten Zeit entspricht wieder 141, worin auch 
die Gamaschen und das Tractament vorkommen : 

Wenn morgens früh der Tag anbricht, 

der Corpora! in das Zimmer tritt: 

steht auf, ihr Leute, tut euch frisiren, 

denn jetzt kommt die Zeit zum Exerzieren. 

Tut euch nur hübsch und sauber an, 

denn vielleicht kommt auch der Herr Hauptmann. 

Der verdrossene Ton, mit welchem dies Lied anfangt : 

Sag mir einer was er will, 

ein Soldat, der muss leiden viel, 

findet sich wieder in einigen andern; wie 148; 149; 150 : 

Soldatenleben, ein harter Schluss . . . 



— 145 — 



mit dem Kehrreim : 



Ach Himmel, was hab ich getan, 
die Liebe war schuldig daran. 

Dieser Kehrreim verrät uns nebenbei, dass wir die Nach- 
dichtung einer früher vielgesungenen Nonnenklage vor uns haben, 
welche Herder auch in seine Volkslieder aufgenommen hat : 

Elosterleben, da Einsamkeit. 

Ihren Höhepunkt oder Tiefsland, wie man will, erreicht 
diese Stimmung in 158: 

Afrika, Afrika, 

da grosses Jammertal, 

bei dir ist nichts za finden, 

als laater Angst und Qaal. 

Hier werden natürlich wieder die jeweiligen Garnisonorte 
eingeschoben. Böhme giebt die Fassung : 

Kassel, Kassel, 

da grosses Jammertal. 

Es ist die missmutige Stimmung, wie sie eine lange Frie- 
denszeit erzeugt. Man weiss nichts von den Tagen der schweren 
Not; von manchem, was der Soldatenstand mit sich bringt, ist 
nicht ohne weiteres einzusehen, dass es eine Vorbereitung auf 
den Ernst des Krieges ist. Das Mittel erscheint als Selbst- 
zweck, der Nutzen zweifelhaft. Das wird mit einem Schlage 
anders, wenn sich der Soldat als Krieger fühlt. Darum gehen 
auch die Lieder, welche bewegten Zeiten entstammen, aus 
einem ganz andern Ton. Man vergleiche 155 : 

Wir Herren Soldaten, jetzt haben wir Geld, 

jetzt müssen wir marschieren ins weite breite Feld, 

ins weite Feld wohl vor dem Feind, 

bis dass wir ja alle beisammen sammen sein. 

«Feind» verlangt als Reim «seind». So heisst es auch in dem 
ältesten Druck von 1758, wo das Lied anfängt : 

Wir prenssischen Husaren, wann kriegen wir Geld? 

Unser Volkslied ist ein Husarenlied, das schon den sieben- 
jährigen Krieg mitgemacht hat. Kein Wunder, dass es in so 
zersungener Gestalt auf uns gekommen ist. Ihm steht zeitlich 
am nächsten 164: 

Kein besser Leben ist auf dieser Welt zu denken, 

als wenn man trinkt und isst, und tut sich gar nicht kränken, 

wie ein Soldat im Feld, der stellt sich tapfer ein ; 

hat er nicht allzeit Geld, hat er doch Pulver und Blei. 

10 



^. 146 — 

Der älteste Druck wird von Böhme um 17i:6 angesetzt. 
Noch älter ist wenigstens die Weise zu 147. Es ist Sebastian 
Bachs Bauern-Kanlate von 1740 mit dem Text : 

Es nehmen zehntausend Dakaten 
der Kammerherr alle Tag ein. 

Dieser Weise ist früh das liederliche Lied 147 unterge- 
legt worden : 

Was hatten mich tausend Dukaten, 
wenn sie versoffen sein? 
Der König hat schöne Soldaten, 
wenn sie^s montieret sein. 

Der König ist selbstverständlich der alte Frilz. Aus dem 
18. Jahrhundert stammt wohl auch noch 167 : 

Sollt ich einem Bauren dienen 

und mein Brot im Schwciss verdienen? 

Brüder, nein, das mag ich nicht. 

Lieher will ich auf dem Felde 

mir verschaffen Brot und Gel de, 

wo man von den Waffen spricht. 

Bei den Bauern dien ich nicht. 

Der gelehrte Ton würde zu einem Singspiel von 1750 
passen. Um so naturwüchsiger ist 162 mit seinem Mass gegen 
die österreichischen Kostbeutel. 133 haben wir schon genannt. 
Es führt uns in die Zeit der napoleonischen Kriege. Auch sie 
haben echte Begeisterung hervorgerufen. Man höre 159: 

I : Wir gehören dem Kaiser Napoleon zu, 
weil er uns Bürschlein hegehrt: | 
Wir Burschen, wir gehen uns willig darein, 
der Kaiser wird unser Landsmann sein. 
Es ist für uns fürwahr keine Schand, 
wir streiten fürs Vaterland. 

In 160 haben wir ein Husarenlied aus derselben Zeit : 

Jetzt zieht der Marsch am Rheine 

sowie auch durchs ganze ungarische Land, 

und .Schweizerland dahei, 

und Kussland ist des gleichen. 

Drum tragen sie solche Zeichen, 

Verschossen muss es sein. 

152 setzt Böhme erst in das Jahr 1870: 

Lustig ist's Soldatenlcben, 
sich für Frankreich hin^sugeben 
auf den letzten Tropfen Blut. 
Ja, wir Franzosen haben's Mut! 



— 147 — 

Wir möchten es doch weiter hinaufrücken um der Strophe 
willen : 

Wenn auch fremde Völker kämen, 
um das Vaterland za nehmen, 
muss das Pulver auf der Pfann 
zeigen, was ein Franzos noch kann. 

Weil aber im Kriege nicht blos hin-, sondern auch her- 
geschossen wird^ so fehlt in den Soldatenliedern der Gedanke 
an den Tod nicht. Es darf uns nicht wundern, dass er oft 
in etwas hausbackener Form auftritt, die sich bis zu dem 
platten Liede 144 versteigt, das auch der Parodierung nicht 
entgangen ist: 

Ach Gott, wie gehts im Kriege zu, 
was wird für Blut vergossen. 

Der nüchterne Sinn des Volkes kommt eben nicht dar- 
über hinweg, dass Anstrengungen, Entbehrungen, Krankheiten, 
Wunden und Tod mit dem Kampf verbunden sind, und es 
empfindet naturgemäss die Opfer, welche seine Kinder bringen 
müssen, am schwersten. Weit über den Durchschnitt zu wirk- 
licher Schönheit erhebt sich die einfache Klage 168 mit ihrer 
schwermütigen Weise : 

Kamerad ich bin geschossen, 
Eine Kugel hat mich getroffen, 
Kamerad, komm hilf mir, 
Verschaffe mir ein Nachtquartier. 

Kamerad, ich kann dir nicht helfen, 
Es helfe dir der liebe Gott selber. 
Es helfe dir der liebe Gott, 
morgens müssen wir in ein andres Ort. 

Achim V. Arnim hat das Lied bereits 1806 im Wunderhorn 
in älterer vollständiger Fassung. Etwas breiter ist schon 145: 

Holde Nacht, dein dunkler Schleier decket 
mein Gesicht vielleicht zum letzten Mal. 
Morgen lieg ich schon dahingestrecket, 
ausgelöscht aus der Lebendigen Zahl. 

1813 musste Lützow das Singen dieses Liedes durch einen 
Parole-Befehl verbieten, da es die Soldaten in eine zu weiche 
Stimmung versefzte,i besonders die Strophe: 



1 Fr. Förster, Geschichte der Befreiungs-Kriege 1856. I, 
S. 839. 



— 148 — 

Mädchen denke uiclit an scidnc Bänder, 
denke nicht an Freud' und Hochzeitstanz! 
Dein Geliebter schlummert unterm Sande, 
nimmer gn-ünet dir der Myrthenkranz. 

Das Mädchen spielt, wie im Leben, so auch in den Liedern 
der Soldaten eine grosse Ro11e> sodass man oft zweifelhaft sein 
kann, ob ein derartiges Lied noch den Soldatenliedern, oder 
besser den Liehesliedern zuzuzählen ist. Diese nehmen natur- 
gemäss in allen Sammlungen den breitesten Raum ein. Wir be- 
sprechen mit ihnen zusammen gleich die übrigen kleineren 
Gruppen. Wir beschränken uns, um nicht ermüdend zu wirken, 
auf eine Auslese vielgestmgener oder besonders charakteri- 
stischer Lieder in chronologischer Reihenfolge. Unsere bis- 
herigen Hilfsmittel lassen uns dabei jetzt im Stich. Geschicht- 
liche Persönlichkeiten, kommen nicht mehr vor. Was hilft es 
uns, dass gelegentlich ein Pfalzgraf auftritt? Die angegebenen 
Oertlichkeiten sind, wie wir gesehen haben, je nach dem Ver- 
breitungsgebiet dss Liedes eingeschoben. Und die vorausge- 
setzten Situationen sind ja manchmal deutlich genug, bringen 
uns aber auch nicht weiter.. So sind wir darauf angewiesen, 
mit Hilfe der grossen Sammlungen zusammenzustellen, wann 
und wo unsre Lieder vorkommen, i 

Wir übergehen die ganz jungen Lieder und fangen in der 
Mitte des 19. Jahrhunderts an. 

1850 Ach schönster Schatz, erlaub es mir 

nnr eine kleine Viertelstnnd 
deinen Bosenmand zu küssen, 
eh's die Nachtpatronille kommt. 

M. 135. 136. E.-B. IH, 1428. - Aus Hessen, Westfalen, Franken, 
Erzgebirge. 

'S ist alles trübe, 's ist alles dnnkel, 
weil mein Schatz ein'n andern liebt. 

M. 30. E.-B. II, 698. — Aus Oberhessen, Taunus, Hannover^ 
Schlesien, Ostpreussen. 

Schätzel, wenn ich dich erblicke, 
find ich keine Ruh nicht mehr. 

M. 94. E.-B. II, 566. — Aus dem Odenwald, Wetterau, Frankeiv 
Thüringen, Brandenburg, Schlesien. 



1 Ausser Erk-BÖhrae = E.-B.. von dem wir Band und Nummer 
angeben, fähren wir noch die Nummer an, unter der Hoffmann von 
Fallersleben, Unsere volkstümlichen Lieder, 4. Aufl. 1900 = H. unsere 
Lieder verzeichnet. Auf beide Bücher. sei verwiesen, wer sich näher 
mit der Geschichte des Volksliedes beschäftigen will. 



— 149 — 

1846 Jetzt ist die Zeit und Stunde da, 

wo wir reisen nach Amerika. 

M. 205. 207. E.B. II, 795. — Aus Schwaben, Steiermark, Hessen, 
Eifel, Wetterau, Türingen. 

J843 Schäfer, sag, wo willst du weiden? 

M. 191. E.-B. III, 1491. — Von der Bergs trasse, Schwaben, Franken. 

1842 Wenn ich an das Heiraten denke, 

so kommt mir ein Grusei an. 

M. 231. 232. E.-B. II, 864. — Wetterau, Schlesien, Samland. 
Vor 1840 Wie die Blümlein draussen zittern 

Von 0. J. Inkermann, Gedichte 1851. — M. 66. E.-B. II, 
779. H. 1267. — Schwaben, Mosel. 

LejDchen ging einmal spazieren 
durch den grünen Wald. 

M. 70. E.-B. II, 712. — Niederrhein, Wetzlar, Thüringen, Ucker- 
mark, Schlesien. 

1836 Müde kehrt ein Wandersmann zurück. 

Von Leberecht D r e v e s, in seinen Gedichten 1849, — E.-B. II, 
672. H. 896. — Mosel, Rhein, Niederhessen, Thüringen, Spessart. 
Ost- und Westpreussen. 

Um 1830 Ach Mädchen, nur einen Blick. 

M. 54. E.-B. II, 628. — Thüringen, Niederrhein. 

Schön ist die Jugend zu allen Zeiten, 

schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr. 

M. 46. 119. E.-B. n, 543. H. 1007, — Rhein, Nassau, Hessen, 
Thüringen, Sachsen. 

1827 Seid lustig, ihr Brüder, der Wein ist geraten. 

M. 218. H. 157. — Nassau. 

Um 1827 ist auch Schuhmachers Liederhandschrift auf 
der Sladtbibliolhek zu Hannover geschrieben. Sie enthält u. a. : 

Jetzund ist der Schluss gemacht, 
liebes Mädchen, Gute Nacht. 

M. 102. E.-B. II, 771. 772. — Rhein, Hessen, Schweiz, Franken, 
Thüringen, Sachsen, Schlesien. 

Dreimal um das Häuselein herum, 
und dreimal um den Laden. 

M. 28. E.-B. 560b. 821. — Rheinland, Westfalen. 



^ 150 — 

1828 Was soll ich in der Fremde tun? 

Denn hier ist^s ja so schön. 

Von Joh. Val. Adrian. — M. 204. H. 1202. — Rheinland, 
Nassau, Niederhessen. 

Um 1820 Wer lieben will, mnss leiden, 

ohne Leide liebt man nicht. 

M. 42. 44. E.-B. II, 617. vgl. 641. 699. - Durch ganz Deutsch- 
land gesungen. 

1818 Es reisten zwei Verliebte nach Algier. 

M. 2. 3. E.-B., I, 49. — Ostfricsland, Rhein, Wetterau, Schweiz, 
Westfalen, Sachsen. 

1816 Es ritt einmal ein Bitter 

die Welt bergaus, bergein. 

M. 24. E.-B. m, 1063. — Schwaben. 

Vor 1806, in Des Knaben Wunderhdrn von Arnim und 
Brentano^ oder in v. Arnim's Sammlung finden sich : 

Es war einmal ein Mädchen, 
das hatte zwei Knaben lieb. 

M. 4. E.-B. I, 211. — In ganz Deutschland bekannt. Die Er- 
zählung wird 1704 bei Abraham a Santa Clara angezogen. 

Es wohnt ein Pfalzgraf über dem Bhein. 

M. 8. E.-B. I, 182. — In ganz Deutschland bekannt, ebenso : 

Nichts schöneres kann mich erfreuen. 

M. 14. E.-B. I, 48. 

Es ist mir nichts lieber, 
als klagen allein. 

M. 32. as. E.-B. II, 530. - Hessen, Franken. 

Jetzt geh ich an ein Brünnelein, trink aber nicht. 

M. 79. E.-B. I, 203. — Odenwald, Wetterau, Schwaben, Sachsen, 
Schlesien. 

Ob ich gleich keinen Schatz mehr hab, 
werd ich bald einen finden. 

M. 123 E.-B. II, 511. — Schweiz, Hessen, Franken, Thüringen, 
Westfalen, Sachsen, Schlesien. 

1804 Es war einmal eine Königin, 

ein wunderschönes Weib. 
Sie hatt' ja eine Tochter, 
zum Tod war sie bereit. 

M. 17. E.-B; I, 84. — In ganz Deutschland verbreitet. 



- 151 — 

Um 1800 Die Gedanken sind frei, 

wer kann sie erraten ? 

M. 246. E.-B. III, 1803. — Rheinland, Hessen, Schweiz, Franken, 
Thüringen, Brandenburg, Schlesien. 

Frennd, ich bin zufrieden, 
geh es, wie es will. 

Von J. F. Witschel, Lieder geselliger Freude 1801. H. 749. 

Was braucht man auf dem Bauerndorf? 

M. 190. E..B. m, 1544. H. 1179. — Geht zurück auf ein Lied 
von J. B. Häffliger, 1796: Was brucht me in der Schwyz? 

Vor 1799 Bin ich nicht der Krämersmichel 

aus dem Schwobenland? 

Von S. F. Sautter. — M. 198. H. 693. 

1791 Stets in Trauern muss ich leben. 

M. 43. E.-B. II, 723. — Niederrhein, Hessen, Thüringen, West- 
falen, Brandenburg, Schlesien, Ostpreussen. 

1786 Genug für heut, es dunkelt schon. 

Von J. H. W i t s c h e 1 , Dichtungen 1786. — M. 72. H. 488. 
Niederrhein. 

1784 bei Elwert, Unj^edruckte Reste allen Gesanges: 

Schatz, ach Schatz, reise nicht so weit von hier. 

M. 137-139, E.-B. II, 766. — In ganz Deutschland gesungen. 

1781 Es war einmal ein Mädchen, 

das spinnt an seinem Bädchen. 

Von H. W. V. Stamford, im Vossischen Musenalmanach 1781: 
Ein Mädchen holder Mienen. — M. 18. 19. E.-B. I, 74 e. H. 328. — 
Mosel, Niederhessen, Ostpreussen. 

1780 Es waren mal zwei Bau rensöhn, 

sie hatten Lust in den Krieg zu gehn, 
wohl um Soldat zu werden. 

M. 16. E.-B. I, 50. — In ganz Deutschland gesungen. Die Ge- 
schichte von den Eltern, die ihren aus dem Kriege heimgekehrten 
Sohn ermorden, wird seit 1618 öfters als wirklich geschehen erzählt. 

1776 Es wollt ein gut Jägerlein jagen 

drei Stündelein vor es dem Tage, 
wohl auf ein Hirschelein und es ein Beh. 

E.-B. ni, 1438—1440. — Niederdeutsch schon um 1600 vor- 
handen. In ganz Deutschland verbreitet. 



— 152 — 

1773 Das ganze Dorf versammelt sich 

zum Kränzetanz in Reihen. 

Von J. N. Millör, im Göttingcr Masenalmanach 1773. M. 114. 

H. 151. 

1772 3Iädchen, da musst mir gestehen, 

gestern küsst ein andrer dich 

Von Ch. F. Weisse, kleine lyrische Gedichte 1772. M. 122. 
E.-B. II, 717. H. 834. — Wetzlar, Rhein, Erzgebirge. 

1759 In dem Arien buch von A. Frey tag in Wernigerode, 

steht : 

Wenn ich an den letzten Abend gedenk, 
wo ich Abschied von dir nahm. 

M. 92. E.-B. 554. 555. - Rheinland, Odenwald, Franken, Thü- 
ringen, Schlesien. 

Vor 1751 Alles kommt zu seinem Ende, 

aber mein Verlangen nicht. 

Von J. Chr. Günther, Gedichte 1751: Alles eilt zum Unter- 
gange, nur mein hart Verhängnis nicht. — M. 251. H. 35. — Nassau. 

1750 Nachtigall, ich hör dich singen. 

M. 36. E.-B. 520. — In ganz ©Bttts^hiaTid gestragen. 

1742 Gestern Abend wohl in der stillen kühlen Ruh 

hört ich im grünen Wald einer Amsel zu. 

1. Strophe schon in J. Chr. Rosts Lustspiel: «Die g-elernte 
Liebe». 1742. — M. 64. E.-B, II, 522. H. 492. In ganz Deutschland 
verbreitet. 

1720 Ach mein liebes Kind, was muss ich leiden, 

was ich von Herzen lieb, das muss ich meiden. 

M. 104. E.-B. II, 831. — Schwarzwald, Hessen, Lahn, Franken, 
Thüringen, Schlesien, Brandenburg. 

Um 1700 Es steht ein Schlösselein nicht weit vom Rhein. 

M. 1. E.-B. I, 19. — In ganz Deutschland verbreitet. Einige 
Zeilen daraus kommen schon um 1550 vor. 

1679 Es wohnt ein Müller an jenem Rain, 

lauf, Müller, lauf. 

M. 9. E.-B. I, 146. — In ganz Deutschland gesungen ; ebenso 
das folgende : 

Jetzund kömmt die Nacht herbei, 
und alle Menschen schlafen ein, 
und alle Menschen gehn zur Ruh, 
und schliessen ihre Aeuglein zu. 

Von Martin Opitz: Poemata 1641. - E.-B. II, 562, vgL 816. 
H. 751. 



— 154 — 

Vortrages, auf weiche als Zeichen hohen Alters Böhme be- 
sonders aufmerksam macht, konnten wir unsil882 zu Mieles- 
heim einprägen, wo sich bekanntlich auch sonst viel altes er- 
halten hat. 

Ueberblicken wir die ganze Sammlung, so drängen sich 
uns verschiedene Bemerkungen auf. 

Die erste betrifft das Aller unsrer Lieder. Einige von ihnen 
behandeln Stoffe, welche uns schon früh entgegentreten. Wir 
erinnern nur an d\e t Königstochter» 17, worin die Schwimmer- 
sage ausklingt, an den «Schreiber im Korbe» 97 — 98, an den 
Wettstreit, zwischen Wasser und Wein 212, an das Spottlied 
auf die verschiedenen Stände 20, das Tagelied 23, das Rätsel- 
lied 24, wo durch den Reim trotz der Erfindung des Schiess- 
pulvers die Frage erhalfen geblieben ist: was geht tiefer als 
ein Bolz? Auch das Bild vom cRosenbrechen» 55. 81 ist alt. 
Aber das sind- nur Erinnerungen, Anklänge, Verwandtschaften. 
Wirkliche Lieder, mit denen unser jetziges Volkslied zusammen- 
hängt, finden wir erst im 16. Jahrhundert, und auch da nur 
in geringer Zahl, eben genug, um uns den Zusammenhang er- 
kennen zu lassen. Die Geschmacksumwälzung des 17. Jahr- 
hunderts hat schliesslich auch die breiten Schichten des Volkes 
erreicht^ und mit all den weltlichen Liedern, gegen welche 
die asketische Literatur der Reformationszeit so oft zu Felde 
gezogen, gründlich aufgeräumt. Vom ecBohnenlied» weiss jeder- 
mann, dass dies und jenes darüber geht, aber niemand, was 
eigentlich darin gestanden hat. Vom Meister Hildebrand und 
vom Berner ist es still geworden. Selbst der cLindenschmidt», 
an den doch im Unterland die Ruine gleichen Namens erinnerte, 
reicht nur bis zu Goethes Zeit, und bei ihm nur in Bruch- 
stücken. Spärlich sind auch noch die Ueberbleibsel aus dem 
17. Jahrhundert. Erst mit dem 18. werden unsre Nachweis- 
ungen zahlreicher, aus dem Ende des 18., Anfang des 19. Jahr- 
hunderts stammt die Hauptmasse der heutigen Volkslieder. In 
diese Zeit weisen uns das Stilet 43, der Kreuzer 413. 239, die 
Dukaten 147, der Hintergesäss 226, die Tabagie 230, die Vor- 
aussetzungen unsrer ältesten Soldatenlieder, der Umstand, dass 
der alte Fritz die älteste geschichtliche Person ist, deren 
sich Lieder und Anekdoten des Volkes erinnern. Wir dürfen 
sagen: das lebendige Gedächtnis unsres Volkes reicht wenig 
weiter als bis zu der Zeit, da der Grossvater die Grossmulter 



1 Dieselbe Bemerkung hat für unsem Gegenstand und seine 
Zeit Schabart gemacht. Vergl. seine «Deutsche Chronik» auf das 
Jahr 1775, S. 23. 



— leo — 

holt der kranken Magd, auch ohne Gesindeordnung, «ein Süp- 
pele und bringt ihre Wein». — Wo es das Lied mit sich bringt, 
dass getrunken werden muss, wird meist Wein getrunken« 
Nicht das braune Bier, sondern der Wein ist 218 geraten. 
Dem Schatz wird 108 als Mitte! gegen Schlaflosigkeit ver- 
schrieben : 

Nimm ein T&ssel Thee, 

vin chand, Bier, Kaffee, 

oder Branntwein. 

Auch die Schäferin 77 — ursprünglich ein Schäfer — 
trinkt morgens «den Kaffee, den Branntwein daraufj^i. 

Selbst die Geschiclite geht bei der Durchsicht der Volks- 
lieder nicht leer aus : wir erwähnten schon, dass die frühere 
Zugehörigkeit zu Frankreich und die Anhänglichkeit an Na- 
poleon I zur Geltung kommen, ebenso die Veränderungen, 
welche das Jahr 1870 mit sich gebracht hat. Was auch immer 
die Volksseele bewegt hat und bewegt, kommt in den Liedern 
des Volkes zum Ausdruck. 

Und dieser Umstand sollte das Volkslied auch für Leute, 
welche sich sonst für Lyrik nicht besonders erwärmen, interes- 
sant und wichtig machen« Das Volk gibt sich in seinen 
Liedern, wie es ist, ohne Hintergedanken. Warum diese 
Quelle nicht benützen? Wollen wir vom Volksleben nur das 
Bild gelten lassen, welches uns nach grauen Theorien und 
vorgefassten Meinungen feststeht? Wollen wir es uns zeichnen 
lassen von den Possen, welche ihren Stoff daraus entnehmen, 
oder von den billigen «Witzen» mancher Tagesblätter? 

Oder ist es überflüssig, das Volk kennen zu lernen umi 
zu verstehen? Brauchen wir es nur als Staffage bei unsern 
Festen, als Kostümbild bei unsern Maskeraden? Das Volk 
hat doch wohl ein Recht darauf, verstanden und auf seine Art 
behandelt zu werden. Es kann zuweilen sehr deutlich werden, 
wenn es auf mangelndes Ver3tändnis stösst. Da ist es besser, 
sich dies Verständnis zu erwerben. Lieder, sollten wir meinen, 
sind dazu nicht das unangenehmste Hilfsmittel. Mochten sie 
fleissig benützt werden und dazu beitragen, dass unser Volk 
und seine Art immer mehr bekannt und geschätzt werden. 



1 Man denke nicht an Trunksucht und Völlerei. Der Haustrunk, 
den der Bauer brennt, ist kein Fusel, sondern mit einem guten 
Stuck Hausbrot verbunden ein Nahrungsmittel, das in der Speise- 
folgc des ländlichen Arbeitstages ganz am Platze erscheint. 



XIII. 

Die Fremdwörter in den elsässischen 

Mundarten. 

Ein Beitrag zur elsässischen Dialektforschung 

von 

Karl Roos. 



Vorwort. 



D. 



'er vorliegenden Arbeit ging eine ziennlicb reiche, aber 
keineswegs vollständige Sammlung von Fremdwörtern 
im Kl sä ssi sehen voraus, wie sie sich aus der eigenen 
Erfahrung und der zu Gebole siehenden Literatur schöpfen 
Hessen. An solcher Literatur wurde benutzt: das Wörter- 
buch der elsässischen Mundarten von Martin 
und Lienhart L Teil und die durch die Güte des Herrn 
Prof. Dr. Ernst Martin zur Verfügung gestellte ungedruckte 
Zettelsammlung zum IL Teil des Wörterbuches, die sich auf 
dem germanistischen Seminar der Universität befindet ; ferner 
ein ungedrucktes «complets Dixionnaehr vom Stros- 
burjer Dialect un Hochditsch» von G. Ulrich 
und das Wörter buch der Strassburger Mundart 
aus dem Nachlasse von Charles Schmidt. Wertvolle Mit- 
teilungen verdanke ich auch Herrn J. Spieser, dem Heraus- 
geber der Monatsschrift «Reform» (vgl. Literaturverzeichnis), 
einem vorzüglichen Kenner elsässischer Mundarten. Dem lexi- 
kalischen Teile sind ferner zahlreiche Belege beigefügt aus 
Arnolds «Pfingstmontag», dem «lebendigen Idiotikon», 
wie Goethe das Stück genannt hat. 

Ein an sich totes Verzeichnis von Wörtern allein gibt uns 
aber auf die Frage nach den Fremdwörtern und ihrer Behand- 
lung durch eine Mundart keine hinreichende Antwort. Erst die 
Vorführung und Darslellung all jener eigentümlichen Ver- 

11 



— 162 — 

änderungen der Form und des Inhalts, die an den 
Fremdwörtern bei ihrer Uebernahme und später vollzogen 
werden, gewähren uns ein Urteil fiber den schafTenden Genius 
einer Sprache. Solche Eigentümlichkeiten an den Fremdwörtern 
in den elsässischen Mundarten zu zeigen und die sie hervor- 
rufenden Faktoren anzugeben, ist die Aufgabe dieser Abhand- 
lung. Zunächst wird von den Fremdwörtern des Elsässischen 
im allgemeinen gehandelt ; auch auf den gesamten Wortschatz 
der elsässischen Mundarten besonders gegenüber dem Nhd. 
wird, ausgehend von den Fremdwörtern in beiden, ein fluch- 
tiger Blick geworfen. Der übrige Teil behandelt die Betonungs-, 
Laut- und Flexionsverhältnisse, die Wortbildung, Wortum- 
bildungen, Geschlechts- und Bedeutungsveränderungen. Die 
Flexion ist nach den Verhältnissen der Mundart zu Nordbausen 
(bei Erstein) dargestellt. Bei der Behandlung der Lautverhäll- 
nisse wurde versucht, von einer häufigen und möglichst allge- 
meinen Form der Aussprache auszugehen ; dabei konnte eine 
völlige Gleichförmigkeit nicht durchgeführt werden schon aus 
dem einfachen Grunde, weil nicht alle Wörter für alle Gegenden 
belegt sind. Ein ähnlicher Mangel stellt sich auch dort heraus, 
wo es sich überhaupt darum handelt, eine feste nnd bestimmte 
Abgrenzung zwischen Lehn- und Fremdwort zu 
treffen. Fremdwörter im strengsten Sinne, d. h. Wörter mit 
französischer, bezw. fremder Aussprache und Betonung hat die 
Mundart eigentlich sehr wenig ; denn die grösste Anzahl der- 
selben hat sich durch den Anschluss an das einheimische Laut- 
und Betonungssystem deutsches Aussehen und somit den Cha- 
rakter von Lehnwörtern verschafft. Doch sind im folgenden 
als Lehnwörter in diesem Sinne nur diejenigen fremden 
Ausdrücke aufgefasst worden, die aus den früheren 
Sprach Perioden im heutigen Wortschatze fort- 
leben; viele von ihnen sind auch im Nhd. als Lehnwörter 
vorhanden. Wörter der letzteren Gattung, die der Mundart 
mit der Schriftsprache gemeinsam sind, wie z. B. biblos pewi, 
puppa p ü p, pulvinus p f ü 1 w a, theca t s i a y, calena k hM, 
simila seml, aeslivale stefl, brave p r ä f , cedola tsetl, 
lagliere talor, sorla sort, moslra müstar, poln. russ. 
granica kraus, böhm. bic pujits u. a, sind im grossen und 
ganzen unberücksichtigt geblieben. Hingegen sind wohl Aus- 
drücke, die in der Form vom entsprechenden nhd. mehr oder 
weniger abweichen oder als spezifische Dialektworte erscheinen, 
der Betrachtung unterzogen und mit den übrigen, als Fremd- 
wörteri im eigentlichen Sinne aufzufassenden auf eine Stufe 

1 Vgl. eine Auswahl derselben in § 1. 



— 463 — 

gestellt worden, so z. B. albella polt, caslanea khest, co- 
lonea k h e t, cuminum k h i m i, cuniculus k h e n j a l a, hospi- 
iale s p e 1 1, carruca k h ä r i y und viele andere. 

In der Lautschrift ist das phonelische System von 
Joh. Friedrich Kräuter befolgt, das er in Frommanns 
Zeitschrift «die deutschen Mundarten» Bd. VII, Halle 1877, 
S. 305 ff. aufgestellt hat. Abgesehen von den Vorzügen dieser 
Lautschrift seihst empfahl sie sich auch deshalb, weil sie fast 
in allen Arbeiten über den elsässischen Dialekt, namentlich 
auch in dem schon genannten Wörterbuch der elsässi- 
schen Mundarten von Marlin und Lienhart zur Anwen- 
dung gelangt ist. Aus letzterem (Vorwort S. VII) sei der 
Uebersicht halber die Zusammenstellung der phonetischen 
Grundsätze nochmals wiedergegeben : ^ 

Für einen Laut gibt es nur ein Zeichen, alle Lau! folgen 
werden in ihre Bestandteile «lufgelöst. Wir schreiben also nicht 
X, sondern ks; nicht z, sondern ts; aber auch nicht ng, son- 
dern q; nicht ch, sondern y; nicht seh, sondern s. V unter- 
scheidet sich nicht von f. Doppelkonsonanten werden in deut- 
schen Stämmen nicht als solche ausgesprochen und daher auch 
nicht geschrieben. 

Bei Vokalen wird die Lange durch den Akut bezeichnet ; 
also z. B. höy für hoch. Der Gravis dient zum Zeichen der 
offenen, nach a zu geneigten Aussprache ; dadurch wird die 
Anzahl der unterschiedenen Vokale verdoppelt, indem sich ihre 
Stufenreihe folgender massen gestaltet : 

i i e ü aj a ä 6 o u u, 
wobei ac ein breiteres e, ä ein dunkleres a bezeichnet. Lippen- 
stellung für und Zungenstellung für e verbindet ö, geschrie- 
ben oe, und etwas dunkler u>, breiler d^ ; Lippenstellung für 
u und Zungenstellung für i verbindet ü, geschrieben y, und 
bei Annäherung an o}: y. 

Der Gravis verbindet sich mit Akut zum Gircumtlex, zur 
Bezeichnung eines langen, offenen Vokals. 

Allen anderen Vokalen steht in Nebensilbcu das schwache 
e gegenüber, geschrieben a. Die Annällenmg dieses Lautes an 
a, wie sie besonders in der Gegend von Golmar üblich ist, 
haben wir nur selten durch a bezeichnet (besser wäre n). 

Nach Vorsilben mit schwachem Vokal hat die nächste den 
Hauptton ; wo eine Vorsilbe mit vollem Vokal vorangeht, ist die 
hochtonige durch fett gedruckten Vokal ausgezeichnet. 

Die in einigen Strichen des elsässischen Sprachgebiets, be- 

1 Da nicht alle erforderlichen Zeichen vorhanden waren, ninssten 
im folgenden leider einige Abweichungen vorgenommen werden. 



— 164 — 

sonders im Munstertal und ani Kochersberg auttretende N? 
lierung wird durch untergesetztes polnisches ^ bezeichcr-:ie 
f^aj'star Fenster. 

Die Lautschrift Kräuters vermag namentlich auch die N^Tan 
nigfaltigkeit der Diphthonge in den verschiedenen Munda r^teo 
anschaulich dai^ustellen. 

Umso einfacher ist der Konsonantenbestand. Bas 
Elsassische unterscheidet nicht zwischen harten und weichen 
Konsonanten, es stellt b und p, d und t völlig gleich, auch g 
und k vor anderen Konsonanten. Dies steht fest, auch durch 
das Zeugnis der französischen Grammatiker, sowie durch manche 
Wortspiele der Elsasser selbst : s. Anzeiger zur Zeitschrift für 
deutsches Altertum XX, 110 ff. Die fraglichen Konsonanten 
sind schwach, aber stimmlos. Sie werden von manchen Sprach- 
forschern als Lenes bezeichnet, b und p durch b u. s. w. 
Wir bleiben bei Kräuters Auffassung, wonach die Stimmlosig- 
keit diese Laute den französischen Tenues nähert, und setzen 
also p, t, k auch für nhd. b, d, g. Allerdings ist Pät für Bad 
auffallend ; aber auch d u d für tut u. ä. wird nicht leicht gefallen. 

Mit diesen Konsonanten verbindet sich nun zuweilen ein 
Hauch, der durch h ausgedruckt wird: in Thee, geschrieben 
T h 6, Peter, geschrieben P h e t a r. Dieser nachstürzende 
Hauch unterscheidet k vor Vokal von g : kann wird geschrieben 
k h ä n, geben ist eis. k a n. 

Wo velares ch besonders zu bezeichnen war, dient dazu *y,, 
z. B. in *X'^ Kind im Sudstreifen des Landes. 



L 

Einleitung. 

§^. 

Bestand der Fremdwörter in d en el s ä ssischen 

Mu n da rt en .* 

Infolge seiner geographischen Lage und physischen Be* 
schaffenheit war das Elsass von jeher äusseren Ei ntlüssen aller 
Art zugänglich. Es hat sich jederzeit lebendig mit andern 
Völkern am gegenseitigen Austausch von Kulturerrungenschato 
beteiligt. Mit neuen Gegenständen und Einrichtungen hat, wie 
jede Sprache, so auch die elsässische neue, fremdartige Be- 
zeichnungen aufgenommen. Namentlich ist sie mit zahlreichen 



1 Vgl. auch K a h 1, a. a. 0., S. 41. 



— 165 — 



französischen Ausdrücken durchsetzt ; gerade diese werden 
uns daher in erster Linie zu beschäftigen haben. Ausser dem 
Französischen haben auch andere Sprachen die elsässische 
Volksmundart beeinflusst. Zunächst ist hier das Lateinische 
zu berücksichtigen^ das hauptsächlich durch Ausdrücke aus der 
Kirchen- und Rechtssprache vertreten ist. Die hebräischen 
Wörter, die sich durch den fortwährenden Verkehr der elsäs- 
sischen Bauern mit den jüdischen Maklern ebenfalls in gros.ser 
Zahl eingebürgert haben, bleiben im folgenden unerwähnt, da 
sie bereits von Weiss, Faber und L e w y behandelt 
worden sind.i Italienische, spanische, eng- 
lische, niederländische, slawische Ent- 
lehnungen haben in geringerer Zahl stattgefunden. Selbst aus 
zwei Sprachen ist mitunter ein und dasselbe Wort übernom- 
men worden, z. B. :* 



französisch: 

secrelaire [s ä k r a t sb r] 
corriger [korisiara] 
conlraire [k h ü n t r ae r] 
chapilre [säpttr] 
calechisme [k h a t a § i s m] 
chicorie [si köre] 
cirque [s i r k, s e r i k] 
commissaire [k h ü m i s ab r] 
cylindre [s i 1 a u t 9 r] 
jusle [syst] 
patron [p a t r ^ü] 



allegre [äle kr] 
paillasse [psDJäs] 
capole [k h ä p Ä t] 
numero [n y m r o] 
servielle [s a) r w j ö t] 
lulipe [t y 1 i p] 

Ganz besonders bedeutungsvoll wurde im Laufe der Ge- 
schichte das Verhältnis des Elsass zu den westlichen Nachbarn, 
den Franzosen. Die Zugehörigkeit des Landes zu Frank- 



lateinisch: 

secretarius [sfekratdrjas] 
corrigere [khorikioro] 
conlrarium f k h ü n t r d r i] 
capitulum [k h a p 9 1 1] 
catechismus [khätakhismos] 
Cichorium [t s i k <^ r i] 
circus [t s e r i 5r] 
commissarius [khümosdri] 
cylindrus [t s i U' n t a r] 
justus jusle [j ü s t] 
patronus [p h ä t r il n] 

it al i enisch: 

allegro [ä 1 e k r ö] 
bajazzo [pa)j ä t s] 
capuccio [k h a p y t s] 
numero [n ü m a r o] 
salviella [sälfet] 
lulipano [t y 1 i p ä ( n )]. 



1 Jb. XII, 121; XllI, 171 ; XIV, 78 fP. 

« Die betonten Silben sind durch cursiven Druck hervorge- 
hoben; die Betonung auf der ersten Silbe ist durch den Druck 
nicht näher gekennzeichnet. 



— i(56 — 

reich hat auf die Eigentümlichkeit des elsässischen Charakters, 
der Sitten und Lebensweise nicht so sichtbar eingewirkt wie 
auf die Sprache ; hier sehen wir noch deutlich den gewaltig^en 
Einiluss der einstigen Fra nzosen herrschaft. Aber 
noch mehr als die fremde Herrschaft verlialf das Bildung^s- 
ideal beim Volke der fremden Sprache zu Ansehen. Was 
die Einwirkung von oben her nicht vermochte, das ersetzte 
von jeher die Neigung des Volkes, sich der fremden Sprache 
zu bedienen, die Sucht, gebildet zu erscheinen, ^ wenn man 
die Wörter auch noch so schlecht verstand oder sprechen 
konnte. Das war freilich welsches Unkraut unter dem deutschen 
Weizen,* ein sprachlicher Zwitterzustand, der noch bis heute, 
wenn auch in eingeschränktem Masse fortdauert. So ist zu 
erklären, dass noch jetzt, wo die Verhältnisse doch längst anders 
geworden sind, in abgelegenen Gegenden Fremdwörter vor- 
dringen. Im krummen Elsass (z. B. in Waldhambach) beginnen 
erst neuerdings seit der EröfTnung der Eisenbahn und durch 
den damit zunehmenden Verkehr Ausdrücke wie bonjour und 
enlrez sich einzubürgern. 

Seit der Revolutionszeit hatte sich der französische Einfluss 
im Elsass immer mächtiger ausgedehnt; durch Verwaltung, 
Handel und Gewerbe ward da^ Eindringen der fremden Sprache 
mehr und mehr gefördert. Aber erst unter Napoleon IIL sollte 
das innerste Leben des einheimischen Idioms angegriffen wer- 
den. Man suchte den Gebrauch des Französischen beim ge- 
samten elsässischen Volke einzuführen. Dem Volke sollte eine 
fremde Sprache aufgedrängt werden, in der es, wie Witte' 
sich trefflich ausdrückt, «doch das, was sein Herz erfüllt, nicht 
zu vollem, reinem Ausdruck bringen kann, weil seinem ange- 
borenen Denken und Empfinden der Geist dieser Sprache als 
etwas Fremdes gegenübersteht». Namentlich die Schulen* dienten 
dem genannten Zwecke, So ist gerade durch den französischen 
Schulunterricht und das Schulwesen eine be- 
deutende Reihe von Fremdwörtern in die Mundart übergegangen. 

Dahin gehören: salle d'asyle saltasil, College koles, 
pensionnal päsjanal, gradin krät^ii», pupilre pypil^"'» 
regle rekl (=i Lineal), cahier kieja, crayon krej,ü, dk- 
tionnaire t i k s j o nie r, page p ä s, examen ö k s d m 8,ö bulU- 
tin p y 1 1 je, devoir t o w a r, bonne nole p o n o t, pensum pe- 



^ Vgl. hierzu auch Kahl, a. a. 0., S. 42. 

2 Vgl. Lorenz und S c h e r e r, a. a, 0., S. 476. 

3 A. a. 0., S. 17, 18. 

* Vgl. Martin, Sprach verhältn. und Mundarten. 
5 Wohl von franz. examen wegen der Nebenform löksam? (= 
l'exaraen), vgl. unter § 7, 4. 



— 167 — 

som, mariinet märtine (?), vacances fer kli diis(t), soeur 
soer, fifi fifi, und wohl auch Ausdrücke wie parier parla 
pä r n 8 r 9, repeler r e p a t i d r a, explicalion eksplikatsjiin, 
promenade p r o m n d t, educalion elikätsjwn, c/iasser s ä s e. 

— Lateinische finden sicli auf diesem Gebiete nur we- 
nige ; Professor p r o f a s a i*, provisor p r o f / s a r (Klassenlehrer)- 
Ihre Zahl wird vermehrt, wenn wii- die aus der Studenten- 
sprache ins Volk gelangten lateinischen oder latinisierten Be- 
zeichnungen anfügen : cerlare t s a t ia ro, fidelilas t'e 1 1 a t ^t 
f e k I a t e t, in floribus e m f I o r i p y s, jocus j y k s, (jassatim 
k ä s a ta u. s. w. 

Dagegen sind heinalie alle durch die Sprache der Kirche, 
des Klosters und durch die Predigt eingedrungenen 
Wörter lateinischer Herkunft. 

religio rb\]u n, reverenlia e w a r a n t s, sacramentum 
sakarmant, catechismus k h a t a k h e s m a s k h ä t i e s a m a, 
choralis k ho r d I a s, litania I e t a n e i, nobler (aus pater noster) 
nüstar (= Rosenkranz), absolvere äpsalf^^ra, Iribulare 
(aus der Predigt) trewHara; paler (Mönch) phatar, col- 
latio k li 1 d l s, lerminare tharmaniara (jetzt = lärmen) ; 
paslor p ä s t rf r (Geistlicher), palronus p 1j ä t r w n, sacrislanus 
säkristdn, reclor r a k t a r (Kantonalpfarrer), vicarius 
fi khdri. 

— Französischen Ursprungs ist wieder Vabbe läp6 
(=: Vikar), dispense s p a n s. 

Durch die Einrichtung der salles d'asyle suchte man die 
Kinder der arbeitenden Klassen von früh auf an das Franzö- 
sische zu gewöhnen. Aus diesen salles d'asyle und der Schule 
überhaupt stammen zahlreiche französische Ausdrücke für K i n- 
d er spiel e,i wie aballage apatas, bul p y t, palelle ipälbl, 
pas de course p a k ii r s, pelole t ä p I 6 t (aus ä la pelole ?), 
pris (?) pri u, a. 

Eine Anzahl anderer Bezeichnungen für Spiele, hauptsäch- 
lich Kartenspiele, sind nebst Benennungen von Geträn- 
ken und dgl. durch das Wirtshaus bekannt geworden; 
sie wurden wohl zum Teil von ehemaligen französischen Sol- 
daten heimgebracht. 

Kartenspiel : mar tage m ä r j a s, vb. m ä r j ä s a, ecarle 
e k a r, vb, e k a ra, piquel pike t, vb. p i k e t a, ramasser 
rämsa, Spiel räms, bele pat, vb. patla; andere Spieler- 



1 V^l. Martin, Sprachverhältiiisse und Mundarten. 



— 168 — 

ausdrucke: capol khäpot, carle eyale khärtäkäl, car ^ 
blanche khärlapl,ä§ u. s. w. ; Würfelspiel: pas$e-dix pä ^^ 
vb. pasa; billard piljdr; Tanz: mazurka mäsyrkä, polfi^^ 
p 1 k ä ; ferner Ausdrucke wie brasser ie p r ä s a r «, cafe k h ä f '^^^ 
hötel üiel, absinlhe apsajnt, raspail raspaj, alcool ä^ 
k h ö 1, payer pej a. 

Eine zahlreichere Gruppe französischer und lalei- ^^' 
nischer Fremdwörter findet sich auf dem Gebiete der Me-- '^^' 
d i z i n zur Bezeichnung von Personen, Krankheiten, Heilmittelr*^ "^'^ 
u. dgl. 

doclor 1 k t a r , apolheca ä p a t e k , hospiiale § p e t d 1«. ^ J' 
academie äkatam» (=: Panoptikum); — podagra potakrä^ -^-a, 
c holer ine k h o 1 a r i, croup k r y p, fleyme f 1 a) m, indigesliofs^ ^^^ 
entis^stjtin, nevralgie nbvfräX^t, rhumalisme r y m a — -^^- 
t i s a (m), varice w ä 1 i s a, fonlanelle f u n t a n a 1, ilal. tnfluenzoof::^ =sa 
fylantsjä; — medecine mb\ Qisin, klysterium kreätear^"'^ h 
vesicatorius f i s i k ä t o r, kataplasma k h ä r t a p 1 ä(Q), oxycro— 
ceum o k s a k r t s j ü m, send s a n a (- plölr = Blätter), laxar» 
1 ä k s i a r a, vacciner wäksaniara, visiter fesattara (= 
ärztlich untersuchen). — Heilung durch Sympathie sempat- 
ist dem Volke auch bekannt ; ähnliche Worte, welche di( 
Zauberkunst u. dgl. betreffen, sind physique f i si k, vb. fisika 
physicus fisikys fisakti^Qkas, hoc est corpus (?) h u k a s- 
pÄkas (Hokuspokus); es lassen sich vielleicht anschliesse»" -sn 
paillasse pae j ä s, polichinelle p o r i s i n e 1, da auch die i«" -»e 
Wörter oft unter dem Eindruck des Zauberhaften beuüi^s^l 
werden. 

Bedeutend ist die Zahl der aus dem Ausland eingeführte^/? 
Obst- und Gemüsesorten sowie anderer Gegenständ -^ 
die der Küche zugehören. 

franz. api (pomme d'api) täpi (-epfala = dem. v. ApfelJI, 
bon chretien püijkretin, calville kälwi (-epfl = Apfe/j 
k ä 1 w i 1 a r, mirabelle m e r ä p a 1, reine-Claude r a q k I o ^ 
r eij 1 0, reinelte r a n fe t, pruneau dem. r i n ö 1 a ; celeri tsa- 
lari, cornichon kornisuq, echalole plur. sälota, espar- 
cplte e s p a s e t, laurier 1 ö r j a, navelte (?) 1 ö w ä t,i tomate 
tumät, pissenlit pisali; ilal. mellone meltln, moscaleilo 
m ü s k a t a l a r, rabarbaro r ä p a r w a r a, scorzonera §tor- 
t s a n i a r a ; frz. chicoree s i k o r e (ital. cicoria t s i k <^ ri), I | 
chocolal s k a 1 ä, vermicelle w e r m i s e I, omelette ä m 1 6 1» 
ital. maccheroni m ä k r o n i ; franz. ceroelas s aj r w i 1 ä, charcvr 




c 



] 



1 Vgl. untor Dissimilation vpn n > 1 unter § 7, 4- 



— 1G9 — 

lerie s a r k y t a r /, coleleile k hüllet, fricol f r i k o, jus s y, 
biflek p i f t ö k,^ boeuf d la mode p e f o 1 a m ö t. 

Fast ausschliesslich französische Fremdwörter kennt 
die Mundart zur Bezeichnung von Modegegenständen, be- 
sonders für KleiderslofTe, Kleidungsarlikel, Schmucksachen u.dgl. 

Allgemeinere Begriffe : luxe 1 y k s, passemcnlerie p ä s m ä n- 
t a r /, hroder p r o l i a r a, f es tonner f e s l a n i a r a, fournir 
fürneara; Stoffe : bombasin p ü m a s e n, cancvas k h ä n a • 
f ä s, flanelle flänal, gros de Naples krotanawl, gros de 
Tours k r 1 a t y r, mollelon m ü 1 1 ü m, peluche p 1 y s, percale 
perkäl, perse pers, Provence prowäns, (ulle tyl, vernis 
w 33 r n i, lat. barracanus p ä r i y a t ; Kleidunj2sgegenstande : an- 
glaise ä q k 1 ö s, cylindre s 11 a n t a r, bvide p r / 1, blouse p 1 y s, 
botline potin, brelelles pret^l, cache-ncz käsn^, calecon 
k a 1 s ü, camisole k h ä m i s o 1, capuchon k h ä p a s ü q> ceinlure 
s a n t y r, chapeau-bas s ä p o p ä, chaussclte plur. s o s e l a, che- 
miselle s m i s e t, cravale k r ä w ä I, faux-col f o k o 1, pchu 
fisy, filet r\\^, finelle (inei, flolle flot, foulard fylär, 
frileuse f r i i e s, galoche k h ä 1 o s a, gamache k ä m d s a, gibus 
sipy Sf gilel sile^ guelre kdta(r), habilvesle äpiwest, ja- 
quelle s a k ö l, jupe s y p, jupon s y p ü ij, manchelle m a s e t, 
mz/am^ plur. dem. mit^nla, ;>a/e^o/ pälto, par dessus pa rlasy, 
pelerine p^larin, perruque pärek, ruche ry s, foMrwMre l y r- 
lyr, volle wüol, engl, shavd sal; Schmucksachen, Parfume- 
riewaren : agrafe äkrdf, broche pros, bracelel praslet, 
breloque plur. piurloka, eau de lavande lollavvay, berga- 
mole p e r j a m l, fleur d' Orange f 1 e t r a r s, eau de javelle 
s ä w a l a- w ä s a r (= Wasser), poudre p (h) y t a r, pommade 
p ä m d t ; andere Gebrauchsgegenstände, Einrichtungen, Möbel 
u. dgl. ; buffel p e f e t, commode k h ä m i't t, canape khänapät, 
sommier sümja, fauleuil fötal, housse h y s, embrasse plur. 
^ä p r a s a, calorifere khänwnifer, char d bancs s ä r a p ä q> 
charrellc säret, caleche khälats; porlrait portare, parasol 
pärasol, parapluie pärapli, pol de chambre polsämpar, 
porle monnaie por tmone, saladier säldtjer u. s, w. 

Einen Hauplbeitrag zu den Fremdwörtern erhielt die 
Mundart durch Ausdrücke der französischen Hecres- 
einrichtung. Ausser den hier angeführten Bezeichnungen 
für Personen, Gegenstände u. dgl. haben die Elsässer gewiss 
noch sehr viele andere Wörter der gewöhnlichen Umgangssprache 
aus dem Soldatenleben mit in die Heimat gebracht. 



Ein cn§:lischcs, darch das Französische vermitteltes Wort. 



— 170 — 

Allgemeine Ausdrucke : conge k li ü s e, Service s ae r vv i s, 
convalescence khüwalasas, visiie f i s 1 1 , re forme davon 
refwrmar(Unlauglicher) u. vb. refÄrma, uniforme yniform, 
inonlure münly'r, prel pre, wasse mäs,» pays pej (Lands- 
mann), theorie l h i o r i ; ferner appel ä p a I, rapporl r ä p ö r, 
ordre o r t r, parole p ä r ii I a, ordonnance o r t o d d n t s, parade 
p h ä r d t, marche-roule m ä r s r y l, elape t ä p a, exercer a k sa- 
l s i a r 9, deserier l e s a 1 1 a r a, engager äi^kastara, presenl 
pres^ä (hier!), 7«! vive kiwif; Heereseinteilung: bataillon 
p a 1 1 j tl n, compagnie k I1 u in p a n / ; chasseur s ä s d» r, cui- 
rassier k h y rd sj a, grenadier kränaliarar, marine davon 
m ä r e n a r, ponlonnier p ü l o n j e, Irain t r^aj ; Personen : capi- 
tainc k h a p 1 d n, caporal k h ä p r d I, commandanl k li ü m a- 
l ä n t, tambour-major tampal-masor franc-lireur fr^a- 
t i r iv V y conscrit k h ,u s k r i ; faclion f ä k s j ü f ä k s j w n, 
senlinelle sä n t i n e I, palrouille pät rv I ; Gegenstande, Waffen 
etc . ; baionnetie p a' j a n e t p lu j a n e t, bombe p ü m , capsule 
k h ä p s y 1^ cartouche k h ä r l y s ; capole k h ä p^ t, kepi k h e p i, 
shako s ä k ; gamelle k ä m e I, casserole k ä sro 1 ; schliesslich 
Ausdrücke wie balaiile p ä t d I i, campagne k h ä m p d n i, 
bivac p i w ä k , camper khämptara, bombarder p ii m- 
p a r l « a r a, remparl r ä m p a r , reiirer r e t r i a r a , con- 
signer khünsaniara; bfesser p 1 a s f a r a; medaille co- 
loniale (frz. Ausspr.) ist neuerdings im Volke viel genannt 
worden. — Vielleicht stammen aus der Soldatensprache auch 
rendez-vous r ä n t a w y, caresse k h ä r e s, caresser k h ä r e- 
s 2 a r a , bras dessous bras (eigentlich bras dessus bras dessous) 
pratsupra u. dgl. 

Nicht minder gross ist die Zahl derjenigen franzö- 
sischen Bezeichnungen, welche durch die verscJiiedenen 
Zweige der Verwaltung und Behörde dem Volke 
bekannt und geläufig geworden sind. 

Allgemeinere Begriffe : depariement tepärtamant, 
gouvernement kywerlamä q, prefecture prefakty-r; 
bureau p y r o, cabinet k h a p i n e t; employe ä m p l - 
/ i a r t r , depute tepattartar, secreiaire sekratjer 
(Oehcimschreiber) ; cerlißcal siortifikhdt, circulaire 
H i r k y I ii' r , pelition pet itsj tln, publicalion p y p 1 i- 
k h i M j u li , reclamation reklamätsjiin , reclamer 
r /* k I ü rn i a r a, permission parmasjun, nominalion 
ri (*) m i n i\ t s j i2 n , demission temasjtin^ pension p a n s- 

1 In neuerer Zeit wieder in Erinnerung gebracht durch die Rück- 
zahlung rleH «Masse-Geldes» seitens der franzosischen Regierung. 



— 171 — 

jÄn päsjÄn, relraile 1 ä t r e t ; Gemeinde-, Forslver- 
waltung etc. : maire m ifc r , aäjoinl • ä t s y a, mairie .ni tji r a r t, 
greffe k r e f , greffier k r e f j a, sergenl de ville sersän t- 
w i l , pompier pümpja pupje; canlonnier k h ä n t ti^ n- 
j 8 r, rigole r i k o 1, IroUoir t r o l w a r ; experlise e k s pa r- 
1 i s, experl 6 k s p a r t ; pepinicre p e p i n j e r, baliveau 
p ä 1 i w , coupe k h y p , permis (de cbasse) p e r m i , garde 
de chasse k ä r 1 s ä s ,2 braconnier präktltnj^r; garde de 
peche kärlapes, brigadier p r i k a r l j a, gendarme sä n- 
t ä r m, iriage l r i a s ; Steuer, Zoll etc. : conlrule khüntrol, 
contröler khüntroliara, controleur khüntralier, 
receveur r e s a w le r, conlribuer k h ü n t a r p i a r a, conlri- 
bution khünlripytsjwn, regie r e s i , douanier l w a n j e, 
conlrebande khünlarpant, conlrebandier k h u n t a r- 
p a n j a r, monopole m n i p l (vom Tabak), debit t e p i 
(vom Tabak). 

Aus dem Recbtswesen (Gericbl, Notar u. s. w.) 
leben lateinische und französische Benennungen 
in der Mundart fort. 

nolarius nätaris nätarjes, advocalus ätfakhat, 

vocalus f k t, curalor k h ä r a t a r, procura Cor p r k r d- 

t a r, commissarius k h ü m a s a r i, commissaire k h ü m i s 6 r, 

jure s y r i , huissier h y s j a , exsequens eksakwant; 

prevenir pr^waniara, cilare Iseliara, citalio t s e - 

t a t s j 2* n, averlir ä w e r t i a r a , saisir s a s i a r a , saisie 

s ö s i, lerminus t a r m « n , consuller k h ü n t s a 1 t i a r a , 

resolvcre resaJweara, plaider p 1 e t i a r a , appeler 

ä p n a r a, cause k h ö s, hors de cause hörtakös, juger 

s y s e a r a , condamner kliüntaniara, sentenlia s a n - 

t a n t s , tribunal t r i p y n d 1 ; prison p r i s i* n , violon 

w i 1 ü Q , proceS'Verbal prüsawarpäl, prolocole p r 0- 

t i k h 1 , dommages et intcrels tümasanlari; iesta- 

menium leslamant, invenlarium e n f a i d r i, maior ennis 

(z=annis) m ueira n l; item itam, sou par livre sypärliwar 

(bei Versteigerungen), adjuge älsyse (bei Versteigerungen). 

In erster Linie sind es wieder französische Aus- 
drucke, die sich durch den Handel und Geschäfts- 
verkehr im Volke verbreitet haben. 

Eisenbahn und Post : franz. gare k a r , wagon w ä k ü , 
tramway t r ä m w ä j, billet p i I j e, relour r e t y r, embarquer 



1 Ebenso 1 a t. adiunctus ätjtYQk. 

2 Aus der Jägersprache ausserdem: couche kus kys, apporte 
ä p r t, ici i s i, tout beau t y p ö , ramasse r a m a s. 



— 172 — 

inparikiara, avis ä w i (Benachrichtigung) ; limbrt^ 
t ife p r, facleur f a k t d' r, depeche l e p e s, ielephone t e — 
1 8 f ü, ilal. franco f r ä q k o ; Kassenwesen : franz. caissz^ 
d*4pargne k e s t o p a q k , caissier k h e s j a , assurance^ 
ä s 9 r ^a s, police pol i s , aclion ä k s j t* n , rabais (?) r ä — 
p ä s , faillile f ä 1 H , ilal. banca rotla p ä q k r o t , franz . 
sou s y , livrc I i w o r ; Handel : affairc ä f « r , condiliopz 
k h u n t a t s j li n , benefice p e n a f i s , proßt p r o f 1 1 , 
voyageur w a j a s cie r, courlier k ü r t j a, Courtage k o r t a s ; 
rebul r e p y (vom Tabak), bascule p ä s k y 1, bidon p i t ü a, 
devanlure t ^ w ä t v r. 

Hieran reihen sich zahlreiche französische Wörter J 
aus der Sprache der Arbeiter und Handwerker; 
diese kamen auf ihren Wanderfahrten (wojäs voyage) wohl 
bisweilen nach S äij t e a t a 1 (S/. Die) oder N ä n t s i / {Nancy) f 
viele von ihnen waren auch Handwerker beim Militär, wo sie 
im ä sin dl (arsenal) französische Ausdrücke kennen lernten. 
archiCecte ä t s a t e k , Ingenieur enäaniarar, enlrepreneur 
a la rp r ^ n dM', conlre-mailre khüntarmetr; accord 
äkhort, accorder äkatiara, melier metja, pratique prä- 
t i k ; fagon f ä s Ä n, reparer r^pariara, reparalion r e pa- 
rat sj il n, face f ä s, charniere s ä r n i a r , corniche k a r- 
n e s^ ( — howl = Hobel), diamanl t e m d n l, merlin m a3 r 1 e ij, 
moulure m o 1 i a r ( — howl = Hobel), placage p 1 ä k d § , polir 
p 1 ia r a, six lignes s i l i n 1 a (kleine Nägel), engl, pitch-pine 
davon adj. pi l s pic i m a (etym. = — bäumen) ; sans lis (?) 
s il 1 i , lisse 1 i s, mailloche m ä j o s ; tournevis tu r n a w i s, 
mecanique meka n i k, manege m ä n es, soupape s y p ä p ; 
raser räsiara; — tombereau lumprü, terrasser träsa, 
terrassier ta^räsje, talus täly, beton petüq, mcellon pique 
molapik. 

Zum Schlüsse möge noch eine Zusammenstellung von 
Gruss- und Fluchformeln folgen, die grösstenteils 
auch aus dem Französischen entnommen sind. 

adieu ä t j e, bonjour p u s ü r, bonsoir p ü s w ä r, salul s a 1 y ; 
merci m ae r s i, voilä w a I a •, parole (d'honneur) pä r li^ 1 a (Beteue- 
rung) ; — merde m iv v t, je Cen merde s t ä m iu r t, nom de Dien - 
n ü n t a t j e, nom de foutre n ü n t a f y t a r, nom de diable 
n ü n t a t j a w 1, nom d'un chien n ü n t a s j ^ic, nom d^une pip 
n ü n t a p i p, tnille de Dieu m e 1 1 a t j e, parbleu p ä r p 1 6 

1 Als spezielle Kiinstausdrückc sind gerade hiervon die wenigstei 
allgemein bekannt. 

2 Hd. Karnies. 




— 173 — 

sacre Dieu s ä k a r t j e, canailh k a n a j, sapreloUe s ä p a r- 
I ü t, sacramentum säkormant u, a. — 

Nicht zum Lobe gereicht es dem elsässischen Bauer, 
dass er auch mit städlisclien Einrichtungen und Begriffen 
wie boxon p o k s a m , bordel p o r 1 ö I, maquereau m ä k ro, 
maquerelle mäkral bekannt ist. — 

Die vorgeführten Beispiele ^ vorschaffen uns einigerniassen 
ein Urteil darüber, wie sehr das Elsass schon vom Romanen- 
lum durchdrungen war. Das Volk hatte sich nach bestem Ver- 
mögen den fremden Verhaltnissen gefügt und angepasst. Aber 
«das geistige Leben dieses deutschen Landes hat unermess- 
lichen Schaden gelitten durch seine Einfügung in ein fremdes 
Staatswesen und die dadurch angebahnte Loslösung aus dem 
Zusammenhang mit dem deutschen Kulturleben, auf dessen 
Grundlage sich alles, was wir in Mittelalter und Neuzeit Be- 
wundernswertes im Elsass finden, gebildet hatte». 2 Dennoch 
war das deutsche Leben auch jetzt noch nicht erloschen. Im 
grossen und ganzen hatte sich wenigstens die deutsche Sprache 
im Elsass am Leben erhalten. Die alten Bande, die das Elsass 
mit dem grossen deutschen Vaterlande verknüpften, die natio- 
nale Verwandtschaft, die Gemeinschaft der Sprache selbst, des 
Denkens und Empfindens, waren keineswegs völlig beseitigt. 
Und mit dem Aufhören der französischen Herrschaft und des 
französischen Einflusses in Schule, Heer, Verwaltung und Ver- 
kehr ist bereits auch die französische Sprache bedeutend in 
Rückgang geraten. Zwar gibt es auch heute unter dem Volke 
noch Leute genug, die nach dem Beispiele einiger Vornehmen 
mehr aus modischer Bildung s sucht als aus Bildungs- 
drang ihre Kinder in fremden Sprachen, namentlich in der 
französischen, unterrichten lassen und so gewissermassen einer- 
seits eine stets fliessende Quelle für neue Fremdwörter, 
andererseits günstigen Boden für das Weiterleben schon 
bekannter schaffen. Aber französisch sprechende 
Familien gibt es unter dem eigentlichen Volke sehr wenige. 
Wohl schickt nach hergebrachter Sitte mancher Vater bisweilen 
seine Tochter in irgend ein französisches «p e n s i o n n a t» oder 
den Sohn in ein auswärtiges «c o I 1 e g e», aber dadurch kann 
dem deutschen Wesen und der deutschen Sprache im Elsass 
wenig Eintrag getan werden. Mag auch der ehemalige fran- 



1 Ucber Fremdwörterwcseii im Elsass vgl. auch S p i e s e r, 
lief. 1900, S 13ff. 

2 W 1 1 1 e, a. a. 0., S. 17. 



— 174 - 

iflsiache Soldat begrei 11 iclier weise mit Begeisterung vom allen 
«r ä g i m e> und seinem Soldatenleben entählen, so hört man 
doch jetzt ebenso oft die Söhne, die vor kurzem ihre militrirische 
Dienst;eeit als deutsche Soldaten beendet haben, ernslhaft über 
deutsche Disziplin u. dgl. «dispulieren*. Durch den gemein- 
samen Heeresdienst, durch die deutsche Schule, die Verwaltung 
und den Verkehr hat alles Französische ein starkes Gegenge- 
wicht erhallen. Manche hochdeutschen Bezeichnungen treten 
nunmehr in der Volkssprache in gewissem Sinne als Fremd- 
wörter auf; französische werden verdrängt. Man sagt F räu- 
lein (= Lehrerin) neben mäms6l {maileraoi seile), Bürger- 
meister neben m !■' r (maire), Gemeindehaus slalt 
m e r 9 r t (mairie), Urlaub neben parmssjün (permtssiov) ; 
ferner <Genieindesctireiher neben k r e f j a (gre/fier], 
Hegemeister neben p i- i k ä r t j a (brigaditr), b r e in- 
s e n netien die m e k o n i k {mecanique) zu machen, 
Fla seh e neben p o t o I (bouteille). 

Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Fremdwort 
um so eher und umso länger am Lel>en erhallen bleibt, je 
häufiger es im läglichen Umgang gebraucht wird, Je näher es 
dem Gedanken- und Anschauungsh reise des Volkes liegt. Aber 
es lüsst sich auch sehr leicht feststellen, dass von all den 
französischen und zum Teil auch von den üLirigen Fremd- 
wörtern, die den älteren Leuten bekannt sind oder früher ge- 
läulii; waren, eine sehr grosse Anzahl den Jüngern ganz 
unverständlich ist. Der Tag liegt wohl nicht mehr 
allzu fern, wo wir unter den neuen Einflüssen und Verhält- 
nissen auch die letzten Elemente des allen Welschtums bis 
auf spärliche und unwesentliche Iteste werden schwinden sehen. 
Treffend sagt Witte:« «Mag es vielleicht noch lange dauern, 
einst muss die Zeit kommen, in der die deutschen Ahnen des 
ditSifHiHchen Stammes In ihrer Heimat wieder zu Ehren kommen 
werden; dann werden die Elsässer ihrer grossen Väter, die sie 
m lange verleugnet haben, wieder würdig sein und an dem 
Kuilurleben unserer deutschen Nation in freudiger und frucbt- 
liringeiiiler Mitarbeit teilnehmen». 



Elsässiscben zum Nhd. in Bezug 
f den Wortschatz. 

elsäsaischen Mundarten infolge des m5ch- 
fremdspraciiigen Nachbarn von einer ge- 



— 475 — 

wissen sprachlichen Verwelschung nicht verschont bleiben, so 
darf man ihnen doch in anderer Beziehung den durch und 
durch deutschen Charakter nicht absprechen. Zumal ein 
Vergleich mit der Schriftsprache lässl uns die Ursprünglichkeit ^ 
der Mundart deutlich erkennen. Unsere deutsche Schriflsprache 
hat sich selbst von fremden Eindringlingen nicht frei zu hallen 
vermocht. Im Gegenteil, sie gebraucht ohne wirkliche Not oft 
da fremdartige Bezeichnungen, wo die Mundart ein echt deut- 
sches Wort besitzt. Statt Gardine sagt der Elsasser Fenster- 
tucheloder Umhängel, B riefs a c kch en statt enve- 
loppe oder couverly Hausgang stall corridor^ S t a d en statt 
quai, Stock statt etagc, Zuckererbsen (-höhnen) statt 
bonbonSy gewöhnlich der hohe Hut statt cylindre, Brust- 
tuch statt giletj L e i b e l statt corsel^ Zettel statt billet, nie 
renommieren sondern denGrossen machen, nie Kartoffeln 
(Lehnwort aus ital. lartufolo) sondern Erdäpfel Herdäpfel 
Grundbirnen Grund beeren, nie parfum sondern s m ^ - 
k ata (von schmecken =: riechen); neben cousine kennt man die 
Bezeichnung B a s e, Basel oder Gesch wist er k i nd ; fast 
überall und immer sagt man Haft für agra/fe, Fleisch- 
brühe für bouillouy Strauss Buschen Maja für bou- 
quely ungefähr für circa^ Zuckerbäcker für condilor, 
Rössel-Ringelspiel Reiterei oder Kütschel (dem. 
V. Kutsche) für carrousel, anbringen anzeigen für de- 
nunziereny im Fall zum Fall für evenluell, vorstellen 
f ü r g eh n für konfirmieren^ p f et z e n für koupieren (die Fahr- 
karte), hinterfür oder nicht recht für konfus^ Weise 
für Melodie, äugeln für okulieren, abmalen abmachen 
abnehmen für pholograyhieren, vom H u n d c r t für pro- 
centy Lattenzaun Lättlefür Slakel, Verding für Sub- 
mission, Schleim- Neryenfieber für Typhus ^ üben 
dran oder gerade über für vis-ä-vis, mit für per , auf 
für pro, Gesundheit für prosit ; neben absolut gebraucht 
man ebenso oft oder meist : rund aus, neben courage : 
's Herz, neben direkt: eins Gangs, gerade, neben egal : 
einerlei, ein Tun, g l e i c h (?), neben Ga^wasc/ie : U e b e r-, 
Streifstrumpf, neben krepieren : hingehen, ver- 



1 Vgl. zum folgenden auch Els.-Lothr. Schulbl. 1891, 
S. 225 ff., ferner Kahl, a. a. 0., S. 43 u. 47 ff. — Ueber Bewah- 
rung alter Sprachreste in Ortsnamen u. dgl. vgl. Stehle, a. a. 0., 
z. B., S. 13: Sewcn = Dat. Plur. von ahd. seo : sewun, S. 15 : 
Neil von ahd. hnol = Spitze, Leh von ahd. hleo — Hügel u. s. w. ; 
ferner Kahl, a. a. 0., S. 54 ff. — Des weiteren vgl. man noch 
Meng es, Volksmda. S. 55 ff. sowie besonders Els.-Lothr. 
Schulbl. 1901, S. 288 unter cBureau». 



— 176 — 

recken (ir^ slarr ausrecken sc, die Glieder), neben Linie: 
Zeile, neben Medizin : Arznei oder «Einzunehmen», 
neben omelelle: Eier-, Pfannkuchen, neben porle-mm- 
itaie : Geldsack, beute I, neben Gelenkrheumatismus : 
Fluss, Gliederweh usw. usw. 

Vielfach haben die elsässischen Mundarien wenigstens ein 
alles Lehnwort beibehalten, wo die Schriftsprache zu neuen 
Fremdwürlern greift;' khest falid. cheslinna, mhd. besten) 
nhd. Kasianie, säjarst (ahd. sigrislo, mhd. sigrisle) nhd. 
Sakristan (freilich auch elsTisdsch daneben säkrigtdn), u.a. 

Wenn Rchon daraus hefvortiehl, dass die Mundart das Erbe 
der alleren, besonders der mhd. Sprache in manchen Punkten 
treuer bewahrt hat als die heulige Schriftsprache, so erkennen 
wir dies noch deutlicher daran, dass sie in ihrem Wortschätze u r- 
deutsche Ausdrücke besitzt, die dem Hd. verloren getrangen 
und von ihm teilweise duich fremde ersetzt worden sind. Vgl. 
eis. ä 5 ka {ahd. anko, mhd. anke) und nlul. Butler* (buCj/rttm); 
obereis. k o i y (ahd. gouh, mhd. gouch, Murners «Gauch matte») 
und nhd. Kuckuck^ (ndl. koekoek); hierher gehören auch die 
meisten Monatsnamen: eis. Hornung nhd. Februar, eis. 
Drachmonat nhd, Juni, eis. Henmonal nhd. Juli, eis. 
Herbslmonat nhd. September, eis. Weinmonat nhd. 
Okiober, eis. Winterinonal nhd, November, eis. Christ- 
monal nhd. Dezember; für August und Januar gebraucht 
der ElSe^sser die ei ngedeul sehten Formen Äugst (mhd. ongesi) 
und Jänner. Viele elsässischen (^;mhd.) Benennungen finden 
im Nhd. kaum noch eine Entsprechung; vgl. eis. talwa mhd. 
telben, plyast mhd. bluost, far-k ^Is t9 re (Ir. ^= erschrecken) 
von ahd. galstar, ferlar (=^ Vorder) - h a m al a dem. von mhd, 
hamme, 6w3tsem;er mhd. eben sA maere, pftss ahd bözo 
mhd. böze (Bund Stroh), tswäl mhd. tweliele zwehele, 
t^'isam ahd. deismo mhd. deisme. kräpfa ahd. chräpfo 
mhd. kräpfe, prtali (Name eines Platzes) ahd. bruil mhd. 
brüei; lösa (mhd. losen) enthält diesell>e Wurzel wie lauschen, 
eis. ly^trs (mhd. luslren), Leumund usw ; in obereis. haik 
(=: Konjunktiv: hfitle) finden wir vielleicht einen Rest de.'i 
gotischen verhums äih aig = habe, besitze*; man vei^leiche 
weiter eis. m i k a r (^ Nierenfell) ahd, mitügarni, eis. müni- 
P 3 r [Roslei;? und Umgegend] mhd. muntbor, eis. ä n t a n mhd. 



S. 14, 

von piilar neben fLQka im El^ass 
l!«)l. S, 2-SH, 
L Wb 

Wciiihold, alera. Or, ;(S6, ^87 ist I 
ilform habcge entstanden. 



— 177 — 

ande ant (einem ä. tun = kränken, Schmerz verursachen), 

e»ls. 9rkh<^w9ra mhd. erkoberen (sich erholen), eis. ajart 

mhd. egerde, eis. tsain gol. lainjo mhd. zeine, eis. äsa 

(von manchen mit Unrecht für latein. a se gehalten) mhd. also 

alse z. B. in der Verbindung : asa nia^l^r =. nüchtern wie er 

"war; eis. müt mhd. mot in muthy f9 ein Haufen von Rasen, 

Stoppeln und Gesträuch zur Verbrennung, wie sie im Herbst 

zur Düngung auf den Feldern staltGndet. ^ — In zahlreichen 

andern Fällen steht die Form eines elsäss. Wortes dem mhd. 

Yiäher als die entsprechende nhd. ; vgl. eis. fasanä^^t mhd. 

"vasenaht nhd. Fastnacht, eis. tsisti ahd. mhd. Ziestac nhd. 

X>ienstag, eis. kälra}i mhd. galreide nhd. Gallerte, eis. he- 

-'w ä n ahd. hevanna nhd. Hebamme, eis. p y a sa m mhd. buosem 

Yihd« Busen; ahd. bremo mhd. breme ist in eis. präm-(m)ük 

l^esser erhalten als in nhd. Bremse (=:andd. brimissa) usw. usw. 

Mit Rucksicht auf diese nahe Verwandtschaft des Elsäs- 

^^ischen mit dem mhd. und der alten Sprache überhaupt konnte 

^er zukünftige «üokter» Reinhold aus Bremen in Arnolds 

I^ fingst montag III, 5 mit Recht sagen : 

«Die Sprache selbst, wenn auch uns Fremden seltsam neu, 

Klingt herzlich und naiv, die Tochter alter Treu' 

Und ungekünstelter und freier Lebensweise. 

So sprach man schon am Rhein, als dort mit kühnem Fleisse, 

Was durch Begeisterung in ihm ein Gott ersann, 

Erwin den Riesenbau des Münsterdoms begann. 

Die Sprache war dies einst der ersten Minnesinger; 

Es schwur hier früher so der eine Karolin^»-er 

Dem andern Treue zu, und längst um Klodwichs Thron 

Ertönt' mit edler Kraft die alte Sprache schon». 

§3. 

^Behandlung der aufgenommenen Fremd- 
wörter durch die Mundart. 

Auch hinsichtlich der Behandlung der aufgenommenen 
Fremdwörter unterscheidet sich die Mundart erheblich von der 
Schriftsprache. Diese will in Sprech- und Schreibweise das 
Fremdartige möglichst beibehalten ; jene sucht das fremde 
Sprachgut nach Kräften den einheimischen Laut- und Betonungs- 
gesetzen zu unterwerfen, sie will vor allem die fremde Aus- 
sprache nicht unter Misshandlung der eigenen Zunge nach- 
äfien. Der Elsässer sagt nicht pyrJ (bureau) sondern pyro, 



1 Martin in Zs f. d. A. 38, 186 zur Erklärung des Wortes 
cMuspilli». 

12 



— 178 — 

Dicht Hkoe'r (liqueur) sondern li k tr r, nicht kuwernamäQ (gou- 
Temement) sondern k y w a r I a in ä q, nicht atake (attaque) 
sondern antäk u. dgrl. Nur in sehr wenigen Fallen be- 
müht sich das Volk, bei französischen Fremdwortern auch die 
französische Aussprache ^ beizubehalten ; es sind dann in der 
Regel ganz junge Entlehnungen, die zum grossen Teil auf dem 
Wege des Fremdsprachenlernens vor sich gegangen sind. 

Die elsässischen Mundarten verfahren vielmehr mit den 
fremden Eindringlingen noch ebenso wie schon in ältester Zeit 
die Sprache unserer Vorfahren. Die Fremdwörter müssen sich 
den mundartlichen Laut-, Flexions- und Betonungsverhältnissen 
und den Gesetzen der Wortbildung unterordnen, sie müssen 
deutschen Klang und deutsches Gepräge annehmen, mit einem 
Worte, sie werden umgedeutscht oder eingedeutscht. cEs 
werden», wie Wackernagel' sagt, tdie fremden Worte 
in Vokalen und Konsonanten eben den Gesetzen fortschrei- 
tender Entwickelung unterworfen, die für deutsche bestehen; 
sie werden betont wie deutsche, werden mit deutscher 
Flexion, de^utscher Ableitung bekleidet, werden durch 
Zusammensetzung mit deutschen Synonymen ver- 
ständlicher gemacht, werden endlich durch liald leisere, bald 
stärkere Aenderung ihrer Gestalt in den Anklang 
an wirklich deutsche Wuraeln und in deutsche BegrifTsanschau- 
lichkeit hereingezogen.» 

Und in demselben Sinne ungefähr heisst es in der Einleitung 
zum deutschen W^örterbuch * der Brüder Grimm: «Alle 
Sprachen, solange sie gesund sind, haben einen Naturtrieb, das 
Fremde .... mit den heimischen Elementen auszugleichen. Keine 
Sprache war aller Entfaltungen der Laute mächtig und den 
beiseite liegenden weicht sie aus, weil sie sich dadurch gestört 
empfindet. Was von den Lauten, gilt noch mehr von den 
Worten. Fällt von ungefähr ein fremdes Wort in den Brunnen 
einer Sprache, so wird es solange darin umgetrieben, bis es ihre 
Farbe annimmt und seiner fremden Art zum Trotze wie ein 
heimisches aussieht.» 

Die äussere Form der Fremdwörter wird bisweilen hart 
mitgenommen und muss sich durch die Mundart die willkür- 
lichste Verstümmelung und Entstellung gefallen lassen. Charak- 
teristisch ist hierfür eine Szene aus Arnolds Pfingst- 



1 Nicht ganz zutreffend und allgemein giltig sind die Bemer- 
kaniren, die Kahl, a. a. 0., S. 42 über diesen Pankt macht. Vgl. 
auch im folsrenden 8. ÜH), Fassnote. 

^ a a S 7 

3 S. XXvi unter «G. fremde Wörter». 



— 179 — 

montag V, 5, wo der alte Herr Starkhans von sich sagt: 
«I bin au e Jurrist wie er (der Vater Reinholds)» und 
seine Frau Dorothee statt dessen «Herrist» zu hören glaubt. 
Starkhans verbessert sie; «Jurriste saat merr!» Allein Frau 
Dorothee bleibt dabei und sagt : «'S isch all ain*s, i wurr 
mer nit for fremdi Wörtle so*s Muul sperre -n- 
a 1 le R it 1 1» In diesen Worten liegt ein allgemeiner Grundsatz 
des Volkes : ungezwungene und ungekünstelte 
Auffassung und Behandlung der Fremd- 
wörter. Neben der Form ist auch Inhalt, Begriff, Be- 
deutung und Geschlecht der Wörter vielfachem Wandel und 
Wechsel unterworfen worden. 

Die Gründe dieser mannigfaltigen Erscheinungen sind 
zahlreich und stehen in gegenseitiger Wechselwirkung und 
Ergänzung. Abgesehen von den rein physiologischen Faktoren, 
die Lautveränderungen bedingen, sind es vor allem die psycho- 
logischen Gesetze der Assoziation und Reproduktion, welche 
der ohnehin schon nie ermüdenden Schöpfungskraft der Volks- 
pliantasie hilfreich entgegen kommen. Die Assimilation und die 
Wirkungen der Analogie spielen eine grosse Rolle. Substitution 
von Lauten und ganzer Laut komplexe ist nicht selten ; in der 
Anlehnung an geläufige^ meist einheimische, aber auch an 
fremde Stämme, Wurzeln und Silben tritt ein gewisses etymo- 
logisches Bedürfnis des Volkes offenbar zu Tage. Noch viele 
andere Faktoren, wie das Streben nach Deutlichkeit auf der 
einen Seite und nach Bequemlichkeit auf der andern, sowie 
Missverständnis und besonders auch Willkur und Zufall ge- 
winnen auf die Umgestaltung der Wörter einen weitgehenden 
Einfluss. 

Die Betonung der Fremdwörter im Elsäs- 

s i s c h e n. 

Im Gegensatz zur Schriftsprache legt die Mundart bei 
Fremdwörtern den Akzent gewöhnlich auf die erste Silbe des 
Wortes. Sie befolgt dadurch das germanische Be- 
tonungsgesetz, das schon in ältester Zeit auch Fremd- 
wörtern gegenüber zur Geltung kam. Diese Betonung finden 
wir z. B. bestätigt durch das Versmass im Heliand : i 

18. Matheus endi Marcus, so uuäran thia man hetana, 

Lncas endi Johannes. — 
76. Zacharias anas hie hetan. 



Nach 0. Behaghel, Heliand, Halle 1882. 



— 180 — 

Diese Falle bieten uns bloss fremde Eigennamen ; aber auch für 
andere Wörter gilt das Gesetz; Muspilli : ^ 

IB. denne der man in pardisu pü kiuuinnit. — 

38. daz sculi der antichristo mit ^iiase pägan. — usw. 

Aus ahd. Zeil haben wir eine Menge Fremdlinge, die sich nach 
Form und Betonung ganz den einheimischen Regeln unter- 
worfen haben. Dadurch sind sie vollberechtigte Bürger des 
deutschen Sprachschatzes geworden. Die Mupdart schliessi sich 
nun in der ganzen Behandlung des fremden Sprach materials 
der alten Sprache näher an. Durch die Betonung auf der ersten 
Silbe erhält das aus einer anderen Sprache aufgenommene 
Wort einen teilweise deutschen Charakter : es ist damit ein 
erster Schritt zur Eindeutschung getan. 

Dieses Beton ungsgesetz gilt besonders für die meisten fran- 
zösischen Fremdwörter. So heisst es z. B. : 

p y t i k boutique^ khäpdsÜQ capuchon, h ä s ä r ha- 
zard, s ä n t 1 chandelle, k r io j ü q crayon, p ä r 9 pl i 
p ä r p 1 e parapluie, p ä s 1 o t ä q passe- temps, p ä s p 9 r t y 
passe- partout^ ä s a r ^ä s assurance^ k h i'i n t r o 1 contröle usw. 

Einige Fälle weisen ein Schwanken auf, indem auch 
die letzte Silbe den Ton tragen kann, z. B. : 

käräfkardf carafe, säplyr säply'r chapelure^ 
ä 1 a r t ä l a r t alerte, fortyn fortyn fortune, r e py- 
p l i k r e p y p 1 i k republique^ ekspras ekspras 
expreSy syptil sypt?*l subtilis^ kräwät kräwöt 
cravaley f ü n t i I f a n t /l ventile, rüsinl rüstnl 
raisiriy khäpal khäpal capella, tywäk tywak 
fabac und andere. 2 

Es gibt aber ausserdem einige W^ortgruppen, die in der 
Regel auf un deutsche Weise betont werden, indem 
der Akzent nach dem W o r t e n d e gerückt wird. Die 
meisten lateinischen Fremdwörter behalten ihre ursprüngliche 
Betonung bei, und zahlreiche französische Wörter werden durch 
lateinische mit demselben oder ahnlich klingendem Ausgange 
in der ßetonungsweise beeinflusst. Es sind namentlich folgende 
Endungen, die im Worte gewöhnlich den Hauptton tragen: 

1 . - a k , - e k : 

pärak baraqne, sawrak chabraqve, tywak (neben 
t y w ä k) (abnc ; f ä w r e k fabrique, p a r e k perruque; da- 
gegen nur fisik physique, \\Yki\k pralique, p y t i k 60«- 
tique, pyplik public und wohl unter dem Einflüsse des 
letzteren r e p 2/ p 1 i k republique neben r ö p y p I » k. 



1 Nach Müllenhoff und Scherer, Denkmäler Nr. 3. 

2 Einzelne werden im folgenden noch erwähnt. 



— 181 — 

Vielleicht nach lat. Wörtern wie efakt effeclus^ p^r- 
F e k t perfeclus^ t i r e k t dtrecle heisst es auch e k s d k t 
exacl. 

2. -äl: 

viele lat. Wörter wie s p e t dl hospilal, r ä t o k h d 1 ra- 
dicaliSy st an t d I scandalum ; danach a rso n dl arsenal^ 
p r e t d 1 brutal, k h ä p o r d I caporal, e k d I e(/a/, f ä t d l 
fa lal^ r i s i n d 1 original^ t o t d l total. 

- a 1 : 

lat. Wörter wie k h ä p a l (auch k h a p a l) capella, k h ä s- 
t a l castellum ; ebenso ä pal appel, p a k o t « 1 bayatelle, p o- 
t a I bouteille^ t s i t o t al citaäelle, f ii n 1 8 n a 1 fontanellc^ n ä- 
tral naturel ; aber fötal fauteuil, flanal ßanelle, sogar 
sä n tl aus chandelle. 

-Ol: 

k h ä m i s (i I canüsole^ k r ä m p o I caramboley s p ä n j (i l 
espagnol , pä r d I parole , p ä t r o 1 patrouUle , protokhol 
protocole. 

-il : 

syptel lat. subtilis u. a. ; tifosel difficile. 

3. -an: 

lat. wie k h ü m p a n companium, sä k r i s t d n sacristanus ; 
ebenso s i k d n chicanc. 

-in: 

lat. k h ä m e n caminus, t h a r m e n terminus ; ebenso 
p ü m r> s t n hombasiny m ä s « n machine, ni e t o 1 s / n medecme, 
p r ä I y n (statt p r ä U' n) praline, 

4. -ant, -änt: 

zahlreiche lat. wie a t f a n t adventus, h o r a n t horrendus ; 
mit Anlehnung an diese Endung auch m je i ran t maior ennis ; 
ebenso khorpalant corpiilent, e m p a r l i n a n t impertinent, 
e n s ä 1 a n t insolent, p r e s a n t present (=: Geschenk) ; — 
ferner priljdnt brillant, särmdnt charmant, änipotdnt 
embetant, änyjdnt cnnuyant und alle übrigen auf ant', 
ebenso mit ähnlichem Ausgang äfrwnt affront, 

- m a n t : 

zahlreiche lat. wie f un t 9 m a n t fundamentum, t ö s t 9 - 
m a n t testamentum ; nach ihnen : khüpiamant compliment, 
losamant logement, m um ant moment usw.; aber auch 
s ä s 9 m ^ä changement, t y s m ^a doucement. Nur j ü s t a m a n t 
justemenl. 

5. -ans: 

viele lat. wie pöstalans pestilentia, e k s a 1 a n s excel- 
Ißntia, ce y t j a n s audientia ; danach khorpalans corpu- 



— 182 — 

lence^ empartinans imperlinence ; so auch f a r k hd ri s 
vacances, 

6. - a r : 

zahlreiche lat. auf -arius, -orius: nätdri notarius, fi- 
k h d r i vicarius^ f 9 r t d r i viciorla, f i s i k h ä f d i' vesicalorius; 
danach s ä r a w d r i charivari ; so auch ä f « r affaire, er te- 
il» r ordinaire. 

-yr: 

lat. wie k r e ä f y' r crealura, p o 1 a t y ' r politura ; so auch 
f r e sy' r frisure, m o n t y' r monturey p ä s t y' r poslure ; aber 
portyr boräure, iev/äiy r devanlure, säplyrund säply'r 
chapelure. 

7. -art, -ort: 

ekspart experl^ älart (nehen älari) alerte, apart 
aparl ; ä k h o r t accord^ r ä p o r t aber r ä p ö r rapporl, 

8. -a s : 

lat. p r tsa s processus; so auch ä t r a s adresse^ ä k s- 
p r a s expres ; k r i m d s und k r i m ä s grimace, 

-i s, - y s : 

lat. p a r 9 1 2 s paradisus, p r ^ t s t s prcecise ; so auch 
ekspart es experiise^ k h ä p r f' t s (statt k h ä p r t s) ca- 
price ; — lat. k h u m f y' s C07ifusus, so e k s k h y' s etcuse', 
ebenso k h o 1 o s colosse. 

- US : 

die franz. Endung -eux erhült Aussprache und Betonung 
von lat. -osus: k h ü r j li s curieuXy f a m tl s fameux^ f y i- 
i ü s furieux^ s e r j lil s serieux, s t r y w \ üs scrupuleux, 
ähnlich auch k r ä n t j t^ s grandiose ; ebenso wird betont 
s e n 9 r e s gener eux. 

9. - a s : 

p ä k d s bagage^ p ä n t d s bandage^ p ä s d s passage, 
p 1 a k d s placage und alle übrigen auf -age ; ebenso kantids 
gamache^ k h ä I o s 9 galoche^ m ä n e s manege usw. ; nur 
p o t ae s polache, m ü s t se s mouslache ; ferner k o r t ä s 
Courtage. 

10. -at ; 

zahlreiche lat. Wörter wie ätf9khdt advocalus^ te- 
p 9 t d t depulalum^ t e s p 9 r d t desperalus, ä p s 9 n d t 
obslinalus ; ebenso k h ä m 9 r d l camarade, serlifikhdt 
cerlifical, t e 1 i k h d t dilicat, p ä r d t parade, p ü nn d t 
pommade, s e r n d t serenade ; dagegen p r o m n ä t promenade. 

-6t, -et: 

lat. Wörter v/ie k h ü m p 1 e t compleluSy p r i f e t privald) 
t s e k r (f t secre(a ; ebenso mauset (aber m ^a s 6 l) fiM' 



— 183 -^ 

chelie, k 1 ä r n e t clarinetle, piket piquel, p a j a n e l 
baionnelley 1 ä f e t Vaffül ; auch r e t r e l relraile. 

Wie diese, so auch lat. auf -laSj frz. -le [-1 e t] : f e t- 
1 a t c l fidelilasy krafate'tis von gravi las ; proparte't 
proprele^ s o s j 9 t e t socielCy khomotilet commodile, w i- 
f i t e l* für vivacile und alle dieser Art. 

-i t, -y t: 

s 1 / 1 solide, s t y p / t stupide ; ä p 9 t « t appelil, p r o- 
f i t profit, f i s ^ t visile ; aber t i m i t timide ; — lat. ä p s 9- 
1 y t absolute^ ebenso t e s p y t dispute, 

-0 t, -ü t : 

s a 1 t echalole, k h ü m p o t compote, k h ä p o t capot ; 
k h ä m 1^ t commode (Subsl. u. Adj.), m ä r li t maraude. 

11. -ä w 1 : 

franz. Endung -able ist betont wie lat. -abilis : 
k h ä p a w 1 capabley p ä s a w 1 passable, profatdwl 
profitable, r e s o n d w 1 raisonnable, l ä m a t d w l lamentable, 
m i s 9 r d w 1 miserable j ran 1 d w I rentable, respektdwl 
respeclable, respünsdwl responsable, \v e r i t d w 1 veri- 
lable, s t ä w 1 stable, 

12. -1 : 

Wie lat. Wörter auf -i a, so auch franz. auf -i e : 
f ä n t 9 s I phantasia, s e m p 9 t « sympathia; p ä t 9 r t batte- 
rie^ |.» r ä s 9 r / brasserie, k h ü m p 9 n * compaynie, s e n t 
genie, s ä I y s « Jalousie, ebenso p ä r t / parti und partie ; 
durch Analogie auch lose logis, 

13. -i 9 r : 

lat. auf -erium, -arium, franz. auf -?ere, -ier : 
s ä p 1 i 9 r scapularium, kresti9r klysterium, 1 i i^ 2 9 r 
linear ium ; p ä n 1 1 i 9 r bandouliere, p ä r i 9 r barriere, s ä r- 
n i 9 r charniere, k h ü r i 9 r courrier, p ä I w i 9 r barbier, 
krän9ti9r grenadier^ rn ä n i 9 r maniere ; danach auch 
p 1 ä s i 9 r plaisir; dagegen präkwnJ9r2 braconnier (da^ 
neben präkonje), khäntiinJ9r canlonnier, s ä 1 d t j 9 r 
saladier, 

-i 9 r 9 : 

die allgemeine Infinitivendungs trägt den Ton wie etwa 

die lateinischen auf -are^ -ere, -Ire : 

r e p 9 t i 9 r 9 repeter, rekl9mÄ9r9 reclamer, s a- 
k 9 r n i 9 r 9 chagriner, eksplitsi9r9 explicare usw. ; 



* Vgl. § 12, Neubildung aus vif 

> Vgl. § 14 unter 8. 

3 Vgl. Anhano; zu § 8; ferner § 12, 3. Bildung von Verben. 



— 184 — 

ebenso auch die Parlizipia Praet. Pass. auf -i a r t : r e k U- 
m i a r t, <; k s p 1 i t s i a r l usw. 

U. -if: 

nach lat. auf -ivus auch franz. auf -1/ (nicht zahh'eich): 
p OS a l / f posilivuSy s p a k 1 1 f perspeclivum ; ni a s / f massif. 

15. -j u n : 

lal. auf -io und zahlreiche franz. auf -ton : 

t s e l o t s j li n cilalio^ r e 1 j ti n religio ; k h ü m a s j v n 
commiasion, khuntatsjun condilion, n a t s j ü n nalm^ 
p h e t d t s j tt n Petition, r e k 1 a m ä t s j tt n reclainalion, e k s- 
khyrsjiln excursion und alle dieser Art. 

- ü n : 

lat. auf -ofius, franz. auf -on : 

p h a t r il n palronus (Heilij,'er), p h a r s u n persona', 
p h ä t r ii n (und p h a t r j\) palron {=. chef), f ä s tt n facon^ 
m ii k r 11 n macaron^ p a r t tl n pardon^ p r i s ti n prison, 
r e s ii n raison. 

IG. Ausser diesen Fällen, in denen j^ewöhnlich eine be- 
stimmte Kndung den Hauptton auf sich zieht^ gibt es noch 
manche vereinzelte Beispiele, die den Akzent ebenfalls 
nicht auf der ersten Silbe des Wortes tragen. Z. B. : 

k h a 1 p yalop, r e vv 1 t revolle, k h ä m p a n i cam- 
payne, p ä t d l i balaille, k h a n d I J a (aber k a n a j) canailU, 
pälwijstor halustre, p ä r (a) m e t a r (häufiger p ä r a- 
m e t r) baroitielre, k h ä U' p r caliOre, s ä p * t r chapilre, 
m ä n e w r man(jßu%:re und andere. 

Dass wirklich die Endung, die Verbindung gerade dieser 
bestimmten gesprochenen Laute es ist, die in den angeführten 
Beispielen überall das Vorrecht auf den Hauptton beansprucht, 
lässl sich aus der folgenden, weiteren Tatsache genau erkennen. 
Sobald bei manchen der genannten Worte die Endung nicht in 
der gelaufigen Weise ausgesprochen wird, sobald also für das 
Ohr die sonst geläufige Endung nicht existiert, hat sie auch 
nicht jene Bedeutung für die Betonung, das Wort fallt nicht 
in die Sphäre jener andern Worte mit gleicher (geschriebener) 
Endung, d. h. es wird wie alle andern Wörter auf der ersten 
Silbe betont. S<j z. B. : 

s ^äs a in ii changenienl, l y s m ^ä doucenicnt^ trotzdem die 
Silbe -menl [- m a n t] allgemein den Ton hat, vgl. unter 4-. — 
Die Aussprache ist dabei dem Französischen nälier ange- 
schlossen. Dies beobacht(»n wir noch deutlicher, wenn die 
hellen Vokale erhalten bleiben •, diese können später verdunkeil 
werden, ohne dass indessen der Akzent verändert würde. So 
haben wir p a s ä s^ dann p ä s ä s passage neben p ä s a s 



— 185 — 

nach 9; so promndt, dann p r o m n ä ! promenade trotz 
p ä r-a t parade etc., vgl. 10 ; ferner p h a t r ^ü palron neben 
phälrwn vgl. 15; ebenso palaj balaille und kanaj 
Canaille neben p ä t a I i und k h ä n d 1 i (sowie k h ä n dl j a) 
vgl. 16; prakonje, dann präkonje braconnier trotz 
der Endung - ier, vgl. 13; k h a p i n e cabinet neben kh ä- 
pinet, m^dset mancheUe neben m ä n s e l nach 10 ; 
w a k ^a s, dann w ä k ^a s * vacances neben forkhdns 
nach 5 ; r a p ö r , dann r ä p ö r rapporl neben r ä p o r t 
nach 7. 

Alle diese Fälle stehen also hinsichtlich der 
Aussprache dem Französischen näher und 
können zugleich als jüngere Entlehnungen ange- 
sehen werden. Erst allmählich gehen sie in die Reihen der 
Wörter mit gleichartiger Endung über und nehmen auch ihre 
Betonung an. Wir hätten demnach hier einen scheinbaren 
Gegensalz: jüngere Entlehnungen werden auf der ersten Silbe 
betont, ältere auf der letzten. Und doch haben wir hierin nur 
eine Bestätigung des oben aufgestellten Betonungsgesetzes zu 
erbhcken ; die Abweichungen erklären sich durch den Einfluss 
der Endungen. — 

lieber Akzentwirkungen vgl. § 5, 4 unbetonte Vokale. 



n. 

Die Laute. 

§5. 
Der Vokalismus. 

1. betonte Vokale : 

a 

wird in der Regel zu ä (Kürze) bezw. ä (Länge). Doch 
gibt es in der Mundart eine Anzahl Wörter, die neben dem 
dumpfen noch das ursprüngliche, helle a oder dieses allein auf- 
weisen. Solche Wörter dürfen für jüngere Entlehnungen gehalten 
werden. 

ä t ä k aUaque^ p ä s ta r baslardus, p ä I 6a/, k h ä p d w 1 
capable ; khäpä khapa cabas, khäpinet khapine 
cabinet y k ä 1 s ^ü k a I s ,ü calecon., färs fars farce, 1 ä s 



1 Hier auch mit Beibelialtang des w, wofür sonst f steht. 



— 186 — 

I a s läche^ pärtasy partes y par-dessus^ pätwä palwa 
palois^ pläfÜQ plafÜQ plafond^ rampar rämpär nm- 
parl^ p ä I i w o p a I i w o baliveau^ k h a n a I i k a n a j canaiUe ; 
p a t a r I dem. von bdlard, k .i t a r cadre, t w a n j e douanier, 
saket jaquely pas page. 

Abweichend wird a zu h in fliinal (neben flänal) 
flanelle, 

e 

offenes und halboffenes ist jje wohn lieh zu a ge- 
worden; mitunter ist dieses a verdunkelt zu a. In Fällen 
neuerer Entlehnung tritt e (^) neben a und e allein ein. Die- 
selbe Entwickelung machen auch die fi^. Laute ai und ei mit; 
sie werden also zu a bezw. ä, oder bleiben als e, e (ae) er- 
halten. 

a) Beispiele für e : ätras adresse^ älart alerlCy äp«l 
appelf k h ä 1 a t s caleche^ ä n t a 1 1 9 r 9 enteler, flänal fia- 
nelle; päramätr pärametr baromelrey khümars khü- 
mers commerce, kywart kywert couverlCy trasiara 
Iresiara dresser , aks- ekskhy'sa(-kherw9l = Körb- 
chen) von excuse, a k s p r a s e k s p r a s expres, f a r m ferm 
fermcy finas fines finesse, parmatiara permatiara 
permellre, k w a s t j il n k \v ^ s t j tl n queslion ; ä w e r l i a r a 
averlir, k h ii m p e r compere, t es e r dessen, f i s e I ficelle, 
f i n e t finelle ; plesiara plasiara pläsiara blessefy 
presiara prasiara prasiara presser ; mit dunklem 
ä auch p ä r e k perruqueA 

b) Beispiele für a i, ei : ä f « r affaire ; plesiar pla- 
siar plasia r plaisir, sesiara sasiara säsiara 
saisiry rcQklot re^klot raijklol reine Claude^ 
renet ranet reinetlCy s e s i s a s i saisie ; er er airej 
ä Q k 1 e s aiKjlaisey s Tu s s e s s e s chaisCy k h untrer 
conlrairey f e r p a r jalre-parly m er m jo r mairey mitenlar 
dem. plur. von milaine^ retret relrailCy restln raisö'(^', 
s e k r a t ;'c r secrelaire. 

geschlossenes wurde vielfach als solches erhalten 
oder ging in offenes e, in einigen Fällen zu a über. 

I a p e 1 a p e 1 ä p e Vabbcy ä l e ä l e allez, t s e k r ß l 
secrela^ p e n a f i s benefice^ p e t ü U betoriy t e k l a r « ai» 
declarer, p r e w a n i a r a prcvenir ; r a ij H a r a regner, s a n a- 
(- p 1 e t a r = Blätter) sene. 

1 Dazu bemerkt V. Henry, gramraaire 10, 4: pärek «parait 
remonter ä. unc forme franqaise dialectale prononc6e ,parroque'; 
car on sait que fr. e dcvant r est sujet ä cctte affection, et le mot 
n'a du guerc se r6pandrc qu'apres 1648», 



— 187 — 

dumpfes wurde beibehalten oder gewöhnlich entrundet 
zu e; auch e tritt ein. Die franz. Laute eu oeu (ce) bleiben in 
neueren Entlehnungen erhalten, sonst tritt ebenfalls Entrundung 
zu e (e) ein. 

a) Beispiele für e: roepy repy rebut^ roemis remis 
remisCy toewälyr levvätyr Uevanlure^ ta3war lewär 
devoir ; p r e l e I 9 brelelles, sekratiiir secrelaircy r e- 
p r o s reproche, r e- r e k li u m a t i a r o recommandery re- 
r e t r i 9 r a retirer, re- refasiore refuser usw. 

b) Beispiele für eu aui (a*) : p (i^ f boeiif, sdhr sceuvy 
w a j 9 s de r voyageur ; pefalamöt boeitf ä la mode, fr i- 
I oe s f r i I e s frileusey älaponoer älaponer ä la 
bonne heure^ § e n a r e s gencreux\ über andere Adjektiva auf 
-eux vgl. Anhang zu diesem Kapitel; oe in mo^llon pique 
wird zu ö : m ö I a p i k. 

Ein e-Laut wird zu y in : t r y s y' r Iresor, r e w y I a 
rebellare. 



ist als solches gewöhnlich nicht erhalten, sondern zu i, e 
geworden, bisweilen zu e. 

k 1 i k kiek clique^ f i s / 1 f e s e t visile ; fesatiara 
visiter, p e s k i a r a bisquer ^ lespateara dispulare ; 
meräpal meräpal mirabelle, reskiara reskiara 
und sogar (vgl. offenes e!) raskiara risquer. 

In folgenden Fällen wird i zu y : f o f y l i a r a fau fiter j 
f r y I ce s frileuse, 1 y w a r t e liberle, p r a 1 y n (allgemein) 
praline. Dies sind zugleich seltener gebrauchte Wörter; das 
y kennzeichnet eine unsichere Aussprache, vgl. 
auch oben unter e, ferner unter 0, au. 



offenes und geschlossenes sind von der Mundart in gleicher 
Weise behandelt und entweder als o-Laule [0, 6] erhalten oder 
zu ü, in einigen Fällen zu ä geworden. Auch die franz. Laute 
au eau erscheinen als 0, ö oder ü. 

a) Beispiele für : ä m r s amorce, p r s brocke^ p r 0- 
t i a r a broder ; khümatiara Commander^ m ü m a n t 
momenl^ m ü 1 t ü m molletoriy ä I k ü f alcöve, präkiitnjar 
braconnier^ k h ü m t^ t commode, k h ü f r coffre, k h 11 1 1 ö t 
cölelelte; omlöt ämlöt omelelley posty'r püsty'r 
p ä s t y' r poslure, khümi6t khämt^t commode^ k h - 
m eil khümeti khäme'ti comcßdia, k h ü m j* s k h ä- 
pi i s cQfßmi^sum, e n s ä 1 a n t insolent. 



-r 188 — 

b) Beispiele für au eau : k h ö s cause^ otoritetl 
dem. von autorile ; t' o l a l f ü t a 1 fauleuil, r^so resü 
rechaud^ s ö s s u s sauce. 

Ein o-Laut wird zu y (vgl. unter i !) in pälawy (neben 
p ä 1 i w o) baliveau, vielleicht liegt ein Anklang an w y vot£>s 
vor ; ferner in k k a p y t capole^ f o k y 1 faux col, p ä r l y' t\ 
pardoiij r e ü y' n 9 raison, iryay r Iresor. 

Wegen k h ä p e s caboche vgl, § 15 (Vermischung mit 
d^p^che). 

u 

(= lat. u, franz. ou) wird selten, nur in ganz neuen Kntt- 
lehnungen, bewahrt; sonst geht es zu dumpfem ü, in d^n 
meisten Fällen aber zu y über. 

t r u s Irousseau, t u s t y s louche, tupe tüj> e 
type loupet ; p ü s ii r bonjour , p ü I j ü m bouillo^^^, 
k h ü p 9 r coupeur, k ü r m ä q (jourmandj rn ü k a nouga ^ ; 
plus p 1 y s blouse, p ü s i p y s i bougiBj püke pyk- ^ 
bouquel, p ü t i k p y l i k boulique, k h ü p k h y p coup^) 
k ü r a s k y r d s courage, k ü s^jc k y s^aj Cousin^ r ü I i a r" 9 
r y 1 i 8 r a rouler ; p y s ü q bouchon, k h ä r t y s ca^'9^- 
louchey k y wart couverley t e k y degoül, s y p t i l sublilfs, 
f 1 r i p y s floribus. 

In bouleille wird ou auch zu o oder ä: potalpätCE.1 
neben pütal pytal. 

(franz.) u 

bleibt in der Mundart als y erhalten. 

r e p y rebul, p ä s t y' r postiere usw. 

In einigen Fällen ist Entrundung zu e (ö) eingetreten : 
pretdl pretdl brutal, p e f e t neben p y f ö buffet. 

Für y tritt auch i ein : p 1 i s (neben p 1 y s) peluc^i^y 

p i r bureaUy r i n ö I a dem. plur. von pruneau, t ä 1 i 

(t ä l y) talus ; in f y t i aus foutu ist das auslautende i a^s 

substituierte adjektivische Endung (ig) aufzufassen (vgl. § 1^, 

1, a 5). 

(lat.-griech.) y 

das selten vorkommt, wird zu e (i) entrundet, 
tsereijk tsir«Qk syringa^ krestiar kriste^J" 
klysterlum, j i p s j e p s gypsum. 

2. die Diphthonge : 

a. französische : 

oi (oua) 

wird zu ua, üa ; das Streben nach Bequemlichkeit S^' 
staltet es zu dem eii.facher auszusprechenden wa ; das w JH 



— 489 — 

wä verschmilzt ferner mit dem v in der Verbindung voi-, voy- 
[wa]. Das a kann ausserdem zu ä verdunkelt werden. 

püsüär püswär bonsoir ; tüanje Iwanje 
douanier ;patwa pätwä patois, trotwär trotwär 
troUoir , s w ä s i a r a choisir , khüntwar comptoir ; 
w ü a I w a I volle, w a I a voild, t e w a r devoir, w a j a § de r 
voyageur, wajasiara voyager. 

Das Wort employe wird zu ämplojiartar (häuGge 
Nebenform ä m p 1 o / i a r t a r) und ämplaj/artar; die 
Aussprache k h ü n f o i (selten) für convoi ist wohl durch das 
Lesen zu erklären, 

ni 

ein steigender Diphthong, lässt beim Uebertritt in die 
Mundart nur einen Vokal, y oder i, hören, weil die Lautfolge 
u« dem Elsässer ungeläufig ist. 

hysja hisja huissier^ p ä r a p 1 i (auch p ä r a p 1 e 
p ä r a p 1 e) parapluie^ r y n i a r a ruiner, khyrasja cui- 
r assier. Vor Vokal wird der Diphthong zerlegt in y -|- j : 
ä n y j d n t ennuyant. 

Es sind auch beide Bestandteile des Diphthongs erhalten, 
aber dann ist der Hiatus durch ein sog. euphonisches w getilgt ; 
ui wird also zu -y wi und weiter abgeschwächt zu -aw i, selbst 
mit Synkope des a zu einfachem -wi: 

*khiintyw»t9 khüntawita khüntwtta nonduiles. 

A n m. Die letztere Erscheinung trilt auch ein beim Diphth. 
out, der zu yi und y w i wird : L y i L y w i Louis, L y w i s 
(allg.) Louise. Aehnlich verhält es sich in dem Worte rouelle 
r o w a 1. 

b. lateinische : 

au 

wird sowohl zu de y (obels. o i, ä i) als auch mit Verstum- 
men des zweiten Vokals u zu blossem ä. 

ä r 2 k a l a auricula, deytjants ätjants audienlia, 
ä t a n 1 1 s aullienlicus. 

oy 

(eigenll. kein Diphth.) wird ebenso behandelt wie franz. ui, 
d. h. es schwindet ein Vokal aus der Laulverbindung ; ein Bei- 
spiel ist der Personennamen Aloysius, der allgemein A lis i lautet. 

3. die Nasalvokale : 

Es gibt in den elsässischen Mundarten drei Arten franzö- 
sischer Nasalvokale, von denen jeder wieder verschiedene Aus 
sprachen haben kann. Vollständige Nasalierung wie im Fran- 



— 190 — 

zösischen kennt der gewöhnliche Mann nichl. Nur ehemaljg^e 
französische Soldaten oder solche, die sich uls Dienalleule im 
Auslände das Französische mangelhalt angeeignet hahen, suchen 
auch hierin das Fremdartige nachzuahmen, sowie sie anderer- 
seits ihre Rede gern mit fremden Wörtern und Redensarten 
durch^tzen.' Vielmehr ist die grosse Gesamtheit des Volkes 
un^ihig, Nasalvokale richtig und treu nachzusprechen. Diese 
Laute gestallen sich zunächst zu . 

> (ä), ,6 .n; {h a>), ,11 fi (ü ö), 
wobei von einer Nasalierung im eigentlichen Sinne nicht mehr 
die Rede sein kann ; wohl ist diese Aussprache vielfach ein 
Merkmal jüngerer Gnltehnung. In den meisten 
Fällen werden der Bequemlichkeit halher die zu den Vokalen 
gehörigen Nasale m, n unter Assimilation an den folgenden 
Konsonanten wiederhergeslelll, und zwar sieht vor Labialen in 
der Regel m, vor Dentalen und im Wortauslaul s n, im lelzteren 
Falle auch m.3 Vor eioem K-Laut wird n stets zum Gultural- 
nasal n; aber auch sonst ist in- und auslautend ein solcher oft 
sfatl des dentalen Nasals eingetreten. Wir erhalten demnach 
an Stelle der französischen Nasalvokale in der Mundart folgende 
drei Gruppen von Laulen : 

1. ,ä (ä), um, an ä q 

(franz. am an em en oin) 

ä t ä w ä adjoitil, äsor.Äs asyräns assurance, k h^a- 
ti!tnje khäntwujs canlonnier, i^ ,ä s £ ä q s cliance, 
Särapä äärapäii ehar ä batics, t ö w ä t y r t 6 w ä n t y r 
devanture, tiliääs tiliääijs diligence, t y s m ,ä t y s- 
m ä Q doucement. ,ä p r a s 9 embrasses, ä n a t,ä t,ä ä n a t,ä- 
l ä u en attendani, ,älre änlre entrez, k i'i r m,ä k i'i r- 
m ä u gourmatiä, ä u k I 6 s anylaise, p ä m p 3 S t d r a von 
bambockes. p ä n t ä ä bandaye, k h ä m p y s cambuse, k h ä m 
camp, s ä n 1 1 ä ä q 1 ckandelle, säniiara Nägsiara 
changer, tträ qälara deranger, ä m p r ä embarras, ä m- 
p 9 t ä n t embelant, ä <j k ä s i 9 r a engager, ä n t a 1 1 o r a 



I Der EüiHdes solcher Leute wird aber nie weiter gehen, als 

dass sie die Yolksspraclie mit einigen Fremd Wörtern bereichern, die 

sich jedoch bald den mundartlichen Lautgesetzen unterwerfen. Uad 

nur von solchen einzelnen Personen kann ich gelten lassen, was 

Kahl, a. a, 0., S. 42 s&gt: 'Besonders der Strass bürge r — aber nicht 

mit seiner Kenntnis der französischen Sprache 

er tut dies, indem er in wunderbar komischer 

I französische. Wörter in buntem Wechsel anf- 

it.* 

»rt, a. a. 0., S. 16. 
zu diesem Kapitel. 



— 191 — 

cnleler, § ä n t ä r m gendarme, kräntany grande tenue, 
m ä Q k i 8 I 9 manquer, I a.' i t. n ä m lieulenanl, p ä n s j il n 
p ä Q s j tl n pensioriy ränsiara räijsiara ranger, t r ä n- 
Siara Iräqsiöra trancher. 

2. Jb ,ye (6 ae), em ^m en en, eij eq xmj, an a^i 
(franz. im in eim ein) 

senlyr sentyr sicntyr santyr ceinture, k y s^a) 
■c y s ä Q cousin, sil^tisilantr cylindre, ä f ^^ ä f e q en- 
^71, empartinant impertinent, e m p f d m infame^ e n s a - 
Kl i a r a r Ingenieur^ k a q k a t quinquely r^s ribs ras Reims. 

Auffallend ist m vor Dental in s e m t y r ceinture, 

3. ^6 ^u (6 ü), um, ü n u ij 
(franz. om on) 

ä 1 ö allons, piprö piproij biberon, p u s ü r bonjour, 

p y s ^ü p y s ü Q p y s II m houchon^ k a I s ü k a 1 s ü q 

^alegon^ kh^üpör khümper compere, k h ^ü s e conge^ 

It Ij^ü skri khünskri conscrit^ kornisü kornisü^ 

4:ornichony krej^o krejoQ crayon, m ü s j a monsieur, 

tenüsiara denoncer ; ä f r w n l affront, p ii ni p a r t i a r a 

bombarder, khüntwär comptotTy khüntawtta con-' 

duiteSy k ü m f i l y r confiture, n ü n t a t j e nom de Dieu, 

trümpiara tromper. 

4. die unbetonten Vokale (Akzentwirkungen) : 

Alle Vokale, die in der Mundart unbetont sind, werden 
gewöhnlieh zu einfachem a abgeschwächt oder fallen ganz aus. 
Gleichzeitig haben viele Wörter ausser den Vokalen auch noch 
damit verbundene Konsonanten eingebüsst, 

^khümatiara accommoder, far-ältariara äl- 
terer^ ä m a s i a r a amuser^ ä r a t i a r a arreler^ ärawiara 
arriver^ pefalamöt bceuf ä la mode^ s o k a l ä chocoiaty 
teskariara discourir ; p ä 1 1 j w n bataillon^ ä m p r ä 
embarras, p ä p 1 j ü t papillole^ p ä r p l i parapluie^ r ä m s a 
ramasser^ r e t r i a r a retirer ; far-äkatiara accorder^ 
khü mpan/ compagnie^ te satiara deserler^ e k s a - 
t s i a r a exercevy käratiara garantir^ I ä t r e t (aus 
1 ä r t r e t) la relraite^ r ii n 1 2 rondelle^ p ä n t a t 3 po- 
ten latus. 



1 an aQ entstehen dadurch, dass der zagrunde liegende nasa- 
lierte Vokal als offenes e aufgefasst und wie dieses regelmässig zu 
a gewandelt wird; vgl. § 5 die Behandlung des c. 

* Mit progressiver Assimilation. 

3 Mit regressiver Assimilation. 



Der Konsonanlismus. > 

In den elsüssischen Mundarten ist durchaus kein Unter- 
schied vorhanden zwiscliea slimmharien und slimmlosen Laulen, 
es gibl keinen Stimmlon. Das Elsä^tsische kennt im Ge^ensnlz 
zum Französischen nur ein stimmloses s und S. Tenues 
und mediae (p b, l d, k g) werden in der Aussprache nicht 
unterschieden, sie gelten in gleicher Weise als schwach und 
stimmlos. «Da nun die Slimmlosigkeit unzweifelhad diese Laute 
den sonst allgemein als tenues bezeichneten beigeselll, so ist 
der einheitliche Laut mit deren Buchstaben zu versehen !.■ 
Demnach haben wir nur drei Verschlusslaute und gebrauchen 
dafür drei Zeichen : p t k; diese Laute werden dann zum leil 
aspiriert gesprochen als p h, Ih, k h. Von den übrigen Konso- 
nanten kommen in Betracht Liquiden und Nasale: I r m n und 
Gutturalnasal u ; Spiranten und AlTrikaten : f h (/J s ts s ts 
und Halbvokale ; j w. 

Rs ist näher zu zeigen, welchen von diesen Zeichen die 
fremden Laute entsprechen. 

i. P-Laute : 
bp 

und ihre Geminationen werden in der Mundart unter- 
schiedslos zum stimmlosen Verschlusslaut p. 

p il k ä i^ bagat/c, p ä s k y I bascule, I ä p e labile ; ä p a 1 
aiipel, ä p 3 l i l appetit, p ä r 3 p I i paraptuie, s y p ä p 
soupape. 

Daneben tritt l>ei manchen Wörtern die Aspiration ph 
ein ; nur wenige Beispiele bieten bloss die Aspiration. 

k h (V in p (i n i k h ä m p h ri n i campagne, k h ä m p e r 
k li i'i m p h (^ r rtmptre, p ä s p h ä ä page, p ä I i s » t p h ä- 
I i s « t iiallisailv, p a n s ph >> n s panse, parat phäräl 
paraile unil paralus, p ö j 3 p h e j a poycr, p e 1 a r i n 
1» h (> I fl r i n pt'hritie, p e t r o I p h e t r o I petrole, p o r l 
p li o r t ;>or/c, p ;V s l y' r p h o s t y' r poslure, parotis 
p h i'i r o t / s parailisiis, p j r p h y r puriis ; aber gewöhnlich 
nur i'i r p h o n l aipeitl, p h y I a r poudre, p h ä I a r pater, 
p h ;i rs .in p.-Tmva. 

Iiiliiutendt's b wir<l mehrfach lu bilabialem w.s 

1 VkI. l.iciiliArt. a. a. O., S. IT ff. 
■^ M IL r t i ik in /.tsclir. f. U. A. i>0. Ax. 1 10. 
> VkI. pI». Ikwaiai lt'l>endii;. Iiewl Hebel, färwa Farben, talwj 
iiiliil l>>ll<t-n, .^Infw.) slovbcn; aUo nacli VoLalen und Liquiden wird 



^ 193 — 

f ä w r e k fabrique^ 1 y w o r t e liherte^ ä 1 w d alba^ 
D 6 vv 1 noble und alle Adjektiva auf -able wie misardwl 
miserable usw. 

2. T-Laute: 

d t 

und die Geminationen sowie th werden in gleicher Weise 
zu stimmlosem t. 

t ^ p i debit^ t 6 w ä n t y r devanturCy ä t d k aliaque^ 
ä p 9 1 1 1 appelity t ä 1 i talus ; ä t a n t i § avthenlicusy ä pa- 
t ^ k apotheca. 

Aspiration th kommt äusserst selten vor: nur the the 
neben t6; vereinzelt mdrthinö (Wittenheim) martinet^ 
thiraktdr (Zorntal) director. 

3. K-Laute : 

c g k qa 

und zwar lat.-griech. c (k) und franz. c und g vor a, o,u 
und vor Kons.^ lat. g sowie franz. qu werden in der Mundart 
gemeinsam zu stimmlosem k. 

k ä r t carollCy k ä s 9 n d t cassonade^ k o r n i s ü q 
cornichon, k y w a r t couverte^ k ä r ä f carafe^ k r a w ä t 
cravate ; p ä s k y 1 bascule^ p i s k w i t biscuit^ t e 1 i k d t 
ddlicat, teskariara discourir ; p ä k d § bagage^ p 1 ä - 
k i 8 r 9 blaguer ; ä t d k allaque^ p y t i k boutique^ r e s - 
kia r 8 risquer ; vereinzeil steht kwfestjiin queslion. 

Jedoch ist hier im Gegensatz zu den P- und T-Lauten die 
Aspiration zu kh äusserst weit ausgedehnt. Besonders wird c 
vor den genannten Vokalen (öfter als qu) in sehr vielen Fällen 
zu kh. 

k h ö s j 8 caissier, k h ä m p y s cambuse^ k h ä m i s d 1 
camisole^ khämpiara camper, k h ü f a r coffre^ k h ü m a s- 
j ii n commission^ alle im Franz. mit cap- und con- begin- 
nenden Wörter wie k h ä p d w 1 capable, k h ä p r t' t s ca- 
price, khäpasÜQ capuchon^ khüntaweta conduites^ 
k h ü n t r a3 r conlraire u. a., ferner khorpalant cor- 
pulenl^ k h ü t 1 e t cötelelle^ e k s k h y' s excuse^ e k s p 1 i - 
khätsjüin explication^ farkhdns vacances ; k h ä 1 - 
f d k t a r calefaclor, k h a n s t a r canistrum^ khärteplä 
kataplasma^ ä t f a k h d t advocaliis^ r ä t a k h d 1 radicalis ; 
s a k h e t (neben s a k ^ t) jaquetle^ märikhiara (neben 
märikiara) inarquer, pläkhiara (neben p 1 ä k i a r a) 
plaquer. 

13 



— 194 — 

Selbst g wird einigemale zu kh: khälop galop^ k ha- 
rne 1 (neben kämäl) gamelle, khäloäa (kälosa) galoche. 
AulTallend ist 5^ für qu in äntäx^iara (Hf.) attaquer, 

4. Liquiden und Nasale : 

bleiben in der Regel erhalfen; doch vgl. auch Lautwandel 
und Lautzusatz. 

5. Spiranten und Affrikaten : 
J S eh 

die franz. stimmhaften Zischlaute (j g) und der stimmlose 
(ch) fallen zusammen in mundartliches stimmloses s. 

ä p ä s y r abat-jour, ä t s y 8 adjoint, p ü § ü r bonjour ; 
p y s i bougie, s e n a r e s gener eux ; ä f i § affichCy p y s ü ij 
bouchoriy § ä n s i 8 r a changer^ s ä k r e 1 8 chagrlns. 

Anm, 1. Logement^ (losamant) hat eine ältere Neben- 
form 1 s a m a n t ^-M, in der g > ,s wird [M — L], 

Anm. 2. Lat. j bleibt ; ausserdem entsteht j aus g in 
gypsum j e p s ; ch wird kh und ^: khätakhesmas khä- 
1 9 y e s m a s, selbst khätjesam catechismus, 

C 8 2 

franz. stimmloses c und s und stimmhaftes s und z sowie 
lat. s fallen in der Mundart zusammen in stimmloses s. Doch 
wird dieses in der Regel vor T- und P-, wohl auch vor K- 
Lauten zu s. 

öStamiara estimer^ p ä § t y' r posture^ k w e s t j tl n 
question, k h a n § t a r canistrum^ krestiar khysleriumy 
m ä 1 a s t a molestiae ; s p e t d l hospilale, s p a n s dispensBy 
e § p a s fe ,t esparcette, eksplikhätsjÄn explicalion, r ö s - 
paktiara respecter, tespardt desperatus, tespat/ara 
disputare ; teskariara teskariara discourir^ m ü s k a t 
m ü s k a t muscata, müskatalar moscatello, p r y § k mit 
Wegfall des k auch prys brusque.- 

Anm. 1. Lat. c und ital. z werden durch die Lautfolge 
ts wiedergegeben : tsetatsjwn citaliOy sträwlatsiara 
strapazzare. 

Anm. 2. Der in der Mundart so häufige §-Laut wird 
auch unberechtigterweise gebildet im Auslaut bei folgenden 
Wörtern : f r s force^ p ä n s panse^ 1 ä w d § lavassCy p ro- 



J Vgl. S c h w z. 1 d. 3, 1450 : Losement ; Grimm, D. Wb. : 
ein cmodisehes Wort des 16. und 17. Jh., in den höheren Gesell- 
schaftskreisen aus dem franz. logement übernommen und in der 
Aussprache etwas umgebildet». 



— 195 — 

w d n ä Provence ; p r y § ist aus p r y s k brusque zu erklären ; 
ferner inlaulend bei wermisöU vermicelle, 

Anm. 3. Die Verbindung sc ist der Mundart fremd ; sie 
wird zu s t in folgenden Fällen : s t r y w 1 rfs (mit Anlehnung 
an s t r y w 1 Strobel) scrupuleux, § f ä n t d l 2 (Assimilation des 
c an das t der folgenden Silbe) scandalum^ stortsantara 
(Anlehnung an slortsa Storr oder Assimilation wie bei scan- 
dalum) scorzonera. 

f 

bleibt erhalten: fätdl faial^ fisel ficelle, fisy fichu^ 
fek 1 8 t ^t fidelitas. 

T 

bleibt in französischen Fremd wörlern, seilen in lateinischen 
als (bilabiales) w erhallen. 

w ^ r i l d w 1 verilabley w i f vif, w i 1 ü q violon, w ä k 8 - 
püm vagabond^ walis valise; ewarants rcveren/ta,wä kas 
vagabundus, w ä n vannus, r^salwiara resolvere. 

Hingegen entspricht in vielen französischen und den meisten 
lateinischen Wörtern dem labiodentalen v ein mundartliches f, 
da «das süddeutsche Ohr dieses Zahnlippen-w als ein f auf- 
fasst, sobald dessen Reibegeräusch irgendwie deutlich ist». 3 

khänafäs canevas^ k h ö n f i convoi^ k h ü m f e i a 
convoyeVy enfal/t invalide, enfaliara inviler^ farkhdns* 
vacances^ f^ilot violette, fisit visite neben einem neueren 
Modewort wisit = Kleidungsart der Damen, das aber jetzt 
mit der Mode wieder ausser Gebrauch gekommen ist, fe sa- 
li a r a visiter ; s ä 1 f e t salvietta ; äpsalfiara und ä p s a 1 - 
w i a r a absolvere, ä t f a n t adventus, ä p f a k h d t advocatus, 
e f a j e 1 j a und e w ä q k e 1 i evangelium, kräfateti^ von 
gravilaSy äntifi endivia^ enfatdri inventarium, refrantsa 
plur. von rcverentia^ f i s i käitfr vesicatorius^ f a k s i a r a 
vexare, fokat/fas vocativus, f k t vocatus, f u n t i 1 vew- 
///e, f i k h ä r i vicarius, 

§ 7. 

Der Lautwandel. 

i. Umlaut. 

Wichtig für die Umdeutsch ung der Fremdwörter ist der 
Gebrauch des Umlauts. Durch die Anwendung desselben steht 



^ Hier liegt Anlehnung an den Personennamen raisel Michel vor. 
« Vgl. auch Zs. f. hd. Mdaa. 1900, S. 29. 
8 Reform 1897, S. 35. 
^ Vgl. § 14, 1 a : 4. 



- 196 — 

die Mundart wieder im Gegensatz zur SchHnspracbe ; sie 
gleich! aber auch bierin unserer älteren deutschen Sprache, 
welche die enÜehnlen Wörter nicht nur den Gesetzen der 
Lautverschiebung, sondern auch denen des Umlauts unterwarf 
und ihnen so deutsches Gepräge verlieh. 

Die Mundart hat auch an einheimischen Wörtern ent- 
gegen dem Nhd, den Umlaut reichlich verwendet, z. B. täj 
plur. von toe Tag, arm plur, von arm Arm, wäja plur. 
von wa>ja Wagen u. a. Freilich finden sich im Elsässischen 
gegenüber dem Nhd. auch viele unumgelaute te Formen, 
die aus der allen Sprache übernommen sind, z. B. p r ü k ahd. 
b r u c k a nhd. Brücke, khiiy (neben khe/a) mhd. knche 
nhd, Küche, krot (und krel) mhd. krote krele nhd. Kröie 
und viele andere. In Bezug auf Fremdwörter kommt der Um- 
laut in folgenden Fällen 2ur Verwendung : 

\. gewöhnlich tritt er ein im starken Pluralis auf -e, 
welch lelztereK in der Mundart jedoch verstummt ist ; regel- 
mässig tritt er ein bei der Pluralbildung auf -er. 

2. ohne Ausnahme erscheint er bei der Bildung der De- 
mi nutiva. 

'A. selten findet er sich bei der Komparation. 

4. auch die Wortbildung bietet einige Beispiele des Um- 
lauts, und zwar die Bildung der Adjekliva mit -lieh. 

5. ausser dem gewöhnlichen, einfachen Umlaut der dem 
lenden Vokal vorhergehenden Silbe zeigt sich in einigen 
ilbigen Wörtern sogar ein doppelter Umlaut, wobei 
ler Vokal der Stammsilbe verändert wird. 

n einzelnen bewirkt nun der Umlaut folgende Vernniie- 
1 der mundartlichen Vokale : 



ilNprcchend die Länge ä } ä; kräwät cravale dem. 
n I I, p :<' j ä s paillasse dem. p K'j a s I ; s i k .A r cigare 
Hiki'irl, khamsrät camarade dem. khämerall, 
•ul piiii-. päl, päntäs bamlage plur. päntfiä^r; 
kl ixucl adjektivisclie Neubildung eksaktli; sära- 
■liar n hiincs p\ur. sär^paQ und mit doppeltem Umlaut 
paQ, dem. i^ärspaql und ^arapaql, 
mit. Im zweisilbigen Wort khnri^ carruca, wo das i 
xohulxniiig ist, wird das ä der Stammsiltie umgelautet : 
, i,t,ri/, dem. khari-/l. 

o > * 

ti,-: /rfoe^ ' ' "-csl, kä srol casserole denx. käs- 
n itri'l ''Ulet kasrelals, pärssol pa- 



— 197 — 

rasol dem. päraselala, propar propre comp, prepara r', 
adjektivische Neubildung pröparli. 

ü > e 

pysüij bouchon plur. pyseq dem. pyseijl, s ä m p ü ij 
jambon plur, sämpcQ dem. sämpeql, krejü crayon dem. 
krejerj!, khüfar coffre plur. nach Analogie der Plural^ 
bildung auf -ar khefar dem. kheforlo, mäsjÄn von 
masse dem. mäsje'nl. 

y > I 

khäpyt capole plur. khäpit, rys ruche dem. risl, 
plys blouse plur, plisar dem, plisl, sypüu jupon plur. 
mit doppeltem Umlaut sipeij. 

2. Metathesis. 

Die Umstellung unmittelbar oder nicht unmittelbar auf- 
einander folgender Laute ist im Elsässischen nicht selten ; vgl, 
pürna aus Brunnen (auch in Ortsnamen: Oberbur n haupt«), 
kaphüma aus bekommen. Auch an entlehnten Wörtern wird 
die Lautumstellung in ähnlicher Weise vorgenommen. So wird 
besonders die französische Lautfolge -re-, -ri- in der Mundart 
zunächst zu -ra- abgeschwächt und dann in die geläufigere 
- a r - umgestellt : p j» r 1 o k a für breloques, sä k a r n i a r a aus 
*sä k ran ia ra cÄa(/r/ner, ebenso khünta rpiara aus*khün- 
trapiara conlribuer u. a. 

Umstellung nicht unmittelbar benachbarter Laute findet 
statt in: khüntrypitsjün für kh ün t ri p y t sj An (auch 
khüntarpitsjun) aus conlribulion \ 1 e wät mit Dissimilation 
von n > 1 aus «ai;e//e; khäfdnls für fäkhants, ferner 
khäwants für *vväkhants, khärfants für fä(r)khdnts 
aus vacances. 

3, Assimilation, 

Manche Fremdwörter erleiden formelle Veränderungen durch 
assimilatorische Vorgänge. Die Assimilation kann verschiedener 
Art sein : 

1. Regressive Assimilation, Angleichung des ersten an 
den zweiten Konsonanten, ist am häufigsten. Es wird dabei n 



1 Vorläufig das einzige Beispiel für den Umlaut im Komparativ. 

2 Ueber pürno vgl. Els.-Lothr. Schulblatt 1001, S. 9 
unter «Bernstein >; über die Etymologie des Wortes Oberburnhaupt 
selbst vgl. Stehle, a. a. O., S. 9. 



— 198 — 

vor folgenden Labialen (t* m p w) zu m^, vor Gutturalen zum 
Gutturalnasal q ; t vor f zu p, doch nicht allgemein. 

p u m p d r n e k I bon pour Nicol, k h u ni f y' s confusus, 
k h u ni pt'e j 8 convoyer^ em p fd m infame^ ä m \v a 1 o p enve- 
loppe, s ä m p i a r Jean- Pierre^ k h ä in p e t canape (aus k hän- 
pel), rauklot reine Claude; äpt'dkhdt advocaiuSy äpfant 
advenlus. 

Diese Beispiele zeigen nur eine teilweise Assimilation; 
eine vollständige, deren Ergebnis wir als Schwund 
bezeichnen können, iindet statt in ä m I o p (aus ^ämvvlop) 
enveloppe, m a m se I mademoiselle^ k h ä m 6 1 9 chamomiUa^ 
stäma^rt je l^en tnerde, mäkhimi (Nfatten -{-) cüminum, 
äfdkhdt advocalus (vielleicht auch als totale Dissimilation 
aufzufassen). 

Totale regressive Assimilation liegt auch vor in tsötsjes 
aus so t s j a s socius ; ebenso in s t ä n t d 1 scandalum und 
stortsantara scorzonera - ; ferner in ä t s a t ä k archilecle. 

2. Progressive und zugleich vollstän- 
dige Assimilation, Angleichung des zweiten an den ersten 
Konsonanten, geht vor sich in püm bombe, pumasen botR- 
basin, pemarnal pimprenelle. In derselben Weise entsieht 
k h ä t e s m aus khätyesm khätjesm calechismus . 

3. Assimilatorische Vorgänge liegen ferner zu 
Grunde, wenn der Vokal der einen Silbe demjenigen der an- 
dern gleichgemacht wird ; massgebend ist der Vokal der 
zweiten Silbe. 3 

farkholapiara (-*k holopiara) farkhäio- 
p i a r a von galop^ kränatiar (kränätiar) krenä- 
t i a r grenadier *, p ä m d t p ü m d t pommade, k h ä r d 1 9 r 
k h ü r d t a r curalor, m a r d k 1 m e r d k I miraculufn^ 
nätdri noldri nolarius, sältdt soltdt soldalo, 
khäljdntar coliandrum, r ä k t ä reclä, 

4. Dissimilation. 

Den Gegensatz zur Assimilation bildet die Dissimilation, 
die lautliche Differenzierung nicht unmittelbar benachbarter 
Konsonanten, zumeist der Nasale und Liquiden, und zwar so, 



^ In manchen Gegenden ist zwischen m und f der Uebergangs- 
laut p (mpf) deutlich hörbar, ähnlich wie zwischen n (1) und s der 
Laut t, z. B. ferkhdnts vacances. 

2 Vgl. § 6 unter c s z Anm. 3. 

3 Vgl. auch diesen sehr häufigen Wandel im Ahd., z. B. Dat. 
Plur. bruodoron usw. 

* Oder ist in diesem Falle volksetym. Anlehnung an kränat 
Qranatß in erster Linie anzunehmen ? 



— 199 — 

dass der eine Konsonant in einen verwandten anderen überdreht. 
Sie tritt aber vielfach auch auf bei einem einzelstehenden Kon- 
sonanten, dem im Worte kein gleicher oder verwandter be- 
nachbart ist. Die Dissimilation kann eine totale * sein, indem 
von zwei gleichen Konsonanten der eine schwindet. Wir er- 
halten demnach folgende Lautveränderungen : 

1 ) u 

kanepar calibre, kälw/nar von calville, fläsenetl 
dem. von flageolely fatsanötl dem. von fazzolello^ p ä r a - 
senal dem. von parasol, pasti n la (aus *p a s tiJ ala) dem. 
von pasiille, käsanöt cassoleUe; der Name der Stadt Lttwe- 
ville heisst im Volksmund gewöhnlich nynawi |2. 

1 > r 

kresttar klysterium, p o r i s i n el 2^olichinelle, p i s ä q r i 
pissenlU ; in portsam inl dem. von balsamina liegt Ver- 
mischung mit portsah' n porcellana vor. 

m > n 

knespJ praefix ka -\- mespilum (vgl. ital. nespola). 

n >1» 

mitelaia dem. von milaine, raqliara (aus *raij- 
niara) regnare, tyriy'r lournurc; äleks annexe (?), äla- 
ta ntä en allendantj kywerlamäij gouvernemenlj lewat 
(mit Vertauschung der Vokale) navelle*' (?). Bei orikaUst 
= Organist mag wohl das Wort Orgel eingewirkt haben. 

n > m 

m ü k a nougat, 

n > r 

päri^^art (päriyant) barracanus, lämarlätsjiln 
lamenlation ; über stampareja slampania vgl. § 14, 1, a : 9. 

r > 15 

pälwiarer barbier , s ä I a w d r i charivarl, m e l a r i 



1 Vgl. auch^s. f. hd. Mdaa. 1900, S. 27 ff. 

> Das n kann auch durch falsche Abteilung aus der häufigen 
Rda. ar es en [Ljynawil (— er ist in LuneviUe) entstanden oder 
aus dem Worte Näntsi/ (Nancy, der nächst Luneville und Paris 
bekanntesten franz. Stadt) übernommen sein. 

* Beispiele aus dem Elsässischen vgl. Eis. -Lothr. Schul- 
blatt 1902, S. 355 : Kläuel für Knäuel, Waiselkind für Waisenkind, 
Wackelstein für Wackenstein, Hupfelstang für Hopfenstange. 

4 Nach Seh WZ. Id. 3, 1544: «Entstellt aus franx. (chou-)navet, 
mit Wechsel von n und 1 und Vertauschung der Vokale,» 

ö Vgl. auch eis. mylwalfer für Maulwurf, 



— 200 — 

aus m^rar/ vgl. § 12, i) mairie, masylka^ mazurka, 
mälatiara weriter^ m ö l a p e 1 mirabelle, p ä m p 1 pampre, 
k h ä 1 f u Q k 1 carbunculus, tämpalmäsor lambour-major ; 
bei wälisa varices liegt Vermischung mit valice näher. 

Schwund des r 

durch totale Dissimilation: övvarants^ reverentiaj 
m ä s i 8 r 9 (aber subst. mä r s) marcherj r a m p ä (neben 
r ä m p a r) remparl^ k w ä 1 1 a r (neben k w a r l e a r) quartier^ 
1 ä t r e t (aus 1 ä r t r e t) la relraile. 

Schwund des t 

durch totale Dissimilation: opsandt obslinalus; 
bei äfakhdt advocalus kann auch totale regressive Assimi- 
lation vorliegen. 

Anm. Auffallend ist ein dissimilatorischer Wandel des t 
zu k, veranlasst durch die Häufung der t in folgenden Wörtern: 
fekl8let(und (ei\Bidi) fidelilaSj päskar (pastarund 
p ä s t a r t) zunächst aus * p ä s k a r t bastardus. — Umj,'ekehrt 
tritt ein Wandel des k zu t ein bei : träkhe'l krakeel^ trä- 
ye'tl (aus krä/ell, dies mit Anlehnung an krachen) roc- 
chella. 

Auch ausser diesen Fällen gehen Laute in verwandte 
andere über, besonders in der Reihe der Labiale: 

P > m 

p a r m a t e k l (aus parmantikl, parpantekl) p^f- 
pendiculum. 

m > w 

kowlästi (aus komlästi) gomme elaslique, 

w > m 

1 ä m d s lavasse (doch dies mit Vermischung von masse\ 
r m a 1 (aus r o w a 1) rouelle. 



1 Hier liegt Kontamination mit hebr. mäsl (Jb. XII, 150) = 
Glück sehr nahe, umsomehr als eine andere Nebenform mäsik^ 
offenbar auch mit einem hebr. Wort mäsik (Jb. XII, 150; XIII, 
178) = wild, brünstig vermengt ist. 

2 Mit demselben Rechte wie bei eworants könnte man auch 
bei 6 w r ä 1 s i nenrälgie totale Dissimilation (zwischen n und r), bezw. 
Schwund des n annehmen. Doch in beiden Fällen lässt sich an 
etym. Anlehnung (erst sekundär ?) an e w o r ( = der obere) dwken! 
- vgl. Zs. f. hd. Mdaa 1900, S. 27, 



— 201 — 

§8. 
Vereinzelte Lauterscheinungen.* 

1. Lautzusatz. 

d. Auf dem Gebiete des Vokalisinus entfalten sich als 
svarabhaktische Volcale besonders i und schwaches a (vielfach 
auch a) nach Liquiden vor folgenden Gutturalen oder Spiranten.* 

serik cirqucy inarikioro marquer^ pärik porcus^ 
eqpärikiera embarquer, p ä r i y e) r t (nihd . barchanl) bar- 
racanuSy späriklomanta sparymenlo usw. 

2. Konsonantische Zusätze: 

i) Zusatz eines sog. euphonischen n kehrt mehrmals 
wieder: kapandle dem. von cabas, kajenia dem. von 
cahier, päroplenaM dem. von parapluie, r a p e n a 1 a dem. 
von (ller)r abbe] über na r wy k 1 ranunculus vgl. im folgenden : 
Lautverlust unter 3. 

«Euphonisches» l in pätawätis Adjektiv zu palois. 

2) Zusatz eines t am Wertende* erfahren folgende Wörter: 
pell aus albella (sc. populus), f a i* k h d n s t vacances, p ä r - 
f o r s t par force, k a m f a r t camp/iora^ p a r i y a r t (mhd . 
barchanl) barracanus ; bei p a r j a m a n l peryamena^ m um - 
r a n t maior ennis kann man den Zusatz als Analogiebildung 
nach den zahlreichen Fremdwörtern auf - m a n t (f ü n t a m a n t 
fundamentum) und - a n t (h o r a n t horrcndus) aulfassen. 

3) Eine weitere Anzahl Wörter erhalten einen lautlichen 
Zuwachs durch Verschmelzung mit dem Artikel 
oder einer Präposition, mit der sie in der Rede häufig 
verbunden werden, oder durch sonstige falsche Abteilung 
der gesprochenen Worte & : 



1 Im weiteren Sinne werden solche hervorgerufen durch alle 
Wortambildangen, s. unter V. 

2 Lienhart, a. a. 0., S. 38; ebd. Anm. 4 — Wir linden den 
Vokal auch vor Liquiden : f ä w o r e k fabrique, p o r t o r e portrait. 

3 Vielleicht nach pärasenal dem. v. parasöl gebildet, vgl. 
Dissim. l > n, § 7, 4. 

* Vgl. denselben Zusatz an einheimischen Wörtern: hoft Hof^ 
witerst weiter, äntorst anders, tsilt Zeile usw.; ebenso mhd. 
ahd. bäbes nhd. Papste mhd. ackes nhd. Axt, mhd. obcz nhd. 
Obst usw. 

» VgL auch mundartliche Bildungen wie: hälto to/ tsmyl 
(haltet doch den Mund) aus dem häufigen hält s-myl (cig. halte das 
Maul) durch unrichtige Abteilung; ebenso s tsüwos, s tsmorjos, 
s tsmetojs, s tsnö/ts neben einfachem tsüwos, tsmorjes, 
t^nietoDS tsnö/ts - des Abends, des Morgens, des Mittags, 



— 202 — 

a)Piolhese iles Artikels: 

(a, l': läpc l'abbe, lätras l'aiiresse, I a f e t l'alfitt, 
Iswäo l'eau de lavatiäe, I ä r t r e t I ä l ret la relraiit, 
Ȋma Vexamen, lalet la Ute. 

die [I]: t sä I f i aus die salve, t sek let dna die secret&, 
rcijk aua die syringa, tSyp aus diejupe; wahrscliein- 
auch Isitäticl (Sir.) aus die cUaäelle. 
b) Verschmelzung mil einer Präposition 
filehcnden Zusammensetzungen : 

t ä p i -(.'pfols (pomme) d'api, t ä r t i f i s (feu) d'artißa, 
i I (salle) d'asyle ; dahin gehören auch pleonastisclie Aus- 
ksweisen wie : ar eS p i m 1 y l r le ^= il est *du train», 
S e n i r 6 k I = il est «e» reyle» (in Ordnung), m e l 
foiä par force (mit Gewalt), met pärty' par laut 
(lewalt). 

Anm. Auf unrichtiger AbleiJung beruht auch räpensla 
. von (ller)r abbe. 

i) Ausseriicm gil)t es noch vereinzelte konso- 
tiscJie Zusätze, die zum Teil ebeDfalJs auf unrich- 
Tiennung ifesprocbeiier Worte oder auf Miss Verständnis 
andere unhostimmle Faktoren zurückzuführen sind. So 
il dicli : 

h (im Antaiil) : hämiinjäk atnmoniaque, hywitars 
tare, wulwi h stall j gehört wurde; h u m a n t momeM 
\\ hlsi'lie Trennuni; aus em (ni)ümanl (im Moment) mit 
uhI de« m ' und Kinschrebung des Hauchlautes, 
kl i>isi\|)lik pissenlit, khälamälik galimalias nach 
ifall der Kuduii^'. 

I : \i'.\ r I j un^t ]■ barometre und pärlemonl pergamena 
h VeruiiM-huug» mil par/eri s pä ri k la m a n ta spaigi- 
lu durch vulkset)molu}tisclie Anlehnung an Spargel. 

Lii: limpdrli a<IJ. von d pari, ä m pä ah bah (Versuch 
r weiihen Aussprache des b?); müniform uniforme (An- 
iiij^' nii nii'ini = Slier'?); Tar- rii m 3 ni 9 ra von raintr 
AnleluiuDg au - r ü ui - :^ herum. > 

.Nuplit» in {ili'oiiaslisoher Woise mit Wiederlioloog des be- 
iiitim Arliki'U; t'Upliuuisches n in Fällen wie; tr nüws der 
iil (tun li'inJ-u.iiw.), kota-n-iiw^ —. diesen bezw. guten Al>end; 

II t vi in dor Atuni aus ti>-n-üieu) uiler kdu-ütam p^kliäind = dca 
', ktduKii Atom bekütumeu; tr n^st der Ast aus »-n-ikst =eiDAst. 
' \'e\. im rul);«udeii : Laucverlust unter i. 

" vbI, 8 i:.. 

» tMi'i' bosüpr KPSiist, CS ist ruitttr > rii9ni»r»> rüwanisr^ 
dl»» iiiiior AnU^liiiaii^ an i 
liil>l»l>m l.uutu« w > ui) KU : 



— 203 — 

n: protaknol prolocole, räntsjün ralion, sempäni/ 
Sympathie; vgl. ferner die unter i. angeführten. 

q: pält^qstdr baluslre, ruqaniara (aus -vumB- 
n i 8 r 9) ruiner y khärtapläq» kalaplasma. 

p: kümparlästik gomme elaslique. 

r* : k ä r s n e cache nez, khäporsü capuchon , s y p a r p 
soupape^ lortsa loggia; ärtstnt hyacinlhus mit Anlehnung 
an ä r t s » s narcissus; khartapJä kalaplasma (Anlehnung 
an Karle"!), lortsarn lucerna (durch das folgende r veran- 
lasst), p ä r s t e t paslata (mit Anlehnung an p ä r wie p ä r 
f o r s par force), t i r 1 i s^ä s diligence, är^k^rl^3 dem. von 
auricula, k ü m p a r I ä s t i k gomme elaslique ; im Auslaute : 
p e k a r pique, t e t a r tele, m ä I ä t a r malade ; wohl eu- 
phonisch in kräp^rl dem. von crapaud. 

s: fyt§ nach Wegfall (?) des u von foulu (hochdeutsch 
futsch).^ 

i : vor s-Lauten : t e s k «* r t s discursus, ä r t s i n d l ar- 
senal, p e t s beige, k h ä I a t s caleche, k h ä p r 1 1 s caprice, 
kyt§ couche (Anlehnung an Kutsche), pätdts palache, pä- 
tsatiara patienter, m e t a t s e n medecine (durch das vorher- 
gehende t), protsaw^^rpl proces-verbal (Vermischung mit 
Processus); vgl. ferner im vorhergehenden unter 2, 2. 

2. Lautverlust. 

1. Lautschwächung und Lautverlust entstehen durch die 
Betonung; vgl. «unbetonte Vokale» § 5. 4. 

2. Verlust von Vokalen tritt ausserdem mehrfach ein ; 
anlautendes unbetontes e schwindet in: salola 
echaloles, 1 ä s t i k elaslique^ k i 1 i p r equilibre, s p ä n j o 1 
espagnol^ täpa etape; auslautend in molapik moellon 
pique, ekar ecarle (mit Schwund des t); von zwei Vokalen, 
deren Aufeinanderfolge dem Volksmund ungeläufig ist, musste 



1 In Colmar khäteplärj, vgl. dazu V. Henry, grammaire 
60, 1: «le fr catapläme (prononciation de cataplasme au XVII'^ siöcle) 
a ete entendu et rcproduit avec n guttural». 

2 Vgl. auch Weise in Zs. f. hd. Mdaa. 1901, S. 244. 

3 Mit Voraussetzung eines Grundwortes mit der Endung -er: 
ä r * k a r. 

* Die Verwandtschaft zwischen futsch und foutu ist nicht ganz 
sicher nach Kluge, Et. Wb. sub futsch. Dagegen erscheint sie 
uns als sicher, wenn man in Betracht zieht, dass der Franzose die 
letzte Silbe eines Wortes mitunter so tief betont, dass der Vokal 
fast unhörbar wird, indem er gewissermassen in der Kehle stecken 
bleibt: fini wird z. B. zu finj finy^. Dann ist es auch begreiflich, 
dass ein so häufig gebrauchtes Wort wie foutu zunächst als f u t y^ 
g-ehört, dann als futs bzw. fyts nachgesprochen wurde. 




— 204 — 

der eine schwinden: sokräf» yeoyraphic; hysja hisja 
h y s j a r huissier, p u r a p 1 i paraplnie, r y n i a r a ruiner j 
ä l a n t i s authenllcus^ k h ü n l o r p i a r a contribuer usw. 

3. Als Gegenstück zu dem § 8, 2: 3 erwähnten Laut- 
zusatz gibt es Beispiele, in denen der konsonantische 
(t, n) Anlaut eines Wortes irrtümlicherweise (etymo- 
logisch !) für den deutschen Artikel hezw. für euphonischen 
Uehergangslaut gehalten und daher losgelöst wird : 

i) als zusammengesetzt mit dem weiblichen Artikel die [t] 
wird angesehen tamariscus, mda. daher a m o r e s ka ; 

2) ein euphonisches n wird gesehen in narcissus : ^-n^ 
(n) artses = eine Narzisse, daher t a rt s /s d i e Narzisse ; 
ebenso verhält es sich bei a r f Nerv, 

3) nicht so deutlich ist das Verhältnis bei ranunculus, es 
lautet gewöhnlich ariitijkl. Es kann zunächst Metathesis von 
r und n stattgefunden haben, wofür die Nebenform närÄixkl 
zu sprechen scheint; hierbei mag das anlautende n als Ueber- 
gangslaut in der Verbindung a- n(-) ärtimkl ein ranunculu 

aufgefasst und danu das Wort zu einfachem ärÄqkl ver^ 

bessert woi'den sein. 

4. In h y w 1 i a r a jubilare liegt nicht sowohl Verlust dejs — s 
j als vielmehr Uebergang desselben in lautverwandtes h vor ; 
über h ü m a n t für momenl vgl. § 8, 2: 4 unter h. 

5. Sonstige vereinzelte Ijautverluste : 
f: fällt ab in kiwi(f) qul vive; 

h' : in ä rö 7/aro ; in ä r t s e n t hyacinlhus fielen h un- _d 
y weg untei* Anlehnung an ärtses narcissus, wie das eing ( nj- 
schobene r beweist. 

k-Laute gehen verloren : 

a) anlautend : a n t s j tl n a geniiana. 

b) am Wortende: pry§ (*pry§k) brtcsque; p y ti boc-^^- 
tique, l ä s t i elasllque^ r e p y p l i republique ; hier wurde wo Ä/ 
die Endung -ik als Adjektivendung -ig aufgefasst, die in (L ^r 
Mda. -ik und -i lautet. Man vgl. auch die enlgegengeselsK te 
Erscheinung : äntifik für ant/ü aus endivia, 

c) in der Verbindung et*: ätjwnt adiunctuSy §pätd k/ 
speclaculuniy p h ü n t u m punclum, vielleicht hat totale re- 
gressive Assimilation mitgewirkt. 

l: schwindet in kälwi-epfl calville\ kekäösik^ 
Adjektivbildung von quelque chose (totale regress. Assim.?). 

* Das franz. h ist an sich schon schwach. 

2 In andern Wörtern geht das t verloren und k bleibt er- 
halten; siehe unter t. 

3 Vgl. Seh WZ. Id. 2, 175: «etwas Eigentümliches, Ungewöhn- 
liches >. 



iy 



UV 



— 205 — 

n: in k h o 1 o r i cholerine, k h e m i mlid. kamin oa- 
minum, khimi (allg.) mhd. kumin cuminum ; über ewrälst 
nevralgie vgl. § 7, 4 : Schwund des r, Fussnote. 

p: in rinola dem. von pruneau. 

r: ä s i n d 1 arsena/ (totale regress. Assim.?); vgl. ferner 
unter Dissimilation : Schwund des r. 

T-Laute gehen häufig verloren im Auslaut* : 

ä s f ä 1 asphalluSy p ä s t a r bastardus, ä p s ä ij absinthe, 
p e f a 1 9 m ö boeuf d la mode, k o k ö cocollCy r a q k I 6 
r e u 1 reine- claude, t h a k s texte ; in der Verbindung et 
schwindet t (durch totale progressive Assimilation) bei: ätsa- 
t e k architectßy ä t j w q k adiunctuSy t r ä k i a r a tractare ; 
auch sonst schwindet t: opsandt obstinatus (totale Dissi- 
milation), ä f a k h d t advocatus (totale regressive Assimilation) ; 
über 6 k ä r ecarte vgl. oben unter 2. 

Anhang. 

Endsilben. 

1. Die Endung franz. -on, lat. -um wird zu -üij, z. B. 
plafond p 1 ä f ü Q, amylum ä m 1 ü q ; einigemale erscheint 
jedoch -um : bouchon p y s ü m, bouillon p ü I j u m, boxon 
poksam (*poksü m), capuchon khapi^üm^ mollelon 
m ü 1 t ü m , Napoleon n ä p <^ 1 j ü m. 

Die häuGg vorkommende Silbe -üij wird auch auf andere 
Wörter übertragen : dommages et interets tümasantarürj, 
bulletin p y 1 l ü u , passe- temps p ä s 1 a t ü q und p ä s- 
1 a t ü m. 

2. Franz, -i n wird zu - i ij - eij : merJin m e r 1 e rj etc. 

3. Franz. -eur, -re, lat. - o r, -ora, - r u m, -er, 
ital. - ora werden zu -a r : coupeur k h ü p a r, cidre s i t a r, 
curat or k h ü r d t a r etc. 

4-. Franz. -le, lat. -ulus, a, um, ital. -ola werden 
zu - a 1, l ; simple s e m p 1 , capitulum k h ä p H I etc. 

5. Franz. - te, lat. -tas werden zu -tet; fidelilas 
f e k I a t e t, invalidile ü n f a I i t e t. 

6. Franz. -ie, lat. -ia werden zu i und o i. 

7. Das mouillierte I in -ill, - a i 1 1, -ei II, -euil etc. 
wird als 1 gesprochen (I, li, jl; vor Vokalen Ij) : 

p ä t d I i balaille^ p ä t r o l palroiiille^ o r e j l orcille^ 
p ä r ö j 1 pareil ; k h a n d I j a canaiUe^ t r a w d 1 j a tra- 



1 Den Zusatz eines t w^\. § 8, 1 : 2. Wegfall eines t im Auslaut 
haben wir auch bei elsäss. Wörtern Avie marik inhd. market, 
üwa mhd. cibent usw. 



- 206 - 

vailler, p r i I j d n l brillant, p i I j fe billel, p ä p 1 j o t pa- 
pillolc; al»er nur paijäs p;cjäs paillasse (Hanswurst). 
Aelinlicb lautet -yn- ohne Mnuillierung -ni-, vor Vokal 
', z. B. : k h ä m p ä n i campagne, g p ä d j (f I espagnol, 
I j I guigiiol. 

8. Die Adjektivendung -eux lautet -ös (os) nach der 
nischen -osus: furieux iürjüs, curieux khiirjüs, 
;ux i k m M s , serupitleux St r y w 1 li s , serieux s e r j Ä s, 
■reux S e n a r « s und s e n a r e 8. 

Die Endung -icus wird zu -is: polilicus pkliiis, 
'lenlicus ä l a n lii; danach auch kremandliS cri- 
%lis. 

9. Alle Infinitive (franz. -er, -ir, -oir, -re; lat,, bezw. 
-are, -ere, -ire usw.) ifehen in der Mundart aus auf 

TB {-iercn); doch vgl. auch § 12, 3: Bildung von Verben 
!!■ h, — Die Partizipki formen endigen infolgedessen RÜe 
Isrt (-iert). 



III. 


Die Flexion 


s». 


Substantiva 



1. Starke Dekllnalion. 
a) ohne Umlaut : 



Ma.'^c. 




Neutr. 


put in hottine. 




pysi bongte. 


liiig. Noin. lor pol in 




Sing. Nom. s pyäi 


(ien. f A m polin 




Gen. fäm pysi 


Dat. em potin 




Dat. em pyäi 


AiT. lo, tor poti 




Acc. s p y s i 


'lur. Noni. l, ti pol in 




Plus. Nom. t, t i pyäi 


(u'U. fA lo potin 




Gen. fä ts pyisi 


Dal. Ui potin 




Dal. e ta pyäi 


Acr. 1, li potin 




Acc. t, fi pysi 


hie Wflrior dieser Doklinalion bleuten in allen Kasus 


g nnver.1nd<u'l; os fehlt 


PI 


e.f Kasuszeichen. In allen Dekli- 
ral-s, das die Schriftsprache im 


ensal* /u<n Kk"issis.'l..'ii 


S' 


wohnlich an die Fremdwörter 


igt. N;i.h dor voistoh.MK 


Ol 


Inklination gehen ziemlich viele 


lier (nur MascHlina u 


d 


Si-Hira), doch haben manche 



— 207 — 

neben dem starken auch einen schwachen Plural. 
Beispiele : 

Masc. p ö n 8 f i s benefice^ k h ^ü s k r i conscrily pa» j ä s 
paillasse (auch sw. Plur.), äqkles anglaise (auch sw. Plur.), 
kornisÜQ cornichon, fars /arce (auch sw. Plur.), alle franz. 
Wörter auf -t er (wie kröfja grefßer etc.); — masc. und 
neulr,: pärapli parapluicy kasnö cache-nez ; — neutr. 
m ä n e w 9 r manosuvre. 

Neutra mit der Pluralbildung -er [ar] ohne Umlaut siehe 
im folgenden. 

b) mit Umlaut ; 

Masc. pal bal; py^ürj bouchon. 

Sing. Nom. tor päl Sing, Noni. pysüij 
Gen. fäm päl Gen. pysiiQ 

Dat. e m p ä I Dat. p y s ü q 

Acc. 1 0, 1 r päl Acc. p y s ü ij 

Tlur. Nom. t, ti päl Plur. Nom. pyseij (auch unum- 
Gen. fä ta päl Gen. pyserj [gelautet) 

Dat. e ta päl Dat. pyseq 

Acc. t, t i päl Acc. p y § e ij 

Neutr. päntas bandage . 

Sing. Nom. s pänidS Plur. Nom. t, ti pänl^sar 
Gen. fäm päntds Gen. fä ta pänl^/sar 

Dat. em päntd§ Dat. eta pänl^fsar 

Acc. s pänld§ Acc. t, ti pänt^isor 

Hierher gehören ebenfalls nur Masculina und Neutra. 
Von den Masculinen haben manche Wörter im Plural neben 
den umgelauteten auch die umlautlosen oder selbst 
schwache Formen, während hingegen andere sogar dop- 
pelten Umlaut bilden. Beispiele : 

k h ä p^ t capole, plur. k h ä p ^ t, auch schwach ; k li ä pa - 
süQ capuchony plur. khäpaseu; khäri/ carruca, plur. 
khari^f; pärasol parasol, plur. p ä r a s o 1 und p ä r o s e I ; 
SypiiQ jupon, plur. äypeq und mit doppeltem Umlaut sipeij; 
särapäQ char a bancsy plur. särapaq und mit doppeltem 
Umlaut sarapaQ; ^km^\ij\ jambon, plur. als masc. säm- 
peq, als fem. schwach sämpüija; andere auf -ürj, wie 
kornisÜQ cornichon, bleiben gewöhnlich ohne Umlaut; das 
fem. fl ot flotte hat einen umgelauteten Plural flet (Uoppenz- 
weiler), sonst ist es schwach wie alle Feminina. 

Die Neutra bilden den Plural auf -er (ahd. -er), wodurch 
in der Regel Umlaut des vorhergehenden umlautbaren Vokals 



— 208 — 

eintritt: plys blouse^ plur. plisar und ohne Umlaut plysar, 
als fem. scliwach plysa; nicht umlautsfahig sind z. B. : 
losdmant logemenly plur. losamantar; khäpin^tca- 
binely plur. khapinetar; r^tsapt receptuniy plur. r e l- 
saptar; enstramant inslrumenlumy plur. e n s t r e - 
mantar; presaui presenly plur. presantar; khämtn 
k a m 9 1 caminuMy plur. khämtnarkhamatar. In Teilen 
des Oberelsass bilden den Plural auf - a r auch meistens die 
Deminuliva, z.B. pyseijla dem. von bouchon^ plur. py^e^lar 
u. a., die sonst im Plur. schwach gehen. 

2. Gemischte Deklination. 

Masc. Fem. 

k h ä m a r ä t camarade, p ä s k y 1 hascule. 

Sing. Nom. tar khamardt Sing. Nom. t, ti päskyi 
Gen. f ä m khamardt Gen. fä tar päskyi 

Dal. em khamardt Dat. e tar päskyi 

Acc. ta, tar khamardt Acc. t, ti päskyi 

Plur. Nom. t, ti khämardta Plur. Nom. t, ti päskyla 
Gen. tä ta khämardta Gen. fä ta päskyla 

Dat. e ta khämardta Dat. e ta päskyla 

Acc. \, ti khämardla Acc. t, ti päskyla 

Diese Deklination hat die grössfe Ausdehnung. Sie umfassl 
alle Feminina und viele Masculina. Von Neutris 
gehcm nach ihr im Unlerelsass alle Deminutiv a. Beispiele: 

Feminina: äksjtln action^ plur. äksji^na; ätras 
ai/resscj plur. ätrasa; ätä r affairCy plur. äf^fra; ätäk 
atUtque^ plur. äläka; pärdk baraque^ plur. pärdka; 
putal boutcilley plur. potala; pytik boutique, plur. py- 
t i k a ; p r o i^ bräche, plur. p r o s a ; m ä n i a r manierCy plur. 
ni ä n l a r ; p ä p I j u l papil/ole^ plur. päpijüta u. a. 

Maaculina : k h u m o t d n t commandanl , plur. k h u m a- 
l d n U) ; obenso s ä n t ä r m yendarme^ p w j ä s paillasse (auch 
stark) u. a. 

Neutra : k o r n i s e ij I dem. von cornichon, plur. k o r- 
n i s ou lo u. a. 

Anm. 1. \Vöit#*r, die durch Eintluss der Endung -üu 
(z=z hd. - u n ;r) Keiniiiina gowoixlen sind *, wie s ä m p ü i& 
jambon u. a., bildon infolgtMle.ssen auch einen schwachen 
Plural. 

Das masc. p y s u ij bouvhon hat neben der gewöhnlichen 
starken auch oino schwache Pliiralform p y s ü m a (Rauw.). 



— 209 — 

Anm. 2. Das Wort lap6 Vabbi, allgemein stark flektiert, 
erhält ebenfalls einen schwachen Plural läpeja (ßisch.). 

3. Alte Kasusreste. 

In der Deklination sind ausser im schwachen Plural keine 
Flexionszeichen vorhanden. Doch erscheint an mehreren fremden 
Ausdrücken ein s als üeberrest des früheren Genitiv Singu- 
laris 1 : 

a) in Zusammensetzungen: säkartis- 
k h a r 1 sacre dieu -\- Kerl, nüntatjes- oder n ü n t a t i s- 
k h a r 1 nom de dieu -\- Kerl (vgl. hd. Teufelskerl), r a k a3 i s- 
khür racaiiie + corpSy k h ä 1 f d k t 9 r s-k s e }r t caie- 
factor -{■■ Gesicht^ tywäks-kyt^ [aber t y w d k - (k)y ts] 
Tabak -{■■ couche if. a. 

b) in Wendungen wie : tespatiaras (tespas) 
hän* disputare (eig. Disputierens haben) und ähnlichen ; ferner 
in t h a r m » n s w i s terminweise. 

4. Der Numerus. 

Ein entlehntes Wort behält in der Mundftrt gewöhnlich 
seinen Numerus bei. Doch gibt es auch eine Anzahl fremder 
Ausdrücke, die statt im Singular, den die Fremdsprache bietet, 
meist oder nur im Plural verwendet werden. Umgekehrt 
vertauschen einige Pluralia tantum ihre Mehrzahl im Dialekt 
mit der Einzahl. Die Ursache dieser Erscheinungen besteht 
vielfach in der zu Grunde liegenden Vorstellung entsprechender 
einheimischer synonymer Bezeichnungen.' 

1) Singulare treten in den Plural : 

a) meistens folgende Wörter : 

ä f r u n t a afjront * [f ö r w e r f Vorxcürfey soeyareja 
«Sauereien»] , p ae r 1 o k a hreloque [li r a r e q 1 a Ohren- 
ringchen\y k ä p r i (^ 1 a cabriole ß p r e ^ Sprünge^ s t r a? i / 
Slre%che]y k a 1 s ,u calegon [h o s a Hosen], khäpritsa 
caprice [ly na Launen, nypa], sos^ta chaussette [strempf 
S trumpf e\y § i k d n a chicane [plan Pläne ^ s p r e q Sprünge]^ 
khüntawtta conduite [f 6 r w e r f Vorwürfe ; f 1 de y s a 



1 Ein ähnliches s vgl. Anhang za § 13, Zss. mit der Par- 
tikel ge-. 

' VgL elsässische Wendungen wie pälas, farstekas spei» 
3= Baü^ Versteckens spielen, 

s Vgl. damit aach den Geschlechtswandel unter VI. 

^ In Klammem folgt die Angabe einheimischer Synonyma. 

14 



— 210 — 

Flausen], t e p ^d s a depense [üijkhesla Kosten^ eig. Un- 
kosten]^ § ä 1 t 9 echalole [nach Wörtern wie t s e w 1 a 
Zwiebelny k n e \v l i Knoblauch]^ ,ä p r a s a embrasse [u m- 
h a Q 1 9 Umhängchen^ fanglerliaxl» Fensterlüchlein], 
k ä m d ö 9 gamache [ wie s l e f 1 Stiefel], k 6 f r a gaufre 
[p r 6 1 1 9 Brötchen], k r i in ä S9 grimace [fräts9 Fratzen], 
pow9rt^t9 pauvrete [soeyareja Sauereien], p 1 i s a 
plisse [f ä 1 1 a Falten], r e p r o s a reproche [s oe y a r e j a 
Sauereien], t a rm terme [§ l r ae i /, Streiche, s p re ij Sprünge], 
w a r i s a varice [k r ä m p f u t r a Krampfadern], usw. 

Bei manchen spricht für die oben ausgesprochene Annahme 
von Vorstellungen verwandter einheimischer Begriffe als Ur- 
sache des Numerus -Wechsels auch der Wandel des Geschlechts, 
wenn sie gelegentlich im Sing. g[ebraucht werden, z. B. : k ä- 
loSa m. galoche f. [Stefl Stiefel, §ya Schuh m.], sest 
f. geste m. [p a w e j ü ij Bewegung f.], k ^ t a r m. guelre f. 
[s t e f 1 Stiefel, s y a Schuh m.], f a k o t f. fagot m. 
[f r ä t s Fratze, k r i m ä s f.] u. a. 

Der Gebrauch des Plural in französischer Rede geht in 
die Mundart über : a r h e t r ü m ä t i s a // a des rhu- 
matismes. 

h) sehr oft Deminutiva : 

ä m a t i s 1 a von amadis [s t y / a 1 a , h a n s i Hand- 
schuhe], a m r s 1 a von amorce [p e 1 f a r 1 a Pülverchen], 
p 86 r 1 6 k 1 a von breloque [ü r a r e q 1 a Ohrenring chen], 
s s ö t 1 a von chaussette [weil es kleine Strümpfe sind], 
^ä p r a s 1 a von embrasse [u m h a ij 1 a Umhäng-chen], m i t e- 
1 a 1 a r von mitaine [s t y y a 1 a , h a n s i Handschuhe\ p a s- 
t i n 1 a von pastiile [pfafarmensla Pfefferminz-chen], 
r i n 6 1 a von pruneau [Pflaumeji], r i s 1 a von riiche [Falten, 
öfter f a 1 1 1 a = Faltchen]. 

2) Plurale werden zu Singularen : 

t ü m a s a n t 9 r i dommages et interets [s ä t a Schaden, 
Entschädigung], farkhdns vacances. 

5. Die Deminution. 

Im mhd. dient die Silbe -lin zur Verkleinerung der 
Wörter. Im eis. ist sie zu -I, al abgeschwächt, aber der Um- 
laut ist in den meisten Fällen noch vorhanden ; nach r in 
Nebensilben lautet die Verkleinerungssilbe -la,i nach 1 stets 




1 Diese ist im Oberelsass fast in allen Fällen üblich. 



— 211 — 

— ala. Diese letztere [-ol?] ist aus der ersten [-al] und der 
3V/eilen [-la] zusammengefugt und dient im weiteren zur Ver- 
kleinerung schon vorhandener Deminutionsformen. Auf diese 
Weise wächst ihre Zahl ins Unendliche. Es gibt sogar eine 
Reihe von Fremdwörtern, die fast nur oder mit Vorliebe als 
X)eminutiva gebraucht werden : 

.'-a) es sind dies hauptsächlich jene, die schon in der fremden 
-Sprache der Form nach Deminuliva sind und nun in der 
Mundart eine neue Deminution erfahren : 

s ä r p n ^ t l charbonelley s ö f a r e t 1 chaufferetle, s o- 

-s e t 1 chaussetlCy s m i s ä 1 1 Chemisette^ s i k ä r e 1 1 cigareite, 

k b ü 1 1 ^ 1 1 cötelette^ k I o r j e t 1 glorieite, s a k e t 1 ja- 

-quelte^ ä m 1 e t 1 Omelette ; ihnen folgen auch Wörter wie 

f 1 ä s 9 n e t 1 (Dissim. von 1 zu n) flageolet, t a w a r e t 1 

labouret ; ferner m ä r m o 1 1 marmolte, dem sich s a p o t I 

^abot anschliessl ; fatsanetl (Dissim. 1 > n) fazzoletto, 

t r ä )( e 1 1 rocchetia ; ä r i k a I a auricula^ ä r «i ij k a 1 a 

ranunculus^ k h e n j a 1 a cuniculus u. a. 

b) vereinzelte Beispiele, deren Sinn pfewöhnlich eine Ver- 
kleinerung enthält : ä m a t i s 1 a amadis, a m o r s 1 a amorce, 
pysl buse^ .äprasla emhrasse^ m i te I a la r w/7ame, p äs- 
tin 1 a pastiKe^ p r o f e 1 1 pro fit, » r o s e n 1 raisin, t y t s w i 1 1 
lout de suite, k h a n s t a r 1 a canistrum, p o 1 s a m / n 1 a balsa- 
minUy m ^ 1 a 1 a mellone. 

In Bezug auf den Umlaut ergeben sich : 
a)umgelautete Formen (zum Teil mit umlaut- 
losen Nebenformen): plys plisl und plysl blouse, pysüii 
pyseQl und pysüala bouchon, potal (niclit umlautbar) 
potalala bouteille, käsrol käsrelala casserole, sära- 
päij särapaql char d bancs, sikar sikärl cigare, 
khüfar khefarla coffre, krej^ü krejeql crayon, flot 
fletl flotte, sämpÜQ sämpe^l jambon^ mätäm mä- 
taml madame, rys risl rucltej tyr tirl tour, khäpisüri 
khapiscQl capuchon, kliäri/ khariyl carrucay külar 
ketarla guttarlum, käki^tmar käkemarla cocomcro, 
päntofl pänt^fala pantofola usw. 

Anm. Es gibt in der Mundart ein Wort s ü m p a, dessen 
Etymologie zweifelhaft ist. Wahrscheinlich ist es als Grundwort 
rekonstruiert zu dem als Deminutivum aufgefassten s e m p 1 
^imple^ mit dem es dem Sinne nach übereinstimmt ; es läge 
dann Analogie vor nach Wörtern wie 1 ü p a 1 e p 1 Lippe, 
müy9 mey\ Michael oder lümpa lempal, stümpa 



In der Bedeutung «trichterförmiger Lichts tockaufs atz». 



— 242 — 

Stempl. Wir haben demnach im Gegensatz zur Deminution 
eine «Vergrösserung». 

b)unumge]autete Formen ausser den unter 
a) angeführten; sie haben vokalischen Auslaut und dehnen in 
der Deminution diesen Vokal, statt ihn umzulauten. Vor der 
Deminutionssilbe schieben sie gewöhnlich einen sog. euphonischen 
Konsonanten ein. So steht ein r in k r ä p o dem. kräp^rl 
crapaud ; ein n in den unter Lautzusatz 2, 1) verzeichneten 
Fällen ; mit Hiatus ist gebildet pysü pyäüalo von bouchon, 

§10. 
A dj ekti va. 

1. Die Deklination. 

Alle fremden Eigenschaftswörter haben sich in Bezug auf die 
Verhältnisse der Deklination den einheimischen völlig ange- 
schlossen. Sie bilden folglich wie diese eine starke und eine 
schwache Form, i 

2« Die Komparation. 

Viele fremden Adjektiva sind auch der Steigerung fähig. 
Diese wird von der unflektierten Form gebildet durch Anhän- 
gung von - r für den Komparativ, -st für den Superlaliv. 
Umlaut tritt nirgends ein; er findet sich nur bei proper 
propre, Komp. präparar, Superl. präpar^t neben umlaut- 
losem proparar proparst. 

Beispiele ; § ä r m d n t charmant särnidntar sär- 
mdntst, tifastl difficile i\^df< Hb r tifastlSt, raisa- 
rd w 1 w/sera6/e m isa r dwlar misardwlSt, ii6yf\ noble 
nöwlar nöwlst, phöwar pauvre phöwrer ph ö warSt, 
s 1 / 1 solide soU'tar sol/ti^t usw. 

Anm. Auslautendes s verschmilzt im Superlativ mit st: 
fämtis fameux fämtist, khyrjws curieux khy rjti§t usw. 

§11. 
Verb a : 

Konjugation. 

Die Verhältnisse der Konjugation fremder Verba sind sehr 
einfach. Es gibt nur eine einzige Klasse von Verben, die 
schwache. Die Flexion selbst weist keinerlei Abweichung 



^ Für den vorliegenden Zweck kann die Darstellung übergangen 
werden, man vgl näheres bei Lienhart, a. a. 0., S. 53 ff. 



— 213 — 

vom einheimischen Verbumi auf; wir haben nur einen Indi- 
kativ Praesentis, ein Participium Praeteriti Passivi, einen Im- 
perativ und einen Infinitiv, die übrigen Formen werden um* 
schrieben. Wie bei einheimischen wird auch von dem 
Konjunktiv Praeteriti fremder Verben ausserdem ein neuer, 
eigentümlicher Konjunktiv Praeteriti gebildet durch angehängtes 
-kt oder-t, also ex klofeyptit [obereis. auch kloiptikt] 
ich wurde glauben*, ebenso ex festomiartit ich würde 
«estimiereni> ; jedoch ist davon hauptsächlich nur der Singular in 
öfterem Gebrauch. — Beispiel: ^Stomloro estimer, 

Indikat. Praes. Konj. Praet. 

ex^ätamior ex^stamiarlit 

tyestomiarS tyästamiartit§ 

ar^Stomlart ar^stamldrtit 

mer östomiard [mer ^ § tdmisrti ta] 

er eStamldrd [er eätamiart ita] 

si^stomidrd [siästamidrtitd] 

Imperativ. InGnitiv. Partizipium. 

2. Sing. eStamtar eStamlara. k^Stamtart. 
2. Plur. ^Stamlora. 

Das Partizipium nimmt bei seiner Bildung in den aller- 
meisten Fällen die echt deutsche Vorsilbe ge- an. Sie 
lautet in der Mundart s ka- vor P- und T-Lauten, k- überall 
sonst, auch vor Liquiden ; also : 

kaplasiart von blesser^ kaparmatiart von 
permeUrCy kaprasiart von presser, k a p ä s i a r t von 
passer, kaprofatiart von profiter, katrümpiart 
von Iromper, katarmaniart von terminare ; k o f riart 
von offrir, k§än§iart von changer, kSäkarniart 
von chagriner, käwäsiart von choisir^ k§6niart von 
g^ner, k s a s i a r t von saisir^ k f 1 ä l i a r t von flatCer, 
k fesatlart von visiler, k 1 o s i a r t von loger , k m ä - 
r i k i a r t von marquer, krämasiart von ramasser, 
k r ä w a I t (inf. r ä w a I a) von rebellare. 

Es gibt auch manche Wörter, bei denen die Bildung des 



» S. Lienhart, a a. 0., S. 67 ff. 

* Nach Martin ist in den angefügten Lauten das mda. kat 
bezw. k»t fdr tat bezw. teet (Konj. Praet. ^oe^e) enthalten. Unzu- 
treffend sind die Bemerkungen von V. Henry, grammaire 123, 1^ 
der mhd. iht zu Grunde legt. 

s Zu Nordhausen. 



— 214 — 

Partizipiums vermillelst des Praefixes ge- schwankt, ungewöhn- 
lich ist oder gar nicht vorkommt; so bei: 

äkseptiart von accepier, ä r a t i a r t von arreler^ ä r o- 
wiart von arrivtr^ tekr e tiar t von ^/c'^fra c/cr, äq k aSiarl 
von engager und anderen. 

Die Vorsilbe ge- tritt auch auf in Zusammensetzungen voft 
Partizipien mit trennbaren Partikeln, ^ z. B. : 

än-kapresatiart von an -|- presenter^ ü f - k m ä r i- 
k i a r t von ouf -{- marquer, ys-kswäsiart von aus -\- choi- 
sir, ys-kränsiart von aus -j- ranger, fü rt- kapl Stiert 
von fori -j- fjlaideVy Isäma-krämasiart von zusammen -|- 
ramasser. 

Das -t des Partizipiums fällt bei Verben auf -en [-a]* mit 
einem t im Stammauslaut zusammen, z. B. : 

far-marsänt von ier-j-»2arcÄaw(/cr [far- mär sdnte]^ 

Anm, Nach Analogie von Partizipien ist gebildet kfekst 
vom adj, ßxe [f e ks] mit der Bedeutung «bei der Hand, bereilK 



IV. 

Die Wortbildung. 

§12. 
Wortbildung durch Ableitung^ 

4. Bildung von Substantiven: 

a. mit fremden Ableitungssilben : 

Durch Anfügung fremder Elemente an Fremdwörter ent- 
stehen neue Gebilde, die natürlich auch ihrerseits einen fremde» 
Charakter tragen. Wir erkennen hierin die ungebundene 
Freiheit, mit welcher das Volk die Fremdlinge den Gesetzen 
seiner eigenen Sprache unterwirft. Denn einige dieser fremde» 
Ableitungssilben treten ebenso gut auch an einheimische Wör- 
ter zum Zwecke der Neubildung heran. Wackernagel* 
nennt diese letztere Erscheinung zutreffend «Um wel schung> 
im Gegensatz zur Umdeutschung. 

4) Am häufigsten werden mit den Silben -ie und -ei [-» 
und -^i aus mhd. -ie] sowohl von fremden als von einheimischea 



^ Vgl. unter IV, Anhang. 
2 Vgl. § 12, 3 : b. 
» A. a. 0., S. 33. 



— 215 — 

Wörtern neue Substantive abgeleitet. Auch in der Schrift- 
sprache hat diese Bildungsweise weite Verbreitung gefunden ; 
vgl. Wörter wie Bäckerei, Schreinerei usw. (auch mundartlich). 
Da die Silbe gewöhnhch an Wortausgänge auf -er angefugt 
wird, so nimmt es den Anschein, als ob sie, durch jenen Aus- 
gang erweitert, selbst -erei oder -rel [-er ei, -räi| lauten 
wurde. Tatsächlich werden die Bildungen auch nur mit dieser 
erweiterten Silbe vorgenommen. Namentlich von Infinitiven 
werden auf diese Weise Substantiva^ abgeleitet : py rarei von 
py'rd (bauern = Landwirtschaft treiben), retarei von reden 
(Gerede), p r i a 1 9 r e i von brüllen^ (Geschrei), t r ü k a r ^ i von 
drücken (Gedränge) ; ebenso: kyjaniararei von coionner, 
khärasiararei von caresser^ k h ü m a t i a r a r e i von Com- 
mander, flatiararei von flattcr, tespatiararei von 
dispulare usw. 

Der Analogie dieser Bildungen folgt die merkwürdige Ab- 
leitung keksösarei2 von quelque chose. 

Die Silbe -ie [-1] oder ihre entsprechende Erweiterung 
-ari findet bloss in einigen Fällen Verwendung. Sie dient hier 
zu Weiterbildungen oder vielmehr zu volkstümlichen Verbes- 
serungen fremder Worte : s ä l y s i Jalousie heisst im Volksmund 
auch säly s a r /; mairle lautet allgemein merari, das als 
selbständige Neubildung aus subst. maire + Endung -ari zu 
gelten hat. 

2) Die Silbe -age [-äs] ist ebenfalls anffigbar an fremde 
und einheimische Wörter. Zu Grunde liegt Analogie nach 
Wörtern wie bagage^ menage, courage ; so entsteht p 1 ä m d § 
von blämer. Im übrigen ist die Anfügung an einheimische 
Wörter häufiger : 

k^tälds (von aGestelU) Unordnung; krempldä (von 
€Gerümpel») altes, wertloses Zeug; k§aijkd§ (von Geschenk) 
Schenkung; smerds (von schmieren) Schmutz, Unreinlich- 
keit ; lümpakds ist eine Vermischung aus lump (nichtswür- 
diger Mensch) -}- p ä k d s {bagage) = nichtswürdige Gesell- 
schaft. Alle diese Bildungen haben einen verächtlichen Sinn. 

3) Mit der Endung -äs ist gebildet wyatäs (Wüterich, 
böser Junge) von Wut nach lytsiäs (Luzias, lucifer) oder 
Judas. 

4) Die Endung -alia [-älja] mit spöttischer Bedeutung 
(auch im Hd.) begegnet uns in smyrdlja sowie in k§my- 
rd 1 i s Schmieralien, 



1 Wegen der Bedeutung vgl. die Zusammensetzungen mit der 
Partikel ge- unter IV, Anhang. 

2 Vgl. Seh WZ, Id. 2, 175: «Kleinigkeit». 



> 





— 216 — 

5) Der lat. Dat. (Abi.) Plur. der 3. Deklination auf -tbu 
[-ipys] dient zur Bildung einer Art Rotwelsch unter de 
Schülern und steckt wohl in folgenden Ausdrücken : 

r ä t s i p y s (Ulrich) = Gesindel^ vielleicht von race gebilde 
wie rätsakhür (race -f- corps) ; l ü f t i p y s = leichtfertige 
Mensch, von Lufl; hyrlapys mit derselben Bedeutung wi 
lüftipys; filipys = Fidibus, Verdrehung aus vidimus (?) :=. 
das 1 im elsäss. Wort spricht eher für die Abi. aus fidelibu^ 
[fratribus], wenn man nicht Anlehnung an den Namen Philip 
annehmen will. 

6) Der Gen. Flur, der lat. 2. Deklination auf -oru 
[-örüm] findet fast die gleiche Verwendung wie -ibus: 
äärlam<^rüm (Schorlemorum) ein schlechter Branntwein 
sonst steht die Silbe namentlich in scherzhaften Reimversen 
snip snäp Snörum äpostoUr um (im Kartenspiel), bei 
Sprechen der Worte schlägt [= §nipart] man dem ander 
eine Karte um die Nase herum. 

Die Endung -um [-um] dient zu ähnlichen Bildungen: 
kr 6 tum want ant um l khäts frest to pipalJrum 




Grete^ wende die Ente um, die Katze frisst das Bibbel (pip^m.) 
= Huhn; so soll ein Pfarrer, der von der Kanzel aus in dL -^ 
Küche des Pfarrhauses sah, seiner Köchin während der Predi^^t 
zugerufen haben ; die andern Leute glaubten indessen einfr- :m 
lateinischen Vers zu hören. 

7) Auch die latinisierende Endsilbe -alus [-ät] findet sic^I] 
in der elsässischen Volkssprache : 

p r e 1 d t von brüllen = schwatzen, schreien (dumm^j 
Schwätzer) ; s w le y d t von schwächen = tüchtig trinken, 
saufen (Erzsäufer), selbst ein weitergebildetes Verbum §W3e- 
yäi9 saufen (bei Ulrich). 

Die lateinische Adverbialendung -alim liegt vor in gassalim, 
einem Wort, das wohl aus der Studentensprache* in das nie- 
dere Volk gedrungen ist ; es lautet« käsdto Bf. Ingw. Lobs., 
khäsdta Ingenh., khäseta Str.; khäsdto k^n = auf 
den Gassen sich müssig herumtreiben, spazieren gehen, bes. 
nachts Liebesbekanntschaften aufsuchen ; gassatim gehen, laufen 
C. S. ; cassaade gehn = Liebhaber aufsuchen Ulrich. 

8) Eine weitere latinisierende Bildung wird vollzogen mit 
der Silbe -ant [- ä n t] : 

s n ü r d n t (Bettler) von dial. schnurren, schnurren gehen 
(vgl. mhd. snarre = einsaitiges Instrument, snarrenzaere 
b. Walther v. d. Vog. = umherzieh. Musikant) = bet- 



1 Klage, deutsche Studentensprache. 
« M.-L. 



ai 



VC 



V 



— 217 — 

telnd umherziehen, gewöhnlich mit einem Musikinstrument, 
daher §nürdntamysik. Wahrscheinlich liegt Analogie vor 
nach Wörtern wie Komödiant, Prädikant usw. ; ein davon neu- 
gehildetes Verbum lautet snürdnt9 = schnurren gehen als 
snürdnt Ulrich. 

9) Die lateinische Nominativendung -ws, -ius [-»s, -jas] 
begegnet uns in zahlreichen Fremdwörtern : 
f o k 9 1 « f 9 s vocalivus, w ä k a s aus vagabundus, Eigennamen 
wie wantaHnas VendelinuSy Lytaw tkas Ludovicus, 
ferner tsötsjas socius, nätdrjas notarius usw. Diese 
Silbe wird nun in scherzhafter oder verächtlicher Ausdrucks- 
weise an beliebige Wörter angehängt und ist namentlich in 
Strassburg ausserordentlich beliebt. 

An Fremdwörtern : m ä 1 a § t a s moleslia ; k h ö r a s corps ; 
p ä r e k a s von perruque (Barbier, Friseur, der mit Perücken 
arbeitet) ; pärjantas und ämysparjantasi von pour rien 
dire (?) = dummes Geschwätz; krämdntsjas von grand 
merci: «kramanzjes (= Umstände) macht der nit» Pfingstmon- 
tag III, 7. 

Häufiger an einheimischen: pae^as von Pech (Schuster, 
der mit Pech arbeitet), släpas von schlapp (schlapper, ge- 
meiner Mensch), 1 ü m p a s von Lump in derselben Bedeutung ; 
bemerkenswert ist wesf» Ij as(von wwsen + viel) Vielwisser 
und mit Anlehnung an w6 s t {wüst) mit entsprechender Be- 
deutungsveränderung w^stfiljas roher, frecher Geselle: 
Wissvieljes Vielkenner, Vorwitziger Ulr., «'s isch e Wistvieljes 
80, e zwazzhcht frecher Burst» Pfingstmontag III, t2. 

Mit -alius [-ätsjas, -ätsi] ist gebildet von Lump: 
lümpdtsjas und 1 ü m p d t s i scherzhaft und verächtlich 
= verkommener oder verwegener Mensch, lumpazjes Ulr. ; 
mit 'icus [-ikys]: pfifikys (von pßßg) durchtriebener 
Kerl (aus der Studentensprache ? *). 

iO) Analog den zahlreichen französischen Fremdwörtern 
auf -ton ist mit demselben Ausgang das Wort Masse weiter- 
gebildet zu mäsjt^n (mäQSJJn Ruf. Geberschw.), um den 
Ausdruck der Fülle besonders hervorzuheben. 

11) Nach Wörtern wie enstramant instrumenlum, 
füntamant fundamenlum sind mittels der Silbe -ment, 
-menlum [-man t] abgeleitet : 

f ä 1 a m a n t von fallen (Fall, Sturz) und syn. rümplamant 
von rumpeln. 

12) Nach Wortausgängen auf -te, -las [- 1 6 t] finden sich 



1 Beides jüdische Ausdrücke, vgl. Jb. XII, 159; XIII, 181.^ 

2 Kluge, deutsche Studentensprache. 



— 216 — 

5) Der lat. Dat. (Abi.) Plur. der 3, Dek'" ,itet 
[-ipys] dient zur Bildung einer Art Rot nite't 
Schülern und steckt wohl in folgenden ^ -n. 

r ä t s i p y s (Ulrich) = Gesindel, '•" wurde mit 

wie r ä t 8 9 k hur (race + corps): sia re] ein 

Mensch, von Luft ; h y r U p y s . pressura ?), 

lüftipys; f ilipys = Fidib' »cht einheirni- 

das 1 im elsäss, Wort sprich der spotliscliem 

[fratribus], wenn man nie' wie itjil. khä- 

annehmen will. von cravale in 

6) Der Gen. P' Kiäwyls phäka am 
[-Ö r um] findet fap .hd. hevanna) He- 
Sarldm^rüm pytsla von crepaie 
sonst steht die 

änip Snä' . ;vhi.iiliinp:ssilhen : 

Sprechen ^ ^,i dor Anrü^^ung fremder Silben an einheimische 

eine K' \:-,.ren eine rmwelschun«,^ vor uns haben, so er- 

Die "^ . rfA"''';,. uni;.'**kelirt in der Anfü'uinpf einheimischer Silben 

' /*/> le Ausdri'icke einen bchiitt zur U m d e u t s c h u ng. 

y//'^'jen n<»<-h zu l)e>!prechonden Suhslitulioneii von Vor- und 

"^"T^ilben^ gibt es auch neue, selbständige Wortbilduniren. 

^Ya z^var kommt ITir die Bildung von Substantiven ausschliess- 

7 V die Ableitung mit -er, mhd. -acre [-9r] für das Maskuli- 

ütd, -er/w [-oro], seltener einfaches -in [-a] für das Femi- 

jpum in Betracht; es ontslehon dadurch sogenannte nomina 

agentis. Auch die erweiterten Silben - 1 a r mit spöttischem 

^ebensinn und -nor sind in häufigem Gebrauch. Auf diese 

Weise werden gebildet : 

1) Maskulina : 

a) von fremden Substantiven : 
mit - r : 
ä p 9 1 e k 9 r von apotheca (Apotheker), s i k a r von chique 
(einer, der Tabak kaut), k h ü m p 1 tl t a r von complot (einer, 
der an einer Verschwörung teilnimmt), fawrekar von 
fabrique (der in der Fabrik arbeitet), märdtar von «la- 
raude neben märötcnr maraudeur (der sich mit Plündern 
abgibt), m a r i n a r von marine (der bei der Marine dient), 
p r i s n a r von prison neben p r i s o n j e prisonnier (der 
im Gefängnis ist), protsasar von processus (der gern 
Prozesse führt), r e f w r m a r von re forme (der in der 
Musterung als untauglich befunden wird) und viele andere; 
ähnlich auch k ä 1 w i 1 a r von calville (Aepfel von calville, als 
Städtenamen aufgefasst?). 

' Vgl. § 14, 1. 



— 219 — 

Tiit -la r : 
'i s 1 r von assurance (der Versicherungsgeschäfte be- 
^genl), komertslar von commerce (der Zwisch^- 
'eibt), khüntarpantlar von conlrebande (der 
treibt), fawreklar von fabrique (der in der Fa- 
'^ u. a. 

•hen Wörtern wie kä rt n a r (mhd. gartenaere)^ 
eher) hat man von porle p o r t n a r (Pförtner)i 
Kinfluss von mhd. phorlenaerenhd, Pförtner, 
♦ Verben im InGnitiv: 

"iommander (der gerne das Wort führt), 
.. aiscourir (der streitet, um Recht zu haben), 
- * d r von dresscr (der eine Zucht treibt), ten usiarer 
von d4noncer (der gern verrät, Denunziant), träijsiarar von 
Irancher (der zerschneidet), tespatiarar von disputare (der 
immer rechtet), r ä w al a r von ra w a 1 a rebellarc (der sich 
auflehnt). — Entsprechende französische Sulistantiva auf -eur 
oder -ier sind in der Mundart unbekannt : tesatiarar kommt 
von desertery nicht von deserteur; f lät i ar ar von flalterj nicht 
von flalteur ; päsaniicntiarar (Ulr.) von passemenler, 
nicht von passementeur ; präkaniarar von braconner^ da- 
neben auch präkonje und präkwnjar braconnier. 

In anderen FäJlen ist von einem entsprechenden Substantiv 
zunächst ein mundartlicher Infinitiv und davon erst das neue 
Substantiv hergestellt worden, oder mit anderen Worten : nach 
Analogie der bisherigen Beispiele wird die Endung -ewr, -/er,. 
lat. 'Or zu -iarar; gewöhnlich geht noch die ursprüngliche 
Form nebenher : 

pämpasiarar pä mpas^r 6a w6oc/?ewr, es besteht eben- 
falls ein Infinitiv pämpasiara von bamboches ^ehWdei ; päl- 
w iarar vom Inf. pälwiara barbier neben pälwiar; 
khüparar khüpar coupeur ; khälfdktarar vom Inf. 
khäl fdktara zu ca/e/*ac/or neben khälfdktar; derselben 
Analogie folgen kränatiarar neben kränatiar grenadiery, 
enSaniarar Ingenieur^ obwohl hier von einem Infinitiv nicht 
die Rede sein kann. 

2) Feminina : 

Fast zu jedem der oben angeführten Maskulina lässt sich; 
auch ein entsprechendes Femininum bilden mit der Endung- 
-m [-a]. Also z. B. : k h ä I f d k ta r ralefactor khälfdktar a^ 
teSpatiarar von disputare teSpatiarara. 

Aber auch andere Wörter nehmen diese weibliche Ablei- 
tungssilbe an, z. B. : mder maire fem. macra. 



— '220 — 

Da dieselbe gewöhnlich an Worlausgänge auf -9 r angefugt 
"wird (khklidkidro), lautet sie scheinbar -aroi und wird 
infolgedessen als solche verwendet; die Nebenform -ana scheint 
^uf den ersten Blick eine Dissimilation von r zu n zu enthalten, 
ist aber mit Sicherheit aus der Verdoppelung der weiblichen 
Endung in + in [-ana] hervorgegangen. So werden einhei- 
mische und fremde Wörter behandelt. Wie p^kara (Bäckers 
Frau) und s r i n a ra (Schreiners Frau) heisst es auch § m a t ara 
(des Schmieds Frau) neben dem richtigeren § m e t a ; ebenso 
zu miier maire fem. mabrara (neben maera, siehe oben) und 
.m le ran a, zu preti kdn t von praedicare fem. prätikdn tana. 

2. Bildung von Adjektiven : 

Durch Anfügung einheimischer adjektivischer Ableitungs- 
silben an fremde Wörter (Substant., Adjektiva, Verba) verschaflft 
sich die Mundart zahlreiche neue Eigenschaftswörter. 

a. Die Endung -en mhd. -in [-a, flekt. -anar] 
tritt ihrem Sinne entsprechend nur an Substantiva, um das 
Bestehen aus einem Stoffe oder dessen Herkunft zu bezeichnen : 
krotatyra (krotatyranar ts^i = Zeug) von gros de 
Tours, p ^ r k ä l a von percale^ pürjamcpiita von pergamena 
'(p ü r j am cp nt), port sal tna von porcellana (portseltn). 

b. Die Endung -ig ahd. -ac^ umlautbewirkend -ic [eis. 
verschieden : - i k ; - i ( i x ), flekt. - i X a r] 
^ibt Anlass zur Bildung von zahllosen Adjektiven, die abgeleitet 

werden : 

1) von Substantiven : 
khäprttsik (launenhaft) von caprice^ l o t l a w ä XI i 
(duftend) von eau de lavande, f ae j ä q s i k (aus Fayence) voi 
faiencBy f i n a s i k (pfiffig) von finesse, p h ae n s e x (dick- 
wanstig) von panse^ p e r k ä 1 i k (aus Perkai) von percale^^ , 
p e r s i k (aus Pers) von perse, p ä S t y r i (von stattlichennK: i 
Wuchs) von poslure, feilet i, -ik, -ix neben f fe i 1 ä » * 
(violette) von violette, m ä l ce 5 t i k (sorgenvoll) von moleslia ; 
ä p ä t d k 1 i k (Aufsehen erregend) von speclaculum \ soga^^ 
k^lksösik kek§ösik (etwas Derartiges, Eigentümliches -, 
Interessantes) von que^que chose. 

Neben äpetcr klik hat die Mundart, vielleicht nach mda — 
1 a X 9 ^ i k (lächerlich), ein erweitertes Wort äpötdklarifa 
gebildet, das meist als Adverbium gebraucht wird, z. B. io def 




1 Vgl. die parallele Erweiterung der Silbe -te, -ei zq -erie, -erei 
^-ori, -aröi] im vorhergehenden unter 1, a: 1. 



— 221 — 

Redensart : s e§ mar net spätdklarik es ist mir 
nicht angelegen, Spektakel zu machen, ich habe keine Lust^ 
Spektakel zu machen. 

2) von Adjektiven : 

diese drücken das adjektivische Verhältnis doppelt aus ; nebea 
ihnen kommt gewöhnlich auch das einfache Wort vor : m i - 
s a r d w 1 i k von misirable, ortan^iri, -ik von or- 
dinaire (nicht vom lat. ordinariusy denn dann müsste es or- 
tan d r i lauten), r ^ s o n d vv 1 i k von raisonnabhj r ö s p e k - 
t d w 1 i von respcc table u. a. ; von dem im Französischen in 
adverbieller Weise gebrauchten d pari gibt es in der Mundart 
ein Adjektivum äpdrti, -ik, -i)r (Nebenform ä p d r l) = 
eigenartig, besonder und ein gleichlautendes Adverbium — 
beiseite; sehr, besonders. 

3) von Verben im Infinitiv : 

§ ä n s { a r i (schillernd) von changer, te^pattarik (zank- 
süchtig) von disputare ; r ä w a 1 r i k (zum Lärmen geneigt) 
ist zunächst vom Subst. r ä \v a 1 a r , dies vom Verbum r ä - 
w a 1 a rebellare hergeleitet. 

c) Die Endung -/icA, mhd. -lieh, -lieh [-1 i X> ^^^y ^U 
wird sowohl mit fremden Substantiven als mit Adjektiven und 
mit Verben im Infinitiv verbunden, i 

1) mit Substantiven : 

ä f r tt n 1 1 i (unverschämt) von affronC, ä p a t * 1 1 i (Appetit, 
erregend, reinlich) von appeliC, m ä n i a r l i (zierlich, an- 
ständig) von manierey p 1 a s » a r 1 i (angenehm) von plaisir, 

2) mit Adjektiven : 

ä k s a k 1 1 i mit Umlaut (peinlich genau) von exacl, p r ^- 
p a r 1 i mit Umlaut (säuberlich) von propre. 

Die Bedeutung des ursprünglichen Adjektivs ist bei diesen 
Bildungen gesteigert. 

3) mit Verben im Infinitiv : 

das auslautende -a wird ausgestossen ; ä m a s i a r 1 i (unter- 
haltend, interessant) von amuser^ k r e ^i i a r 1 i (äusserst 
lächerlich) von crepare, khüntaniarli (beständig) von 
continuer, tekütiarli (ekelhaft) von degoüleTy ä m p a - 
t i a r 1 i (widerwärtig) von embelery f l ä t i a r 1 i (schmeichle- 
risch) von flauer y repatiarli (zuverlässig) von repondrCy 
r e s k t a r 1 i (waghalsig, unzuverlässig) von risquery t ä s - 
p a k t i a r 1 i (verächtlich) von despeclare, teSpatiarli 
(strittig) von disputare und andere. 



1 Zusammensetzungen mit der Negationspartikel un- vgl. im:, 
folgenden: Anhang. 



— 222 — 

d. Die Endun}< -isch [-i§]* 
tiat eine mehr oder weniger tadelnde Bedeutung und wird ver- 
4)unden : 

1) mit Substantiven : 

4(liäprttsis (launenhaft) von caprice, f i n a s i s (ränke- 
voll) von finessCy ä p a t e k a r i § (z. B. wie ein Apotheker, 
d. h. unleserlich schreiben, oder nach einer Apotheke riechen) 
zunächst von ä p a t e k a r, dies von apolheca, kräfa telis 
(stolz, eingebildet, z. B einhergehen) von gravilas, s t ä t i s 
(putzsüchtig) von staius, pätawätis* (kauderwelsch, un- 
geschickt) von palois. 

2) mit Verben im Infinitiv : 

oder besser gesagt mit solchen Substantiven, die von Verben 
gebildet sind, z. B. : 

khümatiarariS (und khümattari^ mit totaler 
Assimilation der Silben - a r - ar) von khümetiarar zu 
Commander = gern befehlend, das Wort führend. 

Unmittelbar vom Infinitiv ist abgeleitet r ä w a l i § (auf- 
ruhrerisch) von r ä w a 1 a rebellare. 

3. Bildung von Verben : 

a. mit der Ableitungssilbe -ieren [-iara]: 

Sie verrät ihren undeutschen Charakter schon da- 
durch, düss sie den Hauptton trägt. In der Regel vertritt sie 
alle fremden Infinitivendungen » ohne Unterschied, dient aber 
auch zu selbständigen verbalen Ableitungen von andern Fremd- 
NVörlern ; selbst an einheimische Wörter wird sie zu dem 
Zwecke angefügt.* Wir unterscheiden demnach Ableitungen: 

i) von fremden Wörtern : 

In vielen Fällen stammt ein mundartliches Verbum nicht 
direkt von einem fremden Verbum, sondern ist von einem 
fremden Subslantivum ^ abgeleitet. Manche Beispiele zwingen 
uns zu dieser Annahme, da in der Fremdsprache gar kein 
entsprechendes Verbum vorkommt; so pämpasiara (ver- 
schwenden) zu bambocheSy krestiara (ein Klystier geben) 



» Sie steht auch für latein. -icas, vgl. unter II. Anhang: 8. 

« VjrK § 8. 2 unter 1. 

* V^l unter II, Anhang: 10. 

'* Ihos sind ebenfalls «Umw eise hangen», vgl. im vorher- 
jj'oheuden unter 1» a. 

^ In dieser Annahme wird man bestärkt, wenn man die zahl- 
reichen Ableitungen von Substantiven mittels der Infioitiv-EndaDg 
-en \ erbleicht unter b. 



i 



— 223 ^ 

zu klyslerium^ f y 1 i a r 9 zu foutre (?), sogar enfatiarai 
(Inventar machen) zu invenlarium, p ä l w i a r a zu barbier 
u. a. Neben p o l i a r a von polir hat man ein neues Verbum 
polatiara von polilure abgeleitet. So könnte man auch 
khälapia ra von galop herleiten und manche andern in 
entsprechender Weise. 

2) von einheimischen Wörtern : 

a) von Substantiven : l ü s t i a r a von Lust^ lustiere sicli 
l)e]ustigen CS.; kästiara von Gast = als Gast be- 
handeln, ihm Speise und Trank kostenfrei zukommen lassen, 
«der Offezier, wo d' ganz Fammilli het verkösti't un gastiert» 
Pfingstmontag III, 7; snäwliara von Schnabel^ schnaw- 
liere hastig essen Ulr., «un duet si frisch schnawwliere for*s 
Z'morjenesse» Pfingstmontag I, 6, «'s henn d'Eute die Mukke- 
n-ufgschnawwliert» ebd. III, 4. 

b) von Adjektiven : fresiara (Hf.) f r e s i a r a (Ingenh. 
Dunzenh.) f r es i r a (Str.) 2 von frisch = erfrischen, frischiere 
abkühlen, wieder auffidlen Ulr., «dnoh wurd der Disch gedeckt 
in's Gras, der Wyn gfrischiert im ßryschel» Pfingstmontag I, 
6, afresiara abkühlen ; slolsiara sloltsiara von 
stolz ^ stolziere stolz einhergehen Dir. 

c) von Verben : semfiara von schimpfen (vgl. mhd. 
enschumphieren)j verschimpfiere in Schimpf und Schande bringen 
G. S., «'s Huus isch jez verschimfiert» Pfingstmontag V, 4; 
spantiara von spenden = zum Besten geben, iron. i s p a n- 
t i a r a (syn. ihaijka) prügeln, durchhauen. 3 

b. mit der Ableitungssilbe -en [-a]: 
Dies ist eine echt deutsche Infinitivendung. Sie 
vertritt bisweilen die fremde Endung franz. -er, lat. -are, 
^Isässisch gewöhnlich -iara, bildet aber auch, indem sie 
namentlich an Subslantiva angehängt wird, neue Verba. Die 
Ableitung erfolgt also : 

i) von fremden Verben: püfa bouffer, säsa (Schüler- 
sprache) chasser, k ü s k y s a (von Hunden ; Jägersprache) 
<^oucher, k y I a cotiler, f y m a fumer^ h 11 s a housser, h y r 1 a 
hurler, m ä n s a (gierig essen) manger, far-märsdnta 
(heimlich um wenig Geld verkaufen) marchander, mäsdkara 
{neben mäsäkr2ara) massacrer, p ä r 1 a (französisch 
sprechen) parier^ P ^ j 9 P^y^^-> t r ä s a (kann auch vom Subst. 
trace abgeleitet sein) terrasser, träwdlja träwdkla 
travailler, r ä w a l a rebellare. 

1 Unter Anlehnung: an inviter [enfetioro], 
8 M.-L. ; oder von fraichir abzuleiten ? 

3 Synonyme Bezeichnungen s. Stehle, Els.-Lothr. Schulblatt 
1891, S. 227. 



— 224 — 

2) von fremden Substantiven : far*khäinisola (prü- 
geln ; schelten ; betrügen) von camisole, k r ä m p d 1 9 (Lärm 
machen) von carambole, § i k a (Tabak kauen) von chique, 
e k ä r 9 (^art^ spielen) von ecarte (^ k ä r), f y t e r 9 (schim- 
pfen) von foulrty § ä w a 1 9 (Wäsche mit Chlorkali waschen) 
von javelle^ m ä s t n 9 (mit der Maschine arbeiten, dreschen) 
von machiney mänew9r9 (lärmen, schimpfen) von manauvre, 
m ä r d t 9 (stehlen) von maraudey marjäs9märjä§9 (Karten- 
spiel spielen"^ von mariage, m o n t y r 9 (mit Kleidern ausrüsten) 
von monturej p ä § 9 (Würfel spielen) von passedix (p ä s), 
p ä w (p j 9 (pflastern) von pave, f i s i k 9 (wie ein Zauberer eil- 
fertig, auch nachlässig arbeiten) von phystqucy p h y t 9 r a (mit 
Poudre bestreichen) von poudrßy r e f Ä r m 9 (als untauglich be- 
enden) von reforme ^ f9rkhänts9 (Ferien haben) von ra- 
canceSy p ä s t 9 r 9 (kreuzen) von bastardus (päst9r), khäl- 
f d k t d r 9 (heucheln) von calefactory k h ä p t l l 9 (schelten) 
von capilulumy khärfuQkl9 (schmerzhaft zucken) von car- 
bunculus^ f 9 r k l y s 9 (refl. ablaufen) von clusüy tiSkyrsa 
(gestikulierend sprechen) von discursuSy t o k t a r 9 (als Ai^t 
praktizieren ; einen Arzt befragen) von doctor, pretikdnta 
von pretikdnt (als Prädikant umherziehen) zu praedicare^ 
p r^ 1 y'ta von praeludium (oder zu preluder'>)y protsasa 
(Prozess fuhren) von processus, § p e t d k 1 a (Lärm machen) 
von spectaculuMy s p i o n a (spionieren) von spione ; auch 
räwülytsa (Aufruhr anstiften) von revolulion (r 6 w o 1 y- 
t s j v n) mit Wegfall der Endung. 

3) von fremden Adjektiven : p ä s d w 1 a (unpersönlich : 
angehen) von passable^ 

c. mit der Ableitungssilbe -ern [-araj: 
ä s t a ra von achetery khalepara von galop. 

d. mit der Ableitungssilbe -ein [-la]: 
Dadurch entstehen von den Verben Deminutiva. Die Silbe 
steht an Stelle der französischen Infinitivendung -er und tritt 
auch an Substantiva an. Es werden demnach Ableitungen ge- 
bildet : 

i) von fremden Verben : p ü f 1 a von bouffery p ü r a 1 1 a * 
von brouetier^ k y s l a mit Umlaut k i s l a von coucher y m y § 1 a 
(heimlich sprechen) mit Umlaut m i s 1 a von moucher (?).8 



1 Das einzige Beispiel, das bis jetzt aufzufinden war. 

8 Unter Anlehnung an r a 1 1 a = mit dem Rad fahren. 

s Vgl. Grimm, D. Wb. unter ^muscheln», undeutlich, heimlich 
sprechen, in Leipzig betrügen beim Mischen der Karten, von der 
Interjektion •musch* gebildet. — Neben misla gibt es ein eis. 
mesle = die Karten mischen. 



— 225 — 

2. von fremden Substantiven : far- korniseijla 
(durchprügeln) von cornichon^ m ä r m o t 1 9 (geschmacklos, 
unordentlich anziehen) von mar motten p ae j ä s 1 a mit Umlaut 
p se j a s 1 9 von paillasse ^äpatekarla (nach der Apotheke 
riechen) von apoiheca (bezw. von ä p 9 t e k a r). 

§13. 
Wortbildung durch Zusammensetzung. 

1. Bildung von Substantiven: 
a. durch Zusammensetzung von Substantiv mit Substantiv : 

Auf diese Weise entstehen sehr zahlreiche Bildungen. Sie 
enthalten meist eine Hinzufugung einer Art- oder Gattungs- 
bezeichnung zu dem einen Teile. Die Zusammensetzung 
besteht gewöhnlich aus einem einheimischen ^ und einem fremden 
Worte. Es gibt aber ausserdem noch eine Reihe anderer, ver- 
deutlichender oder tautologischer Zusammen- 
setzungen. Diese sind hervorgegangen aus einem etymo- 
logischen Bedürfnis und Bestreben des Volkes, 
solche Fremdwörter, die im Sprachbewusstsein isoliert stehen 
oder für die das Verständnis fehlt, durch Zusammensetzung 
mit geläufigen, mehr oder minder gleichbedeutenden ein* 
heimischen Begriffen sich verständlicher zu machen und im 
Gedächtnis zu stützen ; freilich wirken auch andere Faktoren 
mit, so vor allem das Streben nach Fülle des Ausdrucks. In- 
folge derartiger Bildungen gehen manche Wörter für den 
selbständigen Gebrauch unter. 

Es sind somit zu unterscheiden : 

1) determinierende Zusammensetzungen : Sie bestehen in 
der Hinzufügung eines Art- oder Gattungsbegriffs und dienen: 

a) zur Beschränkung eines Fremdworts durch ein einhei- 
misches : wi - k ü m i (Reisender für eine Weinhandlung) Wein -f- 
commis, khälps-khütlötl (Kalbsrippchen) Kalb -f- edle- 
letie^ h k- oder kheX9-khan§t9rl9 (Ecken- oder Küchen- 
schrank) Ecke oder Küche -j- canistrum^ m ä (t) - k h i m i 
(Wiesen-Kümmel) Matten -f- cuminumy hys-ör (Hausflur) 
Haus -|- aire ; — 2 Fremdwörter : tywdk-(k)yt§ (Tabak- 
beet) Tabak + couche. 

b) zur Beschränkung eines einheimischen durch ein fremdes 
Wort : äfrÄnta- oder khälfdkt9rs-ksext = affront 



1 Es finden sich jedoch auch Zusammensetzungen aus zwei 
fremdartigen Bestandteilen. 

15 



— 226 — 

oder calefactor -f- Gestahl^ §ikdn9-pükl = chicane -|- 
Buckely kümfrört-jümfar = confrerie + Jungfer^ 
khärniä-howl (khärnes [== hd. Karnies] -howl) = 
corniche -f- Hobel, küti - klaeit = couUl -f- Kleid, k ä m p l - 
m y 9 s = gamelle -f- Mus, karni -her = garni -f- Herr, 
kaQkdt-^l = quinquel -[- Oel, san9-plfetr = sene 
4" Blätter, waerni-§y9 = vernis + Schuhe, ä n 9 s - 
p r 6 1 1 = anisum + Brötchen, tep9tdt-hols = depu- 
tatum -{• Holz usw. 

Anm. zu 1) : Hierher gehören auch Zusammensetzungen 
von Infinitiven und Substantiven : trän§l9r-mas9r 
(Messer zum Zerschneiden) = trancher + Messer, f a k s » 9 r- 
k h ^ § t (Rosskastanie, eigenti, Kastanie zum Vexieren) = ve- 
xare -j- khe^t (Lehnwort aus castanea) u. andere. 

2) verdeutlichende Zusammensetzungen : Der Inhalt eines 
Fremdworts wird ganz oder teilweise durch ein einheimisches 
wiederholt : 

täpi-6pf9l9 (pomme d'api) api + Apfel (dem.), 
p6n9-wäj 9I benne -f- Wagen (dem.), prios-reqla 
brioche + Ring (dem.), khänll-tsük9r (sucre candi) 
candi + Zucker^ khäpyt-rok capote + Rock, § ä n t (1) - 
1 i 9 X t chandelle + Licht, §äpopa-hy9t chapeau bas + 
Hut, §är9pä-wd^J9 char d bamcs -f- Wagen, s i 1 a n 1 9 r - 
h y 9 t cylindre + Hut, paJ9net-stäQ espagnolette -|- 
Stange, §älysf-lät9 Jalousie -}- Läden, §äwal9-wäs9r 
javelle -f- Wasser, ämlüQ9-raäl amylum -[- Mehl, k h ä r- 
fwQkl-ätaein carbunculus + Stein^ änttfi-sälät 
endivia -f- Salat und viele andere ; 2 Fremdwörter : r a kae is- 
k h ü r racaille -f- corpsy oktrwa-pyro octroi -f- bureau. 

b. durch Zusammensetzung mit der Partikel ge-. 
Siehe hierüber im folgenden Anhang. 

2. Bildung von Adverbien : 

Die Bildung von Adverbien ist in der Mundart seltener ; 
einige Beispiele sind : tarmtns-wis (ratenweise) von 
lerminus -f- Weise, wäk9S-mäsi (nach Art eines Strolches) 
von vagabundus + in^ässig, §täts-mäsi (grossartig, prunk- 
haft) von Status -j- lässig u. dgl. 

3. Bildung von Verbis compositis : 

Neue Verba entstehen durch Zusammensetzung fremder 
Verben mit einheimischen Präfixen und Präpositionen. Siehe 
hierüber im folgenden Anhang, 



— 227 — 

Anhang: 

Zusammensetzung mit Partikeln. 

Die Partikeln werden in der Zusammensetzung namentlich 
zur Bildung von Verben verwendet. Mit dem Präfix 
ge- werden jedoch, abgesehen von seiner Verwendung bei der 
Bildung des Partizipiums Präteriti, nur Substantiva, mit dem 
Negationspräfix un- nur Adjektiva und Partizipia (bezw. Ad- 
verbia) neugebildet. Viele der Zusammensetzungen, so besonders 
die zahlreichen mit dem Präfix ver-, entspringen dem Streben 
nach Deutlichkeit und Kraft des Ausdrucks und nach formellem 
Pleonasmus. Einer bequemeren Uebersicht halber ist der Ge- 
brauch der gesamten Partikeln hier zusammengestellt. Es 
kommen fokende in Betracht: 



■©' 



1. untrennbare Partikeln : 

er- 

ar- (mhd. er-), in Zusammensetzung mit fremden Verben, 
wird nicht sehr häufig verwendet : or-parmattaraper- 
mettre wohl unter dem Einfluss des deutschen cr-lauben ; ar- 
mäntaniara mantenere. 

ver- 

far- (mhd. t?er-). Dieses Präfix ist am zahlreichsten ver- 
treten und hat die mannigfachsten Bedeutungen. Im Elsässi- 
schen fällt es ausserdem zusammen mit mhd. nhd. zer-. Es 
druckt eine Veränderung, ein Bewirken, Beenden, Verderben, 
Verbrauchen aus und ist allgemein verstärkend : far-äka- 
t » a r a accorder, far-äsartara (versichern) assurer, 
far-ämasiara (refl.) amusery far-äfrünttara 
(dial. far-§altd ausschelten) affronter , far-älta- 
r i a r a (vcr- ändern) allerer^ far-khämisc^la vom subst. 
camisole, far-§ämartara {ver = zerhauen) chamarrer, 
far-teräij§tara deranger, far-6kskhyseara 
excuser^ far-mäsäkriara massacrer, far-nökli- 
§ i a r a negliger, far-ränsiara ranger, f a r - r y - 
n t a r a ruiner^ far-trä^stara (dial, ver = zerschnei- 
den) iranchery far-pä§tara vom subst. baslardus, f ar - 
Jkhälfdktara vom subst. calefaclor, far-protsattara 
procedere^ far-protsasa vom subst. processus ; ein Ad- 
jektiv in Partizipialform : far-mälaf»tst vom subst. 
maleficium. 



— 228 — 

ge- 

ka-, k- (mhd. ge-). Auch ausser im Partizipium Präte- 
riti 1 findet dieses Präfix mannigfaltige Verwendung ; es hat die 
Bedeutung des Zusammenseins. In Zusammensetzungen mit 
Substantiven und Verben bildet es Sammelnamen ; im letzteren 
Falle enthalten die Kollektiva meist einen tadelnden Sinn 
und bezeichnen eine Wiederholung oder ein Andauernd 

a) Zusammensetzung mit Substantiven : k9-päljd§D. 
(Durcheinander) bailliage^ k-faeraj n. (altes, zerrüttetes 
Werkzeug, Haus) ferraille^ k-r^äküntr, n. (Lärm, Auflauf) 
rencontre, k-stät m. (Aufwand) Status, k-späs m. (Spass) 
spassso, k-stamp9n^J9 (Unannehmlichkeiten) stampania ; 
andere Zusammensetzungen siehe § 12, 1 : a unter 2 und 4. 

b) Zusammensetzung mit Verben im Infinitiv : Das -9 der 
Endung fallt weg, und ein s wird angefügt S; alle Bildungen 
sind sächlichen Geschlechts, ihre Zahl ist äusserst gross. Bei- 
spiele : ko-khümatiars (befehlerisches Reden) von Com- 
mander, k9-lämatiars (Gejammer) von lamentery k a - 
prastars (das Eiligtun) von presser, ka-räsauiers (streit- 
süchtiges, rechthaberisches Sprechen) von raisonner, k a - r e p a- 
t i a r s (unangebrachtes Vorhalten) von repeter, ka-te^pa- 
t i a r s (Zänkerei) von disputare, ka-tarmaniars (lautes 
Lärmen) von terminare, k - r ä w a 1 s (aufruhrerisches Reden) 
von rebellare, ka-trewliars (eifriges Drängen) von tribu- 
lare usw. 

Anm. Nach Analogie der zahllosen Zusammensetzungen 
mit Verben nehmen auch sglche mit Substantiven ein s am 
Ende und neutrales Geschlecht an : 

ka-prädmpalüms oder ka-präldmpal ums von 
praeambuluniy k-§'myrälis Schmier alten. ^ 

an- 

11 n -, vor Gutturalen ü ij - (mhd. un-)^ steht als Negations- 
präfix nur in Zusammensetzungen mit Adjektiven und Partizipien. 

a) Zusammensetzung mit Adjektiven : Die Adjektiva selbst 
können ursprüngliche oder erst in der Mundart gebildete sein; 
die so entstandenen Neubildungen haben wieder den Wert 
von Adjektiven: ün-telikhdt von delicat^ iin-bkäl von 
egaly ün-^ksdkt von exact ; ün-ämasiarli vom Verbum 
amuser, ün-äpat»tli vom subst. appetit usw. 



' Vgl. § 11. 

* Vgl. M. -L. unter ge-, 

3 Als Zeichen des Genitivs ? vgl. § 9, 2 : 3. 

* Vgl. § 12, 1 : a unter 4. 



— 229 — 

b) Zusammensetzung mit Partizipien : ÜQ-kflättart 
von flattey ü Q-kfakstart (und ün9 kfaksiart = ohne 
. . . •) in der Bedeutung «ohne Scherz» von vexare, üij- kSe- 
niart von g4ne usw. 

Diese Bildungen haben ebenfalls die [Geltung von Adjek- 
tiven, z. B. d-n-ÜQk^eniortor m^n§ ein dreister 
Mensch; doch viele von ihnen werden gewissermassen nur ad- 
verbiell, als Partizipia absoluta, gebraucht. So z. B. ein ein- 
heimisches Wort ü Q k a s a vom Partiz. gegessen : a r e§ ü ij - 
k a s 9 oder ä s a (= also) ü^kaso fürtkä^a er ist, ohne 
gegessen zu haben, fortgegangen ; ebenso ÜQkflätiart von 
flaue: eyi^ sdb tes ÜQkflätiart ich sage dies, ohne zu 
schmeicheln, ü^kfaksiart ohne zu necken, ohne Scherz. 

2, trennbare Partikeln :i 

ab 

• ä p, ä, ö (mhd. abe, ab)^ vielfach identisch mit durch und 
ver : äp-khämisöla von camisole^ äp-tespatiora zu 
dispuiare^ äp-khäpitla von capitulum usw. 

an 

an, ön, ä (mhd. an^ ane) : än-ofriara (an-bieten) von 
offrir, än-prösatiara (an-bieten) von presenter, ä n - 
ortaniara von ordonner, än-rekhümatiara von re- 
commander usw« 

aaf 

ü f (mhd. üf) : üf-märikiara von marquer. 

ans 

y s (mhd. uz) : ys-§wäsiara von choisir^ y s - p ä r i - 
kiara entsprechend dem durch völksetymologische Anlehnung 
der Vorsilbe em- an e i n - gebildeten eQ-pärikiara von 
embarquetj ys-rän§iara von ranger, ys-pre§tiara von 
praesiare usw. 

hinaas 

nys: nys-spätiara von spedire. 

darcb 

türiy (mhd, durch\ identisch mit ab und ver : iixTiy- 
khäpitla vom subst. capitulum. 



1 In Zusammensetzangen mit trennbaren Partikeln und mit der 
untrennbaren un- tragen diese Partikeln den Hauptton des ganzen 
Ausdracks. 



— 230 — 

fort 

fürt(mhd. vori) drückt eine Bewegung in die Ferne, 
eine Verlängerung, Fortsetzung der Handlung aus : f ü r t- §äsa 
von chasser, f ürt-plfeti9ra von plaidevy fürt-teäpa- 
t i a r a von disputarey fürt-äpötiare von spedire. 

taernm 

ariim, rüm (mhd. her-umbe) bedeutet im Elsässischen 
auch soviel wie wmÄcr: rüm-khämpiara von cawjoer, rüm- 
flä^kiara von fläner, 

taiu 

äna (ahd. hina, mhd. Atwe, A»w), eigtl. an-hin: äna- 
tränspor tiara von transportcr. 

weg 

awak, wak(mhd. enwec): a wak-te§p a tiara von 
disputare, 

sEasammen 

tsäma (mhd. zesamene) : tsäm a-rämasiara von rc- 
masser. 



V. 

Wortumbildungen . 

Ausser dem Streben, sich Worte und Lautkomplexe mög- 
lichst verständlich und mundgerecht, Bezeichnungen möglichst 
plastisch und anschaulich zu machen und das Ganze so dem 
Sprachbewusstsein näher zu bringen, tragen besonders auch 
Zufallslaunen und Missverständnis zu einer weitgehenden Um- 
gestaltung der Wörter bei. Da das Volk schon von vornherein 
einen gewissen Abwillen gegen alles Fremdartige besitzt oder 
wenigstens grosses Schwanken und Unsicherheit im Gebrauche 
fremder Wörter an den Tag legt, gewinnt die ganze Erscheinung 
der Wortumbildungen vielfach den Charakter eines verzweifelten 
Ringens mit den fremden Eindringlingen, auf deren Kosten 
gewöhnlich der Sieg ausfallt. 

§14. 

I Volksetymologie. 

An den mai-nigfachen Veränderungen der äusseren Wort- 
gestalt hat die Volksetymologie einen bedeutenden An- 
teiT! Sie besteht darin, dass fremde Wörter an geläufige 



— 231 — 

einheimische, mehr oder minder ähnlich klingende in der Form 
und oft auch .in der Bedeutung angelehnt werden ; schon jeder 
leiseste Anklang an ein bekanntes Wort kann eine Anlehnung 
bewirken. Es liegt hier ein etymologisches Bedürfnis 
des denkenden und sprechenden Volkes zu Grunde, welches die 
objektive, sprachliche Verwandtschaft der in Verbindung zu- 
einander gebrachten Wörter ganz ausser Acht lässt; wo die 
Volksetymologie sich mit der wissenschaftlichen deckt, geschieht 
dies völlig unbewusst : alles beruht nur auf subjektivem 
Eindrucke. Daher liegt es überhaupt im Wesen der Volksety- 
mologie, «dass sie das Unverstandene, Ungewohnte, Fremde 
nicht nach der Wahrheit (stüjjlov), sondern nach dem mehr oder 
minder verführerischen Scheine oberflächlich deutet». i Sobald 
deshalb Leute, die die fremde Sprache verstehen und kennen, 
auf die Mundart Einfluss gewinnen, so kann sich die Volksety- 
mologie nicht mehr in jener freien und ungehinderten Weise 
entfalten. 

Neuerdings wird nach dem Vorgange von W u n d 1 2 «dem 
alten Begriff der Volksetymologie eine vollkommenere, ihrem 
wirklichen Wesen entsprechendere Fassung» gegeben, die in 
der Benennung lautlich-begriffliche Wortassimi- 
lation einen klaren und deutlichen Ausdruck finden soll.» 
Lautahnlichkeit und Bedeutung (Sachvorstellungen) sind also die 
eigentlichen Ursachen der volksetymologischen Bildungen. Wäh- 
rend Wundt die rein lautlichen Wortassimilationen nicht unter 
den Begriff der Volksetymologie fasst, werden im folgenden auch 
diese mit einbegriffen. Freilich steht auch bei Wundt die 
erste Klasse der volksetymologischen Bildungen, nämlich die 
Wortassimilationen mit begrifflichen Nebenwirkungen, den rein 
lautlichen Assimilationen noch nahe; bei der anderen Klasse, 
den Wortassimilationen mit Begriffsumwandlungen, überwiegt 
das begriffliche Moment. Vollständige Begriffsumwandlungen 
werden im folgenden erst unter VII, § 19 ff. vorgeführt. Ueber 
den Einfluss der Volksetymologie vgl. auch § 47. 

Die einheimische Sprache selbst ist reich an volksetymolo- 
gischen Umbildungen der eigenen Wörter ; p f i f h 1 1 9 r (mhd. 
vivalCer) ist angelehnt an Pfeife und Holunder, p r a n m ü k 
aus p r a m ü k (mhd. breme + Mücke) an brennen^ k r d^ - 
w 8 n ofe y {Krähen =• Hühnerauge) an Kragen, härtepfl 
(Erdäpfel) an Herd, krümpiara {Grundbirnen = Kartof- 
feln) an krumm y krümpiere ausserdem an Beeren (statt 



1 A n d r e s 6 n, a. a. 0., S. 1. 

* Völkerpsychologie, I, 1, 472 ff. 

3 S i e V 6 r s B e i t r ä g e , 27, 409 ff. 



— 232 — 

Birnen), khytarperSi aus khytapörsi (khyt = 
Grube: Kaulbarsch) an Kauder (= Wei^) und viele andere. 
Bezuglich der Fremdwörter lässt sich unterscheiden : 

1. unbewusste Volksetymologie. 

Bei weitem die grösste Zahl der Anlehnungen geht u n - 
b e w u 8 8 1 und unwillkürlich vor sich. Nicht nur ganze 
Wörter und deren wesentliche Bestandteile, sondern auch Bil- 
dungs- und Ableitungssilben, Präfixe u. dgl. erfahren Anlehnung 
und Umbildung ; auch sie gehören deshalb in das Gebiet der 
Volksetymologie. 

a. Bildung von Scheinpräfixen, -Suffixen u. dgl. : 

1) ab wird zu Grunde gelegt in: ä-äp-salwiard 
absolvere^ ä-wäl (abwärts) aval, äp-läQ oblong. 

2) an wird substituiert in: än-msera amarrer unter 
dem Einfluss von an-binden, ähnlich ä n - t r a s adresse 
(die an jemand gerichtet wird), än-6ntäk attaque unter 
dem Einfluss von syn. An-fall, än-taytard attaquer syn. 
an-packen ; än-träpiara aitraper syn. a«-treflfen ; bei 
äQ-kääiare engager ist die Anlehnung erkennbar durch 
die Loslösung des an vom Verbum z. B. in dem Satze : a r 
h6t sei ^^ \o n k ä^% d r d er Hess sich anwerben. 

3) ein : i n - e q - p ä r i k i a r 9 embarquer * ; i - 1 r a sia r i 
und eQ-katrasiart interesse 

4) ver : far-khdns vacances ; bei far-t<^riä 
Victoria spielt ein Euphemismus für (Gott) far tdmi (verdamme 
mich) mit. 

5) Die adjektivische Ableitungssilbe -t^« Hegt vor in fyt-i 
aus foutu] vgK ferner § 8, 2: Lautverlust unter 5. 

6) Tritt an das Suffix -lieh ein l an (-/tcA/), so lautet es 
im Elsässischen -la^t, -iat. Die damit zusammengesetzten 
Adjektiva bezeichnen Farbe, Gestalt, Geruch etc. Die Mund- 
art ist ausserordentlich reich an solchen Bildungen, z. B. p e- 
t a r 1 a X t von bitter^ s t a s 1 a x t von süss, k r de y l a x t von 
grau, k 1 9^ i n 1 a x t von klein, r ü n 1 1 a x t von rund usw. 
Nach dem Vorbild solcher Wörter ist auch das französische 
Adjektiv alerte^ ä-laxt, ä-lat als zusammengesetzt mit 
-lax*. -Iat aufgefasc^t woinien. 



* Nur aus diesem Grande konnte man auch y s (aus) - d ä r i- 
ki^r* bilden. j \ j f 

a TstL § 1^, 5: Bildungr von Adjektiven unter b. 

* Es ist demnach die Aussprache eines Zapfchen-r anzu- 
nehmen, das als ch '/] iredeutet wurde; doch auch ohnedies lässt 
sich die Anlehnung: leichi besrreifen. 



— 233 — 

7) Die häufige Endung -on französischer Substantiva wird 
in der Mundart (neben ,ü) gewöhnlich zu - ü q. Sie entspricht 
dem deutschen -ung (in Handlung, Endung usw.) in der äusse- 
ren, lautlichen Form. Aber diese deutsche Ableitungssilbe hat 

, auf das neu entstandene - ü q auch insofern eingewirkt, als 
einige hierher gehörige Fremdwörter weibliches Geschlecht an- 
genommen haben ; dadurch wird die Anlehnung bestätigt : 
p fe t ü Q f. beton^ § ä m p ü q f, (auch m.) jamhon, s y p s ü q 
f. soupgon^ w i 1 ü q f. violon, k a 1 1 s ü ij f. calegonA 

Lateinische Wörter auf -um erleiden in wenigen Fällen die- 
selbe Veränderung : ä m 1 ü q amylum, prädmpylÜQa (plur.) 
praeambulum. 

Analog ist gebildet ein franz. Wort auf -m : pyltüij 
f. bulle Hn, 

8) Mit der Endung er [-ar] werden im Deutschen zahl- 
reiche nomina agentis gebildet. Ihnen entsprechen fremde 
Substantiva mit der Endung lat. -or, franz. -eer; jenes wird 
elsäss. zu -ar, dieses geht als -je, abgeschwächt als -ja 
in die Mundart über. Allein manche französischen Wörter 
auf -«er werden im Elsässischen -j a r, also in der Schriftform 
der Fremdsprache, gesprochen, ohne dass aber das Lautbild 
eingewirkt hätte. Die Erscheinung beruht vielmehr darauf, 
dass solche Substantiva aus dem etymologischen Bedürfnis der 
Sprache mit der geläufigen Silbe - a r zur Bezeichnung einer 
tätigen Person ganz neu und selbständig durch Ableitung * ge- 
bildet werden, so z. B. ; 

präkänjar (neben präkonje) braconnier, k h ä n- 
1 1^ n j a r (neben khäntonje) cantonnier, k r e f j e r (ne- 
ben k r ö f j e k r ä f j a) greffier, khüntarpanjar (neben 
dem von conlrebande gebildeten khüntarpantlar) contre- 
bandier ; ihnen schliesst sich an säldtjar saladier. 

Anm. Die Ableitungssilbe -ar erkennt man ferner in 
j ö p a r aus jobard (?), p ä s t a r (neben p ä s t a r t) aus baslar- 
dus; so erklärt sich auch der Wegfall des t,3 

9) Die Endung -ania in stampania [stampancja] wird 
durch die bekanntere -erei^ ersetzt, also stampareja; in 
ähnlicher Weise wird ital. porcellana durch Einfluss der zahl- 



1 Einfluss des syn. <Hosea» auf das Geschlecht ist nicht aus- 
geschlossen. 

* Sie hätte also in § 12 Platz finden können; doch wegen der 
wenn auch nur rein äusserlichen Aehnlichkeit mit der fremden 
Form ist sie hier eingereiht worden. 

3 Vgl. § 8, 2: Lautverlust unter 5. 

* Vgl. § 12 unter 1. — Die Dissimilation n zu r ist nur 
scheinbar. 



— 234 — 

reichen Wörter auf -m (z. B. me t a t s t n medecine) zu 
p r t s 9 ] t n. 

10) Nach weiblichen Substantiven auf -m [-a] hat man 
küwarndnt-a von gouvernanle gebildet. Die Erscheinung 
ist parallel der unter 8. erwähnten. 

b. Anlehnung an einheimische Wörter und Wortelemente : * 

4) Fälle, in denen die Anlehnung der Bedeutung irgendwie 
entspricht oder dieselbe beeinflusst hat : 
aide de camp ä t a k ä q (einer, der für jemand einen Gang tut) 
bagage päkdä kapäkdS {Pack^ Gepäck wie die Vorsilb 

ge- zeigt), 
bamboches davon far-pämpaSiora (dial. far-pämpl 

- p a m p 1 9 = vergeuden), 
bandage p ä n t d s (Band)^ 
bandouliere p ä n t I i a r (Band)y 

bavarder p ä w a t r a (watra eig. wettern = schimpfen), 
biscuit p i s k w i t (pis9 =z beissen), 
bombe p ii m (onomatopoietisch), 
canap6 khän apöt {Bett)y 
capote k h ä p y t {Kappe), ebenso zahlreiche andere mit cap- 

beginnende Wörter wie k h ä p a § ü q capuchon usw., 
chagrin § ä k r e 1 a {Grille), 
char ä bancs särapäQk {Bank), 
6tape täpa {läppen = gehen), 
faillir f ä 1 i a r a (fallen)^ ebenso faillite f ä 1 » t, 
finaud fino {fein), ebenso finesse f i n a s, 
flambeau f l ä m p o {Flamme), 
fourrage fya tards^ {Füller), 
fraichir freSiara^ {frisch), 
hanter häntiara (Hand), 
harceler h ä s 1 i a r a {Hass), 

huissier h y s j e {Haus, weil der betr. Mann ins Haus kommt), 
invalidit^ ü n f ä 1 i t e t {Unfall, Unfallversicherung), 
n^vralgie ö w r ä 1 s / {ewar = obere in Bezug auf den Kopf)» 
oblong ä p 1 ä Q {ab und lang), 
rage ras* {rasen). 



1 Die einzelnen Fälle sind alphabetisch nach der Fremdsprache 
geordnet; in Klammern ist die Anlehnung angegeben. 

2 Nach § 12, 1 : a könnte man auch Ableitung von Futter mit 
der Silbe -age annehmen. 

3 Doch vgl. § 12, 3 : Bildung von Verben unter 2 b. 

4 Nach Stehle, Els.-Lothr. Schulblatt lö91, S. 227 cgewiss 
zusammenhängend mit mhd. raeze = scharf, heftig, wild, wütend>; 



— 235 — 

rester rastiare (Rest)^ 

rhumatisme rismätis9 (reissen^ Bezeichnung des Schmerzes), 

rondelle r ii n t ä 1 (rund)y 

rouler r o 1 i 9 r a (rollen), 

ruche r y s (rauschen^ bei der Bewegung), 

ruiner rümonier» (rüm herum = durcheinander), 

scrupuleux § t r y w 1 (^ s (Slrywl = Verwirrung), 

Spirale § p ä r d 1 (sperren)^ 

uniforme y n i f ü r m (Form). 

Der Name eines Gutsbesitzers Lefebeur wird umgedeutet 
zu L ä f 1 p y r (Löffel-bauer) als Hofname ; in ähnlicher 
Weise wird t ä m p y r {-Bauer) als Hofname gebraucht für 
einen Mann, der früher als französischer tambour diente. — 

antichristus antakrest (der am Ende der Welt kommen soll), 

carbunculus k h ä 1 f il Q k 1 (funkeln), 

hospes h ü § p a s (Haspel), 

orare ü r a (in die Ohren reden), 

perpendiculum päm parte kl (pämph = Bezeichnung für 
die schwingende Bewegung), 

praedicare prätikdnta (predigen), 

syringa tsetare^k (zittern, von der Bewegung), 

tyrannus t 6 r d n (dürr und syn. dial. r ä n), 

vesicatorius f 1 i s i k h ä t (^ r (fliessen^ infolge des aufgelegten Zug- 
pflasters), 

vexare in faksiarkheSt Rosskastanie, dafür läksiar- 
khäSt {laxieren ; im Gegensatz zu den essbaren Kastanien). — 

cämpeggiare khämpceisa (posis poeits Beize = strenge Arbeit), 

cavoli rape k h ^ 1 r y a w a (Rüben), 

influenza f y 1 a n t s i ä (Faulenzer^ Faulheitskrankheit), 

rocchetta k r ä */ ^ 1 1 (krachen), 

strapazzare äträwlatsiara (strampeln^ ^träwh). — 

pitchpine pitspseima z. B. Holz (-bäumen wie n ü s - 

p se i m a h o 1 s Nussbaumholz), 
tramway trämwaj und t räm woewe (We^ und Wagen). — 

krakeel k r ä k e\ (krachen), 

2) Fälle, in denen die Anlehnung rein äusserlich (lautlich) 

erfolgt ist : 
adjoint ä t s y a (Schuh), 
alcool ä 1 k h d 1 (Kohle), 
alcöve ä 1 k ü f {küf = Stecknadel), 



aber dann müsste es eis. ras lauten, das übrigens erhalten ist 
als scharf, ätzend. 



— 236 — 

bascule p ä s k y l (passen)^ 

beton p 6 t ü Q (Bell), 

bimbelot -{- bagage [pemp9lapd§] pentalapds {Bündel)^ 

bombasin p ü m 9 s t n (püm bombe), 

caisse d'epargne khestapäQki (k beste entweder Ka ^ 

slanien- oder Koslen- und Bank), 
caloriföre khäntiniför« (Kanone), 

candi (sucre candi) khäntl-tsükr (mhd. Handel = Dachrinne)^^ 
canevas khänafäs (Kanne und Fass), 
casemate käsamäta (Gasse und Made), 
casserole k ä s r o 1 (Gasse und rollen ; selbst mit Einwirkui 

auf die Bedeutung von einem Mädchen gesagt), 
cassonade khästandt (Kasten)^ 
champ de Mars (Colmar) säntmär§ (Sand-Marsch), 
cocarde k y k ä r t (gucken), 
contrebande khüntarpänt (Band), 
couche k y t § (Kulsche), 
debit t e p i (Teppich), 
eau de lavande 1 o 1 1 a w ä ij (lolleln), 
employ^ ämploy^iartar (plof^ = Block), 
excusez okskhy'sa (Ochs), 
flageolet f 1 ä § a n e 1 1 (Flasche), 
flauer f 1 ä q k i a r 9 (Flanke), 
fleur d'Orange f 1 e t r ä r s (mhd. vledern = flattern und 

Arsch), 
foutu lä cass6 fytilakhasimir (Name Kasimir), 
grenadier kränätterar (Granale), 
gros de Naples krotanäwl (Kröle und Nabel), 
gros de Tours krotat y'r (Kröle), 
hasard h ä s ä r (Hass), 
hcusse h y s (Haus), 
int6ress6 itrasiart (dressieren), 
mariinet m ä r t i n e (Name Marlin), 
miquelet me^öl© (Name Michael), 

moustache m u s t ae s (Str. Asche, nach p o t se § potache), 
nougat m ü k a (Mokka), 
papillote p ä p 1 j ü t (päppeln und Jude), 
passe-temps p o s 1 a t ä ij k, Rda. üfposl ün täQk = 

umsonst (posl von bosseler, idj^k Dank), 
ponts couverts püiakaweer und pümkawser (Gewehr oder 

Wehr und im 2. Falle ausserdem piim ; onomatopoietisch), 



1 Jb. VI, 158. 

2 Auch Kanone pferd. 



— 237 — 

procös-verbal krösawarpl (gross), 

raspail (eau de Raspail) rospolawäsar (= Pferdemist- 

wasser),* 
soupape s y p ä p (Pappe), 
suppose tsümpose (zum Beispiel), 
Iromper trümpiere (trüm = Trommel), 
vacciner wäksantara (Wachs). — 

absolvere äpsälwiara (salben = durchprügeln), 

accurate ä k r d t (gerade), 

adiunctus ä t j ü q (jung), 

albella sc. populus pöls-pdeym (Pelz und Baum), 

aloe ä 1 i w 6 (Leibweh), 

balsamina pälsamtnla (Pelz), 

discursus teskwrts (kurz), 

gravitas davon kräfastdtis Str. statt kräfatetis 

(Ortsname Grafenstaden), 
kataplasma k h ä r t a p 1 ä {Karle), 
klysterium kre§tiar (Christ),^ 
oxycroceum oksakaprötas (Ochsengebratenes) und o k s a- 

k r i ts a-pflaster [Ochs und Kreuz = Rücken), 
Podagra p o t a k r ä (Boden), 
radicalis r ä t a k h d ] (Ralte und kahl), 
ros marinus rüsa märtn (Rosen), 
secreta t s e k r ^ t (Name Grete), 
strangulare stra^liara (streng), 
vidimus (?) (vgl. § 42, 4 a unter 5) f i 1 i p y s (Name Philipp). — 

bracciatello p r a t § t a 1 (Brett), 

muscatello müskatalar (Teller), 

scorzonera stortsan iara (^tortsa = Storr und Nieren), 

spargimento §päriklamanta SpäirXlamanta Spargel), 

tulipano tylipänt (Band). — 

shawl § ä 1 (Schale). — 
mudder m y a t a r (Mutter). 

2. bewusste Volksetymologie. 

Es gibt auch Anlehnungen, die vom Volke mit Bewusst- 
s e i n und Absicht vollzogen werden ; sie gehören streng ge- 



1 Martin, Sprachverhältnisse und Mundarten S. 2. 

2 Zunächst wohl Dissimilation von 1 > r, dann Anlehnung. 
V. Henry bemerkt grammaire 61, 3 : «kresteer clystöre est refait 
par Etymologie populaire sur le participe krest ,appret6'>: er nimmt 
also j^lehnung an c gerüstet krest» an. 



— 238 — 

nommen nicht in das Gebiel der eigenllicben Volksetymologie. ^ 
Diese bewussten Anlehnungen enthalten in der Regel scherz- 
hafte Deutungen und offenbaren nicht selten einen gesunden 
Volkswitz. 

Eine solche bewusste Volksetymologie tritt uns entgegen in 
Arnolds Pfingstmontag III 4, wo zugleich das 
Fremd Wörter wesen verhöhnt wird. Der demnächstige cDokter» 
Reinhold weiss für gewisse Naturerscheinungen keine andere 
Erklärung zu geben als die : mProdigia sind dies, die in Myste- 
rien gehüllt, dennoch gewiss nicht unerklärbar sind». Aber 
Herr Mchlbrüh will sich mit den gelehrten Ausdrücken nicht 
abfinden und versteht unter Prodigia «Brodbrichia» 
(«Brod bringt diss Dings als yn»), unter Mysterien «Mist in 
Ehre» («VV^as? Mist in Ehre?»). 

Andere Beispiele dieser Art sind: 
conferentia khünfras {fressen , weil das Volk glaubt, dass 

bei diesen Gelegenheiten vor allem «gut gegessen» wird), 
consent h ü n s k r i {Hund, weil sich die Betreffenden manch- 
mal schlecht betragen), 
garde nationale k ä r t s n ä 1 und kärtndxtikäl (Schnalle 

und Nachtigall)^ 
Professor präfasar und präfraser {brav =. tüchtig 

essen bezw. fressen), auch prötfrasar {Brot- Fresser), 
gendarme s an t ä r m {Schande und arm, Rda. : p e s a r 

sänt-ärmäs ääntri/ besser an Schande arm denn reich), 
voilä w a 1 a {Wellen^ Rda. : wala se kha §itar 

Wellen sind kein Scheitholz), 
ecoute ä ky t (auf die Aufforderung €ecoute» antwortet einer: 

äkyt e§ a kanslo^ und meint dabei : ^gout ist ein Gäns- 

loch, d. i, eine grosse Pfütze zum Baden der Gänse) [M.-L.]. 

§ 15. 

Vermengung fremder Wörter und Wortelemente 

unter einander.* 

Mit der Volksetymologie, welche im obigen Sinne die An- 
lehnung fremder Ausdrücke an einheimische umfasst^ ist eine 
andere Erscheinung aufs engste verwandt, bei der ein fremdes 



^ Vgl. 0. Weise in Zs. f. Völkerpsychologie und Sprachwissen- 
schaft XII (1880), 207, wonach von der wahren Volksetymologie 
(im Sinne Förstemanns, der den Namen zuerst gebrauchte) sorgfältig 
zu trennen ist, was auf absichtlicher Entstellung oder künstlicher, 
unrichtiger Deutung beruht. 

2 Ueber Wortvermengangen s. Wundt, Völkerpsychologie 
I, 1, 375. 



— 239 — 

Wort wieder an ein geläufigeres, aber fr e md es angelehnt, 
mit ihm vermengt, kontaminiert wird. Der Vorgang wird 
durch dieselben Faktoren hervorgerufen wie die Volksetymologie. 
Das Gedächtnis, in dem die verschiedenartigsten Fremdwörter 
haften, sucht unwillkürlich zwischen ihnen irgend welche e t y- 
mologischenAnknüpfungen und Beziehungen her- 
zustellen. Da ferner das überfüllte Sprachbewusstsein die 
fremden Ausdrücke nicht klar auseinander halten kann^ so wird 
häufig ein ZusammenfliessenineineForm stattfinden, 
wobei das geläufigste und häufigste Wort das üebergewicht 
behält. Dies geht so weit, dass sogar ein Wort mit Beibehal- 
tung der ursprünglichen Bedeutung vollständig durch ein anderes 
ersetzt werden kann. Manchmal geschehen die Vermischungen 
auch hier mit Absicht und Scherz. Beispiele : ^ 
baromötre pärlam^tr (parier), 
bataclan p a t a k le k {clique), 
bimbelot pempalapaS (bagage), 
brigadier prikdrtja (garde), 
caboche k h a p e s und selbst t a p e s (depeche), 
chagriner ääkaniara {chicaner, oder bloss Ausfall des r 

in chagriner?), 
discourir tesklariara {declarer), 
^quilibre ö k ä 1 i p r {igal), 
espagnolette päijanet-ätäii (baioneUe), 
gächis ä 1 8 k d § i (aller ^ oder deutsch a// ?), 
indigestion milt8tseksj(^n {mil und dijection ?), 
justement jüj^tamant (lat. juste), 
lamentable 1 ä m 9 t d k 1 (speclacle), 
lanterne magique lätarnamääin (machine), 
lavasse 1 ä m d s (masse), 

mazurka m ä s 1 k ä (hehr, mäsl 2) und m ä s i k ä (hebr. mdsik 3), 
niille de Dieu euphem. meltamant(säk9rmant sacramenlum), 
nom de Dieu nüntatj ae {nom d'un chien), 
par tout p a r t y' (lat. per), 
piquer pikoniara (chicaner), 
proc^s-verbal protsawä^rpl (processus), 
rage h ä r ä § (Harnisch) [Pfingstmontag], 
raspaii r a s p i p (pipe), 
ratafia ratapaja (raspaii), 



1 Die Wörter sind alphabetisch nach der Fremdsprache geord- 
net ; das Stichwort ist dasjenige, welches den Inhalt angeben soll ; in 
Klammern folgt das Wort, welches mit jenem vermischt ist. 

2 Jb. XII, 150. 

3 Jb. Xn, 150; XIII, 178. 



«■• 



— 240 — 

sabot s a p t i n 1 8 (boUine), 
serieux s y r j ü s {curieux). — 

balsamina portsam «nie (porcellana)^ 

contrarium khüntre'ri Neubreisach (conlraire)^ 

cylindrus s i 1 « n t a r {cylindre), 

lucerna 1 ä t s a r n {lalerna), 

pergamena p ä r 1 a m a n t (parier), 

perpendiculum päspärtikl (passe- parioul), 

practicare präklatsiara {^IrdwldtsiBra von strapazzajc-e), 

purgatio p h y' r j d t s (pur). — 

magazzino m ä k 8 s i n (magazin). 

In folgenden Fällen ist ein Wort durch ein ähnlich 
klingendes ersetzt worden : 
audientia ortandnts (ordonnance), 
cloche p r s {brocke)^ 
d^ranger tränSiara (Jrancher), 
expedier taspatiara (disputare)^ 
gibus äipsjser (gibeciere, wohl scherzhaft), 
patienter päsamäntiara (passemenler), 
r^ticule r i t i k y 1 (ridicule). — 

Ein merkwürdiges Beispiel für die Anlehnung und Um- 
bildung der Fremdwörter bei ihrer Aufnahme sei hier noch 
angefügt. Es verdient deshalb besonderes Interesse, weil es 
bei seiner Entstehung sozusagen beobachtet wurde. Neu/ich 
Hess ein Handlungsreisender durch einen Dorfbewohner Abbil- 
dungen eines a Milchapparates:» austeilen. Der betreffende Aus- 
teiler sagte dafür meli^-pärdt, teils weil er das neue, 
fremde Wort nicht kannte und nicht sprechen konnte, teils 
aus Missverständnis und unter Anlehnung an das bekanntere und 
geläufigere pärdt (parade). In dieser Form wurde das Wort 
weiter verbreitet und heisst nun im ganzen Dorfe meli^^ -pärdt. 

§16. 
Sonstigje Kürzung, Entstellung der Wörter usw. 

Ausser den als Lautverlust und Lautzusatz, Volksetymolo- 
gie und Vermengung fremder Wörter bezeichneten Erschei- 
nungen treten auch sonst vereinzelte Formveränderungen auf 
durch Kürzung, Verdrehung, Entstellung der 
fremden Wörter u. dgl. 

1. Bildung von Kurzformen. 

Wenn bei manchen, besonders bei zu langen Ausdrücken 
Anfangs- oder Endsilben wegfallen, so haben wir hierin teil- 



— 241 — 

weise Wirkungen der Betonung zu erblicken. Manchmal ist 
es uur Bequemlichkeit der Sprache oder des Sprechenden bei 
häufiger gebrauchten Bezeichnungen. Solche Bildungen zeigt 
uns schon die allgemeine Umgangssprache ; man sagt z. B. 
p n e u für pneumatic, a u t o für automobile, p h o t o für 
Photographie, velo für v^locipede; engl, bus für omnibus, 
c a b für cabriolet u. dgl. 

Die Mundart selbst weist namentlich bei Personen- 
namen zahlreiche Kurzformen auf. So : 

t ö n i für Antonius, t ö r d 1 dem. von Theodor, k y s t 
für August, s t f 1 dem. von Christoph, p ä s 9 für Sebastianus, 
t i s s i für Jean-Baptiste, § ö n und dem. § 6 n a 1 für Eugene, 
n i k a 1 dem. für Leonie und Eugenie, t i n a 1 dem. für Flo- 
rentine und Valentine, m ü n t a für Edmund, w ä r a 1 dem. 
von Eduard, w i s und dem. w i s a 1 für Louise usw. 

Ganz entsprechend nimmt sie auch an Fremdwörtern 
derartige Kürzungen vor. Es begegnen uns Bildungen wie: 

p e 1 1 aus albella (sc. populus), kies aus anglaise, mütsa 
aus almutia, m äri n aus ros marinus, s p e t d 1 aus hospi- 
tale (allgemein), r ö k t aus directe, s p a k 1 1 f aus perspecti- 
vum, s ö 1 aus camisole (z. B. im verbum far-söla), Spans 
aus dispense, kälkomän/ aus decalcomanie, täSamant 
aus detachemenl, mäSantari aus dommages et int^r^ts, 
t o f 1 aus pantofola, k r e, X r e aus sacr6 (z. B. k r e t a t j e 
sacre [nom] de Dieu), a s p a r aus esparcette ; vielleicht gehört 
dahin auch die Form t i s k y s für discussion. 

2. Sonstige Entstellung der Wörter. 

In anderen Fällen ist eine äusserst willkürliche 
Entstellung der Wörter eingetreten durch Zusatz oder Weglassung 
von Silben, durch Zusammenziehung, Verdrehung u. dgl.; z. B. ; 

p n a r i für bonnet, käskdtanät für cassonade (An- 
lehnung an Cascade ?), f i k y' r für confiture (Anlehnung an 
Figur '>)^ k y s t i f für couchee, p i s ä q k a 1 für pissenlit, 
r e s i p 6 1 für velocipöde {Erysipel ?), p a n s a für benedicere 
(jüd. allg.), hokyspokys für hoc est corpus (?), k r ä- 
mdntsjas für grand merci, 1 ae i t ö r i a für victoria, f i - 
1 i p y s für vidimus (?) (doch vgl. § 12, 1 a unter 5), f i s a- 
k Ä Q k a s für physicus, tsüntsjö für socius, f i s a m ä - 
t a n t a für visamentum (?). 

Man sieht, wie schwer infolge solcher Verderbnisse bei 
manchen Wörtern die Feststellung einer richtigen Etymologie ist. 



16 



— 242 ^ 
VI. 

Der Geschlechtswandel. 

Das ursprüngliche Geschlecht eines Wortes ist in der Mund- 
art in vielen Fällen beibehalten worden. Doch ist dies nicht 
immer in unmittelbarem Anschluss an die fremde Sprache ge- 
schehen ; vielmehr lässt sich im Hinblick auf die im folgenden 
vorzuführenden Erscheinungen des Geschlechtswandels ziemlich 
bestimmt annehmen, dass auch die Beibehaltung des Geschlechts 
mitunter von denselben Faktoren abhängig ist wie dessen Ver- 
änderung. 

Die Anlässe, welche eine Aenderung des Geschlechts her- 
vorrufen, können von verschiedener Art sein. Die einzelnen 
Fälle in Gruppen zu ordnen, fallt manchmal schwer, und diesen 
oder jenen Geschlechtswandel von einem bestimmten Faktor 
abhängig zu machen, ist oft unzutreffend. Bald wirken mehrere 
Faktoren zusammen, bald lässt sich für einen Vorgang gar 
keine oder keine genügende Erklärung geben. Auch hier 
muss man viele Erscheinungen, wie Wackernagel» sao^t, 
«einstweilen als blosse Launen unserer Sprache und als Zuföl- 
ligkeiten betrachtend^. 

Die Frage nach dem Geschlechtswandel, soweit er an den 
Fremdwörtern im Elsässischen zu Tage tritt, wird daher auch 
im folgenden Versuche nicht vollkommen gelöst sein. 

§ 47. 
Geschlechts Wandel aus äusseren Gründen. 

Von äusserem Einfluss auf die Bestimmung des Geschlechts 
ist bei einem Fremdworte vor allem die W^ortform. Die 
Suffixsubstitution und die äussere Anlehnung an andere W^örter 
oder Wortstämme macht sich vielfach auch in der Einwirkun«^ 
auf das Geschlecht eines Wortes geltend ; umgekehrt verrat 
und bestätigt uns der Geschlechtswechsel nicht selten die volks- 
etymologische Anlehnung. Wörter, die in der Regel nur in 
verdeutlichenden Zusammensetzungen gebraucht werden, nehmen 
oft das Geschlecht des anderen, mit ihnen verbundenen Be- 
standteiles an. 

Endlich gibt es eine Reihe von Ausdrücken, die in Klang, 
Form und dem ganzen Aeussern den Charakter des Fremdar- 
tigen an sich tragen und daher von diesem Gesichtspunkt aus 
in ihrem Genus beeinflusst werden. 

i A. a. 0., S, 45. 



— 243 — 

1. Einfluss der Endungen. 

Neben der Anlehnung fremder Endungen an ähnliche ein- 
heimische * findet auch Analogiewirkung der fremden En- 
dungen untereinander statt, indem z. B. -ei wie -ette, 
'ier wie -üre behandelt wird. Die einzelnen substituierten 
Endungen sind in der Regel an ein bestimmtes Geschlecht ge- 
bunden, welches das ursprüngliche eines Wortes mehrfach 
verdrängt. Wir erhalten auf diese Weise etwa folgende Ver- 
änderungen ; es entstehen : 

a. Maskulina : 

durch die Endung -ar; sie ist teils substituiert, teils neu an- 
gefugt und bildet im Deutschen (-er) Substantiva männlichen 
Geschlechts ; dieses wird auch auf die betreffenden Fremdwörter 
übertragen; z. B. : 

khäljdntar coliandrum (allgemein), k h ä 1 w il a r (oder 
sc. Apfel ?) von calville. 

b. Feminina : 

durch die Endung -ü ij; sie entspricht franz. -on, lat. -um und 
wird im Deutschen zur Bildung weiblicher Substantive {-ung) 
verwendet : 

p e t ü Q beton, S ä m p ü ij jambon, s y p s ü q soup^on, 
w i 1 ü Q violon, ä m 1 ü q amylum, prödmpalüija (plur.) 
praeambulum ; p y 1 1 ü q buUetin durch Analogiewirkung. 

c. Neutra * : 

4) durch die Endung -et; sie erscheint an Wörtern (auf -eile), 
die im Französischen ein Deminutivum bezeichnen und deshalb 
in der Mundart das sächliche Geschlecht erhalten. Da an viele 
dieser Wörter im Dialekt noch eine neue Deminutivenduns: 3 
angefügt wird; mag auch auf diesem Wege der Gebrauch des 
Neutrums fest geworden sein. 

smisöt smisötl Chemisette, khütlet khütletl 
cötelette, s i k ä r e 1 1 (nur Demin.) von cigarette, k 1 o r j e 1 1 
(nur demin.) von gloriette, §aket äaketl jaquette, ä m - 
1 ä t ä m 1 6 1 1 Omelette ; ebenso : k 1 ä w ö t clavette, f i n e t 
finetle, esparset esparcette. 

Ihnen schliessen sich solche an auf -6 t (franz. -et u. -eile) : 
k h ä p i n e t cabinet> piket piquet, p 8e j a n e t baionette, 
p ä r e t barette» 

Anm. Durch den gewöhnlichen Gebrauch eines Wortes 
als Deminutivum lässt sich vielleicht auch das sächliche Ge- 



1 Vgl. § 14, 1 unter a. 

s Manche von ihnen können ihre Erklärung auch nach 4. finden. 

8 Vgl. § 9: 5. 



— 2U — 

schlecht erklären bei : sipsjeer Sipsjserl gibeciere, p ^ - 
Idfin pälarinl pälerine. 

2) durch die EnduDg - i a r. Lateinische "Wörter auf -arium 
wie scapularium s ä p 1 i a r sind Neutra ; ihnen folgen fran- 
zösische auf 'iere und -ier mit derselben Aussprache: 

§ ä r n f a r charniäre, p ä n 1 1 t a r (etym. Anlehnung an 
Band) bandouliöre, r ä f t 9 r (mhd. riviere rivier^ n.) riviere, 
k w ä t i 9 r quartier. 

3) durch die Endung - m a n t. Lateinische Fremdwörter 
auf 'fnentum wie fundamenlum füntam ant sind sächlichen 
Geschlechts; dies wird auch auf französische mit derselben 
Endung -mevl übertragen : 

1 s a m a n t logement, t^pärtamant döpartement ; 
auch bei der Aussprache -m^ä* findet sich das Neutrum: 
ä ^ä s a m ,ä changement, k y w a r l e m ^ä gouvernement. 

2. Einfluss der Volksetymologie «. 

Wenn durch Volksetymologie ein Wort in seiner äusseren 
Gestalt an ein anderes, geläufigeres angelehnt wird, so kann 
naturgemäss auch das Geschlecht dieses zweiten auf das erste 
Einfluss gewinnen. Es entstehen so: 

a. Maskulina : 

täpa (täpa und t ä p a r m. = Fusstapfe) 6tape, § i p s- 
j le r (Anlehnung » an gihus mit entsprech. Bedeutungsverände- 
rung zu Hut ?) gibeciere, s a 1 1 a s i l {Saal) salle d'asyle u. a, 

b. Feminina : 

y n i f ü r m (Form) uniforme, w ü a 1, w a l ( We//e, aus 
Reisig) voile ; auch meliy-pärdt (parade) Milchapparat* 
erhält weibliches Geschlecht. 

c. Neutra : 

p ä k d s (Gepäck) bagage, pä n t ds (Band) bandage, pänt- 
1 j a r (Band) bandouliere, p 6 t ü q (Bell) b6ton, k h ä n a p e t 
(Bell) canap^, fy9t9rds (FuUer) fourrage, h y s (Haus) 
housse, k h ^ p i [Käppchen) k6pi. 

3. Einfluss des Gebrauchs eines Wortes in stehender 

Zusammensetzung. 

In Wortzusammensetzungen ist das Geschlecht des zwei- 
ten Bestandteiles für den ganzen Ausdruck massgebend. Wenn 



^ Vgl. wegen des Akzentes § 4. 

» Vjl. § 14. 

s Wahrscheinlicher ist die Anfassung in § 15. 

* V^'l. § 15. 



— 245 — 

nun aber das erste Wort einer solchen stehenden Verbindung 
einzeln gebraucht wird, bleibt oft das Geschlecht der Zusam- 
mensetzung auch für dieses allein beibehalten. So entstehen z.B. : 

a. Maskulina : 

änt«fi(änttfi-säldt Salat m.) endivia, lästi (lästi- 
p an tl, -fäta Fachen m.) ^lastique, p ö lari n (pälar ina- 
mäntl Mantel m.) p^lerine. 

b. Feminina : 

kreätiar (krestier-sprets Spritze f.) klysterium, 
keijkat (kö^ikat-lämp Lampe f.) quinquet, p a t a- 
k 1 e k bataclan -f- cligue (clique f.). 

c. Neutra : 

triko(triko-hamt Hemd n.) tricot, w6rni(wärni-latar 
Leder n.) vernis, karni (kärniarts tsemar Zimmer n.) 
garni, y nj,ü (ü n io n-fTo/e/ n.) union, khäfe(kkäfe-hys 
Haus n.) caf6. 

4, Eindruck der Fremdartigkeil eines Wortes. 

Fremde Ausdrücke, besonders weniger gebrauchte oder in 
jüngerer Zeit aufgenommene, sind für den Mund und das Ohr 
des einfachen Mannes ungewohnt und zunächst unverständlich. 
Das Fremde, Unbestimmte, das sie an sich haben, lässt sich 
nicht so leicht abstreifen ; daher werden sie in das Gebiet des 
unbestimmten, sächlichen Ges c hl e ch ts verwiesen. Wir 
erhalten so einen bedeutenden Zuwachs an Neutren : 

^r aire, äijkles anglaise, pärä§ barrage, pyltüQ 
bulletin, k änil n i f ö r calorifere, 1 6 p i döbit, t 6 w ä r devoir, 
lästi k 6lastique, fis^l ficelle, kär gare, khepi k^pi^, 
p ä r a p 1 i parapluie, p ä r a s o l parasol, p 1 ä f ^ü plafond, p ü - 
mdt pommade, pre pr^t, re§ü r^chaud, remis remise, 
s e r n d t s6r6nade, s ä r t i f i k h d t certificat, s ä 1 ä t j e saladier, 
saltasil salle d'asyle, käsa ndt cassonade, täli talus, type 
toupet, t rot war trottoir (allgemein), w a 1 i s valfse, spakt/f 
perspectivum und andere. 

§18. 
Geschlechtswandel aus inneren Gründen. 

Eine weit grössere Gruppe von Fremdwörtern unterliegt 
einem Wechsel des Geschlechts aus inneren Gründen; mass- 
gebend ist dabei der Sinn, die Bedeutung. Bei einigen 



1 Vgl. auch unter 2. 



— 246 — 

kommt das natärliche Geschlecht zum Ausdruck, auf andere 
überträgt die Mundart das Geschlecht geläufiger Synonyma. 

1. Ausdruck des naturlichen Geschlechts. 

Die Zahl der hierher gehörigen Fälle ist nicht gross. Wir 
erhalten: , 

a. Maskulina : 

finas finesse mit Bezug auf einen schlauen Menschen, sän- 
t i n 6 1 seniinelle als Scherzwort für Kinder (und wohl nach 
synonymen Ausdrücken wie stümpa, khüpa etc.), r 6 s i 
regie für einen Sleuerbeamten, k h ü m p d n (mhd. kumpän 
m.) companium ebenfalls eine persönliche Bezeichnung wie Ge- 
selle, Kerl usw. 

b. Feminina : 

khä^i a\ caslellum in der Rda. älti khästal von einer 
alten Frau gesagt. 

c. Neutra : 

Vgl. die § 17 unter 4 angeführten. 

2. Einfluss des Geschlechts einheimischer synonymer 
oder übergeordneter Begriffe. 

Bei weitem die meisten Fremdwörter sind zu einer Aen- 
derung ihres Geschlechts veranlasst durch dasjenige einheimi- 
scher synonymer Bezeichnungen. Das neue Genus richtet sich 
nach Ausdrücken der gleichen Art oder nach höhe- 
ren Begriffen derselben Gattung. Gerade von die- 
seiln Gesichtspunkte aus ist in vielen Fällen auch die Beibehal- 
tung des ursprünglichen Geschlechts zu beurteilen, indem sich 
eben dieses mit dem geläufiger Synonyma deckt. Es entstehen: 

a. Maskulina : 
aire ^ r (Gangy Hausgang), 
anglaise ä ^j k 1 6 s (Fracky m ü t s a, k s ü p a), 
bottine p o t i n [Schuh, Stiefel), 
boügie p y § i {Lichlslock)y 
bourrique pärik und canaille kanaj (Schimpfworte wie 

satän^ khceip etc.), 
bride p r i t [Zaum), 

caboche khapoä tapöä {Schädel, Kopf)^ 
calville k h ä 1 w i 1 (Apfel), 
capote k h ä p y t (Mantel), 
carambole k r ä m p u 1 {Lärm), 
cassonade k ä s a n d t (Zucker) j 
chicor^ § i k r e (Kaffee), 
cholerine k h o l a r i (Durchbruch), 



— 247 — 

culbute k h y 1 p y t (Purzelbaum), 

dispute t e s p y t (Händel), 

dommages et intöröts tu maSantari (Schaden = Schaden- 
ersatz), 

entree ä n t r e (Weg^ Eintritt, Eingang)^ 

farce f a r s (Streich)^ 

ficelle f i s 6 1 (1. Schnur, eis. m. ; 2. Tabak), 

flanelle f 1 ä n a 1 und andere S^o/fnamen wie peluche p 1 y §, 
percale p e r k ä 1, perse p h e r s {Zeug, eis. m., Stoff), 

galoche k ä 1 o § a (Holzschuh), 

gamache k ä m d § a (Stiefel, Schuh), 

gomme k o m (Leim), 

guetre k 6 t a r {Stiefel)^ 

housse h y s (Ueberzug), 

id^e i t e (Gedanke), 

jupe § y p (Oherrock), 

lavasse 1 ä w d s (aSchnaps7>, Vorwurf), 

mare mär (KafFeeso/z), 

Police p 1 i s (Abtritt), 

pommade p ü m d l (hniits = Schmalz, Fett), 

poudre p h y t a r (Staub), 

prison p r i s ä n (turn = Gefängnis), 

rage r ä § (Wut eis. m., Zorn)^ 

rechaud r e § ü [Rost, Herd), 

reinette r a n e t (Apfel), 

t^te t 6 t (Kopf), 

tournure t y r 1 y r {Hintere, «falscher Arsch» genannt), 

trace t r ä s (Cement, Mörtel, Kalk), — 

anisum änas (wie fastalleP/Zanzen-undGewür^rnamen, auch hd.), 

almutia m ü t s a (Frack, Kittel), 

butyrum pütr (äijka m. mhd. anke), 

carruca k h ä r i y ( Wagen), 

materia m ä t d r i (Eiter, Dreck), 

spectaculum § p e t d k 1 (Lärm). 

b. Feminina : 
amus ä m y' s und plaisir p 1 a s i a r (Freude), 
bon chr^tien püijkrätin (Birne), 
but (butte?) p y t (Grenze), 
caprice khäprits (Laune), 
cigare s i k ä r (Pfeife i), 
convoi k h ü n f i (Reise), 



1 Vgl. W a c k e r n a g e 1, a. a. 0., S. 44. 



— 248 — 

Croup k r ü p (Krankheit), 

flegme f 1 e m (Faulheil, Krankheit), 

greffe k r e f (Schreiberei = Amt eines Schreibers), 

jus §y (Brühe, Sauce), 

manage mä n e § (Maschine; Reitbahn), 

mariage m ä r j ä § (Hochzeit), 

manage m e n a § (Haushaltung, iron. Ordnung), 

reproche r 6 p r o § a plur. (^Sauereienyy , Vorwürfe), 

tour m. t y r (Reise), 

voyage woj ä s (Reise). — 

guttarium k ü t a r (Flasche, p o t a 1 =: bouteille), 
amarellus ä m r a 1 (Kirsche)^ 
perspectivum § p a k t t f (Brille). 

c. Neutra i : 
abattage a p a t ä s. coulant k y 1 ä q, comoedia k h ä m c t i (Spiel), 
affüt U f e t (Gesicht), 
anglaise ä ij k 1 ä s (Kleid), 
arsenal ä r s a n d 1 (Haus), 
artifice (feu d'artißce) t a r t a f i s (Feuer), 
b^ret p 38 r e (Käppchen), 

bergamote pserjamot und p^trole p h e t r o 1 (Oel), 
bordel p o r t e 1 und boxon p o k s a m (Haus), 
bougie p y § i (Licht), 
bracelet p r a s 1 ^ (Armband), 
but p y t (Ende), 

cache-nez k a § n e, fichu f i § y, foulard f y 1 ä r (Halstuch), 
cadre k ä t 9 r (Stück Leder), 
cafeti^re k h a f t j e r (Kännchen, Geschirr), 
cahier k a j a (Heft), 
cambuse k h ä m p y s (Haus), 

camp k h ä m (Lager), '■.' 

contraire khüntrer (Gegenteil), 
corset k h r s e (Leibchen, Mieder), 
courage k y r d s (Herz = Mut), 
crayon k r 03 j\ü (p J y w i s p 1 i w i s = Bleiweiss), 
crochet k r s e (Häkel), 
dessert t ä s ^ r (Essen), 
dictionnaire t i k s j a n ae r (Buch), 
6quilibre e k ä 1 i p r (Gewicht), 
fortune f r t y n (Glück), 
frileuse f r i 1 e s (Tuch), 



1 Doch vgl. auch § 17 anter 4. 



— 249 — 

migraine m i k r 6 n (Kopfweh), 

mis^re m i s ae r (Elend), 

nougat m ü k a iZuckerstängchen), 

oreille o r ^ j 1 (Ohr), 

pareil p a r 6 j 1 (Pärchen), 

pav6 p ä w cß i (Pflaster), 

piöce p j ä s (Stück), 

plumon p 1 y m ^ü und p I y m ü ij (Deckbett)^ 

präsent p r ä s a n t (Geschenk), 

r^sille resil (karnal = Gärnchen, Haarnetz), 

r^ticule r i t i k y I (Säckchen), 

tour m. t y r (Mal), 

triage t r i ä § (Revier^ Viertel), 

veste w 6 s t und gilet s i 1 ^ (Brusttuch). — 

galea käle' (Zuchthaus), 

Anm. Nicht nur einheimische Synonyma, sondern auch 
fremde Wörter verwandten Sinnes, die sehr ge- 
läufig sind, können eine Veränderung des Geschlechts herhei- 
fuhren. 

a. Maskulina : fortune f o r t y n (p r o f t t profil^ auch 
Vorteil*), grande tenue k r ä n t a n y (§ t ä t Status = Putz), 
prise p r i 8 (Tabak = Schnupftabak). 

b. Feminina : fagot f a k o t 9 plur. (k r i m ä s a grimace, 
Fratze), geste sest (feklatet fidelitas, von der Bewe- 
gung gesagt), jus § y (s ü s sauce), manege m ä n e s (m ä s e n 
machine), guttarium kütar(potal bouteille). 

c. Neutra : commode khämilt (khanstarla von 
canistrum), crapule krapyl (khüras von corps, dieses 
selbst unter dem Einfluss des sehr häufigen f o 1 i k verächtlich 
für Volk, Menge). 



VII. 

Der Bedeutungswaudel. 

Schon in der eigenen Sprache, in der uns die Worte und 
ihr Inhalt bekannt und geläufig sind, haben im Laufe der Zeit 
mannigfache Veränderungen und Verschiebungen der Wortbe- 



1 Das Wort Vorteil lautet in der Mundart gewöhnlich f o r 1 1 
(vgl. n r 1 1 = urteil) und bedeutet «Kniffe, Ränke», plur. umgelautet 
f ^ r 1 1; in dem Sinne Vorteil heisst es f ö r t fe i 1 , wahrscheinlich 
aus dem Hd. neu ein;2:edrQngen. 



— 250 — 

deutuDg stattgefunden. In viel höherem Masse sind fremde 
Wörter, die schon an sich durch das Gepräge des Vorüberge- 
henden und Vergänglichen gekennzeichnet sind, ebensolchen 
Veränderungen unterworfen worden. Von den meist mehrfachen 
Bedeutungen eines Fremdwortes ist gewöhnlich bloss eine in 
die Mundart herübergenommen worden, entweder die ursprüng- 
liche oder eine bereits in der Fremdsprache abgeleitete ; doch 
auch mehrere, verschiedene Bedeutungen haben in der 
Mundart Aufnahme gefunden. In vielen Fällen hat sie selbst 
erst die übernommene Bedeutung eines Wortes verändert. Es 
lässt sich jedoch kein bestimmtes Gesetz erkennen und fest- 
stellen, wonach die Wandlungen der Bedeutung vor sich ge- 
gangen sind, weshalb hier eine Bedeutung erweitert, dort ver- 
engert, wieder in einem anderen Falle in anderer Weise modi- 
fiziert wurde. Es sind Erscheinungen, die durch das Denken 
und Vorstellen des gewöhnhchen Mannes hervorgerufen werden; 
ein grosser Teil derselben verdankt seine Entstehung der An- 
passung an die Kulturverhältnisse. Die Gesetze der Assoziation 
und Reproduktion kommen bei diesen sprachpsychologischen Vor- 
gängen zu voller Geltung, Alles vollzieht sich aber in der Volks- 
seele unbewusst und ohne Zwang, Wollen wir demnach das 
Wesen des Bedeutungswandels annähernd verstehen, so müssen 
wir den Wegen folgen, welche das volkstümliche Empfinden und 
Vorstellen ungezwungen einschlägt. Wir werden so lediglich 
eine Reihe von Beispielen zusammenfinden, in denen uns 
gleichartige Vorgänge entgegentreten ; deutliche Gruppierung 
oder genaue Erklärung der Fälle wird hier, wie beim Ge- 
schlechtswandel, meistens schwer durchzuführen sein. Immer- 
hin gelangen wir zur Unterscheidung von verschiedenen Rich- 
tungen, nach denen eine Veränderung des ursprünglichen Sinnes 
erfolgt ist; aber diese Richtungen selbst greifen vielfach inein- 
ander über und kombinieren sich. 

§ 19. 
Verengung der Bedeutung. 

Vor allem tritt der Fall ein, dass der in der Fremdsprache 
mit einem Worte verbundene Begriff in Bezug auf seinen 
Umfang beschränkt wird, indem er bei der Entlehnung 
von vornherein für einen besondern, bestimmten Gegenstand 
zur Anwendung gelangt. Man hört das Wort nur in dem 
einen konkreten Zusammenhang, der dann für die Anknüpfung 
des Wortes im Gedächtnis massgebend wird. Psychologisch 
ausgedrückt treten zu einer Vorstellung determinierende 
Elemente hinzu, und dadurch spitzt sich der Inhalt, 



— Sol- 
ei, i. die Bedeutung des Wortes nach irgend einer Seite hin zu. 
Wir erkennen hierin beim Volke eine Einwirkung des Bedürf- 
nisses nach Unterscheidung und Spaltung (Spezialisierung) 
der Begriffe ; es ist eine psychologische Tätigkeit, die mit Vor- 
liebe solche Merkmale eines Begriffes festhält, für die das ße- 
wusstsein das höchste Interesse hat. Auf diese Weise werden 
sogenannte Bezeichnungen xat' e^o^^v fpar excellence) ge- 
bildet. Beispiele : 

l'abb^ läp6 ist nicht jeder kath, Geistliche, sondern nur ein Vikar ; 
aire ö r 6 r 9, gewöhnlich h y s - ö r a wird nur vom Hausgang 

gesagt ; 
assurance ä s a r ,ä s bezeichnet in der Regel die Feuerversiche- 
rung, erst neuerdings teilweise auch die Hagelversicherung ; 
für Unfallversicherung gebraucht man das deutsche Wort ; 
attaque ätäka äntäka meist plur. sind KrankheiisdLnfäWe; 
bagage päkds bedeutet mitunter das eßündeh, die Sieben- 

Sachen ; 
bidon pit^ü ist in Str. nur ein blecherner Oelbehäller, der den 
Kunden vom e p i s j e (epicier) zur Verfügung gestellt wird ; 
billet p i 1 j ö ist allgemein eine Fahrkarle (Zettel) ; 
caloriffere khänwnif^r bezeichnet auch speziell den Feuerungs- 

und Trockenraum für den Hopfen; 
capuchon khäpaäüij ist nur eine Kopfbedeckung der Mädchen 

und Frauen ; 
Chance s ^ä s bedeutet ausser Glück insbesondere auch das Glück 
bestehend im Besitz einer Geliebten und die Gelieble selbst ; 
charretier sartj6 ist der Pferdeireibcr an Kanalschiffen', 
chasser säsa gebraucht man vom Entlassen aus einer Bil- 

dungsanslall ; 
conduite khüntawita plur. bedeutet die zu einem be- 
stimmten Betragen, zu einer Handlung erforderliche mora- 
lische Ueberzeugung, eine Ueberlegung, dann soviel wie 
Gewissensbisse ; 
coupeur k h ü p a r ist ein Pferd, das die Krippe zernagt ; 
cylindre s i 1 a n 1 9 r und sil antar-hyat bezeichnet an vielen 
Orten den vhoheni> Hut, der bei der Hochzeit getragen wird ; 
d6bit töpi ist, bezw. war einst nur die Verkaufsstelle des 

Tabaks, der Cigarren etc. ; 
faire part förphär kennt man nur als gedruckte, schwarz- 
geränderte Todesanzeige ; 
forcer forsiara mit dem Begriff einer gewaltsamen Handlung 
und profiter profatiara beschränken sich meist auf die 
Bedeutung notzüchtigen ; 
goüt ky ist ein eigentümlicher Geschmack, ein Beigeschmack^ 
Nebengeschmack ; 



— 252 — 

id^e ite ein abstrakter Begriff = Gedanke, Vorstellung wird 
zur günstigen Gesinnung, zur Neigung für eine Sache oder 
jemand ; ferner übertragen aufs Konkrete mit dem Sinn 
von etwas, das man sich kaum vorstellen kann, eine 
Kleinigkeit^ etwas Unmerkliches ; 

machine m䧫n ist vor allem eine Dreschmaschine; 

manger m ä n § a ist das gierige Essen ; 

mecanique mekanik ist eine Hemmvorrichtung am Wagen; 

monopole m o n i p o 1 gilt nur vom Tabakshandel ; 

parier pärla pürla ist das französisch Sprechen ; 

permis p ^ r m i ist ein Jagdschein ; 

posture pästy'r ist der stattliche Wuchs; dieser Sinn kommt 
besonders im Adjektiv päSty'ri zum Ausdruck (a päs- 
tyriy^r kharl ein wohlgestalter Mensch); 

r^peler repatiara ist das Wiedererzählen, dsiS Ausplaudern ^ 
das Vorhalten in vorwurfsvoller Absicht ; 

soupape sypäp ist das Ventil am Brunnen; 

surprise s y r p r i s bedeutet eine Ueberraschung durch ein 
Angebot ; 

travailler träwalja heisst streng^ hart arbeiten. — 

benedicere pan^a ist das Heilen verstauchter Glieder durch 
Bestreichen und Sprechen von Zauberworten; -, 

citare tsetiara und citatio tsetatsjwn gelten von einer 
Vorladung vor Gericht ; 

doctor toktar bedeutet allgemein den Arzt; 

gravitas davon k r ä f a t e t i s adj. ist stolz beim Einherschrei ten ; 

instrumentum enstramant ist hauptsächlich ein Musik- 
instrument ; 

regnare r a ij H a r a ist das Herrschen, Wüten einer Krankheit ; 

speclaculum s p e t d k 1 und comoedia k h ä m e t i heissen ur- 
sprünglich Schauspiel ; da ein solches gewöhnlich mit 
Menschenansammlung und Lärm verbunden ist, bedeuten 
die Worte soviel wie Auflaufe Lärm, Skandal (Metonymie) ^ 
die ursprüngliche Bedeutung ist daneben noch erhalten i 
k h ä m e t i ; 

Status stät ist ein prächtiger Zustand, ein Aufwand in der 
Kleidung ; 

Ventile füntil ist wie soupape das Ventil eines Brunnens, 

§ 20. 
Erweiterung der Bedeutung. 

Im Gegensatz zur Verengung steht die Erweiterung der 
Bedeutung. Die Erscheinung ist psychologisch so zu erklären, 



— 253 — 

dass determinierende Elemente von einem gegebenen Begriff 
getrennt werden und dadurch der Umfang einer Vor- 
stellungerweitert, verallgemeinert wird. Hierin mag 
man ein, freilich wenig ausgebreitetes Streben des Volkes er- 
kennen, sich Allgemeinbegriffe, allgemeine Vorstellungen zu 
verschaffen (General isierung de rBegri ff e). Es werden 
Begriffe schlechthin ausgedrückt. Beispiele : 
baroh pärün ist jeder reiche, vornehme oder (iron.) vornehm 

tuende Herr i ; 
bonjour püsü r sagt man zu jeder Tageszeit ohne Unterschied, 
da die eigentliche Bedeutung der Grussformel den wenigsten 
Leuten bekannt ist ; 
brillant priljdnt ist nicht mehr «glänzend», sondern enthält 
allgemein einen Superlativ-Begriff, ähnlich wie charmant 
§ärm d n t; 
campagne k h ä m p d n i bedeutet überhaupt Strapazen, Erleb- 
nisse ; 
caporal k h ä p r d 1 ist jeder, der gern das grosse Wort 

führt ; 
contribuer khüntarpiara bedeutet ursprünglich «Steuer 
zahlen» mit dem Nebensinn von «sich zwangsweise fugen, 
gehorchen müssenn ; letztere Bedeutung ist die allein und 
allgemein herrschende geworden (Metonymie) ; 
convoi khönfoi bedeutet Reise schlechthin; 
corv^e k bor wo ist jede mühsame^ lästige Arbeit-, 
lavasse 1 ä w ds ist nicht nur der Verweis, sondern die ihn her- 
beiführende unangenehme Geschichte selbst (Metonymie), 
ähnlich wie cause khös, affaire äf^r; 
patois davon pätawätis adj. bedeutet ausser der platten 
Sprache der Bauern an der französischen Grenze überhaupt 
das unverständliche Sprechen und ungeschickte, tölpelhafte 
Betragen, — 

labyrinthus läwrcenta plur. sind verworrene Umstände, Yer- 

legenheit (Metapher) ; 
litania letan^i ist jede lange, langweilige^ umständliche Er- 

Zählung und Aufzählung ; 
regimentum r 6 j a m a n t ist überhaupt Menge, Masse ; 
simulare s e.m H a r a mit der ursprünglichen Bedeutung «sich 

verstellen, vorgeben» bezeichnet jedes lieber legen und 

stille Nachdenken, Grübeln. 

Anm. Bei vielen Wörtern, die in der Regel in überlrage- 



^ Umgekehrt bezeichnet das Wort in Nordhausen und Umge- 
gend nur einen bestimmten, bekannten Baron [tr pärün]. 



— 254 — 

nem Sinne in siehenden Redensarten^ ang^ewendet werden, 

liegt meist eine Erweiterung, Verallgemeinerung der ursprüng- 
lichen Bedeutung vor. Beispiele : 

9a ira ga s ä i r ä (Lied der Jakobiner, aus der ersten französi- 
schen Revolution) : einem den säirä singen oder 
lesen = einem die Meinung sayen, den Garaus machen-, 

crete krit (Hahnenkamm): t krit st fei 9 von der stolzen 
Kopfhaltung y ferner a rüti krit pakhümd (eigtl. wie 
der Hahn einen roten Kamm bekommen) zornig werden ; 

marche-route m ä r « r y t (militärisch) : t mär§ryt geben, 
machen, unterschreiben = fortschicken^ fort- 
jagen ; 

merde mert: tamert machen, stellen, reissen = 
prahlen y gross tun ; 

parade p h ä r d t (militärisch) ; kyat fün tr phärdt 
khüma gut wegkommen, verschont bleiben; 

pauvret6 p w a r t a*' t a plur. : powartcp'ta säüa (Str.) 
heftig schelten ; 

qui vivekiwif (militärisch): üf am kiwif §t6n, sen 
auf der Lauer stehen, sein, aufpassen. — 

capitulum khäpttl: ta khäpatl räläsa (das Kapitel her- 
unterlesen) ausschimpfen ; 

clusa klys: «ina-n-en tr klys hän einen in die Enge 
treiben^ so dass man sich über ihn lustig machen kann ; 

curator khärdtar«: leinam ta khärdtar stäla (einem 
den curator (?) stellen) die Meinung sagen^ bemeistern; 

levitica lefita: aeinam ta Ifefeta läsa Strafpredigt halten ; 

sententia santantsa plur. : santantsa snita (schneiden) 
überaus viel Komplimente, Ceremonien machen ; 

tapetum täpet: üfstäpetpreija zur Sprache bringen. 

§21. 

Ethische Herabsetzung der Bedeutung. 

Ausser den beiden genannten Haupttypen des Bedeutungs- 
wandels, auf die sich im Grunde jede Veränderung der Bedeu- 
tung zurückleiten lässt, gibt es eine zahlreiche Gruppe von Fällen, 



1 Vgl. hierzu Waag, a. a. 0., S. 166 ff. : «BedeatangswandeL 
von Wortgruppen>. 

> Dies ist wohl besser zu erklären als Anlehnung an das häu- 
figere khärdktsr, t8 khäräktsr st^la, das von den 
Astrologen hergenommen ist; vgl. mhd. karacter = Bachstabe, Zau- 
berzeichen. 



— 255 — 

die eine Verschiebung des Sinnes nach einer schlechteren, un- 
günstigen Seite hin aufweisen. Sie haben eine gewisse Ver- 
änderung des Gefühlswertes, eine ethische Herab- 
setzung, Abschwächung oder Verflachung der Bedeutung i ge- 
meinsam. 

1. Ausdrücke, die eine verächtliche Anwendung erfahren. 

Sehr viele Wörter färben ihre Bedeutung dadurch, dass 

sie verächtlich oder tadelnd angewendet, oder schon 

allein durch den Ton, in welchem sie im Satzzusammenhang 

gesprochen werden. Ein grosser Teil von ihnen dient als 

Scheit- und Schimpfwörter. Beispiele : 

TafTüt läfe't ist eine niedrige Bezeichnung für Gesicht; 

bagage in der Zusammensetzung mit Lump : 1 ü m p a k ä § ist 
Gesindel ; verwandte Bezeichnungen finden sich mehrfach : 
Corps khür und k hü ras Gesindel, ebenso race ras und 
verstärkt rätsakhür (race -}- corps), pratique p r ä t i k 
(n a t i = nette p r ä t i k) Lumpengesindel, nation n ä t s j tl n 
gemeiner PÖbel\ 

baraque p ä r d k , boutique p y t i k , cambuse k h ä m p y s , 
spelunca s p e 1 w q k, auch menage m e n d s bezeichnen un- 
gefähr in demselben Sinne ein unordentliches, schmutziges, 
baufälliges Haus, bezw. Zimmer^ Wirtschaft^ Haushaltung ; 
ebenso castellum khästal baufälliges Haus; 

bosseler posla* w/et/W^e Arbeit verrichten; 

cabas k a p a bezeichnet im Oberelsass ein unsittliches Frauen- 
zimmer ; 

chabraque s ä p r d k wird spöttisch von einem alten, schlechten 
Weib gesagt ; ähnlich castellum khästal: älti khäs- 
tal altes Weib; 

chameau äamo, cochon kosü als Schimpfnamen; 

charrette särfet ist eine alte verwahrloste Kutsche; 

chicane Sikdn, älti sikdn (mehr scherzhaft) Pfiffikus^ 
ebenso fmesse finas listiger^ pfiffiger Mensch; 

dresser tr^siara und exercer aksatsiara bedeuten rohy 
gewaltsam behandeln ; 

grande tenue kräntany Putz, Saus und Braus; 

guignol kinjol Schimpfname für Lehrer; 

int6resse eijkatrasiart geizig ; 

manoeuvre davon vb. mänewra heisst toben, schimpfen; 



1 In diesem Sinne spricht Eeinhold Bechstein von 
einem pessimistischen Zug der Sprache, Pfeiffers 
Germ. VHI (1863), S. 330. 

2 Ableitung von mhd. hözen ist wohl nicht anzunehmen. 



— 256 — 

niaraud m o r o (aus m ä r o) dummer Mensch ; 

maraude m ä r il t a plur. und (ungar.) darabant t r ä w a n t a 
plur., letzteres mehr scherzhaft, von einer gesegneten An- 
zahl Kinder ; 

marmite m ä rmi t alles Weib ; 

marmotte dem. märmotl mürrischer, schimpfender Mensch; 

rencontre r^äkhiintar und kr.äküntar Unordnung^ Durch- 
einander ; 

sentinelle säntinfel Scheltwort für Kinder, — 

antichrislus antakreät und lucifer 1 y t s i f ä r heftige Schelten ; 
calefactor khälfeiktar Verleumder^ falscher Mensch ; 
carruca k h ä r i y verächtlich Karren ; 

gravitas davon adj. kräfatetiä wird vom stolzen, einge- 
bildeten Einhergehen gesagt (tadelnd) ; 
politicus p ä 1 e l i § geht von der Bedeutung schlau zu der von 

falschy heimtückisch über ; 
practicare präklatsiara wegstibitzen ; 
socius tsötsJ9s und vocativus fokattfas ist ein listiger, 

pfiffiger^ auch ungehobelter Mensch; potentatus potatdt 
ist ein wüster Geselle^ Unhold, 

Anm. Es gibt auch Fälle, in denen durch scherzhafte 
und scherzhaft-verächtliche Anwendung eine gewisse 
Veränderung, nicht gerade eine Herabsetzung der Bedeutung 
herbeigeführt wird. Einige von ihnen haben den Charakter 
von Kosenamen. Beispiele : 
cachot k ä § für Gefängnis * ; coll^gien k o 1 ^ s j ^ae ist einer, 

der im Gefängnis (R ä § p a 1 h y s) ist, Sträfling ; 
capsule khäpsyl und cartouche khärtys haben wegen des 

Knalles, den sie hervorbringen, die Bedeutung Schlag auf 

den Kopf angenommen; 
crapaud krap(o scherzhafter Schimpfname für französisch 

Sprechende ; 
parier p ü r 1 a ebenso für französisch reden ; 
payer pfej a soviel wie blechen, berappen^ bezahlen; 
pimprenelle, gewöhnlich m ä m s e 1 (mademoiselle) p e m p a r- 

n h 1 eitles, törichtes Mädchen ; 
sapeur sä per von Kindern; 
tout de suite tutswitl iron. langsame Person. — 

absolvere äpsalftara und mit Anlehnung an wickeln : 
äpsalwekla scherzhaft für prügeln ; 



^ Hierfür hat auch die einheimische Sprache zalüreiche scherz- 
hafte Bezeichnungen : pfifar, kikar, numoro sex^r (Nnm- 
mer sicher) usw. 



— 257 — 

ßdelitas f e k 1 9 1 6 1 a plur. komische Bewegungen ; 

harmonia h ärma n » Brotsack^ zusammenziehbar wie eine Har- 
monika (= härman*) (Metapher) ; 

physicus fisdkÄQkas* (scherzhaft erweitert) Halbgelehrter ; 

soeius tsiintjfe scherzhaft für einen Pfiffikus \ 

veteranus wötardij, gewöhnlich ältar wötardij ranke- 
voller Mensch. 

2. Fluch- und Verwünschungsworte. 

Wenn sich das Volk schon zum Ausdruck von Schelten 
gern der Fremdwörter bedient, so ist dies in noch höherem 
Masse der Fall beim Fluchen und Verwünschen. Gewöhnlich 
sind die Wörter bereits aus der fremden Sprache als Flüche 
entnommen, bei einigen wird die Bedeutung erst in der Mund- 
art nach dieser Seite hin umgestaltet. Ausserdem erfahren 
manche in ihrer äusseren Form eine euphemistische Um- 
bildung'. Beispiele : 
bataillon pätljo'n, nur in der Zusammensetzung kra^its- 

p ä tl j d n 3, gelindes Fluch wort ; 
bombe pü m, Rda.: te/. sol 9 pü m p fa l S9, kreät iara 

(pfetzen, «klystieren») als leichte Verwünschung ; 
mille de bougre euphem. meltapükl (Anl. an Buckel), nom 
d'un bougre euphem. nüntapükl und niintatsükr 
(Anl. an Zucker), mille de pipe meltapip, nom d'une 
pipe nüntapip, mille de Öieu mel tat je und euphem. 
m e 1 1 ata j (Anl. an Meltau), mille de foutre meltafytar 
und euphem. meltakhy tar (Anl. an Kauder), nom d'un 
foutre nüntafytar, ferner 
nom d'un chien nüntasj^ic, nom de diable nüntatjäwl 

sind gelinde Flüche; 
nom de Dieu nüntat je ist ein heftiger Fluch, daneben die Glimpf- 
formen nüntatjiik, nüntatik, nüntatrak Dreck); 
sacrö Dieu säkartje ebenfalls ein heftiger Fluch; 



* Aehnliche Wortveränderungen wie p ü r 1 o (parier), t s ü n - 
t s j ä (socins}, sowie Wortableitung mittels der latein. Endung -us 
(vgl. § 12, 1 a unter 9) wie k h ü r a s (corps) und Zusammensetzung 
mit dem Präfix ge- (vgl. Anhang zu IV) wie kräkhüntar (von 
rencontre) weisen zum grossen Teil scherzhaften, verächtlichen oder 
tadelnden Sinn auf. 

s üeber Glimpfformen etc. im Elsässischen vgl. S t ö b e r in 
Frommanns Zts. II, 501 ff., IV, 462 ff. — Die euphemistischen 
Bezeichnungen bilden gewissermassen das Gegenstück zu den oben 
unter 1. angeführten derben Aasdrucksweisen, die man z. T. als 
Hyperbeln auffassen kann. 

5 Der erste Teil ist wohl selbst ein Fremdwort aus nhd. KreuZy 
wie die Aussprache beweist; sonst lautet es k r i t s. 

17 



^ 258 -. 

sacramentura säkarmant und euphem. säparmant nach 
saprelotte s ä pa rl üt und dieses selbst wieder s ä k 9 r 1 ü t 
nach sacramentura bezw. sacr6 . . . ., ferner crucifixus 
kritsafiksd und 

vie de Dieu \v i t a t j a sind ähnliche Fluch Wörter ; 

victoria fart^^riä, Euphemismus für (Gott) fartdmi ver- 
damme mich, ist im Gegensatz zu diesem ein g^elindes 
Fluch wort. 

§ 22. 

Entstehung neuer, meist disparater 

Bed eutungen. 

Es lassen sich noch eine Anzahl Fälle des Bedeutungswan- 
dels zusammenstellen, welche von den bisher betrachteten zum 
grossen Teil ganz verschieden sind. Bei ihnen ist kein eigent- 
licher innerer Uebergang der Bedeutung wahrzunehmen; die 
meisten beruhen auf einer äusseren Anknüpfung, inso- 
fern sie losgelöste Teile einer Wortverbindung sind, deren 
ganzen Inhalt sie wiedergeben, oder insofern sie durch Volks- 
etymologie oder Vermischung von Worten eine Anlehnung er- 
fahren haben. 

1. Ausdrücke, die zur Angabe des Inhalts einer 
Wortverbindung dienen. 

Ein Wort kann das, was gewöhnlich durch eine Verbin- 
dung von Worten gesagt oder auch nur gedacht wird, aus- 
drücken, indem es als charakteristischer Bestandteil dieser Ver- 
bindung herausgehoben wird. Auf diese Weise bezeichnet man 
einen Gegenstand nach dem Orte seiner Herkunft, ein Klei- 
dungsstück nach der Mode, nach der es angefertigt ist und dgl. 
Beispiele : 
anglaise äqklös kies schwarzer Rock der Männer mit langen 

Schössen, nach einer Mode in der Revolutionszeit ; 
bride p r i t, dem p r i 1 1 ein Mädchen in ländlicher Tracht (bride), 

die in einer Schlaufe auf der Haube besteht (Metonymie); 
garni k a r n i ein möbliertes Zimmer (chambre garnie) ; 
gönie s e n / ein Mensch mit Genie, ein geschickter Mensch (Meto- 
nymie) ; 
oblong ä p 1 ä Q ein (sc. oblonges) Fass, das höher als breit ist, 

mit ovalem Boden (Metonymie) ; 
prise p r i s (prise sc. de tabac) eine Prise Schnupftabak^ soviel 

man zwischen zwei Fingerspitzen nehmen kann, und der 

Schnupftabak selbst ; 



— 259 — 

Provence prowd/iS Provenzerstoff (\ereü§ung) ; 

regle re^i, seinar fäm rä§i und bloss r e § i ein Mann aus 

der Steuerverwallung (Metonymie); 
lype t i p eigtl. Typus, Urbild z. B. eines Menseben, daon 

Mensch, Kerl, Herrchen ; 
vernis waerni urspr. lackiertes Leder, dann Schuhe mit lack. 

Leder. — 

choralis k b o r d 1 a s Chor buch und Chorknabe ; 

commissum k b ä m e s Komiss = Soldatenbrot (k h ä m e s- 
prüt); 

competentia kbäptans^ aus der Zusammensetzung k ha p- 
t <f Q s - h 1 s Holz, das dem Pfarrer und den Lehrpersonen 
der Gemeinde von Rechts wegen zukommt (auch tepatdt- 
h 1 s genannt von deputatum) ; 

item itam bat eine eigentümliche Bedeutungsveränderung 
durchgemacht. In Schriftstucken und Akten werden die 
einzelnen Artikel^ Titel, Posten der Reihe nach aufgezählt 
mit der Bezeichnung item. So beginnen z. B. in einer 
fi Schmidt' Ordnung}» der Gemeinde Nordhausen aus dem 
Jahre 1694, welche darüber bestimmt, <iwass ein gemeiner 
dorffs Schmidt ordnungsweiss Schmidt Lohn und Tax zu 
forderen hatt>^ fast alle Artikel mit item: «Erstüchen von 
Einem Neyen Radt gantz mit Neyen Eyssen zu Beschlagen 
— — Item ein Neyes Radt mit alten Eyssen zu Be- 
schlagenD — usw. Infolge dieser Verwendung nimmt das 
Wort überhaupt die Bedeutung Artikel, Posten an; ein 
Grundbuchauszug enthält beispielsweise zehn item, d. i. 10 
Posten. 

noster nüstar nestar (aus pater noster, womit das Rosen- 
kranzgebet beginnt) bedeutet Rosenkranz (Gebet und Ge- 
genstand) ; 

secrela tsekret sekret und privata p r e f ef t sind ein ab- 
getrennter Ort, Abort. 

tJ. Ausdrücke, deren Sinn durch Volksetymologie * oder 
Vermengung mit anderen Worten beeinflusst ist. 

Die Volksetymologie hat bisweilen nicht nur die äussere 
Form der Wörter umgestaltet, sondern auch auf den innern 
W^ert derselben eingewirkt. Aehnlich haben sich durch Ver- 



1 Anlehnung an capitaine k h ä p t a n. 

2 Nach Wandt «Wortassimilationen mit Begrififs um Wand- 
lungen»; vgl. § 14. 



— 260 — 

mischung und Verwechslung fremder Wörter untereinandk €t 

mannigfache Bedeutungsveränderungen ergeben ; manchmal %st 

geradezu für ein Wort ein anderes, ähnlich klingendes, afcier 

mit Beibehaltung der Bedeutung des ersteren, eingetret^^n. 

Schon der Geschlechtswandel zeigte sich in manchen Punk'%:.eij 

von diesen äusseren Faktoren abhängig. Bei der vorliegencrleD 

Sinnesübertragung spielt Täuschung und Missverständnis ^:ioe 

grosse Rolle. Beispiele : 

aide de camp fetakäij (-Gang) einer, der für jemand et^ien 
Gang^ Schrille lul; 

casserole k ä s 9 r o 1 (Gasse und rollen) Gassensir eiferin ^ vou 
einem Mädchen gesagt ; 

hasard häsär (Hass) Hass^ Neid, Feindseligkeit; 

tambour tämpyr (-Bauer) als Hofname zusammengesetzt ge- 
dacht mit Bauer; 

absolvere äpsälf^ara äpsälwiara (salben =) durch- 
prügeln ; 

hospes hüspas (Haspel) übereiller^ leichls innig er Menschy. 
Knabe. — 
Fälle, in denen ein Wort durch ein ähnlich klingendes 

ersetzt wird, sind § 15 erwähnt. Sie seien hier wiederholt 

mit Hinzufögung einiger anderen : 

broche p ros für cloche Glasglocke, unter die man Blumen stellt; 

chamarrer in fa r- s am ar iart für cÄarwie verliebt, entzuckt; 

consulter khüntsaltiara für insuller beschimpfen ; 

gibeciere sip sj ser für gibus Zylinderhut ; 

inviter e nf at iara für einen ähnlichen von «tivew/artttw ge- 
bildeten Infinitiv mit der Bedeutung das Inventar machen^ 

manege mänes für menage Unordnung; 

ordonnance ortandnts für audienlia Audienz ; 

passementer päsemäntiara für palienler sich gedulden; 

proclamer proklamiara für reclamer murren, schimpfen ; 

ridicule r i t i k y 1 für re Heule Tragbeutel ; 

trancher tränsiara für deranger slören ; — 

disputare tespat^ara für expedier fortschicken. 

Andere Wortvermengungen, welche die Bedeutung gefärbt 

haben, sind : 

serieux syrjtls (vermischt mit curicux khyrjus) eigentüm- 
lich, eigenartig; 

gen^reux senares (vermischt mit gener) in der Rda. : t» 
senaresa mäya sich genieren, z. ß. beim Essen. 



— 261 — 

Verzeichnis der benatzten oder zitierten Literatur. 

[Abkürzungen.] 

Andresen, Ueber deutsche Volksetymologie, Heilbronn 1876. 

E lumer, Zum Geschlechts wandel der Lehn- und Fremdwörter im 

Hochdeutschen, Leitmeritz 1890. 
€ a u e r , Zur Geschichte der Wortbedeutungen in der deutschen 

Sprache, Hamm 1870. 
•Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854 ff. 
Henry, Le dialecte alaman de Colmar en 1870, grammaire et 

lexique, Paris 1900. 
Kahl, Mundart und Schriftsprache im Elsass, Zabem 1893. 
Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 6. Aufl. 

Strassburg 1899. 

— Deutsche Studentensprache, Strassburg 1895. 

Lienhart, Die Laut- und Flexionsverhältnisse der Mundart des 

Zornthals, Alsat. Stud. I, 189. 
Lorenz und Seh er er, Geschichte des Elsasses, 3. Aufl. Berlin 188G. 
M a n k e 1 , Die Mundart des Münsterthaies, Strassb. Stud. (1884) 2, 113ff. 
Martin, Der Pfingstmontag, Lustspiel in Strassburger Mundart von 

Arnold, Strassburg 1891. 

— Sprachverhältnisse und Mundarten im deutschen Sprachgebiete 

von Eis.-Lothr. in cDas Reichsland Els.-Lothr., Landes- und 
Ortsbeschreibung», Strassburg 1899. 

Martin und Lienhart, Wörterbuch der elsässischen Mundarten, 
I. Teil, Strassburg 1897 [M.-L.]. 

M e n g c s, Volksmundart und Volksschule im Elsass, Gebweiler 1893 
[Volksmda.]. 

Moers, Die Form- und Begriffs Veränderungen der frz. Fremdwörter 
im Deutschen, Programmbeilage der Höheren Bürgerschule, 
Bonn, Ostern 1884. 

Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, 3. Aufl. 1898 

Eosenstein, Die psychologischen Bedingungen des Bedeutungs- 
wechsels der Wörter, Danzig 1881. 

Scheffler, Das etymologische Bewusstsein mit besonderer Rück- 
sicht auf die nhd. Schriftsprache^ Wissenschaftl. Beilage zum 
Jahresber. des neuen Gymn. in Braunschweig, 2 Teile 1897, 1898. 

«Schmidt, Die Gründe des Bedeutungswandels, Progr. des Königl. 
Realgymn. Berlin 1894. 

Schweizerisches Idiotikon [Schwz. Id.j, Wörterbuch der 
Schweizer-deutschen Sprache, bearb. von Fr. Staub und L. Tobler, 
Frauenfeld 1881 ff. 

Stehle, Orts-, Flur- und Waldnamen des Kreises Thann im Ober- 
elsass, Strassburg 1887. 

Wa a g, Bedeutungsentwicklung unseres Wortschatzes, Lahr i.B. 1901. 

Wackernagel, Die Umdeutschung fremder Wörter, Basel 1863. 

Wein hold, Alemannische Grammatik, Berlin 1863. 

Witte, Zur Geschichte des Deutschtums im Elsass und im Vogesen- 
gebiet, Stuttgart 1897. 

Wundt, Völkerpsychologie I, 1. Leipzig 1900. 



— 262 — 



Zeitschriften: 



Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 
hrsgr. von E. Sievers, 27. Bd. Halle 1902. 

Elsass-lothring. Schulblatt, hrsg. von Bruno Stehle. 

Frommann, Die deutschen Mundarten, Nürnberg, später Halle 
1854 ff. 

Germania, hrsg. von Pfeiffer. 

Jahrbuch [Jb.J für Geschichte, Sprache und Literatur des Elsass, 
hrsg. vom histor.-Iiterar. Zweigverein des Vogesenclubs. 

Reform, Monatsschrift des allgem. Vereins für vereinfachte Recht- 
schreibung und des Vereins für Altschrift, hrsg. von J. Spieser, 

Zeitschrift für deutsches Altertum [Zs. f d. A.]. 

Zeitschrift für den deutschen Unterricht, hrsg. von Otto Lyon, 
3, 307 ff. 

Zeitschrift für hochdeutsche Mundarten, hrsg. von 0. Heilig und 
Ph. Lenz. [Zs. f. hd. Mdaa.]. 

Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft. 

Abkürzungen, die nicht näher angegeben sind, werden als bekannt 
vorausgesetzt. 



Eerichtignngen. 

Seite 165 Zeile 6 von unten lies : n ü m ar o. 
> 166 in Fussnote 5 lies : § 8, Lautzusatz: 2 unter 3. 
» 168 Zeile 9 von unten lies : reine-clau de. 

* 169 » 15 von unten lies : fl ^ t r ä r §. 

* 170 » 9 von oben lies: preSjä. 

» 170 » 14 von oben fehlt das Komma zwischen tämpal- 

mäbör und franc-tireur. 
» 170 » 17 von oben soll nach etc. Doppelpunkt stehen. 
» 183 in Fussnote 1 lies : § 12, 1 : a u n t e r 12. 

* 183 * * 2 lies: § 14, 1 : a unter 8. 

» 200 Zeile 1 von oben lies: § 12. 1 : a unter 1. 

» 204 » 18 von unten lies: § 8, I^autzusatz: 2, 4 unter h. 

» 212 » 10 von unten lies: phöwrer. 

* 221 » 20 von oben lies : c. statt c). 

222 in Fussnote 2 lies : § 8, Lautzusatz: 2 unter l. 
» 222 » * 3 lies: Anhang : 9. 

» 223 Zeile 8 von unten lies : k ü s a. 
» 225 » 1 von oben lies : 2) statt 2. 
» 228 in Fussnote 3 lies : § 9, 3. 



XIV. 

Sagen aus dem krummen Elsass. 

gesammelt von Lehrern und Lehrerinnen der Schul- 
inspektion Saarunion^ 

veröffentlicht von 

Kreisschulinspektor Menges. 

1. Aus dem Kanton Saarunion. 

(Fortsetzung.) 

18. Der gespenstische Reiter am Zollstock. 

An der Strasse, die von Harskirchen nach Saar- 
werden über die Wasserscheide zwischen dem Saar- und dem 
Naubaehtale führt, trifft man vier kleine kreisförmige Weiher 
an, die einen Durchmesser von 40 — 12 Meter, eine Tiefe von 
1,50 — 2 Meter haben und wegen des lehmigen Untergrundes 
sogar im Hochsommer nicht völlig wasserleer sind. Diese 
Weiher, die wohl in vorgeschichtlicher Zeit als Feuer- 
stätten angelegt worden sind, nennt das Volk «Seebe». 
Zwei davon liegen am Nordabhange der Wasserscheide, die 
beiden andern auf der Höhe selbst, auf der sich eine kleine 
Hochebene ausbreitet, die im Volksmund «der Zollstock» heisst 
und von wo aus man eine herrliche Aussicht nach allen 
Seiten hat. 

Von diesen Seeben erzählt die Sage Folgendes : In stür- 
mischer Nacht zur Geisterstunde jagt um sie in rasendem Ga- 
lopp ein Reiter mit wehendem Mantel und grossem Schlapphut. 
Er sitzt auf einem Schimmel und hat nur ein feurig-glühendes Auge 
mitten auf der Stirn. Seinen Schimmel treibt er mit wildem 
Geschrei zu immer tollerem Laufe an. Manchmal zeigt sich auch 
der Reiter ohne Kopf, oder er trägt den Kopf unter dem' Arme. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Harskirchen. 



— 264 — 

19. Das braune Pferd ohne Kopf. 

Am Münnisbruckel zwischen Saarwerden und Zollingen 
soll schon oft ein braunes Pferd ohne Kopf gesehen worden 
sein. Einmal setzte sich ein Unerschrockener darauf. Da wollte 
es in die Saar springen. Rechtzeitig konnte er sich noch 
herunter fallen lassen. Aus dem Wasser aber hörte er ein 
lautes Lachen. 

An derselben Stelle wollen zwei Männer einen Reiter auf 
dem Boden liegend gesehen haben. Er war mit weissen Hosen 
und einem schwarzen Frack angetan und trug grosse Stiefel 
mit Sporen. Neben ihm lag ein Gylinderhut. 

Mitgeteilt von Lehrer Besenfelder zu Saarwerden. 

20. Das silberne Glöcklein von Saar^verden. 

Zur Zeit, da in Saar werden das gräfliche Schloss noch 
vollständig erhalten war, zogen feindliche Soldaten ins Land 
und belagerten es. Da erhob sich ein heftiger Sturm. Er riss 
den Turm des Schlusses herunter. Das silberne Glöcklein, das 
darauf war, fiel in die Saar. Schon viele Leute suchten darnach, 
konnten es aber bis jetzt nicht finden. 

Mitgeteilt von Lehrer Besenfelder in Saarwerden. 

21. Der Schimmel an der Saar. 

Zwei Scheerenschleifer aus Saar werden arbeiteten tags- 
über zu Buckenum (Saarunion) unter der Halle. In später 
Abendstunde kehrten beide, Vater und Sohn, nach Hause zurück. 
Sie benutzten einen Pfad über die Wiesen. Als sie sich um 
die zwölfte Stunde dem Metzlachgraben näherten, erblickten 
sie auf der Sandmatt ein weisses Ross. Es weidete ruhig im 
Grase. Die beiden Männer glaubten, es wäre das Pferd eines 
Bürgers von Saarwerden, und wollten es einfangen. Der 
Schimmel Hess sie nahe an sich kommen, machte dann einige 
Sprünge seitwärts und graste weiter. Dies tat er so lange, bis 
sie dicht an der Saar waren. Da wieherte er laut und verschwand 
mit einem gewaltigen Satz in den Fluten. Vergebens warteten 
die Scheerenschleifer auf sein Wiedererscheinen. 

Mitgeteilt von Lehrer Besenfelder zu Saarwerden. 

22. Das feurig^e Pferd. 

KvS ging einmal ein Mann von Diemeringen nach Rims- 
d r f. Als er zurückkehrte, war es Mitternacht. Da sah er am 
Itand« dos Waldes ein feuriges Pferd w^eiden. Es kam immer 
nt\luM\ Plötzlich stand es vor ihm und sprach : «Setze dich auf 



— 965 — 

meiDen Rücken ; ich führe dich nach Hause.» Aber der Mann 
fing an m fluchen. Da verschwand das Pterd. Als er sich um- 
drehte, stand eine weisse Frau vor ihm auf der Weltku^l. 
Sie klatschte in die Hände und lachte ihn aus. 

Mitgeteilt tod Lehrer Weit froher in Diemeringen, 
jetzt in Bosheim. 

23. Der g^esattelte Scbiminel. 

Einst kehrte ein Bürger von Thal in der Nacht von 
Bockenheim^ nach Hause zurück. Da gesellte sich ein 
Schimmel zu ihm, der aufgesattelt war. Er b^leitele ihn bis 
vor das Dorf Thal. Dort drehte sich das Pferd schnell um und 
verschwand. 

Mitgeteilt von Lehrerin Forrler in Dralingen. 

24. Der Schatz in der Halle. 

In der Halle oben in Bockenheim wurde früher 
Jeden Abend Feuer gesehen. Da grub man an dem Platze die 
Steine heraus und fand viel C^ld. Von nun an sah man kein 
Feuer mehr. 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl za Saaranion. 

25. Das Haus mit den Totenköpfen. 

In der Linsengasse zu Saarunion steht ein Haus, an 
dem im ersten Stock über jedem Fenster ein Menschenkopf in 
Stein ausgehauen ist. Diese SteinQguren heissen im Volksmunde 
die Totenköpfe. Das Haus war in früherer Zeit der Sitz des 
Büi^ermeisteramtes und dann einer Mädchenschule. 

Eines Tages bemerkten zwei Mädchen beim Fegen des 
Scbulsaales plötzlich eine Gestalt auftauchen, die einem 
Tolenkopf ähnlich sah. Sie liefen sofort hinaus. Nach einigen 
Tagen sahen die zwei Mädchen dieselbe Erscheinung mitten im 
Unterrichte. Auf ihren Schreckensschrei wurde der Totenkopf 
auch von den übrigen Kindern und von der Lehrerin bemerkt. 
Nun veriiessen alle das Haus in der grössten Eile. Niemand 
wagte es mehr zu betreten und zu bewohnen. Noch heute steht 
das Haus leer. Zur Erinnerung an jene Erscheinung sollen die 
Menschenköpfe am Haus angebracht worden sein. 

Mitgeteilt vom Lehrer Ahl in Saarunion. 



1 Bockenheim, mundartlich Backenum, ist der volkstümliche 
Name für Saaranion ; es ist eigentlich der ältere Stadtteil nördlich 
von der Saar. Der Teil auf der andern Seite der Saar heisst Neustadt. 



— 266 — 

26. Der feurige Mann. 

Vor vielen Jahren konnte man in Saarunion in dem 
Hause oben am «Giöckel» nachts oft einen feurigen Mann sehen, 
der mit einem grossen feurigen Stock in der Hand im dritten Stock 
auf- und abspazierte. Darum war dieses Haus lange Zeit unbewohnt. 

Mitgeteilt vom Lehrer Ahl in Saarunion. 

27. Das sonderbare Licht. 

Ein Mann aus Saarunion ging einmal am Abend in 
den Stall. Da sah er aus einer Ecke des Hofes ein Licht heraus- 
kommen. Es ging plötzlich aus und wieder an. Jetzt brannte 
es noch viel heller als am Anfang. Am zweiten und dritten 
Abend sah der Mann das Licht wieder. Beim dritten Male 
stellte er sich hinter die Stalltüre und sprach : <r Willst du etwas, 
so komm herein zu mir; ich mach's mit dir aus!» Da kam 
das Licht näher. Der Mann aber schlug die Türe schnell zu, 
so dass das Licht gegen die Türe fuhr. Davon fiel diese in den 
Stall hinein und ward zu Asche. 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion. 

28. Die sch-warze Frau. 

Unten am Rebberg von Saarunion geht jeden Abend 
eine schwarze Frau an der Saar hin. Einmal begegnete ihr ein : 
Mann, der aus der Niedermatt kam und nach Hause wollte. Als^ 
er sie sah, rief er ihr zu: «Rawutzel, Rawutzel, komm her!))<: 
Da schlug ihm die Frau ins Gesicht. Bald darauf starb der Mann^ 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion. 

29. Das Gespensterscbloss bei Saarunion. 

Bei Saarunion erhob sich früher ein Schloss, in de 
einer der Fürsten von Nassau- Saarwerden seinen Sitz hatte 



Von seiner Grausamkeit wissen noch heute alte Leute viel z 
erzählen. Seine Untertanen mussten oft selbst in der Nacht aizat 
den umliegenden Ortschaften kommen und ihm Frohndiens'^ e 
verrichten. So störte das Quaken der Frösche aus der nah^K 
Saar den gnädigen Herrn oft im Schlafe. Darum Hess diesor 
aus den benachbarten Dörfern Männer kommen, die mit Stange/3 
und Gerten das Wasser peitschen mussten, um den nächtlichen 
Musikanten das Singen zu vertreiben. Widersetzten sie sich, so 
wurden sie auf das srrausamste misshandelt. 



O' 



Doch die göttliche Strafe blieb nicht aus. Die Seele des 



o 



Fürsten fand im Grabe noch keine Ruhe. Schon gleich nach 
seiner Beerdigung irrte sein Geist ruhelos in den Schlossräumen 
umher. Man sah ihn im zweiten Stock des Schlosses zum 
Fenster hinausschauen. Auch später erschien er jede Mitternacht 



— 267 — 

im Schlosse, trieb hier sein Unwesen und versetzte die Schloss- 
bewohner in Angst und Schrecken. Daher blieb das Schloss 
lange Zeit unbewohnt. 

Mitgeteilt von Lehrerin Kexel, früher zu Harskirchen, 
^ jetzt zu Strassburg. 

30. Der Heidenhübel bei Saarunion. 

Im Grossbrunnenwald bei Saarunion heisst eine Stelle 
der «Heidehüweb (Heidenhugel). "Hier soll vor langer Zeit ein 
Schloss gestanden haben, in dem der Heidenkönig Moraks mit 
seiner Familie wohnte. Im Heidenhügel liegt er mit seinem 
Streitross begraben. Dieser Hügel steht mit dem Schloss in 
Lorenzen durch einen unterirdischen Gang in Verbindung. 

Einst kam ein Mann von Saarunion in die Nähe, um seine 
Arbeit zu verrichten. Da begegnete ihm ein Fräulein in ur- 
alter Kleidung und forderte ihn auf, am andern Tage um die 
nämliche Zeit an dem nämlichen Platz zu erscheinen. Dann 
werde sie ihn glücklich machen. Hierauf verschwand sie. Der 
Mann wurde vor Schrecken ohnmächtig und blieb fast den 
ganzen Tag bewusstlos liegen. ' 

Als er wieder zur Besinnung kam, eilte er nach Hause, teilte 
seiner Frau sein Erlebnis mit und bat sie, am nächsten Tag an 
den Ort zu gehen. Er selbst musste acht Tage das Bett hüten. Die 
Frau aber sah am andern Tag das Fräulein im Walde nicht, 

3Iitgeteilt von Lehrer Alexander zu Saarunion. 

31. Das Dorftier von Schopperten, 

In unmittelbarer Nähe von Schopperten liegt das 
Feldgewann Bruch. Hier ist es nicht geheuer. Schon manchem 
ist in der Nacht ein grosser, schwarzer Hund begegnet; andere 
behaupten, es wäre ein Kalb. 

Mitgeteilt von Lehrer Treiber zu Schopperten. 

32. Die -weisse Kuh. 

Rechts von der Strasse, die von Schopperten durch den 
Wald nach Keskaslel führt, liegt die sogenannte crBlutsifferseeb))^ 
Der Teil des Waldes links von der Strasse heisst das «Drieschebs. 
An dieser Stelle soll nachts eine weisse Kuh umgehen. 

Mitgeteilt von Lehrer Treiber zu Schopperten. 



J Ein «Blutsiffer» ist ein Blutsaufer oder Blutegel ; eine cSeeb* 
ist eine runde, meist mit Wasser gefüllte Bodenvertiefung, wie man 
sie in dieser Gegend häufig antrifft, und über deren Entstehung, 
Zweck und Name man verschiedener Ansicht ist. 

2 «DriescheU hängt mit dem mhd. Eigenschaftswort drieseh 
(unangebaut, ungepfiügt} zusammen. 



— 268 — 

33. Der e^vige Jäger. 

An einem Sonntagmorgen ging einst ein Jäger in den 
Wald von Schopperlen auf die Jagd. Er fing ein leben- 
-diges Häslein und steckte es in seine Jagdtasche. Darauf setzte 
-er sich nieder, um sein Frühstück einzunehmen. 

Als er so da sass, kam ein anderes Häslein gelaufen und 
rief: 

cWacli anf, wach auf, liebe Schwester Marie ! 
Jetzt gilt*s zu enteilen, jetzt oder nie.> 

Da kletterte das andere Häslein aus der Jagdtasche, und sie 
liefen miteinander fort. 

Da dies der Jäger sah, sprang er auf und rief: ocDich hole 
ich ein, und wenn ich jagen muss bis zum jüngsten Tage!]» 
Von nun an musste er jagen, ohne die Häslein je zu finden. 

Mitgeteilt von Lehrer Klein zu Bissert. 

34. Der Schlosshübel bei Keskastel. 

Bei K e^ k a s t e 1 erhebt sich hinter der sogenannten Klein- 
icinderschule, der katholischen Unterklasse, ein kleiner Hügel, 
-den die Bevölkerung Schlosshiwwel nennt. Noch vor wenigen 
Jahren war er viel grösser als heute ; ein Teil wurde abgetragen, 
um einen Weg auszufüllen. Auf diesem Hügel stand nach der 
Ueberlieferung ehemals ein Schloss oder Gastell Gäsars : Gaesaris 
Castellum. Und hiervon wird der Name des Dorfes abgeleitet. 

Grossere Ausgrabungen fanden zwar noch nicht statt. Aber 
nach der Sage sind hier kostbare Schätze vergraben. Manche 
wollen auf dem Hügel um Mitternacht schon ein merkwürdiges 
Licht, andere ein Kohlenfeuer gesehen haben, das von einem 
Manne bewacht wurde. 

Mitgeteilt von Lehrer Halb wachs zu Keskastel. 

35. Das Hexeneck. 

Vor noch nicht sehr langer Zeit ging ein Mann von K e s - 
k u s t e I in njondheller Nacht in den Wald, um Holz zu holen. Am 
lliixoneck hörte er auf einmal eine wunderherrliche Musik. (Später 
Hi\^U) t»r; «Beim Regiment haben sie gewiss schön gespielt; so 
m\\i\i\ war es aber nicht».) Als er näher trat, sah er im Schein 
dfiM M(»ndenlichtes eine lustige Gesellschaft von Männlein und 
WiiililtMiK Sie tanzten und tranken Wein aus goldigen Ross- 
lu huhou (IMVrdehufen). Da sprach der Mann für sich : «Tanz, 
ImuImI, wie du kannst!» In diesem Augenblick hängte sich 
4hrn «Miin Hoxü an den Buckel, und er musste sie bis zum 



— 269 - 

Kreuz am Eingange des Dorfes tragen. Von der Zeil au hatte- 
der Mann einen Leibschaden. 

Noch viele andere Leute hörten die Musik. Sie kam immer 
vom Hexeneck und zog manchmal über das Dorf dahin. 

Mitgeteilt von Lehrer Halbwachs zu Eeskastel. 

36. Der Graumännelsee. 

Vor Jahren lebte in Keskastel ein Mann, der allgemein- 
das «Graumännel» genannt wurde. Er war ein stiller, finsterer 
Gesell, sodass jedermann ihn fürchtete. Nach seinem Tode 
wurde er auf gewöhnliche Weise begraben. Zum grossen Ent- 
setzen aber zeigte sich das Graumännel bald nachher am Erker- 
fenster seiner Wohnung und lachte höhnisch auf die Vorüber- 
gehenden herab. Zwar wurde das Erkerstübchen zugemauert '^ 
aber die Hausbewohner hörten das Graumännel oft fürchterlich 
rumoren und konnten es fast nimmer aushalten. 

Da suchten sie Hilfe bei dem frommen Jesuitenpater Kauf- 
mann in Saarunion, der die Pfarrei Keskastel pastorierte». 
Dieser beschwor den Geist in eine Flasche. Das geschah aller- 
dings nicht ohne heftigen Widerstand. Der Geist schimpfte 
fürchterlich auf den frommen Pater und schalt ihn : <!croteD 
Rübendieb». Der Pater, der rote Haare hatte, gestand ein,, 
einmal bei heftigem Durste eine Rübe aus dem Feld genommen 
zu haben ; er habe aber zwei Sous an den Ort gelegt. ocDer 
Besitzer aber hat das Geld nicht erhalten», schrie der Geist. 
Aber es half nichts, er musste in die Flasche hinein. Diese 
wurde versiegelt und an der wildesten Stelle des Waldes in 
einen tiefen See geworfen. Seitdem heisst der See «Grau- 
männelsee». 

Mitgeteilt von Lehrer Halbwachs zu Eeskastel. 

37. Der grosse Mann. 

Es sind jetzt etwa fünfzig Jahre her, da wollten drei^ 
Burschen von Keskastel ihren Freundinnen das Neujahr an- 
schiessen. Sie stellten sich an dem Turme der evangelischen 
Kirche auf. Hier soll es nicht geheuer sein. Plötzlich stand 
eine riesenhafte Menschengestalt vor ihnen. Aber nur zwei be- 
merkten sie. Es veiging eine Viertelstunde, ohne dass die Ge- 
stalt wich. Da fasste sich der eine der beiden ein Herz und 
wollte mit seinem «Sackpuffer» auf den geheimnisvollen Mann 
schiessen. Der andere aber schlug ihm den bereits ausgestreckten^ 
Arm nieder und verhinderte so den verderbenbringenden Schuss^. 
In demselben Augenblick verschwand die Gestalt. 

Ein Mann ging einmal um Mitternacht vom «Maien» (Be- 



— 272 — 

42. König Chlodwig in Herbitzhelm. 

Das katholische Pfarrhaus von Herbitzheim war früher 
ein Schloss, was man an der Treppe noch erkennen kann. 
Diese Treppe beündet sich in einem Turm, dessen oberer Teil 
abgetragen ist. Das Gebäude halte vier Eckturme.^ 

Die Sa^e erzählt, dass dieses Schloss vom Frankenköni^ 
Chlodwig erbaut worden sei, Chlodwig kam jedes Jahr nach 
Herbitzheim, um in den Wäldern der Umgebung zu jagen. Die 
Pferde mussten in dem grasreichen Saartaie weiden. Wegen 
dieses Graswuchses erhielt der Ort dem Namen Heribodesheim^ 
d. h. grasreicher Ort ; daraus ist dann Herbitzheim geworden. 
Mitgeteilt von Lehrer Hermann Mey zn Herbitzheim. 

43. Der Allert (Wachsame). 

In früheren Jahren bestand auch in S i 1 z h e i m der Ge- 
brauch, im Sommer um 10 Uhr, im Winter um 9 Uhr abends 
zu läuten. Da damals das Kirchlein auf dem Gottesacker stand, 
ging der Glöckner am Pfarrhaus und am Pfarrgarten vorüber 
durch das Kirchgässchen. Der damalige Pfarrer hatte einen 
sehr wachsamen Hund, der «Allert» hiess und nachts oft 
in der Nähe des Pfarrhauses zu sehen war. 

Als der Glöckner eines abends wieder seines Amtes walten 
wollte, sah er an der Mauer eine hundähnhche Gestah. Da er 
glaubte, es sei der Allert, sagte er: aEi, Allert, du hier! Was 
machst du denn noch hier?» In demselben Augenblicke bekam 
er eine so derbe Ohrfeige, dass er halb betäubt zur Seite 
taumelte. 

Als er zu sich kam, war nichts mehr zu sehen und zu 
hören. Von da an glaubte er auch den Allert im Bunde mit 
den bösen Geistern. 

Mitgeteilt von Lehrer Brockly za Silzheim 

44. Die Butterfrau. 

Vor langer Zeit wohnte in Silzheim eine ältere Frau, 
die weder eine Kuh noch eine Ziege hatte. Trotzdem ging sie 
wöchentlich mehrmals mit einem Korb voll Butter nach Saarge- 
mund und löste schöne Summen. Man wunderte sich allseits 
hierüber; doch die Ursache blieb lange ein Geheimnis. 



» In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Schloss von der 
Gemeinde gekauft und in ein Pfarrhaus verwandelt. In den Garten 
wurde die jetzige kathol. Kirche gebaut. Der grosse Platz neben 
dieser heisst noch heute: der Schlossgarten. 



— 273 - 

Eines Tages kam zu einer ungewöhnlichen Stunde eine 
andere Frau vorsichtig an die Türe, die gewöhnlich verschlossen 
war. Da sie zufallig aufstand, ging die Frau leise ins Haus hinein. 
Sie sah nup die Besitzerin des Hauses in der Stube buttern. Sie 
blickte nämlich durchs Schlösselloch der Stuben türe und be- 
merkte, wie die Butterfrau ein rotes Bändchen unter dem 
Butterfass liegen hatte. Während ihrer Arbeit wiederholte die 
Butterfrau beständig: «Aus jedem Haus ein Tröpfchen, aus 
A.-Haus ein Schöppchen:!). 

Die Frau ging, ohne hier zu stören, nach Hause, nahm 
ihr Butterfass, legte ein rotes Bändchen darunter und fing an, 
Butter zu stossen, indem sie die Worte der Butterfrau etwas 
verändert sagte : «Aus jedem Haus ein Schöppchen aus A.-Haus 
ein Tröpfchen». Fast augenblicklich standen mehrere Kübel und 
Butten voll Rahm umher, so dass sie hierüber ganz erschrak. 

Fast zu gleicher Zeit trat ein feingekleideter Herr ein. 
Dieser legte ein grösseres Schriftstück auf den Tisch und sagte 
der verblüfften Frau : «Wenn ihr das Geschäft weiter betreiben 
wollt, so unterschreibet hier diesen Vertrag». Unerschrocken 
nahm nun die Frau die Feder, um darunter den Namen Jesus 
zu schreiben. Kaum hatte sie angesetzt, so waren Herr, 
Schriftstück, Feder und Rahm verschwunden. 

Das Hexenstückchen hat sie später nie wieder probiert. 

Mitgeteilt von Lehrer Brockly za Silzheim. 

45. Der König und der Teufel. 

Vor lan;.:er Zeit wohnte in Silzheim ein König mit 
seiner einzig;- schönen Tochter. Da trat eine grosse heftige 
Krankheit auf, die viele Opfer forderte. Man betete und tat 
Busswerke aller Art ; aber der Krankheit schien hierdurch kein 
Einhalt geboten. Auch der König hatte nach Möglichkeit an 
den Busswerken teilgenommen. 

Eines Nachts kam in den Palast des Königs der Teufel, 
schwarz wie ein Rabe. Nach kurzem Zwiegespräch war der 
König überzeugt, dass es wirklich der Teufel sei. Dieser sagte 
zum König : «Die Dauer der grossen Krankheit hängt von mir 
ab, und ich werde die Krankheit nicht von euch und der Um- 
gegend nehmen, bis ihr mir eure Tochter mitgebt als Sühne - 
geld». Lange besann sich der König. Doch endlich sagte der 
Teufel : «Wie ist's, wollt ihr nicht? Ich werde gehen und 
werde kommen, wenn eure Tochter tot ist, und dann werde 
ich ein noch grösseres Opfer fordern». Jetzt siegten Pflicht und 
Angst über Kindesliebe. Gleich wurde eine Kutsche angespannt, 
und der König, die Prinzessin, sowie der Teufel nahmen 

18 



— 274 — 

Jim '*tai2. Der Weg ging in der Richtung gegen Saarge- 

iUlhi. 

Zuilltlig war der König ein leidenschaftlicher Schnupfer 
^UHkeu Tabaks« Man hatte kaum das Dorf verlassen, so wollte 
ler Teufei schon auf jede weitere Begleitung verzichten. Doch 
iagegen wehrte sich der König, da er nach Vereinbarung bis 
'ur (tSchieremer Höhe» mitfahren durfte. Immer unruhiger 
wurde der Teufel. Da bot ihm der König eine gute^ wohlrie- 
oht^ude Prise an. Er griff zu, schnupfte und b^[ann nun ein 
so heftiges Niessen, dass er den Wagen verlassen musste. Er 
setzte sich an den jetzigen «Elcherdeni» auf einen grossen 
Baumstamm und niesste und niesste. 

Unterdessen hatte die Geisterstunde ihr Ende erreidit. 
Plötzlich war der niessende Teufel verschwunden. Da fuhren 
der König und seine Tochter wieder heim. Nach kurzer Zeit 
war auch die Krankheit erloschen. 

Mitgeteilt von Lehrer Brockly zu Silzheim. 

46. Die goldenen Kohlen. 

Als die alte Kirche von Sil z heim noch auf dem jetzigen 
Gottesacker stand, ging eines Abends ein Mann spät vom 
cMaien» durch das Kirchgässchen nach Hause. Seine Tabaks- 
pfeife war ihm eben ausgegangen, als er an den Kirchhof kam. 
Nicht wenig wunderte er sich, als er dem Kirchhofe gegenüber 
auf der andern Seite des Weges ein Kohlenfeuer sah. Da er 
niemand in der Nähe bemerkte, trat er hinzu, legte sich eine 
der Kohlen auf die Pfeife, damit sie weiter brenne, und setzte 
seinen Weg fort. Aber schon nach einigen Schritten bemerkte 
er, dass durch diese Kohle die Pfeife nicht zum Brennen kam. 
Deshalb klopfte er die Kohle und die auf der Pfeife befindliche 
Asche ab, trat wieder zurück an das Feuer und nahm sich 
eine neue Kohle, die er etwas stark auf die Pfeife drückte. Zu 
gleicher Zeit sah er mehrere um das Feuer sitzen, worüber er 
nicht wenig erschrak. Einer von diesen sagte : «Aber jetzt 
kommst du nicht mehr». 

Er ging verdutzt heim und legte seine Pfeife, die auch 
mit der zweiten Kohle nicht zum Brennen gekommen war, auf 
das Fenstergesims. Am folgenden Morgen erzählte er das Vor- 
kommnis, und als er nach der Pfeife griff, sah er auf derselben 
<*in nagelneues Goldstück. Bald glaubte er den Vorfall richtig 
zu verstehen. Er ging zur Stelle zurück, wo er die Pfeife aus- 
^^eklopft hatte, und fand im Grase ein weiteres Goldstuck (erste 
Kohle). Von dem Feuer auf der Wiese aber war jede Spur 

verschwunden. 

Mitgeteilt von Lehrer Brockly zu Silzheim. 



- 275 — 

47. Der Hase beim Gänsebrunnen. 

Beim Gänsebrunnen in der Nähe von Oermingen sieht 
man in der Nacht oft einen seltsamen Hasen. Er soll schon 
Menschen angefallen haben. Diese haben im Kampf mit ihm 
zu ihrem Schrecken bemerkt, wie das gefurchtete Tier immer 
zu wachsen schien, um endlich zu verschwinden. Vor etwa 90 
Jahren hat an diesem berüchtigten Orte ein spät vorüber- 
gehender Mann seinen Tod gefunden. 

Mitgeteilt von Lehrer Feuerstein zn Oermingen. 

48. Das Pferd im Bannwald. 

Zwischen dem Feldgewann Bannwald und dem 0er- 
minger Wald liegt der Albener Weg (Weg nach Saaralben). 
Hier sieht man in der Nacht häufig ein grosses Pferd, das 
nicht selten in unmittelbare Nähe der Vorübergehenden kommt 
und dann seltsam wiehernd verschwindet. 

Mitgeteilt von Lehrer Feuerstein zn Oermingen. 

49. Der schwarze Pfuhl. 

Hinter dem Forsthaus Oermingen liegt im Walde un- 
weit der Gerberswiese der sogenannte schwarze Pfuhl, ein 
schwarzer, tiefer Schlamm. Den Steinen nach zu urteilen, die 
man in der Umgebung gefunden hat^ haben vor Zeiten Ge- 
bäulichkeiten hier gestanden, deren einstige Bestimmung jedoch 
unbekannt ist. 

In früheren Zeiten und noch zu Anfang des 19. Jahr- 
hunderts haben die Bauern ihre Pferde nachts oft auf die in 
der Nähe liegenden Nachtweiden getrieben. Während des 
Weidens legten sich die Hirten zur Ruhe nieder und schliefen 
ein. Beim Erwachen lagen sie aber häufig am schwarzen Pfuhl. 

Mitgeteilt von Lehrer Feuerstein zu Oermingen. 
$ 
50. Die Erscheinungen auf dem Pistel^vieserkopf . 

Neben dem Wege nach dem Lutlerbacherhof erhebt sich 
im Oerminger Wald ein Hügel, welcher heute Pistelwieser- 
kopf, in alten Urkunden aber Kloslerkopf genannt wird. Hier 
soll früher ein Frauenkloster gestanden haben, das mit dem 
Lulterbacherhof zum Kloster in Herbitzheim gehörte. Man 
findet an dem Ort noch die Baustellen dreier zerstörter Kalk- 
öfen, sowie verschiedene verschüttete Gebäuder^ste. 

Vorübergehende wollen zur Nachtzeit schon ganze Scharen 
Nonnen gesehen haben^ die Lieder von himmlischem Wohl- 
klange sangen. Andere haben an dem vorüberfliessenden kleinen 



— 276 ~ 

WassergrabeOf der sich zu einem Weiher verbreitert habeo 
soll, das Klopfen waschender Frauen gehört. Wieder andere 
behaupten» sie hätten an diesem verrufenen Orte allerlei sonder- 
bare Tiere gesehen, die Hunden oder Rindern ähnlich waren. 
Ein noch lebender Bürger erzählt, er habe hier einen Mann 
umherwandeln sehen, der ein dunkles Kleid trug, einen grossen 
Hut auf hatte und in einem grossen Buche las. In der Abend- 
dämmerung sei an dem Orte auch schon mehrmals eine Frau 
mit einem Kind auf dem Arme beobachtet worden. 

Mitgeteilt von Lehrer Feuerstein zu Oermingen. 

51. Der Totenbrunnen. 

In der Strohwiese bei e r m i n g e n liegt nicht weit von 
der Eichel der Totenbrunnen. Daneben erhebt sich ein sanft 
ansteigender und langgezogener Hügelrücken, Litzlath und 
Bussmauer genannt. Auf diesem Hügel soll einst eine römische 
Niederlassung gestanden haben ; in der Nähe des Brunnens sei 
der römische Friedhof gewesen. Daher soll der Name des 
Brunnens rühren. Hier sind bei Nachgrabungen schon Aschen- 
urnen und Armbänder aufgefunden worden. In der Nacht soll 
man häufig seltsame Lichter dort sieben. Nicht selten wollen 
die Bewohner der angrenzenden Malsbacbgasse unverständliche 
Gesänge hören, die aber beim Tagglockläuten plötzlich ver- 
stummen. 

Mitgeteilt von Lehrer Feuerstein zu Oermingen. 

52. Das weisse Füllen. 

In Oermingen wurde einmal ein Mann getötet. Seither 
sieht man oft am Abend um den Platz, auf dem jetzt ein 
Düngerhaufen sitzt« ein weisses Füllen dreimal herumlaufen. 
Dann verschwindet es in den Gärten. Die Burschen des Dorfes 
stellten sich einmal zusammen und wollten es erschlagen. Ais 
sie es aber sahen, wagten sie es nicht. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen. 

53. Der schwarze Mann in der Krämer g^sse. 

In der Krämergasse zu Oermingen sieht man häufig 
einen grossen, schwarzen Mann mit hohem Zylinderhut. Von 
einem Hunde begleitet, durchwandert er die Gasse zu nächt- 
lichen Stunden, dann und wann auch schon in der Abend- 
dämmerung, und verschwindet zuletzt in einem Hause der 
nahen Herrengasse. In diesem Hause ist ein Grabstein aus 
dem 10. Jahrhundert eingemauert, welcher besagt, dass hier 



— 278 — 

FraUy einer sogenannten Hexe, gehörte. Seine beiden Hunde 
betraten aber die Wiese nicht. Sie blieben in der Ferne stehen 
und kamen nicht zu ihrem Herrn, obgleich er rief und lockte. 
Nachdem die Schafe sich satt gefressen, hatte er die grösste 
Muhe, sie wieder in den nahen Pferch zu treiben. Plötzlich 
hörte er ganz in der Nähe dreimal einen lauten Pfiff. 

Als er am andern Morgen früh in der Dämmerung mit 
seinen Schafen auf der Strasse ging, begegnete ihm die alte 
Hexe, «Gelt, alter Hund», sagte sie zum Schäfer, cgestern 
Nacht habe ich dich einmal gehabt h Der Schäfer erwiderte ; 
eich hab mirs gleich gedacht, dass du es bist, alte Mähre!:» 

. Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Lorenzen. 

58. Die weisse Katze. 

Der Schäfer von Lorenzen war eines abends bei seinem 
Pferch in der Rösmatt. Da hörte er bei eingetretener Dunkel- 
heit jemand rufen. Er erkannte die Stimme einer Frau, die 
als Hexe bekannt war, und gab Antwort. Da rief sie : cDich 
meine ich nicht, sondern meinen Mannv. Hierauf legte sich 
der Schäfer zur Ruhe in seinen Karren. 

Bald darauf merkte er eine grosse Unruhe unter den 
Schafen im Pferch. Sie wollten sogar über den Zaun springen. 
Als er aufstand, sah er in der Nähe des Pferches eine grosse 
weisse Kat^e, «Wart», dachte er, «mit dir will ich gleich fertig 
sein» ! Er hatte nämlich einen grossen Hund, der jede Katze» 
die er fangen konnte, zerriss und frass. Nun hetzte er den 
Hund auf die Katze. Dieser aber wollte durchaus nicht vor- 
wärts, sondern schmiegte sich ängstlich an die Beine des 
Schäfers und fing an zu heulen. Da verfolgte der Schäfer die 
Katze allein und warf Steine nach ihr. Sie sprang auf einen 
nahen Weidenbaum. Unterdessen wurden die Schafe immer 
unruhiger, und er musste zu ihnen zurück. Plötzlich verschwand 
die Katze. Dann wurden die Schafe wieder ruhig. 

Als der Schäfer am andern Morgen der Hexe begegnete^ 
sagte sie zu ihm : «Gestern habe ich dir doch einen rechten 
Spuk gespielt». Der Schäfer aber wagte nicht zu antworten. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron za Lorenzen. 

59. Der Priester im Schlosse zu Lorenzen. 

Im Jahr 1793 wurde die Fürstin aus ihrem Schloss zu 
Lorenzen vertrieben. Das Schloss wurde französisches 
Nationaleigentum und an verschiedene Bürger verkauft. Die 
neuen Schlossbewohner merkten aber bald^ dass es da nicht 



— 279 — 

geheuer ist. Von Zeit zu Zeit kam ein Priester mit einem 
grossen Schlapphut auf dem Kopfe die Wendeltreppe im Turm 
herah und setzte sich ein Weilchen auf die unterste Stufe, wo 
er verschwand. Manche wollen ihn auch mit einer Kerze in 
der Hand gesehen haben. Noch vor wenigen Jahren bemerkten 
Kinder, die noch bei der Dunkelheit im Schlosshof spielten, 
jemand mit einem Licht die Wendeltreppe herunter kommen. 
Sie wussten aber, dass der Mann, der dort wohnte, gerade 
nicht zu Hause war. Darum erschraken sie, als sie das Licht 
sahen, und liefen davon. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Lorenzen. 

60. Der Poltergeist im Lorenzer Schlosse. 

Kaum war die Fürstin aus dem Schlosse von Lorenzen 
vertrieben, so liess sich dort ein Poltergeist hören. Zwischen 
zwölf und zwei Uhr des Nachts klopft es auf dem Speicher, 
als ob einer Holz spaltet. Manchmal rasselt es in der Köche, 
dass man meint, alles Geschirr zerbricht. An andern Tagen 
vernimmt man leise Tritte und ein feines Geräusch. Sobald 
man aber auf den Speicher oder in die Küche kommt, hört und 
sieht man nichts. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Lorenzen. 

61. Eine Naclit^s^äsche am Brunnen. 

Vor einigen Jahren waren einige Männer von Lorenzen 
noch spät in der Nacht in einem Hause beisammen. Da hörten 
sie um zwölf Uhr, dass jemand noch am oberen Brunnen Wäsche 
machte. Aber sie hörten die Wäsche nur einmal klopfen. Das 
kam ihnen sonderbar vor. Darum schauten sie zum Fenster 
hinaus. Der Mond schien gerade hell. Alle drei ßrunnentröge 
waren mit weisser Leinwand gefüllt. Und eine Gestalt ging 
in das Haus unten am Brunnen. Die Männer gingen gleich 
darauf nach Hause. Da war die Wäsche verschwunden. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Lorenzen. 

62. Das lAreisse Kaninchen. 

Ein Mann aus Lorenzen holte vor etlichen Jahren des 
Nachts um zwölf Uhr noch Wasser am oberen Brunnen. Da 
sah er in der Nähe der Brunnenröhre ein weisses Kaninchen 
auf dem Trog sitzen. Es schlug mit seinen Pfoten nach dem 
ausfliessenden Wasser. Erschrocken kehrte der Mann um und 
lief eilends heim. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Lorenzen. 





— 280 — 

63. Das gesattelte Pferd. 

Vor Jahren hörte der alte Nachtwächter von Lorenz^ 
um ein Uhr des Nachts ein Kettengerassel und das Traben eir^ 
Pferdes. Er blieb ruhig stehen und sah, wie ein gesattelt: 
und mit Ketten behängtes Pferd an den obersten Dorfbrunn 
kam und trank. Hierauf trabte es mit furchtbarem Lärm cJc 
Sandgarten hinauf, wo es noch ein schallendes Gelächter hör 
Hess und verschwand. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Lorcnzen. 

64. Der französisclie Soldat. 

Vor einigen J»hren ging ein Bursche aus Lorenzen d 
Nachts um zwölf Uhr bei hellem Mondenschein auf dem alt 
Römerwege von Mackweiler nach Lorenzen. Als er in die Nä 
des Fürsten Waldes kam, trat aus dem Walde ein französisch 
Soldat mit dem Gewehr heraus. Er begleitete ihn den Rösbe 
hinab bis auf die Rösmatt. Dort verschwand er. Totenbla 
kam der junge Mann nach Hause. Erst am andern Morg 
konnte er sein Erlebnis erzählen. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Lorenzen. 

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65. Der Glockenbrunnen bei Lorenzen. # ,ra 

sc}) 
Früher stand am Kalkberg bei Lorenzen das Dorf Wer- ■ ^^^ 

singen. Die Flurnamen Werschingerberg und Werschinger I ^^^ 

Gärten erinnern noch daran. Auch finden die Bauern an der I \^ 

Stelle beim Pflügen noch Asche und Mauerreste. Man kennt | ^^ 

auch noch den Platz, auf dem die Kirche stand. Von ihrem 

Chorbogen ist noch ein Stück an einem Scheunentor in Lorenzen 

zu sehen. Die Sage erzählt, auf dem Turm der Kirche habe 

eine silberne Glocke gehangen. Als das Dorf ausgestorben war, 

habe man sie in den Dorfbrunnen versenkt, damit sie niemand 

stehle. Daher heisst dieser Brunnen bis auf den heutigen Tag 

Glockenbrunnen und hat auch dem angrenzenden Feld diesen 

Namen gegeben. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zn Lorenzen. 

66. Die /weisse Geiss. 

In einer Nacht ging ein Mann von Lorenzen nach 
Diemeringen. Da begegnete ihm eine Frau mit einer weissen 
Geiss. Er neckte die Frau. Diese aber sprach ; «Wart' nur, 
ich bekomme dich dafür!» Als er nun weiter gehen wollte, 
hielt ihn die Geiss fest und liess ihn vor Mitternacht nicht los. 



- 281 — 

Hierauf irrte der Mann die ganze Nacht umher und kam erst 
am andern Morgen müde und hungrig nach Hause. 

Mitgeteilt von Lehrerin Bader in Diemeringen. 

67. Der Irrführer in der Wadmatt. 

Vor vielen Jahren wollle ein Mann vom Watlerhof nach 
Lorenzen gehen. Da es schon dunliel war, ging er dem 
Bach nach üher die Wadmalt, um den Weg abzukürzen. Auf 
einmal war es ihm, als wenn ihn jemand mit Gewalt in den Bach 
werfen wollte. Er wehrte sich aber, ging irre und kam an 
verschiedene Gräben, in die er fiel. Nach einigen Stunden 
stand er vor dem Kirchhof von Diemeringen, wo er den Weg 
wieder erkannte. Von dort kam er ganz ermattet heim. Das- 
selbe widerfuhr einer Frau am nämlichen Platze. Auch sie 
wurde bis an den Kirchhof von Diemeringen irrgeführt. Seit- 
her wagt in der Nacht niemand mehr diesen Weg zu gehen. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Lorenzen. 

68. Das graue Männel auf dem Watterhof. 

In der Nähe des Watlerhofs bei Lorenzen war früher ein 
kleiner Friedhof. Von hier kam des Nachts von Zeit zu Zeit ein 
graues Männlein an den Watterhof. Es kletterte über das ge- 
schlossene Hoftor und begab sich in die unbewohnten Zimmer und 
auf den Speicher. Dort Hess es sich durch ein fürchterliches 
Rasseln und Poltern hören. Als aber die mutigen Bewohner einmal 
in die Zimmer und auf den Speicher gingen, um den Polterer 
aufzusuchen, horten sie das Geräusch nur noch einmal. Dann 
war alles still, und sie sahen auch nichts. Von nun an erschien 
das Männlein nicht mehr. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Lorenzen. 

69. Die Schatzgräber in den Forlen.. 

In der Nähe des Watterhofes bei Lorenzen stand früher 
ein Wald, der «In den Forlen» genannt wurde. Eines Abends 
kam ein Fremder in das letzte Haus zu Lorenzen und erzählte, 
dass in den Forlen am Watlerhof ein grosser Schatz verborgen 
läge. Man könnte ihn aber nur des Nachts zwischen zwölf und 
zwei Uhr ausgraben. 

Sogleich machten sich zwei Söhne mit Hacke und Schaufel 
«•>uf den Weg, um den Schatz zu heben. Punkt zwölf Uhr be- 
j,'annen sie ihre Arbeit. Bald stiessen sie auf eine Gold- 
kiste und wollten sie in die Höhe heben. In diesem Augen- 
blick kam der Teufel auf einem Schimmel daherfferitten. «Lassl 



— 282 — 

meinen Schatz liegen !» so brüllte er schrecklich. Vor Aix ^st 
und Schrecken Hessen sie alles im Stich und liefen davon. 

Die Strafe blieb nicht aus. Bald darauf erkrankte eL^er 
der Schatzgräber und starb drei Tage nachher. Von da. a|, 
wagte es niemand mehr, nach dem vermeintlichen Schatze zu 
graben. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Lorenz eu 

70. Die weisse Frau und der Hase. 

Ein Taglöhner aus Dehlingen, der sich von Zeit zu Zeil 
auf ungesetzlichem Wege einen saftigen Hasenbraten zu ver- 
schaflfen wussle, schlich sich in der Grummeternte eines Abends 
durch die Gärten hinter dem Dorfe unbemerkt nach dem Walde. 
Er kam durch ein Wiesentälchen (Heilbrunnertal) auf die Stelle 
zu, wo flüher das Dorf Hemeldingen gestanden haben soll, also 
zwischen Dehlingen und Völlerdingen. Plötzlich wurde seine 
Aufmerksamkeit auf einen weissen Gegenstand gelenkt. Er 
kam demselben auf Umwegen so nahe, dass er eine weisse 
Menschengestalt in Frauen kleidung unterscheiden konnte, die 
mit verschleiertem Gesicht auf einem Grummethaufen aus- 
gestreckt lag. «Du liegst mir gut,» dachte er bei sich, «was 
mich nicht brennt, brauche ich nicht zu blasen.)» 

Vorsichtig lenkte er seine Schritte einem weiter oberhalb 
stehenden Wäldchen (Nickelsbusch) zu. Dort stellte er sich am 
Rande des Waldes auf und wartete der Dinge, die da kommen 
sollten. Kaum hatte er seinen Stutzer, den er in einem Hosen- 
bein bei sich zu tragen pflegle, zurecht gemacht, als er vom 
Wiesentälchen her langsam einen Hasen auf sich zukommen 
sah. «Donnerwetter,» dachte er, «ist das ein Bengel! So ist 
dir noch keiner in die Hände gelaufen. Ich will ihn gut heran- 
kommen lassen und ihn sicher nehmen.» Er setzte an und 
drückte los. Aber sonderbar, der Schuss ging fehl, und Freund 
Lampe machte Kehrt. Kurze Zeit darauf jedoch erschien der 
Hase von neuem aus derselben Richtung. Wieder nahm ihn 
der Schütze aufs Korn und drückte los. Und was geschah? 
Der Hase machte einen Luftsprung, kehrte ihm den Rücken 
und hupfte weiter. «Nein, so was ist mir doch noch nicht vor- 
gekommen, das ist mir ganz unbegreiflich,» sagte er zu sich 
selbst, «da muss der Teufel im Spiele sein, oder ich lasse mir 
den Kopf abschlagen ; denn auf diese Entfernung habe ich noch 
keinen gefehlt.» Dabei wurde es ihm doch etwas unheimlich. 
Er lud daher das Gewehr zum dritten Male und schickte sich 
an, den Heimweg anzutreten. 

Kaum hatte er jedoch seinen Standort verlassen, als der 



— 284 — 

holen, du Schindmähre! Wart, dir will ich helfen!» rief er 
aus und schickte sich an, dem Zudriugling eins mit dem 
Peitschenstock zu versetzen. In diesem Augenblick jedoch riss 
sich der Schimmel los und machte einen Seitensprung über 
den Strassengraben. Von dort hörte der Bauer ein lautes 
Händeklatschen und ein schallendes Gelächter. Jetzt sprang 
der Mann wieder auf sein Pferd und jagte im völligen Galopp 
schweisstriefend Dehlingen zu, wo er seinen Angehörigen das 
erlebte Abenteuer in grössler Aufregung erzählte. 

Mitgeteilt von Lehrer Will zu Dehlingen. 

72. Der Mann ohne Kopf. 

Ein Mann aus Lorenzen besuchte einmal an einem Sonntag- 
nachmittag seine Verwandten in Dehlingen. Auf seinem 
Heimweg ging er auf den grossen Birnbaum zu und schlug 
von da eine südliche Richtung ein durch das Pfaffenbitzel, um 
eher auf die Lorenzer Strasse zu gelangen ; denn es war schon 
dunkel. 

Er hatte noch ungefähr fünfzig Schritte zu gehen, als er 
plölzlich eine schwarze Gestalt neben sich einhergehen sah, 
die mit den Füssen jedoch den Boden nicht berührte, sondern 
elw^a V2 ^ ^^^^ ^ör Erde dahinschwebte. Als er sie näher 
betrachtete, erkannte er in ihr einen Mann ohne Kopf. Da 
durchzog ihn ein kalter Schauer. In seiner Angst verdoppelte 
er seine Schritte. Aber der unheimliche Begleiter verfolgte ihn 
Schritt für Schritt bis auf die Strasse, wo er an ihm vorüber 
huschle und dann unter hellem Gelächter verschwand. 

Mitgeteilt von Lehrer Will zu Dehlingen. 

73. Das kleine Weiblein. 

Vor etlichen Jahren holte ein Lorenzer Mann einen Sack 
voll Birnen zu D e h l i n g e n. Er trug sie bis zum Kreuzweg 
an der Rahlinger Strasse und wartete dort auf einen , Wagen. 
Es war schon Nacht, und es kam immer noch kein Wagen. 
Auf einmal sah er mitten auf der Strasse ein ganz kleines 
Weiblein. Als er darauf zugehen wollte, um es näher zu be- 
trachten, verschwand es. Nun überfiel ihn eine solche Angst, 
dass er davon gelaufen wäre, wenn er den ankommenden 
Wagen nicht gehört hätte. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Lorenzen. 

74. Das Schntirbübel. 

Zwischen Enchenberg und Lemberg (Kreis Saargemünd) 
kam einmal ein Geist zu einem Priester. Dieser fragte ihn. 







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77. Der Student und sein Mörder. 

Einmal war ein fremder Student, der viel Geld bei sich 
trug, in Bütten bei einer Hochzeit. Ehe er wieder abreiste, Hess 
er Hut und Stock stehen und ging noch in ein anderes Haus. 
Aber er kam nicht mehr zurück. Einige Jahre nachher wurde 
das betreffende Haus umgebaut. Da fand man im Stall eine 
Leiche. 

Als der Mann aus dem Hause gestorben war und man 
den Sarg eben hinaustrug, schaute er auf dem Speicher zum 
Fenster heraus. Die Träger fanden den Sarg so leicht, das fs=^ .^ 
sie sagten, er sei wohl «maien» gegangen. Als nun der Toten — j- 
gräber bei der folgenden Reihe an sein Grab stiess, öffnete ewm 
den Deckel des Sarges und blickte hinein. Aber er sah nichts 
als eine Hand voll Hobelspäne. Noch heule soll es in 
Hause nicht geheuer sein. In der Nacht hört man manchma 
ein Geräusch, als ob jemand die Hände waschen würde. 
Mitgeteilt von Lehrerin FöIIer zu Strassburg, froher zu Bütten. 

78. lieber Hecken und Stauden. 

Auf der Mühle von Butten wohnte früher eine Witw^^e 
•mit ihrer Tochter. Einmal sah der Mühlknecht, wie die beiden J2 
sich schminkten. Dann hörte er sie sagen : <3cUeber Heck^ 
und Stauden}), und bemerkte, wie sie zum Schornstein hinauss?- 
fuhren. Er war neugierig, wo die beiden wohl hingeganger? 
seien. Darum salbte er sich ebenfalls, sagte aber statt cübefj^ 
«durch» Hecken und Stauden. Schrecklich zugerichtet, langte 
er auf dem Bastberg an ; denn er war über spitze Steine und 
durch Dornhecken geschleppt worden. Auf dem Baslberg fand 
er die Gesuchten. Die Witwe fragte ihn, wie er denn nun 
\vieder heim kommen wolle. Er bat die Frau, ihm zu helfen. 
Da kam ein Ziegenbock, auf den er sich setzen musste. Er 
sollte aber auf der ganzen Fahrt kein Wort sprechen. Als er 
trotzdem auf einmal rief: «Das waren aber drei Teufels- 
sprünge» ! war der Ziegenbock verschwunden, und der Knecht 
war 1500 Stunden weit von Bütten weg. 

Mitgeteilt von Lehrerin FöUer zu Strassburg, früher zu Bütten. 

79. Die weissen Hündchen. 

Der Oheim einer jungen Frau aus Bütten ging einmal 
von Weisslingen nach Saarburg auf die Arbeit. Im Walde 
liefen ihm auf einmal etwa zehn weisse Hündchen um die 
Füsse und waren durch nichts zu vertreiben. Er kehrte nun 



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voll Angst um, legte sich ins Bett und starb bald darauf. 
In der Krankheit sah ^r immer die Hündchen. 

Mitgeteilt von Lehrerin Föller zu Strassburg, früher zu Bütten. 

80. Der goldene Sand. 

Dem Brunnenmacher von Bütten träumte drei Nächte 
hintereinander, er solle auf die Heidenkirche (zwischen Ratz- 
weiler und Volksberg) kommen. Darum ging er mit einem 
Sack hin und fand schönen roten Sand. Mit diesem füllte er 
den Sack und machte sich wieder auf den Heimweg. Auf ein- 
mal wurde aber der Sack so schwer, dass er ihn fast nicht 
mehr tragen konnte. Unmutig nahm er ihn von der Schulter 
und leerte ihn aus. Als er ihn zu Hause weglegen wollte, 
fielen einige Goldstücke heraus. Schnell eilte er dahin zurück, 
wo er den Sand weggeworfen hatte, fand aber nichts mehr. 
Mitgeteilt von Lehrerin Föller zu Strassburg, früher zu Bütten. 

81* Das Dorftier zu Bütten. 

In Bütten ging einmal eine Frau an den Brunnen, um 
zu waschen. Da sah sie ein grosses, weisses Tier mit schwarzen, 
feurigen Augen. Die Leute nannten es das Dorftier. Die Frau 
sagte zu ihm : «Tritt ein bischen näher, dass ich dich besser 
betrachten kann !» Da kam das Tier näher, und die Frau 
streichelte es. Dann sprach sie zu ihm: «So, jetzt geh wieder 
hin, wo du hergekommen bist!» Da ging das Tier weg und 
hat sich nicht wieder sehen lassen. 

Mitgeteilt von Lehrerin Bader in Diemeringen. 

82, Der schwarze Mann. 

An der Strasse, die von R a t z w e i 1 e r nach dem dazu 
gehörenden Weiler Neubau führt, liegt ein Feldgewann, das 
unter dem Namen Winkelmess bekannt ist. Mitten durch geht 
ein Fusspfad nach der Strasse herunter. 

Wenn man in der Dämmerung oder zur Nachtzeit, be- 
sonders um die Mitternachtsstunde, gegen Ratzweiler geht und 
an die Stelle kommt, wo der Pfad in die Strasse einbiegt, so 
kommt ein schwarzer Mann mit breitem, in das Gesicht ge- 
drücktem Hute und mit aufgestülpten Hosen den Pfad her, 
^eht eine Strecke weit, manchmal bis zu den ersten Häusern 
des Dorfes, neben dem Wanderer her und gibt sich die grösste 
Mühe, ihn von dem Weg abzubringen und in den Strassen- 
graben zu werfen. 



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Solange der so Bedrängte ruhig dahin schreitet und schweigt, 
kann er sich des schwarzen Mannes kaum erwehren und hat 
alle Mühe, die Strasse unter den Füssen zu behalten. Fängt 
er aber an zu schimpfen und zu fluchen, so fluchtet sich die 
Gestalt augenblicklich auf die links angrenzende Wiese, a[Matt» 
genannt, und verschwindet nach mehrmaligem Auf- und Nieder- 
tauchen an einer dort sprudelnden Quelle. 

Mitgeteilt von Lehrer Ernst zu Ratzweiler. 

83. Die weisse Gestalt im Grunewald. 

Der zwischen Diemeringen und Ratzweiler liegende 
Grunewald steht als Aufenthaltsort böser Geister in üblem Rufe. 
Dort gehen Geister um, welche die Leute irre führen. Nicht 
nur zur Nachtzeit, sondern am hellen Tage sind schon Holz- 
hauer und Holzsucher, denen jede Stelle im Wald bekannt 
ist, von ihnen ganz vertrauten Wegen und Pfaden abgekommen 
und stundenlang in der Irre umhergeführt worden. 

Ein Mann vom Neubau, der von Wald hambach heimkehrte 
und seinen Weg durch den Grünewald nahm, sah an einer 
unheimlichen Stelle eine Gestalt in einer schneeweissen Kutte 
am Wege stehen. Neugierig trat er hinzu und besah sich die 
gespensterhafte Erscheinung. Rei dem Anblick ergriff ihn aber 
ein solcher Schreck, dass er wankenden Schrittes nach Hause 
ging und bald darauf starb. 

Mitgeteilt von Lehrer Ernst zu Ratzweiler. 

84. Der Mann ohne Kopf. 

Die Kirche von A 1 1 w e i 1 e r steht mitten im Dorf an 
der Kirchgasse. Um sie herum liegt ein alter Kirchhof, der 
von der Gasse durch eine Mauer getrennt ist. Hier soll es 
nachts zwischen 12 und 1 Uhr nicht geheuer sein. Manchmal 
erscheint auf der Mauer ein Mann ohne Kopf mit einem Sauer- 
milchhafen unter dem Arm. Die Leute sagen : «Der Mann 
muss gehen, weil er in seinem Leben so geizig war». Die 
Gestalt geht über die Mauer hin und verschwindet dann auf 
dem Kirchhofe. Aengstliche Leute gehen, sobald es Nacht 
wird, nicht mehr durch die Kirchgasse. 

Mitgeteilt von Lehrer Hirschinger zu Altweiler. 

85. Das Dorftier von Altweiler. 

In A 1 t w e i l e r führt die Dorfstrasse über eine Rrücke, 
das sogenannte Stenerbrickel (d. i. steinerne Rrückchen). Unter 



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dieser Brücke wohnt das Dorftier. Es ist ein grosser schwarzer 
Hund, der nachts zwischen 12 und 4 Uhr auf der Brücke er- 
scheint. Geht man um diese Zeit darüber, so läuft der Hund 
eine Strecke mit. Um 1 Uhr verschindet er wieder unter der 
Brücke im Graben, 

Mitgeteilt von Lehrer Hirschinger zu Altweiler. 

86. Das Donnerlocli bei Altweiler. 

Im Gemeindebann von A'l t w e i 1 e r triflft man in Ab- 
ständen von ungefähr 200 m auf den Anhöhen viele kreis- 
förmige Vertiefungen an, die 8 — 40 m breit und 4 — 2 m tief 
sind. Das Volk nennt sie «Seebe». Ueber ihre Entstehung 
ist man nicht einig. Man weiss nicht, ob es natürliche Erd- 
senkungen oder von Menschen gegrabene Wassersammler, 
Feuerstätten, Schutzgruben sind. 

In einer dieser Seeben auf dem Grunscherberg hinter 
dem Dorfe soll eine silberne Glocke vergraben sein. Zu ge- 
wissen Zeiten soll in der Nacht über der Vertiefung ein "Licht 
brennen. 

Die grösste Seeb liegt in der Gewann Hampat an der 
lothringischen Grenze. Sie heisst Donnerloch. Ueber ihre Ent- 
stehung erzählt die Sage folgendes : Vor alten Zeiten hütete 
dort ein riesenhafter Schäfer seine Herde. Er hatte einen 
langen Bart und trug einen grossen Schlapphut. Einmal stiess 
er seine Schäferschuppe in den Boden. Als er sie herauszog, 
war die grosse, trichterförmige Vertiefung da. 

Mitgeteilt von Lehrer HirschiDger zu Altweiler. 

87. Der vergrabene Schatz am Altweiher tentsch. 

Das Gelände um Harskirchen wird von einigen 
schönen Wiesentälchen durchschnitten. Wo aber jetzt zur 
Sommerzeit der Blick mit Entzucken über einen Basen teppich 
schweift, da spiegelte sich früher der blaue Himmel in den 
Fluten kleiner Seen. Diese waren Eigentum des Landesherrn 
und dienten hauptsächlich der Fischzucht. Sie waren auf künst- 
liche Weise durch Dämme gebildet, die das Wasser der durch- 
fliessenden Bächlein stauten. Die Dämme sind noch sämt- 
lich vorhanden und wohl erhalten. Sie werden von den Dorf- 
bewohnern «Tentsch» genannt. Die Wiesentäler selber tragen 
Doch die Namen der ehemaligen Weiher : Neuer Weiher, 
Alter Weiher, Grosser Weiher, Colmersweiher, Spielburg weiher. 

Von diesen alten Dämmen wissen die Dorfbewohner 
mancherlei zu erzählen. So soll im Altweiherlentsch in schweren 

19 



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Kriegszeiten ein Schatz vergraben worden sein. An seiner 
Stelle zeigt sich manchmal ein blaues Licht. Wem es gelingt, 
das Licht zu überdecken, der wird den Schatz heben. Ver- 
schiedene haben das schon versucht. Sobald sie aber näher 
an das Licht herankamen^ bemerkten sie dabei einen schwarzen 
Mann in Begleitung eines grossen schwarzen Hundes, die den 
Schatz bewachten. Dieser Anblick raubte auch dem Kühnsten 
den Mut. 

Einst kehrte ein Mann zur Nachtzeit aus einem Nachbar- 
dorf durch das Altweihertal nach Hause zurück. In der Nähe 
des Tentsch bemerkte er das blaue Licht. Neugierig näherte 
er sich der Stelle und sah, dass der Lichtschein von einem 
Haufen Goldstücke ausging. Voller Freude bückte er sich und 
wollte zugreifen. In diesem Augenblicke erhielt er aber einen 
furchtbaren Stoss, der ihn eine Strecke fortschleuderte. Er 
raffte sich auf und entfloh, ohne sich auch nur noch einmal 
umzusehen. Und der Schatz am Altweihertentsch ist bis heute 
noch nicht gehoben. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu HarskircheiL 



88. Die Spielburg. 

Der Spiel bürg wei her beiHarskirchen soll seinen Namen 
von einer gleichnamigen Burg erhalten haben. Nach der Orts- 
uberlieferung hat diese Spielburg in der kreisförmigen Lichtung 
zwischen dem Harskircher und Bisserter Freiwald gestanden. 
Die Burg muss eine Wasserburg gewesen sein; denn die Lich- 
tung, die gegenwärtig eine schöne Waldwiese ist, war früher 
sumpfig und glich den vielen «Seeben», wie sie in der Um- 
gegend häutig vorkommen. Als diese «rSeebwiese» einst in 
einem heissen Sommer völlig austrocknete, fand ein Schreiner 
auf dem Boden des Sumpfes ganz schwarz gewordenes, aber 
schon einmal bearbeitetes Eichenholz, aus dem er noch Möbel 
verfertigen konnte. Dieser Fund Hess die Vermutung auf- 
kommen, dass man es hier mit dem Standort der ehemaligen 
Spielburg zu tun habe. Wann diese daselbst stand und warum 
sie zerstört wurde, darüber weiss niemand Auskunft zu geben. 
Dem Volk aber ist eine dunkle Erinnerung an die Spielburg 
geblieben. Das lässt sich an der Sage erkennen, dass zuweilen 
in dunkler Nacht eine prächtige Kutsche, bespannt mit feurigen 
Bossen, vom Freiwald her mit Windeseile durch die Luft fahre 
nach der Altweiler Höhe, wobei man eine gar liebliche Musik 
vernehme. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Harskirchen. 



— 292 — 

91. Die ivandernde Flamme. 

Zwei Männer von Saarwerden waren einmal spät am 
Abend auf dem Heimweg von Burbach. Als sie an den Neuen 
Weg kamen, schwebte plötzlich ein flackerndes Licht an ihnen 
vorüber. Erstaunt folgten ihm ihre Blicke. Jenseits der Saar 
auf dem Spiegelberg bei Zollingen hielt e.s an und loderte in 
mächtiger Flamme auf, welche die ganze Gegend erhellte. Da 
auf einmal war es wieder stockfinster und von dem sonder- 
baren Lichte nichts mehr zu sehen. 

Wer das Gluck hat, eine solche Flamme oder auch glühende 
Kohlen zuzudecken, der hebt einen Schatz. Ein heimkehrender 
Arbeiter fand des nachts einmal eine glühende Kohle am Weg 
und wollte damit seine Pfeife anzünden. Da diese nicht 
brennen wollte, steckte er sie mit der Kohle in die Tasche. 
Am andern Tag fand er darin ein funkelnagelneues Goldstück. 

Mitgeteilt von Lehier Besenfelder zn Saar wer den. 

92. Der Schimmel an der Saarwerder Brücke. 

Ein Mann von Zollingen trug einmal einen Sack voll Weizen 
nach Saarwerden in die Mühle. Als er sich der Saar- 
brücke näherte, begegnete er einem grasenden Schimmel. Er 
dachte bei sich : Du kommst mir grade recht, dir kann ich. 
meine Last aufladen. Und er legte den Sack auf den Rücken 
des Schimmels. Dieser lief aber stracks gegen die Saar. Der 
Mann konnte gerade noch den Sack herunterziehen, ehe der 
Schimmel im Wasser verschwand. 

Mitgeteilt von Lehrer Stahl zu Zollingen. 

93. Der Hund an der Saarwerder Brücke. 

An der Saarbrücke bei Saarwerden wurde schon oft 
ein grosser Metzgerhund gesehen. Wenn die Zollinger nach 
Saarwerden gingen, lief er ihnen nach, bis sie über der Brücke 
waren. Dann verschwand er plötzlich in der Saar. 

Mitgeteilt von Lehrer Stahl za Zollingen. 

94. Die Katze in der Mühle zu Saar^^vrerden. 

In der Mühle zu Saarwerden erschien manchmal eine 
schwarze Katze, die sich sehr auffällig benahm. Schon oft hatte 
der Müller mit seiner Flinte nach ihr geschossen, sie aber nie 
getroffen. Die Flinte zeigte nicht einmal eine Spur der Kugel, 
so dass man annahm, es fahre keine Kugel zum Laufe heraus. 

Nun riet man dem Müller, ein Silberstück zusammenzu- 
klopfen und dann in die Flinte zu laden. Als die Katze wieder 



— 293 — 

kam, schoss er mit dieser Ladung auf sie. Diesmal rannte die 
Katze mit furchtbarem Geheul davon. Am andern Morgen 
hatte eine Frau von Zollingen eine Schusswunde am Arme. 
Von jetzt ab hörte der Spuk in der Mühle auf. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren za Bimsdorf. 



95. Der wilde Jäger im Bannholz. 

Bei dem Muller auf der Bannholzmühle (zwischen Saar- 
union undRimsdorf) stand einst ein Knecht im Dienst, 
der nicht so ganz recht war. Mit aller Gewalt wollte er die 
schöne Mullerstochler zur Frau haben. Der Vater versprach sie 
ihm, wenn er ihm viel Weizen zum Mahlen bringe. Als dies 
geschehen war, bekam er sie doch nicht. 

Eines Tages begab sich der Müller nach Saarunion. Jetzt 
ging der Knecht zur Mutter und bat um die Hand der Tochter. 
Da sie nicht zusagte, brachte er sie um. Das nämliche Geschick 
sollte auch die Tochter treffen. Sie lief ins Bannholz und wollte 
zu den Holzhauern. Als sie noch etwa 200 Schritte von diesen 
entfernt war, ging das Band ihrer Schürze auf. Sie trat darauf 
und fiel hin. Der Müllerknecht, der sie verfolgte, holte sie nun 
ein und brachte sie auch um. 

Als es für die beiden in Rimsdorf Totenglocke läutete, 
stand der Mörder in einem hohlen Baume vor dem Freiwald. 
Dort wurde er festgenommen, nach Metz gebracht und mit dem 
Schwerte hingerichtet. 

Jetzt haust er als wilder Jäger im Bannholz. Sein Hand- 
werk treibt er nur in der Nacht. Wenn man um Mitter- 
nacht auf dem Wege von Rimsdorf nach Saarunion an der 
Brücke vorbeigeht, sieht man ihn vor dem Bannholz stehen. 
Er hat keinen Kopf und streckt die Zunge heraus. Auch 
wurde er schon gesehen, wie er ohne Kopf längs der Strasse 
und des Bannholzes auf einem schönen Schimmel auf und ab 

reitet. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Bimsdorf. 



96. Die ^STaldfrau im Bannholz. 

Im Bannholz bei Rimsdorf lebt eine Waldfrau. Den 

braven Kindern zeigt sie im Sommer die Plätze, wo die meisten 

Erdbeeren, Himbeeren und Brombeeren stehen. Kommen 

aber böse Kinder in den Wald, so nimmt sie sie und bringt 

sie um. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Bimsdorf. 



— 294 — 

97. Die Geister in der Holzmatt. 

Zwischen Burbach, Rimsdorf und Thal liegt die Gewann 
Holzmatt. Man erzählt sich, dass es hier nicht csauber» ist. 
Wenn man um Mitternacht dorthin kommt, verirrt man sich. 
Einst fuhr ein Rimsdorfer Mann in später Nacht von Kirrberg 
nach Hause. Er schlief ein, und da die Pferde den Weg schon 
sehr oft gemacht hatten, gingen sie gegen Rimsdorf. Als der 
Fuhrmann erwachte, liefen die Pferde mit dem Wagen in der 
Holzmatt herum. Der Mann wollte sie nun nach Hause lenken. 
Aber mehrere Male fuhr er auf einer Wiese in der Holzmatt 
im Kreise herum, ohne dass er es anfangs merkte. Nach langem 
Suchen fand er endlich doch den Weg. 

In der Nähe der Holzmatt steht ein kleiner Wald. Wenn 
man zur Nachtzeit daran vorbeikommt, hört man berauschende 
Musik. Eines Abends ging ein Vater mit seinem Knaben dort 
vorbei. Da vernahmen auch sie jene wunderbaren Töne. Der 
Vater gebot dem Buben, kein Wort mehr zu sprechen, bis sie 
vorüber wären. Als der Sohn in den Wald laufen wollte, 
hielt ihn der Vater zurück. Später erzählte das Kind dem 
Vater, es habe schön gekleidete Kinder im Walde zu jener 
Musik tanzen sehen ; es wollte auch hinlaufen, weil sie ihm 
zuwinkten. Der Vater hat jedoch von allem nichts gesehen. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Rimsdorf. 

98. Die Hexe auf dem Kamin. 

Auf dem Kamin (Schornstein) eines Hauses in Rimsdorf 
sass jede Nacht ein junges Huhn. Ein herzhafter Bursche warf 
es einst mit einem Stein herunter. Beim Fallen stiess es mit 
menschlicher Stimme grobe Verwünschungen aus. Sofort konnte 
der Bursche nicht mehr von der Stelle gehen. Am nächsten 
Tage hatte eine alte Frau zu Rimsdorf ein Stuck von der 
Nase weg. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Rimsdorf. 

99. Die schwarze Katze in Rimsdorf. 

In einen Stall zu Rimsdorf kam jede Nacht eine schwarze 
Katze. Mit ihren feurigen Augen glotzte sie zunächst die Kühe 
an. Dann band sie sie los, dass sie in Unordnung im Stalle 
umherliefen. Der Besitzer des Viehes stellte sich nun mit einer 
Flinte an das Kammerfenster. Als die Katze aus dem Stalle 
kam, legte er auf sie an und drückte ab, ohne dass die Katze 
es sah. Doch die Flinte versagte. Jetzt hörte sie das Knacken 



— 295 — 

des Hahnes. Sie drehte sich um und grinste ihn an. Noch 
mehrmals drückte er auf sie ab; aber nie ging der Schuss los. 
Als er dann auf einen Spatzen zielte, versagte das Gewehr 
nicht mehr. 

Mehrere Nächte hintereinander sass auf einem Kamin eine 
schwarze Katze. Ein Bursche warf einst mit einem Steine nach 
ihr. Er traf sie, und sie fiel herunter. Am andern Morgen 
hatte eine alte Frau eine Wunde im Gesichte. Der Bursche 
aber wurde sofort nach dem Wurfe krank. 

Früher liess man die Pferde während der Nacht auf den 
Wiesen und im Walde frei umhergehen. Als ein Mann von 
Rimsdorf seine Pferde eines Morgens in der Gegend von Bur- 
bach geholt hatte, führte ihn sein Weg am Kirchhofe vorbei. 
Mit der rechten Hand hielt er die Zügel der Pferde. Da sass 
auf der Kirchhofmauer eine schwarze Katze. Er gab ihr mit 
der linken Hand einen Schlage dass sie herunterfiel. Da rief 
sie : «Hättet Du mich mit der rechten Hand geschlagen, so 
wollte ich Dir etwas erzählen h 

•Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Bimsdorf. 

100. Das verhexte Füllen. 

Ein Bauer zu Rimsdorf hatte einst fünf schöne Pferde 
und ein prächtiges Füllen. Auf dem Wege zur Tränke begegnete 
ihm eine alte Frau. Sie rühmte die schönen Tiere, besonders 
aber das Füllen. Im Stalle angekommen, legte sich dieses so- 
fort hin und verendete. Am selben Tage verlor der Bauer aucii 
noch die fünf anderen Pferde durch den Tod. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Rimsdorf. 

101. Die Hexe als Ferkel. 

Vor vielen Jahren lief einmal jede Nacht ein Ferkel in 
Rimsdorf umher. Von beherzten Burschen wurde es ein- 
gefangen und in einen Stall gesperrt. Als man am andern 
Morgen, nachdem die Morgenglocke geläutet hatte, nachsah, 
war eine alte Frau im Stalle. Manche von den ältesten Per- 
sonen in Rimsdorf behaupten noch jetzt, jenes Ferkel gesehen 
zu haben. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Rimsdorf. 

102. Das Schwärmen der Bienen. 

Eine alte Frau, die als Hexe bekannt war, sollte einst 
einem Bauer aus Rimsdorf, der in den Acker ging, auf 
die Bienen achten. Sie hatte die Weisung, ihn zu holen, wenn 



— 296 — 

es einen Schwärm geben wurde. Bald danach sahen andere 
Leute aus dem Dorfe die Alte vor dem Bienenhause herum- 
laufen. Dabei klopfte sie mit einem Stecken auf eine alte 
Giesskanne. Als der Bauer am Abend aus dem Felde kam, 
hingen an den Bäumen in seinem Grasgarti^n neun Schwärme, 
obwohl er nur sieben Bienenvölker besass. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Bimsdorf. 

103. Der Hase im Pitzberg. 

Die Hexen trieben ihr Handwerk nur in der Zeit zwischen 
der Abend- und Morgenglocke. Als einst ein Bauer aus R i m s- 
dorf mit seiner Frau früh ins Feld auf den Pitzberg ging, um 
Hafer zu schneiden, sass in der Furche ein Hase. Der Bauer 
ging ihm nach und wollte ihn mit der Sichel erschlagen. Er 
bekam ihn aber nicht. Da läutete die Moi^englocke. Der Hase 
war eben am Ende des Stuckes angelangt« Als der Bauer 
wieder hinsah, stand die Jägermariann nackend dort. Sie sagte, 
sie habe sich verspätet, und bat die Leute, im Dorfe nichts 
davon zu sagen. Dennoch erzählte die Frau davon. Noch am 
selben Tage wurde sie krank. Ein Mann, der jeden Morgen 
früh an dem Hause der Kranken vorbeiging, traf die Jäger- 
mariann dort. Sie hatte einen Rock über sich hängen und 
sprang am Fenster in die Höbe um zu sehen, wie es der 
Kranken gehe. Dabei stiess sie Verwünschungen und Flüche 
aus und drohte ihr mit den Fäusten. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Bimsdorf. 

104. Die Katzenhaare in der Milch. 

Einst wollte die Jägermariann in Rimsdorf in einem 
Hause etwas leihen. Da sie aber als Hexe bekannt war, gab 
man es ihr nicht. Eben wurde in dem Hause gebuttert. Doch 
diesmal wollte es gar keine Butter geben« Als man das Fass 
öffnete, war der Rahm ganz voll Katzenhaare. 

Auch später fand man immer wieder Katzenhaare in der 
Milch. Da ging der Hausvater zu einem Hexenmeister nach 
Weisslinpen und fragte ihn um Rat. Er gab ihm den Befehl, 
beim Kochen der Milch mit einer Sichel hinein zu hacken. 
Noch am selben Abend wurde dies getan. Als am folgenden 
Tage die Jägermariann am Brunnen Wasser holte, hatte sie 
einen ganz zerhauenen Kopf. Von der Zeit an fand man auch 
keine Katzenhaare mehr in der Milch. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Eimsdorf. 






— 297 — 

105. Der Nachtwächter und die Ziegenböcke. 

In Rimsdorf hatte man früher einen Nachtwächter, der 
an verschiedenen Stellen des Dorfes die Stunden der Nacht auf 
seinem Hörne verkünden musste. Einst hatte er nun etwa zehn 
Nächte hindurch Gesellschaft. Wenn er am letzten Hause auf 
dem Wege nach Domfessel um 12 Uhr blies, kamen sieben 
Ziegenböcke zu ihm. Sie gingen mit ihm^ tanzten um ihn 
herum und stiessen ihn mit den Hörnern. Als er überall ge- 
blasen hatte, setzte er sich unter einen «cSchopf:». Auch die 
Ziegenböcke warteten unter dem Schöpfe, bis er um 4 Uhr 
wieder fortging. Sie begleiteten ihn wieder bis an jenes Haus ; 
wenn er nun aber 1 Uhr blies, verschwanden sie im Dunkel 
der Nacht. 

Mitgeteilt von Lehrer Aren zu Eimsdorf. 

108. Das gesattelte Pferd. 

Auf dem Wege von Rimsdorf nach Mackweiler kommt 
man am Höllgraben vorbei. Dort ist die Zwerhöhle. In der 
Nacht soll hier ein gesatteltes Pferd stehen. Es wiehert und 
lockt die Leute an, die vorübergehen. Wenn sich jemand 
darauf setzt, so geht es mit dem Reiter an einen tiefen Ab- 
grund und stürzt ihn dort hinab. Vor Freuden wiehert es dann. 
Dieses Wiehern klingt wie ein heiseres Lachen. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Eimsdorf. 

107. Die Hexe von Mackweiler. 

Einst gingen Leute von Rimsdorf zu einer Hochzeit. 
Vor Mackweiler begegnete ihnen ein altes graues Mütterchen. 
Es fragte die Hochzeitsleute: «Wo geht's hinaus?» Da ant- 
wortete eine Frau: «Wo wir heute noch nicht gewesen sind 1» 
Da traf sie ein böser Blick der Alten. Und von diesem Augen- 
blick an konnte sie nicht mehr gehen bis zum Beginn der 

Hochzeit. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Bimsdori 



XV. 



Neue Belege fQr das Lebensbild des 

Philesius Vogesigena. 

Von 

Dr. K. Klemeni. 

iJM den Werken des in diesem Jahrbuch wiederholt er- 
wähnten vielseitigen Humanisten Philesius Vogesigena (Matthias 
Ringmann) gehört auch eine grammatica figurata, eine 
Anleitung, wie die durch geistige Arbeit ermüdeten Knaben 
mittels eines Kartenspieles die Regeln der lateinischen Gram- 
matik (des Donat und des Remigius) zu wiederholen und deren 
Kenntnis sich zu sichern vermögen. i Dieses längst vergessene 
Werk war allerdings durch Oberlin im Magasin encycl. 1799 V, 
p. 321 ff. aus der Vergessenheit hervorgezogen worden, aber 
dann neuerdings verschollen, bis K. Schmidt es wieder in der 
Bibliothek von Strassburg entdeckte. Ehe jedoch Schmidt dazu 
kam, es gehörig anzusehen, ging das Exemplar der Strassburger 
Bibliothek am 24. August 1870 bei der Einnahme der Stadt 
zugrunde, seine Bemühungen aber, in irgend einer andern 
Bibliothek noch ein Exemplar dieses Buches aufzutreiben, blieben 
ohne jeden Erfolg : es schien also damals das letzte Exemplar 
dieses Werkes zugrunde gegangen zu sein. Da mir nun im 
Vorjahre in der Wiener Hofbibliothek ein Exemplar dieses für 
gänzlich verloren gehaltenen Werkes in die Hände fiel, habe 
ich im Jahresberichte des k. k. Staatsgymn. in Wien XIX in 
meiner Abhandlung «Zur Geschichte des Bilderbuches und der 
Schülerspiele» (Leipz. G. Fock) die grammatica figurata aus- 



1 Vgl. z. B. fol. 6 b der gr. fig. : «Nos eam (d. i. grammaticam) 
hoc Ubello ita tradendam, ne dicam prostituendam, duximus, uc Ic- 
viora eiasdem principia liberali quodam chartarum lade a paeris 
exerceri possint». 



— 301 — 

einerseits die an sich unbestimmt gehaltene Angabe in dem 
Briefe des Picus an Aessler und Uebelin,* andererseits eine 
Stelle in dem Briefe des Ziraldus an Philesius, sofern diese 
strenge gedeutet wird.* Nachdem so Philesius in Ferrara das 
griechische Exemplar des Ptolemaeus in Empfang genommen 
hatte, brauchte er sich nicht erst, wie Schmidt, a. a. 0., p. 117 
meint, nach Novi zu begeben, sondern konnte sich, wie es 
wirklich in dem Anfange des eben genannten Briefes von Zi- 
raldus erzählt wird, von Ferrara bereits nach Venedig wenden, 
um nach Deutschland zurückzukehren. Der vom 29. August in 
Novi datierte Brief des Picus an Aessler scheint also erst 
mehrere Tage nach der Zusammenkunft zwischen Philesius und 
Picus geschrieben zu sein. 



} Er findet sich in der genannten Ptolemaensansgabe auf der 
Eückseite des Titelblattes und enthält folgende Stelle: «illi ipsi 
(nämlich dem Philesins) ad vos data est graeca Ptolemaei Geogra- 
phia» ; von wem die Handschrift dem Philesius gegeben wurde, ist 
hier eigentlich nicht gesagt. 

' a. a. 0. auf der letzten Seite vor der Kartenfolgc: «. . . . id 
quod etiam vel ex ipsius Ptolemaei exemplari perspicles in primo 
volumine». Z. muss also selbst di€se Ptolemaeushandschrift gekannt 
und nunmehr in den Händen des Philesius gewusst haben. — Dieser 
am 28. Aug. 1508 in Ferraria geschriebene Brief beginnt mit den 
Worten : «Cum hinc Venetias versus proficiscereris . . . .» 



XVI. 

Die Illzacher Jäger. 

Mitteilung 

von 

Ernst Martin. 

Unter den Zetteln von August Slöber, welche wir durch 
die Güte seiner Verwandten für das Wörterbuch der Elsässischen 
Mundarien haben verwerten dürfen, fand sich auch folgende 
Notiz : 

Bürfi, f. Birsch, Jagd. ((Den Illzachern ist ihr gefangen 
Wiltpret widerumb auß den häfen genommen worden^ 
da sie doch gemäinet, sie seyen Eidgnossen, denen 
die freie bürß erlaubt». Petri 219. — Die Ill- 
zacher hatten nämlich in Junker Hans von Haus 
((höltzeren)» einen Hirsch gefangen und unter sich ge- 
teilt ; das Jahr ist nicht angegeben ; die Zeit : Ende 
des ib. Jahrhunderts. Die losen Mülhauser haben 
darauf ein Spottlied auf die Illzacher Jäger gemacht, 
das jetzt noch, wiewohl auf neuere Verhältnisse an- 
klingend, gesungen wird ; es beginnt : eBo kumme 
die lUzigker Jäger^D. 

Mit dem Wunsche über dies Lied Näheres zu erfahren, 
wandte ich mich an den sachkundigen und sehr gefalligen 
Herrn E. Fallot in Mülhausen, und erhielt von ihm die dankens- 
werte Auskunft vom 15. Herbstmonat 1903 : 

ccHabe eine Razzia ausgeführt über alle Gebiete wo gedacht 
werden konnte^ dass Spuren der Illzacher Jäger zu finden 



— 303 — 

wären. Ich freue mich Ihnen alles in allem senden zu 
können den Auftrag angehend mit dem es Ihnen beliebte mich 
zu beehren. 



D Ilzigär lAAgär. 



Musik. 1. 
1. 
2. 
3. 
3. 
4. 
5. 
4. 
5. 

1. 
1. 
2. 
3. 
3. 
4. 
5. 
4. 



5. = 

1. = 

1. = 

2. = 

3. = 

3. = 

4. = 

5. = 

4. = 

5. = 



1. läz khämä diä Ilzigär lAAgär 
Mt i'rä shpi'zigä DAAgä: 

TlAA, TA, fA, lA, lA ! 

Dr GAAiälä nn dr Liivägaät, 

Diä traagä FAAdärä n nf am Hüät; 

läz khämä diä Ilzigär lAAgär: 

TrAA, rA, TA, TA, TA ! 

Yas sm das, färdam mi, fir FAAgär! 
TrAA, r.v, TA, TA, rA! 

2. läz khämä diä ilzigär lAAgär 
Mt i'rä shpi'zigä DAAgä : 
TrAA, rA, rA, rA, rA! 

D Frai Nüfänäkär am Oowärtoor 
Hat Äpfälpnzä n im Oofäroor; 
läz khämä diä Ilzigär lAAgär: 
TrAA, rA, rA, rA, rA ! 
Yas sin das, färdAm mi, fi'r FAAgär! 
TrAA, rA, rA, rA, rA ! 

3. läz khämä diä Ilzigär lAAgär 
Mit *irä shp'izigä DAAgä : 
TrAA, rA, rA, rA, rA! 

Dr Tambärmashoor fo Yitänä 

Mit sim färshisänä Khitälä ; 

läz khämä diä ilzigär lAAgär: 

TrAA, rA, rA, rA, ra ! 

Yas s'in das, färdam mi, fir FAAgär! 

TrAA, rA, rA, rA, rA ! 




j' ■" .1' j' j' j^ 



kä - me die 111 
ih - re spit 



zi - ger Ja - ger, 
zi - ge Da - ge, 



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2. 



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tra - la - la - 



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Die Musik wurde nach gesungener und gespielter Weise, von 
Herrn Lehrer Julius Woerner notierl ; als bewährter Gesangdirigent 
hat er nach bestem Vermögen dem alten Volkslied dienen wollen. 

Die Dlzacher Jäger versetzten mich wieder in die Kinder- 
zeiten wo sie mir zum erstenmal zu Ohre kamen ; es tauchte mir 
sogar das Haus wieder im (Gedächtnis klar auf vor dem Hans 
und Julius Fiechter und ihr Vetter Haury mir sie vortrugen, 
Haus der Grosseltern des Letztgenannten, .das in jetziger Zeit 
als Eigentum eines Illzachers Herrn Schoen zu dessen 
Hintergebäude umgewandelt wurde. Die dritte Strophe ist 
eine Neckspitze gegen die Wittenheimer Rekruten und ihren 
einstigen Anführer. Obertor in der zweiten deutet auf MQl- 
hausen. Doch kenne ich sie seit ungefähr 18i7, alle drei; 
habe aber auch nicht mehr erfahren. Das Lied ist allgemein 
bekannt in Illzach, bei jung und alt und in gewissen Kreisen der 
Stadt, hat sich besonders als Rekrutenlied lebend fortgepflanzt, 
daraus zu folgern ist, dass der knappe Text dennoch erschöpfend 
wiedergibt was existiert hat. Wie wäre zu erklären sonst, dass 
bei air dieser Jugend nie einer mit was vom übrigen ans 
Licht träte? Gubert Steinbach 78 Jahre alt, ein aufgeweckter, 
schlauer, rüstiger Greis, Ratsherr im Orte hat auf sein Gewissen 
nie mehr gehört, weiss auch nichts von Urheber, Veranlassung 
oder Entstehungszeit ; dasselbe äusserten alle Glieder dieser Fa- 
milie die mit den Geyelin verschwägert ist. Eine Variante gibt 
Foogäl statt GAAiälä, ist aber nicht beliebt und bringt dem Rhyth- 
museine Sylbe zu wenig. Geyelin, Vogel, Liebengut und Niefenecker 
sind urillzacherische Namen leidenschaftlicher Jägergeschlechter.]) 

Weiler schrieb mir Herr Fallot, dass er Stöbers Anknüpf- 
ung an ein Ereignis des d5. Jahrhunderts nicht für wahr- 
scheinlich halte, vielmehr glaube dass das Lied Körners Lützows 
wilde verwegene Jagd, von der 1815 die deutschen Truppen ge- 
sungen haben möchten, parodiere und, in der Tat erinnert Rhyth- 
mus und selbst die Melodie teilweise an unser deutsches Lied. 



XVIII. 



Sitzun gsberichte . 



1. Vorstandssitzung 

ami 8. November 1903, vormittags 10 M« Uhr, im germanistischen 
Seminar der Universität. 

/anwesend die Herren Harbordt, Lempfnd, Lienharl, 
Luthmer, Martin, Menges, Mündel, Benaud, Schricker, Stehle. 
— Entschuldigt die Herren Francke, Kassel, Wiegand. — Ver- 
reist: Euting. 

Nach Vorlegung einiger eingegangener Drucksachen sowie 
einer Einladung des Zweigvereins nach Nurnl)erg von dem 
Verein zur Geschichte der Stadt Nürnberg, für welche der 
Vorsitzende seiner Zeit schriftlich gedankt hat, teilt letzterer 
mit, dass der historisch- literarische Zweigverein einen Bestand 
von 2868 Mitgliedern habe und dass es demnach angezeigt sei, 
von dem nächsten Jahrbuch 3000 Abzöge herstellen zu lassen. 

Die für das nächste Jahrbuch bereits eingelaufenen Arbeiten 
werden zur Durchsicht und Beurteilung an einzelne Vorstands- 
mitglieder verteilt. 

Herr Direktor D«" Lulhmer bemerkt, dass in den letzten 
Jahren der Sitzungstag vielfach zu spät bekannt geworden sei : 
der Vorsitzende . weist darauf hin, dass satzungsgemäss der 
zweite Sonntag im November dafür angesetzt sei. 

Es folgt darauf die 

Allgemeine Sitzung. 

Der Vorsitzende begrüsst die Versammlung und erstattet 
Bericht über das abgelaufene Geschäftsjahr. Sodann erklärt er 
sich bereit, mit Herrn Chr. Schmidt die Prüfung der Bechnung 
zu übernehmen und später darüber zu berichten. 



— 308 — 

and teilt mit, dass die zufolge Beschluss der Novembersitzung 
verschobene Rechnungsprüfung über das verflossene Geschäfts-- 
jahr mittlerweile stattgefunden habe, und dass alles in Ordnung- 
befunden worden sei. Dem Schatimeister wird auf seinen An- 
trag Entlastung erteilt. 

Zum Volksliederuntemehmen teilt Herr Mündel mit, dass- 

bereits eine grosse Anzahl Lieder zusammengekommen sei ; 
auch Herr ICreisschulinspektor Menges besitzt bereits über 100^* 
z. T. mit den Singweisen. 

Schluss der Sitzung: 3 Uhr 50. 



Berichtigungen zu Jahrgang XIX. 

S. 6 Z. 8 tilge das Fragezeichen. 

S. 86 Z. 2 und 26 anstatt «Magdeburg» 1. <e Merseburg»^ 
ebenso Z. 21 anstatt «unter anderen» 1. «in Merseburg». 



DATE DUE 





































































































STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES 
STANFORD, CAUFORNIA 94305